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German Pages 194 Year 2016
Lisa Landsteiner Platz nehmen
KörperKulturen
Lisa Landsteiner ist Assistent*in für Historische Anthropologie an der Sigmund Freud Privat Universität Wien und beschäftigt sich im Zuge ihrer Lehrtätigkeit mit den Schnittfeldern kritischer Wissenschaftstheorien, queer-feministischer Theoriebildung und deren Verbindungslinien mit politischer Praxis. Ihre Forschungsschwerpunkte liegen bei Körper, menschlicher Leiblichkeit und Hybridität.
Lisa Landsteiner
Platz nehmen Zur Psychologie des Sitzens am Ort der Psychiatrie
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Inhalt
Vorwort | 9 1
Einleitend einsetzen | 11
2 Das Feld begehen, den Boden spüren: Theoretische Verortung und Forschungspanorama | 19
2.1 Psychiatrie | 21 2.2 Sitzen und Stuhl | 29 2.2.1 Das Sitzen zwischen den Stühlen von Natur und Kultur | 29 2.2.2 Auf den Einsatz warten: Zur Geschichte des Sitzens auf dem Stuhl | 32 2.2.3 Psychologische und historisch-anthropologische Betrachtungen des Sitzens als Körpertechnik | 46 2.2.4 Kulturübergreifende und kulturspezifische Erfahrungsmodalitäten menschlicher Sitzpraktiken | 49 2.2.5 Setting, Sitzen und Stuhl in der Psychotherapie | 55 2.2.6 Untersatz: Der Stuhl als Gegenstand und Begriff | 57 2.3 Körper | 60 2.3.1 Körper-sein und Körper-haben | 61 2.3.2 Körper, Stuhl und Sitzen in der Kunst: ein Exkurs | 63 2.4 Forschungskontext und Auslotung des Themenfeldes | 71 3 Den Fokus setzen: Zur methodologischen Bündelung eines transdisziplinären Forschungsspektrums in der empirischen Erkenntnisarbeit unter Heranziehung der Grounded Theory | 75
3.1 Feldzugang und Erhebungsdesign | 79 3.2 Qualitative Bildinterpretation | 85 3.3 Gruppendiskussion | 88 3.4 Qualitatives Experteninterview | 91
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Platz nehmen: Eine auf empirischen Daten basierende Theorie über das Sitzen am Ort der Psychiatrie | 95
4.1 Die Psychiatrie als Sitzgesellschaft | 96 4.2 „Anlehnen und fallen lassen“: Die Erfahrung des Sitzens als hybride Verbindung von Mensch und Stuhl | 115 4.3 Platz nehmen: Sitzen als Positionierung und Relativierung am Ort der Psychiatrie | 131 5
Weitergehen und Ausblicken | 165
Literatur | 171 Abbildungsverzeichnis | 179 Tabellenverzeichnis | 181 Anhang | 183
Mein denkender Körper klettert in Gerüsten. Gerüste rasten. Rosten. Sind gerüstet für Gedankensprünge. Halt bietet die Obsession und die Bereitschaft zu scheitern. Ich liebe das Hochziehen. Ich liebe den Fall. LISA LANDSTEINER
The setting is like the darkness in a cinema, like the silence in a concert hall. FEDERICO FLEGENHEIMER
Vorwort
Den Beginn dieser Untersuchung markiert ein zufälliger Moment, an dem ich während meines Praktikums in der Akuttagesklinik Winterthur den Gang auf dem Weg zurück zu meinem Schreibtisch beschritt. Im Passieren eines meinem Büro benachbarten Gruppenraums geriet ich ins Stehen. Ohne Intention, unverhofft, war es Stillstand. Es war ein kurzer Moment der Irritation, deren Wesen darin zu bestehen schien, dass ich die Türe des Raums offen stehen wusste, wo ich doch zugleich eine gerade stattfindende Gruppe an diesem Ort vermutete. Ich setzte meinen Fuß in den Raum, um mich der Situation zu vergewissern. Zweiter Fuß. Es war niemand anwesend, ich fand lediglich eine kreisförmige Anordnung der Stühle vor, die – ähnlich einer leeren Bühne – die Erwartungshaltung eines gewissen Stattfindens ausstrahlte. Es schien die Kon-Stellation der Stühle zu sein, die mich eine (un)bestimmte Art von Präsenz vermuten ließen. Wenn diese Situation den Beginn meiner Untersuchung markieren sollte, ist diese Arbeit eine Art Rückkehr an diesen Ort. In dieser Situation wieder angekommen und darin den Ausgangspunkt für meine Erkenntnistätigkeit nehmend, erfahre ich jetzt, wenn ich mich setze, denkend herumlaufe, dazu Kaffee trinke, mich erinnere, Bücher trage, am Schreibtisch sitze, mich durchstrecke und meine Untersuchung beginne, die nachhaltige Gewichtigkeit jenes Gegenstands, der wie verzaubert ist, weil mit ihm Geschichten ertönen, die wie ein Echo seine Bedeutsamkeiten wieder erhallen lassen: der Stuhl.
1 Einleitend einsetzen
Einleitend setzt sie ein, eine Symphonie der Bewegung, die das menschliche Gestell orchestriert. LISA LANDSTEINER
Ein Stuhl kann heilig, therapeutisch, leer, Thron historisch bedeutsamer Monarch_innen und gefürchteter Tyrann_innen, Gnadenstuhl, Kindersessel, Klappstuhl, Chorstuhl, Faltstuhl, Lehrstuhl, Leibstuhl, Beichtstuhl, Verhörstuhl, Drehstuhl, Rollstuhl, Schaukelstuhl oder Fahrstuhl sein. Von ihm aus werden Staaten regiert, Unternehmen geleitet und – nach Verfolgung fortschreitender technologischer Entwicklungen – Kriege geführt; zudem war es Friedrich Nietzsche (2011), der diejenigen warnte, die es wagen würden zwischen Für und Wider ihren Stuhl zu setzen. Eingriffe am Behandlungsstuhl können Routine, mit großer Angst verbunden, lebensgefährlich, lebensrettend, geburtenträchtig, abortiv und kostenintensiv sein. Ein Stuhl kann elektrisch, das heißt letal, sein und diskursiver, kritisch betrachteter Gegenstand sozialpolitischer und ethischer Fragestellungen sowie Instrument regulierender Praktiken von Machtstrukturen. Aus dem Arsenal weiterer Exempel sollen noch der Fahrer- und Beifahrer-, der Schleuder- und Hochsitz sowie der Chefsessel und der Sessellift genannt werden, welche sich der Mensch im Laufe seiner Geschichte sich und seinem Körper entsprechend adjustiert hat. Zudem – so stellt der Anthropologe Hajo Eickhoff (1993, S. 174) fest – ist es der Stuhl, der dem Empfinden für den angemessenen Anstand und Abstand Rechnung trägt. Als Fundament interdisziplinärer Betrachtungen tritt im Zusammenhang mit der Untersuchung des Stuhls die Praxis des Sit-
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zens als Erkenntnisgegenstand in den Fokus der Betrachtungen. Sitzen ist zum einen eine in der westlichen Gesellschaft universal beobachtbar gewordene, zwei Mal im neunzig-Grad-Winkel abgeknickte Körperhaltung, in der das Gesäß auf einer knie- bis unterschenkelhohen Ebene ruht, zum anderen eröffnet sich mit der Forcierung des Sitzens jedoch nicht nur auch ein Spielraum für die Auseinandersetzung mit einer Körpertechnik, die sich in vielfachen Variationen zeigt, sondern überdies ein Erkenntnisfeld von inter- und transdisziplinärer Relevanz. Wo ein Mensch Platz nimmt entscheidet indes nicht selten zwischen Teilhabe und Exklusion, Macht und Machtlosigkeit, Beachtung und Ignoranz, Armut und Reichtum, Links und Rechts, Reisen und Bleiben, Partizipation und Apathie sowie Leben und Tod. Sitzen kann Warten, Arbeiten, Lernen, Regieren, Essen, Behandeln, Bestrafen, Reisen, Therapieren, Sterben und unter anderem auch falsch und richtig sein. Zugespitzt erschient die Aussage angemessen, dass – um ein Zitat des Philosophen Nelson Goodman (1995, S. 25) auf den Subtext der bisherigen thematischen Erkundung anzuwenden – in der Betrachtung des Sitzens mehr zu stecken scheint „als zunächst ins Auge fällt“. Als Körperhaltung ist das Sitzen von medizinischer, sozialer und psychischer Dimension, sie ist kulturspezifisch und trägt eine Bedeutung in sich, die Rückschlüsse auf den physischen Zustand, die materielle Situation, aber auch auf die unmittelbar zugängliche, psychische Erfahrung einer Person zuzulassen scheint. Was bedeutet es, als Mensch die Körperhaltung des Sitzens einzunehmen? Welche Bedeutungsstrukturen eröffnen sich mit dem Gegenstand des Stuhls? Woraus setzt sich das diskursive Gewebe über das Sitzen zusammen und von welchen Agenten wird dies produziert? Wie lässt sich ein phänomenologisches Verständnis von Sitzen, Liegen und Stehen herstellen und welche Denkarten über die variationsreiche Palette an menschlichen Körperhaltungen erweisen sich im Rahmen der Untersuchung als zulässig? Welche Voraussetzungen verbinden sich mit jenen kulturellen Mustern von Bewegung, die als „Sitzen“ bezeichnet werden? Und welche Bedeutung hat dabei die scheinbar vorweg gegebene Präsenz des Körpers für den Menschen? Die Darstellung des Zusammenhangs zwischen dem Sitzen als mechanisch anmutenden, physischen Akt, als körperliche Geste, und als Medium einer unmittelbaren Erfahrung, als Teil des psychologischen und historischanthropologischen Erkenntnisinteresses, rückt dann ins Zentrum der Ausei-
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nandersetzung, wenn diese in Verbindung mit dem sozialen Raum der Psychiatrie zum Gegenstand der Betrachtungen wird. Die Auswahl der Psychiatrie als Ort anstehender erkenntnisbringender Untersuchungen begründet sich einerseits mit ihrer hohen Relevanz für die Klinische Psychologie als praktisches Anwendungsfeld, andererseits ist sie als Einrichtung in ihrer sozialen Konstellation geprägt von Sitzpraktiken, die sich während des Therapierens, während des Wartens, des Essens, des Arbeitens, des Behandelns, des Schreibens usw. vollziehen. Der Stuhl tritt dabei in seiner Anhäufung, Anordnung und Anwesenheit an dieser Schnittstelle als bedeutungstragende Dimension hinzu, wenn der soziale Raum und Ort der Psychiatrie durch ihn mit gestaltet wird. Dabei stellt sich die Frage wie sich das Sitzen für den Menschen als Berufsstätige_r oder Patient_in am Ort der Psychiatrie gestaltet. Angenommen wird dabei, dass die sitzende Körperhaltung ein spezifisches Wissen in sich birgt. So bewegt sich das Wissen über das Sitzen im folgenden verstärkt am Verständnis von sitzenden Patient_innen und Behandler_innen entlang. Die Relevanz intendierter Erkenntnisarbeit zeigt sich in der Größe und der Vielfalt von disziplinären Feldern, die im forschungswissenschaftlichen Diskurs über den menschlichen Körper, psychisches Erleben, die Einrichtung der Psychiatrie und die menschliche Hervorbringung von Kulturprodukten miteinander in Berührung kommen. So findet der thematische Impetus zum Beispiel in den Disziplinen der Psychologie, der Medizin, der Geschichte, der Anthropologie, der Soziologie, den Kunstwissenschaften, der Medientheorie, dem Design etc. Anklang und entwickelt das Feld des Untersuchungsgegenstands zu einer inter- und transdisziplinär ausgeweiteten Textur. Wird die bestehende forschungsliterarische Landschaft, die sich mit der Blicknahme auf das Sitzen und den Stuhl eröffnet, im Rahmen der Recherchen eingehender Betrachtung unterzogen, evolviert sich ein dünn besiedeltes, aber weitläufiges Gebiet. Das Sitzen ist zwar in einer Vielzahl vor allem anthropologischer, theologischer und psychotherapeutischer Publikationen Gegenstand wissenschaftlicher Auseinandersetzungen, wenn beispielsweise nomadische Meditationsriten dem christlichen Beten gegenübergestellt werden und dabei das transzendentale Element des Sitzens ins Zentrum rückt (Faust, 2004; Dodel, 1997; Holze, 1997) oder wenn in der Darlegung psychoanalytischer Technik ein Zusammenhang zwischen dem Strukturniveau der Analysand_innen und der geeigneten Körperhaltung
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während der Sitzungen hergestellt wird (Nixon, 2005; Guderian, 2004; Momigliano, 1992), allerdings bleibt die Untersuchung der Einnahme der Körperhaltung des Sitzens als conditio sine qua non des exemplarisch genannten Meditierens oder Therapierens bzw. die eine mögliche Bedeutungsstruktur des menschlichen Sitzens per se im wissenschaftlichen Diskurs jedoch mehrheitlich hintangestellt. Für ein solches Unternehmen, in dem es für die Fundierung und Argumentation einer theoretischen Konzeption an einer Palette an signifikanten theoretischen Anknüpfungspunkten mangelt, erweist sich der Forschungsstil der Grounded Theory (Glaser & Strauss, 2008) als besonders geeignet, worin in Kombination aus mehreren Erhebungsverfahren eine auf Basis der erhobenen Daten gebildete Theorie entwickelt wird. Die textuelle Struktur und Gliederung der vorliegenden Arbeit wird maßgeblich durch den Forschungszugang der Grounded Theory (Glaser & Strauss, 2008) beeinflusst. Eine auf Basis von theoretischen Modellen generierte und überprüfte empirische und theoretische Konzeption – so essentiell diese auch sind – weichen dem Prozess der Entwicklung einer gegenstandsbezogenen Theorie. Mit diesem Zugang kommt somit der eigenständigen empirischen Arbeit im Rahmen der Untersuchung struktureller Aspekte des Bedeutungsfeldes eine besonders bedeutsame Rolle zu. Als Charakteristikum der Arbeit kann somit die Erarbeitung einer Theorie aus der Kombination von verschiedenen Erhebungsmethoden, die bewusst nebenund gegeneinander gestellt, sowie im stetigen Vergleich ineinander verwoben werden und mit den theoretischen Bezügen korrespondieren, verstanden werden. Anstelle der konventionellen Gliederung in Input-Theorie, die Darstellung methodischer Vorgehensweise, Diskussion der Resultate und Präsentation der Output-Theorie, werden im Rahmen von Kapitel 2 („Das Feld begehen, den Boden spüren: Theoretische Verortung und Forschungspanorama“) theoretische Bezüge zu vorliegenden Konzepten und Positionen, die im Untersuchungskontext von Relevanz sind, hergestellt, um auf diese in der Theorieentwicklung im Forschungsstil der Grounded Theory zurückzugreifen und aufzubauen. Theorien und Modelle benötigen Säulen und Träger, die diese stützen. Vorliegende theoretische Arbeiten und Positionen werden damit in Abstimmung dessen, was die erarbeiteten Kategorien aufzufassen geben, eingebunden und aufgegriffen, da das auf dem Fundament der Daten gebildete
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theoretische Modell nicht jenseits aller Theorien konzeptioniert wird und auch nicht werden soll. Theoretische Kontextualisierungen werden im Rahmen der Präsentation der Kategorien somit dann unternommen, wenn diese als Themen, Referenzen und Analogien an die Erkenntnisse der auf den erhobenen Daten basierenden Theoriebildung knüpfen. Diese Vorgangsweise ermöglicht nicht nur eine Präzisierung der eigenen Argumentation, sondern dient auch als Lötstelle von resultierendem Erkenntnisgewinn und epistemologischer Einbettung. Mit dem zweiten Kapitel sind also sowohl der Begriff des Stuhls, des Sitzens und der Psychiatrie als auch damit in Zusammenhang stehende wissenschaftliche und künstlerische Formate und Phänomene eingeführt. Die Bedeutung des Sitzens liegt nicht auf der Hand oder vor den Füßen. Vielmehr ist diese aus den Zwischenräumen, Querverweisen und Fluchtlinien der herangezogenen Texte und Bilder zu essenzieren. In der methodologischen Verortung, welche in Kapitel 3 („Den Fokus setzen: Zur methodologischen Bündelung eines interdisziplinären Forschungsspektrums in der empirischen Erkenntnisarbeit unter Heranziehung der Grounded Theory“) zur Darstellung kommt, wird mit der Kombination aus dem Dreiklang qualitativer Erhebungsmethoden – dem qualitativen Experteninterview, der Gruppendiskussion und der qualitativen Bildinterpretation nach Bohnsack (2009) – im Forschungsstil der Grounded Theory eine flexible Herangehensweise vorgestellt, welche die vielschichtigen Facetten des Untersuchungsgegenstandes im erhobenen Datenmaterial erfassen lässt. Die Erfahrungsdimension der Patient_innen – erhoben durch das Methodenduett der Gruppendiskussion sowie der qualitativen Bildinterpretation – wird in Heranziehung der Expert_innenperspektive kommentiert, an Qualität überprüft und validiert, um daraus sinnstiftende Kategorien, welche schließlich zu einer Theorie verarbeitet werden, zu abstrahieren. Im prozessualen Verfahren der Theorieentwicklung stehen Text und Bild als medienstrukturell egalitär behandelte Qualitäten miteinander in Korrespondenz. Mit der Vergegenwärtigung einer bildlich dargestellten typischen Situation in der Akuttagesklinik durch die Bildproduzent_innen kommt im Rahmen der qualitativen Bildinterpretation (Bohnsack, 2009) wie auch unter Heranziehung des qualitativen Experteninterviews und der Gruppendiskussion, welche im Rahmen dieser Arbeit in Kombination mit einer performativen Studie durchgeführt wird, eine qualitative Erhebungsmethode zum Einsatz, deren Zielsetzung nicht vorbestimmt wird, sondern sich während des For-
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schungsprozesses herauskristallisiert (Przyborski & Wohlrab-Sahr, 2010). Welche Bilder entwerfen Patient_innen von einer für sie typischen Situation in der Psychiatrie? Welche Begriffe und Konzepte legen sie diesen Bildern in der anschliessenden Bildbesprechung zugrunde? Und wie wird – wenn dargestellt – die Erfahrung des Sitzens bildlich repräsentiert und sprachlich zum Ausdruck gebracht? Wie erleben, explorieren und artikulieren Patient_innen als Teilnehmer_innen der Gruppendiskussion die Sitzerfahrung und mögliche Variationen von Körperhaltungen? Welche Perspektive bringen Expert_innen unterschiedlicher disziplinärer Verortung aus ihrer Erfahrung als im Sitzen Behandelnde, Schreibende, Therapierende, etc. ein? Sitzen Behandler_innen zumeist an einem bestimmten Ort, auf einem bestimmten Stuhl? Wie begründen Behandler_innen die scheinbare Universalität des Sitzens und welche Erfahrungen haben sie als Sitzende am Ort der Psychiatrie? Und welche Wissensbezüge – z.B. aus Kultur, Geschichte, Psychologie, Biologie, Politik, Technologie, Medizin, Psychotherapie usw. – werden dabei (wieder-)hergestellt? Die Erkenntnisgewinnung zielt in ihrer zirkulären Struktur innerhalb eines iterativen Prozesses das stetige Vergleichen und die gegenseitige Komplementierung von Erhebung, Kodierung, theoretischer Konzeption und Reflexion ab, um die Bedeutungskonstituierungen, die als Gleichklänge, Ambivalenzen und Gegensätzlichkeiten intra- und intermedial vorliegen, zu essenzieren. Um die daraus abstrahierte Hauptkategorie „Platz nehmen: Sitzen als Positionierung und Relativierung des Menschen am Ort der Psychiatrie" versammeln sich die Kategorien „Der Ort der Psychiatrie als „Sitzgemeinschaft“ sowie „Anlehnen und fallen lassen: Die Erfahrung des Sitzens als hybride Verbindung von Mensch und Stuhl". Diese beiden Kategorien werden in Kapitel 4.1 und 4.2 dargestellt. Im Anschluss an deren Darstellung werden diese in einen Gesamtzusammenhang gebracht, wenn in Kapitel 4.3 die Hauptkategorie als Kernelement der theoretischen Konzeption vorgestellt wird. Die Untersuchung von Bedeutungszusammenhängen für den Menschen als Sitzende_n am Ort der Psychiatrie findet im interdisziplinären Dialog psychologischer und historisch-anthropologischer Erkenntnisarbeit statt. Ihre Rahmenbedingungen gestalten sich in der Art, dass der forschungswissenschaftliche Diskurs auf den Disziplinen der Psychologie und Historischen Anthropologie zugrunde liegender Erkenntnis aufbaut und die Aspekte psychologischer, historischer, sozialer, erkenntnistheoretischer, kultu-
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reller, epistemologischer, künstlerischer und medientheoretischer Dimensionen in feiner Abstimmung aufeinander berücksichtigt. Die Arbeit zielt zum einen darauf ab, das Untersuchungsfeld innerhalb einer weiten Begriffswelt abzustecken, welche sich mit den Begriffen Sitzen, Stuhl, Sessel, Thron und Schoß verbindet und hält ihre Aufmerksamkeit auf das Phänomen eines Menschen, die_der als Sitzende_r mit dem Stuhl eine Verbindung eingeht, worin die verbindende vor der trennenden Kraft in ungleichartigen Konstellationen vorherrscht (Spielmann, 2010). Zum anderen soll eine historisch-anthropologische Variation von Perspektiven zur Beleuchtung des Forschungsgegenstandes dabei einerseits Darstellungsmöglichkeiten menschlicher Bedeutungskonstituierungen fundieren, die die Verwendung von Stühlen in historischen Bezügen begründen, andererseits hat die Heranziehung einer historisch-anthropologischen Position eine verbindende Funktion, der in der Verwebung von historischanthropologischer Forschung und Praxis in psychologische Verstehensprozesse eine bedeutende Rolle zukommt. Die vorliegende Auseinandersetzung ist somit als Versuch zu verstehen, bei dem die Schaffung eines transdisziplinären Raums impulsgebendes Moment für Erkenntnisprozesse sein soll, die in reziproker methodischer Supplements aus den Disziplinen der Psychologie und Historischen Anthropologie im Rahmen des Forschungsstils der Grounded Theory (Glaser & Strauss, 2008) unterstützt werden. Als Forschende fühle ich mich einer Grundidee über den Menschen verpflichtet, die ihn in seinem Selbst- und Weltverständnis gleichermaßen auffasst: die Rede ist dabei von einem interdisziplinär abgestimmten Menschenbild, das einen ressourcen- und sozialorientierten, aktiven und in Interaktion mit seiner Umwelt tretenden Menschen beschreibt. Im Rahmen der vorliegenden Untersuchung von Bedeutungsstrukturen, die sich für Sitzende in der Psychiatrie vergegenwärtigen, soll zudem das Ausmaß gezeigt werden, in welchem Psychologie und Historische Anthropologie möglicherweise mit neuen Erkenntnissen für beide Disziplinen ineinander- und zusammenwirken können. Hinter der Frage nach dem Menschen steht in elementarer Hinsicht die Intention, Zuverlässiges im Rahmen des Möglichen über den Menschen auszusagen. Mit der Historischen Anthropologie spannt sich ein Untersuchungsfeld auf, das die Stellung des Menschen in der Welt, die Besonderheiten und Eigentümlichkeiten des menschlichen Lebens in ihrer Dia- und Synchonizität untersucht. Dabei müsse nach Kamper und Wulf (1994, S. 9) bei Vorliegen heterogener gerichteter Va-
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rianten der Anthropologiekritik konzediert werden, dass mit Historischer Anthropologie „[…] ,nicht‘ die Geschichte der Anthropologie, auch ,nicht‘ den Beitrag der Geschichte zur Anthropologie“ zu verstehen sei, sondern eine „Anthropologie, welche sowohl die Geschichtlichkeit ihres Gegenstandes als auch die Geschichtlichkeit ihrer Methoden zu reflektieren ermöglicht“. Eine solche Historische Anthropologie bewegt sich somit um den Erkenntnisgegenstand des Menschen, nimmt dessen Positionierungen und Bewegungen in einem historischen und diskursiven Gewebe in den Blick und will etwas über Formen der Ausgestaltung und Bewerkstelligung des menschlichen Lebens erfahren, artikulieren und lesbar machen, um diesem in einem facettenreichen konzeptionellen Gefüge zu betrachten.
2 Das Feld begehen, den Boden spüren: Theoretische Verortung und Forschungspanorama
Einem im Forschungsstil der Grounded Theory erarbeiteten Modell über die Bedetungskonstituierungen von Menschen, welche am Ort der Psychiatrie Platz nehmen, sind die empirischen Daten Ausgangspunkte und Richtungsweiser. Vorhandene theoretische Konzepte, epistemologische Verortung und begriffliche Bezüge sind dabei nicht ein der empirischen Arbeit Vorangestelltes, sondern ein in diesen eingebetteter, ergänzender und wesentlicher Bestandteil, der in der korrespondierenden Auseinandersetzung mit dem Datenmaterial die Beschaffenheit jenes Bodens strukturiert, auf dem der Erkenntnisgegenstand sichtbar und spürbar wird. Entgegen einer konventionellen Anschauung eines Forschungsprozesses, in welchem die theoretische Konzeption den Datenerhebungen und Resultaten vorausgeht, bedingt der Forschungsstil der Grounded Theory (Glaser & Strauss, 2008) aufgrund der hohen Aufmerksamkeit, die der Arbeit mit empirischen Daten zukommt, die Unmöglichkeit, diese getrennt und unabhängig von dem sich in Abhängigkeit von der Erkenntnisarbeit evolvierenden theoretischen Kontext zu behandeln, in dem diese operieren. In der textuellen Gestaltung der Arbeit wird daher auf eine aus vorliegender Forschungsliteratur zu fundierenden theoretischen Rahmengebung, welche der empirischen Arbeit vorangestellt werden würde und diese bedingt, verzichtet; vielmehr werden literarisch vorhandene Erkenntnisse stetig in der Entwicklung einer empirisch fundierten Theorie aufgegriffen und in die eigene empirische und theoretische Arbeit integriert. Der thematische Bogen wird im Rahmen dieses Kapitels daher nicht – wie in anderen,
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durchaus häufiger vorzufindenden Methodologien praktiziert – auf das Ziel, einzelne methodische Schritte abzuleiten, gerichtet, sondern erfährt seinen Spannungsaufbau zum Zwecke der Durchdringung von relevanten Themenbereichen, die dem Forschungspanorama, das sich mit der Fokussierung des menschlichen Sitzens am Ort der Psychiatrie eröffnet, Kontur und Kontext geben. Im Gleichschritt mit der Heranziehung existierender Forschungsliteratur und dem Aufbau von Kontextwissen im Rahmen der theoretischen Standortbestimmung geht das Bewusstsein, dass die Herstellung von Anknüpfungspunkten und Bezugsquellen die weitere Untersuchungsrichtung beeinflusst. Gewählt wird eine transdisziplinäre Untersuchungsausrichtung, welche im Gegensatz zu deduktiven, linearen Verfahren einen zirkulären Forschungsprozess impliziert. Damit ist nicht nur die empirische Erkenntnisarbeit über menschliche Bedeutungskonstituierungen dynamisiert, sondern begründet auch die Notwendigkeit einer prozesshaften Erkenntnisgewinnung gestützt durch die Einflechtung epistemologischer Querverbindungen. Wie einleitend dargestellt, zeigt sich die Ausgangslage dergestalt, dass mit der wissenschaftlichen Blicknahme des Menschen als Sitzende_n ein diskursiver Boden betreten wird, welcher in den meisten einschlägigen Disziplinen von untergründiger Lage ist. Während der Recherche entsteht der Eindruck, dass vor allem die Erkenntnisgegenstände des Sitzens und des Stuhls lediglich in Zusammenhang mit primär interessierenden Phänomenen an Aufmerksamkeit gewinnen. Die Praxis des Sich-Setzens und Sitzens sowie der Gegenstand des Stuhls bleiben somit zumeist unbeachtete Sekundarphänomene – oder Staub, der vom fruchtbaren Boden des primär interessierenden Erkenntnisgewinns aufwirbelt. Im Laufe der Literaturrecherche zeichnet sich weitgehend ab, dass die Bedeutungsstrukturen, die sich für den Menschen mit der Einnahme der Körperhaltung des Sitzens eröffnen, als für sich allein stehender Erkenntnisgegenstand außerhalb des diskursiven Blickfeldes bleibt. Die Heranziehung von Suchmaschinen und Rechercheplattformen führen zunächst zu einem Ergebnis, welches nahezu ausschließlich Publikationen über ergonomisches Stuhldesign und Anleitungen zum richtigen Sitzen in den Ergebnissen auflistet. Als eine der wenigen einschlägigen Quellen, die einer solchen Feststellung entgegenstehen, liefern Ludwig Schmidts (1971a; 1971b) Arbeiten zur europäischen Geschichte des Stuhls sowie Hajo Eickhoffs (1993) anthropo-
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logische Auseinandersetzung mit der Geschichte des Sitzens relevante Anhaltspunkte, welche im Folgenden dargestellt werden. Zudem kommt dem Gegenstand des Stuhls im Feld der Designgeschichte eine große Beachtung zu, wenn der Stuhl als populäres Objekt herangezogen wird, an welchem Adolf Loos, James und Ray Eames, Carl Auböck und viele andere Ikonen des Design für Marken wie Pantone, Vitra, Wegner und Thonet ihre Handschrift vertieften oder ihrer Designphilosophie besonderen Ausdruck verliehen. Vorangegangene Betrachtungen haben für die weitere Darstellung zu bedeuten, dass angesichts der hohen thematischen Streuung bei gleichzeitiger geringer Vielfalt von Sichtungen fundierter Bezugspunkte in der Forschungsliteratur, die im konkreten Fall die Begriffe „Psychiatrie“, „Sitzen und Stuhl“ sowie „Körper“ abstecken, relevante Themengebiete im Rahmen der theoretischen Standortbestimmung im Einzelnen abgehandelt werden, um diese nachfolgend in einen themenübergreifenden, auf das Sitzen am Ort der Psychiatrie abgestimmten, Kontext zusammenzuführen.
2.1 P SYCHIATRIE Folgend gilt es, die Einbettung des Psychiatriebegriffs sowie die diesem zugeordneten Orte, Institutionen und Wissenskulturen im Untersuchungskontext darzustellen. Mit der Psychiatrie eröffnet sich eine Vielzahl an Bedeutungsfeldern, die sich um und mit den Begriff der Psychiatrie orchestrieren. Mit Psychiatrie kann unter anderem eine Bezeichnung einer medizinischen Fachdisziplin, ein Ort, an welchem diese und verwandte Disziplinen (z.B. die Psychologie, die Pflege, die Sozialpädagogik, die Psychotherapie, Spezialtherapien wie die Ergo-, Physio-, oder Bewegungstherapie usw.) ihr Anwendungsgebiet finden oder auch eine diskursive Überschrift einer alltagssprachlichen und populärwissenschaftlichen Auseinandersetzung mit (psychischer) Gesundheit und Krankheit, die häufig in Verbindung mit gesellschaftlichen Inklusions- und Exklusionspraktiken zutage tritt, gemeint sein. In Gegenwart hinterer Betrachtungen erscheint das Festhalten der Zwischenerkenntnis, dass sich die Entwicklung der Psychiatrie aus und in der Verbindung mit gesellschaftlichen Sphären vollzieht und vollzogen hat, somit als durchaus schlüssig.
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Jene lässt sich zudem unter Heranziehung des foucaultschen Begriff des Dispositivs genauer argumentieren: Unter Dispositiv versteht Foucault (2003, S. 392) die „heterogene Gesamtheit, bestehend aus Diskursen, Institutionen, architektonischen Einrichtungen, reglementierenden Entscheidungen, Gesetzen, administrativen Maßnahmen, wissenschaftlichen Aussagen, philosophischen, moralischen und philanthropischen Lehrsätzen“, zu welchem in der Psychiatrie unter anderem gesundheitspolitische Maßnahmen, Kliniken, pharmazeutische Unternehmen, (inter-)disziplinäre Forschung, Angebote der öffentlichen und privaten Gesundheitsversorgung, Psychiatrieskandale aber auch gesellschaftliche Auffassungen und Definitionen von Normal- und Different-Sein sowie Krankheit und Gesundheit gehören. Insgesamt handle es sich mit Agamben (2008, S. 9) „um kurz Gesagtes, ebenso wie Ungesagtes“ (S. 393) und ist in seiner konkret strategischen Funktion in Machtverhältnisse unterschiedlicher Art eingeschrieben. Das Dispositiv ist somit heterogene Gesamtheit, die „potentiell alles Erdenkliche“ einschließt und als Netz, das zwischen all jenem erdenklich Möglichen herzustellen ist, vorzustellen (Agamben, 2008, S. 9). Die Psychiatrie kann daher nicht nur als Anstalt und Einrichtung gedacht und erfahren werden, sondern auch als gesellschaftliche Institution, die eng mit spezifischen gesellschaftlichen Praktiken und Diskursen verknüpft ist. Es ist auch Michel Foucault (1973; 2003; 2011), der sich externen und internen Umständen der Rahmung psychiatrischer Entwicklungsgeschichte, welche zu ihren charakteristischen Wissensbeständen und Praktiken führt und deren gesellschaftliche Relevanz begründet, widmet: Anders als Edward Shorter (1999, S. 1-7), der in der Manier linearer Geschichtsschreibung die Fundierung der psychiatrischen Disziplin und auch die damit in Zusammenhang stehende Entwicklung dieser als gesellschaftliche Institution um 1800 ansiedelt und in den „stillen Praxen der niedergelassenen Psychiater des späten 20. Jahrhunderts“ (S. 7) bis heute fortlaufend beschreibt, beginnt Michel Foucault (1973) seine Skizzierung der Psychiatriegeschichte im Rahmen seines Werks „Wahnsinn und Gesellschaft“ mit dem Vorhaben, auch den sozialen, ethischen und moralischen Kontext ihrer Entstehung ohne Anspruch auf Vollkommenheit zu beschreiben. Foucault (1973) wählt als Einstiegsstelle seiner Betrachtungen die Ausläufer des Spätmittelalters, wobei er sich eines Querverweises auf die Lektüre von Sebastian Brandts „Narrenschiff“ bedient. Anhand der von Brandt aufgegriffene Symbolik weiß Foucault (1973, S. 30) die aufsteigende „Unruhe
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gegen Ende des Mittelalters am Horizont der europäischen Kultur“zu pointieren und sozialgeschichtlich zu kontextualisieren. Somit stellt Foucault (1973) in der Betrachtung von Einflüssen und Rückwirkungen auf gesellschaftliche Inklusions- und Exklusionspraktiken eine alternative Form von psychiatriegeschichtlicher Auslegung vor. Als delinquent betrachtete Mitbürger_innen seien nach Foucault (1973, S. 30-41) gegen Ende des Mittelalters als Geisteskranke oder Wahnsinnige in sogenannte Narrentürme gesperrt oder mithilfe gesellschaftlicher Praktiken isoliert worden. Ab etwa 1650 seien es nach Goddemeier (2011, S. 362) zudem nicht nur „die Wahnsinnigen“ gewesen, die gesellschaftlicher Isolation ausgesetzt waren und damit regelrecht interniert wurden, sondern auch andere Gruppen der Bevölkerung. So habe beispielsweise das Hôspital général in Paris nach seiner Eröffnung im Jahr 1656 „mehr als 6 000 Menschen“ beherbergt „– neben den Wahnsinnigen Arbeitsunwillige, Kriminelle und Libertins – etwa ein Prozent der Pariser Bevölkerung“ (Goddemeier, 2011, S. 362). Im Rahmen dieser Zusammenhänge habe sich nach Foucault die „Psy function“ (Foucault, 2006), die sich beispielsweise auf dem Arbeitsplatz, in Schulen, beim Militär etc. als spezifische kontrollierende Instanz disziplinarischer Gesellschaften mit der Absicht, den Zugriff auf delinquente Mitglieder der Gemeinschaft zu sichern, entwickelt und etabliert. „Whenever an individual could not follow school discipline or the discipline of the workshop, the army, and, if it comes to it, of prison, then the Psy function stepped in“ (Foucault, 2006, S. 86). Bettler und Vagabunden, Besitz-, Arbeits- und Berufslose, Verbrecher, politisch Auffällige und Häretiker, Dirnen, Wüstlinge, mit Lustseuchen Behaftete und Alkoholiker, Verrückte, Idioten und Sonderlinge, aber auch mißbillige Ehefrauen, entjungferte Töchter und ihr Vermögen verschwendende Söhne wurden auf diese Weise unschädlich und gleichsam unsichtbar gemacht. (Dörner, 1984, S. 20)
Die vorhergehend anhand von Shorter (1996) erläuterte und auch von anderen Autor_innen (Brückner, 2010; Ackerknecht, 1967) vorgenommene zeitliche Anberaumung beginnender Psychiatriegeschichte mit dem Ende des 18. Jahrhunderts, scheint nach Michel Foucault nicht zu überraschen, da die – wie er sie nennt – „moderne Geschichte der Psychiatrie“ (1973, S. 41) ihr erstes Kapitel nicht der Analyse einer Genese sozialer Ausschließungsprak-
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tiken und den zu diesem Zweck eingerichteten Institutionen, welche als solche Vorläufer psychiatrischer Einrichtungen sind, zu widmen hat, sondern der Befreiung eben dieser gesellschaftlich Ausgeschlossenen durch Akteure wie Philippe Pinel oder Samuel Tuke. Auch Philipp Sarasin (2005) scheint mit Foucault die Auffassung der Psychiatriegeschichte als Befreiungsepos ins Land der Legenden verwiesen zu wissen, wenn er feststellt, dass mit den von Vorläufer_innen wie Tuke oder Pinel initiierten neuen psychiatrischen Behandlungsmethoden lediglich moderne Formen der institutionellen Unterdrückung sogenannter Wahnsinniger hervorgebracht worden seien, zum Beispiel mit der Entwicklung psychiatrischer Klassifikationssysteme nach einer „Logik der Schuld und des Geständnisses und schließlich der bürgerlichen Familiennormen“ (Sarasin, 2005). Es erscheint dennoch als zutreffend, dass es vor allem Pinel und Tuke sind, die im wissenschaftshistorischen Diskurs als Begründer eines psychiatrischen Fachs angesehen werden, in welchem der Wahnsinn und die Psyche zum medizinischen Erkenntnisobjekt werden, und diesen für jenen Verdienst auch bis heute Würdigung zuteil wird. Menschen, die sich am Ort der Psychiatrie einfinden, lassen sich auf zwei große Gruppen zusammenfassen: zum einen sind es Menschen, die im Rahmen ihrer Ausbildung oder ihrer beruflichen Ausübung – sei es, dass sie vor allem als Vertreter_innen eines einschlägigen Fachs, z.B. der Medizin, der Psychologie, der Pflege, der Sozialpädagogik, einer Spezialtherapie, auf fachlicher Ebene oder auf betrieblich-administrativer Ebene, z.B. als Sekretär_innen, Haustechniker_innen Angebotsleiter_innen, Chefärzt_innen, Logistiker_innen, Reinigungspersonal, wirken, vor Ort sind. Zum anderen finden sich Menschen ein, die das dortige, von jener erstgenannten Gruppe konzeptionierte, Behandlungsangebot in Anspruch nehmen (müssen). Mit dem Aufsuchen der Psychiatrie, möglicherweise schon davor, vollzieht sich ein Prozess, der in butlerianischer Terminologie als Adressierung bezeichnet werden kann: Ebenso wie Personen als Bürger_innen zur Wahl, als Elternteil zum Elternabend, als Arbeitnehmer_innen und Arbeitgeber_innen zum Arbeitsplatz, als Kund_innen zum Schalter oder als Spieler_innen auf das Spielfeld gehen, betreten sie als Patient_innen den Ort der Psychiatrie. Mit Judith Butler (1995, S. 29), die exemplarisch mit der Aussage „es ist ein Mädchen!“ auf die normierende, adressierende Eigenschaft von Sprache und Sprechakten verweist, erscheint die Argumentation zulässig, dass das Subjekt Patient_in erst durch die interaktiven
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Praktiken am und über den Ort der Psychiatrie, deren Eintrittsmedien sich vielgestaltig – beispielsweise als Tore, Türen und Zuweisungen – konstituieren und die anfängliche Kulisse zimmern. In der und durch die psychiatrische Einrichtung werden Menschen zu Behandler_innen, Patient_innen, Angehörigen, usw. Dies soll jedoch weder bedeuten, dass es einen Sprechakt von Behandler_innen braucht, die eine Person zu_r Patient_in macht, noch soll dies heißen, dass die betroffenen Subjekte der Adressierung durch andere ausgeliefert bzw. auf diese angewiesen sind; vielmehr vollzieht sich die Adressierung neben sprachlichen Handlungen auch durch körperliche Handlungen (z.B. dem Betreten der psychiatrischen Einrichtung, dem Unterschreiben eines Behandlungsformulars, etc.), durch Affekte und Gedanken – auch im Sinne von SelbstAdressierungen durch das Subjekt. Von besonderer Notizwürdigkeit ist, dass sich die Psychiatrie zwar eindeutig als medizinische Disziplin verortet und als solche selbst versteht, allerdings werden mit der Wahl des Erkenntnisgegenstands der Psyche als unmittelbar zugängliches Phänomen gewisse Grundparadigmata medizinischer Erkenntnisobjekte nur fragmentarisch erfüllt. So war die Psychiatrie zwar einerseits mit wesentlichen Aufgaben der Stabilisierung der Sozialstruktur und -ordnung mit den Mitteln der gesellschaftlichen Isolation und gegebenenfalls der Resozialisierung und Reintegration delinquenter Personen betraut und damit als Institution fest in die Gesellschaft, in welcher sie auch heute noch als Teilhaberin und Produzentin von Wissen im Netz mit anderen Disziplinen wie zum Beispiel den Erziehungs-, Politik- und Rechtswissenschaften sowie den ihnen zugehörigen Institutionen (Schule, Gesetzgebung, Justiz) einen großen gesellschaftspolitischen Impetus hat, verankert, so hatte und hat sie sich zum anderen fortlaufend mit ihrer Legitimation als medizinisch-wissenschaftliche Disziplin auseinanderzusetzen, da im Unterschied zu konventionellen medizinischen Diagnosen, z.B. der Bestimmung eines Nasenbeinbruchs, keine einheitliche, explizite Definition eines psychischen „Normalzustandes“ existiert. Dies hat auch zur Folge, dass eine Grenzziehung zwischen Gesundheit und Krankheit im psychiatrischen Forschungs- und Anwendungsfeld nicht eindeutig zu treffen ist, sondern das Ergebnis wissenschaftlich-rationaler und gesellschaftlicher Aushandlungen, das als solches – meist in Form einer dichotomen Konstruktion von Normalität und Differenz – beständiger Veränderung unterliegt. Es sind dies auch Anknüpfungspunkte einer Antipsychiatrie-Bewegung, die
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sich in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts entwickelt und unter anderem mit Querverweisen auf Foucault (1973; 2003; 2006) und Goffman (1973) die gesellschaftliche und kulturelle Bedingtheit psychiatrischer Diagnosen, die Beziehung von Behandler_innen zu Patient_innen sowie – im Aufgriff eines Diskurses über Biopolitik und Biomacht – die Rolle der Psychiatrie als gesellschaftspolitische Institution kritisiert. Mit Maurice Dorès (1973) sei ein wesentlicher Gegenstand der Debatte auf den Punkt gebracht: „Jeder Krankheitsfall ist die Begegnung zweier geschichtlicher Abläufe: Der Geschichte der Persönlichkeit, und die Geschichte der Gesellschaft, in der die betreffende Person lebt“ (S. 13). Psychiatrisches Wissen und die damit in Verbindung stehenden Praktiken existieren nach Goffman (1973) – wie auch das Wissen allgemein – nicht als objektiv zugängliches Wissen, sondern es findet lediglich auf Basis von Diskursen seine Entstehung, in welchen es sich potenziell als sogenannte Wissenschaft und damit als eine bestimmte Form renommierter Wahrheit etabliert. Psychiatrisches Wissen wird diskursiv und im psychiatrischen Handeln und im Austausch zwischen Psychiater_innen, Patient_innen, Forscher_innen, Kolleg_innen usw. hergestellt. Durch die psychiatrischen Praktiken materialisiere sich nach Goffman (1973, S. 22) der Antagonismus „wahnsinnig/normal als reale Dichotomie“. Dies bedeutet, dass erst durch die mit der psychiatrischen Diagnose erfolgende Distribution entsprechender Rollen und die damit einhergehenden Handlungs- und Verhaltensformen das psychiatrische Individuum als Behandler_in bzw. Patient_in hervorgebracht werde: Dieses auf Diskursbasis hervorgebrachte Wissen beeinflusst die Praxis, welche wiederum die Wissensproduktion innerviert. Wissenschaftsgeschichtlich zählen Unstimmigkeiten und Uneinheitlichkeit psychiatrisch-diagnostischer Definitionen zu beobachtbaren Phänomen, die auf den soziohistorischen Kontext der Produktion psychiatrischen Wissens hinweisen. Heute findet – den Fokus auf westliche Gesellschaften gerichtet – im Anwendungsgebiet der Psychiatrie ein interdisziplinäres und fachliches Wissen über psychopahtogene Phänomene Resonanzräume, welche in ihrer äußeren und inneren Struktur als Einrichtungen in ambulante, stationäre und teilstationäre Angebote untergliedert werden können. Wählten psychiatrische Kliniken ihren Standort auch noch Ende des 20. Jahrhunderts an Stadträndern oder in weiter abgeschiedeneren Gebieten, so vollzieht sich im 21. Jahrhundert ein Wandel, in welchem Regierungen, Kliniken, Gemein-
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schaftspraxen und sonstige psychiatrische Angebote des globalen Nordens auf das Konzept „ambulant vor stationär“ setzen und ihre Einrichtungen an zentral gelegenen Standorten eröffnen. Das Ziel dabei ist es zum einen, die Zahl kostenaufwendiger stationärer Behandlungen zu reduzieren, zum anderen ergeben sich mit der Ausweitung eines ambulanten und teilstationären Angebots auch die Vorteile einer örtlichen Nähe zu Patient_innen und deren sozialer Umfeldern, höhere Mobilität für Patient_innen und Personal durch bessere (öffentliche) Verkehrsanbindungen und die Einbindung von Einrichtungen in ein interdisziplinäres, örtlich eng beieinander gelegenes Netzwerk. Des Weiteren hat in Zeiten der Globalisierung insbesondere das Feld der transkulturellen Psychiatrie an Wichtigkeit und Bedeutung zugenommen. Dabei habe die transkulturell versierte Psychiatrie nach Heise, Pfefferer-Wolf, Leferink, Wulff und Heinz (2001) die Erfassung seelischen Leidens und kulturspezifischer Charakteristika zum Gegenstand. Diese sei im Rahmen ambulanter, teilstationärer und stationärer Behandlungssettings von immer größerer Relevanz, „um zu einer kommunizierbaren und konsensfähigen Beurteilung zu gelangen“ (S. 231) und um den Aufbau einer tragfähigen therapeutischen Beziehung zu gewährleisten. Mit dem Ort der Psychiatrie eröffnet sich jedoch nicht nur ein Raum, an dem Behandlungen von Patient_innen unter Einbindung aktueller fachlicher Entwicklungen stattfinden, sondern auch ein Ort, der für betriebliche, administrative Fachpersonen und Behandler_innen den Arbeitsplatz darstellt. Dieser kann, in Anlehnung an Herbert Lachmayer (2011), der die Umgebung des Arbeitsplatzes in seiner Auseinandersetzung mit dem „Chefzimmer“ eingehender beleuchtet, in gewissem Sinne als eine Art „Arbeitsausstellung“ betrachtet werden, wenn beispielsweise die dort berufstätigen Personen zeigen wollen, dass mit ihrer Anwesenheit das Erscheinungsbild kompetenter therapeutischer Arbeit erweckt wird. Zu derartigen „Performances“ (Lachmayer, 2011, S. 123) gehört die Praxis des „Schwebens durch den Raum“ (Lachmayer, 2011, S. 123). In der Psychiatrie findet dies Ausdruck in Form von beobachteten Stilisierungen des Herein-Bittens in das Büro, einer vorschriftenkonformen Praxis des Abschließens aller Behandlungs- und Gruppenräume, eines Jonglierens mit oder eines schweren Tragens von Gruppenmanualen und Arbeitsutensilien sowie des Markierens von Seriosität, Freundlichkeit und Professionalität. Kurzum, die Psychiatrie, vom Sekretariat, über den Aufenthaltsraum, die Gänge,
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Sanitäranlagen, bis zu den Gruppenräumen und den Behandlungsraum, ist rundum „Bühne“ (S. 123), auf der die Vergegenwärtigung von fachlicher Kompetenz, Interdisziplinarität, wissenschaftlicher Aktualität, erfolgreichen Behandlungen und Therapiekonzepten stattfindet: die Psychiatrie ist auch ein durch die Einrichtung erlebbar und greifbar gemachtes Unternehmen. Es ist schlussendlich hervorzuheben, dass die Psychiatrie – im Rahmen bisheriger Betrachtungen als eine Art Laboratorium der Kultur des Umgangs mit (psychisch kranken) Menschen vorgestellt und von Skeptiker_innen und Gegner_innen als solches kritisch gewürdigt – im Rahmen der Untersuchung nicht in ihrer Konstituierung als soziale Institution und den daraus abzuleitenden Folgen auf das gesamte soziale System, der Gesellschaft, im Blickfeld steht, sondern primär als Ort der Untersuchung, der sich aufgrund der Konstellationen, die sich in sozialen, räumlichen und professionellen Bezügen mit ihm eröffnen, als geeignet erweist, herangezogen wird. Ökonomisches, Gesellschaftliches oder Politisches kann in Verbindung mit dem Aufsuchen der Psychiatrie als Ort und sozialen Raum aufgrund des begrenzten zur Verfügung stehenden Rahmens einer Publikation daher zwar nicht stringent verfolgt und in die Darstellungen verwoben werden, allerdings bin ich mir als Forschende des offenen Systemcharakters der psychiatrischen Institution bewusst und möchte an dieser Stelle die Notwendigkeit einer kritischen Auseinandersetzung mit darin verwobenen gesellschaftlichen, ökonomischen und politischen Intentionen unterstreichen. Diesbezügliche Aspekte, die im Zuge der Untersuchung ins Licht rücken, werden als solche in den Fokus genommen und explizit gemacht in die Erkenntnisarbeit eingeflochten. Weiters sei für eine vertiefende Betrachtung einwirkender moderner Machtstrukturen auf die Arbeiten von Michel Foucault (1973; 2006) verwiesen; eine eingehende Darstellung von sozialen Differentialstrukturen wie z.B. Geschlecht, Schicht oder Rasse, geben Iris Hölling (2000) für die Kategorie „Geschlecht“ sowie Phyllis Chesler (2005) in ihrer Auseinandersetzung mit der Psychiatrisierung als mögliches Instrument patriarchaler Suppression. Ein unsichtbares, aber doch unübersehbares Merkmal, das zuletzt als eminent Darzustellendes erscheint, ist, dass die Dynamiken der Grenzziehungen zwischen Psychiatrie und Nicht-Psychiatrie, also zwischen Außenund/oder Umwelt, zwischen den Rollen (Patient_innen, Behandler_innen)
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und ihren Subjekten weder aktiv noch passiv und in keinem definitivem Begriff von Außen oder Innen zu fassen ist. Der Ort der Psychiatrie ist damit kein isolierter Ort, sondern stets durchdrungen von dem, was von Menschen, die sich darin bewegen, als Außen bezeichnet wird und werden kann. Die Räumlichkeiten der Psychiatrie trennt somit lediglich eine dünne Wand zu andernorts.
2.2 S ITZEN UND S TUHL Im Rahmen der Arbeit wird das Phänomen des Sitzens am Ort der Psychiatrie fokussiert. Beim Sitzen handelt es sich durchaus um hochbedeutsame soziale Praktiken und Bezüge, die sich am Ort der Psychiatrie im gemeinsamen Essen, im Therapieren, im therapeutischen Fortschritt am Behandlungsstuhl, im Warten, im Scherzen in der Sitzrunde, im Verfassen ärztlicher Begutachtungen und psychologischer Befunde am Schreibtisch usw. vollziehen, weshalb es zudem als relevant erscheint, sich auch dem Gegenstand des Stuhls, der gewisser Maßen bei all diesen Aktivitäten als „stilles Ding ,darunter sitzt‘“ (Seitter, 2011, S. 29) in eingehenderer Beachtung zu widmen. 2.2.1 Das Sitzen zwischen den Stühlen von Natur und Kultur Sitzen und Stuhl stehen als Phänomene miteinander in Verbindung. Ein Mensch kann (notfalls) ohne Stuhl sitzen, doch der Gegenstand des Stuhls bezieht seine genuine, bedeutungstragende und gestaltende Dimension von den Menschen, die ihn als Hilfsmittel verwenden und sich auf ihm setzen, d.h.: ohne Sitzen kein Stuhl, ohne Stuhl aber ein Sitzen. Der Stuhl empfängt – um diese Erkenntnis im Sprachstil Helmut Plessners (1975, S. 321) erklingen zu lassen – sein Dasein und seinen Sinn erst aus „der Hand des Konstrukteurs“. Es auch ist Helmuth Plessner (1975), der sich in einer tiefgreifenden Auseinandersetzung den anthropologischen Voraussetzungen für die Erfindung und Verwendung menschlicher Hilfsmittel widmet. Ihm zufolge liege in jeglichen Erfindungen, die der Mensch als Hilfsmittel heranzieht, ein „Sachverhalt" vor, in welchem ein „Seinsgehalt“ des Menschen erfasst ist: Der Stuhl wird für das menschliche Sitzen erfunden. Das Sitzen
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ist dabei zum einen natürliche Haltung, zum anderen wird diese – wie auch der menschliche Körper – zum Beispiel durch die Erfindung des Stuhls und die Etablierung und Prägung von Sitztechniken kulturell überformt. Für die Erfindung des Stuhls als Hilfsmittel ist dabei der sinntragende Aspekt, dass eine Relativität zu einem vorhandenen, menschlichen Bedürfnis besteht, von wesentlicher Bedeutung. Am Stuhl erscheint damit „was nur gefunden und entdeckt, nicht gemacht werden konnte“ (Plessner, 1974, S. 322). Demzufolge offenbart sich mit dem Stuhl kein Novum, sondern eine Entdeckung und Erschließung eines mit dem Menschen gegebenen Vorhandenseins. Der Stuhl sei als „soziokulturelle Erfindung“ (Eickhoff, 1993, S. 12) und „Kulturschöpfung höchsten Ranges“ (S. 12) den Menschen „unauffällig, aber allgegenwärtig“ (S. 9). Eine weitere Verfolgung der Argumentationslinien Helmuth Plessners (1975, S. 322) untermauert und erweitert Eickhoffs (1993) Darstellungen insofern, wenn er schreibt, dass ein Hilfsmittel, der „in die Sphäre der Kultur eingeht“, eine „Gebundenheit an das menschliche Urhebertum und zugleich Unabhängigkeit von ihm“ anzeigt. Der Mensch könne nach Plessner (1975, S. 322) nur erfinden, soweit er entdeckt. […]Seine Produktivität ist nur die Gelegenheit, bei welcher die Erfindung Ereignis wird und Gestalt gewinnt. Es wiederholt sich hier das Behältnis der Korrelativität des apriorischen und des aposteriorischen Elementes, wie es die Situation des Lebewesens oder die Anpassung an seine Umgebung allgemein beherrscht, ja geradezu ausmacht. Die Erfindung ergibt sich aus der Relativität von Suchen und Finden als Korrelativität von Mensch und Welt, die auf die Identität seiner exzentrischen Positionsfirm und der Struktur dinglicher Realität zurückweist. Nicht der Hammer hat existiert, bevor er erfunden wurde, sondern der Tatverstand, dem er Ausdruck verleiht. Trotzdem musste er erfunden, das heißt, die Form dafür geschaffen werden.
Die Leistung der Erfindung sei eine „Ausdrucksleistung“ (Plessner, 1975, S. 322), die sich auf die natürlich vorhandenen Ressourcen stützt und in einem Akt realisiert wird, der sich in einem Resultat von künstlicher Charakteristik veräußert. Ein Stuhl ist somit Artefakt und Kulturprodukt. Um in Gegenwart dieser vorausgehenden Betrachtungen im Folgenden auf die begriffliche Dimension des Sitzens näher zugehen und anschließend dessen Bedeutungsdimension in der Zusammenschau mit dem Phänomen
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des Stuhls genauer darzustellen, ist in Bezug auf die Lektüre und Rezension der Arbeiten über die Geschichte des Sitzens von Hajo Eickhoff (1993; 1994a; 1994b; 2011), welche eine der umfangreichsten und stärksten theoretischen Bezugsmomente im Rahmen der theoretischen Kontextualisierung darstellen, kritisch anzumerken, dass dieser dem natürlichen Aspekt des menschlichen Sitzens kaum Beachtung schenkt. Während er dessen kulturellen Ausdruck und dessen Geschichtlichkeit in aller Dinglichkeit und Nachvollziehbarkeit anhand von kulturellen und anthropologischen Entwicklungsdimensionen des Stuhls im Rahmen seiner Arbeiten präsentiert, scheint er dem Sitzen und der – von ihm doch auch in den Blick genommenen – genealogische Bedeutsamkeit eine vergleichbar große Aufmerksamkeit zu verweigern, ohne dies zu thematisieren. Sitzen ist auch – wie anhand des Querverweises auf Helmuth Plessners (1975) Ausführungen konturiert – eine natürliche Haltung, die im Laufe der Geschichte kulturelle wie auch individuelle Prägung erfährt. Sitzen kann insofern als natürlich bezeichnet werden, als dass der Mensch zunächst am Boden – in einer Vorstufe zum Sitzen – hockt oder hockte. Besonders in westlichen Gesellschaften ist zudem zu beobachten, dass es vor allem heranwachsende Säuglinge und (Klein-)Kinder sind, die auf Böden, in Sandkästen und auf jeglichen anderen Untergründen die „unkultiviertere“, stuhlfreie Sitzhaltung des Hockens, des Schneidersitzes, Fersensitzes usw. präferieren bzw. einnehmen. Im Laufe der kindlichen Entwicklung wird es dabei jedoch vor allem im Rahmen der schulischen Erziehung von wesentlicher Bedeutung sein, das richtige, aufrechte, „brave“ Sitzen zu lernen. Dieser Aspekt sei hier punktuell thematisiert, gleichwohl wird dieser im Folgenden zum Gegenstand eingehender Betrachtungen, wenn im Rahmen einer umfangreichen Auseinandersetzung die westlich-kulturell geprägte Erziehung des Menschen zur_zum Sitzenden in den Fokus genommen wird. Auch Tiere sitzen – so lässt sich mit Plessner (1975) argumentieren – aus Instinkt, aus dem „Hier-Jetzt“ (S. 288) heraus, wobei auch das einem Hund befohlene „Sitz!“ vonseiten ihrer Besitzer_innen bereits von kultureller Prägung ist.
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2.2.2 Auf den Einsatz warten: Zur Geschichte des Sitzens auf dem Stuhl Am Anfang waren die Menschen „stuhllos“ (Eickhoff, 1993, S. 10). Die Geschichte des Sitzens auf dem Stuhl beginnt nach Eickhoff (1993) mit dem Ende des Nomadentums. Es fahre fort in dem Sesshaftwerden der Agrargesellschaften und der mythischen Erhöhung von Gött_innen und Herrscher_innen auf Thronen. Nomad_innen – so stellt es Eickhoff (2013, S. 18-20) fest – „kennen keine Stühle, ihr Medium heißt: passieren, durchqueren, sich ereignen, aufbrechen“. Sie leben ein „Leben, das seine Impulse von der Fußsohle her erhält. Ihrem Leben auf dem Fuß entspricht das Leben in Zelten und Jurten und das Hocken und Kauern auf Teppichen oder dem nackten Boden“ (S. 19). Ein exzeptionelles Phänomen sei der Kamelreitsitz, auf welchem diese – in ständiger Bewegung – auf einer Art Hocker gesessen seien. Doch insgesamt wolle und müsse eine nomadische Kultur auf Hilfsmittel wie den Stuhl verzichten, da dieser die „Qualität des Nomadischen“ (Eickhoff, 2013, S. 20) – das Nicht-Sesshafte – untergräbt. Dass das Sitzen mit dem Sesshaften in Verbindung zu stehen scheint, legt auch Franz Dodel (1997, S. 54) in einem philologischen Begriffsdefinitionsversuch des Sitzens dar. So sei unter mehreren Begriffen für das Sitzen (kaphdf, kaphisf, kaphedomai) sowohl das konkrete Sitzen als auch das „Sichaufhalten und Wohnen“ gemeint. Die Bedeutung der Begriffe sei an sich uneindeutig, da mit ihnen zugleich eine zusätzliche Angabe eines Ortes mitgemeint sei, „auf die sich die Haltung bezieht. Die Abgrenzung zwischen den Begriffen ist also auf der Wortebene kaum möglich. Das Bedeutungsfeld deckt immer wieder die Bedeutungen sitzen-wohnen ab“ (Dodel, 1997, S. 55). So erscheint die Semantik des Sitzens unter andrem auch stark mit den Bedeutungsfeldern des Aufhaltens, des Wohnens, des Bleibens und des Besitzens verwoben zu sein. Nach Eickhoff (1993, S. 20) seien Nomad_innen der Ansicht, dass „Gegenstände, die nicht fortlaufend in Bewegung sind, getauscht oder verschenkt werden“ sollen, das sie bei ihren Bestizer_innen Schaden anrichten würden. „Umgekehrt dagegen gilt den Sesshaften gerade das als schadlos, worauf sie sich niederlassen und was sie mit Macht besetzen können“.
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Leopold Schmidt (1971b, S. 349), der die Geschichte des Stuhls als europäisches Sitzmöbel untersucht, leitet seine Darstellungen damit ein, indem er feststellt, dass das Sitzen als „Körperhaltung und als innere Befindlichkeit“ eine „lange, komplexe Geschichte“ hat. Das menschliche Sitzen habe sich mit der Einrichtung von Feuerstellen auf dem Erdboden etabliert: Mit dem Heben der Feuerstelle zum tischhohen Herd sei der Sitz erwachsen, dessen Ebene – vormals meist ein großer Stein oder ein hockerähnliche Objekt – erhob sich damit auf Unterschenkelhöhe. Auf diese Ebene wäre wiederum der Tisch nachgewachsen. Die Feuerstätte habe sich jedoch nicht allein erhöht, sondern habe sich relativ zu den in den Wohnhäusern wachsenden Wänden angepasst. Nach Schmidt (1971b) war es das durch den Herd erhöhte Dach, das alles nach sich gezogen habe: Zunächst bildete die Wand die Rückenlehne der Sitze, jedoch distanzierten sich auch diese mit der Vergrößerung der Räume von der Wand und die Sitze erhielten damit ihre eigene Lehne. Im Hockkreis um die runde Feuerstelle der Horde und beim späteren Platz-Nehmen um die bestuhlte Tafel der Tischgesellschaft, scheint sich darüber hinaus auch anzuzeigen, dass dem Sitzen eine soziale Dimension immanent ist. Diese Erwägung gewinnt mit der Betrachtung tierischer Verhaltensstudien an zusätzlichem argumentativem Gewicht, wenn Marina Cords (2002) in ihrer Untersuchung der Sozialstruktur weiblicher Diademmeerkatzen feststellt, dass Individuen mit manchen ihrer Artgenossinnen mehr und intensiver interagieren als mit anderen. Zum einen betreffe dies eine häufiger stattfindende gegenseitige Fellpflege, zum anderen sei freundschaftliches Verhalten vor allem auch daran festzustellen, dass befreundete Diademmeerkatzen häufiger und länger in nahem Abstand zueinander sitzen. Jorg Massen und Sonja Koski (2014) schließen in einer aktuellen Studie über freundschaftliches Verhalten unter Schimpansen darauf, dass sich Freundschaft unter Individuen am Geeignetsten durch ähnliche Persönlichkeitsausprägungen in den operationalisierten Kategorien „Sociability and Boldness“ erklären lässt. Zudem zeige sich auch ihrer Definition nach freundschaftliches Verhalten darin, dass „chimps of a feather sit together“ (Massen & Koski, 2014, S. 1). Freundschaft zeichne sich damit – analog zu Cords (2002) – durch „high rates of sitting in contact“ (Massen & Koski, 2014, S. 2) aus. Die ersten Menschen, die auf Stühlen sitzen, seien Herscher_innen gewesen (Eickhoff, 1993, S. 77). Bevor der Mensch den Stuhl erfindet musste
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es den Thron geben. Die Voraussetzung für die Entwicklung des Throns seien „Imaginationen und Bilder sitzender Gestalten“ (S. 27). So leite sich der Thron von Skulpturen hockend gebärender, steinzeitlicher Göttinnen ab, die von zwei Löwen flankiert werden. Die Komposition enthält alle Elemente späterer Throne: das voluminöse Gesäß der Göttinnen als Sitzbrett, die Beine der Löwen als Thronbeine, die Schweife als Rückenlehne und die Löwenköpfe als Armlehnen. (Eickhoff, 1993, S. 27)
Im Gebären gebe sich die Göttin dem Ereignis hin, sie sei „Geburtsorgan“ und aktives „Prinzip des Schöpferischen“ (S. 30). Die skulptural dargestellten Haltungen des Gesäßes, mit welchem die Göttin eine sitzende Haltung einnehme, verstärke nicht nur den Anschein, dass diese hockend gebärt, sondern vermittle auch den Eindruck, dass diese thront. Somit kann das Gesäß als Thron angesehen werden, Göttinnen – wie beispielsweise die von Eickhoff (1993, S. 29) exemplarisch dargestellte Skulptur einer gebärenden Göttin von Catal Hüyük von etwa 5750 v. Chr. – verkörpern den Thron an sich und nehmen in ihrer gebärenden Geste auch eine vermittelnde Position zwischen Welt und Kosmos ein. Damit Menschen diese die thronende Haltung einnehmen können, bedarf es – anders als bei gebärenden Göttinnen, die sich vom Schoß aus selbst halten – eines feststofflichen Unterbaus. Mit der Materialisierung eines solchen artifiziellen Gestells sei „der Stuhl, zunächst als Thron, erfunden“ (Eickhoff, 1993, S. 37). Das Thronen sei nach Eickhoff (1993, S. 33) eine Imitation der Gebärhaltung weiblicher Gottheiten. Im thronenden König komme der Wechsel von einem weiblich-kosmischen zu einem männlich-königlichen Mythos zum Ausdruck. Der Mythos besagt, dass der schöpferische Ort vom weiblichen Schoß zum Kopf des Mannes angehoben wird und Geist und Sprache über allem Leiblichen und Stofflichen stehen, womit die Erhöhung des Thrones im Anheben vom Schoß zum Kopf liege und der thronende König das Gegenbild zum Weiblich-Kosmischen werde (Eickhoff, 1993, S. 33). Zudem verbirgt sich im Gebären eine erhöhende Geste: Nach Hajo Eickhoff (1993, S. 30) leite es sich vom arabischen „bher" ab und bedeutet „regen, sich bewegen und sich heben“. Wenn sich somit die Bedeutungen des Schoßes als sich regender und bewegender sowie als hebender, erhöhender zu durchdringen scheinen, symbolisiert der Thron als skulpturaler,
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statisch anmutender Ausdruck des Feststofflichen eine erhöhende und tragende Funktion. Auch im Alten Ägypten bezögen sich Thron und Thronsockel auf ein Erhabenes, den Benbenstein, der für die Ägypter als „Urhügel“ (Eickhoff, 1993, S. 34) gegolten habe: Auf ihm positioniere sich das schöpferisch Tätige. Das Thronen ist somit mit dem Motiv des Schöpfens verbunden. Schöpfen heißt im Zusammenhang mit den skulpturierten Göttinnen zunächst Gebären. Darüber hinaus bedeutet es das Herstellen von Ordnung, die sich im Chaos des Schöpfungsprozesses bündelt. Mit dem Schöpfen ist daher auch eine gemeinschaftliche, weltliche Ordnung gemeint, die mit der Besetzung eines materiellen Schoßes, des Throns, hergestellt wird. Eickhoff (1993, S. 11) spitzt dies zu, indem er schreibt: „Das Sitzen auf dem Herrschersitz soll das starke Bild des kosmischen Gebärens veranschaulichen“. Der Nimbus einer weiblichen Praxis wird durch eine neue Konzeption ersetzt, indem eine zumeist männliche Herrscherperson auf dem Thron Platz nimmt. Eine Inszenierung weiblicher Sitzfiguren erscheint jedoch auf Familienporträts des 19. Jahrhunderts, wenn Großmütter sitzend mit einem Kind auf dem Schoß ins Zentrum des Bildes rücken. Nach Chvojka (2003) werde eine mütterlich-emotionale Beziehung dargestellt: „Während die junge Mutter zu keinem der Kinder in einem Naheverhältnis abgebildet ist, stellt die in der Mitte sitzende Großmutter mit dem Kind auf dem Arm fast das authentischere Bild der Mütterlichkeit dar“ (Chvojka, 2003, S. 177). Als interessant erscheint in diesem Zusammenhang, dass auch in christlichen Marienbildern das Jesuskind als König auf dem Schoß einer weiblichen Gottheit Platz nimmt und auch „die stehende Maria den Christusknaben sitzend hält“ (Eickhoff, 1993, S. 76). Mit dem Besetzen des Herrscherthrons wird das Gebären als bewegter, schöpferischer Akt abstrahiert und in Form der Herstellung einer bestimmten Ordnung durch die Einnahme der Sitzhaltung zum Ausdruck gebracht. Der Thron von Herrscher_innen sei nach Eickhoff (1993, S. 79) allerdings kein Mobiliar, das der Erfüllung komfortabler Ansprüche dienen soll. Vielmehr habe der Thron eine Symbolfunktion: Die Macht des Königs besteht darin, frei von den Anstrengungen des Alltags zu sein, dem Stamm vorsitzen und dienen zu dürfen, über Privilegien aller Art zu verfügen, ein Leben voller Sinn zu leben, da die Gemeinschaft ohne seine Substanz lebensunfähig wäre, und über Tod und Leben der Mitglieder entscheiden zu können.
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Darüber hinaus gilt er als Mittelsmann zwischen Gemeinschaft und Gott. Darüber hinaus aber soll der König in der leiblichen Ruhigstellung des Thronens spirituelle Kräfte sammeln, die ihm Zugang zu den kosmischen Mächten verschaffen. Soll er sich zu einem solchen schöpferischen Hintergrund der Gemeinschaft entwickeln, muss er minutiös ins Thronen eingeübt werden, um in der (Zurück-)Haltung des Sitzens der Lust nach Bewegung erfolgreich entgegenarbeiten zu können. Man fordert, dass er in seiner Askese Fähigkeiten ausbildet, die ihn für kosmische Kräfte aufnahmefähig machen, um sie für die Gemeinschaft zu nutzen. Da man glaubt, die dabei herbeigesehnten Effekte seien durch analoges Verhalten zu beeinflussen, spricht man seiner leiblichen Festsetzung positive Einflüsse auf die Beweglichkeit der Gemeinschaft und der kosmischen Abläufe zu. (Eickhoff, 1993, S. 32)
Mit der Besetzung des Thrones nehmen Herscher_innen somit eine Transzendentalposition ein: Im Thronen bilden sich transzendierende, kulturelle und differenzierende Qualitäten in der Gemeinschaft aus. Es erhebt den Sitzenden über persönliche Vorlieben und bindet ihn in überpersönliche Funktionszusammenhänge ein. Es befriedigt keine leiblichen Bedürfnisse, sondern macht den Sitzenden in der Sitzhaltung zum Behältnis, das wie das Throngefäß Geistiges sammeln, in sich bewahren und jederzeit abrufen lassen kann. (Eickhoff, 1993, S. 64)
Nach Elias Canetti (1980) leite sich der Stuhl in der heutigen Form vom Thron ab, setze aber zugleich das dem Menschen unterworfene Tier voraus. Es seien die „Eigenschaften des Reitens, die ins Sitzen eingegangen sind“ (S. 436) und ein Machtverhältnis zum Ausdruck bringen. Die vier Stuhlbeine stehen dabei für die Beine eines Tieres. Die Bewegung des Reitens gebe dabei den Eindruck, dass nicht der Selbstzweck im Reiten herrsche, sondern „daß man reitend zum Ziel gelangen will, rascher als es sonst möglich wäre“ (S. 436). Zugleich mache die „Erstarrung des Reitens zum Sitzen“ aus dem „Verhältnis des Oberen zum Unteren etwas Abstraktes“ (Canetti, 1980, S. 436). Dabei sind es nicht die in der Heranziehung der Reitmethapher verbildlichten Motive von Geschwindigkeit, die sich im Sitzen veräußern, sondern die Bedeutungsdimension des Bleibens und der Ruhe. Der thronende Mensch „will und darf nicht vorankommen“ (S. 437). Zudem drücke sich nach Canetti in den vier Beinen des Stuhls ein Abstraktes aus, das die vier Richtungen des Himmels andeutet. Auf ihm nimmt der Thro-
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nende Platz, „der nie reiten konnte oder es gründlich verlernen musste“ (S. 437). Das einzelne Mitglied der Gemeinschaft nimmt die Körperhaltungen im Sinne der Tradition und nach Belieben ein, allerdings nie die des Sitzens. Gemeinschaften westlicher Kulturen hätten nach Eickhoff (1993, S. 58) vorwiegend das Hocken ausgeübt. Im Hocken, dessen Wortbedeutung im Kauern, gekrümmt Gehen, Kriechen und sich-Zusammenziehen (Seebold, 1970, S. 257) liegt, nehme das Kreuzbein eine dem Sitzen ähnliche Position ein, allerdings seien die Unterschiede zwischen Sitzen und Hocken basal: „Im Gegensatz zum Sitzen ermöglicht das Hocken bodennahen Kontakt, Kontakt mindestens einer Fußsohle mit dem Boden, eine niedere Herzhöhe mit entsprechend günstiger Blutzirkulation, ein vorteilhaftes Zusammenwirken von Atmung und Muskelspannung“ (Eickhoff, 1993, S. 33). Zudem erscheint es so als könne durch das Hocken eine größere Nähe der Einzelnen zueinander und damit auch ein umwegloses Kommunizieren hergestellt werden. Den einzelnen Mitgliedern gebührt weder das Vorrecht noch die Qual des Sitzens. Sie sind frei beweglich, jedoch den unfrei Beweglichen ausgesetzt und unterworfen. Für Herrscher_innen nimmt das Ausüben gepflegter Etikette und die Demonstration höfischen Anstandes einen hohen Stellenwert in der Erziehung und im Alltag ein: „Ludwig IX. sitzt noch auf freiem Feld unter einer Eiche zu Gericht. Franz I. führt ein Hofzeremoniell ein, und Maria Medici ermahnt bereits ihren Sohn, keine Lockerungen des Zeremoniells, das seine Person am nachdrücklichsten vom Volk absondere, zuzulassen“ (Eickhoff, 1993, S. 152). Diese Formen herrscherlicher Praktiken haben ein hohes Maß an Askese und Aufmerksamkeit zur Voraussetzung und schneiden nach Eickhoff (1993, S. 152) in „unterschiedlicher Weise und Stärke in den Körperhaushalt“ ein. Herrscher_innen werden gesetzt: Ob der Kaiser von Japan, von morgens bis mittags gekrönt auf dem Thron sitzend, weder Füße, Hände, Kopf noch Augen bewegen darf oder ob Könige den Thron weder zum Aufstehen noch zum Schlafen verlassen dürfen, immer wird der König in seiner Beweglichkeit hart begrenzt, da nur, wenn er sitzend ruht die kosmischen Kräfte in der Ruhe bleiben, die nötig ist, um segensreich zu wirken. In zeremonielle Etikette eingeengt, in ein Netzwerk von Vorschriften verspannt, sollen im Thronen nicht Bequemlichkeit und Würde garantiert, sondern deren Lebensdynamik zum
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Zweck der Dynamisierung der Kräfte der Gemeinschaft sowie der Bindung zwischen Gemeinschaft und Kosmos eingeschränkt werden. […]Der Thron drückt die Seele der Gemeinschaft aus, ist das Bindeglied zwischen einer Gemeinschaft und seinen Göttern. Die Inthronisation ist ein Initiationsritus, der die Herrscher_innen körperlich beeinträchtigt, verkrüppelt, bisweilen sogar tötete. (Eickhoff, 1994a, S. 217)
Herrscher_innen werden leiblich eingeschränkt und erniedrigt wie auch ermächtigt und erhöht. Da „sich der Sitzende nur dem Hockenden und Liegenden, nicht aber dem Stehenden gegenüber räumlich erhebt, konnte die Vorstellung, der Thron erhöhe, nicht in einem äußeren Anheben im Raum liegen, sondern musste in einer inneren Erhöhung gesucht werden“ (Eickhoff, 1993, S. 34). Das Volk ist den Herrscher_innen gegenüber ohnmächtig, allerdings sind es die Herrscher_innen, die unmittelbar mit Naturkatastrophen, sozialen Unruhen und Krankheiten in Verbindung gebracht und dafür verantwortet werden. „Tatsächlich bildet die Gemeinschaft das komplementäre Element zum König“ (Eickhoff, 1993, S. 34). „Wenn in Rom die Bilder kippen“ (Eickhoff, 1993, S. 67), scheint es zudem während einer Rebellion als Ritual zu gelten, dass es der Wagenstuhl – die sella curulis – ist, von dem die römischen Herrscher gestürzt werden. Mit der Geste der Aufhebung des herrscherlichen Thronens durch einen Sturz vom Herrscherstuhl wird dieser Fall auch bildhaft verstärkt, wenn er doppelt stürzt: der Herrscher fällt vom Thron und aus dem Leben. Im Objekt des Throns gelangt das soziale Konstrukt des Staates, der Nation und des Volkes partiell zur bildlichen Veranschaulichung. Nach Eickhoff (1993, S. 132) transformierten die Qualitäten, die sich mit dem Besetzen des Throns verbinden, „den König in eine fiktive Person, in einen Spiegel staatlicher Ordnung. Es kommt nicht auf die tatsächlichen Qualitäten des Königs, auf seine Kraft, Ausdauer und Schnelligkeit an, sondern lediglich auf das treffende Bild für diese Qualitäten“. Damit erscheint es auch als nachvollziehbar, dass der Thron mit vielen namentlich berühmten Exemplaren seiner Art, z.B. der kurulische Stuhl, der Drachenthron des chinesischen Kaisers oder Goslarer Kaiserstuhl, im Laufe der Geschichte zu einem Repräsentationsgestell kondensiert und verdinglicht wurde. Eine weitere Bedeutungsdimension eröffnet sich, wenn das Ideal antiker Held_innen und Athlet_innen mit Vitalität und körperlicher Stärke in
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Verbindung gebracht werden. Solche Vorstellungen würden zum Beispiel das Sprinten, das Springen und das Stehen, nicht aber das Liegen oder das Sitzen (Eickhoff, 1993, S. 61) zulassen. In der antiken Vorstellung seien es lediglich die Gött_innen, die thronen sowie die Nereiden, welche mythische Fäden zur Bewegung des Schicksals spinnen, wodurch die textile Struktur zu einer ins Transzendente und Kosmische erweiterten Textur, in deren Zentrum die webenden Wesen sitzen und thronen, wird. In der katholischen Kirche sitzen ursprünglich Priester, Bischöfe und Päpste – die Gemeinde steht oder kniet. Doch auch das Sitzen der Geistlichen hat zunächst einen vielschichtigen Prozess asketischer Formungen zu durchlaufen. Das Christentum – so Eickhoff (1994a, S. 218-220) – folge der leibhaften und spirituellen Verlockung des königlichen Sitzens. Die christliche Formulierung des Throns sei das Kreuz, welches als „zweite Wurzel des heutigen Stuhls“ (1993, S. 59) zu betrachten sei. Jesus Christus, der mit dem Tod am Kreuz den Leib überwindet, wird mit der Auferstehung auf den Himmelsthron erhöht. Das Ineinandergreifen von Thron und Kreuz entfalte sich bildlich dergestalt, dass – wie bei damaligen Kreuzigungen üblich – „in Gesäßhöhe ein schmales Brett an das vertikale Kreuzholz befestigt wurde“ (Eickhoff, 1994a, S. 219), um den Kreislaufkollaps hinauszuzögern und somit das Leid der Gekreuzigten zu erhöhen. Das als „Sedile“ bezeichnete Brett, das von Maler_innen und Bildhauer_innen zumeist als Fußstütze bearbeitet wird, könne mit „Sitz“ oder „Stuhl“ übersetzt werden und komme auch heute noch – leicht wörtlich abgewandelt – als „Sedilie“, welche den Sitz eines Priesters in Kirchen bezeichnet, sprachlich zur Anwendung. Das Sitzen im christlichen Kloster, anhand dessen sich die Geschichte des Sitzens neben dem weltlichen Thron als zweite bedeutende soziale Institution nachzeichnen lässt, sei maßgeblich durch die von Benedikt von Nursia (480-547 n. Chr.) etablierte Abts- bzw. Benediktinerregel geprägt worden, welcher die Klöster im 8. Jahrhundert nach Christus durch Karl den Großen unterworfen worden seien (Eickhoff, 1993, S. 101). Die Benediktinerregel sei dabei vorbildlich für das westliche Mittelalter gewesen und habe die Stuhlstruktur in den Klöstern etabliert. So habe Benedikt mit dem Verfassen der Abtsregel das Sitzen im Kirchenraum aufgewertet, indem er den geforderten reibungslosen Wechsel von Stehen, Sitzen und Knien mithilfe der Einrichtung des Chorgestühls – dem bereits klappbaren
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Vorläufer des heutigen Kino- und Theatersessels – realisierte (Eickhoff, 1993). Mit der Etablierung der Sitzhaltung während der Messe und der Einführung des Chorgestühls ist die „Klostergemeinschaft zur ersten Gemeinschaft auf Stühlen Sitzender geworden“ (Eickhoff & Sting, 1994, S. 246). Der mittelalterliche Mönch bediene sich des Chorgestühls, um mit seiner Hilfe Disziplin zu erzeugen. Das Sitzen im Chorstuhl sei damit eine „Form äußerer Askese, die eine innere Disziplin hervorbringt“ (S. 246). Auch das Sitzen während der Lesungen mag als wohltuende Abwechslung nach dem langen Stehen empfunden worden sein, aber die Körperhaltungen übermitteln nach Eickhoff (1993, S. 125) vor allem Bedeutungen, die – ähnlich dem Thron oder seiner metaphorischen Überschneidung im Kreuz – jenseits von Komforterwägungen liegen. Während Gott, überall gegenwärtig, die innere Anteilnahme jederzeit überprüfe, sei, vermittelt durch die Gestalt des Leibes als Ausdruck des Inneren, die innere Formung auch andren Menschen zugänglich. Die innere Form bezieht sich hier auf eine geistige Haltung, die Bedürfnisse des Leibes zu opfern bereit ist. (Eickhoff, 1993, S. 125)
Den Kern des Chorgestühls bildet eine klappbare Sitzfläche, die zwei Funktionen erfüllt: in waagrechter Position erlaubt sie das Sitzen, in Vertikalstellung das Knien und das aufrechte Stehen. Die Vorderkante des Sitzbretts werde nach Eickhoff (1993, S. 114) Miserkordie genannt. Bei senkrecht positionierter Sitzfläche kann eine „mittlere Position zwischen Sitzen und Stehen“ (S. 114) eingenommen werden. Auch hier diene der Sitz nicht dem Komfort, ein heimliches Sitzen sei während des Stehens nicht erlaubt. Miserkordien sind meist mit eingeschnitzten Dämonen, Teufeln und Fabelwesen verziert, denn [w]er nicht wegen des Alters oder der Gesundheit, sondern aus Gründen der Bequemlichkeit die Miserikordie in Anspruch nimmt, soll wissen und spüren, daß die Dämonen jederzeit aktiv werden können, denn Teufel und christlicher Gott sind gleichermaßen allgegenwärtig. Da der hochgeklappte Sitz Stehen oder Knien bedeutet, lautet seine zweite Botschaft: Richtiges Stehen vor Gott heißt, ohne fremde Mittel, nackt vor Gott stehen. […]Richtiges Stehen vor Gott darf allerdings auch ein Sitzen sein, wenn die innere Einstellung stimmt. Langfristig nimmt sie [die Miser-
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kordie] den Mönchen die Fähigkeit, lange zu stehen. Sie setzt den Klappsitz voraus und macht die Baculi überflüssig. Das sind die von älteren und kranken Konventsmitgleidern beim Stehen während des Gottesdienstes benutzten, ungern gesehen, aber aus Barmherzigkeit geduldeten, Krückstöcke. (Eickhoff, 1993, S. 119)
Da das Sitzen im christlichen Mittelalter noch als unmenschliche, göttliche Haltung angesehen wird, sei auch die Einführung des Sitzens gegen Widerstände erfolgt: „Daß die Mönche von Lérins ihren Abt, der die Benediktinerregel einführen will, erschlagen, kann auch als Abwehr gegen den Frevel gedeutet werden, eine heilige Haltung zu einer allgemeinen zu machen“ (Eickhoff, 1993, S. 109). Am Heiligen Stuhl des Papstes, der sancta sedes, binden sich Autorität und Innehaben der Macht in zweifacher Hinsicht: Nach katholischer Anschauung gilt der sancta sedes als die Bezeichnung für das Papsttum an sich. Der Papst gilt als Inhaber des Heiligen Stuhls nur dann als unfehlbar, wenn er ex cathedra, also sitzend, vom Thronsitz des heiligen Petrus aus, spricht. Auch gläubige Christen suchen ihre Heimat im Himmel. Sie werden dort mit Christus sitzen und vor Gottes Thron stehen. In der engen Bindung an Christus erhält der Gläubige das Anrecht auf einen himmlischen Sitz (Eickhoff, 1993, S. 108-109). Ein interessanter Aspekt, der sich in der Nachverfolgung der Geschichte des Sitzens im Zusammenhang mit der Passion Christi herauskristallisiert, ist, dass das Bild des Zusammensitzens um den Tisch, das mit der Gabenbereitung während der Messe als das von Jesus abgehaltene Abendmahl von Gläubigen vergegenwärtigt wird, nach Eickhoff (1993, S. 108) als solches nicht stattgefunden hätte. Laut neuem Testament sei dieses „im Liegen, nicht im Sitzen“ (S. 108) abgehalten worden. „Bei Lukas heißt es, daß sie kommen werden und zu Tisch liegen im Reich Gottes (Lk. 13, 29; zitiert nach Eickhoff, 1994, S. 108). Allerdings sei bereits in den Translationen von Luther zu sehen, dass das „zu Tisch setzen“ als die für ihn stereotype Wiedergabe für Ereignisse des Speisens gegolten habe, sodass die Situation bereits der „eigenen Praxis gemäß übersetzt“ (S. 109) wurde. Mit Elke Trappschuh (2002, S. 9) ist zu konstatieren, dass in der breiten mittelalterlichen Gesellschaft die vorwiegende Körperhaltungen das „Knien und Kauern und das Hocken mit angezogenen Beinen“ gewesen ist. Erst ab dem 16. Jahrhundert habe sich eine Sitzzivilisation etabliert, das heißt eine „Etablierung des Stuhls als Grundmobiliar von jedermann“ (2002, S. 9).
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Schmidt (1971b) schätzt zudem ein, dass die Bezeichnung Sessel „erst im 17. Jahrhundert für ein Sitzmöbel mit vier Beinen, die in das Sitzbrett eingezapft waren und eine durchbrochene Lehne hatten, üblich geworden“ zu sein scheint, allerdings seien bereits ab dem 15. Jahrhundert diverse Sitzmöbel verwendet worden, die „zumeist als Stühle („stoill“) bezeichnet wurden“ (Schmidt, 1971b, S. 351). Das Gestühl für die Kirchengemeinde sei nach Eickhoff (1993, S. 123) eine „Errungenschaft der Reformation“. Die frühesten Gestühle für weltliche Mitglieder der christlichen Gemeinde seien demnach etwa Mitte des 14. Jahrhunderts aufgenommen worden. Von da an habe sich die Palette des Laiengestühls rapide erweitert. Patriziat, Zünfte und vor allem die großen Seefahrergilden der reichen Hansestädte lassen ab Mitte des 15. Jahrhunderts von ihren Vorstehern Sitze an den Kirchenwänden aufstellen […]Zu Beginn des folgenden Jahrhunderts gibt es die ersten Sitze für Handwerkerzünfte. Es ist die Zeit, in der Vorsteher massenhaft zu Vorsitzenden umgerüstet werden. (Eickhoff, 1993, S. 123-124)
Das Stuhlsitzen im Alltag sei nach Eickhoff (1993, S. 40-42) „eine Erfindung Europas“. So wandle das Europäische Bürgertum ab dem 16. Jahrhundert den „geweihten Königsthron in ein nicht geweihtes, profanes Objekt“ (S. 40) – den Alltagsstuhl – um. Wenn mit dem 16. Jahrhundert die Einflüsse des Throns und des Kreuzes über die Klöster ins bürgerliche Leben gelangen, gestaltet sich das bürgerliche Sitzen im Gegensatz zum Thronen nach Eickhoff (1993, S. 10) als „Haltung von vielen, nicht die herrscherliche Haltung von einzelnen“. Stühle werden in ihrer bedeutungsgeschichtlichen Entwicklung daher ab dem 16. Jahrhundert „Throne der Masse“ (S. 10). Zunächst sei der Stuhl jedoch nur ein Objekt der bürgerlichen Oberschicht, doch nach und nach hätten sich nach Eickhoff (1993, S. 41) alle sozialen Schichten „das Sitzrecht“ erkämpft. Die mit dem bürgerlichen Sitzrecht in Zusammenhang stehenden Auseinandersetzungen finden dabei erst hunderte Jahre später einen Wendepunkt, wenn mit der Französischen Revolution allen Bürger_innen das Recht auf einen Stuhl zukommt und damit auch das bis dahin geltende „Sitzprivileg“ (S. 41) für Herrscher_innen, Adelige, Geistliche und die bürgerliche Oberschicht an Gültigkeit verlor.
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Nach Leopold Schmidt (1971b, S. 350-351) vollziehe sich die Entwicklung vom Königsthron über den Papstthron und das Chorgestühl zum bürgerlichen Alltagsstuhl in Form einer „Demokratisierung eines monarchischmonarchistischen Prinzips“ (S. 350), dem unter anderem auch die Haltungs- und Meinungsarchitektur eines sich in diesem Zuge einrichtenden Parlaments ein Beispiel ist. So schien sich mit der beginnenden Neuzeit ein Diskurs zu ereignen, der neuerdings in Relation setzte, was als erhaben und was als niedrig zu verstehen ist. Als Auswirkung der Industriellen Revolution lebt zu Beginn des 19. Jahrhunderts in Österreich eine bisher noch nie gekannte Vielzahl an Konsument_innen. Für sie kann und muss produziert werden. Zudem entstand mit den technologischen Neuerungen die Möglichkeit, Produkte, die bislang nur einer stark begrenzten Gruppe zugänglich waren, einem größeren Konsument_innenkreis zur Verfügung zu stellen, weshalb sich auch das Warenangebot derart gestaltet, dass sich die Angebotspalette vom Luxuszum erschwinglichen Billigprodukt abstuft. Mit der Vervielfältigung des Angebots entstand nach Schmidt (1971b) somit auch eine Veränderung der Wahrnehmung der dinglichen Umwelt sowie der Produktsprache, die weniger kulturell als durch die jeweiligen zur Verfügung stehenden finanziellen Mittel beeinflusst ist. Der aus Boppard am Rhein stammende Tischler Michael Thonet etabliert um 1850 die Biegetechnik von gedämpften Holz als handwerklich effiziente Herstellungsform und entwirft Stuhlmodelle, die als „Wiener Sessel“ oder Kaffeehausstuhl in die Design- und Kulturgeschichte eingehen. Der Kaffeehausstuhl etabliert sich nach Eickhoff (2011, S. 42) als Massenprodukt, „von dem in den folgenden 60 Jahren ab 1859 50 Millionen Exemplare produziert und in alle Welt versendet werden“. Der Stuhl ist „leicht, schlicht“ (S. 42) und für viele erschwinglich. Vor allem aber erinnere er nicht an „antike und adlige Vorgänger“ (Eickhoff, 1993, S. 190): der Kaffeehausstuhl „ist ein Bürgerstuhl, entwickelt von einem bürgerlichen Handwerker und geschaffen für Bürger“ (1993, S. 190). Der aus Massivholz gefertigten Stuhl wird entweder klar, weiß oder schwarz lackiert, da die Form des Objekts im Zentrum steht: in ihm drückt sich Schlichtheit und Universalität aus, womit im Wiener Sessel der Thron als weltlichkosmisches Symbol endgültig zum Allerweltsstuhl wird. Später wird dies auch für den Ort der Psychiatrie relevant, wenn es Josef Hoffmann ist, der in Zusammenarbeit mit der Firma Thonet ein gesamtästhetisches Konzept
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für die innenarchitektonische Umsetzung des Sanatoriums Purkersdorf entwirft. Nach Eickhoff (2011) sei es der Wiener Stuhl gewesen, der die Kaffeehauskultur zur Blüte brachte. Er gibt den Bürger_innen „einen speziellen Sitz-Ort für die politische Diskussion im öffentlichen Raum“ (Eickhoff, 2011, S. 42). Die Suche nach Räumen, in denen Bürger_innen in repräsentativer Pose wie Könige und Päpste sitzen können, ist die Suche nach einer bürgerliche Identität, der die Vorstellung zugrunde liegt, „dass jeder Bürger seinen Stuhl hat, den er allein besitzt“ (S. 42) und besetzt. Kaffeehäuser werden schnell zu „geistigen Mittelpunkten des kulturellen Wien, von wo aus sich das Sitz-Interieur über die ganze Welt ausbreitet“ (Eickhoff, 1993, S. 190). Die in diesem Erfahrungskontext an Bedeutung gewinnenden Kaffeehäuser werden auch „Feentempel, Café Größenwahn oder zweites Parlament genannt“ (Mang, 1992, S. 88). Sie seien „Wechselstuben für Gedanken und Pläne, Orte des spirituellen Austausches“ (S. 88) und nach Eickhoff (1993, S. 190) wurde dort weniger Kaffee getrunken, als dass „man diskutiert und sich informieren lässt“. Parallel zum Wiener Sessel sei nach dem Kaffeehausstuhl ein zweiter Welteroberungsversuch erfolgreich unternommen worden: es handelt sich dabei um den einen weißen Plastikstuhl, dem „Monoblock“. Er wird milliardenfach in wenigen Jahren in einem einfachen Verfahren, in dem ein einziges Material verarbeitet wird, verkauft. Eickhoff (2011, S. 43) konkludiert: „Federleicht, Stapelbar und so teuer wie zwei Brote – das macht ihn zum globalen Stuhl par excellence“. Sei es für den Menschen im 19. Jahrhundert von Bedeutung gewesen in den Besitz eines Stuhls zu gelangen und damit „doppelt sesshaft“ (Eickhoff, 2011, S. 42) zu sein, so stehen im Gegensatz dazu dem Menschen des 21. Jahrhunderts durchschnittlich mehr als „drei dutzend Sitze“ (S. 42) zur potentiellen Nutzung zur Verfügung. In den 1920er Jahren seien Arbeitsprozesse in kleinste Einheiten zerlegt worden, um sie auf Effektivität und Zweckmäßigkeit hin zu untersuchen. „In den Verfahren stößt man auf ein Objekt, das man von an an wiederholten Analysen unterzieht: den Arbeitsstuhl. Man will Hemmungen ausschalten, die die Leistungsfähigkeit herabsetzten, und die Arbeit unter Vermeidung von Ermüdung und körperlichen Schäden effektiver machen“ (Eickhoff, 1993, S. 144).
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Im Sitzen verbirgt sich eine Auflehnung gegen „körperliches Tun, eine heimliche Neigung zum Sitzenbleiben und ein Hang zu geistigem Schaffen, das ein hohes Maß an körperlicher Ruhigstellung und Beruhigung innerer Regungen voraussetzt“ (Eickhoff, 1993, S. 144). Im Zustand des Sitzens entstünden vielfältige Formen von Wissenschaft und Kunst und würden tendenziell „alle anderen Berufe nach sich in die sitzende Tätigkeit und auf die Stühle“ (S. 144) ziehen. Keine Arbeit – so Gelbrich (1928, S. 26; zitiert nach Eickhoff, 1993, S. 144) – solle „im Stehen getan werden, wenn sie ebenso gut sitzend geleistet werden kann“. Die Beschäftigung der Medizin mit dem Sitzen beginnt etwa in der Mitte des neunzehnten Jahrhunderts, was ihr die Disziplin der Ergonomie und das Handwerk gleich tun. Eine weitere, sich später etablierende professionelle Vielfalt entsteht in der medizinisch-fachlichen Spezialisierung im Feld der Orthopädie, der Physio- und der Bewegungstherapie (Eickhoff, 1993, S. 134). Bis dahin – so Eickhoff (1993, S. 134) – seien jedoch bereits komplizierte Stühle und Sitzapparaturen entwickelt worden. Zu den Pionier_innen der theoretischen Beschäftigung mit dem Sitzen zählt der Orthopäde Franz Staffel. Sein Entwurf, der Kreuzlehnstuhl oder Staffelstuhl, entspricht nach Eickhoff (1993, S. 134) bis heute internationalen Möbelstandards, ergonomischen Theorien und dient „in der Folge den Designern als Vorbild“ (S. 134). Mit dem Staffelstuhl als Hilfsmittel gelinge es problemlos über längere Zeit aufrecht und richtig zu sitzen. Die „richtende Kraft“ (S. 134) komme im Staffelstuhl von hinten: „Die Kreuzlehne umfasst den Sitzenden und folgt ihm, wenn nötig, federnd nach. Die Stütze lehnt sich von hinten an den Menschen, an dessen Zentrum, das Sacrum, an“. Zudem seien „Geradhalter, Kinnstütze und Rückenspanner, in der Zeit noch übliche Mittel, den Rumpf des Kindes in die Vertikale zu zwingen“ im Staffelstuhl derart „miteinander verschmolzen, dass sie lediglich raffinierter, von einem inneren Punkt aus, versuchen, den Menschen gerade zu machen“ (Eickhoff, 1993, S. 134). Ein zeitgenössischer Entwurf eines Sitzapparates ist der Tripp Trapp, ein von dem norwegischen Designer Peter Opsvik entworfener Stuhl, bei dem die Höhe sowie Verhältnis von Sitz- und Fußfläche des Stuhls variabel eingestellt werden kann. Mit ihm ist eine Sitzgelegenheit geschaffen, die eine Anpassung an den Körper des Kindes, ein „growing with the child“, ermöglicht (MOMA, 2014). Das sei – um es mit Hajo Eickhoff zu sagen – „der Fortschritt im Geschäft mit dem Stuhl“. Stühle sind heute nicht nur
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Alltags-, Einrichtungs- oder heißbegehrte Kunst- und Sammlergegenstände, sondern auch hochtechnologische Gegenstände, die durch „Hebel, Schalter, Knöpfe und Motoren gesteuert“ (Eickhoff, 1994a, S. 220) werden. Durch sie wird eine Extension der Sitzdauer ermöglicht. 2.2.3 Psychologische und historisch-anthropologische Betrachtungen des Sitzens als Körpertechnik Nach Hajo Eickhoff (1993, S. 157-161) erwirbt der Mensch im Sitzen auf dem Stuhl die Fähigkeit, Affekte nicht im äußeren Gleichmaß von Ausdruck und Haltung auszuleben. Dies bedeutet, dass das im Sitzen nach außen dringende innere Erleben in Form von Affekten aufgesogen werden würde, um ins „Vegetative innerer Landschaften umgelenkt“ (S. 160) zu werden. In diesem Sinne ereigne sich eine Zurückhaltung spontaner Handlung. „Das, was sich ausdrücken will, gelangt also nicht immer direkt nach außen, sondern wird nach Eickhoff (1993, S. 158) „aufgehalten und in die entgegengesetzte Richtung zurückgelenkt. In solchen Umformungen zeigen sich die prägenden Eigenschaften des Stuhls, wobei auch er Ausdruck keiner inneren Verfassung ist“ (Eickhoff, 1993, S. 158). Während Eickhoff (1993, S. 158-159) das Psychische als von autonomem Charakter skizziert, beschreibt er die Form des Eingriffes in den Körper als destruktiv. Sie diene dazu, sich spontan ausdrücken wollenden Inhalte zurückzuhalten, diese zunächst innen einzuprägen und erst dann zu explizieren. Dieser Prozess gleicht einer Hemmung, die Eickhoff (1993) womöglich mit der kulturellen Verwurzelung individuellen Lebens in Verbindung bringen würde, wenn er in diesem Zusammenhang schreibt, dass das menschliche Leben „prinzipiell kulturell“ (S. 158) ist. Darüber hinaus stellt er fest, dass die Beherrschung einer – insofern enthaltsamen – Haltung des Sitzens als „Mechanismus zur inneren Bildung angesehen werden kann“ (S. 158). Es sei auch dieser Mechanismus, der es erlaube, spontane Impulse auf einen zukünftigen Zeitpunkt zu verschieben. Damit kann das Sitzen insofern als kulturelle Errungenschaft angesehen werden, als dass es dem Menschen ermöglicht, spontane innere Ausdrücke (z.B. Hunger, Durst, Sexualtrieb etc.) zu unterdrücken und hinauszuschieben, um sich längerfristigen, geistig anspruchsvollen Aktivitäten zu widmen, welche sich zumindest aus anatomischer Sicht – und verglichen mit z.B. Genitalien und Verdauungsorganen – tatsächlich als „höher gelegene“
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oder „höhere“ Aktivitäten erweisen. Um dies exemplarisch darzustellen, bietet sich die Herstellung einer Querverbindung zum Alltagsphänomen, wenn Menschen, die spontan – im Vorbeilaufen oder „aus dem Stand“ – mit schwierigen Aufgaben oder Inhalten konfrontiert werden, oftmals äußern, „sich einmal setzen zu müssen“ oder Eindrücke „erst einmal setzen lassen“ zu wollen. Der sitzende Mensch ruhe nach Eickhoff (1994a, S. 220) auf dem Becken, „dem knöchernen Teil der Skelettregion“. Dieses hätten zunächst „landbewohnende Wirbeltiere“ ausgebildet, aus dem – wie Kuppen – die Sitzbeinhöcker, herauswachsen. Fische verfügen über Querverbindungen zwischen den seitlichen Bauchflossen, doch erst Amphibien und Reptilien weisen ein geschlossenes, kreisförmiges Becken auf. Mit der Tendenz der Wirbeltiere, den Rumpf aufzurichten, erfahren Becken und Kreuzbein eine entsprechende Rotation, die ihnen im stehenden Menschen eine scheinbar endgültige Position gibt. (Eickhoff, 1994, S. 220)
Der aufrechte Gang ist nach Helmut Milz (2010, S. 13) eine „wacklige Angelegenheit“ und es habe eine Vielzahl an Phasen evolutionsbiologischer Adaption benötigt, „bis das Gehen stabiler wurde“. Darunter falle eine Vielzahl an „Umbauten des Skeletts“, insbesondere in der „S-förmigen Struktur der Wirbelsäule, im Beckengürtel, in den Hüft-, Knie- und Fußstrukturen, sowie in den Hals- und Nackenstrukturen zur Balance des Schädels“ (S. 13). Wenn Stehende und aufrecht Gehende sich setzen, erfahren sie nach Hajo Eickhoff (1994a, S. 221) „eine weitere Drehung um 40 Grad“. Werde das Maß der Aufrichtung „an der Stellung von Becken oder Kreuzbein, nicht an der des Rumpfes“ bemessen, so erweise sich nicht das Aufrichten als „das den Wirbeltieren innewohnende Motiv, sondern die Rotation des Kreuzbeins“. Dies bedeute, dass das Sacrum das Bezugsgelenk ist, das die Fortsetzung des Aufrichtens erkennen lässt. Der aufrechte Stand und Gang des Menschen sei nach Eickhoff (1994a, S. 221) „also nur phylogenetisch an ein Ende geraten, nicht aber kulturell, denn mit kulturellen Mitteln, dem Sitzen, konnte der Mensch den Prozess der Aufrichtung fortsetzen“. Damit ist naheliegend, dass jedes Setzen ein Kippen nach hinten bedeutet. „Im Sitzen gleicht der Mensch einem Käfer, der auf dem Rücken zu fal-
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len droht“, schreibt Hajo Eickhoff (1994a, S. 221). Der Fall, der auf dem Stuhl stagniert, stelle dabei die „äußerste Form der Aufrichtung“ dar. Mit der Aufgabe der aufrechten Haltung des Rückgrats ereignet sich eine dreifache Teilung des Körpers in Unterschenkel, Oberschenkel und Gesäß sowie Oberkörper, Arme und Schädel, wodurch eine neue Raumorientierung entsteht. Dabei nimmt der Mensch im Sitzen den Ausgang für die Auseinandersetzung mit wesentlichen Handlungspraktiken und den mit ihnen verbundenen Bedeutungsstrukturen, zum Beispiel dem Lernen, dem gemeinschaftlichen Essen, dem Schreiben, dem Warten, dem Fahren, dem visuellen Entdecken der Umwelt etc. Wenn Marcel Mauss (1979) den menschlichen Gang als eine „technique of the body“ bezeichnet, so meint er damit das Produkt einer kulturell geprägten Bewegungserziehung, welcher auch im Falle des Sitzens eine wesentliche Bedeutung zuzukommen scheint. Ähnlich wie auch der aufrechte Gang, den Ernst Bloch als „Kern des Naturrechts der Menschen“ (zitiert nach Milz, 2010, S. 16) bezeichnet und als solcher vom heranwachsenden Menschen erlernt werden müsse, so scheint es auch und vor allem im Rahmen westlicher Gesellschaften bedeutsam zu sein, die Aufrechterhaltung eines aufrechten, „richtigen“ Sitzens zu lernen und diese durch entsprechend entworfene Sitzgelegenheiten, welche jene Haltung unterstützen, zu gewährleisten. Dieter Messner (2000) plädiert für eine Liberalisierung der Arbeitshaltung bei Auflösung eines „Sitzdogmas“. Dabei bezieht er sich unter anderem auf Rhodes, Mark und Temmel (2012), die feststellen, dass die Zeit, die Menschen in einer sitzenden Haltung verbringen, stetig steigt. Auch Marcel Mauss (1979) sowie Gurr, Staker und Moore (1998) zeigen auf, dass eine Limitation, wie sie vor allem in westlich geprägten Kulturen auf wenige bestimmte Haltungen bestehe und als solche in anderen Kulturen kaum vorkomme, mit einem erhöhten Risiko für Schädigungen des Bewegungsapparates assoziiert werden. Zudem stellen Voss, Carr, Clark und Weng (2014) fest, dass gesundheitliche Risiken, die gemeinsam mit vermehrtem Sitzverhalten auftreten können, vor allem die Kognition und Hirngesundheit beträfen. In diesem Zusammenhang hält Hajo Eickhoff fest: „Solange das Stuhlsitzen bei der Arbeit noch Mode ist, so lange werden auch alle sich daraus ergebenden gesundheitlichen Beeinträchtigungen ,Mode‘ bleiben“ (Eickhoff, 1993, S. 9).
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Die Umverlagerung der „Körperlast von den Füßen auf das Gesäß“ entlastet zwar die Muskulatur der Beine, „schwächt sie aber zugleich und greift in funktionelle Zusammenhänge der Skelettmuskeln ein. Da das Sitzen die Gesäßmuskulatur chronisch verspannt und die Bein- und Rückenmuskeln schwächt, lässt sich der menschliche Leib nicht mehr dynamisch von unten nach oben aufbauen: „Das Becken verliert seine Stabilität auf den Hüftgelenken, die Wirbelsäule ihre Elastizität auf dem Becken, und der Kopf ruht nicht mehr gut balanciert auf dem Atlas“ (Eickhoff, 1993, S. 210). Als Alternativen schlägt Messner (2000) die vermehrte Einnahme von Wechselhaltungen, d.h. beispielsweise eine Abwechslung von Stehen und Sitzen durch die Heranziehung von Stehtischen, vor. Auch Dietmar Spielmann und Richard Kampfmann (1993) sprechen sich für eine Neubetrachtung der westlichen Sitzkultur und die Etablierung wechselnder Haltungsformen ein, indem sie ihr Plädoyer mit der Frage „Wagen wir den AufStand?“ schließen. 2.2.4 Kulturübergreifende und kulturspezifische Erfahrungsmodalitäten menschlicher Sitzpraktiken Es ist von Bedeutung, das Sitzen aus einer weiteren Perspektive zu beleuchten, die soziale und kulturelle Konstruktionen in einem Vergleich östlicher und westlicher Sitzkulturen und -praktiken fokussiert. Die Etablierung des Stuhls in Europa zum Ausgang des Mittelalters werde nach Eickhoff (1993, S. 23) von ähnlichen religiösen und sozialen Phänomenen begleitet wie in der chinesischen Kultur. Dabei sei es umso erstaunlicher, dass die Prozesse in China und Europa von jeweils entgegengesetzten Voraussetzungen ausgehen. In China erfährt der Stuhl eine Aufwertung gegenüber der Matte, in Europa wird der Stuhl erst als Gebrauchsmöbel besitzbar, nachdem der königliche Thron säkularisiert ist; der Wandel in China findet in kurzer Zeit statt, die Entwicklung in Europa hin zum Sitzen findet ihren Abschluss erst in der Mitte des 19. Jahrhunderts. (Eickhoff, 1993, S. 23)
Zudem hätten weder Nomad_innen noch kauernd oder sitzend Sesshafte „jemals über ihre Leibeshaltung Rechenschaft abgelegt, die Yoga- und Lo-
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tussitzer hingegen haben schon früh ein Wissen etabliert, indem sie den engen Zusammenhang einer Geistesverfassung mit der Haltung des Lotussitzes zu erkennen glauben“ (Eickhoff, 1993, S. 23). Auch Franz Dodel (1997, S. 41) stellt in seiner theologischen Auseinandersetzung mit dem Lebensstil anachoretischer Mönche für das Sitzen fest, dass dieses weder „blosse Haltungsangabe“ noch eine „ausschliessliche Bezeichnung des Sich-Aufhaltens“ sei, sondern auch ein meditatives Geschehen. Dabei weist er (1997, S. 41-42) darauf hin, dass es zum einen die meditativen Elemente im Leben der Wüstenväter im Sinne von Körperpraktiken sowie deren Übereinstimmung mit den Motiven und Zielen anachoretischen Lebens seien, welche die Voraussetzung dafür schaffen würden, das Sitzen als entsprechende physische und transzendierende Praxis zu verstehen. In der Einnahme einer durch eine Sitztechnik vorgegebene Haltung sei der Mensch somit zu einer transzendenten, d.h. die Grenzen der sinnlichen menschlichen Wahrnehmungsmodalitäten überschreitenden, Erfahrung imstande. Ein Beispiel für eine im Sitzen sich offenbarende, transzendentale Erfahrung stellt die Seancé dar, welche die Blüte ihrer Popularität ab Mitte bis Ende des 19. Jahrhunderts zu verzeichnen hat. Dazu veranstalteten vorwiegend Bürger_innen oberer (Bildungs-)Schichten geheime Treffen, bei denen in Anwesenheit eines zumeist anonym bleibenden „Mediums“ (Gray, 2011, S. 22) die Seancé als rezeptionsästhetische Praktik zur Überführung der Teilnehmer_innen in den Ausnahmezustand der ekstatischen Schwellenerfahrung, z.B. in Form des Kontakts mit dem Jenseits, abgehalten wurde. Dazu nahmen die Teilnehmer_innen zumeist an einem runden Tisch Platz und reichten sich die Hände. Als sichtbare Anzeichen des Kontakts mit dem Jenseits wurden das sogenannte „automatische Schreiben“ (Gray, 2011, S. 23) sowie die verbale Kommunikation des Mediums mit dem Jenseits interpretiert. Als weitere Phänomene von Bekanntheit zählt Grey (2011, S. 23-25) das Tischklopfen, telekinetische Phänomene, Geisterfotos, herausquellendes Ektoplasma, schwebende Gegenstände sowie durch automatische Niederschriften materialisierte Briefe mysteriöser Mahatmas, „die in vielen tausend Seiten die Frage des Weiterlebens und die Beziehungen von Gehirn und Geist verhandelten“ (S. 25) auf. Auch Charles Darwin habe sich nach Gray (2011, S. 17) gemeinsam mit seinem Cousin Francis Galton im Hause seines Bruders Erasmus in London für eine Séance eingefunden, was dieser „als reizvolle und anstrengende Erfahrung“ dokumen-
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tiert habe. In diesem Kontext erscheint es als interessant, dass der Stuhl, der sich in der europäischen Gesellschaft verstärkt als Totalphänomen und Unterbau für das fortschrittliche, geistige, Arbeiten der sich dem wissenschaftlichen Materialismus Widmenden etabliert hat, zugleich als Basis und Voraussetzung für eine spiritistische Erfahrung herangezogen wird. Gordon Hewes (1957) gibt in seiner Auseinandersetzung mit der „anthropology of posture“ eine umfangreiche Darstellung über Körperhaltungen, in der auch östliche Sitztechniken, die aus der Zen-Philosophie stammen, angeführt und erläutert werden. Von besonderer Bedeutung sei dabei der „Lotussitz“ als eine wichtige „Zazen“-Haltung. Dies bekräftigt auch Franz Dodel (1997), der das „Sitzen (Zazen)“ als eine der zentralen Übungen im Zen-Buddhismus benennt, „ohne deren Grundhaltung religiöse, das heißt meditative Erfahrung unmöglich ist“ (S. 51). Nach Noro, Naruse, Lueder, Nao-i und Kozawa (2012) sei das „lotus sitting“ von Buddha im Jahre 500 vor Christus eingeführt worden. „The lotus sitting style differs from traditional Yoga sitting postures and is characterized by symmetrical positioning of the left foot over the right thigh and the right foot over the left thigh“ (Noro, Naruse, Lueder, Nao-i & Kozawa, 2012, S. 309). Dodel (1997, S. 50-52) stellt für das Lotussitzen fest, dass es neben der extremen Körperdisziplin auch eine starke Askese des Geistes erfordere. Diese „zweifache Disziplinierung“ habe besondere Formen der Gelassenheit, des Zulassens hervorgebracht: „Demut, Genügsamkeit, Einfalt und der Glaube, man stelle den Einklang mit dem Kosmos her. Das Lotussitzen erreicht ein hohes Maß an innerer Ruhestellung“. In der indisch-buddhistischen Kultur bezeichnet Āsana, das „Basis des Gottes“ (Dodel, 1997, S. 51) bedeutet, nicht nur bekannte Sitzhaltungen des Hatha-Yoga, sondern auch den Platz oder die Matte, auf der die Übenden sitzen. Im Sitzen werde der Körper auf eine einzige Sitzhaltung konzentriert, was jedoch ohne Anstrengung geschehen solle. „Die Meditationspraxis des Yoga beginnt also im Körperlichen, das als Grundlage zu der rein geistigen Tätigkeit unabdingbar ist“ (S. 51). Hocken wie in China mehrere Personen auf einer Ebene, haben alle gleichberechtigt am Raum Anteil. Ohne Hilfe von erhöhenden und begrenzenden Sitzgeräten strukturieren lediglich Matte und Körper sowohl den Gesamtraum als auch die Ordnung der einzelnen Personen zueinander. Schon das Abheben von der Matte auf den T’a, das lehnenlose Kastensofa, differenziert die Gesellschaftsschichten. Der Raum wird
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strukturiert und bewertet und den Personen unterschiedlicher Ränge werden entsprechend gewertete Räume zugeordnet. (Eickhoff, 1993, S. 171)
Durch eine durch den T’a geschaffene Erhöhung drückt sich in der Raumgestaltung zugleich eine hierarchische Struktur aus. „Personen unterschiedlicher Ränge werden entsprechend gewertete Räume zugeordnet“ (Eickhoff, 1993, S. 171). Mit der raschen Etablierung des Sitzens auf Stühlen nach europäischer Manier werden die Distanzen „vergrößert und erhalten feste Maße“ (S. 171). Dagegen verringern sich die zwischen den unterschiedlichen sozialen Rängen bestehenden Distanzen durch das allgemeine Sitzen auf erhöhten Objekten wie Stühlen oder – wie sie in China zunächst in den Haushalten zuhauf zu finden waren – auf Hockern. Sie erlauben ein Zusammenfließen differierender Ränge auf eine Augenhöhe und wandeln somit auch die Struktur gesellschaftlicher Kommunikation. Aus diesem Kontext heraus gestaltet der chinesische Künstler Ai Weiwei seine Installation „Stools“, für die er sechstausend Hocker, teilweise aus der Ming- und Quing-Dynastie, dicht an dicht im Lichthof des Berliner Martin-Gropius-Baus anordnet, um in Anbetracht der Vielzahl formaler Eintracht die Frage nach der Individualität innerhalb der chinesischen Gesellschaft zu stellen (Ai Weiwei & Pins, 2014). Je intensiver die Sitzkultur die Menschen und deren Gesellschaft prägt, desto größer ist auch die Auswirkung, die Stühle auf diese haben: Chefsessel, Lehrstühle, der Heilige Stuhl und die Sessel von Kanzler_innen sind einige Beispiele, die für durch Tisch- und Arbeitskultur sowie westlich geprägte Gesellschaften von Relevanz sind. Nach Rainer Schönhammer (2009, S. 17) seien es vor allem Kinder, die intuitiv eine Verwendung von Stühlen erkennen würden, „die das Sitzen erträglicher macht. Sie halten die Stühle auf den Vorderbeinen oder nutzen sie als Wippe und passen sie ihrem Empfinden an, indem sie die problematische Lendenregion durch den Wechsel von Bewegungen, Belastungen und Entlastungen im Wippen entspannen“. Auch noch heute werden Kinder in Kulturkreisen, in welchen die Schule als bedeutende Institution gilt, in die Praxis des Sitzens eingeübt: Der sitzende Mensch richtet nach den Regeln, nach denen er seinen Leib sitzend bezwingt, die Welt zu, indem er Natur in geistig geformte Welten überführt: in scharfe Kanten, synthetische Materialien, präzise Logiken. Widerstände gegen das Sitzen
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sind gering. […]Unter den Effekten von Atemreduktion und Muskelverspannung wächst das Kind in den Stuhl hinein, der den gedeihenden Organismus allmählich zur Sitzhaltung formt, in der alle Reizbezirke, die den Lernprozess stören, gut abgeschirmt sind. Früh sitzen Schüler länger als sie stehen, laufen, gehen und liegen, und wer nach Jahren die Schule verlässt, ist ein Sitzender. (Eickhoff, 1993, S. 221)
Noro, Fujimaki, Oyama & Hashidate (2006) verglichen im Rahmen einer Studie an der Tokioter Waseda Universität östliche mit westlichen Auffassungen des Sitzens, indem sie medizinische Erkenntnisse und Beobachtungen von Sitzenden heranzogen. Den größten Gegensatz zum westlichen Sitzen, bei welchem aufgrund der Verwendung von Stühlen vermehrt Haltungswechsel angeregt werden würde, markiere der „Zafu sitting style“ (Noro, Lueder, Yamada, Fujimaki, Oyama & Hashidate, 2006), dem Sitzen auf einer Art Sitzpolster. Ein Meister namens Dogen soll diese Sitzkultur im 13. Jahrhundert eingeführt haben (Noro, Lueder, Yamada, Fujimaki, Oyama & Hashidate, 2006, S. 309). Im Sitzen auf einem Zafu werde eine Haltungsstabilität angestrebt, die eine tiefe Atmung unterstütze und die Wirbelsäule länge, indem eine Vorwärtsbewegung des Beckens angeregt werde. Vor allem seien es japanische Zen Mönche, die für gewöhnlich die Haltung auf dem Zafu einnehmen, um zu meditieren. In Form eines Gegensatzes zu östlichen Sitzpraktiken stellen Noro und Kolleg_innen (2006) fest, dass bei der Entwicklung westlicher Sitzgelegenheiten das Augenmerk verstärkt darauf gelegt werde, dass eine Haltung des aufrechten Sitzens induziert wird, indem die Beckenneigung durch Lehnen zur Unterstützung des Lendenwirbelsäulenbereichs bewirkt werde. Im Bezug auf die Erkenntnisse von Adams and Hutton (1985; zitiert nach Noro, Lueder, Yamada, Fujimaki, Oyama & Hashidate, 2006) stellen sie jedoch einen Mangel an Hinweisen darauf fest, dass das westliche aufrechte Sitzen sich positiv auf die Lendenwirbelsäule auswirke. Eickhoff (1993, S. 131) zufolge führe die spezifische Konstellation von Hüfte und Rumpf im aufrechten Sitzen „zu einer günstigen Form der Wirbelsäule“. Deshalb wäre die aufrechte Haltung vorzuziehen. Allerdings konzediert er, dass beim aufrechten Sitzen die Muskelanstrengung anwachse, weshalb sie von den meisten sitzenden Menschen lediglich für eine „sehr kurze Zeit beibehalten“ werden könne. So sei diese zu bevorzugende Haltung seiner Einschätzung nach zwar als „günstig“ anzusehen, jedoch sei diese als solche ohne
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die Verwendung instrumenteller Unterstützung in Form von (Spezial-) Stühlen nicht lange aufrecht zu bewahren. Im Entwurf alternativer Sitzkonzepte orientieren sich Noro, Naruse, Lueder, Nao-i und Kozawa (2012) an den Körperhaltungen des „Zen sitting“. Um den Körper in der Sitzhaltung zu wahren, werden Sitzpfannen mit Unterstützung des Rückens eingesetzt, welche eine Gleichverteilung des Gewichts, eine Vorwärtsrotation des Beckens induziert und die Unterstützung der Lendenwirbelsäule, des Gesäßes und der Oberschenkel verbessern soll. So wurden in der konkreten Entwicklung einer Sitzapparatur für Durchführende mehrstündiger mikroskopisch-chirurgischer Eingriffe Stühle mit konkaven Sitzpfannen entwickelt, die exakt den dreidimensionalen Konturen des Gesäßes ihrer Anwender_innen entsprachen. Damit leisten Noro, Naruse, Lueder, Nao-i und Kozawa (2012) eine kulturelle Transformationsleistung, indem sie die östlich-kulturell geprägte Sitzkultur in den Kontext moderner Arbeitszusammenhänge integrieren. Noro und Kolleg_innen stellen in der Evaluation ihres Stuhlkonzepts unter Heranziehung von „Regionally-Differentiated Pressure Maps (RDPM)“ (Noro, Naruse, Lueder, Nao-i & Kozawa, 2012, S. 308) und subjektiven Bewertungen durch die Chirurg_innen fest, dass unter Anwendung ihrer entwickelten Stühle im Vergleich zu konventionellen Behandlungsstühlen günstigere Veränderungen der Beckenneigung, der Gewichtsverteilung sowie ein höherer Komfort und Support für lang einzuhaltende Körperhaltungen während einer Operation ermöglicht werden konnten. Park, Streamer, Huang und Galinsky (2013) eröffnen eine kulturübergreifende Perspektive auf das Sitzen, wenn sie feststellen, dass sich Menschen mächtiger fühlen, wenn sie expansive Körperhaltungen, zum Beispiel das Ausbreiten der Hände auf dem Tisch im Sitzen bzw. eine aufrechte Sitzhaltung mit eventuellen zusätzlichen Handgesten, einnehmen. Kulturelle Unterschiede zeigten sich bezüglich der „expansive-feet-on-desk pose“, welche von Proband_innen aus dem amerikanischen Kulturkreis eine größere Akzeptanz erfahren hätten als von Proband_innen ostasiatischer Kulturen (Park, Streamer, Huang & Galinsky, 2013, S. 965). In westlichen Kulturen ist ein Stuhl auch Designobjekt und Protagonist der Designgeschichte, wenn er von Architekt_innen nach denselben Prinzipien wie deren Häuser und Gebäude konstruiert wird: Verglichen mit Bauprojekten besticht dessen zeit- und kostenschonendere Realisierbarkeit,
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weshalb Stuhldesigns in bestimmten Ausmaß auch als Architekturmanifest gelesen werden können. Das Alltagsobjekt des Stuhls und die Designavantgarde scheinen dabei in einen ebenbürtigen Dialog zu treten und sich dabei gegenseitig Impulsgeber zu sein. Eggchair, Safari Chair oder Easy Chair sind nur wenige der vielen, die in die Geschichte eingegangen sind. Stühle scheinen in einer schier unendlichen formalen Vielfalt zu existieren, die unter anderem aus Zusammenarbeiten mit externen Werkstätten und internationalen Firmen wie Alessi, Edra oder Vitra als Eggchair, Safari Chair, Easy Chair oder Tripod Chair in die Designgeschichte eingegangen sind. Viele Designer_innen greifen bewusst eine ergonomisch-ästhetische Dialektik auf, um eine Neuaufnahme des Sitzens in der Rückkehr zum Natürlichen zu entwerfen. 2.2.5 Setting, Sitzen und Stuhl in der Psychotherapie Aus psychoanalytischer Sicht ist der Mensch umweltbezogen. Die Gestaltung der psychoanalytischen Situation trägt wesentlich zum Behandlungsprozess bei. Im sogenannten Setting, der Gestaltung der therapeutischen Situation, wird vorwiegend die liegende Position auf der Couch, welche die Muskeln lockert, den Energieverbrauch mindert, und das Eintauchen in frühe Erinnerungen und Regression fördert, gewählt, um der freien Assoziation Raum zu geben. Das Sitzen auf dem Stuhl verhindere nach Guderian (2004) diese Anliegen, bei dem ein konzentriertes, kontrolliertes Denken und Reden den erwachsenen Realitätssinn und die „vernünftige Auseinandersetzung“ bewirke, allerdings besitze und besetze der überlegene Geist den fixierten Körper. Nach Freud, auf den sich Mignon Nixon (2005, S. 50) bezieht, sei eine weitere Funktion des Settings von Couch und Stuhl, dass Analytiker_in und Analysand_in getrennt gehalten werden, um zu verhindern, dass diese sich „visuell oder reflexiv verheddern“. Zudem sei es auch Sigmund Freud gewesen, der nach de Swaan (1978, S. 818; zitiert nach Thomä & Kächele, 2006, S. 234) eine „völlig rationalisierte“ psychoanalytische Technik entwarf und postulierte, die es ihm ermöglichte „seinem zweifachen Auditorium – Patienten und wissenschaftlicher Öffentlichkeit – zu beweisen, dass die Produktionen der Patienten nicht vom Therapeuten induziert, sondern aus der psychischen Aktivität des Patienten zu erklären waren“. In einem Vergleich mit den Regeln des
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Schachspiels habe Freud aufgezeigt, dass mit den Regeln und dem Brett bzw. der Technik und der Couch eine grenzenlose Mannigfaltigkeit von Situationen zulässig ist, welche lediglich in der Eröffnungs- und Behandlungsphase Limitationen ausgesetzt ist (Thomä & Kächele, 2006, S. 234235). Nach klassisch-psychoanalytischer Sicht sei demnach das Setting, welches seinem Begriff nach zum einen als Reglement einer Einnahme der geistigen wie auch der tatsächlichen Körperhaltung aufgefasst werden kann, selbst nie einer Veränderung zu unterziehen, wobei es in neopsychoanylitischen Ansätzen durchaus en vogue zu sein scheint, in Fällen, in denen es zu „therapeutisch wirkungslosen, schlimmstenfalls zu malignen Regressionen“ kommt, das Setting zu verändern (Thomä & Kächele, 2006, S. 328). Claudia Guderian (2004) stellt im Rahmen einer Inhaltsanalyse von Leitfadeninterviews fest, dass sich der psychoanalytische Prozess und die Einrichtung des Behandlungsraums viel stärker zu durchdringen scheinen „als bislang angenommen“. Ob dies jenseits der Psychoanalyse auch für andere psychotherapeutische Methoden gilt, sei noch nicht untersucht worden, es sei – so Guderian (2004) – jedoch anzunehmen. Auch im Rahmen der systemischen Therapie wird dem Setting, d.h. der Bestimmung wer „mit wem, in welchem Bedeutungsrahmen, zu welchen Zeiten und an welchen Orten zusammenkommt“ (von Schlippe & Schweitzer, 2013, S. 20), besondere Aufmerksamkeit geschenkt. Dabei kommt auch der Anordnung und dem Einsatz des Stuhls in diversen Formen der systemischen Aufstellungsarbeit eine hohe Bedeutung zu, wenn dieser beispielsweise als „Bodenanker“ (Sparrer, 2006, S. 111) zur symbolischen Repräsentation von Personen eingesetzt wird. Insbesondere ist dabei die aus dem Psychodrama stammende, von Jacob Levy Moreno geprägte und vom Gestaltpsychologen Fritz Perls modifizierte Technik des „leeren Stuhls“ zu erwähnen, der nach Staemmler (1995, S. 31) als „therapeutisches Vehikel“ eingesetzt werde. „An ,auxiliary or empty chair‘ is usually defined as a chair portraying an absentee. […]It is, however, significant that a chair […] is imagined to be filled with a concrete person, with whom the protagonist communicates as vividly as if that person were really there“ (Moreno, 1965, S. 213; zitiert nach Staemmler, 1995, S. 31-32). Fritz Perls entwickelte mit dem heißen Stuhl eine Technik, die es ihm erlaubt, eine Form von Einzeltherapie im Gruppensetting durchzuführen (Perls, 1974, S. 80). Der heiße Stuhl sei der Stuhl, der neben oder gegenüber der_des Thera-
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peut_in positioniert werde und denjenigen Klient_innen als Platz diene, die mit ihr_ihm gemeinsam in Anwesenheit der Gruppe arbeiten wollen (Leveton, 2001, S. 87). Ein Vorteil dieser Methode sei, daß der Klient, schon bevor ihm der Therapeut seine volle Aufmerksamkeit zuwendet, ein Verhalten verwirklichen muß, welches das Ziel gestalttherapeutischer Arbeit vorwegnimmt: Er muß sich entschieden haben, seinen ,sicheren‘ Platz in der Runde mit einem exponierten Platz zu vertauschen, der von ihm fordert, mit dem Therapeuten direkt in Kontakt zu treten. (Leveton, 2001, S. 87)
Mit systemischer Aufstellungsarbeit, leerem und heißen Stuhl sind bereits bedeutende Konzepte psychotherapeutischer Interventionsformen mit dem Stuhl erläutert worden. Darüber hinaus ist eine sich im wirtschaftspsychologischen Kontext zu etablieren scheinende Auseinandersetzung mit dem Aufbau erfolgreicher Versammlungsstrukturen, bei der auch der Bereitstellung eines dem Anlass entsprechenden und die Kommunikation der Teilnehmer_innen anregenden Mobiliars besondere Aufmerksamkeit geschenkt wird, zu erwähnen, die als solche unter dem Schlagwort der „Meeting Architecture“ einen wachsenden Forschungskanon orchestriert (Vanneste, 2012). 2.2.6 Untersatz: Der Stuhl als Gegenstand und Begriff Stühle sind zunächst Instrumente zur Demonstration bestimmter menschlicher Haltungen: Sie können unter anderem heilig, elektrisch, herrschaftlich und Teil eines Bedeutungsfeldes sein, das sich mit „Insassen“, der Auferstehung, dem Sitzen-Bleiben, der Besetzung, der Besessenheit, dem Besitz und vielen anderen Phänomenen in die Sprache schreibt. Mit solchen sprachlich-metaphorischen Attributen ausgestattet, tritt der Stuhl ins Bild, mit dem eine Vielfalt an sinntragenden Aufladungen entsteht und in eine komplexe Dimension von Bedeutungen mündet. Der Stuhl gibt – als Instrument des Menschen – Einblick in Formen menschlicher Alltagsgestaltung und diesen zugrunde liegenden Bedeutungskonstituierungen und Instrumentalisierungen: Der Stuhl ist demnach nicht selten Ausdrucksmöglichkeit individuellen Stils, sozialer Stellung und Funktion einer Person, Kunstobjekt, Index für institutionelle Rahmenbedingungen und kulturelle Zugehörigkeit sowie weltliches und geistliches
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Herrschaftssymbol. Bezeichnende Beispiele dafür sind die Anordnung der Stühle im Parlament, der fix reservierte Platz am Familientisch, die Vergabe von Chairs an Universitätsprofessor_innen, die hierarchieschwache Anordnung von Sitzplätzen in öffentlichen Verkehrsmitteln oder das vielfach zögerliche Platznehmen am Vorsitz im Restaurant. Der Stuhl ist Unterbau für Descartes, um alles im Allgemeinen anzuzweifeln, somit Objekt der Überprüfung nicht-sicheren Wissens, während Mark Kingwell (2011, S. 168) konstatiert, dass Descartes zwar denkt und daher sein möge, allerdings – und das sei der zwingende Punkt – „nicht einmal das ohne Stuhl“ gekonnt hätte. Begrifflich ist mit einem Stuhl ein Festkörper gemeint, der an der Frontalseite eine horizontale Fläche – die Sitzfläche – zwischen zwei vertikalen Flächen – nämlich der Lehne und den Beinen – aufweist (Seitter, 2011, S. 20). Mit Hajo Eickhoff (1993) kann mit ihm eine materielle Erhöhung verstanden werden, die dem Menschen die Einnahme einer Sitzhaltung ermöglicht. Es ist die Architektur dieser Flächen, welche dem menschlichen Körper eine zweifache Knickung zur Nachahmung und Anschmiegung nahelegt. Die Gedankenführung Walter Seitters (2011, S. 21) verfolgend, scheint es jedoch angebracht, über die Bestimmungsgrenzen einer bloßen „Ermöglichung“ des Sitzens hinauszugehen, um festzustellen, dass aufgrund der geknickten Form des Stuhls dem Menschen „zwei rechtwinklige Faltungen angetan“ werden; die Sitzhaltung wird dem Menschen mit dem Stuhl somit regelrecht aufgezwungen. Sitzmöbel – wie auch der Stuhl eines ist – befinden sich nach Walter Seitter (2011, S. 30) in einem „sensiblen Geflecht kultureller Kontexte, in dem kleinste Variationen in der Regel das gesamte Feld umstrukturieren“. Es sei die kulturelle Verflechtung, durch die und in der Möbel geformt und gewandelt werden, um damit nicht nur die leiblichen, sondern auch die geistigen Haltungen der Menschen mitzuformen. Während sich im Stuhl die Imaginationen von Erkenntnis und Holz als Rohstoff verdichten, stellt der „Baum der Erkenntnis“ (Seitter, 2011, S. 30) in zweifacher Weise die Ressource für den Stuhl zur Verfügung: als festkörperliche Substanz und als Medium zur Entwicklung neuzeitlicher Erkenntnistätigkeit. Die Haltung auf dem Stuhl gestaltet sich dermaßen, dass zwischen den vertikal angeordneten Unterschenkeln und dem nach der Vertikale gerichteten Oberkörper die Oberschenkel entlang der Horizontale auf der zumeist quadratischen, manchmal kreis- und selten andersförmigen Hochebene, der
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Sitzfläche, aufliegen, die in ihrer Funktion als Tragfläche des Gewichts der_des auf ihr Sitzenden als wesentliches Element des Stuhls anzusehen ist. Die Fläche, die der Mensch mit dem Stuhl berührt, verläuft über eine etwas kürzere Länge als die eines Menschenkörpers, allerdings formiert sich in der zwischen Front- und Rückseite verlaufenden Länge eine in die Asymmetrie forcierte geometrische Gestalt, die an eine Stufe erinnert. Der Stuhl diene dem Menschen nach Hajo Eickhoff (1993, S. 13) als eine „Passform“. Er nehme den sitzenden Menschen „in diametralem Sinn“ auf: „Der Mensch setzt sich mit seiner hinteren Seite auf die Vorderseite des Stuhls, dies führt sozusagen zu einer ,hinterhältigen Situation‘“. Die vom Stuhl verstärkte Ausrichtung nach vorn verschiebt alles, was nicht vorn ist oder als solches gilt, umso mehr nach hinten, so würde auch die „festkörperliche Leibesausscheidung“ (Seitter, 2011, S. 22) metonymisch „Stuhl“ genannt werden. Schnell reisend, auf fahrbaren Untersätzen, bewegt sich der moderne Mensch sitzend (Virilio, 1978). In den hybriden Formationen, die der Stuhl in den Formen von Rollstuhl, Fahrstuhl, Autositz, Sitztanz usw. mit beweglichen Komponenten eingeht, wird mit der damit entstandenen technischen Prothese eine Beweglichkeit in die beiden gegensätzlichen Elemente der Unbewegtheit und Beschleunigung zerlegt. Attali (2008) betrachtet die erhöhte Mobilität zugleich als eine Konsequenz der großen Reisegeschwindigkeiten, „die den räumlichen Dimensionen die Distanz nimmt“: Es sei der heutige Mensch, der von hier aus Nachrichten verschickt, von da aus Waren bestellt und zunächst dort am Rechner arbeitet. Auffallend ist dabei, dass diese „moderne Nomad_innen“ weniger stehen und gehen, sondern vielfach – wenn auch bewegt bei hoher Geschwindigkeit – sitzen. Moderne Nomad_innen – so stellt Eickhoff (1993) fest – sind „nomadisch und sesshaft“ (S. 226) zugleich. Der Stuhl hat zudem eine symbolische Funktion, die auf die Handlung des Sitzens verweist und die sie als „selbstverständlich“ erscheinen lässt. Dies legen auch Tonneau, Abreu und Cabrera (2004) mit Rückbezug auf vorangegangene Forschungsarbeiten zur „Embodied Cognition“ in einem Experiment mit 32 Kindern dar. Von Embodied Cognition sei dann die Rede, wenn über das Gehirn hinausreichende körperliche Aspekte des Menschen eine kausale oder konstitutive Rolle in kognitiven Prozessen spielen, wenn z.B. beim Sprachverstehen auch sensomotorische Gehirnregionen aktiv werden (Costa, Kim & Biocca, 2013, S. 334-335). Für das Experiment
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wurden Kinder (n=32) in Paaren in einen isolierten Raum geführt, in welchem sich unterschiedlich große Objekte, die beispielsweise mit den Worten „CHAIR“, „FIRE“, „WASHSTAND“, „SHELF“, „WINDOW“ und „SOAP“ beschriftet waren, auffanden. Im Experiment manifestierte sich die Annahme von Tonneau, Abreu und Cabrera (2004), dass Kinder gegenüber dem auf einem etwa A4 großen, 7.5 cm hohen Objekt aufgeschriebenen Wort „CHAIR“ ein ähnliches Verhalten zeigen wie gegenüber dem durch das Wort Bezeichnete: sie setzten sich darauf wie auf einen tatsächlichen Stuhl. Dabei wurde ein Objekt der selben Größe auf dem Boden mit dem Wort „FIRE“ beschriftet platziert, welches den Untersucher_innen „as a control for generalized tendencies to sit down on anything on the floor“ (Tonneau, Abreu & Cabrera, 2004, S. 265) diente. Es stellte sich heraus, dass Kinder das Wortobjekt „FIRE“ tendenziell mieden, insgesamt seien es sechs Kinder gewesen, die sich auf das Wortobjekt „FIRE“ setzten. Im Gegensatz dazu hätten neunzehn Kinder am Wort „CHAIR“ Platz genommen und saßen im Vergleich zu den Kindern, die auf dem Wort „FIRE“ saßen, durchschnittlich 53 Sekunden länger. Mit den Resultaten von Tonneau, Abreu und Cabrera (2004) lässt sich in Anlehnung an die vorangegangenen Untersuchungen von Glenberg und Kaschak (2002), Zwaan, Staneld und Yaxley (2002), Goldberg und Kolleg_innen (2006) und Martin (2007) annehmen, dass im konkreten Inhalt des sprachlichen Ausdrucks „CHAIR“ ein direkter Bezug auf den erfahrbaren Gegenstand des Stuhls hergestellt wird. Somit verfestigt sich die Annahme, dass Körperregionen des Menschen aktiviert werden, welche gerade die Wahrnehmungen sensomotorischer Art verarbeiten, die auch in der konkreten Erfahrung des Sitzens stimuliert werden. Eben dies könne mit dem häufigeren Sitzen der Kinder auf dem Wort „CHAIR“ zu Erklärung kommen.
2.3 K ÖRPER Innerhalb der Historisch-Anthropologischen Disziplin wird Körpern im Rahmen der Auseinandersetzung mit dem Wandel von Körperbildern und idealen, der Geschichte der Hygiene, der Medizin, des Todes usw. eine hohe Wichtigkeit beigemessen. Die Aufmerksamkeit psychologischer Erkenntnisarbeit im disziplinären „Mainstream“ richtet sich allerdings weniger auf die Auseinandersetzung mit der wesentlichen Erfahrungsqualität
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des menschlichen Körpers, wenn diesem auch im methodologischen Diskurs über seinen Zusammenhang mit dem psychischen Erleben (Leib-Seele Problem) eine große paradigmengeschichtliche Bedeutung zukommt. 2.3.1 Körper-sein und Körper-haben In der Rede von der Möglichkeit des Klonens, von der Durchführung von Transplantationen und Operationen, von Ein- und Angriffen, Befällen und Anfällen usw., scheinen Körper innerhalb von wissenschaftlichen Diskursen in einer Unzahl differenter Bilder, Modelle und Darstellungen festgehalten zu sein, denn das Wissen – wie es im Rahmen wissenschaftlicher Erkenntnisarbeit resultiert und zu resultieren hat –, verlange nach Jean-Luc Nancy (2007) nach einem Objekt. „[D]och wenn man vom Körper spricht, gibt es nur Subjekt“. So werde der Körper in Studien, Vektoren, GPS-Daten und modellhaften Darstellungen von Körperteilen zu Studienzwecken fixiert und markiert, welches zur Folge hat, dass die Objektivierung des Körpers durch die wissenschaftliche Erkenntnisproduktion im Wiederhall asketischer Ideale in eine individuelle Wahrnehmung des Körpers greift, die ihn als etwas zu Kontrollierendes, zu Rationalisierendes und zu Beherrschendes auffassen lässt. „Die Bereitschaft, sich affizieren, ergreifen, überraschen, sich etwas gegeben sein zu lassen, nimmt ab. An ihre Stelle treten medizinische Techniken der Kontrolle und Steuerung der Lebensvorgänge. Der steigende Gebrauch von Schlaf-, Beruhigungs-, Schmerz-, Aufputsch- und Potenzmitteln“ (Fuchs, 2006, S. 341) sind weitere Anzeichen für das zunehmende Bedürfnis nach der Kontrolle des Menschen über den Körper. Fuchs (2006, S. 341) bringt dies auf den Punkt, indem er fortfährt: „Die Geburt muß vorprogrammiert, die Leistung gesteigert, die Stimmung aufgehellt, das Alter aufgehalten und der Tod beschleunigt werden“. Nach Nancy (2007, S. 38) sei das, was Bilder zum Zwecke der Operationalisierung von Körpern zeigen, „Milliarden Körper [...], Massen, Haufen, Gemenge, Bündel, Kolonnen, Aufläufe, Gewimmel, Armeen, Banden, Auflösungen, Paniken, Sitzreihen, Prozessionen, Zusammenstöße, Massaker, Leichenberge, Kommunionen, Streuungen, ein Übervolles, ein Überlaufen von Körpern [...]“. Die generalisierten Formen von Körpern, die im wissenschaftlichen Diskurs zutage treten, „flankieren und durchqueren die dichte Welt der Körper“ (S. 38). Der individuelle, eigene, Körper, und das,
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was für den einzelnen Körper ist, bleibe jenseits des Zugriffs, „jenseits der Sicht [...]“. Wenn vom Körper die Rede ist, so changiert eine „bestimmte Denkungsart ins dialektische Fach und ruft die Seele als Gegenpart auf den Plan“ (Schäfer, 2011, S. 157). Das reichhaltige Spektrum von Körperbildern wird in ein dualistisches Korsett von Körper und Geist, von Leib und Seele gedrängt, weshalb es nach Nancy (2007) von grundlegender Bedeutung sei, in ein auf den Sinn und die Bedeutung fokussiertes Schreiben über den Körper überzuführen. Nach Nancy (2007) könne dadurch eine neue Perspektive gewonnen werden, die die Dekonstruktion dominierender (natur-)wissenschaftlicher Konzepte des Körpers in darstellenden Abbildungen, Algorithmen und Attrappen absieht. Elisabeth Schäfer (2011, S. 155) konstatiert, dass es der Mensch gewohnt sei, über den Körper hinweg zu sprechen, zu denken und tätig zu sein. „Wir sprechen und denken ,über‘ etwas und lassen die Körper warten auf die Teepause, eine Erfrischung, auf Pflege, auf Muße und Erholung. Die Körper müssen warten, oder sie müssen gleich ganz verschwinden“ (Schäfer, 2011, S. 155). Körper erscheinen in der Gesellschaft, im Handel, in der Medizin, in der Öffentlichkeit, in der Arbeitswelt und in vielen anderen bedeutungstragenden sozialen und individuellen Sphären. Der Körper kann als Teil der Natur, deren Verständnis kulturell geprägt ist, angesehen werden, doch die Arbeit am Körper geht weiter: Defizite werden optimiert, Makel werden entfernt, Mängel werden kompensiert. Dabei sind es Biotechniken, Medikamente, Ernährungssupplemente und vieles mehr, die dem Menschen dabei als Prothesen dienen. Eine Vielzahl an Auseinandersetzungen, die sich von der okzidentalen dualistischen Tradition distanzieren, stellt eine Bandbreite an transdisziplinären Arbeiten dar, in welchen menschliche Körper im Zentrum der Aufmerksamkeit stehen. Akteur_innen, die darin an Boden gewinnen, sind Jean-Luc Nancy, Jacques Derrida, Gilles Deleuze, Félix Guattari, Giorgio Agamben, Donna Harraway, Judith Butler, Michel Foucault, Marcel Duchamp, Slavoj Zizek, Catherine Malabou, Ray Brassier, Maurice MerleauPonty und viele weitere. Sitzen und Stuhl können als Phänomene in der Medizin, in der Kunst, im Design, in den Sozial- und Kulturwissenschaften, in der Geschichtswissenschaft, in den Naturwissenschaften, den Kunstwissenschaften etc., d.h. nicht in einer der Disziplin allein, verortet werden. Gelangen Menschen als
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Sitzende auf dem Stuhl ins Zentrum der Aufmerksamkeit, so gilt es auch den Fokus darauf zu richten, dass die aufgenommenen, nachverfolgten und angestoßenen Diskurse über das Sitzen am Ort der Psychiatrie auch Körperdiskurse sind: Sie thematisieren die Körper und zeigen auch Wirkung an den Körpern. Mit der Hingabe des eigenen Leibes für den Stamm, das Volk oder die Nation wird der Körper von Herrscher_innen zum Staatskörper, zum Regierungsorgan – es ist zunächst der Körper, mit dem Politik gemacht wird. Körper besetzen: zum einen Toiletten („Besetzt!“), zum anderen auch Plätze, Gebäude und Übergänge in Form von Sitzdemonstrationen, Sit-Ins und Hausbesetzungen. Der Körper wird darin zu einer mächtigen und ausdrucksstarken Form des Handelns mit und durch seine Präsenz. Dass – wie hier thematisch tangiert wird – der Körper mit seiner Vielzahl an Bewegungs- und Handlungsmöglichkeiten zu allererst verortet ist, führt in das Feld einer umfassenden erkenntnistheoretischen Auseinandersetzung, die vor allem in der Leibphänomenologie des 21. Jahrhunderts Behandlung erfährt. 2.3.2 Körper, Stuhl und Sitzen in der Kunst: ein Exkurs Als ich meine Auseinandersetzung mit dem Thema des Sitzens begann, beschäftigte ich mich unter anderem auch mit Performances, Installationen und Fotographien von Künstler_innen, die in unterschiedlicher Weise Körperlichkeit thematisieren und über die Grenzen der Rekonstruktion in die Dekonstruktion hinaustragen. Folgend werden einige Performances und Werke vorgestellt, die das Phänomen der Leiblichkeit mit dem Gegenstand des Stuhls und der Praxis des Sitzens zusammenführen, um den Körper und die Felder, die sich für ihm mit dem Gegenstand des Stuhls und der Erfahrung des Sitzens eröffnen, durch die Prismen von Installationskunst, Performance Art und angewandter Kunst explorierend zu betrachten. Die österreichische Performancekünstlerin Valie EXPORT dokumentiert mit kritischer Intention die Disziplinierung, Um- und Verformung von Körpern. Dabei seien Körper nicht nur als Signifikant einer konsumorientierten, patriarchal dominierten Gesellschaft anzusehen, es ginge Valie EXPORT um die Überschreitung von Grenzen, überdies um eine Entgrenzung des Körpers schlechthin. „Körperkonfiguration“ ist ein Werk einer Sammlung, die Valie EXPORT mit „Körperkonfigurationen“ betitelt. In
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„Körperkonfiguration“ (Abbildung 1) zieht Valie EXPORT geometrische Objekte heran, die sie als Referenzpunkte und Komplement zum Körper einsetzt. In Abbildung 1 handelt es sich somit um eine Abrundung, eine Anpassung und Annäherung der Körpergestalt an eine abstrakte, architektonische, geometrische Form. Abbildung 1: „Körperkonfiguration“
Quelle: http://www.kunstnet.at/charim/10_04_29_2.html
Der menschliche Körper erfährt eine Abrundung und wird zum konfigurierten Gegenstand, zu einem als leblos erscheinenden Objekt. Inwieweit hier der abgerundete, skulpturierte Körper mit Ziob (2007, S. 133) zur „Bildfläche innerer Botschaften“ wird, erscheint an dieser Stelle nicht in ausreichender Form beantwortbar zu sein. Allerdings scheint doch ein kritisches Hinterfragen nach einer inneren Anpassung, die mit der veräußerten Anpassung korrespondiert, von Bedeutung zu bleiben und hält zugleich den Raum offen für die Frage nach einer psychischen Haltung, die mit diesem angepassten Körper in Korrespondenz zu treten mag. Die Integration von Menschen in Apparaturen lassen sie in einem anorganischen Korsett erscheinen. So erscheint der Mensch – in Abbildung 1 als Baustein anmutend – dennoch vulnerabel gegenüber dem massiven Gestein. Mit der Geometrisierung der menschlichen Form in eine Figur von exakten Kreisen, rechten Winkeln und glatten Oberflächen resultiert das
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Prinzip der klaren Form. Das geradlinige Prinzip – ein dem Körper sehr unwesentliches – gewinnt jedoch gerade im Rahmen der körperlichen KonFiguration in Abbildung 1 an wesentlicher Ausdruckskraft. Abbildung 2: „Failure to Levitate in the Artist’s Studio“
Quelle: http://arttattler.com/archivebrucenauman.html
Die in doppelter Überblendung aufgenommene Photographie zeigt Bruce Nauman, der sich als zeitgenössischer Künstler mit facettenreichem Œuvre in vielen seiner Werke der Körperlichkeit widmet. Der Körper soll dabei nach dem Motto „Use Me!“ (Knellessen, 2005, S. 116) angefasst, einbezogen und Medium werden. Desweiteren sollen die Spuren der Auseinandersetzung durch und mit ihm sichtbar bleiben. Mit Nauman seien im Unterschied zu manchen Strömungen – zum Beispiel der Minimal Art (Knellessen, 2005) – die Spuren künstlerischer Arbeit nicht zu leugnen und zu tilgen, Nauman macht den Körper zur Erzählfigur. In Knellessens (2005, S.117) Lesart erzählt Nauman „über seine Struktur und seine Entstehung“. Nach Paul Szeeman (1995, S. 4) ginge es in Bruce Naumans Arbeiten um die Selbsterfahrung des Künstlers und seiner Rezipient_innen, es ginge darum, den Körper „in Frage zu stellen“ und diesen jenseits seiner „Begrenztheit“ und des „Organdiktats“ zum Kunstobjekt zu machen. In „Failure to Levitate in the Artist’s Studio“ (Abbildung 2) streckt sich der Künstler zwischen zwei Stühlen, verfehlt und fällt. Diese Feststellung
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eines solchen Handlungsablaufs ist zulässig, da sich mit der Anwendung der Technik doppelter Überblendung tatsächlich die Aufnahme einer zeitlichen Abfolge ereignet. Nauman adressiert dabei zum einen die expositionale Charakteristik des Körpers in dessen Umwelt, zum anderen legt die Arbeit auch eine eingehende Auseinandersetzung mit der Stützfunktion des Stuhls nahe, die in einer der beiden Überblendungen in ihrer stabilisierend-instrumentellen Funktionalität versagt. Nauman fällt vom Stuhl, halb sitzend, mit den Händen an der Lehne, den Naturgewalten augenscheinlich unterlegen. Von weitem gesehen erinnert der Ausschnitt an eine Bewegung, ein „Kippbild“ (Knellessen, 2005, S.118), das zwischen den Dimensionen von Statik und Fall korrespondiert. Die Überblendung suggeriert das Geschehen eines Falls vom Stuhl, der die Momente dem stabilen Halten auf den Stühlen und dem Sitzen am Boden zu verbinden scheint. Somit scheint es, als hätte Nauman mit der doppelten Überblendung kein Bild der Dualität von Bewegung und Unbewegtheit entworfen, sondern das einer Gleichzeitigkeit, durch welche im Bild (Abbildung 2) Statik und Instabilität gleichermaßen ausgedrückt werden. Die Einheit besteht somit in der Exposition (der Künstler fotografiert sich – seinen Körper – selbst), der Alteration, der präsenten Struktur des Umbaus sowie der Deformation des Körpers. Als eine der bedeutendsten Performancekünstler_innen ist Marina Abramović hervorzuheben, die in ihren Performances auf besondere Art und Weise den menschlichen Körper bis an die Grenzen testet. Ihre Performances erstrecken sich meist über Stunden, Tage und Wochen (Tate, 2010). Ebenso stellt sie dabei die Ausdauer des Publikums auf die Probe – beinhalten manche ihrer Konzeptionen die Möglichkeit letaler sowie auch das tatsächliche Eintreten schwerer Verletzungen des Körpers der Künstlerin. Für ihre Ausstellung „The Artist is Present“ (Abbildung 3) im Museum of Modern Art (MoMa) in New York war die Performancekünstlerin Marina Abramović drei Monate siebeneinhalb Stunden sechs Tage die Woche anwesend. Der Artroom ist wie ein Filmset aufgebaut – vier große Stufenlinsenscheinwerfer beleuchten in einem großen Lichtwürfel zwei Stühle, auf einem der beiden nimmt sie Platz. Es gibt keine Geschichten zu erzählen, keine Objekte, hinter denen man sich verstecken könne. „I will look at
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anybody who sits in front of me. Anybody can sit there as long as they want“ (Dupre & Chermayeff, 2012). Ein interessanter Zusammenhang lässt sich mit dem weiter oben betrachteten Aspekt, dass das Sitzen in vielerlei Bezügen auch eine zu erlernende bzw. zu kultivierende Ruhigstellung bedeutet, herstellen, wenn Marina Abramović im Rahmen eines Interviews feststellt: „The hardest thing is to do something what is so close to nothing, it is just your pure presence“ (MoMa, 2010). Sitzen bedeutet für sie in diesem Kontext pures ZugegenSein. Abbildung 3: „The Artist Is Present“
Quelle: Dupre & Chermayeff, 2012 [01:28:56]
Es geht Marina Abramović darum, die Grenzen des Körperlichen zu bestimmen und zu expandieren, diesen aus seiner kulturellen Färbung und Formung zu lösen, ihn neu zu überdenken und zum Zentrum eines Experimentierens mit sich selbst zu machen. In „Nightsea Crossing“ (Abbildung 4), die das Kollektiv Marina Abramović und Ulay zwischen 1981 und 1987 zweiundzwanzig Mal performte, sitzt das Paar einander still, fastend, beinah bewegungslos gegenüber. Abramovićs und Ulays Performances können dabei als Kritik an der Inaktivität und Tatenlosigkeit westlicher Gesellschaft gelesen werden, die anhand eines beinah regungslosen Sitzens ausgeübt und ausgesessen wird (Dupre & Chermayeff, 2012).
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Dieser kritischer Moment verkörpert sich in Form einer demonstrativen Geste des Stillsitzens, einer Ruhigstellung des Körpers im Fasten, des demonstrativen Schweigens und einer Einstellung nahezu aller Bewegungen – und bildet damit zugleich die Antithese zu jener kritisierten fortschreitenden, doch aber tatenlosen, westlichen Gesellschaft. Für den Untersuchungskontext erscheint es als interessant, dass Abramović und Ulay in Night Sea Crossing mit dem Einnehmen einer scheinbar totalen Ruhestellung, die im Sitzen gehalten wird, mit dem herrschaftlichen Thronen assoziierte historische Bedeutungslinie des Sitzens als absolute Unbewegtheit aufgreifen, um sich – unbewegt – einer einzigen Geste des kritischen Ausdrucks zu bedienen. Zudem zeigt sich als möglicher weiterer Bezugspunkt im durch das Kollektiv angestoßenen kritischen Diskurs, dass die gegenüber sitzenden Körper in distanzierter Weise in Kommunikation treten bzw. treten können. Sie sitzen einander gegenüber, jedoch bricht die im Moment entstehende mögliche Nähe mit dem die Performance überdauernden Schweigen und Ausbleiben jeglicher Kommunikation. Der Stuhl ist dabei jenes Medium, das den Mindest- und Maximalabstand jener beiden Körper, die sich durch absente Kommunikation abstoßen und bei gleichzeitiger körperlicher Präsenz doch anzuziehen scheinen, hält. Abbildung 4: „Nightsea Crossing“
Quelle: Dupre & Chermayeff, 2012 [00:45:15]
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Das Verhältnis von Bewegung und Stillstand, das sich mit dem Körper zeigt, zeigt auch die Fotografin und Installationskünstlerin Sam TaylorWood auf. Ihre stark eine Bewegung andeutenden Fotographien, die sie mit Hilfe von digitaler Bildbearbeitung assembliert, nennt sie dabei ausgerechnet „Still Lives“. Zum einen sind diese als Referenz zu den alten Stillleben als ein Motiv der vanitas, der Vergänglichkeit, zu verstehen, zum anderen eröffnet sie mit ihrer Bildreihe, aus der die Fotographie „Bram Stoker’s Chair II“ (Abbildung 5) stammt, eine Vielzahl an unmöglich erscheinenden Balanceakten. Indem das Subjekt auf dem Eck eines fallenden Stuhls balancierend dargestellt wird, bringt Taylor-Wood die Dimension der Zeit als Gewicht auf den Schultern der Abgebildeten ein: Betrachter_innen werden zu Zuschauer_innen und wollen wissen wie die Bewegung aus diesem Stillstand verlaufen könnte. „Still Lives“ ist somit gleichzeitig auch Gegenprogramm zum Stillleben und kein typisches Bild eines sitzenden Menschen. Weder der Körper ist ruhig gestellt noch steht die Zeit still. Sie ist nicht zu fassen. Abbildung 5: „Bram Stoker’s Chair II“
Quelle: http://arttattler.com/archivephotokunst.html
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Die Choreographie „Sit. Kneel. Stand.“ (Abbildung 6), welche der Gallim Dance Gruppe unter der Leitung von Andrea Miller im Joyce Theatre in New York aufgeführt wurde, zeigt die Komplexitätsdimension, die sich mit dem Verhältnis vom Menschen zum Gegenstand des Stuhls eröffnet, in einem anderen Zusammenhang auf. Stühle werden als Gegenstände verwendet, mit denen die Darsteller_innen sich zunächst in einer Improvisationschoreographie bewegen. Die Schwierigkeit bestehe dabei vor allem darin, den Stuhl „to an extension of your body, almost“ zu machen. Die Tänzer_innen müssen den Stuhl zu einer Verlängerung ihrer selbst machen, um die Bewegungen und Haltungswechsel als Stuhlwesen weiterhin wie in einem Guss zu vollziehen. Dort, wo in der Verbindung mit dem Stuhl Bewegung hinzukommt, wird ein Charakter gebildet, es gehe letztendlich um die individuelle Erfahrung mit und die Untersuchung von dieser Verbindung, es sei persönlicher Kontakt (Joyce Theatre New York, 2013). Abbildung 6: „Sit. Kneel. Stand.“
Quelle: Joyce Theatre New York, 2013 [00:02:58]
Einen Hinweis darauf, dass der Stuhl immer wieder zum Symbol und zum konkreten Symbol für Körper- und Subjektdiskurse wird, geben auch zahlreiche weitere Performances, Installationen und Arbeiten, von welchen insbesondere Andy Warhols elektrischer Stuhl sowie Robert Morris Verhörstuhl zu nennen sind.
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2.4 F ORSCHUNGSKONTEXT T HEMENFELDES
UND
AUSLOTUNG
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DES
Das Sitzen tritt als doppelte Wirklichkeit hervor: einerseits die geradezu künstliche Verneinung des Leibs, ein Auf-Standby-setzen des Körpers, um sich „unkörperlichen, geistigen“ Aufgaben zu widmen, andererseits die eigentümliche Anwesenheit einer „Natürlichkeit“ des Sitzens, die zum einen Ausgangspunkt ist für meditative, ekstatische oder transzendentale Erfahrungen und zum anderen im Rahmen der ergonomischen Disziplin Gegenstand wissenschaftlicher Auseinandersetzung ist. Diese Ambiguität von Natürlichkeit und Künstlichkeit, von Körperlichkeit und deren Verneinung im Sitzmoment, ist die Triebfeder der Sitzerfahrung. Darüber hinaus wird hier eine Zuschreibung von Bedeutungsdimensionen und ein Überdie-Bedeutung Hinausgehen geleistet, weil die Verbindung zweier ambiguer Bedeutungen in ein und demselben Sinn nicht mehr dem eigentlichen Sinn entsprechen. Am Ort der Psychiatrie ist der Stuhl als Möbel zunächst und augenscheinlich als Einrichtungsgegenstand zugegen. Damit formt er in der Weiterverfolgung der Gedankengänge von Eickhoff (1993; 1994a; 1994b; 2011), Schmidt (1971a; 1971b) und Dodel (1997) auch die psychische und physische Erlebniswelt der Menschen und prägt – nicht zuletzt in Gestalt von zahlreichen Allegorien und Metaphern – ihr Denken und Sprechen. Beispiele für die etymologisch weit verwurzelte Sprache, in der sich das Sitzen, Sesshaft-Sein und Besitzen sprachlich-metaphorisch wiederspiegelt, sind am Ort der Psychiatrie die Umsetzung erlernter Handlungsstrategien, das Absetzen von Medikamenten, die Einzel- oder Teamsitzung, das Gruppensetting, therapeutische Ansätze, konkrete Überlegungen zum „Setting“, Techniken wie der „Leere Stuhl“ und vieles mehr. So scheint sich der Diskurs über das Sitzen nicht nur in seinem gegenständlichen Bezugsobjekt, dem Stuhl, herzustellen, sondern betritt auch sublim in Form von Sprache, Handlungen und Techniken den Raum und Ort der Psychiatrie. In der Bezeichnung von Sitzmöbeln, Institutionen oder Gegenständen, die in der einen oder anderen Art und Weise auf eine Ruhigstellung des Körpers – sei es zur Entspannung, zur Disziplinierung, Zivilisierung oder Beruhigung – abzielen, beziehen sich viele Sprachgemeinschaften auf das Affix „sed“, das vom lateinischen Begriff „sedere“ stammt, im Deutschen
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„sitzen“ bedeutet und auf sprachlich-metaphorischer Ebene sowohl die körperlichen als auch die geistigen Formungen, die in Sitzmöbeln stattfinden, transparent macht. Dieser Zusammenhang erfährt zudem auch in einer Vielzahl an künstlerischen Interventionen und Produktionen Bearbeitung, wenn in der Auseinandersetzung mit körperlichen Grenzen, Erfahrungsmodalitäten und Ausdrucksformen der Stuhl und das Sitzen zum Einsatz kommen, um in der Dekonstruktion der mit ihnen im Bedeutungszusammenhang stehenden Kulturphänomene untere anderem eine kritische Perspektive zu entwerfen. Das Sitzen als Haltung ist in seiner Bewertung und Deutung abhängig von dem Verhältnis, das eine Kultur zur Leiblichkeit entwickelt. Es stellt einen wesentlichen Unterschied dar, ob das Sitzen im Sinne einer Beruhigung und Ruhigstellung des (innerlich) bewegten Menschen und damit als leibverneinende Haltung verstanden wird, oder ob durch die Einnahme der Sitzhaltung eine Steigerung und In-Dienst-Nahme des Leibs im Hinblick auf eine „gesamtmenschliche, spirituelle oder geistige Läuterung“ (Dodel, 1997, S. 48) im Fokus steht. Im Laufe ihrer Geschichte fand in der Psychiatrie nicht nur die Begegnung mit „Besessenen“ statt, d.h. mit Menschen, die als von einem Äußeren in Besitz ergriffen aufgefasst wurden, sondern unter anderem auch die Sichtung von Einrichtungen und Mitteln, die der Beruhigung und Ruhigstellung dienten. Zwei bezeichnende Beispiele sind die „Sedativa“ als Fachbezeichnung für Beruhigungsmittel sowie der „Tranquilizerstuhl“, bei dem Patient_innen mithilfe von Gurten in die Position des Sitzens bis zur Einkehr von körperlicher und geistiger Ruhe eingespannt wurden, um damit ähnliche Effekte zutage zu bringen wie die gleichnamige Medikamentenklasse: die Tranquilizer. Als Randnotiz angemerkt erscheint es zudem interessant, dass der Gurt, der die Patient_innen niedersetzt und in diese Haltung zwingt, im Handlungsbezug des Autofahrens oder Fliegens eine Aufwertung erfährt, wenn sich Insassen eines Fahrzeugs oder Flugzeugs mit ihm anschnallen, um von einer Gurt-Stuhl-Prothese in doppelter Fixierung in Sicherheit behalten zu werden. Mit Marcus Banks und Jay Ruby (2011, S. 23) sowie in der Nachzeichnung der Gedankenführung Helmuth Plessners (1975) ist der Stuhl und die damit verbundene Sitzpraxis wie jeder andere Gegenstand kultureller Diskurse nicht als „any cultural value“ anzusehen, sondern als ein „product of
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culture“ per se. Geht es um den Stuhl und das Sitzen, so geht es in seinem kulturellen Kontext um die lokalen Bezüge, die sich spezifisch am dem Ort der Psychiatrie eröffnen, also das „local understanding“ (Banks & Ruby, 2011, S. 24) und einem „local way of communication of ideas“ über den Stuhl. Der Kurs weiterer Erörterungen ist damit gesetzt: Wird der Ausgangspunkt mit dem Menschen genommen, der sich am Ort der Psychiatrie setzt, so wird damit ein Themenfeld betreten, das mit den Phänomenen des Stuhls, der Psychiatrie als Ort des Behandelns und Behandelt-werdens und dem menschlichen Körper abgesteckt ist. Zudem ist zu bemerken, dass dann, wenn im Rahmen der Erhebung vom Ort der Psychiatrie die Rede ist, vor allem die Räumlichkeiten einer Klinik Signifikat sind, da es die Bedeutungskonstituierungen des Sitzens durch Menschen, die sich in diesen bewegen und aufhalten, sind, welche mich als Forschende als Erkenntnisphänomen interessieren. Mir ist dabei bewusst, dass sich mit der Psychiatrie auch Dimensionen sozialer Örtlichkeit und individueller Verortung eröffnen, auf die es im Rahmen der Veranschaulichung bedeutungstragender Kategorien näher einzugehen gilt.
3 Den Fokus setzen: Zur methodologischen Bündelung eines transdisziplinären Forschungsspektrums in der empirischen Erkenntnisarbeit unter Heranziehung der Grounded Theory
Mit der Verfolgung eines transdisziplinären Arbeitsansatzes erscheint die Einbindung einer Methodenvielfalt für die Anpassung des Erhebungsverfahrens an den Gegenstand der Untersuchung im Rahmen des Forschungsstils der Grounded Theory (Glaser & Strauss, 2008) als besonders gedeihlich, wenn ein hohes Ausmaß an methodischer Flexibilität in der Gestaltung des Untersuchungsdesigns zum Tragen kommt. Als Erhebungsformen haben sich in der Entwicklung der Fragestellung unter Einbezug vorausgehender erkenntnistheoretischer Überlegungen die Gruppendiskussion und die qualitative Bilderhebung herauskristallisiert, die zusammen mit dem qualitativen Experteninterview einen methodischen Dreiklang im Ensemble empirischer Arbeit erklingen lassen (Abbildung 7).
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Abbildung 7: Übersicht über das Erhebungsmodell
Quelle: Eigene Darstellung
Gemäß der methodologischen Auffassung der Grounded Theory wird nach Barney Glaser und Anselm Strauss (2008) die empirische Arbeit mit jedem Erhebungs- und Auswertungsschritt in die Entwicklung des theoretischen Modells eingegliedert und formt dieses mit. Die Methodologie der Grounded Theory dient somit als jenes kumulative Verfahren, welches besonders für die Erkundung bisher noch wenig betrachteter Forschungsgebiete sowie für die Erarbeitung theoretischer Modelle über diese besonders geeignet zu sein scheint. Innerhalb dünn besiedelter Forschungsfelder seien nach Glaser und Strauss (2008) relevante Kategorien und epistemische Anknüpfungspunkte kaum im Voraus zu bestimmen und sollten auch nicht vorab definiert werden. Mit der Grounded Theory entwickeln Glaser und Strauss (2008) einen methodologischen Zugang, der eine große Kombinationsvielfalt diverser empirischer Datenmaterialien zulässt. Mit dem Ziel einer Theoriebildung, die in der Alteration von Sammlung, Präzisierung und Kodierung der erhobenen Daten überprüft bzw. modifiziert wird, kann die Untersuchungsarbeit nach Glaser und Strauss (2008) als kreatives Konstru-
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ieren von theoretischen Konzepten und Modellen betrieben werden – vorausgesetzt, diese unterliegen gemeinsam mit den Daten, die sie hervorbringen, einer stetigen Überprüfung. Innerhalb qualitativer Forschungspraktik – wie sie im Rahmen der Untersuchung ausschließlich zur Anwendung kommt – wird die Untersuchungsrichtung nicht vordefiniert, sondern kristallisiert sich während des Forschungsprozesses heraus. Nach Przyborski & Wohlrab-Sahr (2010, S. 45-50) eröffne die qualitative Methodologie die Generierung von Wissen und Informationsgewinn durch das Eindringen in menschliche Interaktionsfelder. Ein auszeichnendes Merkmal qualitativer Forschung stelle somit das Bemühen um ein Verstehen aus, welches sich aus der Innenperspektive der Forschenden heraus erzeugt, womit die Erkenntnis und Handlung der Forscher_innen selbst für den Erkenntnisgewinn ebenso von grundlegender Bedeutung sind. Aufgrund der Fundierung forschungstragender Aspekte auf Basis subjektiver Interpretationsleistungen von Forscher_innen ist mit dem damit einhergehenden drohenden Verschwinden eines Gleichgewichts zwischen Subjektivität und Inter-Subjektivität eine stetige Gefahr zugegen, die sich in der empirischen Arbeit nach Przyborski und Wohlrab-Sahr (2010, S. 90-95) als Dilemma zwischen an Ausmaß gewinnender Teilhabe im Feld als Interakteur_in (wodurch das das Verständnis erst an Boden gewinnt) und der Aufrechterhaltung der Distanz zum Feld (dank welcher dieses Verstehen erst ihre wissenschaftliche Kontextualisierung erfährt) darstellt. Aus diesem Grund wird ein reflektierter, kritischer Umgang mit der eigenen Rolle als Forscher_in und deren Konsequenzen in der Interaktion und im Feld zur Vorbedingung jeglicher qualitativer Forschungsvorhaben zur Notwendigkeit, von der zudem auch während der empirischen Arbeit im Feld nicht abzusehen ist. In immer wiederkehrenden Reflexionszyklen stelle sich nach Przyborski und Wohlrab-Sahr (2010) aufgrund des Spannungsverhältnisses von Subjektivität und Intersubjektivität während der intensiven empirischen Arbeit als Teilnehmer_innen im Feld die forschungsethische Frage nach anwendungsbezogenen Guidelines und den Umgang mit persönlichen oder ressourcenbedingten Limitationen. Im qualitativen Forschungsdiskurs erlangen somit die Thematisierung angemessener Instruktionen von Proband_innen, der Einhaltung ethischer Richtlinien durch Untersucher_innen, sprachlicher Barrieren und andere thematisch verwandte Fragestellungen an
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besonderer forschungsalltäglicher Relevanz (Przyborski & Wohlrab-Sahr, 2010, S. 98-101). Mit ihrer Konzeption als „Forschungsstil“ (Strauss & Corbin, 2010, S. 30) nehmen die Protagonisten der Entwicklung der Grounded Theory von einem Selbstverstehen als Methode oder Erhebungsinstrument Abstand. Indem Aglaja Przyborski und Monika Wohlrab-Sahr (2010, S. 187) Günther Mey und Katja Mruck (2007) zitieren, weisen sie allerdings darauf hin, dass „rein logisch nur das Resultat, nicht aber die Methodologie und Methode, mittels derer man zu diesem Resultat gelangt, bezeichnet ist, weshalb korrekterweise von der ,Grounded-Theory-Methodologie‘ die Rede sein müsste“. Mit der Methodologie der Grounded Theory eröffnet sich eine heuristische Systematik, die eine Entwicklung von Theorien aus den erhobenen Daten zulässt (Glaser & Strauss, 2008, S. 27). In der Entwicklung eines theoretischen Modells wird weniger ein Augenmerk auf das deduktive Schließen objektiver, operationalisierter Aspekte auf die Daten gelegt, denn auf ein Gleichgewichten von deduktivem Schließen und Induktion, d.h. dem Schließen von den Daten auf das Allgemeine. Die Entwicklung einer auf empirischen Daten basierenden Theorie entfaltet sich mit der Erhebung der ersten Daten, welche im Anschluss nach einem von Glaser und Strauss (2008, S. 35) vorgeschlagenen „Kodierparadigma“ kodiert werden. Während der gesamten Konzeption der Arbeit werden theoretische Memos verfasst. Die Memos dienen den Forschenden als Sammlung angefertigter Notizen vor und werden im Verlauf der Entwicklung des theoretischen Modells herangezogen. Im Laufe der Entwicklung eines theoretischen Modells erfolgt nach Strauss und Corbin (2010, S. 7) das Abstrahieren von Kategorien, welche im Zuge der Theoriegenese mit- und untereinander vernetzt werden. Für die Integration der Erkenntnisse aus der empirischen Arbeit gelte das Prinzip der stetigen Komparation des theoretischen Modells mit ähnlichen Konzepten und Kategorien. Dies solle nach Strauss und Corbin (2010) zur Absicherung der Konsistenz, Standhaftigkeit und Kohärenz der fortschreitenden Theorieentwicklung dienen. Ein solches Vorgehen trage nach Przyborski und Wohlrab-Sahr (2010, S. 200) zur „Präzisierung“ elaborierter Konzepte und Kategorien bei, um des Weiteren „auch das Feld im Hinblick auf die in ihm vorhandene Varietät auszuloten“. Dazu gehöre es auch, Varianten und Variationen bereits identifizierter Muster zu erkennen bzw. danach zu su-
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chen, wozu sich im konkreten Zusammenhang der Untersuchung das konzeptuelle Vergleichen von Bedeutungskonstituierungen, die sich in Patient_innenbildern darstellen, mit den Erkenntnissen aus den qualitativen Experteninterviews und der Gruppendiskussion besonders zu eignen scheint. Für die Entwicklung eines theoretischen Modells, welches im folgenden Kapitel zur Darstellung kommt, werden das in den Bildern Dargestellte sowie das darüber Geäußerte, das in den Befragungen durch die Expert_innen Vermittelte und das in der Gruppendiskussion veräußerte Erlebte herangezogen und in die Präsentation bedeutungstragender Kategorien integriert. Die Gesamtheit der erhobenen Daten wird damit zur entscheidenden, bildenden Ressource theoretischer Arbeit, da ihnen in der Methodologie der Grounded Theory ein Potential nicht-demiurgischer Charakteristik in Gestalt des Widerfahrnis- und Bedeutungscharakters zugeschrieben wird. Unter anderen Gesichtspunkten wird dieser epistemologische Aspekt in der Forschungsliteratur unter dem Schlagwort der „Performance“ diskutiert, wenn sich beispielsweise Rainer Diaz-Bone (2011) der Auseinandersetzung mit Performativitätskonzepten in den Sozialwissenschaften und den darin involvierten erkenntnisbringenden Dimensionen im Feld der qualitativen Sozialforschung widmet. Zunächst soll im Zuge folgender Ausführungen der gewählte Feldzugang sowie das Erhebungsdesign im Detail zur Darstellung kommen, woran anknüpfend die für die jeweilige Methode im Einzelnen zu erläuternde empirische Herangehensweise zum Gegenstand vertiefter Betrachtungen wird.
3.1 F ELDZUGANG UND E RHEBUNGSDESIGN Im Kontext der empirischen Rahmengebung ist der soziale Raum psychiatrischer Einrichtung in den Vordergrund gestellt. Mit der Wahl einer Akuttagesklinik als Erhebungsort wird eine Einrichtung gewählt, welche sich als teilstationäres psychiatrisches Angebot versteht, d.h. dass Patient_innen – im Unterschied zu stationären Angeboten, in welchen diese für mehr als vierundzwanzig Stunden aufgenommen werden – über mehrere Wochen für einen festgelegten Zeitraum eines (Werk-)Tages am Therapieprogramm teilnehmen. Als Pendant zu stationären Angeboten können ambulante Einrichtungen angesehen werden, welche von Patient_innen in regelmäßigen
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oder unregelmäßigen Zeitabständen für Behandlungen, Therapien, Einzelgespräche usw. aufgesucht werden. Der Erhebungsort, die psychiatrische Akuttagesklinik, ist im Gemeindepsychiatrischen Zentrum der Stadt Winterthur eingerichtet und gehört dem Klinikverband der Integrierten Psychiatrie Winterthur (ipw) an. Sie ist mit der Aufgabe der Akutbehandlung und Krisenintervention mit Behandlungszeiten bis zu 6 Wochen sowie der Psychotherapeutischen Behandlung zur Befähigung zur sozialen Integration mit störungsspezifischen Angeboten mit Behandlungszeiten bis zu zwölf Wochen betreut. Mit einem therapeutischen Angebot von Montag bis Freitag von 8.00 bis 17.00 Uhr positioniert sich die Akuttagesklinik Winterthur als teilstationäre Einrichtung. Außerhalb der Öffnungszeiten stehen weitere Angebote des Klinikverbandes, insbesondere das Kriseninterventionszentrum (KIZ) und die Klinik Schlosstal mit stationären Kapazitäten als Anlaufstelle zur Verfügung. Die Akuttagesklinik nimmt Patient_innen mit ICD-10 Diagnosen F1-F6 sowie F9 auf und verfügt seit März 2014 über 30 Behandlungsplätze für Halbtagspatient_innen und ein Kontingent von 10 Plätzen für Ganztagspatient_innen. Die Klinik ist in einem Altbauhaus unweit vom Winterthurer Bahnhof eingemietet auf insgesamt zwei Stockwerken angesiedelt. Im Erdgeschoss befindet sich der größte Gruppenraum, in welchem – neben einigen therapeutischen Gruppen – die zweimal täglich gehaltene „Einstiegsrunde“ sowie die wöchentlich gehaltene „Patientensitzung“ im Gesamtverband aller Patient_innen ihren örtlichen Rahmen finden. Neben einem weiteren Gruppenraum und Sanitäranlagen sind im Erdgeschoss die Patient_innenküche, der Aufenthaltsraum für Patient_innen, der Bewegungsraum, das Atelier, ein Behandlungsraum sowie Büros von Behandler_innen und für auszubildende Behandler_innen, deren Perspektiven im Rahmen der Untersuchung ebenso als Teil der Lebenswelt von „Behandler_innen“ einfließen, vorzufinden. Im ersten Stock befinden sich der Team- und Pausenraum, weitere Sanitäranlagen, vier Gruppenräume, ein geteiltes Büro für auszubildende Behandler_innen und weitere Einzelbüros. Den Büros der Behandler_innen ist gemeinsam, dass diese nicht als reine Patient_innensprechzimmer, sondern als kombinierte Arbeits- und Behandlungsräume genutzt werden. Die beiden Büroräume, die den auszubildenden Behandler_innen zur Verfügung gestellt werden, werden zu zweit geteilt. Insgesamt variiert die Raumgröße der Büros, wobei deren Aufteilung nicht mit der beruflichen Funk-
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tion oder hierarchischen Position in der Organisationsmatrix in Zusammenhang zu stehen scheint. In allen Einzelbüros sind ein Schreibtisch, Mobiliar zur Akten- und Materialunterbringung, oftmals ein Ablagetisch, mindestens drei Stühle – darunter ein drehbarer Arbeitsstuhl sowie mindestens zwei gleichartige Stühle – und persönliche Gegenstände wie zum Beispiel Pflanzen oder Bilder vorzufinden. Die Expert_innen, Bildproduzent_innen und Gesprächspartner_innen für die Gruppendiskussion werden im Forschungsstil der Grounded Theory nach dem Prinzip des Theoretical Sampling ausgewählt. Es muss jedoch konzediert werden, dass es sich im Rahmen dieser Arbeit um eine Mischform von Snowball Sampling und Theoretical Sampling handelt, da die Untersuchung im örtlichen und sozialen Rahmen einer einzigen psychiatrischen Einrichtung durchgeführt wird, in der ich ein Praktikum absolviert habe und der Zugang zum Feld somit bereits bestand. Da sich in der Diskussion des Untersuchungsfeldes „Psychiatrie“ ergeben hat, dass möglicherweise Unterschiede in den Ergebnissen entstehen können, die auf Differenzen bezüglich der disziplinären Verortung der Expert_innen, der institutionellen Spezialisierung und Ausrichtung der Einrichtung sowie des Geschlechts zurückführbar sein könnten, entspricht das Sampling zwar den theoretisch induzierten Suchkriterien nach den Eigenschaften von einer etwa ausgewogenen Geschlechtsverteilung, einer Vielfalt disziplinärer Verortung der Expert_innen (Medizin, Psychologie, Soziale Arbeit, Pflege, Bewegungstherapie) bzw. dem Status, als Patient_in in psychiatrischer Behandlung zu sein (die Art und Schwere einer psychiatrischen Diagnose ist dabei nicht von Relevanz), jedoch kommt die Akquisition von Teilnehmenden nicht ohne den Verweis und die Vermittlungsleistung durch Kolleg_innen und Mitpatient_innen aus: So erhielt ich das ethikkommissionelle Grünlicht zur Durchführung der Erhebung vonseiten der Einrichtung, welches einen Bestandteil der forschungskommissionellen Prüfung des Untersuchungsvorhabens innerhalb der ipw darstellte, von einer vormaligen Kollegin. Weiters stellte ich durch die Vermittlungsleistung einer Mitpatientin den Kontakt mit einem Patienten her, dessen spezifische Merkmale den theoretischen Erkenntnisinteressen für die quantitative Bilderhebung entsprachen. Diese Belange vorweggenommen, soll die vorliegende Mischform von Theoretical Sampling und Snowball Sampling zu einem Erkenntnisgewinn verhelfen.
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Sowohl für die Kontaktaufnahme mit potentiellen Teilnehmenden als auch für die Durchführung der Studie war ich als Untersuchungsleiterin persönlich anwesend. Um Interviewpartner_innen für die qualitativen Experteninterviews zu gewinnen, trat ich persönlich mit den Fachpersonen per E-Mail oder persönlich vor Ort in Kontakt. Die Akquisition der Studienteilnehmer_innen im Patient_innenkreis erfolgte mittels kurzer Präsentation des Forschungsvorhabens im Rahmen der wöchentlich stattfindenden „Patientensitzung“, an der alle Patient_innen der Akuttagesklinik auf obligatorischer Basis teilnehmen. Im Anschluss an die Skizzierung des Vorhabens bat ich die Patient_innen um Teilnahme. Das Sampling für die Gruppendiskussion und die qualitative Bilderhebung verlief unabhängig voneinander, was konkret bedeutet, dass Teilnehmer_innen an der Gruppendiskussion nicht als Produzent_innen für die qualitative Bilderhebung herangezogen werden und umgekehrt. Da mit der Untersuchung des Sitzens am Ort der Psychiatrie implizite Repräsentationen des Selbst und sozialer Interaktion in den Fokus genommen werden (wobei davon ausgegangen wird, dass das Wissen über die sozialen, gegenständlichen und innerpsychischen Beziehungen, die sich mit der Praxis des Sitzens eröffnen, „atheoretisch“ (Mannheim, 1980, S. 73) ist) und damit nicht explizit abgefragt werden kann, wird bei der Vorstellung des Forschungsunternehmens auf die Tatsache, dass das Sitzen in den Fokus genommen wird, nicht hingewiesen, um den Zugang zu einem implizit handlungsleitenden und weitgehend atheoretischen Wissen über das Sitzen am Ort der Psychiatrie möglichst wenig zu verstellen, sozial erwünschtes Antwortverhalten im Sinne von „weil die Untersuchungsleiterin das Sitzen untersucht muss etwas über das Sitzen gesagt werden oder ein Stuhl gezeichnet werden usw.“ zu umgehen und damit einen Blick für das Verhältnis zwischen atheoretischem Wissen zu explizierbaren, das heißt reflexiv verfügbaren, Wissensbeständen in Form von Selbstentwürfen, Theorien über sich selbst und andere zu eröffnen. Patient_innen und Fachpersonen wurden aus der Konsequenz der dargestellten Überlegungen somit lediglich darüber informiert, dass die Studie thematisch die Erfahrung von sozialem Raum und Leiblichkeit am Ort der Psychiatrie fokussiert und die Untersuchung insbesondere darauf abzielt, alltägliche Kommunikationsstrukturen, unter anderem auch auf der nonverbalen Ebene, zu erforschen. Hierbei sei festzuhalten, dass der bewusste Verzicht auf konkrete Details bei der Schilderung geplanter Untersuchungen und Erhebungen meinerseits bei einigen als potentiell interessiert
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wahrgenommenen Patient_innen derartige Unsicherheit verursacht zu haben scheint, dass diese nur zögernd bzw. letztendlich nicht der Teilnahme an der Studie zustimmten. Unter den Patient_innen wurden vier Personen für die Gruppendiskussion als Teilnehmer_innen gewonnen, sieben Personen stellten sich als Bildproduzent_innen zur Verfügung. Im Zusammenhang mit der Akquisition von Teilnehmer_innen bei der Bilderhebung muss konzediert werden, dass – wider meiner Annahme, dass die Anfertigung eines Bildes auf reges Interesse seitens der Patient_innen stoßen würde – viele Patient_innen, die ich persönlich um Teilnahme bat, diese Bitte mit der Begründung nicht „schön genug“ zeichnen zu können abschlugen – auch über meine Zusicherung, dass nicht die Ästhetik, sondern die persönliche Note von Bedeutung sei, hinweg. Ich weitete das Erhebungsdesign daraus folgernd insofern aus, sodass ich Patient_innen, die sich für eine Anfertigung eines Bildes nicht bereit erklärt hatten, fragte, ob sie sich dazu bereit erklären würden, mir eine Frage verbal zu beantworten, welches unter Zusicherung der Anonymität auf einem Diktiergerät aufzeichnen werden würde. Für diese Variante erklärten sich vier Patient_innen bereit, welche mir im Rahmen eines halbstrukturierten Kurzinterviews die Frage „Wie sieht für Sie eine typische Situation in der Akuttagesklinik aus?“ beantworteten. Die Erhebungen fanden in einem separaten Raum bei einer Dauer von durchschnittlich 3 Minuten statt. Insgesamt wurden 7 Bilder erhoben und nachbesprochen, 7 Expert_innen aus den Disziplinen der Psychologie (n=2), Medizin (n=2), Bewegungstherapie (n=1), der Pflege (n=1) und der Sozialpädagogik (n=1) interviewt und eine Gruppendiskussion mit vier teilnehmenden Patient_innen durchgeführt. Die Dauer der Expert_inneninterviews variierte von 29 Minuten bis 1 Stunde 14 Minuten und betrug im Durchschnitt 38 Minuten. Die Gruppendiskussion erstreckte sich über eine auditiv dokumentierte Länge von 1 Stunde 2 Minuten. Vor Beginn der qualitativen Bilderhebung, den qualitativen Experteninterviews und der Gruppendiskussion, wurden den Bildproduzent_innen, Interviewpartner_innen und Diskussionsteilnehmer_innen die Bewahrung ihrer Anonymität zugesichert. Die auditive Dimension der Erhebungssituationen wurde auf einem Diktiergerät gespeichert, zudem wurde die Gruppendiskussion unter Zuhilfenahme eines Camcorders aufgezeichnet.
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Mit Bergmann (1985) sei allerdings anzumerken, dass die Videoaufzeichnung – wie sie im Rahmen der Gruppendiskussion erfolgte – das Dokumentationsmaterial zwar um eine weitere Dimension, nämlich die visuelle, erweitert, allerdings bringe dies in der Auswertung auch den zu bedenkenden Umstand mit sich, dass die Auffassung und Interpretation der dargestellten Situation nicht mehr vom eigentlichen, „natürlichen“ (S. 315) Verlauf bestimmt werde, sondern von einer „künstlichen Darstellung“ (S. 315), womit sich eine Neufassung und -darstellung des Geschehens (im Nachhinein) ereigne. Mit der Einnahme einer wissenssoziologischen Perspektive ist die Auseinandersetzung mit dem Impetus technischer Neuerungen und den damit verschließbaren Möglichkeiten von besonders großer Relevanz. Jasmin Siri (2011), die sich in einer Rezension über Sebastian Ziegaus Untersuchung einer „Abhängigkeit der Sozialwissenschaften von ihren Medien“ (Ziegaus, 2009; zitiert nach Siri, 2011) mit dessen „Kritik der Vernachlässigung erkenntnistheoretischer Fragestellungen und der Wissenschaftstheorie“ (Ziegaus, 2009, S. 353; zitiert nach Siri, 2011) auseinandersetzt, stellt fest, dass sich neben Ziegaus (2009) viele Autor_innen mit den Fragen der technischen Dokumentation und Reproduzierbarkeit beschäftigen. „Im Rahmen des Berliner Methodentreffens Qualitative Forschung im Jahre 2009 hat – um ein Beispiel von vielen zu nennen – ein Symposium zum Thema Methode mit Technik – Technik mit Methode stattgefunden[…]“ (Siri, 2011). Auch Kuckartz (2009) pointiere in Anlehnung an Marshall McLuhan (2001), dass die Auswirkungen, die mit der Anwendung neuer Dokumentationsmethoden entstehen, „hinsichtlich der Organisation und Strukturierung des Datenmaterials“ (Siri, 2011) und der Visualisierung Veränderungen bringen und daher im Rahmen der Methodenreflexion mit berücksichtigt werden müssen. Im Rahmen der konkreten Untersuchung wurde die visuelle Dokumentationsspur primär zu meiner Rollenreflexion als Diskussionsleiterin und zum Zwecke des rekursiven Nachvollzugs von Bewegungs- und Handlungsabläufen im Raum herangezogen. Eine Anfertigung von Screenshots aus dem Videomaterials, wie es im Zuge einer qualitativen Videoanalyse (Bohnsack, 2009) zur Vergegenwärtigung performativen Geschehens vorzunehmen gewesen wäre, wurde aus forschungsethischen Gründen nicht durchgeführt, da die Aufrechterhaltung der Zusicherung der Anonymität der Gruppendiskussionsteilnehmer_innen dadurch nicht gewährleistet werden konnte.
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Die Erhebungen wurden ausschließlich in deutscher Sprache durchgeführt, wobei in der Gruppendiskussion sowie in fünf von sieben qualitativen Experteninterviews im schweizerdeutschen Dialekt gesprochen wurde. In diesem Falle wurden die schweizerdeutschen Transkripte in Hochdeutsch übersetzt und sind im Folgenden in Klammern gesetzt und unterhalb der Originaltranskripte beigefügt. Der Eingangsstimulus, nämlich die Konfrontation mit der hypothetischen Situation, dass alle Stühle aus den Räumlichkeiten der Klinik verschwunden wären, die damit in Verbindung gestellte Frage nach deren Auswirkungen sowie die anschließend gestellte Frage der Bedeutung des Sitzens, blieb für alle Erhebungssituationen in den qualitativen Experteninterviews unverändert, die Reihenfolge der gestellten Fragen sowie die Anzahl und Formulierung immanenter und exmanenter Fragen variierte. Da ich als Untersuchungsleiterin mit der Erhebung auch das im Rahmen der Untersuchung fokussierte Feld betrat, wurde ich auch zugleich zur Beobachterin von und Teilnehmerin an Handlungspraktiken und Sprechakten, die außerhalb der Untersuchungsräume stattfanden. Dies sind beispielsweise der Austausch mit Patient_innen, mit denen ich während des Wartens Gespräche führte, die Reaktionen auf die Vorstellung der eigenen Person und des Forschungsvorhabens sowie die Bitte um Teilnahme an die Patient_innen, Unterhaltungen mit ehemaligen Kolleg_innen in den Pausen. Diese wurden in Form von Protokollen aus teilnehmender Beobachtung, Notizen, etc. als Memos gesammelt. Erkenntnisse aus diesen gesammelten Daten tragen dementsprechend auch als Ausschnitte der sozialen Welt, die als Phänomen durch die Forschungstätigkeit beschrieben wird, zur Theoriebildung bei, da es eben diese Dokumente sind, die für Strauss und Corbin (2010) jene Bezüge auf die Phänomene darstellen, die sie zu „Indikatoren“ (S. 55) für die interessierenden Phänomene machen.
3.2 Q UALITATIVE B ILDINTERPRETATION Die Heranziehung der qualitativen Bildinterpretation nach Ralf Bohnsack (2009) eignet sich dazu, den im Erkenntnisinteresse avisierten – dem Sitzen zugrunden liegenden – modus operandi oder „Habitus“ (Mannheim, 1980, S. 109) zu vergegenwärtigen. Für das konkrete Forschungsvorhaben eröffnet sich mit der qualitativen Interpretation von Bildern somit eine Untersu-
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chungseinstellung, die ihren Fokus auf solche Bedeutungsfelder schärft, in welchen die Phänomene der Psychiatrie, des Stuhls und des Sitzens miteinander verbunden sind. Mit der dokumentarischen Bildinterpretation wird mit den Schritten der formalen und reflektierenden Interpretation ein Doppel zur Untersuchung sozialer, objektbezogener und innerpsychischer Beziehungen gespannt. Die vor-ikonographische Interpretation als Element der formulierenden Interpretation zielt auf eine Deskription des sichtbar Dargestellten ab. Die Gliederung der Beschreibung erfolgt dabei häufig nach Vordergrund, Mittelgrund und Hintergrund. Innerhalb der reflektierenden Interpretation wird die Planimetrie als Analyse der Komposition des Bildes, die Perspektivität und die szenische Choreographie des Bildes erläutert. Die Planimetrie soll das Dargestellte in seiner Gesamtheit als „Gruppe“ (Bohnsack, 2009, S. 62) erfassen. Im Rahmen der perspektivischen Interpretationsarbeit sollen räumliche und soziale Relationen erfasst werden, indem Horizontallinie und – wenn möglich – der Fluchtpunkt bestimmt werden. Die szenische Choreografie resultiert aus den Erkenntnissen der perspektivischen Interpretationsarbeit in Bezug auf die soziale Konstellation. Abschließend wird im Rahmen der ikonologisch-ikonischen Interpretation eine übergreifende Reflexion des bildlich Dargestellten vorgenommen, indem soziale und räumliche Aspekte zueinander in Beziehung gesetzt werden, um Sinnstrukturen zu essenzieren, die sich in der Synoptik von planimetrischer und perspektivischer Interpretation sowie von der szenischen Choreographie eröffnen und in einer einheitlichen Struktur erkennbar werden. Als Forschende verschreibe ich mich während der Interpretationsarbeit einer Suspension von Vorwissen, das sich darin zeigen würde, wo die Anordnung von Objekten oder Personen darauf schließen lässt, dass es sich beispielsweise um eine Schulklasse, ein Urlaubsbild, etc. handelt. Das Wissen, das beim Betrachten des Bildes um die Institution der Schule oder um das Phänomen des Urlaubs organisiert wird, sei nach Ouyang (2010, S. 35) für die Praxis der Interpretation „zu suspendieren“, um ein mögliches vorschnelles Urteilen zu umgehen. „Die Aufgabe des sozialwissenschaftlichen Beobachters ist es somit, implizites handlungsrelevantes Wissen, das vom Erforschten zwar gewusst, aber von ihm selbst nicht artikuliert wird, zur Explikation zu bringen“ (Ouyang, 2010, S. 14).
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Im Rahmen der Erhebung wurden die Patient_innen gebeten, ein Bild von einer für sie typischen Situation in der Akuttagesklinik zu zeichnen und dieses zu betiteln. Die Konzeption dieser Instruktion fußt auf meiner Annahme, dass sich die Patient_innen im Sitzen zeichnen würden. Dabei war es von meinem Interesse, welche Begriffe und Konzepte Patient_innen diesen Bildern in der anschliessenden Bildbesprechung zugrunde legen und wie – wenn dargestellt – die Erfahrung des Sitzens bildlich repräsentiert und sprachlich zum Ausdruck gebracht wird. Zum einen war in der Untersuchung somit die Quantität von Bildern von Bedeutung, um in einer Sammlung möglichst vieler Bilder, auf denen sich Patient_innen (optimaler Weise) im Sitzen zeichnen, auf ein habituelles Selbstverstehen des Sitzens am Ort der Psychiatrie hinzuweisen, zum anderen – und vor allem – sollen im Rahmen der qualitativen Bildinterpretation (Bohnsack, 2009) jene Bedeutungsschichten freigelegt werden, die zur argumentativen Vertiefung der Ergebnisdarstellungen beitragen sollen. Für die textuelle Gestaltung hat dies zu bedeuten, dass im Rahmen der Präsentation bedeutungstragender Kategorien die erhobenen Bilder sowie das im Rahmen der Nachbesprechungen erhobene Textmaterial herangezogen wird, um bedeutungstragende Strukturen im Sinne von „Indikatoren“ (Strauss und Corbin, 2010, S. 55) aufzuzeigen. Die Zeichnungen werden im Rahmen der Darstellung als jeweilige markante Fokussierungen in unterschiedlicher interpretatorischer Tiefe vorgestellt, um den argumentativen Faden zu stärken bzw. in detailliertere Facetten aufzudröseln. Sowohl die Bilderhebung, Bildauswahl, Einflechtung in die Theoriebildung und darstellung als auch die Interpretationsarbeit wurden dabei memotechnisch dokumentiert. Die Erweiterung des Bilderhebungsdesigns um die Befragung von Patient_innen, welche sich nicht für eine Anfertigung einer Zeichnung, jedoch für die Schilderung der Vorstellung einer typischen Situation in der Akuttagesklinik bereit erklärt hatten, wird zum Zwecke der Fundierung bestehender Argumentationslinien im Rahmen der Ergebnisdarstellung angeführt. Eine Darstellung über das Alter, Geschlecht und Erhebungsdauer der abbildenden Bildproduzent_innen wird in Tabelle 1 im Anhang gegeben.
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3.3 G RUPPENDISKUSSION Der Gruppendiskussion, kommt eine besondere Rolle zu, wenn im Rahmen dieser auch performativen Aspekten ein erhöhtes Maß an Aufmerksamkeit zuteil wird. Dabei kann das Konzept der Performativität1 Aufschluss über
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Die Begriffe der Performanz und Performativität gewinnen im Zuge der performativen Wende in der Kultur- und Sozialwissenschaft zunehmend an Bedeutung für Erklärungen sozialer Wirklichkeit. Performativität stellt – neben der Performanz – einen zentralen Gegenstand der Untersuchung kultureller Ereignisse und Praktiken dar, wobei diese nicht als statische Strukturen, sondern „in ihrem dynamischen Prozesscharakter betrachtet“ (Diaz-Bone, 2011) werden. Mit der Untersuchung von Performativität wird auf den wirklichkeitskonstituierenden Aspekt sozialer Praktiken fokussiert (Iser, 2002). Mit der Untersuchung performativer Aspekte ist es damit möglich, den jeweiligen Handlungscharakter einer Äußerung oder sozialen Handlung explizit zu machen. Der Begriff der Performanz umfasst den konkreten Aufführungscharakter und Ausführungscharakter dieser Praktiken. Raewyn Bassett (2010) stellt für ein Verständnis von Forschung in diesem Kontext dar, dass diese - wie jede andere Form sozialen Handelns auch als „a performance“ (S. 669) verstanden werden kann: „The researcher as an active, conscious, prior, and performing self conducts or performs research. Performance is the engagement between individual(s) and audience(s). Individuals perform for audiences, who interpret their actions. Research is akin to a theatrical performance, and just as theater can be indistinguishable from everyday life so too are the methods of case study research“ (Bassett, 2010, S. 669). Es ist zudem zu konzedieren, dass mit dem Begriffen der Performativität ein so umfangreicher thematischer Strang verfolgt wird, welcher in eine stark differenzierte, transdisziplinäre und wissenschaftliche Diskursgeschichte zurückreicht, sodass die Darlegung des erkenntnistheoretischen Zugangs nur einige Gedankensplitter einer sich fortentwickelnden sozial- und kulturwissenschaftlichen Theorie in den Darstellungen dieser Arbeit umfassen werden kann. Als Ausgangsmoment für weitere Beschäftigung soll auf Austins (1986) „How to do things with Words“ als Basistext hingewiesen werden, weiters wird an dieser Stelle zur vertieften Auseinandersetzung mit Performativität auf Arbeiten von Emile Benveniste, Alexander Sesonske, Jacques Derrida, Pierre Bourdieu und Judith Butler verwiesen.
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die Effekte von Diskursen in ihren Subjektivierungsweisen geben ohne den Anspruch zu erheben die behandelten Phänomene damit vollständig erklärbar zu machen. Dazu wird der Erhebungsgegenstand der Gruppendiskussion – nämlich die geteilte kollektive Erfahrung mit dem Sitzen am Ort der Psychiatrie – um die gemeinsame Untersuchung von und das Sprechen über Handlungen während der Ausführung eben dieser Handlungen erweitert, d.h.: Wie das Sitzen als Sitzende erlebt wird ist das Thema. Als Stimulus für die Gruppendiskussion wird keine vorab formulierte Frage gewählt, sondern die Konfrontation mit einer räumlichen Situation. Dazu betreten die Teilnehmenden (n=4) einen Raum, in welchem zu wenige Stühle (n=3) vorhanden waren. Die Wahl einer konkreten Situation als Einstieg in die Gruppendiskussion hat zum Vorteil, dass das Phänomen des Sitzens (im Unterschied zu der Entscheidung für eine Eröffnung der Gruppendiskussion unter Zuhilfenahme eines verbalen Reizes) weniger im konkreten Was als im performativen Wie sozialer Handlungen und Äußerungen dokumentiert wird. Somit sind die Patient_innen anfangs mit einer paradoxen Situation konfrontiert, welche ich in der Denkart von „Es (der Stuhl, die Sitzgelegenheit) hat zu fehlen, um begreifbar machen zu können, was Mensch daran hat“ konzeptionierte. Ich betrat als letzte den Raum und hielt mich im Hintergrund des Geschehens, um dieses zu beobachten. Im Anschluss an die Eingangssituation wurde die Situation gemeinsam mit den Patient_innen besprochen und die gesetzten Handlungen mit den Patient_innen reflektiert. Weiters wurden experimentierend Situationen untersucht, die im thematischen Kontext von Macht- und Zugehörigketisverhältnissen sowie Körpererleben verortet werden können. So hat in der Durchführung der Gruppendiskussion mit ihrer Erweiterung um performative Aspekte eine Untersuchung des Sitzens durch Sitzende stattgefunden, indem in einer Durchmischung von Text und Bewegung der menschlichen Erfahrung im Explorieren Aufmerksamkeit geschenkt wurde, um darüber aus einer Distanzierung heraus – ermöglicht durch das Sprechen im Tun – neu zu verfügen. Es geht also darum, die Erfahrung des Sitzens durch das Experimentieren mit Raumverhältnissen und Körperhaltung(en) im Sich-Setzen und Sitzen zu begreifen. Dazu wurden die Patient_innen im Rahmen der Instruktion informiert, dass diese im Diskussionsraum eine Situation vorfinden würden, die womöglich als ungewöhnlich erscheinen könnte, und aufgefordert, der Situation so zu begeg-
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nen wie es ihrer Einschätzung nach im eigenen klinischen Alltag gewöhnlich wäre. Zudem wurden die Patient_innen von mir dazu ermutigt, im Rahmen der Gruppendiskussion „einiges, was sich in der Diskussion ergibt, einfach auszuprobieren und sich darüber auszutauschen wie sich das anfühlt oder wie das so ist“, da es in der Untersuchung gerade auch um das „Tun und Denken über das Tun“ (Transkriptionstext des Gesprochenen von Lisa Landsteiner während der Instruktionssituation) ginge. Auf einen Leitfaden – wie er in qualitativen Interviews üblich ist – wurde im Rahmen der Gruppendiskussion weitgehend verzichtet. Stattdessen setzte ich einen vorbereiteten Fragestimulus nach der Eingangssituation und meldete mich während der Diskussion lediglich zum Zweck eines immanenten oder exmanenten Nachfragens zu Wort. Ein Verzicht auf einen vorab vorbereiteten Pool von Fragen als strukturierende Gesprächselemente bringt jedoch den Nachteil mit sich, dass mit der Entscheidung für eine relativ große strukturelle Offenheit hohe Anforderungen an die Diskussionsleiterin in einem solchen real-time-Arbeitsformat gestellt sind. Dabei gilt es, eine hohe Konzentration auf den gesamten Gesprächsverlauf, Hinweise auf der Sprachebene, Bedeutungs-zusammenhänge und die Umgebung beizubehalten. Jene genannten Nachteile stehen jedoch einem hohen Gewinn an Information sowie der damit entstehenden, avisierten Möglichkeit der Herausarbeitung von Bedeutungsstrukturierungen in der Interpretationsarbeit gegenüber. Schließlich gilt die Fülle an Datenmaterial und deren qualitative Erkenntnisdimension im Kodierparadigma der Grounded Theory als eine der wesentlichen Vorbedingungen für das Essenzieren bedeutungstragender Kategorien. Dabei ist es insbesondere die Interkreativität und Zusammenführung von Menschen im Rahmen der Gruppendiskussion, die als Patient_innen im gemeinsamen Experimentieren intersubjektiv reale Qualitäten zur Explikation bringen und damit ein Fundament für die Auseinandersetzung mit dem Sitzen am Ort der Psychiatrie bilden. Bedeutungen werden also nicht systematisch um des kognitiv über das Sitzen vorhandenen Wissens Willen, sondern anwendungsorientiert im Experimentieren mit dem Sitzen und dem Sprechen über das Sitzen und allen in diesen Bereichen relevanten Erfahrungsräume vergegenwärtigt und veräußert. Damit bietet die Untersuchung einen praktischen und sinnlich-intelligiblen Zugang zum Verständnis der Erfahrungsprozesse und -zusammenhänge.
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Das Beobachtungsprotokoll der Eingangssituation und die Beschreibung der Gruppendiskusssionsteilnehmer_innen sowie die Art der Kontaktaufnahme (Tabelle 2) werden im Anhang aufgestellt.
3.4 Q UALITATIVES E XPERTENINTERVIEW Die Interviews mit Expert_innen (n=7) dienten zur Vergegenwärtigung der Perspektiven von Behandler_innen aus den disziplinären Verortungen der Medizin, der Psychologie, der Pflege, der Sozialpädagogik und der Bewegungstherapie. Dabei sollte unter anderem den Fragen nachgegangen werden, ob diese zumeist an einem bestimmten Ort oder auf einem bestimmten Stuhl sitzen, welche Auswirkungen diese für die paradoxe Situation eines plötzlichen Fehlens aller Stühle in den Räumlichkeiten beschreiben, welche Schlüsse diese daraus folgernd über die Bedeutung des Sitzens am Ort der Psychiatrie ableiten und wie diese die scheinbare Universalität des Sitzens am Ort der Psychiatrie begründen. Ich spannte dabei im reflexiven Gestus einer inszenierten hypothetischen Situation, in welcher das Motiv fehlender Stühle – wie ihm die Teilnehmer_innen zu Beginn der Gruppendiskussion begegnen – wiederholt wurde, einen Assoziationsraum auf, wenn ich die Interviewten nach den Auswirkungen eines plötzlichen Fehlens aller vorhandener Stühle in der Tagesklinik fragte. Die qualitativen Interviews mit Expert_innen werden halbstrukturiert geführt. Unterstützend wurde ein Leitfaden herangezogen, um eine Auswahl von Fragestimuli bereitzustellen, die den Interviewten die Möglichkeit eröffnete, ihre Perspektive auf „das interessierende Phänomen zu entfalten“ (Przyborski & Wohlrab-Sahr, 2010, S. 148). Weitere Fragenkomplexe sollen nach Przyborski und Wohlrab-Sahr (2010) in die Dimension des Phänomens eingebettet bzw. „ihrerseits mit einer offenen Frage eingeleitet werden“. Diese Vorgehensweise ermöglicht die Untersuchung von Sachverhalten in ihrer „situativen Einbettung und in ihrem sozialen, personalen und institutionellen Kontext“ (S. 149). Über die theoretisch fundierten Inhalte des zur Erhebung herangezogenen Leitfadens liefert Abbildung 8 einen Überblick:
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Abbildung 8: Inhalte des verwendeten Leitfadens -
Angenommen, plötzlich würden alle Stühle aus den Räumlichkeiten
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Welche Bedeutung hat das Sitzen Ihrer/deiner Meinung nach am Ort der
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Was bedeutet Sitzen für Sie/dich im allgemeinen, generellen Sinne?
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Welche kulturellen Unterschiede sind Ihnen/dir beim Sitzen aufgefallen?
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Was bedeutet das Sitzen für Sie/dich als Ärzt_in, Psycholog_in,
verschwinden, was denken Sie/ denkst du, welche Auswirkungen hätte das? Psychiatrie?
Sozialarbeiter_in, Bewegungstherapeut_in, Pflegefachperson etc.? -
Inwiefern binden Sie/bindest du den Stuhl in deine professionelle Tätigkeit ein?
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Was denken Sie/denkst du, bedeutet die Haltung des Sitzens für Patient_innen?
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Haben Sie sich/Hast du dich im Rahmen Ihrer/deiner Aus- oder Weiterbildung oder auf anderem Weg mit Körperhaltungen oder dem Sitzen in der einen oder anderen Form auseinandergesetzt?
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Welche Rolle spielt die Erfahrung von Körper-Sein, Körper-Haben und Leiblichkeit im psychiatrisch-therapeutischen bzw. in Ihrem/deinem beruflichen Kontext?
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Was denken Sie/Was denkst du, vermag ein Erkenntnisgewinn über das Sitzen oder Körperhaltungen im Allgemeinen an Beitrag für den psychiatrischen Alltag zu leisten?
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Ausgehend davon, dass Sitzen im Allgemeinen als eine Selbstverständlichkeit aufgefasst wird: Welche alternativen Formen des „Körperhaltens“ und „sichaufeinander-Beziehens“ könnten Sie sich/könntest du dir noch im psychiatrischen Alltag vorstellen?
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Stellen Sie sich/Stell dir vor ich würde dir einen Raum von beliebiger Größe zur Verfügung stellen – und dazu ein ausreichendes Budget: Wie würden Sie/Wie würdest du die Räumlichkeit, in denen Sie/dich Patient_innen aufsuchen würden, gestalten?
Quelle: Eigene Darstellung
Zusätzlich wird in Tabelle 3 (Anhang) eine tabellarische Übersicht über Alter, professionelle Ausrichtung, eventuelle Spezialausbildung oder Weiterbildung sowie der Erhebungsort angeführt. Bezüglich des Samplings muss kritisch erwähnt werden, dass es sich innerhalb der insgesamt sieben Interviewten zu einem überwiegenden Anteil um Frauen (n=5) handelte, was mit der Tatsache geschuldet ist, dass im gewählten Erhebungszeitraum kei-
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ne potentiellen weiteren Interviewpartner zur Verfügung standen. Allerdings ist in diesem Zusammenhang anzumerken, dass die Geschlechterverteilung im Sampling in etwa dem Geschlechteranteil in Gesundheits- und Sozialberufen zu entsprechen scheint, wenn Johanne Pundt und Lena Drees (2011) für Deutschland einen Frauenanteil von bis zu 74% feststellen.
4 Platz nehmen: Eine auf empirischen Daten basierende Theorie über das Sitzen am Ort der Psychiatrie
Die im Rahmen der empirischen Arbeit gesammelten Daten aus den qualitativen Bilderhebungen, den qualitativen Experteninterviews und der Gruppendiskussion wurden im Forschungsstil der Grounded Theory kodiert, um theoretische Konzepte und Kategorien unter Einbezug der Bedeutungszusammenhänge, die im Rahmen der begriffstheoretischen Kontextualisierung herausgearbeitet und in Kapitel 2 zur Darstellung gebracht wurden, zu essenzieren. Für die folgende Präsentation der Theorie, die als Vernetzung eines kategorischen Terzetts aufzufassen ist und sich als stringente Matrix von Hypothesen, theoretischen Memos, Konzepten und Kategorien auf Basis der Daten herauskristallisiert, wird empirisches Material in Form von transkribierten Interviewausschnitten und Ausschnitten aus der Gruppendiskussion, erhobenem Bildmaterial und Memos aus meinen teinehmenden Beobachtungen zum Zwecke einer nach-vollziehbaren Argumentation eingebunden. Die selektierten Stellen aus den qualitativen Experteninterviews und der Gruppendiskussion werden anhand des TiQ-Systems (Talk in Qualitative Social Research) transkribiert, mit anonymisierten Kürzeln der Bildproduzent_innen und Interviewpartner_innen versehen und unterstehend in Klammern vom Schweizerdeutschen in das Hochdeutsche übersetzt. Gemäß der methodologischen Auffassung der Grounded Theory wurde die empirische Arbeit mit jedem Erhebungsschritt in die Theorieentwicklung eingebunden. Die Theorieentwicklung gestaltet sich somit in einer ko-
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härenten Struktur, die eine theoretische Konzeption auf Basis des erhobenen Datenmaterials vorstellt. Um die Kernkategorie „Platz nehmen: Sitzen als Positionierung und Relativierung am Ort der Psychiatrie “ versammelt sich eine kategoriale Dualität: „Der Ort der Psychiatrie als Sitzgesellschaft“ sowie „,Anlehnen und Fallen lassen“: Die Erfahrung des Sitzens als hybride Verbindung von Mensch und Stuhl“. An die Darstellung des genannten Kategorienduetts schließt die Präsentation der zentralen Kategorie an, welche die herausgearbeiteten Bedeutungszusammenhänge zu einer übergreifenden Theorie zusammenführt. Abbildung 9: Übersicht über die bedeutungstragenden Kategorien
„Anlehnen und fallen lassen“: Die Erfahrung des Sitzens als hybride Verbindung von Mensch und Stuhl
Der Ort der Psychiatrie als „Sitzgesellschaft“
Platz nehmen: Sitzen als Positionierung und Relativierung am Ort der Psychiatrie
Quelle: Eigene Darstellung
4.1 D IE P SYCHIATRIE
ALS
S ITZGESELLSCHAFT
Da ich mich bereits im Rahmen der Konzeptualisierung der Untersuchung mit der Annahme konfrontiert sah, dass das Sitzen innerhalb einer „bestuhlten Gesellschaft“ – wie diese in westlich geprägten Gesellschaften nach Eickhoff (1993, S. 10) vorzufinden ist – von ihren Mitgliedern als Selbstverständlichkeit erlebt werden kann und die Bedeutung der Sitzpraxis und des Gegenstandes des Stuhls aus diesen Vorannahmen heraus als „atheoretisches Wissen“ vorliegen könnte, wählte ich eine empirische Herangehensweise, die den Bedeutungszusammenhang des Sitzens nicht auf „direktem“ Wege im Sinne eines Abfragens von theoretisch vorhandenem, der
E INE T HEORIE ÜBER
DAS
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AM
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Alltagserfahrung zugänglichem Wissen untersuchen sollte, sondern derartige Wissensbestände auf indirektem, handlungsbezogenem Wege adressiert. So wurden Patient_innen, die sich bereit erklärt hatten, als Bildproduzent_innen an der Untersuchung teilzunehmen, gebeten, sich selbst in einer typischen Situation in der Tagesklinik zu zeichnen. Diesem Untersuchungsdesign liegt meine Vorannahme zugrunde, dass sich diese im Sitzen zeichnen würden. Weiters wurden im Rahmen der Gruppendiskussion die Teilnehmenden in einen Gruppenraum gebeten, in welchem zu wenige Stühle (drei Stühle für fünf Personen) vorhanden waren, um den habituellen Umgang der Akteur_innen unter Einbezug performativer Aspekte zu untersuchen. Zuletzt eröffnete ich die qualitativen Expert_inneninterviews, indem ich meine Interviewpartner_innen mit der hypothetischen Annahme, dass „plötzlich alle Stühle vor Ort verschwunden“ seien, konfrontierte. Es kristallisiert sich heraus, dass sich am Ort der Psychiatrie eine Gesellschaft von Sitzenden versammelt: Sowohl Behandler_innen als auch Patient_innen, die an ihm aus dem Handlungsmotiv psychiatrischer Behandlung (zum einen als Behandelnde, zum anderen als Behandelte) heraus zusammentreten, erleben das Sitzen und dessen Medium – den Stuhl – als selbstverständlich. Insgesamt lässt sich somit die Konzeption des Erhebungsdesigns um den Leitgedanken versammeln: Es braucht ein Fehlen der Dinge, um deren Bedeutung sichtbar zu machen. Anhand der erhobenen Bilder, welche zum Teil auch in anderen bedeutungstragenden Bezügen herangezogen werden, lässt sich zeigen, dass sich insgesamt fünf der sieben abbildenden Bildproduzent_innen im Sitzen zeichnen. Eine weitere Bildproduzentin zeichnet sich im Stehen, wenngleich sie in der Nachbesprechung hinzufügend anmerkt, dass diese der Tätigkeit des Zeichnens im Stehen nachgeht, um „auch Mal nicht zu sitzen“. Als bemerkenswert erweist sich die Darstellung der Bildproduzentin AM, welche von dieser mit „Heimatdorf“ (Abbildung 15) betitelt wird, um im Rahmen der Nachbesprechung die Abbildung ihres kurdischen Heimatdorfes in Beziehung zu ihrem Selbsterleben am Ort der Psychiatrie zu setzen, indem sie sich der Metapher der Sesshaftigkeit bedient. In den Kurzintverviews zeigt sich, dass sich die vier Patient_innen, welche von mir gefragt wurden wie sich diese in einer typischen Situation in der Tagesklinik bildlich darstellen würden, dies ausschließlich im Sitzen
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zur Darstellung bringen würden: konkret würden sich diese beim wartenden Sudoku-Lösen im Aufenthaltsraum, beim Einzelgespräch mit der „sympathischen“ Fallführerin, beim Sitzen am Patient_innen-PC bzw. als Teilnehmer_innen einer Gruppentherapie zum Training der Selbstsicherheit sowie der Sozialen Kompetenz im Sitzkreis abbilden. Abbildung 10: „Iistiegsrunde“ („Einstiegsrunde“)
Quelle: Angefertigt von BT, erhoben von L. L. BT: Wisset Sie wo=s isch? LL: (1) Jo, des schaut aus wie der Gruppenraum (.) do drüben? BT: Jo, genau @(.)@ /@(.)/@ d=Iistiegsrunde isch es eigentlich (.) es isch etwa so (.) des typische (.) und und ä:h ich chon des Pfieli gemocht (.) doss sie wisset wer icch bin LL: Acch jo, super. und wos is für Sie so typisch dran? BT: Äh:m dass: eigentlich täglich stottfindt (.) doss ä:h (2) jo, dass es eigentlicch ä:h die Tog isch, olso au des isch i de Klinik wo ma sich do eifoch iifindet und ä:h (.) jo (.) es isch eifach des, wos mir ois erscht in Sinn chunnt (.) doss wir (.) do zamme sitzet (.) und jo
(BT: Wissen Sie wo es ist? LL: (1) Ja, das sieht aus wie der Gruppenraum (.) da drüben?
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BT: Ja genau @(.)@ /@(.)@/ die Einstiegsrunde ist es eigentlich (.) es ist etwa so (.) das typische (.) und ich ä:h ich hab den Pfeil gemacht, dass Sie wissen wer ich bin LL: Ach ja, super. und was ist für Sie so typisch daran? BT: Äh:m dass: sie eigentlich täglich stattfindet (.) dass ä:h (2) ja, dass es eigentlich ä:h jeden Tag ist, also auch das ist in der ganzen Klinik wo man sich da einfach einfinden kann und ä:h (.) ja (.) es ist einfach das, was mir als erstes in den Sinn kommt, dass wir da zusammen sitzen und ja)
BT beschreibt das Zusammensitzen in der Einstiegsrunde als für sie typische Situation. Sie sei der Ort, an dem „man sich da einfach“ – sitzend – einfindet. In Abbildung 11 stellt sich der abbildende Bildproduzent NN in einem Sitzkreis dar:
Abbildung 11: „Icch i de Tagesklinik“ („Ich in der Tagesklinik“)
Quelle: Angefertigt von NN, erhoben von L. L. LL: A:h, was ist für Sie das Typische daran? NN: Mh, jo. @(.)@ also da:s (.) da- das mochet ma so (.) d:o. eigentlich am Meischte, oder (.) es isch so s=Wichtigschte für de Therapie, find icch LL: (3) Was meinen Sie genau mit das?
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NN: Jo des in de Gruppenä Sitzä und Rede @(.)@ (LL: A:h, was ist für Sie das Typische daran? NN: Mh, ja. @(.)@ also da:s (.) da- das machen wir so (.) d:a. eigentlich am Meisten, oder (1) es ist so das Wichtigste für die Therapie, finde ich LL: (3) Was meinen Sie genau mit das? NN: Ja, das in den Gruppen Sitzen und Reden @(.)@)
Auffallend ist hier, dass sich der abbildende Bildproduzent NN (angedeutet durch einen Pfeil) von hinten zeichnet, zudem weisen die schwarzen Gesichter darauf hin, dass es sich bei den drei anderen Personen um Unbekannte, Anonyme oder Gesichtslose, ein nicht an bestimmte Personen gebundenes „Wir“ handeln könnte. Planimetrisch kann die in zwei- und dreifacher Zahl angefertigte Umkreisung des abgebildeten Sitzkreises herangezogen werden, um die Bedeutsamkeit der Konstellation hervorzuheben: Vordergründig – und das scheint NN in seiner Darstellung und im Rahmen seiner Aussagen (typisch sei das „Sitzen und Reden“ in der Tagesklinik) zu betonen, indem er ihn mehrfach kreisförmig umrandet – ist der Sitzkreis, in welchen er sich in seinem Bild „Ich in der Tagesklinik“ selbst zeichnet, von den Bildrezpient_innen abgewandt darstellerisch positioniert. Dies kann als eine Grenze bzw. als doppelter und dreifacher Schutz interpretiert werden. Die im Rahmen der Gruppendiskussion gewählten Eingangssituation, in welcher für die Anzahl der Personen zu wenige Stühle vorhanden waren (drei Stühle für fünf Personen inklusive der Untersuchungsleiterin), erfährt von den teilnehmenden Patient_innen eine Behandlung, die schlussendlich in der Formierung eines Sitzkreises unter Hinzunahme zwei weiterer, gleichartiger Stühle aus dem gegenüberliegenden Teamraum resultiert. Zur Veranschaulichung ist die Ausgangssituation (I) sowie die folgenden Raumbewegungen, die in die Bildung des Sitzkreises laufen, in Abbildung 18 (Anhang) dargestellt. Als erster der vier freiwillig Teilnehmenden (eine Beschreibung der Teilnehmer_innen befindet sich im Anhang in Tabelle 2) betritt CC den Raum, welchem RS, BR, ST und ich folgen. Etwa zum Zeitpunkt, an dem die ich den Raum betrete, tätigt der Teilnehmer CC die feststellende Aussage:
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CC: Do foäln jo d=Stüa:hl (CC: Da fehlen ja die Stühle)
Mit der Eingangssituation sind die Teilnehmer_innen mit einer ihnen ungewohnten Kon-Stellation konfrontiert: Sie befinden sich in einem Gruppenraum, welchen sie – üblicherweise mit zumeist zu einem Sitzkreis formierten Stühlen bestuhlt – als solchen nicht mehr wiedererkennen. Nicht die Gegenwart dreier Stühle, sondern das Fehlen von zweien steht im Vordergrund, was sich in der Aussage von CC verdeutlicht: Aufgrund seiner Selbstverständlichkeit wird der Stuhl zunächst als transparent erlebt. Fehlt er, so bewirkt es, dass er auffällt, dass er seine Transparenz verliert und an Materialität gewinnt. Als bedeutsam erscheint in diesem Bezug meine Feldbeobachtung, die sich während des Wartens auf eine Interviewpartnerin ereignet. Dabei treffe ich auf die Reinigungsdame HH und unterhalte mich mit dieser. HH merkt an, dass sie bezüglich der Stühle ein festes Prinzip habe: Stühle seien „ordentlich“ anzuordnen. Zudem würde HH Stühle oftmals als Hindernis erfahren, da diese bei der Bodenpflege im Weg stünden und deswegen verschoben, angehoben oder gestapelt werden müssten. Es scheint, als ob sich für HH die sich bei den Patient_innen andeutende Transparenz der Stühle täglich auflöst, wenn Stühle durch sie als Hindernis erfahren werden. Im Rahmen der Gruppendiskussion scheint RS das Resultat der Eingangssituation zu rekonstruieren zu versuchen, indem sie eine handlungsreflexive Frage an ihre Diskussionspartner_innen stellt, welche die Bevorzugung der Sitzhaltung gegenüber dem Stehen beleuchten soll. Es ist die Frage nach dem Warum, die den Suchscheinwerfer auf den selbstverständlichen Aspekt der Stühle zu richten versucht. Zunächst erklärt BR, welche sich während der Eingangssituation auf den Boden setzte als noch zu wenig Stühle vorhanden waren, dass sie „wirklich“ stehen wollte. Dass die Teilnehmer_innen die drei Stühle nicht in der Ecke „sein lassen konnten“, erklärt CC, indem er das Sitzen auf den Stühlen als eine „ergonomische Position bezeichnet“: RS: Aber wieso san mir ned olle gstande? Mir sind eigentlich in en Raum reinkommen BR:
˪ Ich han welle sto:h.
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˪ Und (.) jo. warum?
RS: BR:
˪ Ich han wirklich welle stoh und donn han i
mi am Bode RS:
˪ Weisch, sind nur drei Stühl do in der Ecke gstonde. Mir hättet do
chönne reinlaufe und die Stühl (.) dort sii loh (.) und wir machet des im Stehe.
CC: Äh, also ich glaube de Stuhl isch eine ergonomische Position. oder? und du: (.) also zum Bode: (.) ä:h Bode sitze (.) oder @(.)@ für mich isch ned ergonomisch (RS: Aber wieso sind wir nicht alle gestanden? Wir sind eigentlich in den Raum reingekommen BR:
˪ Ich wollte stehen. ˪ Und (.) ja. warum?
RS: BR:
˪ Ich wollte wirklich stehen und
dann hab ich mich am Boden RS:
˪ Weißt du, sind nur drei Stühle da in der Ecke gestanden.
Wir hätten da reinlaufen können und die Stühle (.) dort sein lassen (.) und wir machen das im Stehen.
CC: Äh, also ich glaube der Stuhl ist eine ergonomische Position. oder? und du: (.) also zum Boden: (.) ä:h Bode sitzen (.) oder @(.)@ für mich ist das nicht ergonomisch)
Im folgenden, nicht abgedruckten, Verlauf der Gruppendiskussion eröffnete sich ein Diskurs über Ergonomie, die – als Disziplin zwischen der Natur des menschlichen Körpers und dem Handwerk mobiliarer Anfertigungen vermittelnd – selbst als Natürlichkeit aufgefasst wurde. Sitzen auf Stühlen sei natürlich, weil ergonomisch. Dies ist vor allem unter Einbezug der historischen Entwicklung der ergonomischen Fachdisziplin, welche im Rahmen der theoretischen Kontextualisierung skizziert wurde, bemerkenswert. Sie entwickelt sich, um eine räumlich und zeitlich optimale Anpassungsleistung (Schmidtke, 1993) von Gegenständen an den menschlichen Körper in der Verschränkung von Natur und Kultur zu vollziehen. Ergonomie – und damit auch ergonomische Produkte – sind jedoch kulturell, werden allerdings zumeist als der menschlichen Natur entspringend und damit dieser entsprechend aufgefasst. Sie sind aber von vornherein nicht natürlich, sondern sozial konstruiertes Artefakt. Auch das Sitzen auf dem Stuhl – eine „Kulturschöpfung höchsten Ranges“ (Eickhoff, 1993, S. 12) – erscheint jedoch dem Menschen als natürlich und gewöhnlich.
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Im Zuge der Interviews lässt sich die Wahrnehmung des Sitzens als Selbstverständlichkeit auch auf Seiten der Behandler_innen aufzeigen. Für die Begründung einer vermeintlichen Selbstverständlichkeit des Sitzens stellen auch sie Bezüge zur „Natürlichkeit des Sitzens“ her. Des Weiteren bedienen sie sich des Verweises auf kulturelle Überformungen, den Zweck zur körperlichen Ruhigstellung und der Alltäglichkeit menschlichen Sitzens. SA: Ha mi a nu nia wahnsinnig damit befasst, ich sitze eifach @(.)@ (SA: Habe mich auch noch nie wahnsinnig damit befasst, ich sitze einfach @(.)@) SA: I glaub scho, dass mas wohl am Meischte macht @(1)@ wir sitze wirklich wahnsinnig viel. scho. und ja:: (.) zwangsmäßig hätts a große Bedü:tig. (SA: Ich glaube schon, dass man es wohl am Meisten macht @(1)@ wir sitzen wirklich wahnsinnig viel. scho. und ja:: (.) zwangsmäßig hat es eine große Bedeutung.) SA: Ich denk zum sich:: Wohlfühle? (2) aber au zum sich chönne (.) jo (.) beque:m mache (.) au während eina:: Besprechig oder während ina Therapie oder so (1) ma ka sich doch ganz verschi:ede uf so ina Stua::hl: (1) heresetza dass eu wohl isch und bequem isch. dass ma cho entspanne sitzend. (2) würd i säge. (SA: Ich denke zum sich Wohlfühlen? (2) aber auch zum sich können (.) ja (.) bequem machen (.) auch während einer Besprechung oder während einer Therapie oder so (1) man kann sich doch ganz verschieden auf so einem Stuhl (1) hinsetzen, dass einem wohl ist und bequem ist. dass man so entspannen kann sitzend (2) würde ich sagen.) MO: Also es werdet schon die meischte Gruppä außer jetzt Bewegungsgruppä werdet in der Tagesklinik im Sitze durchgführt. Des is schon (.) jo (.) meh oder weniger (1) würd jetzt mal sagen achtzig Prozent oder so (.) oder mehr (.) von der Arbeit oder au Therapie findet im Sitze statt. Schätzungsweise, könnt au siebzig Prozent sein (2) nei doch achtzig achtzig. und ä:hm (.) ja die erschte Handlig am Morge isch
jo eh immer (.) also:: (.) mal in Bürostuhl (.) reinfallen lassen und die erste Sache
am Tisch, Schreibtisch erledige, bei de meischte. und jo, donn denk ich (1) der Stuhl
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isch jo schon elementar (2) im Büro oba au in die Grupperäume im Rapport donn erschtmal.
MO, der als fallführende Pflegefachperson in der Akuttagesklinik arbeitet, schätzt ein, dass etwa achtzig Prozent seiner Aktivitäten im Sitzen stattfinden. Morgens sei zudem das in-den-Stuhl-fallen-Lassen zumeist die erste Handlung an einem Arbeitstag. Weiters nennt MO den – in den meisten Fällen am Morgen stattfindenden – Rapport, zu welchem sich alle anwesenden Mitglieder des Teams im größten Gruppenraum, welcher mit etwa fünfunddreißig Stühlen um einen großen – einer Tafel ähnelnden – Tisch ausgestattet ist, einfinden. Die Psychologin TA antwortet auf die Frage warum das Sitzen von alltäglich großer Bedeutung ist: TA: Ho! Guate Froge (.) sicher Entsponnig, Erholig (.) mol so pffff, obsitze (.) ich sitz zu Hause wenig (.) und wonn donn jetzt so, obsitze. ich sitze do:h recht via:hl (.) ich merck au am Obig, hu, Bewegigsdrong und ich find au ich muss jetzt die drü Haltestelle nu heimlaufe (.) so han i (.) so bim schoffe wonn i beim Pult sitz natürlich (.) icch chonn ma au nöd vorstelle mit meine Patientä die G=spräch im Stoh z=machä (TA: Ho! Gute Frage (.) sicher Enstspannung, Erholung (.) mal so pffff, absitzen (.) ich sitze zu Hause wenig (.) und wenn dann jetzt so, absitzen. ich sitze da recht viel (.) ich merke auch am Abend, hu, Bewegungsdrang und ich finde auch ich muss jetzt die drei Haltestellen noch heimlaufen (.) so hab ich (.) so beim Arbeiten, wenn ich beim Pult ((Anm.: Schreibtisch)) sitze natürlich (.) ich kann mir auch nicht vorstellen mit meinen Patienten die Gespräche im Stehen zu machen) CI: Äh:mm (2) des isch a soo vielliicht isch Muschter wo wo mir ois Mönsch wie mäh benützät z=sitzä. ufm Stuahll. Oba i denkä der Mönsch isch jo ursprünglich om Loufä oder wänn Sitzä, donn am Bode (.) jo (.) des isch so nä ä:h hützutog (.) isch mas au eifoch gwöhnt, obzsitzä uff an Stuahll. (CI: Äh:mm (2) das ist auch so vielleicht das Muster wo wo wir als Mensch wie wir benützen das Sitzen. auf dem Stuhl. aber ich denke der Mensch ist ja ursprünglich am Laufen oder wenn Sitzen, dann auf dem Boden (.) ja (.) das ist so eine ä:h heutzutage (.) is man es auch einfach gewöhnt, das Niedersetzen auf einem Stuhl)
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Die Psychiatrie kann in Gegenwart der Selbstverständlichkeit und Häufigkeit des Sitzens als Sitzgesellschaft bezeichnet werden. Innerhalb dieser versammelt sich eine Vielzahl an Sitzgesellschaften unterschiedlichster Couleur. Diese Sitzgesellschaften variieren in ihrem zeitlichen Bestehen, ihrer Größe (von einer Person bis zu einer Großgruppe von mehr als fünfundzwanzig Personen) und nehmen unterschiedliche Formen an. Diese sind: der Sitzkreis, das Sitzen bei Tisch, das Sitzen am Schreibtisch, das Gegenübersitzen (frontal bzw. in einem etwas geöffneten Winkel zueinander), das Nebeneinandersitzen und das Alleine-Sitzen. In der Betrachtung der psychiatrischen Sitzgesellschaft zeigen sich zwischen Patient_innen und Behandler_innen einige Unterschiede. So verwenden beispielsweise ausschließlich Behandler_innen einen Teil der Zeit, die sie am Ort der Psychiatrie verbringen, um in ihren Büros am Schreibtisch sitzend Dokumentationen und Berichte zu schreiben, interne und externe Kommunikationsarbeit zu leisten sowie Gruppen- und Einzeltherapien vor- und nachzubereiten. Die Sitzgesellschaft der Psychiatrie als Ganzes trägt ein therapeutisches Handlungsmotiv, das Behandler_innen und Patient_innen am Ort der Psychiatrie einfinden lässt, um in der Formung spezieller Sitzgesellschaften, die als solche um das therapeutische Ziel konzentrisch kreisen, zusammenzuwirken. Sitzgesellschaften, denen beinah ausschließlich Patient_innen angehören, sind solche, die sich in den Handlungskontexten des Wartens bzw. des Aufenthaltens formieren. Begrifflich werden diese insofern unterschieden, dass unter „Warten“ eine Handlung verstanden wird, die sich vor Eintreten des erwarteten Ereignisses (i. S. von „Warten auf X“) vollzieht, wohingegen unter „Aufenthalten“ eine Tätigkeit verstanden wird, die sich weniger durch die Ausrichtung an ein spezifisches Ereignis auszeichnet als um ein Aufenthalten um der Tätigkeit Willen. Sitzgesellschaften des Wartens und des Aufenthaltens drücken sich potentiell in allen eingangs genannten Formen aus, wenn sie sich in Zusammenhang mit und in Abhängigkeit von anderen Sitzgesellschaften bilden. So halten sich Patient_innen eigens als solchen titulierten „Aufenthaltsbereich“ auf, um dort z.B. Zeitung zu lesen, den PC der Tagesklinik zu nutzen, Gespräche mit Mitpatient_innen zu führen oder Kaffee zu trinken. Diesen Tätigkeiten gehen sie auch nach, wenn diese auf Gruppentherapien, Einzelgespräche, etc. warten. Auch Behandler_innen warten, jedoch scheint es, als würden sie dies weniger häufig als Patient_innen tun. So warten Behandler_innen bei-
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spielsweise auf Kolleg_innen zur Besprechung, oder – im Rahmen ihrer Leiter_innenfunktion bei Gruppen- oder Einzeltherapien – auf das Eintreffen von Patient_innen bzw. weiteren Behandler_innen. Ein besonderer Begriff, der sich im Zusammenhang mit den Sitzgesellschaften als von Bedeutung erweist, ist das Setting. Es wird im Rahmen gegenwärtiger Darstellungen als die dem jeweiligen Handlungskontext (therapeutisch, privat, fachlich, usw.) angepasste Konstellation von Raum(Raumgröße, Einrichtungsgegenstände, Material), Zeit- (Dauer) und Inklusionsfaktoren (Rolle, Beziehung) verstanden und ist damit eine spezifische Ausprägung der Handlungsmotive, in der sich Formen von Sitzgesellschaften begründen. Die Gesellschaftsformen können – wenn auch vorwiegend von den Behandler_innen – aufgelöst werden bzw. fließend ineinander übergehen, z.B. wird vom Rapport aufgestanden, um gemeinsam vor Beginn der Einstiegsrunde in der Küche zusammen zu sitzen und Kaffee zu trinken oder Patient_innen erheben sich vom Sitzkreis der Gruppentherapie, um sich in Büros mit Behandler_innen zu besprechen. Der Stuhl ist in der Akuttagesklinik 151 Mal vorhandenen und steht mit der Gegenüberstellung der Gesamtzahl von Patient_innen und Behandler_innen jeder Person in etwa dreifach zur Verfügung. Er gilt als selbstverständlich und entwickelt damit eine raumgreifende Intervention, deren Bedeutungsstruktur sich den Akteur_innen innerhalb von psychiatrischen Sitzgesellschaften entzieht. Werden Behandler_innen mit der Frage nach den Auswirkungen eines plötzlichen Fehlens aller Stühle konfrontiert, so fällt auf, dass sich der Fokus vordergründig auf eine Wiederherstellung sitzgesellschaftlicher Ordnung richtet. In den Interviews kommt vor allem zur Sprache, dass es bei einem Fehlen aller Stühle darum gehe, die Ursache des Fehlens der Stühle zu ergründen bzw. neue Stühle anzuschaffen. In der paradoxen, hypothetischen Situation scheint es, als wären es die Behandler_innen, welche die Rolle der Verantwortlichen zur Wiederherstellung der Sitzgesellschaft übernehmen würden: sie müssen aktiv werden, um die Stühle als Grundlage therapeutischen Arbeitens wieder zu organisieren und zugleich für die Patient_innen einen alternativen Rahmen schaffen. Zudem zeigt sich, dass das Fehlen der Stühle in den Einschätzungen der Behandler_innen auch weittragende Auswirkungen auf die Beziehung zu den Patient_innen, den Tagesablauf sowie therapeutische Interventionsmöglichkeiten haben könnte.
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MO: @(.)@ Ä:hm. Phu (2) ä:hm es würd ersch mal für Überraschung sorge @(.)@ natürlich (1) ä:hm ä:hm es würd sicher alle ersch Mal aktiviere (.) in dem Sinn dass erschtmal alle (.) ä:hm (.) Räume abgeklappert werden und wo die Stühle dann sind wahrscheinlich? SA: Oh. (.) Zersch gäb=s mal ziemliche Unruah (.) han its Gfühl (.) alle würdet suacha und sage des gits doch nit, des chönnts ned mache? (7) Wi::l dort z=schaffe ohne Stuahl is biz schwierig. (5) jo, i glaub es gäb a chline Revolution (.) @(.)@ ma chonn sie au nit wie do herebstelle und kai Sitzglegeheit o:bü::te zum Sitze. (SA: Oh. (.) Zuerst gäbe es einmal ziemliche Unruhe (.) hab ich das Gefühl (.) alle würden suchen und sagen das gibt es doch nicht, das könnt ihr nicht machen? (7) Wei:l dort zu arbeiten ohne Stühle ist ein wenig schwierig (5) ja, ich glaube es gäbe eine kleine Revolution (.) @(.)@ man kann sie ((Anm.: die Patient_innen)) auch nicht wie hier herbestellen und keine Sitzgelegenheit anbieten zum Sitzen.) TA: „Für die Patiente (5) Aha (1) ich denk jetzt grod zerscht on d=Patiente, aber eigentlich wär=s ah:m natürlich in der Sitzig am Morge s’großes Thema. ah:m (2) ind organisiere, wo nemma jetzt die Stüahl her?, des wär relativ g=schnell organisiert hon ichs Gfühl. //mhm// dass es wieder neue gäb, d=Patiente b=chämens unter Umständ gor nedt mit über. i denck in ana Stund wären die donn scho wieder do (.) oder mit liachta Verzögerig (2) Das würd ma ober donn sofort o:pocke (3) ma wü-
ars donn sehr humorvoll näh (.) do (.) bei uis.
(TA: Für die Patienten (5) Aha (1) ich denke jetzt grade zuerst an die Patienten, aber eigentlich wär es ah:m natürlich in der Sitzung am Morgen das große Thema. ah:m (2) und Organisieren, wo nehmen wir jetzt die Stühle her?, das wäre relativ schnell organisiert hab ich das Gefühl. //mhm// dass es wieder Neue gäbe, die Patienten bekämen es unter Umständen gar nicht mit. Ich denke in einer Stunde wären die dann schon wieder da. oder mit leichter Verzögerung (2) das würde man aber dann sofort anpacken (3) man würde es dann sehr humorvoll nehmen (.) do (.) bei uns.) LA: Würd ma nachgehen wieso diese gestohlen worden sind. (.) die Patienten werden sicher beängstigt sein, dass irgend jemand in die Klinik reingekommen ist (1) und die Stühle ent- (.) fernt hat ohne dass da andere davon Bescheid wissen. LL: Wie denkst du würd so a Klinikalltag ablaufen ohne Stühle?
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LA: Das wird kein normal Alltag sein, also ich nehm Mal stark an, dass es eine gemeinsame Gesprä:ch, also Besprechung mit den Patienten geben (.) müsste (.) ah:m (2) wenn ich, also ich beziehe das auf unser Alltag //mhm// wenn ich das jetzt so (1) äh:m, therapeutische Überlegungen, was wär wenn? oder experimentenmäßig, sondern im Alltag so halt und jetzt (1) ich würde eine Notfallsitzung mit den Patienten (.) äh:m (.) machen wollen (.) wo=s äh:m (.) also Notfall nicht //@(.)@// aber einfach, ä:h (.) je nachdem, was der Bedarf ist von den Menschen, ich würd auch auf Menschen zugehen und und und die gewünschte Antworten auf die (.) gewisse Fragen werden wahrscheinlich bestehen und di:e einfach leisten zu können. Dass da kein, kein (.) kein äh:m (1) angenommen is das gar nicht so (1) großes Thema für die Patienten (.) wenn das so ist, dann würd es dieses Gespräch nicht äh: (.) mh: geben, aber wenn der Bedarf dazu wäre, dann würd ich das gerne mit denen besprechen. Wie das für die ist. Ja
RO bezieht sich in seiner Einschätzung auf seine Tätigkeit als Psychoanalytiker in freier Praxis. Im folgenden schildert er die Auswirkungen, die sich für seine einzeltherapeutische Arbeit ergeben würden, wenn in der Praxis alle Stühle verschwunden wären. Seiner Ansicht nach wäre die Möglichkeit der Therapie bei Fehlen aller Stühle nicht gegeben. RO: Ä:h s=isch jo Olbtraum, oder? (.) für ä Analytiker. si:n Ruum isch äh (.) isch plötzlich nimma wia na muass sii oder?, wos mocht er?, oder? (.) ä oder? (.) ä:h (.) es wär a riesen Nervosität oder würd uusbrechä und d=Frog wos moch i jetzt? (.) guat, ma cho sagä ok, luaget Sie, das isch jetzt öppis äh (1) so (2) wies nöt (1) äh:m, wies nöt plant isch, mia mündt verschiabä (.) tut ma Leid oiso wia mündt verschiabä (.) ähm (.) ich muas das kläre mit de Stüahl, oder? (2) wonn gohts Ihnen?, oder? (.) und d=Agenda und a neue Termin oder (.) Dos wär da beschte Foll, oder? wo ma chönnt äh (1) containen oder dass ma eifoch nu auf de Patient cho fokussiere und dem (.) dem sine Bedürfniss oder äh (.) d=Abmachig äh (1) halten, oder? (.) jo. LL: Des heißt es wär goa ned möglich ohne Stühle irgendwie behondlerisch (.) wos z=mochn? RO: M m. LL: Des haßt ohne Stuhl ka Therapie? RO: Mhm. Mhm (.) nei unmöglich. (RO: Ä:h das ist ja Albtraum, oder? (.) für einen Analytiker. sein Raum ist äh (.) ist plötzlich nicht mehr wie er sin muss oder?, was macht er?, oder? (.) ä oder? (.) ä:h
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(.) es wäre eine riesen Nervosität oder würde ausbrechen und die Frage was mach ich jetzt? (.) gut, man kann sagen ok, schauen Sie, das ist jetzt etwas äh (1) so (2) wie es nicht (1) äh:m wie es nicht geplant ist, wir müssen verschieben (.) tut mir Leid also wir müssen verschieben (.) ähm (.) ich muss das klären mit den Stühlen, oder? (2) wann geht es Ihnen?, oder? (.) und die Agenda und einen neuen Termin oder (.) Das wäre der beste Fall, oder? wo man könnte äh (1) containen oder? dass man einfach noch auf den Patienten kann fokussieren und dem (.) dem seine Bedürfnisse oder äh (.) die Abmachung äh (1) halten, oder? (.) ja LL: Das heißt es wäre gar nicht möglich ohne Stühle? RO: M m. LL: Das heißt ohne Stühle keine Therapie? RO: Mhm. Mhm (.) nein unmöglich.)
Eine besondere Form der Sitzgesellschaft am Ort der Psychiatrie stellen Nicht-Sitzgesellschaften dar. Es handelt sich dabei um weniger häufig auftretende Gesellschaftsformen, die sich innerhalb der – der Psychiatrie immanenten – Sitzkultur formiert. Nicht-Sitzende beziehen sich im Rahmen der Nachbesprechung des Bildes bzw. in den Interviews auf das NichtSitzen, wenn sie sich in aktiver Distanzierung von der Sitzhaltung lösen. Abbildung 12: „Kreativ in der Tagesklinik“
Quelle: Angefertigt von EI, erhoben von L. L.
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EI: Also ic:h hon mir docht (.) doss i:ch ä:h (2) es isch eigentlich des mir Liabschte, des kreative Schoffä im Atelier (.) d=Hauptaktivit:ät, won icch versuach anfoch in da Togesklinick hon isch dass ic:h a chli akti:v bleib, weiterhin kreativ am Schaffä bin, ic:h ha mich jetz a grod on da Wand gsä:h, won icch is Bild am Mole bi (.) mit ä:h jo, abschtrakt Farbä. LL: A:h, molen Sie also meistens im Stehen? EI: Ä:h jo, eigentlich schon. au nöd immer, wia jetz grod holt, oba ä:h, mir dünkt=s ich hock susch scho recht viel. des hon i nu gern des Stoh und kreativ am Schaffe si:, mol uf de Fiass @(.)@ (EI: Also ich hab mir gedacht (.) dass ich ä:h (2) es ist eigentlich das mir Liebste, das kreative Arbeiten im Atelier (.) die Hauptaktivität, wo ich versuche einfach in der Tagesklinik einfach habe ist, dass ich ein wenig aktiv bleibe, weiterhin kreativ am Arbeiten bin, ich hab mich jetzt gerade an der Wand gesehen, wo ich das Bild am Malen bin (.) mit ä:h ja abstrakte Farben. LL: A:h, malen Sie also meistens im Stehen? EI: Ä:h ja, eigentlich schon. auch nicht immer, wie jetzt gerade halt, da bin ich ja gesessen, aber ä:h, mir scheint es ich sitze sonst schon recht viel. das hab ich noch gerne das Stehen und kreativ am Arbeiten sein, mal auf den Füßen @(.)@)
Aus seiner Erfahrung als stationärer Pfleger erzählt MO, dass im stationären psychiatrischen Bereich weniger gesessen wird. Dies erfahre er hier im teilstationären Bereich als „Nachteil“, da er sich selbst gerne bewege. Aus diesem Grund baue MO in seine Arbeit auch Gespräche im Spazierengehen ein oder integriert das gemeinsame Betrachten der durch die Patient_innen angefertigten Werke als etablierte Alternative zum Sitzen: MO: Mhm: (2) also hat ne große Bedeutung denk ich? Größer oder (.) die Bedeutung ((Anm.: des Sitzens)) is au größer als im stationäre Bereich (.) ä:hm (.) wo doch mehr herumglaufe wird ä:hm (1) in der Tagesklinik, des isch jo au was mi von Anfang an (.) oder sag ma mal so, es is der einzige kleine Nachteil, was ich an der Tagesklinik, an der Arbeit hier empfind, weil ich selber jemand bin, der sehr gern viel unterwegs isch (.) viel aktiv isch den Tag über und ä:hm (.) jo (3) äh:m (8) also ich denk für mich persönlich is so, dass ich viele Gespräche auch (.) oder, dass ich immer wieder au Gespräche einbau, die im Laufe stattfinde (.) im Spaziere geh draußen (.) oder halt so dass ma mit de Patiente heraumlauft im Atelier mit den Patienten schaue was sie da gstaltet händ, um bewusst au Bewegung reinzbringe (.) ä:hm (3)
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aber äbe die Frage war ja warum °oder°? Es halt in der Tagesklinik allgemein en große Stellenwert hat (3) hätt halt teilweise weniger in Stellewert in da Bewegungsoder äbe au in der Entspannungsgruppe (.) als Teil vo da Bewegungstherapie so.
Weiters merkt MO an, dass es je nach Gruppenangebot auch Unterschiede gäbe. So seien beispielsweise in der Entspannungsgruppe als Teil der Bewegungstherapie oder – welche MO im weiteren Interviewverlauf erwähnt – die Gruppe „Bewegung, Spiel und Sport“ nicht als Sitz-, sondern auch bewusst als Nicht-Sitzgesellschaften eingerichtet, um eine Abwechslung zum gewohnten Sitzen anzubieten. Innerhalb des weiteren Interviews mit der Bewegungstherapeutin CI und auch in weiteren Expert_inneninterviews zeigt sich, dass die Bewegungstherapie im Rahmen der psychiatrischen Sitzgesellschaft eine Außenseiterfunktion inne hat: Sie ist Ausdruck der Nicht-Sitzgesellschaft schlechthin. In Abgrenzung zu konventionellen sitzgesellschaftlichen Formaten bedient sich CI keines bzw. kaum des Stuhls. Sie habe „irgendwie zwei Stühle“ in ihrem Bewegungsraum: CI: Jetz hon i au grod dänkt, i ho i hob wie zwenig (.) irgendwie zwai Stüahll (.) a Ziit long, oiso won i ogfonga ho mine Vorgängerin hätt mäh mit de Stüahl gschofft (.) so zum Ofong (.) und ä:h i ha dee wie ussa, i ho die ussegstellt, des isch mine (.) Es isch au für, wenn du, weisch? i d=Bewegig cho, find i mängisch (.) ä:h hätts öppis hindernds a Stuahll (.) do bisch natürlich iigschränkt vom Bewegigsrodius (CI: Jetzt hab ich auch grade gedacht, ich hab wie zu wenige (.) irgendwie zwei Stühle (.) eine Zeit lang, also wo ich angefangen habe, meine Vorgängerin hat mehr mit den Stühlen gearbeitet (.) so zum Anfang und (.) ä:h ich hab die wie raus, ich hab die wie rausgestellt, das ist meine (.) es ist auch für, wenn du, weißt du? in die Bewegung kommen, finde ich manchmal (.) ä:h, hat es etwas Hinderndes, ein Stuhl (.) da bist du natürlich eingeschränkt vom Bewegungsradius)
Der Berufsalltag der Bewegungstherapeutin CI gestaltet sich durch die Gründung von Nicht-Sitzgesellschaften. Für sie ergebe sich – wie sich im Laufe des Interviews herauskristallisiert – dadurch der Vorteil, dass mit dem Nicht-Sitzen ein Berühren des ganzen Körpers möglich werde. Mit den Stühlen, so beschreibt sie es, sei eine Grenze gegeben, etwas, was „einen abhebt“. Im Sitzen, wo lediglich Beine, Füße und Fußsohle sowie
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die Arme frei beweglich seien, bleibt ein Teil des Körpers distanziert, wogegen sich mit dem Sitzen und dem Arbeiten am Boden multiple Berührungsebenen erschließen lassen würden. Manchmal, so erwähnt sie, merke CI, dass es zur Herstellung eines näheren, intimeren Kontakts „Boden braucht“. CI: D=Stuüähl hä a mängisch au öppis ä:hm (4) olso i hau gmärkt, wenn i schoffä mit Lüt mit (.) de, de wänn i märke sie bruchet Bodekontackt gong i liaberr eigentlich uf e Bode, würckli auf e Bode olls uf am a Stuahll. wöll d=Verbindig häsch schneiuer (.) aus über änä Stuahll. de Stuul is immer öppis, wo de tüpft (.) wo di obhebt und a chli entfernt. (CI: Die Stühle haben manchmal auch etwas ä:hm (4) also ich habe gemerkt, wenn ich arbeite mit Leuten mit (.) die die, die wenn ich merke sie brauchen Bodenkontakt gehe ich lieber eigentlich auf den Boden, wirklich auf den Boden als auf einen Stuhl. weil die Verbindung hast du schneller (.) aus über einen Stuhl. der Stuhl ist immer etwas, das dich tüpft ((Anmerkung: i.S. von „erhöhen“)) (.) was dich abhebt und ein wenig entfernt.)
Auffallend ist, dass sich Sitzgesellschaften von Nicht-Sitzgesellschaften vor allem auch in den Bedeutungskonstituierungen über den Boden unterscheiden: Bildet das Sitzen auf dem Boden beziehungsweise auf dünnen Matten im Rahmen der Bewegungstherapie einen wesentlichen Bestandteil der therapeutischen Arbeit und wird dies auch von Patient_innen als positiv erlebt, so vergegenwärtigen Behandler_innen und Patient_innen gleichermaßen einen kulturell geprägten Hygiene-Diskurs, der das Sitzen auf dem Boden als schmutzig und „unanständig“ erscheinen lässt und insgesamt mit Assoziationen sozialer Abwertung in Verbindung gebracht wird. TA: Ich kenn=s vor allem vo Reisen her sehr wohl die Unterschiad (.) doss ma au guat und gärn au mal am Bode sitzt (.) au ein olter Mo:h am Bode sitzt oder obehu:uret und doss es nüt chomisches isch und wonn ma do ((Anm.: in der Schweiz)) am Bode sitzt donn isch ma grod a Clochard LL: Wos denkst du woher kommt des? TA: Guate Frog (3) mit zivilisierter z=tua, d=Hygienefrog
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(TA: ich kenn es vor allem von Reisen her sehr wohl die Unterschiede (.) dass man auch gut und gern auch mal am Boden sitzt (.) auch ein alter Mann am Boden sitzt oder sich runtersetzt und dass es nicht komisch ist und wenn man da ((Anm.: in der Schweiz)) am Boden sitzt, dann ist man gerade ein Clochard ((Anm.: i. S. von Bettler_in, Obdachlose_r)) LL: Was denkst du woher kommt das? TA: Gute Frage (3) mit zivilisierter zu Tun, die Hygienefrage)
Im Rahmen der Besprechung der Auswirkungen fehlender Stühle und der weiteren Vorgehensweise in dieser Situation erläutert zudem die Ärztin LA: LA: Ä:h:m (1) ich hab mir überlegt wo du gesagt hast (.) am Boden find ich das nicht (1) okay, ich würde die Stühle in einem Kreis (.) äh, die Stühle (.) gibt=s nicht, aber die Tische. die würd ich im Kreis stellen eventuell und (.) ohne Tische dazwischen (1) und äh eventuell die Leute auf den Tischen sitzen lassen. ja (.) würd i so machen. dass wir auf der gleichen Ebene sind, aber doch äh:, dass wir diesen Stütz von denn Ellbo- also von äh, vo de Knie haben, dass wir sozusagen sitzen (.) würde ma schon machen können, auch unter diesen Umständen oder (.) äh:m (2) also doch. vielleicht auch Einzelgespräche, vielleicht wo ich gedacht hab vielleicht nicht in meinem Büro unbedingt, dass wir das machen können, aber wo anderst, dass ma so gegenüber äh: versucht auf einem Tisch do gegenüber zu sitzen oder °so halt° auf einem Tisch vielleicht sitzt gegenüber, aber nicht auf dem Boden, auf dem Boden nicht. LL: Was is so (.) warum der Boden gar nicht? Was (.) was schließt den so aus? LA: (5) Ähm: (5) e- erstens is es schmutzig @(.)@ nein, aber ich finde, dass äh:m (2) das kann ich gefühlsmäßig nicht so klar beantworten, aber ich finde das braucht gewisse Distanz vom Boden her. (2) bis man ehm (.) so räumliche Distanz vor allem ((deutet mit der Handfläche nach unten und im rechten Winkel abgewinkeltem Handgelenk einen Abstand von etwa 70 cm zum Boden an)) LL: Also eine Erhöhung? LA:
˪ Ja genau.
LL: Und würd da ne Matte zum Beispiel was verändern oder wär das dann noch zu nah am Boden? LA: Also bei der Bewegungstherapie is es ein (.) äh:m Alltag. also das könnte man sich vorstellen (4) also wenn auch die Tische jetzt verschwinden würden @(3)@
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LL:
˪ Das wär
jetzt fies von mir @(1)@ LA: Ja, aber äh::m::: eher nicht. also ich würde sogar die Matten zusammenfalten und dann als als Hocker benutzen.
Nach Thoenes, Lazar, Huck & Miehlich (2004) sei trotz der Leistungen von Böden für Natur und Kultur in westlich-kulturell geprägten Gesellschaften das Bewusstsein über die Bedeutungsvielfalt und Relevanz des Bodens wenig vorhanden. Bedeutungskonstituierungen, die mit dem Begriff des Bodens evolvieren, „reichen vom Fußboden in der Wohnung zu Boden als Baugrund und Boden als Voraussetzung für das Wachstum von Pflanzen und die Produktion von Lebensmitteln bis zur Gleichsetzung von Boden mit Schmutz“. Vorwiegend seien es negative Assoziationen, die mit Böden in Verbindung gebracht werden. So würde auch gereinigtem, sauberem Boden „im Unterschied zu den Umweltmedien Luft und Wasser […]das Image an[lasten], abgewaschen werden zu müssen“. In der Aussage von LA erhält zudem die alltagskulturell zu beobachtende Begegnung von Boden und Mensch an Gestalt, wenn diese sich statt des Sitzens auf dem Boden eines erhöhenden, den Menschen von ihm distanzierenden Gegenstandes bedient, dessen erhöhende Eigenschaft sie durch die Faltung der Matte auf die Spitze treibt. Die Matte materialisiert sich zum Hocker, einem Verwandten des Stuhls, der die westlich-kulturelle Erhöhungs- und Distanzierungstendenz vom „schmutzigen“ Boden zum Ausdruck bringt. Einen Hinweis auf die kulturelle Prägung dieser Bedeutungszusammenhänge gibt die Patientin BR, wenn sie in der Gruppendiskussion diesbezüglich ein Beispiel aus der Kindererziehung zum aufrechten, „anständigen“ Sitzen aufgreift: BR: Jo und jetzt numal zu de Chind, mir saget jo zu de Chind ned am Bode hocke und u:f de Stuahl hocke, hock di o:ständig herre (.) und äh (.) also, mocht des Chind dos a so (.) nur so wi:l ma=s vo ihm verlongt. (.) jo. ufm Stuahl sitzt ma sicher onständiger als am Bode. (2) also wenn ma jetz würet am Bode (.) hocke wür die einte liege, die ondere würet, oiso d=Holtig wär gonz ondersch (.) am Bode. wär ehner so (.) lege:re oder irgendwia so (1) ufm Stuah:l sitzt ma immer so chli oständig (.) sonst so: legere CC:
˪ genau genau. äbe (1) das isch ja, äh (.) da gib i dir Recht, der Stuhl,
wir sage wir tun schön a:hocke. wir tun richtig sitzen.
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(BR: Ja und jetzt noch einmal zu den Kindern, wir sagen ja zu den Kindern nicht am Boden setzen und auf den Stuhl setzen, setz dich anständig hin (.) und äh (.) also, macht das Kind das auch so (.) nur so, weil man es von ihm verlangt. ja. auf dem Stuhl sitzt man sicher anständiger als am Boden. (2) also wenn man jetzt würde am Boden (.) sitzen, würden die einen liegen, die anderen würden, also die Haltung wäre ganz anders (.) am Boden. wäre eher so (.) legere oder irgendwie so (1) auf dem
Stuhl sitzt man immer so ein wenig anständig (.) sonst so: legere CC:
˪ genau genau. eben
(1) das ist ja, äh (.) da gebe ich dir Recht, der Stuhl, wir sagen wir tun schön sitzen. wir tun richtig sitzen.)
In Zusammenhang mit der Beleuchtung der Bedeutungskonstituierungen des Bodens als Sitzgelegenheit sei zudem eine Besonderheit erwähnt, die sich mit der Wahl des Erhebungsortes im schweizerdeutschen Sprachraum ergibt. Das Hocken, das in der Heranziehung des Deutschen Wörterbuchs Duden (2014) im Standarddeutschen vor allem als „zusammengeduckt sitzen; auf einer niedrigen Sitzgelegenheit“ bedeute und etymologisch nach Seebold (1970) auf Kauern, gekrümmt Gehen, Kriechen und SichZusammenziehen zurückzuführen sei, wird im Schweizerdeutschen unter Einbezug theoretischer Querverweise mit „sitzen“ synonymisch verwendet (Lötscher, 1983). Dies sei darauf zurückzuführen, dass sich in der Fortentwicklung des Schweizerdeutschen nicht nur der Lautstand, der im Alemannischen wurzelt, kaum verändert habe, sondern von Sprecher_innen auch Bezeichnungen weiterverwendet werden würden, deren Bezeichnetes sich (zum Beispiel mit der Entwicklung des Hockens zum Sitzen) im Laufe der Zeit als solches gewandelt hat. Somit hat auch das „Hocken“ in seiner begrifflichen Auffassung im Schweizerdeutschen eine Erhöhung erfahren.
4.2 „ANLEHNEN UND FALLEN LASSEN “: D IE E RFAHRUNG DES S ITZENS ALS HYBRIDE V ERBINDUNG VON M ENSCH UND S TUHL Der Stuhl ist zunächst Gegenstand, ein Mobiliar, das sich vor allem durch eine Sitzfläche mit Rückenlehne auf – zumeist vier bzw. mehr oder weniger – Beinen auszeichnet. Am Ort der Psychiatrie erscheint der Stuhl gegen-
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sätzlich zu monumentalen Objekten, wie es in der Akuttagesklinik zum Beispiel der Kaffeevollautomat in der Patient_innenküche oder der Tischtennistisch sind, als transparenter, selbstverständlicher Gegenstand, dessen Bedeutung und Relevanz für den tagesklinischen Alltag zunächst unsichtbar bleibt. Menschen, die sich am Ort der Psychiatrie befinden, gehen mit dem Stuhl eine hybride Verbindung ein. Als solcher ist er eine wesentliche Erweiterung des menschlichen Handlungsradius, wenn er ihnen – dabei ist vor allem von Patient_innen die Rede – Stütze, Schutz und Schild ist. Dabei kommt der Rückenlehne eine besondere Bedeutung zu. Des Weiteren ist der Stuhl für manche Patient_innen wie auch Behandler_innen individuelles Stück und Ausdruck der Persönlichkeit. In diesen hybriden Erscheinungsformen verbinden sich – wie es Yvonne Spielmann (2010, S. 24) für die Eigenschaft des Hybriden beschreibt – Stuhl und Mensch „zu einem einzigen Wesen“: die_den Sitzenden. Das Spezifische an der Mensch-Stuhl-Verbindung ist eine Umgestaltung des menschlichen Handlungsradius. Der Stuhl trägt das Gewicht der_des Sitzenden, schützt sie_ihn durch die Lehne von hinten, ermöglicht es ihr_ihm, sich darin „fallen zu lassen“, darin „hinein zu versinken“, sich daran anzulehnen, abzustützen, auf ihm scheinbar Unerträgliches zu ertragen und sich durch ihn sich in ihrer_seiner Individualität und ihrem_seinem Stil auszudrücken. Hybridisierung meint zum einen die Kombination von Stuhl und Mensch, welche in Heranziehung von Yvonne Spielmann (2010) als solche – ungeachtet ihrer Verknüpfung – eine Eigenständigkeit bzw. Unabhängigkeit bewahren: Der Stuhl ist zwar als materieller Gegenstand – sowohl als ebenerdige Fläche als auch als Gefäß, das den Menschen aufnimmt – ablösbar von den jeweiligen Körpern, die auf ihm sitzen, dennoch ist er als eine Komponente mehr als das; er ist zudem Ort, Schutz und Ausdruck von einem (bestimmten) Körper und Menschen. Was den sitzenden Menschen ausmacht, ist somit jene Kombination und Vermischung gegenständlicher und körperlicher Fragmente. CC: Weisch, du hoksch auf ane Stuhl mit (.) ä:h (.) Lehne (1) isch öppis anderes als wenn du hoksch auf eine Stuhl ohne Lehne. äh, isch anderscht, weischt, was ich meine? Zum de Kontakt ha mit dem Rückä (.) so eini Stüzte, de Stuahl isch ä:h (.) Gerät ä:h für de Chörper (.) zum sitze, gebe dir Sicherheit glaub ich
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(CC: Weißt du, du sitzt auf einem Stuhl mit (.) ä:h (.) Lehne (1) das ist etwas anderes als wenn du auf einem Stuhl ohne Lehne sitzt. äh, ist anders, weißt du, was ich meine? Zum den Kontakt haben mit dem Rücken (.) so eine Stütze, der Stuhl ist ä:h (.) Gerät ä:h für den Körper (.) zum Sitzen, gibt dir Sicherheit glaub ich)
CC bezeichnet den Stuhl, welchen die Formgebung mit Lehne auszeichnet, als Gerät. Die hybride Verbindung zwischen Stuhl und Mensch ist ein Teilphänomen der anthropologischen Konstante der Instrumentalisierung, d.h. der Hinzuziehung von Geräten aus der Umwelt zur Erweiterung der Handlungsmöglichkeiten des Menschen. Sein Gebrauch zeichnet sich aus durch ein „Gefühl des Verwachsens mit dem Gerät zu einer phänomenalen LeibWerkzeug-Einheit“ (Plessner, 1975, S. 322): Der Mensch wird im Setzen zur_zum Sitzenden. Als Instrument ist der Stuhl Erweiterung und erweiterte Geste des Menschen und Ausdruck von einem „Eigensinn“ (Breuer, 2013). Als einer der in den Vordergrund tretenden Aspekte der Hybridisierung und der damit in Verbindung stehenden automatischen Aneignung einer Strategie präsentiert sich der Stuhl als eine mediale Komponente symbolischer Zuschreibenden („Sicherheit“, „Stütze“), die mit dem Stuhl in Zusammenhang stehen. In seiner Besetzung erhält der Stuhl Bedeutung, der Stuhl wird im Sitzen und Sich-Setzen zum festen Bestandteil menschlicher Körperarbeit und -haltung. Durch die Robustheit des Materials kann der Mensch vollständig getragen werden, seine Beine erfahren eine nahezu vollständige Entlastung und erlauben diesen Spielraum, damit ist der Stuhl sozusagen auch ein Werkzeug und „Gerät“. Als solches steht der Stuhl zwar „für sich“ und wirkt in seiner Beschaffenheit stabil, er findet – in der Sprechart von Helmuth Plessner (1975) – jedoch jenes nicht in sich, das ihn zu einer Stütze macht. Die Sitzhaltung macht den Stuhl zum Versteck und zum Aufenthaltsort des Menschen, und der rechte Winkel, den Sitzfläche und Lehne bilden, machen den Stuhl zu einem Unterschlupf, einem „Schlupfwinkel“ (Eickhoff, 1993). Scheint es zunächst, als ob es vor allem Patient_innen seien, welche der schützenden Dimension des Stuhls eine große Bedeutung zuschreiben, wenn dieser ihnen unter anderem genau dann Stütze, Unterbau und Schild ist, wenn diese sich – physisch wie auch psychisch – nicht mehr halten können, so sind es auch Behandler_innen, welche im Rahmen der Inter-
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views der schützenden Komponente der Stuhl-Mensch-Verbindung Zuwendung schenken. So beschreibt die Bewegungstherapeutin CI, die in ihrem Bewegungsraum nur wenige Sitzgelegenheiten eingerichtet hat, diese Schutzfunktion des Stuhls wie folgt: CI: Ja, o ja wir reden au vom Schutz, i denck de Stuuhl hätt ou öppis eifoch aus Schutz (3) fühlscht di wie so chli hach, moal Obsitzä (2) des ghörsch jo au wonn
d=Lüt zum Biispiel bi mir in Ruum inne chömme, hon i äbe kaine Stüahl @(.)@ und do chömmet si innä, grod die wo neu s:i und maischtens hockä sie irgendwo in d=Nischäne (.) oder aufs Bänckli ich ho nu so is chlis Bänckli ((Anm.: CI hat im Bewegungsraum eine etwa 50 cm breite Bank, welche vor allem für das An- und Ausziehen von Schuhen dort positioniert ist)) (CI: Ja, o ja wir reden auch vom Schutz, ich denke der Stuhl hat auch etwas aus Schutz (3) fühlst du dich wie so ein wenig hach, mal Absitzen (2) das hörst du ja auch wenn die Leute zum Beispiel bei mir im Raum herein kommen, hab ich aber eben keine Stühle @(.)@ und dann kommen sie herein, gerade die neu sind und meistens sitzen sie irgendwo in der Nische (.) oder auf die Bank, ich habe noch so eine kleine Bank ((Anm.: CI hat im Bewegungsraum eine etwa 50 cm breite Bank, welche vor allem für das An- und Ausziehen von Schuhen dort positioniert ist))
Mit dem Stuhl gelingt dem Menschen die „spezifische Anpassung an die objektive Welt“ (Plessner, 1975, S. 322). Der Stuhl ist stützend und deckt vor allem das Sicherheitsbedürfnis, eine anthropologische Konstante, die Menschen im dia- wie auch synchronen Zeitverlauf begleitet, ab. Zudem könne der Mensch mit Kant (zitiert nach Böhringer, 2011, S. 229) als „krummes Holz“ bezeichnet werden. Der Mensch sei nicht gerade und aufrecht, sondern schief und darum anlehnungsbedürftig. Menschen richteten sich auf, überlisteten die Steilheit in der Schieflage, in der sie sich aufrichten und einrichten. Sie selbst sind schräg, nicht im Gleichgewicht mit sich selbst, nicht in sich selbst ständig. Mit ihren Neigungen und Zuneigungen lehnen sie sich irgendwo an. Sie brauchen Halt für ihre Schräge. Werden sie sich ihrer Schieflage bewusst, verstärkt sich das Sicherheitsbedürfnis. (Böhringer, 2011, S. 229)
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Die Bewegungstherapeutin CI beschreibt für Frauen aus dem Balkan, welche Kriegserfahrungen gemacht haben, dass für diese das raumordnende Instrument des Stuhls auch im Bewegungsraum, in welchem lediglich zwei Stühle vorhanden sind, von wesentlicher Bedeutung ist. Sind keine oder kaum Stühle vorhanden, so wird für diese ein Supplement geschaffen. Die Nische ersetzt die wesentlichen Merkmale des Stuhls. Die leichte Erhöhung der Wandnische dient als Sitzfläche und die Wand dient als Lehne. Die Nische ist somit ein Supplement der hybriden Stuhl-Mensch-Prothese, um die sitzende Ordnung, die Sicherheit bietet, wieder herzustellen: CI: Aber äbe (.) des is nu chli scho nu (.) de Stuhl so is Thema (.) won ich goar net so uuf de (.) uuf de Stüahl schoff @(.)@ mhm (3) die ausm Bolckan (.) so Frauä chömme mir so Büilder, wo holt au de Chriag hei miterläbt (2) die sind meischtens äh:m (.) suachet sii sichs immer a Wond (.) im Rückä (.) also die düa au meischtens (.) da Ruum (.) ä:h au wenn im ne Chreis mochä dü sie de Chreis sich so veränderä dass im eifach ä:h äbe a Wond im Rückä hei und des isch für die sähr wichtig. oder die hocket au meischtens in die Nischäne inne und bliebe wie det die Stund (.) isch gonz wichtig eifoch so die Sicherheit, so a Schild a nu z=ho. (CI: Aber eben (.) das ist schon noch (.) der Stuhl ist so ein Thema (.) wenn ich gar nicht so auf den Stühlen arbeite @(.)@ mhm (3) die aus dem Balkan (.) so Frauen kommen mir so Bilder, die halt auch den Krieg miterlebt (2) die sind meistens äh:m (.) suchen sich sichs immer eine Wand (.) im Rücken (.) also die tun auch meistens (.) der Raum (.) ä:h auch, wenn in einem Kreis sich so verändern, dass im eich ä:h, äbe eine Wand im Rücke hei und das ist für die sehr wichtig. oder sie Sitzen meistens in den Nischen ((Anm.: an der Seitenwand des Bewegungsraumes befinden sich zwei Wandnischen) drinnen und bleiben wie dort die Stunde (.) ist ganz wichtig einfach so die Sicherheit, so ein Schild auch zu haben.)
Wie bereits im Rahmen der theoretischen Kontextualisierung beleuchtet, ist das Setzen auf dem Stuhl eine „Ausdrucksleistung“ (Plessner, 1975, S. 322). In der Verwendung von Stühlen verwirklichen sich jene menschlichen Prinzipien, die als Bedeutungen, Bedürfnisse und Strategien zum Ausdruck kommen. Das „Geheimnis dieses Schöpfertums“ verortet Plessner (1975) in „dem glücklichen Griff, in der Begegnung zwischen dem Menschen und den Dingen“ (S. 322). Der Mensch greift zwar weniger nach dem Stuhl als er sich auf ihn setzt, doch er besetzt ihn und dieser geht – für
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die Zeitspanne des Sitzens – in dessen Besitz über. Der Stuhl ist zudem ein individuelles Instrument, da dieser immer nur einen Menschen aufnimmt. Dem Stuhl ist damit immanent, dass er stets zum eigenen Gegenstand der_des Sitzenden wird. Stühle sind womöglich in der Form und Machart standardisiert und in einer Vielzahl vorhanden, er wird mit der Besetzung eines Menschen aber doch individuell. Wird die Verbindung von Mensch und Stuhl in genaueren Blick genommen, so gewinnt insbesondere die Bedeutungskonstituierung des menschlichen Rückens an besonderer Bedeutung. CI: Thema isch natürlich (1) fosch, oder? i ollne Chulture isch immä de Rückä (.) ä, de Rückä wo eifoch schmärzt (2) und onhond vo dämm (.) Rückä müasse sie sich nocchä dämm entsprächend eigentlich au luage wie sitz i oder wie ston i oder wo (.) wia bin i (.) und bim Rückä ((räuspert sich)) denck i da, scho nu in sponnends Thema (1) des isch eifoch de einzig Chörper- (.) die einzige Chörpersteull, wo mir ned gsäh (1) weisch, do duasch jo vial hindere ((gestikuliert mit linkem Unterarm eine Bewegung wie wenn CI einen Gegenstand über die Schulter werfen würde)), wo nöd wosch gsäh oder nümm mogsch gsäh oder nümm mogsch ertragä (.) de Rückä, find i no (.) gonz sponnend (CI: Thema ist natürlich (1) fast, oder? in allen Kulturen ist immer der Rücken (.) ä, der Rücken, der einfach schmerzt (2) und anhand von dem (.) Rücken müssen sie sich nachher dem entsprechend schauen wie sitze ich? oder wie stehe ich? oder wo? (.) wie bin ich? (.) und beim Rücken ((räuspert sich)) denk ich da, schon noch ein spannendes Thema (1) das ist einfach der einzige Körper- (.) die einzige Körperstelle, die wir nicht sehen (1) weißt du, du tust ja viel nach Hinten ((gestikuliert mit linkem Unterarm eine Bewegung wie wenn CI einen Gegenstand über die Schulter werfen würde)), was du nicht sehen willst oder nicht mehr sehen kannst oder nicht mehr ertragen kannst (.) der Rücken, finde ich ist noch (.) ganz spannend)
Auf diese Weise muss der Stuhl auch das stützen und ertragen, wovon der Stuhl auch gerade auch ablenkt, indem er den Rücken stützt: nämlich das, was „nach Hinten“ soll, das, was nicht „ertragen“ werden kann. Einen zusätzlichen Aspekt der Mensch-Stuhl-Verbindung stellt ihre Erweiterung um die Komponente des Tisches dar. Mit ihm gelingt eine Extension des „Auge-Hand-Felds“ (Plessner, 1975). Schreibgeräte, Unterlagen, Lebensmittel, Hände oder die ausgestreckten Beine werden auf dem
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Stuhl deponiert. Mit der Verbindung, die Sitzende bei Tisch eingehen, bleiben somit Gegenstände von Bedeutung in einem erhöhten „Auge-HandFeld“ griffbreit. Zudem ermöglicht der Tisch die Konstruktion einer doppelten Distanzierung von weiteren Sitzenden: zum einen in Form von einer möglichen Erhöhung des räumlichen Abstandes, zum anderen in Form einer Begrenzung des Auge-Hand-Feldes, wenn Hände und Beine unter dem Tisch versteckt werden können. Im freien Sitzen ohne Tisch ist dies nicht möglich, da die Hand sichtbar wird. Mit Plessner (1975) lässt sich nachvollziehen, dass das Zusammenspiel von Auge und Hand für den Zugriff auf die Welt eine bedeutende Rolle spielt: „Das Auge führt die Hand, die Hand bestätigt das Auge“ (Plessner, 1975, S. 232). Damit wirkt der Tisch gemeinsam mit dem Sitzenden in das „Auge-Hand-Feld“ (Plessner, 1975, S. 333) mit ein, indem er beim Sitzen bei Tisch schlussendlich auch die Situation „in der Hand hat“. Wilfried Gottschalch (1984, S. 12) identifiziert darüber hinaus das „Auge-Hand-Feld“ als „unsere Welt“ und zitiert dabei Karl Löwith (1960), wenn er diese auch als „Menschenwelt“ bezeichnet. Die Erfahrung der Distanzierung, die sich in dieser anderen Form der Hybridisierung als zusätzlicher Schutz erweist, schildern CC und BR in der Gruppendiskussion: CC: Jo, da Tisch da Tisch hätt zu Beispiel ä:h äh äh ä:h jo:: is eigentlich (.) geh eini Abstand, oder? (.) eine Abstand, jetzt zum Beispiel so so Sitze, oder? isch äh isch äh:: wie seigt ma? De Tisch is immer äh (1) äbe: BR:
˪ ein Schutz.
(CC: Ja, der Tisch der Tisch hat zum Beispiel ä:h äh äh ä:h ja:: ist eigentlich (.) gibt einen Abstand, oder? (.) einen Abstand, jetzt zum Beispiel so so Sitzen, oder? ist äh ist äh:: wie sagt man? Der Tisch ist immer äh (1) eben BR:
˪ ein Schutz.)
Auch SI betont den schützenden Aspekt der Mensch-Stuhl-TischVerbindung und stellt des Weiteren die Bedeutung des Tisches für ihre berufliche Ausübung als Beratende dar: SI: Tisch, jo könne so (2) uf der einte Si:te, weil ma vielleicht überhaupt kei Dischtanz hätt ((Anm.: SI bezieht sich hier auf einen Vergleich mit Stühlen)) also nö:d wo
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eben au öppis schützt (1) und a als Ablage i ha ja mit viel Papier und so Sache z=tue und denn isch ja au praktischer wenn ma öppis kann zeige und ablege und miterenanda a:lua:ge und so (.) also, bru::cht is Möbel. wi:l i do Sozialdianscht bin und (1) vielfach au (.) Ameldige u:sfülle und a Papier a:luag und so (.) eigentlich immer d=Stüa:hl mit Tisch. (SI: Tische, ja können so (2) auf der einen Seite, weil man vielleicht überhaupt keine Distanz hätte ((Anm.: SI bezieht sich hier auf einen Vergleich mit Stühlen)), also nicht, was eben auch etwas schützt (1) und als Ablage, ich hab ja viel mit Papier und so Sachen zu tun und dann ist es ja auch praktischer, wenn man etwas zeigen und ablegen und miteinander ansehen kann und so (.) also, braucht es das Möbel. weil ich da Sozialdienst bin und (1) vielfach auch (.) Anmeldungen ausfülle und Papier ansehe und so (.) eigentlich immer die Stühle mit Tisch.)
Ein wesentlicher Teil der Arbeit des Sozialdienstes scheint auf Hand-Arbeit zu basieren, womit die Erhöhung des „Auge-Hand-Feldes“ (Plessner, 1975) an Bedeutung gewinnt: es geht um die Koordination von Auge und Hand im konkreten Zeigen, Ausfüllen und Deuten auf Handlungszusammenhänge. Das Sitzen auf dem Stuhl bietet den Unterbau und Schutz, der Tisch die Ablage sowie einen erweiterten Abstand. SI: Ja i denk s=Wohlfühle isch wichtig dass au Vertrauensbasis entstoht. wi:l mir dö- dön au teilwi:s, in der Schwiiz isch halt, wenn ma äbe über Geld redet und so Sache isch das für gwisse Lüt scho sehr intim sozsäge @(.)@ (.) und do muas ma wirklich d=Vertrauensbasis aufbaue dass d=Lüt dann au offe sind. au über so Sache zrede. Und des geht au über d=Stua:hl @(.)@ (SI: Ja ich denke das Wohlfühlen ist wichtig, dass auch eine Vertrauensbasis entsteht. weil wir tu- tun auch teilweise, in der Schweiz ist es halt, wenn man eben über Geld redet und so Sachen ist das für gewisse Leute schon sehr intim sozusagen @(.)@ und da muss man wirklich die Vertrauensbasis aufbauen, dass die Leute dann auch offen sind. auch über so Sachen zu reden. und das geht auch über die Stühle @(.)@)
Das Hybride tritt an den Stellen auf, wo das Feststoffliche, Mobiliare, mit der Dimension des Persönlichen, Subjektiven in Kontakt tritt. Mit dem Setzen auf dem Stuhl wird ein Auslöser gesetzt, der hybride „Modifikationen
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an realen Körperformen vornimmt“ (Spielmann, 2010, S. 174). Hybride Phänomene entwickeln sich, wenn Komponenten und Einflüsse aus verschiedenen Bereichen, wie z.B. Körper und Stuhl, in fluiden Prozessen der Instabilität und dynamischen Mischungskombinationen vorliegen (Spielmann, 2010, S. 34). Dadurch interagieren die Elemente „verschiedentlich, bilden vorübergehend und versuchsweise Hybridformen und gehen mit ihren heterogenen, divergenten und differenten Bestandteilen weitere, neue Verbindungen ein“ (S. 35). Ein Stuhl kann auch Ausdruck der Persönlichkeit und individuelles Stück sein. So beschreibt die Ärztin AA, dass diese viel Zeit und Mittel investiert hat, um den passenden Stuhl für ihre Praxis auszuwählen: AA: Ja, ja. Ich glaub, also da denk ich jetzt so dran (.) und dass die Stühle sehr bedeutsam sind. das wird auch beklagt, wenn man so eine Gruppe hat, in der Gesprächsgruppe, man nimmt diesen einen Stuhl, wenn man keinen anderen mehr hat (.) also nicht mir ä:hm Stoff bezogen, sondern eine aus Holz vielleicht oder (.) dass es dann weniger beliebt ist (.) die sollten dann so weich sein (.) also das is den Leuten schon wichtig wie sie sitzen. oder dass die Armlehnen haben haben sie gerne, also kenn das aus der Psychotherapie (.) dass ich mir sehr lange Gedanken gemacht hab welche Stühle ich nehm, dass ich das von Kollegen auch kenn für die Praxis also es heißt ja immer der Stuhl, welchen Stuhl oder Sessel nimmt man (.) für die Praxis? (1) das ist eigentlich der wichtigste Einrichtungsgegenstand, den find ich sehr sehr bedeutsam. LL: Was waren das für Gedanken? Was spielt da eine Rolle, einen Stuhl auszusuchen für so eine Praxis? AA: Dass (.) also dass der vor allem so (.) dass der Stuhl nicht zum Hinlümmeln einladen soll, also so zum Einschlafen (.) also zu gemütlich solls nicht sein, aber es soll einen so aufnehmen, so ein wie sagt man? (.) ein (.) Schoß, der so ä:hm (.) dass man so drinsitzt wie in nem halben Ei @(.)@ //@(.)@// dass zumindest so ein schönes Gefühl ist, dort drin zu sitzen. Das ist (.) schon (.) schon das Wichtigste. Nicht so, ich denk zu Hause da sagt man schon au, der soll schon stylisch aussehen @(.)@ am Anfang ist man dann schon so geleitet, aber wenn man sich dann selber (.) also eben, hockst dich ja überall rein und dann entfernst du dich immer mehr von den toll aussehenden zu den nicht oder nicht mehr ganz so aufwendig oder toll Aussehenden (.) ä:hm (.) ja das (1) also mir war das schon wichtig, auch dass es ein guter Stuhl ist (.) gut gemacht und ich hab auch recht viel Geld ausgegeben (.) einen, ich hab zwei Sessel in der Art in meiner Praxis und da hat einer glaub ich (.) also bestimmt zwei-
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tausend Franken gekostet. Ist für mich ziemlich viel Geld in dem Moment gewesen. //mhm// das hatte mich dann überzeugt und ich nehme die auch sehr gerne. LL: Wie viel Zeit hast du dir da genommen so einen Stuhl auszusuchen? AA: a:also ich bin in drei Möbelhäuser glaub ich gefahren und hab einige durchprobie:rt und hab im Internet auch geschaut und ich würd schon mal sagen (.) vielleicht, vielleicht zwei Tage, so zwölf Stunden (.) würd ich schon sagen.
Ein Stuhl ist nicht gleich Stuhl. Ein Polstersessel kann etwas anderes bedeuten als ein Stapelstuhl oder ein Bürostuhl. Zudem erwähnt AA, dass die Auswahl von Stühlen als „wichtigste“ Einrichtungsgegenstände vor unter Behandler_innen, die zum Beispiel ihre eigene Praxis selbst einrichten, von hoher Bedeutung sind. Sie sind persönliche Objekte und ihre Auswahl gestaltet sich anhand von Erwägungen unterschiedlicher Dimensionierung. So wird auch die psychotherapeutische Haltung beziehungsweise der persönliche Stil in Materie übersetzt, wenn AA schildert, dass ideale Stühle nicht zum Einschlafen einladen, gleichzeitig aber auch mit der Formgebung eines Schoßes oder eines Eies Sicherheit geben sollten. Weiters kann sich die Auswahl der Stühle – wie es zum Beispiel auch in der Akuttagesklinik der Fall ist – in Abhängigkeit von institutionellen Aspekten gestalten, wenn die Stühle vonseiten der Klinik angeschafft werden. Anhand seiner Auseinandersetzungen mit der Vererbung persönlicher Objekte lässt Breuer (2013) weitere Blickpunkte einfließen, die in der Auswahl und Gestaltung von persönlichen Gegenständen eine Rolle spielen können: so zeichnen sich diese beispielsweise durch soziale und „subkulturelle Charakteristika“, „ideelle Komponenten (Erinnerungswelten, intellektuelle Lehren)", „ethische Maximen und Normen“ aus und können mit „speziellen Handlungsmustern und Ritualen verknüpft sein“. Bei den meisten der in der Akuttagesklinik vorhandenen Stühle handelt es sich um die gleiche Art Holzstühle mit gerillter Oberfläche und geschlossener Rückenlehne auf vier metallenen Beinen. Die Holzstühle sind aus hellem Holz – vermutlich Ahorn oder Buche – gefertigt. Am häufigsten ist die Sitzfläche hölzern, in wenigen kleineren Gruppenräumen ist das selbe Modell mit gepolsterter, dunkelgrauer Sitzfläche vorzufinden. Lediglich in einem Gruppenraum befinden sich Stühle, deren Rückenlehne und Sitzbrett hellgrau gepolstert sind und im Vergleich zu den am häufigsten vorhandenen Stühlen eine etwas breitere Sitzfläche aufweisen. Den Behandler_innen steht zudem jeweils ein Bürostuhl zur Verfügung, der sich in
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Machart und Komfort von den anderen Bürostühlen unterscheiden kann. Als Besonderheit erweisen sich in geringer Zahl vorhandene, rote, kunstlederne Sessel mit breiter Armlehne, welche im Aufenthaltsraum der Patient_innen nebeneinander angeordnet sind. Objektiv betrachtet, sind die Stühle in der Akuttagesklinik Gegenstände, die die Zeit überdauern. Auf ihnen nehmen viele Behandler_innen und Patient_innen im Laufe der Wochen, Monate und Jahre Platz; gleichzeitig werden auf ihnen zeitlich überdauernde und vergehende sowie materielle und immaterielle Spuren hinterlassen. Scheinen Stühle in ihrer Machart und Form homogen zu sein, so können diese in ihren Bedeutungszuschreibungen von heterogener Charakteristik sein, wenn sie mit Sitzenden eine Verbindung eingehen, die – deren Präsenz überdauernd – von den Akteur_innen innerhalb des psychiatrischen Kontexts fokussiert werden. BR: Chönnt ihr eu nur erinnere, das chummt mir grod in Sinn, de Plotz vo de VV? RS, i denk, ä, du woarsch du nu nit do (.) d=VV isch immer i de Ruum, wo de IIstiegsrunde isch am ollererschte Plotz gsesse, also gonz vorn, immer und wonn det mol bsetzt woa hott sie si den Plotz wieder wia iigforderet, doss sie wircklich immer do gsesse is (.) der Plotz vo ihr is immer frei gsi, au wenn sie nöd do gsi isch, de ganze Tag (.) und au nu a Ziit long, wo sie ä:h u:strete gsi isch vo de Chlinik (.) det is eifach ihr Platz gsi @(.)@ (BR: Könnt ihr euch noch erinnern, das kommt mir gerade in den Sinn, der Platz von der VV? RS, ich denke, ä, du warst noch nicht da (.) die VV ist immer in dem Raum, in welchem die Einstiegsrunde ist, am allerersten Platz gesessen, also ganz vorne, immer und wenn dort mal besetzt war hat sie sich den Platz wieder wie eingefordert, dass sie wirklich immer da gesessen ist (.) der Platz von ihr ist immer frei gewesen, auch wenn sie nicht da war, den ganzen Tag (.) und auch noch eine Zeit lang als sie ä:h ausgetreten war aus der Klinik (.) da ist einfach ihr Platz gewesen @(.)@)
Der erste Stuhl im Raum ist als Hybrid-Objekt nach dem Austritt von der Patientin VV und weit über deren materiell-körperliche Ablösung vom Stuhl hinaus noch von ihr geprägt oder – wie es Breuer (2013) ausdrücken würde – von ihr „beseelt“. Die Verbindung von VV und ihrem Stuhl drücken sich in Handlungsritualen der Mitpatient_innen derart aus, dass das Einnehmen des Platzes auf ihrem Stuhl mit Derrida (1999, S. 223) in die-
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sem konkreten Fall soviel bedeuten würde wie „sich obendrauf zu setzen“. In der Art und Weise wirkt eine „Eigenwirksamkeit“ (Breuer, 2013) fort, die über den Zeitpunkt ihres Austritts aus der Klinik hinausläuft. Der erste Stuhl im Gruppenraum ruft bei den Mitpatient_innen und Behandler_innen von VV Erinnerungen und konkrete Verhaltensweisen hervor, die sie mit ihr in Verbindung bringen. Von Bedeutung ist dabei, dass es sich nicht um einen konkreten Stuhl handelt, sondern um dessen Positionierung am „allerersten Platz“. Dennoch ist der an erster Stelle positionierte Stuhl für eine bestimmte Zeitspanne persönliches Objekt von VV. Die Bedeutung des Gegenstandes und des Standortes fallen damit zusammen und materialisieren sich in diesem einen Stuhl von VV. Das Einfordern des Platzes und die Etablierung des Handlungsmusters, dass für VV stets der Platz frei gehalten wurde, kann mit Breuer (2013) als „Verpersönlichung“ bezeichnet werden. Der erste Stuhl besitzt somit über seine „materiale Charakteristik hinaus ein Surplus, einen Bedeutungsüberschuss, einen re-/präsentationalen, emotionalen, normativen, rituellen Mehrwert“ (Breuer, 2013). Insgesamt verweist das PlatzHalten in seiner eine gewisse Zeit überdauernden Struktur auf das Hybrid zwischen Mensch und Stuhl in einem sozialen, kulturellen und institutionellen Kontext. Die Schilderung von BR über VV bedient auch das Sujet des leeren Stuhls, der als Repräsentationsobjekt einer Person oder einer Situation dienen soll. Der Stuhl steht damit nicht nur an sich, sondern auch für die ausgetretene Patientin VV und ermöglicht es, mit der Eröffnung eines medialen Raumes VV in ihrer Absenz präsent zu behalten. Weiters sei es in der Ostslavischen Kultur Brauchtum, dass für verstorbene Personen beim Totenmahl ein zusätzliches Gedeck „entweder am gemeinsamen oder an einem besonderen Tisch im Winkel unter den Heiligenbildern“ bereitet wird: Auch hier bleibt ein Stuhl leer (Haase, 1939, S. 312). Zudem ist es Bruce Nauman, der einen überdimensionalen Stuhl in der Mittelhöhe eines Raumes mit der Sitzfläche nach unten im Zentrum eines Dreiecks installiert (Abbildung 13). Der Stuhl steht für einen Menschen, der verloren ging, gefangen oder gefoltert wurde und dient des Weiteren als Symbol für viele Menschen, welchen ein ähnliches Schicksal zuteil wurde (Nauman & Kraynak, 2005, S. 329-331).
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Abbildung 13: „South America Triangle”
Quelle: http://www.saatchigallery.com/aipe/bruce_nauman.htm
Menschen verschmelzen auf und in ihren Stühlen, zu Sitzenden. So werden Stuhl und Mensch in der hybriden Verbindung der_des Sitzenden zum lebendigen Ensemble, zu einer organisch-anorganischen Konfiguration. Im Stuhl presst sich der Mensch „von außen ein Kleid an“ (Eickhoff, 1993, S. 192), welches zum Leib ein Verhältnis aufbaut und durch Maß- und Möbelkonventionen geformt ist. Werden Stühle als störend erlebt, so passt dieses Kleid nicht. Es löst sich die Hybridstruktur auf und das Trennende herrscht vor dem Verbindenden: Der sitzende Mensch setzt sich auf, wenn der Stuhl nicht „sitzt“. BR: Ich ois Chli:ni (.) guat, jetz mit die Obsätz go:hts, ober ich chumm mongisch nöd am Boden obe mit de Fiass (.) und wenn ich müad bin, donn goht=s nüm. weil ich eifach irgendwia au (.) wie söll ich das erkläre? i mog donn nüm, es reicht ma donn, ich hon ab und zua so Müah ufm Stuahl wi:ls eifach so chli (.) für mich instabil isch (.) und ich werd da so unsicher, au vo de Stimmig her. sicher, es git Schutz,
die Lehne für=n Ruckä (1) aber i ho die Fiass ned am Bode, guat, und des mocht=s mangisch wirklich uno:gnehm, do wer i au selber unsicher, also do is mir nöd wohl. ich müast Stua:hl ho:, wo ich mit de Bei wirklich grod konn sto:h.(.) u:f nem Barhocker zum Bi:spiel (1) das isch (.) grausam für mich, ich chumm do mangisch ned amol ufe, do fehlt der Kontakt zum Bode, do bisch instabil
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(BR: Ich als Kleine (.) gut, jetzt mit die Absätze ge:hts, aber ich komme manchmal nicht am Boden herunter mit den Füßen (.) und wenn ich müde bin, dann geht es nicht mehr. weil ich einfach irgendwie auch (.) wie soll ich das erklären? ich mag dann nicht mehr, es reicht mir dann, ich hab ab und zu so Mühe auf dem Stuhl weil
es einfach so ein wenig (.) für mich instabil ist (.) und ich werde da so unsicher, auch von der Stimmung her. sicher, es gibt Schutz, die Lehne für den Rücken (1) aber ich habe die Füße nicht am Boden, gut, und das macht es manchmal wirklich unangenehm, da werde ich auch selber unsicher, also da ist mir nicht wohl. ich müsste Stühle haben, wo ich mit den Beinen wirklich grade stehen kann. (.) auf einem Barhocker zum Beispiel (1) das ist (.) grausam für mich, ich komme da manchmal nicht mal hinauf, da fehlt der Kontakt zum Boden, da bist du instabil
BR muss eine große Anstrengung aufwenden, um die Verbindung zum Stuhl aufrecht zu erhalten und äußert das Bedürfnis nach einem anderen Stuhl, der ihr – an sie adaptiert und damit personalisiert – zu mehr Stabilität verhilft. Abbildung 14: „Ohne Titel“: Bildmittelpunkt
Quelle: Angefertigt von TM, erhoben von L. L.
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Der abbildende Bildproduzent TM fertigt die Zeichnung (Abbildung 14) innerhalb von weniger als 60 Sekunden an, nachdem dieser für etwa zwei Minuten mit einem Kugelschreiber in der Hand vor dem A4-großen Zeichenpapier sitzt. Einen Titel möchte TM seinem Werk nicht geben, es spreche für sich. Als „typisch“ erlebe TM in der Akuttagesklinik „nicht wirklich etwas bestimmtes“, d.h. keine spezielle Situation. Er habe jedoch in der Konzeption des Dargestellten an die ersten Tage in der Klinik gedacht, an denen es ihm schlecht gegangen sei und er „nur so herumgehockt“ sei. Außerdem, fügt er hinzu, sei das „Herumhocke“ („Herumhocken“) für ihn ein leicht zeichnerisch umsetzbares Motiv, was ihn überzeugt habe, dieses abzubilden. Wird im Rahmen der Bildinterpretation von Abbildung 14 der Bildmittelpunkt eingezeichnet, so liegt dieser exakt zwischen der dargestellten Sitzfläche und den konturierten Oberschenkeln des abgebildeten Bildproduzenten. Es scheint so als würde TM schweben, sich allerdings gleichzeitig mit den Armen an den Schenkeln stützen. Im Dargestellten bildet sich zudem ein weiterer Aspekt der StuhlMensch-Verbindung ab: Wenn TM zu der Zeit als es ihm schlecht gegangen ist, vorwiegend „herumgehockt“ ist, so war ihm womöglich der Stuhl vorwiegend ein stützendes Instrument, das ihn jedoch nicht gänzlich fangen konnte. Damit stieß der Stuhl bei TM an seine hybriden Materialgrenzen. In der Abbildung scheint TM die Hände zusätzlich dazu einsetzen zu müssen, um sich zu er-halten, was nicht nur eine körperliche, sondern auch eine hohe psychische Anforderung bedeutet. Der zwischen Stuhl und Mensch entstehende Raum kommt keiner hybriden Verschmelzung gleich, sondern einer Zerreißprobe: Die hybride Verbindung zwischen TM und dem schematisch dargestellten Stuhl scheint innerhalb der bildlichen Darstellung an ihre äußersten Grenzen gelangt zu sein, da die Stütze des Stuhls nicht alles stützen kann. In einer vorläufigen Bestandsaufnahme möchte ich darüber hinaus den hybriden Charakter des Sitzens dahingehend verstanden wissen, dass die Verschiebungen und Verflüssigungen von Grenzen und Abgrenzungen, von Körper und Material als derart denkbar erscheinen: dass es kein Sitzen ohne den Menschen als Sitzenden gibt und kein Sitzen ohne Stuhl bzw. stützenden Untergrund. Die Modulation der Differenzen bzw. heterogenen Komponenten (Mensch und Gegenstand) bewirken und zeichnen ihre essentielle Ambigui-
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tät aus. Die hybride Verbindung verweist genealogisch auf einem Modus vielfältiger Vernetzungen von mehreren, verschiedenartigen sozialen Praktiken, die wiederum auf unterschiedliche Kontexte und externe Differenzen deuten. Sie sind kulturell bedingt, korrelieren mit verschiedenen Referenzsystemen und schließen sowohl die verfestigenden (Material, Tastsinn, Körpergewicht) als auch die verflüssigenden Komponenten („Psyche“, Sozialstruktur, etc.), die die_den Sitzende_n ausdrücken, mit ein.
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4.3 P LATZ NEHMEN : S ITZEN ALS P OSITIONIERUNG UND R ELATIVIERUNG AM O RT DER P SYCHIATRIE Wenn sich Menschen am Ort der Psychiatrie begegnen, so gestaltet sich dies als kein reines Zugegen-Sein von Körpern im Raum. Die Präsenz von Menschen als Behandler_innen und Patient_innen ist eine wesentliche Voraussetzung der menschlichen Erfahrung am Ort der Psychiatrie. RO: Es isch jetzt so chli chitschig, oder? aber es goht drum, dass da eina hockt am Füer und en ondare au und doss ma das (.) dass das d=Erfohrig muass si:, damit da öppis in Gong ko cho, ä:h d=Geischtergschicht über ä s=Telefon (.) goht glaub i nöd guat, also würd glaub nöt wahnsinnig eine mitriisse irgendwia. (RO: Es ist jetzt so ein wenig kitschig, oder? aber es geht darum, dass da einer sitzt am Feuer und ein anderer auch und dass man das (.) dass das die Erfahrung sein muss, damit da etwas in Gang kommen kann, ä:h die Geistergeschichte über das Telefon (.) geht glaube ich nicht gut, also würde glaube ich einen nicht wahnsinnig mitreißen irgendwie.) AA: Wenn ich so direkt ins Gesicht auch schauen kann seh ich eine ganz kleine Träne, die irgendwo an der Ecke hängt? und kann die irgendwie ansprechen? (.) das ist natürlich für meine auch (.) so wie ich schaffe, dass ich schnell (.) eigentlich (.) das anspreche (.) wenn ich eine Regung sehe, eine emotionale, dann hat das für mich eine große Bedeutung
RO vergleicht die Auswirkung jener dem Ort der Psychiatrie immanenten örtlichen Präsenz von Behandler_innen mit der Stimmung eines Zusammensitzens am Lagerfeuer, an welchem eine Geistergeschichte erzählt wird. Es ist das Knistern der Holzspänen, die Wärme des Feuers und die Dunkelheit, die jene Gänsehautstimmung, der die leibliche Präsenz Bedingung ist, erzeugt. Es ist die von AA beschriebene „ganz kleine Träne, die irgendwo an der Ecke hängt“, die emotionale Regung und das Erzählen persönlicher Erfahrungen, welche die Begegnung von Menschen am Ort der Psychiatrie auszeichnen. In der Akuttagesklinik ist die Anwesenheit von Menschen somit zum einen Alltag, zum anderen aber auch dessen unablässige Voraussetzung,
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wenn darin das „sitzende Gegenüber“ von großer Bedeutung ist. Menschen sind – als Behandler_innen wie auch als Patient_innen – zugegen, gleichzeitig vor Ort und anwesend. AA: Es eröffnet dann auch irgendwas anderes dann. (3) ja. mir würde schon was fehlen. ich bräuchte schon (.) brauch ich schon das Gegenüber (.) also das sitzende Gegenüber sozusagen (.) also den ganzen Menschen.
Der raumzeitliche Widerfahrnischarakter ist ein wesensimmanenter Aspekt des Menschen, welcher sich am Ort der Psychiatrie zunächst im Gegenüber-Sitzen ausdrückt. So nimmt die psychiatrische Behandlung ihren Beginn nicht mit der Besprechung des Behandlungsvertrags, der Erhebung des psychopathologischen Befundes oder der gemeinsamen Formulierung eines Behandlungsauftrages, sondern den Beginn markiert vielmehr eine Geste der Präsenz: das Betreten des Gebäudes, das Schütteln der Hände und das Einander-gegenüber-Platz-Nehmen. Sitzen ist Positionierung des Eigenen relativ zu Anderen und Anderem. CC beschreibt diese dynamische Beziehung, die sich als ein Spannungsverhältnis zwischen Positionierung und Relativierung zu evolvieren scheint, wenn sich dieser der Metapher eines Netzwerks bedient: CC: Zum do: s:i (.) imma i- i- im äh (.) alle in Kontakt oder? wie eine Netz oder? (CC: Zum da sein (.) sind wir i- i- im äh (.) alle in Kontakt, oder? wie eine Netz, oder?)
Menschen am Ort der Psychiatrie sind als Behandler_innen und Patient_innen in ihre Umgebung Gestellte und Gesetzte. Dadurch entsteht vor Ort eine Positionierung des Menschen, die mehr ist als ein raumzeitliches „placement“ (Manning, 2009) in einem Raum. Sitzen bedeutet nicht nur ein Ablegen des Körpergewichts auf der Sitzfläche, sondern auch ein Ankommen, das auf Bedeutungsebenen zu tragen kommt, die über die physische Erfahrung hinaus weisen. Es ist zudem Helmuth Plessner (1975), der mit der Begrifflichkeit der Positionalität eine anthropologische Konstante des Menschen beschreibt, wenn Menschen im Gegensatz zu rein materiellen Gegenständen, wie beispielsweise Steine, Stifte, Regentropfen etc., als solche nicht „begrenzt“
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sind. Nach Plessner (1975) diene der Körper dem Menschen zwar „,als‘ eine Grenze“ (S. 133), die dieser in Relation zu seinem Umfeld jedoch „selbst“ reguliert. Der Mensch ist in seinem Körper-Haben und KörperSein stetig in Umwelten gesetzt und herausgefordert, sich darin zu positionieren. Als grenzrealisierende Realität ist der Mensch in seiner körperlichen Präsenz damit Positionalität. Die Erfahrung der Postionionalität ähnelt der „,Autopoiesis‘ (Maturana, Luhmann), aber mit der entscheidenden Nuance, dass hier lebende Systeme nicht als ,selbst‘erzeugend und ‚selbst‘organisierend vorgestellt werden, sondern als ,in‘ ihre ,Grenze‘ ,gesetzt‘“, die sie zu regulieren haben“ (Fischer, 2012, S. 61). Der Mensch ist mit Vallori Rasinis (2011) Bezugnahme auf Max Scheler im Gegensatz zu Pflanzen oder Tieren „weltoffen“ (S. 383). Plessner erweitert die Postionalität des Menschen um eine „exzentrische“ Charakteristik, wenn er betont, dass es dem Menschen wesentlich sei, dass das räumliche ZugegenSein, also die Präsenz des Menschen, durch emotionale oder kognitive Erlebnismodi durchbrochen werden kann. Nancy (2007) spitzt dies zu, wenn er schreibt, dass der Mensch als körperliches Wesen „außer sich“ ist. So sind am Ort der Psychiatrie sowohl Patient_innen als auch Behandler_innen mit der Herausforderung konfrontiert, wie diese sich räumlich, örtlich, zu sich selbst und den anderen positionieren. Am Ort der Psychiatrie wird damit auch jenes Spannungsverhältnis von Positionierung und Relativierung bespielt: Wo und wie sich Menschen setzen, hängt nicht nur von den vorgefundenen gegenständlichen Begebenheiten ab, sondern das Sitzen gestaltet sich als Einfinden, Verorten, Ankommen, Aneinander-Reihen, Auseinander-Setzen, Zusammen-Rutschen, usw. Vor allem Patient_innen ist dem Platz-nehmen am Ort der Psychiatrie ein Zugegen-Sein-Können beziehungsweise ein Zugegen-Sein-Wollen vorausgesetzt. Es sind sozio-kulturell geprägte, jedoch auch individuelle Bezugspunkte, die dabei eine Rolle spielen: So ist es – mit Blicknahme auf die im Rahmen der theoretischen Kontextualisierung skizzierten Psychiatriegeschichte – wenig überraschend, dass Menschen, die sich am Ort der Psychiatrie als Patient_innen bewegen, mit (Selbst-)Stigmatisierung konfrontiert sind, was es jenen oftmals in multidimensionalen Bezügen erheblich erschwert, am Ort der Psychiatrie ihren Platz zu (er-)finden. In der folgenden Abbildung (Abbildung 15) bringt AM eine für sie typischen Situationen zum bildlichen Ausdruck, den sie mit „Heimatdorf “ betitelt.
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Abbildung 15: „Heimatdorf“
Quelle: Angefertigt von AM, erhoben von L. L. LL: Wollen Sie mir kurz Ihr Bild erklären? AM: Das isch mein Dorf im (.) Kurdistan. Kleine Dorf (.) mit Brü (.) Brücke. Und mit Ent (.) Ente? LL: Enten, ja @(.)@ //@(.)@// wie bringen Sie Ihr Dorf in Verbindung mit hier? mit der Tagesklinik? AM: (1) Isch (.) wie (.) wie in meine H- Cheimat (.) hier (2) °ist schwierig° (3) ss=isch wie ich hier an P- Platz ha (.) won ic:h chon bliebe (.) ich brauch (.) ja (2) hier isch guat LL: (1) Mit hier meinen Sie in der Tagesklinik? AM: Ja (.) LL: Wie (1) wie sind Sie (.) also von meiner Bitte, dass Sie sich in einer für Sie typischen Situation hier in der Klinik zeichnen, wie sind Sie da ä:h (.) zu der Idee gekommen Ihr Dorf zu malen? AM: Ich weiß es nöd, ic:h (1) nicht ich (.) zerscht (.) es e s=isch me::h (.) ein Gfühl do si: (1) schwiierig ((lächelt und nimmt Blickkontakt zu LL auf)) LL:
˪ @(.)@ Kei Socch //@(.)@//
(LL: Wollen Sie mir kurz Ihr Bild erklären? AM: Das ist mein Dorf in (.) Kurdistan. Kleines Dorf (.) mit Brü (.) Brücke. Und mit Ent (.) Ente?
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LL: Enten, ja @(.)@ //@(.)@// wie bringen Sie Ihr Dorf in Verbindung mit hier? mit der Tagesklinik? AM: (1) Ist (.) wie (.) wie in meiner H- Heimat (.) hier (2) °ist schwierig° (3) e- es ist wie ich hier einen P- Platz habe (.) wo ich bleiben kann (.) ich brauch (.) ja (2) hier ist es gut LL: (1) Mit hier meinen Sie in der Tagesklinik? AM: Ja (.) LL: Wie (1) wie sind Sie (.) also von meiner Bitte, dass Sie sich in einer für Sie typischen Situation hier in der Klinik zeichnen, wie sind Sie da ä:h (.) zu der Idee gekommen Ihr Dorf zu malen? AM: Ich weiß es nicht, ic:h (1) nicht ich (.) zuerst (.) es es ist mehr (.) ein Gefühl da sein: (1) schwiierig ((lächelt und nimmt Blickkontakt zu LL auf)) LL:
˪ @(.)@ Keine Sache//@(.)@//)
Zunächst lässt das von der Bildproduzentin erhaltene Bild offen, ob meine Bitte, sich selbst in einer typischen Situation in der Tagesklinik zu zeichnen, von AM verstanden wurde oder ob es sich um eine Fehlinstruktion handelte. Der Zusammenhang zwischen dieser Repräsentationsform und Zugehörigkeit erschließt sich erst in Verbindung mit dem Kommentar der 52-jährigen Patientin, die mit leiser Stimme erklärt, dass sie über keinen konkreten Gedankengang oder eine Gefühlsbeschreibung Auskunft geben kann, den oder die sie zwischen ihrem Heimatdorf und der Psychiatrie herstelle. Allerdings äußert sie, dass sie hier – in der Psychiatrie – „sein kann“ und ihren „Platz“ habe. Im Dargestellten wird eine spezifische Brücke, „ihre Brücke“ im kurdischen Heimatdorf abgebildet. Die Tagesklinik scheint sich für AM neben einem Aufenthaltsort als ein Ort des by and in between zu evolvieren: Er kommt einer Brückenfunktion zwischen Krankheit und Gesundheit, zwischen Verständnis und Unverständnis, zwischen Hoffnung und Hilflosigkeit, gleich. Wenn AM in der bildlichen Selbstdarstellung in einer typischen Situation in der Tagesklinik ihr Heimatdorf abbildet, bedient sie sich zudem einer Metapher der Sesshaftigkeit, welche den Bedeutungszusammenhang des Sitzens am Ort der Psychiatrie um einen Aspekt erweitert: Hier wird etwas produziert, das in der Raumtheorie unter dem Schlagwort des „belonging“ diskutiert wird: Das Heimatdorf und die Psychiatrie scheinen Orte zu sein, die auch eine Verortung von AM bedeuten, der sich AM zugehörig
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fühlt. Durch Hajo Eickhoff (1993) wird diese dynamische Beziehung mehrerer Bedeutungsebenen des Sitzens und Sesshaften zum Ausdruck gebracht: „Wer sitzt, der sitzt“, hat Besitz und ist sesshaft. Psychiatrie und Heimatdorf schaffen darüber hinaus für AM Orientierung, sie geben Sicherheit und sind nicht nur ein mehr oder weniger begrenzter Raum, sondern mit Handlungsweisen, Werten, Erfahrungen und mit den diesen zugehörigen Menschen verknüpft. Belonging – dies ist in diesem Aspekt festzuhalten – ist dabei nicht an Nationalitäten, Gesellschaften, kulturelle Kontexte, Identitätskonzepte oder andere primordiale Aspekte geknüpft, sondern produziert sich nach Savage, Bagnall und Longhurst (2004) situativ, fließend und dynamisch. Der Ort der Psychiatrie ist damit für AM ein Ort, an welchem diese sich positionieren kann, an welchem sie Platz findet und Platz hat. Hier kann sich AM sich räumlich, zeitlich, mit ihren Hoffnungen und Anliegen positionieren. Das Sitzen erweist sich in der Sitzgesellschaft der Psychiatrie als wesentliche Positionierungsstrategie. Hinsichtlich der Gestaltung der Positionierung von Menschen am Ort der Psychiatrie ist der Stuhl ein raumstrukturierendes Instrument, das Ordnung schafft. Er geht mit dem Menschen eine hybride Verbindung ein, sodass dieser nicht nur den Sitzenden aufnimmt und diesem Schutz und Sicherheit bietet, sondern auch fallweise Ausdruck von dessen Persönlichkeit oder repräsentativer Gegenstand ist, der über ihre_seine Präsenz hinaus fortwirkt. Patient_innen und Behandler_innen erfahren auf dem Gegenstand des Stuhls einen Großteil des psychiatrischen Alltags. Die Sitzhaltung wird dabei nicht nur zum Aufenthaltsort, sondern auch zum Kommunikationsmedium, wenn sich Behandler_innen wie auch Patient_innen größtenteils in Sitzkreisen, im angewinkelten Gegenüber usw. auf Stühlen zueinander in Beziehung setzen. Wird im Rahmen der Untersuchung der Blick eines „looking through a medium“ in ein „looking at the medium“ (Bolter & Grusin, 2000, S. 41) umgewandelt, so zeigt sich, dass das Sitzen der Herstellung von Kommunikation dient, um beispielsweise Kommunikationsformen „auf Augenhöhe“ im Sitzkreis zu gestalten, wenn die Entfernungen von Behandler_innen und Patient_innen sich nicht unterscheiden bzw. auch absichtlich unterscheidungslos gemacht werden. Dadurch wird es Menschen möglich, sich zusammen oder – in doppelt gemeintem Sinn – auseinander zu setzen.
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ST: Jo es isch donn wos onderes ols wenn ma so (.) frei (.) stoht. wiil ma doch dann au siin Platz hätt, wiil ma sich trotzdem an de Stuhl chonn, wie soll i sage? (.) binde. do sto:ht ma nit so frei. BR: Jo, so ei Onzeiger für d=Position. wenn jetzt d=Stüa:hl weg wäret chönnt i nöd mei Position so zeige wia jetzt de Stuah:l do sto:ht, weisch?, donn wär i ohne Holt (.) @(.)@ chli nockt @(.)@ und es hot au mit Sicherheit z=tue, also wenn i so ((steht auf)) do sto:h, donn fühl ich mich so: ST: BR:
˪ So u:sgliefert ˪ U:s-, jo genau u:sgliefert is s=richtige Wort. und bim bim
Stua:hl sto: hon ich donn doch irgendwia: wieder Masse und Sicherheit (.) eifach Sicherheit, ich hon öppis da, wo mich schützt (.) es isch eigentlich überhaupt kei Sicherheit, oba (.) so s=Unterbewusstsii (.) signalisiert das aber (.) ganz extrem (ST: Ja es ist dann etwas anderes als wenn man so (.) frei (.) steht. weil man doch dann auch seinen Platz hat, weil man sich trotzdem an den Stuhl kann, wie soll ich sagen? (.) binden. da steht man nicht so frei. BR: Ja, so ein Anzeiger für die Position. wenn jetzt die Stühle weg wären könnte ich nicht meine Position so zeigen wie jetzt der Stuhl da steht, weißt du? dann wäre ich ohne Halt (.) @(.)@ so ein wenig nackt @(.)@ und es hat auch mit Sicherheit zu tun, also wenn ich so ((steht auf)) da stehe, dann fühle ich mich so: ST: BR:
˪ So ausgeliefert ˪ Aus-, ja, genau ausgeliefert ist
das richtige Wort. und beim beim Stuhl hab ich dann doch irgendwie wieder Masse und Sicherheit (.) einfach Sicherheit, ich habe etwas da was mich schützt (.) es ist eigentlich überhaupt keine Sicherheit, aber (.) so das Unterbewusste (.) signalisiert das aber (.) ganz extrem)
Der Stuhl ist abgestecktes Terrain im Raum des Sozialen, das Sitzen wird zur charakteristischen Haltung von Patient_innen und Behandler_innen. Dabei sitzt der Mensch mit dem Stuhl auf einer individuellen, ihn von den anderen isolierenden Sitzfläche. Die Möglichkeit zur Herstellung intimer Nähe ist nach Eickhoff (1993, S. 173) aufgegeben, da der Ort des Stuhls gemeinsam mit der Körperhaltung „Grenzen zwischen den Menschen“ setzt: „Der Stuhl siliert den Sitzenden, wodurch der Raum des Stuhls zu einem Mikrokosmos für das Individuelle wird“ (Eickhoff, 1993, S. 173) und gleichzeitig die Begrenzungen durch seine räumliche Anordnung explizit macht. Durch jene Begrenzungen ist den Sitzenden zugleich der
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Raum gegeben, ihn als persönliches, individuelles, eigenes Objekt zu adressieren, welches Schutz und Sicherheit gibt, und in seiner medialen Figuration sowie in seinem physischen Arrangement menschliche Begegnungen mit gestaltet. So richten sich auch die suchenden Blicke bei Betreten des Raumes nach den Stühlen aus, um sich auf diesen positionieren zu können: BR: Wos ich au chomisch find an de Stüa:hl (.) isch, sobald ich Stüa:hl gseh denck ich, jetzt hock ich automatisch onne, so jetzt (.) es chummt automatisch. ma siacht en Stua:hl, oiso, du gohsch irgendwo zu öpperem Hei, siachs en Stuahl, hocksch onne. obwohl=scht eigentlich goar nöd müad bisch oder so. aber ma hockt eifach. Ma hockt automatisch anne (.) es isch irgendwia so (.) ei Verbindig mit de Stua:hl. dass ma au ois ollererschtes luagt wo ma chonn onnesitze? (BR: Was ich auch komisch finde an den Stühlen (.) ist, sobald ich Stühle sehe, denke ich, jetzt setze ich mich automatisch hin, so jetzt (.) es kommt automatisch. man sieht einen Stuhl, also, du gehst irgendwo zu jemandem heim, siehst den Stuhl, setzt dich hin. obwohl du eigentlich gar nicht müde bist oder so. aber man sitzt einfach. man sitzt automatisch sich hin (.) es ist irgendwie so (.) eine Verbindung mit den Stühlen. dass man auch als Allererstes schaut, wo kann man sich hinsetzen?)
Im von der Patientin BR sprachlich vermittelten Automatismus des Setzens auf den Stuhl erlangt die eingegangene Verbindung zwischen Stuhl und Mensch eine verbindende vor einer trennenden Kraft, die sogleich in ungleichartigen Konstellationen vorherrscht (Spielmann, 2010): Wenn Behandler_innen und Patient_innen das Sitzen auf dem Stuhl von Anfang an als Selbstverständlichkeit, als automatischen Vorgang erleben, bedienen sie sich eines Habitus. Dieses automatische Wissen bzw. diese „Verbindung“ kann mit Pierre Bordieu (1986) zudem als „sens pratique“, also als „Sinn für die Praxis“ (S. 26) bezeichnet werden. In der Verbindung von Stuhl und Mensch werden darüber hinaus Situationen des Alltags als Sitzende erlebt, in denen der Stuhl als raumstrukturierendes Instrument eine „Choreographie des Sozialen“ (Bordieu, 1986, S. 121) arrangiert. So beschreiben ST, RS und BR während der Gruppendiskussion die raumordnende Funktion von Stühlen folgender Maßen:
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ST: (7) Jo, und das isch au (.) da Stuahl (.) der beholtet einen am Platz (1) also ich weiß nöd, Stoh (.) vielli:cht (.) vielli:cht ergit so donn so ne Dyno:mik, dass sich donn irgendwia d=Lüt so zammendüant oder irgendwia, ich weiß ned wia das wirkli isch, könn ma jo ausprobiere (10) ((ST steht auf, daraufhin erheben sich CC, BR und RS in genannter Reihenfolge vom Platz)) also i chunnt mas au vorstelle, dass sich das jetzt wia ergit RS:
˪ Jo, oba wi:l ma jetzt d- die Stuahl händ (.) stönd ma do nebe unsern
Platz ohne Dyno:mik BR:
˪ Mir dünkt so als wär ma mit usere Stüa:hl wie an unsere Plotz
bunde. ma mocht si au so fescht und so, dass donn bim Sto:h olle Lüt, oiso ohne Stüa:hl jetz, Grüppli bildet oder irgendwia olles go:ht voru:sse, olles go:ht oder äh (.) olles stoht dete oder nöd dete, ober wenn so Stuahl inne isch (.) olles hockt donn am Platz, da hobs ihr Recht (.) do hot jeder an Plotz und redt jeder mitm onderen oder mit dem (.) vielleicht gits mal eine wo u:fstoht, aber äh ä:h in der Regel hocket donn olli dete und die Gruppe isch scho feschter, eigentlich RS:
˪ Es is ruhiger (.) sicher, als wenn
d=Leut stehet oder? Is schon ein Gefusel (1) wenn ma sitzt isch natürlich scho BR:
˪ Es chunnt
eifach Ordnig dri: (.) Schau uis on, wir sind do foscht in an perfekten Chreis (1) und sosch au in da Togesklinik (.) wonn ä:h d=Patiente sitzet isch nöd so Unruhah, sondern es isch viel ruhiger. (ST: (7) Ja, und das ist auch (.) der Stuhl (.) der behält einen am Platz (1) also ich weiß nicht, Stehen (.) vielleicht (.) vielleicht ergibt sich dann so eine Dynamik, dass sich dann irgendwie die Leute so zusammentun oder irgendwie, ich weiß es nicht wie das wirklich ist, können wir ja ausprobieren (10) ((ST steht auf, daraufhin erheben sich CC, BR und RS in genannter Reihenfolge vom Platz)) also ich könnte mir auch vorstellen, dass sich das jetzt wie ergibt RS:
˪ Ja, aber weil wir jetzt die Stühle haben (.) ste-
hen wir da neben unserem Platz (.) ohne Dynamik BR:
˪ Mir erscheint es so als wären wir mit
unseren Stühlen wie an unseren Platz gebunden. man macht sich auch fest und so, dass dann beim Stehen alle Leute, also ohne Stühle jetzt, Grüppchen bilden oder irgendwie alles geht voraus, alles geht, oder? äh alles steht dort oder nicht dort, aber wenn so Stühle drinnen sind (.) alles sitzt dann am Platz, da habt ihr Recht, da hat jeder einen Platz und redet jeder mit jedem oder mit dem anderen oder mit dem (.) vielleicht gibt es mal eine ((Anm.: oder einen, im Schweizerdeutschen wird hier kei-
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ne Unterscheidung gemacht)), aber äh ä:h in der Regel sitzen dann alle dort und die Gruppe ist schon fester, eigentlich RS:
˪ Es ist ruhiger (.) sicher, als wenn die Leute stehen, oder? Is
schon ein Gefusel (1) wenn man sitzt ist es natürlich schon
BR: ˪ Es kommt einfach Ordnung rein (.) schau uns an, wir sind da fast in einem perfekten Kreis (1) und sonst auch in der Tagesklinik (.) wenn ä:h die Patienten sitzen ist es nicht so Unruhe, sondern es ist viel ruhiger.)
Vonseiten der Behandler_innen wird die strukturierende Besonderheit von Stühlen wie folgt behandelt: TA: I glaub zum Ofonga wonn öpper neu isch in da Gruppe isch es eben nu blöd, ma stoht so do:h und chummt nöd richtig o:h (.) bim Stuahl, do chummt ma o:h (.) sitzt man ab (.) dem Fall, der Stuahl isch sowos wia a Möglichkeit an Plotz z=finde und amol onzchumma. Der Stuahl isch sicher wia so wos eigens (.) des isch so (.) wirklich der Stuahl, der jetsch die Stund min Stuahl isch. (TA: Ich glaube zum Anfangen, wenn jemand neu ist in der Gruppe ist es eben noch blöd, man steht so da und kommt nicht richtig an (.) beim Stuhl, da kommt man an
(.) sitzt man ab (.) im Fall, der Stuhl ist so etwas wie eine Möglichkeit einen Patz zu finden und einmal anzukommen. Der Stuhl ist sicher wie so etwas eigenes (.) das ist so (.) wirklich der Stuhl, der jetzt die Stunde mit dem Stuhl ist. MO: Es is jo hier so wenn ma jetzt im Raum einfach die Stühle, Tische alle wegnimmt und dann eifach steht (.) das wär halt schon ne schräge Vorstellung erstmal (4) ä:hm es wär eifach ungewohnt. Ned so geordnet oder so, ma sitzt jo (1) die Position, au die Ordnung, also geordnet durch d=Stühle jo (.) ja ja ja, es git vielleicht a s=biz meh Sicherheit vielleicht für den Gruppenleiter wenn er weiß ok da sitzt jetzt Frau A und dort sitzt (ip-) Herr X und so weiter und es bleibt au so während der Stund (.) und ma weiß wo: ma den Blickkontakt suachn muas, oder? Des isch jetzt au nu so a Aspekt TA: Mit die Stüahl is donn a so a fixe Stotik im Ruum, wo au a jeder sin feschtn Plotz hot im Ruum (.) mit dem Stoh wür sichs wia auflöse in a Dynamik, die donn beweglicher is. Wonn donn zwei führe gendt dann wür sich sofort s=Gruppenbild verändere (.) es stöndt donn zwai ondare nebbatanondt (.) und ma chönnt au Obstond neh vo öpper, ei, mit dem ma eigentlich nöd
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(TA: Mit den Stühlen ist dann so eine fixe Statik im Raum, wo auch jeder seinen festen Platz hat im Raum (.) mit dem Stehen würde es sich wie auflösen in eine Dy-
namik, die dann beweglicher ist. Wenn dann zwei nach vor gehen, dann würde sich sofort das Gruppenbild verändern (.) es stehen dann zwei nebeneinander (.) und man kann auch Abstand nehmen von jemandem, einem, mit dem man eigentlich nicht
Die Positionierung scheint angesichts der ordnenden Funktion von Stühlen, die in der Akuttagesklinik für gewöhnlich von gleicher materieller Beschaffenheit und Machart sind, vor allem ein individueller Prozess zu sein. So beschreibt die Patientin RS beispielsweise, dass diese sich gewohnter Weise immer auf einen bestimmten Stuhl setze. Diese Art der Positionierung auf „ihrem“ Stuhl als Orientierung gebendes Leuchtfeuer schafft für sie Sicherheit. Unterstehend beschreibt RS, dass diese sich im Fall eines BesetztSeins ihres Stuhls relativ zu den noch zur Besetzung frei stehenden Stühlen neu positionieren müsse, was für sie eine Art „Stress“ bedeute. Woanders positioniert zu sein scheint gleichzeitig auch zu bedeuten, sich auch anders setzen zu müssen, was darin resultiere, dass sich RS nicht so wohl fühle: RS: Also was ich bei mir festgstellt hab (.) ich bin so (.) da wo viel Stühle sind und mir, also jetz in der Morgerunde oder isch egal was wir hand in dem Raum, ich probier immer an an de selbe Platz hinzusitze (1) und wenn der jetzt bsetzt isch (.) do kumm i scho a wie in so a Art (.) Stress rein und überleg ja, wo sitz i mi jetzt hin? ja das isch ganz komisch, oder? da hat=s Stühl (.) wenn ich reinkomm (.) und i sitz immer auf derselbe Seite und fascht immer auf derselbe Stuhl. kumm ich rein und
die Reihe isch bsetzt oder grad der Stuhl (.) ja, und jetzt? (1) wo sitz ich jetzt hin? dabei hat=s ja nu andere Stühl, aber das is ned meiner, da fühl ich mich ned so wohl (2) ja. BR: Ja, also, das is au so chli de Automatismus, ma tut sich so Sache o:gwöhne. RS:
˪ Ich weiß
ich komm in den Raum rein (.) und das isch jetzt vo mir aus der dritte, vierte
Stuhl. auf dera Seite ((zeigt mit der rechten Hand nach rechts)) (.) der isch frei, geh ich grad drauf zu und hock hin. Komm ich rein und der is bsetzt, dann kuck ich erschtmal im Raum (.) rum, ja wo sitz ich jetzt hin? ST: S=isch interessant. RS: Ja ST: (1) Ja bi: mir isch es immer so (.) ich luage wer wo sitzt. und donn gsell ich mich wia äbe, je nochdem, zu dem onne. wer das isch. wenn niamand det isch dann
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(1) dann nimm i wahrschi:nlich ehner tendenziell min gwohnte Plotz i:, ober sonscht hock i mi eifoch irgendwo onne. (RS: Also was ich bei mir festgestellt habe (.) ich bin so (.) da wo viel Stühle sind und mir, also jetzt in der Morgenrunde oder ist egal was wir haben in dem Raum, ich probiere immer an an den selben Platz hinzusitzen (1) und wenn der jetzt besetzt ist (.) da komm ich schon auch wie in so eine Art (.) Stress rein und überleg ja, wo sitz i mi jetzt hin? ja das ist ganz komisch, oder? da hat es Stühle (.) wenn ich rein
komme (.) und ich sitze immer auf derselben Seite und fast immer auf dem selben
Stuhl. komm ich rein und die Reihe ist besetzt oder gerade der Stuhl (.) ja, und jetzt? (1) wo sitz ich jetzt hin? dabei hat=s ja nu andere Stühl, aber das is ned meiner, da fühl ich mich ned so wohl (2) ja. BR: Ja, also, das ist auch so ein wenig der Automatismus, man tut sich so Sachen angewöhnen. RS:
˪ Ich weiß ich komm in den Raum herein (.) und das ist jetzt von mir aus der
dritte, vierte Stuhl. auf der Seite ((zeigt mit der rechten Hand nach rechts)) (.) der ist frei, geh ich grad darauf zu und setze mich hin. komm ich rein und der ist besetzt, dann schaue ich erstmal im Raum (.) rum, ja wo setze ich mich jetzt hin? ST: Das ist interessant. RS: Ja ST: (1) Ja bei mir ist es immer so (.) ich schaue wer wo sitzt. und dann geselle ich mich wie äben, je nachdem, zu dem dazu. wer das ist. wenn niemand da ist dann (1) dann nehme ich wahrscheinlich eher tendenziell meinen gewohnten Platz ein, aber sonst setze ich mich einfach irgendwo hin.)
ST schildert im Vorigen eine andere Positionierungsstrategie: Er positioniert sich relativ zu den Personen, die ihm sympathisch sind. CC: Ich luage oft in de Runde (.) und goh do (.) in de Chreis, Stuahl für Stua:hl (.) wo ich spüre, do isch mir am Wohlschten. s=isch gonz (.) wia ä:h äh (.) wia ei bsonderer Blick (.) wo ich ä:h (.) mag onnesitze. jo (.) ä:h, äh in Blick in de Runde. do muas guat fühle und o:gnehm si:i. und denn go i det und der isch es. (CC: Ich schaue oft in die Runde (.) und gehe da (.) in den Kreis, Stuhl für Stuhl (.) wo ich spüre, da ist mir am Wohlsten. es ist ganz (.) wie ä:h äh (.) wie ein besonderer Blick (.) wo ich ä:h (.) mich hinsetzen mag. ja (.) ä:h, äh den Blick in die Runde. da muss gut fühlen und angenehm sein. und dann geh ich dort und der ist es.
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CC relativiert die Wahl seines Platzes weniger an Orientierungspunkten (Personen, Gegenstände), sondern nimmt auf jenem Stuhl Platz, auf dem er sich „am Wohlsten“ fühlt. Diese Art der Positionierung gleicht einem „Flirt“ mit den zur Besetzung vorhandenen Stühlen, zumal das Wort „Flirten“ vom französischen fleureter abstammt, was soviel bedeutet wie „von Blume zu Blume schweben“. Beim Betreten des Raumes schwebt der Patient CC von Stuhl zu Stuhl, um sich letztendlich auf einen, der ihm am meisten zuspricht, zu setzen. BR: Wos ich oft moche is en Stua:hl u:sloh (.) wenn ich onnehocke. ST:
˪ Des moch i au oft.
BR: (.) Warum au immer. oiso eifoch die Dischtonz. (.) die isch (.) mir (.) oiso, ich weiß ned ob des mit dem Kronheitsbild in Zommehong hätt oder ob ich das ollgemein moche (1) ä:h (.) dass ich meischtens (.) a chli Obstond bruuch. dass a so chli die Sicherheits- (.) Obstond zu- zum Gegenüber, ich ho ned gern, wonn so eng nebedanond sitzt (.) und ä:h, jo, automatisch loss ich ein Stua:hl us und hocke dete ob, ober mich störts nöd, wenn öpper nebed mich onne sitzt. es goht nur drum, dass ich de Schritt ned chonn moche (.) grod direkt nebed öpper sitze. RS: Ja aber warum? Angst, mit dena Leut in Kontakt z=trete, körperlich und Rede au (1) weil=s z=nah zamme bisch? ST: Du möchtescht öpper scho u:f Dischtonz sitze, isch au a chli kulturell. (BR: Was ich oft mache ist einen Stuhl auslassen (.) wenn ich mich hinsetze ST:
˪ Das mache
ich auch oft. BR: (.) Warum auch immer. also einfach die Distanz. (.) die ist (.) mir (.) also, ich weiß nicht ob das mit dem Krankheitsbild einen Zusammenhang hat oder ob ich das allgemein mache (1) ä:h (.) dass ich meistens ein wenig Abstand brauche. dass auch so ein wenig der Sicherheits- (.) Abstand zu- zum Gegenüber, ich habe nicht gern, wenn so eng nebeneinander sitzt (.) und ä:h ja, automatisch lasse ich einen Stuhl aus und setzte mich dort hin, aber mich stört es nicht, wenn jemand sich neben mich hinsetzt. es geht nur darum, dass ich den Schritt nicht machen kann (.) gerade direkt neben jemand sitzen. RS: (.) Ja aber warum? Angst, mit denen Leuten in Kontakt zu treten, körperlich und Reden auch (1) weil du zu nahe zusammen bist?
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ST: Du möchtest schon auf Distanz zu jemandem sitzen, das ist auch ein wenig kulturell)
Im Rahmen der Gruppendiskussion beschreibt auch BR ihre Positionierungsstrategie, die sich durch eine Einhaltung eines bestimmten Distanzierungsmaßes relativ zu anderen bei der Auswahl des Sitzplatzes charakterisieren lässt. Ihr scheint es ganz besonders von Bedeutung zu sein, „genügend Abstand“ zu den anderen zu bewahren. Sitzen als „technique of the body“ (Mauss, 1979) ist ein unerlässliches Werkzeug zur Herstellung von Kommunikation. Erst eine Technik zur Begrenzung und Formung von örtlichem und zwischenmenschlichem Raum, nimmt ein Mensch zum Zweiten auf ihm Platz, um sich darauf in einem abgesteckten Territorium im Kreis von vielen zu positionieren. Wie sich Menschen am Ort der Psychiatrie mit der Handlung des Sich-Setzens relativ zu anderen positionieren ist dynamisch und nicht festgelegt. Es zeigt sich, dass das Platz-Nehmen auf einem individuell gewählten Stuhl dazu beitragen kann, dass Patient_innen auf mehrfache Weise (z.B.: Entspannung, Wohlgefühl) am Ort der Psychiatrie ankommen können. Dies beschreibt auch SA als Sachverständige aus dem Sozialdienst: SA: Jo das stimmt scho und au Sitzordnig (.) wie wichtig des kann si::, ma will döt sitze nebe dem und nit unbedingt do und isch enttüscht wonns net go:ht, des isch scho (.) jo (.) jo, es hätt scho a Bedütig. (SA: Ja das stimmt schon und auch Sitzordnung (.) wie wichtig das sein kann, man will dort sitzen neben dem und nicht unbedingt da und ist enttäuscht, wenn es nicht geht, das ist schon (.) ja (.) ja, es hat schon eine Bedeutung.
Auch für die Ärztin AA sei das Sitzen auf Stühlen im Unterschied zum Stehen Ordnung schaffend. Als Beispiel teilt sie eine Erfahrung aus einer Klinik, in welcher sie zuvor gearbeitet hatte: AA: Also es fordert einen viel mehr heraus wo stell ich mich hin und wo stütz ich die Arme hin und ä:hh stell ich mich ein bisschen hinter jemanden? oder stell ich mich davor? und (.) also (.) durch die, durch die durch die Stühle gibts mehr so ne Ordnung. und dass so etwas (1) äh:m kreativer ist vielleicht ohne Stuhl (.) oder was heißt kreativer (2) dass sich dann was zeigen kann (.) wie so eine Inszeniierung oder
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ich weiß nicht ich kenn das ausm Rapport, das war in einer sehr großen Klinik und da gabs dann so den Klinikrapport und wir haben in nem ganz großen Saal gestanden im Kreis. und das fand ich viel unangenehmer als dieses, ich kannte das sitzend und irgendwann hat der Chefarzt gesagt das geht viel v- viel flockiger und viel rascher, wenn wir stehen und er wie Napoleon in der Mitte da hin und herspringt (.) und sein Zeug macht und alle stehen wie so im Hofsta:at um ihn herum im Kreis (1) das fand ich recht ä:hm (1) das fand ich eher unangenehm. dieses Stehen.
Der Stuhl erleichtert das Ankommen. Sei es AA zufolge zwar kreativer, zu stehen und erlaube mehr Bewegung, so gibt der Stuhl auch mehr Sicherheit, indem mit ihm eine klare Zuweisung der räumlichen Position geschaffen werden kann, die sich immer auf einzelne bezieht. Stühle bieten den Menschen feste Rahmen, definieren Mindestdistanzen und sind per se Kommunikationsmedium: Zum einen bringen sie die Körper der Menschen in die Haltungsform der Sitzenden, zum anderen werden diese durch sie in eine neue Position zueinander gebracht. Würde der Stuhl als Basis der therapeutischen Arbeit fehlen, so scheint es zudem nach AA die Aufgabe der Behandler_innen zu sein, in deren Tätigkeit mit den Patient_innen die stützende und schützende Aufgabe des Stuhls für die Patient_innen zu übernehmen: AA: (räuspert sich) (4) da:s kommt ganz drauf an äh (2) also könnte noch mehr äh, natürlich Bewegung reinbringen, der (.) ba, hab ich mir noch nie überlegt wie das wäre alles im Stehen zu machen, ich glaub es is schon, dass es dann so Momente der (.) Erschöpfung gibt, wo auch Gefühle dazu führen, dass man dann einfach so (.) sozusagen (.) sich setzen möchte oder fallen möchte oder irgendwie gestützt werden möchte und das is so (1) ä:hm ich hätte Sorge, dass ich was übernehmen muss, was der Stuhl macht, das wär meine Befürchtung, dass ich, wenn ich Psychotherapie immer im Stehen machen würde, dass sozusagen ich dann jemanden halten muss und äh (.) ä:hm, der Stuhl nimmt mir auch irgendwie auch was ab. da hätt ich ein bisschen Sorge vor
Ein weiterer Aspekt, der im Zusammenhang mit der Praxis des Sitzens als Positionierung und Relativierung von Bedeutung ist, ist das Zusammenspiel von Auge und Hand im „Auge-Hand-Feld“ (Plessner, 1975): die Hände und das Sichtfeld (außer im Falle des Sitzens bei Tisch) sind im Sitzen frei. Die Kommunikationsstruktur des Sitzens zeichnet sich damit auch durch den
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Blickkontakt und die Gestik der Sitzenden aus. Ein Wechseln oder ein Abbruch des Blickkontakts hat somit auch Auswirkungen auf die zwischenmenschliche Kommunikation, da Positionierung im Bezug auf das Sitzen auch eine Balance von Bezogenheit und Distanzierung bedeutet, die im Blickkontakt ihren Ausdruck findet. BR: Jo, dass im Sitze des Gegenüber au d=Fähigkeit händ in Chontakt mim Blick obzbreche und du sitzt donn wia so allei do ST:
˪ Jo, ober mangisch isch au guat, dass ma wia
chonn am Bode luage, um sich besser u:f sich selber z=konzentriere (BR: Ja, dass im Sitzen das Gegenüber auch die Fähigkeit hat den Kontakt mit dem Blick abzubrechen und du sitzt dann wie so allein da ST:
˪ Ja, aber manchmal ist es auch gut,
dass man wie kann am Boden schauen, um sich besser auf sich selbst zu konzentrieren)
RO beschreibt zudem die Arbeit mit dem Blickkontakt während des Sitzens aus behandlerischer Sicht. Für RO sei diese eine zusätzliche Anforderung, die viel Aufmerksamkeit vonseiten der Therapeut_innen verlangt: RO: Das isch natürlich (.) ei, das ischn Faktor, wo isch, oder? dass immer nu (.) das direkte Feedback a d=Patiente hasch (.) hatt er eifach wie so (.) wie du dich bewegsch und wie du reagiersch uff (.) uff dos, wos er so seit und wien er sitzt oder luagt und so wiiter (.) das isch immer nu (.) das lauft (.) ja, des isch ine Oarbeitsoforderig os o:s Schoffe dassd imme nu luagsch (.) wie reagiert er uuf das Nonverbale oder (3) und es natürlich a Wah- (.) ach chann mas au guat nutze oder mangisch gsehscht dass eine immer genau gliich hockt wia du, oder? (.) irgendwie wird a immer reagiert und do choscht das vielleicht verwerte oder es isch a Zuasotzäbene wo (.) wo nua mol ostrengend isch oder zum (2) ä:h bim Schoffe. (RO: Das ist natürlich (.) ei, das ist ein Faktor, der ist, oder? dass du immer noch (.) das direkte Feedback an den Patienten hast (.) hat er einfach wie so (.) wie du dich bewegst und wie du reagierst auf (.) auf das, was er so sagt und wie er sitzt oder schaut und so weiter (.) das ist immer noch (.) das läuft (.) ja, das ist eine Arbeitsanforderung ans a:ns Arbeiten, dass du immer schaust (.) wie reagiert er auf das Nonverbale, oder? (3) und es natürlich auch ein Wah- (.) ach kann man auch gut nutzen
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oder manchmal siehst du, dass einer immer genau gleich sitzt wie du, oder? irgendwie wird auch immer reagiert und da kannst du das vielleicht verwerten oder es ist eine Zusatzebene die (.) die noch einmal anstrengend ist, oder? zum (2) ä:h beim Arbeiten.)
Von weiterer Bedeutung ist in diesem Zusammenhang die Einrichtung eines dritten Bezugspunktes durch ein Sitzen in einem leicht abgewandten Winkel voneinander. Dadurch werde das von Patient_innen wie auch das von Behandler_innen als konfrontativ erlebte, direkte Gegenüber-Sitzen, durch die Möglichkeit eines Wechselspiels von Abwenden und Kontaktaufnahme aufgehoben: AA: Ich sitz meistens so mit dem Patienten da, dass wir auch Möglichkeiten haben, ein Dreieck zu machen. Der Patient hat immer umgekehrt er muss nicht in diesem, sondern er kann auch da hinschauen. Und kann oder man kann auch das Flipchart dazuholen wenns ö:h als Instrument sinnvoll is ooder uns (.) äh dass jemand (.) äh die Möglichkeit hat ein Dreieck zu machen.
RO beschreibt zudem eine Relativierung bei der Festlegung des Stuhlwinkels, die sich zusätzlich zu den dort Platz nehmenden Personen auch auf die umgebende Raumstruktur zu beziehen scheint: RO: D=Idee (.) glaub i hintern Owinkle isch, dass ma nöd (.) dass ma donn nöd sowos mocht, i glaub es mocht weniger Ongscht ols wenn ma sich genau gegenüber sitzt und chum cho uuswiiche mit em Blick oder es grod sehr uffallt, wenn der eint wegluaget oder? es fallt ned so uuf wenn ma chli o:gwinkelt isch (.) ma chonn au u:sseluage und wieder zruckcho (3) oder? (1) Ich hon zum Biispiel a:u scho beobachtet eifoch (.) is ma ufgfalle und °ich denke do° (.) Zimmer, wo net so viel Plotz
hend und d=Stüahl relativ nöch zamme sind die händs (.) jo es isch eifach au s=Biispiel wo i in Chopf han (.) sehr sehr useino:nd oiso wirkli im rächte Winkel. sehr (.) also ich denk zum das U:sgliche, die, nöche Dischtanz mocht wieder Ongscht ober doss durch de Winkel chonn das (.) u:sgliche oder? und Zimmer, wo ja (.) ja::a, scho es isch jetzt kai Statistik ober en Iidruck, oder? Zimmer, wo groß sind d=Stüahl wiit u:senond sind, dass die tendie:re dazua, dass d=Stüahl äh (.) meh und meh äh (.) direkt gegenüber (2) stönd.
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(RO: Die Idee (.) glaube ich hinter dem Anwinkeln ist, dass man nicht (.) dass man nicht so etwas macht, ich glaube es macht weniger Angst als wenn man sich genau gegenüber sitzt und kaum ausweichen kann mit dem Blick, oder es gerade sehr auffällt, wenn der eine wegsieht, oder? es fällt nicht so auf, wenn man ein wenig angewinkelt ist (.) man kann auch hinaussehen und wieder zurückkommen (3) oder? (1) ich habe zum Beispiel auch schon beobachtet, einfach (.) ist mir aufgefallen und °ich denke hier° (.) Zimmer, die nicht so viel Platz haben und Stühle relativ nahe zu-
sammen sind, die haben sie (.) ja einfach als Beispiel, das ich im Kopf habe (.) sehr sehr auseinander, also wirklich im rechten Winkel. sehr (.) also ich denke zum
das Ausgleichen, die, oder? und Zimmer, die ja (.) ja::a, schon, es ist jetzt keine Statistik aber ein Eindruck, oder? Zimmer, die groß sind die Stühle weit auseinander
sind, dass die tendieren dazu, dass die Stühle äh (.) mehr und mehr äh (.) direkt gegenüber stehen.)
Wurde im Rahmen der vorangegangen Ergebnisdarstellung vor allem die strukturierende Bedeutung des Stuhls als Kommunikationsmedium im räumlichen Aspekt der Positionierung beleuchtet, so lässt sich anhand der Schilderungen von Patient_innen und Behandler_innen als weiteres aufzeigen, dass mit der Sitzhaltung im Unterschied zum Liegen oder Stehen eine zeitliche Bezogenheit auf die Gegenwart einsetzt. So wird die Position des Liegens mit dem Wiedererleben von Vergangenem beziehungsweise das Stehen oder Gehen mit der Fokussierung auf Zukünftiges in Verbindung gebracht. So stellt die Behandlerin TA fest: TA: Es git donn doch wie so öppis wie ma nimmt sich Ziit und sitzt ab (.) so wie so (.) Jetzt sitzen ma ma:al. Es git Ruum au so fürenonder, im Hier und Jetscht (TA: Es gibt dann doch wie so etwas wie man nimmt sich Zeit und sitzt ab (.) so wie so (.) jetzt sitzen wir mal. es gibt Raum auch so füreinander im Hier und Jetzt)
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Abbildung 16: „Warte“ („Warten“)
Quelle: Angefertigt von LO, erhoben von L. L. LL: Dankeschön (1) ä:h, was is für Sie so typisch daran? also das Typische in de Tagesklinik? LO: Jo (2) i bi: do am Warte (2) vorher grod, ä:h, do, also do am Bild, ich weiß es nö:d, ob Sie mich erchennet, aber das bin i:ch ((zeigt auf die linke abgebildete Person auf dem Bild)) @()@ sitz i eifoch nur, eifoch nur do: jetz so (.) ober ä:h (.) ich dua au gern au lese in de Pausen wo ma kei Therapi:e hon. (.) oder en Kaffi go:h hole. ja (LL: Dankeschön (1) ä:h, was ist für Sie so typisch daran? also das Typische in der Tagesklinik? LO: Ja (2) ich bin da beim Warten (2) voher gerade, ä:h, da, als da am Bild, ich weiß es nicht, ob Sie mich erkennen, aber das bin i:ch ((zeigt auf die linke abgebildete Person auf dem Bild)). sitze ich einfach nur, einfach da, jetzt so (.) aber ä:h (.) ich lese auch gerne in den Pausen wo wir keine Therapie haben. (.) oder einen Kaffee holen. Ja)
Das Bild von LO (Abbildung 16) wird von einer Symmetrie dominiert, die mittels der in der Zeichnung dargestellten Stühle sowie durch die sich jeweils am äußersten Stuhl abgebildeten Personen hergestellt wird. Die auf
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der linken Seite zu Darstellung gebrachte Person wird von der abbildenden Bildproduzentin als sie selbst identifiziert. Insgesamt bedient die zur Darstellung gebrachte, typische Situation ein Sujet des „Wartens“, welches sich sowohl in der habituellen Geste der eine Zeitung lesenden Person als auch in Gestalt der in den Seitentaschen eingesteckter Hände der abgebildeten Bildproduzentin ausdrückt. Dabei ist es vor allem das Einstecken der Hände, das unter Heranziehung Helmuth Plessners (1975) Begriff des „AugeHand-Feldes“ das Motiv des Wartens verstärkt: den Händen kommt eine bedeutende Rolle beim „Zugriff auf die Welt“ (S. 232) zu, sodass der Mensch seine Tätigkeiten und sein Gestalten letztendlich „in der Hand hat“ (Plessner, 1975, S. 333). Mit dem Einstecken der Hände, das unter diesem Aspekt auch ein Wegstecken sein mag, agiert LO in einem begrenzten Rahmen: seine Handlungsmöglichkeiten sind beschränkt, sein „AugeHand-Feld“ überschaubar. Im Bild ist daher mehr als das Sitzen auf dem Armlehnstuhl im Aufenthaltsbereich zu sehen: In ihm wird bildhaft dargestellt, dass weder die abgebildete Bildproduzentin noch die Zeitung lesende Person Ab-Sichten hegen, allenfalls solche, die sich auf einen späteren Zeitpunkt beziehen, an welchem Handlungsumsetzungen realisiert werden, werden müssen, werden sollen oder werden können. Die bildliche Darstellung des Wartens ist damit eine Verbildlichung von Gegenwärtigkeit. Dabei ist es die Haltung des Sitzens, die diese Haltungseinnahme und deren Aufrechterhaltung ausdrückt. Die Patientin BR veräußert im Bezug auf die Liegehaltung das SichZurückversetzen in die Vergangenheit, in die sie sich „voll und ganz“ fallen lassen könne, wenn diese sich im Liegen zurückversetze: BR: Es is meh Entsponnig (.) also ma chönnte me:h vo inne rede, wenn ma wür liege, ma chönnt d=Auge schlüsse bim Rede (.) sodass ma me::h (.) chonn vo Inne usserede, eigentlich, oiso wirklich das vo da Seele rede (.) ma wür ned obglenkt werde vo: vo de, oiso ollgmein wenn ma d=Auge würd schließe würd ma ned obglenkt werde vo (.) oder (.) vom Umfeld, vom Fenschter, vo vo dim (.) und, ma chönnt eher nu, also ma müsste kei Persone oluage bim Rede (.) so au me:h si erinnere und si z=ruckversetze, oder? ich denke scho:, dos ma det me:h chönne zr- zruck-, sich zruckversetze (.) ma chönnte sich voll und gonz falle lo:h (BR: Es ist mehr Entspannung (.) also man könnte mehr von innen reden, wenn man liegen würde, man könnte die Augen schließen beim Reden (.) sodass man mehr (.)
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von Innen herausreden, eigentlich, also wirklich das von der Seele reden (.) man würde nicht abgelenkt werden von von dem, vom Umfeld, vom Fenster, von von dem (.) und, man kann eher noch, also man müsste keine Personen anschauen beim Reden (.) so auch mehr sich erinnern und sich zurückversetzen, oder? ich denke schon, dass man da mehr sich zu- zurück-, sich zurückversetzen kann (.) man könnte sich voll und ganz fallen lassen)
CI betont als Behandlerin den Aspekt der Gefahr eines Wieder-Erlebens vergangener traumatischer Erfahrungen. In der Arbeit mit traumatischen Patient_innen wäre es somit von Vorteil, diesen in der körperlichen Haltungsform des Sitzens zu begegnen, die sich als solche mehr auf das „Hier“ bezieht. CI: Joo (.) im Liegä isch au ä:hm, im Liegä isch au natürlicch, wä de, wä du d=Lüt net so guat chännsch und zum Beispiel au Traumas umme si isch Liegä (.) gonz ä:h schlächt, find i oiso weu dort natürlicch ä:h eifach ä:h, die traumotische Gschicht vo Früahna cho uftauche so (.) oder ma isch vielleich au schutzloser. jetzt i dä Entsponningsgruppenä gong i scho vial o (.) uffe Bode (.) ober ä:h, traumatisierte Patientä gong i olso die dun i eigentlich meischtens ufm (.) im Sitzä loh. so zum do Bli:be. oiso sigs irgendwo ohlähne oder so. jo. (CI: Ja (.) im Liegen ist auch ä:hm, im Liegen ist auch natürlich, weil die, weil du die Leute nicht so gut kennst und zum Beispiel auch Traumas da sind ist Liegen (.) ganz ä:h schlecht, finde ich also weil dort natürlich ä:h, die traumatische Geschichte von Früher auftauchen kann so (.) oder man ist vielleicht auch schutzloser. jetzt in den Entspannungsgruppen geh ich schon viel runter (.) auf den Boden (.) aber ä:h, traumatisierte Patienten gehe ich, also die tue ich eigentlich meistens auf dem (.) im Sitzen lassen. so zum da Bleiben. also sei es irgendwo anlehnen oder so. ja.) MO: s=Sitze hat halt eben was (.) so Ru:he, a Ruheposition, im Gegensatz zum Stehe oder Laufe uf jeden Fall (1) und es hat den Vorteil, weil eine gwisse Bequemlichkeit (.) ma kommt schneller wieder hoch als wenn ma liegt aufm Bode @(.)@ (.) und ma kann sich halt (.) ja jetzt °so gesagt° (.) sich eher im Hier und Jetzt befinde halt au:: (.) und auf gleicher Höhe wenn ma sitzt
Das Sitzen scheint in der Abgrenzung zum Stehen und Liegen eine Mittlerposition einzunehmen: es vermittelt nicht nur zwischen dem Liegen und
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Stehen, sondern auch als solches zwischen Vergangenheit und Zukunft. Zudem betont RS im Rahmen der Gruppendiskussion ihre Abneigungen gegenüber eines hypothetischen Behandlungsgespräches im Stehen. Es habe etwas Fluchtartiges an sich, woraufhin BR die Bedeutung des gemeinsamen Platz-Nehmens auf Stühlen unterstreicht: durch das Sitzen sei der Mensch mehr „zugegen“: RS: Jo, aba du bisch jo do viel gschützter (.) uf de Stühl, also ich würe keim Psychiater im Sto:h mei Lebensgschicht verzähle (1) äbe, weil i susch kei Schutz han, außerdem, ehrlich, donn k- ko i jo gli: go:h, wonn i so herumsto:h mit dem ST: Njo. du hosch jo au kei Halt. do chummsch jo au ned °on° (.) jo, do chunnt ma gli: wieder go:h BR:
˪ Äbe, und du bisch jo au wia ned zgegä, do chosch di, chosch di vü besser
i:lo:h uf de Stuahl (RS: Ja, aber du bist ja da viel geschützter (.) auf den Stühlen, also ich würde keinem Psychiater im Stehen meine Lebensgeschichte erzählen (1) eben, weil ich sonst keinen Schutz habe, außerdem, ehrlich, dann k- kann ich ja gleich gehen, wenn ich so herumstehe mit dem ST: Naja. du hast ja auch keinen Halt. da kommst du auch nicht °an° (.) ja, da könnte man gleich wieder gehen BR:
˪ Eben, und du bist ja auch wie mehr zugegen, da kannst du dich
besser einlassen auf den Stühlen)
Im Rahmen der Gruppendiskussion explorierten die Patient_innen die Einnahme unterschiedlicher Haltungen. In der konkreten Situation erhoben sich ST, CC, BR und RS, um die Haltungsoption eines „Stehkreises“ gemeinsam zu explorieren: ST: Jo (3) also find ich fühlt si chomisch au. BR: Jo, es fühlt sich chomisch au. es is so (.) wie wonn ma grad wödte go:h. so chli, so chli: (.) ma hat so s=Gfühl ma hat jetz des Ding beendet und wi:ter mim Näxschte, also usse, also es isch so ((geht zwei Schritte Richtung Türe)) @(.)@ (ST: Ja (3) also finde ich fühlt sich komisch an. BR: Ja, es fühlst sich komisch an. es ist so (.) wie wenn man gerade gehen wollte, so ein wenig, so ein wenig (.) man hat so das Gefühl man hat jetzt das Ding beendet
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und weiter mit dem Nächsten, also raus, also es ist so ((geht zwei Schritte Richtung Türe)) @(.)@)
Auch die Behandlerin SI schildert Assoziationen mit Fluchtgedanken, wenn sie sich der Körperhaltung des Stehens im Psychiatriekontext in ihrer Einschätzung widmet. Zudem lässt sie die Fokussierung auf etwas Zukünftiges anklingen, indem SI anmerkt, dass Stehende womöglich eher ihre Präsenz im Abwenden aufgeben würden, um das Eigene fortzuführen oder nachzuverfolgen: SI: Eigentlich im Stehen isch man au a bitzli (1) isch scho au d=Flucht eher möglich. dass ma si schneller abwendet oder schneller a so (.) jo ma chann de Ruckä zuadrehe und wieder a so bei sich si:: (.) so=s Eigene fortführe und nochverfolge und bim Sitze uf=m Stuah:l find i, dass ma sich au gegenüber sitzt und a eher u:fmacht. weniger Fluchtgedanke. s=heißt nit, dass ma im Sitze immer zualo:st aber s=Abwende is eifoch schwieriger. (SI: Eigentlich im Stehen ist man auch ein wenig (1) ist schon auch die Flucht eher möglich. dass man sich schneller abwendet oder schneller a so (.) ja, man kann den Rücken zudrehen und wieder auch so bei sich sein (.) so das Eigene fortführen und nachverfolgen und beim Sitzen auf dem Stuhl finde ich, dass man sich auch gegenüber sitzt und auch eher aufmacht. weniger Fluchtgedanken. es heißt nicht, dass man im Sitzen immer zuhört, aber das Abwenden ist einfach schwieriger.)
Obwohl sich im Zuge oben stehender Betrachtungen zwar die Tendenz anzuzeigen scheint, dass das Sitzen am Ort der Psychiatrie mittels einer abgrenzenden Unterscheidung vom Liegen und Stehen in seiner Definition an Gestalt gewinnt, wenn dieses im Vergleich mit anderen Körperhaltungen als raumzeitliche Positionierungsformen in den Blick genommen wird, so muss jedoch anhand der zuletzt angeführten Schilderung von SI konzediert werden, dass die Körperhaltung des Sitzens nicht ausschließlich als ein Ausdruck von Gegenwartsorientierung aufgefasst werden kann: SI stellt in ihrer Beschreibung dar, dass Sitzende auch im Sitzen nicht „immer zuhören“ müssen und sich abwenden können, also abseits des „Hier und Jetzt“ sein können. Auch in Bezugnahme auf die im vorigen Kapitel angeführten Schilderungen von AA lässt sich die Abweichung von einer angenommenen raum-
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zeitlichen Positionierungsstruktur, die als solche mit der Körperhaltung in Verbindung gebracht werden kann, nicht ignorieren, wenn diese bezüglich der Auswahl ihrer Praxisstühle als Auswahlkriterium für einen idealen Stuhl nennt, dass dieser Patient_innen darin nicht zum Einschlafen im Sitzen – also zur konstitutionellen Überführung der Gegenwärtigkeit bzw. Präsenz von Patient_innen in Absenz – einladen sollte. Somit eröffnen sich insgesamt auch für das Sitzen Formen der Positionierung, die vorangegangenen Argumentationsstrukturen nicht entsprechen, womit sich der im Rahmen der Darstellung zunächst angenommene statische Charakter von Haltungsformen als nicht haltbar erweist. Mit Rückgriff auf Plessners (1975) Ausführungen zur „exzentrischen Postitionalität“ des Menschen und eine dadurch sowie durch die Empirie gestützte gezogene Konsequenz, das räumliche Zugegen-Sein des Menschen in einem Spannungsverhältnis von Positionierung und Relativierung aufzufassen, eröffnet sich jedoch die Möglichkeit, sich dem Phänomen des Sitzens über eine Auseinandersetzung in einem dynamischen Verständnis anzunähern, da sich auch im Rahmen der Untersuchung vielfach zeigt, dass Körperhaltungen – darunter auch das Sitzen – mit anderen Bedeutungsdimensionen von „Haltung“ in einer komplex strukturieren Beziehung stehen. Dabei liegt weder in der Psychologie noch in der Medizin, der Anthropologie oder Geschichte ein homogener Begriff von „Haltung“ vor. RO: Genau, wosch hosch jetzt d=Chörperholtig grod innä gno:, oder? oder? Holtig isch jo wirklich interess- (.) z=unterscheide, denck i, es isch jo mehr doppeldütig, oder? und ä:h, natürli hon i gmeint die analytische Haltig oder in Sochn vo da Beziahig, aber äbe (.) ghört dazua, dass ma sitzt, chörperlich, oder? ä:h. so. (RO: Genau, wo du jetzt die Körperhaltung gerade herein genommen hast, oder? oder? Haltung ist ja wirklich interess- (.) zu unterscheiden, denke ich, es ist ja mehr doppeldeutig, oder? und ä:h, natürlich habe ich gemeint die analytische Haltung, oder? in Sachen von der Beziehung, aber eben (.) gehört dazu, dass man sitzt, körperlich, oder? ä:h. so.)
Mit der Fokussierung der Körperhaltung des Sitzens kommen auch Bedeutungsdimensionen zum Tragen, die unter anderem körperliche, seelische, ethische, denkstilistische Phänomene sowie deren Parallelen und Wechselwirkungen einschließen. Mit dem Setzen setzt sich nicht nur der Körper,
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sondern es drücken sich auch Haltungen aus. Zudem zeigt sich im Sprechen über das Sitzen, dem Explorieren im Rahmen der Gruppendiskussion sowie in der bildlichen Vergegenwärtigung typischer Situationen am Ort der Psychiatrie, dass sich mit der Körperhaltung des Sitzens keine statische Positionierungsform auffassen lässt, sondern es benötigt – zunächst auf rein körperlicher Ebene – augenscheinlich adaptierende Muskelbewegungen, Modifikationen in der Lagerung von Körperteilen und der Verlagerung von Gewicht usw., um sich als Mensch „in Haltung“ zu bewahren. Der Körper ist zudem mit Blutversorgung, Reizübertragung, Atmung, usw. an sich ein stetig Bewegtes, weshalb die Annahme einer unbewegten Körperhaltung primär als paradox erscheint. Jene Erkenntnis, die sich im Rahmen der Untersuchung zeigt, lässt es somit als notwendig erscheinen, den Begriff der Haltung im Zuge der Theoriebildung im Kontext der Betrachtung des Sitzens am Ort der Psychiatrie zu einer neuen Definition zu bringen. Bei der Haltung – sei es eine körperliche oder eine Geisteshaltung – handelt es sich um einen stattfindenden Prozess, zumal auch das Suffix -ung im Deutschen Handlungen markiert, die sich in einer dynamischen Beziehung, in Veränderung, befinden (Munske, 1964, S. 34). Zudem bezieht sich der Begriff der Haltung in der etymologischen Verfolgung seiner Wortherkunft auf das mittelhochdeutsche „haltunge“, das die Assoziationen von Statik und Stillstand mit der bewegten Praxis des Hütens und Weidens vereint. Der Haltungsbegriff changiert damit zwischen zwei extremen Polen: der Bewegung und dem Stillstand. Der Begriff der Haltung bezeichnet zudem ein heterogenes Feld von „Sprachspielen“ (Wittgenstein), die sich im Rahmen von anthropometrischer Anpassung, Geisteshaltungen, ethischer Diskurse und vielen weiteren Feldern anberaumen. Sprachphilosophisch hält das Haltende das zu Haltende, außerdem hält nicht nur das Haltbare die Möglichkeit des Gehalten-Werdens in sich, sondern das Haltende enthält und besitzt zuvor die Möglichkeit des HaltendSeienden. Die Haltungen – zum Beispiel die von RO angedeutete Doppeldeutigkeit therapeutischer Haltung und die der körperlichen Haltung – greifen ineinander und sind umgeben von bezeichnenden Strukturen. Dabei handelt es sich um einen Prozess: Eine Haltung ist somit allem unterworfen, das in irgendeiner Weise damit in Zusammenhang steht: das Haltende ver-hält sich genauso zu seiner Wirklichkeit als Haltendes hin, wie das Haltbare zu seiner Wirklichkeit als Gehaltenes. Im Grunde kommt also beiden Komponenten dieser Konstellation das Attribut der Bewegung zu. Sit-
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zen am Ort der Psychiatrie ist damit Positionierung, Ausdruck von vielerlei Haltungen, die es als solche zu relativieren – zu halten – gilt. In Bezug auf die Untersuchung hat dies zu bedeuten, dass Sitzen, Liegen und Stehen sich nicht ex negativo vom jeweiligen Anderen zur Definition bringen lassen. Jene Bezeichnungen bieten lediglich eine schmale Palette an Adressen im dichten Gewebe potenzieller menschlicher Haltungsformen. Insofern ist beim Liegen, Sitzen und Stehen jeweils nicht von einer homogenen Form zu sprechen, sondern sie stellen jeweilig das vorläufige Ergebnis eines vielschichtigen Arrangements dar, die als solche laufend von Fissuren, Brüchen und Verwerfungen durchzogen sind. Das bedeutet, dass weder das Sitzen noch das Liegen oder das Stehen über ein einheitliches Profil verfügen. Eine Auffassung der in den Blick genommenen Triade von Sitzen, Liegen und Stehen, deren Elemente auch, jedoch nicht gänzlich, als Gegensätze beschrieben wurden, erscheint aus phänomenologischer Sicht vielmehr in Gestalt ineinandergreifender Dimensionen, die mit der jeweiligen Dynamik einer Haltungsform emergieren. Das Sitzen ist weniger ein Dazwischen von Liegen und Stehen, noch ist es ein Modus, es ist eher ein Anderswo. Es ist das Sujet eines anderen Erkenntnisraumes, weder chaotisch noch systematisch, weder in sich zusammengefallen noch fundiert. So gestaltet sich der Raum der Haltung: Ihre Basis entzieht sich an Ort und Stelle, die Haltung der Haltung ist selbst immer haltungslos. Die Einnahme einer Haltung besteht weniger darin, das Absolute, die absolute Geste der Haltung zum Ausdruck zu bringen, als vielmehr darin, ihr eine aktuelle Form zu geben. Das Sitzen ist nicht als reine Haltungsmechanik zu betrachten, sondern als ein Ensemble an Erlebnissen, das sich in der menschlichen Erfahrung in einer kinästhetischen Qualität als Querverbindung körperlichen, psychischen und positionalen Erlebens zeigt.
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Abbildung 17: „Typische Situationen in der Tagesklinik“
Quelle: Angefertigt von RR, erhoben von L. L. LL: Ah, dankeschön. wollen Sie mir kurz erklären was für Sie hier typisch ist? RR: Ja. also @(.)@ icch hon verschiedne Soche do:h ä:h, da:h ((zeigt auf die linke, sitzende abgebildete Person)) hock ich onne, wi:l i müad bi:, luaget Sie, do hon i s=Aug zua @(.)@ jo. a, und de:t ((zeigt auf die mittlere Darstellung)) bin i:ch, isch do: i de Bewegigstherapie won ich mit de Stoff ä:h, mit de Tüacha Bewegig moch, des hon i nu gärn. //a:h, mhm// (2) und jo ä:h (1) hm. hon nöd gnau gwüsst wia Zeige, ober äh:: (.) ich zeige oft nöd immer wies mir go:ht so (.) ich hon do inne Träne zaichnet und noch usse zeig i es donn, ich mei do ((Anm.: in der Psychiatrie)) nu am Eheschte, ober generell, doss i wia des au a chli o:drülle, obwohl=sch jo dinne isch (.) ä:h. so. nö:d, doss ich do:h wirklich so sto:h mit Träne, i de Bu:ch, isch in vielne Situatione so, also generell, das gri:ft ja wia inenond (.) wia zeig ich mi:ch und wia fühl ich mich, oder? ä:h. jo (.) ich dencke so. (LL: Ah, dankeschön. wollen Sie mir kurz erklären was für Sie hier typisch ist? RR: Ja. also @(.)@ ich habe verschiedene Sachen da ä:h, da: ((zeigt auf die linke, sitzende abgebildete Person)) setze ich mich hin, weil ich müde bin, sehen Sie, da habe ich das Auge zu @(.)@ ja. a, und dort ((zeigt auf die mittlere Darstellung)) bin ich, ist da in der Bewegungstherapie wo ich mit dem Stoff ä:h, mit den Tüchern Bewegung mache, das habe ich noch gerne. //a:h, mhm// (2) ja ä:h (1) hm. habe nicht
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genau gewusst wie Zeigen, aber äh:: (.) ich zeige oft nicht immer wie es mir geht so (.) ich habe da drinnen Tränen gezeichnet und nach außen zeige ich es dann, ich meine da ((Anm.: in der Psychiatrie)) noch am Ehesten, aber generell, dass ich wie das auch ein wenig abdrehe, obwohl es ja drinnen ist (.) ä:h so. nicht, dass ich da wirklich so stehe mit den Tränen, in dem Bauch, es ist in vielen Situationen so, also generell, das greift ja wie ineinander (.) wie zeig ich mich und wie fühle ich mich, oder? ä:h ja (.) ich denke so.)
In ihrer Beschreibung lässt RR das anklingen, was Jean-Luc Nancy unter den Titel des „Wiegens“ stellt (Nancy, 2007, S. 81): Haltung wiegt im Stützen „innerer und äußerer Gewichte“; ein Spannungsverhältnis, das gleich eines Pendels zwischen Positionierung und Relativierung, zwischen Bewegung und Statik sowie zwischen Körper und Psyche vermittelt. RR beschreibt dabei eine Dynamik, die zwischen dem Gefühl der Traurigkeit und dessen körperlichen Ausdruck vermittelt. Sein Rotationspunkt, das von RR erwähnte „Ineinandergreifen“, setzt die Wahrung voraus, ein bewegtes Herstellen und Wiederherstellen eines Prinzips, das sich nicht in der Aktualität auszeichnet, sondern in dessen Beständigkeit, d.h. in der Positionierung. Die mentale Haltung, die RR mittels der Tränen ausdrückt, und ihre Körperhaltung sind ineinander verschränkt. Beides ist ineinander verwoben: der Blick nach außen geht gleichzeitig nach innen, der nach innen richtet sich auch nach außen und mündet in der Frage der Positionierung, die sich RR an dieser Stelle stellt: „Wie zeige ich mich und wie fühle ich mich?“. Am Ort der Psychiatrie nehmen Menschen somit mehr als nur körperliche Haltungen ein, sondern positionieren sich in vielerlei Dimensionen. Das Platz-Nehmen am Ort der Psychiatrie geschieht inmitten des Umstands, dass Menschen angesichts ihres örtlichen Zugegen-Seins mit der Aufgabe betraut sind, sich zu positionieren. Die Untrennbarkeit von Positionierung und Relativierung, sozusagen von Einrichten und Ausrichten, ist dabei persistent. Dies lässt sich auch auf Seiten der Behandler_innen feststellen, wenn sich deren therapeutische Haltung auch in der Einrichtung der Sitzkonstellationen ausdrückt: AA: Und ich mach das zum Beispiel hier, wenn der Raum sauber gemacht wird (.) ne Zeit lang hat immer das Raumpflegepersonal meinen Stuhl höher gestellt, den hier ((zeigt auf den Schreibtischsessel)). und das heißt ich kam immer rein und dann (.) wenn jemand kam dann saß ich so ((zeigt eine Höhe von etwa 80 cm über dem
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Fußboden)) und ich machte immer den Stuhl sofort runter (.) damit ich auf der gleichen Höhe bin. also ich glaub schon, dass es eine Bedeutung hat, weil Patienten melden das ja auch so rück, manchmal, wo sie sagen, und dann war ich da (.) bei so nem Therapeuten und da hat der auf so nem Stuhl gehockt und hat so auf mich runter geschaut und (.) der saß dann an seinem fetten Sessel und also das kommt dann ganz schnell, dass die sich so beschweren über solche Sitzkonstellationen oder (.) dass es auch zu weit weg manchmal is (.) oder oder (.) zu na:h oder das berichten schon Patienten auch dass sie das spüren ja (.) ja ja. Und ä:h ich ich find das auch ä:hm (.) ja.
AA spricht sich für eine enthierarchisierte Begegnung mit Patient_innen aus. Eine Asymmetrie der Sitzkonstellation – wie sie sich in der unterschiedlichen Höhe der Stühle ausdrücken würde – lehnt AA ab und adaptiert ihre räumliche Position an die Menschen, die als Patient_innen ihren Behandlungsraum betreten. Die Einrichtung mit gleichen Stühlen ist damit geprägt und gestaltet durch den persönlichen Stil der Behandlerin. Behandler_innen sind in ihrer Positionierung daher nicht nur Berührende, sondern auch immer schon Berührte, wenn diese in unterschiedlichen Sitzkonstellationen bei sich und bei anderen unterschiedliche Wirkungen auslösen und erfahren. RO beschreibt diese Gratwanderung zwischen Positionierung und Relativierung, indem er feststellt, dass mit jeglicher Form von räumlicher Positionierung nie gänzlich eine antihierarchisch bzw. eine erlebnisqualitative Gleichheit herstellbar ist: RO: Ja ja (.) ja ja das isch natürlich gonz konchret is natürlich scho a Gedonke gsi, oder? (.) dass d=Stüahl ned münd zwei gliiche sii jetzt eifach ganz konchret (.) bei miir das isch wie ä:h (.) d=Feststellig gsi bii mir aha, ich denk es münd zwei gliiche sii. aber jetzt chunnt natürlich die näxschte Frog, weil do won ich sitze is so chli ondersch als wo du sitzescht, du säsch isch Fänschter, ich d=Türe und und so also es chunnt immer wieder, du dua es @(.)@ chunnt jo immer wieder, oder? aber was (.) was (.) d=Frog vo wos isch ondersch ä gmeint, dass ma onders cho äh und dass es nia gonz gliich isch (.) es isch nia gonz gliich. und ma muas sich=s iirichte glaub i, den Ort iirichte (.) i bii wirklich am Stuhl, wo ma des Gfühl hat ma chonn (.) einigermaße, äbe, aungschtfrei über genau das Züüg a mit öpperem na:adänke, oder? (.) und aungschtfreii heißt doss de net z=viel (.) Ongscht hat won er sitzt und (.) und ich a nöd (.) und ob jetzt öpper d=Türe im Rückä söt ho isch wircklich (.) zum Biispiel a
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Fro:og gsi bii mir und ich denke ja:a (.) des chönnt unognäh sii (.) für ondare und natürlich für ondare, die im Eck meh iigängt sii und so wiiter, aber (.) äh:m (4) jedes Setting (.) konschtruiert ja äbe au siinersiits öppis, oder? es isch net nur die Beziihig wo öppis choschtruiert (.) es isch ned nur die To:otsoch doss öpper zum ondern chunnt (2) sondern däh, zu dem cho wird hat vorher nu öppis iigrichtet, äbe, Stüahl und des Setting im wiitere Sinn (RO: Ja ja (.) ja ja das ist natürlich ganz konkret ist natürlich so ein Gedanke gewesen, oder? (.) dass die Stühle nicht zwei gleiche sein müssen jetzt einfach ganz konkret (.) bei mir das ist wie ä:h (.) die Feststellung gewesen bei mir aha, ich denke es müssen zwei gleiche sein. aber jetzt kommt natürlich die nächste Frage, weil da wo ich sitze ist es ein wenig anders als wo du sitzt, du siehst das Fenster, ich die Türe und und so also es kommt immer wieder, du tust es @(.)@ kommt ja immer wieder, oder? aber was (.) was (.) die Frage, von was ist anders ä gemeint, dass man anders kann äh und dass es nie ganz gleich ist (.) es ist nie ganz gleich. und man muss es sich einrichten, glaube ich, den Ort einrichten (.) ich bin wirklich am Stuhl, wo man das Gefühl hat, man kann einigermaßen, eben, angstfrei über genau das Zeug mit jemandem nachdenken, oder? (.) und angstfrei heißt, dass der nicht zu viel Angst hat wo er sitzt und (.) ich auch nicht (.) un ob jetzt jemand die Türe im Rücken haben sollte ist wirklich (.) zum Beispiel bei mir auch die Frage gewesen und ich denke ja:a (.) das könnte unangenehm sein (.) für andere und natürlich für andere, die im Eck mehr eingeengt sind und so weiter, aber (.) äh:m (4) jedes Setting (.) konstruiert ja eben auch seinerseits etwas, oder? es ist nicht nur die Beziehung, die etwas konstruiert (.) es ist nicht nur die Tatsache, dass jemand zum anderen kommt (2) sondern der, zu dem der kommen wird hat vorher noch etwas eingerichtet, eben, Stühle und das Setting im weiteren Sinne)
Menschen seien in der Positionierung gegenseitig zu beeinflussen, zu relativieren. Zudem wird anhand von ROs Aussage sichtbar, dass Behandler_innen gewisse Aspekte der Begegnung festsetzen, indem sie etwas einrichten, d.h. sich im Vorhinein positionieren: wenn eine Saite, nämlich die Positionierung, auf Seiten der Behandler_innen laut dominiert, schwingt das Potential der Macht, des Festgesetzt-Werdens durch das Gegenüber dabei leise mit. Dies ist ein Referenzpunkt, der einen kritischen Blick auf die Machtmechanismen lenkt, die sich im Sitzen bzw. in der Wahl der Sitzkonstellation und Einrichtung von Gegenständen ausdrücken. Diese kommen auch im Rahmen der Gruppendiskussion zur Sprache:
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BR: Oiso wos ich sehr guat fände wär wenn ein Therapeut oder Psychiater würd ei Patient fröge (.) wia möchtet Sie gern (.) äh: (.) dass mir redet? verschiedene Möglichkeite a:bü:te, dass de Patient (.) sich wohlfühlt. i dem Moment. und ned eifach do, Stua:hl, dass wirklich mehrere (.) Möglichkeiten git zum an Patient das wohl mache (.) wenn sich ein Patient wohl fühlt, dann (.) äh (.) chonn er au besser (.) rede, und donn mocht er ned zua und vor ollem grod so i de Depression oder äh: äh:: isch es wirklich schwierig (.) also da muass ma sich wohlfühle. ST: Jo, dos isch au so min erschte Oarzt, wo ich chenn, der isch mir au so gegenüber g=sesse und ich (.) bin mir total blöd vorcho (.) oiso ich (.) BR:
˪
Wia
a
Bewerbigsgspräch
eigentlich ST: ˪ Und der hot mi au Soche gfrägt und (.) jo (BR: Also was ich sehr gut fände wäre, wenn ein Therapeut oder Psychiater einen Patient fragen würde (.) wie möchten Sie gern (.) äh: (.) dass wir reden? verschiedene Möglichkeiten anbeitet, dass der Patient (.) sich wohlfühlt. in dem Moment. und nicht einfach da, Stuhl, dass es wirklich mehrere (.) Möglichkeiten gibt zum einen Patienten das wohl machen (.) wenn sich ein Patient wohl fühlt, dann (.) äh (.) kann er auch besser (.) reden, und dann macht er nicht zu und vor allem gerade so in der Depression oder äh: äh:: ist es wirklich schwierig (.) also da muss man sich wohlfühlen. ST: Ja, das ist auch mein, den ich kenne, der ist mir auch so gegenüber gesessen und ich bin mir total blöd vorgekommen (.) also ich (.) BR:
˪
Wie
ein
Bewerbungsgespräch
eigentlich ST:
˪ Und der hat mich auch Sachen gefragt und (.) ja)
Auch die Ärztin AA reflektiert im Rahmen des Expertinneninterviews das Potenzial der Macht, des Festsetzens und des festgesetzt-Werdens, mit: LL: Merkst du das auch als Therapeutin? Dass du da so eine Art ein Stück weit Autorität verkörperst? AA: Ja (1) ja schon (1) wie im Schulaspekt oder als Vorgesetzter (.) kannst ja nich in nem Vorstellungsgespräch oder beim Chef bei der Arbeit sagen so ich steh jetz mal auf zwischendrin also musst ja sitzen bleiben in so nem Verhältnis. da, da spür ich die Macht schon.
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Mit der Tatsache, dass Behandler_innen in der Begegnung mit Patient_innen stärker positionierend zu wirken scheinen, finden einige Behandler_innen einen relativierenden Umgang, wenn diese beispielsweise ihren Patient_innen die Auswahl des Sitzplatzes offen stellen: AA: M:hm (1) also ich möcht (.) ä:hh (.) hm. Ich finds immer ein bisschen komisch wenn ein Klient oder ein Patient unbequemer sitzt als der Therapeut (.) ich find das nich okay (.) so. so ein so ein (.) Ge- Gefälle dann. würd ich so sagen (.) so dass es nich okay is ich bin ein Dienstleister und das is wie mein Kunde auch irgendwo. obwohl ich natürlich (.) in der therapeutischen Art (.) und ich lass immer auswählen, weil ich hab ja zwei Seiten und die stehen so (.) ist mir auch ganz wichtig der Winkel wie sie stehen, der ist immer relativ gleich und ich lass immer wählen auf welcher Seite der Patient sitzen will (.) also wenn der zum Erstgespräch kommt darf er wählen, ob er lieber aus dem Fenster schaut oder auf ein Bild, was ich an der Wand hab //Hm.// und ich weiß immer genau, bei jedem Patienten der kommt ah der sitzt jetzt auf der Seite oder ah der sitzt jetzt auf der Seite. Und dann muss ich meine Sachen hin- und herschieben. LL: Gibt=s da dann auch manchmal Situationen, dass er oder sie sich dann auch manchmal anders hinsetzt oder bleibt das dann erfahrungsgemäß meistens gleich? AA:
˪ Die bleiben dabei. die sind nur manchmal irritiert, wenn ich meine Sa-
chen vergess auf der einen Seite //Ah// also mein Block und meine Agenda dann noch auf der linken und dann so (.) ha, da sitz ich doch immer @(.)@ //@(.)@// also dann drauf bestehen @(1)@ ja
Es ist nicht nur die am Ort der Psychiatrie vorherrschende Selbstverständlichkeit des Sitzens, sondern auch jegliche Formen von therapeutischen Haltungen, Einstellungen, Glaubenssätzen usw., die von Patient_innen und Behandler_innen alltäglich eingenommen werden, als gegeben und als real angenommen und aber auch herausgefordert werden. Gleichzeitig kann anhand von ihnen gezeigt werden, dass Positionierungen in konkreten Situationen und relativ zum Umfeld im konkreten Sich-Aufeinander-Beziehen entstehen. Am Ort der Psychiatrie nehmen Menschen nicht nur körperlich Platz, sondern beziehen sich dabei auch innerhalb von multiplen Bedeutungsbezügen aufeinander. Menschen, die am Ort der Psychiatrie Platz nehmen, gehen somit aus einer Kombination divergierender Haltungslinien, kultureller Einflüsse und Referenzsysteme hervor und bilden somit eine multidi-
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mensionale Gestalt, in der sich eine unbestimmte Zahl von Bedeutungsstrukturen in Form von persönlichen Hybriden und kulturellen Prägungen kreuzen. Insgesamt fasst RO die Zielerfahrung der Begegnung von Patient_innen und Behandler_innen dahingehend zusammen, dass er sich für eine dynamische Perspektive ausspricht, welche eine aktive Auseinandersetzung mit Positionierung und Relativierung im Therapieprozess fokussiert. Mit „Setting“ kann in diesem Zusammenhang ein Ensemble an vielerlei Haltungen verstanden werden, die sich in der Begegnung orchestrieren. RO: Wad wotsch sage, d=Zielerfahrig vo de Therapie (.) zwei, dass es Individue sind und diae aufeinaond wircket und durch das uufenond Wircke gits au (.) oder?, das sich öppis Separats und (.) äh (.) dasch isch das hoch (.) das (.) glaub, i das äh (.) jo Gold, wo ma cho mängisch verwütsche, wenn ma dann beidi, oder? de Patient cha merke ja, ich bin zwar en eigene und ober des isch bedingt durch die ondare und (.) ähm und indem ich mit öpperem in Kontakt gong entstoht öppis, wo a wieder uf mich rückwirkt also äh (3) das isch und dos chonn a wahnsinns das chann die wahnsinns (2) wertvolle Erfohrig si (.) ja wo glaub wircklich (2) so viel Sicherheit bruucht bis ma das chonn so offa sii mitenond ähm ich glaub es bruucht sehr viel Sicherheit dass ma cho sii und ich glaub äh es isch a Probatsmittel (.) ähm mitenond Ziit z=verbringe und live und sich möglischt mit ollne Sinneschanäl au ä:h (.) iistelle zum das chönne erreiche (.) ei so nö Sicherheit erreiche und ich mein das isch jo immer ein Grundgedonke (.) Sicherheit schoffe (1) und in erem Ort d=schaffe, oder? und das im si: IIrichte, äbe auch mit de Stüah:l, oder? (RO: Was du sagen willst, die Zielerfahrung von der Therapie (.) zwei, dass es Individuen sind und die aufeinander wirken und durch das Aufeinander-Wirken gibt es auch (.) oder?, das sich etwas Separates und (.) äh (.) das ist das hoch (.) das (.) glaube ich, das äh (.) ja Gold, das man manchmal erwischt, wenn man dann beide, oder? der Patient kann merken ja, ich bin zwar ein eigener und aber das ist bedingt durch die anderen und (.) ähm, und indem ich mit jemandem in Kontakt gehe entsteht etwas, was auch wieder auf mich rückwirkt, also äh (3) das ist und das kann ein Wahnsinns, das kann die Wahnsinns (2) wertvolle Erfahrung sein (.) ja wo glaub ich wirklich (2) so viel Sicherheit braucht bis man das kann so offen sein miteinander ähm, ich glaub es braucht sehr viel Sicherheit, dass man kann sein und ich glaube äh es ist ein Probatsmittel (.) ähm miteinander Zeit verbringen und live und sich möglichst mit allen Sinneskanälen auch ä:h (.) einstellen zum das können erreichen (.) eine so eine Sicherheit erreichen und ich meine das ist ja immer ein Grundgedanke
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(.) Sicherheit schaffen (1) und in einem Ort schaffen, oder? und das im SichEinrichten, eben auch mit den Stühlen, oder?)
Zuletzt scheint der Erfolg einer Behandlung am Ort der Psychiatrie darin zu bestehen, sich relativ voneinander zu positionieren, um eine vertrauensvolle Beziehung zu etablieren, die sowohl Patient_innen als auch Behandler_innen Sicherheit gibt. Als Medium der Positionierung kristallisiert sich am Ort der Psychiatrie der Gegenstand des Stuhls heraus. Er bietet durch seine Stützfunktion nicht nur Schutz und kann Ausdruck individuellen Stils sein, sondern mit dem Sitzen auf ihm wird auch eine Kommunikationsbasis geschaffen, die den vielen Formen der therapeutischen Arbeit immanent und Voraussetzung ist. So scheint sich der Fortschritt von Behandler_innen und Patient_innen schlussendlich darin auszuzeichnen, wenn Patient_innen einmal mehr aufstehen als sie sich setzen.
5 Weitergehen und Ausblicken
In der vorliegenden Untersuchung wurde im Forschungsstil der Grounded Theory ein Dreiklang aus qualitativen Erhebungsmethoden herangezogen, um Bedeutungsstrukturen für Menschen, die sich als Behandler_innen und Patient_innen am Ort der Psychiatrie einfinden, herauszuarbeiten. Die Auseinandersetzung mit dem menschlichen Alltagsgegenstand des Stuhls unter Heranziehung performativer Aspekte macht die Grundzüge eines sich in den Human- und Sozialwissenschaften etablierenden Forschungsfeldes deutlich, dessen Beschäftigung mit der epistemischen Assemblage von Kulturalität, Naturalität, Dia- und Synchronizität, Performativität und Simultaneität der Präsenzen einen neuartigen Forschungszugang entwirft. Stuhl, Sitz, Liegenschaft, Lage, Stand, Ständer, etc. umkreisen eine bewegliche Vielfalt von Metaphern, Metynomien und Anthropomorphismen; des Weiteren eine Mannigfaltigkeit an menschlichen Bedeutungsstrukturen und Relationen, die innerhalb von Sozialsystemen, in den Anwendungsfeldern der Psychologie, der Geschichte, der Anthropologie, des Designs, der Wirtschaftswissenschaften, der Physiologie und der Alltagssprache übertragen, geschmückt und letztlich verwendet wurden und nach langem Gebrauch den Menschen kanonisch und verbindlich erscheinen. Die Psychiatrie umfasst eine Vielzahl von Sitzgesellschaften, deren Basis der Stuhl ist. Ein großer Teil ihrer Fortschritte sind unmittelbar mit der Praxis des Sitzens verbunden. Das Setzen und Sitzen – wie es in vielerlei historischen Bezügen vor allem als Praxis der Stilllegung des Körpers und Beruhigung spontaner, innerer Regungen in Form von Affekten, diffusen Gedanken und anderen Erlebnisqualitäten vorkommt – erweist sich am Ort der Psychiatrie als ein dynamisches Phänomen, das in der Haltungsschablone des Stuhls bewahrt, behalten, wird. Es sind gerade spontane sowie an-
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dauernde innere Bewegungen, die am Ort der Psychiatrie ins Zentrum der individuellen und zwischenmenschlichen Auseinandersetzung rücken und veräußert werden. Im Sitzen wird die Dualität zwischen einem statisch gedachten Körper-Halten zur Stillsetzung innerer Dynamiken aufgebrochen und in einen neuen Rahmen gesetzt. Nimmt der Mensch am Ort der Psychiatrie Platz, so ist die Haltung, die er einnimmt, keine ausschließlich oberflächliche, orthopädisch-mechanische, sondern in ihr wird auch das in der Haltung verkörperte Innen zum Ausdruck gebracht. Das in der Körperhaltung zur Anschauung gebrachte Innen wird somit zur charakteristischen Haltung des Körpers, die sich auch auf der Hautoberfläche ent-„faltet“ (Nancy, 2007; Schäfer, 2011). In der Einnahme einer erkenntnistheoretischen Perspektive könnten im Rahmen dieser Diskussion jene kritischen Stimmen erklingen, um darauf hinzuweisen, dass mit meiner Wahl des Stuhls, des Sitzens und des Ortes der Psychiatrie als Erkenntnisgegenstände diesen plötzlich ein Mehr an subjektiver Bedeutung meinerseits und – aufgrund meiner Interventionen im Feld – seitens der Studienteilnehmer_innen zukommt. Im Bewusstsein der Gefahr, dass sich mit dem Fokussieren und dem damit unter Umständen einhergehenden Heranzoomen an den Gegenstand das betrachtete Phänomen „aufzublasen“ droht, übte ich mich im Verfassen theoretischer Memos, um mich der Einstellung meiner Perspektive im Rahmen des meiner Erfahrung Zugänglichen bewusst zu sein. Weiters profitierte ich von fachlichem Austausch, wodurch es ihr möglich war, vor allem den empirischen Blick zu schärfen. Der Stuhl ist für den Menschen am Ort der Psychiatrie ein Gefäß, eine schützende Grenze, Ort und Werkzeug für Kommunikation und das Kreieren bedeutungsvoller Beziehungen, an welchem sich Fort- und Rückschritte vollziehen. Der Mensch, der am Ort der Psychiatrie Platz nimmt, erlebt den Raum sowohl als Behandler_in als auch als Patient_in dabei nicht als homogene, in sich abgeschlossene Entität, sondern als Dimension unterschiedlicher Dichte, als einen Ort des by and in between. Die Inkonsistenz dieses Raumes, der sich für den Menschen als Sitzende_n eröffnet, gliedert diesen in Compartménts verschiedenartiger Facetten und fordert Physis, Affekt und Sein. In der Auslotung des Verhältnisses zwischen Körper, Körperhaltung und Mensch auf die Erfahrungswelt des Sitzens am Ort der Psychiatrie fungiert der Stuhl als eine Art Medium: Er korrespondiert zwischen Bewegung
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und Statik, Schutz und Schutzlosigkeit, Innerhalb und Außerhalb, Kontrolle und Kontrolllosigkeit, Teilhabe und Exklusion, Haben und Verlieren, Macht und Ohnmacht sowie zwischen Gesundheit und Krankheit. Die Erforschung der Bedeutungskonstitutionen des Sitzens am Ort der Psychiatrie, der damit in Zusammenhang stehenden kulturellen und sozialen Praktiken sowie der Generierung und Modulation eines menschlichen Körperverstehens und dessen Umsetzung in therapeutischen Handlungsstrategien im Sinne von Techniken leistet einen wichtigen Beitrag zum Wissen über die körperlich-psychische Erlebnisqualität von Menschen, die am Ort der Psychiatrie in der Sitzpraxis entstehen. Erhöht sich ein Bewusstsein über den dynamischen Aspekt von Körperhaltungen, so verbirgt sich darin die Chance, die forschungsliterarisch proklamierte Standby-Funktion des Sitzens zu dekonstruieren, um der Vielzahl an Haltungsformen, die sein Phänomen mitbestimmt, vermehrt Beachtung zu schenken, wodurch sich beispielsweise das Rollstuhlfahren als fahrendes Rollen im Sitzen, das Reisen, das Lesen, das Kaffee trinken, das Sitzen im Behandlungsstuhl als Medien aktualisieren. Der Bedeutung eines dynamischen Verständnisses von Körperhaltungen wird vor allem in der humanistischen Psychologie, z.B. in Arbeiten zum horizontalen und vertikalen „Grounding“ Beachtung geschenkt, um sich mit bewegten Elementen des körper-psychischen Ausdrucks im Stehen und Liegen auseinanderzusetzen (Senf, Broda & Wilms, 2013). Eine noch relativ junge psychotherapeutische Methode, die körperorientierte Psychotherapie, verschreibt sich überdies der Integration von Einflüssen aus der Phänomenologie, aus den östlichen Meditationstechniken und der Kampfkunst, der Bewegungstherapie sowie aus den Arbeiten von Moshé Feldenkrais, Wilhelm Reich, Sigmund Freud, Carl Gustav Jung, Eric Jacobson und anderen. Dass sich die Sitzpraxis als eine Gratwanderung von Positionierung und Relativierung herausstellt, scheint auch dadurch an Boden zu gewinnen, wenn Wolfgang Singer, auf den sich Hortensia Völckers (2007, S. 10) bezieht, in der Untersuchung der Neurophysiologie des Tanzes zum Resultat kommt, dass das menschliche Gehirn an der motorischen Leistung von anderen Personen im Raum partizipiert. Auf diese Weise entstehe ein Zusammenspiel zwischen denjenigen, die sich bewegen, und denjenigen, die die Bewegungen betrachten, d.h. es vollzieht sich eine Relativierung. Zudem stellen Sebanz, Bekkering und Knoblich (2006) unter dem Schlagwort
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der „Joint Action“ fest, dass Individuen befähigt seien, „to coordinate their actions with others“. Vor allem in Gruppen würden die Unterscheidungen eigener und anderer Handlungen in jenen Aspekten Einschränkung erfahren, „where the combined outcome of one’s own and others’ actions is more important than the results of individual actions“. Diese Erkenntnis sei zwar nicht überraschend, sei jedoch spät, „because cognitive neuroscientists have predominantly studied individual minds and brains in isolation“ (Sebanz, Bekkering & Knoblich, 2006, S. 70). Im Kontext eines transdisziplinären Forschungszuganges in psychiatrisch relevanten Forschungsfeldern induziert dies eine eingehendere Untersuchung von Konstellationen, in welchen sich Menschen in Abhängigkeit voneinander und in vielschichtiger Weise zueinander positionieren. So könnten zum Beispiel neue Erkenntnisse über Auswirkungen und fördernde Maßnahmen in psychiatrischen Settings zutage gebracht werden, wenn die aktuellen Arbeiten von Benvenuti, Bianchin und Angrilli (2013), die eine Beeinflussung emotionaler Wahrnehmung durch Körperhaltung festellen, als Ausgangspunkt genommen werden. Die Bedeutungskonstitution des Sitzens am Ort der Psychiatrie kulminiert zudem im menschlichen Bedürfnis nach Schutz, Positionierung und Instrumentalisierung und führt damit mit ihrer Feststellung einen feinen Faden fort, der sich als anthropologische Konstante durch den menschlichen Erfahrungsraum am Ort der Psychiatrie durchzieht. Obwohl der gesellschaftlichen und akademischen Forderung nach interund transdisziplinärem Arbeiten im Rahmen der vorliegenden Untersuchung nicht nur in Form eines Schlagworts wissenschaftstheoretischer Diskurse nachgegangen wird, scheint deren forcierte Umsetzung in Forschungsarbeiten zum überwiegenden Teil an disziplinären Barrieren aus politischen, wirtschaftlichen und systemimmanenten Gründen zu scheitern. So weisen Pink und Banks (2003, S. 188) in ihrer Darstellung der schweren Umsetzbarkeit transdisziplinärer Zusammenarbeit in den Geistes- und Naturwissenschaften auf die kritisch zu betrachtende Praxis wissenschaftlicher Institutionalisierung hin, was sie mit der Frage „Can you have a degree in interdisciplinarity?“ auf die Spitze treiben. Trotz bereits bestehenden Anwendungsformaten und einer wachsenden Anzahl an wissenschaftlichen Publikationen über das Phänomen der Leiblichkeit und menschlicher Bewegung besteht noch viel Leerraum für Erkenntnisse über das psychische Erleben von Leiblichkeit bzw. Positionali-
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tät. Bleibt der Mensch und sein Körper im Rahmen dieser Arbeit kein rein genuin ästhetisch aufzufassendes Sujet oder ein rein funktionell betrachteter, stabiler Gegenstand, so avanciert er zu einem betrachteten Phänomen, um als solches in einen transdisziplinären Diskurs einzumünden und als Impuls für zukünftige Formierungen polyperspektivischer Thinktanks zu wirken, um sich die Frage zu stellen, ob das Denken über den Körper bzw. über die Vielzahl an Körperbildern, die uns mit der Produktion an wissenschaftlichen Erkenntnissen vorliegen, nicht auch auf einen bestimmten Umgang mit dem Menschen als Erkenntnisobjekt verweist. Im Hinblick auf ein zukünftiges Anschließen und Aufgreifen der hier dargestellten Erkenntnisse bietet sich eine Hinzuziehung von quantitativ erhobenen empirischen Daten an, um das methodische Instrumentarium zu erweitern, den Fokus auf den Erkenntnisgegenstand zu variieren und damit die Ergebnisse in Heranziehung evaluativer Überlegungen vergleichbarer zu machen. Unabhängig von wissenschaftlichen Kontroversen, die es in der Psychologie und Historischen Anthropologie wie in allen anderen Disziplinen gibt, überwiegt das Argument der Poly- und Transdisziplinarität, um dem Spektrum an Teilaspekten und Komplexität, die sich in der Thematik zeigen, gerecht zu werden. Zudem ist Sitzen ist nicht gleich Sitzen, da nicht erst der manifeste Gegenstand, der Stuhl, sondern bereits der Mensch (der lebendige Leib) die sitzende Struktur in seiner kulturellen und natürlichen Bedeutsamkeit generiert. Immerhin ist der sitzende Mensch bezeichneter, markierter Körper, der in der sozialen Praxis unter eine Vielzahl deutender Systeme subsummiert wird und der in einem differenzierten Deutungshorizont des Psychiatrie-Ortes auf vielfältigen sozialen Feldern steht. Damit ist der Mensch als Sitzender am Ort der Psychiatrie politischer Körper, wirtschaftlicher Körper, anatomischer Körper, kreativer Körper, religiöser Körper, Autoritätskörper und vieles mehr. Er spricht und drückt Bedeutungen aus und ist damit auch bezeichnend. Das Sitzen ist auf diese Weise nicht nur Haltung. Es ist auch das Bewegen. Es ist, in anderen Worten, zugleich Habitus (Bourdieu) und Performanz (Butler). Eine transdiziplinäre Auseinandersetzung mit dem Sitzen könnte das Wissen und die Wissenschaft zudem um eine Sitzbreite verschieben und die jeweiligen bisherigen disziplinären Formen des Verstehens selbst in Bewegung setzen, beispielsweise wenn – ausgehend von der bewegten Unbewegtheit des Sitzens – vermeintlich als statische Objekte veranschaulichte
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Erkenntnisgegenstände als doch nicht fixierbar festgestellt werden, sodass die dadurch resultierende Unschärfe und eine temporale Struktur auch die vermeintlich sicheren Phänomene, Anordnungen und Gesetze betreffen, weil sich womöglich eine dynamische und kontingente Beziehung zwischen Forscher_innen und Untersuchungsgegenstand auch in anderen Forschungskontexten herstellt, um auch die Formen des Erkenntnisprozesses zu wandeln. Somit gilt es, auch das Wissen in Bewegung zu halten und dadurch eine interaktive und vielschichtige Erkenntnisarbeit zu leisten.
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Abbildungsverzeichnis
Abbildung 1: „Körperkonfiguration“ | 64 Abbildung 2: „Failure to Levitate in the Artist’s Studio“ | 65 Abbildung 3: „The Artist Is Present“ | 67 Abbildung 4: „Nightsea Crossing“ | 68 Abbildung 5: „Bram Stoker’s Chair II“ | 69 Abbildung 6: „Sit. Kneel. Stand.“ | 70 Abbildung 7: Übersicht über das Erhebungsmodell | 76 Abbildung 8: Inhalte des verwendeten Leitfadens | 92 Abbildung 9: Übersicht über die bedeutungstragenden Kategorien | 96 Abbildung 10: „Iistiegsrunde“ („Einstiegsrunde“) | 98 Abbildung 11: „Icch i de Tagesklinik“ („Ich in der Tagesklinik“) | 99 Abbildung 12: „Kreativ in der Tagesklinik“ | 109 Abbildung 13: „South America Triangle” | 127 Abbildung 14: „Ohne Titel“: Bildmittelpunkt | 128 Abbildung 15: „Heimatdorf“ | 134 Abbildung 16: „Warte“ („Warten“) | 149 Abbildung 17: „Typische Situationen in der Tagesklinik“ | 157 Abbildung 18: Raumbewegung während der Eingangssituation der Gruppendiskussion | 185
Tabellenverzeichnis
Tabelle 1: Aufstellung über die Bildproduzent_innen | 187 Tabelle 2: Aufstellung über die Gruppendiskussionsteilnehmer_innen | 188 Tabelle 3: Übersicht der Interviewpartner_innen für Experteninterviews | 190
Anhang
Beobachtungsprotokoll der Gruppendiskussion Als erster der vier freiwillig Teilnehmenden (eine Beschreibung der Teilnehmer_innen befindet sich im Anhang in Tabelle 2) betritt CC den Raum, welchem RS, BR, ST und ich als Untersuchungsleiterin (UL) folgen. Etwa zum Zeitpunkt, an dem ich den Raum betrete, tätigt der Teilnehmer CC die feststellende Aussage: CC: Do foäln jo d=Stüa:hl (CC: Da fehlen ja die Stühle)
Im Moment der Äußerung von CC stehen alle Mitglieder im Raum verteilt. Nach der Feststellung von CC, dass Stühle fehlten, setzen sich RS, ST und BR nacheinander in Bewegung (II). RS: Do nimmsch do eina. (RS: Da nimmst du da einen.)
RS nimmt den ersten der drei übereinander gestapelten Stühle, stellt diesen mittig, etwa einen halben Meter von der befensterten Wand entfernt, ab und setzt sich darauf. Wenige Sekunden nachdem RS den Stuhl von der gestapelten Stuhlreihe nimmt, greift ST zum zweiten Stuhl und setzt sich etwa einen Meter versetzt – im 45 Grad Winkel zu und rechts von RS – auf den genommenen Stuhl. Gleichzeitig mit der Einnahme der Sitzposition durch ST setzt BR einige Schritte Richtung Seitenwand, um sich einen halben Meter davor auf den Boden im Schneidersitz zu setzen (III).
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Etwa zwei Sekunden danach gibt CC seine Stehhaltung, in welcher er die Arme in den Hüften stützt, auf, um den Raum zu verlassen (IV). Die Blickrichtung von ST fokussiert zunächst CC, welche in meine Richtung blickt und Augenkontakt zu mir sucht, auch ST fokussiert mich, welche nach dem Betreten des Raumes ihre Körperhaltung hüftbreit stehend, mit auf ineinander gefalteten Fingern auf Beckenhöhe und etwa eineinhalb Metern von der Türe entfernt ein- genommen hat. Etwa zwanzig Sekunden nach Verlassen des Raumes betritt CC den Raum mit zwei Stühlen, welche er aufeinander gestapelt trägt, aus dem gegenüberliegenden Teamraum. Zunächst geht er mit den beiden Stühlen auf BR zu und stellt den Stuhl gegenüber von ST und links von RS. Des Weiteren nähert er sich mir (UL) mit dem getragenen Stuhl, um diesen – etwa einen halben Meter von ihr entfernt – zu platzieren. Anschließend trägt er den dritten der drei vorhandenen Stühle auf einen Platz, um sich rechts von ST darauf zu setzen (V). Zuletzt hebe ich (UL) den Stuhl an und platziere diesen etwas nach außen versetzt zwischen CC und BR, um den angedeuteten Sesselkreis zu vervollständigen (VI).
Quelle: Eigene Darstellung
I
CC
(PAUSE) X
ST
4
RS
Abbildung 18: Raumbewegung während der Eingangssituation der Gruppendiskussion
II
UL
1
3
5
X (PAUSE)
X (PAUSE)
2
BR
stehend
CC
ST
III
stehend
UL
RS
auf dem Boden sitzend
BR
A NHANG | 185
CC
ST
IV
stehend
UL
RS
auf dem Boden sitzend
BR
V
ST
CC
VI
RS
UL
BR
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A NHANG | 187
188 | P LATZ NEHMEN
w
m
RS
ST
Vorstellung des Forschungsvorhabens in der Patientensitzung; Bereitschaft zur Teilnahme wird unter Zusicherung der Anonymität bei Frage in die Runde geäußert
Vorstellung des Forschungsvorhabens in der Patientensitzung; Bereitschaft zur Teilnahme wird unter Zusicherung der Anonymität bei Frage in die Runde geäußert
ST trägt eine dunkelblaue Jeanshose, einen beigefarbenen Baumwollpullover von gerippter Stofftextur und schwarze Halbschuhe. ST ist etwa 185 cm groß, 3035 Jahre alt und von durchschnittlicher bis wohlgenährter Statur. ST trägt Bart am Kinngrübchen, sein dunkelbraunes Haar etwa schulterlang, welches er zum Zeitpunkt der Gruppendiskussion zu einem Zopf zusammengebunden hat. STs Gesichtszüge sind rund, welche seinen Gesichtsausdruck in Kombination mit seinen runden Augenbrauen besonders freundlich erscheinen lassen.
RS ist eine 180 cm große, 45-50-jährige Frau von schlanker Figur mit kurzen, blonden Haaren und leicht kantiger Gesichtsform, die pünktlich zu Erhebungsbeginn erscheint. Die Stimme von RS klingt zunächst tief und rauchig. RS trägt hüfthohe Blue Jeans, eine rote Windjacke und Sportschuhe. Mit sich trägt RS eine kleine Sporttasche.
A NHANG | 189
Geschlecht
w
w
m
m
w
w
w
Kürzel
AA
LA
MO
RO
CI
SA
TA
30-35
55-60
30-35
30-35
30-35
30-35
30-35
Altersgruppe
Tabelle 3: Übersicht der Interviewpartner_innen für Experteninterviews
Psychologie
Sozialdienst
Bewegungstherapie
Psychologie
Pflege
Medizin
Medizin
Profession
Verhaltenstherapie und Systemische Therapie
Tanz, Ballett
Psychoanalyse
DialektischBehaviorale Therapie (DBT)
Integrative Ausbildung, Schwerpunkt Systemische Therapie
Schematherapie, Psychoanalyse
Büro
Büro
Teamraum
Praxisraum
Büro
Büro
Büro
Psychotherapeutische Ort des Interviews Ausrichtung (bzw. Weiterbildung)
190 | P LATZ NEHMEN
KörperKulturen Elk Franke (Hg.) Herausforderung Gen-Doping Bedingungen einer noch nicht geführten Debatte Juni 2019, ca. 270 Seiten, kart., 19,80 €, ISBN 978-3-8376-1380-3
Marion Müller, Christian Steuerwald (Hg.) »Gender«, »Race« und »Disability« im Sport Von Muhammad Ali über Oscar Pistorius bis Caster Semenya Mai 2017, ca. 250 Seiten, kart., zahlr. Abb., ca. 29,99 €, ISBN 978-3-8376-3425-9
Ronja Schütz, Elisabeth Hildt, Jürgen Hampel (Hg.) Neuroenhancement Interdisziplinäre Perspektiven auf eine Kontroverse Oktober 2016, 180 Seiten, kart., 32,99 €, ISBN 978-3-8376-3122-7
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KörperKulturen Sven Lewandowski, Cornelia Koppetsch (Hg.) Sexuelle Vielfalt und die UnOrdnung der Geschlechter Beiträge zur Soziologie der Sexualität 2015, 338 Seiten, kart., 32,99 €, ISBN 978-3-8376-3017-6
Andréa Belliger, David J. Krieger (Hg.) Gesundheit 2.0 Das ePatienten-Handbuch 2014, 144 Seiten, kart., 15,99 €, ISBN 978-3-8376-2807-4
Mischa Kläber Moderner Muskelkult Zur Sozialgeschichte des Bodybuildings 2013, 276 Seiten, kart., 28,80 €, ISBN 978-3-8376-2376-5
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KörperKulturen Undine Eberlein (Hg.) Zwischenleiblichkeit und bewegtes Verstehen – Intercorporeity, Movement and Tacit Knowledge
Elisabeth Wagner Grenzbewusster Sadomasochismus SM-Sexualität zwischen Normbruch und Normbestätigung
Juni 2016, 520 Seiten, kart., 39,99 €, ISBN 978-3-8376-3579-9
2014, 354 Seiten, kart., 32,99 €, ISBN 978-3-8376-2870-8
Volker Schürmann, Jürgen Mittag, Günter Stibbe, Jörg-Uwe Nieland, Jan Haut (Hg.) Bewegungskulturen im Wandel Der Sport der Medialen Moderne – Gesellschaftstheoretische Verortungen
Arno Böhler, Krassimira Kruschkova, Susanne Valerie Granzer (Hg.) Wissen wir, was ein Körper vermag? Rhizomatische Körper in Religion, Kunst, Philosophie
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Monika Roscher Der Geschmack der Kraft Zur Performativität des künstlerischen Schaffens
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2013, 274 Seiten, kart., 29,99 €, ISBN 978-3-8376-2477-9
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Andrea zur Nieden Zum Subjekt der Gene werden Subjektivierungsweisen im Zeichen der Genetisierung von Brustkrebs
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2013, 288 Seiten, kart., 29,80 €, ISBN 978-3-8376-2283-6
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2013, 246 Seiten, kart., 29,80 €, ISBN 978-3-8376-2505-9
Malaika Rödel Geschlecht im Zeitalter der Reproduktionstechnologien Natur, Technologie und Körper im Diskurs der Präimplantationsdiagnostik
Karen Wagels Geschlecht als Artefakt Regulierungsweisen in Erwerbsarbeitskontexten 2013, 276 Seiten, kart., 29,80 €, ISBN 978-3-8376-2226-3
2014, 260 Seiten, kart., 34,99 €, ISBN 978-3-8376-2921-7
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