Planung - Recht - Rechtsschutz: Festschrift für Willi Blümel zum 70. Geburtstag am 6. Januar 1999 [1 ed.] 9783428492565, 9783428092567

Willi Blümel hat sich seit 40 Jahren immer wieder mit dem den modernen Staat kennzeichnenden Element der Planung, mit de

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German Pages 677 [687] Year 1999

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Planung - Recht - Rechtsschutz: Festschrift für Willi Blümel zum 70. Geburtstag am 6. Januar 1999 [1 ed.]
 9783428492565, 9783428092567

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Planung - Recht - Rechtsschutz Festschrift für Willi Blümel zum 70. Geburtstag am 6. Januar 1999

Schriften zum Öffentlichen Recht Band 772

Planung - Recht - Rechtsschutz Festschrift für Willi Blümel zum 70. Geburtstag am 6. Januar 1999

Herausgegeben von Klaus Grupp Michael Ronellenfitsch

Duncker & Humblot • Berlin

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Planung - Recht - Rechtsschutz: Festschrift für Willi Blümel zum 70. Geburtstag am 6. Januar 1999 / hrsg. von Klaus Grupp ; Michael Ronellenfitsch. - Berlin : Duncker und Humblot, 1999 (Schriften zum öffentlichen Recht; Bd. 772) ISBN 3-428-09256-2

Alle Rechte vorbehalten © 1999 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fotoprint: Werner Hildebrand, Berlin Printed in Germany ISSN 0582-0200 ISBN 3-428-09256-2 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706 ©

Geleitwort Unmittelbarer Adressat einer Festschrift ist der Jubilar, alle anderen Leserinnen und Leser sind nur Drittbegünstigte. Aus diesem Grunde scheint eine Biographie des Geehrten in einer Festschrift überflüssig zu sein - der Jubilar kennt seinen eigenen Werdegang am besten. Jedoch sollen Festschriftenbeiträge immer auch das wissenschaftliche Werk dessen reflektieren, dem sie zugedacht sind, und ohne biographische Angaben mag bei thematisch weitgefächerten Festschriften der Zusammenhang der Beiträge dem Leserkreis verborgen bleiben. Dies bedenkend, stehen Schüler Willi Blümeis freilich vor einem Dilemma: Müßten nicht Leben und Lebenswerk ihres Lehrers, soll deren Darstellung angemessen sein, ausfuhrlich, mit vielen und umfänglichen Fußnoten dokumentiert, ausgebreitet werden? Wir haben dieser Versuchung, die vielleicht in gewissem Umfange auch schon Neigung ist, zu widerstehen versucht, und es ist uns aus mehreren Gründen leichtgefallen: Zum einen ist Bescheidenheit eine prägende Charaktereigenschaft von Willi Blümel. - das nötigt dazu, die Person hinter der Sache zurücktreten und die Festschriftenbeiträge für sich selbst sprechen zu lassen, zum anderen ist Willi Blümel auch nach seiner Emeritierung mit Ablauf des Wintersemesters 1996/97 zum 31. März 1997 noch so aktiv, daß die Aufnahme einer Biographie in diese Festschrift den Eindruck einer nicht existenten Zäsur vermitteln würde, und zum dritten liegt mit dem Beitrag von Hans-Peter Michler in dem Willi Blümel zum 60. Geburtstag gewidmeten Heft 1 des Verwaltungs-Archivs von 1989 bereits ein systematischer Überblick über das wissenschaftliche Werk des Jubilars vor 2 . Damit indes aus den Drittbegünstigten durch völlige Enthaltsamkeit keine nachteilig Betroffenen werden - deren Schutz seit jeher ein besonderes Anliegen Willi Blümeis ist - , sollen gleichwohl wenigstens die Angaben in „Wer ist wer ?" um einige vielleicht aufschlußreiche Hinweise ergänzt werden. Geboren am 6. Januar 1929 in Dossenheim bei Heidelberg, weist Willi Blümel die positiven Eigenschaften der Kurpfälzer auf: Offenheit, Großzügig1

Im Sommersemester 1997 vertrat Willi Blümel noch einmal den eigenen Lehrstuhl. Hans-Peter Michler , Das wissenschaftliche Werk Willi Blümeis. Was aus einem „kleinen, runden Thema" werden kann, VerwArch 80 (1989), 2 ff.; s. im übrigen auch das Schriftenverzeichnis Willi Blümeis unten auf S. 661 ff. 3 Wer ist wer?, Das deutsche Who's Who 1997/1998, 1997, S. 121. 2

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Geleitwort

keit, Toleranz, Reisefreudigkeit und Trinkfestigkeit; darüber hinaus aber auch Beharrlichkeit, Fleiß und Akribie. Diese Eigenschaften halfen ihm, in den schwierigen Nachkriegsjahren das Studium der Rechtswissenschaft in Heidelberg, unterbrochen durch einen Studienaufenthalt an der Cornell University im Staat New York, mit Bravour zu absolvieren. In Heidelberg kam W i l l i Blümel u. a. in Kontakt mit Walter Jellinek und vor allem mit Ernst Forsthoff, dessen Assistent er wurde. Als Forsthoff zum Gerichtspräsident am Verfassungsgerichtshof der Republik Zypern ernannt wurde , legte er größten Wert darauf, W i l l i Blümel als seinen Assistenten mitzunehmen. Die enge Zusammenarbeit zwischen W i l l i Blümel und Ernst Forsthoff mag Außenstehende angesichts der unterschiedlichen Charaktere, Neigungen und Interessen, die hier aufeinander trafen, erstaunen . Aber Forsthoff wollte keine Nachfolger heranbilden, sondern nur seine erfolgversprechendsten Schüler auf den Weg bringen . Nicht von ungefähr vertraute er Willi Blümel das Thema der Planfeststellung an, das für Promotion und Habilitation mehr als genügend Stoff bot und dem dieser im Lauf seiner wissenschaftlichen Laufbahn immer neue Facetten abgewinnen konnte. Der Tätigkeit Willi Blümeis als Privatdozent und Universitätsdozent an der Universität Heidelberg folgte im Anschluß an eine Lehrstuhlvertretung der Ruf auf die Ordentliche Professur für Staats- und Verwaltungsrecht an der Juristischen Fakultät der Freien Universität Berlin zum Sommersemester 1969. A n eine ungestörte Tätigkeit in Forschung und Lehre war in dieser hektischen Phase der Studentenrevolte in Berlin freilich kaum zu denken. Willi Blümel entzog sich dem nicht, wie viele andere, durch Flucht, sondern setzte sich als Geschäftsfuhrender Direktor des Instituts für Staatslehre, Staats- und Verwaltungsrecht und Mitglied des Fachbereichsrats tatkräftig dafür ein, die Möglichkeiten zum wissenschaftlichen Arbeiten zu erhalten. Der Ruf schon im Jahre 1970 an die Fakultät für Rechtswissenschaft der Universität Bielefeld kam gleichwohl nicht ungelegen. Hier wirkte Willi Blümel mit großem Erfolg , bis er einen weiteren Ruf auf den vormaligen Lehrstuhl Carl Hermann Ules für öffentliches Recht, insbesondere allgemeines und besonderes Verwaltungsrecht an der heimatnahen Hochschule für Verwaltungswissenschaften annahm. Vom 1. September 1974 bis zum 30. Sep4

Vom 1. November 1960 bis zum 30. April 1961. Blümel betrachtete sich beispielsweise nicht als „Carl-Schmitt-EnkeV und legte keinen Wert darauf, von Forsthoff in die entsprechenden Zirkel eingeführt zu werden. 6 Karl Doehring, Widmung zur Festgabe für Emst Forsthoff zum 65.Geburtstag, 1967, S. 1. Forsthoff wünschte auch nicht, daß sein Lehrbuch des Allgemeinen Verwaltungsrechts in andere Hände übergehen sollte. Obwohl er an der 7. und 8. Auflage mitgearbeitet hatte und sich am allerwenigsten an der Aufgabe überhoben hätte, verzichtete Blümel, anders als zeitweilig vorgesehen, auf die Fortführung des Lehrbuchs. 7 Vom 3. Oktober 1970 bis zum 31. August 1974. 5

Geleitwort

7

tember 1997 vermittelte W i l l i Blümel Generationen von Rechtsreferendaren und -referendarinnen vertiefte Kenntnisse im Allgemeinen Verwaltungsrecht, im Kommunalrecht sowie im Verwaltungsprozeßrecht und führte sie in die Feinheiten des Planungsrechts ein. Die Rahmenthematik seiner berühmten Seminare zum „Rechtsschutz gegen Planungen" blieb über die Jahre hinweg konstant, der Stoff aber hielt mit der aktuellen Rechtsentwicklung nicht allein Schritt, sondern nahm sie vielfach vorweg. Nutznießer der fachlichen Kompetenz Willi Blümeis, einem stets gefragten Berater, Gutachter und Prozeßvertreter, auf diesen Gebieten wie auf denen der Verwaltungszuständigkeiten, des Beamten-, des Eisenbahn- und des Straßenrechts waren auch die Teilnehmer zahlreicher Führungs- und Fortbildungsseminare sowie der regelmäßig im Herbst stattfindenden Tagungen des seit 1976 von ihm geleiteten Arbeitsausschusses „Straßenrecht" der Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen und der von ihm und Hans-Jürgen Kühlwetter seit 1995 am Forschungsinstitut für öffentliche Verwaltung an der Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer gemeinsam mit dem Eisenbahn-Bundesamt jährlich durchgeführten Forschungsseminare, die einen intensiven Meinungsaustausch von Spezialisten aus Wissenschaft und Praxis ermöglichen. Trotz dieser zahlreichen Aktivitäten neben der reichhaltigen Publikationstätigkeit entzog Willi Blümel sich nie den Pflichten der akademischen Selbstverwaltung: Vom 1. Oktober 1985 bis zum 30. September 1987 war er Rektor der Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer, von 1988 bis 1997 als Nachfolger von Frido Wagener und Carl Bohret Geschäftsführender Direktor des dortigen Forschungsinstituts für öffentliche Verwaltung - von dem Glücksfall, daß beide Einrichtung von einem Experten des Hochschulrechts geleitet wurden, werden sie noch lange zehren können. W i l l i Blümel zählt zu den wenigen Glücklichen, die mit 70 Jahren körperlich und geistig noch ebenso frisch sind wie in ihren besten Schaffensjahren. So verwundert es nicht, daß nach wie vor sein Sachverstand auch für zukunftsgerichtete Aufgaben gesucht wird: Er ist seit September 1998 Vorsitzender der von der Landesregierung Rheinland-Pfalz eingesetzten Kommission „Nebentätigkeitsrecht". In der gegenwärtigen Umbruchlage des hastigen Übergangs vom Staat der Industriegesellschaft zum Umweltstaat können wir indes alle nur darauf hoffen, daß der abgewogene Rat Willi Blümeis uns noch lange Zeit erhalten bleiben wird. Ad multos annos! 6. Januar 1999 Klaus Grupp Michael Romllenfitsch

Inhaltsverzeichnis

Das Ende von Sondererhaltungslasten im Eisenbahnkreuzungsrecht Von Univ.-Prof. Dr. Richard Bartlsperger,

Erlangen

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Gesetzesfolgenabschätzung: Soll sie institutionalisiert werden? Von Univ.-Prof. Dr. Carl Böhret, Speyer

51

Bergbau und öffentliche Verkehrsanlagen - Interessenkollisionen, Konfliktlösung durch Planung, Enteignungsmaßnahmen Von Prof. Karlheinz Boujong, Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof a. D., Pfinztal-Berghausen 67

Die Koordination der Raumplanungen im Spannungsverhältnis zwischen gemeindlicher Ortsplanung und überörtlicher Fachplanung Von Univ.-Prof. Dr. Winfried

Brohm, Konstanz

79

Harmonisierungsprobleme zwischen Planungs- und Vergaberecht - Verfassungsrechtliche Fragen Von Dr. Siegfried Broß, Richter des Bundesverfassungsgerichts, Karlsruhe

97

Kirchenasyl Von em. Prof. Dr. Dr. h.c. Karl Doehring, , Heidelberg

111

Zuständigkeitsgrenzen der Kommunalwirtschaft Von Univ.-Prof. Dr. Dr. h.c. RolfGrawert , Bochum

119

10

Inhaltsverzeichnis

Behördliche Beurteilungsspielräume im „schlanken Staat" Von Univ.-Prof. Dr. Klaus Grupp, Saarbrücken

139

Entschädigung wegen Inanspruchnahme beplanter, aber nicht baulich genutzter Baugrundstücke für Fachplanvorhaben Von Dr. Christian Heinze, Rechtsanwalt, München

155

Bemerkungen zur Umweltgrundlagenplanung im UGB-Entwurf der Unabhängigen Sachverständigenkommission (UGB-Komß) Von em. Univ.-Prof Dr. Werner Hoppe, Rechtsanwalt, Münster

177

Die Beschleunigungsgesetze für den Verkehrsbereich Von Jürgen Kern, Ministerialrat, Wiesbaden

201

Diäten-Urteil und Diäten-Streit - Legendenbildung im Verfassungsrecht Von Univ.-Prof. Dr. Hans H Klein, Richter des Bundesverfassungsgerichts a. D., Göttingen

225

Deregulierung, Verfahrensvereinfachung und Verfahrensbeschleunigung - Bauverfahrensrecht in einem schlanken Staat Von Univ.-Prof. Dr. Franz-Ludwig Knemeyer, Würzburg

259

Liberalisierung und Regulierung netzgebundener Güter und Dienste Von Univ.-Prof. Dr. Dr. Klaus König, Ministerialdirektor a. D., und Christian Theobald, Wissenschaftlicher Mitarbeiter, Speyer

277

Widmung und Entwidmung im öffentlichen Eisenbahnrecht - eine unbekannte Größe? Von Prof. Dr. Hans-Jürgen Kühlwetter,

Köln

Beamtenrecht und Beamtenverfassungsrecht Von Univ.-Prof. Dr. Dr. Detlef Merten, Mitglied des Verfassungsgerichtshofs Rheinland-Pfalz, Speyer 335

309

Inhaltsverzeichnis Die Duldungswirkung der Planfeststellung Von Prof. Dr. Hans-Peter Michler, Birkenfeld

357

Adenauers Anteil an der Formulierung der Geschäftsordnung der Bundesregierung von 1951 Von em. Univ.-Prof. Dr. RudolfMorsey,

Speyer

385

Untergesetzliche Konkretisierung der Abfallbeseitigungspflicht Von Dr. Stefan Paetow, Richter am Bundesverwaltungsgericht, Berlin

403

Finanzierungsverantwortung bei der atomrechtlichen Zwischenlagerung Von Univ.-Prof. Dr. Hans-Jürgen Papier , Vizepräsident des Bundesverfassungsgerichts, München/Karlsruhe 421

System der verwaltungsgerichtlichen Vollstreckung Von Dr. Rainer Pietzner , Richter am Bundesverwaltungsgericht, Berlin

443

Die Ursprünge des deutschen Eisenbahnrechts Von Univ.-Prof. Dr. Günter Püttner, Tübingen

467

Die Baulast als Instrument der Bauleitplanung Von em. Univ.-Prof Dr. Gerd Roellecke, Karlsruhe

481

Fachplanung und Verwaltungsgerichtsbarkeit Von Univ.-Prof. Dr. Michael Ronellenfitsch , Tübingen

497

Der vorläufige Rechtsschutz zwischen europäischer Anpassung und staatlicher Verschlankung - Zur Zukunft des Grundsatzes der aufschiebenden Wirkung Von Univ.-Prof. Dr. Karl-Peter Sommermann, Speyer

523

12

Inhaltsverzeichnis

Zur Standortfindung bei Verkehrsflughäfen Von Univ.-Prof. Dr. Udo Steiner, Richter des Bundesverfassungsgerichts, Regensburg/Karlsruhe

549

Querschnitte zwischen Bau- und Fachplanungsrecht Von Prof. Dr. Bernhard Stüer, Rechtsanwalt und Notar, Münster/Osnabrück

565

Forschungsförderung durch Verfahren? Von Prof. Dr. Hellmut Wagner, Karlsruhe/Speyer

591

Europäisches Planungsrecht - Europäisierung des deutschen Planungsrechts. Das Planungsrecht in Europa Von Univ.-Prof. Dr. Rainer Wahl, Freiburg

617

Konkurrentenschutz bei Beamtenernennungen Von Univ.-Prof. Dr. Joachim Wieland, Bielefeld

Schriftenverzeichnis Willi Blümel

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Das Ende von Sondererhaltungslasten im Eisenbahnkreuzungsrecht* Von Richard Bartlsperger

Willi Blümel hat wesentliche Teile seines umfangreichen rechtswissenschaftlichen Werkes und seines erfolgreichen Wirkens als Verwaltungsrechtslehrer dem Straßenwesen und den öffentlichen Eisenbahnen gewidmet. Es sind die planungsrechtlichen Fragen bei der Vorhabenzulassung in diesen beiden Bereichen der öffentlichen Verkehrsinfrastruktur, für die er neben Rechtsfragen der gemeindlichen Bauleitplanung zu einem Wegbereiter verwaltungsrechtlicher Dogmatik geworden ist. Die Beschäftigung W i l l i Blümeis mit dem Planungsrecht hatte von Beginn an den favor temporis für sich.1 In der Sensibilität fiir institutionelle Veränderungen und Neuerungen in Verwaltung und Verwaltungsrecht ist er seinem Lehrer Ernst Forsthoff gefolgt. Die hierdurch inspirierten Beiträge W i l l i Blümeis zur Ausformung materiellrechtlicher, verfahrensrechtlicher und prozessualer Grundsätze des Planungsrechts präsentieren sich in besonders ausgeprägter, die Rechtspraxis kritisch begleitender Weise.2 Die rechtstheoretischen Grundfragen und die zeitgeschichtlichen Veränderungen des Planungsrechts werden die Verwaltungsrechtslehre weiter beschäftigen. 3 Gleichwohl sollen hier keine planungsrechtlichen Fragestellungen

* Das Manuskript ist lange Zeit vor dem Gesetz zur Änderung des Eisenbahnkreuzungsgesetzes und anderer Gesetze v. 9.9.1998 (BGBl I S. 2858) abgeschlossen gewesen. Die nach Art. 1 dieses Gesetzes erfolgte Einfügung eines § 19 Abs. 3 in das Eisenbahnkreuzungsgesetz betrifft die Ausführungen in Abschnitt IV der Abhandlung und bestätigt deren Richtigkeit, wenngleich sie in einem Punkt hinter der hier vertretenen Rechtsauffassung zurückbleibt. Die zwischenzeitliche Gesetzesänderung ist in der gebotenen Kürze noch durch geringfügige Änderungen berücksichtigt. Auf Art. 2 und 3 des Änderungsgesetzes wird in Fn. 64 hingewiesen. 1 So Forsthoff schon im Vorwort zu Blümel, Die Bauplanfeststellung I, 1961. 2 Planung und Verwaltungsgerichtsbarkeit, Abschiedsvorlesung 25. Juni 1997, Speyerer Beiträge, Heft 40, 1997, S. 11 ff. 3 Dazu Blümel selbst, ebd. Zu rechtstheoretischen Grundfragen des Planungsrechts siehe bei Bartlsperger, Das Abwägungsgebot in der Verwaltung als objektives und individualrechtliches Erfordernis konkreter Verhältnismäßigkeit, in: Erbguth u.a. (Hrsg.), Abwägung im Recht, 1996, S. 79 ff.

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Richard Bartlsperger

aufgegriffen werden. Die Achtung für das bewundernswerte und wirkungsträchtige Werk des Jubilars und der aufrichtige Dank für langjährige kollegiale und fachliche Verbundenheit sollen durch die Erörterung eines anderen und besonderen Themas zum Ausdruck gebracht werden, das buchstäblich im Kreuzungspunkt von dessen herausragenden Interessengebieten, des Straßenwesens und der öffentlichen Eisenbahnen, steht, zugleich Aktualität besitzt und eine gewisse Grundsätzlichkeit in den Rechtsbeziehungen der beiden großen öffentlichen Verkehrsträger beansprucht. Sein Gegenstand ist die Entwicklung der Gesetzgebung zur Verteilung der Erhaltungslasten für Kreuzungen von Eisenbahnen des öffentlichen Verkehrs mit öffentlichen Straßen und Wegen. Aktueller Anlaß für eine Beschäftigung mit dem Thema ist der Abschluß dieser legislativen Entwicklung des Eisenbahnkreuzungsrechts im Zusammenhang mit der Privatisierung der Eisenbahnen des Bundes auf der Grundlage von Art. 87 e und Art. 143 a GG 4 und durch das Gesetz zur Neuordnung des Eisenbahnwesens (Eisenbahnneuordnungsgesetz - ENeuOG) vom 27.12.1993.5 Die mit dem ENeuOG erfolgte, zum 1.1.1994 in Kraft getretene Neufassung des § 19 Eisenbahnkreuzungsgesetz (EKrG) 6 bestimmt, daß bisherige Vereinbarungen, die sich auf Kreuzungen zwischen Straßen und Straßenbahnen, Anschlußbahnen sowie den Anschlußbahnen gleichgestellte Eisenbahnen beziehen, fortgelten (§19 Abs. 1) und daß bisherige Kostenregelungen für Erhaltungsmaßnahmen, die bei Inkrafttreten des ENeuOG bereits in Ausführung begriffen sind, bestehen bleiben (§ 19 Abs. 2). Der redaktionell recht spröde und verkürzte Wortlaut dieser Bestimmungen läßt deren Inhalt und Bedeutung nur erkennen, wenn man die Vorschrift in eine systematische Beziehung setzt zu der grundsätzlichen bzw. regelmäßigen Ordnung der Erhaltungslast für Eisenbahnkreuzungen nach den §§ 14 ff. EKrG und wenn man sie in einen historischen Zusammenhang stellt mit ihren vorhergegangenen Fassungen bzw. ihren Vorgängerregelungen. In systematischer Hinsicht besagt die Neufassung des § 19 EKrG, daß, abgesehen von den in § 19 Abs. 2 geregelten Übergangsfällen, in denen aufgrund bisheriger Kostenregelungen Erhaltungsmaßnahmen an Eisenbahnkreuzungsanlagen beim grundsätzlichen Inkrafttreten des ENeuOG am 1.1.1994 bereits in Ausführung begriffen waren, sich die Erhaltungslast für 4

Eingefügt durch Gesetz zur Änderung des GG v. 20.12.1993 (BGBl I S. 2089). BGBl I S. 2378. 6 Gesetz über Kreuzungen von Eisenbahnen und Straßen (Eisenbahnkreuzungsgesetz) i.d.F. v. 21.3.1971, BGBl I S. 337; Neufassung des § 19 durch Art. 6 Abs. 106 Nr. 4 ENeuOG (Fn. 5). 5

Das Ende von Sondererhaltungslasten im Eisenbahnkreuzungsrecht

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Kreuzungen unter Beteiligung öffentlicher Eisenbahnen künftig ausschließlich und zwingend nach den §§ 14 ff EKrG richtet.7 Lediglich für Eisenbahnkreuzungen unter Beteiligung von Straßenbahnen, von nicht dem öffentlichen Verkehr dienenden Anschlußbahnen uiiid von diesen gleichgestellten Eisenbahnen8 gelten bisherige Vereinbarungen fort (§ 19 Abs. 1). Baulich unveränderte Kreuzungsanlagen unter Beteiligung öffentlicher Eisenbahnen hingegen hat nach § 14 EKrG, soweit sie Eisenbahnanlagen sind, der Eisenbahnunternehmer, soweit sie Straßenanlagen sind, der Träger der Straßenbaulast auf seine Kosten zu erhalten und bei Bahnübergängen auch in Betrieb zu halten. Die hierbei geltende Abgrenzung der betreffenden Eisenbahn- und Straßenanlagen ist in § 14 Abs. 2 und 3 EKrG geregelt; Eisenbahnüberführungen gehören zu den Eisenbahnanlagen, Straßenüberführungen zu den Straßenanlagen. Die gesetzliche Verteilung der Erhaltungslast für Eisenbahnkreuzungen unter Beteiligung öffentlicher Eisenbahnen folgt also seit dem 1.1.1994 ausschließlich einem sogenannten Funktionsprinzip, wonach die Zuständigkeit für die Erhaltung einer Eisenbahnkreuzungsanlage jeweils beim beteiligten Aufgabenträger für seine Anlagen liegt. 9 In historischer Sicht hat das ENeuOG die Durchsetzung des sogenannten Funktionsprinzips zum Abschluß gebracht. Bisherige Sondererhaltungslasten öffentlicher Eisenbahnunternehmen für kreuzungsbeteiligte öffentliche Straßen und Wege, die den jeweiligen kreuzungsbeteiligten Straßen- und Wegebaulastträger entlastet haben, sind damit nach dem Willen des ENeuOG endgültig aufgehoben worden. 10 Der Zweck einer solchen prinzipiellen Regelung 7 Öffentliche Eisenbahnen im Sinne des EKrG (§ 1 Abs. 3) sind die Eisenbahnen nach § 3 Allgemeines Eisenbahngesetz (AEG) i.d.F.von Art. 5 ENeuOG, die dem öffentlichen Verkehr dienen, also gewerbs- oder geschäftsmäßig betrieben werden und von jedermann nach ihrer Zweckbestimmung zur Personen- oder Güterbeförderung benutzt werden können (öffentliche Eisenbahnverkehrsunternehmen) bzw. deren Schienenwege nach ihrer Zweckbestimmung von jedem Eisenbahnverkehrsunternehmen benutzt werden können (öffentliche Eisenbahninfrastrukturunternehmen); siehe bei Marschall/Schweinsberg, Eisenbahnkreuzungsgesetz, 4. Aufl. 1990, § 1 Rdnr. 3.2. Im Rahmen der Regelungen des EKrG zur Erhaltungslast von Eisenbahnkreuzungsanlagen geht es um die letztgenannten öffentlichen Eisenbahninfrastrukturuntemehmen. 8 Zu den Begriffsbestimmungen siehe § 1 Abs. 3 und 5 EKrG sowie bei Marschall/ Schweinsberg, § 1 Rdnr. 3.3, 3.4 und 5.1 f. 9 Zum eisenbahnkreuzungsrechtlichen Funktionsprinzip Marschall/Schweinsberg, Einführung, 2 e, und Urt. BVerwG 12.10.73, VerwRspr. 25, 613/618 = Buchholz 407.2 Nr. 6. 10 Der Rechtsbegriff der Sondererhaltungslast bedeutet aus der Sicht des Straßenrechts eine auf die laufende Unterhaltung beschränkte Sonderbaulast, wonach anstelle der nach dem Straßenrecht bestehenden Regelbaulast des zuständigen Straßen- bzw. Wegebaulastträgers unmittelbar kraft Gesetzes die Baulast mit ihrem straßenrechtlichen Inhalt und Umfang einem dritten Rechtsträger obliegt. Dieser tritt nicht nur in die

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ist ersichtlich. Mit der generellen und voraussetzungslosen gesetzlichen Aufhebung überkommener, die betreffenden Straßen- bzw. Wegebaulastträger entlastender Sondererhaltungslasten öffentlicher Eisenbahnunternehmen hat das ENeuOG aus Anlaß der Neuordnung des Eisenbahnwesens, insbesondere der hierbei erfolgten Organisationsprivatisierung der Bundeseisenbahnen sowie von deren nunmehr privatrechtlicher und privatwirtschaftlicher Führung durch die Deutsche Bahn A G (DBAG), in einem weiteren und letzten Schritt das verkehrspolitische Ziel einer finanziellen Sanierung der „Bahn" aufgegriffen. 11 Zu dieser Zielsetzung gehört vor allem eine Beseitigung überkommener kostenmäßiger „Altlasten" der öffentlichen Eisenbahnen. Hierbei handelt es sich um eine lange verfolgte und schrittweise verwirklichte Zielsetzung zur Sanierung der „Bahn". Im Rahmen des Eisenbahnkreuzungsrechts kann von einem schrittweisen und nun gesetzlich abschließend vollzogenen Prinzipienwechsel bei der Regelung der Erhaltungslast für Eisenbahnkreuzungen hin zum Funktionsprinzip gesprochen werden. Der historische Hintergrund dieses Prinzipienwechsels ist die Liquidation von Rechtsvorstellungen, die das Eisenbahnkreuzungsrecht in der noch partikularrechtlichen Epoche des Eisenbahnbaus bestimmt haben, aber mit den nachfolgenden verkehrspolitischen Verhältnissen und Anschauungen nicht mehr zu vereinbaren waren.

I. Das Eisenbahnkreuzungsrecht in der partikularstaatlichen Epoche des Eisenbahnwesens 1. In der Sache entspricht die schrittweise Durchsetzung des genannten Funktionsprinzips bei der Verteilung der Erhaltungslasten für Eisenbahnkreuzungen einem Wandel in der verkehrspolitischen Bewertung von „Schiene und Straße", der sich nach den Anfangen und der ersten umfangreichen Ausbauphase öffentlicher Eisenbahnen sowie nach der Epoche des partikularstaatliAufgabenerfüllung des Straßen- bzw. Wegebaulastträgers, etwa durch deren Übernahme im Wege eines bürgerlichrechtlichen Vertrages, ein, sondern er ist aufgrund öffentlichen Rechts originärer Träger der betreffenden Straßenbaulast. Die Straßengesetze behalten solche Sonderbaulasten ausdrücklich vor (§ 5 Abs. 1 S. 1 FStrG und entsprechende Bestimmungen in den Landesstraßengesetzen, z.B. Art. 44 Abs. 1, Art. 47 Abs. 4, Art. 56 Abs. 2 HS. 1 BayStrWG). Siehe bei Krämer, in: Kodal/Krämer, Straßenrecht, 5. Aufl. 1995, Kap. 14; ferner Urt. BVerwG 28.2.75, VerkBl 1975, 549/550. 11 BT-Drucks. 12/5014, S. 1. Zu den entsprechenden Schritten im Eisenbahnkreuzungsrecht, insbesondere zu dem auch insofern bedeutsamen sogenannten BrandBericht von 1961, siehe bei Marschall/Schweinsberg (Fn. 7), Beschl. Einf. 3 c und 3 d; ferner Begründung der Regierungsentwürfe von 1960 und 1962 zum EKrG (BTDrucks. m/1683, Begr. A I , S. 4 und BT-Drucks. IV/183, Begr. A I , S. 4).

Das Ende von Sondererhaltungslasten im Eisenbahnkreuzungsrecht

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chen Eisenbahnrechts vollzogen hat. 12 In der ersten Epoche öffentlicher Eisenbahnen, in der diese als neue Verkehrsträger und Unternehmen in die Rechtsordnung eingefügt werden mußten, konnten die hierbei regelmäßig begründeten Sonderbaulasten der betreffenden Eisenbahnunternehmen für kreuzungsbeteiligte öffentliche Straßen und Wege aus einer naheliegenden rechtsgrundsätzlichen Annahme gerechtfertigt und geboten erscheinen. Die partikularrechtlichen Eisenbahnbauvorschriften der Länder waren ersichtlich von der Auffassung geleitet, daß mit der hoheitlichen Zulassung des Baus einer öffentlichen Eisenbahn die hiervon betroffenen bereits vorhandenen Straßenund Wegeanlagen einen „Eingriff' zu dulden und für dieses „Sonderopfer" einen „Ausgleich" in der besonderen rechtlichen Art einer dauernden Sonderbaulast des betreffenden Eisenbahnunternehmens für das gesamte Kreuzungsbauwerk zu beanspruchen hatten. 13 Eine solche dem rechtlich anerkannten Aufopferungsgedanken entsprechende Rechtsvorstellung 14 konnte jedoch nachfolgend nicht mehr ohne weiteres in Einklang gebracht werden mit einer zwischenzeitlich bestimmenden verkehrspolitischen Betrachtung, in den öf-

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Zur Anfangs- und ersten großen Ausbauphase der öffentlichen Eisenbahnen A. v. d. Leyer, Die Eisenbahnpolitik des Fürsten Bismarck, 1914 und beispielhaft für den frühen Eisenbahnbau in den Ländern K. Bracht, Der Bau der ersten Eisenbahnen in Preußen, 1998, E. Hahn, Geschichte der Verkehrspolitik im süddeutschen Raum, AfE 62 (1939), 1081/1130 ff, K. Müller, Die badischen Eisenbahnen in historischer und statistischer Darstellung, 1904, K. Lutz, Der Bau der bayerischen Eisenbahnen rechts des Rheins, 1883, H. Markgraf Die Königlich Bayerischen Staatsbahnen in ihrer geschichtlichen und statistischen Beziehung, 1894, B. Ocker, Endstation 1920 - Die Geschichte der Bayerischen Staatsbahn, 1972, v. Morlock, Die Königlich Württembergischen Staatseisenbahnen, 1890, Supper, Die Entwicklung des Eisenbahnwesens im Königreich Württemberg, 1895, O. Jakob, Die Königlich württembergischen Staatseisenbahnen, 1896. Zur partikularstaatlichen Entwicklung von Eisenbahnrecht und Eisenbahnverwaltung siehe bei E.R. Huber, Deutsche Verfassungsgeschichte seit 1789, Bd. IV, 1969, § 68 IE. An der Partikularstaatlichkeit des Eisenbahnwesens hatte sich auch durch die ab 1871 dem Reich eröffnete Gesetzgebungsbefugnis für das „Eisenbahnwesen" und durch Aufsichtsbefugnisse des Reichs (Art. 4 Nr. 18 bzw. Art. 4 1 - 4 7 Reichsverfassung v. 16.4.1871 [RGBl S. 63]) nichts geändert; dazu bei E.R. Huber, Deutsche Verfassungsgeschichte seit 1789, Bd. m, 2. Aufl. 1963, § 58 II 4 und Laband, Staatsrecht des Deutschen Reichs, Bd. IE, 1901, § 74 und Blümel (Fn. 1), § 18, 1 sowie Ronellenfitsch, VerwArch 80 (1989), 92/97 f. Eine Ausnahme hatte lediglich für den Bau und Betreib reichseigener Eisenbahnen in Elsaß-Lothringen und in Luxemburg bestanden; dazu bei E.R. Huber, Bd. m, § 58,7, Blümel (Fn. 1), § 18, 1 d und Beschl. BVerfG 15.7.1969, BVerfGE 26, 338/370 m.w.N. 13 Zu den betreffenden partikularrechtlichen Regelungen siehe die Darstellung und Nachweise bei Marschall/Schweinsberg (Fn. 7), B. Einf. 3 a. Zur eisenbahnrechtlichen Planfeststellung in Preußen Blümel (Fn. 1), § 8. 14 Zum Aufopferungsgedanken in seiner vorkonstitutionellen und verfassungsstaatlichen Entwicklung Ossenbühl, Staatshaftungsrecht, 4. Aufl. 1991, § 12, 1. 2 FS Blümel

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Richard Bartlsperger

fentlichen Eisenbahnen und den öffentlichen Straßen zwei gleichwertige Verkehrsträger mit einer gemeinsamen Aufgabenstellung für den öffentlichen Verkehr zu sehen.15 Denn ausgehend von einer derartigen funktionalen Gleichwertigkeit kreuzungsbeteiligter öffentlicher Eisenbahn- und Straßenanlagen konnte jedenfalls für die Pflicht zur laufenden Erhaltung der betreffenden Eisenbahnkreuzungen nicht mehr die ursprüngliche Priorität der beteiligten Straße oder die Veranlassung einer Eisenbahnkreuzung durch das Eisenbahnunternehmen den Ausschlag geben16 und es konnte hieraus nicht mehr eine zum Ausgleich durch die Bahnseite verpflichtende Sonderopferlage der betreffenden öffentlichen Straßen- und Wegebaulastträger begründet werden. Vielmehr war es aufgrund des erwähnten verkehrspolitischen Wertungswandels folgerichtig, wenn sich auch das Eisenbahnkreuzungsrecht einem neuen Wertigkeitsprinzip im Verhältnis von „Schiene und Straße" zuwandte und hinsichtlich der laufenden Erhaltung von Eisenbahnkreuzungen für eine funktionale Äquivalenz von öffentlichen Straßen und öffentlichen Eisenbahnen entschied.17 Insofern hat die durch das ENeuOG zum 1.1.1994 vollzogene Strukturreform der öffentlichen Eisenbahnen mit der Privatisierung der Eisenbahnen des Bundes nur den aus diesem Anlaß gebotenen Schlußpunkt für das Eisenbahnkreuzungsrecht gesetzt, wenn es zur künftigen Gewährleistung der finanziellen Leistungsfähigkeit öffentlicher Eisenbahnen, insbesondere im Interesse entsprechender Startbedingungen für die privatisierten Eisenbahnen des Bundes, die öffentlichen Eisenbahnen abschließend von der finanziellen „Altlast" überkommener Sondererhaltungspflichten für kreuzungsbeteiligte öffentliche Straßen und Wege in der Regelbaulast öffentlicher Straßen- und Wegebaulastträger befreit hat. 18 2. Aus spezifisch rechtlicher Sicht lassen sich die schrittweise und mit dem ENeuOG zum 1.1.1994 generell vollzogene Ablösung von Sondererhaltungslasten öffentlicher Eisenbahnen für kreuzungsbeteiligte öffentliche Straßen und Wege sowie deren Ersetzung durch das Funktionsprinzip in ihren entwicklungsgeschichtlichen Voraussetzungen und in ihrer prinzipiellen rechtlichen Bedeutung noch um einiges genauer interpretieren. Im Grunde und überwiegend handelt es sich um die Beendigung von Rechtsverhältnissen im 15 Dazu Marschall/Schweinsberg (Fn. 7), B. Einf. 2 d im Hinblick auf die erste umfassende reichsgesetzliche Regelung des Eisenbahnkreuzungsrechts im Gesetz über Kreuzungen von Eisenbahnen und Straßen v. 4.7.1939 (RGBl I S. 1211) - KrG 1939; siehe insbesondere den Vorspruch zu diesem Gesetz. 10 Zum Prioritäts- und zum Veranlasserprinzip im Eisenbahnkreuzungsrecht Marschall/Schweinsberg (Fn. 7), B. Einf. 2 a und b. 17 Nachw. Fn. 15. 18 Nachw. Fn. 11.

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Eisenbahnkreuzungsrecht, die unter dem vormals partikularrechtlichen Eisenbahnbaurecht der Länder entstanden waren. 19 Erst unter den bundesstaatsrechtlichen Voraussetzungen, die mit der Weimarer Reichsverfassung 20 für die Errichtung und Einrichtung eines Reichsbahnwesens sowie für eine Reichseisenbahnverwaltung und eine Gesetzgebung des Reichs zu den „Eisenbahnen" geschaffen worden sind, konnte sich im Eisenbahnkreuzungsrecht ein durch den verkehrspolitischen Wertungswandel im Verhältnis von „Schiene und Straße" für notwendig erachteter Prinzipienwechsel vollziehen. 21 Der verkehrspolitisch motivierte und gereifte Prinzipienwechsel bei den Erhaltungsregelungen für Eisenbahnkreuzungen fällt also rechtlich mit der bundesstaatsrechtlichen Wende vom partikularrechtlichen Eisenbahnbaurecht 22 zur Gesetzgebung des Reichs für die Eisenbahnen zusammen und ist schrittweise mit den jeweiligen Strukturreformen der Reichsbahn und ihrer rechtlich identischen Vermögensnachfolgerin, der Deutschen Bundesbahn,23 bis hin zur Privatisierung der Eisenbahnen des Bundes zum 1.1.1994 durch das ENeuOG verwirklicht worden. Die Verknüpfung des verkehrspolitischen Wertungswandels im Eisenbahnkreuzungsrecht mit dessen staatsrechtlicher Kompetenzverlagerung auf den

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Nachw. Fn. 13. v. 11.8.1919 (RGBl S. 1383). 21 Der Übergang der partikularen Staatsbahnen auf das Reich auf der Grundlage von Art. 89 ff. und Art. 171 Weimarer Reichsverfassung ist mit der Vorläufigen Verwaltungsordnung v. 26.4.1920 (RGBl S. 797) zur Begründung einer unmittelbaren Reichsverwaltung der Reichsbahn sowie Gesetz und Staatsvertrag v. 30.4.1920 (RGBl S. 773) vollzogen worden. Für sonstige öffentliche Eisenbahnen erfolgten besondere Übernahmeakte. Zur Eisenbahnhoheit des Reichs für die Reichseisenbahn nach Art. 90 bis 94 Weimarer Reichsverfassung siehe E. Staatsgerichtshof für das Deutsche Reich 18.10.1924, Lammers/Simon, Die Rechtsprechung des Staatsgerichtshofs für das Deutsche Reich, Bd. I, 56/61 f.; Beschl. RG 17.12.1932, RGZ 139, 136/143 ff. und Beschl. BVerfG 17.5.1969, BVerfGE 26, 338/372 f. Die Gesetzgebungsbefügnis des Reichs für die „ E i s e n b a h n e n " war durch Art. 7 Nr. 19 Weimarer Reichsverfassung neu begründet worden. Zu den reichsgesetzlichen Regelungen und Organisationsformen für die Reichsbahn siehe bei Anschiitz, Die Verfassung des Deutschen Reichs, 14. Aufl. 1933, Art. 89 Erl. 2 ff. und Art. 171, E.R. Huber, Wirtschaftsverwaltungsrecht, Bd. I, 2. Aufl. 1953, § 13 II 1 a und b, ders., Deutsche Verfassungsgeschichte seit 1789, Bd. VI, 1981, § 68 I 3 und Ronellenfitsch, DÖV 1996, 1028/1030 f. 22 Nachw. Fn. 12 f. 23 Dazu bei E.R. Huber, Wirtschaftsverwaltungsrecht (Fn. 21), § 13 II 1 c sowie 2 a und c, Kröger, Einführung in die Verfassungsgeschichte der Bundesrepublik Deutschland, 1993, § 2 und Bartlsperger, in: Bonner Kommentar zum Grundgesetz (Bonner Kommentar), Art. 90 (1969), Rdnr. 8 ff. 20

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Bundesstaat rechtfertigt die Feststellung, daß sowohl die ursprünglich umfassenden Sonderbaulasten öffentlicher Eisenbahnen für kreuzungsbeteiligte öffentliche Straßen und Wege als auch die engeren Sondererhaltungslasten der Bahnseite für die bloße laufende Unterhaltung der betreffenden Kreuzungsanlagen einer dem partikularrechtlichen Eisenbahnbaurecht eigenen prinzipiellen Rechtsvorstellung zum Verhältnis von „Eisenbahn- und Wegerecht" 24 entstammen, und zwar auch in den Fällen, in denen die noch näher darzustellende schrittweise Einführung des Funktionsprinzips selbst bei der reichsgesetzlichen Regelung zum Eisenbahnkreuzungsrecht zwischenzeitlich nochmals eine Begründung neuer bahnseitiger Sondererhaltungslasten für kreuzungsbeteiligte Straßenanlagen zuließ. Die spezifische rechtliche Bedeutung des Prinzipienwechsels bei den Erhaltungsregelungen im Eisenbahnkreuzungsrecht wird deshalb nur ersichtlich, wenn man sich die dem vormaligen partikularrechtlichen Eisenbahnbaurecht zugrundeliegende prinzipielle Rechtsvorstellung zu den Kreuzungsrechtsverhältnissen zwischen öffentlichen Eisenbahnen und öffentlichen Straßen genauer vor Augen führt. 3. Trotz nur vereinzelter und fragmentarischer partikularrechtlicher Regelungen zum Eisenbahnkreuzungsrecht kann davon ausgegangen werden, daß wie schon erwähnt, beim seinerzeitigen Bau einer öffentlichen Eisenbahn das jeweilige Eisenbahnunternehmen als hoheitlich „konzessionierter" Verursacher von „Eingriffen" in bestehende Straßen- und Wegeanlagen und als Veranlasser der betreffenden Eisenbahnkreuzungen entweder kraft Rechtssatzes oder durch hoheitliche Anordnung oder im Rahmen entsprechender vorgeschriebener Vereinbarungen verpflichtet worden ist, die Kreuzungsanlagen zu erstellen und zu unterhalten oder jedenfalls den kreuzungsbeteiligten Straßenoder Wegebaulastträger die durch die Kreuzungsanlage entstehenden Mehrkosten zu erstatten. 25 Beispielhaft einschlägig sind auch insofern die vor allem für die Entwicklung des Planfeststellungsrechts wirkungsträchtigen Rechtsgrundlagen des preußischen Eisenbahn- und Enteignungsrechts zur eisenbahnrechtlichen Planfeststellung gewesen.26 Gleichwohl erscheint für das partikularrechtliche Eisenbahnkreuzungsrecht das seinerzeitige bayerische Eisenbahnbaurecht anschaulicher. 27 Dieses hatte in besonders deutlicher und auf24

So die Bezeichnung fiir eisenbahnkreuzungsrechtliche Vorschriften in der ersten einschlägigen reichsgesetzlichen Regelung von § 39 Gesetz über die Deutsche Reichsbahn-Gesellschaft (Reichsbahngesetz) v. 30.8.1924 (RGBl n S. 272). 25 Oben unter 1 m. Fn. 13 f. 26 § 4 und § 14 Gesetz über die Eisenbahn-Unternehmungen v. 3.12.1838 (GS S. 505); ferner § 14 Gesetz über die Enteignung von Grundeigenthum v. 11.6.1874 (GS S. 221). Dazu die planungsrechtliche Darstellung von Blümel (Fn. 1), § 8. 27 Verordnung, die Erbauung von Eisenbahnen betreffend v. 20.6.1855 (RegBl Sp. 653 = BayRS IV-257) - BayEBVO 1855.

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schlußreicher Weise das Prinzip ausgestaltet und ausformuliert, wonach die beim Bau einer öffentlichen Eisenbahn notwendig gewordenen Eisenbahnkreuzungsanlagen vom Eisenbahnunternehmen herzustellen und zu unterhalten sind. 28 Danach hatte der betreffende Eisenbahnunternehmer für den Fall, daß durch den Eisenbahnbau „öffentliche Wege, Brücken oder sonstige Kommunikationsmittel zerstört oder unbrauchbar gemacht werden", die Verpflichtung, „die gestörte Kommunikation nach Anordnung der Behörden wieder herzustellen, und i m Umfang des Bahneigentums zu unterhalten" sowie die in einem solchen Falle notwendigen „Bauten, als Brücken, Durchlässe etc." nicht bloß erstmals herzustellen, sondern hierfür „auch die künftige Unterhaltung" zu tragen. Die Bestimmungen hatten also das damalige Problem, „den Neuling Eisenbahn in die vorhandene Rechtsordnung einzufügen", 29 in der umfassenden und einheitlichen Weise geregelt, daß den Unternehmer einer öffentlichen Eisenbahn, der durch den Eisenbahnbau öffentliche Straßen und Wege „zerstört", die volle Baulast für die Herstellung, Änderung und Ergänzung sowie für die laufende Unterhaltung der Kreuzungsanlagen trifft. Hierbei ist auch keine Unterscheidung zwischen künftigen Maßnahmen zur Änderung und Ergänzung einer Eisenbahnkreuzung einerseits und von deren laufender Erhaltung andererseits vorgenommen worden. Vielmehr ist die volle Baulast für kreuzungsbeteiligte öffentliche Straßen und Wege dem Unternehmer einer öffentlichen Eisenbahn als originäre Verpflichtung auferlegt und so eine umfassende und einheitliche bahnseitige Sonderbaulast für die betreffenden Straßen- und Wegeanlagen begründet worden. Die prinzipielle Rechtsvorstellung, die der seinerzeitigen partikularrechtlichen Begründung einer dauernden Sonderbaulast öffentlicher Eisenbahnen für kreuzungsbeteiligte öffentliche Straßen und Wege zugrunde gelegen hat, kann schwerlich mit heute gebräuchlichen Prinzipien des Eisenbahnkreuzungsrechts erfaßt und zum Ausdruck gebracht werden. 30 Denn die letzteren haben die zwischenzeitlich ganz anderen verkehrspolitischen Voraussetzungen zur Grundlage, wonach öffentliche Straßen und Wege bei einer Kreuzungsbeteiligung mit öffentlichen Eisenbahnen sich nicht in der hoheitlich zugelassenen „Sonderopferlage" eines Betroffenen befinden, vielmehr am Kreuzungsrechtsverhältnis mit einer prinzipiell gleichwertigen Verkehrsfünktion teilnehmen 31 und deshalb eine ihrer Verkehrsfünktion entsprechende prinzipiell gleichwer28

§ 10 Nr. 3BayEBVO 1855. R. Mayer, DÖV 1950, 420/421. 30 Als solche kommen in Betracht das Veranlasserprinzip, das Interessenprinzip, das Funktionsprinzip sowie das Prinzip eines kreuzungsrechtlichen Gemeinschaftsverhältnisses (Marschall/Schweinsberg [Fn. 7], B. Einf. 2 b bis f). 31 Nachw. Fn. 15. 29

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tige Kreuzungsbaulast zu tragen haben. Diese grundsätzlich andere Ausgangslage heutiger Prinzipien des Eisenbahnkreuzungsrechts schließt vor allem die Annahme ein, daß diese überhaupt nicht mehr auf „eine" umfassende und einheitliche Kreuzungsbaulast bezogen sein können, sich vielmehr nur noch als differenziert anwendbare Regulative für die Lastenzuordnung bei den nach Anlaß, Interessenlage und Wertigkeit unterschiedlichen Maßnahmen der Herstellung, Änderung, Ergänzung und laufenden Unterhaltung von kreuzungsbeteiligten Anlagen verstehen. So eignet sich eine Verteilung von Kreuzungsbaulasten nach dem Funktionsprinzip ausschließlich für die Zuordnung der laufenden Erhaltungslasten auf die beiden kreuzungsbeteiligten Verkehrsträger nach deren Anlagen. 32 Die heute gebräuchlichen Prinzipien des Eisenbahnkreuzungsrechts beruhen also zusammengefaßt auf einer prinzipiellen Gleichwertigkeit von „Schiene und Straße" im Kreuzungsrechtsverhältnis sowie auf einer grundsätzlichen Aufspaltung der Kostenverteilungsregelungen für die Herstellung, Änderung und Ergänzung von Eisenbahnkreuzungen einerseits und für deren laufende Erhaltung andererseits. Im Unterschied dazu ist das vormalige partikulare Eisenbahnbaurecht, wie dargelegt, von der prinzipiellen Rechtsvorstellung bestimmt gewesen, daß die später hinzukommenden öffentlichen Eisenbahnen für die vorher vorhandenen öffentlichen Straßen und Wege auf Dauer eine umfassende und einheitliche Sonderbaulast zu übernehmen haben. Dies entspricht in der Sache den in der Anfangsepoche und ersten großen Ausbauphase der öffentlichen Eisenbahnen angetroffenen Verhältnissen und Anschauungen, daß der Bau der betreffenden Eisenbahnen für die von einer Kreuzungsbeteiligung betroffenen öffentlichen Straßen und Wege als ein hoheitlich zugelassener „Eingriff' anzusehen sei und daß dementsprechend den Straßen- und Wegebaulastträgern ein solches „Sonderopfer" voll und dauernd ausgeglichen werden müsse. Man kann deshalb für das partikulare Eisenbahnkreuzungsrecht davon sprechen, daß dieses von einem umfassenden und einheitlichen sowie dauernde Rechtsfolgen begründenden Prioritätsprinzip zugunsten der vorhandenen öffentlichen Straßen und Wege bestimmt gewesen ist. 33 Damit ist aber der eigentliche Rechtsgrund für ein solches Prioritätsprinzip und für die ihm folgende Begründung von umfassenden und einheitlichen sowie dauernden Sonderbaulasten öffentlicher Eisenbahnen für kreuzungsbeteiligte öffentliche Straßen und Wege im vormaligen partikularen Eisenbahnbaurecht noch nicht offengelegt. 4. Wie vorstehend schon mehrfach angesprochen, kann das in den vereinzelten und fragmentarischen Regelungen des partikularen Eisenbahnbaurechts 32 33

Zum Funktionsprinzip Nachw. Fn. 9. Zu diesem Prioritätsprinzip Marschall/Schweinsberg

(Fn. 7), B. Einf. 2 a.

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nachweisbare Prioritätsprinzip als eine rechtsbegrifflich lediglich anders formulierte Rezeption des seinerzeit überkommenen und anerkannten Aufopferungsgedankens im Eisenbahnkreuzungsrecht verstanden werden. 34 Bei einer solchen Rezeption von Rechtsgrundsätzen der Aufopferung ist aber das partikulare Eisenbahnbaurecht von den typischen Voraussetzungen und Rechtsfolgen des Aufopferungsrechts abgewichen. Zum einen haben die seinerzeit geschaffenen Sonderbaulasten öffentlicher Eisenbahnen für kreuzungsbeteiligte öffentliche Straßen und Wege nicht bloß in der Verpflichtung des Begünstigten zum einmaligen „Ausgleich" eines „Sonderopfers" bestanden, sondern eine auf Dauer angelegte Rechtsbeziehung zwischen den Kreuzungsbeteiligten begründet. 35 Zum zweiten und wesentlich konnte auch schon zu Zeiten des partikularen Eisenbahnbaurechts nicht mehr von der Voraussetzung ausgegangen werden, daß bei der rechtlich erzwungenen Kreuzungsbeteiligung öffentlicher Straßen und Wege die hiervon betroffenen öffentlichen Straßen- und Wegebaulastträger in der Rechtsstellung von „Privaten" ein Sonderopfer in Individualrechten zugunsten des durch den Bau der betreffenden öffentlichen Eisenbahn verwirklichten Allgemeinwohls hätten hinnehmen müssen. Vielmehr hat es sich in diesen Fällen auch schon seinerzeit um einen rechtlich zugelassenen und geregelten „Eingriff 4 in eine „Verwaltungsfünktion" anderer Hoheitsträger, nämlich der betreffenden regelmäßig öffentlichen Straßen- und Wegebaulastträger, gehandelt.36 Es hatte also nicht der sowohl vom vorkonstitutionellen wie vom verfassungsstaatlichen Aufopferungsgedanken spezifisch bezweckte Ausgleich in einer Konfliktlage zwischen Gemeinwohl und Individualrechten Privater stattgefunden, 34

Zum Aufopferungsgedanken Nachw. Fn. 14. So deutlich Beschl. BVerfG 12.3.1980 (BVerfGE 53, 336/347) noch hinsichtlich der späteren reichsgesetzlichen Regelung von § 8 Abs. 2 KrG 1939, wonach bei Herstellung einer neuen Eisenbahnkreuzung mit einem bereits vorhandenen Verkehrsweg der Unternehmer des hinzukommenden Verkehrswegs dem Unternehmer des anderen Verkehrswegs die hierdurch erhöhten Unterhaltungskosten zu erstatten hatte. 36 Möglicherweise ist dies allerdings damals noch anders gesehen worden wegen der Auswirkungen und Nachwirkungen der im deutschen Recht der öffentlichen Sachen, insbesondere der öffentlichen Straßen, maßgeblich gebliebenen Annahme privatrechtlichen Straßeneigentums und privatrechtlicher Elemente in der Straßenhoheit; hierzu grundsätzlich Bartlsperger, Verkehrssicherungspflicht und öffentliche Sache, 1970 und ders., Das Sachenrechtsverhältnis der öffentlichen Straßen, in: Bartlsperger/ Schroeter/Blümel, Ein Vierteljahrhundert Straßenrechtsgesetzgebung, 1980, S. 13 ff. Die Anwendung des Aufopferungs- bzw. des Enteignungsrechts auf die rechtmäßig erzwungene Kreuzungsbeteiligung öffentlicher Straßen und Wege in der Baulast öffentlicher Straßen- und Wegebaulasträger konnte rechtskonstruktiv freilich allenfalls auf das betroffene privatrechtliche Straßeneigentum bezogen werden. Hierbei ist aber verkannt, daß es im Eisenbahnkreuzungsrecht um die Zuordnung von „Baulasten" zwischen den Kreuzungsbeteiligten geht. 35

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sondern, unbeschadet der damals häufigen Fälle öffentlicher Eisenbahnen in privater Unternehmensträgerschaft, eine Konfliktregelung zwischen den durch die beiden kreuzungsbeteiligten Verkehrsträger repräsentierten Allgemeinwohlbelangen. Offensichtlich hat die Priorität der öffentlichen Straßen und Wege zur Annahme einer auszugleichenden „Sonderopferlage" der betroffenen öffentlichen Straßen- und Wegebaulastträger im Sinne des Aufopferungsgedankens verleitet. Die rechtsgrundsätzlichen Voraussetzungen hierfür hatten jedoch nur in den Ausnahmefallen vorgelegen, in denen öffentliche Wege nach den seinerzeitigen partikularen Regelungen bzw. Rechtsgrundsätzen des Straßen- und Wegerechts in der Wegebaulast Privater gestanden haben. Lediglich in diesem Bereich rechtlich gewidmeter örtlicher Wege, insbesondere gewidmeter Wirtschaftswege, in der privaten Regelbaulast der betreffenden „Interessenten" konnte und mußte der Aufopferungsgedanke unmittelbar angewendet werden. 37 Im übrigen und regelmäßig dagegen, d.h. bei einer Straßen» und Wegebaulast von Hoheitsträgern, hat das partikulare Eisenbahnbaurecht mit der Anwendung des Aufopferungsgedankens dessen rechtsgrundsätzliche Voraussetzungen überschritten. Man kann insofern von einer spezifischen Umformung des Aufopferungsgedankens im partikularen Eisenbahnbaurecht sprechen, bei der im Falle einer rechtlich erzwungenen Beteiligung öffentlicher Straßen und Wege an einer Kreuzung mit öffentlichen Eisenbahnen allein wegen der „Priorität" der ersteren vergleichbare Voraussetzungen wie bei einer ausgleichspflichtigen Aufopferung angenommen worden sind. Ein derart im vormaligen partikularen Eisenbahnbaurecht praktiziertes Rechtsprinzip des Eisenbahnkreuzungsrechts, das beim Bau öffentlicher Eisenbahnen die betreffenden Eisenbahnunternehmen gegenüber kreuzungsbeteiligten öffentlichen Straßen und Wege in einer Ausgleichspflicht nach Aufopferungsgrundsätzen gesehen und ihnen daher auf Dauer eine umfassende und einheitliche Sonderbaulast für die betroffenen Straßen- und Wegeanlagen auferlegt hatte, ist aus der seinerzeitigen Anfangssituation des Eisenbahnbaus erklärbar und verständlich. Aber es konnte in der weiteren Entwicklung des Verhältnisses von „Eisenbahn und Wegerecht" nicht Bestand haben. Künftig konnte weder an der zwischenzeitlich gereiften Vorstellung von einer funktionalen Gleichwertigkeit öffentlicher Eisenbahnen und öffentlicher Straßen und Wege bei der Kreuzungsbeteiligung vorbeigegangen, noch die unterschiedliche Interessenlage der kreuzungsbeteiligten Verkehrsträger bei der Herstellung, Änderung und Ergänzung von Kreuzungsbauwerken einerseits und bei deren laufender Erhaltung andererseits außer acht gelassen werden. Dies er37

Zu den auch nach den heutigen Landesstraßengesetzen noch bestehenden Regelbaulasten Privater an örtlichen Wegen siehe bei Krämer, in: Kodal/Krämer (Fn. 10), Kap. 13 Rdnr. 30 ff.

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forderte eine Änderung und eine Differenzierung der Prinzipien des Eisenbahnkreuzungsrechts. Dementsprechend haben sich die gegenständlich erörterten Erhaltungsregelungen für Eisenbahnkreuzungen auf ein hierfür spezifisches Funktionsprinzip hin entwickelt, nach dem die Erhaltungslast jedem der beiden Verkehrsträger für seine Anlagen zugeordnet wird.

I L Der Prinzipienwechsel bei den Erhaltungslasten für Eisenbahnkreuzungen 1. Die erste Rechtsänderung gegenüber der noch durch das vormalige partikulare Eisenbahnkreuzungsrecht geschaffenen Rechtslage ist mit § 39 des Reichsbahngesetzes von 1924 38 erfolgt. Danach ist für den Fall einer Kreuzungsbeteiligung der Reichsbahn die Kostenregelung für eine von einem der beiden kreuzungsbeteiligten Verkehrsträger oder von beiden veranlaßte Änderung der Kreuzung unmittelbar und abschließend durch die genannte gesetzliche Vorschrift getroffen worden. Dies hat zu einer Aufspaltung der Kreuzungsrechtsverhältnisse zunächst für den Fall einer Kreuzungsbeteiligung der Reichsbahn geführt. Für die laufende Erhaltung der betreffenden Kreuzungsanlagen ist es bei den überkommenen Kreuzungsrechtsverhältnissen geblieben. Vormals partikularrechtlich begründete Sonderbaulasten sind also insofern unberührt gelassen worden, als diese die Vornahme- und Kostenpflichten für eine bloße Erhaltung geregelt haben. Im übrigen dagegen, d.h. in bezug auf die Vornahme- und Kostenpflichten für Änderungsmaßnahmen, sind vormals begründete umfassende und einheitliche Sonderbaulasten der Reichsbahn beseitigt worden zugunsten der gesetzlichen Kostenverteilung nach § 39 Reichsbahngesetz 1924 gemäß dem Veranlasserprinzip. 39 Im Ergebnis hat die reichsgesetzliche Rechtsänderung von 1924 also bewirkt, daß eine vormals partikularrechtlich begründete umfassende und einheitliche Sonderbaulast der zwischenzeitlich auf das Reich übergeführten öffentlichen Eisenbahnen40 zu einer auf eine Sondererhaltungslast beschränkten Teil-Baulast der Reichsbahn für kreuzungsbeteiligte öffentliche Straßen und Wege geworden ist. 2. Eine umfassende neue Regelung hat das Eisenbahnkreuzungsrecht dann im KrG 193941 erfahren, das zugleich mit der Beendigung der „Deutschen 38 39 40 41

Fn. 24. Marschall/Schweinsberg Fn. 21. Fn. 15.

(Fn. 7), B. Einf. 3 b.

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Reichsbahn-Gesellschaft" und mit der Organisation der Reichsbahn in Form eines Sondervermögens „Deutsche Reichsbahn" in unmittelbarer Reichsträgerschaft und Reichsverwaltung erlassen worden ist. 42 Im Zuge jener Neuordnung des Reichseisenbahnwesens ist es mit Rücksicht auf die „neuzeitliche Entwicklung des Verkehrs auf Eisenbahn und Straßen" für erforderlich erachtet worden, auch „durchgreifende Maßnahmen zu einer allen Bedürfnissen des Verkehrs entsprechenden Ausgestaltung der vorhandenen schienenfreien und der noch höhengleich verbleibenden Kreuzungen" zu treffen. 43 Das zu diesem Zweck geschaffene KrG 1939 hat seinen Anwendungsbereich auf alle dem öffentlichen Verkehr dienenden Eisenbahnen und die betreffenden Anschlußbahnen erstreckt (§ 1 Abs. 1) sowie hierfür generell die Trennung in jeweils eigene Kostenregelungen für die Herstellung, Änderung und Ergänzung von Eisenbahnkreuzungen einerseits und für deren Unterhaltung, d.h. die Inbetriebhaltung und Erneuerung, andererseits eingeführt (§§ 5 bis 7 bzw. § 8). Für die ersteren ist das Veranlasserprinzip wieder durch differenziertere Prinzipien abgelöst, für die Unterhaltungslast ist das Funktionsprinzip festgelegt worden. 44 Im Zusammenhang damit ist vor allem eine Bereinigung der überkommenen „abweichenden Regelungen" erfolgt, von der nur die Anschlußbahnen ausgenommen worden sind (§ 9). Die überkommenen „abweichenden" Kostenregelungen für die Herstellung, Änderung und Ergänzung von Kreuzungen mit kreuzungsbeteiligten öffentlichen Eisenbahnen sind, abgesehen von schon in Ausführung befindlichen Änderungs- und Ergänzungsmaßnahmen, aufgehoben worden (§ 9 Abs. 2 HS. 1, § 13); „abweichende" Regelungen konnten insofern allerdings durch neue Kostenvereinbarungen getroffen werden (§ 9 Abs. 1). Überkommene „abweichende" Sondererhaltungslasten für die „Unterhaltung" sind zwar nicht aufgehoben, aber einer „Endigungsregelung" unterstellt worden, welche ihnen solange eine Fortgeltung gewährleistet hat, bis an der Kreuzung eine wesentliche Änderung oder Ergänzung vorgenommen wird (§ 9 Abs. 2 HS. 2); allerdings waren insofern ebenfalls erneute Kreuzungsvereinbarungen über die „Unterhaltung" möglich (§ 9 Abs. 1). Sonderbaulasten öffentlicher Eisenbahnen, die unter dem vormaligen partikularen Eisenbahnbaurecht begründet und durch § 39 Reichsbahngesetz 1939, wie dargelegt, auf eine Sonderbaulast zur „Erhaltung" der Kreuzung beschränkt worden waren, sind also zwar aufrecht erhalten worden; aber für sie hat von da an eine „Endigungsregelung" bis zur Vornahme einer wesentlichen Ände-

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Gesetz über die Deutsche Reichsbahn-Gesellschaft v. 4.7.1939 (RGBl II S. 272). So der Vorspruch zum KrG 1939. 44 Zu jenen neuen Kostenregelungen für Ändeningen und Ergänzungen Marschall/ Schweinsberg (Fn. 7), B. Einf. 3 c, zum Funktionsprinzip Fn. 9. 43

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rung oder Ergänzung der Kreuzung gegolten.45 Diese Rechtslage hat dann auch noch bestanden, als die kreuzungsbeteiligte „Deutsche Reichsbahn" auf die Deutsche Bundesbahn als rechtlich identische Vermögensnachfolgerin übergegangen ist, die aufgrund von Art. 87 Abs. 1 GG a.F. und nach dem Bundesbahngesetz von 1951 als Sondervermögen des Bundes in unmittelbarer Bundesverwaltung gefuhrt worden ist. 4 6 Die weiteren Rechtsänderungen sind dann durch das „neue" Eisenbahnkreuzungsrecht des Bundes erfolgt. 3. Auch das „neue" Eisenbahnkreuzungsrecht des Bundes, das mit dem Eisenbahnkreuzungsgesetz von 1963 (EKrG) 4 7 geschaffen und im Vollzug des Gesetzes von 1971 zur Änderung des EKrG (EKrÄndG 1971) 48 neu gefaßt worden ist, verdankt, wie schon das KrG 1939, seine aktuelle Entstehung einem abermaligen Erfordernis, auf verkehrswirtschaftliche Veränderungen zwischen „Schiene und Straße" zu reagieren; hierzu war vor allem eine Kostenentlastung der Deutschen Bundesbahn im Eisenbahnkreuzungsrecht notwendig. 49 Ein wesentliches Mittel zur Erreichung dieses Sanierungszieles für die Deutsche Bundesbahn ist eine Neuregelung der Erhaltungslast im EKrG gewesen. Entsprechend dieser spezifischen Zwecksetzung sind hiervon nur die bisherigen „Vereinbarungen" ausgenommen worden, die sich auf Kreuzungen von Straßen mit Straßenbahnen, Anschlußbahnen und den Anschlußbahnen gleichgestellten Eisenbahnen bezogen haben; insofern haben Sonderbaulasten weiterhin ihre Geltung behalten (§ 19 Abs. 2 EKrG). Im übrigen jedoch, d.h. für die öffentlichen Eisenbahnen im Sinne des Gesetzes (§ 1 Abs. 1 und 3 EKrG), sind die Sondererhaltungslasten grundsätzlich abgelöst und durch strikte gesetzliche Erhaltungsregelungen nach den §§ 14 ff. EKrG ersetzt worden. Dabei ist das bereits durch § 8 Abs. 1 KrG 1939 als Grundsatz festgelegte Funktionsprinzip in § 14 Abs. 1 EKrG zum generellen Leitprinzip gemacht 45 Zur Fortgeltung „alter" Erhaltungsregelungen nach dem KrG 1939 Forsthoff, DÖV 1955, 97/99 f. 46 Bundesbahngesetz v. 13.12.1951 (BGBl I S. 955) i.V.m. dem Gesetz über die vermögensrechtlichen Verhältnisse der Deutschen Bundesbahn (DBVermG) v. 2.3.1951 (BGBl I S. 155). Zum Vermögensübergang des Reichs(Bahn-)Vermögens auf den Bund im Vollzug von Art. 134 Abs. 1 GG siehe bei Bartlsperger (Fn. 23), Rdnr. 10 f. 47 Gesetz über Kreuzungen von Eisenbahnen und Straßen (Eisenbahnkreuzungsgesetz) v. 14.8.1963 (BGBl I S. 698). 48 Gesetz zur Änderung des Gesetzes über Kreuzungen von Eisenbahnen und Straßen (Eisenbahnkreuzungsgesetz) v. 8.3.1971 (BGBl I S. 167). 49 Zu den Vorarbeiten, insbesondere dem sogenannten Brandt-Bericht zur Lage der Deutschen Bundesbahn, zu einer vorweggenommenen bundesinternen Teilkorrektur für die Änderungskosten an Kreuzungen unter Beteiligung von Bundesfernstraßen im Jahre 1957 sowie zur Entstehungsgeschichte des EKrG 1963 siehe bei Marschall/ Schweinsberg (Fn. 7), B. Einf. 3 c und d.

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worden, wonach dem Eisenbahnunternehmer die Erhaltungslast nur für die kreuzungsbeteiligte Eisenbahnanlage obliegt. Neben dem erwähnten finanziellen Sanierungszweck zugunsten der Deutschen Bundesbahn wird der seinerzeit festgelegten strikten Ausrichtung der Erhaltungslast am Funktionsprinzip auch die Bedeutung beigelegt, daß auf diese Weise eine bewußt eindeutige Regelung und einfache Handhabung für die Erhaltung von Kreuzung geschaffen, also zugleich ein Klarstellungs- und Sicherheitszweck verfolgt worden ist. 5 0 Diese ersichtlich zentralen Anliegen des „neuen" Eisenbahnkreuzungsrechts von 1963 haben auch eine Bereinigung der bis dahin überkommenen, vor allem der aus dem partikularen Eisenbahnbaurecht stammenden Sondererhaltungslasten notwendig erscheinen lassen. Allerdings ist dabei noch keine generelle, sondern eine differenzierte Regelung getroffen worden. Auf der einen Seite sind für die Bahnübergänge und Eisenbahnüberführungen sowie die Straßenüberführungen in der staatlichen Straßenbaulast von Bund und Ländern, einschließlich der von den nordrhein-westfalischen Landschaftsverbänden verwalteten staatlichen Straßen, mit dem Inkrafttreten des EKrG am 1.1.1964 die bahnseitigen Sondererhaltungslasten generell aufgehoben und durch die gesetzlichen Erhaltungsregelungen des § 14 EKrG ersetzt worden (§ 19 Abs. 1 S. 1 EKrG bzw. § 19 Abs. 1 S. 1 und 2 EKrG i.d.F. des EKrÄndG 1971).51 Von dieser Aufhebungsregelung waren die betreffenden Sondererhaltungslasten erfaßt, die entweder noch als „alte" Sonderbaulasten nach dem vormaligen partikularen Eisenbahnbaurecht oder als „neuere" Erhaltungsvereinbarungen nach § 9 Abs. 1 KrG 1939 bis zum 31.12.1963 begründet worden waren. Zugleich hat diese Aufhebungsregelung auch ein künftiges Vereinbarungsverbot für die Erhaltungslasten enthalten. Im Grundsatz und für die genannten Fälle ist also im Interesse einer Sanierung der Deutschen Bundesbahn sowie mit Rücksicht auf den erwähnten Klarstellungsund Sicherheitszweck bei der Erhaltung von Kreuzungen sogar entgegen von Forderungen des Bundesrates davon abgesehen worden, die „Endigungsregelung" von § 9 Abs. 2 S. 2 KrG 1939 beizubehalten, wonach Sondererhaltungslasten noch bis zu einer wesentlichen Änderung oder Ergänzung der Kreuzung fortbestanden haben.52 Es ist lediglich zu einem sogenannten Kom50 Urt. BVerwG 16.11.1984, Buchholz 407.2 Nr. 12, S. 24 und 10.5.1985, Buchholz 407.2 Nr. 13, S. 28. 51 Die Absicht des Gesetzes zur Aufhebung bisheriger Sondererhaltungslasten ist in den Gesetzesmaterialien ausdrücklich bekundet worden (BT-Drucks. IV/183, zu § 13 und § 17 Reg. Entw., S. 8). 52 Zur entsprechenden Forderung des Bundesrats siehe BT-Drucks. IV/183, Stellungnahme des Bundesrates, zu § 17 Reg. Entw., S. 11. Zur ablehnenden Stellungnahme der Bundesregierung ebd., S. 12.

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munalprivileg für Straßenüberführungen im Zuge kommunaler Straßen und örtlicher Wege gekommen. Für die Straßenüberführungen der kommunalen Straßen und örtlichen Wege haben § 19 Abs. 1 S. 2 und 3 EKrG bzw. § 19 Abs. 1 S. 3 und 4 EKrG i.d.F. des EKrÄndG 1971 an der „Endigungsregelung" von § 9 Abs. 2 HS. 2 KrG 1939 festgehalten. Danach haben bahnseitige Sondererhaltungslasten für kreuzungsbeteiligte Straßenüberführungen im Zuge kommunaler Straßen und örtlicher Wege in der Form und nach Maßgabe einer „Endigungsregelung" bis zu einer wesentlichen Änderung oder Ergänzung der betreffenden Kreuzung fortbestanden. Hierbei hat es sich um eine sogenannte Härteklausel gehandelt, mit der die finanziellen Belastungen vermieden werden sollten, die ein sofortiges Ende der bahnseitigen Sondererhaltungslasten ohne eine wesentliche Änderung oder Ergänzung der betreffenden Kreuzungen, d.h. ohne vorherige Schaffung einer längerfristigen Restnutzungsdauer für die betreffenden Straßenüberführungen, bei den Straßen- und Wegebaulastträgern örtlicher Straßen und Wege ausgelöst hätte. 53 Für den Ausnahmefall kreuzungsbeteiligter Straßenüberführungen im Zuge kommunaler Straßen und örtlicher Wege sind also sowohl die „alten", aus dem vormaligen partikularen Eisenbahnkreuzungsrecht stammenden als auch die unter Geltung von § 9 Abs. 1 KrG 1939 durch Vereinbarung begründeten „neueren" Sondererhaltungslasten in der Form und nach Maßgabe der genannten „Endigungsregelungen" aufrechterhalten worden. Aber auch insofern hat ab dem 1.1.1964 jedenfalls ein Vereinbarungsund Neubegründungsverbot gegolten. Neue Vereinbarungen über Sondererhaltungslasten konnten somit von diesem Zeitpunkt an generell nicht mehr gültig zustande kommen. 4. M i t Rücksicht auf das seit dem 1.1.1964 nach dem EKrG geltende Vereinbarungs- und Neubegründungsverbot für Sondererhaltungslasten stellt die zu jenem Zeitpunkt geschaffene Regelung über die Fortgeltung von Sondererhaltungslasten zugleich den Rechtszustand dar, der bis zu der endgültigen 53

Das sogenannte Kommunalprivileg geht auf einen Vorschlag des 23. Ausschusses für Verkehr, Post und Fernmeldewesen des Deutschen Bundestages v. 25.4.1963 zurück (BT-Drucks. IV/1206, zu § 17, S. 3). Zur Entstehungsgeschichte der Regelung siehe im übrigen Urt. BVerwG 12.10.1973, Verw.Rspr. 25, 613/615 f. = Buchholz 407.2 Nr. 6 sowie bei Marschall/Schweinsberg (Fn. 7), § 19 Rdnr. 2.3. Die im Rahmen des sogenannten Kommunalprivilegs fortgeführten Sondererhaltungslasten der seinerzeitigen Deutschen Bundesbahn haben eine bundesstaatsrechtliche Kostenregelung zwischen Landes- und Bundesverwaltung dargestellt, weil die Bundeseisenbahnen in unmittelbarer Bundesverwaltung geführt gewesen sind (Art. 87 Abs. 1 GG a.F.). Ein Verstoß gegen dasfinanzverfassungsrechtliche Konnexitätsprinzip hatte gleichwohl nicht vorgelegen; denn dieses Prinzip beansprucht keine Geltung für ,3aulasten" (Beschl. BVerfG 15.7.1969, BVerfGE 26, 338/391).

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Aufhebung von Sondererhaltungslasten öffentlicher Eisenbahnen durch das ENeuOG am 1.1.1994 bestanden hat. Danach hat bis zum 31.12.1993 lediglich noch das sogenannte Kommunalprivileg gegolten, wonach bahnseitige Sondererhaltungslasten für kreuzungsbeteiligte kommunale Straßen und örtliche Wege nach Maßgabe einer „Endigungsregelung" fortbestehen sollten, welche die betreffenden Sondererhaltungslasten erst, aber auf jeden Fall unter der Voraussetzung einer wesentlichen Änderung oder Ergänzung der Kreuzung enden ließ. Mit der Neufassung des § 19 EKrG durch das ENeuOG ist dann auch dieses sogenannte Kommunalprivileg für Sondererhaltungslasten unmittelbar kraft Gesetzes und generell aufgehoben worden. Auf eine bis dahin noch nach § 19 Abs. 1 S. 3 und 4 EKrG a.F. vorausgesetzte „wesentliche Änderung" oder Ergänzung der betreffenden Kreuzung ist es dabei nicht mehr angekommen. Vielmehr ist die bislang voraussetzungsgebundene „Endigungsregelung" durch eine unmittelbar kraft Gesetzes und generell wirkende voraussetzungslose „Endigungsregelung" ersetzt worden. Mit der Aufhebung des sogenannten Kommunalprivilegs zum 1.1.1994 hat das mit dem EKrG seit 1.1.1964 strikt verfolgte Ziel einer finanziellen Sanierung der „Bahn" durch die Beseitigung übekommener Sondererhaltungslasten öffentlicher Eisenbahnen den Vorzug auch gegenüber Belangen kommunaler und sonstiger örtlicher Straßen- und Wegebaulastträger erhalten. Diese waren durch eine Fortführung der „alten", schon vor dem EKrG 1939 entstandenen und der „neueren", unter der Geltung des EKrG 1939 vereinbarten Erhaltungslasten von erheblichen finanziellen Belastungen für die Erhaltung ihrer kreuzungsbeteiligten Straßen und Wege enthoben geblieben. Hierbei handelt es sich offenbar mit Rücksicht auf den historischen Entstehungszeitpunkt der betreffenden Eisenbahnkreuzungen um einen wesentlichen Teil der kreuzungsbeteiligten kommunalen Straßen und örtlichen Wege. Allerdings hatte das sogenannte Kommunalprivileg einen auf längere Sicht nur beschränkten Schutz der betreffenden kommunalen und örtlichen Straßen- und Wegebaulastträger geschaffen. Da es mit der dargelegten „Endigungsregelung" nach jenen Vorschriften des EKrG versehen gewesen ist, hat der Entlastungseffekt für die kommunalen und örtlichen Straßen- und Wegebaulastträger nur unter dem Vorbehalt bestanden, daß keine wesentliche Änderung oder Ergänzung der betreffenden Straßen- und Wegeüberführungen notwendig und hierdurch kein gesetzlicher Wechsel der Sondererhaltungslast herbeigeführt wird. Immerhin war jedoch auf diese Weise gewährleistet, daß die kommunalen und örtlichen Straßen- und Wegebaulastträger selbst in den Fällen einer „Endigung" der bahnseitigen Sondererhaltungslasten wenigstens den Vorteil einer längerfristigen Restnutzungsdauer der in ihre Erhaltungslast übergehenden

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Straßen- und Wegeüberführungen hatten. 54 Das sogenannte Kommunalprivileg sicherte also den kommunalen und örtlichen Straßen- und Wegebaulastträgern eine zweifache Begünstigung. Zum einen waren sie durch die Aufrechterhaltung der betreffenden Sondererhaltungslasten von der „bloßen" Erhaltungslast befreit. Zum zweiten konnten sie bei einer auf längere Sicht immer eimnal gebotenen wesentlichen Änderung oder Ergänzung der betreffenden Kreuzungen trotz des hierdurch dann bewirkten Baulastwechsels den faktischen Vorteil einer auf längere Zeit bestehenden Restnutzungsdauer der betreffenden Straßen- und Wegeüberführungen für sich beanspruchen. Diese Interessen sind bei der Entstehung des ENeuOG von Seiten der Länder bzw. des Bundesrates erfolglos gegen die gesetzliche Aufhebung des sogenannten Kommunalprivilegs vertreten worden. 55 Daß diese legislative Entscheidung aber auch nicht in jeder Hinsicht frei von verfassungsrechtlichen Bedenken gewesen ist, hat, soweit ersichtlich, keinen Niederschlag gefunden.

I I I . Verfassungsrechtliche Fragen zum Prinzipienwechsel im Eisenbahnkreuzungsrecht 1. Verfassungsrechtliche Erwägungen zur legislativen Beseitigung kreuzungsrechtlicher Sondererhaltungslasten öffentlicher Eisenbahnen haben mit Blick auf die hierdurch entsprechend benachteiligten Straßen- und Wegebaulastträger zum Ausgangspunkt zu nehmen, daß es sich bei den letzteren um gänzlich unterschiedliche Rechtsträger in durchaus unterschiedlicher Rechtsstellung handelt. Die mit dem EKrG ab 1.1.1964 verfolgte generelle und abschließende Ersetzung bahnseitiger Sondererhaltungslasten durch das Funktionsprinzip ist zunächst in ihrer vorbehaltslosen und voraussetzungsfreien Form auf diejenigen Fälle einer Kreuzungsbeteiligung öffentlicher Straßen beschränkt gewesen, bei denen die Regelbaulast nach dem Straßenrecht eine Sachaufgabe von

54

Zu diesem Simi und Vorteil der „Endigungsregelung" siehe Urt. BVerwG 11.12.1977, Buchholz 407.2 Nr. 5, S. 3 und 5 f. sowie 11.3.1988, Buchholz 407.2 Nr. 15; femer bei Marschall/Schweinsberg (Fn. 7), § 19 Rdnr. 2.4 f.; zur Erneuerung einer Straßenüberführung als „wesentliche Änderung" der Kreuzung Urt. BVerwG 14.9.1992, Buchholz 407.2 Nr. 18, S. 16. 55 Stellungnahme des Bundesrates zum Reg.Entw. des ENeuOG in BT-Drucks. 12/5014, zu Art. 6 Abs. 106 Nr. 4, S. 30; Gegenäußerungen der Bundesregierung in BT-Drucks. 12/4609, zu Art. 6 Abs. 104 Nr. 4, S. 117 und BT-Drucks. 12/5014 zu Art. 6 Abs. 104 Nr. 4, S. 51 f.

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Bund und Ländern, also des „Staates" ist. 5 6 Insofern hat also die prinzipielle Durchsetzung des Funktionsprinzips bei der Erhaltung von Kreuzungen öffentlicher Eisenbahnen mit öffentlichen Straßen eine funktionsadäquate Verlagerung der Kreuzungskosten vom öffentlichen Eisenbahnwesen auf das staatliche Straßenwesen gebracht. Aber auch das seinerzeit in dem Zusammenhang und im übrigen begründete sogenannte Kommunalprivileg hat einem rechtlich differenzierten Kreis von Begünstigten gegolten; demzufolge kennt auch seine gesetzliche Aufhebung durch das ENeuOG zum 1.1.1994 einen entsprechend rechtlich differenzierten Kreis hiervon Betroffener. Seine Bezeichnung als „Kommunalprivileg" oder „Gemeindeprivileg" ist insofern irreführend; 57 den einschlägigen gesetzlichen Regelungen von § 19 EKrG in den Fassungen von 1963 und 1971 ist für eine solche Begriffsbildung nichts zu entnehmen gewesen. Vielmehr hat der seinerzeitige Fortbestand überkommener Sondererhaltungslasten öffentlicher Eisenbahnen alle öffentlichen Straßen und Wege begünstigt, für welche die Regelbaulast nach dem Straßenrecht keine staatliche Sachaufgabe ist. Das sogenannte Privileg ist also nicht nur den kommunalen bzw. gemeindlichen Straßen- und Wegebaulastträgern zugute gekommen, sondern auch allen nach dem Landesstraßenrecht innerhalb der Klasse sonstiger öffentlicher Wege zuständigen privaten Regelbaulastträgern sowie den privaten Straßen- und Wegebaulastträgern in gemeindefreien Gebieten.58 Daß die Rechtsstellung und Interessen der letzteren Gruppe mit einer endgültigen Ersetzung der betreffenden bahnseitigen Sondererhaltungslasten durch das Funktionsprinzip zum 1.1.1994 in rechtlich spezifischer und in faktisch besonders schwerwiegender Weise betroffen worden sind, ist offenkundig. Bezüglich der betroffenen kommunalen Straßen- und Wegebaulastträger hat der Prinzipienwechsel vom 1.1.1994 eine Verlagerung der Erhaltungskosten vom öffentlichen Eisenbahnwesen auf die kommunale Selbstverwaltung kommunaler und örtlicher

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Oben unter 2.3. Der Herkunft der Bezeichnungen ist von hier aus nicht nachgegangen worden. 58 Nachw. Fn. 37 sowie zu den landesstraßengesetzlichen Regelungen bei Kodal/ Krämer (Fn. 10), Anhang „Vergleichende Übersicht über die Straßen- und Wegegesetze der Länder unter Einbeziehung des FStrG", IV 2; z. B. Art. 54 BayStrWG (Wegebaulast der „Beteiligten" für die nicht ausgebauten öffentlichen Feld- und Waldwege), Art. 55 BayStrWG (öffentliche Eigentümerwege), Art. 57 BayStrWG (Straßen- und Wegebaulast in gemeindefreien Gebieten). Zur Straßenklasse sonstiger öffentlicher Wege, einschließlich der besonderen Wegekategorie der sogenannten Eigentümerwege, siehe bei Krämer, in: Kodal/Krämer (Fn. 10), Kap. 8 Rdnr. 12 ff. 57

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Straßen und Wege gebracht. 59 Bezüglich der von der generell gewollten Einführung des Funktionsprinzips betroffenen privaten Regelbaulastträger nach dem Straßenrecht bewirkt der Prinzipienwechsel des Eisenbahnkreuzungsrechts eine Verlagerung der Erhaltungskosten für Eisenbahnkreuzungen vom öffentlichen Eisenbahnwesen auf das private Wegeeigentum.60 Ungeachtet der differenzierten Rechtsbetroffenheit von Straßen- und Wegebaulastträgern durch den Prinzipienwechsel im Eisenbahnkreuzungsrecht sind jedoch, soweit ersichtlich, zu keiner Zeit und auch nicht bei Schaffung der betreffenden Regelung im ENeuOG besondere rechtliche Erwägungen angestellt worden. Eine entsprechende Differenzierung drängt sich jedoch in verfassungsrechtlicher Hinsicht auf. 2. Allerdings gilt einer der in Betracht kommenden verfassungsrechtlichen Gesichtspunkte für alle durch den generellen und abschließenden Prinzipienwechsel im Eisenbahnkreuzungsrecht mit dem EKrG von 1963 betroffenen Straßen- und Wegebaulastträger. Er betrifft den Umstand, daß eine Gesetzesänderung, die auf bestehende Rechtsbeziehungen durch Aufhebung einer hierbei bestehenden rechtlichen Begünstigung einwirkt, in die Rechtsposition und in den Vertrauensschutz der Betroffenen in bezug auf den künftigen Fortbestand der rechtlichen Begünstigung eingreift. Insofern liegt eine Regelung mit rückwirkenden Folgen, freilich nur eine sogenannte unechte Rückwirkung oder tatbeständliche Rückanknüpfung vor, welche die Rechtsposition und den Vertrauensschutz der Betroffenen, im gegenständlichen Zusammenhang der betroffenen Straßen- und Wegebaulastträger, auf den begünstigenden Tatbestand lediglich für die Zukunft entzieht. 61 Unter solchen Voraussetzungen könnte ein Verstoß gegen das Verfassungsprinzip rechtsstaatlicher Rechtssicherheit allenfalls in dem Ausnahmefall angenommen werden, daß die Betroffenen mit der Gesetzesänderung nicht zu rechnen brauchten, eine solche also nicht berücksichtigen konnten, und wenn bei einer „Abwägung zwischen dem Ausmaß des Vertrauensschadens des Einzelnen und der Bedeutung des gesetzlichen Anliegens" eine Rücksichtnahme durch den Gesetzgeber billi-

59 Zur Zugehörigkeit kommunaler Straßenbauaufgaben jeder Art zur kommunalen Selbstverwaltung siehe bei Kodal, in: Kodal/Krämer (Fn. 10), Kap. 40 Rdnr. 20 ff. und 25 ff. o0 Die Wegebaulast nach den Landesstraßengesetzen knüpft insofern rechtskonstruktiv an das Wegeeigentum an; zur Grundsatzproblematik von öffentlicher und privater Sachherrschafl über öffentliche Straßen und Wege Kodal, in: Kodal/Krämer (Fn. 10), Kap. 5. 61 Beschl. BVerfG 26.6.1979, BVerfGE 51, 356/362 f.; 28.11.1984, BVerfGE 68, 287/306 f.; 14.5.1986, BVerfGE 72, 200/242 f. 3 FS Blümel

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gerweise beansprucht werden konnte. 62 Davon kann beim Prinzipienwechsel im Eisenbahnkreuzungsrecht, ausgehend von der Verfassungsrechtslage nach dem GG, nicht gesprochen werden. Denn bereits die Aufrechterhaltung „alter" Sondererhaltungslasten öffentlicher Eisenbahnen in § 9 Abs. 2 HS. 2 KrG 1939 war lediglich nach Maßgabe einer an eine „wesentliche Änderung oder Ergänzung" der Kreuzungsanlagen anknüpfende „Endigungsregelung" geschehen. Daher konnten schon seitdem die betreffenden Straßen- und Wegebaulastträger nicht mehr auf einen dauernden Rechtsbestand jener Sondererhaltungslasten vertrauen. Um so mehr gilt dies für die Beseitigung des sogenannten Kommunalprivilegs durch das ENeuOG zum 1.1.1994, weil auch hierfür nach § 19 EKrG in den Fassungen von 1963 und 1971 schon eine entsprechende „Endigungsregelung" gegolten hat. Unter dem Gesichtspunkt von Grundsätzen des rechtsstaatlichen Rückwirkungsverbots begegnet also der Prinzipienwechsel im Eisenbahnkreuzungsrecht zur generellen Geltung des Funktionsprinzips bei der Erhaltung von Eisenbahnkreuzungen mit öffentlichen Eisenbahnen keinen verfassungsrechtlichen Bedenken, und zwar weder anläßlich der Regelungen des EKrG von 1963 zu Lasten einer staatlichen Straßen- und Wegebaulast noch bei der Aufhebung des sogenannten Kommunalprivilegs durch das ENeuOG zum 1.1.1994. 3. Die Aufhebung des sogenannten Kommunalprivilegs zum 1.1.1994 weist indessen insofern einen weiteren verfassungsrechtlichen Bezug auf, als sie, wie vorstehend dargelegt, zu Lasten der hiervon betroffenen kommunalen Straßen- und Wegebaulastträger eine beträchtliche Kostenverlagerung vom öffentlichen Eisenbahnwesen auf die kommunale Selbstverwaltung bewirkt. Damit rückt der verfassungsrechtliche Schutz kommunaler Selbstverwaltung nach Art. 28 Abs. 2 GG unter dem spezifischen Gesichtspunkt einer Gewährleistung der finanziellen Leistungsfähigkeit kommunaler Selbstverwaltung in den Blick. Aber auch unter diesem besonderen Gesichtspunkt ist der betreffenden Regelung des ENeuOG bereits von der obergerichtlichen Rechtsprechung mit ausführlicher und überzeugender Begründung die Verfassungskonformität bestätigt worden. 63 Hierzu sind an dieser Stelle wenigstens die wesentlichen Gründe und Grundsätze hervorzuheben.

62 Beschl. BVerfG 26.6.1979 (Fn. 61), 363; 28.11.1984 (Fn. 61), 307 sowie die Darlegungen im Beschl. BVerfG 14.5.1986 (Fn. 61), 244 f. 63 Urt. BayVGH 26.9.1996 - 8 B 95.1780; das Gericht hat hierbei auch die vorstehend erörterte Rückwirkungsfrage in dem hier dargelegten Sinne beurteilt. Im anschließenden Revisionsverfahren ist das Urt. BVerwG 24.9.1997 - 11 C 10.96 von der verfassungsrechtlichen Gültigkeit des § 19 EKrG i.d.F. des ENeuOG ausgegangen, ohne auf die auch in diesem Verfahren von den Beteiligten wiederholten Äußerungen zu

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Was den Schutz der finanziellen Leistungsfähigkeit von Kommunen im allgemeinen angeht, liegt eine Verletzung der verfassungsrechtlichen Garantie kommunaler Selbstverwaltung jedenfalls im Kernbereich nicht vor, wenn die durch eine spezielle bzw. fachgesetzliche Aufgabenzuordnung zur Kommunalverwaltung entstehende kommunale Kostenbelastung im Rahmen des generellen Finanzausgleichs oder fachspezifischer Dotationsregelungen ausgeglichen wird. 6 4 Dies gilt vor allem dann, wenn, wie im vorliegenden Falle, die kommunale Kostenbelastung nicht durch Übertragung einer staatlichen Aufgabe zur auftragsweisen kommunalen Wahrnehmung verursacht wird, sondern aus der Erledigung von Selbstverwaltungsaufgaben selbst entsteht. Einen solchen Fall stellt die kommunale Regelbaulast für öffentliche Straßen und Wege nach dem Straßenrecht dar. 65 Eine unmittelbare und entscheidende Bedeutung kommt jedoch diesen Gesichtspunkten bei der verfassungsrechtlichen Beurteilung kommunaler Erhaltungslasten nach dem Eisenbahnkreuzungsrecht nicht zu. Vielmehr handelt es sich insofern um eine Grundsatzfrage des Eisenbahnkreuzungsrechts. In den Zusammenhang ist dann auch der verfassungsrechtliche Gesichtspunkt einzubeziehen, ob es mit dem allgemeinen Gleichheitssatz nach Art. 3 Abs. 1 GG bzw. mit dem rechtsstaatlichen Willkürverbot vereinbar ist, wenn kommunale Straßen- und Wegebaulastträger dadurch „ungleich" mit einer besonderen Erhaltungsverpflichtung belastet werden, daß die von ihnen zu unterhaltenden Straßen und Wege kreuzungsbeteiligt nach dem Eisenbahnkreuzungsrecht sind. Es geht also um die vom Rechtsstaatsprinzip gebotene Rechtfertigung und Verhältnismäßigkeit von Erhaltungslasten öffentlicher Straßen- und Wegebaulastträger im Eisenbahnkreuzungsrecht überhaupt und damit um die gesetzliche Regelung der Erhaltungslast in § 14 EKrG nach dem Funktionsprinzip ganz prinzipiell. In dieser

den beiden verfassungsrechtlichen Fragestellungen auch nur mit einem Wort einzugehen. 64 Urt. OVG NRW 26.10.1979, DVB1 1980, 763 f.; zur Berücksichtigung der besonderen finanziellen Situation von Kommunen in den neuen Ländern durch spezielle finanzielle Förderung im Zusammenhang mit den Erhaltungslasten nach dem Eisenbahnkreuzungsrecht siehe BT-Drucks. 13/1446. Zur Zulässigkeit finanzieller Belastungen von Kommunen im Hinblick auf Art. 28 Abs. 2 GG femer Beschl. BVerwG 5.12.1986, NVwZ 1987, 788/789. Zwischenzeitlich sind gesetzliche Regelungen zur finanziellen Unterstützung der Kommunen, insbesondere in den neuen Ländern, mit Rücksicht auf die Aufhebung des Kommunalprivilegs durch spezielle Änderungen im Investitionsförderungsgesetz Aufbau Ost und im Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz geschaffen worden (Art. 2 und 3 des eingangs erwähnten Gesetzes zur Änderung des Eisenbahnkreuzungsgesetzes und anderer Gesetze v. 9.9.1998, BGBl IS. 2858). 65 Nachw. Fn. 59 und beispielhaft zum Landesstraßenrecht Zeitler, in: Zeitler, Bayerisches Straßen- und Wegegesetz, 4. Aufl. 1996, Art. 62 Rdnr. 12.

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Hinsicht kommt es aber maßgeblich auf die einschlägige Entwicklung des Eisenbahnkreuzungsrechts insgesamt an, die von den hier dargelegten ursprünglichen Rechtsvorstellungen bei der Begründung von Sondererhaltungslasten öffentlicher Eisenbahnen unter dem vormaligen partikularen Eisenbahnbaurecht 66 aufgrund der zwischenzeitlich hierzu gewandelten verkehrspolitischen Beurteilung des Verhältnisses von „Schiene und Straße" zum Funktionsprinzip bei den Erhaltungsregelungen für Eisenbahnkreuzungen geführt hat. 67 Vor dem entwicklungsgeschichtlichen Hintergrund erscheinen die überkommenen Sondererhaltungslasten öffentlicher Eisenbahnen für kreuzungsbeteiligte öffentliche Straßen und Wege als Ausdruck vormaliger Rechtsvorstellungen, an deren für die Straßen- und Wegebaulastträger vorteilhafter Ausgestaltung die betreffenden Kommunen nicht mehr und nicht weniger als die staatlichen Straßen- und Wegebaulastträger teilhatten. Die seinerzeitige baulastmäßige Begünstigung durch das Eisenbahnbau- bzw. Eisenbahnkreuzungsrecht ist also keine durch den Schutz der kommunalen Selbstverwaltung begründete und geforderte Sonderstellung gewesen, sondern allein Ausfluß eines Prinzips des vormaligen Eisenbahnkreuzungsrechts. Darum ist auch die nachfolgende Hinwendung des „neueren" und des „neuen" Eisenbahnkreuzungsrechts zur Regelung der Erhaltungslast für Eisenbahnkreuzungen nach dem Funktionsprinzip keine Entscheidung des Gesetzgebers, die sich spezifisch gegen die kommunalen Straßen- und Wegebaulastträger richten würde und deshalb in den Verdacht einer insofern unsystematisch unverhältnismäßigen Regelung kommen könnte. Im Gegenteil kann das mit dem EKrG von 1963 geschaffene sogenannte Kommunalprivileg aus der Sicht des heutigen Eisenbahnkreuzungsrechts als eine systemwidrige Begünstigung kommunaler Straßen- und Wegebaulastträger erscheinen. Nicht dessen gesetzliche Aufhebung anläßlich des ENeuOG bedarf also einer Rechtfertigung an den Maßstäben der Erforderlichkeit, Systemgerechtigkeit und Verhältnismäßigkeit, vielmehr wäre gerade umgekehrt seine Fortführung erneut zu begründen gewesen. Bedenken von kommunaler Seite gegen eine Unterwerfüng auch der kreuzungsbeteiligten kommunalen Straßen und Wege unter das Funktionsprinzip des § 14 EKrG bedeuteten somit im Ergebnis nichts anderes als einen Angriff gegen dieses Rechtsprinzip des heutigen Eisenbahnkreuzungsrechts als solches. Für verfassungsrechtliche Bedenken gegen das Funktionsprinzip bei den Erhaltungsregelungen für Eisenbahnkreuzungen unter Beteiligung öffentlicher Eisenbahnen bestehen jedoch keine Anhaltspunkte. 66

Oben unter I 3 und 4. Oben unter I 1 und 2 sowie zur schrittweisen Verwirklichung des Funktionsprinzips oben unter II. 67

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Die Aufhebung des sogenannten Kommunalprivilegs durch das ENeuOG erweist sich somit in jeder Hinsicht als verfassungsrechtlich bedenkenfrei, soweit es um die Aufhebung dieses Privilegs gegenüber den kommunalen Straßen» und Wegebaulastträgern geht. Bislang, soweit ersichtlich, nicht aufgegriffenen verfassungsrechtlichen Bedenken begegnet die Aufhebung jenes Privilegs jedoch insofern, als sie zu einer Verlagerung der Erhaltungslasten für Eisenbahnkreuzungen vom öffentlichen Eisenbahnwesen auf kreuzungsbeteiligte private Träger der straßenrechtlichen Regelbaulast für öffentlichen Straßen und Wege der örtlichen Straßenklassen führt. 68 4. Gegenüber privaten Trägern straßenrechtlicher Regelbaulasten für öffentliche Straßen und Wege der örtlichen Straßenklassen stellt sich die generelle und abschließende Aufhebung von Sondererhaltungslasten öffentlicher Eisenbahnen durch das ENeuOG zum 1.1.1994 als legislativer Entzug subjektiver öffentlicher Rechtspositionen jener Rechtsträger dar. Der Vorgang bewegt sich also innerhalb der bekannten Fragestellung eines Eigentumsschutzes subjektiver öffentlicher Rechte im Rahmen von Art. 14 GG. 6 9 Hinsichtlich der einschlägigen allgemeinen Frage nach einem grundrechtlichen Eigentumsschutz subjektiver öffentlicher Rechte kann mit einer hier gebotenen zusammenfassenden Feststellung davon ausgegangen werden, daß auch jede aufgrund oder im Zusammenhang mit einer öffentlich-rechtlichen Position durch persönliche Leistung oder durch Einsatz eigenen Vermögens 68

Nachw. zur Wegebaulast Privater für öffentliche Straßen und Wege der örtlichen Ebene siehe in Fn. 58. 69 Dazu aus der reichhaltigen Literatur: Scheuner, Grundlagen und Art der Enteignungsentschädigimg, in: Reinhardt/Scheuner, Verfassungsschutz des Eigentums 1954, S. 63/94 ff., Dürig, Der Staat und die Vermögenswerten öffentlich-rechtlichen Berechtigungen seiner Bürger, in: Maunz u.a. (Hrsg.), Staat und Bürger, Festschrift Apelt, 1958, S. 13 ff, Nicolaysen, Eigentumsgarantie und Vermögenswerte subjektive öffentliche Rechte, in: H.P. Ipsen (Hrsg.), Festschrift Schack, 1966, S. 107 ff., W Weber, AöR 91 (1966), 382 ff., Krause, Eigentum an subjektiven öffentlichen Rechten, 1982, Wendt, Eigentum und Gesetzgebung, 1985, S. 107 ff. und ders., in: Sachs (Hrsg.), Grundgesetz, 1996, Art. 14 Rdnr. 28 ff., Nüßgens/Boujong, Eigentum, Sozialbindung, Enteignung, 1987, S. 56 ff., Kutschern, Bestandsschutz im öffentlichen Recht, 1989, S. 52 ff. und 161 ff, Ossenbühl (Fn. 14), § 17, 4 a, Ehlers, VVDStRL 51 (1992), 210/215 f., Kimminich, in: Bonner Kommentar zum Grundgesetz (Bonner Kommentar), Art. 14 (1992), Rdnr. 65 ff, Papier, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz, Art. 14 (1994), Rdnr. 124 ff. Aus der Rechtsprechung: Beschl. BVerfG 8.6.1977, BVErfGE 45, 142/168 ff und 12.3.1980, BVerfGE 53, 336/339 ff (weitere Nachw. zur Rspr. BVerfG bei Ossenbühl [Fn. 14]), Urt. BSG 19.3.1957, NJW 1957, 1691 ff; Urt. BGH 4.6.1981, BGHZ 81, 21/32 ff. und 12.7.1984, BGHZ 92, 94/104 ff. sowie grundsätzlich zur Entwicklung des Eigentumsbegriffs auch in dieser Hinsicht Beschl. BGH (GS) 10.6.1952, BGHZ 6, 270/278 ff.

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entwickelte sowie jede in bezug zum öffentlichen Recht bestehende Vermögensposition privater Rechtsträger am Eigentumsschutz teilhat. 70 Danach kann die mit der Neufassung von § 19 EKrG durch das ENeuOG verfolgte Absicht, überkommene Sondererhaltungslasten öffentlicher Eisenbahnen auch gegenüber davon betroffenen privaten Trägern straßenrechtlicher Wegebaulasten zu liquidieren, dem hierdurch herausgeforderten Grundrechtsschutz privaten Straßeneigentums nicht mit dem Argument entgegentreten, daß über jene nach vormaligem Eisenbahnbaurecht bzw. Eisenbahnkreuzungsrecht begründeten öffentlich-rechtlichen Berechtigungen der Gesetzgeber zwischenzeitlich eine „grundrechtsfreie staatliche Totaldisposition" 71 habe in Anspruch nehmen können. Man kann in diesen besonderen Fällen einer überkommenen Begünstigung privater Wegebaulastträger durch bahnseitige Sondererhaltungslasten für die betreffenden kreuzungsbeteiligten Wegeanlagen auch nicht in undifferenzierter Weise davon sprechen, ein eigentumsrechtlich geforderter Fortbestand solcher öffentlich-rechtlich begründeten Berechtigungen gegenüber den öffentlichen Eisenbahnen würde zu einer „Blockierungswirkung" für ein zeitgerechtes Eisenbahnkreuzungsrecht oder zu einer „Entschädigungshypotrophie" führen. 72 Vielmehr liegen insofern die spezifischen Voraussetzungen für einen der typischen Tatbestände vor, in denen auch eine dem öffentlichen Recht zugeordnete Vermögensposition Einzelner einen grundrechtlichen Eigentumsschutz in bezug auf gesetzliche Eingriffe und gegenüber einer gesetzlichen Aufhebung zu beanspruchen hat. Die betreffenden rechtlichen Begünstigungen privater Eigentümer und Baulastträger öffentlicher Straßen und Wege durch bahnseitige Sondererhaltungslasten aus der Zeit des partikularen Eisenbahnbau- und Eisenbahnkreuzungsrechts sowie aufgrund möglicher „neuerer" Erhaltungsvereinbarungen nach § 9 Abs. 1 KrG 1939 zählen zwar nicht zu denjenigen Vermögenswerten „Altrechten" öffentlich-rechtlicher Natur, für welche die Zuordnung zum öffentlichen Recht lediglich als „historischer Zufall" zu gelten hat und allein deshalb der Rechtscharakter einer eigentumsgleichen Rechtsverleihung bestimmend ist. 73 Vielmehr haben sie durchaus einen genuin öffentlichrechtlichen Entstehungsgrund. Wie zum damaligen, vor allem zum vormaligen partikularen Eisenbahnkreuzungsrecht ausführlich dargelegt, ist die maßgebliche Rechtsvorstellung bei der Begründung jener bahnseitigen Sonder70

Im Ergebnis anerkannte Auffassung (Nachw. Fn. 69). So eine Formulierung von Dürig (Fn. 69), S. 56. 72 So Problemformulierungen, die ebenfalls bei Dürig ([Fn. 69], S. 53 f.) aus Rechtsprechung und Schrifttum wiedergegeben sind. 73 Zum grundrechtlichen Eigentumsschutz solcher vermögenswerter , Altrechte" des öffentlichen Rechts Dürig (Fn. 69), S. 40 f. 71

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baulasten darauf gerichtet gewesen, den durch einen hoheitlich zugelassenen Eisenbahnbau betroffenen Straßen- und Wegebaulastträgern vorhandener Straßen- und Wegeanlagen das auf solche Weise aufgezwungene „Sonderopfer" zugunsten des öffentlichen Eisenbahnwesens gemäß dem Aufopferungsgedanken auf Dauer auszugleichen.74 Hierzu war ferner klarzustellen, daß in den Fällen einer hoheitlich erzwungenen Kreuzungsbeteiligung von öffentlichen Straßen und Wegen in der straßenrechtlichen Regelbaulast Privater der Aufopferungsgedanke unmittelbar angewendet werden konnte und mußte, weil es unter solchen Voraussetzungen im Eisenbahnkreuzungsrecht den klassischen Konflikt des Aufopferungsrechts zwischen einer Verwirklichung des Allgemeinwohls und hiervon betroffenen Individualrechten zu lösen galt. 75 Insofern erweisen sich die überkommenen Sondererhaltungslasten öffentlicher Eisenbahnen für kreuzungsbeteiligte öffentliche Straßen und Wege in der straßenrechtlichen Regelbaulast privater Straßeneigentümer als unmittelbar aufopferungsrechtliche Ausgleichsregelungen, auf der Seite der betroffenen Privaten als unmittelbar aufopferungsrechtlich begründete Vermögenswerte Berechtigungen des öffentlichen Rechts. Ihr grundrechtlicher Eigentumsschutz nach Art. 14 GG erscheint darum kaum ernsthaft bezweifelbar; denn es handelt sich um den typischen Tatbestand eines grundrechtlichen Eigentumsschutzes kompensatorisch begründeter vermögenswerter subjektiver öffentlicher Rechte. Es ist aus sich heraus verständlich und anerkannt, daß kompensatorische Vermögenswerte Berechtigungen des öffentlichen Rechts, die kraft öffentlichen Rechts an die Stelle vermögenswerter Rechte des privaten Rechts getreten sind, den gleichen grundrechtlichen Eigentumsschutz wie die letzteren genießen. 76 Denn ihre Kassation würde in das Eigentum selbst eingreifen, dessen vorhergegangene Verletzung die betreffenden öffentlich-rechtlichen Berechtigungen kompensiert haben;77 ihr späterer Entzug würde die frühere Kompensationsregelung nachträglich rechtswidrig machen. 78 Diese Rechtslage bedeutet, daß die überkommenen, vormals unmittelbar aufopferungsrechtlich begründeten Sondererhaltungslasten öffentlicher Eisen74

Oben unter I 1 und 2. Oben unter 14. 76 B. BVerfG 8.7.1977, BVerfGE 45, 142/171 und 12.3.1980, BVerfGE 53, 336/339 ff.; Dürig (Fn. 69). S. 48 ff., Nicolaysen (Fn. 69), S. 115, IV. Weber. AöR 91 (1966), 382/401, Kutschern (Fn. 69), S. 63 ff, 67 ff. und 236 f. (ZiG) , Ehlers, VVDStRL 51 (1992), 210/215 f., Wendt, in: Sachs (Hrsg.), Grundgesetz, 1996, Art. 14 Rdnr. 31 f. 77 W. Weber {Fn. 76). 78 Kutschern (Fn. 69), S. 63. 75

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bahnen für kreuzungsbeteiligte öffentliche Straßen und Wege in der straßenrechtlichen Regelbaulast privater Straßen- und Wegeeigentümer unter der Geltung des Art. 14 GG einen Bestandsschutz und eine Wertgarantie nach Maßgabe der Bestimmungen dieses Grundrechts genießen. Danach entbehrt der mit der Neufassung von § 19 EKrG durch das ENeuOG zum 1.1.1994 beabsichtigte voraussetzungslose und ausgleichsfreie Entzug jener öffentlichrechtlichen Berechtigungen kreuzungsbeteiligter privater Straßen- und Wegeeigentümer der verfassungsrechtlichen Gültigkeit; sie bestehen fort. Es kann allenfalls die Frage gestellt werden, ob die insofern weiterhin geltenden Sondererhaltungslasten öffentlicher Eisenbahnen zwischenzeitlich immer noch eine dauernde und voraussetzungslose Verpflichtung der Bahnseite enthalten oder mit der im „neueren" Eisenbahnkreuzungsrecht eingeführten „Endigungsregelung" für den Fall einer wesentlichen Änderung oder Ergänzung der betreffenden Kreuzungsanlagen behaftet sind. Denn diese „Endigungsregelung" war nicht erst unter der Geltung des GG für das sogenannte Kommunalprivileg nach § 19 EKrG in den Fassungen von 1963 und 1971 festgelegt, sondern bereits durch § 9 Abs. 2 HS. 2 KrG 1939 für alle seinerzeit überkommenen und fortgeführten bahnseitigen Sondererhaltungslasten begründet worden. Zu dieser Frage sollte aber das Ergebnis ebenfalls recht eindeutig sein. Auch die genannten „Endigungsregelungen" haben sich unter der Geltung des GG an dessen Art. 14 GG messen zu lassen. Danach kann der bei einer wesentlichen Änderung oder Ergänzung einer Eisenbahnkreuzung für den beteiligten privaten Straßen- und Wegebaulastträger eintretende Vorteil einer längeren Restnutzungsdauer seiner beteiligten Straßenanlagen und einer hierin zu sehenden längerfristigen Entlastung von der Straßen- und Wegebaulast keinesfalls als ein vollwertiger Ausgleich für einen gemäß der „Endigungsregelung" erfolgenden endgültigen Entzug seiner aufopferungsrechtlich begründeten dauernden Berechtigung gelten. Auch eine solche „Endigungsregelung" gegenüber kreuzungsbeteiligten privaten Straßen- und Wegebaulastträgern ist deshalb unter der Geltung des GG nicht mit dessen Art. 14 vereinbar. Die im EKrG von 1963 und nachfolgend in dessen Neufassung von 1971 mit dem sogenannten Kommunalprivileg verbundene „Endigungsregelung" ist also lediglich gegenüber den kreuzungsbeteiligten kommunalen Straßen- und Wegebaulastträgern verfassungsrechtlich bedenkenfrei gewesen; gegenüber kreuzungsbeteiligten privaten Straßen- und Wegebaulastträgern hingegen hat sie nicht in Einklang mit Art. 14 GG gestanden. Dem wird möglicherweise entgegengehalten, daß auch gegenüber den privaten Straßen- und Wegebaulastträgern bereits § 9 Abs. 2 HS. 2 KrG 1939 die seinerzeit überkommenen und fortgeführten Sondererhaltungslasten öffentlicher Eisenbahnen durch eine generelle „Endigungsregelung" zeitlich eingeschränkt habe, daß also hierdurch bereits vorkonstitutionell in die aufopferungsrechtliche Rechtsstellung der kreuzungsbeteiligten privaten Straßen- und Wegebaulastträger eingegrif-

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fen worden sei. Eine solche von der Bahnseite gegebenenfalls mit Sicherheit aufgegriffene Argumentation kann jedoch nicht überzeugen. Es kann offen bleiben, wie auch immer die bereits mit der generellen „Endigungsregelung" von § 9 Abs. 2 HS. 2 KrG 1939 erfolgte zeitliche Begrenzung der seinerzeit überkommenen, aufopferungsrechtlich begründeten Berechtigungen kreuzungsbeteiligter privater Straßen- und Wegebaulastträger unter den Bedingungen der damaligen nationalsozialistischen Rechtsordnung und Rechtspraxis und am Maßstab der materiellrechtlichen Anforderungen des Art. 123 Abs. 1 GG für die Fortgeltung vorkonstitutionellen Rechts beurteilt werden mag. 79 Maßgeblich bleibt allein, daß für die bis zum Inkrafttreten des „neuen" EKrG am 1.1.64 überkommenen, bis dahin auch nicht aufgrund der genannten „Endigungsregelung" von § 9 Abs. 2 HS. 2 KrG 1939 wegen einer zwischenzeitlichen wesentlichen Änderung oder Ergänzung von Eisenbahnkreuzungen beendeten aufopferungsrechtlichen Berechtigungen kreuzungsbeteiligter privater Straßen- und Wegebaulastträger der Bundesgesetzgeber eine dem grundrechtlichen Eigentumsschutz des Art. 14 GG entsprechende Regelung zu treffen hatte. Dabei durfte für den konstitutionellen Gesetzgeber die vorkonstitutionelle zeitliche Begrenzung jener Berechtigungen keine inhaltliche Vorgabe sein, wenn die betreffenden Berechtigungen unter der vorkonstitutionellen Geltung der „Endigungsregelung" des § 39 Abs. 2 HS. 2 KrG 1939 nicht bereits ihr Ende gefunden haben. Unter der Geltung des nach 1945 entstandenen grundrechtlichen Eigentumsschutzes mußte es allein darauf ankommen, daß jene Berechtigungen als aufopferungsrechtlich begründete Vermögenswerte Rechte des öffentlichen Rechts überkommen waren und nun79

Zur Eigentumsordnung im Nationalsozialismus v. Brünneck, Die Eigentumsgarantie des Grundgesetzes, 1984, S. 49 ff.: Zur Aufhebung des Eigentumsgrundrechts von Art. 153 Weimarer Reichsverfassung, S. 50; zum Übergang des Eigentumsschutzes auf die politischen Instanzen, S. 51; zur Fortführung klassischer, förmlicher Enteignungsverfahren, S. 58 ff.; zur Handhabung der Entschädigungsregelungen, S. 66 ff. Zu Eigentums- und Enteignungsbegriff unter der Weimarer Reichsverfassung Ossenbühl (Fn. 14), § 17, 2. Zum seinerzeit noch nicht anerkannten Eigentumsschutz subjektiver öffentlicher Rechte ders. (Fn. 14), § 17, 2 a m. Fn. 12. Zur damaligen Legalenteignung ders. (Fn. 14), § 17, 2 m. Fn. 14. Ferner zur Rechtslage unter der Weimarer Reichsverfassung Papier (Fn. 69), Art. 14 Rdnr. 20 ff. Zur Zulässigkeit einer entschädigungslosen Enteignung durch Reichsgesetz nach Art. 153 Weimarer Reichsverfassung Urt. BGH 8.2.1952, BGHZ 5, 76/87; Beschl. BGH 10.6.1952, BGHZ (GS), BGHZ 6, 270/274; Urt. BGH 29.1.1954, BGHZ 12, 189/192 f.; dort ist auch festgehalten, daß zur materiellrechtlichen Beurteilung entsprechenden vorkonstitutionellen Rechts Art. 14 GG nicht unmittelbar herangezogen werden kann. Zum formellen Fortbestand vorkonstitutionellen Rechts Urt. BVerfG 12.2.1957, BVerfGE 6, 132/199; 26.3.1957, BVerfGE 6, 309/331; 10.5.1957, BVerfGE 6, 389/414; 4.6.1957, BVerfGE 7, 29/37; 11.4.1967, BVerfGE 21, 291/295.

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mehr den grundrechtlichen Eigentumsschutz solcher kompensatorischer vermögenswerter Rechte des öffentlichen Rechts zu beanspruchen hatten. Es erscheint deshalb verfassungsrechtlich ebenfalls nicht vertretbar, die betreffenden überkommenen Sondererhaltungslasten öffentlicher Eisenbahnen derzeit weiterhin als zeitlich begrenzt durch die genannten zwischenzeitlichen „Endigungsregelungen" des Eisenbahnkreuzungsrechts anzusehen. Zusammenfassend ist somit festzuhalten, daß § 19 EKrG in der Fassung des ENeuOG zum 1.1.1994 die Sondererhaltungslasten öffentlicher Eisenbahnen für kreuzungsbeteiligte öffentliche Straßen und Wege der örtlichen Straßenklassen in der straßenrechtlichen Regelbaulast privater Straßen- und Wegeeigentümer aus Verfassungsgründen nicht rechtswirksam aufzuheben vermochte. Vielmehr bestehen die hieraus resultierenden Berechtigungen der betreffenden privaten Straßen- und Wegebaulastträger derzeit auf Dauer und voraussetzungslos, d.h. auch bei einer wesentlichen Änderung oder Ergänzung der Kreuzungsanlagen, fort. Lediglich das sogenannte Kommunalprivileg in seinem engeren und eigentlichen Sinne für kreuzungsbeteiligte kommunale Straßen- und Wegebaulastträger ist durch das ENeuOG zum 1.1.1994 rechtswirksam aufgehoben worden. Erstaunlicherweise hat die Beendigung des sogenannten Kommunalprivilegs nur in einer juristischen Nebenfrage rechtliche und politische Kontroversen ausgelöst. Sie gelten der schon in der Sache kaum verständlichen Problemstellung, ob und in welchem Umfang der ebenfalls zum 1.1.1994 errichteten DBAG bei der „Übergabe" der betreffenden kreuzungsbeteiligten kommunalen Straßen- und Wege eine Gewährleistungspflicht für einen auf den Zeitpunkt des „Baulastwechsels" bezogenen straßenbaulich ordnungsgemäßen Zustand der Straßen- und Wegeanlagen obliegt.

IV. Die Gewährleistungspflicht beim „Baulastwechsel" 1. Der erörterte schrittweise Prinzipienwechsel des Eisenbahnkreuzungsrechts bei den Erhaltungsregelungen für Eisenbahnkreuzungen unter Beteiligung öffentlicher Eisenbahnen hin zum Funktionsprinzip hat, wie dargelegt, beim ersten der beiden hierzu erfolgten generellen Schritte mit dem Inkrafttreten des EKrG am 1.1.1964 einen „Baulastwechsel" von der Bahnseite auf die kreuzungsbeteiligte „staatliche" Straßenbauverwaltung bewirkt und beim zweiten, mit dem ENeuOG zum 1.1.1994 vollzogenen Schritt einen „Baulastwechsel" auf die kreuzungsbeteiligten kommunalen Straßenbauverwaltungen. Im letzteren Falle hat sich hieraus offenbar deshalb ein Problem entwickelt, weil dieser „Baulastwechsel" mit der Privatisierung der Eisenbahnen des Bundes zusammengefallen ist und weil darum sowohl auf Seiten der DBAG wie auf Seiten der „Bundespolitik" sich ein gesteigertes Interesse an einer mög-

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liehst weitgehenden Befreiung der privatisierten „Baiin" von bisherigen finanziellen Lasten aus dem Eisenbahnkreuzungsrecht Geltung verschafft hat. Dieses Interesse ist erkennbar darauf gerichtet, die bis zum „Baulastwechsel" am 1.1.1994 wirksam gewesenen, aber bis dahin nicht erfüllten Verpflichtungen der Bahnseite zur Erhaltung der betreffenden kreuzungsbeteiligten kommunalen Straßen- und Wegeanlagen hinsichtlich der baulichen Anforderungen für die geschuldete ordnungsgemäße Erhaltung möglichst gering zu definieren. Im wesentlichen geht es hierbei darum, daß die DBAG, soweit ersichtlich, zwar im Ergebnis eine Gewährleistungspflicht bei der „Übergabe" der betreffenden kreuzungsbeteiligten Straßen- und Wegeanlagen an die Kommunen für einen auf den „Baulastwechsel" am 1.1.1994 bezogenen ordnungsgemäßen Erhaltungszustand grundsätzlich anerkennt, 80 aber ebenso offensichtlich die bautechnischen Anforderungen hierfür nach eigenen bahnseitigen, auf die bloße „Verkehrssicherheit" der Anlagen reduzierten Maßstäben bestimmen möchte. Demgegenüber geht die kommunale Seite augenscheinlich von anspruchsvolleren straßenrechtlichen Baulastpflichten aus. Zusammenfassend ist der Standpunkt der DBAG wohl dahin zu verstehen, daß nach ihrer Ansicht eine Gewährleistungspflicht beim „Baulastwechsel" nicht dazu führen dürfe, den betreffenden Kommunen über den Zeitpunkt des „Baulastwechsels" zum 1.1.1994 hinaus den längerfristigen Vorteil von „ordnungsgemäß erhaltenen" kreuzungsbeteiligten Straßen- oder Wegeanlagen, d.h. einer längerfristig keiner laufenden Unterhaltungsmaßnahmen bedürftigen Restnutzungsdauer, zu verschaffen. Hieraus hat sich indessen eine grundsätzliche Kontroverse um die Gewährleistungspflicht der DBAG beim „Baulastwechsel" im Eisenbahnkreuzungsrecht überhaupt entwickelt. 81 Dabei ist ein auffalliges Zurücktreten rechtlicher Gesichtspunkte gegenüber möglichen finanziellen Auswirkungen der Streitbeilegung festzustellen. 2. Rechtlich besonders verunglückt ist eine Gesetzesinitiative des Bundesrates zur Lösung des Interessenkonflikts um die Gewährleistungspflicht öffentlicher Eisenbahnen beim „Baulastwechsel" zum 1.1.1994. Nachdem im Gesetzgebungsverfahren zum ENeuOG Bemühungen des Bundesrates zur Beibehaltung des sogenannten Kommunalprivilegs erfolglos geblieben waren, 82 hat dieser im Jahre 1995 den Entwurf eines Gesetzes zur abermaligen 80

Ursprünglich gegenteilige, hier nicht darlegbare Äußerungen von Seiten des Vorstandes der DBAG mögen vorgelegen haben. 81 Angeblich ist es in über 77 % der Fälle zu keiner Einigung zwischen den Kommunen und der DBAG gekommen (Ausschuß für Verkehr des BT 25.10.95, Kurzprotokoll des 17. Sitzung, 13. WP-744-2450). 82 BT-Drucks. 12/5014; ablehnende Gegenäußerung der Bundesregierung BTDrucks. (Fn 55), S. 51 f.

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Änderung des EKrG eingebracht. 83 Danach soll beim „Baulastwechsel" vom 1.1.1994 der Eisenbahnunternehmer dafür einstehen müssen, daß der bei der „Übergabe" der betreffenden Straßen- und Wegeanlagen an die Kommunen zu gewährleistende „ordnungsgemäße Erhaltungszustand" eine vom Eisenbahnunternehmer nachzuweisende „unbeschränkte Restnutzungsdauer der Straßenüberfuhrung von mindestens zehn Jahren entsprechend ihrem ursprünglichen baulichen Zustand" garantiert. Hiergegen hat sich die Bundesregierung mit den Erwägungen gewendet, daß eine solche Regelung nicht erforderlich sei, weil „die Einstandspflicht des Eisenbahnunternehmers für die ordnungsgemäße Erhaltung einer in die Erhaltungslast des gemeindlichen Baulastträgers übergegangenen Straßenüberführung selbstverständlich ist und keiner gesetzlichen Regelung bedarf' und daß die geforderte Zehn-Jahres-Garantie weiterginge als „die bisher geltenden Regelungen für die ordnungsgemäße Erhaltung von Brückenbauwerken". 84 Soweit bekannt, ist die Befassung mit der Gesetzesinitiative des Bundesrates geraume Zeit nicht mehr weiterverfolgt worden, weil der Umfang des aufgelaufenen Unterhaltungsrückstandes für die betreffenden kreuzungsbeteiligten kommunalen Straßen- und Wegeanlagen und damit die Kostenbelastung vor allem der DBAG einer Klärung harren. 85 Der Vorgang macht den auf der Bundesseite seinerzeit vorherrschenden Standpunkt deutlich, die Frage einer Gewährleistungspflicht beim „Baulastwechsel" im Eisenbahnkreuzungsrecht wegen der hierbei unübersehbaren Kostenfolgen, vor allem für die DBAG, nicht weiter rechtlich zu präzisieren. Bedauerlicherweise ist die rechtsgrundsätzliche Fragestellung auch in einem zwischenzeitlich abgeschlossenen verwaltungsgerichtlichen Verfahren durch das Revisionsgericht umgangen worden. 3. Das BVerwG hat sich mit der Angelegenheit unter den Voraussetzungen einer vor dem 1.1.1994 möglicherweise häufig praktizierten, aber besonders liegenden Fallgestaltung beschäftigt. 86 Es ist um den Fall einer sogenannten

83 BT-Drucks. 13/1446. Die Gesetzesinitiative ist einer Empfehlung der Verkehrsministerkonferenz gefolgt. 84 BT-Drucks. 13/1446, S. 7. Ferner ist der vom Bundesrat beabsichtigten rückwirkenden Inkraftsetzung einer Zehn-Jahres-Garantie entgegengehalten worden, diese bedeute „für den Eisenbahnunternehmer die nachträgliche Aufbürdung einer neuen Verpflichtung, die nicht gerechtfertigt ist". Der Bundesrat hat in seiner Gesetzesvorlage (ebd., unter A) selbst zutreffend darauf hingewiesen, daß schon bei dem durch das EKrG im Jahre 1963 festgelegten „Baulastwechsel" auf die „staatlichen" Straßenbauverwaltungen die Gewährleistungspflicht der Eisenbahnunternehmen ausdrücklich anerkannt worden war (Einführungsschreiben BMV zum EKrG, VkBl 63, 612; abgedr. bei Marschall/Schweinsberg [Fn. 7], E 1). 85 Siehe Ausschuß für Verkehr des BT 25.10.1995 (Fn. 81). 86 Urt. 24.9.1997- 11 C 10.96.

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„Endigungsvereinbarung" zwischen der Deutschen Bundesbahn und kommunalen Straßen- und Wegebaulastträgern gegangen, in der sich die erstere zu einer „wesentlichen Änderung oder Ergänzung der Kreuzung" im Sinne der vormaligen gesetzlichen „Endigungsregelung" von § 19 Abs. 1 S. 2 EKrG 1963 bzw. § 19 Abs. 1 S. 3 EKrG 1971 verpflichtet hatte gegen den Vorteil eines Endes des sogenannten Kommunalprivilegs mit der Ausfuhrung der betreffenden Änderungs- bzw. Ergänzungsmaßnahme. Solche „Endigungsvereinbarungen" sind aber offensichtlich nicht selten entsprechend einem vertraglichen Erfüllungsvorbehalt wegen unzureichender finanzieller Mittel der Deutschen Bundesbahn bis zur Aufhebung des sogenannten Kommunalprivilegs am 1.1.1994 nicht mehr ausgeführt worden. Das Gericht stellt hierzu zutreffend fest, daß jene „Endigungsvereinbarungen" wegen ihres Regelungsinhalts und Regelungscharakters als Kreuzungsvereinbarungen im Sinne von § 5 EKrG zur Herstellung, Änderung oder Ergänzung von Eisenbahnkreuzungen nach §§ 2 f. EKrG durch die Aufhebung des ausschließlich Erhaltungsmaßnahmen betreffenden sogenannten Kommunalprivilegs in ihrem Rechtsbestand nicht unmittelbar berührt worden sind. 87 Es hält jedoch ebenfalls zutreffend wegen des nachfolgenden Wegfalls des sogenannten Kommunalprivilegs und der hiermit verbundenen „Endigungsregelungen" die Voraussetzungen einer wesentlichen Änderung der maßgeblichen Vertragsverhältnisse damit für ein Anpassungs- bzw. Kündigungsverlangen der Bahnseite „nach § 60 VwVfG bzw. Art. 60 BayStrWG" für gegeben.88 Schließlich legt es einer im konkreten Falle erfolgten Erklärung der DBAG die rechtliche Bedeutung eines wirksamen Anpassungsverlangens bei und gelangt auf diese Weise zu einer vertraglichen Verpflichtung der DBAG zur „Übergabe" der betreffenden Straßenanlage auf die Gemeinde in einem dem rechtsgeschäftlichen Zweck des „Endigungsvertrages" entsprechenden ordnungsgemäßen Erhaltungszustand. 89 87

Anders hatte unverständlicherweise das Berufungsgericht entschieden (Urt. BayVGH 26.9.1996 - 8 B 95.1780). 88 Das Gericht hat also offen gelassen, ob nach der Herausnahme der Eisenbahnen des Bundes aus der unmittelbaren Bundesverwaltung wonach nach deren Privatisierung unter solchen organisationsrechtlichen Voraussetzungen auf die öffentlichrechtlichen Kreuzungsvereinbarungen nach § 5 EKrG das allgemeine Verwaltungsverfahrensrecht des Bundes oder des betreffenden Landes anzuwenden ist. 89 Bei Annahme einer Kündigung des „Endigungsvertrages" hätte das Gericht wegen dessen hierdurch bewirkten Wegfalls auf die Rechtslage zur Gewährleistungspflicht beim „Baulastwechsel" zurückgreifen und diese klären müssen. Die gerichtliche Annahme einer bloßen Vertragsanpassung offenbart ein grundlegendes und unbegreifliches Mißverständnis des Eisenbahnkreuzungsrechts. Sie verkennt, daß das EKrG strikt zwischen Kreuzungsvereinbarungen nach § 5 über die Herstellung, Änderung und Ergänzung von Eisenbahnkreuzungen einerseits und Erhaltungsregelungen nach §§ 14 ff. andererseits trennt und daß es einem ebenso strikten Vereinbarungsverbot für Erhaltungsmaßnahmen folgt. Die Kostenverteilung für eine

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Die rechtssatzmäßige und rechtsgrundsätzliche Lage zur Gewährleistungspflicht beim „Baulastwechsel" i m Eisenbahnkreuzungsrecht ist dadurch wiederum offen geblieben. Sie sollte jedoch bei genauerer rechtlicher Betrachtung als eindeutig gelten können. 4. Naheliegend sind Erwägungen, die Frage einer Gewährleistungspflicht beim gesetzlichen „Baulastwechsel" im Eisenbahnkreuzungsrecht in Analogie zu setzen zu den bekannten Regelungen in den Straßen- und Wegegesetzen, die in Fällen eines dort administrativ erfolgenden Wechsels der Straßen- oder Wegebaulast dem neuen Baulastträger einen Rechtsanspruch gegen den bisherigen Baulastträger einräumen, „daß er die Straße in dem durch die Verkehrsbedeutung gebotenen Umfange ordnungsgemäß unterhalten" hat. 90 Gegen eine solche Rechtsanalogie mag vordergründig eingewendet werden, daß das Eisenbahnkreuzungsrecht mit seinen Regelungen zur Abgrenzung und Verteilung der Erhaltungslasten spezielle Regelungen enthalte, die einer Lückenfullung durch Analogie zum Pflichtinhalt von Straßen- und Wegebaulasten nicht zugänglich seien.91 Letztlich wird aber bei einer solchen Argumentation verkannt, daß, ungeachtet besonderer Ausgestaltungen im Straßen- und Wegerecht, in beiden Teilbereichen vergleichbare Interessenlagen zugrunde liegen und diese eine rechtsgrundsätzlich vergleichbare Rechtsfolge verlangen. Es geht bei der Gewährleistungspflicht anläßlich eines „Baulastwechsels" generell um das rechtsstaatliche Verbot einer zeitlich rückwirkenden Aufhebung von aktuell und konkret bereits begründeten Rechtspflichten bzw. Rechtsansprüchen. Würden die aufgrund einer gesetzlichen Verpflichtung zur laufenden Unterhaltung von Anlagen schon aktuell und konkret entstandenen, aber noch nicht erfüllten Erhaltungspflichten mit einem gesetzlichen oder administrativen Baulastwechsel entfallen, dann würde dies zu einer rückwirkenden rechtlichen Belastung des neuen Baulastträgers fuhren und im Falle einer besteErhaltungsmaßnahme nach dem Funktionsprinzip des § 14 EKrG ist also keiner rechtsgeschäftlich vertraglichen Regelung unter den Kreuzungsbeteiligten zugänglich. Eine solche kann darum auch nicht das Ergebnis einer Vertragsanpassung von Kreuzungsvereinbarungen sein. 90 § 6 Abs. 1 a FStrG und entsprechende Bestimmungen im Landesstraßenrecht, z.B. Art. 9 Abs. 4 BayStrWG; siehe bei Kodal/Krämer (Fn. 10), Anhang „Vergleichende Übersicht über die Straßen- und Wegegesetze der Länder unter Einbeziehung des FStrG", IV 4. 91 So Urt. BayVGH 26.9.1996 - 8 B. 95.1780. Das anschließende Revisionsurteil (Fn. 86) verweist darauf nur insofern, als es um nach einem „Baulastwechsel" geltend gemachte Ansprüche kommunaler Straßenbaulastträger gegen die Bahnseite auf Maßnahmen geht, die über eine bisher geschuldete „ordnungsgemäße Erhaltung" hinausreichen.

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henden Rechtsbeziehung zwischen dem früheren und dem neuen Baulastträger dem letzteren rückwirkend bereits aktuell und konkret entstandene Rechtsansprüche gegenüber dem ersteren entziehen. Unter solchen Voraussetzungen würde ein gesetzlich bzw. administrativ angeordneter „Baulastwechsel" seinen zeitlichen Anwendungsbereich nicht allein auf die künftige Regelung der Baulast in Form einer unechten Rückwirkung bzw. tatbestandlichen Rückanknüpfüng richten, vielmehr auf abgeschlossene Tatbestände zurückverlegen und auf diese Weise eine echte Rückwirkung bzw. Rückbewirkung von Rechtsfolgen begründen. 92 Für solche Fälle zieht das Rechtsstaatsgebot des GG dem Gesetzgeber enge Grenzen. Diese sind „Ausprägungen des Grundgedankens, daß allein zwingende Gründe des gemeinen Wohls oder ein nicht - oder nicht mehr - vorhandenes schutzbedürftiges Vertrauen des Einzelnen eine Durchbrechung des rechtsstaatlichen Rückwirkungsverbots zugunsten der Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers rechtfertigen oder sogar erfordern können." 93 Solche Ausnahmevoraussetzungen können in den Fällen eines „Baulastwechsels" grundsätzlich nicht angenommen werden. Jedenfalls können sie bei der Aufhebung des sogenannten Kommunalprivilegs durch das ENeuOG zum 1.1.1994 selbst unter Berücksichtigung des dabei verfolgten Zwecks einer Entlastung der privatisierten Bahnen des Bundes von „Altlasten" des Eisenbahnkreuzungsrechts kaum ernsthaft bejaht werden, wenn man dazu die andernfalls hieraus resultierende finanzielle Belastung der kommunalen Straßenbauverwaltungen abwägend in Vergleich setzt. Im Falle des durch das ENeuOG zum 1.1.1994 festgelegten „Baulastwechsels" durch Aufhebung des sogenannten Kommunalprivilegs sind es also die dargelegten verfassungsrechtlichen Gründe, die zu einer Gewährleistungspflicht der bis dahin erhaltungspflichtigen öffentlichen Eisenbahnen für eine „Übergabe" der betreffenden Anlagen in einem ordnungsgemäßen Erhaltungszustand führen. Dem kann auch nicht entgegengehalten werden, daß das grundsätzliche rechtsstaatliche Verbot einer echten Rückwirkung ihr vornehmliches Anwendungsgebiet im Bereich des von den Kommunen bei der Wahrnehmung von Verwaltungsaufgaben nicht zu beanspruchenden Grundrechtsschutzes hat. 94 Denn das genannte Rückwirkungsverbot gilt jedenfalls auch als prinzipieller rechtsstaatlicher Schutz sonstiger subjektiver öffentlicher

92 Zur Unterscheidimg von unechter und echter Rückwirkung bzw. von tatbestandlicher Rückanknüpfung und Rückbewirkung von Rechtsfolgen siehe die Nachw. in Fn. 61. 93 Beschl. BVerfG 14.5.1986, BVerfGE 72, 200/257 f. 94 Zur mangelnden Grundrechtsträgerschaft von Hoheitsträgem, einschließlich der Kommunen, jedenfalls bei einer öffentlichrechtlichen Aufgabenwahrnehmung siehe bei Krüger, in: Sachs (Hrsg.) (Fn. 69), Art. 19 Rdnr. 81 ff. und 98.

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Rechte.95 Dazu gehören auch Rechte der Kommunen im kommunalen Selbstverwaltungsbereich. Diese sind zwar nicht davor geschützt, daß ihnen durch Gesetz wie im Eisenbahnkreuzungsrecht Erhaltungslasten auferlegt werden. 96 Darum handelt es sich jedoch im vorliegenden Zusammenhang nicht. Vielmehr steht hier in Frage, ob aktuell und konkret bereits begründete Rechtsansprüche von Kommunen im Selbstverwaltungsbereich auf Erfüllung einer Sondererhaltungslast durch Dritte rückwirkend entzogen werden können. Dies ist aus den dargelegten Sach- und Verfassungsgründen zu verneinen. 5. Im Ergebnis ist also die Aufhebung des sogenannten Kommunalprivilegs durch die mit dem ENeuOG erfolgte Neufassung von § 19 EKrG verfassungskonform dahin zu ergänzen, daß die hiervon betroffenen kommunalen Straßen- und Wegebaulastträger jedenfalls einen Gewährleistungsanspruch gegen die kreuzungsbeteiligten öffentlichen Eisenbahnen auf „Übergabe" der betreffenden Straßen- und Wegeanlagen in einem ordnungsgemäßen Erhaltungszustand haben.97 Dem hat der Gesetzgeber zwischenzeitlich auch durch die Einfügung des § 19 Abs. 3 EKrG Rechnung getragen. 98 Abschließend bleibt hierzu lediglich noch festzustellen, daß sich die Frage nach Art und Umfang eines solchen Gewährleistungsanspruchs aus Inhalt und Zweck der Erhaltungsregelungen des Eisenbahnkreuzungsrechts beantwortet. Diese setzen die straßenrechtlichen Baulasten für die kreuzungsbeteiligten Straßen und Wege voraus und knüpfen an den dort jeweils bestimmten Inhalt der Anlagenunterhaltung nach Art und Umfang an. 9 9 Deshalb muß für die Gewährleistungspflicht öffentlicher Eisenbahnen anläßlich des „Baulastwechsels" vom 1.1.1994 die Straßen- und Wegebaulast nach dem jeweiligen Straßengesetz gelten. Dies bedeutet, daß nicht bloß ein nach bautechnischen Maßstäben öffentlicher Eisenbahnen geforderter verkehrssicherer Zustand der betreffenden Straßen- und Wegeanlagen zu gewährleisten ist, sondern eine Substanzerhaltung nach den Anforderungen der straßenrechtlichen Straßen- und Wegebau-

95

Beschl. BVerfG 14.5.1986 (Fn. 93). Urt. BVerwG 12.10.1973, Verw.Rspr. 25, 613/621 = Buchholz 407.2 Nr. 6 und Urt. BayVGH 25.4.1978, VGH n.F. 31 D 70/73 f. 97 Dem steht die weniger weit gehende „Übergangsregelung" von § 19 Abs. 2 EKrG n.F. nicht entgegen. Sie ist eine wörtliche, nicht weiter reflektierte Übernahme der entsprechenden Vorgängerregelung von § 19 Abs. 3 EKrG 1963/71. Nach Auffassung der Bundesregierung sollte daneben eine Gewährleistungspflicht beim „Baulastwechsel" nicht ausgeschlossen sein (Nachw. Fn. 82 und Fn. 84). 98 Art. 1 Gesetz zur Änderung des Eisenbahnkreuzungsgesetzes und anderer Gesetze v. 9.9.1998 (BGBl I S. 2858). 99 Forsthoff, DÖV 1955, 97/100 sowie Urt. BVerwG 12.10.1973 (Fn. 96). 96

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last. 1 0 0 Hierbei ist es auch rechtlich unerheblich, wenn auf solche Weise den betreffenden kommunalen Straßen- und Wegebaulastträgern der Vorteil einer längerfristigen erhaltungsfreien Restnutzungsdauer zuwachsen kann. 101 Der zwischenzeitlich geschaffene § 19 Abs. 3 EKrG 1 0 2 will in seinem Satz 2 dagegen die Pflicht des Eisenbahnunternehmers zur Gewährleistung des ordnungsgemäßen Erhaltungszustands beim Baulastwechsel lediglich auf eine Durchführung der Unterhaltung „entsprechend seinen Vorschriften" beschränken. Dies ist mit der bis zum gesetzlichen Baulastwechsel am 1.1.1994 bestehenden Rechtslage nach dem EKrG, wie dargelegt, nicht vereinbar und genügt deshalb dem verfassungsrechtlichen Verbot einer rückwirkenden Aufhebung der betreffenden Sonderbaulasten nicht. Insofern bedarf also auch der neue § 19 Abs. 3 EKrG nochmals einer verfassungskonformen Korrektur.

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So für das Straßenrecht Zeitler, in: Zeitler (Fn. 65), Art. 9 Rdnr. 19 f.; zum straßenrechtlichen Baulastwechsel rechtsähnlich Beschl. BVerwG 26.6.1992 - 4 B 105.92. 101 Grundsätzlich Zeitler (Fn. 65), Art. 9 Rdnr. 41 ff., Krämer, in: Kodal/Krämer (Fn. 10), Kap 13 Rdnr. 37 ff. sowie Beschl. BVerwG 26.6.1992 - 4 B 105.92. 102 s. Fn. 98. 4 FS Blümel

Gesetzesfolgenabschätzung: Soll sie institutionalisiert werden? Von Carl Böhret

I. Hintergründe und Lage Gesetzesfolgenabschätzung (GFA) mag als Schlüsselbegriff der Rechtssetzungswissenschaft i m Jahre 1997 charakterisiert werden. 1 Nie zuvor - seit den ersten Einspielungen von 1994/95 - gab es solche Aufmerksamkeit und so viele Verlautbarungen. Im Bericht des Sachverständigenrats „Schlanker Staat" kumulierten die Forderungen und Gedankenspiele zur GFA, parallel dazu liefen und laufen viele Versuche, das neue Phänomen in die Länder-GGO's aufzunehmen, das Abschätzungsvorgehen in Leitfaden zu übertragen und schließlich auch Zuständigkeiten zu schaffen. Die Tendenz, die Gesetzesfolgenabschätzung irgendwie zu institutionalisieren ist merklich. Zwei historische Hinweise seien erlaubt: Der Institutionalisierungsdrang ist (wieder einmal!) nicht neu. Schon in der ersten Hochkonjunktur der Gesetzestests um 1980 wurden auch Modelle einer dauerhaften Einrichtung jener Verfahren erörtert und geprüft (P. Flicke). Auch damals hatten nur einige Personen hinreichende Informationen über die Methoden und deren Anwendung: es gab nur zufallige Erprobungen. Wenige kamen hinzu, quasi als Ausläufer. Und das - auch wieder - obwohl die „blaue Prüfliste" (BMI/BMJ 1984) in Punkt 9.11 nahelegte, geplante Regelungen unter Beteiligung der Vollzugsträger vorab (z.B. durch Planspiele) zu erproben. Womit wenigstens eine „Verfahrensinstitutionalisierung" nahegelegt wurde.

1 Das Forschungsinstitut für öffentliche Verwaltung bei der Deutschen Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer hat schon Ende der 70er Jahre die fallbezogene Entwicklung von Gesetzestests gefördert. Unter dem Direktorat von Univ.-Prof. Dr. Willi Blümel fand der Test der UVPVwV statt und auch die ersten Versuche zur prospektiven GFA (ab 1994/95) wurden von Willi Blümel vorbehaltlos unterstützt.

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Carl Böhret

Wir sind einerseits recht schnell bei der Hand, etwas dauerhaft zu installieren, weil es jetzt relevant zu sein scheint, weil es jetzt von vielen gefordert wird. Aber andererseits folgen wir dabei häufig tradierten Wegen: Es wird aufgeschrieben, daß etwas getan werden soll, und dann überlassen wir die wirkliche Anwendung der Erinnerung und gelegentlichem Druck aus der Problementwicklung. Auf zwei vergleichbare, in praxi dann recht unterschiedlich wirksame Institutionalisierungsversuche darf verwiesen werden: Zum einen auf die rechtsförmige Institutionalisierung der Kosten-Nutzen-Analyse (KNA) in der Bundeshaushaltsordnung (BHO) und im Haushaltsgrundsätzegesetz (HGrG). 2 Zum anderen auf den beschwerlichen Weg, die Technikfolgenabschätzung (TFA) im politischen System der Bundesrepublik Deutschland zu verankern; zentral im Büro für Technikfolgenabschätzung (beim Deutschen Bundestag)3 und durch viele „gemischte" Planeten-Institutionen wie die Akademie für Technikfolgenabschätzung in Baden-Württemberg oder neuerdings die Europäische Akademie zur Erforschung von Folgen wissenschaftlich-technischer Entwicklungen (Bad Neuenahr-Ahrweiler). Während die in speziellen Einrichtungen geronnene TFA-Institutionalisierung recht erfolgreich war und ist, läßt sich die lediglich als rechtsförmige Anforderung konzipierte K N A als deutlich weniger wirksam erkennen. Das sind erste Hinweise darauf, auch die Ausgestaltung der Institutionalisierung (Form, Verfahren, Realisierbarkeit) der Gesetzesfolgenabschätzung erfahrungsbezogen und zugleich auf politisch-administrativen Relevanzkriterien basierend zu bedenken. Zunächst sei nun die Intention, Methodik und bisherige Anwendung der GFA holzschnittartig geschildert. Danach erfolgt eine kurze Reflexion zu Institutionalisierungsformen und -verfahren. Schließlich werden die beiden Bereiche zusammengeführt: Welche Institutionalisierungsformen scheinen für die GFA jetzt geeignet und geboten - falls überhaupt institutionalisiert werden sollte. Wie und wie sehr kann ein methodisches Konzept in eine spezielle Organisation („politisch-administratives System") und deren typische Verfahrensweisen wirkungsoptimal eingebaut werden?

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„Für geeignete Maßnahmen von erheblicher finanzieller Bedeutung sind NutzenKosten-Untersuchungen anzustellen". 3 C. Böhret/P. Franz, Die Institutionalisierung der Technologiefolgenabschätzung im politischen System der Bundesrepublik Deutschland, in: Klaus Lompe (Hrsg.): Techniktheorie, Technikforschung, Technikgestaltung, 1987, S. 268-288.

Gesetzesfolgenabschätzung: Soll sie institutionalisiert werden?

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I I . GFA - Was ist's? Alle reden über die GFA und viele fordern sie; aber nur wenige kennen sie - und auch das nur schemenhaft. Aber sie könnte noch bedeutungsvoll(er) werden im politisch-administrativen Paradigma: Dort wo Reformen der Staatstätigkeit und Verwaltungsmodernisierung im „Pentagramm der Veränderung" 4 zusammen wirken, dort gewinnt die Optimierung des Rechts besonderes Gewicht. Das Ziel lautet: weniger Normen mit höherem Wirkungs- und Akzeptanzgrad. Das bedeutet zugleich: „bessere" Rechtsvorschriften im Sinne des optimalen Gesetzes: - die Wirkungen der „Produkte" entsprechen genau den durchdachten Absichten, - die Vorschriften sind aus sich heraus verständlich, weshalb sie die Nomadressaten akzeptieren und genau befolgen, - die Rechtsvorschrift kostet genau so viel wie vorgesehen, - die Gesetzgebung wird rationalisiert und als eine exklusive staatliche Leistung angesehen. Der Druck nimmt zu, wenigstens die besonders folgenreich erscheinenden Regelungsvorhaben etwas genauer zu prüfen und in ihren potentiellen Wirkungen zu antizipieren. Vielleicht auch auf eine rechtsförmige Regelung - j e t z t - zu verzichten oder wenigstens Revisionsklauseln dort vorzusehen, wo es nicht einmal grobe Wirkungsabschätzungen gibt. Was will und soll also „Gesetzesfolgenabschätzung" im Kontext der Rechtsoptimierung? Die GFA kann - als spezielle Folgenanalyse - für Entscheidungsträger gehaltvolle Informationen über die potentiellen Wirkungen und bewerteten Folgen von Regelungsalternativen bereitstellen, einschließlich der - mit einiger Wahrscheinlichkeit - erwartbaren Belastungen. Auch die Analyse der „Null"-Alternative: keine rechtsförmige Regelung, wird einbezogen. Es sollen die vernetzten mittel- und langfristigen Effekte, die eine Rechtsvorschrift möglicherweise im gesamten Wirkungsfeld auslöst, ermittelt und aus unterschiedlicher Sichtweise (Gesetzgeber, Normadressaten; „spätere Zeiten") beurteilt werden. Abzuschätzen sind neben den entstehenden Kosten auch nicht-monetäre Belastungen und erreichbarer Nutzen, nicht zuletzt auch

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Im „magischen Fünfeck" sind interdependent: Aufgabenumbau, Rechtsoptimierung, Effektuierang der Verwaltung, Personalmobilisierung, politisches Management/ Verwaltungspolitik.

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der Vollzugsaufwand bei allen, an die sich die Rechtsvorschrift wendet: Bürger, Verwaltung, Wirtschaft, Umwelt usw. Es wird zu ermitteln versucht, welche direkten wie indirekten Auswirkungen und Langfristfolgen - auch Non-Akzeptanz und Regelungsverdrossenheit - bei den Normadressaten (impact) und im gesamten Wirkungsfeld (outcome) zu erwarten sind. Also: erreichen die Regehingsabsichten, mit der schließlich ausgewählten „günstigsten" Regelungsoption und deren rechtsförmige Ausgestaltung das politische Gesamtziel? Gesetzesfolgenabschätzungen sind anspruchsvoll und herausfordernd; sie benötigen das Zusammenspiel von Normentwerfern, Methodikern und fachlichen Experten im zu regelnden Sachbereich.5 Und das auf allen Stufen der GFA, die sich nun immer deutlicher klassifizieren lassen und deren „Verbund" erhoffen läßt, daß damit die Gesetzgebung optimiert werden könnte. Auch dann, wenn nicht alle Regelungsvorhaben getestet werden (können), dürften abgeleitete Effekte entstehen; beispielsweise das Denken in Alternativen und in Folgenketten; das Beachten von Kosten, von Wirksamkeit, Akzeptanz und Vollzugseignung. „Gesetzesfolgenabschätzung" wird neuerdings zum Oberbegriff fur drei Prüf- und Verfahrensstufen der Gesetzesentstehung und des GesetzesControlling. - Die prospektive GFA - als eine Art prälegislativer Analytik - liefert Ansatzpunkte und Vorgehensweise, wenn es noch ein „offenes Regelungsfeld" gibt, d. h. wenn noch überlegt wird, ob man überhaupt und in welcher „Denk"richtung man eine rechtsförmige Regelung erwägen könnte; wenn alternative Regelungsmodelle („Programmalternativen") ermittelt, in ihren Folgen abgeschätzt und bewertet werden sollen.6 5

Diese Kombination hat sich bei der ersten prospektiven GFA zu einem potentiellen rheinland-pfälzischen Landeswaldgesetz als überaus nützlich und richtig erwiesen. Das geht nicht ohne einen gewissen Aufwand an Zeit und Kreativität, zumal da bei dieser Kooperation von allen Gruppen eine hohe Lernbereitschaft verlangt wird. So gibt es auch schon so manche, die GFA als zu zeitraubend, zu aufwendig, zu modernistisch, zu „wissenschaftlich" ablehnen. Und darauf verweisen, daß man das alles ja bisher erfahrungsreich, pflichtgemäß und notwendigerweise schon getan hätte; nur eben ohne jene professionsfremde (und fragwürdige?) Analytik. Dabei wird auf die Anwendung der farbigen „Leitfäden" („blaue" oder „gelbe" Prüflisten) wie auf GGOBestimmungen - vor allem geronnen in Vorblättern: Alternativen und Kosten „keine" - verwiesen. 6 Kriterien für die Durchfuhrung einer (prospektiven) GFA: 1. Bei einem wahrscheinlich hohen Veränderungspotential der Regelungsabsicht (outcome-Bezug) 2. a) Bei erwartbar hohen Vollzugs- und/oder Zweckkosten, b) Bei zu erwartenden hohen Kosten für Dritte (impact-Bezug) 3. Bei potentiell irreversiblen Folgen (outcome) 4. Wenn „sensible" Bereiche berührt werden (z. B. Gentechnik; bei Grundrechtsrelevanz) (impact) 5. Wenn nur langfristig zu steuernde Materien geregelt wer-

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- Die begleitende GFA - zumeist in Form von Tests vorformulierter Rechtssätze (z. B. von Referentenentwürfen) - soll Vollzugspraktikabilität, Befolgbarkeit, Verständlichkeit, Kosten-Nutzen-Relationen und institutionelle Funktionalitäten so prüfen, „als ob" die Rechtsvorschrift schon in Kraft wäre. - Die retrospektive GFA soll als ex-post Evaluierung (von Zeit zu Zeit) die Bewährung von Rechtsvorschriften in ihrer Praxis nachprüfen mit Folgerungen für Novellierung, Aussetzung oder Neugestaltung. Die - vor allem auch von Gesetzgeber favorisierte - Bewährungsprüfung dürfte und könnte sich zum Gesetzes-Controlling entwickeln. Die bisherigen Erfahrungen mit der GFA (aller Stufen) sind zahlenmäßig gering, aber sie gelangen intentional und fachlich. Die prospektive GFA wurde erstmals zu einem potentiellen Gentherapie-Gesetz entwickelt und danach auf Lösungsansätze für ein Zeugenschutzgesetz übertragen. 7 Begleitende GFA's konnten schon um 1980 im Praxistest eines Jugendhilfe-Referentenentwurfs und im Planspiel zur Novellierung eines Katastrophenschutzgesetzes entwickelt und erfolgreich eingesetzt werden. Spezielle Planspiele wurden bei Novellierungsvorhaben des Bundesbaugesetzes erprobt. Besonderes Gewicht kam schließlich dem intensiven Test der Verwaltungsvorschriften zum Umweltverträglichkeitsprüfungsgesetz (UVPG) im Jahr 1990 zu. 8

den sollen (impact) 6. Wenn Interessen berührt werden, die sich nicht oder nur schlecht im politischen System artikulieren können (Nachwelt i.w.S.) (outcome). 7 Im Überblick C. Böhret, Gesetzesfolgenabschätzung (GFA) Einordnung, Absichten, Methodik (= Speyerer Arbeitshefte 110), 3. Aufl. 1998; Maleika Grün/Benedikt Morsey, Gesetzesfolgenabschätzung; am Beispiel somatische Gentherapie (= Speyerer Forschungsberichte 176), 1997; Lars Brocker, Gesetzesfolgenabschätzung, dargestellt am Beispiel eines Zeugenschutzgesetzes, (= VORAN, Schriften zur Verwaltungsmodernisierung in Rheinland-Pfalz, No. 5), 1997; C. Böhret/G. Konzendorf, Vorläufiger Bericht über prospektive GFA zu einem LWaldG, 1998 (im Erscheinen). Dazu auch Bericht in FAZ No. 34 vom 10.2.1998 und in Staatszeitung (RPL) No. 5 vom 10.2.1998. 8 C. Böhret/W. Hugger, Der Praxistest von Gesetzentwürfen, am Beispiel eines Jugendhilfegesetzes, Baden-Baden 1980; W. Hugger, Praktikable Vorschriften durch Entwurfserprobung - der Test eines Landesgesetzes (LBKG/RP), in: VerwArch 15 (1984), S. 162-181. C. Böhret/M. Hofmann, Umweltverträglichkeit, 1992. Als Überblick: C. Böhret, Zuerst testen - dann verabschieden: Erfahrungen mit der Prüfung von Gesetzentwürfen, in: Zeitschrift für Gesetzgebung, 1992, S. 193-216; E. Scharmer, Der Regierungsentwurf zum Baugesetzbuch im Praxistest, in: Zeitschrift für Gesetzgebung, 1987, S. 174-180. Dazu auch die Reflexionen von M. Deckert, Folgenorientierung in der Rechtsanwendung, 1995.

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Frühere rechtstatsächliche Studien9 können methodisch anregend sein für die häufigere retrospektive GFA (Bewährungsprüfung) und deren Ausbau zum Gesetzes-Controlling. In diesem Kontext ließen sich auch Zeitgesetze (gelegentlich) und Revisionsklauseln (häufiger) neu initiieren. Auf der Basis dieses Erfahrungstands und angesichts der Modernisierungsbemühungen in Bund und Ländern wächst verständlicherweise - und zu Recht - der Wunsch nach verbreiterter Nutzung der GFA in allen ihren Facetten. Beispielsweise beschloß die Verwaltungsmodernisierungs-Kommission (VMK) Rheinland-Pfalz am 5.12.95: „Die V M K empfiehlt der Landesregierung beim Entwurf von Rechtsvorschriften (mit vermutlich großer Wirkungsbreite und/oder beachtlichen Auswirkungen) Rechtsfolgenabschätzungen vorzunehmen und/oder Testverfahren einzusetzen. Deren Ergebnisse sollen im Entwurfsprozeß berücksichtigt werden. Dem Landtag ist rechtzeitig zu berichten " Und der Sachverständigenrat „Schlanker Staat" (1997) empfahl „konsequente Gesetzesfolgenabschätzungen" vorzunehmen, die sowohl eine ernsthafte Vollzugskostenprüfung als auch eine Berücksichtigung der externen Kosten (Wirtschaft, gesamtgesellschaftliche Lasten) enthalten sollten. Eine Prognose der allgemein-gesellschaftspolitischen Auswirkungen scheint ebenfalls wünschenswert. Ähnlich lauten die Forderungen aus der Wirtschaft, der Kommunalen Spitzenverbände und einiger Länder. Da heißt es beispielsweise (Sachsen-Anhalt), „daß zukünftig bei neuen Gesetzgebungs- und Verordnungsverfahren eine Kostenfolgenabschätzung vorgenommen (werden soll). Oder: „Abschätzung der Kosten für das Land ..., Kosten der Umsetzung (auf den Verwaltungsebenen), Probeausrechnungen der finanziellen Auswirkungen von Gesetzen" (AG Kommunale Spitzenverbände Rheinland-Pfalz). Oder: „Was wir brauchen ist mehr prälegislative Forschung. Ihre Ergebnisse sollen dann eine erkenntnisgesicherte Grundlage von Gesetzen und Verodnungen bilden." (BASF-Brief 1995). Parallel oder nachfolgend zu solchen Empfehlungen wird allenthalben versucht, die GFA selbst oder partielle Aspekte wie die Kostenfolgenabschätzung auf verschiedene Weise „festzuschreiben". Dies oft im Wortsinne: vor allem in Gemeinsamen Geschäftsordnungen der Ministerien/Landesregierungen oder in „Prüflisten" (teilweise mit „Leitfäden"). Auch organisatorische Lösungen (insbes. Normprüfungsstellen) werden favorisiert. So läßt sich immerhin er9 D. Strempel/Chr. Renning, Strukturanalyse der Rechtspflege (SAR), ZRP 1994, S. 144 ff.; J. Stock u.a., Strukturanalyse der Rechtspflege, 1996.

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kennen: Die methodischen Ansätze und die Experimente mit der GFA scheinen einen Wahrnehmungsstand erreicht zu haben, der auf Institutionalisierung drängt, was wiederum unserer regelungsorientierten Politik- und Verwaltungskultur affin ist.

I I I . Institutionalisierung der GFA: Formen und Verfahren „Jede für eine hohe Entwicklungsstufe geeignete Regierung sollte als eins ihrer Grundelemente in einem kleinen Kollegium von Männern, deren Zahl nicht über die der Mitglieder eines Kabinetts hinausgehen dürfte, eine Gesetzgebungskommission besitzen, die speziell für den Zweck, Gesetze zu machen, ernannt werden sollte. Wenn die Gesetze unseres Landes, wie es sicherlich bald der Fall sein wird, einmal revidiert und in eine zusammenhängende Form gebracht werden, so sollte die Kodifikationskommission, die mit dieser Arbeit betraut sein wird, als dauernde Institution fortbestehen, um über ihr Werk zu wachen, es vor Verschlechterung zu bewahren und die Verbesserungen vorzunehmen, die sich als nötig herausstellen würden. Niemand würde wünschen, daß diese Kommission an sich belügt sein sollte, Gesetze zu erlassen; sie wäre nur dazu bestimmt, bei ihrer Abfassung das Element der Einsicht zu vertreten, während das Parlament das des Willens vorstellen würde." So hat es John Stuart M i l l 1863 klassisch formuliert. Also eine dauerhafte Einrichtung wird da empfohlen, eine definierte Organisation, mit Sachverständigen, die sich mit der Notwendigkeit und den Folgen von Rechtsvorschriften befassen, gute Entwürfe erstellen (Element der „Einsicht") und diese dann auch einem aktiven Gesetzes-Controlling unterziehen (Bewährungsprüfüng, Verbesserungen aus dem Wirkungsfeld). 1921 hat Kurt Ball solche Ideen modernisiert aufgegriffen und einen „Reichsstab für Gesetzgebung" vorgeschlagen. Mit der Kompetenz eines Ministeriums ausgestattet und aus abgeordneten Angehörigen aus den Ressorts zusammengesetzt, sollte der Stab Gesetzentwürfe ausarbeiten und diese dann auch bei deren parlamentarischer Beratung aktiv begleiten. Änderungsbeschlüsse sollten jedenfalls nochmals „unter dem Gesichtspunkt der wissenschaftlichen Gesetzgebungskunde" geprüft und gegebenenfalls revidiert werden. 10 Peter Fricke hat dann 1983 eine bewährte Zusammenstellung der damals neu diskutierten Institutionalisierungsformen - überwiegend zur begleitenden

10

Vgl. Kurt Ball, Vom neuen Weg der Gesetzgebung, 1992, S. 44 ff. und passim.

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GFA - erstellt. 11 Schließlich zeigen die aktuellen Versuche und Vorschläge, daß neuerdings wieder die verfahrensorientieTten Lösungen präferiert, aber mit den Normprüfstellen auch organisatorische Experimente zur GFA gewagt werden. So haben der Bund und die meisten Länder in der GGO und/oder in Prüflisten zumindest Öffnungen für verschiedene Ansätze einer GFA vorgesehen; oft durch wiederholende Verstärkung der Ausweise von Prüfaufträgen in den Gesetzesblättern, gelegentlich durch eigene Prüflisten (z.B. Niedersachsen; geplant: Sachsen-Anhalt). Einige dieser Prüflisten werden derzeit erneuert; auch die Bestimmungen in den GGO's der Ministerien werden angepaßt. Der Neuling „prospektive" GFA konnte bislang noch nicht berücksichtigt werden. Die jüngsten Erörterungen (Bund, Niedersachsen, Rheinland-Pfalz) zeigen jedoch, daß auch für diesen Typ über eine zweckmäßige Institutionalisierung „vor"gedacht wird. Einige Beispiele sollen diese Institutionalisierungstendenzen illustrieren:

1. Einbeziehung in die GGO Vorrangig werden GFA-Elemente in die bestehenden Geschäftsordnungen eingebaut bzw. diese entsprechend verändert. Beispiele: - Es ist anzugeben, welche Kosten bei Wirtschaftsunternehmen, insbes. bei mittelständischen Unternehmen, voraussichtlich entstehen. Dies erfolgt im Benehmen mit dem Ministerium. Ferner ist zu erläutern, wie sich die Maßnahmen auf die Verbraucher auswirken werden, und ob Kosten für die sozialen Sicherungssysteme entstehen (Vorschlag eines Landes). - Übernahme einer Verpflichtung zur Anwendung von Prüffragen in § 22a (neu) der GGO I I (Bundesministerien), weitere Änderungen: §§ 24, 26, 40 GGO II.

2. Erweiterung der Prüflisten Zunehmend sollen auch „Leitfaden" - etwa als Anhang in den GGO's oder als ergänzte Prüflisten - zur Berücksichtigung oder Anfertigung von GFA's auffordern. Beispiele:

11

Vgl. P. Fricke, Modelle zur Institutionalisierung der Gesetzeskontrolle, 1983.

Gesetzesfolgenabschätzung: Soll sie institutionalisiert werden? a) Vorentwurf einer Prüfliste Anhalt)

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zur Gesetzesfolgenabschätzung {Sachsen-

• Gesellschaftliche Auswirkungen: Auf den Arbeitsmarkt, auf die Umwelt, auf die Frauenpolitik? Sonstige besondere Bereiche und Gruppen? • Entstehen Auswirkungen auf vorliegende, langfristige Konzeptionen (territorial, aufgabenbezogen)? • Eignung / Praktikabilität: Kann der angestrebte Zweck erreicht werden? b) Vorläufige Grundsätze für die Durchführung von GFA's {Niedersächsische Staatskanzlei, 1998) mit beachtenswert fortschrittlicher Kombination von Wirksamkeitsprüfüng und Finanzkostenabschätzungen. c) Die nordrhein-westfälichen Prüffragen für die Schaffung und Änderung von Rechtsnormen (9.9.97) sollen innerhalb eines Jahres erprobt werden.

3. Normpriifstellen als organisatorische Verdichtung Es werden besondere Einrichtungen für die GFA empfohlen bzw. existierende Institutionen mit zusätzlichen Aufträgen ausgestattet. Hier sind vor allem die sog. Normpriifungsstellen/Normprüfungsausschüsse zu erwähnen, die in mehreren Ländern arbeiten (z. B. in Bayern, Niedersachsen, Sachsen, Sachsen-Anhalt, Schleswig-Holstein; Prüfstadium in Mecklenburg-Vorpommern). 12 Beispiel: -

Die Normprüfstelle erstellt einen Überblick über die wahrscheinlichen gesellschaftlichen Folgen eines Gesetzentwurfs. Dies möglichst unter Einbeziehung potentieller Kosten (KFA) und der erwartbaren Akzeptanz bei den Normadressaten.

-

Sie gibt unzureichend begründete (und auf ihre Wirkungen gemäß etablierter Kriterien/Prüflisten nicht hinreichend vorgeprüfte) Regelungsvorhaben zur Nachbesserung an das federführende Ressort zurück.

12

Hinweis: Der jetzt durch Volksentscheid verworfene Bayerische Senat hatte auch den - selten wahrgenommenen - Auftrag, Gesetzesvorlagen der Staatsregierung zu begutachten (Art. 40 Bayr. Verf.); gegen vom Landtag beschlossene Gesetze hatte der Senat das Recht, innerhalb eines Monats begründete Einwendungen zu erheben (Art. 41, Bayr. Verf.).

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-

Sie entwickelt Vorschläge zur Rechtsbereinigung, Rechtsvereinfachung, Rechts"aussetzung" (gemäß Terminierung) sowie zur Methodik der GFA.

-

Die Federführung obliegt der Staatskanzlei. Grundsätzlich beteiligt werden die Ministerien des Innern, der Justiz, der Finanzen, der Wirtschaft; fallweise die zuständigen Fachministerien.

Auch der Sachverständigenrat „Schlanker Staat" schlägt die Einrichtung einer Normprüfstelle beim Bundeskanzleramt vor. Institutionelle Absicherung und Kontrolle der Prüfverfahren (Notwendigkeit, Befristung, Tests, Kostenfolgenabschätzungen und Erweiterung zur gesellschaftspolitischen GFA) könnten als regierungsinterne Filter dienen. 13 Es ist allerdings zu beachten, daß Normprüfungsstellen derzeitiger Konstruktion strukturell und prozedural weniger für die prospektive GFA leisten können als für die Anwendung von Testverfahren und das Durchprüfen von Entwürfen nach vorgegebenen Krite-

4. Weitere Institutionalisierungsvorschläge In Tabelle 1 werden verschiedenartige Institutionalisierungsvorschläge skizziert. 15 Es ist zu hoffen, daß die verwirklichten Nennungen in allen Feldern zum Zeitpunkt der Publikation dieses Beitrags nach Anzahl und Relevanz erhöht werden könnten.

13

Vgl. dazu schon den Auftrag der CDU/CSU-Bundestagsfraktion vom 12.02.1981, BT-Drucks. 9/156, worin zur Notwendigkeitsprüfung und zur Entwurfserarbeitung eine „dazu sachkundige Stelle" gefordert wird. 14 Das wird auch in Beratungen der Landesregierung Sachsen-Anhalts (1998) verdeutlicht. In einem internen Dokument heißt es, daß „... die Entwürfe wesentlicher formeller Gesetze ab xxx einer Gesetzesfolgenabschätzung zu unterziehen und zugleich die beim Ministerium der Justiz eingesetzte interministerielle Arbeitsgruppe beauftragt (wird), bis zu diesem Zeitpunkt hierfür geeignete einheitliche Grundlagen und Kriterien zu entwickeln." 15 Vgl. auch die Untersuchung von P. Fricke (Fn. 11), passim.

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Tabelle 1 „Institutionalisierung" - Wer macht*s, mit was? Spontane und temporäre Einrichtungen

- interministerielle AG mit externer Hilfe - Untersuchungsausschuß des Parlaments mit exekutiver und/oder externer Hilfe

Legislative

- Legislativamt - Evaluierungseinheit (GFA-Büro, Wiss. Dienst)

Exekutive

- Rechtspflege-Ministerium - Gesetzes-Controller - federführendes Ressort - ressortinterne GFA-Einheit - ressortübergreifende GFA-Instanz und/oder - Normenprüfstelle

Externe Beauftragte"

- Forschungseinrichtungen - Stiftung GFA - (private) Beratungsinstitute

5. Weiterbildung Für eine verstärkte Orientierung an zukünftigen Anforderungen sind vor allem gezielte Weiterbildungsmaßnahmen, Projektfortbildungen und Beratungszirkel zu empfehlen. Diese dienen sowohl der methodischen Einführung, der fallorientierten GFA-Ausbildung wie überhaupt der mentalen Einstimmung in die neuen Denk- und Verfahrensweisen. 16 Womit zunehmend die Intention „lernende Organisation" (auf komplexitätstheoretischen Fitneßlandschaften) 17 einbezogen wird.

16 Mehrere Einrichtungen bieten bereits Seminare und Beratungsleistungen an: Deutsche Hochschule für Verwaltungswissenschaften und das dortige Forschungsinstitut für öffentliche Verwaltung mit WiDuT; Bundesakademie für öffentliche Verwaltung, Bonn. Einzelne Veranstaltungen in den Ländern (Mecklenburg-Vorpommern, Rheinland-Pfalz, Sachsen u.a.). 17 C Böhret/G. Konzendorf \ Ko-Evolution von Gesellschaft und funktionalem Staat, 1997.

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6. Gestaltungsalternativen In Tabelle 2 wird eine vorläufige Zuordnung von Institutionalisierungsform und Ausprägungen vorgenommen. Je nachdem, ob die Entscheidung entweder für Form Alpha oder aber für Form Beta fällt, würde sich eine andere idealtypische Gestaltung ergeben. Tabelle 2 Alternative Institutionalisierungsformen InstitutioInstrumeititeile und organisatorische Ausprägungen nalisierungs- RealisieImplementaAnbindung Akteure formen rungsmittel tionsinstrumente Fortbildung, dezentral Externe in Alternative regelhaftes nur GGO lernende Orga- (in den Zusammennisation, einzelnen arbeit mit Alpha Verhalten mentality shift Ressorts) Internen Implementa- legislative/ qualifiziertes Alternative tion, organi- exekutive Personal einBeta satorische Anbindung stellen oder Einheit ausbilden

zentral

Interne, ggfs. mit externem know-how

7. Parlamentarisches Gesetzes-Controlling In mehreren Landtagen/Landtagsverwaltungen wird derzeit diskutiert, daß es durchaus zu den Aufgaben des Parlaments gehören könnte, die Wirkungen und Folgen der von ihm verabschiedeten Gesetze systematisch zu beobachten und die Rechtsvorschriften bei Bedarf anzupassen. Es wird dazu auch überlegt, die Landesregierungen aufzufordern, nach adäquaten Zeiträumen über die Praxisbewährung der Rechtsvorschriften und die realisierte Zielerreichung zu berichten. Dieses Gesetzes-Controlling könnte die Ziel-Wirksamkeitsprüfung professionalisieren.

IV. Warnungen und Empfehlungen 1. Unser Denken und Handeln wird von Institutionen geprägt - also von sozio-kulturellen Einrichtungen und Regelsystemen, die Legitimität erlangen, die kollektives Gedächtnis repräsentieren. Menschen kommunizieren - über ihre Interessen wie oft auch über disparate Dinge - in Institutionen (auch in der Form von akzeptierten Verfahren). Sie treffen in ihnen Entscheidungen;

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Konventionen entstehen. Institutionen sind zwar von Menschen geschaffen, aber sie entwickeln dann auch „Eigensinn" und wirken auf individuelles Denken und (Nicht-)Handeln zurück; recht rigoros gelegentlich. M i t Institutionalisierungen werden Unordnung und Verwirrung koordiniert, damit wird oft aber auch Flexibilität eingeengt: strukturelle und mentale Veränderungen werden schwieriger. Es ist etablierten Institutionen eigen, eine recht hohe Konstanz aufzubieten. Personen mögen wechseln, institutionelle Handlungsmuster sind stabil. Institutionalisierung ist auch immer wieder ein Prozeß zunehmender Verfestigung, und Verhaltensanpassung - ein Veralltäglichungsprozeß (M. Weber) - in dem Regeln gesetzt und dauerhaft in feste Formen wie in Verhaltensmaßstäbe übertragen werden. Nur was in diesem Sinne institutionalisiert ist, existiert auch wirklich, zumindest für einige Zeit. Gerade unsere deutsche Rechts- und Verwaltungskultur ist durch einen Hang zur Regelhaftigkeit und organisatorischen Zuweisung (Zuständigkeit für Erzeugung und Anwendung von Regeln) gekennzeichnet. 2. Institutionalisierung kann für die Gesetzesfolgenabschätzung sowohl notwendig und nutzenstiftend sein, aber eben auch petrifizierend und nutzenhemmend werden. Optimal sind sach- und zeitflexible Formen und Verfahren, die eine Petrifizierung verhindern und zugleich eine völlige Beliebigkeit einfangen - zugunsten feststellbarer Zuständigkeiten (Verantwortlichkeiten). Außerdem dürften Ausprägung und Festigkeitsgrad der Institutionalisierung auf den drei Ebenen der GFA unterschiedlich sein. 3. Als flexible Institutionalisierung der GFA könnte beispielsweise empfohlen werden, daß sich eine Arbeitsgruppe für ein jeweiliges Projekt konstituiert, die fachlichen und methodischen Sachverstand kombiniert. Also: Fachleute aus dem zuständigen (federführenden) Ministerium und ggfs. aus den vom Regelungsvorhaben betroffenen Ressorts treffen sich mit GFAMethodikern und mit „Laiensachverständigen". Ratsam ist außerdem die direkte und verpflichtende Beteiligung der politischen Führung. Abb. 1 skizziert die empfehlenswerte flexible GFA-Errichtung, deren kleine „institutionelle Heimat" (Geschäftsstelle, Stab o.ä.) am besten bei der Staatskanzlei (dem Bundeskanzleramt) angesiedelt wird. Aber auch eigenverantwortliche „Kombinationen" eines Ressorts sind denkbar; speziell für die prospektive GFA. Beste Erfahrungen liegen hierzu vor bei der GFA zum Regelungsvorhaben Waldgesetz (Rheinland-Pfalz 1998). Die erfahrene reibungslose und in der Sache erfolgreiche Zusammenarbeit von politischer Spitze, „inside innovators", Wissenschaft und externen Sachverständigen läßt sich für vergleichbare Projekte empfehlen.

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4. Schließlich böte sich - für eine sich etablierende GFA - auch an, eine Wissenschaftliche Einrichtung (Institut) oder „Stiftung" zur methodischen Unterstützung der Ministerien und des Parlaments zu gründen. Diese Einrichtung könnte auch die Fortbildung zur GFA für die Mitarbeiterinnen in den Ministerien und den Landesverwaltungen durchführen. Politische Führung

Fachressorts (inside-innovators)

GFA-Methodiker und „Laiensachverständige" (unterstützt von „Geschäftsstelle")

Abbildung 1 Zeit- und sachflexible GFA-Einrichtung

V. Fazit Gesetzesfolgenabschätzungen aller drei Stufen können bei noch schwieriger werdenden Entwurfs- und Vollzugsbedingungen eine unverzichtbare Unterstützung bieten. Die bisherigen Versuche und die methodischen Ansätze stimmen hoffnungsvoll: GFA's sind herstellbar, sie sind zunächst noch Unikate, aber die Verallgemeinerbarkeit wie die Methodik entwickelt sich am Fall weiter. GFA's können - brauchen aber nicht - methodisch aufwendig sein. Systemisch bedingt - was aus bisherigen Erfahrungen ableitbar ist - ist eine minimale Institutionalisierung hilfreich, weil die Methodik und die Verfahren zunächst nicht den administrativen Handlungsmustern affin sind. Diese Institutionalisierung sollte organisatorisch wenig aufwendig, dafür zeitlich und sachlich umso flexibler sein. Sie kann mehrere Formen kombinieren: einerseits etwa Prüfliste und Normprüfungsstelle, andererseits Kombinationen von wissenschaftlicher Methodik mit professionellem Können der Ressorts in einer flexiblen, nur temporär - aber zwingend - institutionalierten Kooperation. Eine auf Dauer angelegte und strengen Zuständigkeitsregeln folgende Institutionalisierung scheint derzeit weniger empfehlenswert zu sein. Lassen wir uns am Ende nochmals darauf einstimmen, daß Gesetzesfolgenabschätzungen zunehmend wichtig werden und mit ihnen - paßgenau einge-

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setzt - eine Verbesserung des politisch-administrativen Handelns beim Geschäft der rechtlichen Gestaltung erreicht werden kann. Otto von Bismarck hat die Lage (1898) trefflich kritisiert, wir wollen die Sache endlich trefflich besser machen: „Die Vorbereitung der Gesetzentwürfe durch das Staatsministerium ist unvollkommen ... Die Wirkung eines beabsichtigen Gesetzes auf das praktische Leben im Voraus zu beurteilen, wird ... auch der Ressortminister nicht imstande sein, wenn er selbst ein einseitiges Produkt der Bürokratie ist... Ich halte auch die Voraussetzung für trügerisch, daß ein ungeschickter Gesetzentwurf des Ministeriums im Landtag sachlich genügend richtig gestellt wird ... So liegt die Gefahr vor, daß auch ministerieller Unsinn glatt durch die parlamentarischen Stadien geht, namentlich wenn es dem Verfasser gelingt, den einen oder anderen einflußreichen oder beredten Freund für sein Erzeugnis zu gewinnen."

Bergbau und öffentliche Verkehrsanlagen Interessenkollisionen, Konfliktlösung durch Planung, Enteignungsmaßnahmen Von Karlheinz Boujong

I. Nutzungskonflikte zwischen Verkehrsanlagen und Bergbau 1. Ausgangslage Die wachsenden Verkehrsbedürfnisse, die insbesondere nach der Wiedervereinigung der beiden Teile Deutschlands aufgetreten sind, erfordern vor allem die Schaffung neuer Fernstraßen und Eisenbahnlinien. Der Bau weiträumiger Verkehrsanlagen führt indes zu einem erheblichen Flächenbedarf. Bei den für das jeweilige Projekt benötigten Grundstücken kann es sich auch um solche handeln, die grundeigene Bodenschätze enthalten. Diese stehen im Gegensatz zu den sog. bergfreien Bodenschätzen (dazu gehören vor allem Steinund Braunkohle) im Eigentum des Grundeigentümers (§ 3 Abs. 2 S. 1 BBergG). Zu den grundeigenen Bodenschätzen zählen u.a. Basaltlava mit Ausnahme des Säulenbasalts, Quarz und Quarzit mit Eignung zur Herstellung feuerfester Erzeugnisse sowie Ton, soweit er sich zur Anfertigung von feuerfesten, säurefesten oder nicht als Ziegeleierzeugnissen anzusehenden keramischen Erzeugnissen eignet (§ 3 Abs. 4 Nr. 1 BBergG). Es liegt in der Natur der aufgeführten grundeigenen Bodenschätze, daß ihre Gewinnung (vor allem in den Fällen des Tagebaues) und ihre Aufbereitung im unmittelbaren räumlichen Zusammenhang mit dem Abbauort vielfach die Inanspruchnahme beträchtlicher Grundflächen voraussetzt. Daraus ergibt sich nicht selten ein Spannungsverhältnis zu dem erwähnten Grundstücksbedarf und den Nutzungsinteressen der neuen (benachbarten) Verkehrsanlagen, das, soweit der Konflikt nicht auf der Ebene der Planung zum Ausgleich gebracht werden kann, oft nur durch eine Enteignung von Grundeigentum oder durch freihändigen Erwerb zu entschädigungsrechtlichen Konditionen aufgelöst werden kann. Einigen der dadurch aufgeworfenen Rechtsfragen wird in der vorliegenden Skizze nachgegangen. Sie ist einem Rechtslehrer gewidmet, zu dessen

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Forschungsschwerpunkten stets das Recht des Verkehrswegebaus mit seinen enteignungsrechtlichen Implikationen gezählt hat.

2. Konfliktlösung durch Planung a) Vorgaben für die Planung Die Planung öffentlicher Verkehrsanlagen unterliegt zahlreichen rechtlichen Bindungen, z.B. aus Gründen des Landschaftsschutzes und des Verkehrslärmschutzes 1. Die Interessenkollision zwischen Bergbau und öffentlichen Verkehrsanlagen hat in § 124 BBergG eine Sonderregelung gefunden. Die durch den konkurrierenden Flächenbedarf geprägte Konfliktsituation kann sich aus zwei Gründen noch weiter zuspitzen und eine erwünschte Trennung von Verkehrsanlage und Gewinnungsbetrieb unter Einhaltung hinreichender Abstände erschweren. Ein Grund besteht darin, daß die Gewinnung von Bodenschätzen eine standortgebundene Produktion darstellt, die durch die Unvennehrbarkeit der Lagerstätten und das kontinuierliche Fortschreiten der Förderung in noch nicht abgebaute Felder gekennzeichnet wird 2 . Zum andern ist auch die Linienführung von öffentlichen Verkehrsanlagen, insbesondere Fernstraßen und Eisenbahn, in gewissem Umfange vorgezeichnet. Neben der Siedlungsstruktur des betroffenen Gebiets und dessen topographischen Gegebenheiten sind etwa die Erfordernisse der Raumordnung, des Umweltschutzes sowie des Naturschutzes zu berücksichtigen. Daher kann mit dem Bau der Verkehrswege häufig nicht auf Grundstücke, die keine Bodenschätze enthalten, ausgewichen werden. b) Rücksichtnahmegebot Nach § 124 Abs. 1 S. 1 BBerG sind die Errichtung, Erweiterung, wesentliche Veränderung und der Betrieb von öffentlichen Verkehrsanlagen und von Gewinnungsbetrieben in gegenseitiger Rücksichtnahme so zu planen und durchzuführen, daß die Gewinnung von Bodenschätzen durch öffentliche Verkehrsanlagen und solche Anlagen durch die Gewinnung von Bodenschätzen so wenig wie möglich beeinträchtigt werden. Der Begriff der öffentlichen Ver-

1 Für die Straßenplanung vgl. etwa Dörr, in: Kodal/ Krämer, Straßenrecht, 5. Aufl., Kapitel 34 Rdnr. 47 und 51; für die Planung von Eisenbahnen siehe etwa Steenhojf, DVB1 1996, 1236, 1240 ff. 2 Hoppe, DVB1 1982, 101, 106.

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kehrsanlagen im Sinne des § 124 BBergG umfaßt alle Straßen und Eisenbahnen unter Ausschluß privater Verkehrsanlagen 3. Die angeführte Vorschrift statuiert das Gebot gegenseitiger Rücksichtnahme zwischen dem Träger der öffentlichen Verkehrsanlage und dem Bergbautreibenden 4. Aus der Pflicht zur wechselseitigen Rücksichtnahme folgt, daß die Belange der öffentlichen Verkehrsanlage und des bergbaulichen Gewinnungsbetriebs im Prinzip als gleichrangig einzustufen sind 5 . Das ist gerechtfertigt, da nicht nur die öffentlichen Verkehrsanlagen der Allgemeinheit dienen, sondern auch Gewinnungsbetriebe unter dem Blickwinkel der Rohstoffversorgung und des Lagerstättenschutzes6 (§ 1 Nr. 1 BBergG) einen Gemeinwohlbezug aufweisen.

3. Vorrang der Verkehrsanlage Allerdings gibt es Fälle, in denen der Nutzungskonflikt zwischen Verkehrsanlage und Gewinnungsbetrieb mit Hilfe des Gebots wechselseitiger Rücksichtnahme und der Anpassungs- und Sicherungspflichten nach § 124 Abs. 1 S. 2 i.V.m. §§ 110, 111 BBergG nicht bewältigt werden kann. Diese Fallgestaltung regelt § 124 Abs. 3 BBergG. Die Bestimmung lautet: „Soweit der gleichzeitige Betrieb einer öffentlichen Verkehrsanlage und eines Gewinnungsbetriebes ohne eine wesentliche Beeinträchtigung der Verkehrsanlage ausgeschlossen ist, gehen die Errichtung, Erweiterung, wesentliche Änderung und der Betrieb der öffentlichen Verkehrsanlage der Gewinnung von Bodenschätzen vor, es sei denn, daß das öffentliche Interesse an der Gewinnung der Bodenschätze überwiegt." Durch diese Ausnahmevorschrift 7 wird, wenn der dargestellte Konflikt im Rahmen des Rücksichtnahmeprinzips durch Anpassungs- und Sicherungsmaßnahmen nicht gelöst werden kann, grundsätzlich ein Vorrang der Verkehrsanlage vor der Gewinnung von Bodenschätzen begründet 8. Der Vorrang 3

Boldt/Weller, Kommentar zum BBergG, 1984, § 124 Rdnr. 4; Piens/Schulte/Graf Vitzthum, Kommentar zum BBergG, 1983, § 124 Rdnr. 1. 4 Das Rücksichtnahmegebot gilt auch im nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnis unter Privaten (BGHZ 57, 375, 386). Zum baurechtlichen Rücksichtnahmegebot vgl. etwa Brohm, Öffentliches Baurecht, 1997, § 18 Rdnr. 30 ff m.w.N. 5 Boldt/Weller (Fn. 3), § 124 Rdnr. 3. 6 Zu diesen beiden Gesetzeszielen vgl. auch Piens/Schulte/Graf Vitzthum (Fn. 3), § 124, Rdnr. 8. 7 Boldt/Weller (Fn. 3), § 124 Rdnr. 73. 8 Boldt/Weller (Fn. 3), § 124 Rdnr. 70; Piens/Schulte/Graf Vitzthum (Fn. 3), § 124 Rdnr. 23.

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tritt nicht ein, wenn das öffentliche Interesse an der Gewinnung der Bodenschätze überwiegt. Bei der Prüfung des öffentlichen Interesses ist auf allgemeinwirtschaftliche Ziele, d.h. die Sicherung der Versorgung der deutschen Volkswirtschaft mit bestimmten Rohstoffen (z.B. in einer erheblichen Mangellage) abzustellen9. Es ist also nicht das Interesse des einzelnen Bergbaubetriebs an einem möglichst rentablen Abbau der seiner Verfügungsbefugnis unterliegenden Bodenschätze maßgebend. In der Vorrangklausel des Absatzes 3 wird der Begriff der „wesentlichen Beeinträchtigung der öffentlichen Verkehrsanlage" nicht näher konkretisiert. In der Begründung zu dieser Vorschrift wird als Beispiel für eine wesentliche Beeinträchtigung der Fall genannt, daß auf einer Bundes- oder U-Bahnstrecke grundsätzlich langsam gefahren werden müßte 10 . Nach dem Willen des Gesetzgebers ist mithin darauf abzuheben, ob für längere Zeit erhebliche Verkehrseinschränkungen erforderlich werden 11 . Anknüpfüngspunkt für das Vorrangverhältnis der öffentlichen Verkehrsanlage ist nicht das Grundeigentum des Trägers der Straßenbaulast an dem betreffenden Grundstück, sondern die (beabsichtigte) rechtliche und tatsächliche Indienststellung dieses Grundstücks für die Zwecke des Straßenverkehrs 12. § 124 Abs. 3 BBergG trifft einmal eine privatrechtliche Regelung 13 , wird aber in Verbindung mit § 124 Abs. 1 S. 1 BBergG auch als eine öffentlichrechtliche Planungs- und Abwägungsdirektive zu qualifizieren sein 14 . Zu den Auswirkungen der Vorschrift auf die Höhe der Enteignungsentschädigung vgl. unter II 2 e.

4. Nebeneinander von Verkehrsanlage und Bergbau a) Allgemeines Der Vorrang der öffentlichen Verkehrsanlage vor dem Gewinnungsbetrieb besteht unabhängig von der Frage der zeitlichen Priorität. Für die Anwendung des § 124 Abs. 3 BBergG kommt es also nicht darauf an, daß die Verkehrsan-

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Boldt/Weller (Fn. 3), § 124 Rdnr. 73, 74; vgl. femer Piens/Schulte/Graf Vitzthum (Fn. 3), § 124 Rdnr. 27. 10 BT-Drucks. 8/1315, S. 149 = ZfB 122, 226. 11 Piens/Schulte/Graf Vitzthum (Fn. 3), § 124 Rdnr. 10. 12 OVG Münster NVwZ 1982, 567, 569 m. Besprechung Stüer, NVwZ 1982, 545. 13 Boldt/Weller (Fn. 3), § 124 Rdnr. 70; Stüer, NVwZ 1982, 545, 546 re.Sp. 14 Vgl. auch Piens/Schulte/Graf Vitzthum (Fn. 3), § 124 Rdnr. 23.

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läge zuerst vorhanden war 1 5 . Die Vorrangklausel erfaßt mithin auch den Fall, daß im Zeitpunkt der für die Errichtung der öffentlichen Verkehrsanlage notwendigen Planoffenlegung bereits die Gewinnung von Bodenschätzen betrieben wird. Wenn der gleichzeitige Betrieb beider Einrichtungen nicht möglich ist, muß der Gewinnungsbetrieb aufgrund einer Enteignung weichen. Es gibt aber auch Fälle, in denen beide Einrichtungen nebeneinander betrieben werden können, falls der Bergbautreibende Vorkehrungen getroffen hat, um die Sicherheit der Verkehrsanlage zu gewährleisten. b) Ersatzanspruch des Bergbautreibenden nach § 124 Abs. 4 BBergG § 124 Abs. 4 BBergG räumt für diesen Fall dem Bergbautreibenden unter engen Voraussetzungen einen Anspruch auf Aufwendungsersatz (ohne entgangenen Gewinn 16 ) gegen den Träger der öffentlichen Verkehrsanstalt ein. Der Anspruch ist nur gegeben, wenn der Bergbautreibende in seinem Gewinnungsbetrieb Einrichtungen herstellt, beseitigt oder ändert und diese Maßnahmen ausschließlich der Sicherung der Verkehrsanlage dienen. Hierunter fallen etwa die Errichtung eines Steindamms oder das Verfüllen eines Stollens 17 . c) Ausschluß weitergehender Ansprüche Durch die enge Fassung des Absatzes 4 wollte der Gesetzgeber Ersatzansprüche des Bergbautreibenden dafür, daß dieser sog. Sicherheitspfeiler zum Schutze der Verkehrsanlage stehen ließ und insoweit sein Gewinnungsrecht nicht ausübte, ausschließen18. Der Bundesgerichtshof hatte schon für den zeitlichen Geltungsbereich des Allgemeinen Berggesetzes (ABG) ausgesprochen, daß ein derartiger Anspruch weder nach Bergrecht (§ 154 Abs. 1 ABG) noch nach Enteignungsrecht begründet ist 19 . Er hatte ferner entschieden, daß der Bergbautreibende für vorsorgliche Maßnahmen, die lediglich der Abwendung von Bergschäden dienten, nicht aber für die Sicherheit einer über dem Gru-

15

Boldt/Weller (Fn. 3), § 124 Rdnr 71. Boldt/Weller{Fn. 3), § 124 Rdnr. 85. X1 Boldt/Weller(Fn. 3), § 124 Rdnr. 84. 18 Bericht des BT-Ausschusses für Wirtschaft, BT-Drucks. 8/3965, S. 143 f. = ZfB 122, 327; zustimmend Boldt/Weller (Fn. 3), § 124 Rdnr. 83 und Piens/Schulte/Graf Vitzthum (Fn. 3), § 124 Rdnr. 28. 19 BGHZ 59, 332, 335 f. m. Anm. Kreft, LM Art. 14 (Ba) GG Nr. 34; BGHZ 71, 329, 337 m. Anm. Kreft, LM § 154 Preuß. Allg. BergGNr. 3. 16

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benfeld verlaufenden öffentlichen Verkehrsanstalt erforderlich waren, weder Ersatz nach § 154 Abs. 1 ABG noch Entschädigung aus dem Gesichtspunkt des enteignungsgleichen Eingriffs verlangen konnte 20 . Er hatte zudem einem Bergwerkseigentümer, der infolge der Anlegung einer über das Bergwerksfeld führenden öffentlichen Straße keine Bodenschätze abbauen konnte, berg- und enteignungsrechtliche Entschädigungsansprüche versagt 21. Eine gegen diese Entscheidung gerichtete, auf die Verletzung des Art. 14 GG gestützte Verfassungsbeschwerde ist vom Bundesverfassungsgericht nicht zur Entscheidung angenommen worden 22 . Bereits das Reichsgericht hatte § 154 Abs. 1 ABG als eine spezialgesetzliche Regelung angesehen, die den allgemeinen Entschädigungsanspruch ausschloß23. Der Gesetzgeber hat bei der Schaffung des § 124 Abs. 4 BBergG den Regelungsinhalt des § 154 Abs. 1 ABG in Kenntnis der dazu ergangenen Rechtsprechung, die vorstehend dargestellt ist, übernommen 24. Daher ist der Bergbautreibende auch nach dem gegenwärtigen Rechtszustand auf Ansprüche aus § 124 Abs. 4 BBergG beschränkt, ohne Entschädigungsansprüche wegen Enteignung, enteignungsgleichen Eingriffs oder enteignenden Eingriffs oder wegen ausgleichspflichtiger Inhaltsbestimmung 25 des Eigentums geltend machen zu können. Das gilt jedenfalls, wenn dem Bergbautreibenden kein Grundeigentum im Wege der Enteignung entzogen worden ist.

I I . Enteignung 1. Maßnahmen und Rechtsgrundlagen Auch bei Ausschöpfüng aller Möglichkeiten des Rücksichtnahmegebots des § 124 Abs. 1 S. 1 BBergG wird es immer Fälle geben, in denen ein gleichzeitiger Betrieb von Bergbau und Verkehrsanlage nach den räumlichen Gegebenheiten und technischen Rahmenbedingungen ausscheidet und deshalb zur Errichtung der planfestgestellten öffentlichen Verkehrsanlage eine Enteignung zu Lasten des Bergbautreibenden erforderlich wird. Eine solche planakzessori20

BGHZ 50, 180, 189. BGHZ 59, 332 m. Anm. Kreft, LM Art. 14 (Ba) GG Nr. 34. 22 Mitgeteilt von Kreft in Anm. LM Art. 14 (Ba) GG Nr. 34. 23 ZfB 51, 155, 158; vgl. auch Ebel/Weller, ABG, 2. Aufl. (1963), § 154 Anm. 3. 24 BT-Drucks. 8/1315, S. 149 = ZfB 122, 226. 25 Vgl. dazu etwa BGHZ 128, 204, 205 f.; Ossenbühl, Festschrift für Friauf, 1996, S. 391 IT. 21

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sehe Enteignung kann im Entzug von Grundeigentum oder etwa dessen Belastung mit einer Dienstbarkeit bestehen. Die zwangsweise Bestellung einer Dienstbarkeit zum Zwecke der Errichtung und des Betriebs einer öffentlichen Verkehrsanlage (etwa bei Tunnelführung einer Eisenbahn) bildet eine Teilenteignung qualitativer Art 2 6 . Die dingliche Belastung eines fremden Grundstücks bedeutet im Umfange dieses Rechts eine Entziehung von Eigentümerbefugnissen und damit eine Enteignung 27 . § 19 Bundesfernstraßengesetz (FStrG) und § 22 Allgemeines Eisenbahngesetz (AEG) sehen die planakzessorische Enteignung vor und verweisen im übrigen auf die für öffentliche Straßen geltenden Enteignungsgesetze der Länder (§ 19 Abs. 5 FStrG) bzw. die Enteignungsgesetze der Länder (§ 22 Abs. 4 AEG). Auf die Fälle der Legalenteignung im Gewände einer Legalplanung wird hier nicht näher eingegangen 28 . § 9a Abs. 1 FStrG und § 19 Abs. 1 AEG sehen Veränderungssperren vor, die u.a. mit dem Beginn der Auslegung der Pläne im Planfeststellungsverfahren eintreten. Diese Veränderungssperren können eine sog. „Vorwirkung" der Enteignung auslösen, die für die Qualitätsbestimmung des Enteignungsobjekts bedeutsam ist 29 .

2. Enteignungsfähige Rechtspositionen a) Allgemeines Die Enteignung setzt voraus, daß dem Betroffenen im Zeitpunkt des Eingriffs eine enteignungsgfahige Rechtsposition i. S. des Art. 14 Abs. 1 S. 1 GG zusteht. Der Eigentümer muß in einer konkreten und individuellen Rechtsposition beeinträchtigt sein. Inhalt und Umfang der Eigentümerbefügnisse ergeben sich aus einer Gesamtschau aller seine Rechtsstellung regelnden Vorschriften, gleichgültig, ob sie dem privaten oder öffentlichen Recht angehören 30 . Als der Enteignung unterliegende Rechtspositionen kommen in dem hier zu erörternden Zusammenhang Bergbauberechtigungen, der eingerichtete und ausgeübte Gewerbebetrieb und das Grundstückseigentum in Betracht.

26

BGHZ 83, 61, 63 f. (U-Bahn); Nüßgens/Boujong , Eigentum, Sozialbindung, Enteignung, 1987, Rdnr. 405. 27 BGH (Fn. 26), m.w.N.; BGHZ 120, 38, 42. 28 Siehe dazu etwa BVerfG, NJW 1997, 383 ff. sowie Blümel, DVB1 1997, 205 ff. 29 Au st/Jacobs, Die Enteignungsentschädigung, 4. Aufl., S. 407. 30 BVerfGE 58, 300, 336.

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Karlheinz Boujong b) Bergbauberechtigungen

Die Bergbauberechtigung 31 genießt nach allgemeiner Auffassung den Schutz des Artikels 14 Abs. 1 S. 1 GG 3 2 . Die Enteignung einzelner Grundflächen und die Auferlegung einer Dienstbarkeit stellen jedoch keinen Eingriff in die Bergbauberechtigung als Recht dar. Diese bleibt in ihrem rechtlichen Bestand unberührt. Betroffen ist lediglich ihr Substrat, was unter den Gesichtspunkten des Eingriffs in den Gewerbebetrieb und/oder das Grundeigentum relevant werden kann. c) Eingerichteter

und ausgeübter Gewerbebetrieb

Der aufgrund der Gewinnungsberechtigimg für bergfreie oder grundeigene Bodenschätze (§ 4 Abs. 6 BBergG) unter Kapitalaufwand und Arbeitseinsatz „ins Werk gesetzte" Gewinnungsbetrieb (§ 4 Abs. 8 BBergG) stellt einen ausgeübten und eingerichteten Gewerbebetrieb dar 33 . Dieser gehört nach herrschender Meinung zu den nach Art. 14 Abs. 1 S. 1 GG geschützten Rechtspositionen 34 . Der eigentumsrechtliche Unternehmensschutz nach Art. 14 GG ist jedoch begrenzt auf die Fortsetzung des Betriebs im bisherigen Umfang nach den schon getroffenen betrieblichen Maßnahmen; künftige Chancen und Erwerbsmöglichkeiten sowie beabsichtigte Betriebserweiterungen sind dagegen nicht eigentumsmäßig geschützt35. Eine hoheitliche Einwirkung auf ein für den Gewinnungsbetrieb nutzbares, abbauwürdige Bodenschätze enthaltendes Grundstück bildet erst dann einen enteignungsrechtlich relevanten Eingriff in den Gewerbebetrieb, wenn das Grundstück bereits in die Betriebsorganisation einbezogen war, im Betrieb also schon eine produktive Aufgabe erfüllt 36 . Auch wenn eine Betriebserweiterung geplant und sorgfaltig vorbereitet ist, können Grundstücke, die erst in Zukunft in den Betrieb eingegliedert werden, grundsätzlich noch nicht seiner Substanz zugerechnet werden, selbst wenn sie sich in räumlicher Nähe zu den Betriebsanlagen befinden 37 .

31

Zum Begriff vgl. Boldt/Weller (Fn. 3), § 4 Rdnr. 22, § 116 Rdnr. 5. BVerfGE 77, 130, 13Hoppe, DVB1 1982, 101, 104 ff 33 Hoppe, DVB1 1982, 101, 106; Kimminich, in: Bonner Kommentar zum Grundgesetz, Stand August 1992, Art. 14 Rdnr. 39. 34 BGHZ 99, 24, 28 f.; BGHZ 111, 349, 355 f.; BVerwG 67, 93, 96; Wendt, in: Sachs (Hrsg.), GG, 1996, Art. 14 Rdnr. 26; Boujong, Festschrift für Nirk, 1992, 61 ff. 35 BGHZ 92, 34, 46; BGHZ 132, 181, 187. 36 BGHZ 30, 338, 356 f.; BGHZ 98, 341, 351; Nüßgens/Boujong (Fn. 26), Rdnr. 90. 37 BGHZ 98, 341, 352; BGH NJW 1972, 758 f.; BGH DVB1 1972, 827. 32

Bergbau und öffentliche Verkehrsanlagen

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d) Vorratsgelände Ein Bergbaubetrieb ist allerdings auf eine kontinuierliche Gewinnung von Bodenschätzen angewiesen und daher seiner Natur nach darauf angelegt, sich auf benachbarte Flächen zum Zwecke des weiteren Abbaus auszudehnen38. Der Bergbautreibende wird deshalb bestrebt sein, je nach den Bedürfnissen seines Betriebes laufend neue Grundstücke und Abbauberechtigungen hinzuzuerwerben. Der Bundesgerichtshof hat in mehreren Entscheidungen offengelassen, ob solche Vorratsflächen, auch wenn mit der Gewinnung von Bodenschätzen dort noch nicht begonnen worden ist, schon in den Gewerbebetrieb als produktiv wirkende Bestandteile mit einbezogen sind 39 . Der Bundesgerichtshof hat jedoch in einem Falle, in dem die anzuwendende Entschädigungsnorm (§ 20 Abs. 1 S. 2 Halbs. 2 WasserhaushaltsG) auch die Berücksichtigung bereits getroffener nutzungssteigernder Maßnahmen vorsieht, den Erwerb des Eigentums oder der Nutzungsrechte an kieshaltigen Flächen im Rahmen der maßvollen Vorratswirtschaft eines Kiesabbauunternehmens der Entschädigungsbemessung mit zugrundegelegt 40. Das auf eine dynamische Betriebsweise ausgerichtete Bergbauunternehmen, das nach Erschöpfung der abgebauten Lagerstätten räumlich ständig expandieren muß, bedarf ausreichender Vorratsflächen, um die Gewinnung von Bodenschätzen fortführen zu können. Daher sind die dem Betriebsgelände benachbarten mineralhaltigen Flächen, an denen der Unternehmer Eigentum oder Ausbeutungsrechte erworben hat, dem Bergbauunternehmen besonders zugeordnet und damit der Betriebssubstanz zuzurechnen 41 Das Vorratsgelände ist auch in den Hauptbetriebsplan (§ 52 Abs. 1 S. 1 BBergG) aufzunehmen, wenn innerhalb der Laufzeit des Plans (in der Regel zwei Jahre) der Abbau auf dieses Gelände ausgedehnt werden soll (vgl. § 52 Abs. 4 S. 1, § 55 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 BBergG). Das bedeutet aber nicht, daß nur Felder, die innerhalb von zwei Jahren dem Abbau zugeführt werden sollen, als Vorratsgelände im obigen Sinne qualifiziert werden können. Es kann durchaus im Rahmen einer maßvollen Vorratswirtschaft liegen, für einen längeren Zeitraum als zwei Jahre Vorsorge für eine von Lagerstätten abhängige Betriebsführung zu treffen. 38

Hoppe, DVB1 1982, 101, 106; Piens/Schulte/Graf Vitzthum (Fn. 3), § 51 Rdnr. 2. BGHZ 98, 341, 352; BGH LM Art. 14 (Cc) GG Nr. 48 unter H 2 c = VersR 1986, 372, 374; BGH DVB1 1996, 671 = NVwZ 1996, 930. 40 BGH, LM § 31 WasserhaushaltsG Nr. 3 unter Nr. ffl 3 = ZfW 1980, 351, 354 f.; dazu auch Boujong, ZfW 1983, 1, 10 f. und Krohn/Löwisch , Eigentumsgarantie, Enteignung, Entschädigung, 1984, Rdnr. 154. 41 Hoppe, DVB1 1982, 101, 106; AusvJacobs (Fn. 29), Stichwort: Zugehörigkeit eines Grundstücks zum Gewerbebetrieb, S. 414; vgl. ferner Krolm/Lömsch (Fn. 40). 39

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Karlheinz Boujong e) Grundeigentum

Auch das Grundstückseigentum wird von der Eigentumsgarantie des Artikels 14 Abs. 1 S. 1 GG umfaßt. Das Grundstückseigentum erstreckt sich, wie oben ausgeführt, gemäß § 3 Abs. 2 S. 1 BBergG auch auf die grundeigenen Bodenschätze. Das Recht, grundeigene Bodenschätze zu gewinnen, wird nicht erst durch Erteilung einer besonderen Bergbauberechtigung begründet (vgl. § 6 S. 1 BBergG). Es folgt vielmehr unmittelbar aus dem Eigentum als umfassendem Herrschaftsrecht, das beim Grundeigentum nach § 905 BGB (grundsätzlich) auch den Erdkörper unter der Oberfläche zum Gegenstand hat 42 . Der Gesetzgeber hat die Möglichkeit zur Nutzung grundeigener Bodenschätze (anders als bei den zur Rohstoffversorgung wichtigen bergfreien Bodenschätzen und dem Grundwasser 43) nicht vom Grundeigentum abgespalten44. Die Enteignung von Grundeigentum gewinnt insbesondere dann eine eigenständige rechtliche Bedeutung, wenn das betreffende Grundstück noch nicht (auch nicht als Vorratsgelände) in einen Gewinnungsbetrieb einbezogen ist 45 . Abbauwürdige Vorkommen von grundeigenen Bodenschätzen, deren Ausbeute rechtlich zulässig ist, können einen den Verkehrswert des Grundstücks und damit auch die Enteignungsentschädigung erhöhenden Faktor bilden 46 . Das gilt auch, wenn mit dem Abbau der Bodenschätze noch nicht begonnen worden ist. Auch Nutzungsbefugnisse, die nicht verwirklicht worden sind, genießen Eigentumsschutz, wenn sich die Nutzungsmöglichkeit nach Lage und Beschaffenheit des Grundstücks objektiv anbietet47. Ganz fernliegende Nutzungsmöglichkeiten, die sich auf dem Grundstücksmarkt nicht werterhöhend auswirken, bleiben bei der Bemessung der Entschädigung jedoch unberücksichtigt 48 . 42

Boldt/Weller(Fn. 3), § 3 Rdnr. 38. BVerfGE 58, 300, 328 ff., 338 f. 44 Zur Vereinbarkeit der Abspaltung bergbau- und wasserrechtlicher Nutzungsmöglichkeiten mit der Institutsgarantie des Eigentums vgl. Papier , in: Maunz/Dürig (Hrsg.), GG, Stand Mai 1994, Art. 14 Rdnr. 81; Wieland, in: Dreier (Hrsg.), GG, Bd. I, 1996, Art. 14 Rdnr. 35; Bryde , in: von Münch/Kunig (Hrsg.), GG, Bd. 1, 4. Aufl., Art. 14 Rdnr. 15. 45 Im Falle der Eingliederung in den Betrieb kommen zwei selbständige Eingriffsobjekte in Frage (BGH NJW 1983, 1663; Aust/Jacobs [Fn. 29], Stichwort: Grundstück und Gewerbebetrieb, S. 243 ff ; Nüßgens/Boujong [Fn. 26], Rdnr. 94 f.). 46 Vgl. BGH NVwZ 1982, 644; Aust/Jacobs (Fn. 29), Stichwort: Kieshaltiges Grundstück, S. 251 ff; Krohn/Löwisch (Fn. 40), Rdnr. 266ff; Nüßgens/Boujong (Fn. 26), Rdnr. 60 ff. 47 BGHZ 123, 242, 252 m.w.N. 48 BGHZ 83, 61, 68. 43

Bergbau und öffentliche Verkehrsanlagen

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Wenn die Verkehrsanlage den Vorrang vor dem Abbau von Bodenschätzen genießt (s. oben zu I 3) und/oder Entschädigungsansprüche wegen Abbaubeschränkungen entfallen (vgl. zu I 4 c), ist das bei der Entschädigungsbemessung für Eingriffe in den eingerichteten und ausgeübten Bergbaubetrieb anspruchsmindernd zu berücksichtigen 49 . Es ist aber zweifelhaft, ob dies auch für die Enteignung von Grundeigentum und Ausbeutungsrechten gilt. Hier kann der Berechtigte (anders als ein Betriebsinhaber) die ihm entstehenden Nachteile in der Regel nicht durch Verlagerungs-, Organisations- oder Anpassungsmaßnahmen auffangen. Dieser Gesichtspunkt sollte dazu führen, die Entschädigungsfähigkeit der betroffenen Bodenschätze anzuerkennen. f) Ausbeutungsrechte Im Rahmen der Errichtung öffentlicher Verkehrsanlagen kann es sich auch als notwendig erweisen, die Rechtsstellung von bloßen Abbauberechtigten, die keine Grundstückseigentümer sind, zu entziehen. Dienstbarkeiten, die ein Recht auf Entnahme von Bodenbestandteilen des belasteten Grundstücks zum Gegenstand haben, stehen als dingliche Rechte ebenfalls unter dem Schutz des Art. 14 Abs. 1 S. 1 GG und bilden enteignungsfähige Rechtspositionen. Auch obligatorische, dinglich nicht gesicherte Ausbeutungsrechte, die z.B. auf einem Pachtvertrag beruhen, fallen in den Schutzbereich der Eigentumsgarantie50

49 50

Vgl. Aust/Jacobs (Fn. 29), S. 256; vgl. auch Krohn/Löwisch BVerfGE 83, 201, 208; BGHZ 123, 166, 169.

(Fn. 40), Rdnr. 174.

Die Koordination der Raumplanungen im Spannungsverhältnis zwischen gemeindlicher Ortsplanung und überörtlicher Fachplanung Von Winfried Brohm

I. Die Entwicklung der verschiedenen räumlichen Planungen zum Raumplanungsrecht - Gemeinsamkeiten und Unterschiede Das Fachplanungsrecht bildete von Anfang an einen, um nicht zu sagen den zentralen Schwerpunkt in der wissenschaftlichen Arbeit des Jubilars. Dabei standen zu Recht die Planfeststellungen im Vordergrund. Schließlich bilden sie bis heute die Kernmaterie dieses Rechtsgebiets. Die geschichtlichen Grundlagen erarbeitete sich der Jubilar in seiner Dissertation über „Die Planfeststellung im preußischen Recht und im Reichsrecht"; dem geltenden Recht galt seine umfangreiche Habilitationsschrift über „Die Planfeststellung". Seitdem sind aus seiner Feder eine Fülle von Abhandlungen zu den verschiedensten Problemen der Planfeststellung entstanden; sie auch nur im Titel zu erwähnen, müßte den zur Verfügung gestellten Raum sprengen. Lange Zeit standen die zahlreichen einzelnen Planfeststellungen, etwa nach dem Fernstraßengesetz, dem Wasserstraßengesetz, dem Luftverkehrsgesetz für die Flughafenplanung u.a. Fachgesetzen, isoliert für sich allein. Erst in neuerer Zeit werden sie als ein einheitliches Rechtsgebiet gesehen. Indem der Jubilar die einzelnen Fachplanungsgesetze genau analysierte und die gemeinsamen Strukturen herausarbeitete und systematisierte, hat er einen maßgeblichen Beitrag zu dieser die einzelnen Fachplanungen übergreifenden, einheitlichen Behandlung des Fachplanungsrechts geleistet. Erst auf einer solchen Basis konnten in der Folgezeit die Grundstrukturen eines einheitlichen Fachplanungsrechts in Wissenschaft und Rechtsprechung herausgearbeitet, mit dem gemeindlichen Bauleitplanungsrecht konfrontiert und schließlich immer mehr in Richtung auf ein einheitliches räumliches Planungsrecht fortentwickelt werden. Die Gesetzgebung vollzog dies dann vor allem in verfahrensrechtlicher Hinsicht nach1. Die unterschiedliche rechtliche Qualifizierung der maß-

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Winfried Broh

geblichen Planungsinstrumente, der Planfeststellung als Verwaltungsakt und des Bebauungsplans als Rechtsnorm, wurde zwar beibehalten. Dafür sprechen auch zahlreiche Gründe. So steht etwa die Sofortwirkung der Planfeststellung, sogar verbunden mit einer Konzentrationswirkung für eventuell erforderliche weitere Verfahren, im Gegensatz zur Umsetzungsbedürftigkeit des Bebauungsplans; weiter ist die Planfeststellung auf ein einzelnes Planungsziel begrenzt, etwa die Verbesserung der Verkehrsverhältnisse bei der Planfeststellung für Straßen, im Unterschied zum Bebauungsplan, für den die Zielvorgaben auf Grund der vorhandenen Situation und nach dem Entwicklungskonzept der Gemeinde von dieser erst noch präzisiert werden müssen. Allerdings weist auch der Bebauungsplan Elemente des Verwaltungsakts auf, indem er nicht nur normativ eine städtebauliche Ordnung aufstellt, sondern als „Vollzugsnorm" auch bereits den jeweiligen Vollzugsakt im einzelnen genau festlegt, so daß dieser i.d.R. zu einem bloßen Formalakt wird, der einer Subsumtionsoder gar Rechtskonkretisierungsleistung nicht mehr bedarf. Umgekehrt legt die Planfeststellung nicht nur die Nutzung des jeweiligen Grundstücks fest, sondern stellt eine darüber hinausgehende bleibende Ordnung, etwa der Verkehrswege im Raum, auf. Insofern lassen sich beide Planungsinstrumente nicht eindeutig als Rechtsnorm oder Verwaltungsakt qualifizieren. Dementsprechend sind die mit dieser Qualifizierung jeweils verbundenen rechtlichen Voraussetzungen und Rechtswirkungen je nach der Prävalenz mehr den Regeln für die Rechtsnormen oder denen für Verwaltungsakte zu entnehmen oder anzunähern. Die unterschiedliche Qualifizierung der beiden Planungsinstrumente vermag die Nähe zu der jeweiligen Handlungsform zu verdeutlichen. Unabhängig davon wurden jedoch in den materiellen Anforderungen zunehmend zentrale Institutionen des Bauplanungsrechts auch auf das Planfeststellungsrecht übertragen. Dies gilt zunächst für das Erfordernis der Planrechtfertigung; es beruht auf der Erkenntnis, daß die hoheitliche Planung ihre Legitimation nicht in sich trägt 2 , sondern im Hinblick auf die Individualrechte der Betroffenen der besonderen Rechtfertigung bedarf. Diese ergibt sich bei der örtlichen Gesamtplanung aus der Erforderlichkeit zur Verwirklichung der

1 Zu den Gesetzen zur Bereinigung des Verwaltungsverfahrensgesetzes von 1986/1988, vgl. Stelkens/Bonk/Leonhardt, VwVfG, 3. Aufl. 1990, § 1 Rdnr 139 ff., m.w.N.; zur Beschleunigungsgesetzgebung vgl. Steinberg, Zeit, Umwelt und Beschleunigung bei der Planung, NuR 1996, 6, 10 ff.; Schmitz/Wessendorf Das Genehmigungsbeschleunigungsgesetz - Neue Regelungen im Verwaltungsverfahrensgesetz und der Wirtschaftsstandort Deutschland, NVwZ 1996, 955, 959 ff. Zur Entwicklung des Fachplanungsrechts allgemein siehe Wahl, NVwZ 1990,426 f. 2 BVerwGE 71, 166, 168; 56, 110, 118; Wahl (Fn. 1), S. 434.

Die Koordination der Raumplanungen

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gemeindlichen städtebaulichen Konzeption, bei der Fachplanung aus dem bereits aus dem Gesetz zu entnehmenden Ziel, das wiederum durch die vorgegebene konkrete Situation seine Präzisierung erfährt. Insofern setzt die Planrechtfertigung eine Zielkonformität voraus, wobei die Zielbestimmung allerdings bei den Fachplanungen in weit höherem Maße gesetzlich determiniert ist als bei den Gesamtplanungen. Beiden Planungsarten ist damit weiter gemeinsam, daß das Gesetz der planenden Instanz in größerem oder geringerem Umfange die Befugnis übertragen hat, für ein bestimmtes, dem Gemeinwohl dienendes Vorhaben „private und öffentliche Belange in einem Akt planender Gestaltung durch Abwägung zum Ausgleich zu bringen und erforderlichenfalls zu überwinden" 3 . Diese mehr oder weniger offene Ermächtigung bedeutet ein Defizit an gesetzlicher Determination der Verwaltung, wie sie nach dem rechtsstaatlichen Gesetzesvorbehalt eigentlich zu fordern wäre 4. Es ist hinzunehmen, weil die rechtlich legitimierte Gestaltungsfünktion der Verwaltung mit einer konditionalen Programmierung nicht wahrgenommen werden kann. Denn die planende Verwaltung sieht sich jeweils vielfaltigen und unterschiedlichen Gegebenheiten und Notwendigkeiten gegenüber, also Problemkonstellationen, die sich i m vorhinein nicht absehen und daher auch nicht regeln lassen. Der Gesetzgeber muß sich daher darauf beschränken, der Planungsinstanz Ziele und Mittel zur Zielerreichung vorzugeben, den Weg zum Ziel aber ihrer Bestimmung zu überlassen. Dabei kann die Zielbestimmung je nach dem Gestaltungsauftrag enger oder weiter gehen. Sie wird ergänzt durch zwingende gesetzliche Planvorgaben, „Planungsleitsätze" und andere gesetzliche Regelungen, die in der jeweiligen Situation u.U. zusätzlich zur Anwendung kommen. Die rechtsstaatliche Kompensation für den verbleibenden gestalterischen Spielraum der planenden Behörde aber bildet das vor allem von der Rechtsprechung entwickelte Abwägungsgebot. Es gilt daher nach der Rechtsprechung zu Recht als verfassungsrechtlicher Grundsatz auch für die Fachplanungen, bei denen es gesetzlich nicht besonders erwähnt ist 5 . Diese wesentlichen Grundstrukturen kennzeichnen zumindest jede die Bodennutzung bestimmende Planung, sei sie nun Fachplanung, in Form der Planfeststellung oder in sonstigen Formen, oder Gesamtplanung, wie die Bau3 Seit BVerwGE 34, 301, 304 ständige Rspr., aus neuerer Zeit vgl. BVerwGE 74, 124, 133; 66,133, 135 u.a. 4 Schmidt-Aßmann, Planung als administrative Handlungsform und Rechtsinstitut, in: FS Schlichter, 1995, S. 3 ff. (12); Schulze-Fielitz, Das Flachglas-Urteil des Bundesverwaltungsgerichts, Jura 1992, 201, 204; Brohm, Öffentliches Baurecht, 1997, § 13 Rdnr.2. 5 BVerwGE 56, 110, 122; für die bauplanerische Abwägung BVerwG, DÖV 1970, 64; BVerwGE 41, 67; für landesrechtlich normierte Abwägungsmodelle BVerwGE 61, 295, 301. 6 FSBlümel

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Winfried Broh

leitplanung auf der Ortsebene oder die Raumordnung für überörtliche Belange. Wenn neuerdings wieder mehr die Unterschiede zwischen der in der Zielbestimmung stärker determinierten Fachplanung und der Gesamtplanung auf Ortsebene hervorgehoben werden 6, handelt es sich hier um Modifikationen, die aber an der allen (Bodennutzungs-)Planungen gemeinsamen Grundstruktur nichts ändern. Sie rechtfertigen es, Bodennutzungsregelungen in den verschiedenen Formen der örtlichen sowie überörtlichen Fach- und Gesamtplanungen einheitlich als spezifisches Raumplanungsrecht zu erfassen. Diese Erkenntnis ist vor allem von Bedeutung für die Beurteilung sich überschneidender oder gar widersprechender Bodennutzungsplanungen. Die Problematik wurde ebenfalls von Blümel früh gesehen7 und hat zu zahlreichen Bearbeitungen Anlaß gegeben. Auch der Verfasser dieses Beitrags wurde dazu angeregt, die Kollision zwischen überörtlicher Fachplanung und gemeindlicher Ortsplanung zu untersuchen und diese Fragestellung später auf die überörtlichen Gesamtplanungen und ihre Vorgaben für die Ortsplanung zu erweitern. Sie werden insbesondere im Verhältnis von überörtlicher Fach- oder auch Gesamtplanung zur gemeindlichen Ortsplanung und umgekehrt immer wieder aktuell. Beginnt sich für den zuerst genannten Fall allmählich eine einheitliche Meinung durchzusetzen, hat die Entwicklung in der 2. Fallkonstellation, dem Verhältnis der Ortsplanung zur bestehenden Fachplanung, bis heute noch kaum begonnen. Beides bedarf der näheren Darlegung.

II. Das Verhältnis der Raumplanungen zueinander - Von der hierarchischen Unterordnung zur kooperativen Gleichordnung Raumplanungen werden von den unterschiedlichsten Stellen vorgenommen. So bestehen besondere Zuständigkeiten für die Planung von Bundesfernstraßen, für Landesstraßen und Ortsstraßen; entsprechendes gilt für die Festlegung der Eisenbahntrassen, der Telegraphenwege, der Mülldeponien und anderer auf ein bestimmtes Fachgebiet begrenzter Planungen. Neben diesen Fachplanungen bestehen flächendeckende Gesamtplanungen der Gemeinden auf Ortsebene sowie der Regionen und der Bundesländer auf überörtlicher Ebene. Ihre 6

Erbguth, Bauleitplanung und Fachplanung: Thesen, NVwZ 1995, 243 ff; Burgi, Die Planfeststellung umweltrelevanter Vorhaben im Schnittpunkt von Planung und Verhaltenssteuerung, JZ 1994, 654, 661 f.; Schmidt-Aßmarm (Fn. 4), S. 3, 13 ff., m. w.N. 1 Blümel, Das Zusammentreffen von Planfeststellungen, DVB1 1960, 697; ders., Die Planfeststellung, Bd. I, 1967, 228 ff.

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Nutzungsregelungen treffen oft dasselbe Gebiet. Insofern kann es zu widersprüchlichen Festlegungen kommen, denn der Raum, den die eine Planungsinstanz für sich in Anspruch nimmt, steht dann der anderen nicht mehr zur Verfügung. Derartige Kollisionen wurden erst in den sechziger Jahren, nicht zuletzt nach dem Erstarken der gemeindlichen Ortsplanung auf Grund des Bundesbaugesetzes von 1960, etwa anhand der Frage problematisiert, ob der Bund beim Bau von Eisenbahnstrecken, Fernstraßen oder militärisch notwendigen Treibstoff-Fernleitungen an das Landesrecht, einschließlich der gemeindlichen Bebauungspläne gebunden sei, oder ob er diese Bauvorhaben ohne weiteres, z.B. auch durch ein Naturschutzgebiet, legen dürfe. Die bis dahin nahezu einhellige Meinung ging von der „Exemtion" der Bundesverwaltung vom Landesrecht aus. Man argumentierte, der Bund sei den Gliedstaaten übergeordnet; er habe für diese Planungen die ausschließliche Gesetzgebungsund Verwaltungskompetenz und Bundesrecht breche Landesrecht. Diese Grundsätze würden durch § 38 BBauG, wonach die dort genannten Planfeststellungen an die Festsetzungen in einem Bebauungsplan der Gemeinde nicht gebunden seien, nur bestätigt. Dieser Argumentation wurde dann entgegengehalten, daß derartige Kollisionen darauf zurückzuführen seien, daß sich die unterschiedlichen, abstrakt voneinander abgegrenzten Kompetenzen des Bundes, der Länder und der Gemeinden im konkreten Anwendungsfall überschneiden können, weil sich ihre Ausübung auf dasselbe Gebiet beziehe. M.a.W: Jede Kompetenzausübung wirkt in eine vielfaltig miteinander verflochtene Umwelt hinein und berührt damit andere Kompetenzbereiche. Insofern vermag die kompetenzgemäße Bodennutzungsregelung der einen Planungsinstanz mit der ebenfalls kompetenzgemäßen Regelung der anderen zu kollidieren. In diesen Fällen ergibt sich jedoch für eine Kompetenz allein aus dem Umstand, daß sie der Wahrnehmung räumlich weiterreichender Interessen dient, rechtlich noch kein Vorrang vor räumlich begrenzteren Kompetenzen des Landes und der Gemeinde. Auch der Grundsatz, „Bundesrecht bricht Landesrecht" kommt nur zur Anwendung, wenn das Bundesrecht insbesondere auch kompetenzrechtlich zulässig erlassen wurde. Weist der Gesetzgeber Verwaltungsinstanzen Kompetenzen zu, dann kann er, wie in § 38 BBauG geschehen, einzelnen Kompetenzen für den Fall von Überschneidungen einen Vorrang einräumen. Aber er ist dabei an die Verfassung gebunden; so läßt sich z.B. ein absoluter Vorrang der Bundes- und Landesplanung vor der Ortsplanung angesichts der verfassungsrechtlich gewährleisteten Planungshoheit der Gemeinde nicht generell rechtfertigen. Beruhen solche Kollisionen auf Kompetenzüberschneidungen, weil zur Regelung der Bodennutzung für ein bestimmtes Gebiet eine Vielzahl von Planungsinstanzen unter unterschiedlichen Gesichtspunkten zuständig sind, so ergibt sich die Lösung des Problems nicht aus Gesichtspunkten der Souveränität und der Überordnung

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des einen über den anderen, sondern, wie der Grundsatz der Bundestreue für das Verhältnis von Bund und Ländern 8 , aus dem Gedanken der staatlichen Einheit, die durch Einigung und Kooperation der verschiedenen Entscheidungszentren immer wieder aufs neue hergestellt werden muß9. Daraus folgt für die Wahrnehmung der einzelnen Kompetenzen nicht nur negativ eine äußerste Mißbrauchsgrenze, sondern auch positiv die Pflicht, auf diese Einheit hinzuwirken. Das bedeutet nicht Uniformität, aber Homogenität im Grundsätzlichen. Aus diesem Gedanken heraus wurde das Gebot kompetenzieller Rücksichtnahme für das Zusammenwirken der verschiedenen Kompetenzträger entwickelt. Danach kann, ähnlich wie bei Grundrechtskollisionen, ein Kompetenzkonflikt nicht einseitig zugunsten des einen oder anderen Planungsträgers gelöst werden; vielmehr ist in der konkreten Sachlage im Wege praktischer Konkordanz eine Lösung zu finden, bei der keine Kompetenz von der anderen völlig verdrängt wird, sondern jede im Rahmen der staatlichen oder regionalen Einheit ihre Funktion zu erfüllen vermag 10 . Das „Gegenstromprinzip" des Raumordnungsrechts 11 ist eine spezielle Ausgestaltung dieses Grundsatzes; es sollte nicht nur verfahrensrechtlich, sondern auch inhaltlich stärker zur Geltung gebracht werden. Dieser dem staatlichen Organisationsrecht entnommene kompetenzrechtliche Ansatz sieht die gemeindliche Ortsplanung als Bestandteil des räumlichen Planungssystems, ohne sie der überörtlichen Fach- und Gesamtplanung unterzuordnen und ihrer Eigenständigkeit zu berauben. Er fand zunächst wenig Beachtung, weil die meisten zur gerichtlichen Entscheidung stehenden Fälle Kollisionen von überörtlichen Planungen mit gemeindlichen Planungen betrafen und damit die zur gemeindlichen Selbstverwaltung gehörende verfassungsrechtlich gewährleistete Planungshoheit der Gemeinden beschränkten. Da im staatspolitischen Liberalismus die gemeindliche Selbstverwaltung als Teil der staatsfreien gesellschaftlichen Sphäre angesehen wurde, wird noch heute vielfach die Garantie der Selbstverwaltung „wie" eine grundrechtliche, also individualrechtliche Gewährleistung behandelt. Dementsprechend beurteilt man die Zulässigkeit solcher Einschränkungen der Planungshoheit als

8

Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, 20. Aufl. 1995, § 7 Rdnr. 268 ff., m.w.N. 9 Smend, Verfassung und Verfassungsrecht, 2. Aufl. 1962, S. 271 ff.; Hesse (Fn. 8), § 7 Rdnr. 269, m.w.N. 10 Brohm, Landeshoheit und Bundesverwaltung, 1968, S. 28 ff.; dersGemeindliche Selbstverwaltung und staatliche Raumplanung, DÖV 1989, 429,438, jew. m.w.N. 11 § 1 Abs. 3ROG(1997).

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„Eingriffe" und ihre Zulässigkeit am Verhältnismäßigkeitsprinzip und der Wesensgehaltsgarantie 12. Gemäß diesem Ansatz wurde in den siebziger Jahren, als die Initiierung der Raumordnung durch die Länder auf Grund des Raumordnungsgesetzes des Bundes von 1965 wirksam wurde, die Zulässigkeit verbindlicher Festsetzungen in den Raumordnungs- bzw. Landesentwicklungsplänen der Länder und ihren Konkretisierungen in der Regionalplanung nach diesen individualrechtlichen Kriterien beurteilt. Auf diesem Weg kam man zu den allgemeinen Grundsätzen, daß Einschränkungen der gemeindlichen Planungshoheit nur erfolgen dürften, soweit sie aus überörtlichen Planungsinteressen erforderlich seien 13 . Weiter müßten sie sich grundsätzlich räumlich und möglichst auch fünktional auf eine Rahmenplanung beschränken und dürften nur aus bestimmten Gründen gemeindescharf, oder gar (gemeinde-)bereichsscharf und in exzeptionellen Fällen sogar parzellenscharf sein 14 . M i t dem Gebot der kompetenziellen Rücksichtnahme käme man in diesen Fällen im wesentlichen zu gleichen Ergebnissen, könnte aber Einzelfalle u.U. flexibler behandeln. Die Gerichte erreichen letzteres nach dem überkommenen individualrechtlichen Ansatz z.T. auch jetzt schon, indem sie einzelne Planfestsetzungen entsprechend flexibel interpretieren. So hat der VGH BW beispielsweise die Ansiedlung eines Verbrauchermarkts mit einem Einzugsbereich von 80 km im Umkreis in einem Unterzentrum zugelassen, indem er diese Einstufüng primär als Entwicklungsauftrag und nicht als Obergrenze der (möglichen) Entwicklung interpretierte. Diese Interpretation sollte allerdings nur solange gelten, als die Gesamtkonzeption der Landesplanung für den konkreten Raum nicht erheblich beeinträchtigt oder zunichte gemacht werde 15 . Für Vorranggebiete ergibt sich in funktioneller Hinsicht schon aus dem Begriff des „Vorrangs" eine Flexibilität für die Bodennutzung. In räumlicher Hinsicht sind sie jedoch ohne eine bereichsscharfe Abgrenzung nicht darstell-

12

Maurer, Verfassungsrechtliche Grundlagen der kommunalen Selbstverwaltung, DVB1 1995, 1037, 1041 ff., m.w.N., Stern, Staatsrecht I (1984), § 12 II 4; Gern, Kommunalrecht für Baden-Württemberg, Rdnr. 41 ff. m.w.N.; Blümel, Wesensgehalt und Schranken der kommunalen Selbstverwaltung, in: v.Mutius (Hrsg.), Selbstverwaltung im Staat der Industriegesellschaft, Fg. v.Unruh, 1983, 265, 298 ff. m.w.N. 13 Stdg. Rspr., vgl. BVerfGE 56, 298, 314; 76, 107, 119 ff.; 79, 127, 153; BVerwGE 6, 342, 346; BVerwG DÖV 1988, 835. 14 BVerwGE 90, 329, 337; BVerwG NVwZ 1993, 167, 168; Schmidt-Aßmann, Fortentwicklung des Rechts im Grenzbereich zwischen Raumordnung und Städtebau, Schriftenreihe des BMBau, Heft Nr. 055 (1977), S. 54; ders., Rechtsstaatliche Anforderungen an Regionalpläne, DÖV 1981, 237, 243 f., m.w.N.; Steiner in: Steiner (Hrsg.), Besonderes Verwaltungsrecht, 4. Aufl. 1992, S. 469; Brohm, Verwirklichung überörtlicher Planungsziele durch Bauleitplanung, DVB1 1980, 653 f. 15 VGH Mannheim, NJW 1977, 1465, 1467 (=VB1BW 1981, 45, 47).

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bar; daraus ergibt sich ihre rechtliche Zulässigkeit 16 . Die Verwirklichung der überörtlichen Planziele verlangt jedoch i.d.R. nicht eine exakte Einhaltung dieser Grenzlinie. Nach dem Gebot kompetenzieller Rücksichtnahme muß daher eine unbedeutende Grenzverschiebung zulässig sein 17 . Auch sie läßt sich bei einem individualrechtlichen Ansatz interpretatorisch begründen, indem man insoweit von einem überschießenden Erklärungsgehalt ohne Bindungswirkung ausgeht18. Selbst parzellenscharfe situations- oder lagebedingte Standortfestsetzungen, wie z.B. für Talsperren oder Kernkraftwerke 19 , kann man über eine „planungsrechtliche Ersetzungsbefugnis" der Gemeinde flexibel gestalten, wenn sich die raumordnerischen Zwecke an einer anderen Stelle des Gemeindegebietes in gleicher Weise verwirklichen lassen. Bei einer Standortvorsorgeplanung könnte in bestimmten Sondersituationen, wenn noch genügend Vorratsflächen für den prognostizierten Bedarf andernorts vorhanden blieben, über das Verhältnismäßigkeitsprinzip ein besonderes gemeindliches Planungsbedürfnis Vorrang erhalten. Die Anwendung des Verhältnismäßigkeitsprinzips versagt jedoch auf jeden Fall, wenn die Beeinträchtigung der Planungshoheit der Gemeinde durch eine Nachbargemeinde erfolgt. Denn die Kriterien der Erforderlichkeit und Verhältnismäßigkeit i.e.S. setzen ein übergeordnetes Ziel - und bei der Raumplanung auch eine entsprechende übergeordnete Zieldefinitionsmacht - voraus, an dessen Erreichung die Erforderlichkeit und Angemessenheit der Maßnahme gemessen werden kann. Zwischen gleichrangigen Partnern aber stellt sich die Frage, an wessen Ziel die Erforderlichkeit und Angemessenheit des Eingriffs zu messen sein soll. Hier gibt das Verhältnismäßigkeitsprinzip keinen Maßstab mehr. Wird in der Rechtsprechung dennoch darauf Bezug genommen, handelt es sich der Sache nach lediglich um einen Verweis auf eine Abwägung, für die keine inhaltlichen Maßstäbe bestehen. Das kompetenzielle Rücksichtnahmegebot dagegen verlangt nach dem Prinzip der praktischen Konkordanz einen Ausgleich, bei dem die betroffenen Kompetenzträger jeweils soweit wie möglich ihre Aufgaben wahrnehmen können und keiner in der Ausübung seiner Kompetenz völlig verdrängt wird. Unabhängig von diesen Ungereimtheiten bei der Anwendung des Verhältnismäßigkeitsprinzips kommt man mit dem individualrechtlichen Ansatz generell hinsichtlich der anderen rechtsstaatlichen Anforderungen für die Zulässigkeit eines „Eingriffs" in Schwierig16

BVerfGE 76, 107, 119 ff.; BVerwGE 90, 329; BVerwG NVwZ 1993, 167, 168. Brohm , Öffentliches Baurecht, § 12 Rdnr. 14, § 36 Rdnr. 36 f., ders. (Fn. 14), DVB1 1980, 653,654. 18 BVerwGE 90, 329, 337; VGH Mannheim, VB1BW 1981, 45; Schmidt-Aßmann (Fn. 14), DÖV 1981,237,243. 19 Siehe oben, Fn. 17. 17

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keiten. Das gilt insbesondere für den Gesetzesvorbehalt, weil zahlreiche Pläne nicht in Gesetzesform erlassen werden und nicht einmal auf Grund einer einigermaßen präzisen, d.h. in ihrer Konkretisierung voraussehbaren gesetzlichen Ermächtigung beruhen. § 1 I V BauGB, wonach die Gemeinden die Bauleitpläne den Zielen der Raumordnung anzupassen haben, vermag als inhaltlich völlig offene Globalverweisung dem Bestimmtheitsgebot nicht zu genügen. Der individualrechtliche Ansatz ist darüber hinaus zum Schutze der gemeindlichen Planungshoheit heute schon deshalb überholt, weil die Verfassung das Selbstverwaltungsrecht nicht mehr bei den Grundrechten, sondern bei den Bestimmungen über die Staatsorganisation, also als verfassungsrechtliche Gewährleistung einer Kompetenz, verankert hat. Für andere Kompetenzkollisionen scheidet der individualrechtliche Ansatz ohnehin aus. Auch liier gilt der kompetenzrechtliche Grundsatz der Rücksichtnahme, auch wenn diese Kompetenzen nicht verfassungsrechtlich gewährleistet sind und gegen ihre Beschränkung daher nicht unbedingt eine entsprechende Klagemöglichkeit besteht. Diese Feststellung erhält nach der Novellierung des Baugesetzbuches von 1997 ein besonderes Gewicht, weil mit der Einfügung des § 1 a BauGB der gemeindlichen Planung zusätzliche weitreichende Planungsmöglichkeiten auf dem Gebiete des Naturschutzrechts erschlossen wurden. Diese können sie jedoch nicht dazu berechtigen, etwa Schutzgebietsausweisungen ohne Rücksicht auf den Willen der fachkompetenteren Naturschutzbehörden vorzunehmen. Der Grundsatz der kompetenziellen Rücksichtnahme wird heute teils ausdrücklich, zumindest aber der Sache nach als ein im konkreten Einzelfall kompetenzbeschränkendes Regulativ weithin vertreten 20. Er fand jetzt auch Eingang in das novellierte Baugesetzbuch. So verlangt der neu gefaßte § 38 BauGB von der Fachplanung ausdrücklich, daß sie die „städtebaulichen Belange" mitzuberücksichtigen habe. Weiter sieht § 11 des novellierten ROG 1997 für überörtliche Planungen auf Antrag anderer Planungsträger ein „Zielabweichungsverfahren" vor. Er vermeidet damit starre Grenzziehungen, wie

20 Vgl. z.B. BVerwG, DVB1 1984, 88, 89; VGH Mannheim, NJW 1977, 1465, 1467; VGH Mannheim, NJW 1981, 45, 47 und jetzt BVerfGE 81, 310, 338; femer Schrödter in: Schrödter, BauGB, 5. Aufl. 1992, § 38 Rdnr. 14 a; Brosche, Voraussetzungen und Umfang der Anpassungspflicht der Bauleitplanung an die Ziele der Raumordnung und Landesplanung sowie die Abstimmung der Bauleitpläne benachbarter Gemeinden, DVB1 1980, 213, 218; Bichel, Sicherung der Selbstverwaltung in der Verwaltungsgerichtsbarkeit, in: v.Mutius (Hrsg.), Selbstverwaltung im Staat der Industriegesellschaft, Fg. v.Unruh, 1983, S. 1035, 1040; ähnlich wohl Hoppe, Kommunale Selbstverwaltung und Planung, in: v.Mutius (Hrsg.), Fg. v.Unruh, ebd., S. 555, 569; Dürr in: Brügelmann, Kommentar zum BauGB, § 38 Rdnr. 23; Jarass, Kartellrecht und Landesrundfunkrecht, 1991, S. 35 ff.; 49.

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sie im Individualbereich zur Sicherung von Freiheitsräumen gegenüber Eingriffen der Staatsgewalt angemessen erscheinen. Statt dessen geht er von einer einheitlichen Aufgabe verschiedener gleichrangiger Kompetenzträger zu einer sinnvollen Planung des gesamten Raumes aus. Daraus ergibt sich eine eigenständige Gestaltungsfunktion des einzelnen Kompetenzträgers für seinen Aufgabenbereich, aber auch eine positive Mitwirkungspflicht dahingehend, daß im Interesse einer sinnvollen Planung des gesamten Raumes auch die anderen Kompetenzträgern übertragenen Aufgaben optimal wahrgenommen und aufeinander abgestimmt werden. Alle diese Regelungen entsprechen dem neuen kompetenzrechtlichen Ansatz, der die frühere Vorstellung einer hierarchisch von oben nach unten geordneten Raumplanung durch ein System eigenständiger, kooperativ agierender Planungsinstanzen ersetzt. Da die raumplanerischen Anforderungen mit Ausnahme der verbindlichen Fachplanungen erst über den Bebauungsplan der Gemeinde Allgemeinverbindlichkeit erlangen, kommt der Ortsplanung in diesem System eine zentrale Stellung zu. Zur Bewahrung der Eigenständigkeit der Gemeinde ist ihre Planungskompetenz verfassungsrechtlich über das Selbstverwaltungsrecht gewährleistet und kann so notfalls auch gerichtlich eingefordert werden.

I I I . Offene Fragen: Gemeindliche Planungskompetenz über fachplanerisch erfaßte Grundstücke - Die Nutzung von Bahngelände für bahnfremde Zwecke, wie die Einrichtung von Einkaufszentren 1. Die Privilegierung, Eigenart und Umfang Wie sehr die alten Vorstellungen von der Exemtion der nach § 38 BauGB privilegierten Fachplanung von bauplanungsrechtlichen Festlegungen bis in die jüngste Zeit fortdauerten, zeigt die weithin von der (früheren) Bundesbahn vertretene und praktizierte Ansicht, ein planfestgestelltes Gelände könne zur Einrichtung von großflächigen Einzelhandelszentren, Verbrauchermärkten und anderen bahnfremden Einrichtungen umgenutzt werden, ohne einer Prüfung seiner bauplanungsrechtlichen Zulässigkeit nach §§ 29 ff. BauGB unterworfen zu sein 21 . Diese Praxis gründete sich auf die Rechtsstellung der Bundesbahn als öffentliche Verwaltung des Bundes, der nach § 36 BBahnG 22 die Befugnis zukam, das von ihr dazu benötigte Gelände durch eine Planfeststellung selbst festzusetzen, die nach § 38 BauGB an die Stelle der bauplanungs21 22

Roeser , in: BerlKomm, 1995, § 38 Rdnr. 15 m.w.N. BBahnG v. 13.12.1951 i.d.F. v. 18.2.1986 (BGBl I S. 265).

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rechtlichen Regelungen tritt. Diese Planfeststellung war notwendig für den Bau und die Änderung von Anlagen; lediglich Änderungen von unwesentlicher Bedeutung bedurften keiner Planfeststellung, sofern die Belange anderer nicht berührt wurden oder die Betroffenen der Änderung zugestimmt hatten. Erst das Grundsatzurteil des BVerwG v. 16.12.198823 verhalf der neuen Ansicht, daß die Bundesplanung sich nicht ohne weiteres über Landesrecht hinwegsetzen kann, prinzipiell zur Durchsetzung, ließ aber zahlreiche Fragen noch offen 24 . Die Privatisierung der Bundesbahn auf Grund der Verfassungsänderung vom 20.12.1993 unter Einfügung von Art. 87 e GG hat die Rechtslage modifiziert, die hier angeschnittene Problematik jedoch nicht grundsätzlich verändert. Die Eisenbahnen des Bundes werden jetzt zwar als Wirtschaftsunternehmen in privatrechtlicher Form, der DB AG, geführt, die Eigentümer der bahnnotwendigen Liegenschaften und sonstiger Vermögen ist 2 5 ; der Bau und die Änderung von Betriebsanlagen bedürfen aber nach wie vor einer Planfeststellung. Diese wird jetzt allerdings nicht mehr durch die Bahn selbst, sondern durch das Eisenbahn-Bundesamt als einer Bundesoberbehörde des Bundesministeriums für Verkehr durchgeführt 26. Insofern kann nach wie vor von der erwähnten Grundsatzentscheidung des BVerwG ausgegangen werden; Änderungen auf Grund der Privatisierung und der ab 1.1.1998 geltenden Novellierung des Baugesetzbuchs sind dabei aber ergänzend in Rechnung zu stellen. Zutreffend hat das BVerwG in dieser Grundsatzentscheidung festgehalten, daß § 38 BauGB die nach § 36 BBahnG durch Planfeststellung zu regelnden Nutzungen aus der auf das jeweilige Gemeindegebiet bezogenen umfassenden Planungshoheit der Gemeinde ausnimmt. Für diese Anlagen findet also kein bauaufsichtliches Verfahren statt, in dem die §§ 29 ff. BauGB zur Anwendung kommen. Weiter dürfen nach den §§ 29 ff. BauGB, also insbesondere auch durch Festsetzungen in einem Bebauungsplan, keine bahnfremden Nutzungen zugelassen werden, soweit sie nicht mit der besonderen Zweckbestimmung einer planfestgestellten Anlage in Einklang zu bringen sind 27 . Im übrigen aber behält die Gemeinde ihre bauplanungsrechtliche Regelungsbefügnis auch für

23

BVerwGE 81, 111 ff. Dazu Hans-Jörg Birk, Die Schnittstelle zwischen kommunaler Planungshoheit und Fachplanungshoheit - dargestellt an der Frage der Geltung des Bauplanungsrechts auf Bundesbahnflächen, in: FS Gelzer, 1991, S. 1 ff, Hans-Joachim Koch, Zur Konkurrenz zwischen Fachplanung und Bauleitplanung, in: Planung und Plankontrolle, FS Schlichter, 1995, S. 461 ff. 25 Vgl. § 20 BE NeuglG v.27.12.1993 (BGBl I S. 2378, ber. 1994 IS. 2439). 26 § 20 AEG i.V.m. §§ 72 ff. VwVfG; §§ 2 I, 3 ü, m 2 EVerkVerwG. 27 BVerwGE 81, 111, 112 ff. 24

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das Bahngelände; sie hat dabei lediglich darauf zu achten, daß sich ihre Regelungen mit der besonderen Zweckbestimmung der Bahnanlage inhaltlich vereinbaren lassen, also keinen Konflikt mit dem Charakter der Bahnanlage auslösen. Zu den Anlagen i.S.d. § 36 I BBahnG rechnete das BVerwG nicht nur die Schienenwege und die für ihren Betrieb notwendigen Anlagen, sondern auch die Grundflächen, die zur Abwicklung des der Aufgabenstellung einer öffentlichen Eisenbahn entsprechenden Bahnbetriebs benötigt werden, wie etwa die dem Güterumschlag und dem Ladeverkehr dienenden Flächen von Bahnhöfen 28 . Allgemein werden dazu alle für den Bahnbetrieb notwendigen Nebenanlagen gerechnet, also solche, deren Nutzung einen ausreichenden räumlichen und inhaltlichen „inneren Zusammenhang" zum Bahnbetrieb aufweisen, d.h. einen „nach Dringlichkeit und Umfang beachtlichen Reisebedarf' befriedigen sollen 29 . Dagegen sollen betriebsfremde Nutzungen, die allein wirtschaftlichen Gründen, wie der Erzielung von Miet- und Pachteinnahmen dienen, nicht der Privilegierung der Planfeststellung unterfallen 30 . Insofern werden i.a. Läden, die es Reisenden gestatten, vergessene Utensilien, wie Zahnbürste oder kleine kosmetische „Mitbringsel", zu erstehen oder sich mit Reiseproviant zu versorgen, noch als bahnbezogene Nutzung angesehen, nicht aber Läden, deren Sortiment etwa an das eines normalen Drogeriemarkts zumindest heranreicht, jedenfalls über die üblichen Reisebedürfnisse hinausgeht und daher auch eine wesentlich größere Ladenfläche beanspruchen. Erst recht fehlt Einkaufszentren, Verbrauchermärkten, Spielhallen u.ä. Vergnügungsstätten der spezifische Bezug zum Bahnbetrieb. Sie dienen Bedürfnissen, die überall auftreten bzw. geweckt werden können. Daher unterliegen sie uneingeschränkt dem allgemeinen Städtebaurecht. Gegen Verstöße kann die Baurechtsbehörde mit den allgemeinen baupolizeilichen Mitteln der Baueinstellung, Nutzungsuntersagung oder gar Abbruchverfügung vorgehen. Diese relativ weite Interpretation der unter die Planfeststellungskompetenz fallenden bahnbezogenen Nutzungen läßt sich nach der jetzt geltenden Regelung des § 18 AEG in Zukunft wohl nicht mehr aufrechterhalten. Danach gilt das Planfeststellungsprivileg nur noch für die Schienenwege einschließlich der für ihren Betrieb notwendigen Anlagen, nicht aber für die übrige Infrastruktur, wie Gebäude, die der Verwaltung der Eisenbahnstruktur dienen, oder in denen sich Verkaufs- und Abfertigungseinrichtungen für den Personen- und Güter-

28

BVerwGE 81, 111, 114. OVG Koblenz, GewArch 1991, 108; OVG Münster, NVwZ 1989, 576 f.; VGH Mannheim, NVwZ 1990, 585; Birk , FS Gelzer, S. 4 ff. 30 OVG Münster, ebd., S. 577. 29

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verkehr befinden 31 , geschweige denn Ladengeschäfte. Der Gesetzgeber ist in § 18 AEG bewußt von der traditionellen weiten Definition der Bahnanlagen abgerückt und hat damit die Planfeststellungswirkungen zugunsten der gemeindlichen Planungshoheit eingeschränkt 32. Damit können die Gemeinden in Zukunft auch die zuletzt genannten Anlagen und erst recht bahnfremde Nutzungen, wie Spielhallen, Einkaufszentren oder Verbrauchermärkte bauplanungsrechtlich festsetzen. Sie müssen dabei aber nach dem dargelegten Grundsatz kompetenzieller Rücksichtnahme bei bahnbezogenen Nutzungen, wie Verkaufs- und Abfertigungseinrichtungen oder auch den üblichen Reisebedürfnissen dienenden Geschäften, auf die Aufgaben der DB und ihre in Art. 87 e I V GG festgelegte staatliche Gewährleistung Rücksicht nehmen. Für bereits bestehende Anlagen kann diese zugunsten der gemeindlichen Planungshoheit reduzierte Planfeststellungskompetenz jedoch noch nicht ins Feld geführt werden. Hier unterstehen etwa bahnbezogene Läden auf Grund des Feststellungsbeschlusses nach altem Recht und der damit verbundenen Widmung bis zu deren Aufgabe dem Planfeststellungsprivileg.

2. Die gemeindliche Planungshoheit bei Aufgabe oder Reduktion einer bahnbezogenen Nutzung Die derzeit aktuelle Problematik der gemeindlichen Planungskompetenz liegt weniger in der Begründung neuer als in der Aufgabe oder Reduktion bestehender fachplanungsrechtlich privilegierter Bahnanlagen. Technische Entwicklung, neue Verkehrsmittel, veränderte Verkehrsbedürfnisse und darauf angepaßte Investitions- und Rationalisierungszwänge haben zur Folge, daß Bahnhöfe stillgelegt oder die Benutzung von Bahngelände reduziert werden. Die Bahn versucht darum, dieses wegen seiner Stadtnähe i.a. besonders wertvolle brachliegende Gelände durch Vermietung oder Verkauf wirtschaftlich optimal zu verwerten. So entstehen Einkaufs- oder auch Vergnügungszentren auf ehemaligem Bahngelände und lösen, etwa durch Verkehrsströme und Nachbarbeeinträchtigungen, städtebauliche Konfliktssituationen aus, die das ausgewogene Konzept der Gemeinde für ein Stadtgebiet erheblich beeinträchtigen können. An dieser Situation ändert sich auch wenig, wenn man davon ausgeht, daß mit der Aufgabe der bahnbezogenen Nutzung das allgemeine Städtebaurecht zur Anwendung kommt. Denn dann beurteilt sich die Nut-

31

Vgl. § 2 m AEG. Vgl. OVG Lüneburg, BauR 1997, 101, 102; dazu Gesetzesentw. zum EisenbahnneuordnungsG, BT-Drucks. 12/4609, S. 100 zu §§ 15-20; Ausschußbericht, BTDrucks. 12/6269, S. 140, zu §§ 15-20. 32

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zungsmöglichkeit i.d.R. nach § 34 BauGB, in seltenen Fällen auch einmal nach § 35 I I BauGB; in jedem Falle aber kann der städtebauliche Gestaltungswille der Gemeinde nicht zum Zuge kommen. In frühzeitiger Erkennung der Problemlage wurde daher vorgeschlagen, dem Planungsinteresse der Gemeinde durch eine subsidiäre Bauleitplanung zu entsprechen. Die Gemeinde sollte einen Bebauungsplan in der erklärten Absicht beschließen können, daß er wirksam wird, sobald die entgegenstehende Planfeststellung der Bahn entfallt. Schließlich gäbe es keinen allgemeinen Grundsatz, wonach die Wirksamkeit von Rechtsnormen nicht von einem bestimmten Ereignis abhängig gemacht werden dürfe. Viele Gesetze träten erst ab einem gewissen Datum in Kraft und würden nur befristet gelten. Der Bebauungsplan sei darüber hinaus durch seine starken Vollzugselemente dem Verwaltungsakt in vielfacher Hinsicht angenähert und bei Verwaltungsakten sei die Beifiigung einer Bedingung etwas Alltägliches. Die Planung sei auch erforderlich i.S.d. § 1 I I I BauGB; denn ihr liege ein städtebauliches Konzept zugrunde, das die Gemeinde auf andere Weise nicht verwirklichen könne, da sie i.d.R. erst spät oder überhaupt nicht von den Verwertungsabsichten der Bahn erfahre. Auch sei jede Planung auf die Zukunft gerichtet und müsse somit längerfristige Realisierungsperspektiven einbeziehen können; insofern erfordere § 1 I I I BauGB kein „akutes Planungsbedürfnis" 33. Das BVerwG hat in der erwähnten Grundsatzentscheidung diesen Vorschlag zurückgewiesen, weil einander widersprechende planerische Aussagen hinsichtlich derselben Fläche unzulässig seien. Das gelte auch für Festsetzungen unter Vorbehalt; für diese Feststellung verwies das Gericht darauf, daß § 9 a BBauG, der die Zulässigkeit von im Bebauungsplan festgesetzten Nutzungen von der Sicherung bestimmter Infrastruktureinrichtungen abhängig machte, nicht in das BauGB übernommen worden sei. Ob diese Argumentation zwingend ist, mag hier dahinstehen, zumal etwa auch der „gesetzliche Ersatzplan" des § 35 BauGB die Zulässigkeit von Vorhaben von der Sicherung einer ausreichenden Erschließung abhängig macht. Offensichtlich befürchtete das Gericht zu große Einbußen an Rechtsklarheit und Rechtssicherheit, die in der Tat diskussionswürdig erscheinen. Den Bedenken, daß bei einem Wegfall der bahnrechtlichen Planfeststellung die Grundstücke in den meisten Fällen gemäß § 34 BauGB nach der vorhandenen Bebauung der umliegenden Grundstücke bebaubar werden und regelmäßig in der Kürze der Zeit nicht in eine gesamtplanerische städtebauliche Konzeption eingebunden werden können, suchte das Gericht durch folgende Hinweise zu begegnen: Einmal erkannte es 33

Brohm, Subsidiäre Bauplanung?, NVwZ 1985, 1 ff.; zustimmend jetzt auch Koch, FS Schlichter, S. 470 f.; a.A. unter Ablehnung der nach § 1 DI BauGB vorausgesetzten Erforderlichkeit, Birk, FS Geizer, S. 6.

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der Gemeinde einen Rechtsanspruch zu, von der Bahn eindeutig zu erfahren, welche Teile dauerhaft in ihre umfassende Planungshoheit wieder zurückfallen sollen. Weiter machte es darauf aufmerksam, daß die Beseitigung des Fachplanungsvorbehaltes eine Entwidmung voraussetze, die zwar nicht im Wege des Planfeststellungsverfahrens erfolgen müsse, aber einer eindeutigen, definitiven Verlautbarung mit der erforderlichen Publizität bedürfe; vorher sei eine bahnfremde Nutzung rechtswidrig. Des weiteren sei es zulässig, daß die Gemeinde hinsichtlich bahnbezogener Anlagen, deren bahnrechtliche Zweckbestimmung mit hinreichender Sicherheit aufgehoben werde, bereits ein Bebauungsplanverfahren bis vor die abschließende Beschlußfassung über den Bebauungsplan durchführe, um nach der Entwidmung und Freigabe sofort die städtebauliche Planung in Wirkung setzen zu können. Diese Möglichkeiten haben sich jedoch als wenig praktikabel erwiesen. Die Gemeinden erhalten oft überhaupt keine Kenntnis von einem bevorstehenden Nutzungswechsel. Weiter bleibt ihnen regelmäßig die genaue räumliche und funktionale Abgrenzung der aufgegebenen Nutzung unbekannt. Vielfach wird eine rechtzeitige städtebauliche Planung auch dadurch unmöglich gemacht, daß die Bahn das Grundstück erst übereignet, wenn der Dritte als Investor das Baugesuch bzw. die Bauvoranfrage bei der Baurechtsbehörde eingereicht oder gar einen positiven Bescheid erhalten hat, was bei Bauvorbescheiden jedenfalls auch vor der Entwidmung rechtlich möglich ist 34 . Für den Entwurf einer konkreten Planung, den Beschluß über die Planaufstellung und eine daran anknüpfende Veränderungssperre oder Zurückstellung des Baugesuchs nach §§ 14, 15 BauGB reicht die Zeit dann nicht aus. Verzögert die Baugenehmigungsbehörde ihre Entscheidung über das Baugesuch oder die Bauvoranfrage, bis die Planung so weit ist, wird ihr mit einer Amtshaftungsklage gedroht 35 . Daraus resultiert die Kritik in der Literatur, daß für den Erlaß einer Veränderungssperre eine Konkretisierungspflicht verlangt werde und ein allgemeines Vorkaufsrecht der Gemeinde nur beim Vorliegen eines Bebauungsplanes bestehe36. Diese Bedenken dürften sich in Zukunft vor allem durch die Privatisierung der Bahn, die Novellierung des Baugesetzbuches von 1997 und die Anerkennung erster ergänzender Gerichtsentscheidungen in Zukunft weitgehend erledigen. Die Novelle hat, wie erwähnt, stärker die Kooperation der verschiedenen Träger der Raumplanung hervorgehoben. § 38 BauGB 1997 gewährt daher den Fachplanungsvorbehalt ausdrücklich nur unter der Voraussetzung, 34 35 36

So BVerwGE 81, 111, 119 f. Instruktiv VGH Mannheim, NVwZ-RR 1997, 395. Birk, FS Geizer, S. 11 f.

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daß die Gemeinde an der Planung beteiligt wird und die städtebaulichen Belange Berücksichtigung finden. Gleiches muß für die Aufhebung der Planfeststellung oder eine andere Form der Freistellung vom Planfeststellungsvorbehalt gelten. Wird eine durch Planfeststellung privilegierte Nutzung von einer bahnfremden abgelöst und ohne Genehmigung schon vor einer formwirksamen Entwidmung aufgenommen, kann in Konsequenz dieser Kooperationspflicht die allgemeine Bauaufsichts- oder Baurechtsbehörde die erforderlichen Maßnahmen treffen, also u.U. eine Baueinstellung, Nutzungsuntersagung oder gar Abbruchverfügung erlassen 37. Dadurch wird der evtl. notwendige Zwang zur Kooperation, insbesondere zu der vom BVerwG geforderten eindeutigen Entlassung des Geländes aus der Fachplanungshoheit, erzeugt. Die Entlassung aus der Fachplanungsprivilegierung kann durch Aufhebung der Planfeststellung in einem erneuten Planfeststellungsverfahren als actus contrarius erfolgen. Dazu ist nach der Privatisierung der Bundesbalm allerdings nicht die DB AG zuständig, sondern das Eisenbahn-Bundesamt (§ 20 AEG, §§ 2 I, 3 II, I I I 2 EVerkVerwG). Berücksichtigt man, daß nicht nur ein Bebauungsplan, sondern auch Planfeststellungsbeschlüsse fünktionslos werden können, wenn sie sich infolge faktischer Veränderungen nicht mehr realisieren lassen38, ist auch ein einfacheres Verfahren denkbar. Es sollte ausreichen, wenn die Planfeststellungsbehörde gegenüber der DB AG und gegenüber der Gemeinde den definitiven Entprivilegierungsentschluß dokumentiert und damit den Weg zu einer auf einer gemeindlichen Bauplanung beruhenden Bebauung freigibt. Damit sind die Instanzen der betroffenen Interessen i.S. einer echten Kooperation eingeschaltet; eine breitere Beteiligung in städtebaulicher Hinsicht bringt dann das folgende Bebauungsplanverfahren. Da die Bahn in Form der DB AG und die Planfeststellungsbehörde in der Zuständigkeit des Eisenbahn-Bundesamtes nunmehr getrennte Instanzen darstellen, ist die Gefahr beseitigt, daß die Planungshoheit der Gemeinde durch faktisches Handeln der Bahn überspielt wird. Auch die seitherige Benachteiligung der Gemeinde in der Hinsicht, daß sie bei Änderungen der Bahnnutzung mangels eines bestehenden Bebauungsplans keine Steuerungsmöglichkeit über die Ausübung 37 So VGH Mannheim, VGH Rspr.-Dienst, VB1BW 10, 1991; OVG Lüneburg, BauR 1997, 101 unter Berufung auf BVerwGE 81, 111, 119, wonach Vorhaben, die nicht unter den Planfeststellungsvorbehalt fallen, aber auf Bahngelände verwirklicht werden sollen, „in formeller und materieller Hinsicht dem allgemeinen Baurecht" unterlägen. Birk, FS Gelzer, 1991, S. 1, 14 nimmt eine Analogie zu den entsprechenden Befugnisnonnen der Bauordnungsbehörden, etwa §§ 64, 65 LBO BW, an, weil die Fachplanungshoheit noch bestehe, aber der Fachplanungsträger die Entlassung der Fläche aus der Fachplanung rechtswidrig verhindere. 38 Dazu näher Brohm, NVwZ 1985, 1, 2. - Im Ergebnis übereinstimmend BVerwGE 81, 111, 117.

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des Vorkaufsrechts besitzt, ist in Zukunft nicht mehr gegeben. Die Novellierung des Baugesetzbuchs hat die Tatbestände des allgemeinen Vorkaufsrechts entsprechend erweitert. Nach § 24 Nr. 5 u. 6 BauGB 1997 ist jetzt mit der Freigabe einer Fläche von der Planfeststellung i.d.R. ein Vorkaufsrecht auch schon vor Erlaß eines Bebauungsplans gegeben. Auch in dieser Abstimmung der Fachplanung mit der Bauleitplanung zeigt sich die zunehmende Einheit der Raumplanung in der Vielheit der Planungszentren.

Harmonisierungsprobleme zwischen Planungs- und Vergaberecht - Verfassungsrechtliche Fragen Von Siegfried Broß

I. Einführung Das Planungsrecht gehört zu den zentralen Rechtsgebieten, mit denen sich unser Jubilar über Jahrzehnte hinweg beschäftigt und die er mit zahlreichen wissenschaftlichen Arbeiten nachhaltig bereichert hat. Im allgemeinen sieht der Planungsrechtler nur die von mir so bezeichnete Primärebene, d. h. die Planungsebene. Sie ist im wesentlichen verwaltungsrechtlich - und in zweifacher Hinsicht verfassungsrechtlich - geprägt. Regelmäßig werden durch staatliche Planungen Grundrechtspositionen des einzelnen berührt. Darüber hinaus ist das Planungsrecht auch von Zuständigkeitsfragen geprägt, das Bund-/ Länder-Verhältnis, aber auch das Bund-/Länder-/Kommunal-Verhältnis spielt hier eine Rolle. Ganz anders verhält es sich mit der von mir so bezeichneten Sekundärebene. Das ist die Umsetzungsebene. Eine Planung bedarf, damit ihre Zielsetzung erreicht wird, der Ausführung. Deren Grundlage liegt im Zivilrecht. Es handelt sich um Werkverträge zwischen der öffentlichen Hand und privaten Unternehmern. Sie unterliegen den Regelungen der §§ 631 ff. BGB und/oder den Regelungen der VOB/B. Bevor es allerdings zum Vertragsabschluß kommt, muß - von seltenen Ausnahmen abgesehen - eine Ausschreibung des Vorhabens erfolgen. Hierbei handelt es sich um einen Wettbewerb, der wiederum eigenen Regelungen unterliegt, so vor allem für den hier zu erörternden Bereich der VOB/A. Bezüglich dieses Wettbewerbs im Rahmen einer öffentlichen Ausschreibung sind Grundrechtspositionen der Teilnehmer an der Ausschreibung nicht berührt. Wenn überhaupt, stehen inmitten lediglich die nicht primär einen Grundrechtsbereich schützenden, sondern abhängige Grundrechtspositionen des Art. 3 Abs. 1 GG oder der wirtschaftlichen Handlungsfreiheit als einer der Ausprägungen des Art. 2 Abs. 1 GG. Art. 3 Abs. 1 GG erlangt besondere Bedeutung vor allem dadurch, daß alle Teilnehmer an der Ausschreibung gleich behandelt werden müssen und daß keinem eine Vorzugspo7 FS Blümel

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sition zuerkannt werden darf. Die Teilnahme an einer öffentlichen Ausschreibung läßt aber noch einen anderen Gesichtspunkt ins Blickfeld rücken. Die Teilnehmer an einer öffentlichen Ausschreibung treten zwar jeder für sich der ausschreibenden staatlichen Stelle gegenüber. Sie konkurrieren aber untereinander. Das bedeutet, daß - anders als bei den auf der Primärebene berührten Grundrechtspositionen - der einzelne Teilnehmer an der öffentlichen Ausschreibung von vornherein nur eine Chance hat, die den Chancen der anderen Mitbewerber, den Auftrag zu erhalten, gleichrangig und gleichgewichtig ist. Von daher sind alle Wettbewerbspositionen gleich zu sehen und auch gleich zu behandeln. Das gilt auch für den Rechtsschutz, der keinem Wettbewerber gegenüber seinen Mitbewerbern eine Vorzugsstellung vermitteln darf. Anders liegen die rechtlichen Verhältnisse auf der Primärebene. Die Grundrechtsposition eines jeden einzelnen, der von einer staatlichen Planung berührt wird, ist unabhängig von der Grundrechtsposition aller anderen, die ebenfalls von derselben staatlichen Planung berührt werden. Jede Grundrechtsposition muß aus sich heraus und unabhängig von den anderen Grundrechtspositionen beurteilt werden. Sie sind voneinander unabhängig, auch wenn sie von ein und derselben staatlichen Planung „verbunden" werden. Das wird sinnfällig, wenn man sich vorstellt, daß etwa für eine geplante staatliche Straße einzelne Anlieger Grundeigentum abtreten müssen, andere sogar ihr gesamtes Grundeigentum verlieren und Dritte wiederum „nur" durch den Verkehrslärm oder durch die mit dem Straßenverkehr verbundenen Erschütterungen und Geruchsbelästigungen beeinträchtigt werden. Vor dem Hintergrund dieser unterschiedlichen Individualrechtspositionen auf Primär- und Sekundärebene ist es reizvoll, die Entwicklungslinien bezüglich der in Rede stehenden Individualrechtspositionen auf der Primär- und auf der Sekundärebene jedenfalls skizzenhaft nachzuzeichnen und im Anschluß daran verfassungsrechtliche Fragen dahin zu stellen, ob die Individualrechtspositionen auf der Sekundärebene, die verfassungsrechtlich deutlich geringeres Gewicht gegenüber den üblicherweise auf der Primärebene betroffenen Grundrechtspositionen haben, nicht durch die neuere Gesetzgebung sehr ungleichgewichtig geworden sind und deshalb im Hinblick auf Art. 3 Abs. 1 GG nachhaltigen verfassungsrechtlichen Bedenken begegnen.

I I . Entwicklungslinien auf der Primärebene Die Entwicklung auf der Primärebene ist maßgeblich davon geprägt, mit welchem Instrument ein öffentliches Vorhaben geplant wird. Es bieten sich hierzu vor allem zwei Instrumente an: Ein Planungsgesetz oder aber ein planender Akt einer Verwaltungsbehörde, nicht notwendig ein Planfeststellungs-

Haronisierungsprobleme zwischen Planungs- und V e r g a b e r e c h t 9 9 beschluß, jedenfalls aber ein Verwaltungsakt. Die Diskussion in der Vergangenheit war insoweit nicht „homogen". Es gab Fälle, in denen unter Berufung auf Grundrechtspositionen dem Gesetzgeber die Legitimation abgesprochen wurde, eine Planung im Wege eines Gesetzes vorzunehmen. Es gab aber auch die Konstellation, daß für bestimmte Planungen unter Berufung auf Grundrechtspositionen die Gesetzesform gefordert wurde. Die unterschiedlichen Positionen hatten ihre Ursache vor allem darin, daß das geltend gemachte Anliegen letztlich nicht darauf ausgerichtet war, daß die Grundrechte geschützt werden, sondern darauf, daß die staatliche Planung zumindest verzögert, wünschenswert aber verhindert werde. In diesem Zusammenhang ist das Gesetz zur Ordnung deichrechtlicher Verhältnisse der Freien und Hansestadt Hamburg vom 29. April 1964 (GVB1.1 S. 79) - Deichordnungsgesetz (DOG) zu nennen. Für unseren Zusammenhang ist dessen § 2 betreffend die Rechtsumwandlung von Bedeutung. „(1) Mit Inkrafttreten dieses Gesetzes entsteht öffentliches Eigentum im Sinne von § 4 a des Hamburgischen Wassergesetzes (a) an allen Flurstücken und Flurstücksteilen, die im Liegenschaftskataster als ,Deichgrund' nachgewiesen sind, soweit nicht in Abs. 2 etwas anderes bestimmt ist, (b) an allen in der Anl. 1 aufgeführten Flurstücken. (2) Mit dem Inkrafttreten dieses Gesetzes wird das Deicheigentum (§§ 51-60 des Hamburgischen Ausführungsgesetzes zum Bürgerlichen Gesetzbuch in der Fassung vom 1. Juli 1958) ... an den Flurstücken und Flurstücksteilen, die zu den in der Anl. 2 aufgeführten Deichstrecken gehören, unbeschadet des § 8 in Eigentum bürgerlichen Rechts umgewandelt. (3) Soweit öffentliches Eigentum entsteht, erlöschen (a) alle Rechte an den betroffenen Grundstücksteilen einschließlich des Deicheigentums ..., (b) alle Rechte, die zum Erwerb, zum Besitz oder zur Nutzung der betroffenen Grundstücksteile berechtigen oder die den Verpflichteten in der Nutzung beschränken." § 4 a des Hamburgischen Wassergesetzes lautet in seinem lüer maßgeblichen Abs. 1: ,Jiochwasserschutzanlagen, die auf Grund einer in das Wasserbuch eingetragenen Planfeststellung oder Genehmigung (§55) errichtet worden sind und der Freien und Hansestadt Hamburg gehören, stehen in öffentlichem Eigentum der Freien und Hansestadt Hamburg. Das öffentliche Eigentum begründet eine hoheitliche Sachherrschaft, die von den Deichverbänden im Rahmen ihrer durch Gesetz und Satzung geregelten Aufgaben, im übrigen von der Wasserbehörde ausgeübt wird. Die in öffentlichem Eigentum stehenden Gegenstände sind dem Rechtsverkehr entzogen. Die Vorschriften des Bürgerlichen Rechts, insbesondere über den Besitz und das Eigentum, finden keine Anwendung."

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Es ging in diesem Rechtsstreit neben zahlreichen anderen Fragen (z. B. Kompetenz des Landesgesetzgebers) auch um die Frage, ob der Gesetzgeber hier durch Gesetz die unmittelbaren Rechtsumwandlungen hat vornehmen dürfen oder ob er aufgrund eines Gesetzes die gegen die einzelnen Grundstükke getroffenen Maßnahmen durch Einzelakt hätte durchführen müssen. Das Bundesverfassungsgericht 1 hat die Entstehung „öffentlichen Eigentums" an Hochwasserschutzanlagen gemäß den genannten gesetzlichen Vorschriften als mit dem Grundgesetz vereinbar gesehen. Es hat ferner ausgeführt, daß Enteignungsgesetze im Sinne des Art. 14 Abs. 3 GG das Grundrecht des Eigentums nicht im Sinne des Art. 19 Abs. 1 GG einschränken. Da den Betroffenen aber gegen ein Gesetz kein Gerichtsschutz zur Verfügung steht, sondern nur der außerordentliche Rechtsbehelf der Verfassungsbeschwerde, erklärt das Bundesverfassungsgericht die Legalenteignung nur in eng begrenzten Fällen für zulässig. Hintergrund dieser Beurteilung ist der Umstand, daß mit einer Verfassungsbeschwerde eine Planungsentscheidung - oder wie hier eine Enteignungsentscheidung - nicht umfassend, sondern lediglich beschränkt auf Verletzung von Grundrechten (und Nichteinhaltung von Kompetenzen) geprüft werden kann, wie sich aus Art. 93 Abs. 1 Nr. 4 a GG in Verbindung mit § 90 Abs. 1 BVerfGG ergibt, wobei die Erstreckung des Grundrechtsschutzes auch auf die Einhaltung der Gesetzgebungskompetenz in Leitsatz 1 dieser Entscheidung deutlich hervorgehoben wird. Das Bundesverfassungsgericht hielt letztlich die Wahl der Gesetzesform durch den Hamburgischen Landesgesetzgeber deshalb für legitim, weil ein Ausnahmefall gegeben war 2 . Die Flutkatastrophe des Jahres 1962 hatte eine außergewöhnliche Situation geschaffen. Der Hamburgische Gesetzgeber stand vor der unabweislichen Aufgabe, ein umfassendes Deichsystem sofort aufzubauen und das vorhandene zu sichern und wirksam auszubauen. Wenn er bei dieser Sachlage zu der Auffassung kam, daß der Ausbau der Deiche in dem gebotenen Umfang eine staatliche Aufgabe sein müsse und hierzu auch ein einheitliches Recht benötigt werde, so ist das verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Noch bevor die Freie und Hansestadt Hamburg in diesem Verfassungsrechtsstreit erfolgreich geblieben war, sah sie sich veranlaßt, sich für die Planung ihrer U-Bahn ebenfalls „Erleichterungen" zu schaffen, und führte hierzu im Zweiten Teil des Hamburgischen Enteignungsgesetzes vom 14. Juni 1963 (GVB1.1 S. 77) in § 8 Abs. 1 die öffentliche Last ein. Diese berechtigte, in be-

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BVerfGE 24, 367 - LSe 1-11. BVerfGE 24, 403.

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stehende Grundstücksnutzungen einzugreifen, soweit dies bei der Errichtung, Nutzung und Unterhaltung der U-Bahn erforderlich ist. Vor allem können bestehende Anlagen verändert oder beseitigt sowie Rechte Dritter, die zum Besitz oder zur Nutzung berechtigen, geändert oder aufgehoben werden. Nach den Gesetzgebungsmaterialien sollte die öffentliche Last die Funktion von privatrechtlichen Dienstbarkeiten übernehmen. Sie sollte mit dem Inkrafttreten des Bebauungsplans oder mit der Bekanntmachung im Amtlichen Anzeiger, daß der Planfeststellungsbeschluß unanfechtbar geworden ist, entstehen. Das Bundesverfassungsgericht sah in dieser Konstruktion eine mit Art. 14 Abs. 3 GG unvereinbare Mischform von Legal- und Administrativenteignung. Sie vermischt Aufgaben der Gesetzgebung und Verwaltung, verkürzt den gerichtlichen Rechtsschutz und läßt für die Anwendung des Verhältnismäßigkeitsprinzips keinen ausreichenden Raum3. Ungeachtet der sehr sorgfaltigen und überzeugenden Begründung ergibt sich aus den Entscheidungsgründen auch, daß das Bundesverfassungsgericht vorliegend keinen überragenden Grund - wie bei der Beurteilung des Deichordnungsgesetzes - sehen konnte, daß der Bau einer U-Bahn in Hamburg außergewöhnliche, gesetzliche Instrumentarien erforderte 4. Gleichsam die umgekehrte Konstellation lag der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 8. August 19785 zugrunde. Es ging darum, ob § 7 Abs. 1 und 2 des Atomgesetzes in der Fassung der Bekanntmachung vom 31. Oktober 1976 (BGBl. I S. 3053), soweit er die Genehmigung von Kernkraftwerken des Typs des sogenannten Schnellen Brüters zuläßt, mit dem Grundgesetz vereinbar sei. Hierauf war der Bescheid vom 18. Dezember 1972 gestützt, mit dem die erste Teilgenehmigung zur Errichtung eines Kernkraftwerks der Baulinie „Schneller Brüter" in Kalkar gestützt war. In dem Aussetzungs- und Vorlagebeschluß des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen war unter anderem ausgeführt, politische Leitentscheidungen - um eine solche handele es sich hier - müßten nach dem Grundsatz der Gewaltenteilung vom Parlament selbst getroffen werden und in einem förmlichen Gesetz ihre Konkretisierung finden. Dieser Auffassung hat das Bundesverfassungsgericht eine Absage erteilt 6 . Aus dem Grundsatz der parlamentarischen Demokratie dürfe nicht ein Vorrang des Parlaments und seiner Entscheidungen gegenüber den anderen Gewalten als ein alle konkreten Kompetenzzuordnungen überspielender Ausle3 4 5 6

BVerfGE 45, 297 - LS 2 b. Das ergibt sich aus BVertGE 45, 324 f. BVerfGE 49, 89. BVertGE 49, 89 - LSe 1-6.

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gungsgrundsatz hergeleitet werden. Die in die Zukunft hin offene Fassung des § 7 Abs. 2 Nr. 3 AtomG diene einem dynamischen Grundrechtsschutz. Sie helfe, den Schutzzweck des § 1 Nr. 2 AtomG jeweils bestmöglich zu verwirklichen 7 . Die erörterten Entscheidungen machen deutlich, daß die Wahl der Gesetzesform für eine Planung auch aus der Sicht des Bundesverfassungsgerichts den Rechtsschutz des einzelnen nicht erweitert, sondern verkürzt. Das ist bei der Wahl der Gesetzesform auch gewollt, wie die Entscheidungen zum Hamburger Deichordnungsgesetz und zur Hamburger U-Bahn belegen. Vor diesem Hintergrund ist umgekehrt die Forderung nach einer Planung durch Gesetz, damit der Gesetzgeber alle grundlegenden Entscheidungen treffe, nicht als ernstlich begründet anzusehen, was den Rechtsschutz des einzelnen betrifft. Vielmehr muß in solchen Forderungen wegen des verkürzten Rechtsschutzes ein Anliegen zur Verzögerung oder Verhinderung von Vorhaben gesehen werden 8. Da die Wahl der Gesetzesform vom Bundesverfassungsgericht an hohe Anforderungen bezüglich der Legitimation geknüpft ist, wird - wohl aber auch aus Praktibilitätsgründen - von einem Planungsgesetz nur noch überaus zurückhaltend Gebrauch gemacht. Der Bundesgesetzgeber hat dies für Planungsvorhaben im Zusammenhang mit der Vereinigung beider deutscher Staaten getan. Er hat am 29. Oktober 1993 das Gesetz über den Bau der „Südumfahrung Stendal" der Eisenbahnstrecke Berlin-Oebisfelde im Zuge des Neubaus der Hochgeschwindigkeitsverbindung Hannover-Berlin erlassen (BGBl. I S. 1906). Das Bundesverfassungsgericht hat auf den Normenkontrollantrag des Landes Hessen hin dieses Gesetz für verfassungsmäßig erklärt 9 . Staatliche Planung sei weder eindeutig der Legislative noch eindeutig der Exekutive zugeordnet. Auch Detailpläne im Bereich der anlagenbezogenen Fachplanung seien einer gesetzlichen Regelung zugänglich. Das Parlament dürfe durch Gesetz eine solche Entscheidung freilich nur dann an sich ziehen, wenn hierfür im Einzelfall gute Gründe bestünden. Entfalte eine Legalplanung enteignungsrechtliche Vorwirkungen, habe sie vor der Verfassung jedenfalls dann Bestand, wenn sie nicht nur - wie jede Enteignung - im Sinne des Art. 14 Abs. 3 Satz 1 GG zum Wohle der Allgemeinheit erforderlich sei, sondern auch triftige Gründe für die Annahme bestünden, daß die Durchführung einer behördli7 BVerfGE 49, 89 - LS 5. Der Vollständigkeit wegen ist daraufhinzuweisen, daß es sich hier um keine Planungsentscheidung bis zum Standort gehandelt hätte, nur wäre dies aus der Sicht des vorlegenden Gerichts die einzige durch eine Behörde noch zu treffende Entscheidung gewesen. 8 Hierzu eingehend Broß , FS für Karin Graßhof, 1998. 9 Beschl. v. 17.07.1996 - 2 BvF 2/93, DVB1 1997,42.

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chen Planfeststellung mit erheblichen Nachteilen für das Gemeinwohl verbunden wäre, denen nur durch eine gesetzliche Regelung begegnet werden könne. Solche triftigen Gründe sah das Bundesverfassungsgericht vorliegend für gegeben an 10 . Sie liegen nach seiner Ansicht (im Anschluß an die Begründung der Bundesregierung zum Gesetz) darin, daß die Verkehrswege im Beitrittsgebiet sich nach jahrzehntelanger Vernachlässigung zum Teil in einem desolaten Zustand befanden und den Anforderungen des modernen Verkehrs nicht gewachsen waren. Wegen der Schlüsselfunktion sowohl für den wirtschaftlichen Aufschwung als auch für das Zusammenwachsen der alten und neuen Länder wurde das Projekt als herausragendes Vorhaben angesehen, das mit den herkömmlichen Instrumenten nicht zu bewältigen sei. Blümel 11 hat diese Entwicklung eindrucksvoll nachgezeichnet und zu Recht kritisch vermerkt, daß über den Einsatz der Gesetzes- bzw. Rechtssatzform für exekutivisches Handeln und mit den daneben einhergehenden Maßnahmen einer Verfahrensbeschleunigung überhaupt eine Einschränkung und Verkürzung des verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutzes beabsichtigt wird 1 2 . Zu nennen sind in diesem Zusammenhang das Gesetz zur Beschleunigung der Planungen für Verkehrswege in den neuen Ländern sowie im Land Berlin vom 16. Dezember 1991 (BGBl. I S. 2174) 13 sowie das Gesetz zur Vereinfachung der Planungsverfahren für Verkehrswege (Planungsvereinfachungsgesetz) vom 17. Dezember 1993 (BGBl. I S. 2123). Beispielhaft sei auf § 5 Abs. 1 Verkehrswegeplanungs-Beschleunigungsgesetz (VerkPBG) hingewiesen. Hiernach entscheidet das Bundesverwaltungsgericht im ersten und letzten Rechtszug über sämtliche Rechtsstreitigkeiten, die Planfeststellungs- und Plangenehmigungsverfahren nach § 1 VerkPBG betreffen. Der Anwendungsbereich umfaßt die neuen Bundesländer und Berlin. Seine Geltungsdauer ist nach § 1 Abs. 1 VerkPBG bis zum 31. Dezember 1999 beschränkt. Letztlich zielen diese (und andere vergleichbare Maßnahmen) darauf ab, den Instanzenzug bei den Verwaltungsgerichten zu verringern, wie sich aus § 48 Abs. 1 Satz 1 Nr. 6-9 VwGO ergibt (erstinstanzliche Zuständigkeit des Oberverwaltungsgerichts/Verwaltungsgerichtshofs).

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Beschl. v. 17.07.1996 - 2 BvF 2/93, DVB1 1997, S. 44 Ii. Sp. 2 b. Fachplanung durch Bundesgesetz (Legalplanung), DVB1 1997, 205 m.w.N. aus Lit. u. Rspr. 12 Hierzu eindrucksvoll Repkewitz, Beschleunigung der Verkehrswegeplanung, VerwArch 88 (1997), 137 ff.; s. hierzu auch Stiier, Die Beschleunigungsnovellen 1996, DVB1 1997, 326 ff ; Bonk, Strukturelle Änderungen des Verwaltungsverfahrens durch das Genehmigungsverfahrenbeschleunigungsgesetz, NVwZ 1997, 320 ff. 13 Geändert durch Gesetz v. 17.12.1993 (BGBl I S. 2123), durch Gesetz v. 27.12.1993 (BGBl I S. 2378) und durch Gesetz v. 15.12.1995 (BGBl I S. 1840). 11

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Es bleibt für diesen Abschnitt festzuhalten, daß der Bundesgesetzgeber (wie das Beispiel Hamburg zeigt, auch ein Landesgesetzgeber) durch Planung in Gesetzesform oder Beschränkung des verwaltungsgerichtlichen Instanzenzuges bemüht war, den Rechtsschutz von Planungen Betroffenen systematisch einzudämmen oder - bei Wahl der Gesetzesform - letztlich zu beseitigen, weil es nur in Ausnahmefallen denkbar ist, daß das Bundesverfassungsgericht aufgrund seines begrenzten Prüfungsmaßstabes in einem Verfassungsbeschwerdeverfahren eine Fachplanung als verfassungswidrig beurteilen kann. Es handelt sich allerdings um einen Bereich, in dem originäre und vitale sowie existentielle Grundrechtspositionen inmittenstehen.

I I I . Entwicklungslinien auf der Sekundärebene Grundlage einer öffentlichen Ausschreibung ist § 30 des Gesetzes über die Grundsätze des Haushaltsrechts des Bundes und der Länder (HGrG) vom 19. August 1969 (BGBl. I S. 1273). Hiernach muß dem Abschluß von Verträgen über Lieferungen und Leistungen eine öffentliche Ausschreibung vorausgehen, sofern nicht die Natur des Geschäfts oder besondere Umstände eine Ausnahme rechtfertigen. Diese Regelung wird durch vergleichbare in den Haushaltsordnungen des Bundes und der Länder, die schon vormals galten, ergänzt, ebenso auf Kommunalebene durch Regelungen über das Haushalts-, Kassen- und Rechnungswesen. Die Pflicht zu einer öffentlichen Ausschreibung ergibt sich unmittelbar auch aus dem Grundsatz der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit, wie er etwa in § 6 Abs. 1 HGrG und § 7 Abs. 1 Satz 1 BHO niedergelegt ist. Die Regeln, denen eine öffentliche Ausschreibung unterworfen ist, ergeben sich aus der VOB/A und der VOL/A 1 4 . Neue Regelwerke sind in Vorbereitung 15 .

14 Einzelheiten hierzu etwa bei Broß , Die Alisschreibung von Werkverträgen durch die öffentliche Hand in der Bundesrepublik Deutschland, ZfBR 1990, 255ff.; ders., Ausgewählte Probleme des Vergabewesens der öffentlichen Hand - Dargestellt vor allem für die Vergabe von Bauaufträgen, VerwArch 84 (1993), 395 ff.; ders., Ausgewählte Probleme des Wettbewerbs der öffentlichen Hand, VerwArch 87 (1996), 731 ff ; ders ., Das Vergabewesen der öffentlichen Hand im Spannungsfeld des Europäischen Rechts - Eine Zwischenbilanz, VerwArch 88 (1997), 521 ff; ders., Die Vergabe öffentlicher Aufträge als Wettbewerbsproblem, FS für Hans Erich Brandner, Köln 1996, 343 ff. 15 Hierzu etwa die Verdingungsordnung für freiberufliche Leistungen - VOF.

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Dieses traditionelle Vergaberecht hat unter dem Einfluß europarechtlicher Vorgaben 16 eine grundsätzliche Umwälzung erfahren, so durch das Zweite Gesetz zur Änderung des Haushaltsgrundsätzegesetzes vom 26. November 1993 (BGBl. I S. 1928). Durch dieses wurden die §§ 57 a bis c in das Haushaltsgrundsätzegesetz eingefugt und auf der Grundlage des § 57 a Abs. 1 und 2 HGrG die Verordnung über die Vergabebestimmungen für öffentliche Aufträge vom 22. Februar 1994 (BGBl. I S. 321) und auf der Grundlage der § 57 b Abs. 2 und 5, § 57 c Abs. 1, 5 bis 8 HGrG die Verordnung über das Nachprüfungsverfahren für öffentliche Aufträge vom 22. Februar 1994 (BGBl. I S. 324) erlassen. Es ging im wesentlichen darum, daß europarechtlich ein Rechtsschutz im Vergabewesen vorgesehen war. Für das dazu geschaffene Nachprüfungsverfahren wurden Vergabeprüfstellen und in zweiter Instanz zuständige Vergabeüberwachungsausschüsse geschaffen. Das Nachprüfüngsverfahren ist hiernach zwar „gerichtsähnlich" ausgestaltet, die genannten Nachprüfungsinstanzen sind aber keine Gerichte im Sinne des deutschen Gerichtsverfassungsrechts. Der deutsche Gesetzgeber hatte diese Konstruktion vorgesehen, um einerseits eine wirksame, fachkundige Vergabeüberwachung zu erreichen und andererseits die Nachteile eines langwierigen Rechtsstreits vor den Gerichten zu vermeiden.

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Hier sind zu nennen: - Richtlinie 71/305/EWG des Rates v. 26.07.1971 über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Bauaufträge (Abi. EG Nr. L 185 S. 5), - Richtlinie 77/62/EWG des Rates v. 21.12.1976 zur Koordinierung der Verfahren für die Vergabe öffentlicher Lieferaufträge (Abi. EG Nr. L 13 S. 1), - Richtlinie 88/295/EWG des Rates v. 22.03.1988 zur Änderung der Richtlinie 77/62/EWG (Abi. EG Nr. L 127 S. 1), - Richtlinie 89/440/EWG des Rates v. 18.07.1989 zur Änderung der Richtlinie 71/305/EWG (Abi. EG Nr. L 210 S. 1), - Richtlinie 89/665/EWG des Rates v. 21.12.1989 zur Koordinierung der Rechtsund Verwaltungsvorschriften für die Anwendung der Nachprüfungsverfahren im Rahmen der Vergabe öffentlicher Liefer- und Bauaufträge (Abi. EG Nr. L 395 S. 33), - Richtlinie 90/531/EWG des Rates v. 17.09.1990 betreffend die Auftragsvergabe durch Auftraggeber im Bereich der Wasser-, Energie- und Verkehrsversorgung sowie im Telekommunikationssektor (Abi. EG Nr. L 297 S. 1), - Richtlinie 92/13/EWG des Rates v. 25.02.1992 zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften für die Anwendung der Gemeinschaftsvorschriften betreffend die Auftragsvergabe im Bereich der Wasser-, Energie- und Verkehrsversorgung sowie im Telekommunikationssektor (Abi. EG Nr. L 76 S. 14) und - die Richtlinie 92/50/EWG des Rates v. 18.06.1992 über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Dienstleistungsaufträge (Abi. EG Nr. L 209 S. 1).

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Obwohl sich diese Ausgestaltung des Rechtsschutzes bewährt hat 17 , ruhte die EG-Kommission nicht, gegen Deutschland wegen angeblich unzureichender Umsetzung der EG-Richtlinien für öffentliche Aufträge ein Vertragsverletzungsverfahren vor dem Europäischen Gerichtshof anzustrengen. Hinz kam ein Handelsstreitverfahren, das die USA gegen Deutschland eröffnet haben. Es ging um eine Vergabe im sogenannten Sektorenbereich (Versorgungsunternehmen). Vor diesem Hintergrund hat die Bundesregierung am 22. August 1997 durch den Bundesminister für Wirtschaft einen Entwurf des Vergaberechtsänderungsgesetzes (VgRÄG) vorgelegt. Er sieht im wesentlichen ein Konzept im Rahmen des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen vor. Kern der beabsichtigten Neuregelung ist, was unseren Zusammenhang betrifft, die Nachprüfung des Vergabeverfahrens öffentlicher Auftraggeber durch verwaltungsinterne Vergabekammern des Bundes und der Länder und in zweiter Instanz durch Oberlandesgerichte. Bieter sollen hierdurch - der Entwurf spricht von erstmals, was unzutreffend ist 1 8 - ein subjektives Recht auf Einhaltung der Vorschriften über die öffentliche Auftragsvergabe erhalten 19 . Der durch dieses Vergaberechtsänderungsgesetz grundlegend umgestaltete Sechste Teil des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen sieht in § 106 Abs. 6 vor, daß die Unternehmen einen Anspruch darauf haben, daß der Auftraggeber die Bestimmungen über das Vergabeverfahren einhält. Es fallt auf, daß eine Anbindung an subjektive Rechtspositionen hier nicht vorgesehen ist. Das ist, wenn man vergleichbare Vorschriften etwa der Verwaltungsgerichtsordnung heranzieht, ein Novum. Zum Ausschluß einer Popularklage verlangen etwa § 42 Abs. 2 und § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO die Verletzung in eigenen Rechten. Es bedürfte deshalb einer näheren Abklärung der Regelungswerke (z.B. VOB/A und VOL/A) daraufhin, welche Vorschriften subjektive Rechtspositionen verleihen und welche lediglich interne oder Ordnungsbedeutung haben. Eine bemerkenswerte Regelung findet sich in § 123 Abs. 1 des Entwurfs. Hiernacli trifft die Vergabekammer und begründet ihre Entscheidung schriftlich innerhalb einer Frist von fünf Wochen ab Eingang des Antrages. Hier gilt es innezuhalten. Auch wenn die Vergabekammern nach Maßgabe des § 116 Abs. 1 Satz 1 des Entwurfs beim Bundeskartellamt angesiedelt sind, handelt es 17

Hierzu Broß, VerwArch88 (1997), 521 ff. Vgl. hierzu nur beispielhaft etwa BVerwGE 5, 325 - Auftragssperre durch öffentlichen Auftraggeber; BVerwGE 7, 89 - Bevorzugung bestimmter Personengruppen bei der Vergabe eines Auftrages der öffentlichen Hand; hierzu auch BVerwGE 34, 213. 19 So der Entwurf unter A. 3. „Zielsetzung" 18

Hannisierungsprobleme zwischen Planungs- und Vergaberecht

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sich doch um unabhängige Entscheidungsgremien, wie § 115 Abs. 1 des Entwurfs klarstellt. Es kommt einem juristischen „Treppenwitz" gleich, daß gerade die von der EG-Kommission vehement geäußerten Zweifel an der Gerichtsqualität der Vergabeüberwachungsausschüsse des Bundes und der Länder vom Europäischen Gerichtshof nicht geteilt wurden. Dieser hat in einem Rechtsstreit, in dem der Vergabeüberwachungsausschuß des Bundes eine Vorlage gefertigt hatte, vorab darüber zu befinden, ob der Vergabeüberwachungsausschuß des Bundes überhaupt vorlageberechtigt im Sinne des Art. 177 EGVertrag ist. Der Europäische Gerichtshof hat die Gerichtsqualität des Vergabeüberwachungsausschusses bejaht 20 . Ist sonach mehr als fraglich geworden, ob Anlaß für eine so grundlegende Änderung, wie sie das Vergaberechtsänderungsgesetz für den betroffenen Bereich bringen soll, noch besteht, ist aber die Vorgabe von Fristen für eine Entscheidung durch unabhängige Spruchkörper mehr als bedenklich; solche Fristen sind abzulehnen. Überdies ist zu befürchten, daß bei größerem Arbeitsanfall zwangsläufig von der Befugnis des § 123 Abs. 1 Satz 2 des Entwurfs Gebrauch gemacht wird, daß bei besonderen tatsächlichen oder rechtlichen Schwierigkeiten der Vorsitzende die Frist durch Mitteilung an die Beteiligten um den erforderlichen Zeitraum verlängern kann und der vorausgesetzte „Ausnahmefall" zum Regelfall wird. Gegen Entscheidungen der Vergabekammern ist nur noch eine Instanz eröffnet (§ 126 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 131 Abs. 4 des Entwurfs). Bei dem zuständigen Oberlandesgericht (§ 126 Abs. 3 Satz 1 des Entwurfs) muß ein Vergabesenat gebildet werden (§ 126 Abs. 3 Satz 2 des Entwurfs). Er muß bei einem Antrag auf Vorabentscheidung über den Zuschlag seine Entscheidung unverzüglich innerhalb von fünf Wochen nach Eingang des Antrages treffen und begründen (§131 Abs. 3 Satz 1 1. Halbsatz des Entwurfs). Bei besonderen tatsächlichen oder rechtlichen Schwierigkeiten kann der Vorsitzende im Ausnahmefall die Frist durch begründete Mitteilung an die Beteiligten um den erforderlichen Zeitraum verlängern (§131 Abs. 3 Satz 1 2. Halbsatz des Entwurfs). Es bleibt aufgrund dieser gerafften Übersicht festzuhalten, daß die Unternehmen, die sich an einer öffentlichen Ausschreibung beteiligen, umfassenden gerichtlichen Rechtsschutz erlangen können, auch wenn er auf zwei Instanzen, eine vorgeschaltete - gleichwohl aber gerichtsähnliche - und eine Gerichtsinstanz, beschränkt ist. Das ist um so erstaunlicher, als bei diesen Regelungen völlig aus dem Blickfeld geraten ist, daß nicht nur die Wettbewerbsposition

20

Entsch. v. 17.09.1997 - Rs. C-54/96, Bulletin 23/97 S. 10.

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eines Teilnehmers an der öffentlichen Ausschreibung im Verhältnis zur ausschreibenden Stelle berührt ist, sondern daß alle anderen Teilnehmer an der öffentlichen Ausschreibung ebenfalls eine gleichgewichtige und gleichrangige Position haben, in einem geordneten Verfahren den Zuschlag, d. h. zivilrechtlich den Auftrag für das ausgeschriebene Vorhaben zu erhalten. Insoweit unterscheidet sich das Rechtsverhältnis von dem auf der Planungsebene, auf der es sich um individuelle Rechtspositionen - überwiegend grundrechtlich abgesichert - jeweils im Verhältnis zum Planungsträger handelt. Auf der Sekundärebene ist - von Fällen kollusiven Zusammenwirkens zwischen einem Teilnehmer an der öffentlichen Ausschreibung und Bediensteten der ausschreibenden Stelle abgesehen - kein Grund ersichtlich, warum ein Rechtsschutz derart ausgeweitet wird, ohne daß eingrenzende Kriterien im Gesetz vorgesehen sind. Man muß hierzu in Erwägung ziehen, daß auch ein Unternehmen, das wegen eines äußerst ungünstigen Angebots keinerlei Aussicht auf den Zuschlag hat, das Ausschreibungsverfahren anhalten kann. Diese Bedenken werden noch dadurch verstärkt, daß - ebenfalls in Abkehr von der Entwicklung des Verwaltungsrechts - der Antrag auf Nachprüfüng bei der Vergabekammer ebenso aufschiebende Wirkung hat (§ 125 Abs. 1 des Entwurfs) wie die sofortige Beschwerde (§ 128 Satz 1 des Entwurfs). Der Gesetzentwurf läßt die Erfahrungen, die man im Verwaltungsrecht etwa mit schikanösen Baunachbar- oder Konkurrentenklagen wegen des automatischen Suspensiveffekts des § 80 Abs. 1 Satz 1 VwGO gemacht hat, völlig außer acht. Die in § 134 des Entwurfs vorgesehenen Schadensersatzregelungen bei Rechtsmißbrauch sind völlig wirkungslos, weil unter Berücksichtigung etwa der Rechtsprechung zu § 826 BGB der Vorsatz oder Mißbrauch nie nachgewiesen werden kann.

IV. Kollision mit dem Gleichheitssatz? Die vorstehend unter II. und III. skizzierten Entwicklungslinien führen zu verschiedenen verfassungsrechtlichen Fragen. Das Bundesverfassungsgericht hat - wiederum zu einer Hamburger Besonderheit - am 14. Mai 1985 eine bemerkenswerte Entscheidung getroffen 21. Es ging darum, daß die Freie und Hansestadt Hamburg gemäß § 188 Abs. 2 Satz 1 BBauG die Wahl hatte, ob sie Bauleitpläne in Form eines Gesetzes oder im Wege einer Rechtsverordnung des Senats feststellt 22 . Das Bundesverfassungsgericht hat hierzu befunden, daß 21 22

BVerfGE 70, 35. Hierzu BVerfGE 70, S. 54 f.

Haronisierungsprobleme zwischen Planungs- und Vergaberecht

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die von einem durch Gesetz festgestellten Bebauungsplan Betroffenen in einer vor Art. 3 Abs. 1 GG nicht zu rechtfertigenden Weise gegenüber solchen Betroffenen schlechtergestellt würden, gegenüber denen ein Bebauungsplan durch Rechtsverordnung festgestellt wird. Hieraus hat das Bundesverfassungsgericht den Schluß gezogen, die Bebauungsplangesetze müßten in das verwaltungsgerichtliche Normenkontrollverfahren nach Maßgabe des § 47 Abs. 1 Nr. 1 VwGO einbezogen werden 23 . Eine vergleichbare Fragestellung hat das Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung vom 17. Juli 1996 24 behandelt 25 . Eine Verletzung des Gleichbehandlungsgebots im Hinblick auf die räumliche Begrenzung des Gesetzes auf den Streckenabschnitt „Südumfahrung Stendal" komme von vornherein nicht in Betracht. In diesem Streckenabschnitt lägen im Vergleich zu den übrigen Streckenabschnitten der Hochgeschwindigkeitsstrecke Hannover-Berlin nähere besondere Umstände vor, die eine Bauzulassung durch Gesetz anstelle eines Planfeststellungsbeschlusses rechtfertigten. Vor diesem Hintergrund drängt sich die Frage einer Verletzung des Art. 3 Abs. 1 GG unter dem Gesichtspunkt, daß die auf der Primärebene Betroffenen gegenüber den Teilnehmern an einer öffentlichen Ausschreibung auf der Sekundärebene bezüglich ihres Rechtsschutzes in wesentlichen Punkten schlechtergestellt werden, auf. In den Fällen von Planungsgesetzen entfallt ein Gerichtsschutz ohnehin, es ist lediglich die Verfassungsbeschwerde eröffnet. Es gibt aber selbst in den Fällen, in denen der Gesetzgeber auf der Primärebene nicht tätig wird, signifikante Unterschiede, die die Betroffenen schlechterstellen. Es findet kein Verwaltungsrechtsschutzverfahren statt. Es ist in der Regel auch nur eine Gerichtsinstanz eröffnet. Mit Rücksicht darauf, daß bei Vergaben auch nur eine Instanz vorgesehen sei, läßt sich das Bedenken nicht ausräumen; denn im Vergabebereich möchte man mit der Beschränkung auf eine Instanz auch dem Wettbewerber helfen, seine Rechte schnell durchzusetzen. Demgegenüber wird im Planungsbereich mit der Beschränkung auf eine Instanz eine Schmälerung der Rechtsposition Betroffener verfolgt. Der automatische Suspensiveffekt auf der Sekundärebene stellt ebenfalls eine Bevorzugung dar. Schlechterdings unvertretbar ist aber, daß die Entscheidungen im Rahmen des Rechtsschutzes auf der Sekundärebene binnen kurzer Fristen getroffen werden müssen, während dergleichen auf der Primärebene nicht vorgesehen ist. Wenn man davon absieht, daß die Betroffenen das Vor-

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BVerfGE 70, S. 55 ff. 2 BvF 2/93, DVB1 1997, 42 - Südumfahrung Stendal. 25 2 BvF 2/93, DVB1 1997, S. 45 unter 3.; kritisch hierzu Blümel, DVB1 1997, S. 210. 24

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haben nicht verzögern, sondern Klarheit über die Rechtslage haben wollen, ist eine solche Schlechterstellung der Betroffenen auf der Primärebene nicht zu rechtfertigen. Nebenbei sei bemerkt, daß insgesamt in allen Gerichtsbarkeiten die Rechtsuchenden oft Jahre auf eine Entscheidung, zum Teil überhaupt der ersten Instanz, warten müssen. Auch hier sind häufig Menschen existentiell betroffen, was bei einem einzelnen öffentlichen Auftrag, um den es bei der konkreten Ausschreibung geht, nur schwer vorstellbar ist.

Kirchenasyl Von Karl Doehring

Das in den vergangenen Jahren vielfach praktizierte sogenannte Kirchenasyl ist nicht so sehr wegen der konkreten Vorgänge selbst von Interesse, sondern deswegen, weil es symptomatisch ist für den Autoritätsverlust der Rechtsordnung. Die asylgewährenden Kirchenvertreter erklären, daß sie durchaus nicht die staatliche Rechtsordnung in Frage stellen wollen, aber dennoch sich gehalten sehen, ihren moralischen und religiösen Vorstellungen zu folgen. So werden Moral und Recht in ein Zwielicht gebracht, dessen Fortbestand unerträglich wäre. Der Begriff des Asyls bedarf der Klärung. Vor langer Zeit gab es die Übung, in Tempeln, Weihestätten und sakralen Einrichtungen Verfolgten und auch Obdachlosen Zuflucht zu gewähren. Doch diese Zeit ging zu Ende. Insbesondere die Katholische Kirche hatte Asyl gefordert und gewährt. Ende des 18. Jahrhunderts allerdings wurde ein solches kirchliches Asylrecht nicht mehr anerkannt 1. Die heutige Berufung auf Kirchenasyl durch Kirchengemeinden oder Pfarrer knüpft offenbar an das alte Asylrecht an, aber es bleibt letztlich doch immer wieder offen, inwieweit dieses Verhalten mit der Rechtsordnung in Übereinstimmung steht. Das Asylrecht spielt eine Rolle im geltenden Völkerrecht. Man unterscheidet territoriales Asyl vom diplomatischen Asyl. Das sogenannte territoriale Asyl bedeutet, daß ein Staat berechtigt ist, politisch verfolgten Fremden Aufenthalt zu gewähren, insbesondere sie vor dem Zugriff des Verfolgerstaates zu schützen2. Dieses territoriale Asyl hat in dem hier genannten Zusammenhang mit dem Kirchenasyl keine Bedeutung. Es geht nicht um den Schutz in einem fremden Staat. 1

Brockhaus, Enzyklopädie, Bd. 2, 19. Aufl. 1987, S. 229. A. Verdross/B. Simma, Universelles Völkerrecht, 3. Aufl. 1984, § 1210 (S. 799, 800); A. Grahl-Madsen, Territorial Asylum, Encyclopedia of Public International Law (EPIL), Vol. I, 1992, S. 283. 2

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Anders ist es bei dem sogenannten diplomatischen Asyl. Dieses bedeutet, daß in der Botschaft eines fremden Staates und also auf fremdem Territorium Schutz in dieser Botschaft gesucht werden kann, so daß der Verfolgte auch hier vor dem Zugriff der territorialen Polizei gesichert ist 3 . Dieses diplomatische Asyl ist nur in Lateinamerika anerkannt, und das auch mit Bedenken. In allen anderen Regionen der Welt besteht ein solches Asylgewährungsrecht einer Botschaft nicht. Ein Beispiel für die rechtswidrige Gewährung diplomatischen Asyls bildete die Unterbringung des ungarischen Kardinals Mindszenty in der amerikanischen Botschaft für eine Dauer von mehr als 15 Jahren 4. Die Amerikaner handelten völkerrechtswidrig, denn ein solches diplomatisches Asyl war eben nicht anerkannt. Dennoch konnte trotz dieser Rechtswidrigkeit die ungarische Polizei das amerikanische Botschaftsgebäude nicht betreten, denn dem stand die absolute Immunität des Botschaftsgebäudes entgegen5. Die einzige Möglichkeit der Ungarn, den Kardinal zu verhaften, hätte darin bestanden, die diplomatischen Beziehungen zu den USA abzubrechen, denn dann hätte die Botschaft aufgelöst werden müssen, die Botschaftsangehörigen hätten ausreisen müssen, und der Kardinal wäre verhaftbar gewesen6. Ein anderes Beispiel bietet die Flucht der ehemaligen DDR-Bürger in die Prager Botschaft der Bundesrepublik 7. Auch diese Botschaft hatte kein Recht, Asyl zu gewähren. Da es sich um gesamtdeutsche Staatsangehörige handelte, hätte man verlangen können, daß die Ausreise in die Bundesrepublik ermöglicht werde. Doch hat die deutsche Regierung eine solche Forderung nicht erhoben. So war der Rechtszustand auch völkerrechtswidrig. Man sieht hier, daß gewisse Ähnlichkeiten zwischen dem sogenannten kirchlichen Asyl und dem diplomatischen Asyl des Völkerrechts bestehen. Nun aber geht es um den Begriff des Asyls nach deutschem Verfassungsrecht. Art. 16 unserer Verfassung garantiert politisch Verfolgten Asyl. Hiernach steht es nur der Staatsgewalt zu, das Asyl zu bewilligen. Ist das nicht der Fall, kann eine Abschiebung erfolgen. Auf die Subtilitäten des sehr detailliert

3 K. Ipsen, Völkerrecht, 3. Aufl. 1990, § 31, Rdnr. 68 (S. 460); A. Verdross/B. Simma (Fn. 2), § 896 (S. 572, 573); J.A. Barberis, Diplomatie Asylum, EPIL (Fn. 2), S. 281. 4 K. Ipsen, Völkerrecht (Fn. 3), § 31, Rdnr. 69. 5 Art. 22 Wiener Diplomatenrechts-Konvention v. 18.4.1961 (BGBl 1964 II, S. 99). 6 Art. 43 i.V.m. Art. 9 der Wiener Diplomatenrechts-Konvention (Fn. 5); H. Blomeyer-Bartenstein, Diplomatie Relations, Establishment and Severance, EPIL, Instalment 9, 1986, S. 99 u. 101. 7 Keesing's Archiv der Gegenwart, Jg. 59, 1989, S. 133749A.

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ausgeformten Asylrechts kommt es hier nicht an. Es genügt, den Grundsatz zu kennen. Gegen Ablehnung des Asyls durch die Staatsgewalt bestehen Rechtsmittel vor unabhängigen Gerichten, bis hin zum Bundesverfassungsgericht 8. Sind Unmenschlichkeiten bei der Ausweisung in den fremden Staat zu erwarten, wird die Abschiebung unterlassen, auch wenn nach dem Tatbestand des Art. 16 ein Asylrecht nicht zuzubilligen wäre. Ipimer aber ist es die Entscheidung der Staatsgewalt, nicht einer privaten odfer kirchlichen Gewalt, die zu beachten ist. Als Exkurs sei bemerkt, daß die Hauptschwierigkeit bei der Asylgewährung darin liegt, die Beweiswürdigung vorzunehmen, ob wirklich politische Verfolgung vorliegt. Wenn eine Überzeugung weder der entscheidenden Behörde noch der Gerichte herzustellen ist, erhebt sich die Frage, wer die objektive Beweislast trägt, d.h. wer nun den Nachteil einer Unbeweisbarkeit trägt, der Staat oder der Verfolgte 9 . Nun fragt es sich, ob es nach dem Grundgesetz dennoch Rechtfertigungsgründe geben könnte, selbständig Kirchenasyl zu gewähren. Hierzu bedarf es einer Betrachtung darüber, wie das Verhältnis zwischen Staat und Kirche sich gestaltet. Nach dem Zweiten Weltkrieg, insbesondere nach der Unterdrückung der Freiheit der Kirchen, ist die Theorie dazu übergegangen, Staat und Kirche als ebenbürtig nebeneinander stehend anzusehen, nicht aber den Staat als schlechthin der Kirche übergeordnet 10. Diese Konstruktion ist nicht einfach, denn ohne die Staatsgewalt und insbesondere ihren Schutz könnten die Kirchen ihre Tätigkeit nicht ausüben. Und insofern besteht dann doch eine Überordnung. Dennoch ist man im Grundsatz immer wieder von einer Gleichordnung von Staat und Kirche ausgegangen. Immerhin kann man sagen, wenn Staat und Kirche in einem Koordinationsverhältnis und nicht in einem Subordinationsverhältnis stehen, müßte die Kirche dasselbe Recht haben wie der Staat, nämlich Asyl zu gewähren. Man könnte sich also die Frage stellen, ob dann, wenn Kirchenasyl gewährt wird, die staatliche Polizei wegen einer gewissen Immunität der Kirche gehindert wäre, nachhaltig und mit Zwangsmitteln einzugreifen. Aber solch eine Annahme der kirchlichen Immunität in einem solchen Falle wäre abwegig, 8 Zur Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts J.A. Bonk, in: Sachs (Hrsg.), Grundgesetz, 1996, Art. 16a, S. 542 ff. 9 J. Kokott, Das inter-amerikanische System zum Schutz der Menschenrechte, 1986, S. 71. 10 A. Hollerbach, in: Handbuch des Staatsrechts, 1989, § 138, Rdnr. 114, 115, 124; § 139, Rdnr. 10; K. Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. m/1, 1988, §68 IV 6ß. 8 FSBlümel

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denn, wie auch bei Gewerkschaften, die ebenfalls Gleichordnung mit dem Staat wegen der Tarifhoheit behaupten, muß letztlich doch das staatliche Recht gelten, etwa bei einem Streik, der das Staatsganze gefährden würde 11 . Den Staat in solchen Koordinationsverhältnissen völlig auszuschalten, würde ein Chaos des Gemeinschaftslebens bedeuten. Nur der Staat, nicht die Verbände, ist berechtigt und verpflichtet, die Totalverantwortung für die Gesamtheit der Staatsbürger zu übernehmen. Kein sogenanntes Koordinationsverhältnis kann und darf der Staatsgewalt ihre Verantwortung entziehen, denn die Rechtsstellung der Verbände leitet sich von der Verfassung ab, aber die gleiche Verfassung sagt, daß die Staatsgewalt vom Volke ausgeht, d.h. nicht von Interessenverbänden. Man kann sich dann fragen, ob eine Rechtfertigung aus den Vorschriften der Weimarer Reichsverfassung sich herleiten läßt, denn diese wurde in den sogenannten Kirchenartikeln in das Grundgesetz übernommen. In der Weimarer Verfassung stand - und das hat das Grundgesetz wiederholt - , daß die Kirchen Körperschaften des öffentlichen Rechts seien. Diese Abgrenzung der Körperschaften des öffentlichen Rechts, wie die Kirchen sich nennen können, bedarf einer solchen von staatlicher Gewalt, aber das hat immer Schwierigkeiten bereitet 12 . Man denke daran, daß darüber gestritten wurde, ob ein Schulgebet stattfinden darf 43 , oder ob und wie lange Kirchenglocken läuten dürfen 14 . Eine Auflösung dieses Spannungsverhältnisses könnte die Vorschrift in den sogenannten Kirchenartikeln leisten, wonach auch die Kirchen bei aller Selbständigkeit an allgemeine Gesetze gebunden sind. Doch auch diese Vorschrift hat Auslegungsschwierigkeiten mit sich gebracht, denn was bedeutet diese Bindung an allgemeine Gesetze15? Zu diesen allgemeinen Gesetzen gehört sicherlich der Gleichheitssatz, aber man wird der Kirche nicht staatlich vorschreiben können, ob sie etwa eine Konfirmation vornehmen muß, weil anders der Gleichheitssatz verletzt wäre, etwa weil die Kinder anderer Eltern unter gleichen Bedingungen konfirmiert worden sind. Könnte sich nun die Kirche bei Asylgewährung auf ihre Selbständigkeit und ihre Besonderheit berufen? Die Rechtslehre geht davon aus, daß der Staat im Sinne der Einhaltung allgemeiner Gesetze die Kirchen überwachen darf, 11

W. Höfling, in: Sachs, Grundgesetz (Fn. 8), Art. 9, Rdnr. 134. D. Ehlers, in: Sachs, Grundgesetz (Fn. 8), Art. 140, Rdnr. 17 ff.; A. Hollerbach (Fn. 10), § 138, Rdnr. 125, 133, 134. 13 BVerfG v. 16.10.1979, BVerfGE 52, S. 223. 14 BVerwG v. 7.10.1983, BVerwGE 68, S. 62. 15 D. Ehlers, in: Sachs, Grundgesetz (Fn. 8), Art. 140, Rdnr. 10 ff ; A. Hollerbach (Fn. 10), § 138, Rdnr. 117 f. 12

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aber das soll nicht gelten für sakrale Zuständigkeiten 16 . Dazu aber ist es notwendig, die sakralen Belange von denen weltlicher Art zu trennen. Das hat man immer wieder versucht. So könnte man sich fragen, ob die Asylgewährung der Kirchen sich darauf berufen kann, daß sie gerade auch eine sakrale Handlung darstellt, daß sie rein religiös motiviert sei und damit mit einer gewissen kirchlichen Weihe ausgestattet. Aber bei dieser Abwägung ergibt sich doch das Folgende. Religionsfreiheit und Gewissensfreiheit, die im Grundgesetz als fündamentale Rechte niedergelegt und vordergründig keiner Einschränkung zugänglich sind, verbürgen zwar die Betätigung von Religion und Gewissen, aber sie berechtigen doch nicht dazu, die Mißachtung der staatlichen Ordnung zu praktizieren 17 . Zur staatlichen Ordnung gehört unbestritten die Respektierung des Staates als „Rechtsstaat". Dieser Rechtsstaatsbegriff bedeutet, daß im Konfliktfall unabhängige Gerichte zu entscheiden haben 18 , also auch im Konfliktfall zwischen sakralen Handlungen und weltlichen Handlungen der Kirche. Wer diese Entscheidungskompetenz der unabhängigen Gerichte nicht anerkennt, kann sich auf Religionsfreiheit und Gewissensfreiheit nicht berufen. Nun könnte sich ergeben - das ist theoretisch erwägbar - , daß ein staatliches Gericht selbst Grundsätze verletzt, die wegen ihres naturrechtlichen Charakters auch der Verfassung übergeordnet sind. Das Bundesverfassungsgericht hat so überpositives Recht auch anerkannt 19 , allerdings wohl auch gemeint, daß alle diese Naturrechtssätze letztlich doch in unseren Grundrechten aufgefangen und so positiviert sind. Bei dieser Erwägung geht es also darum, ob es ein Widerstandsrecht gegen staatliches Unrecht gibt und auch ein solches, das von den Gerichten selbst verkündet wird. Dann wäre zu prüfen, ob auch gerichtliches Unrecht durch Widerstandsrecht bekämpft werden darf, worauf ein Kirchenasyl sich dann gründen könnte, wenn man die Ausweisung etwa eines Fremden für unmenschlich und gegen fundamentale Prinzipien der Menschenrechte verstoßend ansieht. \ \ 16

D. Ehlers, in: Sachs, Grundgesetz (Fn. 8), Art. 140, Rdnr. 19; A. Hollerbach (Fn. 10), zu § 138, Rdnr. 114-116. 17 J. Kokott, in: Sachs, Grundgesetz (Fn. 8), Art. 4, Rdnr. 88 ff. 18 E. Schmidt-Aßmann, in: Handbuch des Staatsrechts (Fn. 10), zu § 24, Rdnr. 70. 19 K Doehring, Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, 3. Aufl. 1984, S. 129; BVerfG v. 23.10.1951, BVerfGE 3, S. 225 (233), und später BVerfG v. 14.11.1962, BVerfGE 15, S. 126 (144); v. 7.10.1970, BVerfGE 29, S. 166 (176); v. 14.2.1973, BVerfGE 34, S. 269 (287); K. Doehring, Das Widerstandsrecht des Grundgesetzes und das überpositive Recht, Der Staat, Bd. 8, 1969, S. 429 ff. (437).

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Wir haben zwei Arten von Widerstandsrecht zu unterscheiden, nämlich ein solches Widerstandsrecht contra legem, d.h. gegen das geltende und ausdrücklich verkündete Recht und letztlich auch gegen die Verfassungsordnung 20 . Auf ein solches Widerstandsrecht stützte sich die Auffassung der Widerstandskämpfer vom 20. Juli 1944. Sie vertraten den Standpunkt, daß die gesamte Rechtsordnung demaskiert als eine Unmenschlichkeit zu betrachten sei, und da fragten sie nur ihr Gewissen, ob sie gegen die Rechtsordnung kämpfen dürften. Sie haben das bejaht. Dafür sprechen auch gute Gründe, so wie wir heute auch DDR-Unrecht nach allgemeinen Menschenrechten mes„21 sen . Dogmatisch gesehen allerdings kann keine Verfassung ein ungeschriebenes Recht, sich selbst zu bekämpfen, anerkennen. Die Verfassung höbe sich selbst auf 22 . Wenn man sich auf absolutes und noch über der Verfassung stehendes Recht beruft, hilft eben doch nur die Gewissensentscheidung des Einzelnen, der dann die Folgen zu tragen hat. Das liegt daran, daß keine Rechtsordnung es dem einzelnen Bürger überlassen kann, ob er sie als rechtmäßig oder als unrechtmäßig beurteilt. Auch ein ungerechtes Urteil muß in einem Rechtsstaat hingenommen werden, denn der Rechtsfriede steht oftmals höher als die absolute und oft schwer aufzufindende Gerechtigkeit 23 . Nun haben wir im Grundgesetz ausdrücklich ein Widerstandsrecht aufgenommen, nämlich Art. 20 Abs. 4 GG. Es erhebt sich daher die Frage, ob es nicht möglich ist, daß diejenigen, die Kirchenasyl gewähren wollen, sich auf diesen Grundgesetzartikel berufen. Es heißt dort, daß jedermann Widerstand leisten kann gegen Bestrebungen - seien sie von unten oder von oben kommend 24 die diese Rechtsordnung aufheben wollen. Doch dieses verfassungsrechtlich verbürgte Widerstandsrecht ist nur so gemeint, daß es zum Schutz der bestehenden Ordnung eingesetzt werden kann. Außerdem darf das Widerstandsrecht nur ausgeübt werden, wenn kein anderes Mittel zur Korrektur den Betroffenen zur Verfügung steht. Als ein solches anderes Mittel wird die Anrufung unabhängiger Gerichte angesehen25, denn sie zählen gerade zum Kernbestand unserer freiheitlichen demokratischen

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K Doehring, Staatsrecht (Fn. 19), S. 275. BGH v. 20.3.1995, NJW 1995, S. 2728 ff. (2730). 22 K. Kröger, Widerstandsrecht und demokratische Verfassung, in: Recht und Staat, 1971, S. 5 f. 23 Anders kann das Institut der Rechtskraft nicht begründet werden, wenn sie auch objektiv fehlerhafte Entscheidungen erfaßt. 24 D. Murswiek, in: Sachs, Grundgesetz (Fn. 8), Art. 20, Rdnr. 117. 25 R. Dolzer, in: Handbuch des Staatsrechts (Fn. 10), § 171, Rdnr. 32. 21

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Grundordnung, die es zu schützen gilt und die nur das Widerstandsrecht schützen darf. Immerhin wäre denkbar, daß auch ein Gericht, selbst das Bundesverfassungsgericht, gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung im Sinne unserer Verfassung verstößt. Diese Frage ist nicht aufzulösen, aber die Rechtsordnung, die wir haben, kann schlechthin nicht zubilligen, daß die Entscheidung, ob die höchste Gerichtsbarkeit gegen die Verfassung selbst verstößt, zum Widerstand berechtigt. Haben wir eine unabhängige Gerichtsbarkeit, insbesondere die Verfassungsgerichtsbarkeit, eingerichtet, dann haben wir uns dazu entschieden, daß hier das letzte unkorrigierbare Wort gesagt wird 2 6 . Selbst wenn man sich auf die Menschenrechtskonvention Europas berufen würde, ergäbe das kein anderes Bild. Die Menschenrechtskonvention enthält kein Asylrecht, aber doch gebietet sie den Schutz gegen Unmenschlichkeit. So wäre immerhin den kirchlichen Asylgewährern, bestimmt aber den Asylbetroffenen, die Anrufung der Organe der Menschenrechtsorgane in Straßburg zuzumuten, wenn behauptet wird, nicht nur Asyl sei verwehrt, sondern die Abschiebung führe zu einer Unmenschlichkeit 27 . In diesen Fällen würde der Menschenrechtsgerichtshof in Straßburg entscheiden, aber auch er würde das letzte Wort sprechen, und ein Widerstandsrecht nun auch gegen den Straßburger Gerichtshof würde von niemandem anerkannt werden können. Die Lage ist eben eine ganz andere als in einem totalitären Staat, in dem unabhängige Gerichte nicht bestehen, sondern die Gerichte nach Parteidirektiven entscheiden, wie das in kommunistischen Staaten und weitgehend auch im NSRegime, etwa bei der „Rechtsprechung" des Volksgerichtshofs, der Fall war. Selbst wenn man dem Abzuschiebenden im Ausland Todesstrafe androht, wäre es doch letztlich die deutsche Gerichtsbarkeit, die darüber entscheiden müßte, ob dieser Strafvollzug unserer Rechtsauffassung entspricht. Die Rechtsprechung ist hier nicht völlig klar 2 8 , aber hierauf ist nicht näher einzugehen. Das Ergebnis dieser Überlegungen ist das Folgende. Es besteht kein Recht der Kirchen, Asyl zu gewähren, sondern die Kirchen handeln im Sinne unserer Verfassung schlechthin rechtswidrig. Es erhebt sich nun aber auch die Frage, ob die Polizei mit Zwangsmitteln den Asylsuchenden dem Kirchenasyl entziehen darf, auch wenn er sich unter dem Hausrecht der Kirche befindet. Berufen sich die Kirchen auf ihren Status 26

K. Doehring, Das Widerstandsrecht (Fn. 19), S. 429 ff. EuGRZ 1989, S. 314, 321 (GH 161, 40). 28 BVerfG v. 4.5.1982, BVerfGE 60, S. 348 (354); v. 30.6.1964, BVerfGE 18, S. 112. 27

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als Körperschaften des öffentlichen Rechts, könnte man annehmen, daß nur ihnen das Hausrecht zusteht. Normalerweise kann nach unserer Rechtsordnung eine Behörde nicht mit Zwangsmitteln gegen eine andere Behörde vorgehen, sondern wenn es - um ein Beispiel zu geben - darum geht, in einer Universität Ordnung zu schaffen, muß die Anordnung von einer gemeinsamen höheren Behörde ergehen 29, nämlich durch die Landesregierung. Geschieht das nicht, setzt sich das Hausrecht der Behörde durch. Könnte man hier nun eine Parallele ziehen? Das ist nicht der Fall, denn eine gemeinsame höhere und weisungsberechtigte Behörde zwischen Kirche und Polizei besteht nicht oder doch nur in Gestalt der Landesregierung. Das bedeutet, daß das Hausrecht nicht dazu fuhren kann, einen rechtswidrigen Zustand herzustellen oder aufrechtzuerhalten. Die Staatsgewalt muß also hier eingreifen dürfen, um Rechtswidrigkeiten zu verhindern. Hat aber ein unabhängiges Gericht rechtskräftig entschieden, daß Asyl nicht gewährt werden kann, oder auch daß die Abschiebung durchgeführt werden muß, kann es eine Berufung der Kirchen auf eine Art Immunität nicht geben, denn würde man das zulassen, höbe sich die Totalverantwortung des Staates für das gesamte Wohlergehen seiner Staatsbürger wiederum auf. Abschließend sei noch bemerkt, daß diese gesamte Frage - und über das Kirchenasyl hinaus gesehen - durchaus aktuell ist, denn viele Interessenverbände meinen heute, sich auch gegen die Staatsgewalt durchsetzen zu dürfen. Das Streikrecht etwa hat sich mehr und mehr zu einem rechtswidrigen Erpressungsmittel entwickelt. Das liegt an einem doch wohl überstrapazierten Grundrecht auf Selbstbestimmung des Individuums, in einer überzogenen Sicht von Individualrechten und letztlich doch an einer Schwäche des Staates. Niemand will den totalitären Staat, aber wenn der Staat seine Ordnungsfunktion aufgibt, sind auch Individualrechte nicht mehr geschützt.

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H. Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, 10. Aufl. 1995, § 21, Rdnr. 28.

Zuständigkeitsgrenzen der Kommunalwirtschaft Von Rolf Grawert

I. Einleitung „Es gehört zu den Eigenarten der gemeindlichen Selbstverwaltung in Deutschland, daß die deutschen Gemeinden auf der Grundlage der Unbeschränktheit ihres Wirkungsbereichs schon sehr früh und in verhältnismäßig weitem Umfange neben ihren Aufgaben auf dem Gebiete der öffentlichen Verwaltung auch rein wirtschaftliche Aufgaben übernommen haben." M i t dieser Feststellung leitete die Begründung zu § 67 der Deutschen Gemeindeordnung von 19351 das Gesetzesvorhaben ein 2 , dieser Gemeindewirtschaft im Interesse der Privatwirtschaft gewisse Grenzen zu setzen. Seither geht das Kommunalrecht ebenso von der Zuständigkeit der Kommunen zur wirtschaftlichen Betätigung wie von dem Erfordernis eines rechtfertigenden öffentlichen Zweckes aus. „Für die Zulässigkeit gemeindlicher Wirtschaftsbetätigung ist in jedem Falle ausschlaggebend", so hieß es damals, „daß sie durch einen öffentlichen Zweck gerechtfertigt ist. Es kann einer Gemeinde nie erlaubt sein, zu wirtschaften, wenn ihr einziges Ziel dabei das der Gewinnerzielung ist; vielmehr muß es sich bei der gemeindlichen Wirtschaft stets um Betätigungen handeln, die nach der ganzen Entwicklung und den herrschenden Anschauungen eine im öffentlichen Interesse gebotene Versorgung der Einwohnerschaft zum Gegenstand haben. Demnach müssen Leistungen und Lieferungen des gemeindlichen Unternehmens selbst einem öffentlichen Zweck dienen " So legitimiert, haben Gemeinden und Kreise 3 ihr ökonomisches Aktionsfeld über die damals üblichen Versorgungsunternehmungen hinaus erweitert. In

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DGO v. 30.1.1935 (RGBl I S. 49). RAnz. Nr. 27 v. 1.2.1935, 1. Beilage, S. 1 f. 3 Baden-Württemberg: §§ 102 ff. GO, § 48 KrO; Bayern: Art. 89 ff. GO, Art. 77 ff. LKrO; Brandenburg: §§ 100 ff. GO, § 63 KrO; Hessen: §§ 121 ff. GO, § 52 KrO; 2

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der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung schlagen ihre Wirtschaftsbetätigungen erheblich zu Buche und tragen heute zur Staatsquote umfangreich bei 4 . Seitdem die Kommunen unter Finanznot leiden, weiten sie ihre wirtschaftliche Betätigung sogar aus, um die Last der Aufgaben tragen zu können. Immer mehr sehen sie sich gezwungen, auch gewinnorientiert an den Markt zu gehen und Wertschöpfung zugunsten ihres Haushaltes zu betreiben. Sie betreiben dies durch den Ausbau ihrer administrativen Dienstleistungen sowie durch eigene, privatrechtlich organisierte Wirtschaftsunternehmen, die zudem den Haushalt von Investitions- und Personalkosten entlasten sollen. Dezentralisierung, Privatisierung und Kommerzialisierung sind die Leitbegriffe dieser Entwicklung. Nachdem die Kommunen in den vergangenen Jahren eine sogenannte Aufgabenkritik mit dem Ziel betrieben haben, ihre Aufgabenlast auf ein später gern lean production genanntes Maß zurückzufuhren, expandieren sie nun durch Kommerzialisierung und Privatisierung sowohl ihrer Einrichtungen als auch ihrer Unternehmen und stellen sich sowie ihr Verwaltungspersonal auf „Unternehmensähnlichkeit" und „Managementkonzepte" ein 5 . Jedoch haben die kommunalwirtschaftlichen Markterfolge auch ihren Preis, und die mittelständische Privatwirtschaft meint, sie sei es, die ihn entrichtet 6. In der Tat: Sofern der umworbene Bürger sich durch Konkurrenzangebote der Privat- und Kommunalwirtschaft nicht zu Mehrverbrauch verlocken läßt, ist der Gewinn des einen der Verlust des anderen Anbieters. Die Lage ähnelt also

Mecklenburg-Vorpommern: §§ 68 ff., § 122 KommVerf.; Niedersachsen'. §§ 108 ff. GO, § 65 KrO; Nordrhein-Westfalen: §§ 107 ff. GO, § 53 I KrO; Rheinland-Pfalz: §§ 85 ff. GO, § 57 LKO; Saarland: §§ 108 ff., § 189 KSVG; Sachsen: §§ 95 ff. GO, § 63 KrO; Sachsen-Anhalt. §§ 116 ff. GO, § 65 KrO; Schleswig-Holstein: §§ 101 ff. GO § 57 KrO; Thüringen: §§ 71 ff., § 114 KommO. Vgl. dazu die Angaben aus dem Statistischen Jahrbuch 1997: Einnahmen aus wirtschaftlicher Tätigkeit (in Mill. DM): Länder Gemeinden Jahr Bund 7.033 12.944 1993 16.143 7.476 13.666 1994 17.603 1995 15.241 7.835 13.720 7.520 14.122 1996 13.043 5 Neues Steuerungsmodell: KGSt-Mitteilungen 5/1993 v. 10.3.1993, S. 17 ff. 6 Laurenz Meyer, wirtschaftspolitischer Sprecher der CDU-Fraktion des NW Landtags, lt. Westdeutsche Allgemeine Zeitung Nr. 46 v. 23.2.1996: „Die Ausweitung der wirtschaftlichen Betätigung von Kommunen bedroht die Existenz von Handwerksunternehmen und anderen Mittelständlern." - Martin Aßmann, Präsident des Verbandes Beratender Ingenieure VBI: Scheinprivatisierung macht noch keinen Markt, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung Nr. 192 v. 20.8.1997, S. 14; ferner Arbeitsgemeinschaft selbständiger Unternehmer, die sich laut Bericht der Neue Zürcher Zeitung Nr. 18 v. 23.1.1998, S. 11, gegen die rechtlich problematische Ausweitung der Abfallbeseitigung durch Kommunen wendet.

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der vor etwa siebzig Jahren, als die Kommunen in ihre Schranken gewiesen werden sollten. Haben die Zulässigkeitsbegrenzungen nichts bewirkt oder ist die Entwicklung über sie hinweggegangen? Die Auseinandersetzungen um Marktanteile werden heute gern mit Wettbewerbsargumenten geführt. Während die Kommunen und ihre Wirtschaftsunternehmen sich für den Wettbewerb rüsten, Wettbewerbsfreiheit reklamieren 7 und im Wettbewerb bestehen wollen, beklagen die Privaten Wettbewerbsverzerrungen von hoher Hand und führen dazu ihre Grundrechte sowie Gemeinschaftsrecht ins Feld. Wer so argumentiert, unterstellt, daß Kommunen und Private grundsätzlich gleichberechtigte und zum Wettbewerb gleichermaßen legitimierte Konkurrenten sind, so daß es nur um das Folgeproblem gehen kann, dem Marktverhalten Mißbrauchsgrenzen zu setzen, die für jedermann gelten8. Das hatte der Gesetzgeber der Deutschen Gemeindeordnung noch anders gesehen. Wer wie er den Kommunen die Rechtfertigung ihrer wirtschaftlichen Betätigung durch einen öffentlichen Zweck abverlangt, stellt besondere Zugangsbedingungen für die Marktteilnahme auf. In diesem Sinne normiert auch das geltende Kommunalrecht Zulässigkeitsvoraussetzungen, die grundrechtlich berechtigte Wettbewerber selbstverständlich nicht zu erfüllen brauchen: Nur wenn der öffentliche Zweck die wirtschaftliche Betätigung rechtfertigt 9 bzw. erfordert 10 bzw. ein dringender öffentlicher Zweck sie erfordert 11 , darf die Kommune wie ein privates Wirtschaftssubjekt auftreten, sofern auch die weiteren Zulässigkeitsvoraussetzungen erfüllt werden. Während wirtschaftende Grundrechtssubjekte aufgrund ihrer Wirtschaftsfreiheiten marktfähig sind, benötigen Kommunen Zuständigkeiten, die aus der Staatsgewalt resultieren; denn die Kommunen sind „Teile" des Staates, im Bundesstaat also des Glied- und des Gesamtstaates12. Deshalb ist das Recht der Kommunen zu wirtschaftlicher Betätigung in erster Linie ein Zuständigkeitsproblem.

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Dieter Oesterwind, Mitglied der Stadtwerke Düsseldorf: Kommunale Unternehmen brauchen mehr Handlungsfreiheit, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung Nr. 245 v. 21.10.1995, S. 16. 8 So prononciert Olaf Otting, Öffentlicher Zweck, Finanzhoheit und fairer Wettbewerb - Spielräume kommunaler Erwerbswirtschaft, DVB1 1997, S. 1258, 1263. 9 So § 102 I Nr. 1 BW GO; § 100 I Nr. 1 Bbg. GO; § 121 I Nr. 1 Hess. GO; § 68 I Nr. 1 Mbg.-Vorp. KommVerf.; § 108 I Nr. 1 NS GO; § 85 I Nr. 1 RP GO; § 108 I Nr. 1 SL KSVG; § 97 I Nr. 1 Sächs. GO; § 116 I Nr. 1 Sachs.-Anh. GO; § 101 I Nr. 1 SH GO. 10 Art. 891 Nr. BY GO; § 711 Nr. 1 Thür. KommO. 11 § 107 I Nr. 1 NW GO; zur diesbezüglichen Praxis kritisch - mit Beispielen Friedrich Wilhelm Held, Die Neufassung des NRW-Gemeindewirtschaftsrechts, Ziele und Wege, NWVB1 1995, S. 325 f. 12 So bereits BVerfGE 8, S. 122, 138.

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II. Verbandszuständigkeit zur Wirtschaftsbetätigung Nach der bundesweit maßgebenden Garantienorm des Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG sind die Gemeinden für alle Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft, das heißt für solche Aufgaben, die in der örtlichen Gemeinschaft wurzeln oder auf diese einen spezifischen Bezug haben 13 , zuständig, und sie dürfen diese Aufgaben eigenverantwortlich wahrnehmen. Die Gemeinden besitzen insoweit ein gegenständlich nicht bestimmtes „Zugriffsrecht" 14 , während die Kreise auf konstitutive Zuständigkeitsbegründungen angewiesen sind 15 . Zählt die wirtschaftliche Betätigung zum gemeindlichen Aufgabenbereich? Ist sie, für sich genommen, eine ursprünglich oder typisch das Gemeindekollektiv kennzeichnende Gemeinschaftsangelegenheit, die es im Wege bürgerschaftlicher Selbstverwaltung zu erledigen gilt? Oder ist sie Mittel zur Aufgabenerledigung und gehört deshalb zu den die Eigenverantwortlichkeit konkretisierenden Instrumenten der Verwaltungsführung, die kein Zweck an sich sind? Im Schrifttum wird häufig und auch emphatisch die These vertreten, die gemeindliche Wirtschaftsbetätigung rechne zum unantastbaren Wesensgehalt der gemeindlichen Selbstverwaltung und sei zu deren kraftvoller Entwicklung unabdingbar 16 . Diese Überzeugung liefert aber noch keine begründete Antwort auf die gemäß Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG alternativ zu stellende Frage, und sie erklärt vor allem nicht die normative Funktion jener Gesetzesvorschriften, die die Gemeinden und Kreise eigens zu wirtschaftlicher Betätigung ermächtigen. Diese Ermächtigungen beruhen auf positivem Recht, das zwar seine Tradition hat, aber nicht selbstverständlich und unvorgreiflich ist. Wer die kommunale Wirtschaftsfreiheit für einen Archetypus hält, kann in den Verdacht geraten, von der vorstaatlichen Gemeindefreiheit auszugehen, die im 19. Jahrhundert noch als Hervorbringung der bürgerlichen Gesellschaft galt 17 . Das Grundge13 BVerfGE 8, S. 122, 134; 79, S. 127, 151 f.; grundsätzlich zur Selbstverwaltungsgarantie Willi Bliimel/Rolf Grawert, Gemeinden und Kreise vor den öffentlichen Aufgaben der Gegenwart, WDStRL 36 (1978), S. 170, 188 ff., bzw. S. 277, 286 ff. 14 BVerfGE 79, S. 127,147, 150. 15 BVerfGE 83, S. 363, 383. 16 Rupert Scholz, Neue Entwicklungen im Gemeindewirtschaftsrecht - Strukturfragen und Verfassungskritik, DÖV 1976, S. 441, 442; mit weiteren Nachweisen zustimmend Joachim Burmeister, Verfassungsrechtliche Grundfragen der kommunalen Wirtschaftsbetätigung, in: Albert von Mutius (Hrsg.), Selbstverwaltung im Staat der Industriegesellschaft. Festgabe zum 70. Geburtstag von Georg Christoph von Unruh, 1983, S. 623 (die dort in FN 3 zitierten Entscheidungen des BVerfG betreffen allerdings nicht die wirtschaftliche Betätigung). 17 Vgl. nur Otto Gönnenwein, Gemeinderecht, 1963, S. 12 ff.; § 184 der Verfassung des Deutschen Reiches v. 28.3.1849 (RGBl S. 101).

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setz hat die Kommunen jedoch in den Staat einbezogen. Deshalb ist es zunächst angebracht, die funktionelle Bedeutung des Begriffes „wirtschaftliche Betätigung" klarzustellen. Die meisten Gemeindeordnungen setzen den Begriff „wirtschaftliche Betätigung" 1 8 bzw. „wirtschaftliche Unternehmen" 19 unbestimmt voraus. Seit der Begründung zu § 67 DGO erfolgt die Auslegung vornehmlich im Hinblick auf den Wettbewerb zwischen Gemeinde- und Privatwirtschaft: Tätigkeiten, die auch von Privaten mit der Absicht der Gewinnerzielung betrieben werden können 20 . Das geltende Gemeinderecht stützt diese Formel - nur noch ausnahmsweise - durch das Subsidiaritätsprinzip 21 und durch besondere Wettbewerbsschranken 22. Für Brandenburg und Nordrhein-Westfalen gelten neuerdings inhaltlich angereicherte Legaldefinitionen: „Als wirtschaftliche Betätigung ist der Betrieb von Unternehmen zu verstehen, die als Hersteller, Anbieter oder Verteiler von Gütern oder Dienstleistungen am Markt tätig werden, sofern die Leistung ihrer Art nach auch von einem Privaten mit der Absicht der Gewinnerzielung erbracht werden könnte." 23 Die Definition verdeutlicht, daß die Wirtschaftstätigkeit selbst und unmittelbar nicht auf Aufgaben, sondern auf den Markt bezogen ist, also auf das System, in dem individuelle Wirtschaftspläne durch Angebote und Nachfragen koordiniert werden. Sie findet im Wirkbereich der Grundrechte statt, zu dem die Gemeinden einen kompetenzrechtlichen Zutritt bei Vorliegen eines öffentlichen Zweckes erhalten. Wettbewerbs- und marktfähig sind demnach Betätigungen bzw. Leistungen, die prinzipiell jeder vornehmen darf, so daß extra commercium nur die den Verwaltungsträgern von Rechts wegen vorbehaltenen Hoheitsaufgaben und -befügnisse stehen. Was diesen bei den Gemeinden ressortierenden Kern der Staatsgewalt ausmacht, ergibt sich nicht aus einer Urtypik. sondern aus Ver18 So § 100 Bbg. GO, § 107 NW GO; § 85 RP GO; so auch als Oberbegriff zu „wirtschaftliche Unternehmen": § 68 Mbg.-Vorp. Komm Verf.; § 108 SL KSVG; § 71 Thür. GO. 19 So § 102 BW GO; Art. 89 BY GO; § 121 Hess. GO; § 108 NS GO; § 97 Sächs. GO; § 116 Sachs.-Anh. GO; § 101 SH GO. 20 BVerwGE 39, S. 329, 333. 21 § 108 I Nr. 3 NS GO: Zulassungsschranke, daß „der Zweck nicht besser und wirtschaftlicher durch einen anderen erfüllt wird oder erfüllt werden kann"; ebenso § 108 I Nr. 3 SL KSVG; § 116 I Nr. 3 Sachs.-Anh. GO; § 101 Nr. 3 SH GO; in NW ist die Klausel gestrichen worden, weil sie angeblich von den Aufsichtsbehörden im Rahmen des Anzeigeverfahrens nicht oder nur mit erheblichem Aufwand an Vergleichsberechnungen angewandt werden konnte: NW LT-Drucks. 11/4983, S. 25. 22 Insbesondere § 102 V BW GO; Art. 89 H BY GO; § 68 IV Mbg.-Vorp. KommVerf.; § 116 V Sachs.-Anh. GO; § 71 E Thür. GO. 23 § 10712 NW GO; ähnlich § 100 Bbg. GO.

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fassungen und Gesetzen, also aus souveränen Entscheidungen. Allerdings schränken inzwischen sowohl die Grundrechte als auch die gemeinschaftsrechtlichen Marktfreiheiten den mitgliedstaatlichen Entscheidungsspielraum ein: Erfordern die Freiheitsgrundrechte als objektivrechtliche, systembildende Normen 24 einen Privatinteressen vorzugswürdigen öffentlichen Zweck grundrechtsrelevanter Verwaltung 25 , so verpflichtet das Gemeinschaftsrecht die Mitgliedstaaten zur Herstellung von Marktfreiheit, mithin auch zu Liberalisierungen durch Abbau von Staatsvorbehalten 26. Diese Leitmaßstäbe treffen sich heute zufällig mit dem kostenorientierten Bestreben, den Staat „schlank" zu machen, und engen so und so den kommunalen Vorbehaltsbereich ein. Freilich haben die Landesgesetzgeber inzwischen umfangreiche Vorkehrungen gegen das Erfordernis getroffen, die gemeindliche Wirtschaftsbetätigung durch einen öffentlichen Zweck zu rechtfertigen. Sie haben nämlich Kataloge sog. nichtwirtschaftlicher Betätigungen bzw. Einrichtungen erstellt, die den Rechtfertigungszwang ex lege erledigen 27 . Dabei zeichnet die nordrhein-westfalische Regelung sich durch die generalklauselartige Unbestimmtheit ihrer Tatbestandsbegriffe aus. Sie eröffnet den Gemeinden ohne weiteres - allerdings im Rahmen der einrichtungsbezogenen Sondergesetze28 - ein weites Betätigungsfeld für Dienstleistungen und Leistungseinrichtungen und zeugt damit von der wohlfahrtsstaatlichen Auffassung, daß Einwohner und Einwohnerschaft auf eine zunehmende Daseinsvorsorge angewiesen sind, während die Philosophien von der Selbstverantwortung des einzelnen und vom „schlanken" Staat sowie die kommunale Finanzschwäche in die entgegengesetzte Richtung weisen. Von Grundrechts wegen ist aber vor allem zu beden-

24 Vgl. dazu Klaus Stern, Idee und Elemente eines Systems der Grundrechte, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Bd. V, 1992, § 109 Rnrn. 50 ff (S. 75 ff). 25 So zutreffend Rüdiger Breuer, Die staatliche Berufsregelung und Wirtschaftslenkung, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Bd. VI, 1989, § 148 Rnrn. 59 ff (S. 1002 ff). 26 Dazu Ingolf Pernice, in: Grabitz/Hilf (Hrsg.), Kommentar zur Europäischen Union, Bd. I, Stand: 7/1997, Art. 90 EGV Rnrn. 1, 71 (S. 2 f., 24 f.); Roland Bieber, in: Beutler/Bieber/Pipkorn/Streil, Die Europäische Union, 4. Aufl. 1993, S. 363 f.: Gleichstellung öffentlicher und privater Unternehmen; Rudolf Streinz, Europarecht, 1992, Rnrn. 787 ff, 825 ff (S. 226 f., 236 f.). 27 § 102 m BW GO; § 121 E Hess. GO; § 68 II Mbg.-Vorp. KommVerf.; § 108 m NS GO; § 107 n NW GO; § 85 n RP GO; § 108 n SL KSVG; § 97 II Sächs. GO; § 116 DI Sachs.-Anh. GO; § 101 II SH GO. - Ein Beispiel für die legitimierte Expansion ist die „kommunale Saunaanlage", die OVG NW, NVwZ 1986, S. 1045 ff, gerechtfertigt hat, weil das Gesetz eine „Fiktionswirkung" für das Vorliegen eines „dringenden öffentlichen Zwecks" entfalte. 28 OLG Düsseldorf, NWVB1 1997, S. 353, 354: betr. Volkshochschule.

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ken, daß die insbesondere auf den Dienstleistungssektor angewiesene Privatwirtschaft jederzeit durch kommunale Aktivitäten vom Markt verdrängt werden und der Einwohner dann der Entgeltpolitik seiner Gemeinde ausgesetzt sein kann. Ungeachtet der verfassungsrechtlichen Fragwürdigkeit dieser Gesetzesfolgen läßt sich den Zuständigkeitsprivilegierungen der Gemeinden die Erkenntnis entnehmen, daß die Definitionen nichtwirtschaftlicher Betätigungen Aufgaben der Daseinsvorsorge 29 umschreiben, während der Begriff der wirtschaftlichen Betätigung an und für sich auf kein bestimmtes Sachziel gerichtet ist. Wirtschaftliche Betätigung ist also kein Zweck, sondern Mittel zum Zweck, nämlich dem der Erfüllung öffentlicher, kommunaler Aufgaben. Ausdrücklich wird das zwar nur in den Gemeindeordnungen Brandenburgs, NordrheinWestfalens und Sachsens gesagt: „Die Gemeinde darf sich zur Erledigung von Aufgaben der örtlichen Gemeinschaft wirtschaftlich betätigen." 30 In den übrigen Ländern sorgt die Bindung an den öffentlichen Zweck für die Einpassung in das Aufgabenspektrum der Kommunen. Kommunale Wirtschaftsbetätigung hat also eine dienende Funktion, anders gesagt: eine Instrumentalfünktion für öffentliche Aufgaben, das heißt für Angelegenheiten, deren Wahrnehmung im kommunalen Allgemeininteresse liegt und insoweit kollektive Bedürfnisse abdecken soll 31 . Die Gesetze, die den Gemeinden die Marktteilnahme gestatten, konkretisieren also nicht die verfassungsrechtliche Aufgabengarantie, sondern die in Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG zugleich garantierte Befugnis zu eigenverantwortlicher Regelung, die der Aufgabenzuständigkeit korrespondiert. Durchweg bildet daher der Aufgabenkreis die Betätigungsgrenze. Die Gemeinden sind also zur Marktteilnahme als Unternehmer nur zuständig, wenn dadurch Sachziele verwirklicht werden, die Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft sind. Gemessen an diesem Konnexitätsgrundsatz, kann die abstrakte Finanzkraft der Gemeinde als ein solches Sachziel nicht gelten. Auch sie ist nur Mittel zum Zweck der Aufgabenerfüllung und wird deshalb als besonderes gesetzliches Zulässigkeitskriterium der Wirtschaftsbetätigung vorausgesetzt. Wer die Stärkung der kommunalen Finanzkraft als grundständige Aufgabe der Gemeinde reklamiert, trägt zwar dem Umstand Rechnung, daß ohne Geld nichts geht, verkennt aber die verfassungsrechtlichen Strukturunterschiede zwischen 29

So ausdrücklich NW LT-Drucks. 11/4983, S. 25. § 100 n Bbg. GO; ähnlich § 1071 NW GO; §§ 96 I, 97 I Sachs. GO. 31 Vgl. dazu Manfred Erhardt, Öffentliche Aufgaben, in: Klaus Chmielewicz/ Peter Eichhorn (Hrsg.), Handwörterbuch der öffentlichen Betriebswirtschaft, 1989, Sp. 1003 ff. 30

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Aufgaben- und Finanzzuständigkeiten32. Da die unternehmerische Marktteilnahme kein Sachziel ist, liegt die Absicht der Gewinnerzielung zur allgemeinen Haushaltssanierung außerhalb der gemeindlichen Verbandszuständigkeit 3 3 . Sie ist, anders gesagt, kein Mittel der Ertragsschöpfung wie Steuern, Gebühren und Beiträge, sondern nur in bezug auf Sachaufgaben gestattet. Zwischen wirtschaftlicher Betätigung und Aufgabenerfüllung muß also ein nachvollziehbarer Zusammenhang bestehen. Das Erfordernis des öffentlichen Zweckes präzisiert diesen Zusammenhang. Denn dieser öffentliche Zweck kann nur im Rahmen der Verbandszuständigkeit verfolgt werden; er ist in diesem Rahmen auf das konkrete Unternehmensvorhaben bezogen. Zu Recht verlangen daher die Kommunalgesetze, daß der „öffentliche Zweck" den privatrechtlich organisierten Unternehmen als Unternehmensgegenstand und Geschäftszweck eingestiftet wird. Derartige Vorgaben müssen bestimmt sein, so daß es weit über das Ziel hinausschießt, wenn kommunalen Unternehmen „neben der Erfüllung ihres originären Unternehmenszwecks" auch die „Aufgabe" zugeschrieben wird, „den wirtschaftlichen Strukturwandel zu meistern" 34 . Jede konkrete Wirtschaftsbetätigung bedarf vielmehr der Rechtfertigung durch einen dafür bestimmten, besonderen öffentlichen Zweck, zu dessen Verfolgung die Gemeinden sachlich zuständig sind 35 . Andererseits rechtfertigt die kommunale Sachzuständigkeit den Einsatz des Mittels der Wirtschaftsbetätigung nur in jenen Ländern, die das Vorliegen eines öffentlichen Zweckes dafür ausreichen lassen. Wo die seit § 67 Abs. 1 Nr. 3 DGO übliche, neuerdings aber seltene36 Subsidiaritätsklausel gilt, steht der Mitteleinsatz dagegen unter dem Vorbehalt anderweitiger Zweckerfüllung; die Klausel geht davon aus, daß auch Private öffentliche Zwecke bedarfsgerecht erfüllen dürfen und können und reserviert ihnen, sofern sie dies „besser und wirtschaftlicher" vermögen, den Vortritt. Die Kommune besitzt insoweit zwar eine virtuelle, aber im Einzelfall konkretisierungs- und begründungsbedürftige Unternehmenszuständigkeit. In den Ländern, die wie NordrheinWestfalen die Subsidiaritätsklausel durch die Zulässigkeitsvoraussetzung der Erforderlichkeit abgelöst haben 37 , schließt bereits der Umstand, daß private 32

Vgl. nur Art. 28 H 3 GG; Art. 79 NW LV: Finanzgarantien für die Gemeinden „zur Erfüllung ihrer Aufgaben". 33 So auch Held (Fn. 11), S. 325; Peter J. Tettinger, Besonderes Verwaltungsrecht, 4. Aufl. 1995, Rnr. 465 (S. 141); anders aber wohl Klaus Hengel (MdL, Köln), Die Debatte über die wirtschaftliche Betätigung der Gemeinden im Rahmen der neuen Gemeindeordnung, NWVB1 1995, S. 329, 330. 34 So Hengel, (FN 32), S. 330. 35 Vgl. Fn. 9. 36 Vgl. Fn. 21. 37 Vgl. Fn. 10, 11.

Zuständigkeitsgrenzen der Kommunalwirtschaft Anbieter den öffentlichen Zweck hinreichend erfüllen, den Einsatz kommunaler Unternehmen aus 38 . Die Kommune bleibt insoweit in einer Art freiwilliger Garantenstellung, darf sich aber nicht in den dann überflüssigen Wettbewerb begeben.

I I I . Gebietsgrenzen der Wirtschaftsbetätigung Da die Gemeinde Gebietskörperschaft und auf die Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft fixiert ist, stellt sich die Frage, ob sie ihre Dienstleistungen auch jenseits der Gemeindegrenzen anbieten und erbringen darf und ob auswärts lokalisierte Gemeindeunternehmen zulässig sind. Definiert das Gemeindegebiet den Produktions- und Leistungsort? Definiert es den Markt? Oder darf die Gemeinde diesseits und jenseits ihres Gebietes an den Markt gehen, sofern dies nur den Aufgaben dient? Wer die kommunale Praxis beobachtet, dem wird das kommunale Handeln extra muros als bewährte Gepflogenheit erscheinen: Fremdenverkehrs- und Bädergemeinden werben typischerweise auswärts und leisten ihre Vermittlungsdienste an Auswärtige; Oberzentren bieten ihre Einrichtungen auch überörtlich an und werden ambulant und überörtlich tätig; Nachbargemeinden agieren in Verbundunternehmen und leisten ihre Verkehrs- sowie Versorgungsdienste außerhalb ihrer Gebiete. Problematisch erscheinen die Grenzüberschreitungen allerdings, seitdem Gemeinden bisher administrierte Angelegenheiten über den kommunalen Bedarf hinaus betreiben, ihre Aktivitäten kommerzialisieren, sich an Unternehmen gewinnorientiert beteiligen und in einen wechselseitigen Wettbewerb um Kunden treten. Seitdem ist die Frage virulent, ob Wirtschaften Grenzen und Märkte öffnet. Sucht man die Antwort im kommunalen Gemeinschaftsrecht 39, dann erscheinen Grenzüberschreitungen als Normalfall. Sie werden in vielfaltigen Formen zugelassen: Kommunale Arbeitsgemeinschaften, öffentlich-rechtliche Vereinbarungen und Zweckverbände sind bewährte Mittel der Kooperation 40 mit überörtlicher Wirksamkeit eines jeden Partners; Zweck eines Zweckver-

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So zutreffend OLG Düsseldorf, NWVB1 1997, S. 353, 355. Darauf heben Rehn/Cronauge, Gemeindeordnung für Nordrhein-Westfalen. Kommentar, 2. Aufl. der Loseblattauflage, Stand 5/1997, Erl. m.2. zu § 2 GO (S. 10 f.), hauptsächlich ab. 40 Beispielhaft das NW Gesetz über kommunale Zusammenarbeit i.d.F. v. 1.10.1979 (GV NW S. 621) - GkG -. 39

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bandes kann auch der Betrieb eines wirtschaftlichen Unternehmens sein 41 wie im Falle des Zweckverbandes Verkehrsverbund Rhein-Ruhr 42 . Wenn zudem die Befugnis, zur gemeinsamen Wahrnehmung von Aufgaben die Gestaltungsmöglichkeiten des Privatrechts zu benutzen, ausdrücklich unberührt bleiben soll 43 , scheint das Problem gelöst zu sein. In Rheinland-Pfalz dürfen rechtsfähige, privatrechtlich organisierte Unternehmen, an denen ausschließlich kommunale Körperschaften beteiligt sind, sogar mit grenzüberschreitenden Hoheitsbefügnissen beliehen und bei der Erfüllung von Selbstverwaltungsaufgaben „an Stelle" jener Körperschaften tätig werden 44 . Zusammenfassend läßt sich festhalten, daß Gemeinden grenzüberschreitend kooperieren dürfen 45 , und zwar auch im Wege der Wirtschaftskooperation. Damit ist über die Zulässigkeit unternehmerischer Grenzüberschreitungen einzelner Gemeinden noch nichts gesagt. Das geltende Kommunalrecht geht auf derartige Vorgänge nur ausnahmsweise ein. Für öffentlich-rechtlich organisierte Sparkassen gilt ausdrücklich das Regionalprinzip 46 . Es konkretisiert allerdings nur das „allgemeine kommunalverfassungsrechtliche Regionalprinzip" 4 7 - besser: Gebietsprinzip -. Daran knüpft bisweilen auch das kommunale Wirtschaftsrecht an: So bedürfen in Bayern und in Thüringen „Unternehmen einer Gemeinde, die nicht auf das Gemeindegebiet beschränkt bleiben," der Genehmigung 48 . Ohne Genehmigung sind gemeindliche Beschlüsse über die Errichtung, Übernahme oder Erweiterung wirtschaftlicher Unternehmen nicht rechtswirksam 49. Da die Genehmigung von der Rechtsaufsichtsbehörde erteilt oder versagt wird 5 0 , umfaßt sie nur die Prüfung der Recht-, nicht auch der Zweckmäßigkeit des konkreten Vorhabens. Sie begründet aber nicht die Zuständigkeit zur Grenzüberschreitung im allgemeinen, so daß diese Sondervorschriften keinen kommunalrechtlichen Grundsatz widerspiegeln. Mithin bleibt das Problem, ob Gemeinden grenzüberschreitend wirtschaften und ob sie auch 41

§ 18 niNW GkG. Dazu § 5 Regionalisierungsgesetz NW v. 7. 3. 1995 (GV NW S. 196). 43 § 1 EI NW GkG. 44 § 85 IV RP GO. 45 Dazu schon Rolf Grawert, Rechtsfragen der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit der Gemeinden, DVB1 1971, S. 484, 485. 46 Vgl. z.B. § 1 D NW Sparkassengesetz i.d.F. v. 25.1.1995 (GVNW S. 92). 47 So OVG NW, OVGE 36, S. 60, 64; zur Differenzierung nach Kredit-, Passiv- und Dienstleistungsgeschäft Bayer. VGH, DVB1 1986, S. 39, 42, durchweg aber mit der Maßgabe der Geschäftsabwicklung vor Ort. 48 So Art. 89 IV BY GO; ebenso § 71IV Thür. KommO. 49 Art. 117 E BY GO; § 123 E Thür. KommO. 50 Art. 1171 mit Art. 110 BY GO; § 123 I mit § 118 Thür. KommO. 42

Zuständigkeitsgrenzen der Kommunalwirtschaft auswärts Unternehmen gründen oder sich an Unternehmen beteiligen können, die sich nicht auch in der Gemeinde zur Erfüllung von deren Aufgaben betätigen. Die Lösung hat davon auszugehen, daß Gemeinden Verwaltungsträger sind und Verwaltung auch dann betreiben, wenn sie sich wirtschaftlich betätigen. Sie sind trotz Privatrechtssubjektivität und Wirtschaftsermächtigung keine geborenen Wirtschaftssubjekte, die privatnützig handeln, sondern Funktionäre der vollziehenden Gewalt im Sinne von Art. 1 Abs. 3 und Art. 20 Abs. 3 GG 5 1 . Ihre Zuständigkeit zur Regelung der Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft ist zugleich Ermächtigung und Beschränkung. Ihr Verwaltungshandeln muß daher örtlich radiziert und radizierbar sein. Deshalb kann auch die wirtschaftliche Betätigung nicht Gewinnchancen folgen und Kundennähe aufsuchen, wie dies betriebswirtschaftlicher Zweckmäßigkeit und dem privatnützigen Unternehmensmodell entsprechen mag, sondern hat sich auf den sozial-örtlich definierten Bereich der Siedlungsgemeinschaft zu konzentrieren. Demzufolge muß die Gemeindewirtschaft in der Gemeinde betrieben werden und dort ihren Nutzen erbringen. Auswärtige Engagements sind infolgedessen regelwidrig. Der Grundsatz der Gebietskonzentration limitiert zugleich die überörtliche Kooperation. Eine grenzüberschreitende Gemeinschaftsarbeit mehrerer Kommunen läßt sich lediglich im Nachbarschaftszusammenhang rechtfertigen, in dem der Ortsbezug der Kooperationswirtschaft auch der Sache nach gewahrt bleibt 52 . Die Gemeinden dürfen sich also lediglich als Hersteller, Anbieter oder Verteiler von Gütern oder Dienstleistungen am örtlichen Markt und dort auch nur zur Erfüllung ihrer Sachaufgaben betätigen. Für die Deckung eines Mehrbedarfes sind sie nicht zuständig 53 .

IV. Private Trabanten der Kommunen Privatisieren die Gemeinden ihre wirtschaftlichen Unternehmen, könnten die sachlichen und örtlichen Verbandsgrenzen allerdings durchlässiger wer51 Vgl. zur kontroversen Diskussion v. Mangoldt/Klein/Starck, Das Grundgesetz. Kommentar, 3. Aufl., Bd. 1, Rnr. 143 (S. 103); wie hier Hans-JJwe Erichsen, Kommunalrecht des Landes Nordrhein-Westfalen. 2. Aufl. 1997, S. 276. 52 Zum öffentlichen Personennahverkehr als örtliche und überörtliche „Aufgabe der Daseinsvorsorge" vgl. insoweit § 3 bis § 5 Regionalisierungsgesetz NW v. 7.3.1995 (GVNWS. 196). 53 Fast alle Gemeindeordnungen beschränken die gemeindliche Wirtschaftsbetätigung auf den voraussichtlichen Bedarf. In NW ist die Bedarfsklausel hingegen abgeschafft worden. 9 FS Blümel

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den, weil nunmehr Privatrechtssubjekte im Spiel sind, die weitere Marktfreiheiten beanspruchen werden, um ihre Existenz zu behaupten. Man stelle sich dazu nur vor, daß privatisierte, verselbständigte Stadtwerke, die als profit centers betrieben werden, ihre Dienstleistungen auswärts anbieten, dazu gegebenenfalls Durchleitungsrechte durch fremdgemeindliche Netze in Anspruch nehmen, auf Ausschreibungen anderer Gemeinden oder anderer Verwaltungsträger oder Privater reagieren, um dann mit dem preisgünstigsten Angebot Fremdaufträge zu erhalten und auswärts durchzuführen; plant die Gemeinde die Aktivitäten ihrer erfolgreichen Eigengesellschaften klug, gewinnt ihr Haushalt infolge Gewinnabführung, zugunsten vielleicht der notleidenden Kultur: So oder ähnlich ließe sich eine „kraftvolle" 54 Gemeindewirtschaft konzipieren, und so wird sie auch vielfach ins Werk gesetzt. Eine weitläufigere Wirtschaftspolitik wird damit kalkulieren, daß kommunale Wirtschaftsunternehmen ihrerseits aktive Tochterunternehmen gründen und mit anderen Unternehmen Arbeitsgemeinschaften privatrechtlicher Art oder Beteiligungsgesellschaften organisieren können, da und insoweit sie als Privatrechtssubjekte gesellschaftsfähig sind. So läßt sich endlich ein Netzwerk kommunaler Wirtschaftsbeziehungen vorstellen. Gelten die Grenzen der Verbandszuständigkeiten auch für kommunale Unternehmen in Rechtsformen des privaten Rechts? Oder bietet das private Rechtsregime mehr Marktfreiheiten als der öffentlich-rechtliche Status der Kommunen? Auf grundrechtliche Marktfreiheiten können Eigengesellschaften der Kommunen und von diesen beherrschte Beteiligungsgesellschaften sich jedenfalls nicht berufen, da sie als Funktionsteile der vollziehenden Gewalt im Sinne von Art. 1 Abs. 3 GG grundrechtsverpflichtet und nicht zugleich -berechtigt sind 55 . Ihre Privatrechtsautonomie ist daher, sofern der Begriff hier überhaupt paßt, nicht Ausfluß der Wirtschaftsgrundrechte der Art. 2 Abs. 1, 11 Abs. 1, 12 Abs. 1, 14 Abs. 1 sowie Art. 3 Abs. 1 GG, sondern der Selbstverwaltungsgarantie des Art. 28 Abs. 2 GG und der dort gewährleisteten Regelungsbefügnis. Von einer dennoch den Grundrechtsschutz auslösenden „grundrechtstypischen Gefährdungslage" 56 kann im Hinblick auf Begründung und Begrenzung kommunaler Wirtschaftsbetätigung nicht die Rede sein. Da das Bundesverfassungsgericht zutreffenderweise auf die Verwaltungsfünktion statt auf die Rechtsform abstellt, können problematisch nur Art, Umfang und 54

Vgl. dazuFn. 16. BVerfGE 61, S. 82, 107. 56 BVerfGE 61, S. 82, 108; der Begriff stammt, soweit ersichtlich, von Bettermann'. vgl. von A. v. Mutius, in: Bonner Kommentar. Zweitbearbeitung, Art. 19 Abs. 3, Rnrn. 85 (S. 67), 114 ff. (S. 92 ff.). 55

Zuständigkeitsgrenzen der Kommunalwirtschaft Intensität der Beherrschung sein, wenn außer Kommunen auch Private Beteiligte einer Beteiligungsgesellschaft sind 57 , während es bei ausschließlich von kommunalen Körperschaften getragenen Unternehmen in Privatrechtsform insgesamt, also ohne Rücksicht auf Beteiligungsverhältnisse, um vollziehende Gewalt geht. Kommunale Minderbeteiligungen müßten schon von Gesetzes wegen ausgeschlossen sein, weil sie die Ausrichtung des Unternehmens auf den öffentlichen Zweck und einen wirksamen Unternehmenseinfluß der Gemeinde 58 in Frage stellen. Bereits bestehende Minderbeteiligungen schließen allerdings den Grundrechtsschutz des selbständigen Unternehmens nicht aus, ergeben aber für die beteiligte Kommune keinen Statuswechsel in den Grundrechtsstatus. Tochterunternehmen selbständiger Kommunalunternehmen in Privatrechtsform gewinnen durch die Ausgliederung keinen besseren Stand als ihre Gründungsgesellschaften. Auch sie können nur als Dezentralen der wirtschaftsbefügten Selbstverwaltungskörperschaft wirken und genießen als solche den Garantiegehalt sowie die Ermächtigungswirkung der Regelungszuständigkeiten gemäß Art. 28 Abs. 2 GG. Infolgedessen dürfen kommunale Unternehmen in Privatrechtsform nicht ultra vires ihrer kommunalen Träger tätig werden. Auch sie sind den Grenzen der Verbandszuständigkeiten verhaftet. Ihre Wirtschaftsagenden rechtfertigen sich allein durch den Bezug zu den Verbandsaufgaben, im Falle von Gemeindeunternehmen also zu den Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft, zu denen abstrakte Finanzinteressen nicht rechnen, sowie durch den konkreten, den Unternehmen eingestifteten öffentlichen Zweck. Weitergehende Unternehmensbereiche dürfen sie sich nicht erschließen, sowenig wie sie kostenträchtige, aber zweckrelevante Unternehmensbereiche im Sinne einer shareholder-value-Politik einfach abstoßen dürfen; solche kostenmindernden Entlastungen stehen unter Entscheidungsvorbehalten der Kommune, soweit diese nicht selbst zur Aufgabenwahrnehmung gesetzlich verpflichtet ist. Ebensowenig ermächtigt die Ermächtigung zu Unternehmen in Privatrechtsform dazu, die Unternehmensbetätigung gebietlich zu entgrenzen. Da diese Betätigung funktionell Selbstverwaltung ist, darf sie sich nur in den örtlichen Grenzen der Verbandszuständigkeiten entfalten. Sie darf im Falle der Gemeinde also lediglich örtlich radiziert stattfinden und allenfalls in Randbereichen extra mu57 Für gemischtwirtschaftliche, von Kommunen beherrschte Unternehmen steht die Beherrschung dem Grundrechtsschutz des Unternehmens entgegen, während beteiligte Private ihren Beteiligtenstatus im Unternehmen und gegenüber der Staatsgewalt geltend machen können; vgl. auch Erichsen (Fn. 46), S. 277. 58 Vgl. dazu § 108 BW GO; Art. 91 BY GO; § 102 Bbg. GO, § 122 Hess. GO; § 69 Mbg.-Vorp. Komm Verf.; §§ 108, 110 NS GO; § 108 NW GO; §§ 85, 87 RP GO; § 109 SL KSVG; §§ 96, 97 Sachs. GO; § 117 Sachs.-Anh. GO; § 102 SH GO; § 73 Thür. KommO.

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ros wirksam sein. Infolgedessen haben kommunale Unternehmen in fremden Märkten nichts zu suchen. Jedoch gestattet das kommunale Gemeinschaftsrecht grenzüberschreitende Kooperationen der Kommunen. Von dieser Kooperationsbefugnis könnten auch die Eigen- und Beteiligungsgesellschaften profitieren, allerdings, wie gesagt, nur im verbandsnachbarlichen Zusammenhang. Dessen Rahmen läßt die Beteiligung von Eigen- und Beteiligungsgesellschaften an Zweckverbänden und an Beteiligungsgesellschaften zu, so daß die kommunale Zusammenarbeit öffentlich-rechtlich und privatrechtlich vernetzt werden kann. Ihr Wirkungsbereich führt jedoch nicht über den der beteiligten Kommunen hinaus. Diese Grenze gilt auch bei vertikaler Differenzierung der Verwaltungsprivatisierung durch Gründung von Holdinggesellschaften oder Tochterunternehmen. Das Problem derartiger Vernetzungen und Differenzierungen ist freilich die Perpetuierung der kommunalrechtlichen Bindungen durch Verbandszuständigkeit und öffentlichen Zweck. Nach den maßgebenden Vorschriften der Gemeindeordnungen sind es die Gemeinden, die nur unter den Voraussetzungen ihrer Verbandszuständigkeit und der Ausrichtung des Unternehmens auf den öffentlichen Zweck Unternehmen in der Rechtsform des privaten Rechts gründen oder sich daran beteiligen dürfen 59 . „Gemeinde" im Sinne dieser Vorschriften ist die Gebietskörperschaft. Der Begriff wird dort im organisationsrechtlichen, nicht im fünktionsrechtlichen Sinne verwendet, so daß Gemeindegesellschaften nicht „als" Gemeinde gelten können. Um zu vermeiden, daß durch Ausgründungen eine Rechtslücke aufgerissen wird, müssen die Gemeinden vorab für die Aufrechterhaltung der öffentlich-rechtlichen Bindungen ebenso wie für die Fortsetzung ihrer Einwirkungsrechte sorgen. Sie kommen ihrer Verantwortung für die Perpetuierung des öffentlichen Rechtsregimes bei formeller Privatisierung nur dann nach, wenn sie sich die Gründung von Holding- und Tochtergesellschaften vorbehalten, um selbst dem Gesetz folgen zu können, oder wenn sie ihre Gesellschaften satzungsrechtlich oder gesellschaftsvertraglich zur Perpetuierung verpflichten.

V. Durchsetzung der Zuständigkeitsbegrenzungen Die Einhaltung der Zuständigkeitsgrenzen obliegt in erster Linie dem zur internen Rechtskontrolle von Gründungsbeschlüssen zuständigen Kommunalorgan, also zum Beispiel dem zur Beanstandung befügten Bürgermeister 60. 59 60

Beispielhaft § 108 11 Nrn. 1, 7 NW GO. Vgl. z.B. § 54 II NW GO.

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Im übrigen ist die Kontrolle eine Aufgabe der Rechtsaufsicht. Um diese dazu instand zu setzen, schreiben Gemeindeordnungen die Vorlage bzw. Anzeige von Gründungsbeschlüssen sowie sonstigen wesentlichen Organisationsentscheidungen vor 6 1 ; nur selten bestehen Genehmigungsvorbehalte 62. Eine mitlaufende Beaufsichtigung des Unternehmensbetriebs ist nicht besonders vorgesehen. Verselbständigte Unternehmen können daher leicht ein Eigenleben führen. Ihre Geschäftstätigkeit entzieht sich der Rechtsaufsicht, die lediglich das Verhalten der Kommunen bezüglich des Unternehmens und in dessen Organen verfolgen kann, sofern sie davon erfährt. Insoweit erstrecken fast alle Länder ihre vorbeugende Rechtsaufsicht auch auf die „wesentliche Erweiterung" des Unternehmens 63. Was damit gemeint ist, läßt sich den Gesetzen nicht klar entnehmen. In Nordrhein-Westfalen wird die Formel „wesentliche Erweiterung einer Gesellschaft" neben die Formel „wesentliche Änderung des Gesellschaftszwecks" gestellt, so daß bereits dessen Beziehung zu dem unabdingbaren „öffentlichen Zweck" klärungsbedürftig bleibt; in MecklenburgVorpommern gilt die Anzeigepflicht der „Erweiterung auf andere Wirtschaftsbereiche". Man könnte daraus - im Gegenschluß - sowie aus dem gemeindefreundlichen Schutzzweck der Anzeigepflicht schließen, „Erweiterung des Unternehmens" bedeute regelmäßig Kapitalerhöhung und nicht ohne weiteres Veränderungen des Unternehmensgegenstandes oder gar Veränderungen der Geschäftstätigkeit im Rahmen des festgelegten Gegenstandes des Unternehmens im Sinne von § 3 Abs. 1 Nr. 2 GmbHG oder § 23 Abs. 2 Nr. 2 AktG. Jedenfalls erstreckt die vorbeugende Rechtsaufsicht sich nicht auf Entscheidungen und Geschäfte verselbständigter Unternehmen in Privatrechtsform, so daß Zuständigkeitsüberschreitungen im laufenden Unternehmensbetrieb sanktionslos bleiben. Insoweit haben Privatisierungen Kontrollücken zur Folge. Ohnehin stößt die Rechtsaufsicht auch dort, wo sie ausgeübt werden darf, auf erhebliche Grenzen der Kontrollmöglichkeit. Diese resultieren aus der Unbestimmtheit der verwendeten Kontrollmaßstäbe und aus dem Umstand, daß die einschlägigen Gesetzesbegriffe ökonomische Berechnungen sowie Bewertungen erfordern. Der nordrhein-westfalische Landesgesetzgeber hat deshalb auf die Subsidiaritätsklausel verzichtet. Seiner Auffassung nach sei die Feststellung, daß „der öffentliche Zweck durch andere nicht besser erfüllt wird 61

§ 108 BW GO; Art. 90 BY GO; § 110 Bbg. GO; § 127 b Hess. GO; § 77 Mbg.Vorp. Komm Verf.; § 109 NS GO; § 115 NW GO; § 86 I RP GO; § 118 SL KSVG; § 102 Sächs. GO; § 123 Sachs.-Anh. GO; § 108 ISH GO; § 72 Thür. GO. 62 § 108ESHGO. 63 So z.B. § 86 I RP GO; § 108 I Nr. 1 SH GO; in § 115 I 1 Buchst, a) NW GO: „wesentliche Erweiterung einer Gesellschaft", obwohl zuvor allgemeiner von „Unternehmen" die Rede ist.

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oder erfüllt werden kann", von den Aufsichtsbehörden im Rahmen des Anzeigeverfahrens nicht oder nur mit erheblichem Aufwand für Vergleichsberechnungen und dergleichen zu treffen 64 . Der brandenburgische Landesgesetzgeber hat dagegen den Gemeinden die Argumentationslast auferlegt: Er verlangt von ihnen, vor Gründung eines Unternehmens, Angebote privater Unternehmen einzuholen und Vergleichsberechnungen vorzunehmen 65 . Damit sind die Gemeinden zumindest im Stadium der Unternehmensgründung unter einen Rechtfertigungszwang gestellt, der die Privatwirtschaft vor unnötiger Konkurrenz der Gemeindewirtschaft bewahren könnte. Der laufende Geschäftsbetrieb eines Unternehmens der Kommune könnte hingegen nur durch den Konkurrenzkampf am Markt in seine Schranken gewiesen werden. Allerdings geht es dann um Leistungs- und nicht um Zuständigkeitsschranken. Angesichts dieser Lage bleibt zu fragen, ob private Wettbewerber sich nicht auch von Rechts wegen gegen eine zuständigkeitsüberschreitende Konkurrenz der Gemeinde- und Kreiswirtschaft wenden und wehren können. Als Rechtsgrundlage für Ansprüche auf Unterlassung oder Einstellung einer rechtswidrigen Wirtschaftsbetätigung der Kommunen kommen in erster Linie die grundrechtlichen Wirtschaftsfreiheiten der privaten Wettbewerber in Betracht. Allerdings hat das Bundesverwaltungsgericht dem „Wettbewerb der öffentlichen Hand" schon früh eine Bresche geschlagen und es abgelehnt, dagegen Art. 12 Abs. 1 GG gelten zu lassen66. Sein wegweisender, apodiktischer Spruch: „Art. 12 Abs. 1 GG schützt nicht vor Konkurrenz, auch nicht vor dem Wettbewerb der öffentlichen Hand", wurde lediglich mit einem Zitat aus einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes 67 belegt, die nur den Wettbewerb Privater betraf; er steht aber trotzdem nach wie vor als Fels in der Brandung des widerstreitenden Schrifttums 68 . Gleichwohl muß man von der inzwischen gefestigten Dogmatik ausgehen, dergemäß die Berufs-, Unternehmens- und Wettbewerbsfreiheit nicht nur vor gezielten Eingriffen, sondern auch vor realen Einwirkungen infolge staatlichen Verhaltens schützen sollen 69 , jedenfalls sofern Grundrechtsbeeinträchti64

NW LT-Drucks. 11/4983, S. 25; kritisch zur Klausel auch Tettinger, Besonderes Verwaltungsrecht (Fn. 32), Rnr. 474 (S. 143). 65 § 100 m mit § 101IV Bbg. GO. Vgl. dazu auch Fn. 68. 66 BVerwGE 39, S. 329, 336; vgl. auch BW VGH, GewArch 1994, S. 464 f. 67 BVerfGE 24, S. 236, 251. 68 Vgl. zuletzt Joachim Erdmann, Wirtschaftliche Betätigung von Wirtschaftskammern, DVB1 1998, S. 13, 15. 69 Vgl. dazu u.a. Tettinger, in: Sachs (Hrsg.), Grundgesetz, 1996, Art. 12 Rdnr. 9 f., 72 ff., mit Rechtsprechungsnachweisen.

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gungen mit regelnder Tendenz erfolgen 70 . Folgt man dieser engeren Auffassung, dann steht nur der Verdrängungswettbewerb in Streit, mit dem erst bei Monopolstellungen der Kommunalbetriebe oder bei unzumutbaren Beeinträchtigungen Privater zu rechnen ist 7 1 . Es besteht jedoch kein grundrechtsnormativer oder -dogmatischer Grund dazu, erst derartigen extremen Grundrechtsbeeinträchtigungen Grenzen zu setzen. Da die Grundrechte gemäß Art. 1 Abs. 3 GG die vollziehende Gewalt wirksam binden sollen, müssen sie außer deren Intentionen auch deren Wirkungen in Schranken halten. Der herrschenden Begründung des Folgenbeseitigungsanspruchs ist diese Einsicht inzwischen geläufig 72 : Der grundrechtliche Abwehranspruch richtet sich auch gegen Immissionen von hoher Hand, die aus dem Betrieb kommunaler Einrichtungen resultieren 73. Hinsichtlich der Wirkungen unterscheidet die kommunale Wirtschaftsbetätigung sich davon nicht. Deshalb kann die Intensität der Grundrechtsbeeinträchtigung hier wie dort nur eine Frage ihrer verhältnismäßigen Rechtfertigung, nicht aber der Schutzfunktion der Grundrechte überhaupt sein. Im Unterschied zu den Verwaltungsgerichten setzt der Bundesgerichtshof der wirtschaftlichen Betätigung bereits dann eine Wettbewerbsgrenze, wenn über das „sachlich Gebotene" und verfassungsrechtlich Zulässige hinausgegangen wird 7 4 . Da rechtswidriges Verhalten keinesfalls mit Art. 20 Abs. 3 GG in Einklang steht und grundrechtlich geduldet zu werden braucht, werden nach den letztgenannten Auffassungen Überschreitungen der Verbandszuständigkeit Unterlassungs- und Beseitigungsansprüche auslösen können. Sie können allerdings nicht die wirtschaftliche Betätigung als solche treffen, sondern erfassen erst die zuständigkeitswidrige Ausweitung des Geschäftsumfanges, sobald diese marktrelevant wird, sowie das konkrete, zuständigkeitswidrige Markt- bzw. Wettbewerbsverhalten der Kommunalgesellschaft bzw. der eigenbetrieblich handelnden Kommune. Das geltende Kommunalrecht ist auf kommunalwirtschaftliches Wettbewerbsverhalten dagegen nur rudimentär vorbereitet. Verfahrensregelungen zur Durchsetzung von Wettbewerbsschranken sind kaum vorhanden. Dem Kom-

70 BVerfGE 82, S. 209, 224; BVerwGE 87, S. 37, 42 f.; auch ohne Regelungstendenz will Rüdiger Breuer, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Bd. VI, 1989, § 148 Rdnr. 31 f. (S. 983 f.), grundrechtsrelevante Beeinträchtigungen annehmen. 71 BW VGH, GewArch 1994, S. 464 f. 72 BVerwGE 82, S. 76, 95; allgemeiner BVerwGE 94,100,103. 73 Dazu Fritz Ossenbühl, Staatshaftungsrecht, 4. Aufl. 1991, S. 242 ff. m.w.N. 74 BGHZ 82, S. 375, 390 f.

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munalrecht geht es traditionsgemäß vor allem um den Schutz der Kommune vor den Risiken der Marktwirtschaft 75 . Daß es ihm nicht auch um den Schutz der privaten Wettbewerber geht, gilt als herrschende Ansicht 76 , die sich maßgeblich auf die Entstehungsgeschichte des § 67 DGO beruft. Die Begründung dieser Norm 7 7 lautete jedoch ganz anders: Anlaß der Zulässigkeitsgrenzen für Kommunalwirtschaft seien die „vielfältigen Angriffe ... gegen ein Übergreifen der Gemeindewirtschaft (sc. von „Versorgungsunternehmungen") auf sonstige Gebiete" gewesen, „die bisher ausschließlich privater Wirtschaftsbetätigung vorbehalten waren"; deshalb sei man bestrebt, „auf einen Abbau solcher Betriebe hinzuwirken, die durch den öffentlichen Zweck gemeindlicher Wirtschaftsführung nicht gerechtfertigt sind und die danach als unzulässige Konkurrenz mit der privaten Wirtschaft erscheinen". Diese damals sogenannten „Grundsätze" treffen heute mit dem Gebot zu grundrechtskonformer Auslegung der gesetzlichen Subsidiaritäts- und Erforderlichkeitsklauseln dahin zusammen, daß sie im Sinne der Abwehrfünktion der Freiheitsrechte Rechtsschutz gegen grundrechtsbeeinträchtigende Wirkungen der Ausübung vollziehender Gewalt - auch in Privatrechtsformen - bieten. Deshalb ist es nicht nötig, auf § 1 UWG zurückzugreifen, und unangebracht, dessen Tatbestandsmerkmal der „guten Sitten" durch die anderen Normzwecken dienenden, kommunalrechtlichen Zulässigkeitsvorschriften aufzuladen 78. Die Subsidiaritäts- und Erforderlichkeitsklauseln sollen zudem eine Selbstdisziplinierung der Kommunen und deren Aufsichtssteuerung bewirken. Mag die Praxis, auch die der Aufsichtsbehörden, insoweit zwar Zurückhaltung üben, so darf sie dies doch nur bis zu den Grenzen des Ermessens tun. Die Vertreter der Kommunalwirtschaft, die auf Abschaffüng der Klausel drängen, scheinen sie jedenfalls als Fessel zu empfinden. Sie stellen sich damit gegen die Rechtspolitik des Bundes, die jüngst zu dem Rechtssatz gefünden hat, daß „ i n geeigneten Fällen ... privaten Anbietern die Möglichkeit zu geben" ist, „darzulegen, ob und inwieweit sie staatliche Aufgaben oder öffentlichen

75

Vgl. die Begründung zu § 67 GGO (Fn. 2). BVerwGE 39, S. 329, 336; Bay VGH, JZ 1976, S. 641; Rehn/Cronauge (Fn. 34), Erl. I 3 zu § 107 (S. 7); Held/Becker/Kirchhof/Krämer/Wansleben, Kommunalverfassungsrecht Nordrhein-Westfalen (Stand: Januar 1997), Erl. 14 zu § 107 GO (S. 14); Edzard Schmidt-Jortzig, Kommunalrecht, 1982, S. 233; a.A. überraschenderweise Ulrich Cronauge, Kommunale Unternehmen. Eigenbetriebe - Kapitalgesellschaften Zweckverbände, 2. Aufl. 1995, Rdnr. 503; ebenso wohl Erichsen (Fn. 51), S. 280 f. 77 Vgl. Fn. 2. 78 So aber OLG Düsseldorf, NWVB1 1997, S. 353, 354, ohne Begründung zur Schutznormfunktion des § 10711 GO NW. 76

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Zwecken dienende wirtschaftliche Tätigkeiten nicht ebenso gut oder besser erbringen können" 79 . Verfahrensrechtliche Disziplinierungswirkungen können Publizitätspflichten haben: Brandenburg verlangt die öffentliche Bekanntmachung der Gründung eines Unternehmens sowie einen Unternehmens- und Beteiligungsbericht der Kommune zur Kenntnis von Rat und Einwohnern; auch in Mecklenburg-Vorpommern ist ein solcher Bericht vorgeschrieben 80. Andere Länder wie Nordrhein-Westfalen 81 sehen die Aufstellung von Jahresabschlüssen und Lageberichten in entsprechender Anwendung der Vorschriften des Dritten Buches des Handelsgesetzbuches vor, um die Geschäftsvorgänge eines privatrechtlich organisierten Kommunalunternehmens transparent zu machen 82 . Zu dieser Transparenz gehört auch die - nachträgliche - Darstellung des Geschäftsverlaufes gemäß § 289 Abs. 1 HGB. Jedoch heißt Aufstellung nicht einmal Offenlegung zum Register oder einem dem Bundesanzeiger gemäß § 325 HGB entsprechenden Publikationsorgan, geschweige denn Publikation im öffentlich-rechtlichen Sinne. Sie vermag daher Wettbewerbsinteressen privater Konkurrenten nicht zu befriedigen. Insoweit sollte das Kommunalrecht für eine der vollziehenden Gewalt angemessene, zur öffentlichen Kontrolle geeignete Publizität sorgen.

VI. Zusammenfassung Das Fazit der Zuständigkeitsuntersuchung kommunaler Wirtschaftsbetätigung lautet: Gemeinden und Kreise besitzen die verfassungsrechtlich garantierte Befugnis, sich wirtschaftlich am Markt zu betätigen und diese Betätigung auch auf Dauer in den Formen des Privatrechtes zu organisieren; aber sie dürfen sich der Möglichkeiten des Marktes nur zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben, also im Rahmen ihrer Aufgabenzuständigkeit, bedienen; ist die Wirtschaftsbefugnis durch die Aufgabenzuständigkeit begrenzt, so hängt die Zulässigkeit des konkreten Wirtschaftsvorhabens von dem konkreten Bezug zu einem bestimmten, einem Bedarf der kommunalen Gemeinschaft entsprechenden öffentlichen Zweck ab, der mit abstrakten Zielsetzungen wie Da79

Art. 2 Nr. 2 b) Haushaltsrechts-Fortentwicklungsgesetz v. 22.12.1997 (BGBl I S. 3251): Änderung von § 7 II BHO, Einführung eines sog. „Interessenbekundungsverfahrens". 80 § 101 IV 1, § 105 m Bbg. GO; § 73 ffl Mbg.-Vorp. Komm Verf. 81 § 1081 Nr. 8NWGO. 82 Vgl. §§ 242, 264, 289 und 325 HGB.

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seinsvorsorge, Wirtschaftsentwicklung oder Gewinnerzielung noch nicht definiert ist; die Aufgabenerfüllung durch Wirtschaftsbetätigung darf die Gebietsgrenzen der Kommunen außer im Falle nachbarverbundlicher Kooperation nicht überschreiten. Die Zuständigkeitsgrenzen gelten auch für Kommunalgesellschaften; deren Wirtschaftsbetätigung ist funktional vollziehende Gewalt; der ihnen einzustiftende öffentliche Zweck konkretisiert die ohnehin geltende öffentlich-rechtliche Zuständigkeitsbindung. Die Wirtschaftsgrundrechte der privaten Wettbewerber der Kommunen und ihrer Unternehmen begrenzen systembildend den Entfaltungsspielraum kommunaler Wirtschaftsbetätigung, die keine Hervorbringung gesellschaftlicher, grundrechtsberechtigter Kräfte ist und deshalb besonderer Rechtfertigung bedarf. Die Kommunen haben daher keinen freien Marktzugang.

Behördliche Beurteilungsspielräume im „schlanken Staat 44 Von Klaus Grupp

Die Rechtspflege gehöre zu den klassischen Kernaufgaben des Staates, stellt der Sachverständigenrat „Schlanker Staat" fest 1 und erkennt zugleich an, daß der „schlanke" Staat ohne eine leistungsfähige Rechtspflege nicht denkbar sei, doch müsse sich auch die Justiz in vielfaltiger Hinsicht den Reformforderungen stellen, und zwar in erster Linie um einer Steigerung der Effektivität und Effizienz willen. Der Sachverständigenrat hält deshalb eine Entlastung der Justiz für notwendig und schlägt insoweit u. a. Reformen vor, die das Verhältnis von Verwaltung und Rechtsprechung betreffen. In diesem Zusammenhang sollte auch, so heißt es2, „erwogen werden, den behördlichen Beurteilungsspielraum im Lichte einer ausgewogenen Gewaltenteilung durch eine generelle Regelung in der Verwaltungsgerichtsordnung zu erweitern (§ 114a VwGO). Mit dem Beschluß der Konferenz der Justizministerinnen und -minister vom 20./21. November 1995 wird vorgeschlagen, durch bereichsspezifische Regelungen in einzelnen Fachgesetzen diese Problematik aufzunehmen. Diesem Vorschlag ist als erstem Zwischenschritt zuzustimmen. Auf der Grundlage, der aus diesem Beschluß und seiner Realisierung erfolgenden Erfahrungen, ist das Grundproblem zu einem späteren Zeitpunkt in seiner Gesamtheit wieder aufzurufen. Zwischenzeitlich werden Verwaltung wie Verwaltungsgerichtsbarkeit aber auch die Rechtswissenschaft aufgefordert, diese Problematik intensiver aufzunehmen und neu zu diskutieren. Ziel hierbei ist, die Entscheidungsprärogative der Verwaltung zu erhöhen." Das damit angesprochene Thema des Verwaltungsermessens und seiner neueren Ausprägungen, namentlich des sog. „Beurteilungsspielraums", wird freilich von Wissenschaft und Praxis bereits seit 170 Jahren erörtert 3, ohne daß 1

Sachverständigenrat „Schlanker Staat" (Hrsg.), Abschlußbericht Bd. 1,2. Aufl. 1998; Kap. 2, Abschn. XV, S. 179 ff. (186). 2 A. a. O., S. 191 (Hervorhebungen im Original). 3 Vgl. Erichsen , Verfassungs- und verwaltungsrechtsgeschichtliche Grundlagen der Lehre vom fehlerhaften belastenden Verwaltungsakt und seiner Aufhebung im Prozeß, 1971, S. 218 f.

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sich bisher eine einheitliche Auffassung herausgebildet hätte4. Die mit dieser Problematik unmittelbar verbundene Frage nach dem Umfang gerichtlicher

4 Vgl. aus dem Schrifttum nur der letzten 25 Jahre beispielsweise Scholz, Verwaltungsverantwortung und Verwaltungsgerichtsbarkeit, VVDStRL 34 (1976), S. 145 ff.; Ossenbühl, Der polizeiliche Ermessens- und Beurteilungsspielraum, DÖV 1976, 463 ff; dens., Die richterliche Kontrolle von Prognoseentscheidungen der Verwaltung, in: System des verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutzes, Festschrift für Christian-Friedrich Menger zum 70. Geburtstag, 1985, S. 731 ff; dens., Gedanken zur Kontrolldichte in der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung, in: Festschrift für Konrad Redeker, 1993, S. 55 ff; Breuer, Legislative und administrative Prognoseermächtigungen, Der Staat 16 (1977), 21 ff. (28 ff., 47 ff.); dens., Gerichtliche Kontrolle der Technik, NVwZ 1988, 104 ff. (108 ff); Nierhaus, Zur gerichtlichen Kontrolle von Prognoseentscheidungen der Verwaltung, DVB1 1977, 19 ff; Hoppe, Gerichtliche Kontrolldichte bei komplexen Verwaltungsentscheidungen, in: Verwaltungsrecht zwischen Freiheit, Teilhabe und Bindung, Festgabe aus Anlaß des 25jährigen Bestehens des Bundesverwaltungsgerichts, 1978, S. 295 ff.; Koch, Unbestimmte Rechtsbegriffe und Ermessensermächtigungen im Verwaltungsrecht, 1979; Meyn, Aspekte zur Problematik von Beurteilungsspielraum und Ermessen, JA 1980, 327 ff.; Berg, Die verwaltungsrechtliche Entscheidung bei ungewissem Sachverhalt, 1980, S. 140 ff.; Tettinger, Rechtsanwendung und gerichtliche Kontrolle im Wirtschaftsverwaltungsrecht, 1980, S. 67 ff., 421 ff.; dens., Überlegungen zu einem administrativen „Prognosespielraum", DVB1 1982, 421 ff.; Cattepoel, Ermessen und Beurteilungsspielraum, VerwArch 71 (1980), 140 ff.; Schenke in Bonner Kommentar zum Grundgesetz, Art. 19 Abs. 4 (Zweitbearbeitung Dezember 1982) Rdnr. 304 ff.; Grupp, Gerichtliche Kontrolle von Prüfungsnoten - VG Sigmaringen, BaWüVBl 1981, 363, JuS 1983, 351 ff; dens., Rechtsschutz in Verwaltungssachen, in: Burmeister (Hrsg.) Die verfassungsrechtliche Stellung der Verwaltung in Frankreich und in der Bundesrepublik Deutschland/Le statut constitutionnel de l'administration en France et en République Fédéral d'Allemagne, 1991, S. 97 ff; Badura , Gestaltungsfreiheit und Beurteilungsspielraum der Verwaltung, bestehend aufgrund und nach Maßgabe des Gesetzes, in: Festschrift für Otto Bachof zum 70. Geburtstag, 1984, S. 169 ff. (184 ff); Etichsen, Die sog. unbestimmten Rechtsbegriffe als Steuerungs- und Kontrollmaßgaben im Verhältnis von Gesetzgebung, Verwaltung und Rechtsprechung, DVB1 1985, 22 ff.; Schmidt-Aßmann in Maunz/Dürig, Kommentar zum Grundgesetz, 1958 ff. (Stand: November 1997), Art. 19 Abs. IV Rdnr. 180 ff.; dens., Die Kontrolldichte der Verwaltungsgerichte - Verfassungsgerichtliche Vorgaben und Perspektiven, DVB1 1997, 281 ff ; Erichsen, Die sog. unbestimmten Rechtsbegriffe als Steuerungs- und Kontrollmaßgaben im Verhältnis von Gesetzgebung, Verwaltung und Rechtsprechung, DVB1 1985, 22 ff; Schmidt-Eichstaedt, Der Konkretisierungsauftrag der Verwaltung beim Vollzug öffentlich-rechtlicher Normen, DVB1 1985, 654 ff. (658 ff.); Hill, Verfahrensermessen der Verwaltung, NVwZ 1985, 449 ff.; dens., Nonnkonkretisierende Verwaltungsvorschriften, NVwZ 1989, 401 ff.; Kloepfer, Rechtsschutz im Umweltrecht, VerwArch 76 (1985), 371 ff. (390 ff.); Püttner, Handlungsspielräume der Verwaltung und Kontrolldichte gerichtlichen Rechtsschutzes, in: Götz/Klein/Starck (Hrsg.), Die öffentliche Verwaltung zwischen Gesetzgebung und richterlicher Kontrolle, 1985, S. 131 ff. (133 ff.); Kopp, Handlungsspielräume der Verwaltung und Kontrolldichte gerichtlichen Rechtsschutzes, ebd., S. 146 ff (149 IT.); Bullinger, Verwaltungsermessen im modernen Staat, in: ders. (Hrsg.), Verwaltungsennessen im modernen Staat, 1986, S. 131 ff.; Weyreuther, Verwaltungsverantwortung und gerichtliche

Behördliche Beurteilungsspielräue im „schlanken Staat"

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Kontrolle des Verwaltungshandelns ist auch schon im Sommersemester 1970 in dem ersten Seminar eingehend behandelt worden, das Willi Blümel nach seiner Berufung an die Freie Universität Berlin über „Lücken des Rechtsstaats - Art. 19 Abs. 4 GG" durchgeführt hat, und von ihm in weiteren Lehrveranstaltungen zunächst in Berlin, später in Bielefeld und Speyer sowie in Veröffentlichungen 5 immer wieder aufgegriffen worden, veranlaßt in neuerer Zeit beispielsweise durch die eingangs wiedergegebenen Überlegungen zur „Verschlankung der Justiz".

I. Der Ausgangspunkt Der Sachverständigenrat „Schlanker Staat" knüpft mit seinem Beschluß allem Anschein nach anginen Vorschlag des Justizministeriums MecklenburgKontrolle, UPR 1986, 121 ff; Schwab, Möglichkeiten der Kontrollrestriktionen im Umweltrecht, DVB1 1986, 170 ff.; Paefgen, Gerichtliche Kontrolle administrativer Prognoseentscheidungen, BayVBl 1986, 513 ff.; Papier, Verwaltungsverantwortung und gerichtliche Kontrolle, in: Verwaltung im Rechtsstaat, Festschrift für Carl Hermann Ule zum 80. Geburtstag, 1987, S. 235 ff; Serieller, Skeptisches zum unbestimmten Rechtsbegriff, in: Verwaltung im Rechtsstaat, ebd., S. 337 ff.; Martens, Beurteilungsspielraum zur Quantifizierung unbestimmter Rechtsbegriffe, JuS 1987, 103 ff.; Rupp, „Ermessen", „unbestimmter RechtsbegrifF' und kein Ende, in: Festschrift für Wolfgang Zeidler, 1987, Bd. 1, S. 455 ff.; Wahl, Verwaltungsverantwortung und Verwaltungsgerichtsbarkeit, VB1BW 1988, 387 ff.; dens., Risikobewertung der Exekutive und richterliche Kontrolldichte - Auswirkungen auf das Verwaltungs- und das richterliche Verfahren, NVwZ 1991, 409 ff; Greipl, Beurteilungsermächtigungen zugunsten der Exekutive, dargestellt am Beispiel des Börsenvorstandes, DVB1 1989, 746 ff. (747 ff.); Wortmann, Das Spiel mit den Spielräumen, NWVB1 1989, 342 ff.; Herdegen, Beurteilungsspielraum und Ermessen im strukturellen Vergleich, JZ 1991, 747 ff.; Starck, Das Verwaltungsermessen und dessen gerichtliche Kontrolle, in: Bürger Richter - Staat, Festschrift für Horst Sendler, 1991, S. 167 ff.; Ebinger, Der unbestimmte Rechtsbegriff im Recht der Technik, 1993; Frowein (Hrsg.), Die Kontrolldichte bei der gerichtlichen Überprüfung von Handlungen der Verwaltung, 1993; Schulze-Fielitz, Neue Kriterien für die verwaltungsgerichtliche Kontrolldichte bei der Anwendung unbestimmter Rechtsbegriffe, JZ 1993, 772 ff.; Ewer, Beschränkung der verwaltungsgerichtlichen Kontrolldichte bei der Anwendung unbestimmter Rechtsbegriffe - zulässiges und geeignetes Mittel zur Beschleunigung behördlicher und gerichtlicher Verfahren?, NVwZ 1994, 140 ff. Di Fabio, Die Ermessensreduzierung Fallgruppen, Systemüberlegungen und Prüfprogramm, VerwArch 86 (1995), 214 ff; Sieckmann, Beurteilungsspielräume und richterliche Kontrollkompetenz, DVB1 1997, 101 ff.; Michaelis, Kontrolldichte im Prüfungsrecht, VB1BW 1997, 441 IT.; von Danwitz, Rechtliche Optimierungsgebote oder Raimiensetzungen für das Verwaltungshandeln?, DVB1 1998, 928 ff. (939 f.); Kopp/Schenke, Verwaltungsgerichtsordnung, 11. Aufl. 1998, § 114 mitzahlr. weit. Schrifttumsnachweisen. 5

Vgl. insbes. Planung und Verwaltungsgerichtsbarkeit, DVB1 1975, 695 ff.

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Vorpommern aus dem Jahre 19946 an, die Verwaltungsgerichtsordnung u. a. um einen - an ihren § 114 angelehnten - § 114 a zu ergänzen, dessen Ziel eine Verfahrensbeschleunigung mittels Beschränkung der verwaltungsgerichtlichen Überprüfung von Behördenentscheidungen war. Die neue Vorschrift sollte folgendermaßen lauten: (1) Erfordert die Anwendung eines unbestimmten Rechtsbegriffs Abwägungen, Prognosen oder Wertungen, so steht der Verwaltungsbehörde dabei ein Beurteilungsspielraum zu. (2) Das Gericht prüft, ob der Verwaltungsbehörde ein Beurteilungsspielraum zusteht sowie, ob die gesetzlichen Grenzen der Beurteilungsermächtigung überschritten sind oder von ihr in einer dem Zweck der Ermächtigimg nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht wurde. Die Bedenken gegen eine derartige Regelung liegen auf der Hand: Es dürfte kaum einen unbestimmten Rechtsbegriff 7 geben, bei dessen Anwendung nicht Abwägungen, Prognosen oder Wertungen unumgänglich sind 8 - unabhängig davon, was die Unbestimmtheit eines Rechtsbegriffs ausmacht9, besteht sie doch gerade darin, daß er ausfüllungsbedürftig ist, und bei der Auslegung eines Begriffs werden deshalb zumindest Wertentscheidungen getroffen werden müssen. Weiterhin enthält etwa der Prototyp der Eingriffsnorm, die polizeiliche Generalklausel, mit dem Wort „Gefahr" einen Begriff, der eine Prognose über den Schadenseintritt verlangt, und jede auf diese Vorschrift gestützte Entscheidung der Polizeibehörde würde gemäß dem vorgeschlagenen § 114 a Abs. 2 VwGO nur noch einer eingeschränkten gerichtlichen Kontrolle unterliegen. Überdies tritt das Erfordernis einer Abwägung nicht allein bei Entscheidungen mit planerischem Einschlag auf, sondern stellt sich - freilich in 6 Vgl. dazu Ewer, NVwZ 1994, 140; s. bereits Helmrich , Diskussionsbeitrag, in: Götz/Klein/Starck (Hrsg.), Die öffentliche Verwaltung zwischen Gesetzgebung und richterlicher Kontrolle, 1985, S. 227 f., und in ähnlicher Weise Brohm , Die staatliche Verwaltung als eigenständige Gewalt und die Grenzen der Verwaltungsgerichtsbarkeit, DVB1 1986, 321 ff. (325). 7 An dieser Bezeichnung wird hier - ungeachtet der schon frühzeitig erhobenen zutreffenden Kritik an ihrer Verwendung (vgl. etwa Bachof Beurteilungsspielraum, Ermessen und unbestimmter Rechtsbegriff im Verwaltungsrecht, JZ 1955, 97 ff. [98]; dens., Neue Tendenzen in der Rechtsprechung zum Ermessen und zum Beurteilungsspielraum, JZ 1972, 641 ff. [644 Fn. 19]) - wegen ihres weit verbreiteten Gebrauchs festgehalten. 8 Zutreffend Ewer (Fn. 4), NVwZ 1994, 141 f.; vgl. auch Gerhardt in Schoch/ Schmidt-Aßmann/Pietzner, Verwaltungsgerichtsordnung, 1996 ff. (Stand: Februar 1998), Vorb § 113 Rdnr. 28, mit dem Hinweis auf § 35 GewO und bauplanungsrechtliche Vorschriften. 9 Vgl. näher z. B. Franßen , (Un)bestimmtes zum unbestimmten Rechtsbegriff, in: Festschrift für Wolfgang Zeidler, 1987, Bd. 1, S. 429 ff. (431 ff).

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unterschiedlicher Weise - regelmäßig, wenn eine Kollision von Rechtsgütern der Auflösung bedarf, so daß deren gerichtliche Nachprüfung, würde dem Vorschlag gefolgt, in einer Vielzahl von Fällen lediglich begrenzt stattfinden könnte. Ob eine derartig weitreichende Veränderung im Verhältnis von Verwaltung und Rechtsprechung 10 mit dem Grundgesetz vereinbar wäre, dürfte indes zu bezweifeln sein.

I I . Verfassungsrechtliche Grundlage Art. 20 Abs. 3 GG geht von der strikten und uneingeschränkten Bindung der Verwaltung an Gesetz und Recht aus, ohne danach zu differenzieren, welchen Bestimmtheitsgrad ein Rechtsbegriff aufweist 11 . Die vage Beschreibung von Tatbestandsvoraussetzungen oder Rechtsfolgen mag im Einzelfall zu Schwierigkeiten bei der Auslegung und Anwendung einer Norm führen, verringert aber nicht die Pflicht der Verwaltung, das Gesetz zu beachten und nach seinem Inhalt zu verfahren. Mangelnde begriffliche Bestimmtheit räumt deshalb den Behörden nicht die Befügnis ein, eigene tatbestandliche Voraussetzungen aufzustellen oder Rechtsfolgen selbständig festzulegen, zumal da zur Bewältigung von Unsicherheiten bei der Norminterpretation anerkannte Techniken und Methoden verfügbar sind 12 . Art. 19 Abs. 4 GG ergänzt diese Bindung an Gesetz und Recht, indem die Vorschrift die Gesetzesanwendung durch die Administrative in tatsächlicher wie rechtlicher Hinsicht prinzipiell der vollständigen gerichtlichen Kontrolle unterwirft 13 . Damit wird im Interesse des Bürgers sichergestellt, daß die Verwaltung selbst bei nur sehr undeutlich erkennbarem Norminhalt den im Gesetz verkörperten Willen des Gesetzgebers vollzieht. Wirksamer Rechtsschutz gegen Maßnahmen der öffentlichen Gewalt erfordert sowohl die Nachprüfüng der Interpretation von Rechtsbegriffen als auch die Überprüfüng der von der Verwaltung vorgenommenen Subsumtion. Zwar stellt sich auch für die Recht10 Ewer (Fn. 4), NVwZ 1994, 142, spricht von einer „flächendeckende(n) Einräumung exekutiver Interpretationsvorrechte bei allen Vorschriften (...), die unbestimmte Rechtsbegriffe enthalten". 11 Vgl. auch Sachs in Stelkens/Bonk/Sachs, Verwaltungsverfahrensgesetz, 5. Aufl. 1998, §40Rdnr. 147. 12 Vgl. Schmidt-Aßmann in Maunz/Dürig (Fn. 4), Art. 19 Abs. IV Rdnr. 183. 13 Vgl. etwa BVerfGE 15, 275 (282); 35, 382 (401 f.); 51, 304 (312); 61, 82 (111); 64, 261 (279); 84, 34 (49); BVerwGE 94, 307 (309); Sachs (Fn. 11), § 40 Rdnr. 147; Schenke in Bonner Kommentar (Fn. 4), Art. 19 Abs. 4 Rdnr. 338 ff; Schmidt-Aßmann in Maunz/Dürig (Fn. 4), Art. 19 Abs. IV Rdnr. 183.

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sprechung das Problem fehlender Bestimmtheit mit den daraus folgenden Interpretationsschwierigkeiten, aber das ist mit der Anordnung der Letztverbindlichkeit gerichtlicher Entscheidungen 14, wie sie Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG voraussetzt, im Wege der Kompetenzzuweisung gelöst: Die Auslegung durch das Gericht ist für die Behörden bindend und demgemäß als „richtig" der Anwendung des Gesetzes zugrunde zu legen. Damit wird die Gleichrangigkeit der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung gemäß Art. 20 Abs. 2 Satz GG nicht beeinträchtigt; denn der von Art. 19 Abs. 4 GG geforderte wirksame Rechtsschutz führt nur im Einzelfall der Rechtsanwendung zum Vorrang richterlicher Rechtsansicht gegenüber der Rechtsauffassung der Verwaltung. Diese prinzipiell umfassende gerichtliche Kontrollbefügnis kann deshalb nach heute ganz überwiegender Meinung, von der offenbar auch der Vorschlag zur Schaffung des § 114 a VwGO ausgeht, allein dadurch eingeschränkt werden, daß die Letztentscheidung - aufgrund gesetzlicher Regelung 15 - partiell der Verwaltung vorbehalten bleibt 16 , doch besteht nach wie vor keine Einigkeit darüber, wie diese Ermächtigung beschaffen sein muß, die jedenfalls die Gesetzesbindung der Verwaltung nicht mindern darf.

I I I . Begründung von Letztentscheidungsermächtigungen Sind Beurteilungsspielräume somit nicht schlechthin verfassungswidrig, sondern können durch Gesetz statuiert werden, müssen - sofern der Gesetzgeber die Gerichte nicht ausdrücklich, wie in § 70 Abs. 5 Satz 2 GWB, an die Auslegung eines Begriffs durch die Verwaltung bindet - die sie begründenden Elemente doch aus dem Zusammenhang oder dem Sinn und Zweck der Regelung erkennbar sein 17 , weil nur so die Kompetenzverlagerung deutlich wird. 14

Vgl. Schenke, ebd., zur Letztentscheidung als typischer richterlicher Aufgabe. So deutlich BVerfGE 61, 82 (111); BVerwGE 94, 307 (309). 16 Vgl. z. B. schon Ossenbühl, DÖV 1976, 464 ("Ermessen und Beurteilungsspielraum sind nämlich nichts anderes als eingefahrene Topoi für die Grenzmarkierung der Demarkationslinie, die zwischen zweiter und dritter Gewalt verläuft"); Brohm, Die staatliche Verwaltung (Fn. 6), DVB1 1986, 326, 329 ff.; Erichsen (Fn. 4), DVB1 1985, 26; Franßen, Zeidler-Festschrift (Fn. 9), S. 442 ff.; Krebs, Kontrolle in staatlichen Entscheidungsprozessen, 1984, S. 81 ff; Papier, Ule-Festschrift (Anm. 4), S. 244 ff.; Schmidt-Aßmann in Maunz/Dürig (Fn. 4), Art. 19 Abs. IV Rdnr. 180, 184; Schuppert, Self-restraints der Rechtsprechung, DVB1 1988, 1191 ff. (1191, 1197); Wahl (Fn. 4), VB1BW 1988, 388 f.; aus der Rechtsprechung vgl. insbes. BVerfGE 61, 82 (111), sowie BVerwGE 59, 213 (215); anders beispielsweise noch Koch (Fn. 4), S. 12 f., 84 und passim; vermittelnd etwa Meyn (Fn. 4), S. 327 f. 17 Vgl. z. B. BVerwGE 94, 307 (309); Kopp/Schenke (Fn. 4), § 114 Rdnr. 24. 15

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1. Das Kriterium der Unbestimmtheit Für die Antwort auf die Frage, wem die Befugnis zur abschließenden Entscheidung zukommt, kann demnach nicht der Grad der Bestimmtheit eines im Gesetz verwendeten Begriffs maßgeblich sein 18 , selbst wenn dessen inhaltliche Vagheit wegen besonderer Dynamik oder außergewöhnlich hoher Komplexität der geregelten Materie den gerichtlichen Nachvollzug einer Verwaltungsentscheidung so erheblich erschwert, daß die Rechtsprechung bei deren Kontrolle an ihre Funktionsgrenzen stößt 19 ; denn das Problem der Präzisierung durch Auslegung 20 stellt sich für Verwaltungsbehörden und Gerichte in gleichem Maße und vermag deshalb kein Kriterium für die Zuordnung der Letztentscheidungskompetenz abzugeben21. Im übrigen ließe sich kaum zuverlässig ermitteln, wann die Unbestimmtheit ein so hohes Maß erreicht hat, daß die Interpretation eines Rechtsbegriffs durch die Behörde vom Richter als verbindlich zu akzeptieren ist. Zwar trifft es häufig zu, daß die bei der Rechtsanwendung durch die Verwaltung vorgenommene Auslegung vom Gericht übernommen wird, weil es selbst nicht über bessere Erkenntnisse verfügt und die Schlüssigkeit der behördlichen Erwägungen nicht zu bezweifeln ist - und dies mag um so häufiger vorkommen, je mehr die begriffliche Bestimmtheit abnimmt - , aber das bedeutet kein Absehen von einer umfassenden Nachprüfung und kein Einräumen einer Entscheidungsprärogative. Ein Anknüpfen an die Unbestimmtheit der Begriffe würde vielmehr die prinzipielle Einschränkung der gerichtlichen Kontrolle aller derartigen Begriffe bedeuten und damit zu einer unerträglichen Rechtsunsicherheit führen, wie schon Bachof 22 betont hat, die sich weder durch die von ihm verlangte strenge Begründungspflicht für

18 Zutreffend Ossenbühl , Vom unbestimmten Gesetzesbegriff zur letztverbindlichen Verwaltungsentscheidung, DVB1 1974, 309 ff (311); dagegen insbes. Koch (Fn. 4), S. 13, 84. 19 Vgl. zu dieser Erwägung BVerfGE 84, 34 (50). 20 Ausfuhrlich hat Koch (Fn. 4), S. 44 ff, dargelegt, daß es sich hierbei nicht um eine Frage der Subsumtion, sondern um eine solche der Auslegung handelt; vgl. schon Walter Schmidt, Gesetzesvollziehung durch Rechtsetzung, 1969, S. 125 ff ; Ossenbühl , Zur Renaissance der administrativen Beurteilungsermächtigung, DÖV 1972, 401 ff. (403); ebenso wohl auch Redeker , Fragen der Kontrolldichte verwaltungsgerichtlicher Rechtsprechung, DÖV 1971, 757 ff (760 f.); dezidiert anders Papier , Ule-Festschrift (Fn. 4), S. 242 f., und dazu Sendler (Fn. 4), S. 339 ff, insbes. S. 346 f. 21 Vgl. aber BVerfGE 84, 34 (50), wo in derartig speziell gelagerten Fällen die Zubilligung eines begrenzten Entscheidungsfreiraums an die rechtsanwendenden Behörden nicht von vornherein ausgeschlossen wird. 22 Beurteilungsspielraum (Fn. 4), JZ 1955, 101; s. auch Ossenbühl , Gesetzesbegriff (Fn. 17), DVB1 1974,310. 10 FS Blümel

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das Vorliegen von Beurteilungsspielräumen 23 noch durch die von Ule 2 4 geforderte Beschränkung der verwaltungsgerichtlichen Überprüfung auf eine Vertretbarkeitskontrolle in Grenzfallen wirksam vermeiden ließe.

2. Die Bedeutung spezifischer Elemente und tatsächlicher Umstände der Rechtsanwendung Die Verwaltungsgerichte haben denn auch - trotz der anders gerichteten Bestrebungen in Teilen des Schrifttums - grundsätzlich an einer uneingeschränkten Nachprüfung des auf unbestimmte Rechtsbegriffe gestützten Verwaltungshandelns festgehalten und lediglich ausnahmsweise das Bestehen von Beurteilungsspielräumen anerkannt 25 , allerdings mit partiell widersprüchlichen und inkonsistenten Begründungen 26 . Zutreffend geht die Rechtsprechung jedoch davon aus, daß sie sich angesichts der ihr durch die Verfassung zugewiesenen Aufgabe nicht auf die praktisch begrenzte Auflösungsfähigkeit normativ verwendeter Begriffe berufen kann 27 , zumal da die Zivil- und Strafgerichte in gleicher Weise vor diesem Problem stehen, ohne sich seiner Lösung durch den Verweis auf Bereiche nur eingeschränkter Nachprüfbarkeit entziehen zu können 28 . Die Einräumung administrativer Letztentscheidungsbefugnisse ist vielmehr auf spezifische Elemente und tatsächliche Umstände höchst unterschiedlicher Natur gestützt worden: Insbesondere prognostische, planerische und wertende Aspekte 29 , Entscheidungsfindung durch Fachprüfer 30 oder 23

Bachof, ebd. Zur Anwendung unbestimmter Rechtsbegriffe im Verwaltungsrecht, in: Forschungen und Berichte aus dem Öffentlichen Recht, Gedächtnisschrift für Walter Jellinek, 1955, S. 309 ff. (326). 25 Vgl. die Übersicht über die Rechtsprechung bei Kopp/Schenke (Fn. 4), § 114 Rdnr. 24 a, 25 f., Maurer , Allgemeines Verwaltungsrecht, 11. Aufl. 1997, § 7 Rdnr. 35 ff., und Renner in Eyermann, Verwaltungsgerichtsordnung, 10. Aufl. 1998, § 114 Rdnr. 59 ff. 26 Vgl. etwa schon die Kritik bei Schmidt-Salzer , Der Beurteilungsspielraum der Verwaltungsbehörden, 1968, S. 28 ff., 49 ff. 27 Anders beispielsweise noch Jesch, Unbestimmter Rechtsbegriff und Ermessen in rechtstheoretischer und verfassungsrechtlicher Sicht, AöR 82 (1957), S. 163 ff. (237 ff.). 28 Vgl. etwa für das Strafrecht Frisch, Ermessen, unbestimmter Rechtsbegriff und „Beurteilungsspielraum" im Strafrecht, NJW 1973, 1345 ff. (1347); s. auch Jesch (Fn. 27), S. 235 f.; Ossenbühl , Die Kontrolle von Tatsachenfeststellungen und Prognoseentscheidungen durch das Bundesverfassungsgericht, in: Bundesverfassungsgericht und Grundgesetz, Festgabe aus Anlaß des 25jährigen Bestehens des Bundesverfassungsgerichts, 1976, 1. Bd., S. 458 ff. (497). 29 Vgl. beispielsweise die Ausführungen in BVerwGE 94, 307 (310 f.). 24

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Gremien mit besonders sachkundigen Mitgliedern 31 sowie Unvertretbarkeit und Unwiederholbarkeit entscheidungserheblicher Situationen 32 sollen zur Verbindlichkeit der Rechtsanwendung durch die Verwaltung führen. Wie zuvor bereits erwähnt 33 , läßt sich die Annahme einer Beurteilungsermächtigung nicht lediglich damit rechtfertigen, daß das Gesetz ein abwägendes, planendes, prognostizierendes oder wertendes Vorgehen bei der Rechtsanwendung verlangt, weil zumindest eines dieser Elemente typischer Bestandteil fast jeder Norminterpretation ist. Selbst wenn das Zustandekommen einer Entscheidung in besonderem Maße von einem dieser Aspekte geprägt wird, bedeutet dies nur einen graduellen, nicht aber einen qualitativen Unterschied zur herkömmlichen Auslegung und vermag deshalb eine Beschränkung der richterlichen Kontrolle nicht zu begründen. Auch die Tatsache, daß für eine Entscheidung ein fachlich besonders ausgewiesener Amtswalter oder ein aus spezifisch sachkundigen Personen zusammengesetztes Gremium aufgrund gesetzlicher Regelung zuständig ist, kann - für sich genommen - nicht als Ermächtigung zur administrativen Letztentscheidung gedeutet werden, weil etwa erforderliche Kenntnisse dem Gericht durch Sachverständigengutachten vermittelt werden können. Ebensowenig vermag der Umstand, daß eine Situation nicht oder nur schwer nachvollziehbar ist oder daß die Gründe für eine Entscheidung nicht mitteilbar sind 34 , eine rechtliche Bindung des Gerichts an die Verwaltungsentscheidung auszulösen; denn zum einen ist die Durchführung auch schwieriger Sachverhaltsaufklärungen eine dem Richter durchaus vertraute Aufgabe, und bei unaufklärbarer tatsächlicher Ungewißheit können die Regeln der materiellen Beweislast herangezogen werden 35 , zum anderen erfordert die - rechtsstaatlich gebotene - Begründungspflicht gegenüber dem von einer Maßnahme der öffentlichen Gewalt Betroffenen ohnehin die Angabe der tatsächlichen Umstände, die der Entscheidung zugrunde gelegt wurden, und der bei ihrer Würdigung angewendeten Kriterien 36 .

30

Vgl. z. B. BVerwGE 38, 105 (110 f.); BVerwG Buchholz 421.0 Nr. 121; sehr stark einschränkend demgegenüber BVerfGE 84, 34 (54 ff.). 31 Vgl. etwa BVerwGE 59, 213 (216 f.); 62, 330 (337 ff); 72, 195 (199 f.). 32 So etwa BVerwG DVB1 1966, 860 (861); vgl. auch Schulze-Fielitz (Fn. 4), JZ 1993,773 m.w.N. 33 Oben im Text unter I. mit Fn. 7 ff. 34 Vgl. hierzu Meyn (Fn. 4), S. 330, und W. Schmidt (Fn. 20), S. 122. 35 Vgl. Berg (Fn. 4), S. 142 (mit Fn. 10); s. auch BVerwGE 70, 143 (155 f.). 36 So zutreffend BVerwGE 26, 65 (75); s. auch BVerwGE 39, 197 (204); VG Berlin NJW 1973, 1148(1150).

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Das Bestehen von Beurteilungsspielräumen kann im übrigen auch nicht mit der sog. „Faktorenlehre" 37 - durch den Hinweis erklärt werden, die Verwaltung könne in einem gewissen Umfang, namentlich im Rahmen ihrer gestaltenden Tätigkeit, zulässigerweise Fakten setzen, die bei der Rechtsanwendung durch Behörden und Gerichte als feststehende Faktoren einzustufen und allein hinsichtlich ihrer Existenz und der Würdigung ihrer Bedeutung sowie ihrer sachlogisch einwandfreien und dem Willkürverbot genügenden Berücksichtigung zu überprüfen seien 38 . Die Verwaltung ist zweifellos befugt - etwa im Rahmen ihrer Organisationsbefügnisse oder im Planungswesen - , Entscheidungen mit faktisch bindender Wirkung zu treffen, doch handelt es sich hierbei lediglich um ihre Einflußnahme mit eigenen Maßnahmen auf den tatsächlichen Normanwendungsbereich und die Möglichkeit, auf diese Weise nachfolgende Entscheidungen zu determinieren 39 . Es trifft auch zu, daß die Rechtsanwendung vielfältig von vorgegebenen Umständen abhängt und daß der Gesetzgeber häufig Begriffe verwendet, die derartige Vorgaben aufnehmen 40 , aber daraus läßt sich nicht ableiten, wem im Einzelfall der Rechtsanwendung die letztverbindliche Entscheidung zusteht; denn die von der Verwaltung selbst gesetzten Fakten besitzen nur mittelbare Relevanz, weil sie nicht die jeweilige Entscheidung darstellen, sondern nur die Grundlage für die umstrittene Maßnahme.

3. Der Funktionsunterschied Den maßgeblichen Grund für die Einschränkung der gerichtlichen Kontrolle bildet hingegen die funktionale Differenz zwischen Verwaltung und Rechtsprechung: Während die Tätigkeit der Gerichte auf eine Rechtskontrolle, 37 Kellner , Der sogenannte Beurteilungsspielraum in der verwaltungsgerichtlichen Praxis, NJW 1966, 857 ff. (863); ders ., Einiges zum behördlichen Ermessen, in: 1969, 309 ff. (312); ders ., Neue Erkenntnisse zum sogenannten Beurteilungsspielraum, DÖV 1972, 801 ff. (807); vgl. auch Schenke in Bonner Kommentar (Fn. 4), Art. 19 Abs. 4 Rdnr. 358; Schmidt-Aßmann in Maunz/Dürig (Fn. 4), Art. 19 Abs. IV Rdnr. 202; Ossenbühl , Kontrolle von Prognoseentscheidungen, Menger-Festschrift (Fn. 4), S. 741 f. 38 Vgl. z. B. BVerwGE 18, 247 (251 ff.); 26, 65 (75 ff.); BVerwG DÖV 1977, 134 (135); BVerwG Buchholz 407.4 § 17 FStrG Nr. 23. 39 So schon Ossenbühl , Ermessen, Verwaltungspolitik und unbestimmter Rechtsbegriff, DÖV 1970, 84 ff. (87 ff.); ders. , Kontrolle von Prognoseentscheidungen, MengerFestschrift (Fn. 4), S. 7842; s. auch Schenke in Bonner Kommentar (Fn. 4), Art. 19 Abs. 4 Rdnr. 359; Tettinger , Rechtsanwendimg (Fn. 4), S. 84. 40 Von Schmidt-Aßmann in Maunz/Dürig (Fn. 4), Art. 19 Abs. IV Rdnr. 202, als „Rezeptionsbegriffe" bezeichnet.

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d. h. auf die Rechtsanwendung zur Beurteilung abgeschlossener Sachverhalte, begrenzt ist, erschöpft sich die Aufgabe der Verwaltungsbehörden nicht in einem umfassend determinierten Gesetzesvollzug. Die Verwaltung hat vielmehr in weitem Maße einen Gestaltungsauftrag zu erfüllen 41 , wie u. a. die zahlreichen an sie adressierten Rechtsvorschriften belegen, die nicht konditional, sondern final programmiert sind; den Behörden obliegt es, die Sachverhalte zu gestalten, die im Streitfall der rechtlichen Beurteilung durch die Verwaltungsgerichte unterworfen sind. In Wahrnehmung ihrer Aufgabe ist Verwaltung im materiellen Sinne zwar auch Gesetzeskonkretisierung und somit Rechtsanwendung, aber die Ziele und Maßstäbe sind darüber hinaus vielfach metajuristischer Natur 42 und müssen von den zuständigen Behörden - teilweise in gesetzlich hierfür spezifisch vorgesehenen Verfahren 43 - erst entwickelt werden. Entscheidungen dieser Art dienen durchaus der RechtsVerwirklichung im weitesten Sinne, doch stellen sie keine Rzoitisanwendung dar, weil sie auf Erwägungen außerhalb des rechtlich faßbaren Bereichs beruhen. Aufgrund dieser spezifischen Eigenart der Entscheidungen greift der verfassungsrechtlich statuierte Vorrang richterlicher Rechtsauffassung nicht ein, sondern insoweit steht den Verwaltungsbehörden eine eigenständige Beurteilungsbefügnis zu, die durch eine andere Auffassung der Gericht nicht verdrängt werden soll 44 . An metajuristischen Kriterien ausgerichtete Entscheidungen sind typisch für den modernen Staat, dessen Verwaltungshandeln einerseits zunehmend verrechtlicht, andererseits in größerem Umfang nur noch gesetzesdirigiert ist. Die Verfolgung außerrechtlicher Zwecke zeigt sich etwa deutlich an Pla-

41 Näher dazu beispielsweise Brohm, Die Dogmatik des Verwaltungsrechts vor den Gegenwartsaufgaben der Verwaltung, VVDStRL 30 (1972), S. 245 ff. (259 ff); ders., Die staatliche Verwaltung (Fn. 6), DVB1 1986, 329 f.; ders., Verwaltung und Verwaltungsgerichtsbarkeit als Steuerungsmechanismen in einem polyzentrisehen System der Rechtserzeugung, DÖV 1987, 265 ff; s. in diesem Zusammenhang auch schon Ehmke, „ E r m e s s e n " und „unbestimmter Rechtsbegriff' im Verwaltungsrecht, 1960, S. 45 ff., und Redeker , Fragen der Kontrolldichte verwaltungsgerichtlicher Rechtsprechung, DÖV 1971, 757 ff. (761). 42 Vgl. z. B. Scholz (Fn. 4), S. 152; Burmeister , Grundgesetzliche Verfahrensstrukturierungsgebote komplexer Verwaltungsentscheidungen, UTR 5 (1988), S. 128; Stüer , Zum autonomen (kontrollfreien) Gestaltungsraum von Gesetzgeber und Verwaltung, DVB1 1974, 314 tf. (316 ff.); s. auch Redeker , ebd.; kritisch zum Begriff metajuristischer Maßstäbe Krebs (Fn. 16), S. 75 ff. Ein Teil der metajuristischen Kriterien ist in Vorschriften enthalten, die von Schmidt-Aßmann in Maunz/Dürig (Fn. 4), Art. 19 Abs. IV Rdnr. 197, als Einschätzungsprärogativen angesehen werden. 43 Vgl. dazu etwa Burmeister, (Fn. 42), S. 129 ff. 44 Anders insbes. Blümel (Fn. 5), DVB1 1975, 698 ff.; Hoppe, Verwaltungsverantwortung und Verwaltungsgerichtsbarkeit, DVB1 1975, 684 ff. (691 f.); differenzierend aber ders ., Gerichtliche Kontrolldichte (Fn. 4), S. 310 ff.

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nungsentscheidungen, in vergleichbarer Weise aber auch bei der künstlerischen Bewertung von Filmen 4 5 , der Beurteilung von Druckwerken u. ä. bezüglich ihrer Eignung zur Jugendgefahrdung 46, von technischen Anlagen hinsichtlich ihrer Gefährlichkeit 47 , von Hengsten im Hinblick auf ihre Zuchteignung 48 usw.; außerrechtliche Maßstäbe sind darüber hinaus bei den teilweise als unvertretbar oder höchstpersönlich bezeichneten Entscheidungen49 bei Prüfungen und dienstlichen Beurteilungen wesentlich 50 . Entsprechendes gilt für die Fälle des sog. administrativen Ergänzungsrechts, d. h. vor allem der Regelwerke im Technik- und Umweltrecht 51 . Auch insoweit hat die Rechtsprechung partiell eine Verminderung der gerichtlichen Kontrolldichte angenommen52, die indes nicht - wie teilweise angenommen wird 5 3 - auf der geringen Regelungsdichte der gesetzlichen Vorschriften und der sich hieraus ergebenden verminderten gerichtlichen Überprüfbarkeit der von der Verwaltung vorgenommenen Gesetzeskonkretisierung beruht. Ebensowenig wie die mangelnde Bestimmtheit eines Gesetzesbegriffs die Letztentscheidungskompetenz der Verwaltungsbehörden zu begründen vermag, läßt sich aus der verminderten Regelungsdichte gesetzlicher Normen ableiten, wer 45

Vgl. VG Berlin NJW 1973, 1148 (1149). Vgl. BVerwGE 39, 197 (206); 77, 75 (84); s. aber auch BVerfGE 83, 130 (147 ff.). 47 Vgl. insbes. BVerwGE 72, 300 (316). 48 Vgl. VG Münster NWVB1 1989, 64 (66); s. dagegen BVerwG DVB1 1991, 47. 49 So z. B. Berg (Fn. 4), S. 145; Ossenbühl , Gesetzesbegriff (Fn. 17), DVB1 1974, 311; s. auch Meyn (Fn. 4), S. 330; Rupp (Fn. 4), S. 466 f.; s. auch Kopp/Schenke (Fn. 4), § 114 Rdnr. 24 a. 50 Vgl. etwa BVerwGE 8, 272 (273 f.); 19, 128 (132); 60, 245 (253); 62, 135 (139 f.); s. aber BVerfGE 84, 34 (54 ff.). 51 Vgl. hierzu beispielsweise Schmidt-Aßmann in Maunz/Dürig (Fn. 4), Art. 19 IV Rdnr. 217; Breuer , Gerichtliche Kontrolle (Fn. 4) NVwZ 1988, 108 ff.; Burmeister (Fn. 42), S. 129 ff; Wahl, Verwaltungsverantwortung (Fn. 4), VB1BW 1988, 389 ff., insbes. 391 f.; Rengeling , Anlagebegriff, Schadensvorsorge und Verfahrensstufung im Atomrecht, DVB1 1986, 265 ff. (269 f.); Seilner , Gestuftes Genehmigungsverfahren, Schadensvorsorge, verwaltungsgerichtliche Kontrolldichte, NVwZ 1986, 616 ff. (618 ff); Salzwedel , Risiko im Umweltrecht - Zuständigkeit, Verfahren und Maßstäbe der Bewertung, NVwZ 1987, 276 ff. (277 f.); Erbguth, Normkonkretisierende Verwaltungsvorschriften, DVB1 1989, 473 ff; Gerhardt, Normkonkretisierende Verwaltungsvorschriften, NJW 1989, 2233 ff.; Hill, Normkonkretisierende Verwaltungsvorschriften, NVwZ 1989, 401 ff.; Wallerath, Normkonkretisierende Verwaltungsvorschriften, NWVB1 1989, 153 ff. 52 BVerwGE 72, 300 (316, 320); 78, 177 (180 f.); BVerwG DVB1 1989, 517 (518); OVG Lüneburg NVwZ 1985, 357 (357 f.); OVG Münster DVB1 1988, 152 (153). 53 Wahl , Verwaltungsverantwortung (Fn. 4), VB1BW 1988, 389 ff; ähnlich wohl auch Erbguth (Fn. 51), S. 483, und Wallerath (Fn. 51), S. 156. 46

Behördliche Beurteilungsspielräue im „schlanken Staat"

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zur Konkretisierung befugt sein soll. Zutreffend hat die Rechtsprechung demgegenüber nicht auf die Dichte der vom Gesetzgeber getroffenen Regelung abgestellt, sondern auf den Inhalt der vorzunehmenden Entscheidung, nämlich die Wertung wissenschaftlicher Streitfragen einschließlich der daraus folgenden Risikoabschätzung, und die Beurteilung wird insoweit nicht in erster Linie von rechtlichen Maßstäben geprägt.

4. Anforderungen an eine Ermächtigung der Verwaltung Metajuristische Elemente rechtfertigen demgemäß, sofern sie nach dem Willen des Gesetzgebers die Entscheidung der Verwaltung prägen sollen, eine nur begrenzte gerichtliche Kontrolle, weil darin der Funktionsunterschied zwischen der auf einer rechtlichen Grundlage gestaltenden Verwaltung und den auf die Rechtsanwendung beschränkten Gerichten zum Ausdruck kommt. Eine administrative Letztentscheidungsermächtigung wird freilich nicht schon dadurch begründet, daß außerrechtliche Kriterien bei der Entscheidung zu berücksichtigen sind; denn dies würde zu einer weitgehenden Aushöhlung der in Art. 19 Abs. 4 GG enthaltenen Garantie führen. Eine Befügnis der Verwaltung zur verbindlichen Letztentscheidung liegt vielmehr nur dann vor, wenn nach dem erkennbaren Willen des Gesetzgebers eine Maßnahme in erster Linie aufgrund metajuristischer Erwägungen zu treffen ist, die die zuständige Behörde selbst aufgrund eigener Sachkunde und Erfahrung im Rahmen der ihr obliegenden Funktion unmittelbar in den Entscheidungsprozeß einbringen soll. Die Verwaltung muß deshalb bei Maßnahmen, deren Inhalt wesentlich von außerrechtlichen Aspekten abhängt, über die fachliche Kompetenz verfügen, diese Umstände eigenständig und in vollem Umfang zu erkennen, zu gewichten und abzuwägen, d. h. der Sachverstand muß der Verwaltung organisatorisch inkorporiert und überdies bestimmend dafür sein, welche Entscheidung - innerhalb welcher rechtlichen Schranken - getroffen wird 5 4 . Darüber hinaus muß im Gesetz die Befügnis der Verwaltung zu einer letztverbindlichen Entscheidung hinreichend deutlich zutage treten: Die Verringerung der gerichtlichen Kontrolldichte läßt sich nur dann mit Art. 19

54 Vgl. auch BVerwGE 72, 300 (316), wonach die Exekutive bei der Risikoermittlung und -bewertung im Rahmen des § 7 Abs. 2 Nr. 3 AtG „die Wissenschaft zu Rate zu ziehen" hat; s. darüber hinaus ebd., S. 317 (unter Hinweis auf BVerfGE 49, 89 [140]): „Die Exekutive verfügt nicht nur gegenüber der Legislative, sondern auch im Verhälüiis zu den Verwaltungsgerichten über rechtliche Handlungsformen, die sie für die Verwirklichimg des Grundsatzes bestmöglicher Gefahrenabwehr und Risikovorsorge sehr viel besser ausrüsten" (zustimmend etwa Burmeister [Fn. 42], S. 132 m.w.N).

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Abs. 4 GG vereinbaren, wenn die Beurteilungsermächtigung in einer materiellrechtlichen Norm enthalten ist 5 5 , mithin durch Vorschriften, die die Rechtsstellung des einzelnen - einschließlich des jeweils durchzuführenden Verwaltungsverfahrens - regeln, eine Verwaltungsbehörde die Befugnis erhält, im Rahmen der gesetzlichen Vorgaben eine abschließende Entscheidung zu treffen 56 . Ermächtigungen dieser Art lassen sich häufig daran erkennen, daß der Gesetzgeber ihre Wahrnehmung besonderen weisungsunabhängigen Organen 57 zugewiesen hat, deren personelle Zusammensetzung die sachkundige Berücksichtigung außerrechtlicher Kriterien gewährleistet 58, und teilweise noch spezifische Verfahrensbestimmungen aufgestellt hat, die eine Beachtung der maßgeblichen sachlichen Aspekte sichern sowie die Verringerung der gerichtlichen Kontrolldichte kompensieren sollen 59 . Wesentlich fiir die Ausgestaltung im einzelnen ist freilich, für welchen Sachbereich und welche Maßnahmen im einzelnen eine administrative Letztentscheidungsermächtigung statuiert werden soll; denn davon hängt es ab, ob die Einsetzung eines weisungsunbhängigen Gremiums zulässig ist, worauf der behördliche Sachverstand sich erstrekken soll und in welchem Ausmaß die gerichtliche Kontrollbefugnis eingeschränkt werden soll. So hat die Rechtsprechung zutreffend auch trotz fehlender Weisungsfreiheit der entscheidenden Stelle eine Befugnis zur letztverbindlichen Entscheidung - z. B. bei dienstlichen Beurteilungen von Beamten 6 0 - anerkannt, während allein aus der gesetzlichen Errichtung eines weisungsfreien administrativen (Kollegial-) Organs nicht schon zu entnehmen ist,

55 Vgl. z. B. Badura, Bachof-Festschrift (Fn. 4), S. 177, 186. 188: Erichsen. DVB1 1985, 26; Hill, NVwZ 1989, S. 407, 409 f.; Kloepfer (Fn. 4), S. 392; Papier (Fn. 4), Ule-Festschrift, S. 626; Schenke in Bonner Kommentar (Fn. 4), Art. 19 Abs. 4 Rdnr. 351; Schmidt-Aßmann in Maunz/Dürig (Fn. 4), Art. 19 Abs. IV Rdnr. 184, 191; aus der Rechtsprechung s. nur BVerfGE 61, 82 (111), sowie BVerwGE 59, 213 (215 f.), und 94, 307 (309). 56 Vgl. auch BVerwGE 94, 307 (313 f.), wonach die Befugnis zu einer lediglich gutachtlichen Beurteilung nicht genügt, um die gerichtliche Nachprüfung einer Kommissionsentscheidung zu beschränken. 57 Vgl. beispielsweise die Aufstellung bei Fichtmüller , Zulässigkeit ministerialfreien Raums in der Bundesverwaltung, AöR 91 (1966), 297 ff. (308 ff.), sowie Eckart Klein , Die verfassungsrechtliche Problematik des ministerialfreien Raumes, 1974, S. 74 ff. 58 Vgl. hierzu z. B. BVerwGE 39, 197 (203 f.); 59, 213 (216 ff); 62, 330 (339); 72, 195 (200 f.); 77, 75 (84); 91, 211 (216 f.); 94, 307 (311). 59 Vgl. Ossenbühl, Gesetzesbegriff (Fn. 17), DVB1 1974, 311; Burmeister (Fn. 42), S. 135 ff. 60 Vgl. etwa BVerwGE 21, 127 (129 ff); 61, 176 (185 f.); 62, 135 (138 ff); s. auch BVerwGE 63, 3 (5), für die dienstliche Beurteilung von Soldaten.

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daß dessen Entscheidungen nur beschränkter gerichtlicher Nachprüfung unterworfen sein sollen 61 ; ausschlaggebend kann lediglich die spezifische Fachkunde im Hinblick auf den Entscheidungsgegenstand - die beispielsweise auch durch die vorgeschriebene Anhörung eines Sachverständigengremiums erlangt werden kann 6 2 - sein. Deshalb kommt es bei der Zusammensetzung derartiger Organe in der Regel nicht auf „Elemente gesellschaftlicher Repräsentanz" an 6 3 . sondern auf die entscheidungsrelevante Sachkunde64, und eine pluralistische Besetzung ist nur dann bedeutsam, wenn die Beurteilungskriterien, wie etwa bei der Entscheidung über die Indizierung jugendgefährdender Schriften, auf gesellschaftlichen Anschauungen beruhen 65 . Ein Indiz für das Vorliegen einer administrativen Beurteilungsermächtigung ist darüber hinaus die Notwendigkeit der Einschätzungen zukünftiger Entwicklungen, deren Verlauf von dem ungewissen Eintritt oft zahlreicher anderer Ereignisse abhängt und aufgrund vergangener Geschehensabläufe als möglich oder sogar wahrscheinlich, indessen nicht als sicher angesehen werden kann 66 . Zwar können derartige prognostische Elemente nicht allein die Verringerung der gerichtlichen Kontrolldichte begründen 67, weil sie ein typischer Bestandteil der Rechtsanwendung sind, aber im Zusammenhang mit dem Erfordernis der Berücksichtigung metajuristischer Kriterien verdeutlichen sie die eigenständige Beurteilungsbefügnis der Verwaltungsbehörde, deren auf Ungewißheit gestützte Entscheidung nur durch eine nicht weniger ungewisse des Gerichts ersetzt werden könnte.

61 Vgl. BVerwGE 45, 309 (323 f.), hinsichtlich der Beschlüsse des Gemeinderats im Rahmen der Bauleitplanung; s. auch BVerwGE 94, 307 (311 ff.), zu den Kommissionen für die organoleptische Prüfung nach dem Weingesetz. 62 Vgl. etwa BVerwGE 72, 300 (316), mit dem Hinweis auf die (Pflicht und die) Möglichkeit der Exekutive, „die Wissenschaft zu Rate zu ziehen", und ebd., S. 319, die Billigung des Vorgehens der Genehmigungsbehörde, Empfehlungen der ReaktorSicherheitskommission bei der Festlegung des Dosisgrenzwertkonzepts zu berücksichtigen. 63 So aber beispielsweise Meyn (Fn. 4), S. 331. 64 Vgl. schon Ossenbühl, Gesetzesbegriff (Fn. 17), DVB1 1974, S. 313; ebenso Papier (Fn. 4), Ule-Festschrift, S. 247, 248; s. auch Schmidt-Aßmann in Maunz/Dürig (Fn. 4), Art. 19 Abs. IV Rdnr. 196, sowie BVerwGE 72, 300 (316, 319). 65 Weitergehend BVerwGE 94, 307 (311). 66 Näher hierzu in diesem Zusammenhang etwa Nierhaus (Fn. 4), S. 22; Ossenbühl, Kontrolle von Prognoseentscheidungen (Fn. 4), Menger-Festschrift S. 732 f.; Tettinger, Rechtsanwendung (Fn. 4), S. 433 f.; ders., Überlegungen (Fn. 4), DVB1 1982, 423; Hoppe, Gerichtliche Kontrolldichte (Fn. 4), S. 308 f. 67 Anders noch Grupp, Gerichtliche Kontrolle (Fn. 4), und ders., Rechtsschutz (Fn. 4), passim; s. aber auch BVerwGE 94, 307 (310).

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IV. Zur Sinnhaftigkeit einer Gesetzesänderung Die vom Sachverständigenrat „Schlanker Staat" erwogene Erweiterung behördlicher Beurteilungsspielräume durch Einfügung eines § 114a in die Verwaltungsgerichtsordnung dürfte nach alledem wenig erfolgversprechend sein: Beruht die Begründung einer administrativen Letztentscheidungsbefugnis auf dem Erfordernis, in erster Linie außerrechtliche Kriterien bei der Entscheidungsfindung zu berücksichtigen, so können derartige Ermächtigungen naturgemäß nicht in beliebiger Zahl statuiert werden. Darüber hinaus darf nicht verkannt werden, daß die metajuristischen Aspekte einer Entscheidung oft in vielfaltiger Weise mit rechtlichen Elementen in einer Weise verknüpft sind, die eine Beschränkung der gerichtlichen Kontrolle allenfalls in geringfügigem Umfang zuläßt 68 . Schon deshalb ist die erhoffte Entlastung der Justiz von einem § 114a VwGO kaum zu erwarten, und wenn sie über die Begründung von administrativen Letztentscheidungsermächtigungen erreicht werden soll, bedarf es wohl schwerlich eines Hinweises an die Gerichte, daß die Existenz eines Beurteilungsspielraums eine geringere gerichtliche Kontrolldichte bedeutet. Die Einschränkung der gerichtlichen Nachprüfung ist freilich nur die notwendige Folge materiellrechtlicher Regelungen, die lediglich sachbereichs spezifisch in dem jeweiligen Fachgesetz getroffen werden können und für deren Erlaß somit der Bund als Prozeßrechts-Gesetzgeber ohnehin unzuständig wäre 69 , der im übrigen mit einer so unbestimmt gefaßten Vorschrift wie dem vorgeschlagenen § 114a VwGO die auch von Willi Blümel stets nachdrücklich verteidigte Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 GG 7 0 unzulässig aushöhlen würde.

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Vgl. nur BVerfGE 84, 34 (53 ff.), zu Prüfungsentscheidungen. Ebenso Gerhardt in Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner (Fn. 8), Vorb § 113 Rdnr. 28; Lötz , Diskussionsbeitrag, in: Götz/Klein/Starck (Hrsg.), Die öffentliche Verwaltung zwischen Gesetzgebung und richterlicher Kontrolle, 1985, S. 228 f. 70 Vgl. nur die Abschiedsvorlesung von Willi Blümel an der Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer: Planung und Verwaltungsgerichtsbarkeit, 1997 (auch abgedruckt in Stüer [Hrsg.], Verfahrensbeschleunigung: Wirtschaft - Verwaltung Rechtsschutz, Planungsrecht Bd. 1, 1997, S. 17 ff.). 69

Entschädigung wegen Inanspruchnahme beplanter, aber nicht baulich genutzter Baugrundstücke für Fachplanvorhaben Von Christian Heinze

I. Abgrenzung des Themas Dieser Beitrag betrifft die Verkehrswegeplanung, der ein großer Teil des Lebenswerks des Jubilars gewidmet ist. Müssen Trassengrundstücke enteignet werden, die bisher etwa als Ackerland genutzt, jedoch vor Inanspruchnahme für das Planvorhaben durch Bebauungsplan als Bauland ausgewiesen worden sind, so fragt sich, ob die Entschädigung bei unveränderter Nutzung nach dem Wert der Grundstücke als Ackerland oder als Bauland zu bemessen ist. Die Frage stellt sich nicht erst im Enteignungsverfahren, sondern schon für eine Einigung nach Art. 29 Abs. 2 BayEG 1 zur Abwendung der Enteignung oder Besitzeinweisung, weil der Vorhabenträger seinem Angebot zu einer Einigung die gesetzliche Höhe der Enteignungsentschädigung aus wirtschaftlichen 2 und/oder rechtlichen Gründen 3 zugrunde legen muß. Der vorliegende Beitrag behandelt das Thema in folgenden Grenzen:

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Der Beitrag legt bayerisches Recht zugrunde; in anderen Ländern ist die Rechtslage kaum anders. 2 Da dem Vorhabenträger das Enteignungsrecht zusteht, ist es grundsätzlich wirtschaftlich nicht gerechtfertigt, für den freihändigen Erwerb eine wesentlich höhere Entschädigung anzubieten, als sie bei einer Enteignung zu gewähren wäre. 3 Träger von Vorhaben, die aus Haushalten öffentlicher Körperschaften finanziert werden, pflegen (z.B. nach § 9 BSchwAG) an haushaltsrechtliche Grundsätze (§§6, 7 BHO) gebunden zu werden, nach denen eine Überschreitung der bei Enteignung falligen Entschädigung im Zuge freihändigen Erwerbs unzulässig ist.

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1. Planfeststellung in Gebieten nicht vollzogener Bebauungspläne Unproblematisch sind Fälle, in denen mit einer baulichen Grundstücksnutzung vor Inanspruchnahme des Grundstücks für das Planvorhaben begonnen wurde: War die Nutzung rechtswidrig, so genießt sie grundsätzlich keinen Eigentumsschutz4. War sie rechtmäßig, so steht die Maßgeblichkeit der baulichen Nutzbarkeit für die Bemessung der Entschädigung außer Zweifel. Werden Grundstücke ohne vorherige Planfeststellung im Wege der Enteignung in Anspruch genommen5, so trifft die Enteignung unmittelbar auf die durch den Bebauungsplan gegebene bodenrechtliche Grundstücksqualität. Insoweit fallen solche Inanspruchnahmen nicht unter das Thema dieses Beitrags. - Dieser Beitrag befaßt sich ferner nur mit bundesrechtlich geregelten überörtlichen Fachplanvorhaben. - Schließlich befaßt er sich nur mit vollziehbar und insbesondere bestandskräftig planfestgestellten Fachplanvorhaben. Fragen der Fehlerhaftigkeit und Anfechtbarkeit von Planfeststellungen, insbesondere wegen Unvereinbarkeit mit einem Bebauungsplan, oder ihrer Nichtigkeit bei besonders schweren Rechtsfehlern bleiben außer Betracht.

2. Aktuell wirksame Bebauungsplanung Die bebauungsplanmäßige Zulässigkeit baulicher Nutzung eines für ein Fachplanvorhaben in Anspruch zu nehmenden Grundstücks kann bei Bemessung der Enteignungsentschädigung nicht berücksichtigt werden, wenn diese Qualität durch Bebauungsplan wieder aufgehoben oder beschränkt worden ist (sog. Herabzonung), ehe mit der Fachplanung begonnen wurde. Denn dann findet das Planvorhaben unabhängig davon, ob die Herabzonung einen Entschädigungsanspruch auslöst, ein Grundstück vor, dessen Verkehrswert nicht mehr durch Baulandqualität bestimmt ist. Ist ein Bebauungsplan rechtswidrig (z.B. wegen Kollision mit einem Planvorhaben), so ist er nichtig 6 und kann bei Bemessung einer Enteignungsent-

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Vgl. Kimminich, in: Bonner Kommentar, Stand Oktober 1992, Art. 14 Rdnr. 40, 261. Zur Problematik im einzelnen vgl. Hansjörg Birk , Tendenzen des Planungsschadensrechtes, NVwZ 1984, 1. 5 Dazu Blümel , Die Planfeststellung im geltenden Recht, als Manuskript (Habilitationsschrift von 1967), veröffentlicht 1994, S. 288 ff. ö Gaentzsch, in: Schlichter/Stich, Berliner Kommentar zum BauGB, 2. Aufl. 1995, § 10 Rdnr. 11.

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Schädigung nicht berücksichtigt werden 7. Ein Fall der Inanspruchnahme beplanter Grundstücke i m Sinne des Themas dieses Beitrags liegt dann nicht vor.

3. Fragestellung Trifft ein Fachplanvorhaben dagegen auf ein rechtmäßig und aktuell wirksam beplantes Baugrundstück, das für das Planvorhaben enteignet (durch Entzug oder Belastung des Eigentums in Anspruch genommen) werden muß, ist zu fragen, ob sein Verkehrswert die Entschädigung auch insoweit bestimmt, als dessen Erhöhung ausschließlich auf Bebauungsplanung zurückgeht. Grundsätzlich ist für die Höhe der Enteignungsentschädigung der Verkehrswert des Grundstücks (Zeitwert) als sein Marktpreis (oder der aus der Substanz oder dem Ertrag des Grundstücks abgeleitete Preis) maßgeblich (Art. 10 Abs. 1 BayEG) und die bebauungsplanmäßige Ausweisung eines Grundstücks als bebaubar bewirkt die Höherbewertung des Grundstücks. Das legt nahe, daß die Entschädigung bei Inanspruchnahme so ausgewiesener Grundstücke in jedem Fall nach dem Verkehrswert für Bauland zu bemessen ist. Zu einem anderen Ergebnis gelangt man, wenn die Berücksichtigung eines Wertanteils bei der Bemessung der Enteignungsentschädigung ausscheidet, weil er allein auf hoheitlicher Planung beruht, aber auch, wenn man in der Planfeststellung eine der Enteignung vorangehende, von ihr zu trennende Herabstufung des benötigten Grundstücks sieht, die ihrerseits keine Enteignung darstellt, so daß die der Planfeststellung nachfolgende Enteignung auf ein Grundstück trifft, dessen Wert durch Bebaubarkeit nicht mehr bestimmt ist. Was insoweit zutrifft, wird nachstehend erörtert.

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Auch dann nicht, wenn die Nichtigkeit nicht offensichtlich ist, BGH Urt. vom 24.6.1982 - m ZR 169/80 - BGHZ 84, 292, 295 ff und - besonders klar - vom 27.2.1969 - m ZR 85/67 - WM 69, 726, 728 = BRS 26 Nr. 105 = MDR 69, 464 = VRSpr. 20 Nr. 129. Weil aber nicht auszuschließen ist, daß Enteignungsbehörden und Zivilgerichte die gebotene Inzidentprüfung des Bebauungsplans ablehnen oder übersehen, ist dem Vorhabenträger die Einleitung eines Normenkontrollverfahrens zu empfehlen, sobald mit dem Planvorhaben unvereinbare Nutzungen rechtswidrig durch Bebauungsplan zugelassen werden.

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I I . „Baurecht44 als Eigentum Fest steht, daß am Vermögen oder an Chancen oder auch am (Verkehrs-) Wert von Sachen für sich allein Eigentum im Sinne des Enteignungsrecht nicht besteht. Aber auch „Rechtspositionen" genießen nicht schon als solche Eigentumsschutz. Das gilt insbesondere auch für die Zulässigkeit baulicher Nutzung eines Grundstücks.

1. Inhaltsbestimmung des Eigentums Inhalt und Schranken des Eigentums, mithin die Zulässigkeit und Unzulässigkeit einer bestimmten Nutzung regelt der Gesetzgeber (Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG), der sie mithin auch ändern kann. Darin für sich genommen ist auch bei Einschränkung der Zulässigkeit einer Nutzung keine Enteignung zu sehen, die nur gegen Entschädigung zulässig wäre. Das ergibt sich aus dem Naßauskiesungsbeschluß des BVerfG vom 15.7.19818, aber auch aus Gerichtsentscheidungen, die zum Teil schon vor dem Naßauskiesungsbeschluß des BVerfG ergangen sind. So hat die Rechtsprechung als Inhaltsbestimmung des Eigentums, die ohne Entschädigung hinzunehmen ist, eingeordnet die Unterstellung von Gebäuden unter Denkmalschutz9, die Unterstellung von Grundstücken unter (erhöhte) Immissionsschutzanforderungen 10, unter Natur- oder Landschaftsschutz 11, unter Wasserschutz 12 sowie ein Uferbauverbot 13 und Beschränkungen der Zulässigkeit von Grundstücksnutzungen durch die Bodenabbaugesetze14. Auch die Unterstellung unter Waldschutz 15 oder die Erklärung zum militärischen Schutzbereich kann nicht anders eingeordnet werden. 8 Beschluß vom 15.7.1981 - 1 BvL 77/78 - BVerfGE 58, 300, 350 f. Vgl. zur „Nutzung" als Eigentums-Schutzgegenstand Kimminich (Fn. 4), Rdnr. 40 ff. 9 BGH im Urt. vom 17.12.1992 - m ZR 112/91 -BGHZ 121,73. 10 BGH Urt. vom 18.12.1986 - m ZR 174/85 - BGHZ 99, 262, 269. 11 BGH Urt. vom 16.7.1993 - m ZR 60/92 - NJW 1993, 2605, vom 18.2.1993 - HI ZR 20/92 - NJW 1993, 2095 und vom 26.1.1984 - m ZR 216/82 - BGHZ 90, 17; BVerwG Urt. vom 15.2.1990 - 4 C 47.89 - NJW 1990, 2572, vom 13.4.1983 - 4 C 21.79 - BVerwGE 67, 84 und vom 21.6.1956 - 1 C 202.54 - BVerwGE 3, 335. 12 BGH Urt. vom 19.9.1996 - ffl ZR 82/95 - BGHZ 133, 271 und vom 26.1.1984 (Fn. 11). 13 BVerwG Urt. vom 24.2.1978 - 4 C 12.76 - DVB1 1978, 610. 14 BGH Urt. vom 26.1.1984 (Fn. 11). 15 Eingehend Pietzcker, Zur Entwicklung des öffentlichrechtlichen Entschädigungsrechts - insbesondere am Beispiel der Entschädigung von Beschränkungen der landwirtschaftlichen Produktion, NVwZ 1991,418, 419 f.

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Ebenso bestimmt die Ermächtigung zur Bebauungsplanung in Verbindung mit dem Bebauungsplan den Inhalt des Eigentums 16 . Der Verfassungsschutz des Eigentums steht auch der entschädigungslosen Aufhebung oder Einschränkung der Zulässigkeit baulicher Nutzung durch Bebauungsplan (Herabzonung) nicht entgegen17. Soweit die Rechtsprechung sie früher als entschädigungspflichtige Enteignung behandelt hat, ist die Rechtsprechung mit dem Naßauskiesungsbeschluß des BVerfG unvereinbar 18. So wie das Wasserhaushaltsgesetz nach diesem Beschluß das Grundwasser einer vom Grundeigentum losgelösten öffentlichrechtlichen Benutzungsordnung unterstellt 19 , unterliegt die Zulässigkeit der Bebauung von Grundstücken rechtlich selbständiger Beurteilung 20 .

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BVerfG Beschl. vom 30.11.1988 - 1 BvR 1301/84 - BVerfGE 79, 174, 191 und BVerwG Urt. vom 1.11.1974 - IV C 38.71 - BVerwGE 47, 144, 153, das noch von einem durch die Grundstückssituation vermittelten Eigentumsgrundrechtsschutz gegen „schwere und unerträgliche" Beeinträchtigungen ausgeht. Vgl. auch Osterloh, Eigentumsschutz, Sozialbindung und Enteignung bei der Nutzung von Boden und Umwelt, DVB1 1991, 906, 913: Nutzungsbeschränkungen „zum Zwecke verteilungsgerechter Ordnung ... durch Gesetzgebung und Gesetzesvollzug sind Fragen der Inhalts- und Schrankenbestimmung des Eigentums". 17 So bereits vor dem Naßauskiesungsbeschluß des BVerfG BGH Urt. vom 11.11.1976 - m ZR 114/75 - BGHZ 67, 320,326 und ähnlich vom 4.2.1957 - ffl ZR 181/55 - BGHZ 23, 235, 237 mit Bezug auf eine Art faktische Herabzonung. Auch das BVerwG hat verfassungsrechtlichen Eigentumsschutz gegen Herabzonung nur bejaht für ein Nutzungsrecht, das „eigentumskräftig verfestigt" war, so Urt. vom 27.1.1967 - IV C 33.65 - BVerwGE 26, 111 mit Bezug auf eine Herabzonung durch § 35 BauGB. Was für Herabzonung gilt, gilt erst recht fiir die Einschränkung einer Bauerwartung, BGH Urt. vom 12.6.1975 - m ZR 25/73 - BGHZ 64 S. 382, 390. 18 BGH Urt. vom 20.9.1971 - m ZR 18/70 - BGHZ 57, 278, vom 27.2.1969 (Fn. 7), vom 28.1.1965 - m ZR 38/64 - BGHZ 43 S. 120, 122 und vom 27.9.1962 - m ZR 40/61 - WM 1962, 1325, vielleicht auch Urt. vom 17.11.1988 - m ZR 210/87 - NVwZRR 1989 S. 393, 394 f.; BayObLG Urt. 29.4.1974 - RReg 2 Z 152/72 - BayVBl 1974, 437. Der BGH hat auch schon früher die Annahme einer Enteignung durch Herabzonung auf Fälle beschränkt, in denen nicht nur der Grundstückswert beeinträchtigt wurde sondern der Eigentümer „spürbar" in einer konkreten Nutzungsmöglichkeit beeinträchtigt wurde, vgl. Urt. vom 27.11.1969 - m ZR 26/69 - WM 1970 S. 525 und ffl ZR 25/69 - BauR 1970, 41 sowie vom 29.4.1968 - ffl ZR 80/67 - BGHZ 50, 93. - Nach dem Naßauskiesungsbeschluß des BVerfG hat der BGH seine damit unvereinbare Rechtsprechung aufgegeben, vgl. etwa Urt. vom 19.9.1996 (Fn. 12), S. 271, 273; vgl. auch Urt. vom 28.6.1984 - ffl ZR 35/83 - BGHZ 92 S. 34, 46 f mit Bezug auf die Beschränkung der Zulässigkeit einer Nutzung durch heranrückende Wohnbebauung. 19 BVerfG Beschl. vom 15.7.1981 (Fn. 8), S. 328. Zur baulichen Nutzung gehört auch der Abbau nicht bergfreier Lagerstätten. 20 Ihr Schicksal ist vom Grundeigentum ähnlich getrennt wie das rechtliche Schicksal einer (wasserrechtlichen) Erlaubnis zum Verfallen einer Kiesgrube, BVerwG Beschl. vom 26.10.1993 - 7 B 53.93 - NVwZ-RR 1994,494.

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2. Eigentumskräftige Verfestigung Grundrechtsschutz des Eigentums genießen Rechtspositionen dann, soweit sie von der Rechtsordnung wie Eigentum zur privaten Nutzung zugeordnet 21, insbesondere „eigentumskräftig verfestigt" sind 22 . Als eigentumskräftig verfestigt gilt die Zulassung einer Nutzung, wenn sie rechtmäßig tatsächlich ausgeübt 2 3 oder ins Werk gesetzt oder die vorbehaltene Genehmigung erteilt 24 oder ein Anspruch auf sie entstanden ist 2 5 2 6 . Das gilt auch für die Zulässigkeit baulicher Nutzung 27 . Ein Anspruch auf Baugenehmigung besteht auch im Rahmen eines anerkannten Bestandsschutzes für Baumaßnahmen, die zur Erhaltung, Erneuerung oder Modernisierung oder einer gewissen Erweiterung rechtmäßig bestehender Gebäude oder vollzogener baulicher Maßnahmen erforderlich sind 28 . Inwieweit nach dem Naßauskiesungsbeschluß neben eigen21

BVerfG, z.B. Beschl. vom 9.1.1991 - 1 BvR 929/89 - BVerfGE 83,201,208. Anwendungsfall eigentumskräftiger Verfestigung ist der Bestandsschutz für ausgeübte Nutzungen, dazu BGH Urt. vom 18.2.1993 (Fn. 11), S. 1098 r. Sp. und Pietzcker (Fn. 15). 23 BGH Urt. vom 19.9.1996 (Fn. 12), S.271; vom 16.7.1993 (Fn. 11); vom 13.7.1967 - m ZR 1/65 - BGHZ 48, 193 und vom 16.3.1959 - m ZR 13/58 - LM 1959 Nr. 5 zu Art. 14 GG. Zum Gewerbebetrieb als Gegenstand verfassungsrechtlichen Eigentumsschutzes vgl. BGH Urt. vom 10.7.1980 - III ZR 160/78 - BGHZ 78, 41. 24 BVerfG Beschl. vom 15.7.1981 (Fn. 8), S. 350 erkennt das „titulierte" Recht als Eigentum an. Ebenso bewertet es im Beschl. vom 9.1.1991 (Fn. 21), S. 210 f. ein Vorkaufsrecht nach Eintritt des Vorkaufsfalls. 25 Eine mit dem Anspruch auf Baugenehmigung verbundene Baulandqualität nach § 30 Abs. 1 BauGB setzt voraus, daß die Erschließung gesichert ist, wobei ein Erschließungsanspruch und die rechtmäßige verbindliche Zusicherung der Erschließung gleichstehen, vgl. BVerwG Urt. vom 27.1.1967 (Fn. 17), S. 111 und BGH Urt. vom 10.4.1997 - m ZR 104/96 -NJW 1997, 2115 = ZfBauR 1997 S. 270. 26 Wenn der BGH allerdings etwa im Urt. vom 16.7.1993 (Fn. 11), und das BVerwG im Urt. vom 15.2.1990 (Fn. 11), sowie das BayObLG im Urt. vom 4.3.1991 - RReg 1 Z 69/89 - NJW-RR 1991, 1231 judizieren, daß bereits die Möglichkeit oder Absicht einer rechtlich zulässigen Nutzung Eigentumsschutz genießt, die sich „nach Lage und Beschaffenheit des Grundstücks objektiv anbietet", dürfte diese weit auslegungsfahige Formel mit dem Vorbehalt der Inhaltsbestimmung schwerlich vereinbar sein. Dagegen kann der in diesem Urt. des BayObLG abgelehnte Schutz von Vorratsgelände eines Gewerbebetriebs die Entscheidung im Ergebnis tragen. 27 BVerfG Beschl. vom 15.7.1981 (Fn. 8), S. 349; BVerwG Urt. vom 13.4.1983 (Fn. 11). 28 Zum Bestandsschutz BVerwG Urt. vom 17.1.1986 - 4 C 80.82 - BVerwGE 72, 362 und BGH Urt. vom 16.7.1993 (Fn. 11); vom 28.6.1984 (Fn. 18), S. 43,45 ff.; vom 26.1.1984 (Fn. 11), und vom 13.7.1967 (Fn. 23). Mißverständlich BVerwG Urt. vom 10.8.1990 - 4 C 3.90 - BVerwGE 85, 289, soweit es unter Hinweis auf § 35 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3, §§ 39 ff., §§ 31, 34 Abs. 2 und 3 BauGB dahin verstanden werden könnte, es könne einen solchen Anspruch außerhalb dieser Vorschriften nicht (mehr) geben. 22

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tumskräftig verfestigten Rechten noch die „Situation" 29 oder eine „Substanz" des Eigentumsgegenstandes30 oder gar die Unzumutbarkeit von Nutzungsbeschränkungen 31 als Gegenstand verfassungsrechtlichen Schutzes in Betracht kommen, erscheint zweifelhaft. Allein deshalb, weil ein Bebauungsplan die Zulässigkeit einer baulichen Nutzung begründet, sollte von einem „Baurecht" jedenfalls nicht die Rede sein. Klarerer Unterscheidung dient die Bezeichnung der bebauungsplanmäßigen Zulässigkeit der Bebauung als „Bebaubarkeit". Dementsprechend sollte vom (lediglich) bebauungsplanmäßigen Bauland (Rohbauland) dasjenige unterschieden werden, in dem ein Anspruch auf Baugenehmigung besteht (Bauanspruchsland). Ist eine Rechtsposition eigentumskräftig verfestigt, so ist ihre Aufhebung oder Einschränkung nur gegen Entschädigung zulässig, auch wenn sie durch Inhaltsbestimmung des Eigentums stattfindet 32. Ohne solche Verfestigung ge-

29 Zur Grundstückssituation als Eigentum vgl. BGH Urt. vom 16.7. und 18.2.1993 (Fn. 11), wonach die maßgebliche Situation durch eine Nutzung, von der ein „einsichtiger Eigentümer" nicht absehen würde, und u.a. wiederum durch die Rechtslage bestimmt wird, und BVerwG Urt. vom 23.1.1981 - 4 C 4.78 - BVerwGE 61, 295, 303 f. sowie vom 27.1.1967 - IV C 33.65 - BVerwGE 26, 111, 119 m.w.N. Es geht wohl über die herkömmliche Auffassung eigentumskräftiger Verfestigung hinaus, wenn der BGH im Urt. vom 9.4.1992 - m ZR 228/90 - BGHZ 118, 59, 64, 66, die durch Baustufenplan begründete Zulässigkeit als Eigentum durch Situationsbindung im Wege solcher Verfestigung anspricht. 30 BGH Urt. vom 5.12.1985 - IH ZR 154/84 - UPR 1986, 261; vom 26.1.1984 (Fn. 11); vom 23.11.1972 - ffl ZR 77/70 - WM 1973 S. 153, 154 und wohl auch vom 19.5.1988 - ffl ZR 224/88 - UPR 1989, 23; BVerwG - Urt. vom 13.4.1983 (Fn. 11). Zur Rechtslage nach dem Naßauskiesungsbeschluß des BVerfG vgl. BGH Urt. vom 26.1.1984 (Fn. 11). Der Nachweis, daß die für eine Nutzung erforderliche Genehmigung nicht erteilt würde, schließt jedenfalls Eigentumsschutz aus, Urt. des BGH vom 1.7.1982 - III ZR 10/81 - NVwZ 1982, 644, 645 f. unter ausdrücklicher Aufgabe seiner Rechtsprechung z. B. im Urt. vom 25.1.1973 ffl ZR 113/70 - BGHZ 60, 126. Zur Problematik der Situationsbindung Pietzcker (Fn. 15), S. 419 f. 31 BGH Urt. vom 18.2.1993 (Fn. 11), S. 2098 zu e). 32 Das ist seit den Beschlüssen des BVerfG vom 9.1.1991 (Fn. 21) und vom 10.10.1997 - 1 BvR 310/84 - NJW 1998, 367 (letzterer nennt entgegengesetzte frühere Äußerungen des BVerfG überholt) nicht aus Art. 14 Abs. 3 GG sondern aus dem in Art. 14 Abs. 1 gewährleisteten Grundrecht des Eigentums herzuleiten; es fällt allerdings schwer, dem BVerfG bei dieser Wendung zu folgen, nach der Rechtsbeschränkungen im Rahmen von Inhaltsbestimmungen keine „Legalenteignungen" sind - vgl. zum Begriff BVerfG Beschl. vom 10.5.1977 - 1 BvR 514/68 ua - BVerfGE 45, 297. Dem BVerfG folgend BGH Urt. vom 10.7.1980 (Fn. 23),. S. 46. Eine Art Entschädigungsjunktim kann sich aus unten zu erwähnenden verfassungsrechtlichen Schranken der Inhaltbestimmung ergeben. Vgl. Engelhardt, Neue Rechtsprechung des BGH zur öffentlichrechtlichen Entschädigung, NJW 1994, 337. 11 FSBlümel

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nießt sie dagegen keinen Eigentumsschutz, auch nicht in Form der Gewährleistung eines Entschädigungsanspruchs 33.

3. Vorrang der Fachplanung Unabhängig von vorstehenden Gründen schließt auch der Vorrang überörtlicher bundesrechtlicher Fachplanung vor der Bebauungsplanung die Behandlung der bebauungsplanmäßigen Zulässigkeit baulicher Nutzung ohne eigentumskräftig verfestigtes Baurecht als Eigentum aus, das nur gegen Entschädigung entzogen oder beeinträchtigt werden darf. Das Rangverhältnis zwischen Bebauungsplänen und Fachplanvorhaben ist zwar nicht generell geregelt. Allgemein gilt nur das Abwägungsgebot. Weitergehende Einzelregelungen finden sich in § 7 BauGB sowie etwa in § 13 Abs. 3 Satz 1 WaStrG und § 16 Abs. 3 Satz 3 FStrG. § 37 BauGB privilegiert nur Bauvorhaben des Bundes und der Länder, wobei die Bahnreformgesetzgebung versäumt hat klarzustellen, ob Vorhaben der DB AG im Sinne dieser Vorschrift dem Bunde zugerechnet werden können. Ein Vorrang der Planfeststellung wird allerdings § 38 BauGB entnommen, der seit seiner am 1.1.1998 in Kraft getretenen Änderung die Anwendung der §§ 29 bis 37 BauGB auf Planfeststellungs-'Verfahren" für überörtliche Vorhaben nach Bundes- und Landesrecht ausschließt34. Schon die bis 1997 geltende Fassung der Vorschrift

33

So im Ergebnis deutlich OLG München Urt. vom 17.5.1990 - 1 U 4102/89 NVwZ-RR 1991, 115. Dagegen kann dem Urt. des OLG Köln vom 18.10.1990 - 7 U (Baul.) 24/90 - DVB1 1991, 221, das einen bebauungsplanmäßigen Wertzuwachs als entschädigungsfähig ansieht, und der darin in Bezug genommenen Rechtsprechung des BGH nur zugestimmt werden, soweit die planmäßige Nutzung ausgeübt/ins Werk gesetzt ist. Die Begründung des OLG Köln, das Gesetz kenne keine „ A b s c h ö p f u n g des Planungsgewinns", trägt die Entscheidung nicht, weil es entweder nicht um Planungsgewinn, sondern um Wertsteigerung durch ausgeübte Nutzung, oder um eine Versilberung eines puren Planungsvorteils durch Entschädigung geht. Auch die Auffassung des BGH, wonach im Rahmen der bauplanungsrechtlichen Umlegung keine Abschöpfung der „planungsbedingten Bodenwertgewinne" stattfindet - Urt. vom 19.1.1984 - Öl ZR 185/82 - BGHZ 89, 353 m.w.N. - kann mit dem Verfassungsschutz des Eigentums nicht (mehr) begründet werden. Dagegen entspricht es der Ablehnung eines Planungsvorteil-Versilberungsanspruchs, daß bei der Entschädigung auch Vorteile auszugleichen sind, die nicht vom Staat oder Begünstigten veranlaßt wurden; vgl BGH Urt. vom 14.2.1989 - VI ZR 121/88 -NJW 1989, 2118. 34 Gesetz zur Änderung des Baugesetzbuchs und zur Neuregelung des Rechts der Raumordnung (BauROG) vom 189.8.1997 - BauROG - (BGBl I S. 2081).

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wurde dahin verstanden, daß die darin bezeichneten Planvorhaben Vorrang vor Bauleitplänen haben 35 . Das Rangverhältnis zwischen Bebauungsplänen und Planvorhaben betrifft zunächst die materielle Rechtmäßigkeit der einen oder anderen Planfestlegung. Vorrangverletzungen durch Bebauungspläne fuhren zu deren (Teil-) Nichtigkeit, bei Planfeststellungen sind sie Gegenstand der Prüfung im Rechtsmittelverfahren. Ist die Planfeststellung allerdings bestandskräftig geworden, kommt ihr der Vorrang gegenüber einem Bebauungsplan ohne Rücksicht auf ihre materielle Rechtmäßigkeit zu. Vorrang der Fachplanung bedeutet: Die durch Bebauungsplan begründete Bebaubarkeit steht von vornherein unter dem Vorbehalt anderweitiger Planfeststellung. Die mit der Planfeststellung verbundene Aufhebung oder Beeinträchtigung der Bebaubarkeit folgt aus § 75 Abs. 1 VwVfG, wonach die Planfeststellung die Durchführung des Planvorhabens konkret und unter Befreiung von anderweit vorbehaltenen Genehmigungen und Verfügungen gestattet sowie zugleich die Rechtsverhältnisse des Vorhabenträgers zu allen Planbetroffenen rechtsgestaltend regelt. Der Planfeststellungsbeschluß aktualisiert insoweit den erwähnten Vorbehalt und ist actus contrarius zum Bebauungsplan. Der Vorgang ist unter dem Gesichtspunkt des verfassungsrechtlichen Eigentumsschutzes wie folgt zu würdigen: So wie die gesetzliche Ermächtigung zur Bebauungsplanung in Verbindung mit dem Bebauungsplan den Inhalt des Grundeigentums (positiv) bestimmt, zugleich aber die Zulässigkeit der Bebauung durch die Ermächtigung zur Änderung des Bebauungsplans beschränkt ist, kommt auch der Planfeststellungsermächtigung in Verbindung mit der sie aktualisierenden Planfeststellung die (insoweit negative) Wirkung einer (vom Bebauungsplan abweichenden) Inhaltsbestimmung des Grundeigentums zu 3 6

35 So mit Bezug auf die einer Planfeststellung nachfolgende Bebauungsplanung BVerwG Urt. vom 30.5.1997 - 8 C 6.95 - UPR 1997, 468 f. Ebenso auch für Planfeststellungen, die der Bebauungsplanung nachfolgen, Kühling , Fachplanungsrecht, 1988, S. 46 mit Bezug auf Wasserstraßenplanung. Auch Wagner , Das neue Bauplanungsrecht - zu seiner Verknüpfung mit dem Bauordnungs-, Fach- und Umweltplanungsrecht, UPR 1997 S. 387, 391 f. - spricht von „Vorrang" und „umfassender Privilegierung"; zu deren Voraussetzungen und Umfang vgl. Battis , Die Neuregelungen des Baugesetzbuchs zum 1.1.1998 , NVwZ 1997, 1145, 1162. Da der Vorrang dem Wortlaut ebensowenig der alten wie der geltenden Fassung entnommen werden kann, hat Ronellenfitsch, Einführung in das Planungsrecht, 1986 S. 92 f. zu IE, in § 38 nur die Bestätigung einer Natur der Sache und einer generalisierungsfahigen Gesetzeslage gesehen. 36 Das BVerwG spricht im Urt. vom 23.1.1981 (Fn. 29), S. 302 von der „planerischen Überwindung von Eigentumspositionen" - übrigens mit Bezug nicht nur auf das für das Planvorhaben benötigte, sondern auch auf Nachbar-Grundeigentum.

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Denn zur Inhaltsbestimmung gehört auch der Einzelakt, der die inhaltsbestimmende Wirkung aktualisiert oder konkretisiert 37 . Die Beseitigung oder Beschränkung der bebauungsplanmäßigen Zulässigkeit einer Bebauung durch Planfeststellung ist daher für sich gesehen auch wegen und im Umfang des Vorrangs der Fachplanung keine Enteignung. Soweit das Eigentum an Grundstücken für ein solches Planvorhaben entzogen oder belastet wird, für die das Baurecht galt, kann der Baurechts-Mehrwert folglich bei der Bemessung der Entschädigung auch aus diesem Grund nicht berücksichtigt werden.

III. Bebaubarkeit als Entschädigungsfaktor Es fragt sich, ob der Verkehrsmehrwert, den eine nicht selbst als Eigentum zu qualifizierende Planungsrechtsposition dem beplanten Grundstück verschafft, bei Bemessung der Entschädigung wegen Enteignung dieses Grundstücks zu berücksichtigen ist. Die Rechtsprechung hat das bejaht 38 , und zwar sogar mit Bezug auf die bloße Erwartung künftiger Baulandausweisung (Bauerwartung) 39 und auch noch nach dem Naßauskiesungsbeschluß des BVerfG 40 . Der BGH hat es andererseits abgelehnt, den Preiszuschlag, den der Grundstücksverkehr allein auf Grund der Zulässigkeit einer nicht ausgeübten Nutzung gewährt, bei der Entschädigung zu berücksichtigen, wenn durch die Einschränkung der Zulässigkeit „eine den Schutz der Eigentumsgarantie genießende Rechtsposition ... nicht beeinträchtigt und" dem Betroffenen „daher nichts ,genommen' wird". M i t der Begründung, es handle sich bei der Beseitigung einer Bauerwartung durch die mit einer Autobahnplanung verbundene Belastung eines Grundstücks mit den Baubeschränkungen eines Schutzstreifens nicht um Enteignung, hat er daher auch den Bauerwartungs-Mehrwert bei Inanspruchnahme desselben Grundstücks für das Autobahnvorhaben unberücksichtigt gelassen41.

37 BVerfG Beschl. vom 10.10.1997 (Fn. 32), S. 367 und BGH Urt. vom 19.9.1996 (Fn. 12), S. 271, 277 und vom 16.7.1993 (Fn. 11), vgl. Engelhardt, Neue Rechtsprechung des BGH zur öffentlichrechtlichen Entschädigung, NVwZ 1994, 337, 338 1. Sp. oben. 38 So BGH Urt. vom 8.12.1977 - m ZR 163/75 - BGHZ 71, 1 und vom 27.2.1969 (Fn. 7). Das Urt. des BVerwG vom 27.1.1967 (Fn. 17) unterscheidet zwischen dem Eigentumsschutz der Zulässigkeit einer Nutzung und ihrer Berücksichtigung bei Ermittlung der Enteignungsentschädigung. 39 BGH Urt. vom 8.11.1962 - m ZR 86/61 - BGHZ 39, 198. 40 BGH Urt. vom 3.3.1988 - m ZR 162/85 - NVwZ 1988, 867. 41 BGH Urt. vom 12.6.1975 - IE ZR 25/73 - BGHZ 64, 382, 389.

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1. Entschädigung nur soweit Eigentum verfestigt Die Entschädigung wegen Verlusts des „nudum ius" der Bebaubarkeit widerspricht der Beschränkung des Schutzes des Individualeigentums auf eigentumskräfitig verfestigte Rechtspositionen. Es ist - auch nach dem Gleichbehandlungsgebot - ferner kein zureichender Grund ersichtlich, den allein durch Zulassung baulicher Nutzung bewirkten Wertzuwachs im Falle einer Enteignung des begünstigten Grundstücks zu entschädigen, die Aufhebung oder Einschränkung der Zulässigkeit baulicher Nutzung bei Fortbestand privatnützigen Eigentums dagegen nicht. Denn beide Fälle unterscheiden sich allein durch den Entzug im ersten Fall des (nicht baulich nutzbaren) Grundstücks. Dieser Entzug wird aber nach Maßgabe der Qualität ohne bauliche Nutzbarkeit angemessen entschädigt. Deshalb beschränkt § 95 Abs. 2 Nr. 7 BauGB für seinen Anwendungsbereich die Enteignungsentschädigung bei Herabzonung und nicht ausgeübter, seit mehr als 7 Jahren zulässiger Nutzung auf den Wert der ausgeübten Nutzung 42 .

2. Umverteilung nicht gerechtfertigt Das die Bemessung der Enteignungsentschädigung regelnde Recht gilt nicht nur im Interesse des Enteignungsbetroffenen, sondern auch im fiskalischen Interesse der Allgemeinheit. Diese darf nicht dadurch belastet werden, daß anläßlich einer Enteignung eine höhere Entschädigung gewährt wird als dem Schutzgut entspricht. Insbesondere darf nicht in Gestalt der Enteignungsentschädigung eine Umverteilung zu Lasten der Allgemeinheit und zugunsten des Enteignungsbetroffenen stattfinden. Eine solche Umverteilung fände aber statt, wenn die Allgemeinheit den Mehr-Verkehrswert als Entschädigung aufzubringen hätte, den die Baulandausweisung einem Grundstück verleiht. Dem kann nicht entgegengehalten werden, daß eine Umverteilung bereits in der Baulandausweisung liege und daher in der Enteignung nicht mehr gesehen werden könne. Denn die Baulandausweisung belastet als solche die Allgemeinheit nicht. Soweit durch sie eine Umverteilung stattfindet, besteht sie vermittels des Grundstücksmarkts in der Begründung unterschiedlicher, nicht eigentumskräftig verfestigter Rechtspositionen verschiedener Grundeigentümer. 42 Dazu Breuer, in: Schrödter, BauGB, 5. Aufl. 1992, Rdnr. 47 f: auch die Entschädigung nach Art. 14 Abs. 3 Satz 3 GG braucht den Boden(mehr)wert nicht ausgeübter Nutzung, die länger als 7 Jahre lang zulässig war und unausgeübt blieb, nicht zu erfassen.

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3. Landesenteignungsrecht Daß Landesenteignungsgesetze wesentlich weitergehende Entschädigungsansprüche begründen wollen, als Art. 14 GG zur Voraussetzung der Enteignung macht, kann nicht ohne klare Aussage im Gesetzeswortlaut angenommen werden. Es ist auch nicht anzunehmen, daß die Enteignungsgesetzgeber mit dem Verkehrswertmaßstab auf Kosten der Allgemeinheit Geldleistungen an den Inhaber eines ihm vom Staat zugewandten Vorteils anordnen wollen, der dem Bevorteilten in keiner Weise wie Eigentum zuzuordnen ist.

IV. Planfeststellung - Vorwirkung oder Herabstufung Nach vorstehenden Erwägungen ist bereits aus der mangelnden Qualität der bebauungsplanmäßigen Zulässigkeit nicht ausgeübter baulicher Nutzung (Bebaubarkeit) des für ein Planvorhaben benötigten Grundstücks als Eigentum im Sinne des Individualrechtsschutzes nach Art 14 GG zu folgern, daß diese Qualität auch bei der Bemessung der Entschädigung wegen Enteignung des Grundstücks nicht berücksichtigt werden kann. Will man dem aber nicht folgen, so steht man vor der Frage, ob die Planfeststellung als Vorwirkung im Sinne eines Teilakts eines einheitlichen Vorganges der Enteignung des für das Planvorhaben benötigten Grundstücks einzuordnen ist, oder ob die Planfeststellung der Enteignung als selbständiger Akt der Herabstufung vorangeht. Ist von der zweiten Alternative auszugehen, so trifft die Enteignung auf ein Grundstück, das die Bebaubarkeit - wie im Fall einer Herabzonung durch Bebauungsplan - bereits verloren hat, so daß sie den Verkehrswert nicht (mehr) erhöhen kann.

1. Baulandqualität und Vorwirkung der Enteignung Faktor der für die Enteignungsentschädigung maßgeblichen Qualität des Grundstücks ist die Zulässigkeit baulicher Nutzung 43 . Nach Art. 10 Abs. 1 Nr. 1 BayEG bleiben bei der Festsetzung der Enteignungsentschädigung Wertänderungen unberücksichtigt, die infolge der bevorstehenden Enteignung eingetreten sind. Hieraus wird in Fällen, in denen die Inanspruchnahme in mehreren Etappen stattfindet, eine „Vorwirkung der Enteignung" abgeleitet, wonach Entschädigung „für die ,Qualität' zu leisten" ist, „die das ... Grund43

Urt. des BGH vom 17.11.1988 (Fn. 18), S. 394 f.

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stück in dem Zeitpunkt hatte, in dem es endgültig von jeder konjunkturellen Weiterentwicklung ausgeschlossen wurde" 44 . Die Inanspruchnahme von Grundstücken für ein planfeststellungsbedürftiges Fachplanvorhaben findet in Etappen statt. Schon die Einleitung des Planfeststellungsverfahrens kann das Grundstück einer Veränderungssperre unterwerfen. Die spätere Planfeststellung beseitigt die Zulässigkeit einer mit dem Planvorhaben unvereinbaren Nutzung, und zwar für den Fall der Verwirklichung des Vorhabens auf Dauer. Die Planfeststellung begründet auch das Enteignungsrecht, die Enteignung folgt der Planfeststellung nach 45 . Eine Planfeststellung kommt daher als Beginn eines Enteignungsprozesses in Betracht. Es fragt sich, ob die Wirkung der Planfeststellung auch insoweit, als sie die nicht ausgeübte Bebaubarkeit von Grundstücken aufhebt oder einschränkt, als Vorwirkung im enteignungsentschädigungsrechtlichen Sinne aufzufassen ist mit der Folge, daß für die Bemessung der Entschädigung die durch Bebaubarkeit gekennzeichnete Qualität des Grundstücks vor der Planfeststellung maßgeblich ist 46 .

2. Vorwirkung nur soweit Eigentum betroffen Als Vorwirkung kann nur eine Wirkung gelten, die nicht erst vermittels ihres Etappenzusammenhangs sondern bereits unmittelbar - wenn auch noch ohne enteignende Wirkung - auf eine als Eigentum geschützte Rechtsposition trifft. Soweit Planfeststellung eine bebauungsplanmäßige Bebaubarkeit aufhebt oder einschränkt, ist das nur in den Fällen „eigentumskräftiger Verfestigung" der Fall. Ein Planfeststellungsbeschluß läßt, von der Einschränkung von Unterlassungs-, Beseitigungs- oder Änderungsansprüchen des Eigentümers nach § 75 Abs. 2 Satz 1 VwVfG abgesehen, das individuelle private Eigentum grund44

BGH Urt. vom 17.11.1988 (Fn. 18), S. 394; vom 11.2.1988 - m ZR 64/97 NVwZ 1988 S. 963; vom 12.6.1975 - m ZR 25/73 - BGHZ 64, 382 und vom 28.10.1974 - m ZR 84/70 - BauR 1972, 162; BVerwG Beschl. vom 25.11.1991 - EI ZR 65/91 - NVwZ-RR 1992, 603. 45 Das schließt es nicht aus, bei der Bemessung der im Zuge einer Einigung vor Planfeststellung anzubietenden Entschädigung von der Rechtslage auszugehen, wie sie im Falle einer Enteignung nach Planfeststellung gegeben wäre. Eine solche Bemessung ist vielmehr auch vor Planfeststellung geboten. 46 So BGH Urt. vom 12.6.1975 - m ZR 25/73 - BGHZ 64, 384 unten und S. 385 mit Bezug auf eine Straßen-Planfeststellung. Ebenso mit Bezug auf Herabstufung von Bauland zu Straßenland durch Flucht- und Baulinienfestsetzungen Urt. vom 17.11.1988 (Fn. 18), S. 394 f. und Urt. vom 8.12.1977 (Fn. 38).

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sätzlich 47 unberührt. Planfeststellung verleiht dem Vorhabenträger insbesondere keine Rechte am Grundeigentum Betroffener, auch wenn das Planvorhaben ohne solche Eingriffe oder Rechte des Vorhabenträgers nicht verwirklicht werden kann 48 . Der Vorhabenträger bleibt vielmehr darauf angewiesen, entgegenstehende oder erforderliche Privatrechte im Wege der Enteignung oder Vereinbarung zu überwinden oder zu erwerben. Deshalb verleihen ihm §§ 22 AEG, 19 FStrG das Enteignungsrecht 49. Planfeststellung und Enteignung sind mithin in ihrer getrennten Rechtswirkung zu unterscheiden. In ihrer Wirkung auf Bebaubarkeit ist Planfeststellung ebensowenig Administrativenteignung oder Teil einer solchen wie die Versagung einer wasserrechtlichen Erlaubnis. Wie letztere die Eigentumsbindung des Wasserhaushaltsgesetzes im Einzelfall aktualisiert 50 , so aktualisiert auch die Planfeststellung die Inhaltsbestimmung, der das Grundeigentum im Bebauungsplanbereich durch die Bebauungsplanung einerseits und die Planfeststellungsermächtigung andererseits unterliegt. Soweit Planfeststellung die Bebaubarkeit beeinträchtigt, gehört sie zur Inhaltsbestimmung des Eigentums und kann insoweit auch nicht als Vorwirkung der Enteignung gelten 51 .

47 Ausnahmsweise kommen unmittelbare Eingriffe in individuelle eigentumsgleiche Rechte in Betracht, z.B. in das (ausgeübte) Jagdrecht, vgl. OLG Bamberg Urt. vom 21.10.1996 - 4 U 49/94 - NVwZ 1998, 211. 48 Vgl. BVerfG Beschl. vom 10.5.1977 - 1 BvR 514/68 ua. - BVerfGE 45, 297, 337 f.; BVerwG Urt. vom 28.6.1968 - IV C 11.65 - DÖV 1969, 206; Busch, in: Knack u.a. VwVfG 4. Aufl. 1994, § 75 Rdnr. 4.2, 4.2.1, 7 und 7.1; Steinberg, Fachplanung, 1993, S. 282, Rdnr. 13; Kastner, in: Aktuelle Probleme des Enteignungsrechts, Speyerer Forschungsberichte Nr. 23, Juni 1982, S. 46 f. m.w.N. 49 Die verfassungsrechtliche Voraussetzung eines Gemeinwohl-Zwecks und seiner gesetzlichen Definition ist im vorliegenden Zusammenhang unproblematisch und wird daher hier nicht erörtert. 50 BVerfG Beschl. vom 15.7.1981 (Fn. 8), S. 336 f. 51 Das schließt Vorwirkung der Planfeststellung insoweit nicht aus, als zwischen ihr und der nachfolgenden Enteignung Qualitätsänderungen stattfinden, die im Unterschied zur Bebaubarkeit Eigentumsrechte betreffen. Auch soweit sie auf eigentumskräftig verfestigte Positionen trifft, kommt Bebauungsplanung als Vorwirkung der Enteignung in Betracht, vgl. BVerwG Beschl. vom 25.11.1991 (Fn. 44). Soweit das Urt. des BayObLG vom 27.1.1987 - RReg. 1 Z 167/86 - BayVBl 1987, 472 auch die Beseitigung einer Bauerwartung durch Planfeststellung als Vorwirkung einordnet, widerspricht es dagegen nicht nur der zitierten BVerfG-Rechtsprechung, sondern bereits der Rechtsprechung des BGH im Urt. vom 10.4.1997 - m ZR 104/96 (Fn. 25). Daß Planfeststellung mithin sowohl Inhaltsbestimmung ist als auch zugleich Vorwirkung sein kann, kommt, wenn auch vielleicht unbeabsichtigt, in der Formel des BGH aus dem Urt. vom 12.6.1975 m ZR 25/73 (Fn. 46) zum Ausdruck, der Plan beinhalte eine „Vorwirkung der Eigentumsbindung".

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3. Bodenrechtliche Bedeutung der Planfeststellung Die Wirkung der Planfeststellung geht über die Zulassung eines Vorhabens des Antragstellers hinaus. Sie regelt in Abwägung öffentlicher und privater Interessen eine inhaltlich bestimmte Nutzung der knappen Ressource Boden für das Planvorhaben. Damit wird eine bodenrechtliche Nutzungsentscheidung getroffen. Die Planfeststellung entzieht dem Grundstück die bebauungsplanrechtliche Bebaubarkeit und stuft es insoweit herab. Diese Wirkung der Planfeststellung unterscheidet sich in keinem wesentlichen Punkt von der Inhaltsbestimmung des Eigentums i m Wege einer Herabzonung durch Bebauungsplan. Daß der Vorhabenträger von der Planfeststellung womöglich nicht Gebrauch machen muß, entspricht der Wirkung des Bebauungsplans, der grundsätzlich kein Baugebot enthält. Auch einer Abänderung oder Aufhebung unterliegen unter bestimmten Voraussetzungen sowohl Planfeststellungsbeschlüsse als auch Bauleitpläne. Der Planfeststellung entsprach insofern die Festsetzung von Fluchtlinien nach dem Preußischen Fluchtliniengesetz, die als Einschränkung der Zulässigkeit einer Grundstücksnutzung ohne weiteres als Herabstufüng eingeordnet wurde 52 , ihr entspricht die Eintragung in die Denkmalsliste und die Beschränkung der Zulässigkeit baulicher Nutzung durch Gebietserklärung. Auch die Unterscheidung zwischen generell-abstrakter Regelung und konkreter Einzelfallgestaltung steht der Einordnung der Planfeststellung als Herabstufüng nicht entgegen. Denn auch die Ausgestaltung des Bebauungsplans als Rechtssatz beruht nicht auf dieser Unterscheidung. Als sich diese Ausgestaltung durchsetzte, war geklärt, daß der Bebauungsplan zumindest sowohl als Regelung eines konkreten Einzelfalles als auch als generell-abstrakte Rechtsordnung einzuordnen war. Die Entscheidung für die Ausgestaltung als Rechtsnorm fiel ohne die Absicht einer Entscheidung für eine oder die andere Rechtsnatur im Zusammenhang einer besonderen Lösung der sich aus seiner Doppelnatur ergebenden Rechtsschutzprobleme 53. Ohne Bedeutung sind auch etwaige Unterschiede der Verbindlichkeit von Bebauungsplänen und Planfeststellungsbeschlüssen54. Denn diese Verbindlichkeit hat nichts zu tun mit der eigentumsrechtlichen Qualität der von beiden Planfestlegungen vorgefundenen Rechtspositionen. Auch daß Planfeststellung enteignende Vorwirkung und eine bodenrechtliche Herabstufüng in sich vereint, unterscheidet sie nicht vom Bebauungsplan, der ebenfalls diese Wirkung mit Bezug auf zu seinem Vollzug 52 53 54

BGH Urt. vom 17.11.1988 (Fn. 18), S. 394. Vgl. Gaentzsch (Fn. 6), Anm. 1 bis 5 zu § 10. Vgl. BVerwG Urt. vom 25.8.1997 - 4 BN 4.97 - UPR 1998, 33.

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erforderliche Enteignungen äußert, und ändert nichts an der Eigenart der Herabstufung als Eigentumsbindung, soweit sie die bebauungsplanmäßige Bebaubarkeit betrifft. Von der Herabzonung unterscheidet der BGH zwar eine „fremdnützige" Beschränkung der Zulässigkeit baulicher Nutzung im Sinne des § 40 Abs. 1 Satz 1 BauGB, der er „eigentumsverdrängende" Wirkung beimißt 55 . Die Beschränkung baulicher Nutzbarkeit zugunsten eines Fachplanvorhabens ist sicherlich fremdnützig in diesem Sinne (vgl. den die Festsetzung von Verkehrsflächen betreffenden § 40 Abs. 1 Nr. 5 BauGB). Das gilt aber auch für die Vorwirkung des Bebauungsplans. Außerdem löst eine solche Beschränkung gemäß § 40 Abs. 1 Satz 1 BauGB lediglich einen Übernahmeanspruch nach § 40 Abs. 2 BauGB und einen Geldentschädigungsanspruch nach § 42 Abs. 3 Satz 1 BauGB nur aus, soweit die bisherige Nutzung des Grundstücks erschwert wird. M i t dieser Voraussetzung bestätigen §§ 40 und 42 BauGB das hier vertretene Ergebnis eher als daß sie es in Frage stellen.

4. Planfeststellung als Herabstufung Als Ergebnis erweist sich die Planfeststellung, soweit sie Bebaubarkeit aufhebt oder beschränkt, nicht als Vorwirkung der Enteignung sondern als der Enteignung gegenüber selbständiger Akt bodenrechtlicher Herabstufung. Diese begründet grundsätzlich keinen Entschädigungsanspruch. Die nachfolgende Enteignung trifft auf eine Grundstücksqualität, die durch Unzulässigkeit einer mit dem Planvorhaben unverträglichen Nutzung gekennzeichnet ist. Die Enteignungsentschädigung ist vorbehaltlich einer unten zu behandelnden Plangewährleistung grundsätzlich nach der bisherigen tatsächlichen rechtmäßigen Nutzung zu bemessen. Eine der Planfeststellung vorangehende Veränderungssperre bewirkt keine Vorverlegung des für die Grundstücksqualität entschädigungsrechtlich maßgeblichen Zeitpunkts, weil der Vorwirkungszusammenhang mit der nachfolgenden Enteignung durch die Planfeststellung als Herabstufung unterbrochen wird 5 6 . Sie führt zu einem Entschädigungsanspruch nur, wenn ihr mit Rücksicht auf ihre Dauer enteignende Wirkung zukommt. Es fragt sich, ob dieses Ergebnis nicht bereits dem § 42 BauGB zu entnehmen ist. Der Wortlaut der Vorschrift beschränkt ihre Geltung nicht auf Herab-

55

BGH Urt. vom 2.4.1992 - m ZR 25/91 - BGHZ 118, 11, 21 ff. Vgl. auch BGH Urt. vom 10.4.1997 (Fn. 25), soweit danach Vorwirkung einer Veränderungssperre nicht in Betracht kommt, wenn die nachfolgende wertbeeinträchtigende Maßnahme keinen enteignenden Eingriff darstellt. 56

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zonung durch Bebauungsplan57. Sie knüpft ihre Rechtsfolgen nicht nur, wie ihr Wortlaut verstanden werden kann, an die Änderung der Zulässigkeit einer tatsächlichen Nutzung, sondern auch an die Änderung der Zulässigkeit einer nicht ausgeübten Nutzung. Wegen Änderung der Zulässigkeit einer nicht ausgeübten Nutzung binnen 7 Jahren ab Zulässigkeit bemißt sich die Entschädigung gemäß § 42 Abs. 2 BauGB nach der Differenz der durch die Nutzbarkeit bestimmten Verkehrswerte. Dem liegt das Interesse an der Funktionsfähigkeit einer autonomen Verteilungsordnung zugrunde, die auf Vertrauen in staatliche Planung angewiesen ist 5 8 . Dieses Motiv gilt bei Änderungen durch Bebauungsplan ebenso wie bei Änderungen durch Planfeststellung. Aus der Siebenjahresregelung wird geschlossen, daß wegen einer Änderung nach Ablauf dieses Zeitraums keine Entschädigung beansprucht werden kann. Damit schließt auch diese Vorschrift aus, Herabzonung als Vorwirkung der Enteignung mit der Folge einzuordnen, daß für die Bemessung der Entschädigung wegen Enteignung eines betroffenen Grundstücks seine Qualität vor Herabzonung maßgeblich ist. Der von seinem Wortlaut gedeckten Anwendung des § 42 BauGB auf Herabstufüngen durch Fachplanfeststellung steht nicht entgegen, daß Fachplanungsrecht wie etwa § 19 Abs. 5 FStrG, § 22 Abs. 4 AEG ausdrücklich die Anwendbarkeit des Landesenteignungs(entschädigungs)rechts anordnet. Denn zum einen beschränkt Bundesrecht den Inhalt des Eigentums, indem es Bebaubarkeit davon ausnimmt, und zum anderen findet die Geltung von Landesrecht ihre Grenzen am Bundesrecht des § 42 BauGB. Seiner Anwendung auf Planfeststellungen kann nur entgegengehalten werden, daß sich seine Geltung nach dem Gesetzeszusammenhang auf die Herabzonung durch Bebauungsplan oder planersetzende Maßnahmen in Gestalt von Verwaltungsakten auf Grund des Baugesetzbuchs beschränken soll 59 . Daß einfachrechtliche Vorschriften gelegentlich Entschädigungen sui generis vorsehen, die bei Herabstufungen durch Planfeststellung weder nach einfachem noch nach

57 Von einer solchen Beschränkung geht aber die h.M. aus, vgl. etwa Breuer (Fn. 42), § 42 Rdnr. 72, und Bröll , Das Planungsschadensrecht des Bundesbaugesetzes, BayVBl 1984, 424 zu § 44 BBauG. § 44 BBauG ist aber vom BGH auch auf eine Reduktion der Zulässigkeit einer Grundstücksnutzung durch § 34 BBauG auf Grund Entwicklung der Umgebung - Urt. vom 12.6.1975 - m ZR 158/72 - NJW 1975, 1562 und insbesondere bei Vermittlung der danach maßgeblichen Entwicklung durch „planersetzende" Genehmigungen - Urt. vom 1.10.1981 - m ZR 109/80 - BauR 1982, 354 angewendet worden. 58 Vgl. Heinze, Autonome und heteronome Verteilung, 1970, S. 49 ff. 59 So BGH Urt. vom 18.12.1986 (Fn. 10) und Urt. vom 27.2.1969 (Fn. 7) mit Bezug auf §§ 40 ff. BBauG. Das insoweit weniger klare Urt. vom 10.4.1997 (Fn. 25), hat der BGH darauf gestützt, daß nur ein „planungsrechtlicher Eingriff in die Bodennutzbarkeit mit bodenrechtlichen Wirkungen oder ... eine entsprechende planersetzende Maßnahme" den Anspruch nach § 42 BauGB auslösen.

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Verfassungsrecht geboten sind, steht einer weiten Auslegung des § 42 BauGB nicht entgegen60. Welche Auslegung des § 42 BauGB zutrifft, kann aber dahinstehen. Daß i m Ergebnis auch für die Herabstufung durch Planfeststellung gilt, was § 42 BauGB regelt, ergibt sich jedenfalls aus der oben vertretenen Auslegung des Landesenteignungsrechts in Verbindung mit dem sogleich zu behandelnden verfassungsrechtlichen Vertrauensschutz.

V. Verfassungsschutz des Baurechts Verfassungsrecht steht dem hier vertretenen Ergebnis nicht entgegen, begründet aber einen gewissen Vertrauensschutz in den Bestand einer plangegebenen Bebaubarkeit.

1. Einsatz von Kapital und Arbeit Dem Inhaltsbestimmungsvorbehalt des Art. 14 GG steht „Baufreiheit" nicht wirksamer entgegen als jeder abwägungserhebliche Belang 61 . Art. 14 GG gestattet die entschädigungslose Einschränkung der Zulässigkeit baulicher Nutzung 62 . Die Regelung der §§ 40, 42 BauGB bestätigt, daß auch nach Auffassung des Gesetzgebers die Zulässigkeit einer Nutzung jedenfalls nach Ablauf von 7 Jahren keinen Schutz gegen Aufhebung oder Einschränkung mehr gewährt, und zwar auch nicht in Gestalt eines Entschädigungsanspruchs. Die Vereinbarkeit der Regelung mit dem Eigentumsgrundrecht scheint nicht be-

60 Z. B. Entschädigung wegen Aufhebung der Zulässigkeit einer nicht ausgeübten Nutzung im Denkmalschutzrecht, vgl. BGH Urt. vom 11.2.1988 - HI ZR 64/87 - NVwZ 1988, 963, 964 r.Sp. unten. Vgl. ferner BVerwG Urt. vom 15.2.1990 (Fn. 11), die dort zitierte Rechtsprechung, ferner Korbmacher, Eigentums- und entschädigungsrechtlich bedeutsame Entscheidungen in der fachplanerischen Abwägung, DÖV 1982, 517, und Heinze, Entschädigung anstelle von Schutzvorkehrungen bei Planvorhaben, BayVBl 1981,649. 61 Das Ergebnis ist kein anderes, wenn man mit Battis, in: Battis/Krautzberger/ Löhr, BauGB, 5. Aufl 1996, § 42 Rdnr. 3 an „Baufreiheit" festhält und sie durch Inhaltsbestimmung als „ausgeformt" ansieht, zumal wenn man mit Battis davon ausgeht, das Grundeigentum unterliege „wegen infrastruktureller Vorleistungen evidenter Sozialbindung". Die Sozialbindung ergibt sich vor allem aus der Unvermehrbarkeit des Bodens. 62 Art. 14 GG gestattet sogar die nachträgliche entschädigungslose Auferlegung zusätzlicher Rücksichtnahmeverpflichtungen zu Lasten einer rechtmäßig ausgeübten Grundstücksnutzung, vgl. BGH Urt vom 28.6.1984 (Fn. 18).

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stritten zu sein 63 . Aus dem Siebenjahresschutz des § 42 BauGB folgt nicht, daß der Gesetzgeber den Planungsrechtsvorteil des Grundeigentümers für sich betrachtet als grundrechtlich geschütztes Eigentum ansieht. Sie bestätigt eher das Gegenteil, wenn man in der Siebenjahresregelung keinen eigentumsschutzrechtlichen Ausgleich sondern Plangewährleistung im Sinn von Vertrauensschutz sieht 64 . Von den Enteignungstheorien trägt diejenige zur Lösung bei, die den Eigentumsbegriff mit dem Aufwand von Kapital und Arbeit verbindet 65 . Als Grundsatz einer rechtsstaatlichen Ordnung leuchtet ein, daß nur ein solcher Einsatz die Zuordnung an den Leistenden und den Ausschluß anderer von der Verfügung über den durch Leistung produzierten oder gegen ein Leistungsäquivalent eingetauschten Gegenstand rechtfertigt 66 , weil eine andere Zuordnung den Menschen für Interessen anderer instrumentalisiert. Dabei kann es nicht darauf ankommen, ob die Arbeit oder das Kapital vom Berechtigten oder von einem Rechtsvorgänger eingesetzt wurden 67 , weil zum verfassungsrechtlich geschützten Eigentum das Verfügungsrecht gehört. Hat ein Grundeigentümer Kapital oder Arbeit für die Nutzbarmachung beigetragen 68, 63 Vgl. Nüßgens/Boujong , Eigentum, Sozialbindung, Enteignung, 1987, S. 73 f.; Krohn, in: Schlichter/Stich (Fn. 6), § 42 Rdnr. 2 bis 4; Papier, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz, Stand Mai 1994, Art. 14 Rdnr. 421; Breuer (Fn. 42); Battis (Fn. 61), BauGB, zumindest implicite auch Birk (Fn. 4). Soweit Krohn im Umfeld der Regelung des § 42 Enteignungstatbestände feststellt, ist damit nicht über die Berücksichtigung des Planungsvorteils bei Bemessung der Entschädigung entschieden. 64 Nach Breuer (Fn. 42), § 42 Rdnr. 99 ist die Plangewährleistung Vertrauensschutz, der der Eigentumsgarantie innewohnt. 65 BVerfG Beschl. vom 15.7.1981 (Fn. 8), S. 348. Die Entwicklung dieses Kriteriums in der Rechtsprechung insbesondere des BVerfG ist eingehend dargestellt bei Kimminich (Fn. 4), Rdnr. 65 ff. 66 Was sich daraus ergibt, daß gerade Grund und Boden (wie auf Luft und Wasser) im tatsächlichen und rechtlichen Urzustand grundsätzlich nicht produziert oder produzierbar ist, betrifft nicht die enteignungsrechtliche Bedeutung der Zulässigkeit der Bodennutzung sondern die richtige Bodenverteilung, die nicht Gegenstand dieses Beitrags ist. 67 Die Verfügung desjenigen, der Arbeit oder Kapital eingesetzt hat, unterbricht nicht die Fortdauer der Eigentumsqualität sondern deren Fortdauer ist Bedingung der zum Eigentum gehörenden Verfügungsmacht. 68 Die Anknüpfung an den „ E r w e r b " des Eigentums durch Kapital oder Arbeit bedarf der Präzisierung: nicht Kauf, Tausch oder Schenkung, sondern die Wertschöpfüng läßt das subjektive Recht zu Eigentum erstarken. Der Käufer eines Grundstücks, dessen bauliche Nutzbarkeit allein auf einer Bebauungsplanung beruht, hat zwar mit dem durch diese Nutzbarkeit bestimmten Marktpreis auch die Zulässigkeit der Nutzung bezahlt. Geschaffen hat er aber die Nutzbarkeit oder ihre Voraussetzungen durch den Kauf nicht. Beim Kaufpreis handelt es sich daher nicht um denjenigen Einsatz von Kapital, der den verfassungsrechtlichen Eigentumsschutz begründet.

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so verfestigt sich die Zulässigkeit baulicher Nutzung im Umfang des Beitrags zum Bestandteil des Grundeigentums auch als Gegenstand seines Verfügungsrechts. Die Kriterien für die Einordnung von Nutzungsrechten als Eigentum werden durch diejenigen für die Einordnung subjektiver öffentlicher Rechte als „wohl erworbenes" Eigentum bestätigt. Auch für sie wird eine dem Berechtigten zuzuordnende Leistung gefordert, durch die sich der Inhaber das Recht erst „zu eigen" gemacht hat 69 . Die Parallele deutet auf eine Eigenart des Grund und Bodens hin: er ist nicht nur dem Einzelnen in seinem Verhältnis zu anderen Einzelnen und nicht nur als Freiheit dem Staat gegenüber, sondern in besonderer Art und Weise zugleich der Allgemeinheit zugeordnet. Das (öffentlichrechtliche) Baurecht dient dem Ausgleich zwischen den Interessen des Einzelnen und dieser besonderen Zuordnung an die Allgemeinheit 70 .

2. Entschädigungsgarantie Gehört die bebauungsplanmäßige Zulässigkeit baulicher Nutzung für sich betrachtet nicht zum Eigentum, so schließt das nicht aus, den baurechtsbedingten Marktmehrwert bei der Enteignung der dementsprechend nutzbaren Grundstücke als Entschädigungsfaktor gelten zu lassen. Verfassungsrechtlich geboten ist das aber nicht. Selbst Art. 14 Abs. 3 Satz 3 GG verlangt nur eine verhältnismäßige, also angemessene Entschädigung. Angemessen ist aber die Versilberung von Vorteilen aus nicht geschuldeten staatlichen Gewährungen anläßlich einer Enteignung keineswegs. Daher steht auch das Entschädigungsgebot der hier vertretenen Auffassung nicht entgegen.

69

Vgl. Kimminich (Fn. 4), Rdnr. 65 ff. Womöglich ließen sich die mit Herabzonung/Herabstufung verbundenen Probleme im Wege einer Betrachtung der Planposition als subjektives öffentliches Recht lösen, ähnlich wie das BVerwG im Beschl. vom 26.10.1993 (Fn. 20), die Frage einer Entschädigung wegen Widerrufs einer Erlaubnis an den Grundeigentümer zur Verfüllung einer Kiesgrube nach den für subjektive öffentliche Rechte geltenden Grundsätzen gelöst hat. Vgl. auch die eine einseitige staatliche Nutzgewährung im allgemeinen betreffenden Ausführungen des BVerwG im Urt. vom 15.11.1990 - 7 C 9.89 - BVerwGE 87, 115, 125 f. und 133, wo insbesondere zwischen Nutzungsrecht und Eigentum unterschieden und auf die „Eigentumsschutz rechtfertigende Leistung des einzelnen" hingewiesen wird, sowie Heinze (Fn. 58), S. 94 ff. 70 Ein ähnlicher Gedanke dürfte der Anwendung der Rechtsfigur des „Kondominiums" auf das Grundeigentum bei Breuer (Fn. 42), Art. 14 Rdnr. 417 zugrundeliegen.

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3. Schranken der Inhaltsbestimmung Eigentums-Inhaltsbestimmungen müssen je nach der Freiheitssicherungsund „sozialen" Funktion ihres Gegenstandes die Interessen des Eigentümers (zum Beispiel an „Baufreiheit") und die Belange des Gemeinwohls zu einem gerechten Ausgleich und in ein ausgewogenes Verhältnis bringen, wozu die Anordnung einer (Nutzungsbeschränkungen kompensierenden) Entschädigung erforderlich sein kann (die keine Enteignungsentschädigung ist), und dürfen Privatnützigkeit des Eigentums und die Verfügungsbefugnis des Eigentümers nicht aushöhlen71. Sie dürfen aber - sogar entschädigungslos auch bestehende Rechtsverhältnisse in eine Neuordnung umgestaltend überleiten 72 . Von einer Verletzung dieser wenig bestimmten Schranken kann keine Rede sein, wenn der Eigentümer wegen der durch Herabstufung bewirkten Einschränkung der Zulässigkeit einer Grundstücksnutzung, für deren Ermöglichung weder er noch ein Rechtsvorgänger eine Leistung erbracht hat, auch im Fall der Enteignung des Grundstücks keine „Entschädigung" erhält.

71 BVerfG Beschl. vom 10.10.1997 - 1 BvR 319/84 - NJW 1998, 367, 368 r. Sp. erwähnt als denkbare Schranken entschädigungsloser Inhaltsbestimmung das ausgeübte Recht, das Inswerksetzen einer Nutzung und den Vertrauensschutz, vgl. auch Beschl. vom 22.11.1994 - 1 BvR 351/91 - BVerfGE 91, 294, 308; vom 30.11.1988 - 1 BvR 1301/84 (Fn. 16); vom 19.6.1985 - 1 BvL 57/79 - BVerfGE 70, 191, 201 f.; vom 15.7.1981 (Fn. 8), S. 335 f., 338 ff. BVerfG Beschl. vom 9.1.1991 (Fn. 21), S. 212 ff. stellt auf Verhältnismäßigkeit ab, die es bei Beseitigung eines Vorkaufsrechts nach Eintritt des Vorkaufsfalls im Zuge der Bergrechtsneuordnung verneint. Ähnlich BGH Urt. vom 10.4.1997 (Fn. 25), ZfBR 1997 S. 270, 272 l.Sp.; vom 19.9.1996 (Fn. 12), S. 271, 274 in Anwendung von § 19 Abs. 3 WHG m.w.N. und vom 16.7.1993 (Fn. 11); BVerwG Urt. vom 16.5.1991 - 4 C 17.90 - BVerwGE 88,191 gelangt durch Auslegung zum gebotenen Ausgleich; vgl. auch Urt. vom 21.6.1956 - I C 202.54 - BVerwGE 3, 335. Zur Verhältnismäßigkeit als Schranke der Inhaltsbestimmung, die mit Hilfe einer Entschädigungsregelung eingehalten werden kann, BVerwG Urt. vom 15.2.1990 (Fn. 11) und vom 23.1.1981 (Fn. 29), S. 304. Zum Ausgleichsanspruch im Rahmen einer Inhaltsbestimmung und zur Privatnützigkeistgrenze vgl. auch BGH Urt. vom 18.2.1993 (Fn. 11). Vgl. ferner Nüßgens/Boujong (Fn. 63), S. 151 ff., Kühling (Fn. 35), Rdnr. 299, 471, Engelhardt , Neue Rechtsprechung des BGH zur öffentlichrechtlichen Entschädigung, NVwZ 1994, 337, Melchinger , Salvatorische Entschädigungsklauseln als Ausgleichsentschädigungsregelungen im Sinne des Art. 14 I GG, NJW 1991, 2524, und Osterloh (Fn. 16), S. 906, 908 l.Sp. 72 BVerfG Beschl. vom 19.6.1985 (Fn. 71).

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4. Vertrauensschutz Der Bebauungsplan gibt dem Grundstücksverkehr Anlaß, mit Bebaubarkeit zu disponieren und einen erhöhten Preis zu bilden. Die Verfassung schützt unabhängig vom Eigentumsgrundrecht das Vertrauen in einen gewissen, wenn auch nicht in einen permanenten Bestand einer solchen Planung 73 . Dasselbe Ergebnis gilt, wenn man die Unzulässigkeit einer Herabzonung von Grundstücken ohne eine gewisse Plangewährleistung als Schranke der Inhaltsbestimmung des Eigentums ansieht 74 . Insoweit gilt eine verfassungsrechtliche Plangewährleistung 75. Es fragt sich, welche Dauer des Rechtsbestandes der verfassungsrechtliche Vertrauensschutz abdeckt. Es wird naheliegen, die Frage in Anlehnung an die vom Gesetzgeber in § 42 BauGB getroffene, in der Rechtsprechung bisher nicht beanstandete Entscheidung für einen Siebenjahreszeitraum zu beantworten, gleichgültig ob das auf eine analoge Anwendung des § 42 BauGB hinausläuft oder nicht.

VI. Ergebnis Als Ergebnis darf die wegen Enteignung eines Grundstücks für ein Fachplanvorhaben fällige Entschädigung einen ausschließlich auf Bebauungsplanung beruhenden Mehrwert nur im Rahmen einer Plangewährleistung vergüten. Im Hinblick auf Rechtsprechung, die zu einer weitergehenden Vergütung Anlaß geben kann, empfiehlt sich jedoch eine Klarstellung durch Gesetz, die auch am ehesten die verfassungsgerichtliche Bestätigung der hier vertretenen Auffassung erwarten läßt.

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Zum Vertrauensschutz bei Inhalts(neu)bestimmungen des Eigentums (am eingerichteten Gewerbebetrieb) vgl. BGH Urt. vom 10.7.1980 (Fn. 23), S. 41. Der Vertrauensschutz entzieht dem Argument den Boden, das Nutzungsrecht müsse zum Schutz von Investitionen und Dispositionen als Eigentum gelten. 74 So wohl Battis (Fn. 61), BauGB. Bei dieser Einordnung läßt sich § 42 BauGB mit Birk (Fn. 4), S. 6, r.Sp., als ,Ausfluß des Art. 14 GG" auffassen. 75 Ihr kann der Vorhabenträger durch rechtzeitige Planung und Anfechtung vorhaben-unverträglicher Bebauungspläne vorbeugen.

Bemerkungen zur Umweltgrundlagenplanung im UGB-Entwurf der Unabhängigen Sachverständigenkommission (UGB-KomE) Von Werner Hoppe

I. Einleitung und Problemstellung Der Jubilar hat in seinem Lebenswerk wiederholt und nachdrücklich vor Gefahrdungen der kommunalen Selbstverwaltung gewarnt, besonders eindringlich in seinem Vortrag vor der Staatsrechtslehrertagung 1977 in Basel1. Er hat vor allem die Verplanung der Gemeinden durch Verdichtung der überörtlichen landesplanerischen Steuerung der gemeindlichen Planung über die Zielbindung nach ROG und nach § 1 Abs. 4 BauGB, in erster Linie durch die Regionalplanung, als „Planungskorsett" angeprangert, das den Gemeinden „die Luft zum Atmen allmählich" wegnehme2. Nun soll die Umweltgrundlagenplanung im Entwurf der Unabhängigen Sachverständigenkommission zum Umweltgesetzbuch beim Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (UGB-KomE) (§§ 69 bis 73), die dem Prinzip der Integration dieser umweltbezogenen Planung in die gesamträumliche Planung folgt 3 und die als dreistufige Umweltgrundlagenplanung (örtlich, regional, landesweit) ausgebildet vorgesehen ist 4 , ihren Schwerpunkt auf der regionalen Ebene5 finden, dieser Stufe der Umweltgrundlagenplanung soll - wie auch § 72 UGB-KomE 6 deutlich macht -, beson-

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Willi Blümel , Gemeinden und Kreise vor den öffentlichen Aufgaben der Gegenwart, WDStRL 1978, Bd. 36, S. 171. 2 Blümel , Gemeinden und Kreise (Fn. 1), S. 252 ff., S. 257 f. 3 UGB-KomE, Bd. II, Begründung, Allgemeiner Teil (§§ 1 bis 244), S. 152. 4 UGB-KomE, Begründung (Fn. 3), S. 152 f. 5 UGB-KomE, Begründung (Fn. 3), S. 155. 6 Die §§ ohne nähere Kennzeichnung sind solche des UGB-KomE. 12 FS Blümel

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dere Bedeutung zukommen7. Insofern folgt der Vorschlag dem sogenannten Professoren-Entwurf zum UGB (AT) (ProfE-AT), der die regionale Ebene ebenfalls als wichtigste Planungsebene ansieht, weil Umweltauswirkungen am ehesten regional erfaßbar seien8. Bei dieser Konzentration der Umweltgrundlagenplanung auf die regionale Ebene könnte der Befürchtung Blümeis Nahrung gegeben werden, daß das „Planungskorsett" der Regionalplanung die Gemeinden - aber auch andere Planungsträger - in ihren Planungsmöglichkeiten noch stärker einschnürt und ihre Atemluft der planerischen Gestaltungsfreiheit noch dünner wird als bisher. Analysiert man das neue Planungsinstrument der Umweltgrundlagenplanung - vor allem anhand der ihr beigegebenen Begründung - im Detail, ist diese Befürchtung nicht von der Hand zu weisen.

II. „Umweltleitplanung" im ProfE-AT Die Umweltgrundlagenplanung hatte im Professoren-Entwurf zum Allgemeinen Teil (ProfE-AT) einen Vorgänger, die „Umweltleitplanung", die starker Kritik ausgesetzt war 9 . Die Umweltleitplanung war vor allem durch drei Elemente gekennzeichnet, nämlich durch - das Modell einer eigenständigen dominanten Umweltleitplanung, - die externe Verbindlichkeit der Umweltleitpläne und das - ökologische Abwägungsgebot. Das Modell einer übergreifenden, isolierten umweltspezifischen Leitplanung, bei der die ermittelten umweltrelevanten Belange als in sich geschlossene Formation gegenüber anderen Interessen und Ressorts extern zur Geltung gebracht werden sollten 10 , ließ die Frage aufkommen, ob nicht bei einem in7

UGB-KomE, Begründung (Fn. 3), S. 150. Kloepfer/Rehbinder/Schmidt-Aßmann/Kunig, Umweltgesetzbuch - Allgemeiner Teil, Berichte des Umweltbundesamtes 7/90 (1990), S. 204 (ProfE-AT); UGB-KomE, Begründung, (o.Fn. 3), S. 150, S. 153, S. 155. 9 Hoppe, Umweltleitplanung, in: Koch (Hrsg.), Auf dem Weg zum Umweltgesetzbuch, Forum Umweltrecht, Bd. 7 (1992), S. 46 ff. mit zahlreichen Nachweisen; Hoppe, Die Umweltleitplanung im Entwurf eines Umweltgesetzbuchs - Allgemeiner Teil, NJW 1992, 1993 ff; UGB-KomE, Begründung, (o.Fn. 3), S. 143 ff. 10 Begründung ProfE-AT, (Fn. 8), S. 202. 8

Bemerkungen zur Umweltgrundlagenplanung im UGB-Entwurf

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ternen Ausgleich der einzelnen umweltspezifischen Belange zu einem - extern zur Geltung gebrachten - globalen Umweltbelang die umweltbezogenen Einzelinteressen soweit abgeschliffen würden oder im Laufe der gesamträumlichen Abwägung gar nicht mehr als relevant erkennbar wären, so daß ihnen im Endergebnis weniger Durchschlagskraft zukäme, als wenn sie einzeln aufträten ten . Die externe Verbindlichkeit der Umweltleitplanung im ProfE-AT als strikt hierarchisch geordnete Stufenfolge von Verbindlichkeitsanordnungen rief das Bedenken auf den Plan, daß eine informierend-koordinierende Planung gegenüber der Dominanz der Umweltleitplanung Vorzüge hätte, insbesondere im Hinblick auf die Wahrung der Planungshoheit der Gemeinden gegenüber der regionalen Umweltleitplanung 12 . Die intra-umweltspezifische, ökologie-interne Abwägungsstufe , die der zweiten integralen externen Abwägung bei der Rezeption der ökologischen Entwicklungsziele in die Raumplanung vorauslaufen sollte, wurde als äußerst fehleranfällig beurteilt und die Planung mit dem ökologischen Abwägungsgebot als überfordert angesehen13. Die Umweltgrundlagenplanung hat sich offensichtlich bemüht, diesen Einwänden, die gegen die Umweltleitplanung geltend gemacht worden sind, Rechnung zu tragen 14 . Ist die Umweltplanung durch dieses Modell aber einfacher, handhabbarer, weniger fehleranfällig, praktikabler geworden? Verstärkt sie nicht auch das Steuerungspotential auf der regionalen Ebene in einem kaum zuträglichen Maße? Überfordert sie nicht auch die gesamträumliche Planung bei der Rezeption der Umweltbelange und bei ihrer Umwandlung in verbindliche Bestandteile ihrer Planung?

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Hoppe, Umweltleitplanung (Fn. 9), S. 48. Hoppe, Umweltleitplanung (Fn. 9), S. 53 f. 13 Hoppe, Umweltleitplanung (Fn. 9), S. 54. 14 Siehe die kritische Analyse in der Begründung, UGB-KomE, Begründung (Fn. 3), S. 143 ff. mit zahlreichen Nachweisen kritischer Stimmen in der Literatur. 12

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III. Die Umweltgrundlagenplanung als medienübergreifende und in die räumliche Gesamtplanung möglichst verbindliche integrierte Umweltplanung Die Umweltgrundlagenplanung ist äußerst kompliziert angelegt. Zentrale Bedeutung dürften die Umsetzungs- (Rezeptions-)Klauseln der §§ 71 Abs. 1 und 72 Abs. 3 haben. Nach § 71 Abs. 1 sollen die Darstellungen in Umweltgrundlagenplänen, soweit möglich, unter Abwägung mit den anderen planungserheblichen Belangen als Ziele der Raumordnung und Landesplanung oder als Darstellungen und Festsetzungen der Bauleitplanung umgesetzt werden. Den Ländern wird die Schaffung von dieser Umsetzung dienlichen Rechtsgrundlagen zur Pflicht gemacht (§ 72 Abs. 3). Diese Regelungen bilden die Umschlagstelle von der deskriptiv in die Umweltgrundlagenplanung aufgenommenen Faktizität in die normative Geltungsanordnung, die Überführung in Sollensgebote der gesamtplanerischen Instrumente der Bauleitplanung und Raumordnung, auf die alles hinsteuert: Von der „Darstellung" von Zuständen der Umwelt, der „Darstellung" von Erfordernissen und Maßnahmen der Zielverwirklichung, der Aussagen und Festsetzungen von fachlichen (medienspezifischen) Umweltplänen durch das „Nadelöhr" der Transfonnation in - mit externer Wirkung ausgestattete - Verbindlichkeitsfestsetzungen der Raumordnung und Bauleitplanung. Der Weg der Verbindlichkeit führt also über die Instrumente der Raumordnung und Landesplanung (Ziele der Raumordnung) und der Bauleitplanung (Darstellungen, Festsetzungen). Dazu heißt es in der Begründung der Umweltgrundlagenplanung im UGBKomE 1 5 : „Die Harmonisierungs- und Koordinierungsmängel sowie die unzureichende Verbindlichkeit der vorhandenen umweltbezogenen Planungen und die Schwierigkeiten ihrer Integration in die gesamträumliche Planung sollen dadurch behoben werden, daß Umweltbelange in der Landes-, Regional- und Bauleitplanung medienübergreifend und intensiver als bisher dargestellt werden. Die Benennung der Planung als ,Umweltgrundlagenplanung' verdeutlicht zum einen, daß kein neuer Planungstyp geschaffen wird, sondern daß die so verstandene Planung Bestandteil der Landesplanung, Regionalplanung und der Bauleitplanung ist. Zudem handelt es sich strukturell in der Tat um eine Grundlagenplanung, die als obligatorische Vorstufe zur gesamträumlichen Planung gedacht ist und für diese die Grundlagen schafft". Ausdrücklich und bewußt abgelehnt wird das Modell der „Umweltleitplanung" im Professorenentwurf. Neben Problemen der Informationsverarbei15

UGB-KomE, Begründung (Fn. 3), S. 146.

Bemerkungen zur Umweltgrundlagenplanung im U G B - E n t w u r f 1 8 1 tung, der Konfliktregelung und Koordination, der Durchsetzungsfähigkeit und Implementation sowie Organisation, vermißt die Begründung der Kommission bei der „Umweltleitplanung" eine eindeutige Einordnung in das System der vorhandenen Umweltplanungen 16 . Auch sei die Weiterentwicklung des Systems der bestehenden Umweltplanungen allein ebenfalls nicht ausreichend, „um eine medienübergreifende, koordinierende und integrierende Umweltplanung sicherzustellen" 17. Sinnvoller erscheint es dem UGB-KomE, „einen vorhandenen Planungstyp umweltplanerisch auszugestalten. Dafür bieten sich Raumordnung und Landesplanung sowie Bauleitplanung an. Durch umweltplanerische Ergänzung dieser gesamträumlichen und auf Koordinierung und Bindung aller raumbedeutsamen Fachplanungen gerichteten Planungsinstrumente ... können die vorhandenen Umweltplanungen koordiniert werden, ohne daß ein Planungstyp nötig wäre, dessen genaue Einordnung in das System der bestehenden Planungen Schwierigkeiten bereiten würde. ... Die Umweltgrundlagenplanung soll sich vielmehr in das Gesamtsystem der bestehenden Planungen einfügen. Ihre Integration in die Bauleitplanung, Raumordnung und Landesplanung erleichtert zudem die spätere verbindliche Rezeption ihrer Aussagen in der gesamträumlichen Planung " 1 8 . Dazu diene „der integrative medienübergreifende Darstellungsauftrag der Umweltgrundlagenplanung" 19 , der in die Umsetzung durch Primärintegration 2 0 in die gesamträumliche Planung münde, durch deren Instrumente die Umweltgrundlagenplanung „soweit möglich" externe Verbindlichkeit erlange. Bevor die Problematik der Integration und Rezeption der Grundlagenplanung in die gesamträumliche Planung behandelt wird, soll zunächst gefragt werden, von welchen Zielsetzungen die Umweltgrundlagenplanung ausgeht.

16 17 18 19 20

UGB-KomE, Begründung (Fn. 3), S. 146. UGB-KomE, Begründung (Fn. 3), S. 147. UGB-KomE, Begründung (Fn. 3), S. 147. UGB-KomE, Begründung (Fn. 3), S. 154. UGB-KomE, Begründung (o.Fn. 3), S. 148.

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IV. Ziele der Umweltgrundlagenplanung (§ 69 Abs. 1 S. 1 UGB-KomE) Nach § 69 Abs. 1 S. 1 dient die Umweltgrundlagenplanung dem Ziel, bei Entscheidungen über raumbedeutsame Planungen und Maßnahmen die Auswirkungen auf die Umwelt und den Menschen zu beurteilen, nachteilige Auswirkungen zu vermeiden oder so gering wie möglich zu halten und den Zustand der Umwelt zu verbessern. Der Begriff: .Raumbedeutsame Planungen und Maßnahmen'' ist in § 3 Nr. 6 ROG 1998 21 definiert als „Planungen einschließlich der Raumordnungspläne, Vorhaben und sonstige Maßnahmen, durch die Raum in Anspruch genommen oder die räumliche Entwicklung oder Funktion eines Gebietes beeinflußt wird, einschließlich des Einsatzes der hierfür vorgesehenen öffentlichen Finanzmittel". Diese Planungen und Maßnahmen sollen durch Bestandsaufnahme, Prognose und Bewertung der Umweltbelange sowie durch Ausarbeitung der anzustrebenden Umweltziele vorbereitet werden. Dadurch können die ökologischen Auswirkungen, die raumbedeutsamen Planungen langfristig zukommt, besser beurteilt, nachteilige Auswirkungen vermieden und der Zustand der Umwelt verbessert werden 22 . Die Umweltgrundlagenplanung soll nach ihrer Zielsetzung und ihrem Selbstverständnis für gesamträumliche Planungen auch die Funktion einer Umweltverträglichkeitsprüfüng (UVP) erfüllen. Sie leiste - so die Begründung - sogar mehr als diese, weil sie nicht lediglich der Prüfung der Umweltverträglichkeit einer in ihren Zielen bereits vorbestimmten Planung diene, sondern vorher ansetze und die Ziele der gesamträumlichen Planung von vornherein mitbestimme. Raumordnungs- und Regionalpläne sowie Flächennutzungspläne bedürften deshalb nicht einer UVP. Diese werde vielmehr durch die Umweltgrundlagenplanung ersetzt 23.

V. Die Darstellungen im Umweltgrundlagenplan Die „Darstellungen" im Umweltgrundlagenplan stellen eine ganz zentrale Kategorie für diesen Planungstyp dar.

21 22 23

ROG v. 18. August 1997 (BGBl I, S. 2081, S. 2102). UGB-KomE, Begründung (Fn. 3), S. 151. UGB-KomE, Begründung (Fn. 3), S. 148.

Bemerkungen zur Umweltgrundlagenplanung im UGB-Entwurf

183

Nach § 69 Abs. 1 S. 2 stellt die Umweltgrundlagenplanung den für raumbedeutsame Planungen und Maßnahmen erheblichen Zustand der Umwelt sowie raumbedeutsame Erfordernisse und Maßnahmen zur Verwirklichung der Ziele des Umweltschutzes in beschreibender und zeichnerischer Form zusammenfassend dar. Das geschieht über eine Reihe von „Darstellungen": 1. Die Darstellungen im Umweltgrundlagenplan dienen der Außereitung der erheblichen Umweltbelange mit einem zeitlichen Vorsprung vor der Primärintegration in die gesamträumliche Planung, damit die Gelegenheit besteht, zunächst ein eigenständiges, nicht bereits durch wertende Entscheidungen verkürztes Informationssystem darzustellen 24. Es geht um eine ökologische Darstellung: 25 „Die Umweltgrundlagenpläne sollen eine Abwägung von Umweltbelangen mit anderen berührten öffentlichen Belangen nicht vorwegnehmen, auch nicht in globaler Weise. Sie sollen nur die Belange des Umweltschutzes darstellen und untereinander werten. Es handelt sich also um eine rein ökologische Darstellung; diese Darstellung lediglich der Umweltbelange betrifft ggf, z.B. bei miteinander konkurrierenden Umweltbelangen, auch ihre Wertigkeit im Verhältnis untereinander. Die Abwägung mit anderen als den Umweltbelangen findet hingegen erst in der Raumordnung, Landesplanung und Bauleitplanung statt. Würden bei der Umweltgrundlagenplanung schon andere als Umweltbelange mit bewertet, könnte sie nicht den Auftrag erfüllen, der ihr zugedacht ist: Aus der Sicht des Umweltschutzes ein optimales Ergebnis zu erarbeiten, ohne daß die Umweltbelange von vornherein verkürzt dargestellt werden." Die Träger der gesamträumlichen Planung sollen in den Umweltgrundlagenplänen die Umweltbelange als wichtiges Abwägungsmaterial umfassend, zuverlässig und auch in den Zusammenhängen (Wechselwirkungen) überschaubar aufgearbeitet finden. Sie sollen sich damit auseinandersetzen können 26 . Mit der Darstellung des Zustandes der Umwelt soll - nach der Begründung - der Umweltgrundlagenplan wesentliche Daten für die Zielbestimmungen raumbedeutsamer Planungen und Maßnahmen, insbesondere der gesamträumlichen Planung, sowie für die Abwägung bei solchen Planungen liefern. Aus der Bestandsaufnahme und Bewertung des aktuellen Zustands sollen zudem Entwicklungsziele für den Umweltschutz erarbeitet werden. Die Darstellung geschehe wie bei den typischen Raumplänen in beschreibender und zeichnerischer Form. Die Bewertung der Umweltsituation umfasse Deskripti24 25 26

UGB-KomE, Begründung (Fn. 3), S. 148. UGB-KomE, Begründung (Fn. 3), S. 149. UGB-KomE, Begründung (Fn. 3), S. 148.

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on, Analyse und Diagnose. Die Aussagen der Umweltgrundlagenplanung sollen für Raumordnung, Landesplanung und Bauleitplanung verwertbar sein. Die zusammenfassende Darstellung soll sich auch auf raumbedeutsame Erfordernisse und Maßnahmen zur Verwirklichung der Ziele des Umweltschutzes erstrecken. 2. Von sehr weittragender Konsequenz ist, daß die Aussagen und Festsetzungen der fachlichen (medienspezifischen) Umweltpläne in die Umweltgrundlagenpläne aufgenommen werden sollen (§ 70 Abs. 3), sofern sie nach § 69 bedeutsam sind. § 70 Abs. 3 nennt Naturpflegepläne, wasserwirtschaftliche Rahmenpläne und Bewirtschaftungspläne, Luftreinhalte- und Lärmminderungspläne, forstliche Rahmenpläne, Bodenschutzpläne, Abfallwirtschaftspläne, Abwasserbeseitigungspläne, bergbauliche Bedarfs- und Standortpläne sowie andere raumbedeutsame Pläne als solche Umweltpläne. Die Begründung hebt ausdrücklich hervor, daß § 70 Abs. 3 über § 4 Abs. 5 ROG (in der bis zum 31. Dezember 1997 geltenden Fassung) hinausgeht, denn er sieht nicht nur ein Abstimmungserfordernis vor, sondern bestimmt darüber hinaus, daß Aussagen und Festsetzungen der genannten Pläne in die Umweltgrundlagenplanung übernommen werden sollen. Die Pläne für die Umweltmedien Boden, Wasser und Luft enthalten als gebietsbezogene - ebenso wie die Umweltgrundlagenpläne - einen deskriptiv-analytischen, einen prognostischbewertenden und einen Maßnahmenteil; ihr Inhalt hätte, wenn sie nicht bereits vorlägen, auch Inhalt des Umweltgrundlagenplans zu sein. Sie brauchen aber, soweit vorhanden, nur in den Umweltgrundlagenplan übernommen zu werden. Nach § 70 Abs. 3 werden - anders als in der Umweltleitplanung des Professorenentwurfs - auch Abfallwirtschaftspläne, Abwasserbeseitigungspläne, bergbauliche Bedarfs- und Standortpläne sowie andere raumbedeutsame Umweltpläne in die Umweltgrundlagenplanung mit einbezogen. Die Standortplanung z.B. in Abfallwirtschaftsplänen weist einen räumlichen Bezug auf und soll insoweit der Vollständigkeit halber vom Umweltgrundlagenplan mit erfaßt werden. Die Aufnahme der Aussagen und Festsetzungen aus den Umweltplänen ist - nach der Begründung - deshalb sinnvoll, weil die Aussagen von in der Regel fachlich kompetenteren Umweltfachbehörden erarbeitet werden und zugleich doppelte Arbeit vermieden wird. Allerdings soll die für die Umweltgrundlagenplanung zuständige Behörde ihren integrativen Auftrag beachten und den auch bei der Übernahme der raumbedeutsamen Aussagen der gesamten Umweltfachpläne medienübergreifenden Ansatz der Umweltgrundlagenplanung wahren. Die bloße Übernahme von jeweils nur an einem Umweltmedium ausgerichteten Aussagen reicht nach Auffassung der Kommission hierfür nicht aus. Die in die gesamträumliche Planung integrierte Umweltgrundlagenpla-

Bemerkungen zur Umweltgrundlagenplanung im UGB-Entwurf

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nung erfülle ihre Koordinationsfunktion nur, wenn die Informationen aus den einzelnen Fachplanungen in einer Gesamtschau nach § 69 Abs. 2 S. 1 betrachtet würden 27 . 3. Nach Auffassung der Kommission und der Begründung des Entwurfs liegt - wie gesagt - das Schwergewicht der Umweltgrundlagenplanung auf der regionalen Ebene. Einerseits könnten hier Bestandsaufnahmen und Wirkungsanalysen noch konkret genug sein, um dem Bedürfnis nach exakter Information nachzukommen; andererseits sei die Region ein hinreichend großer Planungsraum, um Wirkungszusammenhänge nicht durch zu enggezogene Verwaltungsgrenzen zu zerschneiden. Auch deshalb werden die wesentlichen Inhalte der regionalen Umweltgrundlagenpläne in § 72 im einzelnen konkretisiert. § 72 Abs. 1 betont die regionsspezifische Besonderheit der Pläne auf dieser Ebene, um sie insbesondere von der gemeindlichen Planungsebene abzugrenzen. Die Planung müsse - so die Kommission - gerade auf regionaler Ebene erforderlich sein, weil sie kleinräumig nicht zu bewältigen sei. Ansonsten bleibe sie Aufgabe der gemeindlichen Planung. Im einzelnen sieht § 72 Abs. 1 und Abs. 2 folgenden Regelungen vor: Nach Nr. 1 können Vorranggebiete für ökologisch wertvolle Nutzungen - u.U. auch für forstwirtschaftliche Nutzungen - vorgesehen werden. Vorranggebiete sollen diejenigen Naturgüter und Funktionen umfassen, denen wegen ihrer besonderen Qualität, Gefahrdung, ökologischen Wirksamkeit oder besonderen Lage ein Vorrang einzuräumen ist. Mehrfachnutzungen sind nicht ausgeschlossen. Eine besondere Form der Vorranggebiete stellen die in Nr. 2 genannten Maßnahmengebiete dar; sie werden insbesondere durch Schutzgebietsausweisungen sichergestellt. Grünzüge und Grünzäsuren (Nr. 3) sind aus der Landesplanung bekannt und dienen auch der Klimaverbesserung und der Biotopvernetzung. Die in Nr. 4 genannten Grenz- und Richtwerte sind z.B. aus der wasserwirtschaftlichen Planung bekannt. Dieses Element ist ebenso für den Bodenschutz und die Luftreinhaltung formuliert worden. Es umfaßt auch Angaben zum anzustrebenden Vorsorgeniveau. Nr. 5 ermöglicht es, Maßnahmen vorzusehen, um die festgesetzten Merkmale zu erreichen oder zu erhalten 28 . 2 2

UGB-KomE, Begründung (Fn. 3), S. 1 5 3. UGB-KomE, Begründung (Fn. 3), S. 1 .

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Die Darstellungsmöglichkeiten nach Abs. 2 des § 72 unterscheiden sich von denen nach Abs. 1 dadurch, daß sie nicht schutzwürdige Umweltgüter betreffen, sondern Nutzungen, die der Umwelt oder dem Menschen dienlich sind. Dennoch können auch diese Nutzungen die Umwelt beeinträchtigen. Deshalb soll womöglich in einem früheren Stadium untersucht werden, an welchen Standorten und in welchen Bereichen solche - zum Teil unvermeidbaren - flächenbeanspruchende Nutzungen möglichst geringe Umweltbeeinträchtigungen hervorrufen. Die Umweltgrundlagenplanung sei für das Aufzeigen solcher Präferenzen am ehesten geeignet, weil sie den Umweltzustand und damit auch die „Belastbarkeit" der Umwelt insgesamt in den Blick zu nehmen hat und damit auch am besten einschätzen kann. Insoweit sind ihre Aussagen Vorschläge für die gesamträumliche wie auch für die Fachplanung. § 72 Abs. 3 verleiht der Regelung in § 71 Abs. 1 für die regionale Ebene besonderen Nachdruck. Die Länder werden ausdrücklich verpflichtet, für die Umsetzung der Darstellungen nach § 72 Abs. 1 und 2 Rechtsgrundlagen zu schaffen, soweit sie nicht bereits vorhanden sind 29 .

VI. Anforderungsprofil für die Darstellungen (§ 69 Abs. 1 S. 2, Abs. 2 UGB-KomE) Für die Darstellungen im Umweltgrundlagenplan hat § 69 Abs. 1 und Abs. 2 ein bestimmtes Anforderungsprofil entwickelt, das mit drei Stichworten umrissen werden kann: - Verwertbarkeit der Darstellungen für die Umsetzung (Umsetzungsfähigkeit) (§ 69 Abs. 1 S. 3), - Beurteilung der Vorrangigkeit von Erfordernissen und Maßnahmen im Verhältnis zueinander (Vorrangigkeitsbeurteilung) (§ 79 Abs. 2 S. 1) und - Alternativenprüfung für raumbedeutsame Planungen und Maßnahmen (Alternativenaufweis) (§ 69 Abs. 2 S. 2). 1. Das Ziel der Umweltgrundlagenplanung ist, die gesamträumliche Planung von vornherein umweltschutzorientiert anzulegen. Deswegen stellt § 69 Abs. 1 S. 2 die strikte Anforderung auf, bei der Darstellung raumbedeutsamer Erfordernisse und Maßnahmen auf eine Umsetzbarkeit dieser Darstellungen in 29

UGB-KomE, Begründung (Fn. 3), S. 155 f.

Bemerkungen zur Umweltgrundlagenplanung im U G B - E n t w u r f 1 8 7 verbindliche Darstellungen und Festsetzungen im Bauleitplan und Zielen der Raumordnung in Raumordnungsplänen zu achten. Mit dieser „Anordnung", auf Umsetzbarkeit der Darstellungen Bedacht zu nehmen, ist keine ökologische Abwägung i.S. des Professoren-Entwurfs in dem Sinne gemeint, daß bestimmte Umweltbelange bereits bei der Darstellung, die aus Deskription, Analyse und Diagnose bestehen soll 30 , unbeachtet bleiben sollen: Eine ökologische Abwägung, wie sie für die Umweltleitplanung im Professorenentwurf vorgesehen ist, hätte nach Auffassung der Kommission den Nachteil, daß auch in der Umweltgrundlagenplanug „weggewogene" Umweltbelange, die wider Erwarten in der späteren Bauleitplanung, Landesplanung oder Regionalplanung wieder wichtig werden könnten, nicht zurückgegriffen werden könnte. Die Bedeutung bestimmter Umweltbelange für die konkrete raumbedeutsame Planung könne manchmal zum Zeitpunkt der Umweltgrundlagenplanung noch nicht erkennbar sein 31 . 2. § 69 Abs. 2 S. 1, der eine Vorrangigkeitsbeurteilung von Erfordernissen und Maßnahmen bei der Darstellung verlangt, geht davon aus, daß - so die Begründung - Umweltbelange unterschiedlichen Rang haben und daß sie auch, insbesondere bei Belangen aus unterschiedlichen Umweltmedien, untereinander konkurrieren können. Das sei deshalb von entscheidender Bedeutung für die gesamträumliche Planung, weil hier vor allem über mögliche Bodennutzungen und deren Zuordnung zueinander entschieden werde. Je nach der auszuweisenden Nutzung können unterschiedliche Umweltbelange in unterschiedlicher Weise berührt sein. Es könne sich ergeben, daß bei Ausweisung bestimmter Nutzungsarten bestimmte Umweltbelange sehr stark beeinträchtigt würden oder gänzlich „unter den Tisch" fielen, während andere Umweltbelange optimal zur Geltung kommen könnten. Dies zu wissen sei für die gesamträumliche Planung wie auch für die Fachplanung vor allem dann von Bedeutung, wenn Alternativen in Betracht kämen. Deshalb sei es wichtig, daß einerseits Umweltbelange, die aus der Sicht der Umweltgrundlagenplanung gegenüber anderen Umweltbelangen nachrangig seien, nicht verschwiegen würden, sondern Niederschlag in dem Grundlagenplanwerk fänden, das andererseits aber Entscheidungen über die Vorrangigkeit oder Nachrangigkeit einzelner Umweltbelange bzw. einzelner Erfordernisse und - aus medienspezifischen Umweltfachplanungen übernommener - Maßnahmen des Umweltschutzes zum Ausdruck gebracht würden.

3 UGB-KomE, Begründung (Fn. 3), S. 1. UGB-KomE, Begründung (Fn. 3), S. 14.

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Damit sei - wie die Begründung des Entwurfs immer wieder betont - keine ökologische Abwägung in der Umweltgrundlagenplanung gemeint. Eine solche könne zu wenig realen Planvorstellungen führen. Der Rückgriff auf Umweltbelange, die bei einer rein ökologischen Darstellung zunächst nachrangig erschienen, wäre dann möglich, wenn diese - erst für die konkrete Bauleitplanung, Raumordnung und Landesplanung erkennbar - unvorhergesehen wesentlich würden. Damit solle der Festschreibung einer Gewichtung vorgebeugt werden, die sich im nachhinein als unvollständig erweise. Dies berühre nicht die ungestörte Darstellungsmöglichkeit der Umweltbelange, denn diese sei erforderlich, damit sich die Umweltbelange der gesamträumlichen Abwägung mit einem ihrer Bedeutung entsprechenden Gewicht stellen könnten. Ermöglicht werde damit die Berücksichtigung auch solcher Umweltbelange, die sich erst später für die Abwägung in der gesamträumlichen Planung als wesentlich herausstellten. Oft werde ein solcher Rückgriff jedoch nicht nötig sein, weil die Planungsbehörden konkret auf die gesamträumliche Planung hinarbeiteten und deshalb die Umweltbelange schon frühzeitig erkennen und berücksichtigen könnten 32 . 3. § 69 Abs. 2 S. 2 sieht eine Möglichkeit vor, Alternativen aufzuweisen. Die Begründung für diese Möglichkeit hebt darauf ab, daß die Alternativendarstellung insbesondere dann Bedeutung erlangen kann, wenn die Behörde die Anforderungen der Raumordnung, Landesplanung und Bauleitplanung an den Raum und dadurch entstehende Konflikte mit Umweltbelangen schon konkret erkennt. Aus den aufgezeigten Variantenlösungen kann bei der Entscheidung über raumbedeutsame Planungen und Maßnahmen eine Alternative ausgewählt werden 33 .

V I I . Das Prinzip der möglichst weitgehenden Integration der Umweltgrundlagenplanung in die gesamträumliche Planung (§ 71 Abs. 1 UGB-KomE) Nach § 71 Abs. 1 sollen die Darstellungen in Umweltgrundlagenplänen, soweit möglich, unter Abwägung mit den anderen planungserheblichen Belangen als Ziele der Raumordnung und Landesplanung oder als Darstellungen

2 3

UGB-KomE, Begründung (Fn. 3), S. 151. UGB-KomE, Begründung (Fn. 3), S. 1 .

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und Festsetzungen der Bauleitplanung umgesetzt werden. Da die raumbedeutsamen Pläne nach § 70 Abs. 3 mit ihren Aussagen und Festsetzungen in die Umweltgrundlagenplanung zu übernehmen sind, gilt die Umsetzungsanordnung in verbindliche Festsetzungen der gesamträumlichen Planung auch für diese. Für die Darstellungen in den regionalen Umweltplänen nach § 72 Abs. 1 und Abs. 2 schaffen die Länder Rechtsgrundlagen, damit diese Darstellungen als Ziele der Raumordnung und Landesplanung in die Pläne der Regionalplanung aufgenommen werden können. Mit dieser Regelung sind die Länder in Pflicht genommen, ohne daß allerdings in § 72 Abs. 3 eine Frist vorgesehen ist, wie sie von Art. 75 Abs. 3 GG bei der Ausfüllung rahmenrechtlicher Vorschriften gefordert ist 3 4 . Das Prinzip der möglichst weitgehenden Primärintegration von Darstellungen der Umweltgrundlagenpläne bei raumbedeutsamen Planungen und Maßnahmen verfolgt § 71 mit drei Instrumenten: •

durch ein relativ striktes Umsetzungsgebot („soweit möglich") der Darstellungen in verbindliche gesamträumliche Festsetzungen unter Abwägung mit den anderen planungserheblichen Belangen (§71 Abs. 1),



durch ein Berücksichtigungsgebot der Darstellungen bei allen raumbedeutsamen Entscheidungen, sofern die Darstellungen nicht nach § 71 Abs. 1 umgesetzt sind ( § 7 1 Abs. 2),



eine Darlegungslast, sofern keine Umsetzung nach § 71 Abs. 1 erfolgt oder von Darstellungen in Umweltgrundlagenplänen abgewichen werden soll im Hinblick auf - die Gründe der Nichtumsetzung oder die der Abweichung ( § 7 1 Abs. 3 Nr. 1), - die Vermeidbarkeit nachteiliger Auswirkungen auf die Umwelt und den Menschen und der Ausgleichbarkeit unvermeidbarer nachteiliger Auswirkungen (§71 Abs. 3 Nr. 2).

1. Die „Primärintegration" in die gesamträumliche Planung wird von der Kommission als arbeitsökonomisch sinnvoll gewertet. Sie sei am ehesten geeignet, nachteilige Auswirkungen auf die Umwelt rechtzeitig zu erkennen und adäquat zu berücksichtigen 35. 34

Soweit die Umweltgrundlagenplanung die überörtliche Ebene betrifft, ist sie auf Art. 75 Abs. 1 Nr. 4 (Raumordnung) GG gestützt, UGB-KomE, Begründung (Fn. 3), S. 156. 35 UGB-KomE, Begründung (Fn. 3), S. 148.

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Dieser eigenen Darstellungsmöglichkeit bedürfe es, damit die Umweltbelange sich in der gesamträumlichen Planung in ihrer ganzen Tragweite und deshalb konfliktfahig präsentieren könnten. Nach diesem Konzept erhielten die Umweltbelange eine solche eigene Darstellungsmöglichkeit. Denn in der Umweltgrundlagenplanung würden nur Umweltbelange zusammengeführt und dargestellt 36. Ähnlich der Funktion der UVP im Bebauungsplanverfahren finde eine Abwägung mit anderen als den Umweltbelangen erst in der gesamträumlichen Planung statt 37 . Anders auch als im Professoren-Entwurf gibt es nur eine einheitliche gesamträumliche Abwägung. Bei der planerischen Abwägung in Raumordnung und Bauleitplanung - so die Begründung -, wo sich die Umweltbelange den anderen Belangen stellen müßten, seien umweltrechtliche Belange weiterhin grundsätzlich gleichrangig abwägungserheblich. Die Gewichtigkeit der jeweils miteinander konkurrierenden Belange ergebe sich erst aus dem Planungsziel und der konkreten örtlichen Situation. Allerdings sei § 9 zu beachten38. § 9 enthält eine allgemeine Abwägungs- und Ausgleichsklausel. Diese Vorschrift enthält in Satz 2 und Satz 3 sehr weittragende Vorgaben für die Gewichtung bei der Abwägung. Dabei gilt nach Satz 2 für die Gewichtung von Umweltbelangen, daß ihnen aufgrund ihrer herausgehobenen Bedeutung grundsätzlich ein erhebliches Gewicht zukommt. Nach Satz 3 ist den Umweltbelangen bei schweren Beeinträchtigungen der Funktionsfahigkeit des Naturhaushalts sogar grundsätzlich ein Vorrang einzuräumen 39. Diese Vorschrift stärkt das Gewicht der Umweltbelange in der Abwägung 40 . Zwar können Umweltbelange bei objektiver Gewichtung auch zurücktreten müssen. Angesichts der herausgehobenen Bedeutung der Umweltbelange haben die zuständigen Behörden allerdings in einem solchen Fall nach § 9 Satz 4 darauf hinzuwirken, daß erhebliche oder nachhaltige Beeinträchtigungen ausgeglichen werden 41 .

36

UGB-KomE, Begründung (Fn. 3), S. 148 f. UGB-KomE, Begründung (Fn. 3), S. 149 unter Berufung auf Wagner, UPR 1995, 203, 205. 38 UGB-KomE, Begründung (Fn. 3), S. 149. 39 UGB-KomE, Begründung (Fn. 3), S. 32. 40 UGB-KomE, Begründung (Fn. 3), S. 154. 4 UGB-KomE, Begründung (Fn. 3), S. 2. 37

Bemerkungen zur Umweltgrundlagenplanung im UGB-Entwurf

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Die Kommission wertet mit der Regelung des § 71 Abs. 1 die Umweltgrundlagenplanung als „Teil der gesamträumlichen Planungen" 42 . 2. Auch wenn die Darstellungen im Umweltgrundlagenplan nicht in Festsetzungen der gesamträumlichen Planung umgesetzt werden können, bleiben sie als im Umweltgrundlagenplan dokumentiertes Tatsachenmaterial 43 eine wichtige Informationsquelle für alle Entscheidungen über raumbedeutsame Planungen und Maßnahmen 44 . Deswegen sind sie weiterhin bei der Abwägung als Belange zu berücksichtigen. Die Aussagen der Umweltgrundlagenpläne wirken also auf andere raumbedeutsame Planungen als öffentliche Belange ein. 3. Die Pflicht zur Berücksichtigung von Darstellungen der Umweltgrundlagenpläne nach § 71 Abs. 2 wird verfahrensrechtlich dadurch verstärkt, daß die jeweiligen Planungsträger nach § 71 Abs. 3 zu begründen haben, wenn und warum sie Darstellungen des Umweltgrundlagenplans nicht umsetzen. Eine Begründungspflicht besteht auch, wenn andere Träger raumbedeutsamer Planungen (Fachplanungen) oder Maßnahmen von Darstellungen des Umweltgrundlagenplans abweichen wollen. Aber auch soweit diese Träger von nicht ungesetzten Darstellungen eines Umweltgrundlagenplans abweichen, haben sie in der Begründung ihrer Entscheidung dafür die Gründe zu nennen. In allen Fällen ist in der Begründung die Entscheidung darzulegen, wie von der Nichtumsetzung oder der Abweichung zu erwartenden Nachteile für die Umwelt vermieden oder ausgeglichen werden können. Eine eigenständige Ausgleichspflicht ergibt sich aus dieser Vorschrift nicht. Die Begründungspflicht soll vor allem - so die Begründung - einen gewissen Druck zur Umsetzung und zur Einhaltung der Zielaussagen der Umweltgrundlagenpläne erzeugen 45.

V I I I . Verfahren Die Umweltgrundlagenplanung obliegt den Trägern der Bauleitplanung sowie den Trägern der Raumordnung und Landesplanung (§ 70 Abs. 1). Das 42 43 44 45

UGB-KomE, Begründung (Fn. UGB-KomE, Begründung (Fn. UGB-KomE, Begründung (Fn. UGB-KomE, Begründung (Fn.

3), S. 151. 3), S. 148. 3), S. 154. 3), S. 155.

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Verfahren der Aufstellung, Änderung und Ergänzung richtet sich nach den für die Flächennutzungspläne oder Pläne der Raumordnung und Landesplanung geltenden Vorschriften, soweit landesrechtlich nichts anderes bestimmt ist. Die Öffentlichkeit soll beteiligt werden (§ 70 Abs. 4). Daß die in den Ländern für Landesplanung und Regionalplanung bzw. für die Bauleitplanung zuständigen Behörden und Körperschaften für die Umweltgrundlagenplanung zuständig sind, folgt aus dem Prinzip der Integration der Umweltgrundlagenplanung in die gesamträumliche Planung. § 70 enthält einige bundesgesetzliche Vorgaben für das Verfahren der Aufstellung, Änderung und Ergänzung von Umweltgrundlagenplänen auf Landes-, Regional- und Gemeindeebene. Diese sind notwendig - so die Begründung - ,um die einheitliche Anwendung sowie die praktische Wirksamkeit der Umweltgrundlagenplanung sicherzustellen. Soweit sich keine speziellen Vorschriften ergeben, richtet sich das Verfahren zur Aufstellung von Umweltgrundlagenplänen nach den Landesplanungsgesetzen sowie nach dem BauGB und ergänzend nach dem Kommunalrecht der Länder. Den Ländern obliegt es weitgehend, das Verfahren im einzelnen auszugestalten. § 70 Abs. 2 S. 1 geht von einer Verpflichtung der zuständigen Behörden zur Aufstellung von Umweltgrundlagenplänen aus, die deijenigen für die gesamträumliche Planung folgt. Die Pläne sollen vor oder im Zusammenhang mit dem Flächennutzungsplan oder auf der Regional- und Landesebene mit den Zielen der Raumordnung und Landesplanung aufgestellt, geändert oder ergänzt werden. Der Aufstellung des Flächennutzungsplans entspricht die Erarbeitung von örtlichen Umweltgrundlagenplänen, der Aufstellung von Regionalplänen entspricht die Erarbeitung von regionalen und der Aufstellung von Programmen und Plänen die Erarbeitung von landesweiten Umweltgrundlagenplänen. Die Verpflichtung zur Aufstellung, Änderung und Ergänzung von Umweltgrundlagenplänen ist ein objektiv-rechtliches Gebot. Ein Anspruch der Bürger auf Aufstellung eines Umweltgrundlagenplans ergibt sich daraus nicht. Die nachgeordneten Umweltgrundlagenpläne sind an Zielaussagen der vorhandenen, jeweils höherrangigen Umweltgrundlagenpläne gebunden, soweit diese in Ziele der Raumordnung und Landesplanung umgesetzt sind. § 70 Abs. 2 S. 2 verpflichtet zur Fortschreibung der Umweltgrundlagenpläne. Die Entwicklung ist also im Hinblick auf einen Anpassungsbedarf laufend zu verfolgen 46 . 46

UGB-KomE, Begründung (Fn. 3), S. 152, S. 153.

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§ 72 Abs. 4 sieht als Mindestanforderung und zwar für die Stufe der Landes- und Regionalplanung für das Aufstellungsverfahren über die Beteiligungspflicht nach §§ 68, 42 hinaus eine Regelverpflichtung zur Beteiligung der Öffentlichkeit vor, die es bundesrechtlich bisher auf der Ebene der Landesund Regionalplanung nicht gibt. Eine solche Verpflichtung trägt aber nach Auffassung der Kommission zur Transparenz der Planung und zu ihrer Akzeptanz bei. Die nähere Regelung bleibt den Ländern überlassen 47.

I X , „Übersteuerung 44 durch Umsetzung der Umweltgrundlagenplanung in Ziele der Raumordnung und „Überforderung 44 der Raumordnung Die dreistufig angelegt Umweltgrundlagenplanung, die der gesamträumlichen Planung vorgeschaltet ist - mit Schwergewicht auf der regionalen Umweltgrundlagenplanung - versteht sich als eine Art Plan-UVP für die räumliche Gesamtplanung. Die Umweltgrundlagenplanung ersetzt gewissermaßen diese UVP 4 8 . Diese Feststellung der Begründung sollte allerdings nicht verharmlost werden: Die Umweltgrundlagenplanung geht weit über eine UVP, auch eine PlanUVP, hinaus, weil sie - wie die Begründung es ausdrückt „nicht lediglich der Prüfüng der Umweltverträglichkeit einer in ihren Zielen bereits vorbestimmten Planung dient, sondern vorher ansetzt und die Ziele der gesamträumlichen Planung von vornherein mitbestimmt 49. Sie engt die Kommunale Selbstverwaltung und die Planungshoheit der Gemeinden - unser Thema angesichts der Warnungen des Jubilars vor ihrer weiteren Einschnürung - in einem Maße ein, daß sich geradezu die Frage aufdrängt, ob nicht mit der Umweltgrundlagenplanung eine nicht mehr handhabbare hyperkomplexe, eindimensional steuernde Regelung vorgeschlagen wird: Das UGB-KomE dirigiert durch die Umsetzungsgebote der Darstellungen in normativ-verbindliche gesamträumliche Festsetzungen ( § 7 1 Abs. 1, § 72 Abs. 3) - flankiert von dem Berücksichtigungsgebot des § 71 Abs. 2 und unter dem Druck der Darlegungslast des § 71 Abs. 3, verstärkt durch die Abwägungsgewichtungsklausel des § 9 und durch die - das Sollensgebot bis an die Grenzen der Vertretbarkeit treibende - Anordnung der Umsetzung „soweit

47 48 49

UGB-KomE, Begründung (Fn. 3), S. 153. UGB-KomE, Begründung (Fn. 3), S. 148. UGB-KomE, Begründung (Fn. 3), S. 148.

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möglich" einschneidend die gemeindliche Planungshoheit und schnürt auch die Raumordnung bei der Aufstellung der Raumordnungspläne und bei der im Ermessen der Planungsträger der Raumordnung liegenden planerischen Entscheidung, ob sie die von ihr gebundenen Planungen über Ziele der Raumordnung steuern will oder nicht, unverhältnismäßig ein. Es sollte nicht vergessen werden, daß Ziele der Raumordnung, wie sie nunmehr in § 3 Nr. 2 ROG 1998 charakterisiert werden, „verbindliche Vorgaben in Form von räumlich und sachlich bestimmten oder bestimmbaren, vom Träger der Landes- oder Regionalplanung abschließend abgewogenen textlichen oder zeichnerischen Festlegungen in Raumordnungsplänen zur Entwicklung, Ordnung und Sicherung des Raums" sind, verbindlich vor allem für die Bauleitplanung (§ 4 Abs. 1 ROG 1998, § 1 Abs. 4 BauGB 1998). Hinzu kommt, daß die Zielbindungswirkung aus ROG in § 4 Abs. 3 ROG 1998 eine erhebliche Ausweitung des Adressatenkreises erfahren hat. Es sei nur an die ab 1.1.1998 geregelte Zielbindung der DB-AG oder der Magnetschnellbahngesellschaft mbH (Transrapid) und ähnlicher Planungsträger erinnert. Die Umweltgrundlagenplanung nimmt mit ihren Darstellungen aber auch unmittelbar Einfluß auf die förmlichen Darstellungen in Flächennutzungsplänen -, die ihrerseits über das Entwicklungsgebot des § 8 Abs. 2 BauGB 1998 die Bebauungspläne binden - und auf die Festsetzungen in Bebauungsplänen. Die weiteren Untersuchungen wenden sich vor allem dem Einfluß der Umweltgrundlagenplanung auf die Ziele der Raumordnung zu, weil sie die gemeindliche Planungshoheit als überörtliche Planung mit diesen Raumordnungszielen vor allem dirigiert. Zwei kritische Thesen sollen formuliert werden: Erstens: § 71 Abs. 1 in Verbindung mit dem Gesamtkomplex der Vorschriften der Umweltgrundlagenplanung (§§ 69 bis 72) führt einerseits in eine „Übersteuerung" der Umweltgrundlagenplanung im Verhältnis zur gesamträumlichen Planung, vor allem im Hinblick auf Festsetzung von Zielen der Raumordnung. Zweitens: Sie bringt aber auch eine „Überforderung" der Raumordnung mit sich. Die Umweltgrundlagenplanung im UGB-KomE ist - ähnlich wie die „Umweltleitplanung" im Professoren-Entwurf - in Gefahr, „überanstrengtes Recht" zu produzieren 50 . 50 Siehe dazu Hoppe, Umweltleitplanung (Fn. 9), S. 46 unter Berufung auf Franßen, DVB1 1992, 466 f.

Bemerkungen zur Umweltgrundlagenplanung im U G B - E n t w u r f 1 9 5

1. Die „Übersteuerung" der Umweltgrundlagenplanung durch ihre Umsetzung in Ziele der Raumordnung Die Umweltgrundlagenplanung ist einseitig darauf ausgerichtet, alle ihre Aussagen, Informationen und Erkenntnisse möglichst in Ziele der Raumordnung, also in Rechtsnormen mit externer Bindungswirkung gegenüber anderen Planungsträgern umzusetzen. Ein - zweifelsfrei gewichtiger - Belang und eine diesen Belang aufarbeitende Planung erhält infolgedessen bei der gesamträumlichen Planung verfahrensmäßig und materiell einen rechtlichen und faktischen Vorrang, der durch Abwägung schwer überwindbar ist, auch wenn dies angezeigt erscheint. Der Begriff der Darstellungen, die der Umsetzungspflicht nach § 71 Abs. 1 und § 72 Abs. 3 unterliegen, ist äußerst weit gefaßt. Durch diese begriffliche Erfassung werden die Darstellungen von vornherein so angelegt, um nicht zu sagen, darauf „getrimmt", daß sie als bedeutsame Erfordernisse und Maßnahmen des Umweltschutzes in Ziele der Raumordnung umsetzbar sind (§ 69 Abs. 1 S. 3). Sie werden also von Anfang an unter einem bestimmten Aspekt zusammengestellt. Zu den Darstellungen i.S. der Zielumsetzungsanordnung nach § 71 Abs. 1 rechnen auch alle raumbedeutsamen Pläne, von denen § 70 Abs. 3 allein 11 ausdrücklich benennt (§ 70 Abs. 3 i.V.m. § 71 Abs. 1). Damit nicht genug: Nach § 72 Abs. 1 und Abs. 2 treten auf der regionalen Ebene Vorranggebiete, Maßnahmengebiete, regionale Grünzüge und Grünzäsuren, Umweltqualitätsmerkmale, weitere Maßnahmen und Eignungsgebiete zur Umsetzung nach § 72 Abs. 3 hinzu 51 . Es entsteht ein ganzer Kosmos an vielfältigen und unterschiedlichen Zielen der Raumordnung. Das eigentlich Charakteristische für eine rechtsstaatliche Planung - sei es Raumordnung, sei es gemeindliche Planung - geht indes insoweit zu einem Gutteil verloren: Statt der Abwägung auf der jeweiligen Planungsstufe die Berücksichtigung von Belangen zu überlassen, wird die Umsetzung in Raumordnungsziele und die bindende Anpassung an Ziele der Raumordnung praktisch festgeschrieben. Die Dirigierung der gemeindlichen Planung durch Ziele der Raumordnung ist die schärfste und eingreifendste Form der Steuerung durch überörtliche Planung, die der Rechtfertigung bedarf. Umweltbelange, die in der Umweltgrundlagenplanung dargestellt werden, sind von hohem und höchstem Gewicht. Gleichwohl sollten sie nicht mit einem dirigistischen Einfluß auf die 51 Das Verhälüiis von § 72 Abs. 1 und Abs. 2 zu § 7 Abs. 4 ROG 1998 bedarf noch der Klärung.

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gesamträumliche Planung ausgestattet werden. Sie sollten mit dem ihnen zukommenden Gewicht der gesamträumlichen Planung und ihrer Abwägung anvertraut werden ohne die Vorgabe, sie „wenn möglich" in verbindliche Festsetzungen zu überführen, bei der Regionalplanung also in Ziele der Raumordnung. Die dogmatische Einordnung der Ziele und Grundsätze der Raumordnung hat Literatur und Rechtsprechung nicht nur seit Jahren beschäftigt, sie ist auch dank dieser Diskussion als so eindeutig geklärt anzusehen, daß man an Begriffsbestimmungen des § 3 Nr. 2 und Nr. 3 ROG 1998 als Ergebnis dieser Bemühungen attestieren kann, daß sie alle Elemente dieser Begriffe in präziser Form auf den Punkt bringen 52 . Zusammenfassend läßt sich folgendes festmachen: Die Anforderungen des Zielbegriffs werden geprägt durch den Rechtscharakter dieser Festlegungen. Ziele der Raumordnung sind außenwirksame, generell-abstrakte Rechtsnormen. Sie entfalten Außenwirkung, weil sie als verbindliche Vorgaben z.B. in die verfassungsrechtlich garantierten Planungsrechte der Gemeinden einwirken. Sie sind abstrakt-generell, weil sie keinen konkreten Fallregelungen, sondern abstrakte, umsetzungsbedürftige Vorgaben zum Gegenstand haben, die gem. § 1 Abs. 4 BauGB 1998 unter anderem die Gemeinden als öffentliche Planungsträger binden. In ihrer Rechtswirkung entfalten die so aufgestellten Ziele als landesplanerische Letztentscheidungen Bindungswirkung für die Adressaten. Anders als bei den abwägungserheblichen Grundsätzen, die Abwägungsdirektiven sind, müssen bei den Raumordnungszielen evtl. bestehende Zielkonflikte ausgetragen und bereinigt sein. Als landesplanerische Letztentscheidungen sind die Raumordnungsziele ihrer Natur nach so beschaffen, daß für den Adressaten nur ein Ziel formuliert ist, daß nicht mehr mit anderen Zielen in Konflikt steht 52 Zur Literatur s. die vollständigen Nachweise bei Hoppe, Zum LEP-Entwurf NRW 1994: „Verkennt der Entwurf des Landesentwicklungsplans NRW 1994 den Rechtscharakter der ,Ziele der Raumordnung und Landesplanung4 ( § 5 Abs. 4 ROG)", Städte- und Gemeinderat 1994, 332 ff., 334 Fn. 2; Hoppe, „Ziele der Raumordnung und Landesplanung" und „Grundsätze der Raumordnung und Landesplanung" in normtheoretischer Sicht, DVB1 1993, 681 ff; Hoppe/Scheipers, Entsprechen die Ziele der Raumordnung und Landesplanung im Landesentwicklungsplan NRW 1995 der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofs für das Land NRW?, in: Festschrift zum 65. Geburtstag von Klaus Stern (1997), S. 1117 ff; Paßlick, Die Ziele der Raumordnung und Landesplanung (1986), S. 13 ff, S. 109 ff; Grooterhorst, Die Wirkung der Ziele der Raumordnung und Landesplanung gegenüber Bauvorhaben nach § 34 BauGB (1985), S. 33 ff; zuletzt grundlegend unter vollständiger Auswertung der Literatur Scheipers, Ziele der Raumordnimg und Landesplanung aus Sicht der Gemeinden (1995), S. 27- 130.

Bemerkungen zur Umweltgrundlagenplanung im U G B - E n t w u r f 1 9 7 und stehen kann. Die Ziele lassen sich als Ergebnisse einer gesamträumlichen Abwägung von anderen Planinhalten abgrenzen, die diese Eigenschaft nicht aufweisen und daher nicht an der Bindungswirkung teilhaben, wie Grundsätze, die sich als Abwägungsdirektiven kategorisch von den Zielen unterscheiden. Die Ziele müssen als landesplanerische Letztentscheidungen so bestimmt sein, daß für die Adressaten erkennbar ist, was im einzelnen Gegenstand der sie betreffenden Beachtens- bzw. Anpassungspflicht ist. Sie müssen sich geographisch auf einen bestimmten Raum beziehen und für diesen sachlich eine konkrete raumordnerische Entscheidung treffen. Die sachbezogene Komponente des Zielbegriffs setzt voraus, daß der Planaussage eindeutig zu entnehmen ist, für welche konkrete Maßnahme bzw. für welchen konkreten Zweck die landesplanerische Festsetzung erfolgt. Der bei der Aufstellung von Zielen der Raumordnung zur Verfügung stehenden Gestaltungsspielraum erfahrt durch die den Gemeinden gem. Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG zugesicherten Planungsrechte seine Begrenzung. Hierzu zählt insbesondere auch die Planungshoheit der Gemeinden und damit - bezogen auf die räumliche Planung - sowohl die Befugnis zur Bebauungsplanung als auch zur Flächennutzungsplanung. Das Recht der örtlichen Planung findet entsprechend der Garantie des Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG „ i m Rahmen der Gesetze" seine Grenze. Dabei ist auch nach der „Rastede-Entscheidung" des Bundesverfassungsgerichts weiterhin der unantastbare Kernbereich des Selbstverwaltungsrechts als äußerste Grenze möglicher Eingriffe heranzuziehen. Das Ziel des Systems darf deswegen nicht insgesamt eine Aussagedichte erreichen, die für eine eigenständige Bauleitplanung keinen hinreichenden Raum mehr beläßt. Außerhalb des Kernbereichs müssen die an die Gemeinden gerichteten Ziele der Raumordnung und Landesplanung den Anforderungen genügen, die - das Gebot der sachlichen Legitimation und - der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit an Eingriffe in die von der Selbstverwaltungsgarantie umfaßte Planungshoheit stellen. Von besonderer Bedeutung ist das aus dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit abgeleitete Gebot der Erforderlichkeit. Dieses ist bei der Wahl der Planungsstufe, bei der Wahl des räumlichen und sachlichen Konkretisierungsgrads sowie bei der Darstellungsform der Ziele zu beachten. Das gilt auch für das Geeignetheitsgebot. Die Ziele der Raumordnung und Landesplanung müssen weiterhin dem verfassungsrechtlichen Gebot der gerechten Abwägung genügen.

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Diese vielfaltigen Anforderungen an eine rechtsstaatlichen Bedingungen genügende Zielsetzung muß den Trägern der Raumordnungspläne zur eigenen und nicht von vornherein umweltgrundlagenplanungsrechtlich gesteuerten spezifisch landesplanerischen Abwägung überlassen bleiben. Warum muß stets und „soweit möglich" zum Instrument der Ziele der Raumordnung gegriffen werden, wo Grundsätze der Raumordnung - ein milderes Mittel der Steuerung - genügen würde, Vorgaben, die nach § 4 Abs. 2 ROG 1998 lediglich zu berücksichtigen sind? Warum genügt nicht mehr eine Abstimmung mit den in § 70 Abs. 3 genannten Umweltplänen? Was bleibt denn noch von der gemeindlichen Planungshoheit bei einer zunehmend intensiveren Umweltgrundlagenplanung und Steuerung über Raumordnungsziele? Welchen faktischen Druck übt die Darlegungs- und Begründungslast des § 71 Abs. 2 aus, wenn von einer Umsetzung auch abgesehen werden kann? Die Begründungspflicht soll nach Auffassung der Kommission geradezu einen gewissen Druck zur Umsetzung ausüben. Ist die Raumordnung bei diesem Druck noch hinreichend frei für eine sachgerechte Abwägung? Welche präjudiziellen Wirkungen faktischer Art und Einflüsse auf die Art der Darstellung hat die von vornherein vorgesehene Ausrichtung der Darstellungen auf die Umsetzbarkeit in Ziele? Bei aller Anerkennung der Ziele der Umweltgrundlagenplanung, wie sie in § 69 Abs. 1 S. 1 aufgeführt sind, ein derartiges weitgreifendes Umsetzungsgebot ist weder für die Raumordnung erforderlich, noch im Blick auf die gemeindliche Bauleitplanung verhältnismäßig.

2. Die „Überforderung" der Raumordnung Bei der Regelung des § 71 Abs. 1 ist im übrigen die Raumordnung als Planungsinstrument überfordert. Sie sieht sich mit einer Fülle von Darstellungen in den Umweltgrundlagenplänen konfrontiert, die allesamt gewissermaßen mit dem Anspruch aus § 71 Abs. 1 auftreten, möglichst Ziele der Raumordnung zu werden, weil § 71 Abs. 1 diese Umsetzung in Ziele der Raumordnung „soweit möglich" gebietet. Ziele der Raumordnung müssen aber als landesplanerische abschließend abgewogene Entscheidungen mit hinreichender Bestimmbarkeit und Erkennbarkeit eindeutig formulierbar und als konkrete raumordnerische Entscheidung und zwar als landesplanerische Letztentscheidung zu treffen sein. Der Planaussage muß eindeutig zu entnehmen sein, für welche konkrete Maßnahme und für welchen Zweck die landesplanerische Festlegung als Ziel erfolgt.

Bemerkungen zur Umweltgrundlagenplanung im U G B - E n t w u r f 1 9 9 Warum läßt die Umweltgrundlagenplanung der Raumordnung und den Raumordnungsplänen nicht den planerischen Gestaltungsspielraum, bei der Umsetzung zwischen Grundsätzen der Raumordnung und Zielen der Raumordnung zu wählen? Die Ziele der Raumordnung unterliegen wie jeder Raumordnungsplan ohnehin dem rechtsstaatlichen Gebot der Abwägung. Warum soll die Raumordnung durch ein solch striktes umweltgrundlagenplanerisches Umsetzungsgebot gebunden werden? Die Raumordnung kann dieses in der vorgesehenen Form nicht leisten, wenn sie den rechtsstaatlichen Anforderungen an eine Zielfestsetzung i.S. der Ziele der Raumordnung als abschließend abgewogene landesplanerische Letztentscheidungen genügen will. Die Kommission hat überdies die Vorstellung, daß Umweltbelange in der Regionalplanung medienübergreifend und intensiver als bisher dargestellt werden sollen 53 , die Ziele sollen also auch medienübergreifend angelegt sein. Bevor eine solche Regelung in die Welt geltenden Rechts eintritt, sollte doch nicht verkannt werden, daß die abschließende juristisch-dogmatische Durchdringung des genauen Inhalts eines integrativen Prüfungsansatzes noch aussteht54.

X. Ausblick Das UGB-KomE hat mit dem Entwurf einer Umweltgrundlagenplanung Fehler der Umweltleitplanung im Professorenentwurf vermieden. Im Ansatz ist die Primärintegration in die gesamträumliche Planung richtig. Die einseitige Ausrichtung der Darstellungen in den Umweltgrundlagenplänen auf eine Umsetzung in gesamträumliche Festsetzungen, vor allem in Ziele der Raumordnung, und ein relativ striktes Integrations-, Rezeptions- und Umsetzungsgebot erscheint zu weitgehend und unverhältnismäßig. Insoweit besteht noch ein erheblicher Diskussionsbedarf über diesen Entwurf einer Umweltgrundlagenplanung.

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UGB-KomE, Begründung (Fn. 3), S. 146. Siehe Appold, in: Hoppe (Hrsg.), Gesetz über die Umweltverträglichkeitsprüfung (UVPG) (1995), § 2 Rdnr. 33 ff., Rdnr. 43; siehe dazu auch Erbguth/Schink , Gesetz über die Umweltverträglichkeitsprüfung, Kommentar, 2. Aufl. (1996), § 2 Rdnr. 27 ff., insbesondere Rdnr. 28. 54

Die Beschleunigungsgesetze für den Verkehrsbereich Von Jürgen Kern

Über das Thema „Verfahrensbeschleunigung" wurde stets gern und oft diskutiert 1 , ohne daß den Worten Taten folgten. Gleichwohl hat es bisweilen auch etwas gutes, wenn von Zeit zu Zeit Überlegungen angestellt werden, auf die im Bedarfsfall zurückgegriffen werden kann.

I. Die Entwicklung der Verfahrensbeschleunigung im Verkehrsbereich Bereits der Verkehrsgerichtstag am 26.121. Januar 1989 in Goslar befaßte sich mit den Möglichkeiten, die in den 70er und 80er Jahren im wesentlichen vom Wohlstandsdenken (Qualität vor Quantität) und von den Ansprüchen der Politik überfrachteten Planungsverfahren im Interesse des Allgemeinwohls effektiver zu gestalten2. Beklagt wurde insbesondere, daß der Zeitbedarf für Bundesfernstraßenmaßnahmen vom Beginn der Planung bis zur Inbetriebnahme der Straße, wie Untersuchungen in Rheinland-Pfalz ergaben, durchaus bei 20 Jahren und mehr lag. Durchschnittlich entfielen auf Raumordnung und Linienbestimmung fünf bis sieben Jahre, auf die Planfeststellung (bis zur Rechtskraft) fünf bis zehn Jahre, auf die Entwurfsplanung zwei bis drei Jahre und auf den Bau drei bis vier Jahre 3. Untersuchungen in Hessen ergaben einen

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Ronellenfitsch, Neues Verkehrswegeplanungsrecht, in: Blümel (Hrsg.), Verkehrswegerecht im Wandel, Bd. 115 der Schriftenreihe der Hochschule Speyer, S. 181; Broß, Beschleunigung von Planungsverfahren, in: Blümel (Hrsg.), Verkehrslärmschutz-Verfahrensbeschleunigung, Speyerer Forschungsberichte Heft 95, S. 69. 2 27. Deutscher Verkehrsgerichtstag, Veröffentlichungen der auf dem 27. Deutschen Verkehrsgerichtstag am 26. und 27. Januar 1989 in Goslar gehaltenen Referate und erarbeiteten Empfehlungen, S. 12, 13 sowie S. 246 ff.; Kern, Die (fern-)straßenrechtliche Planfeststellung - ein Verfahren ohne Ende?, DÖV 1989, S. 932. 3 Zillenbiller, Straßenplanung im Konfliktfeld öffentlicher und individueller Interessen, in 27. Deutscher Verkehrsgerichtstag (Fn. 2), S. 247.

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Mindestzeitbedarf von 7 Vi Jahren, wenn keine Probleme bei der Planung auftraten 4. Auch die Gerichte leisteten ihren Beitrag zu dem allgemeinen Unbehagen und der Unzufriedenheit. Zum einen lag es an der Dauer der gerichtlichen Verfahren, die man mit drei bis vier Jahren jeweils für die erste und zweite Instanz ansetzen konnte. Zum anderen reichte es oft für einen Kläger als Begründung seiner Klage aus vorzutragen, der Planfeststellungsbeschluß sei rechtswidrig. Unter Berufung auf die Maxime der Amtsermittlung im verwaltungsgerichtlichen Verfahren (er-)fanden insbesondere die Untergerichte immer wieder Gründe, mit denen der Planfeststellungsbeschluß aufgehoben werden konnte, obwohl durch die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts5 die Grenzen der Überprüfbarkeit von Planfeststellungsbeschlüssen festgelegt zu sein schienen. A m 27. Januar 1989 gab der Verkehrsgerichtstag in Goslar folgende - zum damaligen Zeitpunkt geradezu revolutionäre - Empfehlungen 6: „1. Gesetz und Verordnungsgeber werden aufgefordert, die längst fälligen Regelungen zum Lärmschutz an öffentlichen Straßen zu erlassen. Dabei sind insbesondere die Grenzwerte für die Lärmvorsorge und die Lärmsanierung festzulegen7. 2. Den erweiterten Mitwirkungsrechten der Betroffen bei Straßenplanungen müssen Mitwirkungslasten entsprechen8. 3. Im Zuge der Novellierung der Bestimmungen des Bundesfernstraßengesetzes über die Planfeststellung von Bundesfernstraßen durch das 3. Rechtsbereinigungsgesetz (BR-Drs. 510/88) sind mit Rücksicht auf die Besonderheiten der Straßenplanung folgende Regelungen vorzusehen bzw. beizubehalten: a) Die Auslegung der Pläne erfolgt in der Gemeinde, in deren Bereich die Bundesfernstraße liegt. Entsprechende Regelungen sind auch für die öffentliche 4 Presseinformation des Hessischen Ministeriums für Wirtschaft und Technik vom 01.10.1990. 5 Siehe grundlegend BVerwG, Urt. vom 14.02.1975, Az.: IV C 21.74, BVerwGE 48, S. 56. 6 NVwZ 1990 S. 547, siehe auch Fußnote 2. 7 Dieser Forderung wurde durch die 16. Verordnung zur Durchführung des BundesImmissionsschutzgesetzes vom 12.06.1990 (BGB1I S. 1036) für die Lärmvorsorge Rechnung getragen. 8 Gedacht war in diesem Zusammenhang an die in damaliger Zeit beliebte Taktik der Projektgegner, Einwendungen verspätet vor Abschluß des Anhörungsverfahrens oder erst im Klageverfahren vorzutragen. Dem sollte mit § 17 Abs. 4 Bundesfernstraßengesetz und § 43 Abs. 4 Sätze 3 und 4 VwVfG (eingefügt durch Gesetz zur Beschleunigung von Genehmigungsverfahren vom 12. September 1996 [BGBl I, S. 1354] im wesentlichen abgeholfen worden sein.

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Bekanntmachung des Erörterungstermins und des Planfeststellungsbeschlusses vorzusehen9. b) Einwendungen gegen den Plan sind nach Ablauf der Einwendungsfrist ausgeschlossen (materielle Präklusion)10. c) Durch geeignete Vorschriften ist sicherzustellen, daß die Träger öffentlicher Belange binnen angemessener Frist Stellung nehmen, und zugleich zu regeln, in welchem Umfang sie an ihre im Rahmen des Verfahrens abgegebenen Stellungnahmen gebunden sind11. 4. Im Gesetzentwurf der Bundesregierung für ein Gesetz zur Umsetzung der Richtlinie des Rates der Europäischen Gemeinschaften vom 27.06.1985 über die Umweltverträglichkeitsprüfung bei bestimmten öffentlichen und privaten Projekten (85/337/EWG) vom 12.08.1988 (BR-Drs. 335/88) sind folgende Regelungen zu treffen: a) Von einer Beteiligung der Öffentlichkeit im Verfahren der Linienbestimmung nach § 16 FStrG ist abzusehen, da die Öffentlichkeit im Raumordnungs- und Planfeststellungsverfahren umfassend mitwirkt. 12 b) Die Möglichkeiten des vereinfachten Verfahrens bei Planaufstellung und bei Planänderung nach § 18 VII, Vm FStrG sind beizubehalten13. c) Die Verfahrensvorschriften sind auf die im 3. Rechtsbereinigungsgesetz vorgesehenen Regelungen abzustimmen, damit die Umweltverträglichkeitsprüfung nicht zu einem eigenständigen Verfahren wird 14 . d) Der Gesetzgeber hat durch Übergangsvorschriften sicherzustellen, daß das Gesetz auf bereits abgeschlossene oder eingeleitete Verfahren keine Anwendung findet 15 9

Dieser Forderung ist nicht nachgekommen worden. Nach wie vor besteht die Unsicherheit, in welchen Gemeinden die Pläne auszulegen sind (siehe hierzu: Kern [Fn. 2], S. 933). Die Planfeststellungsrichtlinien beschränken sich unter Nr. 15 darauf, den Gesetzestext zu wiederholen. Die Praxis behilft sich damit, daß sie in der Regel die Pläne in den Gemeinden auslegt, auf deren Gebiet die Straße liegt. 10 Siehe Fußnote 8. 11 Inzwischen z. B. in § 17 Abs. 3 b und Abs. 4 Satz 2 2. Halbsatz FStrG, aber auch in § 73 Abs. 3 a VwVfG geregelt. 12 Siehe hierzu § 15 Abs. 1 Satz 2 des Gesetzes über die Umweltverträglichkeitsprüfung vom 12. Februar 1990 (BGBl I S. 205). 13 Das vereinfachte Verfahren nach § 73 Abs. 3 Satz 2 VwVfG ist nach dem Wortlaut des § 9 Abs. 1 Satz 2 UVPG nach wie vor möglich, da das Verfahren zur Anhörung der Öffentlichkeit „den Anforderungen des § 73 Abs. 3 bis 7 des VwVfG entsprechen" muß und somit auch die Möglichkeit des § 73 Abs. 3 Satz 2 VwVfG zuläßt. 14 Siehe hierzu § 2 Abs. 1 Satz 1 UVPG: „Die Umweltverträglichkeitsprüfung ist ein unselbständiger Teil verwaltungsbehördlicher Verfahren, die der Entscheidung über die Zulässigkeit von Vorhaben dienen." 15 Siehe § 22 UVPG. Diese Vorschrift ist allerdings auf Verfahren, die erst nach dem 3. Juli 1988, also nach Ablauf der Frist zur Umsetzung der Richtlinie des Rates

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5. Der Gesetzgeber wird aufgefordert zu prüfen, ob und auf welche Weise das Verwaltungsprozeßrecht mit dem Ziel der Beschleunigung des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens ergänzt werden kann. Das gerichtliche Verfahren sollte jedenfalls durch Klagebegründungsfristen und frühzeitige Terminierung beschleunigt werden16. 6. Die Verwaltungsgerichtsordnung ist dahingehend zu ergänzen, daß Anträge nach § 80 V VwGO auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung des Rechtsbehelfs innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe der Anordnung der sofortigen Vollziehung zu stellen sind.17" Diese Vorschläge stießen auf wenig Zustimmung; sie verschwanden in den Schubläden der Bürokratie. Allein der Vorschlag, im Bundesfernstraßengesetz die materielle Präklusion einzuführen, wurde durch das 3. Rechtsbereinigungsgesetz übernommen 18 .

I I . Das Verkehrswegeplanungsbeschleunigungsgesetz und das Planungsvereinfachungsgesetz Nach dem Fall der innerdeutschen Grenze und der damit verbundenen dramatischen Entwicklung des Verkehrs zwischen Ost und West mußten unverzüglich nicht nur die unterbrochenen Verkehrsverbindungen wiederhergestellt, sondern im gebotenen Umfang auch neue Verbindungen geschaffen werden. Da mit dem Beitritt der neuen Länder diesen das bundesrepublikanische Planungsrecht quasi „übergestülpt" wurde 19 , mußte man erkennen, daß angesichts des geltenden Rechts eine rasche Anpassung der Verkehrsinfrastruktur an die neuen Erfordernisse de lege lata nicht möglich war. Aus diesem Grunde beauftragte der damalige Staatssekretär im Hessischen Ministerium für Wirtschaft und Technik, Dieter Posch, die Mitarbeiter seines Hauses, über die Umweltverträglichkeitsprüfung bei bestimmten öffentlichen und privaten Projekten (85/337/EWG) vom 27.06.1985 (ABl EG Nr. L 175 vom 05.07.1985, S. 40) eingeleitet wurden, nicht anzuwenden, da sie mit Europäischem Recht nicht vereinbar ist (EuGH, Urt. vom 09.08.1994 - Rs. C-396/92 - DVB1 1994, S. 1126; Urt. vom 11.08.1995 - Rs. C-431/92 - DVB1 1996, S. 424; BVerwG; Urt. vom 12.12.1996, Az.: 4 C 29.94, DVB1 1997, S. 708). 16 Siehe z. B. § 17 Abs. 6 b FStrG. 17 Dies ist bisher noch nicht geschehen. Allerdings enthält das Fachplanungsrecht in § 17 Abs. 6 a FStrG, § 20 Abs. 5 AEG, § 19 Abs. 2 WaStrG, § 10 Abs. 6 LuftVG und § 29 Abs. 6 PBefG eine entsprechende Regelung. 18 3. Rechtsbereinigungsgesetz vom 28. Juni 1990 (BGBl I S. 1221). 19 Kapitel m, Art. 8 des Einigungsvertrages vom 21.08.1990 (BGBl II S. 885 ff, S. 892).

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neue Vorstellungen im Planungsrecht für den Ost-West-Verkehr zu entwikkeln. Gegen diese Absicht bestanden gerade in der Ministerialbürokratie erhebliche politische Vorbehalte, da eine Vereinfachung und Beschleunigung von Planungsverfahren nicht in den politischen Trend der letzten Jahrzehnte paßte. Dieser war eigentlich kontinuierlich auf eine Verkomplizierung der Planungsverfahren ausgerichtet; schließlich hatte man z. B. gerade im Februar 1990 (verspätet) das Gesetz über die Umweltverträglichkeitsprüfüng in Kraft treten lassen. Da man jedoch fachlich von der Sache überzeugt war, wurden kurzfristig Vorschläge entwickelt, die in einer Pressekonferenz am 01.10.1990 vorgestellt wurden 20 . In diesem Zusammenhang sei erwähnt, daß auch das Forschungsseminar des Forschungsinstitutes für öffentliche Verwaltung und des Arbeitsausschusses „Straßenrecht" der Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen sich am 29./30.10.1990 des Themas „Beschleunigung von Planungsverfahren" annahm 21 . Allerdings wurde der Spielraum für gesetzliche Regelungen, Planungsverfahren weiter zu beschleunigen, noch als „begrenzt" angesehen 22 . Die Verkehrsministerkonferenz befaßte sich am 05./06.11.1990 in Speyer sehr ausführlich mit den hessischen Vorschlägen zur Verfahrensbeschleunigung. Auf Anregung Bayerns wurde beschlossen, eine Arbeitsgruppe unter dem Vorsitz Hessens einzurichten, die „das bestehende Planungsrecht im Verkehrsbereich einschließlich der entsprechenden Vorschriften des Einigungsvertrages auf Möglichkeiten einer wesentlichen Beschleunigung des Planungsvorgangs bei Wahrung der Bürgerbeteiligung und unter Berücksichtigung des Umweltschutzes hin" überprüfen sollte 23 . Diese Arbeitsgruppe nahm ihre Arbeit jedoch nie auf. Dies lag zum einen daran, daß zur gleichen Zeit eine Arbeitsgruppe beim Bundesverkehrsministerium in Bonn, in der die Vertreter der Länder mitwirkten, gebildet wurde, die sich ebenfalls mit der Frage der Verfahrensbeschleunigung beschäftigen sollte. Zum anderen fanden am 20.01.1991 in Hessen Landtagswahlen statt. Die CDU/F.D.P.-Regierungskoalition wurde von Rot-Grün abgelöst. Die Verkehrsminister hatten offensichtlich kein sehr großes Vertrauen in die Beschleunigungskompetenz der neuen Hessischen Landesregierung. Sie faßten deshalb in ihrer Sitzung am 27./28.02.1991 in Duisburg folgenden Beschluß: 20 Presseinformation des Hessischen Ministeriums für Wirtschaft und Technik vom 01.10.1990 (Fn. 4). 21 Siehe Heft 95 der Speyerer Forschungsberichte. 22 Broß (Fn. 1), S. 98. 23 Vermerk vom 16.11.1990 über die Verkehrsministerkonferenz am 576. November 1990 in Speyer, S. 39.

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„Die Verkehrsminister und -Senatoren der Länder bekräftigen, daß die Planungsund Verfahrensabläufe für den Verkehrswegebau deutlich beschleunigt werden müssen. Sie begrüßen daher die Absicht des Bundes, mit Hilfe eines Investitionsmaßnahmengesetzes Verkehrsvorhaben in den sechs neuen Ländern und zur Verbesserung der Verkehrsverbindungen zwischen Ost und West zu beschleunigen. Sie unterstützen ferner die zusätzlichen Überlegungen, durch ein ,3eschleunigungsgesetz" die planungsrechtlichen Abläufe zu vereinfachen und zu straffen und damit eine erhebliche Verkürzung der Planungszeiträume zu erreichen. Die Verkehrsminister und -Senatoren beauftragen eine Arbeitsgruppe unter der Federführung Bayerns mit der Erarbeitung geeigneter Vorschläge für ein Beschleunigungsgesetz mit dem Ziel, unter Berücksichtigung der dringenden Aufgaben in den sechs neuen Ländern diese Regelung möglichst gleichzeitig in Kraft zu setzen. Die Länder sind bereit, sich außerdem intensiv an den vorbereitenden Arbeiten der Bundesregierung für die notwendigen Rechtsänderungen zu beteiligen24". Inzwischen war im Dezember 1990 noch auf Vorschlag Hessens Prof. Dr. Ronellenfitsch von der Deutschen Straßenliga, dem Hauptverband der Deutschen Bauindustrie, dem Verband der Automobilindustrie und dem Verkehrsforum Bahn mit der Erstellung eines Rechtsgutachtens zum Thema „Beschleunigung von Verkehrsprojekten" beauftragt worden. Dies war zugleich die letzte Aktivität des Landes Hessen zugunsten einer Verfahrensbeschleunigung für Verkehrsprojekte. Die neue Mehrheit im Hessischen Landtag und mit ihr die Hessische Landesregierung sprachen sich in der Folgezeit gegen die Beschleunigungsgesetze aus, weil sie durch sie die Erhaltung der natürlichen Lebensgrundlagen, die Mitwirkungs- und Beteiligungsrechte der Bürgerinnen und Bürger sowie die Planungs- und Mitwirkungsrechte des Landes und der Kommunen gefährdet sahen25. Anfang 1991 nahmen die beiden Arbeitsgruppen, nämlich die beim Bundesverkehrsministerium und die der Länder, ihre Arbeit auf. Während sich die Arbeitsgruppe unter Leitung des Bundesverkehrsministeriums mit einer zeitlich befristeten Lösung für die neuen Bundesländer befaßte, entwickelte der Länderarbeitskreis Vorschläge für eine Beschleunigung der Verkehrswegeplanung für die gesamte Bundesrepublik. Letzterer sprach sich jedoch dafür aus, „daß die gesetzestechnische Verknüpfung der Beschleunigungsmaßnahmen für die neuen und alten Länder nicht zu einer Verzögerung der dringend ge24 Siehe Seite 2 des Berichts der Arbeitsgruppe Beschleunigung von Verkehrswegeplanungen", Stand: 04.04.1991. 25 LT-Drucksache 13/203 vom 11. Juni 1991, siehe auch u. a. Protokoll über die Sitzung des Ausschusses für Verkehr und Post vom 02.12.1992, S. 15 f., Antrag des Landes Hessen vom 16.12.1992 (BR-Drucks. 756/3/92) und Protokoll über die 650. Sitzung des Bundesrates am 18.12.1992, S. 634 f.

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botenen Beschleunigungsmaßnahmen für Verkehrswege in und nach den neuen Ländern (einschließlich Berlin) führen" dürfe. Die Vertreter der neuen Länder baten, „diesen Gesichtspunkt bei der Entscheidung der Verkehrsministerkonferenz vorrangig zu berücksichtigen und ggf. die Beschleunigungsmaßnahmen für die neuen und alten Länder gesetzestechnisch zu trennen 26 ". In ihrer Sitzung am 6. Mai 1991 in Bonn beschloß die Verkehrsministerkonferenz, „daß alsbald Maßnahmen zur Beschleunigung von Verkehrswegeplanungen auch in den alten Ländern verwirklicht werden" müßten 27 . Sie sprach sich dafür aus, - die Plangenehmigung auch auf Vorhaben mit unwesentlicher Rechtsbeeinträchtigung zu erweitern 28 , - gesetzliche Fristen für die Durchführung des Planfeststellungsverfahrens zu setzen29, - das Besitzeinweisungsverfahren zu straffen 30, - den vorzeitigen Grunderwerb zu erleichtern, - die Gründe für die Aufhebung von Planfeststellungsbeschlüssen zu kodifizieren 31 , 26 Bericht der Arbeitsgruppe Beschleunigung von Verkehrswegeplanungen" für die Sitzung der Verkehrsministerkonferenz am 6. Mai 1991 (Fn. 24), S. 5. 27 Ergebnisse der Verkehrsministerkonferenz am 6. Mai 1991 in Bonn vom 07.05.1991, S. 5. 28 Siehe Art. 2 Nr. 5 b und Art. 5 Nr. 1 b des Planungsvereinfachungsgesetzes (PIVereinfG) vom 17.12.1993, (BGBl I S. 2123) nur für das Bundesfernstraßengesetz (§17 Abs. 1 a) und das Personenbeförderungsgesetz (§28 Abs. 1 a). Das Bundesbahngesetz (§ 36 b Abs. 2, heute § 18 Abs. 2 AEG), das Bundeswasserstraßengesetz (§14 Abs. 1 a) und das Luftverkehrsgesetz (§ 8 Abs. 2) übernahmen hingegen die Plangenehmigung entsprechend § 4 Verkehrswegeplanungsbeschleunigungsgesetz, die sich auf die Fälle ohne Rechtsbeeinträchtigung beschränkt. Siehe auch BVerwG, Urt. vom 22.03.1995, Az.: 11 A 1.95, BVerwGE 98, S. 100 ff. zu § 14 Abs. 1 a WaStrG. 29 Siehe § 3 Abs. 1 bis 3 des Gesetzes zur Beschleunigung der Planungen für Verkehrswege in den neuen Ländern sowie im Land Berlin vom 16. Dezember 1991, -Verkehrswegeplanungsbeschleunigungsgesetz - (BGBl I S. 2174), Art. 1 Nr. 2 § 36 d Abs. 1 (jetzt § 20 Abs. 1 AEG), Art. 2 Nr. 5 lit.d, Art. 3 Nr. 5 § 17 Nr. 1 bis 3, Art. 4 Nr. 3 lit.b § 10 Abs. 2 Nr. 1 bis 4 und Art. 5 Nr. 3 lit.b § 28 Abs. 1 a Nr. 1 bis 4 PIVereinfG. 30 Siehe Art. 1 Nr. 2 § 36 e, Art. 2 Nr. 6, Art. 3 Nr. 7, Art. 4 Nr. 4 und Art. 5 Nr. 4 PIVereinfG; § 7 des Gesetzes zur Beschleunigung der Planungen für Verkehrswege in den neuen Ländern sowie im Land Berlin vom 16. Dezember 1991 (BGBl IS. 2174). 31 Siehe Art. 1 Nr. 2 § 36 d Abs. 6 (jetzt § 20 Abs. 7 AEG), Art. 2 Nr. 5 lit.g Abs. 6 c, Art. 3 Nr. 6 lit.b Abs. 4, Art. 4 Nr. 3 lit.d Abs. 8 und Art. 5 Nr. 3 lit.b Abs. 8 PIVereinfG.

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- die aufschiebende Wirkung der Anfechtungsklage Kraft Gesetzes wegfallen zu lassen32, - eine Ausschlußfrist für Anträge auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung zu setzen33 und - Klagebegründungsfristen gesetzlich zu regeln 34 . Beide Gesetzesvorhaben wurden, um die Beschleunigungsvorschriften für die neuen Länder möglichst rasch wirksam werden zu lassen, getrennt voneinander weiterbetrieben. So konnte das Verkehrswegeplanungsbeschleunigungsgesetz zwei Jahre vor dem Planungsvereinfachungsgesetz in Kraft treten und wertvolle Hilfe beim Aufbau der Verkehrsinfrastruktur in den neuen Ländern leisten. Die Vorschläge der Länderarbeitsgruppe mündeten in den Gesetzesantrag der Länder Baden-Württemberg und Bayern für ein Gesetz zur Beschleunigung der Planungen von Verkehrswegen des Bundes 35 . Dieses Gesetzesvorhaben wurde jedoch aufgegeben, nachdem das Bundeskabinett am 15.07.1992 einen Maßnahmenkatalog zur allgemeinen, das gesamte Bundesgebiet umfassenden Planungsbeschleunigung für Verkehrswege beschlossen hatte und die Arbeiten an dem Planungsvereinfachungsgesetz begannen.

I I I . Inhalt der Beschleunigungsgesetze für den Verkehrsbereich Im wesentlichen greifen sowohl das Verkehrswegeplanungsbeschleunigungsgesetz als auch das Planungsvereinfachungsgesetz auf bereits bekannte und diskutierte Vorschläge zurück. So gehen die Fristen für das Verwaltungsverfahren auf Anregungen von Bullinger 36 zurück, wenngleich dieser hiervon

32 Siehe § 5 Abs. 2 Verkehrswegeplanungsbeschleunigungsgesetz, Art. 1 Nr. 2 § 36 d Abs. 4 Satz 1, Art. 2 Nr. 5 lit.g Abs. 6 a Satz 1 und Art. 5 Nr. 3 lit.b Abs. 6 Satz 2 PIVereinfG. 33 Siehe § 5 Abs. 2 Satz 2 Verkehrswegeplanungsbeschleunigungsgesetz; Art. 1 Nr. 2 § 36 d Abs. 4 Satz 2 und 3, Art. 2 Nr. 5 lit.g Abs. 6 a Satz 2 und 3, Art. 3 Nr. 6 lit.b Abs. 2 Satz 1, Art. 4 Nr. 5 lit.d Abs. 6 Satz 1 und Art. 5 Nr. 3 lit.b Abs. 6 Satz 3 PIVereinfG. 34 Siehe § 5 Abs. 3 Verkehrswegeplanungsbeschleunigungsgesetz; Art. 1 Nr. 2 § 36 d Abs. 5, Art. 2 Nr. 5 lit.g Abs. 6 b, Art. 3 Nr. 6 lit.b Abs. 3, Art. 4 Nr. 3 lit.d Abs. 7 und Art. 5 Nr. 3 lit.b Abs. 7 PIVereinfG. 35 BR-Drucks. 294/91 vom 14.05.1991. 36 Bullinger, Rechtliche Möglichkeiten einer Beschleunigung von Verwaltungsverfahren, Untersuchung im Rahmen des Vorhabens „Verwaltung 2000".

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eine Beschleunigung „nach amerikanischen Erfahrungen nur begrenzt 37 " erwartete. Es war nur konsequent, darüber hinaus auch den Wunsch der Verkehrsministerkonferenz aufgreifend für das Besitzeinweisungsverfahren Fristen einzuführen. Die Einführung von Klagebegründungsfristen und Fristen für Anträge nach § 80 Abs. 5 VwGO wiederum entsprachen den Empfehlungen des 27. Deutschen Verkehrsgerichtstags 38. Eine Besonderheit des Verkehrswegeplanungsbeschleunigungsgesetzes besteht in der erstinstanzlichen Zuständigkeit des Bundesverwaltungsgerichts (§ 5). Sie berücksichtigt, daß die Gerichte in den neuen Ländern seinerzeit noch nicht die Gewähr dafür boten, Eil- und Hauptsacheverfahren in einer der Eilbedürftigkeit Rechnung tragenden Weise durchzuführen. Darüber hinaus wurde befürchtet, daß es mangels einer gefestigten Spruchpraxis zu divergierenden Entscheidungen kommen könnte. Aus heutiger Sicht ist festzustellen, daß diese Vorschrift einen erheblichen Beschleunigungsefifekt für die Verkehrsplanungen in den neuen Ländern mit sich brachte 39 . Eine weitere Besonderheit des Verkehrswegeplanungsbeschleunigungsgesetzes ergibt sich aus § 8 dieses Gesetzes, nämlich die Bestimmung des Vertreters des Eigentümers. Bei den vielfach ungeklärten Eigentumsverhältnissen wäre es in den meisten Fällen nicht möglich gewesen, auf die Plangenehmigung oder das Unterbleiben der Planfeststellung zurückzugreifen. Es hätte stets das zeitaufwendigere Planfeststellungsverfahren durchgeführt werden müssen, d. h. ein wesentlicher Beschleunigungseffekt wäre verloren gegangen. Das gleiche gilt auch für das Besitzeinweisungsverfahren und für die Durchführungen von Vorarbeiten. Dem wurde mit der Möglichkeit, auf Antrag einen Vertreter des Eigentümers zu bestellen, entgegengewirkt. Es wurden jedoch auch neue Ideen entwickelt, auf die es sich lohnt, besonders einzugehen.

37

Bullinger (Fn. 36), S. 103. Siehe Fußnote 2. 39 Siehe Paetow, Rechtsprechung zum Verkehrswegeplanungsbeschleunigungsgesetz, in: Blümel (Hrsg.), Verkehrswegerecht im Wandel, Bd. 115 der Schriftenreihe der Hochschule Speyer, S. 213 ff. 38

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1. Die Plangenehmigung Die wohl umstrittenste Neuerung in den Beschleunigungsgesetzen ist das Institut der Plangenehmigung. Streitpunkt war in erster Linie ihr Anwendungsbereich. Während sie i m Bundesfernstraßengesetz und Personenbeförderungsgesetz auch als Grundlage einer Enteignung dienen kann, wenn Rechte anderer „nicht wesentlich" beeinträchtigt werden, ist dies nach dem Eisenbahnrecht, dem Wasserstraßengesetz und dem Luftverkehrsgesetz nicht möglich; dies gilt im übrigen auch für das Verwaltungsverfahrensgesetz, das in § 74 Abs. 6 4 0 die Plangenehmigung ebenfalls nur in den Fällen vorsieht, in denen Rechte anderer nicht beeinträchtigt werden. Ausgangspunkt für die Überlegung, das Institut der Plangenehmigung im Verkehrswegeplanungsrecht zu schaffen, war die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts 41, nach der die Entscheidung über das Unterbleiben der Planfeststellung ein Verwaltungsakt ist. Mit dieser Auffassung konnte sich die Verwaltung nie so richtig anfreunden 42. Sie vertritt überwiegend die Meinung, diese sog. „Entscheidung" sei kein Verwaltungsakt, weil sie keine Regelung beinhalte. Es müsse bereits alles geregelt sein, was es zu regeln gilt, wenn die Planfeststellung unterbleiben kann. Darüber hinaus fehle es zumindest dann an einer Außenwirkung, wenn die Entscheidung sich lediglich an die nachgeordnete Straßenbauverwaltung richtet43. Es bleibe dann bei einem behördeninternen Vorgang, der allein sicherstellen solle, daß die Maßnahme finanziert werden kann und keine finanziellen Risiken etwa dadurch bestehen, daß sich während der Baudurchführung doch ein in seinen Rechten Betroffener meldet, der der Maßnahme nicht zugestimmt hat und der den Bau einstellen lassen könnte. Der Nachteil des Weges über das Unterbleiben der Planfeststellung ist allerdings, daß alle ansonsten noch erforderlichen öffentlich-rechtlichen Entscheidungen, die von der materiellen Konzentrationswirkung der Planfeststellung erfaßt wären, vorbehaltlich besonderer gesetzlicher Zuständigkeitsregelungen von dem Träger der Straßenbaulast bei den zuständigen Behörden eingeholt werden müssen, z. B. wasserrechtliche Entscheidungen, Waldumwandlungsgenehmigungen, Eingriffsgenehmigungen nach dem Naturschutz40 Diese Regelung wurde eingefügt durch Art. 1 Nr. 8 lit.c des Gesetzes zur Beschleunigung von Genehmigungsverfahren vom 12.09.1996, (BGBl I S. 1354). 41 Urt. vom 08.10.1976, Az.: VIIC 24.73, VkBl 77, S. 395; Urt. vom 15.01.1982, Az : 4 C 26.78, BVerwGE 64, S. 325). 42 Siehe Nr. 5 a der Planfeststellungsrichtlinien (VkBl 94, S. 749). 43 So auch BVerwG, Urt. vom 08.10.1976 (Fn. 41).

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recht usw.; daß es sich bei diesen Entscheidungen um Verwaltungsakte handelt, dürfte unstreitig sein. Was lag also im Zusammenhang mit einer Verfahrensbeschleunigung näher, als die Entscheidung über das Unterbleiben der Planfeststellung mit Konzentrationswirkung auszustatten, sie also um einen Regelungsgehalt anzureichern. Dies hat den Beschleunigungseffekt, daß der Vorhabensträger nicht bei den unterschiedlichen Behörden Einzelanträge stellen und auf ihre Entscheidung warten muß. Diese Entscheidung mit Konzentrationswirkung erhielt den Namen „Plangenehmigung". In ihrem ursprünglich beabsichtigten Sinne steht sie der Entscheidung über das Unterbleiben der Planfeststellung näher als dem Planfeststellungsbeschluß. Rechte Dritter und damit der subjektive Rechtsschutz Betroffener werden nicht beeinträchtigt 44 . Soweit Rechte für die Durchführung des Vorhabens in Anspruch genommen werden müssen, bedarf es gesonderter Regelungen mit dem jeweiligen Rechtsinhaber außerhalb der Plangenehmigung, die dem Vorhabenträger die Rechtsinanspruchnahme erlauben. Im Rahmen der Diskussion der Länderarbeitsgruppe wurde ein Gedanke aufgegriffen, der bereits im Gesetzgebungsverfahren zum 2. Gesetz zur Änderung des Bundesfernstraßengesetzes im Jahre 1973 erörtert wurde. Damals schlug der Bundesrat vor, § 17 Abs. 2 wie folgt zu fassen 45: ,3ei Änderungen oder Erweiterungen von unwesentlicher Bedeutung kann eine Planfeststellung unterbleiben. Fälle von unwesentlicher Bedeutung liegen vor, wenn a) öffentliche Belange nicht beeinträchtigt werden oder die beteiligten Behörden dem Bauvorhaben zugestimmt haben; b) private Belange nur geringfügig berührt werden oder wenn sich ein Beteiligter mit der Übertragung oder Beschränkung des Eigentums oder eines anderen Rechtes schriftlich einverstanden erklärt hat (§ 19 Abs. 2 a)." Dieser Vorschlag konnte sich jedoch zum damaligen Zeitpunkt nicht durchsetzen, da er „auf rechtsstaatliche Bedenken" 46 stieß. Die Bedenken aus dem Jahre 1973 bestanden 20 Jahre später nicht mehr. Man erhoffte sich eine Ver-

44 Ronellenfitsch, Beschleunigung von Verkehrsprojekten, Gutachten, Mai 1991 S. 176. 45 Stellungnahme des Bundesrates zum Entwurf eines 2. Gesetzes zur Änderung des Bundesfernstraßengesetzes (2. FStrÄndG), BR-Drucks. 261/73 (Beschl.) vom 04.05.1973, S. 13. 46 Marschall/Schroeter/Kastner, Bundesfernstraßengesetz, 4. Aufl., § 17 Rdnr. 8, S. 488.

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fahrensbeschleunigung auch für die Vorhaben, mit denen nur unwesentlich in Rechte eingegriffen werden muß 47 . a) Die Plangenehmigung und das vereinfachte Verfahren nach § 73 Abs. 3 Satz 2 VwVfG Es stellt sich jedoch die Frage, ob es der Plangenehmigung als Rechtsgrundlage für die Enteignung nicht wesentlich beeinträchtigter Rechte angesichts des vereinfachten Verfahrens nach § 73 Abs. 3 Satz 2 VwVfG überhaupt bedarf, zumal sie sich ohnehin in dieser Form weg vom Unterbleiben der Planfeststellung und hin zur Planfeststellung bewegt. Nach § 73 Abs. 3 Satz 2 VwVfG kann auf die Auslegung des Plans und die ortsübliche Bekanntmachung nach § 73 Abs. 5 VwVfG verzichtet werden, wenn der Kreis der Betroffenen bekannt ist und ihm innerhalb angemessener Frist Gelegenheit gegeben wird, den Plan einzusehen, damit die Betroffenen ggf. Einwendungen erheben können. Auch vor der Erteilung einer Plangenehmigung, mit der nicht wesentlich in Rechte eingegriffen werden soll, sind die Rechtsinhaber zu ermitteln und zu hören, auch wenn dies nicht ausdrücklich in den Fachplanungsgesetzen geregelt ist. Es handelt sich hierbei um den Grundsatz des rechtlichen Gehörs, der nicht nur im gerichtlichen (Artikel 103 GG), sondern auch im Verwaltungsverfahren (§ 28 VwVfG) gilt 4 8 . Deshalb sehen die Planfeststellungsrichtlinien 1994 49 in Nr. 5 Abs. 5 bei der Plangenehmigung die Anhörung nach § 28 VwVfG durch die Planfeststellungsbehörde vor. Der Kreis der zu beteiligenden Personen dürfte in beiden Fällen identisch sein. Nach § 28 VwVfG sind es diejenigen, in deren Rechte der Verwaltungsakt eingreifen soll, während § 73 Abs. 3 Satz 2 VwVfG von Betroffenen spricht. Betroffene in diesem Sinne sind nach Fickert 50 diejenigen, deren Rechte oder rechtlich geschützten Interessen von dem Plan (materiell) betroffen werden. Dazu gehören zum einen die grundstücksmäßig Betroffenen, aber auch die, die als Nachbarn durch schädliche Umweltauswirkungen infolge von Verkehrsgeräuschen bei Überschreiten der Immissionsgrenzwerte der 47

Steiner, Beschleunigung der Planungen für Verkehrswege im gesamten Bundesgebiet, in Blümel/Pitschas (Hrsg.), Reform des Verwaltungsverfahrensrechts, Schriftenreihe der Hochschule Speyer, Bd. 114, S. 151 ff., S. 164. 48 Stelkens/Bonk/Leonhardt, VwVfG, 4. Aufl., § 28 Rdnr. 2; Kopp, VwVfG, 6. Aufl. § 28 Rdnr. 1. 49 Siehe Fußnote 42. 50 Fickert, Planfeststellung für den Straßenbau, Erl. Nr. 15 Rdnr. 25.

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16. BImSchV 51 einen Anspruch auf aktiven oder passiven Lärmschutz haben. Dafür, auch diejenigen als Betroffene anzusehen, die Lärmauswirkungen (knapp) unterhalb der Grenzwerte der 16. BImSchV ausgesetzt sind, besteht aus meiner Sicht kein Anlaß. Es bleibt somit festzuhalten, daß sowohl im Verfahren nach § 73 Abs. 3 Satz 2 VwVfG als auch bei der Erteilung einer Plangenehmigung mit Rechtsbeeinträchtigung eine Anhörung stattfinden muß, die sich zwar nicht bezüglich des Kreises der zu beteiligenden Personen, aber hinsichtlich der Zuständigkeit unterscheidet. Für das Verfahren nach § 73 Abs. 3 Satz 2 VwVfG ist die Anhörungsbehörde, für die Anhörung vor Erlaß einer Plangenehmigung die Planfeststellungsbehörde zuständig, die sich allerdings nachgeordneter Behörden bedienen kann. Ein weiterer - vermeintlicher - Unterschied besteht darin, daß im vereinfachten Verfahren nach § 73 Abs. 3 Satz 2 VwVfG zwingend eine Erörterung der Einwendungen mit den Einwendern durch die Anhörungsbehörde vorgeschrieben ist (§ 73 Abs. 6 VwVfG). Dies gilt nicht für die Plangenehmigung. Aber auch dort ist wegen der Befriedungsfunktion 52 der Erörterung eine solche sinnvollerweise durch die Planfeststellungsbehörde oder die von ihr bestimmten Stelle durchzuführen. Dies gilt um so mehr, als die planaufstellende Behörde stets versuchen wird, sich mit den in ihren Rechten Betroffenen zu einigen und mit einer Plangenehmigung im ursprünglichen Sinne auszukommen 53 . Die Unterschiede zwischen beiden Verfahren sind nur vordergründig. Deshalb erscheint es mehr als zweifelhaft, ob die Plangenehmigung mit Enteignungsmöglichkeit angesichts des praktikablen vereinfachten Verfahrens nach § 73 Abs. 3 Satz 2 VwVfG überhaupt zu einer Verfahrensbeschleunigung führt. Die diesbezüglich im Gesetzgebungsverfahren, insbesondere von Hessen und Niedersachsen geäußerten Bedenken konnten sich jedoch nicht durchset-

51

BGBl 1 1990, S. 1036. Stelkens/Bonk/Leonhardt (Fn. 48), § 73 Rdnr. 53; Marschall/Schroeter/Kastner (Fn. 46), FStrG, 5. Aufl., § 17 Rdnr. 98 - Die Befriedungsfunktion der Erörterungstermine wird allerdings dort als „gering" bezeichnet. Dies kann man jedoch, wie die Erfahrungen in der Praxis zeigen, nicht verallgemeinern, sondern in der Regel nur bei politisch umstrittenen Maßnahmen feststellen, bei denen die Anhörungstermine als Plattform für eine politische Selbstdarstellung mißbraucht werden. Im Normalfall ist hingegen festzustellen, daß oft mangelhafte Erörterungen im Verwaltungsverfahren durch nachträgliche Verhandlungen zwischen den Parteien im gerichtlichen Verfahren zu einer Einigung führen können. -; Fickert (Fn. 50), Erl. Nr. 20 Rdnr. 3; Kodal/Krämer, Straßenrecht, S. 1093 Rdnr. 8.5. 53 Marschall/Schroeter/Kastner (Fn. 46), § 17 Rdnr. 196. 52

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zen, zumindest soweit es das Bundesfernstraßengesetz und das Personenbeförderungsgesetz betrifft, wohl aber im Eisenbalmrecht, im Luftverkehrsgesetz und im Bundeswasserstraßengesetz. b) Die nicht wesentliche Beeinträchtigung Darüber hinaus bereitet der Begriff „nicht wesentlich" in der Praxis Probleme. Die Planfeststellungsrichtlinie 1994 versuchen auch hier Hilfestellung für die Verwaltung zu leisten. Nach Nr. 5 Abs. 2 liegt eine nicht wesentliche Beeinträchtigung „z. B. vor bei a) verhältnismäßig geringerer Grundstücksinanspruchnahme ohne Beeinträchtigung der zulässigen Nutzung im übrigen, b) Verlegung einer Zufahrt ohne Beeinträchtigung der zulässigen Grundstücksnutzung." Diese beiden Beispiele zeigen, daß man sich sehr vorsichtig an die Grenzen des Anwendungsbereichs einer Plangenehmigung heranzutasten versucht 54 . M i t der Problematik des Verkehrslärms hat man sich in diesem Zusammenhang noch nicht befaßt. Nach dem Gesetzeswortlaut des § 17 Abs. 1 a Nr. 1 FStrG und des § 28 Abs. 1 a Nr. 1 PBefG kann eine Plangenehmigung auch dann erteilt werden, wenn durch das Vorhaben die Grenzwerte der 16. BImSchV geringfügig überschritten werden und ausreichender aktiver Lärmschutz an der Straße (§41 Abs. 1 BImSchG) nicht möglich ist oder seine Kosten außer Verhältnis zum dem angestrebten Schutzzweck stehen würden (§ 41 Abs. 2 BImSchG). Gegenüber jedem einzelnen Rechtsinhaber, der sich mit der Inanspruchnahme seines Rechts durch das Vorhaben nicht einverstanden erklärt hat, muß festgestellt werden, daß sein Recht nicht wesentlich beeinträchtigt wird. Soweit Rechte Dritter, deren Einverständnis vorliegt, in Anspruch genommen werden müssen, kann es sich hierbei durchaus um tatsächlich wesentliche Rechtsbeeinträchtigungen handeln; insoweit kommt § 17 Abs. 1 Nr. 1 erste Alternative zum tragen. Letztlich wird die Rechtsprechung den unbestimmten Rechtsbegriff „nicht wesentlich" in § 17 Abs. 1 a FStrG und § 28 Abs. 1 a PBefG auslegen und möglicherweise der Verwaltung die Grenzen der Plangenehmigung aufzeigen müssen. So hat der VGH Baden-Württemberg beispielsweise zu der (insoweit)

54 Siehe auch Marschall/Schroeter/Kastner sind fließend".

(Fn. 46), § 17 Rdnr. 196: „Die Grenzen

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wortgleichen Regelung in § 37 Abs. 2 des Straßengesetzes für BadenWürttemberg 55 die Inanspruchnahme eines ca. 1 m breiten Streifens auf einer Länge von ca. 29 m bei einem Grundstück in einer Größe von 437 qm (Inanspruchnahme von ca. 6,6 % der Grundfläche) für nicht wesentlich erachtet 56 und die Klage gegen die Plangenehmigung abgewiesen. Weitere Entscheidungen hierzu bleiben abzuwarten. c) Die Rechtswirkungen

der Plangenehmigung

Das Fachplanungsrecht für Verkehrswege enthält stets die Regelung, nach der die Plangenehmigung die Rechtswirkungen der Planfeststellung hat 57 . Betrachtet man die Wirkungen der Planfeststellung genauer, so muß man zu dem Ergebnis kommen, daß dies nicht in allen Fällen zutrifft. Zunächst einmal hat die Planfeststellung gemäß § 75 Abs. 1 Satz 1 Konzentrationswirkung. Dies ist in erster Linie das Ziel der Plangenehmigung58, und zwar auch in den Fällen, in denen andere Planfeststellungen ersetzt werden sollen 59 . Es wurde als Beschleunigungseffekt erachtet, daß der Projektträger es gegenüber den Fällen des Unterbleibens der Planfeststellung nur noch mit einer Zulassungsbehörde zu tun hat und nicht bei den jeweiligen Fachbehörden die notwendigen Einzelentscheidungen einholen muß. Darüber hinaus hat die Planfeststellung auch die Wirkung, daß durch sie alle öffentlich-rechtlichen Beziehungen zwischen dem Vorhabenträger und den durch den Plan Betroffenen rechtsgestaltend geregelt werden (Gestaltungswirkung nach § 75 Abs. 1 Satz 2 VwVfG). Eine solche Wirkung erscheint jedoch fraglich, wenn Rechte nicht beeinträchtigt werden oder mit den Rechtsinhabern Vereinbarungen über die Inanspruchnahme ihrer Rechte getroffen worden sind. Entweder gibt es keine Beziehungen zwischen dem Vorhabenträger und Dritten, die rechtsgestaltend geregelt werden müßten, oder aber sie sind durch die zwischen ihnen getroffenen Vereinbarungen geregelt. Die Plangenehmigung kann jedoch nicht losgelöst von den notwendigen Vereinbarungen gesehen werden; diese sind vielmehr unabdingbare Voraus55

GBl 1992, S. 329. VGH Baden-Württemberg, Urt. vom 15.07.1994, Az.: 8 S 1196/94. 57 § 36 b Abs. 2 Satz 2 BBahnG, jetzt § 18 Abs. 2 Satz 2 AEG, § 17 Abs. 1 a Satz 2 FStrG, § 14 Abs. 1 a Satz 2 WStrG, § 8 Abs. 2 Satz 2 LuftVG, § 28 Abs. 1 a Satz 2 PBefG. 58 Ronellenfitsch (Fn. 44); BVerwG, Urt. vom 22.05.1995 Az.: I I A 1.95, BVerwGE 98, S. 100 ff., S. 103. 59 Marschall/Schroeter/Kastner (Fn. 46), § 17Rdnr. 199. 56

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Setzungen, quasi die Geschäftsgrundlage für ihre Erteilung. Die Vereinbarungen sind so eng mit der Plangenehmigung verbunden, daß sie von ihr aufgenommen und zu ihrem Inhalt werden. Deswegen ist es aus meiner Sicht nicht zu beanstanden, von der Gestaltungswirkung der Plangenehmigung zu sprechen. Des weiteren kommt dem Planfeststellungsbeschluß Ausschlußwirkung zu (§ 75 Abs. 2 Satz 1 VwVfG), d. h. Ansprüche auf Unterlassen, Änderung oder Beseitigung des Vorhabens oder Unterlassung seiner Benutzung sind ausgeschlossen. Diese auf Sicherung des Vorhabens und seiner Nutzung bedachte Rechtswirkung muß auch der Plangenehmigung zukommen, damit sie ein brauchbares Planungsinstrumentarium bleibt. Eine weitere Wirkung der Planfeststellung besteht darin, daß der Planfeststellungsbeschluß außer Kraft tritt, wenn mit der Durchführung des Vorhabens nicht innerhalb von fünf Jahren nach Eintritt seiner Unanfechtbarkeit begonnen wird. Es ist nur konsequent, diese Regelung auch für die Plangenehmigung zu übernehmen. Rechtliche Bedenken bestehen hiergegen nicht. Schließlich kommt der Planfeststellung auch die enteignungsrechtliche Vorwirkung zu, die zum Teil in den Fachgesetzen60, teilweise aber auch in den Enteignungsgesetzen der Länder geregelt ist 61 . Diese Wirkung entfaltet nur die Plangenehmigung nach dem Bundesfernstraßengesetz und dem Personenbeförderungsgesetz. Der Plangenehmigung nach dem Eisenbahnrecht, dem Bundeswasserstraßengesetz und dem Luftverkehrsgesetz kommt diese Wirkung nicht zu, da sie nur zulässig ist, wenn Rechte nicht beeinträchtigt werden 62 . Insoweit ist die Aussage in diesen Gesetzen fehlerhaft, die Plangenehmigung habe die, d. h. alle, Rechtswirkungen der Planfeststellung. Folgerichtig heißt es deshalb in § 74 Abs. 6 Satz 2 VwVfG 6 3 : „Die Plangenehmigung hat die Rechtswirkungen der Planfeststellung mit Ausnahme der enteignungsrechtlichen Vorwirkung".

60

§ 19 FStrG, § 22 AEG, § 28 Abs. 2 LuftVG, § 30 PBefG. Kühling, Fachplanungsrecht, Rdnr. 342, 393. 62 Jarass, Aktuelle Probleme des Planfeststellungsrechts, DVB1 1997, S. 795 f. 63 Eingefügt durch Art. 1 Nr. 8 lit.c des Gesetzes zur Beschleunigung von Genehmigungsverfahren vom 12.09.1996 (BGBl I S. 1354). 61

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2. Die Beschränkung der Aufhebungsgriinde bei Klagen gegen Planfeststellungsbeschlüsse und Plangenehmigungen Die wohl wesentlichste Neuerung im Planungsvereinfachungsgesetz im Hinblick auf eine Beschleunigung bei der Umsetzung von Vorhaben ist die Kodifikation der Aufhebungsgründe für Planfeststellungsbeschlüsse und Plangenehmigungen. Ausgangspunkt für die Überlegungen war der Umstand, daß die Gerichte Ende der 80er Jahre verstärkt dazu neigten, Planfeststellungsbeschlüsse schon wegen „Petitessen" aufzuheben. Der Grund hierfür ist einleuchtend: Ein klagestattgebendes Urteil ist für einen Richter mit weit weniger Aufwand verbunden als ein klageabweisendes. Er muß nur einen Mangel finden - und welcher Planfeststellungsbeschluß ist schon in jeglicher Hinsicht fehlerfrei -, auf den er die Aufhebung des Planfeststellungsbeschlusses stützen kann, ohne daß er sich mit den weiteren, oft schwierigen Rechtsfragen auseinanderzusetzen braucht. Angesichts der Arbeitsüberlastung der Gerichte ist eine solche Vorgehensweise verständlich. In unserer Zeit kann es sich unsere Gesellschaft jedoch nicht mehr leisten, daß ein solch zeitaufwendiges Verfahren wie das Planfeststellungsverfahren wegen geringfügiger und behebbarer Mängel des Planfeststellungsbeschlusses dem Vorhabensträger aus der Hand geschlagen wird und wiederholt werden muß. Der Grundsatz muß lauten: Reparatur vor Kassation! 6 4 So war es naheliegend, auf bestehendes zurückzugreifen, nämlich auf §§214, 215 BauGB 65 . Die Länder-Arbeitsgruppe „Beschleunigung von Verkehrswegeplanungen" nahm diesen Gedanken auf und leitete der Verkehrsministerkonferenz für die Sitzung am 06.05.1991 folgenden Vorschlag zu 6 6 : „ D u r c h Gesetz könnte bestimmt werden, welche Mängel unter welchen Voraussetzungen zur Aufhebung eines Planfeststellungsbeschlusses durch Gerichte führen. Eine solche Kodifikation könnte zum Inhalt haben, daß nur solche Mängel zur Aufhebung des Planfeststellungsbeschlusses führen,

- die offensichtlich und auf das Abwägungsergebnis von Einfluß gewesen sind und - die nicht durch eine Planergänzung behoben werden können. 64 Grundsatz der Planerhaltung, siehe hierzu Serieller, Neue Entwicklungen beim Rechtsschutz und gerichtlicher Kontrolldichte im Planfeststellungsrecht, in: Kormann (Hrsg.), Aktuelle Fragen der Planfeststellung, S. 9 ff., S. 28. 65 Siehe Ronellenßtsch (Fn. 44), S. 182 f. 66 S. 21 des Berichts der Arbeitsgruppe Beschleunigung von Verkehrswegeplanungen" für die Sitzung der Verkehrsministerkonferenz am 6. Mai 1991.

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Für die Bauleitplanung enthält § 214 Abs. 3 Satz 2 BauGB (bisher § 155 b Abs. 3 Satz 2 BBauG) bereits eine solche Regelung." Dieser Vorschlag wurde im Musterentwurf für ein Länderstraßengesetz 1991 67 übernommen. Die Regelung sieht vor, daß eine Reihe von Mängel entsprechend § 214 Abs. 3 Satz 2 BauGB als unbeachtlich angesehen werden, so daß sie nicht zur Aufhebung des Planfeststellungsbeschlusses führen können. Doch darüber hinaus sollte eine weitere Beschränkung der Aufhebungsgründe erfolgen. In Anlehnung an die Rechtsprechung zum richtigen Klageantrag bei fehlerhaft unterlassenen Schutzauflagen wurde der Gedanke entwickelt, daß erhebliche Mängel nur dann zur Aufhebung führen sollen, wenn sie nicht durch Planergänzung behoben werden können. Bevor ein Planfeststellungsbeschluß durch die Gerichte aufgehoben werden kann, müssen diese zunächst prüfen und belegen, daß die von ihnen festgestellten materiellen Mängel nicht durch eine Planergänzung behoben werden können. Da eine Planergänzung in aller Regel möglich ist, wird eine Aufhebung des Planfeststellungsbeschlusses nur noch in Ausnahmefällen erfolgen können. Im Planungsvereinfachungsgesetz vom 17.12.1993 wurde diese Prüfpflicht auch auf festgestellte formelle Mängel ausgedehnt. Ausschlaggebend für diese Überlegung war ein Verwaltungsstreitverfahren, welches ein anerkannter Naturschutzverband gegen eine Straßenbaumaßnahme angestrengt hatte. Im Eilverfahren stellte das Gericht als Mangel fest, daß dem Verband im Anhörungsverfahren die Verkehrsgutachten nicht zur Einsichtnahme zur Verfügung gestellt worden waren. Die Planfeststellungsbehörde hatte sie nicht als „einschlägige Gutachten" im Sinne von § 29 BNatSchG angesehen, da sie sich nicht mit Belangen des Naturschutzes befassen. Das Gericht gab im Eilverfahren zu erkennen, daß es wegen dieses Mangels den Planfeststellungsbeschluß aufzuheben beabsichtigte. Mit der Gesetzesänderung sollten solche Möglichkeiten verhindert werden. Selbst unterstellt, ein Verfahrensmangel läge vor, so ist es weder aus Gründen des Rechtsschutzes erforderlich noch aus volkswirtschaftlichen Gründen vertretbar, den Planfeststellungsbeschluß aufzuheben, wenn Verfahrens- oder Formvorschriften verletzt wurden und - nur insoweit ist dies relevant - bei Beachtung dieser Vorschriften möglicherweise eine andere Entscheidung ergangen wäre. Die Rechtsschutzgarantie verlangt in diesen Fällen nicht die Aufhebung von Planungsentscheidungen; der einzelne hat jedoch einen Rechtsanspruch darauf, daß nur durch eine Entscheidung, die aufgrund eines ordnungsgemäßen Verfahrens unter Beachtung der gesetzlich vorgeschriebenen 67 Abgedruckt in Blümel (Hrsg.), Verkehrswegeplanung in Deutschland, Speyerer Forschungsberichte Heft 105, S. 415 ff., § 38 Abs. 8, S. 440.

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Form zustande gekommen ist, in seine Rechte eingegriffen wird. Soweit Verfahrensvorschriften, z. B. über die Beteiligungsrechte, verletzt worden sind, kann dies grundsätzlich in einem ergänzenden Verfahren bereinigt werden. Die Mißachtung von Formvorschriften kann ebenfalls noch im nachhinein geheilt werden, ohne daß dadurch Rechte des Betroffenen verletzt werden. Soweit aufgrund des ergänzenden Verfahrens und dessen Ergebnisses eine Änderung oder Ergänzung des Planfeststellungsbeschlusses oder eine andere Entscheidung erforderlich wird, so kann dem Rechnung getragen werden 68 . Dies mag man, insbesondere von Seiten der oft politisch motivierten Kläger, bedauern 69 . Die wohl überwiegende Meinung sieht hierin jedoch zurecht ein Gebot der „praktischen Vernunft". 70

IV. Die weitere Entwicklung bei der Verkehrswegeplanung Betrachtet man die Ergebnisse der Veränderungen im (Fach-)Planungsrecht, so könnte man zu der Auffassung gelangen, nun könne alles in vernünftigen Bahnen laufen und notwendige Verkehrsinfrastrukturmaßnahmen in einem vertretbaren Zeitraum umgesetzt werden. Doch weit gefehlt; neue Probleme sind entstanden, die weit gravierender zu sein scheinen als diejenigen, die durch das veraltete Planungsrecht entstanden waren. Die „fetten" 70er und 80er Jahre sind vorbei. Der öffentlichen Hand und damit den Baulastträgern für die öffentlichen Verkehrswege fehlt es an den notwendigen Finanzmitteln. Dies veranlaßte den Bund, die rechtliche Möglichkeit zu schaffen, damit sich Private an der Finanzierung von Bundesfernstraßen über das sog. „Betreibermodell" beteiligen können 71 . Das Land 68

Siehe hierzu Begründung zu der Gesetzesänderung, z. B. in BR-Drucks. 756/1/92 vom 07.12.1992, S. 39. 69 So auch Blümel in seiner Abschiedsvorlesung zum Thema „Planung und Verwaltungsgerichtsbarkeit", der beklagt, daß Verfahrensverstöße „praktisch sanktionslos" blieben und die Bedeutung von Verfahrensvorschriften „gegen Null ... minimiert" würden. Dem ist nicht so: Verfahrensvorschriften sind einzuhalten, erforderlichenfalls durch ein ergänzendes Verfahren. 70 So Hien anläßlich der 20. Umweltrechtlichen Fachtagung der Gesellschaft für Umweltrecht am 01. und 02.11.1996 „unter dem langanhaltenden Beifall der Zuhörer" (Blümel: „Ich klatschte allerdings nicht."), zitiert im Tagungsbericht von Stiier, DVB1 1996, S. 1418 ff. (1120). 71 Gesetz über den Bau und die Finanzierung von Bundesfernstraßen durch Private (Fernstraßenbauprivatfinanzierungsgesetz - FStrPrivFinG) vom 30.08.1994 (BGB1I S. 2243); siehe hierzu Hahn, Privatisierung und Privatfinanzierung der Bundesautobahnen, in: Blümel (Hrsg.), Verkehrswegerecht im Wandel (Fn. 39), S. 149 ff.; Grupp,

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Rheinland-Pfalz versucht, sich in Anlehnung an das sog. „Konzessionsmodell" private Finanzmittel zu erschließen 72. Auch andere Bundesländer (z. B. Bayern und Brandenburg) sind ähnliche Wege gegangen bzw. es bestehen dort mehr oder weniger konkrete Überlegungen (z. B. in Hessen) hinsichtlich einer privaten Vorfinanzierung beim Bau von Landesstraßen. Der Mangel dieses Lösungsansatzes ist offensichtlich: Der Baulastträger tut so, als hätte er nur momentan das Geld, das eigentlich vorhanden ist, nicht zur Verfügung. Es ist jedoch kaum zu erwarten, daß sich die finanzielle Situation des Bundes, der Länder und der Kommunen in absehbarer Zeit grundlegend ändert. Ganz abgesehen davon hält auch der Bundesrechnungshof das Konzessionsmodell gegenüber einer Haushaltsfinanzierung für unwirtschaftlich 73 . In der Schweiz versuchte man demgegenüber, das Problem von einer anderen Seite her anzugehen, nämlich von den Kosten. Mit Beschluß vom 04.10.1993 gab der schweizerische Bundesrat „als Folge der desolaten Finanzlage des Bundes" im Rahmen des zweiten Sanierungsprogramms den Auftrag, „die geltenden Normen und Standards im Bereich der Nationalstraßen einer kritischen Prüfüng zu unterziehen und Vorschläge für mögliche Vereinfachungen und Einsparungen zu unterbreiten" 74 . Dabei definierte die untersuchende Kommission den Begriff Normen als primär Regeln der Baukunde; „die Normen beinhalten technische Grundlagen des Straßenbaus, insbesondere auch für Sicherheit und Gebrauchstauglichkeit der Bauwerke. Es handelt sich um technisches Regelwerk, welches die Art der Planung, der Projektierung und der Ausführung festlegt. Die Normen tragen so zur einheitlichen rechtlichen und kaufmännischen Projektabwicklung bei und fordern damit die Wirtschaftlichkeit und Verständigung zwischen den Partnern beim Planen und Bauen." Standards stellen demgegenüber „die Summe gesellschaftlicher Erwartungen dar. Unter Standards wird die Summe aller gesell-

Rechtsprobleme der Privatfinanzierung von Verkehrsprojekten, in: Blümel (Hrsg.), Verkehrswegerecht im Wandel (Fn. 39), S. 129 ff.; Steiner , Straßenbau durch Private, NJW 1994, S. 3150; Reidt, Verfassungsrechtliche Aspekte der Mautfinanzierung von Fernstraßen, NVwZ 1969, S. 1156 ff; Reidt/Stickler , Das Fernstraßenbauprivatfinanzierungsgesetz und der Baukonzessionsvertrag - das Pilotprojekt der Warnow-Querung in Rostock, in BauR 1997, S. 241 ff. und 365 ff.; Baumeister/Becherer/Wolff, Maut auf der Ortsdurchfahrt einer Bundesstraße, in Straßenverkehrstechnik 1996, S. 473 ff. 72 Bruns , Privatfinanzierung: Erfahrungen, in: Blümel (Hrsg.), Verkehrswegerecht im Wandel (Fn. 39), S. 159 ff. 73 Bundesrechnungshof, Empfehlungen zum besseren Planen, Vorbereiten, Durchführen und Abrechnen von Straßenbaumaßnahmen des Bundes, September 1997, Az.: V 3 - 05 20 03/97, S. 76. 74 Siehe Kommissionsbericht „Überprüfung der Normen und Standards im Bereich der Nationalstraßen, März 1996, S. 1.

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schaftlichen Erwartungen und Forderungen an ein Straßenbauwerk verstanden; sie sind zum Teil in Rechtsvorschriften festgehalten. Im Rahmen eines Bauvorhabens werden die Erwartungen bezüglich Linienwahl, Anzahl Tunnels usw. auf der politischen Ebene festgelegt (Ersteller, Betreiber, Benutzer). Wirtschaftlichkeit ist dabei kein integrierter Grundsatz. Im Gegenteil wird das Kostenbewußtsein in diesem Zusammenhang rasch sehr relativ." 75 . Bei der Untersuchung wurden sämtliche Normen auf Kostenrelevanz und anfalliges Sparpotential untersucht, zudem wurden weite Teile im internationalen Vergleich mit Deutschland und Frankreich geprüft, zum Teil durch ausländische Experten. Dabei ergab sich im wesentlichen, daß die Normen sachgerecht auf die zu erfüllenden Verkehrskriterien (Technik, Sicherheit) ausgerichtet sind und sich im internationalen Vergleich praktisch überall an der unteren Grenze der sachlich vertretbaren Bandbreite bewegen. Zudem werden diese Normen stetig an neuere Entwicklungen angepaßt. Der Anteil der Normen am „allfälligen Sparpotential" sei dementsprechend sehr klein, im Bereich von höchstens 5 Prozent. Dabei bestehe ausgeprägt das Risiko, mit Forderungen in diesem Bereich kontraproduktiv andere Faktoren wie vor allem die Verkehrssicherheit in unzulässiger Weise negativ zu beeinflussen. Im Ergebnis treffe die häufig geäußerte Behauptung nicht zu, die technischen Normen an sich führten zwangsläufig zu Luxusausführungen und damit zu maßgeblichen Kostensteigerungen. Etwas größer als bei der Ausgestaltung der Norm selbst stelle sich der Spielraum bei der Anwendung der Normen durch die Projektverantwortlichen im konkreten Einzelfall dar. Er dürfe etwa 20 Prozent des Sparpotentials betragen. Dieser technische Ermessensspielraum sei konkret schwer zu steuern, hier seien die Straßenbaufachleute aufgefordert, bei ihrer Arbeit vermehrt auch die Kostenauswirkungen in ihrer Entscheidungsfindung einzubeziehen. Die Untersuchung kommt zu dem Ergebnis, daß, wenn bei den Nationalstraßen wirklich relevante Einsparungen gemacht werden sollten, dies vorab auf der Ebene der Standards realisiert werden könne, wo rund 75 Prozent des Sparpotentials anfalle. Je konkreter ein Projekt werde, desto mehr werde der Straßenbauer mit kostenintensiven Forderungen konfrontiert. Dies zeige sich dadurch, daß zwischen den einzelnen Projektstufen regelmäßig eigentliche Kostenschübe feststellbar seien. Die für die Kosten maßgeblichen Forderungen und Erwartungen bezüglich Linienwahl, Anzahl der Tunnels und Fahrstreifen, Zahl, Lage und Gestaltung der Anschlüsse samt Zubringerstrecken sowie das Ausmaß von Umweltschutzmaßnahmen und an das Bauwerk anschließende, begleitende Maßnahmen würden zumeist durch politische Interventionen oder

75

Kommissionsbericht (Fn. 74), S. 5.

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Forderungen von Direktbetroffenen eingebracht. Sehr oft seien sie auch durch die zunehmende Dichte von Rechtserlassen beeinflußt. Die Wirtschaftlichkeit respektive das Ziel eines bestmöglichen Kosten/Nutzen-Verhältnisses sei bei diesen Standards meist kein integrierter Grundsatz. Dementsprechend wurden die wirkungsvollsten Einsparmöglichkeiten bei maßvollen Standards gesehen. Die Forderung nach Kostensenkung bei den Nationalstraßen in der Schweiz beinhalte damit gleichzeitig die Aufforderung an alle irgendwie Beteiligten, mit Zusatzforderungen mehr als in den letzten Jahren Maß zu halten. Hierin läge der größte Faktor des Sparpotentials im Nationalstraßenbau 76. Es ist mir derzeit nicht bekannt, ob und ggf. welche Konsequenzen aus der Untersuchung in der Schweiz gezogen worden sind. Auch in Hessen hat man an das Einsparpotential bei den Normen - um beim schweizerischen Sprachgebrauch zu bleiben - gedacht, als man z. B. die Einsatzgrenzen der Richtlinien für die Anlage von Straßen, Teil: Querschnitte (RAS-Q -, Ausgabe 1996), anhob, und zwar zu Lasten des Komforts auf der Straße, nicht aber zu Lasten der Verkehrssicherheit 77. Die größten Kopfschmerzen bereitet den Verkehrswegeplanern jedoch die Regelungsvielfalt im Europarecht, insbesondere im Umweltbereich, und zwar nicht nur wegen ihres Inhalts, sondern auch im Hinblick auf die vorgegebenen Umsetzungsfristen, die m. E. dem deutschen Gesetzgebungsverfahren nicht gerecht werden. Dies mußte bereits bei der Umsetzung der Richtlinie des Rates vom 27. Juni 1985 über die Umweltverträglichkeitsprüfüng bei bestimmten öffentlichen und privaten Projekten (85/337/EWG) 78 festgestellt werden. Die Richtlinie ist inzwischen durch die Richtlinie 97/11/EG des Rates vom 3. März 1997 zur Änderung der Richtlinie 85/337/EWG über die Umweltverträglichkeitsprüfüng bei bestimmten öffentlichen und private Projekten 79 erheblich verschärft worden. Es ist kaum zu erwarten, daß die Änderungsrichtlinie rechtzeitig innerhalb der Frist bis zum 14.03.199980 in nationales Recht umgesetzt werden kann. Die Konsequenzen, die sich aus einer nicht rechtzeitigen Umsetzung von europäischen Richtlinien ergeben, mußte das Land Schleswig-Holstein mit der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts zur BAB A 20 schmerzlich er-

76

Kommissionsbericht (Fn. 74), S. m, IV. Siehe Einführungserlaß zur RAS-Q 1996, Staatsanzeiger für das Land Hessen 1997, S. 302. 78 ABl EG Nr. L 175/40 vom 05.07.1985. 79 ABl EG Nr. L 73/5 vom 14.03.1997. 80 Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 97/11/EG (Fn. 79). 77

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fahren 81 . Die nicht rechtzeitig umgesetzte Richtlinie 92/43/EWG des Rates vom 21. Mai 1992 zur Erhaltung der natürlichen Lebensräume sowie der wildlebenden Tiere und Pflanzen (FFH-Richtlinie) 82 durch den Bundesgesetzgeber führte zu einem Baustopp für die BAB A 20 im Bereich südlich von Lübeck. Des weiteren hat die Kommission der Europäischen Gemeinschaften am 26.03.1997 dem Präsidenten des Rates der Europäischen Union einen Vorschlag für eine Richtlinie des Rates über die Prüfung der Umweltauswirkungen bestimmter Pläne und Programme 83 unterbreitet. Dieser „Vorschlag erstreckt sich auf Pläne und Programme im Bereich Raumordnung einschließlich sektoraler Pläne im Bereich wie Verkehr, Abfallwirtschaft, Nutzung der Wasserressourcen, Industrie, Telekommunikation, Tourismus oder Energienutzung. Er gilt jedoch nur für Pläne und Programme, die von einer zuständigen Körperschaft nach einem formellen Verfahren genehmigt werden. Dies bedeutet nicht, daß Mitgliedstaaten zur Einhaltung dieses Vorschlags formelle Genehmigungsverfahren einführen müssen. Nur Pläne und Programme, die bereits Gegenstand zur Annahme durch bestehende formelle Verfahren sind, fallen in den Geltungsbereichs des Vorschlags" 84 . Zu den Kosten wird festgestellt, daß für die betroffenen Behörden deutliche Mehrkosten entstehen. Je nach dem, wie fortgeschritten die im Rahmen der bislang geltenden Vorschriften angewandten Verfahren sind, können sie in den und auch innerhalb der einzelnen Mitgliedstaaten ziemlich unterschiedlich ausfallen 85. In denjenigen Mitgliedstaaten, in denen Raumplanungsverfahren bereits weitergehende ökologische Überlegungen beinhalten, würden nur geringfügige Zusatzkosten entstehen. In der Begründung des Richtlinienvorschlags wird darauf hingewiesen, daß die derzeit beim Vorhaben vorgeschriebenen Umweltprüfungsverfahren nach den Bestimmungen der neuen Richtlinie auf der früheren Planungsebene durchgeführt würden und auf Projektebene daher entfallen könnten. Insbesondere gelte dies für das Zusammentragen von ökologischen Basisinformationen vor Ort. Die sich daraus ergebenden Mitteleinsparungen müßten mit den Bruttokosten, die durch die Durchführung der neuen Richtlinie entstehen, verrechnet werden 86 . Diese Aussage wird von der Praxis zu Recht 81

BVerwG, Beschl. vom 21. Januar 1998, Az.: 4 VR 3.97 (4 A 9.97). ABl EG Nr. L 206/7 vom 22.07.1992. 83 Ratsdokument 7093/97; siehe auch BR-Drucks. 277/97 vom 18.04.1997. 84 BR-Drucks. 277/97 vom 18.04.1997, S. 1. 85 Entwurf einer Stellungnahme des Ausschusses der Regionen zu dem „Vorschlag für eine Richtlinie des Rates über die Prüfung der Umweltauswirkungen bestimmter Pläne und Programme" vom 22. Juli 1997, S. 2 Nr. 1.7. 86 Entwurf der Stellungnahme des Ausschusses der Regionen (Fn. 85), S. 5 Nr. 5.2. 82

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angezweifelt. Die Zweifel sind darin begründet, daß zum einen die Planungen in einem solchen Planungsstadium noch nicht konkret genug sind, um sachgerechte Aussagen treffen zu können, so daß die Diskussionen mit der zu beteiligenden Öffentlichkeit sich mehr im allgemeinen bewegen muß. Zum anderen sind die in einem solch frühen Stadium erfaßten Umweltdaten angesichts des langen Zeitraums bis zur Vorhabensverwirklichung in der Regel überholt und damit nicht mehr verwertbar. Es ist nur sinnvoll, die Umweltauswirkungen eines Vorhabens zeitnah zu seiner Verwirklichung im Rahmen des Zulassungsverfahrens zu prüfen. Eine grundsätzliche Lösung des Problems kann nur darin gesehen werden, daß bei künftigen Richtlinien angemessene Umsetzungsfristen vorgesehen werden und die EU beim Erlaß von Richtlinien im Hinblick auf den Grundsatz der Subsidiarität 87 eine größere Zurückhaltung an den Tag legt. Aber nicht nur bei den europäischen Rechtsetzungsakten, sondern auch bei nationalen Gesetzentwürfen ist es angesichts der derzeitigen Finanzlage der öffentlichen Hand zwingend erforderlich, die Notwendigkeit kostenintensiver Regelungen und Maßnahmen eingehender als bisher zu überprüfen. Ansonsten werden die Baulastträger der öffentlichen Verkehrsinfrastruktur nicht mehr in der Lage sein, ihre Anlagen entsprechend dem regelmäßigen Verkehrsbedürfnis zu bauen, zu unterhalten, zu erweitern oder sonst zu verbessern. In diesem Fall müßten z. B. die Pflichten aus der Straßenbaulast neu definiert werden.

87 Siehe Art. 3 b des 1. Vertrages zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft in der Fassung vom 07.02.1992 (BGBl II 1993 S. 1947) sowie 8. Entschließung des Bundesrates zum Vertrag vom 7. Februar 1992 über die Europäische Union vom 18.02.1992, BR-Drucks. 810/92 vom 18. Dezember 1992.

Diäten-Urteil und Diäten-Streit Legendenbildung im Verfassungsrecht Von Hans H. Klein

Wohl keine andere Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts hat die Öffentlichkeit, hat Wissenschaft und Politik in Deutschland so dauerhaft in ihren Bann geschlagen wie das Urteil des Zweiten Senats vom 5. November 1975, das sogenannte Diäten-Urteil 1 , und kaum eine andere steht juristisch auf so schwachen Beinen 2 . In der vor allem vom Bund der Steuerzahler und seinem auf diesem Gebiet unermüdlich tätigen Protagonisten Hans Herbert von Arnim bei jeder sich bietenden Gelegenheit vorgetragenen, mitunter durchaus verdienstlichen Kritik an bestehenden oder geplanten Regelungen auf dem Gebiet des Rechts der Entschädigung der Abgeordneten des Bundestages und der Landtage gehört das Diäten-Urteil zum längst ritualisierten Repertoire. Nicht zuletzt dient es dazu, den Gegenstand der Kritik dadurch am Leben zu erhalten, daß auf der Grundlage der Entscheidimg das Bestehen eines unabdingbaren Gebots behauptet wird, jede Veränderung der Abgeordnetenbezüge bedürfe einer Regelung durch besonderes Gesetz. Aus der so gewährleisteten regelmäßigen, fast jährlichen Wiederkehr einer geflissentlich auch den Sozialneid schürenden und populistische Vorurteile gegen Abgeordnete (mangelnde Qualifikation, Faulheit etc.) nährenden Debatte ist dem Ansehen der Parlamente und seiner Mitglieder vielfacher Schaden erwachsen. Daß sie dafür auch selbst manche Ursache gegeben haben3, ist allerdings nicht weniger wahr.

1

BVerfGE 40, 296 mit Sondervotum des Richters Vizepräsident Seujfert. Die Vielzahl der positiven und negativen Stimmen, die sich nach der Verkündung des Urteils zu Wort meldeten, kann hier nicht wiedergegeben werden. Eine Zusammenfassung der Einwände bietet U. Thaysen, ZParl 1976, 3 (10 ff.). 3 Hinweise bei H. von Armin, Der Staat als Beute, 1993. 2

15 FS Blümel

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I. Das Urteil 1. Das Verfahren und sein Gegenstand Das Urteil vom 5. November 1975 erging in einem Verfassungsbeschwerdeverfahren. Beschwerdeführer war ein Abgeordneter des saarländischen Landtags. Er hatte sich gegen zwei Vorschriften des saarländischen Gesetzes Nr. 970 über den Landtag des Saarlandes vom 20. Juni 1973 (Amtsblatt des Saarlandes S. 517) - LandtagsG - gewandt, durch die er sich an der Bewerbung um ein neues Mandat gehindert sah: § 3 Abs. 1 Buchst, b LandtagsG erklärte das Mandat im saarländischen Landtag für unvereinbar mit der Stellung des leitenden Angestellten eines privatrechtlichen Unternehmens, an dem das Saarland oder eine seiner Aufsicht unterstehende juristische Person des öffentlichen Rechts mit mehr als 50 vom Hundert beteiligt ist; § 13 Abs. 1 Nr. 4 des Gesetzes bestimmte, daß an Abgeordnete, die um der Ausübung eines Landtagsmandats willen ihre Stellung als leitende Angestellte eines solchen Unternehmens aufgegeben haben, auf Antrag als Ersatz für den mandatsbedingten Verdienstausfall innerhalb einer gewissen Höchstgrenze 60 vom Hundert des bisher bezogenen steuerpflichtigen Entgelts zu zahlen sei. Der Beschwerdeführer, leitender Angestellter mehrerer privatrechtlich organisierter Gesellschaften, an denen die Stadt Saarbrücken mit mehr als 50 vom Hundert beteiligt war, hielt durch diese Regelungen Art. 2 Abs. 1, 3 Abs. 1, 38 Abs. 1 Satz 1 und 137 Abs. 1 GG für verletzt. Mit Beschluß vom 21. Januar 19754 - es handelte sich um eine Teilentscheidung nach § 25 Abs. 3 BVerfGG - wies das Bundesverfassungsgericht die Verfassungsbeschwerde zurück, soweit sie sich gegen die Inkompatibilitätsnorm des § 3 Abs. 1 Buchst, c LandtagsG richtete. Das Schlußurteil vom 5. November 1975 gab der Verfassungsbeschwerde nicht nur in Bezug auf die noch im Streit befindliche Vorschrift des § 13 Abs. 1 Nr. 4 LandtagsG statt; es erklärte vielmehr auch die § 5, 6, 9, 13 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 sowie 16 Abs. 1 Satz 2 des Gesetzes mit dem Grundgesetz für unvereinbar 5. Die genannten Vorschriften betrafen die Rechtsstellung in den Landtag gewählter Beamten und Angestellten sowie die ihnen zustehenden (Versorgungs-) Bezüge, die Erstattung von mandatsbedingtem Verdienstausfall in weiteren Fällen sowie die Steuerfreiheit der Entschädigung der Abgeordneten des Landtags. Die Erstreckung der verfassungsrechtlichen Prüfung auf vom Beschwerdeführer nicht angegriffene Vorschriften des Gesetzes - Vorschriften, von denen er nicht oder

4 5

BVerfGE 38, 326 mit Sondervoten der Richter Vizepräsident Seuffert BVerfGE 40, 296 (298).

und Wand.

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nicht nachteilig betroffen war - begründete das Bundesverfassungsgericht reichlich wortkarg mit dem bloßen Hinweis, da „ i m Bereich der Wahlrechtsgleichheit der Verstoß sowohl in einer ungerechtfertigten Benachteiligung als auch in einer ungerechtfertigten Begünstigung eines vergleichbaren Falles liegen" könne, müsse „die Prüfung am Maßstab des Art. 3 Abs. 1 GG notwendig auch die Parallelfalle einbeziehen, die in § 3 Abs. 1 Buchst, a und b", hier handelte es sich um die Inkompatibilitätsbestimmungen für Beamte und Richter -, „§§ 5 bis 9 und §§ 13 Abs. 1 Nr. 1 bis 3, 14 LandtagsG geregelt sind" 6 . Die letztgenannte Bestimmung übertrug die Festsetzung weiterer Entschädigungen für mandatsbedingte Kosten sowie der Aufwandsentschädigungen für besondere parlamentarische Tätigkeiten und die Entschädigung der Fraktionen und Sachverständigen dem Präsidium des Landtags. Die Regelung des § 16 Abs. 1 Satz 2 LandtagsG (Steuerfreiheit der Entschädigung) wird an dieser Stelle nicht erwähnt, sie dürfte erst später in das Blickfeld des Senats geraten sein: im Urteil vom 5. November 1975 findet sich die schlichte Behauptung, sie stehe mit der angegriffenen Vorschrift des § 13 Abs. 1 Nr. 4 LandtagsG in Zusammenhang7. Im Urteil vom 5. November 1975 hat das Bundesverfassungsgericht eine Parallele zu anderen Verfahrensarten zu ziehen sich bemüht, in denen die Verfassungsmäßigkeit einer Norm zu prüfen sei: das Ausgreifen der verfassungsrechtlichen Prüfung über den Antrag des Beschwerdeführers oder Antragstellers hinaus sei stets dann unvermeidlich, wenn die angegriffene Norm durch Verweisung auf eine andere oder durch den klaren inneren Zusammenhang mit anderen Vorschriften derart von den letzteren abhänge, daß sich aus der Verfassungswidrigkeit dieser Normen die Verfassungswidrigkeit der angegriffenen Norm ergebe. So liege der Fall hier, wie schon im Beschluß vom 21. Januar 1975 dargelegt worden sei8. Die entsprechende Anwendbarkeit des § 78 Satz 2 BVerfGG 9 im Verfahren der Rechtssatzverfassungsbeschwerde hatte das Bundesverfassungsgericht schon früher bejaht 10 , auch später hat es daran festgehalten 11. 6

BVerfGE 38, 326 (335). BVerfGE 40, 296 (310). 8 BVerfGE 40, 296 (309 f.). 9 BVerfGE 40, 296 (328). 10 BVerfGE 18, 288 (300). 11 BVerfGE 61, 319 (356); 91, 1 (25) - vgl. zu dieser Entscheidung die Abweichende Meinung der Richterin Graßhof, S. 38 ff. Dort heißt es nach Auswertung der bis dahin vorliegenden Rechtsprechung des Gerichts zur Anwendbarkeit des §§78 Satz 2 BVerfGG zusammenfassend: Das Gericht habe „von dieser Vorschrift immer nur dann Gebrauch gemacht, wenn die Gründe, die die Nichtigkeit des Prüfungsgegenstandes ergeben, evident auch auf eine weitere Norm zutreffen. Hieran fehlt es etwa, wenn der 7

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2. Die Ergebnisse Als „ein Stück Realpolitik" hat Häberle 12 die Verfassungsinterpretation des Diäten-Urteils gewürdigt; sie sei sogar „idealpolitisch" am Bild eines zukünftigen Parlamentariers orientiert. Was immer damit gemeint gewesen sein mag, daß die Entscheidung weittragende politische Wirkungen gehabt und das Bild des zukünftigen Parlamentariers alles andere als positiv geprägt hat (weil es ihn nämlich scheinbar gezwungen hat, sich in der Öffentlichkeit ständig als Raffke darzustellen), trifft gewiß zu. 1. Schon im ersten Satz seiner Darlegungen zu den materiell-rechtlichen Fragen bezieht der Senat die Abgeordneten des Bundestages ebenso wie die der Landtage in seine Betrachtungen ein, um auf der Grundlage einer von Beginn an umstrittenen 13 Realanalyse zu dem Ergebnis zu gelangen, daß das Amt des Abgeordneten „den ganzen Menschen" verlange, der nur ausnahmsweise neben dem Mandat noch einen Beruf auszuüben vermöge. Das Ergebnis der vom Senat beschriebenen Entwicklung vom Abgeordneten als Inhaber eines Ehrenamtes zum Abgeordneten als Berufsparlamentarier sei, daß aus der anderen Norm, obgleich sie mit der zu überprüfenden in inhaltlichem und logischem Zusammenhang steht, eine Sachverhaltskonstellation zugrunde liegt, die den Nichtigkeitsgrund, der für die zu prüfende Norm maßgeblich ist, in einem anderen Licht erscheinen lassen kann. Müßte das Bundesverfassungsgericht erst diese Frage entscheiden, um dann die weitere Norm ebenfalls für nichtig erklären zu können, so würde die Kompetenzabgrenzung zur gesetzgebenden Gewalt nicht eingehalten. Das Bundesverfassungsgericht würde nämlich eine Norm, die nicht Prüfungsgegenstand ist, verwerfen und dazu verfassungsrechtliche Erwägungen anstellen, die weder durch die Verfahrensanträge noch durch die zu überprüfende Norm selbst veranlaßt sind" (S. 42). Diese Analyse ist m. E. richtig (als einer der beteiligten Richter habe ich allerdings den damals zu entscheidenden Fall nach eben dieser Regel anders beurteilt), sie bezeichnet präzise den Grund, warum es für den Senat im Diäten-Verfahren keine Rechtfertigung für die Einbeziehung nicht vom Beschwerdeführer angegriffener Vorschriften des Landtagsgesetzes gab: Wenn das Verfassungsgericht Erwägungen anstellen muß, die weder durch die Verfahrensanträge noch durch die zu überprüfende Norm selbst veranlaßt sind. - Von den damaligen Kommentatoren der Entscheidung hat insbesondere F.-Chr. Menger, VerwArch 67 (1976), 303 (309 ff.), Zweifel daran geäußert, daß ein Fall des § 78 Satz 2 BVerfGG vorgelegen habe. S. a. J. Henkel, DÖV 1975, 819 (Urteilsanmerkung); selbst ein ziemlich enthusiastischer Rezensent, P. Häberle, NJW 1976, 537 (543 Fn. 90), deutet verfassungsprozessuale Bedenken an. - In seinem Sondervotum (BVerfGE 40, 296 [330 ff.]) kritisierte Seuffert die Erstreckung des Tenors auf § 16 Abs. 1 Satz 2 und die Aufnahme von Ausführungen zur Verfassungswidrigkeit des § 14 LandtagsG, die in der Entscheidungsformel nicht erscheint, in die Gründe der Entscheidung (S. 333 f., 348 f.). 12

Häberle (Fn. 11), S. 537. Vizepräsident Seuffert, Sondervotum (BVerfGE 40, 330 [334 ff.]); Henkel (Fn. 11), S. 819; Thaysen (Fn. 2), S. 11. 13

Diäten-Urteil und Diäten-Streit - Legendenbildung im Verfassungsrecht

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ihm nach Art. 48 Abs. 3 Satz 1 GG geschuldeten „Entschädigung für einen besonderen, mit dem Mandat verbundenen Aufwand eine Alimentation des Abgeordneten und seiner Familie aus der Staatskasse geworden ist als Entgelt für die Inanspruchnahme des Abgeordneten durch sein zur Hauptbeschäftigung („füll-time-job") gewordenes Mandat". Und weiter: „Aus der Entschädigung des Inhabers eines Ehrenamtes ist die Bezahlung für die im Parlament geleistete Tätigkeit geworden" 14 . Der Abgeordnete beziehe aus der Staatskasse ein Einkommen 15 . 2. Aus der „neuen Bedeutung" des Art. 48 Abs. 3 Satz 1 GG folge, daß die dem Abgeordneten danach zustehende Entschädigung für ihn und seine Familie während der Dauer seiner Zugehörigkeit zum Parlament eine ausreichende Existenzgrundlage abgeben müsse. Sie habe der Bedeutung des Amtes unter Berücksichtigung der damit verbundenen Verantwortung und Belastung 16 sowie des dem Amt im Verfassungsgefüge zukommenden Ranges gerecht zu werden. Anderen Zwecken, etwa einer mittelbaren Partei- oder Fraktionsfinanzierung, dürfe die Entschädigung nicht dienen. Sie werde damit zu einer „Vollalimentation aus der Staatskasse"17. Der hier vertretenen Ansicht (oder doch der Deutung, die die Ausführungen des Gericht nahelegten18), daß Art. 48 Abs. 3 Satz 1 GG eine solche „Vollalimentation" zumindest der Abgeordneten des Bundestages gebiete, ist das Bundesverfassungsgericht später - dem erkennenden Zweiten Senat gehörte zu diesem Zeitpunkt keiner der an der Entscheidung vom 5. November 1975 be-

14

Zitate: BVerfGE 40, 296 (314). Daß, wie es im Urteil wenig später (S. 316) heißt, der Abgeordnete rechtlich keine Dienste schuldet, steht zu dieser letzten Feststellung in deutlichem Widerspruch, wie schon Seuffert kritisierte (S. 336: „unklar motivierte Widersprüchlichkeiten"). - Auf S. 311 des Urteils wird, offenbar zustimmend, aus einer früheren Entscheidung (BVerfGE 4, 144 [151]) zitierend, die These aufgestellt, je mehr die Abgeordneten von ihrem früheren repräsentativen Status einbüßten, desto weniger werde die Aufwandsentschädigung ihren ursprünglichen Sinn erfüllen können, die Unabhängigkeit des einzelnen Abgeordneten sicherzustellen. Vgl. demgegenüber, den repräsentativen Status des Abgeordneten (unter Berufung auf die gleiche Entscheidung!) betonend: BVerfGE 80, 188 (Leitsatz 2, 217). 15 Ob das auch für alle Länderparlamente gelten soll, läßt das Gericht zwar ausdrücklich offen; die Abgeordneten des Saarländischen Landtags allerdings erhielten, wie sich aus dem Landtagsgesetz ergebe, eine „Vollalimentierung aus der Staatskasse" (S. 314 f.). 16 Sie gibt das Gericht (S. 312) für das Amt eines Bundestagsabgeordneten - wie der Verfasser aus eigener Erfahrung bestätigen kann: durchaus realitätsnah - mit einer Wochenarbeitszeit von 80 - 120, für Landtagsabgeordnete mit 60 - 100 Stunden an, sofern die Abgeordneten versuchten, ihrem Beruf wenigstens noch teilweise nachzugehen. 17 BVerfGE 40, 296 (315 f.); kritisch die Abweichende Meinung, S. 336 ff. 18 Den Versuch einer Korrektur unternahm schon W. Geiger, ZParl 1978, 522 (525).

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teiligten Richter mehr an - entgegengetreten 19. Die Unterschiede zwischen dem Status des Beamten und dem des Abgeordneten scharf betonend, stellte das Gericht - auch von der „Realanalyse" des Diäten-Urteils deutlich abrükkend - nunmehr fest, anders als beim Beamten, der regelmäßig vom Zeitpunkt seines Eintritts in das Beamtenverhältnis an mit einer dauernden Vollalimentation, auch für den Versorgungsfall, rechnen könne, kenne das Verfassungsrecht keine Garantien dieser Art. Allerdings wurde an der gesetzlichen Regelung, nach der die Entschädigung der Mitglieder des Bundestages nach dem Alimentationsprinzip bemessen wird, auch kein verfassungsrechtlicher Anstand genommen 20 . 3. Aus dem Unterschied zwischen Abgeordneten und Arbeitnehmern, insbesondere Beamten, wurde im Urteil vom 5. November 1975 die These abgeleitet, die seither als Koppelungsverbot bekannt geworden ist: Da die Entschädigung des Abgeordneten mit dem Gehalt des Beamten nichts zu tun habe, vertrage sie weder eine Annäherung an den herkömmlichen Aufbau eines Beamtengehalts noch eine Abhängigkeit von der Gehaltsregelung, etwa in der Weise, daß sie unmittelbar oder mittelbar in Vom-Hundert-Sätzen eines Beaintengehalts ausgedrückt werde. Das Gericht verstieg sich ganz unnötigerweise zu der polemischen Formulierung, diese - im bis dahin geltenden Diätenrecht (einschließlich desjenigen der Weimarer Zeit 2 1 ) weithin angewandte Regelungstechnik sei ihrer „Intention nach dazu bestimmt, das Parlament der Notwendigkeit zu entheben, jede Veränderung in der Höhe der Entschädigung im Plenum zu diskutieren und vor den Augen der Öffentlichkeit darüber als einer selbständigen politischen Frage zu entscheiden" - einer „Notwendigkeit", von der bis zur Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts niemand etwas geahnt hatte 22 . 4. Sodann greift der Senat, ein weiteres Mal die Polemik nicht scheuend, das „Schlagwort" 23 von der „privilegienfreien Demokratie" auf, um daran anschließend die Anwendbarkeit des für das Wahlrecht entwickelten sogenannten formalisierten Gleichheitssatzes nicht etwa nur für die Wahrnehmung der parlamentarischen Rechte der Abgeordneten zu postulieren, wo sie sich in der

19

BVerfGE 76, 256 (Leitsatz 5, 341 ff.). - S. a. BVerfGE 40, 296 (346 f. - Sondervotum). 20 Der Frage, welche Folgerungen sich daraus für die Anrechenbarkeit von Leistungen aus öffentlichen Kassen, etwa Renten, ergeben könnten, wurde nicht weiter nachgegangen (vgl. S. 343). 21 Vgl. von Arnim in: Bonner Kommentar zum Grundgesetz (BK), Art. 38 Rdnr. 62. 22 BVerfGE 40, 296 (316 f.) - kritisch das Sondervotum, S. 343 f. 23 So Henkel (Fn. 11), S. 820; Linck, ZParl 1976, 54 (57).

Diäten-Urteil und Diäten-Streit - Legendenbildung im Verfassungsrecht

231

Tat von selbst versteht 24 , sondern auch für die Bemessung der Höhe der Entschädigung. Mit Ausnahme der Mitglieder des Parlamentspräsidiums müsse allen Abgeordneten die gleiche Entschädigung gezahlt werden, unabhängig insbesondere davon, ob die Inanspruchnahme durch die parlamentarische Tätigkeit größer oder geringer sei 25 . Der „egalitäre Rigorismus" 26 dieser nicht einmal auf der Grundlage des strikten Gleichheitssatzes begründbaren Behauptung27 wurde schon in der Abweichenden Meinung des Richters Vizepräsident Seuffert zu Recht scharf kritisiert 28 . Sie zwingt dazu, die Entschädigung aller Abgeordneten (mit Ausnahme der Mitglieder des Präsidiums) gleich zu bemessen, auch deijenigen, die kraft parlamentarischer Entscheidungen oder der ihrer Fraktionen mit der Wahrnehmung besonderer Aufgaben betraut sind, die es ihnen - im Unterschied zu der Mehrzahl der Abgeordneten des Bundes und der Länder - tatsächlich unmöglich machen, einem Beruf nachzugehen. Die Folge wäre eine erhebliche, nach Maßgabe der diesen herausgehobenen Funktionsträgern ihrer erhöhten Inanspruchnahme wegen zustehenden hohen Bezüge bemessene Angleichung der Entschädigung aller Abgeordneten gewesen, hätte die Praxis nicht jedenfalls in Bezug auf die Fraktionsvorsitzenden und die Inhaber weiterer Ämter in der Fraktion den Ausweg gewählt, ihnen aus den Mitteln der Fraktionen zusätzliche Zuwendungen zukommen zu lassen29. 5. Art. 48 Abs. 3 Satz 1 i. V. m. Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG und der formalisierte Gleichheitssatz verlangten im übrigen, gesetzliche Vorkehrungen dagegen zu treffen, daß Abgeordnete Bezüge von dritter Seite, für die sie keine Dienste leisteten, nur um deswillen erhielten, weil (und damit) sie ihr Mandat im Interesse ihres Geldgebers ausübten (Stichwort: Beraterverträge) 30. 6. In dieser Auslegung gehöre Art. 48 Abs. 3 GG „zu den Essentialen des demokratischen Prinzips", welches kraft Art. 28 Abs. 1 GG ein wesentlicher Bestandteil der verfassungsmäßigen Ordnung der Länder sei. Und also müsse

24

Vgl. BVerfGE 80, 188 (218). BVerfGE 40, 296 (317 f.). 26 So K. Stern, Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. I, 2. Aufl. 1984, § 24 II 1 (S. 1057; s. a. S. 1065 Fn. 114: „nicht immer wohlbedachtes Urteil"). 27 Linck, ZParl 1976, 54 (59). 28 BVerfGE 40, 296 (339 ff.). 29 Diese Praxis hat die ausdrückliche Billigung der sog. Kissel-Kommission erfahren: BT-Drucks. 12/5020, S. 9,24. 30 BVerfGE 40, 296 (318 f.). 25

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die landesrechtliche Regelung des Parlamentsrechts an jener Vorschrift gemessen werden 31 . 7. Die Subsumtion der geprüften Bestimmungen des Landtagsgesetzes unter diesen verfassungsrechtlichen Maßstab führte den Senat zu den folgenden (hier nur knapp zu referierenden) Erkenntnissen: - Das Beamtenprivileg gemäß §§5 und 6 LandtagsG sei verfassungswidrig 32. - Gleiches habe für die die Angestellten des öffentlichen Dienstes betreffende Regelung des § 9 LandtagsG zu gelten 33 . - Die Zuweisung bestimmter auf die Höhe der Entschädigung bezüglicher Entscheidungen an das Präsidium des Landtages in §§ 13 Abs. 2 und 14 LandtagsG wird ebenfalls für verfassungswidrig erklärt. Dieses Verfahren entziehe sich der Kontrolle der Öffentlichkeit. Darauf folgen jene Sätze, aus denen seither unablässig publizistisches Kapital geschlagen wird, da sich durch sie in Verbindung mit dem sogenannten Koppelungsverbot 34 die Parlamente zu der nahezu jährlich wiederkehrenden Diätendebatte gezwungen sehen: „ I n einer parlamentarischen Demokratie läßt es sich nicht vermeiden, daß das Parlament in eigener Sache entscheidet, wenn es um die Festsetzung der Höhe und um die nähere Ausgestaltung der mit dem Abgeordnetenstatus verbundenen finanziellen Regelungen geht. Gerade in einem solchen Fall verlangt aber das demokratische und rechtsstaatliche Prinzip (Art. 20 GG), daß der gesamte Willensbildungsprozeß für den Bürger durchschaubar ist und das Ergebnis vor den Augen der Öffentlichkeit beschlossen wird. Denn dies ist die einzige wirksame Kontrolle. Die parlamentarische Demokratie basiert auf dem Vertrauen des Volkes, Vertrauen ohne Transparenz, die erlaubt zu verfolgen, was politisch geschieht, ist nicht möglich" 35 .

31

BVerfGE 40, 296 (319) - ein weiteres Beispiel für die (eine bloße Homogenität deutlich übertreffende) „Unitarisierung des Rechts im Bundesstaat", die Chr. Starck, in: Verfassung als Verantwortung und Verpflichtung, Festschrift zum 50jährigen Bestehen des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs, 1997, S. 229 ff., behandelt hat. - Das Sondervotum (S. 345) stimmt der Entscheidung in diesem Punkt zu. 32 BVerfGE 40, 296 (321 ff.) - dazu (hier nicht durchweg überzeugend) das Sondervotum S. 341 ff., 345. 33 BVerfGE 40, 296 (323 f.). 34 Vgl. oben I. 2.3. 35 BVerfGE 40, 296 (327) - dazu das Sondervotum, S. 348 (zur Unzulässigkeit des Ausgreifens der Urteilsgründe - nicht des Tenors! - auf diese Vorschrift), 349 f. (ablehnend in der Sache).

Diäten-Urteil und Diäten-Streit - Legendenbildung im Verfassungsrecht

233

- Verfassungswidrig sei schließlich die in § 16 Abs. 1 Satz 2 LandtagsG vorgesehene Steuerfreiheit der Diäten 36 .

I I . Die Entwicklung des Entschädigungsrechts für die Abgeordneten insbesondere des Deutschen Bundestages nach dem Urteil 1. Das Abgeordnetengesetz von 1977 a) Vor dem Hintergrund des Diäten-Urteils entstand das am 1. April 1977 in Kraft getretene Gesetz zur Neuregelung der Rechtsverhältnisse der Mitglieder des Deutschen Bundestages - Abgeordnetengesetz (AbgG) - vom 18. Februar 1977 (BGBl I S. 297), das bis heute gilt, allerdings unterdessen zahlreiche Änderungen erfahren hat 37 . Die den Mitgliedern danach zustehenden Leistungen bestehen in der Entschädigung ( § 1 1 AbgG) und der Amtsausstattung (§ 12 AbgG) 38 . Hinzu kommen Übergangsgelder (§ 18 AbgG) und Ansprüche auf Altersentschädigung (§§ 19 ff. AbgG). Die nachfolgenden Betrachtungen beschränken sich auf die Entschädigung nach § 11 AbgG. b) Die Höhe der Entschädigung lag nach der ursprünglichen Fassung des Abgeordnetengesetzes bei 7.500,- D M monatlich. Sie wurde späterhin mehrfach, erstmals allerdings mit Wirkung vom 1. Juli 1983, auf 10.366,-- D M monatlich erhöht 39 . Der letztgenannte Stand wurde durch das Gesetz vom 22. April 1993 (BGBl I S. 462) mit Wirkung ab dem 1. Juli 1993 erreicht. Durch das Gesetz zur Neuregelung der Rechtsstellung der Abgeordneten vom 15. Dezember 1995 (BGBl I S. 1718), später geändert durch das 20. Gesetz zur Änderung des Abgeordnetengesetzes (zugleich 17. Gesetz zur Änderung des Europaabgeordnetengesetzes) vom 19. Juni 1996 (BGBl I S. 843), erhielt § 11 AbgG (ohne seinen hier nicht interessierenden Absatz 3) die folgende Fassung:

36

BVerfGE 40, 296 (327 f.) - dazu das Sondervotum, S. 348 f., 350 ff., das hinsichtlich der Frage der Verfassungswidrigkeit der Steuerfreiheit einer als Einkommen ausgestalteten Entschädigung mit dem Urteil übereinstimmt. 37 Ein Überblick über die Gesetzgebung zum Parlamentsrecht einschließlich derjenigen zur Rechtsstellung der Abgeordneten findet sich für die Zeit von der 1. bis zur 8. Wahlperiode im Datenhandbuch zur Geschichte des Deutschen Bundestages 1949 bis 1982, verfaßt und bearbeitet vonP. Schindler, 1983, S. 848 ff., und für die Zeit danach im Datenhandbuch zur Geschichte des Deutschen Bundestages 1983 bis 1991, verfaßt und bearbeitet von P. Schindler, 1994, S. 1261 ff. 38 Im einzelnen s. von Arnim, BK, Art. 38 Rdnr. 97,100 ff., 175 ff. 39 Vgl. die Übersicht im Datenhandbuch 1983 bis 1991 (Fn. 37), S. 1265.

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(1) Ein Mitglied des Bundestages erhält eine monatliche Abgeordnetenentschädigung, die sich an einem Zwölftel der Jahresbezüge - eines Richters bei einem obersten Gerichtshof des Bundes (Besoldungsgruppe

R6),

- eines kommunalen Wahlbeamten auf Zeit (Besoldungsgruppe B 6) orientiert. Abweichend von Satz 1 beträgt die Abgeordnetenentschädigung mit Wirkung vom 1. Oktober 1995 11.300,- DM, vom 1. Juli 1997 11.825,- DM, vom 1. April 1998 12.350,- DM und vom 1. Januar 1999 12.875 DM. Für spätere Anpassungen gilt das in § 30 geregelte Verfahren. (2) Der Präsident erhält eine monatliche Amtszulage in Höhe eines Monatsbetrages nach Absatz 1, seine Stellvertreter in Höhe der Hälfte eines Monatsbetrages nach Absatz 1. c) Nach dem Bericht der sogenannten Kissel-Kommission 40 hat bei der konkreten Festlegung der Höhe der Entschädigung im Gesetz von 1977 neben anderen Gesichtspunkten der Vergleich mit der den kommunalen Wahlbeamten zustehenden Besoldung eine maßgebliche Rolle gespielt. Sie lag damals bei einem nach B 5 besoldeten Stadtdirektor in Nordrhein-Westfalen bei 6.800,- D M monatlich, bei einem nach B 10 besoldeten Bürgermeister in Baden-Württemberg bei 9.800,-- D M monatlich. Der Bundestag habe sich schließlich ganz bewußt an der unteren Grenze dieser Vergleichseinkommen orientiert. Die jährlichen Bezüge eines Abgeordneten bei Inkrafttreten des Abgeordnetengesetzes hätten danach „fast exakt denen eines nach B 6 besoldeten Landrats in einer bayerischen Kommune bis zu 150.000 Einwohnern" entsprochen. Nach dem Stand von 1. Mai 1993 betrugen die Jahresbezüge eines Beamten der Besoldungsgruppe B 6 nach den Feststellungen der KisselKommission 153.596,82 D M (zuzüglich 500,- Urlaubsgeld), die eines Mitglieds des Bundestages 124.392,- D M 4 1 - die 1977 auf gleicher Höhe angesiedelten Bezüge hatten sich mithin - zum Nachteil der Abgeordneten - deutlich auseinanderentwickelt 42. Der Zweck der in § 11 AbgG in der Fassung des Ge-

40

Bericht und Empfehlungen der Unabhängigen Kommission zur Überprüfung des Abgeordnetenrechts, BT-Drucks. 12/5020, S. 8. 41 BT-Drucks. 12/5020, S. 38. - Die Kommission hatte dementsprechend vorgeschlagen, die Entschädigung der Abgeordneten des Bundestages mit Wirkung vom 1. Januar 1995 auf 14.000,- DM festzusetzen (ebenda, S. 10). 42 Es muß allerdings berücksichtigt werden, daß den Abgeordneten des Deutschen Bundestages (neben anderen Leistungen - s. die Aufzählung in BT-Drucks. 12/5020, S. 29 f.) neben der steuerpflichtigen Entschädigung eine steuerfreie Kostenpauschale zusteht, die nach dem Stand vom 1. April 1977 4.500,- DM, vom 31. Dezember 1995 5.978,- betrug und seit dem 1. Januar 1996 gem. § 12 Abs. 2 Satz 2 AbgG zum 1. Januar jeden Jahres der Entwicklung der allgemeinen Lebenshaltungsausgaben aller privaten Haushalte im vorvergangenen Kalendeijahr angepaßt wird. Die KisselKommission hat hierzu vorgeschlagen, die steuerfreie, nicht nachweispflichtige Pauschale auf 1.000,— DM festzusetzen, alle übrigen in § 12 Abs. 2 AbgG aufgeführten

Diäten-Urteil und Diäten-Streit - Legendenbildung im Verfassungsrecht

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setzes vom 15. Dezember 1995/19. Juni 1996 getroffenen Regelung ist es, diesen Rückstand bis zum Beginn des Jahres 2000 aufzuholen, die Entschädigung der Abgeordneten also auf dasjenige Niveau anzuheben, das sie am 1. April 1977 erreicht hatte 43 .

2. Der in der Gemeinsamen Verfassungskommission des Bundestages und des Bundesrates erörterte Vorschlag für eine Änderung des Art. 48 Abs. 3 GG Im Hinblick auf die das Ansehen des Parlaments erheblich in Mitleidenschaft ziehende, fast jährlich wiederkehrende Debatte um die Anpassung der Abgeordnetenentschädigung an die allgemeine Einkommensentwicklung 44 trat die auf der Grundlage von Art. 5 des Einigungsvertrages errichtete gemeinsame Verfassungskommission von Bundestag und Bundesrat 45 in eine Prüfung der Frage ein, ob „die Zuständigkeit und Verantwortung für die jeweilige Anpassung der Diäten aus dem parlamentarischen Raum herausverlagert werden sollte" 46 . Der am 17. Juni 1993 in der Kommission zur Abstimmung gestellte Vorschlag, Art. 48 Abs. 3 GG zu ändern, lautete: Die Abgeordneten haben Anspruch auf eine angemessene, ihre Unabhängigkeit sichernde Entschädigung und auf die zur Wahrnehmung ihrer Aufgaben erforderliche Ausstattung. Sie haben das Recht zur freien Benutzung aller staatlichen Verkehrsmittel. Über die jeweilige Höhe der Entschädigung und der zur persönlichen Ausstattung gehörenden Geldleistungen entscheidet eine vom Bundespräsidenten eingesetzte unabhängige Kommission. Das Nähere regelt ein Bundesgesetz. Der Vorschlag erhielt indes nur zwanzig Ja-Stimmen bei vier NeinStimmen und fünfzehn Enthaltungen. Damit war er abgelehnt, da die Kommission nach Nr. 10 des Einsetzungsbeschlusses mit Zweidrittelmehrheit entschied. Die Stimmenthaltungen wurden mit - auch verfassungsrechtlichen -

mandatsbedingten Aufwendungen dagegen künftig nur gegen Nachweis zu erstatten (vgl. BT-Drucks. 12/5020, S. 12). 43 Einen Überblick über die finanzielle Ausstattung der Abgeordneten der Länder sowie deijenigen auswärtiger Staaten bietet die Kissel-Kommission, BT-Drucks. 12/5020, S. 45 ff., 50. 44 Um anderes ging es seit der mit dem Gesetz von 1977 getroffenen Entscheidung nie! 45 Einsetzung durch Beschlüsse des Bundestages vom 28. November 1991 und des Bundesrates vom 29. November 1991 (Wortlaut: Zur Sache 5/93, S. 236 f.). 46 Bericht der Gemeinsamen Verfassungskommission BT-Drucks. 12/6000 = BRDrucks. 800/93 = Zur Sache 5/93. Hier und im folgenden wird nach der letztgenannten Fundstelle zitiert: S. 174 ff.

236

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Bedenken begründet, die gegen eine Übertragung der Entscheidung über die Höhe der Diäten auf ein parlamentsexternes Gremium bestanden, auch (im Blick auf Art. 79 Abs. 3 GG), wenn sie durch verfassungsänderndes Gesetz erfolge.

3. Die Fraktionsinitiative für eine Verfassungsänderung und ihr Scheitern Einen weiteren Anlauf zur Regelung der Diätenfrage unternahm der Bundestag mit den von den Fraktionen der CDU/CSU und der SPD eingebrachten Entwürfen eines Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes und eines Gesetzes zur Änderung des Abgeordnetengesetzes (sowie des Europaabgeordnetengesetzes) vom 28. Juni 1995 47 . Der erste dieser beiden Entwürfe enthielt den Vorschlag einer Änderung des Art. 48 Abs. 3 GG. Dessen Sätze 2 und 3 sollten die folgende Fassung erhalten: Die Abgeordnetenentschädigung bestimmt sich nach den Jahresbezügen eines Richters an einem obersten Bundesgericht. Das Nähere, insbesondere über die Abgeordneten- und Altersentschädigung sowie die Amtsausstattung, wird durch Bundesgesetz oder aufgrund eines Bundesgesetzes geregelt. Dem zweiten Entwurf zufolge sollte § 11 Abs. 1 und 2 AbgG (die Absätze 3 und 4 sind für die hier verfolgte Fragestellung ohne Belang) künftig lauten: (1) Ein Mitglied des Bundestages erhält eine monatliche Abgeordnetenentschädigung in Höhe eines Zwölftels der jährlichen Bezüge eines Richters an einem obersten Bundesgericht (Besoldungsgruppe R 6 - Grundgehalt, Ortszuschlag Stufe 2, Allgemeine Zulage, Zulage nach Nr. 2 der Anlage II zum Bundesbesoldungsgesetz in der Fassung vom 21. September 1994, BGBl I S. 2646, Grundbetrag nach dem Gesetz über die Gewährung einer jährlichen Sonderzuwendung in der Fassung vom 23. Mai 1975, BGBl I S. 266) nach dem Stand der für den Januar des jeweiligen Jahres geltenden Bezüge. (2) Abweichend von Abs. 1 beträgt die monatliche Abgeordnetenentschädigung zur stufenweisen Heranführung an die Bezüge nach Abs. 1 Satz 1 für die Jahre 1995 bis 2000 mit Wirkung vom 1. Januar 1995: 80 v. H., vom 1. Januar 1996: 84 v. H., vom 1. Januar 1997: 88 v. H., vom 1. Januar 1998: 92 v. H., vom 1. Januar 1999: 96 v. H., vom 1. Januar 2000: 100 v. H. der jeweiligen Bezugsgröße im Sinne von Abs. 1 Satz 1.

47

BT-Drucks. 13/1824, 1825.

Diäten-Urteil und Diäten-Streit - Legendenbildung im Verfassungsrecht

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Das Vorhaben entfesselte Stürme der Entrüstung 48 . Beispiele für die in diesem Zusammenhang gemachten Äußerungen finden sich in den Reden, die in der Debatte des Bundestages in dessen Sitzung am 21. September 1995 gehalten wurden 49 . A m Ende dieser Sitzung wurde der Gesetzentwurf zur Änderung des Grundgesetzes in namentlicher Abstimmung mit der zur Verfassungsänderung erforderlichen Mehrheit vom Bundestag angenommen: mit Ja stimmten 505, mit Nein 139 Abgeordnete, 5 Abgeordnete übten Stimmenthaltung. Die sich teilweise bis zur Hysterie steigernde Empörung der veröffentlichten Meinung ebbte indessen nicht ab. Beachtung fand ein von 86 deutschen Staatsrechtslehrern unterzeichneter Appell an den Bundesrat, der Verfassungsänderung seine Zustimmung zu versagen 50. Obwohl - oder gerade weil sich dieser Appell als ein „sehr vages Gemisch aus verfassungsrechtlicher und -politischer Argumentation" 51 präsentiert, tat er erstaunliche Wirkung. Der Bundesrat stimmte der Änderung des Grundgesetzes nicht zu 5 2 . Den Standpunkt der Mehrheit begründete der Justizminister des Landes Brandenburg, Dr. Hans Otto Bräutigam 53 , mit nach seiner Ansicht gewichtigen verfassungspolitischen - nicht etwa: verfassungsrechtlichen - Bedenken gegen einen Automatismus der Diätenanhebung.

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Ein Beispiel solcher Entrüstung stellt die Schrift „Der Staat sind wir. Politische Klasse ohne Kontrolle? Das neue Diätengesetz" dar, die es schon im Titel an Polemik nicht fehlen läßt. Sie erschien im Herbst 1995; ihr Verfasser: H. H. von Arnim-, s. a. ders., Das neue Abgeordnetengesetz, 2. Aufl. 1997, S. 1 ff. Zum Verlauf dieses DiätenStreits und den freilich weniger durch das Gesetzgebungsvorhaben als vielmehr während seiner parlamentarischen Beratung aufgeworfenen verfassungsrechtlichen Fragen s. a. W. Schmitt-Glaeser, Das Bundesverfassungsgericht als „Gegengewalt" zum verfassungsändernden Gesetzgeber? - Lehren aus dem Diäten-Streit 1995, in: J. Burmeister u. a. (Hrsg.), Verfassungsstaatlichkeit. Festschrift für K. Stern zum 65. Geburtstag, 1997, S. 1183 ff. 49 BT-Prot. 13. Wahlperiode, 55. Sitzung, S. 4584 ff. 50 Dazu: von Arnim, Das neue Abgeordnetengesetz (Fn. 48), S. 18 f.; SchmittGlaeser (Fn. 48), S. 1186 ff.; J. Linck, Kritisches zur Diätenkritik von 86 Staatsrechtslehrern, ZParl 1995, S. 683 ff. - Der Wortlaut des Appells ist bei SchmittGlaeser (Fn. 48), S. 1186 f., Fn. 19, und bei Linck, ebd., S. 683 f., abgedruckt. 51 So Linck (Fn. 50), S. 685. Schmitt-Glaeser (Fn. 48), S. 1187, meint, er sei „ebenso ,subtil' wie ,unsauber' formuliert". 52 Prot, der 689. Sitzung am 13. Oktober 1995, S. 457 B. 53 Ebd., S. 456 f.

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4. Blick auf das Landesrecht, insbesondere die im Freistaat Thüringen gefundene Lösung Das Landes(verfassungs)recht bemißt die Bezüge der Mitglieder der Landesparlamente zwar der Höhe nach unterschiedlich, orientiert sich aber sowohl in Ansehung der Zweiteilung in eine (steuerpflichtige) Entschädigung (Alimentation) und eine (steuerfreie) Aufwandsentschädigung als auch in bezug auf die Regelungstechnik - Änderung der auszuzahlenden Beträge jeweils durch Gesetz - fast ausnahmslos am Vorbild der im Bund bis zum Inkrafttreten des Gesetzes vom 15. Dezember 1995 54 geltenden Regelung. Nur die Verfassung des Freistaats Thüringen schert aus. Ihr Art. 54 Abs. 2 lautet: Die Höhe der Entschädigung verändert sich jährlich auf der Grundlage der jeweils letzten Festlegung nach Maßgabe der allgemeinen Einkommens-, die der Aufwandsentschädigung nach der allgemeinen Preisentwicklung im Freistaat. Diese Bestimmung wurde durch § 5 des Abgeordnetengesetzes 55 konkretisiert. Durch verfassungsänderndes Gesetz vom 12. Dezember 1997 56 wurde Art. 105 a in die Thüringische Verfassung aufgenommen; er lautet: Abweichend von Art. 54 Abs. 2 Halbsatz 1 verändert sich die Höhe der Entschädigung der Abgeordneten bis zum Ende der 2. Wahlperiode, längstens jedoch bis zum 31. Oktober des letzten Kalenderjahres der 2. Wahlperiode, nicht. Bei der nächsten Veränderung wird die 1996 wirksam gewordene Festlegung der Entschädigungshöhe und die allgemeine Einkommensentwicklung im Freistaat im letzten dieser Veränderung vorausgehenden Jahr zugrunde gelegt.

I I I . Verfassungsrechtliche Beurteilung Die nachfolgende Betrachtung widmet sich der Frage, ob eine Änderung des Art. 48 Abs. 3 GG, wie sie zunächst die Gemeinsame Verfassungskommission und sodann der Entwurf der Fraktionen von CDU, CSU und SPD ins Auge gefaßt hatten, verfassungsrechtlichen Bedenken ausgesetzt gewesen wäre (I.). Im weiteren soll geprüft werden, ob die in § 11 AbgG in der Fassung der Gesetze vom 15. Dezember 1995 und vom 19. Juni 1996 getroffene Regelung sowie diejenige des Art. 54 Abs. 2 Thür.LV i. V. m. § 25 Thür. AbgG solchen 54 S. o. 1.2. - Ausnahmen gelten für diejenigen Länder, die sich schon früher für die Einführung der „Staffeldiät" entschieden haben (dazu s. u. DI. 2.3.d). 55 GVB1 1995, S. 121. Die Vorschrift ist abgedruckt bei Litick, ZParl 1995, 372 (374 f.). 56 GVB1 1997, S. 525.

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Bedenken unterliegen (II.). Gegenstand der Untersuchung ist dabei nicht die Angemessenheit der Höhe der Entschädigung, sondern lediglich das Verfahren ihrer Festsetzung.

1. Die Vorschläge zur Änderung des Grundgesetzes Die erwähnten Vorschläge zur Änderung des Grundgesetzes stimmen in der Zielsetzung überein: Sie sind - in den Worten des Diäten-Urteils 57 - ihrer „Intention nach dazu bestimmt, das Parlament der Notwendigkeit zu entheben, jede Veränderung in der Höhe der Entschädigung im Plenum zu diskutieren und vor den Augen der Öffentlichkeit darüber als einer selbständigen politischen Frage zu entscheiden". Während die Gemeinsame Verfassungskommission erwog, dieses Ziel dadurch zu erreichen, daß sie die Entscheidung über die jeweilige Höhe der Entschädigung einer vom Bundespräsidenten eingesetzten unabhängigen Kommission übertrug, wollte der Vorschlag der Fraktionen die Abgeordnetenentschädigung strikt an die Jahresbezüge eines Richters an einem obersten Bundesgericht binden 58 . a) aa) Gegen den in der Gemeinsamen Verfassungskommission erörterten Vorschlag hat sich u. a. die Kommission unabhängiger Sachverständiger zur Parteienfinanzierung gewandt, die, vom Bundespräsidenten eingesetzt, in den Jahren 1992 und 1993 die „mit der Parteienfinanzierung zusammenhängenden

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BVerfG 40, 296 (316). Der Begriff „Jahresbezüge eines Richters an einem obersten Bundesgericht" nimmt eindeutig Bezug auf die Besoldungsgruppe R 6, wie sich auch aus dem gleichzeitig vorgelegten Entwurf zur Änderung des Abgeordnetengesetzes (BT-Drucks. 13/1825) ergibt, in dem es hieß, daß ein Mitglied des Bundestages eine monatliche Entschädigung „in Höhe eines Zwölftels der jährlichen Bezüge eines Richters an einem obersten Bundesgericht (Besoldungsgruppe R 6 ...) nach dem Stand der für den Januar des jeweiligen Jahres geltenden Bezüge" erhalte. Die Behauptung von Arnims, Das neue Abgeordnetengesetz (Fn. 48), S. 35, die Formulierung der vorgesehenen Neufassung des Art. 48 Abs. 3 GG, sei „völlig unbestimmt", weil sie von R 6 (Richter) bis R 10 (Präsident) reiche, entbehrt jeder Grundlage, wie sich aus diesem entstehungsgeschichtlichen Zusammenhang und überdies schon aus dem Wortlaut unmißverständlich ergibt. Das gilt um so mehr, als es auch hier ersichtlich darum ging, den 1977 erreichten und danach unterschrittenen Standard verfassungsgesetzlich festzuschreiben: B 6 entspricht auf den Pfennig genau R 6. Auch in Anlage IH zum Bundesbesoldungsgesetz werden mit aller Deutlichkeit die ,Richter" an den obersten Bundesgerichten der Besoldungsgruppe R 6, die dort tätigen „Vorsitzenden Richter" der Besoldungsgruppe R 8 und die Präsidenten der Besoldungsgruppe R 10 zugeordnet. Ein Zweifel an dem von den Initiatoren der geplanten Verfassungsänderung Gewollten ist daher schlechterdings nicht möglich. 58

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Fragen" zu untersuchen hatte 59 . Eine unabhängige Kommission mit eigener Entscheidungsbefugnis könne „wohl auch nicht durch eine Verfassungsänderung geschaffen werden". M i t der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, daß Art. 48 Abs. 3 GG „zu den Essentialen des demokratischen Prinzips" gehöre, sei der in dieser Entscheidung (gemeint ist das Diäten-Urteil) begründete Gesetzesvorbehalt für die Abgeordnetenentschädigung „wohl wegen Art. 79 Abs. 3 GG sogar einer Verfassungsänderung entzogen" 60 . Die Kissel-Kommission hat sich diesen „überzeugenden Gründen" angeschlossen und gemeint, eine Grundgesetzänderung wie die von der Gemeinsamen Verfassungskommission geplante „dürfte selbst dem Verfassungsgeber" - gemeint ist ersichtlich der verfassungsändernde Gesetzgeber - „versagt sein". Auch die Kissel-Kommission beruft sich auf die vom Bundesverfassungsgericht beschworenen „Essentialen des demokratischen Prinzips". Die Ausgestaltung des dem Abgeordneten vom Wähler mit dem Wahlakt verliehenen Status müsse dem Kerngehalt des Demokratieprinzips zugerechnet werden. Die Übertragung der diesen Status maßgeblich mitgestaltenden Entscheidung über die Höhe der Entschädigung auf eine demokratisch nicht in gleicher Weise legitimierte Institution 61 durchbreche die in Art. 20 GG vorgegebenen Grundsätze und könne deshalb „kaum vor Art. 79 Abs. 3 GG Bestand haben" 62 . bb) Diese Überlegungen beruhen einerseits auf einer Fehlinterpretation des Diäten-Urteils (aa) und dessen bedenklich extensiver, wenn auch durchaus unklarer Interpretation des Art. 28 Abs. 1 Satz 1 GG (bb), andererseits auf einer zu weit greifenden Bestimmung der in Art. 79 Abs. 3 GG festgelegten Grenzen der Verfassungsänderung (cc). (1) Das Bundesverfassungsgericht 63 rechnet „Art. 48 Abs. 3 GG, der seinem Grundsatzcharakter entsprechend innerhalb der aus ihm entwickelten Grundsätze durch den Gesetzgeber näher konkretisiert werden kann,... zu den Essentialen des demokratischen Prinzips, das in Art. 28 Abs. 1 GG als ein für die verfassungsmäßige Ordnung in den Ländern wesentlicher Bestandteil gefordert wird". Demgemäß müsse eine landesrechtliche Regelung des Parlamentsrechts an jener Vorschrift des Grundgesetzes gemessen werden. Mit keinem Wort hat sich das Bundesverfassungsgericht sei es an dieser, sei es an einer anderen Stelle seines Urteils auf Art. 79 Abs. 3 GG bezogen. Mit Recht!

59

BT-Drucks. 12/4425. Ebd., S. 45 f. 61 Die Parteienfinanzierungskommission hatte weitergehend behauptet, eine solche Kommission entbehre der demokratischen Legitimation. 62 BT-Drucks. 12/5020, S. 21. 63 BVerfGE 40, 296 (319). 60

Diäten-Urteil und Diäten-Streit - Legendenbildung im Verfassungsrecht

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Denn: „Homogenitätsgebot und Ewigkeitsklausel ... sind zwei grundverschiedene Dinge", wie Schmitt Glaeser 64 in Anlehnung an Wolfgang Graf Vitzthum 6 5 zutreffend festgestellt hat. Ungeachtet sachlicher Überschneidungen 66 ist die Schutzrichtung der bundesstaatsrechtlichen Normativbestimmung des Art. 28 Abs. 1 GG - Gewährleistung eines gewissen Maßes an Gemeinsamkeiten in der Verfassungsordnung von Bund und Ländern im Interesse politischer Stabilität und Funktionsfähigkeit einer „res publica composita" 67 bei gleichzeitiger Garantie gliedstaatlicher Verfassungsautonomie - eine gänzlich andere als die des Art. 79 Abs. 3 GG, dem es darum geht zu verhindern, daß der verfassungsändernde Gesetzgeber, ein pouvoir constitué, den Verfassungsgeber, den pouvoir constituant, verdrängt: die legale Revolution soll unmöglich gemacht werden 68 . (2) Beide Vorschriften sind eng auszulegen. Art. 28 Abs. 1 GG verlangt „nur ein Mindestmaß an Homogenität" 69 . „Das Homogenitätsgebot ist auf die dort genannten Staatsstruktur- und Staatszielbestimmungen und innerhalb dieser wiederum auf deren Grundsätze beschränkt. Die konkreten Ausgestaltungen, die diese Grundsätze im Grundgesetz gefunden haben, sind für die Länder nicht verbindlich" 70 . Legt man diesen Maßstab zugrunde, erscheint schon die im Diäten-Urteil aufgestellte Behauptung, landesrechtliche Regelungen des Parlamentsrechts seien unmittelbar an Art. 48 Abs. 3 GG zu messen, kaum oder doch allenfalls solange vertretbar, als der Landesverfassungsgesetzgeber auf eine eigenständige Regelung der Abgeordnetenentschädigung verzichtet 71 . Die Annahme, die vom Bundesverfassungsgericht in dieser Entscheidung entwickelten, z. T. aus einer allenfalls für den Bund zutreffenden

64

Schmitt Glaeser (Fn. 48), S. 1188. Graf Vitzthum, Die Bedeutung gliedstaatlichen Verfassungsrechts in der Gegenwart, VVDStRL 46 (1987), S. 7 (29 f.); ebenso J. Kersten, Homogenitätsgebot und Landesverfassungsrecht, DÖV 1993, 896 (898 f.). - Für eine Parallelität von Art. 28 Abs. 1 Satz 1 und Art. 79 Abs. 3 GG haben sich dagegen ausgesprochen: H.-P. Schneider, Verfassungsrecht der Länder - Relikt oder Rezept, DÖV 1987, 749 (751); eher undeutlich P. Kirchhof in: Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts (HStR), Bd. I, 1987, § 19 Rdnr. 41. 66 Graf Vitzthum (Fn. 65), S. 30. 67 J. Isensee in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HStR, Bd. IV, 1990, § 98 Rdnr. 136. 68 Vgl. etwa P. Badura in: HStR, Bd. VE, 1992, § 160 Rdnr. 26 f.; E.-W. Böckenförde in: HStR I, 1987, § 22 Rdnr. 39. 69 BVerfGE 36, 342 (360 f.). 70 BVerfGE 90, 60 (85). 71 Die Landesverfassung des Saarlandes enthält und enthielt eine solche Regelung nicht. 65

16 FS Blümel

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„Realanalyse" abgeleiteten72, detailreichen „Grundsätze" seien sämtlich Bestandteil der Homogenitätsgarantie des Art. 28 Abs. 1 Satz 1 GG, schießt weit über das Ziel hinaus 73 . (3) (a) Einer restriktiven Auslegung hat sich das Bundesverfassungsgericht stets auch in Ansehung des Art. 79 Abs. 3 GG befleißigt 74 . Bei der Bestimmung dessen, was nach dieser Vorschrift des Grundgesetzes sich dem Zugriff des verfassungsändernden Gesetzgebers entzieht, hat das in Art. 20 GG niedergelegte demokratische Prinzip in der Rechtsprechung des Gerichts bislang allerdings kaum eine Rolle gespielt 75 . Wer sich also anheischig macht, die Unvereinbarkeit der innerhalb der Gemeinsamen Verfassungskommission erwogenen oder der vom Bundestag beschlossenen, dann aber am Widerstand des Bundesrates gescheiterten Änderung des Art. 48 Abs. 3 GG mit Art. 79 Abs. 3 GG zu behaupten, muß nachweisen, daß eine punktuell von der derzeitigen Fassung des Art. 48 Abs. 3 GG - in der ihm durch das Diäten-Urteil gegebenen Auslegung! - abweichende Regelung dem verfassungsändernden Gesetzgeber verwehrt ist, weil er damit seine Befügnis überschreitet, den Verfassungsgrundsatz der Demokratie „systemimmanent zu modifizieren" 76 . Zu dem jeder Verfassungsänderung entzogenen Kerngehalt des demokratischen Prinzips sind jedenfalls zu rechnen:

72

Auch methodisch ist das Unternehmen, aus einer nicht selten nur vermeintlich oder vorübergehend veränderten Wirklichkeit auf einen neuen Inhalt von Rechts-, gar Verfassungsnormen zu schließen, immer gewagt. Zwar hat die Auslegung einer (Verfassungs-)Norm stets auf die realen Gegebenheiten Bedacht zu nehmen, auf die sie bezogen ist (vgl. BayVerfGH, DVB1 1983, 706 [707]). Andererseits darf aber nicht aus dem Blick geraten, daß die Norm die Entwicklung der Wirklichkeit bestimmen soll und nicht umgekehrt - anderenfalls sähe sich der Gesetzgeber, ohnehin nur mehr ein Faktor bei der Gestaltung der Rechtsordnung, völlig enünachtet. 73 Methodisch zu beanstanden ist gegenüber dem Diäten-Urteil übrigens auch, daß einer der tatsächlich wichtigsten (allerdings, wie noch zu zeigen ist, in seiner Wirkung weit überschätzten) „Grundsätze" des Art. 48 Abs. 3 GG, das sogenannte Transparenzgebot, ganz am Rande der Entscheidung, bei Gelegenheit des obiter ausgesprochenen Verdikts über die Ermächtigung des Landtagspräsidiums zu bestimmten, die Höhe der Entschädigung betreffenden Entscheidungen herausgearbeitet wird (BVerfGE 40, 296 [327]). Daß dies nicht schon bei der Entfaltung des allgemeinen Maßstabes (S. 315 ff.) geschah, zeigt immerhin, daß der Senat hier ganz bewußt die ihm vom Verfahrensgegenstand gezogenen Grenzen überschritt. 74 Vgl. BVerfGE 30, 1 - s. aber auch das Sondervotum der Richter Geller, von SchlabrendorffundRupp, S. 33 ff.; 84, 90 (120 f.); 94, 49 (102 f.). 75 Eine Ausnahme bildet BVerfGE 27, 44, betreffend die Fortdauer des Amtes des Regierungschefs beim Zusammentritt eines neugewählten Landtags. 76 BVerfGE 30, 1 (25); 84, 90 (121); 94, 12 (34); 94,49 (103).

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- Der Grundsatz, „daß die Wahrnehmung staatlicher Aufgaben und die Ausübung staatlicher Befugnisse sich auf das Staatsvolk zurückführen lassen und grundsätzlich ihm gegenüber verantwortet werden" 77 , denn: „Die Staatsgewalt geht vom Volke aus" (Art. 20 Abs. 2 Satz 1 GG); - ein aus allgemeinen, unmittelbaren, freien, gleichen und geheimen, in nicht zu langen Abständen durchzuführenden Wahlen hervorgehendes Parlament (Art. 20 Abs. 2 Satz 2, 38 Abs. 1 Satz 1 GG - Prinzip der Herrschaft auf Zeit), das an der für den Gesamtstaat verbindlichen Rechtsetzung - unbeschadet der durch den Grundsatz der „offenen Staatlichkeit" (Art. 23, 24 Abs. 1 GG) bedingten Einschränkungen, die freilich ihrerseits gewissen Schranken unterliegen (Art. 23 Abs. 1 Satz 3 GG) -, wesentlichen Anteil hat (berechtigter Kern der sogenannten Wesentlichkeitstheorie) 78; - der (gleiche) Status der Abgeordneten als „Vertreter des ganzen Volkes" (Repräsentanten), die „an Aufträge und Weisungen nicht gebunden und nur ihrem Gewissen unterworfen" sind (Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG) und zur Sicherung dieser ihrer Unabhängigkeit Anspruch haben auf ungehinderten Zugang zum „Amt eines Abgeordneten" (Art. 48 Abs. 2 GG) sowie auf eine „angemessene" Entschädigung, was, soweit es nicht durch die Verfassung selbst geschieht, um der Wesentlichkeit des Gegenstandes willen durch ein Gesetz zu gewährleisten ist (Art. 48 Abs. 3 GG); - ein gewisses Maß an parlamentarischer Autonomie (vgl. Art. 40 GG); - der Schutz der freien Rede der Abgeordneten (vgl. Art. 46 GG) und ihres ungehinderten Zuganges zu Informationen 79 ; - die (Einschränkungen freilich in gewissem Umfang zugänglichen) Grundsätze der Öffentlichkeit der parlamentarischen Verhandlung - ausschlaggebende Grundlage für die Durchschaubarkeit des staatlichen Willensbildungsprozesses und seines Ergebnisses, auf der die parlamentarische Demokratie beruht, weil solche Transparenz, „die erlaubt zu verfolgen, was politisch geschieht" 80 , für die „Responsivität" des demokratischen Prozesses unabdingbar ist; denn: „Vertrauen ohne Transparenz ... ist nicht möglich" 8 1 - und der Mehrheitsentscheidung (vgl. Art. 42 GG) sowie schließlich

77

BVerfGE 89, 155 (182). Zu dieser m. N. P. Badura, Staatsrecht, 2. Aufl. 1996, C 19, D 56, F 12 f. 79 In diesen Zusammenhang gehören die in Art. 43 Abs. 1 und 47 GG gewährleisteten Rechte, die freilich ebenso wie die im Text zuvor genannten unterschiedlicher Ausgestaltung zugänglich sind. Zum Thema s. auch BVerfGE 67, 100; 77, 1; 80, 188. 80 BVerfGE 40, 296 (327). 81 BVerfGE 40, 296 (327). 78

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- das Mehrparteienprinzip auf der Grundlage der Parteigründungsfreiheit (Art. 21 Abs. 1 Satz 1 und 2 GG). In bezug auf den Status der Abgeordneten darüber (dritter und fünfter Spiegelstrich) hinauszugehen, ist nicht veranlaßt. Weder würde die Identität der grundgesetzlichen Demokratie beeinträchtigt, gar in ihrem Wesenskern verändert, also im Sinne des Art. 79 Abs. 3 GG „berührt", wenn der verfassungsändernde Gesetzgeber die Festsetzung der , jeweilige(n) Höhe der Entschädigung ... eine(r) vom Bundespräsidenten eingesetzte(n) unabhängige(n) Kommission" übertrüge, wie es die Gemeinsame Verfassungskommission erwogen hatte, noch dadurch, daß sich dem Fraktionsentwurf zufolge die Abgeordnetenentschädigung nach den Jahresbezügen eines Richters an einem obersten Bundesgericht bestimmen sollte. (b) Wilhelm Henke 82 hatte schon auf der Grundlage des geltenden Verfassungsrechts vorgeschlagen, in Angelegenheiten, die die Abgeordneten oder die politischen Parteien selbst beträfen, eine unabhängige Stelle, etwa eine nach dem Vorbild der vom Bundespräsidenten nach § 18 Abs. 6 PartG zu berufende Kommission unabhängiger Sachverständiger, mit der Aufgabe zu betrauen, „die jeweilige gesetzliche Bestimmung der zu gewährenden Mittel tatsächlich und rechnerisch - nach vom Gesetzgeber vorgegebenen Kriterien - „zu prüfen und gegebenenfalls ein Veto gegen sie einzulegen", wodurch der Gesetzgeber verpflichtet wird, eine neue Entscheidung zu treffen. Auch wenn Henke darin zu folgen wäre, daß solche Entscheidungen des Parlaments „ i n eigener Sache" gegen das Rechtsstaatsprinzip verstoßen, muß es doch bedenklich erscheinen, die dem Gesetzgeber durch Art. 48 Abs. 3 Satz 3 GG ausdrücklich zugewiesene Entscheidungsmacht durch ein sei es auch nur suspensives Vetorecht eines Gremiums unabhängiger Sachverständiger ohne eine spezielle verfassungsgesetzliche Ermächtigung hierzu einzuschränken 83. Dafür sprechen auch die von Henke herangezogenen Beispiele für weitgehende, aus dem Parlament herausverlagerte Entscheidungskompetenzen sei es des Bundesverfassungsgerichts, sei es der Bundesbank: sie finden in der Verfassung selbst eine Grundlage (Art. 88, 93, 100 GG). Daraus folgt indes, daß die Bereitstellung einer solchen verfassungsgesetzlichen Grundlage durch den verfassungsändernden Gesetzgeber in einem Fall, der hinter den soeben genannten an allgemeiner Bedeutung deutlich zurückbleibt, nicht gegen Art. 79 Abs. 3 GG verstoßen kann 84 . 82

BK, Art. 21 Rdnr. 321 f. So auch H. H. Rupp, Legitimation der Parlamente zur Entscheidung in eigener Sache, ZG 1992, 285 (290). 84 Von einer Relativierung des Gesetzgebungsmonopols des Parlaments durch diesen nach seiner Aussage von ihm kommenden Vorschlag zur Änderung des Art. 48 83

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b) Die Unvereinbarkeit des Fraktionsentwurfs mit Art. 79 Abs. 3 GG wurde - vor allem in jenem Aufruf der 86 Staatsrechtslehrer - meist eher suggeriert als klar behauptet oder gar begründet. Wer etwa die Meinung vertreten wollte, die darin vorgesehene Anbindung der Abgeordnetenentschädigung an die Richterbezüge der Besoldungsgruppe R 6 widerspreche dem vom Bundesverfassungsgericht dem geltenden Art. 48 Abs. 3 GG entnommenen sogenannten Koppelungsverbot 85 und dieses gehöre zu dem unantastbaren Kern des demokratischen Prinzips, muß diesem Prinzip eine Bedeutung verleihen, die es in anderen demokratischen Verfassungsstaaten offensichtlich nicht hat: in Dänemark, Frankreich, Griechenland, Italien, Luxemburg, den Niederlanden, Österreich, Schweden, Portugal und im Vereinigten Königreich ist eine Koppelung der Bezüge der Abgeordneten an diejenigen bestimmter anderer öffentlicher Amtsträger, meist Beamte oder Richter, vorgesehen 86. Warum ein Koppelungsverbot, an welches vor dem Diäten-Urteil niemand gedacht hat, ausgerechnet in Deutschland zum identitätsbestimmenden Kern des demokratischen Prinzips gehören soll, ist nicht nachvollziehbar 87 . Unverzichtbar ist nur die Transparenz der politischen Willensbildung und ihres Ergebnisses: eine Verfassungsänderung wie die vom Bundestag beschlossene hätte sie nicht im geringsten beeinträchtigt. Deshalb geht auch die These von Arnims 8 8 fehl, Art. 79 Abs. 3 GG ziehe dem verfassungsändernden Gesetzgeber stets dann besonders enge Grenzen, wenn er dabei „ i n eigener Sache" entscheide. Wollte man dieser These folgen, geriete das gesamte Parlamentsrecht in die Gefahr der Versteinerung. Auch liegt darin ein Widerspruch, daß von Arnim nicht müde wird, die Entscheidungen des Parlaments „ i n eigener Sache" unter einen grundsätzlichen Mißbrauchsverdacht zu stellen (der sich allerdings mitunter als begründet erwiesen hat), ihm aber andererseits jeden verfassungsrechtlich gangbaren, d. h. insbesondere dem Transparenzgebot entsprechenden Ausweg aus dieser Sackgasse zu versperren trachtet. Gehörte im übrigen die Festsetzung der jeweiligen Höhe der Abgeordnetenentschädigung zu denjenigen Aufgaben, denen Abs. 3 GG spricht H.-J. Vogel, Entscheidungen des Parlaments in eigener Sache, ZG 1992, 293 (300); eine Regelung wie die von der Gemeinsamen Verfassungskommission vorgesehene wurde 1987 von Graf Pesta lozza, Die StalTeldiät oder: das Parlament als Dunkelkammer, NJW 1987, 818 (821), geradezu gefordert. - Nach den Feststellungen der Kissel-Kommission, BT-Drucks. 12/5020, S. 89, obliegt die Festlegung der Bezüge der Abgeordneten (und oft auch anderer Amtsträger) in Australien, Irland, Neuseeland und USA besonders dazu eingerichteten Kommissionen. 85 BVerfGE 40, 296 (316 f.). 86 BT-Drucks. 12/5020, S. 89. 87 Wie liier Linck (Fn. 50), S. 687; Schmitt-Glaeser (Fn. 48), S. 1189. 88 von Arnim, Der Staat sind wir (Fn. 48), S. 137 ff.

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sich der Gesetzgeber nicht einmal durch eine Verfassungsänderung unter Wahrung der oben bezeichneten Kerngehalte des demokratischen Prinzips zu entziehen vermöchte, wäre eine Norm des europäischen Gemeinschaftsrecht, die eines Tages in Anknüpfung an die Rechtstradition anderer Mitgliedschaften der Europäischen Union eine Koppelung der Bezüge der Abgeordneten des Europäischen Parlaments etwa an die Gehälter der Richter des Europäischen Gerichtshofs oder der Mitglieder der Kommission vorsähe, mit Art. 23 Abs. 1 Satz 3 i. V. m. 79 Abs. 3 GG unvereinbar. Das liegt außerhalb aller rechtspraktischen und verfassungsrechtlichen Vernunft.

2. Das Abgeordnetengesetz von 1995 und die Regelung in Thüringen Nach dem Scheitern der beabsichtigten Verfassungsänderung hat der Bundesgesetzgeber mit dem neuen § 11 AbgG 8 9 eine Lösung gewählt, die am Maßstab des Art. 48 Abs. 3 GG zu prüfen ist. Auch der Weg, den der Freistaat Thüringen eingeschlagen hat 90 , muß diesem Maßstab genügen, soweit er einen Bestandteil der Normativbestimmung des Art. 28 Abs. 1 Satz 1 GG bildet. a) aa) Nach § 11 AbgG orientiert sich die Höhe der einem Mitglied des Bundestages monatlich zustehenden Entschädigung an einem Zwölftel der (identischen) Jahresbezüge eines Richters an einem obersten Gerichtshofs des Bundes (R 6) und eines kommunalen Wahlbeamten auf Zeit (B 6). Sie sind auf den Pfennig genau dem Bundesbesoldungsgesetz, dem Gesetz über die Gewährung einer jährlichen Sonderzuwendung und dem Gesetz über die Gewährung eines jährlichen Urlaubsgeldes zu entnehmen. Dies erfordert die gleiche Mühe wie die Feststellung der den Mitgliedern anderer Verfassungsorgane, etwa dem Bundeskanzler, den Bundesministern oder den Richtern des Bundesverfassungsgerichts zustehenden Amtsgehälter 91 . Da die Entschädigung der Abgeordneten derzeit noch hinter den Bezügen der Amtsträger der Besoldungsgruppen R 6 und B 6 zurückbleibt, wird sie diesem Niveau stufenweise bis zum 1. Januar 1999 angeglichen (§ 11 Abs. 1 Satz 2 AbgG). Für spätere Anpassungen, die mithin nicht automatisch erfolgen, bestimmt § 30 AbgG, daß der Bundestag innerhalb des ersten Halbjahres nach der konstituierenden Sitzung über die Höhe der Entschädigung nach Maßgabe des § 11 Abs. 1 Satz 1 AbgG mit Wirkung für die gesamte Wahlperiode durch Gesetz beschließt; einen entsprechenden Gesetzentwurf hat der Bundestagspräsident den Fraktio89

Oben H. 1.2. Oben n. 4. 91 Vgl. das Gesetz über die Rechtsverhältnisse der Mitglieder der Bundesregierung sowie das Gesetz über das Amtsgehalt der Mitglieder des Bundesverfassungsgerichts. 90

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nen zuzuleiten. Für die 1998 beginnende 14. Wahlperiode gilt diese Regelung mit Rücksicht auf § 11 Abs. 1 Satz 2 AbgG erst für die zum 1. Januar 2000 fällige Anpassung. - Die in § 30 AbgG a. F. vorgesehene jährliche Berichtspflicht des Präsidenten über die Angemessenheit der Entschädigung ist mit der Neuregelung entfallen. bb) Während die bundesrechtliche Regelung vom Gesetzgeber verlangt, daß er jeweils zu Beginn der Wahlperiode für deren Dauer, also in der Regel für vier Jahre, über die erforderlichen Anpassungen92 der Diäten beschließt - mit dem Ergebnis, daß die genaue Höhe der Entschädigung im Abgeordnetengesetz ( § 1 1 Abs. 1 Satz 2) nachzulesen ist -, während also das Abgeordnetengesetz des Bundes auf eine Automatik der Anpassung verzichtet, sieht Art. 54 Abs. 2 Thür.LV i. V. m. § 25 Thür. AbgG auf der Grundlage eines in § 5 Abs. 1 AbgG festgesetzten Basiswerts (von 7.007,- DM/Monat) eine Indexierung der Entschädigung 93 vor. Sie orientiert sich an der allgemeinen Einkommensentwicklung 94 , die nach näherer Maßgabe des Gesetzes (§ 25 Abs. 3 Nr. 1) vom Thüringischen Landesamt für Statistik zu ermitteln ist 95 . Die fällige Anpassung wird nach Vorliegen der relevanten Daten jeweils zum 1. November des zurückliegenden Jahres vorgenommen. Der Präsident des Landtags informiert die Abgeordneten in einer Landtagsdrucksache und die Öffentlichkeit im Gesetz- und Verordnungsblatt des Landes einerseits über die ihm vom Statistischen Landesamt mitgeteilten Daten, andererseits über die sich daraus ergebenden Veränderungen 96. Der Landtag sieht sich durch diese Regelung einer regelmäßigen Anpassung der Entschädigung durch Gesetz überhoben. Einer weiteren wie auch immer gearteten Entscheidung des Landtags bedarf es nicht, was ihn nicht hindern kann, wie jüngst geschehen97, durch verfassungsänderndes Gesetz die durch Art. 54 Abs. 2 Thür.LV festgelegte Automatik zu durchbrechen oder sie ganz zu beseitigen. b) Verfassungsrechtliche Bedenken gegen die bundes- wie gegen die landesrechtliche Lösung könnten sich einerseits aus dem sogenannten Koppelungsverbot, andererseits aus dem Transparenzgebot 98 ergeben 99. Hier sei zu-

92

,»Anpassung" bedeutet nicht notwendig Erhöhung. Wie auch der Aufwandsentschädigung! 94 Die der Aufwandsentschädigung an der allgemeinen Preisentwicklung. 95 Näheres bei J. Linck, Indexierung der Abgeordnetendiäten - Das Thüringer Modell gegen den bösen Schein der Selbstbedienung, ZParl 1995, 372 (373 ff.); dort auch zum Folgenden. 96 Vgl. z. B. GVB1 1996, S. 15. 97 Vgl. obenH 4. 98 Zum Koppelungsverbot s. o. I. 2.3., zum Transparenzgebot I. 2.7. 93

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nächst der ersten Frage nachgegangen, die vor allem die von § 11 Abs. 1 Satz 1 AbgG vorgeschriebene Orientierung der Abgeordnetenentschädigung an den Bezügen nach R 6/B 6 betrifft. aa) Das Koppelungsverbot wird im Diäten-Urteil 100 auf doppelte Weise begründet: Zum einen habe die Abgeordnetenentschädigung mit dem Beamtengehalt nichts zu tun, denn der Status des Abgeordneten habe mit dem des Beamten nichts gemein. Die Entschädigung vertrage deshalb keine Abhängigkeit von der Gehaltsregelung. Zum anderen widerstreite die Koppelung „der verfassungsrechtlich gebotenen selbständigen Entscheidung des Parlaments" über die Höhe der Entschädigung. Das erste dieser beiden Begründungselemente überrascht. Das Urteil setzt ja zunächst alles daran darzutun, daß dem Abgeordneten für die Dauer des Mandats auf der Grundlage des Art. 48 Abs. 3 Satz 1 GG eine der Bedeutung seines Amtes entsprechende „Alimentation" zusteht, die auch dem Abgeordneten, der über kein sonstiges Einkommen verfügt, und seiner Familie ein seine Unabhängigkeit sicherndes Auskommen ermögliche; die Entschädigung des Abgeordneten sei „heute eine Vollalimentation aus der Staatskasse"101. An anderer Stelle verlangt das Urteil vom Gesetzgeber, beim Zusammentreffen von zwei (oder mehr) Bezügen aus öffentlichen Kassen mit Alimentationscharakter diese jedenfalls teilweise miteinander zu verrechnen. Es fehle an einem sachlich zureichenden Grund, „diesen Fall anders als entsprechend den gegenwärtig im Beamtenrecht geregelten Grundsätzen zu behandeln" 102 . Auf die Widersprüchlichkeit dieser Argumentation hat schon Seuffert 103 aufmerksam gemacht Die letztgenannte These entbehrte jeglicher Grundlage, wenn die Behauptung Geigers 104 zuträfe, die „Alimentation" des Abgeordneten hätte keinerlei Bezug zum beamtenrechtlichen Alimentationsprinzip. So sicher es richtig ist, daß das „Alimentationsprinzip" des Abgeordnetenrechts dem des Beamtenrechts nicht gleichgestellt werden darf -, es kann sich etwa aus vieroder achtjähriger Zugehörigkeit zum Parlament kein Anspruch auf eine lebenslange, nach beamtenrechtlichen Grundsätzen bemessene Altersversorgung ergeben -, so richtig ist es doch auch, daß die Entschädigung dem Abgeordne-

99 Der Frage, ob die Höhe der Entschädigung insgesamt „angemessen" ist, wird hier nicht weiter nachgegangen. Der verfassungsrechtliche Maßstab ist in dieser Frage denkbar weit. 100 BVerfGE 40, 296 (316 f.). 101 Ebd., S. 315 f. 102 Ebd., S. 329 f. 103 Abweichende Meinung, ebd., S. 343 f. 104 Geiger (Fn. 18), S. 525.

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ten und seiner Familie eine der Bedeutung seines Amtes entsprechende „ausreichende Existenzgrundlage" bieten muß, die die zusätzliche Aufgabe hat, seine Unabhängigkeit zu sichern. In seinem Beschluß vom 30. September 1987 105 hat das Bundesverfassungsgericht den durch das Diäten-Urteil bewirkten Irrtum ausgeräumt, die Entschädigung des Abgeordneten habe mit der dem Beamten geschuldeten Alimentation ihrer Rechtsnatur nach irgendetwas gemein: Vergleichbarkeiten seien damit grundsätzlich (sie!) ausgeschlossen. Der Senat hat damit - die Abweichung vom Diäten-Urteil ausdrücklich hervorhebend 106 - die Feststellung des Sondervotums bestätigt, „der allerdings grundlegende Unterschied zwischen Beamtengehältern und Abgeordnetenentschädigung (habe) nichts damit zu tun, in welcher Weise die Höhe der Diäten bestimmt wird ..." 1 0 7 . Daraus wurde deshalb auch nicht gefolgert, es sei dem Gesetzgeber verwehrt, die Abgeordnetenentschädigung nach dem Alimentationsprinzip zu bemessen; geschehe dies, so liege es allerdings nahe, daraus gewisse Konsequenzen (etwa in Bezug auf die Anrechenbarkeit von Renten) zu ziehen 108 . Daraus folgt: Sieht sich der Gesetzgeber nach Maßstäben um, die ihm Anhaltspunkte für die Angemessenheit der Höhe der Abgeordnetenentschädigung - die er zulässigerweise als Vollalimentation konzipiert - zu liefern vermögen, darf er seinen Blick zumindest auch auf die Besoldung der Beamten richten. Was läge auch, da es sich um die angemessene Entschädigung der Inhaber staatlicher Ämter (vgl. Art. 48 Abs. 2 GG) - und nicht etwa um Wirtschaftskapitäne oder Rundfunkintendanten - handelt, näher, als sich an den Bezügen zu orientieren, die anderen Inhabern staatlicher Ämter zustehen? Es mag offenbleiben, ob der Gesetzgeber sich bei der Bemessung der Abgeordnetenentschädigung mit diesem Vergleich begnügen dürfte. Denn dies hat er nicht getan: Weder hat er sich zu dem Zeitpunkt, zu dem es um die erstmalige Festsetzung der Höhe der steuerpflichtigen Abgeordnetenentschädigung ging, also 1976, auf diese Blickrichtung beschränkt 109 , noch war dies bei der Neufassung des Abgeordnetengesetzes im Jahre 1995 der Fall, bei der es dem Gesetzgeber

105

BVerfGE 76, 256 (341 f.). Ebd., Leitsatz 5 (257), S. 341. 107 BVerfGE 40, 296 (344). 108 BVerfGE 76, 256 (343). 109 Dazu der Bericht der Kissel-Kommission, BT-Drucks. 12/5020, S. 8 - dort S. 8 ff. zu den Kriterien, die die Kommission selbst ihrem Vorschlag zugrunde legte; sie unterscheiden sich von denen des Gesetzgebers nicht wesentlich. Insbesondere erachtet es auch die Kommission für naheliegend, bei ihren Erwägungen die Ämter jener Amtsinhaber in den Blick zu nehmen, deren Aufgaben mit denjenigen der Abgeordneten eng verknüpft sind (S. 8). 106

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darum ging, das 1977 bei Inkrafttreten des Abgeordnetengesetzes schon erreichte Niveau zurückzugewinnen. Wenn die Einbeziehung verschiedener zulässiger Vergleichsgrößen in seine Bewertung den Gesetzgeber zu der Schlußfolgerung führt, die Abgeordnetenentschädigung sei in der Höhe eines Betrages festzusetzen, die deijenigen der Bezüge eines nach R 6/B 5 besoldeten Richters/Beamten entspricht, so ist verfassungsrechtlich nichts dagegen zu erinnern, daß er dies auch so formuliert. bb) Neben diesem ersten - wie gezeigt: in sich selbst nicht schlüssigen Element der Begründung für das vom Diäten-Urteil statuierte Koppelungsverbot steht ein zweites: Das Gericht behauptet, der Gesetzgeber sei von Verfassungs wegen gehalten, über die Höhe der Entschädigung selbständig zu entscheiden; diese Entscheidung dürfe nicht in die ganz andere über die angemessene Besoldung eingeschlossen sein. Dazu gilt es zunächst festzuhalten, daß weder die Regelung des § 11 AbgG noch die im Freistaat Thüringen geltende gegen diese Vorgabe verstoßen. Die erste vermeidet jede Automatik, sie beschränkt sich auf die Vorgabe einer Orientierungsrichtlinie, die ausschließlich den Bundestagspräsidenten bei der Vorlage seines Gesetzentwurfs nach § 30 Satz 2 AbgG bindet, nicht aber den Gesetzgeber selbst. Die zweite sieht zwar eine Indexierung vor, für sie ist die Beamtenbesoldung aber nur eines von vier Kriterien für die Ermittlung der allgemeinen Einkommensentwicklung (§ 25 Abs. 3 Thür.AbgG): von einer „Einschließung" in die - dem Landesgesetzgeber ohnehin nur partiell obliegende - Entscheidung über die Höhe der Beamtenbesoldung kann also keine Rede sein. Vor allem aber: auch dieses zweite Begründungselement ist in sich widersprüchlich. Wenn der Gesetzgeber sich dafür entscheidet, die Höhe der Abgeordnetenentschädigung anzukoppeln an eine wie immer bestimmte Richtgröße, handele es sich dabei um eine beamtenrechtliche Besoldungsgruppe oder was auch sonst, so ist diese Entscheidung durchaus eine selbständige, diejenige nämlich, daß die Abgeordnetenentschädigung zu dieser Richtgröße in einem näherhin definierten Verhältnis stehen solle. In Wahrheit dürfte das Diäten-Urteil hier etwas anderes meinen, als es sagt: Es empfindet ein gewisses Unbehagen dabei, daß der Gesetzgeber im Falle einer Ankoppelung der Entschädigung an das Beamtengehalt, indem er die Höhe der Beamtenbesoldung festlegt, zugleich über die Höhe der Abgeordnetenentschädigung befindet. Der solchem Unbehagen zugrundeliegende Verdacht einer unziemlichen mittelbaren Selbstbegünstigung ist allerdings weit hergeholt. Jedermann weiß, daß die Änderungen des Beamtenbesoldungsrechts sich nicht an den Bedürfnissen der Abgeordneten ausrichten, sondern an der Entwicklung des Tarifrechts für die Angestellten und Arbeiter des öffentlichen Dienstes, hinter der sie zudem nicht selten zurückbleiben. Hinzu kommt, daß Besoldungsgesetze des Bundes der Zustimmung des Bundesrates bedürfen (Art. 74 a Abs. 2 bis 4 GG) - die

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Mitglieder des Bundestages sind also bei deren Erlaß keineswegs gleichsam unter sich. Schließlich ist es nicht verständlich, daß eine Stilwidrigkeit, wie sie das Bundesverfassungsgericht in einer Ankoppelung der Abgeordnetenentschädigung an das Beamtengehalt erblicken zu sollen meint, verfassungswidrig sein soll. Auf die Unhaltbarkeit dieser Annahme hat schon Seuffert in seiner Abweichenden Meinung zutreffend hingewiesen 110 . Eine „selbständige" Entscheidung des Parlaments über die Höhe der Abgeordnetenentschädigung fordert Art. 48 Abs. 3 GG nur in dem Sinne, daß sie durch Bundesgesetz zu treffen ist. Keineswegs verlangt diese Vorschrift, ,jede Veränderung in der Höhe der Entschädigung im Plenum zu diskutieren" wie es im Diäten-Urteil heißt 111 , sofern nur im Gesetz dafür Sorge getragen ist, daß solche Veränderungen nicht im Ermessen eines Dritten liegen. Ist diesem Postulat genügt, indem das Gesetz, wie es in Art. 54 Abs. 2 Thür.LV i. V. m. § 25 Thür.AbgG geschehen ist, feste und eindeutige Maßstäbe für Veränderungen aufrichtet, bleibt also dem Gesetzgeber keinerlei Entscheidungsspielraum, ist nicht zu erkennen, was es noch zu diskutieren oder zu entscheiden gäbe 112 , es sei denn, man wollte vom Gesetzgeber verlangen, daß er in kurzen zeitlichen Abständen jene Maßstäbe stets von neuem in Frage stellt. c) aa) Hinter der Forderung, über die Höhe der Entschädigung in jedem Falle einer Veränderung derselben neu zu diskutieren und „vor den Augen der Öffentlichkeit darüber als einer selbständigen politischen Frage zu entscheiden" 1 1 3 , dürfte denn auch weniger das angebliche Koppelungsverbot stellen als das vom Diäten-Urteil an anderer Stelle und in anderem Zusammenhang betonte Transparenz-Gebot 114. Was den Zusammenhang angeht, so betrafen die die Öffentlichkeit einfordernden Bemerkungen des Urteils diejenigen Regelungen des Saarländischen Landtagsgesetzes, durch welche bestimmte auf die Höhe der Entschädigung bezügliche Entscheidungen dem Präsidium des Landtags zugewiesen wurden; weder waren dessen Beratungen öffentlich, noch hatte das Gesetz die Mitteilung der Ergebnisse dieser Beratung an die Öffentlichkeit vorgesehen - obwohl sie natürlich nicht geheim waren, jeder Interessierte konnte sie in Erfahrung bringen 115 . Es liegt auf der Hand, daß die hier zu beurteilenden Sachverhalte mit jener Regelung nichts gemein haben.

110 111 112 113 114 115

BVerfGE 40,296 (343). Ebd., S. 316. Zutreffend Linck (Fn. 95), S. 377. BVerfGE 40, 296 (316 f.). Ebd., S. 327. So zu Recht das Sondervotum, ebd., S. 349.

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bb) Die Durchschaubarkeit des parlamentarischen Willensbildungsprozesses und der Mitteilung seines Ergebnisses an die Öffentlichkeit ist im demokratischen Verfassungsstaat selbstverständliches Gebot. Sie ergibt sich, wie im Diäten-Urteil dargelegt, gleichermaßen aus dem demokratischen wie aus dem rechtsstaatlichen Prinzip (Art. 20 GG) 1 1 6 . Politische Klugheit gebietet es überdies, daß dem Öffentlichkeitsgebot dort in besonders sorgfältiger Weise Rechnung getragen wird, wo „das Parlament in eigener Sache entscheidet" 117 . Denn die Beobachtung trifft zu, daß das Gesetzgebungsverfahren in Angelegenheiten dieser Art „regelmäßig des korrigierenden Elements gegenläufiger politischer Interessen" ermangelt 118 , eine parlamentsinterne Kontrolle also vielfach nicht oder nur verhalten stattfindet. Unzulässig ist es aber, aus dieser Beobachtung strikte verfassungsrechtliche Folgerungen abzuleiten, etwa die, Entscheidungen des Parlaments in eigener Sache widersprächen dem Rechtsstaatsprinzip 119 , oder die, hinsichtlich solcher Entscheidungen sei die Kontrolldichte des Bundesverfassungsgerichts eine besonders hohe 120 . Nähme man die erste Auffassung ernst, wäre Art. 48 Abs. 3 Satz 3 GG verfassungswidriges Verfassungsrecht, eine Ansicht, die sich selbst ad absurdum führt. Die zweite Auffassung begegnet prinzipiellen methodischen Einwänden: Funktionellrechtliche Erwägungen können keine - in diesem Fall verfassungsgerichtliche - Zuständigkeiten begründen 121 . Dem Bundesverfassungsgericht sind derlei Übertreibungen nicht vorzuwerfen. Das Diäten-Urteil vermerkt an der bezeichneten Stelle ausdrücklich, in einer parlamentarischen Demokratie lasse es sich nicht vermeiden, daß das Parlament bei der Ausgestaltung des finanziellen Status der Abgeordneten in eigener Sache entscheide 122 . Es gibt damit die auf der Grundlage des Art. 48 Abs. 3 Satz 3 GG bestehende Verfassungsrechtslage wieder, ohne, wie sich aus dem Zusammenhang klar ergibt, damit eine Aussage darüber treffen zu wollen, ob eine Verfassungsänderung wie die in der Gemeinsamen Verfassungskommission erwogene zulässig wäre. Im Parteienfinanzierungs-Urteil 116

Ebd., S. 327. Ebd. 118 BVerfGE 85, 264 (292), zur Parteifinanzierung. 119 So Henke, BK, Art. 21 Rdnr. 321. 120 So immer wieder von Arnim - zuerst: Abgeordnetenentschädigung und Grundgesetz, 1975, S. 72 f.; s. a. BK, Art. 38 Rdnr. 94 f. (an dieser Stelle bedachtsam differenzierend). 121 So zu Recht Schmitt-Glaeser (Fn. 48), S. 1194, unter Berufung auf die an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig lassenden Darlegungen von K. Schiaich, Das Bundesverfassungsgericht, 4. Aufl. 1997, Rdnr. 483 ff, auf die auch hier mit nachdrücklicher Zustimmung verwiesen sei. 122 BVerfGE 40, 296 (327). 117

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vermeidet das Gericht ebenfalls jede verfassungsrechtliche Aussage zu dem hier behandelten Thema: Es bezeichnet es angesichts des Fehlens gegenläufiger politischer Interessen nur als naheliegend, objektiven Sachverstand bei der Festlegung staatlicher Zuwendungen an Parteien, Abgeordnete und sonstige Inhaber politischer Ämter einzuschalten 123 . Alle darüber hinausgehenden verfassungsrechtlichen Behauptungen sind auf Sand gebaut. Entscheidungen des Parlaments in eigener Sache erfordern besonderen politischen Takt, bilden aber keine selbständige verfassungsrechtliche Kategorie parlamentarischen Handelns. cc) Zum Transparenzgebot läßt sich mithin zusammenfassend feststellen: Gründend auf dem demokratischen sowohl als auch dem rechtsstaatlichen Fundament der Verfassung 124 verlangt es nach einer Bestimmung der Struktur wie der für die Höhe der Abgeordnetenentschädigung maßgebenden Elemente durch Gesetz. So sieht es Art. 48 Abs. 3 Satz 3 GG ausdrücklich vor. Das Gesetzgebungsverfahren, wie es in den Art. 76 ff. GG geregelt ist, gewährleistet das verfassungsrechtlich gebotene Maß an Transparenz des politischen Entscheidungsprozesses. Für darüber hinaus gehende verfassungsrechtliche Anforderungen an die Publizität des Verfahrens gibt es keine Anhaltspunkte. Die These, die jeweilige Höhe der Abgeordnetenentschädigung müsse sich auf Heller und Pfennig aus dem Text gerade des Abgeordnetengesetzes ergeben, hat mithin keine Grundlage. Die Verwendung allgemein üblicher Verweisungstechniken ist dem Gesetzgeber in diesem Zusammenhang nicht versagt. Allerdings muß sich auf der Grundlage des Textes die jeweilige Höhe der Entschädigung präzise ermitteln lassen - übrigens nicht nur deshalb, weil der Gesetzgeber der Öffentlichkeit darüber Rechenschaft schuldig ist, sondern auch weil der dem Abgeordneten nach Art. 48 Abs. 3 Satz 1 GG zustehende Anspruch (ebenso wie der Anspruch des Beamten auf Gehalt) jederzeit genau bezifferbar sein muß. Diesen Anforderungen genügt auch die Thüringische Indexierungsregelung. Die Vorschrift des § 25 Thür.AbgG entspricht dem Gesetzesvorbehalt (zu dessen Konkretisierung es wie im Falle des Art. 48 Abs. 3 Satz 3 GG - der „Wesentlichkeitstheorie" nicht bedarf). Das in Abs. 3 der genannten Vorschrift vorgeschriebene Verfahren ermöglicht und gebietet die jederzeitige

123

BVerfGE 85, 264 (291 f.). Vgl. nur R. Zippelius, Allgemeine Staatslehre, 12. Aufl. 1994, § 23 II 6; Maunz/Zippelius, Deutsches Staatsrecht, 29. Aufl. 1994, §§ 11 m 1., 13 I 1; W. Maihof er in: Benda/Maihofer/Vogel (Hrsg.), Handbuch des Verfassungsrechts, 2. Aufl. 1995, § 12 Rdnr. 91 f.; M Kloepfer in: HStR II, 1987, § 35 Rdnr. 18 f.; D. Rauschning,, Die Sicherung der Beachtung von Verfassungsrecht, 1969, S. 182 ff. 124

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Feststellbarkeit der Höhe der Entschädigung. Zweifel können nicht aufkommen 1 2 5 . Sind Art. 54 Abs. 2 Thür.LV und § 25 Thür.AbgG aber mit den aus Art. 48 Abs. 3 GG ableitbaren Maßstäben vereinbar, so erübrigt sich eine Erörterung der Frage, ob diese Vorschrift kraft der Normativbestimmung des Art. 28 Abs. 1 Satz 1 GG in vollem Umfang auch vom Landesverfassungsgeber beachtet werden muß 1 2 6 . Die Regelung widerlegt auch die These der Kissel-Kommission 127 , es gebe für die Indexierung keinen zuverlässigen Maßstab: inwiefern der in § 25 Abs. 3 Thür.AbgG niedergelegte Maßstab nicht verläßlich wäre, ist nicht ersichtlich. Richtig ist allerdings, daß auch eine Indexierung den Gesetzgeber nicht der Pflicht enthebt, den jeweiligen Anpassungsschritt politisch in der Öffentlichkeit zu rechtfertigen 128 , was dieser, zumal angesichts der in der Thüringischen Regelung enthaltenen Offenlegungspflichten, auch die Möglichkeit eröffnet, ihrer Kontrollfünktion zu genügen. dd) Verfassungsrechtlich unbedenklich ist auch die „Staffeldiät" - d. i. die Festlegung der Veränderungen der Höhe der Abgeordnetenentschädigung über einen Zeitraum von mehreren Jahren hinweg 129 . Die Vorschrift des § 11 Abs. 1 Satz 2 AbgG geht diesen Weg bis zu dem Zeitpunkt, zu dem das in Satz 1 angestrebte Ziel erreicht ist, und nach § 30 Sätze 1 und 2 AbgG sind auch in Zukunft die fälligen Anpassungen zu Beginn der Wahlperiode für deren gesamte Dauer durch Gesetz zu beschließen. Einige Länder verfahren 125 Keine verfassungsrechtlichen Bedenken sehen auch P. M Huber, Gedanken zur Verfassung des Freistaats Thüringen, ThürVBl 1993, B 4 (B 13); U. Rommelfanger, Die Verfassung des Freistaats Thüringen des Jahres 1993, ThürVBl 1993, 173 (183); St. Storr, Verfassunggebung in den Ländern, 1995, S. 245 ff ; s. a. J. Linck, in: ders. u. a. (Hrsg.), Die Verfassung des Freistaats Thüringen, Kommentar 1994, Art. 54 Rdnr. 7 bis 10. 126 Das Diäten-Urteil (BVerfGE 40, 296 [319]) ist auch in diesem Punkt unklar. Einerseits wird nicht ohne Emphase der zuvor explizierte Inhalt des Art. 48 Abs. 3 GG zu den „Essentialen des demokratischen Prinzips" gerechnet, „das in Art. 28 Abs. 1 GG als ein für die verfassungsmäßige Ordnung in den Ländern wesentlicher Bestandteil gefordert wird". Daraus folgert das Gericht, „eine landesrechtliche (sie!) Regelung des Parlamentsrechts (müsse) an jener Vorschrift des Grundgesetzes gemessen werden". Im unmittelbaren Anschluß daran sagt die Entscheidung, die Frage, wie sich dies auf die Interpretation von Landesverfassungsbestimmungen auswirke, die eine Regelung über die Entschädigung von Landtagsabgeordneten enthalten, könne offenbleiben. Es ist nicht verständlich, wie auf der Grundlage so widerspruchsvoller und ungenauer Formulierungen die Behauptung aufgestellt werden kann, all das, was das DiätenUrteil Art. 48 Abs. 3 GG entnehmen zu können meinte, sei nicht nur Inhalt des Art. 28 Abs. 1 GG, sondern sogar dem Zugriff des verfassungsändernden Gesetzgebers entzogen! 127 BT-Drucks. 12/5020, S. 22. 128 Ebd. 129 Dazu Graf von Pestalozza (Fn. 84).

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ebenfalls nach diesem Rezept. Der Gesetzgeber verfolgt damit natürlich das Ziel, den ewigen Diäten-Streit nicht Jahr für Jahr durchstehen zu müssen. Das ist aber weder moralisch anstößig, wie es die von Pestalozza eingeführte Bezeichnung des Parlaments als „Dunkelkammer" suggerieren soll, noch verfassungsrechtlich angreifbar. Die Behauptung von Arnims 1 3 0 , das in § 30 AbgG geregelte Verfahren entziehe die Entscheidungen des Parlaments „noch weiter" (?) der öffentlichen Kontrolle, ist ganz und gar unverständlich: Jeder vermag mit leichter Mühe in § 11 AbgG nachzulesen, an welcher Richtgröße sich die Höhe der Abgeordnetenentschädigung zu orientieren und zu welchen konkreten Ergebnissen diese Orientierung geführt hat; das in § 30 AbgG vorgesehene Gesetzgebungsverfahren sorgt für die gebotene Publizität, übrigens auch, wenn dieses (in aller Regel eher unkomplizierte) Verfahren nicht soviel Zeit in Anspruch nimmt wie die Beratung und Beschlußfassung über andere Gesetze. ee) Verfassungsrechtlich imbedenklich ist schließlich auch die in § 30 Satz 1 AbgG vorgesehene Regelung der Abgeordnetenentschädigung für die gesamte Wahlperiode zu deren Beginn, von Arnim 1 3 1 nennt dies die Pervertierung einer 1992 in den USA eingeführten Verfahrensweise. Das 27. Amendment zur Verfassung der Vereinigten Staaten von Amerika sieht vor: No law, varying the compensation for the services of the Senators and Representatives, shall not take effect, until an election of Representatives shall have intervened. Winfried Brugger 132 hat berichtet, daß damit eine schon von James Madison ergriffene Initiative - das nunmehrige 27. Amendment war schon Bestandteil der ersten dem Kongreß im Jahre 1789 vorgeschlagenen Verfassungsergänzung - nach der im Jahre 1992 erfolgten Zustimmung der Staaten Michigan und New Jersey endlich, nach 203 Jahren, zum Erfolg geführt hat. Zwar trifft auch für diese Regelung von Arnims 1 3 3 - mit Verlaub: bloß polemischer 134 - Einwand zu, die Abgeordneten entschieden, „bevor sie überhaupt etwas geleistet haben"; denn die Abgeordneten der folgenden Legislaturperiode sind noch nicht einmal im Amt. Auch der Vorwurf der Selbstbedienung wird nicht ausgeräumt, denn die Mehrzahl der Abgeordneten wird erfah-

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von Arnim, Das neue Abgeordnetengesetz (Fn. 48), S. 25. Ebd., S. 24. 132 Brugger, Ein amerikanischer Vorschlag zur Kontrolle der Diätenerhöhungen, ZRP 1992, 321. 133 von Arnim, Das neue Abgeordnetengesetz (Fn. 48), S. 24. 134 Bloß polemisch etwa deshalb, weil auch Professoren mit ihrer Ernennung Gehaltsansprüche erwerben, „bevor sie (als Professoren) überhaupt etwas geleistet haben". 131

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rungsgemäß wiedergewählt 135 , wenn er vielleicht auch ein weniges an Gewicht verlöre. Die Kommission unabhängiger Sachverständiger zur Parteienfinanzierung zeigte sich wohl deshalb von diesem Vorbild so angetan, daß sie vorschlug, diese Regelung grundsätzlich - Anpassungen während der Legislaturperiode blieben ausdrücklich vorbehalten - auch auf die Finanzierung der Parteien, Fraktionen und parteinahen Stiftungen zu übertragen 136 . Die Unabhängige Kommission zur Überprüfüng des Abgeordnetenrechts hingegen hat einen ganz anderen Standpunkt eingenommen 137 . Sie spricht von erheblichen Nachteilen, die mit einem solchen Verfahren verbunden wären 138 . Das Parlament stünde vor der Alternative, entweder, um ein Zurückfallen der Abgeordnetenentschädigung hinter die allgemeine Einkommensentwicklung während der folgenden Wahlperiode zu vermeiden, ohne verläßliche Daten deren Verlauf vorwegzunehmen, oder aber die Diäten am unteren Ende der in Frage kommenden Skala anzusetzen, um sie dann am Ende der nächsten Legislaturperiode um so kräftiger zu erhöhen, was - gerechtfertigt oder nicht - professionelle Kritiker und veröffentlichte Meinung (in unmittelbarer Nähe des Wahltermins!) in Orgien des Sozialneids schwelgen ließe. Wie immer man indes diese Meinungsverschiedenheit beurteilt - daß eine Entscheidung zum Ende der Wahlperiode verfassungsgemäß, eine solche an deren Beginn verfassungswidrig wäre, läßt sich verfassungsrechtlich nicht begründen.

IV. Abschließende Bemerkungen Fehlleistungen und geflissentliche Fehldeutungen des Diäten-Urteils halten sich die Waage. Inhalte und Formulierungen des Urteils boten den Stoff, aus dem eine neidgeplagte Publizistik die verfassungsrechtliche Legende zu weben vermochte, Parlamentsabgeordnete seien von Verfassungs wegen gezwungen, Jahr für Jahr über die Höhe ihrer Bezüge zu debattieren und zu entscheiden, was sie nicht hinderte, über diese abfällig so bezeichnete Selbstbedienung die Nase zu rümpfen. Zusammen mit dem sorgsam gepflegten Vorurteil, Abgeordnete seien notorisch faul, wofür der häufig leere Plenarsaal als „Nachweis" 135 Die gepriesene amerikanische Regelung begünstigt übrigens auch die im Amt befindlichen und über den nächsten Wahltermin für das House of Representatives hinaus im Amt bleibenden Senatoren. 136 BT-Drucks. 12/4425, S. 42. 137 Politischer Fairneß und wissenschaftlicher Redlichkeit entspricht es nicht, dies zu verschweigen; s. aber von Arnim, Das neue Abgeordnetengesetz (Fn. 48), S. 24 mit Fn. 88; ders., Der Staat sind wir (Fn. 48), S. 142 f. mit Fn. 57 und 58. 138 BT-Drucks. 12/5020, S. 21 f.

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dient, und deshalb ihr Geld nicht wert, vermischte sich die - um das angebliche Koppelungsverbot angereicherte - Legende zu jenem üblen Gebräu, welches der Öffentlichkeit aus Anlaß jeder Diskussion über die Entschädigung der Abgeordneten kredenzt wird. Den Hütern der Legende gereicht es allerdings zum Vorteil, daß sich die Parlamente des Bundes und der Länder immer wieder dabei ertappen lassen mußten, wie sie ihren Mitgliedern (einschließlich der ausgeschiedenen) zusätzlich zu ihrer „Alimentation" großzügigst bemessene weitere finanzielle Zuwendungen zuteil werden ließen: steuerfreie, eines Verwendungsnachweises nicht bedürftige Aufwandsentschädigungen, Übergangsgelder und Versorgungsleistungen, wobei sie sich nicht selten höchst unerfreulicher Verschleierungstechniken bedienten. Die berechtigte Kritik hieran gewönne an Redlichkeit und intellektueller Statur, wenn sie ihrerseits mit offenem Visier stritte. Das würde freilich bedeuten, auf die zum großen Teil selbstgestrickte verfassungsrechtliche Legende ebenso zu verzichten wie auf Häme und Mißgunst.

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Deregulierung, Verfahrensvereinfachung und Verfahrensbeschleunigung Bauverfahrensrecht in einem schlanken Staat Von Franz-Ludwig Knemeyer

Deregulierung, Verfahrensvereinfachung und Verfahrensbeschleunigung werden überwiegend vor dem Hintergrund Standort Deutschland diskutiert. Zudem sind sie Essentiale einer grundlegenden Staatsverschlankung, einer Staatsverschlankung, die mittlerweile tlurch Aufgabenverlagerung/Aufgabenprivatisierung und Systemumgestaltung aus dem Wohlfahrtsstaat des 19. Jahrhunderts ein anderes Staatsgebilde entstehen läßt. Die Konsequenzen zu hoher Regelungsdichte, zu langer und zu tiefer Verwaltungsverfahren, zu langer und zu tiefer verwaltungsgerichtlicher Verfahren sind schon längere Zeit erkannt und im Zusammenhang mit anderen Reformnotwendigkeiten - auf kommunaler Ebene namentlich im Anschluß an Gebiets- und Funktionalreformen - diskutiert worden. In Zeiten wirtschaftlicher Expansion und anderer vorrangiger Staatsbetätigungen wurden sie jedoch nicht mit dem genügenden Nachdruck verfolgt. Eine schwerfallige Reformmaschinerie und das Fachdenken der einzelnen Ressorts, darüber hinaus ein nicht wirklich ausgeprägter Reformwille der Parlamente konnte und sollte nicht zu grundlegenden Änderungen führen. Vor diesem Hintergrund vermochten dann auch Prognosen aus der Wissenschaft und immer wieder erhobene Forderungen kaum Grundlegendes zu erreichen. Nicht zuletzt der mit dieser Festschrift Geehrte hat Reformfragen immer wieder Aufmerksamkeit geschenkt.1

1 Siehe nur die Speyerer Forschungsseminare - etwa die Dokumentation des 9. Forschungsseminars im Jahre 1991 - Blümel (Hrsg.), Verkehrswegeplanung in Deutschland, Speyerer Forschungsberichte, Nr. 105, oder das vom Jubilar betreute Projekt: Lucia Eckert, Beschleunigungen, Planungs- und Genehmigungsverfahren, Speyerer Forschungsberichte, Nr. 164.

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Zwar wurden auf Bundesebene in der Regierungserklärung vom 4. Mai 19832 Initiativen zur Vereinfachung des Verwaltungsverfahrens und Verwaltungsprozeßrechts sowie zur Beseitigung von Überreglementierungen angekündigt und mit Beschluß vom 13. Juli 1983 auch die Ziele der Entbürokratisierung sowie der Rechts- und Verwaltungsvereinfachung durch die Einsetzung einer unabhängigen Kommission angegangen.3 Ihren eigentlichen Durchbruch erzielten Vorschläge und Forderungen aber erst mit einer Verstärkung der Privatisierungsdiskussionen 4 und verstärkten Liberalisierungstendenzen unter dem Kürzel „Schlanker Staat"5, nachdem auch der Prozeß der deutschen Einigung als eigentliches Reformstimulanz hinzugetreten war. So wurde auf die erkannte dringende Notwendigkeit von Deregulierung, Verfahrensvereinfachimg und Verfahrensbeschleunigung für den Bau- und Investitionsbereich im Osten durch das Baugesetzbuchmaßnahmengesetz reagiert. Handelte es sich hier aber um einen Spezialbereich, in dem losgelöst von anderen unmittelbarer Handlungsbedarf bestand, so kommt die eigentliche Signalwirkung auf Bundesebene den Arbeiten und Vorschlägen der Schlichterkommission 6 zu. Sie zeigen bei konkreten Forderungen für Teilbereiche die Notwendigkeit gesamtkonzeptioneller Betrachtungsweise. Sie machen darüber hinaus aber auch deutlich, daß die Schaffung der normativen Grundvoraussetzungen für ein wirtschafits- und investitionsfreundliches Klima von der politischen Konstellation bestimmt und föderalismusabhängig vor vielfachen Hindernissen standen. So sind dann auch die Ausgangspunkte der Diskussion um den schlanken Staat, um Deregulierung, Verfahrensvereinfachung und Verfahrensbeschleunigung äußerst vielgestaltig. Als Kritikpunkte seien nur ins Gedächtnis geru-

2

Bulletin Nr. 43/1983, S. 397. Zu Aufgaben und Ergebnissen dieser bis 1995 tätigen Kommission etwa Volker Busse, Verfahrenswege zum „schlankeren Staat", DÖV 1996, 389 ff., 390, zum umfassenden Reformpaket dort S. 389. 4 Siehe dazu Hengstschläger/Osterloh/Bauer/Jaag, Privatisierung von Verwaltungsaufgaben, VVDStRL 54 (1995), S. 165 ff. m. vielf. Nachw., und zu den Auswirkungen auf Verwaltung und Verwaltungsrecht Schmidt-Preuß/Di Fabio, Verwaltung und Verwaltungsrecht zwischen gesellschaftlicher Selbstregulierung und staatlicher Steuerung, VVDStRL 56 (1997), S. 160 ff. 5 Dazu etwa Busse (Fn. 3), und Sauter, Die neue Bauordnung und der „schlanke Staat", BayVBl 1998, 2 ff. 6 Zum Gutachten dieser Expertenkommission Bullinger, Investitionsförderung durch nachfragegerechte und kooperative Beschleunigung von Genehmigungsverfahren, JZ 1994, 1129 ff., sowie Schlichter, Investitionsförderung durch flexible Genehmigungsverfahren, DVB1 1995, 173 ff; zu den Überlegungen dieser Kommission im einzelnen DVB1 1995, 173 f. 3

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fen die hohe Staatsquote, die Aufgabenexpansion des Staates, die nicht mehr zeitgemäße Behördenstruktur, die komplizierten und zu langwierigen Verfahrensabläufe innerhalb der Verwaltungen. Darüber hinaus erfaßte die Kritik auch Arbeits- und Führungsmethoden, das Dienstrecht und das Haushaltsrecht. Parallel - zum Teil vorgängig auf Länderebene - wurden Deregulierung, Verfahrensvereinfachung und Verfahrensverkürzung in unterschiedlicher Intensität betrieben. Nicht selten stießen sie aber an die Grenzen bundesgesetzlicher Kompetenzen. Festzuhalten ist jedoch, daß Deregulierungskommissionen allenthalben eine unübersehbare Fülle von Gesetzen durchgesehen und vielfaltige Reduzierungen vorgeschlagen und durchgesetzt haben. Namentlich die Sachgesetze auf den verschiedenen Verwaltungsgebieten wurden gründlich durchforstet und gelichtet. Die Ergebnisse waren freilich in vielem nur für Fachleute sichtbar und neu hinzugekommene Gesetze haben schnell die erreichten Lichtungen wieder aufgefüllt. Auf diese Deregulierungsmaßnahmen kann im einzelnen nicht eingegangen werden. 7 Für den kommunalen Bereich ergaben sich ähnliche Probleme und darüber hinaus - der Schwerpunkt der Betrachtung in diesem Beitrag - die beklagte mangelnde Investitionsbereitschaft -hervorgerufen durch kommunal nicht steuerbare gesetzliche Vorgaben. Wenn im folgenden nur ein Teilausschnitt der Gesamtproblematik behandelt wird, so gilt es doch, den Gesamtrahmen nicht zu vernachlässigen und die einzelnen Reformmaßnahmen eingebettet in die Gesamtvorschläge und betrachtet vor dem Hintergrund eines gewandelten Staatsverständnisses zu sehen. Speziell auf das Baurecht bezogen muß auch dort das Gesamtszenario der Vereinfachung und Beschleunigung baulicher Maßnahmen betrachtet werden, mit der Konsequenz, daß neben den baurechtlichen Neuerungen auch das subsidiär geltende allgemeine Verfahrensrecht mit seinem neuen „Zügigkeitsgebot" sowie die verwaltungsprozessualen Regelungen mit ihren Auswirkungen auf eine Beschleunigung baulicher Maßnahmen, so z.B. durch eingeschränkte prozessuale Möglichkeiten des Nachbarn, gesehen werden. Der Beitrag kann und will nicht den Anspruch erheben, die vielfaltigen Reformbereiche und Reformüberlegungen auch nur annähernd zu berücksichtigen, geschweige denn die kaum noch überschaubare Literatur zu werten. 8

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Siehe dazu etwa Küßmann, Beschleunigungsgesetzgebung, Der Städtetag 1997, 542 ff. 8 Einen Hinweis auf einen Teilbereich mag die Zusammenstellung bei Jäde/Weiß, Das Zweite Gesetz zur Vereinfachung und Beschleunigung baurechtlicher Verfahren, BayVBl 1998, S. 7, Fn. 3, geben.

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Auch zu den Problemen und zur Bedeutung der vielfach gestuften parallelen und konzentrierten Verfahren kann hier nicht Stellung genommen werden. 9 Schließlich kann auch dem durchaus nicht unterzubewertenden Beschleunigungspotential durch ein entsprechend reformiertes „Verfahrensmanagement" nicht nachgegangen werden. Obwohl ein wichtiger Schlüssel zum Erfolg einer Reform auch in der Akzeptanz der Beschleunigungsphilosophie und der entsprechenden Umsetzung liegt, muß die Betrachtung hier wie in der großen Zahl der übrigen Beiträge auf den normativen Rahmen beschränkt bleiben. Bezüglich der Umsetzung mag aber immerhin darauf hingewiesen werden, daß nach anfanglich weit verbreiteter Skepsis und Ablehnung z.B. in Bayern die neuen Verfahrensweisen auch zu einer anderen Einstellung im „Behördenapparat" geführt haben und nach kürzester Zeit eine zweite Stufe der Reform angeschlossen werden konnte. 10 So kann im folgenden in einem knappen ersten Teil nur hingewiesen werden auf die subsidiären verwaltungsverfahrensrechtlichen Regelungen, insbesondere auf das Prinzip der Zügigkeit mit seinen verschiedenen Ausgestaltungen. Der zweite Teil bildet den eigentlichen Schwerpunkt. Es geht um die landesrechtlichen Verfahrensausgestaltungen, namentlich im Bauordnungsrecht. Hier werden sich, abgehend von bisher weitgehender Einheitlichkeit - bestimmt durch Musterbauordnungen 11 - , modellhaft unterschiedliche Antworten auf die Reformproblematik zeigen.

9

Siehe dazu nur Küffinann (Fn. 7), 545 m.w.N., sowie Becker, Verfahrensbeschleunigung durch Genehmigungskonzentration, VerwArch 87 (1996), 581 ff., insb. zu Mehrfachgenehmigungen und Konzentration 586 ff.; zum Vorrang anderer Gestattungsverfahren und zur Gewichtung zwischen den materiell-rechtlichen Änderungen in den Reformen und den schwerpunktmäßig auf Verfahrensvereinfachung angelegten Reformen Jäde/Weiß (Fn. 8), insb. 12 f. 10 Siehe dazu im einzelnen Sauter (Fn. 5), sowie Jäde/Weiß (Fn. 8), 7 ff. - Mit Wulfhorst, Erfahrungen mit den Beschleunigungsgesetzen, VerwArch 88 (1997), 163 ff., 171, mag die überwiegende literarische Befassung mit den Normreformen zwar ein Zeichen für eine in Deutschland besonders „prägende Kraft von gesetzlichen Regelungen sein". Diese Wertung übersieht jedoch die vielfaltigen (erfolgreichen) Umsetzungsbemühungen, die mangels einer ausgeprägten, auf Erfolgskontrolle angelegten Verwaltungswissenschaft leider seltener und nur weit schwerer darzustellen sind als ein Normwandel. 11 Den Bedeutungsverlust der Musterbauordnungen unter dem Gesichtspunkt der Wahrung der Einheitlichkeit und Vergleichbarkeit, aber damit auch einer gewissen Rechtssicherheit, beklagt insbesondere Ortloff, Die Entwicklung des Bauordnungsrechts, NVwZ 1997, 333 ff., und ders. in einer Reihe anderer Beiträge.

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In einer abschließenden Wertung (Teil 3) sollen die Ergebnisse unter dem Gesichtspunkt schlanker Staat - Aufgabenverlagerung einerseits und Auswirkungen fiir Bauherrn und Architekten andererseits betrachtet werden.

I. Baurechtsbedeutsame Änderungen im Allgemeinen Verwaltungsverfahrensrecht Reformen durch „Zügigkeit" Parallel zu von Land zu Land unterschiedlichen Änderungen des BauGenehmigungs-Verfahrensrechts und dieses ergänzend hat das Genehmigungsverfahrensbeschleunigungsgesetz des Bundes bedeutsame Fortentwicklungen gebracht. Zum Teil haben die von der Schlichterkommission vorgeschlagenen, ins Verwaltungsverfahrensgesetz des Bundes übernommenen und in Länderverwaltungsverfahrensgesetzen nachvollzogenen Regelungen auch schon Eingang gefunden in die vorrangigen Fachgesetze und somit den Grund gelegt für ein moderneres Verwaltungsverfahrensrecht. Betrachtet man die Reformnotwendigkeit des Baurechts unter dem alles bestimmenden Zeitfaktor, so kommt der Regelbeschleunigung und der Sonderbeschleunigung nach Wahl besondere Bedeutung zu. Die Grundtendenz wird vor allem durch das neu eingefügte Zügigkeitsprinzip (§ 10 VwVfG) 1 2 bestimmt. Hatte das VwVfG bislang nur geregelt, wie nicht gehandelt werden soll, so fordert § 10 nunmehr, daß Verwaltungsverfahren „einfach, zweckmäßig und zügig durchzuführen sind" und macht damit positive Vorgaben. Nun mag man den Wert dieser Regelung für die Praxis unterschiedlich sehen. Bedeutsam erscheint es jedoch auch bei einer derartig gehaltenen Norm, daß der Verwaltung - auch vom Bürger im Prozeß anmahnbar - klare Handlungsdirektiven gegeben werden, die sich im übrigen ja in vielfaltigen Fristenbestimmungen konkretisieren. So ist eine derartige Regelung wohl nicht nur nicht schädlich 13 , sondern durchaus positiv. Anderenfalls hätten auch Staatszielbestimmungen - von Experten zumeist als überflüssig gesehen - in den Verfassungen keine Bedeutung. Über Fristenbestimmungen hinaus, die das Zügigkeitsprinzip konkretisieren, bringen die Neuregelungen über Nachholung und Nachbesserung (etwa

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Dazu Bonk, Strukturelle Änderungen der Verwaltungsverfahren, NVwZ 1997, 320 ff., 326. 13 So aber Sendler bei den 4. Osnabrücker Gesprächen zum deutschen und europäischen Umweltrecht, siehe den Bericht BayVBl 1998, S. 75 f.

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§§ 45, 46) schließlich noch vielfaltige Möglichkeiten der Verfahrensbeschleunigung. 14 Besonders vorbildlich ist die Ausprägung des Zügigkeitsprinzips im Rahmen der Beschleunigung von Genehmigungsverfahren für wirtschaftliche Unternehmen als Sonderbeschleunigung auf Antrag (§ 71 a VwVfG). 1 5 Auch die allgemeine Ausprägung des Zügigkeitsgebots in § 71 b VwVfG mit der Unterrichtung über Beschleunigungsmöglichkeiten, Erörterung und Sachverständigenprüfung vor Antragstellung, unverzügliche Unterrichtung des Antragstellers über die Vollständigkeit der von ihm eingereichten Unterlagen, das Sternverfahren und die Möglichkeit einer Konferenz sämtlicher Verfahrensbeteiligter - die sogenannte Antragskonferenz - kennzeichnen eine neue Sicht der Verfahrensdurchführung und haben schon oder werden noch wesentlichen Einfluß auf fachgesetzliche Verfahrensausgestaltungen nehmen. Betrachtet man darüber hinaus die Neuregelungen im Planfeststellungsrecht (§ 72 ff. VwVfG), so zeigt sich, daß der Faktor Zeit neben dem der Verschlankung im Sinne eines Aufgabenabbaus erhebliche Bedeutung gewonnen hat. Auf das Planfeststellungsrecht - im Vorfeld baulicher Investitionstätigkeit im kommunalen Bereich maßgeblich - kann hier nicht näher eingegangen werden. Insgesamt ist jedoch festzustellen, daß hier den Interessen der Verwaltung wie der Bürger / Investoren Rechnung getragen worden ist. 1 6

I L Eigene Wege der Länder zur vor- oder nachgängigen Umsetzung der allgemeinen Verwaltungsverfahrensprinzipien in den Novellen ihrer Bauordnungen 1. Von der durch die Musterbauordnung vermittelten Einheitlichkeit zum Wettbewerb der Modelle War das Baugenehmigungsrecht bislang weitgehend einheitlich anhand der Musterbauordnungen 17 ausgerichtet, so hat der föderalismusbestimmte Wett14 Dazu näher Hatje, Die Heilung formell rechtswidriger Verwaltungsakte im Prozeß als Mittel der Verfahrensbeschleunigung, DÖV 1997,477. 15 Dazu näher z.B. Stüer, Die Beschleunigungsnovellen 1996, DVB1 1997, 326 ff. 16 Speziell zu Planergänzung und ergänzenden Verfahren Jarass, Aktuelle Probleme des Planfeststellungsrechts, DVB1 1997, 795 ff. 17 Böckenförde/Temme/Krebs, MBO, Fassung 1996. - Das Vorwort der Herausgeber läßt, wie Ortloff dies richtig feststellt (NVwZ 1997, 333), eine Tendenz zur Resignation erkennen.

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bewerb zu unterschiedlichen Lösungen geführt. Vor dem Hintergrund gewandelter Staatsverständnisse - plakativ hier nur angedeutet mit mehr oder weniger Privatisierung - stehen verschiedene Modelle im Wettbewerb, beginnend mit einer Effektivierung und Verkürzung im herkömmlichen System und Verfahren über einzelne Systemeinschnitte bis zu einem grundsätzlich anderen Verständnis des Rückzugs des Staates auf die Gewährleistung eines sicherheitsrechtlichen Mindeststandards im Modell der planungsrechtlichen Genehmigung. Wie kaum ein anderer Bereich zeigen die neuen Bauordnungsrechte, daß und wie sich in kürzester Zeit das Verständnis von Staat und Individuum grundlegend ändern kann. Ausgehend vom zunächst noch einheitlichen Ziel der Deregulierung, Verfahrensvereinfachung und Verfahrensbeschleunigung haben sich die Wege der einzelnen Länder weit auseinanderentwickelt. Hatte man lange Zeit versucht, über die Musterbauordnungen weitgehend Einheitlichkeit und Vergleichbarkeit zu sichern, so hat die Philosophie vom schlanken Staat, zu der sich alle mehr oder weniger bekennen, auf unterschiedlichen Wegen unterschiedliche Ziele angesteuert. Für den Bereich des Bauordnungsrechts sind sie durch einen erheblichen Bedeutungsverlust der Baugenehmigung gekennzeichnet. Wie weit ihr - wie in Bayern - in der Folgezeit nur noch marginale Bedeutung zukommen wird, muß der noch keineswegs in allen Ländern abgeschlossene Prozeß zeigen. Denn war man zunächst davon ausgegangen, daß die Reformen namentlich des Jahres 1994 das mögliche Maß schon ausgeschöpft haben, so zeigt das Zweite Gesetz zur Vereinfachung und Beschleunigung baurechtlicher Verfahren in Bayern sehr deutlich, wohin der weitere Weg noch führen kann 18 , wenn man mit dem Postulat Privatisierung und schlanker Staat ernst macht. Erste grundlegende Reformen erfolgten durch Novellen der Länderbauordnungen im Jahre 1994. Im Gegensatz zu früher wurden - nicht untereinander abgestimmt - 8 Landesbauordnungen geändert und eine Baufreistellungsverordnung erlassen. Die übrigen Länder haben zu der Zeit den Abschluß der Novellierung noch nicht erreicht. Grundlage aller Reformen war das Ziel beschleunigten Bauens durch teilweise Abschaffung der Baugenehmigung; kennzeichnende neue Begriffe waren Genehmigungsfreistellung und vereinfachtes Genehmigungsverfahren. Einen Überblick und eine Systematisierung der Neuregelungen des Jahres 1994 gibt Ortloff 49 Trotz vielfältiger K r i t i k 2 0 18

Dazu Jäde/Weiß (Fn. 8), 7 ff., und zum „staatsphilosophischen" Konzept Sauter (Fn.-10), 3 ff. 19 Ortloff, Abschied von der Baugenehmigung - Beginn beschleunigten Bauens?, NVwZ 1995, 112 ff., 113 ff.

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haben auch die anderen Länder ihre Reformvorhaben fortgeführt und ihr Bauordnungsrecht novelliert. Im Anschluß an Bayern (1.6.94), Berlin (20.11.94, geänd. 3.9.97), Brandenburg (1.7.94), Hessen (1.6.94), Mecklenburg-Vorpommern (1.7.94), Sachsen (6.7.93 / 4.7.94), Sachsen-Anhalt (1.9.94), Schleswig-Holstein (1.8.94), Thüringen (1.7.94) haben auch Baden-Württemberg (8.8.95), Bremen (27.3.95), Niedersachsen (13.7.95), Nordrhein-Westfalen (7.3.95), RheinlandPfalz (8.3.95) sowie das Saarland (27.3.96) eine neue Bauordnung beschlos21 sen. A l l diesen Reformnovellen ist neben gewissen materiell baurechtlichen Änderungen mit unterschiedlicher Akzentsetzung gemeinsam die Frage, inwieweit die Palette materiell-rechtlicher Anforderungen an bauliche Anlagen auch im bauaufsichtlichen Verfahren geprüft werden muß. 22 So diffus das Reformziel schlanker Staat, so diffus das Mittel Deregulierung, Verfahrensvereinfachung und -Verkürzung ist, so unterschiedlich in Umfang und Qualität sind die einzelnen Wege, die die Landesbauordnungen zur Erreichung dieses Zieles eingeschlagen haben. Hier zeigt sich deutlich die von Land zu Land unterschiedliche „Staatsphilosophie" und das davon bestimmte Verhältnis Staat - Bürger. Haben alle Länder - partiell - den Abschied vom Baugenehmigungsverfahren vollzogen, so sind die Lösungsmodelle doch sehr unterschiedlich. 23 Zwischen den Polen der genehmigungsfreien Vorhaben - die Kataloge wurden zum Teil beträchtlich erweitert - und den genehmigungsbedürftigen Vorhaben - sie wurden zum Teil erheblich reduziert - stehen die Genehmigungsfreistellung und die vereinfachten Genehmigungsverfahren sowie die Anzeigeverfahren. 24

20

Siehe dazu etwa Mampel, Ver(de)reguliert: Einige Überlegungen zum Baugenehmigungs-Freistellungsverfahren, NVwZ 1996, 1160 ff; weitere Literaturhinweise bei Finkelnburg/Ortloff, Öffentliches Baurecht, Bd. II., 4. Aufl. 1997, S. 84, Fn. 17. 21 Kurzfassung der Änderungen bei Finkelnburg/Ortloff (Fn. 20), S. 86 ff. 22 Siehe dazu im einzelnen die Länderübersicht bei Finkelnburg/Ortloff (Fn. 20), S. 86 ff. m. entspr. weiterf. Hinw. 23 Siehe dazu den schon gegebenen Hinweis auf Ortloff (Fn. 19), 112 ff., und den Versuch der Systematisierung auf S. 117 ff. 24 Einen Überblick für die verschiedenen Länderregelungen geben Finkelnburg/ Ortloff (Fn. 20), S. 86 ff.

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2. Von der präventiven zur repressiven Kontrolle Kennzeichnend für alle Reformmaßnahmen ist eine Schwerpunktverlagerung von der präventiven zur repressiven Kontrolle mit einer entsprechenden Aufgaben- und Risikoverlagerung. Nahe herangerückt an die genehmigungsfreien Vorhaben ist die Genehmigungsfreistellung kraft Gesetzes. Sie bedeutet eine echte Umkehr des bisherigen Systems der Gefahrenabwehr durch präventive Kontrolle mittels des Verbots mit Erlaubnisvorbehalt. Kennzeichnend für diese Aufhebung des präventiven Verbots für bestimmte Verfahren - von Land zu Land unterschiedlich in Umfang und Bedeutung - ist die generell abstrakte Entscheidung des Landesgesetzgebers. Sie realisiert sich nicht mehr durch individuell konkrete Entscheidung der Bauaufsichtsbehörde, also durch verfahrensabschließenden Verwaltungsakt. 25 Auf diese Weise wird die Baufreiheit verstärkt, eine Baufreiheit, die bisher nur hinter den Schranken der präventiven Kontrolle der Bauaufsichtsbehörden bestand. Den Bauaufsichtsämtern steht nur mehr die repressive Kontrolle im Rahmen der Bauüberwachung zu. Demgegenüber werden bei den Bauanzeigeverfahren die geplanten Vorhaben von der Bauaufsichtsbehörde zunächst lediglich informatorisch zur Kenntnis genommen. Wie bei der Genehmigungsfreistellung werden Prüfpflichten und Verantwortung für die Durchführung des Vorhabens auf Bauherrn bzw. Sachverständige übertragen, die regelmäßig vor Baubeginn schriftlich zu erklären und zu garantieren haben, daß das geplante Vorhaben dem Öffentlichen Recht nicht widerspricht. Im Gegensatz zur Genehmigungsfreistellung sind die Bauanzeigeverfahren jedoch nicht mit einem Verzicht auf präventive Prüfung gekoppelt. Der Bauaufsichtsbehörde ist vielmehr über das Anzeigeverfahren die Präventivkontrollmöglichkeit eröffnet und eine negative Entscheidungsmöglichkeit eingeräumt. Prüfüngs- und Untersagungsmöglichkeiten sind allerdings befristet. Wie in anderen Bereichen, so wird auch im Bausicherheitsrecht unter dem Gesichtspunkt der Verfahrensbeschleunigung bei Verstreichen der Regelentscheidungsfrist die Genehmigung als erteilt fingiert. 26

25

Dazu Gröpl/Schleyer, Anspruch des Nachbarn auf Einsichtnahme in die Bauunterlagen bei der Genehmigungsfreistellung?, BayVBl 1998, 97 ff., insb. Fn. 1. - Zu Genehmigungsfreistellung auch Erbguth/S tollmann, Das bauordnungsrechtliche Genehmigungsfreistellungsverfahren (!), BayVBl 1996, 65 ff. 26 Dazu und zu den Folgen näher Preschel, Abbau der präventiven bauaufsichtlichen Prüfung, DÖV 1998, 45 ff., 47.

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Wesentlich ist vor allem, daß die präventive Kontroll- und Untersagungsmöglichkeit nicht auch eine Kontrollpflicht beinhaltet. Damit vermittelt das Anzeigeverfahren keinen Vertrauensschutz, die Prüfungsmöglichkeit suspendiert die Verantwortung des Bauherrn für die materielle Rechtmäßigkeit seines Vorhabens nicht. Das Risiko bleibt also in der Privatsphäre. 27 Dem herkömmlichen Genehmigungsverfahren angenähert, aber von ihm doch im Verfahrensumfang wesentlich unterschieden, ist das vereinfachte Genehmigungsverfahren. Dieses bringt eine echte Einschränkung des Prüfungsund auch des Genehmigungsumfangs mit sich. M i t der Reduzierung der staatlichen Kontrolle, die, wie im herkömmlichen Verfahren in eine Baugenehmigung mündet, beschränkt sich - entsprechend dem reduzierten Prüfumfang auch die Feststellungswirkung der im vereinfachten Verfahren erteilten Genehmigung. Alle nicht von der bauaufsichtlichen Prüfung erfaßten materiellen Anforderungen sind wie bei der Genehmigungsfreistellung in die private Risikosphäre verlagert. 28 Um die konsequente Verwirklichung des schlanken Staats mit dem Mittel des Abschieds von der Baugenehmigung als umfassender öffentlich-rechtlicher Unbedenklichkeitsbescheinigung zu verdeutlichen, faßt Sauter 29 die unterschiedlichen Modelle unter zwei Aspekten zusammen. Der Baugenehmigung herkömmlichen Zuschnitts am nächsten liegen die in manchen Landesbauordnungen verwirklichten „Fiktionsmodelle". Sie sind dadurch gekennzeichnet, daß nach bestimmten Zeitabläufen die baurechtliche Genehmigung als solche oder die erforderliche Zustimmung (das Einvernehmen oder das Benehmen) im Baugenehmigungsverfahren beteiligter Dritter fingiert wird. Bei derart fingierten Baugenehmigungen, denen lediglich verfahrensrechtliche, nicht aber materiell-rechtliche Legalisierungswirkung zukommt, werden jedoch dem Bauherrn Steine statt Brot gegeben. Die nur fingierte Genehmigung ändert nichts an der Rechtmäßigkeit oder Rechtswidrigkeit und ebenso wenig an der Außenverantwortung der Bauaufsichtsbehörde dafür. Der Bauherr erhält vielmehr nur den Anschein einer auf sorgsamer Prüfung beruhenden öffentlich-rechtlichen Unbedenklichkeitsbescheinigung, muß jedoch immer mit dem gesteigerten - investitionsfeindlichen - Rücknahmerisiko leben. Zu Recht stellt Sauter heraus, daß eine derartige Fiktion auf den Prüfstand der Erforderlichkeit gehört. 30

27

Zur Wertung dieser Anzeigeverfahren Sauter (Fn. 5), 2 ff., 4. Zum Umfang des vereinfachten Verfahrens nach bayerischem Recht siehe etwa Jäde/Weiß (Fn. 10), 7 ff., 10. 29 Sauter (Fn. 5), 2 ff., 4 f. 30 Dazu näher Sauter (Fn. 5), 2 ff., 4. 28

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Neben den Fiktionsmodellen haben die Anzeigemodelle im Zuge der Beschleunigungs- und Vereinfachungsnovellen - „wegen erwiesener Unpraktikabilität" vielfach Ende der sechziger, Anfang der siebziger Jahre aus den Bauordnungen eliminiert- erneut Bedeutung erlangt. In diesen Verfahren muß das Vorhaben eine Phase möglicher bauaufsichtlicher Präventivkontrolle durchlaufen. Diese mündet dann indessen nicht in eine investitionssichernde Fixierung durch einen feststellenden und zugleich den Bau freigebenden Verwaltungsakt. Weitere Schwachpunkte sind die Verwischung und Vermischung von Verantwortlichkeiten zwischen Bauwerber und Bauaufsichtsbehörde. 31

3. Von der öffentlich-rechtlichen Unbedenklichkeitsbescheinigung zur Genehmigung kraft Plankonformität Die neue Gesamtkonzeption des bayerischen Bauordnungsrechts geht von der Prämisse aus, daß es möglich sein muß, „die Baugenehmigung als - herkömmlich - umfassende öffentlich-rechtliche Unbedenklichkeitsbescheinigung auf einen unverzichtbaren Kernbereich hoheitlicher Prüfüngen zurückzuführen, nämlich auf die Entscheidung über die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit des Vorhabens". 32 Damit aber kann eine baubehördliche Zulässigkeitsentscheidung überall dort entfallen, „wo sie bereits zuvor in einer für den Bauherrn und seinen Entwurfsverfasser (aus dem Bebauungsplan) unschwer ablesbaren Weise gefallen ist, so daß es eines -gewissermaßen- ,Zweitbescheids' nach einem solchen , Vorbescheid' nicht mehr b e d a r f 3 3 Schlüsselfrage für bauordnungsrechtliche Prüfüngen ist somit die Plankonformität. Hatte man die Genehmigungsfreiheit kraft Plankonformität in der Bauordnung 1994 noch auf Wohngebäude beschränkt, so bedeutet die Erweiterung auf handwerkliche und gewerbliche Produktionsgebäude in der Bauordnung 1998 einen qualitativen Sprung, da die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit derartiger Vorhaben in ihrer Plankonformität weit schwerer aus den Bebauungsplänen ablesbar ist. Wegen ihrer potentiell komplexeren Strukturen fordert sie im Einzelfall von Investor und Planfertiger deutlich mehr, als dies bislang bei der reinen Wohnbebauung der Fall war. Hier ist man jedoch bewußt den Weg gegangen, private Verantwortung zu stärken - freilich auch das private Risiko zu vermehren.

31 32 33

Zu den Schwächen der Anzeigemodelle im einzelnen Preschel (Fn. 26), 45 ff., 47. Dazu Sauter (Fn. 5), 2 ff., 4 f. Dazu Sauter (Fn. 5), 2 ff., 5.

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Hatte die Baugenehmigung durch die Neuregelung 1994 schon erheblich an Bedeutung verloren - und wird die herkömmliche Baugenehmigung nach einer Prognose des zuständigen Ministeriums gleichsam zu einer Restgröße, die voraussichtlich nur mehr 5-10 % aller Bauvorhaben erfaßt 34 , so ist die konzeptionelle Veränderung noch weit bedeutsamer. Mit dem Abschied von der Baugenehmigung als einer umfassenden öffentlich-rechtlichen Unbedenklichkeitsbescheinigung, die dem Bauherrn bei plan- und genehmigungsgemäßer Bauausführung einen umfassenden Vertrauensschutz garantiert hat, enthält das bayerische „Separationsmodell" 35 nur mehr die Feststellung der Übereinstimmung mit dem Recht, dessen Prüfung der Bauaufsichtsbehörde kompetenzrechtlich auch obliegt. Das bedeutet auf der anderen Seite, daß eine Baugenehmigung erteilt werden darf, auch wenn offen ist, ob andere öffentlichrechtliche Gestattungen erteilt werden dürfen, die für das Bauvorhaben neben der Baugenehmigung erforderlich sind. Als Konsequenz aus der Reduzierung präventiver behördlicher Kontrolle sind diese Aufgaben und die entsprechende Verantwortung auf die verantwortlichen Entwurfsverfasser übertragen. 36

I I I . Vom Neubau der Verwaltung zu einem neuen Verständnis der Verwaltungsaufgaben Ist der „Neubau der Verwaltung" 37 mit Gebiets- und Funktionalreformen -jedenfalls in den alten Bundesländern - abgeschlossen, so war mit der darauf folgenden Privatisierungsdiskussion auch ein Wandel im Verständnis der Verwaltungsaufgaben verbunden. 38 Der schlanke Staat kann konsequent nur erreicht werden durch einen konsequenten Aufgabenabbau sowie eine möglichst weitreichende Verkürzung und Lichtung der Verwaltungsverfahren. Bettet man die Wertung ein in Notwendigkeit und Ziele der Gesamtreformen, so hat sie zu erfolgen auf der Basis eines breiten politischen Konsenses, die Staatsquote zu reduzieren und damit die Staatsausgaben zu senken. Der Staat ist an seine Grenzen gestoßen. Ausgabensenkung ist nun jedoch keineswegs allein durch Personalabbau zu bewirken. Voraussetzung für eine Sen34

Sauter (Fn. 5), 2 ff. So Preschel (Fn. 26), 45 ff., 46. 36 Dazu auch die Korrektur der Schlußpunkttheorie durch das Bundesverwaltungsgericht, DVB1 1996, 57. 37 Fido Wagener, Neubau der Verwaltung, Schriftenreihe der Hochschule Speyer, Bd. 41, Berlin 1969. 38 Die Organisations- und Führungsreformen in den Behörden stehen z.T. noch an. 35

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kung des Kostenfaktors Nr. 1 ist neben Beschleunigung und Straffüng von Organisation und Verfahren ein grundlegender Aufgabenabbau. Dem Verständnis , Schlanker Staat' entsprechend konnte und mußte das bauaufsichtliche Verfahren beispielhaft reformiert werden. War noch bis vor kurzem der sensible Bereich des Gefahrenabwehrrechts von Privatisierungsüberlegungen ausgeschlossen, so ist nunmehr das Bausicherheitsrecht erfaßt. Es ist erfaßt freilich schwerpunktmäßig in Bereichen, die genuin nicht zum eigentlichen Sicherheitsrecht gehören. Kostenlose Versicherung gegen Risiken aller Art kann nicht Aufgabe des Staates sein. Er kann und muß nicht Aufgaben fortführen, die der einzelne gegebenenfalls auch durch Einschaltung dafür kompetenter Aufgabenträger - in concreto der Architekten und Unternehmer - selbst leisten kann. Daß und wie der deutsche Wohlfahrts- und Sicherheitsstaat bislang im Bereich des Baurechts Aufgaben der Privaten wahrgenommen hat, zeigt z.B. ein Seitenblick auf das Bausicherheitsrecht in Frankreich. Ganz grob gesagt, befaßt sich die verwaltungsrechtliche Kontrolle in Frankreich lediglich mit Fragen der bauplanungsrechtlichen Zulässigkeit, während die bausicherheitsrechtlichen Fragen unter der Ädide des Zivilrechts stehen. Haftung und Risiko werden nicht vom Staat bestimmt oder gar von ihm getragen, der Staat stellt für die Konfliktlösung lediglich seine Zivil-Gerichtsbarkeit zur Verfügung. Vom Grundansatz her, nämlich der Aufgabenverteilung ähnlich, aber doch in der Risikoverlagerung wesentlich abgemildert, hat das bayerische System als Korrespondenz zur Aufgabenverlagerung in den privaten Bereich das Modell des verantwortlichen Sachverständigen (Art. 76 Abs. 4 BayBO 1994 / Art. 69 Abs. 4 BayBO 1998) eingeführt. Wesentliches Kennzeichen dieses Systems war die volle Privatisierung, bei der der Bescheinigung des verantwortlichen Sachverständigen, der als solcher bestimmte Voraussetzungen erfüllen muß, die Wirkung einer materiellen Legalitätsfiktion beigemessen wird. 3 9 Die Behörde bleibt auf die repressive Kontrolle beschränkt. Auf diese Weise ist durch die Bauordnungsrechtsreform unter dem Aspekt ,Schlanker Staat' das richtige Mittel zwischen Selbstregulierung und staatlicher Steuerung gefünden worden. 40 Trotz erheblicher Kritik 4 1 , namentlich in den Jahren 1994/95/96, hat Bayern diese Schlüsselposition wohl am konse-

39

Siehe dazu näher Sauter (Fn. 5), 2 ff., 6. Dazu Schmidt-Preuß/Di Fabio (Fn. 4), S. 162 ff. 41 Besonders scharf wurde diese Kritik an der zu weitgehenden Privatisierung formuliert in Ortloff/Rapp, Genehmigungsfreies Bauen: Neue Haftungsrisiken für Bauherren und Architekten, NJW 1996, 2346 ff.; Mampel (Fn. 20), 1160 ff. 40

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quentesten genutzt, indem es nach guten Erfahrungen bei der Auslotung in der Reform-Bauordnung 1994 42 konsequent den zweiten Schritt getan und die Freistellung erheblich ausgeweitet hat. Wieweit andere Länder einen derartigen zweiten Schritt tun werden, ist noch offen. 43 Wesentlich ist dabei, daß trotz weitgehender Aufgabenübertragung auf Private die Grenzen staatlicher Verantwortlichkeit eingehalten worden sind. Die äußerste Grenze des Rückzugs mußte das Bauplanungsrecht sein. Die Entscheidung über die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit eines Vorhabens bleibt in jedem Fall - und insoweit besteht Einigkeit - Gegenstand hoheitlicher Tätigkeit. Dabei geht es vor allem um die Wahrung der gemeindlichen Planungshoheit, die sich im Einvernehmenserfordernis des § 36 BauGB widerspiegelt. Nachdem der Gemeinde bundesrechtlich die planungsrechtliche Anstoßfünktion eines genehmigungspflichtigen Bauvorhabens gewährleistet ist (§§ 14 ff. BauGB), muß diese auch landesrechtlich gesichert bleiben. Sie darf insbesondere nicht durch eine landesrechtliche Genehmigungsfreistellung unterlaufen werden. Ausgehend von dieser Konzeption bedarf es des ausdrücklichen Genehmigungsverfahrens nur mehr, soweit Bauherr und verantwortlicher Architekt nicht ihrerseits die materielle Rechtmäßigkeit eines baulichen Vorhabens aus der Planung ablesen können. Diese Grenze wird in Bayern sehr weit gezogen. Ein echtes Genehmigungsverfahren, wenn auch in vereinfachter Form und verringertem Prüfumfang, ist erforderlich bei fehlender Plankonformität. Da in diesem vereinfachten Genehmigungsverfahren die Umgebungskoordination im Zusammenhang mit der bauplanungsrechtlichen Zulässigkeit geprüft wird, konnte die Grenze dieses Verfahrens bis zur Sonderbautengrenze (Art. 2 Abs. 4 Satz 2 BayBO) erweitert werden. 44 Im Ergebnis wird also alles das, was vom Sachverständigen selbst ohne größere rechtliche Schwierigkeiten mit den daraus erwachsenden Konsequenzen geprüft werden kann, privatisiert. Nur der „Rest" verbleibt im bauaufsichtlichen Präventiwerfahren.

42

Sauter(Fn. 5), 2 ff. Zu Ansätzen siehe etwa Sauter (Fn. 5), 2 ff., 4 f. 44 Demgegenüber ist bei der Freistellung kraft Gesetzes, die sich auf den qualifizierten Bebauungsplan i.S.v. § 30 Abs. 1 BauGB und den Vorhaben- und Erschließungsplan nach § 12 BauGB bezieht, eine bauaufsichtliche Kontrolle von vornherein nicht erforderlich, da sich aus diesen Plänen als unmittelbar anwendbare Rechtsgrundlage für den Bauherrn ersichtlich die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit oder Unzulässigkeit des Vorhabens ergibt. 43

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Nicht verzichtet werden kann dagegen auf die repressive Kontrolle. Wie sich jedoch gezeigt hat, sind die Repressivkontrollen, bedingt durch den grundlegenden Systemschnitt, entgegen vielfachen Befürchtungen auch nicht annähernd proportional angestiegen. Die Prognose qualifizierter „Präventivkontrolle durch Sachverständige" hat sich realisiert. Auch eine bedeutsame Verlagerung auf die Verwaltungsgerichtsbarkeit - i m Anfangsstadium der Diskussionen immer in den Vordergrund geschoben - ist nicht feststellbar.

Folgen der Risikoverlagerung für Bauherren und Nachbarn: Ist auf diese Weise das Reformziel »schlanker Staat' in den erforderlichen Grenzen erreicht worden, sind auch die durch den Systemschnitt befürchteten negativen Auswirkungen nicht eingetreten, so seien doch im Zusammenhang mit der Gesamtbewertung die wesentlichen Konsequenzen für Bauherren, Entwurfsverfasser und verantwortlichen Architekten sowie die Nachbarn aufgezeigt. Von den vielfältigen Folgen der Aufgaben- und Risikoverlagerung für den Bauherrn seien nur die wichtigsten hier angedeutet. Vor allem entfällt mit der Baugenehmigung die behördliche Unbedenklichkeitsbescheinigung - eine wesentliche Voraussetzung für Rechts- und Investitionssicherheit. Es entfällt die Versicherung, daß das genehmigte Vorhaben den im Zeitpunkt der Erteilung der Genehmigung maßgeblichen Vorschriften des öffentlichen Baurechts entsprach. 45 Darüber hinaus entfällt aber auch die Bindungswirkung gegenüber Behörden und Gerichten. Dem Bauherrn ist es daher aufgegeben, die materielle Rechtmäßigkeit nicht nur zur Zeit des Baubeginns, sondern auch während der Bauzeit zu verfolgen, und mit der grundrechtlich garantierten Baufreiheit ist ernst gemacht. Immerhin sind den Änderungen des Baurechts korrespondierend auch den Bauherrn schützende Mechanismen eingeführt. 46 Damit ergeben sich nicht unerhebliche Änderungen im Bereich der Haftung. 47 Mit der Verantwortungsverlagerung auf den Bauherrn bewirkt das fehlende Baugenehmigungsverfahren auch Auswirkungen für den Nachbarn. Betrachtet man jedoch die Konsequenzen im einzelnen, so ist eine Schlechterstellung nicht auszumachen.48 So steht z.B. dem Nachbarn ein Anspruch gegenüber 45

Zur verringerten Bedeutung der Feststellungswirkung auch Ortloff (Fn. 11), 333 ff., 338. 46 Dazu speziell Ortloff/Rapp (Fn. 41), 2346 ff. 47 Siehe dazu im einzelnen Preschet (Fn. 26), S. 49 f. 48 Dazu im einzelnen Preschet (Fn. 26), 45 ff, 51 ff; anders in der Wertung Ortloff (Fn. 11), 333, speziell 339 f.; zu den Folgen für den Bauherrn im Gegensatz zu Jäde: 18 FS Blümel

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der Bauaufsichtsbehörde zur Durchsetzung der Baubenachrichtigung zu, wenn der Bauherr dem Nachbarn eine qualifizierte Information verweigert oder Anhaltspunkte dafür sprechen, daß dadurch nachbarliche Rechte oder schützenswerte Interessen geschmälert werden sollen. 49 Wesentlich erscheint aber vor allem die Kompensation der behördlichen Prüfüngsreduktion durch das Modell des verantwortlichen Sachverständigen. Die vielfachen kritischen Anmerkungen in der Literatur sind und waren weitgehend gerechtfertigt vor dem Hintergrund des bisherigen Bauordnungsrechtsverständnisses. Akzeptiert man aber den Wandel des Verwaltungsverständnisses50, betrachtet man den Staat nicht mehr (nur) als Wohlfahrtsstaat, sieht man ihn nicht mehr (nur) als Betreuungsstaat, sondern vor dem Hintergrund aufgezeigter Notwendigkeiten als schlanken Staat, so muß die Kritik verblassen. Festzustellen ist freilich, daß das Verständnis Staat - Bürger, die Weite der Privatisierung und der Risikoübernahme bzw. der staatlichen Sicherungsgarantien, von Land zu Land unterschiedlich ist. Doch es liegt in der Dynamik dieser „Philosophie", daß die Sichtweise von Land zu Land unterschiedlich ist. Föderalismus bewirkt - wie schon gar nicht mehr erwartet, alles war durch Musterordnungen vorbestimmt und egalisiert - auch innerhalb Deutschlands wieder Wettbewerb der Systeme. So ist es nur natürlich, daß sowohl der Umfang der Aufgabenverlagerung als auch damit verbunden die Stärkung der privaten Eigenverantwortlichkeit unterschiedlich akzentuiert sind. Wesentlich ist es, daß mit dieser Reform ein Schritt zur Rückkehr zu staatlicher Normalität getan wird - ein Schritt zur Abkehr vom Wohlfahrts- und Versicherungsstaat hin zu einem Staat mit mehr Eigenverantwortlichkeit der Bürger. Wesentlich ist, daß der Staat seinen Schutzpflichten nachkommt. Ob er dieses mit präventiven und/oder repressiven Mitteln erreicht, muß seiner gesamtpolitischen Entscheidung überlassen bleiben. Aus verfassungsrechtlicher Sicht ist eine „Privatisierung von Verantwortung durch Verzicht auf bauaufsichtliche Präventivkontrolle unbedenklich". 51 Sie berührt weder das Gewaltmonopol, da die Repressivkontrolle verbleibt und auch Gefahrenabwehr bis hin zum Einsatz von Zwang möglich bleibt, andererseits stärkt der Verzicht auf Baugenehmigungserfordernisse die Eigentumsposition aus Art. 14 GG, indem das präven-

Mampel (Fn. 20), 1160 ff., insb. 1162, und derszu den Folgen der Genehmigungsfreistellung für den Nachbarn, ebd., 1165 f. Er sieht eine Erschwerung der Verwirklichung der Nachbarrechte. 49 Dazu Gröpl/Schleyer (Fn. 25), 97 ff. 50 Dazu im einzelnen Sauter (Fn. 5), 2 ff., und Preschet, (Fn. 26), 45 ff. 51 Presche! (Fn. 26), 45 ff. m.w.N.

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tive Verbot entfällt. Schließlich ist das Risiko weitestgehend gemindert durch die Einschaltung verantwortlicher Sachverständiger. Die normativen Voraussetzungen für Verfahrensvereinfachung und Verfahrensbeschleunigung sind im Baurecht - von Land zu Land unterschiedlich weit - geschaffen. Weitere Verbesserungen sind durch behördeninterne Reformen und ein entsprechendes Verfahrensmanagement möglich. Erforderlich ist die Vermittlung der positiven Reformen - der „Weg zu einer neuen Verwaltungskultur" 52 - nach außen. Erst wenn der , Schlanke Staat' und das geänderte Verwaltungsverständnis dem Bürger und Investor übersetzt ist, werden die Maßnahmenbündel zu einer Standortverbesserung führen.

52 Wallerath, Verwaltungserneuerung - Auf dem Weg zu einer neuen Verwaltungskultur?, VerwArch 88 (1997), S. 1 ff.

Liberalisierung und Regulierung netzgebundener Güter und Dienste Von Klaus König und Christian Theobald

I. Funktionen netzgebundener Güter und Dienste 1. Infrastruktur als Staatsaufgabe Die Frage, was in der Substanz öffentliche Aufgabe ist, gehört zu den herkömmlichen und immer wieder aktuellen Gegenständen der Regierungspraxis. Dabei können staatswissenschaftliche Erkenntnisse die einschlägigen politischen Entscheidungen nicht ersetzen. Indessen können die Rechts-, Wirtschafts- und Sozialwissenschaften ein vielfaltiges Orientierungswissen dahingehend vermitteln, was Sache der öffentlichen Hand ist. Dazu zählen die Einsichten der Dogmatik des Verfassungsrechts, der Theorie der öffentlichen Güter und des Marktversagens, die politökonomischen Bestimmungen von Staatsfunktionen, die Politikfeld-Analysen, die Erforschung des Wertewandels, sozialer Bedürfnisse, politischer Prioritäten etc.1. In einem normativen Konzept der sozialen Marktwirtschaft lassen sich Staatsaufgaben unter dem Gesichtspunkt der effizienten Allokation von Gütern und Diensten, aber auch aus Verteilungsproblemen begründen. Räumt man dem Wettbewerb bei der Allokation von Ressourcen grundsätzlich Vorrang ein, ist es auf der Ebene der Erstellung von Gütern und Diensten die Aufgabe des Staates, die für das Funktionieren des Marktes erforderliche Regelungen und die zur Sicherung notwendigen Institutionen bereitzustellen, gegebenenfalls auch ihre Einhaltung von Regelungen zu überwachen und ihre

1

Siehe Klaus König , Zur Verfahrensrationalität einer kontraktiven Aufgabenpolitik, 2. Aufl., Speyer 1994; ferner Franz-Xaver Kaufmann , Diskurse über Staatsaufgaben, in: Dieter Grimm (Hrsg.), Staatsaufgaben, 1994, S. 15 ff.; Adrienne Windhojf-Heritier , Die Veränderung von Staatsaufgaben aus politikwissenschaftlich-institutioneller Sicht, in: Dieter Grimm (Hrsg.), Staatsaufgaben, 1994, S. 75 ff.

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Durchsetzung zu gewährleisten 2. Das Versagen des Marktes kann dazu fuhren, daß Güter und Dienste, die für die Gesellschaft von besonderer Wichtigkeit sind, staatlicherseits bereitgestellt werden. In der Retrospektive trifft dieser Tatbestand erfahrungsgemäß häufig auf die Bereitstellung wirtschaftlicher Infrastruktureinrichtungen zu. Eine funktionsfähige Infrastruktur ist seit jeher eine Kondition wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Entwicklung 3 . Als klassischer Anschauungsfall gilt der auf die Bedürfnisse der räumlichen Ausdehnung der Handelsbeziehungen ausgerichtete Ausbau des Verkehrs- und Transportwesens zur Zeit des römischen Imperiums 4 . In der Epoche der mittelalterlichen Stadt- und Zunftwirtschaft im 15. und 16. Jahrhundert entfalteten sich in den Städten Handwerk und Handel zu eigenständigen Gewerbezweigen, die erste Maßnahmen einer öffentlichen Verwaltung der Wirtschaft erforderlich machten, welche nach dem Ende des 30jährigen Krieges in die merkantilistisch-kameralistische Wirtschaftsverwaltung mündete. Neben der Vereinheitlichung von Maßen und Gewichten, Strukturierung des Münzwesens standen die Wiederherstellung der zerstörten Verkehrswege, der Land- wie Wasserstraßen und die räumliche Verdichtung der Postdienste im Mittelpunkt staatlicher Wirtschaftsstrukturpolitik 5 . Auch in Zeiten eher liberalistisch geprägter Wirtschaftsverwaltung des 19. bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts galt für Adam Smith - als eine von drei Ausnahmen der Güterallokation über den Markt - die Verantwortlichkeit für die wirtschaftliche Infrastruktur als Staatsaufgabe 6. In Zeiten der postindustri2

Vgl. hierzu Klaus König/Angelika Benz, Zusammenhänge von Privatisierung und Regulierung, in: dies. (Hrsg.), Privatisierung und staatliche Regulierung: Bahn, Post und Telekommunikation, Rundfunk, 1997, S. 67 ff. 3 Siehe Klaus-Werner Schatz, Zur Entwicklung des Begriffs Infrastruktur, in: Heinz Berger (Hrsg.) Wettbewerb und Infrastruktur in Post- und Telekommunikationsmärkten, Beiheft 19 der ZögU 1996, S. 122 ff.; vgl. auch Klaus König/Nicolai Dose, Klassifikationsansätze zum staatlichen Handeln, in: dies. (Hrsg.), Instrumente und Formen staatlichen Handelns, 1993, S. 3 ff (101). 4 Aus der Perspektive der Neuen Institutionenökonomik vor allem Douglass C. North, Institutions and Economic Growth: A Historical Introduction, in: World Development 1989, S. 1319 ff 5 Georg Hilnnekens, Rechtsfragen der wirtschaftlichen Infrastruktur, 1995, S. 34, spricht bereits für die damalige Zeit von einem Postnetz. 6 Wenn er ausführt, daß „die dritte und letzte Aufgabe des Staates (darin) besteht, solche öffentliche Anlagen und Einrichtungen aufzubauen und zu unterhalten, die, obwohl sie für ein großes Gemeinwesen höchst nützlich sind, ihrer ganzen Natur nach niemals einen Ertrag abwerfen, der hoch genug für eine oder mehrere Privatpersonen sein könnte, um die anfallenden Kosten zu decken, weshalb man von ihnen nicht erwarten kann, daß sie diese Aufgaben übernehmen", vgl. Adam Smith, An Inquiry into

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eilen Gesellschaft, in denen bereits von einer Quintärisierung der Gesamtwirtschaft gesprochen wird 7 , erstreckt sich im Rahmen der Daseins- und Zukunftsvorsorge diese infrastrukturelle Verantwortlichkeit vornehmlich auf die Bereiche Verkehr, Information und Telekommunikation, Versorgung, Entsorgung, Bildung und Forschung, einheitliche Normierung, regionale Infrastrukturforderung sowie das Geld- und Währungswesen 8. Einige dieser Bereiche haben im Verlauf des 20. Jahrhunderts einen derart rapiden Anstieg der Teilnehmerzahlen, der direkten und verzweigten Verbindungslinien und der Durchlaufgeschwindigkeiten der transportierten Güter und Dienste erfahren, daß nunmehr der Begriff des Netzes als spezieller Tatbestand der Infrastruktur charakteristisch ist. Netze werden allgemein bezeichnet als „raumübergreifende, komplex verzweigte Transport- und Logistiksysteme für Güter, Personen oder Information" 9 . Die Netznutzung bzw. die Frage des Netzzugangs hat über die historischen Anschauungsfalle hinaus mit der gesellschaftlichen und ökonomischen Ausdifferenzierung nicht nur korrelierend, sondern diese überhaupt maßgeblich fördernd, kontinuierlich an Bedeutung gewonnen. Man denke neben den physischen Netzen an solche immaterieller Prägung wie bspw. Internet und Intranet, Flug- bzw. Hotelreservierungs- sowie Kontobuchimgssysteme10.

the Nature and Causes of the Wealth of Nations, 5. Buch, 1. Kapitel, 3. Teil, London 1789, übersetzt von Horst Claus Recktenwald, 1974, S. 612. Adam Smith wird deshalb auch als Vater der Infrastrukturtheorie bezeichnet; so René L. Frey, Infrastruktur Grundlagen der Planung öffentlicher Investitionen, 1970, S. 3. 7 So Daniel Bell, Die nachindustrielle Gesellschaft, 1975, S. 117, der neben den extraktiven Industrien und der Güterproduktion zwischen tertiären (Verkehr, Erholung) und quartären (Banken, Versicherungen) Dienstleistungen sowie einem fünften Sektor bestehend aus Gesundheit, Ausbildung, Forschung und Regierung unterscheidet. 8 Zu der Bedeutung der Planfeststellung angesichts der weiträumigen und zugleich zunehmend verdichteten öffentlichen Infrastruktur siehe grundlegend Willi Blümel, Die Planfeststellung Zweiter Teil: Die Planfeststellung im geltenden Recht - Habilitationsschrift aus dem Jahre 1967 -, Bde. 1 und 2, Nachdruck als Speyerer Forschungsberichte Nr. 140, 1994; ferner Rolf Stober, Allgemeines Wirtschaftsverwaltungsrecht, Grundlagen und Prinzipien, Wirtschaftsverwaltungsrecht, 11. Aufl., 1998, S. 267 ff. 9 So die Monopolkommission, Wettbewerbspolitik in Zeiten des Umbruchs, Hauptgutachten 1994/1995, 1996, S. 25, Tz. 49, und C. Christian von Weizsäcker, Wettbewerb in Netzen, WuW 1997, S. 572 ff. (572). 10 Die Notwendigkeit der Teilhabe an Netzen als Aufgabenbereich der Daseinsvorsorge bzw. Grundversorgung mündet im Fall des bargeldlosen Zahlungsverkehrs mittlerweile in das Postulat eines Grundrechts auf ein Bankkonto.

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2. Netze im Wandel der ökonomischen Analyse In Anknüpfung an das von Adam Smith erkannte grundsätzliche Versagen des Marktes bei der Allokation bzw. Bereitstellung bestimmter Formen von Infrastruktur besagt die Theorie öffentlicher Güter, daß solche Güter, die - wie bspw. die Landesverteidigung - allen Bewohnern Nutzen stiften, durch die öffentliche Hand bereitgestellt werden müssen11. Bezogen auf die materielle Infrastruktur treten Elemente öffentlicher Güter hervor, weil ihre Nutzung oft nicht auf diejenigen beschränkt werden kann, die einen Preis zu zahlen bereit sind (Nichtanwendbarkeit des Ausschlußprinzips), und weil die Nutzer dieser Güter sich solange nicht stören, wie die Nutzungsdichte unterhalb der Kapazitätsgrenze bleibt (nichtrivalisierender Konsum) 12 . Bereits mit der Einführung der meritorischen Güter in die ökonomische Betrachtung ist die Theorie öffentlicher Güter relativiert worden. Vor allem belegen aber Nutzungsgebühren im Bereich des Verkehrswesens durchaus die Anwendbarkeit des Ausschlußprinzips schon in der Vergangenheit. Die Entwicklung elektronisch gesteuerter Mautsysteme, Decoder-Systeme etc. rationalisiert nunmehr die genaue Zurechnung von Nutzung und Nutzungsumfang gegenüber dem individuellem Nutzer und haben dadurch das Ausschlußprinzip als konstituierendes Merkmal von öffentlichen Gütern noch weiter aufgeweicht 13. Netzindustrien wurden in der ökonomischen Analyse traditionell als natürliche Monopole betrachtet. Als solche werden Effizienztatbestände bzw. Situationen bezeichnet, in denen ein einziges Unternehmen den relevanten Markt zu niedrigeren kostendeckenden Preisen beliefert als dies zwei oder mehr Unternehmen möglich wäre, welche zu denselben Bedingungen zu derselben Technologie Zugang haben wie der natürliche Monopolist. Diese sogenannte Subadditivität der Kostenfünktion gründet meist auf den Vorteilen der Massenproduktion (Economies of Scale) oder auf Verbundvorteilen (Economies of Scope)14. Daneben werden als besondere Charakteristika von System11 Vgl. Richard A. Musgrave/Peggy B. Musgrave/Lore Kullmer, Die öffentlichen Finanzen in Theorie und Praxis, Bd. 1, 6. Aufl., 1994, S. 6. 12 Georg Hermes, Staatliche Infrastrukturverantwortung: Rechtliche Grundstrukturen netzgebundener Transport- und Übertragungssysteme zwischen Daseinsvorsorge und Wettbewerbsregulierung am Beispiel der leitungsgebundenen Energieversorgung in Europa, 1998, S. 313 f. 13 Femer fehlt es auch immer häufiger an dem zweiten Kennzeichen, dem nichtrivalisierenden Konsum; man denke an die immer häufiger auftretende Kapazitätsüberschreitung bspw. im Straßenverkehr, die in zeitweiligen Stillstand der Fortbewegung aller Verkehrsteilnehmer mündet. 14 Siehe Michael Krakowski, Grenzen natürlicher Monopole, Wirtschaftsdienst 1985, S. 404 ff. (407); ders. Deregulierung in den Ausnahmebereichen des GWB,

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netzen die Möglichkeit der Zusammenfassung vernetzter Teilstrecken zu einer Strecke (Kostenersparnis bei der Leitungsbündelung), das Sinken der relativen Transportkosten mit zunehmender Entfernung (Distanzkostendegression), die Abnahme der erforderlichen Reservekapazitäten bei zunehmender Netzgröße (Glättung der Nachfragespitzen) angeführt 15 . Die Einordnung des natürlichen Monopols als ein Typ des Marktversagens begründet in der Perspektive der normativen Theorie der Regulierung einen Regulierungsbedarf dahingehend, die Vergeudung von Ressourcen eines ruinösen oder Verdrängungswettbewerbs zu verhindern 16 . Konsequenz war in der Vergangenheit regelmäßig die Vergabe einer Monopollizenz 17 , d.h. eine gesetzliche Marktzutrittsschranke verknüpft mit einer staatlichen Aufsicht über das private oder (häufig) staatliche Monopolunternehmen. Die Angreifbarkeit eines natürlichen Monopols, d.h. die Frage inwieweit Netznutzung durch andere als den Netzbetreiber möglich ist, hängt maßgeblich davon ab, in welchem Maß irreversible Kosten („sunk costs") vorliegen. Dies sind Investitionen, die für den Marktzutritt erforderlich sind, die im Fall des Marktaustritts aber wertlos sind 18 . Insbesondere bereits abgeschriebene Aufwendungen seitens des Netzinhabers erlauben diesem im Falle von neuer Konkurrenz, kurzzeitig die Tarife für die Endabnehmer auf die Höhe der Betriebskosten zu reduzieren. Der Übergang von einem angreifbaren zu einem nicht angreifbaren Netz (und umgekehrt) ist häufig fließend und läßt sich meist nur für den Einzelfall entscheiden19. Eine wichtige Funktion nimmt dabei der Verlauf der technischen Entwicklung ein, die völlig neue Alternativen zu einem existierenden

Wirtschaftsdienst 1988, S. 90 ff. (91 ff.); ausfuhrlich Rupert Windisch, Privatisierung natürlicher Monopole: Theoretische Grundlagen und Kriterien, in: ders. (Hrsg.), Privatisierung natürlicher Monopole im Bereich von Bahn, Post und Telekommunikation, 1987, S. 1 ff. (41). 15 Siehe Bundeskartellamt, Zugang zu Netzen und anderen wesentlichen Einrichtungen als Bestandteil der kartellrechtlichen Mißbrauchsaufsicht, Arbeitsunterlage für die Sitzung des Arbeitskreises Kartellrecht am 9. und 10. Oktober 1997, Berlin 22.9.1997, S. 4. 16 Vgl. Rupert Windisch (Fn. 14), S. 1 ff. (56 f.). 17 Vgl. Jürgen Müller/Ingo Vogelsang, Staatliche Regulierung, 1978, S. 36. 18 Beispiele sind Aufwendungen für Erdgas- oder Stromleitungen, Schienen. 19 Siehe Annette Klimisch/Markus Lange, Zugang zu Netzen und anderen wesentlichen Einrichtungen als Bestandteil der kartellrechtlichen Mißbrauchsaufsicht, WuW 1998, S. 15 ff.

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Netz eröffnen und ein bislang als nicht angreifbar bzw. unteilbar bewertetes Netz aufbrechen kann 20 . Daneben kann eine Steigerung der Nachfrage nach Netzkapazität die Verlegung weiterer Leitungen notwendig machen. Sofern die zusätzlichen Kapazitäten nicht vom bisherigen Netzinhaber installiert werden, kann sich das bestehende Angebotsmonopol dem Wettbewerb öffnen. Diese Strategie des parallelen Leitungsbaus als gezieltes Mittel zu mehr Wettbewerb verfolgte im übrigen der vorletzte Regierungsentwurf zur Novellierung des Energiewirtschaftsgesetzes 21. Gleiches gilt für den Bereich der Telekommunikation, wo das Betreiben von Übertragungswegen lediglich lizenzpflichtig ist 22 .

3. Liberalisierung der Aufgabenwahrnehmung Der eben beschriebene Wandel in der ökonomischen Einschätzung ist in den Hintergrund einzubeziehen, vor dem eine in den 80er Jahren in vielen OECD-Mitgliedsstaaten einsetzende Strategie der Verlagerung öffentlicher Aufgaben in die private Wirtschaft bis heute gesehen werden muß. Ein Auslöser war das Spürbarwerden finanzieller Lasten westlicher Wohlfahrtsstaaten 23. Die Privatisierung öffentlicher Unternehmen trug wesentlich dazu bei, daß die Staatsquoten im internationalen Vergleich mancherorts seit dem Jahr 1980 - nach einem Zwischenhoch 1982 - bis zum Jahr 1997 rückläufig sind; sie reichen von Belgien (58,3 %/63,5 %/54,3 %), über Deutschland 24 , (49,8 %/

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Technische Standards bedeuten bei entsprechend hohem Verbreitungsgrad rechtlich und/oder faktisch Marktzugangsbarrieren. Das Beispiel des Videosystems VHS und die Entwicklung CD-basierter Videosysteme zeigt die Möglichkeit des Wegfalls der Nichtangreifbarkeit. Vgl. zu diesem Beispiel Bundeskartellamt (Fn. 15), S. 8. 21 Vgl. vor allem die Einführung der Regelung für den Bau von Höchstspannungsleitungen in § 6 I EnWG-E. Der Leitungsbedarf sollte sich dabei nicht nur nach der Versorgungssicherheit, sondern auch nach der Errichtung zusätzlicher Leitungskapazitäten zur Erhöhung des Wettbewerbsdrucks bemessen. So die Begründung der Bundesregierung zum Gesetzentwurf, BT-Drucks. 13/7274, S. 10, 19, und die Gegenäußerung der Bundesregierung auf die Stellungnahme des Bundesrates, BT-Drucks. 13/7274, S. 30. 22 Vgl. § 6 TKG. 23 Siehe Klaus König, Entwicklung der Privatisierung in der Bundesrepublik Deutschland - Probleme, Stand, Ausblick -, VerwArch 79 (1988), S. 241 ff ; Christopher D. Foster/Francis J. Plowden, The State under Stress, 1996. 24 Ab 1991 Gebietsstand nach dem 3. Oktober 1990. Der nur unwesentlich wirkende Rückgang in Deutschland relativiert sich angesichts der vereinigungsbedingten Belastung der öffentlichen Haushalte.

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50,1 %/49,0 %), bis zu Großbritannien/Nordirland (43,0 %/44,5 %/42,l %), Irland (49,3 %/53,4 %/40,9 %) und Niederlande (55,8 %/59,8 %/49,5 %) 2 5 . Im Hinblick auf privatisierungsfähige Objekte umfaßten bereits Ende der 70er Jahre die Vorschläge sowohl die Veräußerung des öffentlichen Wirtschaftsvermögens und Übertragungen im gesamten Bereich öffentlicher Aufgabenstellung wie die marktwirtschaftliche Behandlung und Privatisierung von Gesundheitswesen, Bildung, Umweltschutz, Energieversorgung und sonstigem Dienstleistungsbereich bis zur Privatisierung von Hilfstätigkeiten wie Gebäudereinigung, Druckerei-, Buchbinder-, Schreibarbeiten, Wäschereien usw. 26 . Vor allem die Veräußerung von großen Staatsunternehmen wird als Mittel zur nachhaltigen Entlastung der öffentlichen Haushalte gesehen27. Daneben erfahrt die ökonomische Liberalisierung eine maßgebliche Schubwirkung durch den Abschluß internationaler Abkommen. So haben beispielsweise die Vereinigten Staaten von Amerika im November 1997 ihre Zugangskriterien zum amerikanischen Telefon- und Statellitenmarkt für ausländische Wettbewerber erleichtert. Hintergrund ist ein entsprechendes, gemeinsam mit anderen 68 Staaten am 15. Februar 1997 im Rahmen der WTO abgeschlossenes Grundsatzabkommen für die Telekommunikationsmärkte 28. Ferner begleiten internationale Organisationen wie die Weltbank, die Europäische Bank für Wiederaufbau und Entwicklung und die OECD maßgeblich nationale Politiken der wirtschaftlichen Deregulierung. So verweist die Weltbank in ihrem dem „Staat in einer sich ändernden Welt" gewidmeten Weltentwicklungsbericht auf die weltweit zu beobachtenden Liberalisierungsten-

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In anderen Staaten ist der Anteil der öffentlichen Ausgaben am Bruttosozialprodukt aus verschiedenen Gründen aber angestiegen, vgl. nur die entsprechenden Quoten für Frankreich (46,1 %/50,3 %/53,7 %), Italien (41,9 %/47,6 %/50,3 %), Kanada (38,8 %/44,8 %/44,3 %), Schweden (60,1 %/64,8 %/63,9 %), Spanien (32,2%/ 36,6 %/42,8 %) und USA (31,4 %/33,4 %/32,9 %), alle Angaben nach Bundesministerium für Finanzen, Finanzbericht 1997, 1997, S. 344. 26 Siehe Klaus König/Angelika Benz (Fn. 2), S. 16. 27 Vgl. zu den unterschiedlichen Strategien der ökonomischen Rationalisierung von Staat und Verwaltung Klaus König, Markt und Wettbewerb als Staats- und Verwaltungsprinzipien; ferner Klaus König/Joachim Beck, Modernisierung von Staat und Verwaltung. Zum Neuen Öffentlichen Management, 1997. 28 Von diesem zum 1.1.1998 in Kraft getretenen Abkommen sind die USamerikanischen Märkte erfaßt, in denen immerhin 90 Prozent der Telekommunikationseinnahmen erwirtschaftet werden, vgl. Carola Kaps, Washington erleichtert den Zugang zum Telefon- und Satellitenmarkt, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung Nr. 278 v. 29.11.1997, S. 24.

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denzen in den Versorgungsbereichen 29. Als eine grundlegende Ursache für Fehlentwicklungen im Bereich der Infrastruktur werden unzureichende institutionelle Anreize angeführt; Abhilfe verspricht man sich von der Implementation von Wettbewerb mittels Aufgabenverlagerung staatlicherseits auf private Träger 30 . So sind sogar in China, das in bezug auf marktwirtschaftliche Neigungen als eher unverdächtig gilt, seit geraumer Zeit wirtschaftliche Liberalisierungsschritte eingeleitet worden: Im Zuge der 1994 beschlossenen Einrichtung eines zweiten Telefonnetzes ist mit China Unicom ein weiterer Wettbewerber zugelassen worden 31 . Über Art. 129 b-d E G V 3 2 ist der Europäischen Gemeinschaft mittlerweile die Aufgabe zugewiesen worden, zum Aufbau und Ausbau transeuropäischer Netze für Verkehr, Telekommunikation und Energie beizutragen. Auf supranationaler Ebene sind hierbei insbesondere der Verbund, die Interoperabilität und der Zugang zu den Netzen zu fördern. Durch die Herstellung der physischen Voraussetzungen soll die Verwirklichung des Binnenmarktes flankiert werden. Die diesbezüglichen Kosten bis zum Jahr 1999 werden mit 220 Mrd. ECU für die Verkehrsinfrastruktur, 150 Mrd. ECU für die Telekommunikation und 30 Mrd. ECU für den Energietransport beziffert 33 . Die Liberalisierung der traditionell vielerorts als (Staats-)Monopole geführten Netzindustrien des Bahnverkehrs, des Postwesens, der Telekommunikation und der Energieversorgung ist zwischenzeitlich durch weitere Gemeinschaftsinitiativen in Form von Richtlinien forciert worden 34 . 29

World Bank, World Development Report 1997, The State in a Changing World, Oxford 1997, S. 61 ff. Bezogen auf die Transformationsstaaten vgl. auch World Bank, World Development Report 1996, From Plan to Market, 1996. 30 Vgl. World Bank, World Development Report 1994, Infrastructure and Development, 1994. 31 Siehe Hans-Jürgen Michalski, Deregulierung der Telekommunikation in Entwicklungsländern, in: Blätter für deutsche und internationale Politik 1995, S. 1135 ff. 32 ABIC 191 v. 29.7.1992. 33 Hierzu Eberhard Brandt, Verkehrspolitik und transeuropäische Netze, in: Moritz Röttinger/Claudia Weyringer (Hrsg.), Handbuch der europäischen Integration. Strategie, Struktur, Politik der Europäischen Union, 2. Aufl., 1996, S. 917 ff., 932 ff. 34 Siehe diesbezüglich u.a. die Richtlinie für den Bahnbereich 91/440/EWG; den Richtlinienvorschlag für den Postbereich ABl 1995 C 322/10, Änderungen ABl 1996 C 300/13; die Richtlinien für die Telekommunikation 90/388/EWG (allgemein), 94/46/EG (Satelliten-Kommunikation), 95/51/EG (Nutzung von Kabel-TV-Netzen für Telekommunikation), 96/2/EG (mobile Kommunikation), 96/19/EG (Wettbewerb im Sprachentelefondienst); im Bereich der Energieversorgung die Richtlinien ABl Nr. L 313/30 v. 29.10.1990 (Transit für Elektrizitätslieferungen über große Netze), ABl Nr. L 147/37 v. 31.5.1991 (Transit von Erdgas über große Netze), ABl 1992 Nr. C 65/4,5 (Verwirklichung des Elektrizitätsbinnenmarktes), ABl EG Nr. L/27/25 v. 30.1.1997 (Gemeinsame Vorschriften für den Elektrizitätsbinnenmarkt).

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4. Telekommunikation und netzgebundene Energieversorgung Überprüft man die Konsequenzen der oben skizzierten technischen und ökonomischen Entwicklungen für die staatliche Verantwortlichkeit im Bereich netzartiger Infrastruktur, dann bieten sich als Fallbeispiele hierfür die leitungsgebundene Energieversorgung und die Telekommunikation an. Vor allem letztere bildet aufgrund ihrer rasanten technologischen Entwicklung eine wesentliche Grundlage der weltweiten Informationsgesellschaft, die auch Ausdruck findet in der Entstehung internationaler Allianzen von TelekomKonzernen 35 . In der leitungsgebundenen Energieversorgung sind es unter anderem der starke Zuwachs an dezentral aus regenerativen Energieträgern erzeugter Elektrizität und die deutlichen Effizienzsteigerungen der KraftWärme-Koppelung sowie die seit Inkrafttreten des Energiewirtschaftsgesetzes im Jahr 1935 verstetigten Monopolstrukturen fast ausnahmslos gemischtwirtschaftlicher Energieversorgungsunternehmen, die den politischen Druck über die Parteigrenzen hinweg in Richtung wettbewerblicher Öffnung der Transport- und Verteilungsnetze komprimiert haben 36 . Neben diesem Argument der Aktualität verbindet beide Wirtschaftsbereiche eine Reihe physikalisch-technischer Ähnlichkeiten, zugleich ein Grund für die rasche und starke Präsens der großen Energieversorgungsunternehmen (EVU) auf den geöffneten Märkten der Telekommunikation 37 . Diese Parallelen führen 35

Siehe Dieter Elixmann, Internationale Konsortien als neue Spieler in einem liberalisierten Telekommunikationsmarkt, in: Herbert Kubicek/Dieter Klumpp/Günter Müller/Karl-Heinz Neumann/Eckart Raubold/Alexander Roßnagel (Hrsg.), Jahrbuch Telekommunikation und Gesellschaft 1996, 1996, S. 50 ff. 36 Zur Diskussion über die Reform des EnWG bspw. Hans-Heinrich Lindemann/ Kristina Köster, Energiewirtschaft auf dem Weg zu mehr Wettbewerb - Zum Regierungsentwurf für ein neues Energiewirtschaftsgesetz (EnWG) -, DVB1 1997, S. 527 ff.; Deregulierungskommission Unabhängige Expertenkommission zum Abbau marktwidriger Regulierungen, Marktöfthung und Wettbewerb, Stuttgart 1991, S. 66 ff, ferner Christian Theobald, Reform des Energiewirtschaftsgesetzes?, RuP 1996, S. 91 ff; zur Anwendbarkeit in den postsozialistischen Staaten vgl. Petra Opitz/Wolfgang Pfajfenberger, Liberalisierung der Stromwirtschaft - Erfahrungen im Westen und Möglichkeiten in Osteuropa, Diskussionspapier Nr. V-164-96 der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg, Juli 1996. 37 Siehe Thomas H. Fiebig, Zulässige Aktivitäten der EVU, et 1998, S. 97 ff; Helmut Gröner/Andreas Knorr, WuW 1995, S. 785 ff. Die unmittelbare Konkurrenz zwischen den Netzen der Telekommunikation und der Elektrizität gründet in der Möglichkeit der Substitution ersterer durch letztere. So gestattet es beispielsweise die InternetTelefonie, neben den herkömmlichen Telekommunikationsnetzen auch Stromnetze für Sprachübertragungen bis zum Endkunden zu nutzen, vgl. Christian Koenig/Sascha Loetz, Die Netze wachsen schnell zusammen, in: Telekommunikation, Verlagsbeilage zur Frankfurter Allgemeine Zeitung Nr. 34 v. 10.2.1998, S. B 8.

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zu einer Vergleichbarkeit des Anforderungsprofils gegenüber den Formen staatlicher Steuerung: Unter dem Gesichtspunkt effizienter Allokation netzgebundener Güter und Dienste erfordert die intendierte Liberalisierung vor allen Dingen die Möglichkeit des Marktzutritts, wobei sowohl in der Strom- und Gasversorgung als auch der Telekommunikation die konkrete Ausgestaltung der Bedingungen der - i m Zweifel den Interessen des Betroffenen zuwiderlaufenden - Nutzung fremden Eigentums problematisch ist. Zusätzliche Brisanz erhält diese Frage angesichts des replizierten Vorwurfs erzwungener Förderung unmittelbarer Konkurrenz. Wenn man aber grundsätzlich den Netzzugang als condicio sine qua non für ein funktionierendes Marktgeschehen bejaht, wirken die Rechte des Netzeigentümers und zugleich Unternehmers aus Artikel 14 und 12 Grundgesetz in der Frage finanzieller Kompensation fort. Mit Blick auf die Verteilungsgerechtigkeit und Gemeinwohlorientierung drängt sich als weiterer gemeinsamer Fragenkreis der der flächendeckenden Grundversorgung auf. Hiermit korreliert die Diskussion über die Mechanismen der Preisbildung, insbesondere in der Anfangsphase eines neu geöffneten Marktes mit einem (zunächst noch) übermächtigen Marktteilnehmer.

I I . Die Telekommunikation 1. Ausgangspunkt der Liberalisierung In der historischen Entwicklung der Telekommunikation in Deutschland beginnend mit dem Postwesen, über die Erfindung der optischen Telegraphie und des elektrischen Telegrafen bis hin zum Telefon fällt die durchgängige Organisation als staatliches Monopol auf 38 . Der Aufgabenbereich der Deutschen Bundespost als bundeseigene Verwaltung mit eigenem Verwaltungsunterbau umfaßte alle für die Bevölkerung wesentlichen Dienstleistungen der Post und Telekommunikation, wobei die Dienste auf der Grundlage öffentlichrechtlicher Rechtsbeziehungen erbracht wurden. Für weite Bereiche sorgten Monopole für die flächendeckende und gleichmäßige Versorgung, die im üb-

38 Zu den unterschiedlichen Entwicklungspfaden in Deutschland, Japan, Frankreich, Italien, England und den USA vgl. instruktiv Volker Schneider, Institutionelle Evolution als politischer Prozeß: Die Entwicklung der Telekommunikation im historischen und internationalen Vergleich, Habilitiationsschrift, Universität Mannheim 1995; ders., The Governance of Large Technical Systems: The Case of Telecommunications, in: Todd R. La Porte (ed.), Responding to Large Technical Systems: Control or Anticipation, 1991, S. 18 if.

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rigen die Rechtfertigung der Leistungserbringung durch öffentliche Unternehmen unter weitgehendem Ausschluß von Wettbewerb bildete 39 . Die Anstrengungen einer Veränderung der institutionellen Struktur des Post- und Telekommunikationswesens sind vergleichsweise jung. Nach ersten Bemühungen zu einer Reform des alten Art. 87 GG im Jahr 1971, die aber an der Frage eines konsensfähigen Mitbestimmungsmodells scheiterten, kam es im Sog der allmählichen Globalisierung der Informations- und Kommunikationstechnologien - einschließlich der Diversifizierung der A T & T in den USA seit 1984 sowie den Privatisierungen von British Telecom und NTT in Japan zur Einsetzung der sogenannten Witte-Kommission. Deren Empfehlungen bildeten wesentliche Schwerpunkte der Postreform I, insbesondere hinsichtlich der Trennung der hoheitlich-politischen von den betrieblich-unternehmerischen Aufgaben 40 . Für den Bereich der Endgeräte sowie den Satelliten- und Mobilfunk wurde Wettbewerb bereits grundsätzlich zugelassen. Die Postreform I I i m Jahr 1994 stand im Zeichen der Privatisierung der Organisation der Unternehmen, die vornehmlich der Stärkung der unternehmerischen Handlungsfreiheit und Marktorientierung durch Wahl der Rechtsform der Aktiengesellschaft diente. Im Gegenzug wurde die staatliche Infrastrukturverantwortung ausdrücklich festgelegt 41. Die dritte Stufe der Postreform schließlich zielte auf die eigentliche Phase der Liberalisierung mittels einer Regulierung der Leistungserbringung durch miteinander konkurrierende Private zum 1.1.1998. Es sollten also die Voraussetzungen für die sich abzeichnende, weitergehende Marktöflfnung und weitestmögliche Leistungserbringung im Wettbewerb geschaffen werden 42 .

2. Marktzutritt Die Frage nach dem Marktzutritt als wettbewerbskonstituierend kann nur vor dem Hintergrund des oben zu der Theorie natürlicher Monopole Gesagten beantwortet werden. Unteilbarkeiten, d.h. natürliche Monopole sind weiterhin typisch für den Bereich der Ortsnetze. Ursachen sind erhebliche Dichteeffekte (Nachbarschaftseflfekte, Agglomerate); ferner kommt es hier bei zunehmender 39

Siehe Angelika Benz, Privatisierung und Regulierung im Post- und Fernmeldewesen, in: Klaus König/Angelika Benz (Hrsg.), Privatisierung und staatliche Regulierung: Balm, Post und Telekommunikation, Rundfunk, Baden-Baden 1997, S. 263 ff 40 Ausführlich Arne Börnsen, Das Telekommunikationsgesetz 1996 - Entwicklungen und Hintergründe, ZG 1996, S. 323 ff. 41 Vgl. Angelika Benz (Fn. 39), S. 270 ff. 42 So Angelika Benz (Fn. 39), S. 282.

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Teilnehmerzahl zu einer besseren Auslastung der Ortsvermittlungsstellen 43. Diese subadditiven Kostenverläufe im Bereich der Ortsnetze erfordern unter Kostengesichtspunkten lediglich jeweils nur einen Anbieter; bei den Fernnetzen ist hingegen die Erzeugung von Marktverhältnissen angezeigt. Die Unterscheidung ist wichtig für die Abgrenzung der relevanten Märkte, die ihrerseits erforderlich sind, um bestehende und erwartete rechtliche oder faktische Wettbewerbsbeschränkungen zu identifizieren 44 . Weiterhin hat die technische Entwicklung zur Bildimg neuer Märkte geführt, die im Wettbeweib zueinander stehen können: Zum einen entstand innerhalb der terrestrischen Netze eine Vielzahl von Spezialnetzen für spezifische Netzbedürfnisse; zum anderen erhielten die terrestrischen Netze Konkurrenz durch nicht-terrestrische Übertragungsformen der Satellitenkommunikation und des Mobilfunks. Ferner ermöglichte die Digitalisierung eine Integration der so entstandenen dienstspezifischen Netze in neue Universalnetze 45. Der angestrebte Marktzutritt ist - wie in der leitungsgebundenen Energieversorgung - grundsätzlich möglich mittels der Mitbenutzung der vorhandenen Netze anderer Anbieter von Diensten, alternativ durch den Ausbau zusätzlicher (paralleler) Netze gleichen Typs. Daneben besteht noch die Möglichkeit des Ausweichens auf andere Arten von Übertragungsnetzen, beispielsweise der Übergang von Festnetzen zur Nutzung von Mobilnetzen oder Satellitenübertragung. Letztere Variante kann man auch als Wechsel in einen anderen Markt ansehen. Die Situation nicht nur miteinander konkurrierender Unternehmen sondern ebensolcher Märkte ist vergleichbar mit der Wahlentscheidung von Transportunternehmen zwischen der Nutzung des Straßen-, Binnenschiffahrts- oder Schienennetzes sowie der Substituierbarkeit des Energieträgers Gas durch Elektrizität bei der Wärmeversorgung 46.

43 Vgl. Günter Knieps/C. Christian von Weizsäcker, Telekommunikation, in: Peter Oberender/Herbert Baum (Hrsg.), Marktökonomie, 1989, S. 452 ff. (469); MatthiasWolfgang Stoetzer/Thomas Wein, Ordnungspolitik in der Telekommunikation: Übersicht und aktuelle Entwicklungen, in: List Forum für Wirtschafts- und Finanzpolitik 1997, S. 28 ff. (30 f.). 44 Hierzu Hermann H. Kallfaß, Konzepte und Indikatoren zur Abgrenzung räumlicher Märkte in der europäischen Zusammenschlußkontrolle, in: Jörn Kruse/Kurt Stockmann/Lothar Vollmer (Hrsg.), Wettbewerbspolitik im Spannungsfeld nationaler und internationaler Kartellrechtsordnungen: Festschrift für Ingo Schmidt zum 65. Geburtstag, 1997, S. 111 ff. 45 Hierzu ausführlich Edgar Grande, Entlastung des Staates durch Liberalisierung und Privatisierung? Zum Funktionswandel des Staates im Telekommunikationssektor, in: Rüdiger Voigt (Hrsg.), Abschied vom Staat - Rückkehr zum Staat?, 1993, S. 371 ff. (374). 46 Siehe unter IUI.

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Der Gesetzgeber hat sich in Konkretisierung des gemeinschaftsrechtlichen Regelungsrahmens 47 für eine kombinierte Lösung aus Netznutzung und Netzneubau entschieden. Nach den §§ 35 ff. TKG sind nunmehr die marktbeherrschenden Betreiber von Telekommunikationsnetzen, die Telekommunikationsdienstleistungen für die Öffentlichkeit anbieten, verpflichtet, anderen Nutzern Zugang zu ihren Telekommunikationsnetzen oder Teilen derselben zu ermöglichen, wobei dies über für sämtliche Nutzer bereitgestellte Anschlüsse (allgemeiner Netzzugang) oder über besondere Anschlüsse (besonderer Netzzugang) erfolgen kann 48 . Die Errichtung neuer unter- wie oberirdischer Übertragungsnetze wird wesentlich durch die in § 50 I T K G geregelte Übertragung der Nutzungsberechtigung im Wege der Lizenzerteilung erleichtert. Die unentgeltliche Nutzungsberechtigung des Bundes und ihre Übertragung auf die entsprechenden Lizenznehmer wird als die systemgerechte Anpassung des bisherigen öffentlichen Fernmelderechts an die Bedingungen der privatwirtschaftlichen Erfüllung des öffentlichen Versorgungsauftrags angesehen49. Eine Lizenzpflicht ist nur für diejenigen Telekommunikationsdienstleistungen vorgesehen, die bislang Gegenstand des Netz- und Telefondienstmonopols nach § 1 II, I V FAG waren. Einer Kontrollerlaubnis, auch Lizenz genannt, gemäß § 6 TKG bedarf, wer entweder Übertragungswege betreibt, die die Grenze eines Grundstücks überschreiten und für die Telekommunikationsdienstleistungen für die Öffentlichkeit genutzt werden, oder Sprachtelefon47 Vgl. zur Vorgeschichte den Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über die Zusammenschaltung in der Telekommunikation zur Gewährleistung des Universaldienstes und der Interoperabilität durch Anwendung der Grundsätze für einen offenen Netzzugang, KOM (95) 379 endg., ABl EG Nr. C 313/7 v. 24.11.1995. 48 Als Zusammenschaltung (Interconnection) wird dabei ein Anwendungsfall der Gewährung von Netzzugang bezeichnet; gemäß der Legaldefinition in § 3 Nr. 25 TKG ist dies derjenige „Netzzugang, der die physische und logische Verbindung von Telekommunikationsnetzen herstellt, um Nutzern, die an verschiedenen Telekommunikationsnetzen angeschaltet sind, die mittelbare oder unmittelbare Kommunikation zu ermöglichen", vgl. auch Joachim Scherer, Das neue Telekommunikationsgesetz, NJW 1996, S. 2953 ff. (2961). 49 Vgl. BT-Drucks. 13/3609, S. 48 f.; Martin Bullinger, Durchleitungsrechte, Mitbenutzungsrechte und Planfeststellung filr konkurrierende Telekommunikationsnetze, Rechtsgutachten im Auftrag des Bundesministeriums für Post und Telekommunikation, September 1995, S. 8 ff.; Joachim Scherer (Fn. 48), S. 2953 ff. (2962); anders dagegen Günter Püttner, Telekommunikation und gemeindliches Wegerecht, Rechtsgutachten im Auftrag des Deutschen Städte- und Gemeindebundes, 15.1.1996, und Hermann Pünder, Die kommunale Betätigung auf dem Telekommunikationssektor, DVB1 1997, S. 1353 ff. (1356 f.), die im Fall der Nutzung von im Eigentum der Gemeinden stehenden Wegen eine Verletzung von Art. 28 II GG sehen. 19 FS Blümel

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dienst auf der Grundlage selbst betriebener Telekommunikationsnetze anbietet. Für den Fall, daß nicht ausreichend verfügbare Frequenzen vorhanden sind, stellt § 11 T K G der Regulierungsbehörde zwei unterschiedlich gesteuerte Auswahlverfahren anheim: Im Falle des Versteigerungsverfahrens entscheidet das gebotene Geld, im Falle des Ausschreibungsverfahrens die offerierte Qualität der Nachfragebefriedigung, wobei die erste Variante den Regelfall bildet 50

3. Nutzungsentgelt Während im Wettbewerbsmarkt idealiter „vollständige Konkurrenz" sicherstellt, daß der Preis der angebotenen Leistungen den Kosten ihrer Produktion einschließlich der Verzinsung des Eigenkapitals entspricht, führen bei Monopolstellungen bzw. Vorliegen von Marktmacht unreguliertes Gewinnmaximierungskalkül des Unternehmens zu einer Preissetzung, die Aufschläge auf die Kosten der Leistungserstellung vorsieht. Ein Netzzugangsentgelt, das nur die Grenzkosten der Netznutzung durch Dritte abdeckt, würde den Netzinhaber diskriminieren; negative Effekte auf den weiteren Kapazitätsausbau wären eine mögliche Folge. Andererseits unterläuft eine Gestattung zu hoher Entgelte die intendierte Netzöflnung 51 . Innerhalb dieser Spannbreite bewegt sich in der Regulierungstheorie und -praxis üblicherweise die Annäherung an die tatsächlichen Kosten einer effizienten Leistungsbereitstellung, deren Bezifferung durch die in nicht angreifbaren Netzen typischerweise hohen fixen und niedrigen variablen Kosten allerdings erschwert wird. Da das Produktionskostenniveau des marktbeherrschenden Unternehmens in der Regel nicht dem effizienten Kostenniveau entspricht, muß der Regulierer im Zuge der Regulierung des Nutzungsentgelts eine eigene Vorstellung hinsichtlich des effizienten Kostenniveaus entwickeln. Neben den tatsächlich angefallenen Kosten sind es auch und vor allem die Minimalkosten - die für die Produktion und Bereitstellung unverzichtbar sind - der Leistungserstellung 52 . 50 Kritische Stimmen sehen die Gefahr spekulativer Gebote und erwarten eine Verteuerung des Telekommunikationsangebotes, weil die für die Ersteigerung eingesetzten Kosten auf die Preise umgelegt werden, vgl. Joachim Scherer (Fn. 48), S. 2953 ff. (2958); befürwortend hingegen Matthias-Wolfgang Stoetzer/Thomas Wein (Fn. 43), S. 28 ff. (41). 51 Siehe Annette Klimisch/Markus Lange (Fn. 19), S. 15 ff. (24); Michael Fritsch/ Thomas Wein/Hans-Jürgen Ewers, Marktversagen und Wirtschaftspolitik - Mikroökonomische Grundlagen staatlichen Handelns, 1996, S. 174 ff. 52 Die Einzelheiten sind geregelt in der Telekommunikations-Entgeltregulierungsverordnung, BGBl I, S. 1492 v. 1.10.1996; ausführlich hierzu Fabian Schuster/Susanne

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Im Fall der Zusammenschaltung ist vorgesehen, daß die jeweiligen beiden potentiellen Vertragspartner über den Interconnection-Tarif selbst verhandeln müssen. Wird jedoch kein Ergebnis erzielt, kann nach § 37 I T K G bzw. § 9 Netzzugangsverordnung 53 einer der beiden Geschäftspartner die Regulierungsbehörde anrufen, die dann verbindlich entscheidet. Angesichts der zumindest für einen längeren Zeitraum fortbestehenden marktbeherrschenden Stellung der Telekom AG wird dieser Regelung maßgebliche Bedeutung beigemessen54.

4. Gemeinwohl und Universaldienst Im gleichen Maße, wie die staatliche Daseinsvorsorge der Schaffung neuer gesellschaftlicher Bedürfnisse - ihrerseits wachgerufen durch technischen Wandel - auf dem Fuße folgt 5 5 , ist der materielle Gehalt des Universaldienstes als Ausdruck des Gemeinwohls nicht zeitlos bestimmbar, sondern korrespondiert mit der technischen und gesellschaftlichen Entwicklung. In § 17 I I TKG ist daher eine nachfragegerechte Anpassung der Bestimmung der Universaldienstleitungen vorgesehen. Ein Telekommunikationsdienst erhält also erst dann den Rang einer Universaldienstleistung, wenn durch die Mehrheit der Verbraucher eine fast flächendeckende Verbreitung erreicht worden ist. Nur dann kann von einer Versorgungslücke ausgegangen werden, die durch gezielte Maßnahmen zu schließen ist 56 . In Umsetzung der des über Art. 87 f I GG vorgegebenen InfrastrukturGewährleistungsauftrages ist in § 2 I I Nr. 3 TKG und den entsprechenden Verordnungen ein qualitativ hochwertiger Universaldienst vorgesehen, der allen Bürgern flächendeckend zu erschwinglichen Preisen angeboten werden muß 57 . Dieser Universaldienst wird grundsätzlich im Wettbewerb bereitgeStürmer, Anmerkungen zu § 24 TKG, in: Wolfgang Büchner/Jörg Ehmer/Martin Geppert/Bärbel Kerkhoff/Hermann-Josef Piepenbrock/Raimund Schütz/Fabian Schuster (Hrsg.), Beck'scher TKG-Kommentar, 1997, S. 294 ff. 53 Verordnung über besondere Netzzugänge, BGBl I, S. 1568 v. 23.10.1996. 54 Vgl. hierzu Arne Börnsen (Fn. 40), S. 334. 55 Siehe Ernst Forsthoff\ Der Staat der Industriegesellschaft. Dargestellt am Beispiel der Bundesrepublik Deutschland, 1971. 56 Siehe Eberhard Witte, Bleibt das Gemeinwohl auf der Strecke? Zur Deregulierung der Telekommunikation, ZögU 1997, S. 434 ff. (442). 57 An § 2 II Nr. 3 TKG anknüpfend definiert § 17 I TKG Uni Versaldienstleistungen als „ein Mindestangebot an Telekommunikationsdienstleistungen für die Öffentlichkeit, für die eine bestimmte Qualität festgelegt ist und zu denen alle Nutzer unabhängig von ihrem Wohn- oder Geschäftsort zu einem erschwinglichen Preis Zugang haben müssen".

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stellt; nur für den Fall, daß eine solche Versorgung nicht gewährleistet wird, ist ein in den §§ 19 ff. T K G geregeltes komplexes, mehrstufiges System von Dienstleistungs- und Geldleistungsverpflichtungen vorgesehen 58.

5. Entgeltregulierung Wie im dargestellten Fall des Netzzugangs basiert auch die Regulierung der Entgelte für die Inanspruchnahme von Diensten der Telekommunikation bei Einzelgenehmigungen auf den Kosten einer effizienten Leistungsbereitstellung. Vorrangig soll die Regulierungsbehörde aber im Wege des Price-CapVerfahrens Entgelte für einen Korb zusammengefaßter Dienstleistungen genehmigen 59 . Hierbei ist zu prüfen, ob die durchschnittlichen Änderungsraten der Entgelte, die sich aus den gewichteten Änderungen der Einzelentgelte i m Korb ergeben, eine zuvor festgelegte Maßgröße überschreiten oder nicht.

I I I . Die leitungsgebundene Energieversorgung 1. Ausgangspunkt der Liberalisierung der Strom- und Gasmärkte Die leitungsgebundene Elektrizitäts- und Gasversorgung wurde in Deutschland bislang in geschlossenen Versorgungsgebieten unter spezieller Staatsaufsicht durchgeführt. Die Geschlossenheit der Versorgungsgebiete resultierte dabei aus der Leitungsgebundenheit60, ferner aus der Abgrenzung 58 Hierzu m.w.N. Jörn Heimlich, Die Abgabenpflichten des Telekommunikationsgesetzes, NVwZ 1998, S. 122 ff Anders ist beispielsweise der Regelungsmechanismus in den USA. Dort bestehen infolge der anderen Dimensionen derflächenmäßigen Ausdehnung des Landes sehr viel größere Ungleichgewichte zwischen Ballungsräumen und Gebieten mit geringer Besiedelungsdichte als in Deutschland. Der US-Telecommunications-Act 1996 sieht daher von vornherein die Errichtung eines Universaldienstfonds vor, in den alle Carriers einzahlen, und aus dem die nachgewiesenen Unterdekkungen des jeweils tätigen Carriers kompensiert werden, vgl. Arne Börnsen (Fn. 40), S. 336. 59 Vgl. §271 Ziffer 2 TKG. 60 Die Installation des Leitungssystems ist sehr kapitalintensiv und bewirkt einen hohen Fixkostenbestandteil für die EVU. Man muß sich die Situation eines Herstellers von Konsumgütern vorstellen, dem nicht nur der Transport - möglicherweise durch ein in Eigenregie betriebenes Speditionsunternehmen - obliegt, sondern der darüber hinaus auch das Straßennetz zu errichten bzw. unterhalten hat, zumindest aber für dessen Benutzung Entgelte leistet. Die Einteilung des herkömmlichen Straßennetzes in ein Hierarchieverhältnis von Bundesautobahn, Bundes-, Landes- und Gemeindestraßen weist

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zwischen den E V U mittels Demarkationsverträgen sowie ausschließlichen Wegerechten in Gestalt von Konzessionsverträgen zwischen E V U und Gemeinde. Die kartellgesetzliche Absicherung bildeten insofern die Ausnahmetatbestände der §§ 103 ff. GWB 6 1 . Die mangelnde Transparenz der vierstufigen Abfolge in der Strom- und Gasversorgung, beginnend mit der Produktion über den Transport, die regionale Verteilung bis zur lokalen Belieferung des Endverbrauchers, erklärt sich durch die historisch begründete vertikale Integration 62 der Wertschöpfungskette innerhalb einzelner, in Deutschland neun in der Deutschen Verbundgesellschaft vereinten EVU. Diese neun, mittels Konzessions- und Demarkationsverträgen abgesicherten regionalen Versorgungsmonopole sind bislang Anlaß einer besonderen Investitions- und Preisaufsicht 63. Die mangelnde Speicherbarkeit insbesondere von Strom in Relation mit der tages- und jahreszeitabhängigen Varianz der Nachfrage bedeutet, daß betriebswirtschaftlich eine Kilowattstunde erzeugten Stroms zu verschiedenen Zeitpunkten unterschiedlich viel wert ist. Bisher erfolgt aber keine Unterscheidung in entsprechende erzeugnis- und netzorientierte Preisbestandteile. Vielmehr verkaufen die vertikal integrierten Verbundunternehmen ein entsprechend vertikal integriertes Produkt, dessen Kostenbestandteile für den Abnehmer nicht ersichtlich sind 64 .

dabei durchaus Parallelen mit dem Transport- bzw. Verteilungsnetz der Strom- und Gasversorgung auf. 61 Vgl. die Ausführungen in der Begründung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung, BT-Drucks. 13/7274, S. 9. 62 Hierzu jüngst Jörn Kruse, Vertikale Integration als Wettbewerbsproblem, in: Jörn Kruse/Kurt Stockmann/Lothar Vollmer (Hrsg.), Wettbewerbspolitik im Spannungsfeld nationaler und internationaler Kartellrechtsordnungen: Festschrift für Ingo Schmidt zum 65. Geburtstag, 1997, S. 247 ff. 63 Vgl. bspw. Wolfgang Pfajfenberger, Elektrizitätswirtschaft, München 1993, S. 1 ff. und 61 ff; Wolf gang Löwer, Rechtshistorische Aspekte der deutschen Elektrizitätsversorgung von 1880 bis 1990, in: Wolfram Fischer (Hrsg.), Die Geschichte der Stromversorgung, 1992, S. 169 ff.; Thomas Herzig, Wirtschaftsgeschichtliche Aspekte der deutschen Elektrizitätsversorgung von 1880 bis 1990, in: Wolfram Fischer (Hrsg.), Die Geschichte der Stromversorgung, 1992, S. 123 ff. 64 Hierzu und zu dem Versuch, Kostentransparenz mittels eines Anzeigegerätes, das durch ein Hochfrequenzsignal über das Stromnetz gesteuert wird und neun verschiedene Preiszustände des Netzes mitteilt, vgl. Wolfgang Pfajfenberger, Vergleich des Ordnungsrahmens der Stromversorgung in Deutschland und England, in: Roland Sturm/ Stephen Wilks (Hrsg.), Wettbewerbspolitik und die Ordnung der Elektrizitätswirtschaft in Deutschland und Großbritannien, 1996, S. 133 ff., 144 f.

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2. Marktzutritt Ebenso wie im Bereich der Telekommunikation gelten auch bei der Stromund Gasversorgung nur die Ortsnetze, nicht aber länger die Transport- bzw. regionale Verteilungsnetze als natürliche Monopole 65 . Marktabgrenzungen können auf der Erzeugungs- bzw. Produktionsebene, auf der Transport- und Verteilungsebene sowie dem lokalen Bereich der Belieferung des Endabnehmers vorgenommen werden. Neben diesen vertikal getrennten (Teil-) Märkten, die für Strom und Gas gleichermaßen Gültigkeit beanspruchen, unterscheidet man zwischen beiden Energieformen insofern, als Gas in seinen Verwendungsbereichen der Substitutionskonkurrenz durch andere Energieträger ausgesetzt ist. Differenziert man zwischen den konkreten Verwendungen der eingesetzten Energie, kann beispielsweise vom Wärmemarkt gesprochen werden. In diesem spielt dann der Heizölpreis hinsichtlich der durchsetzbaren Gaspreise eine besondere Bedeutung. Wenn es kostengünstiger ist, können Wärme und Heizung auf anderem Wege sichergestellt werden als mittels Gas. Quersubventionierung nichtkostendeckender Teilmärkte ist daher keine Notwendigkeit 66 . Bezüglich der konkreten Ausgestaltung des Netzzuganges auf der Ebene des Transports bzw. der Verteilung von Elektrizität werden dem nationalen Gesetzgeber europarechtlich verschiedene Lösungsansätze offengehalten: Gewählt werden kann zwischen dem verhandelten Netzzugang, dem qua Gesetz bzw. Rechtsverordnung geregelten Netzzugang und dem sogenannten Alleinabnehmersystem 67. Im Unterschied zum Bereich der Telekommunikation ver-

65 So Frank Hoster, Auswirkungen des europäischen Binnenmarktes für Energie auf die deutsche Elektrizitätswirtschaft. Ein Ansatz zur Analyse ordnungs- und umweltpolitischer Instrumente in der Elektrizitätswirtschaft, 1996, S. 3; Helmut Gröner, Energieversorgung in der Marktwirtschaft, in: Dieter Schmitt/Heinz Heck (Hrsg.), Handbuch Energie, 1990, S. 302, 306; Monopolkommission, Mehr Wettbewerb auf allen Märkten. 10. Hauptgutachten 1992/1993, 1994, Rdnr. 781. 66 Siehe Cara Schwarz-Schilling, Wettbewerb auf dem Erdgasmarkt: Hub-System und alternative Konzepte, 1995, S. 84. 67 Vgl. die Art. 16 ff. der Richtlinie betreffend gemeinsame Vorschriften für den Elektrizitätsbinnenmarkt, ABl Nr. L 27/25 v. 30.1.1997. Zu den einzelnen Wettbewerbsmodellen siehe bspw. Thomas Klopf er/Walter Schulz, Märkte für Strom. Internationale Erfahrungen und Übertragbarkeit auf Deutschland, 1993; Walter Schulz, Liberalisierung des Strommarktes: Erfahrungen im Ausland und Möglichkeiten in Deutschland, in: Wolfgang Hoffmann-Riem/Jens-Peter Schneider (Hrsg.), Umweltpolitische Steuerung in einem liberalisierten Strommarkt, 1995, S. 105 ff.; Franz Jürgen Säcker/Jan Busche, Umsetzung der Elektrizitätsbinnenmarktrichtlinie. Richtlinienkompetenz und EG-rechtliche Probleme des „single-buyer"-Konzepts, et 1998, S.

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ziehtet das Energiewirtschaftsgesetz in der Fassung vom 24.4.1998 (EnWG n.F.) 68 auf eine explizite Durchleitungsverpflichtung, entscheidet sich bezüglich des Bereichs der Elektrizitätsversorgung vielmehr für das System des verhandelten Netzzugangs als Lösung 69 . Als Gründe gegen einen Durchleitungstatbestand verwies der Gesetzgeber bereits in einem früheren Entwurf zum einen auf die ansonsten im Vergleich zu den europäischen Nachbarn weitergehende Öffnung der Strom- und Gasmärkte, zum anderen auf die Unterschiede zwischen Elektrizität und Gas 70 , die im Falle einer umfassenden Durchleitungsregelung sehr leicht zu einer Zersplitterung der Nachfrage und damit im

18 ff; Christian Theobald, Rechtliche Steuerung von Wettbewerb und Umweltverträglichkeit in der Elektrizitätswirtschaft, AöR 1997, S. 372 ff. (387 ff.). 68 Siehe BGBl I, S. 730 (Gesetzestext auch abgedruckt in Energierechts-Praxis von RdE 4/1998). Hierzu Martin Cronenberg, Das neue Energiewirtschaftsrecht, RdE 1998, S. 85 ff. 69 Obwohl § 6 I S. 1 als allgemeiner Durchleitungstatbestand mit direktem Nutzungsanspruch des Durchleitungsinteressierten gegen den Netzbetreiber formuliert ist, folgt aus § 5 und aus der Oberschrift zu § 6 sowie verschiedenen sonstigen Gesetzesbestimmungen, daß es sich um einen verhandelten Netzzugang i.S.v. Art. 16 und 17 der Elektrizitäts-Binnenmarktrichtlinie handeln soll; vgl. hierzu Rudolf Luhes, et 1998, S. 26 ff. m.w.N. 70 Elektrische Energie läßt sich auch nach dem neuesten Stand der Technik, mit Ausnahme von Wasserkraftwerken mit Pumpspeichern, nicht speichern; daher muß sie auf Kraftwerksseite immer zeitgleich mit der Nachfrage bereitgestellt werden. Da Strom besonders kostengünstig in großen Blockeinheiten von über 300 Megawatt erzeugt wird, jedoch bei der Wahl der Kraftwerkstandorte immer stärkere Restriktionen zu berücksichtigen sind, liegt der Erzeugungsort selten in der Nähe des Verbraucherortes. Daraus ergeben sich weite Transportentfernungen mit großen Übertragungsleistungen. Gas hingegen ist, wenn auch technisch und wirtschaftlich aufwendig, speicherbar. Hierfür gibt es in Deutschland 34 Untertagespeicher (Poren- und Kavernenspeicher) mit einer maximalen Arbeitsgasmenge von 9,3 Mrd. m , etwa 12 % des gesamten jährlichen Gasverbrauchs. 19 weitere Untertagespeicher befinden sich derzeit im Bau oder in der Planung. Marktnahe Speicher erhöhen die Verläßlichkeit des Systems und die Sicherheit beim Ausfall einer Gasquelle oder einer Pipeline. Ein weiterer fundamentaler Unterschied liegt darin, daß es sich beim elektrischen Strom um eine Sekundärenergie handelt, die aus Primärenergieträgern erzeugt wird, z.B. auch aus Erdgas. Dagegen ist Erdgas im Gegensatz zum Strom eine Primärenergie, die an den jeweiligen Fundstellen gefördert werden muß, weshalb es zwangsläufig eines weiträumigen Netzsystems bedarf Fast alle europäischen Staaten sind dabei auf Gasimporte aus den Niederlanden, Norwegen, Rußland und Algerien angewiesen, wohingegen in der Elektrizitätswirtschaft eine solche Importabhängigkeit gegenüber einem Oligopol von Exporteuren nicht besteht. Vgl. hierzu Helmut Gröner, Die Vollendung des EG-Binnenmarktes für leitungsgebundene Energiewirtschaft: Elektrizitätswirtschaft und Gasversorgung im Vergleich, in: Ernst-Joachim Mestmäcker/Helmut Gröner/ Jürgen Basedow (Hrsg.), Die Gaswirtschaft im Binnenmarkt, 1990, S. 118; ferner Erich Sauer, Energietransport, -speicherung und -Verteilung, 1983, S. 106; Cara Schwarz-Schilling (Fn. 66), S. 82; Monopolkommission (Fn. 65), Rdnr. 783.

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Ergebnis zu einer Stärkung der Marktmacht der wenigen ausländischen Gasanbieter hätte führen können 71 . Eine andere Alternative des erforderlichen Marktzutritts könnte nach den Vorstellungen des Gesetzgebers über Erleichterungen für die Errichtung paralleler Netze erfolgen; mitunter könnte diesbezügliches Drohen zunächst verweigerte Durchleitungen doch noch ermöglichen 72 . Diese Maßnahme mag im Falle einzelner Stichleitungen eine Alternative zur Nutzung fremder Netze darstellen; ansonsten erfordern parallele Strom- oder Gasleitungen derart hohe Investitionen, daß die erhoffte Wirkung in der Realität ausbleiben wird. Daneben werden gegen den parallelen Leitungsbau auch volkswirtschaftliche und ökologische Bedenken vorgebracht 73 . Schließlich verbleibt die Möglichkeit der kartellrechtlichen Mißbrauchsaufsicht. Dieser Alternative begegnen erhebliche Bedenken. So hat sich die allgemeine kartellrechtliche Mißbrauchsaufsicht innerhalb des bis Ende April 1998 gültigen energiewirtschaftlichen Ordnungsrahmens als für die Durchleitung durch fremde Netze ungeeignet erwiesen 74. Ferner bildet die Aufnahme der Netzzugangsregelung in den Katalog der Mißbrauchstatbestände von § 22 I V GWB die Grundlage für den Erlaß einer auf Gewährung von Netzzugang gerichteten Verfügung gemäß § 22 V GWB, gegenüber der etwaige Beschwerden nach § 63 I Nr. 2 GWB aufschiebende Wirkung entfalten. Im Ergebnis wird mit Verzögerungen der Öffnung des Netzes und der Entstehung von Wettbewerb möglicherweise um Jahre gerechnet 75. Für die Realisierung der Marktöffnung vielversprechender erscheint daher der Vorschlag, ein Netzzugangsrecht in Anlehnung an § 14 AEG als Ausdruck der allgemeinen Gewerbefreiheit und damit Grundvoraussetzung für einen brancheninternen Wettbewerb im Strommarkt zu regeln. Das Recht auf Netzzugang entfiele nur in den gesetzlich geregelten Ausnahmefällen fehlen-

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S. 11. 72

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So die Begründung des Gesetzentwurfs vom 20.3.1997, BT-Drucks. 13/7274, Siehe die Begründung des Gesetzentwurfs vom 20.3.1997, BT-Drucks. 13/7274,

Siehe Peter Klafka/Hans-Jörg Hinz/Wolfgang Zander/Michael Ritzau/Christian Held, Netzzugangsverordnung für elektrische Netze, et 1998, S. 35 ff. (38); HansHeinrich Lindemann/Kristina Köster (Fn. 36), S. 527 ff. (531). 74 So verweisen Hans-Heinrich Lindemann/Kristina Köster (Fn. 36), S. 527 ff. (530), darauf, daß bislang noch in keinem Fall dem Netzeigentümer die Verweigerung der Durchleitung von Strom ihrer Konkurrenten als mißbräuchliches Verhalten untersagt worden ist. 75 So Annette Klimisch/Markus Lange (Fn. 19), S. 15 ff (25).

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der Netzkapazität oder fehlender Netzsicherheit, wobei den Netzeigentümer die Beweislast für diese Einreden träfe 76 . Eine andere, in Großbritannien bereits erprobte Alternative wäre die Einrichtung einer Strompreisbörse bzw. Pool-Lösung. Dabei werden Stromangebot und Stromnachfrage für das Gebiet eines Großhandelsmarktes vergleichbar einer Börse gebündelt und durch einen einheitlichen Poolpreis zum Ausgleich gebracht. Pool- bzw. Börsenpreis ist der Angebotspreis, zu dem die gesamte Nachfrage befriedigt wird 7 7 . 3. Nutzungsentgelt Vorausgesetzt, daß es im Wege freiwilliger Zustimmung oder aber kartellrechtlich erzwungen doch zu einer Durchleitung kommt, bleibt die Frage nach der Höhe des Nutzungsentgelts klärungsbedürftig. Über die Preisbemessung besteht die Gefahr der zusätzlichen Benachteiligung der Durchleitungsinteressierten 78. Die Erfahrungen mit dem durchaus vergleichbaren Fall der Vergütung für eingespeisten, aus regenerativen Energieträgern erzeugten Strom unterstützen jedenfalls diese Prognose. In der Vergangenheit war die Festlegung der Höhe der Vergütung vielfach Streitpunkt zwischen den Beteiligten. Den Vergütungsmaßstab bildeten grundsätzlich gemäß § 26 I I GWB die durch die Einspeisung des Stromes ersparten Aufwendungen des einspeisenden EVU. Diesem Zustand asymmetrischer Informationslage zum Nachteil der Einspeisung Begehrenden und der entsprechenden Rechtsunsicherheit bereitete schließlich das 1991 in Kraft getretene Stromeinspeisungsgesetz ein Ende, das nunmehr konkrete Prozentsätze bezogen auf die Durchschnittserlöse vorschreibt 79 . 76

Siehe dezidiert Eberhard Bohne, Liberalisierung des Strommarktes als Organisationsproblem, in: Klaus Lüder (Hrsg.), Staat und Verwaltung. Fünfzig Jahre Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer, 1997, S. 211 ff. (243 ff.). 77 Siehe zum englischen Vorbild Ilka Lewington/Martin Weisheimer, Lehren aus der britischen Elektrizitätswirtschaftsreform, et 1995, S. 591 ff.; zur Übertragbarkeit in den deutschen Ordnungsrahmen vgl. Eberhard Bohne, Grundzüge einer wettbewerbsund umweltorientierten Reform des energierechtlichen Ordnungsrahmens der Stromwirtschaft, in: Wolfgang Hoffmann-Riem/Jens-Peter Schneider (Hrsg.), Umweltpolitische Steuerung in einem liberalisierten Strommarkt, 1995, S. 140 ff. (159 ff). 78 Siehe Hans-Heinrich Lindemann/Kristina Köster (Fn. 36), S. 527 ff. (530). 79 Vgl. zu diesem viel diskutierten Gesetz die Monographien von Bodo J. Herrmanni, Anwendungsprobleme des Stromeinspeisungsgesetzes, 1996, und Mario Pohlmann, Rechtsprobleme der Stromeinspeisung nach dem Stromeinspeisungsgesetz, 1996. Zur Verfassungsmäßigkeit siehe BVerfG, Beschl. v. 9.1.1996 - 2 BvL 12/95 = NJW 1997, S. 573 f.; BGH Urt. v. 22.10.1996 - KZR 19/95 = NJW 1997, S. 574 ff.;

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Das EnWG n.F. macht i m Rahmen seines nunmehr beschrittenen Lösungsweges mittels verhandeltem Netzzugang in § 6 I S. 1 insofern Vorgaben, als die Bedingungen nicht ungünstiger sein dürfen als die, die in vergleichbaren Fällen für Leistungen innerhalb des eigenen Unternehmens oder gegenüber verbundenen oder assoziierten Unternehmen tatsächlich oder kalkulatorisch in Rechnung gestellt werden. Für den Fall, daß die Steuerung über Selbstregulierung des Netzzugangs mit den Zielen des § l 8 0 nicht in Einklang stehen, behält sich der Gesetzgeber in § 6 I I vor, durch Rechtsverordnung die Gestaltung der Verträge zu regeln und Kriterien zur Bestimmung von Durchleitungsentgelten festzulegen. Wenn auch die Ausgestaltung dieser Rechtsverordnung abzuwarten bleibt, bedeutet diese Regelung gegenüber dem vorletzten Gesetzesentwurf 81 , der diesbezüglich gar keine Regelungen enthielt, immerhin einen Fortschritt. Daß auch genauere Entgeltregulierungen möglich sind, zeigt das genannte Beispiel der Telekommunikation. Darüber hinaus liegen konkret ausgearbeitete Vorschläge, wie eine möglichst wettbewerbsgerechte Netzverordnung (NZVO) aussehen könnte, bereits vor 8 2 . Ansatzpunkt dieser NZVO ist eine Tarifierung des Netzzugangsentgeltes differenziert nach Spannungsebenen und Netzbereichen ohne Doppelzahlung mehrfach genutzter Spannungsebenen. Die Netztarife sind dabei grundsätzlich arbeitsabhängig.

4. Gemeinwohl und die allgemeine Anschluß- und Versorgungspflicht Die Sicherstellung der Energieversorgung ist vom Bundesverfassungsgericht als „ein Gemeinschaftsinteresse höchsten Ranges" herausgestellt worden,

femer Holger Kremser, Verfassungsrechtliche Fragen des Stromeinspeisungsgesetzes, AöR 1996, S. 407 ff.; Christian Theobald, Verfassungsmäßigkeit des Stromeinspeisungsgesetzes, NJW 1997, S. 550 ff; ders., Gerichtlicher Meinungswandel beim Stromeinspeisungsgesetz, et 1996, S. 594 ff. 80 „Zweck des Gesetzes ist eine möglichst sichere, preisgünstige und umweltverträgliche leitungsgebundene Versorgung mit Elektrizität und Gas im Interesse der Allgemeinheit", vgl. BR-Drucks. 941/97 v. 28.11.1997, S. 2. 81 Siehe den Gesetzentwurf vom 20.3.1997, BT-Drucks. 13/7274. 82 Vgl. Peter Klaflca/Michael Ritzau/Wolfgang Zander/Christian Held/Martin del/Ines Zenke/Klaus Traube, Regelungs- und Tarifierungsvorschläge zur Öffnung des Elektrizitätsmarktes für Wettbewerber unter Sicherung von Umweltschutzstandards (Gutachterliche Äußerung im Auftrag der Bundesländer Schleswig-Holstein, Berlin, Brandenburg, Bremen, Hessen und Saarland), 5.11.1997. Die Lösung mittels einer Verbändevereinbarung wird hingegen vorgezogen von Hermann Meier, Verordneter oder freier Netzzugang, et 1998, S. 41 ff.

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es handele sich um ein „absolutes" Gemeinschaftsgut 83. Die Energieversorgung wird insofern als Bereich der Daseinsvorsorge bezeichnet, der zur Sicherung einer menschenwürdigen Existenz unumgänglich ist 84 . Die Leitungsgebundenheit der Strom- und Gasversorgung wird auch in Zukunft dazu führen, daß die Abnehmer in einem bestimmten Gebiet in der Regel durch ein einziges Unternehmen versorgt werden. Als Gegengewicht und zur Sicherung des Gemeinwohlinteresses begründet § 10 EnWG n.F. eine dem bisherigen § 4 EnWG vergleichbare allgemeine Anschluß- und Versorgungspflicht. Da eine solche in die verfassungsrechtlich geschützte Vertragsfreiheit eingreift, erfordert der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit eine Ausnahme für den Fall wirtschaftlicher Unzumutbarkeit. Die diesbezügliche Nachweispflicht obliegt dem EVU.

5. Preisregulierung In Einschränkung der Vertragsfreiheit nach § 305 BGB schreiben die TarifVerordnungen BTO E l t 8 5 und BTO Gas 86 bislang den EVU vor, den Kunden mehrere Tarife zur Auswahl zu stellen 87 . Die rechtspolitische Legitimation des besonderen Preisrechts für die leitungsgebundene Energie erklärt sich aus dem Umstand, daß die E V U in geschlossenen Versorgungsgebieten ohne Konkurrenz gleichartiger Unternehmen tätig werden. BTO Gas und BTO Elt enthalten dabei kein unmittelbares Preisfestsetzungsrecht im Sinne der staatlichen Vorgabe absoluter Energiepreise, sondern stellen für die E V U verbindliche Regeln zur Tarif- und damit zur Preisbildung auf. In ihrem Anwendungsbereich gem. §§ 6 I, 7 EnWG a.F. unterlagen sie zwei Einschränkungen. Sie galten lediglich für diejenigen EVU, die ein bestimmtes Gebiet versorgen. Ferner gelten sie nur für die Preisbildung hinsichtlich der Versorgung von Tarifkunden, die zu allgemeinen Bedingungen und Tarifen beliefert werden ( § 6 1 EnWG a.F.) 88 . Die Versorgung der zahlrei83

BVerfGE 30, 292, 323 f. = RB 1971, S. 69 = et 1971,419. BVerfGE 66, 248, 258. 85 Bundestarifordnung Elektrizität v. 26.11.1971 = BGBl I S. 1865, i.d.F.d. VO v. 18.12.1989 = BGBl I S. 2255; ausführlich hierzu Winfried Ohlms/Norbert Weigt, Die neue Bundestarifordnung Elektrizität und ihre Umsetzimg in Strom-Tarifkunden, 1990. 86 Bundestarifordnung Gas vom 10.2.1959 = BGBl I S. 46, i.d.F.d. VO v. 21.6.1979 = BGBl I S. 676. 87 Ulrich Büdenbender,, Zur Einführung: Das Recht der öffentlichen Energieversorgung, JuS 1978, 150, 155; Jörg Ehmer, Das Tarifwesen der Elektrizitätswirtschaft und sein (grund-)rechtlicher Rahmen, 1995, S. 24 ff. 88 Ulrich Büdenbender, Energierecht, 1982, S. 317 ff., Rdnr. 756 ff. 84

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chen Sondervertragskunden war folglich nicht verfaßt und beließ den E V U sowohl im Strom- als auch Gasbereich einen breiteren Spielraum für die Betätigung des unternehmerischen Ermessens bei der Preisbildung 89 . Darüber hinaus decken sich die weiterhin rechtswirksamen BTO Elt und BTO Gas auch in verschiedenen Details, bspw. in der Verpflichtung zur Aufstellung bestimmter Pflichttarife 90 , hinsichtlich der Tarifwahlmöglichkeiten der Kunden 91 sowie bezüglich der Grundpreisbildung für die Energiebelieferung von Haushalten 92 . Es gibt aber auch eine Reihe von Unterschieden, die bereits in der differierenden Länge und Regelungsdichte der beiden Verordnungen ersichtlich sind. In der in der sehr viel jüngeren BTO Elt findet bspw. das Bestreben seinen Niederschlag, das wegen der weltweiten Verknappung der Primärenergievorräte notwendige Bemühen um Energieeinsparung auch in der staatlich vorgeschriebenen Tarifpolitik der E V U zu verankern: Die BTO Gas, aus dem Jahr 1959 stammend und seitdem nur geringfügig geändert, läßt dagegen z.B. die (1980 in die BTO Elt aufgenommenen) Sondervorschriften für die Belieferung von Wärmepumpen 93 und bezüglich der linearen Komponente vermissen 94. Ferner ist anders als in der BTO Elt für die Erhöhung der Gastarife kein Genehmigungsvorbehalt vorgesehen 95.

89

Zu den Sonder(vertrags-)kunden gehören die Abnehmer, die sich nach ihrem Leistungsbedarf, der Verbrauchsmenge, der Benutzungsdauer und der Belastungskurve von den Tarifkunden unterscheiden. Der sehr hohe Strombezug macht eine Versorgung mit Mittel- oder Hochspannungsstrom erforderlich. Deshalb können der Umfang der Stromlieferung, der für die Versorgung meist notwendige technische Aufwand, die Bestimmung der bereitzustellenden Leistung frei ausgehandelt werden. Der Strompreis für Sonderkunden ist in der Regel niedriger als für Tarifkunden, da bei der Kalkulation der Strompreise das Ausmaß der Abnahme, aber auch die Möglichkeit, Eigenanlagen zu betrieben oder Strom bzw. Gas durch andere Energiearten zu substituieren, berücksichtigt werden muß. Nach Angaben des Bundesministers für Wirtschaft zahlen die Tarifkunden gegenüber den Sonderkunden einen bis zu 100% höheren Preis je kW/h. Siehe Hans-Ulrich Evers, Das Recht der Energieversorgung, 2. Aufl., 1983, S. 132 f., 169 f. Für 1994 zählte die VDEW 277.680 Sondervertragskunden gegenüber 41.5 Mio Tarifkunden, vgl. VDEW, Die öffentliche Elektrizitätsversorgung 1994, 1995, S. 2. Letztverbrauchende Sonderkunden zahlten 1989 durchschnittlich 15,1 Pfge. je kW/h gegenüber 23,6 Pfge. je kW/h für Tarifabnehmer, vgl. BMWi, Energiedaten 1989, S. 43. 90 Jeweils § 1. 91 Jeweils § 2. 92 §§ 5 BTO Gas, 4 BTO Elt. 93 Ulrich Büdenbender (Fn. 88), S. 130, Rdnr. 338. 94 Ulrich Büdenbender (Fn. 88), S. 133 ff., Rdnr. 348 ff. 95 Peter J. Tettinger, Recht der Energiewirtschaft, in: Schmidt, Reiner (Hrsg.), Öffentliches Wirtschaftsrecht. Besonderer Teil 1, 1995, S. 691, 708.

Liberalisierung und Regulierung netzgebundener Güter und Dienste

301

Da auch künftig ein Wettbewerb um Tarifkunden nur beschränkt stattfinden wird, wird eine besondere staatliche Preisaufsicht weiterhin als Gegengewicht zur jedenfalls faktischen Monopolsituation des EVU notwendig sein. Im EnWG n.F. ist in § 11 I dem Bundesminister für Wirtschaft die Möglichkeit eingeräumt, mittels Rechtsverordnung die Gestaltung der Allgemeinen Tarife der E V U unter Berücksichtigung des Gesetzeszwecks mittels Rechtsverordnung zu regeln und diese Tarife von einer Genehmigung abhängig zu machen. Eine teilweise geforderte Umstellung der Preisaufsicht auf eine kartellrechtliche Mißbrauchsaufsicht möchte der Gesetzgeber erst und nur dann vornehmen, wenn ein verstärkter Wettbewerb einen solchen Schritt rechtfertigt 96 . Neu ist ferner die in § 11 I S. 3 EnWG n.F. genannte umweltschutzintendierte Möglichkeit zur Setzung von Anreizen für Einsparprogramme der E V U beim Kunden. Der Grundgedanke dieses sogenannten Least Cost Planning ist die Unterscheidung zwischen Energieversorgung und Energiedienstleistung dergestalt, daß den Endabnehmer nicht die Menge der gelieferten Endenergie an sich interessiert, sondern vielmehr die effektive Dienstleistung in Gestalt wohl temperierter Wohnräume, ausreichender Beleuchtung etc. 97 .

IV. Regulierung als Wahrnehmung staatlicher Infrastrukturverantwortung 1. Regulierung als Korrelat der Liberalisierung Die Gegenüberstellung der netzgebundenen Infrastrukturen der Telekommunikation sowie der Strom- und Gasversorgung macht deutlich, daß Regulierungshandeln sowohl prozeß- als auch ergebnisorientiert ist 98 . Prozeßorientiert ist es insoweit, als man versucht, funktionsfähige Märkte zu installieren. Einen Schwerpunkt bildet hierbei das Verfahren zur Sicherung des Marktzuganges als Ausdruck wettbewerblicher Teilhaberechte. Effizienz der Güterallokation wird staatlicherseits also auf dem Wege der Sicherung ökonomischer 96

S. 18. 97

1994.

Siehe die Begründung des Gesetzentwurfs vom 20.3.1997, BT-Drucks. 13/7274, Vgl. ausführlich Uwe Leprich, Least Cost Planning als Regulierungskonzept,

98 Für Lothar Vollmer, Die Sondermärkte im Spannungsfeld von nationalen und europäischen Regulierungs- und Deregulierungsaktivitäten, in: Jörn Kruse/Kurt Stockmann/Lothar Vollmer (Hrsg.), Wettbewerbspolitik im Spannungsfeld nationaler und internationaler Kartellrechtsordnungen: Festschrift für Ingo Schmidt zum 65. Geburtstag, 1997, S. 289 ff. (291), ist Regulierungspolitik lediglich ergebnisorientiert.

302

Klaus König und Christian Theobald

Selbstregulierung über den Markt zu erreichen versucht. Zugleich ist Regulierungshandeln in seiner Funktion der Gewährleistung einer Grundversorgung 99 ergebnisorientiert und findet beispielsweise Niederschlag im Postulat flächendeckender und sicherer Versorgung zu sozialverträglichen Preisen. Die Herstellung von Verteilungsgerechtigkeit und die Gewährleistung einer politisch gewollten Infrastruktur werden daher auch als meta-ökonomische Regulierungsziele bezeichnet 100 . Regulierung mittels Gesetzen, Verordnungen, Auflagen, Kontrollen, Interventionen, Sanktionen u.ä. korreliert demnach mit einer Strategie wirtschaftlicher Liberalisierung, indem sie die Freiheiten aller Betroffenen in ihrem Zusammen-, Gegen- und Wechselspiel moderierend zu optimieren versucht, zum anderen der Maximierung von Freiheit durch die Festlegung von Pflichten als Ausfluß des Prinzips der Gleichheit Grenzen setzt 101 . Die Gegenüberstellung der netzgebundenen Güter und Dienste in der Telekommunikations- und der Energiewirtschaft hat für erstere eine vergleichsweise tiefe Regulierungsdichte erkennbar werden lassen. Plausible Begründungen hierfür lassen sich viele finden; so spielt sicherlich die starke Interessenvertretung der neun Verbundunternehmen gegenüber nur einem einzelnen Nachfolger des früheren Postmonopols eine wesentliche Rolle. Auch die ganz überwiegend gemischtwirtschaftlichen Eigentumsverhältnisse in der Verbundwirtschaft erschweren eine deutlichere Trennung staatlicher und gesellschaftlicher Aufgaben und Funktionen. Bezeichnenderweise wird - anders als bei der Regelung des Telekommunikationswesens - im energiewirtschaftlichen Ordnungsrahmen Regulierung als eigenständiger Rechtsbegriff erst gar nicht verwendet 102 . In § 3 Nr. 13 T K G hingegen erfolgt sogar eine Legaldefinition als „die Maßnahmen, die zur Erreichung der in § 2 I I TKG genannten Ziele 1 0 3 ergriffen werden und durch die das Verhalten von Telekommunikationsunternehmen (...) geregelt werden, sowie die Maßnahmen, die zur Sicherstellung 99

Ökonomen sprechen von wohlfahrtsökonomischen Zielen. Vgl. Ingo Schmidt , Wettbewerbspolitik und Kartellrecht, 5. Aufl., 1996, S. 41; Wernhard Möschel , Privatisierung, Deregulierung, Wettbewerbsordnung, JZ 1988, S. 885 ff. (891); Lothar Vollmer (Fn. 98), S. 289 ff. (291). 101 Siehe auch Hans Heinrich Rupp, Die Unterscheidung von Staat und Gesellschaft, in: Josef Isensee/Paul Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. I, Grundlagen von Staat und Verfassung, 1987, S. 1187 ff. (1213 f.) 102 Siehe auch Wolfgang Spoerr/Markus Deutsch , Das Wirtschaftsverwaltungsrecht der Telekommunikation - Regulierung und Lizenzen als neue Schlüsselbegriffe des Verwaltungsrechts?, DVB1 1997, S. 300 ff. 103 Ein Ziel der Regulierung ist gemäß § 2 II Ziff. 2 TKG chancengleicher und funktionsfähiger Wettbewerb. 100

Liberalisierung und Regulierung netzgebundener Güter und Dienste

303

einer effizienten und störungsfreien Nutzung von Frequenzen ergriffen werden". Ruft man sich ferner den oben erwähnten, in § 11 I I TKG auch gesetzlich verankerten Vorrang der ökonomisch gesteuerten Verteilung knapper Frequenzen in Erinnerung und vergleicht die unterschiedlichen Ausgestaltungen der Rechte auf Netzzugang als das zentrale Moment der Marktöffnung, scheint der gesetzliche Rahmen für das Vorhaben der Liberalisierung der Märkte der Telekommunikation geeigneter zu sein als der für den Bereich der leitungsgebundenen Energieversorgung.

2. Trennung von Netzbetrieb und Netznutzung Die ökonomische Unterscheidung der bisher insbesondere in der Stromund Gasversorgung aufgrund vertikaler Integration der überregional tätigen EVU verdeckten Produktionsstufen des Netzbetriebs einerseits und der Netznutzung andererseits ist wesentliche Voraussetzung für eine differenzierte und zielgenaue staatliche Regulierung. In der Zugänglichkeit von Netzen wird die Sicherung des Allgemeingebrauchs als Aufgabe staatlicher Regulierung besonders deutlich. Abwehrenden Verweisen von Netzeigentümern auf etwa hierdurch verletzte Eigentumsrechte läßt sich entgegenhalten, daß diese Rechtspositionen ihrerseits maßgeblich auf Enteignungstatbeständen beruhen, ohne die die gegenwärtig in Deutschland bestehenden Strom- und Gasnetze niemals hätten errichtet werden können 104 . Deshalb kann deijenige, der zugunsten der Errichtung eines zweiten parallelen Netzes enteignet werden soll, zurecht darauf hinweisen, der Gesetzgeber möge zunächst den Betreiber des ersten, schon vorhandenen Netzes verpflichten, sein Netz zur Verfügung zu stellen 105 . Realisieren läßt sich diese Trennung durch eine rechnerische und organisatorische Differenzierung. Im Fall der Deutschen Bundesbahn erfolgte beispielsweise eine Trennung von Fahrweg und Verkehrsabwicklung durch Schaffung eigenständiger Unternehmensbereiche für Personen- (Nah- und Fern-)Verkehr, Güterverkehr und Fahrweg in eigenständige Aktiengesellschaften 106 . Für den Bereich der Elektrizitätsversorgung ist europarechtlich 104 Zu Fragen der Enteignung beim Rohrleitungsbau bzw. zu Zwecken der öffentlichen Energieversorgung vgl. Willi Blümel (Fn. 8), Bd. 1, S. 288 f. 105 Siehe Georg Hermes (Fn. 12), S. 377. 106 Siehe Willi Blümel (Hrsg.), Aktuelle Probleme des Eisenbahnrechts, Speyerer Forschungsberichte Nr. 160, 1996; ders. (Hrsg.), Aktuelle Probleme des Eisenbahnrechts II, Speyerer Forschungsberichte Nr. 175, 1997; Fritz Rahmeyer, Privatisierung und Deregulierung der Deutschen Bundesbahn, in: Sylke Behrends (Hrsg.), Ordnungskonforme Wirtschaftspolitik in der Marktwirtschaft: Festschrift für Hans-Rudolf Pe-

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vorgesehen, daß integrierte E V U in ihrer internen Buchführung getrennte Konten für ihre Erzeugungs-, Übertragungs- und Verteilungsaktivitäten ausweisen 107 . Der nationale Gesetzgeber hat hierauf in seiner Neuregelung des Energiewirtschaftsrechts reagiert, indem er in § 9 I I EnWG n.F. ebenfalls unterschiedliche Konten vorsieht. In der Telekommunikation bildet die oben bereits mehrfach genannte Eigenschaft der Marktbeherrschung eines Unternehmens den Anknüpfungspunkt für die in § 14 TKG geregelten Erfordernisse struktureller Separierung oder aber getrennter Rechnungsführung. Hierdurch soll der Gefahr einer Verfälschung des Wettbewerbs durch Quersubventionierung oder Dumping entgegengewirkt werden 108 .

3. Regulierungsbehörde oder Kartellamt Die Lösung der Organisation der Regulierung ist im Fall der Telekommunikation mit der Errichtung der Regulierungsbehörde für Telekommunikation und Post als Bundesoberbehörde zugunsten einer sektorspezifischen Regelung ausgefallen. In den Fällen des § 11 I I I T K G muß allerdings gemäß § 82 TKG das Einvernehmen des Bundeskartellamtes eingeholt werden. Schwierigkeiten des Kompetenzverhältnisses äußerten sich bereits kurz nach der Öffnung der Telekommunikationsmärkte, als die Genehmigung aller wesentlichen Entgelte für den Sprachtelefondienst der Deutschen Telekom AG seitens der Regulierungsbehörde zum 30.1.1998 zum Disput zwischen beiden dem Bundesministerium für Wirtschaft unterstehenden Behörden führte 109 . Im Bereich der lei-

ters, 1997, S. 503 ff. (522 ff.); Udo Steiner, Recht der Verkehrswirtschaft, in: Reiner Schmidt (Hrsg.), Öffentliches Wirtschaftsrecht. Besonderer Teil 2, 1996, S. 127 ff. (181 f.); Heinz Dürr, Bahnreform. Chance für mehr Schienenverkehr und Beispiel für die Modernisierung des Staates, 1994, S. 10 ff. 107 Vgl. Art. 14 HI der Richtlinie betreffend gemeinsame Vorschriften für den Elektrizitätsbinnenmarkt, ABl Nr. L 27/25 v. 30.1.1997. 108 So die Begründung zum Gesetzentwurf, BT-Drucks. 13/3609, S. 40; siehe auch Martin Geppert, Anmerkungen zu § 14 TKG, in: Wolfgang Büchner/Jörg Ehmer/Martin Geppert/Bärbel KerkhoffTHermann-Josef Piepenbrock/Raimund Schütz/Fabian Schuster (Hrsg.), Beck'scher TKG-Kommentar, 1997, S. 181 ff. 109 In materieller Hinsicht kritisierte das Bundeskartellamt zum einen die Senkung der Preise um durchschnittlich 4,3 % innerhalb von zwei Jahren als zu gering, zum anderen die Wahlfreiheit der Deutsche Telekom AG bezüglich der Entscheidung, für welche Einzelleistung sie den Preis in welcher Höhe senkt, erhöht oder konstant hält. Dies ermögliche ihr, die Preise weiterhin dort hochzuhalten, wo sie noch alleinige Anbieterin sei, nämlich auf dem Markt für Ortsgespräche. Verfahrensmäßig rügte das Bundeskartellamt, daß die Genehmigung ohne ihr gemäß § 82 S. 1 TKG erforderliches Einvernehmen erteilt worden sei, vgl. die Zusammenfassung der Aussagen des Präsidenten des Bundeskartellamts Dieter Wolf in: Frankfurter Allgemeine Zeitung Nr. 33

Liberalisierung und Regulierung netzgebundener Güter und Dienste

305

tungsgebundenen Energieversorgung bleibt es hingegen bei der Zuständigkeit der 8. Beschlußkammer des Bundeskartellamtes und den Landeskartellämtern. Auf die Errichtung einer energiespezifischen Regulierungsbehörde wurde bewußt verzichtet. Als nicht unproblematisch könnte sich i m Fall der Telekommunikation die Organisation der Regulierungsbehörde im Geschäftsbereich des Bundesministers für Wirtschaft erweisen. Die ursprüngliche Planung der Regulierungsbehörde als oberste Bundesbehörde im Referentenentwurf zum TKG wurde mit verfassungsrechtlichen Bedenken gegen die Schaffung sogenannter ministerialfreier Räume aufgegeben 110. Jedenfalls haben die Erfahrungen in Großbritannien und den USA gezeigt, daß nur eine starke und von politischen Einflüssen weitgehend unabhängige Regulierungsbehörde die Entwicklung und Sicherung von funktionsfähigem Wettbewerb gewährleisten kann 1 1 1 . Das angesprochene Problem der Marktabgrenzung bzw. -definition erfährt durch die partielle Substituierbarkeit zwischen Strom- und Telekommunikationsnetzen eine Steigerung in Gestalt des Phänomens des Zusammenwachsens systemfremder Netze 112 . Entsprechend werden Fragen der Regulierung systemübergreifend gelöst werden müssen, was eine sektorüberschreitende Regulierung nahelegt. Dagegen steht die vom Gesetzgeber getroffene Entscheidung zugunsten einer geteilten Zuständigkeit von Regulierung und Kartellaufsicht zwischen Regulierungsbehörde und Bundeskartellamt im Bereich der Telekommunikation einerseits, der „Verbleib" der Energieversorgung in der achten Beschlußkammer des Bundeskartellamtes und den Landeskartellämtern andererseits. Ein eher praktisches Argument gegen eine spezielle Regulierungsbehörde ist der Hinweis auf deren „personelle Einspeisung", die weitgehend aus dem zum 31.12.1997 aufgelösten Ministerium für Post und Telekommunikation v. 9.2.1998, S. 13 und 15. Im Gegenzug verwies der Vorsitzende des Beirates der Regulierungsbehörde (vgl. §§ 67 if. TKG) auf deren alleinige Zuständigkeit bei der Genehmigung von Telefontarifen und forderte den Bundeswirtschaftsminister auf, alsbald die Kompetenzverteilung klarzustellen (Frankfurter Allgemeine Zeitung Nr. 34 v. 10.2.1998, S. 15, [,3eirat weist Vorwürfe des Kartellamts zurück"]). 110 Vgl. Martin Geppert, Anmerkungen zu § 66 (Fn. 108), S. 755 (Rdnr. 4). 111 Siehe Jan B. Rittaler, Der Wettbewerb in der Telekommunikation - Einige Anmerkungen zum Sondergutachten der Monopolkommission, WuW 1996, S. 699 ff. (703); Bruce Laid law, The Evolution of Telecommunications Policy in the United Kingdom, in: Björn Wellenius/Peter A. Stern (eds.), Implementing Reforms in the Telecommunications Sector. Lessons from Experience, 1996, S. 285 ff ; Jeffrey E. Cohen, The Politics of Telecommunications Regulations - The States and the Divestiture of AT&T, 1992. 112 Vgl. Christian Koenig/Sascha Loetz (Fn. 37), S. B 8. 20 FS Blümel

306

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erfolgt ist. Ein dem Bundeskartellamt vergleichbares Maß an Erfahrung und Anerkennung in der Wettbewerbsaufsicht muß hier erst langsam erworben werden 113 . Daneben wird auf die Gefahr verwiesen, daß die Anwendung sektorspezifischen Rechts durch jeweilige Behörden zu einer Zersplitterung des Kartellrechts und der Rechtswege fuhrt 1 1 4 . Als Rechtfertigung einer marktspezifischen Regulierung durch eine separate Regulierungsbehörde anstelle des Bundeskartellamtes wird hingegen unter anderem ihre Zuständigkeit für den offenen Netzzugang und die Anordnung von Interconnection-Vereinbarungen angesehen115. Dies bedeutet gleichzeitig, daß die Regulierung i m Vorfeld des Wettbewerbs Entscheidungen mit einem hohen Prognose-Anteil zu treffen hat und sich darin wesentlich von der als repressiv zu bezeichnenden Kartellaufsicht unterscheidet. Des weiteren weist die Regulierungsbehörde eine „innere Verfallzeit" auf, d.h. nach erfolgreichem Abschluß der Gestaltung des Marktes kann die Aufsicht im nachhinein und damit innerhalb des Bundeskartellamtes erfolgen 116 . Bis dahin bleibt angesichts des amerikanischen Beispiels, wo allein A T & T von etwa 100 Mitarbeitern gegenüber der Federal Communications Commission vertreten wird, die Entwicklung des Lobbyismus abzuwarten 117 .

4. „Vom Leistungsstaat zum Regulierungsstaat" Die Liberalisierung ehemals staatlich bzw. monopolistisch wahrgenommener Aufgaben stellt sich nicht als einfacher Rückzug des Staates, sondern als eine Veränderung der Form staatlicher Aufgabenwahrnehmung dar 1 1 8 . Das Modell einer staatlichen Leistungsverwaltung mit exklusiven Rechten wird ersetzt durch neue institutionelle Arrangements, in denen der Staat seine Leistungspflichten reduzierte und ökonomisierte sowie privaten Trägern Freiräu113 So der Einwand von Thomas Lampert, Der Begriff der Marktbeherrschung als geeignetes Kriterium zur Bestimmung der Normadressaten für das sektorspezifische Kartellrecht nach dem TKG?, WuW 1998, S. 27 ff. (37). 114 So Dieter Wolf, „Konzentration im Einzelhandel hat dem Wettbewerb nicht geschadet", in: Frankfurter Allgemeine Zeitung Nr. 301 v. 29.12.1997, S. 11. 115 Bildhaft bezeichnet Arne Börnsen (Fn. 40), S. 334, die Regulierungsbehörde als „eine Stellschraube für mehr Wettbewerb oder mehr Schutz eines marktbeherrschenden Anbieters". 116 Siehe Jan B. Rittaler (Fn. 111), S. 699 ff. (701). 117 Vgl. Helga Gabriele Kalt, Die Telekom an der Leine. Die Figur des Regulierers, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung Nr. 241 v. 17.10.1997 S. 17. 118 Vgl. Angelika Benz, Privatisierung und Deregulierung - Abbau von Staatsaufgaben?, Die Verwaltung 1995, S. 337 ff. (347, 353 ff.).

Liberalisierung und Regulierung netzgebundener Güter und Dienste

307

me schuf 119 . Im Gegenzug wird der Staat mit einer Reihe von neuen Aufgaben konfrontiert 120 . Von einer „Entstaatlichung der Gesellschaft" im Bereich netzgebundener Infrastruktur kann daher nur bedingt die Rede sein. Umgekehrt reichen Vorhaltungen, die einen gesetzlich geregelten Netzzugang in die Nähe einer etwaigen Strategie der Sozialisierung im Sinne von Art. 15 GG rükken 1 2 1 , nicht aus, um die These von einer „Verstaatlichung der Gesellschaft" zu belegen. Die genannten Beispiele belegen zugleich eine teilweise Hochzonung regulativer Politik im „Mehr-Ebenen-System der Entscheidungsfindung" auf die supranationale Ebene. Daß solche Autonomieverluste vor allem in der Anfangsphase nicht immer ohne Gegenwehr hingenommen werden, zeigen etwa die Kompetenzstreitigkeiten zwischen der deutschen Regulierungsbehörde und der Europäischen Kommission bei der Handhabung des Wechsels der Anbieter nach der Abschaffung der Netzmonopole zum 1.1.1998 122 Hingegen arbeiten Bundeskartellamt und die Generaldirektion Wettbewerb der Kommission schon seit Jahrzehnten eng zusammen; so stand mit dem Beginn der Anwendung der Art. 85 und 86 EGV durch die Kommission das gemeinsame Interesse an einem Meinungsaustausch über Inhalt und Tragweite des neuen Rechts im Vordergrund 123 .

119

Edgar Grande (Fn. 45), S. 371 ff. (388 f). Siehe auch Klaus König, Der Verwaltungsstaat im Wandel, VerwArch 88 (1997), S. 545 ff. (554). 121 Vgl. zur Problematik des Eigentumsschutzes bezüglich der Versorgungsnetze Hans-Joachim Koch, Verfassungsrechtlicher Bestandsschutz als Grenze der Deregulierung und der umweltpolitischen Steuerung im Bereich der Elektrizitätswirtschaft, in: Wolfgang Hoffmann-Riem/Jens-Peter Schneider (Hrsg.), Umweltpolitische Steuerung in einem liberalisierten Strommarkt, 1995, S. 263 ff. 122 Den Hintergrund bildeten die von der Deutsche Telekom AG im Januar 1998 gegenüber Telefonkunden erhobenen Ablösegebühren im Fall des Wechsels zu einem anderen Anbieter von bis zu 100 DM. Daraufhin kündigte der für die Wettbewerbspolitik zuständige EU-Kommissar Karel Van Miert ein Prüfverfahren über die Frage an, ob die Deutsche Telekom AG damit nach den Wettbewerbsregeln der EU ihre marktbeherrschende Position mißbräuchlich und zum Schaden der Verbraucher ausgenutzt habe. Seitens der deutschen Regulierungsbehörde wurde hingegen die nationale Zuständigkeit für diesen Fall geltend gemacht, vgl. o.K, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung Nr. 8 v. 10.1.1998, S. 13 (bedenken gegen Telekom-Ablösegebühren"). 123 Vgl. die Ausführungen von Herbert Sauter, Zusammenarbeit zwischen nationalen Wettbewerbsbehörden und der Kommission, in: Jörn Kruse/Kurt Stockmann/Lothar Vollmer (Hrsg.), Wettbewerbspolitik im Spannungsfeld nationaler und internationaler Kartellrechtsordnungen: Festschrift für Ingo Schmidt zum 65. Geburtstag, 1997, S. 97 ff. 120

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Neue Funktionen staatlicher Regulierung stehen im unmittelbaren Zusammenhang mit der Internationalisierung bzw. Globalisierung wirtschaftlicher Transaktionen. In Wirtschaftszweigen, die großem internationalen Wettbewerbsdruck ausgesetzt sind, kommt es auf Seiten der Unternehmen zu Auflösungen kollektiven Handelns in Gestalt der „Kündigung" selbstbindender Vereinbarungen auf ihren heimischen Märkten. Selbstregulierung beispielsweise durch nationale Standesorganisationen der Berufe verliert durch weltweite berufliche Mobilität und Auflösung traditioneller Berufsbilder an Steuerungskraft 1 2 4 . Gegenläufige aktuelle Bemühungen um eine Wirtschafts- bzw. Unternehmensethik 125 sind insoweit auch Ausdruck defizitärer Selbstregulierung. Einer regulativen Kompensation durch diesbezügliche internationale Regime sind Grenzen gesetzt sind, welche gleichsam Lücken definieren, die die Nationalstaaten selbst zu schließen haben. Hierbei handelt es sich in erster Linie um die Überwachung ausgehandelter Regeln vor Ort und deren Sanktionierung. Insofern wird auch von operativen Aufgaben der Marktüberwachung gesprochen werden, die den Kern neuer Staatsaufgaben bilden 126 .

124 Hierzu Christoph Engel, Regulierung durch Organisation und Verfahren, in: Ulrich Immenga/Wernhard Möschel/Dieter Reuter (Hrsg.), Festschrift für Ernst-Joachim Mestmäcker zum siebzigsten Geburtstag, 1996, S. 199 ff. (131 f.). 125 Siehe stellvertretend Klaus M Lei singer, Unternehmensethik. Globale Verantwortung und modernes Management, 1997; Hartmut Kreikehaum, Grundlagen der Unternehmensethik, 1996. 126 Für den Bereich der Regulierung der Kapitalmärkte zeigt dies Susanne Lütz, Die Rückkehr des Nationalstaates? Kapitalmarktregulierung im Zeichen der Internationalisierung von Finanzmärkten, PVS 1997, S. 475 ff. (492 f.).

Widmung und Entwidmung im öffentlichen Eisenbahnrecht - eine unbekannte Größe? Von Hans-Jürgen Kühlwetter

1. Die Entstehung einer öffentlichen Einrichtung 1 oder einer Sache2, die der Allgemeinheit in mehr oder weniger großem Umfang zur Benutzung zur Verfügung steht, ist nach deutschem Verwaltungsrecht an mehrere zeitlich aufeinanderfolgende rechtlich relevante Handlungen geknüpft. Klassisch für die Abfolge dieser rechtsbedeutsamen Handlungen erweist sich das deutsche Wege- und Straßenrecht. Auf die - verwaltungsrechtlich nicht geregelte - politische Meinungsbildung und Entscheidungsfindung, eine Verkehrsverbindung zu schaffen, seien es Straßen der verschiedensten rechtlichen Qualifikationen oder der verschiedensten Zugehörigkeitsstufen im Aufbau der Bundesrepublik, Gemeinde-, Kreis-, Landstraße oder Bundesfernstraße, sei es ein Wasserweg oder ein Schienenverkehrsweg, muß in der nächsten zeitlichen Phase eine planungsrechtliche Entscheidung getroffen werden, die das geplante Vorhaben „ i n die bestehende öffentlich-rechtliche Landschaft" möglichst optimal, d. h. unter Berücksichtigung aller öffentlich-rechtlicher Interessen, einpaßt. Diese planerische Entscheidung, entweder in das Gewand von Bebauungsplänen3 gehüllt, als Planfeststellung nach dem Muster der §§74,75 VwVfG in den verschiedenen Fachgesetzen des Bundes4 oder der Länder enthalten oder

1

Einrichtung: so Woljf/Bachof/Stober , Verwaltungsrecht E, 5. Aufl., § 98, Rdnr. 39; Steiner , Bes. Verwaltungsrecht, I B , Rdnr. 148. 2 Sache: so Wolff/Bachof Verwaltungsrecht I, 9. Aufl., § 56; Salzwedel, in: Erichsen, Allg. Verwaltungsrecht, § 42 II, Rdnr. 6; Salzwedel , in: Badura, Bes. Verwaltungsrecht, 8. Aufl., 8. Abschnitt, HI, 1; Forsthoff\ Lehrbuch des Verwaltungsrechts, Bd. I, 10. Aufl., § 20, 1; für Straßen: Steiner (Fn. 1), V B, Rdnr. 24 ff. 3 Vgl. § 9 Abs. 1 Nm. 11 und 26 BauGB. 4 Vom BundesfernstraßenG (§17) über Personenbef.G. (§ 28), Allgemeines EisenbahnG (§ 18), LuftverkehrsG (§ 8), WasserstraßenG (§ 14), Kreislaufwirtschafts- und AbfallG (§31 Abs. 2) bis zum MagnetschnellbahnplanungsG (§§ 1 - 6) und zu rechts-

310

Hans-Jürgen Kühlwetter

sogar in normativer Form möglich 5 , ergeht vor der ersten Baumaßnahme in der Örtlichkeit. Die Rechtskraft dieser planerischen Entscheidung ist Voraussetzung des Beginns einer rechtlich einwandfrei begründeten Baumaßnahme. Gelingt in der dann folgenden Phase nicht der einverständliche Erwerb der benötigten Flächen, so ist ein Enteignungsverfahren, gegebenenfalls in der verkürzten Form der vorzeitigen Besitzeinweisung nach den einschlägigen gesetzlichen Spezialregelungen auf Bundes- oder Landesebene, durchzuführen. Ist im Anschluß daran die öffentliche Einrichtung oder Sache bautechnisch in der örtlichkeit fertiggestellt, so bedarf es zur Eröffnung für den Kreis der dafür vorgesehenen oder berechtigten Benutzer noch eines besonderen, weiteren öffentlich-rechtlichen Rechtsaktes, der Widmimg 6 . Die Frage nach dem Rechtscharakter der Widmung wird unterschiedlich beantwortet. Nach einer Meinung handelt es sich bei der Widmung entweder um einen Verwaltungsakt 7 , der adressatlos8 und gestaltend9 ist, ferner formlos 10 möglich ist, soweit nicht Einzelgesetze Abweichendes vorschreiben 11 , - damit auch konkludent möglich, -

ähnlichen, aber anders genannten Verfahren - Genehmigung gem. § 10 BIMSchG oder Flurbereinigungsplan gem. § 58 ff FlurbereinigungsG. 5 Gesetz über den Bau der „Südumfahrung Stendal der Eisenbahnstrecke Berlin Oebisfelde" v. 29. 10. 1993 (BGBl I S. 1906); verfassungsrechtlich bestätigt durch BVerfG, Beschluß v. 17. 7. 1996 - 2 BvF 2 / 93 in BVerfGE 95, S. 1 ff; dagegen aus Gründen der Verkürzung des Rechtsschutzes der Betroffenen Blümel, DVB1 1997, S. 205 ff, insbes. S. 210 und S. 215 - 216. 6 Zu allgemeinen Fragen s. oben Anm. 1 und 2. 7 Forsthoff (Fn. 2), § 20 2, S. 385; Salzwedel, in: Badura (Fn. 2), § 42 II, Rdnr. 6; Maurer, Allg. Verwaltungsrecht, § 9 m 1, Rdnr. 33; Steiner (Fn. 1), V B , Rdnr. 30. 8 Forsthoff (Fn. 2), § 20, 2, S. 384; Maurer (Fn. 7), § 9 HI 1, Rdnr. 33; anderer Ansicht Salzwedel, in: Badura (Fn. 2), 8. Abschnitt m 1, S. 707, belastender Verwaltungsakt gegenüber dem Eigentümer und Unterhaltungspflichtigem. 9 Forsthoff (Fn. 2), § 20 2, S. 385, wobei dieser noch eine weitere „Indienststellung" annimmt, S. 387; Salzwedel, in: Badura (Fn. 2), § 42 II, Rdnr. 6 und 7. 10 Forsthoff (Fn. 2), § 20, S. 385; Wolff/Bachof (Fn. 2), § 56 II e 3; Salzwedel, in: Badura (Fn. 2), 8. Abschnitt m 1. 11 Wie das BundesfernstraßenG und alle Landesstraßengesetze mit den einhelligen Bestimmungen über die Publikationsnotwendigkeit von Widmung und Entwidmung vgl. Anl. I, Spalten 6, 24 und 27.

Widmung und Entwidmung im öffentlichen Eisenbahnrecht

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- einen Gesamtakt12 darstellt, wenn notwendig mehrere Beteiligte vorhanden sind und mitwirken müssen, und - Hoheitsakt 13 ist und - nach außen erkennbar sein muß 14 . Daneben wird aber auch - insbesondere in neueren Landesstraßengesetzen 15 - die Auffassung vertreten, bei der Widmung handele es sich um Allgemeinverfügungen. Daneben wird die Widmung auch - durch formelles Gesetz16, - durch Verordnung oder Satzung 17 , - durch Gewohnheitsrecht 18, - durch öffentlich-rechtliche Vereinbarung 19 oder - durch inneradministrativen Inventarisierungsvorgang 20 als möglich angesehen. Da der Nachweis der Widmung insbesondere bei sog. „historischen Straßen" vielfach nicht mehr zu führen ist, hilft man mit dem Bild der sog. „unvordenklichen Verjährung" , womit „eine widerlegbare Vermutung" begründet wird, „die sich unmittelbar darauf bezieht, daß die Sache eine öffentliche ist" 2 1 .d. h. einstmals gewidmet worden sein muß (s. weiter unten). Zu dieser Widmung muß dann noch die tatsächliche Indienststellung treten 22 , wobei beide Akte oft zusammenfallen. Die Folgewirkungen einer Widmung mit eingeschlossener oder im zeitlichen Zusammenhang stehenden Indienststellung bestehen im Anstaltsrecht darin, daß die Anstalt „einem oder mehreren bestimmten Zwecken" gewidmet 12

A. A. Forsthoff (Fn. 2), § 20 2, S. 385. Forsthoff ( Fn. 2), § 20 2, S. 385; Maurer (Fn. 7), § 9 m, Rdrir. 33 a. E.; Wolff/ BachofiFn. 2), § 56 I; Steiner (Fn. 1), V B, Rdnr. 29. 14 Salzwedel, in: Badura (Fn. 2), § 42 II, Rdnr. 6 m.w.N., insbes. für die Fälle der inneradministrativen Inventarisierung! Für das Straßenrecht vgl. insbes. Salzwedel, in: Badura (Fn. 2), 8. Abschnitt IE 1, S. 707, sowie die Anl. I, Spalte 7. 15 Anl. I, Spalten 6 und 23. 16 Wolff/Bachof (Fn. 2), § 56 E a; Salzwedel in: Badura (Fn. 2), § 42 n, Rdnr. 6. 17 Wolff/Bachof (Fn. 2), § 56 E b; Salzwedel , in: Badura (Fn. 2), § 42 E, Rdnr. 6; Steiner (Fn. 1), I B , Rdnr. 148. 18 Wolff/Bachof (Fn. 2), § 56 E c. 19 Wolff/Bachof (Fn. 2), § 56 E d. 20 Salzwedel, in: Badura (Fn. 2), § 42 E, Rdnr. 6. 21 Wolff/Bachof (Fn. 2), § 56 E f. 22 Forsthoff ( Fn. 2), § 20 2, S. 387; Wolff/Bachof (Fn. 2), § 56 IE; Salzwedel, in: Badura (Fn. 2), § 42 E, Rdnr. 7; Salzwedel , in: Badura (Fn. 2), 8. Abschnitt IE 1, S. 708. 13

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wird, dem Benutzer - außer im Falle eines gesetzlichen oder auch vertraglichen Rechtstitels - ein klagbarer Anspruch auf Einrichtung und Fortbestand der öffentlichen Anlage aber nicht zusteht 23 ; damit tritt die Sache unter Zurückdrängung des zivilen Rechtskreises unter eine Herrschaft des öffentlichen Rechtes24. Der Gemeingebrauch, soweit für die Sache nach dem Widmungszweck zulässig, wird für die Sache eröffnet. 2. Die stärksten und am besten erkennbaren Wirkungen einer Widmung mit Indienststellung zeigen sich im Recht der Verkehrswege, insbesondere i m Straßenrecht. Während das Bundeswasserstraßengesetz 25 in § 5 einen Gemeingebrauch regelt, der eine im Gesetz nicht ausdrücklich geregelte Widmung voraussetzt, ist die Widmung umfassend Gegenstand der Bundes- und Ländergesetzgebung im Wege- und Straßenrecht 26. Für den zeitlichen Zusammenhang zwischen Planfeststellung und Widmung ist auf die in verschiedenen Landesstraßengesetzen vorgesehene Möglichkeit hingewiesen 27 , die Widmung bereits in diesen Verfahren vorzunehmen unter den Bedingungen der Herstellung der Straße, der Verkehrsübergabe der Straße und des Vorliegens aller sonst für die Widmung vorgesehener Tatbestandselemente. Damit wird deutlich, daß Planfeststellung und Widmung verschiedene rechtliche Bedeutung haben und verschiedenen rechtlichen Phasen der Herstellung eines Verkehrsweges zugeordnet werden müssen. Beide Akte können aber - mit der o. a. zeitlichen Bedingung - förmlich miteinander verbunden werden. Eine andere Gruppe von Ländern 28 kennt eine Widmungsfiktion für die Fälle, in denen Straßen, Wege oder Plätze aufgrund eines anderen förmlichen Verfahrens nach anderen gesetzlichen Bestimmungen für den Verkehr angelegt wurden, eine ausdrückliche Widmung aber nicht stattgefunden hat. Nach den dort geltenden gesetzlichen Regelungen „gelten" diese Verkehrswege dann mit der endgültigen Überlassung für den Verkehr als gewidmet, wenn die übrigen Widmungsvoraussetzungen vorliegen.

23

Wolff/Bachof/Stober (Fn. 1), § 98, Rdnr. 39. Forsthoff {Fn. 2), § 20 1, S. 379 - 382; auch Salzwedel, in: Badura (Fn. 2), § 42 II, Rdnr. 8; s. auch Anl. I, Spalte 11. 25 V. 2. April 1968 (BGBl II S. 173) in der Fassung der Bekanntmachung v. 23. August 1990 (BGBl IS. 1818). 26 Vgl. Anl. I. 27 Vgl. Anl. I, Spalte 17. 28 Vgl. Anl. I, Spalte 16. 24

Widmung und Entwidmung im öffentlichen Eisenbahnrecht

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Diese Regelungen sind zu unterscheiden von den Fällen der Widmung aus historischem Herkommen oder „kraft unvordenklicher Verjährung" 29 . Diese Fälle sind im Gegensatz zu den oben geschilderten Fällen der förmlichen Zusammenfassung echte Fiktionen und von diesen systematisch zu unterscheiden. Die Anlage I vermittelt eine Übersicht über die in den einzelnen Straßenrechten der Länder und im Bundesfernstraßengesetz getroffenen Regelungen für die Widmung und Entwidmung hinsichtlich der Entscheider, des Rechtscharakters der Entscheidungen, der damit verbundenen Publizitätspflichten sowie der Voraussetzungen und Folgen von Widmung und Entwidmung. Entscheider sind entweder Straßenbaubehörde, Straßenbehörde oder Straßenbaulastträger in den jeweiligen Hierarchiestufen; sind diese bzw. ihre Rechtsträger nicht Grundstückseigentümer oder Träger der dinglichen Rechte am Grundstück, muß der Eigentümer mitwirken; in den meisten Fällen sind auch Mitwirkungsrechte der jeweils anderen korrespondierenden Behörden vorgesehen 30 Abgesehen von den Ländern, die keine ausdrücklichen Regelungen über den Rechtscharakter von Widmung und Entwidmung getroffen haben, spricht ein Teil der anderen Länder von „Verfügung", womit ein Verwaltungsakt gemeint ist; hervorzuheben ist aber, daß Brandenburg, Nordrhein-Westfalen (Gesetz im Jahre 1995 erlassen!), Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen - einer moderneren Auffassung folgend - von „Allgemeinverfügung" sprechen. Denknotwendig und angesichts der Rechtswirkungen unumgänglich ist die durchgängig angeordnete Publikation von Widmung und Entwidmung in den jeweiligen Veröffentlichungsorganen 31. Als Folgen von Widmung und Indienststellung sind in den Gesetzen einhellig die Sperre gewisser privater Verfügungsrechte, Gemeingebrauch und Zulassung des öffentlichen Verkehrs in dem durch die Widmung umschriebenen Umfang und auch - mit zwei Ausnahmen - die Aufnahme in ein Straßenverzeichnis geregelt. Auch die wegerechtliche Literatur beschreibt die Folgen einer Widmung einschließlich der Indienststellung 32 . Durch die Widmung und Indienststellung wird

29 Kodal/Krämer , Straßenrecht, 5. Aufl., Kap. 7, Rdnr. 19.4; Wolff/Bachof ( Fn. 2), § 56 II f; „faktisches Straßenverhältnis" bei Salzwedel, in: Badura (Fn. 2), 8. Abschnitt m i , S . 708. 30 Vgl. Anl. I, Spalten 5 und 22. 31 Vgl. Anl. I, Spalten 7 und 27.

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die Straße rechtlich öffentliche Sache im Gemeingebrauch; die Straße eingestuft und damit in ihrer Verkehrsfunktion festgelegt 33; der Kreis der eventuellen Beschränkungen der Nutzung bestimmt 34 ; die Straßenbaulast als öffentliche Aufgabe der Behörde ausgelöst35; der Anliegergebrauch und die übrigen Anliegerrechte konkretisiert; eine Reihe von baulichen und immissionsschutzrechtlichen Folgen ausgelöst (z. B. Anbau- und Zufahrtsbeschränkungen usw.).

Die umgekehrten Rechtsfolgen ergeben sich aus der Entwidmung bzw. Einziehung 36 . 3. Angesichts dieser umfassenden gesetzlichen Regelungen und ihrer Behandlung in der Literatur im Bereich des Straßenrechtes wäre an sich davon auszugehen, daß eine ähnliche Regelungs- und Erörterungstiefe für Fragen der Widmung i m Eisenbahnrecht zu finden sei. Angesichts dieser Vermutimg ist es zunächst verwunderlich, daß - weder das führende Eisenbahngesetz des vorigen Jahrhunderts, das preußische „Gesetz über die Eisenbahn-Unternehmungen" v. 3. November 1838 37 , - noch andere deutsche Landeseisenbahngesetze des vorigen Jahrhunderts, - noch das preußische „Gesetz über Kleinbahnen und Privatanschlußbahnen" v. 28. Juli 1892 38 den Begriff der Widmung oder Entwidmung kennen, obwohl in diesen Gesetzen schon moderne Regelungen über Planfeststellungsverfahren getroffen wurden. Wohl finden sich Bestimmungen (§ 22 Pr. EisenbahnG, § 19 Pr. KleinbahnG), nach denen die Bahn den Verkehr nicht eher eröffnen durfte, als, nach vorgängiger Revision der Anlage, von der Regierung die Genehmigung zur Eröffnung der Anlage erteilt wurde. Dabei handelte es sich aber keinesfalls um einen der Widmung vergleichbaren Rechtsakt, sondern um eine polizeiliche Abnahme unter Gefahrenabwehrgesichtspunkten, um die Abnahme der Bahn aus „landespolizeilicher und eisenbahntechnischer" Sicht, wie

32

s. statt vieler Steiner (Fn. 1), V B D 1, Rdnr.24. Grupp, in: Marschall/Schroeter/Kastner, Bundesfernstraßengesetz, 5. Aufl., § 2, Rdnr. 5. 34 Grupp (Fn. 33), Rdnr. 6. 35 Grupp (Fn. 33), Rdnr. 7. 36 Vgl. Anl. I, Spalte 26. 37 PrGS. S. 505 ff. 38 PrGS. S. 225 ff. 33

Widmung und Entwidmung im öffentlichen Eisenbahnrecht

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die einhellige Kommentierung erweist 39 ; insbesondere wird die Übereinstimmung der erbauten Anlage mit den Festlegungen des rechtskräftigen Planes überprüft. Damit hat dieser Genehmigungsvorgang eine wesentlich andere Rechtscharakteristik als die oben beschriebene Widmung. Auch die weitergehenden Hinweise bei Endemann 40 , nach erfolgter Genehmigung des Ministers würde die „Eröffnungserklärung" mit Festsetzung des Beginns des Betriebes öffentlich bekannt gemacht, sowie der Hinweis bei Eger 41 , mit dem Zeitpunkt der Verkehrseröflnung fänden alle den Eisenbahnbetrieb und -transport öffentlich- und privatrechtlich regelnden gesetzlichen und administrativen Bestimmungen auf die dem Verkehre eröffnete Eisenbahn bzw. ihren Unternehmer ebenso wie auf Dritte volle Anwendung, ist nicht geeignet, ein der Widmimg rechtsähnliches Institut anzunehmen. Zwar mag diese Eröffnung äußerlich an die Widmung eines öffentlichen Verkehrsweges erinnern; es fehlt ihr aber die der Widmung eigentümliche Wirkung der Belastung des bisher privatrechtlichen Eigentums mit der Sperrwirkung für bestimmte privatrechtliche Verfügungsarten. Diese Eröffnungserklärung zielt vielmehr auf zwei andere Ziele, die dem Eisenbahnrecht auch heute typisch sind. Zum einen ist dies eine heute noch in vielen Landeseisenbahngesetzen42 enthaltene Genehmigung, die zur Aufnahme des Betriebes erteilt wird, wenn einerseits die bauliche Abnahme und andererseits die Abnahme für die maschinentechnischen Anlagen und Fahrzeuge erteilt sind. Mit der dann noch zu erteilenden Genehmigung wird bestätigt, daß diese beiden Komplexe auch technisch harmonieren. Es kann durchaus sein, daß ein ordnungsgemäß zugelassenes Fahrzeug auf den baulich zugelassenen Anlagen einer anderen Ei-

39

Zum Pr. EisenbahnG s. Bessel/Kühlwetter, „Das Preußische Eisenbahnrecht", 1855, Zweiter Teil, S. 68 - 69 mit dem dort abgedruckten „Circular - Rescript des Ministers für Handel, Gewerbe und öffentliche Arbeiten" v. 6. November 1850 - Zweck ist die Behebung technischer Mängel; ebenso W. Gleim, „Das Eisenbahnbaurecht", 1893, Vierzehnter Abschnitt, S. 412 - 418; ebenso W. Endemann, „Recht der Eisenbahnen nach den Bestimmungen des Deutschen Reichs und Preußens", 1886, Dritter Abschnitt IV § 75 IV, S. 371; ebenso Eger, „Handbuch des Preußischen Eisenbahnrechts", 1889, 1. Bd., Abschnitt VI § 38, S. 565 - 570; für das Pr. KleinbahnG. W. Gleim, „Das Gesetz über Kleinbahnen und Privatanschlußbahnen", 1899, Erläuterung zu § 19, S. 130 - 131 - Schutz vor Gefahrdung erheblicher öffentlicher oder Privatinteressen. 40 Endemann (Fn. 39), S. 372 oben mit Hinweis auf das Pr. V.O.B1. 1884, S. XXI ff. 41 Eger (Fn. 39), S. 572. 42 Vgl. dazu § 8 LEG Ba-Wü; Art. 8 LEG Bay; § 11 LEG Bremen; § 23 Abs. 2 LEG Hbg; § 13 LEG Hessen; § 22 Abs. 2 LEG Ns; § 20 Abs. 2 LEG NRW; § 24 Abs. 2 LEG Rhld.-Pfalz; § 21 Abs. 2 LEG Saarland; § 10 LEG S.-H.

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senbahn nicht kompatibel, d. h. technisch gesehen nicht verkehrsfähig ist. M i t der oben angesprochenen Eröffhungserklärung war die erforderliche Kompatibilitätserklärung gemeint. Das heutige Bundeseisenbahnrecht kennt - im Gegensatz zum Landeseisenbahnrecht, s. o. - eine solche Genehmigung nicht. Zum anderen kannte das bis zur Eisenbahnreform gültige Bundesrecht die Auferlegung einer Betriebspflicht für eine öffentlich konzessionierte Eisenbahn - § 4 AEG alter Fassung. Die besondere Hervorhebung der Publizitätsnotwendigkeit der o. a. „Eröffnungserklärung" in Zusammenhang mit den Fahrplänen und Tarifen könnte auch auf eine solche Zielrichtung dieser Genehmigung hinweisen. In der Zeit zwischen dem Ende des ersten Weltkrieges und dem Inkrafttreten des Reichsbahngesetzes v. 30. August 1924 43 war der Staatsvertrag v. 1. April 1920 44 zwischen dem Reich und den Ländern, die Staatseisenbahnen unterhalten hatten, die maßgebliche Rechtsgrundlage des Reichseisenbahnrechtes. M i t dem Übergang der Staatsbahnen der Länder auf das Reich war die Ausübung der Staatshoheitsrechte über die Eisenbahnen auf das Reich übergegangen 45 , wie auch § 12 des Vertrages bestimmte. Da aber in den Ländern keine Widmungsbestimmungen existierten, blieb die Rechtslage hinsichtlich der Widmung von Eisenbahnanlagen des Reiches unverändert. Das Reichsbahngesetz enthielt weder in der Fassung v. 30. August 1924, noch in der Fassung v. 13. 3. 1930 46 Bestimmungen über die Widmung von Eisenbahnanlagen. Ausdrücklich war in beiden Fassungen in dem mit „Bauten" überschriebenen § 37 nur die Feststellung der Baupläne beschrieben. Auch kannte das damalige Reichseisenbahnrecht nicht die oben beschriebene „Eröffnungserklärung" oder „-Genehmigung". Durch das Neuregelungsgesetz v. 10. Februar 1937 47 wurde dieser Rechtszustand ebensowenig geändert wie durch die Neufassung des Reichsbahngesetzes v. 4. Juli 1939 48 . So ist es nur folgerichtig, daß die damalige Literatur zum Reichseisenbahnrecht 49 zu den Begriffen von Widmung und Entwidmung schweigt. 43

RGBl H S. 272. RGBl S. 774 ff. 45 Siehe die Nachweisungen bei Blümel, „Die Bauplanfeststellung I", § 18, S. 168, dortige Fußnoten 74 - 79. 46 RGBl ES. 359. 47 RGBl S. 47. 48 RGBl S. 1205 ff. 49 Sarter/Kittel, „Die neue deutsche Reichsbahn - Gesellschaft", 6. Abschnitt, S. 147 ff.; Fritsch, „Das Deutsche Eisenbahnrecht", 1927, 3. Abschnitt II; S. 98 - 146; 44

Widmung und Entwidmung im öffentlichen Eisenbahnrecht

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Anlaß zu - vielleicht das Gesetz ergänzenden - Überlegungen hätte allerdings bestanden, da in Preußen bereits 1895 50 das „Gesetz betreffend das Pfandrecht an Privateisenbahnen und Kleinbahnen und die Zwangsvollstreckung in dieselben" erlassen worden war, das am 8. Juli 1902 51 in neuer Fassung als „Gesetz über Bahneinheiten" verkündet wurde und in seinem § 4 bestimmte, daß „ Zur Bahneinheit gehören 1. der Bahnkörper und die übrigen Grundstücke, welche dauernd, unmittelbar oder mittelbar, dem Bahnunternehmen gewidmet sind ". Diese gesetzliche Erwähnung ist dann aber - wie oben gezeigt - vereinzelt geblieben. Der oben zum Reichseisenbahnrecht gezeigte Zustand hat dann auch - zumindest was die Gesetzgebung anlangt - unter der Geltung des Bundesbahngesetzes v. 13. Dezember 1951 52 und seiner insgesamt dreizehn Änderungen angehalten. Im Gesetzestext existiert eine Widmung oder Entwidmung von Bundesbahnanlagen nicht. Die gleiche Feststellung ist zu treffen für das „Gesetz über die vermögensrechtlichen Verhältnisse der Deutschen Bundesbahn" v. 2. März 1951 53 . Dieses Gesetz behandelt Fragen des Überganges des Eigentums und sonstiger Vermögensrechte des Deutschen Reiches, die zum „Sondervermögen Deutsche Reichsbahn" gehört hatten, auf die Bundesrepublik Deutschland und die Überleitung in das „Sondervermögen Deutsche Bundesbahn" einschließlich aller Fragen von Mehrheitsbeteiligungen, Treuhandschaften und der Wirksamkeit rechtsgeschäftlicher Verfügungen. Aus dieser Aufzählung der Regelungsgegenstände wird deutlich, daß dieses Gesetz nur den Zweck hatte, Vermögensübergangsfragen zu regeln. Der Widmung eigentümliche Wirkungen rechtlicher Art nach außen im Bereich des öffentlichen Rechtes wurden durch dieses Gesetz nicht ausgelöst. Im Gegensatz aber zur Situation unter dem Reichsbahngesetz ist die Widmung in der Zeit der Geltung des Bundesbahngesetzes - zwar nicht in der Kommentierung des Gesetzes durch Sarter/Kittel 54 oder Finger 55 - in der eisenbahnrechtlichen Literatur behandelt worden. Zwar gebraucht Finger an ei-

ders ., „Handbuch der Eisenbahngesetzgebung im Deutschen Reiche und in Preußen", 3. Aufl. 1930, S. 44 - 45, Kommentierung zu § 37 RBG; Fußnoten 134 -141. 50 Am 19. August 1895 - GS. 499. 51 GS 237. 52 BGBl I S. 955 ff. 53 BGBl IS. 155 ff. 54 Sarter/Kittel (Fn. 49). 55 Finger, Eisenbahngesetze, von der 3. Aufl. 1952 bis zur 6. Aufl. 1970 und zum „Kommentar zum Allgemeinen Eisenbahngesetz und Bundesbahngesetz", 1982.

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ner bestimmten Kommentarstelle zu § 1 BbG 5 6 über die Jahre den Begriff „Widmung", aber, wie der Zusammenhang erweist, in einem untechnischen Sinne. Mit den dort gebrauchten Worten „..das Bundeseisenbahnvermögen besteht danach aus dem dem Betrieb der DB gewidmeten Anlage - und dem Umlaufvermögen" umschreibt der Verfasser lediglich den Umfang des Vermögens und seine Zweckbestimmung, nicht aber die Tatsache, daß dieses Vermögen im hier verstandenen Sinne gewidmet sei. Dies erweist auch schon die Prüfung der vom Verfasser hierunter verstandenen Vermögensmassen, wozu auch Beteiligungen, Kassenbestände, Bankguthaben, Wertpapiere und Forderungen gehören. In einer 1953 erschienen Schrift 57 von Koch wird die öffentliche Eisenbahn als eine „öffentliche Anstalt" bestimmt, wobei besonders auf Otto Mayer 58 abgehoben wird. „Ihr fundamentaler Unterschied zu anderen öffentlichen Verkehrsanstalten ergibt sich jedoch daraus, daß sie zur Erfüllung ihrer Aufgaben eines besonders fiir sich hergerichteten Verkehrsweges bedarf' 59 . Der Schienenweg sei als eine besondere Art der Straße anzusehen. Damit könne diesem öffentlichen Weg auch der Charakter der „Öffentlichkeit" nicht abgesprochen werden. Allerdings sei der i m vorigen Jahrhundert neue „öffentliche Weg" der Eisenbahn auch immer in Verbindung mit dem Eisenbahnunternehmer an die Öffentlichkeit getreten. Die Eisenbahnen waren nicht als Weg durch den Einzelnen benutzbar, weshalb auch nicht der „usus publicus" - Gemeingebrauch auf sie Anwendung finde 60 ; diese Frage sei im übrigen für die Eisenbahn nicht entscheidend. In der Folge legt Koch den damaligen Streit über die Frage der „öffentlichen Sache" dar, entscheidet sich aber nicht; er fordert allerdings für sie den „Rechtsschutz" des „öffentlichen Sachenrechtes", d. h. daß - an einer solchen öffentlichen Sache neue Privatrechte und privatrechtliche Beschränkungen ohne den Willen des Herren der öffentlichen Sache nicht entstehen können; und

56

Finger, Eisenbahngesetze, 3. Aufl., 1952, § 1 Anm. 3 c; ders., Sechste Aufl., 1970, § 1 Anm. 2 c; ders., „Kommentar zum Allgemeinen Eisenbahngesetz und Bundesbahngesetz", 1982, § 1 BbG Anm. 4 c. 57 Bundesbahndirektor Dr. Martin Koch, „Über Grundlage und Bedeutung des öffentlichen Eisenbahn - Sachenrechts", Folge 3, Schriftenreihe „Die Bundesbahn", ohne Jahrgangsangabe, wahrscheinlich 1952 oder 1953 erschienen. 58 Otto Mayer, Deutsches Verwaltungsrecht, 2. Aufl., II. Bd. und ders., AöR 15 a.F., S. 511 ff. und AöR 16 a.F., S. 38 und 203 ff. 59 Koch (Fn. 57), S. 8. 60 Koch (Fn. 57), S. 13 und Fußnote 6 dort.

Widmung und Entwidmung im öffentlichen Eisenbahnrecht

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- bereits an ihr bestehende Privatrechte nicht geltend gemacht werden können, um den staatlichen Besitzstand und den bestimmungsgemäßen Dienst der öffentlichen Sache auf gerichtlichem Wege zu beseitigen61. Dieser Rechtsschutz muß nach Koch auch für die öffentlichen Schienenwege gelten. In der Folge bemüht sich Koch um eine gegenüber der Auffassung von Mayer etwas weitere Fassung des Begriffes der „öffentlichen Sache" auch unter Anwendimg des Zubehörbegriflfes. Hinsichtlich der Entstehung der „öffentlichen Sache" Bundesbahnanlage hebt Koch 6 2 auf die Planfeststellung ab. Sie führe allerdings nicht aus sich heraus, d. h. originär, die entscheidende Sonderrechtsstellung der Bundesbahnanlage herbei; entscheidend sei ihre Qualität als „öffentliche Sache". Im Anschluß daran spricht Koch den Begriff der Widmung an, mit dem nach Koch in dieser Beziehung durch seine oberflächliche Anwendung viel Unklarheit gestiftet werde. Koch führt aus, daß die Widmung zur öffentlichen Anlage vollzogen sei, wenn zur Planfeststellung der Bau und die Inbetriebnahme der Bundesbahnanlage hinzutrete. Der endgültige Widmungsakt geschehe hier - wie zumeist bei der Widmung öffentlicher Sachen (z. B. öffentlichen Wegen) - stillschweigend. M i t dem Satz „Die Planfeststellung aber als dessen wesentlicher formeller Bestandteil muß durch ausdrücklichen Verwaltungsakt festgelegt werden" unter Bezug auf den Widmungsakt sieht Koch mithin die Widmung als tragenden Akt an, von dem ein - formell notwendiger - Teilakt die Planfeststellung sei. Angesichts der heute durchgängigen Publizitätsvorschriften 63 für den - auch sonst formell ausgestatteten - Widmungsakt sind diese Thesen heute nicht mehr zu halten. Sie sind auch nicht haltbar angesichts des oben dargestellten zeitlichen Zusammenhanges zwischen Widmung und Planfeststellung. Eine rechtskräftig zustande gekommene Planfeststellung kann nicht Teilakt eines später notwendigen Rechtsaktes sein, zu dem es eventuell nicht kommt, da die Anlage trotz rechtsgültiger Planfeststellung nicht gebaut werden wird. Darüber hilft auch nicht die These von der „Doppelwirkung" der Planfeststellung hinweg, einmal Feststellung des Planes und zum anderen Deklarationswirkung der Anlage als „Öffentliche Sache"64. Ausdrücklich das Verhältnis von Planfeststellung und Widmung zueinander behandelte Erich Kruchen 65 im Jahre 1954. Er definiert die Planfeststel61

Koch (Fn. 57), S. 17. Koch (Fn. 57), S. 26 ff. 63 Vgl. Anl. I, Spalten 7,24 und 27. 64 Koch (Fn. 57), S. 27-28. 65 Bundesbahndirektor Erich Kruchen , „Planfeststellung und Widmung bei Bundesbahnanlagen", Folge 7, Schriftenreihe „Die Bundesbahn", 1955, S. 7 - 21; der Verfas62

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lung als einen Verwaltungsakt, durch den bestimmt werde, daß der Neubau, wie im Plan festgelegt, ausgeführt werden soll; sie unterscheide über Lage, Beschaffenheit, Funktion und die rechtliche Einordnung einer Bundesbahnanlage in die Umwelt mit Wirkung für und gegen alle daran Interessierten 66. Damit bewegt sich Kruchen im Rahmen des späteren § 74 VwVfG. Insbesondere unterscheidet Kruchen sehr deutlich zwischen Planfeststellung und Widmung 67 und betont insbesondere ihre Unabhängigkeit voneinander 68 , wobei er insbesondere zwei mögliche Fallkonstellationen anspricht. Dies sind einmal die Fälle, in denen eine Widmung von Bundesbahnanlagen ohne vorgängige Planfeststellung möglich gewesen sei. Diese Fälle können in früheren Landesteilen außerhalb des preußischen Rechtsbereiches aufgetreten sein, in denen eine Planfeststellung nach preußischem Muster für den Bau von Eisenbahnanlagen nicht vorgesehen war. In diesen Fällen hielt Kruchen die DB für verpflichtet, die Planfeststellung nachzuholen. Auch diese Anlagen genössen den öffentlich rechtlichen Bestandsschutz. In eine zweite Fallgruppe sind nach Kruchen die Fälle einzuordnen, in denen zwar eine Planfeststellung erfolgt ist, aber keine Widmung durchgeführt wurde. Kruchen hilft hier einerseits mit der Annahme, daß im Bau und in der Inbetriebnahme eine stillschweigende Widmung zu erblicken sei. Den Fall aber, daß der widmenden Stelle die Verfügungsmacht über das Grundstück gefehlt habe 69 , läßt Kruchen offen, stellt aber die These auf, daß es für Bundesbahnanlagen auch ohne Planfeststellung einen besonderen öffentlichrechtlichen Schutz gebe, „weil sie für Zwecke einer den öffentlichen Interessen dienenden Verkehrsanstalt eingesetzt sind". Ob diese These in Zeiten einer privatisierten Eisenbahn des Bundes einschließlich des Netzes noch haltbar ist, muß nachdrücklich bezweifelt werden. Zu Begriff und Bedeutung der Widmung differenziert Kruchen aber richtigerweise 70. Er bildet drei Gruppen. Die erste und loseste Bedeutung der Widmung erschöpfe sich in der Zuscheidung zum Eisenbahnvermögen. Gemeint ist hier die Umschreibung des Bestandes des Eisenbahnvermögens im Sinne des § 1 BbG und des § 1 des Gesetzes über die vermögensrechtlichen Verhält-

ser war damals Referent in der Rechtsabteilung der Hauptverwaltung der Deutschen Bundesbahn. 66 Kruchen (Fn. 65), S. 8. 67 Kruchen (Fn. 65), S. 12 ff. 68 Kruchen (Fn. 65), S. 19-21. 69 Vgl. Anl. I, Spalte 5 oder Spalten 8, 9,10 für das Straßenrecht. 70 Kruchen (Fn. 65), S. 10-12.

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nisse der DB v. 2. März 1951 71 . Diesem Typ der Widmung fehle der obrigkeitliche Charakter; sie sei dem Bereich der Daseinsvorsorge zuzuordnen. Hier ist an die Widmungstypen zu erinnern, die durch inneradministrativen Akt vollzogen werden können (Zuscheidung von Verwaltungsvermögen). M i t dem „Recht der öffentlichen Sachen" und dem dadurch ausgelösten besonderen Rechtsschutz für diese habe diese Widmung - mit Recht - nichts zu tun. In eine zweite Gruppe von Widmungstypen ordnet Kruchen die Bestimmungen ein, die zum Ziele haben, den Sachmittelbestand der Bahnunternehmen des öffentlichen Verkehres vor anderen vermögensrechtlichen Zugriffen zu schützen, wie dies auf Reichsebene geschehen ist durch das „Reichsgesetz über Maßnahmen zur Aufrechterhaltung des Betriebs von Bahnunternehmen des öffentlichen Verkehrs" v. 7. März 1934 72 , welches wiederum nach dem Muster des preußischen „Gesetz über die Bahneinheiten" v. 8. Juli 1902 73 in Übereinstimmung mit Art. 112 EGBGB ergangen ist. Diese gesetzlichen Regelungen mußten den Bestand der zu schützenden Sachen der Eisenbahnen umschreiben und benutzten dazu - wiederum in Übereinstimmung mit Art. 112 EGBGB - den Begriff der „einer Eisenbahn gewidmeten Grundstücke und sonstiger Vermögenswerte". In der Folge sollen diese Widmungstypen nicht Gegenstand der Erörterung sein, da sie nicht das Ziel haben, Anlagen den Charakter einer öffentlichen Sache zu verleihen. Wesentlich ist nach Kruchen für diesen Rechtsakt „die von der zuständigen Stelle ausgehende hoheitliche Bestimmung, daß eine Bundesbahnanlage fortan kraft öffentlichen Rechtes den Betriebs- und Verkehrszwecken der DB dauernd dienen soll". Kruchen stellt dann auch fest, daß das Bundesbahnrecht - im Gegensatz zum gerade ergangenen (1953) Bundesfernstraßengesetz - keine ausdrückliche Regelung über die Widmung enthalte, diese Feststellung auch für die Landeseisenbahngesetze gelte 74 und zur näheren Kennzeichnung der Widmung daher auf die von Rechtsprechung und Wissenschaft entwickelten allgemeinen Grundsätze des Verwaltungsrechts zurückzugreifen sei, was freilich insofern schwierig sei, als es in Deutschland kein gemeines Recht der öffentlichen Sachen gäbe und auch das auf verschiedenen Rechtsquellen beruhende diesbezügliche Recht sich in Einzelheiten unterscheide.

71

Vgl. die Ausführungen bei Finger, Kommentar zum Allgemeinen Eisenbahngesetz und Bundesbahngesetz, 1982, § 1 BbG Anm. 4 c. 72 RGBl S. 91. 73 PrGS S. 237. 74 Diese Feststellung hat bis heute ihre Richtigkeit. 21 FS Blümel

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In der Folge setzt sich Kruchen mit Zweck, rechtlicher Ausgestaltung und Wirkung der Widmung sowie mit Fragen der Zuständigkeit zum Erlaß und der Form einer Widmung auseinander 75. Der Zweck der Widmimg sei darauf gerichtet, der Anlage die rechtliche Eigenschaft einer „öffentlichen Sache" zu verschaffen. Zwar bestimme die Widmung nicht, wie die Planfeststellung, die rechtliche Stellung der Anlage so wie diese. Auch fehle ihr die Konzentrationswirkung. Dagegen begründe sie den rechtlichen Schutz der Anlagen und die Pflicht zur Herstellung und Unterhaltung von Schutzanlagen und der Anlagen selbst, wobei Kruchen darauf hinweist, daß diese Verpflichtung für die DB schon aus § 4 BbG folge. Hinsichtlich der rechtlichen Ausgestaltung sei die eisenbahnrechtliche Widmung als hoheitliche Willensäußerung der Verwaltung, welche Einzelfälle regele, ein Verwaltungsakt 76 . Inhaltlich handele es sich um einen rechtsgestaltenden Verwaltungsakt; zwar begründe sie nicht die Zulässigkeit des Baues wie die Planfeststellung, sondern ihr Charakteristikum sei eine Zustandswirkung, die sich daraus ergebe, daß die Anlage als „öffentliche Sache" geschaffen werde. Für die Zuständigkeit zum Erlaß der Widmung fehle es zwar an einer ausdrücklichen gesetzlichen Regelung. Aus der singulären Regelung des § 39 Abs. 1 BbG, die eventuell für diesen Sonderfall eine stillschweigende Entwidmung durch die Bundesregierung enthalte, könne nicht gefolgert werden, daß diese auch generell für die Widmung zuständig sei. M i t Hinweis auf ihre Zuständigkeit für die Planfeststellung - ausgenommen der damals geregelte Fall der Zuständigkeit des B M V in § 36 Abs. 2 Satz 1 BbG - und unter Hinweis auf die übrigen hoheitlichen Funktionen der DB weist Kruchen der DB das Recht zur Widmung zu. Für die Form der Widmung gebe es keine Vorschriften; sie könne stillschweigend geschehen. Überblickt man diese Feststellungen Kruchens, so kommt man zu dem Ergebnis, daß hier Meinungen geäußert werden, die auch noch heute Bestand haben. Dies gilt nicht nur für das Verhältnis von Widmung zu Planfeststellung, sondern auch für den rechtlichen Inhalt der Widmung. In Übereinstimmung mit den Auffassungen Kruchens befinden sich auch die Ausführungen von Haustein 77 . Auch Haustein sieht die Widmung als nicht formbedürftigen Verwaltungsakt 78 , der den Sonderschutz auslöst, wobei Hau15

Kruchen (Fn. 65), S. 13-19. s. dagegen modernere Auffassungen in den verschiedenen Landesstraßengesetzen, Anl. I, Spalte 6, „Allgemeinverfugung". 77 Werner Haustein, „Die Eisenbahnen im Deutschen Öffentlichen Recht", 1960, auf den Seiten 152 - 155; 161; 175 - 176; 212 - 213; Haustein war zur Zeit der Entstehung des Werkes Leiter der Rechtsabteilung der Hauptverwaltung der DB; auch Kruchen hat an diesem Werk mitgearbeitet. 78 Haustein (Fn. 77), S. 152. 76

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stein aber betont, daß dieser Sonderschutz bei den Eisenbahnen auch durch andere rechtliche Regelungen gewährleistet werde 79 . Die besondere Problematik bei der Eisenbahn, daß der Sonderschutz der Widmung erst nach Fertigstellung der Anlage in den Fällen einsetzte, in denen eine Planfeststellung nicht dem Bau vorherzugehen brauche - außerpreußischer Rechtsbereich -, während der Bauzeit die Anlage aber auch Schutz erfordere, löst Haustein mit dem Verweis auf „gewisse Vorwirkungen", die diese „interimistische Rechtslage" auslöse und die privatrechtliche Einwendungen gegen die im Bau befindliche Anlage versagen lasse 80 ; heute dürfte diese Problematik durch die Fortentwicklung des Planfeststellungsrechtes gelöst sein 81 . Bemerkenswert ist, daß Haustein die Entwidmung als „Ende der öffentlichen Sache" anspricht 82 . Es ist richtig, daß eine öffentliche Sache endet, wenn sie durch Naturereignisse zerstört wird. Daneben kann die öffentliche Sache auch durch den der Widmung entgegengesetzten Akt, durch Entwidmung enden 83 . Mangels gesetzlicher Vorschriften im Eisenbahnrecht - im Gegensatz zu den ausführlichen Regelungen im Straßenrecht 84 mit teilweise reich ausgestatteten Offenlegungs- und Beteiligungsregelungen - kann diese Entwidmung formlos geschehen. Es muß aber davor gewarnt werden, das - frühere - Verfahren der Stillegung einer Eisenbahnanlage nach § 12 Abs. 1 Nr. 10, § 14 Abs. 3 Buchst, d, § 44 BbG als Entwidmungsvorgang anzusehen. Prüft man den rechtlichen Gehalt dieses Genehmigungsverfahrens, so handelte es sich trotz des Wortlautes - „ Stillegung der Anlagen" - tatsächlich um die Entbindung der mit der gesetzlichen Konzession - §§ 1 und 4 BbG - auferlegten Betriebspflichten gem. § 4 AEG (alt). Dabei war die erteilte Genehmigung des B M V keinesfalls ein Stillegungsbefehl; die DB war auch nach der ausgesprochenen Genehmigung des B M V legal in der Lage, die Anlage bzw. Strecke, für die die „Stillegungsgenehmigung" erteilt worden war, weiter zu betreiben, allerdings nunmehr ohne die Bindungen an § 4 AEG (alt), d. h. nur nach eigener kommerzieller Entschließung. Möglich ist auch die weitere Vorhaltung der Anlage ohne öffentlichen oder regelmäßigen, d. h. fahrplanmäßigen Verkehr, z. B. als Gleisanschluß. Daraus ergibt sich, daß in diesem Verfahren

79

Durch Konzessionserteilung - S. 154; durch die Ordnungsvorschriften der damaligen BO - heute EBO - und das Strafrecht - S. 212 - 213. 80 Haustein (Fn. 77), S. 153. 81 So auch Haustein (Fn. 77), S. 176, Punkt bb. 82 Haustein (Fn. 77), S. 154. 83 Mit Verweis auf § 43 Abs. 2 VwVfG argumentiert Finger (Fn. 71), § 36 Anm. 17, Buchst, k, S. 240 - 241 dafür, daß zur endgültigen Beseitigung der Anl. dann noch ein Planfeststellungsverfahren durchzuführen ist. 84 Vgl. Anl. I, Spalten 18 ff.

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keine Entwidmung gesehen werden kann; als Rechtsfigur kommt höchstens eine Umwidmung in Frage, wenn man die Meinung vertritt, daß mit der Widmung einer Eisenbahnanlage, gleich dem Straßenrecht 85, auch eine Einstufung in unterschiedliche Streckenklassen oder Streckenarten verbunden ist. Der Vollständigkeit halber sei hier bemerkt, daß das derzeit geltende Eisenbahnrecht eine so geartete Genehmigung nicht mehr kennt. A n die Stelle dieses Genehmigungsverfahrens ist vielmehr § 11 AEG (neu) getreten, der zwar oft als Nachfolgeregelung des oben beschriebenen Stillegungsverfahrens angesehen wird, aber einen wesentlich anderen Rechtsinhalt hat. Die Frage der Einstellung des Zugverkehres auf der Strecke ist nicht Genehmigungsgegenstand des § 11 AEG (neu); genehmigt werden nach neuem Recht vielmehr die Aufgabe der Streckenunterhaltung und der Streckenbewirtschaftung. Diese Zweckrichtung des § 11 AEG (neu) läßt klar erkennen, daß auch nach der Genehmigung i. S. des § 11 AEG (neu) „die Strecke eine fachplanerisch dem Eisenbahnverkehr gewidmete Strecke" ist 8 6 ; soll sie ihre Rechtsqualität als öffentliche Sache verlieren, muß sie zumindest entwidmet werden, wenn nicht sogar noch zusätzlich ein Planänderungsverfahren durchgeführt werden muß. Die zwar entwidmete, aber noch nicht durch ein dem ursprünglichen Planfeststellungsverfahren entgegengesetztes Planfeststellungsverfahren wieder in den ursprünglichen Zustand vor dem Bau der Anlage zurückversetzte Anlage erlaubt dem Eisenbahninfrastrukturunternehmer, die Anlage zwar im Moment nicht zu unterhalten, dennoch aber mit dieser im Genuß des Schutzes des Planfeststellungsrechtes zu verbleiben. Für einen wirtschaftlichen Übergangszeitraum kann diese Möglichkeit von Interesse sein. Im übrigen ist bei Durchsicht auch des neuen Eisenbahnrechtes festzustellen, daß es weder eine Regelung für die Widmung noch für die Entwidmung von Eisenbahnanlagen gibt. Ferner ist für die durch den Verfasser überschaubare Zeit seit Ende der sechziger Jahre bis heute festzustellen, daß weder bei der DB und noch bei der DB AG Widmungen oder Entwidmungen von neugebauten, veränderten oder zurückgebauten Anlagen in einer dem Straßenrecht vergleichbaren Form stattgefunden haben. Bei neuerbauten Bahnanlagen haben allerdings unter Zuziehung von Vertretern mitfinanzierender Körperschaften, von Kommunen sowie Vertretern

85

Vgl. Anl. I, Spalte 14. Spoerr, 5VDie Stillegung von Eisenbahnstrecken nach § 11 AEG - Eisenbahninfrastruktur zwischen unternehmerischer Autonomie, öffentlicher Zweckbindung und Wirtschaftsaufsicht", DVB1 1997, S. 1309 ff, hier S. 1310. 86

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der DB bzw. der BD AG und des B M V öfters Eröffnungsveranstaltungen stattgefunden, bei denen sämtliche Beteiligten vertreten waren, die auch bei einer Widmung hätten mitwirken müssen (Aufsichtsbehörde, Betreiber, Eigentümer, Unterhaltungspflichtiger). Ob aber die für eine konkludente Form der Widmung vorauszusetzende Willensbildung der Beteiligten anzunehmen war, die die oben dargestellten Rechtsfolgen einer Widmung hätte umfassen müssen, darf bezweifelt werden. Daß das Institut der Widmung i m Eisenbahnrecht - trotz der literarischen Bearbeitungen durch Koch, Kruchen und Haustein - keine größere Beachtung gefunden hat, mag darin begründet gewesen sein, daß man die Widmung zu stark unter dem Aspekt der Zulassung des Gemeingebrauches gesehen hat und aus diesem Grunde - verbunden mit der tatsächlichen Situation einer Staatsbahn und der damit gegebenen Einheit von hoheitlichem Wegeträger und hoheitlichem Betreiber des Verkehrs auf diesem Wege - die Widmung nicht für erforderlich gehalten hat. Tatsächlich wurde diese Ausschließlichkeit nie ganz durchgesetzt. Die Staatsbahn DB hat zu allen Zeiten auch andere Eisenbahnen - öffentliche und nichtöffentliche - auf ihrem Netz zugelassen, wenn auch in geringem Maße. Ein rechtliches Hindernis gab es dafür nie. In diese Situation herein erging das Urteil des Bundesverwaltungsgerichtes vom 16. Dezember 1988 87 . Das Gericht hatte über die Frage zu entscheiden, ob eine bis dahin als Bahnanlage genutzte Teilfläche eines Bahnhofes mit der Errichtung eines Lebensmittelmarktes einschließlich Stellplätzen durch den kommunalen Planungsträger überplant werden dürfe und welche Rechtswirkungen diese Planung habe. Die Besonderheit war, daß der Kläger, der den Lebensmittelmarkt errichten wollte, im Einverständnis mit der örtlich zuständigen Bundesbahndirektion handelte. Diese hatte eine - sonst nicht publizierte - Erklärung abgegeben, wonach eine bestimmte Fläche in einer angegebenen Größe gemäß einem beigegebenen Lageplan entbehrlich und verwertbar sei. In der Vorinstanz war diese Erklärung als formlose Entwidmung durch die zuständige Stelle angesehen worden, womit diese ihren Willen zur endgültigen dauernden Außerdienstsetzung zum Ausdruck bringe und die Bahnanlageneigenschaft aufgehoben worden sei. Das Bundesverwaltungsgericht ging davon aus, daß Bundesbahnanlagen gewidmet seien. Ohne hier auf die weiteren Entscheidungsgründe des Bundesverwaltungsgerichtes in dieser Sache einzugehen, ist aus dem Urteil festzuhalten, daß das Gericht es grundsätzlich für sachgerecht hält, für die Aufhebung und Teilaufhebung von Anlagen der Bahn ein Planfeststellungsverfahren 87 Az 4 C 48.86, BVerwGE 81, S. 111 ff = DVB1 1989, S. 458 = NVwZ 1989, S. 655.

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durchzuführen. I m zu entscheidenden Fall handelte es sich um eine Bahnanlage, deren Planfeststellung wegen des Alters nicht mehr feststellbar war oder fiir die zur Zeit der Errichtung ein Planfeststellungsverfahren nicht erforderlich gewesen war - der streitige Bahnhof lag im früher badenwürttembergischen Rechtsbereich, nicht im Bereich des preußischen Rech.88 tes . Auf jeden Fall bezeichnete aber das Bundesverwaltungsgericht die oben dargestellte Erklärung der Deutschen Bundesbahn als für eine Entwidmung der Anlage nicht ausreichend. „Sie schaffe für sich allein nicht die Voraussetzungen, welche es der beigeladenen Gemeinde erst ermöglichen, in bezug auf eine bisher Zwecken des Bahnbetriebes dienende und der gemeindlichen Planungshoheit entzogene Fläche ihres Gebietes sachgerecht am Bauleitplanungsrecht des Baugesetzbuches ausgerichtete, verbindliche Aussagen über die bauliche und sonstige Nutzung - entweder im Bebauungsplanverfahren oder in einem Beteiligungsverfahren nach § 36 BauGB - zu machen". Für einen hoheitlichen Akt, der für ein Grundstück einen Wechsel der Planungshoheit von der Bahn zur Gemeinde zur Folge haben soll, fordert das Bundesverwaltungsgericht schon wegen der rechtsstaatlich gebotenen Eindeutigkeit öffentlich-sachenrechtlicher Rechtsverhältnisse einen Akt, „der für jedermann klare Verhältnisse darüber schafft, ob und welche bisher als Bahnanlagen dienende Flächen künftig wieder für andere Arten von Nutzungen offenstehen". Weiter fordert das Bundesverwaltungsgericht: „Einfache Freigabeerklärungen der Deutschen Bundesbahn als (bisheriger) Planungsträgerin gegenüber einem Bauwilligen, wonach die Anlage oder ein bestimmter Teil derselben für Bahnbetriebszwecke nicht mehr benötigt werden, genügen regelmäßig nicht, um einer bestehenden Bahnanlage ihren besonderen Rechtscharakter zu nehmen. Das hiernach gebotene Mindestmaß an Publizität setzt vielmehr voraus, daß der Wechsel der Planungshoheit jedenfalls in einer geeigneten Weise bekanntgemacht wird (vgl. etwa zur Bekanntmachung der Einziehung von Bundesfernstraßen § 2 Abs. 5 und 6 FStrG)". Im Anschluß an diese Ausführungen postuliert das Bundesverwaltungsgericht ein Recht der Gemeinde als Planungsträger, von der Bahn zu erfahren, welche Anlagen künftig aus der Planungshoheit der Bahn entlassen werden. „Für die Gemeinde" - formuliert das Bundesverwaltungsgericht -"auf deren Gebiet sich die bisherige Bahnanlage befindet, muß - damit sie vorausschauend sachgerechte und umfassende Bauleitplanung betreiben kann - eindeutig feststehen, daß ehemalige Bahnanlagen und ggf. welche Teile von ihnen dau88

Vgl. zu dieser Entwicklung Blümel (Fn. 45), S. 171 ff.

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erhaft wieder in ihre umfassende, prinzipiell für das gesamte Gemeindegebiet geltende Planungshoheit fallen sollen und welche Teile von bestehenden Bahnanlagen auf absehbare Zeit weiterhin für Zwecke des Bahnbetriebes benötigt werden. Auf eine solche Willensäußerung der Bahn als auf dem Gemeindegebiet konkurrierender und privilegierter Planungsträgerin hat die Gemeinde - sofern hierfür ein konkretes Bedürfnis besteht - im Interesse der Wahrung ihrer Planungshoheit Anspruch* 9. Nur auf der Grundlage von in dieser Weise überschaubaren Verhältnissen ist ihr eine Bauleitplanung möglich, die den Anforderungen des Baugesetzbuches entspricht (vgl. auch Urteil des Senats vom 16. Dezember 1988 - BVerwG 4 C 40.86)". Wertet man diese Ausführungen, so kommt man zu folgenden Schlußfolgerungen: Das Auskunftsrecht der Gemeinden besteht nach Auffassung des Bundesverwaltungsgerichtes nicht nur bei Bahnanlagen, deren Funktion offensichtlich tatsächlich aufgegeben wurde - „..ehemalige Bahnanlagen..." sondern auch für solche Anlagen, die erkennbar weiterbetrieben werden „...bestehenden Bahnanlagen...weiterhin für Zwecke des Bahnbetriebes benötigt werden". Nicht zuzustimmen ist aber einer vereinzelt geäußerten Auffassung 90 , es existiere in den Fällen ehemaliger Bahnanlagen ein Recht der Gemeinde oder sonstigen Trägers der Bauleitplanung auf Entwidmung. Es muß dem Widmungsträger überlassen bleiben, wann er die Entwidmung vollzieht. Denkbar ist es durchaus, eine Anlage auf Zeit aus dem Verkehr zu nehmen mit dem Ziel, in überschaubarer Zeit nach Umsetzung anderer Planungen oder Entwicklungen diese Anlage dann wieder in Betrieb zu nehmen. In einem weiteren Beschluß v. 5. Februar 199091 hat das Bundesverwaltungsgericht ausdrücklich seine Rechtsprechung aus dem Urteil v. 16. Dezember 1988 bestätigt. Darüber hinaus hat das Gericht in diesem Fall festgestellt, daß selbst eine bereits Jahrzehnte währende Nutzung von Bahngelände zu bahnfremden Zwecken, wenn diese Nutzung mit Zustimmung der betroffenen Gemeinde geschah und durch diese baurechtlich genehmigt war, ferner diese Genehmigung stets widerruflich war und die Bahn sich stets nach Ablauf des Mietvertrages den Abbruch der Halle und die Wiederherstellung des ursprünglichen Zustandes des Bahngeländes vorbehalten hatte, eine förmliche Entwidmung nicht ersetzt. Eine Entwidmung könne nur durch solche eindeutige und bekanntgemachte Erklärungen der Bahn, die für jedermann klare Verhältnisse schaffe, geschehen.

89

Hervorhebung in Kursiv durch Verfassser. Thomas , „Bahnanlagen und kommunale Planungshoheit", Städte - und Gemeinderat 1995, S. 87 ff, hier S. 90. 91 Az. 4 B 1.90 , DÖV 1990, S. 475; NVwZ 1990, S. 462 - 463. 90

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Als Reaktion auf das Urteil v. 16. Dezember 1988 hatte die damalige Zentrale der DB unter dem 26. Mai 1989 eine Verfügung erlassen 92, mit der der wesentliche Inhalt des Urteils mitgeteilt und weiter verfügt wurde, daß nunmehr eine Entwidmung nach einem beigegebenen Formular auszusprechen sei. In diesem Formular war die Anlage bezeichnet; ein Lageplan war beizufügen; das Formular enthielt die Erklärung, daß die Anlage für den Eisenbahnbetrieb nicht mehr erforderlich sei; sie verliere damit ihre Eigenschaft als Bundesbahnanlage und werde mit Wirkung von einem in die Erklärung aufzunehmenden Datum entwidmet. Die Verfugung selbst enthielt keine bindende Anweisung über die Veröffentlichung dieser Erklärung durch die DB selbst; vielmehr war diese Entwidmung der Gemeinde, in deren Gebiet die Bahnanlage liegt, zuzustellen. Anschließend wurde in der Verfügung festgehalten, daß bei einer Änderung von Bahnanlagen, z. B. der Beseitigung von Bauwerken, zuvor ein Planfeststellungsverfahren durchzuführen ist. Damit war der Notwendigkeit einer Publizität der Entwidmung nicht mit Sicherheit Genüge getan. Seitens der DB als der damals für die Entwidmung zuständigen Behörde wurde die Frage, ob die Erklärung veröffentlicht wurde, auf die Gemeinde verlagert; womit die DB ein Risiko für die Rechtsgültigkeit der Entwidmung einging. 4. Das Schweigen des Gesetzgebers im Bereich des Eisenbalmrechtes hinsichtlich der Widmung und Entwidmung hielt aber auch - trotz der oben geschilderten Behandlung in der Literatur und - trotz der eindeutigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichtes in der Neuregelung des gesamten Eisenbahnrechtes zur Jahreswende 1994 1995 an 93 . Es findet sich an keiner Stelle des neuen Rechts eine ausdrückliche, dem Straßenrecht vergleichbare Regelung 94 für die Widmung, Entwidmung oder Umstufung von Eisenbahnanlagen. Die Zusammenführung der beiden Sondervermögen „Deutsche Bundesbahn" und „Deutsche Reichsbahn" in das neue „Bundeseisenbahnvermögen" - § 1 des Gesetzes zur Zusammenführung und Neugliederung der Bundeseisenbahnen95 - kann nicht als neue Widmung angesehen werden. Dafür fehlen alle oben beschriebenen Folgeregelungen. Das gleiche gilt von der Weiterübertragung der für das Erbringen von Eisenbahnverkehrsleistungen und der für das Betreiben der Eisenbahninfrastruktur

92

Aktenzeichen R 4.003 Rap 1. Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes v. 20. Dezember 1993 (BGBl I S. 2089 ff) sowie Gesetz zur Neuordnung des Eisenbahnwesens (Eisenbahnneuordnungsgesetz - ENeuOG) v. 27. Dezember 1993 (BGBl IS. 2378 ff.). 94 Vgl. Anl. I. 95 Artikel 1 des Artikelgesetzes „Eisenbahnneuordnungsgesetz". 93

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notwendigen Vermögenswerte auf die neue DB AG - § 20 Abs. 1 des Gesetzes zur Zusammenfuhrung und Neugliederung des Bundeseisenbahnen in Verbindung mit § 1 des Gesetzes über die Gründung einer Deutsche Bahn Aktiengesellschaft (Deutsche Bahn Gründungsgesetz - DBGrG) 9 6 ; insbesondere die Übertragung dieser Vermögenswerte des Bundes auf eine - wenn auch bundeseigene - förmlich private Aktiengesellschaft hätte den Gedanken nahegelegt, durch Widmungsbestimmungen im Gesetz die öffentliche Bestimmung dieser Vermögenswerte festzulegen. Dies muß insbesondere deswegen gelten, weil der Gesetzgeber durch andere Bestimmungen, z. B. Art 87 e Abs. 3, Satz 2; Abs. 4 und Abs. 5 GG; § 2 Deutsche Bahn Gründungsgesetz; Gesetz zur Regionalisierung des öffentlichen Personenverkehrs (Regionalisierungsgesetz) 97 zu erkennen gibt, daß er nicht der Meinung ist, daß das Vermögen der BD AG dieser zu rein erwerbswirtschaftlichen Zwecken bis hin zur Veräußerung uneingeschränkt zur Verfügung steht. Wie oben schon aus schon ausgeführt, ist auch § 11 AEG neu 98 keine Vorschrift, die auf eine gesetzliche Regelung einer Entwidmung hindeutet. Trotz dieses Defizits an normativer Regelung hat das Bundesverwaltungsgericht in einer Entscheidung auch zum neuen Eisenbahnrecht 99 seine oben dargestellte Rechtsprechung bestätigt und insbesondere zur neuen Rechtslage ausgeführt, daß „für die Entscheidung über Entwidmungsanträge ... im vorliegenden Falle das Eisenbahn-Bundesamt gemäß § 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1, Abs. 3 Satz 2 EVerkVerwG zuständig" ist, „weil die Frage der Entwidmung hier - wie dargelegt - einen unmittelbaren Bezug zu einem Planungsvorhaben im Sinne des § 18 AEG hat und Teil der genehmigungsrechtlichen Bewältigung des Vorhabens ist" 1 0 0 . Eine wie im hier bezogenen Verfahren begehrte Entwidmung sei Allgemeinverfügung; damit stellt sich das Bundesverwaltungsgericht auf die sich im Straßenrecht entwickelnde moderne Auffassung zum Rechtscharakter von Widmung und Entwidmung 101 . Eine solche Entwidmung beende die Eigenschaft als Betriebsanlage der Eisenbahn und damit den Gemeingebrauch im Rahmen der bahnrechtlichen Widmungszwecke 102 . Daran 96

Artikel 2 des Artikelgesetzes „Eisenbahnneuordnungsgesetz" Artikel 4 des Artikelgesetzes „Eisenbahnneuordnungsgesetz". 98 Artikel 5 des Artikelgesetzes „Eisenbahnneuordnungsgesetz". 99 BVerwG, Urt. v. 27. November 1996 - 11 A 2.96, BVerwGE 102, S. 269 ff = DÖV 1997, S. 508 ff; UPR 1997, S. 150 ff. 100 BVerwGE 102, S. 272. 101 Vgl. Anl. I, Spalten 6 und 23. 102 Damit stellt sich das Bundesverwaltungsgericht - wohl unter dem Eindruck der Privatisierung der Deutschen Bundesbahn - gegen die von Koch (Fn. 57), S. 13 und Fußnote 6 dort vertretene Auffassung, die wohl auf dem Gedanken der Staatsbahn und 97

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habe sich - so fährt das Bundesverwaltungsgericht fort - wegen des grundsätzlich fortbestehenden Gemeinwohlauftrages der Bahn zur Erbringung öffentlicher Verkehrsdienstleistungen (Art. 87 e Abs. 4 GG) auch in Ansehung ihrer weitgehenden Organisationsprivatisierung (Art. 87 e und Art. 143 a GG in Verbindung mit dem Eisenbahnneuordnungsgesetz vom 27. Dezember 1993, BGBL. I, S. 2378) nichts geändert. Im Anschluß daran wiederholt das Bundesverwaltungsgericht seine im Urteil v. 16. Dezember 1988 entwickelten Publizitätsgrundsätze. Fragen der Widmung wurden in der Zeit der Geltung des neuen Eisenbahnrechtes auch wissenschaftlich behandelt. In der immer aktueller werdenden Frage des Zusammenwirkens von kommunaler Bauleitplanung und eisenbahnrechtlicher Fachplanung und damit der Frage des Entwidmungserfordernisses für Bahnanlagen oder Teile von ihnen hat sich während des Forschungsseminars „Aktuelle Probleme des Eisenbahnrechtes" v. 13. -15. September 1995 in Speyer Lucia Korth Pereira Ferraz auseinandergesetzt 103. Mit Bezug auf die oben bereits dargestellte Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes v. 16. Dezember 1988 arbeitet Ferraz dabei drei Varianten heraus, wobei nur die Variante, daß auf Bahngelände Vorhaben verwirklicht werden sollen, die nicht mit der fachplanerischen Zweckbindung der Eisenbahn in Einklang zu bringen sind, eine vorherige förmliche Entwidmungserklärung voraussetzt, wobei Ferraz dabei davon ausgeht, daß diese den Fachplanungsvorbehalt - eventuell automatisch? - aufhebe. Die Problematik, welcher rechtlich bedeutsame Akt den Wechsel der Planungshoheit vom Fachplanungsvorbehalt in das kommunale Planungsrecht bewirkt, beschäftigte Ferraz auch in einem weiteren Vortrag des gleichen Forschungsseminars im Jahre 1996 104 . Ferraz bejahte zunächst die Notwendigkeit einer Widmung auch im neuen Eisenbahnrecht, bestätigte aber zugleich das Fehlen einer ausdrücklichen Regelung. Die Widmung erzeuge - so Ferraz 105 eine „Kreation der Öffentlichkeit", was bedeute, daß die Schienenwege der öffentlichen Eisenbahnen nach ihrer Zweckbestimmung zur Gewährleistung des EU - normierten „diskriminierungsfreien Zugangs" von jedem Eisenbahnverkehrsunternehmen benutzt werden" könne.

damit der Exklusivität der Netzbenutzung durch diese beruhte, was aber bereits damals nicht zwingend war. 103 Lucia Korth Pereira Ferraz, in: Speyerer Forschungsberichte, Nr. 160, S. 231 258, insbes. S. 239 - 245. 104 Ferraz, „Aktuelle Probleme des Eisenbahnrechtes II", v. 11.- 13. September 1996 in Speyer, Speyerer Forschungsberichte 175, S. 175 - 211 (mit Diskussion). 105 Ferraz (Fn. 104), S. 180.

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In einer Aufzählung von Fallvarianten, die Ferraz aus dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichtes v. 16. Dezember 1988 für die Darstellung der Problematik der Abgrenzung der Fachplanung von der kommunalen Planung ableitet, stellt sie in Variante 3 1 0 6 die These auf, daß der besondere Rechtscharakter einer Fläche als Eisenbahnbetriebsanlage durch eine förmliche Entwidmungserklärung aufgehoben werden müsse. In einer weiteren Fallgruppe könne dieser Wechsel der Planungshoheit auch dadurch geschehen, daß die bestehende Fachplanung einer Fläche als Eisenbahnanlage funktionslos geworden sei. Der These von der Aufhebung der Fachplanung der Eisenbahn durch Entwidmungserklärung widerspricht Blümel 1 0 7 mit beachtlichen Gründen. Weiter weist Blümel auf die rechtlichen Bedenken zur Veröffentlichungspraxis der Entwidmungserklärung der DB und auf die fehlende Rechtsgrundlage für diese Entwidmungserklärungen hin 1 0 8 . 5. Die Jahreswende 1998 zum Jahr 1999 wird zugleich die fünfjährige Geltung des neuen Eisenbahnrechtes bedeuten. Ein solcher Zeitabschnitt sollte und könnte Anlaß sein, die Bewährung und eventuell Nachbesserungsbedürftigkeit eines so umfassenden Gesetzeswerkes zu bedenken, wie es die Eisenbahnneuordnung war. Dabei muß man sich vor Augen halten, daß es sich bei dieser Neuordnung um ein außerordentlich komplexes Werk handelte, dessen Auswirkungen in alle Verästelungen hinein nicht immer ganz zu übersehen waren. Eventuell hat auch der Gedanke mitgespielt, bestimmte Komplexe nicht ausdrücklich zu regeln, um die Entwicklung von Praxis und Rechtsprechung abzuwarten. Was Widmung und Entwidmung von Eisenbahnanlagen angeht, muß aber nunmehr festgestellt werden, daß die Rechtsprechung im Zusammenhang mit der rechtsvergleichenden Betrachtung insbesondere zum Straßenrecht ein so scharfes Profil erreicht hat, daß es kaum noch wesentlicher Anstrengungen bedarf, im Interesse der Rechtssicherheit entsprechende Gesetzestexte zu formulieren. Zur Frage der Rechtssicherheit ist eine weitere Überlegung anzustellen, die bisher in der Rechtsprechung keinen Niederschlag gefunden hat: Durch das „Gesetz zur Neuregelung der Vorschriften über den Bundesgrenzschutz (Bundesgrenzschutzneuregelungsgesetz - BGSNeuRegG)" 109 ist die Zuständigkeit 106

Ferraz (Fn. 104), S. 187 - 188. In der Diskussion zu dem Vortrag s. Ferraz , in: (Fn. 104), S. 207 - 208. m Ferraz { Fn. 104), S. 208. 109 V. 19. Oktober 1994 (BGBl I S. 2978), Artikel 1, Gesetz über den Bundesgrenzschutz (Bundesgrenzschutzgesetz - BGSG). 107

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für die Wahrung der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung auf dem Gebiet der Bahnanlagen der Eisenbahnen des Bundes auf den BGS übergegangen (§ 3 des Gesetzes über den Bundesgrenzschutz - Art. 1 des BGSNeuRegG). I m Gegensatz zu der damaligen Bahnpolizei, die Organisationsbestandteil der Deutschen Bundesbahn und damit auch ressortgleich mit dem damaligen Planungsträger war, ist durch die Verlagerung der Aufgaben auf den BGS dieser Zusammenhang getrennt worden, so daß bereits vor der Bahnreform Planungsträger und Polizeibehörde, deren örtlicher Zuständigkeitsbereich sich nach der Zuständigkeitsgrenze des Planungsträgers richtete, auseinanderfielen. Mit der Bahnreform übt das Eisenbahnbundesamt die Planungsträgerschaft als Hoheitsrecht für die Eisenbahnen des Bundes aus. I m Entwidmungsfalle erfährt bei Fortbestehen der heutigen Lage des Entwidmungskomplexes die für die Bahnanlagen zuständige Polizeibehörde nicht mit Zuverlässigkeit, ob sie noch für einen bestimmten Anlagenteil zuständig ist oder wegen vollzogener Entwidmung nicht mehr. Auch aus diesem Grunde ist eine gesetzliche Regelung von Widmung und Entwidmung geboten. Es ist unbestritten, daß es eine eisenbahnrechtliche Widmung und Entwidmung gibt. Voraussetzungen und Folgen sind durch die Rechtsprechung mit genügender Klarheit umrissen. Zuständigkeit und Formerfordernisse sind ebenfalls durch bundesverwaltungsgerichtliche Rechtsprechung festgelegt. Der Eigentümer - die DB AG oder eventuell aridere noch entstehende Eisenbahnen des Bundes - müßten der Widmung zustimmen. Gemeingebrauch und Einstufüng der Strecke sind durch die Widmung festzulegen. Dieser Gemeingebrauch besteht in der Möglichkeit, daß ein Eisenbahnunternehmer nach Erlangung der erforderlichen Zulassungen und Genehmigungen unter der Einhaltung wettbewerbsrechtlicher Voraussetzungen das Netz eines Eisenbahninfrastrukturunternehmers i m Rahmen der gegenseitigen Rücksichtnahme benutzen darf. Eine Einstufung der Strecken könnte nach den zulässigen Gewichtsklassen und Geschwindigkeiten erfolgen. Diese Widmung ist - gleich der Entwidmung - zu publizieren, damit Sicherheit über den Gesamtbestand der Anlagen besteht. Mit der Publikationspflicht sind auch bestimmte Formerfordernisse indiziert. Hinsichtlich wesentlicher und unwesentlicher Änderungen können die Regelungen der Straßenrechte übernommen werden. Ein konstitutives Strecken- bzw. Anlagenverzeichnis ist anzulegen. Für die nicht mehr im einzelnen aufzuklärende Frage der Widmung der derzeit existierenden Strecken bzw. Anlagen ist eine heilende Bestimmungen zu erlassen des Inhalts, daß alle bestehenden Anlagen bzw. Strecken als gewidmet gelten. Auch könnten Bestimmungen aus den Landesstraßengesetzen übernommen werden, nach denen Widmung und Entwidmung mit bestimmten anderen förmlichen öffentlich-rechtlichen Verfahren zusammengefaßt werden können.

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Übernommen werden können ferner die straßenrechtlichen Bestimmungen über Veränderungen, Ergänzungen oder sonst unwesentliche Maßnahmen in Hinsicht auf die Widmung oder Einziehung. Insbesondere wegen der kommenden, engeren planungsrechtlichen Verzahnung von Fachplanungsträgern und kommunalen Planungsträgern sind solche Ergänzungen des Eisenbahnrechtes im Interesse auch der Rechtssicherheit dringend geboten.

Beamtenrecht und Beamtenverfassungsrecht* Von Detlef Merten

I. Einleitung Zu den aktuellen Modethemen in Deutschland gehört die Reform des Beamtenrechts. Schon die Erwähnung des Begriffs „Berufsbeamtentum" ruft bei seinen Kritikern beinahe Pawlowsche Reaktionen hervor. Angesichts der finanziellen und ökonomischen Probleme der jüngsten Zeit besteht die Gefahr, daß sich zu den traditionellen Gegnern des Berufsbeamtentums, die dieses Institut aus ideologischen Gründen ablehnen,1 Tagespolitiker gesellen, die wegen zunehmenden Sozialneids, wachsender Staatsverschuldung und dringenden Sparzwangs zum Aktionismus getrieben werden. 2 Auf diese Weise könnten sich unheilige Allianzen bilden, die das Beamtenrecht nicht nur aktuellen Erfordernissen anpassen, sondern seine Fundamente demolieren oder es sogar gänzlich liquidieren. 3 Wurde am Berufsbeamtentum auch nach dem Zusammenbruch von 1945 trotz Widerstands der Besatzungsmächte und trotz traditioneller Ablehnung in

* Der Beitrag ist aus einem Vortrag hervorgegangen, den Verf. am 14.4.1997 vor der Escola d'Admmistraciö Publica de Catalunya in Barcelona gehalten hat. 1 Zu älteren und neueren Belegen: Hattenhauer, Beamtentum im Parteienstaat, ZBR 1993, S. 1 ff.; Oppermann, Berufsbeamtentum: In Deutschland und Europa noch zeitgemäß?, Verantwortung und Leistung, Heft 28,1995, S. 1 f. 2 Vgl. Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen „Modernisierung von Beamtenrecht und Beamten Versorgung", BT-Drucks. 13/9622. 3 Beispielhaft: Denninger/Frankenberg, Grundsätze zur Reform des öffentlichen Dienstrechts, 1997, S. 10 f.; dagegen schon: Quaritsch, Verhandlungen des 48. Deutschen Juristentages, Bd. II, 1970, S. O 34 f.; Rudolf, Der öffentliche Dienst im Staat der Gegenwart, VVDStRL 37 (1979), S. 194 f.; Isensee, Beamtentum - Sonderstatus in der Gleichheitsgesellschaft, ZBR 1988, S. 141 ff.; Lecheler, Die Zukunft des Berufsbeamtentums, ZBR 1996, S. 1 ff.; Merten, Das Berufsbeamtentum als Element deutscher Rechtsstaatlichkeit, in: Lüder (Hrsg.), Staat und Verwaltung, 1997, S. 145 ff.

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kommunistischen und sozialistischen Kreisen festgehalten 4 und wurde dieses Berufsbeamtentum nach dem Umbruch von 1989 im „Neuen Deutschland" wieder eingeführt, so wäre es eine Ironie der Geschichte, wenn man diese jahrhundertelang bewährte Institution aus vordergründigen und unschlüssigen Erwägungen auf dem Altar des Zeitgeistes opferte.

I I . Die verfassungsrechtlichen Vorgaben für das Beamtenrecht 1. Die institutionelle Garantie des Berufsbeamtentums In Art. 33 Absatz 4 und 5 GG wird das Beamtenverhältnis als ein öffentlich-rechtliches Dienst- und Treueverhältnis verfassungsrechtlich in Form einer „institutionellen Garantie" verankert, durch die die Institution des Berufsbeamtentums ähnlich wie die der gemeindlichen Selbstverwaltung vor einer Abschaffung durch den Gesetzgeber bewahrt und damit gesetzesfest gemacht wird. 5 Nicht die Rechte des einzelnen Beamten, die noch die Weimarer Reichsverfassung schützte, sondern die Einrichtung des Berufsbeamtentums als solche steht unter dem Schutz der Verfassung. Gleichzeitig ist die öffentlich-rechtliche Natur des Beamtenverhältnisses sowie sein Charakter als Dienst- und Treueverhältnis verfassungsrechtlich zwingend vorgegeben, so daß der Gesetzgeber in der Ausgestaltung des Beamtenverhältnisses keineswegs frei ist.

2. Der Funktionsvorbehalt (Beamtenvorbehalt) Nach dem Funktionsvorbehalt oder „Beamtenvorbehalt" des Art. 33 Abs. 4 GG ist die Ausübung hoheitsrechtlicher Befugnisse als ständige Aufgabe in der Regel Beamten zu übertragen. Auf diese Weise wird die Wahrnehmung bestimmter Bereiche für Beamte reserviert, ohne daß damit freilich e contrario 4 Vgl. Morsey , Gefährdung und Sicherung des Berufsbeamtentums, DÖV 1993, S. 1061 (1067 f.); Wengs t, Beamtentum zwischen Reform und Tradition, 1988, S. 34 ff; Protokoll der 12. Sitzung des Zuständigkeitsausschusses des Parlamentarischen Rates vom 14.10.1948, in: H.-P. Schneider (Hrsg.), Das Grundgesetz, Dokumente seiner Entstehung, Bd. 10,1996, S. 416 ff. 5 Isensee, Öffentlicher Dienst, in: Benda/Maihofer/Vogel (Hrsg.), Handbuch des Verfassungsrechts, 2. Aufl. 1994, § 32 Rdnr. 62; Lecheler , Der öffentliche Dienst, in: Handbuch des Staatsrechts, Bd. ffl, 1988, § 72 Rdnr. 21 f.; Merten (Fn. 3), S. 148 und ders. , Alimentationsprinzip und Beamtengesetzgebung, ZBR 1996, S. 353 (354), jeweils mit weiteren Nachweisen.

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andere Tätigkeiten für Arbeitnehmer reklamiert werden. Der Beamtenvorbehalt stellt nur eine Mindest-Vorschrift dar, zieht eine Untergrenze, aber keine Obergrenze. Daher ist der Staat nicht gehindert, Beamten auch nichthoheitliche Befugnisse zu übertragen. 6 Aus Art. 33 Abs. 4 GG folgt ein Dualismus oder eine Zweispurigkeit des öffentlichen Dienstes. Die eine Spur ist den Beamten vorbehalten, die immer in einem öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnis stehen. Die andere Spur betrifft die Arbeitnehmer (Angestellte und Arbeiter), die sich in einem privatrechtlichen Dienstverhältnis befinden. Ausschlaggebend für diese Differenzierung ist die Rechtsnatur des Dienstverhältnisses, nicht die Rechtsnatur der dienstlichen Tätigkeit. 7 Deshalb können Beamte auch privatrechtlich und Arbeiter und Angestellte hoheitsrechtlich agieren. Das Recht der Beamten einschließlich der Richter und der Soldaten gehört zum öffentlichen Recht, das Recht der Arbeitnehmer zum Privatrecht. Insgesamt werden im öffentlichen Dienst (ohne Bahn und Post) ca. 5,5 Millionen Personen beschäftigt, so daß fast jeder fünfzehnte Deutsche im öffentlichen Dienst arbeitet. Hiervon sind 32 % Beamte, knapp 50 % Angestellte und 18 % Arbeiter. Nach Gebietskörperschaften aufgeteilt sind von allen Beschäftigten ca. 11 % beim Bund, 46 % bei den Ländern und 36 % bei den Gemeinden tätig. 8 Die genaue Abgrenzung des Funktions- oder Beamtenvorbehalts ist schwierig.9 Sicherlich kann der den Beamten vorbehaltene Bereich nicht auf die Fälle der Anwendung von Befehl und Zwang verengt werden, wie dies z.B. für die Bereiche des Polizeirechts oder des Steuerrechts typisch ist. 1 0 Denn die Verfassung spricht nicht von „obrigkeitlichen", sondern von „hoheitsrechtlichen" Befugnissen. 11 Hoheitsrechtlich handelt die Verwaltung aber auch, wenn sie 6

Ule, Öffentlicher Dienst, in: Bettermann/Nipperdey (Hrsg.), Die Grundrechte, Bd. IV/2, 1962, S. 537 (559); Maunz, in: ders./Dürig, Grundgesetz-Kommentar, Art. 33 Rdnr. 41; Lehnguth, Die Entwicklung des Funktionsvorbehalts nach Art. 33 Abs. 4 GG, ZBR 1991, S. 266 (270). 7 Vgl. BVerfGE 15,46 (61); BVerwGE 41, 195 (196). 8 Quelle: Statistisches Jahrbuch für die Bundesrepublik Deutschland 1997, S. 531 f. 9 Vgl. Peine, Der Funktionsvorbehalt des Berufsbeamtentums, Die Verwaltung 1984, S. 415 ff. 10 So jedoch Thieme, Der öffentliche Dienst in der-Verfassungsordnung des Grundgesetzes, 1961, S. 57; Jung, Die Zweispurigkeit des öffentlichen Dienstes, 1971, S. 132 ff; Peine (Fn. 9), S. 436, auch wenn er dies nicht mit dem Begriff der „Eingriffsverwaltung" gleichsetzt. 11 Merten, Das Recht des öffentlichen Dienstes, in: Magiera/Siedentopf, Das Recht des öffentlichen Dienstes in den Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft, 1994, S. 181 (193); Maunz, in: ders./Dürig, GG, Art. 33 Rdnr. 33; Kunig, in: 22 FS Blümel

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„schlicht hoheitlich", also durch Verwaltungsvertrag oder durch reales Verwaltungshandeln tätig wird. 1 2 Zum realen Verwaltungshandeln gehört z.B. die Wissensvermittlung durch Lehrer oder Universitätsprofessoren 13, so daß auch diese Tätigkeit vom Funktionsvoibehalt des Art. 33 Abs. 4 erfaßt wird. 1 4 Im übrigen sind Befehl und Zwang für die Schul- und Wissenschaftsverwaltung zwar nicht charakteristisch, gehören aber dennoch zu ihrem Handlungspotential. Aktuelle Bestrebungen, insbesondere in den neuen Bundesländern, Lehrer nicht zu verbeamten, sind daher grundsätzlich verfassungswidrig, sofern es nicht um die Bewältigung kurzfristiger und vorübergehender Probleme geht. Nach weitaus überwiegender Auffassung gilt der Funktionsvorbehalt auch in den Fällen, in denen die Verwaltung ihre Aufgaben nicht in den Formen des öffentlichen Rechts, sondern in denen des Privatrechts erfüllt, also verwaltungsprivatrechtlich tätig wird. 1 5 Einigkeit besteht lediglich darin, daß die fiskal-privatrechtliche Tätigkeit vom Funktions- oder Beamtenvorbehalt nicht erfaßt wird, 1 6 so daß fiskalische Hilfsgeschäfte oder erwerbswirtschaftliche Betätigungen der öffentlichen Verwaltung auszuklammern sind. In gleicher Weise rechnet eine bloße Hilfstätigkeit nicht zur Ausübung hoheitsrechtlicher Befügnisse. Allerdings verwehrt es die Verfassung nicht schlechthin, Arbeitnehmer mit der Ausübung hoheitsrechtlicher Befügnisse zu betrauen. Denn deren Wahrnehmung ist zum einen nur als „ständige Aufgabe" und zum anderen nur „ i n der Regel" den Beamten vorbehalten. Sind Aufgaben nach ihrer Art (z.B. als Kriegslasten, Folgen der Wiedervereinigung) oder nach ihrem Umfang (z.B. infolge kurzfristigen Ansteigens der Schülerzahlen) nur vorübergehend, ist eine Verbeamtung des Organwalters entbehrlich. Daneben können auch Daueraufgaben vorübergehend von Angestellten wahrgenommen werden, z.B. im Falle von Urlaubsvertretungen oder zur Erreichung einer beamtenrechtlichen Qualifikation. Für die Ausübung hoheitlicher Befügnisse als ständige Aufgabe statuiert Art. 33 Abs. 4 GG ein Regel-Ausnahme-Prinzip. Zwar können auch Arbeitv. Münch/Kunig, Grundgesetz-Kommentar, Bd. n, Art. 33 Rdnr. 48; Lecheler , Die Beamtenaufgaben nach dem Funktionsvorbehalt des Grundgesetzes, 1986, S. 35 ff. n Lecheler { Fn. 5), Rdnr. 31. 13 Vgl. Evers , Verwaltung und Schule, VVDStRL 23 (1964), S. 147 (160 f.). 14 Leisner , Müssen Lehrer Beamte sein?, in: Isensee (Hrsg.), Walter Leisner: Beamtentum, 1995, S. 240 (250); v. Mutius/Röh , Obligatorische Teilzeitbeschäftigung im Beamtenrecht, ZBR 1990, S. 365 (380 f.). 15 Isensee (Fn. 5), § 32 Rdnr. 57; Lecheler (Fn. 5), § 72 Rdnr. 33 ff. 16 Leisner , Berufsbeamtentum und Entstaatlichung, DVB1 1978, S. 733 (737).

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nehmer hoheitliche Aufgaben ständig erfüllen. Dies muß jedoch Ausnahme bleiben und darf keinen größeren Umfang annehmen.17 Die Verfassung wird verletzt, wenn der nicht nur vorübergehende Einsatz von Nichtbeamten zahlenmäßig nur unwesentlich hinter der Beschäftigung von Beamten zurückbleibt oder diese sogar übertrifft. 18 Der Gesetzgeber hat daher keine Gestaltungsfreiheit und darf nicht zwischen dem Einsatz von Beamten oder Arbeitnehmern frei wählen, wie dies die Praxis mitunter fälschlich annimmt. Der Einsatz von Arbeitnehmern ist auch nicht wirtschaftlicher, wie dies von interessierter Seite gelegentlich behauptet wird. Nach einem jüngst veröffentlichten Gutachten des Bundesrechnungshofs ist die Beschäftigung von Beamten grundsätzlich kostengünstiger als die der Angestellten. 19 In der augenblicklichen Haushaltssitutation kommt hinzu, daß fiir die Angestellten Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung zu entrichten sind, womit der aktuelle Haushalt belastet wird. Demgegenüber fällt eine Versorgung für Beamte erst bei deren Pensionierung an, betrifft also erst künftige Haushalte. Allzu plakativ ist es auch, einer Beamten-Verwaltung Immobilität und einer Angestellten-Verwaltung Flexibilität zu attestieren. Denn das Recht der Angestellten und Arbeiter des öffentlichen Dienstes ist längst dem Beamtenrecht angeglichen worden. So sind auch Angestellte nach 15jähriger Tätigkeit im öffentlichen Dienst unkündbar. Weiterhin erschwert das allgemeine Kündigungsschutzrecht eine Kündigimg von Arbeitnehmern ohnehin erheblich.

3. Die Bindung des Gesetzgebers an die „hergebrachten Grundsätze des Berufsbeamtentums 44 Das Grundgesetz gestaltet das Beamtenverhältnis nicht nur selbst als ein öffentlich-rechtliches Dienst- und Treueverhältnis aus, sondern legt den Gesetzgeber darüber hinaus bei näherer Regelung des Beamtenrechts auf die „Berücksichtigung der hergebrachten Grundsätze des Berufsbeamtentums" fest. 20 17

Stern, Staatsrecht, Bd. I, 2. Aufl. 1984, S. 349. BVerfGE 9, 268 (284); 28, 191 (198). 19 Beamte oder Arbeitnehmer - Vergleichende Untersuchung über Auswirkungen der alternativen Verwendung von Beamten oder von Arbeitnehmern im Bundesdienst, Schriftenreihe des Bundesbeauftragten für Wirtschaftlichkeit in der Verwaltung, Bd. 6, 1996. 20 Hans Joachim Becker, Die hergebrachten Grundsätze des Berufsbeamtentums in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, ZBR 1978, S. 255 (256); Thiele, Zur Problematik der sogenannten hergebrachten Grundsätze des Berufsbeamtentums, DÖV 1981, S. 773 f.; Summer, Die hergebrachten Grundsätze des Berufsbeamtentums - ein Torso, ZBR 1992, S. 1. 18

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„Hergebrachte Grundsätze" sind fundamentale Regelungen, die nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts „das Bild des Beamtentums in seiner überkommenen Gestaltung maßgeblich prägen" 21 . Es handelt sich um einen Kernbestand von Prinzipien, die allgemein oder doch überwiegend während eines längeren traditionsbildenden Zeitraums, mindestens unter der Reichsverfassung von Weimar, als verbindlich anerkannt oder gewahrt worden sind. 22 Über den Verfassungswortlaut hinaus hat das Bundesverfassungsgericht die Regelungsfreiheit des Gesetzgebers bei solchen hergebrachten Grundsätzen noch weiter eingeschränkt, die das Beamtentum maßgeblich prägen. Diese Grundsätze hat der Gesetzgeber nicht nur zu „berücksichtigen", sondern sogar zu „beachten". 23 Insgesamt hat der Gesetzgeber bei der Ausgestaltung des Beamtenrechts also eine gebundene Gestaltungsfreiheit. Grundsätzlich verfügt er über einen weiten Spielraum, um das Beamtenrecht den jeweiligen Umständen anzupassen. Seine Regelungsfreiheit ist jedoch eingeschränkt, soweit es um fundamentale Prinzipien des Beamtenrechts geht, die „hergebrachte Grundsätze" darstellen. Innerhalb dieser Grundsätze besteht gleichsam noch eine Wesensgehaltsgarantie für Prinzipien von entscheidender Bedeutung, die der Gesetzgeber sogar zu beachten hat.

I I I . Die „hergebrachten Grundsätze44 im einzelnen Zu den wichtigsten „hergebrachten Grundsätzen" zählen neben dem von der Verfassung selbst hervorgehobenen Rechtscharakter des Beamtenverhältnisses als eines öffentlich-rechtlichen Dienst- und Treueverhältnisses und dem Funktionsvorbehalt im wesentlichen der besondere Status der Beamten, das Lebenszeit-, Hingabe- und Hauptberuflichkeitsprinzip, die Treue- und Gehorsamspflicht des Beamten, die Fürsorgepflicht des Dienstherrn, das Prinzip amtsgemäßer Alimentation, das Laufbalm- und Leistungsprinzip, das Recht auf eine wirklichkeitsgerechte Amtsbezeichnung, der Grundsatz unparteiischer Amtsführung und die Garantie gerichtlichen Rechtsschutzes.24

21

BVerfGE 43, 154(185). BVerfGE 8, 332 (343); 15, 167 (195 f.); 38, 1 (12); 43, 154 (185); 46, 97 (117); 58, 68 (76 f.); 62, 374 (383); 83, 89 (98). 23 So BVerfGE 32, 199 (246). 24 Hierzu Lecheler , Die hergebrachten Grundsätze des Berufsbeamtentums in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des Bundesverwaltungsgerichts, AöR 103 (1978), S. 349 ff. 22

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1. Zur Deutschen-Eigenschaft Umstritten ist es, ob auch die Innehabung der deutschen Staatsangehörigkeit hergebrachter Grundsatz des Berufsbeamtentums ist. Die Frage ist zu verneinen, weil nach deutschem Beamtenrecht traditionell die Qualifikation und nicht die Nationalität an der Spitze der Ernennungsvoraussetzungen steht. 25 Auch in den deutschen Beamtengesetzen des 19. und des frühen 20. Jahrhunderts war die Deutschen-Eigenschaft niemals Zugangsvoraussetzung für die Beamtenernennung. Vielmehr wurde umgekehrt zugleich Deutscher, wer Beamter wurde, weshalb auch Hitler erst durch die Ernennung zum Beamten in Braunschweig Deutscher wurde und damit das aktive und passive Wahlrecht erhielt. Erstmals findet sich das Erfordernis der Reichsbürgerschaft für eine Beamtenernennung im Deutschen Beamtengesetz von 1937. Verneint man einen hergebrachten Grundsatz der nationalen Staatsangehörigkeit im Beamtenrecht, so verursacht auch Art. 48 des EGV keine Schwierigkeiten, der in seinem Absatz 2 die Abschaffung jeder auf der Staatsangehörigkeit beruhenden unterschiedlichen Behandlung der Arbeitnehmer in Bezug auf Beschäftigung, Entlohnung und sonstige Arbeitsbedingungen verbietet. Zwar findet gemäß seinem Absatz 4 dieser Artikel keine Anwendung auf die Beschäftigung in der öffentlichen Verwaltung. Diese Bestimmung wird allerdings von den Organen der Europäischen Union zu Unrecht so restriktiv interpretiert, daß sie sich entgegen dem Wortlaut nur noch auf einen Kernbereich der Beamtentätigkeiten bezieht. 26 Die deutschen Beamtengesetze sehen inzwischen vor, daß in das Beamtenverhältnis nur berufen werden darf, wer Deutscher ist oder die Staatsangehörigkeit eines anderen Mitgliedstaates der Europäischen Gemeinschaften besitzt. Lediglich wenn die Aufgaben es erfordern, dürfen ausschließlich Deutsche in das Beamtenverhältnis berufen werden, wobei die Gesetze in einem Klammerzusatz auf Art. 48 Abs. 4 des EWG-Vertrages verweisen. Damit sind die Regelungen jedoch so unbestimmt, daß gegen sie unter rechtsstaatlichen Gesichtspunkten Bedenken bestehen.27

25

Merten (Fn. 11), S. 191 f., vgl. auch Edelmann, Das Staatsangehörigkeitserfordernis als hergebrachter Grundsatz des Berufsbeamtentums?, DÖD 1993, S. 56 (57); anderer Auffassung: Isensee (Fn. 5), § 32 Rdnr. 42; Loschelder, Der Staatsangehörigkeitsvorbehalt des deutschen Beamtenrechts und die gemeinschaftsrechtliche Freizügigkeit der Arbeitnehmer, ZBR 1991, S. 102 (104 ff.). 26 Loschelder (Fn. 25) S. 103 f. und 109 f.; Lecheler, Die Konsequenzen des Art. 48 Abs. 4 EWGV für den nationalen öffentlichen Dienst, ZBR 1991, S. 97 ff. 27

Merten (Fn. 11), S. 217 f.

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2. Das Lebenszeitprinzip Prototyp des Beamtenverhältnisses ist, wie auch das Bundesverfassungsgericht hervorhebt, das Beamtenverhältnis auf Lebenszeit.28 Dieses Beamtenverhältnis bildet die Regel, auch wenn es daneben möglich ist, Beamte auf Probe, auf Widerruf oder auf Zeit zu ernennen. Der Staatsdienst ist eben kein „Job" und der Beamte mehr als ein Arbeitnehmer. Nur die lebenslange Anstellung sichert dem Beamten die persönliche Unabhängigkeit, weil erst rechtliche und wirtschaftliche Sicherheit auf Dauer Gewähr dafür bieten, daß das Berufsbeamtentum i m politischen Kräftespiel eine stabile und gesetzestreue Verwaltung sichert 29 und gegenüber Pressionen resistent bleibt. M i t dem Lebenszeitprinzip kollidieren Reformvorstellungen, Ämter mit leitender Funktion nur auf Zeit zu vergeben. Zwar verliert ein Beamter nach Ablauf dieser Zeit nicht seine Beamtenstellung, wohl aber sein Amt mit Leitungsfunktion und die Besoldung aus diesem Amt. 3 0 Einwände hiergegen betreffen die persönliche und damit auch die sachliche Unabhängigkeit der Spitzenbeamten.31 Wird beispielsweise der Direktor einer Schule nur für den Zeitraum von fünf Jahren bestellt, so ist er in seiner Amtsführung im allgemeinen nicht mehr frei, weil er in seinem Verhalten gegenüber Lehrern, Eltern und Schülern auf eine weitere Amtszeit oder die Übertragung des Amtes auf Lebenszeit Rücksicht nehmen wird. Auch die Bundesregierung sieht in diesen Fällen „die Gefahr einer verstärkten sachfremden Einflußnahme auf die Verwaltung". 32 Dennoch räumt das Dienstrechtsreformgesetz als Ergebnis eines 28

BVerfGE 44, 249 (262); 70, 251 (266); 71, 255 (268). Vgl. BVerfGE 7, 155 (162); 8, 1 (16); 11, 203 (216 f.); 21, 329 (345); 39, 196 (201); 44, 249 (265); 56, 146 (162); 64, 367 (379); 70, 69 (80). 30 Entgegen dem ,Zulagen-Modell", bei dem der Beamte aus seinem „Grundamt" heraus lediglich eine bestimmte Leitungsfunktion zeitlich befristet übertragen und durch eine Zulage gemäß § 46 BBesG abgegolten bekommt, wird nach „ZeitbeamtenModell" des Reformgesetzes auch das dazugehörige Statusamt auf Zeit übertragen. Vgl. zum ,Zulagen-Modell": Gutachten „Neue Führungsstruktur Baden-Württemberg" vom 6.7.1985, Bd. II, 1985, S. 255 ff.; Siedentopf Führungsfunktionen auf Zeit in der staatlichen Verwaltung, DÖV 1985, S. 1033 ff; dazu kritisch: Summer , Die Spitzenpositionen auf Zeit im Beamtenrpcht, DÖV 1986, S. 713 (716 f.); vgl. zum „ZeitbeamtenModell": Begründung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung, BT-Drucks. 13/3994, S. 27 ff; Schnellenbach , Das Gesetz zur Reform des öffentlichen Dienstes (Reformgesetz), NVwZ 1997, S. 521 (522); Ziemske , Öffentlicher Dienst zwischen Bewahrung und Umbruch, DÖV 1997, S. 605 (610 f.). 31 Günther , Führungsamt auf Zeit: unendliche Geschichte?, ZBR 1996, S. 65 ff. mit zahlreichen weiteren Nachweisen (S. 74, Fn. 4); Leisner, Leitungsämter auf Zeit, ZBR 1996, S. 289 (290); Summer , Nochmals: Funktion auf Zeit, ZBR 1997, S. 119 ff. 32 BT-Drucks. 13/3994, S. 79. 29

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politischen Kompromisses die Möglichkeit einer Übertragung bestimmter Ämter mit Leitungsfunktion im Beamtenverhältnis auf Zeit ein, überläßt die Entscheidung aber dem Landesgesetzgeber.33 Für das Bundesbeamtenrecht ist die Übertragung von Ämtern mit leitender Funktion auf Zeit nicht (generell) vorgesehen. Von der Übertragung von Leitungsämtern auf Zeit ist die Übertragung solcher Ämter auf Probe zu unterscheiden. Grundsätzlich dient das Beamtenverhältnis auf Probe der Prüfung der Geeignetheit eines Bewerbers und ist durch das Leistungsprinzip gerechtfertigt. Darüber hinaus ist weiterhin vor jeder Beförderung eine Erprobungszeit von mindestens drei Monaten zwecks Feststellung der Eignung eingeführt worden. 34 Deshalb erscheint eine nochmalige Probezeit bei Übertragung eines Amtes mit Leitungsfunktion entbehrlich. Denn es handelt sich um jahrelang erprobte, in der Praxis bewährte und vielfach beurteilte Beamte, denen auch für das Leitungsamt vorher Eignung attestiert sein muß, so daß die Erprobung der Vorgesetzten-Eigenschaft übermäßig und unnötig ist. 35 Gefahren für die Unabhängigkeit und Neutralität der Amtswalter gerade in Spitzenpositionen entstehen sowohl bei der Übertragung von Ämtern mit leitender Funktion auf Probe 36 als auch auf Zeit. Lediglich der Gefahrdungszeitraum ist beim Beamtenverhältnis auf Probe kürzer, weil die Probezeit maximal zwei Jahre dauern, die Übertragung einer Spitzenposition auf Zeit dagegen bis zu zehn Jahre währen darf. Ungeachtet der erst kürzlich eingeführten Möglichkeit, Spitzenpositionen nur auf Zeit zu vergeben, sind schon bisher immer häufiger spezialgesetzlich Lebenszeit-Positionen in Stellen auf Zeit umgewandelt worden. So wurden Rechnungsprüfer in Bund und Ländern sowie Präsident und Vizepräsident der Bundesanstalt für Arbeit zu Beamten auf Zeit gemacht.37 Wegen des Grund-

33

Zum Gesetzgebungsverfahren: Schnellenbach (Fn. 30), S. 522. § 12 Abs. 2 Satz 1 Halbs. 1 Nr. 4 BRRG. 35 Anders jedoch Bredendiek/Meier, Die Novelle des öffentlichen Dienstrechts: Reform oder Reförmchen?, NVwZ 1996, S. 444 (445); Beus/Bredendiek, Das Gesetz zur Reform des öffentlichen Dienstrechts, ZBR 1997, S. 201 (204). 36 Das übersehen Bredendiek/Meier aaO. S. 445. 37 Vgl. § 3 Abs. 2 des Gesetzes über den Bundesrechnungshof vom 11.7.1985 (BGBl I S. 1445). Mußten die Mitglieder der obersten Rechnungsprüfungsbehörden der Länder bisher gemäß § 134 BRRG Beamte auf Lebenszeit sein, so können die von den Landesparlamenten gewählten Mitglieder nunmehr auch in ein Beamtenverhältnis auf Zeit berufen werden (§134 Satz 2 BRRG, eingefügt durch Art. 1 des Gesetzes zur Änderung des Beamtenrechtsrahmengesetzes vom 26.3.1993 [BGBl IS. 391 ]). Letzteres ist bereits vorgesehen in § 4 meckl.-vorp. Landesrechnungshofgesetz vom 21.11.1991 (GVB1 S. 438); § 4 Abs. 1 des Gesetzes über den Niedersächsischen Landesrechnungshof vom 27.11.1991 (GVB1 S. 301); § 4 des Gesetzes über den Landes34

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rechts freier wissenschaftlicher Forschung und Lehre, die auch organisatorischer Absicherung bedarf, ist das Institut von Professoren auf Zeit in besonderem Maße bedenklich. Es liegt nahe, daß ein nur auf Zeit bestellter Professor 38 , der auf seine Ernennung zum Lebenszeit-Beamten wartet, in seinen Veröffentlichungen zu politisch brisanten Fragen, bei Stellungnahmen in der Fakultät, aber auch in seiner Notengebung in Betracht zieht, wie sich sein Verhalten auf sein berufliches Fortkommen auswirkt. 39 So werden Duckmäusertum und Mittelmaß gefordert. Interesse an Beamtenverhältnissen lediglich auf Zeit besteht vor allem seitens der politischen Parteien. Bei steigender Besetzungshäufigkeit derselben Stellen erhöht sich zum einen das Versorgungspotential für politische Gefolgsleute. Zum anderen bedingt berufliche Sicherheit nur auf Zeit auch Abhängigkeit und Willfährigkeit, was Reformer wohl „Flexibilität" nennen. Während der Parteieinfluß bei einem Lebenszeit-Beamten zwangsläufig mit der Ernennung schwindet, müssen Beamte auf Zeit sich den politisch Mächtigen gegenüber aufgeschlossen erweisen, wenn sie nach Ablauf der vorgesehenen Zeit für eine weitere Amtszeit ernannt oder in ein Beamtenverhältnis auf Lebenszeit übernommen werden wollen. Die Sorge um fachliche Leistung erscheint vielfach nur vorgeschoben, um eine weitere politische Landnahme zu kaschieren. So soll die Ministerpräsidentin Schleswig-Holsteins, Simonis, nach Presseberichten 40 Spitzenpositionen auf Zeit auch damit gerechtfertigt haben, daß man hohe Beamte mitunter nicht mehr „leiden" mag, womit sich das Ausmaß politischer Hybris offenbart. Neben den „politischen Beamten" weitere Spitzenbeamte als neo-absolutistische (Landes-)Fürsten-Diener? Vordergründig und abwegig ist auch die gelegentlich in politischen Kreisen vertretene These, angesichts der Wahl der Abgeordneten für jeweils eine Legislaturperiode seien auch Beamtenverhältnisse auf Zeit vertretbar. Diese Auffassung vermengt Amt und Mandat und verkennt die Bedeutung der Gewaltentrennung im parlamentarisch-demokratischen Rechtsstaat. Sind die

rechnungshof Schleswig-Holstein vom 2.1.1991 (GVB1 S. 3); § 5 des Gesetzes über den Thüringer Rechnungshof vom 31.7.1991 (GVB1 S. 282). 38 Nach Art. 120 Abs. 2 S. 1 des Bayerischen Hochschullehrergesetzes (BayHschlG) vom 28.6.1996 (GVB1 S. 223) können Professoren für die Dauer von bis zu 6 Jahren auf Zeit ernannt werden; vgl. auch Ziemske (Fn. 30), S. 612 mit weiteren Nachweisen; hierzu auch Battis/Grigoleit , Zulässigkeit und Grenzen der Ausbringung von Professorenämtern auf Zeit, 1996. 39 Zu den Gefahren plastisch Isensee, Affekte gegen Institutionen - überlebt das Berufsbeamtentum?, Verantwortung und Leistung, Heft 34, 1998, S. 16 f. 40 Friedrich Karl Fromme, FAZ v. 23.3.1996, S. 1.

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Prinzipien einer Herrschaft nur auf Zeit, 41 der Periodizität der Wahlen und der grundsätzlich persönlichen und sachlichen Diskontinuität für die Legislative sowie die Gubernative kennzeichnend, so heischen Gewaltentrennung und Gewaltenbalancierung für Exekutive und Judikative das Gegenteil. Für die rechtsstaatlich aufgegebene Gesetzmäßigkeit von Verwaltung und Rechtsprechung ist die rechtliche wie wirtschaftliche Sicherung der Organwalter unerläßlich. Nur die durch das Lebenszeitprinzip verbürgte Kontinuität vermag Stabilität und Neutralität der gesetzesausführenden Staatsgewalten zu sichern und eine um sich greifende Parteienherrschaft und Ämterpatronage im Zaum zu halten. Ein mit dem Mandat auf Zeit einhergehendes Amt auf Zeit und eine der parlamentarischen Diskontinuität entsprechende exekutive und judikative Diskontinuität bärge in der Tat die Gefahr einer „korrupten Dilettantenverwaltung" und eines parteipolitischen Beutesystems nach amerikanischem Vorbild. Ohnehin steht die vom Grundgesetz geforderte Vergabe öffentlicher Ämter allein nach Eignung und Befähigung mit der Verfassungswirklichkeit im Widerspruch. Hier tritt bei Anstellungen und Beförderungen das seit langem diskutierte und für Kenner der Verwaltung offenkundige Phänomen parteipolitischer Ämterpatronage 42 auf. Es ist allerdings mangels gesicherten Zahlenmaterials und zuverlässiger Nachweisbarkeit im Einzelfall nicht quantifizierbar. Für das Berufsbeamtentum gilt jedoch, daß der Beamte dem ganzen Volk und nicht einer Partei zu dienen hat. Aufschlußreich ist es, daß in einigen Landesgesetzen inzwischen das Verbot einer Parteiorientierung der Beamten als „überflüssig" und „diskriminierend" gestrichen wurde.

3. Hingabe- und Hauptberuflichkeitsprinzip Gerade weil das Beamtenverhältnis sich nicht in einem „Job" erschöpft, hat der Beamte nicht nur während bestimmter Dienststunden seine Pflicht zu er-

41

Vgl. BVerfGE 18, 151 (154); 63, 230 (243); Ernst-Wolfgang Böckenförde, Demokratie als Verfassungsprinzip, in: Handbuch des Staatsrechts, Bd. I, 1987, § 22, Rdnr. 50; Merten, Parlamentarischer Immobilismus, in: Kloepfer/Merten/Papier/ Skouris, Das parlamentarische Regierungssystem der Bundesrepublik Deutschland auf dem Prüfstand, 1984, S. 11 (12 ff.). 42 Vgl. Merten (Fn. 3), S. 164; Battis, Das Dienstrechtsreformgesetz, NJW 1997, S. 1033 (1034); Summer (Fn. 31), S. 119, mit dem Hinweis, daß Spitzenpositionen auf Zeit in der Politik teilweise als kostensparende Alternative zum politischen Beamten gesehen werden.

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füllen, sondern muß sich „mit voller Hingabe seinem Beruf 6 widmen. 43 Daher ist er im Unterschied zu den Angestellten auch in einem gewissen Rahmen zur Ableistung von Überstunden verpflichtet, und kann seine Arbeitszeit einseitig vom Gesetzgeber innerhalb eines angemessenen Rahmens erhöht werden. 44 So ist beispielsweise in einigen Ländern die wöchentliche Arbeitszeit für Beamte auf 40 Stunden festgesetzt worden, während sie für Angestellte nur 38,5 Wochenstunden beträgt. Wie die Gerichte zutreffend entschieden haben, liegt hierin kein Verstoß gegen den Gleichheitssatz, weil es sich beim Beamtenverhältnis einerseits und beim Angestelltenverhältnis andererseits um unterschiedliche und ungleiche Rechtsverhältnisse handelt. 45 Infolge des Hingabeprinzips muß der Beamte nicht nur innerhalb, sondern auch außerhalb des Dienstes der Achtung und dem Vertrauen gerecht werden, die sein Beruf erfordert, weil das Beamtenverhältnis die ganze Persönlichkeit ergreift. Deshalb kann der Beamte im Unterschied zu Arbeitnehmern auch für außerdienstliches Fehlverhalten, z.B. Fahren in angetrunkenem Zustand 46 , disziplinarrechtlich zur Verantwortung gezogen werden. Hauptberuflichkeit bedeutet, daß der Beamte dem Dienstherrn grundsätzlich seine volle Arbeitskraft - wenn auch innerhalb eines bestimmten Zeitrahmens - zur Verfügung zu stellen hat. 47 Von diesem Prinzip hat man schon bisher aus einsichtigen Gründen eine Ausnahme für sogenannte familienpolitische Teilzeitbeschäftigungen gemacht. 48 Danach konnte für die Betreuung von

43 §§ 36 Satz 1 BRRG, 54 Satz 1 BBG; siehe auch BVerfGE 71, 39 (60) unter Hinweis auf E 16, 94 (112 f., 115); 21, 329 (345); 44, 249 (264); 55, 207 (236 f., 240 f.); 61, 43 (56); vgl. femer: Fürst (Hrsg.), Gesamtkommentar Öffentliches Dienstrecht (GKÖD), Bd. I/Teil 2a, K § 54 Rdnr. 4; Summer/Rometsch , Alimentationsprinzip gestern und heute, ZBR 1981, S. 1 (6 f.). 44 BVerfGE 55, 207 (241 f.); vgl. zur Geschichte der Arbeitszeit von Beamten: Kremer , Dienstleistungspflicht und Arbeitszeit, ZBR 1991, S. 204 ff.; zur veränderten Bewertung unter dem sozialstaatlichen Einfluß Fürst (Hrsg.), GÖKD, Bd. I/Teil 2 b, K § 72 Rdnr. 3; zur Mehrarbeitsvergütung Schwegmann/Summer, Bundesbesoldungsgesetz-Kommentar, § 48. 45 Vgl. BVerfGE 44, 249 (264); BayVerfGH, BayVBl 1995, S. 656 f.; VerfGH Rh.Pf. (Ausschuß) DVB1 1997, S. 997; auch Summer/Rometsch (Fn. 35), S. 13; unrichtig Ruland , Zukunft der Alterssicherungssysteme in Deutschland, in: Der Kompaß 1996, S. 431 (437): „systemübergreifende Gleichheit". 46 BVerwGE 33, 123 (123 f.); 63, 144 (144 f.); 73, 211 (212 f.); 76, 211 (212); 103 (375 (376); BVerwG NJW 1998, S. 2463; vgl. auch Strehle , Alkoholbedingtes Fehlverhalten im öffentlichen Dienst, RiA 1995, S. 168, 170 f. 47 Zur Vollzeitbeschäftigung auf Lebenszeit als Leitbild und wesentlichem Inhalt des Beamtenverhältnisses BVerfGE 44,249 (262 f.); 55,207 (240); 71, 39 (59 f.). 48 Vgl. § 79a BBG a.F., eingefügt durch das Gesetz zur Änderung beamten- und besoldungsrechtlicher Vorschriften vom 31.3.1969 (BGBl I S. 257) und durch Gesetz

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Kindern oder eines pflegebedürftigen Angehörigen die Arbeitszeit des Beamten bis auf die Hälfte der regelmäßigen Zeit ermäßigt oder ein Urlaub ohne Dienstbezüge bis zu drei Jahren gewährt werden. Diese Regelungen sind nunmehr noch erweitert worden. 49 Weniger einsichtig war die bisherige arbeitsmarktpolitische Teilzeitbeschäftigung. 50 Danach konnte Beamten in Bereichen mit einem außergewöhnlichen Bewerberüberhang auf Antrag Teilzeitbeschäftigung bis zur Hälfte der regelmäßigen Arbeitszeit, aber nur bis zur Dauer von insgesamt fünfzehn Jahren oder Urlaub ohne Dienstbezüge bis zur Dauer von insgesamt sechs Jahren bewilligt werden. Bedenken gegen diese Regelung bestehen deshalb, weil der öffentliche Dienst grundsätzlich kein taugliches Instrument der Arbeitsmarktpolitik ist. 51 Sicherlich hat der Staat bei seiner Haushaltswirtschaft im Rahmen der Erfordernisse des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts auch zu einem hohen Beschäftigungsstand beizutragen. 52 Aber diese Pflicht ist nur im Rahmen der grundgesetzlichen Wirtschaftsverfassung und der marktwirtschaftlichen Ordnung zu realisieren, so daß insbesondere i m Hinblick auf die Grundrechte der Beteiligten eine zentralverwaltungswirtschaftliche Arbeitsplatzplanung und -Verteilung illusorisch ist. Für die eigene Personalwirtschaft sind dem Staat vielfaltige Schranken gezogen, so daß er keineswegs frei ist, in Zeiten des Arbeitskräftemangels Personal einzusparen und in Perioden des Arbeitskräfteüberschusses Personal einzustellen. So darf wegen der Staatsaufgabe Sicherheit in Verbindung mit den grundrechtlichen Schutzpflichten bei den Streitkräften und der Polizei ein Untermaß der Personalstärke nicht unterschritten werden, erfordert eine effektive rechtsstaatliche Gesetzesanwendung einen adäquaten Personalbestand, da die Dauer der (behördlichen und gerichtlichen) Verfahren nicht beliebig verlängert werden darf. Umgekehrt steht das Verfassungsprinzip der Wirtschaftlichkeit Stellenvermehrungen lediglich zum vom 31.3.1974 (BGBl I S . 131) auf männliche Beamte erweitert; siehe auch Battis, Teilzeitbeschäftigung und Beamtenrecht, ZBR 1991, S. 353 (356 f.). 49 Vgl. § 72a BBG in der Fassung des Reformgesetzes vom 24.2.1997 (BGBl I S. 322). 50 Vgl. § 72a BBG a.F., eingefügt durch das Gesetz zur Änderung dienstrechtlicher Vorschriften vom 10.5.1980 (BGBl I S. 561); siehe auch Battis, Zulässigkeit und Grenzen von Teilzeitbeamtenverhältnissen, Verantwortung und Leistung, Heft 30, 1997, S. 8. 51 Wie hier Lecheler, Öffentlicher Dienst und Arbeitsmarkt, ZBR 1980, S. 1 (7); unrichtig unter undifferenzierter Berufung auf das Sozialstaatsprinzip Ruland, Verfassungsrecht und Beamtenrecht, ZBR 1983, S. 278, 280 f. 52 Vgl. Art. 109 Abs. 2 GG in Verbindung mit § 1 des Gesetzes zur Förderung der Stabilität und des Wachstums der Wirtschaft vom 8.6.1967 (BGBl IS. 582).

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Zwecke einer Bekämpfung der Arbeitslosigkeit entgegen. Denn die Beschäftigung nicht erforderlichen Personals ist unwirtschaftlich, weil sich dieselben Zwecke mit geringerem Personalaufwand und weniger Finanzmitteln erreichen lassen.53 Unter dem Gesichtspunkt der Wirtschaftlichkeit ist auch die Teilung einer Stelle problematisch, weil sie wegen des größeren verwaltungsorganisatorischen Aufwandes und der vollen Beihilfeberechtigung der Teilzeit-Beamten nicht kostenneutral ist. Vor allem aber vertagt und verschiebt die sogenannte arbeitsmarktpolitische Teilzeitbeschäftigung die Probleme nur, statt sie zu lösen, und erschwert eine kontinuierliche Personalpolitik. Da die Entwicklung der Arbeitslosigkeit nicht zu prognostizieren ist, hat man durch Teilzeitbeschäftigung die Situation mitunter sogar veibösert statt verbessert. So wurden teilweise Vollzeitstellen zu einem Zeitpunkt geteilt, als - wie z.B. im Jahre 1980 - die Arbeitslosenzahlen mit 3,8 % undramatisch waren. 1995, als diese Teilzeitstellen kraft Gesetzes in Vollzeitstellen umgewandelt werden mußten, war die Arbeitslosenquote inzwischen um mehr als das Doppelte auf 9,3 % angestiegen, so daß man - wenn überhaupt - zu diesem Zeitpunkt mit Stellenteilungen hätte reagieren müssen. An versteckter, vom Gesetzestitel nicht ausgewiesener Stelle 54 ist die Teilzeittätigkeit kürzlich um eine weitere Spielart, die Altersteilzeit, erweitert worden. Bundesbeamte können nunmehr nach Vollendung des 55. Lebensjahres unter bestimmten Voraussetzungen Teilzeitbeschäftigung mit der Hälfte der regelmäßigen Arbeitszeit beantragen (§ 72 b BBG n.F.). Bleibt die Teilzeitbeschäftigung von Beamten nicht begründete Ausnahme, sondern tritt sie als Regel-Alternative neben eine Vollzeitbeschäftigung, so kollidiert sie mit dem Grundsatz der Hauptberuflichkeit. Denn die Vollzeitbeschäftigung auf Lebenszeit und nicht die Teilzeitbeschäftigung ist Leitbild des Berufsbeamtentums. 55 Die Probleme verschärfen sich, wenn Teilzeitbeschäftigung nicht auf Antrag des Beamten (sog. Antragsteilzeit), sondern ohne Rücksicht auf dessen Einverständnis als Zwangsteilzeit, euphemistisch „Einstellungsteilzeit" 56 genannt, durchgeführt wird. Werden Bewerbern ohne Rücksicht auf deren Willen nur Teilzeitstellen angeboten, so greift dies nach Fest53

Zum Begriff der Wirtschaftlichkeit vgl. statt aller Vogel/Kirchhof in: Bonner Kommentar (Zweitbearbeitung), Art. 114 GG Rdnr. 87 ff. 54 Art. 6 des Gesetzes über die Anpassung von Dienst- und Versorgungsbezügen in Bund und Ländern 1998 vom 6.8.1998 (BGBl I S. 2026). 55 Vgl. BVerfGE 44, 249 (262 f.); 55, 207 (240); 71, 39 (60); BVerwGE 82, 196 (202 f.). 56 Die Sprachkosmetik verschleiert den rechtserheblichen Unterschied. Denn auch der Bewerber, der freiwillig Teilzeit beantragt, wird als Teilzeit-Beamter „eingestellt". Der Gegenbegriff zum (freiwilligen) Antrag ist der (unfreiwillige) Zwang!

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Stellung des Bundesverwaltungsgerichts 57 in hergebrachte Grundsätze des Berufsbeamtentums ein, weil das Hingabe-, Hauptberuflichkeits- und Lebenszeitprinzip wie auch der Alimentationsgrundsatz angetastet werden. Insbesondere wird der amtsangemessene Lebensunterhalt der Zwangsteilzeit-Beamten nicht gesichert und damit ihre wirtschaftliche Unabhängigkeit gefährdet, zumal wenn zusätzliche Nebentätigkeitsbeschränkungen den Betroffenen verbieten, den vom Dienstherrn nicht in Anspruch genommenen Teil ihrer Arbeitskraft entgeltlich zu verwerten. 58

4. Treue- und Gehorsamspflicht des Beamten Die Treuepflicht des Beamten ist herkömmliches Prinzip des Beamtenrechts. 59 Sie findet sich schon im Allgemeinen Landrecht für die Preußischen Staaten von 1794 (§ 2 I I 10), wonach die Beamten dem König besondere Treue schuldeten. Nach dem Bruch mit der Monarchie hat sich die personale Treue zum Fürsten in die abstraktere Treue zu Staat und Verfassung gewandelt. Der Beamte muß sich durch sein ganzes Verhalten zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes bekennen und für deren Erhaltung eintreten. Insoweit werden in dem Besonderen Gewaltverhältnis bereits von Verfassungs wegen die dem Beamten zustehenden Grundrechte beschränkt. Diese Staats- und Verfassungstreue ist für Deutschland aufgrund seiner Erfahrungen mit zwei totalitären Regimen in diesem Jahrhundert von besonderer Bedeutung. Der Staat muß sich in Notzeiten auf seine Beamten verlassen können und nicht fürchten müssen, daß diese mit inneren oder äußeren Feinden kollaborieren. Die Besonderheiten deutschen Beamtenverfassungsrechts hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte verkannt, als er in einem Urteil 6 0 mit sehr knapper Mehrheit (10 gegen 9 Stimmen) feststellte, daß die Entlassung einer Lehrerin wegen Zugehörigkeit zur Deutschen Kommunistischen Partei gegen die Europäische Menschenrechtskonvention verstoßen habe. Möglicherweise waren für diese Entscheidung nur die besonderen Umstände des Einzelfalls ausschlaggebend: Denn die Partei-Mitgliedschaft der Lehrerin war dem Dienstherrn bereits vor Ende der Probezeit bekannt. Dennoch wurde das 57

E 82, 196 (203); zur „ E i n s t e l l u n g s t e i l z e i t " i n Thüringen Lecheler, Die Zulässigkeit der Einstellungsteilzeit für Beamte im Lande Thüringen, ThürVBl 1998, S. 1 ff. 58 Vgl. BVerwGE 82, 196 (200, 203 f.). 59 Zur geschichtlichen Entwicklung der Treuepflicht vgl. auch BVerfGE 39, 334 (346 f.). 60 Vom 26.9.1995, Vogt./.Deutschland, Serie A Nr. 323.

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Disziplinarverfahren erst sieben Jahre später eröffnet, und die Betroffene wurde erst nach weiteren fünf Jahren wegen Verletzung ihrer politischen Neutralitätspflichten entlassen. Generelle Bedeutung hat diese Entscheidung jedoch nicht, da die Europäische Menschenrechtskonvention für Deutschland weder Verfassungsrang noch (grundsätzlich) übergesetzlichen Rang hat, so daß sie der deutschen Verfassung nicht vorgehen kann, die ausdrücklich das Beamtenverhältnis als Treueverhältnis statuiert. Die Treuepflicht des Beamten schließt kollektive wirtschaftliche Kampfmaßnahmen, insbesondere Streiks, gegen den Dienstherrn aus, worin eine der Hauptursachen für die Abneigung bestimmter politischer Gruppen gegen das Berufsbeamtentum liegen mag. Da die Gewerkschaften sinkende Mitgliederzahlen zu verzeichnen haben, sind sie naturgemäß stärker an Angestelltenund Arbeiterstellen als an Beamtenstellen im öffentlichen Dienst interessiert. Zudem sind Beamte nicht zuletzt wegen des Streikverbots traditionell weniger koalitionswillig als andere Arbeitnehmer und lassen sich demzufolge nicht so leicht für politische Zwecke instrumentalisieren. Die grundsätzliche Gehorsamspflicht der Beamten wird für besondere Beamtengruppen von der Verfassung modifiziert. Für Richter gilt richterliche Unabhängigkeit und für beamtete Wissenschaftler die wissenschaftliche Unabhängigkeit (Art. 5 Abs. 3 GG), die eine Gehorsamspflicht in Angelegenheiten von Forschung und Lehre ausschließt.

5. Das Alimentationsprinzip Die Alimentationspflicht des Dienstherrn folgt aus dem Charakter des Beamtenverhältnisses als eines gegenseitigen öffentlich-rechtlichen Dienst- und Treueverhältnisses. Ebenso wie der Beamte mit der Berufung in das Beamtenverhältnis verpflichtet wird, sich mit seiner ganzen Persönlichkeit für den Dienstherrn einzusetzen und diesem grundsätzlich auf Lebenszeit seine volle Arbeitskraft zur Verfügung zu stellen sowie seine Dienstpflichten nach Kräften zu erfüllen, obliegt dem Dienstherrn als Gegenleistung die Pflicht, dem Beamten und seiner Familie einen amtsangemessenen Lebensunterhalt zu gewähren. Diese Pflicht besteht nicht nur während der aktiven Dienstzeit des Beamten in Form der Beamtenbesoldung, sondern auch für den Fall des Alters, der Invalidität oder des Todes in Form einer Alters- und Hinterbliebenenversorgung. Die Alimentation ist Voraussetzung dafür, daß sich der Beamte in rechtlicher und wirtschaftlicher Unabhängigkeit der Erfüllung seiner Aufgaben widmen kann. Durch die Freistellung des Beamten von eigener Daseinsvorsorge und der Sorge um das wirtschaftliche Wohl seiner Angehörigen, auch

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für die Zeit nach dem Tode, wird die ihm abverlangte loyale Pflichterfüllung gesichert. Die Alimentation ist keine Fürsorgeleistung des Staates, sondern eine Gegenleistung des Dienstherrn, die sich auf die generelle Dienstleistungsbereitschaft des Beamten, nicht auf konkret geleistete Dienste bezieht. Die Alimentation hat sich in erster Linie am Amt zu orientieren, so daß für Ämter, die eine größere Befähigung und Verantwortung voraussetzen, auch eine höhere Besoldung und Versorgung auszubringen ist. a) Bezügefortzahlung

bei Krankheit

Da das beamtenrechtliche Gegenseitigkeitsverhältnis nur zwischen der grundsätzlich lebenslangen Dienstverpflichtung des Beamten einerseits und der daraus resultierenden Fürsorge- und Alimentationspflicht des Dienstherrn andererseits besteht, können sich die Bezüge niemals nach konkret geleisteten Arbeitsstunden bemessen.61 Der Beamte ist kein Tagelöhner, der für die jeweils erbrachten Arbeitsstunden nach einem Stundensatz entlohnt wird. Ebenso wie der Beamte keine Zusatzvergütung beanspruchen kann, wenn er in Grenzen Überstunden 62 leistet, dürfen seine Bezüge nicht gekürzt werden, wenn er seine Dienstleistung schuldlos, z.B. infolge Krankheit, nicht erbringen kann. Das Beamtenverhältnis als lebenslanges Dienst- und Treueverhältnis ist nicht mit einem Arbeitsverhältnis, sondern bei aller Unterschiedlichkeit im einzelnen eher mit der Ehe als einer ebenfalls grundsätzlich auf Lebenszeit geschlossenen Gemeinschaft vergleichbar. Auch hier mindert sich die Unterhaltspflicht des einen Ehegatten nicht, wenn der andere aus Alters- oder Krankheitsgründen zum Familienunterhalt nicht mehr in bisherigem Umfang beitragen kann. Deshalb sind Bestrebungen, Beamtenbezüge im Krankheitsfalle zu kürzen, verfassungswidrig. Eine derartige Kürzung hatte ein Gesetzentwurf aus der Mitte des Bundestages63 vorgesehen, der die Besoldung für Zeiten der Dienstunfähigkeit um

61 BVerfGE 21, 329 (344); 39, 196 (200 sub B Da); vgl. auch BVerwGE 44, 249 (264); 49, 184 (190); VerfGH Rh.-Pf. DVB1 1997, S. 997; Isensee (Fn. 5) § 32 Rdnr. 71. 62 Vgl. die Verordnung über die Gewährung von Mehrarbeitsvergütung für Beamte in der Fassung vom 13.3.1992 (BGBl I S. 529), zuletzt geändert durch Art. 11 des Gesetzes über die Anpassung von Dienst- und Versorgungsbezügen in Bund und Ländern 1998 vom 6.8.1998 (BGBl I S. 2026). 63 Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und FDP zur Begrenzung der Bezügefortzahlung bei Krankheit, BT-Drucks. 13/4613 vom 10.5.1996, S. 2; siehe auch Beschlußempfehlung und Bericht des Innenausschusses (4. Ausschusses) hierzu vom 26.6.1996, BT-Drucks. 13/5074.

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20 % bis zur Dauer von sechs Wochen herabsetzen wollte. Allerdings sollte die Kürzung grundsätzlich dadurch abgewendet werden können, daß für fünf Krankheitstage der Urlaub um einen Arbeitstag vermindert wurde. Ziel des Gesetzesvorhabens war eine Gleichstellung mit den Arbeitnehmern, für die ein Gesetz eine ähnliche Regelung eingeführt hatte. 64 Ungeachtet der Unvergleichbarkeit beider Rechtsverhältnisse ist zusätzlich zu berücksichtigen, daß Arbeiter in der Vergangenheit niemals einen vollen Lohnausgleich für Krankheitszeiten erhalten, sondern immer Kürzungen hinzunehmen hatten. Die volle Lohnfortzahlung i m Krankheitsfall war erst vor wenigen Jahrzehnten, für einige Gruppen der Arbeiter erst vor wenigen Jahren eingeführt worden. Vor allem aber stellen die gesetzlichen Regelungen einer Entgeltfortzahlung für Arbeitnehmer nur einen Mindestschutz dar, zwingen also nur zu Gunsten, nicht zu Lasten der Arbeitnehmer und sind insbesondere durch vorteilhaftere tarifliche Vereinbarungen abdingbar. 65 Da die Gewerkschaften gegen Lohnkürzungen im Krankheitsfall Sturm liefen und in den folgenden Tarifverhandlungen die ungekürzte Lohnfortzahlung in weiten Bereichen durchsetzten, läuft das Gesetz vielfach leer. Hätte man nun die Entgeltkürzung gleichwohl auf das Beamtenrecht übertragen, wäre eine paradoxe Situation eingetreten: Man hätte unter dem ohnehin verfehlten politischen Schlagwort der Gleichbehandlung eine Kürzung für Beamte eingeführt, die es bis dahin nie gegeben hatte, gleichzeitig aber die Entgeltkürzung bei Arbeitnehmern, die zumindest für die Arbeiter in früherer Zeit immer bestanden hatte, wegen abweichenden Tarifvertragsrechts effektiv nicht durchsetzen können. Aus diesem Grunde hat dann auch die Opposition mit ihrer Mehrheit im Bundesrat den Gesetzentwurf zwar mit falscher Begründung, im Ergebnis aber zutreffend scheitern lassen.66 b) Beiträge der Beamten zur Altersversorgung Die Alimentationspflicht des Dienstherrn umschließt die amtsangemessene Versorgung des Beamten und seiner Familie im Alter und erstreckt sich auch auf eine Sicherung der Hinterbliebenen. Mangels Schutzbedürfhisses ist es dem Beamten folgerichtig verwehrt, Mitglied der gesetzlichen Rentenversicherung selbst auf freiwilliger Basis zu werden. Wegen der personalen Bindung

64

Art. 3 des Gesetzes zur Umsetzung des Programms für mehr Wachstum und Beschäftigung in den Bereichen der Rentenversicherung und Arbeitsförderung vom 25.9.1996 (BGBIIS. 1461). 65 Vgl. § 12 des Entgeltfortzahlungsgesetzes vom 26.5.1994 (BGBl IS. 1014,1065). 66 Beschl. des Bundesrates vom 8.11.1996, BR-Drucks. 781/96.

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im Beamtenverhältnis muß der Dienstherr Besoldung und Versorgung selbst und unmittelbar erbringen 67 und darf sie nicht einer Versorgungseinrichtung mit eigener Rechtspersönlichkeit, z.B. einer Sozialversicherungsanstalt, übertragen. 68 Eigenerbringung der Alimentation durch den Dienstherrn bedeutet Eigenfinanzierung. Deshalb hat es das Bundesverwaltungsgericht zu Recht als einen hergebrachten Grundsatz des Berufsbeamtentums angesehen, „daß die Versorgung ausschließlich von dem Dienstherrn des Beamten gewährt" und der Beamte „an der Aufbringung der Mittel für seine Versorgung durch Leistung von Beiträgen an eine Versorgungskasse nicht beteiligt wird". 6 9 Diese Feststellung ist zutreffend, weil dem deutschen Beamtenrecht seit Ende des 19. Jahrhunderts eine Heranziehung der Beamten zu den Kosten ihrer Alterssicherung unbekannt ist, 7 0 so daß es sich sogar um einen althergebrachten Grundsatz des Berufsbeamtentums handelt. Deshalb hält auch das Schrifttum in seiner Mehrheit die Einführung von Beamtenbeiträgen zur Versorgungsfinanzierung für verfassungswidrig. 71 Aber auch die Minderheit kommt zu keinem wesentlich anderen Ergebnis. Nach ihrer Auffassung sind zwar Versorgungsbeiträge mit der Verfassung nicht schlechthin unvereinbar, jedoch müßten vorher die Bezüge entsprechend erhöht werden, weil die Besoldungsordnung auf diesen Fall nicht zugeschnitten sei. 72 Letzteres ist wiederum allgemeine Meinung. So führt das Bundesverfassungsgericht aus, daß der Dienstherr dem Beamten lediglich die für eine „standesgemäße Lebenshaltung hinreichenden Mittel" zur Verfügung stelle und der Beamte daher keine Möglichkeit habe, „seine und seiner Hinterbliebenen Altersversorgung zu veranlassen". 73 Wegen der von vornherein geringeren Bemessung der Beamtenbezüge hat sich der Beamte seine Versorgung

67 BVerfGE 76, 256 (319 f.); 79, 223 (232); siehe auch E 21, 329 (350); 39, 196 (203); 44, 249 (270); BGHZ 20, 15 (18); vgl. in diesem Zusammenhang auch OVG Münster NJW 1998, S. 1809, wonach Beihilfeanträge nicht zur Bearbeitung an eine private Versicherung weitergereicht werden dürfen. 68 BVerfGE 76, 256 (319); 44,249 (269 f.); auch E 70, 69 (81). 69 BVerwGE 54,177 (181 f.); ebenso BGH MDR 1994, S. 486 f. 70 Hierzu Merten, Alimentationsprinzip und Beamtengesetzgebung, ZBR 1996, S. 353 (374 f.). 71 Nachweise bei Merten (Fn. 70), S. 375. 72 Siehe Merten (Fn. 70). 73 BVerfGE 21, 329 (346). 23 FSBlümel

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letztlich durch seine eigene Leistung verdient, 74 so daß er nicht nochmals mit Beiträgen belastet werden darf. Ungeachtet dessen sieht § 14a des Bundesbesoldungsgesetzes75 einen Beitrag des Beamten zu seiner Altersversorgung ohne vorherige Anhebung der Bezüge vor. Zwar ist der Begriff „Beitrag" offenbar wegen massiver wissenschaftlicher Kritik am Gesetzesvorhaben kurz vor der endgültigen Beschlußfassung durch eine legistische Schönheitsoperation getilgt worden. 76 Die Regelung ist jedoch als „Beitrag" konzipiert, propagiert und realisiert worden. M i t dem Versorgungsreformgesetz sollten laut Amtlicher Begründung 77 aus „Eigenbeiträgen der aktiven Mitarbeiter und Versorgungsberechtigten Versorgungsrücklagen" gebildet werden, und in der Öffentlichkeitsarbeit wurde der „zusätzliche(n) eigene(n) Beitrag" der Beamten und Versorgungsempfanger zur künftigen Sicherung des Versorgungssystems herausgestellt. 78 Weder Gesetzeskosmetik noch Leistungsmodus vermögen am Beitragscharakter etwas zu ändern. Auch wenn der Beamte den Beitrag nicht selbst leistet, sondern im Wege des Netto-Prinzips eine in der Zeit von 1999 bis 2013 um insgesamt drei vom Hundert abgesenkte Besoldung oder Versorgung erhält, erbringt er eine individuell unterschiedliche und meßbare Leistung. Daher irrt der Innenausschuß des Deutschen Bundestages, wenn er unter Hinweis auf „pauschale Zuteilungen" an Sondervermögen „Individualbeiträge" der Besoldungs- und Versorgungsempfänger leugnet. 79 Ebensowenig wie der pauschale Ausweis von Personalkosten in Haushaltstiteln den individuellen Anspruch des Beamten auf eine konkrete Besoldung oder Versorgung berührt, entfallt der für jeden Beamten unterschiedliche Versorgungsbeitrag von jeweils drei vom Hundert dadurch, daß die nicht pauschal bemessene, sondern von der jeweils unterschiedlichen Summe aller Bezüge errechnete Einsparung in einem Betrag überwiesen wird, und ebensowenig wie die Sozialversicherungsbeiträge der

74

So auch BVerwGE 12, 284 (294). Diese Auffassung vertrat auch die Bundesregierung, vgl. BR-Drucks. Nr. 562/51, S. 60; ebenso die Ausführungen des Bundesministers des Innern, Dr. Lehr , in der 185. Sitzung des Deutschen Bundestages vom 16.1.1952, Sten. Ber. S. 7843; vgl. ferner Bartsch, Die Eigenleistungen des Beamten zur Finanzierung der Pensionen, ZBR 1974, S. 345 (346). 75 Eingefügt durch Art. 5 Nr. 4 des Gesetzes zur Umsetzimg des Versorgungsberichts (Versorgungsreformgesetz 1998) vom 29.6.1998 (BGBl IS. 1666). 76 Auf Grund der Beschlußempfehlung und des Berichts des Innenausschlusses (4. Ausschusses) vom 1.4.1998, BT-Drucks. 13/10322, S. 12 f., 71 f. 77 Entwurf eines Gesetzes zur Umsetzung des Versorgungsberichts vom 17.10.1997, BR-Drucks. 780/97, S. 2 sub B. 78 Sozialpolitische Umschau, hrsg. vom Presse- und Informationsamt der Bundesregierung, Nr. 505/1997 vom 20.10.1997, S. 1. 79 (Fn. 76) S. 71 f.

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Beschäftigten ihren Rechtscharakter dadurch verlieren, daß sie der Arbeitgeber insgesamt abführt, macht es einen rechtlich relevanten Unterschied, daß die Versorgungsbeiträge nicht durch „die Besoldungs- und Versorgungsempfanger" selbst entrichtet werden, worauf jedoch der Innenausschuß abstellt. Auch für die Verfassungsmäßigkeit eines Versorgungsbeitrags ist es unbeachtlich, ob ihn der Beamte selbst oder der Dienstherr für den Beamten abführt. In gleicher Weise ist es irrelevant, ob der Beitrag von den bisherigen Bezügen oder im Rahmen einer Besoldungs- und Versorgungsanpassung einbehalten wird. Zwar verfügt die Legislative bei der Festsetzung der Besoldung und Versorgung, insbesondere bei der Bestimmung des amtsangemessenen Lebensunterhalts 80 über eine Handlungs- und Einschätzungsprärogative. Dieser Spielraum steht ihr auch bei der Anpassung der Alimentation entsprechend der Entwicklung der allgemeinen wirtschaftlichen und finanziellen Verhältnisse (§ 14 BBesG) zu. 81 Der Gesetzgeber muß sich nicht einmal nur an der Einkommensentwicklung und Kaufkraftveränderung orientieren, sondern kann auch die Wirtschafts- und Haushaltslage berücksichtigen. Allerdings ist die Alimentation keine „beliebig variable Größe", die sich nach den „wirtschaftlichen Möglichkeiten" der öffentlichen Hand oder „politischen Dringlichkeitsbewertungen" bemessen läßt, wie das Bundesverfassungsgericht unmißverständlich festgestellt hat. 82 Hat sich der Anpassungsgesetzgeber für einen bestimmten Anpassungssatz entschieden, so ist seine Gestaltungsfreiheit verbraucht. Die Verminderung der Anpassung um einen bestimmten Teil, nämlich insgesamt drei vom Hundert, im Zeitraum von 1999 bis 2013, wie ihn § 14a BBesG vorsieht, zur Erzielung eines „Solidaritätsbeitrags" 83 stellt daher eine Beitragsauferlegung dar, auch wenn der Begriff getilgt wurde und die Anpassungskürzung von den Betroffenen psychologisch weniger schwer als eine Bezügekürzung empfünden werden mag. Ist aber ein Versorgungsbeitrag verfassungswidrig, so bleibt er es auch, wenn der Gesetzgeber den Umweg über eine Anpassungsverminderung geht. Zutreffend hat der Reichsfinanzhof 84 entschieden, daß wegen Unzulässigkeit 80

Vgl. BVerfGE 8, 1 (19, 22 f.); 21, 329 (344); 26, 141 (158); 44, 249 (264 ff.); BVerfG BayVBl 1974, S. 585; DRiZ 1976, S. 316; BayVerfGH ZBR 1972, S. 21. 81 Vgl. Schwegmann/Summer (Fn. 44) § 14 Rdnr. 2; Merten, Zur Problematik der Gewährung einheitlicher Festbeträge bei Besoldungsanpassungen, in: Öffentlicher Dienst, Festschrift für Carl Hermann Ule zum 70. Geburtstag, 1977, S. 374. 82 E 44, 249 (264). 83 Daten und Schlußfolgerungen zum Entwurf des Versorgungsberichts 1993 - 2008, hrsg. vom Bundesminister des Innern, 1996, S. 027. 84 E 27, 321 (323).

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einer Kürzung der Beamtengehälter es dem Gesetzgeber verwehrt sei, das Verbot „dadurch zu umgehen, daß er die Gehaltskürzung in die Form einer Steuer kleidet". M i t der Würde des rechtsstaatlichen Gesetzgebers, dem schon einmal von kompetenter Seite vorgeworfen wurde, sich nicht wie ein „ehrbarer Kaufmann" zu gerieren 85 , erscheint es nicht vereinbar, zu verfassungsrechtlich versperrten Zielen über schlüpfrige Abwege gelangen zu wollen. Daß mit der Beteiligung der Beamten an den Kosten ihrer Versorgung nichts anderes bezweckt war, hat die Ministerpräsidentin von Schleswig-Holstein, Simonis, in einem Interview 86 mit ungenierter Offenheit eingeständen: „Der Vorschlag von Kanther, der angenommen worden ist, ist ja eine solche Konstruktion, die so schwierig ist zu erklären und die nur deswegen gefunden worden ist, weil es eigentlich laut Grundgesetz nicht möglich ist, die Beamten mit daran zu beteiligen."

85 So die Bundesverfassungsrichter Benda und Katzenstein in der abweichenden Meinung zum Beschl. des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 1.7.1981, BVerfGE 58, 129(133). 86 NDR 4, 13.1.1998, abgedruckt in: Fernseh- und Hörfünkspiegel Inland II vom 13.1.1998, hrsg. vom Presse- und Informationsamt der Bundesregierung, Nachrichtenabteilung.

Die Duldungswirkung der Planfeststellung Von Hans-Peter Michler I. I m geltenden Recht der Verkehrswegeplanung finden sich Vorschriften über die Duldungswirkung 1 eines Planfeststellungsbeschlusses sowohl in den Verwaltungsverfahrensgesetzen des Bundes und der Länder als auch in einzelnen Fachplanungsgesetzen selbst. Die Bemühungen des Gesetzgebers um eine Vereinheitlichung des Rechts der Planfeststellung durch das Dritte Rechtsbereinigungsgesetz2 haben eine insofern bestehende Rechtszersplitterung nicht vollständig beseitigt. Für das Bundesfernstraßengesetz und das Personenbeförderungsgesetz wurden zwar die Sondervorschriften des § 17 Abs. 6 S. 1 FStrG und des § 29 Abs. 4 PBefG zugunsten der damit inhaltlich übereinstimmenden Regelungen des Verwaltungsverfahrensgesetzes 3 (§ 75 Abs. 2 S. 1 VwVfG) aufgehoben 4, nicht aber für das Luftverkehrsgesetz. Dort findet sich in § 9 Abs. 3 LuftVG nach wie vor eine § 75 Abs. 2 S. 1 VwVfG entsprechende Bestimmung und nach § 11 LuftVG gilt zusätzlich § 14 BImSchG 5 für 1

Es gibt keine einheitliche Terminologie. Die - hier - mit „Duldungswirkung" bezeichnete Rechtswirkung der Planfeststellung wird herkömmlicherweise „Ausschlußwirkung" genannt. Mit diesem Begriff wird aber zunehmend die Folge verspäteter Einwendungen in den Planfeststellungsverfahren umschrieben, die eine materielle Präklusion kennen. Zur Unterscheidung dazu wurde deshalb der Begriff der „Duldungswirkung" gewählt. Wenn im folgenden daneben auch von der Ausschlußwirkung der Planfeststellung die Rede ist, ist der Ausschluß von - verkürzt - Abwehransprüchen gemeint. 2 Vom 28.6.1990 (BGBl I S. 1221). 3 Im folgenden wird nur mehr auf die Vorschriften des Verwaltungsverfahrensgesetzes des Bundes Bezug genommen. 4 Das Bundesbahngesetz vom 13.12.1951 enthielt in § 36 BBahnG nur rudimentäre Regelungen zur Planfeststellung, so daß hier ohnehin auf die Vorschriften des Verwaltungsverfahrensrechts zurückgegriffen werden mußte. 5 § 14 BImSchG (Ausschluß von privaten Abwehransprüchen) lautet: „Auf Grund privatrechtlicher, nicht auf besonderen Titeln beruhender Ansprüche zur Abwehr benachteiligender Einwirkungen von einem Grundstück auf ein benachbartes Grundstück kann nicht die Einstellung des Betriebes einer Anlage verlangt werden, deren Geneh-

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Flugplätze entsprechend. Im Bundeswasserstraßengesetz wurde § 21 Abs. 3 WaStrG (a.F.), der von allen Fachplanungsgesetzen die umfangreichsten Regelungen zur Duldungswirkung der Planfeststellung enthielt, lediglich durch § 21 WaStrG neu gefaßt, der heute für dem Gemeinwohl dienende Ausbauund Neubauvorhaben von Bundeswasserstraßen auf § 11 WHG verweist 6. Für Planfeststellungen nach dem Allgemeinen Eisenbahngesetz7 sowie dem Gesetz zur Regelung des Planungsverfahrens für Magnetschwebebahnen8, die nach dem 3. Rechtsbereinigungsgesetz in Kraft getreten sind, findet - wie für Bundesfernstraßen und Straßenbahnen - mangels spezialgesetzlicher Regelung § 75 Abs. 2 S. 1 VwVfG Anwendung. Nach alledem finden sich im geltenden Recht Vorschriften über die Duldungswirkung der Planfeststellung in § 75 Abs. 2 S. 1 VwVfG (für Bundesfernstraßen, Eisenbahnen i.S.d. § 1 Abs. 1 AEG, Straßen- und Magnetschwebebahnen), in § 21 WaStrG (für Bundeswasserstraßen) sowie in § 9 Abs. 3 LuftVG (für Flughäfen und Landeplätze mit beschränktem Bauschutzbereich) und in § 11 LuftVG (für Flugplätze)9. Auf das Verwaltungsverfahrensgesetz

migung unanfechtbar ist; es können nur Vorkehrungen verlangt werden, die die benachteiligenden Auswirkungen ausschließen. Soweit solche Vorkehrungen nach dem Stand der Technik nicht durchführbar oder wirtschaftlich nicht vertretbar sind, kann lediglich Schadenersatz verlangt werden." 0 Die Begründung aus dem Gesetzentwurf der Bundesregierung (BT-Drucks. 11/4310, S. 214) führt dazu aus: „Die Neufassung des § 21 berücksichtigt, daß der Regelungsgehalt der bisher geltenden Rechtsvorschrift von § 75 VwVfG im wesentlichen erfaßt ist. In Übereinstimmung mit wasserrechtlichen Vorschriften wird die Ausschlußvorschrift des § 11 WHG für anwendbar erklärt. Damit wird in vereinfachter Weise der bisherige Regelungsgehalt des § 21 Abs. 3 beibehalten." § 11 WHG (Ausschluß von Ansprüchen) i.d.F.v. 23.9.1986 (BGBl I S. 1529, 1654) lautet: „(1) Wegen nachteiliger Wirkungen einer bewilligten Benutzung kann der Betroffene (§8 Abs. 3 und 4) gegen den Inhaber der Bewilligung keine Ansprüche geltend machen, die auf die Beseitigung der Störung, auf die Unterlassung der Benutzung, auf die Herstellung von Schutzeinrichtungen oder auf Schadensersatz gerichtet sind. Hierdurch werden Schadensersatzansprüche wegen nachteiliger Wirkungen nicht ausgeschlossen, die darauf beruhen, daß der Inhaber der Bewilligung angeordnete Auflagen nicht erfüllt hat. (2) Absatz 1 Satz 1 gilt nicht für vertragliche Ansprüche." 7 Artikel 5 des Gesetzes zur Neuordnung des Eisenbahnwesens v. 27.12.1993 (BGBl I S. 2378 [2396 ff.]). 8 Gesetz zur Regelung des Planungsverfahrens für Magnetschwebebahnen v. 23.11.1994 (BGBIIS. 3486). 9 Zur Frage, ob neben § 11 LuftVG auch § 9 Abs. 3 LuftVG privatrechtliche (oder lediglich öffentlich-rechtliche) Abwehransprüche ausschließt, Hofmann/Grabherr, Luftverkehrsgesetz, Kommentar, Stand: Februar 1997, § 9 Rdnr. 100 f.; Giemulla/ Schmid, Luftverkehrsgesetz, Kommentar, Stand: August 1996, § 9 Rdnr. 11.

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kann in den zuletzt erwähnten Fällen nur dann zurückgegriffen werden, wenn die Spezialvorschriften nicht eingreifen 10 .

II. Unterschiedliche Rechtsgrundlagen allein wären noch kein Grund für eine Beschäftigung mit Fragen der der Planfeststellung zukommenden Duldungswirkung, läßt man einmal den Aspekt der Vereinheitlichung des Verwaltungsverfahrens - einer häufig erhobenen Forderung Blümeis 11 - außer Betracht. Auffallend ist aber, daß die einzelnen Rechtsvorschriften trotz bestehender Gemeinsamkeiten den Nachbarn der einzelnen Verkehrswege ganz unterschiedliche Duldungspflichten auferlegen. Auffallend ist ferner, daß dieser an der Schnittstelle von privatrechtlichem Nachbarschutz und hoheitlicher Anlagenzulassung angesiedelten Rechtswirkung - obwohl ungelöste Fragen aufwerfend - in der Praxis keine große Bedeutung zuzukommen scheint. Dies - und der Umstand, daß sich Blümel auch dazu schon frühzeitig grundlegend geäußert hat 1 2 - mag Anlaß dafür sein, einigen Rechtsproblemen der Duldungswirkung der Planfeststellung nachzugehen.

III. Der Umfang der Ausschlußwirkung - und damit korrespondierend der Pflicht der Betroffenen, Verkehrswege in der Nachbarschaft bzw. deren Auswirkungen zu dulden - ist nicht für alle Fachplanungen gleich. Im Gegenteil: zum Teil unterscheiden sich die einschlägigen Vorschriften erheblich voneinander. Übereinstimmung besteht zwar insoweit, als der unanfechtbare 13 Plan-

10

Etwa wenn ein Aus- oder Neubau vorhaben nach dem Bundes wasserstraßengesetz nicht dem Wohl der Allgemeinheit dient (Friesecke, Bundeswasserstraßengesetz, 3. Aufl. 1994, § 21 Rdnr. 2) oder bezüglich Ansprüchen von Nachbarn auf Einstellung des Flugplatzbetriebes, da sich die Ausschlußwirkung des § 9 Abs. 3 LuftVG auf die Flugplatzanlage bezieht (Hofmann/Grabherr [Fn. 9], § 9 Rdnr. 102). 11 Blümel (Hrsg.), Die Vereinheitlichung des Verwaltungsverfahrensrechts, 1984. 12 Blümel, Die Bauplanfeststellung, Erster Teil: Die Planfeststellung im preußischen Recht und im Reichsrecht, 1961, S. 180 ff; ders., Die Planfeststellung, Zweiter Teil: Die Planfeststellung im geltenden Recht, 1967, Speyerer Forschungsbericht Nr. 140, Bd. 1,S. 65 ff. 13 § 9 Abs. 3 LuftVG spricht von „rechtskräftig festgestellt".

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feststellungsbeschluß Ansprüche auf Unterlassung des Vorhabens 14, auf Beseitigung oder Änderung der Anlagen oder auf Unterlassung ihrer Benutzung ausschließt (so § 75 Abs. 2 S. 1 VwVfG). Damit ist den Nachbarn verwehrt, sich zivilrechtlich gegen den Verkehrsweg selbst oder gegen die mit seiner Benutzung verbundenen Einwirkungen, insbesondere Immissionen, zu wenden. Wichtige Unterschiede sind aber folgende: 1. Die wasserstraßenrechtliche Planfestellung schließt auch (privatrechtliche) Ansprüche auf „Herstellung von Schutzeinrichtungen" aus ( § 2 1 WaStrG i.V.m. § 11 Abs. 1 S. 1 WHG). § 75 Abs. 2 S. 1 VwVfG sagt dazu nichts, woraus in der Literatur geschlossen wird, daß Ansprüche auf Schutzvorkehrungen, die den Bauzustand im wesentlichen unberührt lassen - also mit denen keine Änderung der Anlage selbst verbunden ist -, von der Ausschlußwirkung nicht erfaßt werden 15 . Nach den Vorschriften des Luftverkehrsgesetzes ( § 1 1 LuftVG i.V.m. § 14 S. 2 BImSchG) tritt ein Anspruch auf Vorkehrungen, „die die benachteiligenden Auswirkungen ausschließen", an die Stelle von (Unterlassungs- bzw. Beseitigungs-)Ansprüchen der Nachbarschaft, die diesen wegen der Duldungswirkung der Planfeststellung abgeschnitten werden. Der Nachbar einer Bundeswasserstraße könnte also vom Vorhabensträger die Herstellung von Schutzeinrichtungen nicht verlangen, der einer Bundesfernstraße bzw. eines Flughafens unter Umständen sehr wohl. 2. Weiter können Nachbarn einer (unanfechtbar planfestgestellten) Bundeswasserstraße gegen den Vorhabensträger keine Ansprüche auf Schadensersatz 1 6 geltend machen (§ 21 WaStrG i.V.m. § 11 Abs. 1 S. 1 WHG), während § 75 Abs. 2 S. 1 VwVfG - für die Nachbarn von Bundesfernstraßen, Eisen-, Straßen- und Magnetschwebebahnen - Ersatzansprüche nicht ausschließt17. Im Luftverkehrsrecht wiederum wandelt sich der (aufgrund der unanfechtbaren Planfeststellung ausgeschlossene) Abwehranspruch in einen Schadensersatz14

Das Gesetz spricht von der Unterlassung „des Vorhabens" im Unterschied zur Beseitigung bzw. Änderung „der Anlagen". Mit ersterem ist das Vorhaben gemeint, das noch nicht verwirklicht ist. Dagegen erhobene Unterlassungsansprüche sind insoweit vorbeugender Natur, als sie sich gegen ein noch nicht ins Werk gesetztes Vorhaben richten. Beseitigungsansprüche (bzw. Ansprüche auf Änderung) beziehen sich demgegenüber auf bereits vorhandene Anlagen. 15 Kodal, Straßenrecht, 2. Aufl. 1964, S. 344 und Friesecke, Die privatrechtlichen Wirkungen der wasserrechtlichen Planfeststellung, ZfW 1966, S. 56 (60). 16 Auch Ansprüche auf Entschädigimg wegen enteignenden oder enteignungsgleichen Eingriffs sollen ausgeschlossen sein, Friesecke (Fn. 10), § 21 Rdnr. 6. 17 Ansprüche auf Geldentschädigung bleiben von der Wirkung des § 75 Abs. 2 S. 1 VwVfG unberührt, Bonk, in: Stelkens/Bonk/Sachs, Verwaltungsverfahrensgesetz, 4. Aufl. 1993, §75 Rdnr. 23.

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anspruch um, wenn Schutzvorkehrungen nicht möglich oder wirtschaftlich nicht zumutbar sind (§ 11 LuftVG i.V.m. § 14 S. 2 BImSchG). 3. Darin liegt eine weitere Besonderheit: Nur das Luftverkehrsrecht kennt einen Ersatzanspruch als Surrogat für aufgrund der Ausschlußwirkung entfallende privatrechtliche Abwehransprüche, nicht aber das Recht der fernstraßenrechtlichen, der eisenbahnrechtlichen, der personenbeförderungsrechtlichen und der wasserstraßenrechtlichen Planfeststellung sowie der für Magnetschwebebahnen. 4. Zuletzt werden nur bei der wasserstraßenrechtlichen und der luftverkehrsrechtlichen Planfeststellung aufgrund ausdrücklicher gesetzlicher Regelung vertragliche (Unterlassungs- bzw. Beseitigungs-)Ansprüche (§ 21 WaStrG i.V.m. § 11 Abs. 2 WHG) bzw. auf besonderen Titeln beruhende Ansprüche (§ 11 LuftVG i.V.m. § 14 BImSchG) von der Ausschlußwirkung nicht berührt. Eine vergleichbare Bestimmung enthält demgegenüber § 75 Abs. 2 S. 1 VwVfG nicht, im Ergebnis sollen aber auch hier - so Stimmen in der Literatur - Ansprüche nicht ausgeschlossen sein, die auf besonderen privatrechtlichen Titeln beruhen 18 . Daran könnte man deshalb Zweifel anmelden, weil der Gesetzgeber - trotz ausdrücklicher Erwähnung in § 14 BImSchG sowie § 11 WHG - in § 75 Abs. 2 S. 1 VwVfG gerade keinen Vorbehalt zugunsten besonderer privatrechtlicher Titel aufgenommen hat. Dieser - nicht vollständige - Überblick verdeutlicht, daß der Umfang der Duldungswirkung bei der verkehrswegerechtlichen Planfeststellung nicht unerhebliche Unterschiede aufweist. Ob diese Unterschiede sachlich begründet oder gar aufgelöst werden können, wäre näher zu untersuchen, wobei die nachfolgenden Ausführungen nicht mehr als erste Überlegungen enthalten.

IV. Ein Blick in die Gesetzesmaterialien der nach dem 2. Weltkrieg erlassenen wegerechtlichen Fachplanungsgesetze19 hilft dabei nicht viel weiter. Die Begründungen der Gesetzentwürfe der Bundesregierung zu den Vorschriften, die die Duldungswirkung der Planfeststellung regelten, fielen knapp aus: 18

Bonk (Fn. 17), § 75 Rdnr. 23; Ule/Laubinger, Verwaltungsverfahrensrecht, 4. Aufl. 1995 , S. 401, und wohl auch Busch, in: Knack, Verwaltungsverfahrensgesetz, 4. Aufl. 1994, §75 Rdnr. 5.2. 19 Bundesbahngesetz v. 13.12.1951 (BGBl I S. 955); Bundesfernstraßengesetz v. 6.8.1953 (BGBl I S. 903); Personenbeförderungsgesetz v. 21.3.1961 (BGBl I S. 241) und Bundeswasserstraßengesetz v. 2.4.1968 (BGBl II S. 173).

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1. Im Gesetzentwurf des Bundesfernstraßengesetzes findet sich zu § 17 Abs. 6 FStrG lediglich der Hinweis, diese Vorschrift stelle klar, „daß an Stelle von Beseitigungs- oder Änderungsansprüchen bei festgestellten Anlagen gegebenenfalls nur noch Schadensersatzansprüche geltend gemacht werden können." 2. § 29 Abs. 3 des Personenbeförderungsgesetzes wird wie folgt begründet: »Ähnlich wie die gewerbepolizeiliche Genehmigung hat die Planfeststellung die Wirkung, daß die Betroffenen weder eine Beseitigung noch eine Änderung der Anlagen, sondern allenfalls eine Entschädigung verlangen können (vgl. § 26 Gewerbeordnung)."21 Interessant an dieser Begründung ist der Hinweis auf § 26 GewO 22 , die Vorläufernorm des § 14 BImSchG. Denn diese Vorschrift schloß zivilrechtliche Ansprüche aus, die Nachbarn gegen eine einem Privaten erteilte Gewerbeerlaubnis - also gegen eine privatnützige Unternehmergenehmigung - geltend machen konnten, während die personenbeförderungsrechtliche Planfeststellung eine planerische Entscheidung über die Zulassung eines dem Gemeinwohl dienenden Verkehrsweges darstellt. 3. Die Begründimg zu § 21 Abs. 3 des Bundeswasserstraßengesetzes lautete: „Der Ausschluß privatrechtlicher Ansprüche durch die Planfeststellung hat sein Vorbild im Landeswasserrecht. Bundesrecht trifft eine entsprechende Regelung für den Verwaltungsakt der Bewilligung in § 11 des Wasserhaushaltsgesetzes".23 Diese Begründung erstaunt, weil sie sich nicht die bereits geltenden Vorschriften der fernstraßen-, personenbeforderungs- und luftverkehrsrechtlichen Planfeststellung, sondern Vorschriften des Wasserhaushaltsrechts zum Vorbild

20 Gesetzentwurf der Bundesregierung eines Bundesfernstraßengesetzes v. 10.4.1953, BT-Drucks. 1/4248, S. 25. 21 Gesetzentwurf der Bundesregierung eines Personenbeförderungsgesetzes v. 8.3.1958, BT-Drucks. 3/255, S. 29. 22 § 26 GewO lautete: „Soweit die bestehenden Rechte zur Abwehr benachteiligender Einwirkungen, welche von einem Grundstück aus auf ein benachbartes Grundstück geübt werden, dem Eigentümer oder Besitzer eine Privatklage gewähren, kann diese Klage einer mit obrigkeitlicher Genehmigung errichteten gewerblichen Anlage gegenüber niemals auf Einstellung des Gewerbebetriebs, sondern nur auf Herstellung von Einrichtungen, welche die benachteiligende Einwirkung ausschließen, oder, wo solche Einrichtungen untunlich oder mit einem gehörigen Betrieb des Gewerbes unvereinbar sind, auf Schadloshaltung gerichtet werden." 23 Gesetzentwurf der Bundesregierung eines Bundeswasserstraßengesetzes v. 15.6.1965, BT-Drucks. 4/3549, S. 24.

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nimmt, ohne daß erkennbar wird, warum der Gesetzgeber der bundeswasserstraßenrechtlichen Planfeststellung eine Duldungswirkung zukommen läßt, die über die Regelungen des damals geltenden Planfeststellungsrechts anderer Verkehrswege hinausgeht 24 . 4. § 11 LuftVG geht auf § 10 des Luftverkehrsgesetzes v. 1.8.192225 zurück, der wiederum § 26 GewO für entsprechend anwendbar erklärte 26 . Durch die Neufassung des Luftverkehrsgesetzes v. 10.1.195927 wurde § 10 LuftVG lediglich zu § 11 LuftVG, ohne daß sich der Inhalt der Vorschrift änderte. Die Verweisung auf § 14 BImSchG in § 11 LuftVG erfolgte im Jahr 1974 28 . 5. Eine Sonderstellung nahm das Bundesbahngesetz aus dem Jahr 1951 29 ein. Dessen § 36 BBahnG, der die bundesbahnrechtliche Planfeststellung zum Inhalt hatte, enthielt sich jeglicher Aussagen zum Bestand nachbarlicher Unterlassungs-, Abwehr- oder Beseitigungsansprüche nach rechtskräftig festgestelltem Plan. Nach alledem boten die wegerechtlichen Planfeststellungen der noch jungen Bundesrepublik ein ähnlich uneinheitliches Bild wie heute. Eine § 75 Abs. 2 S. 1 VwVfG entsprechende Regelung 30 enthielt die fernstraßen- und personenbeförderungsrechtliche Planfeststellung, das Luftverkehrsgesetz verwies auf das Gewerberecht, das Bundeswasserstraßengesetz enthielt eine eigenständige, über die Bestimmungen anderer Planfeststellungen hinausgehende, an das Wasserwirtschaftsrecht angelehnte Vorschrift während das Bundesbahngesetz zur Duldungswirkung der Planfeststellung schwieg.

V. Gleichwohl war die eisenbahnrechtliche Planfeststellung Ausgangspunkt für die Entwicklung der Ausschlußwirkung eines (unanfechtbaren) Planfeststellungsbeschlusses. Blümel kommt dabei nicht nur das Verdienst zu, den

24

Zu den Unterschieden vgl. oben unter IQ. RGBl IS. 681. 26 Dazu Giemulla/Schmid (Fn. 9), § 11 Rdnr. 2. 27 BGBl I S. 9. 28 Durch Gesetz v. 15.3.1974 (BGBl I S. 721, 1193). 29 Bundesbahngesetz v. 13.12.1951 (BGBl I S. 955). 30 Allerdings ohne Unterlassungsansprüche gegen den Betrieb der Anlagen zu erwähnen und insofern identisch mit dem heute noch geltenden § 9 Abs. 3 LuftVG. 25

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Nachweis geführt zu haben, daß die Wurzeln der modernen Planfeststellung im preußischen Eisenbahnrecht liegen 31 . Er hat auch überzeugend dargelegt, daß vom Bundesgesetzgeber in § 36 BBahnG versäumte Regelungen durch einen Rückgriff auf allgemeine Rechtsgrundsätze des Preußischen Eisenbahngesetzes geschlossen werden können 32 . Das gilt auch - das sei vorweggenommen - fiir die Ausschlußwirkung der Planfeststellung und soll nachfolgend anhand der Rechtsprechung des Reichsgerichts und des Preußischen Oberverwaltungsgerichts begründet werden. 1. Das Reichsgericht hatte sich mehrfach mit Klagen von Nachbarn gegen Beeinträchtigungen, die von Eisenbahnanlagen ausgingen, auseinanderzusetzen. Dabei ging es insbesondere darum, ob Nachbarn Abwehransprüche wegen Einwirkungen auf ihr Grundstück durch Funkenflug, Rauch bzw. Ruß sowie durch Erschütterungen und Lärm gegen den Eisenbahnunternehmer aufgrund §§ 1004, 906 BGB mit Erfolg geltend machen können 33 . Vor allem 2 Entscheidungen des Reichsgerichts verdienen hier besondere Erwähnung: a) Die erste betraf eine Klage gegen eine Kleinbahn 34 auf Ersatz des durch ihren Betrieb verursachten Schadens infolge Funkenflugs 35 . Das Reichsgericht gab dem geschädigten Nachbarn - seine Scheune war abgebrannt - Recht: Ihm sei ein Anspruch auf Beseitigung der Störung durch den Eisenbahnbetrieb und auf künftige Unterlassung entzogen, weshalb - als Ersatz dafür - ein (verschuldensunabhängiger) Schadensersatzanspruch gegeben sein müsse. Interessant ist vor allem, mit welchen Erwägungen das Gericht eine Duldungspflicht des Nachbarn begründet. Ausgangspunkt sei § 903 BGB, wonach der Eigentümer mit seiner Sache nach Belieben verfahren und andere von jeder Einwirkung ausschließen dürfe. Zur Verwirklichung dieses Ausschließungsrechts stünde ihm grundsätzlich die allgemeine Beseitigungs- und Unterlassungsklage des § 1004 BGB zur Verfügung. In vielen Fällen sei aber durch Sondervor-

31 Blümel, Die Bauplanfeststellung I (Fn. 12), S. 84 ff.; Blümel/Ronellenßtsch, Die Planfeststellung in der Flurbereinigung, 1975, S. 55 ff.; Ronellenfitsch, Die Planfeststellung, VerwArch 80 (1989), S. 92 (97 ff); Blümel, Der Gegenstand der Planfeststellung, VerwArch 83 (1992), S. 146 (151 ff). 32 Blümel, Die Bauplanfeststellung n (Fn. 12), S. 65 ff; dersDer Gegenstand der Planfeststellung (Fn. 31), S. 146 (153 mit Fn. 76). 33 Vgl. den Überblick bei Fritsch, Das Deutsche Eisenbahnrecht, 2. Aufl. 1928, S. 270 ff; ders., Handbuch der Eisenbahngesetzgebung, 3. Aufl. 1930, S. 71 f., S. 75 und S. 78 f. 34 Gesetz über Kleinbahnen und Privatanschlußbahnen v. 28.7.1892, abgedruckt bei Fritsch, Handbuch der Eisenbahngesetzgebung, 3. Aufl. 1930, S. 91 ff Dazu Blümel, Die Bauplanfeststellung I (Fn. 12), S. 103 ff 35 RG v. 11.5.1904-V.415/03 -, RGZ 58, 130.

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Schriften dem Eigentümer das Recht, auf Beseitigung der Störung und auf ihre künftige Unterlassung klagen zu dürfen, entzogen. „Daß dies auch in vorliegender Sache der Fall ist, daß der Kläger gegen die Beklagte nicht auf Einstellung ihres Betriebes, auf Beseitigung ihrer gefahrdrohenden Eisenbahnanlage, ja nicht einmal auf entsprechende Verbesserung ihres Betriebes klagen konnte, ist bisher unbestritten und unzweifelhaft geblieben. Die staatliche Konzessionserteilung und die ihr in der Regel gegenüberstehende Verpflichtung zur Fortsetzung des konzessionierten Eisenbahnbetriebes verbieten derartige Klagen".36 Staatliche Konzessionserteilung und Eisenbahnbetriebspflicht 37 verbieten also - um die wesentlichen Erwägungen des Gerichts zu wiederholen - Unterlassungs- bzw. Beseitigungsklagen betroffener Nachbarn gegen den Eisenbahnunternehmer. Darauf wird zurückzukommen sein. Erwähnenswert sind hier zunächst die weiteren Erwägungen des Gerichts zu den Folgen dieses Anspruchsausschlusses. Das Reichsgericht sah es als unbillig an, wenn einem Eigentümer das Recht, Eingriffe in sein Eigentum abwehren zu dürfen, ohne anderweitigen ausreichenden Ersatz entzogen werde und er dadurch gänzlich schutzlos bliebe. „Wenn dies im Bürgerlichen Gesetzbuche auch nicht ausdrücklich als allgemeiner Grundsatz ausgesprochen ist, so ergibt sich doch der hierauf gerichtete Wille des Gesetzgebers... aus verschiedenen Einzel Vorschriften. Es liegt dieser gesetzgeberische Gedanke z.B. dem ... § 904 BGB zugrunde. Er gab Anlaß zu der strengen Fassung des § 25 des preußischen Eisenbahngesetzes vom 3. November 183838, und nicht minder ist er aus § 26 GewO zu erkennen. Die Unzulässigkeit der unmittelbaren Anwendung dieser Gesetzesstellen hindert nicht, wie oben schon angedeutet, aus der mehrfachen Äußerung desselben gesetzgeberischen Willens auf das Bestehen eines allgemeinen Rechtsgrundsatzes zu schließen und diesen zur Ergänzung des bürgerlichen Gesetzbuchs zu verwenden."39 Das Reichsgericht leitete also einen - worauf hinzuweisen ist: verschuldensunabhängigen - Schadensersatzanspruch als Folge des mit der Duldung des Eisenbahnbetriebs verbundenen Ausschlusses von zivilrechtlichen Unterlassungs- und Beseitigungsansprüchen im Wege einer Gesamtanalogie aus 30 37

nahm. 38

RGZ58, 130(134). Die das Reichsgericht den damals geltenden Vorschriften für Kleinbahnen ent-

Danach war die Eisenbahngesellschaft zum Ersatz aller Schäden verpflichtet, die bei der Beförderung auf der Bahn, an den auf derselben beförderten Personen und Gütern oder auch an anderen Personen und deren Sachen entstehen, wobei sie sich von dieser Verpflichtung nur durch den Nachweis befreien konnte, daß der Schaden entweder durch die Schuld des Beschädigten selbst oder durch einen unabwendbaren äußeren Zufall bewirkt worden sei, Fritsch, Handbuch der Eisenbalmgesetzgebung, 3. Aufl. 1930, S. 77 ff. 39 RGZ 58, 130 (134 f.).

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mehreren Vorschriften her, wozu auch der bereits oben erwähnte § 26 GewO - die Vorläufernorm des § 14 BImSchG - gehörte. b) Die zweite Entscheidung 40 liefert eine nähere Begründung dafür, weshalb mit der staatlichen Konzessionierung ein Ausschluß nachbarlicher Abwehransprüche verbunden sei. Dabei ging es um die Klage eines Nachbarn gegen eine planfestgestellte, dem öffentlichen Verkehr dienende Kleinbahn, deren Betrieb aus seiner Sicht zu laut war. Das Reichsgericht hob zunächst die folgenden Verfahrens- und materiellrechtlichen Besonderheiten der kleinbahnrechtlichen Planfeststellung hervor: - Offenlegung des Plans, Möglichkeit für die Beteiligten Einwendungen erheben zu können und Pflicht, über die Einwendungen zu verhandeln; - Verpflichtung der Behörde, dem Unternehmer die Herstellung derjenigen Anlagen aufzuerlegen, die sie zur Sicherung der benachbarten Grundstücke gegen Gefahren und Nachteile für erforderlich erachtet; - Staatliche Aufsicht über die Kleinbahn auch nach der Betriebseröffnung sowie Verpflichtung des Unternehmers, den Betrieb ohne Unterbrechung zu führen. Aus diesen Bestimmungen ergebe sich - so das Gericht weiter -, „daß der Staat kraft seiner Hoheit den Schutz des Publikums und der einzelnen Nachbarn gegen die Gefahren und Nachteile, die aus dem genehmigten Unternehmen und dem Betrieb entstehen können, in die Hand genommen hat. Es ergibt sich aber ferner daraus, daß der Unternehmer in der Freiheit, über das Unternehmen und den Betrieb zu verfügen, durch den Staat wesentlich beschränkt ist, daß er insbesondere ohne landespolizeiliche Genehmigung nach Herstellung der Bahn von dem einmal festgesetzten und genehmigten Plane auch in Einzelheiten nicht abweichen darf. Daraus folgt wiederum, daß auch Dritte, die durch den Betrieb in der Benutzung ihrer Grundstücke wesentlich beeinträchtigt zu sein glauben, gegen den Unternehmer Änderungen der Bahnanlage und des Betriebes im ordentlichen Rechtswege nicht erzwingen können. Sie müssen sich an die mit der Wahrnehmung der staatlichen Polizeigewalt betrauten Behörden und, falls sie bei diesen nicht durchdringen, an die Verwaltungsgerichte wenden..."41 Die Eisenbahnanlage sei - so das Gericht abschließend - als Ganzes genehmigt, weshalb auch Einzelheiten ohne Genehmigung nicht geändert werden könnten, wenn sie dem Bauplan nicht entsprächen. Der mit Abwehransprüchen erstrebte Erfolg lasse sich nur durch teilweise Änderung der Bahnanlage erreichen 42.

40 41 42

RG v. 12.10.1904 - V. 147/04 -, RGZ 59, 70. RGZ 59, 70 (71 f.). RGZ 59, 70 (74).

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Damit liefert das Reichsgericht eine heute noch aktuelle Begründung dafür, weshalb ein Planfeststellungsbeschluß private Abwehransprüche ausschließt. Der Planfeststellungsbeschluß ist das Ergebnis einer umfassenden Abwägung aller für und wider das Vorhaben streitenden Belange. Durch die Verpflichtung der Behörde, in der Abwägung auch die schutzwürdigen Belange der Nachbarschaft zu berücksichtigen und gegebenenfalls dafür im Planfeststellungsbeschluß Schutzvorkehrungen vorzusehen, sorgt sie für einen Ausgleich der Interessen des Vorhabensträgers auf der einen und der betroffenen Nachbarn auf der anderen Seite. Diese „planerhaltende" Funktion der Schutzauflagenvorschriften enthält eine neben die durch die Planfeststellung gewährte Vergünstigung, das Vorhaben insgesamt realisieren zu dürfen, tretende Belastung für den Unternehmer zum Wohle der Nachbarschaft. Insofern verpflichtet und begünstigt also die Planfeststellung sowohl den Vorhabensträger, als auch die Betroffenen: letztere müssen die Anlage hinnehmen, aber nur, weil im Planfeststellungsbeschluß Vorkehrungen zu ihrem Schutz getroffen worden sind. Der Vorhabensträger muß sein Vorhaben nicht deshalb aufgeben, weil mit ihm Beeinträchtigungen der Nachbarschaft verbunden sind, darf es aber wiederum nur wegen der ihm auferlegten Schutzvorkehrungen verwirklichen. In dieses durch planerische Abwägung geschaffene „Interessengeflecht" soll nun nicht - wenn man so will: „von außen" - nachträglich durch privatrechtliche Unterlassungs- und Beseitigungsansprüche eingegriffen werden dürfen. Die Duldungswirkung sichert somit den Bestand des Planfeststellungbeschlusses - genauer: den im Planfeststellungsbeschluß getroffenen Ausgleich der unterschiedlichen Interessen von Vorhabensträger auf der einen und betroffenen Nachbarn auf der anderen Seite - „zivilrechtlich" ab und korreliert damit mit der die öffentlich-rechtlichen Beziehungen zwischen dem Träger des Vorhabens und der Nachbarschaft betreffenden Gestaltungswirkung 43. Auch die Duldungswirkung dient damit im Ergebnis der Sicherung des Bestands des Planfeststellungsbeschlusses 44, weshalb die gelegentlich in der Literatur anzutreffende Bezeichnung als „Sicherungswirkung" 45 ihre Berechtigung hat. Das „Monopol", für einen ausgewogenen Ausgleich der Belange der Beteiligten zu sorgen, liegt also bei der Planfeststellung.

43

Giernulla/Schmid (Fn. 9), § 9 Rdnr. 11; Friesecke (Fn. 10), § 21 Rdnr. 1; Ronellenfitsch, in: Marschall/Schroeter/Kastner, Bundesfernstraßengesetz, 5. Aufl. 1998, S. 624; Haustein, Die Eisenbahnen im deutschen öffentlichen Recht, 1960, S. 165. 44 Haustein (Fn. 43), S. 165 ff. 45 Etwa Kiigel, Der Planfeststellungsbeschluß und seine Anfechtbarkeit, 1985, S. 79; Ule/Laubinger (Fn. 18), S. 400; Busch, in: Knack (Fn. 18), § 75, Rdnr. 5.

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Wichtig ist der Hinweis, daß diese Absicherung nicht deshalb geschieht, weil es sich, wie es noch in der reichsgerichtlichen Rechtsprechung anklingt, bei der Planfeststellung um einen grundsätzlich öffentlich-rechtlich nicht angreifbaren Hoheitsakt handelt 46 - eine Auffassung, die heute unter der Geltung des Art. 19 Abs. 4 GG nicht mehr aufrecht erhalten werden könnte. Ausschlaggebend ist vielmehr, daß der Planfeststellungsbeschluß auch die schutzwürdigen Interessen der Nachbarn berücksichtigen muß, um im Ergebnis ausgewogen zu sein. Dieser Ausgleich ist dann aber auch von den Nachbarn insoweit zu respektieren, als in diesen - wie Haustein ausführt - „staatlich geordneten Zustand" durch spätere Änderungswünsche nicht eingegriffen werden soll 47 . 2. Auch die Rechtsprechung des Preußischen Oberverwaltungsgerichts 48 hat der eisenbahnrechtlichen Planfeststellung - auch ohne ausdrückliche gesetzliche Verankerung im Preußischen Eisenbahngesetz49 - Ausschlußwirkung zugebilligt. Zunächst stellt das Gericht fest, daß der Planfeststellung für die Regelung der Rechtsverhältnisse zwischen der Eisenbahn und den durch den Plan Betroffenen nicht allumfassenden, erschöpfenden Charakter zukomme. Die eisenbahnrechtliche Planfeststellung regle nur einen Teil der bei dem Eisenbahnbau zu ordnenden Rechtsbeziehungen. A l l diejenigen Rechtsbeziehungen, die zum Privatrecht gehörten, müßten außerhalb der eisenbahnrechtlichen Planfeststellung geordnet werden 50 . „Insoweit ähnelt die durch die eisenbahnrechtliche Planfeststellung geschaffene Rechtslage einer solchen, die durch eine gewerbepolizeiliche Genehmigung begründet wird. Auch durch die gewerbepolizeiliche Genehmigung wird die genehmigte Anlage als solche gegen Untersagungsansprüche Beteiligter geschützt. Es erfahren die aus dem Nachbarrecht herrührenden Ansprüche gegen die genehmigte Anlage 46 RGZ 59, 70 (72) unter Hinweis auf das Gesetz über die Zulässigkeit des Rechtswegs in Beziehung auf polizeiliche Verfügungen v. 11.5.1842, wonach der Rechtsweg über „polizeiliche Verfügungen jeder Art" - worunter nach damaliger Ansicht auch die polizeiliche Genehmigung einer im Interesse des öffentlichen Verkehrs notwendigen oder zweckmäßigen Anlage zählte (RGZ, a.a.O.) - grundsätzlich ausgeschlossen war. Eine Ausnahme galt u.a. dann, wenn sich der Betroffene auf „einen speziellen Rechtstitel" berufen konnte. 47 Haustein (Fn. 43), S. 180. 48 V. 10.1.1935 - V.W. 101/32 -, PrOVG 95, 179 (181) und v. 29.9.1938 - X.C. 27/37 PrOVG 103, 204 (211). 49 Gesetz über die Eisenbahn-Unternehmungen v. 3.11.1838, abgedruckt bei Fritsch (Fn. 34), S. 69 ff. DazuBlümel, Die Bauplanfeststellung I (Fn. 12), S. 86 ff. 50 So auch das Reichsgericht in seiner Entscheidung v. 17.12.1932 - V 4/32 -, RGZ 139, 136 (147): „Die Planfeststellung erledigt nur die polizeilichen öffentlichen Interessen; nicht dagegen ergibt sie eine Befugnis zum entschädigungslosen Eingriff in Privatrechte."

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eine Einschränkung dahin, daß nicht auf Unterlassung des Betriebs, sondern nur auf Schutzeinrichtung oder Schadloshaltung geklagt werden kann."51 D.h.: Die Rechtsprechung des Reichsgerichts und des Preußischen Oberverwaltungsgerichts hat in ständiger Spruchpraxis der eisenbahnrechtlichen Planfeststellung Ausschlußwirkung - hergeleitet aus einem allgemeinen Rechtsgrundsatz - zuerkannt. Aus dem Umstand, daß der Bundesgesetzgeber in § 36 BBahnG eine entsprechende Regelung nicht aufgenommen hat, kann also nicht geschlossen werden, Planfeststellungsbeschlüssen, die aufgrund dieser Vorschrift ergangen sind, käme diese Wirkung nicht zu, zumal keinerlei Anhaltspunkte für ein „beredtes Schweigen" des Gesetzgebers vorliegen. Vielmehr sind - worauf Blümel zu Recht hingewiesen hat - Unterlassungsbzw. Beseitigungsansprüche von Nachbarn gegen nach dem Bundesbahngesetz planfestgestellte Eisenbahnanlagen kraft Gewohnheitsrechts ausgeschlossen. Darauf wird zurückzukommen sein.

VI. Zunächst soll hier Frage nachgegangen werden, ob sich aus den eben vorgestellten Wurzeln der Ausschlußwirkung der Planfeststellung Antworten auf die unter III. aufgeworfenen Fragen ergeben könnten. 1. Werden also, um auf die erste Frage einzugehen, durch § 75 Abs. 2 S. 1 VwVfG - neben den dort ausdrücklich aufgeführten Unterlassungs- bzw. Beseitigungsansprüchen - auch Ansprüche der Nachbarn gegen den Vorhabensträger ausgeschlossen, die die Herstellung von Schutzeinrichtungen zum Inhalt haben? § 21 WaStrG i.V.m. § 11 Abs. 1 S. 1 WHG sieht dies ausdrücklich vor. Nach §11 LuftVG i.V.m. § 14 S. 2 BImSchG tritt - im Ergebnis der Rechtsprechung des Reichsgerichts folgend - ein solcher Anspruch an die Stelle der ausgeschlossenen Ansprüche des privaten Nachbarrechts. a) Dem Wortlaut der Vorschrift selbst kann dieses Ergebnis nicht entnommen werden. § 75 Abs. 2 S. 1 VwVfG schließt Ansprüche auf Unterlassung des Vorhabens, auf Beseitigung oder Änderung der Anlagen oder auf Unterlassung ihrer Benutzung aus. Allenfalls dann, wenn die Herstellung von Schutzeinrichtungen eine Änderung der planfestgestellten Anlage erforderlich macht - was beispielsweise bei aktiven Schallschutzmaßnahmen wie Lärmschutzwänden oder -wällen der Fall sein kann -, wird der Nachbar mit An-

51

PrOVG 103, 204 (211).

24 FS Blümel

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Sprüchen gegen den Vorhabensträger nicht durchdringen. Ist dies aber nicht der Fall, wird man - Äußerungen in der Literatur folgend 52 - aufgrund des Wortlauts des Gesetzes zu dem Ergebnis kommen müssen, daß solche Ansprüche nicht ausgeschlossen sind. b) Auch der Vergleich mit anderen Vorschriften des Fachplanungsrechts hilft nicht weiter. Denn die bundeswasserstraßenrechtliche Planfeststellung schließt solche Ansprüche zwar ausdrücklich aus. Ganz anders aber die Regelung im Luftverkehrsrecht: Dort tritt ein Anspruch des Nachbarn auf Schutzeinrichtungen an die Stelle der ihm durch den unanfechtbaren Planfeststellungsbeschluß ausgeschlossenen privaten Abwehransprüche. Insoweit unterscheidet sich diese Regelung auch von der des Verwaltungsverfahrensrechts: Dort gibt es keine Ansprüche auf Schutzeinrichtungen bzw. auf Schadloshaltung als Surrogat für untergegangene Abwehransprüche des privaten Nachbarrechts. § 75 Abs. 2 bis 4 VwVfG mildern zwar die Folgen der Ausschlußwirkung ab 53 , gewähren aber keinen Anspruch auf Schutzvorkehrungen, der an die Stelle ausgeschlossener Abwehransprüche tritt. c) Allerdings sprechen Sinn und Zweck für eine Einbeziehung von Ansprüchen auf Schutzeinrichtungen in den Geltungsbereich der Duldungswirkung, wie es i m Bundeswasserstraßenrecht geschehen ist. Wie bereits oben ausgeführt 54 soll durch die Duldungswirkung das - häufig „sensible" - Geflecht des Ergebnisses einer Abwägung der Interessen des Vorhabensträgers auf der einen und der betroffenen Nachbarn auf der anderen Seite gegen privatrechtliche Ansprüche „von außen" abgesichert werden. Die Planfeststellungsbehörde entscheidet im Planfeststellungsbeschluß auch darüber, ob und inwieweit dem Vorhabensträger zum Schutz der Nachbarschaft Vorkehrungen aufzuerlegen sind und soll dies - wie die Vorschriften über die Ausschlußwirkung der Planfeststellung belegen - mit Blick auf Ansprüche des privaten Nachbarrechts abschließend tun. Damit lassen sich privatrechtliche Abwehransprüche gegen den Vorhabensträger, die neben Ansprüche des Nachbarn „aus der Planfeststellung" treten, nur schwer vereinbaren. Dasselbe gilt, wenn die Planfeststellungsbehörde Schutzvorkehrungen nicht anordnet, weil die Voraussetzungen dafür nicht vorliegen. Dann darf die Anlage („hoheitlich") ohne solche Maßnahmen zum Schutz der Nachbarschaft errichtet und betrieben werden. Dagegen stehen dem Nachbarn - sofern der Planfeststellungsbeschluß unanfechtbar wird - privatrechtliche Abwehransprüche nicht zur Verfügung: Ansprüche auf Unterlassung der Benutzung der Anlage sind ausgeschlossen, § 75 Abs. 2 S. 1

52 53 54

Oben Fn. 15. Ronellenfitsch (Fn. 31), S. 97. V. lb).

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VwVfG. Das muß dann - das belegen Sinn und Zweck der Regelung - aber auch für Ansprüche des Nachbarn auf Herstellung von Schutzeinrichtungen durch den Vorhabensträger gelten. Da diesem Ergebnis aber sowohl der Wortlaut des § 75 Abs. 2 S. 1 VwVfG als auch der Umstand entgegensteht, daß das Bundeswasserstraßenrecht ausdrücklich Ansprüche auf Herstellung von Schutzeinrichtungen ausschließt, was den Gesetzgeber nicht zu einer Anpassung der vergleichbaren Bestimmung des Verwaltungsverfahrensgesetzes bewogen hat, dürfte es sich dabei um einen Vorschlag für eine Regelung de lege ferenda handeln. 2. Dasselbe gilt im Ergebnis auch für Ansprüche auf „Schadloshaltung" 55 . Die bundeswasserstraßenrechtliche Planfeststellung (§21 WaStrG i.V.m. § 11 Abs. 1 S. 1 WHG) schließt (privatrechtliche) Schadensersatzansprüche des Nachbarn aus. I m Luftverkehrsrecht treten demgegenüber Schadensersatzansprüche an die Stelle der durch die Planfeststellung ausgeschlossenen Abwehransprüche, wenn Schutzvorkehrungen nach dem Stand der Technik nicht durchführbar oder dem Unternehmer wirtschaftlich nicht zumutbar sind ( § 1 1 LuftVG i.V.m. § 14 S. 2 BImSchG). § 75 Abs. 2 S. 1 VwVfG „sagt" dazu nichts. Auch insofern gilt das eben unter 1.) Ausgeführte: Sinn und Zweck der Vorschriften über die Duldungswirkung legen es nahe, auch solche Ansprüche nach Unanfechtbarkeit des Planfeststellungsbeschlusses auszuschließen, da in der Planfeststellung auch Fragen der Entschädigung wegen Beeinträchtigungen der Nachbarschaft durch das geplante Vorhaben - zumindest dem Grunde nach - zu treffen sind. Aber auch dieses Ergebnis dürfte sich aus denselben Erwägungen wie oben nur durch ein Tätigwerden des Gesetzgebers erreichen lassen. 3. Betrachtet man sich die unterschiedlichen Regelungen über die Duldungswirkung der wegerechtlichen Planfeststellung fällt auf, daß nur das Luftverkehrsrecht mit seiner Verweisung auf § 14 BImSchG für eine Kompensation ausgeschlossener Unterlassungs- bzw. Beseitigungsansprüche sorgt. Danach treten - wie bereits erwähnt - Ansprüche auf Schutzvorkehrungen bzw. auf Schadensersatz an die Stelle entfallender Abwehransprüche. Fraglich ist, ob dies verfassungsrechtlich geboten ist. Von Interesse ist das insbesondere für § 75 Abs. 2 S. 1 VwVfG und für § 21 WaStrG. Denn dort hat der Gesetzgeber nicht für eine dem Luftverkehrsrecht vergleichbare Kompensation gesorgt.

55 Gemeint sind nicht nur Schadensersatzansprüche, sondern auch Entschädigungsansprüche; dazu oben Fn. 16.

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Ausgangspunkt der verfassungsrechtlichen Überlegungen ist Art. 14 GG. Die Vorschriften über die Duldungswirkung enthalten eine generell-abstrakte Festlegung von Pflichten durch den Gesetzgeber und stellen, legt man die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Abgrenzung von Enteignung und Inhaltsbestimmung des Eigentums zugrunde 56 , eine Inhalts- und Schrankenbestimmung des Eigentums (Art. 14 Abs. 1 S. 2 und Abs. 2 GG) dar 57 . Als solche muß sie dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit genügen, d.h. geeignet, erforderlich und verhältnismäßig im engeren Sinne sein 58 . Zu dieser Abwägung ist der Gesetzgeber berufen. Er hat zu entscheiden, welche Lasten einem Eigentümer aus Gründen des Wohls der Allgemeinheit auferlegt werden dürfen. Dabei hat er die schutzwürdigen Interessen der Beteiligten in einen gerechten Ausgleich und in ein ausgewogenes Verhältnis zu bringen: Sowohl der verfassungsrechtlich garantierten Rechtsstellung des Privateigentums, als auch dem Gebot einer sozialgerechten Eigentumsordnung ist Rechnung zu tragen 59 . Nicht zu beanstanden ist dabei eine Inhalts- und Schrankenbestimmung, die zwar eine im Einzelfall unverhältnismäßige Belastung mit sich bringen kann, die aber vom Gesetzgeber - sei es durch Zubilligung einer Entschädigung, sei es durch andere, den „Eingriff' abmildernde Maßnahmen ausgeglichen wird 6 0 . Das ist der Ansatzpunkt für Überlegungen, ob es verfassungsrechtlich geboten sein könnte, dem einzelnen den mit der Unanfechtbarkeit des Planfeststellungsbeschlusses verbundenen Verlust an Abwehransprüchen gegen das geplante Verkehrswegevorhaben - etwa durch Zubilligung einer Entschädi-

56 BVerfG v. 12.6.1979 - 1 BvL 19/76 -, BVerfGE 52, 1; v. 14.7.1981 - 1 BvL 24/78-, BVerfGE 58, 137; v. 15.7.1981 - 1 BvL 77/78 BVerfGE 58, 300; v. 30.11.1988 - 1 BvR 1301/84 -, BVerfGE 79, 174. Dazu Böhmer, Grundfragen der verfassungsrechtlichen Gewährleistung des Eigentums in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, NJW 1988, S. 2561. 57 Friesecke (Fn. 15), S. 59; ders. (Fn. 10), § 21 Rdnr. 1; Giesecke/Wiedemann/ Czychowski, Wasserhaushaltsgesetz, 6. Aufl. 1992, § 11 Rdnr. 1; BGH v. 12.7.1984 - m ZR 65/83 -, BGHZ 92, 114 (117); ausführlich Peine, Privatrechtsgestaltung durch Anlagengenehmigung, NJW 1990, S. 2442. A.A. Korbmacher, Der „ A u s g l e i c h von Schäden" im wasserrechtlichen Planfeststellungsverfahren, DÖV 1974, S. 552 (558) und wohl Kleinlein, Die ausgleichspflichtige Inhaltsbestimmung - eine Alternative zur Enteignung?, DVB11991, S. 365 (367 f.). 58 Vgl. dazu statt vieler Böhmer (Fn. 56), S. 2571 ff.; Jarass/Pieroth, Grundgesetz, 4. Aufl. 1997, Art. 14 Rdnr. 29 ff.; Wendt, in: Sachs, Grundgesetz, 1996, Art. 14 Rdnr. 85 ff. 59 Vgl. die Nachweise in Fn. 56. 60 Grundlegend: BVerfG v. 14.7.1981 (FN 56). Ebenso: BVerfG v. 30.11.1988 (Fn. 56) und BVerwG v. 22.5.1987 - 4 C 17-19.84 -, BVerwGE 77, 295.

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gung - auszugleichen. Davon wird man aber nicht ausgehen können 61 . Die Zulassung von Verkehrsvorhaben dient dem Gemeinwohl und weist damit einen hohen „sozialen Bezug" auf. Schon daraus ergeben sich erhöhte Duldungspflichten der Nachbarn. Das heißt nun aber nicht, daß diese weitgehend schutzlos gestellt werden dürften. Das tut das Recht der Planfeststellung aber auch nicht. Es verlangt an mehreren Stellen die Berücksichtigung der schutzwürdigen Belange der Nachbarschaft. Schon bei der Trassierung - um als Beispiel den Immissionsschutz zu wählen - ist im Rahmen der Abwägung zu berücksichtigen, daß schädliche Umwelteinwirkungen auf ausschließlich oder überwiegend dem Wohnen dienende Gebiete soweit wie möglich vermieden werden, § 50 BImSchG. Das planerische Abwägungsgebot sichert auf dieser Stufe der Planung die Belange der Nachbarschaft (Gesundheit und Eigentum) in hervorgehobener Weise („soweit wie möglich") 62 . Die Planfeststellungsbehörde hat anschließend - bei der Entscheidung über die Trasse selbst dem Vorhabensträger im Planfeststellungsbeschluß Vorkehrungen oder die Errichtung und Unterhaltung von Anlagen aufzuerlegen, die zur Vermeidung nachteiliger Wirkungen auf Rechte anderer erforderlich sind. Sind solche Vorkehrungen oder Anlagen untunlich oder mit dem Vorhaben unvereinbar, so hat der Betroffene Anspruch auf angemessene Entschädigung in Geld, § 74 Abs. 2 S. 2 und 3 VwVfG. Damit ist nicht nur sichergestellt, daß die schutzwürdigen Belange der Nachbarschaft in der Planfeststellung Berücksichtigung finden. Gleichzeitig ist der Planfeststellungsbehörde ein taugliches Instrumentarium an die Hand gegeben worden, um für einen Ausgleich der Belange der Beteiligten sorgen zu können: sie kann - und muß - den Vorhabensträger verpflichten, Maßnahmen zum Schutz der Rechte Dritter zu ergreifen oder, falls dies nicht möglich ist, den Nachbarn zu entschädigen. Diese Pflicht setzt der Planungsbefügnis der Behörde Schranken. Kommt es zu schädlichen Umwelteinwirkungen in der Nachbarschaft, darf sich die Planfeststellungsbehörde darüber in der Abwägung nicht hinwegsetzen. Sie muß vielmehr für einen Ausgleich sorgen, sei es, daß sie dem Vorhabensträger physisch-reale Schutzmaßnahmen auferlegt, sei es, daß sie ihn zu Entschädigungsleistungen verpflichtet. Rechte der Nachbarn werden also bereits durch die hoheitliche Anlagenzulassung geschützt. Dieser materiell-rechtlichen Verpflichtung der Planfeststellungsbehörde entspricht ein prozessualer Anspruch des einzelnen auf Einhaltung dieses „Schutzgebots": Er kann zu Unrecht un-

61

Zum folgenden insbesondere Peine (Fn. 57), S. 2443 f. § 50 BImSchG enthält ein sogenanntes „Optimierungsgebot", das im Rahmen der Abwägung eine möglichst weitgehende Beachtung gebietet. BVerwG v. 22.3.1985 - 4 C 73.82 BVerwGE 72, 163 (165); v. 4.5.1988 - 4 C 2/85 NVwZ 1989, 151 (152). 62

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terbliebene Schutzvorkehrungen gerichtlich einfordern. Er wird also nicht schütz- und rechtsschutzlos dadurch gestellt, daß ihm - nach Unanfechtbarkeit des Planfeststellungsbeschlusses - verwehrt ist, privatrechtliche Abwehransprüche gegen das Vorhaben geltend zu machen. Das alles setzt aber eine verfahrensrechtliche Absicherung voraus. Es muß gewährleistet sein, daß der Nachbar seine Betroffenheit im Verwaltungsverfahren darlegen und damit der Zulassungsbehörde zur Kenntnis bringen kann. Denn ohne diese Einflußmöglichkeit ist der Behörde die Möglichkeit genommen, zu Lasten des Vorhabensträgers für den Schutz nachbarlicher Belange sorgen zu können. Das verdeutlicht die Bedeutung, die insofern einem effektiven „Rechtsschutz durch Verfahren" 63 zukommt: der materiell-rechtliche Ausschluß privatrechtlicher Abwehransprüche setzt die formelle Beteiligung des Betroffenen - in der Regel im Rahmen einer Öffentlichkeitsbeteiligung - voraus 64 . Diese Bedingung erfüllen die wegerechtlichen Fachplanungen: Ausschlußwirkung hat der unanfechtbare Planfeststellungsbeschluß, der erst nach Durchführung eines Planfeststellungsverfahrens mit Öffentlichkeitsbeteiligung erlassen werden darf. Nach alledem ist nicht zu erkennen, daß der Ausschluß privatrechtlicher Abwehransprüche in der wegerechtlichen Planfeststellung zu einer Belastung des einzelnen führt, die dem Übermaßverbot widerspräche und durchKompensationsmaßnahmen - etwa der Zubilligung von Entschädigungsansprüchen - ausgeglichen werden müßte. § 75 Abs. 2 S. 1 VwVfG und § 21 WaStrG i.V.m. § 11 WHG, die dies nicht tun, enthalten damit keine unverhältnismäßige Inhalts- und Schrankenbestimmung des Eigentums und sind verfassungsrechtlich unbedenklich. 4. Verbleibt die Frage, ob die unterschiedliche Behandlung der Abwehransprüche durch den Gesetzgeber, die auf besonderen privatrechtlichen Titeln beruhen, zu unterschiedlichen Ergebnissen führt. Während etwa die bundeswasserstraßenrechtliche Planfeststellung mit ihrem Verweis auf § 11 Abs. 2 WHG und die luftrechtliche Planfeststellung mit dem Verweis auf § 14 BImSchG solche Ansprüche von der Ausschlußwirkung ausdrücklich ausnimmt, findet sich in § 75 Abs. 2 S. 1 VwVfG keine Aussage dazu. In der Li-

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Blimiel, „Demokratisierung der Planung" oder rechtsstaatliche Planung?, in: Festschrift für Emst ForsthoiT zum 70. Geburtstag, 2. Aufl. 1974, S. 9; ders., Grundrechtsschutz durch Verfahrensgestaltung, in: ders. (Hrsg.), Frühzeitige Bürgerbeteiligung bei Planungen, 1982, S. 23. 64 BGH v. 23.6.1983 - LH ZR 79/82 -, BGHZ 88, 34 (40); v. 12.7.1984 (Fn. 57), S. 117; Giesecke/Wiedemami/Czychowski (Fn. 57), § 11 Rdnr. 1; Peine (Fn. 57), S. 2444. OVG Münster v. 15.8.1996 - 20 A 2777/94 NVwZ-RR 1998, S. 23 (24).

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teratur wird gleichwohl - i m Ergebnis zu Recht - die Auffassung vertreten, daß diese Vorschrift Ansprüche nicht ausschließt, die auf besonderen privatrechtlichen Titeln beruhen 65 . a) Das ergibt sich bereits aus dem Umstand, daß - so das Bundesverwaltungsgericht in einer älteren Entscheidung - der Planfeststellung eine privatrechtliche Wirkung der Art, daß sie „unmittelbar die berührten Privatrechte umgestalte oder einen tatsächlichen Eingriff in diese zuließe", nicht zukommt 6 6 . Der Planfeststellungsbeschluß selbst „regelt" nicht (unmittelbar) die privatrechtlichen Beziehungen des planfeststellungsbedürftigen Vorhabens zur Nachbarschaft; eine Entscheidung über privatrechtliche Unterlassungs- bzw. Beseitigungsansprüche gehört nicht zum Gegenstand der Planfeststellung. Die Ausschlußwirkung knüpft der Gesetzgeber vielmehr an die Unanfechtbarkeit des Planfeststellungsbeschlusses, sie ist nicht Inhalt der Entscheidung selbst. Diese ergeht insofern unbeschadet privater Rechte Dritter. Zwar ist zutreffend, daß der Planfeststellung „nicht jeder Einfluß auf die Privatrechtslage abgesprochen werden" kann 67 . Das liegt aber nicht am Regelungsgehalt der Planfeststellung, sondern an den Folgen, die der Gesetzgeber an einen unanfechtbaren Planfeststellungsbeschluß knüpft. Daraus folgt, daß sich die Planfeststellung auch nicht über private Rechte Dritter „hinwegsetzen" kann, die auf besonderen Titeln - beispielsweise Grunddienstbarkeiten oder schuldrechtlichen Verträgen - beruhen. b) Fraglich könnte daher allenfalls sein, ob der Gesetzgeber die Ausschlußwirkung eines unanfechtbaren Planfeststellungsbeschlusses über die sich unmittelbar aus dem Gesetz ergebenden Unterlassungs- und Beseitigungsansprüche hinaus auf solche ausdehnen dürfte, denen besondere privatrechtliche Titel zugrunde liegen. Damit würde aber dem betroffenen Nachbarn eine konkrete subjektive, Vermögenswerte Eigentumsposition entzogen, was nur unter Beachtung der verfassungsrechtlich erforderlichen Anforderungen an eine

65

Oben Fn. 18. A.A. wohl OVG Lüneburg v. 7.12.1995 - 3 L 5593/92 -, NVwZ-RR 1997, S. 90: Der Ausschluß von Ansprüchen auf Unterlassung oder Änderung eines Vorhabens durch einen Planfeststellungsbeschluß erstrecke sich auch auf schuldrechtliche oder dingliche Ansprüche des privaten Rechts. 66 BVerwG v. 12.7.1956 - 1 C 223/54 -, DÖV 1956, S. 729 unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung des Preußischen Oberverwaltungsgerichts (oben Fn. 48) und des Reichsgerichts (oben Fn. 50 ). Dazu Kruchen, Zur eisenbahnrechtlichen Planfeststellung, DÖV 1957, S. 172. 67 So Kruchen in seiner Kritik an der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Fn. 66), S. 173.

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Enteignung (Art. 14 Abs. 3 GG) möglich wäre 68 . Diesen Anforderungen wird § 75 Abs. 2 S. 1 VwVfG nicht gerecht. Auch deshalb verbietet sich eine Auslegung dieser Vorschrift dahingehend, auf besonderen privatrechtlichen Titeln beruhende Abwehransprüche würden - da im Gegensatz zu vergleichbaren Vorschriften des Verkehrswegerechts nicht ausdrücklich genannt - von der Ausschlußwirkung erfaßt.

VII. Die Duldungswirkung der Planfeststellung wirft aber nicht nur wegen ihrer unterschiedlichen Ausgestaltung durch den Gesetzgeber Rechtsfragen auf. Aktuelle Entwicklungen sind der Ausgangspunkt für weitere Fragen, denen sogleich nachgegangen werden soll, für die die Rechtsprechung - soweit ersichtlich - noch keine Lösungen zu entwickeln hatte, die aber in der Praxis bereits eine Rolle spielen bzw. künftig spielen werden. 1. Angesprochen ist damit zum einen das Verhältnis der Duldungswirkung der Planfeststellung zu Ansprüchen von Nachbarn auf Lärmsanierung. Gemeint sind die Fälle, in denen Wohnen und emittierender Verkehrsweg in unmittelbarer Nachbarschaft lange Zeit keine Probleme aufgeworfen haben, durch eine Zunahme des Verkehrs - also ohne bauliche Änderungs- oder Erweiterungsmaßnahmen am Verkehrsweg selbst - aber im Lauf der Zeit vor allem Lärmbeeinträchtigungen entstanden sind, die die Schwelle der gesundheitlichen Unbedenklichkeit überschritten haben. Diese Konflikte bestehen nicht nur an vielbefahrenen Straßen 69 oder in der Nachbarschaft bestehender

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Nicht so - worauf zur Klarstellung verwiesen werden soll - beim Ausschluß von gesetzlichen Abwehransprüchen. Insofern hat der Nachbar „nichts erworben", was üim wieder genommen werden könnte. Denn mögliche Abwehransprüche aus dem Gesetz wurden vom Gesetzgeber so ausgestaltet, daß sie, richten sie sich gegen planfeststellungsbedürftige Verkehrsvorhaben, wieder „untergehen", sobald der Planfeststellungsbeschluß unanfechtbar wird. Sie sind also, wenn man so will, von vornherein „mit ihrem Untergang behaftet". Liegen demgegenüber besondere privatrechtliche Titel vor, würde in diesen Bestand durch die zeitlich „nachfolgende" Planfeststellung eingegriffen, wären diese von der Ausschlußwirkung der Planfeststellung erfaßt. 69 Seit der Entscheidung v. 20.3.1975 - m ZR 215/71 -, BGHZ 64, 220, billigt der Bundesgerichtshof dem Nachbarn einer Straße einen öffentlich-rechtlichen Anspruch auf Entschädigung in Geld zu, wenn Lärmbeeinträchtigungen die sog „enteignungsrechtliche" Ziunutbarkeitsschwelle überschreiten. Zuletzt: BGH v. 12.3.1992 - EI ZR 133/90 -, NVwZ 1992, S. 915.

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Flughäfen 70 . Zunehmend sieht sich auch der Verkehrsträger „Schiene" Ansprüchen auf Lärmsanierung von Anwohnern gegenüber 71. In den dazu bislang vorliegenden Entscheidungen der Gerichte 72 spielte die Frage, ob solche Ansprüche wegen der Duldungswirkung der Planfeststellung mit Erfolg durchgesetzt werden können, keine Rolle. Allerdings ist diese Rechtsprechung ergangen, als die Bundesbahn noch hoheitlich betrieben wurde. Das hat sich durch die Bahnstrukturreform 73 geändert: zwischenzeitlich erbringen private Aktiengesellschaften Eisenbahnverkehrsleistungen und betreiben die Eisenbahninfrastruktur. Das wiederum hat dazu geführt, daß Abwehransprüche gegen Lärmbeeinträchtigungen, die von bereits bestehenden Schienenstrecken ausgehen, i m Zivilrecht zu suchen sind 74 . Dies und der Umstand, daß Eisenbahnen seit alters her planfeststellungsbedürftig sind - eine Vermutung also dafür spricht, daß bestehende Schienenstrecken aufgrund eines Planfeststellungsbeschlusses errichtet worden sind, der, wie oben ausgeführt, Unterlassungs- bzw. Beseitigungsansprüche ausschließt - lassen das Problem offen zutage treten: kann Ansprüchen auf Lärmsanierung gleichsam von vornherein die Duldungswirkung der Planfeststellung entgegengehalten werden? a) Der Wortlaut des - heute - für die eisenbahnrechtliche Planfeststellung einschlägigen § 75 Abs. 2 S. 1 VwVfG würde dieses Ergebnis nicht stützen. Denn danach werden zwar Ansprüche auf Beseitigung bzw. auf Änderung des Verkehrswegs sowie auf Unterlassung des Betriebs ausgeschlossen, nicht aber Ansprüche, die eine Änderung der Anlage selbst nicht erforderlich machen 75 (beispielsweise Ansprüche auf passive Schallschutzmaßnahmen wie Lärmschutzfenster) oder aber Entschädigungsansprüche für die lärmbedingte Minderung des Grundstückswerts, insbesondere des sogenannten Außenwohnbe-

70 Ansprüche auf Lärmschutz an bestehenden Verkehrsflughäfen stützt der Bundesgerichtshof auf §§ 1004, 906 BGB; BGH v. 15.6.1977 - V ZR 44/75 -, BGHZ 69, 105; v. 10.6.1977 - V ZR 242/74 -, BGHZ 69, 118; v. 26.11.1980 - V ZR 126/78 -, BGHZ 79, 45; v. 16.9.1988 - V ZR 267/86 -, NJW-RR 1989, S. 396. 71 Vgl. dazu Michler, Ansprüche auf Lärmsanierung an bestehenden Eisenbalmstrecken der Deutschen Bahn AG, zur Veröffentlichung in VB1BW 1998 vorgesehen. 72 OVG Bremen v. 19.1. 1993 - 1 BA 11/92 -, NVwZ-RR 1993, S. 468; VGH München v. 12.10.1995 - 20 B 94.1188 -, NVwZ 1996, S. 1125; v. 5.3.1996 - 20 B 92.1055 -. 73 Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes v. 20.12.1993 (BGBl I S. 2089) und Gesetz zur Neuordnung des Eisenbahnwesens (Eisenbahnneuordnungsgesetz) v. 27.12.1993 (BGBIIS. 2378). 74 VGH München v. 5.3.1996 (Fn. 72), Urteilsabdruck S. 12 f. und BGH v. 21.11.1996 - V Z B 19/96 -, NJW 1997, S. 744. 75 Siehe dazu die Nachweise in Fn. 15.

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reichs. Darum geht es aber in aller Regel bei der Lärmsanierung 76 . § 75 Abs. 2 S. 1 VwVfG würde also diesen Lärmsanierungsansprüchen nicht entgegenstehen. b) Wollte man zur Beurteilung nicht die heute geltende Rechtslage heranziehen, sondern die Ausschlußwirkung der Planfeststellung, wie sie von der Rechtsprechung des Reichsgerichts und des Preußischen Oberverwaltungsgerichts entwickelt wurde 77 , ergäbe sich i m Ergebnis dasselbe. Zwar konnte danach nicht auf die Unterlassung des Betriebes der Eisenbahnanlage geklagt werden, sehr wohl aber - an Stelle der ausgeschlossenen Abwehransprüche auf die Herstellung von Schutzeinrichtungen oder auf Schadloshaltung, Ansprüche also, auf die heute mögliche Lärmsanierungsansprüche in aller Regel beschränkt sind. Auch danach wären Nachbarn durch die Planfeststellung Ansprüche auf Lärmsanierung nicht abgeschnitten78. c) Schwieriger zu beantworten ist diese Frage für die Planfeststellungen, die - wie beispielsweise die des Bundeswasserstraßengesetzes - ausdrücklich auch Ansprüche auf Herstellung von Schutzvorkehrungen und Entschädigungs- bzw. Schadensersatzansprüche ausschließen. Auf die Schwere von Beeinträchtigungen als Voraussetzung für Unterlassungs- bzw. Beseitigungsansprüche kommt es dabei nicht an. Das einfache Recht schließt nach seinem Wortlaut jegliche Abwehransprüche aus. Bei der Lärmsanierung geht es aber in aller Regel um Einwirkungen, die das Maß des verfassungsrechtlich Hinzunehmenden überschreiten, die also die sogenannte „enteignungsrechtliche" Zumutbarkeitsschwelle erreichen 79 . D.h.: erst wenn Beeinträchtigungen Gefahren für die Gesund mit sich bringen können - und nicht bloße Belästigungen darstellen -, erwachsen einem Nachbarn Ansprüche auf Schutz vor schädlichen Umwelteinwirkungen, die von einem bereits bestehenden Verkehrsweg ausgehen. In den Fällen einer Lärmzunahme aufgrund einer „schleichenden" Erhöhung des Verkehrsaufkommens 80 erscheint aber eine Abwägung zwischen der Sozialbindung des Eigentums (Art. 14 Abs. 2 GG) auf der einen Seite, die dem Grundstückseigentümer Duldungspflichten gegenüber Vorhaben des Gemeinwohls auferlegt, und der verfassungsrechtlich garantierten Privatnützig76

So die Rechtsprechung in Fn. 72 und Michler (Fn. 71). Dazu oben V. 78 Dieses Ergebnis gilt auch für die luftverkehrsrechtliche Planfeststellung mit ihrem Verweis auf § 14 BImSchG. 79 Vgl. etwa die Rechtsprechung zu Ansprüchen auf „Lärmsanierung" an Straßen (Fn. 69), Verkehrsflughäfen (Fn. 70) und Schienenstrecken (Fn. 72). 80 Anders liegt der Fall dann, wenn sich der Betroffene „sehenden Auges" in der Nachbarschaft eines bereits zu lauten Verkehrswegs ansiedelt. 77

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keit des Eigentums auf der anderen Seite (Art. 14 Abs. 1 S. 1 GG) zu Lasten des Nachbarn - etwa weil Ansprüche auf Lärmsanierung nicht mehr geltend gemacht werden können - unverhältnismäßig. Gesundheitsgefahren muß sich der Bürger selbst dann nicht aussetzen, wenn der Emittent einen wichtigen Gemeinwohlauftrag - die Sicherstellung eines leistungs- und wettbewerbsfähigen Verkehrsnetzes - erfüllt. Zwei Lösungsansätze kommen für das angesprochene Problem in Betracht. Zunächst könnte daran gedacht werden, in Fällen der Lärmsanierung - der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgericht zur sog. ausgleichspflichtigen Inhaltsbestimmung folgend 81 - dem Betroffenen als Ersatz für ausgeschlossene Abwehransprüche eine Entschädigung zuzubilligen. Das entspräche zwar im Ergebnis der oben unter b) vorgestellten Rechtslage. Dabei ist jedoch zu bedenken, daß der Gesetzgeber Inhalt und Schranken des Eigentums festzulegen hat (Art. 14 Abs. 1 S. 2 GG). Der Rechtsprechung wäre es also verwehrt, einen solchen Entschädigungsanspruch - am Gesetzgeber vorbei - zu schaffen. Näher liegt daher eine verfassungskonforme Auslegung der entsprechenden einfachrechtlichen Bestimmungen dahingehend, daß Ansprüche des Nachbarn auf Schutz vor schädlichen Umwelteinwirkungen, die die „enteignungsrechtliche" Zumutbarkeitsschwelle überschritten haben, von der Ausschlußwirkung der Planfeststellung nicht erfaßt werden. Im Ergebnis bedeutet dies, daß Ansprüche auf Schutzvorkehrungen oder Ansprüche auf Entschädigung für die Minderung des Grundstückswerts (vor allem des sog. Außenwohnbereichs) nicht ausgeschlossen werden (können). Nur so läßt sich ein dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz entsprechender Ausgleich zwischen Schutzansprüchen der Nachbarn auf der einen und dem Interesse der Allgemeinheit auf Aufrechterhaltung des Betriebs gemeinwichtiger Anlagen auf der anderen Seite de lege lata herstellen. 2. Während das eben geschilderte Problem Planungen der Vergangenheit betrifft, hängt ein weiteres mit aktuellen Rechtsentwicklungen zusammen, die in die Zukunft weisen. Angesprochen ist die vom Gesetzgeber in das Fachplanungsrecht aus Gründen der Verfahrensbeschleunigung eingeführte Plangenehmigung 82 . Trotz Unterschieden im Detail 83 wurden der Plangenehmigung

81

Siehe dazu die Nachweise in Fn. 60. § 74 Abs. 6 VwVfG; § 17 Abs. la FStrG; § 18 Abs. 2 AEG; § 28 Abs. la PBefG; § 2 Abs. 2 MBP1G; § 8 Abs. 2 LuftVG. Zur Plangenehmigung etwa Pfeil, Die Voraussetzungen der Plangenehmigung gemäß § 18 Abs. 2 AEG, in: Blümel/Kühlwetter (Hrsg.), Aktuelle Probleme des Eisenbahnrechts, Speyerer Forschungsbericht Nr. 160, 1996, S. 147; ders.\ Plangenehmigung und Umweltverträglichkeitsprüfung, in: Blümel/ Kühlwetter (Hrsg.), Aktuelle Probleme des Eisenbahnrechts II, Speyerer Forschungsberichte Nr. 175, 1997, S. 101; Axer, Die Konzentrationswirkung der Plangenehmigung, DÖV 1995, S. 495; Bülow, Fortentwicklung des Verwaltungsverfahrensrechts unter besonderer Berücksichtigung des Planfeststellungsrechts, 1996, S. 9 ff.; Ringel, 82

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die Rechtswirkungen der Planfeststellung mit Ausnahme der enteignungsrechtlichen Vorwirkung 8 4 verliehen. D.h.: Auch die Plangenehmigung soll nach dem Willen des Gesetzgebers privatrechtliche Unterlassungs- bzw. Beseitigungsansprüche gegen das unanfechtbar genehmigte Vorhaben selbst bzw. seinen Betrieb ausschließen. Das würde voraussetzen, daß die Plangenehmigung - wie die Planfeststellung - in der Lage ist, sowohl materiell-rechtlich für einen Schutz von Nachbarrechten zu sorgen, als auch, daß sie verfahrensrechtliche Absicherungen wie Beteiligungsmöglichkeiten Betroffener enthält. Daran sind jedoch Zweifel anzumelden. a) Fraglich ist bereits, ob die Genehmigungsbehörde die Möglichkeit hat, dem Vorhabensträger zum Schutz der Nachbarschaft Schutzvorkehrungen bzw. Schutzanlagen gemäß § 74 Abs. 2 S. 2 und 3 VwVfG auferlegen zu können. Das hat das Bundesverwaltungsgericht für die bundeswasserstraßenrechtliche Plangenehmigung des § 14 Abs. l a WaStrG verneint 85 . Die - auf andere Fachplanungen übertragbare - Begründung des Gerichts stützt sich auf 2 Erwägungen. Bereits der Wortlaut der Vorschrift selbst spreche gegen eine Anwendbarkeit des § 74 Abs. 2 S. 2 und 3 VwVfG. Denn nach § 14 Abs. l a S. 2 Halbs. 2 WaStrG fanden die Vorschriften über das Planfeststellungsverfahren - und damit die Vorschriften des Fachplanungsrechts über Schutzauflagen auf die Erteilung einer Plangenehmigung keine Anwendung 86 . Dies ergebe sich weiter aus der Systematik des Gesetzes. Der bei der Planfeststellung durch § 74 Abs. 2 S. 2 und 3 VwVfG bezweckte Schutz der Rechte anderer werde bei der Plangenehmigung durch die Erteilungsvoraussetzungen des § 14 Abs. la S. 1 Nr. 1 WaStrG sichergestellt 87. Danach darf eine Plangenehmigung nur erteilt werden, wenn Rechte anderer nicht beeinträchtigt werden 88 oder die Betroffenen sich mit der Inanspruchnahme ihres Eigentums oder eines anderen Rechts schriftlich einverstanden erklärt haben. Werden Nachbarrechte Die Plangenehmigung im Fachplanungsrecht, 1996; Jarass, Aktuelle Probleme des Planfeststellungsrechts, DVB1 1997, S. 795. 83 Während bei allen anderen Fachplanungen eine Plangenehmigung nur ergehen darf, wenn Rechte anderer nicht beeinträchtigt werden, erlauben die Plangenehmigungen des Fernstraßen- und Personenbeförderungsrechts auch ein Abweichen von der Planfeststellung, wenn „Rechte anderer nicht wesentlich beeinträchtigt werden". 84 Vgl. die Nachweise in Fn. 86. 85 BVerwG v. 25.9.1996 - 11 A 20.96 -, DVB1 1997, S. 706. 86 Dieselben Bestimmungen enthalten § 74 Abs. 6 S. 2 Halbs. 2 VwVfG, § 17 Abs. la S. 2 Halbs. 2 FStrG, § 18 Abs. 2 S. 2 Halbs. 2 AEG, § 28 Abs. la S. 2 Halbs. 2 PBefG, § 2 Abs. 2 Halbs. 2 MBP1G und § 8 Abs. 2 S. 2 Halbs. 2 LuftVG. 87 BVerwG (Fn. 85), S. 707. 88 Bzw. - im Fernstraßen- und Personenbeförderungsrecht - „nicht wesentlich beeinträchtigt werden", s.o. Fn. 83.

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nicht berührt bzw. sind die Nachbarn mit der Baumaßnahme einverstanden, besteht in der Tat keine Veranlassung für die Behörde, in der Plangenehmigung für Schutzvorkehrungen zu sorgen. Der Ausschluß privater Abwehrrechte durch die unanfechtbare Plangenehmigung ließe sich also - im Unterschied zur Planfeststellung - nicht damit begründen, daß im Rahmen der hoheitlichen Zulassung ausreichende materiell-rechtliche Vorkehrungen zum Schutz der Rechte anderer getroffenen worden seien. b) Der zweite Unterschied zur Planfeststellung betrifft das Genehmigungsverfahren. Dieses findet ohne Öffentlichkeitsbeteiligung statt. Den Nachbarn ist damit die Möglichkeit genommen, auf eine mögliche Beeinträchtigung ihrer Rechte i m Verwaltungsverfahren hinweisen zu können. Welche Folgerungen sich daraus ergeben können, wird bereits für das geltende Recht kontrovers diskutiert. Das Problem stellt sich etwa im (isolierten) luftverkehrsrechtlichen Genehmigungsverfahren nach § 6 LuftVG. Dafür sieht das Gesetz zwar keine Öffentlichkeitsbeteiligung vor, gleichwohl werden aber, auch wenn nur eine Genehmigung ausreicht 89 - ein Planfeststellungsverfahren nach § 8 LuftVG also nicht erforderlich ist 9 0 -, privatrechtliche Abwehransprüche ausgeschlossen ( § 1 1 LuftVG i.V.m. § 14 BImSchG). Daraus ergebe sich - so Stimmen in der Literatur - eine rechtliche Verpflichtung der Genehmigungsbehörde auf Beteiligung der Nachbarschaft 91. Folge der Ausschlußwirkung privatrechtlicher Abwehransprüche wäre danach ein subjektiv-öffentliches Recht auf Beteiligung im Genehmigungsverfahren. Dieses Ergebnis ist aber auf die Plangenehmigung nicht übertragbar. Denn der Gesetzgeber wollte gerade zur Beschleunigung dadurch beitragen, daß er eine - als zu aufwendig und zeitraubend empfundene - Öffentlichkeitsbeteiligung nicht zur verfahrensrechtlichen Voraussetzung einer Plangenehmigung gemacht hat 92 . Näher liegt daher die in der Rechtsprechung zur isolierten luftrechtlichen Genehmigung 89 Beispiele sind die Genehmigung der Anlage und des Betriebs von Landeplätzen ohne Bauschutzbereich, von Segelfluggeländen sowie von militärischen Flughäfen (§30 Abs. 1 S. 2 LuftVG) sowie die Umwandlung eines Militärflugplatzes in einen zivilen Verkehrsflughafen (§ 8 Abs. 5 und 7 LuftVG). 90 Nur Flughäfen sowie Landeplätze mit beschränktem Bauschutzbereich sind planfeststellungsbedürftig. 91 Giemulla/Schmid (Fn. 9), § 6 Rdnr. 67; Hofmann/Grabherr (Fn. 9), § 6 Rdnr. 94. 92 Die Plangenehmigung wurde durch § 4 des Gesetzes zur Beschleunigung der Planungen für Verkehrswege in den neuen Ländern sowie im Land Berlin (Verkehrswegeplanungsbeschleunigungsgesetz) v. 16.12.1991 (BGBl I S. 2174) eingeführt und durch das Gesetz zur Vereinfachung der Planungsverfahren für Verkehrswege (Planungsvereinfachungsgesetz) v. 17.12.1993 (BGBl I S. 2123) sowie durch das Gesetz zur Beschleunigung von Genehmigungsverfahren (Genehmigungsverfahrensbeschleunigungsgesetz) v. 12.9.1996 (BGBl I S. 1354) auf die einzelnen Fachplanungen der alten Bundesländer ausgedehnt.

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geäußerte Auffassung, daß die Ausschlußwirkung in Zulassungsverfahren ohne Öffentlichkeitsbeteiligung entfällt 93 . Fehlende materiell-rechtliche und verfahrensrechtliche Möglichkeiten der Sicherung schutzwürdiger Belange der Nachbarn in der Plangenehmigung führen nach alledem dazu, daß dieser keine Ausschlußwirkung zukommen kann 94 . Sie würde aber wegen der Erteilungsvoraussetzungen der Plangenehmigung auch ins Leere gehen. Denn wenn die Betroffenen mit der Planung einverstanden bzw. wenn keine Beeinträchtigungen von Rechten anderer zu befurchten sind - nur dann darf die Plangenehmigung an die Stelle der Planfeststellung treten -, liegen die Voraussetzungen für die Erhebung privater Abwehransprüche nicht vor. Im zuerst genannten Fall, weil der Betroffene durch sein Einverständnis darauf verzichtet hat, im zweiten Fall, weil es bereits an den tatbestandlichen Voraussetzungen für Unterlassungs- bzw. Beseitigungsansprüchen fehlen dürfte.

VIII. Als Fazit läßt sich folgendes festhalten: 1. Der eisenbahnrechtlichen Planfeststellung kommt kraft Gewohnheitsrechts Ausschlußwirkung zu. 2. Die Ausschlußwirkung des § 75 Abs. 2 S. 1 VwVfG erfaßt nicht privatrechtliche Ansprüche Betroffener gegen den Vorhabensträger auf Herstellung von Schutzeinrichtungen, die eine Änderung der Anlage nicht erfordern, bzw. auf Schadloshaltung, obwohl Sinn und Zweck dieser Vorschrift dafür sprächen. 3. Allerdings bringt eine Einbeziehung dieser Ansprüche - wie es etwa im Bundeswasserstraßengesetz geschehen ist - Probleme in den Fällen mit sich, in denen es den Nachbarn um die Abwehr von Beeinträchtigungen geht, die von bereits bestehenden Anlagen ausgehen und die die „enteignungsrechtliche" Zumutbarkeitsschwelle überschreiten. Hier führt eine verfassungskonforme Auslegung am Maßstab des Art. 14 Abs. 1 und 2 GG dazu, solche Ansprüche von der Duldungswirkung auszunehmen.

93

OVG Münster v. 15.8.1996 (Fn. 64), S. 24. Ebenso Bülow (Fn. 82), S. 99 f.; Gromitsaris, Die Lehre von der Genehmigung, VerwArch 88 (1997), S. 52 (85 f.) und wohl auch Jarass (Fn. 82), S. 797 mit Fn. 29. 94

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4. Eine Kompensation ausgeschlossener Abwehransprüche durch Zubilligung einer Entschädigung - wie in § 14 BImSchG geschehen - ist für die gemeinnützige, wegerechtliche Planfeststellung wegen ihrer besonderen materiell-rechtlichen und verfahrensrechtlichen Absicherungen nachbarlicher Belange von Verfassungs wegen nicht geboten. 5. Privatrechtliche Ansprüche, die auf besonderen privatrechtlichen Titeln beruhen, werden von der Ausschlußwirkung der Planfeststellung nicht erfaßt, auch wenn sie davon nicht ausdrücklich ausgenommen werden. § 11 Abs. 2 WHG und § 14 BImSchG haben insofern nur deklaratorische Bedeutung. 6. Der neu ins Fachplanungsrecht eingeführten Plangenehmigung kommt keine Ausschlußwirkung zu, da sie weder in der Lage ist, Rechte anderer materiell-rechtlich abzusichern, noch eine Beteiligungsmöglichkeit im Verfahren vorsieht. Sie würde - unabhängig davon - wegen ihrer besonderen Erteilungsvoraussetzungen ohnehin in der Regel ins Leere gehen.

Adenauers Anteil an der Formulierung der Geschäftsordnung der Bundesregierung von 1951 Von Rudolf Morsey

I. Vom 1. September 1948 bis zum Mai 1949 amtierte der 72jährige Vorsitzende der CDU in der britischen Besatzungszone, Konrad Adenauer, als Präsident des Parlamentarischen Rates. Ohne die politische Profilierung in diesem Amt wäre er schwerlich am 15. September 1949 zum ersten Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland gewählt worden. Der politisch versierte Verwaltungsmann hatte sich ein weiteres Mal in der Leitung parlamentarischer Gremien bewährt. 1 Als Oberbürgermeister von Köln war Adenauer von 1917 bis zu seiner zwangsweisen Entlassung i m März 1933 durch die Nationalsozialisten Vorsitzender der Kölner Stadtverordnetenversammlung gewesen, und ebenso des Provinziallandtags der preußischen Rheinprovinz in Düsseldorf. Als Präsident des Preußischen Staatsrats in Berlin von 1921 bis 1933 - mit jährlicher Wiederwahl durch eine „Weimarer Koalition" - leitete Adenauer ein weiteres parlamentarisches Gremium. In all diesen Parlamenten hatte sich ihr Vorsitzender als stets gut vorbereiteter und geschickter Verhandlungsleiter erwiesen, der straff führte, aber auch Humor entwickelte und Gelassenheit bewies.2

1 Vgl. Rudolf Morsey, Der politische Aufstieg Konrad Adenauers 1945-1949 (1970, 1975), jetzt in: Rudolf Morsey, Von Windthorst bis Adenauer. Ausgewählte Aufsätze zu Politik, Verwaltung und politischem Katholizismus im 19. und 20. Jahrhundert, hrsg. von Ulrich von Hehl u. a., 1997, S. 701-754, insbes. S. 721-750. 2 Über seine straffe Verhandlungsleitung in verschiedenen Gremien vgl. Klaus Pabst, Adenauers Personalpolitik und Führungsstil, in: Konrad Adenauer. Oberbürgermeister von Köln, hrsg. von Hugo Stehkämper, 1976, S. 285-290 („Stadtverordnetenversammlung"); Horst Romeyk, Adenauers Beziehungen zum Rheinischen Provinzialverband und zu staatlichen Behörden, ebd., S. 297-299; Konrad Adenauer (Enkel), Adenauer als Präsident des Preußischen Staatsrats, ebd., S. 370 f.; Rudolf Morsey, Konrad Adenauer und der Nationalsozialismus, ebd., S. 449-454. 25 FS Blümel

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Ein entsprechend verarbeiteter Erfahrungsreichtum kam ihm - nach der zwölfjährigen „Generalpause" seines Lebens und nach seiner zweiten Entlassung als Oberbürgermeister von Köln, am 6. Oktober 1945 durch die britische Besatzungsmacht - bei seiner politischen Blitzkarriere zugute. Als Vorsitzender des Zonenausschusses der CDU der britischen Zone, seit März 1946, und der CDU-Fraktion des ersten ernannten (1946/47) sowie des zweiten - erstmals gewählten - Landtags (1947-1949) von Nordrhein-Westfalen und als Leiter der Konferenz der Landesvorsitzenden der CDU und CSU (1946-1949)3 stand der frühere Kommunalpolitiker erneut an der Spitze parlamentarischer Gremien. Die in diesen Positionen gesammelten Erfahrungen waren am 1. September 1948 ein Grund für seine Wahl zum Präsidenten des 65köpfigen Parlamentarischen Rates in Bonn. In einer Untersuchung seiner Rolle als Präsident des Parlamentarischen Rates 1948/49 habe ich seinerzeit detailliert zeigen können, mit welcher Umsicht und Souveränität Adenauer dieses Amt wahrgenommen hat; er blieb auch kritischen Situationen jederzeit gewachsen. Gleichzeitig nutzte er die Möglichkeiten dieser protokollarisch herausgehobenen Position dazu, seinen politischen Bekanntheitsgrad über die britische Zone hinaus zu erweitern und sich - wie es Theodor Heuss später umschrieben hat - als „Sprecher der werdenden Bundesrepublik gegenüber den westlichen Mächten" zu profilieren. 4 Dabei war er durchaus nicht „pingelig" in der Handhabung der Geschäftsordnung. Bereits zwei Jahre zuvor hatte sich Adenauer an der Ausarbeitung einer Geschäftsordnung aktiv beteiligt, und zwar an der für den Zonenbeirat für die britische Zone in Hamburg. Als Vorsitzender des am 6. März 1946 gewählten Geschäftsordnungsausschusses dieses - von der britischen Militärregierung zu ihrer Beratung eingesetzten - Gremiums war es ihm gelungen, sie am folgenden Tag in einer einzigen Sitzung diese Ordnung verabschieden zu lassen. Das Plenum stimmte ihr am 26. März 1946 zu. 5 Diese rasche Annahme eines immerhin 30 Paragraphen umfassenden Textes gelang deswegen, weil der Ausschuß einen ausformulierten Entwurf akzeptiert hatte, der von einem erfahrenen Kommunalpolitiker stammte: dem Oberpräsidenten der NordrheinProvinz in Düsseldorf, Robert Lehr (CDU). Darin waren entsprechende Vor3 Die Geschäftsordnung der Konferenz ist abgedruckt in: Die Unionsparteien 19461950. Protokolle der Arbeitsgemeinschaft der CDU/CSU Deutschlands und der Konferenzen der Landesvorsitzenden, bearb. von Brigitte Kaff, 1991, S. 28-30. 4 Vgl. Rudolf Morsey (Fn. 1), Von Windthorst zu Adenauer, S. 729. 5 Vgl. Zonenbeirat, Zonal Advisory Council 1946-1948. Protokolle und Anlagen, 1.6. Sitzung 1946, bearbeitet von Gabriele Stüber, 1993, S. 31, 34, 180. Der Text der Geschäftsordnung ebd., S. 59-67.

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gaben der britischen Militärregierung ebenso eingearbeitet wie die Grundzüge der Geschäftsordnung des Provinziallandtags der Nordrhein-Provinz. 6 Am 18. September 1946 erreichte Adenauer eine Ergänzung dieser Geschäftsordnung, die vorsah, daß für jedes Mitglied des Zonenbeirats ein Stellvertreter bestellt werden konnte. Diese Regelung - die der CDU-Politiker aus der Geschäftsordnung des Preußischen Staatsrats kannte und schätzte - hatte er in seiner Eigenschaft als Berichterstatter des Haushaltsausschusses des Zonenbeirats begründet. So wählte auch der Landtag von Nordrhein-Westfalen auf seine Initiative hin am 6. August 1948 nicht nur dessen 17 Vertreter für den Parlamentarischen Rat in Bonn, sondern eine gleiche Anzahl von Stellvertretern. 7 Diese Lösung vermochte Adenauer dann allerdings in der Geschäftsordnung des Rates nicht durchzusetzen. 8 Ebenso scheiterte er mit seinem Vorschlag, daß Reden im Plenum nicht „verlesen werden dürfen", bereits in seiner Fraktion. 9 Um so mehr lag ihm dann daran, mit Hilfe der Geschäftsordnung eine Mitberatung des Grundgesetzes in den Ausschüssen des Rates durch Vertreter der elf Länder zu verhindern. Das gelang dem Präsidenten in der vierten und letzten Sitzung des Geschäftsordnungsausschusses, am 22. September 1948 - der einzigen, an der er teilgenommen hat und zwar im Zusammenwirken mit den SPD-Vertretern; denn etliche CDU- und CSUAbgeordnete waren anderer Ansicht. So erreichte eine Mehrheit des Ausschusses die Streichung einer entsprechenden anderslautenden Bestimmung in dem bisherigen Entwurf der Geschäftsordnung. Die Begründung dafür lautete, daß es sich bei der Regelung des Verhältnisses des Rates zu den Ländern um ein „politisches Problem" (Adenauer), also eine Frage „materieller Art" handele, während es Aufgabe der Geschäftsordnung sei, nur den „technischen Gang der Verhandlungen des Parlamentarischen Rates und seiner Ausschüsse zu sichern und zu ordnen". 10

6

Vgl. Zonenbeirat (Fn. 5), S. 30, Anm. 9. Vgl. Rudolf Morsey, Nordrhein Westfalen und der Parlamentarische Rat (1981), in: R. Morsey (Fn. 1), Von Windthorst bis Adenauer, S. 503 f. 8 Vgl. Der Parlamentarische Rat 1948-1949. Akten und Protokolle. Bd. 10: Ältestenrat, Geschäftsordnungsausschuß und Überleitungsausschuß, bearb. von Michael F. Feldkamp, 1997, S. 129 f. Dabei hatte sich Adenauer auf die guten Erfahrungen mit der Stellvertreter-Regelung (,Arbeitserleichterung") im Preußischen Staatsrat berufen. 9 Vgl. Die CDU/CSU-Fraktion im Parlamentarischen Rat. Sitzimgsprotokolle der Unionsfraktion, bearb. von Rainer Salzmann, 1981, S. 21 (21. September 1948, Abendsitzung). 10 So der Berichterstatter für die Geschäftsordnung, Paul de Chapeaurouge (CDU), am 22. September 1948 im Plenum. Vgl. Der Parlamentarische Rat, Bd. 9: Plenum, 7

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Als „Vorlage" für die Geschäftsordnung hatte übrigens diejenige des Frankfürter Wirtschaftsrats vom 20. August 1947 gedient 11 , nachdem in den ersten Plenarsitzungen des Parlamentarischen Rates die Geschäftsordnung des Reichstags vom 24. Juni 1920 „vorläufig sinngemäß" angewandt worden war.

II. Bundeskanzler Adenauer gelang es schnell, die Bundesregierung personell und institutionell funktionsfähig zu machen. Bereits seit dem Spätjahr 1948 hatte er dafür gesorgt, daß - u. a. von Hans Globke - Listen mit Namen potentieller Kandidaten für die Besetzung zentraler Beamtenpositionen in einzelnen der künftigen Bundesministerien vorbereitet wurden. 12 Adenauer setzte sich über die Empfehlungen der Konferenz der Ministerpräsidenten vom Juni 1949 hinweg und errichtete insgesamt dreizehn anstelle der - von den elf Regierungschefs für notwendig gehaltenen - acht Ministerien. Die aus Frankfürt übernommenen sechs Zentralverwaltungen des Vereinigten Wirtschaftsgebiets - für Finanzen, Wirtschaft, Verkehr, Arbeit, Ernährung und Post - bildeten die Grundlage entsprechender Ressorts in Bonn. Zu ihnen traten neben andere neue Zentralbehörden das Bundeskanzleramt und das Bundesministerium des Innern. In beiden Ressorts begann man schon bald damit, den Entwurf für eine Geschäftsordnung der Bundesregierung auszuarbeiten. 13 Zunächst wurde die der Reichsregierung vom 3. Mai 1924 14 „entsprechend angewendet".15 Bereits am

bearb. von Wolfram Werner, 1996, S. 172 f. Vgl. auch die Synopse: Geschäftsordnungsentwurf vom 1. September 1948 und Geschäftsordnung vom 22. September 1948, ebd., Bd. 10, S. 185-200. 11 hi den Akten des Parlamentarischen Rates im Bundesarchiv in Koblenz (künftig: BA) sind in einem gedruckten Exemplar der Geschäftsordnung des Wirtschaftsrats vom 20. August 1947 (Drucks. Nr. 21) entsprechende Korrekturen handschriftlich (von unbekannter Hand) eingetragen. BA, Z 12/38. 12 Vgl. Rudolf Morsey, Personal- und Beamtenpolitik im Übergang von der Bizonen- zur Bundesverwaltung (1947-1950) (1977), jetzt in: Rudolf Morsey (Fn. 1), Von Windthorst zu Adenauer, S. 88-95; Udo Wengst, Staatsaufbau und Regierungspraxis 1948-1953, 1984, S. 92-95. 13 9. Kabinettssitzung vom 4. Oktober 1949. Vgl. Die Kabinettsprotokolle der Bundesregierung, Bd. 1: 1949, bearb. von Ulrich Enders und Konrad Reiser, 1982, S. 98. 14 Die von der Reichsregierung Wilhelm Marx (Zentrum) am 1. Mai 1924 angenommene Geschäftsordnung ist gedruckt in: Reichsministerialblatt 52 (1924), S. 173176. Dazu vgl. Martin Vogt, Zur Geschäftsordnung der Reichsregierung und Arbeitspraxis der Reichskanzlei in den Jahren der Weimarer Republik, in: Akten der Reichs-

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3. Oktober 1949 bat „Vizepräsident" Globke im Bundeskanzleramt - er war seit Ende September als Vizepräsident des Landesrechnungshofs von Nordrhein-Westfalen nach Bonn zunächst abgeordnet worden 16 - das Bundesministerium des Innern (künftig: BMI) darum, „entsprechend den früheren Geschäftsordnungen der Reichsregierung und der Reichsministerien" Entwürfe für eine Geschäftsordnung der Bundesregierung 17 und für eine Gemeinsame Geschäftsordnung der Bundesministerien aufzustellen. 18 Gleichzeitig begann einer seiner Referenten, Oberregierungsrat Karl Gumbel, der aus dem Innenministerium des Landes Rheinland-Pfalz gekommen war und das Referat 5 leitete, mit entsprechenden Vorarbeiten. 19 Bereits am 24. Oktober 1949 lag ein Entwurf der „Vorläufigen Grundsätze für die Behandlung von Kabinettssachen" im Umfang von drei Seiten vor, in dem als „Bearbeiter" Vizepräsident Dr. Globke genannt war und den Adenauers damals „wohl wichtigster Mitarbeiter" im Bundeskanzleramt 20, Ministerialdirigent Herbert Blankenhorn, am 25. Oktober mitzeichnete. Er sollte als Kabinettsvorlage dienen, aber bis zur „Beschlußfassung" durch das Kabinett in seinen „formalen Bestimmungen praktiziert" werden. Neben Globke hatte

kanzlei Weimarer Republik, hrsg. von Tilman Koops und Martin Vogt, 1997, S. 37-64. Bemerkenswert ist, daß das Staatsministerium in Preußen nach - ungedruckten „Grundsätzen für die Erledigung von Geschäften des Staatsministeriums" vom 16. Dezember 1921 verfuhr. Vgl. Horst Möller, Parlamentarismus in Preußen 1919-1932, 1985, S. 337. 15 Das ergibt sich aus einem Schreiben des „Staatssekretärs des Innern im Bundeskanzleramt, i. V. Dr. Globke", vom 10. August 1950. BA, B 136/4648. 16 Nach dem Ausscheiden des CDU-Abg. Franz-Josef Wuermeling (Februar 1950) war das Amt des Staatssekretärs zunächst nicht besetzt. Anfang September 1950 übertrug Adenauer die Wahrnehmung dieser Geschäfte dem kurz zuvor ernannten Staatssekretär des Äußern (im Bundeskanzleramt) Walter Hallstein. Am 15. Januar 1951 übernahm Rechtsanwalt Otto Lenz (München) das Staatssekretariat des Innern. Der Zusatz „des Innern" entfiel im März 1951, nachdem das Auswärtige Amt errichtet worden war. 17 Über die Bedeutung der Geschäftsordnung als „Teil der Verfassungsorganisation" und „ergänzendes Verfassungsrecht: Geschäftsregelung und Organisationsregelung zugleich" vgl. Ernst-Wolf gang Böckenförde, Organisationsgewalt im Bereich der Regierung, 1964, S. 119. 18 Erste Hinweise über die Regelung der Organisationsgewalt und die Vorbereitung der Geschäftsordnung, nach den Akten des Bundeskanzleramts, bei Udo Wengst (Fn. 12), S. 247-250. 19 BA, B 136/4646. Soweit im Folgenden keine anderen Belege mitgeteilt werden, beruhen die Angaben auf diesem Aktenband. 20 So Karl Gumbel, Hans Globke - Anfange und erste Jahre im Bundeskanzleramt, in: Der Staatssekretär Adenauers. Persönlichkeit und politisches Wirken Hans Globkes, hrsg. von Klaus Gotto, 1980, S. 73-98, hier S. 88.

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auch Staatssekretär Wuermeling diese Vorlage abgezeichnet. (Das Bundeskanzleramt befand sich bis Ende 1949 noch im Museum Koenig. Dann bezog Adenauer das Palais Schaumburg, während der größere Teil des Amtes noch bis Mitte 1954 in einer Bürobaracke auf der Rückseite des Museums verblieb.) Zur Begründung hieß es, daß zwar der Bundesminister des Innern mit der Ausarbeitung des Entwurfs einer Geschäftsordnung beauftragt worden sei, aber bereits vor dessen Fertigstellung und Verabschiedung die Behandlung von Kabinettsvorlagen einer „umgehenden Regelung" in einer der nächsten Kabinettssitzungen bedürfe. Deren „Vorläufige Grundsätze" sollten neben der „beschleunigten Behandlung aller Kabinettsvorgänge insbesondere auch ihre Geheimhaltung" sichern 21 und durch die „später ergehenden Geschäftsordnungen" für die Bundesregierung und für die Bundesministerien ergänzt und ersetzt werden. Diesen dreiseitigen Zwölf-Punkte-Entwurf versah der Bundeskanzler - ohne ihn abzuzeichnen - mit einigen charakteristischen Randbemerkungen. Zunächst strich er ersatzlos den zweiten Satz in Punkt 3: „Der Bundeskanzler ist ermächtigt, Meinungsverschiedenheiten vor der Beratung im Kabinett in einer Besprechung mit den beteiligten Bundesministern unter seinem Vorsitz zu erörtern." Er erweiterte die Formulierung in Punkt 7, „Kabinettssitzungen finden regelmäßig einmal wöchentlich statt", in: „zweimal".

21

Bereits am 9. Oktober 1949 hatte ein Beamter des Bundeskanzleramts Globke darauf aufmerksam gemacht, daß das inzwischen herausgebildete Verfahren, die Kabinettssitzungen durch einen Stenographen wörtlich aufnehmen zu lassen - was bei den Sitzungen der Reichsregierung ,glicht üblich" gewesen sei - und gleichzeitig ein Kurzprotokoll zu führen, eine „gewisse Gefahr" bedeute; denn durch die ,Anfertigung von stenographischen Niederschriften" werde der Kreis derjenigen Personen, „die Kenntnis von den im Kabinett gefallenen Äußerungen erhalten, notgedrungen größer" und damit eine „strikte Geheimhaltung eingeschränkt". - Diese Besorgnis war berechtigt: Im September 1951 wurde ein Amtsbote des Bundeskanzleramts verhaftet, der (Mitglied der SPD) Abzüge von Kurzprotokollen der Kabinettssitzungen und von „anderen vertraulichen Dokumenten" aus dem Bundeskanzleramt „fortgesetzt entwendet" und seit November 1949 über einen Mittelsmann - einen Kreisvorsitzenden der SPD - dem SPD-Vorstand übermittelt hatte. Später verkaufte ein anderer Mittelsmann das Material dem französischen Nachrichtendienst in Mainz, während es ein Dritter dem USNachrichtendienst in Mehlen vergeblich „anbot" (wodurch die „Dreierbande" aufflog). Nachdem dieser Fall im Oktober 1951 bekannt geworden war (vgl. Der Spiegel vom 10. Oktober 1951, S. 5 f.), erreichte die CDU/CSU-Fraktion des Bundestags die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses. Der Amtsbote und seine Mittelsmänner wurden im Januar 1952 zu Haftstrafen verurteilt. BA, B 136/1964. Vgl. die Hinweise in: Die Kabinettsprotokolle der Bundesregierung, Bd. 4: 1951, bearb. von Ursula Hüllbüsch, 1988, S. 672 f., Anm. 9.

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Den Vorschlag in Punkt 9, worin von der Teilnahme und dem Stimmrecht im Kabinett nur der Bundesminister die Rede war, versah Adenauer mit der vorwurfsvollen Frage: „[Und der] Bundeskanzler?" Schlichte Fragezeichen erhielten der folgende Satz - nach dem bei Verllinderung eines Ministers dessen Staatssekretär „mit Stimmrecht" teilnehmen sollte - sowie die in Punkt 10 vorgesehene Bestimmung, wonach ein Bundesminister, der mehrere Ressorts „verwalte", für jedes von ihnen eine „besondere Stimme" führe. In Punkt 11 hob Adenauer die Formulierung der „Vorsitzende" (der Kabinettssitzung) durch Unterstreichung hervor. Unbeanstandet blieb die in Punkt 12 vorgeschlagene Regelung, daß über die Sitzungen des Kabinetts ein Protokoll „gefertigt" werde, „das sich auf eine kurze Wiedergabe des wesentlichen Inhalts der Beratungen des Kabinetts beschränkt" - also keine stenographische Mitschrift. In einer diesen „Vorläufigen Grundsätzen" angeschlossenen „Hausverfügung über die „Behandlung von Kabinettssachen" war u. a. darauf verwiesen, daß alle fünf Ausfertigungen der Protokolle für das Bundeskanzleramt „verschlossen aufzubewahren" und eine Ausfertigung der „Geheimregistratur zuzuleiten" seien. In dieser „Hausverfügung" versah der Bundeskanzler das zweimal erwähnte Wort „Überstücke" (von Kabinettssachen) mit einem Fragezeichen.

III. Dieser „vorläufige Entwurf 4 der Geschäftsordnung blieb zunächst liegen. Das Bundeskanzleramt verhinderte Anfang Dezember 1949 die Verteilung eines Referentenentwurfs, den das Innenministerium inzwischen, auf die am 3. Oktober übermittelte Bitte des Bundeskanzleramts hin, für eine Beratung im Kabinett fertiggestellt hatte, an die übrigen Bundesministerien. Obgleich der Ressortchef, Gustav Heinemann, die „Eilbedürftigkeit" einer entsprechenden Regelung unterstrichen hatte (14. Dezember 1949), setzte der Bundeskanzler andere Prioritäten. Inzwischen war bereits der Streit über die Abgrenzung einzelner Ministerien voll im Gange. So verständigte sich das Bundeskabinett durch Beschluß am 14. Februar 1950 zunächst, „zur Entlastung der Tagesordnung der Kabinettssitzungen", auf eine vorweggenommene Einzelfallregelung. Danach sollten „minderwichtige Angelegenheiten im Umlaufverfahren" erledigt werden. 22 Vierzehn Tage 22 Vgl. Die Kabinettsprotokolle der Bundesregierung, Bd. 2: 1950, bearb. von Ulrich Enders und Konrad Reiser, 1984, S. 205.

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später ersuchte Globke, unter Bezugnahme auf die Richtlinienkompetenz des Bundeskanzlers, alle Minister um Übermittlung einer monatlichen kurzen Zusammenstellung der in den einzelnen Ressorts bearbeiteten Vorhaben von „allgemein-politischer Bedeutung". Dabei bezog er sich ausdrücklich auf die entsprechende Regelung in der Geschäftsordnung der Reichsregierung von 1924 über die Pflicht zur „laufenden Unterrichtung" des Regierungschefs 23 und kündigte an, daß eine „entsprechende Vorschrift" auch in die Geschäftsordnung der Bundesregierung aufgenommen werden solle. 24 Mit einer Kabinettsvorlage vom 25. April 1950 suchte der Bundeskanzler dann die anhaltende interne Kontroverse über seine Kompetenzen bezüglich der Abgrenzung der Geschäftsbereiche der Bundesministerien zu seinen Gunsten zu entscheiden. Er nahm für sich einen aus dem Grundgesetz entwickelten „überragenden Einfluß auf die Organisation der Bundesregierung" in Anspruch; demnach sei er - anders als „unter der Weimarer Verfassung", nach der der Reichspräsident „Träger der Organisationsgewalt" gewesen sei - als Träger dieser Gewalt anzusehen. Da er durch sein Vorschlagsrecht für die Ernennung der Bundesminister auch die Zahl der Ministerien bestimme und zugleich die Aufgabenverteilung unter den Bundesministern vornehme, hielt Adenauer es für „nur folgerichtig, daß er auch im Falle von Meinungsverschiedenheiten über den Umfang eines Geschäftsbereiches die Entscheidung zu treffen" habe. 25 Dieser Interpretation des Grundgesetzes und demzufolge der Aufnahme dieser Formulierung in die Geschäftsordnung widersprachen nicht nur mehrere Bundesminister, sondern auch Bundespräsident Heuss. Er bestritt am 11. Mai 1950, „aus grundsätzlichen Erwägungen", die vom Bundeskanzler vertretene Rechtsauffassung und nahm für sich „grundsätzlich" das Recht in Anspruch, „Träger staatlicher Organisationsgewalt" zu sein. Heuss begründete diesen Anspruch mit einer eigenwilligen Interpretation über den „Wesenskern der Figur des republikanischen Staatsoberhauptes deutscher Prägung". Dabei verwies er „zur Begründung im einzelnen" auf ein von ihm eingeholtes Rechtsgutachten des Bonner Staatsrechtlers Richard Thoma vom 7. Dezember 1949 (von dem er eine Abschrift beifügte). 26 Der Bundespräsident erläuterte dann - abweichend von Thomas Gutachten daß die Organisationsgewalt 23 In § 2 hieß es, daß der Reichskanzler über alle Maßnahmen „von Bedeutung" aus den einzelnen Ressorts „auf dem laufenden" zu halten sei. 24 BA, B 136/4829. 25 BA, B 136/4649. Vgl. die Anmerkung der Bearbeiter zum Protokoll der Kabinettssitzung vom 25. April 1950; Die Kabinettsprotokolle, S. 808, Anm. 16. 26 Zum Gutachten von Thoma: BA, B 106/18347; BA, B 136/4649. Dazu vgl. U. Wengst (Fn. 12), S. 277 f.

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„niemals eine Einheit" gewesen sei und teilweise auch dem Bundespräsidenten zustehe; er überließ es der Bundesregierung, ihrerseits die Frage der Abgrenzung der Geschäftsbereiche der Bundesministerien zu klären. Heuss wehrte sich schließlich gegen Adenauers Auffassung, wonach die Ernennung der Bundesminister durch den Bundespräsidenten „nur einen Formalakt" darstelle, gab aber zu, daß diese Ansicht „keineswegs unbestritten" sei, und verwies „insoweit" auf die „Abhandlung" von Hans Nawiasky, „Der Einfluß des Bundespräsidenten auf Bildung und Bestand der Bundesregierung" (in: Die öffentliche Verwaltung, Jg. 1950, S. 161 f.). 27 Daraufhin lenkte Adenauer, wenn auch erst geraume Zeit später, ein („Mißverständnis"), denn er beanspruche keineswegs die „ganze und ungeteilte Organisationsgewalt" für sich, sondern „lediglich" diejenige auf die „Errichtung, Aufhebung und Bezeichnung von Bundesministerien wie die Abgrenzung ihrer Geschäftsbereiche"; dem Bundespräsidenten verbliebe die Bestimmung „aller Einrichtungen, die der Repräsentation der Bundesrepublik dienen". 28 Inzwischen hatte Ministerialrat Gumbel im Bundeskanzleramt den „Vorentwurf einer Geschäftsordnung der Bundesregierung" ausgearbeitet. Er wurde dem Bundeskanzler am 16. August 1950 vorgelegt, zusammen mit einer Abschrift der Geschäftsordnung der Reichsregierung von 1924 und einem Entwurf des Bundesministers des Innern. Mit Gumbels Entwurf, der 26 Paragraphen enthielt, befaßte sich Adenauer „nach der Rückkehr aus dem Urlaub". 29 Diesen Entwurf hat Adenauer mit Randbemerkungen versehen und ihm dann zwei Seiten mit handschriftlichen Nachträgen angefügt. Von seinen Korrekturen sind folgende kennzeichnend. So ist in § 1 Abs. 2 der Satz „Der Bundeskanzler hat das Recht und die Pflicht, die Durchführung der Richtlinien zu überwachen", so korrigiert: „... auf die Durchführung der Richtlinien zu dringen." In § 3 veränderte Adenauer den Satz: „Maßnahmen von allgemeiner politischer Bedeutung auf einem Gebiete, für das der Bundeskanzler noch keine Richtlinien bestimmt hat, bedürfen seiner Zustimmung", so: „Maßnahmen ..., sind ihm zunächst vorzutragen, damit er sich darüber schlüssig werden kann, ob ..." Zu § 6, wonach der Bundeskanzler den „Umfang der Vertretung des von ihm zu seinem Stellvertreter ernannten Bundesministers" bestimme, notierte Adenauer: „Bei Verhinderung durch Abwesen27

B A , B 136/4649. Rundschreiben, i.V. Globke, an alle Bundesminister - denen auch Heuss seine Stellungnahme hatte zugehen lassen - und an den Chef des Bundespräsidialamtes vom 31. Juli 1950. BA, B 136/4618. 29 Randbemerkung Gumbels vom 10. August 1950 auf einer Fassung des Entwurfs. 28

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heit oder Erkrankung, Richtlinien der Politik bleiben bestehen, da allein ihm [dem Kanzler] gegenüber Mißtrauensvotum möglich. Vertretung bezüglich [?] einzelner Aufträge." Die Formulierung in § 9 Abs. 2, „Der Bundeskanzler empfangt Abordnungen nur in Ausnahmefällen", präzisierte Adenauer: „... in besonderen Fällen." In § 10 Abs. 1 verschärfte er die Fassung, daß jeder Bundesminister, „bevor er den Sitz der Bundesregierung auf mehr als einen Tag verläßt, dem Bundeskanzler hiervon Anzeige zu erstatten" habe, so: „... das Einverständnis.... einzuholen" habe. In § 15 Abs. 2 hieß es, daß der Bundeskanzler Meinungsverschiedenheiten „vor der Beratung im Kabinett zunächst in einer Ministerbesprechung mit den beteiligten Bundesministern unter seinem Vorsitz erörtern" könne. Den anschließenden Satz „Kommt keine Einigung zustande, so kann die Entscheidung der Bundesregierung angerufen werden", strich Adenauer, nachdem er ihn zunächst mit einem Fragezeichen versehen hatte. Die in § 19 Abs. 1 vorgesehene Bestimmung, daß der Staatssekretär des Bundeskanzleramts die Einladung zu den Sitzungen des Kabinetts „unter Beifügung einer Tagesordnung" veranlasse, ergänzte der Bundeskanzler durch den Zusatz: „[Auch unter Beifügung von] Unterlagen". In § 20 Abs. 2 monierte er die Formulierung: „Behinderte Bundesminister haben für ihre Vertretung zu sorgen." Von seinen angefügten handschriftlichen Ergänzungen 30 sind folgende hervorzuheben: Zunächst wollte der Bundeskanzler den „Begriff ,Richtlinien' aus [dem] Wortlaut des Grundgesetzes" entwickelt und den „Begriff des Stellvertreters" geklärt wissen. Zu § 8 notierte er: „Wann Beschlüsse der Bundesregierung? Wie gefaßt? Bindend für den Bundeskanzler?". Adenauers weiterer Hinweis zu § 10: „Diese Entwürfe [der Kabinettsvorlagen] gehen fortgesetzt privaten etc. Organisationen, der Presse zu, werden von Referenten öffentlich vorgetragen", bezog sich offensichtlich auf die nicht nur von ihm in diesen Monaten immer wieder beklagten Indiskretionen aus dem Bundeskanzleramt. Charakteristisch war sein Kommentar zu § 23: „Stellung des Kanzlers zu schwach", aber auch ein Zusatz: „Immer ,der Bundesregierung Mitteilung zu machen, Stellung einzuholen etc.' Wie zu organisieren?". Am 17. Oktober 1950 kündigte der Bundeskanzler dann im Bundeskabinett die baldige Vorlage eines Entwurfs der Geschäftsordnung an. Er verwies bei der Einführung des neuen Bundesministers des Innern, Robert Lehr (CDU), als Nachfolger des zurückgetretenen Amtsvorgängers Gustav Heinemann 30 Die beiden Seiten sind dem Entwurf angefügt, aber nicht datiert. Sie beziehen sich offensichtlich auch auf eine andere Fassung des Entwurfs, dessen 26 Paragraphen nach zwei Einschüben bzw. Abtrennungen Adenauers auf 28 Paragraphen erweitert wurden.

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(CDU) - der offensichtlich unmittelbar nach seiner Entlassung (10. Oktober) das Fehlen einer Geschäftsordnung kritisiert hatte 31 , darauf, daß „schon vor längerer Zeit" eine Ordnung vorbereitet gewesen sei, „die sich im wesentlichen auf die Geschäftsordnungen [!] der Kabinette vor 1933" gestützt habe. Der Entwurf sei inzwischen viermal „überarbeitet" worden, „weil sich immer wieder Veränderungen" ergeben hätten. Inzwischen habe sich nun durch „die gesammelten Erfahrungen des letzten Jahres" eine „gewisse Klärung" ergeben, so daß der Bundeskanzler die Kabinettsmitglieder bat, sich „alles noch mal durch den Kopf gehen zu lassen". Seine anschließende Kritik an Bundeswirtschaftsminister Erhard, der sich zur Zeit in Italien befände, „und auch sonst oft auf Reisen" sei, benutzte Adenauer, um von sich aus einige „Fragen zur Geschäftsordnung" anzuschneiden, zumal die Bundesminister ihm „z. T. mitteilen, wenn sie weggehen, z. T. nicht: Um Urlaub bittet keiner, obgleich doch irgendeine Stelle da sein muß, die die Dinge regelt." Nach weiterer Kritik an Erhard verwies Adenauer darauf, daß der Bundeskanzler nach dem Grundgesetz „auf der einen Seite eine sehr starke Stellung, auf der anderen Seite eine sehr schwache" habe; denn, obwohl er die Verantwortung trage und er allein ein „Mißtrauensvotum bekommen" könne, seien seine Rechte gegenüber dem Wirtschaftsministerium beschränkt. 32 Am 27. Oktober 1950 übermittelte das Bundeskanzleramt den Bundesministerien des Innern und der Justiz sowie dem Bundespräsidialamt den Entwurf einer Geschäftsordnung der Bundesregierung. Darin waren die erwähnten Anregungen Adenauers sämtlich eingegangen. Der von Adenauer aus dem Vorentwurf kritisierte Satz: „Kommt keine Einigung [vor einer Ministerbesprechung zwischen den beteiligten Ressorts] zustande, so kann die Entscheidung der Bundesregierung angerufen werden", lautete jetzt (in § 17): „Der Bundeskanzler kann Meinungsverschiedenheiten vor der Beratung im Kabinett zunächst in einer Ministerbesprechung mit den beteiligten Bundesministern unter seinem Vorsitz erörtern." Auf Adenauers Monitum hin war die Bestimmung (in § 23) gestrichen, wonach außer den Bundesministern auch die Staatssekretäre sämtlicher Bundesministerien sowie neben dem Bundespressechef auch dessen Stellvertreter an den Kabinettssitzungen regelmäßig teilnehmen sollten. 31

Vgl. „Frankfurter Rundschau" vom 13. Oktober 1950. Erwähnt bei Siegfried Schöne, Von der Reichskanzlei zum Bundeskanzleramt, Berlin 1968, S. 202, Anm. 9. hi der Kabinettssitzung vom 17. Oktober 1950 sprach Adenauer nur von einer entsprechenden „Bemerkung" Heinemanns. Vgl. Die Kabinettsprotokolle der Bundesregierung, S. 43. 3 V g l . Die Kabinettsprotokolle der Bundesregierung, S. 5.

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IV. Bundespräsident Heuss war über diesen „Rohentwurf 4 einer Geschäftsordnung - deren endgültige Fassung er zu genehmigen hatte - verärgert. Er machte sich sofort die Mühe, wie der Chef des Bundespräsidialamtes, Klaiber, am 2. November 1950 Ministerialdirektor Globke mitteilte, ihn „auch noch persönlich" durchzusehen und etliche „Gedanken dazu" festzuhalten. Der Chef des Bundespräsidialamts deutete sie dem Kollegen im Bundeskanzleramt als „Fingerzeige" für eine Überarbeitung des Entwurfs. Heuss, der sich das Recht nahm, zur „formalen und inhaltlichen Gestaltung der Geschäftsordnung beratend Stellung zu nehmen", begann seine vom 31. Oktober datierten „Überlegungen" („Vertraulich!") mit einer Kritik der Präambel. Darin empfahl er, die Floskel „unter Beachtung der besonderen Stellung des Bundeskanzlers" zu streichen („Pleonasmus"); denn die Stellung des Kanzlers komme im Grundgesetz „als solche" zum Ausdruck. Zu § 1 Abs. 1, wonach der Bundeskanzler die „Grundsätze der inneren und äußeren Politik (Richtlinien der Politik)" bestimme, empfahl der Bundespräsident, die „Grundsätze" - da dieses Wort „der Elastizität" entbehre - eher durch „Leitsätze" zu ersetzen. Zu einer ganzen Reihe anderer Paragraphen des Entwurfs empfahl der Bundespräsident redaktionelle Verbesserungen, die er jeweils begründete, kritisierte wiederholt „logisch nicht gut" gefaßte Sätze, auch einen „sprachlichen Mißgriff 4 und einen „technisch irgendwie unrichtigen Ausdruck". Die „Vorschrift" über die quasi Residenzpflicht der Bundesminister bezeichnete Heuss als „unmöglich", weil dadurch „theoretisch ein Bundeskanzler einem Bundesminister sozusagen Ortsanwesenheit anordnen" könne. Zu „einem der wichtigsten Probleme der Geschäftsführung der Bundesregierung „(§ 8: „Der Geschäftsbereich der einzelnen Bundesminister wird durch den Bundeskanzler festgelegt") hatte sich der Bundespräsident mit einer „eigenen Stellungnahme" zurückgehalten. Den über die Abgrenzung der Geschäftsbereiche der Bundesministerien weiterhin schwelenden Streit konnte Adenauer in einer Kabinettssitzung am 7. November 1950 nur durch Vertagung entschärfen. Er erreichte den Beschluß, diesen Punkt zurückzustellen, um ihn im Rahmen der „Beratungen über die Geschäftsordnung" mit zu behandeln. 33 Nach Besprechungen mit den Staatssekretären des Bundesministeriums des Innern (Ritter von Lex) und der Justiz (Walter Strauß) legte Gumbel am 25. November 1950 einen neuen Entwurf der Geschäftsordnung vor, dem

33

Vgl. Die Kabinettsprotokolle der Bundesregierung, S. 808.

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Adenauer zustimmte. Darin war die Mehrzahl der „Wünsche" des Bundespräsidenten - so bezeichnete sie Ministerialdirektor Globke am 12. Dezember 1950 in einem Vermerk für den Bundeskanzler - da ihnen „nur redaktionelle Bedeutung" zukomme, nicht berücksichtigt worden, wohl aber - wie Gumbel am 25. November dem Bundeskanzler mitteilte - dessen Kritik an der Präambel der Geschäftsordnung. Darin fehlte jetzt der Hinweis auf die „besondere Stellung des Bundeskanzlers". Nicht aufgenommen war auch eine Bestimmung über die Unterrichtung des Bundespräsidenten „über Angelegenheiten von besonderer Bedeutung" durch den Bundeskanzler - analog der Geschäftsordnung der Reichsregierung von 1924 - , die Klaiber vorgeschlagen hatte. Aufgegriffen hingegen war die Anregung, bei Abwesenheit eines Bundesministers vom Sitz der Bundesregierung nur noch von mehr als drei Tagen und bei Auslandsreisen das Einverständnis des Bundeskanzlers vorzusehen; die „Entfernung vom Sitz der Bundesregierung" war aber jeweils anzuzeigen.34 Nach einer weiteren Änderung sollten die Staatssekretäre nicht zur Teilnahme an Sitzungen des Kabinetts verpflichtet werden, sondern nur dann daran teilnehmen, wenn der zuständige Minister verhindert sei. Neu eingefügt wurde eine Vorschrift über gemeinsame Besprechungen der Bundesregierung mit den „präsidierenden Mitgliedern der Landesregierungen" - ebenfalls analog der früheren Geschäftsordnung der Reichsregierung. Dazu vermerkte Adenauer handschriftlich: „Oder [nur] nach Bedarf?" Am 12. Dezember 1950 schlug der Bundeskanzler im Bundeskabinett vor, sich über „gewisse Probleme", darunter die Geschäftsordnung der Bundesregierung, „einmal in aller Ruhe" zu unterhalten. 35 Bereits am 16. Dezember 1950, einem Tag nach Absendung der Kabinettsvorlage mit dem Entwurf einer Geschäftsordnung, übermittelte der Chef des Bundespräsidialamts, Klaiber, noch drei Ergänzungsvorschläge des Bundespräsidenten, über die er Globke bereits mündlich informiert hatte. Der erste betraf die Einführung eines neuen Paragraphen 4a - „fortlaufende" mündliche Unterrichtung des Bundespräsidenten „über die Richtlinien der Politik" durch den Bundeskanzler sowie durch Übersendung der „wesentlichen Unterlagen". Die Formulierung (§ 18) des Entwurfs - wonach vor Ernennung oder Entlassung eines Beamten ab der Besoldungsgruppe B 4 die Stellungnahme des Bundeskanzlers einzuholen sei - wollte Heuss durch den Zusatz ergänzt wissen, daß vor solchen Maßnahmen die „Angelegenheit dem Bundespräsidenten

34 Schreiben Globkes vom 15. Dezember 1950 an den Chef des Bundespräsidialamts. 3 V g l . Die Kabinettsprotokolle der Bundesregierung, S. 2.

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zur Entscheidung zu unterbreiten" sei - ebenfalls analog der Regelung von 1924. Die Stellung des Bundeskanzlers zum ersten Punkt dieses Vorschlags war ablehnend: Eine solche „Vorschrift" passe „systematisch nicht" in eine Geschäftsordnung der Bundesregierung, wobei „überdies sachlich danach verfahren" werde - während der Zusatz zu § 18 dem Bundespräsidenten eine „materielle Entscheidungsbefugnis hinsichtlich der Ernennung und Entlassung von Bundesbeamten" verschaffen würde; ihm ständen jedoch nach der Auffassung der Bundesminister der Justiz und des Innern „insoweit nur formale Rechte" zu. 3 6 Am 19. Dezember 1950 wurde der Entwurf der Geschäftsordnung der Bundesregierung im Bundeskabinett in einer „ersten Lesung" - wie sie Bundesjustizminister Dehler am 21. Dezember nannte 37 - beraten. Dabei hat Adenauer in der ihm vorliegenden Fassung (mit 29 Paragraphen) handschriftlich eine Reihe von Zusätzen bzw. Streichungen vermerkt. Bei ihnen scheint es sich in der Mehrzahl um Vorschläge anderer Kabinettsmitglieder bzw. das Ergebnis der entsprechenden Beratungen gehandelt zu haben. Etliche der von Adenauer registrierten Korrekturen sind in die Endfassung eingegangen. Verändert wurde auch der strittige § 8 („Der Geschäftsbereich der einzelnen Bundesminister wird durch den Bundeskanzler festgelegt"). Die in dieser Sitzung behandelten und daran anschließend noch eingegangenen ergänzenden bzw. korrigierenden Stellungnahmen aus nahezu allen Ressorts faßte Bundesjustizminister Dehler in einer neuen Vorlage zusammen. Am 21. Dezember 1950 übersandte er sie als „Ergebnis" der Kabinettsberatung, „unter Bezeichnung der noch bestehenden Zweifelsfragen", an alle Ressortchefs. Weitere Anregungen bzw. Änderungsvorschläge einzelner Minister wurden dann im Bundeskanzleramt mit den Staatssekretären Ritter von Lex und Walter Strauß besprochen, andere von Verkehrsminister Seebohm (DP) und Dehler Ende Januar nachgereicht. Ein daraufhin von Gumbel erneut überarbeiteter Entwurf vom 14. Februar 1951 lag fünf Tage später dem Bundeskanzler vor. Darin war u. a. die Unterrichtung des Bundespräsidenten vorgesehen und durch eine Neufassung des § 4a klargestellt, daß sie „grundsätzlich Sache des Bundeskanzlers" sei. 38

36 Vermerk Gumbels vom 19. Dezember 1950. Adenauer hatte bereits auf das Schreiben von Klaiber vom 16. Dezember (zu § 18) handschriftlich vermerkt: „[Würde] materielle Prüfung [bedeuten]". 37 Die Kabinettsprotokolle der Bundesregierung, S. 901 f., Anm. 39. 38 Im Kommentar zur Geschäftsordnung von Heinz Honnacker imd Gottfried Grimm (München 1969, S. 36) ist daraufhingewiesen, daß diese Formulierung (§ 5) „auf

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Ferner sollte auch dem Bundesminister der Justiz, analog dem der Finanzen, ein „besonderes Widerspruchsrecht" - in diesem Falle gegen einen Gesetz- oder Verordnungsentwurf der Bundesregierung - „aus Gründen der Rechtsformlichkeit" ausdrücklich zugestanden werden. In der strittigen Frage der Abgrenzung der Geschäftsbereiche (§ 8) legte Gumbel zwei Fassungen zur Entscheidung vor, ebenso in der Frage der materiellen Entscheidungsbefugnis des Bundespräsidenten (§ 18). Wie sich aus handschriftlichen Zusätzen Adenauers zu einer Stellungnahme des Bundesministers für Arbeit vom 15. Februar 1951 ergibt, legte der Kanzler weiterhin Wert darauf, daß die Bundesminister Jederzeit erreichbar sein" sollten. In einer von Gumbel erneut überarbeiteten Fassung einzelner Punkte der Geschäftsordnung vom 26. Februar 1951 verschärfte Adenauer den Vorschlag (zu § 12 Abs. 2), „Einladungen in das Ausland sind vor ihrer Annahme [durch die Bundesminister] dem Bundeskanzler zur Kenntnis zu bringen", folgendermaßen: „Zur Annahme von Einladungen ... ist die Zustimmung des Bundeskanzlers erforderlich."

V. Am 20. März 1951 beriet das Bundeskabinett den inzwischen mehrfach überarbeiteten Entwurf einer Geschäftsordnung, und zwar „Paragraph für Paragraph". 39 Weiterhin umstritten war insbesondere die Organisationsgewalt des Bundeskanzlers, die Adenauer zunächst nicht bereit war, der Entscheidung durch die Bundesregierung zu überlassen. Schließlich erklärte er sich aber mit dem neuen „Gegenvorschlag", den vor allem Bundesminister Seebohm vertrat, einverstanden. Danach sollte der Geschäftsbereich der einzelnen Bundesminister zwar „ i n den Grundzügen" durch den Bundeskanzler festgelegt werden, bei „Überschneidungen und sich daraus ergebenden Meinungsverschiedenheiten zwischen den einzelnen Ministerien" jedoch die Bundesregierung durch Beschluß entscheiden. Gegen den Wunsch des Bundespräsidenten, über die Ernennung und Entlassung von Beamten ab der Besoldungsgruppe B 4 mitbestimmen zu können, erhob Adenauer zunächst Bedenken, da andernfalls „die entscheidende Frage angeschnitten" werde, inwieweit der Bundespräsident eine materielle Ent-

Wunsch des Bundespräsidenten" wieder in die Geschäftsordnung aufgenommen worden sei. 39 Vgl. Die Kabinettsprotokolle der Bundesregierung, S. 250-253.

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scheidungsbefügnis bei Vorschlägen habe, die auch die „Ernennung und Entlassung der Minister zum Gegenstand hätten". Nachdem Ministerialdirektor Klaiber jedoch die Auffassung des Bundespräsidenten begründet hatte - u. a. mit dem Argument, daß es ihm dabei nicht um eine „staatsrechtliche Frage" gehe, ihm aber das Ernennungs- und Entlassungsrecht der Beamten die Möglichkeit verschaffe, „eine gewisse Kontinuität der Verwaltung zu garantieren" - , gab der Bundeskanzler nach. Daraufhin wurde dieser Satz in den § 19 aufgenommen, und zwar „einstimmig". Neben dem Bundesminister der Justiz erhielt dann auch der des Innern die Zuständigkeit zur Prüfüng der „Verfassungsmäßigkeit" von Gesetzes- und Verordnungsentwürfen zugestanden. Zustimmung fand auch § 28 Abs. 2: „Gegen die Auffassung der Bundesregierung zu wirken, ist den Bundesministern nicht gestattet." Nach dieser Beratung im Kabinett wurde der Entwurf der Geschäftsordnung der Bundesregierung noch einmal in § 19 dahingehend überarbeitet, daß bei einer Entlassung oder Versetzung von Beamten in den Wartestand oder in den Ruhestand - „vor entscheidenden und verpflichtenden Maßnahmen oder Mitteilungen" - die Stellungnahme des Bundeskanzlers einzuholen sei, und „alsdann vor solchen Maßnahmen oder Mitteilungen die Angelegenheit dem Bundespräsidenten zur Entscheidung zu unterbreiten" sei. Das Innenministerium erklärte sich schließlich noch mit den besonderen (Einspruchs-)Rechten des Bundesministers der Justiz einverstanden, analog der Sonderstellung des Bundesministers der Finanzen und deijenigen des eigenen Ressorts (§ 26 Abs. 2). 4 0 Allerdings bat der zuständige Referent des Justizministeriums, Bundesrichter Willi Geiger, telephonisch darum, daß in diesem Paragraphen der Justizminister „an erster Stelle und vor dem Bundesminister des Innern benannt" werde. 41 Mit den entsprechenden Änderungen trat die Geschäftsordnung der Bundesregierung am 11. Mai 1951 in Kraft. 4 2

VI. Bundeskanzler Adenauer hatte sich von Anfang an für alle Details dieser Geschäftsordnung interessiert, in jeder neuen Entwurfsfassung die jeweils veränderten Paragraphen gründlich durchgearbeitet und mit Globke wie dem zuständigen Referenten Gumbel besprochen. Das Ziel seines „nachdrücklichen 40

Schriftwechsel Gumbels mit dem BMI vom 28. März/3. April 1951. Vermerk Gumbels vom 13. April 1951. 42 Gemeinsames Ministerialblatt Nr. 15 vom 15. Juni 1951, S. 137. Dazu vgl. den in Anm. 38 zitierten Kommentar von H. Honnacker und G. Grimm. 41

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Einflusses" auf die Geschäftsordnung 43 blieb es, die Stellung des Bundeskanzlers als alleiniger Träger der Organisationsgewalt zu sichern. Das ist ihm gegen den Widerstand des Bundespräsidenten und der Bundesminister nicht in dem zunächst vorgesehenen Umfang gelungen. Hingegen vermochte er die Stellung der Bundesminister einzugrenzen, auch durchzusetzen, daß sie über ihre Abwesenheit vom Regierungssitz jeweils den Regierungschef zu informieren und, insbesondere bei Reisen ins Ausland und bei dort vorgesehenen Reden, dessen Zustimmung einzuholen hatten. Für den Verwaltungspraktiker Adenauer war die wiederholte akribische Beschäftigung mit der Geschäftsordnung kennzeichnend. Sie belegt ein weiteres Mal die Sorgfalt - indirekt auch den Fleiß - des ersten Bundeskanzlers, der wußte, daß oft genug der Teufel im Detail steckt. Als sieben Jahre später erstmals eine Änderung der Geschäftsordnung anstand - u. a. um die Konsequenzen der Wehrgesetzgebung, so die Ernennung und Entlassung von Offizieren entsprechend derjenigen von höheren Beamten, darin einzubeziehen - , hat der Bundeskanzler die entsprechende Vorlage am 7. August 1958 mit der gleichen Akribie wie 1950/51 überprüft und punktuell korrigiert. Vergleicht man die Geschäftsordnung von 1951 (31 §§) mit ihrem „Vorbild" von 1924 (33 §§), so ergeben sich Übereinstimmungen im Aufbau - jeweils in vier Abschnitten - wie in vielen Einzelheiten, bis in die Wortwahl hinein. Das gilt in erster Linie für die Verpflichtung der Kabinettsmitglieder auf die Richtlinienkompetenz des Regierungschefs. Nur hatte sie in der strukturell instabilen Verfassungswirklichkeit der Weimarer Republik eine gänzlich andere, nämlich untergeordnete Bedeutung. Auch fehlte 1924 der Zusatz (in § 1), daß der Bundeskanzler das Recht und die Pflicht habe, auf die Durchführung der Richtlinien „zu achten". 44 Die neue Vorschrift, nach der Äußerungen eines Bundesministers in der Öffentlichkeit „mit den vom Bundeskanzler gegebenen Richtlinien der Politik im Einklang stehen müssen" (§ 12), sollte vor allem die von Adenauer gefürchteten „Sonntagsreden" einiger Kabinettsmitglieder eindämmen (was ihm nur teilweise gelungen ist). Anders als 1924 (§ 16) war - im Sinne Adenauers - die Vertretung eines Ministers geregelt: nicht durch seinen Staatssekretär, sondern durch einen „dazu bestimmten Bundesminister" (§ 14). Offengeblieben ist die Frage, wie zu verfahren sei, falls „Meinungsverschiedenheiten" zwischen einzelnen Mini-

43 So ohne weitere Hinweise Günter Bachmann, Das Bundeskanzleramt, in: Die Staatskanzlei. Aufgaben, Organisation und Arbeitsweise auf vergleichender Grundlage (Schriften der Hochschule Speyer, Bd. 34), 1967, S. 164 f. 44 Dazu vgl. Theodor Eschenburg, Die Richtlinien der Politik im Verfassungsrecht und in der Verfassungswirklichkeit, DÖV 1954, S. 199. 26 FS Blümel

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stern nicht in einer der Kabinettssitzung vorgeschalteten „Ministerbesprechung" geklärt werden konnten ( § 1 7 Abs. 2). Nach der früheren Fassung (§ 23 Abs. 2) konnte dann die „Entscheidung der Reichsregierung angerufen werden". - Die bereits 1954 ausgesprochene Vermutung von Theodor Eschenburg, daß die „endgültige Fassung" der Geschäftsordnung die Handschrift Adenauers trägt 45 , hat sich bestätigt. Sie bildete kein Hindernis für die vom ersten Bundeskanzler praktizierte „Kanzlerdemokratie".

45 Dabei hatte Eschenburg noch formuliert: „Wie der Referentenentwurf... ausgesehen haben mag, weiß man nicht..." Ebd.

Untergesetzliche Konkretisierung der Abfallbeseitigungspflicht Von Stefan Paetow

I. Ausgangslage Seit jeher zeichnet sich das Umwelt- und Technikrecht durch eine Erscheinung aus, die man in Abwandlung der verfassungsrechtlichen Anforderungen des Parlaments- bzw. Gesetzesvorbehalts als umgekehrte Wesentlichkeitstheorie bezeichnen kann. 1 Viele „wesentliche" Aussagen zu den Standards, die Anlagenbetreiber und andere für potentielle Umweltbeeinträchtigungen Verantwortliche einhalten müssen, finden sich nicht in den jeweils maßgebenden förmlichen Gesetzen, sondern in den darauf beruhenden Rechtsverordnungen oder in den - im Umwelt- und Technikrecht noch immer häufig anzutreffenden - allgemeinen Verwaltungsvorschriften. Die Gründe hierfür sind bekannt:2 Umweltstandards sind stark von wissenschaftlich-technischen Vorgaben abhängig, die einem raschen Wandel unterworfen sein können. Das eher schwerfallige Instrument des formlichen Gesetzes ist für solche ins Detail gehenden, häufigen Änderungen unterliegenden Regelungen weniger geeignet, auch wenn man Koch 3 nur schwer widersprechen kann, wenn er mit Blick auf die Dynamik des Gesetzgebers bei den sog. Beschleunigungsgesetzen im Umwelt- und Planungsrecht anmerkt, daß letztlich der politische Gestaltungswille und nicht die Regelungsform maßgebend für die Schnelligkeit und Flexibilität der Rechtsetzungsorgane ist. Wie dem auch sei, praktisch alle Umweltgesetze beschränken sich darauf, für Standards und ähnliche Anforderungen unbestimmte Rechtsbegriffe vor-

1

Vgl. dazu etwa Koch, in: BImSchG-GK, § 48 Rdnr. 4. Vgl. dazu etwa Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (Hrsg.), Kommissionsentwurf eines Umweltgesetzbuchs (UGB-KomE), 1998, Einl. S. 98; Jarass, BImSchG, 3. Aufl. 1995, § 48 Rdnr. 1. 3 Koch (Fn. 1), §48 Rdnr. 6,25. 2

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zugeben und deren Ausfüllung der exekutivischen Rechtsetzung durch Rechtsverordnungen oder Verwaltungsvorschriften zu überlassen und damit die Gesetze oft überhaupt erst vollzugsfähig zu machen. So finden sich Verordnungsermächtigungen für die Festsetzung von Immissions- und Emissionswerten (z. B. §§ 7, 23, 32, 33, 38 BImSchG, § 19 d WHG, § 12 AtG, § 30 GenTG, § 19 ChemG), für die Herstellung, das Inverkehrbringen und die Verwendung von Stoffen, Zubereitungen und Produkten (z. B. §§ 34, 35 BImSchG, § 11 AtG, §§ 23, 24 KrW-/AbfG, §§ 14, 17, 18 ChemG) sowie für die Ausgestaltung von Genehmigungs- und Zulassungsverfahren (z. B. § 10 Abs. 10 BImSchG, § 7 Abs. 4 AtG, §§ 34, 49 Abs. 3 KrW-/AbfG, § 17 PflSchG). Auch die Umsetzung bindender Beschlüsse der EU kann aufgrund entsprechender Verordnungsermächtigungen ergehen (vgl. z. B. §§ 37, 39, 48a BImSchG, § 57 KrW-/AbfG, § 25 ChemG, § 26a BNatSchG). Ähnlich zahlreich sind die Ermächtigungen zum Erlaß allgemeiner Verwaltungsvorschriften, die nicht selten denselben Regelungsgegenstand wie die Verordnungsermächtigungen des jeweiligen Gesetzes betreffen. Zu den wichtigsten zählt sicher § 48 BImSchG, der die Grundlage der TA Luft mit ihren Anforderungen zur Luftreinhaltung an genehmigungsbedürftige Anlagen bildet. Zu nennen ist weiter § 7a Abs. 1 Satz 3 WHG a.F., auf dessen Grundlage eine Reihe von - auch nach der Neufassung durch die sechste WHG-Novelle zunächst weitergeltenden 4 - Verwaltungsvorschriften über Mindestanforderungen an das Einleiten von Abwasser erlassen wurden. 5 Das am 7. Oktober 1996 in Kraft getretene Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetz (KrW-/AbfG) 6 ist - noch mehr als sein Vorgängergesetz, das Abfallgesetz vom 27. August 19867 - ein typisches Beispiel für das Konzept, wesentliche Fragen nicht im Gesetz selbst zu behandeln, sondern einem untergesetzlichen Regelwerk zu überlassen.8 Dies ist vielfach kritisiert worden bis hin zu dem Vorwurf, das Gesetz sei aus sich selbst nicht anwendungsfähig. 9 Bei Inkrafttreten des KrW-/AbfG waren lediglich die für die Vollzugsfahigkeit des Gesetzes absolut unerläßlichen untergesetzlichen Vorschriften geschaffen 4

Vgl. dazu Czychowski, WHG, 7. Aufl. 1998, § 7a Rdnr. 18. Vgl. ferner die Ermächtigungen zum Erlaß von Verwaltungsvorschriften in § 30 Abs. 5 GenTG, § 43 PflSchG, § 26b BNatSchG. 6 Vom 27. September 1994 (BGBl I S. 2705). 7 BGBl IS. 1410. 8 Zur Entstehung des bislang vorliegenden Regelwerks s. Versteyl , in: Kunig/ Paetow/Versteyl, KrW-AbfG, Einl. Rdnr. 108 ff. 9 Zur Kritik vgl. z. B. Schink, ZG 1996, 97 ff.; Beckmann , DVB1 1995, 315; Bnmier/Heber , UPR 1996, 294; s. ferner die Große Anfrage BT-Drucks. 13/1971 u. 3368. 5

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worden, nämlich sieben Rechtsverordnungen und eine Richtlinie, die die abfallrechtliche Überwachung, die Erstellung von Abfallwirtschaftskonzepten und Abfallbilanzen sowie die Zertifizierung von Entsorgungsfachbetrieben ermöglichen. 10 Zu den zahlreichen Ermächtigungen des KrW-/AbfG zur exekutivischen Rechtsetzung, von denen noch kein Gebrauch gemacht wurde, zählt die des § 12 KrW-/AbfG, mit der sich die folgenden Ausführungen befassen. Die Vorschrift ermächtigt zum Erlaß von Regelungen über Anforderungen an die Abfallbeseitigung. Die Grundpflicht des § 11 KrW-/AbfG zur gemeinwohlverträglichen Abfallbeseitigung wendet sich an die Erzeuger oder Besitzer von Abfällen, die nicht verwertet werden, gegebenenfalls an die nach den §§ 13 bis 18 KrW-/AbfG für die Abfallbeseitigung verantwortlichen Entsorgungsträger. Die Konkretisierung dieser Pflichten hat sich am Stand der Technik ( § 1 2 Abs. 3 KrW-/AbfG) auszurichten und soll entweder durch Rechtsverordnung oder durch allgemeine Verwaltungsvorschriften erfolgen ( § 1 2 Abs. 1 und 2 KrW-/AbfG). § 12 KrW-/AbfG hat damit eine ähnliche Funktion wie § 7 KrW-/AbfG für die Anforderungen an die ordnungsgemäße Verwertung im Rahmen der Kreislaufwirtschaft.

I I . Rechtsverordnungen 1. Allgemeines § 12 Abs. 1 KrW-/AbfG ermächtigt die Bundesregierung, mit Zustimmung des Bundesrates und nach Anhörung der beteiligten Kreise (§ 60 KrW-/AbfG) zur Erfüllung der Pflichten nach § 11 KrW-/AbfG durch Rechtsverordnung Anforderungen an die Beseitigung von Abfällen nach Herkunftsbereich, Anfallstelle sowie nach Art, Menge und Beschaffenheit festzulegen. Das Abfallgesetz kannte eine derartige Verordnungsermächtigung nicht; § 4 Abs. 5 AbfG betraf nur den Erlaß von Verwaltungsvorschriften. Die Schaffüng des § 12 Abs. 1 KrW-/AbfG dürfte auch auf das Bestreben des Gesetzgebers zurückzuführen sein, sich im Blick auf die durch den Europäischen Gerichtshof 41 neu entfachte Diskussion über Bedeutung und rechtliche Verbindlichkeit von umweltrechtlichen Verwaltungsvorschriften die Konkretisierungsmöglichkeit durch Rechtsverordnung offenzuhalten und damit dem Vorwurf zu entgehen, 10 Zu den Einzelheiten s. Petersen/Stöhr/Kracht, DVB1 1996, 1161; Leitzke, UPR 1996, 177, Versteyl/Wendenburg, NVwZ 1996, 937 (945). 11 Vgl. EuGH, NVwZ 1991, 866 u. 868; s. dazu unten.

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die gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben 12 nicht ordnungsgemäß umgesetzt zu haben. Maßstab der verordnungsrechtlichen Regelungen ist der in § 12 Abs. 3 KrW-/AbfG definierte jeweilige Stand der Technik. Denn die Anforderungen an eine umweltverträgliche Abfallbeseitigung sind nicht statisch, sondern einer ständigen technisch-naturwissenschaftlichen Entwicklung unterworfen. Der im KrW-/AbfG verwendete Begriff „Stand der Technik" ist fast wortgleich mit § 3 Abs. 6 BImSchG (ähnlich bereits Nr. 2.1 TA Abfall und TA Siedlungsabfall). Die Einhaltung des Standes der Technik verlangt die fortwährende künftige Anpassung der Rechtsverordnungen und Verwaltungsvorschriften. Es handelt sich um einen generellen Maßstab, der sich auf die Art der betreffenden Verfahren usw. und nicht auf den konkreten Einzelfall bezieht. 13 Verfahren, Einrichtungen oder Betriebsweisen sind Stand der Technik, wenn ihre Eignung für die umweltverträgliche Abfallbeseitigung praktisch gesichert erscheint. 14 Bislang sind Rechtsverordnungen auf der Grundlage von § 12 Abs. 1 KrW-/ AbfG nicht erlassen. Die Bundesregierung hat eine Rechtsverordnung nur für den Fall des Erlasses einer EU-Deponie-Richtlinie in Betracht gezogen, wie sich aus der Antwort auf eine Große Anfrage ergibt. 15 Im Hinblick auf die nach wie vor bestehenden Unsicherheiten über die rechtlich verbindliche Außenwirkung sog. nonnkonkretisierender Verwaltungsvorschriften 16 spricht jedenfalls viel dafür, zumindest die grundlegenden Anforderungen an die gemeinwohlverträgliche Abfallbeseitigung durch Rechtsverordnung zu regeln, wie dies für den Bereich der Luftreinhaltung über die Verwaltungsvorschrift der TA Luft hinaus durch die 22. BImSchV vom 26. Oktober 1993 17 geschehen ist.

2. Verfahren Die von der Bundesregierung zu erlassenden Rechtsverordnungen bedürfen gemäß Art. 80 Abs. 2 GG der Zustimmung des Bundesrates, wie § 12 Abs. 1 12 Vgl. insbesondere Art. 4 der Abfallrahmen-Richtlinie 75/442/EWG vom 15.7.1975 (ABl L 194, 39), geändert durch Richtlinie 91/692/EWG vom 23.12.1991 (ABl L 377, 48). 13 Vgl. Jarass (Fn. 2), § 3 Rdnr. 74, 79. 14 Vgl. BVerfGE 49, 89, 135; BVerwG, Buchholz 406.25 § 3 BImSchG Nr. 9. 15 Vgl. BT-Drucks. 13/3368, 19; zur geplanten Richtlinie s. BR-Drucks. 202/97. 16 Dazu unten. 17 BGBl IS. 1819.

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KrW-/AbfG klarstellt. Nach dem neu geschaffenen Art. 80 Abs. 3 GG kann der Bundesrat der Bundesregierung Vorlagen für den Erlaß von Rechtsverordnungen zuleiten, die seine Zustimmung erfordern. Eine Beteiligung des Bundestages ist dagegen nicht vorgesehen, wie sich aus der unterbliebenen Erwähnung des § 12 Abs. 1 KrW-/AbfG in § 59 Satz 1 KrW-/AbfG ergibt. Vor Erlaß sind die beteiligten Kreise anzuhören (vgl. näher § 60 KrW-/AbfG). Diese Anhörung hat den Zweck, optimale Entscheidungsgrundlagen zu schaffen und vermittelt den Regelungen zusätzlich eine Legitimation durch Verfahren. 18 Bei besonders schweren Verstößen gegen die Anhörungspflicht, etwa bei einem völligen Unterbleiben der Anhörung, wird zum Teil die Nichtigkeit derartiger Verordnungen angenommen.19

3. Gegenstand der Verordnungsermächtigung Die Verordnungsermächtigung umfaßt alle Formen, Verfahren und Stufen der Abfallbeseitigung (vgl. § 10 Abs. 2 KrW-/AbfG), also die Deponierung ebenso wie die Verbrennung von Abfällen und die dazu erforderlichen Schritte. Für den Gegenstand der Anforderungen differenziert § 12 Abs. 1 KrW-/ AbfG nach Herkunftsbereich (z. B. Gewerbe oder private Haushaltungen), Anfallstelle sowie Art, Menge und Beschaffenheit der Abfälle. Der allgemeine Rahmen wird durch die Gemeinwohlklausel des § 10 Abs. 4 KrW-/AbfG gezogen, nach der Abfälle so zu beseitigen sind, daß das - in § 10 Abs. 4 Satz 2 KrW-/AbfG durch Regelbeispiele definierte - Wohl der Allgemeinheit nicht beeinträchtigt wird, während der spezielle inhaltliche Maßstab durch den in § 12 Abs. 3 KrW-/AbfG definierten Stand der Technik gebildet wird. In Absatz 1 Nr. 1 - 3 des § 12 Abs. 1 KrW-/AbfG sind die wichtigsten in der Verordnung zu regelnden Anforderungen aufgeführt. Auf der Grundlage der Nr. 1 können in Anknüpfung an die in § 11 Abs. 2 KrW-/AbfG ausdrücklich genannte Pflicht der Abfallerzeuger und -besitzer Anforderungen an die Getrennthaltung von Abfällen festgelegt werden. Solche Regelungen werden insbesondere die Art der Abfälle und der in Betracht kommenden Beseitigungsverfahren betreffen. 20 Anforderungen an die Getrennthaltung waren bislang schon aufgrund landesrechtlicher Ermächtigungen (vgl. aber auch § 14 Abs. 1 Nr. 2 u. Abs. 2 Satz 3 Nr. 4 sowie § 3 Abs. 2 Satz 4 AbfG) in kommunalen Satzungen enthalten, vor allem im Hinblick auf das getrennte 18

Vgl. VersteyU in: Kunig/Paetow/Versteyl, KrW-/AbfG, 1998, § 60 Rdnr. 3. s. die Nachw. bei Versteyl (Fn. 18), Rdnr. 13 f. 20 Vgl. die detaillierten Regelungen in Nr. 5.2 der TA Siedlungsabfall vom 14. Mai 1993 (BAnz. Nr. 99a). 19

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Bereithalten von Abfallen zum Zweck der Überlassung 21, während sich bundesrechtliche Vorgaben an die Behandlung von Abfällen zur Beseitigung bislang nur in der T A Abfall 2 2 und TA Siedlungsabfall 23 finden. Gegenstand der Verordnung können auch Anforderungen an die Vorbehandlung von Abfallen sein, z. B. zur möglichst optimalen Nutzung von Energie gemäß § 10 Abs. 2 Satz 3 KrW-/AbfG. § 12 Abs. 1 Nr. 2 KrW-/AbfG ermöglicht in Anknüpfung an die in § 10 Abs. 2 Satz 1 KrW-/AbfG aufgezählten Phasen der Abfallbeseitigung Anforderungen an das Bereitstellen, Überlassen, das Einsammeln, die Beförderung, Lagerung und die Ablagerung von Abfallen zu stellen. Diese Ermächtigung überschneidet sich gegenständlich mit der Ermächtigung in Abs. 1 Nr. 1, soweit es um die Getrennthaltung geht. Bundeseinheitliche Vorgaben für die Lagerung und Ablagerung enthalten die T A Abfall und TA Siedlungsabfall, während verordnungsrechtliche Anforderungen an die Beförderung nur im Zusammenhang mit der Genehmigungspflicht und dem Nachweisverfahren gestellt werden konnten. 24 Nunmehr können auch Anforderungen an den eigentlichen Beförderungsvorgang geregelt werden. § 12 Abs. 1 Nr. 3 KrW-/ AbfG schließlich ermächtigt zu Regelungen für Überprüfungsverfahren, durch welche die Einhaltung der Anforderungen, die in Rechtsverordnungen nach § 12 Abs. 1 KrW-/AbfG enthalten sind, kontrolliert werden kann (z. Probenahmen, Analyseverfahren). Eine ähnliche Verordnungsermächtigung findet sich in § 7 Abs. 1 Nrn. 3 u. 4 BImSchG für die Überprüfung von Anforderungen an genehmigungsbedürftige Anlagen, die sich aus der Erfüllung der Grundpflichten des § 5 BImSchG ergeben. 25

4. Verbleibende landesrechtliche Kompetenzen Das Recht der Abfallbeseitigung ist Gegenstand der konkurrierenden Gesetzgebung von Bund und Ländern (Art. 74 Nr. 24 GG). 2 6 Damit tritt gemäß Art. 72 Abs. 1 GG für die Landesgesetzgeber eine Sperrwirkung ein, wenn eine bundesgesetzliche Regelung die betreffende Materie erschöpfend normiert; 21 Vgl. dazu BVerwGE 67, 8, 11; 90, 359, 364; 99, 88; VGH München, DVB1 1992, 717, 721. 22 Vom 12. März 1991 (GMB1 S. 139). 23 s. o. Fn. 20. 24 Vgl. § 12 Abs. 3 und § 2 Abs. 3 AbfG und die darauf beruhende AbfRestÜberwV, s. jetzt §§ 48, 49 KrW-/AbfG. 25 Für nicht genehmigungsbedürftige Anlagen s. § 26 BImSchG. 26 s. dazu BVerwG, DVB1 1991, 399.

Untergesetzliche Konkretisierung der Abfallbeseitigungspflicht409 ob dies der Fall ist, ergibt sich aus einer Gesamtwürdigung des jeweiligen Normbereichs. 27 Insbesondere für den Bereich der Getrennthaltung, des Bereitstellens, Überlassens und Einsammelns haben die kommunalen Satzungsgeber auf der Grundlage landesrechtlicher Ermächtigungen Vorschriften erlassen; dies war wegen fehlender Regelungen im AbfG grundsätzlich unbedenklich. 28 Mit § 12 Abs. 1 Nrn. 1 - 3 hat das KrW-/AbfG die „Anforderungen an die gemeinwohlverträgliche Beseitigung von Abfällen entsprechend dem Stand der Technik" zu einem bundesrechtlich auszuformenden Regelungsbereich gemacht. Im Blick auf den prinzipiell umfassenden Steuerungsanspruch des KrW-/AbfG und auf die vielfach beklagte Lückenhaftigkeit des AbfG, die eine Vielzahl unterschiedlicher landesrechtlicher Regelungen zur Folge hatte, wird man von einer abschließenden bundesrechtlichen Regelung der Materie auszugehen haben. Für diese Ansicht läßt sich auch ein Gegenschluß aus § 8 Abs. 3 KrW-/AbfG anführen. 29 Lediglich für die im Rahmen der kommunalen Selbstverwaltung erlassenen Detailregelungen z. B. über das Bereitstellen, Überlassen und Einsammeln von Abfällen zur Beseitigung ist eine bundesrechtliche Sperrwirkung zu verneinen. Landesrecht darf mithin im Umfang der durch § 12 Abs. 1 KrW-/AbfG ausgelösten Sperrwirkung nicht mehr erlassen werden. Allerdings ist umstritten, ob dies bereits mit Schaffüng der bloßen Verordnungsermächtigung 30 oder erst mit Erlaß der Verordnung eintritt. 31 Als entscheidend wird man den der jeweiligen Verordnungsermächtigung zu entnehmenden Willen des Bundesgesetzgebers anzusehen haben. Im Zweifel ist anzunehmen, daß der Bundesgesetzgeber keinen Raum mehr für neues Landesrecht lassen will, damit der Verordnungsgeber nicht in seiner Entscheidungsfreiheit darüber eingeschränkt wird, ob und zu welchem Zeitpunkt er die Verordnung erläßt. 32 So verhält es sich auch im Fall des § 12 Abs. 1 KrW-/AbfG, zumal angesichts des vorhandenen und weitergeltenden bisherigen Landesrechts 33 keine rechtsfreien Räume bestehen.34 Mittelbar kann übrigens anderen Regelungen des KrW-/AbfG ein solcher gesetzgeberischer Wille entnommen werden, wenn dem Landesge27

323. 28

Vgl. BVerfGE 67, 299, 324 m.w.N; für das Abfallrecht s. BVerwGE 96, 318,

Vgl. BVerwGE 67, 8, 11; 99, 88, 91. Vgl. Fluck, Kreislaufwirtschafts- und Abfallrecht (KrW-/AbfG), § 7 Rdnr. 53. 30 So z. B. Brenner, BayVBl 1992, 73. 31 So z. B. Bothe, NVwZ 1987, 945. 32 Vgl. dazu auch Fluck (Fn. 29), Rdnr. 55 zu § 7; Klages, Vermeidungs- und Verwertungsgebote als Prinzipien des Abfallrechts, 1991, S. 33. 33 Dazu im folgenden. 34 Vgl. Czybulkci/Rodi, LKV 1995, 379. 29

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setzgeber in § 13 Abs. 4 Satz 4 KrW-/AbfG für Andienungspflichten und in § 8 Abs. 3 KrW-/AbfG für Düngemittelverordnungen bis zum Inkrafttreten bundesrechtlicher Bestimmungen ausdrücklich eine Regelungsbefugnis belassen wird. Mit der Annahme einer Sperrwirkung durch § 12 Abs. 1 KrW-/AbfG ist freilich noch nichts darüber ausgesagt, ob und inwieweit bisher erlassenes Landesrecht weiter gilt. Kommunales Satzungsrecht, das Vorschriften aus dem Regelungsbereich des § 12 Abs. 1 KrW-/AbfG enthält, hat seine Geltung nicht schon mit Inkrafttreten des KrW-/AbfG verloren. Zwar sind die dem § 12 Abs. 1 KrW-/AbfG entgegenstehenden landesgesetzlichen Ermächtigungsvorschriften nicht mehr in Geltung (Art. 72 Abs. 1, Art. 31 GG), doch bleibt der nachträgliche Wegfall einer gesetzlichen Ermächtigung auf die darauf gestützten untergesetzlichen Vorschriften grundsätzlich ohne Einfluß. 35 Etwas anderes gilt nur, wenn der Bundesgesetzgeber zu erkennen gibt, daß mit dem Erlaß der neuen Verordnungsermächtigung das bisher ordnungsgemäß ergangene untergesetzliche Landesrecht keinen Bestand mehr haben soll. 36 Das ist hier wegen des sonst eintretenden regelungsfreien Raums nicht anzunehmen. Deshalb bleiben das kommunale Satzungsrecht ebenso wie landesgesetzliche Regelungen über die gemeinwohlverträgliche Abfallbeseitigung bis zum Erlaß einer Verordnung nach § 12 Abs. 1 KrW-/AbfG in Kraft, sofern die Vorschriften nicht aus anderen Gründen mit dem KrW-/AbfG unvereinbar sind.

I I I . Verwaltungsvorschriften 1. Bedeutung und Gegenstand der Ermächtigung Einer ausdrücklichen gesetzlichen „Ermächtigung" der Bundesregierung zum Erlaß allgemeiner Verwaltungsvorschriften durch § 12 Abs. 2 KrW-/ AbfG hätte es nicht bedurft (vgl. Art. 84 Abs. 2 GG). Die Bedeutung der Vorschrift besteht deshalb wie bei der inhaltlich gleichlautenden Vorgängervorschrift des § 4 Abs. 5 AbfG zunächst in ihrer „Signalwirkung". Man mag auch wie bei § 48 BImSchG 37 von der Auferlegung einer Pflicht der Bundesregierung zum Erlaß solcher Vorschriften ausgehen. Seine über Art. 84 Abs. 2 GG hinausweisende Bedeutung erhält § 12 Abs. 2 KrW-/AbfG jedenfalls dadurch, 35 36 37

Vgl. BVerfGE 14, 245, 249; 44, 216, 226. Vgl. dazu BVerwG, NJW 1988, 1161. Vgl. Jarass (Fn. 2), Rdnr. 2 zu § 48.

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daß er als Regelungsmaßstab den Stand der Technik einfuhrt und die „Anhörung der beteiligten Kreise" (vgl. § 60) vorschreibt. Nach § 12 Abs. 2 KrW-/AbfG erläßt die Bundesregierung mit Zustimmung des Bundesrates zur Durchfuhrung des KrW-/AbfG und der auf ihm beruhenden Rechtsverordnungen des Bundes allgemeine Verwaltungsvorschriften, die konkretisierende Anforderungen an die umweltverträgliche Abfallbeseitigung (§§ 10, 11 KrW-/AbfG) nach dem - in Abs. 3 definierten - Stand der Technik enthalten. Die Vorgängervorschrift des § 4 Abs. 5 AbfG ermächtigte demgegenüber umfassender zu Anforderungen an die „Entsorgung" von Abfallen, schloß also die Verwertung ein. Auch wenn das Gesetz mit der Wendung „umweltverträglich" einen engeren als den in den §§ 10, 11 KrW-/AbfG verwandten Begriff „gemeinwohlverträglich" gewählt hat, lassen sich die meisten der in § 10 Abs. 4 Satz 2 KrW-/AbfG beispielhaft aufgeführten Schutzgüter der Gemeinwohlklausel (vgl. die Nrn. 1 - 5 ) auch unter den Begriff der Umweltverträglichkeit fassen, so daß die begrifflichen Unterschiede nicht sehr erheblich sind. Die auf der Grundlage des § 12 Abs. 2 KrW-/AbfG ergangenen Regelungen haben wie andere Verwaltungsvorschriften auch in erster Linie Innenwirkung, d. h. sie binden - ihre Gesetzeskonformität vorausgesetzt - die Bediensteten der Behörden, die bei ihren Planungen und Entscheidungen gemäß den §§ 10, 11 KrW-/AbfG die Anforderungen an eine gemeinwohl- und damit auch umweltverträgliche Abfallbeseitigung zu beachten haben. Die durch solche Verwaltungsvorschriften ermöglichten Präzisierungen reduzieren die Auslegungsund Anwendungsprobleme, die sich insbesondere aus dem Maßstab des Standes der Technik ergeben. Das kommt einem wirksamen, zügigen, berechenbaren und vor allem auch bundeseinheitlichen Gesetzesvollzug des KrW-/AbfG auf der Grundlage allgemein geltender Standards zugute. Denn für die Länder besteht kein Gestaltungsraum für eigene Verwaltungsvorschriften mehr, wenn und soweit die Verwaltungsvorschriften des Bundes abschließenden Charakter haben, wie dies etwa für die TA Abfall und TA Siedlungsabfall anzunehmen ist.

2. Nach § 4 Abs. 5 AbfG erlassene Verwaltungsvorschriften Allgemeine Verwaltungsvorschriften auf der Grundlage des § 12 Abs. 2 KrW-/AbfG liegen noch nicht vor. Demgegenüber sind aufgrund der Ermächtigung des § 4 Abs. 5 AbfG drei derartige Regelwerke geschaffen worden.

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Eine (Erste) Allgemeine Abfallverwaltungsvorschrift über Anforderungen zum Schutz des Grundwassers bei der Lagerung und Ablagerung von Abfallen stammt vom 31. Januar 1990. 38 Sie gilt für Anlagen zur Lagerung oder Ablagerung von Abfällen, sofern dadurch bestimmte Stoffe, welche ein Toxizitäts-, Langlebigkeits- oder Bioakkumulationsrisiko aufweisen oder eine schädliche Wirkung auf das Grundwasser haben können, indirekt in dieses gelangen können. 39 Bedeutung hat sie u. a. für die Entsorgung in abfallrechtlich zugelassenen Abfallentsorgungsanlagen (§ 4 Abs. 1 Satz 1 AbfG, jetzt § 27 Abs. 1 Satz 1 KrW-/AbfG), die Abfallentsorgungsplanung nach § 6 AbfG (jetzt § 29 KrW-/AbfG), Zulassungsentscheidungen bzw. Nebenbestimmungen nach §§ 7, 7a, 8 AbfG (jetzt § § 3 1 - 3 3 KrW-/AbfG) und für die abfallrechtliche Überwachung. Die Zweite Allgemeine Verwaltungsvorschrift zum Abfallgesetz (TA Abfall) - Teil 1: Technische Anleitung zur Lagerung, chemisch/physikalischen, biologischen Behandlung, Verbrennung und Ablagerung von besonders überwachungsbedürftigen Abfällen vom 12. März 1991 40 gilt u. a. für die Abfallentsorgungsplanung, die anlagenbezogenen Zulassungsentscheidungen und Anordnungen und die Überwachung, nicht aber für die Abfallvermeidung. Aufgrund ihrer Konzeption als „ T A Sonderabfall" bezieht sie sich nur auf Abfälle im Sinne des § 2 Abs. 2 AbfG (jetzt § 3 Abs. 8, § 41 Abs. 1 KrW-/ AbfG). Die Dritte Allgemeine Verwaltungsvorschrift zum Abfallgesetz (TA Siedlungsabfall) vom 14. Mai 199341 trägt den Untertitel: Technische Anleitung zur Verwertung, Behandlung und sonstigen Entsorgung von Siedlungsabfällen. Nach Nr. 1.1 gehört es zu den Zielen der TA Siedlungsabfall, unter Gewährleistung der Entsorgungssicherheit nicht vermiedene Abfälle soweit wie möglich zu verwerten, den Schadstoffgehalt der Abfälle so gering wie möglich zu halten und eine umweltverträgliche Behandlung und Ablagerung der nichtverwertbaren Abfälle sicherzustellen. Zu den Siedlungsabfallen gehören u. a. Hausmüll, Sperrmüll, hausmüllähnliche Gewerbeabfälle, Garten- und Parkabfälle, Straßenkehricht, Bauabfälle und Klärschlamm. 42 Ähnlich wie die TA Abfall enthält die TA Siedlungsabfall Anforderungen nach dem Stand der

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GMB1 S. 74. Vgl. dazu die Richtlinie 80/68/EWG vom 17.Dezember 1979 über den Schutz des Grundwassers gegen Verschmutzung durch indirekte Einleitungen bestimmter gefahrlicher Stoffe. 40 GMB1 S. 139. 41 BAnzNr. 99a. 42 Nr. 2.2.1 TA Siedlungsabfall. 39

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Technik insbesondere für die Abfallentsorgungsplanung, die anlagenbezogenen Zulassungsentscheidungen und Anordnungen sowie die abfallrechtliche Überwachung, 43 trifft aber ebenfalls keine Aussagen zur Abfallvermeidung. Die Anforderungen an die Behandlung und Beseitigung der Siedlungsabfälle müssen spätestens ab dem 1. Juni 2005 erfüllt werden. Schwerpunkt der TA Siedlungsabfall sind die Regelungen über die technische und personelle Ausstattung von Deponien und Behandlungsanlagen sowie über die stoffliche Verwertung und Schadstoffentfrachtung. 44 Zur Verhinderung künftiger Altlasten dürfen nur noch inerte Stoffe abgelagert werden. Dies erfordert regelmäßig eine Vorbehandlung der Abfälle, etwa durch Verbrennung (sog. thermische Behandlung). Der vorgeschriebene niedrige Glühverlust soll einen geringen Anteil an organischer Substanz im Deponiegut mit der Folge gewährleisten, daß keine unerwünschten Zersetzungs- und Abbauprozesse stattfinden. Seit Jahren wird kontrovers diskutiert, inwieweit die mechanisch-biologische Restabfallbehandlung eine dem Stand der Technik entsprechende, gleichwertige oder gar vorzugswürdige Alternative gegenüber der thennischen Behandlung ist. 45 Künftig gibt es nur noch zwei nach dem sog. Multi-Barrieren-Konzept anzulegende Regeldeponien, nämlich Mineralstoffdeponien (Deponieklasse I) in Nachfolge für die bisherigen Bauschuttdeponien und Reststoffdeponien (Deponieklasse II). Aufgrund der Übergangsfristen in Nr. 12.1 TA Siedlungsabfall können für bestimmte organische Abfälle unter Auflagen Ausnahmen von der Zuordnung bis zum 1. Juni 2005 und bei Bodenaushub, Bauschutt und anderen mineralischen Abfällen bis zum l.Juni 2001 zugelassen werden, wenn absehbar ist, daß der Abfall wegen mangelnder Behandlungskapazitäten die Zuordnungskriterien nicht erfüllen kann.

3. Fortgeltung der TA Abfall und TA Siedlungsabfall Das KrW-/AbfG weist für die drei auf § 4 Abs. 5 AbfG beruhenden allgemeinen Verwaltungsvorschriften keine ausdrückliche Überleitungsvorschrifi in der Art auf, wie sie § 66 Abs. 2 BlmSchG für die seinerzeit in Kraft befindlichen immissionsschutzrechtlich bedeutsamen Venvaltungsvorschriften enthalten hatte. Entgegen manchen Zweifeln gelten sie aber dennoch fort. 46 Das 43

Vgl. im einzelnen Nr. 1.2 TA Siedlungsabfall. Vgl. die Übersicht bei Schink, NuR 1998, 20 ff. 45 Vgl. nur den Bericht der Bundesregierung, BR-Drucks. 38/96 vom 17. Januar 1996; zur rechtlichen Problematik s. Schink, NuR 1998, 20 (22 ff.) m.w.N. 46 Ebenso v. Koeller, KrW-/AbfG, Anm. zu § 12; Frenz, KrW-/AbfG, § 12 Rdnr. 7; Bim, KrW-/AbfG in der betrieblichen Praxis, Anm. 2 zu § 12; Schink, NuR 1998, 20 (24). 44

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Außerkrafttreten der ohnehin weitgehend deklaratorischen Ermächtigungsgrundlage des § 4 Abs. 5 AbfG ändert daran nichts, weil erstens diese Vorschriften bereits in Art. 84 Abs. 2 GG ihre Ermächtigungsgrundlage finden und weil zweitens die im Regierungsentwurf des KrW-/AbfG zunächst nicht vorgesehene Bestimmung des § 12 Abs. 2 auf ausdrücklichen Wunsch des Bundesrates in das Gesetz aufgenommen wurde, um den Fortbestand einer Rechtsgrundlage für die T A Abfall und T A Siedlungsabfall sicherzustellen. 47 Da sich § 12 Abs. 2 KrW-/AbfG nur auf Anforderungen an die Beseitigung von Abfällen bezieht, beruht die Weitergeltung der Regelungen über die Abfallverwertung allerdings allein auf Art. 84 Abs. 2 GG. Vor diesem Hintergrund hat § 12 Abs. 2 KrW-/AbfG eine dreifache Funktion: Die Vorschrift drückt den Willen des Gesetzgebers zur grundsätzlichen Fortgeltung der vorhandenen Verwaltungsvorschriften aus, weiter enthält sie den Auftrag zur erforderlichen Anpassung insbesondere der TA Abfall und TA Siedlungsabfall an die neue Rechtslage und schließlich bildet sie die Ermächtigungsgrundlage für neue Verwaltungsvorschriften. Bis zu einer etwaigen Anpassung gelten zumindest diejenigen Regelungen unmittelbar weiter, die solche Vorschriften des AbfG über eine umweltverträgliche Abfallbeseitigung präzisieren, für die das KrW-/AbfG im wesentlichen inhaltsgleiche Nachfolgevorschriften enthält. Das trifft für die meisten der als Anwendungsbereich in Nr. 1 T A Abfall bzw. Nr. 1.2 TA Siedlungsabfall aufgeführten Maßnahmen und Entscheidungen zu. 48 Für die nach dem BImSchG zu genehmigenden Abfallbeseitigungsanlagen ( § 3 1 Abs. 1 KrW-/AbfG) beanspruchen TA Abfall und TA Siedlungsabfall grundsätzlich ebenfalls Geltung, soweit sie in ihren anlagenbezogenen Teilen die Grundpflichten des § 5 Abs. 1 BImSchG und den Stand der Technik im Sinne des § 3 Abs. 6 BImSchG konkretisieren. 49

4. Außenwirkung der TA Abfall und TA Siedlungsabfall Die Debatte, ob bestimmte qualifizierte Verwaltungsvorschriften über ihre Innenwirkung hinaus eine (begrenzte) Außenwirkung besitzen, ist auch für die Anwendung der TA Abfall und TA Siedlungsabfall von erheblicher Bedeu47

Vgl. BT-Drucks. 12/5672, 13 u. 16 sowie die Gegenäußerung des Bundesrats 128; vgl. femer BT-Drucks. 12/7284, 17. 48 s. näher Paetow, in: Kunig/Paetow/Versteyl (Fn. 8), § 12 Rdnr. 26. 49 s. näher Paetow, in: Kunig/Paetow/Versteyl (Fn. 8), § 31 Rdnr. 71 f.; vgl. femer Kutscheidt , NVwZ 1994, 213; Feldhaus , Grenzprobleme, 80 f.; dersNJW 1995, 965 f.; Schink, DÖV 1993, 736 f.; v. Koeller, , KrW-/AbfG, Arnn. zu § 12.

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tung. Insbesondere geht es um die Frage, inwieweit und unter welchen Voraussetzungen solche Verwaltungsvorschriften auch im Rahmen der gerichtlichen Überprüfung rechtliche Verbindlichkeit beanspruchen können. 50 Die Gerichte haben bekanntlich zunächst mit der Figur des „antizipierten Sachverständigengutachtens" zu arbeiten gesucht.51 Dies sollte ihnen ermöglichen, für den Regelfall von den Festlegungen der aufgrund § 48 BImSchG erlassenen TA Luft und TA Lärm auszugehen, freilich im Sinne einer Befugnis und nicht einer Verpflichtung. Die Schwäche dieser Konstruktion lag darin, daß es sich bei den in umweltrechtlichen Verwaltungsvorschriften aufgestellten Anforderungen nicht allein um geronnenen naturwissenschaftlich-technischen Sachverstand, sondern wesentlich auch um (politische) Wertungen handelt. Dies führte die Rechtsprechung 52 zu der Annahme, der Exekutive werde durch Vorschriften wie § 48 BImSchG ein Standardisierungsspielraum (administrative Beurteilungsermächtigung) eingeräumt, den sie insbesondere im Rahmen von unbestimmten Rechtsbegriffen durch normkonkretisierende Verwaltungsvorschriften für Bürger und Gerichte prinzipiell verbindlich auszufüllen habe. Voraussetzung hierfür ist eine vom Gesetzgeber vorgeschriebene besondere Qualität des Zustandekommens solcher Verwaltungsvorschriften, wie sie insbesondere durch die Anhörung beteiligter Kreise (vgl. §§ 48, 51 BImSchG) und die dadurch gewährleistete Berücksichtigung des wissenschaftlich-technischen Sachverstands erreicht wird. Der gesetzgeberische Auftrag zur Normkonkretisierung überträgt der Exekutive die Verantwortung für die Ermittlung und Bewertung der Risiken mit der Konsequenz, daß es nicht Aufgabe der nachträglichen verwaltungsgerichtlichen Kontrolle sein kann, die der Exekutive zugewiesene Wertung durch eine eigene Bewertung zu ersetzen. 53 Die Rechtsprechung hat die auf diese normativen Ermächtigungslehre gestützte Rechtsfigur der nonnkonkretisierenden Verwaltungsvorschriften nach anfänglicher Unsicherheit 54 auch auf die den Stand der Technik wiedergeben-

50

Vgl. dazu Gerhardt, NJW 1989, 2233; Erbguth, DVB1 1989, 473; Hill, NVwZ 1989, 401; Wahl, NVwZ 1991, 409; Lübbe-Wolff, ZG 1991, 219; di Fabio, DVB1 1992, 1338; Sendler, UPR 1993, 321; Koch, ZUR 1993, 104; Gusy, in: Koch/Lechelt, 1994,185. 51 BVerwGE 55, 250, 256ff; vgl. auch OVG Berlin, NVwZ 1985, 759; OVG Münster, NVwZ-RR 1989, 640; grundlegend zuvor Breuer, DVB1 1978, 34 ff. 52 Vgl. BVerwGE 72, 300, 316 f. (Wyhl) zum Atomrecht; OVG Lüneburg, DVB1 1985, 1323. 53 Vgl. Sendler, UPR 1993, 321 (327). 54 Vgl. BVerwG, DVB1 1988, 539.

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den Standards der TA Luft, etwa die Emissionswerte, übertragen. 55 Die immanenten Grenzen der Verbindlichkeit im gerichtlichen Verfahren sind danach folgende: Der gerichtlichen Kontrolle unterliegt, ob die in der Verwaltungsvorschrift festgelegten Standards überhaupt den gesetzlichen Anforderungen und Wertungen entsprechen, ferner ob sie durch Erkenntnisfortschritte in Wissenschaft und Technik überholt sind und schließlich, ob ein in der Verwaltungsvorschrift nicht hinreichend erfaßter atypischer Sachverhalt gegeben ist. Stellt das Gericht einen dieser Tatbestände fest, entfallt die Bindung mit der Folge, daß die jeweils maßgebenden Normen des förmlichen Gesetzes eigenständig auszulegen und anzuwenden sind. Auch wenn die wissenschaftliche Diskussion anhält, 56 ist für die behördliche und gerichtliche Praxis von der auf diese Weise begrenzten Außenverbindlichkeit nonnkonkretisierender Verwaltungsvorschriften auszugehen. Freilich gibt es gewichtige Bedenken, soweit mit derartigen Verwaltungsvorschriften Richtlinien der EU umgesetzt werden sollen. 57 Sie resultieren aus der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs. 58 Dieser hat die TA Luft als unzureichende Umsetzung bestimmter Richtlinien angesehen, weil es sich dabei nicht um eine gegenüber Dritten verbindliche Regelung handle, die den Betroffenen einklagbare Rechte zubillige und den Anlagenbetreibern hinreichende Klarheit über den Umfang ihrer Verpflichtungen vermittle. Diesen Bedenken versucht nunmehr eine neuere Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts 59 Rechnung zu tragen. Danach konkretisiert die T A Luft einerseits die Grundpflichten des Betreibers aus § 5 Abs. 1 Nrn. 1 u. 2 BImSchG und andererseits die aus der immissionsrechtlichen Schutzpflicht folgenden Abwehrrechte Dritter; Dritte könnten gegen eine Genehmigung mit der Behauptung vorgehen, die - drittschützenden - Anforderungen der T A Luft seien entweder nicht eingehalten, oder zwar eingehalten, aber durch Erkenntnisfortschritte in Wissenschaft und Technik überholt. Allerdings ist nicht zu übersehen, daß eine gewisse Unsicherheit über die weitere Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs bleibt, so daß sich der Normgeber bei der Umsetzung von EURichtlinien nur dann wirklich auf der sicheren Seite befindet, wenn er von

55 Vgl. BVerwG, DVB1 1995, 516; BVerwG, UPR 1996, 306; BVerwG, NVwZ 1997, 497; vgl. ferner OVG Lüneburg, DVB1 1985, 1322; OVG Münster, DVB1 1988, 152; VGH Mannheim, VB1BW 1996, 56. 56 Vgl. Bender/Sparwasser , Umweltrecht, 3. Aufl. 1995, 334 ff. 57 Vgl. z. B. Jarass (Fn. 2), § 48 Rdnr. 14; Koch (Fn. 1), § 48 Rdnr. 88, § 48a Rdnr. 20 ff; von Danwitz , VerwArch 84 (1993), 73, 92; Bönket\ DVB1 1992, 804; Himmelmann , DÖV 1996, 145 m.w.N. 58 Vgl. EuGH, NVwZ 1991, 866 und 868; vgl. auch EuGH, NVwZ 1992, 459. 59 BVerwG, UPR 1996, 306.

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Verordnungsermächtigungen in der Art von § 12 Abs. 1 KrW-/AbfG (vgl. auch § 57 KrW-/AbfG und § 48a BImSchG) Gebrauch macht. Geht man von der genannten Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts aus, haben auch die auf § 4 Abs. 5 AbfG und künftig auf § 12 Abs. 2 KrW-/AbfG beruhenden allgemeinen Verwaltungsvorschriften normkonkretisierende Funktion, soweit sie die unbestimmten Rechtsbegriffe „umweltverträgliche Beseitigung von Abfällen nach dem Stand der Technik" ausfüllen. 60 Etwaige europarechtliche Bedenken bestehen schon deshalb nicht, weil die Anforderungen der maßgebenden EU-Richtlinien, insbesondere der AbfallRahmenrichtlinie 61 bereits durch die Vorschriften des KrW-/AbfG selbst hinreichend umgesetzt worden sein dürften. 62 Nicht jede Regelung der TA Abfall und TA Siedlungsabfall hat allerdings normkonkretisierenden Charakter. Vielmehr muß für jede Norm überprüft werden, ob sie nach Gegenstand und Inhalt der Regelung gerade den „Stand der Technik" konkretisieren will. Dies wird z. B. bei rein organisatorische Regelungen nicht ohne weiteres der Fall sein. Zusätzlich ist bis zur Anpassung der TA Abfall und T A Siedlungsabfall an das KrW-/AbfG zu beachten, daß eine verbindliche Normkonkretisierung nur angenommen werden kann, wenn sich die betreffende Regelung auf eine auch im KrW-/AbfG vorhandene Norm beziehen läßt.

IV. Ausblick Die bisherigen Ausführungen haben deutlich gemacht, daß im Bereich des die gemeinwohlverträgliche Abfallbeseitigung konkretisierenden untergesetzlichen Regelwerks ein erheblicher Handlungsbedarf des zuständigen Normgebers besteht. Die inhaltliche Ausformung nach den nunmehr maßgebenden Vorgaben des KrW-/AbfG steht noch aus. Der Erlaß von Rechtsverordnungen auf der Grundlage von § 12 Abs. 1 KrW-/AbfG ist derzeit nicht in Sicht. Um so wichtiger wäre eine Anpassung der für die Praxis der Abfallrechtsbehörden und der Entsorgungsträger außerordentlich bedeutsamen TA Abfall und T A 60 Im Ergebnis ebenso VGH München, BayVBl 1995, 532; Gerhardt, DVB1 1989, 125 (127); Heute-Bluhm, VB1BW 1993, 206, (211 f.); Kromer, NVwZ 1995, 975 (976); Frenz, KrW-/AbfG, § 10 Rdnr. 18; Birn (Fn. 46), § 12 Anm. 2 KrW-/AbfG; Fritsch, Das neue Kreislaufwirtschafts- und Abfallrecht, 1996, 72 f.; kritisch Beckmann, DVB1 1997, 217; offengelassen von VGH Kassel, UPR 1994, 346. 61 s. o. Fn. 12. 62 s. dazu Schink, NuR 1998, 20 (22) zur TA Siedlungsabfall. 27 FS Blümel

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Siedlungsabfall. Dies fuhrt allerdings sogleich in die angedeuteten abfallpolitischen Kontroversen um die notwendige Vorbehandlung der Abfälle, so daß hier ein zügiges Tätigwerden der Bundesregierung eher überraschen würde. Abzuwarten bleibt schließlich, welcher untergesetzliche Regelungsbedarf sich aus der in Vorbereitung befindlichen Deponie-Richtlinie der E U 6 3 ergeben könnte. Vor diesem Hintergrund verdient besonderes Interesse der Versuch der vom Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit eingesetzten Unabhängigen Sachverständigenkommission, in ihrem Entwurf eines Umweltgesetzbuchs64 - wie zuvor schon im sog. Professorenentwurf eines UGB - auch allgemeine Vorschriften über die untergesetzliche Recht- und Regelsetzung aufzunehmen. Ausgehend von der Erkenntnis, daß sich die Festlegung von Umweltstandards durch unbestimmte Rechtsbegriffe im Gesetz und deren Konkretisierung durch Rechtsverordnungen oder Verwaltungsvorschriften in der Praxis weitgehend bewährt habe,65 finden sich einige Neuerungen, die manche Schwachpunkte der gegenwärtigen Rechtslage beseitigen könnten. Aus dem Bereich der Rechtsverordnungen betrifft dies etwa die Formulierung von Grundsätzen für die Festsetzung von Grenzwerten zum Schutz vor Gefahren bzw. von Grenz- und Richtwerten zur Vorsorge gegen Risiken (vgl. § 12 des Kommissionsentwurfs), die Pflicht zur Begründung und Veröffentlichung von Entwürfen (§ 16), die Einsetzung einer ständigen Umweltkommission zur Beratung der Bundesregierung und zur intensiven Mitwirkung im Rechtsetzungsverfahren (vgl. §§ 17 bis 20) sowie die Pflicht zur periodischen Überprüfung der Rechtsverordnungen nach Ablauf eines angemessenen Zeitraums, spätestens jedoch zwölf Jahre nach ihrem Erlaß (§ 24). Ähnliche Regelungen sind für den Bereich der Verwaltungsvorschriften vorgesehen (vgl. §§ 25, 29, 30). Grundsätzlich erkennt der Kommissionsentwurf 6 6 die Verwaltungsvorschriften als notwendiges Instrument der Standardsetzung an, im wesentlichen aber nur dort, wo die Dynamik der wissenschaftlichen Erkenntnisbildung zu raschen Änderungen nötigt oder wo zu erwarten ist, daß bei der Anwendung der zu treffenden Regelung häufig Ausnahmen zu gewähren sein werden (vgl. § 25). Bemerkenswert ist schließlich § 26 des Kommissionsentwurfs, der die Vermutung aufstellt, daß Festsetzungen in Verwaltungsvorschriften den Stand der Technik bzw. den Stand von Wissenschaft und Technik zutreffend wiedergeben. Die gesetzliche Vermutung soll 63 04 05 66

s. oben Rdnr. 15. s. o. Rdnr. 2. Kommissionsentwurf S. 464. Vgl. Begründung S. 487.

Untergesetzliche Konkretisierung der Abfallbeseitigungspflicht

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prozessual eine Umkehr der Beweislast bewirken und fuhrt damit im Ergebnis zu einer ganz ähnlichen gesteigerten Außenwirkung wie die Rechtsfigur der normkonkretisierenden Verwaltungsvorschrift. 67 Nicht zuletzt aus der Sicht des Kreislaufwirtschafts- und Abfallrechts und seines untergesetzlichen Regelwerks darf also das weitere Schicksal des UGB-Vorhabens mit Spannung verfolgt werden.

67

Vgl. Begründung S. 489.

Finanzierungsverantwortung bei der atomrechtlichen Zwischenlagerung Von Hans-Jürgen Papier

I. Ausgabenverantwortung nach dem Grundgesetz 1. Konnexitätsprinzip Das Gesetz über die friedliche Verwendung der Kernenergie und den Schutz gegen ihre Gefahren (Atomgesetz) - AtG - in der Fassung der Bekanntmachung vom 15. Juli 19851 bestimmt im § 9a Abs. 2, daß die Besitzer radioaktiver Abfalle diese an eine Anlage nach Abs. 3 abzuliefern haben. Nach § 9a Abs. 3 S. 1 AtG haben die Länder Landessammelstellen für die Zwischenlagerung der in ihrem Gebiet angefallenen radioaktiven Abfälle einzurichten, sie können sich zur Erfüllung ihrer Pflichten Dritter bedienen (§ 9a Abs. 3 S. 2 AtG). Den Bund trifft nach dieser Vorschrift die Pflicht der Einrichtung von Anlagen zur Endlagerung radioaktiver Abfälle. Auf der Grundlage der verfassungsrechtlichen Ermächtigung nach Art. 87c in Verbindung mit Art. 74 Abs. 1 Nr. I I a GG sieht § 24 Abs. 1 AtG vor, daß die hier zur Diskussion stehende Verwaltungsaufgabe der Zwischenlagerung durch die Länder im Auftrage des Bundes ausgeführt wird. Das Grundgesetz legt im Art. 104a Abs. 1 den finanzverfassungsrechtlichen Grundsatz der Konnexität von Aufgaben- und Ausgabenverantwortung fest. Die Ausgabenlast folgt danach der Aufgabenverantwortung. Diese ursprünglich im Art. 106 Abs. 4 S. 2 Nr. 1 GG als Richtlinie für die Verteilung der Einkommen- und Körperschaftssteuer niedergelegte Regel ist mit dem Finanzreformgesetz vom 12. Mai 19692 durch Einfügung des Art. 104a Abs. 1 GG ausdrücklich als allgemeiner Lastenverteilungsgrundsatz in das Grundgesetz

1 2

BGBl IS. 1565. BGBl IS. 359.

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aufgenommen und seiner grundlegenden Bedeutung entsprechend an den Anfang der Vorschriften über das Finanzwesen gestellt worden. 3 Der Bund und die Länder tragen danach gesondert die Ausgaben, die sich aus der Wahrnehmung ihrer Aufgaben ergeben, soweit das Grundgesetz nichts anderes bestimmt (Art. 104a Abs. 1 GG). Anknüpfungspunkt für die Ausgabenverantwortung sind die Verwaltungskompetenzen, sie bestimmen den Begriff der Aufgaben im Sinne des Konnexitätsprinzips des Art. 104a Abs. 1 GG. 4 Die Finanzverantwortung umfaßt sowohl die Ausgabenlast oder Kostentragungspflicht als auch die kompetenzrechtliche Befugnis, Mittel bereitstellen zu dürfen. 5 Fallen - wie bei der grundgesetzlich konstituierten föderalen Ordnung nicht untypisch - Gesetzgebungs- und Gesetzesvollziehungskompetenzen auseinander, wie vor allem beim landeseigenen Vollzug von Bundesgesetzen (siehe Art. 83, 84 GG), so sind es grundsätzlich die Länder, die aufgrund ihrer Vollzugskompetenz die mit dem Gesetzesvollzug verbundenen Ausgaben, Zweckausgaben ebenso wie Verwaltungsausgaben, zu tragen haben.

2. Ausgabenverantwortung bei der Auftragsverwaltung Nach Art. 87c GG können Gesetze, die aufgrund des Art. 74 Abs. 1 Nr. I I a GG ergehen, mit Zustimmung des Bundesrates bestimmen, daß sie von den Ländern im Auftrage des Bundes ausgeführt werden. Von dieser Ermächtigung hat das Atomgesetz in § 24 Abs. 1 Gebrauch gemacht, so daß auch die in § 9a Abs. 3 AtG den Ländern zugewiesenen Aufgaben im Auftrage des Bundes ausgeführt werden. Für die Fälle der Bundesauftragsverwaltung trifft Art. 104a Abs. 2 GG die ausdrückliche Finanzierungsregelung, nach der der Bund die sich aus dem Gesetzesvollzug ergebenen Ausgaben zu tragen hat. Vor dem Hintergrund der speziellen Regelung des Art. 104a Abs. 5 S. 1 GG, wonach der Bund und die Länder die bei ihren Behörden entstehenden Verwaltungsausgaben tragen, besteht bei der Auftragsverwaltung gemäß Art. 104a Abs. 2 GG die Finanzierungsverantwortung des Bundes, soweit es um die mit 3

s. Amtliche Begründung des Entwurfs des Finanzreformgesetzes, BT-Drucks. V/2861, S. 30. 4 Stern, Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. II, 1980, S. 1137; Siekmann, in: Sachs (Hrsg.), Grundgesetz, 1996, Art. 104a, Rdnr. 4; von Arnim, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Bd. IV, 1990, § 103 Finanzverfassung, Rdnr. 17 ff; Schmidt-Bleibtreu/Klein, Kommentar zum Grundgesetz, 8. Aufl. 1995, Art. 104a, Rdnr. 3; BVerwGE 26, S. 338 (390). 5 von Arnim (Fn. 4), § 103 Rdnr. 10; Siekmann (Fn. 4), Art. 104a Rdnr. 2.

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dem Gesetzesvollzug verbundenen sogenannten Zweckausgaben geht. Für die .Verwaltungsausgaben bleibt es dabei, daß sie von den mit dem Gesetzesvollzug betrauten Ländern selbst zu tragen sind. 6 Nach der Amtlichen Begründung des Entwurfs des Finanzreformgesetzes folgt die Regelung des Art. 104a Abs. 2 GG dem allgemeinen Lastenverteilungsgrundsatz, „weil die Länder bei der Auftragsverwaltung Bundesaufgaben wahrnehmen". 7 Diese Begründung ist zwar problematisch, weil mit dem Bundesverfassungsgericht davon auszugehen ist, daß auch die Auftragsverwaltung eine Form der Landesverwaltung ist und die Länder hierbei Landesstaatsgewalt ausüben, ihre Behörden also als Landes- und nicht als Bundesorgane handeln.8 Die Finanzierungsregelung des Art. 104a Abs. 2 GG stellt also schon eine Modifikation des Konnexitätsprinzips des Art. 104a Abs. 1 GG dar, die aber dadurch gerechtfertigt ist, daß die Eigenständigkeit der Länder bei der Auftragsverwaltung deutlich begrenzt ist. Anders als bei der landeseigenen Ausführung von Bundesgesetzen, wo dem Bund nur eine Rechtsaufsicht zukommt (vgl. Art. 84 Abs. 3 und 4 GG), erstreckt sich die Aufsicht des Bundes im Bereich der Auftragsverwaltung auf die Gesetzmäßigkeit und Zweckmäßigkeit der Gesetzesausführung (Art. 85 Abs. 4 S. 1 GG), die Bundesregierung kann zu diesem Zweck Bericht und Vorlage der Akten verlangen und Beauftragte zu allen Behörden entsenden (Art. 85 Abs. 4 S. 2 GG), vor allem aber unterstehen die Landesbehörden den Weisungen der zuständigen obersten Bundesbehörden (Art. 85 Abs. 3 S. 1 GG). Somit verbleibt zwar in jedem Fall die Wahrnehmung der Gesetzesvollziehung gegenüber Dritten unentziehbar bei den Ländern, es gibt insbesondere kein Eintrittsrecht des Bundes. Die Sachkompetenz hingegen, also die Sachbeurteilungen und Sachentscheidungen, stehen den Ländern nur unter dem Vorbehalt der Inanspruchnahme durch den Bund zu. So kann der Bund durch Ausübung seines Weisungsrechts nach Art. 85 Abs. 3 GG jederzeit und ausnahmslos die Sachkompetenz an sich ziehen. Diese Inanspruchnahme der Sachkompetenz seitens des Bundes ist nicht auf Ausnahmefälle beschränkt, sie ist im Grundgesetz als durchaus reguläres

6

s. Begründung zum Entwurf des Finanzreformgesetzes, BT-Drucks. V/S. 51; Siekmann (Fn. 4), Art. 104a Rdnr. 19; von Arnim (Fn. 4), § 103, Rdnr. 20, 29; Stern (Fn. 4), S. 1139 f.; Vogel/Kirchhof in: Bonner Kommentar (Februar 1971), Art. 104a, Rdnr. 78; Klein, Öffentliches Finanzrecht, 2. Aufl. 1993, Kap. I Rdnr. 17ff.; Jarass/ Pieroth, Grundgesetz, 4. Aufl. 1997, Art. 104a, Rdnr. 4. 7 BT-Drucks. V/2861, S. 51. 8 BVerfGE 81, S. 310 (331); zur Kritik dieser Begründung s. auch von Arnim (Fn. 4), § 103, Rdnr. 29; Stern (Fn. 4), S. 1140.

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Mittel vorgegeben, „damit sich bei Meinungsverschiedenheiten das ... vom Bund zu definierende Gemeinwohlinteresse durchsetzen kann" 9 Die auf Art. 85 Abs. 3 GG gründende Weisungskompetenz des Bundes erfaßt die gesamte Vollzugstätigkeit des Landes. Gegenstand der Weisung kann mit anderen Worten sowohl eine nach außen hin zu treffende verfahrensabschließende Entscheidung wie auch das ihrer Vorbereitung dienende Verwaltungshandeln sein. 10 Die vom Grundgesetz konstituierte Auftragsverwaltung als eine besondere Form des Landesvollzuges von Bundesgesetzen ist also dadurch gekennzeichnet, daß trotz uneingeschränkter und unentziehbarer Wahrnehmungskompetenz der Länder die Sachkompetenz potentiell dem Bund zusteht, die Sachkompetenz der Länder steht mit anderen Worten unter dem Vorbehalt einer Inanspruchnahme durch den Bund. In diesem Sinne hatte bereits der Berichterstatter des Hauptausschusses des Parlamentarischen Rates die Auftragsverwaltung dahingehend charakterisiert, daß hier allein der Wille der zuständigen obersten Bundesbehörde entscheide.11 Dieses im Grundgesetz angelegte Auseinanderfallen von Wahrnehmungsund Sachkompetenzen rechtfertigt die gespaltene Zuweisung der Ausgabenlasten: Die mit dem Gesetzesvollzug verbundenen Zweckausgaben hat in jedem Fall und uneingeschränkt der Bund zu tragen (Art. 104a Abs. 2 GG), den Ländern hingegen fallen die bei ihren Behörden entstehenden Verwaltungsausgaben zur Last (Art. 104a Abs. 5 S. 1 GG). 3. Verwaltungsausgaben und Zweckausgaben Verwaltungsausgaben in diesem Sinne sind die Ausgaben, die durch die Verwaltung selbst bedingt sind, also die Kosten des staatlichen Apparates, der zur Durchführung der jeweiligen Aufgaben eingesetzt ist. Dazu gehören in erster Linie die Ausgaben für die personelle Ausstattung einschließlich aller Nebenkosten sowie für die technischen Einrichtungen der Verwaltung wie beispielsweise Bauten, Einrichtungen, Geräte und Material. 12 Verwaltungsausga9

BVerfGE 81, S. 332; vgl. auch BVerfGE 84, S. 25 (31). BVerfGE 81, S. 335; 84, S. 25 (31). 11 Vgl. Parlamentarischer Rat, Schriftlicher Bericht zum Entwurf des Grundgesetzes, 1948/49, S. 40. 12 s. die Amtliche Begründung des Entwurfs des Finanzanpassungsgesetzes, BTDrucks. VI/1771, S. 15; femer von Arnim (Fn. 4), § 103, Rdnr. 20; Maunz, in: Maunz/ Dürig, Grundgesetz, Art. 104a, Rdnr. 64; Jarass/Pieroth (Fn. 6), Art. 104a, Rdnr. 12; Siekmann (Fn. 4), Art. 104a, Rdnr. 9 ff, jeweils m.w.N. 10

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ben sind mit anderen Worten diejenigen Finanzmittel, die für die interne apparative Bewältigung des Gesetzesvollzuges erforderlich sind. Zweckausgaben sind hingegen diejenigen Kosten, die bei der Verwirklichung des Verwaltungszweckes entstehen, sie werden durch die „Erfüllung der eigentlichen Sachaufgaben" verursacht. 13 Die Zweckausgaben gliedern sich in Ausgaben für Sachleistungen und für Geldleistungen. Zu den Geldleistungen gehören beispielsweise die Zahlungen nach dem Bundessozialhilfegesetz, zu den Sachleistungen gehört unstreitig der Straßenbau. Auch wenn die Abgrenzung der Verwaltungsausgaben von den Zweckausgaben im Einzelfall zu Schwierigkeiten führen kann, so ist doch unstreitig, daß es um Zweckausgaben geht, wenn die staatliche Aufgabe in der Schaffung besonderer Einrichtungen, Bauten und ähnlichem besteht, die im öffentlichen Interesse vorgehalten werden. Neben dem Straßenbau geht es dabei beispielsweise auch um die Errichtung und Unterhaltung von Lagerstätten für radioaktive Abfälle. 14 Die Kosten dieser besonderen Einrichtungen, einschließlich der unmittelbar bei den Einrichtungen anfallenden Personalkosten, sind zweifelsohne Zweckausgaben. Dies gilt auch und erst recht, wenn der Staat nicht selbst diese Einrichtungen errichtet und unterhält, sondern aufgrund der Ermächtigung des § 9a Abs. 3 S. 2 AtG sich zur Erfüllung dieser staatlichen Aufgaben Dritter bedient. Die an jene beauftragten Dritten gewährten Zuwendungen zur Finanzierung der dem Land gesetzlich zugewiesenen Aufgabe der Errichtung von Anlagen zur Zwischenlagerung radioaktiver Abfalle sind gleichfalls unzweifelhaft Zweckausgaben im Sinne der grundgesetzlichen Vorschriften zur Ausgabenverantwortung. In bezug auf die für Planung, Errichtung und Betrieb von Anlagen im Sinne des § 9a Abs. 3 AtG erforderlichen staatlichen Ausgaben liegen die Finanzierungsverantwortung und die Finanzierungskompetenz unzweifelhaft beim Bund. Für die - im vorliegenden Zusammenhang nicht weiter interessierende als Bundesaufgabe bestehende Errichtung von Endlagern folgt dies (schon) aus Art. 104a Abs. 1 GG; für die den Ländern als Auftragsverwaltung obliegende Errichtung von Landessammelstellen für die Zwischenlagerung ergibt sich dies aus Art. 104a Abs. 2 GG. Im folgenden gilt es zu prüfen, welche Konsequenzen daraus vornehmlich für die staatliche Finanzierung der Zwischenlagerung radioaktiver Abfälle im einzelnen zu ziehen sind. 13

Fischer-Menshausen, in: von Münch (Hrsg.), GrundgesetzKommentar, Bd. 3, 2. Aufl. 1983, Art. 104a Rdnr. 40; Siekniann (Fn. 4), Art. 104a Rdnr. 9. 14 So ausdrücklich auch Maunz (Fn. 12), Art. 104a Rdnr. 64; s. auch Klein (Fn. 6), Rdnr. 20.

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4. Zwingender Charakter der grundgesetzlichen Regelung Die Aufteilung der Finanzierungsverantwortung und Finanzierungskompetenz in Ansehung der staatlichen Aufgabenerledigung ist im Grundgesetz selbst und in abschließender Form erfolgt. Dies ergibt sich schon aus der grundsätzlichen Regelung i m Art. 104a Abs. 1 GG, wonach das Konnexitätsprinzip gilt, „soweit dieses Grundgesetz nichts anderes bestimmt". 15 Egal, ob man in der Regelung des Art. 104a Abs. 2 GG eine bloße Bestätigung des Konnexitätsprinzips oder aber eine Modifikation jener Grundregel sieht, 16 die Vorschrift des Art. 104a Abs. 2 GG ist für die Finanzierungsverantwortung bei der Auftragsverwaltung in jedem Fall eindeutig, abschließend und steht demgemäß weder zur Disposition der einfachen Gesetzgebung noch ist sie einer vertraglich-konsensualen Modifikation durch die beteiligten staatlichen Ebenen zugänglich. Das bedeutet, daß die Finanzierungsverantwortung des Bundes nach Art. 104a Abs. 2 GG nicht unter Hinweis auf die einfach-gesetzliche Regelung des § 21a AtG in Abrede gestellt werden kann. Nach § 21a Abs. 1 und 2 AtG sind für die Benutzung von Anlagen im Sinne des § 9a Abs. 3 AtG vom Ablieferungspflichtigen kostendeckende Gebühren und Auslagen zu erheben. Für die Landessammelstellen können anstelle von Kosten Entgelte nach Maßgabe einer Benutzungsordnung erhoben werden, wobei bei der Berechnung der Entgelte die für die Gebührenerhebung geltenden Bemessungsgrundsätze „zu berücksichtigen" sind (§ 21a Abs. 3 AtG). Zwar hat sich der einfache Gesetzgeber in bezug auf die Kosten der Zwischen- und Endlagerung radioaktiver Abfälle für eine Gebühren- bzw. Entgeltfinanzierung und damit für eine Realisierung des Verursacherprinzips entschieden, an der verfassungsrechtlichen Zuordnung der Finanzierungsverantwortung kann das aber ersichtlich nichts ändern. Soweit bei der von § 9a Abs. 3 AtG gebotenen staatlichen Aufgabenerledigung staatliche Ausgabenlasten entstehen - und sei es auch nur im Sinne der Bereitstellung von Mitteln für die Planungs- und Investitionskosten - fallen sie unweigerlich dem Bund zu. 17 Die gesetzlichen Regelungen über die Gebühren- bzw. Entgeltfinanzierung betreffen überdies das (Außen-)Verhältnis zwischen Staat und Bürgern, wäh15

Stern (Fn. 4), S. 1138; Siekmann (Fn. 4), Art. 104a Rdnr. 2. s. Begründung Regierungsentwurf zum Finanzverfassungsgesetz, BT-Drucks. V, S. 51 einerseits; von Arnim (Fn. 4), § 103 Rdnr. 29 andererseits. 17 Art. 104a Abs. 2 GG ist kein Verbot für den Bund zu entnehmen, gesetzliche (Gebühren-)Regelungen so zu treffen, daß es zu einer ausgleichsbedürftigen und ausgleichsfahigen Belastung der Länder gar nicht erst kommt (BVerwGE 95, S. 188, 195). 16

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rend es bei den finanzverfassungsrechtlichen Regelungen des Art. 104a GG um die Aufteilung der Finanzierungsverantwortung im „Innenverhältnis" zwischen dem Bund und den Ländern geht. 18 Auch deswegen gilt die Feststellung: Soweit für die Aufgabenerfüllung nach Maßgabe des § 9a Abs. 3 AtG und trotz bzw. ungeachtet der gesetzlichen Ermächtigung zur Gebühren- bzw. Entgeltfinanzierung staatliche Ausgaben erforderlich werden, sind diese vom Bund und nicht von dem betreffenden Land zu tragen. Die Regelung des Art. 104a Abs. 2 GG gilt sowohl wegen ihres Verfassungsranges als auch wegen ihres Zuschnitts auf das „interne" Bund-Länder-Verhältnis unabhängig und unberührt von einfachgesetzlichen Regelungen über die Kostenabwälzung auf Dritte. Aus dem zwingenden, verfassungsrangigen Charakter der „internen" Lastenverteilungsregelung des Art. 104a Abs. 2 GG folgt überdies, daß diese auch nicht durch ausdrückliche oder konkludente, etwa durch eine gängige Staatspraxis manifestierte Übereinkunft zwischen dem Bund und den Ländern wirksam durchbrochen oder modifiziert werden könnte. Sollte sich etwa der Bund auf eine gängige Praxis berufen wollen, wonach bei der Einrichtung von Landessammelstellen niemals eine Kostentragung durch den Bund übernommen worden ist und allenfalls - je nach den finanziellen Möglichkeiten des Bundes - eine Vorfinanzierung der Planungs- und Investitionskosten über die Gewährung verzinslicher Darlehen an die betreffenden Länder erfolgte, so wäre dies kein rechtlich erheblicher Einwand, der zu einer Derogation der verfassungsrechtlichen Grundregel des Art. 104a Abs. 2 GG führen könnte. Nach dieser verfassungsrechtlichen Regelung trifft für alle im Zusammenhang mit der Aufgabenerledigung nach § 9a Abs. 3 AtG anfallenden (Zweck-)Ausgaben die Finanzierungslast den Bund. Die insoweit mit der Wahrnehmungskompetenz ausgestatteten Länder haben einen öffentlich-rechtlichen, verfassungsrangigen Anspruch auf Freistellung bzw. auf Kostenübernahme gegenüber dem Bund, soweit in Wahrnehmung der sich aus § 9a Abs. 3 AtG ergebenden Aufgaben dem betreffenden Land Kosten bzw. Ausgabenverpflichtungen erwachsen. Wenn und soweit Planungs- und Investitionskosten im nachhinein über Gebühren bzw. Entgelte refinanziert werden, sind die dadurch erzielten Aufkommen an den Bund zurückzuführen. Eine Vorfinanzierung über eine verzinsliche Darlehensgewährung seitens des Bundes ginge hingegen von einer grundsätzlichen Finanzierungsverantwortung der Länder aus, was der grundgesetzlichen Verteilung der Finanzverantwortung im Bereich der Auftragsverwaltung zwischen Bund und Ländern widerstreitet und daher niemals geltendes Recht konstituieren kann.

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s. auch von Arnim (Fn. 4), § 103 Rdnr. 1; BVerwGE 95, S. 188 (195).

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Im übrigen widerspricht eine solche „Finanzierungsbeteiligung" des Bundes auf der Basis zurückzuzahlender und verzinslicher Darlehen nicht nur der verfassungsrechtlich strikten Ausgabenverantwortung des Bundes, sondern auch der von dem Länderausschuß für Atomkernenergie-Strahlenschutz am 6.10. 1981 verabschiedeten „grundsätzlichen Konzeption für den Ausbau der Landessammelstellen für radioaktive Abfälle". 19 Denn dort werden ganz eindeutig - auch wenn der Terminus „Zweckausgaben" und „Ausgabenverantwortung" des Bundes nicht fällt - eine zinslose Vorfinanzierung der Investitionen für den Ausbau oder Neubau von Landessammelstellen durch den Bund und eine Rückführung der durch kostendeckende Gebühren oder Entgelte erzielten Aufkommen an den Bund vorgesehen. Diese „Grundsätze" gehen mit der Grundregel des Art. 104a Abs. 2 GG jedenfalls im Prinzip durchaus konform, auf die darin enthaltene Bedingung der Erhebung kostendeckender Gebühren oder Entgelte wird noch näher einzugehen sein. Die durch Art. 104a GG vorgenommene Verteilung der Finanzierungsverantwortung zwischen dem Bund und den Ländern beinhaltet auch eine strikte Zuordnung der Finanzierungskompetenzen. 20 Die Finanzierungsverantwortung oder Finanzierungskompetenz ist nicht nur eine Last, sondern auch ein mögliches Instrument der politischen Gestaltung und Einflußnahme. Das Gewicht dieser Aussage wird vor allem vor dem Hintergrund deutlich, daß nach aller Erfahrung jede staatliche Ebene einerseits daran interessiert ist, anfallende Ausgaben bei der staatlichen Aufgabenerledigung auf andere staatliche Ebenen abzuwälzen, andererseits aber keine staatliche Ebene auf Gestaltungsund Einwirkungsmöglichkeiten verzichten möchte, die in der Finanzierung von Aufgaben angelegt sind. 21 Die strikten und starren Regelungen des Grundgesetzes über die Finanzierungsverantwortung und Finanzierungskompetenz regeln nicht nur die „Finanzierungslasten", also die Frage, welche staatliche Ebene in der föderalen Ordnung eine bestimmte Staatsaufgabe finanzieren muß, sondern auch die Finanzierungsbefugnis, mithin die Frage, ob eine staatliche Ebene für die Erledigung bestimmter Staatsaufgaben finanzielle Mittel bereitstellen darf. Die grundgesetzlichen Regelungen über die Finanzierungsverantwortung haben in ihrer Stringenz und Starrheit mithin auch und vor allem den Zweck, zu verhindern, daß die Kompetenzbestimmungen des Grundgesetzes über die „Finanzierungsschiene" unterlaufen werden. 22 Sie dienen der Sicherung und Ef19

20 21 22

s. GMB1 1981, S. 511.

s. auch von Arnim (Fn. 4), § 103 Rdnr. 10; Siekmann (Fn. 4), Art. 104a Rdnr. 2. von Arnim (Fn. 4), § 103 Rdnr. 14. von Arnim (Fn. 4), § 103 Rdnr. 14.

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fektuierung der grundgesetzlichen Kompetenzordnung und stehen auch deswegen nicht zur Disposition der beteiligten staatlichen Ebenen. Die Länder haben nach § 9a Abs. 3 S. 1 AtG Landessammelstellen für die Zwischenlagerung der in ihrem Gebiet angefallenen radioaktiven Abfälle einzurichten. Errichtung und Betrieb solcher Anlagen stellen mithin eine staatliche Pflichtaufgabe des jeweiligen Bundeslandes dar. Dieses kann sich nach § 9a Abs. 3 S. 2 AtG zur Erfüllung seiner Pflichten Dritter bedienen. Die zwingende Wahrnehmungskompetenz nach § 9a Abs. 3 AtG verlangt von dem betreffenden Bundesland ein Tätigwerden, wenn diese Verpflichtungen nicht, nicht mehr oder nicht hinreichend erfüllt werden. Dies wiederum setzt die Bereitstellung von Landesmitteln voraus, wenn anders die gesetzlich gebotene Aufgabenwahrnehmung von dem Land nicht in Angriff genommen bzw. nicht gewährleistet werden kann. Dadurch werden die internen verfassungsrangigen Ausgabenverteilungen nach Art. 104a Abs. 2 GG im Verhältnis zwischen dem Bund und dem nach außen mit der Wahrnehmungskompetenz betrauten Land nicht berührt und nicht unterlaufen. Der verfassungsrechtliche Anspruch des Landes auf Kostentragung bzw. auf Freistellung verwandelt sich unter diesen Voraussetzungen einer für die Aufgabenwahrnehmung unerläßlichen „Vorleistung" des Landes aus eigenen Staatshaushaltsmitteln zu einem Anspruch gegen den Bund auf Erstattung der vorgeleisteten Landesmittel. 5. Ausgabenverantwortung und Weisungskompetenz des Bundes Die Annahme einer „bedingungslosen" Finanzierungsverantwortung des Bundes in Ansehung der Aufgabenwahrnehmung nach § 9a Abs. 3 AtG sieht sich dem Einwand ausgesetzt, der Bund könne unmöglich unbedingt und unbegrenzt für all das finanziell „geradestehen" müssen, was das Land in Auftragsangelegenheiten beschließe und vollziehe. So könnte der Bund möglicherweise vorbringen, ein Ausbau bestehender Landessammelstellen sei kostengünstiger als der Neubau einer weiteren Einrichtung; wenn das Land sich aus politischen Gründen für letzteres entscheide, müsse es auch die dadurch bedingten finanziellen Belastungen tragen. Auch wäre an den Einwand zu denken, die mit der Einrichtung einer Sammelstelle beauftragte Gesellschaft erhebe entgegen § 21a AtG keine kostendeckenden Entgelte, so daß die staatlichen Ausgabenbelastungen höher als erforderlich ausfielen. In diesem Zusammenhang ist auch zu prüfen, ob und inwieweit sich die Vorschrift des Art. 104a Abs. 5 S. 1, 2. Hs. GG auf die Finanzierungslast des Bundes auswirkt, wonach Bund und Länder im Verhältnis zueinander für eine ordnungsgemäße Verwaltung haften. Was zunächst den Einwand eines finanziellen „Ausgeliefertseins" des Bundes gegenüber dem in Auftragsangelegenheiten tätigen Land anlangt, so gilt es

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festzuhalten, daß dabei die verfassungsrechtlich vorgegebenen Grundstrukturen und Wirkungsmechanismen der Bundesauftragsverwaltung nach Art. 85 GG ignoriert werden. Wie bereits oben dargelegt, ist die sogenannte Auftragsverwaltung zwar eine Form der Landesverwaltung, die sogenannte Wahrnehmungskompetenz liegt uneingeschränkt und unentziehbar bei den Ländern. Der Bund ist indes rechtlich unbegrenzt und voraussetzungslos in der Lage, die Sachkompetenz, d.h. die Zuständigkeit zur Sachbeurteilung und Sachentscheidung in allen Fragen der Auftragsangelegenheit an sich zu ziehen. Diese Sachkompetenz steht den Ländern von vornherein nur unter dem Vorbehalt der Inanspruchnahme durch den Bund zu. Der Bund ist von Rechts wegen in der Lage, seinen Willen und das von ihm zu definierende Gemeinwohlinteresse durchzusetzen. Das wichtigste Instrument dafür ist das Weisungsrecht nach Art. 85 Abs. 3 S. 1 GG, das nicht nur ein Mittel zur Durchsetzung der Rechtsaufsicht, sondern auch ein solches der Fachaufsicht und der Zweckmäßigkeitskontrolle ist. Diese Weisungskompetenz erfaßt die gesamte Vollzugstätigkeit des Landes in der Auftragsangelegenheit, die Weisung ist ein Mittel zur Steuerung des Gesetzesvollzugs der Länder in allen seinen Phasen, ihr Gegenstand kann sowohl eine nach außen zu treffende verfahrensbeendende Entscheidung als auch das zu ihrer Vorbereitung dienende oder sonstiges Verwaltungshandeln des Landes sein. 23 Die zuständige oberste Bundesbehörde ist nach Art. 85 Abs. 3 GG somit durchaus in der Lage, die Sachkompetenz in allen Fragen der Einrichtung von Landessammelstellen an sich zu ziehen und ihren Willen im Sinne einer kostengünstigsten Art und Weise der Zwischenlagerung durchzusetzen. Die Einwirkungspotentiale des Bundes, seine Kompetenz zu eigener Sachbeurteilung und Sachentscheidung, bestehen nach geltendem Verfassungsrecht auf der Ebene der Aufgabenerledigung und damit der Ausgabenverursachung, nicht aber auf der nachfolgenden Stufe der Kostentragung für erfolgte Aufgabenwahrnehmung und angefallene Ausgaben. Anders gewendet: Beläßt der Bund in Angelegenheiten der Bundesauftragsverwaltung den Ländern die Sachkompetenz, macht er von der ihm vom Grundgesetz eröffneten Möglichkeit des Selbsteintritts in die Sachbeurteilung und Sachentscheidung keinen Gebrauch, so muß er aufgrund der zwingenden und einschränkungslosen Vorschrift des Art. 104a Abs. 2 GG grundsätzlich die vom Landesvollzug vorgeprägten finanziellen Belastungen tragen. Der Bund muß also - sofern er das nach den von ihm zu definierenden Gemeinwohlinteressen für angezeigt hält schon auf der vorrangigen Ebene der Aufgabenerledigung und Ausgabenverursachung mittels der ihm vom Grundgesetz eingeräumten Instrumente ein23

Grundlegend BVerfGE 81, S. 310 (331 ff.); 84, S. 25 (31).

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wirken. Bleibt er auf dieser Ebene untätig, dann kann er dies später, auf der nachfolgenden Stufe der Kostentragung und Finanzverantwortung, nicht mehr kompensieren und eigene Zweckmäßigkeits- und Angemessenheitsbeurteilungen nicht mittels einer Entscheidung über die Kostenübernahme gewissermaßen nachholen. Die zuständige oberste Bundesbehörde kann die Sachentscheidungen in Ansehung von Standort, Anzahl, Auslegung und Standards von Landessammelstellen an sich ziehen, entsprechendes gilt für die Frage, ob mit der Einrichtung dieser Anlagen Dritte und welche Dritte beauftragt werden sollen sowie welche Anforderungen an jene Erfüllungsgehilfen zu stellen sind. Die Sachkompetenz, die der obersten Bundesbehörde zur Inanspruchnahme offensteht, bezieht sich ferner auf die Benutzungsbedingungen und auf die Ausgestaltung der Entgelte. In all diesen Fragen kann der Bund seinen Willen und seine Vorstellungen über die gesetzmäßige, zweckmäßige und auch kostengünstigste Durchsetzung der Gemeinwohlbelange zur Geltung bringen. Eines kann er nach geltendem Verfassungsrecht indes nicht: Er kann sich nicht einerseits eigener Sachbeurteilungen und Sachentscheidungen und damit auch der Übernahme der eigenen Verantwortung enthalten und andererseits seine mit dem Land nicht konform gehenden Vorstellungen in den vorerwähnten Sachfragen bei der Entscheidung über die Kostenübernahme und deren Höhe durchzusetzen versuchen. Die grundgesetzliche Kompetenzordnung und damit auch das Regelungssysstem der Bundesauftragsverwaltung sind zum Schutze der bundesstaatlichen Ordnung und ihrer reibungslosen Effizienz strikt und formal. Der Bund muß sich an die ihm vom Grundgesetz an die Hand gegebenen formalisierten Ingerenzrechte halten und darf nicht auf apokryphe, extrakonstitutionelle und infonnale Einwirkungspotentiale und Einwirkungsformen auf der „Finanzierungsschiene" zurückgreifen. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts besitzt das Land gegenüber dem Bund kein „einforderbares Recht", daß dieser seine im Einklang mit der Verfassung in Anspruch genommene Weisungsbefügnis inhaltlich rechtmäßig ausübt.24 Das Land kann beispielsweise sich nicht gegen eine Weisung der obersten Bundesbehörde mit dem Einwand zur Wehr setzen, diese verstoße gegen die normativen Verpflichtungen aus § 9a Abs. 3 AtG oder gegen die Anforderungen des § 21a AtG. Dies folgt daraus, daß mit der Ausübung des Weisungsrechts die Sachkompetenzen und damit auch die sachliche Verantwortlichkeit für die betreffende Maßnahme im Bereich der Auftragsverwaltung auf den Bund übergehen. Die Weisungsgebundenheit des Landes selbst in dem Fall, in dem das Land zu einem inhaltlich rechtswidrigen Ver24

BVeriGE 81, S. 310 (333); 84, S. 25 (31).

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halten angewiesen wird, ist eine Folge des - potentiellen - Auseinanderfallens von Wahrnehmungs- und Sachkompetenz bei der Auftragsverwaltung. Art. 85 Abs. 3 GG eröffnet dem Bund die Möglichkeit, die Kompetenz zur Sachbeurteilung und Sachentscheidung und damit vor allem auch zur Beurteilung der atomrechtlichen Rechtmäßigkeit spezifischer Maßnahmen an sich zu ziehen, ohne daß das Land dem ein eigenes Recht auf Wahrung der atomrechtlichen Legalität entgegensetzen könnte. Das bedeutet indes nicht, daß das Land im Falle der Ausübung des Weisungsrechts nach Art. 85 Abs. 3 GG durch den Bund in jeder Hinsicht ohne eigene einforderbaren Rechte wäre. Bei der Ausübung der Weisungskompetenz unterliegt der Bund vor allem der Pflicht zu bundesfreundlichem Verhalten, woraus sich besondere Voraussetzungen und Schranken für die Ausübung von Kompetenzen ergeben können. 25 Die Weisungskompetenz darf etwa nicht mißbräuchlich ausgeübt werden, auch gelten gewisse prozedurale Anforderungen, wie beispielsweise die Notwendigkeit, dem betreffenden Land - außer im Falle der Eilbedürftigkeit - vor Erlaß einer Weisung die Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben. 26

6. Zwischenresümee a) Die staatlichen Ausgabenbelastungen, die aufgrund der Einrichtung von Landessammelstellen nach § 9a Abs. 3 AtG entstehen, hat im „internen" Bund-Länder-Verhältnis gemäß Art. 104a Abs. 2 GG der Bund zu tragen. Das Land, das die Aufgabe der Einrichtung von Landessammelstellen gemäß § 24 Abs. 1 AtG in Verbindung mit Art. 87c GG im Auftrage des Bundes wahrnimmt, hat gegenüber dem Bund einen verfassungsrechtlichen Anspruch auf Freistellung von den zum Zwecke der Aufgabenerfüllung eingegangenen Verbindlichkeiten bzw. auf Erstattung bereits getätigter (Zweck-)Ausgaben. Das später über eine Refinanzierung durch Gebühren- bzw. Entgelterhebung erzielte Aufkommen ist von dem Land an den Bund abzuführen. M i t der im Art. 104a Abs. 2 GG getroffenen Regelung über die Ausgabenverantwortung des Bundes ist es nicht vereinbar, wenn der Bund erst für den endgültigen, über eine Refinanzierung durch Gebühren- und Entgelterhebung nicht kompensierten finanziellen Ausfall des Staates einzustehen bereit ist. Der Bund ist somit aufgrund des Art. 104a Abs. 2 GG auch zur Bereitstellung der Mittel für die Planungs- und Investitionskosten verpflichtet. Die bloße Gewährung ver-

25 26

BVerfGE 81, S. 310 (337 f.). BVerfGE 81, S. 310(337).

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zinslicher Darlehen an das betreffende Land wird dieser unbedingten verfassungsrangigen Ausgabenverantwortung des Bundes nicht gerecht. Die hier entwickelten rechtlichen Konsequenzen der grundgesetzlichen Ausgabenverteilung bei der Auftragsverwaltung entsprechen im übrigen dem Regelungssystem des bürgerlich-rechtlichen Auftragsrechts (§§ 662 ff. BGB). Zwar stellt die Auftragsverwaltung nach Maßgabe des Art. 85 GG kein Auftragsverhältnis i m Sinne des privatrechtlichen Schuldrechts dar, 27 seine Aufwendungserstattungs- und Abführungsregelungen bieten gleichwohl ein wesentliches Indiz für die Angemessenheit der hier entwickelten finanziellen Folgewirkungen der Auftragsverwaltung. Auch im bürgerlichen Recht hat der Auftraggeber für die zur Ausführung des Auftrages erforderlichen Aufwendungen dem Beauftragten auf Verlangen Vorschuß zu leisten (§ 669 BGB). Macht der Beauftragte zum Zwecke der Ausführung des Auftrages Aufwendungen, die er den Umständen nach für erforderlich halten darf, so ist der Auftraggeber zum Ersatz verpflichtet (§ 670 BGB). Auf der anderen Seite ist der Beauftragte verpflichtet, dem Auftraggeber alles, was er zur Ausführung des Auftrages erhält oder was er aus der Geschäftsbesorgung erlangt, herauszugeben (§ 667 BGB). Dies deckt sich im Ergebnis völlig mit den hier entwikkelten Kostentragungs- und Abführungspflichten im Rahmen der BundesAuftragsverwaltung. b) Der Bund ist aufgrund seiner verfassungsrechtlichen Weisungskompetenzen und der dadurch eröffneten Möglichkeit einer umfassenden und nahezu voraussetzungslosen Inanspruchnahme der Sachkompetenz in der Lage, auf Art und Umfang der Aufgabenerledigung durch das Land und damit auch auf seine Ausgabenlasten entscheidend Einfluß zu nehmen. Hat er indes von seinen verfassungsrechtlichen Ingerenzrechten keinen - rechtzeitigen - Gebrauch gemacht, kann er sich im nachhinein nicht mehr seiner gegenüber dem Land bestehenden Verantwortung für die dem Staat erwachsenen Ausgaben entziehen. Der Inanspruchnahme der Weisungskompetenzen seitens des Bundes sind von Verfassungs wegen nur geringe Schranken gesetzt, die im wesentlichen aus dem Grundsatz des bundesfreundlichen Verhaltens resultieren. Neben prozeduralen Anforderungen - z.B. vorheriger Anhörung des betreffenden Landes - trifft den Bund auch die Pflicht zur Rücksichtnahme auf die vom Land rechtlich verbindlich festgelegten Ziele der Raumordnung und Landesplanung und ein darin gegebenenfalls eingeschlossenes Konzept der atomaren Entsorgung.

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s. auch Lerche, in: Maunz/Dürig, Art. 85 GG, Rdnr. 9 m.w.Nachw.

28 FS Blümel

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II. Ausgabenverantwortung des Bundes und Haftung des Landes 1. Haftung wegen „unzureichender" Entgelterhebung? Eine Einschränkung der Ausgabenverantwortung des Bundes könnte dann eintreten, wenn und soweit die staatlichen Ausgabenlasten aus einer nicht ordnungsgemäßen Verwaltung des betreffenden Landes resultieren. Denn nach Art. 104a Abs. 5 S. 1, 2. Hs. GG haften Bund und Länder im Verhältnis zueinander für eine ordnungsgemäße Verwaltung. Unter diesem Aspekt könnte der Bund möglicherweise einwenden, das Land treffe keine hinreichende Sorge dafür, daß gemäß § 21a AtG kostendeckende Gebühren oder Entgelte von den Benutzern der Anlage erhoben werden und die vom Gesetz ermöglichte und gewollte Refinanzierung der Investitionskosten erreichbar sei. Ungeachtet der noch zu klärenden Frage, ob die Haftungsregelung des Art. 104a Abs. 5 S. 1 GG überhaupt eine unmittelbar geltende Anspruchsgrundlage beinhaltet und - bejahendenfalls - welche Haftungsvoraussetzungen dann gelten, ist zu jenem Einwand folgendes zu bemerken: Geht es um die Entgeltbemessung und Entgelterhebung für die Benutzung einer noch zu errichtenden Anlage, so betrifft das ein künftiges Verhalten, auf das nach dem oben Gesagten der Bund über die Weisungskompetenzen der obersten Bundesbehörde nach Art. 85 Abs. 3 S. 1 GG entscheidenden Einfluß nehmen kann. Er kann überdies von der der Bundesregierung eingeräumten Ermächtigung Gebrauch machen, eine Gebührenrechtsverordnung zu erlassen (§§ 21a Abs. 2, 54 Abs. 1 AtG) und auch auf diese Weise die Möglichkeiten der Refinanzierung der Investitionskosten maßgeblich zu beeinflussen. Dem Bund würde daher in jedem Fall ein überwiegendes mitwirkendes Verschulden zur Last fallen (Rechtsgedanke des § 254 BGB), wenn er aufgrund einer aus seiner Sicht nicht hinreichend kostendeckenden Entgeltbemessung eine seine Ausgabenverantwortung mindernde oder gar ausschließende Haftung des Landes geltend machen wollte. Unter Heranziehung des Rechtsgedankens des § 254 BGB wird man im Bereich der Auftragsverwaltung einen Vorrang der Weisungsmöglichkeit des Bundes gegenüber einer Haftung des Landes annehmen müssen, so daß eine Haftung des Landes nur dann in Frage kommen kann, wenn dem Bund die vorrangige Inanspruchnahme der Weisungskompetenz nicht möglich oder nicht zumutbar war, etwa weil er von dem nicht ordnungsgemäßen Verwaltungshandeln des Landes keine Kenntnis hatte und eine solche auch nicht haben konnte, oder wenn das Land trotz erteilter Weisung keinen ordnungsgemäßen Vollzug walten läßt. Im übrigen betrifft die Bemessung und Erhebung von Entgelten für die Nutzung der geplanten Anlage künftiges Verhalten, allein schon aus diesem Grunde kann dieser Aspekt keine Rechtfertigung zur Reduktion oder gar zur

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Verneinung der verfassungsrechtlichen Verantwortung des Bundes für die derzeit anfallenden (Investitions-)Kosten abgeben.

2. Art. 104a Abs. 5 S. 1,2. Hs. GG als Anspruchsgrundlage? Ob Art. 104a Abs. 5 S. 1, 2. Hs. GG eine unmittelbar geltende Anspruchsgrundlage für die Haftung des Landes gegenüber dem Bund darstellt, ist im übrigen zweifelhaft und umstritten. 28 Diese Vorschrift enthält keine Regelung für die Voraussetzungen und über den Umfang der Haftung, was die Frage der hinreichenden Bestimmtheit der Verfassungsnorm aufwirft. Außerdem sagt Art. 104a Abs. 5 S. 2 GG ausdrücklich, daß ein Bundesgesetz, das der Zustimmung des Bundesrates bedarf, das Nähere bestimmt. Beide Aspekte könnten dafür sprechen, daß das Grundgesetz in der Frage der Haftung im Bund-Länder-Verhältnis lediglich einen Gesetzgebungsauftrag erteilt hat, selbst aber keine unmittelbar anwendbare Anspruchsgrundlage habe schaffen wollen. 29 Das Grundgesetz wollte ersichtlich in dieser Frage auch die Belange der Länder wahren und hat deshalb bestimmt, daß das Gesetz nach Art. 104a Abs. 5 S. 2 GG der Zustimmung des Bundesrates bedarf. Diese Einwirkungsmöglichkeiten der Länder im äußerst sensiblen Bereich der gegenseitigen Haftung von Bund und Ländern über den Zustimmungsvorbehalt zugunsten des Bundesrates ginge verloren, wenn im Wege der bloßen Verfassungsinterpretation die Haftung unmittelbar dem Art. 104a Abs. 5 S. 1 GG entnommen und damit gewissermaßen auf dem Wege der richterlichen Rechtsfortbildung eine Rechtslage konstituiert würde, deren Normierung das Grundgesetz an sich der zustimmungsbedürftigen Gesetzgebung überantwortet hat. Auf der anderen Seite sprechen - wie auch das Bundesverwaltungsgericht in seiner grundlegenden Entscheidung vom 18. Mai 1994 30 betont - Wortlaut, Systematik und Entstehungsgeschichte der Vorschrift des Art. 104a Abs. 5 S. 1 GG dafür, daß hiermit eine unmittelbar geltende Haftungsgrundlage im

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s. BVerwGE 96, S. 45 (50 ff.); Vogel/Kirchhof in: Bonner Kommentar (Zweitbearbeitung), Art. 104a Rdnr. 160; von Arnim (Fn. 4), § 103 Rdnr. 24; Jarass/Pieroth (Fn. 6), Art. 104a, Rdnr. 13; Erichsen, Zur Haftung im Bund-Länder-Verhalten, 1986, S. 58 f. 29 So im Ergebnis Erichsen (Fn. 28), S. 58 f. 30 BVerwGE 96, S. 45 ff. = NVwZ 1995, S. 56 ff.

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Bund-Länder-Verhältnis geschaffen wurde. 31 Art. 104a Abs. 5 S. 1, 1. Hs. GG macht nach seinem Wortlaut die Haftung von einer nicht „ordnungsgemäßen" Verwaltung abhängig, es fehlt jeder Hinweis, daß der Eintritt dieser Haftung von dem Inkrafttreten des im Abs. 5 S. 2 vorgesehenen Ausführungsgesetzes abhängig sein soll. In systematischer Hinsicht ist hervorzuheben, daß die Haftungsregelung in einem unmittelbaren Zusammenhang steht mit der Bestimmung, daß der Bund und die Länder die bei ihren Behörden entstehenden Verwaltungsausgaben jeweils selbst zu tragen haben. Diese Vorschrift ist eine Ausprägung des in Art. 104a Abs. 1 GG verankerten Konnexitätsprinzips und hat wegen ihres deklaratorischen Charakters unmittelbare Wirkung. Es spricht vieles dafür, daß aufgrund der systematischen Verknüpfung von Verwaltungskostenlast und Verwaltungshaftung, die auch durch die Annahme gerechtfertigt werden kann, daß die durch Verwaltungsfehler verursachten Mehrkosten gleichsam ebenfalls Verwaltungskosten sind, nicht nur die Regelung über die Tragung der Verwaltungskosten selbst, sondern auch die über die Haftung wegen nicht ordnungsgemäßer Verwaltung unmittelbare Geltung beanspruchen soll. 32 Schließlich ist daraufhinzuweisen, daß die Vorschrift des Art. 104a Abs. 5 GG, die mit der Regelung des Art. 104a GG insgesamt durch das Finanzreformgesetz vom 12. Mai 1969 33 in das Grundgesetz eingefügt worden ist, die - engere - Regelung des Art. 108 Abs. 4 S. 2, 1. Hs. GG abgelöst hat. Art. 108 Abs. 4 S. 2, 1. Hs. GG a.F. lautete: „Die Länder haften mit ihren Einkünften für eine ordnungsgemäße Verwaltung dieser Steuern". Diese Bestimmung, die durch das Finanzreformgesetz aufgehoben wurde, hatte unmittelbare Wirkung und begründete eine unmittelbar wirksame Anspruchsgrundlage für den Bereich der Steuerauftragsverwaltung. Es kann nicht davon ausgegangen werden, daß mit dem Erlaß des Finanzreformgesetzes zunächst ein Zustand der Haftungslosigkeit im Bund-Länder-Verhältnis geschaffen werden sollte, das neue Recht also - bis zum Erlaß des Ausführungsgesetzes nach Art. 104a Abs. 5 S. 2 GG - insoweit noch hinter dem bislang geltenden Recht zurückbleiben sollte. 34 Schließlich würde die Annahme, erst mit dem Erlaß des - derzeit nicht existierenden - Ausführungsgesetzes nach Art. 104a Abs. 5 S. 2 GG würde eine 31 Ebenso Vogel/Kirchhof in: RK Art. 104a Rdnr. 160; Maunz (Fn. 12), Art. 104a Rdnr. 68; Jarass/Pieroth (Fn. 6), Art. 104a Rdnr. 13; von Arnim (Fn. 4), § 103 Rdnr. 24; Siekmann (Fn. 4), Art. 104a Rdnr. 64. 32 s. auch BVerwGE 96, S. 45 (51 f.). 33 BGBl I S. 359. 34 Zur Entstehungs- bzw. Vorgeschichte s. auch BVerwGE 96, S. 45 (52 f.).

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unmittelbar wirksame Anspruchsgrundlage geschaffen werden, dazu führen, daß die Länder aufgrund des Zustimmungsvorbehaltes in bezug auf das Ausführungsgesetz eine solche Haftung in jeder Hinsicht und gegebenenfalls auf Dauer verhindern könnten. 35 Dem unbestreitbaren Anliegen des Grundgesetzes, die Belange der Länder in jenem äußerst sensiblen Bereich der föderalen Finanzverfassung hinreichend zu wahren, andererseits aber auch zu verhindern, daß möglicherweise auf Dauer ein „haftungsloser Zustand" im BundLänder-Verhältnis eintritt, wird eine Auslegung des Art. 104a Abs. 5 S. 1, 2. Hs. GG gerecht, nach der diese Verfassungsbestimmung selbst eine Mindesthaftung in einem Kernbereich normiert, der Ausführungsgesetzgeber aber in der Lage ist, diese Haftung über jenen Kernbereich hinaus zu erstrecken. Mit diesem Verständnis wird der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts gefolgt, sie wird den widerstreitenden Interessenlagen am ehesten gerecht. 36 Das Bundesverwaltungsgericht hat jenen engeren, unmittelbar durch Art. 104a Abs. 5 S. 1, 2. Hs. GG sanktionierten Haftungsbereich auf die „schwerwiegenden Verletzungen der dienst- oder arbeitsrechtlichen Hauptpflichten" und - „zumindest" - auf das „Einstehenmüssen für Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit" reduziert. 37 Es erscheint allerdings fraglich, ob damit jener Kernbereich der unmittelbar durch Art. 104a Abs. 5 S. 1,2. Hs. GG sanktionierten Vollzugsmängel in jeder Hinsicht zutreffend umschrieben ist. Vor allem die Anknüpfung an die gesteigerten Verschuldensmerkmale bei der individuellen Dienstpflichtverletzung (Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit) ist problematisch, weil die Haftung im Bund-Länder-Verhältnis eher für die Ausrichtung an objektive Maßstäbe und nicht an solche der individuellen Vorwerfbarkeit von Dienstpflichtverstößen einzelner Amtsträger spricht. Daher sollte der haftungsrechtliche Kernbereich, in dem ein Land für nicht ordnungsgemäße Verwaltung dem Bund unmittelbar aufgrund des Art. 104a Abs. 5 S. 1,2. Hs. GG und auch ohne Erlaß eines Ausführungsgesetzes nach Abs. 5 S. 2 haftet, in der Weise qualifiziert werden, daß ein Land beim Verwaltungsvollzug die ihm eingeräumten rechtlichen Grenzen offenkundig und erheblich überschritten haben muß. Nur der in diesem Sinne objektiv qualifizierte Rechtsverstoß des Landes rechtfertigt eine unmittelbar aus der Verfassung ableitbare Haftung des Landes gegenüber dem Bund. Eine darüber hinausgehende Haftung im Bund-Länder-Verhältnis ist denkbar und möglicherweise auch rechtspolitisch sinnvoll, sie bedürfte allerdings einer Ausführungsgesetzgebung nach Maßgabe des Art. 104a Abs. 5 S. 2 GG. 35 36 37

s. auch von Arnim (Fn. 4), § 103 Rdnr. 24. BVerwGE 96, S. 45 (55). BVerwGE 96, S. 45 (57, 58).

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3. Erfüllung der Haftungsvoraussetzungen? Nach § 21a Abs. 1 S. 1 AtG werden für die Benutzung von Anlagen nach § 9a Abs. 3 AtG von den Abführungspflichtigen Kosten (Gebühren und Auslagen) erhoben. Durch Rechtsverordnung, zu deren Erlaß die Bundesregierung ermächtigt ist (§ 54 Abs. 1 AtG), können die kostenpflichtigen Tatbestände nach Abs. 1 näher bestimmt und dabei feste Sätze oder Rahmensätze vorgesehen werden (§ 21a Abs. 2 S. 1 AtG). Die Gebührensätze sind so zu bemessen, daß sie die nach betriebswirtschaftlichen Grundsätzen einsatzfahigen Kosten der laufenden Verwaltung und Unterhaltung der Anlagen nach § 9a Abs. 3 AtG decken (§ 21a Abs. 2 S. 2 AtG). Dazu gehören auch die Verzinsung und die Abschreibung des aufgewandten Kapitals (§ 21a Abs. 2 S. 3 AtG). Bei der Gebührenbemessung sind ferner Umfang und Art der jeweiligen Benutzung zu berücksichtigen (§ 21a Abs. 2 S. 6 AtG). Zur Deckung des Investitionsaufwandes für Landessammelstellen kann bei der Benutzung eine Grundgebühr erhoben werden (§ 21a Abs. 2 S. 7 AtG). Nach § 21a Abs. 3 AtG können die Landessammelstellen für die Benutzung anstelle von Kosten ein Entgelt nach Maßgabe einer Benutzungsordnung erheben (S. 1). Bei der Berechnung des Entgelts sind die in Abs. 2 enthaltenen Bemessungsgrundsätze zu berücksichtigen (S. 2). Da eine Rechtsverordnung nach § 21a Abs. 2 S. 1 AtG von seiten der Bundesregierung nicht erlassen worden ist, kommt für die Benutzung der Landessammelstellen ohnehin nur eine Entgelterhebung nach § 21a Abs. 3 AtG in Betracht. Selbst wenn diese in Ansehung einer geplanten Einrichtung so bemessen werden sollte, daß alle in § 21a Abs. 2 AtG aufgestellten Bemessungsgrundsätze zur Kostendeckung erfüllt werden, bestände die Notwendigkeit der Vorfinanzierung der Planungs- und Investitionskosten. Da die Errichtung von Landessammelstellen für radioaktive Abfalle gemäß § 9a Abs. 3 AtG eine -Pflichtige - Staatsaufgabe ist, sind für diese Vorfinanzierung Staatshaushaltsmittel zur Verfügung zu stellen. Wenn ein Land genau so verfährt, handelt er „ordnungsgemäß" und erfüllt nicht den Haftungstatbestand des Art. 104a Abs. 5 S. 1, 2. Hs. GG. Auch wenn die künftige Entgelterhebung nicht in jeder Hinsicht den Bemessungsgrundsätzen des § 21a Abs. 2 AtG entspricht und damit eine vollständige Refinanzierung des staatlichen Planungs- und Investitionsaufwandes ausgeschlossen sein sollte, bedeutete dies dennoch nicht ohne weiteres einen offenkundigen und erheblichen Rechtsverstoß des Landes im Sinne der Haftungskernbestimmung des Art. 104a Abs. 5 S. 1, 2. Hs. GG. Die Einrichtung von Landessammelstellen ist für die Länder eine Pflichtige Staatsaufgabe (§ 9a Abs. 3 AtG), daher bleibt das Land auch dann dem Bund gegenüber für eine den gesetzlichen Anforderungen entsprechende Entgelterhebung verantwort-

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lieh, wenn es sich zur Erfüllung der Staatsaufgabe eines Dritten nach § 9a Abs. 3 S. 2 AtG bedient. § 21a Abs. 3 S. 2 AtG besagt aber nur, daß die im Abs. 2 enthaltenen Bemessungsgrundsätze „zu berücksichtigen" sind. Damit ist keine strikte Bindung an jene Grundsätze bestimmt, mit der Berücksichtigungspflicht ist nach allgemeinem juristischen Sprachgebrauch nur die Pflicht verbunden, sich mit den Vorgaben des Abs. 2 zu befassen, diese zu erwägen und mit gegebenenfalls gegenläufigen Interessen des Gemeinwohls sorgfältig abzuwägen. Bei der Entgeltbemessung können nach sorgfältiger Abwägung zum Beispiel auch die öffentlichen Belange der Vermeidung illegaler Abfallentsorgung oder eines illegalen „Abfalltransfers" eine Rolle spielen, was zu einer gewissen Reduktion von Entgeltbemessungen führen kann. Es gilt darüber hinaus schon von Rechts wegen das Äquivalenzprinzip, das seine Wurzeln im verfassungsrechtlichen Übermaßverbot findet, 38 und daher nicht nur der öffentlich-rechtlichen Gebührenerhebung, sondern auch der im Bereich des Verwaltungsprivatrechts erfolgenden privatrechtlichen Entgelterhebung zwingende Schranken setzt. Die Benutzung der Einrichtungen nach § 9a Abs. 3 AtG durch die Ablieferungspflichtigen gehört - sofern diese Nutzung formaliter privatrechtlich und nicht öffentlich-rechtlich organisiert ist - zweifelsohne zu jenem Bereich des durch Grundrechtsbindung qualifizierten Verwaltungsprivatrechts. 39 Das Äquivalenzprinzip besagt, daß ein angemessenes Verhältnis zwischen der Gebühr/dem Entgelt und dem Wert der besonderen Leistung für den Empfänger/Benutzer gewahrt sein muß. Das Äquivalenzprinzip kann mithin dazu führen, daß generell oder in spezifischen Einzelfällen von Verfassungsrechts wegen von einer in jeder Hinsicht kostendeckenden Gebühren- oder Entgelterhebung abgesehen werden muß. Definitive Aussagen sind im vorliegenden Zusammenhang insofern allerdings nicht möglich und nicht notwendig. Denn in jedem Fall gilt, daß die Entgelte nach § 21a Abs. 3 AtG die Bemessungsgrundsätze des Abs. 2 dieser Vorschrift nicht zwingend zu befolgen oder zu beachten, sondern nur zu „berücksichtigen" haben und daher bei ihrer Bemessung die Aspekte der Kostendeckung gegen andere Belange des Gemeinwohls sowie gegen Aspekte der Angemessenheit im Einzelfall sorgfältig abgewogen werden dürfen und müssen. Nach alledem wären der Annahme einer Haftung des Landes nach Art. 104a Abs. 5 S. 1, 2. Hs. GG wegen angeblich unzureichender Entgeltbe38 BVerfGE 50, S. 217 (227); s. auch Vogel, Grundzüge des Finanzrechts des Grundgesetzes, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Bd. IV, § 87 Rdnr. 97 ff. 39 Zum „Verwaltungsprivatrecht" allgemein s. Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, 11. Aufl. 1997, S. 421 ff.

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messung enge Grenzen gezogen. Davon abgesehen hat es der Bund - worauf bereits hingewiesen worden ist - kraft der Weisungskompetenzen der obersten Bundesbehörde nach Art. 85 Abs. 3 S. 1 GG in der Hand, auch insoweit die Sachentscheidungen an sich zu ziehen und für eine aus seiner Sicht angemessene Entgelterhebung Sorge zu tragen. Ohne die vorherige Inanspruchnahme derartiger Weisungsmöglichkeiten kommt - wie ebenfalls schon ausgeführt worden ist - eine Haftung des Landes nach Art. 104a Abs. 5 S. 1, 2. Hs. GG regelmäßig ohnehin nicht in Betracht (Rechtsgedanken des § 254 BGB).

I I I . Ergebnisse 1. Die staatlichen Ausgabenbelastungen, die aufgrund der Einrichtung von Landessammelstellen nach § 9a Abs. 3 AtG entstehen, hat im „internen" Bund-Länder-Verhältnis gemäß Art. 104a Abs. 2 GG der Bund zu tragen. Das Land, das die Aufgabe der Einrichtung von Landessammelstellen gemäß § 24 Abs. 1 AtG in Verbindung mit Art. 87c GG im Auftrage des Bundes wahrnimmt, hat gegenüber dem Bund einen verfassungsrechtlichen Anspruch auf Freistellung von den zum Zwecke der Aufgabenerfüllung eingegangenen Verbindlichkeiten bzw. auf Erstattung bereits getätigter (Zweck-)Ausgaben. Das später über eine Refinanzierung durch Gebühren- bzw. Entgelterhebung erzielte Aufkommen ist von dem Land an den Bund abzuführen. Mit der im Art. 104a Abs. 2 GG getroffenen Regelung über die Ausgabenverantwortung des Bundes ist es nicht vereinbar, wenn der Bund erst für den endgültigen, über eine Refinanzierung durch Gebühren- und Entgelterhebung nicht kompensierten finanziellen Ausfall des Staates einzustehen bereit ist. Der Bund ist somit aufgrund des Art. 104a Abs. 2 GG auch zur Bereitstellung der Mittel für die Planungs- und Investitionskosten verpflichtet. Die bloße Gewährung verzinslicher Darlehen an das betreffende Land wird dieser unbedingten verfassungsrangigen Ausgabenverantwortung des Bundes nicht gerecht. 2. Eine Einschränkung der Ausgabenverantwortung des Bundes findet nicht deswegen statt, weil die staatlichen Ausgabenlasten aus einer nicht ordnungsgemäßen Verwaltung des Landes resultierten. Zum einen wären der Annahme einer Haftung des Landes nach Art. 104a Abs. 5 S. 1, 2. Hs. GG wegen angeblich unzureichender Entgeltbemessung enge Grenzen gezogen. Zum anderen hat es der Bund kraft der Weisungskompetenzen der obersten Bundesbehörde nach Art. 85 Abs. 3 S. 1 GG in der Hand, auch insoweit die Sachentscheidungen an sich zu ziehen und für eine aus seiner Sicht angemessene Entgelterhebung Sorge zu tragen. Ohne die vorherige Inanspruchnahme derartiger Weisungsmöglichkeiten kommt eine Haftung des Landes nach Art. 104a Abs. 5 S. 1, 2. Hs. GG regelmäßig nicht in Betracht. Schließlich betrifft die

Finanzierungsverantwortung bei der atonirechtlichen Zwischenlagerung

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Bemessung und Erhebung von Entgelten für die Nutzung einer geplanten Anlage künftiges Verhalten, allein schon aus diesem Grunde kann dieser Aspekt keine Rechtfertigung zur Reduktion oder gar zur Verneinung der verfassungsrechtlichen Verantwortung des Bundes für die derzeit anfallenden (Investitions-)Kosten abgeben.

System der verwaltungsgerichtlichen Vollstreckung Von Rainer Pietzner

I. Einleitung Ohne ein wirksames Vollstreckungssystem kommt keine Prozeßordnung aus. Denn erst in der Vollstreckung bewährt sich im Ernstfall das Recht. Der Anspruch auf effektiven Rechtsschutz setzt sich fort und vollendet sich im Anspruch auf effektive Vollstreckung. 1 Das gilt auch im Verhältnis zwischen Bürger und gesetzesgebundener Verwaltung im Rechtsstaat, mag sich hier die Notwendigkeit einer Vollstreckung auch nur im Ausnahmefall zeigen. Zu Recht leitete deshalb die Bundesregierung in ihrem Entwurf einer VwGO die Begründung des Vollstreckungsabschnitts mit dem Bekenntnis ein: „Eine wirkungsvolle Vollstreckung des verwaltungsgerichtlichen Urteils ist zwingende Voraussetzung eines konsequenten Rechtsschutzes. Die Möglichkeit, daß ein verwaltungsgerichtliches Urteil, sei es wegen passiven Verhaltens der Behörde oder wegen einer an sich lückenhaften Ausgestaltung der Vollstreckung, nicht vollzogen wird, widerspricht der Forderung des Artikels 19 Abs. 4 GG nach umfassendem Rechtsschutz; soweit die Durchsetzung der Urteile nicht gewährleistet ist, ist der Rechtsschutz nur unvollkommen." 2 Seitdem es dem modernen Staat gelang, mit Erfolg das Monopol an legitimer phsysicher Gewaltsamkeit in seinem Territorium zu beanspruchen und die gewaltsame Rechtsverfolgung durch Selbsthilfe (via facti) zu unterdrücken und den Bürger auf die via juris bei seinen Gerichten zu verweisen, ist die Rechtsdurchsetzung unter Privaten geprägt durch zwei Systemfaktoren, den der Fremdtitulierung und den der Fremdvollstreckung. Der vom Verpflichte-

1 Vgl. Schmidt-Aßmann , in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, Einl. Rdnr. 51 sowie Pietzner , in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, Vorb § 167 Rdnr. 9. 2 Vgl. BT-Drucks. m/55 S. 48 zu § 164.

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Rainer Pietzner

ten bestrittene Anspruch muß, um vollstreckbar zu werden, vom Richter als neutralem Dritten in einem rechtsstaatlich geordneten Verfahren tituliert werden, und er wird, wenn dies erfolgt ist, durch einen Dritten, sei es den Richter oder andere Vollstreckungsorgane unter der Aufsicht des Richters, zwangsweise durchgesetzt. Verwaltungsgerichtliche Vollstreckung erfolgt auf der Grundlage verwaltungsgerichtlicher Titel. Nur ausnahmsweise kann das verwaltungsgerichtliche Vollstreckungssystem für die Durchsetzung außergerichtlicher Titel in Anspruch genommen werden (vgl. § 61 Abs. 2 S. 2 und 3 VwVfG, 3 § 60 Abs. 2 S. 2 und 3 SGB X). Die Verwaltung als Trägerin von Hoheitsgewalt ist dagegen im Regelfall bei der Durchsetzung ihrer „Rechte" gegenüber dem Bürger auf die Vollstrekkungsgewalt des Verwaltungsgerichts nicht angewiesen. Sie genießt das hoheitliche Vorrecht der Selbsttitulierung und Selbstvollstreckung. Denn sie tituliert ihre „Rechte" selbst durch Verwaltungsakt und vollstreckt diese Verwaltungstitel selbst im Wege der Verwaltungsvollstreckung. 4 Wo dagegen der Verwaltung diese Hoheitsbefugnisse - aus welchen Gründen auch immer nicht zur Verfügung stehen, ist auch sie auf das verwaltungsgerichtliche Titulierungs- und Vollstreckungssystem angewiesen. Bei der Ausgestaltung dieses Systems hat sich der Gesetzgeber dafür entschieden, unterschiedliche Vollstreckungsmodelle für Bürger und Verwaltung als Vollstreckungsgläubiger vorzusehen. Die gesetzliche Systematik behandelt die Vollstreckung „Verwaltung gegen Bürger" zuerst (§ 169 VwGO), möglicherweise deshalb, weil sie der weitaus häufigere Fall sein dürfte. Das entspricht jedoch nicht dem Hauptzweck des Verwaltungsprozesses, dem Bürger ein wirksames Rechtsschutzinstrument gegen die Verwaltung zur Verfügung zu stellen. Die Vollstreckung „Bürger gegen Verwaltung" (§§ 170 bis 172 VwGO) soll deshalb als erste dargestellt werden. Mit diesen beiden Grundarten ist aber das System verwaltungsgerichtlicher Vollstreckung noch nicht vollständig. Vollstreckungen aus verwaltungsgerichtlichen Titeln können auch erforderlich werden zwischen Verwaltungsträgern sowie zwischen Bürgern. Insgesamt wird der systematische Überblick zeigen, daß die gesetzliche Regelung nicht überzeugt, insbesondere deshalb, weil sie aufgrund ihrer redaktionellen Unvollkommenheit mit zahlreichen Auslegungsstreitigkeiten belastet ist, die die Effektivität der Vollstreckung nachhaltig beeinträchtigen können.

3 Vgl. hierzu BVerwGE 98, 58 ff. Zu § 794 Abs. 1 Nr. 4 ZPO vgl. BVerwGE 96, 326 ff. sowie BVerwG, Buchholz 310 § 40 VwGO Nr. 271. 4 Vgl. Pietzner (Fn. 1), Vorb § 167 Rdnr. 6 f.

System der verwaltungsgerichtlichen Vollstreckung

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I I . Die Vollstreckungsmodelle der Verwaltungsgerichtsordnung 1. Vollstreckung des Bürgers gegen die Verwaltung a) Vollstreckung

von Anfechtungstiteln

Der obsiegende Anfechtungskläger bedarf in der Hauptsache keiner Vollstreckung. Denn das den Verwaltungsakt aufhebende Urteil ist ein Gestaltungsurteil, das die Rechtsänderung selbst herbeifuhrt und damit die Vollstreckung gleichsam in sich trägt; es ist „seif executing".5 Die VwGO befaßt sich deshalb nur mit der Frage, ob die Vollstreckungswirkung dieses Gestaltungsurteils bereits vorläufig mit seinem Erlaß eintritt oder erst mit Eintritt der Rechtskraft, und beantwortet sie mit Rücksicht auf die Bedingungsfeindlichkeit hoheitlicher Verwaltungstätigkeit im letzteren Sinne: Das Anfechtungsurteil kann nur wegen der Kosten für vorläufig vollstreckbar erklärt werden (§ 167 Abs. 2 VwGO). 6 Insoweit folgt das stattgebende Anfechtungsurteil den Regeln über die Vollstreckung von Geldleistungstiteln. b) Vollstreckung

von Geldleistungstiteln

(§ 170 VwGO)

Ein Vollstreckungsmodell im eigentlichen Sinne enthält § 170 VwGO nicht, sondern lediglich - ähnlich wie § 882a ZPO, dem er weitgehend inhaltsgleich nachgebildet ist - Fiskusprivilegien, nämlich besondere zeitliche, sachliche und gerichtsverfahrensrechtliche Schutzvorschriften, die Rücksicht nehmen auf die Besonderheiten der Vermögensverwaltung der öffentlichen Hand und die von ihr zu erfüllenden öffentlichen Aufgaben und deren Erfüllung dem Gericht des ersten Rechtszuges anvertraut wird. Es verfügt auf Antrag des Gläubigers die Vollstreckung, indem es die vorzunehmenden Vollstreckungsmaßnahmen bestimmt und die zuständige Stelle um deren Vornahme ersucht, wobei die ersuchte Stelle verpflichtet ist, dem Ersuchen nach den für sie geltenden Vorschriften nachzukommen (§ 170 Abs. 1 VwGO). Vor Erlaß der Vollstreckungsverfügung hat das Gericht den Vollstreckungsschuldner von der beabsichtigten Vollstreckung zu benachrichtigen mit der Aufforderung, die Vollstreckung innerhalb einer vom Gericht zu bestimmenden Frist, die einen Monat nicht überschreiten darf, abzuwenden (§ 170 Abs. 2

5

Vgl. RGZ 100, 98 (100); BSGE 27, 31 (33); OVG Lüneburg, DVB1 1950, 248 (249); OVG Münster, 1952, 1351 (1352), die drei letzteren zum stattgebenden Anfechtungsurteil. 6 Vgl. hierzu näher Pietzner (Fn. 1), § 167 Rdnr. 129 ff.

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VwGO). 7 Schließlich stellt § 170 Abs. 3 VwGO ein Vollstreckungsverbot zugunsten von Sachen auf, die für die Erfüllung öffentlicher Aufgaben unentbehrlich sind oder deren Veräußerung ein öffentliches Interesse entgegensteht.8 Das die Vorschrift prägende Interesse, die Funktionsfähigkeit der öffentlichen Hand zu erhalten, äußert sich in einer starken Dominanz des Amtsbetriebs. Das Vollstreckungsverfahren nach § 170 VwGO wird zwar durch Antrag des Vollstreckungsgläubigers eingeleitet, ansonsten aber wird es von dem Gericht des ersten Rechtszuges in einer Weise beherrscht, daß dieses als eigentlichen „Herrn des Vollstreckungsverfahrens" erscheinen läßt. 9 Denn dieses und nicht - wie im Rahmen des § 882a ZPO - der Gläubiger kündigt die Vollstreckung an. Nicht der Gläubiger durch Vollstreckungsauftrag (§ 753 ZPO), sondern das Gericht durch Vollstreckungsverfügung leitet die Vollstreckung ein und bestimmt die vorzunehmenden Vollstreckungsmaßnahmen. Der vollstreckungsrechtliche Unterbau, auf den dieses Schutzregime aufgepfropft ist, ergibt sich dagegen nicht aus § 170 VwGO, sondern aus § 167 Abs. 1 VwGO i.V.m. dem 8. Buch der ZPO, 1 0 dessen entsprechende Anwendung § 167 Abs. 1 S. 1 VwGO anordnet, mit der Maßgabe, daß an die Stelle des Amtsgerichts als Vollstreckungsgericht das Gericht des ersten Rechtszuges der Verwaltungsgerichtsbarkeit tritt (§ 167 Abs. 1 S. 2 VwGO). Zuständige Stelle ist - das Gericht des ersten Rechtszugs für die Pfändung von Forderungen und anderen Vermögensrechten (§ 828 Abs. 1 ZPO i.V.m. § 167 Abs. 1 S. 2 VwGO), 1 1

7

Vgl. im Einzelnen näher Pietzner (Fn. 1), § 170 Rdnr. 19 ff. Näher Pietzner (Fn. 1), § 170 Rdnr. 31 ff. 9 So zu Recht OVG Lüneburg, NJW 1968, 1006; einschränkend dagegen BFH/NV 1987, 789 (791). 10 Vgl. Koehler, VwGO, 1960, § 170 Anm. E 4; Ule, Verwaltungsprozeßrecht, 9. Aufl. 1987, S. 404 f.; Eyermann/Fröhler/Kormann, VwGO, 9. Aufl. 1988, § 170 Rdnr. 5; Redeker/von Oertzen, VwGO, 12. Aufl. 1997, § 170 Rdnr. 8; Thomas, BayVBl 1967, 335 (338); Bank, Zwangsvollstreckung gegen Behörden, 1982, 69; a.A. P. Schmidt, in: Eyermann, VwGO, 10. Aufl. 1998, § 170 Rdnr. 6: Vollstreckung nach VwVG; Kopp, VwGO, 10. Aufl. 1994, § 170 Rdnr. 4: neben ZPO-Organen auch Behörden nach VwVG. 11 Hier entfallt also ein Vollstreckungsersuchen, da das Gericht des ersten Rechtszuges selbst das Vollstreckungsgericht ist. Der Gesetzgeber hat versäumt, den Wortlaut des § 170 Abs. 1 S. 2 VwGO entsprechend anzupassen, nachdem er die ursprüngliche Verweisung des § 167 Abs. 1 VwGO auf das Amtsgericht als Vollstreckungsgericht durch Anfügung des § 167 Abs. 1 S. 2 VwGO beseitigt hatte. Vgl. Ule, Verwaltungsgerichtsbarkeit, 2. Aufl. 1962, § 170 Anm. II. 8

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- der Gerichtsvollzieher für die Pfändung beweglicher Sachen (§§ 753, 808 ZPO), - das Grundbuchamt für die Eintragung einer Sicherungshypothek (§ 866 Abs. 1, § 867 ZPO) und - das Amtsgericht für die Durchführung einer Zwangsverwaltung oder Zwangsversteigerung (§ 866 Abs. 1, § 869 ZPO i.V.m. § 1 ZVG).

c) Vollstreckung

von Erzwingungstiteln

(§ 172 VwGOJ

Soll zugunsten des Bürgers gegen die öffentliche Hand aus anderen, nicht auf Geld gerichteten Titeln vollstreckt werden, sieht § 172 VwGO auf Antrag des Vollstreckungsgläubigers allein die verwaltungsgerichtliche Androhung, Festsetzung und Beitreibung eines Zwangsgeldes bis 2000 D M gegen die verpflichtete Behörde vor; (Ersatz-)Zwangshaft kennt die Vorschrift, anders als § 888 ZPO und die §§ 11, 16 BVwVG, nicht. Die Verwaltungsgerichtsordnung hat sich also, obwohl in einigen Fällen - etwa bei der Folgenbeseitigung auch die Anwendung direkt wirkender Zwangsmittel des Erfüllungszwanges wie Ersatzvornahme oder unmittelbarer Zwang in Betracht käme, allein für indirekten, nur psychologisch wirkenden Beugezwang entschieden. Leitend hierbei war offensichtlich die Vorstellung, die Vornahme der titelgemäß geschuldeten hoheitlichen Amtshandlungen sei aus der Sicht der Gewaltenteilung eine unvertretbare Handlung der Exekutive, 12 während der Ausschluß der (Ersatz-)Zwangshaft auf der Erwägung beruhen dürfte, die Funktionsfähigkeit der Exekutive nicht durch den Entzug ihrer Organwalter zu beeinträchtigen. 13 Das Zwangsgeld trifft die Behörde und nicht den zuständigen Beamten oder Behördenleiter in Person. 14 Wegen seiner geringen Höhe kann es sich deshalb im Einzelfall als recht stumpfe Waffe erweisen. Gleichwohl hat es der Gesetzgeber als ausreichend angesehen, weil er der Meinung war, die Befolgung gerichtlicher Urteile müßte in einem Rechtsstaat eine Selbstverständlichkeit sein. 15 Diese Erwartung hat sich in der Verwaltungspraxis eindrucksvoll bestätigt. Die Negativbeispiele sind singulär und entsprangen politischen Aus-

12 Vgl. Bachof , Die verwaltungsgerichtliche Klage auf Vornahme einer Amtshandlung, 1951, S. 163; Rupp, AöR 85 (1960), 301 (335); Bank (Fn. 10), S. 82 f., 86 f.; EyermannIFröhler/Kormann (Fn. 10), § 172 Rdnr. 1. 13 Vgl. VGH Mannheim, VB1BW 1995, 191 (\92)\ Bank (Fn. 10), S. 89 f. 14 Vgl. Pietzner (Fn. 1), § 172 Rdnr. 9 m.w.N. 15 Vgl. BT-Drucks. m/55 S. 49 zu § 168.

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nahmesituationen.16 Zudem wurden sie sämtlich von Selbstverwaltungsorganen auf der untersten Verwaltungsebene geliefert, die einem effektiven aufsichtsrechtlichen Korrekturinstrumentarium unterliegen, das vom Vollstrekkungsrichter aktiviert werden kann. § 172 VwGO kann vor diesem Hintergrund nur als abschließende Systementscheidung des Gesetzgebers für ein eigenständiges Vollstreckungsmodell der Erzwingung hoheitlicher Handlungen verstanden werden, das auf die Eigenheiten der Hoheitsverwaltung Rücksicht nimmt und eine Erzwingung hoheitlicher Handlungen nur vermittels Zwangsgelds bis höchstens 2000 D M zuläßt. 17 Mittel des Erfüllungszwanges sind deshalb weder in entsprechender Anwendung des § 172 VwGO noch über § 167 Abs. 1 S. 1 VwGO nach den §§ 883 ff. ZPO zulässig. 18 Sinn des § 167 Abs. 1 S. 1 VwGO ist es nämlich nicht, grundsätzlich die Vollstreckungsmodelle der Zivilprozeßordnung vorzugeben, so daß Abweichungen hiervon sich durch ausdrückliche Regelungen in der Verwaltungsgerichtsordnung legitimieren müßten, 19 sondern, rechtsstaatswidrige Vollstreckungslücken zu schließen.20 Insoweit stellt § 167 Abs. 1 S. 1 VwGO nur eine rechtsstaatliche „Angstklausel" des Gesetzgebers dar, nicht aber die Grundlage für ein zweites Vollstreckungsmodell, das gleichwertig neben das des § 172 VwGO treten soll.

16 Streit mit radikalen Parteien um die Vergabe gemeindlicher Einrichtungen (vgl. OVG Lüneburg, DVB1 1969, 119 m. Anm. Bettermann\ Jülich, DVB1 1968, 846, 848; Ule, in: Zehn Jahre Verwaltungsgerichtsordnung, Schriftenreihe der Hochschule Speyer Bd. 45, 1970, S. 20, 40 f.); Rangeleien um das sog. politische Mandat der Studentenvertretungen in den Jahren 1968 ff. (vgl. VG Köln, DVB1 1968, 712; VGH Kassel, ESVGH 24, 217; VGH Mannheim, NJW 1973, 1518 f.; DVB1 1977, 211; neuerdings wieder VG Gießen, NVwZ-RR 1998, 241); Anfangsschwierigkeiten kommunaler Behörden im Beitrittsgebiet mit rechtsstaatlicher Verwaltungskultur (vgl. VG Halle, LKV 1997, 343). 17 Vgl. Pietzner (Fn. 1), § 172 Rdnr. 11 ff. 18 ff.; Eyermann!Fröhler/Kormann (Fn. 10), § 167 Rdnr. 8; neuerdings auch OVG Münster, NWVB1 1997, 305 f. = DÖV 1997, 794 = BauR 1998, 324. 18 Vgl. Bachof (Fn. 12), S. 163; Rupp, AöR 85 (1960), 301 (336); Schweickhardt, DÖV 1965, 804; Bank (Fn. 10), S. 82 f., 86 ff.; Kopp (Fn. 10), § 172 Rdnr. 3; a.A. VG Halle, LKV 1997, 343 (§ 887 ZPO zur Durchsetzung einer einstweiligen Anordnung: Beseitigung der kommunalen Ballonblockade eines Abwasserkanals); Bettermann, DVB1 1969, 120 (Besitzeinweisung); Maunz, BayVBl 1971, 399 (400); Schunck/ De Clerck, VwGO, 3. Aufl. 1977, § 172 Anm. 2 b. 19 So aber wohl die h. M. Vgl. statt vieler Bank (Fn. 10), S. 77 ff. 20 Um zu verhindern, „daß ein verwaltungsgerichtliches Urteil...wegen einer an sich lückenhaften Ausgestaltung der Vollstreckung...nicht vollzogen wird", erklärt § 167 Abs. 1 S. 1 „die Zwangsvollstreckungsvorschriften der ZPO...für anwendbar" (BTDrucks. m/55, S. 48 zu § 164 ).

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§ 172 VwGO ist allerdings redaktionell höchst unvollkommen formuliert. Ausdrücklich genannt als taugliche Vollstreckungstitel sind lediglich Folgenbeseitigungsurteile (§113 Abs. 1 S. 2 VwGO), Verpflichtungs- und Bescheidungsurteile (§ 113 Abs. 5 VwGO) und einstweilige Anordnungen (§ 123 VwGO). Nicht erwähnt sind trotz ihrer systematischen Verwandtschaft mit Folgenbeseitigungsurteilen Erstattungsurteile nach § 113 Abs. 4 VwGO. Dies erklärt sich daraus, daß § 170 VwGO nach dem System des 17. Abschnittes lex specialis für alle Fälle der Geldvollstreckung gegen die öffentliche Hand ist. Denn Geldleistungen sind, auch wenn sie von einem Hoheitsträger erbracht werden müssen, stets vertretbar. Hier ist deshalb kein Grund ersichtlich, warum dem Bürger der direkte Erfüllungszwang vorenthalten werden und er sich mit indirektem Beugezwang begnügen soll. Der Wortlaut des § 172 S. 1 bedarf deshalb der teleologisch-systematischen Reduktion: nicht erfaßt werden Folgenbeseitigungsurteile, wenn sie auf Geld lauten. 21 Dasselbe gilt für einstweilige Anordnungen 22 , was sich unmittelbar bereits aus § 170 Abs. 5 VwGO ergibt. 23 Eine weitere teleologische Reduktion des Wortlauts des § 172 S. 1 VwGO, wie sie vielfach durch Herausnahme von einstweiligen Anordnungen im Vorfeld von Leistungs- und Unterlassungsklagen vertreten w i r d , 2 4 ist nicht gerechtfertigt. Denn § 172 VwGO ist - wie noch zu zeigen sein wird - eine erweiternd auszulegende abschließende Sondervorschrift für die Erzwingung hoheitlicher, nicht auf Geldleistung gerichteter Handlungen. Der Wortlaut ist deshalb, soweit er einstweilige Anordnungen betrifft, nicht zu weit geraten. 25 Er bestätigt vielmehr gerade die hier vertretene Auslegung.

21

A.A. Kopp (Fn. 10), § 170 Rdnr. 1, ohne aber das Problem zu erörtern. Vgl. VGHMannheim, VerwRspr 28 (1977), 244 (247) = DÖV 1976, 606 (LS); Redeker/von Oertzen (Fn. 10), § 172 Rdnr. 3; Kopp (Fn. 10), § 172 Rdnr. 1. 23 Vgl. Pietzner (Fn. 1), § 170 Rdnr. 14. 24 Sie seien nach § 167 Abs. 1 S. 1 VwGO in entsprechender Anwendung der §§ 888, 890 ZPO zu vollstrecken Vgl. BGHZ 120, 73 (83); VGH Mannheim, NJW 1973, 1518 (1519); DVB1 1977, 211; OVG Münster, NJW 1974, 917 f. = DVB1 1974, 370; OVG Lüneburg, OVGE 30, 364 (369) = DÖV 1974, 822 (823); VGH Kassel, NJW 1976, 1766 (nur LS); ES VGH 24, 217 (220); VGH München, NVwZ-RR 1989, 669 f.; VG Gießen, NVwZ-RR 1998, 241; Redeker/von Oertzen (Fn. 10), § 172 Rdnr. 3; Finkelnburg/Jank, Vorläufiger Rechtsschutz im Verwaltungsstreitverfahren, 3. Aufl. 1986, Rdnr. 422; Kopp (Fn. 10), § 172 Rdnr. 1, 10; Bank (Fn.10), S. 74; Remien , Rechtsverwirklichung durch Zwangsgeld, 1992, S. 29 f. 25 Im Ergebnis wie hier P. Schmidt (Fn. 10), § 172 Rdnr. 5; EyermannlFröhler/ Kormann , VwGO, 9. Aufl. 1988, § 123 Rdnr. 24; SchuncWDe Clerck (Fn. 18), § 172. Anm. 2a (3); Schweickhardt, DÖV 1965, 803; VG Köln, DVB1 1968, 712 (713). Vgl. auch VGH München, NVwZ 1983,478 (479) = BayVBl 1982, 757. 22

29 FS Blümel

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Beschlüsse nach § 80 Abs. 5 S. 3 VwGO, die der Behörde eine vorläufige Vollzugsfolgenbeseitigung vorschreiben, 26 müssen bereits aus Gründen der Effektivität des Rechtsschutzes vollstreckbar sein. 27 Daß § 172 S. 1 VwGO sie nicht erwähnt, kann deshalb nur auf einem Redaktionsversehen des Gesetzgebers beruhen. Die so entstandene Lücke ist durch entsprechende Anwendung des § 172 S. 1 VwGO zu schließen.28 Insbesondere ist kein nachvollziehbarer Grund ersichtlich, warum die vorläufige Vollzugsfolgenbeseitigung vollstrekkungsrechtlich anders behandelt werden sollte als die endgültige, in § 172 S. 1 VwGO ausdrücklich erwähnte. Entsprechendes gilt für die in verfassungskonformer Ergänzung des § 80 Abs. 5 VwGO entwickelten und nunmehr in § 80 a Abs. 3 VwGO geregelten vorläufigen Rechtsschutzanordnungen bei Verwaltungsakten mit Drittwirkung. 29 § 172 S. 1 VwGO beschränkt sich nach seinem Wortlaut auf Folgenbeseitigungs- und Verpflichtungsurteile. Hieraus folgert die h. M. Urteile, die die öffentliche Hand zu einem sonstigen Handeln, Dulden oder Unterlassen verpflichten, seien nicht nach § 172, sondern über § 167 Abs. 1 S. 1 nach den §§ 883 ff. ZPO zu vollstrecken. 30 Damit wird die gesetzlich gewollte Begrenzung des Vollstreckungsinstrumentariums gegen die öffentliche Hand auf mittelbaren Beugezwang und der Sanktionsrahmen des § 172 VwGO durchbrochen. Unausgesprochenes Motiv mag dabei häufig das Bestreben sein, dem als uneffizient empfundenen Vollstreckungsmodell des auf Zwangsgeld bis zu 2000 D M beschränkten § 172 VwGO nicht mehr Raum als unbedingt erforderlich zu geben. Teleologisch wie systematisch ist diese Auslegung jedoch unhaltbar. 31

26 Quaritsch, VerwArch 51 (1960), 210 (229) nennt dies zu Recht eine besondere Form der einstweiligen Anordnung, was die Anwendung der §§ 168 I Nr. 2, 172 VwGO nahelegt. 27 So die ganz h.M.: vgl.: Schock, in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 80 Rdnr. 366 f. m.w.N. 28 Vgl. Pietzner (Fn. 1), § 172 Rdnr. 17; Schock (Fn. 27), § 80 Rdnr. 367; Koehler (Fn. 10), § 80 Anm. E VI 1; Papier, VerwArch 64 (1973), 283, 399 (402); Kopp (Fn. 10), § 172 Rdnr. 2; Redeker/von Oertzen (Fn. 10), § 80 Rdnr. 63; a.A. P. Schmidt (Fn. 10), § 172 Rdnr. 6. 29 Vgl. OVG Münster, NVwZ 1993, 383 f. sowie Schoch (Fn. 27), § 80 Rdnr. 368. 30 Vgl. OVG Münster, DVB1 1974, 370; DÖV 1976, 170; OVG Hamburg, NJW 1978, 658; VGH München, NVwZ-RR 1989, 669; OVG Koblenz, NJW 1987, 1220 f.; VGH Mannheim, NVwZ-RR 1993, 520 = VB1BW 1993, 52; VBIBW 1995, 191 f.; weiter Püttner, DVB1 1975, 353 (357); Remien (Fn. 24), S. 30 f.: Bank (Fn. 10), S. 81 ff.; ebenso zu § 201 SGG BSGE 63, 144 (149); Mever-Ladewig, SGG, 6. Aufl. 1998, §201 Rdnr. 2. 31 Wie hier im Ergebnis Koehler (Fn. 1), § 170 Anm. II 2; Schweickhardt, DÖV 1965, 795 (803 f.); Hoffmann Becking, VerwArch 62 (1971), 191 (198);

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Aus der Sicht des Gesetzgebers des Jahres 1960 waren mit der Benennung der Fälle des § 113 Abs. 1 S. 2 und Abs. 5 VwGO alle in Betracht kommenden hoheitlichen Amtshandlungen erfaßt. 32 Neben der Folgenbeseitigungs- und der Verpflichtungsklage genoß die (allgemeine) Leistungsklage allenfalls als Geldleistungsklage die Aufmerksamkeit des Gesetzgebers (vgl. §§ 111, 113 Abs. 4 VwGO). Die schlichte Amtshandlungsklage auf Vornahme oder gar Unterlassung anderer sog. schlicht hoheitlicher Amtshandlungen nahm die Verwaltungsgerichtsordnung dagegen praktisch nicht zur Kenntnis; erst späteren Zeiten blieb es vorbehalten, unter dem Eindruck der Effektivitätsgehalte des Art. 19 Abs. 4 GG hierfür die nötigen dogmatischen Vorarbeiten zu leisten. Vor diesem Hintergrund erweist sich die Fassung des § 172 VwGO lediglich als Ausdruck mangelnden Problembewußtseins des historischen Gesetzgebers bezüglich der allgemeinen, auf schlicht hoheitliche Amtshandlungen gerichteten Leistungsklage und daraus folgender redaktioneller Unschärfe. Unverkennbar ist aber, daß er meinte, mit § 172 VwGO alle Fälle der Erzwingung hoheitlicher Amtshandlungen außerhalb der Geldvollstreckung erfaßt zu haben. Denn man kann dem Gesetzgeber nicht unterstellen, er habe das systematisch unsinnige Ergebnis gewollt, für die Vollstreckung des Vollzugsfolgenbeseitigungsanspruchs nur Zwangsgeld bis zu 2.000 D M (§ 172 VwGO), für die Vollstreckung aber des einfachen, schlichten Folgenbeseitigungsanspruchs über § 167 Abs. 1 VwGO Zwangsgeld bis zu 50.000 D M (§ 888 ZPO) oder gar Ersatzvornahme (§ 887 ZPO) anzuordnen und in § 172 VwGO die Vollstreckung des Zwangsgeldes nur gegen die Behörde zuzulassen, in § 167 Abs. 1 VwGO i.V.m. § 888 ZPO dagegen gegen den Behördenleiter. 33 Syste-

Ule, VerwArch 65 (1974), 291 (309); Eyermann!Fröhler/Kormann (Fn. 10), § 167 Rdnr. 8. 32 Vgl. Hoffmann Becking, VerwArch 62 (1971), 191 (198); hiergegen - nicht überzeugend - Bank (Fn. 10), S. 78 ff. 33 Bank (Fn. 10), S. 80 f., 104 f. schiebt diese Argumente mit der Bemerkung beiseite, die Begrenzung des Zwangsgeldes auf 2 000 DM und seine Vollstreckung gegen die Behörde habe sich in der Praxis nicht bewährt. Das ist Rechtspolitik, aber keine systematische Auslegung. Bezeichnenderweise sieht sich die h. M. bei der Unterlassungsvollstreckung genötigt, den Sanktionsrahmen des § 890 ZPO von 500.000 DM deutlich in Richtung auf den des § 172 VwGO herunterzuschrauben und die (Ersatz-) Ordnungshaft unter Hinweis auf die mit ihr verbundene Gefährdung der Funktionsfähigkeit der öffentlichen Verwaltung und die in § 172 VwGO getroffene Grundentscheidung für unstatthaft zu halten. Vgl. VGH Mannheim, VB1BW 1995, 191 (192). Darüber hinaus wird z.T. erklärt, die §§ 883 ff. ZPO über den unmittelbaren Erfüllungszwang seien mit Rücksicht auf die besonderen Eigenschaften des Vollstreckungsschuldners „öffentliche Hand" und der von ihm vorzunehmenden schlichthoheitlichen Handlungen unanwendbar, so daß nur mittelbarer Zwang nach den §§ 888, 890 ZPO, allerdings ohne die Möglichkeit der Ersatzhaft, in Betracht komme. Vgl. Bank (Fn. 10), S. 82 ff., 92 ff. Deutlicher kann die Absicht, sich unter Umgehung des § 172

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matisch stimmig ist demnach nur eine Auslegung, die den § 172 VwGO aus den besonderen Rücksichten auf den Staat als Hoheitsträger und die Art der von ihm zu erfüllenden Aufgaben erklärt 34 und in ihm eine abschließende Sonderregelung für die Erzwingung hoheitlicher, nicht auf eine Geldleistung gerichteter Amtshandlungen sieht. 35 Auch der Hinweis auf die angebliche Ungeeignetheit des Zwangsgeldes für die Erzwingung von Unterlassungspflichten 36 rechtfertigt die h.M. nicht. Denn die Prämisse, das in § 172 VwGO vorgehaltene Zwangsgeld sei ein reines Erzwingungsmittel, trifft nicht zu. Die Verwaltungsgerichtsordnung hat sich nämlich nicht an der ausdifferenzierten Typenreinheit der zivilprozessualen Vollstreckungsmittel des Zwangsgeldes als reinem Erzwingungsmittel (§ 888 ZPO) 37 und des Ordnungsgeldes (früher „Geldstrafe") als strafähnlicher Sanktion (§ 890 ZPO) 3 8 orientiert, sondern an dem Zwangsgeld der Verwaltungs-

VwGO einen höheren Sanktionsrahmen zu erschließen, nicht in Erscheinung treten. Eine systematisch stimmige Auslegung ist dies alles nicht. 34 Die Anwendbarkeit des § 172 VwGO endet deshalb in den Fällen, in denen der Verwaltungsträger - etwa in einem Vergleich - Verpflichtungen nicht in seiner Eigenschaft als Hoheitsträger, sondern als Privatrechtssubjekt, als Fiskus übernommen hat. Vgl. OVG Lüneburg, NJW 1969, 205 f. = DÖV 1969, 254 (Errichtung einer Grundstücksmauer durch den Postfiskus). 35 Die hier und erstmals in Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 172 Rdnr. 16 und 18 ff. vertretene Auslegung des § 172 VwGO wird bestätigt durch § 61 Abs. 2 S. 3 VwVfG und § 60 Abs. 2 S. 3 SGB X. Denn hier verweist der Bundesgesetzgeber für die Vollstreckung gegen die öffentliche Hand aus verwaltungsrechtlichen Verträgen, in denen sich die Verwaltung der sofortigen Vollstreckung unterworfen hat, uneingeschränkt, also sowohl für die Erzwingung von Handlungen jeder Art als auch für die Erzwingung von Duldungen oder Unterlassungen, auf die entsprechende Anwendung des § 172 VwGO. Das beweist, daß nach den Systemvorstellungen des Bundesgesetzgebers § 172 VwGO eine umfassende und abschließende Vorschrift für die Erzwingung aller hoheitlichen behördlichen Tätigkeiten darstellt, mit Ausnahme der Geldleistungen, für die er in § 170 VwGO eine vergleichbare Vorschrift vorhält. 36 Vgl. OVG Münster, NJW 1974, 917 (918); Bank (Fn. 10), S. 95 f. 37 Hier soll nach h. M. der Vollstreckungsschuldner auch nach schuldhaft herbeigeführter Unmöglichkeit frei werden, das angedrohte oder festgesetzte Zwangsgeld also nicht mehr festgesetzt oder beigetrieben werden können. Vgl. Rosenberg/Gaul/ Schilken, Zwangsvollstreckungsrecht, 11. Aufl. 1997, § 71 3 d, bb S. 974; Walker, in: Schuschke/Walker, Vollstreckung und Vorläufiger Rechtsschutz, 2. Aufl. 1997, § 888 ZPO Rdnr. 10, jeweils m.w.N.; a. A. Bettermann, DVB1 1969, 121; Lindacher, NJW 1980, 1400. 38 Vgl. BVerfGE 20, 323 (332 f.) zur Geldstrafe des § 890 ZPO a.F.; E 58, 159 (162 f.); E 84, 82 (87); BGH, NJW 1987, 3253 (3254) zum Ordnungsgeld des § 890 ZPO i.d.F. des Art. 98 Nr. 15 EGStGB; weiterhin BGH, NJW 1983, 1859 (1860); VGH Mannheim, NJW 1973, 1518 (1519). Hier kann deshalb nach h. M. das Ordnungsgeld auch dann noch vollstreckt werden, wenn ein weiterer Verstoß wegen Frist-

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Vollstreckungsgesetze. Das beweist augenfällig die Parallelität der Zwangsgeldhöhe. Das Zwangsgeld des Verwaltungsvollsteckungsrechts aber war von jeher auch für die Erzwingung von Unterlassungspflichten gedacht (vgl. § 11 Abs. 2 BVwVG). 3 9 Denn anders als durch Androhung, Festsetzung und Beitreibung von Zwangsgeldern lassen sich Verwaltungsakte, mit denen eine Unterlassung gefordert wird (vgl. § 6 Abs. 1 BVwVG), praktisch nicht durchsetzen.40 Im Verwaltungsvollstreckungsrecht ist deshalb anerkannt, daß ein Zwangsgeld bei Verstoß gegen das Unterlassungsgebot auch dann noch festgesetzt und beigetrieben werden kann, wenn ein weiterer Verstoß wegen Fristablaufs oder Erledigung nicht mehr möglich ist (vgl. Art. 37 Abs. 4 S. 2 BayVwVZG, § 41 Abs. 2 ThürVwVZG). Ansonsten nämlich entfiele, könnte sich der Pflichtige dem angedrohten Zwangsgeld gerade durch Verstoß gegen seine Pflicht entziehen, die Wirksamkeit einer Zwangsgeldandrohung als Beugemittel. 41 Bei der Unterlassungsvollstreckung ist Rechtsgrund der Zwangsgeldfestsetzung und -beitreibung nicht in allen Fällen der Zweck, zukünftiges konkretes Unterlassen zu erzwingen, sondern die Ernsthaftigkeit der Drohung zu unterstreichen und damit die Eignung des Zwangsgeldes als Zwangsmittel institutionell zu sichern. 42

ablauf oder Erledigung nicht mehr möglich ist. Vgl. Rosenberg/Gaul/Schilken (Fn. 37), § 73 II 3 S. 991 f. 39 Vgl. Wettlauf er, Die Vollstreckung aus verwaltungs-, sozial- und finanzgerichtlichen Titeln zugunsten der öffentlichen Hand, 1989, S. 149 f. 40 Vgl. BGHZ 120, 73 (78). 41 Vgl. OVG Magdeburg, DÖV 1996, 926 f.; OVG Münster, DVB1 1989, 889 = NVwZ-RR 1990, 17; NWVB1 1992, 71 (72 ) = NVwZ-RR 1992, 517 = DVB1 1992, 783; NWVB1 1993, 194 (196) = NVwZ-RR 1993, 671; DÖV 1996, 1009 = GewArch 1996, 473 = NWVB1 1996,484 = DVB1 1997, 674 = NVwZ-RR 1997, 764; NVwZ-RR 1997, 763 = DÖV 1997, 511; OVG Bremen, BRS 20 Nr. 201; DVB1 1971, 282; VGH Kassel, BRS 36 Nr. 212; Bettermann, DVB1 1969, 120 f.; Lemke , Verwaltungsvollstreckungsrecht des Bundes und der Länder, 1997, S. 244 f.; App/Wettlaufer, Verwaltungsvollstreckungsrecht, 3. Aufl. 1997, § 37 Rdnr. 27; Engelhardt/App, VwVGVwZG, 4. Aufl. 1996, § 15 VwVG Anm. 5; Wettlaufer (Fn. 39), S. 150 f.; Rudolph , Das Zwangsgeld als Institut des Verwaltungszwangs, 1992, S. 97 f.; Rasch, DVB1 1980, 1017 (1022); ders ., Allgemeines Polizei- und Ordnungsrecht, 2. Aufl. 1982, § 29 MEPolG Rdnr. 5; Drews/Wacke/Vogel/Martens, Gefahrenabwehr, 9. Aufl. 1986, S. 531; Hennecke, Jura 1989, 16, 64 (71); a.A. OVG Lüneburg, NVwZ-RR 1990, 605 (606) sowie DVB1 1969, 120 (für den gleich liegenden Fall der einmaligen zeitgebundenen Handlungspflicht) m. abl. Anm. Bettermann ; VGH Mannheim, DÖV 1996, 792 f. = VB1BW 1996, 418; OVG Greifswald, DÖV 1996, 927 f. = SächsVBl 1997, 189 = NVwZ-RR 1997, 762 = GewArch 1997, 26 sowie Dünchheim, NVwZ 1996, 117 ff. 42 Vgl. BVerwG, Buchholz 345, § 15 VwVG Nr. 1 (Nichtzulassungsbeschwerdebeschluß zu OVG Bremen DVB1 1971, 282): Die angefochtenen Zwangsgeldfestsetzungen überschritten die Funktion eines Beugemittels nicht; das habe das OVG - im

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Eine weitere, die Effektivität der Vollstreckung beeinträchtigende Auslegungsunsicherheit schafft § 172 VwGO dadurch, daß er - anders als die §§ 169, 170 VwGO - mit seinem Wortlaut nicht am Ziel der Vollstreckung, sondern an bestimmte Vollstreckungstitel anknüpft und damit die Vollstreckbarkeit von Prozeßvergleichen (§§ 106, 168 Abs. 1 Nr. 3 VwGO) ins Zwielicht rückt. Daß im Rahmen des § 172 VwGO Prozeßvergleiche keine tauglichen Vollstreckungstitel sein sollten, 43 kann schon wegen der Waffengleichheit der Parteien nicht richtig sein; anderenfalls wären Prozeßvergleiche zugunsten der öffentlichen Hand vollstreckbar, zugunsten des Bürgers und zu Lasten der öffentlichen Hand dagegen nicht - ein wegen Art. 19 Abs. 4 GG und § 168 Abs. 1 Nr. 3 VwGO sowie der prozeßökonomischen Unsinnigkeit, den Vollstreckungsgläubiger in einen neuen Prozeß zur Durchsetzung der Vergleichsverpflichtung zu zwingen, unmögliches Ergebnis. 44 Die h.M. wendet deshalb auch hier über § 167 Abs. 1 S. 1 VwGO die §§ 883 ff. ZPO an. 45 Auch das widerspricht dem oben herausgearbeiteten abschließenden Charakter des § 172 V w G O . 4 6 Unüberwindbare Schwierigkeiten bereitet der Wortlaut des § 172 VwGO für eine solche erweiterte Auslegung nicht. Denn nach Zweck und systematischer Stellung der Vorschrift kommt es weniger auf die Art des Vollstreckungstitels als vielmehr auf das Vollstreckungsziel an. 47 Unter Berücksichtigung des Gesetzeszwecks erscheint die vorgefundene Aufführung bestimmter Titel lediglich als die redaktionell nur unvollkommen gelungene Umschreibung des Vollstreckungszieles, nämlich die Vollstreckung wegen hoheitlicher (nicht auf Geldleistungen gerichteter) Amtshandlungen zu ermöglichen. Der Verweis in § 61 Abs. 2 S. 3 VwVfG auf die entsprechende wesentlichen in Übereinstimmung mit den Ausführungen Bettermanns, DVB1 1969, 120 f. - überzeugend dargelegt. 43 So OVG Münster, OVGE 31, 240 (242) = DÖV 1976, 170; Thomas, BayVBl 1967, 335 (339); wohl auch VGH München, BayVBl 1977, 668; Eyermann/Fröhler/ Kormann (Fn. 10), § 172 Rdnr. la. 44 So zu Recht Renck-Laufke, BayVBl 1976, 622. 45 So OVG Lüneburg, OVGE 35, 363 (365) = NJW 1980, 414 f.; VGH München, BayVBl 1981, 627 (628); VGH Mannheim, NVwZ-RR 1990, 447 = VB1BW 1990, 335; OVG Münster, DVB1 1992, 785 = NWVB1 1992, 263 = DÖV 1992, 676 = NVwZ 1992, 897. 46 So nunmehr unter Anschluß an Pietzner (Fn. 1), § 172 Rdnr. 21 OVG Münster, NWVB1 1997, 305 f. = DÖV 1997, 794 = BauR 1998, 324; im Ergebnis ebenso P. Schmidt (Fn. 10), § 172 Rdnr. 7; Redeker/von Oertzen (Fn. 10), § 172 Rdnr. 3; Kopp (Fn. 10), § 172 Rdnr. 2; Ule (Fn. 1), § 71 m S. 406; J. Schröder, Der Prozeßvergleich in den verwaltungsgerichtlichen Verfahrensarten, 1971, S. 187 f.; Renck-Laufke, BayVBl 1976, 622; Wettlaufer (Fn. 39), S. 57. Zu § 201 SGG ebenso Meyer-Ladewig (Fn. 30), § 201 Rdnr. 2. 47 So richtig OVG Münster, NWVB1 1997, 305 = DÖV 1997, 794 = BauR 1998, 324.

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Anwendung des § 172 VwGO für die Vollstreckung wegen der Erzwingung einer in einem öffentlich-rechtlichen (auch Vergleichs-)Vertrag übernommenen Amtshandlungspflicht bestätigt die hier vertretene Auslegung. 48

2. Vollstreckung der öffentlichen Hand gegen den Bürger a) Vollstreckung

von Anfechtungstiteln

Die Vollstreckung gerichtlich bestätigter Verwaltungsakte erfolgt außerhalb der Verwaltungsgerichtsordnung durch die im Anfechtungsprozeß siegreiche Verwaltungsbehörde nach dem für sie geltenden Verwaltungsvollstreckungsrecht. 49 Das zwischen Verwaltungsverfahren und Verwaltungsvollstreckungsverfahren eingeschobene Anfechtungsverfahren dient nicht selbst der Titulierung der den Bürger treffenden Pflicht, sondern lediglich der Überprüfüng und Vollstreckbarerklärung des von der Verwaltung bereits geschaffenen Titels. 50 Für Urteile, die den angefochtenen Verwaltungsakt betragsmäßig ändern, gilt nichts anderes; sie enthalten lediglich eine Mischung aus Teilkassation und Teilabweisung, die den Verwaltungsakt als Vollstreckungstitel unberührt läßt. 51 Die Verwaltungsaktsvollstreckung nach den Prinzipien der Selbsttitulierung und Selbstvollstreckung ist und bleibt also im Verhältnis zwischen Verwaltung und Bürger auch nach einer gerichtlichen Auseinandersetzung über die Rechtmäßigkeit des Verwaltungshandelns der aus der hoheitlichen Natur des

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Vgl. Ule (Fn. 1), § 71 m S. 406; P. Schmidt (Fn. 10), § 172 Rdnr. 6; OVG Münster, NWVB1 1997, 305 f. = DÖV 1997, 794 = BauR 1998, 324. 49 Vgl. statt vieler Bachof ( Fn. 12), S. 168; Redeker/von Oertzen (Fn. 10), § 169 Rdnr. 1; von Wallis , in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, § 150 FGO Rdnr. 3; Tipke/Kruse , AO/FGO, § 150 FGO Tz. 1 sowie BFHE 120, 162 (163); OVG Lüneburg, OVGE 27, 411; VGH München, BayVBl 1979, 688 (689). 50 Das die Verwaltungsvollstreckung beherrschende Prinzip der Selbsttitulierung und Selbstvollstreckung wird also trotz der Einschaltung der Judikative nicht beeinträchtigt. Denn das die Anfechtungsklage abweisende Urteil ist seinem Charakter nach ein Feststellungsurteil. Es hat - vom Kostenpunkt abgesehen (vgl. § 167 Abs. 2 VwGO) - keinen vollstreckungsfähigen Inhalt und kommt deshalb als gerichtlicher Vollstreckungstitel im Sinne des § 168 VwGO nicht in Betracht. Das Gericht tituliert die streitige Verwaltungsbefugnis nicht selbst, sondern bestätigt lediglich die von der Verwaltung vorgenommene Titulierung und gibt der Exekutive endgültig den Weg für die Selbstvollstreckung frei. 51 Vgl. BFH/NV 1995, 616 (617); Koehler (Fn. 1), § 169 Anm. EI 3 f.; von Wallis (Fn. 49), § 150 FGO Rdnr. 6; von Groll , in: Gräber, FGO, 4. Aufl. 1977, § 150 Rdnr. 1; Tipke/Kruse (Fn. 49), § 150 FGO Tz 1.

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öffentlichen Rechts ableitbare Regelfall. Hierzu stellt § 169 VwGO eine Ausnahme dar, indem er die Exekutive in beschränktem Umfang dem Prinzip der gerichtlichen Fremdtitulierung und Fremdvollstreckung unterwirft. b) Vollstreckung

von Geldleistungstiteln

(§ 169 VwGO i. V.m. §§ 1 ff. BVwVG)

Hierin unterscheidet sich die Verwaltungsgerichtsordnung von den zwei anderen öffentlich-rechtlichen Gerichtsordnungen, die eine Eigenvollstrekkung koordinationsrechtlich geprägter Ansprüche der öffentlichen Hand im Wege der Verwaltungsvollstreckung vorsehen (§ 150 FGO, § 200 Abs. 1 SGG). I m Regierungsentwurf 52 einer Verwaltungsgerichtsordnung (§ 166) las sich dies zunächst noch ganz ebenso: „Soll zugunsten einer Behörde vollstreckt werden, so richtet sich die Vollstreckung nach dem Verwaltungsvollstreckungsgesetz." Die Begründung rechtfertigte dies damit, daß das BundesVerwaltungsvollstreckungsgesetz speziell auf die Bedürfnisse der Verwaltungsbehörden abgestellt sei und deshalb an die Stelle der Zivilprozeßordnung treten könne, wenn zugunsten einer Behörde vollstreckt werden solle. 53 Daraus wird deutlich, daß in der Entwurfsfassung zunächst ebenfalls eine Eigenvollstreckung der siegreichen Behörde vorgesehen war, wie sie bei der Vollstrekkung gerichtlich bestätigter Verwaltungsakte geltendes Recht ist. Rechtfertigt sich die Eigenvollstreckung der siegreichen Verwaltungsbehörde nach Abweisung einer Anfechtungsklage aus Wesen und Eigenart der staatlichen Hoheitsgewalt, 54 so wird sie problematisch, wenn sie - unter Verstoß gegen die Grundsätze der Gleichheit und der Gleichordnung der Prozeßparteien - auch in den Fällen zugelassen wird, in denen der öffentlichen Hand zur Durchsetzung ihrer Rechte das hoheitliche Mittel des Verwaltungsakts gerade nicht zur Verfügung steht. 55 Denn § 169 VwGO erfaßt nur Ansprüche der Verwaltung, die im Wege der Leistungsklage zu realisieren sind, sowie Ansprüche aus gerichtlichen Vergleichen und Kostenerstattungsansprüche aus dem Prozeßrechtsverhältnis. § 166 EVwGO ist jedoch nicht geltendes Recht geworden. Denn § 169 Abs. 1 S. 2 VwGO legt die Vollstreckung dieser Titel in die Hände des Vorsitzenden des Gerichts des ersten Rechtszugs und hat sich damit für ein System der gerichtlichen Fremdvollstreckung entschieden. Erfolgt ist diese Umorien-

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(75).

Vgl. BT-Drucks. D3/55 S. 21. Vgl. BT-Drucks. m/55 S. 48 zu § 166. Vgl. Bettermann, JZ 1960, 355 (357 Borchert, KKZ 1977, 117 (121). Vgl. vor allem die Kritik von Gaul, JZ 1979, 496 (510); Zeiss, ZRP 1982, 74

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tierung in den systematischen Grundlagen auf Vorschlag des Innenausschusses in den Rechtsausschußberatungen, denen § 169 VwGO seine heutige Gestalt verdankt. 56 Geblieben ist leider der Verweis auf das vom System der Selbsttitulierung und Selbstvollstreckung geprägte Bundes-Verwaltungsvollstreckungsgesetz, der im System gerichtlicher Fremdvollstreckung keinen Sinn macht, sondern nur zu überflüssigen und die Effektivität des Vollstrekkungsverfahrens belastenden Schwierigkeiten in der Auslegung und Rechtsanwendung (s. nur Rn. 24, 26 f., 31, 33, 35, 37 f., 68, 89, 132 f., 139). 57 Die Wendung des § 169 Abs. 1 S. 2 VwGO, daß der Vorsitzende „Vollstreckungsbehörde i.S. des Verwaltungsvollstreckungsgesetzes ist", kann nicht als funktionelle Charakterisierung seiner Tätigkeit, 58 sondern lediglich als eine besondere Form der Verweisung auf die Befugnisse der Vollstreckungsbehörden des Bundes-Verwaltungsvollstreckungsgesetzes verstanden werden. 59 § 169 Abs. 1 S. 2 VwGO enthält deshalb keine funktionelle Zuordnung der Tätigkeit des Vorsitzenden zur Exekutive. Auch bei Ausübung dieser Zwangsbefügnisse wird der Vorsitzende als Richter tätig; seine Tätigkeit ist und bleibt gerichtliche Zwangsvollstreckung. 60 Für die Vollstreckung zugunsten der öffentlichen Hand ist also der Vorsitzende das Prozeß- oder Vollstreckungsgericht 61 ; das Gesetz ordnet hier den obligatorischen - allerdings qualifizierten Einzelrichter an. Das ist systematisch nicht sonderlich überzeugend; denn ansonsten füngiert grundsätzlich der voll besetzte Spruchkörper des Gerichts des ersten Rechtszuges, und nur soweit dies das VG ist, ist der fakultative Einzel-

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Vgl. BT-Drucks. m/1094 S. 15, 67. Vgl. Schunck/De Clerck (Fn. 18), § 169 Anm. 1: wegen der Kompliziertheit unzweckmäßig und systemwidrig. 58 So aber OVG Koblenz, AS 20, 98 (100 f.) = NJW 1986,1191. 59 Vgl. VGH Mannheim, ESVGH 23, 130 (132); VGH Kassel, ESVGH 28, 106 (109); VGH München, NVwZ 1984, 736; BayVBl 1984, 308; Korber, BayVBl 1983, 68 (69); Kopp (Fn. 10), § 169 Rdnr. 2; Redeker/von Oertzen (Fn. 10), § 169 Rdnr. 5. Vgl. auch OVG Berlin, NJW 1984,1370. 60 Vgl. VGH München, NVwZ 1984, 736; BayVBl 1987, 149; Wettlaufer (Fn. 39;, S. 146. 61 Vgl. VGH München, NJW 1983, 1077; NJW 1984, 2482; VGH Mannheim, NVwZ 1993, 73 f.; Redeker/von Oertzen (Fn. 10), § 167 Rdnr. 2, § 172 Rdnr. 5; Kopp (Fn. 10), § 169 Rdnr. 2, § 167 Rdnr. 7; ähnlich auch Sadler , VwVG, 3. Aufl. 1996, § 4 Rdnr. 5; a.A. OVG Koblenz,. AS 20, 98 (100) = NJW 1986, 1191: Vollstreckungsgericht bleibe das Gericht des ersten Rechtszuges in voller Besetzung, da der Vorsitzende nicht Gericht, sondern Behörde sei. Im Ergebnis ebenso VGH Mannheim, ESVGH 23, 130 (134); NVwZ 1993, 73; OVG Berlin, NJW 1984, 1370 f., die deshalb die Erinnerung an den vollbesetzten Spruchkörper gewähren. 57

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richter zulässig. 62 A l l das weist § 169 Abs. 1 S. 2 VwGO systematisch als lex specialis zu den §§ 6, 167 Abs. 1 S. 2, §§ 170, 172 VwGO aus. Das gilt auch für die durch die Richtervorbehalte der Art. 13 Abs. 2, 104 Abs. 2 GG erzwungene Einschaltung des Vollstreckungsgerichts vor Vollstreckungseingriffen in die Freiheit der Person und die Unverletzlichkeit der Wohnung. Die Durchsuchungsanordnung 63 wie die Anordnung der Haft zur Erzwingung der eidesstattlichen Versicherung erläßt der Vorsitzende und nicht das Gericht in voller Besetzung. Unvereinbar mit dem der Vorschrift zugrundeliegenden System der gerichtlichen Fremdvollstreckung ist die Auffassung, der Vorsitzende habe als Vollstreckungsbehörde beim Gericht des ersten Rechtzuges oder gar beim Amtsgericht den Antrag auf richterliche Vollstrekkungsdurchsuchung 64 oder Haftanordnung zu stellen. Zwar kennt das Verwaltungsvollstreckungsrecht durchaus derartige Antragsbefugnisse der Vollstreckungs-/Vollzugsbehörde beim Vollstreckungsgericht (§ 287 Abs. 4 AO für die Vollstreckungsdurchsuchung, 65 § 16 BVwVG für die Ersatzzwangshaft). Dies beruht jedoch darauf, daß das Vollstreckungsgericht hier ausnahmsweise aus Gründen des präventiven Rechtsschutzes in das Selbstvollstreckungssystem der Verwaltung eingeschaltet wird. Bei der „entsprechenden" Anwendung des Bundes-Verwaltungsvollstreckungsgesetzes im Rahmen der gerichtlichen Fremdvollstreckung darf dagegen nicht übersehen werden, daß der Vorsitzende keine Vollstreckungsbehörde, sondern das Vollstrekkungsgericht selbst ist. Es ist deshalb kein Grund ersichtlich, warum nicht er, sondern ein anderes richterliches Organ die Durchsuchungsanordnung oder die Haftanordnung erlassen sollte. 66 Da § 169 Abs. 1 S. 2 VwGO als lex specialis zu § 167 Abs. 1 S. 2 VwGO auch die gerichtliche Zuständigkeit für die Anordnung der Vollstreckungsdurchsuchung abschließend regelt, ist kein Raum für einen Rückgriff auf § 287 Abs. 4 AO n.F., 67 der für die Durchsu62

Vgl. Pietzner (Fn. 1), § 170 Rdnr. 3. Vgl. VGH München, NJW 1983, 1077; NJW 1984, 2482; Korber, BayVBl 1983, 68 (69); Hartmann, in: Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, 56. Aufl. 1998, § 758 Rdnr. 31; a. A. OVG Koblenz, AS 20, 93 (96) = NJW 1986, 1188. 64 So aber OVG Koblenz, AS 20, 93 (96) = NJW 1986, 1188; Wettlaufer (Fn. 39), S. 111. 65 Vgl. hierzu OVG Lüneburg, OVGE 35,482. 66 Dies gilt im übrigen auch im Hinblick auf die von manchen - irrtümlich (s. Fn. 68) - angenommene Zuständigkeit des Amtsgerichts. Die in der Begründung zu § 287 Abs. 4 AO n.F. (BT-Drucks. 8/3648 S. 35) betonte größere Ortsnähe des Amtsgerichts fällt zwar gegenüber den Finanzgerichten als in der Regel einzigem Gericht auf Landesebene ins Gewicht, nicht aber gegenüber den Verwaltungsgerichten der Länder. 67 Eingefügt durch Art. 13 Nr. 4 des Gesetzes zur Änderung des Einkommenssteuergesetzes, des Körperschaftssteuergesetzes und anderer Gesetze vom 20.8.1980 (BGBl I 63

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chungsanordnung das Amtsgericht für zuständig erklärt, in dessen Bezirk die Durchsuchung vorgenommen werden soll. 68 Das Gleiche gilt für die Anordnung der Haft zur Erzwingung der eidesstattlichen Versicherung und § 284 Abs. 7 AO. Als Vollstreckungsgläubigerin tritt die öffentliche Hand im Rahmen des § 169 VwGO dem Vorsitzenden als Vollstreckungsgericht grundsätzlich nicht anders gegenüber als der Private den Vollstreckungsorganen der Zivilgerichtsbarkeit. 69 Zwar weist § 169 Abs. 1 S. 2 VwGO dem Vorsitzenden des Gerichts des ersten Rechtszuges lediglich die Funktionen zu, die nach dem BundesVerwaltungsvollstreckungsgesetz der Vollstreckungsbehörde obliegen und beläßt damit für den Bereich der Vollstreckung wegen Geldforderungen der Verwaltung als Vollstreckungsgläubigerin die der sog. Anordnungsbehörde (§ 3 Abs. 4 BVwVG) nach § 3 BVwVG zukommenden Befugnisse, insbesondere den Erlaß der Vollstreckungsanordnung (§ 3 Abs. 1 BVwVG) und die dieser nach der Sollvorschrift des § 3 Abs. 3 BVwVG vorgeschalteten Mahnung. Gleichwohl werden damit der Anordnungsbehörde keine hoheitlichen Residuen belassen oder zugewiesen. Denn in der Sache stellt die Vollstrekkungsanordnung des § 3 Abs. 1 BVwVG nichts anderes dar als einen Vollstreckungsauftrag an die Vollstreckungsbehörde, 70 der im Vollstreckungsauftrag des Gläubigers an den Gerichtsvollzieher (§ 753 Abs. 2, § 754 ZPO) und dem Gläubigergesuch an das Vollstreckungsgericht sein zivilprozessuales Analogon findet. Die Vollstreckungsanordnung hat neben der Funktion, den titulierten Anspruch als vollstreckbar auszuweisen, die Aufgabe, Art und Umfang der Zwangsvollstreckung zu bestimmen. Während im Rahmen der gerichtlichen Zwangsvollstreckung nach § 169 VwGO die erste Funktion durch den verwaltungsgerichtlichen Vollstreckungstitel übernommen wird 7 1 und in-

S. 1545) in Reaktion auf die BVerfG-Rechtssprechung. Damit wurde die Durchsuchungsanordnung der Zuständigkeit der Finanzgerichte entzogen. 68 Im Ergebnis wie hier OVG Koblenz, AS 20, 93 (94 ff.) = NJW 1986, 1188; Ehlers, in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 40 Rdnr. 759, Hartmann (Fn. 63), § 758 Rdnr. 31; a.A. Wettlaufer (Fn. 39), S. 109 f.: Walker (Fn. 37). § 758 ZPO Rdnr. 25. 69 Vgl. VGH München, NVwZ 1985, 352. 70 Vgl. VGH Kassel, ESVGH 28, 108; OVG Münster, NVwZ 1984, 111; VGH München, NVwZ 1985, 352; BayVBl 1987, 149; OVG Koblenz, AS 12, 316 (318); 20, 98 (99) = NJW 1986, 1191; OVG Lüneburg, NVwZ-RR 1991, 387; VGH Mannheim, NVwZ 1993, 73 (74); OVG Magdeburg, NVwZ-RR 1995, 480; Engelhardt/App (Fn. 41), § 3 VwVG Anm. 5 a; Meyer-Ladewig, NVwZ 1984, 699; Renck-Laufke, BayVBl 1991, 44; Wettlaufer (Fn. 39), S. 94. Vgl. auch OVG Lüneburg, OVGE 31, 341 (342). 71 Vgl. Pietzner (Fn. 1), § 168 Rdnr. 3 ff.

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soweit § 3 Abs. 1 BVwVG durch § 168 VwGO verdrängt wird, 7 2 bleibt die zweite Aufgabe bestehen, so daß sich die Bedeutung der Vollstreckungsanordnung im Rahmen des § 169 VwGO auf die eines Vollstreckungsantrags beschränkt. 73 Der entstehungsgeschichtliche Hintergrund des § 3 Abs. 1 BVwVG in § 39 Abs. 1 BeitrO weist die Vollstreckungsgläubigerin als Herrin des Vollstrekkungsverfahrens aus. Sie bestimmt - wie der Vollstreckungsgläubiger im Zivilprozeß 74 - durch ihren Antrag das Ob sowie den Umfang und die Art der Vollstreckung. 75 Anders als der private Vollstreckungsgläubiger, dem § 170 VwGO zugunsten des Vollstreckungsgerichts weitgehend die Verfahrensherrschaft abgenommen hat, um das Verwaltungsvermögen vor dem öffentlichen Interesse zuwiderlaufenden Vollstreckungszugriffen zu schützen, wählt die öffentliche Hand als Vollstreckungsgläubigerin bei der Geldvollstreckung nach § 169 VwGO das Vollstreckungsobjekt (bewegliche Sache, Forderung, Grundstück) und die Vollstreckungsart (Pfändung, Zwangshypothek, Zwangsverwaltung, Zwangsversteigerung). 76 Ein Antrag auf Erlaß einer abstrakten Vollstreckungsverftigung ist deshalb unzulässig.77 Der Vorsitzende prüft neben der Aktiv- und Passivlegitimation des Gläubigers und des Vollstreckungsschuldners das Vorliegen der Vollstreckungsvoraussetzungen einschließlich der Mahnung sowie die Verhältnismäßigkeit der beantragten Vollstreckungsmaßnahmen. Das Ergebnis seiner Prüfung verlautbart er aus Gründen der Rechtsklarheit und Vorhersehbarkeit zweckmäßigerweise - in entsprechender Anwendung des § 170 Abs. 1 S. 1 und 2 VwGO - in einer Vollstreckungsverfügung. 78 Unzulässig ist dabei ein abstrakter Vollstreckungsauftrag, mit dem der Vorsitzende eine Vollstreckungsbehörde oder den Gerichtsvollzieher „mit der Durchführung der Vollstreckung beauf-

72

Vgl. Thomas, BayVBl 1967, 335 (337); Wettlaufer (Fn. 39), S. 94; Hagemann, KKZ 1990, 122(123). 73 Vgl. OVG Lüneburg, NVwZ-RR 1991, 387; Meyer-Ladewig, NVwZ 1984, 699; Wettlaufer (Fn. 39), S. 94. 74 Vgl. statt vieler Rosenberg/Gaul/Schilken (Fn. 37), § 25 IV 1 S. 421 f., § 26 H S. 443 ff. 75 Vgl. VGH Mannheim, NVwZ 1993, 73; Wettlaufer (Fn. 39), S. 95. 76 VGH Mannheim, NVwZ 1993, 73. 77 Vgl. VGH Mannheim, NVwZ 1993, 73. 78 Vgl. VGH München, BayVBl 1987, 149 (150); wohl auch NVwZ 1985, 352; OVG Koblenz, AS 20, 98 (100) = NJW 1986, 1191; OVG Lüneburg, NVwZ-RR 1991, 387; zustim. Kopp (Fn. 10), § 169 Rdnr. 2; Hagemann, KKZ 1990, 122 (123); a.A. VGH Mannheim, NVwZ 1993, 73 (74); Wettlaufer (Fn. 39), S. 97.

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tragt." 79 Die in § 169 Abs. 1 S. 2 Halbs. 2 VwGO dem Vorsitzenden erteilte Ermächtigung, für die Ausführung der Vollstreckung eine andere Vollstrekkungsbehörde oder einen Gerichtsvollzieher in Anspruch zu nehmen, beschränkt sich auf die Inanspruchnahme von Vollstreckungshilfe als einer besonderen Form von Rechts- und Amtshilfe. Keinesfalls ist dem Vorsitzenden die Delegation seiner richterlichen Vollstreckungsmacht insgesamt auf die Exekutive oder gar auf den Vollstreckungsgläubiger erlaubt. 80 Der Gesetzgeber hat in § 169 Abs. 1 VwGO der Exekutive als obsiegender Prozeßpartei die Verwaltungsvollstreckung als Selbst- oder Eigenvollstreckung versagt und sie einem System richterlicher Dritt- oder Fremdvollstreckung unterworfen. Diesem der Ermächtigungsvorschrift vorausliegenden Systemunterschied zwischen Selbst- und Fremdvollstreckung würde eine pauschale Übertragung der Vollstreckung auf eine Verwaltungsbehörde ebenso zuwiderlaufen wie dem Schutzzweck der Norm, den Bürger als Vollstreckungsschuldner der Exekutive unter den Schutz des Richters zu stellen. Der Vorsitzende als Vollstrekkungsgericht hat deshalb die Vollstreckung eigenverantwortlich zu leiten und das Verfahren so weit wie möglich und bis zu dessen Abschluß unter seiner Kontrolle zu halten. Dazu gehört vornehmlich, daß der Vorsitzende - unbeschadet der Antragsbefügnis der Behörde als Vollstreckungsgläubigerin - die Verantwortung für die Auswahl der zu ergreifenden Vollstreckungsmaßnahmen übernimmt und nicht der Exekutive überläßt. 81 c) Vollstreckung

von Erzwingungstiteln

(§ 169 VwGO i. V.m. §§ 6 ff. BVwVG)

Bei der „entsprechenden" Anwendung des Bundes-Verwaltungsvollstrekkungsgesetzes soll der Vorsitzende des Gerichts des ersten Rechtszuges nach § 169 Abs. 1 S. 2 Halbs. 1 VwGO Vollstreckungsbehörde i.S. des BundesVerwaltungsvollstreckungsgesetzes sein. Den Terminus der Vollstreckungsbehörde kennt das Bundes-Verwaltungsvollstreckungsgesetz nur für die Beitreibung (§ 4); bei der Erzwingung spricht es dagegen von „Vollzugsbehörde" (§ 7). Der dies nicht berücksichtigende Wortlaut des § 169 Abs. 1 S. 2 VwGO beruht in Anbetracht des § 169 Abs. 1 S. 1 VwGO, der beide Zweige der Verwaltungsvollstreckung erfaßt, auf einem offensichtlichen Redaktionsfehler, der 79

Vgl. OVG Koblenz, AS 10, 323 (324 f.); AS 20, 98 (100 f.) = NJW 1986, 1191; OVG Lüneburg, OVGE 27, 410 f.; OVG Münster, OVGE 32, 104 (105 f.) = NJW 1977, 727; VGH München, NVwZ 1985, 352; BayVBl 1987, 149; VGH Mannheim, NVwZ 1993, 73; Redeker/von Oertzen (Fn. 10), § 169 Rdnr. 6; Kopp (Fn. 10), § 169 Rdnr. 6. 80 Vgl. zum folgenden VGH München, BayVBl 1987, 149. 81 Vgl. Wettlaufer (Fn. 39), S. 85.

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durch eine erweiternde Auslegung zu korrigieren ist: 8 2 § 169 Abs. 1 S. 2 VwGO meint nach seinem Sinn und Zweck, der Vorsitzende solle die Befugnisse aller mit der Verwaltungsvollstreckung betrauten Behörden haben, mithin als Vollstreckungs- und Vollzugsbehörde fungieren. Deutlicher noch als bei der Beitreibung zeigt sich die Rolle der Verwaltung als Vollstreckungsgläubigerin in der Erzwingungsvollstreckung. Eine Vollstreckungsanordnung i. S. des § 3 BVwVG ist den §§ 6 ff. BVwVG unbekannt und muß es auch sein, weil § 7 BVwVG eine organisatorische Rollenverteilung zwischen Anordnungs- und Vollzugsbehörde nicht vornimmt, sondern beide Zuständigkeiten der Anordnungsbehörde zuweist. 83 Daraus folgt indes nicht, daß der Vorsitzende, wenn er als „Vollzugsbehörde" i.S. von § 169 Abs. 1 S. 2 VwGO, § 7 B V w V G agiert, nunmehr wie diese die Vollstreckung von Amts wegen einleiten dürfte. Er ist und bleibt richterliches Organ, Vollstreckungsgericht, das der aus der Neutralitätspflicht des Richters abgeleiteten Maxime „ne eat iudex ex officio" 84 verpflichtet bleibt. Hätte die VwGO hier mit der Passivitätspflicht des Richters brechen und damit eine der Grundstrukturen streitiger Gerichtsbarkeit beiseite schieben wollen, hätte sie dies wegen der strukturellen Gefahren für die richterliche Unparteilichkeit 85 und der hieraus folgenden politischen Bedeutung der Entscheidung ausdrücklich erklärt. Zu Recht wird deshalb § 169 Abs. 1 S. 2 VwGO auch für den Bereich der Erzwingung richterlich titulierter Handlungs-, Duldungs- und Unterlassungspflichten lediglich als Verweisung auf die Zwangsmittel des BundesVerwaltungsvollstreckungsgesetzes, nicht aber als Dispensation von dem auch das Zwangsvollstreckungsrecht der Zivilprozeßordnung beherrschenden 86 Antragsprinzips verstanden. 87

82 Vgl. OVG Lüneburg, VerwRspr 15 (1963), 250 f.; NVwZ-RR 1991, 387; OVG Koblenz, AS 10, 323 f.; OVG Münster, OVGE 32, 104 (105) = NJW 1977, 727; OVGE 35,244 (245 f.) = NJW 1981,2771; VGH Kassel, ESVGH 28, 106 (109); OVG Magdeburg, NVwZ-RR 1995,480; Redeker/von Oertzen (Fn. 10), § 169 Rdnr. 5; Kopp (Fn. 10), § 169 Rdnr. 2; Eyermann/Fröhler/Kormann (Fn. 10), § 169 Rdnr. 2; Schunck/De Clerck (Fn. 18), § 169 Anm. 3 a; Engelhardt/App (Fn. 41), § 7 VwVG Anni. 4. 83 Vgl. OVG Koblenz, AS 10, 323 f.; VGH Kassel, ESVGH 28, 106 (108 f.) 84 Vgl. hierzu statt vieler Bettermann, in: Gedächtnisschrift für W. Jellinek, 1955, S. 361 (371 f.). 85 Vgl. hierzu Bettermann (Fn. 84), S. 361 (372). 86 Vgl. statt vieler Rosenberg/Gaul/Schilken (Fn. 37), § 5 VI 3 S. 64 f. 87 Vgl. VGH Kassel, ESVGH 28, 106 (109); OVG Münster, NVwZ 1984, 111; OVG Lüneburg, NVwZ-RR 1991, 387; OVG Magdeburg, NVwZ-RR 1995, 480; Kopp (Fn. 10), § 167 Rdnr. 4; Redeker/von Oertzen (Fn. 10), § 167 Rdnr. 4; Eyermann/ Fröhler/Kormann (Fn. 10), § 167 Rdnr. 9; Schunck/De Clerck (Fn. 18), § 167

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Zwar obliegt die mit der Androhung zu treffende Entscheidung über die Art des Zwangsmittels und die Durchführung der Erzwingung nach den §§ 7 ff. BVwVG grundsätzlich der Vollzugsbehörde, in deren Kompetenzen der Vorsitzende als Vollstreckungsrichter durch § 169 Abs. 1 S. 2 VwGO eingewiesen wird. Das beruht jedoch darauf, daß bei der Erzwingungsvollstreckung das System der Selbsttitulierung und Selbstvollstreckung ungebrochen verwirklicht ist: Anordnungs- und Vollzugsbehörde sind identisch. Ein Bedürfnis, die Funktionen von Vollstreckungsgläubiger und Vollstreckungsorgan auseinanderzuhalten, besteht deshalb hier nicht. Bei der „entsprechenden" Anwendung der §§ 7 ff. BVwVG i m System der gerichtlichen Fremdvollstreckung nach § 169 VwGO, das zwischen den Befugnissen des antragsberechtigten Vollstreckungsgläubigers und des zwangsbefugten Vollstreckungsgerichts differenzieren muß, ist dagegen kein Grund ersichtlich, dem Vollstreckungsgläubiger die Entscheidung über die Art des Zwangsmittels abzunehmen und sie dem Vollstreckungsrichter zu übertragen. Diese Systemunterschiede werden grundlegend verkannt, wenn man aus der ungeprüften Übernahme der §§ 7 ff. BVwVG folgert, die öffentliche Hand habe als Vollstreckungsgläubigerin auf die Durchführung der Erzwingung nur noch insoweit Einfluß, als sie den Vollstreckungsantrag zurücknehmen und damit das Verfahren zum Stillstand bringen könne. 88 Bei der Erzwingungsvollstreckung übernimmt die Funktion der Vollstrekkungsverfügung die Zwangsmittelandrohung; eine besondere Vollstreckungsverfügung ist hier - wie der Vergleich zwischen § 170 Abs. 1 VwGO und § 172 VwGO zeigt - überflüssig. 89 Wegen des oben herausgestellten Verbots der Delegation richterlicher Vollstreckungsmacht kommt bei der Erzwingungsvollstreckung die Einschaltung eines Vollstreckungshelfers frühestens auf der 3. Stufe, der Zwangsanwendung, in Betracht.

3. Vollstreckung zwischen öffentlichen Händen Gehört der Vollstreckungsschuldner ebenfalls der öffentlichen Hand an, wird § 169 VwGO von den §§ 170, 172 VwGO verdrängt. Denn aus den besonderen Vorschriften, die die Verwaltungsgerichtsordnung für die Vollstrekkung gegen die öffentliche Hand bereithält, folgt, daß § 169 VwGO nur die Anm. 2 a; Meyer-Ladewig , NVwZ 1984, 699; Wettlaufer (Fn. 39), S. 138; RenckLaufte, BayVBl 1991,44. 88 So aber OVG Lüneburg, NVwZ-RR 1991, 387; ähnlich Wettlaufer (Fn. 39), S. 139; Hagemann, KKZ 1990, 122 (123). 89 Vgl. OVG Koblenz, AS 10, 323 (324); OVG Magdeburg, NVwZ-RR 1995,480.

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Vollstreckung gegen private Vollstreckungsschuldner erfaßt. 90 Die §§ 170, 172 VwGO sind abschließende Spezialregelungen für die Vollstreckung gegen die öffentliche Hand. Wegen ihrer spezifischen Schutzzwecke gelten sie auch dann, wenn der Vollstreckungsgläubiger seinerseits der öffentlichen Hand zuzurechnen ist und an sich über § 169 VwGO nach den Regeln des Verwaltungsvollstreckungsrechts vollstrecken lassen könnte. Eine Lösung des Konkurrenzverhältnisses durch Aufpfropfen des Vollstreckungsschutzes aus § 170 VwGO auf das Vollstreckungsrechtsregime des § 169 VwGO 9 1 oder durch Kombination der §§ 169, 172 VwGO scheidet aus. Denn die Vorschriften sind wegen ihres nicht kompatiblen Inhalts (§ 169 Abs. 1 S. 2 VwGO: Vorsitzender - § 170 Abs. 1 S. 1, § 172 S. 1 VwGO: Gericht in voller Besetzung; § 169 VwGO: alle Zwangsmittel der § 9 BVwVG - § 172 S. 1 VwGO: nur Zwangsgeld) nicht kumulierbar. Darüber hinaus widerspricht die Anwendung von Verwaltungszwang gegenüber Behörden und juristischen Personen des öffentlichen Rechts - wie § 1 Abs. 2, § 5 Abs. 1 (i.V.m. § 255 AO) und § 17 BVwVG zeigen - den Grundstrukturen des Verwaltungsvollstreckungsrechts wie dem grundsätzlich koordinationsrechtlich geprägten Verhältnis zwischen Hoheitsträgern und bedarf einer spezialgesetzlichen Regelung, die sich in den §§ 170, 172 VwGO findet. 92

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Vgl. VGH Kassel, NJW 1976, 1766 (LS 1); Pietzner (Fn. 1), § 170 Rdnr. 7, § 172 Rdnr. 24; Kopp (Fn. 10), § 169 Rdnr. 1; Redeker/von Oertzen (Fn. 10), § 169 Rdnr. 1; Bank (Fn. 10), S. 68; a.A. Thomas, BayVBl 1967, 335 (338); Schunck/De Clerck (Fn. 18), § 169 Anm. 1, § 170 Anm. 1; Wettlaufer (Fn. 39), S. 47; P. Schmidt (Fn. 10), § 169 Rdnr. 1, § 170 Rdnr. 6. Das ist auch h.M zu § 198 SGG (i.V.m. § 882 a ZPO) und § 200 SGG; vgl. Meyer-Ladewig (Fn. 30), § 200 Rdnr. 2 m.w.N. Die Systembrüche, die aufscheinen, wenn man die §§ 169, 170 VwGO miteinander kombiniert (so z.B. Wettlaufer (Fn. 39), S. 98 f.), widerlegen die Gegenansicht mit Deutlichkeit. 91 So aber Thomas, BayVBl 1967, 335 (338); SchunchDe Clerck (Fn. 18), § 170 Anm. 1, § 169 Anm. 1; P. Schmidt (Fn. 10), § 169 Rdnr. 1, § 170 Rdnr. 6; Wettlaufer (Fn. 39), S. 47. 92 Ausdrücklich geregelt ist das Problem dagegen in § 151 Abs. 1 S. 1 Halbs. 2 FGO, der die Vollstreckungsnorm zugunsten der öffentlichen Hand als Abgabenberechtigte (§ 150: Vollstreckung nach der AO durch die Finanzämter) unberührt läßt und damit dieser den Vorrang gibt. Vgl. Röhn, BB 1974, 1334 (1436); Tipke/Kruse (Fn. 49), § 151 FGO Tz. 1; Schwarz, in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, § 151 FGO Rdnr. 3.

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4. Vollstreckung zwischen Bürgern Will dagegen ein Privater gegen einen Privaten 93 vollstrecken (Hauptfälle: Vergleiche 94 oder Kostenfestsetzungsbeschlüsse 95 aus Prozessen zwischen Staat und Bürger, zu denen ein privater Dritter beigeladen war), 9 6 richtet sich die Vollstreckung aus einem der in § 168 VwGO genannten Titel über § 167 Abs. 1 S. 1 VwGO nach dem 8. Buch der ZPO, 97 wobei die Geldvollstreckung nach den §§ 8o3 ff. ZPO, die Erzwingungsvollstreckung nach den §§ 883 f f ZPO abläuft. Hier muß sich also der Vollstreckungsgläubiger grundsätzlich an den Gerichtsvollzieher wenden (§ 753 ZPO). Das Verwaltungsgericht des ersten Rechtszuges ist nur ausnahmsweise zuständig, z.B. als Vollstreckungsgericht (§ 167 Abs. 1 S. 2 VwGO) für die Vollstreckung in Forderungen (§ 828 ff. ZPO), für die Erteilung von Durchsuchungsanordnungen sowie als Prozeßgericht des ersten Rechtszuges für die Erzwingungsvollstreckung nach den §§ 887, 888, 890 ZPO 9 8 und den Vollstreckungsrechtsschutz entsprechend §§ 767, 769 ZPO. 9 9

I I I . Bewertung des Systems Das verwaltungsgerichtliche Vollstreckungssystem ist unnötig kompliziert und - wie gezeigt - durch zahllose Auslegungsstreitigkeiten belastet. Der spezifische Vollstreckungsschutz für die öffentliche Hand fordert eine Sonderregelung nach Art des § 170 VwGO nicht. Es ist kein durchschlagendes Argument dafür ersichtlich, warum die Durchführung des Vorverfahrens nicht - wie in § 882a Abs. 1 ZPO - in die Hände des Vollstreckungsschuldners gelegt werden sollte. 100 § 170 VwGO könnte deshalb ersatzlos gestrichen werden. Der in § 167 Abs. 1 S. 1 VwGO enthaltene Verweis auf § 882a ZPO 93

Hierzu zählen auch öffentlich-rechtliche Kreditinstitute (vgl. § 170 Abs. 4 VwGO) und der Fiskus. Vgl. z.B. OVG Lüneburg, NJW 1969, 205 f. 94 Vgl. BVerwG, NJW 1986, 1125 = BayVBl 1986, 154; NJW 1992, 191; OVG Münster, NVwZ-RR 1994, 619. 95 Vgl. VGH Kassel, NJW 1995, 1107. 96 Vgl. Pietzner (Fn. 1), Vorb § 167 Rdnr. 29, § 172 Rdnr. 19 m.w.N. 97 Neuerdings offengelassen, ob nicht auch eine analoge Anwendung der §§ 169 ff. denkbar sein könnte, von OVG Münster, OVGE 44,105 (106) = NVwZ-RR 1994, 619. 98 Vgl. BVerwG, NJW 1986, 1125 = DÖV 1986, 248 = BayVBl 1986, 154; VGH München, NVwZ 1982, 563 (564). 99 Vgl. VGH Kassel, NJW 1995, 1107ff. 100 Vgl. Pietzner (Fn. 1), § 170 Rdnr. 44. 30 FS Blümel

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i.V.m. der durch § 167 Abs. 1 S. 2 VwGO sichergestellten Zuständigkeit der Fachgerichtsbarkeit auch für das Vollstreckungsverfahren wäre eine ausreichende und die Rechtseinheit fordernde Regelung. Das Gleiche gilt für § 169 VwGO: Der Verweis auf das für eine gerichtliche Vollstreckung systemfremde Verwaltungsvollstreckungsrecht erzeugt eine schwerwiegende Rechtsunsicherheit; demgegenüber stellt die Zivilprozeßordnung ein erprobtes und in seiner Effizienz z.T. deutlich besseres Vollstreckungsinstrumentarium zur Verfügung, das zudem den Vorteil hat, daß es dem Bürger aus der Rechtsdurchsetzung unter seinesgleichen vertrauter ist als die Mittel des Verwaltungsvollstreckungsrechts. § 172 VwGO müßte wegen seines mißglückten Wortlauts redaktionell überarbeitet werden. 101 Da auch hier die Anwendung der §§ 883 ff. ZPO zu befriedigenden Ergebnissen geführt hat, wäre zu überlegen, ob nicht statt dessen § 172 VwGO gestrichen und § 167 Abs. 1 VwGO um eine Regelung ergänzt werden sollte, die bei der Erzwingungsvollstrekkung gegen die öffentliche Hand die Verhängung von Ersatzhaft ausschließt.

101

Vgl. Pietzner (Fn. 1), § 172 Rdnr. 62.

Die Ursprünge des deutschen Eisenbahnrechts Von Günter Püttner

Den langjährigen Vorsitzenden des Arbeitskreises Eisenbahnrecht bei der DB 1 wird die Herausbildung des deutschen Eisenbahnrechts im 19. Jahrhundert sicherlich noch mehr interessieren als die anderen Leser dieser Festschrift. Der Beginn des Eisenbahnbaus fällt in die Periode des frühen Konstitutionalismus oder des Vormärz, aus der die Staatsrechtler normalerweise über anderes berichteten 2 als über das - durchaus revolutionäre - Entstehen des damals und heute wieder modernen Verkehrsmittels Eisenbahn. Wer aber die Zeit von 1830 bis 1848 wirklich verstehen will, darf nicht nur das Hambacher Fest (1832) und das Paulskirchenparlament betrachten, sondern eben auch die Schaffung des deutschen Binnenmarktes über den Zollverein (1834) und das ihn wirklich zu einem Markt zusammenschweißende Verkehrsmittel, die Eisenbahn.

I. Eisenbahn ohne Eisenbahnrecht? Eisenbahn und Eisenbahnrecht sind nicht das Gleiche und haben sich je gesondert entwickelt. Wer der landläufigen Auffassung folgt, zuerst spreche immer das Leben und der Gesetzgeber sowie die Rechtslehre hinkten um einiges hinterher, wird von der Vermutung ausgehen, daß es sich auch im Eisenbahnwesen so verhalten habe, aber er irrt. Zwar stammt das erste größere Werk, das sich Eisenbahnrecht nennt 3 , und das im Vorwort für sich in Anspruch nimmt, die erste Darstellung des Eisenbahnrechts zu sein, aus dem

1 Willi Blümel gehört seit Ende der sechziger Jahre dem Arbeitskreis Eisenbalmrecht bei der DB an und führt dort seit 1986 den Vorsitz. 2 Vgl. die ins einzelne gehende Darstellung von Hans Boldt, Deutsche Staatslehre im Vormärz, 1975. 3 Es stammt von August B essei und Eduard Kühlwetter und nennt sich: Das preußische Eisenbahnrecht, erschienen in Köln 1855.

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Jahre 1855, als die Jungfernfahrt von Nürnberg nach Fürth schon zwanzig Jahre zurücklag, aber Gesetzgebung und Verwaltung haben viel früher auch rechtlich gesprochen. Die ersten Konzessionen für die erwähnte Strecke Nürnberg/Fürth, für die erste große Strecke Dresden/Leipzig (gebaut 1835-1839) und für die erste preußische Strecke Berlin/Potsdam (eröffnet 1838) sind freilich als Einzelkonzessionen ergangen und heute höchstens in Archiven auffindbar; immerhin gab es seit 1836 allgemeine Bedingungen dafür. Aber der preußische Gesetzgeber hat recht bald die Zweckmäßigkeit, wenn nicht Notwendigkeit einer allgemeinen Regelung erkannt und noch im Jahr der Eröffnung der ersten preußischen Eisenbahn das „Gesetz über die Eisenbahn-Unternehmungen" (PrEisG) erlassen 4, nicht zuletzt, um sich trotz des Eisenbahnbaus durch die privaten Aktiengesellschaften (dazu anschließend) Einfluß auf den Bahnbau und die Bahnen zu sichern. 5 Vorangegangen waren in Preußen das Regulativ vom 25.2.1835 und die Cabinetsordre vom 4.4.1837, die sich mit der Bildung der Aufsichtsbehörden u.a. für den Eisenbahnbau befaßten. 6 Man kann also von einem Hinterherhinken des Rechts nicht ausgehen, sondern hat an einer parallelen Entwicklung von Eisenbahnbau und Eisenbahnrecht festzuhalten. Das ist auch nicht verwunderlich. Denn wenn es zur Verwirklichung eines Projekts hoheitlichen Handelns bedarf (damals: der Ausübung des Expropriationsrechts; heute: der Planfeststellung), dann muß die notwendige rechtliche Grundlage geschaffen werden, bevor das Vorhaben verwirklicht wird. So ist der Errichtung der Magnetschwebebahn-Versuchsstrecke im Emsland das „Gesetz über den Bau und den Betrieb von Versuchsanlagen zur Erprobung von Techniken für den spurgeführten Verkehr" vom 29. Januar 1978 (BGBl I S. 241) vorangegangen. Nunmehr dient als Vorlauf und Grundlage für die geplante Magnetschwebebahn Berlin - Hamburg (aber de iure nicht nur für diese) das „Gesetz zur Regelung des Planungsverfahrens für Magnetschwebebahnen" (Magnetschwebebahnplanungsgesetz - MBP1G) vom 23. November 1994 (BGBl I S. 3486). Das Gesetz kann natürlich nicht garantieren, daß die vorgesehene oder eine andere Magnetschwebebahn wirklich gebaut wird. Insofern unterscheiden sich die heutigen allgemein geltenden Gesetze von den Einzelverleihungen der Ursprungszeit des Eisenbahnwesens, die immer erst erteilt

4 Gesetz vom 3. November 1838, PrGS S. 505 (abgedruckt auch bei Bessel/Kühlwetter [Fn. 3], Zweither Theil, S. 284 ff.). - Hans Willkomm, Die rechtliche Ausgestaltung des deutschen Eisenbahnwesens, Berlin 1926, S. 10, bezeichnet das Gesetz als „in seinem ganzen Umfange eine gesetzgeberische Leistung ersten Ranges". 5 Vgl. Herman Klomfass, Die Entwicklung den Staatsbahnsystems in Preußen, 1901, S. 5 f.; auch K. Fritzsch, Das deutsche Eisenbahnrecht, 2. Aufl., 1928, S. 14 ff. 6 Vgl. die Nachweise bei Bessel/Kiihlwetter (Fn. 3), Zweither Theil, S. 14.

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wurden, wenn der Bau der vorgesehenen Eisenbahn gewährleistet erschien. Aber schon das erwähnte preußische Eisenbahngesetz von 1838 war, wie gesagt, ein allgemeines Gesetz und kann in Deutschland als Wiege des Eisenbahnrechts gelten. Da es an juristischer Literatur bei Erlaß dieses Gesetzes noch fehlte, kommt dem Gesetz richtungweisende Bedeutung auch hinsichtlich des Rechtsbereichs zu, der sich als spezifisches Eisenbahnrecht von da an herausschälte. Man findet im Gesetz von 1838 Verwaltungsrecht, insbesondere Wirtschaftsaufsichtsrecht, aber auch Aktienrecht und zivilrechtliches Transportrecht. Wohin sich insbesondere im Spannungsfeld von öffentlichem und privatem Recht das Eisenbahnrecht entwickeln würde, war noch nicht ganz klar und wurde von zwei anschließend näher zu behandelnden Fragen, der öffentlichen oder privaten Trägerschaft sowie der prägenden Kraft des Aktienrechts maßgebend beeinflußt.

IL Wer sollte die Eisenbahnen bauen und betreiben? Heute, im Zeitalter der Privatisierung, unter deren Stern die jüngste Bahnreform stand, mag die Antwort auf die in der Überschrift gestellte Frage fast selbstverständlich lauten: die private Wirtschaft. Und die Verfechter der modernen „Ordnungspolitik" pflegen auch die Geschichte des Eisenbahnwesens so darzustellen, daß die Eisenbahnen ursprünglich privater Initiative entsprungen und erst später vom Staat usurpiert worden seien. Wer einen näheren Blick auf die damalige Diskussion und die damaligen Realitäten wirft, gewinnt einen durchaus anderen Eindruck. Wirtschaftswissenschaftler und Wirtschaftspolitiker greifen in diesem Zusammenhang gern auf den großen Befürworter des Eisenbahnbaus im 19. Jahrhundert zurück, den Volkswirt Friedrich List. Diesem ging es indessen mehr um den Bau der Eisenbahnen als solcher um ihrer volkswirtschaftlichen Bedeutung willen, und zwar im Zusammenhang mit der Bildung und Verwirklichung des Zollvereins 7 , weniger dagegen um die Frage der Trägerschaft, zumal sich List besonders auf die amerikanischen Erfahrungen stützte. Er hielt allerdings im Prinzip, wie eine Fußnote zeigt, Privatgesellschaften für geeigneter, die Bahnen zu führen, als den Staat; er konzedierte aber Ausnah-

7

Zollverein und Eisenbahnsystem sind siamesische Zwillinge, schrieb List (nach Walter Braeuer in: Neue Deutsche Biographie, Bd. 14, 1984, zu Friedrich List, S. 694/696).

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men bei fehlendem Unternehmergeist oder fehlendem Unternehmerwissen, wofür er auch zwei amerikanische Beispiele nennen konnte.8 Besonderen Stellenwert maß er der Trägerschaftsfrage aber nicht zu. Emsig war List bemüht, die Bedenken gegen die Sinnhafitigkeit des Eisenbahnbaus zu zerstreuen, wie sie von vielen Beteiligten nicht nur mit Hinweis auf das wirtschaftliche Risiko, sondern auch unter Bezweiflung des Nutzens von Eisenbahnen vorgebracht wurden. 9 Da List eine profunde Antwort auf die Trägerschaftsfrage nicht liefert, muß nach anderen Quellen gesucht werden. Der Jurist tut gut daran, auf zeitgenössische Autoren zurückzugreifen, die die Frage der Eisenbahn-Trägerschaft unter Einschluß rechtlicher Aspekte behandelt haben. Unter diesen ragt ein Mann heraus, der auch in der preußischen Staatspolitik als Liberaler eine Rolle spielte, David Hansemann. Er gab 1837 eine Schrift heraus mit dem Titel: „Die Eisenbahnen und deren Aktionäre in ihrem Verhältnis zum Staat", die sich als Ratschlag an die Staatsregierung versteht. Hansemann war, wie seine Einleitung zeigt, wie List vom Nutzen der Eisenbahnen überzeugt (im Gegensatz zu vielen damaligen Zeitgenossen) und legt in einem ersten Teil unter Vorlage genauer Berechnungen die Vorteile des neuen Verkehrsmittels dar. Ebenso ausführlich kalkuliert er die angemessenen Transportpreise nach volkswirtschaftlichen Überlegungen. Nach Darlegung des politischen Nutzens der Bahnen für Preußen kommt Hansemann zum Kern der Sache, nämlich wer die Eisenbahnen bauen solle (S. 41 ff.). Da „Gesichtspunkte des öffentlichen Wohls" höher stehen müßten als die „Privat-Spekulation" und weil die Preise so festgesetzt werden müßten, daß sie nur den laufenden Betrieb, nicht aber die Amortisation der Anlagen decken, solle der Staat die Eisenbahnen bauen. Man sieht: Was heute unter dem Stichwort der Trennung vom Fahrweg und Betrieb als Neuigkeit ausgegeben wird, stand Hansemann bereits deutlich vor Augen. Im folgenden untermauert Hansemann seine Ansicht mit Argumenten der Risikoverteilung, der gleichmäßigen Förderung aller Regionen, der Verständigung mit der Post (die auch Verkehr betrieb), der Parallele zum Straßeneigentum und der sachgerechten Finanzierung. Jeder Abschnitt schließt mit dem stereotypen, jeweils leicht abgewandelten Satz: Daher baue der Staat die Eisenbahnen.

8 In: über ein sächsisches Eisenbahnsystem, 1833, abgedruckt in: Friedrich List Werke, Bd. m, 1929, S. 155 ff. (S. 159, Fn. 1). 9 Vgl. z.B. die Schildeningen bei Herman Klomfass (Fn. 5), S. 1 ff.

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Bekanntlich konnte sich Hansemann vor allem aus Finanzierungsgründen unmittelbar nicht durchsetzen, und zwar schlicht deshalb, weil der (preußische) Staat das nötige Geld nicht verfügbar hatte. Hansemann plädierte für eine entsprechende Kreditaufnahme durch den Staat (S. 46), die aber daran scheiterte, daß der König nach den napoleonischen Kriegen mit ihrer verheerenden öffentlichen Verschuldung feierlich gelobt hatte, keine neuen Anleihen mehr aufzunehmen (jedenfalls nicht ohne besondere Genehmigung der Reichsstände)10. Also wurden unter der Aufsicht des Staates Aktiengesellschaften mit privaten Aktionären für den Bau der einzelnen Bahnstrecken gebildet, aber mit der Maßgabe, daß der Staat die Bahnen später sollte erwerben können. 11 Damit war der Weg offengehalten für eine spätere, am Gemeinwohl orientierte Führung der Eisenbahnen.12 Vorerst sollte den öffentlichen Interessen durch eine Beteiligung des Staates an der Planung der Bahnstrecken unter Berücksichtigung auch weniger attraktiver Regionen Rechnung getragen werden, wofür Hansemann wiederum auf die planerische Praxis in den USA und England verweist. 13 Der Einfluß des Staates auf den Bau und den Betrieb der Eisenbahnen sollte also trotz zunächst privater Finanzierung und Regie nicht verlorengehen. Der Bau und Betrieb der Eisenbahnen durch kapitalsammelnde Aktiengesellschaften unter Einfluß des Staates und späterem Übergang der Bahn auf den Staat läßt sich folglich mit der heutigen privaten Vorfinanzierung von Verkehrsprojekten 14 in etwa vergleichen.

10 Vgl. das Staatsschuldenedikt vom 17.1.1820 (GS S. 9). - Aus dem gleichen Grunde wurde 1846 die preußische Staatsbank nicht als reine Staatsbank, sondern nur als staatlich geleitete Bank mit privaten Aktionären errichtet (vgl. Walther Wilhelm, Die Reichsbank, Leipziger iur. Diss. 1909, S. 10), eine Rechtsgestaltung, die nach Überführung der Bank auf das Reich 1875 beibehalten wurde und erst 1945 mit dem Untergang der Reichsbank endete. 11 Vgl. § 42 PrEisBG (aaO); im einzelnen dazu Hansemann, Die Eisenbahnen und deren Aktionäre in ihrem Verhältnis zum Staat, 1837, S. 69 ff; auch Willkomm (Fn. 4), S. 9 f. 12 Darauf weist Klomfass (Fn. 5), S. 6 ff. mit Nachdruck und unter Hinweis auf Vorgänge in England hin, wo der Staat nur mit Mühe ein Minimum an Einfluß wahren konnte. Natürlich spielten auch militärisch-strategische Überlegungen eine Rolle. Vgl. im übrigen Klaus Bracht, Der Bau der ersten Eisenbahnen in Preußen, Berlin 1998 (bei Abschluß des Manuskripts noch nicht erschienen). 13 Vgl. Hansemann (Fn. 11), S. 54 f. 14 Vgl. Klaus Gfvpp, Rechtsprobleme der Privatfinanzierung von Verkehrsprojekten, DVB1 1994, S. 140 ff.; Günter Püttner, Die Privatfinanzierung öffentlicher Vorhaben - Weg oder Irrweg?; in: Staat, Wirtschaft, Steuern, Festschrift für Karl Heinrich Friauf, 1997, S. 729 ff.

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III. Das Eisenbahnrecht im Schlepptau des Aktienrechts Infolge der dargestellten Entwicklung bildete sich das eigentliche Eisenbahnrecht zunächst im Rahmen des gerade erst im Werden begriffenen Aktienrechts heraus. Aktiengesellschaften, in Frankreich unter dem Code de Commerce bereits allgemein zugelassen, bedurften in Deutschland jeweils einer besonderen landesherrlichen Genehmigung und waren vor dem Beginn des Eisenbahnbaus ausgesprochen selten. Nunmehr bildeten sie die rechtlichwirtschaftliche Grundlage für eben diesen Eisenbahnbau15. So überrascht es nicht, daß das Aktienrecht sich nun entfaltete; am 9.11.1843, also fünf Jahre nach Erlaß des Eisenbahngesetzes, erging das preußische „Gesetz über die Aktiengesellschaften" (GS S. 341). Das Gesetz behielt zwar den Vorbehalt der Einzelgenehmigung bei (§ 1 Abs. 1), öffnete aber doch die Tür für die Ausbreitung der Aktiengesellschaft; der Durchbruch vom Konzessionssystem zum System der Normativbestimmungen, also der Freiheit der Gründung von Aktiengesellschaften, gelang erst mit dem ADHGB von 1861. Prüft man beide Gesetze (PrEisG und AktG) näher, so wird zwar ein gewisser Zusammenhang zwischen ihnen erkennbar; eine Art Abhängigkeit des einen vom anderen zeigt sich jedoch nicht. Vielmehr beschränkt sich das Aktiengesetz auf die Regelung der internen Rechtsverhältnisse und des Status der Aktiengesellschaft, ohne auch nur irgendwie auf das Eisenbahnwesen und die Aufsicht über die Eisenbahnen einzugehen. Umgekehrt befaßt sich das Eisenbahngesetz von 1838 nur aus dem Blickwinkel der Staatsaufsicht mit der Aktiengesellschaft, ohne deren Eigenleben zu berühren. Ganz offensichtlich war (schon) der damalige Gesetzgeber bemüht, Eisenbahnrecht und Aktienrecht deutlich zu trennen und jede Abhängigkeit des Eisenbahnrechts vom Aktienrecht zu vermeiden. Eine gegenteilige Regelung wäre angesichts der Vorgeschichte des Aktienrechts, die manche Staatsnähe aufleuchten läßt 16 , durchaus möglich gewesen. Diesen Befund bestätigt das zitierte Werk von David Hansemann: Es befaßt sich eingangs mit Eisenbahnpolitik, insbesondere dem Wert der Eisenbahnen. Nach der Forderung, der Staat solle die Bahnen bauen (s. oben), folgt ein Abschnitt über die Anlage der Bahnen durch Privatgesellschaften, der sich aber auf die Einflußrechte des Staates konzentriert und auf das Aktienrecht als solches nur beiläufig eingeht. Es schließen sich Passagen an über KonkurrenzLinien, Expropriation und Sicherheitsfragen; nur wenige Seiten behandeln, 15

Vgl. Hansemann (Fn. 11). Vgl. Karl Lehmann, Die geschichtliche Entwicklung des Aktienwesens bis zum Code de Commerce, 1895. 16

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fast beiläufig, das eigentliche Aktienrecht. Von einer Vereinnahmung des Eisenbahnrechts oder auch nur einer Abhängigkeit desselben vom Aktienrecht kann keine Rede sein. Umgekehrt hat aber auch das Eisenbahnrecht nur maßvoll auf die Ausbildung des Aktienrechts eingewirkt.

IV. Die Konturen des sich entwickelnden Eisenbahnrechts Das eigentliche Eisenbahnrecht stellt sich damit als Eisenbahnverwaltungsrecht dar; es geht um die Einflußnahme des Staates auf Bau und Betrieb der Eisenbahnen i m Allgemeininteresse. 1. So hatte nach § 1 PrEisG die sich bildende Gesellschaft neben der Größe des Actien-Capitals die „Hauptpunkte der Bahnlinie" anzugeben, die dann vor Erteilung der landesherrlichen Genehmigung einer Prüfung unterzogen wurden. Der landesrechtlichen Genehmigung bedurfte auch das Statut der Gesellschaft, wobei das Gesetz (§ 3) hinzufügt: „es muß 17 jedoch zuvor der Bauplan im Wesentlichen festgestellt worden sein". In der Folge war dann die Genehmigung der Bahnlinie „ i n ihrer vollständigen Durchführung durch alle Zwischenpunkte" durch das Handelsministerium vorbehalten (§ 4) einschließlich der Art der Fahrzeuge. Zwar sind Genehmigungskriterien nicht genannt, aber aus der Regelung insgesamt läßt sich ablesen, daß Linienführung und Konstruktion der Bahn i m öffentlichen Interesse einer genauen Kontrolle unterworfen sein sollte, sicherlich mit dem Ziel, eine gleichmäßige Entwicklung aller Landesteile zu gewährleisten. Im folgenden werden dann Zweigbahnen, die Emission weiterer Aktien, die Veräußerung von Grundstücken und einiges mehr der landesherrlichen Genehmigung unterworfen (§§ 5 ff.). Im Gegenzug wurde der Gesellschaft bei Scheitern freihändigen Grundstückserwerbs das „Expropriationsrecht" verliehen (§ 8) 1 8 ergänzt durch Benutzungsrechte während der Bauzeit. Das PrEisG verweist wegen des Enteignungsverfahrens auf das ALR bzw. entsprechendes rheinisches Recht und unterwirft die Weitabschätzung der Entscheidung durch regierungsbestellte „Taxatoren" (§ 11) mit der Einräumung gerichtlichen Rechtsschutzes nur für den Eigentümer, nicht für die Bahngesellschaft. Inner17

Bei Bessel/Kühlwetter ([Fn. 3], II, S. 285) steht das Wort als „muss". Ob mit dieser Schreibweise ein Vorgriff auf die Rechtschreibreform genommen werden sollte, hat sich nicht ermitteln lassen. 18 Interessanterweise wurden Anlagen, die „nur das Privatinteresse der Gesellschaft angehen", wofür „Warenmagazine beispielhaft genannt sind, vom Expropriationsrecht ausgenommen (§ 8, letzter Satz).

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halb der verschiedenen näher geregelten Einzelheiten fällt aus heutiger Sicht das „Wiederkaufsrecht" des Eigentümers, der freiwillig verkauft hat, im Falle der späteren Entbehrlichkeit des Grundstücks für den Bahnbetrieb auf (§§ 16 ff.). Anschließend wendet sich das Gesetz wieder dem eigentlichen Eisenbahnbetrieb zu. Das Handelsministerium sollte Fristen für den Fortschritt und die Vollendung der Anlage festsetzen und sie durch Bürgschaften absichern lassen (§21). Damit wird klargestellt, daß die Gesellschaft nicht nur berechtigt, sondern auch verpflichtet wurde, die Bahn zu bauen. Da man aber damals wie heute Investitionen nicht erzwingen konnte oder kann, wurde für den Fall der Nichtvollendung der Bahn die Versteigerung der (unfertigen) Anlage vorgesehen (ebenfalls § 21). Die Eröffnung der fertiggestellten Bahn durfte wiederum nur mit Genehmigung der Regierung nach vorgenommener Revision erfolgen

(§ 22). Die nachfolgenden Vorschriften beschäftigen sich mit den Regeln für den Betrieb der Bahn, insbesondere mit der ordnungsmäßigen Unterhaltung der Anlagen (§ 24), der Haftung für die Schädigung Dritter (§ 25) und der Verleihung der „Handhabung der Bahnpolizei" an die Gesellschaft (§ 23). Zur Sicherung der Wirtschaftlichkeit des Betriebs wurde der Gesellschaft für die ersten drei Betriebsjahre Schutz vor Konkurrenz auf der Strecke (also das alleinige Transportrecht) zugesichert und das Recht zugestanden, die Preise für den Personen- und Güterverkehr „nach ihrem Ermessen" festzusetzen, wenn auch mit einigen Auflagen (§ 26). Nach drei Jahren sollten dann gegen Zahlung des im Gesetz näher bestimmten „Bahngeldes" auch andere Transportunternehmen zum Betrieb auf der Strecke zugelassen werden können (§ 27; zur Berechnung des Bahngeldes § 29), eine Regelung, die angesichts der neueren EU-geförderten Netzzugangsrechte („Third Part Access") außerordentlich modern anmutet. Parallelbahnen sollten erst nach dreißig Jahren genehmigt werden (§ 44). Im übrigen schließt sich eine Preisbindungsregelung dergestalt an, daß der Reingewinn 10 % des Anlagekapitals nicht sollte überschreiten dürfen, eine vom öffentlichen Interesse her verständliche Regelung (§§ 32, 33). Demgemäß hatte die Gesellschaft nach Vorgaben des Handelsministeriums Rechnung zu führen und diese jährlich der Regierung vorzulegen (§ 34). Für heutige Verhältnisse etwas befremdlich mutet die Vorschrift an, daß Streitigkeiten zwischen einer Bahngesellschaft und Privaten über Bahngeld und Tarife von der Regierung bzw. dem Handelsministerium entschieden werden sollten (§ 35). Die nachfolgenden Vorschriften regeln das schwierige Verhältnis der Bahnen zur Post, genauer zu dem „aus dem Postregale entspringenden Vorrechten des Staates", die nun zurücktreten mußten, aber gegen Ausgleichszahlungen und gebunden an Beförderungspflichten der Bahnen (§§ 36 ff.). Daß die Bah-

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nen von der „Entrichtung einer Gewerbesteuer" befreit wurden (§38 Abs. 2), liest man einige Jahrzehnte nach Abschaffung aller „Steuerprivilegien" öffentlicher Unternehmen und im Zeitpunkt des teilweisen Endes defr Gewerbesteuer nicht ohne Gemütsbewegung. Die Regelung war wohl als Anschubförderung gedacht, was sich daraus ablesen läßt, daß in einer der nachfolgenden Vorschriften (§ 40) gesagt wird, daß nach vollendeter Amortisation der Bahnanlage das Bahngeld die Kosten der Unterhaltung und Verwaltung der Bahn nicht sollte übersteigen dürfen. Es folgt dann die bereits erwähnte Bestimmung über das Recht des Staates zum Ankauf der Bahnen (§ 42), von dem später (in den achtziger Jahren des vorigen Jahrhunderts) umfassend Gebrauch gemacht wurde. Hierfür war, anders als für „Demolirungen" durch den Feind (§ 43), volle Entschädigung vorgesehen. Der Kurs in Richtung auf die Staatsbahn war somit eindeutig vorgezeichnet. Die im Gesetz vorgesehenen zahlreichen Genehinigungsvorbehalte und Beaufsichtigungen, für die es einen ständigen „Conunissarius" geben sollte (§ 46), muten heute vielleicht etwas übertriebein an, erklären sich aber nicht zuletzt aus der Unsicherheit heraus, wie sich der damals völlig neue Bahnbau und -betrieb entwickeln werde. So erklärt sich auch der Vorbehalt weiterer Regelungen nach Maßgabe gesammelter Erfahrungen (§ 49). Jedenfalls bestätigt dieser Regelungsstil die eingangs gegebene Qualifikation des Eisenbahnrechts als einer Materie des Verwaltungsrechts, des obrigkeitlichen Beaufsichtigungs- und Steuerungsrechts. Man mag streiten, ob das Gesetz ein „großer Wurf' gewesen ist. Jedenfalls war es mit Sorgfalt verfaßt, und es hat sich über Jahrzehnte bewährt und wurde um 1870 auf neue Provinzen erstreckt 19. Es ist erst durch die Überführung der Bahnen auf das Reich in der Weimarer Zeit überholt worden. Es hat damit das preußische und deutsche Eisenbahnrecht maßgeblich geprägt. 2. Dies bestätigt die vorn erwähnte erste Darstellung des Eisenbahnrechts durch Bessel und Kühlwetter im Jahre 1855, mehr als fünfzehn Jahre nach Ergehen des PrEisG. Das Buch folgt in Gliederung und Schwerpunkten dem Gesetz, allerdings nach der Einleitung (S. VI) mit dem Ziel, die Gesetzgebung nicht bloß „ihrem positiven Inhalt nach wiederzugeben, sondern sie auch durch Entwicklung ihrer Motive, ihres Zusammenhangs und ihrer Consequenzen sowie durch Anwendung auf praktische Fälle dergestalt zu erläutern, dass

19

Vgl. oben Anm. 4 und die Hinweise bei Hue de Grais/Peters, Handbuch der Verfassung und Verwaltung in Preußen und im Deutschen Reiche, 24. Aufl. 1927, S. 700 mit Anm. 1.

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unsere Arbeit dem Manne vom Fach zur Anleitung, dem theoretischen Forscher zur Gewinnung eines anschaulichen Bildes dienen könne". Dies ist eine anspruchsvolle Zielsetzung, der Autoren bis heute folgen könnten und sollten. Es soll hier nicht darüber gerechtet werden, inwieweit das Buch seiner Zielsetzung gerecht geworden ist 2 0 ; von Interesse ist aber, inwiefern das Buch über die Darstellung des Gesetzes, wie sie beispielsweise hier in aller Kürze vorgelegt wurde, hinausgeht. Und das ist durchaus der Fall. Das in zwei Teile (I und II) gegliederte Werk konzentriert sich im ersten Teil auf den Bahnbau, insbesondere die Gründung der Gesellschaften, das Expropriationsrecht und sonstige Grundstücksfragen, im zweiten Teil auf die Organisation der Bahnverwaltung, den Betrieb der Eisenbahnen, Personalwesen, Verhältnis zu anderen Institutionen, Besteuerung, Aufsicht und einiges mehr. Vom Eisenbahn-Actienwesen ist nur am Schluß kurz die Rede (S. 261 ff.). Es dominiert wie im Gesetz das Verwaltungsrecht. Was auffällt, ist zunächst die häufige und ausführliche (wörtliche) Wiedergabe weiterer Eisenbahnvorschriften aus der Zeit von 1838 bis 1855, z.B. I, S. 33 ff. zur Expropriation links und rechts des Rheins, II, S. 43 ff. zum Bahndienst und II, S. 70 ff. zum Bahnbetrieb, aber auch sonst auf Schritt und Tritt. Diese Ausführlichkeit erklärt sich wohl aus der Tatsache, daß spezielle Vorschriften damals außerhalb großer Bibliotheken noch viel weniger leicht greifbar waren als heute und deshalb für die Praxis ein Bedürfnis bestand, alle einschlägigen Vorschriften in einem handlichen Band vorzufinden. Freises Taschenbuch der Eisenbahngesetze gab es damals noch nicht. Die Vorschriften belegen im übrigen, wie sehr die Regulierung schon kurz nach dem Start des Eisenbahnwesens ins Detail ging. Als mitteilenswertes und kurioses Beispiel sei die im Wortlaut abgedruckte „Uhren-Regulierung" genannt (II, S. 121 f.), nach der auf jedem Bahnhof eine (Normal-)Uhr stehen sollte. Ebenfalls praktischen Bedürfnissen dienen zahlreiche Muster- und Handlungshinweise für die Praxis. Mit einem gewissen Schmunzeln mag man den Allerhöchsten Erlaß von 1853 lesen, wonach die Eisenbahnbeamten Dienstmützen mit einem geflügelten Rad zu tragen hätten, in Staatsbahnen mit der Krone darüber, in Privatbahnen ohne (II, S. 30). Im Anschluß daran erfährt man, wer damals zu den „Bahnpolizei-Beamten" in Staats- und Privatbahnen gehörte, nämlich z.B. Bahnwärter, Bahnhof-Aufseher, Weichensteller, Zugführer und Schaffner. Diese hatten u.a. einen besonderen Eid zu leisten (II, S. 33), woraus sich ergibt, daß ihnen auch in Privatbahnen eine besondere Verantwortung zukommen sollte. 20 Die Verbreitung des Buches über Jahrzehnte hinweg und ein Vergleich mit der späteren (z.T. oben erwähnten) Literatur legen aber doch ein positives Urteil nahe.

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Der Jurist sucht in einer rechtlichen Darstellung besonders zweierlei, einschlägige gerichtliche Entscheidungen und weiterfuhrende wissenschaftliche Meinungen zu Streitfragen. Beides liefern Bessel und Kühlwetter in beachtlichem und reichem Maße. Was die Gerichtsentscheide angeht, so fällt eine gewisse Dominanz rheinischer Entscheidungen auf, vielleicht bedingt durch die berufliche Stellung des ersten Autors. 21 Sie erstrecken sich auf recht viele Gebiete. Im ersten Teil (S. 73 ff.) werden z.B. unterschiedliche Urteile zur Passivlegitimation bei der Enteignungsentschädigung näher wiedergegeben und kritisch erläutert, ebenso weitere Entscheide zu Expropriation und Entschädigung (S. 105 ff./S. 138 ff.) und zum oben erwähnten Wiederkaufsrecht (S. 127 ff.), ein Recht, das die Autoren übrigens herber Kritik unterziehen (S. 117 f.). Im zweiten Teil finden sich beispielsweise Urteile zum Streit mit der Post (S. 152 ff.) und zum Transportrecht (S. 214 ff.). Verwaltungsrechtliche Klagen gegen die Regierung bzw. das Handelsministerium gab es damals noch nicht und deshalb natürlich auch keine Entscheidungen. Auf die kritischen Anmerkungen der Autoren zu einzelnen Urteilen wurde bereits hingewiesen. Aber auch im übrigen halten sie mit ihrer Rechtsmeinung nicht hinter dem Berg, so z.B. in I, S. 48 f. zum Umfang der geschuldeten Entschädigung. Lesenswert sind die recht eigenständigen Ausführungen zur gebotenen unternehmerischen Freiheit (II, S. 8), zum Dienstrecht (II, S. 43 ff.), zum Verhältnis der Bahn zur Post (II, S. 141 ff.) und zur „Concurrenz" auf der gleichen Strecke (II, S. 195 ff.). Die Autoren greifen auch damals wie heute heikle Fragen auf, z.B. die Communalsteuerpflicht der Bahnen (II, S. 231 ff.). So ist dem Buch nicht nur in der Stoffauswahl und in dessen Systematisierung, sondern auch in der Entwicklung wissenschaftlicher Meinungen eine Pionierrolle zuzuerkennen. Andere haben darauf aufbauen können.

V. Entwicklungstendenzen in der Folgezeit Das soeben dargestellte „klassische" Eisenbahnrecht ist in der Folgezeit fortentwickelt, aber nicht grundlegend umgestaltet worden. Das eigentliche Veränderungs-Thema entstand erst 1919/20 in der Frage der Vereinheitlichung des Bahnwesens im Reich bzw. in der Frage der Bildung einer Reichseisenbahn als einheitliche deutsche Verkehrsanstalt. 21

„Advocat-Anwalt" beim Rheinischen Appellationsgerichtshofe zu Köln.

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Den ersten großen Schritt in diese Richtung ist die sog. PaulskirchenVerfassung von 1849 gegangen; sie widmete in Artikel V I dem Eisenbahnwesen gute drei Paragraphen und begründete damit eine Verfassungstradition, die sich zwar mit dem Grundgesetz zunächst verschlankte, inzwischen aber neu aufgelebt ist (Art. 87 e, Art. 143 a GG). Für die Forderung nach einer Reichsbahn war die Zeit noch nicht reif; aber die „Reichsgewalt" sollte immerhin über die bedeutsamen Eisenbahnen und deren Betrieb die „Oberaufsicht" und das Recht der Gesetzgebung erhalten (§ 28). Bei Verweigerung des Baus einer reichswichtigen Linie sollte das Reich diese Strecke bauen oder bewilligen dürfen (§ 29),und bei der Bewilligung von Eisenbahnen durch die einzelnen Staaten sollte die Reichsgewalt die „Interessen des allgemeinen Verkehrs" wahrnehmen, sich also in das Verfahren einschalten (§ 30). Diese bemerkenswert zukunftsweisende Regelung, vierzehn Jahre nach der ersten Eisenbahnfahrt formuliert, erlangte bekanntlich keine Gesetzeskraft; sie blieb - wohl deshalb - im Eisenbahnrecht von Bessel/Kühlwetter, sieben Jahre später, unerwähnt. Da es der Reichsverfassung um die Vereinheitlichung des Bahnwesens ging, nicht aber um das Eisenbahnverwaltungsrecht, wird verständlich, daß die Landesverfassungen, z.B. die preußische Verfassung von 1850, über das Eisenbahnwesen keine Bestimmungen trafen. Im Lande konnte das Eisenbahnrecht der einfachen Gesetzgebung überlassen bleiben. Die Verfassung des Norddeutschen Bundes von 1867 und die Reichsverfassung von 1871 griffen den von der Paulskirchenverfassung vorgegebenen Gedanken wieder auf. Die Gründung einer Reichseisenbahn wurde wie vorher nicht ins Auge gefaßt, auch keine Zusammenfassung der Bahnen zu einem Verbund. Wohl aber wurde dem Bund/Reich die Gesetzgebungskompetenz für das „Eisenbahnwesen" zugestanden (jeweils Art. 4 Nr. 8), und es gab einen ausführlichen Abschnitt (VII) über dieses Eisenbahnwesen (Art. 41-47), der im Text übereinstimmt bis auf einen Vorbehalt für Bayern in Art. 46 RV. In diesen Bestimmungen wurde zunächst dem Verteidigungsinteresse Rechnung getragen (Art. 41 Abs. 1, Art. 47), aber auch die Vereinheitlichung und das Zusammenwachsen der Bahnen gefördert. Die Eisenbahnen sollten „wie ein einheitliches Netz" verwaltet (Art. 42) und nach einheitlichen Maßstäben betrieben werden (Art. 43). Es sollte Durchgangs- und Anschlußverkehr geben (Art. 44, Art. 41 Abs. 2) und kein Widerspruchsrecht mehr gegen Parallelbahnen (Art. 41 Abs. 3). Über Regel- und Sondertarife nahm das Reich die Kontrolle in Anspruch (Art. 45, 46). Das eigentliche Eisenbahn(verwaltungs)recht blieb aber ungeschmälert in der Hand der Länder. Die Übernahme der Eisenbahnen durch das Reich und damit auch die Überführung des gesamten Eisenbahnrechts auf das Reich brachte erst die Weimarer Reichsverfassung (Art. 89 ff.) mit sich. Dem am Beginn des Eisenbahnwesens entwickelten Ei-

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senbahnrecht war also ein ziemlich langes Leben beschieden, und es hat seine prägende Kraft bis heute nicht verloren.

VI. Ausblick Da man aus der Geschichte für die Gegenwart und die Zukunft lernen soll, rechtfertigt sich auch am Ende eines geschichtlichen Beitrags der obligate Ausblick. Die Bahnreform, die hier nicht aufgegriffen werden soll, hat nicht nur die Rückkehr zur ursprünglichen Rechtsform der Bahn, der Aktiengesellschaft, gebracht, sondern das Eisenbahnrecht gegenüber der Staatsbahn-Periode wiederum weiterentwickelt. Der Kern des Eisenbahnverwaltungsrechts blieb davon aber unberührt und wird es auf absehbare Zeit auch bleiben. Zurückgekehrt ist man auch zu dem alten System konkurrierenden Betriebs auf den Bahnstrecken. In beträchtlichem Maße liegt also wirklich eine Re-form vor, eine Rückkehr zu ursprünglichen Formen. Aber so wie im 19. Jahrhundert der Weg zu einer einheitlichen deutschen Bahn das Eisenbahnrecht überzog, so schiebt sich nun die Idee eines einheitlichen europäischen Bahnnetzes über das nationale Eisenbahnrecht. Von einer „Oberaufsicht" oder Gesetzgebung durch die EG kann zwar bisher unter der Herrschaft der Art. 74-84 EGV nur sehr eingeschränkt die Rede sein, aber der Beginn des grenzüberschreitenden Streckenausbaus und z.B. der neue Thalys von Paris nach Köln zeigen, wohin die Reise geht. Sie kann zu einem einheitlichen europäischen Eisenbahnregime 22 mit zusammengefaßtem Netz, vielleicht eines Tages zu einem oder mehreren europaweiten Eisenbahnunternehmungen führen. Aber das braucht Zeit; der Jubilar und der Autor werden es wohl nicht mehr erleben.

22 Von einem solchen Regime spricht Christian Pielow, El régimen juridico del transporte por ferrocaril en Europa, in: Actualidad en el Derecho Público Cuatrimestral (AeDP) 1996, Heft 3, S. 19 ff - Vgl. auch: Gerhard Schulz, Das Eisenbahnwesen des Bundes und die Stellung der deutschen Bahnen auf dem Europäischen Binnenmarkt, 1995.

Die Baulast als Instrument der Bauleitplanung Von Gerd Roellecke

Versteht man Planung als Selbstfestlegung eigenen künftigen Verhaltens, 1 lassen sich an den Begriff all die Unterscheidungen anschließen, die Hans Peter Ipsen2 1965/66 für die Wirtschaftsplanung entwickelt hat. Ipsen hat auch bereits die rechtsdogmatisch grundlegende Unterscheidung zwischen Binnenwirkung und Außenwirkung einer Planung hervorgehoben: In seinem eigenen Wirkungskreis kann grundsätzlich jeder planen, wie er möchte, i m fremden Wirkungskreis muß er die Rechte anderer berücksichtigen. So steht es schon in § 903 BGB. Selbstverständlich darf man den planenden Staat nicht einfach wie ein Privatrechtssubjekt betrachten. Er trägt Verantwortung für den Bürger. Ob eine staatliche Planung Außenwirkung hat, ist deshalb gleichsam vom Standpunkt des betroffenen Außenstehenden zu beurteilen 3, dem allerdings ein gehöriges Maß Rechtsvernunft abzuverlangen ist. Konnte der Außenstehende mit der Wirkung rechnen und muß er sie hinnehmen? Darüber darf gestritten werden, aber nur in einem fairen Verfahren. In Verfahren werden staatliche Pläne und die Erwartungen Außenstehender aufeinander abgestimmt. Dem großen Thema „Planungsverfahren" hat sich Willi Blüinel seit seiner Dissertation über die Planfestellung 4 verschrieben und sich immer wieder um eine gerechte Abgrenzung zwischen Einzel- und Gesamtinteresse bemüht,

1

Näher Gerd Roellecke, Ein Rechtsbegriff der Planung, in: Gerd Pfeifer/Günter Wiese/Klaus Zimmermann (Hrsg.), Festschrift für Heinz Rowedder zum 75. Geburtstag, 1994, S. 425-440, 429. 2 Hans Peter Ipsen, Rechtsfragen der Wirtschaftsplanung, in: Hans Peter Ipsen, Öffentliches Wirtschaftsrecht, 1985, S. 586 - 635. 3 Ipsen, Öffentliches Wirtschaftsrecht, S. 595 f. 4 Willi Blümel, Die Bauplanfeststellung. Erster Teil: Die Planfestellung im preußischen Recht und im Reichsrecht, 1961; ders., Planfeststellung. Zweiter Teil: Die Planfeststellung im geltenden Recht (1967), Speyerer Forschungsberichte 140 (1994); dazu Hans-Peter Michler, Das wissenschaftliche Werk Willi Blümeis, VerwArch 80 (1989), S.2- 12. 31 FS Blümel

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Gerd Roellecke

jüngst im Bereich des Baurechts. 5 Ihm zu Ehren sei der gleiche Gegenstand aufgegriffen, jedoch aus der Perspektive der planenden Verwaltung. A m Beispiel der Baulast soll gezeigt werden, wie die Verwaltung ihre Planungen mit Hilfe privater Rechte umsetzen kann. Angeregt wurden die folgenden Überlegungen durch das Gesetz zur Beschleunigung von Genehmigungsverfahren vom 12. September 19966, das in die Vorschriften des Verwaltungsverfahrensgesetzes über das Planfeststellungsverfahren eine Regelung eingefügt hat, die an die Baulast und an baurechtliche Genehmigungen trotz Nutzungsbeschränkungen (§ 32 Satz 1 BauGB) erinnert. Nach dem neuen § 74 Abs. 6 Satz 1 VwVfG kann an Stelle eines Planfeststellungsbeschlusses eine Plangenehmigung erteilt werden, wenn „Rechte anderer nicht beeinträchtigt werden oder die Betroffenen sich mit der Inanspruchnahme ihres Eigentums oder eines anderen Rechts schriftlich einverstanden erklärt haben". Da das Planfeststellungsverfahren auch den Sinn hat, Enteignungen vorzubereiten (vgl. § 75 VwVfG) 7 , wirkt diese Vorschrift nicht unvernünftig. Freilich wird sich zeigen, daß die Baulast der Verwaltung ganz andere Möglichkeiten eröffnet als die Planfeststellung.

I. Baulasten Eine „Baugenehmigung ist zu erteilen, wenn dem genehmigungspflichtigen Vorhaben keine von der Baurechtsbehörde zu prüfenden öffentlich-rechtlichen Vorschriften entgegenstehen" (§ 58 Abs. 1 Satz 1 bwLBO). 8 Öffentlichrechtliche Vorschriften in diesem Sinne sind vor allem das Bauordnungsrecht und das Bauplanungsrecht. Aber Baugrundstücke sind knapp und Bauten teuer. Bauten „nur" aus Rechtsgründen zu ändern, abzureißen oder nicht zu nutzen, ist unwirtschaftlich. Deshalb versucht das Baurecht, baurechtswidrige Zu-

5 Willi Blümel, Vereinfachung des Baugenehmigungsverfahrens und Nachbarschutz, in: Carsten Thomas Ebenroth/Dieter Hesselberger/Manfred Eberhard Rinne (Hrsg.), Verantwortung und Gestaltung. Festschrift für Karlheinz Boujong zum 65. Geburtstag, 1996, S. 521 - 531. 6 BGBl IS. 1354: dazu Lucia Eckert, Beschleunigung von Planungs- und Genehmigungsverfahren, Speyerer Forschungsberichte 164 (1997), bes. S. 104 ff.; siehe auch Hans-Jürgen Ringel, Die Plangenehmigung im Fachplanungsrecht, 1996. 1 Blümel, Planfeststellung E (Fn. 4), S. 308 ff. 8 Soweit Landesrecht einschlägig ist, wird das baden-württembergische Recht zitiert.

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stände von vornherein zu vermeiden und Grundstückseigentümern und Bauherren schon vor Beginn ihrer Bauplanung feste Maßstäbe an die Hand geben. Die optimale Nutzung von Grundstücken und Gebäuden hängt indessen nicht nur von öffentlich-rechtlichen Vorschriften, sondern auch von den örtlichen Verhältnissen und der Entwicklung von Technik, Wirtschaft, Bevölkerung und Lebensgewohnheiten ab. Diese Größen lassen sich rechtlich kaum steuern. Dem Recht bleibt im wesentlichen, Anpassungsmöglichkeiten bereit zu stellen. Die Möglichkeit, beim Bauen besonderen Bedürfnissen Rechnung zu tragen, gewährt das Gesetz aber nicht nur im privaten, sondern auch und gerade i m öffentlichen Interesse, weil sie der optimalen Nutzung von Grundstücken und Bauwerken dient. Die Landesbauordnungen und das Bauplanungsrecht beschränken sich daher nicht auf rigide Vorschriften mit entsprechend engen Genehmigungsmöglichkeiten. § 56 bwLBO und § 31 BauGB sehen eine ganze Reihe von Ausnahmen, Abweichungen und Befreiungen vor. Diese „Dispense" sind aber allein im Hinblick auf öffentliche Belange zulässig und dürfen nach dem Gesetzmäßigkeitsprinzip individuelle Rechte nicht einschränken, sondern nur ausweiten.

1. Bauordnungsrecht Einem Bauherrn können jedoch Möglichkeiten zur Verfügung stehen, die im positiven Baurecht nicht vorgesehen sind, deren Wahrnehmung aber dem Sinn des Baurechtes entspricht, sofern entgegenstehende Rechte eingeschränkt werden. 9 Das Bauordnungsrecht bietet mehrere Beispiele. So dürfen Gebäude grundsätzlich nur auf einem Grundstück errichtet werden (§ 4 Abs. 1 bwLBO). „Die Errichtung eines Gebäudes auf mehreren Grundstücken ist (aber, d. Verf.) zulässig, wenn durch Baulast gesichert ist, daß keine Verhältnisse eintreten können, die den Vorschriften dieses Gesetzes oder den auf Grund dieses Gesetzes erlassenen Vorschriften zuwiderlaufen" (§ 4 Abs. 2 bwLBO). Weitere Beispiele sind Abstandsflächen (§ 5 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2, § 7 Abs. 1 bwLBO) und Standsicherheit ( § 1 3 Abs. 2 bwLBO). Praktisch besonders wichtig ist § 37 Abs. 4 bwLBO. Danach muß die Herstellung von Stellplätzen oder Garagen auf einem anderen als dem Baugrundstück für diesen Zweck durch Baulast gesichert sein. Die Möglichkeiten, mit Hilfe von Baulasten von baurechtlichen Vorschriften abzuweichen, hat das Gesetz allerdings begrenzt. Für Bau-

9 Zur Geschichte der Baulast vgl. Christian Döring, Die öffentlich-rechtliche Baulast und das nachbarrechtliche Grundverhältnis, 1994, S. 4 ff.

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lasten gibt es einen baurechtlichen numerus clausus. Baulasten 10 definiert § 71 Abs. 1 bwLBO: „Durch Erklärung gegenüber der Baurechtsbehörde können Grundstückseigentümer öffentlich-rechtliche Verpflichtungen zu einem ihre Grundstücke betreffenden Tun, Dulden oder Unterlassen übernehmen, die sich nicht schon aus öffentlichrechtlichen Vorschriften ergeben (Baulasten). Sie sind auch gegenüber dem Rechtsnachfolger wirksam". Die Baulasten sind in ein Baulastenverzeichnis einzutragen (§ 72 Abs. 1 bwLBO). Die Eintragung wirkt jedoch nur deklaratorisch, nicht konstitutiv. Das heißt, Baulasten werden auch dann wirksam, wenn sie nicht in das Baulastenverzeichnis eingetragen werden. 11 Sicherung durch Baulasten bedeutet also nicht Abweichung von technischen Vorschriften, Ausnahmen von allgemeinen Regeln oder Befreiung von Pflichten (§ 56 bwLBO), sondern die Verwirklichung von Bauvorschriften zu Lasten eigentlich nichtbetroffener Dritter. Deshalb können Baulasten auch nur freiwillig übernommen werden. Eine Pflicht, Baulasten zu übernehmen, gibt es nicht und kann auch nicht gesetzlich eingeführt werden. Eine gesetzliche Verpflichtung zur Übernahme einer Baulast würde bedeuten, daß der Gesetzgeber den Inhalt der Baulast vorschriebe und damit einseitig neues Baurecht zu Lasten Nichtbetroffener setzte. Die Übernahme einer Baulast ist also in den freien Willen nichtbetroffener Dritter ge$tellt. Da Baulasten wirkliche Belastungen zu sein pflegen und in der Regel die Möglichkeiten einschränken, das belastete Grundstück zu nutzen, werden die nichtbetroffenen Dritten die Baulast nur bei einer Gegenleistung des Begünstigten übernehmen. 12 Ob eine solche Gegenleistung vereinbart ist und/oder erbracht wird, ist für die Wirksamkeit der Baulast jedoch unerheblich, weil die Baulast im öffentlichen Interesse Bestandteil des öffentlichen Bauordnungsrechtes wird. Aus diesem Grunde kann die Übernahme der Baulast nicht widerrufen, grundsätzlich nicht einmal angefochten werden. 13 Sie gilt ähnlich unbedingt wie ein Verkehrsschild. Wer eine Baulast übernehmen will, tut daher gut daran, die zivilrechtlichen Fragen, insbesondere die Ge10

Instruktive Übersichten bieten: Wolf gang Ziegler, Die Baulast, insbes. die Stellplatzbaulast, im öffentlichen Baurecht und im Zivilrecht, BauR 1988, S. 18 - 28; Tania Masloh, Zivilrechtliche Aspekte der öffentlich-rechtlichen Baulasten, NJW 1995 S. 1993 - 1997. 11 Sauter, Landesbauordnung für Baden-Württemberg, bearbeitet von Klaus Imig/Adolf Kiess/Volker Hornung, 2. Aufl. Loseblattsammlung, Stand September 1993, § 70 Rdnr. 32; zur Historie Döring (Fn. 9), S. 11. n Ziegler {Fn. 10), S. 20 f. 13 VGH Mannheim, NJW 1985 S. 1723; Ziegler (Fn. 10), S. 20.

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genleistung, vorher zu klären. 14 Sinn der Baulast ist jedenfalls, die Verhältnisse so zu gestalten, daß dem Bauvorhaben keine von der Behörde zu prüfenden öffentlich-rechtlichen Vorschriften entgegenstehen (§ 58 Abs. 1 Satz 1 bwLBO) und der Bau genehmigungsfähig wird. 1 5 Das ist auch der Grund, aus dem der Inhalt der Baulast öffentliches Baurecht wird.

2. Bauplanungsrecht Damit ist zugleich geklärt, welche Rolle Bebauungspläne im Sinne des § 8 BauGB für Baulasten spielen. Bebauungspläne sind öffentlich-rechtliche Vorschriften im Sinne des § 58 bwLBO. Von ihrer Beachtung hängt daher die Genehmigungsfähigkeit des Bauvorhabens ab. Als einseitig-hoheitlich festgelegte Normen können Bebauungspläne weder Baulasten auferlegen noch Pflichten zur Übernahme von Baulasten festsetzen. Das verstieße gegen den Grundsatz der Freiwilligkeit von Baulasten. Wohl aber können sich Bebauungspläne zu Baulasten ähnlich verhalten wie die Landesbauordnung. § 9 Abs. 1 Nr. 21 BauGB läßt das auch ausdrücklich zu. Danach können in Bebauungsplänen festgesetzt werden „die mit Geh-, Fahr- und Leitungsrechten zugunsten der Allgemeinheit, eines Erschließungsträgers oder eines beschränkten Personenkreises zu belastenden Flächen". Solche Festsetzungen in Bebauungsplänen sind ähnlich zu verstehen wie die Möglichkeit, Stellplätze auf einem anderen als dem Baugrundstück herzustellen (§ 37 Abs. 4 Satz 2 bwLBO). Sie geben künftige Regelungen vor. „Keineswegs begründet die Festsetzung im Bebauungsplan bereits das entsprechende dingliche Recht". 16 Daß die Normen der Bebauungspläne die öffentlich-rechtlichen Verhältnisse an Grundstücken und Bauten nicht sofort und unmittelbar ändern, sondern nur über Baugenehmigungen wirken, ergibt sich ausdrücklich aus den §§ 29 und 30 BauGB. Einen besonders klaren Beleg bietet § 32 Satz 1 BauGB: „Sind überbaute Flächen in dem Bebauungsplan als Baugrundstücke für den Gemeinbedarf oder als Verkehrs-, Versorgungs- oder Grünflächen festgesetzt, dürfen auf ihnen Vorhaben, die eine wertsteigernde Änderung baulicher Anlagen zur Folge haben, nur zugelassen und für sie Befreiungen von den Festsetzungen des Bebauungsplans nur erteilt werden, wenn der Bedarfs- oder Erschließungsträger zustimmt oder der Eigentümer für sich und seine Rechtsnachfolger auf Ersatz der Werterhöhung für den Fall schriftlich verzichtet, daß lA

Sauter(Fn. 11), § 70 Rdnr. 7. Sauter(¥n. 11), §70 Rdnr. l;BVerwG, BRS 52 (1991)Nr. 161. 10 Ulrich Battis/Michael Krautzberger/Rolf-Peter Lohr, Baugesetzbuch, 3. Aufl. 1991, § 9 Rdnr. 74. l5

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der Bebauungsplan durchgeführt wird". Bebauungspläne zwingen also nicht zur Änderung bestehender Bauwerke oder Nutzungen, sondern legen nur die normativen Bedingungen fest, unter denen künftige Bauvorhaben oder Nutzungen genehmigt werden können. 17 Wirtschaftlich ändert die durch Baugenehmigungen vermittelte Wirkung von Bebauungsplänen die Möglichkeiten, Bauten oder Grundstücke zu nutzen, selbstverständlich erheblich. Deshalb sehen die §§ 39 ff. BauGB Entschädigungen vor. Aber rechtlich ist ein Bebauungsplan für Bauherren und Grundstückseigentümer solange unerheblich, solange sie keine Bauvorhaben und keine Nutzungsänderung planen.

3. Hoheitliche Durchsetzung der Baulast Nach herrschender Lehre kann die Baurechtsbehörde die Einhaltung der Baulastübernahme bauordnungsrechtlich erzwingen. 18 Als Ermächtigungsgrundlage für Maßnahmen der Baurechtsbehörde kommt nur die bauordnungsrechtliche Generalklausel des § 47 bwLBO in Betracht. Danach haben die Baurechtsbehörden die Pflicht, darauf zu achten, daß die baurechtlichen Vorschriften eingehalten und die auf Grund dieser Vorschriften erlassenen Anordnungen befolgt werden, und sie haben das Recht, die zur Wahrnehmung dieser Aufgaben erforderlichen Maßnahmen zu treffen. Maßnahmen zur Durchsetzung von Baulasten sind daher nur zulässig, wenn sie der Erfüllung der Pflicht dienen, für die Einhaltung der baurechtlichen Vorschriften zu sorgen.

17

Battis/Krautzberger/Löhr (Fn. 16), § 29 Rdnr. 2. Arndt Lorenz, Zu den privatrechtlichen Folgen der nachbarrelevanten Baulast, NJW 1996 S. 2612 - 2616, 2612; Masloh (Fn. 10), S. 1995; BVerwG, NJW 1991 S. 713, 714; Ziegler (Fn. 10), S. 26. Udo Di Fabio, Freiwillige Baulastübernahme und hoheitliche Durchsetzung, BauR 1990 S. 25 - 32, meint, die Baurechtsbehörde könne eine Baulast nicht im Wege bauordnungsrechtlicher Maßnahmen durchsetzen, weil es an einer gesetzlichen Eingriffsermächtigung fehle. Wäre dieses Ergebnis richtig, wäre der Gesetzgeber über kurz oder lang gezwungen, die Baulastregelung aufzuheben, weil sie dazu einlüde, Baulasten zu übernehmen, um eine Baugenehmigimg zu erreichen, und dann die Baulast nicht zu erfüllen. Das Ergebnis ist aber nicht richtig. Di Fabio begründet das Fehlen einer gesetzlichen Eingriffsermächtigung damit, daß die Baulast nicht in das Schema der verwaltungsrechtlichen Handlungsformen - Verwaltungsakt, öffentlich-rechtlicher Vertrag, Widmung - passe. Die Handlungsformen der Verwaltung sind aber primär für die Verfahren erheblich und dort auch notwendig. Für die Frage, ob materiell Recht verletzt ist, kommt es auf sie nicht an (vgl. VGH Mannheim, NJW 1991 S. 2786, 2787), wie sich für subjektive Rechte auch klar aus Art. 19 Abs. 4 GG ergibt. 18

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Baulasten dienen der Verwirklichung baurechtlicher Vorschriften dadurch, daß sie es einem anderen als dem primär verpflichteten Bauherrn ermöglichen, eine Bauvorschrift anstelle des Bauherrn zu erfüllen. Die Herstellung von Stellplätzen auf einem anderen als dem Baugrundstück (§ 37 Abs. 4 Satz 2 bwLBO) ist das prägnanteste Beispiel. Baulasten erstrecken Bauvorschriften auf nichtbetroflfene Dritte. 1 9 Inhaltlich ändern sie das Baurecht nicht, sie erweitern nur den Kreis der baurechtlich Verpflichteten. 20 Um im Beispiel zu bleiben: § 37 Abs. 4 Satz 2 bwLBO schränkt die Pflicht zur Herstellung von Stellplätzen nicht ein. Die Vorschrift gestattet nur die Erfüllung der Pflicht durch Dritte. Wenn der Dritte diese Pflicht nach § 71 bwLBO freiwillig übernimmt, dann unterwirft er sich Bauvorschriften, nicht irgendwelchen Verwaltungsakten, und muß sich daher so behandeln lassen wie der primär verpflichtete Bauherr. Das ist gerade der Sinn der Baulast. Sie soll durch Erfüllung baurechtlicher Verpflichtungen den Weg für die baurechtliche Genehmigung frei machen. Das heißt, wenn die Baurechtsbehörde auf die Einhaltung von Baulasten achtet, achtet sie nicht auf die Erfüllung individueller Pflichten, sondern auf die Einhaltung baurechtlicher Vorschriften. Die Baulast ändert nicht den Inhalt des Baurechtes, sie ändert nur den Geltungsgrund, indem sie demokratische Legitimation durch freiwillige Pflichtenübernahme ersetzt. § 47 Abs. 1 bwLBO ist daher unmittelbar anwendbar und die einschlägige gesetzliche Grundlage für Maßnahmen gegen den Baulastverpflichteten. Daraus folgt vor allem, daß die Baurechtsbehörde nicht erst dann einschreiten kann, wenn die Nichterfüllung einer Baulast die öffentliche Sicherheit oder Ordnung konkret und unmittelbar gefährdet oder stört 21 - Beispiel ist immer die Absperrung eines baulastgesicherten Weges, den Feuerwehrfahrzeuge und Krankenwagen benutzen müssen - , sondern schon dann, wenn Bauvorschriften verletzt werden. Auf die Frage: konkrete oder abstrakte Gefahr?, kommt es nicht an. Die objektive Verletzung von Bauvorschriften rechtfertigt bereits Maßnahmen im Sinne des § 47 Abs. 1 bwLBO. Das gilt auch dann, wenn ein Baulastverpflichteter gegen baurechtliche Vorschriften verstößt. Dieser Ansicht ist im Prinzip auch das Oberverwaltungsgericht Lüneburg 22 . Es hält Maßnahmen der Baurechtsbehörde jedoch dann für unzulässig, wenn sie auf eine Parteinahme in privatrechtlichen Streitigkeiten hinauslaufen würden. Das ist ein richtiger und allgemein anerkannter Gesichtspunkt. Er ent19 20 21 22

Oben I. 1. OVG Lüneburg, BRS 52 (1991)Nr. 164; vgl. auch Ämter (Fn. 11), § 70 Rdnr. 8. So aber Di Fabio (Fn. 18), S. 31 f. BRS 40 (1983) Nr. 223; vgl. auch BVerwG, BRS 50 (1990) Nr. 109.

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spricht dem Prinzip, daß die Polizei grundsätzlich nicht zum Schutz privater Rechte tätig werden darf (vgl. § 2 Abs. 2 bwPolG). In dem Fall, den es zu entscheiden hatte, hat das Oberverwaltungsgericht eine hoheitliche Durchsetzung der Baulast für unzulässig erklärt, weil sie praktisch den privatrechtlichen Streit um den Besitz einer Garage entschied. Wenn die Baurechtsbehörde einer der Streitparteien den Schlüssel für die umstrittene Garage aushändigte, verwies sie die andere auf den sehr unsicheren Weg einer Klage wegen ungerechtfertigter Bereicherung. Beim Erlaß bauordnungsrechtlicher Maßnahmen muß die Baurechtsbehörde also das Verhältnis zwischen Baulastbegünstigtem und Baulastverpflichtetem prüfen. 4. Ansprüche des Baulastbegünstigten auf Durchsetzung der Baulast Da die Baurechtsbehörde die Einhaltung der Baulast bauordnungsrechtlich erzwingen kann, hat eine Baulast für den Verpflichteten wie für den Begünstigten eine ähnliche Wirkung wie eine privatrechtliche Grunddienstbarkeit. 23 Deshalb kommt es häufig vor, daß sich die Begünstigten allein auf die Baulast verlassen und auf privatrechtliche Absicherungen verzichten. In diesen Fällen stellt sich die viel erörterte Frage, ob und wie der Begünstigte eine Baulast gegenüber dem Verpflichteten durchsetzen kann. 24 a) Auf die Bebauungspläne können sich die Begünstigten offenkundig nicht berufen, auch wenn die Pläne Baulasten vorsehen. Bebauungspläne verpflichten die betroffenen Grundstückseigentümer zu nichts. Für den Grundstückseigentümer werden sie erst erheblich, wenn er ein genehmigungspflichtiges Bauvorhaben durchführen will. Die Festsetzungen in Bebauungsplänen kündigen ein bestimmtes Verhalten der Baurechtsbehörden an, mehr nicht. Begründeten Bebauungspläne private Rechte, würde die Aufgabe der Bauleitplanung, die bauliche und sonstige Nutzung der Grundstücke einer Gemeinde vorzubereiten und zu leiten (§ 1 Abs. 1 BauGB) und dabei den Zielen der Raumordnung und Landesplanung anzupassen (§ 1 Abs. 4 BauGB), schwer gestört, wenn nicht verfehlt, weil die privaten Rechte spätere Änderungen unmöglich machen oder erschweren könnten. § 2 Abs. 2 BauGB schließt denn auch individuelle Ansprüche auf die Aufstellung von Bauleitplänen ausdrücklich aus.

23 Siehe Ulrich Weisemann, Anspruch des Grundeigentümers auf Löschung von Baulasten, NJW 1997 S. 2857, 2858. 24 Ziegler (Fn. 10), S. 27; Sauter (Fn. 11), § 70 Rdnrn. 8 - 1 0 ; ausführlich Döring (Fn. 9), S. 40 ff.

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b) Wie das Bauplanungsrecht regelt auch das Bauordnungsrecht Bebauung und Nutzung von Grundstücken im öffentlichen Interesse. Individuelle Rechte gewährt es nur unter besonderen Umständen. Nach inzwischen unbestrittener Lehre liegt ein besonderer Umstand dann vor, wenn eine Baugenehmigung einen Nachbarn des Bauherrn in seinen Rechten beeinträchtigt. Dann kann der Nachbar gegen die Genehmigung klagen. Unmittelbar geht es hier jedoch nicht um Nachbarschutz. Auf den Nachbarschutz wird in anderem Zusammenhang zurückzukommen sein. c) Versteht man die Baulast als Teil des öffentlichen Baurechts, können sich auch aus der Baulast keine Durchsetzungsansprüche ergeben. Das entspricht der ständigen, sich immer mehr verfestigenden Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes 25: „Die von einem Grundstückseigentümer zugunsten eines anderen Grundstücks übernommene Baulast, Kraftfahrzeugeinstellplätze anlegen und nutzen zu lassen, bewirkt nur eine öffentlich-rechtliche Verpflichtung, die weder dem Eigentümer des begünstigten Grundstücks einen Nutzungsanspruch gewährt, noch grundsätzlich den Belasteten verpflichtet, die Nutzung zu dulden" 26 . Zu Entschädigungsansprüchen eines Grundstückseigentümers für die Nutzung einer Tiefgaragenzufahrt, die durch Baulast gesichert war, hat der Bundesgerichtshof ausgeführt: „Aus der Tatsache, daß die Baulast-betroffenen Grundstücke wegen der Baulast bauordnungsrechtlich als Einheit zu behandeln sind, die Stellplatzverpflichtung durch eine einheitliche Tiefgarage erfüllt wird, zu der es nur eine Zufahrt gibt, mag sich öffentlich-rechtlich ergeben, daß diese Zufahrt allen befügten Benutzern der Tiefgarage offen stehen muß, mit der Folge, daß die Baubehörde grundsätzlich diesen Inhalt der Baulast im Wege einer Ordnungsverfügung durchsetzen könnte. ... Privatrechtlich gewährt indessen die Baulast dem dadurch Begünstigten weder einen Nutzungsanspruch, noch verpflichtet sie den Eigentümer, die Nutzung zu dulden". 27 Dieser Rechtsprechung ist zuzustimmen. 28 Sie entspricht dem Interessenausgleich, den der Gesetzgeber mit der Baulastregelung angestrebt hat. Sinn der Regelung ist, Bauherren die Erfüllung baurechtlicher Verpflichtungen abweichend von den bauherrnbezogenen öffentlich-rechtlichen Vorschriften zu ermöglichen. Sie begünstigt den Bauherrn daher und benachteiligt in der Regel den Verpflichteten. Für diese Benachteiligung gibt es keine „gesetzliche Grundlage". Sie kann nur mit der Freiwilligkeit der Baulastübernahme ge25 26 27 28

Übersicht bei Ziegler (Fn. 10), S. 18,22 - 25. BGHZ 88 S. 97 f. BGHZ 94 S. 160, 165. Im Ergebnis wie hier Ziegler (Fn. 10), S. 24 ff.

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rechtfertigt werden. Die Freiwilligkeit schließt bereits eine Kontrolle der Beweggründe des Übernehmers aus. Hinzu kommt, daß die Baurechtsbehörde nur öffentlich-rechtliche Belange wahrnehmen und privatrechtliche Streitigkeiten nicht regeln darf. 29 Sie muß sich deshalb darauf verlassen können, daß der Begünstigte und der Verpflichtete ihre Beziehung untereinander absichern und die mit der Übernahme der Baulast verbundenen Einschränkungen ausgleichen. Fehlen Absicherung und Ausgleich, gilt das allgemeine Zivilrecht, nicht das öffentliche Recht. Das ist die Kehrseite der Begünstigung des Bauherrn. Diese Kehrseite muß der Bauherr gegen sich gelten lassen, wenn er die Begünstigung in Anspruch nimmt. Das heißt, er verhält sich widersprüchlich, wenn er von den Vorteilen der Baulastregelung - Modifikation öffentlichrechtlicher Vorschriften in einem vereinfachten Verfahren - Gebrauch macht und es gleichzeitig versäumt, die mit den Vorteilen verbundenen Obliegenheiten - klare privatrechtliche Vereinbarungen mit dem Verpflichteten - zu erfüllen. Das ist der Gerechtigkeitsgrund, aus dem der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes zuzustimmen ist. Widersprüchlich verhält sich allerdings auch, wer gegenüber der Baurechtsbehörde eine Baulast übernimmt und später der Baulast zuwider die Nutzung durch den Begünstigten nicht duldet. Aber dieser Widerspruch besteht nur im Verhältnis zur Baurechtsbehörde 30, nicht im Verhältnis zum Begünstigten, weil das Gesetz dieses Verhältnis gerade nicht regeln will und kann. Deshalb darf sich der Begünstigte nicht ohne weitere Sicherungen darauf verlassen, daß sich der Verpflichtete an die Baulast hält. d) Schließlich bleibt zu prüfen, ob der Baulastbegünstigte ein hoheitliches Einschreiten der Baurechtsbehörde verlangen kann. 31 Diese Frage ist nach allgemeinen polizeirechtlichen Grundsätzen zu beantworten, weil das Polizeirecht gleichsam „Vater" des Bauordnungsrechtes ist. Grundsätzlich darf die Polizei nur im öffentlichen Interesse tätig werden (§ 1 Abs. 1 bwPolG). Insofern kommt den durch die polizeilichen Maßnahmen Begünstigten nur eine Reflexwirkung zugute. Unter besonderen Umständen darf die Polizei aber auch zum Schutz privater Rechte einschreiten (§ 2 Abs. 2 bwPolG), und sie muß es, soweit es um den Schutz besonders hochrangiger privater Rechte wie Leib und Leben geht. 32 Dann können auch Private ein Einschreiten der Polizei beanspruchen. Diese Regel gilt zwar auch im Baurecht, aber nur subsidiär. 29

Vgl. OVG Lüneburg, BRS 50 (1990) Nr. 109; siehe auch OVG Münster, BauR 1987 S. 550. 30 Sauter (Fn. 11), §70Rdnr. 7. 31 Dazu OVG Berlin, NJW 1994 S. 2971, 2972. 32 Vgl. Drews/Wacke/Vogel/Martens, Gefahrenabwehr, 9. Aufl. 1986, S. 403.

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Auf Maßnahmen, die sich allein auf Verstöße gegen baurechtliche Vorschriften stützen, kann sie naturgemäß nicht zutreffen, weil es bei diesen Maßnahmen nicht auf den Rang der geschützten Rechtsgüter ankommt. Andererseits kann es keinen allgemeinen Anspruch auf ein behördliches Einschreiten bei Verstößen gegen Baurecht geben. Das wäre mit dem Grundsatz unvereinbar, daß Private nur den Schutz ihrer subjektiven Rechte erwarten können. Aber dieses Dilemma ist im Baurecht seit langem mit dem baurechtlichen Nachbarschutz gelöst 33 , der besagt: Wenn Baumaßnahmen gegen Bauvorschriften verstoßen, die nicht nur öffentlichen Belangen, sondern zugleich dem Schutz des Nachbarn dienen (Schutznormtheorie 34), dann hat der Nachbar das Recht, die Durchsetzung der Bauvorschriften zu verlangen. Wie, hängt freilich vom Stand der verschiedenen Verfahren ab. Der baurechtliche Nachbarschutz wird auch als Kriterium für die Beantwortung der Frage verwendet, unter welchen Umständen ein Baulastbegünstigter von der Baurechtsbehörde verlangen kann, gegen einen erfüllungsunwilligen Baulastverpflichteten einzuschreiten. Betrifft die Baulast nachbarschützende Vorschriften, soll die Baurechtsbehörde einschreiten müssen, sonst nur nach ihrem Ermessen. Die Debatte darüber, wann eine Norm nachbarschützenden Charakter hat und wann nicht, 35 ist allerdings uferlos geworden. Ziegler 36 beispielsweise meint, die Stellplatzregelung sei nicht nachbarschützend, eine entsprechende Baulast also nicht über einen Anspruch gegen die Baurechtsbehörde durchsetzbar, eine Abstandsbaulast aber doch. Diese Ansicht ist jedoch erschüttert, seit das Bundesverwaltungsgericht 37 entschieden hat, nicht nur Gebietsfestsetzungen in Bebauungsplänen38, auch Festsetzungen nach § 12 Abs. 2 BauNVO seien nachbarschützend. Die Vorschrift lautet: „ I n Kleinsiedlungsgebieten, reinen Wohngebieten und allgemeinen Wohngebieten sowie Sondergebieten, die der Erholung dienen, sind Stellplätze und Garagen nur für den durch die zugelassene Nutzung verursachten Bedarf zulässig". Das schließt Baulastübernahmen für Stellplätze nicht aus, begrenzt sie aber. Die Entscheidung bedeutet daher, daß Nachbarn Verstöße gegen Festsetzungen

33 Informativer Überblick bei Martin Oldiges, Baurecht, in: Udo Steiner (Hrsg.), Besonderes Verwaltungsrecht, 5. Aufl. 1995, S. 572 - 590. 34 Grundlegend Eberhard Schmidt-Aßmann, in: Maunz/Dürig/Herzog, GG, Art. 19 Abs. IVRdnr. 127- 130. 35 Vgl. Dietmar Mampel, Nachbarschutz im öffentlichen Baurecht, Herne 1994. 36 BauR 1988 S. 27; ihm folgend Sauter (Fn. 11), § 70 Rdnr. 8. 37 BVerwGE 94, 151, 157 = BauR 1994 S. 223, 225 ff.; dazu Hansjochen Dürr, Der baurechtliche Nachbarschutz gegenüber Stellplätzen und Garagen, BauR 1997 S. 7-14, 10. 38 BVerwGE 82 S. 61,75.

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über Stellplätze angreifen können. Wichtig ist vor allem das Prinzip, auf das das Gericht seine Entscheidung gestützt hat: Festsetzungen in Bebauungsplänen haben nachbarschützenden Charakter, soweit sie das Ergebnis von Abwägungen zwischen öffentlichen und privaten Interessen oder zwischen privaten Interessen untereinander sind.

II. Die Planungsperspektive Da jeder im eigenen Wirkungskreis grundsätzlich planen kann, wie er möchte, dient das Planungsrecht vor allem der Abgrenzung des eigenen vom fremden Wirkungskreis. Und da das moderne Recht auf das Subjekt focussiert ist, muß das Planungsrecht primär an subjektive Rechte anknüpfen. Diesem Zwang gehorcht auch das Freiwilligkeitsprinzip der Baulast. Es wäre jedoch falsch, daraus zu schließen, das Planungsrecht diene primär dem Schutz subjektiver Rechte. Die Verwirklichung von Plänen nimmt Zeit in Anspruch. In dieser Zeit müssen die Ausgangsentscheidungen aufrecht erhalten werden. Dafür stehen Politik und Verwaltung nur zwei Mittel zur Verfügung: Geld und Recht. Recht ist billiger und oft auch stabiler als Geld. Die Beachtung des Rechtes liegt daher nicht nur i m Interesse der Bürger, sondern auch und gerade im Interesse der planenden Instanzen. Ohne Recht kann die Verwaltung heute nicht mehr planen. Recht dient der VerwaltungsefFizienz. 39

1. Baurecht Betrachtet man die Regelung der Baulast aus der Perspektive der VerwaltungsefFizienz, so zeigt sich zunächst, daß sie nicht nur dem Bauherrn Möglichkeiten eröffnet, über die allgemein geltenden Baurechtsnormen hinauszugehen, sondern zugleich der Verwaltung, wenn auch nur im Rahmen des Gesetzes. Über die Baulast kann die planende Verwaltung in Bereiche vordringen, die ihr sonst rechtlich verschlossen wären und für deren Öffnung sie zahlen müßte. In den gesetzlich vorgesehenen Fällen ermöglicht die Baulast es ihr, sich darauf zu beschränken, Baulastübernahmeerklärungen zu verlangen. Den Ausgleich für die Übernahme kann sie den Bauherren und seinen Ver39 Das zweite Thema der Konstanzer Tagung der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer 1982 „Verwaltungsverfahren zwischen VerwaltungsefFizienz und Rechtsschutzauftrag" setzt einen Gegensatz voraus, der in der Wirklichkeit so nicht besteht. Daraufhat bereits Rainer Wahl, VVDStRL 41 (1983) S. 151 - 186, 165, in seinem Tagungsreferat aufmerksam gemacht.

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handlungen mit den betroffenen Grundstückseigentümern überlassen. Im Normalfall muß sich der Bauherr Abweichungen von den allgemein geltenden Normen durch Leistungen an Dritte gleichsam erkaufen, obwohl sie oft im öffentlichen Interesse liegen, weil sie der besseren Ausnutzung des Baugrundes dienen. Hinzu kommt, daß Gesetzgeber und Gemeinden (§ 2 Abs. 1 BauGB) die Richtung bestimmen können, in die Baulastübernahmen gehen sollen. Wenn Baulasten Abweichungen von allgemeinen Bauvorschriften erlauben, hängen die Notwendigkeit und die Inhalte von Baulasten von den allgemeinen Bauvorschriften ab, und die erläßt eben der Gesetzgeber. Im Rahmen des Bauplanungsrechtes brauchen sich die Gemeinden dann zum Beispiel nicht mehr viel um Grundstücksgrenzen zu kümmern. Sie können etwa Garagen auf Grundstücken genehmigen, die keinen Anschluß an die Straße haben, wenn die Überfahrt zur Straße durch Baulast gesichert ist. Darüber muß sich der Eigentümer des Grundstücks mit seinem Nachbarn einigen. Übernimmt der Nachbar die Baulast, begeben sich beide in eine Interessengemeinschaft, aus der sie sich nur schwer wieder lösen können. Dem kleinen Eigentümer, dessen unglücklich gelegenes oder geschnittenes Grundstück keine Zufahrt zur Straße hat, mag damit geholfen sein. Wahrscheinlich hat der Gesetzgeber sogar vornehmlich an ihn gedacht. Aber städteplanerisch bietet die Baulast noch ganz andere Möglichkeiten, wenn man den Fall des kleinen unglücklich gelegenen oder geschnittenen Grundstückes ins Große projiziert. Dann wird sie zu einer Frage von Zeit und Kapitalkraft. Zugangs- und Abgangswege, Einfahrten und Ausfahrten sind für Wohnanlagen ebenso wichtig wie für Einkaufszentren, nehmen aber viel Platz in Anspruch. Wenn sie entsprechende Baulasten vorschreibt und als Gegenleistung eine größere Überbaubarkeit anbietet, kann die Gemeinde mehrere Grundstückseigentümer zur gemeinsamen Nutzung von Ein- und Ausfahrten bewegen. Je nach Umständen, besonders nach den Absichten und Vermögensverhältnissen der Investoren, kann sie die Kosten der Baulasten dem Aushandeln der betroffenen Grundstückseigentümer überlassen, selbst übernehmen oder sie kann mit eigenen Grundstücken eintreten. Das Planungsinteresse der Gemeinden beeinflußt auch das Genehmigungsverfahren. Baulasten sollen Bauvorhaben genehmigungsfähig machen. Eine Baugenehmigung ist zu erteilen, darf aber auch nur erteilt werden, wenn dem genehmigungspflichtigen Vorhaben keine öffentlich-rechtlichen Vorschriften entgegenstehen. (§ 58 Abs. 1 Satz 1 bwLBO). Rechtlich müssen also alle notwendigen Baulastübernahmen vorliegen, bevor die Baugenehmigung erteilt wird. Der Grund für die Übernahme von Baulasten braucht die Baurechtsbehörde nicht zu interessieren. Daß Baulasten freiwillig übernommen werden müssen, verweist die möglichen Gründe in den Bereich des Privatrechtes.

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Bauherren und Übernehmer müssen sich selbst vor der Erklärung absichern. Im Normalfall muß sich also der Bauherr als Hauptinteressent zuerst mit dem nichtbetroffenen Dritten darüber einigen, welche Voraussetzungen der Bauherr erfüllen muß, damit der Dritte die Baulast freiwillig übernimmt. Dann erklärt der Dritte vor der Baurechtsbehörde, er übernehme die im einzelnen beschriebene Baulast ( § 7 1 Abs. 2 bwLBO). Liegt die Erklärung vor, kann die Baurechtsbehörde genehmigen. Faktisch, genauer: informell, kehrt sich diese Reihenfolge in der Planungsperspektive um. Aus ihrer Sicht fragt die Gemeinde zuerst, welche Bauten sie haben und genehmigen möchte und welche Grenzen ihr das Recht zieht. Dann prüft sie, wer als Baulastverpflichteter in Betracht kommt und handelt mit ihm und dem potentiellen Bauherrn die Bedingungen für die Baulastübernahme aus. Nach diesen Vorbereitungen erscheinen Baulastübernahme und Baugenehmigung nur noch als „Formsache", freilich vor allem der Gemeinde und - hoffentlich - den anderen Beteiligten, nicht jedoch Außenstehenden. „Formsache" drückt nur die Umkehrung der Interessenlage aus, was die Gemeindeverwaltungen natürlich wissen. Trotzdem zeigt sich in „Formsache" die große Versuchung, daß die Verwaltung die Baugenehmigung „vorleistet", besonders, wenn der Investor drängt und der vorgesehene Baulastverpflichtete mit der Abgabe seiner Erklärung zögert. Deshalb hat es seinen guten Sinn, daß der Gesetzgeber die Zulässigkeit von Baulastübernahmen relativ eng begrenzt und Ansprüche auf die Aufstellung von Bauleitplänen ausgeschlossen (§ 2 Abs. 2 BauGB) hat. Gleichwohl ist daran zu erinnern: Jede noch so gut gemeinte Abweichung von der vorgeschriebenen Reihenfolge: Baulastübernahmeerklärung - Baugenehmigung, kann haftungsrechtliche Folgen auslösen.

2. Planfeststellung Vergleicht man die Baulast mit der Einverständniserklärung der Betroffenen nach § 74 Abs. 6 Satz 1 Nr. 1 VwVfG, so zeigt sich ein Unterschied, der die Einverständniserklärung zu einem anderen Fall macht. Zwar betreffen beide Regelungen Dreierverhältnisse, die Baulast das Verhältnis zwischen Baurechtsbehörde (Gemeinde), Bauherrn und Baulastpflichtigem, die Einverständniserklärung das Verhältnis zwischen Planungsbehörde, Planungsträger und Betroffenem. Aber die Planungsbehörde vertritt nicht im gleichen Sinne eigene Interessen wie die Gemeinden. Sie hat mehr Kontroll- und schiedsrichterliche Funktionen. Das ergibt sich aus den unterschiedlichen Zwecken von Bauleitplanung und Planfestellung.

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Die Planfesteilung soll Verkehrsanlagen, besonders Verkehrswegebauten öffentlich-rechtlich in die Umwelt einordnen. 40 Sie knüpft an einen bereits vorliegenden Plan an und bezieht sich auf ein bestimmtes Projekt, das in der Regel weit über einzelne Gemeinden hinausreicht, meist sogar mehrere verbindet. Der Projektbezug der Planfeststellung ist mit der Unterscheidung zwischen Fachplanung, die sich auf einzelne Vorhaben bezieht, und Gesamtplanung, die eine Vielzahl planerischer Festlegungen aufeinander abstimmt, 41 dogmatisch nicht voll erfaßt, weil diese Unterscheidung nur die Perspektive der planenden Instanzen berücksichtigt. Bezieht man auch die Perspektive der Betroffenen ein, so zeigt sich: Bei der Planfeststellung ist der Plan zugleich die entscheidende normative Vorgabe für die Planungsbehörde. Der Planfeststellung geht es um die Durchsetzung eines bereits festgelegten Planes. Typisch ist die Planung von Bundesfernstraßen. Der Planungsträger, genauer: der Bundesminister für Verkehr, plant die Straße im Benehmen mit den Landesplanungsbehörden (§ 16 BFStrG) und legt damit sich selbst und alle nachgeordneten Behörden fest. Der Plan erhält in der Planfeststellung dadurch Außenwirkung, daß die vom Plan Betroffenen Einwendungen erheben können, die die Planfeststellungsbehörde erörtert (§ 17 BFStrG). Im Planfeststellungsverfahren kann der Plan kann zwar modifiziert, aber das Projekt kann prinzipiell nur nach Plan oder überhaupt nicht durchgeführt werden. Anders ist weiträumige Planung auch nicht möglich. Die Möglichkeit, einfach nicht zu planen, mit der § 34 BauGB ausdrücklich rechnet, gibt es im Planfeststellungsrecht daher nicht. Deshalb können Planungsbehörde und Planungsträger den Betroffenen nicht mehr substantiell entgegenkommen. Da Verkehrswege auch Wirtschaftsfaktoren sind, ist zwar anzunehmen, daß die planenden Behörden mit Interessenten und Betroffenen verhandeln. Aber das Planfeststellungsrecht drängt diese Verhandlungen prinzipiell (vgl. aber § 17 Abs. 2 Nr. 2 BFStrG) in das informelle Vorfeld der Planungen. Die Bauleitplanung soll die bauliche und sonstige Nutzung der Grundstücke in der Gemeinde vorbereiten und leiten (§ 1 Abs. 1 BauGB), knüpft also an die Grundstücke und damit auch an die Eigentümer an; sie bezieht sich auf die örtliche Gemeinschaft. Zwar unterscheidet sie zwischen Flächennutzungsplan (§ 5 BauGB) und Bebauungsplan (§ 8 BauGB), ähnlich wie die Projektplanung zwischen Plan und Feststellung unterscheidet. Bebauungspläne können auch an die Stelle einer Planfeststellung treten (§ 17 Abs. 3 BFStrG). Aber Flächennutzungspläne und Bebauungspläne sind viel lockerer verkoppelt. Bebauungspläne sollen Flächennutzungspläne nicht umsetzen, sondern sind aus

40 41

Blümel, Planfeststellung D (Fn. 4), S. 37. Vgl. Winfried Brohm, Öffentliches Baurecht, 1997, § 2 Rdnr. 1, 2 ff.

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ihnen zu entwickeln (§ 8 Abs. 2 Satz 1 BauGB). Der Flächennutzungsplan legt die Gemeinde also nicht eindeutig fest. Die Differenz zwischen beiden Plänen erleichtert es ihr vielmehr, die Baulastübernahme als Planungsinstrument einzusetzen. Die Einverständniserklärung der Betroffenen läßt sich daher nicht in der gleichen Weise für die Verkehrswegeplanung instrumentalisieren wie die Baulastübernahme. Wegen der strukturellen Verschiedenheit von Bauleitplanung und Planfeststellung ließe sich das auch nicht durch nähere gesetzliche Regelung erreichen. Der Einverständniserklärung entspricht vielmehr im Baurecht die Verzichtserklärung bei wertsteigernden Bauvorhaben auf Flächen, die im Bebauungsplan als Gemeinbedarfs-, Verkehrs-, Versorgungs- oder Grünflächen festgesetzt sind (§ 32 BauGB). Denn auch in diesem Fall dominiert der Plan immer mögliche Verhandlungen.

Fachplanung und Verwaltungsgerichtsbarkeit Von Michael Ronellenfitsch

I. Einführung Nach Ansicht namhafter Repräsentanten der Rechtsprechung erfüllt die Wissenschaft auf dem Gebiet des Planungsrechts ihre Bringschuld nur unzulänglich 1 . Vallendar rügte kürzlich, daß die Rechtsprechung von der Wissenschaft lediglich kritisch begleitet werde 2, wobei er allerdings die „scharfsinnige Grundsatzkritik", die der „Altmeister des Planungsrechts" Willi Blümel in seiner Abschiedsvorlesung am 25. Juni 1997 an der Rechtsprechung geübt hatte3, lobend hervorhob 4. Nun sollte niemand Kritik äußern, der sich nicht zugleich wie Blümel immer wieder selbst an die Front wagt und eigene Ideen entwickelt. Im übrigen greift gerade das Bundesverwaltungsgericht häufig auf Vorschläge der Wissenschaft zurück, ohne dies ausdrücklich kenntlich zu machen. Die Kritik an der Rechtsprechung trifft dann letztlich die Autoren, welche die Rechtsprechung - vielleicht nur unbewußt - beeinflußt haben. Das gilt auch für die Rechtsprechung zu den Rechtsfolgen fehlerhafter Planungsentscheidungen. Blümel sah sich auf Grund der jüngsten Beschleunigungsgesetzgebung und der flankierenden Rechtsprechung zu dem Befünd veranlaßt, daß sich bei der Behandlung von fehlerhaften Planungsentscheidungen im Verhältnis von Verwaltung und Verwaltungsgerichtsbarkeit die Gewichte zum

1

Vgl. Sendler, Die Entwicklung des Umweltschutzrechts in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, UPR 1991, 241 ff. (242). 2 Vallendar, Planungsrecht im Spiegel der aktuellen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, UPR 1998, 81 fT. 3 Blümel, Planung und Verwaltungsgerichtsbarkeit, Abschiedsvorlesung im Sommer 1997, Speyerer Vorträge, Heft 40 (Abschiedsvorlesung). 4 Vallendar (Fn. 2), S. 81. Zu den Verdiensten Blümeis um den Aufbau eines rechtsstaatlichen Planungssystems Michler, Das wissenschaftliche Werk Willi Blümeis, VerwArch 80 (1989), 2 ff. (3 ff.) 32 FS Blümel

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Nachteil der Kläger verschoben haben5. Entsprechend seiner „seit jeher rechtsschutzfreundlichen, dem Anliegen der betroffenen Bürger und Gemeinden besonders verpflichteten Rechtsauffassung" 6 beurteilt Blümel diese Entwicklung negativ . Entsprechend meinem Anliegen, auch den Interessen der Vorhabenträger und -nutzer Rechnung zu tragen, geht es im folgenden darum, die positiven Aspekte der Rechtsprechung zu den Fehlerfolgen bei Fachplanungen herauszustreichen. Dies nicht, um die Rechtsprechung zusätzlich zu rechtfertigen - das hat sie nicht nötig -, wohl aber, um zu demonstrieren, daß die „vorhabenfreundliche" Rechtsprechung zu den Rechtsfolgen fehlerhafter Planungsentscheidungen in der Wissenschaft nicht nur auf Ablehnung stößt, sondern in mancherlei Hinsicht noch weitergehen sollte. Das einer Festschrift angemessene Kontrastprogramm führt zu Pointierungen, die Gemeinsamkeiten verdecken. Gemeinsam ist meinem Lehrer Blümel und mir das Anliegen, die Rechtsfolgen fehlerhafter Fachplanungen so zu handhaben, daß der Wirtschaftsstandort Deutschland bei Wahrung der Rechtsschutzgarantie möglichst wenig Schaden leidet.

I I . Problemanalyse Fachplanungen sind spezialgesetzlich geregelte raumrelevante Vorhaben, deren Zulassung eine planerische Entscheidung, also eine Abwägungsentscheidung erfordert 7. Die wichtigsten Fachplanungen betreffen Bundesfernstraßen (§ 17 Abs. 1 FStrG 8 ), Schienenwege von Eisenbahnen einschließlich

5

Blümel (Fn. 3), S. 13. Blümel (Fn. 3), S. 14. 7 Grundlegend Forsthojf/Blümel, Raumordnungsrecht und Fachplanungsrecht, 1970, S. 20; Blümel , Raumplanung und Vermessungswesen, Die Verwaltung 1974, 305 ff. (311 ff.); ders. , Die Straßenplanung im System der Raumplanung, in: Bartlsperger/ Blümel/Schroeter, Ein Vierteljahrhundert Straßenrechtsgesetzgebung, 1980, S. 309 ff ; ders., Art. Planung m (Planungsrecht), Ev. Staatslexikon, 3. Aufl. 1987, Bd. 2, Sp. 2518 ff. 8 Bundesfernstraßengesetz idF der Bek. vom 19.4.1994 (BGBl I S. 854). Rspr.\ BVerwG, Urt. vom 21.3.1996 - 4 C 19.94 BVerwGE 100, 370 = DVB1 1996, 907 = NVwZ 1996, 1016 = NZV 1997, 52 L = UPR 1996, 339 = VRS Bd. 92 (1997), 302; - 4 C 9.95 -, BVerwGE 101, 1 = DÖV 1997, 72; Urt. vom 12.12.1996 - 4 C 29.94 -, BVerwGE 102, 331 = DVB1 1997, 708 = NVwZ 1997,908 = NuR 1997, 348 = UPR 1997, 288; Urt. vom 10.4.1997 - 4 C 5.96 -, NVwZ 1998, 508 (511 f.) = DVB1 1997, 1115; Beschl. vom 14.4.1997 - 4 B 30.97 DÖV 1997, 828. Lit: Marschall/Schroeter/ Kastner, Bundesfernstraßengesetz (FStrG), 5. Aufl. 1998, S. 409 ff. 6

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der Betriebsanlagen der Eisenbahn (§ 18 Abs. 1 AEG 9 ); Flughäfen und Verkehrslandeplätze (§§ 6, 8 LuftVG 1 0 ), Bundeswasserstraßen (§ 14 WaStraG 11 ), Betriebsanlagen für Straßenbahnen (§ 28 PBefG 12 ), Fernmeldelinien (§ 7 TWG 1 3 ), Freileitungen (§ 6 EnEW) 1 4 , Deponien (§ 31 KrW-/AbfG 1 5 ) und nu9 Allgemeines Eisenbahngesetz vom 27.12.1993 (BGBl I S. 2378); geändert durch Gesetz zur Änderung eisenbahnrechtlicher Vorschriften vom 11. 2. 1998 (BGBl I S. 342). Rspr.: BVerwG Urt. vom 27.11.1996 - 11 A 27.96 BVerwGE 102, 269 (273 f.) = NuR 1997, 399 = NVwZ 1997, 917 = UPR 1997, 151; Beschl. vom 30.12.1996, - 11 VR 25.95 -, NVwZ-RR 1997, 525; Urt. vom 12.2.1997 - I I A 66.95 -, NVwZ-RR 1998, 90; Urt. vom 5.3.1997 -11 A 25.95 -, DVB1 1997, 831 = NVwZ 1997, 513; Urt. vom 23.4.1997 - I I A 7.97 -, DVB1 1997,1119; Urt. vom 15.4.1997 11 A 43.96 -, DVB1 1997, 1123; Urt. vom 27.8.1997 - I I A 18.96 ; Beschl. vom 27.8.1996 - 11 VR 10.96 NVwZ-RR 1997, 208 = UPR 1997, 39; Beschl. vom 22.10.1997 - I I B 32.97 -; Urt. vom 5.11.1997 - I I A 54.96 -. Lit.: Ronellenfitsch, Das neue Eisenbahnplanfeststellungsrecht, in: Blümel/Kühlwetter (Hrsg.), Aktuelle Probleme des Eisenbahnrechts, Speyerer Forschungsberichte 160, 1996 (Eisenbahnrecht I), S. 27 ff.; Vallendar, Das neue eisenbahnrechtliche Fachplanungsrecht aus der Sicht der aktuellen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, in: dies. (Hrsg.), Aktuelle Probleme des Eisenbahnrechts II, Speyerer Forschungsberichte 175, 1997 (Eisenbahnrecht II), S. 5 ff; Eckert, Europarechtliche Voraussetzungen des eisenbahnrechtlichen Zulassungsverfahrens, DVB1 1997, 158 ff; Heinze, Eisenbahn-Planfeststellung, 1997. 10 Luftverkehrsgesetz idF der Bek. vom 14.1.1981 (BGBl I S. 61), zuletzt geändert durch das Bundesgrenzschutzneuregelungsgesetz (BGSNeuRegG) vom 19.10. 1994 (BGBl I S. 2978); Rspr.: Beschl. vom 7.11.1996 - 4 B 170.96 -, DVB1 1997, 434 = NVwZ-RR 1997, 523 = NuR 1997,397 = NZV 1997, 247 L = UPR 1997, 106; Urt. vom 21.5.1997 - 11 C 1.97 -, NVwZ-RR 1998, 22; HambgOVG, Urt. vom 26.8. 1996 - Bf. m 89.95 -, NVwZ-RR 1997, 619 = NuR 1997, 452; VGH Bad.-Württ. Urt. vom 1.2.1996 - 8 S 1961/95 -, NVwZ 1997, 594 = UPR 1997, 594; Urt. vom 31. 1.1997 - 8 S 991/96 -, NVwZ-RR 1998, 221 (223); vom 7.4.1997 - 8 S 2550/96 NVwZ-RR 1998, 219 (221)= VB1BW 1997, 384; Beschl. vom 19.8.1997 - I I B 2.97 -; OVGNW, Urt. vom 15.8.1996 - 20 A 2777/94, NVwZ-RR 1998, 23; OVG RhPf, Urt. vom 1.7.1997 - 7 C 11843/93 -NVwZ-RR 1998, 225 L. Lit.: Hartmann, Genehmigung und Planfeststellung für Verkehrsflughäfen und Rechtsschutz Dritter, 1994; Delbanco, Die Änderung von Verkehrsflughäfen, 1998. 11 Bundeswasserstraßengesetz idF der Bek. vom 23.8.1990 (BGBl I S. 1818; geändert durch Gesetz vom 17.12. 1993 (BGBl I S. 2123); vgl. auch BR-Drucks. 968/96. Rspr.: BVerwG, Urt. vom 25.9. 1996 - 11 A 20.96 -, BVerwGE 102, 74 (79 f.) = DVB1 1997, 706; OVG Bremen, Urt. vom 11.6.1996 - 1 G 3/94 (Ls), NVwZ-RR 1997, 534. Zur Planfeststellung nach § 14 HafenentwicklungsG vom 25.1.1982 (HambGVBl S. 19), HambOVG, Beschl. vom 23.9.1996 - Bs m 68/96 -, DVB1 1997, 845. 12 Personenbeförderungsgesetz idF der Bek. vom 8.8.1990 (BGBl I S. 1690); Rspr. BVerwG, Urt. vom 18.12.1987 - 4 C 9.86 , BVerwGE 78, 347 = DVB1 1988,492. 13 Telegraphenwegegesetz idF der Bek. vom 24.4.1991 (BGBl I S. 1053). Rspr.: OVG NW, Beschl. vom 26.6.1996 - 10 B 722/99 -, NVwZ-RR 1997, 471 = NuR 1997, 152 = UPR 1997, 117. 14 Gesetz zur Neuregelung des Energiewirtschaftsrechts vom 19.3.1998 (BGBl I 730); hierzu Cronenberg, Das neue Energiewirtschaftsrecht, RdE 1998, 85 ff. Vgl.

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kleare Endlager (§ 9 b Abs. 1 AtG 1 6 ). Zu erwähnen sind weiter der Wege- und Gewässerplan in der Flurbereinigung ( § 4 1 FlurbG 17 ) und der Gewässerausbau nach § 31 WHG 1 8 . Einen fachplanerischen Einschlag hat schließlich die bergrechtliche Betriebsplanung 19 . Die Beispiele ließen sich leicht um vergleichbare Unternehmergenehmigungen erweitern 20 .

auch Weidemann , Planfeststellungsverfahren für Freileitungen, RdE 1995, 181 ff. Ähnliche Tendenzen bereits bei Blümel , Sicherung des Baus von Anlagen und Leitungsnetzen - Planfeststellungsverfahren, in: Emmerich/Lukes (Hrsg.), Die Sicherheit der Energieversorgung - Ist sie gegenwärtig gefährdet und durch welche Reformmaßnahmen wird sie vergrößert?, 1974, S. 49 ff. 15 Gesetz zur Förderung der Kreislaufwirtschaft und Sicherung der umweltverträglichen Beseitigung von Abfällen (Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetz) vom 27.9.1994 (BGBl I S. 2705). Rspr .: BayVGH, Urt. vom 15.12.1995 - 20 A 94.40027 u.A. , DVB1 1996, 930 L. Vgl. auch Dolde , Standortfestlegung kooperierender Entsorgungsträger und abfallrechtliche Planfeststellung, NVwZ 1996, 526 ff. 16 Gesetz über die friedliche Verwendung der Kernenergie und den Schutz gegen ihre Gefahren (Atomgesetz) idF d. Bek. vom 15.7. 1985 (BGBl I S. 1565), zuletzt geändert durch Gesetz zur Änderung des Atomgesetzes und des Gesetzes über die Errichtung eines Bundesamtes für Strahlenschutz vom 6.4.1998 (BGBl I S. 694). Rspr.: BVerwG, Urt. vom 21.5.1997 - 11 C 1.96 -, DVB1 1998, 38 = NVwZ 1998, 281. Ferner Huntemann , Recht der unterirdischen Endlagerung radioaktiver Abfälle, 1989. 17 Flurbereinigungsgesetz idF der Bek. vom 16.3.1976 (BGBl I S. 546). Rspr:. BVerwG, Urt. vom 6.2.1986 - 5 C 40.84 -, BVerwGE 74, 1 = Buchholz 424.01 § 41 FlurbereinG Nr. 5; Urt. vom 6.3.1986 - 5 C 36.82 -, BVerwGE 74, 84 = Buchholz 424.01 FlurbereinG Nr. 6 = AgrarR 1987, 250 = DVB1 1986, 744. Lit.: Blümel/Ronel lenfitsch , Die Planfeststellung in der Flurbereinigung, 1975. 18 Gesetz zur Ordnung des Wasserhaushalts (Wasserhaushaltsgesetz) idF der Bek. vom 11.11.1996 (BGBl I S. 1690). Rspr.: Nds. OVG, Urt. vom 7.12.1995 - 3 L 5593/92 -, NVwZ-RR 1997, 90; Lit: Knopp , Schwerpunkte der 6. Novelle zum Wasserhaushaltsgesetz, NJW 1997, 417 ff. (420 f.). 19 § 52 Abs. 2 a Bundesberggesetz - BBergG - idF vom 1.8.1990 BGBl 1990 I S. 215. Rspr.: BVerwG, Urt. vom 13.12.1991 - 7 C 25.90 -, BVerwGE 89, 246 = NVwZ 1992, 980; Urt. vom 2. 11.1995 - 4 C 14.94 -, BVerwGE 100, 1; Urt. vom 9.11.1995 - 4 C 25.94 -, DVB1 1996, 259 = NVwZ 1996, 712 = UPR 1996, 146; ThürOVG, Beschl. vom 13.6.1996 - 2 E 64/96 Me -; Beschl. vom 26.2.1997 - 2 EO 624/96 -, NVwZ-RR 1997, 558. Lit: Kühne, Bergrechtlicher Rahmenbetriebsplan, Anlagengenehmigung und Umweltverträglichkeitsprüfung, 1993; Stiens, Der bergrechtliche Betriebsplan, 1995; Kremer, Zur Beteiligung der Gemeinden vor der Zulassung bergbaulicher Vorhaben nach dem Bundesberggesetz, DÖV 1997, 822 ff. 20 Zur historischen Entwicklung und den einzelnen Planfeststellungen nach früherem Recht Blümel, Die Bauplanfeststellung I, 1961, S. 35 ff.; ders., Die Planfeststellung, Zweiter Teil: Die Planfeststellung im geltenden Recht, 1967 = Speyerer Forschungsberichte 140, 1994, S. 58 ff.; Ronellenfitsch, Einführung in das Planungsrecht, 1986, S, 115 ff.; ders., Die Planfeststellung, VerwArch 80 (1989), 92 ff. (107 ff.). Einen umfassenden aktuellen Oberblick bietet auch Stüer, Handbuch des Bau- und Fachplanungsrechts, 1998, Rdnr. 1408 ff.

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Alle Planungen erfordern planerische Gestaltungsfreiheit 21. Das Bundesverwaltungsgericht hat daher schon frühzeitig die Grundsätze der Bauleitplanung 22 auf die Planfeststellungs- 23 und nunmehr auch Plangenehmigungsverfahren 24 übertragen. Um die planerische Gestaltungsfreiheit nicht ins Kraut schießen zu lassen, wurden von vornherein ihre Schranken betont 25 . Dem

21 BVerwG, Urt. vom 12.12.1969 - IV 105.66 BVerwGE 34, 301 (304) = Buchholz 406.11 § 1 Nr. 1 = BauR 1970, 31 BayVBl 1970, 180 = BBauBl 1971, 178 = BRS 22,4 = DÖV 1970, 277 = DVB1 1970, 414 = GemT 1970, 145 = MDR 1970, 702 = VerwRspr. 21, 571. Vgl. umfassend Tschachel, Rechtfertigungserfordernisse für die straßenrechtliche Planfeststellung - Zugleich eine Auseinandersetzung mit der Kategorie der „planerischen Gestaltungsfreiheit", 1994. 22 BVerwG, Urt. vom 5.7.1974 - IV C 50.72 -, BVerwGE 45, 309 (313 ff.) = Buchholz 406.11 § 1 Nr. 9 = BauR 1974, 311 = BRS 28, 19 = DÖV 1975, 92 m. Arnn. Heyl = DVB1 1974, 767= NJW 1975, 70 m. Anm. David. Weitere Nachw. bei Ronellenfitsch, Luftverkehrsrechtliches Genehmigungs- und Planfeststellungsverfahren, in: Blümel (Hrsg.), Die Vereinheitlichung des Verwaltungsverfahrensrechts, 1984, S. 125 ff. ( N 10). 23 Fernstraßen: BVerwG, Urt. 30. 4. 1969 - IV C 6.68 -, Buchholz 407.4 § 17 FStrG Nr. 12, S. 6, 10 - BauR 1970, 35 = BayVBl 1969, 389 = BBauBl 1970, 229 = BRS 26,1 = DÖV 1970, 64 = DVB1 1969, 669 = NJW 1969, 1868; Urt. vom 14.2.1975 - IV C 21.74-, BVerwGE 48, 56 (59) = Buchholz 407.4 § 17 FStrG Nr. 19 = BauR 1975, 191 = BayVBl 1975, 540 L = BRS 29, 13 = DVB1 1975,713 = DÖV 1975, 605 = GewArch 1975, 204 = NJW 1975, 1373; 1976, 158 m. Anm. Schwabe = VerwRspr. 27,92 = VkBl 1975, 420; Urt. vom 23.1.1981 - 4 C 4.78 -, BVerwGE 61, 295 (301) = Buchholz 407.4 § 7 FStrG Nr. 37 = BayVBl 1981, 309 = BRS 45, 332 = DÖV 1981, 758 = DVB1 1981, 932 = NJW 1981, 2137 = NuR 1983, 230 = UPR 1981, 27 = VB1BW 1982, 10; Nds. OVG, NVwZ-RR 1997, 90; Eisenbahnen: BVerwG, Urt. vom 14.12. 1979 - 4 C 10.77 -, BVerwGE 59, 253 (257) = Buchholz 442.08 § 36 BbG Nr. 5 S. 1 (5) = BBauBl 1980, 507 = BRS 35, 8 = DÖV 1980, 410 = DVB1 1980, 301 = MDR 1980, 605 = NJW 1980, 2368 = VerwRspr. 31, 790; Wasserbauten: BVerwG, Urt. vom 10.2.1978 - 4 C 25.75 -, BVerwGE 55, 220 (226) = Buchholz 445.4 § 31 WHG Nr. 4 = BayVBl 1978, 341 = DÖV 1978, 410 = DVB1 1979, 63 = MDR 1978, 694 = NJW 1978, 2308 = NuR 1979, 28 = VerwRspr. 30, 133 = ZfW 1978, 363; 1979, 47 m. Anm. Stortz\ Nds. OVG , Urt. vom 7.12.1995 - 3 L 55593/92 -, NVwZ-RR 1997, 90. Flughäfen: BVerwG, Urt. vom 7.7.1978 - 4 C 79.76 u.a., BVerwGE 56, 110 (116) = Buchholz 442.40 § 8 LuftVG Nr. 2 = BauR 1979, 211 = DÖV 1978, 804 = DVB1 1978, 845 = NJW 1979, 64 m. Anm. Bichel = UPR 1984, 1 = VerwRspr. 30, 728 = ZLW 1979, 4; Urt. vom 29.1.1991 - 4 C 51.89 -, DVB1 1991, 1142 (1143); Abfallentsorgungsanlagen: BVerwG, Beschl. vom 27.5.1986 - 7 B 86.86 -, DVB1 1986, 1281; Urt. vom 21.2.1992 - C 11.91 -, BVerwGE 90, 42; Urt. vom 27.3.1992 - C 18.91 -, BVerwGE 90, 96; Beschl. vom 14.5.1996 - 7 NB 3.95 -, BVerwGE 101, 166 (173 f.) = DVB1 1997, 48. Vgl. auch Kügel, Der Planfeststellungsbeschluß und seine Anfechtbarkeit, 1985, S. 141 ff. 24

BVerwG, Urt. vom 25.9.1996 - I I A 20.96 -, BVerwGE 102, 74 (79 f.) (Fn. 11). Zusammenfassend Ibler, Die Schranken planerischer Gestaltungsfreiheit im Planfeststellungsrecht, 1988; ders., Die behördlichen Abwägungsspielräume bei Bauleitplanung und Planfeststellung, JuS 1990, 7 ff.; Hoppe/Just, Die Ausübung der planeri25

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dient das Abwägungsgebot 26, das durch eine ausdifferenzierte Fehlerlehre Konturen gewann. Auch Fachplanungen wurden strengen förmlichen und inhaltlichen Anforderungen unterworfen. In förmlicher Hinsicht sind vor allem die Bindungen zu beachten, die das Verwaltungsverfahren betreffen. Bedeutsam sind die Vorschriften, die dem Informationsbedürfhis der Betroffenen und der Öffentlichkeit dienen, welche die Möglichkeit von Einwendungen regeln und Mitwirkungsrechte anderer Behörden und der Naturschutzverbände sichern. In materieller Hinsicht spielen bei Fachplanungen die behördeninternen Bindungen an vorbereitende Planungsentscheidungen, das Erfordernis der Planrechtfertigung, die Wahrung der gesetzlichen externen und internen Planungsleitsätze sowie die Anforderungen des Abwägungsgebots eine Rolle. Derartige Anforderungen machen Fachplanungen in hohem Maße fehleranfällig 27. Fachplanungen betreffen jedoch Infrastrukturprojekte , ohne die keine moderne Industriegesellschaft existieren könnte. Das gilt speziell für ein exportorientiertes Land wie Deutschland. Die geographische Lage macht Deutschlands zudem zu einem Transitland für die europäischen Verkehrsströme. Je rascher Europa zusammenwächst, desto zügiger müssen auch die erforderlichen verkehrlichen Infrastrukturmaßnahmen realisiert werden 28 . Fachplanungen scheiterten indessen häufig am Widerstand Betroffener oder sich betroffen Gebender. Da sich vor allem der gerichtliche Widerstand als effektiv erwiesen hat, wurde die Rechtsprechung oftmals als Hemmschuh der Vorhaben angesehen29. Der Grund lag in der angedeuteten Fehleranfälligkeit der Fachplanungen und in den Rechtsfolgen der Fehler. Bedeutet Fehlerhaftigkeit Vernichtbarkeit und betrachten sich die Verwaltungsgerichte als Oberkontrolleure der Verwaltung, sind gerichtlich erzwungene Investitionsstaus unvermeidbar. Der Wirtschaftsstandort Deutschland gerät in Gefahr. Abhilfe

sehen Gestaltungsfreiheit bei der Planfeststellung und Plangenehmigung, DVB1 1997, 789 ff. 26 Hierzu Hoppe/Grotefels , Öffentliches Baurecht, 1995, § 7; Koch , Die normtheoretische Basis der Abwägung, in: Erbguth u.a. (Hrsg.), Abwägung im Recht, Werner Hoppe zur Emeritierung, 1996, S. 9 ff; Bartlsperger , Das Abwägungsgebot in der Verwaltung als objektives und individualrechtliches Erfordernis konkreter Verhältnismäßigkeit, ebd., S. 79 ff. Kritisch Leisner , „Abwägung überall" - Gefahr für den Rechtsstaat, NJW 1997, 636 ff; demgegenüber wiederum Jansen, Die Abwägung von Grundrechten, Der Staat 1997, 27 ff. 27 Vgl. auch Breuer , Verfahrens- und Formfehler der Planfeststellung für räum- und umweltrelevante Großvorhaben, in: Festschr. f. Sendler, 1991, S. 357 ff. 28 Hierzu Ronellenfitsch , Umweltschutz und Verkehr, in: Rengeling (Hrsg.), Handbuch zum Europäischen und Deutschen Umweltrecht, Bd. 2, § 42 ,1998. 29 Der ehemalige Präsident des Bundesverwaltungsgerichts Fürst hat das für die frühen 80er Jahre so umschrieben: „Die Räder stehen still, weil es die Justiz so will, vgl. et 1981, 32 ff (32).

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läßt sich nur schaffen, wenn man entweder bei den Fehlerquellen ansetzt oder die Fehlerfolgen relativiert. Fehlerquellen bei Fachplanungen betreffen in erster Linie den Planungsvorgang und das Planungsergebnis 30. Der Planungsvorgang wurde in den von Blümel geleiteten Straßen- und eisenbahnrechtlichen Fachtagungen ausführlich erörtert. Auf die einschlägigen Beiträge kann pauschal verwiesen werden 31 . Der das Planungsergebnis enthaltende Planfeststellungsbeschluß (bzw. die Plangenehmigung) muß weiter bestimmten materiellen Anforderungen genügen. Nach der Rechtsprechung sind das der Zweck der jeweiligen Planung oder die Planrechtfertigung, die Planungsleitsätze, das Abwägungsgebot und das Abstimmungsgebot. Die Planrechtfertigung 32 ergibt sich bei Verkehrsprojekten im allgemeinen aus der Bedarfsplanung 33. Im übrigen genügt es wie bisher, wenn das Vorhaben „vernünftigerweise geboten" ist 34 . Planungsleitsätze sind die zwingenden gesetzlichen externen (nicht bereichsspezifischen) und internen Vorgaben der planerischen Abwägung 35 , nach - wenig überzeugender - Rechtsprechung 36 etwa das naturschutzrechtliche Vermeidungs- und 30

Vgl. auch Ibler, Die Differenzierung zwischen Vorgangs- und Ergebniskontrolle bei planerischen Abwägungsentscheidungen, DVB1 1988, 469 ff.; Koch, Abwägungsvorgang und Abwägungsergebnis als Gegenstand gerichtlicher Plankontrolle, DVB1 1989, 399 ff. 31 Vgl. aus jüngster Zeit Blümel/Kühlwetter, Eisenbahnrecht I und II; Blümel (Hrsg.), Die Straße als Mehrzweckinstitut, Speyerer Forschungsberichte 179, 1997. 32 Vgl. Niehues, Das Erfordernis der „Planrechtfertigung" als Instrument des verfassungsrechtlichen Eigentumsschutzes (Art. 14 Ans. 3 Satz 1 GG), WiVerw. 1985, 250 ff. 33 BVerwG, Urt. vom 8.6.1995 - 4 C 4.94 -, BVerwGE 98, 339 = Buchholz 407.4. § 17 FStrG 102 = DÖV 1995, 951 = DVB1 1995, 1012 = NJW 1996, 3224 L = NVwZ 1996, 381; Urt. vom 25.1.1996 - 4 C 5.95 -, BVerwGE 100, 238 = Buchholz 407.4 § 17 FStrG Nr. 107 = BauR 1996, 511 = DÖV 1996, 604 = DVB1 1996, 677 = JuS 1997, 181 = NJW 1997, 144 L = NVwZ 1996, 788 = NuR 1996, 466 = NZV 1996. 334 L = ZfBR 1996, 275; VGH Bad.- Württ., Urt. vom 15.12.1987 - 5 S 3279/86 -, VB1BW 1988, 299 (300);Urt. vom 28.12.1995 - 5 S 335/95 -, NVwZ 1996, 928 = NZV 1996, 216 L; BayVGH, Urt. vom 10.1.1997 - 20 A 96.40052 u.a. -, DVB1 1997, 842 (843). Kritisch Blümel, Fachplanung durch Bundesgesetz (Legalplanung), DVB1 1997, 205 ff. (212 ff.) 34 BVerwG, Urt. vom 22.3.1985 - 4 C 15.83 -, BVerwGE 71, 166 (168 f.) = Buchholz 407.4 § 17 FStrG Nr. 59 = DÖV 1985, 789 = DVB1 1985, 900 = RdL 1985, 207 = UPR 1985, 368 = VkBl 1985, 513; Urt. vom 6.12. 1985 - 4 C 59.82 -, BVerwGE 72, 282 = Buchholz 407.4 § 17 FStrG Nr. 62 = BRS 44, 9 = DÖV 1986, 520 = DVB1 1986, 416 = NJW 1986, 1508 NuR 1987, 172 = UPR 1986, 143 = VkBl 1986,437. 35 Vgl. Steinberg, Planrechtfertigung und Planungsleitsätze in der straßenrechtlichen Planfeststellung, NVwZ 1986, 812 ff. 36 BVerwG, Beschl. vom 30.10.1992 - 4 A 4.92 -, Buchholz 406.401 § 8 BNatSchG Nr. 13 = NVwZ 1993, 565; Beschl. vom 22.5.1995 - 4 B 30.95 -, Buchholz 406.401

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Ausgleichsgebot. Das Abwägungsgebot verwirklicht sich in der Vermeidung von Abwägungsfehlern (Ausfall, Defizit, Fehlgewichtung, Disproportionalität). Die Herstellung abgewogener Ergebnisse läßt sich durch ein reichhaltiges Arsenal von Nebenbestimmungen erzielen. Das Abstimmungsgebot wird konkretisiert durch eine Reihe von Vorrangregelungen, von denen die wichtigste deklaratorisch in § 38 BauGB verankert ist 37 . Schon die wenigen Andeutungen zeigen, wo überall Fehler gemacht oder vermutet werden können. So lassen sich der Bedarf und die Planrechtfertigung bezweifeln 38 und insoweit das Fehlen einer UVP rügen 39 . Beliebt sind Angriffe gegen die Standortsuche 40 § 8 BNatSchG Nr. 16; Beschl. vom 22.5.1996 - 4 B 30.95 NVwZ-RR 1997, 217; BVerwG, Urt. vom 7.3.1997 - 4 C 10.96 BauR 1997, 404 = DVB1 1997, 838 = NVwZ 1997, 914 (915) = NZV 1997, 373 = UPR 1998, 329 = ZfBR 1997, 262; Urt. vom 1.9.1997 - 4 A 36.96 NVwZ 1998, 504 (507) = DÖV 1998, 157 = NZV 1997, 532 L.; anders zu § 8a BNatSchG, BVerwG, Beschl. vom 31.1.1997 - 4 NB 27.96 -, BVerwGE 104, 69 (74 f.) = NVwZ 1997, 1213 (1214) = DVB1 1997, 1112. Vgl. aber auch Hamb. OVG, Beschl. vom 8.3.1996 - Bs. V 8/86 -, NuR 1996, 626; Jannasch, Ausgleich und Ersatz nach den Naturschutzgesetzen im straßenrechtlichen Planfeststellungsverfahren, VB1BW 1998, 1 ff.(3). Die weitere Entwicklung ist zweifelhaft, wenn man am Dogma festhält ein ,Abschleifen" der Eingriffsregelung sei zu vermeiden; so aber Schölten , Integrierte Vorhabengenehmigung und naturschutzrechtlichen Eingriffsregelung, DÖV 1997, 701 ff. (701). Nach wie vor für verfassungsrechtlich bedenklich halte ich die Rechtsprechung, wonach das Enteignungsrecht auch zur Durchführung von naturschutzrechtlichen Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen bestehen soll; so aber BVerwG, Beschl. vom 21.12.1995 - 11 VR 6.95 -, Buchholz 442.09 § 18 AEG Nr. 8 = DVB1 1996, 676 = NVwZ 1996, 896 ; VGH Bad.-Württ., Urt. vom 28.3.1996 - 5 S 1301/95 -. Unproblematisch ist der gebietsübergreifende Ausgleich; vgl. BVerwG, Urt. vom 9.5.1997 - 4 N 1.96 -, DÖV 1997, 829. 37 Vgl. auch Bliimel , Recht der Bauleitplanung und Fachplanungsrecht, Vortrag im 138. Kurs des Instituts „Städtebau und Recht", 1980. 38 BVerwG, Urt. vom 8.6.1995 - 4 C 4.94 -, BVerwGE 98, 339 (345 ff.) (Fn. 33); Urt. vom 25.1.1996 - 4 C 5.95 -, BVerwGE 100, 238 (254 f.) (Fn. 33) ; Urt. vom 21.3.1996 - 4 C 19.94 -, BVerwGE 100, 370 (380, 384 f.) (Fn. 8); Urt. vom 21.3.1996 - 4 C 26.94 -, BVerwGE 100, 388 (390) = Buchholz 407.4 § 17 FStrG Nr. 114 = BayVBl 1996, 567 = DVB1 1996, 337 = NJW 1997, 1983 L = NVwZ 1997, 169 = NZV 1996, 383 L = UPR 1996,214 = ZfBR 1996,280; BVerwG, Urt. vom 27.11. 1996 - I I A 99.95 -, Buchholz 316 § 78 VwVfG Nr. 8 = LKV 1997,213 = NVwZ 1997, 684 L; Urt. vom 18.6.1997 - 4 C 3.95 -, NVwZ-RR 1998,292 (293) = NZV 1997,495 (Ls). 39 BVerwG, Beschl. vom 22.9.1997 - 4 B 147.97 -, NVwZ-RR 1998,300 = DÖV 1998, 160. 40 Die Ablehnung einer Planungsalternative stellt nur dann einen Verstoß gegen den Grundsatz gerechter Belangeabwägung dar, wenn der Alternativvorschlag eindeutig besser ist und sich geradezu aufdrängt; BayVGH Urt. vom 13.3.1995 - 1 N 94.1198 -, BayVBl 1995, 399. Zur Alternativenprüfung bei der Standortsuche für Abfallentsorgungsanlagen, BVerwG, Beschl. vom 14.5.1996 - 7 NB 3.95 -, BVerwGE 101, 166 (Fn. 23). Vgl. auch Vogelsang , Vergleichende Standortsuche für Abfallentsorgungsanlagen, Diss. Trier 1996. Zur Berücksichtigung der naturschutzrechtlichen Eingriffsregelung VGH Bad. Württ., Urt. vom 23.6.1988 - 5 S 1030/87 -, NVwZ-RR 1989, 349.

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und Trassenwahl 41 (mit dem Nonsens-Begriff von der Null-Variante 42 ); Stichwort: Defizitäre Alternativenprüfung 43 . Bei linienförmigen Planungen wird die Abschnittsbildung angegriffen 44. Oft wird auch die Bekanntmachung des Vorhabens gerügt 45 . Zumeist wird behauptet, die Unterlagen seien unvollständig oder irgendwelche Umweltbelange seien nicht berücksichtigt. Umgekehrt werden, um sicherzugehen, Pläne festgestellt, die gar nicht feststellungsfähig sind (UVS-Studie im Gegensatz zum landschaftspflegerischen Begleitplan 46 ). Die Naturschutzverbände rügen die unzulängliche Einsicht in Sachverständigengutachten 47 oder daß irgendwelche Naturschutzverbände übersehen oder um ihr Beteiligungsrecht gebracht worden seien48. Die Träger öffentlicher Belange geben verspätete Stellungnahmen ab, die nicht mehr berücksichtigt werden, auf die es aber angeblich bei der Abwägung ankommt. Fast immer werden Verstöße gegen die Öflfentlichkeitsbeteiligung im Rahmen der UVP gerügt 49 . Im Erörterungstermin wird die Tagesordnung angegriffen, oder manche Einwender beanstanden, daß sie nicht ausreichend zu Wort ka-

41 BVerwG, Urt. vom 12.12.1996 - 4 C 29. 94 BVerwGE 102, 331 (339) = DVB1 1997, 708 (712) = NVwZ 1997,908 = NuR 1997, 348 = UPR 1997, 288; Beschl. vom 24.9.1997 - 4 VR 21.96 NVwZ-RR 1998, 297 = NZV 1998, 44. Zur Beschränkung der UVP bei der Altemativenprüfung auf die realistischste Trasse BVerwG, Beschl. vom 16.8.1995 - 4 B 92.95 Buchholz 407.4 § 17 FStrG Nr. 104 = NVwZ-RR 1996, 68; Urt. vom 25.1.1996 - 4 C 5.95 -, BVerwGE 100, 238 (Fn. 33); Urt. vom 5.3.1997 -11 A 25.95 DVB1 1997, 831 (832) (Fn. 9); VGH Bad.-Württ., Urt. vom 22.11.1996 - 8 S 1006/96 42 Vgl. aber BVerwG, Urt. vom 10.4.1997 - 4 C 5.96 -, NVwZ 1998, 508 (511 f.) (Fn. 8). 43 Hierzu umfassend Schiarmann, Die Altemati venprüfung im Planungsrecht, 1991. Zur Variantenauswahl auch Dürr, Aktuelle Fragen der Planfeststellung, VB1BW 1992, 321 ff. (323). 44 BVerwG, Beschl. vom 2.2.1996 - 4 A 42.95 -, NVwZ 1996, 905; Urt. vom 21.3.1996 - 4 C 19.94 BVerwGE 100, 370 (Fn. 8); - 4 C 26.94 BVerwGE 100, 338 (Fn. 37); Beschl. vom 30.12.1996 - 11 VR 21.95 NVwZ-RR 1998, 294 (285); Urt. vom 7.3.1997 - 4 C 10.96 -, DVB1 1997, 838 (Fn. 36). 45 BVerwG, Gerichtsbesch, vom 3.7.1996 - I I A 64.95 -, NVwZ 1997,391(392) = UPR 1997, 30. 46 BVerwG, Urt. vom 23.8.1996 - 4 A 29.95 -, DVB1 1997, 68 (69). 47 Vgl. BVerwG, Urt. vom 5.3.1997 - 11 A 14.96 -, Buchholz 406.401 § 29 BNatSchG Nr. 13; Urt. vom 12.11.1997 - 11 A 49.96-, BayVBl 1998,280(281). 48 BVerwG, Urt. vom 15.4.1997 - I I A 43.96 -, DVB1 1997,1123. 49 Hierzu BVerwG, Urt. vom 8. 6.1995 - 4 C 4.94 -, BVerwGE 98, 339 (Fn. 33); Urt. vom 12.12.1996 - 4 C 29.94 -, BVerwGE 102, 331 (336 ff.) (Fn. 8); VGH Bad.Württ, Urt. vom 22.3.1995 - 5 S 2488/94 -, NVwZ 1996, 304. Zur UVP im Raumordnungsverfahren Nds. OVG, Beschl. vom 4.12.1997 - 7 M 1155/97 -, NdsVBl 5/ 1998, IX L.

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men, was angeblich ein Beweis für die Befangenheit 50 des Verhandlungsleiters sei. Die behaupteten materiellen Fehler erstrecken sich auf das gesamte Abwägungsmaterial 51 . Zu den Highlights zählen insoweit regelmäßig Lärm- 5 2 und Schadstoffbelastungen 53 und der Schutz ökologisch besonders wertvoller Gebiete (Stichwort: Flora-Fauna-Habitat 54). Schon um nicht weiteres Material für etwaige Prozesse aufzubereiten, solle es mit dieser Aufzählung sein Bewenden haben. Die Fehler ließen sich vermeiden, wenn man die förmlichen und materiellen Anforderungen reduzieren könnte. Eine Deregulierung ist aber bei Einhaltung des Abwägungsgebots nur begrenzt möglich. Folglich kann nur bei den Fehlerfolgen angesetzt werden. Die Fehlerfolgen bei Fachplanungsentscheidungen richten sich nach den § 43 ff. VwVfG des Bundes oder der Länder. Sowohl nach Bundes- wie auch nach Landesrecht sind fehlerhafte Fachplanungsentscheidungen, sofern keine Nichtigkeitsgründe (§ 44 VwVfG) vorliegen, zunächst einmal wirksam. Sie sind jedoch grundsätzlich aufhebbar 55. Auf die Kontroverse, ob fehlerhafte Planfeststellungsbeschlüsse und Plangenehmigungen den allgemeinen Rücknahmevorschriften unterliegen 56 , ob die Planaufhebungsbestimmungen mit Rücksicht auf das fortwirkende Abwä-

50 Zur Befangenheit bei der isolierten Bauleitplanung VGH Bad.-Württ., Urt. vom 22.7.1997 -5 S 3391.94 NVwZ-RR 1998,325 = VB1BW 1998,177. 51 Klärend BVerwG, Beschl. vom 5.10.1990 - 4 B 249.89 -, NVwZ-RR 1991, 118. Zu den Ermittlungen, die sich der Planfeststellungsbehörde „hätten aufdrängen müssen", BVerwG, Beschl. vom 9.3.1993 - 4 B 190.92 -, NVwZ-RR 1993, 330. 52 BVerwG, Urt. vom 21.3.1996 - 4 C 9.95 -, BVerwGE 101, 1 (Fn. 8); Urt. vom 18.4.1996 - I I A 86.95 -, BVerwGE 101, 74; Urt. vom 5.3.1997 - I I A 25.93 -, DVB1 1997, 831; Urt. vom 23.4. 1997 - 11 A 7.97 -, DVB1 1997, 1119; Gerichtsbesch, vom 29.4.1997 - 4 A 46.96 -, NVwZ-RR 1998, 89; HambOVG, Urt. vom 23.5.1995 - Bf E 67/90 P; BayVGH, Urt. vom 15.10.1996 - 20 A 95.40052 u.a.-; OVG NW vom 28.8.1996 - IIa D 152/92 -, NVwZ-RR 1997, 686. Vgl. auch Hendlmeier, Zwei Jahre Erfahrung mit der Verkehrslärmschutzverordnung (16. BImSchV), NuR 1992,463 ff. 53 BayVGH, Urt. vom 11.6.1996 - 20 A 90 40036,40054 -, DVB1 1997, 70. 54 RL 92/43/EWG des Rates vom 21.5.1992 zur Erhaltung der natürlichen Lebensräume sowie der wildlebenden Tiere und Pflanzen, ABl Nr. L 206 vom 22.7.1992 Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie; hierzu BVerwG, Beschl. vom 31.1.1998 - 4 VR 3.97 -; Erbguth/Stollmann , Die Bindung der Verwaltung an die FFH-Richtlinie, DVB1 1997, 453 ff.; Kirchberg , Bedeutung der Richtlinie „Flora, Fauna, Habitat" der Europäischen Gemeinschaft für nationale Planfeststellungsverfahren, in: Blümel/Kühlwetter (Hrsg.), Eisenbahnrecht E, S. 163 ff. 55 Zu dieser „immanenten Logik der Rechtsordnung" Forsthoff, Lehrbuch des Verwaltungsrechts, Bd. I, 10. Aufl. 1973, S. 223. 56 Vgl. BayVGH, Beschl. vom 12.10.1995 - 20 B 94.1188 -, NVwZ 1996, 1125 = BayVBl 1996, 400 = NuR 1997, 95; vgl. auch VG Darmstadt, Urt. vom 16.4.1997, NVwZ-RR 1998, 281 (282).

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gungsgebot leges speciales darstellen 57 oder ob eine Kombinationslösung geboten ist, soll hier nicht näher eingegangen werden. Wichtiger ist die Frage, ob die Vernichtbarkeit fehlerhafter Fachplanungen namentlich durch die Verwaltungsgerichtsbarkeit die automatische Fehlerfolge ist. Das ist nicht der Fall. Die frühere h.M. maß solchen Fehlern, welche ersichtlich auf den Inhalt des Verwaltungsakts keinen Einfluß haben» für die Rechtsbeständigkeit keine Bedeutung bei 58 . Von Anfang an enthielt dementsprechend das VwVfG im Hinblick auf Verfahrens- und Formfehler die Heilungsvorschrift des § 45 VwVfG 5 9 sowie den Ausschluß des Aufhebungsanspruchs nach § 46 VwVfG. Die Vorschriften waren schon immer umstritten 60 . Teile des Schrifttums witterten „die Gefahr, daß die Verwaltung die Vorschriften über das Verfahren, die Form und die Zuständigkeit nicht so ernst nimmt, wie sie es verdienen" 61 . Manche Autoren glaubten, § 46 VwVfG verfassungskonform restriktiv auslegen zu müssen62. Generell galt, daß die Vorschrift bei Ermessensentscheidun57 Vgl. Grupp, Aufhebung von Planfeststellungsbeschlüssen, in: Blümel (Hrsg.), Abweichungen von der Planfeststellung, Speyerer Forschungsberichte 85, 1990, S. 27 ff. = DVB1 1990, 81 ff. Zum Verhältnis von § 17 AtG und § 9 b AtG, BVerwG, Urt. vom 21.5.1997 - 11 C 1.96 -, DVB1 1998, 38 (Fn. 16). 58 Forsthoff (Fn. 54), S. 225. Nach der klassischen Einteilung von Gaston Jèze, Les principes généraux de droit administratif, 2. Aufl. Paris 1914, S. 57 handelt es sich um den Fall der „absence de tout sanction juridique". 59 Zur Handhabung BVerwG, Urt. vom 27.1.1982 - 8 C 12.81 -, BVerwGE 64, 356 (358) =• NVwZ 1982, 620; Urt. vom 27.6.1985 - 8 C 30.84 -, BVerwGE 71, 363 (368) = Buchholz 406.11 § 131 Nr. 61 BRS 43, 164 = DVB1 1985, 1180 = DÖV 1986, 379 = HessGZ 1986, 33 = KStZ 1986, 51 = NVwZ 1986, 305 = ZfBR 1985, 238; Beschl. vom 5.2.1993 - 7 B 107.92 -, NVwZ 1993, 976. 60 Vgl. Bettermann, Die Anfechtung von Verwaltungsakten wegen Verfahrensfehlem, in: Festschr. f. Ipsen, 1977, S. 271 ff.; ders., Anfechtbare und nichtanfechtbare Verfahrensmängel, in: Festschr. f. Menger 1985, S. 709 ff.; Hill, Das fehlerhafte Verfahren und seine Folgen im Verwaltungsrecht, 1986; Hufen, Heilung und Unbeachtlichkeit grundrechtsrelevanter Verfahrensfehler, NJW 1982, 2160 ff.; ders., Fehler im Verwaltungsverfahren, 2. Aufl. 1991, Rdnr. 511 ff.; Krebs, Kompensation von Verwaltungsverfahrensfehlern durch gerichtlichen Rechtsschutz?, DVB1 1984, 109 ff.; Kopp, Die Heilung von Mängeln des Verwaltungsverfahrens und das Nachschieben von Gründen im Verwaltungsprozeß, VerwArch 69 (1970), 219 ff; Pagenkopf Verringerung des Rechtsschutzes gegen behördliche Verfahrenshandlungen?, NJW 1979, 2382 ff.; Schenke, Der verfahrensfehlerhafte Verwaltungsakt gemäß § 46 VwVfG, DÖV 1986, 305 ff.; Seibert, Die Beachtlichkeit von Fehlem im Verwaltungsverfahren gemäß § 46 VwVfG und die Konsequenzen für das verwaltungsgerichtliche Verfahren, Festschr. f. Zeidler, Bd. 1, 1987, S. 469 ff. 61 Ule/Laubinger, Verwaltungsverfahrensrecht, 4. Aufl. 1995, § 58 Rdnr. 1. Vgl. auch Klappstein, in: Knack, Verwaltungsverfahrensgesetz, 5. Aufl. 1996, § 46 Anm. 2. 62 Vgl. Meyer/Borgs, Verwaltungsverfahrensgesetz, 2. Aufl. 1982, § 46 Rdnr. 4; Meyer, Die Kodifikation des Verwaltungsverfahrens und die Sanktion für Verfahrensfehler, NVwZ 1986, 138 ff.

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gen und erst recht bei Abwägungsentscheidungen unanwendbar sei 63 . Ob der formelle Mangel in irgendeiner Weise sich auf den Inhalt des Verwaltungsakts ausgewirkt habe, sollte keine Rolle spielen. Um einen Verwaltungsakt gleichen Inhalts zu erlangen, mußte gegebenenfalls das gesamte Verwaltungsverfahren wiederholt werden. Das Bundesverwaltungsgericht versuchte, die schlimmsten Auswüchse der h.L. zu vermeiden, und erklärte, daß Verfahrensund Formfehler nicht notwendigerweise zur Rechtswidrigkeit führen 64 . Die für Fachplanungen grundlegende Entscheidung war das Urteil zum Münchener Flughafen vom 5.12.1986 65 . Dort heißt es: „Nach allgemeinen Grundsätzen des Verwaltungsrechts... führt ein Verfahrensfehler nur dann zur Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes, wenn sich der Mangel auf die Entscheidung ausgewirkt haben kann." Es müsse zumindest die konkrete Möglichkeit bestehen, daß ohne den angenommenen Verfahrensfehler die angegriffene Entscheidung anders ausgefallen wäre 66 . Die Rechtsprechung knüpfte damit zutreffend an die Lehre aus der Zeit an, als sich der Grundrechtsschutz durch Verfahren noch nicht verselbständigt hatte, und griff gesetzgeberische Kurskorrekturen auf, die das damalige Schrifttum nicht wahr haben wollte. So glaubte selbst das Bundesverwaltungsgericht zunächst, die § 155 a, 155 b BBauG 1976/1979 verfassungskonform abmildern zu müssen67, judizierte

63 Exemplarisch Grimm , Verfahrensfehler als Grundrechtsverstöße, NVwZ 1985, 865 ff. (870 ff.). Vgl. ferner Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, Verwaltungsverfahrensgesetz, 4. Aufl. 1993, § 46, Rdnr. 29 ff. 64 Urt. vom 12.9.1984 - 8 C 124.82 - BVerwGE 70, 96 =, Buchholz 406.11 § 135 Nr. 25, S. 25 = BauR 1984, 626 = BRS 43, 332 = DÖV 1985, 382 = DVB1 1985, 126 = HessGZ 1984, 413 = KStZ 1985, 51 = NVwZ 1985, 277 (278) =ZMR 1984, 103; Urt. vom 5.10.1984 - 8 C 41.83 -, Buchholz 406.11. § 135, Nr. 26 (S. 30) = BRS 43, 338 = DVB1 1985, 294 = HessGZ 1984,458 = KStZ 1985, 49 = NVwZ 1985, 836 L = ZMR 1985, 31. Andeutungen schon bei Messerschmidt, Zur Heilung und Folgenlosigkeit von Verfahrens- und Formfehlern bei Verwaltungsakten gem. §§ 45 und 46 VwVfG, NVwZ 1985, 877 ff. (880). 65 4 C 13.85 -, BVerwGE 75, 214 = Buchholz 442.40 § 8 8 LuftVG Nr. 6 = BauR 1987, 412 = BayVBl 1987, 563 = BRS 46, 57 = DVB1 1987, 573 = NVwZ 1987, 578 = UPR 1987 ,343 = ZLW 1987, 292.Vgl. auch BVerwG, Beschl. vom 24.10.1991 - 7 B 65.91 NVwZ 1992, 789. 66 BVerwG, Urt. vom 5.12.1986 - 4 C 13.85 -, BVerwGE 75, 214 (228) (Fn. 65). Ferner BVerwG, Beschl. vom 24.6.1993 - 4 B 114.93 -, VkBl 1995, 210; Urt. vom 17.2.1997 - 4 A 41.96 -, NVwZ 1997, 998; - 4 VR 17.96 -, LKV 1997, 328. Vgl. auch Sächs.OVG, Urt. vom 14.2.1996 - 1 S 224/95-, NuR 1996, 623. Allgemein in diesem Sinn zu § 46 VwVfG BVerwG, Beschl. vom 3.4.1997 - 6 B 4.97 -, Buchholz 421.0 Prüfungswesen Nr. 379; Sächs.OVG vom 24.9.1996 - 3 S 228/94 -, SächsVBl 1997, 60 = LKV 1997, 466 L. Kritisch Nürnberger, Die verwaltungsgerichtliche Kontrolle von Planungen aus der Sicht eines Rechtsanwalts, AnwBl 1994, 540 ff. 67 BVerwG, Urt. vom 21.8.1981 - 4 C 57.80 -, BVerwGE 64, 33 (35) = Buchholz 406.11 § 155 b BBauG Nr. 1 = BauR 1981, 535 = BayVBl 1982, 118 = BRS 38,81 =

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später dann aber großzügiger 68 . Die Kritik der §§ 214, 215 BauGB 1987 / BauROG 69 fiel noch moderater aus, weil zu diesem Zeitpunkt schon die allgemeine Beschleunigungsdiskussion entfacht worden war 70 . Die Öffnung der innerstaatlichen Grenze zur DDR schuf endgültig eine andere Lage. Der Verfassungsauftrag zur Schaffung einheitlicher Lebensverhältnisse ließ sich angesichts der desolaten Verkehrsinfrastruktur im Beitrittsgebiet in einem angemessenen Zeitraum mit dem vorhandenen Instrumentarium des Fachplanungsrechts nicht bewältigen 71 . Auf der Grundlage wissenschaftlicher Vorarbeiten kam das Verkehrswegeplanungsbeschleunigungsgesetz 72 zustande, das die

DVB1 1982, 354 = NJW 1982, 591 = RdL 1982, 9 = UPR 1982, 22 = ZfBR 1981, 286. Kritisch zu den Vorschriften Boecker, Heilung mangelhafter Bauleitpläne und Satzungen, Gedanken zu den neuen Vorschriften der §§ 155 a bis c des BBauG, BauR 1979, 361 ff. (370); Grave, § 155 b BBauG - mißglückt und verfassungswidrig!, BauR 1980, 199 ff. (205 ff); Gubelt, Verfahrensbeschleunigung und Investitionserleichterungen im Städtebaurecht, NJW 1979, 2071 ff. (2075); Keßler, Die Abwertung der Verfahrensvorschriften im Bauplanungsrecht durch §§ 155a-c BBauG, Diss. Bonn 1980; Lemmel, Die Unbeachtlichkeit von Mängeln der Begründung des Bebauungsplanes nach der Bundesbaugesetz-Novelle, DVB11981, 318 ff. Positiver, aber immer noch zu restriktiv Söjker, Zu den Unterschieden der Rechtskontrolle von Bauleitplänen durch die Genehmigungsbehörden und Gerichte auf Grund der §§ 155a bis 155 c BBauG, ZfBR 1979, 191 ff. (193); ders. Zu einigen Fragen der Rechtswirksamkeit von Bebauungsplänen im Zusammenhang mit den „Heilungsklauseln" der §§ 155 a bis 155 c BBauG, ZfBR 1981, 60 ff. (65), Weyreuther, Das Bundesbaurecht in den Jahren 1978 und 1979, DÖV 1980, 389 ff (390, 391 f.); Battis, Grenzen der Einschränkung gerichtlicher Plankontrolle, DÖV 1981, 433 ff. (435). 68 Urt. vom 5.12. 1986 - 4 C 31.85 -, BVerwGE 75, 262 (268 f.) = NJW 1987,1346. 69 Hierzu Schaber, Unbeachtlichkeit und Heilung von Fehlem bei Bauleitplänen und anderen städtebaulichen Satzungen nach dem Bau- und Raumordnungsgesetz 1998, VB1BW 1998, 161 ff. Vgl. auch Dolde, Die „Heilungsvorschriften" des BauGB für Bauleitpläne, BauR 1990, 1 ff. Rspr.: BVerwG, Beschl. vom 23.6.1992 - 4 NB 26.92 -, Buchholz 406.11 § 215 BauGB Nr. 2 = NVwZ 1993, 361; Beschl. vom 3.7.1995 - 4 NB 11.95 -, Buchholz 406.11 § 215 BauGB Nr. 4 = NVwZ 1996, 374 = NJW 1996,2808 L = ZfBR 1995, 319; Beschl. vom 18.12.1995 - 4 NB 30.95 -, Buchholz 406.11 § 215 BauGB Nr. 6 = BauR 1996, 351 = BayVBl 1996, 280 = DÖV 1996, 380 = DWW 1996, 122 = NuR 1996, 464 = NVwZ 1996, 890 = ZfBR 1996, 163; Beschl. vom 25.2.1997 - 4 NB 40.96 -, NVwZ 1997, 893 = BauR 1997, 590 = DVB1 1997, 828 = UPR 1997, 323 = ZfBR 1997, 206; Beschl. vom 7.4.1997 - 4 B 64/97 -, NVwZ-RR 1997, 515 = UPR 1997, 336; Nds. OVG, Beschl. vom 17.5.1995 - 1 K 3537/94 -, NVwZ-RR 1996, 9. 70 Vgl. zusammenfassend die Blüntel zum 65. Geburtstag gewidmete Schrift von Ronellenfitsch, Beschleunigung und Vereinfachung der Anlagenzulassungsverfahren, 1994. 71 Programmatisch Kern, Die (fern-)straßenrechtliche Planfeststellung - ein Verfahren ohne Ende?, DÖV 1989, 932 ff. 72 Gesetz zur Beschleunigung der Planung für Verkehrswege in den neuen Ländern sowie im Land Berlin - VerkPBG - vom 16.12.1991 (BGBl I S. 2174); hierzu Ronel-

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Fachplanungsgesetze modellhaft modernisierte. Die Verfahrensstraflung, Plangenehmigung 73 , die überfällige Einführung der materiellen Präklusion bei allen mehrpoligen Rechtsverhältnissen 74, der befristete Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung und namentlich die Heilungsvorschriften stellten endlich wieder Waffengleichheit von Projektträgern und Projektgegnern her. Es bestand somit kein Grund, die Verbesserungen auf die neuen Bundesländern und Verbindungswege zu beschränken. Das Planungsvereinfachungsgesetz 75 trug dem Rechnung. Was die Beachtlichkeit von Abwägungsfehlern be-

lenfitsch , Verkehrswegeplanung in Deutschland. Beschleunigungsgesetz - Investitionsmaßnahmegesetze, in: Blümel (Hrsg.) Verkehrswegeplanung in Deutschland, Speyerer Forschungsberichte 105, 1991 = 3. Aufl. 1993, S. 5 ff.; ders. , Beschleunigungsgesetz - Investitionsmaßnahmegesetze - Die Beschleunigung von Verkehrsprojekten -, ebd., S. 107 ff; ders., Neues Verkehrswegeplanungsrecht, in: Blümel (Hrsg.), Verkehrswegerecht im Wandel, 1994, S. 179 ff. = DVB1 1994, 441 ff; Wagner , Verfahrensbeschleunigung durch das Verkehrswegeplanungsbeschleunigungsgesetz, NVwZ 1992, 232 ff; Reinhardt , Das Verkehrswegeplanungsbeschleunigungsgesetz, DtZ 1992, 258 ff; Paetow, Rechtsprechung zum Verkehrswegeplanungsbeschleunigungsgesetz. 73 Vgl. Müllmann , Die Plangenehmigung im Wasserrecht, 1994; Ringel , Die Plangenehmigung im Fachplanungsrecht, 1996; Jarass , Aktuelle Probleme des Planfeststellungsrechts, DVB1 1997, 795 ff (796 ff.) m. zutreffender Anm. von Rosenbach, DVB1 1997, 1223 ff ; Pfeil , Plangenehmigung und Umweltverträglichkeitsprüfung, in: Blümel/Kühlwetter, Eisenbahnrecht E, S. 101 ff. Zu den dogmatischen Grundlagen der Kodifikation Ronellenfitsch, Verzicht auf Planfeststellung, in: Blümel (Hrsg.), Abweichungen, S. 57 ff = Die Verwaltung 1990, 323 ff. 74 Hierzu BVerwG, Beschl. vom 12.11.1992 - 7 ER 300.92 -, Buchholz 442.08 § 36 BBahnG Nr. 22; Beschl. vom 19.3.1995 - 11 VR 2.95 , NVwZ 1995, 905; Beschl. vom 12.2.1996 - 4 A 38.95 -, DVB1 1996, 684 = NVwZ 1997, 171 = NuR 1997, 75 = UPR 1996, 236; Gerichtsbesch, vom 27.12. 1995 - I I A 24.95 -, NVwZ 1996, 895 = BayVBl 1996, 315 Urt. vom 24.5.1996 - 4 A 38.95 -, DVB1 1987, 51 = NuR 1997, 83 = NVwZ 1997, 489 = UPR 1996, 386 ; Urt. vom 12.2.1997 - I I A 62.95 -, DVB1 1997, 724 (726); Urt. vom 23.4.1997 - I I A 7.97 -, DVB1 1997, 1119 (1120); Beschl. vom 27.10.1997 - 11 VR 4.97 -, DÖV 1998, 32. Unzutreffende Kritik durch Solveen , Zur materiellen Präklusion im Fachplanungsrecht, DVB1 1997, 803 ff Gegen ähnliche Argumente bereits Blümel, Unwirksamkeit der gewerberechtlichen Ausschlußfrist für Einwendungen gegen genehmigungspflichtige Anlagen, BB 19963, 882 ff In diesem Sinne dann auch BVerfG, Beschl. vom 8.7.1982 - 2 BvR 1187/80 BVerfGE 61, 82 mit Bespr. Ronellenfitsch, Gemeindliches Eigentum und materielle Präklusion BVerfGE 61, 82, JuS 1983, 594 ff. 75 Gesetz zur Vereinfachung der Planungsverfahren für Verkehrsvorhaben PIVereinfG) vom 17.12. 1993 (BGBl I S. 2123); hierzu Steiner, Das Planungsvereinfachungsgesetz, NVwZ 1994, 313 ff; auch Paetow, Beschleunigungsmaßnahmen bei der Fernstraßenplanung, ZUR 1996, 57 ff; Siegel, Verfahrensbeschleunigung in der Verkehrswegeplanung, 1997.

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trifft, wurde die Parallele zur Bauleitplanung hergestellt. Die verkehrlichen Fachplanungsbestimmungen76 erhielten alle die Regelung: „Mängel bei der Abwägung der von dem Vorhaben berührten öffentlichen und privaten Belange sind nur erheblich, wenn sie offensichtlich und auf das Abwägungsergebnis von Einfluß gewesen sind. Erhebliche Mängel bei der Abwägung oder eine Verletzung von Verfahrens- oder Formvorschriften führen nur dann zur Aufhebung des Planfeststellungsbeschlusses oder der Plangenehmigung, wenn sie nicht durch Planergänzung oder durch ein ergänzendes Verfahren behoben werden kömien; die §§45 und 46 des Verwaltungsverfahrensgesetzes und die entsprechenden landesrechtlichen Bestimmungen bleiben unberührt." Nachdem die Fachplanungsgesetze modernisiert worden waren, lag es nahe, das VwVfG anzupassen. Dies geschah durch das Genehmigungsverfahrensbeschleunigungsgesetz 77. Bei dieser Gelegenheit wurde endlich die mißverständliche Fassung von § 46 VwVfG präzisiert. Wichtig ist insbesondere der neue § 45 Abs. 2 VwVfG, wonach Verfahrens- und Formfehler bis zum Abschluß eines verwaltungsgerichtlichen Verfahrens - also nach dem eindeutigen Wortlaut - auch noch in der Revisionsinstanz nachgeholt werden können. Die prozessualen Konsequenzen zog das 6. VwGOÄndG 7 8 insbesondere in den §§ 87 Abs. 1 Nr. 7, 94 Satz 2, 114 Satz 2 VwGO. Die Unbeachtlichkeits- und Heilungsvorschriften bedeuten einen Paradigmenwechsel, nachdem jahrzehntelang der Grundrechtsschutz durch Verfahren gepredigt worden war und die Verwaltungsgerichtsbarkeit gegenüber der Verwaltung einen pädagogischen Auftrag verspürte. Daß die Kritiker des Verwaltungsstaats 79, die Demokratisierungs- und Partizipationsfanatiker 80 u.

76

§ 20 Abs. 7 AEG; § 17 Abs. 6 c FStrG; § 29 Abs. 8 PBefG; § 8 Abs. 8 LuftVG. Rspr.: BVerwG, Urt. vom 31.3.1995 - 4 A 1.93 -, Buchholz 407.4 § 17 FStrG Nr. 99; Urt. vom 12.12.1996 - 4 C 19.95 -, Buchholz 406.401 § 29 BNatSchG Mr. 12, S. 28 f. = DVB1 1997, 714 = NVwZ 1997, 905 = NuR 1997,345 = UPR 1997,292; Urt. vom 12.11.1997 - 11 A 49,96-, BayVBl 1998,281. 77 Gesetz zur Beschleunigung von Genehmigungsverfahren - GenBeschlG - vom 12.9.1996 (BGBl I S. 1354); hierzu Stüer, Die Beschleunigungsnovellen 1996, DVB1 1997, 326 ff.; Schmitz/Wessendorf, Das Genehmigungsverfahrensbeschleunigungsgesetz - Neue Regelungen im Verwaltungsverfahrensgesetz und der Wirtschaftsstandort Deutschland, NVwZ 1996, 955 ff; Bonk, Strukturelle Änderungen des Verwaltungsverfahrens durch das Genehmigungsverfahrensbeschleunigungsgesetz, NVwZ 1997, 320 ff.; Ronellenfitsch, Novellierung des Verwaltungsverfahrensgesetzes, in: Rengeling (Hrsg.), Beschleunigung von Planungs- und Genehmigungsverfahren - Deregulierung, 1997, S. 51 ff. 78 Sechstes Gesetz zur Änderung der Verwaltungsgerichtsordnung und anderer Gesetze vom 1.11.1996 (BGBl I S. 1626). Lit. Fn. 86. 79 In Anlehnung an den Sprachgebrauch von Bartlsperger, Die Bauleitplanung als Reservat des Verwaltungsstaates, DVB1 1967, 360 ff.

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dgl., nicht verstummen würden, war klar 8 1 . Wie immer ist man mit dem Totschlagargument „Abbau von Bürgerrechten" leicht bei der Hand. Durch das Unterbleiben notwendiger Infrastrukturmaßnahmen werden indessen auch Bürgerrechte abgebaut, und sei es nur das Grund- und Menschenrecht auf Mobilität 8 2 . Das ändert nichts daran, daß die Befürworter der neuen Vorschriften sich der Kritik stellen müssen, zumal auch Teile der Rechtsprechung nicht bereit sein dürften, Kontrollmittel kampflos aus der Hand zu geben. Aufschlußreich ist insoweit ein Beitrag von Berkemann, 83 für den die Betonung der Verfahrensrechte eine der großen rechtspolitischen Leistungen seit Mitte des 19. Jahrhunderts darstellt 84 . Heilungsvorschriften wie die neuen § 87 Abs. 1 Nr. 7 VwGO oder § 94 Satz 2 VwGO machten die richterliche „Drohgebärde" zur stumpfen Waffe und relativierten das Bemühen das Bundesverfassungsgerichts um effektiven Grundrechtsschutz 85. Der effektive Grundrechtsschutz dient indessen den materiellen Grundrechten und nicht reinen Verfahrenspositionen. Aus meiner Sicht geht die Kritik von Berkemann und anderer 86 fehl, ist anachronistisch und beruht auf einem Rollenverständnis der Verwaltungsgerichtsbarkeit, das die Aufgabe der Verwaltung erschwert, nicht nur (selbstverständlich) rechtlich korrekte, sondern auch sachlich überzeugende Planungsentscheidungen zu treffen. Blümeis Feststellung aus dem Jahr 1975, „daß sich nach bald 30jähriger Geltung der verwaltungsgerichtlichen Generalklausel das Pendel zwischen Verwaltung und Verwaltungsgerichtsbarkeit 80

Gegen diese Bliimel , „Demokratisierung der Planung" oder rechtsstaatliche Planung?, in: Festschr. f. Forsthoff, 2. Aufl. 1974, S. 9 ff; ders., Funktion und Ausgestaltung der Öffentlichkeitsbeteiligung im atomrechtlichen Genehmigungsverfahren, in: Lukes (Hrsg.), 5. Deutsches Atomrechtssysmposium, 1977, S. 223 ff. 81 Vgl. Ehlers , Anhörung im Verwaltungsverfahren, Jura 1996, 617 ff. (620); Bracher, Nachholung der Anhörung bis zum Abschluß des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens?, DVB1 1997, 534 ff.; s. auch Erbguth , Umweltschutz im Gegenwind der Beschleunigungsgesetze, JZ 1994,477 ff. 82 Ronellenfitsch , Die Verkehrsmobilität als Grund- und Menschenrecht, JöR 44 (1996), 168 ff; Bethge , Der Grundrechtseingriff, WDStRL 57 (1998), 7 ff. (22). 83 Berkemann , Verwaltungsprozeßrecht auf „neuen Wegen, ,JDVB1 1998,446 ff. 84 DVB1 1998, 446 sub II. 85 DVB1 1998,447. 86 Redeker, Neue Experimente mit der VwGO, NVwZ 1996, 521 ff; Stelkens , Verwaltungsgerichtsbarkeit im Umbruch - eine Reform ohne Ende ?, NVwZ 1995, 325 ff.; ders ., Verwaltungsgerichtsbarkeit in der Krise, DVB1 1995, 1105 ff.; Schenke , „Reform" ohne Ende - Das Sechste Gesetz zur Änderung der Verwaltungsgerichtsordnung und anderer Gesetze (6. VwGOÄndG), NJW 1997, 81 ff.; Krämer , 6. Gesetz zur Änderung der Verwaltungsgerichtsordnung, LKV 1997,114 ff. positiver Wahrendorf, Das 6. VwGOÄnderungsG - Bemerkungen zum prozeßrechtlichen Beratungsgegenstand des 12. Verwaltungsrichtertages, NWVB1 1998, 177 ff. Vgl. auch die Nachweise bei Stüer, Fachplanung und Wirtschaftsstandort Deutschland, NWVB1 1998,169 ff. (170).

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im allgemeinen auf eine vernünftige Mittellage eingestellt" habe 87 , war schon damals eine Frage des Standorts. In den Folgejahren schlug das Pendel jedenfalls zu Lasten der Verwaltung aus, bis Rechtsprechung und Gesetzgebung gegensteuerten. Verantwortlich für die zeitweilige Schieflage waren nicht zuletzt unklare Vorstellungen über die Funktion der Verwaltungsgerichtsbarkeit.

I I I . Funktion der Verwaltungsgerichtsbarkeit Die Dogmatik des modernen Verwaltungsrechts ist vom Verwaltungsrechtsschutz her geprägt. Der Sieg der juristischen über die staatswissenschaftliche Methode zum Ausgang des vergangenen Jahrhunderts hängt eng mit der Einrichtung der Verwaltungsgerichtsbarkeit zusammen, die ihre Herkunft als spezieller Verwaltungszweig 88 bzw. aus der Administrativjustiz 89 indessen nicht leugnen konnte. Jedenfalls das preußischen System war durch die objektive Rechtskontrolle geprägt, während sich der subjektive Rechtsschutz vor allem in Süddeutschland herausbildete 90. Obwohl sich das süddeutsche Modell durchsetzte 91, ist bis in die Gegenwart die Auffassung verbreitet, der Verwaltungsgerichtsbarkeit komme eine Doppelfunktion zu. Über den Einzelfall hinausgehend, entfalte die Verwaltungsrechtsprechung „Richtwir87

Blümel, Planung und Verwaltungsgerichtsbarkeit, DVB1 1975, 695 ff. Loening, Gerichte und Verwaltungsbehörden in Brandenburg - Preußen, VerwArch 2 (1894), 217 ff. (240 ff); 437 ff.; VerwArch 3 (1895), 94 ff; Rüfner, Verwaltungsrechtsschutz im 19. Jahrhundert vor Einführung der Verwaltungsgerichtsbarkeit, DOV 1962, 719 ff.; ders., Verwaltungsrechtsschutz in Preußen im 18. und in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, in: Festschr. für Menger, 1985, S. 3 ff.; Seilmann, Der Weg zur neuzeitlichen Verwaltungsgerichtsbarkeit - Ihre Vorstufen und dogmatischen Grundlagen, in: Staatsbürger und Staatsgewalt, Jubiläumsschrift zum 100jährigen Bestehen der deutschen Verwaltungsgerichtsbarkeit, Bd. 1,1963, S. 25 ff. 89 Programmatisch Rudolf von Gneist, Das heutige englische Verfassungs- und Verwaltungsrecht, 1857-1863; ders., Verwaltung, Justiz, Rechtsweg, 1869. Vgl. auch von Unruh, Zur verfassungsrechtlichen Bedeutung der Einführung der Verwaltungsgerichtsbarkeit in Preußen, Jura 1983, 113 ff. 90 Menger, Zur Geschichte der Verwaltungsgerichtsbarkeit in Deutschland, DÖV 1963, 726 ff. (727). Geistiger Wegbereiter des süddeutschen Systems war Otto von Sarwey, Das öffentliche Recht und die Verwaltungsrechtspflege, 1880, S. 73, 79; vgl. auch Ina Bauer, Von der Administrativjustiz zur Verwaltungsgerichtsbarkeit: die Entwicklung des Rechtsschutzes auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts in Baden im 19. Jahrhundert, 1996. Zur Situation im Herzogtum Braunschweig Henne, Verwaltungsrechtsschutz im Justizstaat, 1995. 91 Vgl. aber auch Walter Jellinek, Ein Bundesgesetz über Verwaltungsgerichtsbarkeit, DOV 1950, 513 ff. (517); Naumann, Zum Stand der Beratungen über den Entwurf einer Bundes-Verwaltungsgerichtsordnung, DVB1 1962, 584 ff. (589). 88

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kung" 9 2 . Das Bundesverwaltungsgericht sei „Koordinator der öffentlichen Verwaltung" 93 . Die Auffassung, der Verwaltungsprozeß diene neben dem subjektiven Rechtsschutz zumindest auch der objektiven Kontrolle der Einhaltung von Gesetz und Recht 94 , widerspricht jedenfalls der heutigen Konzeption der VwGO. Zwar enthält die VwGO an verschiedenen Stellen Ansätze für eine objektive Rechtskontrolle. Das Widerspruchsverfahren dient auch der administrativen Selbstkontrolle. Eben deshalb ist es Verwaltungsbehörden übertragen und führt die Tradition der Administrativjustiz fort. Für eine objektives Verständnis des gerichtlichen Rechtsschutzes kann es nicht herangezogen werden. Dagegen hatte die Normenkontrolle nach § 47 VwGO lange Zeit einen ausgeprägten objektiv-rechtlichen Einschlag. Sie war primär auf Bebauungspläne zugeschnitten, zu deren Normcharakter der Gesetzgeber sich nach einigem Hin und Her entschieden hatte 95 . Nahtlos paßte das nie 9 6 , wie etwa die Problematik der Beiladung zeigt 97 . Auch die Präzisierung des Nachteilbegriffs nach § 47 Abs. 2 VwGO a.F. erwies sich als mühsam 98 . Der Rückgriff auf die Abwägungsbelange ging zu weit oder stiftete Verwirrung. Er war wegen der Parallele zum Fachplanungsrecht zudem fatal, weil er die Versuchung mit sich brachte, die Klagebefugnis auch dort an das Abwägungsgebot anzubinden und zumindest enteignungsrechtlich betroffenen Eigentümern die Berufung auf alle Abwägungsbelange zu eröffnen. Dessen ungeachtet war die Diskrepanz zwischen Antrags- und Klagebefügnis ungereimt. Im Schrifttum wurde gelegentlich gefordert, Antragsbefugnis und Klagebefügnis gleichzusetzen 99 . Der Gesetzgeber hat sich diese Forderung zu eigen gemacht 100 , dabei

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Fürst , et 1981, 320 ff. (324); Hatje, Die Heilung formell rechtswidriger Verwaltungsakte im Prozeß als Mittel der Verfahrensbeschleunigung, DÖV 1997, 477 ff. (483 ff); Gromitsaris, Fehlerfolgenregelungen im Genehmigungsverfahrensbeschleunigungsgesetz, SächsVBl 1997, 101 ff. (103). 93 Meyer-Hentschel , Das Bundesverwaltungsgericht als Koordinator der öffentlichen Verwaltung, DÖV 1978, 596 ff. 94 Statt vieler Schmitt Glaeser, Verwaltungsprozeßrecht, 14. Aufl. 1997, Rdnr. 1. 95 Vgl. auch Forsthoff,\ Norm und Verwaltungsakt im geltenden und künftigen Baurecht, DVB1 1957, 113 ff. 96 Vgl. bereits Blümel , Ungereimtheiten beim Rechtsschutz gegen Planfeststellungen - Einige Auswirkungen der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zur Rechtsnatur der Fluchtlinien- und Bebauungspläne, DÖV 1959, 665 ff ; ders. , Zur inhaltlichen Überprüfung des Bebauungsplans im nachfolgenden Enteignungsverfahren, DÖV 1965, 297 ff. 97 Ronellenfitsch , Die Beteiligung Dritter im Normenkontrollverfahren nach § 47 VwGO, VerwArch 74 (1983), 281 ff. 98 Vgl. BVerwG, Beschl. vom 18.2.1994 - 4 NB 24.93 -, DVB1 1994, 701. 99 Pietzner/Ronellenfitsch, Das Assessorexamen in Öffentlichen Recht, 9. Aufl. 1996, § 14 Rdnr. 15.

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aber übersehen, § 113 VwGO auf das Normenkontrollverfahren zu übertragen 1 0 1 . Da das nur folgerichtig wäre, kommt eine analoge Anwendung durchaus in Betracht. Dann aber ist die letzte Bastion des objektiven Beanstandungsverfahrens gefallen, wenn man nicht doch wieder in den Fehler verfallt, das subjektive-öffentliche Recht nach § 47 Abs. 2 VwGO in ein Recht auf fehlerfreie Abwägung zu denaturieren 102 . Wie Art. 19 Abs. 4 GG den Individualrechtsschutz garantiert, dient der Verwaltungsprozeß dem subjektiven Rechtsschutz103. Die §§ 42 Abs. 2, 47 Abs. 2, und 113 Abs. 1 VwGO sind eindeutig 104 . Auch am Wortlaut des § 121 VwGO läßt sich wenig deuteln. Eine faktische inter-partes-Wirkung ist zwar häufig Realität. Aber das ist nicht der Primärzweck der Entscheidungen. Auch das Institut der Musterprozesse ändert daran nichts 105 . Die Verwaltungsgerichte überprüfen die Rechtmäßigkeit staatlichen Handelns allein dann, wenn der Bürger darum nachsucht. Ihm nur eine Anstoßfunktion für eine objektive Rechtsposition zuzubilligen, hieße ihn seinerseits zum Objekt des Verfahrens zu degradieren. Hochtrabende Etikettierungen (surveillant de Tadministration; status procuratoris) 106 ändern hieran nichts. Mit dem Individualrechtsschutz hängt die Kontrolldichte von Verwaltungsentscheidungen zusammen, die seit langem diskutiert wird 1 0 7 . Mit zu100 BT-Drucks. 13/3993, S. 19; vgl. OVG NW, Urt. vom 23.1.1997 - 7 a D 70/94. NE -, DVB1 1997, 675, 853 m. Anm. Schenke, - 7 a D 142/93 NE BauR 1997, 430 = DVB1 1997, 675 = NVwZ 1997, 694; 10 a D 3010/96 DE 101 Hierzu Pietzner/Ronellenfitsch (Fn. 99), Nachtrag 1997, S. 10 ff. Immer noch zu vergangenheitsgerichtet Schmitz-Rode, Das Normenkontrollverfahren ( § 4 7 VwGO) nach der 6. VwGO-Novelle, NJW 1998, 415 ff. (415. 416); vgl. OVG Berl., Beschl. vom 25.4.1997 - 2 A 1/96 -, NVwZ 1997, 1222. 102 Vgl. Hüttenbrink, Das Recht auf fehlerfreie Abwägung als subjektiv-öffentliches Recht i.S. der Antragsbefugnis gemäß § 47 Abs. 2 VwGO n.F., DVB1 1997, 1253 ff. Bedenklich VGH Bad.-Württ., Urt. vom 13.4.1997 - 8 S 2814/96 -, DVB1 1998, 236. Erfreulich restriktiv zur Antragsbefugnis der Naturschutzverbände BVerwG, Beschl. vom 21. 7. 1997 - 4 BN 10.97 -, DÖV 1998, 73; vgl. auch Sächs.OVG, Beschl. vom 26.8.1997 - 1 S 539/96 -, DÖV 1998, 164. Abgelehnt wurde die Antragsbefugnis des Nacherben; BVerwG, Beschl. vom 27.10.1997 - 4 BN 20.97 -, NJW 1998, 770. 103 Vgl. Ipsen, Der Rechtsschutz durch Verwaltungsgerichte, Jura 1987, 123 ff. (124). 104 Vgl. auch Ronellenfitsch, Beschleunigung (Fn. 70), S. 61 ff. 105 Allgemein zu den Massenverfahren Blümel, Masseneinwendungen in Verwaltungsverfahren, in: Festschr. für Weber, 1984, S. 539 ff; ders., Die öffentliche Bekanntgabe von Verwaltungsakten in Massen verfahren, VerwArch 73 (1982), 5 ff; Bambey, Massenverfahren und Individualzustellung, DVB1 1984, 374 ff. 106 Vgl. Masing, Die Mobilisierung des Bürgers für die Durchsetzung des Rechts, 1997, S. 196 ff., 218 ff.) 107 Zur Kontrolldichte bei Planungsentscheidungen Hoppe, Gerichtliche Kontrolle bei komplexen Verwaltungsentscheidungen, in: Festg. Bundesverwaltungsgericht, 1978, S. 295 ff; ders., Planung und Pläne in der verwaltungsgerichtlichen Kontrolle,

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sätzlichen Argumenten ist nicht zu rechnen 108 . In den 80er Jahren bestand der Eindruck, als ob die Letztentscheidung über Fachplanungen den Verwaltungsgerichten obliege. Die Gerichte haben sich sicher nicht in diese Rolle gedrängt, sondern wurden von der Protestbewegung instrumentalisiert. Gelegentlich kam es der politisch agierenden Verwaltung auch nicht ungelegen, wenn sie die Verantwortung für unpopuläre Entscheidungen abwälzen konnte. Problematisch wurde es erst, wenn die Rechtskontrolle zur Sozial- und Umweltgestaltung mutierte. Dies läßt sich auch durch eine übertriebene Kontrolldichte erreichen. Die Gefahr einer übertriebenen Kontrolldichte wächst, wenn objektive Rechtskontrolle betrieben wird. Vor allem hier müssen sich die Richter davor hüten, ihr Vorverständnis und ihre Wertungen in stärker politisch orientierte Entscheidungen einfließen zu lassen 109 . Das wurde allmählich erkannt. Die Gerichte sahen zunehmend die Notwendigkeit einer Selbstbeschränkung ein. Die richterliche Selbstbeschränkung fällt leichter, wenn man sich bewußt macht, daß die Verwaltungsgerichtsbarkeit dem Individualrechtsschutz dient. Ist Aufgabe des Verwaltungsprozesses der subjektive Rechtsschutz, kommt es nur darauf an, ob im Ergebnis die Beeinträchtigung des geschützten individuellen Rechtsguts vermieden wurde. Ein subjektives Recht auf Aufhebung einer sachlich richtigen Entscheidung besteht nicht, mag diese

in: Festschr. f. Menger, 1985, S. 747 ff.; Koch (Fn. 30), S. 399 ff.; Löwer, Klagebefugnis und Kontrollumfang der richterlichen Planprüfung bei straßenrechtlichen Planfeststellungsbeschlüssen, DVB1 1981, 528 ff; Papier , Rechtliche Bindung und gerichtliche Kontrolle planender Verwaltung im Bereich des Bodenrechts, NJW 1977, 1714 ff; Schröder , Die richterliche Kontrolle des Planungsermessens, DÖV 1975, 308 ff; Stelkens/Pagenkopf, Rechtliche Bindimg und gerichtliche Kontrolle planender Verwaltung im Bereich des Bodenrechts, DVB1 1977, 668 ff; Tsevas , Die verwaltungsgerichtliche Kontrollintensität bei der materiell-rechtlichen Nachprüfung des Planfeststellungsbeschlusses für raumbeanspruchende Großprojekte, 1992; Weyreuther , Rechtliche Bindung und gerichtliche Kontrolle planender Verwaltung im Bereich des Bodenrechts, BauR 1977, 293 ff.; ders., Verwaltungsverantwortung und gerichtliche Kontrolle, UPR 1986, 121 ff. Zum eigenen Ansatz vgl. Ronellenfitsch , Fachplanung - Errichtung von Kernkraftwerken, in: Winkler/Antoniolli (Hrsg.), Forschungen aus Staat und Recht, 1982, S. 99 ff (117): „Planungsentscheidungen müssen rechtzeitig und abschließend in ihren Gesamtauswirkungen überprüft werden. Bei der Kontrolldichte kann richterliche Zurückhaltung nichts schaden. Ganz allgemein gilt: Rechtsschutz, der als Selbstzweck betrieben wird, hat mit dem gebotenen effektiven Rechtsschutz nichts zu tun." 108 Vgl. aber Schmidt-Aßmann, Die Kontrolldichte der Verwaltungsgerichte: Verfassungsgerichtliche Vorgaben und Perspektiven, DVB1 1997, 281 ff.; Riotte, Verwaltungsverantwortung und Verwaltungsgerichtsbarkeit - Notwendigkeit des Abbaus richterlicher Kontrolldichte?, NWVB1 1997, 1 ff. Weiterführende Differenzierungen finden sich bei Ossenbühl, Gedanken zur Kontrolldichte in der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung, in: Festschr. f. Redeker, 1993, S. 55 ff. 109 Vgl. allgemein Esser , Vorverständnis und Methodenwahl in der Rechtsfindung, 1972.

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auch objektiv-rechtlich fehlerhaft zustande gekommen sein. Allerdings könnte dem Verfahren eine zentrale Bedeutung für das Auffinden der sachlich richtigen Entscheidung zukommen. Hiervon ging man in der Tat lange Zeit aus, als der Grundrechtsschutz durch Verfahren Eigendynamik entfaltete.

IV. Grundrechtsschutz durch Verfahren Der Grundrechtsschutz durch Verfahren war in den 70er Jahren ebenfalls ein Modethema. Literarisch vorbereitet durch Kopp 1 1 0 , Häberle 111 und Hesse 112 , abschließend nachbereitet durch Willi Blümel 1 1 3 , wurde er zum Markenzeichen der Mühlheim-Kärlich-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts114, dessen überinterpretiertes Sondervotum einige Zeit die Diskussion beherrschte 115. Noch auf der Staatsrechtslehrertagung von 1982 gelang es nicht, ein ausgewogenes Verhältnis zwischen VerwaltungsefFizienz und Rechtsschutzauftrag im Verwaltungsverfahren herzustellen 116 . Der Rechtsschutz durch Verfahren sollte bei materiellen unpräzisen Vorgaben Defizite des Grundrechtsschutzes durch Verfahrens- und Organisationsvorkehrungen kompensieren 117 . Daran war richtig, daß der effektive Grundrechtsschutz rechtzeitig kommen muß. Verhindert der Rechtsschutz die Schaffung vollendeter Tatsachen nicht 1 1 8 , muß er in das Verwaltungsverfahren vorverlegt wer-

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Kopp, Verfassungsrecht und Verwaltungsverfahrensrecht 1971, S. 16 ff. Häberle, Grundrechte im Leistungsstaat, VVDStRL 30 (1972), 86 ff., 121 ff. 112 Hesse, Bestand und Bedeutung der Grundrechte in der Bundesrepublik Deutschland, EuGRZ 1978, 427 ff. (434 ff.) 113 Blümel, Grundrechtsschutz durch Verfahrensgestaltung, in: ders., (Hrsg.), Frühzeitige Bürgerbeteiligung bei Planungen, 1982, S. 23 ff (29 ff.) 114 Beschl. vom 3.5.1977 - 1 BvR 385/77, BVerfGE 53, 30. 115 Ausführlichste Würdigung auch durch Held, Der Grundrechtsbezug des Verwaltungsverfahrens, 1984. 116 Hierzu Wahl/Pietzker, Das Verwaltungsverfahren zwischen Verwaltungseffizienz und Rechtsschutzauftrag VVDStRL 41 (1983), 1551, 193; Begleitaufsätze: Degenhart, DVB1 1982, 872 ff ; Ossenbühl, NJW 1982, 456 ff ; Schenke, VB1BW 1982, 313 ff ; ferner Steinberg, DÖV 1982, 619 ff; von Marius, NJW 1982, 2150 ff. 117 Den Kulminationspunkt der Entwicklung dürfte der Vortrag des damaligen Bundesministers des Innern Baum auf dem 6. Verwaltungsrichtertag am 7.5.1980 „Die Verwaltungsgerichtsbarkeit im Spannungsfeld zwischen Gesetzesvollzug und Individualrechtsschutz", DÖV 1980, 425 ff. markiert haben. 118 Grundlegend Blümel, Raumplanung, vollendete Tatsachen und effektiver Rechtsschutz, in: Festg. für Forsthoff, 1968, S. 133 ff. 111

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den 1 1 9 . Dies folgt aus Art. 19 Abs. 4 GG in Verbindung mit den materiellen Grundrechten, in die nur auf der Grundlage fairer und zügiger Verfahren eingegriffen werden darf 4 2 0 . Daraus ergibt sich aber weiter, daß das Verfahren nicht zum Selbstzweck werden darf 121 . Verfahrensfehler, die das Sachergebnis nachweisbar nicht beeinflußt haben, sind für den materiellen Rechtsschutz unbeachtlich. Im übrigen ist die Betonung des effektiven Rechtsschutzes eine zweischneidige Angelegenheit. Die ständig wiederholten Beteuerungen, das Rechtsstaatsprinzip fordere die Klärung strittiger Rechtsverhältnisse in angemessener Zeit 1 2 2 , lassen sich faktisch nur erfüllen, wenn die gerichtliche Kontrolldichte zurückgenommen wird. Die Verlagerung des Rechtsschutzes in die vorläufigen Verfahren kommt nicht von ungefähr. Das ist aber verfassungsrechtlich nur akzeptabel, wenn Leitbild aller Entscheidungen die materielle Sachgerechtigkeit bleibt.

V. Materielle Sachgerechtigkeit Wenn Fortsetzungsfeststellungsklagen mit der Begründung erhoben werden, die „sachnäheren" Verwaltungsgerichte müßten die administrativen Folgeentscheidung treffen 123 , sind die „gebetsmühlenhaften" Warnungen vor dem Rechtsmittelstaat vielleicht doch nicht ganz unberechtigt 124 . Denn selbstverständlich können - bei aller Fehleranfälligkeit der Entscheidungsfindung - nur die Planungsbehörden die sachnahen und sachgerechten Entscheidungen treffen. Auch bei der planerischen Abwägung kommt es letztlich nur auf das Abwägungsergebnis an. Die Fachplanung ist inhaltlich korrekt, wenn sich die Planungsentscheidung abgewogen darstellt, d.h. wenn der Ausgleich der öffentlichen und privaten Belange gelungen ist. Einen geglückten Interessenaus119

Vgl. Schmidt-Jortzig in der Aussprache zum Referat von Blümel , Grundrechtsschutz (Fußn. 113), zit. nach Ronellenfitsch, ebd. S. 94. 120 Vgl. Art. 52 Abs. 4 Verf. Brandenburg; hierzu VerfGH Bbg vom 13.8.1996 - VfG 23/95 -, NStZ-RR 1997, 136 = NJ 1997, 22. Vgl. auch EGMR vom 1.7.1997 - 125/1996/744/943 - EuZW 1997, 468; Schmuckli , Die Fairness in der Verwaltungsrechtspflege - Art. 6 Ziff. 1 EMRK und die Anwendung auf die Verwaltungsrechtspflege des Bundes, 1990. 121 Vgl. bereits Ronellenfitsch , Die Durchsetzung staatlicher Entscheidungen als Verfassungsproblem, in: Börner (Hrsg.), Umwelt, Verfassung, Verwaltung, 1982, S. 13 ff. (28 ff.) 122 BVerfG, Beschl. vom 6.5.1997 - 1 BvR 711/96 -, NJW 1997, 2811 = FamRZ 1997, 871. 123 Vgl. VGH Bad.-Württ., Urt. vom 15.3.1995 - 3 S 1453/93 -, VB1BW 1995, 318. 124 Vgl. aber Blümel (Fn. 3), S. 14.

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gleich wieder aufzuheben, nur weil irgendwelche Verfahrensverstöße aufgedeckt worden sind oder weil Abwägungsbelange, auf die es letztlich nicht ankommt, übersehen oder fehlgewichtet wurden, erscheint widersinnig. Der Grundsatz der Planerhaltung 125 ist denn auch eigentlich keine neue Erkenntnis, sondern folgt unmittelbar aus dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Bei diesem Verständnis bedeuten die neuen gesetzlichen Vorschriften einen Schritt auf dem richtigen Weg. Sie rücken zutreffend den Individualrechtsschutz in den Vordergrund; denn was nützt das Aufspüren von Fehlern, wenn der Kläger „dadurch nicht in seinen Rechten verletzt wird"? Da Kläger nicht umfassend vor Fehlern geschützt sind, ist streng auf die Zweckrichtung der jeweiligen Schutznormen zu achten. Die Naturschutzverbände können sich letztlich auf keine materielle Schutznorm berufen. Sie wirken nur an der Wahrung von Naturschutzbelangen m i t 1 2 6 . Planungsleitsätze können Schutznormen sein, müssen es aber nicht. Das Abwägungsgebot ist nicht pauschal Schutznorm 127 . Umfassend geschützt wird wegen der enteignungsrechtlichen Vorwirkungen nur, wessen Rechtsposition enteignet werden kann, also der Grundeigentümer 128 , aber ggf. auch der Mieter und Pächter. 129 Selbst hier ist das letzte Wort noch nicht gesprochen, da die Identifikation von Gemeinwohl und objektiver Rechtsordnung keineswegs zwingend erscheint. Die Erstrek125 Terminologisch eingeführt durch Sendler, Neue Entwicklungen bei Rechtsschutz und gerichtlicher Kontrolldichte im Planfeststellungsrecht, in: Kormann (Hrsg.), Aktuelle Fragen der Planfeststellung, UPRSpecial Bd. 7 (1994), S. 9 ff. (28); ferner Hoppe, Erste Überlegungen zum einem „Grundsatz der Planerhaltung" in: Jörg Berkemann u.a. (Hrsg.), Festschr. f. Schlichter, 1995, S. 87 ff.; ders., Der Rechtsgrundsatz der Planerhaltung als Struktur- und Abwägungsprinzip, in: Wilfried Erbguth u.a. (Hrsg.), Abwägung in Recht, aaO, S. 133 ff. = DVB1 1996, 12 ff.; Henke, Planerhaltung durch Planergänzung und ergänzende Verfahren, 1997; Hoppe/Henke, Der Grundsatz der Planerhaltung im neuen Städtebaurecht, DVB1 1997,1407 ff. 126 BVerwG, Urt. vom 12.12.1996 - 4 C 19.95 -, Buchholz 406.401 § 29 BNatSchG Nr. 12 (Fn. 76); Urt. vom 12.11.1997 - 11 A 49.96 -, BayVBl 1998,280 (281); Gerichtsbesch. vom 16.3.1998 - 4 A 31.97. Eindeutig auch OVG NW, Beschl. vom 24.3. 1992 - 7 B 538/ 92 -, NVwZ-RR 1993, 15. Zur Bauleitplanung BVerwG, Beschl. vom 14.8.1995 - 4 NB 43.94-, DVB1 1996,46 = NVwZ 1996, 141. 127 Wey reuther, Die Bedeutung des Eigentums als abwägungserheblicher Belang bei der Planfeststellung nach dem Bundesfernstraßengesetz, in: Blümel (Hrsg.), Aktuelle Probleme des Straßenrechts, 1977, S. 72 ff. (82 ff.) = DÖV 1977,419 ff. (424); Eickel, Straßenplanung, Umweltbelastung und verwaltungsgerichtlicher Rechtsschutz, in: Blümel (Hrsg.), Straße und Umwelt, 1979, S. 117 ff. (124 f.). 128 Korbmacher, Eigentums- und entschädigungsrechtlich bedeutsame Entscheidungen in der fachplanerischen Abwägimg, DÖV 1982, 517 ff.; Stüer, Das Eigentum als subjektiv-öffentliches Recht und als abwägungserheblicher Belang in der Planfeststellung, NuR 1981, 149 ff.; Weyreuther, DÖV 1977,419 ff. 129 BVerwG, Urt. vom 27.11.1996 - 11 A 27.96 -, BVerwGE 102, 269 (Fn. 9); Urt. vom 1.9.1997 - 4 A 36.96 -, NVwZ 1998, 504 (Fn. 36).

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kung des umfassenden Eigentumsschutzes auf den Schutz der allgemeinen Handlungsfreiheit 130 mündet unmittelbar in die Popularklage. Die Gemeinden sind jedenfalls nicht umfassend geschützt 131 . Das von Blümel kreierte Selbstgestaltungsrecht 132 scheidet als Surrogat für eine umfassende kommunale Grundrechteposition aus. Zweck der gerichtlichen Kontrolle ist grundsätzlich nur der Schutz materieller Individualrechte.

VI. Schluß Die Unbeachtlichkeits- und Heilungsvorschriften bedeuten keinen Befreiungsschlag der Verwaltung. Auch die § 45 Abs. 2 und 46 VwVfG schreiben lediglich eine Entwicklung fort, die sich schon lange angebahnt hat. Schon nach der bisherigen Rechtsprechung hat eine Anfechtungsklage nur Erfolg, „wenn die konkrete Möglichkeit besteht, daß die Planungsbehörde ohne diese Fehler anders entschieden hätte" 133 . Die Unbeachtlichkeits- und Heilungsvorschriften bedeuten insoweit eine moderate und begrüßenswerte Fortentwicklung. Die Gerichte sind gehalten, das zu respektieren und etwa § 46 VwVfG

130

Vgl. Michael Rupp, Die auf Art. 2 Abs. 1 GG gestützte Klagebefugnis gegen verfahrensfehlerhafte Verwaltungsakte, Diss. Saarbrücken 1990. 131 BVerwG, Beschl. vom 13.3.1995 - 11 VR 2.95 - NVwZ 1995, 905. Privateigentum steht zwar auch den Gemeinden zu, BVerwG, Urt. vom 24.11.1994 - 7 C 25.93 -, BVerwGE 97, 143 (151) = NVwZ 1995, 598; dies jedoch nicht umfassend, weil ihnen gegenüber eine enteignende Vorwirkung ausfällt; BVerwG, Urt. vom 21.3.1996 - 4 C 26.94 -, BVerwGE 100, 338 (Fn. 38); Urt. vom 12.12.1996 - 4 C 14.95 -, NVwZ 1997, 904 (905) = UPR 1997,288. Gemeinden sind allerdings in ihrer Planungshoheit geschützt; vgl. zuletzt Nam-Cheol Kim , Gemeindliche Planungshoheit und überörtliche Planungen, 1997. Ob insoweit eine Parallele zur Rechtsstellung des Eigentümers gezogen werden kann (wohl nicht!), hat das BVerwG bislang offen gelassen; vgl. Beschl. vom 3.9.1997 - 11 VR 20.96 -, NVwZ-RR 1998, 289 = DÖV 1998, 79. Eine Verschlechterung der kommunalen Wirtschaftsstruktur infolge einer Fachplanung bedeutet jedenfalls nicht automatisch die Verletzung des Selbstverwaltungsrechts: BVerwG, Urt. vom 12.12.1996 - 4 C 14.95 -, NVwZ 1997, 904 in Klarstellung zum Beschl. vom 31.10.1990 - 4 C 25.90-, BAS. 16. 132 Blümel , Das Selbstgestaltungsrecht der Städte und Gemeinden, in: Festschr. f. Ule zum 80. Geburtstag, 1987, S. 19 ff = Speyerer Vorträge Heft. 6, 1986. Entsprechende Ansätze finden sich bereits bei Blümel , Gemeinden und Kreise vor den öffentlichen Aufgaben der Gegenwart, VVDStRL 36 (1978), 171 ff (265 ff). 133 BVerwG, Urt. vom 30.5.1984 - 4 C 58.81 -, BVerwGE 69, 256 = NVwZ 1984, 718; BVerwG, Urt. vom 5.12.1986 - 4 C 13.85 -, BVerwGE 75, 214 (Fn. 65); Beschl. vom 21.12.1995 - 11 VR 6.95 - , Buchholz 442.09 § 18 AEG Nr. 8 (Fn. 36).

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auch auf das Beteiligungsrecht der Naturschutzverbände zu erstrecken 134 . Infolge der jüngsten Novellierungen können Fachplanungen nunmehr so gehandhabt werden, daß der Wirtschaftsstandort Deutschland weniger Schaden erleidet als früher. Der effektive gerichtliche Rechtsschutz bleibt erhalten. Die Reduzierung der richterlichen Kontrolldichte verstößt nicht gegen das richterliche Selbstverständnis. Sie bedeutet auch nicht, daß die Gerichte sich auf reine Rechtsfragen zurückziehen dürften. Die gerichtliche Kontrolle von Fachplanungen erfordert nach wie vor in erheblichem Umfang Fachkenntnisse135 und Kenntnisse der praktischen Verwaltungsarbeit, die allerdings in der Ausbildung kaum vermittelt werden. Insoweit ist die Juristenausbildung allzu sehr auf eine Befähigung zum Richteramt ausgerichtet und vor allem zu justizlastig 1 3 6 . Auch in der Verwaltungsstage wird vorrangig die Fachkunde zur verwaltungsrichterlichen Tätigkeit erlernt, obwohl die Befähigung zum Richteramt die Befähigung zum höheren Verwaltungsdienst impliziert. In der Verwaltung sind Juristen aber nicht nur als Justitiare angesagt, sondern sollen verwalten können. Hier sind Reformen angezeigt. Wenn das Entscheidende bei der fachplanerischen Abwägung die Sachgerechtigkeit ist, muß alles getan werden, die Sachkunde der Entscheidungsträger zu verbessern. Die Sachkunde wäre nur dann bei den Verwaltungsgerichten gewährleistet, wenn sie nach dem Vorbild der Administrativjustiz organisiert wären. Das ist nicht der Fall. Die Verwaltungsrichter sind nur juristische Experten, aber keine Planer. Folglich kann es nur auf die Fachkunde der Verwaltung ankommen 137 . Neben der administrativen Fachkunde ist allerdings bei Fachplanungsentscheidungen die juristische Fachkunde unentbehrlich. Auch sie muß bei den Planungsbehörden verstärkten werden. Die Befähigung zum höheren Verwaltungsdienst ist nicht ohne Grund an die Befähigung zum Richteramt gekoppelt. Dadurch wird schon auf der Verwaltungsebene die Legitimation der Fachplanungsentscheidungen insbesondere durch juristische Fachkunde hergestellt. Wenn bei den Planern juristische Fachkunde vorhanden ist und diese ihre Bindung an Gesetz und Recht ernst nehmen (und wenn sie von ihren Kollegen ernst genommen werden), ist Reduzierung der richterlichen Kon-

134

Abzulehnen BVerwG, Urt. vom 12.12.1997 - I I A 49.96-, BayVBl 1998, 280 (281, 282) = DÖV 1998, 424; Waskow, Mitwirkung von Naturschutzverbänden in Verwaltungsverfahren, 1990, S. 80. 135 So schon in berechtigter Frontstellung gegen justizstaatliche Auswüchse Bachof, Gedanken über die künftige Stellung der Verwaltungsgerichtsbarkeit, DRZ 1950, 169 ff. (170). 136 Hierzu Ronellenfitsch, Der nutzlose Jurist, 1998. 137 Tendenziell wohl ähnlich Franßen, 50 Jahre Verwaltungsgerichtsbarkeit in der Bundesrepublik Deutschland, DVB1 1998,413 ff. (421).

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trolldichte unbedenklich. Bei Fachplanungsrecht fuhrt das zurück zur Sonderstellung - wenn schon nicht zum Juristenmonopol - der Juristen, in der Verwaltung 1 3 8 , mit dem wir früher gewiß nicht schlecht gefahren sind. Die Wahrung von Gesetz und Recht bei Fachplanungen darf nicht allein von der Effektivität der Rechtskontrolle abhängen.

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Ronellenfitsch , Der unentbehrliche Jurist, 1998.

Der vorläufige Rechtsschutz zwischen europäischer Anpassung und staatlicher Verschlankung Zur Zukunft des Grundsatzes der aufschiebenden Wirkung Von Karl-Peter Sommermann

Der Grundsatz der aufschiebenden Wirkung von Widerspruch und Anfechtungsklage, lange als Kernstück eines effektiven, modernen Verwaltungsrechtsschutzes gefeiert, ist unter Druck geraten. Der Europäische Gerichtshof nimmt im Interesse der praktischen Wirksamkeit des Gemeinschaftsrechts zunehmend Einfluß auf das Verwaltungsprozeßrecht und hat damit begonnen, dem bislang vor allem für das deutsche Recht charakteristischen Suspensiveffekt Grenzen zu ziehen (I). Eine Betrachtung der Rechtslage in den anderen großen Mitgliedstaaten der EG, insbesondere in den romanischen Ländern, läßt es auf den ersten Blick als unwahrscheinlich erscheinen, daß bei einer Rechtsangleichung oder einer durch den EuGH erzwungenen Harmonisierung der Grundsatz der aufschiebenden Wirkung von Rechtsbehelfen in absehbarer Zeit gemeinsamer Standard werden könnte; jedoch gibt es Ansätze und Reformforderungen, welche in die Richtung des deutschen Rechtsschutzverständnisses weisen (II). In Deutschland wird unterdessen der Grundsatz der aufschiebenden Wirkung durch eine wachsende Zahl von Ausnahmeregelungen in Frage gestellt (III). Führt man sich Herkunft und Begründung des Grundsatzes vor Augen (IV), so fällt schließlich die Beantwortung der Frage, ob man auf ihn verzichten oder sich für seine Stärkung auf nationaler Ebene und seine Rezeption auf Gemeinschaftsebene einsetzen sollte, erstaunlich leicht (V).

I. Der vorläufige Rechtsschutz unter dem Einfluß des europäischen Gemeinschaftsrechts Der Prozeß der europäischen Integration läßt Gemeinsamkeiten und Unterschiede der nationalen Rechtsordnungen deutlich hervortreten. Während sich die Gemeinsamkeiten zu Gemeinschaftsrecht verdichten können - aus den gemeinsamen Rechts-, insbesondere Verfassungsüberlieferungen der Mitglied-

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Staaten erwachsen bekanntlich allgemeine Rechtsgrundsätze, die Bestandteil des primären Gemeinschaftsrechts sind1 - , bieten die traditionellen Unterschiede zum einen immer wieder Reibungsflächen, die eine Verwirklichung der Ziele der Gemeinschaft konterkarieren können, zum anderen ein reiches Reservoir rechtlicher Gestaltungsmöglichkeiten, in dem die Erfahrungsweisheit der europäischen Völker gespeichert ist 2 . Trotz Jahrzehnten der durch Sekundärrechtsetzung vorangetriebenen Rechtsangleichung sind die Unterschiede noch enorm. Der Grundsatz, daß Gemeinschaftsrecht nicht von Gemeinschaftsorganen, sondern von den Behörden der Mitgliedstaaten vollzogen wird, hat zur Folge, daß die Divergenzen in den von der Gemeinschaftszuständigkeit erfaßten Sektoren heute weniger in den materiellen Rechtsstandards denn im Organisations- und Verfahrensrecht zu Tage liegen. Da die Verwirklichung eines Binnenmarktes indes in letzter Konsequenz nicht nur Einheitlichkeit der das wirtschaftliche Verhalten steuernden abstrakten Geund Verbote voraussetzt, sondern auch einen vergleichbaren Standard bei der prozeduralen Durchsetzung und Kontrolle, hat der Gemeinschaftsgesetzgeber seine Rechtsetzung seit einigen Jahren verstärkt auf Verfahrensfragen ausgedehnt; dies wird - abgesehen vom Zollrecht - namentlich im Umweltbereich manifest 3. Unabhängig vom Stand der Vereinheitlichung oder Koordinierung des Verfahrensrechts durch konkrete sekundärrechtliche Vorgaben hat der Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften im Interesse eines effektiven Vollzugs des Gemeinschaftsrechts Normen nationalen Verfahrensrechts im Einzelfall für unanwendbar oder ein bestimmtes Verhalten staatlicher Organe auch ohne die Existenz entsprechender nationaler Verfahrensregeln für notwendig erklärt 4 . Die einschlägige Rechtsprechung beschränkt sich dabei nicht 1 Vgl. dazu Th. Oppermann, Europarecht, 1991, S. 158 ff. (Rdnr. 404 ff.); M Schweitzer/W. Hummer, Europarecht, 5. Aufl., 1996, S. 4 f. (Rdnr. 15 f.). 2 Formulierung in Anlehnung an M Kriele, Recht als gespeicherte Erfahrungsweisheit, in: Staat, Wirtschaft, Steuern. Festschrift für Karl Heinrich Friauf zum 65. Geburtstag, 1996, S. 185. 3 Vgl. etwa die Richtlinie des Rates vom 27.6.1985 über die Umweltverträglichkeitsprüfung bei bestimmten öffentlichen und privaten Projekten (sog. „UVPRichtlinie", RL 85/337/EWG, Abi. 1985 Nr. L 175, S. 40), die Richtlinie des Rates vom 7.6.1990 über den freien Zugang zu Informationen über die Umwelt („Umweltinformations-Richtlinie", RL 90/313/EWG, Abi. 1990 Nr. L 158, S. 56) und die Richtlinie des Rates vom 24.9.1996 über die integrierte Vermeidung und Verminderung der Umweltverschmutzung (sog. „IVU-Richtlinie", RL 96/61/EG, Abi. 1996 Nr. L 257, S. 26). 4 Vgl. dazu nur D. Ehlers, Die Einwirkungen des Rechts der Europäischen Gemeinschaften auf das Verwaltungsrecht, DVB11991, S. 605, 609 ff.; F. Schock, Die Europäisierung des Allgemeinen Verwaltungsrechts, JZ 1995, S. 109, 111 ff.; J. Schwarze, Der Beitrag des Europäischen Gerichtshof zur Europäisierung des Verwaltungsrechts, in: Europarecht 1997, S. 419, 422 ff.; K.-P. Sommermann, Europäisches Verwaltungs-

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auf das Verfahrensrecht der Verwaltungsbehörden, sondern hat längst auch das Verfahrensrecht der Gerichte, das Prozeßrecht, ergriffen, so daß zu Recht auch von einer Europäisierung des Rechtsschutzes gesprochen wird 5 . Daß selbst die Ausgestaltung des vorläufigen Rechtsschutzes heute bestimmten gemeinschaftsrechtlichen Anforderungen genügen muß, ist seit der Entscheidung des EuGH vom 19. Juni 1990 im Fall „Factortame" 6, die auf eine Vorlage des höchsten englischen Gerichts, des House of Lords, hin erging, deutlich geworden. Im diesem Fall ging es um die Frage, ob gegen die Anwendung gemeinschaftsrechtswidrigen nationalen Rechts (hier: Ausschluß der von Ausländern beherrschten Fischereigesellschaften mit Sitz in England von der Teilhabe an britischen Fangquoten) einstweiliger Rechtsschutz gewährt werden muß. Die Entscheidung offenbarte zugleich die erheblichen Unterschiede im Verwaltungsrechtsschutz der Mitgliedstaaten. Im konkreten Fall fiihrte eine Regel des Common Law, nach der die Gerichte nicht befügt sind, gegen die Krone, d.h. die britische Regierung, Anordnungen (injunctions) zu erlassen 7, zu einer Einschränkung der praktischen Wirksamkeit des Gemeinschaftsrechts. Der EuGH erklärte daher die maßgebliche Regel für unanwendbar 8 . Aus dem Urteil des EuGH zog das House of Lords in einer Entscheidung aus dem Jahr 19939 die Konsequenz, auch bei im nationalen Recht wurzelnden Rechtsstreitigkeiten die Zulässigkeit einstweiliger Anordnungen gegen die Regierung zu bejahen 10 . Während das Factortame-Urteil durch Definition eines Mindeststandards hier eine Erweiterung des Rechtsschutzes bewirkte, zogen spätere Entscheidungen des EuGH dem nationalen vorläufigen Rechtsschutz Grenzen, um ei-

recht oder Europäisierung des Verwaltungsrechts?, DVB1 1996, S. 889, 892 ff; Th. von Danwitz, Die Eigenverantwortung der Mitgliedstaaten für die Durchführung von Gemeinschaftsrecht - Zu den europarechtlichen Vorgaben für das nationale Verwaltungs- und Gerichtsverfahrensrecht, DVB1 1998, S. 421, 424 ff. 5 Vgl. z.B. D. Triantafyllou, Zur Europäisierung des vorläufigen Rechtsschutzes, NVwZ 1992, S. 129-134; D. Classen, Die Europäisierung der Verwaltungsgerichtsbarkeit, 1996; F. Schock, Die Europäisierung des verwaltungsgerichtlichen vorläufigen Rechtsschutzes, DVB1 1997, S. 289-297; zu Gemeinsamkeiten des Rechtsschutzes in Europa vgl. auch M Brenner, Allgemeine Prinzipien des verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutzes in Europa, Die Verwaltung Bd. 31 (1998), S. 1-28. 6 Rs. C-213/89, Slg. 1990, S. 1-2433. 7 Vgl. dazu näher S. A. de Smith, Judicial Review of Administrative Action, 4. Aufl. 1980, S. 445 ff. 8 Urt. vom 19.6.1990 (Anm. 6), S. 1-2473 f. 9 M. v. Home Office (1993) 3 All ER 537. 10 Vgl. J. Schwarze, Die gerichtliche Kontrolle der Verwaltung in England, DÖV 1996, S. 771,775.

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ner zu eilfertigen (einstweiligen) Nichtanwendung des Gemeinschafitsrechts entgegenzuwirken. Es ist kein Zufall, daß die Fälle deutsche Rechtsschutzverfahren betrafen. Nachdem der EuGH bereits in seiner Entscheidung zur Tafelweindestillation 11 die Verwaltungsbehörden für verpflichtet gehalten hatte, zur Gewährleistung der Erfüllung der Vorschriften aus der maßgeblichen EGVerordnung die sofortige Vollziehung anzuordnen, definierte er in den Urteilen „Zuckerfabrik Süderdithmarschen" 12 und „Atlanta Fruchthandelsgesellschaft" 13 die Voraussetzungen, unter denen die Gerichte bei Vollzug von Gemeinschaftsrecht vorläufigen Rechtsschutz (Aussetzung der sofortigen Vollziehung bzw. Erlaß einer einstweiligen Anordnung) gewähren dürfen 14 . Die Voraussetzungen lauten: Erstens muß das Gericht erhebliche Zweifel an der Gültigkeit des Gemeinschafisrechtsakts haben und dem EuGH die Gültigkeitsfrage, sofern er noch nicht mit ihr befaßt ist, gemäß Art. 177 EGV vorlegen; zweitens muß die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes dringlich in dem Sinne sein, daß er zur Vermeidung eines schweren und nicht wiedergutzumachenden Schadens des Rechtsschutzsuchenden erforderlich ist; und drittens muß das Interesse der Gemeinschaft angemessen berücksichtigt werden 15 . Diese Voraussetzungen werden zwar häufig auch erfüllt sein, wenn allein nach Kriterien des deutschen Prozeßrechts vorläufiger Rechtsschutz zu gewähren wäre; als vorteilhaft erscheint es dabei angesichts der nicht weiter differenzierenden Position des EuGH, daß die Rechtsprechung zu § 80 Abs. 5 VwGO und § 123 VwGO die Anforderungen an beide Formen vorläufigen Rechtsschutzes durch die Betonung des Abwägungsgedankens bereits stark angenähert hat 16 . Die nach deutschem Recht mögliche umfassende Inter11

Urt. vom 10.7.1990, Rs. C-217/88, Slg. 1990, S. 1-2879, 2903 ff. Urt. vom 21.2.1991, Rs. C-143/88, Slg. 1991, S. 1-415, 544. 13 Urt. vom 9.11.1995, Rs. C-465/93, Slg. 1995, S. 1-3761, 3795. 14 Vgl. zu den genannten Entscheidungen näher A. Jannasch, Vorläufiger Rechtsschutz und Europarecht, VB1BW 1997, S. 361-365, eingehend St. Lehr, Einstweiliger Rechtsschutz und Europäische Union, 1997, S. 105 ff., 369 ff., 543 ff. 15 Als vierter Punkt wird in dem Urt. vom 9.11.1995 (oben Fn. 13) gefordert, daß das nationale Gericht bei der Prüfung der vorgenannten Voraussetzungen „die Entscheidungen des Gerichtshofs oder des Gerichts erster Instanz über die Rechtmäßigkeit der Verordnung oder einen Beschluß im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes betreffend gleichartige einstweilige Anordnungen auf Gemeinschaftsebene" zu beachten hat. Dies ist freilich im Hinblick auf das Prinzip gemeinschaftsrechtskonfonnen Verhaltens eine Selbstverständlichkeit und wohl eher als Ermahnung gedacht. 16 Für eine noch stärkere Annäherung der Prüfungskriterien im Aussetzungsverfahren einerseits und im einstweiligen Anordnungsverfahren andererseits tritt im Schrifttum nachdrücklich ein: F. Schock, Grundfragen des verwaltungsgerichtlichen vorläufigen Rechtsschutzes, VerwArch Bd. 82 (1991), S. 145 , 167 ff.; vgl. zuvor bereits dens., Vorläufiger Rechtsschutz und Risikoverteilung im Verwaltungsrecht, 1988, S. 1586 ff. 12

Vorläufiger Rechtsschutz

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essenabwägung, in deren Rahmen etwa auch die Erfolgsaussichten im Hauptsacheverfahren zu berücksichtigen sind, gibt den Verwaltungsgerichten indes einen größeren Spielraum für die Entscheidung über die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes, als es nach den strengen Voraussetzungen des EuGH der Fall ist. Im Ergebnis geht es dem EuGH zwar ebenfalls um effektiven Rechtsschutz; er versteht ihn jedoch in einem anderen Sinne, als er deutschen Gerichten i m Hinblick auf Art. 19 Abs. 4 GG geläufig ist. Für den EuGH steht der effektive Schutz des objektiven Gemeinschaftsrechts im Vordergrund. Dies gilt auch dort, wo der EuGH die Möglichkeiten des einzelnen, sich vor Gericht auf ihn begünstigende Bestimmungen des Gemeinschaftsrechts zu berufen, erweitert hat, namentlich für seine Rechtsprechung zu den Rechtsfolgen einer verspäteten Umsetzung von Richtlinien 17 . Der Aspekt des subjektiven Rechtsschutzes tritt hinter dem allgemeinen Ziel der Effektuierung des Gemeinschaftsrechts zurück. Dies entspricht zum einen der Kompetenzzuweisung, wie sie sich aus Art. 164 EGV ergibt („... sichert die Wahrung des Rechts ..."), stimmt zum anderen mit dem französischen verwaltungsprozessualen Ansatz überein, dessen Vorbildwirkung in Europa auch für das Gemeinschaftsrecht bestimmend war.

II. Die Suspendierung der Vollziehung von Verwaltungsakten in rechtsvergleichender Perspektive Dem deutschen, vom Prinzip subjektiven Rechtsschutzes geleiteten Verständnis ist dieser Ansatz eher fremd, sofern man nicht aus historischer Perspektive das primär auf Verteidigung der objektiven Rechtsordnung gerichtete Konzept der preußischen Verwaltungsgerichtsbarkeit bemühen will. In besonderer Weise rührt die kompromißlose Forderung des EuGH nach Anordnung der sofortigen Vollziehung bei Verwaltungsakten, welche die Wirksamkeit von Gemeinschaftsrecht sicherstellen sollen, an ein essentiale des deutschen Verwaltungsrechtsschutzes. Dies gälte um so mehr, sollte die Rechtsprechung des EuGH dahin zu interpretieren sein, daß die Anordnung der sofortigen Vollziehung bei Vollzug von Gemeinschaftsrecht stets geboten sei. Jedenfalls fällt es dem EuGH offenbar schwer, den automatischen Suspensiveffekt von Widerspruch und Anfechtungsklage in ein europäisches Gefüge einheitlicher Vollzugsstandards zu integrieren 18 . Dies ist freilich nicht verwunderlich, wenn 17 Vgl. nur die Urt. vom 19.1.1982, Rs. 8/81 (Becker), Slg. 1982, S. 53, 70 f.. und vom 19.11.1991, Rs. C-6/90 u. C-9/90 (Francovich u.a.), Slg. 1991, S. 1-5357, 5413 ff 18 Die Schwierigkeit, aus europäischer Sicht das deutsche System vorläufigen Rechtsschutzes zutreffend einzuordnen, zeigt sich etwa auch bei F. G. Jacobs, Interim

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man sich den Ausnahmecharakter dieses Mechanismus i m europäischen Rechtsvergleich vor Augen fuhrt.

1. Das französische System Prägend war in Europa weithin das französische System des Verwaltungsrechtsschutzes. In Frankreich gilt - wie im übrigen auch im angelsächsischen Rechtskreis 19 - der Grundsatz der sofortigen Vollziehbarkeit der Verwaltungsentscheidungen. Weder die administrativen Rechtsbehelfe im Rahmen eines grundsätzlich 20 ohnehin fakultativen Vorverfahrens (recours préalables) noch die verwaltungsgerichtlichen Klagen (recours juridictionnels) entfalten Suspensiveffekt. Es gilt vielmehr der Grundsatz der nicht aufschiebenden Wirkung der Klagen (principe de l'effet non suspensif des recours) 21, dem materiell die Vermutung der Rechtmäßigkeit der Verwaltungsentscheidungen (présomption de légalité des décisions administratives) zugrunde liegt 22 . In Verbindung mit einer Nichtigkeitsklage (recours en annulation) können jeMeasures in the Law and Practice of the Court of Justice of the European Communities, in: R. Bernhardt (Hrsg.), Interim Measures Indicated by International Courts, 1994, S. 37, 66 f., der bei der Darstellung des Urteils zur Tafelweindestillation (oben bei Fn. 11) die behördliche Anordnung der sofortigen Vollziehung als Vollstreckungsmaßnahme („enforcement" oder „coercive measure") einordnet. Allerdings ist auch der Wortlaut des § 80 Abs. 2 Ziff. 4 VwGO mißverständlich, da an Stelle von „Vollziehbarkeit" von „Vollziehung" die Rede ist, vgl. F. O. Kopp, Verwaltungsgerichtsordnung, 10. Aufl. 1994, § 80 Rdnr. 41. 19 Beispiele für punktuelle Regelungen, die eine dem automatischen Suspensiveffekt vergleichbare Funktion erfüllen, finden sich bei C. von Loeper, Verwaltungsrechtspflege in England, 1980, S. 259 f.; zur Reformbedürftigkeit des englischen Systems des Verwaltungsrechtsschutzes H. Woolf s, Judicial Review: A Possible Programme for Reform, Public Law 1992, S. 221-237 (auf S. 233 zu „interim declarations" der Gerichte). 20 Zu den Ausnahmen vgl. R. Chapus, Droit du contentieux administratif, 6. Aufl. 1996, S. 331 ff. (Ziff. 382 ff.). 21 Vgl. Art. R. 118 Code des tribunaux administratifs et des cours administratives d'appel: „La requête devant le tribunal administratitif n'a pas d'effet suspensif, s'il n'en est ordonné autrement par le tribunal." Diese Vorschrift findet sich, wie das „R" anzeigt, im Verordnungsteil (partie réglementaire) des Code. Der Teil mit den gesetzlichen Regelungen wird durch „L" (Loi) gekennzeichnet. Der Code stellt keine systematisch geschlossene Kodifikation, sondern eine 1973 durch zwei Verordnungen herbeigeführte und nach bestimmten Gliederungsgesichtspunkten geordnete Zusammenführung im wesentlichen bereits vorhandener Regelungen dar. Seit 1973 gab es zahlreiche Gesetzesänderungen; der Verordnungsteil wurde 1989 grundlegend überarbeitet (Décret n° 89-641 vom 7.9.1989, Journal Officiel 1989, S. 11494 ff.). 22 Vgl. R. Chapus, Droit administratif général, Bd. 1, 10. Aufl. 1996, S. 1071 (Ziff. 1167); Classen (Fn. 5), S. 95 f.

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doch auf besonderen Antrag die allgemeinen 23 Verwaltungsgerichte ausnahmsweise24 den Aufschub der Vollziehung einer Verwaltungsentscheidung anordnen (sursis ä l'execution). Dazu prüft das Gericht, ob die Vollziehung die Gefahr schwer reparabler Folgen nach sich ziehen könnte und ob die im Antrag vorgebrachten Gründe ernsthaft und geeignet erscheinen, die Aufhebung der angegriffenen Verwaltungsentscheidung zu rechtfertigen 25. Liegen beide Voraussetzungen vor, hat der Antragsteller dennoch keinen Anspruch auf Erlaß der Aussetzungsanordnung. Es bleibt im Ermessen des Gerichts, ob die Anordnung ergeht 26 . In der Praxis dauert es häufig Monate, bis eine entsprechende Aussetzungsanordnung ergeht, so daß nicht selten vollendete Tatsachen geschaffen sind, ehe der vorläufige Rechtsschutz greifen kann. Dies liegt nicht nur an einer Überlastung der Gerichte, sondern wird auch auf die bereits in diesem Verfahren übliche Intensität der Prüfung des Sachverhalts und der Rechtsgründe zurückgeführt 27 . In einzelnen Bereichen wurde daher bereits der Grundsatz der nicht aufschiebenden Wirkung der Rechtsbehelfe durch Sonderregelungen durchbrochen. So hat der Gesetzgeber im Jahr 1990 einem binnen 24 Stunden einzulegenden und binnen 48 Stunden vom Präsidenten des Verwaltungsgerichts oder einem beauftragten Richter zu entscheidenden Rechtsbehelf gegen Abschiebungsverfügungen Suspensiveffekt verliehen 28 . Die weiteren, insbesondere im Umweltrecht und im Baurecht erlassenen Sonderregelungen sind insofern für das französische Rechtsschutzverständnis bezeichnend, als sie in 23

Die Regelung gilt somit nicht für alle Verwaltungsstreitverfahren! Die ursprünglich in Art. R. 96 des Code (Anm. 21) enthaltene Klausel „à titre exceptionnel" wurde zwar gestrichen; die Regelung des sursis à exécution stellt sich gleichwohl weiterhin als ein Ausnahmeregime dar, vgl. Chapus (Fn. 20), S. 1128 (Ziff. 1148); P. Fanachi, La justice administrative, 3. Aufl. 1992, S. 52 f. 25 Art. R. 125 Abs. 2 Code des tribunaux administratifs et des cours administratives d'appel („... le sursis peut être ordonné à la demande du requérant si l'exécution de la décision attaquée risque d'entraîîner des conséquences difficilement réparables et si les moyens énoncés dans la requête paraissent, en l'état de l'instruction, sérieux et de nature à justifier l'annulation attaquée."). 26 Vgl. dazu Chapus (Fn. 20), S. 1159, 1168 f. (Ziff. 1169, 1175); J. Schwarze, Grundlinien und neuere Entwicklungen des Verwaltungsrechtsschutzes in Frankreich und Deutschland, NVwZ 1996, S. 22,27. 27 Vgl. P. Rambaud, La justicia administrativa en Francia: introducción, organización, medidas cautelares, in: J. Bamés (Hrsg.), La justicia administrativa en el Derecho comparado, 1993, S. 277,299; Chapus (Fn. 20), S. 1131 f. (Ziff. 1149). 28 Vgl. dazu J. Robert/J. Duffar, Droits de l'homme et libertés fondamentales, 6. Aufl. 1996, S. 476 ff; Classen (Fn. 5), S. 96. Die Regelung findet sich nunmehr in Art. L. 28 Code des tribunaux administratifs et des cours administratives d'appel (eingefügt durch Art. 72 des Gesetzes Nr. 95-125 vom 8.2.1995, Journal Officiel 1995, S. 2175 ff). 24

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erster Linie der staatlichen Aufsicht zugute kommen. Da die Präfekten seit der Reform von 1982 bei der Ausübung der Rechtsaufsicht über die dezentralen Organe (der Kommunen und der Departements sowie ihrer Einrichtungen) 29 deren Entscheidungen nicht selbst aufheben können, sondern dazu die Verwaltungsgerichte anrufen müssen (sog. „déféré préfectoral") 30 , schien die Beschränkung des vorläufigen Rechtsschutzes auf das übliche Verfahren eine wirksame Kontrolle in Frage zu stellen. Daher hat der Gesetzgeber beispielsweise dem Aussetzungsantrag des Präfekten in bestimmten Bereichen einen vorläufigen, zeitlich befristeten (meist einmonatigen) Suspensiveffekt verliehen. Dies gilt etwa für Entscheidungen im öffentlichen Auftragswesen und bei Baugenehmigungen31. In derartigen Regelungen bestätigt sich erneut die Betonung der objektiven Rechtskontrolle im französischen Verwaltungsrechtsschutz. Der durch Anträge staatlicher Instanzen vermittelte Suspensiveffekt erinnert an ähnliche Regelungen im preußischen Gesetz über die Organisation der allgemeinen Landesverwaltung von 1880, das unter anderem Klagen des Regierungspräsidenten gegen endgültige Beschlüsse bestimmter Kollegialbehörden aufschiebende Wirkung verlieh 32 . Um die insgesamt als unbefriedigend empfundene Situation des einstweiligen Rechtsschutzes bei Nichtigkeitsklagen zu verbessern, hat der französische Gesetzgeber im Rahmen der Reform von 1995 den Präsidenten der Verwaltungsgerichte die Möglichkeit eröffnet, auf Antrag eine auf höchstens drei Monate befristete Aussetzung der Vollziehung (suspension provisoire d'exécution de la décision) anzuordnen 33. Dieses zusätzliche Verfahren 29 Gemeint sind hier die Präfekte auf Departementsebene. Das Gleiche gilt für die Regionspräfekte, die die Aufsicht über die Regionen und ihre Einrichtungen ausüben. 30 Vgl. dazu R. Chapus (Fn. 22), S. 379 ff. (Rdnr. 472 ff.). 31 Vgl. für das Baurecht den durch Art. 66 des Gesetzes vom 8.2.1995 (oben Fn. 28) eingefügten Art. L. 24 Code des tribunaux administratifs et des cours administratives d'appel i.V.m. Art. L. 421-9 des Code de l'urbanisme. Zur Übertragung der Entscheidung über die Gewährung eines sursis à exécution im Bereich des Baurechts auf die Präsidenten der Verwaltungsgerichte erster und zweiter Instanz bzw. auf die Vorsitzenden der jeweiligen Spruchkörper vgl. ferner Art. L. 25 des Code i.V.m. Art. L. 600-5 Code de l'urbanisme. 32 Vgl. dazu G. Siegmund-Schultze, Die vorläufige Vollziehung angefochtener Verwaltungsakte und Art. 19 Abs. 4 Grundgesetz, 1957, S. 22. 33 Durch Art. 65 des Gesetzes vom 8.2.1995 (oben Fn. 28) wurde in den Code des tribunaux administratifs et des cours administratives d'appel folgender Art. L 10 eingefügt (Abs. 1 ): „Saisi d'une demande en ce sens et au terme d'une procédure contradictoire, le président du tribunal administratif ou le président de la formation de jugement peut prononcer, par ordonnance, la suspension pour une durée maximum de trois mois de l'exécution d'une décision administrative faisant l'objet d'une demande de sursis à exécution, lorsque cette exécution risque d'entraîner des conséquences irréversibles et que la requête comporte un moyen sérieux." Abs. 2 bestimmt, daß die vorläufige Aus-

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(„présursis") setzt einen Aussetzungsantrag im herkömmlichen Verfahren voraus, ist mithin - gleichsam als vorläufiger Rechtsschutz zweiten Grades zum sursis à exécution ebenso akzessorisch wie dieser zur Nichtigkeitsklage 34 . Zu erwähnen ist schließlich noch die außerhalb des sursis à exécution bestehende Möglichkeit, eine Aussetzung der Vollziehung zu erreichen. Es geht dabei um die zweite Grundform vorläufigen Rechtsschutzes35, die einstweilige Anordnung (référé administratif). Ein référé, der im Unterschied zum sursis à exécution grundsätzlich nicht vom kollegialen Spruchkörper, sondern vom Präsidenten des Verwaltungsgerichts oder einem beauftragten Richter erlassen wird, ist in der Regel rascher zu erlangen. Daß auch auf diesem Weg eine Aussetzungsanordnung überhaupt in Betracht kommt, befremdet zunächst angesichts der Tatsache, daß für den Erlaß einer Sicherungsanordnung (référé conservatoire) neben der Dringlichkeit und Nützlichkeit der Maßnahme sowie dem Verbot der Vorwegnahme der Hauptsacheentscheidung das Verbot der Behinderung der Vollziehung einer Verwaltungsentscheidung maßgebliches Kriterium ist 3 6 . Doch der Conseil d'Etat hat dieses Verbot in mehreren Fällen, die nicht „befehlende" Entscheidungen, sondern die Erteilung einer Erlaubnis betrafen, für nicht anwendbar erachtet. Überdies gibt es einzelne spezialgesetzliche Regelungen, die bei höchster Dringlichkeit ausdrücklich den Erlaß einstweiliger Anordnungen (référés) zum Zwecke eines sursis à exécution zulassen37. Insgesamt ist das französische System des vorläufigen Rechtsschutzes mittlerweile durch zahlreiche Sonderregelungen und Ergänzungen unübersichtlich und inkohärent geworden. Man ist sich einerseits bewußt, daß die herkömmlichen Prinzipien der Forderung nach einem umfassenden Rechtsschutz nicht

Setzung ihre Wirkung verliert, wenn die Entscheidung über den sursis à exécution vor Ablauf der vom Richter gesetzten Frist ergeht. 34 Näher zum „présursis" M.-A. Latoumerie , Les choix du législateur de 1995 en matière de sursis à exécution des décisions administratives, Revuefrançaise de droit administratif 1996, S. 31, 34 ff. (zur Einschätzung die Überschrift auf S. 34: „Une innovation de portée incertaine"). 35 Bei der dritten Form handelt es sich um den „constat d'urgence", der im wesentlichen ein Beweissicherungsverfahren darstellt (vgl. Art. R. 136 Code des tribunaux administratifs et des cours administratives d'appel). 36 Siehe Art. R. 130 Code des tribunaux administratifs et des cours administratives d'appel: „En cas d'urgence, le président du tribunal administratif ou de la cour administrative d'appel ou le magistrat que l'un d'eux délègue peut, sur simple requête qui, devant le tribunal administratif, sera recevable même en l'absence d'une décision administrative préalable, ordonner toutes mesures utiles sans faire préjudices au principal et sans faire obstacle à l'exécution d'aucune décision administrative." 37 Vgl. im einzelnen Chapus (Fn. 20), S. 1094 ff. (Ziff. 1126 ff.).

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gerecht werden, konnte sich andererseits bislang auf eine grundlegende Reform nicht verständigen. So bleibt vorerst nur die punktuelle Korrektur durch bereichsspezifische Regelungen.

2. Die italienische und die spanische Variante Gemäß der konzeptionellen Verwandtschaft mit dem französischen System gilt auch in Italien und Spanien der Grundsatz der nicht aufschiebenden Wirkung der verwaltungsrechtlichen und verwaltungsgerichtlichen Rechtsbehelfe 38 . Zwei der Grundvoraussetzungen einer gerichtlichen Aussetzung der Vollziehung werden in beiden Ländern häufig mit den lateinischen Begriffen periculum in mora und fumus boni iuris umschrieben: Ohne die Aussetzung muß die Gefahr schwerer und irreparabler Schäden bestehen, und die Klage darf nicht prima facie als unzulässig oder imbegründet erscheinen 39. Im französischen Recht entsprechen diesen Voraussetzungen, wenngleich nicht mit identischem Inhalt, die für die Anordnung eines sursis à exécution entscheidenden Kriterien „conséquences difficilement réparables" und „moyens sérieux et de nature à justifier l'annulation attaquée"40. Beide Voraussetzungen, das periculum in mora und der fumus boni iuris, finden sich auch in den vom EuGH für die Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes statuierten Kriterien 41 , womit die romanische Affinität seines Konzepts erneut deutlich wird. Seinem dritten Kriterium, der angemessenen Berücksichtigung des Gemeinschaftsinteresses, korrespondiert in der nationalen Rechtsprechung die Berücksichtigung des „öffentlichen Interesses" 42. Modifiziert sind die verschiedenen Kriterien allerdings auch vom deutschen System des vorläufigen Rechtsschutzes her bekannt: § 123 Abs. 1 VwGO verweist auf das periculum in mora; sowohl bei der Entscheidung nach dieser Vorschrift als auch bei der Aussetzungsentscheidung nach § 80 Abs. 5 VwGO findet im Rahmen der Abwägung zwischen den öffentlichen und privaten Interessen ferner der fumus boni iuris Be-

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Für Italien vgl. nur F. Satta, Giustizia amministrativa, 2. Aufl. 1993, S. 351 ff.; für Spanien etwa J. A. Santamaría Pastor, Fundamentos de Derecho administrativo I, 1988, S. 219 f. 39 Für Italien G. Falcon, La justicia administrativa, in: J. Barnés (Hrsg.), La justicia administrativa en el Derecho comparado, 1993, S. 207, 238; für Spanien C. Chinchilla Marín, De nuevo sobre la tutela cautelar en el proceso contencioso-administrativo, ebd., S. 447,450. 40 Vgl. oben Fn. 25. 41 Vgl. oben nach Fn. 14. 42 Vgl. für Italien Satta (Fn. 38), S. 355 ff., für Spanien Chinchilla Mann (Fn. 39), S. 450.

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rücksichtigung 43 . Eine Interessenabwägung wird im übrigen auch in den drei benannten romanischen Ländern für die Gewährung des vorläufigen Rechtsschutzes als letztlich entscheidend erachtet 44. Trotz der französischen Wurzeln des italienischen und spanischen Verwaltungsrechts und Verwaltungsprozeßrechts und trotz der im Ausgangspunkt vergleichbaren Regelungen des vorläufigen Rechtsschutzes, soweit es um die Suspendierung von Verwaltungsentscheidungen geht, unterscheiden sich die südeuropäischen Systeme heute doch in einem Punkt grundlegend von dem französischen: Der subjektive Rechtsschutz ist in ihnen kein sekundäres 45, sondern neben der objektiven Rechtskontrolle zumindest ein gleichrangiges Ziel. Dies liegt im Verfassungsrecht begründet. Nach Art. 24 Abs. 1 der italienischen Verfassung von 1947 46 kann jedermann zum Schutze seiner eigenen Rechte und seiner rechtmäßigen Interessen die Gerichte in Anspruch nehmen; Art. 113 derselben Verfassung spezifiziert dieses Grundrecht dahin, daß zum Schutz von Rechten und rechtmäßigen Interessen gegen die Handlungen der öffentlichen Verwaltung stets der Rechtsweg zu den Organen der ordentlichen Gerichtsbarkeit und der Verwaltungsgerichtsbarkeit offen stehen muß. Art. 24 Abs. 1 der spanischen Verfassung von 1978 47 verleiht allen Personen bei der Wahrnehmung ihrer legitimen Rechte und Interessen das Recht auf wirksamen Schutz durch Richter und Gerichte; Art. 106 Abs. 1 derselben Verfassung

43 Zur Berücksichtigung der Erfolgsaussichten der Rahmen der Interessenabwägung vgl. nur F. Hufen, Verwaltungsprozeßrecht, 2. Aufl. 1996, § 32 Rdnr. 40 (S. 556 f.) und § 33 Rdnr. 15 (S. 573 f.). 44 Vgl. für Frankreich Chapus (Fn. 20), S. 1168 (Rdnr. 1175), für Italien Satta (Fn. 38), S. 356 ff. In Spanien fordert Art. 111 Abs. 2 des Gesetzes über das Rechtsregime der öffentlichen Verwaltung und das Verwaltungsverfahren vom 26.11.1992 (Ley 30/1992, Boletín Oficial del Estado núm. 285, vom 27.11.1992) für die Entscheidung über die auf Antrag oder von Amts wegen zu entscheidende Suspendierung eines Verwaltungsakts im Rahmen administrativer Rechtsbehelfsverfahren ausdrücklich die Abwägung zwischen dem Nachteil, den die Aussetzung für das öffentliche Interesse oder für Dritte nach sich zöge, und dem Nachteil, den die sofortige Vollziehbarkeit für den Rechtsbehelfsführer mit sich bringt. Vgl. dazu auch L. Cases i Pallares, Los recursos administrativos en la Ley 30/1992, de 26 de noviembre, de régimen jurídico de las Administraciones Públicas y del Procedimiento administrativo común, in: W. Blümel (Hrsg.), Das spanische Verwaltungsrecht nach dem Reformgesetz von 1992/E1 Derecho administrativo español según la Ley 30/1992, 1996, S. 63, 73 f. (spanisch) bzw. S. 85, 97 f. (deutsch). 45 Zu ursprünglichen subjektiv-rechtlichen Aspekten des französischen Verwaltungsrechtsschutzes vgl. A. Gromitsaris, Einleitung zu: Otto Mayer, Theorie des französischen Verwaltungsrechts (Nachdruck der Ausgabe von 1886), 1998, S. VII, XIX ff. 46 Deutsche Übersetzung der italienischen Verfassung bei A. Kimmel, Die Verfassungen der EG-Mitgliedstaaten, 4. Aufl. 1996, S. 243 ff. 47 Deutsche Übersetzung der spanischen Verfassimg bei Kimmel (Fn. 46), S. 522 ff.

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betont nochmals die gerichtliche Kontrolle der Verordnungsgewalt und der Gesetzmäßigkeit des Verwaltungshandelns. In beiden Ländern wird damit, insoweit durchaus der durch Art. 19 Abs. 4 GG geprägten deutschen Rechtslage vergleichbar, grundsätzlich ein Recht auf lückenlosen und effektiven Rechtsschutz anerkannt 48 . Während allerdings in Italien erst allmählich die notwendigen Konsequenzen aus der Anerkennung eines solchen Anspruchs gezogen werden - der Gesetzgeber hat der durch die Corte Costituzionale bereits 1985 angestoßenen Debatte über die Notwendigkeit der Einführung einer einstweiligen Anordnung 49 noch nicht Rechnung getragen (einstweilen suchen die Gerichte pragmatische Lösungen) - , ist die Reformdiskussion in Spanien bereits weiter gediehen.

3. Reformansätze Die Diskussion über eine grundlegende Reform des Verwaltungsprozeßrechts, die in Spanien schon bald nach Inkrafttreten der Verfassung von 1978 einsetzte50, steht mittlerweile vor greifbaren Ergebnissen. Noch 1998 soll ein neues Gesetz über die Verwaltungsgerichtsbarkeit das bisher geltende Gesetz von 195651 ablösen. Der derzeit im Parlament beratene Regierungsentwurf 52 sieht einen erheblichen Ausbau des vorläufigen Rechtsschutzes vor. In dem nunmehr selbständigen Titel über „Besondere Verfahren" wird dem einstweiligen Rechtsschutz unter der Überschrift „Vorläufige Maßnahmen" (medidas 48

Vgl. für Italien bereits die Urteile der Corte Costituzionale 93/1962 vom 13.11.1962 (Racc. Uff. Bd. 15, 97, 103) und 139/1967 vom 12.12.1967 (Racc. Uff. Bd. 26, 419, 427); für Spanien umfangreiche Nachweise bei K.-P. Sommermann, Der Schutz der Grundrechte in Spanien nach der Verfassung von 1978, 1984, S. 163 ff. 49 Vgl. Falcon (Fn. 39), S. 239 f.; Satta (Fn. 38), S. 92 ff; A. Monaciliuni, I limiti della tutela cautelare nel processo amministrativo, in: Giustizia amministrativa siciliana Bd. 2 (1998), Internet-Dokument ,Jittp://www.infcom.it/giustamm/amonacil.htm" (Abfrage vom 13.3.1998). 50 Vgl. R. Sánchez Suárez, La Ley de la Jurisdicción Contencioso-Administrativa, Madrid 1980, S. 59-81; J. A. Santamaría Pastor , Veinticinco años de aplicación de la Ley reguladora de la Jurisdicción Contencioso-Administrativa: balance y perspectivas, in: Revista de Administración Pública 1981, Nr. 95, S. 125-151; J. L. González Berengue Urrutia , La futura Ley de Jurisdicción contencioso-administrativa, in: Revista de Administración Pública 1983, Nr. 100-102, S. 1271-1279. 51 Ley reguladora de de la Jurisdicción Contencioso-Administrativa vom 27.12.1956, Boletín Oficial del Estado núm. 363, vom 28.12.1956; dazu ein kurzer Überblick bei Sommermann (Fn. 48), S. 287 ff. 52 Proyecto de Ley reguladora de de la Jurisdicción Contencioso-Administrativa, Boletín Oficial de las Cortes Generales - Congreso de los Diputados, Serie A, núm. 70, vom 18.6.1997.

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cautelares) ein eigenes Kapitel gewidmet (Art. 124-132). In der Begründung der Reform wird darauf hingewiesen, daß mit der Neugestaltung des vorläufigen Rechtsschutzes dem in der Verfassung verankerten Recht auf effektiven Rechtsschutz im Sinne der Rechtsprechung des Verfassungsgerichts Rechnung getragen werden solle. Das spanische Verfassungsgericht hatte bereits 1984 im Hinblick auf die Rechtsschutzgarantie des Art. 24 der Verfassung eine Neuinterpretation der maßgeblichen Bestimmung der Verwaltungsgerichtsordnung von 1956 über die Anordnung der Aussetzung der Vollziehung gefordert 53. Seit 1992 hat es mehrfach festgestellt, daß die Effektivität des Rechtsschutzes die Möglichkeit des Erlasses angemessener vorläufiger Maßnahmen erfordere, welche die tatsächliche Wirksamkeit des künftigen Urteilsspruches sicherstellen 54 . Der Gesetzentwurf sieht neben der Möglichkeit der Anordnung der Aussetzung der Vollziehung durch das Gericht folgerichtig „sonstige vorläufige Maßnahmen" vor, „welche die tatsächliche Wirksamkeit des Urteils sicherstellen, das gegebenenfalls das gerichtliche Verfahren beendet" (Art. 129). Für jede Form vorläufigen Rechtsschutzes gilt, daß er gewährt werden kann, „wenn vernünftige Zweifel an der Rechtmäßigkeit des beanstandeten Verwaltungshandelns bestehen", und „auf eine hinreichend begründete Abwägung aller konfligierenden Interessen" gestützt werden muß (Art. 124 Abs. 2). In die Nähe des automatischen Suspensiveffekts führt eine Sonderregelung für Streitigkeiten, die in dem beschleunigten Verfahren zum Schutz der Grundrechte der Art. 14 bis 29 der Verfassung, im wesentlichen der Freiheitsrechte, ausgetragen werden 55 . Nachdem im Rahmen dieses Verfahrens bereits bisher die Aussetzung der Vollziehung im Regelfalle zu gewähren war 5 6 , soll das Gericht nunmehr die beantragte vorläufige Maßnahme nur dann verweigern dürfen, wenn ein schwerer Nachteil für ein überwiegendes öffentliches Interesse dies rechtfertigt (Art. 124 Abs. 3). 53 Urt. 66/1984 vom 6.6.1984, Boletín de Jurisprudencia Constitucional 1984, S. 846, 849 (E 3). 54 Vgl. nur Urt. 14/1992 vom 10.2.1992, Boletín de Jurisprudencia Constitucional (BJC) 1992, S. 51, 69 (II 7); Urt. 238/1992 vom 17.12.1992, BJC 1993, S. 42, 46 (ü 3); Urt. 148/1993 vom 29.4.1993, BJC 1993, S. 223, 227 (II 4); Urt. 78/1996 vom 20.5.1996, BJC 1996, S. 47, 51 (II 3). 55 Dieses in Art. 53 Abs. 2 der spanischen Verfassung vorgesehene besondere Schutzverfahren für die am besten geschützte Gruppe der Grundrechte ist nach wie vor in dem Gesetz 62/1978 vom 26.12.1978 geregelt (Ley de Protección Jurisdiccional de los Derechos Fundamentales de la Persona; Boletín Oficial del Estado núm.3, vom 3.1.1979); vgl. dazu Sommermann (Fn. 48), S. 297 ff.; ders., Der richterliche Schutz der Grundrechte in Spanien, in: H.-R. Horn/A. Weber (Hrsg.), Richterliche Verfassungskontrolle in Lateinamerika, Spanien und Portugal, 1988, S. 23, 42 ff. 56 Vgl. 7 Abs. 4 des Gesetzes 62/1978 (Fn. 55).

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Der Entwurf, der in einzelnen Punkten gewiß noch überarbeitungsbedürftig ist, würde, träte er in der Substanz unverändert in Kraft, den Rechtsschutzstandard in Spanien erheblich erhöhen. Dennoch geht er einigen Kritikern nicht weit genug. A m meisten Gewicht hat dabei die Stimme von Eduardo Garcia de Enterria, der kraft seiner Autorität als Wegbereiter eines modernen spanischen Verwaltungsrechts bereits bisher Gesetzgebung und Rechtsprechung durch seine wissenschaftlichen Stellungnahmen erheblich beeinflußt hat. Schon früh hat er einen Abschied von dem „überholten" französischen Paradigma gefordert 57 und sich in der Reformdiskussion für den automatischen Suspensiveffekt der verwaltungsgerichtlichen Klage ausgesprochen 58. Später, im Zusammenhang mit einer Bewertung des Vorentwurfes von 1995, hat er nachdrücklich auf das Vorbild der deutschen Verwaltungsgerichtsordnung hingewiesen59. Seine Kritik an dem Vorentwurf hat, so darf man vermuten, zu einigen der Änderungen in der Regierungsvorlage beigetragen. So sind darin neben Sicherungsanordnungen nunmehr ausdrücklich auch Regelungsanordnungen vorgesehen (Art. 129 Abs. 2). Andere Einwände, etwa gegen die prohibitive Wirkung der Verpflichtung zur Leistung einer Kaution, wenn die Aussetzung eines Verwaltungsakts quantifizierbare Schäden nach sich ziehen kann 60 , blieben freilich ungehört. Die bevorstehende Reform in Spanien fügt sich insofern in den europäischen Kontext, als sie der Abhilfe von Mängeln dienen soll, die auch in anderen Ländern bekannt sind. So hat sich die Zahl verwaltungsgerichtlicher Verfahren in dem Zeitraum von 1980 bis 1995 versechsfacht, was bei einer relativ geringen Zahl von Richtern 61 zu einer unerträglich langen Prozeßdauer führt. Dies könnte künftig die praktische Bedeutung des einstweiligen Rechtsschutzes noch erheblich steigern. Das in Deutschland mit den Worten „'Entthronung' des verwaltungsgerichtlichen Hauptsacherechtsschutzes durch den vorläufigen Rechtsschutz" umschriebene Phänomen62 ist mindestens in gleichem Maße eine italienische Erscheinung, wo sich der Schwerpunkt des Verwal57

E. Garcia de Enterria, Hacia una nueva justicia administrativa, Madrid 1989, S. 94. Die Überschrift des Kapitels lautet (S. 69): „Die Krise des französischen Verwaltungsstreitverfahrens: das Ende eines Paradigmas". 58 Zustimmend zitiert bei A. Betancor Rodríguez, El acto ejecutivo, 1992, S. 432 f. 59 E. Garcia de Enterria , Democracia, jueces y control de la Administración, 3. Aufl. 1997, S. 263, 284 ff. 60 Vgl. Art. 127 des Regierungsentwurfs. 61 Insgesamt waren 1995 in der Verwaltungsgerichtsbarkeit 261 Richter tätig. Die erste Instanz, die hauptsächlich bei den Tribunales Superiores de Justicia angesiedelt ist, registrierte im selben Jahr über 100.000 neue Klagen; Zahlen nach Garcia de Enterria (Fn. 59), S. 255 ff. 62 Schock, Grundfragen (Fn. 16), S. 148.

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tungsprozesses in den vorläufigen Rechtsschutz verlagert hat 63 . Der beispiellose Aufschwung des einstweiligen Rechtsschutzes ist nicht zuletzt Folge der maßgeblich durch die Verfassungsgerichte beförderten Subjektivierung des Rechtsschutzes. In Italien, wo bisher die notwendige Reform des Verwaltungsprozeßrechts ausgeblieben ist, haben die Verwaltungsgerichte durch eine extensive Handhabung der ihnen im Aussetzungsverfahren verliehenen Befugnisse und Rückgriff auf zivilprozessuale Regelungen die Rechtsschutzlükken teilweise schließen können. Auch an Frankreich ist im übrigen die Subjektivierungstendenz nicht spurlos vorübergegangen. Seit der Conseil Constitutionnel in seiner Entscheidung vom 23. Januar 1987 64 die Erlangung vorläufigen Rechtsschutzes (hier: die Möglichkeit der Aussetzung der Vollziehung eines Bußgeldbescheids) aus dem Verfassungsprinzip der Verteidigungsrechte (droits de défense) abgeleitet hat 65 , wird die Diskussion über die Weiterentwicklung des vorläufigen Rechtsschutzes auch unter dem Gesichtspunkt umfassender (individueller) Rechtsschutzgewährung geführt 66 .

I I I . Die Aushöhlung des Grundsatzes der aufschiebenden Wirkung im Zuge der deutschen Beschleunigungsgesetzgebung Während dem deutschen Modell des vorläufigen Rechtsschutzes im Ausland zunehmend Interesse entgegengebracht wird und man sich in einzelnen Reformschritten sogar bereits darauf zu bewegt, ist der Grundsatz der aufschiebenden Wirkung von Widerspruch und Anfechtungsklage, sein markantestes Identitätsmerkmal, seit einer Reihe von Jahren einer stetigen Erosion

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Vgl. S. Cassese, Le basi del diritto amministrativo, 3. Aufl. 1995, S. 454. Entscheidung Nr. 86-224 DC, abgedruckt auch in Revue du Droit Public Bd. 103 (1987), S. 1353 ff. 65 Aus der reichen Anmerkungsliteratur vgl. etwa B. Genevois, Le Conseil constitutionnel et le principe de séparation des autorités administratives et judiciaires, Revue française de Droit administratif 1987, S. 287-299 (insbes. S. 296 f), und M Long/ P. Weil/G. Braibant/P. Devolvé/B. Genevois, Les grands arrêts de la jurisprudence administrative, 11. Aufl. 1996, S. 710, 717 f. Zu der sonstigen für den vorläufigen Verwaltungsrechtsschutz relevanten Rechtsprechung des Conseil Constitutionnel vgl. auch die Hinweise bei Classen (Fn. 5), S. 96. 66 Vgl. M Fromont, La justice administrative en Europe - Convergences, in: Mélanges René Chapus. Droit administratif, 1992, S. 197, 207 f. Kritisch zur Rechtslage in Frankreich vor dem Hintergrund gemeinschaftsrechtlicher Zwänge zum effektiven Rechtsschutz des einzelnen H. Labayle, L'effectivité de la protection juridictionelle des particuliers - Le droit administratif français et les exigences de la jurisprudence européenne, Revue française de droit administratif Bd. 8 (1992), S. 619-642. 64

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durch immer neue gesetzliche Ausnahmen ausgesetzt. Damit ist das Aussetzungsverfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO auf dem Wege, sich zum primären Mechanismus vorläufigen Rechtsschutzes in Anfechtungssituationen zu entwickeln. In vielen Bereichen sind es nicht mehr Widerspruch und Anfechtungsklage, die den einstweiligen Rechtsschutz sicherstellen, sondern erst die bei Gericht beantragte Aussetzungsanordnung. Damit nähert sich die Lage in Deutschland der in den romanischen Ländern an. Von Anfang an freilich wurden in § 80 Abs. 2 VwGO weitreichende Ausnahmen vom Grundsatz der aufschiebenden Wirkung anerkannt. Neben den auch in der Geschichte meist von der aufschiebenden Wirkung ausgenommenen Anforderungen von öffentlichen Abgaben und Kosten 67 handelt es sich zum einen - einer Forderung der praktischen Vernunft Rechnung tragend - um die unaufschiebbaren Anordnungen und Maßnahmen von Polizeivollzugsbeamten und zum anderen um die von der Behörde i m konkreten Fall herbeizuführende sofortige Vollziehbarkeit durch deren Anordnung im öffentlichen Interesse oder im überwiegenden Interesse eines Beteiligten. Die unscheinbare, in § 80 Abs. 2 Ziff. 3 enthaltene und im Hinblick auf den lex specialisGrundsatz lediglich deklaratorische Hinweis 68 auf sonstige durch Bundesgesetz geregelte Ausnahmen scheint der Gesetzgeber regelrecht als Aufforderung zur Marginalisierung des Grundsatzes der aufschiebenden Wirkung durch Sonderregelungen in den Fachgesetzen verstanden zu haben. Die Vielzahl der Ausnahmeregelungen ist kaum mehr zu überblicken. Sie reichen von bereichsspezifischen Regelungen des Sozialrechts über das Ausländerrecht bis hin zum Verkehrswegerecht 69. Willi Blümel hatte bereits 1975 prophetisch davor gewarnt, daß eine Sonderregelung für bestimmte Planungsentscheidungen „zwangsläufig ähnliche Regelungen auf anderen wichtigen Gebieten (Verkehr, Industrieansiedlung usw.) nach sich ziehen und damit das von der Rechtsprechung bestätigte Regel-Ausnahme-Verhältnis von aufschiebender Wirkung und sofortigem Vollzug endgültig umkehren" werde 70 . Friedrich Schoch spricht heute von einem „inflationären Ausschluß der aufschie-

67 Vgl. etwa § 251 der Reichsabgabenordnung von 1919 (RGBl 1919 S. 1993), der allerdings dem Antrag an das Gericht aufschiebende Wirkung beilegt; vgl. für das heutige Recht auch § 361 der Abgabenordnung. 68 Vgl. A. Puttler, in: H. Sodan/J. Ziekow (Hrsg.), Nomos-Kommentar zur Verwaltungsgerichtsordnung, 1996 ff., § 80 Rdnr. 69; F. Schoch, in: F. Schoch/E. SchmidtAßmann/R. Pietzner (Hrsg.), Verwaltungsgerichtsordnung, 1996 ff., § 80 Rdnr. 126; J. Schmidt, in: E. Eyermann/L. Fröhler (Hrsg.), Verwaltungsgerichtsordnung, 10. Aufl. 1998, § 80 Rdnr. 28. 69 Überblick bei Schoch (Fn. 68.), § 80 Rdnr. 128 IT. 70 W. Blümel, Planung und Verwaltungsgerichtsbarkeit, DVB1 1975, S. 695, 698.

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benden Wirkung", der „das Regelungsmodell von § 80 Abs. 1 ... partiell zur Farce werden läßt" 71 . Jüngste Beispiele für die Aushebelung des Suspensiveffektes in Bereichen von großer praktischer Bedeutung sind die Ergänzung des § 126 Abs. 3 Beamtenrechtsrahmengesetz durch das Dienstrechtsreformgesetz von 1997 72 und die Einfügung eines § 212a in das Baugesetzbuch (BauGB) durch das Bau- und Raumordnungsgesetzes 1998 73 . Durch § 126 Abs. 3 Ziff. 3 Beamtenrechtsrahmengesetz wird der Suspensiveffekt bei Widerspruch und Anfechtungsklage gegen die Abordnung oder Versetzung ausgeschlossen. § 212a BauGB hat die Regelung des § 10 Abs. 2 des Maßnahmengesetzes zum Baugesetzbuch (BauGBMaßnG) 74 , wonach die Drittanfechtung der Genehmigung eines (ständig oder vorübergehend) überwiegend Wohnzwecken dienenden Vorhabens keine aufschiebende Wirkung hat, auf sämtliche Bauvorhaben ausgedehnt. Den Weg zu einer weiteren Durchlöcherung des Suspensiveffekts von Widerspruch und Anfechtungsklage bahnte die Sechste VwGO-Änderungsnovelle, durch die auch § 80 Abs. 2 Ziff. 3 VwGO neugefaßt wurde. Seit dem 1. Januar 1997 kann neben dem Bundesgesetzgeber auch der Landesgesetzgeber Ausnahmeregelungen treffen. Diese Öflfnungsklausel, welche die Sperrwirkung des Art. 72 Abs. 2 GG einschränkt und daher insoweit § 80 Abs. 2 Ziff. 3 VwGO konstitutive Bedeutung verleiht 75 , trägt überdies den Keim zu einer Zersplitterung des vorläufigen Rechtsschutzes in Deutschland in sich 76 . Eine erhebliche Beschränkung der aufschiebenden Wirkung und eine Quelle für Mehrarbeit der Verwaltungsgerichte stellt schließlich der ebenfalls durch die Sechste VwGO-Änderungsnovelle eingefügte § 80b VwGO dar, wonach der Suspensiveffekt mit der Unanfechtbarkeit oder, wenn die Anfechtungsklage in der ersten Instanz abgewiesen wurde, drei Monate nach Ablauf der gesetzlichen Begründungsfrist des gegen die abweisende Entscheidung gegebenen Rechtsmittels entfällt. Auf Antrag kann freilich das Oberverwaltungsgericht anordnen, daß die aufschiebende Wirkung fortdauert. Angesichts der Tatsache, daß durch dieselbe Novelle auch die Zulassungsberufüng eingeführt wurde, erfordert somit umfassender Rechtsschutz in der zweiten Instanz drei Anträge des Klägers und entsprechend drei Entscheidungen des Oberverwaltungsgerichts: einen Beschluß über die Zulassung 71

F. Schock (Fn. 68), § 80 Rdnr. 127. BGBl 1997IS. 322. 73 BGBl 1997IS. 2141. 74 BGBl 1990IS. 926. 75 Vgl. auch R. Pietzner/M. Ronellenfitsch, Das Assessorexamen im Öffentlichen Recht - Widerspruchsverfahren und Verwaltungsprozeß, 9. Aufl. 1996, Ergänzungen S. 26. 76 C. Meissner, Die Novellierung des Verwaltungsprozeßrechts durch das Sechste Gesetz zur Änderung der Verwaltungsgerichtsordnung, VB1BW 1997, S. 81, 86. 72

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der Berufung gemäß § 124 VwGO, einen Beschluß über die Fortdauer der aufschiebenden Wirkung gemäß § 80b Abs. 2 VwGO und eine Entscheidung in der Berufungssache selbst. Ob dieser zusätzliche Aufwand durch die erhofften Vollziehbarkeitsgewinne wettgemacht wird, erscheint äußerst fraglich. Angesichts der zahllosen Durchbrechungen des Grundsatzes der aufschiebenden Wirkung kann er derzeit nur als potentieller Grundsatz qualifiziert werden. Zu seiner Re-Aktualisierung bedürfte es der Beseitigung einer Reihe von Ausnahmeregelungen, die in nächster Zukunft nicht zu erwarten ist. Das Konzept, welches hinter den meisten Ausnahmeregelungen steht oder jedenfalls stehen sollte, gibt § 80 Abs. 2 Ziff. 3 VwGO in einer für eine Norm des Prozeßrechts ungewöhnlichen wirtschafts- und sozialpolitischen Zielbestimmung zu erkennen: Die Ausnahmen sollen möglichst das Investitionsklima verbessern und die Schaffung von Arbeitsplätzen ermöglichen. Da das Ziel der Investitionsförderung nur als „Insbesondere-Zweck" formuliert wurde - ob ein solcher Zweck tatsächlich vorliegt, wäre wohl einer stringenten rechtlichen Überprüfung kaum zugänglich -, hat der Gesetzgeber eine unkontrollierte Fragmentierung des einstweiligen Rechtsschutzes durch unterschiedliche Ländergesetze in Kauf genommen. Den Zweck der Investitionsförderung verfolgen im übrigen auch Regelungen, welche durch die Abschaffung von Kontrollerlaubnissen den vorläufigen Rechtsschutz Drittbetroffener vom System der §§ 80, 80a auf das Instrument der einstweiligen Anordnung nach § 123 VwGO umleiten 77 . Da diese auf eine grundsätzlich im Ermessen der Behörde stehende bauaufsichtliche Maßnahme gerichtet sein muß, wird der vorläufige Rechtsschutz zwangsläufig abgeschwächt. A m nachteiligsten wirken sich nach wie vor die Sonderregelungen in den Fachgesetzen aus. Die Lage gleicht insoweit der im Verwaltungsverfahrensrecht, wo die im Interesse der Verfahrensökonomie und Einheitlichkeit aufgestellten Regeln des Verwaltungsverfahrensgesetzes des Bundes vielfach durch Spezialregelungen durchbrochen werden, und zwar trotz vergleichbarer Interessenlage nicht selten in unterschiedlicher Weise. Die verschiedenen Regelun-

77

Vgl. dazu W. Bliimel, Vereinfachung des Baugenehmigungsverfahrens und Nachbarschutz, in: Verantwortung und Gestaltung. Festschrift für Karlheinz Boujong zum 65. Geburtstag, München 1996, S. 521, 528 ff.; C. Degenhart, Genehmigungsfreies Bauen und Rechtsschutz des Nachbarn, NJW 1996, S. 1433, 1436 f.; M Uechtritz, Nachbarrechtsschutz bei der Errichtung von Wohngebäuden im Freisteckungs-, Anzeige- und vereinfachten Verfahren, NVwZ 1996, S. 640, 645; D. MampeL Baurechtlicher Drittschutz nach der Deregulierung, UPR 1997, S. 267, 270 ff.; C. Presche/, Abbau der präventiven bauaufsichtlichen Prüfung und Rechtsschutz, DÖV 1998, S. 45, 51 ff

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gen über die Plangenehmigung legen davon beredtes Zeugnis ab 78 . Derzeit scheint sowohl im Verwaltungsverfahrensrecht als auch im Verwaltungsprozeßrecht der Regelungspartikularismus der Fachressorts die im Bundesinnenministerium und Bundesjustizministerium auf Konzentration und Einheitlichkeit der Rechtsordnung bedachten Kräfte zu dominieren. Festzuhalten bleibt, daß das Regel-Ausnahme-Verhältnis zwischen aufschiebender Wirkung und sofortiger Vollziehbarkeit mittlerweile faktisch umgekehrt ist. Damit sind zugleich die Aufgaben der Verwaltungsgerichte im Bereich des vorläufigen Rechtsschutzes entsprechend angewachsen. Ihre Verantwortung fiir die Gewährleistung effektiven Rechtsschutzes hat eine qualitativ neue Stufe erreicht.

IV. Ursprung und Begründung des Grundsatzes der aufschiebenden Wirkung im deutschen Recht Die dargestellte Systemverschiebung im vorläufigen Rechtsschutz ist freilich nur dann bedenklich, wenn tatsächlich eine Errungenschaft aufgegeben wird, die sich zu verteidigen lohnt. Aufschluß über den Sinn und die Bedeutung eines Rechtsprinzips kann nicht zuletzt die Entstehungsgeschichte geben. Solange man nicht eine Verfassungsänderung ins Auge faßt, kann sich darüber hinaus Bestandsschutz aus dem Grundgesetz ergeben.

1. Zur Entstehungsgeschichte des Grundsatzes der aufschiebenden Wirkung „Die grundsätzlich aufschiebende Wirkung von Widerspruch und Anfechtungsklage entspricht rechtsstaatlichen Grundsätzen ... Der Verwaltungsrechtsschutz würde erheblich an Wirksamkeit einbüßen, wenn die Behörde es in der Hand hätte, bis zur verwaltungsgerichtlichen Entscheidung ihren Willen durchzusetzen und damit für einen meist nicht unerheblichen Zeitraum vollendete Tatsachen zu schaffen." Diese Sätze stammen aus der amtlichen Begründung der Bundesregierung zu § 81 (später § 80) des 1952 vorgelegten Entwurfs einer Verwaltungsge-

78

Vgl. nur die variierenden Regelungen in § 74 Abs. 6 VwVfG, § 17 Abs. la Bundesfernstraßengesetz, § 28 Abs. 2 Personenbeförderungsgesetz und § 31 Abs. 3 Kreislaufwirtschaft- und Abfallgesetz.

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richtsordnung 79. Es fällt auf, daß in der gesamten Begründung zu dieser Vorschrift von der Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 GG, die später in der Diskussion über Notwendigkeit, Ausgestaltung und Reichweite des vorläufigen Rechtsschutzes zum zentralen Argumentationstopos wurde, keine Rede ist. Bereits kurze Zeit später, im Jahr 1953, bezeichnete das Bundesverwaltungsgericht in seiner ersten Leitentscheidung zum vorläufigen Rechtsschutz den Suspensiveffekt als „ein Wesensmerkmal des durch das Grundgesetz (Art. 19 Abs. 4 Satz 1) gewährleisteten Verwaltungsrechtsschutzes" 80. Für die Verfasser des Regierungsentwurfs von 1952 war die Rechtsschutzgarantie noch vor allem für die Begründung der Generalklausel relevant gewesen81. Im übrigen stand für sie unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten die Frage im Mittelpunkt, ob der Bund überhaupt gemäß Art. 74 Ziff. 1 GG die Gesetzgebungszuständigkeit für die Verwaltungsgerichtsbarkeit besitze 82 . Daß man die Ausgestaltung des vorläufigen Rechtsschutzes nicht von vornherein als Erfüllung eines Mandats aus Art. 19 Abs. 4 GG begriff, sondern sich allgemein auf „rechtsstaatliche Grundsätze" berief, erklärt sich aus einem heute weniger bekannten Traditionselement des deutschen Verwaltungsverfahrens- und Verwaltungsprozeßrechts. Der Suspensiveffekt von Widerspruch und Anfechtungsklage ist nämlich keineswegs eine erst durch die Rechtsschutzgarantie des Grundgesetzes hervorgerufene Innovation, sondern Kulminationspunkt einer weit ins 19. Jahrhundert zurückreichenden Entwicklung. Das deutsche Recht der verwaltungsrechtlichen und verwaltungsgerichtlichen Rechtsbehelfe orientierte sich insoweit - im Unterschied zum Recht der romanischen Länder - stark am zivilprozessualen Rechtsmittelrecht. Die aufschiebende Wirkung von Verwaltungsrechtsbehelfen war sowohl dem preußischen Recht als auch dem süddeutschen, insbesondere dem badischen Recht bekannt 83 . Die Badische Vollzugsverordnung von 1864 gab dem Suspensiveffekt in ihrem § 80 eine großzügige Regelung 84 . In Baden war es auch, wo unmit79 BT-Drucks. 1/4278 vom 15.4.1953, S. 42; unverändert in BT-Drucks. 3/55 vom 5.12.1957, S. 39. 80 BVerwGE 1, 11. 81 Vgl. die Begründung zu § 38 des Entwurfs (später: § 40 VwGO); BT-Drucks. 1/4278 vom 15.4.1953, S. 33. 82 Ebd., S. 27 ff. 83 Vgl. im einzelnen Siegmund-Schultze (Fn. 32), S. 7-38. 84 § 80 Abs. 1 lautete: „Die Einlegung des Rekurses [seil, im Verwaltungs- und Verwaltungsrechtsweg] hat aufschiebende Wirkung, wenn die Anzeige innerhalb acht Tagen nach Eröffnung der Entscheidung erfolgt." Für die in Zuständigkeit des Verwaltungsgerichtshofes fallenden Streitigkeiten schloß allerdings § 122 der Vollzugsverordnung für weite Bereiche den Suspensiveffekt wieder aus; vgl. Siegmund-Schultze (Fn. 32), S. 28 (dort in Fn. 2 auch der Text des § 80).

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telbar nach dem Zweiten Weltkrieg der Entwurf eines für die Länder der amerikanischen Besatzungszone jeweils gesondert zu erlassenden Gesetzes über die Verwaltungsgerichtsbarkeit ausgearbeitet wurde. Der sogenannte Heidelberger Ausschuß tagte unter der Leitung von Walter Jellinek in der Zeit vom 18. September 1945 bis zum 20. März 1946. § 51 des Heidelberger Entwurfes, der in entsprechende Gesetze der Länder Bayern 85 , Württemberg-Baden 86, Hessen87 und schließlich auch Bremen 88 mündete, verankerte den Suspensiveffekt für die administrativen Rechtsbehelfe (Einspruch und Beschwerde) sowie die Anfechtungsklage 89. Er kann als der unmittelbare Vorläufer des § 80 VwGO betrachtet werden. Es ist kein Zufall, daß Heidelberg auch der Ort war, wo sich die Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer am 20. und 21. Oktober 1949 nach dem Krieg zum ersten Mal wieder traf, um das Thema „Tragweite der Generalklausel im Art. 19 Abs. 4 des Bonner Grundgesetzes" zu erörtern 90 . Die Rechtstradition Badens, welches im 19. Jahrhundert als erstes Land eine unabhängige Verwaltungsrechtspflege eingeführt hatte 91 , sowie der an der Universität Heidelberg herrschende freiheitliche Geist und Bürgersinn 92 haben, so darf man vermuten, keinen geringen Einfluß auf die Ausprägung der Wissenschaftlerpersönlichkeit des Jubilars gehabt. Willi Blümel, der das Studium der Rechtswissenschaft im Wintersemester 1948/49 an der Universität Heidelberg be-

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Gesetz Nr. 39 vom 25. 9. 1946 (GVB1 1946 S. 281). Gesetz Nr. 110 vom 16. 10. 1946 (RegBl 1946 S. 221). 87 Gesetz vom 31. 10. 1946 (GVB1 1946 S. 194). 88 Gesetz vom 5.8.1947 (GBl 1947 S. 171). 89 Kommentierung bei E. Eyermann/L. Fröhler, Verwaltungsgerichtsgesetz für Bayern, Bremen, Hessen und Württemberg-Baden, München/Berlin 1950, § 51 (S. 175 ff.). Die Möglichkeit des Erlasses einer einstweiligen Anordnung war nicht vorgesehen; hier behalf sich ein Teil der Rechtsprechung mit der entsprechenden Anwendung zivilprozessualer Bestimmungen, vgl. O. Bachofi Aussetzung der Vollziehung und einstweilige Verfügung im Verwaltungsprozeß, NJW 1949, S. 328 f. Die Situation glich insoweit der heutigen Lage in Italien. 90 Dazu die Berichte von F. Klein und H. Herrfahrdt in VVDStRL Bd. 8 (1950). 91 Vgl. hierzu M Rapp, Hundert Jahre Badischer Verwaltungsgerichtshof, in: H. R. Külz/R. Naumann (Hrsg.), Staatsbürger und Staatsgewalt - Verwaltungsrecht und Verwaltungsgerichtsbarkeit in Geschichte und Gegenwart, Bd. 1, 1963, S. 1-24; E. Balz, Hundert Jahre Verwaltungsgerichtsbarkeit in Baden, in: M. Baring (Hrsg.), Aus hundert Jahren Verwaltungsgerichtsbarkeit, 1963, S. 102-123. 92 Auch in der bürgerlichen Revolution von 1848 spielte Baden bekanntlich eine maßgebliche Rolle, vgl. etwa die - freilich gemeinsam mit Vertretern anderer deutscher Länder verabschiedete - Erklärung der Heidelberger Versammlung vom 5.3.1848, abgedruckt bei E. R. Huber (Hrsg.), Dokumente zur deutschen Verfassungsgeschichte, Bd. 1, §. Aufl. 978, S. 326-328. 86

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gann, an der seinerzeit neben Walter Jellinek z.B. der Romanist Wolfgang Kunkel, der Rechtsphilosph Karl Engisch und der Rechtshistoriker und Öffentlichrechtler Otto Gönnenwein lehrten (Ernst Forsthoff nahm erst im Sommersemester 1952 seine Lehrtätigkeit wieder auf), hat dem Rechtsschutz der Bürger stets große Aufmerksamkeit gewidmet. Namentlich dort, wo im Rahmen komplexer Planungsvorhaben die Rechte des Bürgers sich in einer für diesen undurchdringlichen Abwägungsmasse aufzulösen drohen, hat W i l l i Blümel sich für den effektiven Rechtsschutz des einzelnen eingesetzt. Wie der Bürger in Planfeststellungsverfahren vor der Schaffung vollendeter Tatsachen geschützt werden kann, war dabei stets seine Hauptsorge 93.

2. Verfassungsrechtliche Aspekte des Grundsatzes der aufschiebenden W i r k u n g Der Grundsatz der aufschiebenden Wirkung von Widerspruch und Anfechtungsklage, wie er in § 80 der Verwaltungsgerichtsordnung von 1960 geregelt wurde, stand somit am Ende einer Entwicklung, in der der Suspensiveffekt zunächst punktuell anerkannt, später auf immer weitere Bereiche ausgedehnt wurde. Vor dem Hintergrund der Erfahrungen mit der nationalsozialistischen Willkürherrschaft war die Zeit für die Schaffung eines umfassenden und effektiven Rechtsschutzes besonders günstig gewesen. Wie die Entstehungsgeschichte, etwa auch die oben zitierten Sätze aus der amtlichen Begründung der Bundesregierung zu dem Entwurf von 1952, zeigen, sollte in der Tat ein Regel-Ausnahme-Verhältnis zugunsten des Suspensiveffekts begründet werden. Doch dieser auch auf den Wortlaut und die Systematik der ersten beiden Absätze des § 80 VwGO zu stützende Befund 94 kann den Gesetzgeber nicht hindern, das Verhältnis umzukehren, sofern nicht verfassungsrechtliche Gründe dagegen sprechen. Bekanntlich hat man gegen die Freiheit des Gesetzgebers insoweit immer wieder Bedenken aus Art. 19 Abs. 4 GG hergeleitet 95 . Dabei hat man sich auch auf die Rechtsprechung des Bundesverfas93

Vgl. W. Blümel, Raumplanung, vollendete Tatsachen und Rechtsschutz, in: Festgabe für Ernst Forsthoff zum 65. Geburtstag, 1967, S. 133-161; ders., Raumplanung und Vermessungswesen, Die Verwaltung 7 (1974); S. 305, 331 ff; ders., Planung und Verwaltungsgerichtsbarkeit, DVB1 1975, S. 695-709; ders., Planung und Verwaltungsgerichtsbarkeit - Abschiedsvorlesung, 1997. 94 Ganz unstreitig ist dies freilich nicht, vgl. für die Gegenmeinung aus jüngerer Zeit nur E.-A. Timmler, Maßstab und Rechtsnatur der Aussetzungsentscheidung nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO, 1993, S. 45 ff mit ausführlicher Darstellung des Streitstandes. 95 So auch W. Blümel, Raumplanung und Vermessungswesen (Fn. 93), S. 305, 332 f.; ders., Planung und Verwaltungsgerichtsbarkeit (Fn. 93), S. 695, 698.

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sungsgerichts gestützt, welches allerdings in der zentralen Entscheidung nur von der „verfassungsrechtlichen Bedeutung des Suspensiveffekts", ohne den der Verwaltungsgerichtsschutz „häufig hinfällig" und „der Betroffene im Ergebnis eines wirksamen Rechtsschutzes beraubt" würde, gesprochen hat 96 . Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG spricht in seiner apodiktischen Kürze nicht von einer bestimmten Technik des Rechtsschutzes. Er ist im Gegenteil offen gestaltet. Allerdings fordert er, ohne daß dies ausdrücklich gesagt wird, einen effektiven Rechtsschutz97. Andernfalls bliebe das subjektive Recht auf Gerichtsschutz eine wertlose Hülse, was mit dem insbesondere in Art. 1 Abs. 3 GG zum Ausdruck kommenden Grundverständnis des Grundgesetzes nicht vereinbar wäre. Effektivität des Rechtsschutzes kann indes auf unterschiedliche Weise gewährleistet werden. Die Verwaltungsgerichtsordnung zeigt beide Wege: Entweder wird dem Einzelnen die Rechtsmacht eingeräumt, durch einseitige Erklärung eine vorläufigen Rechtsschutz auslösende Rechtsfolge herbeizuführen; diese Lösung bietet sich allerdings nur beim Rechtsschutz gegen belastende Verwaltungsakte an, da andernfalls der Einzelne sich bei Verpflichtungs- bzw. allgemeinen Leistungsbegehren unbegrenzt Vorteile verschaffen könnte. Oder der vorläufige Rechtsschutz wird von einer interpositio iudicis, einer richterlichen Entscheidung, abhängig gemacht; diese Lösung, die - wie dargelegt bisher im europäischen Ausland dominiert, eignet sich grundsätzlich nicht nur für Leistungs- und Feststellungsbegehren, sondern grundsätzlich auch für Anfechtungssituationen. Im Hinblick auf die Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 GG kann die vom Gesetzgeber getroffene Regelung letztlich nur daran gemessen werden, ob sie effektiven Rechtsschutz gewährt oder nicht. In diesem Sinne schrieb Carl Hermann Ule, dessen Speyerer Lehrstuhl der Jubilar 1974 übernahm, bereits im Jahr 1959 98 : „Demnach wäre die aufschiebende Wirkung der Klage von Verfassungs wegen erforderlich, wenn sich nicht auf andere Weise der Eintritt des befürchteten Nachteils verhindern ließe". Da der automatische Suspensiveffekt indes nicht die einzige Möglichkeit sei, die Schaffung vollendeter Tatsachen zu verhindern, dies vielmehr auch durch eine einstweilige Anordnung erreicht werden könne, bedürfe es der aufschiebenden Wirkung der Klage 96 BVerfGE 35, 263, 272 ff., vgl. aus der späteren Rechtsprechung etwa BVerfGE 51,268, 284 f. 97 Vgl. außer den in der vorigen Anm. genannten Nachweisen aus der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts BVerfGE 37, 150, 153; 46, 166, 178; 49, 329, 340 ff.; 65, 1, 70; 77, 275, 284; 81, 123, 129. 98 C. H. Ule, Verfassungsrecht und Verfassungsprozeßrecht, DVB1 1959, S. 537, 538 r. Sp. 35 FSBlümel

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nicht. Weiter folgert Ule: „Wenn also keine aufschiebende Wirkung der Klage vorgesehen ist, was auch bei der Anordnung der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsakts durch die Verwaltungsbehörde eintritt, muß das Gericht über die Möglichkeit verfügen, mit einstweiligen Regelungen einzugreifen. Sehen Verfahrensordnungen derartige Möglichkeiten nicht vor, so entsprechen sie nicht der Vorschrift des Art. 19 Abs. 4 GG." In der Praxis erscheint die in ihrer rechtlichen Deduktion unangreifbare Alternativität und Gleichwertigkeit beider Instrumente allerdings in einem anderen Lichte. Die Verwirklichung eines allein auf richterliche Anordnungen gestützten vorläufigen Rechtsschutzes gestaltet sich, will man die Wirksamkeit des Rechtsschutzes nicht mit zweierlei Maß messen, erheblich schwieriger. Voraussetzung eines effektiven Rechtsschutzes sind nicht nur entsprechende prozeßrechtliche Regelungen, sondern auch eine geeignete Ausstattung und Organisation der Gerichte. Um die Gefahr einer Rechtsschutzeinbuße wegen vollendeter Tatsachen entsprechend gering zu halten, müßten für allfällige Eilfälle in erheblich größerem Umfang als bisher personelle Kapazitäten vorgehalten werden. Genau hier wird aber häufig das Problem liegen, insbesondere in Zeiten eines Rückbaus der finanziellen Ausstattung der Justiz. Dieser Nachteil wird durch den Vorteil einer Regelung, die durch den Einbau der Hürde eines Aussetzungsverfahrens dem Mißbrauch von Widerspruch und Anfechtungsklage entgegenwirkt, nicht aufgewogen. Die dargestellten Erfahrungen im französischen System zeigen dies deutlich. Allerdings gelten diese Erwägungen ohne weiteres nur für das bipolare Rechtsverhältnis zwischen Staat und Bürger. In mehrpoligen Rechtsverhältnissen relativiert sich die Bedeutung vorläufigen Rechtsschutzes in Form des automatischen Suspensiveffekts: Hier geht es nicht mehr darum, den Suspensiveffekt allein als Verteidigungsmittel des Bürgers gegen eine ihm überlegene Verwaltung zu schützen, sondern primär um die Frage, welche von zwei oder mehr Einzelpersonen bei der Wahrnehmung ihrer Rechte die bessere Startposition erhält. Hat beispielsweise die Anfechtungsklage des Nachbarn gegen eine Gewerbeerlaubnis aufschiebende Wirkung, so muß der Unternehmer den schwierigeren Weg des Antrags der sofortigen Vollziehung gehen, um von seiner aus Art. 12 und 14 GG herzuleitenden Gewerbefreiheit Gebrauch machen zu können. Der Nachbar kann somit für seine durch drittschützende Normen vermittelten subjektiven Rechte, die häufig auch Eigentumsaspekte erfassen werden, leichter, nämlich durch bloße Einlegung eines Widerspruchs, Rechtsschutz erlangen. Entfällt die aufschiebende Wirkung, muß er hingegen den beschwerlicheren Weg des Aussetzungsverfahrens beschreiten. Zudem könnten Gerichte den gesetzlichen Ausschluß des Suspensiveffekts so deuten, daß im Zweifel das Vollzugsinteresse vorgehen soll".

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Da indes die privaten Beteiligten eines streitigen Verwaltungsrechtsverhältnisses teilweise sehr unterschiedliche faktische Möglichkeiten der Interessenwahrnehmung haben - man denke nur an den Träger eines technischen Großvorhabens im Verhältnis zu dem Eigentümer eines Wohnhauses sollte der automatische Suspensiveffekt in der Regel jedenfalls dann erhalten bleiben, wenn durch ihn im Regelfall erst die Waffengleichheit hergestellt wird. Im Beispielsfall wäre es dann grundsätzlich Sache des Vorhabenträgers, durch die Einlegung der geeigneten Rechtsbehelfe, die Anordnung der sofortigen Vollziehung zu erreichen. Als Ergebnis der verfassungsrechtlichen Betrachtung ist festzuhalten, daß Art. 19 Abs. 4 GG zwar nicht zwingend die Beibehaltung des Grundsatzes der aufschiebenden Wirkung von Widerspruch und Anfechtungsklage fordert, in der Praxis aber erhebliche Probleme entstehen, wenn der Weg über das behördliche und gerichtliche Aussetzungsverfahren einen vergleichbaren Effektivitätsstandard garantieren soll. A m ehesten sind generelle Ausnahmen vom Suspensiveffekt dort vertretbar, wo die Entscheidung der Behörde primär der Grenzziehung zwischen Rechtssphären Privater dient, wo also der Rechtsschutzvorteil des einen nur durch einen Rechtsschutznachteil des anderen erkauft werden kann. Aber auch hier sollte der Suspensiveffekt dann nicht ausgeschaltet werden, wenn gerade durch ihn ein Ausgleich für eine faktische Unterlegenheit im Rechtsschutzverfahren erreicht werden kann.

V. Schlußfolgerungen Die vergleichende Betrachtung hat ergeben, daß vorläufiger Rechtsschutz gegen belastende Verwaltungsakte am wirksamsten durch den Suspensiveffekt von Widerspruch und Anfechtungsklage sichergestellt werden kann. Ein Rechtsschutzsystem, das auf dem Grundsatz der nicht aufschiebenden Wirkung verwaltungsrechtlicher und verwaltungsgerichtlicher Rechtsbehelfe aufbaut, erweist sich nicht nur bei der Verhinderung vollendeter Tatsachen, sondern auch unter dem Gesichtspunkt der Verfahrensökonomie als unterlegen. In den Ländern, die eine Hemmung der Vollziehbarkeit einer Verwaltungsentscheidung grundsätzlich von einer vorherigen richterlichen Aussetzungsanordnung abhängig machen, zeigen sich erhebliche Rechtsschutzdefizite, denen

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Gegen eine derartige „Argumentationslastverteilung im Sinne der vermuteten Richtigkeit des angegriffenen Verwaltungsakts" dezidiert J. Berkemami, Verwaltungsprozeßrecht auf „neuen Wegen"?, DVB1 1998, S. 446,450.

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man, wie im Falle Frankreichs, durch zusätzliche prozessuale Hilfsmittel oder punktuelle Ausnahmen vom Prinzip zu begegnen sucht. Besondere Unzufriedenheit mit dem herkömmlichen, noch stark französisch geprägten System herrscht in Italien und Spanien, wo durch entsprechende Veifassungsverbürgungen der subjektive Rechtsschutz in den Vordergrund tritt. Bei der in diesen Ländern geführten Reformdiskussion richtet sich die Aufmerksamkeit zunehmend auf das deutsche Modell des vorläufigen Rechtsschutzes. Dies geschieht paradoxerweise zu einer Zeit, in der der deutsche Gesetzgeber den Suspensiveffekt von Widerspruch und Anfechtungsklage beständig weiter aushöhlt. Eine völlige Aufgabe des Grundsatzes der aufschiebenden Wirkung, der sich dank föderalistischer Vielfalt nach vielen Jahrzehnten der Erprobung verschiedener Rechtsschutzkonzeptionen zu einem bundeseinheitlichen Prinzip entwickelt hat, wäre ein gravierender Rückschritt 100 . Um einer durch Gemeinschaftsrecht erzwungenen Aufgabe des Grundsatzes entgegenzuwirken, gilt es vielmehr, seine Vorzüge auch im Rahmen der Meinungsbildung auf EG-Ebene deutlich zu machen. Dies kann um so überzeugender geschehen, wenn die tatsächliche Wirksamkeit des Grundsatzes im eigenen Land nicht durch zu viele Ausnahmen in Frage gestellt wird.

100 A. A. Classen (Fn. 5), S. 116 f., der eine Abschaffung des Grundsatzes der aufschiebenden Wirkung befürwortet. Er lehnt sich dabei in der Begründung an das in den romanischen Ländern geläufige Prinzip der Vermutung der Rechtmäßigkeit des Verwaltungshandelns (vgl. oben bei Fn. 21/22) anlehnt. Dieses etatistische Prinzip, das Jahrzehnte zur Rechtfertigung einer privilegierten Stellung der Behörden im Verwaltungsprozeß gedient hat, wird heute gerade im Hinblick auf verfassungsrechtliche Rechtsschutzgarantien überaus kritisch gesehen, vgl. etwa Santamaría Pastor (Fn. 38), S. 214 f., der vor allem auf die dogmatische Begründung dieser Vermutung durch die italienische Lehre Anfang des Jahrhunderts hinweist.

Z u r Standortfindung bei Verkehrsflughäfen Von Udo Steiner

I. Rolle und Einfluß des Bundes bei der Bestimmung des Standortes von Verkehrsflughäfen In der Verkehrsrechtsordnung der Bundesrepublik Deutschland weisen Planung, Bau und Betrieb von Flugplätzen der zivilen Luftfahrt im Vergleich zu anderen Verkehrsanlagen Besonderheiten auf 1. Flugplätze werden weder - anders als Bundeswasserstraßen - in bundeseigener Verwaltung gebaut und betrieben noch werden sie - nach Art der Bundesfernstraßen - von den Ländern im Auftrag des Bundes der Allgemeinheit als öffentliche Verkehrseinrichtungen zur Verfugung gestellt. Dementsprechend fehlt eine § 16 FStrG oder § 13 WaStrG vergleichbare Kompetenz des Bundesministeriums für Verkehr zur Planungsentscheidung. Bau und Ausbau von Verkehrsflughäfen werden auch nicht in entsprechenden Plänen des Bundes, wie beispielsweise im Fernstraßen- und Schienenwegeausbaugesetz, festgelegt 2. Dies hängt damit zusammen, daß das Grundgesetz dem Bund im Verwaltungsbereich nur die (beaufsichtigende) Luftverkehrsverwaltung übertragen hat (Art. 87 d Abs. 1 GG) 3 , nicht die Luftverkehrsbetriebsverwaltung 4. Bau und Betrieb von Flugplätzen liegen regelmäßig bei Personen des Privatrechts. Der Bund ist nur Träger von Anlagen im Zusammenhang mit seinen flugaufsichtlichen Aufgaben. Gleichwohl

1 Zum folgenden siehe Schwenk, Handbuch des Luftverkehrsrechts, 2. Aufl. 1996, S. 364 ff; Steiner, Recht der Verkehrswirtschaft, in: R. Schmidt (Hrsg.), Öffentliches Wirtschaftsrecht, Besonderer Teil 2,1995, § 10 Rdnr. 98 ff. (S. 218 IT.). 2 § 1 Abs. 2 Fernstraßenausbaugesetz (FStrAbG) i.d.F. der Bekanntmachung vom 15.11.1993 (BGBl I S. 1878); § 1 Abs. 2 Schienenwegeausbaugesetz vom 15.11.1993 (BGBl I S. 1874). Siehe dazu näher Blümel, DVB1 1997, S. 205 (212 ff.). 3 Dabei besteht die Möglichkeit ihrer Übertragung auf die Länder in der Form der Auftragsverwaltung (Art. 87 d Abs. 2 GG). 4 s. M Hofmann/E. Grabherr, Luftverkehrsgesetz, Loseblatt-Kommentar, 2. Aufl., § 31 Rdnr. 9 (Stand: Juni 1993).

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verfügt er über Einfluß auf Standort, Bau, Ausbau und Betrieb von Flughäfen als Teil der öffentlich bedeutsamen Verkehrsinfrastruktur. Dieser Einfluß ist aber anders gewährleistet als durch die Zuweisung einer Planungs- und Betriebskompetenz. So ist der Bund an den privatrechtlichen Trägergesellschaften der Großflughäfen in Deutschland kapitalbeteiligt und damit in diesen Gesellschaften vertreten; der vom Bundesminister für Verkehr angekündigte Schritt der Privatisierung dieser Beteiligungen 5 wird hier allerdings eine neue Situation herbeiführen. Verwaltungsrechtlich steht im Vordergrund die Möglichkeit des Bundes, aus seiner Sicht nach dem Stand seiner Verkehrsplanung im Verfahren der Genehmigung von Flugplätzen geltend zu machen, daß durch die Anlegung und den Betrieb des beantragten Flughafens die öffentlichen Interessen in unangemessener Weise beeinträchtigt werden (vgl. § 6 Abs. 3 i.V.m. § 31 Abs. 2 Nr. 4 LuftVG; Art. 85 Abs. 3 GG; siehe auch § 10 Abs. 3 LuftVG) 6 . Zur Einflußzone des Bundes gehören Großflughäfen aber auch deshalb, weil sie einer effizienten Erschließung durch öffentliche Straßen- und Schienenanlagen bedürfen; ihr Standort muß daher schon unter diesem Gesichtspunkt mit ihm abgestimmt werden, der planungswirksame Zuständigkeiten jedenfalls für die Fernstraßen und Fernbahnen hat. Gleichwohl sind es Verwaltungsverfahren in der Verfahrenshoheit der Länder, in denen die Standortentscheidungen getroffen werden. Dies trifft auch für das wohl bis auf weiteres letzte Großvorhaben des Baus eines Flughafens - Berlin-Brandenburg International - zu 7 . Inzwischen ist durch den Konsensbeschluß der Gesellschafter der Berlin Brandenburg Flughafen Holding GmbH (BBF) - Land Brandenburg, Land Berlin und die Bundesrepublik Deutschland - vom 28. Mai 1996 die politische Entscheidung gefallen, daß dieser Flughafen aus dem Ausbau des Verkehrsflughafens Berlin-Schönefeld hervorgehen wird. Geplant ist eine Privatfinanzierung des Vorhabens; inzwischen zeichnet sich aber ab, daß es ohne eine öffentliche Beteiligung nicht gehen wird 8 . Es ist inzwischen auch in die von der EU-Kommission aufgestellte Liste „Öffentlich-Private-Partnerschaften bei den Transeuropäischen Verkehrsnet5

s. etwa FAZ Nr. 294 vom 18.12.1997, S. 17 und SZ Nr. 275 vom 29./30.11.1997, S. 34. 6 s. zu den Belangen des Bundes als abwägungserheblichen Gesichtspunkten Ronellenfitsch, Aktuelle Probleme des Rechtsschutzes bei der Planung von Flughäfen, in: Dokumentation zur 6. wissenschaftlichen Fachtagung der Gesellschaft für Umweltrecht e.V., Berlin 1982, S. 107 (119). Mit Tendenz zur Stärkung der Stellung des Bundes: BVerwG, Urt. vom 3.3.1994, NVwZ 1994, S. 1102 ff. („Luftsicherheitsgebühr"). 7 Der vorliegende Beitrag ist aus einem Rechtsgutachten hervorgegangen, das im Zusammenhang mit diesem Projekt 1995 erstellt wurde. 8 s. dazu FAZ Nr. 209 vom 9.9.1997, S. 24; Nr. 243 vom 20.10.1997, S. 30; SZ Nr. 123 vom 30./31.5./1.6.1998, S. 33.

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zen" (TEN) aufgenommen 9. Dieser Entscheidung ist ein vom Land Brandenburg durchgeführtes Raumordnungsverfahren vorausgegangen, das Anlaß zu grundsätzlichen Bemerkungen über die Möglichkeiten und Grenzen der Standortfindung für Verkehrsflughäfen im Wege des Raumordnungsverfahrens gibt.

II. Die Standortfindung bei Verkehrsflughäfen im Raumordnungsverfahren 1. Allgemeine Anforderungen an die Bestimmung des Standorts von Flugplätzen Ganz im Vordergrund der Standortfindung steht die Frage, an welcher Stelle ein Flughafen die ihm zugedachte Verkehrsfunktion erfüllen kann. Um die gewünschte Verkehrswirksamkeit entfalten zu können, muß für den Flughafen die Nähe zu städtischen Verdichtungsgebieten gesucht werden, durch die vor allem die Nachfrage nach Flugverkehrsleistungen erzeugt wird. Wird ein Standort mit räumlicher Distanz zu solchen Verdichtungsgebieten gewählt, verliert der Flughafen an Attraktivität; dieser Verlust kann nur eingeschränkt durch eine entsprechend gute Verkehrsanbindung ausgeglichen werden. Andererseits hat die Distanz des Flughafens zu Siedlungsgebieten erhebliche Vorzüge bei der Bewältigung schwerwiegender betriebsbedingter Probleme. Auch unter den heutigen technischen Bedingungen ist die Sicherheit der Bevölkerung vor Flugzeugabstürzen beim An- und Abflug ein - nicht nur psychologisch - gewichtiger Belang bei der Standortfindung für Flughäfen und insbesondere bei der Ausrichtung und Dimensionierung von Start- und Landebahnen 10 . Weiter erleichtert der Abstand zu besiedelten Flächen die Lösung 9

s. Dok.-Nr. Kom [97] 453; mitgeteilt in NJW 1997/41, S. XLVH. Noch immer stützt sich die Praxis der Flughafenplanung bei der Bewältigung des Lärmschutzes auf die Rechtsprechung und insbes. auf die Judikatur des Bundesverwaltungsgerichts im Zusammenhang mit dem Flughafen München II. Maßstabsbildend: BVerwG, Urt. vom 29.1.1991, BVerwGE 87, S. 332 ff., insbes. S. 372 ff. (München H); siehe auch schon BVerwG, Urt. vom 7.7.1978, DVB1 1978, S. 845 (851); vom 30.5.1984, BVerwGE 69, 256 (276 ff.); vom 5.12.1986, BayVBl 1987, S. 598 (602 f.); Beschl. vom 10.5.1990, NVwZ-RR 1991, S. 129 ff. Zur Rechtsprechung des BGH (Entschädigung aus enteignendem Eingriff bei Überschreitung der enteignungsrechtlichen Zumutbarkeitsgrenze) siehe Urt. vom 30.3.1971, BGHZ 69, 105 ff; vom 26.11.1980, BGHZ 79,45 ff.; Beschl. vom 30.1.1986, NJW 1986, S. 2423 ff.; Urt. vom 16.3.1995, DVB1 1995, S. 1823 ff.; vom 25.3.1995, NJW 1993, S. 1700 ff. Vgl. femer BVerfG, 1. Kammer des Ersten Senats, Beschl. vom 27.4.1992, ZLW 1992, S. 295 ff. und OVG NW, Urt. vom 15.8.1996, NVwZ-RR 1998, S. 23 ff. 10

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des zentralen Umweltproblems, das nach wie vor in der Erzeugung von Fluglärm besteht. Eingriffe in Natur, Landschaft, Wasserhaushalt und natürlich auch der Zugriff auf privates Grundeigentum 11 haben wie bei allen derartigen großdimensionierten Verkehrsanlagen ihr Gewicht 12 ; sie treten gegenüber dem Problemkomplex „Fluglärm" aber eher zurück. Die lärmphysikalischen und lärmmedizinischen Fragen bei Verkehrsflughäfen und ihre rechtliche Bewältigung sind ein Dauerthema selbst bei den schon bestehenden deutschen Flughäfen. Ausbaupläne zur Steigerung der Beförderungs- und Transportkapazitäten lösen nicht zuletzt wegen der Fluglärmfrage erheblichen Widerstand aus. Bei Neubauplänen entsteht dann eine besondere Situation, wenn Lage, Ausrichtung und Länge der Start- und Landebahnen (Konfiguration) wegen der Lärmauswirkungen gegebenenfalls Umsiedlungen kleinerer Gemeinden erforderlich machen; unter diesem siedlungsstrukturellen Gesichtspunkt hat sich auch das Raumordnungsverfahren mit der Lärmvorsorge zu befassen. Betriebliche Beschränkungen des Flugverkehrs 13 sind zwar eine praktisch wirksame Antwort auf den Wunsch nach Reduzierung der Fluglärmbelastung der Bevölkerung. Sie gehen aber zu Lasten der Attraktivität des Standorts für den Flugverkehr 14 . Maximale Verkehrsfunktionen können Flugplätze am ehesten entfalten, wenn keine Nachtflugbeschränkungen bestehen 15 . Dies gilt aus naheliegenden Gründen in ganz besonderer Weise bei in-

11 Die unterschiedliche Inanspruchnahme öffentlichen bzw. privaten Eigentums ist ein rechtlich bedeutsamer Aspekt der Standortfrage. Siehe dazu BVerwG, Urt. vom 20.8.1982, NJW 1983, S. 296 f.; Schoeneberg, Umweltverträglichkeitsprüfung und Raumordnungsverfahren, 1984, S. 193; Steinberg,, Fachplanung, 2. Aufl. 1993, S. 207. Kritik an der angeblich zu großen Bedeutung des Gesichtspunkts der öffentlichen Verfügbarkeit von Grundeigentum für die Standortentscheidung bei Jochen HofinannHoeppel, Die Verwaltung 27 (1984), S. 411 f. 12 Zum Ganzen: Winter, Luftverkehr: Ein Stiefkind des Umweltschutzes?, Umwelt und Verkehr, 1996, S. 107 ff. 13 Zur Berücksichtigung der dem Lärmschutz dienenden betrieblichen Regelungen in der Planfeststellung siehe Btilow, Fortentwicklung des Verwaltungsverfahrensrechts unter besonderer Berücksichtigung des Planfeststellungsrechts, 1995, S. 95 f.; allgemein zur Frage der Anordnung von Betriebsbeschränkungen in der Planfeststellung siehe auch Blümel, VerwArch 81 (1992), S. 146 (157 f.). Allgemein zu Fragen des Lärmschutzes im luftverkehrsrechtlichen Planfeststellungsrecht, das dem BhnSchG vorgeht (vgl. aber auch OVG NW, Urt. vom 15.8.1996, NVwZ-RR 1998, S. 23 f.), siehe Badura, Schutz Dritter durch Nebenbestimmung einer Planfeststellung oder Genehmigung, in: H. Lesmann u.a. (Hrsg.), Festschrift für Rudolf Lukes zum 65. Geburtstag, 1989, S. 3 (21 f.). Vgl. ferner § 29 b LuftVG. 14 Zur Diskussion in Deutschland siehe z.B. FAZ Nr. 170 vom 25.7.1997, S. 13 und Nr. 199 vom 28.8.1997, S. 2. 15 s. zu rechtlichen Aspekten von Nachtflugbeschränkungen BVerwG, Urt. vom 21.5.1997, NVwZ-RR 1998, S. 22 f.

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ternationalen Verkehrsflughäfen. Zu Recht ist die Praxis bemüht, durch Benutzervorteile für die Betreiber den Anteil der gegenüber den K a p i t e l l Flugzeugen leiseren Kapitel-3-Flugzeugen an An- und Abflug auf deutschen Verkehrsflughäfen zu steigern. Zu diesen Benutzervorteilen gehören vor allem Start- und Landegebühren, die nach Lärmintensität gestaffelt sind 16 .

2. Inhaltliche und methodische Fragen des Raumordnungsverfahrens a) Das Prinzip der dezentralen Konzentration als Kriterium für die Bestimmung des Standorts eines internationalen Verkehrsflughafens Bei der Festlegung des Standortes von Flughäfen werden Landesraumordnungsbehörden Verkehrsanlagen mit einer so hohen raumrelevanten Agglomeration und mit daran anknüpfenden entsprechenden Entwicklungsimpulsen wirtschaftlicher und verkehrsmäßiger Art bevorzugt unter spezifische landesstrukturellen Gesichtspunkten beurteilen. Möglicherweise haben die Länder wegen dieser regionalen Aspekte dem Bund bisher die Planungskompetenz für Verkehrsflughäfen nicht zugestanden. Zu den legitimen Konzepten der Standortfindung gehört dabei durchaus auch das Prinzip der sogenannten dezentralen Konzentration, mit dessen Hilfe beispielsweise durch die Bestimmung des Standortes von Flughäfen Orte mit Mittelpunktfunktionen außerhalb der großen Verdichtungszentren gefördert werden können. Ein solches Konzept der Strukturverbesserung außerhalb dieser Zentren kann als Alternative zu einer Raumplanung gesehen werden, die den Verkehrsflughafen näher an das Verdichtungsgebiet heranführt und damit Wohnen und Arbeiten - zu Gunsten der Schonung dünn besiedelter Räume - enger verknüpft. Freilich trägt das raumplanerische Kriterium der dezentralen Konzentration, das auch dem Bundesraumordnungsprogramm zugrunde liegt 17 , bei seiner Anwendung auf eine Verkehrsanlage wie einem Großflughafen seine Beschränkung in sich. Es wird deshalb vor allem zu prüfen sein, ob ein internationaler Flughafen bei einer 10

s. zu den praktischen und rechtlichen Fragen der sog. Bonus-Liste des Bundesverkehrsministeriums BT-Drucks. 13/4825 vom 11.6.1996, S. 37 f.; Geisler, ZLW 1997, S. 307 ff; und jüngst BayVGH, Urt. v. 25.2.1998, BayVBl 1998, S. 463 ff; speziell zum Ausschluß von Kapitel-2-Flugzeugen von den Berliner Flughäfen Tegel und Tempelhof vgl. Elbing, ZLW 1997, S. 46 ff. 17 Vom Prinzip der dezentralen Konzentration wird beispielsweise auch das Bundesraumordnungsprogramm mitgeprägt. Es hat sowohl den interregionalen Entwicklungs- und Strukturausgleich wie auch die interregionale Verdichtung als Zielinterpretation aufgenommen. So Cholewa/Dyong/von der Heide/Arenz, Raumordnung in Bund und Ländern, Bd. 1, 3. Aufl., § 2 Grundsatz Nr. 1 Rdnr. 21 (Stand: September 1993).

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erheblichen räumlichen Distanz zum Gebiet des Hauptverkehrsaufkommens die ihm zugedachte Verkehrsfunktion wirklich erfüllen kann. Nachteile aus einer solchen Distanz können durch bestmögliche Verkehrsanbindung an dieses Aufkommensgebiet allein nicht ausgeglichen werden. Dies ist vor allem psychologisch begründet. Wird der Standort eines Flughafens als zentrumsfern empfunden, hat dies auch negative Auswirkungen auf die gewerbliche Investitionsbereitschaft im räumlichen Umfeld des Flughafens, die für den wirtschaftlichen Erfolg des Gesamtprojekts „Flughafen" von großer Bedeutung ist. Die Erwartung eines solchen Erfolgs ist wiederum Voraussetzung für das Interesse des privaten Kapitals an der (Mit-)Finanzierung von Flughäfen.

b) Die Prüfung des Flughafenbedarfs Werden individuelle Rechtspositionen, insbesondere nach Art. 14 GG geschützte Rechte, von einer Infrastrukturmaßnahme betroffen, so ist nach Auffassung der Rechtsprechung deren Planung nur rechtmäßig, wenn dem konkreten Planungsvorhaben eine dem Erfordernis des jeweiligen Fachplanungsgesetzes entsprechende Rechtfertigung zugrunde liegt (sog. Planrechtfertigung) 18 . Da im Falle des Baus von Verkehrsflughäfen auf eine gesetzliche Begründung der Planrechtfertigung nicht zurückgegriffen werden kann, ist für jeden Verkehrsflughafen im Hinblick auf die vom Bundesverwaltungsgericht praktizierte Formel der Nachweis zu verlangen, daß das Vorhaben - Flugbetriebsflächen, aber auch Flughafenanlagen und Verkehrserschließungsflächen - „ i n seiner sachlichen und zeitlichen Konkretheit vernünftigerweise im öffentlichen Interesse geboten ist" 1 9 . Das Bedürfnis für einen Verkehrsflughafen ist durch eine an der ihm zugedachten Verkehrsfünktion ausgerichteten Prognose zu begründen 20. Der Vorhabensträger kann sich dabei auf die Verkehrserwartungen stützen, die sich aus der prognostizierten Entwicklung der Nachfrage nach Luftverkehrsleistungen in bezug auf den aufkommensrele-

18 s. zu diesem Erfordernis beispielsweise im Zusammenhang mit dem Flughafen München D BVerwG, Urt. vom 30.5.1984, NVwZ 1984, S. 718 (721); Urt. vom 5.12.1986, BayVBl 1987, S. 598. 19 s. zu dieser Formel Badura, in: Erichsen (Hrsg.), Allgemeines Verwaltungsrecht, 10. Aufl. 1995, § 39 Rdnr. 24; Kühling., Fachplanungsrecht, 1988, Rdnr. 156 ff.; Steinberg (Fn. 11), S. 181 ff; Steiner, Straßen- und Wegerecht, in: Steiner (Hrsg.), Besonderes Verwaltungsrecht, 5. Aufl. 1995, V Rdnr. 69 mit Nachweisen. Zur Planrechtfertigung bei Flughafenprojekten siehe auch Lübben, Das Recht auf freie Benutzung des Luftraums, 1993, S. 144 und Winter, NuR 1985, S. 41 (46). 20 Zum Gesichtspunkt der Notwendigkeit der luftverkehrsmäßigen Erschließung eines Großraums siehe u.a. Badura, BayVBl 1976, S. 515 (519).

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vanten Raum ergeben 21. Zulässig ist aber auch eine Planrechtfertigung, der eine sogenannte Zielprognose zugrunde liegt. Die planende Verwaltung ist nicht darauf beschränkt, die faßbaren Gegebenheiten und prognostischen Einschätzungen „nur reaktiv" aufzugreifen. Ihre planerische Gestaltungsfreiheit schließt - geleitet durch die gesetzliche Planungsaufgabe - eine aktive Bestimmungsvollmacht für die „gestaltend" anzustrebende Entwicklung, z.B. des Verkehrsbedarfs und der Verkehrsströme, ein 22 . Es kann also durch eine (verkehrs-)politische Entscheidung festgelegt werden, welche Verkehrsfunktion ein bestimmter Flughafen haben soll und wie viele Flugbewegungen man anstrebt 23. Soweit es in diesem Zusammenhang um eine Bedarfsrechnung geht, liegt die Zuständigkeit für die dabei notwendige Beurteilung und Einschätzung bei der nach dem Luftverkehrsrecht zuständigen Fachplanungsbehörde. Im Raumordnungsverfahren ist für sie kein Platz 24 . Insoweit ist der Prüfungsumfang des Raumordnungsverfahrens beschränkt, auch wenn unter dem Gesichtspunkt der Raum- und Umweltverträglichkeitsprüfüng der Aspekt des sparsamen Flächenverbrauchs und der Siedlungswirkungen eines solchen Vorhabens ein nach dem Landesplanungsrecht aller Länder raumplanungsrechtlich relevanter Gesichtspunkt ist. Landesplanungsrecht kann grundsätzlich nicht dazu ermächtigen, für eine bundesrechtlich geregelte Fachplanung eine eigenständige Bedarfsrechnung vorzunehmen und auf der Grundlage dieser Bedarfsrechnung beispielsweise Konsequenzen für die Dimensionierung einer Anlage mit Bindung für die Fachplanungsbehörde zu ziehen.

c) Die Prüfung von Standortalternativen

im Raumordnungsverfahren

Nicht selten wird es bei der räumlichen Bestimmung der Anlage von Flugplätzen um mehrere Standorte gehen. Im Raumordnungsverfahren wird dann bei einer solchen Konstellation eine vergleichende Standortprüfung vorgenommen 25 . Die zum Teil gegenläufigen raumordnerischen Belange gehen unter Berücksichtigung des Ergebnisses der integrierten Umweltverträglich21 Zur gerichtlichen Kontrolle einer solchen Prognose siehe statt vieler Paefgen, BayVBl 1986, S. 513 ff., 551 ff. 22 So Badura, in: Erichsen (Fn. 19), § 39 Rdnr. 28 mit zahlreichen Nachweisen. 23 Dazu auch Ronellenfitsch (Fn. 6), S. 134. 24 Vgl. auch Badura, BayVBl 1976, S. 515 (517); Ihmels/Köppl, Hessisches Landesplanungsgesetz, 1983, § 11 Rdnr. 21; siehe auch Heigl/Hosch, Raumordnung und Landesplanung in Bayern, Loseblatt-Kommentar, Art. 23 Rdnr. 14 (Stand: Juni 1991). 25 Zur Frage der Rechtspflicht zur Standortalternativenprüfung im Raumordnungsverfahren siehe Hoppe, DVB1 1992, S. 1203 ff.

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keitsprüfung in die Gesamtbewertung des Standortes ein 2 6 . Dabei ist es aber methodisch geboten, den einzelnen Standort für sich allein zu bewerten, um dann gegebenenfalls eine Reihung vorzunehmen. Es ist demnach jeder einzelne Standort raumordnerisch so „ i n sich" zu beurteilen, als sei er als einziger Standort vom Vorhabensträger zur gutachtlichen raumplanerischen Beurteilung gestellt worden 27 . Geschieht dies nicht, leidet das Ratunordnungsverfahren an einem rechtlichen Mangel. Es ist dann zu erwägen, ein neues Raumordnungsverfahren durchzufuhren, sofern das Ergebnis des Raumordnungsverfahrens wegen dieses Mangels nicht oder nur eingeschränkt i m Fachplanungsverfahren berücksichtigt werden kann.

3. Das Verhältnis des Raumordnungsverfahrens zur Fachplanung a) Der Rechtsgehalt des sog. Berücksichtigungsgebots Ist die zuständige Raumordnungsbehörde im Raumordnungsverfahren bei der vergleichenden Betrachtung mehrerer Standortalternativen teilweise zu positiven, teilweise zu negativen Ergebnissen gekommen, so knüpft sich daran die Frage, ob die Fachplanungsbehörde im Verfahren der Planfeststellung nach §§8 ff LuftVG 2 8 rechtlich gebunden ist. Diese Frage stellt sich vor allem dann, wenn der Vorhabensträger die Planfeststellung für einen landesplanerisch negativ bewerteten Standort beantragt; daran ist er nicht gehindert, da die landesplanerische Beurteilung ihm gegenüber keine unmittelbare Rechtswirkung entfaltet (§ 6 a Abs. 10 Satz 1 ROG 1993; heute differenzierend § 4 Abs. 3 und 4 ROG 1998). Der Gesetzgeber verpflichtet die Fachbehörde, das Ergebnis des Raumordnungsverfahrens zu „berücksichtigen" (vgl. § 6 a Abs. 6 Satz 1 ROG 1989; § 6 a Abs. 9 Satz 1 ROG 1993; § 4 Abs. 2 i.V.m. § 3 Nr. 4 ROG 1998). Weitergehende Bindungswirkungen der Erfordernisse der Raum-

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s. dazu näher Zoubek, Das Raumordnungsverfahren, 1978, S. 74 ff.; Steinberg, DÖV 1992, S. 321 (328). 27 s. dazu Dicks chen, Das Raumordnungsverfahren im Verhältnis zu den fachlichen Genehmigungs- und Planfeststellungsverfahren, 1987, S. 20. 28 In den neuen Ländern entfallt das Erfordernis einer Unternehmergenehmigung für die Anlegung und den Betrieb neuer Verkehrsflughäfen nach § 6 LuftVG (§10 Abs. 1 Satz 1 Verkehrswegeplanungsbeschleunigungsgesetz). § 8 Abs. 6 LuftVG in der Fassung des Planungsvereinfachungsgesetzes 1993 bestimmt, daß die Genehmigung nach § 6 nicht Voraussetzung für ein Planfeststellungsverfahren oder ein Plangenehmigungsverfahren ist. An dieser verwaltungsrechtlichen Rechtslage wird die aktuelle Novelle zum Luftverkehrsrecht nichts ändern (siehe BT-Drucks. 13/9513 vom 18.12.1997).

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Ordnung auf Grund von Fachgesetzen bleiben allerdings unberührt (§ 4 Abs. 5 ROG 1998) 29 . Der Gesetzgeber hat sich für den Begriff „berücksichtigen" im Zusammenhang mit der Bestimmung der Rechtswirkungen des Ergebnisses des Raumordnungsverfahrens entschieden und nicht für den Begriff des „Beachtens". Er wollte damit eine Diskussion in der Literatur über die rechtliche Bindungswirkung des Verfahrensabschlusses von Raumordnungsverfahren beenden 30 und eine eigenständige Kategorie für die inhaltliche Verknüpfung planungsbezogener Verwaltungsverfahren schaffen. Geht man vom allgemeinen Sprachgebrauch des Begriffes „berücksichtigen" aus, so finden sich zu dessen Erläuterung in den Wörterbüchern die Feststellung, „berücksichtigen" bedeute „bei seinen Überlegungen, seinem Handeln beachten, nicht übergehen, in seine Überlegungen einbeziehen" oder „beachten, in Rechnung stellen, zu seinem Recht kommen lassen" 31 . Trotz dieser umgangssprachlich also nicht eindeutigen Bestimmung des Bedeutungsinhalts, liegt dem Recht der raumbedeutsamen Planung heute die Unterscheidung zwischen der (bloßen) Berücksichtigungspflicht einerseits und der (strikten) Pflicht zur Beachtung planerischer Akte, z.B. in § 4 Abs. 1 ROG'98, oder zur Anpassung an überörtliche Planungsziele (§ 1 Abs. 4 BauGB) zugrunde 32 . Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts hat auch nach der Einfügung des § 6 a in das ROG 1989 die landesplanerische Beurteilung rechtlich die Bedeutung nur einer behördlichen gutachtlichen Äußerung 33 . Die für die Entscheidung über die Zulassimg eines Vorhabens berufene Fachbehörde - hier also die Planfeststellungsbehörde nach §§ 8 ff Luft VG - hat selbst alle für die Zulassung bedeutsamen Umstände einschließlich der „raumordnungsrechtlichen und landesplanerischen Vorschriften" in diese Entschei29 In bezug auf die juristische Qualität der Bindungswirkung des Raumordnungsverfahrens hat sich durch § 4 ROG 1998 gegenüber § 6 a Abs. 9 ROG 1993 nichts geändert. Siehe dazu Runkel, DVB1 1996, S. 698 (704). 30 s. dazu z.B. Frammhold, Das Raumordnungsverfahren nach hessischem Landesplanungsrecht, in: InfzR 1969, S. 129 ff. 31 s. dazu Brockhaus Enzyklopädie, Deutsches Wörterbuch, Bd. 26, 19. Aufl. 1995, S. 484; Wahrig, Deutsches Wörterbuch, 6. Aufl. 1997, S. 272. 32 „Ziele der Raumordnung" unterliegen daher keiner Abwägung im Rahmen der Fachplanung oder der örtlichen Bauleitplanung. Siehe dazu statt vieler Erbguth/ Schoeneberg, Raumordnungs- und Landesplanungsrecht, 2. Aufl. 1992, Rdnr. 78; BVerwG, Beschl. vom 20.8.1992, BVerwGE 90, 329 (331 ff.). - Davon zu trennen ist die Frage, ob das Ergebnis des Raumordnungsverfahrens dann im Rechtssinne zu beachten ist, wenn dieses Verfahren der Konkretisierung eines „Ziels der Raumordnung" dient (Theorie der „abgeleiteten Bindungswirkung"). Siehe dazu statt vieler Alexander Venus, Das Berücksichtigungsgebot im Verwaltungsrecht, 1998, S. 53 ff. 33 s. Urt. vom 3.12.1992, NVwZ 1993, S. 892 (895).

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dung einzubeziehen. Diese Linie hat das BVerwG in seiner weiteren Rechtsprechung bestätigt. Die raumordnerische Beurteilung wird als eine „bloße gutachtliche Äußerung" bezeichnet. Das Gericht betont zu Recht, ob ein Vorhaben verwirklicht werden könne, beurteile sich ausschließlich danach, ob es den Anforderungen des einschlägigen Fachgesetzes entspreche 34. Auch die sonstige verwaltungsgerichtliche Rechtsprechung sieht - soweit ersichtlich - i n der Begriffswahl „berücksichtigen" eine gegenüber der Beachtenspflicht deutlich reduzierte rechtliche Bindungskraft, die vom Gesetzgeber so gewollt sei 35 . Lediglich gutachtliche Qualität hat das Ergebnis des Raumordnungsverfahrens auch in bezug auf die Standortfrage. Es ist nach wie vor nicht die erste echte Stufe eines Verwaltungsverfahrens, auf der die Standortfrage vorab und für die weiteren Verfahrensschritte rechtsverbindlich entschieden wird. In bezug auf den Standort ist das Raumordnungsverfahren und sein Ergebnis nur gewichtige Planungsberatung, nicht die Planung selbst. Der Prüfungsauftrag der Raumordnungsbehörde geht weiter als deren Entscheidungskompetenz36. Auch die wohl h.M. in der Literatur 37 setzt die Bindungswirkung der Landesplanerischen Beurteilung gegenüber der Fachplanung rechtlich nicht höher an als die Rechtsprechung. Es wird darauf hingewiesen, daß eine abschließende landesplanerische Beurteilung wegen ihres gutachtlichen Charakters keine Planungsentscheidung sei, sondern vielmehr ein „Instrument der helfenden Planung", für den Antragsteller eine Art „flexible Standortberatung", also eine

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s. BVerwG, Beschl. vom 30.8.1995, NVwZ-RR 1996, S. 67 ff; zur Auslegung des Berücksichtigungsgebots speziell im Zusammenhang mit der Prüfung der Umweltverträglichkeit von Vorhaben siehe BVerwG, Urt. vom 25.1.1996, DVB1 1996, S. 677 ff.; vom 21.3.1996, DVB1 1996, S. 907 ff ; vom 7.3.1997, DVB1 1997, S. 838 ff. und Ronellenfitsch, in: Marschall/Schroeter/Kastner, Bundesfernstraßengesetz (FStrG), 5. Aufl. 1998, § 17 Rdnr. 122. 35 s. VG Wiesbaden, Beschl. vom 3.4.1992, DÖV 1992, S. 714 (715); vgl. auch OVG RhPf, Beschl. vom 16.10.1991, 1 B 11816/91, Umdruck S. 5. 36 Offen kann bleiben, ob man diese Rechtsauffassung auf die Rechtsprechung des BVerwG stützen kann, wonach es bei der Beantwortung der Frage, ob ein bestimmter Standort im Einklang mit den landesplanerischen Gegebenheiten stehe, „letztlich auf materielle Gesichtspunkte und nicht auf das Raumordnungsverfahren" ankomme. So BVerwG, Beschl. vom 24.8.1987, 4 B 129.87 (Rangierbahnhof München), S. 40 f. (insoweit nicht abgedruckt in NVwZ 1988, S. 532 und DVB1 1987, S. 1267). Denn diese Feststellung ist unter Bezug auf Ausführungen in einem Urteil des BVerwG getroffen, das darauf abstellt, ein besonderes Verfahren für die raumordnerische Beurteilung eines Vorhabens im Bundesrecht existiere nicht (Urt. vom 5.12.1986, BVerwGE 75, 214/223). Dies trifft seit 1989 aber nicht mehr zu. 37 s. zum Meinungsstand etwa Wahl, Das Raumordnungsverfahren am Scheideweg, in: E. Franßen u.a. (Hrsg.), Bürger-Richter-Staat, Festschrift für Horst Sendler, 1991, S. 199 (218 ff).

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„Chance", die „Akzeptanz" eines Vorhabens im Raum vorab zu klären 38 . In der neueren Literatur findet sich die Formulierung, die Berücksichtigungspflicht stelle sich rechtlich als Abwägungsbelang dar für die in der Grundsatznorm des § 4 Abs. 5 ROG und jetzigen § 4 Abs. 2 ROG 1998 genannten Stellen. Folgerichtig könnten die Ergebnisse des Raumordnungsverfahrens durch Abwägung überwunden werden; sie seien eben keine „Ziele" mit einer entsprechenden Beachtungspflicht 39. Daher ist die gelegentlich anzutreffende Feststellung, eine Abweichung der Fachplanung von der raumplanerisch ermittelten Standortbeurteilung sei die Ausnahme 40 , lediglich eine Feststellung zur Praxis. Sie stellt kein rechtliches Verhältnis von Regel und Ausnahme her. Die oft genannte faktische Bindungswirkung der raumplanerischen Beurteilung beruht auf den im Raumordnungsverfahren erarbeiteten Tatsachen und Erkenntnissen und auf der Qualität ihrer Ermittlung und Gewinnung 41 . Die Berücksichtigungspflicht beinhaltet, daß der Fachplanungsträger das Ergebnis und die dieses Ergebnis tragenden Erkenntnisse des Raumordnungsverfahrens in die von ihm zu treffende Abwägungsentscheidung im Rahmen der Planfeststellung einbezieht 42 . Darin besteht die rechtliche Tragweite des sogenannten materiellen Berücksichtigungsgebots 43.

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s. dazu Höhnberg, BayVB1 1982, S. 722 (724); Goppel, BayVBl 1982, S. 716 (718); Geiger, NuR 1982, S. 127 (131: „Entscheidungshilfe" für die Fachplanungsbehörde). Auch bei Bielenberg/Erbguth/Söflcer (Raumordnungs- und Landesplanungsrecht des Bundes und der Länder, Bd. 2, M 440 Rdnr. 6 - Stand: Dezember 1997) ist daraufhingewiesen, daß das Raumordnungsverfahren kein Instrument der Planung sei, sondern ein Sicherungs- und Plandurchführungsinstrument. Heintschel von Heinegg formuliert, das Raumordnungsverfahren sei keine Abschichtungsplanung (NVWB1 1994, S. 441/444). 39 s. Cholewa/Dyong/von der Heide/Arenz (Fn. 17), § 6 a Rdnr. 90 und 92 (Stand: 1991); hier wird die raumordnerische Beurteilung als ein „Rechtsgutachten" bezeichnet. Gaentzsch (in: Schlichter/Stich, Berliner Kommentar zum Baugesetzbuch, 2. Aufl. 1995, § 1 Rdnr. 38) formuliert, das Ergebnis des Raumordnungsverfahrens sei ein in die Abwägung einzustellender Belang von erheblichem Gewicht. Ebenso Erbguth/ Schink, Gesetz über die Umweltverträgliclikeitsprüfung 1992, § 12 Rdnr. 45, 46. In dieser Richtung mchBlümel/Pfeil, VerwArch Bd. 88, 1997, S. 353 (380). 40 s. etwa Dickschen (Fn. 27), S. 138: „seltene Abweichung"; siehe auch Erbguth/ Schoeneberg (Fn. 32), Rdnr. 123. 41 So spricht das VG Wiesbaden (Beschl. vom 3.4.1992, DÖV 1992, S. 714) zu Recht davon, daß sich die in einem Raumordnungsverfahren gewonnenen „Erkennüiisse" „möglicherweise als faktische (Teil-)Vorentscheidungen darstellen und damit im nachfolgenden fachplanerischen Verfahren unter Umständen entsprechende und vom Gesetzgeber nicht gewollte, wenn auch erkannte Wirkungen zeitigen". 42 § 6 Abs. 2 Satz 1,1. Halbs. LuftVG sieht für die sog. Unternehmergenehmigung vor, daß vor ihrer Erteilung zu prüfen ist, ob die geplante Maßnahme den Erfordernissen der Raumordnung entspricht. Die landesplanerische Beurteilung ist auch im Rahmen dieser Formulierung (vgl. dazu BT-Drucks. 7/3879 vom 24.7.1975, S. 31) nur zu

560

Udo Steiner b) Die Frage der spezifischen Interpretationskompetenz der für die Durchführung des Raumordnungs\>erfahrens zuständigen Raumordnungsbehörde

aa) Allerdings wird im rechtswissenschaftlichen Schrifttum die Auffassung vertreten, die Beurteilung eines Vorhabens unter landesplanerischen Gesichtspunkten liege ausschließlich in der Kompetenz der zuständigen Raumordnungsbehörde („Interpretationskompetenz"), die insoweit über eine besondere und spezifische Sachkunde verfüge. Die Fachplanungsbehörde sei jedenfalls dann, wenn sie dem gleichen Träger zugehöre wie die Raumordnungsbehörde, gehindert, die landesplanerischen Belange im Zusammenhang mit einem Vorhaben der Infrastruktur anders zu beurteilen als dies die Raumordnungsbehörde getan habe 44 . Es liegt in der Konsequenz dieser Auffassung, daß damit die Entscheidung für einen bestimmten Standort unter landesstrukturellen Gesichtspunkten bei der Raumordnungsbehörde und nicht bei der Fachplanungsbehörde liegt 45 . Die Fachplanung könnte auf der Grundlage dieser Auffassung durch die Anwendung bestimmter raumstruktureller Konzepte, wie z.B. dem der dezentralen Konzentration, die Fachplanung bei der Standortfindung von Verkehrsflughäfen dominieren. Für diese Rechtsauffassung findet sich aber im geltenden Recht nicht die notwendige Grundlage. Vielmehr ist für das Recht der Planung der raumbedeutsamen öffentlichen Infrastruktur charakteristisch, daß die Fachplanung im Rahmen der Planfeststellung eigenverantwortlich

berücksichtigen. Siehe Giemulla, in: Giemulla/Schmid, Luftverkehrsgesetz, Bd. 1, § 6 Rdnr. 13 (Stand: Januar 1995). 43 Davon werden sog. formelle Berücksichtigungsgebote, wie z.B. in § 17 Abs. 4 Satz 3 FStrG, § 14 Abs. 4 Satz 2 PBefG, § 24 Abs. 2 BVwVfG oder § 7 Abs. 2 BWaldG, unterschieden. Diese Vorschriften enthalten nur eine allgemeine Aufforderung an die zuständige Stelle, sämtliche erhebliche Interessen in die Abwägung einzustellen. Es geht hier also um die Zusammenstellung des Abwägungsmaterials. Man kann deshalb auch von einem prozeduralen Berücksichtigungsgebot sprechen. Siehe dazu Venus (Fn. 32), S. 234 ff. 44 s. vor allem Hosch, BayVBl 1979, S. 398 (399 f.); Heigl/Hosch (Fn. 24), Art. 23 Rdnr. 59, 60 (Stand: 1987); Schmidt-Aßmann, VB1BW 1986, S. 2 (8 f.); Bielenberg/ Erbguth/Söjker (Fn. 38), M 445 Rdnr. 21; M 450 Rdnr. 15; Giemulla, in: Giemulla/ Schmid (Fn. 42), vor §§ 6 - 19 b, Rdnr. 52; Zoubek, BayVBl 1982, S. 718 (720). Zur Diskussion der sog. Interpretationskompetenz der Raumordnungsbehörde siehe auch Dickschen (Fn. 27), S. 111, 133 f., 212 f. 45 Kritisch dazu vor allem Jarras, BayVBl 1979, S. 65 (66, 70 f.) und wohl auch Erbguth/Schink (Fn. 39), Rdnr. 126. - Will man dem Ergebnis des Raumordnungsverfahrens eine Bindungswirkung gegenüber der Fachplanung beilegen, so wäre in jedem Fall zu differenzieren zwischen raumbezogenen überfachlichen und fachlichen Belangen, die in das Gutachten der Raumordnungsbehörde eingegangen sind.

Zur Standortfindung bei Verkehrsflughäfen

561

auch den Standort festlegt 46 . Die Fachplanungsbehörde kann daher durchaus die raumordnerischen Aspekte des Vorhabens selbständig beurteilen. Folgt sie der Auffassung der Raumordnungsbehörde, so genügt es für die Rechtmäßigkeit der Fachplanung unter diesem Aspekt, daß sie Ergebnis und Begründung der landesplanerischen Beurteilung nachvollzieht und sich zu eigen macht. W i l l sie „klüger" sein als die Raumordnungsbehörde, so liegt die Last der Argumentation bei ihr. Diese Last wird sie nur in Ausnahmefällen, etwa bei wesentlich anderen Erkenntnissen, tragen können und wollen. Es ist also das tatsächliche Gewicht eines sorgfältig, umsichtig und kompetent durchgeführten Raumordnungsverfahrens, das in seiner Wirkung hinter einem rechtlich begründeten Abweichungsverbot kaum zurücksteht 47. bb) In jedem Falle aber ist es der Fachplanungsbehörde unbenommen, das Ergebnis der raumordnerischen Beurteilung in der fachplanerischen Abwägung durch andere höhergewichtete öffentliche Belange zu überwinden und sich damit einer Standortpräjudizierung durch die Raumordnungsbehörde zu 46

s. auch Hofmann/Grabherr (Fn. 4), § 6 Rdnr. 64 (Stand: 1994): Die Entscheidung über den Standort liegt im Rahmen der planerischen Gestaltungsfreiheit der Fachplanungsbehörde. - Interessanterweise stellen Heigl/Hosch, die der Fachplanungsbehörde eine gegenüber der Raumordnungsbehörde abweichende Beurteilung der landesplanerischen Belange nicht erlauben, einerseits fest: „Wegen der Abwägungspflicht, der die nach außen entscheidende Fachbehörde unterliegt, kann die landesplanerische Beurteilung keine echte Bindung, sondern nur eine tendenzielle Festlegung bewirken ... Die nach außen entscheidende Genehmigungs- oder Planfeststellungsbehörde ist auf Grund des Abwägungsgebots verpflichtet, alle für die Entscheidung wesentlichen Fragen - einschließlich der Gesichtspunkte der Raumordnung - selbst zu prüfen und in der Begründung zu erörtern ... Die Genehmigungs- oder Planfeststellungsbehörde wird sich bei ihrer Abwägung zwar regelmäßig auf das im Raumordnungsverfahren erarbeitete Material stützen und auf die bei der landesplanerischen Beurteilung gewonnenen Erkenntnisse zurückgreifen. Sie darf diese aber nicht unbesehen übernehmen, sondern muß sich - auch wenn sie sich die vorausgegangene landesplanerische Beurteilung zu eigen macht - mit ihr auseinandersetzen". Andererseits: „Im Hinblick auf die in Art. 1 Abs. 1 Nr. 2 und in Art. 23 getroffene Zuständigkeitsregelung kann dabei eine vom Ergebnis des Raumordnungsverfahrens abweichende Beurteilung der Vereinbarkeit des Vorhabens mit den Erfordernissen der Raumordnung allerdings nur in Abstimmung mit der Landesplanungsbehörde erfolgen, die erforderlichenfalls - z.B. bei geänderten Beurteilungsgrundlagen - eine neue oder ergänzende landesplanerische Überprüfung vorzunehmen hat" (siehe Art. 23 Rdnr. 59 und 60). 47

Zu Recht wird deshalb von einer „faktischen Abschichtungswirkung" gesprochen. Siehe dazu Wagner, in: Hoppe (Hrsg.), Gesetz über die Umweit Verträglichkeitsprüfung (UVPG), Kommentar, 1995, § 16 Rdnr. 55, der freilich meint, die landesplanerische Beurteilung der Standorteignung dürfe im nachfolgenden Verfahren von der Zulassungsbehörde weder hinsichtlich der angewandten Methode noch hinsichtlich des Ergebnisses angezweifelt werden. Eingehend zu den faktischen Auswirkungen des Ergebnisses von Raumordnungsverfahren auf die gemeindliche Planungsbehörde siehe Blümel/Pfeil VerwArch 88 (1997), 1997, S. 353 (382 ff.). 36 FS Blümel

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Udo Steiner

entziehen. Dies ergibt sich daraus, daß nach § 8 Abs. 1 Satz 2 LuftVG alle von dem Vorhaben berührten öffentlichen und privaten Belange einschließlich der Umweltverträglichkeit im Rahmen der Abwägung zu berücksichtigen sind. Bei der Anwendung dieses umfassenden materiellrechtlichen Maßstabes für die planfeststellungsrechtliche Zulassung eines Flughafens (§ 8 Abs. 1 Satz 1 LuftVG) ist 4 8 - unter „Übernahme" des Regelungsgehalts des § 6 Abs. 2 Satz 1 LuftVG - insbesondere zu prüfen, ob die geplante Maßnahme den Erfordernissen der Raumordnung und der Landesplanung entspricht und ob die Erfordernisse des Naturschutzes und der Landschaftspflege sowie des Städtebaus und des Schutzes vor Fluglärm angemessen zur Geltung gebracht werden. Die Standortfrage kann als Entscheidungsgegenstand des Zulassungsverfahrens anders als im Raumordnungsverfahren beantwortet werden, wenn entsprechend gewichtige fachbezogene öffentliche Belange eine abweichende Beurteilung rechtfertigen 49. Dabei geht generelle Höhergewichtung von der landesplanerischen Beurteilung nicht aus. Ein solcher - auch in der Rechtsprechung anerkannter, nicht raumordnungsbezogener öffentlicher Belang - sind beispielsweise die Grundsätze der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit gem. § 7 BHO 5 0 . Er kann bei der Planung von Verkehrsflughäfen etwa in der Weise eine Rolle spielen, daß ein bestimmter zentrumsferner Standort erhöhte Aufwendungen der Infrastruktur erforderlich macht. Flughäfen sind Verkehrsanlagen, die nicht enden, sondern deren Verkehrswirksamkeit ganz wesentlich von der Verkehrsinfrastruktur abhängt. Dazu gehört auch der Straßenbau, der notwendig ist, um die Entfernung des Flughafens zum Hauptaufkommensgebiet soweit als möglich zu verringern. Je höher der Umfang der für die Erschließung einzusetzenden Mittel ist, um so stärker wird naturgemäß der entsprechende öffentliche Belang im Rahmen der Abwägung 51 . In die Gesamtrechnung sind aber auch andere Kosten einzubeziehen, die bei einem bestimmten Standort entstehen und bei ei-

48 Zur Prüfung raumordnerischer Belange im Planfeststellungsverfahren siehe BVerwG, Urt. vom 5.12.1986, BVerwGE 75, 214 (223); zur Auslegung des § 6 Abs. 2 LuftVG siehe auch Forsthoff/BliXmel, Raumordnungsrecht und Fachplanungsrecht, 1970, S. 151 ff; Blümel/Ronellenfitsch, Die Verfassungswidrigkeit des Volksbegehrens und Volksentscheids „Keine Startbahn West", Speyerer Arbeitshefte Nr. 40, 1982, S. 64 ff. 49 s. dazu auch Wahl (Fn. 37), S. 214. 50 s. BVerwG, Urt. vom 22.3.1985, BVerwGE 71, 163 (166); Beschl. vom 20.12.1988, UPR 1989, S. 273 (274); Urt. vom 14.9.1992, DVB1 1993, S. 155 (158); ebenso z.B. Cholewa/Dyong/von der Heide/Arenz (Fn. 17), § 2 Grundsatz Nr. 8 Rdrn. 55 (Grundsatz der Wirtschaftlichkeit als abwägungserheblicher Belang); Heigl/ Hosch (Fn. 24), Art. 23 Rdnr. 60 („zwingende fiskalische Gründe"). 51 Vgl. BVerwG, Urt. vom 14.9.1992, DVB1 1993, S. 155 (158).

Zur Standortfindung bei Verkehrsflughäfen

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nem anderen Standort in vergleichbare» Weise nicht. Dazu gehört beispielsweise die Finanzierung des Lärmschutzes (Flughafen und Verkehrserschließung) und gegebenenfalls notwendiger Absiedlungsmaßnahmen sowie des Grunderwerbs aus privater Hand. Kostenaspekte sind demnach durchaus geeignet, eine Abweichung der Planfeststellung in der Standortfrage von dem Ergebnis einer landesplanerischen Beurteilung zu rechtfertigen. Andere fachgesetzlich erhebliche öffentliche Belange kommen hinzu. So kann sich beispielsweise ein bestimmter Standort unter dem Gesichtspunkt des Fluglärmschutzes und dessen siedlungsstruktureller Auswirkungen als besonders günstig darstellen, andererseits aber umfangreiche Maßnahmen der Verkehrserschließung notwendig machen, die ihrerseits erhebliche Umweltbelastungen mit sich bringen.

I I I . Perspektiven Die Nachfrage nach gewerblichen Flugleistungen in Deutschland, zu der auch der Jubilar bei der weltweiten Verbreitung seiner kommunal- und planungsrechtlichen Forschungsergebnisse beigetragen hat, steigt kontinuierlich 5 2 . Obwohl die Flugzeuge immer mehr Kapazität aufweisen, nimmt die Zahl der Flugbewegungen zu. Daraus ergeben sich Anforderungen an die Infrastruktur des Luftverkehrs einschließlich des Flugverkehrsmanagements 53 und insbesondere Anforderungen an Zahl, Leistungsvermögen und regionale Streuung der Flugplätze 54 . In diesem Zusammenhang ist auch der Ausbau des Flughafens Berlin-Schönefeld zu einem Internationalen Flughafen unter gleichzeitiger Schließung der Flughäfen Berlin Tempelhof und Berlin Tegel zu würdigen. Die planungsrechtlichen Weichen sind für dieses Großvorhaben offenbar gestellt. Es bedarf für diesen Standort auch keines Raumordnungsverfahrens mehr. Er wird landesplanerisch durch ein „Ziel der Raumordnung" gesichert werden (Landesentwicklungsplan Standortsicherung Flughafen/ LEPSF) auf der Grundlage des Landesplanungsvertrages Berlin-Brandenburg. In einer solchen Ziel-Bestimmung kann auch die negative Aussage mitenthalten sein, daß für einen weiteren der allgemeinen Luftfahrt dienenden Flugplatz

52

s. etwa die Einschätzung der Vertreter der deutschen Großflughäfen und der Arbeitsgemeinschaft deutscher Verkehrsflughäfen in wib 10/96-XI/145 vom 30.5.1996, S. 49. Siehe speziell zur Entwicklung im Flugtourismus wib 6/96-X/43 vom 20.3.1996, S. 35. 53 s. dazu BT-Drucks. 13/5525 vom 12.9.1996. 54 s. dazu auch Steiner (Fn. 1), § 10 Rdnr. 98 (S. 218 f.).

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Udo Steiner

in der Region kein Raum ist 5 5 . Die Einhaltung der Zeitvorstellungen bei der Verwirklichung des Flughafenvorhabens ist wesentlich davon abhängig, ob das erforderliche Planfeststellungsverfahren und die sich daran gegebenenfalls anschließenden Rechtsschutzverfahren (noch) unter der bis zum 31. Dezember 1999 begrenzten Geltung des Verkehrswegeplanungsbeschleunigungsgesetzes durchgeführt werden können. Dabei ist der Zeitpunkt des Antrags auf Einleitung des Planfeststellungsverfahrens entscheidend (vgl. § 11 Abs. 2 des genannten Gesetzes), der ein bestimmtes Maß an Konkretisierung des Gegenstandes der Planfeststellung voraussetzt. Die Erfahrungen mit dem Bau und der Modernisierung der Verkehrsanlagen in den neuen Ländern zeigen, daß die in § 5 Abs. 1 des Verkehrswegeplanungsbeschleunigungsgesetzes vorgesehene erst- und letztinstanzliche Zuständigkeit des BVerwG ein kaum zu übertreffender Beitrag zur Beschleunigung von Vorhaben der Verkehrsinfrastruktur in besonderen Bedarfslagen ist.

55

Vgl. BVerwG, Beschl. vom 7.11.1996, NuR 1997, S. 397.

Querschnitte zwischen Bau- und Fachplanungsrecht Von Bernhard Stüer

Seit langem wird beklagt, daß der Wirtschaftsstandort Deutschland im internationalen Vergleich nicht ausreichend attraktiv sei. Als eine der Ursachen wird auf die als zu lang empfundenen Genehmigungs- und Zulassungsverfahren im Bau- und Fachplanungsrecht verwiesen. A n die Stelle eines demokratischen Rechtsstaates sei ein Rechtsmittel- und Rechtswegestaat getreten, dessen Verästelungen unübersehbar geworden seien. Ausufernde Rechtsschutzmöglichkeiten und die unendliche Dauer der Gerichtsverfahren werden als Ursachen für einen Investitionsstau und eine Abwanderung großer Wirtschaftskonzerne ins Ausland festgemacht. Die Lage hat sich jedoch inzwischen gründlich verändert. Durch eine Änderung der Fachplanungsgesetze und vielleicht nicht weniger stark durch die 6. VwGO-Novelle ist das Fachrecht durchforstet und sind die Rechtsschutzmöglichkeiten kräftig gestutzt worden. Alles in allem könnten wir bereits wieder vor einer Trendwende stehen, bei der es gilt, die Grundelemente rechtsstaatlicher Planung und des gerichtlichen Rechtsschutzes vor zu starken Beschneidungen zu schützen. Derartige Erfordernisse hat der hier zu ehrende Jubilar in seiner Papenburger Grundsatzrede und anschließend auch in seiner Speyerer Abschiedsvorlesung mit besonderem Nachdruck herausgestellt. 1

I. Ausgangspunkte Das Fachplanungsrecht aber auch das Recht der städtebaulichen Planung sind in den letzten Jahren mehrfach Gegenstand von umfangreichen Gesetzgebungsverfahren gewesen. Das Gesetz zur Beschleunigung der Planung für Verkehrswege in den neuen Ländern sowie im Land Berlin 2 (VerkPlBG) er1

Bliimel, Planung und Verwaltungsgerichtsbarkeit, in: Stüer (Hrsg.), Planungsrecht Bd. 1, Verfahrensbeschleunigung, Wirtschaft, Verwaltung, Rechtsschutz, 1997, S. 17. 2 Verkehrswegeplanungsbeschleunigungsgesetz v. 14.12.1991 (BGBl I S. 2174).

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Bernhard Stüer

möglichte es ein gutes Jahr nach der Wiedervereinigung, die für eine öffentliche Planung erforderlichen Rechtsgrundlagen in kürzerer Frist zu schaffen. 3 Das Gesetz zur Vereinfachung der Planungsverfahren für Verkehrswege 4 (PIVereinfG) übertrug die Regelungen für die neuen Länder auf die Fachplanungsverfahren auch in den alten Ländern. 5 Weitere Beschleunigungen vor allem im Hinblick auf den gerichtlichen Rechtsschutz sind durch das Investitionserleichterungs- und Wohnbaulandgesetz 1993 (InvWoBaulG) 6 eingeführt worden. Das Gesetz zur Beschleunigung von Genehmigungsverfahren (GenBeschlG)7 hat zusätzliche Beschleunigungseffekte dadurch ermöglicht, daß der Verwaltung vor allem durch eine Änderung des VwVfG verschiedene verfahrensstraffende Modelle an die Hand gegeben werden, die eine zeitnahe Durchführung der Planungsverfahren begünstigen.8 Das Sechste Gesetz zur Änderung der VwGO und anderer Gesetze (6. VwGOÄndG) 9 - es handelt sich um die grundlegendste Reform der VwGO seit dem Jahre 1960 - hat wesentliche Änderungen des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens eingeführt 10 . Hinzu tritt für den Bereich des Städtebaus und der Raumordnung das zum 1.1.1998 in Kraft getretene Bau- und Raumordnungsgesetz. Es will einen ver3

Zu Beschleunigungsmaßnahmen Broß, DVB1 1991, 177; Ebling, Beschleunigungsmöglichkeiten bei der Zulassung von Abfallentsorgungsanlagen, 1994; Fluck, Der Betrieb 1993, 2011; Ronellenfitsch, DVB1 1991, 920; Schulze, in: Stüer (Hrsg.) (Fn. 1), S. 85; Schulze/Stüer, ZfW 1996, 269; dies., in: Stüer (Hrsg.) (Fn. 1), S. 62; Stüer, DVB1 1990, 1393; ders., DVB1 1997, 326; ders., NWVB1 1998, 171; kritisch vor allem Blümel (Fn. 1), S. 17; Jank, Die 6. VwGO-Novelle, in: Stüer (Hrsg.) (Fn. 1), S. 43; vgl. auch Hermanns, in: Stüer (Hrsg.) (Fn. 1), S. 144. 4 Gesetz zur Vereinfachung der Planungsverfahren für Verkehrswege (Planungsvereinfachungsgesetz - PIVereinfG) v. 17.12.1993 (BGBl IS. 2123). 5 Zu einer Bewertung dieser Vorschriften Pasternak, Beschleunigung beim Straßenbau, BayVBl 1994, 616; Steinberg,, NJW 1994, 488. 6 Investition- und Wohnbaulandgesetz v. 24.4.1993 (BGBl I S. 466); vgl. zu Nachweisen über die Literatur Stüer, DVB1 1995, 649 Fn. 22. 7 Gesetz zur Beschleunigung von Genehmigungsverfahren (Genehmigungsverfahrensbeschleunigungsgesetz - GenBeschlG) v. 12.9.1996 (BGBl I 1354); vgl. Stüer, DVB1 1997, 326; ders., in: Stüer (Hrsg.) (Fn. 1), S. 90; ders., NWVB1 1998, 171. 8 Stüer, Bau- und Fachplanungsrecht, 2. Aufl. 1998, Rdnr. 1637. 9 Sechstes Gesetz zur Änderung der Verwaltungsgerichtsordnung und anderer Gesetze (6. VwGOÄndG) v. 1.11.1996 (BGBl 1 1626). 10 Das Gesetz zur Beschleunigung und Vereinfachung immissionsschutzrechtlicher Genehmigungsverfahren (BImSchG-Novelle) (Gesetz zur Beschleunigung und Vereinfachung immissionsschutzrechtlicher Genehmigungsverfahren v. 9.10.1996 [BGBl I 1498]) hat zu Änderungen des BImSchG und der Verordnung über das Genehmigungsverfahren geführt. Mit dem Gesetz zur Änderung des Wasserhaushaltsgesetzes (WHG) v. 11.11.1996 (BGBl I 1695), sind wichtige Bestimmungen des WHG teilweise umgestaltet oder neu gefaßt worden.

Querschnitte zwischen Bau- und Fachplanungsrecht

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besserten Beitrag zum Umweltschutz leisten, was durch die Integration des Naturschutzes in die Bauleitplanung und durch die Neufassung des Außenbereichsparagraphen geschehen soll. Die Bestandskraft der städtebaulichen Satzungen soll durch den Grundsatz der Planerhaltung gestärkt werden. Die Kooperation zwischen Gemeinde und Vorhabenträger soll durch städtebauliche Verträge und den vorhabenbezogenen Bebauungsplan sowie die Einschaltung Dritter in den Planungsprozeß gefördert werden. Durch die erfolgte Integration des BauGB-MaßnG in das BauGB und weitere harmonisierende Regelungen soll der Planungsprozeß vereinfacht und von unnötigem Ballast befreit werden. Der Grundsatz der Planerhaltung wird groß geschrieben. Das Verhältnis des Städtebaurechts zur Raumordnung und zum Fachplanungsrecht wurde neu geordnet und streckenweise übersichtlicher gestaltet. Auch hat das Recht der Raumordnung durch ein völlig neu konzipiertes ROG eine neue Grundlage erhalten. 11 Ziel der Neuregelungen des Bau- und Fachplanungsrecht sowie des Verfahrensrechts war es, das Planungsrecht zu vereinfachen und unnötigen Ballast vor allem in den Verfahrensabläufen aber auch im gerichtlichen Rechtsschutz über Bord zu weifen. Die Entscheidungsbefugnis der Planungsträger sollte gefestigt und die Investitionsbereitschaft von gewerblicher Wirtschaft und Industrie zur Sicherung des Standortes Deutschland gestärkt werden.

I I . Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen Bau- und Fächplanungsrecht Die verschiedenen Novellen des Bau- und Fachplanungsrechts haben teilweise zu einer Vereinheitlichung geführt, teilweise aber Unterschiede zwischen beiden Planungsbereichen bestehen lassen. Deshalb gilt es zunächst, Bilanz zu ziehen und den Gemeinsamkeiten und Unterschieden zwischen Bauund Fachplanungsrecht nachzugehen. Sodann wird zu fragen sein, welcher Ratschlag dem Gesetzgeber für künftige Reformen und allen am Planungsgeschehen Beteiligten gegeben werden kann. Sollte das Planungsrecht über die Grenzen des Fachplanungsrechts und der Bauleitplanung hinweg stärker als bisher harmonisiert werden? Oder sind sogar Disharmonien innerhalb des Fachplanungsrechts und in seinem Verhältnis zum Bauplanungsrecht erwünscht?

11

Zu den Kernpunkten der Reform Stüer, DVB1 1996, 177.

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Bernhard Stüer

1. Unterschiedliche Handlungsformen Der vielleicht gravierendste Unterschied zwischen der städtebaulichen Planung einerseits und der Fachplanung andererseits ist in den unterschiedlichen Handlungsformen begründet. Die verbindliche Bauleitplanung äußert sich im Bebauungsplan, der von den Gemeinden als Satzung erlassen wird (§ 10 BauGB). Die Fachplanung vollzieht sich in der Regel als Planfeststellungsbeschluß (§ 74 VwVfG) und damit als Verwaltungsakt (§ 35 S. 2 VwVfG). A n dessen Stelle kann gegebenenfalls auch die ohne allgemeine Öffentlichkeitsbeteiligung durchführbare Plangenehmigung (§ 74 V I VwVfG) oder ein Verzicht auf ein förmliches Planverfahren überhaupt treten (§ 74 V I I VwVfG). Und ein weiterer gravierender Unterschied hängt mit diesen unterschiedlichen Handlungsformen zusammen: Das Modell des Städtebaurechts ist zweistufig, das des Fachplanungsrechts einstufig: 12 Die städtebauliche Planung, die sich im Bebauungsplan in rechtsverbindlichen Festsetzungen äußert, bildet die erste Stufe, auf der die Grundentscheidung über die bodenrechtlich relevanten Nutzungen getroffen wird. Auf der zweiten Stufe folgt zumeist nach Maßgabe des jeweiligen Landesrechts ein Baugenehmigungsverfahren, in dem vor dem Hintergrund der getroffenen Planungsentscheidung über die konkrete Vorhabenzulassung entschieden wird. Im nicht beplanten Innenbereich und i m Außenbereich tritt an die Stelle des Bebauungsplans die Planungsentscheidung des Gesetzgebers. Diesem zweistufigen Modell tritt im Fachplanungsrecht ein einstufiges Zulassungsmodell gegenüber. Hier wird in einem Zulassungsverfahren über das „ob" und „wie" des Vorhabens entschieden. Die mit dem Vorhaben verbundenen Konflikte müssen daher in einem Verfahren bewältigt werden. Ein teilweise möglicher Konflikttransfer in ein Nachfolgeverfahren, wie dies in der Bauleitplanung geschehen kann, ist im Fachplanungsrecht nicht in gleicher Weise vorgesehen. Das einstufige Fachplanungsverfahren muß zugleich die Abwägungselemente enthalten, die in der Bauleitplanung auf der ersten Stufe abgeschichtet werden können.

2. Unterschiedliche Aufstellungsverfahren Die Verfahren zur Planaufstellung sind zwar in den großen Leitlinien vergleichbar, weisen jedoch in Einzelheiten zahlreiche Unterschiede auf. Für die Bauleitplanung ist eine zweigeteilte Bürgerbeteiligung kennzeichnend.

12

Stüer (Fn. 8), 2. Aufl. 1998, Rdnr. 1637.

Querschnitte zwischen Bau- und Fachplanungsrecht

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In der vorgezogenen Bürgerbeteiligung ( § 3 1 BauGB) im Rahmen der Bauleitplanung werden die Bürger über die allgemeinen Ziele und Zwecke der Planung, sich wesentlich unterscheidende Lösungen und die voraussichtlichen Auswirkungen der Planung möglichst frühzeitig unterrichtet. Den Bürgern ist Gelegenheit zur Äußerung und Erörterung zu geben. Im Fachplanungsrecht ist eine vorgezogene Bürgerbeteiligung, bei denen Fehler auch in der Bauleitplanung folgenlos bleiben (§ 214 I Nr. 1 BauGB) nicht vorgesehen. Die förmliche Bürgerbeteiligung in der Bauleitplanung (§ 3 I I BauGB) ist vom Ansatz her mit dem Anhörungsverfahren des fachplanerischen Planfeststellungsverfahrens vergleichbar (§ 73 VwVfG). Allerdings bestehen schon Unterschiede. Die förmliche Bürgerbeteiligung erschöpft sich in der Offenlage der Unterlagen und der Gelegenheit zur Stellungnahme innerhalb eines Monats. Im Planfeststellungsverfahren ist die Beteiligung zweigeteilt: Einwendungen gegen das Vorhaben können innerhalb der Offenlage (einen Monat) und eines sich daran anschließenden Zeitraums von 14 Tagen geltend gemacht werden (§ 73 I V VwVfG). Daran schließt sich ein Erörterungstermin an, bei dem die rechtzeitig erhobenen Einwendungen in mündlicher Verhandlung zu erörtern sind (§ 73 V I VwVfG). Im Gegensatz zum Fachplanungsrecht ist in der Bauleitplanung eine Erörterung im Anschluß an die förmliche Offenlage der Pläne nicht vorgesehen. Die Trägerbeteiligung ist im Bau- und Fachplanungsrecht - abgesehen von den vorgenannten Unterschieden, die sich aus der parallel durchgeführten Bürgerbeteiligung auch für die Träger öffentlicher Belange ergeben - weitgehend vergleichbar. In der Bauleitplanung haben die Träger ihre Stellungnahmen regelmäßig innerhalb eines Monats abzugeben. Die Frist kann angemessen verlängert werden (§ 4 I I BauGB). In den Stellungnahmen sollen sich die Träger auf ihren Aufgabenbereich beschränken. Belange, die von den Trägern nicht rechtzeitig vorgetragen worden sind, werden in der Abwägung nicht berücksichtigt, es sei denn, die verspätet vorgebrachten Belange sind der Gemeinde bekannt oder hätten ihr bekannt sein müssen oder sind für die Rechtmäßigkeit der Abwägung von Bedeutung. In der Fachplanung haben die Träger ihre Stellungnahme innerhalb einer von der Anhörungsbehörde zu setzenden Frist, die drei Monate nicht überschreiten darf, abzugeben. Auch hier sind nicht rechtzeitig vorgebrachte Belange abgesehen von deren Abwägungserheblichkeit grundsätzlich unbeachtlich (§ 73 III a VwVfG).

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3. Präklusion Ein gravierender Unterschied besteht im Hinblick auf unterschiedliche Präklusionsregelungen im Bau- und Fachplanungsrecht. Die Präklusionsregelungen stehen wiederum mit den erweiterten Beteiligungsrechten der Bürger im Zusammenhang. Während nicht rechtzeitig vorgebrachte Anregungen auch in der Bauleitplanung grundsätzlich nicht berücksichtigt werden müssen, es sei denn, sie sind für die planenden Stelle erkennbar, mehr als geringfügig und schutzwürdig und damit für die Abwägung von Bedeutimg (formelle Präklusion) (§ 3 I I BauGB), sieht das Fachplanungsrecht eine darüber hinausgehende materielle Präklusion vor. Im Verfahren nicht rechtzeitig erhobene Einwendungen gegen den Plan sind nach Ablauf der Einwendungsfrist ausgeschlossen etwa im immissionsschutzrechtlichen Genehmigungsverfahren nach §10 I I I 3 BImSchG, 13 im fernstraßenrechtlichen Planfeststellungsverfahren nach § 17 I V 1 FStrG, im wasserwegerechtlichen Planfeststellungsverfahren nach § 17 Nr. 5 WaStrG, im atomrechtlichen Verfahren nach § 7 1 AtomVfV, 1 4 im eisenbahnrechtlichen Verfahren nach § 20 I I 1 AEG. 1 5 Durch § 73 I V 3, 4 VwVfG i. d. F. des GenBeschlG ist diese materielle Präklusion auch auf alle anderen Planfeststellungsverfahren ausgedehnt worden. Danach sind mit Ablauf der Einwendungsfrist alle Einwendungen ausgeschlossen, die nicht auf besonderen privatrechtlichen Titeln beruhen. Voraussetzung für den Lauf der Frist ist, daß gem. § 73 I V VwVfG ordnungsgemäß auf die Frist und die Präklusion bei Versäumimg der Frist hingewiesen worden ist. Die prozessuale Sperrwirkung gilt auch für nicht rechtzeitig dargelegte enteignungsrechtliche Vorwirkungen. 16 Der Einwendungsausschluß hat materielle Wir-

13 BVerwG, Beschl. v. 29.9.1972 - 1 B 76.71 -, DVB1 1973, 645 = GewArch 1974, 19; Urt. v. 29.8.1986 -7 C 52.84 -, DVB1 1987, 258 = NVwZ 1987, 131. 14 BVerwG, Urt. v. 17.7.1980 - 7 C 101.78 -, BVerwGE 60, 302; Beschl. v. 12.11.1992 - 7 ER 300.92 -, NVwZ 1993, 266; BVerfG, Beschl. v. 8.7.1982 - 2 BvR 1187/80 -, BVerfGE 61, 82 = NJW 1982, 2173 = DVB1 1982, 940 = Hoppe/Stüer, RzB Rdnr. 1105 - Sasbach 15 BVerwG, Beschl. v. 12.11.1992 - 7 ER 300.92 -, NVwZ 1993, 266 = DVB1 1993, 168 - Taigatrommel -. Die Vorschrift wird vom BVerwG für verfassungsrechtlich unbedenklich eingeschätzt, BVerwG, Urt. v. 23.4.1997 - I I A 7.97 -, DVB1 1997, 1119 = NuR 1997, 504 unter Hinweis auf Urt. v. 24.5.1996 - 4 A 38.95 -, Buchholz 407.4 § 17 FStrG Nr. 119; Beschl. v. 8.7.1982 - 2 BvR 1187/80 -, BVerfGE 61, 82 = Hoppe/Stüer, RzB Rdnr. 1105 - Sasbach -; vgl. auch Urt. v. 6.8.1982 - 4 C 66.79 -, BVerwGE 66, 99 = NJW 1984, 1250 - Rhein-Main-Donau-Kanal -. 16 BVerwG, Beschl. v. 13.3.1995 - 11 VR 5.95 -, UPR 1995, 269 = NuR 1995, 250 - Buchholzer Bogen: zu Belangen des Natur- und Landschaftsschutzes -. Ein Einwendungsausschluß besteht selbst dann, wenn die Eigentümerbelange im Rahmen zivil-

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kungen. Er erstreckt sich auch auf das verwaltungsgerichtliche Verfahren und führt zum Verlust der Möglichkeit, Abwehransprüche durchzusetzen. 17 Ob die Behörde gleichwohl die materiell präkludierten Einwendungen berücksichtigen kann, wird unterschiedlich beurteilt. 18 Jedenfalls verliert der Einwendungsftihrer das Recht, im Verfahren eine Erörterung zu verlangen oder in nachfolgenden Rechtsbehelfsverfahren eine Kontrolle in diesem Bereich zu erreichen (§ 73 I V VwVfG). Nach Ablauf der Einwendungsfrist sind, sofern nicht die Voraussetzungen für eine Wiedereinsetzung nach § 32 VwVfG gegeben sind, nur noch Ergänzungen und Präzisierungen zu bereits während der Frist erhobenen Einwendungen möglich. Im übrigen gilt in fachplanungsrechtlichen Planfeststellungsverfahren auch in seinem durch das PlanVereinfG und das GenBeschlG geänderten Inhalt unverändert jene materielle Präklusion, 1 9 wie sie in der Rechtsprechung zur Ermittlung der abwägungserheblichen Belange 20 entwickelt worden ist. 21 Nicht rechtzeitig geltend gemachte Einwendungen brauchen im Planfeststellungsbeschluß daher nur berücksichtigt zu werden, wenn sie der Behörde bereits bekannt sind oder sie sich geradezu aufdrängen. 22

rechtlicher Verhandlungen, die der Eigentümer mit dem Träger des Vorhabens geführt hat, aktenkundig geworden sind. 17 BVerwG, Urt. v. 6.8.1982 - 4 C 66.79 -, BVerwGE 66, 99 = NJW 1984, 1250 = UPR 1983, 198 - Rhein-Main-Donau-Kanal -. Zum Einwendungsausschluß nach § 3 1 AtAnlV auch Urt. v. 17.7.1980 - 7 C 101.78 -, BVerwGE 60, 297 = DVB1 1980, 1001 = NJW 1981, 359 = Hoppe/Stüer, RzB Nr. 470 - Atomrecht -. 18 Zum Meinungsstand Kopp, Rdnr. 95 zu § 73 VwVfG. 19 BVerwG, Beschl. v. 13.3.1995 - 11 VR 5.95 -, NVwZ 1995, 905 = DVB1 1995, 1025 = UPR 1995, 269 = NuR 1995, 250 - Buchholzer Bogen -; Urt. v. 6.8.1982 - 4 C 66.79 -, BVerwGE 66, 99 = NJW 1984, 1250 = UPR 1983, 198 - Rhein-Main-DonauKanal -. Zum Einwendungsausschluß nach § 3 I AtAnlV auch Urt. v. 17.7.1980 - 7 C 101.78 -, BVerwGE 60, 297 = DVB1 1980, 1001 = NJW 1981, 359 = Hoppe/Stüer, RzB 1995 Rdnr. 470 - Atomrecht -. 20 BVerwG, Urt. v. 13.9.1985 - 4 C 64.80 -, BRS 44 Nr. 20; Beschl. v. 11.4.1995 - 4 B 61.95 -, Buchholz 316 § 73 VwVfG Nr. 8. 21 Im übrigen ist die Klage nach § 5 DI S. 1 VerkPlBG innerhalb von 6 Wochen nach Klageerhebung zu begründen. Innerhalb dieser Frist muß der Kläger die ihn beschwerenden Tatsachen so konkret angeben, daß der Lebenssachverhalt, aus dem er den mit der Klage verfolgten Anspruch ableitet, unverwechselbar feststeht. Das schließt späteren vertiefenden Vortrag nicht aus, so BVerwG, Urt. v. 30.9.1993 - 7 A 14.93 -, NVwZ 1994, 371 = DVB1 1994, 354 - Gifhorn -. 22 Zur Zusammenstellung des Abwägungsmaterials grundlegend BVerwG, Beschl. v. 9.11.1979 - 4 N 1.78 -, BVerwGE 59, 87 = DVB1 1980, 233 = Hoppe/Stüer, RzB 1995 Rdnr. 26 - Normenkontrolle -.

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Den erweiterten Rechten der Planbetroffenen in der Bürgerbeteiligung korrespondieren daher verstärkte Mitwirkungslasten. 23 Dieser Rechtsgedanken gilt auch in der Bauleitplanung. Werden die eigenen Belange nicht rechtzeitig in den förmlichen Beteiligungsverfahren geltend gemacht, so gehen die Rechte der Betroffenen in dem Sinne unter, daß mit ihnen die Planung nicht aufgehalten werden kann. Die Fehlerhaftigkeit der Planung hat dann keine Rechtsfolgen. Dies stellt an die Verfahrensbeteiligten und deren Verfahrensbevollmächtigte erhöhte Anforderungen. Der Einwendungsführer ist daher zur Vermeidung von Rechtsnachteilen gezwungen, seine Belange bereits während der Einwendungsfrist vorzubringen. Zur Wahrung der Frist ist erforderlich, die Einwendungen dem Grunde nach zu erheben. Eine ergänzende und detaillierte Begründung kann auch nach Ablauf der Einwendungsfrist noch vorgebracht werden. Die Behörde muß lediglich erkennen können, in welche Richtung die Einwendungen gehen. Einzelheiten können nachgetragen werden. Zu den beachtlichen Einwendungen zählen danach nur diejenigen, die im Offenlegungsverfahren vorgebracht werden. 24 Der gesetzlich angeordneten materiellen Präklusion unterliegen auch Rechte der Gemeinden oder kommunaler Organisationen, die mit selbständigen Rechten versehen sind. Auch diese haben ihre Belange als Teil der Einwendungsführer innerhalb der gesetzten Ausschlußfristen im Einwendungsverfahren vorzutragen. Geschieht dies nicht fristgemäß, so gehen auch die gemeindlichen Rechte unter. Eine Gemeinde kann gemäß § 73 I V 1 VwVfG Einwendungen nicht nur bei der Anhörungsbehörde, sondern auch bei sich selbst erheben. Die Einwendungen müssen in einer innerhalb der Einwendungsfrist schriftlich oder zur Niederschrift abgegebenen Erklärung des gesetzlichen Vertreters der Gemeinde enthalten sein. 25 4. Planänderungen Teilweise unterschiedlich stellen auch die rechtlichen Anforderungen an die Änderung von Plänen im Bau- und Fachplanungsrecht dar. Dabei muß zwi23 BVerwG, Beschl. v. 18.9.1995 - 11 VR 7.95 -, NVwZ 1996, 399 = NuR 1996, 88 - Wasserwerk -; Urt. v. 23.8.1996 - 4 A 30.95 Buchholz 407.4 § 17 FStrG Nr. 122 - Berliner Autobahnring 24 Vgl. zur Präklusion bei der Planung in mehreren Abschnitten BVerwG, Urt. v. 23.4.1997 - I I A 7.97 -, DVB1 1997, 1119 = NuR 1997, 504. 25 BVerwG, Urt. v. 12.1.1997 - I I A 62.95 -, NVwZ 1997, 997 = DVB1 1997, 725 Markt Zapfendorf-; Urt. v. 18.6.1997 - I I A 70.95 -, UPR 1997, 470 = NJ 1997, 615 Staffelstein mit Hinweis auf Gerichtsbescheid -, v. 27.10.1995 - I I A 24.95 Buchholz 442.09 § 20 AEG Nr. 4 = UPR 1996, 226.

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sehen der Planänderung im Aufstellungsverfahren und der Änderung bereits aufgestellter Pläne unterschieden werden. In der Bauleitplanung ist eine erneute Offenlage der Pläne nach § 3 I I I BauGB erforderlich, wenn die Grundzüge der Planung betroffen sind. Das gilt übrigens seit der Neufassung der §§ 3, 13 BauGB sowohl für den Flächennutzungsplan als auch für den Bebauungsplan. Sind die Grundzüge nicht betroffen, kann eine eingeschränkte Betroffenenbeteiligung nach § 13 BauGB erfolgen. Allerdings ist der Kreis der zu Beteiligenden recht weit und erfaßt auch Mieter oder Pächter und alle anderen, deren abwägungserhebliche Belange durch die Planänderung berührt werden. 26 I m Zweifel wird daher eine erneute, allerdings auf 14 Tage zu kürzende Offenlage sinnvoller als eine individuelle Betroffenenbeteiligung sein. Neu ist, daß in der Bauleitplanung auch bei Widerspruch von Betroffenen ein Genehmigungsverfahren nicht erforderlich ist, wenn die Änderung des Bebauungsplans aus einem wirksamen Flächennutzungsplan entwickelt ist. Im Fachplanungsrecht ist eine erneute (eingeschränkte) Beteiligung erforderlich, wenn durch die Planänderung im Verfahren der Aufgabenbereich einer Behörde oder Belange Dritter erstmalig oder stärker als bisher betroffen sind. 2 7 Sind die Grundzüge der Planung betroffen, wird eine erneute Offenlage und Erörterung stattzufinden haben. Die bei der Änderung von Entwürfen im Verfahren einzuhaltenden Grundsätze erscheinen daher im Bau- und Fachplanungsrecht in etwa vergleichbar. 5. Unterschiedliche Rechtsschutzmöglichkeiten Aus den unterschiedlichen Handlungsformen der städtebaulichen Planung und der Fachplanung ergeben sich auch unterschiedliche Rechtsschutzmöglichkeiten. Der Bebauungsplan kann mit der Normenkontrolle angegriffen werden, wenn geltend gemacht werden kann, daß der Antragsteller in eigenen Rechten betroffen ist. Bei einer zulässigen Normenkontrolle erfolgt dann eine umfassende Planprüfung zumeist ohne Beschränkung auf die eigene Betroffenheit. 26 Im Fachplanungsrecht sind auch Mieter und Pächter gegenüber dem Planfeststellungsbeschluß klagebefugt, wenn aufgrund der Zulassungsentscheidung in ihre Besitzrechte eingegriffen werden soll und sie sozusagen in ihrer „verfassungsrechtlichen Eigentümerposition" betroffen sind, so BVerwG, Urt. v. 1.9.1997 - 4 A 36.96 -, DVB1 1998,44 unter Aufgabe der bisherigen Rechtsprechung; Stüer (Fn. 8), Rdnr. 2341. 27 BVerwG, Beschl. v. 12.6.1989 - 4 B 101.89 -, NVwZ 1990, 366 = UPR 1989, 431 = ZfBR 1990, 106 - vereinfachte Planänderung bei Radweg -; Stüer (Fn. 8), Rdnr. 559.

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Im Gegensatz dazu können Planfeststellungsbeschluß und Plangenehmigung im Fachplanungsrecht nur nach den Rechtsschutzmöglichkeiten gegenüber Verwaltungsakten angefochten werden. Hier kann in der Regel von den Planbetroffenen eine Anfechtungsklage erhoben werden. Der Anfechtungsanspruch kann sich in einen Verpflichtungsanspruch umwandeln, wenn (lediglich) ein Anspruch auf Ergänzung des Planfeststellungsbeschlusses oder der Plangenehmigung um Schutzauflagen besteht (§ 74 I I 2 VwVfG) und hierdurch die Rechtswirksamkeit der Planung nicht insgesamt in Frage gestellt werden kann.

6. Anforderungen an die Abwägung Vergleichbare Anforderungen ergeben sich in der Bau- und Fachplanung im Hinblick auf das Abwägungsgebot. Denn das Abwägungsgebot spielt in der Planungsentscheidung eine zentrale Rolle, die sogar noch an Bedeutung gewinnen wird, je mehr Gesetzgebung und Rechtsprechung Verfahrensfehler bei der Planung für unbeachtlich oder zumindest heilbar erklären wird. Abwägungsdirigierte Planungsentscheidungen sind von gebundenen Zulassungsentscheidungen zu unterscheiden. Die Planung ist in dem Sinne abwägungsdirigiert, daß die Entscheidungen der planenden Stelle den verfassungsrechtlichen Anforderungen des Abwägungsgebotes unterliegen. 28 Planung und Abwägung sind damit unzertrennlich. Die Zusammengehörigkeit von Planung und Abwägung als sozusagen zwei Seiten derselben Medaille folgt aus der das Eigentum regelnden, umgestaltenden und im Ernstfall auch überwindenden Kraft öffentlicher Planung. Der Planungsträger ist zu derart weitreichenden Inhalts- und Schrankenbestimmungen des Eigentums nur befugt, wenn er dazu durch eine umfassende Interessenabwägung legitimiert wird. Eine einseitige, ausschließlich an Genehmigungsansprüchen ausgerichtete Zulassungsentscheidung wird diesen verfassungsrechtlichen Notwendigkeiten nicht gerecht. Aus diesem Grunde ist der gebundenen Zulassungsentscheidung ein Planungsverfahren vorgelagert, in dem die verfassungsrechtlich gebotene umfassende Ermittlung, Bewertung und Abwägung der Belange einschließlich einer Ausgleichsentscheidung grundgelegt wird. Diese Entscheidungsstruktur ist etwa für das Städtebau-

28

Grundlegend BVerwG, Urt. v. 12.12.1969 - 4 C 105.66 BVerwGE 34, 301 = DVB1 1970, 414 = Hoppe/Stüer, RzB Rdnr. 23 - Abwägungsgebot -; Urt. v. 14.2.1975 - 4 C 21.74 -, BVerwGE 48, 56 = DVB1 1975, 713 = NJW 1975, 1373 = Hoppe/Stüer, RzB Rdnr. 50 - B 42; Urt. v. .2.1978 - 4 C 25.75 -, BVerwGE 55, 220 = DVB1 1979, 63 = NJW 1978, 2308 = Hoppe/Stüer, RzB Rdnr. 466 - Kiesweiher

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recht, aber auch Immissionsschutzrecht 29 kennzeichnend. Die Entscheidungen im Fachplanungsrecht werden zumeist in einem einstufigen Verfahren in dem Sinne getroffen, daß die fachplanerische Entscheidung sowohl die Planungsals auch die Zulassungsentscheidung enthalten. Derartige Entscheidungen des Fachplanungsrechts müssen daher auch die Abwägungselemente enthalten, die für eine rechtsstaatliche Planung kennzeichnend sind. 30 Das Abwägungsgebot der Bauleitplanung ist daher in seinen rechtlichen Grundstrukturen und verfassungsrechtlichen Anforderungen identisch mit dem Abwägungsgebot der Fachplanung. Das Abwägungsgebot legitimiert sich noch aus einem weiteren Grund: Fachplanerische Entscheidungen sind nicht nur, wie etwa die bauaufsichtliche oder die immissionsschutzrechtliche Genehmigung, Entscheidungen über die öffentlich-rechtliche Zulassung des beantragten Vorhabens. Sie enthalten darüber hinaus eine verbindliche Raumnutzungsentscheidung, mit der abschließend über die raumplanerische Zulässigkeit der Bodeninanspruchnahme befanden wird. 3 1 Die privilegierte Fachplanung hat gegenüber der sonst maßgebenden örtlichen Gesamtplanung im Sinne einer materiellen Konzentration grundsätzlich Vorrang (vgl. § 38 BauGB). Diese Besonderheit verlangt eine vom Abwägungsgebot gesteuerte, in planerischer Gestaltungsfreiheit ergehende Zweckentscheidung des zuständigen öffentlichen Planungsträgers unbeschadet des Umstandes, daß die Behörde häufig nicht selbst originär plant, sondern die entsprechenden Vorstellungen des Vorhabenträgers abwägend nachvollzieht und dadurch die rechtliche Verantwortung für die Planung übernimmt. 32 Demgegenüber findet bei gebundenen, d. h. einen Rechtsanspruch einräumenden Genehmigungen die verbindliche Raumnutzungsentscheidung des öffentlichen Planungsträgers, z. B. die kommunale Bauleitplanung, auf einer vorgelagerten Stufe statt. Ist das betreffende Vorhaben mit dieser Planung vereinbar, darf folgerichtig insoweit eine Zulassung nicht verweigert werden. 33 Wird die Bauleitplanung daher durch eine Fachplanung ersetzt, muß im Rahmen der Fachplanung eine Abwägung erfolgen, in die auch die kommunalen Belange eingehen. Weder die Bauleitplanung noch die Fachpla29

Dies gilt auch für Abfallbeseitigungsanlagen, wie sich auch § 38 BauGB ergibt. Danach sind städtebauliche Belange zu berücksichtigen. 30 BVerwG, Urt. v. 14.2.1975 - 4 C 21.74 -, BVerwGE 48, 56 = DVB1 1975, 713 = NJW 1975, 1373 = Hoppe/Stüer, RzB Rdnr. 50 - B 42 -. 31 Steinberg, Fachplanung, 19 f. 32 BVerwG, Urt. v. 24.11.1994 - 7 C 25.93 -, BVerwGE 97, 143 = DVB1 1995, 238 = ZfBR 1995, 150 - Sonderabfallumschlagsanlage -. 33 Für die immissionsschutzrechtliche Genehmigung vgl. § 6 Nr. 2 BImSchG; BVerwG, Urt. v. 24.11.1994 - 7 C 25.93 -, BVerwGE 97, 143 = DVB1 1995, 238 = ZfBR 1995, 150 - Sonderabfallumschlagsanlage -.

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nung können daher auf die Beachtung des Abwägungsgebotes verzichten. Versuche, diese Zusammenhänge aufzulösen und vor allem die Planungsentscheidung des Fachplanungsrechts in eine gebundene Zulassungsentscheidung umzumünzen, 34 müssen daher an verfassungsrechtlichen Vorgaben scheitern. Die Zulassung von Vorhaben kommt ohne Planung und die Planung kommt ohne Abwägung nicht aus. Damit vollzieht sich Bauleitplanung und Fachplanung trotz der unterschiedlichen Handlungsformen auf der Grundlage vom Prinzip her weitgehend einheitlicher vefahrensrechtlicher und materiell-rechtlicher Grundlagen.

7. Abwägungsfehlerlehre Mit dem Abwägungsgebot unterliegen die Entscheidungen des Fachplanungsrechts damit den allgemeinen rechtlichen Anforderungen, wie sie vom BVerwG etwa für die Bauleitplanung aber auch für die verschiedenen Fachplanungen nach weitgehend einheitlichen Grundsätzen entwickelt worden sind. 35 Danach sind die nach Lage der Dinge zu berücksichtigenden Belange zunächst zu ermitteln und sodann in die Abwägung einzustellen. Die Belange sind nicht im Gegensatz zu ihrer objektiven Gewichtigkeit zu bewerten. Die Ausgleichsentscheidung zwischen den berührten öffentlichen und privaten Belangen darf nicht in einer Weise vorgenommen sein, die zur objektiven Gewichtigkeit der Belange außer Verhältnis steht. Der abwägungsdirigierte Charakter der Planungsentscheidung führt allerdings auch dazu, daß der Antragsteller keinen von einer Abwägung unabhängigen Rechtsanspruch auf Aufstellung eines Bebauungsplans oder auf Planfeststellung hat. Die jeweiligen Vorschriften des BauGB und des Fachplanungsrechts räumen der Behörde eine planerische Gestaltungsfreiheit ein, die sich auf alle Gesichtspunkte erstreckt, die zur Verwirklichung des gesetzlichen Planungsauftrags und zugleich zur Bewältigung der von dem Vorhaben in seiner räumlichen Umgebung aufgeworfenen Probleme von Bedeutung sind. Die planerische Gestaltungsfreiheit findet ihre rechtlichen Grenzen zum einen in den zwingenden Versagungsgründen des jeweiligen Fachplanungsrechts und 34

Vgl. dazu Weidemann, DVB1 1994, 263. BVerwG, Urt. v. 12.12.1969 - 4 C 105.66 BVerwGE 34, 301 = Hoppe/Stüer, RzB Rdnr. 23 - Abwägungsgebot -; Beschl. v. 9.11.1979 - 4 N 1.78, 2 - 4.79 BVerwGE 59, 87 = BauR 1980, 36 = DVB1 1980, 233 = DÖV 1980, 21 = Hoppe/ Stüer, RzB Rdnr. 26 - Normenkontrolle -; BVerwG, Urt. v. 22.12.1981 - 4 CB 32.81 Buchholz 445.4 § 31 WHG Nr. 7 - wasserrechtliche Abwägung Zu Vorschlägen, das Abwägungsgebot gesetzlich zu regeln, Hoppe, DVB1 1994, 1030; ders., in: Hoppe/ Grotefels, § 7 Rdnr. 1 ff; Stüer (Fn. 8), Rdnr. 2156. 35

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sonstiger infolge der Konzentrationswirkung zu beachtender Rechtsvorschriften, zum anderen - und dies gilt zugleich auch für die Bauleitplanung - in den Anforderungen des Abwägungsgebots.36 Der Antragsteller hat dementsprechend keinen Anspruch auf Erlaß eines Planfeststellungsbeschlusses oder Aufstellung eines Bauleitplans in dem Sinne, daß bei Erfüllung bestimmter tatbestandlicher Voraussetzungen dem Antrag zwingend stattgegeben werden muß. 37 Eine derartige Annahme wäre mit der Funktion und den rechtlichen Wirkungen einer Planfeststellung unvereinbar. 38

8. Abwägungs- und Rechtsschutzpyramide Für die Berücksichtigung von Belangen in der städtebaulichen und fachplanerischen Abwägung und für den gerichtlichen Rechtsschutz in der Fachplanung ist ein Stufensystem von unterschiedlich Belangen von Bedeutung. An der Basis stehen einfache Belange, also von der jeweiligen Planungsentscheidung betroffene einfache Interessen. Dazu gehören auch Belange, die nicht abwägungserheblich oder rechtsschutzbewährt sind. Auf einer darüberliegenden Stufe stehen die abwägungserheblichen Belange. 39 Es handelt sich um von der Planung betroffene Interessen, die mehr als geringfügig, schutzwürdig und erkennbar sind und damit zum Abwägungsmaterial gehören und in die planerische Entscheidung einzustellen sind. Auf einer weiteren Stufe darüber stehen die rechtlich geschützten Belange, also solche Betroffenheiten, die wehrfähig sind und eine Klagebefugnis i.S. des § 42 I I VwGO und eine Antragsbefügnis nach § 47 I I VwGO begründen. 40 Zugleich ist damit die Grenze der einfachrechtlichen Zumutbarkeit markiert, wie sie etwa im Hinblick auf die Grenzwerte der Verkehrslärmschutzverordnung besteht. Darüber erheben sich die enteignungsgleichen schweren Betroffenheiten, bei denen die verfassungs36 Zum Abfallrecht: BVerwG, Beschl. v. 27. 5. 1986 - 7 B 86.86 -, DVB1 1986, 1281; Urt. v. 21.2.1992 - 7 C 11.91 -, BVerwGE 90,42; Urt. v. 27.3.1992 - 7 C 18.91 BVerwGE 90, 96; zu anderen Fachplanungsrechten: BVerwG, Urt. v. 12.6.1985 - 4 C 40.83 -, BVerwGE 72, 15. 37 BVerwG, Urt. v. 24.11.1994 - 7 C 25.93 -, BVerwGE 97, 143 = DVB1 1995, 238 = ZfBR 1995,150 - Sonderabfallumschlagsanlage 38 Der Träger eines planfeststellungsbedürfligen Vorhabens kann allerdings einen Anspruch auf fehlerfreie Ausübung der planerischen Gestaltungsfreiheit haben, so BVerwG, Urt. v. 24.11.1994 - 7 C 25.93 -, BVerwGE 97, 143 = DVB1 1995, 238 = ZfBR 1995, 150 - Sonderabfallumschlagsanlage -. 39 BVerwG, Beschl. v. 9.11.1979 - 4 N 1.78 -, BVerwGE 59, 87 = Hoppe/Stüer, RzB Rdnr. 26. 40 BVerwG, Urt. v. 14.2.1975 - 4 C 21.74 -, BVerwGE 48, 56 = Hoppe/Stüer, RzB Rdnr. 50 - B 42 -. 37 FS Blümel

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rechtliche Zumutbarkeitsgrenze überschritten wird. Derartige Beeinträchtigungen sind zwar keine Enteignung i.S. des Art. 14 I I I GG, da das Eigentum in der Hand des Betroffenen verbleibt und weder das Eigentum noch einzelne Eigentumspositionen nach dem Bilde der klassischen Enteignung auf einen anderen Rechtsträger übergehen. 41 Gleichwohl erfolgt eine Inhalts- und Schrankenbestimmung (Art. 14 I 2 GG), die enteignende Wirkungen hat und daher gegebenenfalls nur bei einer entsprechenden Kompensation 42 verfassungsrechtlich zulässig ist. Die Planung hat hier drei Möglichkeiten: Sie muß die Beeinträchtigungen auf ein zumutbares Maß reduzieren, durch eine Änderung der Planung die Voraussetzungen für eine unmittelbare Eigentumsinanspruchnahme schaffen oder zumindest einen entsprechenden Ausgleich gewähren, der eine Kompensation für die Beeinträchtigungen darstellt. 43 Auf der obersten Stufe der Pyramide steht die Enteignung mit einer unmittelbaren Eigentumsinanspruchnahme, die zu einer Entschädigung führt (Art. 14 I I I GG). 44

41 BVerfG, Beschl. v. 15.7.1981 - 1 BvL 77/78 BVerfGE 58, 300 = Hoppe/Stüer, RzB Rdnr. 1136 - Naßauskiesung -; vgl. auch BVerwG, Urt. v. 15.2.1990 - 4 C 47.89 BVerwGE 84, 361 = Hoppe/Stüer, RzB Rdnr. 1049 - Serriesteich -; Urt. v. 24.6.1993 - 7 C 26.92 BVerwGE 94, 1 = DVB1 1993, 1141 = NJW 1993, 2949 = Hoppe/Stüer, RzB Rdnr. 1055 - Herrschinger Moos Stüer (Fn. 8), Rdnr. 989. 42 BVerfG, Beschl. v. 14.7.1981 - 1 BvL 24/78 BVerfGE 58, 137 - Pflichtexemplare -. 43 Stüer (Fn. 8), Rdnr. 860. 44 BVerwG, Urt. v. 18.3.1983 - 4 C 80.79 -, BVerwGE 67, 74 = Hoppe/Stüer. RzB Rdnr. 1245 - Wittenberg -.

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In die Abwägung sind dabei alle Belange einzustellen, die mehr als geringfügig, schutzwürdig und erkennbar sind. Dazu gehören auch die rechtlich geschützten Belange und auch jene Betroffenheiten, die sich in ihren Wirkungen enteignend darstellen, ebenso wie gegebenenfalls die auf der Grundlage der Planung vorgesehenen Enteignungen. Rechtsschutz kann in der Regel nur bei Verletzung solcher Belange gewährt werden, die rechtlich geschützt sind oder deren Verletzung die einfachrechtliche Zumutbarkeitsschwelle übersteigt. Im Gegensatz zum Bauplanungsrecht kann der Betroffene sich gegenüber fachplanerischen Entscheidungen auch auf abwägungserhebliche eigene Belange berufen. Der Rechtsschutz ist allerdings auf die Rüge der Verletzung der eigenen Belange beschränkt. Der von der Planung enteignungsrechtlich Betroffene hat demgegenüber vom Ansatz her umfassende Rechtsschutzmöglichkeiten. Er kann sich auch auf andere öffentliche Belange berufen, wenn dadurch die Gesamtabwägung in eine Schieflage gerät und die Planung rechtswidrig erscheint. 45 Wendet sich ein Betroffener gegen einen Bebauungsplan, so wird der Plan bei Zulässigkeit des Antrags und bei einer eigenen möglichen Rechtsbetroffenheit grundsätzlich auf alle Fehler geprüft. Die Planprüfüng ist nicht auf die eigene Fehlerbetroffenheit begrenzt. 9. Begrenzte Fehlerbeachtlichkeit - Heilungsmöglichkeiten Das Bau- und Fachplanungsrecht hält unterschiedliche Fehlerfolgenregelungen bereit. Die Konzeption des Gesetzgebers ist vom Ansatz her zwar vergleichbar, jedoch in den einzelnen Regelungsbereichen unterschiedlich ausgestaltet. Zunächst stellt sich die Frage, welche Fehler überhaupt für die Rechtswirksamkeit der Pläne beachtlich sind. § 214 BauGB enthält dazu für die Bauleitplanung einen numerus clausus der beachtlichen Form- und Verfahrensfehler. Danach ist hinsichtlich der verfahrensrechtlichen Anforderungen, die sich aus dem BauGB ergeben, nur eine Trias von Gründen maßgeblich: - fehlerhafte Bürger- und Trägerbeteiligung, - fehlende Begründung, fehlender Erläuterungsbericht, - fehlender Feststellungs- oder Satzungsbeschluß, fehlendes Genehmigungsverfahren, fehlerhafte Bekanntmachung. Besondere Unbeachtlichkeitsregelungen enthält § 214 I I BauGB für Fälle, in denen das Entwicklungsgebot verletzt ist. Hier ist letztlich die Frage entscheidend, ob die geordnete städtebauliche Entwicklung gewahrt ist. Alle an45 Kritisch zur Begrenzung der Abwehrrechte auf den in Anspruch genommenen Eigentümer Bliimel (Fn. 1), S. 17.

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deren Form- und Verfahrensfehler sind unbeachtlich. Außerdem sind die beachtlichen Fehler innerhalb eines Jahres (§ 215 I Nr. 1 BauGB) bzw. für Abwägungsfehler innerhalb von sieben Jahren gegenüber der Gemeinde zu rügen (§ 215 I Nr. 2 BauGB). Es bleiben dann noch die materiellen Fehler, die auf die Planungsentscheidung durchschlagen und von Amts wegen zu prüfen sind. Für das Fachplanungsrecht ergeben sich Regelungen im Anschluß an die Verwaltungsaktsqualität der Planfeststellung aus §§44 bis 46 VwVfG. Hier ist vor allem der Grundsatz zu erwähnen, daß Form- und Verfahrensfehler unbeachtlich bleiben, wenn sie sich nicht auf die Rechtsposition des Betroffenen auswirken. Dies setzt jeweils eine Kausalität des Fehlers auch die Rechtsbeeinträchtigung des einzelnen voraus. Die Nichteinhaltung von Verfahrensvorschriften fuhrt daher noch nicht zur Aufhebung eines Planfeststellungsbeschlusses. Hinzukommen muß vielmehr, daß sich der Verfahrensfehler als ein formeller Mangel auf die Sachentscheidung ausgewirkt haben kann. Der danach erforderliche Kausalzusammenhang ist nur dann gegeben, wenn nach den Umständen des jeweiligen Falles die konkrete Möglichkeit besteht, daß die Planungsbehörde ohne den Verfahrensfehler anders entschieden hätte. 46 Eine nur abstrakte Möglichkeit einer anderen Entscheidung genügt nicht. 47 So ist etwa die Rüge des Grundstückseigentümers, im Gegensatz zu den Erfordernissen der EG-UVP-Richtlinie sei keine Umweltverträglichkeitsprüfung durchgeführt worden, unbeachtlich, wenn nicht dargelegt wird, daß dieser Verfahrensfehler die Sachentscheidung beeinflußt hat. 48 § 75 I a VwVfG baut für alle Planfeststellungsbeschlüsse und Plangenehmigungen im Fachplanungsrecht zwei Hürden dafür auf, daß Verfahrensmängel auf die Rechtswidrigkeit der Planfeststellung durchschlagen: Mängel bei der Abwägung der von dem Vorhaben berührten öffentlichen und privaten Belange sind nur erheblich, wenn sie offensichtlich und auf das Abwägungs46

BVerwG, Beschl. v. 24.6.1993 - 4 B 114.93 -, VkBl 1995,210. BVerwG, Urt. v. 17.2.1997 - 4 A 41.96 -, LKV 1997, 328 = NVwZ 1997, 998 - Schönberg A 20 unter Hinweis auf Urt. v. 30.5.1984 - 4 C 58.81 -, BVerwGE 69, 256; Urt. v. 21.3.1996 - 4 C 1.95 Buchholz 407.4 § 17 FStrG Nr. 115 = DVB1 1996, 915. 48 So BVerwG, Urt. v. 8.6.1995 - 4 C 4.94 BVerwG 98, 339 = DVB1 1995, 1012 = UPR 1995, 391 = NuR 1995, 537 - B 16 Bernhardswald -; Urt. v. 25.1.1996 - 4 C 5.95 -, BVerwGE 100,238 = DVB1 1996, 677 - Eifelautobahn A 60 -; vgl. auch Urt. v. 21.3.1996 - 4 C 19.94 -, DVB1 1996, 907; Urt. v. 21.3.1996 - 4 C 26.94 -, BVerwGE 100, 388 = DVB1 1996, 914 - Autobahnring München-West-Allach -; Urt. v. 21.3.1996 - 4 C 1.95 DVB1 1996, 915 - Autobahnring München A 99 -, Urt. v. 12.12.1196 - 4 C 29.94 DVB1 1997, 798 - Nesselwang-Füssen mit Hinweis auch auf die Heilungsmöglichkeiten in § 45 VwVfG -; kritisch hierzu Blümel (Fn. 1), S. 17. 47

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ergebnis von Einfluß gewesen sind (§ 75 I a 1 VwVfG). Erhebliche Mängel bei der Abwägung fuhren nur dann zur Aufhebung des Planfeststellungsbeschlusses oder der Plangenehmigung, wenn sie nicht durch Planergänzung 49 oder ein ergänzendes Verfahren behoben werden können (§75 I a 2 VwVfG). 5 0 Hierdurch erhält die planende Behörde einen größeren Fehlerfreiraum. Vom Ansatz her vergleichbare Regelungen enthalten § 214 I I I 2 BauGB und § 125 a I BauGB. Auch in der Bauleitplanung sind Mängel im Abwägungsvorgang nur erheblich, wenn sie offensichtlich und auf das Abwägungsergebnis von Einfluß gewesen sind. 51 Erhebliche Mängel der Satzung führen nach § 215 a I BauGB nicht zur Nichtigkeit, wenn sie durch ein ergänzendes Verfahren behoben werden können. So können aus fehlerhaften Motiven oder Vorstellungen der beteiligten Entscheidungsträger offensichtliche und daher für die Gültigkeit des Planes erhebliche Abwägungsmängel in der Regel nicht hergeleitet werden. 52 Auch liegt ein offensichtlicher Mangel nicht schon dann vor, wenn Planbegründung und Aufstellungsvorgänge keinen ausdrücklichen Hinweis darauf enthalten, daß der Plangeber sich mit bestimmten Umständen abwägend befaßt hat. 53 Zudem muß nach den Umständen des Einzelfalls die 49 BVerwG, Urt. v. 22.3.1985 - 4 C 63.80 BVerwGE 71, 150 = DVB1 1985, 896 = Hoppe/Stiier, RzB Rdnr. 145 - Roter Hang Urt. v. 16.3.1984 - 4 C 46.80 NVwZ 1985, 108 = UPR 1984, 377= Buchholz 406.16 Eigentumsschutz Nr. 39 - Schutzvorkehrungen -; Urt. v. 20.10.1989 - 4 C 12.87 -, BVerwGE 84, 31 = DVB1 1990, 419 = Hoppe/Stüer, RzB Rdnr. 216 - Eichenwäldchen -; Urt. v. 21.12.1995 - 11 VR 6.95 -, NVwZ 1996, 896 = DVB1 1996, 676 - Erfurt-Leipzig/Halle -; Stüer, DVB1 1997, 326; ders., in: Stüer (Hrsg.) (Fn. 1), S. 90. 50 Entsprechende Regelungen sind bereits für die Fehlerheilung von Planfeststellungsverfahren durch das Planungsvereinfachungsgesetz in mehreren Fachgesetzen eingeführt worden (§ 20 VH 2 AEG, § 17 VIc 2 FStrG, § 19 IV 2 WaStrG, § 10 VEI 2 LuftVG, § 29 Vm 2 PBefG). 51 Vgl. zu vergleichbaren Vorschrift des § 214 IE 2 BauGB und deren Vorgängerregelungen BVerwG, Urt. v. 21.8.1981 - 4 C 57.80 -, BVerwGE 64, 33 = NJW 1082, 591 = DVB1 1982, 354 = BauR 1981, 535 = Hoppe/Stüer, RzB Rdnr. 846 - zu § 155b H Satz 2 BBauG - Offensichtlichkeit Abwägungsmangel -; Beschl. v. 20.1.1992 - 4 B 71.90 -, DVB1 1992, 577 = BauR 1992, 344 = NVwZ 1992, 633 = UPR 1992, 188 = Hoppe/Stüer, RzB Rdnr. 855 - Gemengelage -; Beschl. v. 29.1.1992 - 4 NB 22.90 -, DVB1 1992, 577 = BauR 1992, 342 = NVwZ 1992, 662 = UPR 1992, 193 = Hoppe/ Stüer, RzB Rdnr. 856 - Baugenehmigung und Normenkontrolle -; Beschl. v. 23.12.1993 - 4 B 212.92 -, Buchholz 406.11 § 30 BauGB Nr. 35; Hoppe/Grotefels, § 16 Rdnr. 30 ff. 52 BVerwG, Urt. v. 21.8.1981 - 4 C 57.80 -, BVerwGE 64, 33 = NJW 1982, 591 = DVB1 1982, 354 = BauR 1981, 535 = Hoppe/Stüer, RzB Rdnr. 846 (zu § 155b D 2 BBauG) - Offensichtlichkeit des Abwägungsmangels -. 53 So zu § 214 m 2 BauGB BVerwG, Beschl. v. 29.1.1992 - 4 NB 22.90 -, DVB1 1992, 577 - Baugenehmigung und Normenkontrolle -.

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konkrete Möglichkeit eines solchen Einflusses bestehen, was etwa dann der Fall sein kann, wenn sich anhand der Planunterlagen oder aufgrund sonst erkennbarer oder naheliegender Umstände ergibt, daß sich ohne den Fehler i m Abwägungsvorgang ein anderes Abwägungsergebnis abgezeichnet hätte. 54 Auch darf sich das Gericht nicht ungefragt auf eine Motivsuche 55 begeben.56 Der Gesetzgeber wollte mit den vorgenannten Änderungen sicherstellen, daß Fehler im Planfeststellungsverfahren nur dann zur Nichtigkeit des Planfeststellungsbeschlusses fuhren sollen, wenn sie nicht durch Planergänzungen oder eine ergänzende Planfeststellung geheilt werden können. Die gesetzlichen Regelungen sollen bewirken, daß die Aufhebung des Planes sozusagen nur im äußersten Notfall und dann erfolgt, wenn andere Heilungsmöglichkeiten durch Planergänzung oder ergänzendes Planverfahren scheitern. Schon nach der bisherigen Rechtsprechung war es den Gerichten im Fachplanungsrecht in begrenztem Umfang erlaubt, Planungsfehler durch Auflagen zu heilen, ohne den gesamten Planfeststellungsbeschluß aufzuheben, wenn die Auflagen die Wesensstruktur der Planung als solche unangetastet gelassen hat. 57 Nachbesserung geht daher vor Aufhebung. Die Planergänzung betrifft dabei vor allem die aus der bisherigen Rechtsprechung im Fachplanungsrecht bekannten Fälle der Schutzauflagen (§ 74 I I 2 VwVfG). 5 8 Das ergänzende Verfahren bezieht sich demgegenüber auf Fälle, in denen Verfahrens- oder Inhaltsmängel durch Nachbesserung des Verfahrens oder durch eine inhaltliche Nachbewertung geheilt werden können. Die54

So BVerwG, Beschl. v. 29.1.1992 - 4 NB 22.90 DVB1 1992, 577 - Abwägungsmangel -. 55 Zur ungefragten Fehlersuche BVerwG, Urt. v. 7.9.1979 - 4 C 7.77 -, Buchholz 406.11 § 10 Nr. 10; Beschl. v. 12.9.1989 - 4 B 149.89 -, Buchholz 406.11 § 10 BBauG/BauGB Nr. 19 = Hoppe/Stüer, RzB Rdnr. Nr. 1300. 56 So BVerwG, Beschl. v. 23.12.1993 - 4 B 212.94 Buchholz 406.11 § 30 BauGB Nr. 35 - aufgezwungene Erschließungspflicht -. 57 Eine Beschränkung der Aufhebung eines straßenrechtlichen Planfeststellungsbeschlusses auf einen Anspruch lediglich auf Planergänzung hat das BVerwG auch schon nach der bisherigen Rechtsprechung anerkannt, so BVerwG, Urt. v. 20.10.1989 - 4 C 12.78 -, UPR 1990, 99 = Hoppe/Stüer, RzB Rdnr. 216 - Lärmschutz Eichenwäldchen -; Beschl. v. 3.4.1990 - 4 B 50.89 -, UPR 1990, 336 = DVB1 1990, 789 = Hoppe/Stüer, RzB Rdnr. 854. Beruht nämlich die Rechtswidrigkeit nur auf einem die Gesamtplanung nicht in Frage stellenden Mangel, der durch Planergänzung ausgeräumt werden kann, so besteht kein Anspruch auf Planaufhebung, sondern nur auf Vornahme dieser Ergänzimg. 58 Zur Schutzauflagenrechtsprechung des BVerwG, vor allem zu § 17 IV FStrG a. F. Urt. v. 14.2.1975 - 4 C 21.74 -, BVerwGE 48, 56 = DVB1 1975, 713 = NJW 1975, 1373 = Hoppe/Stüer, RzB Rdnr. 50 - B 42 -; Stüer, DVB1 1997, 326; ders., in: Stüer (Hrsg.) (Fn. 1), S. 90.

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ser Teil der Vorschrift ermöglicht im Gegensatz zur bisherigen Rechtsprechung 59 etwa auch die Einholung ergänzender Gutachten oder ergänzender Ermittlungen des Sachverhalts oder Bewertungen von Belangen. Die Heilungsmöglichkeiten eines ergänzenden Verfahrens in § 75 I a VwVfG und § 215 a I BauGB beziehen sich nicht nur auf Form- und Verfahrensfehler, sondern auch auf inhaltliche Fehler. So können etwa fehlerhafte Beteiligungen ebenso geheilt werden wie etwa Abwägungsmängel. Auch eine etwa fehlerhafte Beteiligung eines nach § 29 BNatSchG anerkannten Naturschutzverbandes kann durch eine ergänzende Anhörung geheilt werden. Der Gesetzgeber will mit diesen Heilungsregelungen die Aufhebung der Planung als radikale Folge einer Rechtswidrigkeit des Planfeststellungsbeschlusses vermeiden, wenn der Fehler durch ein ergänzendes Verfahren behoben werden kann. Selbst erhebliche Mängel in der Abwägung können daher Gegenstand des Heilungsverfahrens sein. Entscheidend ist allein, daß die Möglichkeit besteht, den Fehler im ergänzenden Verfahren zu beheben. Diese Möglichkeit ist aber etwa auch bei einer Verletzung des Beteiligungsrechts eines anerkannten Naturschutzverbandes oder auch bei materiellen Abwägungsfehlern vom Grundsatz her gegeben. Allerdings entfaltet der insoweit fehlerhafte Planfeststellungsbeschluß bis zur Heilung der Mängel keine Wirkungen. 60 Für die Belange in der „Abwägungs- und Rechtsschutzpyramide" im Fachplanungsrecht bedeutet dies: Einfache Belange an der Basis, die nicht zum Abwägungsmaterial gehören, sind bei der Planung nicht zu berücksichtigen. Die Nichteinsteilung solcher Belange führt nicht zu rechtlichen Fehlern der Planung. Werden abwägungserhebliche Belange nicht in die Planungsentscheidung eingestellt, so führt dies zwar zu einem Abwägungsfehler. Ob sich

59 Eine Nachbesserung des Abwägungsmaterials durch das Gericht hat das BVerwG stets abgelehnt, so etwa BVerwG, Urt. v. 22.10.1987 - 7 C 4.85 -, BVerwGE 78, 177 = NVwZ 1987, 536 = DVB1 1988, 148 = Hoppe/Stüer, RzB Rdnr. 474 - Brokdorf Urt. v. 25.2.1988 - 4 C 32 und 33.86 -, BauR 1989, 53 = UPR 1988, 266 = NVwZ 1989, 152 = Hoppe/Stüer, RzB Rdnr. 82 - Verkehrsanalyse -; Beschl. v. 10.2.1989 - 7 B 171.88 DVB1 1989, 833 = UPR 1989, 277 = StT 1989, 539 = Hoppe/Stüer, RzB Rdnr. 83 - Mettmann Beschl. v. 14.8.1989 - 4 NB 24.88 DVB1 1989, 1105 = ZfBR 1989, 264 = UPR 1989, 452 = Hoppe/Stüer, RzB Rdnr. 84 - Beitrittsbeschluß Urt. v. 18.5.1990 - 7 C 3.90 -, BVerwGE 85, 155 = DVB1 1990. 1170 = UPR 1991, 21 = NVwZ 1991, 362 = Hoppe/Stüer, RzB Rdnr. 56 - Betonformsteine aus Quarzsand Beschl. v. 26.6.1992 - 4 B 1 - 11.92 -, VB1 1992, 1435 = NVwZ 1993, 572 = Hoppe/ Stüer,RzB Rdnr. 42 - B 31 -Abschnittsbildung -. 60 So BVerwG, Urt. v. 21.3.1996 - 4 C 19.94 -, B1 1996, 907; Urt. v. 21.3.1996 - 4 C 26.94 VerwGE 100, 388 = DVB1 1996, 914 - Autobalmring München-West-Allach -; Urt. v. 21.3.1996 - 4 C 1.95 -, DVB1 1996, 915 - Autobahnring München A 99 -, Urt. v. 12.12.1196 - 4 C 29.94 , DVB1 1997, 798 - Nesselwang-Füssen mit Hinweis auch auf die Heilungsmöglichkeiten in § 45 VwVfG -; kritisch hierzu Blümel (Fn. 1), S. 17.

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daraus beachtliche Rechtsfehler ergeben, hängt davon ab, ob die fehlerhafte Nichtberücksichtigung solcher Belange auf die Planungsentscheidung durchschlägt. Davon wird in der Regel nur auszugehen sein, wenn es sich um wesentliche Belange handelt, durch deren Nichtbeachtung die Planung insgesamt oder in ihren wesentlichen Teilen in Frage gestellt wird. Abwägungserhebliche einfache Belange, für die nicht einmal Schutzauflagen erforderlich wären (§ 74 I I 2 VwVfG), werden in der Regel eine auf die Rechtmäßigkeit der Gesamtentscheidung durchschlagende Bedeutung nicht gewinnen. Danach verbleibende erhebliche Fehler können im übrigen durch ein ergänzendes Verfahren behoben werden (§ 75 I a VwVfG). Greift die Planung in Rechte ein, sind grundsätzlich Schutzauflagen erforderlich (§ 74 I I 2 VwVfG). Kann denn nicht berücksichtigten Belangen durch Schutzauflagen entsprochen werden, geht eine Planergänzung einer Aufhebung der Planung vor. Der Anfechtungsantrag mit dem Ziel der Aufhebung des Planfeststellungsbeschlusses wandelt sich in einen Verpflichtungsantrag mit dem Ziel der Anordnung von Schutzauflagen. Sind solche Schutzauflagen untunlich oder mit dem Vorhaben unvereinbar, hat der Betroffene einen angemessenen Anspruch in Geld. Auch dies kann noch im gerichtlichen Verfahren nachbeauflagt werden, ohne daß dadurch die Planung in ihrer Gesamtheit infrage gestellt wird. Führt die Planung zu enteignend wirkenden Betroffenheiten oder soll sie die Grundlage für eine Enteignung bilden, stellt sich bei Nichtberücksichtigung derartiger Betroffenheiten die Frage, ob die Fehler auf die Gesamtentscheidimg durchschlagen. Auch kann in den Fällen der enteignenden Betroffenheit gerügt werden, daß die Fehlbeurteilung anderer Belange Auswirkungen auf die Gesamtentscheidung hat. Derartige Fehler können allerdings gegebenenfalls nach § 75 I a 2 VwVfG durch ein ergänzendes Verfahren geheilt werden. Die durch das PlanVereinfG und das GenBeschlG eingeführten Heilungsregelungen61 machen eine neuerliche Abgrenzung des Verhältnisses von autonomer Planungsverantwortung der Planfeststellungsbehörde und der nachvollziehenden gerichtlichen Kontrolle erforderlich. Fehler dürften in einem ergänzenden Verfahren nicht mehr heilbar sein, wenn damit das Gesamtkonzept der Planung in Frage steht. Eine erforderliche Umweltverträglichkeitsprüfüng oder Alternativenüberprüfung könnte somit durch ergänzende Planverfahren nachgeholt werden, wenn sich dadurch das Gesamtkonzept der Planung im Ergebnis nicht entscheidend ändert. Die Regelungen des PIVereinfG und des GenBeschlG enthalten den allgemeinen Grundsatz, daß Verfahrensfehler und auch Fehler in der inhaltlichen Abwägung durch Ergänzung und Wiederho-

61 Entsprechende Heilungsregelungen enthalten § 215 a BauGB und § 10 ROG i.d.F. des BauROG 1998.

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lung des nachfolgenden Verfahrens geheilt werden können. 62 Ein ergänzendes Verfahren kann nur dann nicht stattfinden, wenn die fehlerhafte Gesamtabwägung auch durch die Bereinigen von Verfahrensfehlern und die Nachermittlung sowie Neubewertung von Belangen nicht geheilt werden kann. Es muß also umgekehrt die Frage gestellt werden, ob eine Reparatur des verfahrensrechtlichen oder inhaltlichen Fehlers in einem ergänzenden Verfahren sowie in einer Nachbewertung durch die Behörde ausgeschlossen werden kann. Dies könnte etwa dann der Fall sein, wenn die gewählte Trasse nach Lage der Dinge ausscheidet und nur eine völlig andere Trassenführung in Betracht kommt. Dasselbe wird gelten, wenn klar ist, daß sich die Grundzüge der Planung auch aufgrund eines ergänzenden Verfahrens nicht mehr halten lassen. Steht dies aber nicht fest oder ist sogar ein Festhalten an der Planung nach Durchfuhrung des ergänzenden Verfahrens durchaus möglich, so eröffnen die Vorschriften des PlVereinfG und des GenBeschlG entsprechende Heilungsmöglichkeiten.

I I I . Planung als „goldener Schnitt" divergierender Interessen Die verschiedenen Bereiche des Bau- und Fachplanungsrechts haben mehr Gemeinsamkeiten als Unterschiede. Vor allem sind es die verfahrensmäßigen und inhaltlichen Anforderungen an jede rechtsstaatliche Planung, die das Planungsrecht über die Grenzen der Fachplanung und der städtebaulichen Planung hinweg einen. Disharmonien innerhalb des Fachplanungsrechts sollten daher beseitigt und auch das Verhältnis des Fachplanungsrechts zum Recht der städtebaulichen Planung weiter harmonisiert werden. Regelungsmöglichkeiten mit dieser Zielsetzung gibt es genug: Die Regelungen über die Bürgerund Trägerbeteiligung im Bau- und Fachplanungsrecht auch im Hinblick auf Präklusionsregelungen können vereinheitlicht, die Unbeachtlichkeits- und Heilungsregelungen weiter angeglichen werden. Ein breites Feld könnte sich dem Gesetzgeber im Bereich der Rechtsschutzmöglichkeiten stellen. Hier sind allerdings Grenzen durch die unterschiedlichen Handlungsformen von Bebauungsplan und Planfeststellung vorgegeben, die nur bei Aufgabe des traditionellen städtebaulichen oder fachplanerischen Instrumentariums überwunden werden könnten.

62 Die Heilungsmöglichkeiten orientieren sich damit an dem Bilde der fehlerhaft zugeknöpften Weste. Sie wird nicht ganz, sondern nur bis zu demjenigen Knopf wiederaufgeknöpft, an dem sie fehlerhaft zugeknöpft wurde; Stüer, DVB1 1997, 326; ders., in: Stüer (Hrsg.) (Fn. 1), S. 90.

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Was haben die Reformen nun für den Bürger gebracht? Ist überflüssige Bürokratie abgebaut, der Standort Deutschland gestärkt und zugleich der Rechtsschutz des Bürgers verbessert worden? Das alles geht wohl nicht gleichzeitig zusammen. Die geänderten Vorschriften des Bau- und Fachplanungsrechts begreifen sich als Experiment, rechtsstaatliche Anforderungen im Interesse einer schnelleren Projektverwirklichung zu lockern. Ob dieses Experiment gelingt, steht dahin. Die veränderten rechtlichen Rahmenbedingungen appellieren an die Verantwortungsbereitschaft und Sensibilität der Akteure. Es wäre geradezu fatal wenn die gesetzgeberischen Experimente dazu genutzt würden, rechtsstaatliche Garantien über Bord zu werfen und durch Verfahrensregelungen verfassungsrechtlich abgesicherte Bürgerinteressen auf die leichte Schulter zu nehmen. Dann wäre der Tag nicht fern, an dem die rechtlichen Daumenschrauben wieder stärker angezogen würden und man am Ende zu den gewiß überzogenen rechtlichen Anforderungen zurückkehren würde, von denen die Fahrt in die Vereinfachung des Bau- und Fachplanungsrechts zu Beginn der 70er Jahre ihren Ausgangspunkt nahm. Dann hätte am Ende auch die von langer Hand vorbereitete Selbstkorrektur der Rechtsprechung 63 nichts gefruchtet. Ebenso fatal wäre es, wenn auf Dauer der Rechtsschutz beim Einzelrichter der ersten Instanz beginnt und dort zugleich auch sein bitteres Ende findet. Denn ein Rechtsstaat, der sich nur noch als Steigbügelhalter wirtschaftlicher Interessen versteht und an einer bedingungslosen Beschleunigung ausgerichtet ist, wird seiner gemeinwohlbezogenen Ausgleichsfunktion nicht gerecht. Verwaltungen und Gerichte sind daher aufgerufen, die Beschleunigungsregelungen des Bau- und Fachplanungsrechts behutsam anzuwenden und dabei vor allem rechtsstaatliche Garantien nicht über Bord zu werfen. Der Gesetzgeber ist gut beraten, wenn er bei künftigen Reformvorhaben die verschiedenen Materien des Planungsrechts noch stärker als bisher einander annähert und dabei vor die richtige Mitte zwischen erforderlichen Vereinfachungen und Beschleunigungen einerseits und rechtsstaatlichen Garantien im Interesse einer angemessenen Beteiligung und eines ausreichenden Rechtsschutzes des Bürgers andererseits wahrt. Denn eine Rechtsordnung, die sich nur noch an Beschleunigungseffekten ausrichtet und mit Bürgerinteressen „kurzen Prozeß" macht, wird ebenso scheitern wie ein Rechtswege- und Rechtsmittelstaat, der sich auf eine kleinliche Fehlersuche begibt 64 und an jedem formalen Fehler im Detail auch gemeinwohlgetragene Projekte scheitern läßt. Wenn Optimie-

63

Schlichter, ZfBR 1985, 107; Stüer, DVB1 1985, 469. Vgl. dazu BVerwG, Urt. v. 7.9.1979 - 4 C 7.77 -, BauR 1980, 40 = VR 1980, 204 = Buchholz 406.11 § 2 BBauG Nr. 18 - Fehlersuche 64

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rungsgebote ihre Berechtigung haben, dann dort, wo es gilt, einen goldenen Mittelweg zwischen diesen Extremen zu finden. 65

65 Kritisch daher zur Verfahrensbeschleunigung Blilmel (Fn. 1), S. 17; vgl auch Stüer, NWVB1 1998, 171.

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Rechtsformen

Bauleitplanung

Fachplanung

Bebauungsplan § 10 BauGB: Satzung

Planfeststellung §§ 35 2,741 VwVfG: V A Plangenehmigung § 74 V I VwVfG Verzicht auf Planfeststellung § 74 VII VwVfG

*

U u

u

Aufstellungsbeschluß § 2 12 BauGB(fakultativ)

Antrag § 73 11 VwVfG

u

vorgezogene

§ 3 I BauGB

entfällt

u

förmliche/Offenlage

§ 3 II BauGB

§73 IV VwVfG

=

Erörterungstermin

§ 3 I BauGB

§ 73 V I VwVfG

u

§ 4 BauGB

§§ 73 III a VwVfG

=

im Planverfahren

§§ 3 III, 13 BauGB

§ 73 V I I I VwVfG

=

Änderungen abgeschlossener Planungen

§ 13 BauGB

§ 76 VwVfG

u

Abwägungserfordernis

§ 1 V I BauGB

§ 741 VwVfG

=

Einleitung Planverfahren Bttrgerbeteiligung

Tragerbeteiligung Planänderung

Abwägungsgebot

Zusammenstellung Abwägungsmaterial Abwägungsverfahren

=

§ 214 III BauGB

§ 75 Ia VwVfG

Abwägungsergebnis Naturschutz FFH

Natura 2000

Vogelschutz Fehlertypologie

Bedeutsamkeit

= =

§§ 1 a, 135 a-c BauGB

§ 8 BNatSchG

§§ 1 aIINr.4,29IIIBauGB Verträglichkeitsprüfung Art. 6 III FFH-RL Abwägungserfordernisse Art. 6 IV FFH-RL

Verträglichkeitsprüfung Art.6 III FFH-RL § 19c BnatSchG i.d.F. 2.ÄndG Abwägungserfordemisse Art. 6 I V FFH-RL

Art. 4 Vogelschutz-RL

Art. 4 Vogelschutz-RL

u

=

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§§ 44 bis 46 VwVfG

U

§ 214 I I I 2 BauGB

§ 75 Ia 1 VwVfG

=

materielle Fehler

§ 215 a l BauGB

Abwägungsmängel §75 Ia 2 VwVfG

Form- und Verfahrensfehler

arg. § 215 a 11,11 BauGB

§ 45 VwVfG

materielle Fehler

arg. §215 a l l , I I BauGB

arg. § 7 5 1 a 2 VwVfG

Planergänzung ergänzendes Verfahren

§ 215 a l BauGB

§ 75 Ia 2 VwVfG

Rückwirkung

§215 a l l BauGB

entfällt

Form- und Verfahrensfehler

§ 2141, I I BauGB

materielle Fehler

§ 215 I BauGB

Abwägungsverfahren

U

Fehlerheilung

Rechtsschutz

Rechtsschutzpyramide Normenkontrolle Nachbarklage

Anfechtungsklage Schutzauflagen

Gemeinden

U

=

u u u u u

interkommunale Gemeindenachbarklage § 46 VwVfG

Kausalität Präklusion

Konzentrationswirkung

materielle

entfällt

§73 IV 3 VwVfG

u

formelle

§§ 3 II, 4 BauGB

§ 73 III a 2 VwVfG

=

materielle § 38 BauGB

formelle § 75 VwVfG

* U: unterschiedlich „=": im wesentlichen vergleichbar

Forschungsforderung durch Verfahren? Von Hellmut Wagner

I. Einleitung Professor Blümel hat sich schon zu Beginn seiner wissenschaftlichen Tätigkeit mit Fragen des Verwaltungsverfahrens insbesondere im Planungsrecht befaßt 1; bis heute begleiten Fragen des Verfahrens und des Verfahrensprozeßrechts seinen wissenschaftlichen Weg 2 . Da ich von Zeit zu Zeit kleinere Wegstrecken mit ihm zusammen gegangen bin (z.B. in gemeinsamen Veranstaltungen über Recht und Technik und im Rahmen eines gemeinsamen Projektes über die „Öffentlichkeitsbeteiligung bei der Genehmigung von umweltrelevanten Großvorhaben") liegt es nahe, einige Ausführungen zum Thema Forschungsforderung und Verwaltungsverfahren zu machen. Die Bedeutung des Verwaltungsverfahrensrechtes ist gelegentlich in der Rechtswissenschaft unterschätzt worden 3. M i t der fortschreitenden „Europäisierung" des nationalen Rechts gewinnt das Verfahrensrecht eher zunehmend an Gewicht, da das Europäische Gemeinschaftsrecht z.B. im Umweltrecht immer mehr Verfahrensregelungen - ohne erschöpfende materiell-rechtliche Inhalte und Standards enthält.

1 Z.B. Blümel, Ungereimtheiten beim Rechtsschutz gegen Planfesteilungen, DÖV 1959, S. 665 ff; Blümel, Die Planfeststellung - Zweiter Teil: Die Planfeststellung im geltenden Recht, 2 Bde., 1967 (= Speyerer Forschungsberichte Nr. 140, 1994). 2 Vgl. dazu beispielsweise: Blümel, Grundrechtsschutz durch Verfahrensgestaltung in: Blümel (Hrsg.), Frühzeitige Bürgerbeteiligung bei Planungen, Schriftenreihe der Hochschule Speyer Bd. 87, 1982, S. 23 ff; Blümel (Hrsg.), Die Vereinheitlichung des Verwaltungsverfahrensrechts, Schriftenreihe der Hochschule Speyer Bd. 93, 1984; Blümel/Pitschas (Hrsg.), Reform des Verwaltungsverfahrensrechts, Schriftenreihe der Hochschule Speyer Bd. 114, 1994; Blümel, Neuere Entwicklungen im Umwelt- und Verwaltungsverfahrensrecht (zus. mit Martin Pfeil), Speyerer Forschungsberichte Nr. 145, 1995; Blümel/Pitschas (Hrsg.), Verwaltungsverfahren und Verwaltungsprozeß im Wandel der Staatsfunktionen, Schriftenreihe der Hochschule Speyer Bd. 121, 1997. 3 Ule, in: VerwArch 76 (1985), S. 129, 141.

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Hellmut Wagner

Beispiele dafür sind: Informationsrichtlinie 4 , UVP-Richtlinie 5 , EG-UmweltAudit-Verordnung 6 und auch die IVU-RL 7 . Der Rang des Verfahrensrechtes in seiner Wechselwirkung mit dem materiellen Recht wurde vor allem durch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes gegen Ende der 70er Jahre ausgeleuchtet8. I n der Praxis von Gesetzgebung und Verwaltung hat das Verfahrensrecht mit dieser Rechtsprechung an Wirkung gewonnen; es hatte schon immer eine beträchtliche Bedeutung als Instrument der Entscheidungsfindung sowohl mit Beschleunigungseffekt wie auch mit Verzögerungs- und Verweigerungseffekt (wie beispielsweise beim sogenannten ausstiegsorientierten Gesetzesvollzug). Wenn ich in den folgenden Ausführungen von Verfahren spreche, meine ich das Verwaltungsverfahren, nicht das verwaltungsgerichtliche Verfahren. Verwaltungsverfahren und Verfahrensregeln sind eine notwendige Voraussetzung für verbindliche Verwaltungsentscheidungen und damit für das gesellschaftliche und staatliche Leben unentbehrlich. Für Verwaltungsentscheidungen konstitutiv sind die Anwendung von Form-, Zuständigkeits- und Verfahrensvorschriften 9. Das Verwaltungsverfahren wird umschrieben als die Summe der Regelungen über Zustandekommen, Form und Bekanntmachung, Vollzug, Anfechtung und Änderung von Entscheidungen der Verwaltungsbehörden sowie deren Kontrolle 10 . Dabei sind materielles Verwaltungsrecht und Verwaltungsverfahrensrecht nicht eindeutig voneinander abzugrenzen 11. Zwi-

4

Richtlinie des Rates vom 7. Juni 1990 über den freien Zugang zu Informationen über die Umwelt (90 L 313), ABl Nr. L 158, S. 56. 5 Richtlinie des Rates vom 27. Juni 1985 über die Umweltverträglichkeitsprüfling bei bestimmten öffentlichen und privaten Projekten (85/337/EWG), ABl 1985 Nr. L 175, S. 40, geändert durch Richtlinie 97/11/EG des Rates vom 3. März 1997 zur Änderung der Richtlinie 85/337/EWG über die Umweltverträglichkeitsprüfung bei bestimmten öffentlichen und privaten Projekten, ABl 1997 Nr. L 73 S. 5. 6 Verordnung (EWG) Nr. 1836/93 des Rates vom 29.6.1993, ABl 1993 Nr. L 168, S. 1. 7 Richtlinie 96/61/EG des Rates vom 24.9.1996 über die integrierte Vermeidung und Verminderung der Umweltverschmutzung, ABl 1996 Nr. L 257, S. 26. 8 BVerfG, NJW 1980, 759 ff.: Mühlheim-Kärlich; BVerfG, NJW 1985,2395 ff: Fall Brockdorf. 9 Staatslexikon: Recht-Wirtschaft-Gesellschaft, Hrsg. Görres-Gesellschaft, 7. Aufl. 1989, S. 628. 10 Held, Der Grundrechtsbezug des Verwaltungsverfahrens, 1984, S. 25 ff, unter Hinweis auf Bettermann. Vgl. dazu auch die Legaldefinition des Begriffs des Verwaltungsverfahrens für den Bereich des Verwaltungsverfahrensgesetzes in § 9 VwVfG. 11 Held (Fn. 10), S. 25 f; Schmidt-Aßmann, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Bd. m, 1996, § 70 Rdnr. 5 S. 626.

Forschungsförderung durch Verfahren?

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sehen beiden Bereichen findet eine Wechselwirkung statt 12 , auf die noch zurückzukommen sein wird. Verwaltungsverfahrensrecht wird auch als „konkretisiertes Verfassungsrecht" verstanden 13. Doch hat das Verwaltungsverfahrensrecht ein eigenes, vom Verfassungsrecht unabhängiges Gewicht 14 . Forschungsforderung durch Verzicht auf Verfahren bedeutet im Kontext meiner nachfolgenden Ausführungen letztlich: Auf welche Weise kann das Grundrecht der Forschungsfreiheit auch durch Minimierung oder Vermeidung von Verfahren oder durch fehlendes Verfahren (noch) wirksamer gestaltet werden.

I I . Ausgangslage im Verfassungsrecht: Grundrechtschutz durch Verfahren in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts 1. Kurzdarstellung der Rechtsprechung a) Schon verhältnismäßig früh hat das Bundesverfassungsgericht auf die „Grundrechtsrelevanz des Verfahrens" hingewiesen und betont, daß die effektive Durchsetzbarkeit zu den wesentlichen Bestandteilen eines Grundrechts gehört 15 . Vor allem seit dem Beschluß des Bundesverfassungsgerichts zu Mühlheim-Kärlich 16 wird die Bedeutung der Grundrechte für das Verwaltungsverfahren besonders herausgestellt. Das Bundesverfassungsgericht hat in diesem Beschluß zum Ausdruck gebracht, „... daß Grundrechtsschutz weitgehend auch durch die Gestaltung von Verfahren zu bewirken ist und daß die Grundrechte demgemäß nicht nur das gesamte materielle, sondern auch das Verfahrensrecht beeinflussen, soweit dieses für einen effektiven Grundrechtsschutz von Bedeutung ist". Nach Auffassung des Gerichts kommt eine Grundrechtsverletzung auch dann in Betracht, wenn die Genehmigungsbehörde solche atomrechtlichen Verfahrensvorschriften außer Acht läßt, die der Staat in Erfüllung seiner aus Art. 2 Abs. 2 GG folgenden Schutzpflicht erlassen hat. Das Gericht verweist ausdrücklich darauf, daß es bereits früher entschieden

12 Zu dieser Wechselbezüglichkeit: Denninger, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Bd. V, 1992, § 113 Rdnr. 8 f. 13 Obermayer, Kommentar zum VerwVfG, 2. Aufl. 1990, Rdnr. 93, S. 65; Kopp, Verwaltungsverfahrensrecht, 6. Aufl. 1996, Vorbem. § 1 Rdnr. 4. 14 Schmidt-Aßmann (Fn. 11), Rdnr. 13 f. 15 BVerfG E 39, 276 (294). 16 BVerfG, NJW 1980, S. 759 ff. 38 FS Blümel

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hat, „daß Art. 2 I I GG ebenfalls eine dieses Grundrecht berücksichtigende Verfahrensgestaltung gebietet 17 ". b) In der sogenannten Brockdorf-Entscheidung 18 hat das Bundesverfassungsgericht für das nicht vorbehaltlos gewährleistete Grundrecht der Versammlungsfreiheit (Art. 8 GG) auf die neuere verfassungsgerichtliche Rechtsprechung hingewiesen, „wonach die Grundrechte nicht nur die Ausgestaltung des materiellen Rechts beeinflussen, sondern zugleich Maßstäbe für eine den Grundrechtsschutz effektuierende Organisations- und Verfahrensgestaltung sowie für eine grundrechtsfreundliche Anwendung vorhandener Verfahrensvorschriften setzen19,,. Als Freiheitsrecht und damit als Abwehrrecht hat das Grundrecht der Versammlungsfreiheit auch einen wesentlichen verfahrensund organisationsrechtlichen Gehalt. Die Forderung an die staatlichen Behörden, versammlungsfreundlich zu verfahren, entspreche „dem Bestreben nach verfahrensrechtlicher Effektuierung von Freiheitsrechten 20,,. Das Bundesverfassungsgericht hat in dieser Entscheidung zum Schutz des Grundrechts der Versammlungsfreiheit bemerkenswert konkrete Vorgaben gemacht, die von den Behörden als Erfahrungsgrundsätze für die Organisations- und Verfahrensgestaltung zu berücksichtigen sind wie z.B. die rechtzeitige Klarstellung der Rechtslage, die besondere Zurückhaltung der Staatsmacht z. B. durch polizeifreie Räume, rechtzeitige Kontaktaufnahme, Informationsaustausch und Suche nach vertrauensvoller Kooperation. In dieser Verwertung von Erfahrungen sieht das Bundesverfassungsgericht den Bestandteil des verfahrensrechtlichen Schutzes der Freiheitsrechte und zugleich ein milderes Mittel gegenüber einem Grundrechtseingriff. c) Unter Hinweis auf seine frühere Rechtsprechung 21 hat das Bundesverfassungsgericht auch im Volkszählungsurteil 22 seine Rechtsprechung zum Grundrechtsschutz durch Verfahren bestätigt, wenn es darlegt, daß angesichts der Gefährdungen durch die Nutzung der elektronischen Datenverarbeitung der Gesetzgeber mehr als früher auch organisatorische und verfahrensrechtliche Vorkehrungen zu treffen hat, welche der Gefahr einer Verletzung des Grundrechts auf „informationelle Selbstbestimmung^ entgegenwirken. Als 17

BVerfG, NJW 1980, S. 763 unter Hinweis auf frühere Rechtsprechung. Bestätigt durch BVerfG, NVwZ 1997, S. 159. 18 BVerfG, NJW 1985, 2395. 19 BVerfG, NJW 1985, S. 2399. 20 BVerfG, NJW 1985, S. 2399. 21 Z.B. BVerfGE 53, 30, (65); 63,131, (143). 22 BVerfGE 65,1, 44 ff., 59 f. Zum „Grundrechtsschutz durch Verfahren" im Bereich von Art. 12 GG: BVerfGE 33, 303, 341; 39, 276, 294; 41, 251, 265; 52, 380, 389f.

Forschungsförderung durch Verfahren?

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verfahrensrechtliche Schutzvorkehrungen nennt das Gericht Weitergabe- und Verwertungsverbote für Daten sowie Aufklärungs- und Belehrungs-, Ausk u n f t - und Löschungspflichten. Dabei spielt auch der Gedanke des vorgezogenen Rechtschutzes durch rechtzeitige Vorkehrungen eine Rolle.

2. Folgerungen aus dieser Rechtsprechung Zieht man diese Maßstäbe grundrechtsfreundlichen Verhaltens heran, wie sie bei der Würdigung des „verfahrensrechtlichen Bestandteils" der Grundrechte der Versammlungsfreiheit und des Grundrechtes auf informationelle Selbstbestimmung gefunden worden sind, so kommt man für das Grundrecht der Forschungsfreiheit, das sich auch als Abwehrrecht versteht, zu folgenden Überlegungen: Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG beeinflußt nicht nur die Ausgestaltung des materiellen Rechts im Widerstreit konfligierender Rechtsgüter (vgl. dazu etwa § 1 GenTG, § 1 AtG), sondern ist auch ein Maßstab für die Gestaltung von Verfahren und verlangt eine grundrechtsfreundliche Auslegung sowie Anwendung von Verfahrensvorschriften, wie z. B. von Vorschriften über Verfahren zur Genehmigung von Forschungsanlagen. Dies bedeutet beispielsweise auch, daß Vorschriften über Ausnahmen für Forschungsanlagen von der Genehmigungspflicht nicht eng, sondern im Sinne der Forschungsfreiheit weit ausgelegt werden. Für den Gesetzgeber kann dies bedeuten, daß er sich bei der Gestaltung von Verfahrensvorschriften zu Lasten der Forschung zurückhält bis hin zur „Nichtgestaltung von Verfahren", d.h., daß er für bestimmte Fälle oder für bestimmte Fallgruppen von (beschränkenden) Verfahrensregelungen absieht oder Verfahrensregeln von geringerer „Eingrifftiefe" wählt. Dies entspricht dem Wesen eines Abwehrrechts. Das kann auch heißen, daß der Gesetzgeber sich nach Abwägung mit widerstreitenden Interessen Dritter zum Verzicht auf einen Genehmigungsvorbehalt entschließt und stattdessen ein Anmeldeverfahren für ausreichend hält oder anstelle eines Anmeldeverfahrens ein Anzeigeverfahren wählt. Dies kann notwendig sein, damit das Grundrecht der Forschungsfreiheit möglichst weitgehend zur Entfaltung kommt. Zu viel Verfahren kann die gleiche Wirkung haben wie zu wenig Verfahren, nämlich: eine Entwertung der materiell-rechtlichen Grundrechtsposition. Zu dieser Frage darf ich auf je ein Beispiel aus dem Gentechnikrecht und dem Tierschutzrecht hinweisen:

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Hellmut Wagner a) Gentechnikrecht

Auch das novellierte Gentechnikgesetz23 geht nach wie vor von einem gentechnik-spezifischen „Basisrisiko" aus, das mit der gentechnischen Methode als solcher untrennbar verbunden sei (vgl. dazu § 1 Nr. 1, 22 Abs. 2, 32 Abs. 1 GenTG). Wegen dieser Grundannahme werden sämtliche gentechnischen Arbeiten den Kontrollmechanismen des GenTG unterworfen, auch wenn von ihnen im Einzelfall kein spezifisches Risiko ausgeht. Die Existenz eines Basisrisikos hat sich in weltweit gewonnenen Erfahrungen (z.B. in den USA und in Japan) bei gentechnischen Arbeiten in geschlossenen Systemen nicht bestätigt 2 4 . Nach § 8 Abs. 2 i.V.m. § 7 Abs. 1 Nr. 1 GenTG sind Errichtung und Betrieb gentechnischer Anlagen, in denen gentechnische Arbeiten der Sicherheitsstufe 1 durchgeführt werden sollen, vorher anzumelden; das Anmeldeverfahren ist ein ausgefeiltes und detailliertes Verfahren, das einem Genehmigungsverfahren in Ablauf und Aufwand stark angenähert ist und in der Praxis auch mit einem Verwaltungsakt, der einer Art klarstellenden Freigabe gleichkommt, abschließt. Der Sicherheitsstufe 1 sind gentechnische Arbeiten zuzuordnen, „bei denen nach dem Stand der Wissenschaft nicht von einem Risiko für die menschliche Gesundheit und die Umwelt auszugehen ist". Das heißt, daß in einem förmlichen Verfahren eine durchaus aufwendige Präventivkontrolle durchgeführt wird, obwohl definitionsgemäß kein Risiko vorliegt. M i t einer solchen Regelung wird in unverhältnismäßiger Weise und damit unzulässig in die Forschungsfreiheit eingegriffen 25 . Da in der Bundesrepublik Deutschland (nach dem Stande vom 18.6.1997) etwa 63 % der gentechnischen Arbeiten und rd. 75 % der gentechnischen Anlagen in die Sicherheitsstufe 1 einzuordnen sind und diese Arbeiten und Anlagen zu über 96 % zu Forschungszwecken da sind 26 , ist die praktische Bedeutung dieser Regelung alles andere als vernachlässigbar. Der Zweck einer gewissen „vorsorgenden Übersichtskontrolle" könnte auch durch einen weniger gravierenden Eingriff, nämlich durch eine Anzeigepflicht erreicht werden 27 . Demnach ist § 8 Abs. 2

23

In der Fassung der Bekanntmachung vom 16.12.1993 (BGBl I S. 2066). Ratsempfehlungen S. 51 und Ergänzung zum Ratsbericht S. 44 f. (Fn. 27). 25 Zweifelnd, aber im Ergebnis (noch) verneinend: Vitzthum, Zur Gentechniknovelle 1993, ZG 1993, S. 236, 237; mit Recht bejahend Scholz, Verfassungsfragen zur Gentechnik, in: FS Sendler, 1991 S. 93 ff. (101). 26 http://www.rik.de / GENTEC/LAENDER/ARBEITEN.HTM. 27 So auch der Vorschlag des Rates für Forschung, Technologie und Innovation - Biotechnologie, Gentechnik und wirtschaftliche Innovation - Feststellungen und Empfehlungen, März 1997, Hrsg: Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft, Forschung und Technologie, S. 50. 24

Forschungsförderung durch Verfahren?

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GenTG - jedenfalls soweit er sich auf gentechnische Arbeiten zu Forschungszwecken bezieht - wegen Verstoßes gegen Art. 5 Abs. 3 verfassungswidrig. b) Tierschutzrecht Ein großer Teil von Tierversuchen in der Forschung wird an Tieren vorgenommen, die betäubt worden sind und in der Narkose getötet werden (sog. Finalversuche); auch diese Versuche sind genehmigungspflichtig, obwohl diesen Tieren keine Schmerzen, Leiden oder Schäden zugefugt werden (§ 1 S 2 TSchG) und für die Tötung von Nutztieren und Jagdwild, von Schädlingen und Haustieren nur die allgemeinen Gebote der §§ 4, 4a TSchG zu beachten sind. Hier werden Tierversuche zu wissenschaftlichen Zwecken, welche durch die Forschungsfreiheit „privilegiert" sind, strengeren Anforderungen im Verfahren unterworfen als die Tötung von Jagdwild und Schädlingen. Eine solche Regelung steht - in bezug auf das vorbehaltlose Grundrecht der Forschungsfreiheit einerseits und dem Tierschutz andererseits - sowohl instrumenten wie auch inhaltlich außer Proportion. Auch rückte der Gesichtspunkt des Grundrechtsschutzes durch Verfahrensgestaltung nicht in den Blick des Gesetzgebers. Der administrative Eingriff in die experimentelle Forschung ist größer als in anderen Lebensbereichen; der Zweck des Tierschutzes kann auch durch eine Anzeigepflicht nach § 8a TSchG, also durch einen geringeren administrativen Eingriff, d.h. durch weniger Verfahren, erreicht werden 28 . Es handelt sich um eine verfahrensrechtliche Übernormierung: Sie ist wegen Verstoßes gegen das Grundrecht der Forschungsfreiheit und den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verfassungswidrig.

I I I . Ausgangslage im Verwaltungsrecht Vor allem bei den klassischen Anlagenzulassungsverfahren handelt es sich um Verwaltungsverfahren in einem „mehrpoligen (mindestens dreipoligen) Verwaltungsrechtsverhältnis": Antragsteller (Betreiber), Behörde und Drittbetroffener (Einwender). Gesetzgeber, Rechtslehre und Rechtsprechung haben in den letzten Jahrzehnten vor allem unter dem Gesichtspunkt des Drittschutzes die Stellung des Drittbetroffenen materiell-rechtlich und verfahrensrecht28 Dies schlagen die Deutsche Forschungsgemeinschaft S. 22 ihrer Denkschrift (Forschungsfreiheit - ein Plädoyer für bessere Rahmenbedingungen der Forschung in Deutschland, Weinheim u.a. 1996) und auch die Ratsempfehlungen (Fn. 27) S. 61 vor, ohne die Verfassungswidrigkeit klar beim Namen zu nennen.

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lieh immer stärker ausgebaut, vor allem auch unter dem verfassungsrechtlichen Gesichtspunkt der Grundrechtsgestaltung durch Verfahren (siehe dazu Abschnitt II. „Ausgangslage im Verfassungsrecht"). Der besondere Akzent des Grundrechtsschutzes durch Verfahren bei Anlagen- und Produktzulassungsverfahren liegt auch heute noch überwiegend in dem aus den Grundrechten ableitbaren Schutz der verfahrensrechtlichen Stellung der Drittbetroffenen 29. Die Rechtsprechung hat meist über Fälle entschieden, in denen nach Meinung des Gerichts die Verfahrensgestaltung (im Interesse des Dritten) unterentwikkelt war, also zu wenig Organisations- und Verfahrensregelungen vorhanden waren. Dabei wurde gelegentlich der Blick auf die „Hauptdarsteller" im Verfahren, nämlich auf die Behörde (und ihre Pflichten) wie auch auf den Antragsteller (und seine Rechte) verstellt. Auf der anderen Seite hat das Bundesverfassungsgericht deutlich gemacht, daß Genehmigungsverfahren mit ihren materiellrechtlichen und verfahrensrechtlichen Voraussetzungen am ehesten, „... unter Berücksichtigung der Allgemeinbelange einen Ausgleich zwischen den Grundrechtspositionen gefährdeter Bürger einerseits und der Betreiber andererseits" herbeiführen können 30 . Grundrechtsverwirklichung durch Verfahren gilt demnach gleichermaßen für den Drittbetroffenen wie auch für den Antragsteller: Verfahren gestaltet die Grundrechtsverwirklichung, die Grundrechte (der Antragsteller wie auch die der Drittbetroffenen) üben Einfluß aus auf die Gestaltung des Verwaltungsverfahrens. Unterschiedliche, ja gegensätzliche materiell-rechtliche Grundrechtspositionen zwischen Antragsteller und Drittem schlagen sich nieder in unterschiedlichen Positionen der Verfahrensgestaltung. Einfach ausgedrückt: Der Antragsteller wünscht sich häufig ein Mindestmaß an Verfahren bis hin zur „Grundrechtsverwirklichung durch Freiheit vor Verfahren"; der Drittbetroffene legt meist Wert auf ein Höchstmaß an Verfahren und Beteiligung am Verfahren. Der Antragsteller verlangt ein zügiges Verfahren mit hohem Beschleunigungseffekt, der Drittbetroffene legt in aller Regel - soweit es um einen für ihn belastenden Verwaltungsakt geht - mehr Wert auf ein Verfahren „ i n Gemächlichkeit" bis hin zu einem Verfahren mit unbestimmter Dauer. Der bei der Kollision von Grundrechten notwendige Güterabwägungsprozeß nach dem Prinzip des „schonendsten Ausgleichs konkurrierender grundgesetzlich geschützter Positionen" gilt in gleicher Weise auch für „grundrechtsdurchtränkte" Verfahrensregelungen. So hat das Bundesverwaltungsgericht 31 im 29 So z.B. Blümel, Grundrechtsschutz durch Verfahrensgestaltung (Fn. 2), S. 24, 36 f., 50 ff.; Obermayer (Fn. 13), Rdnr. 91, S. 65; Fröhler, in: FS für Ule: Verwaltung im Rechtsstaat, 1987, S. 55 ff, 67. 30 BVerfG, NJW 1980, 759, 761. 31 BVerwG, DVB1 1980, 1001,1004.

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Zusammenhang mit der materiell-rechtlichen Präklusion im atomrechtlichen Genehmigungsverfahren zu Recht darauf hingewiesen, daß „die auf ein mehrpoliges Rechtsverhältnis einwirkenden gegenläufigen, jeweils auf materielle Grundrechtspositionen zurückzuführenden Interessen" ausbalanciert und in ein angemessenes Verhältnis zueinander gebracht werden müßten. Das bedeutet gleichzeitig, daß Organisations- und Verfahrensregelungen etwa im Genehmigungsverfahrensrecht nicht einseitig zugunsten eines der Partner an dem mehrpoligen Verwaltungsrechtsverhältnis geschaffen (oder auch nicht geschaffen) und ausgelegt werden können. Das heißt konkret: Verfahrensregelungen und ihr Erlaß sind auch an den Grundrechten der Antragsteller und nicht nur an denen Drittbetroffener zu messen32; Antragsteller können auch die Träger von Instituten in der universitären und der außeruniversitären Forschung wie auch von Forschungsabteilungen der Industrie sein. Aus dem materiell-rechtlichen Gehalt des Grundrechts der Freiheit der Forschung als Abwehrrecht fließt der Anspruch auf möglichst geringfügige Eingriffe durch Verfahren - bei allem Schutz der (Verfahrens-)Rechte Dritter.

IV. Beispiele für Forschungsförderung durch Verzicht auf Verfahren 1. Genehmigungsfreiheit für Forschungsanlagen Die Ausnahmeregelung in Anhang I Ziff. 1 der Richtlinie 96/61/EG des Rates vom 24.09.1996 über die integrierte Vermeidung und Verminderung der Umweltverschmutzung (IVU-RL) 3 3 . Eine klare, schnörkellose Deregulierung stellt die Ausnahmeregelung in Anhang I Ziff. 1 der IVU-Richtlinie dar. Danach gilt die Richtlinie nicht für Anlagen und Anlageteile, die der Forschung, Entwicklung und Erprobung neuer Erzeugnisse und Verfahren dienen. Das bedeutet, daß solche Forschungsanlagen nicht genehmigungsbedürftig sind. Der Kommissionscntwurf zum Umweltgesetzbuch (UGB) 3 4 relativiert diese Klarheit bereits wieder durch den Vorschlag, eine solche Ausnahme nicht unmittelbar in das UGB aufzunehmen, sondern über eine Ermächtigungsnorm für eine Rechtsverordnung

32

So mit Recht auch Fröhler (Fn. 29), S. 55 ff., 67. ABl Nr. L 257/26 vom 10.10.96, S. 35. 34 Umweltgesetzbuch: (UGB-KomE), Entwurf der Unabhängigen Sachverständigenkommission zum Umweltgesetzbuch beim Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (BMU), Hrsg: BMU, 1998. 33

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lediglich eine Ausnahmemöglichkeit vorzusehen (s. dazu unten unter Abschnitt VI.). Die IVU-RL läßt dem nationalen Gesetzgeber für Forschungsanlagen der von Anh. I Ziff. 1 erfaßten Art einen weiten Spielraum. Der nationale Gesetzgeber kann für solche Forschungsanlagen eine Genehmigungspflicht festlegen oder vorbehalten, da die IVU-RL ihre Rechtsgrundlage in Art. 130 s Abs. 1 EGV hat, der den Erlaß verschärfender Umweltmaßnahmen zuläßt. An dieser Stelle ist aber auch das gegenläufige Interesse der Betreiber von Forschungsanlagen zu sehen, die sich auf das Grundrecht der Forschungsfreiheit berufen können. Diese Regelung der IVU-RL ist nicht abgestimmt mit der UVP-RL, auch nicht mit der Neufassung der UVP-RL vom 3.3.97 35 . Danach sind gem. Anhang I I Nr. 13 2. Spiegelstrich Anlagen von der UVP-Pflicht (nur) dann ausgenommen, wenn sie nicht länger als 2 Jahre im Versuchsbetrieb sind (s. dazu auch die Ausführungen unter Ziffer 2).

2. Einschränkung der Genehmigungsfreiheit für Forschungsanlagen durch die UVP-RL Die Genehmigungsbedürftigkeit von Forschungsanlagen nach dem Bundesimmissionsschutzgesetz wird neben der IVU-RL auch von der UVP-RL bestimmt, nach der vom Grundsatz her für Projekte, für die eine Umweltverträglichkeitsprüfüng (UVP) vorgeschrieben ist, auch eine Genehmigungspflicht bestehen soll (vgl. dazu Art. 2 Abs. 1 UVP-RL und des durch die Änderungsrichtlinie eingefügten Erwägungsgrundes Nr. 5). Eine so weitgehende Ausnahmeklausel für Forschungsanlagen wie in Anhang I Ziff. 1 der IVU-RL ist in dem neu gefaßten Anhang I der UVP-RL nicht vorgesehen. Lediglich für „Forschungseinrichtungen zur Erzeugung und Bearbeitung von spaltbaren und brutstoffhaltigen Stoffen, deren Höchstleistung 1 kW thermische Dauerleistung nicht übersteigt" gilt eine konditionslose Ausnahme von der Umweltverträglichkeitsprüfung (Nr. 2 - 2 des Anhangs I). Bei anlagenbezogenen Projekten des Anhangs I der UVP-RL werden Mengenschwellen bzw. Produktionskapazitäten festgelegt, die dazu führen, daß gemäß Art. 4 Abs. 1 für kleinere Forschungsanlagen eine UVP nicht durchzuführen ist. Die „weitgehende Einbeziehung von Forschungs- und Entwicklungsprojekten, die noch nicht einmal von der IVU-RL erfaßt sind" in die Pflicht zu einer Umweltverträglichkeitsprüfung hat die deutsche Seite auf der Ratstagung der Umweltminister 35

AB) 1997 Nr. L 73, S. 5 ff.

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der Europäischen Union am 18.05.1995 kritisiert; dies führte zur Ablehnung des gemeinsamen Standpunktes zur Änderungs-RL zur Umweltverträglichkeitsprüfüng durch die deutsche Delegation 36 . Ein Vergleich der IVU-RL mit der UVP-RL zeigt, daß gerade auch für Forschungsanlagen die Regelungen beider Bereiche nicht aufeinander abgestimmt sind. Auch hier zeigt sich - wie in anderen Bereichen des Europarechts (wie z.B. im Wasserrecht) - daß umweltrechtliche Regelungen der Gemeinschaft zu wenig oder gar nicht harmonisiert sind. Ob hier ein deutsches Umweltgesetzbuch auf die Rechtsetzung der Europäischen Union einen „Harmonisierungsdruck" auszuüben vermag, ist fraglich. Für die Auslegung der UVP-RL und für eine etwa (z. Zt. allerdings nicht) anstehende Änderung der UVP-RL wird zu berücksichtigen sein, daß es i m Europäischen Gemeinschaftsrecht ein Grundrecht der Wissenschaftsfreiheit gibt 3 7 , das auch die Organe der Europäischen Gemeinschaft bei der Normsetzung bindet. Das ist allerdings noch kaum in das Bewußtsein der zuständigen Akteure gedrungen. Englisches Rechtsdenken und die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zum Grundrechtsschutz durch Verfahren haben die Rechtsentwicklung, und zwar auch die neuere Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) stark beeinflußt; das hat dazu geführt, daß die Wechselwirkung zwischen materiell-rechtlicher Grundrechtsposition und Verfahrensrechten verstärkt berücksichtigt wird 3 8 . Auch das Europäische Grundrecht der Wissenschaftsfreiheit muß nach der jüngeren Rechtsprechung des EuGH und nach den Grundgedanken der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts Auswirkungen auf die Verfahrensgestaltung in Richtlinien und Verordnungen der EU haben, damit es sich angemessen durchsetzen kann.

36

Vgl. dazu „Umwelt" 1996, S. 51. Wagner, in: Michael Winkler (Hrsg.), Festschrift für Meusel, 1997, S. 301, 314 ff., insbes. S. 322 ff. m.w.N. 38 Chwolik-Langennann, Grundrechtsschutz in der Europäischen Union, 1994, S. 70 f. mit Nachweisen aus Literatur und Rechtsprechung. 37

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3. Änderung der EG-Systemrichtlinie (Vorschlag der Kommission vom Juni 1997)39 Ziel des Entwurfs der Änderung ist u.a., die Gentechnik von bürokratischen Hemmnissen zu befreien und Verfahren zu beschleunigen. Der Entwurf bringt Vereinfachungen, bleibt aber in der Deregulierung auf halbem Wege stehen. Je nach Ausgestaltung eines neuen Anhanges I I fällt künftig eine mehr oder minder große Anzahl gentechnischer Arbeiten nicht mehr unter die materiellen Anforderungen und das Verfahren nach der neuen Systemrichtlinie. Die Unterscheidung zwischen Forschungsarbeiten und Produktion soll entfallen. Dafür gibt die Kommission aber keine klare Begründung. Zum Wegfall dieser bisherigen Unterscheidung beruft sich die Kommission in allen ihren Papieren lapidar darauf, daß in dem Vorschlag für die Neufassung eine andere Unterscheidungsart („identified risk") gewählt wurde 40 . A n die Stelle von 2 Risikogruppen treten nunmehr 4 Gefahrenklassen. Es bleibt für alle Tätigkeiten bzw. Anwendungen beim grundsätzlichen Anmeldeerfordernis; eine völlige Freistellung von einer Anmeldepflicht auch bei Anwendungen der Gefahrenklasse 1 (also ohne Risiko oder mit vernachlässigbarem Risiko) ist nicht vorgesehen 41 . Eine solche Freistellung wäre nicht nur vertretbar, sondern folgt konsequenterweise auch daraus, daß es auch im Rahmen des Europäischen Gemeinschaftsrechts ein Grundrecht auf Wissenschaftsfreiheit gibt, das unverhältnismäßige Regelungen verbietet. Die Stellungnahme des Bundesrates vom 5.7.1996 zu einem früheren Entwurf des Richtlinienvorschlages 42 zeichnet sich durch Beharren auf gewohnten Regelungsstrukturen und durch eine wenig forschungsfreundliche Haltung aus, obwohl gerade die Bundesländer die geborenen Hüter der Kulturhoheit und der Forschungsfreiheit sein sollten. So unterstützt die Ländervertretung den Verzicht auf die verfahrensrechtliche Trennung von Forschungsarbeiten und gewerblichen Arbeiten (Typen A und B), zementiert die Präventivkontrolle „als zentrales Element des bestehenden Vorsorgekonzeptes" auch da, wo es die Risikoabschätzung (auch im internationalen Vergleich) nicht erfordert und will Ausnahmeregelungen für den Umgang mit nichtpathogenen genetisch veränderten Mikroorganismen nur unter scharf definierten engen Vor-

39

Geänderter Vorschlag für eine Richtlinie des Rates zur Änderung der Richtlinie 90/219/EWG über die Anwendung genetisch veränderter Mikroorganismen in geschlossenen Systemen ABl 1997 Nr. C 369/12. 40 Dazu Grundzüge des Vorschlags (Fn. 39), S. 3. 41 Vgl. dazu auch die Ausführungen in Abschnitt I. Ziffer 2 a. 42 BR-Drucks. 309/96.

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aussetzungen zulassen, obwohl die internationale Wissenschaft und die deutschen Wissenschaftsorganisationen dies für entbehrlich halten 43 .

V. Nationales Recht 1. Gesetzgebung: Die Novelle des Gentechnikgesetzes 1993 Die Novelle zum Gentechnikgesetz aus dem Jahre 1993 44 hat für Forschung und Industrie Erleichterungen gebracht: Das Genehmigungserfordernis entfallt für den grenzüberschreitenden Austausch von gentechnisch veränderten Organismen sowie für den Betrieb einer S1-Anlage zu gewerblichen Zwecken. Anmelde- und Genehmigungsfristen wurden verkürzt sowie der Umfang der Unterlagen bei Anmeldungen reduziert. Es entfallen: Anhörungsverfahren für S1-Arbeiten und Erörterungstermine bei Freisetzungen sowie für alle Verfahren der Sicherheitsstufe 1 die Einschaltung der Zentralen Kommission für Biologische Sicherheit. Diese Verfahrenserleichterungen vor allem für gentechnische Arbeiten und Anlagen der Sicherheitsstufe 1 sind nicht banal: In Deutschland vollziehen sich (Stand: 18.6.1997) von den zugelassenen gentechnischen Arbeiten rd. 63 % in der Sicherheitsstufe 1 und rd. 75 % der zugelassenen gentechnischen Anlagen sind solche der Sicherheitsstufe 1. Über 96 % aller gentechnischen Arbeiten und Anlagen gehören zum Forschungsbereich. Einen Hinweis auf die dadurch tatsächlich eingetretenen Entlastungen gibt das Ergebnis einer Umfrage, die wir im Rahmen eines Forschungsprojektes über „Rechtliche Rahmenbedingungen für Wissenschaft, Forschung und Innovation" am Forschungsinstitut für Öffentliche Verwaltung bei der Deutschen Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer durchgeführt haben: Für die Zeit bis zur Novellierung des Gentechnikgesetzes 1993 äußerten sich auf die Frage nach der Behinderung der Forschung rd. 46 % der Befragten (n = 247) im bejahenden Sinne; 54 % sahen keine oder keine besonders spürbare Behinderung. Für die Zeit nach der Novellierung äußerten sich etwa 87 % in der Weise, daß keine oder keine besonders spürbare Behinderung vorliege. Das ist ein bemerkenswertes Ergebnis; es zeigt Möglichkeiten der Deregulierung auf, die den materiellen Sicherheitsstandard unangetastet lassen. Damit wird der Verwirklichung des Grundrechts der Forschungsfreiheit

43

„Resolution on the Legal Framework of Genetic Engineering" vom 11.6.1994 an den damaligen Kommissionspräsidenten Delors - Schreiben der Arbeitsgemeinschaft der Großforschungseinrichtungen vom 24.8.1994 - nicht veröffentlicht. 44 In der Fassung der Bekanntmachung vom 16.12.1993 (BGBl I S. 2066).

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durch Verzicht auf (unnötige) Verfahren und durch Beschleunigung von Verfahren Rechnung getragen, ohne daß Verfahrensregeln in grundrechtsgefahrdender Weise zu Lasten Dritter abgebaut werden. Damit ist allerdings noch nicht der ganze Weg abgeschritten, wie bereits an anderer Stelle ausgeführt worden ist (Abschnitt I Ziff. 2a).

2. Verordnung: Die Änderung in der 4. BlmSchV45 Eine versuchte Deregulierung zugunsten der Forschung ist die Ergänzung in § 1 Abs. 6 der Verordnung über genehmigungsbedürftige Anlagen (4. BlmSchV) mit der Freistellung von Anlagen der Forschung, Entwicklung oder Erprobung von der Genehmigungspflicht. Die ursprünglich klare Entwurfsfassung ist im Gesetzgebungsverfahren sehr kompliziert gestaltet worden; die Änderung an sich war schon umstritten. Die Änderung ist eine von jenen modernen Normschöpfungen, die den wohlgemeinten Versuch einer Deregulierung durchaus zu einer Art Überregulierung im kleinen machen können. Die Gesetzeslage wie auch erste praktische Erfahrungen zeigen, daß sich die positiven Konsequenzen dieser Deregulierung in engen Grenzen halten, weil - nur Anlagen und Verfahren im Labor- oder Technikumsmaßstab erfaßt werden - für Anlagen dieser Art z. B. im Bereich der Chemie schon bisher weitgehend keine Genehmigungsverfahren erforderlich sind (da Nr. 4 des Anhangs der 4. BlmSchV die fabrikmäßige Herstellung als Voraussetzung für das Genehmigungserfordernis nennt) - es für Anlagen zur Entwicklung und Erprobung beim vereinfachten Verfahren bleibt (§2 Abs. 3 S. 1 der 4. BlmSchV) - neu definierte Schnittstellen zum Streitpunkt zwischen Behörden und Antragstellern führen, denn komplizierte Vereinfachungen erschweren die Erleichterungen. Die Schwierigkeiten mit dieser Regelung zeigt der Stand des Verfahrens in einem südwestdeutschen Forschungszentrum, das eine von ihr zu errichtende Forschungsanlage (Versuchsanlage zur Verbrennung von Hausmüll) gem. § 1 Abs. 6 der 4. BlmSchV für genehmigungsfrei hält. Das zuständige Regierungspräsidium lehnt die Freistellung von der Genehmigungspflicht u.a. aus folgenden Gründen ab: 45

Vom 16.12.1996 (BGBl I S. 1959).

Forschungsförderung durch Verfahren?

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Gegen die Anwendung des § 1 Abs. 6 der 4. BImSchV spreche, daß die Anlage zwar entsprechend dem Forschungsprogramm nur periodisch während des Jahres betrieben wird, aber insgesamt zeitlich unbefristet auch kommerziell betrieben werden könne. A n Abfallverbrennungsanlagen mit ihrem besonderen Gefährdungspotential müßten erhöhte Anforderungen gestellt werden, für welche die 17. BImSchV die entsprechende Regelung enthalte. Die Bewertung nach EU-Recht (insbesondere die kürzlich novellierte UVP-RL vom 3.3.1997) und nach deutschem Immissionsschutzrecht machten eine restriktive Auslegung der Vorschrift des § 1 Abs. 6 der 4. BImSchV bei Abfallverbrennungsanlagen notwendig. M i t solchen Auslegungsschwierigkeiten werden die gesetzgeberische Absicht und (nicht ganz gelungene) Ausführung der Deregulierung zu Lasten der Forschung entwertet; der Wortlaut der Neuregelung, die gesetzgeberische Absicht wie auch das Grundrecht der Forschungsfreiheit sprechen für eine forschungsfreundliche Auslegung, also für die Genehmigungsfreiheit der Forschungsanlage.

VI. Kommissionsentwurf zum Umweltgesetzbuch (UGB-KomE) Auch der Entwurf der Unabhängigen Sachverständigenkommission zum Umweltgesetzbuch befaßt sich unter unterschiedlichen Gesichtspunkten auch mit Wissenschaft und Forschung, darunter auch mit Regelungsvorschlägen zu Verfahren, welche Wissenschaft und Forschung stark beeinflussen können. Ich möchte mich dabei auf einige ausgewählte Bereiche beschränken und sie unter dem Gesichtspunkt kurz kommentieren, ob sie aller Voraussicht nach die Forschung durch Verfahren eher hemmen oder fordern. Schon von seinem Ansatz her rückt der UGB-KomE über die Staatszielbestimmung des Art. 20 a GG den Umweltschutz inhaltlich verständlicherweise in eine starke Position, die noch durch die Wucht des äußeren Erscheinungsbildes in einem geschlossenen, eigenen Umweltgesetzbuch (mit 775 §§) wirkungsvoll unterstrichen wird. Der sprachliche Anklang an große Werke wie das Bürgerliche Gesetzbuch oder das Sozialgesetzbuch verleihen einen zusätzlichen Hauch an höherer Weihe. Das Umweltgesetzbuch will in einem „verwirrenden Geflecht von Umweltschutzgesetzen46" die Transparenz erhöhen, Regelungen vereinfachen und „innovative Regelungsansätze ... verwirklichen, die die Selbstverantwortung des einzelnen stärken und zu Mehr Umwelt-

UGB-KomE (Fn. 34), S. 7 .

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schütz durch weniger Normen beitragen 47 ". An diesem hohen Anspruch werden sich die einzelnen Regelungsbereiche ebenso messen lassen müssen wie an der Weitordnung des Grundgesetzes, der nach Art. 1 GG garantierten Menschenwürde und an den wichtigen Freiheitsgrundrechten wie Art. 2 Abs. 1 S. 1, Art. 5 Abs. 3 Satz 1, Art. 14 GG. Diese Grundrechte und damit auch das Grundrecht der Forschungsfreiheit können mit der verfassungsrechtlich schwächer strukturierten Staatszielbestimmung in Art 20a GG (die unmittelbar kein subjektiv öffentliches Recht schafft und sich auch in erster Linie an den Gesetzgeber richtet) im Einzelfall in Konflikt geraten. Die nach Verfassungsrecht unterschiedliche materiell-rechtliche Akzentuierung des vorbehaltlosen (aber nicht schrankenlosen) Grundrechts der Forschungsfreiheit einerseits und der Staatszielbestimmung nach Art. 20 a GG andererseits muß sich nach der gefestigten Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Grundrechtsverwirklichung durch Verfahren auch in den Verfahrensregelungen niederschlagen, und zwar auch und gerade in umweltrelevanten Verwaltungsverfahren. Nach diesen allgemeinen Vorbemerkungen sollen einige Regelungsvorschläge im UGB-KomE kurz untersucht werden:

1. Umweltverträglichkeitsprüfung für die Aufstellung und die wesentliche Änderung von Programmen zur anwendungsorientierten Förderung von Forschung und Entwicklung im Bereich raumbedeutsamer Investitionen (§ 75 Satz 1 Nr. 6 UGB-KomE) Zur Begründung dieses Vorschlags wird in sehr abstrakter Form darauf hingewiesen, daß bei solchen Forschungs- und Technologieprogrammen „weitreichende strukturelle Vorentscheidungen zu treffen seien" „... die sich in späteren Entscheidungsphasen umweltbelastend auswirken". In der Forschungs- und Entwicklungsphase würden teilweise langfristige Entscheidungen für künftig anzuwendende technische (Routine-)Verfahren getroffen 48. Die Begründung für diesen Vorschlag nennt kein konkretes Fallbeispiel, so daß der Phantasie Tür und Tor geöffnet sind. Fallen darunter nur Programme des Staates (nämlich des Bundes, der Länder und der Kommunen) oder auch Forschungs- und Entwicklungsprogramme öffentlich geförderter Forschungseinrichtungen oder der Industrie? Legt man die Definition von „Plan" und

47 48

UGB-KomE (Fn. 34), S. 72. UGB-KomE (Fn. 34), S. 590.

Forschungsförderung durch Verfahren?

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„Programm" im Vorschlag zu einer Programm-UVP-RL 49 zugrunde (vgl. Art. 2 ai), dann handelt es sich nur um Pläne und Programme von „zuständigen Behörden". Wird von diesem Vorschlag beispielsweise ein Programm zur weiteren Reduktion von Autoabgasen erfaßt, weil spätere Produktionsstätten für abgasmindernde Vorrichtungen „raumbedeutsam" sind? Gilt die Regelung überhaupt für Forschungs- und Entwicklungsprogramme, welche die Erhöhung des Umweltschutzes nachweisbar zum Ziele haben? Hätte beispielsweise das Forschungs- und Entwicklungsprogramm für den Transrapid einer Umweltverträglichkeitsprüfung bedurft? Muß ein raumbedeutsames Großprojekt noch einer Projekt-UVP unterzogen werden, wenn das entsprechende Forschungs- und Entwicklungsprogramm für dieses Projekt bereits eine Programm-UVP durchlaufen hat? Die Frage ist erlaubt, ob es Sinn macht, in einem sehr frühen Stadium, nämlich der Aufstellung von Forschungs- und Entwicklungszielen mit aller damit verbundenen Ungewißheit bereits ein staatliches „Umweltprüfungsverfahren" durchzuführen. Es besteht im übrigen die Gefahr einer inhaltlichen Einflußnahme auf Forschung und Entwicklung zu einem Zeitpunkt, in dem sich Ergebnisse für die praktische Umsetzung noch nicht abzeichnen können. Hier handelt etwa der Staat mit den von ihm finanzierten Forschungs- und Technologieprogrammen noch in einer Vorfeldzone, die sich einer Umweltprüfüng im Sinne einer tatsächlichen Belastung der Umwelt noch weitgehend entzieht. Der aus der Sicht der „Öffentlichkeitsbeteiligung" geeignete Ort für eine „Rundum-Prüfüng" solcher Programme sind die Fachausschüsse und Haushaltsausschüsse der Parlamente. Eine so weitgehende Vorverlagerung der „Umweltvorsorge" mit Hilfe von förmlichen Verwaltungsverfahren widerspricht der grundgesetzlich garantierten Forschungsfreiheit, die sich auch in einem Verzicht auf Verfahren erweisen muß. Die Forschungsfreiheit nach Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG verlangt hier eine „Grundrechtsverwirklichung durch Wegfall von Verfahren".

2. Immissionsschutzrecht Nach § 109 Abs. 1 Nr. 1 UGB-KomE kann durch Rechtsverordnung eine einfache Vorhabengenehmigung vorgesehen werden u. a. für Vorhaben, die der Forschung, Entwicklung und Erprobung neuer Erzeugnisse oder Verfahren dienen. Für Anlagen, die einer einfachen Vorhabengenehmigung nach 49

Vorschlag für eine Richtlinie des Rates über die Prüfung der Umweltauswirkungen bestimmter Pläne und Programme KOM (96) 511 endg.; Ratsdok. 7093/97 (BRDrucks. 277/97 vom 18.4.1997).

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§ 109 bedürfen, kann durch Rechtsverordnung auch vorgesehen werden, daß eine einfache Vorhabengenehmigung nicht erforderlich ist, wenn eine Anlage oder Anlagenteile der Forschung, Entwicklung und Erprobung neuer Erzeugnisse oder Verfahren dienen (§ 421 Abs. 2 Nr. 3 UGB-KomE). Damit wird das „Forschungsprivileg" gemäß Anhang I Ziffer 1 der EG-Richtlinie vom 24.09.1996 über die integrierte Vermeidung und Verminderung der Umweltverschmutzung (IVU-RL) zu Lasten der Forschung nicht ausgeschöpft, weil die Erleichterung unter den Vorbehalt des Erlasses einer Rechtsverordnung gestellt wird, die erlassen werden kann, aber nicht erlassen werden muß. Diese Abschwächung hat um so stärkeres Gewicht, als sich auch das Instrument der „einfachen Vorhabengenehmigung" gemäß §§ 109, 110 in der Praxis gar nicht als wesentliche Vereinfachung herausstellen muß. Eine einfache Vorhabengenehmigung bedeutet nahezu den gleichen Aufwand oder kann jedenfalls fast den gleichen Aufwand wie eine „normale" Vorhabengenehmigung haben, wie sich in der Verwaltungspraxis bei „vereinfachten Verfahren" immer wieder zeigt. Aus diesem Grunde ist daher unter dem Gesichtspunkt der „Grundrechtsverwirklichung der Forschungsfreiheit durch Verfahren" zu fordern, es bei künftigen gesetzgeberischen Vorhaben bereits auf Gesetzesebene eine Freistellung für Forschungsvorhaben zu verankern, wie es nach der IVU-Richtlinie möglich ist.

3. Chemikaliengesetz Die § § 4 - 1 2 ChemG 50 übernehmen die Vorgaben der EG-Gefahrstoff-RL zum Anmeldeverfahren und halten damit für das Chemikalienrecht am Grundsatz der Produktionsfreiheit mit staatlichem Eingriffsvorbehalt fest 51 . Die gemeinschaftsrechtlichen Regelungen des Anmeldeverfahrens für neue Stoffe (insbesondere die Gefahrstoff-RL) sind abschließend und verbindlich 52 . Für die Anmeldung neuer Stoffe übernimmt § 593 Abs. 1 Nr. 3 UGBKomE die Regelung des § 5 Abs. 1 Nr. 2 in Verbindung mit § 16 ChemG; danach sind Stoffe von der Anmeldepflicht ausgenommen, die zu Zwecken der wissenschaftlichen Forschung und Entwicklung in bestimmter Jahresmenge innerhalb des EWR in Verkehr gebracht werden. Nach § 16 b Abs. 1 Satz 3 ChemG ist der Hersteller neuer Stoffe, die nicht oder nur außerhalb des EWR 50

1. d. F. d. Bek. vom 25. Juli 1994 (BGBl I S. 1703 ff.). Peine, Jura 1993, S. 337, 340; Bosselmann, IUR 1991, S. 19 ff. 52 Peine (Fn. 51), S. 341 f. 51

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in Verkehr gebracht werden, nicht mitteilungspflichtig, wenn die Stoffe nur für Zwecke der Forschung und Entwicklung hergestellt werden. Von dieser Regelung weicht § 609 Abs. 2 Satz 3 UGB-KomE insofern ab, als künftig dieses „Forschungsprivileg" im Ermessen des Verordnungsgebers stehen soll. Nach der Begründung zu diesem Änderungsvorschlag 53 sei der Verordnungsgeber dadurch insgesamt flexibler und könne spezielle Höchstmengen festsetzen. Im Ergebnis bedeutet dies den Wegfall einer für die Forschung entlastenden Ausnahmeregelung, die unter dem Gesichtspunkt der Forschungsfreiheit gerechtfertigt ist, da in der Forschung regelmäßig nur mit verhältnismäßig geringen Mengen umgegangen wird. Es ist nicht ersichtlich, warum die bestehende Rechtslage verschärft werden soll, da die Risikolage unverändert ist.

4. Gentechnikgesetz Zweck des GenTG ist es u.a., den rechtlichen Rahmen für die Erforschung, Entwicklung, Nutzung und Förderung der wissenschaftlichen, technischen und wirtschaftlichen Möglichkeiten der Gentechnik zu schaffen (§ 1 Nr. 2 GenTG). Das GenTG hat damit nicht nur den Charakter eines (Umwelt-)Schutzgesetzes, sondern enthält auch deutliche Förderungselemente, damit einer Technik, die noch in der Entwicklung begriffen ist, ungeachtet von Anzeige-, Anmelde- und Genehmigungsverfahren - unter Wahrung des Schutzzweckes - der Weg geebnet wird. M i t einer gewissen Konsequenz wird demzufolge auch zwischen gentechnischen Arbeiten zu Forschungszwecken und zu gewerblichen Zwecken unterschieden (§ 3 Nr. 5 und § 3 Nr. 6 GenTG). In dem Entwurf des UGB finden sich diese „Forschungsförderungsklauseln" nicht mehr: In der Zweckbestimmung des § 552 UGB-KomE fehlt der Förderzweck. In den Begriffsbestimmungen des § 554 UGB-KomE wird nicht mehr zwischen gentechnischen Arbeiten zu Forschungszwecken und solchen zu gewerblichen Zwecken unterschieden; demzufolge unterscheiden die §§ 559 ff. UGB-KomE nicht mehr zwischen diesen Arten von Arbeiten. Eine Privilegierung von Arbeiten zu Forschungszwecken, die mit § 11 Abs. 6 oder § 12 Abs. 7 GenTG vergleichbar wäre, kennen die Vorschriften der §§ 565 UGB-KomE nicht. Der Kommissionsentwurf schafft mit dem Wegfall der Unterscheidung zwischen gentechnischen Arbeiten zu Forschungszwecken und solchen zu gewerblichen Zwecken eine Systematik, die auch in dem Änderungsentwurf der Systemrichtlinie enthalten ist. Damit entfallen alle Er-

53

UGB-KomE (Fn. 34), S. 1470.

39 FS Blümel

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leichterungen für die Forschung, die sich aus dieser Unterscheidung ergeben, falls dieser Vorschlag verbindlich werden sollte. Die Änderung der Zweckbestimmung (Wegfall des Förderzwecks) in dem Kommissionsentwurf zum UGB wird zu einem Zeitpunkt vorgeschlagen, zu dem Forschung und Entwicklung auf dem Gebiet der Gentechnik noch in vollem Gange sind; nach dem Stande vom 18.06.1997 entfallen fast 97 % zugelassener gentechnischer Arbeiten auf das Gebiet der Forschung und ca. 98 % der zugelassenen gentechnischen Anlagen betreffen den Forschungsbereich 54. Der Wegfall des Förderungszwecks verändert die Auslegungsrichtung auch in den Verwaltungsverfahren, in denen Anmeldung und Genehmigung von gentechnischen Arbeiten eine Rolle spielen; denn die Gesetzeszwecke sind bindende Auslegungsregeln auch für die Exekutive in Verwaltungsverfahren. Die Forschungsforderung durch Verfahren wird dadurch praktisch reduziert; über die Auswirkungen im einzelnen läßt sich - abstrakt vergleichend nur schwer ein Bild machen. Gewissermaßen „hinter den Kulissen" bleibt das Grundrecht der Forschungsfreiheit als vorbehaltloses Grundrecht mit beträchtlicher Ausstrahlung. Dieses Grundrecht wird auch ohne ausdrückliche Festlegung eines Förderzwecks, allerdings mit geringerem praktischen „Auslegungsdruck" zugunsten der Forschung, seine Wirkung nach wie vor entfalten. Die Bewertung des Wegfalls der Unterscheidung zwischen gentechnischen Arbeiten zu Forschungszwecken und solchen zu gewerblichen Zwecken hängt vor allem auch davon ab, wie die Gesamtbilanz der Auswirkungen der endgültigen Fassung der Änderung der Systemrichtlinie im Hinblick auf die (Förderung der) Forschung aussehen wird.

V I I . Grenzen der Forschungsförderung durch Verfahren Aus Art. 2 Abs. 2 S 1 GG wie auch aus Art. 20a GG und daraus abgeleiteten Schutzpflichten werden gelegentlich Folgerungen gezogen, die übertrieben sind. So stößt beispielsweise die sehr eingeschränkte und in der Praxis nur schwergängige Genehmigungsfreiheit für Forschungsanlagen „ i m Labor oder Technikumsmaßstab" gemäß § 1 Abs. 6 der 4. BImSchV auf Bedenken „hinsichtlich ihrer Vereinbarkeit mit den sich aus den Grundrechten, irisbesondere Art. 2 Abs. 2 GG ergebenden Schutzpflichten und der Staatszielbestimmung

54

http://www.rki.de./GENTEC/LAENDER/ARBEITEN.HTM.

Forschungsförderung durch Verfahren?

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Umweltschutz 55 . Diese Bedenken treffen nicht zu; denn es gibt keinen verfassungsrechtlich begründeten Anspruch auf die Durchführung eines bestimmten Genehmigungsverfahrens und keinen Anspruch auf ein gleichsam flächendekkendes Anlagengenehmigungsrecht. Hier hat der Gesetzgeber einen weiten, verfassungsrechtlich abgesicherten Einschätzungs- und Gestaltungsspielraum, der ihm Differenzierungen erlaubt oder gar gebietet. Im einzelnen ist zu diesen Bedenken zu bemerken:

1. Grundrecht auf Leben und körperliche Unversehrtheit (Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG) Ein pauschaler Hinweis auf die grundgesetzliche Pflicht zum Schutz des Lebens und der Gesundheit (Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG) ist ebensowenig eine hinreichende Begründung für eine Einschränkung der Forschungsfreiheit wie formelhafte Hinweise auf die „allgemeine Rechtsordnung" im Wirkbereich der Forschungsfreiheit. Nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts stellt das Leben „innerhalb der grundgesetzlichen Ordnung einen Höchstwert dar; es ist die vitale Basis der Menschenwürde und die Voraussetzung aller anderen Grundrechte" 56 . Der Schutz des Lebens ist aber nicht in dem Sinne allgemein geboten, daß dieses Grundrecht gegenüber jedem anderen Rechtsgut ausnahmslos Vorrang hat 57 . Trotz dieser verfassungsrechtlichen Schutzpflicht nach Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG gehen Bundesverfassungsgericht und die Verwaltungsgerichte mit Recht davon aus, daß es ein sozial adäquates Basisrisiko gibt, das nicht völlig ausgeschlossen werden kann. So hat auch das Bundesverfassungsgericht in seiner Kalkar-Entscheidung zum Ausdruck gebracht, daß vom Gesetzgeber keine Regelung gefordert werden kann, die mit absoluter Sicherheit Grundrechtsgefährdungen aus dem Betrieb technischer Anlagen ausschließt58. Das muß in gleicher Weise für wissenschaftliche Experimente in Labors oder für Versuche mit radioaktiven oder chemischen Stoffen gelten. Im Unterschied zur Forschungsfreiheit kennt Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG den allgemeinen Gesetzesvorbehalt (Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG); außerdem ergeben sich aus den Anforderungen und Abhängigkeiten sozialen Zusammenlebens, aus der Gemeinschaftsbezogenheit der Grundrechte und aus den Grundrechten Dritter systemimmanente Schranken für die Ausübung individueller Rechtspositio55

Steinberg/Koepfer, DVB1 1997 S. 973 f.; Steinberg, NJW 1996, 1985 ff. BVerfG, NJW 1975, 573, 575. 57 BVerfGE 88, 203, 253 f.; Steiner, Der Schutz des Lebens durch das Grundgesetz, Schriftenreihe der Juristischen Gesellschaft zu Berlin, Heft 125, 1992, S. 11 f. 58 BVerfG, DÖV 1979, 49, 54 = NJW 1979, 359, 363. 56

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nen. Das gilt auch für Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG. Das Grundrecht auf Leben und körperliche Unversehrtheit kann und will nicht jedes (gesundheitsgefährdende) Risiko aus dem menschlichen Zusammenleben hinausinterpretieren 59. Darüber hinaus tritt auch Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG in Konkurrenz zu anderen Grundrechten (nicht nur zu Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG) wie zum Beispiel zum Recht auf Selbstbestimmung der Frau (als Ausfluß ihres Persönlichkeitsrechts nach Art. 2 Abs. 1 GG), dem gegenüber dem Leben des Kindes im Mutterleib durchaus erhebliche Bedeutung beigemessen wird 6 0 . Wie das Recht auf Selbstbestimmung gehört auch die Forschungsfreiheit zum Grundbestand der geistigen Freiheitsrechte und hat daher auch im Verhältnis zum Grundrecht auf Leben und körperliche Unversehrtheit ein eigenständiges Gewicht. Diese kurzen Hinweise machen deutlich, daß jede isolierte und sektorale Betrachtung des Ranges eines Grundrechts falsch ist und eine integrierte Gesamtbetrachtung auch den Abwägungsprozeß (zwischen kollidierenden Grundrechten) im Einzelfall leiten muß, auch so weit es sich um die Grundrechtsgestaltung im Verfahren handelt. Das kann dazu führen, daß im Einzelfall zugunsten der Forschungsfreiheit eine Gesundheitsgefährdung in Kauf genommen werden muß, wenn dabei der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gewahrt wird. Das bedeutet dann auch, daß unter diesen Voraussetzungen auch bei der Gestaltung der Verwaltungsverfahren das Grundrecht zu Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG gegenüber dem Grundrecht der Forschungsfreiheit zurücktreten muß. Aus alledem folgt, daß es keinen absoluten Vorrang des Grundrechts auf Leben und körperliche Unversehrtheit vor dem Grundrecht der Forschungsfreiheit geben kann. Dies wird m. E. in der aktuellen politischen Diskussion wie auch in Rechtsprechung und Rechtslehre zu wenig beachtet.

2. Staatszielbestimmung Umweltschutz (Art. 20 a GG) Das vorbehaltlos gewährleistete Grundrecht der Forschungsfreiheit - auch in seiner verfahrensrechtlichen Ausgestaltung im Sinne des Verzichtes auf Verfahren - könnte in der Staatszielbestimmung Umweltschutz eine immamente Schranke finden. Die Staatszielbestimmung Umweltschutz hat einerseits über den Anwendungsbereich des Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG hinaus eine eigenständige Bedeutung für den Umweltschutz, soweit der Individualbezug

Vgl. hierzu Dürig, in: Maunz/Dürig/Herzog/Scholz, Grundgesetz, 1981, Art. 2 Abs. 3 Rdnr. 8; Isensee, Das Grundrecht auf Sicherheit. Zu den Schutzpflichten des freiheitlichen Verfassungsstaates, 1983, S. 41 f. 60 BVerfGE 88, 203, 253f.

Forschungsförderung durch Verfahren?

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fehlt und die Umweltschutzgüter im Ganzen betroffen sind 61 ; dies gilt insbesondere auch für den Nachweltschutz 62 . Auf der anderen Seite ist die Staatszielbestimmung Umweltschutz „inhalts- und strukturschwächer" als Grundrechte, da sie kein subjektiv-öffentliches Recht vermittelt und sich in erster Linie an den Gesetzgeber wendet 63 . Auch die Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers ist bei Art. 20 a GG größer als bei den grundrechtlichen Schutzpflichten sowohl aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG wie auch aus Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG 6 4 . Die gemeinsame Verfassungskommission hat bei der Einfügung des Art. 20 a GG in das Grundgesetz festgehalten: Die Einordnung der Staatszielbestimmung in die „verfassungsmäßige Ordnung ... bedeutet die prinzipielle Gleichordnung des Umweltschutzes mit anderen Verfassungsprinzipien und Verfassungsrechtsgütern. Der Umweltschutz ist also in Ausgleich mit anderen Verfassungsrechtsgütern und Verfassungsprinzipien zu bringen 65 ". Demzufolge hat auch das Bundesverwaltungsgericht festgestellt, „... daß der Umweltschutz keinen absoluten Vorrang genießt, sondern in Ausgleich zu anderen Verfassungsprinzipien und -rechtsgütern zu bringen ist". Dies treffe auch für den Fall der Kollision mit Grundrechten zu, die , wie Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG, keinem Vorbehalt unterliegen 66 . Daher ist die Auffassung unrichtig, daß umweltbeeinträchtigende Tätigkeiten von vorneherein nicht in den Schutzbereich der Forschung im Sinne des Art. 5 Abs. 3 S. 1 fallen, also daher nicht dem notwendigen Abwägungsprozess unterliegen 67 . Die Grenzen, welche die Staatszielbestimmung Umweltschutz dem vorbehaltlos gewährleisteten Grundrecht der Forschungsfreiheit zieht, sind allerdings nicht so eng wie gelegentlich behauptet wird. Denn die inhaltliche Unbestimmtheit und die strukturbedingte Offenheit des Staatsziels Umweltschutz in Art. 20 a GG verbietet eine zu extensiv-konkretisierende Interpretation - in jedem Fall gegenüber vorbehaltslos gewährleisteten Grundrechten wie das der Forschungsfreiheit. Dazu nur ein paar Bemerkungen: Steinberg 68 hält im Bereich des Umweltrechts gebundene Erlaubnisse für unvereinbar mit den Anforderungen aus den grundrechtlichen Schutzpflichten und aus der Staatszielbestimmung Um61

Murswiek,, NVwZ 1996, S. 222. Kloepfer, DVB1 1996, S. 73, 77 f. 63 Kloepfer (Fn. 63) S. 75; Steinberg, NJW 1996, S. 1992; Bericht der Gemeinsamen Verfassungskommission, BT-Drucks. 12/6000 S. 68. 64 Sommermann, DVB1 1991, S. 34, 35. 65 BT-Drucks. 12/6000 S. 67 f. 66 BVerwG, NJW 1995, S. 2648 f. 67 Murswiek, DVB1 1994, 77, 81 f.; dagegen mit Recht: Steinberg, NJW 1996, 88 1. Sp. 68 NJW 1996, 1985, 1993. 62

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weltschutz. Aus grundrechtlichen Schutzpflichten und aus der schwächeren Wirkung einer Staatszielbestimmung können nicht - auch nicht in Kombination - Ansprüche auf bestimmte Formen und Instrumente des Verwaltungsverfahrens abgeleitet werden. D. h. der Gesetzgeber kann nicht zu einer bestimmten Art und Weise des Tätigwerdens verpflichtet werden. Dem steht schon die verfassungsrechtlich garantierte gesetzgeberische Einschätzungsund Gestaltungsfreiheit bei der Erfüllung von grundrechtlichen Schutzpflichten und noch weitergehend bei der Verwirklichung von Staatszielbestimmungen entgegen. Außerdem können die das Umweltrecht strukturierenden Schutzpflichten und die Staatszielbestimmung Umweltschutz andere gewichtige Grundrechtspositionen (Forschungsfreiheit, Berufsfreiheit, Gewerbefreiheit, Eigentumsrecht) nicht außer Acht lassen, vor allem soweit sie - zum Teil vorbehaltlos, aber nicht schrankenlos (wie das Grundrecht auf Forschungsfreiheit) - freiheitssichernde Abwehrrechte gegenüber (normativen) Eingriffen des Staates verkörpern, die unter bestimmten Voraussetzungen sogar ein Recht auf Freiheit vor Verfahren, d.h. auch vor einer Präventivkontrolle durch Genehmigungsverfahren geben können. Aus diesem Grunde ist auch die Freistellung von Forschungsanlagen „ i m Labor- und Technikumsmaßstab" gemäß § 1 Abs. 6 BImSchV im Hinblick auf Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG und Art. 20 a GG unbedenklich, da die Schutzpflichten auch auf andere Weise als durch eine Präventivkontrolle im Genehmigungsverfahren, nämlich im Rahmen einer nachgehenden Kontrolle durch behördliche Überwachung (gemäß § § 2 2 - 2 5 BImSchG) erfüllt werden können. Wie bereits erwähnt, kann aus grundrechtlichen Schutzpflichten und aus der Staatszielbestimmung Umweltschutz eine bestimmte Ausgestaltung des Verfahrens in der Regel nicht abgeleitet werden 69 . Demzufolge ist die Konsequenz aus dem Mülheim-Kärlich-Beschluß des Bundesverfassungsgerichtes, „... die Durchführung eines staatlichen Genehmigungsverfahrens mit gehöriger Ermittlung und Entscheidung am Maßstab der Genehmigungsvoraussetzungen" werde „... zum unverzichtbaren Kern administrativer Erfüllung grundrechtlicher Schutzpflichten des Staates - oder mit anderen Worten - zur Wahrnehmung der Staatsaufgabe Umweltschutz", in dieser Allgemeinheit unzutreffend 70. Aus der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zum

69

So mit Recht Schmidt-Aßmann (Fn. 11), § 70 Rdnr. 20 mN; Wahl, Verwaltungsverfahren zwischen Verwaltungseffizienz und Rechtschutzauftrag, VVDStRL 41 (1993), S. 151, 169; Rombach, Der Faktor Zeit im umweltrechtlichen Genehmigungsverfahren - Verfahrensdauer und Beschleunigungsansätze in Deutschland, Frankreich und den Vereinigten Staaten, 1994, S. 172 f. 70 So aber Steinberg/Allert/Grams/Scharioth, Zur Beschleunigung des Genehmigungsverfahrens für Industrieanlagen, 1991, S. 122. In diese Richtung weisen auch

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Grundrechtsschutz durch Verfahren kann eine Verpflichtung des Staates zur Festlegung eines förmlichen Genehmigungsverfahrens nicht geschlossen werden. Dies gilt in jedem Falle für Anlagen, Produkte und Stoffe mit vergleichsweise geringem „Gefährdungspotential". Der Wegfall des Genehmigungserfordernisses muß im übrigen nicht zwingend zur Senkung materieller Umweltstandards führen 71 .

V I I I . Schlußbemerkungen Aus der kurzen Betrachtung zur Forschungsforderung durch Verzicht auf Verwaltungsverfahren läßt sich allgemein festhalten: Die von der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgericht entwickelten Grundsätze zum „Grundrechtschutz durch Gestaltung von Verfahren" gilt auch und gerade für den Wirkungsbereich des vorbehaltslosen, aber nicht schrankenlosen Grundrechts der Forschungsfteiheit und damit auch für Verwaltungsverfahren, in denen die Ausprägung der Forschungsfreiheit als Abwehrrecht eine besondere Rolle spielt: im Bereich der Zulassung von Anlagen, Arbeiten und Stoffen für Zwecke der Forschung, der Entwicklung und der Erprobung. Dabei ist im Hinblick auf normative Eingriffe des Staates in den Bereich der Forschung die Grundrechtsgestaltung durch Verzicht auf (unnötige) Verfahren von größerer Bedeutung als die Grundrechtsverwirklichung durch den zusätzlichen Erlaß von Organisations- und Verfahrensregelungen. In diesem Zusammenhang sind „Forschungsförderungsklauseln" sowie prägnant gefaßte Ausnahmen von der Genehmigungsbedürftigkeit und von Anmeldeund Anzeigepflichten besonders wichtig. Entgegen den Tendenzen im UGBKomE ist der Schutz des Grundrechts der Forschungsfreiheit durch Verzicht auf Verfahren zu verstärken: Dem Wegfall oder dem Abbau von forschungsfördernden (Ausnahme-) Regelungen insbesondere im Bundesimmissionsschutzgesetz, im Chemikaliengesetz und im Gentechnikgesetz ist entgegenzutreten. Umgekehrt sind bestehende Ausnahmeregelungen auszubauen, damit der Schutz des Grundrechts der Forschungsfreiheit auch durch Verzicht auf Verfahren effektiver gestaltet werden kann.

Ausführungen von L. Eckert, Beschleunigung von Planungs- und Genehmigungsverfahren, Speyerer Forschungsberichte 164, 1997, S. 69 f., 76. 71 So aber fälschlicherweise: Umweltausschuß des Bundesrates bei der Behandlung der Änderung der 4. BImSchV - BR-Drucks. 27/1/96 S. 1.

Europäisches Planungsrecht Europäisierung des deutschen Planungsrechts Das Planungsrecht in Europa Von Rainer Wahl

Die Europäisierung des gesamten Öffentlichen Rechts gehört zu den Schwerpunktthemen der derzeitigen Wissenschaft des Öffentlichen Rechts, wenn sie nicht sogar (zusammen mit dem nächsten Schritt der Internationalisierung des Öffentlichen Rechts) das eigentliche Gegenwartsthema ist 1 . Die Diskussion hat - zunächst zögerlich - mit allgemeinen Überlegungen zu den Einwirkungen des Gemeinschaftsrechts auf das Verwaltungsrecht begonnen, dann bald größere Fahrt aufgenommen - sie hat inzwischen auf alle Teilgebiete des Besonderen Verwaltungsrechts ausgegriffen oder ist dabei, darauf überzugreifen 2. Sind demnach alle Gebiete des Besonderen Verwaltungsrechts im Grunde nach der Europäisierung offen, so unterscheiden sie sich in der Intensität der Einflüsse. Für das hier interessierende Gebiet des Planungsrechts, Kerngebiet des langjährigen Forschens von Willi Blümel, ist der europäische Bezug nicht überall gleichermaßen evident. Geht man vom eigentlichen Fachplanungsrecht, von einzelnen nationalen Projekten aus, so liegt der europäische Bezug 1

Eine Übersicht der inzwischen unübersichtlichen Literatur gibt Schock , Die Europäisierung des allgemeinen Verwaltungsrechts, JZ 1995, S. 109 ff. (dort Fn. 5 bis 19); aus der später erschienenen Literatur sei insbesondere verwiesen auf Brenner, Der Gestaltungsauftrag der Verwaltung in der Europäischen Union, 1996; Classen, Die Europäisierung des Verwaltungsrechts, in: Kreutzer/Scheuing/Sieber (Hrsg.), Die Europäisierung der mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen in der Europäischen Union, 1997, S. 107 ff ; sowie von Danwitz, Verwaltungsrechtliches System und Europäische Integration, 1996, S. 15 ff. 2 Eine der letzten Bastionen, die jetzt aber rasch ins Wanken kommen wird, ist das traditionelle Referenzgebiet des eingreifenden Verwaltungsrechts, das Polizei- und Ordnungsrechts. Hier gibt es einen dringenden Bedarf, die grundlegenden Begriffe der Gefahr (etwa in Abgrenzung zum Vorsorge- und zum Risikobegriff) im intensiven Rechtsvergleich zu der Verwendungsweise in anderen europäischen und (im Rahmen der WTO) auch in nicht-europäischen Rechtsordnungen zu analysieren.

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nicht so offensichtlich auf der Hand: Wieso sollten grenzferne einzelne Straßenbauprojekte oder eine personenbeförderungsrechtliche Planfeststellung vom europäischen Recht erfaßt werden? Sind sie nicht - vergleichbar den einzelnen Bauvorhaben - außerhalb seines intensiven Einflusses? Richtig daran ist, daß bei den raumbezogenen Zulassungen außerhalb der engeren grenzüberschreitenden oder grenznahen Situation die Rechtfertigung und der tragende Grund für die gemeinschaftsrechtliche Dimension, der Bezug zum gemeinsamen Markt, nicht offen zutage tritt, jedenfalls in einer ganz anderen und geminderten Weise als es bei Produktzulassungen der Fall ist. Bei der Gesamtmenge der Zulassungs- und Genehmigungsentscheidungen ist deshalb unter diesem heute vordringlich relevanten Gesichtspunkt grundsätzlich zu unterscheiden zwischen den Produktzulassungen einerseits, die einen expliziten, ja dominanten Bezug zum Gemeinsamen Markt haben3, und den raumbezogenen Zulassungen andererseits, den typischen Planfeststellungen und raumwirksamen Genehmigungen wie etwa im Immissionsschutzrecht. Der zweite Blick zeigt aber eine - zwar geminderte, aber doch deutliche Nähe des Planungsrechts zu den gemeinschaftsrechtlichen Problemstellungen: Zum einen betrifft dies die Maßstäbe für die Zulassungen. Längst hat sich neben dem primären (und immer noch inhaltlich dominanten) Wirtschaftsbezug des Gemeinschaftsrechts der Umweltschutz als weiteres grundlegendes Ziel etabliert. Und dies gilt nicht nur - wie bekannt - auf der Ebene des Primärrechts (Art. 130 r - 1 EGV), sondern vor allem in der großen Breite und Intensität des umweltrechtlichen Sekundärrechts der Gemeinschaft. Zum anderen aber haben raumwirksame Zulassungsentscheidungen (und insbesondere Planungsentscheidungen) mit ihrem charakteristischen Raumbezug (Raumwirksamkeit i.S.d. ROG) einen primären europarechtlichen und gemeinschaftsrechtlichen Bezug, weil sie auf den Raum, damit potentiell auch auf den europäischen Raum, einwirken. Praktisch wirkt sich dies bei den überörtlichen Fachplanungen (so vor allem bei den großen Verkehrsplanungen) und natürlich bei der Raumordnung aus. M i t diesen großen überörtlichen Fachplanungen und den raumwirksamen Fachpolitiken - wie der Regionalpolitik und natürlich der Raumordnung selbst - sind die Sachbereiche benannt, die ihrerseits eine eigene spezifisch europäische Raumordnung konstituieren. Bei ihnen liegt der gemeinschaftsrechtliche Bezug auf der Hand. Hier konstituiert sich auch neben der Europäisierung des Planungsrechts der Mitgliedstaaten die eigene Ebene des europäischen Planungsrechts - von ihm soll hier

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Siehe hierzu Wahl/Groß, Die Europäisierung des Genehmigungsrechts am Beispiel der Novel Food-Verordnung, DVB1 1998, S. 2 ff.

Europäisches Planungsrecht - Europäisierung des deutschen Planungsrechts 619 nicht ausfuhrlich die Rede sein, immerhin soll dieser Bereich aus systematischen Gründen in den Überblick einbezogen werden.

I. Überblick über das europäische Planungsfeld und die Problemfelder des europäisierten Planungsrechts der Mitgliedstaaten 1. Die Europäisierung des Planungsrechts Das sich rasch ausbildende Recht der Europäischen Union (EU) ist im Bereich der Raumplanung im weitesten Sinne auf die stark und eigenständig entwickelten Planungssysteme der einzelnen Mitgliedstaaten gestoßen. Mag der Planungsgedanke ordnungspolitisch oder ideologisch bedingt in den einzelnen Mitgliedstaaten unterschiedlich stark entfaltet sein, ein Mindestmaß an raumwirksamer und raumordnender Planung ist in einer dicht besiedelten und sich rasch verändernden industrialisierten Gesellschaft unerläßlich und deshalb auch überall vorhanden. Entwicklungsvorgänge auf der europäischen Ebene sind so von Anfang an auf ausdifferenzierte und relative komplexe Planungssysteme in den einzelnen Ländern gestoßen. Die ersten Einwirkungen sind dabei zum einen im projektbezogenen Feld der Fachplanungen, insbesondere bei den Verkehrsplanungen, zum anderen auf dem rechtlich meist „weich" geregelten Gebiet der raumwirksamen Finanzhilfen, vor allem im Feld der regionalen Strukturpolitik, wahrgenommen worden. Dabei fiel der Blick zunächst auf die am Anfang wenig intensive Überformung nationalstaatlicher Verfahren der Projektzulassung bzw. der Vergabe von Finanzhilfen. Diese erste Schicht der langsam zunehmenden Europäisierung nationaler Verwaltungsverfahren wurde dann aber durch die ersten Ansätze eines europäischen Planungsrechts ergänzt. Denn die Einwirkungen von „Brüssel" konnten - je länger, desto mehr - nicht nur in der Form punktueller Einflußnahmen geschehen. Immer mehr wurde ein einheitliches räumliches Konzept als der konsensuelle Hintergrund von Einzelentscheidungen und Ingerenzen erforderlich - kurz: Die Europäisierung des nationalen Planungsrechts setzte die Ausbildung eines eigenen europäischen räumlichen Denkens voraus. Entdeckt wurde damit eine eigenständige Verantwortung der EU für den Raum, diesmal nicht mehr für den Wirtschaftsraum, sondern für die räumliche Ordnung des Lebensraums Europa, also der Gesamtheit des Wirtschafts-, Siedlungs-, Verkehrs-, Freizeit-, Kultur- und Umweltraums. Europäische räumliche (Struktur-)Bilder von der Gestalt des Raumes der EU wurden entwickelt. Europa bekam Gestalt als Gebilde mit Kernzonen und PeripherieStrukturen, mit Akteur- und Aktiv-Zentren, Entwicklungsachsen, ballungsfer-

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nen Räumen usw. Auf diese darstellenden Bilder folgten dann „Leitbilder" einer anzustrebenden Ordnung, mögen sie noch so generell und skizzenhaft sein. Mit anderen Worten: Das europäisierte nationale Planungsrecht erhielt und erhält ein Pendant, ein Gegenüber in Ansätzen zu einem europäischen Planungsrecht. Zugrunde liegt der Gedanke einer eigenen räumlichen Verantwortung der EU für „ihren" Raum. Oder - um es in der Abwandlung einer bekannten Sentenz des Bundesverfassungsgerichts zu sagen - der Raum der Gemeinschaft wurde als größter zu ordnender Raum innerhalb der EU entdeckt, und dafür wurden und werden zunehmend eigene planerische Vorstellungen in Form von Leitbildern, Konzepten und Programmen ausgearbeitet. Das Thema der Europäisierung stellt sich auch im Planungsrecht in seiner bekannten Doppelgestalt dar, nämlich einerseits in der Einwirkung des Gemeinschaftsrechts auf das nationale Recht und andererseits in der Ausbildung eines eigenen Sachbereichs und Rechtsbereichs der Planung auf der Gemeinschaftsebene selbst. Für einen vollständigen Überblick über das Gesamtphänomen der Europäisierung müßten deshalb die traditionellen Sachgebiete der raumbezogenen Planung zweimal behandelt werden. Aus Raumgründen beschränkt sich die folgende Skizze auf das werdende europäischen Planungsrecht. Dessen Einwirkungen auf das nationale Recht soll dann exemplarisch am Beispiel der Wirkungen der FFH- Richtlinie auf laufende Verkehrsprojekte behandelt werden. 2. Raumordnungspolitik und europäisches Raumentwicklungskonzept Beim Überblick über die werdende europäische Planung und ihre Einwirkungen auf die nationale räumliche Planung wird man gut daran tun, sich nicht nur auf der Ebene der Normen und der greifbaren rechtlichen Einwirkungen zu halten. Planung schlägt sich zumeist auch in rechtlichen Formen nieder, aber ihre Wirksamkeit und Leistungsfähigkeit, die Bahnen ihres Einflusses sind nicht allein nach den rechtlichen Normen und den dort enthaltenen verbindlichen Einwirkungsmöglichkeiten zu beurteilen. Im gesamten Bereich des raumwirksamen Handelns von privat und öffentlich Handelnden sind Vorstellungen über die räumliche Struktur und die Verteilung - sei es explizit, sei es als Hintergrundvorstellung - notwendig und wirksam. Die Ausbildung eines solchen räumlichen Bezugsrahmens für das Denken und Handeln ist ein nicht zu gering zu veranschlagender Baustein auf dem Weg zu einem koordinierten raumwirksamen Handeln, eine Vorstufe des Planungsrechts, die bei weiteren Schritten nicht wegzudenken ist und die reale Auswirkungen hat. Es ist eine Konstante der Entwicklungsgeschichte der raumbezogenen Planung und ihres Rechts, daß die explizit auf die Ordnung des Raumes bezogene Raumordnung zeitlich nicht am Anfang steht. Als zusammenfassende und

Europäisches Planungsrecht - Europäisierung des deutschen Planungsrechts 621 überfachliche Planung setzt sie entwicklungsgeschichtlich die Ausbildung von fachlichen raumbezogenen Aktivitäten und von Fachplanungen als ersten Schritt voraus, die es in einem zweiten systematischen Ansatz zu verbinden und rechtlich zu überformen gilt. Es ist aber ein Indikator für den Entwicklungsstand des planerischen Gedankens und für die wachsende Bedeutung der Sachproblematik, wenn sich über und neben die sektorale Planung die integrale und integrierende Raumordnung und ihr Recht entwickeln. Die Kompetenzgrundlage ist dann üblicherweise schmal und rechtlich schwach, aber ab einem bestimmten Grad der Entwicklung von raumbezogenen Fachplanungen und Fachaktivitäten wird der Systemgedanke einer Raumordnung und ihres Rechts unvermeidlich. Dieser Prozeß ist auf der Gemeinschaftsebene zu beobachten. Umgekehrt ist es ein unübersehbarer Hinweis auf kräftige raumbezogene Aktivitäten, wenn auf einer Ebene wie der Europäischen Gemeinschaft Raumordnungsaktivitäten zu beobachten sind. Sichtbaren Ausdruck haben sie zunächst in zwei Dokumenten der Kommission gefunden, im Dokument „Europa 2000" aus dem Jahr 1991, das ein Bild Europas, seiner Regionen und Städte im Jahr 2000 vermitteln sollte, und dem im Jahre 1995 folgenden Bericht „Europa 2000 + - Europäische Zusammenarbeit bei der Raumentwicklung" 4 . Diskutiert wurden diese Berichte vorwiegend auf den informellen Tagungen der für die Raumordnung und die Regionalpolitik zuständigen Minister der Mitgliedstaaten. Dieses auf dem Gedanken der Kooperation der Mitgliedstaaten basierende Gremium hat im Jahre 1993 die Erarbeitung eines „Europäischen Raumentwicklungskonzeptes" (EUREK) in Auftrag gegeben, dessen erste Fassung im Wege eines informellen Abstimmungsprozesses der beteiligten Ministerien der Mitgliedstaaten entstanden ist und im Juni 1997 vorgelegt wurde 5 .

4 Kommission der Europäischen Gemeinschaften, Generaldirektion Regionalpolitik (Hrsg.), Europa 2000 - Perspektiven der künftigen Raumordnung in der Gemeinschaft, 1991; Europa 2000 + Europäische Zusammenarbeit bei der Raumentwicklung - Ratsdokument - Nr. 11165/95 (= BT-Drucks. 13/3577). 5 Der Text ist unter dem Titel „ E r s t e r offizieller Entwurf des Europäischen Raumentwicklungskonzeptes (EUREK)" abgedruckt in der Unterrichtung durch die Bundesregierung, BR-Drucks. 690/97. Dazu Spannowsky, Die zunehmende Bedeutung des Rechts der Europäischen Gemeinschaft für die Regionalplanung, die Bauleitplanung und die Fachplanungen, UPR 1998, S. 161 (163); insgesamt auch von Malchus, Art. „Europäische Raumordnung", in: Handwörterbuch der Raumordnung, 1994, S. 261 ff. und Krautzberger/Selke, Auf dem Wege zu einem Europäischen Raumentwicklungskonzept, DÖV 1994, S. 685 ff.; Institutionelle Bedingungen einer europäischen Raumentwicklungspolitik (Akademie für Raumforschung und Landesplanung), 1994 Dem EUREK (bzw. ESDP = The European Spatial Development Perspectives) ist das gesamte Heft 6/1997 der Zeitschrift EUREG mit 9 Beiträgen aus verschiedenen europäischen Ländern gewidmet. Vgl. Auch Th. W. Eser, The Implementation of the Euro-

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Man würde die Bedeutung der Raumordnungspolitik auf der EG-Ebene gründlich verkennen, wenn man sich nur auf die Schwierigkeiten der rechtlichen Grundlage konzentrieren würde 6. In ihrer ersten Phase war und ist Raumordnung typischerweise eine persuasorische Aktivität, d.h. sie hat sich unabhängig und trotz mangelhafter Kompetenzgrundlage aufgrund der sachlichen Notwendigkeit und der inhaltlichen Überzeugungskraft entwickelt 7 . In der ersten Phase führt die Problemdefinition im größeren europäischen Raum zunächst zu einer sich rasch intensivierenden Vergleichung der Rechtsordnungen und Planungssysteme. Nationale Raumordnungspolitik und nationale Planung wird dann rasch im Lichte der jetzt bekannten Alternativen in anderen Ländern analysiert und diskutiert 8 . Vor allem kann Raumordnungspolitik zur Ausbildung eines räumlichen Bildes einer politischen Einheit beitragen, durch die Raumordnungspolitik entsteht ein Selbstbild der Einheit. Die Europäische Gemeinschaft gewinnt insoweit Vorstellung nicht nur als abstraktes Gebiet eines Binnenmarkts und als räumliches Objekt von Sachpolitiken, sondern die Unionsbürger machen sich zunehmend ein räumliches „Bild" des EG-Raums. Und gerade hier liegt ein wichtiger, unverzichtbarer und nicht zu unterschätzender Beitrag von Raumordnungs- und Raumentwicklungspolitik. Was hier auf Kartenwerken gezeichnet und strukturiert wird, prägt möglicherweise das

pean Spatial Development Policy: Potential or Bürden, (Taurus, Diskussionspapiere Nr. 1, Trier). 6 Dazu nur Battis, Rechtsfragen einer europäischen Raumordnungspolitik, in: FS Schlichter, 1995, S. 185 ff. sowie Schmidhuber/Hitzler, Die Planungskompetenz der Europäischen Gemeinschaft beim Ausbau der europäischen Infrastrukturen, DÖV 1991, S. 271 ff. und früh schon David, Rechtliche Grundlagen europäischer Raumordnungsbestrebungen, in: Akademie für Raumforschung und Landesplanung (Hrsg.), Ansätze zu einer europäischen Raumordnung, Forschungs- und Sitzungsberichte der Akademie für Raumforschung und Landesplanung, Bd. 155, 1985, S. 5 ff 7 Vgl. dazu Wahl, Rechtsfragen der Landesplanung und Landesentwicklung, Bd. 1, 1978, S. 185 ff. - Der Erste offizielle Entwurf eines EUREK (Fn. 5) betont so bezeichnenderweise, daß es ein „politisches Dokument" und ein „unverbindliches Bezugsdokument" sei, daß „das Ziel des EUREK weder darin besteht, neue Handlungsfelder für die Gemeinschaftspolitik zu suchen noch neue Verantwortlichkeiten für die Europäische Union aufzudecken" (unter I C und ID). Zugleich aber heißt es in schöner Offenheit: ,JEs wurde vereinbart, daß das EUREK, trotz seines nicht-bindenden Charakters, zu meßbaren Ergebnissen führen soll" (unter IV.). 8 Bezeichnend für diese vergleichende Perspektive etwa Bundesministerium für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau (Hrsg.), Synopse der raumordnerischen Zielvorstellungen europäischer Länder, 1993, und David, Europäische Tendenzen und gemeinschaftsrechtliche Grenzen einer Harmonisierung raumplanerischer Vorschriften Städtebau, Umweltpolitik und Regionalpolitik, DÖV 1993, S. 1021 ff., und zahlreiche „bilaterale" und gemeineuropäische Veröffentlichungen im Rahmen der Akademie für Raumforschung und Landesplanung. - Zur Rechtsvergleichung in der städtebaulichen Planung Schmidt-Eichstaedt, DÖV 1996, S. 1412 ff.

Europäisches Planungsrecht - Europäisierung des deutschen Planungsrechts 623 Bewußtsein, und zwar völlig unabhängig davon, ob solche Programme in Rechtsformen gegossen werden und ob sie verbindlich sind oder nicht. Die Bilder wirken. Die Bilder können auch eine Eigendynamik entfalten, so wenn sich etwa das verbreitete Bild von der „Blauen Banane" als Kennzeichnung der reichen europäischen Zentralzone im Unterschied zu peripheren ärmeren oder armen Regionen in den Köpfen festsetzt, wozu nicht zuletzt die etwas bemühte, aber gleichwohl erfolgreiche witzige Formulierung beitragen könnte. Im wissenschaftlichen Schrifttum wird zum Beispiel das Konzept eines „Wachstumsrings" entwickelt, der aus einem System von etwa einem Dutzend größerer Metropolen und Zentralregionen besteht: „Diese großen Ballungsräume werden politische Entscheidungsmacht und Finanzkapazitäten auf sich vereinigen, Angelpunkt der Zusammenschaltung von Hochgeschwindigkeitsnetzen sein und die wichtigsten Zentren der Innovation und der Informationsverarbeitung darstellen. Kurz: Die Mehrzahl aller strategischen Funktionen' werden entlang dieses Wachstumsrings angesiedelt sein" 9 . Kommt dann noch eine erste Veranschaulichung in Form einer Karte über „Europäische Städtenetze und Verbindungsachsen und Räume mit europäischem Handlungsbedarf' hinzu, kann man sich eine Vorstellung über die „Macht der Bilder" machen 10 . Wie auch im nationalen Bereich, so bezieht sich die Raumordnungspolitik der EG typischerweise und mindestens auf die folgenden Politiken, die sie zusammenfaßt. Es handelt sich um -

die räumliche Dimension des wirtschaftlichen Handelns, traditionellerweise regionale Wirtschaftspolitik genannt,

-

die großräumige Siedlungsstruktur (etwa als Struktur von Entwicklungszentren, Achsen- und Achsenzwischenräumen),

-

die großräumigen Verkehrsnetze,

-

die räumliche Vernetzung ökologisch wertvoller Räume 11 .

9 Towards a New European Space - Aufbruch zu einem Neuen Europäischen Raum (Akademie für Raumforschung und Landesplanung), under the leadership öf P. Treuner, 1995, S. 109. 10 Vgl. Fn. 9, Anhang; andere Bilder und Strukturmodelle über Städtenetze finden sich etwa in der offiziellen Schrift Bundesministerium für Raumordnung, Bauwesen, Städtebau (Hrsg.), Grundlagen einer Europäischen Raumentwicklungspolitik, 1995, S. 11 und 13 oder in der Veröffentlichung einer (wissenschaftlichen ) dt.-frz. Arbeitsgruppe: Perspektiven einer europäischen Raumordnung = Perspectives de l'Aménagement du Territoire Européen (Akademie für Raumforschung und Landesplanung, DATAR), 1992, A 23, A 29. 11 Nicht zufällig tauchen bei dieser Auflistung die Leitbegriffe des Netzes und der Region auf. Beidemal geht es um grundlegende und elementare Strukturierungen des

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Die europäische Raumordnungspolitik (EUREK 1 2 ) bezieht sich auf diese Politiken ganz einfach und unvermeidbar deshalb, weil es diese bereits mehr oder weniger stark ausgeprägt gibt. Dies soll in einem kurzen Überblick gezeigt werden.

3. Europäische Regional- und Strukturpolitik Das schon in Art. 2 EGV ausgedrückte (Haupt-)Ziel, den wirtschaftlichen und sozialen Zusammenhalt und die Solidarität zwischen den Mitgliedstaaten zu fördern, hat eine explizite raumbezogene Dimension, nämlich die bereits in der Präambel (Abs. 5) festgehaltene Aufgabe, „den Abstand zwischen einzelnen Gebieten und den Rückstand weniger begünstigter Gebiete (zu) verringern". Im Titel X I V : Wirtschaftlicher und sozialer Zusammenhalt (in Zukunft Titel X V I I in der konsolidierten Fassung des EGV) und im speziellen (Aufgaben) Artikel des Art. 130 a EGV (in Zukunft Art. 158) 13 werden die Ziele der Struktur- und Regionalpolitik näher umschrieben, die zentralen Begriffe der Region und der regionalen Ungleichgewichte tauchen auf, das Hauptinstrument des Europäischen Fonds für regionale Entwicklung wird primärrechtlich verankert (Art. 130 c EGV, in Zukunft Art. 160) und eine Gesamtregelung für die Strukturfonds und die Errichtung eines Kohäsionsfonds wird vorgesehen. Geschichte und Ausprägung der europäischen Regional- und Strukturpolitik können hier nicht dargestellt werden 14 . Im vorliegenden Zusammenhang ist entscheidend hervorzuheben, daß sich auf der europäischen Ebene wiederholt, was schon auf der nationalen Ebene gilt: In der Gesamtheit der raumbezogenen und raumwirksamen Politiken nimmt die regionale Wirtschaftsförderung schon wegen der Höhe der dabei bewegten Finanzmittel eine führende Rolle ein. Die Ausweisung der Fördergebiete ist weit mehr als die räumliche UmRaums, die entweder durch Netze und Linien oder durch maßgebliche Untergliederungen eines Gesamtraumes geprägt werden. 12 Oben Fn. 5. 13 Art. 130 a Abs. 2 EGV (nach Ratifikation und Inkrafttreten des Vertrages von Amsterdam zukünftig Art. 158): „Die Gemeinschaft setzt sich insbesondere zum Ziel, die Unterschiede im Entwicklungsstand der verschiedenen Regionen und den Rückstand der am stärksten benachteiligten Gebiete, einschließlich der ländlichen Gebiete, zu verringern." 14 Allgemeine Literatur: Klemmer (Hrsg.), Handbuch europäische Wirtschaftspolitik, 1998; auch Eberstein/Karl (Hrsg.), Handbuch der regionalen Wirtschaftsförderung, 3. Aufl. 1996 (Stand: Juni 1998), dort insbesondere die Beiträge von Ridinger, Konzeption und Instrumente (Teil A, Abschnitt VE, Kapitel 1) sowie Bachtier, Regionale Wirtschaftsförderung in den Mitgliedstaaten der Europäischen Union (Teil A, Abschnitt VE, Kapitel 2).

Europäisches Planungsrecht - Europäisierung des deutschen Planungsrechts 625 schreibung/Ausformulierung von vielen Fachpolitiken, sondern eine prägende Qualifizierung eines Gebietes, die sich auch außerhalb des engeren Sachbereichs der Wirtschaftsförderung zur Geltung bringt. Die Gebietskulisse der regionalen Wirtschaftsförderung ist eine wichtige räumliche Qualifizierung. Es liegt auf der Hand, daß die Ausweisung auf europäischer Ebene vielfältige Auswirkungen auf die nationalen Wirtschaftsforderungen hat. Die deutsche Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsforderung" ist - natürlich - in eine starke inhaltliche Abhängigkeit gegenüber der europäischen Regional- und Strukturpolitik geraten, anders kann es gar nicht sein 15 . Nicht unterschätzt werden sollten auch die indirekten Wirkungen der Beihilfen-Kontrollaufgabe durch die Kommission gemäß Art. 92 EGV (in Zukunft Art. 87 EGV), die neben der wettbewerblichen Aufgabe auch steuernd auf die regionale und kommunale Wirtschaftsförderung Einfluß nehmen kann 16 .

4. Raumbezogene Fachplanung: Die Transeuropäischen Netze Der spektakulärste Beitrag des Gemeinschaftsrechts zu den Fachplanungen sind die Entwicklung und die Planung von Transeuropäischen Netzen (TEN) 1 7 . Weil ein Wirtschaftsraum, wie er zunächst von der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft als alleiniges, jetzt von der EU immer noch als wichtigstes Teilziel verfolgt wird, nicht nur ein Gebiet ist, innerhalb dessen sich die direkten ökonomischen Aktivitäten der Wirtschaftssubjekte abspielen, weil auch und gerade ein ausgebildeter Wirtschaftsraum Vorleistungen durch die öffentliche Hand in Gestalt ausgeprägter Verkehrsinfrastruktur bedarf, ist die Betätigung der EG auf der Ebene der europäischen Verkehrsadern schon

15 Dazu Püttner/Spannowsky, Das Verhältnis der europäischen zur deutschen Regionalpolitik, in: Klemmer (Fn. 14); Einzelheiten auch bei Spannowsky (Fn. 5), S. 165. So ist z.B. die Umweltverträglichkeit in dem maßgeblichen Sekundärrecht, der sog. Rahmenverordnung von 1993, zur Voraussetzung für die regionale Finanzierungsbeteiligung geworden; dementsprechend ist der 25. Rahmenplan der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur" fortentwickelt und neu strukturiert worden. - Weitere Literatur Spannowsky, Umweltschutz und Regionalpolitik, in: Rengeling (Hrsg.), Handbuch zum europäischen und deutschen Umweltschutz, im Erscheinen, § 87. 16 Spannowsky (Fn. 5), 165 f. 17 Aus der allgemeinen rechtswissenschaftlichen Literatur sei erwähnt: Jürgensen, Gemeinschaftsrechtliche Aspekte beim Aufbau transeuropäischer Verkehrsnetze, UPR 1998, S. 12 ff; Erberich, Transeuropäische Netze, in: Bleckmann (Hrsg.), Europarecht, 6. Aufl. 1997, Rdnr. 2724 ff.; Erdmenger, Art. 129 b - d EGV, in: von der Groeben/ Thiesing/Ehlermann (Hrsg.), Kommentar zum EG-Vertrag, 5. Aufl. 1997; Rambow, Art. 129 b, in: Lenz (Hrsg.), EG - Vertrag, Kommentar, 1994. 40 FS Blümel

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nach der Sachlogik der wirtschaftlichen Integration schlüssig und unvermeidlich. Ohne die Lebensadern der Verkehrsnetze ist der Binnenmarkt nicht vorstellbar, ohne den öffentlichen Planungssektor für die Verkehrsinfrastruktur wäre die Wettbewerbswirtschaft der Marktbürger ein Torso. Und wie im nationalen Raum, so wird es auch im Gemeinschaftsraum sein: Die Verkehrsinfrastruktur ist nicht nur ein beliebiger oder neutraler Rahmen der wirtschaftlichen Aktivitäten, sondern eine folgenreiche Vorzeichnung der Kraftlinien für wirtschaftliche und gesellschaftliche Aktivitäten. So wie sich in traditionell zentralistischen Ländern wie in Frankreich und Spanien im bisherigen Verkehrsnetz die sternförmige Ausstrahlung der Hauptstadt anschaulich und bildhaft abzeichnet, so wird im größeren Raum der Union eine partielle Umorientierung dieser Netzstrukturen in den meisten Mitgliedstaaten erforderlich werden und sich in diesen neuen transeuropäischen Netzen Kraftlinien der Entwicklung abzeichnen. Die Ausbildung der TEN liegt so sehr in der Sachlogik der europäischen Integration, daß die rechtlichen Regeln schon einen beträchtlichen Entwicklungsstand aufweisen. Im Kontext des Art. 129 c EGV (in Zukunft Art. 155) ist ein veritables Instrumentarium vorgesehen und schon in Gang gesetzt worden. Die Gemeinschaft handelt dabei auf dreierlei Weise: - Erstens stellt die EG gemäß Art. 129 c Abs. 1 erster Spiegelstrich EGV „Leitlinien" auf, in denen Vorhaben von gemeinsamem Interesse ausgewiesen werden. Was terminologisch mit dem Begriff „Leitlinien" vielleicht etwas blaß bezeichnet ist, ist, wie die inzwischen verabschiedete Entscheidung Nr. 1692/96/EG zeigt, 18 eine verkehrsträgerübergreifende aufgabenbezogene Verkehrswegeplanung im Gemeinschaftsraum 19. Konsequenterweise und folgenreich drücken sich diese Leitlinien in Karten für jedes Mitgliedsland, in einem sog. Leitschema aus (vergleichbar den kartographischen Darstellungen im Bundesverkehrswegeplan). Insbesondere das Netz der geplanten Hochgeschwindigkeits-Eisenbahnstrecken kann in seiner raumbewußtseinsbildenden Kraft gar nicht überschätzt werden. 18

Entscheidung Nr. 1692/96/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. Juli 1996 über gemeinschaftliche Leitlinien für den Aufbau eines transeuropäischen Verkehrsnetzes, ABl Nr. L 228 v. 09.09.1996, S. 1 ff. (mit geringfügiger Berichtigung in ABl Nr. L 15 v. 17.01.1997, S. 1 ff.). 19 Deutlich dazu Erwägungsgrund 1 der Entscheidung Nr. 1692/96/EG (Fn. 18): „Der Auf- und Ausbau der transeuropäischen Verkehrsnetze dient wichtigen Gemeinschaftszielen wie dem reibungslosen Funktionieren des Binnenmarkts und der Stärkung des wirtschaftlichen und sozialen Zusammenhalts." - Die Leitlinien unterscheiden zwischen Straßennetz, Eisenbahnnetz (konventionelles und Hochgeschwindigkeitsnetz), Binnenwasserstraßennetz und Binnenhäfen, Seehäfen, Flughäfen, Netz für den kombinierten Verkehr und verschiedenen Verkehrsmanagementnetzen.

Europäisches Planungsrecht - Europäisierung des deutschen Planungsrechts 627 - Zweitens wird die Gemeinschaft tätig, um die sog. Interoperabilität der Infrastrukturnetze im Sinne einer technischen Kompatibilität herzustellen 20. - Drittens eröffnet Art. 129 c Abs. 1 dritter Spiegelstrich EGV der Gemeinschaft die Möglichkeit einer finanzierungsbezogenen Unterstützung der in den Leitlinien festgelegten Vorhaben mit gemeinsamem Interesse 21. Mit dieser Neuregelung durch den Maastrichter Vertrag hat die EG das Stadium des finanzierungslastigen Handelns überwunden, vor die Finanzierungsinstrumente hat sich die inhaltliche Programmplanung der Leitlinien geschoben. Sie äußert ihre Wirkung auf das nationale Planungsinstrumentarium in erster Linie auf der obersten Stufe der Verkehrswegeplanung, bei dem verkehrsträgerübergreifenden Bundesverkehrswegeplan und verkehrswegespezifischen Ausbaugesetzen für Straßen und Eisenbahn22. Die Bedeutung dieser Auswirkungen dürfte in der ersten Phase dadurch verdeckt und abgemildert erscheinen, daß beim ersten Konzept die europäische Programmplanung für die transeuropäischen Netze die nationalen Planungen und Prioritätsvorstellungen weitgehend übernommen hat. Die Wirkung wird sich aber dann sehr rasch zeigen, wenn im nationalen Raum, was nicht selten ist, Änderungen oder Umorientierungen vorgenommen werden sollen; dann wird sich die Existenz und der zumindest faktische Vorrang der übergeordneten europäischen Ebene erweisen; jedenfalls die zukünftige Bundesverkehrswegeplanung wird von den TEN Kenntnis nehmen müssen. Daß darüber hinaus im derzeitigen Entwicklungsstadium direkte und „harte" rechtliche Auswirkungen der TEN auf konkrete Planfeststellungsbeschlüsse nicht gegeben sind, darf nicht zum Irrtum verleiten, daß die europäische Ebene folgenlos bleiben wird. Eine so von der Sache und vom Integrations- und Kohärenzziel geforderte Sachpolitik findet ihre Einflußwege auch außerhalb der formellen rechtlichen Wege und sei es „nur" auf der Ebene des Bewußtseins der Handelnden.

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Richtlinie 96/48/EG des Rates vom 23. Juli 1996 über die Interoperabilität des transeuropäischen Hochgeschwindigkeitsbahnsystems, ABl Nr. L 235 vom 17.09.1996, S. 6 ff. 21 Verordnung (EG) Nr. 2236/95 des Rates vom 18.Sept. 1995 über die Grundregeln für die Gewährung von Gemeinschaftszuschüssen für transeuropäische Netze, ABl Nr. L 228 vom 23.09.1995, S. 1 ff. 22 Femstraßenausbaugesetz i.d.F. der Bekanntmachung vom 15. 11. 1993, BGBl I 1993, 1877; Bundesschienenwegeausbaugesetz 15. Nov. 1993, BGBl 1 1993, 1847.

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5. Städteplanung Auch die Bauleitplanung der Kommunen ist derzeit nicht direkt im rechtlichen Einflußfeld gemeinschaftsrechtlicher Rechtssetzung, was aber wiederum substantielle Einwirkungen in der Sache nicht ausschließt. Im sachlichen Übergangsfeld von großräumiger Raumordnung und konkreter städtebaulicher Bauleitplanung ist das Konzept von Städtenetzen angesiedelt, das einen weiträumigen (Verflechtungs- und Netz-)Zusammenhang zwischen verschiedenen Städten herstellt. Solche Konzepte werden in den Raumordnungswissenschaften durchaus hierarchisch verstanden und deshalb neben Städtenetzen internationaler Bedeutung auch solche von europäischer und nationaler Bedeutung dargestellt. Insoweit werden nationale Konzepte in Zukunft in den größeren Bezugsrahmen des europäischen Raumes und von Städtenetzen im europäischen Maßstab eingeordnet werden. Die Raumfunktionen als Zentrum oder die Verbindungs- oder Peripheriefunktion werden in Zukunft auf den europäischen und nicht mehr allein auf den nationalen Raum bezogen sein; auch die Abgrenzungen des relevanten Verflechtungsbereichs bei den GroßstadtUmland-Beziehungen machen - natürlich - an den nationalen Grenzen nicht mehr halt. Was also an Skizzen, Modellen und Strukturbildern von Städtenetzen zunächst im wissenschaftlichen Raum entsteht, anschließend in informelle Darstellungen oder schon in „Bestandsaufnahmen" eingegangen ist, wird vermutlich seinen Weg als Vorgabe und Steuerungsinstrument erfolgreich absolvieren. Wenn hier für die Modelle der Städtenetze „weiche" Einwirkungswege vermutet werden, dann dürfte es darüber hinaus für einen weiteren Bereich greifbare rechtliche Gestalt und Verbindlichkeiten geben, wenn nämlich die geplante Richtlinie über eine Programm- oder Plan-UVP verabschiedet werden sollte. Nach dem Vorschlag einer Richtlinie des Rats über die Prüfung der Umweltauswirkung bestimmter Pläne und Programme 23 sollen nämlich auch die kommunalen Flächennutzungspläne (und bestimmte Fachplanungen, in denen steht, ob Entscheidungen getroffen werden) in den Anwendungsbereich einer solchen Umweltverträglichkeitsprüfung einbezogen werden. Mit diesem Ansatz will die EG unter umweltpolitischen Gesichtspunkten Einfluß auf die raumbezogene Steuerung von Standortentscheidungen nehmen. Dieser Ansatz ist nun zwar dem deutschen Städtebaurecht nicht fremd, bevor man nun aber, wie so oft, argumentiert, daß diese Ansätze der EG alle schon im deutschen Recht verwirklicht sind, die europäische Rechtssetzung also nichts Neues

23 Vorschlag für eine Richtlinie des Rates über die Prüfung der Umweltauswirkungen bestimmter Pläne und Programme, KOM (96), 511 endg.

Europäisches Planungsrecht - Europäisierung des deutschen Planungsrechts 629 bringe, sollte man die Erfahrungen beherzigen, die insbesondere bei der bisherigen UVP gemacht worden sind, daß es doch Unterschiede macht, ob das annähernd gleiche inhaltliche Konzept allein von nationalen Instanzen und Gerichten „exekutiert" wird oder ob mit der EG-Kommission und dem EuGH weitere „Mitspieler" hinzukommen.

6. Europäische Naturschutzpolitik Der Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen gehört zu den zentralen Aufmerksamkeits- und Tätigkeitsfeldern, die im Kontext von Überlegungen zu einer europäischen Raumentwicklung Beachtung erfordern und gefunden haben. Die Bedeutung eines europäischen Freiraumsystems wird schon darin deutlich, daß es als eines von drei Leitbildern einer solchen europäischen Raumentwicklung genannt wird 2 4 . Vorgeschlagen wird dabei unter dem Leitbegriff des europäischen Freiraumsystems ein System abgestufter Schutzgebiete für verschiedene Funktionen. Was hier im raumordnungspolitischen Kontext, dem Abstraktionsniveau der Raumordnung entsprechend, recht allgemein formuliert ist, ist in der einschlägigen Fachpolitik, im (werdenden) europäischen Naturschutzrecht, in der weichenstellenden FFH-Richtlinie 25 schon seit einigen Jahren konkret ausgeformt worden. Im Mittelpunkt dieses Ansatzes der FFH-Richtlinie steht nämlich die Entwicklung und Ausweisung des sog. ökologischen Netzes NATURA 2000 als eines Netzes von besonders schützenswerten Naturräumen von europäischer Bedeutung. M i t der FFH-Richtlinie gewinnt der europäische Raum, gewinnt die Natur Europas eine eigene Gestalt, es entwickelt sich eine eigene Ebene des Bewußtseins für den Raum der Gemeinschaft. Der Raum der EG ist nicht nur der räumliche Hintergrund von Wirtschaftsaktivitäten, nicht nur ein von transnationalen Verkehrsadern durchzogener Raum, sondern dieser Raum hat auch in naturräumlicher Hinsicht eine übernationale und transnationale Gestalt, ist ein Geflecht und ein Netzwerk von durch gesellschaftliche Aktivitäten geprägten Aktivräumen und stärker naturbelassenen Ausgleichsräumen, er ist ein Raum, der „Raum" gibt für das Überleben von Arten, der der Natur in einer für ge-

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Vgl. Bundesminister für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau (Hrsg.), Grundlagen einer Europäischen Raumentwicklungspolitik, Bonn 1995, S. 6 f.; sowie die verschiedenen Stellungnahmen der Akademie für Raumordnung und Landesplanung. 25 Richtlinie 92/43/EWG des Rates vom 21. Mai 1992 zur Erhaltung der natürlichen Lebensräume sowie der wildlebenden Tiere und Pflanzen, ABl EG Nr. 206 v. 22.07.1992, S. 7.

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genwäitige Kulturlandschaften adäquaten und notwendigen Weise Raum läßt in Form von Biosphärenreservaten, Naturschutzgebieten und Landschaftsschutzgebieten. Der Raum Europas, der Raum der Gemeinschaft ist ein von unterschiedlichen Großräumen, von spezifischer Fauna und Flora, von vielfältigen Arten, Habitaten und Biotopen erfüllter gegliederter Raum. Das europäische Naturschutzrecht läßt sich ein auf die Vielfalt der Naturräume (Europas), es will diese Vielfalt und spezifischen Eigenarten erhalten, es will verhindern, daß der Raum nur als Wirtschafts-, Siedlungs- und Verkehrsraum erlebt wird. Auf der ihr zustehenden Kompetenz- und Abstraktionsebenc beschäftigt sich der europäische Naturschutz mit Gebieten von europäischer Bedeutung. Wie bei der Raumordnung 26 gilt auch hier, daß diese Naturräume, die Flußsysteme, die Gebirgsregionen, Ausgleichs- und Erholungsräume nicht an den Grenzen der Nationalstaaten halt machen. Es gibt Gebiete und Naturräume von europäischer Bedeutung. Ihnen widmet sich konsequenterweise der europäische Naturschutz, der Natur- und Landschaftsschutz in europäischer Perspektive.

7. Die raumbezogene Planung im Überblick Ist auch der bisherige Überblick raumbezogener Politiken noch keinesfalls vollständig (es fehlen noch alle Regelungen für konkrete Vorhaben und Projekte), so legen doch die bereits erwähnten Elemente eine vorläufige Zusammenfassung nahe. Es erweist sich, daß schon gewichtige Bausteine einer raumbezogenen Planung und eines Planungsrechts auf europäischer Ebene vorhanden sind und sich - wenig bemerkt - die Grundausstattung eines raumbezogenen Planungs-„Systems" in ersten Konturen und manchen kräftigen Linien herausgebildet hat. Nichts macht das systematische Werden dieses Ensembles raumbezogener Politiken deutlicher als die Aufzählung der raumgliedernden Strukturelemente. Es finden sich auf europäischer Ebene - erste Strukturbilder über den Raum der Europäischen Gemeinschaft (z.T. auch darüber hinaus) mit Aktivräumen, mit Städtenetzen und einem „Wachstumsring", mit Räumen von besonderem Handlungsbedarf Hauptverbindungsachsen und Freiräumen,

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Klassisch dazu das frühe Rechtsgutachten des Bundesverfassungsgerichts (BVerfGE 3, 407, 427 f.): „Raumordnung kann nicht an den Grenzen der Länder haltmachen. Erkennt man Raumordnung als eine notwendige Aufgabe des modernen Staates an, dann ist der größte zu ordnende und zu gestaltende Raum das gesamte Staatsgebiet. Im Bundesstaat muß es also eine Raumplanung für den Gesamtstaat geben".

Europäisches Planungsrecht - Europäisierung des deutschen Planungsrechts 631 - die Gebietskulisse der Regional- und Strukturpolitik, - die Infrastrukturbänder der „Transeuropäischen Netze" - und im Werden ist das ökologische Netz NATURA 2000. Spätestens mit der Realisierung von NATURA 2000 werden dann diese verschiedenen Raumgliederungen und -bilder übereinandergelegt und zusammengefaßt. Das sich dann ergebende Gesamtbild wird dann vermutlich zunächst in rein wissenschaftlichem Kontext dargestellt, später dann informell von informell genannten Gremien benutzt werden, um langsam in formelle und verbindliche Regelungen einzugehen. Insgesamt tendieren solche Strukturbilder mit der Häufigkeit ihrer Reproduktion zur Verfestigung. Sie sind mittelfristig geeignet, ein räumliches Bewußtsein und Selbstverständnis im Raum des Gemeinschaftsrechts entstehen zu lassen. Das Gebiet der Gemeinschaft wird nicht mehr nur als Binnenraum ohne Grenzen (für die wirtschaftlichen Grundfreiheiten) verstanden werden, sondern als ein in sich gegliederter und strukturierter Raum bestehend aus (Städte-, Verbindungs- und ökologischen) Netzen und komplementär aufeinander bezogenen Teilräumen.

8. Raumbezogene Umweltpolitik und Umweltrecht Sehr viel näher und intensiver als bei den bisher geschilderten Bereichen rückt das europäische (raumbezogene) Planungsrecht dem nationalen Recht im Sektor des raumbezogenen Umweltrechts, weil dabei typischerweise konkrete Vorhaben und Projekte Anknüpfungspunkte der Regelungen sind. Hierher gehören die vielfältigen Auswirkungen der UVP-Richtlinie auf das deutsche Anlagenzulassungsrecht 27, die in absehbarer Zeit durch die noch umzusetzenden Bestimmungen der IVU-Richtlinie 28 nachhaltig ergänzt werden. Es ist hier nicht der Ort, die vielfältigen Probleme, aber auch die Lernprozesse zu würdigen, die das deutsche Recht hat durchlaufen müssen, ehe es ein zutreffendes Verständnis von den letztlich doch weitreichenden Wirkungen der UVP-Richtlinie gewonnen hat. Dazu gehört die Einsicht, daß sich doch etwas Wichtiges ändert, wenn mit den Gemeinschaftsorganen und dem Europäi-

27 Dazu statt Hien, Die Umweltverträglichkeitsprüfung in der gerichtlichen Praxis, NVwZ 1997, S. 422 ff; Schink, Die Umweltverträglichkeitsprüfung - eine Bilanz, NuR 1998, S. 173 ff.; Schwab, Die Umweltverträglichkeitsprüfung in der behördlichen Praxis, NVwZ 1997, S. 428 ff. 28 Richtlinie 96/61/EG des Rates vom 24. Sept. 1996 über die integrierte Vermeidung und Verringerung der Umweltverschmutzung (ABl EG 1996, Nr. L 257 v. 10.10.1996, S. 26).

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sehen Gerichtshof weitere Mitspieler in den administrativen und judikativen Rechtsanwendungsprozessen hinzukommen. Im weiteren ist gerade an der Umweltverträglichkeitsprüfung beobachtet worden (und wird bei der Umsetzung der IVU-Richtlinie noch in verstärktem Maß zu verarbeiten sein), daß das Gemeinschaftsrecht immer wieder eigenständige Systemansätze verwendet, die die „Umsetzung" in das deutsche Recht zu einem gewichtigen Veränderungsprozeß im deutschen Recht werden lassen. In diesen Zusammenhang gehören auch Auswirkungen der FFH-Richtlinie auf konkrete raumbedeutsame Projekte, insbesondere Verkehrsplanungen; davon soll im zweiten Teil ausführlich die Rede sein.

II. Europäisches Naturschutzrecht und seine Einwirkung auf das deutsche Fachplanungsrecht 1. Von der Vogelschutz-Richtlinie zur Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie Im einzelnen hat sich das europäische Naturschutzdenken zunächst auf einem relativ schmalen Sektor und speziellem Fachbereich etabliert, beim Vogelschutz für die durch Europa ziehenden Vögel 29 . War so der Anfang von einem anschaulichen, auf der Hand liegenden Problem gemacht, so war es konsequent, daß sich der zweite Schritt auf einen ausgedehnteren Bereich, auf eine dimensional komplexere Sache bezog, auf Fauna, Flora und Habítate von europäischer Relevanz. Gegenstand von Bestandsaufnahme, Bewertung und von Schutzkonzepten sind bei der Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie 30 „natürliche Lebensraumtypen"; angestrebt wird ein „kohärentes europäisches ökologisches Netz besonderer Schutzgebiete mit der Bezeichnung ,Natura 2000' „ (Art. 3 Abs. 1 FFH-Richtlinie). Mit diesem Schritt zum Schutz natürlicher Lebensräume und der Habítate der Arten hat sich die europäische Politik dem eigentlichen Sachthema des Naturschutzes und der Ökologie zugewendet. Waren Vogelschutz und Vogelschutz- Richtlinie ein eng begrenzter Fachbereich, eine eindimensionale Schutzaufgabe, so kommt damit das Zentrum und das Hauptproblem der Ökologie, nämlich die Komplexität und Vernetztheit von naturräumlichen Gebietsarten, ins Blick- und ins Politikfeld. Habítate sind nicht nur eine Addition verschiedener Schutzgegenstände, sondern im ökosytemaren Ansatz des Schutzes von Habitaten geht es im eigentlichen Sinne um „Le-

29 Richtlinie 79/409/EWG des Rates vom 2 April 1979 über die Erhaltung der wildlebenden Vogelarten (ABl EG Nr. L. 103 v. 25.04.1979, S. 1 ff.). Fn. .

Europäisches Planungsrecht - Europäisierung des deutschen Planungsrechts 633 bens"Räume und um das Komplexe, Gesamthafte und Vernetzte von Lebensräumen. Ist schon das Beschreiben und Analysieren der Lebensräume schwierig, sind schon Bestandsaufnahmen der dort anzutreffenden Vielfalt und sind die Bewertungsprozesse über das Schützenswerte an diesen Räumen sehr komplex und insoweit mit der Sachproblematik des Vogelschutzes nicht vergleichbar, so sind auch das Ausarbeiten von Zielvorstellungen und das Aufstellen von Schutzkonzepten und noch mehr die auswählende Ausweisung der betreffenden Gebiete alles andere als einfache (Subsmntions-)Vorgänge. Die gesamte Grundlagenproblematik und alle Schwierigkeiten, vor die die von „Natur aus" unerläßliche ökologische Betrachtung gestellt ist, sie vereinen sich und konzentrieren sich, wenn es darum geht, in den Mitgliedstaaten die geeigneten FFH-Gebiete aufzulisten.

2. Die Besonderheiten der Ausweisung der FFH-Gebiete Von ausschlaggebender Bedeutung ist dabei, wie dicht oder wenig dicht die normativen Vorgaben bzw. Bindungen durch die FFH-Richtlinie für die eigentliche Kernaufgabe der Auflistung und der Auswahl unter den in Betracht kommenden FFH-Gebieten sind. In der Richtlinie heißt es dazu in Art 3 Abs. 2 FFH-Richtlinie, daß jeder Staat „im Verhältnis der in seinem Hoheitsgebiet vorhandenen in Absatz 1 genannten natürlichen Lebensraumtypen und Habitate der Arten zur Errichtung von Natura 2000 beiträgt". Gemäß Art 4 Abs. 1 FFH-Richtlinie legt jeder Mitgliedstaat eine Liste von Gebieten vor, in der die in diesem Gebiet vorkommenden natürlichen Lebensraumtypen des Anhangs I und einheimische Arten des Anhangs I I aufgeführt sind. Maßgeblich für die rechtliche Interpretation ist dabei, daß von einer Liste „von" Gebieten und nicht von einer Liste „der" Gebiete die Rede ist. Der sich damit aufdrängende Gedanke, daß bei der Erstellung der Liste und der Auswahl der auszuweisenden Gebiete ein Spielraum besteht, verstärkt und bekräftigt sich, wenn man die Regelungen des Anhangs I I I der FFH-Richtlinie hinzuzieht. Gemäß dem dort geregelten Phasenmodell ist in der Phase 1, der nationalen Phase, für jeden natürlichen Lebensraumtyp des Anhangs I auf nationaler Ebene eine Beurteilung der „relativen" Bedeutung der Gebiete vorzunehmen. Dabei soll u.a. der Repräsentativitätsgrad des in diesem Gebiet vorkommenden Lebensraumtyps und die von ihm eingenommene Fläche im Vergleich zur Gesamtfläche des betreffenden Lebensraumtyps im gesamten Hoheitsgebiet des Staates31 beachtet werden. Ausdrücklich ist in Anhang I I I auch die Rede von

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Im Bundesstaat der Bundesrepublik muß deshalb bei den Anmeldungen der einzelnen Bundesländer gegenüber der Bundesebene auch schon auf die Gesamtsituation

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einer „Gesamtbeurteilung des Wertes des Gebietes für die Erhaltung des betreffenden natürlichen Lebensraumgebietes". Im Text der Richtlinie wird damit deutlich, daß der bestandsaufhehmende und bewertende Blick sich nicht isoliert auf das spezielle Gebiet in seiner „inneren" Werthaftigkeit richtet und richten kann, sondern daß immer eine vergleichende Beurteilung im Querbezug zu anderen Gebieten dieses Lebensraumtyps erforderlich ist. Geeignet und notwendig für die Ausweisung als FFH-Gebiete sind nicht alle Gebiete, in denen die betreffenden Habitate und Lebensraumtypen der Anhänge vorkommen, sondern relevant und auszuweisen sind Gebiete mit besonderen relativen Merkmalen, mit Eigenschaften, die sich aus dem Vergleich mit anderen Gebieten im betreffenden Bundesland, darüber hinaus im gesamten Bundesgebiet ergeben. Erforderlich sind Bewertungen im Sinne einer Aussage, welche der vielen (durch seine Ausstattung mit Habitaten usw. nach den Anhängen ) „geeigneten" Gebiete auch in der Relation zu anderen Gebieten notwendig und für eine Ausweisung wichtig genug ist. Und letztlich ist nach Anhang I I I 3 2 die noch weitere Perspektive von Bedeutung, ob das Gebiet als eines der „Gebiete von gemeinschaftlicher Bedeutung bestimmt werden könnte". Nochmals wird deutlich, daß nicht jedes Gebiet, das Habitate der Anhänge usw. enthält, anzumelden und auszuweisen ist, sondern nur die Gebiete, die sich im Vergleich zu anderen wegen ihrer „relativen" Bedeutung anbieten. Maßgeblich ist also nicht der isolierte Blick auf das jeweilige Gebiet, der stark fachlich und sozusagen subsumierend geprägt sein könnte; ausschlaggebend ist statt dessen das bewertende und auswählende Element der relativen Bedeutung im größeren räumlichen Bezug. Deshalb ist der gesamte Vorgang der Anmeldung und der Ausweisung von Auswahlentscheidungen geprägt, deshalb gibt es dabei notwendigerweise einen Abschätzungs- und Entscheidungsspielraum. Darüber hinaus bestehen hier angesichts der Komplexität und der Vernetztheit der im Rahmen ökologischer Problemlagen zu treffenden Entscheidungen 33 Gestaltungs- und Bewertungsspielräume wie bei wenigen Entschei-

im Bundesgebiet Rücksicht genommen werden, die fachliche Beurteilung bezieht sich also nicht nur allein auf das Landesgebiet, es muß schon die Beziehung zum ganzen Bundesgebiet beachtet werden. 32 Anhang m, Phase 1 Buchstabe C der FFH-Richtlinie. 33 Die Vemetztheit der Zusammenhänge ist hier als Chiffre für die Sachproblematik im Bereich des Naturschutzes und der ökologischen Bewertimg verstanden. Nicht umsonst gewinnen im Naturschutz- und generell im Umweltrecht Prinzipien wie gesamthafter Ansatz, Integration und Wechselbeziehungen besondere Bedeutung, wie sich dies im positiven Recht in manchen Regelungen der UVP- und IVU-Richtlinie und im deutschen UVPG niederschlägt.

Europäisches Planungsrecht - Europäisierung des deutschen Planungsrechts 635 düngen auf europäischer Ebene, wie bei wenigen Entscheidungen im Kooperationsverhältnis zwischen den Mitgliedstaaten und der Gemeinschaft. Mag der Vogelschutz noch in seinem Kern fast ausschließlich eine Materie für Fachleute gewesen sein, mag auch der Gesellschaft und der Wirtschaft ohne weiteres „zuzumuten sein", daß Entwicklungschancen im Siedlungs- und im wirtschaftlichen Bereich zugunsten der europaweit relevanten Knoten im Netz der Vogelschutzgebiete zurückgestellt werden müssen, so hat sich beim FFHThema der zu berücksichtigende Sachbereich unvergleichlich erweitert. Schon die Präambel zur Richtlinie bringt zum Ausdruck, daß neben dem Hauptziel der Erhaltung der biologischen Vielfalt jedoch auch „die wirtschaftlichen, sozialen, kulturellen und regionalen Anforderungen berücksichtigt werden müssen". Nach Art 2 Abs. 3 FFH-Richtlinie tragen die aufgrund dieser Richtlinie getroffenen Maßnahmen „den Anforderungen von Wirtschaft, Gesellschaft und Kultur sowie den regionalen und örtlichen Besonderheiten Rechnung". Ebenso sind die Bewertungsprobleme bei den Schutzkonzepten und generell die Konfliktsituationen von einer ganz anderen Dimension. Es stehen nämlich viel umfangreichere und „härtere" Entscheidungen in den Grundkonflikten zwischen Ökonomie, Besiedlung, Freizeit und Bedürfnissen der Ökologie zur Entscheidung an, wenn großflächige FFH-Gebiete auszuweisen sind. Betroffen sind nicht nur vergleichsweise kleine Gebiete in der Art der ganz eng zugeschnittenen Naturschutzgebiete des deutschen Rechts, sondern große Flächen; die Rede ist zuweilen davon, daß die ganze Niederrheinlandschaft zum FFHGebiet gemacht werden solle.

3. Unterschiede in der rechtlichen Ausgangsproblematik bei der Vogelschutz-Richtlinie und der FFH-Richtlinie Diese Ausführungen und Andeutungen mögen genügen, um die ganz andere Problematik bei den Ausweisungen der FFH-Gebiete im Vergleich zum Vogelschutz herauszustellen. Diese Unterschiede - so kann und muß vermutet werden - werden und müssen Niederschlag auch in der rechtlichen Problematik finden. Wenn es auch rational und naheliegend erscheint, daß das in beständiger Evolution befindliche Gemeinschaftsrecht sich von Fall zu Fall, von Aufgabengebiet zu Aufgabengebiet weiterentwickelt und vorsichtig von einem Gebiet zum anderen extrapoliert, hier also konkret von den rechtlichen Lösungen bei der Vogelschutz-Richtlinie zur FFH-Richtlinie fortschreitet, so darf am Anfang aller Überlegungen nicht die Prämisse von der strukturellen Gleichheit der Sachgebiete stehen, sondern es gilt die dimensional gesteigerte Sachproblematik bei den FFH-Gebieten zu erkennen. Von daher ist es nicht ohne weiteres naheliegend, daß die rechtlichen Lösungen, die bei der VogelschutzRichtlinie und ihrer Umsetzung gefunden worden sind, ohne weiteres oder überhaupt auf die FFH-Richtlinie übertragen werden können.

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Bei der Vogelschutz-Richtlinie ist inzwischen allgemein anerkannt, daß ihre Bestimmungen für die staatlichen Behörden auch ohne Umsetzung in nationales Recht unmittelbar gelten. Weiterhin wird aus diesem Ansatz gefolgert, daß Gebiete, die nicht formell als Vogelschutzgebiete ausgewiesen sind, die rechtlichen Eigenschaften eines gemeinschaftsrechtlich geschützten Vogelschutzgebietes haben können, wenn das Gebiet die materiellen Anforderungen der Vogelschutz-Richtlinie erfüllt. Die Rechtsprechung des EuGH 3 4 und die Literatur 35 haben die Figur des sog. potentiellen Vogelschutzgebietes entwickelt . Die aktuelle deutsche Diskussion über die FFH-Richtlinie 36 konzentriert sich auf die Frage, ob es die Figur des potentiellen Gebietes auch im Anwendungsbereich der FFH-Richtlinie gibt, ob also ein Gebiet, das materiell den Kriterien der FFH-Richtlinie entspricht (bzw. von dem behauptet wird, daß es den Kriterien entspricht) wie ein bereits ausgewiesenes bzw. angemeldetes Gebiet zu behandeln ist. Bejaht man die Frage, dann müßte für Vorhaben in diesem Gebiet die Verträglichkeitsprüfüng nach Art. 6 FFH-Richtlinie durchgeführt werden. Nun trifft es zwar zu, daß bei beiden Richtlinien das vordringliche Problem in den ersten Jahren ihrer Geltung das der verzögerten bzw. defizitären Umsetzung war und ist. Gleichwohl ist zweifelhaft und bedarf der ausdrücklichen Diskussion und Entscheidung, ob dieses gemeinsame Rechtsproblem das entscheidende verbindende Element ist, das die beträchtlichen Unterschiede im Sachbereich und die beträchtlichen Differenzen in den Entscheidungsspielräumen überwinden kann. 34 EuGH, Urt. vom 2. August 1993 - Rs. C 355/90 - Slg. I 4221 ff. - Santofia (= NuR 1994, 521); EuGH, Urt. vom 11. Juli 1996 - Rs. C-44/95 - Lappel Bank (= NuR 1997, 36); EuGH, Urt. vom 28. Februar 1991 - Rs C-57/89 - Slg. 1991 I 883 ff. Leybucht (= NuR 1991, 249); vgl. auch die neuste Entscheidung EuGH, Urt. vom 19. Mai 1998, ZUR 1998, S. 141 ff (Kommission/Königreich Niederlande). 35 Winter, Der Säbelschnabler als Teil fürs Ganze - Bemerkungen zum LeybuchtUrteil, NuR 1992, S. 21 ff.; ders., Anmerkungen zum Santona-Urteil, ZUR 1994, S. 308 ff.; Epiney, Vogel- und Habitatschutz in der EU - Mitgliedstaatliche Beurteilungsspielräume bei der Ausweisung von Schutzgebieten und der Anwendung der Schutzregime, UPR 1997, S. 303 ff. Jeweils mit weiteren Nachweisen. 36 Allgemeine Literatur zur FFH-Richtlinie: Ssymank, Neue Anforderungen im europäischen Naturschutz - Das Schutzgebietssystem NATURA 2000 und die „FFHRichtlinie" der EU, Natur und Landschaft 1994, S. 395 ff.; Freytag/Iven, Gemeinschaftsrechtliche Vorgaben für den nationalen Habitatschutz, NuR 1995, S. 109 ff.; Iven, Schutz der natürlichen Lebensräume und Gemeinschaftsrecht, NuR 1996, S. 373 ff.; Gellermann, Rechtsfragen des europäischen Habitatschutzes, NuR 1996, S. 548 ff.; Fi sahn, Internationale Anforderungen an den deutschen Naturschutz - Die Konvention über die biologische Vielfalt und die Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie der EU, ZUR 1996, S. 3 ff.; Fisahn/Cremer, Schutzregime nach der FFH- und der Vogelschutzrichtlinie, NuR 1997, S. 270 ff.

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4. Die ungute Dominanz der Pathologie: Defizitäre Umsetzungsprozesse belasten das Grundverhältnis zwischen Gemeinschaftsrecht und nationalem Recht Betrachtet man das Verhältnis zwischen dem europäischen (Planungs-) Recht und seinen Einwirkungen auf das Recht der Mitgliedstaaten, so würde es systematischem Denken entsprechen und für eine logische Entwicklungsgeschichte geboten erscheinen, daß zunächst die Ebene des europäischen Rechts voll ausgebildet ist, ehe dann Einwirkungen im nationalen Recht sichtbar werden. Entwicklungsgeschichtlich läßt sich aber häufig diese Abfolge nicht beobachten, sondern ein anderes Muster. Noch ehe das Recht auf der europäischen Ebene zu einer angemessenen und abgerundeten Entfaltung gekommen ist, gibt es eine ganz andere und fast überall dominante Problemstellung: Der Prozeß der Einwirkung auf das nationale Recht, die Umsetzungsphase, ist häufig und im vorliegenden Bereich des Planungs- und Umweltrechts typischerweise defizitär. Nach der grundsätzlichen Konzeption des EGV setzt die Einwirkung von Gemeinschaftsrecht durch Richtlinien ein Doppeltes voraus: die Formulierung der „Ziele" in der Richtlinie und die notwendige Ergänzung durch die „Art und Weise" der Konkretisierung der Ziele durch die nationale Gesetzgebung. Häufig ist nun der notwendige zweite Schritt noch gar nicht getan, das Regelwerk ist noch nicht vollständig vorhanden bzw. noch nicht vervollständigt und schon beginnt die Frage, ob nicht - entgegen der primären Grundannahme von der notwendigen Ergänzungsbedürftigkeit des ersten Schritts - dieser erste Akt doch schon direkte rechtliche Wirkungen haben kann. Die inzwischen entstandene Dogmatik zur unmittelbaren Wirkung von Richtlinien ist eine notwendige - Hilfs- und Notdogmatik angesichts andauernder politischer Säumigkeit und Pathologie. Man kann darüber nicht froh werden, daß es diese Dogmatik gibt und geben muß, sie widerlegt ständig all das, was zunächst über die Wirkungsweise von Richtlinien zutreflfenderweise gesagt wird. Indem diese Rechtsfiguren der unmittelbaren Wirkung der Richtlinie zugunsten einzelner Bürger und die unmittelbare Verbindlichkeit der Richtlinien für die Verwaltungsbehörden notwendig und unerläßlich sind, kommt in das Recht ein innerer Widerspruch hinein. Entgegen der primären und berechtigten Aussage, daß Richtlinien-Bestimmungen grundsätzlich konkretisierungs- und ergänzungsbedürftig sind, wird im notleidenden Ausnahmefall der verzögerten Umsetzung die Interpretation der Richtlinienbestimmungen so lange und so weit „gequetscht", bis möglichst viel unmittelbare Wirkung herausgeholt ist. Diese „Reparaturmaßnahmen", diese Dominanz des Notfalls über den Normalfall bekommt dem Recht auf die Dauer nicht gut.

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Zu fragen ist, warum die Kommission in ihren Richtlinienvorschlägen und der Europäische Rat nicht den Mut haben, sich jeweils konkret der absehbaren Situation, daß die Umsetzungsfristen nicht eingehalten werden, ausdrücklich zu stellen. Wer hindert den Richtliniengeber daran, in die Richtlinie nach der Fristbestimmung zu regeln, was zu geschehen hat, wenn die Frist nicht eingehalten wird? Im vorliegenden Fall wäre es durchaus regelbar gewesen zu normieren, daß dann bestimmte Gebiete, die von näher bestimmten Institutionen, vielleicht von Naturschutzverbänden als FFH-Gebiete vorgeschlagen sind, dann einen vorläufigen Schutz erhalten, wenn die offizielle Ausweisung und Anmeldung noch nicht vorliegt. Dies wäre ein starker Anreiz für die Mitgliedstaaten gewesen, sich rechtskonform zu verhalten. Damit läge auch eine ausdrückliche Regelung des zuständigen Organs vor. Nach der derzeitigen Rechtspraxis ist es dagegen so, daß die Judikative in einem langsamen Entwicklungsprozeß, der durchaus ex ante unvorhersehbar ist, durch eine in sich nicht immer konsistente Reihe von Urteilen die notwendigen Not- und Hilfssätze entwickelt. Dies ist ein Prozeß, der durch und durch „Kosten" und Nachteile für das Rechtssystem hat. Für die entscheidungsberufenen und -belasteten Gerichte helfen diese Überlegungen unmittelbar natürlich nicht weiter. Sie haben die Aufgabe und die Pflicht, in der pathologischen Situation Rechtsregeln von Mal zu Mal zu entwickeln. Dabei unterscheiden sich die zu regelnden Situationen mehr, als dies in der allgemeinen Diskussion gesehen wird, von Richtlinie zu Richtlinie. Aber eines können die vorstehenden generellen Überlegungen auch für die Gerichte in der Not und der Last der Entscheidungsbedürftigkeit mittelbar aussagen: Es ist Vorsicht geboten, die Figur der unmittelbaren Wirkung immer weiter auszudehnen. Es handelt sich um eine Not- und Hilfsfigur, sie widerspricht letztlich dem Sinn der Richtlinien und häufig auch ihrem Inhalt. Die Normen der Richtlinien werden tendenziell verbogen, wenn in größerem Umfang eine unmittelbare Wirkung angenommen wird. Wenn für die Gerichte die Überlegung maßgebend sein sollte oder mitschwingen sollte, daß man in der pathologischen Situation dem zögerlichen Mitgliedstaat sanktionierende Nachteile zufügen sollte, so könnten die Gerichte durchaus die Alternative ins Auge fassen, durch die Verweigerung von zu weitgehenden Aushilfen die politischen Instanzen zu zwingen, rechtzeitig selbst über die zu treffenden Folgen und „Sanktionen" im Falle der verzögerten Umsetzung nachzudenken und entsprechende Regelungen in die konkrete Richtlinie aufzunehmen. Die Ausgangsproblematik der verzögerten Umsetzung steht inzwischen in der Gefahr, das Grundverhältnis zwischen Gemeinschaftsrecht und dem Recht der Mitgliedstaaten zu belasten und zu überformen. Ehe man sich mit dem Nonnalfall beschäftigt und relativ gelassen die von allen erwünschten und gebilligten Einwirkungen des Gemeinschaftsrechts auf das nationale Recht konstatiert, geht es um die politische und interessenmäßig viel umstrittenere Frage

Europäisches Planungsrecht - Europäisierung des deutschen Planungsrechts 639 der fehlgeschlagenen und verzögerten Umsetzung und der Sanktionierung des Mitgliedstaates. In dieser Konstellation droht das Gemeinschaftsrecht pervertiert zu werden durch die Häufigkeit dieser Umsetzungsproblematik. Europäisches Gemeinschaftsrecht erscheint so als ein eingreifendes, strafendes, immer notorisch mißtrauisches Recht und einer noch mißtrauischeren Kontrolle der Rechtsdurchsetzung, immer auf dem Sprung, seine eigene Geltung durchsetzen zu müssen. Dies mag überspitzt dargestellt sein, es dürfte aber die aktuelle Situation im Umwelt- und Naturschutzrecht in Deutschland im Kern zutreffend beschreiben. Von den Problemen und Wahrnehmungsverzerrungen, die dadurch in das Grundverhältnis zwischen dem Gemeinschaftsrecht und nationalem Recht hineinkommen, soll hier nicht weiter die Rede sein. Deutlich ist, daß in diesem Bereich der Ausnahmefall regiert, daß die Neigung zu unkonventionellen Lösungen steigt, daß bei der Kommission und den Gerichten ein gewisser innerer Druck entstanden ist, wirksame Instrumente und Rechtslösungen zu finden, um den bewußt säumigen Mitgliedstaat zur Rechtstreue zu bringen.

5. Das rechtliche Grundproblem: Ersetzbarkeit des von der nationalen Exekutive zu treffenden Vorschlags zur Ausweisung von FFH-Gebieten? Die Richtlinie, die nur den Normalfall der rechtzeitigen Umsetzung regelt, sieht vor, daß von den nationalen Exekutiven Vorschläge zur Ausweisung bei der Kommission vorgelegt werden. Wenn die Kommission im Einvernehmen mit den Mitgliedstaaten den Entwurf der Gebiete von gemeinschaftlicher Bedeutung festgestellt hat und das Ausschußverfahren nach Art. 21 FFHRichtlinie mit den dort erforderlichen Mehrheiten durchlaufen ist, genießt das betreffende Gebiet den nach Art. 6 Abs. 2, 3 und 4 FFH-Richtlinie umschriebenen Schutzstatus. Diese Regelungen der Richtlinie sind nicht nur inhaltlich kompliziert, sie erfordern auch einen beträchtlichen Zeitaufwand, bis der Schutzstatus hergestellt ist. Vorsorge hat die Richtlinie für den vorhersehbaren Ausnahmefall getroffen, daß ein Mitgliedstaat in seiner Liste ein Gebiet nicht aufgeführt hat, das nach Ansicht der Kommission die Voraussetzungen erfüllt. Für diesen wichtigen Divergenzfall sieht die Richtlinie ein eigenes bilaterales Konzertierungsverfahren vor. An dieser interessanten Figur interessiert im vorliegenden Zusammenhang nicht in erster Linie, daß dieses Verfahren gegebenenfalls zu einer Entscheidung des Rates führen kann, sondern von Bedeutung ist hier, daß das in Streit befindliche Gebiet „während der Konzertierungsphase und bis zur Beschlußfassung des Rates" den Schutzbestimmungen der Richtlinie unterliegt. Die Richtlinie beachtet also den Zeitfaktor, sie will Schutz vor der Herstellung vollendeter Tatsachen geben, die Richtlinie läßt aber diesen zwischenzeitlichen Schutz erst mit formeller Einleitung des Kon-

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zertierungsverfahrens beginnen. Auf diese Weise besteht Rechtssicherheit, der zwischenzeitliche Schutz ist von einer Initiative der Kommission abhängig. Aus diesem Kontext ergibt sich das Grundproblem aller anhängigen Gerichtsverfahren, der unmittelbaren Wirkung der FFH-Richtlinie und des sog. potentiellen FFH-Gebietes: Kann es und muß es vor dem Durchlaufen dieses zeitaufwendigen Verfahrens einen Schutz von Gebieten geben, für die die materielle Schutzwürdigkeit mit guten Gründen behauptet werden kann? Können insbesondere Gerichte vor den vorgesehenen Verfahren und vor der Ausübung der Entscheidungsspielräume durch die Exekutive des Mitgliedstaates die materielle Schutzwürdigkeit eines Gebietes feststellen? Müssen die Gerichte vielleicht sogar dies tun, damit die Ziele der FFH-Richtlinie im Falle, daß der Mitgliedstaat die Umsetzungsfrist versäumt hat, nicht verfehlt werden? Das Grundproblem ist deutlich. Gleichwohl können die rechtlichen Lösungsvorschläge sich nicht nur einseitig am Problembereich der versäumten Umsetzung orientieren, sie müssen auch die rechtlichen Eigenarten und Strukturen des betreffenden Rechtsgebietes beachten, wenn sachgerechte Lösungen erzielt werden sollen. Für das Planungsrecht und den Gegenstandsbereich der komplexen Verwaltungsentscheidungen geht es um den Kernsatz und den rechtssystematischen Grundgedanken, daß Planung (und das Treffen von komplexen Entscheidungen) ohne Gestaltungsspielraum nicht denkbar ist. Planungsrecht besteht in weitem Umfang in der Zuweisung der Kompetenz für eben diese Gestaltung, für den Kern planerischen Handelns im Rechtssinne, für die Abwägung und damit für die Zuweisung des Spielraums, den die Abwägung sachnotwendig enthält. Jede Lösung, die zu einer Änderung der für die Abwägung zuständigen Instanz führt, ist eine entscheidende und normalerweise nicht zu legitimierende Veränderung. Man kann im Planungsrecht nicht mehr bewirken, als wenn man einer anderen Instanz und einem anderen Organ die Ausfüllung von Abwägungsspielräumen zuweist und einem anderen Organ als dem in der Primärordnung vorgesehenen erlaubt, die Abwägung vorzunehmen. Dieser Satz betrifft sowohl das Verhältnis zwischen den verschiedenen Ebenen im Verwaltungsaufbau, das Verhältnis zwischen der Legislative und der Exekutive, das Verhältnis zwischen Mitgliedstaat und Gemeinschaftsrecht, dieser Satz betrifft auch das Verhältnis zwischen Sachverständigengremium und politisch legitimierter Entscheidung (zwischen Fachleuten und den Generalisten der Abwägung), und insbesondere betrifft dies auch eine Verschiebung von den Organen der Exekutive zur Judikative. Jedesmal ist es folgenreich und erheblich, wenn der primär einem Organ eingeräumte Abwägungsspielraum in einer anderen Instanz ausgeübt werden darf. Was für das Planungsrecht im engeren Sinne unbestritten gilt, hat auch für den (Rand)Bereich von Entscheidungen Bedeutung, bei denen der spezifisch

Europäisches Planungsrecht - Europäisierung des deutschen Planungsrechts 641 planerische Charakter zweifelhaft sein mag, bei denen es aber um die rechtsstrukturell gleichartigen komplexen Verwaltungsentscheidungen geht. Bekanntlich ist auch nach dem nationalen deutschen Recht umstritten, ob die Ausweisung von Naturschutz- und Landschaftsschutzgebieten einen planerischen Charakter hat oder nicht 3 7 . Ohne dies hier zu vertiefen, sei auf die oben getroffene Darlegung verwiesen, daß bei den Auswahlentscheidungen im Zusammenhang des Aufstellens der Listen für die FFH-Gebiete ein beträchtlicher Entscheidungspielraum besteht38. Daraus folgt, daß sie jedenfalls zu den komplexen Verwaltungsentscheidungen gehören. Für sie ist schon im deutschen Recht und dann wohl verstärkt nach dem insoweit großzügigeren Gemeinschaftsrecht 39 vom Bestehen eines (Beurteilungs-)Spielraums auszugehen. Jedenfalls ist die Aufnahme eines Gebietes in die nationale Liste von einem relativ einfachen Subsumtionsakt weit entfernt; sie nähert sich eher einer planerischen Entscheidung i m engeren Sinne an, sie hat jedenfalls den Charakter einer Entscheidung mit Spielraum. Von dieser Grundüberlegung aus ist es alles andere als naheliegend und selbstverständlich, im Streit um die verzögerte Umsetzung der FFH-Richtlinie und der immer noch verzögerten Ausweisung der FFH-Gebiete die Frage zu bejahen, ob die verzögerten Entscheidungen der Mitgliedstaaten ersetzt werden können - entweder von den Instanzen der EU oder durch Urteile der Gerichte (des EuGH oder der nationalen Gerichte). Dieser Fall ist bekanntlich akut und gerade in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts hochaktuell 40 . Im Zuge der Verkehrsprojekte „Deutsche Einheit" standen in den letzten Jahren und stehen derzeit mehr als in den vergangenen Jahren zahlreiche weiträumig angelegte Verkehrsprojekte im Straßen- und Eisenbahnbau an. Es liegt auf der Hand, daß sich allenthalben Konflikte mit Räumen ergeben, die grundsätzlich nach dem Urteil von Fachleuten (und noch häufiger nach dem Vorbringen von Naturschutzverbänden) „FFH-geeignet" sind. Es steht zu

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Bei der strukturell vergleichbaren Problematik der Ausweisung von Naturschutzund Landschaftsschutzgebieten ist nach der Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte die Frage der Schutzwürdigkeit eine gerichtlich voll überprüfbare Rechtsfrage, während die räumliche Abgrenzung auch planerische Elemente enthält, dazu mit Nachweisen Bender/Sparwasser/Engel, Umweltrecht, 3. Aufl. 1995, S. 168 f., Rdnr. 168. 38 Nochmals sei insbesondere auf den 3. Erwägungsgrund und auf Art. 2 Abs. 3 FFH-Richtlinie verwiesen. 39 Zur eigenständigen Dogmatik des Gemeinschaftsrechts zu den unbestimmten Rechtsbegriffen und den mit ihnen verbundenen Spielräumen vgl. Schwarze , Europäisches Verwaltungsrecht, Bd. I, 1988, S. 280 ff. 40 BVerwG, Beschl. vom 21. Januar 1998, 4 VR 3.97 (vorläufiger Rechtsschutz); Urt. vom 19. Mai 1998 - BVerwG 4 A 9.97 (Hauptsache). Diese wichtige Entscheidung kann hier nicht analysiert und bewertet werden. 41 FSBlümel

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entscheiden, welche Bedeutung dem Umstand zukommt, daß in der Situation der verzögerten Umsetzung FFH-geeignete Gebiete von Verkehrsprojekten durchfahren werden sollen (und dafür bestandskräftige Planfeststellungsbeschlüsse erlassen werden sollen). Es ist evident, daß der Zeitfaktor hier eine besondere Bedeutung hat, der Zeitfaktor, auf dessen rechtliche Relevanz hinzuweisen Willi Blümel zu Recht nicht müde geworden ist. Die Verzögerung der Umsetzung der FFH-Richtlinie für ein oder mehrere Jahre ist nicht nur ein Zeitverlust von eben dieser Zahl von Jahren, sondern er schafft angesichts der gegebenen Situation vollendete Tatsachen in selten gewohntem Umfang. Die Problematik kann als zugespitzt und ernst bezeichnet werden, sie stellt eine beträchtliche Herausforderung für das sowieso schon schwierige Verhältnis zwischen Gemeinschaftsrecht und nationalem Verwaltungsrecht dar. Die beiden Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts 41 und überhaupt die gesamte Problematik der unmittelbaren Wirkung von Richtlinien für die Behörden im Falle der verzögerten Umsetzung können hier nicht behandelt werden, zu differenziert sind die Probleme und die Lösungsansätze in der Literatur und in den beiden Entscheidungen. Hier soll nur auf einige Besonderheiten der generellen Problematik im Feld der Planung hingewiesen werden.

6. Die Problematik der potentiellen FFH-Gebiete. Die eigengeartete Problematik der fehlerhaften Umsetzung im Bereich des exekutivischen Handelns Vordergründig betrachtet ist der bei dem aktuellen Streit um die Bedeutung der FFH-Richtlinie aufgetürmte Streitstoff ein weiterer Anwendungsfall der Dauerproblematik der möglichen Direktwirkung von Richtlinien bei verzögerter Umsetzung. Ein weiterer Blick zeigt jedoch rasch, daß hier wichtige Besonderheiten vorliegen. Die weniger gewichtige Besonderheit ist der Umstand, daß die entscheidende Frage bei der FFH-Problematik nicht die Direktwirkung der Richtlinie gegenüber dem einzelnen ist, sondern die in jüngster Zeit als eigenes Problem deutlich herausgearbeitete Frage, ob die nicht umgesetzte Richtlinie die deutsche Exekutive bindet und unter welchen Voraussetzungen sie bindet. Der entscheidende Unterschied und das Neue an der FFH-Problematik ist, daß es sich dabei um eine doppelte Umsetzungsproblematik handelt. Es geht nämlich nicht allein um die gewohnte Problematik, ob die Rechtsnormen der Richtlinie rechtzeitig in nationales Recht umgesetzt sind und ob sie schon 41

Oben Fn. 40.

Europäisches Planungsrecht - Europäisierung des deutschen Planungsrechts 643 vorher wirken. Bei der FFH-Richtlinie gibt es darüber hinaus eine zweite Ebene der Umsetzungsbedürftigkeit, nämlich im bisher eher ungewohnten Bereich der Exekutive, konkreter im Bereich der Planung bzw. der komplexen Verwaltungsentscheidungen. Die FFH-Richtlinie beschränkt sich bekanntlich keineswegs darauf, Zielvorgaben für das nationale Naturschutzrecht zu geben, sondern die FFH-Richtlinie enthält auch eine Vergemeinschaftung des exekutiven, hier des planerischen (auswählenden) Handelns; es soll nämlich eine gemeinsame Liste der FFH-Gebiete erarbeitet werden, es sollen nationale Planungs- und Ausweisungsentscheidungen getroffen werden und diese in einem bestimmten Verfahren auf der Ebene der EG koordiniert und entschieden werden. Notleidend ist nach der inzwischen endlich erfolgten normativen Umsetzung der FFH-Richtlinie durch die neueste Naturschutznovelle vom 30. April 1998 42 immer noch der zweite Bereich, das Handeln im exekutivischen Bereich. Formuliert man das Problem so, dann wird deutlich, daß nicht die gewohnte Problematik der fehlerhaften Umsetzung, sondern ein neues Problemfeld vorliegt. Richtig ist, daß diese Problematik auch schon vorher bei der Vogelschutzrichtlinie bestand, weil auch diese über die Setzung von vorrangigem Recht Bestimmungen und Verfahren über die Ausweisung der Vogelschutzgebiete enthielt. Auch hier ging es also in den relevanten (Rechts-)Streitigkeiten um die Frage, wie defizitäre Umsetzungsprozesse im exekutiven Bereich im Kontext des kooperativen Verwaltungshandelns zwischen EU und nationalem Staat zu behandeln sind. Als besonderes Problem dürfte diese spezifische Ausgangssituation bei der Vogelschutzrichtlinie aber nicht wahrgenommen und erkannt worden sein, weil sich die Ausweisung von Vogelschutzgebieten dem Sachgehalt nach sehr stark einer fachlichen Subsumtionstätigkeit annähert. Wenn durch Listen internationaler Fachgremien vielfach bestätigt die Eigenschaft eines Gebietes als vorrangig im Vogelschutz mit nahezu hundertprozentiger Gewißheit dargelegt ist, dann können die eigentlichen Probleme des Kooperationsverhaltens und die Rechtsfragen der Ersetzung der Beurteilung des zuständigen Verwaltungsorgans durch andere (EG-Instanzen oder Gerichte) in den Hintergrund treten. Wenn sozusagen für jeden auf der Hand liegt, daß hier der Sache nach ein unverzichtbares Gebiet für den Vogelschutz vorliegt, dann „drückt" die rechtliche Problematik nicht wirklich, dann ist die Eindeutigkeit der sachlichen Entscheidung pro Vogelschutzgebiet so handfest, daß das potentielle Vogelschutzgebiet rechtlich wie ein ausgewiesenes Gebiet

42 2. Änderungsgesetz zum Bundesnaturschutzgesetz vom 30. 04. 1998, BGBl I 1998, 823.

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behandelt werden kann. Dies kann unter dem Vorzeichen der Rechtsklarheit, der Bestimmtheit usw. deshalb hingenommen werden, weil - dies ist die These - sachlich völlig unbestritten sein wird, daß die einzelnen Gebiete ein international notwendiges Vogelschutzgebiet sind. Die Sachrichtigkeit, die nahezu keinen Zweifeln unterliegt, schlägt die Rechtsprobleme aus dem Feld. Dies ist auch vernünftig so, und es befriedigt auch im Ergebnis, daß der säumige nationale Staat die sachlich richtige und von dem Gemeinschaftsrecht gebotene Entscheidung nicht unterlaufen kann. Bleibt die Frage, ob bei FFH-Gebieten eine vergleichbare rechtliche Situation vorliegt. Die Unterschiede zwischen den Umsetzungsproblemen in der Rechtssetzung und im exekutivischen Handeln beginnen schon im Sachverhalt und der sachlichen Konstellation. Die Umsetzungsproblematik bei Rechtsnormen ist bei Richtlinien dadurch gekennzeichnet, daß das Ziel bindend, die Art und Weise der Zielerfüllung dem Mitgliedstaat überlassen bleibt, um die Zielerfüllung in sein Rechtssystem einzupassen. Der Kern der rechtlichen Problematik ist deutlich: Es gibt relativ sichere Maßstäbe, wann der Mitgliedstaat seine Pflichten bei der Umsetzung der Rechtsvorgaben verletzt hat, weil nämlich jedes Abweichen vom Ziel ein solcher Verletzungsfall ist. Schuldet der Mitgliedstaat aber nicht nur die Rechtsumsetzung, sondern exekutivisches Handeln und vor allem die Ausweisung von Gebieten im Rahmen eines Wahlverhaltens, liegt offenbar eine andere Situation vor. Jedenfalls sieht die Richtlinie selbst hier einen ganz anderen Ansatz vor. Ob nämlich ein Gebiet als FFH-Gebiet im Sinne des europäischen Rechts und anhand des europäischen Naturschutznetzes zu gelten hat, darüber kann es berechtigterweise unterschiedliche Auffassungen geben, zumal die Mitgliedstaaten die relative Bedeutung der Gebiete zu beurteilen haben43. Darüber kann es auch zwischen einem völlig loyal handelnden Mitgliedstaat und der Kommission sachlich vollauf begründete Meinungsverschiedenheiten geben. Wo Spielräume bestehen, da öffnet sich ein Feld von Meinungsverschiedenheiten und Divergenzen und nicht sofort der Bereich des rechtswidrigen Handelns, sondern es bestehen zunächst einmal sachliche Differenzen, die gerade durch den Spielraum eröffnet sind. Die Kompetenzordnung muß dann bestimmen, wie die Meinungsverschiedenheiten, die zur Normalität und nicht zum Bereich des Pathologischen gehören, bereinigt werden können. Und dafür sieht die FFH-Richtlinie ein eigenes Verfahren, das Konzertie-

43 Gemäß Anhang IE C sind die Gebiete anzumelden, die „aufgrund ihres relativen Werts für die Erhaltung jedes/jeder der in Anhang I bzw. E genannten natürlichen Lebensraumtypen bzw. Arten als Gebiete von gemeinschaftlicher Bedeutung bestimmt werden könnten".

Europäisches Planungsrecht - Europäisierung des deutschen Planungsrechts 645 rungsverfahren nach Art. 5 FFH-Richtlinie vor, dafür gibt es auch eine Sicherungsmaßnahme, damit während dieser Zeit das in Betracht kommende Gebiet nicht schutzlos bleibt, sondern ein einstweiliger Schutz gegeben ist (Art. 5 Abs. 4 FFH-Richtlinie). Hier ist also die Eigenart exekutivischen Handelns in der Form der Ausweisung von Gebieten gesehen und dafür sind problemadäquate Lösungen getroffen worden. Auch das naheliegende Problem der Verhinderung von vollendeten Tatsachen ist gesehen und gelöst. Festzuhalten ist: Im Normalfall wird bei einem Dissens über die Ausweisung nicht der EuGH, nicht die Judikative angerufen, die anhand der FFH-Richtlinie zu entscheiden hätte, ob die Nichtausweisung die EG-Richtlinie verletzt, sondern problemadäquat ist ein Divergenzverfahren innerhalb der beteiligten Exekutiven einschließlich eines Entscheidungsverfahrens vorgesehen. Sind so in ersten Umrissen die Eigenarten der „Umsetzung" von Gemeinschaftspolitik im exekutivisch-planerischen Bereich als ein kooperatives Zusammenwirken der mitgliedstaatlichen Exekutiven mit der Kommission bestimmt, dann stellt sich in einem zweiten Schritt die Frage, was im pathologischen Fall der verzögerten bzw. fehlerhaften „Umsetzung" zu gelten hat. Die Frage spitzt sich darauf zu, ob jetzt die Gerichte - gestützt auf die generellen materiellrechtlichen Vorgaben der Richtlinie - selbst inhaltlich durchentscheiden können und einem konkreten Gebiet den materiellen Status eines (potentiellen) Schutzgebietes zuerkennen können. Oder liegt es in der Logik der Verwaltungs- bzw. Planungs-Kooperation auf der exekutivischen Ebene, die den Normalfall beherrscht, daß auch im pathologischen Falle Handlungsbeiträge der beteiligten Exekutiven erforderlich sind, die das umstrittene Gebiet konstitutiv in einen (vorläufigen) Schutzstatus nach Gemeinschaftsrecht hineinnehmen? Konkret ist zu fragen, ob nicht die Kommission, wenn ihr der Streit über die Eignung eines Gebiets als FFH- Schutzgebiet aus Anlaß eines konkreten Projekts bekannt wird, ihrerseits in Aktion treten muß und die vorläufige Schutzbedürftigkeit erklären muß. Damit wäre die Eigenart der exekutivisch-planerischen Kooperation bei der Ausweisung der Schutzgebiete auch im pathologischen Fall re-konstruiert und dem wichtigen Anliegen der Rechtssicherheit wäre genüge getan. Das sich ausbildende Planungsrecht und die Europäisierung des nationalen Planungsrechts müssen den Eigenarten des Planungsrechts gerecht werden und gegebenenfalls Sonderregelungen entwickeln. Es ist zweifelhaft, ob die generellen Regeln über die unmittelbare Anwendung von Gemeinschaftsrecht im Falle der verzögerten Umsetzung, die für den Problembereich der Umsetzung von Gemeinschaftsrec/?r in nationale Rechtsvorschriften entwickelt worden sind, für den Sachbereich des exekutivischen Planungshandelns unmodifi-

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ziert gelten können. Dies bedarf noch der weiteren Klärung. Vermutlich muß das Gemeinschaftsrecht die typisch planungsrechtlichen Institute selbst entwickeln, so z. B. das Institut der Veränderungssperre 44. Wenn im Falle der FFH-Richtlinie der gesamte Umsetzungsprozeß vom Erlaß der Richtlinie bis zur Erstellung der Gemeinschaftsliste und bis zur endgültigen Ausweisung durch die nationalen Exekutiven schon nach dem Terminplan der Richtlinie so viel Zeit in Anspruch nimmt, dann drängt sich das Zeitproblem und die damit verbundene Gefahr der Schaflung vollendeter Tatsachen vor Abschluß des Gesamtverfahrens mit Macht und mit Notwendigkeit auf. In dieser Situation ist es keinesfalls ein Gebot weiser Zurückhaltung der Rechtssetzung auf Gemeinschaftsebene und schon gar nicht eine Sache sinnvoller Anwendimg des Subsidiaritätsprinzips, wenn diese Probleme auf der EG-Ebene nicht gelöst werden, wenn insbesondere das Institut der Veränderungssperre nicht ausgebildet wird und damit die Chancen einer vorhersehbaren und Rechtssicherheit gewährenden Regelung verpaßt werden. Ohne solche problemadäquaten planungsrechtlichen Lösungen bleibt die Bewältigung der pathologischen Fälle allein der Rechtsprechung überlassen; dies kann in einem Rechtsgebiet wie der Planung, das von Abwägungs- und Gestaltungsspielräumen gekennzeichnet ist, nicht überzeugen. Die Europäisierung des nationalen Planungsrechts ist im Gange, ebenso die Ausbildung eines eigenen europäischen Planungsrechts. Die Erfahrungen der nationalen Rechtsordnungen mit den Sach- und Rechtsproblemen der Planung verdienen es, im Gemeinschaftsrecht und bei der Europäisierung des nationalen Planungsrechts beachtet zu werden.

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Es kann nicht befriedigen, wenn man in Ermangelung des expliziten Instituts der Veränderungssperre mit der Anwendung der generellen Pflicht zur Vertragstreue nach Art. 5 Abs. 2 EGV (in der Gestalt einer Pflicht , die Ziele der Richtlinie nicht zu unterlaufen und durch eigenes Verhalten keine vollendeten Tatsachen zu schaffen), zu ähnlichen Ergebnissen zu kommen versucht.

Konkurrentenschutz bei Beamtenernennungen" Von Joachim Wieland

I. Aktualität des Problems Das Beamtenverhältnis verändert sich. Die Tendenz zu einer stärkeren Flexibilisierung ist unübersehbar. Das betrifft nicht nur die Ermöglichung von Teilzeitbeschäftigung für Beamte (§ 44 a BRRG), sondern auch die Gewährung von mehljährigem Urlaub ohne Dienstbezüge entweder in Bereichen, in denen wegen der Arbeitsmarktsituation außergewöhnlicher Bewerberüberhang besteht, oder zur Ermöglichung der Betreuung oder Pflege von Kindern oder Angehörigen (§ 44 b BRRG). Besonders bemerkenswert ist, daß seit 1997 ein Amt mit leitender Funktion zunächst im Beamtenverhältnis auf Probe (§ 12 a BRRG) oder auf Zeit (§ 12b BRRG) übertragen werden kann 1 . Derartige gesetzliche Regelungen galten früher im Hinblick auf die gerade das Beamtenverhältnis prägende Stabilität und Kontinuität als undenkbar. Nicht nur die desolate Situation auf dem Arbeitsmarkt, sondern auch das Bedürfnis nach einer EfFizienzsteigerung im öffentlichen Dienst haben jedoch ein Umdenken gefordert. Hinzu kommt, daß immer knapper werdende öffentliche Mittel es nicht mehr zulassen, Leitungsfunktionen in der Verwaltung mit Bewerbern zu besetzen, welche die von ihnen zu Recht erwarteten Leistungen nicht erbringen, aber dennoch aufgrund ihres beamtenrechtlichen Status langfristig in ihrer Position verbleiben. Angesichts dieser Entwicklung muß es überraschen, daß der Rechtsschutz von Bewerbern um eine Beamtenstelle immer noch eher schwach ausgestaltet ist. Dem Bemühen um eine Effizienzsteigerung des öffentlichen Dienstes kann

* Für wertvolle Hilfe bei der Sammlung und Auswertung des umfangreichen Materials danke ich meinen Mitarbeitern Frau cand. iur. Elke Trautwein und Herrn cand. iur. Michael Droege herzlich. 1 Siehe dazuBattis, NJW 1998, 1033 (1034) m.w.N.

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im Bereich der Beamten nur dann nachhaltiger Erfolg beschieden sein, wenn aus der großen Zahl qualifizierter Bewerber in jedem einzelnen Fall der beste Kandidat für die zu besetzende Stelle ausgewählt wird. Angesichts der vielfältigen Klagen über „Ämterpatronage" 2 liegt es nahe, den Rechtsschutz bei der Besetzung von Beamtenstellen sowohl im Interesse der Bewerber als auch im Interesse der öffentlichen Verwaltung möglichst intensiv und extensiv auszugestalten. Das Gegenteil ist jedoch der Fall und scheint vielen Autoren offenbar auch als gegeben hinzunehmen, seit eine Kammer des Bundesverfassungsgerichts 1989 eine Verfassungsbeschwerde gegen die einschlägige Leitentscheidung des Bundesverwaltungsgerichts 3 mangels hinreichender Erfolgsaussicht nicht zur Entscheidung angenommen hat 4 . Damit wird jedoch die Bedeutung von Kammerentscheidungen des Bundesverfassungsgerichts weit überschätzt, die keinerlei Bindungswirkung im Sinne von § 31 BVerfGG entfalten 5 . Solange nicht der zuständige Senat des Bundesverfassungsgerichts über den verfassungsrechtlich gebotenen Rechtsschutz bei Beamtenernennungen entschieden hat, ist die Rechtsfrage nicht verbindlich beantwortet. Im folgenden soll deshalb ausgehend von einer Analyse und Kritik der Verwaltungsrechtsprechung (II.) zunächst die materielle Rechtslage untersucht werden (III.), bevor in einem weiteren Schritt dargelegt wird, wie bei Beamtenernennungen für Konkurrenten effektiver Rechtsschutz im Sinne von Art. 19 Abs. 4 GG gewährleistet werden kann (IV.).

II. Dogmatische Schwächen der Verwaltungsrechtsprechung Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts und der übrigen Verwaltungsgerichte kann ein Bewerber um die Berufung ins Beamtenverhältnis nach der Ernennung eines Mitbewerbers diese vor den Verwaltungsgerichten nicht mehr anfechten 6. Diese Feststellung kollidiert zwar scheinbar mit 2 Siehe etwa von Arnim , Ämterpatronage durch politische Parteien - Ein verfassungsrechtlicher und staatspolitischer Diskussionsbeitrag, 1980, S. 11 ff.; Günther , ZBR 1987, 321; Isensee, in: Festgabe aus Anlaß des 25jährigen Bestehens des Bundesverwaltungsgerichts, 1978, S. 337 (356); Lecheler , JZ 1987, 448 (449); Schoch, Vorläufiger Rechtsschutz und Risikoverteilung im Verwaltungsrecht, 1988, S. 682. 3 BVerwGE 80, 127. 4 BVerfG, 3. Kammer des Zweiten Senats, NJW 1990, 501. 5 BVerfGE 53, 336 (348); st. Rspr.; Rennert, in: Umbach/Clemens, BVerfGG, 1992, § 31 Rdnr. 70; wie hier Günther , ZBR 1990, 284 (285). 6 BVerwGE 80, 127 (130); Wahl/Schütz , in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, Verwaltungsgerichtsordnung, Kommentar, Loseblatt (Stand: Mai 1997), § 42 Abs. 2 Rdnr. 323.

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einem Satz in der einschlägigen Leitentscheidung, demzufolge es offen bleiben soll, „ob und inwieweit dem bei einer Stellenbesetzung nicht berücksichtigten Beamten durch Klage gegen die Ernennung des vorgezogenen Beamten Rechtsschutz gewährt werden könnte (sog. ,beamtenrechtliche Konkurrentenklage')" 7 . Eine nähere Analyse des Urteils läßt jedoch keinen Zweifel daran, daß der zuständige Senat eine derartige Konkurrentenklage für unzulässig hält. Bereits im folgenden Satz wird nämlich ausdrücklich hervorgehoben, daß die Klägerin „sich nicht gegen die - durch einen anderen, von der ablehnenden Entscheidung über ihre Bewerbung rechtlich zu trennenden, sie nicht betreffenden Verwaltungsakt ausgesprochene - Ernennung" des Konkurrenten wende8. Wenn aber die Ernennung des erfolgreichen Konkurrenten als ein von der Ablehnung der Mitbewerberinnen zu unterscheidender, sie nicht einmal betreffender Verwaltungsakt qualifiziert wird, liegt die Unzulässigkeit einer entsprechenden Anfechtungsklage auf der Hand: Wer durch einen Verwaltungsakt nicht betroffen ist, ist auch nicht klagebefügt im Sinne von § 42 Abs. 2 VwGO 9 . Das Bundesverwaltungsgericht spaltet das Ergebnis eines Verfahrens zur Besetzung einer Beamtenstelle in eine Vielzahl von Verwaltungsakten auf. Neben der Ernennung des erfolgreichen Bewerbers werden auch die Mitteilungen an erfolglose Bewerber, daß sie nicht für die Stelle ausgewälüt und deshalb nicht berücksichtigt seien, als Verwaltungsakte qualifiziert. Gegen die belastenden Akte können die erfolglosen Konkurrenten nach der Konzeption des Bundesverwaltungsgerichts mit einer Klage auf Neubescheidung Rechtsschutz in Anspruch nehmen. In dem entsprechenden Verwaltungsstreitverfahren soll auch die der Mitteilung zugrunde liegende Auswahlentscheidung überprüfbar sein. Erweist sich die Auswahlentscheidung als rechtsfehlerhaft, wird - jedenfalls in der Theorie - die Mitteilung „aufgehoben" 10. In der Praxis kann eine derartige Klage jedoch nach der bundesverwaltungsgerichtlichen Dogmatik regelmäßig von Anfang an keinen Erfolg haben. Der geltend gemachte Anspruch kann nämlich nicht mehr erfüllt werden, weil der erfolgreiche Bewerber entweder schon zum Zeitpunkt der Mitteilung an die erfolglosen Konkurrenten oder - bei Berücksichtigung des von der Kammer des Bundesverfassungsgerichts in ihrem erwähnten Beschluß gewiesenen Weges zur Gewährleistung des verfassungsrechtlich gebotenen Rechtsschutzes11 - wenige 7

BVerwGE 80, 127(130). BVerwGE 80, 127(130). 9 Sodan, in: ders./Ziekow (Hrsg.), Kommentar zur Verwaltungsgerichtsordnung, Loseblatt (Stand: 1996), § 42 Rdnr. 170. 10 BVerwGE 80, 127(129). 11 3. Kanuner des Zweiten Senats (Fn. 4), S. 501. 8

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Wochen danach ernannt worden ist. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts beendet die „endgültige" anderweitige Besetzung einer Stelle eine durch Ausschreibung eingeleitete Stellenbesetzung12. Die Ernennung des erfolgreichen Bewerbers bringt nach Auffassung des Bundesverwaltungsgerichts die „Erledigung" der abschlägigen Bescheide an die erfolglosen Konkurrenten mit sich. Den Begriff der „Erledigung" hält der zuständige Senat in diesem Zusammenhang selbst für erläuterungsbedürftig: Mit ihm soll zum Ausdruck gebracht werden, daß wegen der bereits vollzogenen Ernennung des erfolgreichen Bewerbers den anderen Bewerbungen nicht mehr entsprochen werden könne. Für diesen Bewerbungen entsprechende Entscheidungen „ist mangels verfügbarer Stelle kein Raum mehr", weil der Dienstherr das statusrechtliche Amt nicht nochmals vergeben darf 13 . Immerhin hält auch das Bundesverwaltungsgericht die ausdrückliche Klarstellung für erforderlich, mit „Erledigung" sei nicht gemeint, „daß kein den bei der Auswahlentscheidung abgelehnten Bewerber belastender Verwaltungsakt mehr vorliegt" - diese Klarstellung ändert nichts daran, daß sich tatsächlich die Mitteilung an die erfolglosen Konkurrenten mit der Ernennung des erfolgreichen Mitbewerbers auch im weitesten Sinne des Sprachgebrauchs nicht „erledigt"; vielmehr besteht der eigentliche Inhalt der Mitteilung gerade darin, daß nicht deren Empfänger, sondern ein anderer ernannt wird - daran ändert sich jedoch durch die Ernennung nichts. Die „Endgültigkeit" der anderweitigen Besetzung, von der das Bundesverwaltungsgericht ausgeht, begründet es damit, daß die Ernennung (bzw. Beförderung) nach den restriktiven beamtenrechtlichen Vorschriften über die Rücknahme einer Ernennung 14 vom Dienstherrn nicht rückgängig gemacht werden könne. Das Gericht verweist in diesem Zusammenhang darauf, daß ein Amt nur zusammen mit der Einweisung in eine besetzbare Planstelle verliehen werden darf 15 . Nach der Ernennung des erfolgreichen Bewerbers steht jedoch zum einen die ausgeschriebene Planstelle nicht mehr zur Verfügung, zum anderen ist der zugeordnete Dienstposten nicht mehr frei, auf den der Ernannte einen Rechtsanspruch hat 16 . Die dogmatische Konstruktion des Bundesverwaltungsgerichts basiert auf der Annahme, daß die einmal erfolgte Besetzung einer Stelle „endgültig" ist. 12 13

richts.

BVerwGE 80, 127(129). BVerwGE 80, 127 (130) m.w.N. zur Rechtsprechung des Bundesverwaltungsge-

14 Siehe § 9 BRRG sowie statt aller Kunig , in: Schmidt-Aßmann (Hrsg.), Besonderes Verwaltungsrecht, 10. Aufl. 1995, 6. Abschnitt Rdnr. 98 (S. 623 f.). 15 § 28 Abs. 1 HGrG. 16 BVerwGE 80, 127 (130 f.).

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Diese Annahme wiederum leitet das Gericht daraus ab, daß die Stellenbesetzung vom Dienstherrn rückgängig gemacht werden müßte, nach den einschlägigen beamtenrechtlichen Vorschriften aber regelmäßig nicht rückgängig gemacht werden kann. Die Möglichkeit einer verwaltungsgerichtlichen Kassation der Ernennung zieht das Bundesverwaltungsgericht nicht in Erwägung, weil es in der Ernennung des erfolgreichen Bewerbers einen Verwaltungsakt sieht, der die erfolglosen Konkurrenten „nicht betrifft". Geht diese Sichtweise fehl, verliert die Dogmatik des Bundesverwaltungsgerichts ihre Grundlage: Betrifft die Ernennung des erfolgreichen Bewerbers die erfolglosen Mitbewerber potentiell in ihren subjektiven Rechten, ist ihre Klagebefügnis für eine Anfechtungsklage gegen die Ernennung nicht zu leugnen. Auf eine zulässige Anfechtungsklage hin könnten Verwaltungsgerichte rechtswidrige Ernennungen aufheben, von einer „Erledigung" des Klagebegehrens erfolgloser Konkurrenten durch die Ernennung könnte nicht mehr die Rede sein. Dementsprechend wird im folgenden zu prüfen sein, ob die Ernennung eines erfolgreichen Bewerbers erfolglose Konkurrenten wirklich nicht in ihren Rechten betrifft. Erweist sich diese Annahme als unzutreffend, steht der Weg zu einem im Vergleich zur gegenwärtigen verwaltungsgerichtlichen Praxis wesentlich effektiveren Rechtsschutz bei der Ernennung bzw. Beförderung von Beamten offen. Das Bundesverwaltungsgericht ist aufgrund seiner dogmatischen Annahmen nämlich gezwungen, erfolglose Konkurrenten auf den Weg des vorläufigen Rechtsschutzes zu verweisen, durch den sie zu verhindern suchen müssen, „daß durch die Ernennung eines anderen ... vollendete Tatsachen geschaffen werden" 17 . Vorläufiger Rechtsschutz ist in den dargestellten Fallkonstellationen jedoch überhaupt nur möglich, wenn entsprechend der Vorgabe der Kammer des Bundesverfassungsgerichts den erfolglosen Konkurrenten eine für ihre Rechtsschutzentscheidung ausreichende Zeitspanne vor der Ernennung des Mitbewerbers durch eine Mitteilung des Dienstherrn über den Ausgang des Auswahlverfahrens eingeräumt wird 1 8 . Selbst wenn die Möglichkeit vorläufigen Rechtsschutzes auf diesem Wege gewährt wird, bleibt den erfolglosen Bewerbern jedoch der Rechtsschutz gegen eine zu Unrecht erfolgte Ernennung versperrt. Die Lösung des Bundesverwaltungsgerichts weist aus diesem Grund unter Rechtsschutzgesichtspunkten deutliche Defizite auf. Darüber hinaus sieht sie sich gewichtigen anderweitigen Bedenken ausgesetzt, die im Schrifttum nachdrücklich geltend gemacht worden sind. Soweit die Rechtsprechung dem Dienstherrn einen weiten Ermessensspielraum bei 17

BVerwGE 80, 127(129). So die 3. Kammer des Zweiten Senats (Fn. 4), S. 501.

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Personalentscheidungen einräumt 19 , fehlt dem die erforderliche Rechtsgrundlage: Art. 33 Abs. 2 GG zählt mit Eignung, Befähigung und fachlicher Leistung abschließend die Kriterien auf, von denen das Beamtenrecht den gleichen Zugang zu jedem öffentlichen Amt abhängig machen darf 20 . Soweit demgegenüber dem Ernennungsrecht zusätzlich eine Ermessensermächtigung entnommen wird, die es dem Dienstherrn angeblich erlaubt, einen den Anforderungen des Leistungsprinzips gerecht werdenden Bewerber nicht zu ernennen 21 , wird die normative Kraft der verfassungsrechtlichen Gewährleistung des gleichen Zugangsrechts verkannt: Käme nämlich der Aufzählung der Kriterien kein abschließender Charakter zu, könnten sie ihren Zweck nicht mehr erfüllen, eine Bestenauslese für den öffentlichen Dienst zu gewährleisten 22 . Das gilt auch für die bei sorgfältiger Prüfung praktisch wohl eher seltene Konstellation der gleichen Qualifikation mehrerer Bewerber oder der nicht ausreichenden Eignung aller Bewerber. Im ersteren Fall kann die Anciennität zum zulässigen Auswahlmerkmal werden, wenn sie Indiz für größere Eignung kraft Erfahrung ist; da in der Lebenswirklichkeit zwei Bewerber nie völlig gleich sein können, steht dem Dienstherrn im übrigen ein Beurteilungsspielraum zur Verfügung, um zu entscheiden, welches Bewerberprofil für eine bestimmt Stelle vorzuziehen ist. Ist nach Auffassung des Dienstherrn demgegenüber keiner von mehreren Bewerbern hinreichend qualifiziert, verlangt gerade Art. 33 Abs. 2 GG keine Einstellung des zwar relativ Bestqualifizierten, absolut jedoch nicht die erforderliche Qualifikation für die Stelle aufweisenden Bewerbers. Der von der Rechtsprechung zur Begründung ihrer Auffassung herangezogene Hinweis auf die restriktiven beamtenrechtlichen Vorschriften über die Rücknahme einer Ernennung, trägt für die Konkurrentenklage nichts aus: Die Rücknahmevorschriften binden die Verwaltung, vermögen jedoch die Verwaltungsgerichte nicht von ihrer Pflicht zu befreien, Verwaltungsakte gemäß §113 VwGO aufzuheben, wenn sie rechtswidrig sind und den Kläger in seinen Rechten verletzen 23 . Wenn das Verwaltungsgericht die rechtswidrige Ernennung aufhebt, steht wieder eine freie Planstelle zur Verfügung, deren Be19

Siehe z.B. BVerwG, ZBR 1976, 121 (123); BVerwG, ZBR 1978, 33; BVerwG, DÖV 1982, 76; BVerwG, ZPR 1982, 85 (86); BayVGH, DÖV 1982, 35; näher dazu Lecheler , DÖV 1983, 953 (954). 20 Maunz, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz, Art. 33 Rdnr. 16. 21 So Solle, NJW 1980, 1027 (1029) m.w.N. in Fn. 17. 22 Dazu Schmidt-Aßmann , NJW 1980, 16 (17); vgl. auch Schock , Vorläufiger Rechtsschutz und Risikoverteilung im Verwaltungsrecht, 1988, S. 681 u. 687. 23 Finkelnburg, DVB1 1980, 809 (811); Leckeier, DÖV 1983, 953 (956); v. Mutius, VerwArch 69 (1978), 103 (110); Schenke, in: FS Mühl, 1981, 571 (582); Scherer, Jura 1985, 11 (17 f.); Solte, NJW 1980, 1027(1032).

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Setzung vom Kläger mit einen Verpflichtungsantrag verfolgt werden kann. Ein derartiger Antrag hat allerdings nur Erfolg, wenn der klagende Mitbewerber sowohl durch die Ernennung des - weniger qualifizierten - erfolgreichen Bewerbers in seinen Rechten verletzt ist als auch einen Anspruch auf Ernennung bzw. Beförderung hat, sofern er für das zu besetzende Amt bestqualifiziert ist. Damit muß sich die Aufmerksamkeit dem materiellen Recht zuwenden.

I I I . Die materielle Rechtslage Die materielle Rechtslage wird geprägt von Art. 33 Abs. 2 GG, der jedem Deutschen ein Recht auf gleichen Zugang zu jedem öffentlichen Amt gewährleistet 24 . Die Auslegung der §§ 8 Abs. 1 S. 2, 23 BBG sowie der entsprechenden Bestimmungen der Landesbeamtengesetze hat sich an dieser verfassungsrechtlichen Vorgabe zu orientieren. Als „Zugangsrecht" geht Art. 33 Abs. 2 GG über den Gleichheitssatz des Art. 3 GG hinaus: Gewährleistet wird nicht bloß eine Gleichbehandlung ohne näheren Bezugspunkt, sondern eröffnet wird konkret die Möglichkeit, Inhaber eines öffentlichen Amtes zu werden 25 . Das entsprechende subjektive Recht setzt selbstverständlich voraus, daß ein öffentliches Amt zu besetzen ist. Steht aber eine Planstelle zur Verfügung und hat der Dienstherr das Verfahren zur Stellenbesetzung eingeleitet, sind die Voraussetzungen für die Anwendung von Art. 33 Abs. 2 GG gegeben. Nunmehr hat jeder deutsche Bewerber zum einen das Recht, im Bewerbungsverfahren allein nach Eignung, Befähigung und fachlicher Leistung beurteilt zu werden; dem Dienstherrn steht zwar ein Beurteilungsspielraum 26, nicht jedoch ein Auswahlermessen zu 2 7 . Erweist sich ein Bewerber im Verfahren der „Bestenauslese"28 als nach Beurteilung des Dienstherren qualifiziertester im oben beschriebenen Sinne, folgt aus Art. 33 Abs. 2 GG zum anderen sein Anspruch auf Ernennung. Dem Recht auf Ernennung, das zutreffend dem status positivus zugeordnet wird 2 9 , korrespondiert ein Abwehrrecht gegen die Ernennung eines Konkurrenten, der weniger gut qualifiziert ist (status negativus). Das Abwehrrecht er24

BVerfG, 3. Kammer des Zweiten Senats (Fn. 4), S. 501. Siehe dazu Maunz, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz, Art. 33 Rdnr. 16. 26 Dazu VGH Kassel, DÖD 1990, 65 f. 27 Siehe dazu oben E.; a.A. Schnellenbach, Beamtenrecht in der Praxis, 3. Aufl. 1994, Rdnr. 6 ff., 22 ff. und 44. 28 Zum Begriff VGH Kassel, NVwZ-RR 1989, 30. 29 Schenke {Fn. 23), S. 578. 25

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gibt sich daraus, daß Art. 33 Abs. 2 GG seinem normativen Gehalt nach das mehrpolige Zugangsverfahren zu einem öffentlichen Amt determiniert. Das Zugangsverfahren ist durch die Konkurrenz der Bewerber geprägt, die alle einen Anspruch auf ein Auswahlverfahren haben, das allein an den Kriterien Eignung, Befähigung und fachliche Leistung orientiert ist, von denen aber nur einer am Schluß den materiellen Zugangsanspruch hat 30 . Nur im Vergleich der einzelnen Bewerber kann der Bestqualifizierte gefunden werden. Sein Erfolg im Auswahlverfahren schließt gleichzeitig den Erfolg seiner Konkurrenten zwingend aus. Zwischen allen Bewerbern und dem Dienstherrn besteht somit ein mehrpoliges Rechtsverhältnis. Die Rechtspositionen der Beteiligten an diesem Verhältnis sind aufeinander bezogen und im Ergebnis voneinander abhängig: Dem Zugangsanspruch des Bestqualifizierten korreliert nicht nur die Ernennungspflicht des Dienstherrn, sondern auch das Nichtbestehen eines Zugangsanspruchs sämtlicher Konkurrenten. Dieses notwendige Junktim schließt es aus, die ablehnende Entscheidung gegenüber den erfolglosen Konkurrenten als von der Ernennungsentscheidung rechtlich zu trennende Verwaltungsakte zu qualifizieren, wie es das Bundesverwaltungsgericht in seiner Leitentscheidung getan hat. Wenn es dort heißt, die Ernennung des erfolgreichen Bewerbers sei ein Verwaltungsakt, der die erfolglosen Konkurrenten „nicht betreffe" 31 , beruht das auf einer völligen Verkennung der Interdependenz von Ernennung des einen und Nichtberücksichtigung der anderen 32. Gerade weil der Dienstherr für jedes öffentliche Amt nur eine Ernennung vollziehen kann, gestaltet diese Ernennung die Rechtsposition aller Bewerber. Der Erfolg des einen bedingt notwendig den Mißerfolg der anderen. Wieso diese durch die Ernennung nicht betroffen sein sollten, bleibt das Geheimnis des Bundesverwaltungsgerichts. Auch Isensee verkennt den rechtlichen Gehalt von Art. 33 Abs. 2 GG, wenn er einen „Drittschutz im Auswahlverfahren" durch die „Eignungsnorm" verneint, die nur die Interessen „der Allgemeinheit und des einzelnen Bewerbers in eigener Sache", nicht jedoch „seine Konkurrenzinteressen im Verhältnis zum Mitbewerber" schütze33. Die Interessen eines Bewerbers in eigener Sache lassen sich inhaltlich nicht von seinen Konkurrenzinteressen im Verhältnis

30 Zum Konkurrenzverhältnis VGH Kassel, NVwZ-RR 1989, 376; Finkelnburg (Fn. 23), S. 811; Koch/Rubel , Allgemeines Verwaltungsrecht, 2. Aufl. 1992, S. 191 (Rdnr. 24 f.); Lemhöfer , in: Plog/Wiedow/Beck/Lemhöfer, Kommentar zum Bundesbeamtengesetz, 2. Aufl., Loseblatt, § 8 Rdnr. 20; Schmidt-Preuß , Kollidierende Privatinteressen im Verwaltungsrecht, 1992, S. 396. 31 BVerwGE 80,127 (130); siehe dazu oben I. 32 So auch Wahl/Schütz (Fn. 6), Rdnr. 325. 33 FG BVerwG, 1978, S. 337 (356).

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zum Mitbewerber trennen, dessen Erfolg den eigenen Mißerfolg notwendig bedingt. Im beschriebenen mehrpoligen Rechtsverhältnis Schutz durch ein grundrechtsgleiches Zugangsrecht nur im zweipoligen Verhältnis gewähren zu wollen, kommt im Ergebnis der Versagung jeglichen Schutzes zumindest nahe. Wenn demgegenüber die Drittwirkung der Ernennung mit dem Argument verneint wird, erst die vom statusrechtlichen Akt der Ernennung tatsächlich und rechtlich zu unterscheidende Einweisimg in die besetzbare Planstelle 34 löse die Belastung des erfolglosen Bewerbers aus 35 , wird verkannt, daß die Einweisung in die Planstelle nur noch den haushaltsrechtlichen Vollzug der Ernennung bildet 36 . Der Dienstherr bindet sich durch die Ernennung, die allein Außenrechtswirkung entfaltet, zugleich bezüglich der Stelleneinweisung, die nur im Innenrechtsverhältnis Bedeutung erlangt; folglich hat die das Stellenbesetzungsverfahren abschließende Einweisung in eine Planstelle für die erfolglosen Mitbewerber keine selbständig belastende Wirkung 37 . Dem Abwehranspruch eines erfolglosen, aber besserqualifizierten Mitbewerbers steht auch nicht etwa eine „Rechtsbeständigkeit der Ernennung" entgegen38. Es ist mehr als zweifelhaft, ob die Rechtsbeständigkeit der Ernennung eines Beamten unabhängig von ihrer Rechtmäßigkeit in einem Rechtsstaat überhaupt „Kernelement der Personalhoheit des Dienstherrn" 39 sein kann. Gemäß Art. 20 Abs. 3 GG ist das hoheitliche Handeln des Dienstherrn an Gesetz und Recht gebunden. Das Prinzip der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung schließt es aus, einen wesentlichen Bereich hoheitlicher Betätigung von vornherein gegen jegliche Folgen rechtswidrigen Handelns abzusichern, insoweit also Verstößen des Dienstherrn gegen Gesetz und Recht generell keinen Einfluß auf die Rechtswirksamkeit ihres amtlichen Handelns zuzubilligen. Dementsprechend ist die behauptete Rechtsbeständigkeit der Ernennung auch nicht Bestandteil der hergebrachten Grundsätze des Berufsbeamtentums im Sinne von Art. 33 Abs. 5 GG. Zum einen zählt sie nicht zum üblichen Kanon der

34

Siehe dazu § 28 Abs. 1 HGrG und § 49 BHO. Schnellenbach (Fn. 27), Rdnr. 35 unter Berufung auf BVerwG, Buchholz 232 §79 BBGNr. 78 a.E. *Solte (Fn. 21), S. 1030 f. Fn. 32. 37 Günther, ZBR 1983, 45 (48); ders. y NVwZ 1986, 697 (701); Schoch (Fn. 22), S. 693. 38 So aber Schmidt-Preuß (Fn. 30), S. 475 ff. 35

39

So Schmidt-Preuß (Fn. 30), S. 476.

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hergebrachten Grundsätze 40, zum anderen könnte sie bei der Regelung des Rechts des öffentlichen Dienstes nur berücksichtigt werden, wenn sie als hergebrachter Grundsatz ihrem Inhalt nach den Vorgaben der Verfassung entspräche 41. Dementsprechend lassen sich aus Art. 33 Abs. 5 GG keine übergeordneten verfassungsrechtlichen Gründe ableiten, die zum Untergang der Ansprüche erfolgloser Mitbewerber im Zeitpunkt der Ernennung des erfolgreichen Konkurrenten führen könnten 42 . Der Verfassungsrang des Zugangsrechts aus Art. 33 Abs. 2 GG schließt es aus, daß der Gesetzgeber oder die Gerichte in einer Weise über die Folgen der Rechtswidrigkeit des Ernennungsakts disponieren, die der Rechtssicherheit generell den Vorrang vor der Gerechtigkeit und der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung einräumt 43 . Soweit neben der Rechtsbeständigkeit der Ernennung der Topos „Stabilität der Ämterorganisation" gegen ein Abwehrrecht des bestqualifizierten, aber erfolglosen Mitbewerbers ins Feld geführt wird 4 4 , gilt im wesentlichen das gleiche. Nur wird hier nicht einmal der Versuch einer Absicherung des Topos in Art. 33 Abs. 5 GG gemacht, sondern sogleich auf Praktikabilitätserwägungen zurückgegriffen. Die vermögen aber von vornherein das grundrechtsgleiche Recht der Bewerber aus Art. 33 Abs. 2 GG nicht zu beschränken, weil ihnen die Dignität eines Verfassungsrechtsguts fehlt. Gerade die anfangs aufgezeigten Neuerungen wie die Übertragung eines Amtes mit leitender Funktion im Beamtenverhältnis auf Probe (§ 12a BRRG) oder auf Zeit (§ 12b BRRG) zeigen, daß Flexibilität dem Beamtenrecht mittlerweile keineswegs mehr fremd ist. In der Verwaltungspraxis wird es kaum je vorkommen, daß ein Dienstherr erst nach der Ernennung oder Beförderung eines Beamten von Klageabsichten eines oder mehrerer Mitbewerber erfährt. Vielmehr wird er sich regelmäßig rechtzeitig darauf einstellen können, daß die Ernennung oder Beförderung unter dem Vorbehalt gerichtlicher Überprüfung steht, und dies bei Folgeentscheidungen berücksichtigen. Ein wesentlicher Unterschied dürfte

40

Siehe dazu Lecheler , in: Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts, Bd. EI, 2. Aufl., 1996, § 72 Rdnr. 49 ff.; Isensee, in: Benda/Maihofer/Vogel (Hrsg.), Handbuch des Verfassungsrechts (2), 2. Aufl. 1995, § 32 Rdnr. 65 ff. 41 Kunig , in: v. Münch/Kunig (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, Bd. 2, 3. Aufl. 1995, Art. 33 Rdnr. 61. 42 So aber Schmidt-Preuß (Fn. 30), S. 476 m.w.N. in Fn. 167. 43 Im Ergebnis wie hier Erichsen , in: ders./Martens (Hrsg.), Allgemeines Verwaltungsrecht, 8. Aufl. 1988, § 12 IE (S. 217), fehlt in späteren Auflagen; Huber , Konkurrenzschutz im Verwaltungsrecht, 1991, S. 457 f.; N. Müller, JuS 1985, 275 (279); v. Mutius (Fn. 23), S. 111; Remmel, RiA 1982, 1 (12 f.); Schenke (Fn. 23), S. 587; a.A. Isensee (Fn. 33), S. 355. 44 VGH Mannheim, ESVGH 18, 37; Günther, ZBR 1979, 109 f.; Maunz (Fn. 20), Art. 33 Rdnr. 17; ausführlich Siegmund-Schultze, VerwArch 73 (1982), 137 (147 ff.).

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zwischen der Situation des Beamten, dem eine leitende Funktion befristet übertragen worden ist, und der eines anderen Beamten, dem ein Amt gewissermaßen in bezug auf die anhängige Gerichtsentscheidung auflösend bedingt übertragen ist, nicht bestehen. Ein Dienstherr kann beiden Situationen mit einer wohldurchdachten Personalpolitik durchaus gerecht werden, etwa indem er bestimmte Ämter zunächst von einem Vertreter wahrnehmen läßt. Auch der Gedanke der Rechtssicherheit bzw. des Vertrauensschutzes und die Rücksichtnahme auf das Persönlichkeitsrecht des Ernannten 45 sind nicht geeignet, den Abwehranspruch erfolgloser Mitbewerber zu beschränken oder sogar aufzuheben. Wer sich um ein öffentliches Amt bewirbt, muß die Unsicherheit in Kauf nehmen, die für seine eigene Person aus der Teilnahme am Bewerbungsverfahren bis zu dessen endgültigen Abschluß erwächst; der endgültige Abschluß ist in einem Rechtsstaat aber nicht schon mit der Entscheidung des Dienstherrn, sondern erst mit der letztinstanzlichen Entscheidung des zuständigen Gerichts erreicht. Die bis dahin bestehende Rechtsunsicherheit ist zumutbar, sie gehört zu den gelegentlich bedauerten, aber unausweichlichen Kosten des Rechtsstaats. Die Praxis der Europäischen Gemeinschaft zeigt, daß die in Deutschland gefürchtete Instabilität der Ämterorganisation als Folge der Anerkennung des Abwehrrechts eines besserqualifizierten, aber erfolglosen Bewerbers offenbar bewältigbar ist. Seit mehreren Jahrzehnten erkennt der Europäische Gerichtshof ein Klagerecht des erfolglosen Mitbewerbers an 46 , ohne daß es zu unerträglichen Belastungen der Funktionsfähigkeit des öffentlichen Dienstes der Gemeinschaft gekommen wäre. Was in Brüssel trotz der zusätzlichen Probleme, die sich aus der großen Zahl der unterschiedlichen Nationalitäten von Bewerbern und Beamten ergeben, keine unüberwindlichen Schwierigkeiten bereitet, sollte auch in Deutschland zu bewältigen sein. Das gilt zumal deshalb, weil möglichen Schwierigkeiten auch erhebliche Vorteile gegenüberstehen, die sich aus einer effektiven rechtlichen Absicherung der Bestenauslese ergeben. Angesichts der wachsenden Anforderungen, die an die Angehörigen des öffentlichen Dienstes zu stellen sind, ist es dringend erforderlich, daß nur die bestqualifizierten Bewerber Zugang zu den Beamtenstellen erhalten. Aus mit Art. 33 Abs. 2 GG unvereinbaren Gründen ernannte Bewerber gefährden die Effizienz des öffentlichen Dienstes in

45

Isensee (Fn. 33), S. 355. EuGHE 1964, 277 (290) - Raponi\ 1965, 218 (227) - Vandevyvere\ (Nr. 9) - Grassi; dazu Schick,, DVB1 1975, 773. 46

1974, 1099

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Deutschland und tragen zudem in Fällen parteipolitisch motivierter Ämterpatronage zur allgemein beklagten Staatsverdrossenheit bei. Damit ist als Zwischenergebnis folgendes festzuhalten: Art. 33 Abs. 2 GG sichert die Bestenauswahl bei der Besetzung öffentlicher Ämter sowohl im Interesse der Allgemeinheit an einem effizienten öffentlichen Dienst als auch im Interesse der Bewerber. Art. 33 Abs. 2 GG gewährleistet ein grundrechtsgleiches Zugangsrecht, das ggf. gemäß Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a GG mit der Verfassungsbeschwerde durchgesetzt werden kann, in einem mehrpoligen Rechtsverhältnis. Da die Rechtspositionen der an diesem Rechtsverhältnis Beteiligten in ihrem Bestand und in ihrem Inhalt voneinander abhängen, sichert Art. 33 Abs. 2 GG dem Bestqualifizierten nicht nur ein positives Recht auf Zugang zu dem erstrebten öffentlichen Amt, sondern auch ein Abwehrrecht gegen die Ernennung eines schlechterqualifizierten Mitbewerbers.

IV. Effektiver Rechtsschutz Nach der Klärung der materiellen Rechtslage kann nunmehr untersucht werden, wie erfolglose Mitbewerber effektiven Rechtsschutz gegen Ernennungen oder Beförderungen schlechterqualifizierter Konkurrenten erlangen können. Effektiver Rechtsschutz ist nach der Konzeption der Rechtsprechung und der ihr folgenden Literatur für erfolglose Mitbewerber um ein öffentliches Amt kaum zu erlangen: Da die Ernennung des Mitbewerbers nach herrschender Meinung nicht angefochten werden kann und zugleich die „Erledigung" der abschlägigen Bescheide an die erfolglosen Bewerber bewirkt 47 , bleibt nur der Versuch, die Ernennung des Konkurrenten bereits im Vorhinein zu verhindern, damit nicht „vollendete Tatsachen" im Sinne der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts 48 geschaffen werden 49 . In der Hauptsache muß der Kläger folglich eine vorbeugende Unterlassungsklage erheben, deren Zulässigkeit nur unter eng begrenzten Voraussetzungen gegeben ist, so daß insoweit zutreffend ein Rechtsschutzdefizit konstatiert wird 5 0 . Dieses Defizit wird nicht dadurch kompensiert, daß vorbeugender vorläufiger Rechtsschutz über § 123 VwGO gewährt wird. Abgesehen von der so bewirkten grundlegenden Sy-

47

Dazu oben II. BVerwGE 80, 127(129). 49 So etwa VGH Mannheim, DVB1 1968, 255; BWVPr. 1983, 71; VGH Kassel, NJW 1985, 1103; NVwZ 1986, 766. 50 Schock (Fn. 2), S. 690 u. 696 f. m.w.N. in Fn. 85 u. 86. 48

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stemverschiebung 51 ist vorbeugender Rechtsschutz, der nur unter Zeitdruck und auf der Grundlage einer summarischen Prüfung gewährt wird, generell weniger wirksam als Rechtsschutz im Hauptsacheverfahren, das nach den Vorgaben der Verwaltungsgerichtsordnung eine umfassende und intensive Prüfung des Begehrens des Klägers in ausreichender Zeit ermöglicht. Der Gesetzgeber hat in der Verwaltungsgerichtsordnung das Hauptsacheverfahren als wirksames Rechtsschutzinstrument zur Verfügung gestellt. Die eigenmächtige verwaltungsgerichtliche Verweigerung des gesetzlich vorgesehenen Rechtsschutzes, obwohl sich das Rechtsschutzbegehren auch nach Auffassung des Bundesverwaltungsgerichts keineswegs in dem Sinne erschöpft hat, „daß kein den bei der Auswahlentscheidung abgelehnten Bewerber belastender Verwaltungsakt mehr vorliegt" 52 , verstößt gegen Art. 19 Abs. 4 GG, der effektiven Rechtsschutz auf den vom Gesetzgeber eröffneten Wegen als Grundrecht sichert 53 . Effektiver Rechtsschutz gemäß dem Gebot des Art. 19 Abs. 4 GG setzt vielmehr voraus, daß dem erfolglosen Mitbewerber die Anfechtungsklage gemäß § 42 Abs. 2 VwGO ermöglicht wird, wenn eine Verletzung seines grundrechtsgleichen Zugangsrechts aus Art. 33 Abs. 2 GG möglich erscheint. Das ist immer dann der Fall, wenn Tatsachen vorgetragen werden, aus denen sich die Möglichkeit ergibt, daß der Dienstherr bei der Ernennung oder Beförderung andere als die in Art. 33 Abs. 2 GG genannten Kriterien herangezogen und/oder bei der Anwendung dieser Kriterien seinen Beurteilungsspielraum überschritten hat. Da in dem mehrpoligen Rechtsverhältnis der Bewerbung um ein öffentliches Amt die Ernennung eines Bewerbers zwingend das Scheitern der Zugangsansprüche aller anderen Bewerber bedingt, handelt es sich für letztere um einen belastenden Verwaltungsakt 54 . Der Rechtsschutz gegen diesen Akt öffentlicher Gewalt ist durch § 40 VwGO gesetzlich eröffnet und durch Art. 19 Abs. 4 GG in Verbindung mit Art. 33 Abs. 2 GG grundrechtlich abgesichert. Einstweiliger Rechtsschutz gegen die Ernennung ist dementsprechend nicht über § 123 VwGO, sondern über §§ 80 und 80a VwGO zu gewähren. Die Möglichkeit der Anordnung der sofortigen Vollziehung von Amts wegen oder auf Antrag des Ernannten gemäß § 80a Abs. 1 Nr. 1 VwGO sowie der Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung gemäß § 80 Abs. 5 VwGO erlaubt es, eine angemessene vorläufige Regelung zu treffen, die allen berührten Individual- und Allgemeininteressen gerecht wird. Der Dienstherr muß das Risiko 51

Schock (Fn. 2), S. 697. BVerwGE 80, 127(130). 53 Zum Gewährleistungsgehalt von Art. 19 Abs. 4 GG Schultze-Fielitz, Grundgesetz-Kommentar, Bd. I, 1996, Art. 19 IV, Rdnr. 60 f. 54 Siehe dazu oben IE. 52

in: Dreier,

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tragen, das mit einer rechtswidrigen Entscheidung verbunden ist. Für die Stellenbesetzung gilt insoweit nichts anderes als für sonstiges Verwaltungshandeln 55 . Ein derartig ausgestalteter effektiver Rechtsschutz entspricht nicht nur den Vorgaben des materiellen und des Prozeßrechts, sondern trägt auch zur Verhinderung von „Ämterpatronage" bei. Die Interessen erfolgloser Bewerber an der zu besetzenden Stelle und das Interesse der Allgemeinheit an der Bestenauswahl mit dem Ziel eines möglichst qualifizierten öffentlichen Dienstes laufen parallel. Es wäre zu wünschen, daß die Verwaltungsgerichtsbarkeit aus eigener Kraft die Fehlentwicklung der Rechtsprechung erkennt und nicht erst durch das Bundesverfassungsgericht zu einer Kurskorrektur gezwungen werden muß. Die Kammerentscheidung aus dem Jahr 1989 56 darf jedenfalls in ihrer Bedeutung nicht überschätzt werden. Allein aus der Tatsache, daß eine Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen worden ist, folgt keineswegs, daß nicht der zuständige Senat Art. 33 Abs. 2 GG und Art. 19 Abs. 4 GG die ihnen zukommende Beachtung sichern wird, die vom Schrifttum schon so lange eingefordert wird. Der Konkurrentenschutz bei Beamtenernennungen sollte mit der Modernisierung des Beamtenrechts Schritt halten und nicht in der tradierten, verkümmerten Form weiterhin ein Schattendasein führen.

55 56

Solte (Fn. 21), S. 1034. BVerfG (Fn. 4).

Schriftenverzeichnis Willi Blümel (ohne Diskussionsbeiträge und Buchbesprechungen)

1952 Zur Rückwirkung von Gesetzen in den USA, Juristenzeitung, 7. Jg. 1952, S. 409-410

1954 Die Beziehungen der Bundesrepublik Deutschland zu den Vereinten Nationen und ihren Sonderorganisationen. Eine Übersicht. Als Manuskript vervielfältigt vom Institut für Europäische Politik und Wirtschaft (Forschungsinstitut der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik), Frankfürt am Main, 1954, 81 S.

1955 Deutsches und ausländisches Schrifttum über die Organisation der Vereinten Nationen unter besonderer Berücksichtigung des Schrifttums zur Revision der UN-Charta, Institut für Europäische Politik und Wirtschaft, Frankfurt am Main, 1955, III, 63 Blatt (Aktuelle Bibliographien des Europa-Archivs Heft 9) Probleme einer Änderung der Charta der Vereinten Nationen unter Mitarbeit von Willi L. Blümel, Europa-Archiv, 10. Jg. 1955, S. 7263-7278

1956 Forsthoff, Ernst: öffentliches Recht. Sammlung staats- und verwaltungsrechtlicher Gesetze. Vornehmlich für den akademischen Unterricht, unter Mitwirkung von Willi Blümel, W. Kohlhammer Verlag, Stuttgart 1956, XVI, 732 S.

1959 Ungereimtheiten beim Rechtsschutz gegen Planfeststellungen. Einige Auswirkungen der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zur Rechtsnatur der Fluchtlinien- und Bebauungspläne, Die Öffentliche Verwaltung, 12. Jg. 1959, S. 665-671 42 FS Blümel

662

Schriftenverzeichnis Willi Blümel

1960 Das Zusammentreffen von Planfeststellungen, Deutsches Verwaltungsblatt, 75. Jg. 1960, S. 697-711

1961 Die Bauplanfeststellung. Erster Teil: Die Planfeststellung im preußischen Recht und im Reichsrecht, W. Kohlhammer Verlag, Stuttgart 1961, 246 S. (res publica. Beiträge zum öffentlichen Recht Bd. 5)

1962 Die Verfassungsgerichtsbarkeit in der Republik Zypern, in: Verfassungsgerichtsbarkeit in der Gegenwart. Länderberichte und Rechtsvergleichung, Internationales Kolloquium, veranstaltet vom Max-Planck-Institut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht, Heidelberg 1961, Carl Heymanns Verlag KG, Köln-Berlin 1962 (Beiträge zum ausländischen öffentlichen Recht und Völkerrecht Bd. 36), S. 643-726

1963 Unwirksamkeit der gewerberechtlichen Ausschlußfrist für Einwendungen gegen „genehmigungspflichtige Anlagen". Eine Entgegnung, Der BetriebsBerater, 18. Jg. 1963, S. 882-884

1964 Nochmals: Über die Form der Zulässigkeitserklärung der Enteignung nach § 11 des Energiewirtschaftsgesetzes im Hinblick auf Art. 2 des württ. Enteignungsgesetzes, Baden-Württembergisches Verwaltungsblatt, 9. Jg. 1964, S. 133-134 Zur Teilnichtigkeit des neuen Hamburgischen Enteignungsgesetzes. Eine Entgegnung, Deutsches Verwaltungsblatt, 79. Jg. 1964, S. 905-907

1965 Der Entschädigungsausschluß nach § 44 Abs. 1 Satz 2 des Bundesbaugesetzes. Rechtsgutachten über Bedeutung und Auswirkung, insbesondere im Hinblick auf die städtebauliche Sanierung. Erstattet von der Kommission „Bodenund Enteignungsrecht" der Gesellschaft für Wohnungs- und Siedlungswesen e.V., unter Mitarbeit von Willi Blümel, Hans Christians Verlag, Hamburg 1965, 54 S. (Schriftenreihe der Gesellschaft für Wohnungs- und Siedlungswesen e.V., Hamburg 39) Zur inhaltlichen Überprüfüng des Bebauungsplanes im nachfolgenden Enteignungsverfahren, Die Öffentliche Verwaltung, 18. Jg. 1965, S. 297-307

Schriftenverzeichnis Willi Blümel

1966 Art. Planung I I I (Planungsrecht), in: H. Kunst u.a. (Hrsg.), Evangelisches Staatslexikon, Kreuz Verlag, Stuttgart 1966, Sp. 1526-1529; 2., vollst, neubearb. und erw. Auflage 1975, Sp. 1831-1835; 3., neu bearb. Auflage 1987, Bd. 2, Sp. 2518-2523 Zur Praxis der Veröffentlichung von Gerichtsentscheidungen, Deutsches Verwaltungsblatt, 81. Jg. 1966, S. 63-66

1967 Die Planfeststellung. Zweiter Teil: Die Planfeststellung im geltenden Recht, Maschinenschrift, Heidelberg 1967; Bd. 1: Text, IX, 505 S.; Bd. 2: Anmerkungen, 278 S. Raumplanung, vollendete Tatsachen und Rechtsschutz, in: K. Doehring (Hrsg.), Festgabe für Ernst Forsthoflf zum 65. Geburtstag, C.H. Beck'sche Verlagsbuchhandlung, München 1967, S. 133-161 Bibliographie Ernst Forsthoff, zus. mit Hans Klein, in: K. Doehring (Hrsg.), Festgabe für Ernst Forsthoff zum 65. Geburtstag, C.H. Beck'sche Verlagsbuchhandlung, München 1967, S. 189-215

1968 Bundesstaatsrechtliche Aspekte der Verwaltungsvorschriften. Zur verfassungswidrigen Praxis im Bereich der Bundesauftragsverwaltung, Archiv des öffentlichen Rechts, 93. Bd. (1968), S. 200-243 Entwurf eines Gesetzes zur Sicherung gesunder Wohnverhältnisse. Ein Diskussionsbeitrag zum Sanierungsproblem, unter Mitarbeit von Willi Blümel, Hans Christians Verlag, Hamburg 1968, 77 S. (Schriftenreihe der Gesellschaft für Wohnungs- und Siedlungswesen e.V. - GEWOS -) Allgemeine Anforderungen an gesunde Wohnverhältnisse. Ein rechtswissenschaftliches Gutachten, insbesondere im Hinblick auf die Voraussetzungen für die städtebauliche Sanierung, unter Mitarbeit von Willi Blümel, Hans Christians Verlag, Hamburg 1968, 96 S. (Schriftenreihe der Gesellschaft für Wohnungs- und Siedlungswesen e.V. - GEWOS -)

1970 Raumordnungsrecht und Fachplanungsrecht. Ein Rechtsgutachten, zus. mit Ernst Forsthoff, Alfred Metzner Verlag, Frankfurt am Main-Berlin 1970, 191 S. (Planungsstudien 7)

664

Schriftenverzeichnis Willi Blümel

1971 Planungsrecht für Verkehrsanlagen, Forschungsauftrag des Bundesministers für Verkehr an die Studiengesellschaft für unterirdische Verkehrsanlagen e.V. - STUVA -, Düsseldorf, Dezember 1971, VII, 400 S. (Hektographiert)

1972 „Demokratisierung der Planung" oder rechtsstaatliche Planung?, in: R. Schnur (Hrsg.), Festschrift für Ernst Forsthoff zum 70. Geburtstag, C.H. Beck'sche Verlagsbuchhandlung, München 1972, S. 9-36; 2. Auflage 1974, S. 9-36 Bibliographie Ernst Forsthoff, zus. mit Hans Klein, in: R. Schnur (Hrsg.), Festschrift für Ernst Forsthoff zum 70. Geburtstag, C.H. Beck'sche Verlagsbuchhandlung, München, 1972, S. 495-535; 2. Auflage 1974, S. 495-535 Anmerkung zum Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 3.6.1971 (IV C 64.70), Deutsches Verwaltungsblatt, 87. Jg. 1972, S. 122-125 Anmerkung zum Beschluß des OVG Lüneburg vom 13.7.1972 (VI OVG B 37/72), Deutsches Verwaltungsblatt, 87. Jg. 1972, S. 796-799

1973 Leserbrief „Flughafenpolitik der Bundesländer", Die Bundesbahn, 49. Jg. 1973, S. 212 Raumordnung und kommunale Selbstverwaltung, Deutsches Verwaltungsblatt, 88. Jg. 1973, S. 436-442 Anmerkung zum Beschluß des OVG Lüneburg vom 3.6.1971 (II OVG B 32), Deutsches Verwaltungsblatt, 88. Jg. 1973, S. 507-508 Gebiete „Straßenverkehrsrecht" und „Verwaltungsrecht", in: Brockhaus Enzyklopädie, 17. völlig neu bearb. Auflage des Großen Brockhauses, F.A. Brockhaus Wiesbaden; Bd. 18 (1973), S. 206-208; Bd. 19 (1974), S. 583-584 Raumplanung und Vermessungswesen; 1.) Zeitschrift für Ingenieure und Techniker im öffentlichen Dienst, Nr. 6, 1973, S. 140-150; 2.) Die Verwaltung, Bd. 7 (1974), S. 305-334; 3.) Gekürzte Fassung in: VermessungMensuration. Organ des Verbandes Schweizerischer Vermessungstechniker, 7/1974, S. 236-245

1974 Sicherung des Baus von Anlagen und Leitungsnetzen - Planfeststellungsverfahren, in: Die Sicherheit der Energieversorgung - Ist sie gegenwärtig gefährdet und durch welche Reformmaßnahmen wird sie vergrößert? Referate und Diskussionen einer Arbeitsgemeinschaft für interdisziplinäre Forschung,

Schriftenverzeichnis Willi Blümel Universität Bielefeld am 7./8. Dezember 1973, Carl Heymanns Verlag KG, Köln usw., 1974 (Schriftenreihe Recht-Technik-Wirtschaft Bd. 4), S. 49-74 Stellungnahme zu den „Thesen zur Novellierung des Hochschulgesetzes und des Gesamthochschulentwicklungsgesetzes" (Beschluß der SPD-Landtagsfraktion vom 22.10.1973), Freiheit der Wissenschaft, Heft 1 1974, S. 7-10 Was bewirkte das Karlsruher Urteil? Eine Dokumentation des Hochschulverbandes für das Bundesverfassungsgericht, Mitteilungen des Hochschulverbandes, 22. Jg. 1974, S. 167-172 (Zusammenfassung) Masseneinwendungen im Verwaltungsverfahren, in: Schneider/Götz (Hrsg.), Im Dienst an Recht und Staat, Festschrift für Werner Weber zum 70. Geburtstag, dargebracht von Freunden, Schülern und Kollegen, Duncker & Humblot, Berlin 1974, S. 539-565

1975 Rechtsprobleme des Genehmigungsverfahrens für Atomanlagen - Standortwahl und -Sicherung, in: Drittes Deutsches Atomrechts-Symposium, 22723. Oktober 1974 in Göttingen, Referate und Diskussionsberichte, Carl Heymanns Verlag KG, Köln usw., 1975 (Schriftenreihe Recht-TechnikWirtschaft Bd. 7), S. 33-46 Die Planfeststellung in der Flurbereinigung (unter besonderer Berücksichtigung der Novelle zum Flurbereinigungsgesetz). Rechtsgutachten, zus. mit Michael Ronellenfitsch, Landwirtschaftsverlag GmbH, Hiltrup (Westf.) 1975, 98 S. (Schriftenreihe für Flurbereinigung Heft 63) Planung und Verwaltungsgerichtsbarkeit, 90. Jg. 1975, S. 695-709

Deutsches

Verwaltungsblatt,

1976 Vom Hochschullehrer zum Professor. Neuere Entwicklungen im Recht der Hochschullehrer; 1.) Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer, Speyer 1976, 68 S. (Speyerer Arbeitshefte Nr. 8); 2.) Mitteilungen des Hochschulverbandes, 24. Jg. 1976, S. 138-145 (gekürzte Fassung); 3.) in: König/ Laubinger/Wagener (Hrsg.), Öffentlicher Dienst, Festschrift für Carl Hermann Ule zum 70. Geburtstag, Carl Heymanns Verlag KG, Köln usw. 1977, S. 287309

1977 Funktion und Ausgestaltung der Öffentlichkeitsbeteiligung im atomrechtlichen Genehmigungsverfahren, in: Fünftes Deutsches Atomrechts-Symposium, 8. bis 10. Dezember 1976 in Münster, Referate und Diskussionsberichte, Carl

666

Schriftenverzeichnis Willi Blümel

Heymanns Verlag KG, Köln usw., 1977 (Schriftenreihe Wirtschaft Bd. 14), S. 223-236

Recht-Technik-

Die Standortvorsorgeplanung für Kernkraftwerke und andere umweltrelevante Großvorhaben in der Bundesrepublik Deutschland, Deutsches Verwaltungsblatt, 92. Jg. 1977, S. 301-322; deutsche und koreanische Fassung (Übersetzer: Prof. Dr. Moon-Ok Park und Jong-Hyun Seok), in: Theses Collection, Vol. 21, Chung-Ang University, Seoul, Korea, 1977, 19 und 24 S.

1978 Erwiderung auf Depenbrock, Standortvorsorge für Kraftwerke und flächenintensive Großvorhaben in Nordrhein-Westfalen. Zugleich eine Erwiderung auf Blümel, DVB1. 1977, 301 ff. (DVB1. 1978, 17), Deutsches Verwaltungsblatt, 93. Jg. 1978, S. 21-22 Gemeinden und Kreise vor den öffentlichen Aufgaben der Gegenwart; 1.) in: Veröffentlichungen der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer Heft 36, Walter de Gruyter, Berlin 1978, S. 171-275, 379-381, 400-402 (Tagung der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer in Basel vom 5. bis 8. Oktober 1977); 2.) Die öffentliche Verwaltung, 30. Jg. 1977, S. 781-783 (Leitsätze); 3.) Deutsches Verwaltungsblatt, 93. Jg. 1978, S. 137-138 (Leitsätze) Aktuelle Probleme des Straßenrechts, hrsg. v. Willi Blümel, Kirschbaum Verlag, Bonn-Bad Godesberg 1978, 106 S. (Schriftenreihe „Straßenrecht" Heft 12) Parlamentarische Untersuchungsausschüsse und kommunale Selbstverwaltung, zus. mit Michael Ronellenfitsch, Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer, Speyer 1978, IV, 119 S. und 31 S. Anlagen (Speyerer Arbeitshefte Nr. 25) Kommunale Selbstverwaltung in unserer Zeit, Städte- und Gemeindebund, 33. Jg. 1978, S. 219-224

1979 Straße und Umwelt, hrsg. v. Willi Blümel, Duncker & Humblot, Berlin 1979, 141 S. (Schriftenreihe der Hochschule Speyer Bd. 77) Das verfassungsrechtliche Verhältnis von Gemeinden und Landkreisen; 1.) Niedersächsischer Städteverband, Hannover 1979, 36 S. (Schriftenreihe des Niedersächsischen Städteverbandes Heft 5); 2.) Niedersächsischer Städteverband. Nachrichten für Städte, Gemeinden, Samtgemeinden, 6. Jg. 1978, S. 326-328 (Thesen); 3.) Städte und Gemeindebund, 1979, S. 25-26 (Thesen)

Schriftenverzeichnis Willi Blümel

1980 Ein Vierteljahrhundert Straßenrechtsgesetzgebung, hrsg. von Richard Bartlsperger/Willi Blümel/Hans-Wolfgang Schroeter, Joachim Heitmann Verlag, Hamburg 1980, 635 S. Die Straßenplanung im System der Raumplanung, in: Bartlsperger/ Blümel/Schroeter (Hrsg.), Ein Vierteljahrhundert Straßenrechtsgesetzgebung, Joachim Heitmann Verlag, Hamburg 1980, S. 309-341 Keine Zuständigkeit des Bundes zur luftrechtlichen Planfeststellung, Neue Juristische Wochenschrift, 33. Jg. 1980, S. 1669-1672 Anmerkung zum Urteil des Verfassungsgerichtshofes Nordrhein-Westfalen vom 11.7.1980 (VerfGH 8/79), Die Öffentliche Verwaltung, 33. Jg. 1980, S. 693-695 Das Zusammentreffen von Planfeststellungen, Forschungsauftrag des Bundesministers für Verkehr, Speyer, 1.10.1980, 105 S. (Hektographiert) Recht der Bauleitplanung und Fachplanungsrecht. Vortrag im 138. Kurs des Instituts „Städtebau und Recht" vom 27. bis 31. Oktober 1980, Institut für Städtebau Berlin der Deutschen Akademie für Städtebau und Landesplanung, 1980, 36 S.

1981 Die Rechtsgrundlagen der Tätigkeit der kommunalen Selbstverwaltungskörperschaften, in: G. Püttner (Hrsg.), Handbuch der kommunalen Wissenschaft und Praxis, 2. völlig neu bearb. Auflage, Bd. 1, Springer-Verlag, Berlin-Heidelberg 1981, S. 229-264 Technische Risiken und Recht. Vortragszyklus des Kernforschungszentrums Karlsruhe und der Hochschule für Vewaltungswissenschaften Speyer, hrsg. v. Willi Blümel und Helmut Wagner, Kernforschungszentrum Karlsruhe, Karlsruhe 1981, 52 S.

1982 Grundrechtsschutz durch Verfahrensgestaltung, in: W. Blümel (Hrsg.), Frühzeitige Bürgerbeteiligung bei Planungen, Duncker & Humblot, Berlin 1982, S. 23-91 (Schriftenreihe der Hochschule Speyer Bd. 87) Frühzeitige Bürgerbeteiligung bei Planungen, hrsg. von Willi Blümel, Duncker & Humblot, Berlin 1982, 260 S. (Schriftenreihe der Hochschule Speyer Bd. 87) Die öffentliche Bekanntmachung von Verwaltungsakten in Massenverfahren, Verwaltungsarchiv, Bd. 73 (1982), S. 5-27

668

Schriftenverzeichnis Willi Blümel

Die Verfassungswidrigkeit des Volksbegehrens und Volksentscheids „Keine Startbahn West", zus. mit Michael Ronellenfitsch, Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer, Speyer 1982, 114 S. und 54 S. Anlagen (Speyerer Arbeitshefte Nr. 40) Nebentätigkeitsrecht des wissenschaftlichen und künstlerischen Personals, zus. mit Dieter Scheven, in: Ch. Flämig u.a. (Hrsg.), Handbuch des Wissenschaftsrechts, Bd. 1, Springer-Verlag, Berlin-Heidelberg-New York 1982, S. 553-589; 2. Auflage 1996, S. 443-491 Aktuelle Probleme des Enteignungsrechts, hrsg. von Willi Blümel, Forschungsinstitut für öffentliche Verwaltung bei der Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer, Speyer Juni 1982, 115 S.; 2. Auflage Februar 1983 (Speyerer Forschungsberichte Nr. 23) Festsetzung von Lärmschutzbereichen und gemeindliche Selbstverwaltungsgarantie, Verwaltungsarchiv, Bd. 73 (1982). S. 329-344

1983 Zur Verwirkung des Antragsrechts im Normenkontrollverfahren nach § 47 VwGO, Verwaltungsarchiv, Bd. 74 (1983), S. 153-173 Wesensgehalt und Schranken des kommunalen Selbstverwaltungsrechts; 1.) in: v. Mutius (Hrsg.), Selbstverwaltung im Staat der Industriegesellschaft, Festgabe zum 70. Geburtstag von Georg-Christoph von Unruh, R. v. Deckers Verlag, G. Schenk, Heidelberg 1983, S. 265-303; 2.) Contenido esencial y límites del derecho de la autonomía municipal (versión castellana), in: Autonomies. Revista catalana de Derecho público, Barcelona, núm. 4, 1986, S. 7-22; 3.) Contingut essencial i límits del dret a l'autonomia municipal (versión catalana), in: Autonomíes. Revista catalana de dret públic, Barcelona, núm. 4, 1986, S. 7-21 (Übersetzungen durch Frau Prof. Dr. Maria Jesús Montoro Chiner)

1984 Die Vereinheitlichung des Verwaltungsverfahrensrechts, hrsg. v. Willi Blümel, Duncker & Humblot, Berlin 1984, 233 S. (Schriftenreihe der Hochschule Speyer Bd. 93) Das verfassungsrechtliche Verhältnis der kreisangehörigen Gemeinden zu den Kreisen, Verwaltungsarchiv, Bd. 75 (1984), S. 197-218, S. 297-331 Teilbarkeit von Planungsentscheidungen, hrsg. v. Willi Blümel. Forschungsinstitut für öffentliche Verwaltung bei der Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer, Speyer 1984, 63 S. (Speyerer Forschungsberichte Nr. 42)

Schriftenverzeichnis Willi Blümel Neue Entwicklungstendenzen im Verwaltungsverfahrensrecht der Bundesrepublik Deutschland, in: Public Law, No. 12, 1984 (Korean Public Law Association, Seoul/Korea), S. 157-175

1986 Aktuelle Probleme des Planfeststellungsrechts, hrsg. v. Willi Blümel, Forschungsinstitut für öffentliche Verwaltung bei der Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer, Speyer 1986, 67 S.; 2. Auflage September 1989 (Speyerer Forschungsberichte Nr. 49) Bürgerbeteiligung an Planungen und gemeindlichen Selbstverwaltungsangelegenheiten, in: Dongguk Journal of Public Administration, Vol. 15, Seoul/ Korea, 1986, S. 181-197 (Zusammenfassung in koreanisch durch Herrn Ik-Sup Shim, S. 195-197) Das Selbstgestaltungsrecht der Städte und Gemeinden; 1.) Rektoratsrede anläßlich der Eröffnung des Sommersemesters 1986, Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer, Speyer 1986, 26 S. (Speyerer Vorträge Heft 6); 2.) in: Blümel/Merten/Quaritsch (Hrsg.), Verwaltung im Rechtsstaat, Festschrift für Carl Hermann Ule zum 80. Geburtstag, Carl Heymanns Verlag KG, Köln usw. 1987, S. 19-42

1987 Verwaltung im Rechtsstaat, hrsg. von Willi Blümel/Detlef Merten/Helmut Quaritsch, Festschrift für Carl Hermann Ule zum 80. Geburtstag, Carl Heymanns Verlag KG, Köln usw. 1987, 434 S. Planfeststellung und Flurbereinigung, Umweltverträglichkeitsprüfüng, hrsg. v. Willi Blümel, Forschungsinstitut für öffentliche Verwaltung bei der Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer, Speyer Januar 1987, 87 S.; 2. Auflage Mai 1987; 3. Auflage März 1988; 4. Auflage Oktober 1989 (Speyerer Forschungsberichte Nr. 55) Struktur und Aufgaben der Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer. Festansprache anläßlich des 20jährigen Bestehens der Graduate School of Public Administration der Dongguk Universität, Seoul, Republik Korea, am 13. Mai 1987, Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer, Speyer 1987, 37 S.; 2. Auflage Dezember 1988 (Speyerer Arbeitshefte Nr. 80)

1988 Bedarfsplanung - Planfeststellung - Immissionsschutz, hrsg. v. Willi Blümel, Forschungsinstitut für öffentliche Verwaltung bei der Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer, Speyer 1988, 132 S.; 2. Auflage Oktober 1988; 3. Auflage September 1989 (Speyerer Forschungsberichte Nr. 65)

670

Schriftenverzeichnis Willi Blümel

Stichwort: Standortvorsorge, zus. mit Stephan Lang, in. O. Kimminich u.a. (Hrsg.), Handwörterbuch des Umweltrechts, 2. Bd., Erich Schmidt Verlag GmbH & Co., Berlin 1988, Sp. 393-398

1989 Planung und Sondernutzung von Straßen, hrsg. v. Willi Blümel, Forschungsinstitut für öffentliche Verwaltung bei der Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer, Speyer 1989, 89 S.; 2. Auflage Februar 1991 (Speyerer Forschungsberichte Nr. 75) Gesetzliche Regelung der Einwendungs- und Klagebefugnis ausländischer Grenznachbarn?, in: Hailbronner/Reß/Stein (Hrsg.), Staat und Völkerrechtsordnung, Festschrift für Karl Doehring, Heidelberg 1989, S. 89-118 a) La incorporación de la directiva de la Comunidad Europea sobre la prueba de impacto ambiental (kastilisch), in: Autonomies, Revista Catalana de Derecho Público, 1989, S. 61-71 b) La incorporado de la directriu de la Comunitat Europea sobre la prova d'impacte ambiental (katalanisch), in: Autonomies, Revista Catalana de Derecho Público, 1989, S. 61-70

1990 Abweichungen von der Planfeststellung, hrsg. v. Willi Blümel, Forschungsinstitut für öffentliche Verwaltung bei der Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer, Speyer 1990, 130 S. (Speyerer Forschungsberichte Nr. 85) Verwaltungszuständigkeit (§ 101), Rechtsprechungszuständigkeit (§ 102), in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Bd. IV: Finanzverfassung - Bundesstaatliche Ordnung, Heidelberg 1990, S. 857-963, 965-985 Verwaltungsverfahrensrecht und Verwaltungsprozeßrecht, zus. mit Wolfgang Bernet, Forschungsinstitut für öffentliche Verwaltung bei der Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer, Speyer 1990, 198 S.; 2. Auflage Juni 1992; 3. Auflage Januar 1994; 4. Auflage Oktober 1995; 5. Auflage März 1996 (Speyerer Forschungsberichte Nr. 90)

1991 Verkehrslärmschutz - Verfahrensbeschleunigung, hrsg. v. Willi Blümel, Forschungsinstitut für öffentliche Verwaltung bei der Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer, Speyer 1991, 125 S.; 2. Auflage Februar 1995 (Speyerer Forschungsberichte Nr. 95)

Schriftenverzeichnis Willi Blümel Die Zukunft der kommunalen Selbstverwaltung, hrsg. v. Willi Blümel und Hermann Hill, Duncker & Humblot, Berlin 1991. 269 S. (Schriftenreihe der Hochschule Speyer Bd. 107) Verkehrswegeplanung in Deutschland, hrsg. v. Willi Blümel, Forschungsinstitut fiir öffentliche Verwaltung bei der Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer, Speyer 1991, 502 S.; 2. ergänzte Auflage Februar 1992; 3. Auflage September 1993 (Speyerer Forschungsberichte Nr. 105)

1992 Der Gegenstand der Planfeststellung (Zur Zulässigkeit von Betriebsregelungen im Planfeststellungsbeschluß), Verwaltungs-Archiv, Bd. 83 (1992), S. 146-164 Spezielle Aspekte der Autonomen Gemeinschaften in Spanien/Aspectos especiales de las Comunidades Autónomas en España, hrsg. von Willi Blümel, Forschungsinstitut für öffentliche Verwaltung bei der Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer, Speyer 1992, 195 S. (Speyerer Forschungsberichte Nr. 108) Delegation von Zuständigkeiten der Bundesländer auf die Hochschulen im Personalbereich - Auswertung der Gespräche mit den Wissenschaftsministerien der Länder -, zus. mit Helmut Klages/Ignaz Bender/Klaus Paffrath, Forschungsinstitut für öffentliche Verwaltung bei der Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer, Speyer 1992, 108 S; 2. Auflage August 1993; 3. Auflage Februar 1994; 4. Auflage April 1996 (Speyerer Forschungsberichte Nr. 114) Stand und aktuelle Probleme der Aus- und Fortbildung der öffentlichen Bediensteten in der Bundesrepublik Deutschland, Forschungsinstitut für öffentliche Verwaltung bei der Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer, Speyer 1992, 51 S.; 2. Auflage Januar 1993; 3. Auflage Juni 1994; 4. Auflage März 1996 (Speyerer Forschungsberichte Nr. 116)

1993 Rechtsschutz gegen Raumordnungspläne, Verwaltungs-Archiv, Bd. 84 (1993), S. 123 - 138 Einschaltung Privater beim Verkehrswegebau - Innenstadtverkehr, hrsg. von Willi Blümel, Forschungsinstitut für öffentliche Verwaltung bei der Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer, Speyer 1993, 88 S.; 2. Auflage März 1993; 3. Auflage Februar 1995 (Speyerer Forschungsberichte Nr. 115) Verkehrswegeplanung in Deutschland; 1.) in: Willi Blümel/Siegfried Magiera/Detlef Merten/Karl-Peter Sommermann, Verfassungsprobleme im vereinten Deutschland, Forschungsinstitut für öffentliche Verwaltung bei der

672

Schriftenverzeichnis Willi Blümel

Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer, Speyer 1993, S. 1 - 22; 2. Auflage März 1993; 3. Auflage August 1993; 4. Auflage November 1994 (Speyerer Forschungsberichte Nr. 117); 2.) in: Willi Blümel/Siegfried Magiera/Detlef Merten/Karl-Peter Sommermann, Problemes constitucionals a l'Alemanya unificada, Publications de l'Escola d'Administrado Pública de Catalunya, Coll-lecció „Materials", Nr. 15, Barcelona, Oktober 1994, S. 9-27 Delegation Ministerien - Universitäten im Personalbereich. Auswertungsseminar am 18./. 19. März 199, zus. mit Ignaz Bender, Forschungsinstitut für öffentliche Verwaltung bei der Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer, Speyer 1993, 109 S.; 2. Auflage August 1993; 3. Auflage Februar 1994; 4. Auflage November 1994 (Speyerer Forschungsberichte Nr. 118) Aktuelle Probleme des Atomrechts, Forschungsinstitut für öffentliche Verwaltung bei der Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer, Speyer 1993, 59 S.; 2. Auflage März 1993 (Speyerer Forschungsberichte Nr. 119) Rechtliche Fragen der Stillegung und Beseitigung kerntechnischer Anlagen in Deutschland (Japanisch), in: Schriften zur Verwaltungs- und Sozialwissenschaft (Gesellschaft für Verwaltungs- und Sozialwissenschaft bei der Universität Fukushima), Bd. 3, Nummer 3, 1993, S. 85-98 (Übersetzung durch Tsuneharu Yonemaru) Technische und rechtliche Fragen der Stillegung und Beseitigung nuklearer Anlagen in der Bundesrepublik Deutschland, zus. mit Hellmut Wagner, Nomos Verlagsgesellschaft, Baden-Baden 1993, 183 S. Zum Stand der kommunalen Gebietsreform in Thüringen, in: Öffentliche Verwaltung und Recht in der Zeit der Internationalisierung, Festschrift für Yoriaki Narita, Tokyo 1993, S. 1-32. Neue Länderstraßengesetze, hrsg. von Willi Blümel und Martin Pfeil, Forschungsinstitut für öffentliche Verwaltung bei der Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer, Speyer 1993, 198 S. (Speyerer Forschungsberichte Nr. 127) Flexibilität der Hochschulhaushalte - Auswertung der Gespräche mit den Finanz- und Wissenschaftsministerien der Länder, zus. mit Ignaz Bender/ Thomas Behrens, Forschungsinstitut für öffentliche Verwaltung bei der Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer, Speyer 1993, 121 S.; 2. Auflage Februar 1994; 3. Auflage Oktober 1995 (Speyerer Forschungsberichte Nr. 130)

1994 Flexibilität der Hochschulhaushalte - Auswertungsseminar am 14./15. Oktober 1993, zus. mit Ignaz Bender (Hrsg.), Forschungsinstitut für öffentliche

Schriftenverzeichnis Willi Blümel Verwaltung bei der Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer, Speyer 1994, 131 S.; 2. Auflage August 1994 (Speyerer Forschungsberichte Nr. 131) Reform des Verwaltungsverfahrensrechts, hrsg. von Willi Blümel und Rainer Pitschas, Duncker & Humblot, Berlin 1994, 371 S. (Schriftenreihe der Hochschule Speyer Bd. 114) Verkehrswegerecht im Wandel, hrsg. von Willi Blümel, Duncker & Humblot, Berlin 1994, 247 S. (Schriftenreihe der Hochschule Speyer Bd. 115) Gesundheitsbeeinträchtigung durch elektromagnetische Felder? Über die rechtliche Relevanz des „Elektrosmogs", zus. mit Martin Pfeil, VerwaltungsArchiv, Bd. 85 (1994), S. 451 - 483 Stichwort: Standortvorsorge, zus. mit Stephan Lang und Martin Pfeil, in: O. Kimminich u.a. (Hrsg.), Handwörterbuch des Umweltrechts, 2. Bd., Erich Schmidt Verlag GmbH & Co., Berlin, 2. Aufl. 1994, Sp. 1882 - 1888 Die Planfeststellung, Zweiter Teil: Die Planfeststellung im geltenden Recht - Habilitationsschrift aus dem Jahre 1967 2 Bde, Forschungsinstitut für öffentliche Verwaltung bei der Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer, Speyer 1994, 505 S. und 396 S. (Speyerer Forschungsberichte Nr. 140) Neuere Entwicklungen im deutschen Umweltrecht (koreanisch) in: Symposium der koreanischen Gesellschaft für Umweltrecht am 15.11.1994 in Seoul/ Korea, Vorträge, S. 1-15 (koreanische Übersetzung durch Hae-Ryoung Kim) Neuere Entwicklungen im Kommunalrecht der deutschen Länder; 1.) in: The Jeonbuk Journal of Public Administration, Vol. 7, Jeonju/Korea, 1994, S. 17-36; 2.) Koreanische Übersetzung: ebenda, S. 37-54

1995 Neuere Entwicklungen im Kommunalrecht der deutschen Länder; 1.) in: Böhret/Nowack (Hrsg.), Gesellschaftlich denken - kommunal handeln, Festschrift für Dr. Christian Roßkopf zum 65. Geburtstag, Mainz 1995, S. 89-107; 2.) in: Keimyung Law Review, Vol. 1, Institute of Law, Keimyung University, Korea, 1997, S. 245-265; 3.) Koreanische Übersetzung durch Hae-Ryong Kim, ebenda, S. 267-278 Neuere Entwicklungen im Umwelt- und Verwaltungsverfahrensrecht, zus. mit Martin Pfeil, Forschungsinstitut für öffentliche Verwaltung bei der Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer, Speyer 1995, I I I S . (Speyerer Forschungsberichte Nr. 145), koreanische Übersetzungen durch Hae-Ryoung Kim, ebenda, S. 23-45, 71-87

674

Schriftenverzeichnis Willi Blümel

1996 Einwirkungen der Finanzminister auf den Hochschulbereich - Erhebung und vergleichende Analyse zum Haushaltsvollzug in den Bundesländern, zus. mit Ignaz Bender/Wolfgang H. Lorig, Forschungsinstitut für öffentliche Verwaltung bei der Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer, Speyer 1996, 72 S. (Speyerer Forschungsberichte Nr. 156) Planungsrechtliche Optimierungsgebote - Naturschutzrechtliche Eingriffsregelung - Folgekosten, hrsg. von W i l l i Blümel, Forschungsinstitut für öffentliche Verwaltung bei der Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer, Speyer 1996, 158 S. (Speyerer Forschungsberichte Nr. 157) Das spanische Verwaltungsrecht nach dem Reformgesetz von 1992 - El Derecho Administrativo Español según de la Ley 30/1992, hrsg. von Willi Blümel, Forschungsinstitut für öffentliche Verwaltung bei der Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer, Speyer 1996 (Speyerer Forschungsberichte Nr. 158) Aktuelle Probleme des Eisenbahnrechts, hrsg. von Willi Blümel, Forschungsinstitut für öffentliche Verwaltung bei der Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer, Speyer 1996, 360 S. (Speyerer Forschungsberichte Nr. 160) Vereinfachung des Baugenehmigungsverfahrens und Nachbarschutz, in: Ebenroth, C. Th./Hesselberger, D./Rinne, M. E. (Hrsg.), Verantwortung und Gestaltung, Festschrift für Karlheinz Boujong zum 65. Geburtstag, C H. Beck'sche Verlagsbuchhandlung, München 1996, S. 521-531 Vereinfachung des Baugenehmigungsverfahrens und Nachbarschutz, in: Public Land Law Review, Vol. 2, Korea Public Land Law Association, Seoul 1996, S. 35-52, koreanische Übersetzung: ebenda, S. 53-64 Nebentätigkeitsrecht des wissenschaftlichen und künstlerischen Personals, zus. mit Dieter Scheven, in: Ch. Flämig u.a. (Hrsg.), Handbuch des Wissenschaftsrechts, Bd. 1, Springer-Verlag, Berlin-Heidelberg-New York 1982, S. 553-589, 2. Auflage 1996, S. 443-491

1997 Frido Wagener/Willi Blümel: Staatsaufbau und Verwaltungsterritorien, in: König, K./Siedentopf, H. (Hrsg.), Öffentliche Verwaltung in Deutschland, Nomos Verlagsgesellschaft, Baden-Baden 1996/97, S. 109-122 Die Straße als Mehrzweckinstitut, hrsg. von Willi Blümel, Forschungsinstitut für öffentliche Verwaltung bei der Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer, Speyer 1997, 116 S. (Speyerer Forschungsberichte Nr. 170)

Schriftenverzeichnis Willi Blümel Einwirkungen der Finanzminister auf den Hochschulbereich - Auswertung der Gespräche mit den Finanz- und Wissenschaftsministerien der Länder, zus. mit Ignaz Bender/Wolfgang H. Lorig, Forschungsinstitut für öffentliche Verwaltung bei der Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer, Speyer 1997, 124 S. (Speyerer Forschungsberichte Nr. 171) Fachplanung durch Bundesgesetz (Legalplanung), Deutsches Verwaltungsblatt, 112 Jg. 1997, S. 205-216 Kommunale Planungshoheit und Ergebnis des Raumordnungsverfahrens, zus. mit Martin Pfeil, Verwaltungs-Archiv, Bd. 88 (1997), S. 353-388 Mitwirkung der kommunalen Gebietskörperschaften und ihrer Spitzenverbände an der Gesetzgebung, in: Staat und Verwaltung, Fünfzig Jahre Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer, hrsg. von Klaus Lüder, Duncker & Humblot, Berlin 1977, S. 331-346 (Schriftenreihe der Hochschule Speyer Bd. 122) Planung und Verwaltungsgerichtsbarkeit; 1.) Abschiedsvorlesung an der Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer, Speyer 1997, 34 S. (Speyerer Vorträge Heft 40); 2.) in: Bernhard Stüer (Hrsg.), Verfahrensbeschleunigung: Wirtschaft - Verwaltung - Rechtsschutz, Planungsrecht, Bd. 1, Osnabrück 1997, S. 17-33 Aktuelle Probleme des Eisenbahnrechts II, hrsg. von Willi Blümel, Forschungsinstitut für öffentliche Verwaltung bei der Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer, Speyer 1997, 412 S. (Speyerer Forschungsberichte Nr. 175) Verwaltungsverfahren und Verwaltungsprozeß im Wandel der Staatsfünktionen, hrsg. von Willi Blümel und Rainer Pitschas, Duncker & Humblot, Berlin 1997, 278 S. (Schriftenreihe der Hochschule Speyer Bd. 121) Einwirkungen der Finanzminister auf den Hochschulbereich - Auswertungsseminar am 20./21.2.1997, zus. mit Ignaz Bender/Wolfgang H. Lorig (Hrsg.), Forschungsinstitut für öffentliche Verwaltung bei der Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer, Speyer 1997, 126 S. (Speyerer Forschungsberichte Nr. 178) Die atomrechtliche Aufsicht, in: Pelzer, N. (Hrsg.), Schnittpunkte nationalen und internationalen Atomrechts, Nomos Verlagsgesellschaft, Baden-Baden 1997, S. 203 -230

1998 Verantwortung für die Forschung - Vorträge anläßlich des Festaktes zum 20jährigen Bestehen des Forschungsinstituts für öffentliche Verwaltung bei der Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer am 23. September

676

Schriftenverzeichnis Willi Blümel

1996, hrsg. von Willi Blümel und Klaus König, Duncker & Humblot, Berlin 1998, 100 S. (Schriftenreihe der Hochschule Speyer Bd. 125) Straßenplanungen und Gesamtplanungen, hrsg. von Willi Blümel, Forschungsinstitut für öffentliche Verwaltung bei der Deutschen Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer, Speyer 1998, 89 S. (Speyerer Forschungsberichte Nr. 185) Aktuelle Probleme des Eisenbahnrechts III, hrsg. von Willi Blümel, Forschungsinstitut für öffentliche Verwaltung bei der Deutschen Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer, Speyer 1998, 268 S. (Speyerer Forschungsberichte Nr. 190)

Anlage I

zum Beitrag von Hans-Jürgen Kühlwetter „Widmung und Entwidmung im öffentlichen Eisenbahnrecht - eine unbekannte Größe?"

II

Hans-Jürgen Kühlwetter

Widmung im Straßenrecht 1

2

3

4

Land

FundsL d. G.

Fundstelle/ Widmung

Entscheider ü. Widmg.

Ba-Wü

Str.G. B a - W ü v. 11.5. 1992 G.B1. S. 330

§5

HöhStrBauBeh; StrBauBeh

Bayern

Bay.Str. W G v . 5.10.1981 Bay.R.S. 91-1-1

Art. 6

StrBauBeh

Berlin

Beri.Str.G. v. 28.2.1985 GVB1. S. 518

§3

StrAufsBeh

Brandenburg

BbgStr.G. v. 11.6.1992 G V B U S . 188

§6

ObStrBauBeh; Kreis; krcisfr.St; Gemeinde

Bremen

BremLStrG. v. 20.12.1976 GBl. S. 341

§5

StrBauBeh

Hamburg

Hbg. WegeG. v. 22.1.1974 Hamb.GVBl. S. 41, S. 83

§6

WegeaufsBeh

Hessen

HessStiG. v. 9.10.1962 GVB1.1 S. 437

§4

StrBaulTr; StrAufs Beh

Meck.-Vorp.

Str.-WG - M V v. 13.1.1993 GVOB1. S. 42

§7

StrBaulTr; StrAufsBeh

NS

NStiG. v. 24.9.1980 Nds.GVBl. S. 359

§6

StrBaulTr; StrAufsBeh

NRW

S t r W G N W v . 23.9.1995 G V N W S. 1028

§6

StraßenBauBeh

Rhld.-Pf.

LStKj. v. 1.8.1977 GVBl. 274

§36

StrBaulTr; StrAufsBeh

Saarland

Saarl.StiG. Nr. 808 v. 15.10.1977 Abi. S. 969

§6

StrBaulTr

Sachsen

SächsStiG. v. 21.1.1993

§6

ObStrBauBeh;HöStrBauBeh; UntStrAufsBeh; Gemde

GVBl. S. 93 LSA

StrGLSA v. 6.7.1993 GVBl. S. 334

§6

StrBaulTr;ObStrBauBeh; StrAufsBeh

Schl.-H.

StrWG Schl.-H. v. 2.4.1996 GVOB1. S. 413

§6

StrBaulTr;ObStrBauBeh; StrAufsBeh

Thüringen

Thür.StrG. v. 7.5.1993 GVBl. S. 273

§6

StrBaulTr;ObStrBauBeh; StrAufsBeh

Bund

Fassg. d.Bek.m. v. 19.4.1994

§2

Oberste Landes -

BGBl. I, S. 854

StrBauBeh

III

Widmung und Entwidmung i m öffentlichen Eisenbahnrecht

Widmung im Straßenrecht 1

5

6

7

8

Land

Zustimmg.,Benehmen,

Rechtscharakter

Publikation

Träger Eigt?

Mitwirkg.,Anhörg. Ba-Wü

StrBauLTr; Eigentümer

Keine bes. Regig.

Ja

Ja

Bayern

StrBauLTr; Eigentümer

Verfügung

Ja

dingl. Verf. R.

Berlin

StrVeikBeh Eigentümer

Keine bes. Regig.

Ja

Keine ausdr. Regelg.

Brandenburg

StrBauLTr; Eigentümer

Allgverfügg

Ja

Ja

Bremen

Eigentümer

Keine bes. Regig.

Ja

Ja

Hamburg

StrVerkBeh; Eigentümer

Keine bes. Regig.

Ja

Keine ausdr. Regelg.

Hessen

Gemeinde; Eigentümer

Verfügung

Ja

Ja

Meck.-Vorp.

NatSchutzBeh; Eigentümer

Keine bes. Regig.

Ja

Ja

NS

Gemeinde; Eigentümer

Keine bes. Regig.

Ja

Ja

NRW

StrBauLTr; Eigentümer

Allgverfügg

Ja

Ja

Rhld.-PT.

StrBauBeh; Eigentümer

Verfügung

Ja

Ja

Saarland

Eigentümer

Verfügung

Ja

dingl. Verf. R.

Sachsen

StrBaulTr; Gemeinde; Eigentümer

Allgverfügg

Ja

Ja

LSA

Gemeinde; Eigentümer

Verfügung

Ja

dingl. R.

Schl.-H.

StrAufsBeh; Eigentümer

Verfügung

Ja

Ja

Thüringen

Gemeinde; Eigentümer

Allgverfügg

Ja

Ja

BMV;

Keine bes. Regig.

Ja

Ja

Bund

Eigentümer

IV

Hans-Jürgen Kühlwetter Widmung im Straßenrecht 12

13

14

öffentl.

Gemein-

Ein-

1

9

10

Land

Zustand d.Eigent?

Besitz-recht d. Str.Baul.Tr.?

11 Sperre f. priv. Verfüg.?

Ba-Wü

Ja

Ja

Ja

Ja

Ja

Ja

Bayern

Ja

Ja

Ja

Ja

Ja

Ja

Berlin

Ja

Keine ausdr. Regelg.

Ja

Ja

Ja

Keine ausdr. Regelg.

Brandenburg

Ja

Ja

Ja

Ja

Ja

Ja

Bremen

Ja

Ja

Ja

Ja

Ja

Ja

Hamburg

Ja

Keine ausdr. Regelg.

Ja

Ja

Ja

Ja

Hessen

Ja

Ja

Ja

Ja

Ja

Ja

Meck.-Vorp.

Ja

Ja

Ja

Ja

Ja

Ja

NS

Ja

Ja

Ja

Ja

Ja

Ja

NRW

Ja

Ja

Ja

Ja

Ja

Ja

Rhld.-Pf.

Ja

Ja

Ja

Ja

Ja

Ja

Saarland

Ja

Ja

Ja

Ja

Ja

Ja

Sachsen

Ja

Ja

Ja

Ja

Ja

Ja

LSA

Ja

Ja

Ja

Ja

Ja

Ja

Schl.-H.

Ja

Ja

Ja

Ja

Ja

Ja

Thüringen

Ja

Ja

Ja

Ja

Ja

Ja

Bund

Ja

Ja

Ja

Ja

Ja

Ja

Verkehr Gebrauch

stufung?

Widmung und Entwidmung i m öffentlichen Eisenbahnrecht

V

Widmung im Straßenrecht 1

15

16

17

18

Land

Straßenverzeichnis?

Fiktion der Widmung?

Zusfassg.rn.and. öff.Verfahren

Einziehg. vorgesehen?

Ba-Wü

Ja

wenn in öfftl. Verfahren angelegt

Nein

§7

Bayern

Ja

Nein

m.Planf.V.

Art. 8

Berlin

Ja

Nein

Nein

§4

Brandenburg

Ja

Nein

m.Planf.V.

§8

Bremen

Ja

Str. i.öff. Verkehr vor Erlaß d. Ges.

Nein

§7

Hamburg

Ja

Nein

nur Entwidmg d.B-Plan

§7

Hessen

Ja

Nein

Nein

§6

Meck.-Vorp.

Ja

wenn in Öfftl. Verfahren angelegt

Nein

§9

NS

Ja

Nein

m.Planf.V. od. B-Plan

§8

NRW

Ja

Nein

m.Planf.V.

§7

Rhld.-Pf.

Keine Regelg.

Nein

m.Planf.V.

§37

Saarland

Ja

wenn in förml. Verfahren angelegt

Nein

§8

Sachsen

Ja

Nein

m.Planf.V. o.FlurBerV

§8

LSA

Ja

Nein

m.Planf.V. ;BodenOr dnV. FlurBerV; B-Plan

§8

Schl.-H.

Ja

wenn i.förml.Verf.u.n. and.ges.Vorschr.angel.

Nein

§8

Thüringen

Ja

Nein

m.Planf.V.

§8

Keine

Nein

Nein

§ 2 Abs. 5

Bund

Regelg

VI

Hans-Jürgen Kühlwetter

Widmung im Straßenrecht 1

19

20

21

Land

Gründe

Kann-Best. od. zwingend?

Entscheider?

Ba-Wü

Entbehrl.keit f. Verk.; Grde d. öff. Wohles

Kann

Wie Spalte 4

Bayern

Verlst. d. Verk.Bed.; Grde. d. öff. Wohles

Ist einzuziehen

Str.Bau Beh.; Obste. Str.BauBeh

Berlin

nicht mehr f. öff. Verk. benötigt

Kann

Str. Aufs. Beh.

Brandenburg

Verlust jed. Verk. Bed. o. Grde. d. öff. Wohles

Soll

Str.Bau Beh.

Bremen

Keine Verk. Bed.; öff. Int. a.d. Aufhebg.

Kann

Str.Bau Beh.

Hamburg

Keine Regelung

Keine Regelg.

Wegeaufs. Beh.

Hessen

Kein Verk.Bed.; Wohl d. Allg.heit

Kann

Obste.Str.Aufs.Beh.; Str.Aufs. Beh; Gde

Meck.-Vorp.

Keine Verk. Bed. mehr

Kann, Antrag d. Str. Baul.Tr.

Str. Aufs. Beh.

NS

Keine Verk.Bed. mehr; überw. Grde.d.öff.Wohles

Soll

Träger d. Str. Baul.

NRW

Keine Verk.Bed.; Grde.d.öff. Wohles

Soll

Str. Baul. Beh.

Rhld.-Pf.

Kein öftl. Verk. Bed.; überw. Grde.d. öff. Wohles

Ist einzuziehen

Träger d. Str. Baulast

Saarland

Kein öff. Verk.Bed.; überw. Grde d. öff. Wohles

Ist einzuziehen

Str. Baulast Träger

Sachsen

Kein öff. Verk.Bed.; überw. Grde d. öff. Wohles

Kann

wie Spalte 4

LSA

Kein Verk.bed. mehr; überw.Grde.d.öff. Wohles

Kann

Ob. Str.BauBeh.; Tr.d.Str. Baul.

Schl.-H.

Keine Verkehrsbedeutung

Kann a. Antrag; Ist b.Grdd.öff. Wohles

ob.Str.BauBeh.; Str.Aufs.Beh.

Thüringen

Keine Verk.Bed.; überw. Grde.d.öff. Wohles

Kann

Str.BaulTräger; Str.Aufs.Beh.

Bund

keine Bundesfernstr. mehr

Ist einzuziehen

Obste LStr. Bau Beh.

Widmung und Entwidmung i m öffentlichen Eisenbahnrecht

VII

Widmung im Straßenrecht 1

22

23

24

25

Land

Beteiligg.ancL Beh.?

Rechtscharakter d.Entscheidung?

Vorherige Bekanntmachg.?

Gelegenheit zu Einwendungen?

Ba-Wü

Keine

Keine Regelung

3 Monate vorher

Keine Regelung

Bayern

Gemeinde

Verfügung

3 Monate vorher

Keine Regelung

Berlin

Str.Verk.Beh.

Keine Regelung

1 Monat vorher

Ja

Brandenburg

Keine

Allgemein Verfügung

3 Monate vorher

Ja

Bremen

Keine

Keine Regelung

Ja, aber keine Frist

Ja

Hamburg

Str.Verk.Beh.; Tr.d.Wegebaulast

Keine Regelung

Ja, aber keine Frist

Ja binnen 1 Monat

Hessen

Keine

Keine Regelung

3 Monate vorher

Keine Regelung

Meck.-Vorp.

Str.Baul.Tr.

Keine Regelung

4 Wochen vorher

2 Wochen nach Offenlegung

NS

Str.Aufs.Beh.; Gemeinde

Keine Regelung

3 Monate vorher

Keine Regelung

NRW

Str.BauBeh.

Allgemein Verfügung

3 Monate vorher

Ja

Rhld.-Pf.

Str.Aufs.Beh.

Verfügung

3 Monate vorher

Keine Regelung

Saarland

Obste.Str.BauBeh.

Verfügung

3 Monate

Ja

Obste. Str. VerkBeh

vorher

Sachsen

Keine

Allgemein Verfügung

3 Monate vorher

Ja

LSA

Str.Aufs.Beh.; Gemeinde

Allgemein Verfügung

3 Monate vorher

Ja

Schl.-H.

Str.Baul.Tr.

Keine Regelung

4 Wochen vorher

2 Wochen nach Auslegung

Thüringen

Keine

Allgemein Verfügung

3 Monate vorher

Ja

Bund

BMV

Keine Regelung

3 Monate

Ja

vorher

VIII

Hans-Jürgen Kühlwetter

Widmung im Straßenrecht 1

26

27

28

Land

Folge der Entscheidung

Bekanntmachung der Entscheidung?

Ersetzung durch andere Verfahren?

Ba-Wü

keine öff. Str.; kein Gemg. u. SoNu

Ja

öff. Verf nach and. ges. Vorschr.

Bayern

kein Gemgebr u. SoNu

keine Regelung

Planf. V.

Berlin

Löschg.i.Str.Verz.; keine öff. Str.

Ja

Keine Regelung

Brandenburg

keine öff. Str.; kein Gemg. u. SoNu

ja, mit Rechts beh.-belehrg.

Planf. V.

Bremen

kein Gemgebr. u. SoNu

Ja

B.-Plan Planf. V.

Hamburg

kein öff. Weg

Ja

B.-Plan

Hessen

keine öff. Str.

Ja

nicht ausdrücklich

Meck.-Vorp.

keine Regelung

Ja

förml. V. aufgrd. anderer ges. Vorsch.

NS

keine öff. Str.; kein Gemg. u. SoNu

Ja

Planf. V. B.-Plan

NRW

Str.k.öff. Sache; kein Gemg. u. SoNu

Ja, mit Rechts beh.-belehrg.

Planf. V.

Rhld.-Pf.

kein Gemgeb. u. SoNu

Ja

Planf. V.

Saarland

kein Gemgeb. u. SoNu

Ja, mit Rechts mittelbelehrg.

Planf. V. o. and. ges. Vorschr.

Sachsen

keine öff. Str.; kein Gemg. u. SoNu

Ja, mit Rechts beh.-belehrg.

Planf. V.

LSA

kein öff. Str.; kein Gemg. u. SoNu

Ja, mit Rechts beh.-belehrg.

Planf. V.; BodenO. V.; Flurber. V.

Schl.-H.

Keine Regelung

Ja

förml. Verf. aufgrd. and. ges. Vorschr.

Thüringen

keine öff. Str.; kein Gemg. u. SoNu

Ja, mit Rechts beh.-belehrg.

Planf. V.

Bund

kein Gemgeb.

Ja

Keine Regelung

u. SoNu