118 45 3MB
German Pages 188 Year 2022
Jochen Zenthöfer Plagiate in der Wissenschaft
X-Texte zu Kultur und Gesellschaft
Jochen Zenthöfer
Plagiate in der Wissenschaft Wie »VroniPlag Wiki« Betrug in Doktorarbeiten aufdeckt
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © 2022 transcript Verlag, Bielefeld Alle Rechte vorbehalten. Die Verwertung der Texte und Bilder ist ohne Zustimmung des Verlages urheberrechtswidrig und strafbar. Das gilt auch für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Verarbeitung mit elektronischen Systemen. Umschlaggestaltung: Kordula Röckenhaus, Bielefeld Korrektorat: Jonas Geske, Bielefeld Druck: Majuskel Medienproduktion GmbH, Wetzlar Print-ISBN 978-3-8376-6258-0 PDF-ISBN 978-3-8394-6258-4 EPUB-ISBN 978-3-7328-6258-0 https://doi.org/10.14361/9783839462584 Buchreihen-ISSN: 2364-6616 Buchreihen-eISSN: 2747-3775 Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Besuchen Sie uns im Internet: https://www.transcript-verlag.de Unsere aktuelle Vorschau finden Sie unter www.transcript-verlag.de/ vorschau-download
Inhalt
Vorwort ...................................................................... 9 Prolog: Was ist ein Wissenschaftsplagiat? ..................................11 1. Teil: Deutschlands Doppelplagiate ....................................... 15 1. Kampftag in Karlsruhe .................................................. 15 2. Eine berufslose Geschäftsführerin ...................................... 17 3. Perpetuierung von Plagiaten ............................................20 4. Prozesse und Pensionsansprüche .......................................22 5. Angeberei statt alles anzugeben ........................................25 6. Kuriose Kopierfehler....................................................28 7. Kontrollen mit Klagewelle ............................................... 31 2. Teil: Berlin – Hauptstadt der Plagiate ................................... 35 1. Mehr Schatten als Licht ................................................ 35 2. Software gegen Schwindel ............................................. 38 3. Europas Wege zur Neuköllner Bürgerin .................................. 41 4. Rote Hilfe ..............................................................44 5. Tarnung statt Transparenz..............................................47 6. Trotz Untragbarkeit getragen ...........................................50 7. Cluster an der Charité ................................................. 53 3. Teil: Datenschutz für Bauernopfer .......................................55 1. Wissenschaftliche Praxis und Urheberrecht .............................55 2. Das Verschleierungsverbot..............................................58 3. Der Übersetzungstrick .................................................. 61 4. Schlimmer als Plagiate .................................................63 5. Noch schlimmer als Plagiate ............................................67
6. 7.
Stumme Hochschulen...................................................69 Sonderfall Slowakei.....................................................73
4. Teil: Kritik an den Kritikern ..............................................75 1. Anonym und Pseudonym ................................................75 2. Auf der Suche nach Robert Schmidt.....................................78 3. Ist VroniPlag Wiki links? ................................................ 81 4. Ein Wiki aus den USA ...................................................85 5. Auswahlermessen und Zufall ............................................87 6. Ewige Prangerwirkung ..................................................89 7. Kein Mandat ............................................................92 5. Teil: So urteilen die Gerichte .............................................97 1. Wie Plagiate vor Gericht landen .........................................97 2. Streitfragen im Plagiatsrecht .......................................... 100 3. Qualitativ oder Quantitativ? ............................................ 105 4. Widerstreit der Grundrechte ........................................... 108 5. Rechtsfolgen eines entdeckten Plagiats ................................ 112 6. Ausreden der Plagiator(inn)en vor Gericht .............................. 114 7. Übersicht: Etappen eines von VroniPlag Wiki 128 angeregten Prüfverfahrens ................ ........................... 6. Teil: Das Versagen von Bibliotheken, Verlagen und Tätern ............. 131 1. Pflicht zu Entzugshinweisen ........................................... 131 2. Realität zu Entzugshinweisen .......................................... 134 3. Historische Plagiatsfälle ............................................... 137 4. Eine vorbildhafte öffentliche Annullierung im Jahr 1913 ................. 140 5. Die Rolle der Verlage................................................... 142 6. Zur Verantwortung der Presse ......................................... 144 7. Ein Opfer kann noch lachen ............................................ 146 Selbstversuch: Eine plagiierte Habilitationsschrift melden ............... 149 7. Teil: Was muss von wem getan werden? ................................ 153 1. Die Verantwortung der Doktoreltern .................................... 154 2. Die Verantwortung der Hochschulen.................................... 155 3. Die Verantwortung der Landespolitik ................................... 157 4. Die Verantwortung der Bundespolitik ................................... 158 5. Die Universität Bayreuth zehn Jahre nach dem Fall KTG................. 160
Anhang..................................................................... 167 Erwähnte Plagiatsfälle in chronologischer Reihenfolge ................. 167 Statistik der von VroniPlag Wiki untersuchten Fälle ..................... 174 Kommentierte Bibliographie ........................................... 174 Kodex »Leitlinien zur Sicherung guter wissenschaftlicher Praxis« der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) von 2019 ........ 181 Richtlinien der Österreichischen Agentur für wissenschaftliche Integrität zur Guten Wissenschaftlichen Praxis von 2016 ........................................................183 Editorische Anmerkungen ................................................. 185
»Immer öfter werden wir mit wissenschaftlichem Fehlverhalten konfrontiert – und rasen direkt auf den Abgrund der Belanglosigkeit und Beliebigkeit zu, ohne dass es eine Notbremse gibt.« (Informatikprofessorin Debora Weber-Wulff, Laborjournal 2019, Heft 7/8, 13-15) Frage: »Wie viele Doktorarbeiten sind plagiiert?« Antwort: »Ich denke, es sind 10 Prozent. Es gibt Untersuchungen bei Bachelorarbeiten, da sind es 20 Prozent. Es wird sehr viel Pseudowissenschaft produziert, das müllt uns zu.« (Rechtsprofessor Gerhard Dannemann im Interview von Radio Bayern 2, 20. Mai 2021) »Es werden jährlich zahllose Doktorgrade geräuschlos wegen entdeckter Täuschungen entzogen, für die sich mangels Prominenz der Betroffenen niemand interessiert.« (Rechtsprofessor Klaus Ferdinand Gärditz, Wissenschaftsrecht, Band 54 (2021), 162) »In einer Zeit, in der ohnehin eine Wissenschaftsfeindlichkeit grassiert, sind plagiierte Arbeiten Wasser auf die Mühlen derer, die Wissenschaft für eine bloße Meinung halten.« (Constanze Kurz, Sprecherin des Chaos Computer Club, netzpolitik.org, 28. März 2021) »Übernahmen aus der Wikipedia gehören heute zum guten Ton der eiligen Textproduktion, auch und gerade, wenn sie unausgewiesen bleiben.« (Rechtsprofessor Roland Schimmel, Editoral, Neue Juristische Wochenschrift, 29/2021)
Vorwort
Seit rund zehn Jahren schreibe ich in deutschen und luxemburgischen Medien über Wissenschaftsplagiate und die Plattform »VroniPlag Wiki«. In diesem Buch werde ich zusammenfassend berichten, wie Wissenschaft, Politik, Justiz und Betroffene auf das Phänomen reagieren. Manche meinen, die ehrenamtlichen Plagiatefinder betreiben einen Internet-Pranger; andere feiern sie als Aufklärer und Verteidiger ehrlicher Arbeit. In der Tat steht hinter jedem Plagiatstäter auch ein Opfer, dem Meriten vorenthalten werden. Und jeder Plagiatstäter, der in der Wissenschaft tätig ist, nimmt einer ehrlichen Wissenschaftlerin die Stelle weg. Die in diesem Buch erwähnten Plagiatorinnen und Plagiatoren sind anonymisiert. Zwar hätte ich das Recht, Klarnamen zu nennen, allerdings nach unterschiedlichen Vorgaben, etwa Prominenz des Betroffenen oder Verfahrensstand des Falles. Gegebenenfalls ändern sich diese Umstände im Laufe der Zeit. Um einer Aktualisierungspflicht und möglichen Gerichtsverfahren aus dem Weg zu gehen, überlasse ich der Leserin und dem Leser, Hintergründe mit Hilfe einer Suchmaschine herauszufinden. Es reicht, den Titel einer Doktorarbeit einzugeben. In diesem Zusammenhang nützliche bibliographische Daten habe ich im Anhang zusammengefasst. Wissenschaftliche Veröffentlichungen über Wissenschaftsbetrug existieren in ausreichender Zahl, einige sind im Anhang genannt. In diesem Buch schreibe ich nicht wissenschaftlich. Deshalb gibt es auch keine Fußnoten. Dieses Buch ist auch kein Rechtsratgeber oder Ratgeber zum erfolgreichen Plagiieren. Entsprechende Tipps gibt es gerne nach Geldüberweisung auf mein luxemburgisches Konto (Scherz!). Dieses Buch ist vielmehr ein journalistischer Erfahrungsbericht, ergänzt um Bewertungen und Empfehlungen. Ich bin kein Teil von
10
Plagiate in der Wissenschaft
VroniPlag Wiki. Während der Recherchen zu diesem Buch habe ich aber gefundene Plagiate dorthin gemeldet. Jochen Zenthöfer
Prolog: Was ist ein Wissenschaftsplagiat?
»An deutschen Hochschulen steigt die Zahl der Plagiate deutlich an«, schreibt die Universität Speyer auf ihrer Webseite. Und in den Prüfungsinformationen der Pädagogischen Hochschule Ludwigsburg heißt es: »Allzu häufig wird bei Prüfungsverfahren auf eine eigenständige Leistung des Prüflings bestanden. Diese gängige und oft nicht zu verhandelnde Zumutung kann jedoch durch eine geschickte Suche im Netz oder der Bibliothek (das ist der Aufbewahrungsraum für Bücher, in dem man früher wissenschaftliche Texte abschreiben konnte) leicht umgangen und als unterhaltsamer sportlicher Wettbewerb zwischen Prüfling und Prüfer oder Prüferin gestaltet werden.« In Deutschland gibt es keine gesetzliche oder sonst verbindliche Definition des Wissenschaftsplagiats. VroniPlag Wiki legt eine Definition von Teddi Fishman, Direktorin des International Center for Academic Integrity, aus dem Jahr 2009 zugrunde: »Ein Wissenschaftsplagiat liegt vor, wenn jemand - Wörter, Ideen oder Arbeitsergebnisse verwendet, - die einer identifizierbaren Person oder Quelle zugeordnet werden können, - ohne die Übernahme sowie die Quelle in geeigneter Form auszuweisen, - in einem Zusammenhang, in dem zu erwarten ist, dass eine originäre Autorschaft vorliegt, - um einen Nutzen, eine Note oder einen sonstigen Vorteil zu erlangen, der nicht notwendigerweise ein geldwerter sein muss.« Auch einige Hochschulen verweisen ausdrücklich auf diese Definition, darunter die Universitätsbibliothek Marburg.
12
Plagiate in der Wissenschaft
Im »European Code of Conduct for Research Integrity« von ALLEA – All European Academies, 2017, heißt es: »Plagiarism is using other people’s work and ideas without giving proper credit to the original source, thus violating the rights of the original author(s) to their intellectual outputs.« Die Ombudsstelle für gute wissenschaftliche Praxis der Universität Göttingen veröffentlichte 2019 diese Definition: »Plagiate liegen dann vor, wenn ohne entsprechende Quellenangabe Textteile, Bilder oder Tabellen verwendet werden, die sich vollständig oder nahezu unverändert in einer früher datierten Quelle finden.« Nach jeder Begriffsbestimmung verstoßen Plagiate gegen die wissenschaftliche Redlichkeit. Diese Redlichkeit ist ein Grundpfeiler unseres Wissenschaftssystems. Täglich werden an deutschen Hochschulen Plagiate gefunden, in Seminar-, Bachelor- und Masterarbeiten. Glaubt man den nationalen Expertinnen und Experten sowie internationalen Studien, steigt die Zahl seit Jahren an. Ein Grund ist die verführerische Bereitstellung von Informationen im Internet. Ein anderer Grund ist die Inkompetenz junger Menschen zum plagiatsfreien wissenschaftlichen Arbeiten. Die Bayerische Staatsregierung erklärte 2019 auf eine Anfrage des FDP-Abgeordneten Wolfgang Heubisch, wie Plagiate gefunden werden: »In der Regel werden Plagiate durch die jeweilige Prüferin bzw. den jeweiligen Prüfer und/oder softwaregestützte Plagiatsprüfung oder durch externe (in der Regel anonyme) Hinweise (z.B. aus Wissenschaftseinrichtungen oder über Internetplattformen wie VroniPlag Wiki) erkannt. Teilweise kommt es auch zu einer Selbstanzeige des/der Betroffenen.« In den vergangenen Jahren kam es zu öffentlichkeitswirksamen Gradentzügen wegen Plagiaten. Der »Dr.« ist übrigens kein Titel, wie oft geschrieben wird, sondern ein akademischer Grad. Trotz der bekannten Fälle ist ein Teil der Hochschulangehörigen nicht sensibilisiert für das Problem. Zwar schreibt der »Bundesbericht Wissenschaftlicher Nachwuchs 2021«, dass die hohe Bedeutung der Qualitätssicherung der Promotion in der hochschulpolitischen Debatte weiterhin relevant sei. Doch das Plagiatsproblem wird in den alle vier Jahre veröffentlichten Berichten heruntergespielt. So hieß es 2021, dass »Plagiatsvorwürfe bei
Prolog: Was ist ein Wissenschaftsplagiat?
Dissertationen von Personen des öffentlichen Lebens« in der breiteren Öffentlichkeit thematisiert wurden. Damit gesteht man wohl ein, dass Plagiate innerhalb des Wissenschaftssystems nicht ausreichend diskutiert werden. In dem vom »Konsortium Bundesbericht Wissenschaftlicher Nachwuchs« herausgegebenen Vorgängerbericht von 2017 heißt es lediglich: »Auch die Diskussion um wissenschaftliches Fehlverhalten bezieht sich nahezu ausschließlich auf Dissertationen, obwohl im Zuge der öffentlichen Plagiatsanalyse auch Plagiate in Habilitationsschriften offengelegt worden sind.« VroniPlag Wiki ist eine Internet-Plattform, in der jedermann mitarbeiten kann, um Wissenschaftsplagiate zu entdecken und zu melden. Diese werden unter https://vroniplag.wikia.org/de/wiki/Home öffentlich dokumentiert, wenn auch von den Mitwirkenden pseudonym. Deren Zahl schwankt. Die Süddeutsche Zeitung schrieb am 20. Mai 2021: »Für VroniPlag Wiki arbeiten Profis, unter ihnen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die selbst oft Jahre investiert haben in ihre Doktorarbeit.« Die Plattform VroniPlag Wiki startete am 28. März 2011, seitdem wurden 213 Plagiatsdokumentationen veröffentlicht. Das Wiki darf nicht mit einem kommerziellen Anbieter von Plagiatsanalysen verwechselt werden, der unter ähnlichem Namen auftritt. »VroniPlag Wiki« hat keine Einnahmen, keine Sprecherin, erhebt keine politischen Forderungen. Ein Mandat für ihre Dokumentationen brauchen sie nicht, denn wissenschaftliche Schriften werden der Öffentlichkeit zur Diskussion und Prüfung übergeben. Insofern ist »VroniPlag Wiki« eine Rezensionsplattform, die sich auf unbelegte Übernahmen konzentriert, was gemeinhin Wissenschaftsplagiat genannt wird.
13
1. Teil: Deutschlands Doppelplagiate
1. Kampftag in Karlsruhe Am Eingang erwarten mich Sicherheitsleute und eine Schleuse. Der Bundesgerichtshof in Karlsruhe ist geschützt wie ein Flughafen. Erst nach einer Kontrolle darf ich aufs Gelände. Es ist ein trockener, frischer Märzmorgen. Meinen Fußweg zum Verhandlungssaal kreuzt den fantastisch ausgestatteten Bibliotheksbau, den ein normaler Mensch nicht nutzen darf. Wie viele Plagiate darin einen Platz gefunden haben? Vor dem Saal wirke ich zunächst verloren. Mein Rechtsanwalt eilt in letzter Minute herbei, er musste seinem Sohn im Home Schooling noch bei Religionsaufgaben helfen. Glaube hilft auch mir, nämlich in unser Rechtssystem. Heute wird mich dieser Glaube nicht enttäuschen. Über drei Jahre lief ein Verfahren auf vier Ebenen mit inzwischen fünfstelligen Kosten. Zweimal hatte ich verloren, das dritte Mal gewonnen, nun entscheiden fünf Richterinnen und Richter des obersten deutschen Zivilgerichts endgültig und, wie es so schön heißt, rechtskräftig. Dann habe ich zweimal gewonnen, aber das Spiel geht nicht 2:2 aus, sondern 4:0, weil die oberste Instanz alle unteren Instanzen schlägt. Die Wissenschaftlerin, die mich verklagt hat, wird alle Kosten tragen. Auch meine Anwaltskosten und die Gerichtskosten aus allen Ebenen fallen ihr zur Last. Und es ist nicht ihr einziges Gerichtsverfahren. Hinten im Verhandlungssaal hat der Justiziar der »Frankfurter Allgemeinen Zeitung« Platz genommen. Auch die Zeitung wurde von der Wissenschaftlerin verklagt. Geht es in meinem Fall gut aus, steigen seine Chancen im anderen Fall enorm. Für ihn wird es, wie für mich, ein schöner Tag. Verklagt hat uns Frau G. Die 1965 in München geborene Juristin ist in die deutsche Wissenschaftsgeschichte als einer von nur zwei aufgedeckten Fällen eines Doppelplagiats eingegangen. Das heißt, sie hatte sowohl in ihrer Doktorarbeit als auch in ihrer Habilitationsschrift
16
Plagiate in der Wissenschaft
fremde Gedanken als eigene Erkenntnisse ausgegeben. In der 1994 veröffentlichen Promotion unter dem Titel »Die Eingliederung der ehemaligen DDR in die Europäische Gemeinschaft unter dem Aspekt der staatlichen Beihilfen« hat VroniPlag Wiki 86 Plagiate gefunden. Teilweise wurden ganze Absätze aus anderen Büchern übernommen. Als G. ihre Schrift an der Universität in Frankfurt a.M. einreicht, hatte sie schriftlich erklärt: »Ich habe nur die von mir angegebenen Quellen und Hilfsmittel für die Ausarbeitung der vorgelegten Arbeit benutzt und die aus anderen Schriften übernommenen Stellen kenntlich gemacht. Ich habe meine Arbeit selbständig verfaßt.« Das war, wie man heute weiß, eine Lüge. Die Arbeit hat 188 Seiten im Hauptteil. Auf 77 dieser Seiten wurden Plagiate dokumentiert, was einem Anteil von 41 Prozent entspricht. Auf der allgemein im Internet zugänglichen Dokumentation von VroniPlag Wiki lassen sich die einzelnen Übernahmen leicht erkennen. In einer Synopse steht links der Text von G., rechts das Original, von dem sie abgeschrieben hat. Wörtliche Übereinstimmungen sind farbig markiert. Es ist sehr viel farbig markiert. Zu viel, meinte die Universität Frankfurt, die G. den Doktorgrad nach einer internen Prüfung entzogen hat. Es ist eindeutig, was VroniPlag Wiki herausfand: Der Gedankendiebstahl beginnt auf Seite 1 (»einem Patchwork aus drei nicht genannten Quellen, die leicht umformuliert werden«) und erstreckt sich bis zur vorvorletzten Seite. Bereits die Erläuterungen zum Zuschnitt des Themas sind nicht ganz selbständig formuliert. Laut »Vorwort« wurde G. für die Anfertigung ihrer Dissertation von der Friedrich-Ebert-Stiftung mit einem Stipendium gefördert. In deren Grundsätzen heißt es, man »achte auf fachliche Exzellenz«. Die Erwartung der Stiftung an die von ihr geförderten Doktoranden lautet: »Ihr wissenschaftliches Vorhaben sollte einen bedeutsamen Beitrag zur Forschung leisten.« Die Arbeit von G. hat einen solchen Beitrag geleistet, nur ganz anders, als sie sich diesen vorgestellt hat, nämlich zur Plagiatsforschung und zur Rechtsprechung dazu. Das gilt auch für die Habilitationsschrift »Das Recht der Europäischen Zentralbank. Unabhängigkeit und Kooperation in der Europäischen Währungsunion«. In dieser 2005 veröffentlichten Arbeit setzte G. ihr eigenwilliges Zitiermodell fort. VroniPlag Wiki fand heraus, dass etwa 25 Prozent des Gesamtumfangs ihres Texts recht nahe an einer einzigen Quelle entlanggearbeitet wurden, nämlich an Jan Endlers 1997
1. Teil: Deutschlands Doppelplagiate
veröffentlichter Schrift »Europäische Zentralbank und Preisstabilität«. Aus dieser Dissertation seien rund 70 Passagen übernommen, häufig mit nicht ausreichender Kennzeichnung, teils ohne Hinweis auf die Quelle. Zwar sei Endler mit 90 Erwähnungen in den Fußnoten die meistzitierte Quelle. Doch bei vielen Übernahmen – die von einem Satz bis zu mehrseitigen Abschnitten variieren – sei Endler gar nicht genannt. »Fast immer ist die sprachliche Form wenigstens kosmetisch verändert, teils werden neue Textteile eingefügt und/oder der Text im Rechtlichen aktualisiert«, heißt es bei VroniPlag Wiki: »Meist werden die Referenzen mitübernommen; gelegentlich finden sich Indizien für Blindzitate; teils entsteht der Eindruck einer recht eiligen Vorgehensweise. Meist hält sich der Text sehr eng an die Quelle, selten ist die Formulierung eigenständig.« Den Plagiatefindern sprangen auch viele Tippfehler sowie grammatikalische Unstimmigkeiten ins Auge. Letztere sind wohl entstanden durch die unsorgfältige Anpassung übernommener Passagen an eine geänderte Satzkonstruktion. Auch bei der Habilitation unterschrieb G. eine Erklärung, dass sie die Schrift selbstständig verfasst hat. Sie habe keine andere Literatur als die ausdrücklich angegebene verwendet sowie die wörtlich oder annähernd wörtlich aus fremden Arbeiten entnommenen Stellen als solche »genau kenntlich gemacht«. Wieder eine Lüge. Tatsächlich findet VroniPlag Wiki auf 108 der 282 Seiten im Hauptteil der Arbeit Plagiate, das ist ein Anteil von 38 Prozent. Die Habilitation wird von der Frankfurter Universität aberkannt, eine Entscheidung, gegen die G. klagt. Es ist ein weiteres Gerichtsverfahren, das G. verliert.
2. Eine berufslose Geschäftsführerin Im Gerichtssaal sitze ich zwar den Richtern gegenüber. Rederecht habe ich aber nicht. Vor dem Bundesgerichtshof (BGH) dürfen nur Prozessvertreter sprechen. Und nur solche, die vor diesem Gericht auch zugelassen sind. Neben meinem Hauptanwalt habe ich nun also auch einen speziellen BGH-Anwalt. Nur er darf sprechen. Deshalb ist mein Hauptanwalt nicht dabei. Auch G. ist nicht da. Sie hat neben ihrem BGH-Anwalt aber auch ihren Anwalt aus den unteren Gerichtsinstanzen geschickt. Doppelschutz gegen Doppelplagiat? Ich lerne die anderen Anwälte vor dem Saal kennen. Die Atmosphäre ist freundlich. Für
17
18
Plagiate in der Wissenschaft
sie ist es nur ein weiterer Rechtsstreit in einem weiteren Zivilverfahren. Das heißt, niemand hat eine Strafe zu befürchten. Allerdings habe ich Kosten zu befürchten, wenn ich verliere, über zehntausend Euro. Mein Anwalt erkennt die Ungeduld und macht mir Mut: Wenn der Vorsitzende Richter mit seinen vier Kolleginnen den Saal betreten hat, würden wir an seinen ersten Sätzen merken, wohin die Reise geht. Und so ist es auch. Rasch bin ich innerlich erleichtert. Für unsere Seite werden es 90 entspannte Minuten. Die Gegenseite muss argumentieren und kämpfen. Mich überrascht, dass sie dabei viele Argumente aus den ersten Instanzen rasch fallen lässt. Plagiate? Ja, klar, die gibt es, heißt es plötzlich. Plagiate in erheblichem Umfang? Ja, auch das wird nicht mehr abgestritten. Die Bücher von G. seien weiterhin in Bibliotheken auffindbar und ihre Habilitationsschrift wurde sogar jüngst in einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zitiert? In der Tat, und das sei misslich. Die Taktik der Gegenseite ist, alles zuzugeben, was sowieso kaum zu leugnen ist. Danach verweist sie unter anderem auf den Gesundheitszustand von G. Es gehe ihr schlecht. Weitere Berichterstattung könnte die Situation weiter verschlechtern. Sie habe sich nicht einmal über alle Fortschritte der Gerichtsverfahren unterrichten lassen. Die Situation belaste sie. Das Krankheitsargument hatten bereits die Anwälte der Vorinstanzen vorgebracht. Niemand sollte so etwas ignorieren. Mir gebietet in solchen Fällen die journalistische Ethik, nicht namentlich über eine Person zu berichten. Zwar besteht ein Aufklärungsinteresse der Öffentlichkeit und auch der Wissenschaft, aber sicherlich nicht auf Kosten der Gesundheit eines Menschen. Das habe ich in anderen Fällen so gehandhabt, und auch im Fall von G. hatte ich, sobald ich von der Situation erfuhr, nie mehr namentlich über sie geschrieben. Doch das Problem ist, dass die Behauptung, die Krankheit sei aus der Berichterstattung entstanden, oder die Berichterstattung hätte diese Krankheit vertieft, nie nachgewiesen wurde. Zunächst fehlte jede Bestätigung dazu, und was in letzter Sekunde von G. eingereicht wurde, konnte die Kausalität, zumindest nach Ansicht des Oberlandesgerichtes Frankfurt, nicht belegen. Denn eine Krankheit kann nicht durch Berichterstattung entstanden sein, wenn es die Krankheit schon vor der Berichterstattung gab. Sicherlich kann eine Krankheit schlimmer werden. So erklärten die Anwälte am 24. Juni 2020, G. würde seit 2017 keinen Beruf mehr ausüben. Durch einfache Internetrecherche war aber ersichtlich, dass G.
1. Teil: Deutschlands Doppelplagiate
bereits seit 11. Juni 2020 Geschäftsführerin einer GmbH war, und im Juli und August 2020 Geschäftsführerin zweier weiterer Gesellschaften wurde, darunter einer GmbH & Co. KG, bei der in der Regel Bücher zu führen und Jahresabschlüsse anzufertigen sind. Wenn das keine berufliche Tätigkeit ist, was dann? Die Gegenseite erklärte dazu, die Gesellschaften dienten allein innerfamiliären Angelegenheiten. Nun denn. Erstaunlich ist auch, dass G. zwar gegen meine getätigte und geplante Berichterstattung vorging, nicht aber gegen andere Namensnennungen, etwa in der Dokumentation bei VroniPlag Wiki. Weshalb hatte sie sich mich als Hauptgegner ausgesucht? Vermutlich wollte sie an einem freien Journalisten ein Exempel statuieren. Und in der Tat hätten viele Kolleginnen und Kollegen kaum Kraft, Zeit und Geld gehabt, diese mehrjährige Auseinandersetzung mit immer neuen Schriftsätzen und immer weiteren Terminen durchzuhalten. Bei mir kamen einige glückliche Umstände zusammen, von denen G. und ihre Anwälte zunächst nichts wissen konnten. Zunächst hat es sicher geholfen, dass mir die Abläufe des Rechtssystems als Volljurist vertraut sind. Zudem erhielt ich Unterstützung aus einem Kreis von Hochschullehrern, die an ihren Universitäten selbst gegen Plagiate vorgehen, und mich mit Erfahrungsberichten und Argumenten versorgen. Mein Studienfreund Christian Rauda ist heute als Partner bei GRAEF Rechtsanwälte in Hamburg einer der besten Presserechtler Deutschlands und hatte mich, anfangs gemeinsam mit Simone Lingens, hervorragend anwaltlich betreut und immer wieder ermutigt, nicht aufzugeben. Solche Signale erreichten mich von vielen Kolleginnen und Kollegen aus dem Journalismus, nicht zuletzt von der F.A.Z., bei der Thomas Thiel das Ressort »Forschung und Lehre« betreut. Für sie alle ist die Freiheit der Berichterstattung wichtig. Aber niemand will natürlich die Vernichtung einer Person, auch wenn sie doppelt plagiiert hat. Das Oberlandesgericht Frankfurt schrieb in seinem Urteil, man könne bei G. – nach Lektüre aller Belege und Atteste – allenfalls von einer »fortwährenden seelischen Belastung« infolge der namentlichen Berichterstattung ausgehen. Mehr ist da also nicht. Vor dem Bundesgerichtshof spielt diese Frage keine Rolle mehr. Hier wird die Auslegung von Rechtsnormen diskutiert. Unerheblich ist, ob G. krank ist, oder wie sie krank wurde. Diese Tatsachen wurden in den vorherigen Instanzen abschließend geklärt. In der mündlichen Verhandlung äußert sich der Anwalt von G. trotzdem dazu. Das aber dient nur der Show und Stimmungsmache. In meinem Bericht über das Ge-
19
20
Plagiate in der Wissenschaft
richtsverfahren in der F.A.Z. erwähne ich den Namen der Plagiatorin trotzdem nicht. Aus ihren plagiatsbehafteten Werken wird derweil weiterhin zitiert. Der Münchner Hochschullehrer Volker Rieble schrieb dazu am 16. August 2019 in der F.A.Z.: »Solange Plagiate in der Welt sind, als Bücher oder Zeitschriftenartikel ohne ›Produktwarnung‹ im Bibliothekskatalog vorgehalten werden, so lange wird aus ihnen zitiert. Damit wirken sie infektiös – auf das Wissenschaftssystem und hier auf die Judikatur. […] Eine Felicitas Krull mit ihrer Wissenschaftshochstapelei ist kein taugliches Zitat […]. Vielmehr wird das Plagiat dadurch zur ehrenwerten Quelle auf- und der wahre Autor durch Nichterwähnung abgewertet.« Nur ein kritischer Umgang mit fehlerhaften Publikationen (neben dem Plagiat sind das vor allem Datenfälschungen) bis hin zum ebenso öffentlichen Rückruf der Veröffentlichung, wie er im angelsächsischen Raum als retraction üblich ist, könnte nach Riebles Ansicht helfen. In Deutschland aber: weithin Fehlanzeige. G. hat ihre Publikationen nicht zurückgerufen, sie hat stattdessen einen Journalisten verklagt.
3. Perpetuierung von Plagiaten Zuerst hatte ich in meinen Auseinandersetzungen mit G. zwei bittere Niederlagen vor dem Landgericht Frankfurt kassiert. Nach dem Verfahren im vorläufigen Rechtsschutz und dem erstem Hauptverfahren war ich enttäuscht. Doch das Urteil des Landgerichts war fehlerhaft. Dieses Gefühl bestätigten das Oberlandesgericht Frankfurt und der Bundesgerichtshof in der Revision, die G. eingelegt hatte. Im Grunde hat es der Fall nur wegen einer Besonderheit bis nach Karlsruhe geschafft. Die Situation unterscheidet sich von allen früheren Plagiatsfällen, über die berichtet oder Recht gesprochen wurde. Denn nachdem die Plagiatsvorwürfe gegen ihre Doktorarbeit und die Habilitation bekannt wurden, verzichtete G. auf die Führung der akademischen Bezeichnung »Privatdozentin«. Sie wurde auf ihr Verlangen aus dem Beamtenverhältnis auf Lebenszeit entlassen. Aus eigener Wahrnehmung hatte sie sich nicht nur aus dem Wissenschaftssystem verabschiedet, sondern »vollständig aus der Öffentlichkeit zurückgezogen«. Daher sollte auch niemand mehr über ihre beiden Bücher berichten. Jedenfalls nicht kritisch. Gegen positive Berichte oder wohlwollende Zitationen ihrer Ar-
1. Teil: Deutschlands Doppelplagiate
beiten wehrte sich G. nicht. Auch ging sie wohl nicht dagegen vor, wenn sie, wie auf der englischsprachigen Webseite ihrer alten Universität, weiterhin als Vizepräsidentin geführt wurde. Nun ist es nicht so, dass jemand, der eine Wissenschaftskarriere beendet, die Debatten über seine Forschungsergebnisse stoppen lassen kann. Die meisten Doktoranden beginnen gar keine Karriere in der Wissenschaft, die sie somit auch nicht beenden können. Ihnen wäre die Möglichkeit, die G. für sich in Anspruch nehmen wollte, verwehrt. Unklar wäre auch, was nach dem Tod einer Autorin oder eines Autors gilt. Darf es dann keine Berichte mehr über möglichen Betrug in wissenschaftlichen Ausarbeitungen geben? Was würde gelten, wenn, wie in der Medizin, Menschenleben davon abhingen? Was, wenn die Forscherin, die ihre Karriere beendet hat, später erneut wissenschaftlich veröffentlicht? Darf dann wieder über ihre frühere Arbeit berichtet werden? Was gilt bei einem erneuten Aufhören? Je länger man über diese Folgeprobleme nachdenkt, desto absurder erscheint die Argumentation von G. Trotzdem stellte sich das Landgericht Frankfurt auf ihre Seite. Eine Identifizierung sollte nach Ansicht dieser Richter nur dann erlaubt sein, wenn der Name einen eigenen Informationswert besitzt und gerade hieran ein öffentliches Informationsinteresse besteht. »Büßt die Berichterstattung nichts von ihrer Bedeutung ein, wenn die daran beteiligten Personen anonym bleiben, kann eine Identifizierung dieser Personen in der Berichterstattung unzulässig sein«, hieß es. Die Richter argumentierten, dass G. ihre berufliche Tätigkeit beendet habe: »Es besteht nach Verlust der Lehrbefugnis insbesondere kein Konflikt mehr dahingehend, dass dem Lehrpersonal selbst wissenschaftliche Verfehlungen vorzuwerfen sind, die es bei anderen gerade überprüfen und ggf. auch ahnden soll. […] Es geht vorliegend lediglich um die Untersagung einer Berichterstattung unter Nennung des Namens der Klägerin. Es darf nach wie vor über das Thema berichtet werden.« Das Oberlandesgericht kassierte diese Entscheidung ein. Im Kern geht es um das Allgemeine Persönlichkeitsrecht und die Frage, wann dieses Recht der G. als Betroffener eingeschränkt werden darf. Im Juristendeutsch heißt das dann: »Der Eingriff in das Persönlichkeitsrecht ist nur dann rechtswidrig, wenn das Schutzinteresse des Betroffenen die schutzwürdigen Belange der anderen Seite überwiegt.« Die andere Seite – das bin ich. Meine schutzwürdigen Belange sind die Berichterstattungsfreiheit und die Pressefreiheit. Diese Belange überwiegen.
21
22
Plagiate in der Wissenschaft
Weshalb? Zum einen, weil bei G. lediglich die Sozialsphäre betroffen ist, also nicht der Kernbereich ihrer Persönlichkeitssphäre oder gar die Intimsphäre. Innerhalb der Sozialsphäre sind Eingriffe, auch durch die Presse, viel eher zu dulden. Das Oberlandesgericht folgerte: »Auch wenn G. auf die akademische Bezeichnung ›Privatdozentin‹ verzichtet hat, bleiben ihre beiden wissenschaftlichen Arbeiten, die Doktorarbeit und die Habilitationsschrift in der Welt. Sie sind an den Hochschulen und weiteren Bibliotheken vorhanden und dienen der wissenschaftlichen Auseinandersetzung. Dafür – und nicht nur im Interesse eines persönlichen beruflichen Fortkommens – wurden sie geschrieben.« Der inzwischen meistzitierte Satz dieser Entscheidung ist: »Eine wissenschaftliche Auseinandersetzung mit Übernahmen aus fremden Texten, die als solche nicht gekennzeichnet sind, führen zu einer Perpetuierung dieser Plagiate, was gegen wissenschaftliche Interessen verstößt.« Im Übrigen würden in der Wissenschaft immer Werknamen mit Autorennamen zitiert. Ein Recht auf »Vergessenwerden« habe G. nicht, da ihre Schrift noch im wissenschaftlichen Diskurs steht und große Aktualität hat. Auch dem Gesichtspunkt der Resozialisierung komme nur ein geringes Gewicht zu, weil der Vorwurf keine Straftat betreffe. Alles in allem beurteilten die Richterinnen und Richter des Oberlandesgerichts die Situation komplett anders als das Landgericht. Meine bei Lektüre des ersten Urteils entstandene Enttäuschung verflog. Doch die Entscheidung wurde nicht rechtskräftig. G. klagte noch vor dem Bundesgerichtshof, wo sie erneut unterlag. Diesmal endgültig. Ihre Bücher sind derweil weiterhin in über 100 Bibliotheken weltweit verfügbar und wurden auch im Jahr 2021 in wissenschaftlichen Publikationen zitiert.
4. Prozesse und Pensionsansprüche Der Doppelplagiatsfall G. unterscheidet sich vom anderen deutschen Doppelplagiatsfall: H. unterrichtet weiterhin an der Universität Mainz im Fach Soziologie und könnte nach einer rechtskräftigen Aberkennung des Doktorgrades, und damit der Lehrbefugnis, ihre Professur und Teile ihrer Pensionsberechtigung verlieren. Doch H. spielt auf Zeit. Neh-
1. Teil: Deutschlands Doppelplagiate
men wir an, dass H. ab dem Jahr 2026 ihren Ruhestand genießen darf. Bis dahin sollte also aus ihrer Sicht kein endgültiges Urteil über ihre wissenschaftlichen Qualifikationsarbeiten fallen. Und H. hat Glück, denn ein solches Urteil ist bis dahin nicht zu erwarten. Die Mühlen der deutschen Gerichtsbürokratie mahlen langsam. Im Jahr 1999 wird H. an der Humboldt-Universität zu Berlin (HU) zum »Wandel von Einstellungen und Werten unter dem Aspekt des Autoritarismus deutscher Eltern im Zeitvergleich« promoviert. Im Jahr 2016 meldet VroniPlag Wiki 127 Plagiate in dieser Arbeit an die HU. Gut zwei Jahre später, Ende 2018, entzieht der Präsident der HU nach einem Prüfungsverfahren den Doktorgrad. Im Dezember 2018 reicht H. gegen die Entscheidung eine Klage ein. Solange diese Klage anhängig ist, wird der Entzug des Doktorgrades nicht bestandskräftig. Jahrelang passiert nun erstmal nichts. Im Sommer 2021 hat das Verwaltungsgericht Berlin noch immer nicht über die Klage entschieden. Der Pressesprecher des Gerichts teilt mir im April 2021 mit, mit einer Entscheidung sei erst Ende des gleichen Jahres zu rechnen. Aber auch 2021 fällt kein Urteil. Eine Verfahrensdauer von drei Jahren ist merkwürdig. In Corona-Zeiten liegt die durchschnittliche Verfahrensdauer beim Berliner Verwaltungsgericht bei 14 Monaten, wie die zuständige Senatsverwaltung erklärt. In diesem Fall ist sie über 150 Prozent länger. Darauf hingewiesen, antwortet der Gerichtssprecher: »Die durchschnittliche Verfahrensdauer ist ein Mittelwert, den die schwierigeren und zeitaufwändigeren Verfahren oft übersteigen. Dazu zählen Verfahren der vorliegenden Art generell. Im Übrigen musste die zuständige Kammer seit dem Eingang der Klage zusätzlich vorrangige Asylverfahren erledigen, und – last but not least – ist diese seit drei Jahren nicht mit dem vollen Richterpensum besetzt. Das wirkt sich aus. Ich hoffe, dass kann die Dauer einigermaßen erklären. Sonstige Gründe gibt es nicht.« Das klingt plausibel. Dem Geschäftsverteilungsplan des Gerichts entnehme ich, dass die Kammer nur mit einer Vollzeitstelle und einer Halbzeitstelle besetzt ist, und sich zusätzlich zu Hochschulangelegenheiten auch um Asylverfahren aus dem Herkunftsland Syrien beschäftigen muss. Sollte das Gericht 2022 seine Entscheidung treffen und veröffentlichen und darin den Entzug des Doktorgrades bestätigen, wird H. vermutlich auch dagegen klagen. Dann verhandelt das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg, was bei Berufungsver-
23
24
Plagiate in der Wissenschaft
fahren durchschnittlich 15 Monate benötigt. Da das Verfahren zum Doktorgradentzug schwierig und zeitaufwändig ist, wie der Gerichtssprecher sagt, ist mit mehr Zeit zu rechnen. Ende 2024 gibt es dann vielleicht eine Entscheidung, die aber revisionsfähig sein könnte. Ein weiteres Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht könnte noch einmal Jahre dauern, vielleicht bis 2027. Wir erinnern uns: Vermutlich 2026 wird H. pensioniert. Sollte sie den Doktorgrad wider Erwarten vorher rechtskräftig verlieren, bleibt sie aber erst einmal Professorin. Denn in der Habilitationsordnung der Humboldt-Universität ist zwar festgelegt, dass die Lehrbefähigung erlischt, wenn die/der Habilitierte den Doktorgrad nicht mehr führen darf. Die Feststellung des Erlöschens der Lehrbefähigung trifft die Präsidentin/der Präsident der HU auf Antrag des erweiterten Fakultätsrates. »Diese Feststellung durch den/die Präsident/in ist wieder ein Verwaltungsakt, der angefochten werden kann. Da können also nochmal drei Instanzen und weitere vier bis fünf Jahre hinzukommen, bis die Feststellung rechtskräftig ist«, sagt Gerhard Dannemann, Rechtsprofessor und Plagiatsexperte an der HU. Jetzt sind wir schon im Jahr 2031 oder 2032. Vielleicht könnte die Universität Mainz vorher beginnen, ein förmliches Disziplinarverfahren gegen H. einzuleiten. Aber das dauert, und auch gegen dieses Ergebnis kann sich H. gerichtlich wehren. Erst ganz am Ende entscheidet ein Verwaltungsgericht als Disziplinargericht über die Entfernung der Professorin aus dem Dienst. Denkbar wäre der Vorwurf des Anstellungsbetrugs. Denn der Entzug des Doktorgrads wirkt rückwirkend: H. würde so gestellt, als hätte sie den Grad nie erworben. »Im Falle einer Entlassung verliert ein beamteter Hochschullehrer seine Pensionsansprüche«, erklärte der Beamtenrechtler Ulrich Battis am 19. Januar 2019 in der F.A.Z. Es erfolge dann eine Nachversicherung bei der Deutschen Rentenversicherung. »Das kann im Einzelfall eine Halbierung der Altersversorgung bedeuten.« Battis meint: Auch nach einem Wechsel in den Ruhestand könnte das Disziplinarverfahren weitergeführt werden. Aber ob das tatsächlich geschehen wird? Wird eine Universität gegen eine dann ehemalige Professorin vorgehen und vorgehen wollen? Ich werde 2031 erneut über den Fall berichten. Ungekrönte Königin der Verzögerung ist die frühere Politikerin M. Sie wird 1986 in Bonn mit dem Thema »Geschichte und Fortschritt im Denken Amerikas: Ein europäisch-amerikanischer Vergleich« promoviert. Zwei Jahre später werden im »Spiegel« die ersten Plagiatsvor-
1. Teil: Deutschlands Doppelplagiate
würfe laut. Es gibt eine Untersuchung durch die Universität Bonn. Sie findet Plagiate auf etwa 4 Prozent der Seiten und beschließt, den Doktorgrad nicht zu entziehen. 2011 untersucht VroniPlag Wiki die Arbeit und findet zehnmal so viele Plagiate. 2012 beschließt der Promotionsausschuss der Philosophischen Fakultät die Aberkennung des Doktorgrades. Im gleichen Jahr bestätigt das Verwaltungsgericht Köln die Entscheidung. M. unterliegt 2015 beim Oberverwaltungsgericht Münster, 2017 beim Bundesverwaltungsgericht und 2018 beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte. M., die, wie das Verwaltungsgericht feststellte, »weite Passagen ihrer Dissertation wörtlich aus fremden Werken übernommen« hatte, konnte ihren Doktorgrad nach der Aberkennung noch sechs Jahre lang tragen. Der Fall H. wird vermutlich zeigen, dass sich diese Zeitspanne noch ausdehnen lässt. Dabei ist die Aufarbeitung der Plagiate nicht kompliziert. VroniPlag Wiki hat in bisher über 200 Fällen solide ausgearbeitete, nachvollziehbar dokumentierte und rechtssichere Analysen veröffentlicht, auch zum Fall H. Doch die Verfahren in Hochschulen und Gerichten dauern immer länger. Plagiieren lohnt sich in Deutschland. Es geht auch anders. Nur 18 Tage vergingen von der Meldung eines Plagiatsfalls bis zum Entzug des Grades im Jahre 2014 durch die Universität Mainz. Das ist bis heute Rekord. Ob die besonderen Umstände eine Rolle spielten? Die Mutter der Doktorandin war die Leiterin einer Poliklinik, an der die Doktorarbeit entstanden war. Inzwischen wurde die Medizinerin erneut promoviert, sogar zweimal. Sie ist heute »Dr. med. Dr. med. dent.«.
5. Angeberei statt alles anzugeben Bis heute unterrichtet H. angehende Soziologinnen und Soziologen an der Universität Mainz. In diesem empirisch ausgerichteten Studienfach ist wissenschaftliche Ehrlichkeit von besonderer Wichtigkeit. Gerade aus der von ihr vertretenen Netzwerkforschung und der Familiensoziologie entwickeln sich Ideen und Vorschläge für Politik und Öffentlichkeit. Vor diesem Hintergrund ist diese Analyse von VroniPlag Wiki so erschreckend: »In etlichen Fällen übernimmt H. Formulierungen und Interpretationen aus Quellen, die einen anderen inhaltlichen Bezug haben, und
25
26
Plagiate in der Wissenschaft
passt Erstere in ihren eigenen Kontext ein. Dabei stellt sich grundsätzlich die – wohl im Einzelfall zu entscheidende – Frage, inwiefern die so entstandenen Aussagen in dem neuen Kontext noch sachlich begründet sind.« Wir haben es hier also nicht »nur« mit einer Kopie von Erkenntnissen Dritter zu tun, sondern mit einer Vermengung von Quellen und Aussagen, die den Inhalt teilweise unbrauchbar machen. Die Arbeit enthält zudem zahlreiche Wiederholungen identischer oder nur marginal veränderter Textteile. Teilweise taucht ein festgestelltes Plagiat mehrfach auf. Ein über 300 Wörter umfassender Text von Seite 148 findet sich erneut im Kapitel 7 auf Seite 170, diesmal auf zwei Textblöcke verteilt. Dem Doktorvater scheint dies ebenso wenig aufgefallen zu sein wie die Tatsache, dass mehr als die Hälfte aller im Text zitierten Werke gar nicht im Literaturverzeichnis vermerkt sind, oder die von VroniPlag Wiki festgestellten weiteren mannigfachen Fehler. Auf Seite 29 ist die Rede von der »großen sozialliberalen Regierungskoalition« (sic!), die Originalquelle hatte noch zwischen einer »großen und später sozialliberalen Regierungskoalition« unterschieden. Falsch abgeschrieben! Auf Seite 62 spricht H. von der »These vom abnehmbaren Grenznutzen«. Gemeint ist vermutlich »abnehmender Grenznutzen«. Falsch abgeschrieben! VroniPlag Wiki sah sich in der Analyse sogar genötigt, folgenden Hinweis hinzuzufügen: »Auch wenn angesichts der vorstehenden Defizite die Vermutung naheliegt, es könne sich bei der hier untersuchten elektronischen Fassung um eine stark fehlerhafte frühe Version handeln – diese Fassung findet sich identisch in dem in der Deutschen Nationalbibliothek in Frankfurt a.M. archivierten Exemplar der Dissertation.« In der während der Promotionszeit von H. im Herbst 1998 erschienenen Broschüre von Katrin Bialek, Ralf Clasen und Petra Stykow »Wie verfasse ich eine wissenschaftliche Arbeit? Hinweise, Anregungen und Ratschläge für Studierende am Institut für Sozialwissenschaften [der Humboldt-Universität Berlin]« heißt es in der Einleitung unter anderem: »[Die Hinweise] haben natürlich nicht den Charakter verbindlicher Vorschriften, spiegeln aber wider, was am Institut ›üblich‹ ist.« Das Kapitel 5.10 (Zitieren) beginnt mit dem Satz: »Alles muß angegeben werden, was in die eigene Arbeit wörtlich übernommen werden soll.« Die Broschüre enthält sechs »Grundregeln des Zitierens«, darunter: »2.
1. Teil: Deutschlands Doppelplagiate
Zitate sollten immer aus erster Hand, also aus dem Original sein. […] Ist ein Original nicht zugänglich […] muß eine Verwendung des Zitats gekennzeichnet werden.« In diesem Institut ist H. damals tätig. Hier legt sie ihre beiden Arbeiten vor. Sie weiß, wie sie arbeiten muss, denn auf Seite 214 ihrer Doktorarbeit heißt es: »Hiermit erkläre ich an Eides statt, daß ich die vorliegende Arbeit selbständig und ohne Benutzen anderer als der angegeben [sic!] Hilfsmittel angefertigt habe.« Heutzutage gibt sie auf ihrer Webseite den Studierenden ihrer Veranstaltungen folgende Hinweise zu Maßstäben für Quellen: »Sie sollen wahr sein. Dazu ist unabdingbar, dass man seine Quelle prüft (Plausibilität, Übereinstimmung mit Bekanntem, Glaubwürdigkeit). Sie müssen nachprüfbar sein, das Nennen der Quelle ist notwendig. […].« Im Juli 2020 veröffentlicht der Fachbereich ein 15 Seiten langes Hinweispapier zur Anfertigung von Hausarbeiten durch Studenten, in dem es unter anderem heißt: »Ein Plagiat ist die ungekennzeichnete Aneignung von Gedankengut und Formulierungsarbeit einer anderen Person – egal ob diese davon weiß oder nicht. Fremdes Gedankengut ist am Ort der Übernahme mit einem Kurzbeleg zu kennzeichnen.« All diese Aktivitäten und Vorgaben sind begrüßenswert, weil sie darlegen, was seit Jahrzehnten gilt. Die wissenschaftlichen Standards bei Plagiaten waren 1990 oder 1960 nicht andere als heute. Es gibt auch aus diesen Jahrzehnten zahlreiche Bücher und Broschüren, die erklären, weshalb Zitate zu kennzeichnen sind. Auch frühere Prüfungsordnungen verboten Plagiate. Die Behauptung mancher, früher seien die Sitten »lascher« gewesen, ist falsch. Gesetze und universitäre Ordnungen waren zu jeder Zeit glasklar. Zu keiner Zeit gab es in der deutschen Geschichte, auch nicht in der DDR, die Erlaubnis oder die Möglichkeit, fremde Gedanken als eigene auszugeben, um damit einen wissenschaftlichen Grad zu erwerben. Diese wissenschaftsinterne Übereinkunft ist vom Urheberrecht zu trennen. Zusätzlich zu einem Verstoß gegen die gute wissenschaftliche Ordnung kann zum einen ein Verstoß der Promotionsordnung vorliegen, zum anderen kann das Plagiat auch das Recht eines Urhebers verletzen. Andersherum verlangt die Annahme eines wissenschaftlichen Plagiats keine Verletzung des Urheberrechts. Diese Ebenen sind zu trennen. Die Mitwirkenden bei VroniPlag Wiki interessieren sich vor allem dafür, gegen akademisches und wissenschaftliches Fehlverhalten vorzugehen. Durch die Plagiatsdokumentation erlange das Thema »Plagiat« Aufmerksamkeit. Diskussionen würden angeregt, und es
27
28
Plagiate in der Wissenschaft
entstünde ein Problembewusstsein, das der qualitativen Verbesserung von wissenschaftlichen Arbeiten dienlich ist. Urheberrechtsverletzungen sind dabei höchstens ein Teilaspekt, der für die meisten Wiki-Beitragenden bei der Dokumentation eine untergeordnete Rolle spielt. Für die F.A.Z. hatte ich H. nach Bekanntwerden der Plagiatsvorwürfe kontaktiert. Meiner Bitte um eine Stellungnahme kam H. nicht nach. Auch gegenüber der Studierendenzeitung »UNAuf«, die an der Humboldt-Universität erscheint und 2019 über den Fall berichtete, wollte sich H. nicht äußern. Die Universität Mainz will sich erst dann mit dem Thema öffentlich befassen, wenn der Doktorgrad von der Humboldt-Universität rechtskräftig entzogen ist. Damit macht es sich die Mainzer Hochschule zu leicht. Plagiatsvorwürfe müssen auch wissenschaftsintern kommentiert werden und dürfen nicht folgenlos bleiben. Das Abwarten auf Entscheidungen der Gerichte dirigiert das Thema aus dem System der Wissenschaft in das System des Rechts – und damit in die zeitliche Unendlichkeit. Im Sommersemester 2021 bot H. ein Kolloquium über das Thema »Abschlussarbeiten« an. Sie betreut weiterhin Doktorandinnen und Doktoranden.
6. Kuriose Kopierfehler Auch in der Habilitationsschrift von H. finden sich etliche Plagiate, aber auch sonstige Fehler, Falschzitate, Sinnentstellungen und allerlei Kuriosa. VroniPlag Wiki konnte die Veränderung von Aussagen durch »falsches« Abschreiben mehrfach nachweisen. Dabei findet in den Analysen in der Regel keine Überprüfung der Textaussagen auf Richtigkeit oder Plausibilität statt. Solche Hinweise stellen lediglich Kollateraleffekte der Dokumentation dar. Sie erlauben keine Aussage zum Grad der inhaltlichen Konsistenz der untersuchten Arbeit. Lustig sind sie manchmal trotzdem. Sie zeigen vor allem, dass Plagiate nur ein oberflächlicher Hinweis auf tieferliegende Probleme beim wissenschaftlichen Arbeiten sind. Durch Abschreiben kommt es zu ulkigen Sinnentstellungen. So will H. in zwei Fällen aus einer Quelle den Begriff »Evolution« abschreiben, verändert ihn aber zu »Evaluation«. Macht ihre eigene Aussage dadurch überhaupt noch Sinn? Wohl kaum. Im Original heißt es im Buch von
1. Teil: Deutschlands Doppelplagiate
Gabor Kiss »Einführung in die soziologischen Theorien II. Vergleichende Analyse soziologischer Hauptrichtungen«: »Der Begriff Komplexität als ›Gesamtheit von möglichen Handlungen‹ weist auf eine mit der gesellschaftlichen Evolution wachsende ›immense Zahl von möglichen Handlungen‹ (Alternativangeboten) hin […]« Bei H. lesen wir: »Die Gesamtheit möglicher Handlungen wird mit dem Begriff der Komplexität umschrieben, der auf die mit der gesellschaftlichen Evaluation [sic!] verbundene wachsende ›immense Zahl von möglichen Handlungen‹ (Alternativangeboten) hinweist […]« Im Bericht von VroniPlag Wiki als inhaltlich fragwürdig durch unsorgfältige Umformulierung wird folgender Satz genannt: »Alfred R. Radcliffe-Brown und Bronislaw Malinowski (1922) gelten als zwei der Begründer einer funktionalistischen Betrachtungsweise in der Soziologie, die von Parsons ausging.« Im Original bei Dorothea Jansen ist die Formulierung noch sinnvoll: »Zusammen mit Malinowski gilt er als einer der ›Väter‹ der funktionalistischen Betrachtungsweise in der Soziologie, die von Parsons fortgeführt wurde.« Auch an weiteren Stellen wird ein in einer Quelle angemessen dargestellter Sachverhalt durch Umformulierungen so verändert, dass er nicht mehr den Gegebenheiten entspricht. Im Jahre 1989 veröffentlicht Pierpaolo Donati im Soziologischen Jahrbuch den Text »Zwischen Gemeinschaft und Gesellschaft: Die informellen Netze in der gegenwärtigen Gesellschaft«. Darin schreibt er, in der eigentlich verpönten Ich-Form, unter anderem folgendes: »Unter dem Blickwinkel des eben Gesagten möchte ich im folgenden eine neue Art und Weise der Interpretation sowohl der Tonniesschen Theorie wie der Existenzform der gegenwärtigen Gesellschaft als wechselseitige Durchdringung von Gemeinschaft und Gesellschaft darstellen. Damit stelle ich mir als Aufgabe, die Position von J. Habermas zu vertiefen, die anhand der folgenden Forschungsrichtung deutlich wird: […]«
29
30
Plagiate in der Wissenschaft
Bei der Kopie übernimmt H. die Ich-Form, die ansonsten im wissenschaftlichen Teil ihrer Arbeit nicht auftaucht. Sie formuliert, leicht abgewandelt: »Vor dem Hintergrund des eben gesagten [sic!] ist es mein Ziel, die Tönniessche Theorie in Bezug auf die heutige Gesellschaft als wechselseitige Durchdringung von Gemeinschaft und Gesellschaft darzustellen. Damit möchte ich die Position von Habermas vertiefen, die mit der folgenden Forschungsrichtung deutlich wird.« Merkwürdig sind Plagiate vor allem, wenn sie im Fazit einer Arbeit auftauchen. Denn hier sollte der neuartige Erkenntnisgewinn zusammengefasst sein. Die ersten rund eineinhalb Seiten ihres bilanzierenden Kapitels »Schlussbetrachtung« (S. 192-199) übernimmt H. indes aus dem entsprechenden Schlusskapitel eines Buches von Andrea Maria Dederichs. Dazu heißt es bei VroniPlag Wiki so lakonisch wie passend: »Gehörten somit die Ergebnisse der Arbeit schon 1998/1999 zum Stand der Forschung, ist deren Neuigkeitswert 2005/2006 umso schwerer zu bestimmen.« Auch die Fragestellung und der Aufbau ihrer Arbeit übernimmt H. von Dederichs. Es ist eine ganz traurige Sache: Dederichs hat in der Wissenschaft nicht reüssiert, ein paar Lehraufträge erhalten, dann war Schluss. H. wurde Professorin. Auch auf Namen ist in der Habilitation kein Verlass. Astrid und Uwe Pfenning werden durchgängig zu Pfennig, mit Martin Burber könnte Martin Buber gemeint sein, George Simmel ist mit Sicherheit Georg Simmel, Scott A. Boorman wird zu Boormann, Gluckman zu Gluckmann, Luhmann zu Luhman, Edward O. Laumann zu Lauman, Wasserman zu Wassermann und, wenig überraschend, Wellman zu Wellmann. Aus Granovetter wird Granoveter, und Richard Sennett heißt nun Senett. Trezzini wird zu Trenzzini. Sophie Mützel (im Vorwort noch richtig) wird im Text und im Quellenverzeichnis zu Muetzel, Louis Wirth wird zu Luis, Theodore Mead Newcomb wird zu Theodor. Der Hamburger Stadtteil Eilbek wird durchgängig zu Eilbeck, Wandsbek zu Wandsbeck. Dank an die Beteiligten von VroniPlag Wiki, die all das herausgefunden haben. Problematisch ist die ganze Vorgehensweise auch deshalb, weil Teile der Bevölkerung sich von sozialwissenschaftlichen Fächern sowieso keinen Erkenntnisgewinn mehr versprechen und ihre Vorurteile gegen das – meines Erachtens wichtige und relevante – Fach Soziologie bestätigt sehen. Als ich über den Fall im Online-Angebot der F.A.Z. berichtete,
1. Teil: Deutschlands Doppelplagiate
gab es überproportional viele Rückmeldungen in der Kommentarspalte, die eigentlich nicht zu Erregung neigt. Dies sind Auszüge aus den drei beliebtesten Anmerkungen von Leserinnen und Lesern: (1) »Das bestätigt einerseits das Klischee der universitären Soziologie als verfilztem (linkem) Klüngelverein, andererseits des Faches selbst als Dünnbrettbohrerfach und Pseudowissenschaft.« (2) »Die Arbeit ist nicht nur zu einem sehr großen Anteil ein Plagiat, sondern, was viel schwerer wiegt, teilweise auch ein Fake. Da werden Aussagen der Quellen zur Stützung der eigenen, ideologischen Aussage angepasst. Die Dame entehrt damit auch alle Wissenschaftler.« (3) »Liest man nur die Themen der Promotionen in geisterwissenschaftlichen Fächern so ist man oft sehr erstaunt. Die ideologische Dominanz und Geisteslosigkeit ist hier leider keine Seltenheit. Die Verbreitung des geistigen Unfugs durch massenweises Kopieren macht die Situation nur noch schlimmer.« Jeder Plagiatsfall zerstört nicht nur das Vertrauen in die wissenschaftliche Arbeit der Täterin oder des Täters, sondern auch in das Fach, das die Person repräsentiert. Deshalb haben die Doktoreltern und Betreuerinnen und Betreuer einer Habilitation eine besondere Verantwortung. In den allermeisten Fällen werden sie dieser auch gerecht. Denn nur die wenigsten wissenschaftlichen Arbeiten sind Fakes oder Plagiate. Aber diese wenigen Fälle sind trotzdem zu viel.
7. Kontrollen mit Klagewelle Die Dokumentation von Plagiaten durch VroniPlag Wiki zeigt nur die Spitze eines Eisberges. Es gibt viel mehr Plagiate. Die meisten davon werden nie gefunden. Selbst wenn es eines Tages technisch möglich ist, mittels Künstlicher Intelligenz alle Doktorarbeiten maschinell auf Übernahmen zu prüfen, müssten im Anschluss aufwändige Aberkennungsverfahren an Universitäten und Gerichten stattfinden. Für eine solche Vielzahl von Verfahren sind die Institutionen personell nicht ausgerüstet. Spätestens die Verwaltungsgerichte würden unter einer Klagewelle kollabieren. Dass G. und H. mit ihren Doppelplagiaten entdeckt wurden, ist Zufall. Den Auslöser kenne ich nicht. Vielleicht gab es einen Hinweis an VroniPlag Wiki, dem eine Mitstreiterin nachgegangen ist; vielleicht existierte eine Andeutung in einer Rezension, die aufhorchen
31
32
Plagiate in der Wissenschaft
und einen Aktivisten nachforschen ließ. Eine systematische Analyse aller Qualifikationsarbeiten existiert nicht. Das ist skandalös. Denn natürlich müsste es eine systematische Analyse geben, und zwar bei den Universitäten, die die akademischen Grade verleihen. In erster Linie sind die Doktoreltern oder die Betreuer einer Habilitation verantwortlich. Sie arbeiten ähnlich schlecht wie ihr Nachwuchs. »Die Humboldt-Universität hat sich zweifach betrügen lassen, beziehungsweise den Betrug nicht erkannt«, sagte der Vorsitzende des Wissenschaftsausschusses im Berliner Abgeordnetenhaus bei einer Anhörung am 26. November 2018. Genauer hätte er sagen müssen: Nicht die Universität, zuerst haben sich die Mentorinnen und Mentoren betrügen lassen. Nicht nur in Berlin, sondern überall in Deutschland. Im Laufe der Jahre konnte ich mit einigen von ihnen sprechen. Oft machten sie auf mich den Eindruck von Menschen, die gutgläubig sind. Sie halten es nicht für möglich, dass »ihr« Schüler unwissenschaftlich arbeitet. Der Doktorvater des früheren Ministers KTG, dessen Arbeit ein besonders schwerer Fall war, erklärte zunächst öffentlich: »Der Vorwurf ist absurd, die Arbeit ist kein Plagiat. […] Sie wurde von mir in zahlreichen Beratungsgesprächen eingehend kontrolliert.« Später musste er sich korrigieren. Andere haben Redlichkeit stillschweigend vorausgesetzt und über Plagiate nie gesprochen. Vielleicht ist dieses Schweigekartell ein Teil des Problems. Jedes Versagen in der Wissenschaftskontrolle hat indes, das habe ich in den Gesprächen lernen dürfen, einen individuellen Grund. Da ist der Doktorand, den man nach zehn Jahren schmerzhafter Betreuung nur noch »durchwinken« will. Eine andere Kandidatin hat inzwischen psychische Probleme, die sich vergrößern würden, müsste sie das Projekt abbrechen. Ein Prüfer deutete mir gegenüber an, dass seine Sozialisation in der DDR der Grund seiner Blindheit für Plagiate sei, ein anderer erklärte, dass es zum Zeitpunkt der Bewertung keine Plagiatssoftware gegeben habe. Manche legen Wert auf die Feststellung, dass sie weder ein Arbeitsverhältnis noch ein Betreuungsverhältnis mit dem Plagiatstäter gehabt haben. Eine Rechtfertigungsstrategie ist auch, darauf hinzuweisen, dass sich die Übernahmen fast ausschließlich in deskriptiven Passagen befänden, die beispielsweise eine »Exegese der Klassiker zum Gegenstand haben«. Ein Prüfer von H. erklärte:
1. Teil: Deutschlands Doppelplagiate
»Ich sehe es nicht als meine Aufgabe an, durch Textvergleiche nachzuprüfen, ob es sich um mehr oder weniger eigenständige Exegeseversuche oder um Plagiate handelt. Wer das Gegenteil meint, geht sehr großzügig mit der freiwillig erbrachten, unbezahlten Arbeitszeit eines externen Gutachters um.« Er verwies auch darauf, dass sich diese Gutachtertätigkeiten zunehmend ausweiteten. Inzwischen würden für jedes Stipendium, jedes kleine Forschungsprojekt und jeden bei einem »peer reviewed«-Journal eingereichten Beitrag mindestens zwei, oft drei, Gutachten angefordert. Die systematische Prüfung auf Plagiate gehöre für ihn nicht zu den akademischen Pflichten eines Gutachters. Damit hat er nicht ganz Unrecht. Er schlägt klugerweise vor, Stabsstellen in den Fakultäten einzurichten, die eine Plagiatskontrolle vor der Begutachtung erledigen, oder, trickreicher, den Doktoranden und Habilitanden zur Auflage zu machen, von (derzeit noch nicht vorhandenen) zertifizierten Organisationen den Nachweis einzuholen, dass ihre Arbeit in Bezug auf Plagiate unbedenklich ist. Problematisch daran ist: Solche Persilscheine kann niemand erteilen. Man kann nachweisen, dass eine Arbeit Plagiate enthält. Man kann aber nicht sicher nachweisen, dass sie keine enthält. Der Prüfer ergänzt, dass sich auch in der Ausbildung etwas ändern müsse. Bei Plagiaten in Seminararbeiten sei in der Regel die einzige Konsequenz, wenn überhaupt, dass die Arbeit nicht angenommen wird, und es beliebige Möglichkeiten der Wiederholung gibt. »Das ist vergleichbar mit einem erwischten Schwarzfahrer, für den die einzige Konsequenz darin besteht, dass er die Bahn verlassen muss, aber in der nächsten Bahn denselben Schwarzfahr-Versuch starten kann.« Das Problem beginnt viel früher. Mein Sohn soll in der 6. Klasse schon Schulvorträge mit Powerpoint halten. Die dafür notwendigen Fotos, etwa zum Thema »Zweiter Weltkrieg«, werden auf Anraten der Lehrerin aus dem Internet übernommen. Ein Quellenhinweis mit Lizenznachweis findet sich bei den Präsentationen nicht. Nun kann man sagen, eine Schulpräsentation erblickt nicht das Licht der Öffentlichkeit. Doch zum einen ist bereits die Schulklasse eine Form von Öffentlichkeit, zum anderen wird diese Vorgehensweise in höheren Schulklassen und später in der Universität übernommen. Seminararbeiten wimmeln nur so von Plagiaten, wie eine Bekannte als Lehrbeauftragte im Fach Kunstgeschichte feststellen musste. Als sie einmal eine Studentin wegen eines besonders offensichtlichen Fal-
33
34
Plagiate in der Wissenschaft
les durchfallen ließ, wurde ihr von den Professoren bedeutet, nicht so hart zu sein, das seien sie selbst auch nicht. Der Professor setzte die Arbeit wieder auf ein »bestanden«. Danach hat meine Bekannte den Lehrauftrag desillusioniert beendet. Die wichtigste Aufgabe einer wissenschaftlichen Hochschule müsste sein, ihren Studentinnen und Studenten die Standards von gutem wissenschaftlichem Arbeiten zu vermitteln. Die Berliner Plagiatsforscherin Debora Weber-Wulff zitiert zur Frage »Was ist eigentlich Plagiat?« eine scherzhafte Definition nach Wilson Mizner: »Aus einem Buch abschreiben = Plagiat; aus zwei Büchern abschreiben = Essay; aus drei = Kompilation; aus vier = Dissertation.« Dann schreibt Weber-Wulff: »Heute mag man ergänzen: aus der Wikipedia = Hausarbeit.« Das ist zutreffend. In sehr vielen von VroniPlag Wiki untersuchten Doktorarbeiten fanden sich auch ungekennzeichnete Übernahmen aus Wikipedia. Bei H. nicht. Das, wenn auch nur das, spricht immerhin für die Mainzer Soziologin.
2. Teil: Berlin – Hauptstadt der Plagiate
1. Mehr Schatten als Licht Das hätte ich von einem AfD-Politiker nicht gedacht. Erstaunt sitze ich am im November 2018 als eingeladener Experte im Wissenschaftsausschuss des Berliner Abgeordnetenhauses. Es geht um die überproportionale Häufigkeit von Plagiaten in der Hauptstadt, verglichen mit allen anderen Bundesländern. Zum damaligen Zeitpunkt gab es zwei Plagiatsfälle an der Technischen Universität, vier Fälle an der Freien Universität (FU), sechs Fälle an der HU und 34 Fälle an der Charité. (Inzwischen sind es mehr.) Rund ein Viertel aller von VroniPlag Wiki entdeckten Plagiate sind aus dem Land Berlin. Den Abgeordneten macht die Entwicklung Sorgen. Dazu gehört auch der Vorsitzende des Wissenschaftsausschusses, der aus der AfD-Fraktion stammt. »Wer aufgrund von Plagiaten eine Funktion im Wissenschaftsbetrieb einnimmt, nimmt einer anderen ehrlichen Person die Stelle weg. Diese ehrlichen Wissenschaftler sind die, wenn man so will, vergessenen Opfer der Plagiatstäter. Übrigens sind die Opfer oft Frauen«, sagt Martin Trefzer. Da hat er recht. Kämpft die AfD nun für Frauenrechte? Wohl kaum. Sie instrumentalisiert Frauen, wenn es ihr für die eigentliche Agenda passt. Islamisten sind bekanntlich keine Verfechter der Frauenrechte. Die AfD wendet sich gegen den Islam. Also argumentiert sie mit dem Schutz der Frauen. Bei anderen Themen ist ihr dieser Schutz dann völlig egal. Doch man muss Trefzer lassen, dass er, noch vor den Plagiatsvorwürfen gegen eine stadtbekannte SPD-Politikerin, das Thema als Problem identifiziert hat. Innerparteilich ist das nicht besonders heikel. Bisher hat VroniPlag Wiki nur Plagiatstäter aus anderen Parteien identifiziert, bundesweit siebenmal FDP, fünfmal CDU, viermal SPD, zweimal CSU, einmal Grüne. Das sind übrigens weniger als zehn Prozent aller analysierten Arbeiten. Die ganz große Mehrheit der Plagiierenden ist nicht
36
Plagiate in der Wissenschaft
politisch tätig. Im Protokoll der Sitzung vom November 2018 sind zu diesem Thema ein Zuruf und meine Reaktion verzeichnet: »[Zuruf von Sabine Bangert (GRÜNE)] – Die Presse berichtet immer nur, wenn wir Politiker haben. Das ist eben das große Problem. – [Dr. Jochen Zenthöfer: Nein, nein!]« AfD-Wissenschaftspolitiker Trefzer sagt in der Sitzung des Ausschusses: »Die Berliner Hochschulen müssen gegen jede Form des Wissenschaftsbetrugs vorgehen. Ich denke, darin sind wir uns alle einig. Aber mit dem Bekenntnis fangen die Probleme erst an. […] Es kann auch nicht sein, dass Plagiatsprüfungen jahrelang dauern, vor allem dann, wenn VroniPlag Wiki die Analyse bereits vorgenommen und den Hochschulen übergeben hat. Der Entzug von Titeln wegen Wissenschaftsbetrugs muss schnell, rechtssicher und vor allem transparent erfolgen.« Als Expertin äußert sich die Berliner Professorin und VroniPlag WikiAktivistin Debora Weber-Wulff. Sie ist mutig, spricht bei Prävention und Aufarbeitung von Licht und Schatten. »In Berlin überwiegt trotz sichtbarer Bemühungen der Hochschulen leider der Schatten.« Obwohl die Einrichtungen über Ordnungen verfügten, die Verfahren zum Umgang mit wissenschaftlichem Fehlverhalten haben, gebe es viele Probleme damit, diese Verfahren rechtskonform umzusetzen. Schon oft hätten ihr Kollege Gerhard Dannemann, Professor of English Law, British Economy and Politics an der HU Berlin, und sie selbst Fälle gemeldet und umfangreiche Dokumentationen beigelegt, ohne dass sie von den Berliner Hochschulen Rückmeldungen über den Ausgang der Verfahren bekommen haben. Dabei ist das in den Ordnungen so vorgesehen. Zudem seien die Bearbeitungszeiten sehr lang. Warum das so ist, habe ich mir von der Pressestelle der FU Berlin erklären lassen. Die Vorwürfe seien eingehend von einem Gremium zu überprüfen, wofür es in der Regel mehrerer Sitzungen bedarf. Zur Vermeidung möglicher Verfahrensfehler sollten bei jeder Sitzung alle Mitglieder anwesend sein. Es kommt zu Verzögerungen, wenn sich ein Termin, an dem alle sechs Mitglieder des Gremiums teilnehmen können, nicht zeitnah finden lässt. Deshalb hatte es an der FU zuletzt vier Jahre gedauert, zwei Doktorgrade zu entziehen. Dabei lag bereits zu
2. Teil: Berlin – Hauptstadt der Plagiate
Beginn die komplette Analyse aller Plagiate durch VroniPlag Wiki vor. Weber-Wulff kritisiert noch mehr: »Die Charité weigert sich bis heute hartnäckig mitzuteilen, welche Doktorgrade gerade entzogen wurden und für welche lediglich eine in der Promotionsordnung nicht vorgesehene Rüge erteilt worden ist. Mit einer solchen Rüge bleibt zwar der Hochschule ein Prozess erspart, aber die wissenschaftliche Gemeinschaft erfährt nicht, dass die Arbeit plagiatsbehaftet ist.« Weber-Wulff berichtet von einer Doktorarbeit an der Charité, die 1:1 von einer zwei Jahre zuvor eingereichten Doktorarbeit übernommen wurde, und dies beim gleichen Betreuer. In der zweiten Arbeit wurden lediglich Zahlen verändert. Der Bearbeiter vergaß aber, Prozentsätze anzupassen. Die Prozentsätze waren unverändert übernommen, daher hochgradig falsch. Diese Ausführung von Weber-Wulff ist der Moment, der auch einige nur mit halbem Ohr zuhörenden Abgeordneten verstummen, sogar von ihren Handys aufschauen lässt. Mit solch einem Betrug haben sie an der Charité wohl nicht gerechnet. Nun sind die Volksvertreter ganz Ohr. Davon profitiere ich und berichte von meinen Erfahrungen mit den Pressestellen der Berliner Hochschulen. Auch da gibt es viel Schatten. Informationen fließen spärlich, manchmal gar nicht. Das macht Recherchen anstrengend. Mir fällt es nicht leicht, die vielen unterschiedlichen Plagiatsverfahren im Auge zu behalten. Oft tut sich monatelang, manchmal jahrelang, nichts. Wenn dann etwas entschieden wurde, melden sich die Hochschulen nicht von selbst. Immer wieder muss ich nachfragen. Und es kommen immer neue Fälle hinzu. Manchmal beschleicht mich das Gefühl, dass Hochschulen die Verfahren nur dann betreiben, wenn Journalisten danach fragen. Und manchmal habe ich das Gefühl, dass Hochschulen ihre ehemaligen Doktoranden auch auf andere Weise schützen. So schrieb mir einmal die FU: »Abschließen möchten wir mit folgendem Hinweis: Die von Ihnen thematisierten Verfahren sind noch nicht abgeschlossen. Daher bitten wir Sie, eine ›Vorverurteilung‹ zu vermeiden. Wir halten es daher für angemessen, dass die drei Personen, auf die sich Ihre Anfrage bezieht, in Ihrem Artikel nicht namentlich erwähnt werden.« Es ist doch sehr zuvorkommend, wenn Hochschulen, die ihre eigenen Promotionsverfahren ebenso wenig im Griff haben, wie die späteren
37
38
Plagiate in der Wissenschaft
Aberkennungsverfahren, zumindest der Presse »gute« Ratschläge geben, wie die ihre Arbeit tun soll. Hier wie dort: Viel Schatten, wenig Licht.
2. Software gegen Schwindel Die Anhörung im Wissenschaftsausschuss hat auf den ersten Blick eine positive Folge. Seit neuestem arbeitet die viel geschmähte Charité mit Plagiatssoftware. So heißt es auf der Webseite: »Im Rahmen eines Pilotprojektes werden ab dem 01. Januar 2021 alle Doktorarbeiten, die nach der Promotionsordnung von 2017 registriert wurden, einer Software-gestützten Plagiatsprüfung unterzogen. Diese Vorabprüfung erfolgt, bevor die Dissertation im Promotionsbüro eingereicht und der Antrag auf Eröffnung des Promotionsverfahrens gestellt wird. Ziel ist es, in Zukunft Verfahren wegen Verstößen gegen die gute wissenschaftliche Praxis möglichst zu vermeiden und die Qualität der Dissertationen an der Charité zu erhöhen.« Immerhin gesteht die Hochschule damit ein, dass es Verbesserungsbedarf gibt, und die Qualität ihrer Doktorarbeiten erhöht werden kann. Doch beim zweiten Hinsehen wachsen Zweifel. Tatsächlich wäre es besser, wenn die Studentinnen und Studenten so geschult würden, dass sie erst gar nicht plagiieren. Und wenn es dann doch Plagiate gibt, sollten die Doktorgrade rasch entzogen werden. Das neue Modell ermöglicht eine Plagiatsprüfung vor offizieller Abgabe der Dissertation – also dann, wenn sich die Arbeit noch verändern lässt. Wie geht das vor sich? Ich stelle mir das so vor: Die Geschäftsstelle lädt die Kurzversion der Arbeit hoch. Die Software produziert den Bericht, der (ungelesen?) an den Doktoranden und die Betreuerin geschickt wird. Im ungünstigen Fall passiert nichts weiter. Im kaum günstigeren Fall werden alle als verdächtig gemeldeten Stellen, einschließlich falscher Positive, von den Doktoranden etwas umgeändert, damit die Software nicht mehr anschlägt. Die falschen Negativen, also nicht von der Software gefundene Plagiate, bleiben weiter in der Arbeit. Das Risiko für Doktorand und Betreuerin besteht dann darin, dass man nicht genügend verändert hat und dafür bei einem möglichen zweiten Softwaretest durch die Geschäftsstelle abgemahnt wird. Dann kann man immer noch argumentieren, dass es sich um falsche Positive
2. Teil: Berlin – Hauptstadt der Plagiate
handelt. Hat bis dahin ja noch niemand prüfen müssen. Wenn bei einem möglichen zweiten Softwaretest nichts Verdächtiges gefunden wird, sind alle Beteiligten glücklich und zufrieden: Geschäftsstelle, Betreuerin, Doktorand. Noch erschreckender ist das Vertrauen in Plagiatssoftware. Denn diese ist »in vielen Fällen kaum brauchbar«, wie Constanze Kurz in »netzpolitik.org« im März 2021 zum zehnjährigen Jubiläum von VroniPlag Wiki schrieb. Die Schwächen der Software sind in der Tat seit langem bekannt. Die Forschungsgruppe Plagiat der HTW Berlin testet in unregelmäßigen Abständen kommerzielle und experimentelle Plagiatserkennungssoftware. Eine ihrer Erkenntnisse lautet: »Sogenannte Plagiatserkennungssoftware findet keine Plagiate, sondern nur identische Textstellen. Die endgültige Entscheidung darüber, ob ein Text ein Plagiat ist oder nicht, muss von der zuständigen Lehrkraft getroffen werden. Die Software sollte nur ein Hilfsmittel, aber kein Prüfstein sein. Blindes Vertrauen in automatisch generierte Plagiatsberichte ist unverantwortlich.« Als die Informatikerin Debora Weber-Wulff von der HTW die erste Dissertation von KTG durch unterschiedliche Software schickte, meldeten die Programme teilweise fünf Prozent der Seiten als plagiatsbetroffen, tatsächlich waren es viel mehr. Manche Software hat schon Probleme mit deutschen An- und Abführungszeichen. Die Änderung einer Quellenangabe von »Island und Grönland« auf »Grönland und Island« ist nicht mehr dieselbe Zeichenreihe. Fast immer erkennt Software auch keine Übersetzungsplagiate. Häufig spuckt eine einfache Google-Suche von Satzteilen einer Doktorarbeit mehr Ergebnisse aus als die Software. Der beste Ratschlag von Weber-Wulff zum Auffinden von Plagiaten ist daher, die zu bewertende Arbeit genau zu lesen. Dann falle auf, wenn sich der Stil plötzlich ändert, eine andere Sprache benutzt wird, oder Zitationsweisen unterschiedlich werden. Die Berliner Landesregierung erklärte 2018, dass die Hochschulen eher zurückhaltend Plagiatssoftware nutzen. Grund sei der Datenschutz. Probleme werden vor allem gesehen, wenn der Server in einem Land steht, in dem die europäischen Datenschutzvorschriften nicht gelten. Darüber hinaus könnte das Urheberrecht betroffen sein, wenn eine Arbeit hochgeladen wird, ohne dass eine Zustimmung des Promovierten vorliegt. Diese Zustimmung wurde früher nicht eingeholt.
39
40
Plagiate in der Wissenschaft
Heute lassen sich viele Hochschulen in Deutschland dieses Recht gleich zu Beginn des Promotionsverfahrens abtreten. Die händische Analyse von Doktorarbeiten, die auch VroniPlag Wiki durchführt, kostet viel Zeit. Daher arbeiten auch deutsche Forscher an Algorithmen, die paraphrasierte oder übersetzte Übernahmen findet. Ähnlichkeitsmerkmale wie Texte, Abbildungen, Quellenverweise, Tabellen, mathematische Ausdrücke und Schreibstil sollen kombiniert betrachtet und gewichtet werden. Das Plagiatserkennungssystem »HyPlag«, das Forscher unter der Federführung von Norman Meuschke und Bela Gipp an den Universitäten Wuppertal und Konstanz entwickelt haben, ist der Prototyp eines solches Instruments. Darüber hatte ich im Oktober 2019 in der F.A.Z. berichtet. Allerdings besteht bei allen Ansätzen, die den Text nicht mit einer externen Quelle vergleichen, das Nachweisproblem. Selbst wenn man Indizien für Unregelmäßigkeiten findet, sind diese noch zu belegen. Technisch lässt sich hier aber bei der Erstellung einer Arbeit ansetzen. Mittels Blockchain-basiertem »Trusted Timestamping« wird schon heute an vielen Hochschulen der Entstehungsprozess von Arbeiten dokumentiert. Dazu wird mithilfe eines Zeitstempels der Hashcode, der aus dem Dokument abgeleitet wird, regelmäßig in der Blockchain abgelegt und dort dauerhaft und manipulationssicher archiviert. Auf diese Weise lässt sich die Entstehung eines Fachartikels über Monate hinweg dokumentieren, von der Eingabe der Rohdaten eines Experiments bis zur Freigabe der finalen Veröffentlichung. Gipp hat das Verfahren entwickelt. Es gibt aber auch mehrere ähnliche Anbieter. Gipp offeriert mit seinem Unternehmen »OriginStamp.org« diesen für Wissenschaftlerinnen und Hochschulen kostenfreien Zeitstempeldienst an, der anonym und vertraulich genutzt werden kann. In der Blockchain lassen sich die Daten nicht lesen, dort wird nur ein digitaler Fingerabdruck davon gespeichert. Allerdings können die Daten für Dritte freigegeben und so die Entstehungsgeschichte einer Forschungsleistung lückenlos dargelegt werden. »Software zur Suche nach Plagiaten ist ein ziemlich alter Hut«, meinte dazu ein F.A.Z.-Leser als Kommentar unter meinem Bericht: »Den wirklichen Missstand bekämpft sie aber kaum: Die inflationäre Absegnung akademischer Arbeiten früher wie heute. Denn hinter jedem, der nicht wissenschaftlich gearbeitet hat, stehen jene, die den zum Teil ziemlich offensichtlichen Mumpitz durchgewunken haben. Sei es aus Faulheit, Gefälligkeit oder einfacher Unfähigkeit.« Damit
2. Teil: Berlin – Hauptstadt der Plagiate
wären wir wieder an der Charité und ihrem neuen Programm zur softwaregestützten Plagiatsauffindung vor Abgabe einer Doktorarbeit. Die Software soll dem Betreuer Arbeit ersparen. Das vermag sie aber nicht wirklich. Die »Lösung« der Charité ist daher eine weitere Berliner Nebelkerze im Kampf gegen Wissenschaftsbetrug.
3. Europas Wege zur Neuköllner Bürgerin Während in Berlin eifrig im Parlament und den Hochschulen über Plagiate gesprochen wird, erschüttert der Fall Gi. die Hauptstadt. Gi. ist eine prominente SPD-Politikerin. Sie hat in ihrer Dissertation »die Standards wissenschaftlichen Arbeitens nicht durchgängig beachtet«, wie die FU im Oktober 2019 in einer Pressemitteilung verkündet. Den Doktorgrad darf Gi. zunächst behalten. Doch sie bekommt eine Rüge. Es ist ein Danaergeschenk, also ein Geschenk, das sich für die Empfängerin als unheilvoll und schadenstiftend erweist. Kaum ein Prüfverfahren ist so dilettantisch durchgeführt worden wie bei Gi. Das gilt aber nicht für die Dokumentation der Plagiate, denn dieser Hauptaufgabe hatte sich VroniPlag Wiki gewidmet. Dilettantisch war vieles, was danach in der Verantwortung der Hochschule lag, und alles, was davor in der Verantwortung der Doktormutter lag. Im Mai 2021 tritt Gi. von ihrem Amt als Bundesministerin zurück, im Juni 2021 wird der Doktorgrad entzogen. Samira El Ouassil schrieb dazu am 20. Mai 2021 unter dem Titel »Schummeln cum laude« im Spiegel: »Wenn nicht einmal Menschen in repräsentativen Funktionen dem wissenschaftlichen Arbeiten Wertschätzung entgegenbringen können, aber gleichzeitig davon profitieren, eben weil sie wissen, wie überwichtig akademische Grade in der deutschen Gesellschaft bewertet werden, dann missbrauchen sie nicht nur unser Vertrauen, sondern das System der Wahrheit.« Schauen wir es uns den Fall im Einzelnen an, wie ich es teilweise auch schon in der F.A.Z. darlegen durfte. Im Februar 2010 wird Gi., die über einen Fachhochschulabschluss verfügt, mit dem Thema »Europas Weg zum Bürger – Die Politik der Europäischen Kommission zur Beteiligung der Zivilgesellschaft« am Otto-Suhr-Institut der FU im Fach Politikwissenschaft promoviert. Dabei hatte sie zuvor gar nicht Politikwissenschaft studiert. Ein Teil der Doktorarbeit bildet eine Fallstudie.
41
42
Plagiate in der Wissenschaft
Diese soll klären, ob die eingesetzten Politikinstrumente geeignet sind. Gi., die damals hauptberuflich »Europa-Beauftragte« des Bezirks Neukölln ist, legt dar, dass ihre »Erfahrungen aus der Kommunikation und aus gemeinsamen Projekten mit Bürgern und Vertretern der Zivilgesellschaft« im Wege der »teilnehmenden Beobachtung« in die Analyse eingeflossen seien. Was Gi. bei wem genau beobachtet, wird unüberprüfbar bleiben, da sie keine Protokolle präsentiert. Zum wachsenden Zuzug von Roma-Familien heißt es etwa belegfrei: »Die Familien organisieren ihre Lebensweise und Kultur überwiegend in Clanstrukturen.« Die Wahl des Untersuchungsortes begründet Gi. mit einer Ausnahmeposition. Neukölln sei der Bezirk, der »mit am stärksten von sozialen Problemlagen betroffen ist«. Der logische Fehler fällt ihr nicht auf: Wie kann Neukölln eine Ausnahme sein, wenn es nicht am stärksten, sondern nur mit am stärksten betroffen ist? Sodann folgt bei Gi. eine weitere widersprüchliche Aussage: »Diese Sonderstellung im Vergleich zu anderen deutschen und europäischen Stadtgebieten einerseits, die Repräsentativität der vorhandenen Problemlagen, die in vielen Städten Europas ebenso auftreten, andererseits, begründen die Fallauswahl.« In Wirklichkeit begründet der Arbeitsort von Gi. die Fallauswahl. Seitenlang stellt sie Initiativen aus ihrem Umfeld in anschaulichen Details dar. In Kindereinrichtungen sei etwa das Rätselheft »Das Europa-Spiel – Europa verstehen leicht gemacht« besonders populär, resümiert Gi. Wenig später wird jedoch deutlich, dass das Heft maximal 300-mal verteilt wurde. Der Bezirk hat 28000 Schüler. Die Fallstudie besteht aus Interviews, die Gi. beispielsweise im »Madonna Mädchentreff« führt. Keine Sorgen scheint die Autorin vor der Tatsache zu haben, dass ihre Gesprächspartner sie als Person mit unterschiedlichen Funktionen wahrnehmen könnten: Einerseits Wissenschaftlerin, andererseits Repräsentantin einer Verwaltung, die den Mädchentreff finanziell unterstützt, oder auch als Mitglied im Kreisvorstand der SPD. Ein Jahr später steigt sie zur Bezirksstadträtin auf. Wie valide sind Antworten von Personen, die von Entscheidungen von Gi. abhängig sein könnten? Mehrere Professoren und die Studierendenvertretung (AStA) der FU weisen öffentlich darauf hin, dass der Arbeit die wissenschaftliche Distanz fehle. Der Münchner Rechtsprofessor Volker Rieble bescheinigt ihr gar eine »Nullqualität«. Es sei daher »völlig wurscht«, ob auch noch abgeschrieben worden ist oder nicht. Ihre Doktormutter moniert nicht einmal, dass Gi. ihr einen akademischen Grad andichtet, den sie gar nicht hat. In der neuen
2. Teil: Berlin – Hauptstadt der Plagiate
veröffentlichten Online-Fassung ist der Grad nun durchgestrichen. Schon mit dieser simplen Korrektur war die Hochschule allerdings überfordert. Zunächst löschten die Verantwortlichen den Doktorgrad des inzwischen verstorbenen Zweitgutachters. VroniPlag Wiki dokumentiert in der Arbeit 119 Plagiatsstellen. Dass Gi. am Ende nur eine Rüge erhält, begründet die zuständige Kommission damit, dass nicht alle 119 monierten Passagen auch Plagiate seien. Sie entwickelt dafür ein »differenziertes Kategorienschema«, mit dem Ergebnis, dass am Ende fünf »eindeutige Plagiate« übrigbleiben, weitere 22 Fundstellen würden den Tatbestand der objektiven Täuschung erfüllen. Statt 119 also nur noch 27 Passagen: Das klingt gar nicht mehr so schlimm. Peinlich wirkt dann aber die Behauptung, das Schema leite sich aus den »Leitlinien zur Sicherung guter wissenschaftlicher Praxis« der Deutschen Forschungsgemeinschaft ab, die August 2019 in Kraft getreten sind. Abgesehen vom Rückwirkungsproblem kann man das mehrstufige Kategorienschema der FU-Kommission genauso wenig von abstrakten Leitlinien ableiten wie das Parkverbot vor Feuerwehreinfahrten aus dem Grundgesetz. Immerhin widerspricht das Schema den Leitlinien auch nicht. Doch entscheidend ist, dass die Leitlinien auf universitäre Ordnungen verweisen. Deshalb müsste man die Promotion anhand der zum Bewertungszeitpunkt gültigen Promotionsordnung, der eigenen Ehrerklärung von Gi. und dem damaligen Berliner Hochschulrecht prüfen. So verfahren auch die Gerichte. Doch die Kommission weicht von diesen rechtssicheren Maßstäben ab. Der Kommissionsbericht kann also in vielerlei Hinsicht nicht überzeugen. Die FU erkennt die Fehler, bezeichnet die Rüge später selbst als rechtswidrig und setzt eine neue Kommission ein. Die ursprünglich erteilte Rüge bleibt indes umstritten. Denn sie war im Berliner Hochschulgesetz zum Zeitpunkt der Promotion und zum Zeitpunkt der Plagiatsprüfung nicht vorgesehen. Monatelang stritten die Juristen, ob eine nicht vorgesehene Rüge erteilt werden darf. Manche bestritten dies, da staatliche Eingriffe eine Grundlage brauchen; andere bejahten es mit dem Hinweis, dass eine Rüge ein milderes Mittel als die Aberkennung des Doktorgrades sei. Und mildere Mittel müssten immer möglich sein. Das Gutachten des Wissenschaftlichen Parlamentsdienstes des Berliner Abgeordnetenhauses vom 31. Juli 2020 erklärte, die Rüge sei eine Maßnahme, die aus dem Disziplinarrecht stammt, und daher, »weil nicht mit dem Entzug des Doktortitels vergleichbar, kein von diesem mitumfasstes geringeres Mittel.« Vor und nach dem Fall Gi. hat die FU jeden-
43
44
Plagiate in der Wissenschaft
falls nie eine »Rüge« als Ergebnis einer Plagiatsprüfung erteilt, auch bei der Humboldt-Universität und der Technischen Universität gab es diese Sanktion nicht, allerdings bei der Charité. Hätte die FU keine Rüge ausgesprochen, hätte sie nach eigenem Ermessen zwischen Entzug und Erhalt des Doktorgrades entscheiden müssen. Das macht es leicht, die Debatte parteipolitisch auszuschlachten: CDU, AfD und FDP sehen keinen Platz für eine Rüge, die SPD dagegen schon. Der AStA der FU, nicht verdächtig irgendwie rechts zu sein, sieht in der Entscheidung, eine Rüge zu erteilen, ein »politisches Kalkül der FU-Führung«. Gi. müsste der Doktorgrad entzogen werden. In einer Ausgabe ihres Magazins »Furios« weist der Student Julian Sadeghi auf die Prüfungsordnung der FU hin. Darin heißt es: »Versucht eine Studentin oder ein Student, das Ergebnis einer Prüfungsleistung durch Täuschung, insbesondere durch Plagiat […] zu beeinflussen, wird die betreffende Prüfungsleistung mit ›nicht ausreichend‹ (5,0) bewertet.« Ein Ermessen gebe es nicht. »Hält die FU ihre Einschätzung von [der] Arbeit aufrecht, führt das die Regelung für Studierende ad absurdum«, meint Sadeghi: »Es ist schlicht nicht vermittelbar, dass bei der Erlangung des zweithöchsten wissenschaftlichen Grads ein niedrigerer Anspruch an die Wissenschaftlichkeit angelegt wird als bei Semesterabschluss-Hausarbeiten im ersten Semester.«
4. Rote Hilfe Die Berliner Landesregierung, genannt Senat, macht eine schlechte Figur bei den Plagiatsskandalen in ihrer Stadt. Politisches Desinteresse paart sich mit juristischer Inkompetenz. Ganz deutlich wird dies im Fall Gi. Die SPD-Politikerin hatte zunächst eine im Hochschulgesetz nicht vorgesehene Rüge für ihre Doktorarbeit erhalten. Juristisch gesehen steht diese Rüge auf wackligen Beinen. Aus der bisherigen Rechtsprechung zu Plagiatsfällen ergibt sich beispielweise, dass solche Rügen nicht erteilt werden dürfen. Die FU nennt sie inzwischen selbst »rechtswidrig«. Doch findige Juristinnen und Juristen können immer einen Ausweg suchen. Dazu entwickelt man eine neue Theorie oder interpretiert eine Methode aus dem breit gefächerten Kanon der Rechtswissenschaft neu. Freilich muss es am Ende noch irgendwie passen, oder, wie es der Jurist sagen würde, »vertretbar« sein. Was sich der Berliner Se-
2. Teil: Berlin – Hauptstadt der Plagiate
nat einfallen ließ, war allerdings wenig kreativ und daher nicht mehr vertretbar. Es war peinlich. Der Berliner Senat teilte in einer Antwort auf eine Anfrage der AfD-Fraktion mit, dass gemäß Berliner Hochschulgesetz ein Ermessensspielraum in Prüfverfahren von beanstandeten Dissertationen bestehe. Bis hierhin ist die Mitteilung noch richtig. Selbstverständlich hat auch die FU im Fall Gi. einen Ermessensspielraum. Doch ein solches Auswahlermessen existiert natürlich nur zwischen rechtlich zulässigen Mitteln. Die Rüge gehört nicht dazu. Es wie beim Autofahren: Vor einer Schule darf ich links abbiegen oder rechts abbiegen, aber geradeaus auf den Schulhof fahren, das darf ich nicht, weil es nicht zulässig ist, auf Schulhöfe zu fahren. Die FU darf Gi. den Doktorgrad entziehen, sie darf ihn auch nicht entziehen, aber sie darf ihn nicht mit einer Rüge »halb« entziehen. Die Auswahl aller möglichen Alternativen beschränkt sich auf die gesetzlich möglichen Alternativen. Etwas, was gesetzlich nicht möglich ist, darf nicht ausgewählt werden. Diese Prüfungsreihenfolge ist Basiswissen im Verwaltungsrecht, das auch an Berliner Universitäten im dritten Jurasemester gelehrt wird. Benutzt wird dafür gerne das Beispiel der Polizei, die Ermessen hat, ob sie einschreitet. Aber sie darf deshalb nicht als milderes Mittel zehn Demonstranten mit Lebensmittelfarbe ansprühen, anstatt sie festzunehmen. Die Antwort des Berliner Senats verwechselt Ermächtigung und Ermessen. Das ist unzulässig und zeugt von Unkenntnis bei Grundsätzen des Verwaltungsrechts. Das ist kein Einzelfall. Die AfD fragte danach, welche Rechtsnatur die ausgesprochene Rüge hat. Handelt es sich dabei vielleicht um einen Verwaltungsakt nach dem Berliner Verwaltungsverfahrensgesetz? Dies verneint die Landesregierung und erklärt: »Es handelt sich um eine Bewertung der Freien Universität Berlin.« Auch das ist Quatsch. Die Rüge erfüllt alle Merkmale eines Verwaltungsaktes, die jeder Jurastudent auch in Berlin lernt. So heißt es in Paragraph 35 Verwaltungsverfahrensgesetz: »Verwaltungsakt ist jede Verfügung, Entscheidung oder andere hoheitliche Maßnahme, die eine Behörde zur Regelung eines Einzelfalls auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts trifft und die auf unmittelbare Rechtswirkung nach außen gerichtet ist.« Das gilt über Paragraph 1 Absatz 1 des Gesetzes über das Verfahren der Berliner Verwaltung auch in der Hauptstadt. Die Rüge ist zweifellos
45
46
Plagiate in der Wissenschaft
eine Entscheidung, die die FU als Behörde im Einzelfall Gi. auf dem Gebiet des Prüfungsrechts trifft. Zweifel kann es lediglich beim Merkmal der »unmittelbaren Rechtswirkung nach außen« geben. Da Gi. aber höchst öffentlich abgerügt wurde, und ihre Dissertation mit einem entsprechenden Vermerk versehen werden soll, ist eine solche Außenwirkung problemlos gegeben. Damit ist die Rüge ein Verwaltungsakt. Die Berliner Landesregierung liegt erneut falsch. Da es sich um Basiswissen handelt, wird man wohl vermuten dürfen, dass die Anfrage der AfD wissentlich falsch beantwortet wurde. Auf die Frage, wie die Rechtsbehelfe gegen eine solche Rüge aussehen, geht die Landesregierung dann schon gar nicht mehr ein. All das zeugt vom Willen, Gi. zu schützen. Denn der Wissenschaftssenator, der hier antwortet, und zugleich als Regierender Bürgermeister wirkt, ist ein Parteifreund. Rote Solidarität geht vor juristisch korrekter Analyse. Freilich ist das kein Problem der SPD. Im Jahr 2011 verteidigte Bundeskanzlerin Angela Merkel ihren damaligen CSU-Minister KTG mit den Worten, sie habe ja keinen »wissenschaftlichen Assistenten« berufen. Über 20.000 Personen betrachteten das in einer Petition als »Verhöhnung aller wissenschaftlichen Hilfskräfte sowie aller Doktorandinnen und Doktoranden, die auf ehrliche Art und Weise versuchen, ihren Teil zum wissenschaftlichen Fortschritt beizutragen«. Merkel habe mit der Stellungnahme zudem indirekt behauptet, »dass es sich beim Erschleichen eines Doktortitels um ein Kavaliersdelikt handele und dass das akademische Ehrenwort im wirklichen Leben belanglos sei«. Durch die Behandlung der Causa KTG als Kavaliersdelikt würde der Wissenschaftsstandort Deutschland und die Glaubwürdigkeit Deutschlands als Land der Ideen leiden. Wenig später trat KTG zurück. Kaum einer hat so dreist abgeschrieben wie er. Am 13. November 2020 erklärte Gi., sie wolle ihren Doktorgrad nicht mehr führen. Auslöser war die erneute Prüfung ihrer plagiatsbehafteten Arbeit durch die FU. In der »Zeit« vom 2. Dezember 2020 erneuerte sie ihr Versprechen: »Ich führe den Titel derzeit und auch zukünftig nicht mehr.« In der Tat ist der »Dr.« danach von ihrer persönlichen Webseite verschwunden. Nun entscheidet aber nicht Gi., ob sie den Doktorgrad hat oder nicht. Sie blieb bis zum Entzug im Juni 2021 weiterhin promoviert. Deshalb enthielt ihr offizieller Lebenslauf auch weiterhin die Information »02/2010: Abschluss der Promotion […]«. Meines Erachtens besteht die menschliche Tragik im Fall Gi. darin, dass sie sich in eine Promotion hat hineintreiben lassen, deren Erstel-
2. Teil: Berlin – Hauptstadt der Plagiate
lung ihr Zeit- und Kraftbudget überschritt, sie von ihrer Doktormutter nicht ausreichend angeleitet oder kontrolliert wurde, und später von der FU und dem Berliner Senat mit erheblichem Dilettantismus konfrontiert wurde. Diese mildernden Umstände können freilich den Fakt nicht verdecken, dass für die Arbeit niemals ein Doktorgrad hätte verliehen werden dürfen. Die Exzellenzuniversität FU hat sich damit selbst geschadet. Die Doktormutter betreut bis heute Doktorandinnen und Doktoranden.
5. Tarnung statt Transparenz Wissenschaftliche Arbeiten, die veröffentlicht, und später als Plagiate erkannt werden, bleiben oft in Bibliotheken oder auf Dokumentenservern weiter zugänglich. Damit es nicht zu einer Weiterführung des geistigen Diebstahls durch nachfolgende Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler kommt, müssten plagiatsbehaftete Werke gekennzeichnet werden. Doch gerade in Berlin gelingt das nicht immer gut. Das zeigt eine juristische Doktorarbeit, die sowohl online als auch in Buchform veröffentlicht wurde. Im Jahr 2009 wird W. im Fach Rechtswissenschaften an der HU mit dem Thema »Research on Parliamentary Privilege Concurrently Discuss Chinese National People’s Congressional Privilege« promoviert. Sucht man im Publikationsserver der Hochschule nach der Arbeit, ist diese weiterhin frei zugänglich, aber es befindet sich ein Hinweis bei den bibliographischen Angaben: »Entzug des Doktorgrades am 25.02.2015 durch den Präsidenten der Humboldt-Universität zu Berlin nach § 34 Abs. 8 Berliner Hochschulgesetz.« Aus mehreren Gründen macht dieser Hinweis wenig Sinn. Zum einen wird ihn ein nicht deutschsprachiger Rezipient dieser englischsprachigen Arbeit kaum verstehen können. Zudem bleibt unklar, weshalb der Doktorgrad entzogen wurde. Über den Entzugsgrund lässt sich nur spekulieren. Da die Arbeit weiterhin von der Hochschule vorgehalten wird, wird kaum jemand Plagiate vermuten. Selbst wenn aber bekannt wäre, dass die Arbeit von Plagiaten durchsetzt ist, bleibt unklar, welche Passagen davon betroffen und besser nicht zitiert werden sollten. Im Grunde ist die fortlaufende Publikation des Textes unsinnig, da eine sinnvolle Verwendung von nachfolgenden Forscherinnen unmöglich ist, und zudem unerwünscht sein
47
48
Plagiate in der Wissenschaft
sollte, denn die Plagiate, die sich laut VroniPlag Wiki auf 45 Prozent aller Haupttextseiten befinden, würden perpetuiert. Auf »Research Gate« ist die Arbeit weiterhin als »Thesis for: Doctoral« und ohne Plagiatshinweis verzeichnet. »Semantic Scholar« verlinkt direkt auf das von der HU vorgehaltene PDF ohne die vorgeschalteten bibliographischen Angaben: Damit geht der Entzugsvermerk komplett verloren. Denn die HU hat das eigentliche PDF nicht mit einem Hinweis gekennzeichnet. Das Open Access Netzwerk (OAN) hat die Arbeit auch gelistet, die bibliographischen Angaben der HU übernommen, nicht aber den (vermutlich nachträglich angebrachten) Entzugsvermerk. Die einzige Internetquelle, die darauf hinweist, dass sich in der Arbeit Plagiate befinden, ist VroniPlag Wiki. Daher wundert es nicht, dass die Doktorarbeit von W. noch im Jahr 2020 ohne jeglichen Hinweis auf Plagiate in wissenschaftlichen Arbeiten aus Indonesien und Indien zitiert wird. Im Literaturverzeichnis des indischen Textes heißt es: »[W.], Research on Parliamentary Privilege Concurrently Discuss Chinese National People’s Congressional Privilege (2009) (Unpublished Ph.D. dissertation, Humboldt University, Berlin). Available at: https:/ /edoc.hu-berlin.de/bitstream/handle/18452/16663/yi.pdf?sequence=1 &isAllowed=y« So werden Plagiate weltweit perpetuiert – dank der Exzellenzuniversität HU. In der Deutschen Nationalbibliothek ist der Titel zwar aus rechtlichen Gründen gesperrt. »Ursprünglich als Dissertation veröffentlicht, Doktorgrad wurde am 25.02.2015 entzogen«, heißt es im Katalog. Eine Benutzung des gedruckten Buches ist nur nach Rücksprache möglich. Doch im K10Plus Verbundkatalog, dem die meisten deutschen Bundesländer angeschlossen sind, ist das Werk 2021 weiterhin als Hochschulschrift gelistet: »Zugl.: Berlin, Humboldt-Univ., Diss., 2009« Ein Link daneben führt direkt zum Buchhandel. Dort heißt es immerhin: »Titel ist leider vergriffen; keine Neuauflage.« Die Studierendenzeitung UNAuf schreibt 2019 folgerichtig: »Für die HU scheinen also nicht die Plagiate, sondern deren Bekanntwerden das eigentliche Problem zu sein.« Die jungen Journalistinnen und Journalisten befragen auch Michael Seadle. Er ist pensionierter Professor für Bibliothekswissenschaften und war Vorsitzender der »Kommission zur Überprüfung von Vorwürfen wissenschaftlichen Fehlverhaltens« an der Hochschule. In der UNAuf heißt es:
2. Teil: Berlin – Hauptstadt der Plagiate
»Auf Nachfrage gesteht er ein, dass die HU ein Problem im Umgang mit Plagiatsfällen hat. ›Wir sind nicht transparent, das gebe ich zu‹, sagt der Kommissionsvorsitzende im Gespräch mit der UnAuf.« Der stellvertretende Pressesprecher der HU weist darauf hin, dass die zum Teil langwierigen Verfahren bei Plagiatsvorwürfen die Komplexität der Prüfung verdeutlichen. Bis zum Abschluss eines solchen Verfahrens gelte allerdings, wie in jedem anderen juristischen Fall auch, die Unschuldsvermutung. Nun vermischen sich aber die Kategorien. Die Unschuldsvermutung stammt aus dem Strafrecht und ist im System der Wissenschaft unbekannt. Der Verweis darauf ist unsinnig. Möglicherweise kann man mit dem Persönlichkeitsrecht argumentieren. Bei VroniPlag Wiki werden die Persönlichkeitsrechte beachtet. Bevor eine Plagiatsdokumentation mit Klarnamen veröffentlicht wird, arbeiten die Mitwirkenden zunächst ohne Verfassernachweis an der Arbeit. Dies geschieht im sogenannten Analyseraum. Bevor eine Passage als Plagiat bewertet wird, muss sie von mindestens zwei Personen eingesehen, mit der plagiierten Quelle abgeglichen, und übereinstimmend als Plagiat bewertet sein. Die Quellen, aus denen plagiiert wurde, müssen bibliografisch erfasst werden. Erst wenn auf mehreren Seiten einer Dissertation Plagiate zu finden sind, wird eine Überblicksseite erstellt und ein sogenannter Barcode generiert, bei weiteren Funden dann eine Titelaufnahme der Dissertation zusammengestellt. Bei Richtwerten von über zehn Prozent der Seiten oder mehr als zehn deutlichen Fundstellen kann die Seite, im Konsens der Dokumentare, unter Klarnamensnennung auf die Homepage gesetzt werden. Dies ist aber keine starre Regel, sondern stellt nur einen Orientierungswert dar. Den Mitwirkenden von VroniPlag Wiki ist wichtig, dass die als »Plagiat« kategorisierten Textstellen ausreichend belegt sind, damit keine falschen Behauptungen aufgestellt werden. Aus der Tatsache, dass eine Arbeit im Wiki untersucht wird, oder daraus, dass eine Dokumentation mit Klarnamen veröffentlicht ist und viele Textstellen beinhaltet, dürfen keine pauschalen Schlüsse gezogen werden. Daraus lässt sich nicht ableiten, ob ein besonders schweres wissenschaftliches Fehlverhalten vorliegt oder ob ein akademischer Grad zu entziehen wäre. Solcher Bewertungen enthält sich VroniPlag Wiki. Es meldet Erkenntnisse den betroffenen Hochschulen. Dort finden dann – hoffentlich – eigene Prüfungen statt. Allein an den Universitäten wird entschieden, ob ein Grad entzogen, die Arbeit in den Bibliothekska-
49
50
Plagiate in der Wissenschaft
talogen gekennzeichnet, von den Dokumentenservern entfernt, und über all das die Öffentlichkeit informiert wird. Oder nicht. In Berlin nehmen die meisten Hochschulen diese Verantwortlichkeit nicht ernst. In Paragraph 6, Absatz 3 der »Satzung der HumboldtUniversität zu Berlin zur Sicherung guter wissenschaftlicher Praxis und zum Umgang mit Vorwürfen wissenschaftlichen Fehlverhaltens« steht: »Die Kommission prüft nach pflichtgemäßem Ermessen, ob wissenschaftliches Fehlverhalten vorliegt. Sie hört die beschuldigte Person sowie den Hinweisgeber oder die Hinweisgeberin an und ermittelt den Kontext des beanstandeten Verhaltens.« Debora Weber-Wulff, engagiert bei VroniPlag Wiki, hat schon einige Fälle an die Humboldt-Universität gemeldet und so als Hinweisgeberin im Sinne der Satzung fungiert. Sie müsste jedes Mal angehört worden sein. Im Sommer 2021 berichtet sie mir: »Ich bin bisher in keinem Fall formal angehört worden.«
6. Trotz Untragbarkeit getragen Die Aberkennung eines Doktorgrades bedeutet nicht, dass Bibliothekskataloge entsprechend aktualisiert oder eine plagiatsbehaftete Arbeit aus dem Verkehr gezogen wird. Manchmal bedeutet es aber, dass der – ehemals – Promovierte noch als »Dr.« auftritt, obwohl er es gar nicht mehr ist. So wirbt der deutsch-griechische Zahnarzt E. weiterhin mit seinem an der Charité 2010 erworbenen und 2015 aberkannten Doktorgrad. Dabei hätte er das gar nicht nötig. Denn akademische Würden hat der Mann laut Selbstbeschreibung mehr als genug: »Dr. med. dent. [E.]. D.D.S., Dipl. Orth., Dipl. Dent., Ph.D., Ph.D. Fachzahnarzt für Kieferorthopädie« Laut seinem Lebenslauf wurde er sogar zweimal promoviert. Zunächst erwarb er den Dr. med. 2009 an der Universität Tübingen, ein Jahr später einen zweiten Doktorgrad an der Charité in Berlin. Diese Information findet man leicht im Internet. Es ist indes schwer herauszufinden, dass E. der zweite Doktorgrad entzogen wurde. Zwar ist die Arbeit vom Dokumentenserver der FU, wo sie weiterhin als »Publication Type: Dissertation« firmiert, nur eingeschränkt abrufbar. Mein Versuch, das Werk mit meiner FU-Registrierung zu öffnen, schlug fehl. Es heißt dann: »Diese Datei ist nur eingeschränkt zugänglich. Sie verfügen
2. Teil: Berlin – Hauptstadt der Plagiate
nicht über das Recht, auf diese eingeschränkt zugängliche Datei Dissertation_[E.].pdf zuzugreifen.« Doch es fehlt jede weitere Erklärung. Auch in den bibliographischen Angaben oder den Metadaten gibt es keinen Hinweis auf die Aberkennung oder gar den Grund dafür. Allein im Katalog der Deutschen Nationalbibliothek ist vermerkt, dass der Doktorgrad entzogen wurde. Der Zugriff auf die Publikation sei daher nur an den lokalen Lesesaalrechnern möglich. Theoretisch. Doch E. hat seine komplette Arbeit, inklusive Hinweis auf den Charakter als Dissertation, ins Internet gestellt. Jeder kann sie nachlesen. Sogar die Erklärung zur selbständigen Arbeit ist enthalten: »Hiermit erkläre ich, [E.], dass ich die vorgelegte Dissertationsschrift mit dem Thema […] selbst verfasst und keine anderen als die angegebenen Quellen und Hilfsmittel benutzt, ohne die (unzulässige) Hilfe Dritter verfasst und auch in Teilen keine Kopien anderer Arbeiten dargestellt habe.« Im Jahr 2021 startete er als »Dr. Dr. [E.] Premium Orthodontics« einen griechischsprachigen YouTube-Channel. Dort beschäftigt er sich unter anderem dem Thema »Welche Auswirkungen hat das Fingerlutschen auf die Zähne? Wann und wie kann Kieferorthopädie helfen?«. Im Hintergrund: Eine weiße Wand voller eingerahmter Urkunden. Ob auch das Promotionszeugnis der Charité dort hängt, ist nicht zu erkennen. Im August 2019 berichtete die Studentenzeitschrift UNAuf, dass dem Zahnarzt die Aberkennung seines Grades nicht zu stören scheint. Auf der Website für seine Praxis werbe er immer noch stolz mit seiner Promotion an der Charité. Laut Internetquellen betreibt er im griechischen Ioannina eine Privatpraxis. Die Nennung akademischer Grade ist bei der Kundengewinnung sicher kein Nachteil. Welcher griechische Patient kontrolliert im deutschsprachigen Bibliothekskatalog der Deutschen Nationalbibliothek, ob der Doktorgrad noch vorhanden ist? In der Anhörung des Berliner Wissenschaftsausschusses sagt Debora Weber-Wulff, der Arzt werde für Verwendung des Doktorgrads nicht weiter verfolgt. »Das ist natürlich auch kompliziert«, gesteht sie ein. Man mag anfügen: Zu kompliziert für die Charité. Aber möglich. Auch andere Plagiatorinnen und Plagiatoren profitieren davon, dass sie vorübergehend einen Doktorgrad hatten und damit in etlichen Internet-Verzeichnissen oder gar als Autovervollständigung bei der Google-Suche gelistet sind. Sie dürfen den Grad zwar nicht mehr führen, sind aber nicht haftbar zu machen, wenn andere ihnen den »Dr.«
51
52
Plagiate in der Wissenschaft
zuschreiben. Manch einer hat sich vor der rechtskräftigen Aberkennung noch in diverse Internet-Telefonbücher und Namenslisten, jeweils mit Doktorgrad, eingetragen oder eintragen lassen. Wer diese Person heutzutage googelt, stolpert auf den ersten Ergebnisseiten weiterhin über diese Vermerke. Damit prägt sich beim Leser ein akademischer Hintergrund ein, der nie existierte. Eine Ästhetische Chirurgin wird auf dem Portal Jameda noch als »Dr. med.« geführt. Ihr Doktorgrad wurde allerdings 2017 von der Charité entzogen. Ein Berliner Urologe, in dessen Doktorarbeit auf jeder Seite im Hauptteil Fremdtextübernahmen gefunden wurden, ist im Portal »arzt-auskunft« noch als »Dr. med.« gelistet. Auf der eigenen Webseite der Schöneberger Praxis gibt der Arzt den Doktorgrad nicht mehr an. Auf dem Praxisschild aber schon, jedenfalls im Mai 2021, wie ein Freund zufällig herausfand und fotografisch dokumentiert hat. Glücklich kann sich schätzen, wer einen Allerweltsnamen hat. Dann sind Zuordnungen zu einer Plagiatsdokumentation schwierig. Andere ändern, durch Heirat oder Scheidung, ihren Familiennamen. Eine österreichische Plagiatorin wechselte die Schreibweise. Aus einem »u« wurden zwei »o«, ihr Mittelname zum neuen Vornamen. Allerdings wandelte sie auch ihr berufliches Interesse und wurde Schauspielerin. Aufgefallen ist das nur durch Zufall, weil sie in früheren Stücken, noch unter ihrem alten Namen, als Laiendarstellerin auftrat, und diese Besetzungslisten weiterhin im Internet zu finden sind. Verwerflich sind Namenswechsel nicht. Manchmal schlägt das Leben neue Wege ein. Und für viele Projekte braucht es gar keinen Doktorgrad. Das dachte sich auch J. Der Doktor der Ingenieurwissenschaften von der TU Berlin sollte seine Arbeit nach Plagiatsvorwürfen überarbeitet neu einreichen. Ohne Plagiate. Die universitäre Pressestelle verkündete dazu im Januar 2013: »Es liegen in der Dissertation Mängel in der Zitierweise vor. Diese wirken sich allerdings nicht auf die Eigenständigkeit der wissenschaftlichen Leistung aus. Die TU Berlin erteilt Herrn Dr. [J.] die Auflage, innerhalb einer bestimmten Frist seine Dissertation unverändert, aber mit korrekter Zitierweise vorzulegen. Die Frist beträgt sechs Monate.« Darauf hatte J. keine Lust. Da ihm der Entzug des Grades drohte, gab er ihn die zugehörige Urkunde im Mai 2015 an die TU zurück. Zwischenzeitlich war er FDP-Bürgermeister einer Gemeinde im Land Brandenburg. Sowohl für sein berufliches Wirken, wie auch für sein kommu-
2. Teil: Berlin – Hauptstadt der Plagiate
nalpolitisches Engagement, reichte der Diplom-Ingenieur. Der Volltext seiner Doktorarbeit ist indes immer noch frei zugänglich im Internet zu finden – es ist die Version mit Plagiaten.
7. Cluster an der Charité Die Zahl der an Universitäten des Landes Berlin entdeckten Plagiate ist auch deshalb so groß, weil an der Charité ein Plagiatscluster entdeckt wurde. Ein solches Cluster bedeutet, dass innerhalb eines Fachbereichs innerhalb kurzer Zeit viele akademische Grade verliehen wurden, bei denen sich die zugrundeliegenden Qualifikationsarbeiten in Teilen gleichen oder auf denselben Datenreihen basieren und von denselben Personen betreut werden. Bislang hat VroniPlag Wiki zwei Plagiatscluster entdeckt, jeweils bei Medizinern, einmal an der Universität Münster, einmal an der Charité. Durch elektronische Textabgleiche ist die Entdeckung eines solchen Clusters nicht schwer. Für die Charité war das Plagiatscluster einer der größten Skandale in ihrer Geschichte. Im Juni 2019 äußerte sich erstmals die Berliner Landesregierung ausführlich dazu. Auslöser war eine Anfrage des AfD-Parlamentariers Martin Trefzer. Von den 34 durch VroniPlag Wiki der Charité gemeldeten Fällen mit Verdacht auf Plagiate in Dissertationen oder Habilitationsschriften sind 20 Verfahren bereits damals abgeschlossen gewesen. Drei Verfahren waren eingestellt, elf mit einer Rüge beendet, sechsmal wurde der Grad entzogen. Laufend waren damals noch 14 Verfahren. Im Mai 2021 erklärte ein Sprecher der Charité auf meine Anfrage, dass von diesen 14 Verfahren vier weitere abgeschlossen wurden, zwei mit einer Rüge, zwei weitere mit dem Entzug des Doktorgrades. Es verblieben aus der Liste zehn laufende Verfahren, davon seien sechs vor dem Verwaltungsgericht anhängig. Im Juni 2019 erklärte der Berliner Wissenschaftssenat, dass die Charité dankbar sei für Hinweise auf wissenschaftliches Fehlverhalten. Sie sehe sich verpflichtet, »alle Fälle umfassend zu prüfen und aufzuarbeiten«. Das geschehe umfassend, da auch die beispielsweise seitens VroniPlag Wiki inkriminierten Fälle immer gegengeprüft und validiert werden müssen. Insgesamt seien die Verfahren aufgrund rechtlicher Unsicherheiten in den meisten Fällen sehr langwierig. Sodann folgt die erst beim zweiten Lesen erschreckende Feststellung: »Mit der konse-
53
54
Plagiate in der Wissenschaft
quenten Aufarbeitung wissenschaftlichen Fehlverhaltens hat die Charité an vielen Stellen Neuland beschritten.« So wie das Internet für Angela Merkel noch 2013 »Neuland« war, ist die Aufarbeitung von Fehlverhalten in der Medizinerinnenausbildung noch 2019 »Neuland« in Berlin. Das Neuland würde freilich nicht entdeckt werden müssen, wenn es gar keine nachträglichen Plagiatsaufarbeitungen mehr bräuchte. Anfang 2021 wurde ein neues System eingeführt, das aber auch kritisch zu hinterfragen ist. Immerhin wird das Thema Plagiate nun als systematisches Problem erkannt. Im Jahr 2019 ließ die Charité noch diese so widersprüchlich wie kuriose Erklärung ausrichten: »Dissertationen und Habilitationen werden regelhaft zumindest stichprobenartig auf Plagiate geprüft.« Aber das ist noch nicht alles. Es gebe obligatorische Lehrveranstaltungen und Weiterbildungen zur guten wissenschaftlichen Praxis, Vorgaben zur Primärdatenspeicherung, die kostenlose Bereitstellung einheitlicher Laborbücher und die Einführung eines IT-gestützten elektronischen Laborbuches. Man könnte meinen, all das müsste schon Standard sein an einer medizinischen Fakultät im Europa des 21. Jahrhunderts! Aber was will man erwarten? Im Jahr 2010 musste die Charité die von ihr selbst herausgegebene Festschrift »300 Jahre Charité – im Spiegel ihrer Institute«, Verkaufspreis: 60 Euro, zurückziehen und 229 Restexemplare einstampfen. Grund: Plagiate.
3. Teil: Datenschutz für Bauernopfer
1. Wissenschaftliche Praxis und Urheberrecht Bauernopfer? Als ich mich das erste Mal mit den Plagiatskategorien von VroniPlag Wiki beschäftigte, vermutete ich mich in einer Fantasygeschichte. Die Benennung von Übernahmen, die inzwischen auch von Gerichten »kopiert« wurde, ist aber so fantasiereich wie treffend. Ein Bauernopfer ist ein unzureichender Quellennachweis. Wer beispielsweise 15 Sätze aus einem anderen Werk wortwörtlich oder fast wortwörtlich abschreibt, dies im eigenen Text in drei Absätze gliedert, und ausschließlich am Ende des letzten Satzes im letzten Absatz eine Fußnote angibt, opfert einen Bauern. Oder eine Bäuerin. Zwar wird die Quelle angegeben, aber eben nicht in einer Weise, dass die Leserin oder der Leser erkennt, dass sich diese Quellenangabe auf drei Absätze (15 Sätze) bezieht. Dazu ein fiktives Beispiel:
56
Plagiate in der Wissenschaft
Abb. 1 Original
Übernahme mit Bauernopfer (Plagiat!)
Übernahme mit wissenschaftlich korrekter Zitierung (allerdings wäre zu prüfen, ob das Urheberrecht verletzt ist)
Mit der Denkmalpflege wurde in Luxemburg vergleichsweise spät begonnen. Das Nationale Denkmalamt gibt es seit dem Jahr 1977. Die wissenschaftliche Inventarisation wurde 2005 gestartet. Zunächst wurde 2009, im Rahmen einer Doktorarbeit an der Universität Bamberg, ein wissenschaftliches Inventar für den Kanton Echternach erarbeitet. Bis zum Jahr 2016 folgten keine weiteren Inventare. Parallel zur Ratifikation der Konvention von Granada von 1985, die im luxemburgischen Parlament erst 2016 erfolgte, entstand eine eigene Abteilung für die wissenschaftliche Inventarisierung. Inzwischen wurden die Gemeinden Larochette (Fels), Fischbach, Helperknapp und Mersch inventarisiert und in Buchform publiziert, allerdings nur in kleiner Auflage. Anders als in den meisten deutschen Ländern sind die in den Inventaren verzeichneten Bauwerke bislang nicht automatisch geschützt. Rund fünfzig Bauwerke mit einem hohen kulturellen Wert gehen jedes Jahr in Luxemburg verloren. Diese Zahl nannten Abgeordnete verschiedener Fraktionen während einer Parlamentsdebatte zur Denkmalpflege im Juli 2015.
Mit der Denkmalpflege wurde in Luxemburg vergleichsweise spät begonnen. Das Nationale Denkmalamt gibt es seit dem Jahr 1977. Die wissenschaftliche Inventarisation wurde 2005 gestartet. Zunächst wurde 2009, im Rahmen einer Doktorarbeit an der Universität Bamberg, ein wissenschaftliches Inventar für den Kanton Echternach erarbeitet. Bis zum Jahr 2016 folgten keine weiteren Inventare.
Dazu heißt es bei Mayer/ Zenthöfer, Länderbericht Luxemburg, in: Davydov, Dimitrij/ Spennemann, Jörg (Hrsg.), Handbuch Denkmalschutz und Denkmalpflege, 5. Auflage 2022, S. 25:
»Mit der Denkmalpflege wurde in Luxemburg vergleichsweise spät begonnen. Das Nationale Denkmalamt gibt es seit dem Jahr 1977. Die wissenschaftliche Inventarisation wurde 2005 gestartet. Zunächst wurde 2009, im Rahmen einer Doktorarbeit an der Parallel zur Ratifikation der KonUniversität Bamberg, ein wissenvention von Granada von 1985, die schaftliches Inventar für den Kanton im luxemburgischen Parlament Echternach erarbeitet. Bis zum Jahr erst 2016 erfolgte, entstand eine 2016 folgten keine weiteren Inventare. eigene Abteilung für die wissenParallel zur Ratifikation der Konvenschaftliche Inventarisierung. Intion von Granada von 1985, die im zwischen wurden die Gemeinden luxemburgischen Parlament erst 2016 Larochette (Fels), Fischbach, Hel- erfolgte, entstand eine eigene Abteilung perknapp und Mersch inventarifür die wissenschaftliche Inventarisiesiert und in Buchform publiziert, rung. Inzwischen wurden die Gemeinallerdings nur in kleiner Auflage. den Larochette (Fels), Fischbach, HelAnders als in den meisten deutperknapp und Mersch inventarisiert schen Ländern sind die in den und in Buchform publiziert, allerdings Inventaren verzeichneten Baunur in kleiner Auflage. Anders als in werke bislang nicht automatisch den meisten deutschen Ländern sind geschützt. Rund fünfzig Bauwerke die in den Inventaren verzeichneten mit einem hohen kulturellen Wert Bauwerke bislang nicht automatisch gehen jedes Jahr in Luxemburg geschützt. Rund fünfzig Bauwerke mit verloren. Diese Zahl nannten Abeinem hohen kulturellen Wert gehen geordnete verschiedener Fraktiojedes Jahr in Luxemburg verloren. nen während einer Parlamentsde- Diese Zahl nannten Abgeordnete verbatte zur Denkmalpflege im Juli schiedener Fraktionen während einer 2015 (Mayer/Zenthöfer, Länderbe- Parlamentsdebatte zur Denkmalpflege richt Luxemburg, in: Davydov, im Juli 2015.« Dimitrij/Spennemann, Jörg (Hrsg.), Handbuch Denkmalschutz und Denkmalpflege, 5. Auflage 2022, S. 25).
3. Teil: Datenschutz für Bauernopfer
Hätten Sie in der mittleren Spalte erkennen können, dass sich die Quellenangabe auf alle vorangegangenen Sätze bezieht? Oder dass die Quelle wortwörtlich abgeschrieben wurde? Wohl kaum. Die einzige Quellenangabe (am Ende) ist ein durch das schlechte Gewissen verursachte Eingeständnis des Verfassers, dass er sich bei Dritten bedient hat. Wie genau, soll diffus bleiben. So heißt es zutreffend bei VroniPlag Wiki: »Der unzureichende Quellenverweis kann dazu geeignet sein, Schutzbehauptungen zur fehlenden Kenntlichmachung übernommener Inhalte zu ermöglichen.« Teilweise erfolgen unzureichende Quellenangaben mit vorangestellten Hinweisen wie »Vgl.« oder »Siehe auch«. Dann wird es ganz bizarr. Denn diese Hinweise drücken eine andere Funktion des Quellenverweises aus und widersprechen daher zusätzlich einer erfolgten Übernahme. Etwa, wenn ich diesen eben geschriebenen, inhaltlich von VroniPlag Wiki übernommenen Satz, lediglich mit »Vgl. VroniPlag Wiki« kennzeichne, statt ausdrücklich die Quelle anzugeben. »Vgl.« und »Siehe auch« geben keine Quelle an. Stattdessen regen sie dazu an, das soeben Gelesene mit einem anderen Text zu vergleichen (»Vgl.«) oder dort nachzusehen (»Siehe auch«). Eine wissenschaftlich korrekte Zitierweise schützt zwar Bäuerinnen und Bauern vor Opfergaben, kann aber trotzdem gegen Urheberrecht verstoßen. Denn dieses ist von den Regeln der guten wissenschaftlichen Praxis zu unterscheiden. Näheres regelt Paragraph 51 Urheberrechtsgesetz, der – hier gekürzt zitiert – lautet: »Zulässig ist die Vervielfältigung, Verbreitung und öffentliche Wiedergabe eines veröffentlichten Werkes zum Zweck des Zitats, sofern die Nutzung in ihrem Umfang durch den besonderen Zweck gerechtfertigt ist. Zulässig ist dies insbesondere, wenn […] einzelne Werke nach der Veröffentlichung in ein selbständiges wissenschaftliches Werk zur Erläuterung des Inhalts aufgenommen werden, […].« Daher ist es urheberrechtlich kein Problem, wenn ich in einem längeren Text wie diesem hier (den Sie gerade lesen) einen Satz wörtlich von VroniPlag Wiki übernehme. (Wobei ich aber trotzdem, auch aus Gründen der guten wissenschaftlichen Praxis, die Quelle angeben muss; und der Satz dann inhaltlich überhaupt nicht verändert werden darf!) Wie viele Sätze ich aus wissenschaftlichen Texten für andere wissenschaft-
57
58
Plagiate in der Wissenschaft
liche Texte übernehmen darf, hängt unter anderem vom Umfang ab. Zudem darf das Zitat nicht um seiner selbst willen übernommen werden, sondern muss einen wissenschaftlichen Zweck im Gedankenaufbau erfüllen. Wenn jemand in seinem Text ausschließlich fremde Gedanken zitiert, sollte er sich fragen, ob die Welt seine Ausführungen überhaupt braucht. Das ist das Problem bei vielen Bauernopfern: Die Plagiatorinnen und Plagiatoren geben fremde Gedanken aus Ideenlosigkeit als eigene Gedanken aus. Weshalb? Ich denke: Wer keine Ideen hat, sollte keine wissenschaftlichen Texte schreiben. Sport, Lesen oder Nachbarbesuche sind auch schöne Tätigkeiten. Oder die Lektüre von Gerichtsentscheidungen. Dort hat es das Bauernopfer schon hinein geschafft, etwa beim Verwaltungsgericht Düsseldorf (Urteil vom 20.03.2014 – 15 K 2271/13) oder dem niedersächsischen Oberverwaltungsgericht (Urteil vom 15.07.2015 – 2 LB 363/13). Schöpfer der Kategorie »Bauernopfer« ist der kluge deutsche Jurist Benjamin Lahusen, zuerst von ihm so geschaffen in der Zeitschrift Kritische Justiz, 2006, Seite 405.
2. Das Verschleierungsverbot Der »Schleier des Nichtwissens« ist zum geflügelten Begriff in philosophischen Gerechtigkeitstheorien geworden. Bei der Abfassung wissenschaftlicher Arbeiten ist er eher hinderlich. Mit einer Verschleierung meint VroniPlag Wiki einen Text, der sich »mit Abweichungen sinngemäß und/oder teilweise wörtlich in einer anderen (früher datierten) Quelle findet, ohne dass dies kenntlich gemacht ist«. Anders formuliert sind es »Textstellen, die erkennbar von fremden Quellen abstammen, aber umformuliert und weder als Paraphrase noch als Zitat kenntlich gemacht wurden.« Dazu ein fiktives Beispiel:
3. Teil: Datenschutz für Bauernopfer
59
Abb. 2 Original
Übernahme mit Verschleierung (Plagiat!)
Übernahme mit wissenschaftlich korrekter Zitierung (allerdings wäre zu prüfen, ob das Urheberrecht verletzt ist)
Mit der Denkmalpflege wurde in Luxemburg vergleichsweise spät begonnen. Das Nationale Denkmalamt gibt es seit dem Jahr 1977. Die wissenschaftliche Inventarisation wurde 2005 gestartet. Zunächst wurde 2009, im Rahmen einer Doktorarbeit an der Universität Bamberg, ein wissenschaftliches Inventar für den Kanton Echternach erarbeitet. Bis zum Jahr 2016 folgten keine weiteren Inventare. Parallel zur Ratifikation der Konvention von Granada von 1985, die im luxemburgischen Parlament erst 2016 erfolgte, entstand eine eigene Abteilung für die wissenschaftliche Inventarisierung. Inzwischen wurden die Gemeinden Larochette (Fels), Fischbach, Helperknapp und Mersch inventarisiert und in Buchform publiziert, allerdings nur in kleiner Auflage. Anders als in den meisten deutschen Ländern sind die in den Inventaren verzeichneten Bauwerke bislang nicht automatisch geschützt. Rund fünfzig Bauwerke mit einem hohen kulturellen Wert gehen jedes Jahr in Luxemburg verloren. Diese Zahl nannten Abgeordnete verschiedener Fraktionen während einer Parlamentsdebatte zur Denkmalpflege im Juli 2015.
Erst später als andere Länder hat Luxemburg mit der Denkmalpflege gestartet. Eine dafür zuständige Behörde gibt es seit 1977. Erst 28 Jahre später begann die erste Inventarisation nach wissenschaftlichen Standards. Dann braucht es noch einmal vier Jahre, bis ein wissenschaftliches Inventar des Kantons (= Bezirk) Echternach fertiggestellte wurde. Dies war ein Promotionsprojekt an einer deutschen Hochschule in Bayern.
Dazu heißt es bei Mayer/ Zenthöfer, Länderbericht Luxemburg, in: Davydov, Dimitrij/ Spennemann, Jörg (Hrsg.), Handbuch Denkmalschutz und Denkmalpflege, 5. Auflage 2022, S. 25:
»Mit der Denkmalpflege wurde in Luxemburg vergleichsweise spät begonnen. Das Nationale Denkmalamt gibt es seit dem Jahr 1977. Die wissenschaftliche Inventarisation wurde 2005 gestartet. Zunächst wurde 2009, im Rahmen einer Doktorarbeit an der Im Jahr 2016 ratifizierte das ParUniversität Bamberg, ein wissenlament im Großherzogtum die schaftliches Inventar für den Kanton sogenannte Konvention von GraEchternach erarbeitet. Bis zum Jahr nada. Dann wurde auch eine eige- 2016 folgten keine weiteren Inventare. ne Abteilung für die wissenschaft- Parallel zur Ratifikation der Konvenliche Inventarisierung gegründet. tion von Granada von 1985, die im Das Inventar aus drei Gemeinden luxemburgischen Parlament erst 2016 wurde bislang veröffentlicht: Laro- erfolgte, entstand eine eigene Abteilung chette (deutscher Ortsname: Fels), für die wissenschaftliche InventarisieFischbach und Helperknapp. Die rung. Inzwischen wurden die GemeinAuflagenhöhen sind gering. den Larochette (Fels), Fischbach, Helperknapp und Mersch inventarisiert Eine Eintragung ins Inventar führt und in Buchform publiziert, allerdings nicht automatisch zum Schutz nur in kleiner Auflage. Anders als in eines Gebäudes. Das kann auch den meisten deutschen Ländern sind der Grund dafür sein, dass circa 50 die in den Inventaren verzeichneten Bauten mit hohem kulturellem Bauwerke bislang nicht automatisch Wert pro Jahr abgerissen werden. geschützt. Rund fünfzig Bauwerke mit Jedenfalls wurde die Zahl 50 von einem hohen kulturellen Wert gehen Parlamentariern bei einer Debatte jedes Jahr in Luxemburg verloren. im Sommer 2015 genannt. Diese Zahl nannten Abgeordnete verschiedener Fraktionen während einer Parlamentsdebatte zur Denkmalpflege im Juli 2015.«
60
Plagiate in der Wissenschaft
Wer zunächst die linke Spalte, und dann die mittlere Spalte liest, erkennt die Übernahmen. Der Gedankenaufbau und der Inhalt der Informationen sind gleich. Dagegen wurden Begriffe und Formulierungen verändert. Aus »Luxemburg« wird »das Großherzogtum«, statt einer Jahreszahl heißt es »28 Jahre später«, der »Juli 2015« ist nun der »Sommer 2015«, der Kanton Echternach wird um die Erklärung »(= Bezirk)« ergänzt. Für Leserinnen und Leser wird es schwierig, die Verschleierung zu erkennen, selbst dann, wenn sie sich im Thema gut auskennen. Was aber ergibt eine maschinelle Suche mit Hilfe des TextvergleichTools, das auf der Seite von VroniPlag Wiki angeboten und von den Plagiatefindern als eines von mehreren Mitteln benutzt wird (https://v roniplag.wikia.org/de/wiki/Quelle:Textvergleich)? Gerade einmal zwei Sätze werden als identisch identifiziert und deshalb farblich markiert, darunter der französische Eigenname der Kommission. Auch das Tool »Similarity Texter« (https://people.f4.htw-berlin.de / weberwu/simtexter/app.html = https://t1p.de/x7u4) führt zu diesem Ergebnis. Deshalb arbeiten die Dokumentarinnen und Dokumentare bei VroniPlag Wiki händisch und verlassen sich nicht auf Software. Hochschulen sollten es auch nicht tun. So heißt es in einem Bericht der Kommission »Selbstkontrolle in der Wissenschaft« der Universität Bayreuth aus Anlass der Untersuchung des Verdachts wissenschaftlichen Fehlverhaltens von KTG im Jahr 2011 ganz richtig: »[Die] Ergebnisse einer Prüfung mittels Plagiatssoftware [bedürfen] in aller Regel einer verständigen Nachbearbeitung, denn nicht alles, was mittels einer Plagiatssoftware angezeigt wird, muss auch ein Plagiat sein (man denke etwa an Gesetzestexte, die in juristischen Promotionen genannt werden). Bedacht werden sollten auch die Grenzen der Plagiatssoftware. Sie erfasst keine nicht-öffentlich zugänglichen Datenbanken, wie sie etwa in der Rechtswissenschaft verbreitet sind.« Doch ein händischer Vergleich braucht Zeit, viel Zeit. Mögliche Originalquellen müssen identifiziert und unter Umständen per Fernleihe beschafft werden. Die Übernahme von online veröffentlichten Texten ist rascher feststellbar, aber schwieriger, wenn sich der Wortlaut inzwischen verändert hat. Dazu zählen Aktualisierungen bei Wikipedia. Doch auch für dieses Problem gibt es Lösungen in Form von Tools oder die »Wayback Machine« (http://archive.org/web/web.php). Hier lässt
3. Teil: Datenschutz für Bauernopfer
sich bei vielen Webseiten nachschauen, wie sie früher aussahen und welche Texte sie enthielten.
3. Der Übersetzungstrick Wer nicht eigenständig arbeiten und unter dem Radar von Plagiatssoftware bleiben will, kann Texte aus anderen Sprachen übersetzen. Zu fast allen Themen ist ja schon irgendwo auf der Welt mal etwas publiziert worden, und viele Dokumente sind via Suchmaschine oder durch digitale Universitätskataloge in Sekundenstelle abrufbar. Auch dazu ein fiktives Beispiel (s. Abb. 3). Dann gibt es noch das Komplettplagiat. Das ist ein Text, der sich vollständig oder nahezu unverändert in einer anderen (früher datierten) Quelle findet, ohne dass dies kenntlich gemacht ist. Die erste Doktorarbeit von KTG beinhaltete eine ganze Reihe von Komplettplagiaten. Darüber hinaus nutzte VroniPlag Wiki bis 2012 Plagiatskategorien, die inzwischen nicht mehr verwendet werden und daher obsolet sind. Manchmal tauchen diese Begriffe in älteren Dokumentationen noch auf. Was sie genau bedeuten, wird auf der Webseite von VroniPlag Wiki erklärt: Halbsatzflickerei, Shake & Paste, Verschärftes Bauernopfer und »Verdächtig«. Letztere wird heute als »Keine Wertung« bezeichnet: »Unbewertete Fundstellen: Textähnlichkeiten, die weiterer Recherche bedürfen (z.B. Klärung der Quelle oder des Entstehungsdatums), sowie bislang unentschiedene oder auch allgemein zweifelhafte oder strittige Fälle. Ggf. auch solche Fundstellen, die nur sehr geringfügige Verstöße gegen die gute Zitierpraxis darstellen und in der Gesamtdokumentation eher unbedeutend sind.« Gelegentlich findet sich auch die Kategorie »Kein Plagiat«. Das sind Textstellen, die vermutlich kein Plagiat sind und/oder fälschlich als Plagiat eingeordnet wurden. Die Kategorie ist vor allem nützlich, um Fragmente zu behalten und eine Wiedereinstellung zu vermeiden.
61
62
Plagiate in der Wissenschaft
Abb. 3 Original
Übersetzungsplagiat
Übernahme mit wissenschaftlich korrekter Zitierung (allerdings wäre im Einzelfall zu prüfen, ob das Urheberrecht verletzt ist)
La préservation des monuments historiques a commencé relativement tard au Luxembourg. Le »Service des sites et monuments nationaux – SSMN« existe depuis 1977, et l'inventaire scientifique a débuté en 2005. Tout d'abord, un inventaire scientifique pour le canton d'Echternach a été compilé en 2009, dans le cadre d'une thèse de doctorat à l'Université de Bamberg (D).
Erst später als andere Länder hat Luxemburg mit der Denkmalpflege gestartet. Eine dafür zuständige Behörde gibt es seit 1977. Erst 28 Jahre später begann die erste Inventarisation nach wissenschaftlichen Standards. Dann braucht es noch einmal vier Jahre, bis ein wissenschaftliches Inventar des Kantons (= Bezirk) Echternach fertiggestellte wurde. Dies war ein Promotionsprojekt an einer deutschen Hochschule in Bayern.
Dazu heißt es bei Mayer/Zenthöfer, Länderbericht Luxemburg, in: Davydov, Dimitrij/Spennemann, Jörg (Hrsg.), Handbuch Denkmalschutz und Denkmalpflege, 5. Auflage 2022, S. 25 [Übersetzung aus der französischen Originalversion, die in einer Fußnote abgedruckt ist]:
Aucun autre inventaire n'a suivi jusqu'en 2016. Parallèlement à la ratification de la Convention de Grenade de 1985, qui n'a eu lieu au Parlement luxembourgeois qu'en 2016, un service distinct pour les inventaires scientifiques a été créé. Entre-temps, les communes de Larochette (Fels), Fischbach, Helperknapp et Mersch ont été inventoriées et publiées sous forme de livre, mais seulement en petites tirages. Contrairement à la plupart des pays allemands, les bâtiments figurant dans les inventaires ne sont pas encore automatiquement protégés. Une cinquantaine de bâtiments à haute valeur culturelle disparaissent chaque année au Luxembourg. Ce chiffre a été cité par des députés de différents groupes politiques lors d'un débat parlementaire sur la préservation des monuments en juillet 2015.
»Mit der Denkmalpflege wurde in Luxemburg vergleichsweise spät begonnen. Das Nationale Denkmalamt gibt es seit dem Jahr 1977. Die wissenIm Jahr 2016 ratifizierte das Parschaftliche Inventarisation wurde lament im Großherzogtum die 2005 gestartet. Zunächst wurde 2009, sogenannte Konvention von Graim Rahmen einer Doktorarbeit an der nada. Dann wurde auch eine eige- Universität Bamberg, ein wissenne Abteilung für die wissenschaft- schaftliches Inventar für den Kanton liche Inventarisierung gegründet. Echternach erarbeitet. Bis zum Jahr Das Inventar aus drei Gemeinden 2016 folgten keine weiteren Inventare. wurde bislang veröffentlicht: Laro- Parallel zur Ratifikation der Konvenchette (deutscher Ortsname: Fels), tion von Granada von 1985, die im Fischbach und Helperknapp. Die luxemburgischen Parlament erst 2016 Auflagenhöhen sind gering. erfolgte, entstand eine eigene Abteilung für die wissenschaftliche InventarisieEine Eintragung ins Inventar führt rung. Inzwischen wurden die Gemeinnicht automatisch zum Schutz den Larochette (Fels), Fischbach, Heleines Gebäudes. Das kann auch perknapp und Mersch inventarisiert der Grund dafür sein, dass circa 50 und in Buchform publiziert, allerdings Bauten mit hohem kulturellem nur in kleiner Auflage. Anders als in Wert pro Jahr abgerissen werden. den meisten deutschen Ländern sind Jedenfalls wurde die Zahl 50 von die in den Inventaren verzeichneten Parlamentariern bei einer Debatte Bauwerke bislang nicht automatisch im Sommer 2015 genannt. geschützt. Rund fünfzig Bauwerke mit einem hohen kulturellen Wert gehen jedes Jahr in Luxemburg verloren. Diese Zahl nannten Abgeordnete verschiedener Fraktionen während einer Parlamentsdebatte zur Denkmalpflege im Juli 2015.«
3. Teil: Datenschutz für Bauernopfer
4. Schlimmer als Plagiate Plagiate sind nicht die einzige Pest der Wissenschaft. Gefälschte Datenreihen, etwa in der Medizin, können dramatische Folgen für die Forschung haben. Ein ebenso großes Problem sind schlechte Doktorarbeiten. Leider gibt es davon eine ganze Menge. Im Sommer 2021 bat mich eine akademische Fachzeitschrift, eine an der Universität Mainz erstellte juristische Dissertation über die Aufhebung von Unrechtsurteilen aus der NS- und der DDR-Zeit zu rezensieren. Leider fallen dem Leser sofort viele Ungenauigkeiten auf, ein paar Beispiele: Die am 3. Oktober 1990 stattgefundene Wiedervereinigung wird auf »1989/90«, an anderer Stelle auf den 9. November 1989 datiert. Die Behauptung, durch das Strafrechtsergänzungsgesetz von 1957 seien in der DDR neue politische Straftatbestände in das fortgeltende (R)StGB eingefügt worden, stimmt nicht. Dass es in der DDR mehrere Verfassungen gab, macht die Autorin ebenso wenig deutlich, sondern spricht missverständlich immer nur von »Verfassung«. Später heißt es, wenn es um die Verfolgung Homosexueller geht, heute könnten diese eingetragene Lebenspartnerschaften eingehen. Das ist falsch. Eingetragene Lebenspartnerschaften können seit 2017 nicht mehr eingegangen werden, weil die Partner jetzt – glücklicherweise – heiraten können. Das hätte in einer im Jahr 2020 fertiggestellten Arbeit bekannt sein müssen. Ein umfassender Mangel der Arbeit ist, dass als Belege oft nicht Originalquellen, sondern zusammenfassende Arbeiten genannt werden. Überhaupt werden größtenteils nur bekannte Fakten referiert. Der Passauer Rechtswissenschaftler Holm Putzke berichtete im Juni 2009 in der Zeitschrift »myops« über einen weiteren, wie er es formulierte, »totalen Verfall wissenschaftlicher Standards«. In einer inhaltlich unbrauchbaren juristischen Doktorarbeit zur Beschneidung von Jungen – ein Thema, bei dem Putzke Fachmann ist –, gab es ebenso immense formale Fehler, auch in den Zitationen: Bei 35 Fundstellen in den Fußnoten fehlte etwa die Angabe im Literaturverzeichnis. »Aber möglicherweise hätten manche Autoren auch vorgezogen, nicht erwähnt zu werden – denn man sieht seinen Namen ungern verfälscht.«, schreibt Putzke. Aus dem renommierten Strafrechtler Harro Otto wird »Haro«, aus Lübbe-Wolff wird Lübbe-Wolf, bei Mangoldt blieb das »t« ungenannt. Im Literaturverzeichnis sind von 98 Einträgen knapp 40
63
64
Plagiate in der Wissenschaft
fehlerhaft. Ein Strafrechtslehrbuch wird in »25. Auflage, 2004« angegeben, korrekt wäre »5. Auflage, München 2005« gewesen. Wahllos nennt der Doktorand einige Autorennamen mit dem Doktorgrad, andere nicht. Titel werden falsch zitiert. Ob Herausgeber oder Autoren einen Vornamen erhalten und ob dieser ausgeschrieben wird, scheint zufallsabhängig. Zu einem juristischen Kommentar sind vier verschiedene Zitier-Versionen zu finden, bei einem anderen fünf. In der ganzen Arbeit finden sich Rechtschreibfehler (allein in der Danksagung sind es derer drei) und es fehlen Satzzeichen. Viele Sätze sind verunstaltet, etwa: »Ausnahmen davon stellt Kanada dar […]«, sodass Putzke zum zutreffenden Fazit kommt: »Die Erfahrung lehrt, dass man in der Regel von einer schlechten Form auf den Inhalt schließen kann. Wer es mit den Formalien nicht so genau nimmt, dem fehlt meist auch bei der Auseinandersetzung mit der Sache die nötige Sorgfalt.« Als ein Beispiel nennt Putzke die Behauptung des Autors, dass sich beschnittene Männer seltener mit HIV infizieren als unbeschnittene. Ein Beleg dafür sei nicht zu finden. Stattdessen behaupte der Autor einfach, dass »solche Studien häufig nicht ausreichend oder fehlerhaft« sind. Dazu Putzke: »Die an den Studien beteiligten Wissenschaftler und die sich auf die Ergebnisse berufende Weltgesundheitsorganisation werden begeistert sein, vor allem wenn die Betroffenen lesen müssen, aus welcher Quelle die Kritik entspringt: aus zwei Zeitungsartikeln der Frankfurter Neuen Presse, genauer aus der Lokalausgabe ›Höchster Kreisblatt‹«. Sodann weist Putzke dem Autor zahlreiche Fehler in den juristischen und medizinischen Ausführungen nach. Für Putzke, mit dem ich damals sprach, ist es ein Rätsel, wie dieser Text angesichts der evidenten und eklatanten Mängel dem Verfasser einen Doktorgrad verschaffen konnte. Nicht einmal ansatzweise würden die Anforderungen erfüllt, denen eine wissenschaftliche Arbeit genügen muss. Damals telefonierte ich auch mit der Zweitgutachterin, die an einer hessischen Universität lehrt. Sie war sich der Defizite der Arbeit bewusst und verwies in unserem vertraulichen Gespräch auf schwierige Umstände des Verfahrens. Trotzdem wurde der Doktorgrad »cum laude« verliehen. Im Jahr 2019 zählte das Statistische Bundesamt 140578 Promovierende in Deutschland. Das heißt, dass 0,17 Prozent aller Deutschen in
3. Teil: Datenschutz für Bauernopfer
diesem Jahr promovierten. Hinzu kamen 42200 ausländische Promovierende an deutschen Hochschulen. Jedes Jahr werden rund 30000 Promotionen abgeschlossen. Im Durchschnitt führt jede ordentliche Universitäts-Professorin und jeder gleichrangige Professor pro Jahr eine Person zum Doktorgrad. Ist das zu viel? Das »Handelsblatt« meldete 2019 »Doktoren im Überfluss«, die »Zeit« fragte 2020: »Brauchen wir die alle?« und der Präsident der Hochschulrektorenkonferenz, PeterAndré Alt, beklagte im Februar 2021 in der »Berliner Zeitung«, dass sich Deutschland zu viele Doktorandinnen und Doktoranden leiste: »Bezogen auf seine Gesamtbevölkerung hat Deutschland eine weltweit überdurchschnittliche Promotionsquote; sogar forschungsstarke Länder wie die USA oder Großbritannien liegen deutlich darunter.« Im Jahr 2020 berichtete der »Spiegel«, dass Doktortitel ein Imageproblem hätten: Immer weniger Topmanager trügen einen, außerdem werde die Qualität der Arbeiten in manchen Fachbereichen angezweifelt. Der Journalist und Psychologe Martin Tschechne hielt 2019 im Deutschlandfunk fest: »Früher waren die Arbeiten dürftig, heute werden sie abgeschrieben.« Sein Rat an die Studierenden von heute: »Lasst es bleiben! Die Promotion ist ein Anachronismus, eine rituelle Geste aus Zeiten, in denen 400 Seiten im ominösen Jargon einer Elite noch Voodoo für ein ganzes Berufsleben versprachen. Das ist sehr lange her!« Die beste Prävention vor Wissenschaftsbetrug und Plagiaten ist demnach, erst gar keine Doktorarbeit zu beginnen. Viele dieser Arbeiten braucht es gar nicht; andere aber sind sehr gut und tragen zum wissenschaftlichen Fortschritt bei. In wie vielen Promotionen wird getrickst und getäuscht? Das kann niemand sagen und auch die Aktivistinnen und Aktivisten von VroniPlag Wiki geben keine Einschätzung ab. 213 Arbeiten haben sie bislang analysiert, wenige sind nicht in Deutschland entstanden (sondern in Österreich, oder, in deutscher Sprache, in der Slowakei). Rund 20 Dokumentationen hat VroniPlag Wiki bisher im Durchschnitt pro Jahr veröffentlicht. Das sind 0,07 Prozent aller jährlichen Promotionen in Deutschland. Vermutlich ist die Zahl plagiatsbehafteter Doktorarbeiten oder Habilitationsschriften größer. Daten sind nur aus manchen Bundesländern bekannt. In Bayern fand man zwischen 2009 und 2019 mindestens 26 plagiatsbehaftete Dissertationen, allerdings waren bei Redak-
65
66
Plagiate in der Wissenschaft
tionsschluss dieses Buches noch nicht alle Verfahren abgeschlossen. Der emeritierte Soziologe Stefan Hornbostel nannte bei einem Fachgespräch im Deutschen Bundestag 2011 die Einschätzung, dass 2,5 Prozent der Arbeiten betroffen sind. In dem Aufsatz »Wissenschaftliches Fehlverhalten (Plagiate) als Problem der Hochschullehre für angehende Juristinnen und Juristen« aus dem Jahr 2015 wird, auch abgeleitet aus amerikanischen Studien, bei Studenten von 10 Prozent Plagiatoren ausgegangen, zehn Prozent »eifrigen Verfechtern der guten wissenschaftlichen Praxis« und 80 Prozent diffusem Dazwischen (Denis Basak, Lars Gußen, Manuel Köchel, Marc Reiß, Roland Schimmel, Christine Schliwa). Aber diese Zahlen beziehen sich nicht auf Dissertationen. Zu ihnen vermutete der Berliner Rechtsprofessor Gerhard Dannemann 2021 im Bayerischen Rundfunk, jede zehnte Arbeit sei betroffen. Falls das stimmt, müsste VroniPlag Wiki jährlich 3000 Dokumentationen veröffentlichen, um alle Plagiate zu finden! Fazit: Es besteht eine gute Chance, als Plagiator unentdeckt zu bleiben. Eine ebenso große Herausforderung für das Wissenschaftssystem stellen schlechte oder nutzlose Arbeiten dar. Wie hoch diese Zahl ist, werden wir niemals wissen. Denn, wie heißt es so gerne, viele Doktorarbeiten werden nie gelesen – nicht einmal von ihren Betreuern. Einmal fasste ein Student der Wirtschaftswissenschaften an der Universität Münster seine Doktorarbeit so ab, dass er nur direkte und/oder indirekte Zitate hintereinander setzte. Es gab keinen einzigen eigenen Gedanken. Alle Zitate waren jedoch ordentlich mit einer Fußnote versehen. Kein Plagiat – trotzdem durchgefallen. Das Verwaltungsgericht Münster (Urteil vom 20.02.2009 – 10 K 1212/07) schrieb dazu: »Nicht allein schon dadurch, dass der Kandidat gleichsam jeden Satz seiner Arbeit mit einer (wo auch immer herrührenden) Fußnote versieht, wird sein Text zu einer wissenschaftlichen Arbeit, entscheidend ist vielmehr die eigenständige Recherche nach zu dem Thema bereits existierenden Quellen, deren eigenständige geistige Durchdringung und schließlich die eigenständige sprachliche Darstellung der selbständig gezogenen Schlussfolgerungen.«
3. Teil: Datenschutz für Bauernopfer
5. Noch schlimmer als Plagiate Noch herausfordernder aber sind Doktorgrade, zu denen gar keine Arbeiten auffindbar sind. Man kann in Deutschland einen »Dr.« führen, ohne auf Anfrage einer Privatperson oder eines Journalisten nachweisen zu müssen, an welcher Hochschule man diesen mit welcher Arbeit erworben hat. Selbst wenn man eine Hochschule nennt, will diese aus Datenschutzgründen nicht immer bestätigen, dass eine Person dort promoviert wurde. Auch ein Blick in den Metakatalog für Bibliotheksund Buchhandelskataloge, den im Internet kostenfrei nutzbaren KVK (Karlsruher Virtueller Katalog), hilft nicht immer weiter. Dort sind zwar fast alle Promotionen aufgeführt, aber eben nicht alle. Fehlen können Arbeiten, die an ausländischen Universitäten eingereicht wurden, ebenso wie kumulative Promotionen, denen eine Sammlung mehrerer zuvor veröffentlichter Aufsätze zugrunde liegt. Auch die Namensänderung nach Heirat stellt ein Problem dar. Jedenfalls sind mir im Laufe jahrelanger Recherchen mehrfach Personen begegnet, die sich »Dr.« nennen, bei denen mir Hinweise von Dritten und erfolgloses Suchen aber vermittelten, dass es sich bei dem »Dr.« um einen Fake handelt. Beweisen konnte ich das meist nicht. Letztendlich besteht immer die Möglichkeit, dass sich eine Doktorarbeit im Papierarchiv einer englischen Hochschule befindet, und dieses Werk ausnahmsweise nicht im elektronischen Katalog verzeichnet ist. Unwahrscheinlich, aber denkbar. Die einzige Möglichkeit, feststellen zu lassen, ob Personen ihren Doktorgrad tatsächlich verdient tragen, ist eine Strafanzeige mit Beifügung aller entgegensprechender Verdachtsmomente. Nach Paragraph 132 a des Strafgesetzbuches kann der Missbrauch akademischer Grade mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bestraft werden. Die Staatsanwaltschaft kann bei der betreffenden Person einen Nachweis für die Graderwerbung verlangen. Allerdings bedeutet die fehlende Beibringung eines solchen Nachweises nicht automatisch, dass ein Strafverfahren durchgeführt wird. Nach meiner Erfahrung erfolgen Einstellungen wegen Geringfügigkeit oder aber mangels Tatverdachts, vor allem, wenn der Betroffene eine gute Ausrede hat. Dann ist oft kein Vorsatz nachzuweisen. Es ist in Deutschland also gefahrlos möglich, nicht existente oder unseriöse Doktorgrade zu führen. Darüber gestolpert sind meist nur Personen, die sich kraft Amtes in der Öffentlichkeit verantworten müssen. So erklärte der Hildesheimer
67
68
Plagiate in der Wissenschaft
Landrat L. 2021, seinen »Dr.« nicht mehr zu führen. Der NDR zitiert aus einem Schreiben des SPD-Politikers: »Er habe sich wissenschaftlich mit dem Thema Personalmanagement in der öffentlichen Verwaltung beschäftigen wollen und sei dabei auf die Hochschule gekommen, die sich später als Pseudo-Universität in der Karibik herausstellte. Er hätte das genauer prüfen müssen.« Die »Alfelder Zeitung« hatte zuerst darüber berichtet: Die Promotionszeit habe lediglich drei Monate betragen, für den Inhalt interviewte er auch den Hildesheimer Landrat, also sich selbst. Bei der Hochschule soll es um eine Briefkastenfirma handeln. Doch selbst wenn der Grad wissenschaftlich ehrlich in der Karibik erworben wäre, dürfte dieser nicht ohne Weiteres in Deutschland genutzt werden. Eine staatliche Genehmigung oder Bestätigung für die Führung ausländischer Grade ist zwar nicht erforderlich. Doch die Führung dieser Grade ist gesetzlich streng geregelt. Alle 16 Bundesländer haben Vorschriften erlassen. Diese Vorschriften beruhen auf Beschlüssen der Kultusministerkonferenz, in denen es unter anderem heißt: »Voraussetzung für die Führung eines ausländischen Hochschul- oder staatlichen Grades ist, dass der Grad ordnungsgemäß durch eine Hochschule bzw. durch eine hierzu berechtigte staatliche Stelle verliehen wurde. Außerdem muss die Hochschule in dem betreffenden Land staatlich anerkannt oder nach den dort geltenden Akkreditierungsverfahren akkreditiert sein.« Durch Titelkauf erworbene Grade dürfen nicht geführt werden. Wer einen Grad führen will, der rechtmäßig, aber außerhalb der EU oder des Europäischen Wirtschaftsraums verliehen wurde, muss die verleihende Hochschule immer mit angeben, auch auf Visitenkarten. Im »Informationsblatt zur Führung ausländischer akademischer Grade im Freistaat Sachsen« vom Januar 2021 heißt es beispielsweise dazu: »Die verleihende Hochschule ist anzugeben (Herkunftsbezeichnung).« Das hatte der Hildesheimer Landrat unterlassen. Allerdings gibt es Ausnahmen, in Sachsen etwa für einige Grade aus dem Vereinigten Königreich, Israel, Kanada, Australien und Japan sowie den USA, sofern die verleihende Einrichtung von der »Carnegie Foundation for the Advancement of Teaching« als »Research University (high research activity)« oder als »Research University (very high research activity)« klassifiziert ist.
3. Teil: Datenschutz für Bauernopfer
Nicht führbar sind dagegen Grade, die von Institutionen ohne staatliche Anerkennung als Hochschule verliehen wurden. Ob eine solche Anerkennung vorliegt, verrät die von der Zentralstelle für ausländisches Bildungswesen (ZAB) erstellte Datenbank Anabin (http://anabin.kmk.o rg/). Dort sind sehr viele (auch ehemalige) anerkannte Hochschulen aus allen Ländern der Welt verzeichnet. Diese Hochschulen haben den Status H+. Für Abschlüsse aus manchen Staaten sind für die Anerkennung in Deutschland zudem weitere Kriterien zu erfüllen. In diesem Fall hat die Institution den Status H+/-. Die gesetzlichen Regelungen zur Gradführung richten sich nach dem Bundesland, in dem der Antragsteller oder die Antragstellerin den Hauptwohnsitz hat. Übrigens: Wurde der Grad nicht in lateinischer Schrift verliehen, kann der Grad in lateinische Schrift übertragen werden (Transliteration). Diese Wiedergabe erlaubt jedoch keine Gradführung in der entsprechenden deutschen Form. Beispiel für eine zulässige Bezeichnung: »inzener stroitel/St. Petersburger Staatl. Universität für Baukunst« Zum besseren sprachlichen Verständnis kann der Originalform eine wörtliche deutsche Übersetzung des Grades in Klammer hinzugefügt werden. Die wörtliche Übersetzung bedeutet jedoch nicht die Umwandlung in einen entsprechenden deutschen Grad. Beispiel: »Bacharel em Administracao (Bakkalaureus der Wirtschaftswissenschaften)« Auf den Webseiten der Kultusministerkonferenz finden sich Dokumente, die alle Detailregelungen umfassen. Wer in Deutschland als »Dr.« ohne irgendwelche Zusätze auftritt, wird seinen Grad also ziemlich sicher an einer anerkannten Institution in einem Land der EU, dem Vatikan, Island, Liechtenstein, Norwegen, dem Vereinigten Königreich, Israel, Australien, Japan oder den USA erworben haben – oder er ist ein Betrüger bzw. sie ist eine Betrügerin.
6. Stumme Hochschulen Gradverleihende Hochschulen sind sehr wichtig bei der Aufklärung von Umständen, die zum Erwerb oder Verlust eines »Dr.« geführt haben. Leider ist das Interesse an Aufklärung unterschiedlich stark ausgeprägt. Es gibt Universitäten, die offen und transparent über Wissenschaftsbetrug in ihren Reihen informieren. Und es gibt Universitäten, die mit unterlassenen oder verkürzenden Erklärungen
69
70
Plagiate in der Wissenschaft
versuchen, das leidige Thema abzuräumen, bevor es in der Presse erscheint. Eine beliebte Begründung dafür, nichts sagen zu wollen, ist der Hinweis auf »ein laufendes Verfahren« oder »ein schwebendes Verfahren«. In der Tat heißt es beispielsweise im niedersächsischen Pressegesetz unter Paragraph vier, der sich mit dem Informationsrecht der Presse beschäftigt: »Die Behörden sind verpflichtet, den Vertretern der Presse die der Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgabe dienenden Auskünfte zu erteilen. Auskünfte können verweigert werden, soweit […] durch sie die sachgemäße Durchführung eines schwebenden Verfahrens vereitelt, erschwert, verzögert oder gefährdet werden könnte […]« Deshalb antwortete mir eine Medizinische Hochschule aus Niedersachsen im Oktober 2018 bei Recherchen zum Fall Y: »Aufgrund dessen kann zu einzelnen inhaltlichen Fragen keine Stellung bezogen werden, da die Gefahr der Beeinträchtigung des laufenden Verfahrens durch eine öffentliche presserechtliche Darstellung bestünde, wenn die einzelnen inhaltlichen Aspekte des Überprüfungsverfahrens bereits vorab in der Presse öffentlich dargestellt werden.« Das Argument geht aus mehreren Gründen fehl. Zum einen können an Journalisten auch Hintergrundinformationen gegeben werden, die nicht zur Veröffentlichung gedacht sind. Weiterhin ist die Setzung einer zeitlichen Sperrfrist möglich. Zum anderen wird die behauptete Gefahr kaum eintreten. Anders als bei Friedensverhandlungen im Nahen Osten, die gefährdet sind, wenn Informationen durchsickern, gefährdet die Aufklärung über Plagiate keineswegs deren Sanktionierung. Die Tatsachen sind bekannt und meist durch VroniPlag Wiki dokumentiert. Im Fall Y. passten in einer medizinischen Dissertation die veröffentlichten Versuchsergebnisse mit den angegebenen Tierzahlen nicht zusammen. (Grund dafür war, dass die Ergebnisse aus einer englischen Publikation übernommen wurden, ohne dass der Promovend seine Tierzahlen angepasst hatte.) Also fragte ich die Hochschulleitung, seit wann ihr diese Tatsachen bekannt seien, und was sie getan habe, um die Vorwürfe aufzuarbeiten. Eine Beeinträchtigung des Aberkennungsverfahrens Y. durch Darstellung dieser Fakten ist nicht vorstellbar. Zudem sind alle Beteiligten durch Grundrechte und das Presserecht umfassend geschützt.
3. Teil: Datenschutz für Bauernopfer
Drei Jahre nach meiner Anfrage stellte sich heraus, dass die Hochschule und der Betroffene das Verfahren vor dem Verwaltungsgericht Hannover durch beiderseitige Erledigungserklärungen beendet hatten. Auf diese Weise wurde ein Urteil vermieden. Also hoffte ich, bei der Pressestelle der Hochschule nun Gehör zu finden. Deren Antwort überraschte mich: »Jedoch hat die [Hochschule] mit Bescheid vom 14.01.2021 eine erneute Entscheidung zur Entziehung der Habilitation von Herrn [Y.] getroffen. Gegen diese Entscheidung ist vor dem Verwaltungsgericht Hannover Klage erhoben worden, das Verfahren läuft unter dem Aktenzeichen 6 A 964/21.« Geht es ewig so weiter? Immer wieder neue Gerichtsverfahren! Allerdings will ich die Pressestelle der Hochschule loben – sie antwortete über Jahre hinweg immer rasch und kooperativ auf meine Anfragen, auch wenn ihr inhaltlich die Hände gebunden waren. Rasch und kooperativ antwortete auch das Verwaltungsgericht Hannover, aber leider auch falsch. So hieß es im Mai 2021, dass »die Sache bislang noch nicht verhandelt wurde. Zur Durchführung der mündlichen Verhandlung gibt es auch noch keinen konkreten Termin.« Darauf antwortete ich: »Darf ich fragen, an welchem Datum die Klage im Jahr 2018 bei Ihnen eingegangen ist und wieso es zu der Klage 6 A 7006/18 Mitte 2021 immer noch keinen Termin zur mündlichen Verhandlung gibt? Die durchschnittliche Verfahrensdauer bei den Verwaltungsgerichten in Niedersachsen beträgt laut Verwaltung in der Pandemiezeit 14 Monate. In diesem Fall sind es – im günstigsten Fall – schon 30 Monate, und ein Termin zur mündlichen Verhandlung ist, wie Sie schreiben, nicht in Sicht.« Kurze Zeit spät erreichte mich diese Antwort: »Nach nochmaligem Nachhaken bei der zuständigen Kammer, teilten die Kollegen mir mit, dass Sie sich gestern leider vertan haben. Das Verfahren 6 A 7006/18 war im Oktober 2018 eingegangen und wurde im März 2021 nach übereinstimmenden Erledigungserklärungen eingestellt. Eine Entscheidung kann daher nicht übersandt werden. Ich bitte die vorherige Fehlinformation zu entschuldigen.«
71
72
Plagiate in der Wissenschaft
Entschuldigung angenommen. Trotzdem bitter, denn ohne mein Nachfragen wäre wohl keine Korrektur eingegangen. Da die Hochschule das Verfahren erst dann kommentieren will, wenn es nicht mehr »laufend« ist, was sowieso schon Unfug ist, dann aber das Verwaltungsgericht wahrheitswidrig mitteilt, es laufe noch, ist eine Berichterstattung massiv erschwert. Wenn Hochschulen einsehen, dass ihr Hinweis auf ein »laufendes Verfahren« untauglich ist, fahren sie gerne ein anderes, nämlich das Schwerste aller Geschütze auf: den Datenschutz! Aber auch dieses Argument ist leicht zu entkernen. Da kaum ein Pressesprecher die Datenschutzverordnungen und Datenschutzgesetze mit der dazugehörigen Rechtsprechung versteht, reicht oft meine Frage, auf welche Norm sich die Verwaltung bei ihrer Informationsverweigerung bezieht, zu nennen bitte mit Absatz, Satz und Alternative des Wortlauts. Falls dann wider Erwarten doch eine Norm genannt wird, ist diese regelmäßig nicht einschlägig. Ist sie doch einschlägig, gibt es fast immer pressefreundliche Rechtsprechung, die die Auslegung der Norm in einer Weise möglich macht, dass die Auskunft erteilt werden muss. Seit neuestem argumentieren manche Behörden lieber abstrakter. Entdeckt wurde der Grundsatz der Unschuldsvermutung. So antwortet die Berliner Landesregierung auf eine Parlamentarische Anfrage zu Plagiatsvorwürfen gegen eine Wissenschaftlerin: »Derzeit liegen keine Kenntnisse bezüglich einer rechtskräftigen Entscheidung vor. Demnach ist der Senat angehalten, die Achtung des Rechts auf die Unschuldsvermutung zu gewährleisten.« Ein in mehrfacher Hinsicht erstaunlicher Satz. Der Senat »ist demnach«, andernfalls wohl nicht, »angehalten«, von wem erfahren wir nicht, »die Achtung des Rechts zu gewährleisten«, wieso gewährleisten? Wieso achtet man nicht einfach das Recht? Doch wollen wir uns vom Hang zu Passivkonstruktionen und Nominalstil nicht ablenken lassen vom hehren Prinzip, auf das hier verwiesen wird. Allerdings gilt die Unschuldsvermutung nur im Strafrecht und im Disziplinarrecht. Das ist nachzulesen in Urteilen des Bundesverwaltungsgerichts. Im Verwaltungsverfahren gilt der Untersuchungsgrundsatz. Die Behörden hätten von Amts wegen zu ermitteln. Es gibt einen Grundrechtsschutz, falls die Verwaltung in die Rechte von Bürgern eingreift. Aber eben keine Unschuldsvermutung. Ob »laufendes Verfahren«, Daten-
3. Teil: Datenschutz für Bauernopfer
schutz oder Unschuldsvermutung – die Presse darf sich von diesen Allgemeinplätzen nicht an ihrer Arbeit hindern lassen.
7. Sonderfall Slowakei Akademische Institutionen unterschiedlicher Seriosität gibt es nicht nur außerhalb der EU. So hat sich Malta zu einem Ort entwickelt, der Universitäten einen Sitz, wenn auch nicht immer eine Heimat bietet. Im slowakischen Bratislava tummeln sich private und staatliche Hochschulen, die um Studenten aus dem nur 80 Kilometer entfernten Wien und anderen Orten in Österreich oder Deutschland buhlen. VroniPlag Wiki hat bislang zehn plagiatsbehaftete Arbeiten dokumentiert, mit denen an der Comenius-Universität, der Paneuropäischen Hochschule oder der St. Elisabeth-Hochschule für Gesundheitswesen und Sozialarbeit in deutscher Sprache promoviert wurde. Weitere Fälle sind im »Analyseraum«. In keinem anderen Staat ohne Deutsch als Amtssprache sind so viele deutschsprachige Plagiatsdissertationen gefunden worden. Die Slowakei ist deswegen immer wieder in die Kritik geraten. Der Rektor der Paneuropäischen Hochschule, Juraj Stern, erklärte mir 2018, englisch- und deutschsprachige Dissertationen ab sofort auf Plagiate untersuchen zu lassen. Zuvor sei dies nur bei Arbeiten in der Landessprache möglich gewesen. Besonders diskutiert wurde, auch in der Slowakei, der Grad »PhDr« der Wiener Kunsttherapeutin L. In ihrer Arbeit zum »Wertewandel der Kommunikation unter den Bedingungen sich rasch verändernder Unternehmensabläufe im Marketing« fand VroniPlag Wiki auf hundert Prozent (!) der Textseiten Plagiate. Insgesamt wurden 98,3 Prozent des Textes aus gerade einmal dreizehn Quellen abgeschrieben, und dies ohne ausreichende Herkunftsangabe. Als ich L. dazu befragte, teilte sie mir mit, die von der Universität veröffentlichte Version ihrer Arbeit sei nicht die von ihr eingereichte Letztfassung. Dieser Ansicht widersprach Rektor Stern: Die Hochschule habe den von ihr begutachteten Text ins Internet gestellt. Der Zweitgutachter im Rahmen des Promotionsverfahrens war übrigens der Vater von L. Aufgrund solchen Schindluders habe der »Doktor Bratislava« ein Imageproblem in akademischen Kreisen, sagte die Plagiatsforscherin Debora Weber-Wulff der österreichischen Tageszeitung »Der Standard« am 17. Januar 2021. In sozialen Medien fiel dann auch der Name von L., was dazu führt, dass Hinwei-
73
74
Plagiate in der Wissenschaft
se auf ihre plagiierte Arbeit in Ergebnislisten von Suchmaschinen weit vorne mit dabei sind. Der erhoffte Nutzen, den der Grad hätte bringen sollen, ist so in einen Schaden umgeschlagen, der L. vermutlich ein Leben lang begleiten wird. Vielleicht hilft es ein wenig, dass sie in ihrem heutigen Lebensabschnitt als Schauspielerin mit einer anderen Schreibweise ihres Nachnamens auftritt. Nach Bratislava wird die Dame, die ausweislich ihrer Biographie als einzige Fremdsprache Englisch spricht, vermutlich nicht mehr so oft reisen. Falls sie überhaupt je oft vor Ort war. Denn der Managementberater Heinrich Dick, mit dem ich 2018 korrespondiert hatte, gestand mir erstaunlich offen, dass er bei der Dissertation geholfen habe. Ein Honorar habe er abgelehnt, da ihn der Vater von L. persönlich um Hilfe für seine Tochter gebeten hatte. Jüngst hat die Slowakei ihr Hochschulgesetz geändert. Aberkannt werden können Studienabschlüsse auf allen Stufen, darunter Ph.D und »kleine« Doktortitel, die nach erfolgreichem Rigorosum erteilt werden, sowie die wissenschaftlich-pädagogischen und künstlerisch-pädagogischen Titel »docent«. Zuständig für das Verfahren zur Aberkennung ist der Rektor der Hochschule, welche den Titel erteilt hat. »Das Verfahren kann aber nicht beliebig lange nach Verleihung eingeleitet werden«, berichtet Jan Sommerfeld. Er ist wissenschaftlicher Referent für tschechisches und slowakisches Recht am Institut für Ostrecht München und zugleich als Rechtsanwalt in Deutschland und Tschechien zugelassen. »Grundsätzlich gilt eine Frist von fünf Jahren«. In Deutschland ist eine Aberkennung auch nach Jahrzehnten noch möglich. Das Verfahren zur Aberkennung akademischer Titel gilt zudem erst für Doktorgrade, die ab Januar 2021 erteilt wurden. Dagegen gilt in der Tschechischen Republik eine ähnliche Regelung bereits seit dem Jahr 2016. Der Berliner Rechtsprofessor Gerhard Dannemann meint, die Slowakei habe lange deutschsprachige Dissertationen angezogen, »die mit wenig Aufwand und bei hohen Gebühren entstanden sind«. Die jetzigen Reformen seien eher bescheiden ausgefallen, können diese Attraktion aber etwas dämpfen. Ein juristisches Fachportal berichtete 2016 von einer Dresdner Agentur, die von angehenden Doktoranden zehntausend Euro für ihre Kontaktanbahnung und Kontaktpflege in die Slowakei verlange. Was dem ein oder anderen nicht bekannt sein dürfte: In der Slowakei ist es gesetzliche Pflicht, Doktorarbeiten in Gänze online zu veröffentlichen. Sie können dadurch leicht gefunden, gelesen und rasch auf Plagiate untersucht werden.
4. Teil: Kritik an den Kritikern
1. Anonym und Pseudonym VroniPlag Wiki kritisiert und wird kritisiert. Das ist kein Wunder. Aufdecker oder Überbringer schlechter Nachrichten sind seit jeher Gegenstand von Anfeindungen. Dabei ist Kritik an VroniPlag Wiki nicht von vornherein abzutun. Manche ist berechtigt, andere eher nicht. Unbestritten ist, dass die Wissenschaftsplattform im Laufe der Jahre eine ungeheure Macht entwickelt hat. Allerdings hat sie das nicht gewollt und nichts dafür getan, außer wissenschaftliche Arbeiten zu lesen, auf Plagiate zu untersuchen und unbelegte Übernahmen zu dokumentieren. VroniPlag Wiki stellt keine Forderungen, hat kein politisches Programm, lobbyiert nicht und äußert sich niemals zu der Frage, ob ein bestimmter akademischer Grad abzuerkennen sei. Es gibt im Wiki also keine gemeinschaftlichen Forderungen. Es gibt auch keinen »Wikisprecher«. Auf der Webseite heißt es: »Doch kann niemand daran gehindert werden, persönlich Stellung zu einzelnen Themen zu beziehen oder ggf. auch persönliche Forderungen zu erheben (z.B. Forderung eines Rücktritts oder Forderung der Aberkennung eines Doktorgrades). Solche Äußerungen Einzelner gelten nicht stellvertretend für die Gemeinschaft in ihrer Gesamtheit und sollten somit auch nicht auf die Gemeinschaft übertragen werden, selbst wenn sie den Eindruck erwecken mögen, für die Mehrheit zu sprechen.« VroniPlag Wiki hat diese Problematik nach eigenen Angaben auch Außenstehenden wiederholt klargemacht. Nur leider werde diese Erklärung häufig nicht verstanden oder in Blogs und Pressedarstellungen ignoriert. Konkret: Falsch wäre eine Aussage wie: »VroniPlag Wiki fordert, die Namen zu veröffentlichen.« Richtig wäre: »Debora
76
Plagiate in der Wissenschaft
Weber-Wulff, die bei VroniPlag Wiki mitwirkt, fordert, die Namen zu veröffentlichen.« Grenzwertig ist: »Debora Weber-Wulff von VroniPlag Wiki fordert, die Namen zu veröffentlichen.« Denn diese Formulierung deutet an, dass Weber-Wulff für das Wiki spricht. Dabei gibt es keinen »Wiki-Willen«. Und übrigens auch keine Wiki-Finanzen. So erklärte der Mitwirkende Gerhard Dannemann, Rechtsprofessor in Berlin, 2016 anlässlich des fünfjährigen Jubiläums der Plattform im Deutschlandfunk: »VroniPlag Wiki braucht sich gar nicht zu finanzieren, weil Wikia.com sie hostet. Es gibt keine Kosten in VroniPlag Wiki. Wikia.com finanziert sich durch Anzeigen, die geschaltet werden und damit indirekt natürlich auch VroniPlag Wiki. Aber es gibt kein VroniPlag WikiKonto. Es gibt keinen VroniPlag Wiki-Schatzmeister. Es gibt kein Geld in VroniPlag Wiki. Es gibt auch keine Ausgaben.« Inzwischen hat Wikia.com, jetzt fandom.com, die Anzeigen übrigens abgeschaltet. Grund: Die Algorithmen von Google Ads hatten in VroniPlag Wiki zielsicher Angebote für Ghostwriting und Promotionsvermittlung platziert, sehr zum Ärger der im Wiki-Aktiven, vermutlich auch der dafür zahlenden Dienstleister; dafür sehr zur Freude aller, die dem Wiki unlautere Motive unterstellen wollten. Fandom.com hat sich dann vor einigen Jahren entschlossen, einige Wikis anzeigenfrei zu stellen, darunter auch VroniPlag Wiki. Letztlich wird somit das Hosting komplett von fandom.com gesponsort. Im Netz tummelt sich übrigens ein kommerzieller Anbieter, der Plagiatsanalysen durchführt, und der sich »vroniplag« (ohne Wiki) nennt. Hier spielt Geld sehr wohl eine Rolle. Der Initiator war früher beim Wiki engagiert, hat heute mit dem Projekt aber nichts mehr zu tun. Bei VroniPlag Wiki arbeiten Freiwillige mit. Zu ihnen heißt es auf der Webseite: »Die Wiki-Beitragenden haben unterschiedliche Motivationen und Ziele, manche behalten diese für sich. Viele Mitwirkende wenden sich mit der Plagiatsdokumentation gegen akademisches und wissenschaftliches Fehlverhalten.« Die genaue Zahl der Mitwirkenden ist unbekannt. Jedermann darf jeden Tag hinzustoßen und sich jederzeit wieder verabschieden. Der Deutschlandfunk gab die Kernmannschaft 2016 mit zwölf Personen an. Die Größenordnung wird so geblieben sein, wenn man sich an-
4. Teil: Kritik an den Kritikern
schaut, unter wie vielen Pseudonymen die Dokumentare an einzelnen Fragmenten arbeiten und sich darüber austauschen; übrigens immer öffentlich, für jeden transparent und weltweit in Echtzeit einsehbar. Aber rund 250 Personen haben bislang schon mitgemacht. Klarnamen finden sich nur ganz selten. Das sorgt immer wieder für Verärgerung bei ertappten Plagiatorinnen und Plagiatoren und ihren Freundeskreisen. So kommentierte ein Leser im Mai 2019 den Cicero-Artikel »Ist ein Rücktritt unausweichlich?« zum Fall Gi.: »Und dann stört mich eines doch ganz gewaltig: Ein Teil der Aktivisten von ›VroniPlag‹ arbeitet anonym bzw. mit Pseudonym. Wie kann das in einem Rechtsstaat sein, daß sich anonyme ›Heckenschützen‹ als Ankläger und Moralapostel aufspielen können? Wer anklagen will, kann das tun – aber bitte immer unter eigenem Namen und mit offenem Visier.« In der Tat arbeiten die meisten Mitwirkenden bei VroniPlag Wiki pseudonym, also unter einem Namen, den sie bei Wikia einrichten. Das heißt, alle Editiervorgänge eines Mitwirkenden sind unter demselben Pseudonym sichtbar. Wer keinen Namen verwendet, wird als IP identifiziert, und das kann unter Umständen die Identität eingrenzen, zum Beispiel auf den Arbeitsplatz. Anders als der Cicero-Leser suggeriert, spielt sich aber niemand als Moralapostel auf. Plagiatsverdächtige Passagen werden gefunden, gesichtet, bewertet und veröffentlicht, und das ist normaler Teil im Fortgang der Wissenschaft. Anders würde Wissenschaft nicht funktionieren. Wer sich mit wissenschaftlichen Publikationen in die Öffentlichkeit begibt, muss sachliche Kritik dulden – auch wenn sie pseudonym erfolgt. Warum erfolgt sie pseudonym? Manche Nachwuchswissenschaftler oder Jungforscherinnen würden sich mit einer offen geäußerten (und berechtigten) Kritik die akademische Zukunft verbauen. Beispiele dafür gab es schon. Außerdem würde sich die Debatte dann rasch um vermeintliche menschliche Fehden oder die akademische Herkunft der Plagiatefinder drehen. Ihnen könnten Beweggründe unterstellt oder angedichtet werden. Auch das ist bereits geschehen, etwa bei der Aufarbeitung von Ausbeutungsstrukturen an Hochschulen. Auf jeden Fall stünde nicht mehr das Wissenschaftsplagiat im Zentrum der Aufklärung. Vermutlich wäre die Aufklärung dann sogar ganz beendet, was kaum der guten wissenschaftlichen Praxis dient. Die pseudonyme Tätigkeit führt auch dazu, dass sich niemand rühmen kann, er
77
78
Plagiate in der Wissenschaft
sei Plagiatefinder. Wer bei VroniPlag Wiki mitmacht, erntet keinen persönlichen Ruhm. Nach außen äußern sich nur drei Personen mit Lebenszeitprofessuren: Die Informatikerin Debora Weber-Wulff von der HTW Berlin, der Jurist Gerhard Dannemann von der HU Berlin und Roland Schimmel von der Frankfurt University. Die drei haben schon so manche Anfeindung aushalten müssen. Etwa die Frage, wann sie als Hochschullehrer überhaupt Zeit hätten für das Projekt. Dazu zitierte ich Dannemann 2019 in einem F.A.Z.-Artikel: »Um meine Aufgaben in Lehre, Forschung, Verwaltung und Öffentlichkeitsarbeit zu erfüllen, muss ich durchschnittlich pro Woche zehn unbezahlte Überstunden machen. Und deswegen erscheint es mir auch ziemlich müßig, ob meine Arbeit für VroniPlag Wiki als Freizeit zählt oder als Überstunden in Erfüllung einer dienstlichen Aufgabe, nämlich bei der Wahrung der Integrität der Wissenschaft. Dazu sollten sich alle Wissenschaftler aufgerufen fühlen.«
2. Auf der Suche nach Robert Schmidt Ein weiterer Name taucht bei VroniPlag Wiki immer wieder auf: Robert Schmidt. Es ist ein Pseudonym. Schmidt soll der »Mastermind« hinter dem Projekt sein. Ein genialer Plagiatefinder. Einer, der unbegrenzten Zugang zu Bibliotheken und Datenbanken und, noch wichtiger, unbegrenzte Zeitreserven zu haben scheint. Einer, der seine IP-Adresse über das Tor-Netzwerk verschleiert, also »mit technischer Tarnkappe surft«, wie der »Spiegel« schreibt. Ein »Antiplagiatsdesperado« mit zweifelhafter Berühmtheit, der mehrere Politikerinnen und Politiker im Alleingang, wie es heißt, gestürzt hat. Aber nicht aus parteipolitischer Motivation: Er sei, erklärte er einmal, Wechselwähler. Wie er die Arbeit finanziert, verrät er laut »Zeit« nicht. Nur so viel: »Ich beziehe […] keinerlei Sozialleistungen.« Schon im Jahr 2013 fragten die Welt-Journalisten Manuel Bewarder und Lars-Marten Nagel: »Es ist ein Rätsel, das die Polit-Republik beschäftigt: Wer steckt hinter dem Pseudonym Robert Schmidt? Wer knöpft sich Wort für Wort, Satz für Satz, Seite für Seite Doktorarbeiten vor, die schon Jahrzehnte
4. Teil: Kritik an den Kritikern
alt sind? Was ist das für ein Mensch, der eine Vorliebe für deutsche Spitzenpolitiker hat, die wissenschaftlich unsauber arbeiten?« Bewarder und Nagel fanden Schmidt nicht. Aber sie kamen ihm vielleicht nahe. Nach langen Recherchen vermuteten sie, dass sich der Frankfurter Juraprofessor Roland Schimmel hinter dem Pseudonym verbirgt. Die Verdachtsmomente: ähnlich klingende Namen, ähnliche Interessengebiete, ähnliche Kommentare im Wiki. Am 14. Juni 2012 startet Schimmel als »Sleepy Hollow« bei der Plattform. Robert Schmidt wirkt wohl auch seit dieser Zeit mit, unter dem Pseudonym »Hotznplotz«. Dazu schreiben Bewarder und Nagel: »Es klingt absurd, aber das Pseudonym Robert Schmidt versteckt sich hinter einem weiteren Pseudonym.« Die beiden »Welt«-Journalisten prüfen akribisch die Chateinträge: Wann taucht »Sleepy Hollow« auf, wann »Hotznplotz«? Wieso kann Hotznplotz mit so viel juristischem Fachwissen glänzen, das man jedenfalls Schimmel à la Sleepy Hollow zutrauen würde? Die Redakteure besuchen Schimmel im Büro seiner Hochschule. »Meine Herren, es tut mir leid, aber ich bin nicht der, den Sie suchen«, sagt der Professor: »Ich habe nichts mit ihm zu tun und kenne auch niemanden, der etwas mit ihm zu tun hat.« Vielleicht, scherzt er, stecke hinter dem Pseudonym ja eine Gruppe junger Leute. Ist Schimmel nun Schmidt? Am 13. Dezember 2020 bekomme ich, gemeinsam mit einigen Wissenschaftlerinnen, Journalisten und Politikern, eine E-Mail von Robert Schmidt. Darin beklagt dieser eine unvollständige Überprüfung der Promotionsschrift im Fall Gi. durch die zuständige Universität und führt seine Kritik inhaltlich aus. Die E-Mail klingt im Duktus ganz anders als E-Mails von Roland Schimmel (wobei das, gebe ich zu, Teil der Tarnung sein könnte). Schmidt schreibt klar strukturiert, wie ein Jurist; höflich, aber auch ein wenig verbissen, als sei seine Ehre gekränkt, dass die Universität seine Untersuchungsergebnisse zur Doktorarbeit nicht vollständig gewürdigt hat: »Insofern hoffe und erwarte ich auch, dass das zweite Überprüfungsgremium dieses Versäumnis des ersten nachholen wird.« Schimmel dagegen wirkte auf die »Welt«-Journalisten jovial, auf Behauptungen lustvoll spekulierend eingehend. Auch in meiner jahrelangen Kommunikation mit ihm erscheint er entkrampft, lässig, gerne ironisch. Was beide verbindet: Sie arbeiten sehr genau. Fehler sind ihnen ein Graus. Schimmel hat mehrere Standardwerke zu juristischen
79
80
Plagiate in der Wissenschaft
Arbeitstechniken und juristischer Sprache geschrieben oder an ihnen mitgewirkt. Schmidt wäre da ein kongenialer Kollege im Geiste – beide arbeiten bei VroniPlag Wiki mit und wollen sich nicht mal kennen? Oder war die letztzitierte Erklärung nur eine Schutzbehauptung Schimmels, um weitere Fragen über ihn verhindern zu können? In den letzten Jahren hat sich Schmidt aus der Öffentlichkeit zurückgezogen, falls man das bei einem Pseudonym überhaupt so sagen kann. Im Jahr 2013 war es der »Zeit« noch eine große Meldung wert, als Robert Schmidt ankündigte, eine Plagiatssuchpause einzulegen. Im Jahr 2019 erklärte er in der »Süddeutschen Zeitung« so seine Motivation, 500 Stunden auf die Plagiatssuche in der Doktorarbeit von Gi. zu verwenden: »Mit einem akademischen Betrug sollte nach Möglichkeit niemand durchkommen, egal ob prominent oder nicht. Außerdem der Spaß an der Detektivarbeit.« Sodann fragt die Süddeutsche, warum er seine Identität nicht preisgibt. Antwort: »Ich ziehe es vor, meine Ruhe zu haben. Wenn mein Name bekannt würde, wäre es damit für längere Zeit vorbei.« Am Ende des Interviews redet sich Schmidt noch etwas in Rage über die Politik. Dass einer ehemaligen Ministerin »außer der Reihe« ein lukrativer Posten als Botschafterin in einem Kirchenstaat zugeschanzt wurde, findet er ebenso verwerflich wie den Koffer voller Schwarzgeld, den ein früherer Minister mal angenommen hatte. Schmidt sagt: »Auch wenn Politiker keine besseren Menschen sein müssen, kann es nicht schaden, ab und zu darauf aufmerksam zu machen, dass es – unabhängig von der Parteizugehörigkeit – in der ersten und zweiten Reihe der Politik doch ein paar Leute gibt, die mir suspekt erscheinen.« Das verrät dann vielleicht doch ein wenig über seine Motivation. Schimmel dagegen ist mit solchen Äußerungen bisher nicht aufgefallen. Aber: In seinem Buch »Juristendeutsch?« (2. Auflage, 2021) präsentiert er seinen Leserinnen und Lesern praktische Übungen zum Verfassen besserer Texte. So zitiert er etwa als Beispiel 94 diesen Satz eines professoralen Kollegen: »Der Fall Guttenberg besitzt eine Symptomatik für die Darstellung von Politik und ihre Wahrnehmung durch breite Bevölkerungskreise.« Schimmel schlägt vor, den Satz in gutes Deutsch umzuformulieren: »Der Fall Guttenberg ist typisch dafür, wie Politik gezeigt und vielfach wahrgenommen wird.«
4. Teil: Kritik an den Kritikern
Auch wenn das nur ein Beispiel in einem Übungsbuch ist: Jedenfalls scheint Robert Schmidt die Politik (zumindest auch) so wahrzunehmen, wie Schimmel es hier (um)formuliert. Schimmel und Schmidt: Kongeniale Kollegen oder geniale Identität? Und dann tauchte in der Anfangszeit noch ein weiteres Pseudonym auf. Er nannte sich Dr. Martin Klicken und war laut dem Portal »Der Westen« vom Mai 2011 nach eigenen Angaben ein promovierter Ingenieur aus Norddeutschland, der in der industrienahen Forschung arbeitet. Der »Deutschen Welle« sagte er damals: »Ich habe einen Großteil meines Arbeitslebens noch vor mir und plane eine wissenschaftliche Karriere. Leider haftet einer Person, die Missstände aufzeigt, in vielen Bereichen noch immer der Ruf eines ›Nestbeschmutzers‹ an. Solange sich das nicht ändert, sehe ich nicht ein, warum ich meine Karriere zum Beispiel als Hochschullehrer aufs Spiel setzen sollte.« Seine Erfahrung aus vergangenen Fällen des Wissenschaftsbetrugs zeige, dass die Beschuldigten regelmäßig Einschüchterungstaktiken gegen diejenigen anstrengen, die sich an der Aufdeckung beteiligen. Dabei werde viel verleumdet, mit Schmutz geworfen und verklagt. »Ein Pseudonym bietet einen gewissen Schutz gegen die wildesten Anfeindungen.« Seit 2012 ist Klicken nicht mehr in Erscheinung getreten. Vielleicht hat es mit der wissenschaftlichen Karriere geklappt. Irgendwo in Norddeutschland.
3. Ist VroniPlag Wiki links? Nur ein kleiner Bruchteil der von VroniPlag Wiki überprüften Doktorarbeiten stammen von Politikerinnen und Politikern. In den Anfangsjahren waren die bürgerlichen Parteien überdurchschnittlich vertreten, inzwischen haben die Sozialdemokraten aufgeholt. Die Statistik weist siebenmal FDP, fünfmal CDU, viermal SPD, zweimal CSU, einmal Grüne auf. Lässt sich daraus ein parteipolitisches Motiv ableiten? Ist die Plattform politisch gesehen links? Nein. Diese Kritik geht eindeutig fehl. Ich bezeichne das Wiki als »unparteipolitisch«. Der Drang, Wissenschaftsbetrug aufzudecken, ist größer, als eine Partei, oder gar eine Person, zu schützen. Eine offensichtlich plagiatsbehaftete Arbeit könnte auch gar nicht aus der Diskussion zurückgehalten werden, weil die
81
82
Plagiate in der Wissenschaft
Prüfarbeit für alle öffentlich im Wiki erfolgt. Jeder kann mitwirken. Selbst wenn Zweifel an einer Arbeit von anderen nicht geteilt würde, dürfte man Erkenntnisse auf anderen Plattformen veröffentlichen oder privat an die gradverleihende Hochschule melden. Im Mai 2021 warf eine Einzelperson einem CDU-Bundesminister Plagiate in dessen medizinischer Doktorarbeit von 2007 vor. Die Uni Gießen teilte mit, der Minister müsse nacharbeiten, dürfe aber den Grad behalten. Eine vorherige Analyse bei VroniPlag Wiki gab es nicht. Es ist also auch möglich, ohne VroniPlag Wiki eine Dissertationsprüfung in einer Hochschule anzuregen. Dass VroniPlag Wiki nicht links ist, zeigen auch die jüngsten jahrelangen Diskussionen um den Fall der SPD-Politikerin Gi., deren Plagiate von VroniPlag Wiki dokumentiert wurden. Die dilettantische Aufarbeitung durch die verantwortliche Universität und die Reaktionen der politischen Konkurrenz sind im Pressespiegel des Wikis verlinkt und somit genau nachzuvollziehen. Dort wurden übrigens auch schon einmal Publikationen aus dem rechten Spektrum verlinkt, neben der »Jungen Freiheit« auch das umstrittene Blatt »Tichy’s Einblick«. Dezidiert linke Projekte würden darauf wohl verzichten. In einigen Bundesländern, etwa Berlin und Rheinland-Pfalz, haben AfD-Abgeordnete die Erkenntnisse von VroniPlag Wiki in Parlamentarischen Anfragen an Landesregierungen aufgegriffen; diese sind, ebenso wie die Antworten, im Wiki verlinkt. Es sieht also so aus, dass eine Vollständigkeit der Dokumentation Vorrang genießt vor einer parteipolitisch motivierten Begrenzung. Freilich könnte jeder von uns bei VroniPlag Wiki mitmachen, um eine spezielle Person, aus welchen Gründen auch immer, des Wissenschaftsbetruges zu überführen. Erfolgreich ist ein solches Ansinnen aber nur dann, wenn tatsächlich ein Plagiat vorliegt. In diesem Fall muss die Motivation des Entdeckers egal sein. So steht auf der Webseite von VroniPlag Wiki: »Jeder, der etwas beiträgt, tut dies aus ganz persönlichen Motiven.« Die mediale Berichterstattung kann einen politisch motivierten Eindruck vermitteln, da sich viele Journalisten nur auf »PolitikerFälle« stürzen, und diese zunächst aus FDP und Union stammten. Mit dem Fall Gi. hat sich die Wahrnehmung geändert. Der Vorwurf des parteipolitischen Wirkens ertönt immer seltener. Von den 19 dokumentierten Plagiatsfällen von Politikern verloren 16 ihren Grad. Bei den drei anderen Personen kamen die Hochschulen zum Ergebnis,
4. Teil: Kritik an den Kritikern
dass zwar Plagiate gegeben sind, ein Entzug aber nicht gerechtfertigt sei. Ist das ein Misserfolg von VroniPlag Wiki? Nein. Denn das Wiki gibt keine Empfehlung zur Aberkennung von Doktorgraden. Lagen die Plagiatefinder falsch? Nein. Die Existenz der Plagiate wurde von den Hochschulen bestätigt. Im Fall Gi. kam die erste Prüfkommission zu dem Ergebnis, dass viele der von VroniPlag Wiki inkriminierten Passagen keine Plagiate seien. Dieser Bericht wurde in der akademischen Welt, von Studentenvertretern und Vertreterinnen der eigenen Universität stark kritisiert, das Votum war nicht zu halten. Daraufhin wurde eine neue Kommission eingesetzt. Der zweite Bericht erscheint sachkundiger geschrieben und zeigt, dass VroniPlag Wiki korrekt dokumentiert hat. Im Wahljahr 2021 wurde die Plagiatsaufarbeitung im Land Berlin zum Anlass parteipolitischen Streits. Am 19. April diskutierte der Ausschuss für Wissenschaft und Forschung des Abgeordnetenhauses auf Antrag der AfD-Fraktion zu diesem Thema: »Rüge statt Aberkennung des Doktorgrades? – Inwiefern entspricht die Praxis der Anzeige, Überprüfung und Ahndung von Wissenschaftsplagiaten an der Freien Universität Berlin den Grundsätzen guter wissenschaftlicher Praxis und der herrschenden Auffassung in Rechtslehre und Rechtsprechung?« Die Debatte fand fünf Tage vor der offiziellen Nominierung von Gi. zur Spitzenkandidatin der SPD zur Landtagswahl statt. Es sei, sagte der Ausschussvorsitzende und zugleich wissenschaftspolitische Sprecher der AfD-Fraktion, Martin Trefzer, nicht die Absicht seiner Fraktion gewesen, die Anhörung zu diesem Zeitpunkt anzusetzen. Man habe den Besprechungspunkt bereits im August des Vorjahres eingebracht, »weil wir glauben, dass die aufgeworfenen Fragen von grundsätzlicher Bedeutung sind und weit über den konkreten Einzelfall hinaus wichtig sind.« Als externe Experten wurden die Rechtsprofessoren Ulrich Battis (emeritiert), den man als linksliberal bezeichnen darf, und Gerhard Dannemann, politisch neutral, und bei VroniPlag Wiki mitwirkend, eingeladen. Nach deren Eingangsstatements polterte der CDUAbgeordnete Adrian Grasse los: »Über die Beweggründe der AfD, dieses Thema heute auf die Tagesordnung zu setzen, kann ich nur spekulieren […] [Dabei hatte die AfD, wie ihr Vertreter zuvor erklärt hatte, das Thema acht Monate vorher
83
84
Plagiate in der Wissenschaft
beantragt.] […] Bereits in der letzten Sitzung habe ich den Wunsch geäußert, in den verbleibenden Sitzungen des Wissenschaftsausschusses den Wahlkampf außen vor zu lassen. Im Vergleich zur letzten Sitzung hat das heute eine andere, schwerwiegendere Qualität. Daher richte ich mich auch an die Anzuhörenden: Ich habe großen persönlichen Respekt vor Ihnen, Herr Prof. Dannemann, und auch vor Ihnen, Herr Prof. Battis. Ich weiß sehr zu schätzen, dass Sie sich für den Wissenschaftsausschuss des Berliner Abgeordnetenhauses die Zeit nehmen. Sie müssen aber wissen, welche Rollen Sie in diesem Stück übernehmen. Produzent ist die AfD und Regie führt Herr Trefzer. Daran beteiligt sich die CDU ausdrücklich nicht und hat daher auch auf die Nennung von Anzuhörenden verzichtet.« Erstaunlicherweise war es dann die Abgeordnete Ina Maria Czyborra von der SPD, die die Sinnhaftigkeit der Debatte unterstrich, auch wenn sie ihrem CDU-Kollegen zunächst zustimmte: »Das ist alles nicht falsch, auf der anderen Seite sind wir der Gesetzgeber, und wir befinden uns auch in einem laufenden Verfahren, das Berliner Hochschulgesetz zu novellieren.« Und der vom CDU-Abgeordneten Adrian Grasse angegriffene AfDMann Martin Trefzer antwortete: »Ich verstehe überhaupt nicht, warum die Persönlichkeit einer Betroffenen, anhand deren Falls sich die Diskussion entwickelt hat, dafür ausschlaggebend sein soll, ob man die grundsätzliche Diskussion, ob die Rüge möglich sein soll oder nicht oder ob sie möglich ist oder nicht, nicht führen soll. Umgekehrt wird doch ein Schuh daraus, Herr Grasse! Sie wollen eine bestimmte Frage nicht klären, weil eine prominente Person Spitzenkandidatin einer bestimmten Partei ist. Das ist doch absurd!« Das ist wohl richtig. Im Gegensatz zu vielem anderen, was die AfD von sich gibt. VroniPlag Wiki ist wohl also weder links noch rechts, sondern sieht sich der wissenschaftlichen Integrität verpflichtet.
4. Teil: Kritik an den Kritikern
4. Ein Wiki aus den USA Schaut man ins Impressum von VroniPlag Wiki, findet man diese Angabe: »Wikia, Inc. (vertreten durch: Craig Palmer) 500 3rd St. Suite 405 San Francisco, CA 94107 E-Mail: [email protected]« Der Klick auf den die Zeile »Wikia, Inc. (vertreten durch: Craig Palmer)« unterlegten Link führt zu einer Seite mit dem farbig hervorgehobenen Slogan »Die Popkultur-Quelle, der Fans vertrauen«, der von Fotos verschiedener Superstars bebildert ist (https://about.fandom.com/about). FANDOM ist nach eigenen Angaben »eine globale Unterhaltungsmarke, die von der Leidenschaft der Fans angetrieben wird. Wir sind die Entertainment-Quelle, der Fans vertrauen und bei uns kannst du die Welt der Pop-Kultur erforschen, feiern und dazu beitragen.« FANDOM habe eine globale Reichweite von mehr als 200 Millionen monatlichen Besuchern und enthalte mehr als 400.000 Communitys. Im auf der Seite angegebenen »Führungsteam« sind zehn Männer und Frauen verzeichnet, aber kein Craig Palmer. Was hat FANDOM mit Wikia, Inc. zu tun? Die deutschsprachige Wikipedia klärt unter dem Stichwort »Fandom (Website)« auf: »Fandom ist ein im Jahr 2004 von Jimmy Wales und Angela Beesley unter dem Namen Wikia gegründetes Unternehmen mit Fokus auf dem Hosting von kollaborativen Wiki-Websites auf einer gleichnamigen Wiki-Farm. Im Oktober 2016 wurde die Wikifarm und im Herbst 2019 das Unternehmen in Fandom umbenannt.« Ein Blick in das Companyprofil beim Informationsdienstleister Bloomberg hilft weiter, um zu erfahren, was Wikia, Inc. tut: »Wikia, Inc. provides hosting services. The Company helps online communities discuss and share information in the areas of auto, books, creative, education, entertainment, finance, gaming, lifestyle, music, philosophy, politics, sports, technology, toys, and travel. Wikia serves users worldwide.« »Inc.« bedeutet in diesem Zusammenhang »Incorporated«, die amerikanische Bezeichnung für eine im Handelsregister eingetragene Ak-
85
86
Plagiate in der Wissenschaft
tiengesellschaft. Es handelt sich also um eine Gesellschaft, die durch Werbung finanzierte Hosting-Dienste für offen zugängliche Wikis anbietet. Craig Palmer ist dort seit 2011 Chief Executive Officer. Er lebt in Emeryville, California. Das Foto seines Twitter-Profils zeigt ihm entspannt auf der Sanddüne einer Wüste sitzend. Seine Selbstbeschreibung lautet: »President & CEO of Fandom. Technology Entrepreneur. Adventure traveler. Music and entertainment lover. Wine and gadget geek. Sports enthusiast.« Ist sich Craig Palmer bewusst, dass seine Firma das Hosting für VroniPlag Wiki in Deutschland nicht nur bereitstellt, sondern auch finanziert, und dadurch mittelbar für das Ende von mindestens 14 Politiker(innen)karrieren verantwortlich ist? Wenn sich ein deutscher Plagiator oder eine Plagiatorin gegen die Dokumentation seiner oder ihrer Arbeit auf VroniPlag Wiki juristisch wehren will, müsste eine Klage in den USA erfolgen. Das ist aber mit viel Aufwand und immensen Kosten verbunden. So heißt es auf der Webseite der Deutschen diplomatischen Vertretungen in den USA: »Da [Prozesshandlungen] beträchtliche Geldmittel erfordern, sollte eine Klageerhebung in den USA sorgfältig überlegt werden. […] Eine Kostenerstattung ist dem US-Prozessrecht grundsätzlich unbekannt. Abgesehen von geringfügigen Gerichtsgebühren, die auf die unterlegene Partei abgewälzt werden können, trägt jede Partei ihre eigenen Kosten. […] Die Honorare für Rechtsanwälte sind in den USA verhältnismäßig hoch. Eine Anwaltsgebührenordnung besteht nicht; die Vergütung richtet sich vielmehr nach den besonderen Umständen des Falles. […] Auch im Falle des Obsiegens muss die Partei ihre eigenen Anwaltskosten tragen. Im Allgemeinen befassen sich Rechtsanwälte nur mit Forderungen, die über 10.000 Dollar liegen.« Vermutlich aus diesen Gründen hat noch niemand VroniPlag Wiki verklagt. G. etwa klagte gegen Berichterstattung über ihre Plagiate gegen Medien, aber nicht gegen VroniPlag Wiki. Bisher musste die Plattform in keinem Fall eine Analyse dauerhaft aus dem Netz nehmen oder nachträglich anonymisieren, weil eine Richterin in Kalifornien das verfügt hat. Es gab mal eine Beschwerde wegen angeblicher Verletzungen des Urheberrechts (DCMA Takedown Order), der für einige Tage entsprochen wurde. Die gesamte Dokumentation verschwand von der Website,
4. Teil: Kritik an den Kritikern
wurde aber dann wieder eingestellt. Ein zweiter Versuch behauptete, ebenfalls ohne Erfolg, die Darstellungen von Urheberrechtsverletzungen würden das eigene Urheberrecht verletzen (sic!). Fazit: Das Urheberrecht gibt also keine Handhabe gegen VroniPlag Wiki. Unterm Strich ist es ein berechtigter Kritikpunkt an VroniPlag Wiki, dass man sich faktisch nicht gegen die dort gesammelten Inhalte gerichtlich wehren kann. Andererseits gehört auch zur Wahrheit, dass man auch im deutschen Recht kaum eine Chance hätte, VroniPlag Wiki mundtot zu machen. Bleibt zuletzt die Frage, wieso VroniPlag Wiki den Kosenamen von Veronika, Vroni, trägt. Das hat mit dem ersten untersuchten Fall zu tun: V. Die Plagiatorin heißt Veronika. Sie hat – unfreiwillig – als Namenspatin agiert. Gibt man ihren kompletten Namen in eine Suchmaschine ein, erhält man sogar heute noch etliche Treffer zu Presseberichten über die Aberkennung ihres Grades.
5. Auswahlermessen und Zufall Völlig dem Zufall geschuldet ist, welche wissenschaftlichen Arbeiten von VroniPlag Wiki analysiert werden. Es gibt keine Ranglisten der Abarbeitung, etwa nach Schwere, Fach, Erscheinungsjahr oder Hochschulort. Die Reihenfolge bestimmt sich allein nach dem Engagement der Aktivistinnen und Aktivisten: Finden, sichten und bestätigen sie Plagiate? Sind es so viele Plagiate, dass die Arbeit vom »Analyseraum« in den Hauptnamensraum verschoben und dann später mit Klarnamen präsentiert werden kann? Manche Arbeiten werden zunächst enthusiastisch untersucht, bis der Eifer nachlässt, und der Faden erst Jahre später wieder, oder, auch das gibt es, gar nicht mehr aufgenommen wird. Manche nennen das: Willkür. VroniPlag Wiki agiere wie eine Feuerwehr, die nicht planmäßig ausrücke, um zunächst die schweren und gefährlichen Brände zu löschen, sondern wie eine Feuerwehr, die immer dahin fahre, wozu sie gerade Lust verspüre. Und manchmal stelle man das Löschen ein, obwohl die Glut noch glimme, oder sogar das Feuer noch brenne. Auf der Webseite von VroniPlag Wiki heißt es zu der Frage, wie die Arbeiten ausgesucht werden:
87
88
Plagiate in der Wissenschaft
»Eigentlich gar nicht. Damit eine Arbeit kollaborativ untersucht wird, müssen zwei Voraussetzungen gegeben sein: Zum einen muss ein begründeter Anfangsverdacht bestehen, und zum anderen müssen sich Leute im Wiki finden, die ihre Freizeit darauf verwenden, diese Arbeit zu untersuchen.« Wer die Auswahl des Brandes oder die Geschwindigkeit des Löschens kritisiert, kann jedoch selbst Hand anlegen und sofort, ohne jegliche Aufnahmeprüfung, Teil der Feuerwehr werden. Auf der Webseite des Wikis heißt es: »Es gibt meist verschiedene Arbeiten, die gleichzeitig mit unterschiedlicher Intensität untersucht werden, und bei denen die Untersuchung unterschiedlich weit fortgeschritten ist.« Also werden regelmäßig mehrere Feuer parallel gelöscht. Das vereinfacht eigenes Engagement. Denn eine Teilnahme ist oft in einem Fach möglich, dem man selbst – durch Interesse, Studium oder Beruf – verbunden ist. Häufig im Angebot sind Doktorarbeiten aus den Wirtschaftswissenschaften, Jura, Medizin, Geschichte, Politik sowie andere Geisteswissenschaften. Die Aktivistinnen und Aktivisten vermuten, dass alle Fächer und vermutlich alle Universitäten betroffen sind. Die Stichprobe der bisher bei VroniPlag Wiki analysierten Arbeiten ist jedoch zu klein für belastbare Aussagen. Dass viele medizinische Dissertationen untersucht werden, hängt damit zusammen, dass sich Plagiate in der Medizin relativ schnell dokumentieren lassen. Außerdem wurden hier Plagiatscluster aufgedeckt, die jeweils mehrere medizinische Arbeiten umfassten. Rund die Hälfte aller bisher erfassten plagiatsbehafteten Werke stammen aus der Medizin und Zahnmedizin, 15 Prozent aus den Rechtswissenschaften. Außer Dissertationen und Habilitationsschriften werden keine anderen akademischen Qualifikationsschriften untersucht. Würde man sich auch um Bachelor- und Masterarbeiten kümmern, hätte es die kleine Wiki-Feuerwehr rasch mit riesigen Waldbränden zu tun. Denn in diesen studentischen Texten finden sich erfahrungsgemäß sehr häufig Plagiate. Zudem weist VroniPlag Wiki auf folgendes hin: »Innerhalb ihres Fachbereichs müssen Dissertations- und Habilitationsschriften i.d.R. weitaus höhere akademische und wissenschaftliche Anforderungen erfüllen als andere Abschlussarbeiten im Fach.« Wenige Ausnahmen bestätigen die Regel. Im Jahr 2012 wurde ein Juristisches Lehrbuch mit dem Titel »Juristische Arbeitstechniken und Methoden« untersucht, Fall B. Daran wirkten ein Professor (der bis heu-
4. Teil: Kritik an den Kritikern
te an der Universität Münster lehrt) und zwei seiner Mitarbeiter mit. Beide wurden zuvor bei diesem Lehrstuhlinhaber promoviert. Nachdem die Plagiate bei dem Lehrbuch aufgefallen waren, prüfte VroniPlag Wiki die Dissertationen (Fall R. und Fall S.), R. hatte sogar einen Preis gewonnen. Die Qualifikationsarbeiten entpuppten sich ebenso als teilweise plagiiert, im Jahr 2013 verloren beide ihre Doktorgrade. (R. wurde daraufhin auf der im Internet einsehbaren Liste aller bisherigen Preisträgerinnen und Preisträger gelöscht.) Als diese Folgen noch gar nicht bekannt waren, sondern nur das Plagiat im Lehrbuch öffentlich war, erklärten die drei Autoren: »Auch wenn das Buch keinen wissenschaftlichen Anspruch erhebt, sondern ›nur‹ praktische Arbeitsanleitungen geben will, sind doch Plagiate grundsätzlich nicht hinnehmbar.« Der Verlag erklärte dagegen sofort: »Natürlich muss auch eine Anleitung zum wissenschaftlichen Arbeiten irgendwie einen wissenschaftlichen Anspruch erheben.« Irgendwie war das in diesem Fall unterblieben. Sogar die Ausführungen zu Plagiaten waren plagiiert (sic!). Sie waren in Teilen ohne Verweis auf die Quelle abgeschrieben aus einem Werk des Augsburger Hochschullehrers Thomas M. J. Möllers: »Juristische Arbeitstechnik und wissenschaftliches Arbeiten«, 5. Auflage, 2010. In der im Jahr 2021 von Möllers vorgelegten 10. Auflage des Buches heißt es auf Seite 112: »Selbst dieses Werk wurde schon plagiiert – kurioserweise wortwörtlich meine Ausführungen zum Plagiat (!). Das Konkurrenzwerk wurde vom Markt genommen.« In der Tat nahm der Verlag das Buch B. vom Markt. Eine Neuauflage ist nie erschienen. Im Sommer 2021 wurde noch ein letztes Exemplar im zentralen Verzeichnis antiquarischer Bücher (zvab.com) für 8 Euro plus 3 Euro Versandkosten angeboten. In den Literaturverzeichnissen von B. und S., die im Internet auffindbar sind, taucht das Buch nicht mehr auf. Es war ein Desaster. VroniPlag Wiki hat dieses Desaster aus Zufall entdeckt. Ohne VroniPlag Wiki wäre es unentdeckt geblieben.
6. Ewige Prangerwirkung Wessen Name bei VroniPlag Wiki auftaucht, könnte sich an einem Pranger fühlen. Schon 2015 bezeichnete ein Autor in der Süddeutschen Zeitung VroniPlag Wiki als »Internet-Pranger«. Im Jahr 2019 meinte
89
90
Plagiate in der Wissenschaft
Heiner Barz, Leiter der Abteilung Bildungsforschung am Sozialwissenschaftlichen Institut der Universität Düsseldorf, das Wiki funktioniere wie ein Internetpranger. Im Januar 2021 äußert ein Journalist in der NZZ, dass die Öffentlichkeit des Verfahrens »fast schon den Charakter eines Tribunals hat«. VroniPlag Wiki würde bewusst auf die »Erregungsdynamiken moderner Mediengesellschaften setzen«. VroniPlag Wiki bietet zwar allen Betroffenen an, sich auf der Plattform zu äußern und die Vorwürfe zu entkräften. Passiert das aber nicht – und niemand ist dazu verpflichtet –, steht der Name dort ewig. Wer nach einer Person im Internet sucht, wird dann zuverlässig, oft schon auf der ersten Google-Ergebnisseite, über die Plagiatsfunde informiert. Auch nach, sagen wir, vierzig Jahren noch. Gibt es kein Recht auf Vergessenwerden? Verjährt hier nicht irgendwann etwas? Dazu schreibt VroniPlag Wiki auf der Webseite: »Die Plagiatsdokumentation wird von den meisten Wiki-Betragenden als Rezension verstanden […]. Kritisiert werden die Inhalte der Arbeiten und ggf. noch weitere Umstände. Um die Person selbst geht es dabei nicht. Deutliche Mängel in veröffentlichten Werken mit wissenschaftlichem Anspruch können keinen Anlass geben, öffentliche Kritik an diesen Werken zu meiden – es widerspräche dem Sinn der Veröffentlichung von wissenschaftlichen Schriften und dem Sinn von Rezensionen allgemein. Im Gegenteil: Hinweise auf Plagiate oder andere erhebliche Mängel räumen einer öffentlichen Auseinandersetzung mit solchen Schriften besondere Relevanz ein.« Das meinen auch die Gerichte. Wer mit einer Publikation das Licht der Öffentlichkeit gesucht hat, kann sich dem später nicht mehr entziehen. Schließlich werden auch kritische Rezensionen in Fachzeitschriften nicht gelöscht. Das Oberlandesgericht Frankfurt führt das in einer Entscheidung aus dem Jahr 2019 treffend aus, die 2021 vom Bundesgerichtshof bestätigt wurde und daher rechtskräftig ist. Darin heißt es unter anderem über plagiatsbehaftete Werke der G.: »[Die Bücher] sind an den Hochschulen und weiteren Bibliotheken vorhanden und dienen der wissenschaftlichen Auseinandersetzung. Dafür – und nicht nur im Interesse eines persönlichen beruflichen Fortkommens – wurden sie geschrieben. […]
4. Teil: Kritik an den Kritikern
[Die] Öffentlichkeit [hat] ein berechtigtes Interesse an der Veröffentlichung des Namens der Autorin dieser wissenschaftlichen Schriften, weil gerade hierin ein besonderer zusätzlicher Informationswert liegt, der ohne die namentliche Nennung nicht berücksichtigt würde. […] Denn ohne die namentliche Nennung würden die Fortwirkungen auf den Wissenschaftsbetrieb nicht angemessen berücksichtigt. Eine wissenschaftliche Auseinandersetzung mit Übernahmen aus fremden Texten, die als solche nicht gekennzeichnet sind, führt zu einer Perpetuierung dieser Plagiate, was gegen wissenschaftliche Interessen verstößt. Ferner ist ein wissenschaftliches Buch ohne den Namen des Verfassers wenig aussagekräftig, auch wenn Titel, Verlag und Erscheinungsjahr zusätzlich veröffentlicht sind. Werk und Autor gehören zusammen. Es besteht auch eine Verwechslungsgefahr, da allein der Titel eines Werkes nicht immer aussagekräftig ist. […] Entscheidend ist, dass die [G.] es war, die so gearbeitet hat, dass ihre Werke dem Plagiatsvorwurf ausgesetzt wurden. Ein Recht auf ›Vergessenwerden‹ hat sie nicht, da ihre Habilitationsschrift noch im wissenschaftlichen Diskurs steht und wieder große Aktualität hat.« Nicht unbeachtet soll hier die Situation in anderen Ländern bleiben. Unter Umständen sind die Sanktionen viel dramatischer. Thomas Möllers weist in seinem Buch »Juristische Arbeitstechnik und wissenschaftliches Arbeiten« (10. Auflage, 2021) auf Seite 114 auf amerikanische Studenten hin, die nach einem Plagiat die Universität verlassen müssen, was eine spätere Anwaltszulassung gefährden kann: »Studenten an der George Washington University erhalten z.B. schon zu Beginn des Studiums einen Leitfaden zur ›Citing Responsibility‹ und den Konsequenzen bei einem entsprechenden Fehlverhalten.« Was noch schlimmer ist: Die Studierenden bekommen ihre Studiengebühren nicht zurück! In Australien, berichtet Möllers, wurde ein Richter entlassen, weil er in einem Urteil aus einem Lehrbuch abschrieb, ohne den Autor zu zitieren. Hat sich VroniPlag Wiki noch nie geirrt? Dazu schrieb ich im Juni 2019 in der F.A.Z.: »In der Anfangsphase von VroniPlag Wiki gab es zwei Dokumentationen, bei denen Mitarbeiter unrealistisch strenge Kriterien angelegt hatten. Nach dem Ausscheiden dieser Mitarbeiter wurden viele Frag-
91
92
Plagiate in der Wissenschaft
mente neu gesichtet und nicht wenige davon aussortiert. Heute gibt es eine interne Qualitätskontrolle, die jeden einzelnen Vorwurf gegenprüft. Zum anderen werden Grenzfälle oder unklare Fälle großzügig als ›nicht gewertet‹ klassifiziert.« Auch VroniPlag Wiki stand also einmal berechtigterweise an einem Pranger, hat aber daraus gelernt.
7. Kein Mandat Mandat bedeutet, etwas für jemanden auszuführen. Braucht VroniPlag Wiki ein Mandat für die Arbeit? Adrian Lobe hat in der NZZ vom 2. Januar 2021 geschrieben: »VroniPlag Wiki hat überhaupt kein Mandat, wissenschaftliche Arbeiten zu prüfen.« Ich schätze den klugen Kollegen Lobe sehr, aber hier irrt er. Denn was tut die NZZ in ihren eigenen Sachbuchrezensionen, die weitaus häufiger erscheinen als Dokumentationen bei VroniPlag Wiki? Hat die NZZ ein Mandat, Bücher, die nicht gefallen, zu verreißen, andere zu loben, und die meisten – nach eigenem Gutdünken – zu ignorieren? Wer verleiht der NZZ ein Mandat dazu? Und allen anderen Zeitungen, Radiosendungen, Blogs, Zeitschriften, wissenschaftlichen Journalen? Die Redaktionen und Herausgeberinnen würden vermutlich antworten: Der Leser und die Leserin. Sie würden vielleicht ergänzen: Die Pflicht folgt (auch) aus dem Anspruch der Publikationen, Teil der vierten Gewalt oder der fünften Gewalt, der Zivilgesellschaft, zu sein. VroniPlag Wiki ist Teil dieser Zivilgesellschaft. Meines Erachtens wird ein Mandat auch von der Autorin oder dem Autor der Doktorarbeit erteilt. Wer mit einer Qualifikationsarbeit die Öffentlichkeit sucht, weil er eine wissenschaftliche Neuigkeit mitzuteilen hat, fordert die Prüfung, lateinisch: recensio, heraus, sollte diese sogar wünschen und erhoffen. Waren es nicht einst liberale Zeitungen wie die NZZ, die mit Verve (und mit Recht!) Karl Popper verteidigt haben, der auf die Wichtigkeit der Falsifikation hinwies – vom lateinischen falsificare, deutsch: als falsch erkennen? Wer plagiiert, hofft, dass seine Täuschung nicht erkannt wird. Also wünscht er, dass seine Arbeit unbeachtet bleibt. Das aber ist mit dem wissenschaftlichen Ethos, zum Fortschritt des Denkens beizutragen, unvereinbar. Wer plagiiert, betreibt keine Wissenschaft, gibt dies aber als Wissenschaft aus. Thomas
4. Teil: Kritik an den Kritikern
Möllers schreibt in seinem Buch »Juristische Arbeitstechnik und wissenschaftliches Arbeiten« (10. Auflage, 2021) auf Seite 110, dass so jemand »lügt und stiehlt« und setzt diese drei Wörter sogar in Fettdruck. Wenn jemand nachts in das Redaktionsgebäude der NZZ einsteigt, und dort Computer stiehlt, hat ein zufällig vorbeikommender Passant das Mandat, die Polizei zu verständigen. Selbst ein Passant, der sich auf der gegenüberliegenden Straßenseite nur aus dem Grund versteckt, zu beobachten, ob in dieser Nacht ein Dieb in das Gebäude einsteigt, hat das Mandat, die Polizei zu verständigen. Von VroniPlag Wiki ein traditionelles Mandat für die Dokumentation von Wissenschaftsbetrug zu verlangen, zeugt von einem paternalistischen Denkansatz. Im 21. Jahrhundert sind Prozesse der Selbstorganisation normal. Es entstehen Gruppen oder Ordnungen, ohne dass diese durch äußere, steuernde Einflüsse in Gang gesetzt oder autorisiert wurde. Diese Gruppen übernehmen gesellschaftliche Aufgaben, die andernfalls unbearbeitet bleiben. »Fridays for Future« gehört etwa dazu. Greta Thunberg brauchte kein Mandat für ihren Schulstreik. Missstände bestehen nicht nur beim unzureichenden Schutz von Umwelt und Klima; Missstände bestehen auch bei Einhaltung und Durchsetzung guter wissenschaftlicher Praxis. Dafür spricht auch der Dank, der VroniPlag Wiki bislang von Universitäten und Verwaltungen, von Politik und Wissenschaft erhalten hat. Im Jahr 2012 erhielt die Plattform den Zedler-Preis für Freies Wissen in der Kategorie »Externes Wissensprojekt des Jahres«. Der Preis ist nach dem Verleger und Buchhändler Johann Zedler (1706 – 1751) benannt. Im Jahr 2018 schreibt der Bundesverband für freie Kammern e.V.: »Die deutsche Öffentlichkeit ist seit einiger Zeit für Plagiate sensibilisiert. Grund ist die Wissenschaftsplattform VroniPlag Wiki, die Täuschungen aufdeckt und die Hochschulen darüber informiert. VroniPlag Wiki setzt sich für Redlichkeit und Ehrlichkeit in wissenschaftlichen Arbeiten und Studien ein.« Wie viele Doktorgrade in Deutschland jedes Jahr entzogen werden, ob wegen Plagiaten oder aus anderen Gründen, wird nicht erfasst. Vermutlich hat niemand ein Mandat, das zu erfassen. Nicht einmal die NZZ. Sogar in Landtagsdebatten, die sich nicht um Plagiatsfälle aus der Wissenschaft drehen, hat es VroniPlag Wiki schon geschafft. Im
93
94
Plagiate in der Wissenschaft
Nordrhein-Westfälischen Landtag sagte der AfD-Abgeordnete Thomas Röckemann am 22.02.2019: »Jetzt, wo die AfD einen Antrag im Landtag stellt, regen sich die Regierungsfraktionen mit einem eigenen Antrag, der bei VroniPlag sicher nicht bestehen würde. Er wurde offensichtlich zu großen Teilen abgeschrieben, und wie das beim Abschreiben so ist, haben sich Fehler eingeschlichen.« In anderen Ländern sind zivilgesellschaftliche Initiativen oder Recherchen entstanden, die von VroniPlag Wiki inspiriert wurde. Hier seien Russland und Luxemburg genannt. a) Russland Dort macht es sich die Gruppe Dissernet seit 2013 zur Aufgabe, Wissenschaftsbetrug aufzudecken. Durch einfache digitale Abgleiche konnten bislang 9500 Doktorarbeiten und 4500 wissenschaftliche Aufsätze als Plagiat enttarnt werden. In Russland müssen alle Dissertationen als Pflichtexemplar bei der Nationalbibliothek eingereicht werden, die diese Texte dann, auszugsweise oder komplett, im Internet veröffentlicht – ein Umstand, der die Kontrolle sehr erleichtert. Nach Angaben der Wissenschaftlerin Anna Abalkina, die ich 2020 für die F.A.Z. dazu interviewen durfte, existieren »Dutzende von Plagiatsfabriken« in Russland. Von solchen Zuständen sind wir in Deutschland glücklicherweise weit entfernt. Vermutlich auch wegen VroniPlag Wiki. b) Luxemburg In Luxemburg entdeckte 2021 das Magazin reporter.lu Plagiate in einer universitären Arbeit von Premierminister Xavier Bettel. In seiner an der Universität Nancy erstellten Abschlussarbeit hatte dieser auf 54 von 56 Seiten fremde Texte ohne Quellenangabe übernommen. Das sind 96 Prozent aller Seiten. Beim Fall KTG, bisheriger Spitzenreiter in Europa, waren es »nur« 94 Prozent, allerdings in einer Doktorarbeit. Bei Bettel geht es um die Arbeit für einen Ergänzungsteil seines juristischen Studiums. Ein Team um den Journalisten Pol Reuter fand heraus, dass sich in Bettels Arbeit nicht eine einzige korrekte Quellenangabe befinde. Die Abhandlung »Vers une réforme possible des modes de scrutin aux élections du Parlement Européen?« sei ein eindrucksvolles Sammelsurium aus abgeschriebenen Passagen, das den üblichen akademischen Anforderungen nicht gerecht werde. Bettel verfasste den Text im Rahmen
4. Teil: Kritik an den Kritikern
des Studiums der Rechts- und Politikwissenschaften an der »Université de Nancy II«, heute »Université de Lorraine«. Die visuelle Darstellung der Plagiate orientierte sich an dem, wie es VroniPlag Wiki seit Jahren macht. In einer Stellungnahme sagte Bettel, »er habe nicht probiert zu fuddeln oder zu tricksen«. Allerdings sind die Vorwürfe berechtigt – das Magazin Reporter.lu hatte die Tricksereien belegt und von unabhängigen Experten bestätigen lassen. Bettel verweist auf seinen eigenen Professor von damals, der kein Fehlverhalten erkennen will. Das wiederum erscheint nicht unverständlich; schließlich wäre es auch ein Fehlverhalten des Betreuers selbst. Im Februar 2022 bat Bettel seine Universität, den Titel zurückzunehmen. Bettel hat noch ein weiteres Diplom der Hochschule, so dass er weiterhin Jurist ist. Bettel erklärte, er bedauere diese Situation und bat die Universität, seine Entschuldigung und Entscheidung zu akzeptieren.
95
5. Teil: So urteilen die Gerichte
1. Wie Plagiate vor Gericht landen Anders als Parlamente, Regierungen oder Presse kann die rechtsprechende Gewalt nicht von sich aus tätig werden, wenn sie ein Problem erkennt. Gerichte müssen immer von anderen »angerufen« werden. Deshalb gibt es auch nicht eine einzige Meinung der Gerichte zu Plagiaten. Vielmehr muss man Ansichten aus vielen gerichtlichen Entscheidungen zusammentragen und daraus allgemeine Linien ableiten. Jede Entscheidung ist erst einmal auf einen Einzelfall bezogen. Andere Sachverhalte (und jeder Sachverhalt ist anders) können zu anderen Bewertungen führen. Richterinnen und Richter dürfen, im Rahmen der Gesetze, Tatsachen unterschiedlich bewerten. Inzwischen haben sich auch Bundesgerichte zu Plagiaten geäußert. Das Wort dieser obersten Richterinnen hat Gewicht, viele untere Instanzen orientieren sich daran. Aber immer noch gibt es auch Gerichtsentscheidungen, die nicht veröffentlicht und daher unbekannt sind. Für dieses Buch habe ich die bisher veröffentlichten Urteile und Beschlüsse analysiert, sowie zahlreiche Gerichte um die Übersendung weiterer Abschriften gebeten. Auf diese Weise ist eine Sammlung von Gerichtsentscheidungen entstanden, aus der sich große Linien herauslesen lassen. Gerichte äußern sich vor allem dann zu Plagiaten, wenn eine Universität einen Doktorgrad aberkennt und der Betroffene dagegen klagt. Eine Aberkennung, Depromotion, ist bei Verstößen gegen die gute wissenschaftliche Praxis möglich. So heißt es in allen Promotionsordnungen deutscher Hochschulen (sei es Paragraph 10 der Promotionsordnung der Universität Konstanz oder Paragraph 16 der Promotionsordnung der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der FernUniversität in Hagen), dass Doktorgrade entzogen werden können, wenn eine schuldhafte Täuschung vorliegt. Dazu gehören auch Plagia-
98
Plagiate in der Wissenschaft
te, wie manche Prüfungsordnungen explizit angeben, etwa Paragraph 17 der Promotionsordnung des Fachbereichs Wirtschafts- und Sozialwissenschaften, Mathematik und Informatikwissenschaften der Universität Trier. Gegen den Entzug des Doktorgrades kann der oder die Betroffene vor dem Verwaltungsgericht klagen. Die Richter prüfen, ob der Entzug rechtmäßig ist. Zunächst wird geschaut, ob die Universität formale Regeln eingehalten hat: Entschied das zuständige Gremien über den Entzug? Wurde der Betroffene angehört? Danach überlegt das Gericht, ob die Voraussetzungen für den Entzug vorlagen. Schließlich kommt es zur Kernfrage: Liegt eine Täuschung vor? Sind die behaupteten Plagiate wirklich ungekennzeichnete Übernahmen? Sind diese auch in einer Menge vorhanden, dass Vorsatz bejaht werden kann? (Ein oder zwei Zitierfehler in einer 400-Seiten-Arbeit sind unerheblich. Dann könnte kein Vorsatz angenommen werden.) Zuletzt prüft das Gericht, ob die Rechtsfolge, der Entzug des Doktorgrades, verhältnismäßig ist. Die Hochschule verfügt über Ermessen bei ihrer Entscheidung. Dabei muss sie auch die sozialen Folgen für den oder die Betroffenen überlegen. Hat sie das getan, und das Gericht keinen Fehler in der Ermessensausübung festgestellt, folgt das Gericht also in allen Punkten der Argumentation der Universität, wird die Aberkennung bestätigt. In 95 Prozent aller mir bekannten Gerichtsentscheidungen wurden Entscheidungen der Universität bestätigt. Die anderen 5 Prozent sind meist länger zurückliegende Fälle. Plagiatorinnen und Plagiatoren, die sich heute vor Gericht wehren, haben oft keine Chance. Grund dafür ist, dass die Hochschulen ihre Entzugsverfahren inzwischen fehlerfrei gestalten und die erkannten Täuschungen in ausreichendem Maße (auch dank der Arbeit von VroniPlag Wiki) begründen. Grund dafür ist aber auch, dass vorgebrachte Ausreden wirkungslos bleiben. Inzwischen gibt es zudem so viel Rechtsprechung, dass sich Gerichte bei harten Entscheidungen auf Präzedenzfälle anderer Gerichte berufen können. Die mediale Berichterstattung über Plagiatsfälle bei Politikerinnen hat sicher dazu beigetragen. Universitäten fechten ihre Fälle oft mit Verve aus, da ihnen andernfalls ein schlechter Ruf und negative Presseberichterstattung drohen. Das gilt auch dann, wenn der Betroffene Berufung einlegt. Das hindert die sogenannte Rechtskraft. Die nächste Instanz, in der Regel das Oberverwaltungsgericht (in BadenWürttemberg, Bayern und Hessen »Verwaltungsgerichtshof« genannt), beschäftigt sich erneut mit dem Fall. Eine abweichende Entscheidung
5. Teil: So urteilen die Gerichte
zu Gunsten des oder der Betroffenen ist möglich, wenngleich in Plagiatsfällen unwahrscheinlich. Trotzdem hat die Berufung einen Vorteil: Solange sich Gerichte mit dem Fall beschäftigen, darf der Doktorgrad weiter getragen werden. Diese Tatsache motiviert einige, nach zwei verlorenen Instanzen noch das Bundesverwaltungsgericht anzurufen. Auch hier entstehen Kosten, die die unterlegene Seite zu tragen hat. Alles in allem kann sich das Verfahren jahrelang hinziehen und für den Plagiator, je nach Fleiß der eigenen Rechtsanwältin, fünfstellige Kosten verursachen. Ein weiterer Zusammenhang, in dem sich Gerichte mit Plagiaten befassen müssen, ist eine Klage von Betroffenen (wie im Fall G.) gegen journalistische Berichterstattung. Diese ist teilweise nur nach den besonderen Regeln der sogenannten Verdachtsberichterstattung möglich. Gibt es lediglich Vermutungen eines Plagiats, dürfen Namen der Täter möglicherweise nicht genannt und müssen Vorverurteilungen vermieden werden. Stehen Plagiate dagegen fest, oder haben sich die Vorwürfe stark verdichtet, darf ausführlicher berichtet werden. Die Gerichte müssen sich daher in manchen Presseverfahren auch mit der zentralen Frage beschäftigen, ob tatsächlich Plagiate vorliegen. Doch unabhängig von der Frage, aus welchem Rechtsgrund sich ein Gericht mit Plagiaten beschäftigt, gilt: Wie jede Rechtsprechung entwickelt sich auch die Rechtsprechung zu Plagiaten weiter. Ältere Urteile erhalten weniger Aufmerksamkeit als neue, höhere Gerichte sind bedeutsamer als untere, abstrakte Ausführungen sind später brauchbarer als Erläuterungen zum Einzelfall. In diesem Buch ist daher nicht jede Entscheidung zu Plagiaten verarbeitet. Ich habe mich auf die wesentlichen Urteile und Beschlüsse konzentriert. Das sind jene, die immer wieder von Richterinnen und Richtern zitiert werden. Bei VroniPlag Wiki führte ein Teil der Dokumentationen zu einem Entzug des Doktorgrades, gegen den sich die Betroffenen nicht gerichtlich wehrten. Aber 20 Dokumentationen führten zu einem Entzug des Doktorgrades, der durch Gerichtsurteil bestätigt wurde. Mindestens ein weiterer Fall der Entziehung wurde durch einen gerichtlichen Vergleich bestätigt. Dreimal (Fall Dr. Di., Fall Dr. A., ein weiterer Fall [Verwaltungsgericht Ansbach vom 29. Juni 2020, AN 2 K 17.00619]) hat ein Gericht eine Entziehung wieder aufgehoben. Grund war einmal, dass den Gutachtern die Plagiate bekannt waren und der akademische Grad trotzdem verliehen worden war. Der Grund in den beiden anderen Fällen waren Formfehler im universitären Verfahren. Das
99
100
Plagiate in der Wissenschaft
nach Ansicht des Gerichts zuständige Gremium sei nicht an der Entziehung beteiligt gewesen. Die Zuständigkeit war nach dem Wortlaut der damaligen Prüfungsordnung unklar. Inzwischen hat die betroffene Hochschule die Prüfungsordnung klarer gefasst. Immer mehr Schlupflöcher für Plagiatoren schließen sich also. Der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg hat in einem Urteil vom 6. Mai 2021 (9 S 3119/19) sogar deutlich gemacht, dass bestimmte Formfehler unbeachtlich sind: »Ein Verstoß gegen Verfahrens-, Form- oder Zuständigkeitsvorschriften ist zwar nur dann offensichtlich ohne Einfluss auf die Entscheidung in der Sache, wenn das Gericht zweifelsfrei davon ausgehen kann, dass die Entscheidung ohne den Fehler genauso ausgefallen wäre.« In einigen Fällen, die VroniPlag Wiki dokumentiert hatte, entschieden sich die Universitäten gegen einen Entzug des Doktorgrades, dies aus folgenden Gründen: Fehlender Vorsatz (zweimal), fehlende grobe Fahrlässigkeit (einmal), Plagiate nur im Einleitungsteil der Arbeit (zweimal). Siebenmal wurde zwar wissenschaftliches Fehlverhalten festgestellt, der Autor oder die Autorin durfte aber eine »bereinigte« Fassung einreichen, die dann angenommen wurde. Einige Male wurden nur »Rügen« erteilt, teilweise mit einer Herabsetzung der Note. Zwei Fälle wurden nicht entschieden, da der Betroffene inzwischen verstorben war. Ein Betroffener (Fall X.) profitierte davon, dass die Universität München zwischenzeitlich eine Verjährungsregelung eingeführt hatte. Entscheidet sich eine Hochschule gegen den Entzug des Grads, landet der Fall nicht vor Gericht. Denn die Dokumentarinnen und Dokumentare der Plagiate können nicht gegen die Entscheidung klagen. Auch andere Personen, denen wissenschaftliche Integrität am Herzen liegt, sind nicht klagebefugt. Ihnen allen fehlt, so das deutsche Verwaltungsrecht, eine notwendige Betroffenheit. Davon profitieren die Plagiatorinnen und Plagiatoren.
2. Streitfragen im Plagiatsrecht Einige Themen sind in der Forschung über Plagiate und deren gerichtliche Aufarbeitung umstritten. Hier haben sich verschiedene Ansichten in der wissenschaftlichen und juristischen Debatte entwickelt.
5. Teil: So urteilen die Gerichte
a) Gibt es einen »Schwellenwert« für die Täuschung? Manche meinen, es müsse einen Prozentsatz geben, der eine Art Schwellenwert darstelle, ab wann eine Täuschung angenommen werden kann. Ein einzelnes Plagiat könne schließlich noch nicht zur Annahme einer Täuschung führen. Doch, sagt dagegen die Rechtsprechung. Der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg (Beschluss vom 13.10.2008 – 9 S 494/08) meinte, auf den Umfang der abgeschriebenen Stellen komme es nicht an. Dem Verwaltungsgericht Berlin (Urteil vom 15.04.2009) reichten 38 Zeilen aus. Die Arbeit war aber auch nur 12 Seiten lang. Dem Oberverwaltungsgericht NordrheinWestfalen (Beschluss vom 12.08.2010 – 14 A 847/09) genügten wörtliche Übernahmen auf 1,5 Seiten, allerdings handelte es sich um eine Diplomarbeit. Das Verwaltungsgericht Düsseldorf (Urteil vom 20.03.2014 – 15 K 2271/13) betonte, dass sich die Zitierpflicht auf jeden fremden Gedankengang, jede fremde Fußnote sowie wörtlich übernommene und ähnliche Textpassagen einschließlich Paraphrasierung erstreckt. Somit wäre jede einzelne Verletzung der Zitierpflicht eine Täuschung. Fazit: Einen Schwellenwert für die Täuschung gibt es nicht. Um Bagatellfälle auszusortieren, verneint die Rechtsprechung den Vorsatz, wenn es nur ganz wenig Übernahmen gibt. Denn liegt zwar eine Täuschung vor, aber kein subjektives Wollen der Täuschung. b) Braucht es Vorsatz oder Fahrlässigkeit? Manche Gerichte verlangen mehr als Fahrlässigkeit, nämlich einen »bedingten« Vorsatz. Dabei wird bei der Definition auf den strafrechtlichen Vorsatzbegriff verwiesen. Dort gibt es folgende Vorsatzformen (nach: Rolf Schmidt, Strafrecht Allgemeiner Teil, 22. Auflage 2021, Rdnr. 229): • • •
Absicht im engeren Sinne (dolus directs 1. Grades), direkter bzw. unmittelbarer Vorsatz (dolus directus 2. Grades), Eventualvorsatz oder »bedingter« Vorsatz (dolus eventualis).
Alle drei Vorsatzformen reichen zur Annahme einer Täuschung aus. Nicht ausreichend ist aber Fahrlässigkeit, auch in der schwersten Form, der sogenannten bewussten Fahrlässigkeit. Wer bewusst fahrlässig plagiiert, täuscht nicht. Dazu muss der oder die Betroffene ernsthaft dar-
101
102
Plagiate in der Wissenschaft
auf vertrauen, dass seine Handlung kein Plagiat darstellt. Je mehr plagiatsbehaftete Stellen vorliegen, desto eher ist Vorsatz anzunehmen. Ganz viele Plagiate sprechen sogar für direkten Vorsatz oder Absicht. Fazit: Es braucht Vorsatz, der aber angenommen werden darf, wenn viele Plagiatsstellen vorliegen. c) Fällt das Eigenplagiat unter »Täuschung«? Zur Täuschung ist notwendig, dass die Übernahme von Gedanken aus anderen Publikationen erfolgt, ohne dies zu kennzeichnen. Was aber, wenn diese Gedanken von einem selbst stammen? Diese Frage wird in der Plagiatsforschung unter dem Topos »Eigenplagiat« diskutiert. Die herrschende Meinung geht hier nicht von Plagiaten aus. Die Gerichte haben hier noch nie eine Täuschung bejaht. Bei universitären Prüfungsarbeiten könnten jedoch Verstöße gegen das Prüfungsrecht vorliegen. Fazit: Nein. Ein Eigenplagiat ist keine Täuschung. d) Ist die ungeprüfte Übernahme von Belegen ein Belegplagiat und damit ein Plagiat? Das ist ein häufiges, wenn auch etwas kniffliges Problem: Liegt ein Plagiat vor, wenn eine Passage aus einem Buch abgeschrieben wird, aber zu jeder Aussage der dort vermerkte Quellenbeleg mit kopiert ist? Manche sagen, dann liege kein Plagiat vor, denn der Plagiator schreibe sich eine fremde Aussage gerade nicht zu. Anders sieht es das Verwaltungsgericht Düsseldorf (Urteil vom 20.03.2014 – 15 K 2271/13): »Ein Plagiat liegt auch vor, wenn und soweit die der Sekundärliteratur entnommenen Paraphrasen, die sich auf die Primärquelle beziehen, als solche nicht kenntlich gemacht worden sind. Fehlt es an einer solchen Kenntlichmachung und bezieht sich der Verfasser auf eine Primärquelle, deren Inhalt und/oder Deutung letztlich aus einer nicht nachgewiesenen Sekundärquelle abgeschriebenen ist, liegt insoweit eine Täuschung vor. Dabei muss der Rückgriff auf Sekundärliteratur auch nicht lediglich im Grundsatz offengelegt werden, sondern immer, also in jedem Einzelfall, in dem Sekundärliteratur gedanklich bzw. sinngemäß oder wörtlich übernommen wird.
5. Teil: So urteilen die Gerichte
Unerheblich ist daher auch, ob und gegebenenfalls inwieweit sich eine verwendete Textaussage bereits aus der angegebenen Primärquelle erschließt. Entscheidend ist lediglich, dass Passagen wörtlich oder leicht abgewandelt ohne entsprechenden Nachweis der ›Zwischenquelle‹ übernommen werden, ohne diese Fremdleistung erkennbar zu machen.« Fazit: Ja. Auch wer eine Zwischenquelle mit abschreibt, plagiiert. e) Gibt es Ermessen beim Entzug des Doktorgrades? Die Hochschule hat ein Ermessen. Das Gericht hat dagegen keines. Das Gericht kann allerdings prüfen, ob die Hochschule ihr Ermessen überhaupt ausgeübt hat und ob die Grenzen des Ermessens eingehalten wurden. Eine Hochschule kann, auch wenn es Täuschung und Vorsatz annimmt, auf einen Entzug des Grades verzichten. Dies muss die Hochschule aber anhand der Fakten des Einzelfalls gut begründen. Das Bundesverwaltungsgericht (21.06.2017, 6 C 3/16) schreibt: »Allerdings ist die Entziehung indiziert [d.h., angezeigt; J.Z.], wenn der Promovend mangels Eigenständigkeit der Dissertation die Befähigung zur selbständigen wissenschaftlichen Arbeit nicht nachgewiesen hat.« Wann fehlt dieser Nachweis? Die Rechtsprechung verweist auf Kriterien wie die Vielzahl der Plagiatsstellen und ihren Anteil am Gesamtumfang der Arbeit. Genaue Zahlen oder Prozentangaben fehlen. Man kann sagen, dass, je mehr plagiiert ist, desto eher liegt nicht nur Vorsatz vor, sondern desto wahrscheinlicher ist die Entziehung als Ermessensfolge zwingend. Fazit: Es gibt Ermessen, aber eine Entscheidung gegen einen Entzug muss sehr gut begründet sein. f) Ist als Rechtsfolge eine Rüge erlaubt? Manche Hochschulen stellen eine Täuschung durch Plagiate fest, entziehen aber nicht den Doktorgrad, sondern erteilen eine »Rüge«. In einigen Landeshochschulgesetzen ist die Rüge als milderes Mittel eines Entzugs vorgesehen, in anderen fehlt sie. Darf die Rüge auch
103
104
Plagiate in der Wissenschaft
beim Fehlen einer gesetzlichen Grundlage erteilt werden? Die Befürworter argumentieren, dass mildere Sanktionen immer erlaubt sein müssen. In diese Richtung argumentiert auch das Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen in einem Beschluss vom 14.12.2010 (14 E 1349/09). Die Gegner meinen, dass eine Rüge keine mildere Sanktion, sondern eine ganz andere Sanktion sei, und daher nicht ohne Gesetz ausgesprochen werden darf. So urteilten auch das Verwaltungsgericht Düsseldorf (20.03.2014 – 15 K 2271/13) und das Verwaltungsgericht Berlin (6 C 19/11, 21.3.2012). Denn das Ermessen sei nur ein Auswahlermessen, das heißt, ausgewählt werden dürften nur Entscheidungen, die das Gesetz vorsieht. In diesem Fall also eine rügelose Beibehaltung des Doktorgrades oder der Entzug des Doktorgrades. Der Jurist Klaus Ferdinand Gärditz weist noch auf Folgendes hin: »Eine Rüge enthält nach ihrer Teleologie – in Nachbildung selbstständiger disziplinarrechtlicher Maßnahmen – einen spezifischen ›Tadel‹ für eine Verfehlung, sprich: eine sozialethische Missbilligung, die das Proprium der Entscheidung ausmacht, wohingegen die Entziehung des Grades im Tenor des Verwaltungsaktes grundsätzlich werturteilsfrei bleibt.« Die harten Regelungen des Hochschulrechts sollen »eben auch dem Risiko der kollegialen Kumpanei, der falschen Rücksichtnahmen und der gegenseitigen Schonung vorbeugen.« (Wissenschaftsrecht, Band 54 (2021), 158) Fazit: Eine Rüge ist nur möglich, wenn das Hochschulgesetz des Bundeslandes diese Sanktion vorsieht. g) Verhindert der »prüfungsrechtliche Beurteilungsspielraum« eine Gerichtsentscheidung? Gewisse Entscheidungen der Verwaltung sind gerichtlich nur eingeschränkt überprüfbar. Dies gilt teilweise auch für Prüfungsentscheidungen. Im Beschluss des Verwaltungsgerichtshofes BadenWürttemberg vom 03.02.2014 (9 S 885/13) wird aber deutlich, dass Gerichte das Vorliegen von Plagiaten voll überprüfen und bewerten können. Denn »bei dem hier handelnden Promotionsausschuss handelt es sich gerade nicht um eine – mit einem besonderen Beurteilungsspielraum und besonderer Unabhängigkeit ausgestattete – Prüfungskommission.«
5. Teil: So urteilen die Gerichte
Fazit: Nein. Gerichte dürfen Promotionen inhaltlich überprüfen. h) Gibt es eine Verjährung? Einige Wissenschaftler fordern eine Art »Verjährung«. Nach einem gewissen Zeitraum sollte der Entzug etwa eines Doktorgrades nicht mehr möglich sein. In der Slowakei wurde 2021 eine Verjährungsfrist von fünf Jahren (ab Gradverleihung) eingeführt. In Österreich wird über eine 30-Jahres-Regelung nachgedacht. Bisher spielt die Länge des Zeitablaufs keine Rolle, auch nicht im Rahmen der Prüfung der Verhältnismäßigkeit. Das Verwaltungsgericht Düsseldorf urteilte (20.03.2014 – 15 K 2271/13): »[…] die Tatsache, dass seit Aushändigung der Promotionsurkunde mehr als 30 Jahre vergangen sind, […], lässt die Entscheidung einer Doktorgradentziehung nicht per se unverhältnismäßig werden.« Das Bundesverwaltungsgericht entschied am 21.06.2017 (6 C 3.16), dass dem Zeitfaktor (hier: 25 Jahre) kein maßgebender Stellenwert zukomme, »weil der Doktorgrad eine Befähigung bescheinigt, die der Inhaber nicht nachgewiesen hat«. In diesen Fällen sei die mit dem Doktorgrad verbundene Erwartung, der Promovend werde sich wissenschaftlich redlich verhalten, von Anfang an unbegründet. Die analoge Übernahme von Verjährungsregelungen aus anderen Rechtsgebieten wurde immer abgelehnt. Fazit: Nein. Plagiate verjähren nicht.
3. Qualitativ oder Quantitativ? Wer promoviert werden will, muss bei der Abfassung seiner Arbeit die Grundsätze guter wissenschaftlicher Praxis einhalten. Er oder sie darf nicht täuschen. Eine Täuschung bedeutet, wider besseres Wissen vorzuspiegeln, bei der Anfertigung der Dissertation grundlegende Pflichten beachtet zu haben, die sich aus Gesetz und Promotionsordnung ergeben. Doch welche Pflichten sind das? Das Bundesverwaltungsgericht meinte am 21.06.2017 (6 C 3/16) dazu, unter anderem: • •
Die Pflicht, einen Beitrag zur Wissenschaft zu bringen. Die Pflicht, die Promotionsleistungen eigenständig zu erbringen.
105
106
Plagiate in der Wissenschaft
»Die Pflicht, eine eigene wissenschaftliche Leistung zu erbringen, wird durch die Pflicht ergänzt, Übernahmen aus Arbeiten anderer durch Zitate der Originalquelle offenzulegen. Die Beachtung des Zitiergebots ist unverzichtbar, um beurteilen zu können, ob der Promovend das Gebot der Eigenständigkeit erfüllt hat.« Einerseits ist diese Pflicht unverzichtbar, andererseits sorgt sie bei manchem Rezensenten heutzutage noch für Verwunderung. Überflüssig ist etwa diese 2021 in der juristischen Zeitschrift ZUR (Seite 282) veröffentlichte kritische Bemerkung eines pensionierten Verwaltungsrichters über die 290 Seiten lange Doktorarbeit einer jungen Juristin: »Der Arbeit ist ein Schrifttumsverzeichnis von 25 Seiten beigefügt. Ob dies in diesem Umfang geboten ist, kann man in Frage stellen. Natürlich will eine Dissertation damit in heutiger Zeit einem möglichen Vorwurf des Plagiats entgegentreten.« Damit wird fälschlicherweise impliziert, die Angabe aller verwendeten Literatur sei (in der heutigen Zeit?) keine wissenschaftliche Pflicht. Wann aber ist eine wissenschaftliche Arbeit so plagiatsbehaftet, dass sie den Anforderungen an eine wissenschaftliche Leistung nicht mehr genügt? Bei einem Totalplagiat (alle Sätze sind komplett abgeschrieben) ist das zu bejahen, bei einer einzig vergessenen Fußnote wohl nicht. Gibt es also einen Wert dazwischen? Ob eine Dissertation noch als Eigenleistung des Promovenden gelten kann, entzieht sich nach Meinung des Bundesverwaltungsgerichts einer allgemeingültigen Bewertung. Maßgebend sei die Würdigung des jeweiligen Sachverhalts. Das Bundesverwaltungsgericht hat am 21.06.2017 (6 C 3.16) eine inzwischen berühmte Formel geprägt: »Die Plagiatsstellen müssen die Arbeit quantitativ, qualitativ oder in einer Gesamtschau beider Möglichkeiten prägen. Eine quantitative Prägung ist zu bejahen, wenn die Anzahl der Plagiatsstellen und deren Anteil an der Arbeit angesichts des Gesamtumfangs überhandnehmen. Derartige Passagen prägen die Arbeit qualitativ, wenn die restliche Dissertation den inhaltlichen Anforderungen an eine beachtliche wissenschaftliche Leistung nicht genügt.«
5. Teil: So urteilen die Gerichte
107
Dadurch haben wir eine Sprachformel, aber keine exakte Formel im mathematischen Sinne, weil wir nicht wissen, wann etwa ein Überhandnehmen anzunehmen ist. Felix Stephan schrieb im August 2020 zutreffend in der Süddeutschen Zeitung: »Ob Plagiate eine Arbeit ›prägen‹ oder ›überhandnehmen‹, ist letztlich kaum zu beweisen.« Meines Erachtens klingt die Formel zwar gut, hilft aber nicht, sondern verwirrt vielmehr. Die Formel ermöglicht ergebnisgeleitete Auslegungen. Sie lädt dazu ein, eigene Ansichten darüber, was ein Plagiat darstellt, den Regelungen in Prüfungsordnungen und Hochschulgesetzen vorzuziehen. So geschah es im ersten Prüfgremium der FU Berlin im Fall Gi. im Jahr 2019. Zudem wird die Formel in der wissenschaftlichen Debatte aus politischen Gründen falsch wiedergegeben. Bereits der Austausch einer nebenordnenden Konjunktion ändert den Sinn. Dazu ein Beispiel: Abb. 4 Original
Fälschung
»Die Plagiatsstellen müssen die Arbeit quantitativ, qualitativ oder in einer Gesamtschau beider Möglichkeiten prägen.«
»Die Plagiatsstellen müssen die Arbeit quantitativ, qualitativ und in einer Gesamtschau beider Möglichkeiten prägen.«
Wer die hier als »Fälschung« bezeichnete Formel nutzt, schraubt die Voraussetzungen für die Annahme einer ungenügenden wissenschaftlichen Leistung massiv in die Höhe. Nicht mehr eins von drei Kriterien muss vorliegen, sondern alle drei. Dieser Meinung darf man freilich sein. Aber unzulässig ist, dies als Ansicht des Bundesverwaltungsgerichts zu verkaufen, wie es der Bielefelder Rechtslehrer Andreas Fisahn in der »Neuen Juristischen Wochenschrift« 2020 (Heft 11, Seiten 743ff.) tut. Er fasst die Formel des Gerichts wie folgt zusammen: »Nur wenn die Plagiate in der berühmten Gesamtschau die Arbeit quantitativ und qualitativ prägten, so dass die Eigenleistung in den Hintergrund trete, könne man einen Titel aberkennen.« Indes findet sich weder die von Fisahn beschriebene Kumulation von Quantität und Qualität im Urteil, noch das Merkmal, dass »die Eigenleistung in den Hintergrund« treten müsse. Im März 2020 schrieb ich
108
Plagiate in der Wissenschaft
deshalb in der F.A.Z.: »[Fisahn] schiebt dem Gericht zwei Aussagen unter, die es nicht getätigt hat, und strickt so neue Legenden, die Rechtfertigungen für Plagiate sind. Auf diese Weise dokumentiert Fisahn anschaulich, wie wenig belastbar Erkenntnisse sind, wenn man es mit Quellen und Belegen nicht so ernst nimmt.« Zuvor hatte Fisahn in seinem Text noch an Juristen und Wissenschaftler appelliert, sich von der öffentlichen [Plagiats-]Diskussion nicht irremachen zu lassen. Man solle darauf dringen, »dass der Erkenntnisgewinn einer Arbeit bei deren Bewertung mindestens ebenso zu berücksichtigen ist wie der Fußnotenapparat«. Das stimmt, grundsätzlich. Wenn aber Erkenntnisse von anderen geklaut sind, sollte aus der Arbeit am besten gar kein Gewinn mehr gezogen werden. Diese wissenschaftsethische Haltung sollte nicht mit dem Begriff »Fußnotenapparat« verniedlicht werden. Fisahn, der, soweit ersichtlich, zuvor noch nie zuvor etwas zum Thema Wissenschaftsplagiat veröffentlicht hatte, wollte mit dem Text einer (auch namentlich genannten) Wissenschaftlerin zur Seite springen, die sich erheblichen Plagiatsvorwürfen ausgesetzt sah. Seine Form der »Unterstützung« ging nach hinten los. Es gab öffentlich viel Widerspruch. Mit Recht.
4. Widerstreit der Grundrechte Bei der Entscheidung über den Entzug eines Doktorgrades spielen auf allen Seiten Grundrechte eine Rolle. A) Die plagiierende Person Wer täuscht, kann, muss aber nicht seinen Doktorgrad verlieren. Die Hochschulen haben Ermessen. Bei der Ausübung dieses Ermessens sind Grundrechte der Plagiator(innen) zu beachten. a) Die Entziehung stellt einen Eingriff in die Freiheit der Berufswahl nach Artikel 12 Absatz 1 des Grundgesetzes dar, wenn der oder die Betroffene in einer Hochschule tätig sein will, oder dies bereits ist, oder die Promotion zugleich als berufsbezogene Abschlussprüfung gilt. b) Die Entziehung stellt einen Eingriff in die Freiheit der Berufsausübung dar, weil sie sich nachteilig auf den beruflichen Werdegang oder die Verdienstmöglichkeiten auswirken kann. Dies wäre im
5. Teil: So urteilen die Gerichte
Einzelfall jedoch zu belegen, weil heutzutage für viele Tätigkeiten kein Doktorgrad mehr notwendig ist. In seltenen Fällen gibt es sogar Nachteile, da jemand als überqualifiziert gelten kann. Dazu schreibt das Bundesverwaltungsgericht am 21.06.2017 (6 C 3/16): »Diese durch die Entziehung herbeigeführten beruflichen Nachteile sind einer Typisierung und generellen Bewertung nicht zugänglich. Ihr Gewicht hängt von der individuellen Situation des Betroffenen ab. Hinzu kommen Unwägbarkeiten der weiteren Entwicklung, die sich zum Zeitpunkt der Entziehungsentscheidung nicht zuverlässig vorhersehen lassen.« c) Die Entziehung des Doktorgrades beeinträchtigt das durch Artikel 2 Absatz 1 Grundgesetz geschützte Persönlichkeitsrecht des Betroffenen, wenn dessen soziales und gesellschaftliches Ansehen Schaden nimmt. Dazu vermutet das Bundesverwaltungsgericht am 21.06.2017 (6 C 3/16): »So kann der Betroffene gezwungen sein, Ehrenämter aufzugeben.« Dies ist vermutlich etwas lebensfern, weil kaum noch ein Ehrenamt aufgrund der Existenz eines Doktorgrades verliehen wird. Es gibt zudem einige Beispiele aus dem von VroniPlag Wiki geprüften Personenkreis, die nach der Aberkennung ihres Doktorgrades weiterhin Ehrenämter innehatten oder zusätzliche Ehrenämter übernehmen konnten. d) Das Persönlichkeitsrecht nach Artikel 2 Absatz 1 Grundgesetz bietet keinen absoluten Schutz vor der Entziehung. Das gilt auch, wenn seit der Verleihung des Doktorgrades Jahrzehnte vergangen sind. Dem steht nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichts entgegen, dass mit dem Doktorgrad auch die Erwartung verbunden ist, dass der Inhaber dauerhaft grundlegende wissenschaftliche Pflichten beachten wird (Entscheidung vom 31.07.2013, 6 C 9.12). Diese Erwartung werde enttäuscht, wenn sich im Nachhinein herausstellt, dass der Inhaber des Doktorgrades als Promovend bereits bei der Erstellung von Promotionsleistungen, insbesondere der Dissertation, grundlegende wissenschaftliche Pflichten schwerwiegend verletzt hat. e) Das Grundrecht der Wissenschaftsfreiheit nach Artikel 5 Absatz 3 Satz 1 Grundgesetz bietet keinen Schutz vor der Entziehung eines Doktorgrades, wenn der Dissertation erhebliche Verstöße gegen grundlegende wissenschaftliche Pflichten anhaften. Wissenschaftlich unredliches Verhalten genießt nicht den Schutz dieses
109
110
Plagiate in der Wissenschaft
Grundrechts, sagt das Bundesverwaltungsgericht (Entscheidung vom 31.07.2013, 6 C 9.12). B) Die gradvergebende Hochschule Dagegen stehen die Grundrechte der Hochschulen. Ihnen ist durch Artikel 5 Absatz 3 Satz 1 Grundgesetz das Recht verliehen, Angelegenheiten von Forschung und Lehre eigenverantwortlich zu regeln. Dies nennt sich akademische Selbstverwaltung. Dazu schreibt das Bundesverwaltungsgericht am 21.06.2017 (6 C 3/16): »Das Promotionswesen umfasst Regelungen über Art und Gewicht der Promotionsleistungen, die Gestaltung des Promotionsverfahrens einschließlich des Verfahrens der Leistungsbewertung, die Bewertungsgrundsätze sowie die wissenschaftlichen Pflichten der Promovenden bei der Erstellung der Promotionsleistungen und die Sanktionierung von Pflichtenverstößen. Hochschulintern sind hierfür seit jeher die Fakultäten (Fachbereiche) zuständig, die für ihr Gebiet die Aufgaben der Hochschule erfüllen.« Das Promotionswesen ist Hochschulen und deren Fakultäten (Fachbereichen) anvertraut, weil »die Wahrnehmung dieser Aufgabe in besonderer Weise Sachverstand und Erfahrung in der wissenschaftlichen Forschung und Lehre erfordert«, meint das Bundesverwaltungsgericht. Insbesondere für die Betreuung und Bewertung von Dissertationen sei eine hohe fachwissenschaftliche Kompetenz unverzichtbar. Dies gelte zwar nicht in vergleichbarer Weise, wenn es darum geht, Verstöße gegen wissenschaftliche Pflichten bei der Erstellung der Promotionsleistungen festzustellen und zu sanktionieren. Trotzdem kann der Gesetzgeber diese Aufgabe den Hochschulen wegen des Grundrechts aus Artikel 5 Absatz 3 Satz 1 als Ermessensentscheidung überlassen. Die sich daraus ergebende Verantwortung für die Redlichkeit der Wissenschaft verbietet es, den Doktorgrad für eine Dissertation zu verleihen, die dem Gebot der Eigenständigkeit nicht genügt, meint das Bundesverwaltungsgericht (21.06.2017, 6 C 3/16). C) Die Abwägung der Grundrechte von Plagiierenden und Hochschulen Wie jede staatliche Entscheidung kann auch der Entzug eines Doktorgrades gerichtlich überprüft werden. Dabei steht die Zuständigkeit der Hochschule für den Entzug nicht zur Disposition. Es darf aber ge-
5. Teil: So urteilen die Gerichte
prüft werden, ob die Hochschule bei ihrer Ermessensentscheidung die Grundrechte des Plagiators oder der Plagiatorin abgewogen hat. Es ist das Recht der Hochschule, die Bedeutung der Wissenschaft höher zu bewerten als die persönlichen Grundrechte des oder der Betroffenen. Oder umgekehrt. Allerdings muss die Hochschule zwingend zu einer Entziehung kommen, »wenn der Promovend mangels Eigenständigkeit der Dissertation die Befähigung zur selbständigen wissenschaftlichen Arbeit nicht nachgewiesen hat. In diesen Fällen erweckt der Doktorgrad den irrigen Eindruck einer ordnungsgemäß nachgewiesenen wissenschaftlichen Befähigung seines Inhabers.« Diese Vorgabe macht das Bundesverwaltungsgericht (21.06.2017, 6 C 3/16). D) Das Grundrecht der Gleichbehandlung Es verstößt nicht gegen das Gebot der Gleichbehandlung nach Artikel 3 Absatz 1 Grundgesetz, wenn keine Verjährungsfrist für die Entziehung des Doktorgrades vorgesehen ist, obwohl die Entziehung berufsqualifizierender akademischer Grade nur befristet möglich ist. Diese Schlechterstellung der Inhaber von Doktorgraden ist nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichts (Urteil vom 31.07.2013 – 6 C 9.12) durch den besonderen Zweck dieses Grades gerechtfertigt: »Im Gegensatz zu Graden, die aufgrund beruflicher Abschlüsse verliehen werden, bringt der Doktorgrad nicht nur zum Ausdruck, dass sein Inhaber bestimmte fachliche Kenntnisse und Fähigkeiten nachgewiesen hat. Darüber hinaus ist seine Verleihung mit der Erwartung verbunden, dass der Inhaber sich dauerhaft wissenschaftskonform verhalten, d.h. grundlegende wissenschaftliche Pflichten beachten wird. Der Doktorgrad weist den Inhaber als wissenschaftlich vertrauenswürdig aus. Dementsprechend muss dieser sich des Vertrauens dauerhaft als würdig, d.h. als wissenschaftlich redlich, erweisen, um den Doktorgrad weiter führen zu dürfen. Der Vertrauensvorschuss war von vornherein nicht berechtigt, wenn sich nach der Verleihung herausstellt, dass der Inhaber den Doktorgrad durch eine vorsätzliche Verletzung grundlegender wissenschaftlicher Pflichten bei der Erstellung der Dissertation erlangt, etwa keine eigenständige wissenschaftliche Leistung erbracht hat.« Das ist meiner Meinung nach richtig.
111
112
Plagiate in der Wissenschaft
5. Rechtsfolgen eines entdeckten Plagiats Der Doktorgrad wird ex tunc entzogen, das heißt, rückwirkend. Der oder die Betroffene ist so zu behandeln, als ob er oder sie niemals den Grad erworben hat. Diese Folgen kann eine wegen eines Plagiats aberkannte Doktorarbeit haben: a) Für den Plagiierenden •
• •
•
• • • •
Die Pflicht, den aberkannten Grad von Ausweisdokumenten und anderen öffentlichen Dokumenten zu streichen; auch eine Anrede von Dritten mit »Dr.« ist aktiv zu unterbinden; die Pflicht, eine Veröffentlichung zurückzuziehen und ggf. Kooperationspartner zu informieren; Unterlassungsansprüche von jenen, bei denen abgeschrieben wurde (aus dem Urheberrecht), Beseitigungs- und Unterlassungsansprüche (aus dem Patentrecht und Wettbewerbsrecht); Schadenersatzansprüche von jenen, die auf die Plagiatsfreiheit der Ausführungen vertraut haben und deshalb einen Schaden haben und diesen nachweisen können; Hausverbot an und durch die gradverleihende Hochschule; Herausgabeansprüche gegen die Betroffene oder den Betroffenen, etwa auf Herausgabe von wissenschaftlichem Material; Rückforderungsansprüche, z.B. bezogen auf Stipendien, Drittmittel, haushaltsrechtliche Zuwendungen; ein Strafverfahren mit der Folge einer Geldstrafe.
Mögliche Straftaten sind: •
•
Verletzung von Paragraph 106 Urheberrechtsgesetz: Unerlaubte Verwertung urheberrechtlich geschützter Werke (im Fall KTG angenommen; das Ermittlungsverfahren wurde gegen Zahlung einer Auflage von 20000 Euro an die Stiftung Deutsche Kinderkrebshilfe eingestellt); Betrug (unrechtmäßiges Führen des Doktorgrades; bisher keine einzige Verurteilung bekannt, vermutlich weil eine dafür erforderliche Vermögensverschiebung nicht vorliegt);
5. Teil: So urteilen die Gerichte
•
•
•
•
• •
•
•
Untreue (im Falk KTG durch Nutzung des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestages für private Interessen angedacht, letztendlich nicht weiterverfolgt von der Staatsanwaltschaft); Unbefugtes Führen eines akademischen Grades (regelmäßig nicht vorliegend, da Doktorgrad bestandskräftig erhalten, auch rechtswidrige Verwaltungsakte sind zunächst bestandskräftig); Falsche Versicherung an Eides Statt (kommt in Betracht, wenn eine entsprechende Erklärung bei Abgabe der Dissertation unterzeichnet wurde. Artikel 64 des Bayerischen Hochschulgesetzes sieht etwa vor, dass die Hochschule eine Versicherung an Eides statt über die Eigenständigkeit der erbrachten wissenschaftlichen Leistungen verlangen und abnehmen kann. Unter Juristen wird aber die kriminalpolitische Sinnhaftigkeit diskutiert, etwa bei Hans Kudlich im BeckOK-StGB zu § 156, Rdnr. 8.6). b) Für den Plagiierenden, falls Mitarbeiter(in) der Hochschule Beamtinnen und Beamten: Disziplinarverfahren mit Disziplinarmaßnahmen, beispielsweise Verweis, Geldbuße, Kürzung der Dienstbezüge, Zurückstufung, Entfernung aus dem Beamtenverhältnis; Ruhestandsbeamtinnen und Ruhestandsbeamten: Kürzung des Ruhegehalts, Zurückstufung, Aberkennung des Ruhegehalts; Beschäftigte: Abmahnung, ordentliche oder außerordentliche Kündigung, Vertragsauflösung. c) Für die Hochschule Möglicherweise die Pflicht, die Dissertation als aberkannt im Bibliothekskatalog zu kennzeichnen und dies der Deutschen Nationalbibliothek, möglicherweise auch den Verbundkatalogen, zu melden. d) Für die Betreuer der Doktorarbeit Im Falle einer Pflichtverletzung sind Disziplinarverfahren möglich. Diese hat es u.a. an den Universitäten Bonn und Münster schon gegeben.
113
114
Plagiate in der Wissenschaft
6. Ausreden der Plagiator(inn)en vor Gericht Der 2018 verstorbene Bremer Rechtslehrer Peter Derleder schrieb schon 2007 in der »Neuen Juristischen Wochenschrift« unter dem Titel »Von Schreibern und Textorganisatoren« auf Seite 1112: »Noch immer hat ein Plagiatsvorwurf Ehrvernichtungspotenzial, vor allem nach gerichtlicher Bestätigung. Warum lassen sich Autoren auf ein solches Risiko ein, die das nach ihren beruflichen Bedingungen und geistigen Ressourcen überhaupt nicht nötig hätten? […] Die Ausreden sind meist immer kläglich.« Seitdem haben sich Plagiator(innen) viele weitere klägliche Ausreden für ihr Handeln einfallen lassen. Gerne benutzen sie in ihrer Rechtfertigung Euphemismen wie »handwerkliche Schwächen« oder »technische Probleme«. Die gesamte Liste von bisher vorgebrachten Ausreden ergänze ich um die Gründe, weshalb die Ausrede vor Gericht nicht half. Mit einer Ausnahme.
Keine Täuschung, da Verhalten üblich war oder unbeachtlich ist »Es sind keine Plagiate, nur Zitierfehler.« Für das Verwaltungsgericht Ansbach (AN 2 K 17.00619) war am 29.06.2020 klar: Für die Annahme einer vorsätzlichen Täuschung in Abgrenzung zu versehentlichen Zitierfehlern spricht nicht nur der Umfang der übernommenen Fremdtexte, sondern auch, dass nicht erklärt wurde, wie die fremden Texte ggf. versehentlich den Weg in die Dissertation gefunden haben. »Damals war diese Arbeitsweise und Zitierweise so üblich.« Selbst wenn es so wäre, war das für das Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen am 14.12.2020 (19 A 423/19) rechtlich unerheblich. Bereits aus dem Gebot der wissenschaftlichen Redlichkeit ergeben sich Anforderungen an die Eigenständigkeit wissenschaftlichen Arbeitens. »Die Pflicht, fremde Gedanken als solche zu kennzeichnen, stand damals nicht in der Prüfungsordnung.« Dass im Studium an einer deutschen Universität die Verwendung fremder Texte kenntlich gemacht werden muss, ist eine Selbstver-
5. Teil: So urteilen die Gerichte
ständlichkeit und bedarf deshalb keiner ausdrücklichen Normierung in der Prüfungsordnung. So deutlich wurde das Verwaltungsgericht Köln am 13.04.2014 (6 K 7998/13), allerdings in Bezug auf ein Masterstudium und eine Masterarbeit. »Alle meine Zitatgeber stehen im Literaturverzeichnis meiner Arbeit.« Dass Werke anderer Autoren, aus denen ganze Passagen wortgleich übernommen wurden, im Literaturverzeichnis genannt sind, stellt die Berechtigung des Plagiatsvorwurfs nicht infrage. Denn der Leser eines wissenschaftlichen Werks erwartet, dass wörtliche Übernahmen aus anderen Werken bei den jeweiligen Textstellen als Zitate oder auf andere geeignete Weise kenntlich gemacht werden. So urteilte das Verwaltungsgericht Freiburg am 23.05.2012 (1 K 58/12). »Ich habe diese Passage zwar komplett abgeschrieben, aber in die Fußnote eine Quelle mit dem Zusatz ›Vgl.‹ angegeben.« Die Einleitung eines Zitats mit dem Kürzel »Vgl.« ist sinnwidrig, wenn ein fremder Text wörtlich übernommen wird. Denn der Leser hat nichts davon, zwei wörtlich gleiche Texte miteinander zu vergleichen. Nähere Gedanken dazu finden sich beim Oberverwaltungsgericht Lüneburg in einem Urteil vom 15.07.2015 (2 LB 363/13). Auch das Verwaltungsgericht Berlin meint, dass die Verwendung des Begriffs »vgl.« nicht erkennen lasse, dass Textstellen wörtlich übernommen worden sind oder eng an die Vorlage anlehnende Ausführungen enthalten (27.10.2020, VG 12 K 68.19). »Ich habe keine fachübergreifende Dissertation vorgelegt, sondern eine im Fach Architektur. Der Leser kann nicht erwarten, dass ich in den behandelten Bereichen Elektrotechnik und Psychologie eine eigenständige Leistung erbringe.« Eine Dissertation muss einen Fortschritt in der Wissenschaft erbringen und eine selbstständige Leistung des Bewerbers sein. Diese Anforderungen beschränken sich nicht auf diejenigen Kapitel, die sich spezifisch mit dem Fachthema des Promovenden befassen, sondern sie gelten für die gesamte Dissertation. Angesichts dessen muss jedes Kapitel der Dissertation dem Gebot wissenschaftlicher Redlichkeit gleichermaßen entsprechen, erklärte der Verwaltungsgerichtshof Mannheim am 07.07.2020 (9 S 2809/19).
115
116
Plagiate in der Wissenschaft
Keine Täuschung, da Doktorvater von allem gewusst oder dazu angeregt hat »Ich habe so gearbeitet, wie es mein Doktorvater wollte.« Das Verwaltungsgericht Berlin (27.10.2020, VG 12 K 68.19) meint, selbst wenn der Doktorvater eine falsche Zitierweise vorgegeben hätte, würde dies den Promovenden nicht entbinden, jede Textpassage, die aus fremden Quellen entnommen wurde, zu kennzeichnen. Er müsse zudem deutlich machen, welche Zitate wörtlich übernommen worden sind. »Erstgutachter und Zweibetreuer haben die Plagiate nicht gesehen. Darauf habe ich mich verlassen.« Dass Erst- und Zweitgutachter die Plagiate nicht schon bei Annahme und Bewertung der Dissertation entdeckt haben, begründet keinen Vertrauensschutz dahingehend, die elementaren Grundlagen wissenschaftlicher Arbeitstechnik zu missachten, bekräftigte das Verwaltungsgericht Freiburg am 23.05.2012 (1 K 58/12). »Hätte mein Doktorvater etwas dazu gesagt, hätte ich es richtig gemacht. Aber er hat nichts gesagt.« Dass man eine Arbeit möglicherweise hätte nachbessern können, wenn der Doktorvater bei der Einreichung der Arbeit den Umfang der wörtlichen Textübernahmen und die fehlenden Quellenangaben beanstandet hätte, ist unerheblich. Es änderte ändert jedenfalls im Fall des Oberverwaltungsgerichts Nordrhein-Westfalen vom 14.12.2020 (19 A 423/19) nichts daran, dass mit Abgabe der Arbeit über den Umfang der eigenständig erbrachten Leistungen getäuscht wurde. Dies geschah in einem Ausmaß, das es ausschließe, die Dissertation als eigene wissenschaftliche Leistung anzusehen. »Ich wurde über wissenschaftliche Standards nicht genügend aufgeklärt.« Solche Standards sind für das Verwaltungsgericht Freiburg (23.05.2012, 1 K 58/12) wissenschaftliches Allgemeingut. Ihre Kenntnis dürfe bei Doktoranden vorausgesetzt werden. Die Aufklärung und/oder Anleitung zum wissenschaftlichen Zitieren sei keine Bringschuld der Promotionsbetreuer, sondern falle in den eigenen Verantwortungsbereich der Doktoranden. Das sieht auch das Oberverwaltungsgericht
5. Teil: So urteilen die Gerichte
Lüneburg (15.07.2015, 2 LB 363/13) so. Grundsätzlich müsse derjenige, der einen Doktorgrad erreichen will, sich selbst um die nötigen Vorkenntnisse und wissenschaftlichen Fertigkeiten bemühen; er kann nicht erwarten, dass die Universität ihm dies durch intensive Betreuung gleichsam aufnötigt. Ein Doktorand muss sich von sich aus mit dem einschlägigen Schrifttum, insbesondere aber auch mit bereits erfolgreichen anderen Doktorarbeiten vertraut machen, um die Gepflogenheiten des Wissenschaftsbetriebes zu erlernen. »Mein Doktorvater hat mir vorgegeben, Texte aus anderen Arbeiten ohne Quellenangaben zu verwenden.« Das mögliche Einverständnis des Doktorvaters mit der Vorgehensweise lässt die vorsätzliche Täuschung der anderen an der Annahme der Dissertation mitwirkenden Mitglieder der Fakultät nicht entfallen. Ein eventueller Irrtum schließt den Vorsatz nicht aus. Das Fehlverhalten des Doktorvaters mindert nicht die eigene Verantwortung für die erstellte Arbeit, meinte das Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen in einem Beschluss vom 14.12.2020 (19 A 423/19). »Meine Dissertation führt die Forschungsarbeit meines Doktorvaters maßgeblich fort. Bei experimentellen Arbeiten steht die Präsentation des durch die Forschung gefundenen Ergebnisses im Vordergrund.« Die Dissertation konnte schon aufgrund einer Vielzahl von Plagiatsstellen und ihres Anteils am Gesamtumfang der Arbeit als nicht mehr selbstständige wissenschaftliche Leistung gelten. »Bereits durch die umfangreichen nicht kenntlich gemachten Textübernahmen [wurde] über die Eigenständigkeit der erbrachten Leistung getäuscht«, sagte das Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen in einem Beschluss vom 14.12.2020 (19 A 423/19). »Mein Betreuer hat die Fußnoten gestrichen.« Das Verwaltungsgericht Bremen nahm am 26.02.2019 (6 K 2334/18) trotzdem Vorsatz an. Änderungsvorschläge des Doktorvaters hätten keine Auswirkungen auf die Verantwortlichkeit. Eine Doktorarbeit ist eine selbständige wissenschaftliche Arbeit, deren Inhalt in der alleinigen Verantwortung des Doktoranden liegt. Im Übrigen schenkten die Bremer Richter der Behauptung auch keinen Glauben.
117
118
Plagiate in der Wissenschaft
»Ich wurde zu einer an sich verfrühten Abgabe der Arbeit gedrängt, damit der Zweitprüfer noch vor seinem Ausscheiden aus dem Hochschuldienst tätig werden konnte.« Das OVG Lüneburg maß diesem Argument in seinem Urteil vom 15.07.2015 (2 LB 363/13) keine Bedeutung zu. Richtig sei, dass auch ein emeritierter Professor Doktoranden betreuen könne. »Ausreichende Anleitung durch Professoren hat es nicht gegeben, sondern nur Gruppenarbeit ohne Betreuung.« Das OVG Lüneburg maß diesem Argument am 15.07.2015 (2 LB 363/13) keine Bedeutung zu. Auch soweit in die Betrachtung einbezogen wird, dass die Professoren bei der Darstellung ihrer eigenen Rolle im Promotionsverfahren möglicherweise eigene Interessen dahingehend verfolgt haben, etwaige Betreuungsmängel zu beschönigen, ändere dies im Ergebnis nichts. »Der von mir benutzte Ratgeber (Giebel/Galic, Die medizinische Doktorarbeit, 4. Aufl., Seite 60) verweist hinsichtlich der richtigen Zitierweise lediglich auf den jeweiligen Doktorvater.« Das OVG Lüneburg maß diesem Argument in seinem Urteil vom 15.07.2015 (2 LB 363/13) keine Bedeutung zu. »Mein Doktorvater meint heute noch, es liege keine Täuschung vor.« Unerheblich ist, ob einer der Gutachter das Verhalten des Doktoranden bei nachträglicher Konfrontation mit den Plagiatsstellen als Täuschung bewertet oder nicht. Denn maßgeblich für das Vorliegen einer Täuschung über die Eigenständigkeit der erbrachten Promotionsleistung ist deren objektives Vorliegen im Zeitpunkt der Aushändigung der Promotionsurkunde, meinte das Oberverwaltungsgericht Münster am 07.06.2019 (19 A 1455/18). »Meine Gutachter kannten die Zitationsdefizite und haben diese in ihren Gutachten auch benannt. Es liegt daher keine Täuschung vor.« Dies ist der einzig hier aufgeführte Fall, bei dem eine Aberkennung des Doktorgrades für unrechtmäßig erklärt wurde. Im Verfahren 4 K 274/16.KS (Fall Dr. Di.) entschied das Verwaltungsgericht Kassel am 29.05.2018, dass ein Entzug unrechtmäßig war. Die Zitationsdefizite der Arbeit waren den Gutachtern im Prüfverfahren
5. Teil: So urteilen die Gerichte
aufgefallen. Sie hatten dem Doktoranden sogar auferlegt, die Probleme vor einer Veröffentlichung zu beheben. Damit liegt keine Täuschung vor. Zudem kritisierte das Gericht, dass der Aberkennungsbescheid der Hochschule nicht ausführlich genug begründet war. Die Aberkennung des Doktorgrades durch die Hochschule Kassel wurde rechtskräftig aufgehoben. Der von der Hochschule gestellte Antrag auf Zulassung der Berufung wurde vom Hessischen Verwaltungsgerichtshof abgelehnt (10 A 1651/18.Z). Bewertung: Die Entscheidung betrifft einen Sonderfall und würde heute nicht mehr so gefällt werden. Das Gericht bejahte zwar das Vorliegen von Plagiaten, verneinte aber eine Täuschung der direkten Gutachter der Doktorarbeit. Andere Gerichte nehmen in diesen Fällen eine Täuschung sonstiger Fakultätsangehöriger an, denen die Zitierfehler unbekannt waren, etwa dem Dekan, der die Promotionsurkunde ausstellt. Das war im Fall Dr. Di. aber nicht möglich, weil die zum Zeitpunkt seiner Promotion gültige Promotionsordnung eine aktive Beteiligung anderer Fakultätsangehöriger nicht vorsah. Diese Regelung ist inzwischen geändert, in Kassel, ebenso an anderen Universitäten.
Keine Täuschung aus anderen Gründen »Bei meiner Arbeit handelt es sich um eine Collage wie in der Kunst oder um ein Sample wie aus der Musik.« Der Verwaltungsgerichtshof Mannheim lehnte dieses Argument am 15.11.2019 (9 S 307/19) ab. Entscheidend sei allein, ob die Dissertation eine selbständige wissenschaftliche Leistung darstellt. Dass der Promovend der von ihm eingereichten Dissertation nachträglich die Eigenschaft einer unter die Kunstfreiheit fallenden Collage oder eines Samples zuschreibt, führe zu keiner anderen Beurteilung. »Ich war mir der Originalquellen durchaus bewusst, wollte diese aber aus ästhetischen Gründen nicht direkt an den jeweiligen Stellen kenntlich machen.« Der Verwaltungsgerichtshof Mannheim lehnte dieses Argument am 15.11.2019 (9 S 307/19) ab. Der Betroffene habe nicht deutlich gemacht, warum gerade in den (plagiatsbehafteten) Kapiteln 2 und 3 seiner Dissertation ein derartiger Kunstgriff nötig gewesen sei, obwohl er
119
120
Plagiate in der Wissenschaft
im Übrigen die wissenschaftlichen Standards bei seiner Zitierpraxis befolgt habe. »Ich habe keine Urheberrechtsverletzung begangen.« Irrelevant, da Urheberrecht und Promotionsrecht zu unterscheiden sind. Es kann im gleichen Fall eine Täuschung im Sinne einer Promotionsordnung vorliegen, aber das Urheberrecht unverletzt sein. Dieser Ansicht war auch der Verwaltungsgerichtshof Mannheim am 07.07.2020 (9 S 2809/19). »Denn die für die Rücknahme des Doktorgrades maßgebliche Frage, ob die Dissertation eine selbstständige wissenschaftliche Leistung darstellt oder dies aufgrund einer Täuschung zu verneinen ist, ist nach eigenständigen Kriterien und insbesondere unabhängig davon zu beurteilen, ob mit der Täuschung zugleich eine Urheberrechtsverletzung verbunden ist.«
Täuschung ja, aber unerheblich »Auch ohne die plagiatsbehafteten Stellen wäre meine Arbeit noch promotionswürdig. Hätte ich die plagiatsbehafteten Passagen weggelassen, hätte ich trotzdem einen Doktorgrad bekommen.« Mehrere Gerichte haben wiederholt entschieden, dass es für die Wertung eines Plagiats als Täuschung unerheblich sei, ob die Arbeit ohne die fraglichen Textstellen noch eine eigenständige wissenschaftliche Leistung darstellt. Es kommt also nicht darauf an, ob bei wörtlicher Zitierung der Doktorgrad noch verliehen worden wäre. Derartige hypothetische Erwägungen finden nicht statt. Siehe unter anderem Verwaltungsgericht Gießen (15.09.2011, 3 K 474/10.GI), Verwaltungsgericht Freiburg (23.05.2012, 1 K 58/12), Verwaltungsgericht Düsseldorf (20.03.2014, 15 K 2271/13), Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg (13.10.2008, 9 S 494/08). »Die übernommenen Textstellen betreffen nur den einführenden Teil mit den theoretischen Grundlagen.« Darauf kommt es nach Meinung der Gerichte nicht an; maßgeblich für die Bewertung sei die Arbeit in ihrer Gesamtheit; siehe etwa Verwaltungsgericht Freiburg (23.05.2012, 1 K 58/12). Das Oberverwaltungsgericht Lüneburg meinte am 15.07.2015 (2 LB 363/13), mit der Entscheidung, den Forschungsergebnissen einen allgemeinen Teil voranzustel-
5. Teil: So urteilen die Gerichte
len, stecke man selbst den Rahmen ab, innerhalb dessen wissenschaftlich korrekt zu arbeiten ist. »Was ich getan habe, entspricht nicht der Definition von Plagiat.« Inwieweit eine Täuschung gleichzeitig nach allgemeinem Begriffsverständnis ein »Plagiat« darstellt, ist für das Oberverwaltungsgericht Lüneburg (15.07.2015, 2 LB 363/13) rechtlich ohne Bedeutung. »Ich habe nur handwerklich schlecht gearbeitet.« Das Oberverwaltungsgericht Lüneburg meinte im Urteil vom 15.07.2015 (2 LB 363/13), der Prüfling habe nicht lediglich »handwerklich« unsauber gearbeitet, sondern billigend in Kauf genommen, dass die Prüfer die übernommenen Textbestandteile dem Prüfling irrtümlich als eigene wissenschaftliche Leistung zuschreiben.
Täuschung ja, aber kein Irrtum bei Prüfern »Ein Irrtum über die Korrektheit der Zitierweise kann nicht entstehen, weil die handwerklichen Mängel bereits bei flüchtiger Lektüre hervortreten.« Bedeutet: Meine Arbeit ist so schlecht, das erkennt jeder sofort, und wer sie trotzdem durchwinkt, tut das in Kenntnis aller Schwächen. Darüber kann dann nicht getäuscht worden sein. Das OVG Lüneburg maß diesem Argument in seinem Urteil vom 15.07.2015 (2 LB 363/13) keine Bedeutung zu.
Täuschung vielleicht, jedenfalls keine Absicht »Ich habe die Dissertation nach bestem Wissen und Gewissen angefertigt.« Diese Erklärung war für den Verwaltungsgerichtshof Bayern am 04.04.2006 (7 BV 05.388) unerheblich. Entscheidend sei, dass eine wissenschaftliche Arbeit vorgelegt werde, die den Anforderungen an selbständige Arbeiten entspricht. Dementsprechend sei eine andere Arbeitsweise – egal ob gewollt oder nicht – unzulässig. »Ich habe ohne Absicht gehandelt.«
121
122
Plagiate in der Wissenschaft
Es reicht Vorsatz in einer milderen Form, also bedingter Vorsatz, aus. Dem in der öffentlichen Diskussion solcher Fälle gelegentlich angeführten Begriff der »Täuschungsabsicht« kam für das Verwaltungsgericht Freiburg (23.05.2012, 1 K 58/12) keine Bedeutung zu, weil dieser Begriff nicht im Wortlaut der Norm zum Entzug des Doktorgrades enthalten ist. »Ich habe ohne Vorsatz, nur fahrlässig gehandelt.« Bei einer größeren Menge von Übernahmen ohne Belegstellen gehen die Gerichte von Vorsatz aus. Es reicht bedingter Vorsatz (Verwaltungsgericht Darmstadt vom 03.08.2010, 7 L 898/10). Es liegt dann in der Pflicht des Plagiierenden zu beweisen, dass kein Vorsatz vorliegt. Bisher ist das, soweit ersichtlich, noch niemandem gelungen. »Ich bin mit meinen ›Gedankensteinbrüchen‹ aus etwa 80 Disketten und ein paar Laptops durcheinander gekommen.« Die Universität Bayreuth maß diesem Argument (im Fall KTG) natürlich keine Bedeutung bei. Es ist nun einmal Teil der Leistung einer Doktorarbeit, keinen defizitären Arbeitsstil an den Tag zu legen. »Ich kann nicht richtig zitieren.« Bedeutet: Ich habe keinen Vorsatz, weil ich es überall in der Arbeit falsch gemacht habe. Das niedersächsische Oberverwaltungsgericht meinte im Verfahren 2 LB 363/13 jedoch, aus vereinzelten korrekten Zitaten ergebe sich, dass die Betroffene eine richtige Zitierweise beherrsche. Die Betroffene stritt das ab. Sie sagte, wirklich jedes Zitat in ihrer Arbeit sei falsch. Das widerlegten die Richter. Sie fanden Passagen, die der guten wissenschaftlichen Praxis entsprachen. »Ich habe auf keinen Fall die klinische Studie, für die ich nur mit großen Mühen habe Probanden finden können, durch eine bewusste Täuschung gefährden wollen.« Der Vorsatz muss sich nicht auf die Gefährdung der Studie beziehen, sondern auf die konkrete Zitierweise, siehe Oberverwaltungsgericht Lüneburg, Urteil vom 15.07.2015 (2 LB 363/13).
5. Teil: So urteilen die Gerichte
Entzug unverhältnismäßig wegen Zeitablauf, Ortswechsel oder Sprachkenntnissen »Es ist schon 30 Jahre her.« Wie alle anderen Gerichte nahm auch das Verwaltungsgericht Düsseldorf in seinem Urteil vom 20.03.2014 (15 K 2271/13) an, dass der Zeitablauf seit Aushändigung der Promotionsurkunde irrelevant ist. Mit der Verleihung des Doktorgrades ist die Erwartung verbunden, der Inhaber werde sich dauerhaft wissenschaftlich redlich verhalten, das heißt, grundlegende wissenschaftliche Pflichten beachten. Diese Besonderheit des Doktorgrades rechtfertigt es, von einer Befristung der Entziehbarkeit abzusehen, meinte der Verwaltungsgerichtshof Mannheim am 07.07.2020 (9 S 2809/19). Das Verwaltungsgericht Darmstadt entschied in Sache gleich, als die Doktorprüfung zehn Jahre her war (03.08.2010, 7 L 898/10), für den gleichen Zeitraum auch das Verwaltungsgericht Köln am 22.03.2012 (6 K 6097/11). »Ich lebe mittlerweile in Korea und niemand bringt mich mehr mit der Hochschule in Verbindung. Der Ruf der Hochschule leidet durch mich nicht.« Diese Äußerung war für den Verwaltungsgerichtshof Mannheim am 07.07.2020 (9 S 2809/19) so unerheblich, dass es sich nicht weiter damit befasste. Es sagte nur, dass der örtlichen Distanz keine Bedeutung zukomme. »Die Sache ist verjährt.« Das Verwaltungsgericht Köln stellte am 22.03.2012 (6 K 6097/11) fest, dass die Gesetze keine Verjährungsfristen für den Entzug von Doktorgraden kennen. Auch eine Übernahme von Verjährungsfristen aus anderen prüfungsrechtlichen Gebieten sei nicht angezeigt, sondern allenfalls rechtspolitisch im Rahmen einer gesetzlichen Regelung für die Zukunft diskutierbar. »Deutsch ist nicht meine Muttersprache.« Bei einer in deutscher Sprache abgegebenen Dissertation dürfen ausreichende deutsche Sprachkenntnisse vorausgesetzt werden, erklärte der Verwaltungsgerichtshof Mannheim am 07.07.2020 (9 S 2809/19).
123
124
Plagiate in der Wissenschaft
Entzug unverhältnismäßig wegen zu starker persönlicher Folgen »Die Promotion schließt mein Hochschulstudium ab, da ich kein Diplom habe. Ohne die Promotion bleibt mir nur das Abitur.« Der Umstand, dass es um eine grundständige Promotion ging, bei der mit der Promotion zugleich das Hochschulstudium abgeschlossen wird, hinderte das Verwaltungsgericht Düsseldorf in seinem Urteil vom 20.03.2014 (15 K 2271/13) nicht daran, den Doktorgrad zu entziehen. Dieser Entzug sei trotzdem verhältnismäßig. »Ich bin inzwischen Professorin an einer Fachhochschule. Ich könnte meinen Job verlieren!« Die Tatsache, dass die Promovierte inzwischen zahlreiche wissenschaftliche Arbeiten veröffentlicht sowie Vorträge gehalten hatte, zudem Professorin an einer Fachhochschule war, begründe keinen Ausnahmefall vom Entzug, meinte das Verwaltungsgericht Darmstadt am 03.08.2010 (7 L 898/10). Auch das Verwaltungsgericht Hamburg urteilte am 24.06.2016 (2 K 2209/13), eine solche Folge sei ohne weiteres hinzunehmen. Eine unter Verstoß gegen die Grundanforderungen wissenschaftlicher Redlichkeit erschlichene Promotion bilde keine schutzwürdige Grundlage einer weiteren wissenschaftlichen Laufbahn.
Entzug unverhältnismäßig, weil Fehler wieder gut gemacht »Ich habe eine nichtplagiierte Form der Arbeit nachgereicht.« Maßgeblich für die Entscheidung ist nur die zur Bewertung vorgelegte Arbeit. Es war daher für das Verwaltungsgericht Freiburg am 23.05.2012 (1 K 58/12) unerheblich, dass eine veränderte Version nachgereicht wurde.
Entzug unverhältnismäßig wegen Ungleichbehandlung »Jeder plagiiert doch, siehe die Politiker. Nur ich werde verfolgt.« Hier gilt der Rechtsgrundsatz »Keine Gleichheit im Unrecht«. Im Übrigen haben die meisten der aufgedeckten Politikerinnen und Politiker ihren Doktorgrad verloren. Einige traten auch von Ämtern zurück (zum
5. Teil: So urteilen die Gerichte
Beispiel Fall KTG. Im Fall Gi. gab es einen Rücktritt, sie blieb aber in der Politik). »Andere Promovierte aus unserer Gruppe wurden nicht für Plagiate belangt. Nur ich. Das ist gleichheitswidrig.« Hier gilt der Rechtsgrundsatz »Keine Gleichheit im Unrecht«. Das Verwaltungsgericht Köln urteilte am 15.12.2005 (6 K 6285/04), dass eine – rein zufällig aufgedeckte – Täuschungshandlung auch dann sanktioniert werden kann, wenn Täuschungen anderer Kandidaten nicht entdeckt würden. Eine solche Forderung wäre allenfalls dann erörterungswürdig, wenn der Hochschule ein nachlässiges Verhalten bei der Aufdeckung und Sanktionierung von Täuschungsversuchen vorzuwerfen wäre. »Im VroniPlag Wiki-Fall von Person X. fanden sich, wie bei mir, auf 47 Prozent der Seiten Plagiate. Trotzdem durfte X. ihren Doktorgrad behalten.« Der Einwand führte beim Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen am 07.06.2019 (19 A 1455/18) nicht zum Erfolg. Es liege kein Verstoß gegen den allgemeinen Gleichheitssatz aus Artikel 3 Absatz 1 Grundgesetz vor. Denn dieser Grundsatz bindet jeden Träger öffentlicher Gewalt nur in dessen konkretem Zuständigkeitsbereich, nicht hingegen auch darüber hinaus im Verhältnis zu anderen Hoheitsträgern. Eine verfassungsrechtlich relevante Ungleichbehandlung liegt allein dann vor, wenn sie von ein und demselben Hoheitsträger in seinem eigenen Kompetenzbereich ausgeht. Hiernach erwächst dem Fachbereich einer Hochschule aus dem allgemeinen Gleichheitssatz keine Verpflichtung, seine Entscheidungen über die Entziehung von Doktorgraden an der Entziehungspraxis anderer Hochschulen auszurichten. »Nicht ich habe plagiiert, sondern mein Ghostwriter. Daher ist mir nichts vorzuwerfen.« Für das Verwaltungsgericht Köln lag am 15.12.2005 (6 K 6285/04) ein schwerer Fall der Täuschung bereits darin, dass überhaupt ein Ghostwriter engagiert wurde. Der Promovierte täuschte darüber, dass er selbst die wissenschaftliche Leistung erbracht hat. Im Grunde macht es der Verweis auf einen Ghostwriter nur noch schlimmer, denn dann liegt nicht nur ein Plagiat vor, sondern auch die Angabe, den Text selbst verfasst zu haben, ist falsch.
125
126
Plagiate in der Wissenschaft
»Die Plagiatsvorwürfe sind vorab bekannt geworden. Ich wurde öffentlich verurteilt. Das ist Strafe genug!« Aus entstandenen Indiskretionen und aus einer geltend gemachten »öffentlichen Vorverurteilung« lässt sich für das Verwaltungsgericht Hamburg am 24.06.2016 (2 K 2209/13) nicht herleiten, dass die Entziehung des Doktorgrads unzulässig wäre.
Entzug unverhältnismäßig, weil nie erklärt wird, man würde korrekt zitieren »Es gibt keine eidesstaatliche Erklärung von mir, dass ich nicht plagiiert habe.« Aus dem Begriff der eigenständigen wissenschaftlichen Leistung folgt zugleich, dass ein Promotionsgesuch – ungeachtet des Vorliegens oder des Inhalts eidesstattlicher Versicherungen – schon von sich aus zwingend mit der konkludenten Erklärung verbunden ist, die vorgelegte Dissertation stelle in jeder Hinsicht eine eigene geistige Leistung dar. So schön formulierte es das Oberverwaltungsgericht Niedersachsen am 15.07.2015 (2 LB 363/13). »In der Erklärung, die ich bei Einreichung der Dissertation unterschrieben habe, wird nicht ausdrücklich verlangt, dass wörtliche Übernahmen fremder Texte im laufenden Text durch Anführungszeichen gekennzeichnet werden müssen.« Dass die Erklärung nicht ausdrücklich verlangt, dass wörtliche Übernahmen fremder Texte im laufenden Text durch Anführungszeichen gekennzeichnet werden müssen, ist unerheblich. Diese Erklärung ruft elementare Grundsätze wissenschaftlichen Arbeitens für den Doktoranden nur in Erinnerung. Man darf davon ausgehen, dass diese elementaren Grundsätze wissenschaftlichen Arbeitens bekannt sind. Für das Verwaltungsgericht Freiburg galt das in dem Fall vom 23.05.2012 (1 K 58/12) umso mehr, weil die Promovierte zuvor bereits beide juristische Staatsexamen abgelegt hatte und als Volljuristin beruflich tätig war.
Entzug unverhältnismäßig, schlechtere Note ausreichend »Gebt mir doch einfach eine schlechtere Note.«
5. Teil: So urteilen die Gerichte
Mehrere Gerichte haben wiederholt entschieden, dass es für die Wertung eines Plagiats als Täuschung unerheblich sei, ob die Arbeit ohne die fraglichen Textstellen mit einer schlechteren Note bestanden wäre. Siehe z.B. Verwaltungsgericht Freiburg (23.05.2012, 1 K 58/12), Verwaltungsgericht Düsseldorf (20.03.2014, 15 K 2271/13), Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg (13.10.2008, 9 S 494/08).
Entzug unverhältnismäßig, weil Erkenntnisse der Doktorarbeit nicht verloren gehen dürfen »Die Ergebnisse meiner Arbeit dürfen für die Wissenschaft nicht verloren gehen.« Dieses Argument vermochte das Verwaltungsgericht Münster am 22.3.2018 (4 K 2543/15) nicht zu überzeugen. Mit dem Entzug des Doktorgrades gingen die Ergebnisse nicht verloren. Vielmehr werde die Dissertation weiterhin in Bibliotheken geführt. Es sei außerdem davon auszugehen, dass die Erkenntnisse der Arbeit bereits zu den Erkenntnissen der Wissenschaft gezählt werden können.
Entzug unverhältnismäßig, weil Originaldoktorarbeit verloren gegangen ist »Die Universität hat das Original meiner Doktorarbeit verloren.« Für das Verwaltungsgericht Köln fiel am 22.03.2012 (6 K 6097/11) nicht ins Gewicht, dass das Originalkorrekturexemplar der Dissertation nicht mehr vorhanden war. Die maßgebenden Mängel der Dissertation ließen sich an jedem Exemplar der Dissertation feststellen. Eine vertiefte juristische Einordnung einiger dieser Ausreden findet sich im Aufsatz »Der Entzug von Doktorgrad oder Habilitation« von Klaus Ferdinand Gärditz, Wissenschaftsrecht, Band 54 (2021), 150ff. Weitere Ausreden, auch von Studenten und Verlagen, finden sich im von Debora Weber-Wulff zusammengetragenen »Kuriositätenkabinett der Ausreden und Euphemismen«, Laborjournal 2019, Heft 7/8, 13-15. h ttps://laborjournal.de/editorials/1802.php Darin heißt es: Sehr populär sei bei Studierenden die ZeitmangelAusrede, dicht gefolgt von »Wikipedia-sagt-doch-schon-alles-warumsoll-ich-das-auch-schreiben«. Ein Student vermutete, seine Frau habe
127
128
Plagiate in der Wissenschaft
nachts die Texte aus einem Buch abgetippt. Ein anderer beteuerte, seine Notizen ohne Quellenangabe schnell abgetippt zu haben, dann zwei Wochen bei der Attac-Demo in Griechenland gewesen zu sein – und anschließend habe er gedacht, die genialen Zeilen selbst geschrieben zu haben. Ein tief-religiöser Student glaubte, dass Gott ihm die Lösung seiner Schreibblockade eingegeben habe. Manche Studenten sagen laut Weber-Wulff auch: »So haben wir es in der Schule immer gemacht! Noch nie sind wir aufgeflogen.«
7. Übersicht: Etappen eines von VroniPlag Wiki angeregten Prüfverfahrens 1. Etappe Lesenden einer Doktorarbeit fallen Plagiate auf. Die Leser sind oft Nachwuchs-Wissenschaftlerinnen oder Wissenschaftler, die keine Rezension unter ihrem Klarnamen schreiben wollen, weil sie dadurch Nachteile bei ihrem wissenschaftlichen Fortkommen fürchten. Sie melden den Verdacht an VroniPlag Wiki oder stellen die verdächtigen Passagen als »Fragmente« selbst im Wiki ein. 2. Etappe Beim Anlegen eines »Fragments« wird die passende Kategorie – Komplettplagiat, Verschleierung, Bauernopfer, Übersetzungsplagiat, Keine Wertung – gewählt. Die noch ohne Klarnamen des Plagiators oder der Plagiatorin eingestellten Fragmente werden von VroniPlag WikiMitwirkenden überprüft. Parallel suchen diese Mitwirkenden mit der Hilfe von Tools und Datenbanken nach weiteren Übernahmen. 3. Etappe Liegt eine Vielzahl an als »Plagiat« kategorisierten Fragmenten vor und gibt es einen Konsens der Mitwirkenden, verlässt die Dokumentation den Analyseraum und wird in den Hauptnamensraum verschoben. Dort findet eine Sichtung statt, aus der eine Dokumentation entsteht. Erst danach wird der Klarname der Autorin oder des Autors auf der Webseite von VroniPlag Wiki veröffentlicht. 4. Etappe Professorin Debora Weber-Wulff oder Professor Gerhard Dannemann,
5. Teil: So urteilen die Gerichte
beide bei VroniPlag Wiki aktiv, melden den Fall offiziell der gradverleihenden Universität. Sie legen dazu die komplette Dokumentation bei. Diese Dokumentation kann sich in den folgenden Wochen und Monaten noch erweitern. Für VroniPlag Wiki ist ein Fall nie abgeschlossen. Alle Berichte sind Zwischenberichte. 5. Etappe Die Universität beginnt ein eigenes Prüfverfahren. Diese Verfahren sind an den meisten Hochschulen formalisiert. Mögliche Rechtsfolgen sind in den Hochschulgesetzen vorgegeben. In vielen von VroniPlag Wiki entdeckten Fällen endet das Verfahren mit dem Entzug des Doktorgrades. Vorher wird der oder die Betroffene ebenso angehört wie die Betreuer(innen) der Arbeit. 6. Etappe Gelegentlich legt der oder die Betroffene Widerspruch gegen den Entzug des Doktorgrades ein oder ficht die Entscheidung vor dem Verwaltungsgericht an. Nur in ganz seltenen Fällen hat die Klage Erfolg, etwa, wenn die Plagiate bereits im Promotionsverfahren bekannt waren, oder wenn die Prozedur der Aberkennung fehlerhaft war. In 95 Prozent aller Fälle bestätigt das Gericht den Entzug. 7. Etappe Durch die Einlegung der Berufung, und später die Revision, kann der oder die Betroffene das Verfahren in die Länge ziehen. Diese Ausschöpfung des Rechtsweges kostet viel Geld. Arme Menschen können sich das nicht leisten. Tatsache ist, dass ein Plagiator seinen Doktorgrad in dieser Zeit weiter tragen darf. 8. Etappe Sobald alle Verwaltungsgerichte entschieden haben, tritt Rechtskraft ein. Ab diesem Zeitpunkt ist der »Dr.« aberkannt. Der Grad darf nicht mehr geführt; entsprechende Webseiten, Visitenkarten, Schilder usw. müssen geändert werden. Die Urkunde ist der Universität zurückzugeben. Journalistinnen und Journalisten können die Urteile schon vor Rechtskraft bei den Gerichten anfordern. 9. Etappe VroniPlag Wiki vermerkt in seiner Dokumentation den Entzug des
129
130
Plagiate in der Wissenschaft
Doktorgrades durch eine Hochschule. Allerdings erfahren die Aktivistinnen und Aktivisten nur selten automatisch davon. Sie sind auf Presseartikel, Gerichtsmitteilungen und Hinweise angewiesen. Die wenigsten Universitäten informieren öffentlich über den Entzug. 10. Etappe Manchmal erfährt VroniPlag Wiki nur dann über den Entzug des Doktorgrades, wenn die Hochschule den Dissertationsvermerk in den bibliographischen Angaben ihres Bibliothekskatalogs verändert. Manche Universitäten sperren den Zugang zu dem Werk. Das geschieht aber nicht einheitlich. In manchen Fällen beenden Verlage den Verkauf des Buches, in der Regel begründungslos.
6. Teil: Das Versagen von Bibliotheken, Verlagen und Tätern
1. Pflicht zu Entzugshinweisen Ist eine Doktorarbeit als Plagiat erkannt und der Grad, oft nach gerichtlichen Auseinandersetzungen, entzogen, ist die Verpflichtung einer Universität keineswegs erfüllt. Die Universität hatte die Qualifikationsarbeit, oft eine selbständige Schrift, in den bibliographischen Angaben ihres Bibliothekskatalogs ursprünglich als »Dissertation« gekennzeichnet. Das ist nun zu korrigieren. Zusätzlich wäre eine Information der Öffentlichkeit, oder zumindest ein Hinweis in Bibliothekskatalogen, denkbar, der über das Plagiat informiert. Unterbleibt dies, perpetuieren sich Plagiate. Die Hochschule hat also eine Informationspflicht. Im Januar 2021 befragte ich dazu für die F.A.Z. den Direktor der Universitätsbibliothek München, Klaus-Rainer Brintzinger, als Sektionsvorsitzenden im Deutschen Bibliotheksverband. Er sagte, Bibliothekskataloge seien keine Verzeichnisse gültiger Dissertationen. »Es besteht kein Anspruch darauf, dass das, was in den Katalogen steht, wissenschaftlich gesichert oder strafrechtlich unbedenklich ist. Bibliothekskataloge sind Findmittel und kein Instrumentarium zur Überprüfung wissenschaftlicher Validität oder Dignität.« Vor einiger Zeit hatte sein Verband eine Empfehlung herausgegeben, wonach bei betroffenen Dissertationen der Hochschulschriftenvermerk zu löschen ist. Das ist jene Information, die im Katalog meist mit den Worten »Zugleich Dissertation […]« beginnt. Durch die Löschung des Vermerks ist der Titel noch auffindbar, aber nicht mehr als Qualifikationsschrift gekennzeichnet. Problematisch ist jedoch, dass diese Korrektur nur im eigenen Bibliothekskatalog und den im eigenen Verbund angeschlossenen Katalogen sichtbar wird. In Deutschland existieren derzeit aber fünf große
132
Plagiate in der Wissenschaft
Kataloge. Versuche, einen einheitlichen nationalen Katalog einzuführen, scheiterten in der Vergangenheit am föderalen Beharrungsvermögen der Länder. Hinzu kommen Kataloge in anderen Staaten, die eine Dissertation ebenso erwerben und führen könnten. Außerdem gibt es Privatbibliotheken. Der Leiter der Kölner Forschungsstelle für Medienrecht, Rolf Schwartmann, veröffentlichte im September 2018 ein Rechtsgutachten zur »datenschutzrechtlichen Zulässigkeit der Kenntlichmachung des Entzugs eines Doktorgrades in (Online-)Bibliothekskatalogen«. Das Gutachten entstand unter Mitarbeit von Maximilian Hermann und Robin L. Mühlenbeck. Zentrale Frage war, ob ein Entzugshinweis in Bibliothekskatalogen datenschutzrechtlich zulässig ist. Dies bejahen die Autoren. Dabei gehen sie sogar noch weiter. Ein Entzugsvermerk »Doktorgrad entzogen durch […] am […]«, der lediglich die allgemeine Information des Entzugs, ohne Angabe des wissenschaftlichen Fehlverhaltens, als Entzugsgrund enthält, erfülle die Aufgabe der Sicherung der Integrität der Wissenschaft nicht. »Er sagt nämlich nichts über den wissenschaftlichen Mangel aus, der für die Pflege der Wissenschaft aber gerade entscheidend ist. Eine Aussage ohne Bezug zum wissenschaftlichen Fehlverhalten liegt nicht im Aufgabenbereich einer Hochschule.« Erst durch einen Hinweis auf das Bestehen eines wissenschaftlichen Grundes für den Entzug des Grades werde die Aufgabe, die im Erhalt der Glaubwürdigkeit der Wissenschaft liegt, erfüllt. Eine neue gesetzliche Regelung brauche es dafür nicht. Denn »der informierende Vermerk über den Entzug wegen wissenschaftlichen Fehlverhaltens in einem Onlinekatalog erweist sich, bezogen auf den rechtskräftigen Entzug des Doktorgrades, als notwendige Folgemaßnahme ohne Eingriffsgehalt.« Das Informationshandeln hinsichtlich des Entzugs sei eine Art »Folgenbeseitigung« des zu Unrecht verliehenen Doktorgrades. »Der bereits öffentlich gewordene falsche Schein, es liege ein wissenschaftliches Werk vor, wird wiederum auch öffentlich korrigiert. Durch den informierenden Vermerk werden keine über die bereits im Rahmen des Entzugs selbst betroffenen Grundrechtspositionen tangiert.« Das bedeutet: Die Hochschule hat nicht nur das Recht, sondern sogar die Pflicht, über den Entzug des Doktorgrades und dessen Grund im Bibliothekskatalog zu informieren. Dies ist kein Eingriff in die Rechtssphäre des Betroffenen. Also bedarf es für das Informationshandeln als solches keiner expliziten Ermächtigung. Schwartmann betont: »Für die Reinheit der Wissenschaft ist es unverzichtbar, öf-
6. Teil: Das Versagen von Bibliotheken, Verlagen und Tätern
fentliche Kenntnis darüber zu erlangen, ob ein als wissenschaftlich geltendes Werk auch tatsächlich wissenschaftlich korrekt erarbeitete Aussagen enthält.« Aufgabe der Hochschulen sei es, die Glaubwürdigkeit der Wissenschaft zu erhalten. Dazu müssten Arbeiten, die einen inhaltlichwissenschaftlichen Makel aufweisen, gekennzeichnet werden. Es sei Forschern, aber auch der Integrität der Wissenschaft, nicht zuzumuten, unwissentlich auf Ergebnisse aufzubauen, die den Makel des rechtskräftigen Entzugs des akademischen Grades tragen. »Während beispielsweise der Entzug einer Fahrerlaubnis nicht öffentlich gemacht werden muss, um den Straßenverkehr zu schützen, kann der wissenschaftliche Diskurs eben nur durch die Veröffentlichung geschützt werden.« Der Betroffene habe auch nach Ablauf von vielen Jahren kein Recht auf Vergessenwerden. »Jedenfalls solange die betroffene Arbeit verfügbar ist, kann die Integrität der Wissenschaft nur durch den öffentlichen Fortbestand des Entzugsvermerks gewahrt werden. So wie das Plagiat nicht verjährt, verjährt auch die Pflicht, es öffentlich zu machen, nicht.« Schwartmann muss es wissen. Er ist auch Vorsitzender der Gesellschaft für Datenschutz und Datensicherheit. Von 1887 bis 1987 wurden alle in Deutschland verliehenen Doktorgrade in einem gedruckten Verzeichnis zentral dokumentiert. Diese Verzeichnisse, die auch DDR-Promotionen erfassen, liegen bis heute in Lesesälen von Universitätsbibliotheken aus. Herausgegeben wurden die Bände zunächst von der Preußischen Staatsbibliothek, später von der Deutschen Bücherei in Leipzig. Eine ursprünglich geplante digitale Fortführung des Projekts scheiterte wohl auch an der steigenden Zahl von Promotionen und den vielen Korrekturen, die vorgenommen werden mussten. Gründe waren schon damals Titelentzüge oder veränderte Familiennamen der immer zahlreicher promovierten Frauen, die geheiratet hatten. Heute gibt es kein zentrales Verzeichnis aller Promotionen. Es wäre sinnvoll, eine solche Liste zu schaffen, der auch die im Ausland erworbenen Grade zu melden sind. Wenn die Liste online geführt würde, könnten auch Entzugsvermerke rasch eingearbeitet werden.
133
134
Plagiate in der Wissenschaft
2. Realität zu Entzugshinweisen Ob und wie Bibliotheken Hinweise zu Plagiaten und zum Entzug eines Doktorgrades anbringen, ist im föderalen Deutschland sehr unterschiedlich. Die Universität Erlangen-Nürnberg etwa kennzeichnet vorbildlich und aus eigenem Antrieb. Andere Universitäten bringen solche Hinweise erst nach entsprechender journalistischer Nachfrage an. So schreibt mir die Universität Gießen im April 2021: »Der Doktorgrad wurde Herrn […] – wie Sie korrekt feststellen – durch die JLU entzogen. Das Verfahren hat im August des vergangenen Jahres seinen rechtskräftigen Abschluss gefunden und wurde formell vom zuständigen Fachbereich beendet. Bedauerlicherweise hatte eine diesbezügliche Information dazu die UB [Universitätsbibliothek] nicht erreicht, so dass dort zunächst keine Aktualisierung vorgenommen werden konnte. Inzwischen ist die entsprechende Datei über die Giessener Elektronische Bibliothek (GEB) nicht mehr abrufbar und ein entsprechender Vermerk ist auf der Frontpage zu finden.« Anders verhält es sich bei der Berliner Humboldt-Universität, etwa im Fall Sch. und ihrer Dissertation zu »Illness, Media, and Culture – Ein interkultureller Vergleich der Darstellung von Allergien in englischen und US-amerikanischen Lifestyle-Magazinen«. Im Katalog der Deutschen Nationalbibliothek ist zu diesem Werk angemerkt: »Diese Dissertation ist aus rechtlichen Gründen gesperrt. Ursprünglich als Dissertation veröffentlicht, Doktorgrad wurde am 12.07.2019 entzogen.« Zwei Zeilen darüber findet sich jedoch ein Link auf den Dokumentenserver der Humboldt-Universität, auf dem die Arbeit bis Redaktionsschluss dieses Buches vorgehalten wird, sogar »kostenfrei zugänglich«, wie es ausdrücklich heißt (und zutreffend ist). Von einer Sperrung ist nichts zu merken. Die Humboldt-Universität hat in ihren bibliographischen Hinweisen keine Anmerkung zum Gradentzug angebracht, auch nicht in der Textdatei. Vielmehr steht dort immer noch »Dissertation«. Das gilt auch für den universitätseigenen Bibliothekskatalog. Unter »Öffentliche Notizen« steht dort bei der Online-Version lediglich: »kostenfrei«. Für die Version auf Papier ist notiert: »Exemplar ist am Standort«. Im Text ist sogar noch die Selbständigkeitserklärung enthal-
6. Teil: Das Versagen von Bibliotheken, Verlagen und Tätern
ten: »Hiermit erkläre ich, [Sch.], die vorliegende Dissertation selbständig verfasst und keine anderen als die angegebenen Hilfsmittel benutzt zu haben.« Als Leserin oder Leser erfährt man vom Entzug des Grads ausschließlich aus dem Katalog der Deutschen Nationalbibliothek, und dort ohne Angabe eines Grundes. Im Fall He. hat die Universität Hamburg folgenden Vermerk in ihren Bibliothekskatalog eingefügt: »Gilt nicht mehr als Hochschulschrift, 06.10.2017.« Allerdings fällt der Hinweis im unteren Drittel der bibliographischen Angaben kaum auf. Prominenter ist weiterhin diese Information in der dritten Zeile, direkt unter der Verfasserangabe: »Zugl.: Hamburg, Univ., Diss., 1997-1998«. Dabei steht »Diss.« für Dissertation. Ein Blick in den Katalog der Deutschen Nationalbibliothek zeigt: Dort gibt es keinen Hinweis auf einen Entzug des Doktorgrades. Bei einem Online-Buchhändler ist das Werk für 55,20 Euro weiter zu erwerben. Die einzige Leserrezension des Bandes enthält unter dem Titel »Bestechend scharfe Analyse« dieses Lob: »Besonders hervorzuheben ist die sprachliche Präzision, mit der [H.] seine umfassende Untersuchung vorträgt – sicher auch ein Verdienst des fachmännischen Lektorats, für welches [H.] mit dem Hamburger Philologen […] einen Experten ersten Ranges verpflichten konnte.« Der Zweitgutachter der Dissertation sagte nach Bekanntwerden der Plagiatsvorwürfe: »Ich hatte bereits in meinem Zweitgutachten zur Dissertation [des H.] zum Ausdruck gebracht, dass die Dissertation im Wesentlichen nur bereits bekannte Erkenntnisse enthält. […] Ich sehe mich in meiner damaligen, für die Beurteilung maßgebenden Annahme getäuscht, dass – mögen auch die Erkenntnisse im Wesentlichen nicht neu gewesen sein – doch die gesamte Darstellung inhaltlich und textlich allein vom Verfasser stammt. Hierin hatte ich die eigene Leistung des Verfassers gesehen. Die Grundlage für diese Beurteilung ist vollständig entfallen.« Vroni Plag Wiki hat auf 86,1 Prozent der Textseiten Übernahmen dokumentiert. Dass es sich bei dem Werk um ein teilweises Plagiat handelt, ist aber, auch aufgrund der fehlenden Hinweise in Bibliothekskatalogen, kaum bekannt. Das Buch wird weiter munter zitiert, etwa im Jahr 2018 in einer Berliner Promotion.
135
136
Plagiate in der Wissenschaft
Auch der Fall Ho. ereignete sich an der Universität Hamburg. Der Doktorgrad wurde 2017 entzogen. Im Bibliothekskatalog der Hochschule heißt es: »Gilt nicht mehr als Hochschulschrift«, ohne Angabe des Grundes. Der Katalog der Deutschen Nationalbibliothek ist in diesem Fall auskunftsfreudiger. Hier heißt es: »Dieses Dokument ist aus rechtlichen Gründen gesperrt. Ursprünglich als Dissertation veröffentlicht, Doktorgrad wurde 2017 entzogen.« Warum ist diese Information im Fall Ho. vorhanden, im Fall He. aber nicht? Die Deutsche Nationalbibliothek wird nicht automatisch über Gradentzüge informiert. Vielmehr erfolgt das oft eher zufällig, manchmal auch nur aufgrund eines Hinweises aus der Nutzer(innen)schaft der Bibliothek. Auch ich habe bereits solche Hinweise an die Titelaufnahme (E-Mail: [email protected]) gegeben. Wenn der Gradentzug belegt ist, etwa durch Abschrift eines diesbezüglichen Gerichtsurteils, ergänzt die Nationalbibliothek ihre bibliographischen Hinweise. Trotzdem ist die Doktorarbeit, ggf. erst nach Rücksprache, weiter verfügbar. Das halte ich auch für richtig. Eine Zensur sollte nicht stattfinden. Zudem muss die Überprüfung der Plagiatsvorwürfe für jedermann möglich sein. Deshalb ist es gut, wenn solche Dissertationen, wie alle anderen auch, dauerhaft archiviert bleiben. Im Fall Ma. hat sich die Universitätsbibliothek Münster eine kreative Lösung einfallen lassen. Zur ursprünglich online verfügbaren Doktorarbeit heißt es nun auf dem Dokumentenserver: »Entzug des Doktorgrades 2019. Die Dateien dieses Dokuments sind nicht frei zugänglich. Bitte nutzen Sie die gedruckte Version.« Das hat zur Folge, dass keine Online-Versionen mehr durchs Internet geistern und zitiert werden, die Arbeit aber weiterhin ausgeliehen und gelesen werden kann. Die VroniPlag Wiki-Mitwirkende und Berliner Informatikprofessorin Debora Weber-Wulff hat eine Liste aller Entzugsvermerke nach Entzügen wegen Plagiaten erstellt. https://vroniplag.fandom.com/de/wiki /Benutzer:WiseWoman/Entzugsvermerke = https://rb.gy/qmucpe Die knapp 100 Vermerke enthalten in keinem einzigen Fall den Hinweis auf Plagiate. »Datenschutzrechtlich steht einem Vermerk aber nichts entgegen. Im Sinne der Wissenschaft ist er auch«, meint dazu der Datenschutzexperte und Jurist Rolf Schwartmann in der F.A.Z. vom 22. September 2018. Weber-Wulff führt eine weitere (leider unvollständige) Liste mit Doktorgraden, die unabhängig von Dokumentationen in VroniPlag
6. Teil: Das Versagen von Bibliotheken, Verlagen und Tätern
Wiki entzogen wurden: https://vroniplag.fandom.com/de/wiki/Benut zer:WiseWoman/AndereEntzogeneGrade = https://rb.gy/ng8blp
3. Historische Plagiatsfälle Auch heute werden noch Plagiate in Büchern entdeckt, die vor langer Zeit veröffentlicht wurden und deren Verfasser inzwischen verstorben sind. Ihnen kann der Doktorgrad nicht mehr aberkannt werden. Auch rückwirkend geschieht dies nicht. Wie viele Plagiate würde man finden, wenn man heute alle Werke etwa aus dem 19. Jahrhundert absuchen würde? Vermutlich eine ganze Menge. Auch Plagiatsfälle aus dieser Zeit sollten dokumentiert werden. Denn manche Ausarbeitungen werden bis heute zitiert; statt einem Originalverfasser, der den Gedanken ursprünglich hatte. Im »HistorioPlag-Wiki« (https://historioplag.f andom.com/de/wiki/HistorioPlag_Wiki) finden sich historische Fälle. Es beginnt im Jahr 1265 mit dem Arzt Theodoric Borgognoni. Im Jahr 1498 wird eine seiner Monographien als Plagiat verdächtigt: »Post ipsum immediate venit theodoricus, qui rapiendo omnia quae dixit brunus, cum quibusdam fabulis hugonis de luca, magistri sui, librum edidit.« (»Nach ihm kommt unmittelbar Theodoricus, raubt alles, was Bruno sagt, und gibt es mit irgendwelchen Fabeln seines Lehrers Hugo de Luca als Buch heraus.«) Im Jahr 1518 folgt der Theologe Petrus Colonna Galatino. Er übernimmt nachweislos Texte, erbringt aber auch eigene wissenschaftliche Leistungen. Das Plagiat wird im Jahr 2012 von einem deutschen Forscher beschrieben. Tycho Brahe und Nicolaus Reimers beschuldigen sich zwischen 1588 und 1599 gegenseitig des Plagiats bezüglich des geo-heliozentrischen Weltbildes. Im Padua des Jahres 1662 plagiiert der Theologe Giuseppe Maria Maraviglia. »HistorioPlag-Wiki« berichtet: »Aufgedeckt wurde der plagiatorische Charakter von Maraviglias Schrift 114 Jahre später durch den evangelischen Theologen Johann Salomo Semler (1725-1791), der auf eine fälschliche Rezeption durch den ebenfalls evangelischen Theologen Eberhard David Hauber (1695-1765) hinwies, welcher in seiner Schrift ›Bibliotheca, acta et scripta magica. Gründliche Nachrichten und Urtheile von solchen Büchern und Handlungen, welche die Macht des Teufels in leibli-
137
138
Plagiate in der Wissenschaft
chen Dingen betreffen, Lemgo 1738 (Digitalisat)‹, das Plagiat des italienischen katholischen Bischofs Maraviglia an dem sächsischen Humanisten und Universalgelehrten Caspar Peucer nicht erkannt hatte. Die mit beißendem Spott unterlegten Ausführungen Semlers verdeutlichen exemplarisch, dass nicht nur damals das Plagiat bereits verpönt war, sondern sogar, dass die irrtümliche Rezeption eines Plagiats den wissenschaftlichen ›Gau‹ für den Gelehrten darstellen kann.« In Leipzig ließ sich Karl Friedrich Burdach im 18. Jahrhundert mit einer Arbeit promovieren, die ihm später viel Verdruss brachte, er meinte, zu Unrecht. In seiner 1848 veröffentlichten Selbstbiographie »Rückblick auf mein Leben« heißt es: »Als ich nämlich von Wien zurück kam, hatte ich das Material zu meiner Dissertation bereits gesammelt, und erfuhr nun, daß während meiner Abwesenheit mein Freund Clarus denselben Gegenstand bearbeitet und zum Behufe der Habilitation eine Dissertation über die Uebereinstimmung der methodischen und der Brownschen Schule vertheidigt hatte. Ich las diese Arbeit sogleich, fand aber darin nichts Eigenthümliches und für mich Neues. Als ich nun nach Jahresfrist promovirte, dachte ich aus diesem Grunde in Wahrheit nicht mehr an die Arbeit meines Freundes und unterließ es, sie zu citiren, was ich aus Artigkeit allerdings hätte thun sollen, wiewohl ich sie in der Vorrede zu meiner zugleich erschienenen deutschen Schrift wirklich angeführt hatte. Clarus gewährte meine Bitte, mir zu opponiren, entschuldigte sich aber im Voraus, daß er meine Einladung zum Mittagsessen anzunehmen durch praktische Geschäfte verhindert werde. Mich befremdete diese Weigerung allerdings, doch hatte ich weiter kein Arg. Wie staunte ich nun, als er im Auditorium öffentlich erklärte, er könne seine Opposition nur gegen die angehängten Thesen richten, da ich in der Dissertation selbst ein Plagiat an ihm begangen und noch dazu seine Abhandlung, aus der ich geschöpft, nicht genannt habe. Ich erwiderte, aus meiner Dissertation gehe klar und unwidersprechlich hervor, daß ich nur aus den Quellen selbst geschöpft und über den Asklepiades ungleich mehr gesagt habe, als er in seiner Abhandlung. Er blieb bei seiner Behauptung und sagte endlich, ich hätte ja sogar seine Worte abgeschrieben. Wenig fehlte, daß ich hierbei alle
6. Teil: Das Versagen von Bibliotheken, Verlagen und Tätern
Fassung verlor. Aufgefordert, dies zu beweisen, gab er die Worte an: Asclepiadem spretis pollicitationibus Mithridatis. Glücklicherweise erinnerte ich mich, daß dies die eigenen Worte des Plinius waren, von dem Clarus wie ich sie entlehnt hatte; dies konnte er nicht leugnen und andere Beweise eines Plagiats vermochte er nicht anzuführen: vor den Zuhörern war ich also wohl gerechtfertigt. Was kann aber einem angehenden akademischen Docenten Schlimmeres widerfahren, als die Beschuldigung eines literarischen Diebstahls?! Ich war entsetzt, kehrte in großer Aufregung nach meiner Wohnung zurück, nahm, sobald meine Gäste weggegangen waren, die Dissertation meines Gegners, deren Detail mir nicht mehr gegenwärtig war, vor und überzeugte mich, daß jeder Unparteiischer bei Vergleichung beider Dissertationen einsehen müßte, mir sei Unrecht geschehen.« Für das 19. Jahrhundert dokumentiert »HistorioPlag-Wiki« 15 Plagiatsstreitigkeiten. Darunter sind 11 Doktorarbeiten. Fünfmal wird der Grad aberkannt. So wurde im Jahr 1803 der Rostocker Jurist Johann Jakob Nettelbladt erwischt, im »Intelligenzblatt der Allgemeinen LiteraturZeitung« heißt es über ihn (Nr. 19, 26. Januar 1803, S. 160): »Herr Canzleyrath von Nettelbladt zu Rostock hat vor kurzem die Güte gehabt, meine im Jahr 1798 zu Marburg vertheidigte Inauguraldissertation: de Praelegatis zu übersetzen, und unter dem Titel: Systematische Entwickelung der Lehre von Prälegaten. Rostock und Leipzig 1802, als eignes Produkt herauszugeben. Gern würde ich ihm diese Vergnügen gönnen, und gewiß würde es mir nicht eingefallen seyn, bey einer so unbedeutenden Schrift meine Autorschaft gegen ihn geltend zu machen, wenn er nur mit etwas mehr Bescheidenheit und Vorsicht zu Werke gegangen wäre. […] Cassel, am 20. Dec. 1802. B. W. P f e i f f e r, Doctor der Rechte.« Die plagiatsbehaftete Schrift ist bis heute, ohne Hinweis, unter anderem im Katalog der Staatsbibliothek Berlin vermerkt. Die Schrift ist sogar in der Harvard Law School Library und zwei weiteren akademischen Bibliotheken der USA zu finden. Das Original von Pfeiffer hat seinen Weg dagegen nicht weit aus Deutschland hinausgefunden, es ist nur an der Straßburger Universität erhältlich. Bei vielen weiteren Plagiatsvorwürfen, etwa gegen den Juristen und Reichstagsabgeordneten Ludwig von Rönne, besteht noch Forschungsbedarf. In der »Allgemeinen
139
140
Plagiate in der Wissenschaft
Deutschen Biographie« von 1910 heißt es, die Vorwürfe seien »maßlos übertrieben«, allerdings könnten die Werke auch keine wissenschaftliche Selbständigkeit oder gar bleibende Bedeutung beanspruchen. Dem Rostocker Wilhelm Dabis wurde der 1873 für einen »Abriss der römischen und christlichen Zeitrechnung« zuerkannte Doktorgrad wegen Plagiaten wieder aberkannt; das Buch wird in der Deutschen Nationalbibliothek fälschlicherweise gar nicht als Dissertation geführt, immerhin spart man sich damit auch den Aberkennungshinweis.
4. Eine vorbildhafte öffentliche Annullierung im Jahr 1913 Die Zahl der Plagiate stieg mit der Bildungsexpansion: Je mehr promoviert und veröffentlicht wurde, desto mehr wurde plagiiert. Allein »HistorioPlag Wiki« vermerkt sechs aberkannte Doktorgrade zwischen 1913 und 1971. Es beginnt im »Sommer des Jahrhunderts« (Florian Illies) 1913, als die Universität Basel das Doktordiplom des Nationalökonomen André Haas annulliert. Die Erklärung soll hier komplett wiedergegeben werden, da sie zeigt, dass bereits damals die Standards wissenschaftlicher Praxis keinerlei Plagiate zuließen – anders als manche Täter(innen) heute argumentieren. »Annullierung eines Doktordiploms. Ingenieur André Haas, geboren am 7. Juli 1885 zu Mülhausen i/Els. und zur Zeit wohnhaft daselbst, hatte nach am 14. Juli 1910 bestandenem mündlichem Examen mit Nationalökonomie als Hauptfach und nach Ablieferung seiner Dissertation am 15. Juli 1913 von der philosophischen Fakultät der Universität Basel den Titel eines Doktors der Philosophie empfangen. Von seiner Dissertation, betitelt ›Entwicklungsfragen der Wasserwirtschaft in Frankreich und Deutschland, insbesondere im Elsaß ‹ hatte Herr Haas schriftlich an Eidesstatt erklärt, daß sie ohne fremde Beihülfe angefertigt worden sei. Da es sich nun nachträglich herausgestellt hat, daß besagte Dissertation sich in den wesentlichsten Teilen als wörtlichen Abdruck aus der Schrift von Th. Rehbock ›Der wirtschaftliche Wert der binnenländischen Wasserkräfte unter besonderer Berücksichtigung des Großherzogtums Baden (Programm der Großh. Technischen Hochschule zu Karlsruhe 1906/7)‹ ohne Quellenangabe im Text darstellt und sich somit als Plagiat qualifiziert, Herr Haas sich also entgegen seiner eidli-
6. Teil: Das Versagen von Bibliotheken, Verlagen und Tätern
chen Versicherung unerlaubter Mittel zur Erlangung der Doktorwürde bedient hat, erklärt die unterzeichnete Fakultät das an obigem Datum ausgestellte Diplom für null und nichtig und bittet von dieser Erklärung Kenntnis nehmen zu wollen. Basel, den 18. November 1913. Die Philosophische Fakultät der Universität Basel E. Hoffmann-Krayer, Dekan.« Diese Annullierung wurde im Jahresverzeichnis der Schweizerischen Hochschulschriften 1912-1913, Basel 1913, veröffentlicht. Die Annullierung war zuvor schon im Kantonsblatt Basel-Stadt vom 26.11.1913 bekanntgemacht worden. In den »Hochschul-Nachrichten. Monatsübersicht über das gesamte Hochschulwesen des In- und Auslandes«, München 1913, wurde in einer Kurzmitteilung auf Seite 56 (diesmal ohne Namensnennung) berichtet: »Die abgeschriebene Dissertation. Die philosophische Fakultät promovierte im Sommer einen Ingenieur auf Grund einer Dissertation über Entwicklungsfragen der Wasserwirtschaft, die sich nachträglich in ihren wesentlichen Teilen als Abschrift eines anderen Werkes entpuppte. Das Diplom wurde deshalb annulliert.« Anders als heute wurden plagiatorische Schriften und deren Autoren in der wissenschaftlichen Gemeinschaft konkret und öffentlich durch die Hochschulen benannt. »HistorioPlag Wiki« hat sich die plagiierte Arbeit angesehen und neben dem Plagiat eine Reihe haarsträubender Fehler gefunden. Die 79 Seiten des Haupttextes enthalten abzüglich Abschnittstitelseiten und Leerseiten, sowie der Abbildungen, 40,5 Textseiten. Das Literaturverzeichnis enthält 89 Titel, von denen aber nur 9 in der Arbeit referenziert werden. In insgesamt 19 Fußnoten werden lediglich 17 Quellen angegeben (von denen acht im Literaturverzeichnis nicht nachgewiesen sind). Außer im Literaturverzeichnis wird die Originalquelle der Arbeit an keiner Stelle im Text erwähnt. Obwohl der Titel Erkenntnisse aus dem Elsass verspricht, findet dieses Gebiet, außer beim Titel, lediglich in der Vita des Verfassers Erwähnung. Zwischen der Verleihung des Doktorgrads, der nachträglichen Entdeckung von Plagiaten, der Untersuchung des Falles und der Entscheidung zur Aberkennung vergingen nur vier Monate (Juli bis November
141
142
Plagiate in der Wissenschaft
1913)! Mit der Nachricht über die Aberkennung im November 1913 verliert sich die (online recherchierbare) Spur des Verfassers. Eine weitere Publikation oder erneute Promotion ist nicht feststellbar. Etwaige Folgen der Aberkennung für seine berufliche oder gesellschaftliche Stellung sind ebenfalls unbekannt. In den Bibliothekskatalogen aus der Schweiz, Österreich und Frankreich finden sich bis heute keinerlei Hinweise auf die Annullierung oder das Plagiat. Besser macht es Deutschland. Im Gemeinsamen Verbundkatalog heißt es zu der Arbeit: »Unter dem Datum des 18.11.1913 hat die Phil. Fak. der Uni. Basel das Doktordiplom annulliert, da die Arbeit ohne Zitatnennung in wesentlichen Teilen einen wörtlichen Abdruck von Th. Rehbock: Der wirtschaftliche Wert der binnenländischen Wasserkräfte […] darstellt.« Im Katalog der Staatsbibliothek zu Berlin heißt es: »Die Dissertation bildet einen Teil einer größeren unter dem gleichen Titel vorbereiteten Schrift Plagiat. Deshalb Doktordiplom annulliert.« Bei Doktorgradentzügen wegen Plagiat aus dem 21. Jahrhundert finden sich solche Hinweise nicht. Waren wir schon einmal weiter? Eine ausführliche Darstellung von Plagiatsfällen aus dem 20. Jahrhundert findet sich bei Debora Weber-Wulff in »False Feathers: A Perspective on Academic Plagiarism«, 2014.
5. Die Rolle der Verlage Plagiatsbehaftete Werke sollten aus Gründen der wissenschaftlichen Integrität und des Urheberrechts nicht weiter vertrieben werden. Für Verlage ist das in den meisten Fällen kein Problem: Dissertationen verkaufen sich zu über 90 Prozent in den ersten Monaten nach Erscheinen. Da Plagiate oft erst nach vielen Jahren aufgedeckt werden, und es dann noch weitere Jahre dauern kann, bis ein Doktorgrad entzogen ist, fällt ein Verkaufsende meist in die Zeit, in der das Buch sowieso nicht mehr nachgefragt wird. Im Fall KTG war es zudem so, dass die 400 gedruckten Exemplare des Buches bereits ausgeliefert waren, als die Plagiatsdiskussion begann. Einen Neudruck gab es nicht. KTG wird auf der Verlagsseite nicht einmal mehr als Autor geführt. Viele Doktorarbeiten erscheinen heutzutage nicht mehr gedruckt, sondern als Online-Publikation. Einige plagiatsbehaftete Werke wurden aus den Datenbanken entnommen. Für Verlage stellen solche Bücher kein wirtschaftliches Risiko dar. Manchmal können sie sich in den
6. Teil: Das Versagen von Bibliotheken, Verlagen und Tätern
Autorenverträgen von Ersatzansprüchen freistellen lassen, oder sie lassen sich zusichern, dass der Urheber oder die Urheberin die Schäden zu begleichen hat. Bei Zeitschriftenaufsätzen ist es für die Verlage manchmal schwierig, eine Verbreitung über elektronische Portale zu unterbinden. So veröffentlichte eine Juristin im Jahr 2015 einen plagiatsbehafteten Aufsatz in der »Juristenzeitung«, zu dem die Zeitschrift in einer späteren Ausgabe wie folgt Stellung nahm: »Anm. der Redaktion: Wir haben von dem Sachverhalt durch die Autorin Kenntnis erhalten und schließen uns mit großem Bedauern der Entschuldigung an. Die elektronische Fassung des Aufsatzes ist nicht mehr abrufbar.« Zu dieser Zeit war der Aufsatz in der Tat nicht mehr abrufbar. Als ich die Abrufbarkeit im Jahr 2018 kontrollierte, war der Aufsatz wieder da und wurde für »25 Dollar plus tax« angeboten. Der Verlag beteuerte, der Fehler sei einem Dienstleister passiert und inzwischen korrigiert. Im Jahr 2021 war der Aufsatz erneut abrufbar. Als ich die Redaktion darauf hinwies, schrieb mir der Schriftleiter: »Das darf wirklich nicht wahr sein. Ich habe 2018 eindringlich darauf hingewiesen, dass sich das nicht wiederholen darf.« Es war wieder der Fehler eines Dienstleisters. Der Aufsatz wurde wieder entfernt. Ich werde 2023 erneut prüfen, ob ich den Aufsatz weiterhin herunterladen kann. Einen bekannten Dissertationsverlag hatte ich am 18. Mai 2021 per E-Mail darauf hingewiesen, dass er weiterhin ein Buch als Dissertation verkauft, obwohl dem Autor der Doktorgrad entzogen wurde (Fall Ü.). Am 10. November 2021 antwortete mir der Verlag: »Vielen Dank für Ihre Mail, die mich erst heute erreicht hat. Bitte entschuldigen, Sie das ich Ihnen daher erst heute antworte. Generell nehmen wir Plagiatstitel aus unserem Programm, da es sich um eine Urheberrechts Verletzung handelt. Ich hoffe ich konnte Ihnen wenn auch verspätet hiermit weiterhelfen. Den von Ihnen erwähnten Titel werden wir aus dem Programm nehmen. Freundliche Grüsse aus der Schweiz, […]« Ein Monat spät musste ich erneut anfragen. Der Titel wurde nämlich weiterhin im Online-Shop des Verlags verkauft. Als wäre nichts gewesen. Dann hieß es immerhin: »Ich habe die Löschung des Buchs aus unserem Buchshop veranlasst.«
143
144
Plagiate in der Wissenschaft
In seltenen Fällen haben Verlage den Ehrgeiz, eine plagiatsfreie Version eines Werkes zu veröffentlichen. Da Plagiator(inn)en selten Buch darüber führen, welche Inhalte von wo geklaut wurden, sind Überarbeitungen entsprechend schwierig. Trotzdem überraschte mich diese Anfrage eines Wissenschaftsverlags im Oktober 2020: »Sehr geehrter Herr Zenthöfer, es ist der Wunsch von [Autor eines plagiierten Werkes], eine ›saubere‹ Ausgabe seines Buchs [Namen des Buches] herauszubringen. Für den [Namen des Verlags] kommt das höchstens dann in Frage, wenn das Buch von einem angesehenen Plagiatsexperten vollständig vor der Überarbeitung geprüft wird. […] Wir möchten Sie fragen, ob Sie diese Aufgaben übernehmen möchten. Natürlich gegen Entgelt. Es ist keine Frage, dass das Buch gravierend gegen gute wissenschaftliche Praxis verstoßen hat und es dabei nichts schönzureden gibt. Abgesehen davon, dass es immer noch viel Interesse an den Thesen des Buchs gibt, stellt sich uns als Verlag aber auch die Frage, ob ein solches Buch reparabel ist bzw. als grundsätzlich reparabel gelten sollte. Wir möchten darum bitten, diese Anfrage vertraulich zu behandeln. Mit freundlichen Grüßen […]« In einer kurzen Antwort habe ich freundlich abgesagt.
6. Zur Verantwortung der Presse Da Plagiate und Doktorgradentzüge in der Regel weder von Betroffenen, Hochschulen oder Verlagen mitgeteilt werden, obliegt es der Presse, die Öffentlichkeit zu informieren. Abgesehen von einer möglichen Dokumentation bei VroniPlag Wiki lässt sich nur so eine Perpetuierung von Plagiaten wirksam verhindern. Deutsche Gerichte ermöglichen diese Berichterstattung unter Nennung des Autor(inn)ennamens, solange gewisse Grenzen eingehalten werden: Keine Skandalisierung, keine Schmähung, kein Eingriff in die persönlichen Sphären des oder der Betroffenen. Doch nicht alle, über die – zulässigerweise – berichtet wird, sind damit einverstanden. Neben Klagen passieren auch Einschüchterungen, wie diese – hier anonymisierten – E-Mails an mich zeigen:
6. Teil: Das Versagen von Bibliotheken, Verlagen und Tätern
1. »Auf § 238 StGB weise ich hin.« Reaktion einer Rechtsprofessorin der Universität Passau nach schriftlicher Rückfrage zu ihrem Plagiat in einem Aufsatz. Nach Paragraph 238 Strafgesetzbuch droht demjenigen bis zu drei Jahre Gefängnis, der anderen nachstellt. Das kann auch »unter Verwendung von Telekommunikationsmitteln« geschehen. Die Juristin sah in der journalistischen Bitte um Stellungnahme (zwei E-Mails meinerseits) wohl einen Anfangsverdacht im umgangssprachlich so genannten Stalking. 2. Ein anderer Fall »Ich melde mich bei Ihnen als der Lebensgefährte von […] Nun haben sich, unter anderem ausgelöst durch Ihre ›Anfragen‹ per Mail, suizidale Tendenzen bei ihr derart verstärkt, daß ich sie heute vormittag wiederum in eine Klinik zwangseinweisen lassen mußte. Da Sie – aus welchen Motiven auch immer – als nebenberuflicher ›Plagiatsjäger‹ das Licht der Öffentlichkeit suchen, so sehe ich mich veranlasst, dies in Bezug auf Ihr Verhalten gegenüber […] nunmehr ebenfalls zu tun.« Der Inhalt der Nachricht ist tragisch; tragischer ist indes, dass die erwähnte Lebensgefährtin davon nichts wusste und diese Kommunikation auch nicht in ihrem Sinne war (wie diese mir einige Wochen später schrieb). Inhaltlich können die Informationen auch nicht stimmen, weil ein Lebensgefährte natürlich keine Zwangseinweisung vornehmen kann. Dafür braucht es Betreuer und Richter. Bedrohlich war für mich weniger der Inhalt der E-Mail als deren Umstände: Absender war ein Politiker der AfD, der sich innerhalb der Partei am rechten Rand befindet. Nach unbestätigten Informationen soll er einen aufbrausenden Charakter haben. Einem Mitwirkenden von VroniPlag Wiki schickte er eine deutlichere Nachricht: »Hunters will be hunted.« Das zitiert ein Lied von Heaven Shall Burn, in dem es heißt: »No mercy for assassins/Violence against violence/And hunters will be hunted/Until the slaughter ceased to be/Believe me, you’ll regret your deeds«. (Keine Gnade für Attentäter/Gewalt gegen Gewalt/Und wer jagt, wird gejagt/Bis das Gemetzel aufhört zu sein/Glaubt mir, ihr werdet eure Taten bereuen.) Will der Mann gnadenlos und gewalttätig so lange jagen, bis ein Zitatgeber einer meiner Artikel seine »Untaten« bereut? In einer weiteren Nachricht an den Aktivisten von VroniPlag Wiki hieß es unter anderem:
145
146
Plagiate in der Wissenschaft
»[V]ielleicht haben Sie sich ja auch das Video zu dem Lied angeschaut, wenigstens das Ende. Ein kleiner Fehltritt, und man fällt ins Leere. Ob Sie bereuen, etwas getan zu haben, hängt allein von Ihnen ab, nicht allein von Ihnen aber, ob Sie Grund finden werden, etwas zu bereuen.« Daraufhin habe ich das Justiziariat der F.A.Z. informiert und die Post meiner Heimatstadt gebeten, keine anonymen Pakete mehr an meine Familie und mich zuzustellen. Wegen der möglichen gesundheitlichen Situation der Betroffenen habe ich aber auch keine weiteren Berichte geschrieben und zudem darauf verzichtet, etwas über ihre Liebesbeziehung zu dem AfD-Politiker, die öffentlich nicht bekannt ist, verlauten zu lassen – weder in einem Artikel noch indirekt an Anfragen gegenüber Dritten. Einige Wochen später informierte ich die Plagiatorin über alles. Sie fand immerhin, dies sei nicht die Ebene der Kommunikation, die sie gutheiße. Zu einer Entschuldigung konnte sie sich aber nicht durchringen. Der Politiker bedauerte in einer späteren E-Mail seine Reaktion teilweise.
7. Ein Opfer kann noch lachen Opfer kommen selten zu Wort, also jene Menschen, deren eigene wissenschaftliche Leistung geklaut wurde. Einer von ihnen ist Niels Lange, mit dem ich über den Jahreswechsel 2021/2022 mehrfach sprach. Er wurde 1997 an der Universität Mannheim promoviert. Seine aufwändige Forschungsarbeit »Zwischen Regionalismus und europäischer Integration. Wirtschaftsinteressen in regionalistischen Konflikten« ist im Nomos-Verlag veröffentlicht. Genau gelesen wurde die Expertise auch von der früheren Geschäftsführerin der Leibniz-Akademie sowie Vizepräsidentin der Leibniz Fachhochschule in Hannover. Sie kopierte für die eigene Doktorarbeit 85 Fragmente aus Langes Arbeit, ohne diese auch nur ein einziges Mal zu zitieren oder im Literaturverzeichnis aufzuführen. VroniPlag Wiki hat den Schwindel detailreich dokumentiert und schreibt: »Die Übernahmen erfolgen großteils ganzseitig sowie in hohem Maße wortlautnah bis wortlautidentisch, wobei es zu Anpassungen der inhaltlichen Bezüge kommt. Während sich die Quelle mit der Haltung
6. Teil: Das Versagen von Bibliotheken, Verlagen und Tätern
von Unternehmensverbänden zu regionalistischen Bestrebungen anhand der Fälle Schottland, Wales, Katalonien und Galizien beschäftigt, werden die daraus übernommenen Ausführungen dem Thema der untersuchten Dissertation entsprechend kurzerhand auf Deutschland und die Niederlande bzw. die EUREGIO ›umgemünzt‹.« Inzwischen hat die Ruhr-Universität Bochum den Doktorgrad entzogen. Opfer Niels Lange war früher wissenschaftlich tätig und ist heute Geschäftsführer der Thüringer Ehrenamtsstiftung. Ein Freund hatte ihn auf die Analyse von VroniPlag Wiki hingewiesen. »Ich habe mich totgelacht«, erinnert sich Lange. »Wörtliche Zitate von katalanischen Wirtschaftsvertretern wurden hier emsländischen IHK-Repräsentanten angedichtet. Je mehr ich las, desto größer wurden meine Augen. Wie kann man davon ausgehen, dass ein solch dreistes Riesenplagiat nicht entdeckt wird?«. Immerhin blieb es 19 Jahre unentdeckt. Langes Anfrage bei VroniPlag Wiki, weshalb gerade die Dissertation der früheren Geschäftsführerin der Leibniz-Akademie untersucht wurde, ergab, es habe einen anonymen Tipp gegeben. Lange dazu lakonisch: »Wenn man so einen Mist macht, sollte man wenigstens aufpassen, keine Feinde zu haben!« Dass sich die Täterin 19 Jahre mit einem Doktorgrad geschmückt habe, der ihr nicht zustand, sei dramatisch. Schaue man sich ihren Lebenslauf an, hätte sie einige Posten ohne den »Dr.« nicht bekommen, vermutet Lange. Ein Freund habe ihm geraten, einfach mal bei der Dame anzurufen und sich vorzustellen. Das habe er dann aber doch nicht machen wollen. Eine Entschuldigung oder eine Erklärung hat er nicht bekommen. Er ist froh, dass das Thema mit der Aberkennung des akademischen Grades nun abgeschlossen sei. Als Lange jüngst seine alte Doktormutter wiedertraf, konnte er ihr immerhin erzählen, wie seine Dissertation noch einmal zu ganz neuen Ehren gekommen ist. Der Wissenschaft hat Lange vor 20 Jahren den Rücken gekehrt. Er hat es oft bereut. Personen wie Lange sind die Opfer von Plagiaten, weil Täter(innen), die im gleichen Fach konkurrieren, ihnen die Lehrstühle wegnehmen.
147
Selbstversuch: Eine plagiierte Habilitationsschrift melden
Für die Recherchen zu diesem Buch wollte ich herausfinden, was passiert, wenn ich eine plagiierte wissenschaftliche Arbeit finde und diese VroniPlag Wiki melde. Um es einfach zu gestalten, suchte ich eine Arbeit, deren Volltext im Internet frei zugänglich ist. Doch das sind sehr viele. Auf gut Glück mich in Hunderte von Doktorarbeiten einlesen wollte ich nicht. Deshalb beherzigte ich das Sprichwort, wonach Feuer dort ist, wo schon einmal Rauch gesehen wurde. Ich schaute nach einer habilitierten Person, deren Doktorgrad aberkannt wurde. Bei der Suche in Bibliothekskatalogen fand ich Ü., der beide Grade an der Freien Universität Berlin erworben hatte. Dort war zur Dissertation vermerkt: »Ursprünglich als Dissertation, Doktorgrad wurde vom Fachbereich Politik- und Sozialwissenschaften der FU Berlin 2015 entzogen«. Der Grund des Entzugs des Grades blieb ungenannt. Ein VroniPlag Wiki-Fall war es nicht. Ü. hatte sogar noch einen weiteren Doktorgrad, in Speyer, erworben und trat in der Öffentlichkeit mit diesen akademischen Leistungen offensiv auf. Er nannte auf der Webseite seines (wohl privat finanzierten und nicht an eine Hochschule angeschlossenen) »Instituts für Menschenrechte« auch noch den entzogenen Grad. Seine Habilitationsschrift aus dem Jahr 2005 hat 427 Seiten und trägt den Titel »Erwartungen und Probleme hinsichtlich der Integrationsfrage der Türkei in die Europäische Union«. Schon bei flüchtigem Überlesen fand ich einige Passagen, die vom Stil anders klangen als der Rest, und zudem ohne Fußnoten geblieben waren. Mehrmals gab ich auffällige Stichworte in die Suchmaschine ein. Prompt lieferte mir diese die Originalquellen, darunter Publikationen von politischen Bildungswerken. Es ist wichtig, zweifach zu prüfen, welcher Text zuerst veröffentlicht wurde. So erfährt man, wer von wem abgeschrieben hat.
150
Plagiate in der Wissenschaft
Hier war Ü. der Täter. Meine ersten »Treffer« übermittelte ich mit weiteren Hinweisen an VroniPlag Wiki, etwa diesen: Abb. 5 Originaltext von Kramer, Heinz: »Die Türkei: EUkompatibel oder nicht? Zur Debatte um die Mitgliedschaft der Türkei in der Europäischen Union«, Herausgegeben von der Niedersächsischen Landeszentrale für politische Bildung, Hannover 2004 (S. 28):
Ü. schreibt 2005 (S. 249f.):
»Es gibt in dieser Frage keine objektiv richtige Antwort. [...] Die Entscheidungsträger haben darüber zu befinden, welche Gesichtspunkte für sie wichtig sind und welchen sie eine geringere Bedeutung beimessen. Sie haben zu entscheiden, ob der türkische Beitritt wirklich ›das Ende der Europäischen Union‹ bedeutet oder ob die stabilitätspolitischen Risiken infolge eines Widerrufs der Beitrittsperspektive und vor allem die Chancen, um die man sich mit einem solchen Rückzug bringen würde, weit schwerer [wiegen] als die Risiken einer institutionellen Überforderung der EU […]«
Eine aus wissenschaftlicher Perspektive objektiv richtige Antwort gibt es nicht. [...] Die politischen Entscheidungsträger müssen Prioritäten setzen und festlegen, welchen Kriterien sie größere Bedeutung beimessen. Ihnen bleibt es überlassen, zu entscheiden, ob der türkische Beitritt wirklich »das Ende der Europäischen Union« bedeutet oder ob »die stabilitätspolitischen Risiken infolge eines Widerrufs der Beitrittsperspektive und vor allem die Chancen, um die man sich mit einem solchen Rückzug bringen würde, weit schwerer [wiegen] als die Risiken einer institutionellen Überforderung der EU.«
Bei VroniPlag Wiki nahm man sich unter anderem der Frankfurter Hochschullehrer Roland Schimmel der Analyse sofort an. Innerhalb weniger Tage fanden er und weitere Aktivistinnen und Aktivisten etliche Komplettplagiate, Bauernopfer und andere Verrücktheiten. Darunter waren auch viele Übernahmen, die ich wohl nie entdeckt hätte. Die spannende Entstehung dieser Dokumentation konnte ich (wie jeder andere auch) live auf der Seite »Letze Änderungen« nachverfolgen, die bei VroniPlag Wiki unter https://rb.gy/k3vqqz verlinkt ist. Die Menge an Fragmenten wuchs und wuchs von Tag zu Tag. Diese Habilitationsschrift, beziehungsweise die später in einem Verlag veröffentlichte – möglicherweise abweichende – Version, ist aber nicht nur wegen der Plagiate problematisch. Vielmehr habe ich den Eindruck, dass sie nie Korrektur gelesen, womöglich gar nicht einmal gelesen wurde. Das beginnt schon bei Verweisen und Fußnoten. So sind innerhalb des Textes von Fußnote 72 zwei weitere Fußnoten enthalten, die auch »72« lauten! Auch diese Fußnoten lassen Leser und Leserin mit Frage(zeiche)n zurück:
Selbstversuch: Eine plagiierte Habilitationsschrift melden
Fußnote 325: Agence, Nr. 6412 ??? Fußnote 326: Vgl. Agence Nr. 6435 ??? Fußnote 327: Der Zwischenfall wurde ausgelöst ??? Fußnote 330: Weil der ER ??? Fußnote 337: Vgl. FAZ vom 16.3.1998, S. 1; ??? Die Quelle »Agence« wird auch in vielen weiteren Fußnoten zitiert. Unklar bleibt aber, was »Agence« ist, denn im Literaturverzeichnis taucht die Quelle nicht auf. Ein Plagiatsopfer ist beispielsweise Matthias Dembinski, der in einer seiner Schriften wohl einen Rechtschreibfehler bei einer Quellenangabe macht, was Ü. in Fußnote 285 zu folgendem Klammereinschub veranlasst: »Ebenso vgl. Herrmann (Dembinski schreibt den Autor mal mit einem, mal mit zwei r !?!), Rainer: Türkische Unternehmer dringen auf Reformen. In: FAZ vom 2.10.1999, S. 15« Ü. selbst macht aber den gleichen Fehler, schreibt Herrmann mal mit zwei r, mal mit einem r. (Richtig ist ein r). Die Zitierweisen in der Arbeit sind auch in den anderen Fußnoten völlig uneinheitlich und manchmal falsch. Mehrfach wird »Dembinski 2001« zitiert, an anderen Stellen wird er ohne Nennung plagiiert, und schließlich nicht einmal im Literaturverzeichnis genannt. Im Grunde ist die Arbeit, auch inhaltlich, ein Desaster. Sie hätte niemals als Habilitation anerkannt werden dürfen. Wie ich in den Tagen darauf erfuhr, wurde die »Zuerkennung der Lehrbefähigung für das Fach Politikwissenschaft« von der FU Berlin schon 2014 zurückgenommen. Das steht in der gedruckten Version der Arbeit, die in der FU-Bibliothek vorgehalten wird; aber schon nicht mehr in der gleichen Version, die in der einige Kilometer entfernten Staatsbibliothek Berlin ausgegeben wird. Entzüge gab es für Ü. auch in Rheinland-Pfalz: Der Senat der Universität Speyer hat Y. den Titel eines Magisters der Verwaltungswissenschaften (Mag. rer. publ.) und eines Doktors der Verwaltungswissenschaften (Dr. rer. publ.) aberkannt. Beide Grade wurden 2014 entzogen. Das ist indes nirgendwo zu erfahren, auch nicht in den Bibliothekskata-
151
152
Plagiate in der Wissenschaft
logen. Durch diese extrem zurückhaltende Informationspolitik leisten die Hochschulen dem Betrug geradezu Vorschub. Dazu sagte mir ein Sprecher der FU Berlin 2021: »Die Kennzeichnung wird von den Bibliotheken nicht einheitlich gehandhabt. ZENDAS, die Zentrale Datenschutzstelle der baden-württembergischen Universitäten, lehnt die Eintragung in den Onlinekatalog aus Datenschutzgründen ab. Die Freie Universität Berlin hat sich dieser Auffassung angeschlossen.« Y. wurde zudem von der Freien Universität zur Rückgabe der Habilitationsurkunde aufgefordert, und es erfolgte ein Vollstreckungsverfahren zur Durchsetzung der Herausgabepflicht. Dieser Verpflichtung war Y. mindestens bis Mitte 2021 nicht nachgekommen.
7. Teil: Was muss von wem getan werden?
Schwarze Schafe erzeugten zwar viel öffentliche Aufmerksamkeit. Doch der Großteil der Doktorandinnen und Doktoranden arbeitet nach wissenschaftlichen Standards. Ziel muss sein, dass dies so bleibt, und die Zahl der schwarzen Schafe sinkt. In den vergangenen Jahren sind viele Vorschläge dazu gemacht worden. Die aus meiner Sicht sinnvollsten und erfolgversprechenden Ideen habe ich hier zusammengetragen. Unberücksichtigt bleiben fachspezifische Anregungen beispielsweise für Chemie und Medizin. Auch ganz allgemeine Forderungen, etwa nach einer besseren Finanzierung des Hochschulsystems, habe ich weggelassen. Zwar hat die Zahl der Plagiate auch mit Geldnot der Universitäten zu tun, weil dadurch Betreuung und Kontrolle nachlasen. Aber kurz- und mittelfristig können andere Maßnahmen eine ebenso große Wirkung bei der Bekämpfung von Täuschungen entfalten. Wer plagiiert, täuscht; wer viel plagiiert, täuscht vorsätzlich. Die Hauptverantwortung für Wissenschaftsbetrug liegt bei den Doktorandinnen und Doktoranden selbst. Zum einen gibt es zu viele davon, gemessen an der Gesamtbevölkerung mehr als in jedem anderen Land der Welt; zum anderen sind manche nicht geschult in guter wissenschaftlicher Praxis. Umfragen zeigen, dass sich viele Doktoranden überfordert fühlen. Zwar ist es gut, dass in Deutschland viel geforscht wird. Doch viele Vorhaben sind, bei Lichte betrachtet, wissenschaftlich unerquicklich. Der Doktorgrad sollte am besten nur von jenen abgestrebt werden, die eine wissenschaftliche Karriere planen. Dass forschungsstarke Fachhochschulen das Promotionsrecht verliehen wurde, begrüße ich. Manchmal sind Bedingungen und Betreuung dort besser als an Universitäten. Bisher hat VroniPlag Wiki keine Plagiate in Dissertationen gefunden, die an Fachhochschulen betreut wurden.
154
Plagiate in der Wissenschaft
1. Die Verantwortung der Doktoreltern a) Weniger Promovierende! Reduziert die Zahl Eurer Promovierenden! Nehmt nur so viele Doktorandinnen und Doktoranden an, wie Ihr wirklich sinnvoll betreuen könnt. b) Betreut nach Vereinbarung! Betreuungsvereinbarungen sollten Standard sein – bisher haben sie, laut »Bundesbericht Wissenschaftlicher Nachwuchs 2021« nur drei Viertel aller Promovierenden. Schon 2011 schlug der Wissenschaftssoziologe Stefan Hornbostel im Deutschen Bundestag solche Kontrakte vor. Darin sollte neben Grundsätzlichem, etwa der Einhaltung von Regeln guter wissenschaftlicher Praxis, auch die regelmäßige Präsentation der Arbeitsfortschritte festgelegt werden. Zudem sollten sich Promovierende bereit erklären, Trusted Timestamping zu nutzen, und ihre Arbeit mit Hilfe von Plagiatssoftware und anderer Künstlicher Intelligenz überprüfen zu lassen. c) Schöpft die Notenskala aus! An deutschen Hochschulen werden Doktorarbeiten überdurchschnittlich gut bewertet: Die am häufigsten vergebenen Noten sind »summa cum laude« (»mit Auszeichnung«) und »magna cum laude« (»sehr gut«), die schlechteste Note »rite« (»ausreichend«) ist der Ausnahmefall. Die Notenskala wird somit bei Weitem nicht ausgeschöpft, auch wenn die Vergabe in den Fächern und den Hochschulen stark divergiert. Das stellte bereits 2011 die Friedrich-Ebert-Stiftung bei einer Konferenz zum Thema »Plagiatsfälle in der Wissenschaft« fest. Daran hat sich bis heute nichts geändert. Mehr Transparenz wäre zum Beispiel dadurch möglich, dass Hochschulen in jährlichen Statistiken die Notenvergabe öffentlich darstellen. d) Aber: externe Promotionen sollten weiterhin möglich sein! Neben internen Promotionen sollten auch weiterhin externe Promotionen möglich sein. Das hat verschiedene Gründe. Zum einen geben Externe wichtige Impulse aus der Praxis, zum anderen sind externe Promotionen in manchen Fächern die Regel und funktionieren gut.
7. Teil: Was muss von wem getan werden?
2. Die Verantwortung der Hochschulen a) Übt gute wissenschaftliche Praxis ein! »Die Regeln guter wissenschaftlicher Praxis müssen Studierenden bereits zu Beginn ihres Studiums vermittelt werden.« Mit dieser so einfachen wie wahren Feststellung beginnen die Empfehlungen einer Konferenz zum Thema »Plagiatsfälle in der Wissenschaft« der FriedrichEbert-Stiftung aus dem Jahr 2011. »Ziel sollte sein, dass die Absolventen und Absolventinnen über das notwendige Bewusstsein und die erforderlichen Fähigkeiten einer guten wissenschaftlichen Praxis verfügen. […] Die Hochschulen haben die Aufgabe, die Studiengänge entsprechend zu strukturieren, klare Regeln guter wissenschaftlicher Praxis offensiv zu kommunizieren und die Mitglieder auf ihre Einhaltung zu verpflichten.« Dabei darf es mit einer einmaligen Veranstaltung zu Studienbeginn nicht getan sein. In einem Aufsatz aus dem Jahr 2015 fordern Denis Basak, Lars Gußen, Manuel Köchel, Marc Reiß, Roland Schimmel und Christine Schliwa »ein Lernen in Schleifen oder konzentrischen Kreisen« (Zeitschrift für Didaktik der Rechtswissenschaft, 263-285). »Im Sinne eines constructive alignment müssten [dabei] schon zu Beginn des Studiums Hausarbeiten geschrieben werden, weil es sonst an jeder Form fehlt, den Leistungsstand bezüglich wissenschaftlicher Arbeitstechniken zu prüfen. Schließlich müsste rechtzeitig der sich im weiteren Verlauf des Studiums wandelnde Anspruch deutlich gemacht werden: Wer die ersten Pflichthausarbeiten hinter sich hat, darf nicht mehr auf die anfängliche Nachsicht zählen.« b) Veröffentlicht die Gutachten zu Doktorarbeiten! Gutachten zu Doktorarbeiten sollten veröffentlicht werden, damit sie hinterfragt werden können. Dies würde auch dazu führen, dass die Gutachten hochwertiger werden und die Korrektur der Dissertationen an Qualität gewinnt. c) Stärkt Eure Ombudspersonen! Die Ombudspersonen für gute wissenschaftliche Praxis an den Hochschulen sollten aktiv die Qualitätssicherung voranbringen. Sie benötigen Personal, Ausstattung und politische Unterstützung innerhalb der Institution. An einigen Hochschulen, wie in Göttingen, ist das schon gut gelungen.
155
156
Plagiate in der Wissenschaft
d) Achtet auf Qualität statt Quantität! Die Berufungskommissionen der Hochschulen sollten nicht mehr nach Quantität urteilen, wenn sie eine Kandidatin oder einen Kandidaten beurteilen, sondern nach Qualität. Daher sollten nur die fünf besten Arbeiten ausgesucht und beurteilt werden, nicht die Gesamtanzahl der Publikationen. Dies fördert qualitative Forschung und verhindert ein Aufblasen von Veröffentlichungslisten durch Zweitverwertungen, Nonsenspapiere und Plagiate. e) Formalisiert die Annahmeprozeduren für Doktoranden! Jede Annahme eines Doktoranden oder einer Doktorandin sollte nachvollziehbar begründet sein. Dazu braucht es ein Aufnahmeverfahren, das nicht formalisiert und bürokratisch, aber fakultätsöffentlich und transparent ist. Bei Abschluss dieses Verfahrens wird die promovierende Person in die Statistik aufgenommen, die an die Landesregierung gemeldet wird. Individualpromotionen sollten weiterhin möglich sein. f) Beruft Zweitgutachter aus anderen Universitäten! Mindestens ein Gutachter der Arbeit sollte aus einer anderen Universität stammen. Das verhindert Patronage und Kungelei. Um gleichzeitig der ausufernden unentgeltlichen Gutachtertätigkeit entgegenzuwirken, sollte die Arbeit entlohnt werden. Dafür wäre auch eine Gebühr für das Promotionsstudium zulässig. In sozialen Härtefällen müssten Universitäten oder Stiftungen die Kosten übernehmen. g) Verpflichtet zur digitalen Einreichung! Promovierende sollten verpflichtet werden, eine digitale Version ihrer Arbeit bei der Universität einzureichen. Das kann helfen, Plagiate zu erkennen und händische oder automatisierte Prüfungen durchzuführen. An vielen Universitäten ist das bereits Pflicht oder Praxis; aber nicht an allen. h) Informiert über Gradentzüge! Über jeden Entzug eines Doktorgrades müssen die Hochschulen öffentlich berichten. Das ist datenschutzrechtlich zulässig. Es bedarf einer Pressemitteilung und eines Hinweises im Bibliothekskatalog, damit der Hochschulschriftenvermerk geändert wird. Zudem muss die Hochschule auch die Deutsche Nationalbibliothek und die fünf deutschen Verbundkataloge informieren. Hierzu kann ein einheitliches Meldever-
7. Teil: Was muss von wem getan werden?
fahren entwickelt werden, an dem auch die Schweiz und Österreich beteiligt sein sollten. Zuletzt sollten auch die Verlage informiert werden, in denen plagiatsbehaftete Arbeiten erschienen sind. i) Informiert über Noten! Die Hochschulen sollten verpflichtet werden, die erteilten Zensuren, zumindest in aggregierter Form, jährlich mitzuteilen. Dadurch ließe sich die Notenvergabe an den einzelnen Hochschulen in Deutschland vergleichen. j) Bietet Alternativen an! Um zu verhindern, dass etwa Juristinnen und Juristen statt in Deutschland eine Dissertation vorzulegen, im Ausland einen kostspieligen Master (LL.M. etc.) anstreben, sollten die Hochschulen neue Masterstudiengänge anbieten. Diese können die Anfertigung einer wissenschaftlichen Arbeit im Curriculum enthalten.
3. Die Verantwortung der Landespolitik a) Stoppt falsche Anreizsetzungen! Die teilweise noch anzufindende Praxis, wonach die Zahl abgeschlossener Promotionen ohne jede Würdigung der Qualität eine Rolle bei Mittelvergaben stimmt, muss beendet werden. Der Soziologe Stefan Hornbostel sagte bereits 2011 im Deutschen Bundestag, solche Systeme belohnten lediglich einen hohen Durchsatz an Doktoranden. b) Registriert alle Promovierenden! Wir brauchen eine zentrale Statistik, die alle Promovierenden in Deutschland erfasst – schon während ihres Promotionsvorhabens, nicht erst bei erfolgreichem Abschluss der Arbeit. Entsprechende Ansätze wurden 2016 bei der Novellierung der Hochschulstatistik umgesetzt. Seit 2019 hat sich die Statistik noch einmal verbessert, ist aber weiterhin unvollständig. Die Bundesländer sollten die Daten aller Hochschulen zusammentragen und der Kultusministerkonferenz weitermelden. Dann wären belastbare Aussagen über die Zahl auch der Individualpromovierenden, die Abbrüche von Promotionen und die Promotionsdauer möglich.
157
158
Plagiate in der Wissenschaft
c) Lehrt wissenschaftliches Arbeiten in den Schulen! Schon in der Schule sollte deutlich gemacht werden, dass Urheberrecht und Grundsätze guter wissenschaftlicher Praxis zu beachten sind. In vielen Schulen, unter anderem in Baden-Württemberg, aber auch in Luxemburg (z.B. Lycée Ermesinde Mersch) funktioniert das schon ganz gut – aber eben nicht flächendeckend. d) Führt eine Publikationspflicht für Habilitation ein! Interessanterweise besteht für die Habilitation keine Veröffentlichungspflicht, wie dies bei der Promotion auf Grundlage eines Beschlusses der Kultusministerkonferenz (KMK) aus dem Jahr 1977 der Fall ist. Das sollte sich ändern. Auch Habilitationsschriften sollten von der Öffentlichkeit gelesen und diskutiert werden können. e) Schafft überregionale Untersuchungskommissionen! Stephan Rixen äußerte diesen guten Vorschlag am 19. Januar 2020 in der F.A.Z.: »In Anlehnung an die Empfehlungen des Wissenschaftsrats zur wissenschaftlichen Integrität könnte nach ausländischem Vorbild das bisherige System der Selbstkontrolle so verändert werden, dass Einrichtungen einen Verdachtsfall an eine (über-)regionale Untersuchungskommission abgeben können, die den Fall aufklärt und eine Empfehlung zum weiteren Vorgehen ausspricht. Das Letztentscheidungsrecht bliebe allein bei der betroffenen Einrichtung, zum Beispiel einer Universität. Allerdings wäre sie, auch gegenüber der Öffentlichkeit, erklärungspflichtig, wenn sie der Empfehlung nicht folgt.«
4. Die Verantwortung der Bundespolitik a) Schafft eine zentrale nationale Beratungsstelle! Deutschland braucht eine nationale Beratungsstelle zu Plagiat und wissenschaftlichem Fehlverhalten. Zu viele Fragen, bis hin zur Definition, was ein Plagiat ist, sind noch ungeklärt und werden daher von Hochschule zu Hochschule unterschiedlich beantwortet. Die Berliner Informatikprofessorin Debora Weber-Wulff hat am 9. November 2011 bei einem Öffentliches Fachgespräch im Deutschen Bundestag zum Thema »Qualität wissenschaftlicher Arbeiten« das amerikanische »Office of Research Integrity« vorgestellt. Es ist beauftragt, über die Vermeidung von
7. Teil: Was muss von wem getan werden?
Plagiat und wissenschaftlichem Fehlverhalten aufzuklären. Es untersucht auch konkrete Fälle und unterstützt andere Institutionen dabei, ihre eigenen Untersuchungen durchzuführen. So eine Institution fehlt in Deutschland. »In einer solchen Beratungsstelle können auch Software-Systeme bereitgehalten werden für die punktuelle Analyse von Arbeiten bei konkretem Verdacht«, schlug Weber-Wulff vor, und weiter: Für eine Übergangszeit, bis die Hochschulen eigene tragfähige Qualitätssicherungssysteme entwickelt haben, sollten in dieser Beratungsstelle stichprobenartig Dissertationen und andere wissenschaftliche Arbeiten von allen Hochschulen und aus allen Fachrichtungen überprüft werden. Zur Dokumentation könnte ein Verfahren wie bei VroniPlag Wiki angewendet werden, um transparent über Arbeiten, die jenseits einer Schwelle an verdächtigen Stellen liegen, zu diskutieren. Diese Beratungsstelle sollte auch Kurse entwickeln, die junge Forscher und Forscherinnen über gute wissenschaftliche Praxis aufklären, und sie sollte die Hochschulen dabei unterstützen, geeignete Diskussionsarenen aufzubauen. »Es ist wichtig, diese Beratungsstelle zentral aufzubauen, denn Fragen guter wissenschaftlicher Praxis sind übergreifend für alle Hochschulstandorte in Deutschland relevant«, sagte Weber-Wulff. b) Ändert das Personalausweisgesetz! Es sollte nicht mehr möglich sein, einen Doktorgrad in den Personalausweis einzutragen. Damit entfällt einer der wesentlichen Gründe, warum einige Personen unbedingt promovieren wollen: um mit Herr oder Frau Dr. angeredet zu werden und den Grad auf der Visitenkarte aufzuführen. Diese Verliebtheit in (s)einen Doktorgrad gibt es sowieso nur in Deutschland und, noch verschärfter, in Österreich. c) Registriert alle Promovierenden! Wir brauchen eine zentrale Statistik, die alle Promovierenden in Deutschland erfasst – schon während ihres Promotionsvorhabens, nicht erst bei erfolgreichem Abschluss der Arbeit. Die Kultusministerkonferenz sollte die Daten der Bundesländer zusammentragen und dem Statistischen Bundesamt (Destatis) übergeben, damit dieses seine Hochschulstatistik verbessern kann. d) Schafft eine Liste aller Promotionen! Wir brauchen dringend wieder eine öffentliche Liste aller Promotio-
159
160
Plagiate in der Wissenschaft
nen und aller Personen, die berechtigt sind, in Deutschland einen Doktorgrad zu führen. In diese Liste sollten auch zugrundeliegende Forschungsarbeiten aufgeführt sein. Bislang können sich noch zu oft Menschen gefahrlos als »Dr.« bezeichnen, die keinen Grad besitzen oder diesen verloren haben. e) Ändert aber nicht die Voraussetzungen des passiven Wahlrechts! Es wäre abzulehnen, eine gesetzliche Grundlage zu schaffen, die es jemanden verwehrt, innerhalb eines bestimmten Zeitraums Ämter aus öffentlichen Wahlen zu erlangen, wenn ihm ein akademischer Grad wegen bewusster Täuschung aberkannt wurde. Diese Forderung gab es nach verschiedenen »Politiker-Fällen«. Meines Erachtens sollen Wählerinnen und Wähler über die Ämtervergabe entscheiden, nicht Gerichte.
5. Die Universität Bayreuth zehn Jahre nach dem Fall KTG Als vorbildlich will ich die Universität Bayreuth bezeichnen, die vom Plagiatsfall KTG erfasst wurde und vor zehn Jahren einen veritablen Shitstorm erlebte. Doch die Hochschule hat aus Fehlern gelernt. Ihre Kommission »Selbstkontrolle in der Wissenschaft« legte am 5. Mai 2011 einen Bericht an die Hochschulleitung vor. In Kapitel 6 des Berichts wurden Empfehlungen ausgesprochen, die nun, zehn Jahre später, fast alle umgesetzt sind. Bereits im Juli 2011 beschloss die Hochschulleitung Maßnahmen zur Sicherung der Standards guter wissenschaftlicher Praxis bei der Betreuung von Doktorandinnen und Doktoranden. Ein zweiter Schritt war die im Mai 2012 verabschiedete »Satzung zur Sicherung der Standards guter wissenschaftlicher Praxis und zum Umgang mit wissenschaftlichem Fehlverhalten«, die momentan aktualisiert wird. Dies waren die Forderungen im Einzelnen: »in allen Studiengängen eine im Curriculum verpflichtend vorgeschriebene Einführung in das wissenschaftliche Arbeiten zu Beginn des Studiums« Eine Einführung in das wissenschaftliche Arbeiten wird inzwischen im Rahmen der Einführungsveranstaltungen angeboten, allerdings ohne dass dies explizit verpflichtend in alle Curricula der Studiengänge aufgenommen wurde. Diese Veranstaltungen heißen entweder »Ethik und
7. Teil: Was muss von wem getan werden?
Methoden des wissenschaftlichen Arbeitens«, »Pflichtveranstaltung Wissenschaftslehre« oder »Einführung ins medienwissenschaftliche Arbeiten«. Teilweise wird das Thema in Praxismodulen behandelt. In die Prüfungsordnungen wurden und werden Regelungen wie diese aufgenommen: »Wird eine Täuschung in Form eines Plagiats festgestellt, wird die Prüfungsleistung mit ›nicht ausreichend‹ bewertet. Der Plagiatsvorwurf ist gerechtfertigt, wenn die Prüfungskandidatin oder der Prüfungskandidat versucht hat, das Ergebnis der Prüfung in einer für sie oder ihn günstigen Weise dadurch zu beeinflussen, dass sie oder er es unterlassen hat, von anderen Autorinnen und Autoren wörtlich übernommene Stellen und auch sich an die Gedankengänge anderer Autorinnen und Autoren eng anlehnende Ausführungen ihrer oder seiner Arbeit besonders zu kennzeichnen. Die Feststellung wird von der jeweiligen prüfenden oder Aufsicht führenden Person getroffen und aktenkundig gemacht. In schwerwiegenden Fällen oder im Wiederholungsfall kann die gesamte Modulprüfung für nicht bestanden erklärt und in besonders schweren Fällen auch das Recht der Prüfungswiederholung aberkannt und die gesamte Modulprüfung für endgültig nicht bestanden erklärt werden. Die Entscheidung hierüber trifft der Prüfungsausschuss. Bei der Entscheidung über die Zumessung der Sanktion ist im Einzelfall sowohl die Quantität des Plagiats als auch dessen Bedeutung für die Arbeit zu bewerten.« »Betreuung von Doktorandinnen und Doktoranden in Graduierten bzw. Promotionskollegs bzw. im Rahmen strukturierter Promotionsprogramme« Strukturierte Promotionsprogramme werden an den Graduiertenzentren BayNAT (Bayreuther Graduiertenschule für Mathematik und Naturwissenschaften), BIGSAS (Bayreuth International Graduate School of African Studies), BayKult (Bayreuther Graduiertenzentrum für Kultur-, Sozial- und Geisteswissenschaften), BayREW (Bayreuther Graduiertenzentrum für Recht, Ethik und Wirtschaft) angeboten. »Das Vertrauensverhältnis zwischen Promotionsbetreuer/in und Promovend/in sollte durch eine regelmäßig aktualisierte Promotionsbzw. Betreuungsvereinbarung gerahmt werden.«
161
162
Plagiate in der Wissenschaft
Die Vorgabe ist in allen Promotionsordnungen umgesetzt. Das Thema »gute wissenschaftliche Praxis« ist in den Mustern der Fakultäten aufgegriffen und Teil der Betreuungsvereinbarung. »Die Kommission bittet die Fakultäten zu prüfen, ob sich diejenigen, die Promotionsprojekte betreuen dürfen, in erster Linie also die Professorinnen und Professoren, im Wege der ggf. normativ stabilisierten Selbstverpflichtung auf eine Höchstzahl aktuell betreuter Promotionsprojekte verständigen können.« Die Fakultäten haben dies geprüft und sind zu dem Ergebnis gelangt, dass die Festlegung einer strikten Höchstzahl zur Sicherung der guten Wissenschaftlichen Praxis nicht nötig ist. Zum einen unterscheidet sich die Betreuungskultur innerhalb der Fächer stark (z.B. Einbindung erfahrener Postdocs oder Arbeitsgruppenleiterinnen und -leiter in die aktive Betreuung etc.). Zum anderen hat die im Anschluss an diese Empfehlung entstandene Diskussion nach Auskunft der Universität dazu beigetragen, dass Professorinnen und Professoren den Zusammenhang zwischen der Zahl der betreuten Promovierenden und der verfügbaren Zeit für eine gute Betreuung noch genauer bedenken. »Die Kommission empfiehlt, das Verfahren der Annahme zur Promotion zu formalisieren.« Die Empfehlung wurde in allen Promotionsordnungen umgesetzt. »Die Kommission regt an, in den Promotionsordnungen bestehende Dispensregelungen – also die Möglichkeit, sich von bestimmten Notenerfordernissen, die eigentlich erfüllt sein müssen, befreien zu lassen – zu überprüfen. Die Dispensgrenze sollte nicht zu niedrig angesiedelt sein. So könnte etwa für den Bereich der Rechtswissenschaften die derzeit bestehende Dispensgrenze nach dem Vorbild anderer juristischer Fakultäten angehoben werden. Die derzeit in der Rechtswissenschaft für einen Dispens erforderlichen mindestens mit ›gut‹ bewerteten Seminarscheine sollten im Rahmen des Studiums erbracht werden.« In der Promotionsordnung der Rechtswissenschaftlichen Fakultät gibt es nun klare Regelungen: Grundsätzlich kann zur Promotion nur angenommen werden, wer im Ersten oder Zweiten Examen mindestens die Note »vollbefriedigend« erreicht hat. Ausnahmsweise genügen acht Punkte sowie zwei mit mindestens »gut« bewertete Seminare. Die Se-
7. Teil: Was muss von wem getan werden?
minare sind an der rechtswissenschaftlichen Fakultät zu erbringen. Zudem gibt es noch die Regelung, dass mindestens ein Seminar von einer anderen prüfungsberechtigten Person als der Promotionsbetreuerin oder dem Betreuer abgenommen werden muss. In anderen Fakultäten wird für den Fall, dass der Abschluss nicht das erforderliche Prädikat aufweist, eine Promotionseignungsprüfung angeboten. »Die Kommission empfiehlt die Einführung der Pflicht zur Abgabe einer eidesstattlichen Versicherung durch den Doktoranden bzw. die Doktorandin (anstelle einer etwaigen ›ehrenwörtlichen Erklärung‹).« Die Empfehlung wurde in allen Promotionsordnungen umgesetzt. »Die Kommission rät zu einem behutsamen Einsatz von sog. Plagiatssoftware. Der obligatorische Einsatz von Plagiatssoftware könnte als Generalverdacht missverstanden werden. Die Promotionsordnungen der Universität Bayreuth könnten – soweit noch nicht geschehen vorsehen, dass alle Dissertationen elektronisch eingereicht werden müssen und sodann nach dem Zufallsprinzip geprüft werden dürfen, also auch geprüft werden können; darüber hinaus sollten Prüfungen mittels Plagiatssoftware nur bei konkretem Verdacht durchgeführt werden.« In allen Promotionsordnungen ist geregelt, dass die Dissertation in elektronischer Form einzureichen ist, und der Doktorand oder die Doktorandin sein bzw. ihr Einverständnis unter Wahrung des Urheberrechts und des Datenschutzes zur Überprüfung der Dissertation erklärt. Ferner erklärt er oder sie sich damit einverstanden, dass bei konkretem Verdacht die Kommission »Selbstkontrolle in der Wissenschaft« befasst werden kann. Der Einsatz von Plagiatssoftware ist für die Erstprüfung möglich, ersetzt aber nach Auskunft der Universität Bayreuth keine inhaltliche Prüfung von möglichem Fehlverhalten. »Die Kommission empfiehlt, das Verfahren der Auslegung von Doktorarbeiten zu überprüfen. Es könnte sinnvoll sein, die Auslegung in Druckform durch eine elektronische Auslegung (etwa in einem Fakultäts-Intranet) zu ergänzen.« Diese Empfehlung ist überwiegend umgesetzt worden. Eine elektronische Fassung im Zusammenhang mit der Auslage der Dissertation ist in vielen Promotionsordnungen vorgesehen.
163
164
Plagiate in der Wissenschaft
»Die Kommission regt an zu prüfen, ob die bisherige Rolle des Dekans bzw. der Dekanin bei der Bestimmung der Gutachter eines Promotionsverfahrens nicht von der Promotionskommission übernommen werden sollte.« Diese Empfehlung wurde wie folgt umgesetzt: Die Bestellung der Gutachter erfolgt entweder durch den Dekan die Direktorin der promovierenden Einrichtung auf Vorschlag der Kommission (Fakultät II für Biologie, Chemie, Geowissenschaften und der BayNAT) oder durch die Promotionskommission (Fakultät I für Mathematik, Physik und Informatik, der Sprach- und Literaturwissenschaftlichen Fakultät IV, der Kulturwissenschaftlichen Fakultät V und der Fakultät VI für Ingenieurwissenschaften). »Die Kommission regt an, dass bei Schnittstellen-Themen, die den Kernbereich des eigenen Fachs (einschließlich der Grundlagenfächer überschreiten, fakultativ oder obligatorisch ein (Zweit-)Gutachter einer anderen Fakultät bestellt werden kann.« Die Promotionsordnungen eröffnen für Schnittstellenthemen nun einen entsprechenden Regelungsspielraum. »Die Kommission regt an, dass immer dann, wenn Erst- und Zweitgutachter oder -gutachterin die Höchstnote ›summa cum laude‹ vorschlagen, mindestens eine (ggf. externe) Kollegin bzw. ein (ggf. externer) Kollege mit einem weiteren Gutachten beauftragt wird.« Auch hier eröffnen die Promotionsordnungen einen entsprechenden Regelungsspielraum. Beispiel: Paragraph 15 Absatz 5 der Promotionsordnung der Fakultät V (Kulturwissenschaftlichen Fakultät): »Die Promotionskommission bestellt eine weitere Gutachterin bzw. einen weiteren Gutachter, wenn die Vorschläge der Gutachterinnen bzw. Gutachter für die Bewertung der Dissertation um mehr als eine Note oder hinsichtlich der Annahme oder Ablehnung der Dissertation voneinander abweichen oder wenn eine Gutachterin bzw. ein Gutachter die Bestellung einer weiteren Gutachterin bzw. eines weiteren Gutachters beantragt.« Unabhängig davon enthalten die Promotionsordnungen Regelungen, dass zu prüfungsberechtigen Personen auch Lehrpersonen anderer Fa-
7. Teil: Was muss von wem getan werden?
kultäten und deutscher sowie ausländischer Hochschulen bestellt werden können, wenn sie die Qualifikationsvoraussetzungen erfüllen. Aber: An der rechtswissenschaftlichen Fakultät, an der KTG promoviert wurde, gibt es bislang keine Regelung für ein Hinzuziehen weiterer Gutachterinnen oder Gutachter, wenn zweimal die Note »summa cum laude« vergeben wird. »Die Kommission empfiehlt den Fakultäten, über Maßnahmen nachzudenken, die das Bewusstsein noch weiter dafür schärfen, dass die Note ›summa cum laude‹ die Höchstnote ist. Dazu könnte beispielsweise die Einführung einer weiteren Notenstufe beitragen (etwa die Note ›satis bene‹). Ferner könnte sich jede Fakultät in regelmäßigen Abständen auf eine mit ›summa cum laude‹ benotete Arbeit verständigen, die als Orientierungsgröße für die Benotung (im Sinne eines ›Benchmarks‹) fungieren würde. Jede Fakultät kann sich zudem im Sinne einer Orientierungshilfe auf Kriterien verständigen, die in den Gutachten erläutert werden sollten, wenn eine bestimmte Note, etwa ›summa cum laude‹ vorgeschlagen wird. Solche Kriterien können auch in die Promotionsordnungen aufgenommen werden. Überdies sollten die Bewertungsschemata in den Promotionsordnungen angeglichen werden, denn bislang wird teilweise bis zur Notenstufe von 1,5 noch die Gesamtnote ›magna cum laude‹ erreicht, teilweise aber schon ›summa cum laude‹.« Bei der Verleihung des Gesamtprädikates der Promotion enthalten die Regelungen der Promotionsordnungen durchgängig Abstufungen, aus denen ersichtlich wird, dass die Note »summa cum laude« die Höchstnote ist. Die Bewertungsschemata sind insoweit angeglichen worden, dass nur noch bei einer Notenstufe, die unter 1,0 liegt, das Prädikat »summa cum laude« verliehen wird. Die Promotionsordnung der rechtwissenschaftlichen Fakultät hat zwischen der Note »cum laude« und der Note »rite« die Note »satis bene« (= eine Leistung, die in jeder Hinsicht durchschnittlichen Anforderungen genügt) eingeführt. »Die Kommission rät nachdrücklich dazu an, die Promotionsordnungen aller Fakultäten unter dem Aspekt der Rechtsklarheit zu sichten und ggf. zu ändern. Das gilt insbesondere für die Promotionsordnung der Rechts- und Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät. So sollte der Verweis auf das Gesetz über die Führung akademischer Grade vom 7. 6. 1939 in § 16 Abs. 5 der Promotionsordnung gestrichen werden, denn
165
166
Plagiate in der Wissenschaft
dieses Gesetz ist zum 1. 10. 1988 in Bayern außer Kraft getreten. Überdies sollte hinsichtlich der Entziehung des Doktorgrades das Verhältnis der allgemeinen Vorschrift des Art. 48 Bayerisches Verwaltungsverfahrensgesetz (BayVwVfG) zur Regelung über die Täuschung (§ 16 Abs. 1 und Abs. 2 der Promotionsordnung) geklärt werden.« Die Empfehlung ist in den Promotionsordnungen umgesetzt worden. »Die Kommission fordert die Hochschulleitung auf, die Tätigkeit der Kommission ›Selbstkontrolle in der Wissenschaft‹ durch eine Satzung der Universität Bayreuth (vgl. insb. Art. 6 Abs. 1 Satz 3 Bayerisches Hochschulgesetz) zu regeln. Die Empfehlung ist umgesetzt worden. »Die Kommission regt die Durchführung einer Fachtagung zu den ethischen und rechtlichen Fragen des wissenschaftlichen Arbeitens u.a. unter Beteiligung des an der Universität Bayreuth bestehenden DFG-Graduiertenkollegs ›Geistiges Eigentum und Gemeinfreiheit‹ an. Zu prüfen ist ferner, ob zusätzlich eine möglichst bald durchzuführende fakultätsübergreifende Ringvorlesung u.a. mit externen Referenten und Referentinnen organisiert wird, die sich dem Thema ›wissenschaftliches Fehlverhalten‹ widmet.« Die Fachtagung hat am 25./26.11.2011 stattgefunden. Der Tagungsband ist 2013 erschienen: Thomas Dreier/Ansgar Ohly (Hg.), Plagiate. Wissenschaftsethik und Recht, Mohr Siebeck, Tübingen 2013. Die University of Bayreuth Graduate School, in der mittlerweile über 70 Prozent aller Promovierenden der Universität Bayreuth Mitglied sind, bietet verpflichtend für neue Mitglieder eine Einführung »Gute wissenschaftliche Praxis« im Kick-Off Seminar und einen E-Learning-Kurs mit Zertifikat »Gute wissenschaftliche Praxis« an. Mein Fazit: Mit den heute geltenden Regelungen wäre KTG mit seiner Plagiatsarbeit nicht promoviert worden. Seitdem gab es an der Universität Bayreuth auch keinen Plagiatsfall bei einer Doktorarbeit mehr.
Anhang
Erwähnte Plagiatsfälle in chronologischer Reihenfolge In zwei der hier aufgeführten Fällen darf der Doktorgrad trotz Plagiaten weiter geführt werden. Ich setze dem Initial daher ein »Dr.« voran. 1) Fall G. a) aa) Dissertation: Die Eingliederung der ehemaligen DDR in die Europäische Gemeinschaft unter dem Aspekt der staatlichen Beihilfen, Publikation: Frankfurt a.M. (u.a.) 1994. Anzahl der Seiten mit Plagiatsfunden laut VroniPlag Wiki: 41 Prozent. Der Doktorgrad wurde vom Promotionsausschuss des Fachbereichs Rechtswissenschaft entzogen. Dagegen hat G. vor dem Verwaltungsgericht Frankfurt geklagt (4 K 3919/19). Es liegt noch keine Rechtskraft vor. bb) Habilitationsschrift: Das Recht der Europäischen Zentralbank. Unabhängigkeit und Kooperation in der Europäischen Währungsunion, Publikation: Tübingen 2005. Anzahl der Seiten mit Plagiatsfunden laut VroniPlag Wiki: 38,3 Prozent. Aberkennung der Habilitation durch Bescheid der Universität Frankfurt a.M. (Datum unbekannt). Bestätigung der Aberkennung durch Urteil des Verwaltungsgerichts Frankfurt a.M. vom 21. März 2019, 4 K 3092/18. Nicht rechtskräftig. Heutige Tätigkeit: Hat sich aus der Wissenschaft zurückgezogen. Anfang 2021 war sie Geschäftsführerin dreier Gesellschaften.
168
Plagiate in der Wissenschaft
b) Vorgehen gegen Berichterstattung: G. gegen Zenthöfer Landgericht Frankfurt a.M., 05.11.2018 – 3 O 90/18 (G. gewinnt) Oberlandesgericht Frankfurt, 19.12.2019 – 16 U 210/18 (Zenthöfer gewinnt) Bundesgerichtshof, 09.03.2021 – VI ZR 73/20 (Zenthöfer gewinnt abschließend). Rechtskräftig. 2) Fall H. aa) Dissertation: Wandel von Einstellungen und Werten unter dem Aspekt des Autoritarismus deutscher Eltern im Zeitvergleich, Publikation: Berlin 1999. Anzahl der Seiten mit Plagiatsfunden laut VroniPlag Wiki: 43,5 Prozent. Der Doktorgrad wurde Ende 2018 vom Präsidium der HumboldtUniversität zu Berlin entzogen. Am 20. Dezember 2018 reicht H. gegen die Entscheidung Klage ein (VG 12 K 555.18). Mündliche Verhandlung war am 17. Februar 2022 geplant, musste aber wegen eines Coronafalles auf Mai 2022 verschoben werden. bb) Habilitationsschrift: Individuen und ihre sozialen Beziehungen, Publikation: Wiesbaden 2006. Anzahl der Seiten mit Plagiatsfunden laut VroniPlag Wiki: 70,2 Prozent. Bislang keine erkennbare Reaktion der Humboldt-Universität zu Berlin. Heutige Tätigkeit: Professorin für Soziologie an der Universität Mainz. Betreute im Sommer 2021 fünf Doktorandinnen und Doktoranden. 3) Fall M. Dissertation: Amerika: Das Experiment des Fortschritts. Ein Vergleich des politischen Denkens in den USA und Europa, Publikation: Paderborn (u.a.) 1987. Anzahl der Seiten mit Plagiatsfunden laut VroniPlag Wiki: 46,9 Prozent. Der Doktorgrad wurde im April 2012 von der Universität Bonn entzogen. Im gleichen Jahr reicht M. gegen die Entscheidung Klage ein (6 K 2684/12), die abgewiesen wird. Im Dezember 2015 wird ihre Berufung zurückgewiesen (19 A 254/13), im Juni 2017 auch ihre Revision (6 C 3.16).
Anhang
Im Oktober 2018 lehnt der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) die Klage gegen den Titel-Entzug endgültig ab. Rechtskräftig. Heutige Tätigkeit: »Zeithistorikerin, Unternehmerin und Professorin für US-Außenpolitik und Internationale Sicherheit« (Quelle: The European https://www.theeuropean.de/margarita-mathiopoulos-1/). 4) Fall Gi. Dissertation: Europas Weg zum Bürger – Die Politik der Europäischen Kommission zur Beteiligung der Zivilgesellschaft, Online-Publikation: FU Berlin 2010. Anzahl der Seiten mit Plagiatsfunden laut VroniPlag Wiki: 37,1 Prozent. Pressemitteilung der FU Berlin vom 10. Juni 2021 [Name der Doktorandin hier verkürzt]: »Die Freie Universität Berlin entzieht Gi. den Doktorgrad. Dies beschloss das Präsidium nach umfassender Beratung einstimmig. Die im Oktober 2019 verhängte Rüge wurde aufgehoben.« Heutige Tätigkeit: Regierende Bürgermeisterin von Berlin. 5) Fall KTG Dissertation: Verfassung und Verfassungsvertrag. Konstitutionelle Entwicklungsstufen in den USA und der EU, Publikation: Berlin 2009. Anzahl der Seiten mit Plagiatsfunden laut GuttenPlag: 94,4 Prozent. Der Doktorgrad wurde im Februar 2011 von der Universität Bayreuth entzogen. Heutige Tätigkeit: »Lobbyist und Unternehmensberater« (Quelle: Wikipedia). Er wurde mit einer anderen Arbeit erneut promoviert. 6) Fall W. Dissertation: Research on Parliamentary Privilege Concurrently Discuss Chinese National People’s Congressional Privilege, Publikation: Göttingen 2009. Anzahl der Seiten mit Plagiatsfunden laut VroniPlag Wiki: 45,2 Prozent. Der Doktorgrad wurde im Februar 2015 von der Humboldt-Universität zu Berlin entzogen. Heutige Tätigkeit: Unbekannt.
169
170
Plagiate in der Wissenschaft
7) Fall E. Dissertation: Gewebespezifische Befunde der Struktur und Funktion bei Kiefergelenken jugendlicher Personen und ihr Zusammenhang mit der bestehenden Okklusion, Online-Publikation: 2010. Anzahl der Seiten mit Plagiatsfunden laut VroniPlag Wiki: 29,1 Prozent. Der Doktorgrad wurde 2017 von der Charité (Berlin) entzogen. E. trägt den Doktorgrad weiterhin. Heutige Tätigkeit: Zahnarzt in privater Praxis in Griechenland. Hinweis: E. hatte einen weiteren Doktorgrad in Deutschland erworben. Diese Arbeit wird nun auch von VroniPlag Wiki untersucht. 8) Fall J. Dissertation: Management des Stadtumbaus unter Berücksichtigung der städtebaurechtlichen Rahmenbedingungen, Online-Publikation: 2010. Anzahl der Seiten mit Plagiatsfunden laut VroniPlag Wiki: 32,2 Prozent. Der Doktorgrad wurde 2015 von J. an die TU zurückgegeben, andernfalls wäre er entzogen worden. Heutige Tätigkeit: Unbekannt. Zwischenzeitlich Bürgermeister einer Gemeinde im Land Brandenburg. 9) Fall Y. Habilitationsschrift: Tierexperimentelle Untersuchungen zum Schädelhirntrauma, Publikation: Hannover 2015. Anzahl der Seiten mit Plagiatsfunden laut VroniPlag Wiki: 10,9 Prozent. Ein gerichtliches Verfahren vor dem Verwaltungsgericht Hannover (6 A 7006/18) war im Oktober 2018 eingegangen und wurde im März 2021 nach übereinstimmenden Erledigungserklärungen eingestellt. Jedoch hat die Hochschule mit Bescheid vom 14.01.2021 eine erneute Entscheidung zur Entziehung der Habilitation von Y. getroffen. Gegen diese Entscheidung ist vor dem Verwaltungsgericht Hannover Klage erhoben worden, das Verfahren läuft unter dem Aktenzeichen 6 A 964/21. Heutige Tätigkeit: Neurochirurg. 10) Fall L. Dissertation: Wertewandel der Kommunikation unter den Bedingungen sich rasch verändernder Unternehmensabläufe im Marketing, Online-Publikation: Bratislava 2014.
Anhang
Anzahl der Seiten mit Plagiatsfunden laut VroniPlag Wiki: 100 Prozent. Eine Aberkennung von akademischen Graden wegen Plagiat war bis 2021 in der Slowakei nicht möglich. L. gibt den Doktorgrad nicht mehr an. Heutige Tätigkeit: Schauspielerin. 11) Fall V. (von »Vroni«: 1. Fall, daher »VroniPlag Wiki«) Dissertation: Regulierung im Mobilfunk, Publikation: Münster 2009. Anzahl der Seiten mit Plagiatsfunden laut VroniPlag Wiki: 53,98 Prozent. Der Doktorgrad wurde 2011 von der Universität Konstanz entzogen. Eine Klage dagegen vor dem Verwaltungsgericht Freiburg bleibt erfolglos (1 K 58/12). Heutige Tätigkeit: Unbekannt. 12) Fall B. Lehrbuch: Juristische Arbeitstechniken und Methoden, Publikation: Baden-Baden 2012. Anzahl der Seiten mit Plagiatsfunden laut VroniPlag Wiki: 39,1 Prozent. Der Nomos-Verlag und UTB haben den Titel 2012 aus dem Verlagsprogramm genommen. Heutige Tätigkeit: Autor (1) ist Hochschullehrer an der Universität Münster. Autor (2) hatte zudem in seiner Doktorarbeit [Fall R.] plagiiert, 2013 wurde der Doktorgrad entzogen. Heutige Tätigkeit unbekannt. Auch Autor (3) hatte zudem in seiner Doktorarbeit [Fall S.] plagiiert, 2013 wurde der Doktorgrad entzogen. Er ist als Rechtsanwalt tätig. 13) Fall R. Dissertation: IPTV und Mobile TV. Neue Plattformanbieter und ihre rundfunkrechtliche Regulierung, Publikation: Baden-Baden 2011. Anzahl der Seiten mit Plagiatsfunden laut VroniPlag Wiki: 47,6 Prozent. Der Doktorgrad wurde 2013 von der Universität Münster entzogen. Heutige Tätigkeit: Vermutlich in der Ministerialbürokratie tätig. 14) Fall S. Dissertation: Innovationsregulierung im Recht der netzgebundenen Elektrizitätswirtschaft, Publikation: Baden-Baden 2009. Anzahl der Seiten mit Plagiatsfunden laut VroniPlag Wiki: 51,5 Prozent.
171
172
Plagiate in der Wissenschaft
Der Doktorgrad wurde 2013 von der Universität Münster entzogen. Heutige Tätigkeit: Rechtsanwalt. 15) Fall Dr. A. Dissertation: History and prospect of Islamic criminal law with respect to the human rights, Online-Publikation: 2005. Anzahl der Seiten mit Plagiatsfunden laut VroniPlag Wiki: 30,8 Prozent. Der Doktorgrad wurde 2015 von der Humboldt-Universität zu Berlin entzogen. Der Entziehungsbescheid wurde 2016 aufgrund von Formfehlern aufgehoben (Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin, 3 K 134.15). Der Doktorgrad darf weiter geführt werden. Heutige Tätigkeit: Unbekannt. 16) Fall X. Dissertation: Interkulturelles Verstehen durch Kunst im Zeitalter der Globalisierung, Online-Publikation: 2009. Anzahl der Seiten mit Plagiatsfunden laut VroniPlag Wiki: 74,3 Prozent. Keine Untersuchung bzw. Folgenlosigkeit aufgrund (zeitweiliger) lokaler Verjährungsregelung von fünf Jahren. Plagiate waren erst fünf Jahre noch Promotion entdeckt worden. Inzwischen wurde diese Verjährungsregelung beendet. Heutige Tätigkeit: Unbekannt. 17) Fall Dr. Di. Dissertation: Kommunalpolitik in einer Gemeinde: Eine Untersuchung am Beispiel von Breuna, Publikation: Kassel 1995. Anzahl der Seiten mit Plagiatsfunden laut VroniPlag Wiki: 30,1 Prozent. Der Doktorgrad wurde am 12. Februar 2015 durch den Promotionsausschuss des Fachbereichs Gesellschaftswissenschaften der Universität Kassel entzogen. Eine Klage dagegen ist erfolgreich. Di. darf seinen Doktorgrad weiter führen. Heutige Tätigkeit: Nach einer Karriere als Spitzenbeamter seit 2019 im Ruhestand. 18) Fall Sch. Dissertation: Illness, Media, and Culture: ein interkultureller Vergleich der Darstellung von Allergien in englischen und US-amerikanischen Lifestyle-Magazinen, Online-Publikation: 2009.
Anhang
Anzahl der Seiten mit Plagiatsfunden laut VroniPlag Wiki: 23,8 Prozent. Der Doktorgrad wurde am 12.07.2019 von der Humboldt-Universität zu Berlin entzogen. Heutige Tätigkeit: Unbekannt. 19) Fall He. Dissertation: Unternehmensführung und Unternehmenskontrolle unter besonderer Berücksichtigung der Gesamtverantwortung des Vorstands, Publikation: Heidelberg 1998. Anzahl der Seiten mit Plagiatsfunden laut VroniPlag Wiki: 86,1 Prozent. Der Doktorgrad wurde am 25.06.2012 von der Humboldt-Universität zu Berlin entzogen. Heutige Tätigkeit: Vermutlich Rechtsanwalt. 20) Fall Ho. Dissertation: MRT-Untersuchung des Prostatakarzinoms: Vergleich diffusionsgewichteter MRT-Bildgebung mit der Histologie, OnlinePublikation: Hamburg 2012. Anzahl der Seiten mit Plagiatsfunden laut VroniPlag Wiki: 51,7 Prozent. Der Doktorgrad wurde 2017 von der Universität Hamburg entzogen. Heutige Tätigkeit: Arzt. 21) Fall Ma. Dissertation: Vergleichende Untersuchungen zur Charakterisierung von dentrischen Zellen aus humanen und murinen Vorläuferzellen sowie aus AML-Blasten, Online-Publikation: Münster 2007 Anzahl der Seiten mit Plagiatsfunden laut VroniPlag Wiki: 47,5 Prozent. Der Doktorgrad wurde 2019 von der Universität Münster entzogen. Heutige Tätigkeit: Unbekannt. 22) Fall Ü. Habilitationsschrift: Erwartungen und Probleme hinsichtlich der Integrationsfrage der Türkei in die Europäische Union, Publikation: Bristol 2005. Anzahl der Seiten mit Plagiatsfunden laut VroniPlag Wiki: noch unbekannt. Beide Doktorgrade (Universität Speyer, Freie Universität Berlin) wurden 2015 entzogen. Heutige Tätigkeit: Publizist.
173
174
Plagiate in der Wissenschaft
Statistik der von VroniPlag Wiki untersuchten Fälle VroniPlag Wiki hat bisher 213 Dokumentationen veröffentlicht zu: 198 Dissertationen, 13 Habilitationsschriften, 1 Masterarbeit, 1 Lehrbuch. Bezeichnung des verliehenen Grads: Dr. med. (72-mal), Dr. med. dent. (25-mal), Dr. iur. (25-mal), Dr. phil. (23-mal), PhD und Ph.D. (14-mal), Dr. rer. nat. (zehnmal), Dr. rer. pol. (zehnmal), Dr. med. habil. (achtmal), Dr.-Ing. (viermal), Dr. med. vet. (dreimal), Dr. rer. biol. hum. (zweimal), Dr. rer. soc. (zweimal), PhDr (zweimal); sowie je einmal: Dr. rer. soc. oec, Dr. iur. habil, Dr. rer. pol. habil., Dr. theol., Dr. phil. habil, Dr. paed., Dr. med. dent. habil., Dr. rer. soc. habil.; 2 sonstige. Bislang wurden mindestens 77 Grade wegen Plagiaten bestandskräftig entzogen. Einige Verfahren sind nicht abgeschlossen; hierzu ergehen noch Entscheidungen von universitären Ausschüssen oder Verwaltungsgerichten. Weitere Entzüge könnten stattgefunden haben. Nicht alle Universitäten informieren über den Entzug, auch nicht auf Anfrage. Sechs der untersuchten Arbeiten wurden mit einem Preis ausgezeichnet, vier dieser preisgekrönten Grade wurden bislang entzogen. Stand: Frühjahr 2022.
Kommentierte Bibliographie Hinweise: Hier finden sich, außer dem Buch von Möllers, keine Ratgeber zum richtigen Schreiben und wissenschaftlichen Arbeiten. Siehe dazu etwa die Aufstellung »Empfehlenswerte Schreibratgeber« bei: https://www. plagiatspraevention.uni-konstanz.de/lehrmaterial/literatur/schreiben / (= https://t1p.de/fvee). Zu Plagiaten in der Belletristik siehe die »unoriginelle Literaturgeschichte« von Philipp Theisohn, 2009 unter dem Titel »Plagiat« veröffentlicht – eine anekdotenreiche Reise durch die Jahrhunderte. Zur Situation in Österreich vgl. die Diplomarbeit Wagner, Nicole: »Plagiatserkennung bei wissenschaftlichen Abschlussarbeiten – Eine Analyse des State of the Art aus technischer, rechtlicher und organi-
Anhang
satorischer Perspektive« (in englischer Sprache), 2020 https://www.la w.tuwien.ac.at/Einreichfassung_DA_Nicole_Wagner_281020.pdf = htt ps://t1p.de/ttoo Herzlichen Dank für Unterstützung bei der Literaturbeschaffung sage ich den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Bibliothèque nationale du Luxembourg, unter Leitung von Direktor Claude D. Conter, vor allem der Équipe vom Service Prêt international und Herrn Pascal Nicolay (Responsable adjoint, Service de référence). Dank auch an die Cité Bibliothèque Luxembourg, vor allem Herrn Bibliothécaire dipl. Henri Lutgen. Bretag, Tracey (Hg.): Handbook of Academic Integrity, 2016 Das über 1000 Seiten starke Buch stellt die Situation akademischer Integrität in verschiedenen Ländern der Welt, sowie aktuelle Probleme und Herausforderungen vor. Belegt wird, dass die Zahl der Plagiate mit Aufkommen des Internets stark gestiegen ist. Ein Grund, weshalb Studierende plagiieren, seien unklare Regeln, Stress und unrealistische Erwartungshaltungen. In den USA hängt die Sanktion von Plagiaten wohl auch von ihrer Quantität ab, die in Prozent angegeben wird. Die Einführung von Ehrenkodizes kann unehrenhaftes Verhalten reduzieren. Das Buch zitiert auch Vertreterinnen und Vertreter einer »Lehre«, wonach sogenanntes »Patchwriting« nicht als Plagiat eingestuft werden sollte, sondern nur als »Missbrauch von Quellen«. Grund seien geringe Lese- und Schreibfähigkeiten mancher Personen. Auch Ghostwriting wird diskutiert. Die deutsche Wissenschaftlerin Debora Weber-Wulff zeigt die Nachteile von Plagiatssoftware auf. Entscheidungen darüber, ob ein Text plagiiert ist, oder nicht, müssten von Menschen getroffen werden. Einige Male wird in dem Buch auch VroniPlag Wiki erwähnt (Seiten 70, 516, 632ff.). Fishman, Teddi: »We know it when we see it« is not good enough: toward a standard definition of plagiarism that transcends theft, fraud, and copyright (4th Asia Pacific Conference on Educational Integrity, 28 – 30 September 2009, University of Wollongong, Australia) In diesem Beitrag werden die Elemente des Wissenschaftsplagiats von denen des Diebstahls und der Urheberrechtsverletzung unterschieden. Es wird ein Begriff des Plagiats definiert, der auch der Arbeit von VroniPlag Wiki zugrunde gelegt wird. Diese Definition ist in diesem Buch
175
176
Plagiate in der Wissenschaft
dem ersten Kapitel vorangestellt. https://www.bmartin.cc/pubs/09-4a pcei/4apcei-Fishman.pdf = https://t1p.de/qrsn Gärditz, Klaus Ferdinand: Die Feststellung von Wissenschaftsplagiaten im Verwaltungsverfahren, WissR [Zeitschrift Wissenschaftsrecht] 2013, 3-46 Der Jurist Gärditz erklärt den Begriff des Plagiats und den Umgang mit Plagiaten in rechtlichen Verfahren. Er beschreibt, warum Hochschulen gegen Plagiate vorgehen (sollten), obwohl sich die Opfer grundsätzlich privatrechtlich gegen einen Plagiator wehren könnten. Dabei sei die Qualitätssicherung akademischer Grade und den Schutz der Lauterkeit bei deren Erwerb nur ein Aspekt. »Plagiate sind ein direkter Angriff auf die Wissenschaftlichkeit als solche, eine Pfadverschleierung. Vor diesem Hintergrund geht es bei Maßnahmen gegen Plagiate in erster Linie darum, eine erhebliche Störung des wissenschaftlichen Diskurszusammenhangs zu beseitigen, indem öffentlich festgestellt wird, dass eine Publikation auf wissenschaftlichem Fehlverhalten beruht und insoweit nicht wissenschaftlich anschlussfähig ist.« Dahinter stehe der Gedanke der Folgenbeseitigung, der auch dort greift, wo es nicht um Qualifikationsschriften geht. Im Übrigen führt Gärditz seine rechtlichen Überlegungen aus, die Gradentzügen zugrunde liegen (könnten). Einige dieser Gedanken wurden später von der Rechtsprechung übernommen und sind heute Allgemeingut. Gärditz plädiert für die Einführung einer Rüge als mögliche Sanktion und dafür, dass für die Annahme wissenschaftlichen Fehlverhaltens grobe Fahrlässigkeit ausreicht. Mit diesem Vorschlag hat er sich nicht durchgesetzt. Horstkotte, Hermann: Von Schwindel und Schwindlern in der Wissenschaft, 2. Auflage 2021 Es handelt sich um die überarbeitete und erweiterte Fassung des 2019 unter dem Titel »Zum Scheitern verurteilt« erschienenen Berichts des Journalisten Hermann Horstkotte. Er berichtet in lockerer Sprache, aber präziser Klarheit, ähnlich wie es Rieble in seiner Monographie tut (s.u.), vor allem über ältere Plagiatsfälle und die Anfänge von VroniPlag Wiki und Vorgängerwikis, immer mit Klarnamen der Täter. Horstkotte ist der Ansicht, dass in der Arbeitswelt heute niemand mehr einen Doktorgrad braucht, der nicht an eine Hochschullaufbahn denkt. Sein
Anhang
Werk ist kostenfrei im Internet lesbar. https://www.grin.com/docume nt/1024388 Joller, Stefan/Stanisavljevic, Marija: Moralische Kollektive – Theoretische Grundlagen und empirische Einsichten, 2019 Im Buch beschreibt Felicitas Heßelmann ab Seite 164, wie VroniPlag Wiki strukturiert ist, und ordnet die Arbeit und Debatten im Wiki soziologisch wie ästhetisch ein. »Die Arbeit von VroniPlag Wiki ist dabei im Wesentlichen von dem Prinzip gekennzeichnet, den ursprünglichen Normbruch sichtbar zu machen und auszustellen. […] Strafe, Untersuchung und Übertretung sind hier nicht direkt erfahrbar, sondern werden durch Zeichen repräsentiert, die sich in Verweisketten einordnen und letztlich losgelöst von einer dahinterliegenden Realität existieren. […] Die Arbeit der Plagiatsdokumentation will etwas offenlegen, das in der reinen Buchfassung nicht (gut) zu erkennen ist, nämlich den wahren, echten Charakter des Werkes, das als Täuschung entlarvt wird. Insofern erhebt die Plattform den Anspruch, echter zu sein als das Original.« Maurel-Indart, Héléne: Petite enquête sur le plagiaire sans scrupule, 2013 Die Französin blickt einmal nach Deutschland und bescheinigt im Fall KTG, dass er mit 891 gefundenen Fragmenten aus über 120 Quellen möglicherweise den Rekord für Plagiate in juristischen Dissertationen gebrochen habe (Seite 83). Da könnten Franzosen nicht mithalten. Quelle honte pour l’Allemagne! Schön sind die von der Autorin gesammelten Ausreden von ertappten Plagiatoren (ab Seite 103), darunter auch: Mein Computer ist schuld! Möllers, Thomas M.J.: Juristische Arbeitstechniken und wissenschaftliches Arbeiten, 10. Auflage, 2021 Das Buch vermittelt Jurastudierenden in hervorragender Weise die Standards wissenschaftlichen Arbeitens. Es wurde 2018 ins Chinesische übersetzt. In der neubearbeiteten 10. Auflage wurde ein lesenswertes Kapitel zum unredlichen wissenschaftlichen Arbeiten eingefügt. Aus einer Vorauflage wurde von einem Konkurrenzwerk plagiiert – ausgerechnet Möllers Ausführungen zum Plagiat. Das Konkurrenzwerk wurde vom Markt genommen, Möllers ist noch da.
177
178
Plagiate in der Wissenschaft
Er meint, dass das Bewusstsein, richtig zu zitieren, und Plagiate zu vermeiden, dank VroniPlag Wiki zugenommen hat. Projekt Refairenz (Hg.); Esposito, Anna C./Schäfer, Ansgar (Autoren): Überblick über die Rechtsprechung zu Plagiaten in Hochschule und Wissenschaft, Konstanzer Online-Publikations-System, 2017 Synopse von Gerichtsentscheidungen deutscher Gerichte (bis 2017) mit Anmerkungen und Hinweisen; Zielgruppe sind Hochschulangehörige. https://kops.uni-konstanz.de/bitstream/handle/123456789/37223/Espo sito_0-393641.pdf?sequence=7 = https://t1p.de/ioyc Das Projekt Refairenz stellt sich unter https://www.plagiatspraeve ntion.uni-konstanz.de/ vor (= https://t1p.de/w1nv). Leider scheint der Elan zuletzt etwas nachgelassen zu haben. Rieble, Volker: Das Wissenschaftsplagiat, 2010 Diese von Klaus Ferdinand Gärditz als »wegweisend und lesenswert« bezeichnete Untersuchung beleuchtet verschiedene Plagiatsfälle zu Beginn des Jahrhunderts, die mangels Aktualität in diesem Buch nicht, oder nur am Rande, erwähnt sind. Dabei werden auch bizarre Fälle mit Klarnamen genannt. Das Buch war Gegenstand gerichtlicher Auseinandersetzungen am Landgericht Hamburg (324 O 358/10), das Unterlassungsansprüche für gerechtfertigt ansah, da bei manchen Äußerungen ein Plagiatsvorwurf nicht ausreichend belegt sei. In der nächsten Instanz, beim Oberlandesgericht Hamburg, wurde das Verfahren ohne Entscheidung erledigt (7 U 18/11). Rieble, Volker: Plagiatverjährung. Zur Ersitzung des Doktorgrades, Ordnung der Wissenschaft [Zeitschrift], Heft 01/2014, Jahrgang 2014 Der Beitrag sortiert die Verjährungsdiskussion mit Stand 2014. Eine fünfjährige Verjährungsfrist, die mit der maßgebenden Rechtshandlung beginnt, also der Einreichung der Arbeit, sei zu kurz bemessen, meint Rieble. Die kritische Rezeption in der Wissenschaftsöffentlichkeit brauche länger, nämlich vom Anfangsverdacht bis zur sorgfältigen Prüfung, Bewertung und Entscheidung. Im Fazit lehnt Rieble jede Verjährung ab. »Würde bemerkt, wie lax Wissenschaftsinstitutionen bei Prüfung und Promotion verfahren, und lenkte die Wissenschaft selbst durch korrekturvereitelnde Frist das Augenmerk hierauf, so missrieten die Vorrechte der Wissenschaft zum klebrig-unverdienten Privileg. Nachhaltig ist das nicht.« https://ordnungderwissenschaft.de
Anhang
/wp-content/uploads/2020/03/03_rieble_plagiatverjaehrung_odw_ord nung_der_wissenschaft_2014.pdf = https://t1p.de/z5ak Schimmel, Roland: Von der hohen Kunst ein Plagiat zu fertigen: Eine Anleitung in 10 Schritten, 2011 Ein heiteres Werk. Äußerst lesenswert. Mit einem sehr kurzen Geleitwort von KTG (4 Sätze, eingereicht am 1. April 2011). Schimmels umstrittene These: Plagiieren lohnt sich nicht, weil ein gutes Plagiat Zeit, Sorgfalt, Sachkenntnis und Konzentration erfordere, ähnlich wie eine gute wissenschaftliche Arbeit. Schimmels Empfehlung: »Tendenziell gilt: Man muss auch zugeben können, dass man verloren hat.« Liest man die Handlungsanleitung im Geiste andersrum, ist sie eine Anleitung von der hohen Kunst, ein Plagiat zu finden. www.textundtext.de/ wp-content/uploads/Zum_erfolgreichen_Plagiat.pdf = https://t1p.de/2 mlh Schwartmann, Rolf: Datenschutzrechtliche Zulässigkeit der Kenntlichmachung des Entzugs eines Doktorgrades in (Online-)Bibliothekskatalogen; Rechtsgutachten, vorgelegt im Auftrag des Gremiums »Ombudsman für die Wissenschaft«, 2018 Das unter Mitarbeit von Maximilian Hermann und Robin L. Mühlenbeck erstellte Gutachten zeigt, dass die Hochschulen ein Recht, und die Pflicht, haben, entzogene Doktorgrade in Bibliothekskatalogen anzugeben und dabei auch – unbefristet – den Grund des Entzugs mitzuteilen. Aufgabe der Hochschulen sei es, Glaubwürdigkeit von Wissenschaft zu erhalten. Es sei Forschern und der Integrität der Wissenschaft nicht zuzumuten, unwissentlich auf Ergebnisse aufzubauen, die den Makel des rechtskräftigen Entzugs des akademischen Grades tragen. »Während beispielsweise der Entzug einer Fahrerlaubnis nicht öffentlich gemacht werden muss, um den Straßenverkehr zu schützen, kann der wissenschaftliche Diskurs eben nur durch die Veröffentlichung geschützt werden.« https://ombudsman-fuer-die-wissenschaft. de/wp-content/uploads/2019/06/Schwartmann_Gutachten_Ombudsm an_26092018.pdf = https://t1p.de/qd07 von Weschpfennig, Armin: Plagiate, Datenfälschung und kein Ende – Rechtliche Sanktionen wissenschaftlichen Fehlverhaltens, Humboldt Forum Recht 2012, S. 84ff. Der Aufsatz gibt, trotz seines Alters, weiterhin einen guten Überblick
179
180
Plagiate in der Wissenschaft
über die vielen verschiedenen Rechtsfolgen von Plagiaten, vor allem im Dienstrecht, Urheberrecht, Zivilrecht und Strafrecht. Außerdem werden andere Rechtsfragen zum Thema kompetent erläutert. https://ww w.rewi.hu-berlin.de/de/lf/oe/hfr/deutsch/2012-06.pdf = https://t1p.de/ ii7w Weber-Wulff, Debora: False Feathers – A Perspective on Academic Plagiarism, 2014 Die Autorin arbeitet unter dem Namen »WiseWoman« bei VroniPlag Wiki mit. Der Titel heißt auf Deutsch: »Falsche Federn« und basiert auf ihrem 2007 entstandenen Online-Lerntool »Fremde Federn finden« (ht tps://plagiat.htw-berlin.de/ff/startseite/fremde_federn_finden = https: //t1p.de/67e4). Im Buch wird KTG sehr anschaulich und ausführlich beschrieben, ebenso historische Fälle und solche aus der Anfangszeit von VroniPlag Wiki. Weber-Wulff erklärt, weshalb Plagiate dramatische Folgen für die Wissenschaft haben. Sie kritisiert die Zurückhaltung deutscher Hochschulen in der Aufklärung, und erklärt dies unter anderem damit, dass die Mitglieder der zuständigen Gremien diese Arbeit ehrenamtlich leisten, zusätzlich zu ihren beruflichen Verpflichtungen. Gegen die Zurückhaltung der Universitäten helfe öffentlicher Druck und Presseberichterstattung. Ein Dilemma sei, dass die Universitäten mit immer weniger Geld immer mehr Studierende ausbilden müssten. Das Ansehen der deutschen Forschung habe in den letzten Jahren stark gelitten, aber das sei nicht das Problem derjenigen, die auf das Fehlverhalten aufmerksam machen. Es ist das Problem derer, die nicht den Mut haben, aufzustehen, und zu sagen: »Das ist die Grenze zwischen akzeptablem und inakzeptablem akademischem Verhalten.« Zhang, Yuehong (Helen): Against Plagiarism – A Guide for Editors and Authors, 2016 Die Autorin vermutet als Grund für die steigende Zahl von Plagiaten unter anderem erhöhten Veröffentlichungsdruck, die Einfachheit des Kopierens von Online-Arbeiten, die Schwierigkeiten beim Schreiben in der englischen Sprache, den mangelnden Respekt vor der Arbeit anderer, das Fehlen einer geeigneten Ausbildung und das fehlende Bewusstsein für die Regeln zur Anerkennung der Arbeit anderer. Ihr Buch bezieht sich vor allem auf die Situation in China und den USA.
Anhang
Blog: Science Integrity Digest Der englischsprachige Blog wird von der niederländischen Biomedizinerin Elisabeth Bik betrieben. Sie durchsucht biomedizinische Literatur nach unangemessen duplizierten oder manipulierten Bildern und plagiierten Texten. Ihre Arbeit ist sehr wichtig und wertvoll. https://sci enceintegritydigest.com/about/ = https://t1p.de/bppc Blog: Copy, Shake, and Paste (ISSN 2197-4608) Der englischsprachige Blog wird von der Berliner Plagiatsforscherin und Professorin Debora Weber-Wulff betrieben. Sie berichtet von weltweiten Entwicklungen, Veröffentlichungen und Konferenzen aus der Plagiatsforschung. Vorrangig finden sich hier akademische Texte und viele Links zu anderen akademischen Texten. Ein direkter Bezug zu VroniPlag Wiki ist nur bei einigen Einträgen gegeben. https://copy-s hake-paste.blogspot.com/ = https://t1p.de/iw1p Blog: Retraction Watch Der Blog sammelt seit einigen Jahren Umschreibungen für »Plagiat«, die Verlage verwenden, wenn sie kundtun müssen, dass sie einen Aufsatz haben zurückziehen müssen, etwa: »improper citation methods«, »unacceptable level of text parallels«, »inclusion of significant passages of unattributed material from other authors«, »significant originality issue«, »unintended excessive reuse of the text«. https://retractionwat ch.com/category/by-reason-for-retraction/plagiarism/plagiarism-eup hemisms/ = https://t1p.de/8rat Hauptseite: https://retractionwatch.com
Kodex »Leitlinien zur Sicherung guter wissenschaftlicher Praxis« der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) von 2019 Vorbemerkung: Ziel des am 01.08.2019 in Kraft getretenen Kodex ist es, eine Kultur der wissenschaftlichen Integrität in der deutschen Wissenschaftslandschaft zu verankern. In 19 Leitlinien werden angemessene Standards für wissenschaftliches Arbeiten beschrieben und praxisbezogen kommentiert. Hochschulen und außerhochschulische Forschungseinrichtungen setzen die Leitlinien als Voraussetzung für den Erhalt von För-
181
182
Plagiate in der Wissenschaft
dermitteln durch die DFG um. Quelle: https://wissenschaftliche-integritaet.de/ Auszug: Leitlinie 1: Verpflichtung auf die allgemeinen Prinzipien Hochschulen und außerhochschulische Forschungseinrichtungen legen unter Beteiligung ihrer wissenschaftlichen Mitglieder die Regeln für gute wissenschaftliche Praxis fest, geben sie ihren Angehörigen bekannt und verpflichten sie – unter Berücksichtigung der Besonderheiten des einschlägigen Fachgebiets – zu deren Einhaltung. Jede Wissenschaftlerin und jeder Wissenschaftler trägt die Verantwortung dafür, dass das eigene Verhalten den Standards guter wissenschaftlicher Praxis entspricht. Leitlinie 2: Berufsethos Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler tragen Verantwortung dafür, die grundlegenden Werte und Normen wissenschaftlichen Arbeitens in ihrem Handeln zu verwirklichen und für sie einzustehen. Die Vermittlung der Grundlagen guten wissenschaftlichen Arbeitens beginnt zu einem frühestmöglichen Zeitpunkt in der akademischen Lehre und wissenschaftlichen Ausbildung. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aller Karriereebenen aktualisieren regelmäßig ihren Wissensstand zu den Standards guter wissenschaftlicher Praxis und zum Stand der Forschung. Leitlinie 18: Hinweisgebende und von Vorwürfen Betroffene Die zuständigen Stellen an den Hochschulen und außerhochschulischen Forschungseinrichtungen (in der Regel Ombudspersonen und Untersuchungskommissionen), die einen Verdacht wissenschaftlichen Fehlverhaltens überprüfen, setzen sich in geeigneter Weise für den Schutz sowohl der Hinweisgebenden als auch der/des von den Vorwürfen Betroffenen ein. Die Untersuchung von Vorwürfen wissenschaftlichen Fehlverhaltens erfolgt ausdrücklich unter Beachtung der Vertraulichkeit und des Grundgedankens der Unschuldsvermutung. […] Leitlinie 19: Verfahren in Verdachtsfällen wissenschaftlichen Fehlverhaltens Hochschulen und außerhochschulische Forschungseinrichtungen etablieren Verfahren zum Umgang mit Vorwürfen wissenschaftlichen
Anhang
Fehlverhaltens. Entsprechende Regelwerke erlassen sie auf Basis einer hinreichenden Rechtsgrundlage. Die zu etablierenden Regelwerke umfassen insbesondere Definitionen von Tatbeständen wissenschaftlichen Fehlverhaltens, Verfahrensvorschriften und Maßnahmen bei Feststellung eines wissenschaftlichen Fehlverhaltens. Die Regelwerke werden ergänzend zu einschlägigen, höherrangigen Normen angewandt. Aus der offiziellen Erläuterung zu Leitlinie 19 »Nicht jeder Verstoß gegen die Regeln guter wissenschaftlicher Praxis stellt ein wissenschaftliches Fehlverhalten dar. Als wissenschaftliches Fehlverhalten kommen nur solche vorsätzlichen oder grob fahrlässigen Verstöße in Betracht, die in einem Regelwerk niedergelegt sind. Als Tatbestände wissenschaftlichen Fehlverhaltens gelten insbesondere die Erfindung und Verfälschung von Daten und das Plagiat. […]« Als Tatbestände wissenschaftlichen Fehlverhaltens sieht die Verfahrensordnung der DFG zum Umgang mit wissenschaftlichem Fehlverhalten unter anderem vor: »[…] 2) Unberechtigtes Zueigenmachen fremder wissenschaftlicher Leistungen durch a) die ungekennzeichnete Übernahme von Inhalten Dritter ohne die gebotene Quellenangabe (»Plagiat«), […].«
Richtlinien der Österreichischen Agentur für wissenschaftliche Integrität zur Guten Wissenschaftlichen Praxis von 2016 Quelle: https://t1p.de/3hmq Auszug: § 2 Standards Guter Wissenschaftlicher Praxis (1) Zu den Standards Guter Wissenschaftlicher Praxis gehören insbesondere folgende: […] 2. Im Rahmen wissenschaftlicher Arbeiten, aber auch von Förderanträgen, der transparente und nachvollziehbare Umgang mit Ideen, Texten, Daten und sonstigen Quellen, die von anderen stammen, insbesondere durch die Beachtung aussagekräftiger und Missverständnisse vermeidender Zitierregeln; Plagiate verstoßen gegen die Standards Guter
183
184
Plagiate in der Wissenschaft
Wissenschaftlicher Praxis und sind daher zu unterlassen (vgl. § 3 Abs. 2 Ziffer 3). § 3 Wissenschaftliches Fehlverhalten (1) Wissenschaftliches Fehlverhalten liegt vor, wenn vorsätzlich, wissentlich oder grob fahrlässig gegen Standards Guter Wissenschaftlicher Praxis (§ 2) verstoßen wird. […] (2) Als wissenschaftliches Fehlverhalten im Sinne von Abs. 1 erster Satz sind insbesondere folgende Verhaltensweisen anzusehen: […] 3. Das Plagiieren (»plagiarism«, vgl. § 2 Abs. 1 Ziffer 2); ein Plagiat liegt vor, wenn Texte, Inhalte oder Ideen übernommen und als eigene ausgegeben werden. Dies umfasst insbesondere die Aneignung und Verwendung von Textpassagen, Theorien, Hypothesen, Erkenntnissen oder Daten durch direkte, paraphrasierte oder übersetzte Übernahme ohne entsprechende Kenntlichmachung und Zitierung der Quelle und der Urheberin oder des Urhebers. Dazu gehört auch das Verwenden (einschließlich des Publizierens) fremder Forschungsideen oder Forschungskonzepte, über die insbesondere in einem vertraulichen Zusammenhang (etwa im Rahmen eines peerreview oder eines anderen Begutachtungsverfahrens) Kenntnis erlangt wurde.
Editorische Anmerkungen
Einige der in diesem Buch vorgebrachten Gedanken und Beispiele sind zuvor in Artikeln erschienen, die vom Autor in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung oder bei FAZ.net veröffentlicht wurden. Die Fakten wurden auf Aktualität überprüft; die Gültigkeit der Zitate von ihren Gebern erneut bestätigt. Der Beispielstext zum Denkmalschutz stammt auch aus der Feder von Dr. Christina Mayer, die der Verwendung in diesem Buch zugestimmt hat. Vereinzelt zitiert der Autor in kurzen Passagen aus Artikeln anderer Presseerzeugnisse. Das Medium wird dabei immer angegeben. Die Originalartikel sind zu finden, wenn mittels einer Suchmaschine nach dem Zitat gesucht wird. Die von der Webseite von VroniPlag Wiki übernommenen Angaben stammen von https://vroniplag.wikia.org/de/wiki /Home und wurden, wie alle anderen Quellen auch, am 2. Januar 2022, und teilweise noch danach, überprüft.
Soziologie Michael Volkmer, Karin Werner (Hg.)
Die Corona-Gesellschaft Analysen zur Lage und Perspektiven für die Zukunft 2020, 432 S., kart., Dispersionsbindung, 2 SW-Abbildungen 24,50 € (DE), 978-3-8376-5432-5 E-Book: PDF: 21,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-5432-9 EPUB: 21,99 € (DE), ISBN 978-3-7328-5432-5
Kerstin Jürgens
Mit Soziologie in den Beruf Eine Handreichung September 2021, 160 S., kart., Dispersionsbindung 18,00 € (DE), 978-3-8376-5934-4 E-Book: PDF: 15,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-5934-8
Gabriele Winker
Solidarische Care-Ökonomie Revolutionäre Realpolitik für Care und Klima März 2021, 216 S., kart. 15,00 € (DE), 978-3-8376-5463-9 E-Book: PDF: 12,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-5463-3
Leseproben, weitere Informationen und Bestellmöglichkeiten finden Sie unter www.transcript-verlag.de
Soziologie Wolfgang Bonß, Oliver Dimbath, Andrea Maurer, Helga Pelizäus, Michael Schmid
Gesellschaftstheorie Eine Einführung Januar 2021, 344 S., kart. 25,00 € (DE), 978-3-8376-4028-1 E-Book: PDF: 21,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-4028-5
Bernd Kortmann, Günther G. Schulze (Hg.)
Jenseits von Corona Unsere Welt nach der Pandemie – Perspektiven aus der Wissenschaft 2020, 320 S., Klappbroschur, Dispersionsbindung, 1 SW-Abbildung 22,50 € (DE), 978-3-8376-5517-9 E-Book: PDF: 19,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-5517-3 EPUB: 19,99 € (DE), ISBN 978-3-7328-5517-9
Detlef Pollack
Das unzufriedene Volk Protest und Ressentiment in Ostdeutschland von der friedlichen Revolution bis heute 2020, 232 S., Klappbroschur, Dispersionsbindung, 6 SW-Abbildungen 20,00 € (DE), 978-3-8376-5238-3 E-Book: PDF: 17,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-5238-7 EPUB: 17,99 € (DE), ISBN 978-3-7328-5238-3
Leseproben, weitere Informationen und Bestellmöglichkeiten finden Sie unter www.transcript-verlag.de