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German Pages 342 Year 2015
Schriften zum Bürgerlichen Recht Band 440
Pflichten und Haftung der Aufsichtsratsmitglieder Zugleich eine Untersuchung zur kollegialorganschaftlichen Innenhaftung des Aufsichtsrats
Von
David Huthmacher
Duncker & Humblot · Berlin
DAVID HUTHMACHER
Pflichten und Haftung der Aufsichtsratsmitglieder
Schriften zum Bürgerlichen Recht Band 440
Pflichten und Haftung der Aufsichtsratsmitglieder Zugleich eine Untersuchung zur kollegialorganschaftlichen Innenhaftung des Aufsichtsrats
Von
David Huthmacher
Duncker & Humblot · Berlin
Die Rechtswissenschaftliche Fakultät der Universität zu Köln hat diese Arbeit im Wintersemester 2013/2014 als Dissertation angenommen.
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Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde im Wintersemester 2013/2014 von der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität zu Köln als Dissertation angenommen. Literatur und Rechtsprechung konnten bis Juli 2014 berücksichtigt werden. Zuvörderst zum Dank verpflichtet bin ich meiner verehrten Doktormutter, Frau Professorin Dr. Barbara Dauner-Lieb, die die Anregung zu dieser Arbeit gab und ihr Zustandekommen engagiert betreut hat. Für die zügige Erstellung des Zweitgutachtens danke ich Frau Professorin Dr. Barbara Grunewald. Der Konrad-AdenauerStiftung verdanke ich eine großzügige finanzielle und ideele Förderung, die das Entstehen dieser Arbeit erst ermöglicht hat. Danken möchte ich auch Herrn Professor Dr. Christian Koenig, an dessen Lehrstuhl ich als Student das wissenschaftliche juristische Arbeiten erlernen durfte. Herrn Rechtsanwalt Dr. Benjamin Leyendecker-Langner, LL.M. (NYU) danke ich für die wertvollen Diskussionen und Anregungen. Für die unermüdliche Unterstützung, nicht zuletzt durch das Korrekturlesen der vielen Fassungen dieser Arbeit, und die vielen Diskussion über die gesamte Entstehungszeit der Arbeit danke ich Anna Jandrey. Die Entbehrungen, die auch sie für die Entstehung dieser Arbeit auf sich genommen hat, sind nicht aufzuwiegen. Meine Eltern haben mich während meiner gesamten Ausbildung in jeder Hinsicht unterstützt und großzügig gefördert. Dafür gebührt ihnen großer Dank. Ihnen ist diese Arbeit zum Abschluss meiner Ausbildung gewidmet. Düsseldorf, im August 2014
David Huthmacher
Inhaltsverzeichnis Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15
1. Teil Die Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats und seiner Mitglieder
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A. Der Aufsichtsrat als Pflichtorgan der dualistischen Unternehmensverfassung . . . . . . . 18 I. Der Pflichtaufsichtsrat nach dem deutschen Gesellschaftsrecht . . . . . . . . . . . . . . . 18 II. Die Terminologie „Aufsichtsrat“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19 B. Der Aufsichtsrat als Überwachungsorgan . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20 I. Gegenstand und Umfang der Überwachungspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21 1. Gegenstand der Überwachung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21 a) Überwachung der Geschäftsführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24 b) Gegenstand der Überwachung im Einzelnen: Kontrolle des Vorstands . . . . . 27 c) Insbesondere: Überwachung von Angestellten? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27 2. Art und Weise der Überwachung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30 a) Vergangenheitsbezogene Kontrolle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30 b) Zukunftsbezogene Kontrolle ex ante . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32 c) Aufsichtsratsamt als Nebenamt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35 II. Ausreichende Tatsachenfeststellung als notwendige Grundlage wirksamer Überwachung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36 1. Vorstandsabhängige Informationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37 a) Vorstandsberichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37 b) Vorstandsabhängige Information als Pflichtrecht des Aufsichtsrats . . . . . . . 38 c) Berichtsordnung für den Vorstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39 2. Vorstandsunabhängige Informationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41 a) Das Einsichts- und Fragerecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43 b) Das Einsichts- und Fragerecht als Pflichtrecht des Aufsichtsrats? . . . . . . . . 44 aa) Historische Entwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45 bb) Eigene Informationsbeschaffung als Ultima Ratio? . . . . . . . . . . . . . . . . 46 c) Besondere Prüfungsaufträge und Schwerpunkte der regulären Abschlussprüfung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52 aa) Allgemeine Voraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52 bb) Erneut: nur subsidiäre Anwendung der Vorschriften? . . . . . . . . . . . . . . . 53
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Inhaltsverzeichnis 3. Schranken der Information des Aufsichtsrats . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54 III. Maßstab der Überwachungspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56 1. Rechtmäßigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57 2. Zweckmäßigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59 3. Wirtschaftlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61 4. Ordnungsgemäßheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61 a) Ausreichende Organisation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62 b) Ausreichende Unternehmensplanung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63 c) Einrichtung von Risikoüberwachungssystemen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63 5. Insbesondere: die Einrichtung von Compliance-Organisationen . . . . . . . . . . . . 64 a) Verantwortlichkeit des Vorstands . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65 b) Ausgestaltung der Compliance-Organisation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67 c) Verantwortlichkeit des Aufsichtsrats . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 68 aa) Verantwortlichkeit bei fehlender Compliance-Organisation . . . . . . . . . . 69 bb) Verantwortlichkeit bei bestehender Compliance-Organisation . . . . . . . . 69 d) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 70 IV. Intensität der Überwachung: Abgestufte Überwachungspflicht? . . . . . . . . . . . . . . 71 1. Abgestufte Überwachung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71 a) Normaler Geschäftsverlauf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 72 b) Verschlechterung der Lage des Unternehmens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 72 c) Die Überwachung in der Krise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73 d) Aufnahme der These in der Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73 2. Gegenthese: Vollständige Überwachung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 74 3. Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 74 V. Mittel der Überwachung: Einwirkungs- und Handlungsmöglichkeiten . . . . . . . . . 79 1. Stellungnahmen, Meinungsäußerungen und Beanstandungen . . . . . . . . . . . . . . 80 2. Begründung von Zustimmungsvorbehalten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81 a) Art und Umfang des Zustimmungsvorbehalts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 82 b) Wirkung des Zustimmungsvorbehalts und der Zustimmungserklärung . . . . . 84 c) Pflicht zur Einführung von Zustimmungsvorbehalten . . . . . . . . . . . . . . . . . . 86 d) Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 87 3. Einberufung einer Hauptversammlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 88 4. Verhängung eines Zwangsgelds durch das Registergericht . . . . . . . . . . . . . . . . 88 5. Schadensersatzansprüche wegen Verletzung von Informationspflichten . . . . . . 89 6. Gerichtliche Klagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 90 a) (Leistungs-)Klage auf Erfüllung der Berichtspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 90 aa) Zulässigkeit einer zivilrechtlichen Klage neben § 407 AktG . . . . . . . . . 91 bb) Bestehen eines materiellen Anspruchs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 95 cc) Aktiv- und Passivlegitimation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 96 dd) Zwischenergebnis: Interorganstreit zwischen Aufsichtsrat und Vorstand 100
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b) (Feststellungs- und Unterlassungs-)Klage zur Wahrung von Organrechten des Aufsichtsrats? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100 aa) Zulässigkeit einer gerichtlichen Geltendmachung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100 bb) Aktiv- und Passivlegitimation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102 c) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102 7. Abberufung von Vorstandsmitgliedern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 104 8. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 106 C. Der Aufsichtsrat als Kollegialorgan . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107 I. Rechte und Pflichte des Organs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107 1. Das Organ als Träger von Rechten und Pflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107 2. Delegation und Beauftragung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109 3. Beschlussfassung im Organ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111 a) Beschlussfähigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111 b) Abstimmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 112 c) Mehrheitserfordernisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115 II. Rechte und Pflichten der Organmitglieder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 116 1. Persönliche Voraussetzungen für die Bestellung zum Aufsichtsratsmitglied . . . 116 a) Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 116 b) Besondere fachliche und persönliche Voraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . 117 2. Rechte und Pflichten im Einzelnen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121 a) Interne Mitwirkungsbefugnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 122 b) Pflicht zur sorgfältigen Wahrnehmung der Organfunktion . . . . . . . . . . . . . . 123 aa) Pflicht zur kollegialen Zusammenarbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123 bb) Informationspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 124 cc) Treuepflicht, Verschwiegenheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125 D. Die Durchsetzung der Überwachungsverantwortung des Aufsichtsrats . . . . . . . . . . . . 127
2. Teil Folgen von Pflichtverletzungen durch den Aufsichtsrat und seinen Mitglieder 129 A. Die Innenhaftung der Aufsichtsratsmitglieder gegenüber der Gesellschaft . . . . . . . . . 129 I. Die Innenhaftung der Aufsichtsratsmitglieder für eigene Pflichtverletzungen . . . . 131 1. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131 2. Pflichtverletzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133 a) Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133 b) Übersicht möglicher Pflichtverletzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133 c) Haftungserleichterung: Anwendung der Business Judgement Rule auf den Aufsichtsrat? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 135
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Inhaltsverzeichnis 3. Verschulden und Sorgfaltsmaßstab . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 140 a) Ausgangslage: Allgemeiner (objektiver) Sorgfaltsmaßstab . . . . . . . . . . . . . . 140 aa) Historie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 140 bb) Subjektiver vs. objektiver Sorgfaltsmaßstab . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141 (1) Subjektiver Maßstab . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 142 (2) Objektiver Maßstab . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 143 (3) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 143 cc) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 145 b) Mindestqualifikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 146 aa) Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 147 bb) Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149 cc) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 151 (1) Allgemeine Kenntnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 151 (2) Erfahrung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 154 (3) Abhängigkeit von Marktumfeld und Unternehmenslage . . . . . . . . . . 156 dd) Rechtsfolge der Nichterfüllung der Mindestvoraussetzungen . . . . . . . . . 158 (1) Keine Unwirksamkeit der Bestellung wegen fehlender Qualifikation eines Aufsichtsratsmitglieds . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 158 (2) Anfechtung der Bestellung? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159 (3) Gerichtliche Abberufung aus wichtigem Grund? . . . . . . . . . . . . . . . 160 (4) Haftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 162 (a) Der Aufsichtsrat: Haftung für Wahlvorschlag? . . . . . . . . . . . . . 162 (b) Das nicht hinreichend qualifizierte Mitglied: Innenhaftung wegen Übernahmeverschuldens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 164 (5) Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165 c) Auswirkung von individuellem Sonderwissen auf die persönliche Haftung der Aufsichtsratsmitglieder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 166 aa) Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 166 bb) Konsequenzen des besonderen Fachwissens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 167 (1) Haftungsverschärfung durch Sonderwissen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 167 (2) Keine generelle Steigerung der Sorgfaltspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . 169 (3) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169 cc) Erhöhte Anforderungen für Ausschussmitglieder? . . . . . . . . . . . . . . . . . 172 (1) Wahl und Zusammensetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 173 (2) Rechtsfolgen bei nicht ausreichender (Zusatz-)Qualifikation . . . . . . 176 (a) Unwirksamkeit oder Anfechtbarkeit der Wahl? . . . . . . . . . . . . 176 (b) Die Haftung der Plenumsmitglieder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 176 (aa) Haftung für fehlerhafte Auswahl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 176 (bb) Haftung für unzureichende Überwachung des Ausschusses . . . 177 (c) Die Haftung des Ausschussmitglieds . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 180
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(d) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 180 dd) Sonderfall: Anforderung von § 100 Abs. 5 AktG und Auswirkung auf die Haftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 181 (1) Haftung der übrigen Aufsichtsratsmitglieder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 181 (2) Verschärfte Haftung des Finanzexperten? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 183 (a) Rechtsvergleichende Betrachtung: die Regelung nach dem Sarbanes-Oxley Act . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 183 (b) Übertragung der allgemeinen Haftungsgrundsätze . . . . . . . . . . 185 (3) Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 191 d) Kein Einstehen für die Pflichtverletzung Dritter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 192 4. Kausalität (bei Gremienentscheidungen) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 192 a) Insbesondere: Probleme überbedingter Kausalität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 194 aa) Lösungsansätze im Strafrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 195 bb) Zivilrechtliche Lösung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 198 cc) Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 201 b) Pflichten des dissentierenden Aufsichtsratsmitglieds? . . . . . . . . . . . . . . . . . . 202 aa) Vor der Abstimmung: Pflicht zur Gegenvorstellung . . . . . . . . . . . . . . . . 203 bb) Stimmenthaltung bei vorheriger Gegenvorstellung? . . . . . . . . . . . . . . . . 206 cc) Bei Unterliegen in der Abstimmung: weitere Pflichten im Nachgang? . 207 (1) Erneute Remonstration . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 208 (2) Einschaltung des Vorstands . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 209 (3) Einschaltung von Behörden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 210 (4) Feststellungs-/Nichtigkeitsklage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 211 (5) Pflicht zur Amtsniederlegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 213 dd) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 215 5. Beweislast . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 215 6. Geltendmachung und Durchsetzung des Ersatzanspruchs . . . . . . . . . . . . . . . . . 218 a) Anspruchsverfolgung durch den Vorstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 218 b) Verpflichtung des Vorstands durch die Hauptversammlung . . . . . . . . . . . . . . 219 c) Besonderer Vertreter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 221 aa) Bestellung durch die Hauptversammlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 221 bb) Bestellung durch das Gericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 221 cc) Aufgabe und Rechtsstellung des besonderen Vertreters . . . . . . . . . . . . . 222 d) Die Aktionärsklage nach § 148 AktG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 225 e) Anspruchsverfolgung durch den Insolvenzverwalter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 228 f) Faktische Durchsetzung durch Entlastungsverweigerung der Hauptversammlung? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 230 7. Innenausgleich: Gesamtschuldnerregress . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 231
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Inhaltsverzeichnis II. These: Die Haftung des Aufsichtsrats als Kollegialorgan . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 232 1. Ausgangspunkt: das Organ als Zurechnungspunkt von (eigenen) Rechten und Pflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 233 a) These 1: Kollegialorganschaftliche Primärhaftung anstatt individueller Mitgliederhaftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 233 b) These 2: Das Organ als Zurechnungspunkt eigener Rechte und Pflichten – kollegialorganschaftliche (Primär-)Haftung neben individueller Mitgliederhaftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 235 2. Grundvoraussetzung: Originäre Organrechte de lege lata? . . . . . . . . . . . . . . . . 236 a) Organe bloß als Wahrnehmungsintermediäre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 237 b) Organe als rechtliches Nullum zwischen Gesellschaft und Organmitglied . . 239 c) Organe als Zurechnungsendpunkt eigener Rechte und Pflichten . . . . . . . . . . 242 aa) Subjektives Recht oder Recht sui generis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 244 bb) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 245 d) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 245 3. Analyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 246 a) Historie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 246 aa) Gesetz über die Aktiengesellschaften 1843 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 246 bb) Das Allgemeine Deutsche Handelsgesetzbuch 1861 . . . . . . . . . . . . . . . . 248 cc) 1. Aktienrechtsnovelle 1870 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 249 (1) Grundlagen im französischen Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 251 (2) Haftung für allgemeine Pflichtverletzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 254 dd) 2. Aktienrechtsnovelle 1884 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 256 (1) Vorschlag des Reichsoberhandelsgerichts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 256 (2) Vorschlag der Sachverständigenkommission und Reform der Haftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 257 ee) Neufassung durch das HGB zum 1. Januar 1900 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 263 ff) Aktienrechtsreformen 1937 und 1965 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 265 (1) Inhalt der Neufassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 266 (2) Keine Haftungsregelung in § 99 AktG 1937? . . . . . . . . . . . . . . . . . . 267 gg) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 269 b) Wortlaut . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 270 aa) Sorgfaltspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 271 bb) Verantwortlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 272 (1) Der Begriff der Verantwortlichkeit im allgemeinen und juristischen Sprachgebrauch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 272 (2) Wortlautvergleich § 116 Satz 3 und § 93 AktG . . . . . . . . . . . . . . . . . 272 (3) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 274 cc) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 274
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c) Systematik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 275 aa) Begründung einer Organhaftung aus systematischem Vergleich zwischen § 116 Satz 3 und § 116 Satz 1 AktG? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 275 bb) Systematischer Vergleich zwischen § 116 Satz 1 und § 48 Satz 2 AktG . 280 (1) Historische Entwicklung und teleologische Bedeutung . . . . . . . . . . 282 (a) (Historische) Bedeutung der Prüfungspflicht nach Art. 209 h ADHGB 1884 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 282 (b) Weitere historische Entwicklung der Prüfungspflicht . . . . . . . . 286 (c) Heutige Rechtslage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 288 (2) Bedeutung der Historie und der gesetzgeberischen Intention für das heutige Normverständnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 289 (a) Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 289 (b) Reformbedarf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 290 cc) Parallelität von Vorstands- und Aufsichtsratshaftung . . . . . . . . . . . . . . . 291 (1) Haftungsgleichlauf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 291 (2) Haftungsinhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 293 dd) Gleichlauf von Pflichtenbindung und Haftungssubjektivität . . . . . . . . . . 294 (1) Grundsätzlich: Differenzierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 295 (2) Interdependenz? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 295 (a) Organhaftung statt Mitgliederhaftung? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 295 (b) Organhaftung neben Mitgliederhaftung? . . . . . . . . . . . . . . . . . . 298 (aa) Überleitungsvorschrift? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 300 (bb) Keine Notwendigkeit der Überleitung aus systematischer Sicht 300 ee) Systematischer Vergleich mit § 117 Abs. 2 und § 147 Abs. 1 AktG . . . . 302 ff) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 303 d) Telos . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 304 aa) Primäre Organhaftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 304 bb) Individuelle Mitgliederhaftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 305 cc) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 305 4. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 308 B. Neue Haftungsmodelle zur Steigerung der Überwachungstätigkeit de lege ferenda? . 309
3. Teil Gesamtergebnis und Thesen
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Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 316 Sachwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 340
Einleitung Die Wirtschafts- und Finanzkrise des noch jungen neuen Jahrtausends hat zu einem Einbruch der globalen Wirtschaft und damit einhergehend zu einem erheblichen Anstieg von Unternehmensinsolvenzen geführt.1 Im Zuge der Aufarbeitung der Krise und ihrer Folgen ist – neben einer politischen Debatte nach einer stärkeren Regulierung des Banken- und Finanzsektors – die Verantwortlichkeit der Unternehmensleitungen verstärkt in den Blick der Öffentlichkeit2 und Rechtsprechung3 und damit auch der rechtswissenschaftlichen Diskussion4 geraten. Während sich die Schuldzuweisungen zunächst weitestgehend auf die Geschäftsleitung konzentrierten, ist in letzter Zeit auch die Verantwortlichkeit der Aufsichtsräte in den Mittelpunkt des Diskurses gerückt und hat Forderungen nach besseren Qualifikationen der Aufsichtsratsmitglieder nach sich gezogen.5 Diese Diskussion erfolgt zu einem Zeitpunkt, in welchem sich die Struktur des Aufsichtsrats bereits ohnehin im Umbruch befindet. Neben einer Debatte um eine größere Diversifizierung der Aufsichtsräte in fachlicher Hinsicht („Professionalisierung der Aufsichtsräte“), welche die Deutsche Corporate Governance Kommission bereits seit einigen Jahren beschäftigt,6 gerät nun auch die Frage nach einer gesetzlich normierten Quote weiblicher Aufsichtsratsmitglieder in die Debatte um die Zusammensetzung und Verantwortung des Überwachungsorgans der Aktien-
1 Vgl. den Anstieg der Unternehmensinsolvenzen allein im 1. Halbjahr 2009 um mehr als 15 %, Statistisches Bundesamt, Pressemitteilung Nr. 334 vom 09. 09. 2009, abrufbar unter https://www.destatis.de/DE/PresseService/Presse/Pressemitteilungen/2009/09/PD09_334_ 52411.html. 2 Siehe z. B. Riecke, Handelsblatt v. 30. 01. 2009, S. 28; Prange, Handelsblatt Online, http:// www.handelsblatt.com/unternehmen/strategie/aufsichtsrat-ahnungslos;2431193;0. 3 Vgl. beispielsweise die zivil- und strafrechtlichen Verfahren im Rahmen des Fast-Zusammenbruches der IKB Deutsche Industriebank AktG: OLG Düsseldorf, Urt. v. 09. 12. 2009 – I-6 W 45/09, 6 W 45/09, AG 2010, S. 126 und das Urteil gegen den Vorstandssprecher der IKB, Stefan Ortseifen: LG Düsseldorf, Urt. v. 14. 07. 2010 – 14 KLs 6/09, 4 KLs – 130 Js 54/07 - 6/ 09, AG 2011, S. 722; siehe auch die Übersicht bei Gärtner, BB 2012, S. 1745. 4 Siehe nur Florstedt, AG 2010, S. 315; Lutter, ZIP 2009, S. 197; Balthasar/Hamelmann, WM 2010, S. 589. 5 Vgl. bspw. Meyer-Wellmann, Hamburger Abendblatt Online, http://www.abendblatt.de/ hamburg/article576075/Aufsichtsrat-ist-fuer-Krise-verantwortlich.html; ausführlich auch Langenbucher, ZGR 2012, S. 314, 316 ff. 6 Prange, Handelsblatt Online, http://www.handelsblatt.com/unternehmen/strategie/auf sichtsrat-ahnungslos;2431193;0html; Langenbucher, ZGR 2012, S. 314.
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Einleitung
gesellschaft.7 Auch die Europäische Kommission hat sich in die Diskussion um mehr Diversität und fachliche Diversifikation eingeschaltet und im Rahmen eines Grünbuchs interessierte Parteien zur Stellungnahme aufgefordert, ob eine ausreichende fachliche Befähigung der Aufsichtsratsmitglieder durch entsprechende rechtliche Regelungen sichergestellt werden soll.8 Neben der Diskussion um eine veränderte Zusammensetzung de lege ferenda, rückt in jüngster Zeit in der Rechtsprechung die haftungsrechtliche Verantwortlichkeit einzelner Aufsichtsratsmitglieder in den Mittelpunkt.9 Die Einzelfragen der Haftung des Aufsichtsrats bzw. seiner Mitglieder bestimmen sich aus einer Vielzahl von Komponenten, die insbesondere der im Regelfall heterogenen Zusammensetzung des Organs sowie der Schwierigkeit der gesetzlichen Normierung allgemeiner Verhaltenspflichten geschuldet ist. Probleme bereitet dabei zunehmend die Tatsache, dass die einzelnen Mitglieder lediglich im Nebenamt tätig und insofern nicht hauptberufliche Überwacher sind, die ein umfangreiches, überwachungsspezifisches Fachwissen mitbringen.10 Durch ihre unterschiedlichen Hintergründe ergibt sich zwar der Vorteil, dass im Aufsichtsrat eine große Vielfalt verschiedenster fachlicher Qualifikationen und Berufserfahrungen vertreten ist, allerdings führt dies gleichzeitig zur Problematik einer individuellen Abgrenzung der Rechte und Pflichten der Mitglieder, die abhängig vom jeweiligen persönlichen Hintergrund unterschieden werden.11 Dadurch entsteht eine unübersehbare Vielzahl verschiedenster Pflichten der einzelnen Aufsichtsratsmitglieder, woraus hinsichtlich der Anforderung an das eigene Verhalten für die jeweiligen Mitglieder eine erhebliche Rechtsunsicherheit resultiert. Die Einzelheiten der individuellen Pflichten der Aufsichtsratsmitglieder sind bislang in Rechtsprechung und Literatur nur schemenhaft herausgearbeitet worden. Diese Arbeit hat zum Ziel, in einem ersten Teil diese individuellen Pflichten zu konkretisieren. Dabei wird insbesondere auf die Ausgestaltung des Aufsichtsrats als Kollegialorgan eingegangen, wodurch sich erhebliche Schwierigkeiten bezüglich der individuellen Verantwortlichkeit bei Gremienentscheidungen ergeben. Weitgehend unklar ist insofern, welche Pflichten ein Mitglied trifft, das sich von der Entscheidung der übrigen Gremienmitglieder distanzieren möchte. Es wird zu untersuchen sein, unter welchen Voraussetzungen eine Enthaftung pflichtwidriger Entscheidungen des Gremiums in Frage kommt. Zu beachten ist dabei insbesondere, ob und wie sich ein besonderes Fachwissen einzelner Mitglieder auf die (Ent-)Haftung 7 Budras, Frankfurter Allgemeine Zeitung Online, http://www.faz.net/s/RubEC1ACFE1 EE274C81BCD3621EF555C83C/Doc~E0F05FF323F50491D8DBBF5B5BE26DC60~ATpl~E common~Scontent.html; Langenbucher, ZGR 2012, S. 314. 8 Europäische Kommission, KOM(2011) 164/3, S. 8. 9 Siehe die aktuelle Entscheidung des OLG Stuttgarts zur individuellen Verantwortlichkeit von Aufsichtsratsmitgliedern, OLG Stuttgart, Urt. v. 29. 02. 2012 – 20 U 3/11, ZIP 2012, S. 625. 10 Pentz, in: Fleischer, Handbuch des Vorstandsrechts, § 16 Rdnr. 40; kritisch bzgl. der Begrifflichkeit: Lutter, NJW 1995, S. 1133. 11 BGH, Urt. v. 20. 09. 2011 – II ZR 234/09, DB 2011, S. 2484.
Einleitung
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auswirkt. Zusätzlich ist zu untersuchen, welche Handlungsmöglichkeiten den Aufsichtsratsmitgliedern zustehen und inwieweit sie wann berechtigt sind, von diesen Möglichkeiten Gebrauch zu machen. Zu untersuchen sein wird dabei auch die Frage, ob sich die Rechte und insbesondere die Pflichten der Mitglieder verschieben, je nachdem in was für einer Lage sich das Unternehmen, z. B. aufgrund externer Faktoren wie der Gesamtwirtschaftslage, befindet. Auf einer zweiten Stufe wird die haftungsrechtliche Pflichtenbindung des Organs und seiner einzelnen Mitglieder untersucht. Zu prüfen ist dabei, welche Haftungskonstruktion dem deutschen Aktienrecht zugrunde liegt und ob die derzeitigen Regelungen die Aufsichtsratsmitglieder zu einer intensiven Überwachung des Vorstands zu motivieren vermögen. Vor diesem Hintergrund ist zu untersuchen, ob – wie nach allgemeiner Ansicht angenommen – ausschließlich eine Mitgliederhaftung der Aufsichtsratsmitglieder besteht. Es gilt zu überprüfen, ob sich – insbesondere aus der historischen Konzeption des deutschen Aktienrechts – auch eine primäre Haftung des Organs selbst rechtfertigen lässt.12 Erfolgt eine Überleitung der Haftung auf die einzelnen Mitglieder, so läge möglicherweise gerade keine Haftung nach individuellen Verursachungsbeiträgen, sondern zu gleichen Teilen für Verfehlungen des Gesamtorgans, vor. Wäre eine solche Haftung nach deutschem Recht de lege lata zulässig, so könnte dies eine insgesamt verbesserte Tätigkeit des Organs zur Folge haben, da nunmehr sämtliche Mitglieder ein gesteigertes Interesse an den Handlungen des Organs, und nicht lediglich ihres eigenen Abstimmungsverhaltens hätten. Ob diese Annahme zutrifft und ob eine entspreche Haftung nach deutschem Recht überhaupt möglich ist, wird zentraler Gegenstand dieser Arbeit sein.
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Davon gehen Szalai/Marz, DStR 2010, S. 809, aus.
1. Teil
Die Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats und seiner Mitglieder Für eine eingehende Analyse der Haftung und Haftungsstruktur eines Organs bzw. seiner Organmitglieder ist es erforderlich, vorab die Rechte und Pflichten des Organs und der Organmitglieder zu ermitteln. Eine Haftungsstruktur lässt sich nämlich nur dann ableiten, wenn die Gründe und Parameter der Haftung genau bestimmt sind. Aus diesem Grund werden nachfolgend zunächst die internen Entscheidungsfindungsprozessen im Aufsichtsrat untersucht, woraus sich einzelne korrespondierende Rechte und Pflichten des Organs und der Organmitglieder ergeben können. Die Betrachtung dieser Rechte und Pflichten ist für ein genaues Verständnis der Haftungsstrukturen innerhalb des Organs unerlässlich.
A. Der Aufsichtsrat als Pflichtorgan der dualistischen Unternehmensverfassung Der Aufsichtsrat ist nach dem deutschen Gesellschaftsrecht ein Kollegialorgan in verschiedenen Gesellschaftsformen, das sich aus mehreren Mitgliedern zusammensetzt, die gemeinsam für das Organ handeln. Die Existenz des Aufsichtsrats kann entweder qua Gesetz vorgeschrieben sein (Pflichtaufsichtsrat, obligatorischer Aufsichtsrat) oder von den Anteilseignern in der Gesellschaftssatzung vereinbart werden (fakultativer Aufsichtsrat). Die vorliegende Arbeit setzt sich vornehmlich mit dem obligatorischen Aufsichtsrat der Aktiengesellschaft auseinander, der aufgrund gesetzlicher Bestimmung Pflichtorgan der Aktiengesellschaft ist. Im Regelfall sind die dabei aufgestellten Schlussfolgerungen und Ergebnisse aber auf den fakultativen Aufsichtsrat übertragbar.
I. Der Pflichtaufsichtsrat nach dem deutschen Gesellschaftsrecht Pflichtaufsichtsräte kennt das Gesetz – neben der Aktiengesellschaft (§ 30 Abs. 1 AktG) – bei den Genossenschaften (§ 9 Abs. 1 GenG) sowie Gesellschaften mit beschränkter Haftung, die entweder der Montanmitbestimmung unterliegen (§ 3 Abs. 1 MontMitbestG), Kapitalanlagegesellschaften sind (§ 3 Satz 1 KAGG) oder mehr als 500 (§ 1 Abs. 1 DrittelbetG) bzw. 2.000 (§ 6 Abs. 1 MitbestG 1976) Ar-
A. Der Aufsichtsrat als Pflichtorgan
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beitnehmer beschäftigen. Für alle Rechtsformen, in denen der Aufsichtsrat Organ ist, gilt das dem deutschen Aktienrecht zugrundeliegende Prinzip der dualen Unternehmensverfassung13, bei dem eine Trennung in ein geschäftsführendes und ein überwachendes Organ erfolgt.14 Bei der hier zu besprechenden Aktiengesellschaft obliegt die Geschäftsführung allein dem Vorstand, während der Aufsichtsrat das Vorstandshandeln zum Wohle der Gesellschaft überwacht. Im Gegensatz zur dualistischen Unternehmensverfassung kennt die monistische Unternehmensverfassung, wie sie vor allem im anglo-amerikanischen Raum vorherrscht, eine solche Trennung nicht: bei dem dortigen One-Board oder One-Tier-System sind sowohl die Aufgaben der Geschäftsführung als auch die Überwachungsaufgaben in einem Organ gebündelt.15 Die dem deutschen Recht innewohnende Problematik der Aufgabenverteilung und dem Verhältnis von Geschäftsleitung und Aufsichtsrat zueinander ist diesen Rechtssystemen daher prinzipiell unbekannt. In den letzten Jahren hat jedoch, verstärkt durch eine Diskussion um eine verbesserte Unternehmensführung (Corporate Governance), eine zunehmende Annäherung des monistischen an das dualistische Modell stattgefunden: Auch im One-Board-System wird mittlerweile anerkannt, dass eine Trennung von Geschäftsführung und Überwachung mit Blick auf eine verbesserte Kontrollmöglichkeit häufig vorzugswürdig ist. Im angloamerikanischen Rechtsraum findet daher eine verstärkte Unterscheidung in geschäftsführende und nicht-geschäftsführende Direktoren statt, einhergehend mit einer Besetzung bestimmter Ausschüsse durch nicht-geschäftsführende Direktoren.16 So kann auch im monistischen System eine Trennung in Geschäftsführung und Überwachung erreicht werden.
II. Die Terminologie „Aufsichtsrat“ Wenn im juristischen Sprachgebrauch von „dem Aufsichtsrat“ gesprochen wird, so ist im Regelfall das Organ Aufsichtsrat gemeint. Jedoch ist sowohl beim Aufsichtsrat wie auch beim Vorstand der Aktiengesellschaft festzustellen, dass eine trennscharfe begriffliche Unterscheidung zwischen Organ und Organmitgliedern nicht immer vorgenommen wird. So werden die Mitglieder des Aufsichtsrats auch als Aufsichtsräte bezeichnet; für den Vorstand gilt entsprechendes. Diese Ungenauigkeit findet sich nicht nur im juristischen Schrifttum,17 auch die Rechtsprechung18 verwendet diese ungenauen, weil irreführenden Bezeichnungen. 13
Vgl. zum Begriff Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats, Rdnr. 3. Dies gilt insb. für die GmbH nur eingeschränkt, da hier die Macht der Gesellschafter weitgehend erhalten bleibt und nicht auf einen (Pflicht-)Aufsichtsrat übertragen wird. 15 Habersack, in: Münchener Kommentar AktG, Vorb. zu §§ 95 ff Rdnr. 1. 16 Vgl. zur Diskussion Habersack, in: Münchener Kommentar AktG, Vorb. zu §§ 95 ff Rdnr. 1 m.w.N. 17 Siehe nur Scholderer, NZG 2012, S. 168, 170; Martinius/Zimmer, BB 2011, S. 3014 ff; Gundlach/Müller, NZI 2011, S. 480, 481; Mutter/Kruchen, VersR 2011, S. 48. 14
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1. Teil: Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats und seiner Mitglieder
Wie zu zeigen sein wird, ist eine exakte und trennscharfe Unterscheidung von Rechten und Pflichten, die den Mitgliedern zugewiesen sind, und solchen, die dem Organ obliegen, für eine genaue Erfassung der individuellen Rechte und Verantwortlichkeiten der Mitglieder einerseits und des Organs andererseits unerlässlich. Jede nachfolgende Bezeichnung des Aufsichtsrats meint daher stets ausschließlich das Organ, während Aufsichtsräte eine Vielzahl von Organen bezeichnet. Die Organmitglieder werden als Aufsichtsratsmitglieder oder Mitglieder des Aufsichtsrats bezeichnet.
B. Der Aufsichtsrat als Überwachungsorgan Die Hauptaufgabe des Aufsichtsrats besteht in seiner Funktion als Überwachungsorgan der Geschäftsführung der Aktiengesellschaft (§ 111 Abs. 1 AktG).19 Der Aufsichtsrat ist damit die Kontrollinstanz zum Vorstand, dem die Leitung der Gesellschaft übertragen ist (§ 76 Abs. 1 AktG). Entgegen des Wortlautes „Überwachungsorgan“ sollte die Rolle des Aufsichtsrats jedoch nicht als eine rein reaktionäre verstanden werden; nach der gesetzlichen Konzeption ist dem Aufsichtsrat eine quasi gleichberechtigte Stellung neben dem Vorstand zuerkannt worden: nach dem Wortlaut des Gesetzes verwalten die Mitglieder von Vorstand und Aufsichtsrat die Aktiengesellschaft gemeinsam (§ 120 Abs. 2 Satz 1 AktG).20 Im Schrifttum findet sich daher zu Recht die Bezeichnung des Aufsichtsrats als „mit-unternehmerisches Organ“.21 Vorstand und Aufsichtsrat bilden ein System von „checks and balances“, wie es bei Systemen der Gewaltenteilung häufig anzutreffen ist. Dies darf allerdings nicht dahingehend missverstanden werden, dass Aufsichtsrat und Vorstand die gleichen Aufgaben bei der Verwaltung der Aktiengesellschaft wahrnehmen. Die Aufgaben der Organe unterscheiden sich dadurch, dass dem Vorstand das Recht und die Pflicht zum geschäftsführenden Handeln übertragen wurden, während der Aufsichtsrat dieses Handeln überprüft und überwacht.22
18 Siehe nur die neueste Rechtsprechung OLG Stuttgart, Urt. v. 19. 06. 2012 – 20 W 1/12; OLG Braunschweig, Urt. v. 14. 06. 2012 – Ws 44/12, Ws 45/12, Rdnr. 20 ff (zitiert nach juris); OLG Düsseldorf, Urt. v. 27. 01. 2012 – 16 U 163/10, Rdnr. 31 (zitiert nach juris); LG Köln, Urt. v. 12. 01. 2012 – 91 O 77/11, Der Konzern 2012, S. 139, Rdnr. 3 ff (zitiert nach juris). 19 Hopt/Roth, in: Großkommentar AktG, § 111 Rdnr. 24; Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats, Rdnr. 61; Habersack, in: Münchener Kommentar AktG, § 111 Rdnr. 1; a.A. Semler, in: Münchener Kommentar AktG, 2. Aufl. 2004 (Voraufl.), § 111 Rdnr. 1. 20 In diese Richtung auch Roth, ZGR 2012, S. 343, 347. 21 Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats, Rdnr. 57 ff; zustimmend Roth, ZGR 2012, S. 343, 349. 22 Semler, Leitung und Überwachung der Aktiengesellschaft, Rdnr. 85.
B. Der Aufsichtsrat als Überwachungsorgan
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I. Gegenstand und Umfang der Überwachungspflicht 1. Gegenstand der Überwachung Bereits in der Verpflichtung zur gemeinsamen Verwaltung der Gesellschaft durch Vorstand und Aufsichtsrat ist angelegt, dass die Rolle des Aufsichtsrats nicht ausschließlich auf eine retrospektive Kontrolltätigkeit beschränkt sein kann. Diese gesetzliche Normierung ebenso wie das Grundprinzip der dualistischen Unternehmensverfassung verdeutlichen, dass die Aufgabe des Aufsichtsrats sich nicht in einer bloßen vergangenheitsbezogenen Kontrolle erschöpfen kann. Dann nämlich käme dem Aufsichtsrat allein die Funktion zur nachträglichen Aufklärung von Fehlverhalten zu, ohne dass ihm eine Beratungs- und Einwirkungsmöglichkeit zugestanden würde, um Krisen oder Zwischenfällen im Unternehmen für die Zukunft zu verhindern. Für eine nachhaltige Unternehmenspolitik ist es jedoch unerlässlich, dass eine aktive Kontrolle und Überwachung der Geschäftsführung stattfindet. Überwachung muss daher mit einer der Implementierung vorangehenden kritischen Hinterfragung geplanter Maßnahmen sowie der Kontrolle grundsätzlicher Unternehmensstrukturen beginnen. Zusätzlich zur Überwachung muss der Aufsichtsrat daher auch beratend tätig werden. Insbesondere bei wichtigen und einschneidenden Maßnahmen ist es unerlässlich, dass der Vorstand seine Vorstellungen und Ideen dem Aufsichtsrat vorstellt, der sie dann einer eingehenden Kontrolle unterzieht. Dabei kann es häufig bereits hilfreich sein, dass der Aufsichtsrat die geplanten Maßnahmen kritisch hinterfragt, um dabei auch mögliche Alternativmaßnahmen zu diskutieren. Neben einer solchen Plausibilitätskontrolle kann der Aufsichtsrat auch den Sachverstand seiner Mitglieder einbringen, um dem Vorstand bei wichtigen Entscheidungen unterstützend zur Seite zu stehen. Einzelne fachkundige Mitglieder können durch das Organ die (Un-)Durchführbarkeit der Maßnahmen rügen noch bevor es zu einer Detailplanung kommt. Gleichzeitig sollten die generellen Unternehmensstrukturen in regelmäßigen Abständen einer Kontrolle unterzogen werden, wobei überprüft werden sollte, ob beispielsweise die Risikovorsorge noch zeitgemäß ist.23 Nicht zuletzt dient der Aufsichtsrat durch seine Mitglieder auch der Pflege geschäftlicher Beziehungen und Verbindungen des Unternehmens.24 Allerdings ist der Aufsichtsrat als Vorstandsberater kein Sachverständiger im eigentlichen Sinne, der aus fachlicher Sicht den Vorstand abschließend und eindeutig über das Für und Wider konkreter Entscheidungen berät; auch entfalten die Vorschläge des Aufsichtsrats für den Vorstand keine Bindungswirkung.25 Zwar geht die Diskussion um die zunehmende Professionalisierung der Mitglieder des Aufsichtsrats26 gerade dahin, mit Experten besetzte Aufsichtsräte einzurichten. Jedoch 23
Koch, in: Hüffer, AktG, § 111 Rdnr. 4 f. Vgl. Regierungsentwurf zum Aktiengesetz 1937, abgedruckt bei Klausing, Gesetz über Aktiengesellschaften und Kommanditgesellschaften auf Aktien (RegE), S. 73. 25 Habersack, in: Münchener Kommentar AktG, § 111 Rdnr. 40. 26 Siehe nur Langenbucher, ZGR 2012, S. 314, 316 ff m.w.N. 24
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1. Teil: Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats und seiner Mitglieder
ist Ziel dieser Bestrebung nicht, dass der Aufsichtsrat im Einzelfall einen höheren Sachverstand aufweist als der Vorstand und diesen daher hinsichtlich der besten Lösung aus fachlicher Sicht berät. Beratung im Sinne der Unternehmensberatung, welche der Aufsichtsrat dem Vorstand leistet, setzt nicht gleichsam einen überlegenen Sachverstand in fachlicher und sachlicher Hinsicht voraus. Zweifellos ist es dem Vorstand jederzeit möglich, sich externen Sachverstand und Berater zu praktisch jeder erdenklichen materiellen Fragestellung „einzukaufen“, indem er qualifizierte Dritte mit der Lösung einzelner Probleme beauftragt. Die Professionalisierung der Mitglieder des Aufsichtsrats soll hingegen bewirken, dass der Aufsichtsrat auch in der Lage ist, verschiedene, objektiv gleich geeignete Möglichkeiten fachlich korrekt zu bewerten. Gerade in der Finanzkrise ist deutlich geworden, dass viele Aufsichtsratsmitglieder mit der Komplexität der vom Vorstand eingegangenen Geschäfte überfordert waren.27 Eine (kritische) Beratung und Hinterfragung war damit praktisch ausgeschlossen. Die Aufgabe des Vorstands – und hier greift die Beratung des Aufsichtsrat ein – ist aber insbesondere die Beantwortung der Frage, welche dieser (gleichermaßen erfolgsversprechenden) Lösungen für die weitere Entwicklung der Gesellschaft am besten geeignet ist. Dabei geht es selbstverständlich auch um die Wirtschaftlichkeit der Entscheidung. Diese Entscheidung könnte zwar ebenfalls von einem externen Berater getroffen werden. Nicht allerdings kann die Abwägung der Nutzen und Risiken, wie auch die Vereinbarkeit der Maßnahme mit den Unternehmenswerten und -traditionen von außenstehenden Dritten getroffen werden. Im Regelfall wird die Entscheidung nicht auf der Hand liegen; häufig wird eine Vielzahl von Alternativen kaufmännisch vertretbar sein. Der Aufsichtsrat soll den Vorstand dann dabei unterstützen, zwischen diesen mehreren fachlich vertretbaren oder „richtigen“ Lösungen die für das Unternehmen und dessen Entwicklung am besten geeignetste Variante zu finden. Eine effiziente Beratung setzt voraus, dass der Beratende die Vorschläge des Beraters einer kritischen Prüfung zu unterziehen und dessen Beiträge in seinen eigenen Entscheidungsprozess zu integrieren in der Lage ist.28 Der Vorstand sollte die Kritikpunkte und Vorschläge des Aufsichtsrats aufnehmen und mit ihm auf Augenhöhe diskutieren, um schließlich auf dieser Grundlage eine unabhängige, eigene Entscheidung treffen zu können. Auch wenn der Aufsichtsrat durch seine beratende Tätigkeit unter Umständen einen nicht unbedeutenden Einfluss auf die Ausgestal27
Prange, Handelsblatt Online, http://www.handelsblatt.com/unternehmen/strategie/auf sichtsrat-ahnungslos;2431193;0; Lemmer, Handelsblatt v. 24. 07. 2012, S. 70; siehe dazu auch die Studie „Die Neue Rolle des Aufsichtsrates“, S. 11, der WHU Otto Beisheim School of Management (2011), wonach fast die Hälfte der Vorstände davon ausgehen, dass maximal 60 % der Aufsichtsratsmitglieder die notwendigen Qualifikationen zur Erfüllung ihrer Aufgaben mitbringen (http://www.boyden.de/mediafiles/attachments/5264.pdf, Abruf v. 03. 06. 2013). Nach einer Studie der Personalberatung Gemini Executive Research in Zusammenarbeit mit der FH Bergisch-Gladbach vergaben die Führungskräfte befragter Unternehmer überwiegend die Note „befriedigend“ für ihre Aufsichtsräte (https://www.gemini-exs.com/uploads/media/2012_ 03_06_PM_GEMINI_Executive_Search_AR_Studie_ FINAL_D.pdf, Abruf vom 03. 06. 2013). 28 Vgl. zum Ganzen Steinmann/Klaus, AG 1987, S. 29, 30 f.
B. Der Aufsichtsrat als Überwachungsorgan
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tung der Geschäfte des Unternehmens hat, übernimmt er zu keinem Zeitpunkt selbst die Leitung oder Geschäftsführung der Gesellschaft. Diese Funktion ist ausdrücklich und ausschließlich dem Vorstand zugewiesen (§ 76 Abs. 1 AktG, § 111 Abs. 4 Satz 1 AktG); nur dieser wird geschäftsführend tätig.29 Aufgrund der gemischten Kontrollund Beratungsfunktion des Aufsichtsrats ist es verfehlt, von einer ausschließlichen Kontrolltätigkeit des Aufsichtsrats zu sprechen. Die Trennung zwischen Kontrolle und Beteiligung des Aufsichtsrats an wichtigen Entscheidungen ist nicht immer klar gezogen. Bereits durch die Personalwahl des Vorstands (§ 84 AktG) und die Möglichkeit des Erlasses einer Geschäftsordnung für den Vorstand (§ 77 Abs. 2 AktG) wird dem Aufsichtsrat eine nicht unerhebliche Einflussmöglichkeit auf die Geschäftsführung eröffnet. Der Aufsichtsrat kann damit mittelbar gestaltenden Einfluss auf die Geschicke des Unternehmens ausüben. Eine unmittelbare gestaltende Einwirkung auf das operative Geschäft durch den Aufsichtsrat ist hingegen nicht möglich (§ 111 Abs. 4 Satz 1 AktG).30 Zwar kann der Aufsichtsrat die Vornahme bestimmter Handlungen des Vorstands von seiner vorherigen Zustimmung abhängig machen (§ 111 Abs. 4 Satz 2 AktG). Der Vorstand darf in einem solchen Fall eine Maßnahme erst dann ausführen, wenn der Aufsichtsrat seine Zustimmung zu der betreffenden Maßnahme erteilt hat. Anderenfalls handelt der Vorstand pflichtwidrig; seine Mitglieder machen sich unter Umständen schadensersatzpflichtig.31 Damit kann der Aufsichtsrat zwar bestimmte Geschäftsführungsmaßnahmen des Vorstands unterbinden – und ist dazu unter Umständen aus Grundsätzen des Gesellschaftswohls sogar verpflichtet – nicht jedoch kann er den Vorstand anweisen, seinen Vorstellungen entsprechend Entscheidungen zu treffen oder Maßnahmen vorzunehmen. Eine derart weite Eingriffsbefugnis würde dem Vorstand seine Eigenständigkeit nehmen und ihn zu einem bloßen Vertreter des Aufsichtsrats machen; der Aufsichtsrat darf jedoch gerade nicht geschäftsführend tätig werden (§ 111 Abs. 4 Satz 1 AktG). Für den Aufsichtsrat besteht allein die Möglichkeit, verhindernd tätig zu werden und den Status Quo zu erhalten; eine Durchsetzung seiner eigenen Vorstellung von der Fortentwicklung des Unternehmens durch aktive Eingriffe in das operative Geschäft in faktischer Sicht ist daher nicht möglich. 29
Nicht eindeutig aber Hüffer, AktG, 10. Aufl. 2012 (Voraufl.), § 111 Rdnr. 7, der ein „Umschlagen“ in kritischer Lage des Unternehmens zulassen möchte, sodass sich die Tätigkeit des Aufsichtsrats „bis zur vorübergehenden Unternehmensführung“ steigern könne. Vor dem Hintergrund der eindeutigen gesetzlichen Regelung ist dies allerdings überaus fraglich; auch die von Hüffer angesprochene Auswechslung des Vorstands und Übernahme des Postens durch ein Aufsichtsratsmitglied führt zu keinem anderen Ergebnis, da ein Aufsichtsratsmitglied, das Vorstandsstellvertreter i.S.v. § 105 Abs. 2 AktG wird, seine Aufsichtsaufgabe für diesen Zeitraum nicht mehr wahrnimmt und sodann in die Rechten und Pflichte eines Vorstandsmitglieds eintritt (vgl. § 105 Abs. 2 Satz 3 AktG). Koch, in: Hüffer, AktG, § 111 Rdnr. 15 spricht nunmehr davon, dass die Aufsichtsratstätigkeit nicht in eine eigene Geschäftstätigkeit umschlagen darf, geht aber dennoch von einer „vorübergehenden Unternehmensführung“ aus. Dies dürfte aus den o.g. Gründen jedenfalls ungenau sein. 30 Siehe Koch, in: Hüffer, AktG, § 76 Rdnr. 27; anders wohl die Auffassung bei Raiser/Veil, Recht der Kapitalgesellschaften, § 15 Rdnr. 109. 31 Habersack, in: Münchener Kommentar AktG, § 111 Rdnr. 129.
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1. Teil: Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats und seiner Mitglieder
Soweit im Folgenden von einer Überwachung oder Kontrolle durch den Aufsichtsrat gesprochen wird, ist vielmehr entsprechend den oben beschriebenen Aufgaben des Aufsichtsrats ein ganzheitliches (Management-)Controlling gemeint, das sich gleichermaßen aus präventiver Überwachung und retrospektiver Kontrolle zusammensetzt und sich nicht auf eine nachträgliche Überprüfung des Vorstandshandelns beschränkt. a) Überwachung der Geschäftsführung Gegenstand der Kontrolle und Überwachung durch den Aufsichtsrat ist die Geschäftsführung (§ 111 Abs. 1 AktG). Was sich hinter dieser abstrakten, nicht legal definierten Bezeichnung verbirgt, verbleibt zunächst unklar. Zum einen könnte gemeint sein, dass eine Überwachung sämtlicher Vorstandsaktivitäten stattzufinden hat. Andererseits könnte sich die Überwachung aber auch auf alle Personen, Handlungen und Maßnahmen beziehen, die oder durch welche die Geschäftsführung der Aktiengesellschaft ausgeübt wird.32 Dann würden auch Mitarbeiter unterhalb der Vorstandsebene, die im Einzelfall geschäftsführend tätig werden, unter die Überwachungspflicht des Aufsichtsrats fallen.33 Der Begriff der Geschäftsführung wird (im Sinne seiner Verwendung in § 77 Abs. 1 AktG) in der Regel definiert als alle tatsächlichen und rechtsgeschäftlichen, gewöhnlichen und außergewöhnlichen Handlungen, die der Verwirklichung des Gesellschaftszweckes dienen.34 Hingegen meint die Leitung der Geschäftsführung (die gemäß § 76 Abs. 1 AktG dem Vorstand obliegt) einen besonders herausgehobenen35 und damit deutlich kleineren, abgegrenzten Teilbereich der Geschäftsführung. Fraglich ist, ob der Begriff der Geschäftsführung in § 111 Abs. 1 AktG mit dem in § 77 Abs. 1 AktG gleichgesetzt werden kann. Eine näherungsweise Bestimmung des Umfangs der Überwachungspflicht des Aufsichtsrats kann sich aus einem Umkehrschluss zum Umfang der Vorstandpflicht ergeben. Wörtlich genommen obliegt dem Vorstand gemäß § 76 Abs. 1 AktG die Leitung der Aktiengesellschaft. Definiert man nun die Leitung der Aktiengesellschaft durch den Vorstand als besonders herausgehobenen Teilbereich der Geschäftsführung,36 so wäre die Überwachungspflicht des Aufsichtsrats – verstünde man sie, angelehnt an ein wörtliches Verständnis von § 77 AktG, als Verpflichtung 32 Ähnliche Überlegung auch bei Semler, Leitung und Überwachung der Aktiengesellschaft, Rdnr. 112. 33 Siehe zu dieser Frage unten, S. 27 ff. 34 Hopt/Roth, in: Großkommentar AktG, § 111 Rdnr. 159. 35 Zur Unterscheidung in Leitung und Geschäftsführung vgl. Fleischer, ZIP 2003, S. 1, 3; ebenso Hopt/Roth in: Großkommentar AktG, § 111 Rdnr. 159; insbesondere zur Problematik der Findung einer subsumtionsfähigen Definition Koch, in: Hüffer, AktG, § 76 Rdnr. 8 f. 36 Henze, BB 2000, S. 209 f; Koch, in: Hüffer, AktG, § 76 Rdnr. 8; ähnlich auch Kort, in: Großkommentar AktG, § 76 Rdnr. 29, 36; Fleischer, in: Spindler/Stilz, AktG, § 76 Rdnr. 14; Wiesner, in: Hoffmann-Becking, Münchener Handbuch des Gesellschaftsrechts, Bd. 4, § 19 Rdnr. 13; Spindler, in: Münchener Kommentar AktG, § 76 Rdnr. 17.
B. Der Aufsichtsrat als Überwachungsorgan
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zur Überwachung der gesamten Geschäftsführung im Sinne einer aller rechtsgeschäftlichen, gewöhnlichen und außergewöhnlichen Handlungen mit Bezug zur Erfüllung des Gesellschaftszweckes37 – umfassender als die Leitungsverantwortung des Vorstands. Insofern ist zweifelhaft, ob der Begriff der Geschäftsführung im Sinne von § 111 Abs. 1 AktG mit dem in § 77 Abs. 1 AktG identisch ist. Gegen ein solches umfassendes Verständnis der Überwachungsaufgabe des Aufsichtsrats spricht die Entstehungsgeschichte von § 111 Abs. 1 AktG. Ursprünglich fand sich in Art 225 ADHGB 1884 sowie in § 246 HGB 1900 – den Vorgängernormen des heutigen § 111 Abs. 1 AktG – die Bestimmung, dass der Aufsichtsrat die Geschäftsführung in „allen Zweigen der Verwaltung“ zu überwachen habe. Als im Rahmen der Wirtschaftsskandale der Weimarer Republik deutlich wurde, dass der Aufsichtsrat einer so umfassenden Kontrollpflicht nicht gerecht werden konnte,38 wurde der Umfang der Überwachung in der Nachfolgenorm (§ 95 AktG 1937) um den Zusatz „in allen Zweigen der Verwaltung“ reduziert. Dadurch sollte dem Aufsichtsrat die Möglichkeit gegeben werden, sich auf wesentliche Fragestellungen zu konzentrieren.39 Insofern erscheint es notwendig und konsequent, den Begriff der Geschäftsführung in § 111 AktG im Vergleich zur Verwendung in § 77 AktG teleologisch zu reduzieren.40 Im Rahmen der Bestimmung der Reichweite der Überwachung im Sinne von § 111 AktG ist der Begriff der Geschäftsführung mit dem der Leitung der Gesellschaft (im Sinne von § 76 AktG) – unter Beachtung der nicht konsistenten Verwendung dieser beiden Begriffe im AktG41 – weitgehend gleichzusetzen.42 Da der Aufsichtsrat die Leitungsmaßnahmen in der Gesellschaft zu überwachen hat, die gemäß § 77 Abs. 1 AktG allein dem Vorstand obliegen, ist der Überwachungsgegenstand die Tätigkeit des Vorstands.43 37 Mertens/Cahn, in: Kölner Kommentar AktG, § 77 Rdnr. 2; Fleischer, in: Spindler/Stilz, AktG, § 77 Rdnr. 3; Kort, in: Großkommentar AktG, § 77 Rdnr. 3; Spindler, in: Münchener Kommentar AktG, § 77 Rdnr. 6. 38 Vgl. die Erläuternde Bemerkung des Reichsjustizministeriums zum Entwurf von 1931, abgedruckt bei Hauschka, Corporate Compliance, S. 907, 912. 39 Sie auch Fleischer, in: Spindler/Stilz, AktG, § 111 Rdnr. 4; ähnlich OLG Stuttgart, Urt. v. 19. 06. 2012 – 20 W 1/12, Rdnr. 76 (zitiert nach juris). 40 Ganz h.M., statt aller: Koch, in: Hüffer, AktG, § 111 Rdnr. 2. 41 Hefermehl, in: Geßler/Hefermehl, AktG, § 76 Rdnr. 10. 42 Hoffmann-Becking, in: Hoffmann-Becking, Münchener Handbuch des Gesellschaftsrechts, Bd. 4, § 29 Rdnr. 22; Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats, Rdnr. 63; Hopt/Roth, in: Großkommentar AktG, § 111 Rdnr. 160; Fleischer, in: Spindler/Stilz, AktG, § 111 Rdnr. 7. 43 Breuner/Fraune, in: Heidel, AktG, § 111 Rdnr. 5; Insofern wird teilweise auch von einer organbezogenen Überwachungspflicht gesprochen. Eine Unterscheidung in eine organbezogene und funktionsbezogene Überwachungspflicht (vgl. bspw. bei Fleischer, in: Spindler/Stilz, AktG, § 111 Rdnr. 6) ist aber überflüssig, da die Leitung der Gesellschaft allein dem Vorstand obliegt. Insofern fallen die organbezogene und die funktionsbezogene Überwachungspflicht zusammen. So auch Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats, Rdnr. 63 (dort Fn. 2); ähnlich Drygala, in: Schmidt/Lutter, AktG, § 111 Rdnr. 11 (dort Fn. 31); Koch, in: Hüffer, AktG, § 111 Rdnr. 5; Hopt/Roth in: Großkommentar AktG, § 111 Rdnr. 160.
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1. Teil: Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats und seiner Mitglieder
Die Tätigkeit des Vorstands bzw. seine Leitungsentscheidungen müssen, wie schon angedeutet, nicht in allen Einzelheiten nachvollzogen werden. Der Aufsichtsrat beschränkt sich bei seiner Kontrolle auf die für die Gesellschaft und ihre weitere Entwicklung wesentlichen Leitentscheidungen.44 Eine exakte Kontrolle jeder einzelnen Geschäftsführungsmaßnahme wäre zum einen impraktikabel und zum anderen unzweckmäßig: Bei einer durchschnittlichen Anzahl von etwa fünf Sitzungen45 von Aufsichtsräten deutscher Aktiengesellschaften pro Jahr ist eine Nachprüfung des Tagesgeschäftes des Vorstands schlichtweg nicht möglich. Unter Berücksichtigung der Effizienz der Überwachung müssen Fragen des Tagesgeschäftes aus der Überwachungspflicht herausfallen, sodass die Überprüfung durch das Aufsichtsorgans auf die für die Lage der Gesellschaft erheblichen Leitungs- und Führungsentscheidungen begrenzt ist. Für den Umfang der Überwachung des Aufsichtsrats ist § 90 AktG heranzuziehen: Der Katalog der Themen, über die der Vorstand dem Aufsichtsrat berichten muss, beschreibt gleichzeitig die Angelegenheiten, mit denen sich der Aufsichtsrat vorrangig auseinander zu setzen hat und auf die er sich im Wesentlichen beschränken kann.46 Eine weitergehende Kontrolle ist im Regelfall nur vereinzelt und nur hinsichtlich wesentlicher Einzelmaßnahmen mit zentraler Bedeutung, beispielsweise für das weitere Fortbestehen der Gesellschaft, oder mit Auswirkungen auf die Finanz- und Ertragslage der Gesellschaft, erforderlich.47 Die Festlegung der Überwachungspflicht als Kontrolle eines besonders hervorgehobenen Teils der Geschäftsführer schließt das Recht zur Überwachung auch sonstiger Geschäftsführungsmaßnahmen nicht schlechthin aus. Insofern wird die Unterscheidung in Geschäftsführung (§ 111 Abs. 1 AktG) und Leitung (§ 76 Abs. 1 AktG) zur Unterscheidung von Kontrollrechten und Kontrollpflichten des Überwachungsorgans herangezogen.48
44 Schürnbrand, Organschaft im Recht der privaten Verbände, S. 422; Habersack, in: Münchener Kommentar AktG, 2. Aufl. 2004 (Voraufl.), § 111 Rdnr. 21; Mertens/Cahn, in: Kölner Kommentar AktG, § 111 Rdnr. 16; Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats, Rdnr. 65 f; hinsichtlich des Beratungsgegenstandes vergleiche auch BGH, Urt. v. 25. 03. 1991 – II ZR 188/89, BGHZ 114, 127, 129 f, zustimmend Boujong, AG 1995, S. 203, 204 f. 45 So Fischer/Beckmann, Die Informationsversorgung der Mitglieder des Aufsichtsrats, S. 59. 46 Steinbeck, Überwachungspflicht und Einwirkungsmöglichkeiten, S. 84; Lutter/Krieger/ Verse, Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats, Rdnr. 67; Hopt/Roth, in: Großkommentar AktG, 111 Rdnr. 162. 47 Koch, in: Hüffer, AktG, § 111 Rdnr. 3; Hoffmann-Becking, in: Hoffmann-Becking, Münchener Handbuch des Gesellschaftsrechts, Bd. 4, § 29 Rdnr. 23; Henze, NJW 1998, S. 3309. 48 Hopt/Roth in: Großkommentar AktG, § 111 Rdnr. 161; so auch Fleischer, in: Spindler/ Stilz, AktG, § 111 Rdnr. 8.
B. Der Aufsichtsrat als Überwachungsorgan
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b) Gegenstand der Überwachung im Einzelnen: Kontrolle des Vorstands Grundsätzlich überwacht der Aufsichtsrat den Vorstand als (Gesamt-)Organ. Dies ergibt sich daraus, dass die grundsätzlichen Führungsentscheidungen nach dem Grundprinzip des Aktiengesetzes vom Vorstand als Kollegialorgan getroffen und ausgeführt werden. Gemäß § 90 AktG schuldet der Vorstand als korporative Entität die Erfüllung der Berichtspflichten. Insoweit richtet sich die Überprüfung darauf, ob der Verpflichtete – das Organ – diesen Pflichten in ausreichendem Maße nachgekommen ist. Die einzelnen Mitglieder des geschäftsführenden Organs sind dazu verpflichtet, die Tätigkeit der übrigen Vorstandsmitglieder zu überwachen.49 Allerdings entbindet diese interne Kontrolle den Aufsichtsrat nach verbreiteter Ansicht nicht von der Pflicht, seine Überwachung ebenfalls auf die einzelnen Vorstandsmitglieder auszudehnen.50 Dabei muss er insbesondere sicherstellen und nachprüfen, ob die einzelnen Mitglieder der ressortübergreifenden, wechselseitigen Überwachungsaufgabe in hinreichendem Maße nachkommen.51 Zwar erstreckt sich die Kontrollpflicht des Aufsichtsrats auf sämtliche Aufgaben und Pflichten, die ein Vorstandsmitglied zu erfüllen hat; insbesondere auch die Art und Weise der Geschäftsführung des individuellen Ressorts. Soweit aber keine konkreten Anhaltspunkte für Pflichtverletzungen oder nicht ordnungsgemäße Überwachungen in dem jeweiligen Vorstandsressort vorliegen, muss der Aufsichtsrat keine spezifische Einzelfallkontrolle durchführen, sondern darf sich hinsichtlich der einzelnen Vorstandsmitglieder auf eine Überprüfung des vorstandsinternen Überwachungssystems beschränken.52 c) Insbesondere: Überwachung von Angestellten? Im Regelfall wird der Vorstand nicht jede Entscheidung selbst ausführen können, sondern häufig Leitlinien festlegen, die von Mitarbeitern unterhalb der Führungsebene umgesetzt werden. Hierzu kann es im Einzelfall auch zur Übertragung von Kompetenzen auf (leitende) Angestellte kommen. Dabei stellt sich die Frage, inwieweit der Aufsichtsrat dazu verpflichtet ist, auch Angestellte unterhalb der Vorstandsebene – beispielsweise bei der Vornahme von (übertragenen) Leitungsaufgaben – zu überwachen. Aus seiner Verpflichtung die „Geschäftsführung“ der Aktiengesellschaft zu kontrollieren (§ 111 Abs. 1 AktG), ließe sich ableiten, dass der Aufsichtsrat nicht zur Kontrolle eines bestimmten Organs oder Personenkreises, sondern zur Überwachung 49 LG Berlin, Urt. v. 03. 07. 2002 – 2 O 358/01, AG 2002, S. 682, 684; Spindler, in: Münchener Kommentar AktG, § 77 Rdnr. 56 ff; Semler, Leitung und Überwachung der Aktiengesellschaft, Rdnr. 113. 50 Mertens/Cahn, in: Kölner Kommentar AktG, § 111 Rdnr. 24; Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats, Rdnr. 69; Semler, Leitung und Überwachung der Aktiengesellschaft, Rdnr. 114 (im Falle einer drohenden Pflichtverletzung des Organs). 51 Habersack, in: Münchener Kommentar AktG, § 111 Rdnr. 23. 52 Habersack, in: Münchener Kommentar AktG, § 111 Rdnr. 24.
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1. Teil: Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats und seiner Mitglieder
der Geschäftsführung als solcher und damit auch bestimmter Angestellter verpflichtet ist, die unterhalb der Vorstandsebene Leitungsaufgaben wahrnehmen.53 Anderenfalls könnte sich der Vorstand durch geschickte Delegation von Aufgaben der Überwachung des Kontrollorgans entziehen.54 Grundsätzlich ist der Vorstand darin frei, einzelne Befugnisse auf leitende Angestellte zu übertragen, soweit es sich dabei um allgemeine Geschäftsführungshandlungen, und nicht um spezielle, originär dem Vorstand zugewiesene Aufgaben handelt.55 Bei einer solchen Delegation von Rechten und Befugnissen obliegt dem Vorstand die Pflicht, die Angestellten anzuleiten und zu überwachen.56 Teilweise wird eine Kontrolle von Angestellten durch den Aufsichtsrat dann für notwendig erachtet, wenn sich der Vorstand ausschließlich auf eine übergeordnete Planung, Organisation und Kontrolle der Gesellschaft beschränkt und die einzelnen operativen Aufgaben (soweit im Rahmen von § 77 AktG zulässig) auf leitende Angestellte übertragen werden.57 Dann bestünde die Gefahr der Aushöhlung der Rechte des Aufsichtsrats; eine effektive Kontrolle und Überwachung wäre kaum möglich.58 Diese Auffassung kann nicht überzeugen. Einerseits ist bereits fraglich, wie weit sich der Vorstand tatsächlich von seiner Geschäftsführungsbefugnis zurückziehen kann; das Verbot der Übertragung von Leitungsentscheidungen setzt ihm insoweit enge Grenzen. Zum anderen trägt er auch bei einer Aufgabendelegation die Verantwortung für die jeweiligen Maßnahmen und ihre Folgen. Im Rahmen der Berichtspflicht nach § 90 AktG informiert der Vorstand den Aufsichtsrat über etwaig übertragenen Aufgaben, ihre Durchführung und eventuell aufgetretene Probleme. Der Aufsichtsrat erhält damit vom Vorstand im Ergebnis die gleichen Informationen, die er auch bei einer Ausführung durch diesen selbst erhalten hätte; die Aufgabenübertragung tangiert die Überprüfungsmöglichkeiten des Aufsichtsrats daher nur in einem geringen Maße. Für den Aufsichtsrat spielt es insoweit keine Rolle, ob er im Rahmen der Vorstandsüberwachung Maßnahmen überprüft, die durch den Vorstand 53 So Koch, in: Hüffer, AktG, § 111 Rdnr. 4; Hopt/Roth, in: Großkommentar AktG, § 111 Rdnr. 251 ff; Geßler, in: Geßler/Hefermehl, AktG, § 111 Rdnr. 15; Breuer/Faune, in: Heidel, AktG, § 111 Rdnr. 5; U.H. Schneider, in: Hadding/Häuser, Festschrift für Walther Hadding, S. 621, 623; U.H. Schneider, BB 1981, S. 249, 252. 54 Hopt/Roth, in: Großkommentar AktG, § 111 Rdnr. 252. 55 Semler, Leitung und Überwachung der Aktiengesellschaft, Rdnr. 22; Mertens/Cahn, in: Kölner Kommentar AktG, § 76 Rdnr. 23 ff; Spindler, in: Münchener Kommentar AktG, 3. Aufl. 2008 (Voraufl.), § 77 Rdnr. 63 ff. 56 Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats, Rdnr. 70. 57 So Dreist, Die Überwachungsfunktion des Aufsichtsrats bei Aktiengesellschaften, S. 87; für eine umfassende Kontrollpflicht des Vorstands U.H. Schneider, in: Scholz, GmbHG, § 52 Rdnr. 90; Habersack, in Münchener Kommentar AktG, § 111 Rdnr. 21; Schürnbrand, Organschaft im Recht der privaten Verbände, S. 422 ff, 426. 58 Feddersen, in: Hommelhoff/Hopt/von Werder, Handbuch Corporate Governance, S. 441, 453; Geßler, in: Geßler/Hefermehl, AktG, § 111 Rdnr. 15 f; Schürnbrand, Organschaft im Recht der privaten Verbände, S. 421 ff; so wohl auch BGH, Urt. v. 12. 07. 1979 – III ZR 154/ 77, BGHZ 75, 120, Rdnr. 34 (zitiert nach juris).
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oder durch nachgeordnete Angestellte durchgeführt wurden. Anders als über den Vorstand vermittelt kann eine Überwachung von Geschäftsführungsmaßnahmen leitender Angestellter im Übrigen gar nicht erfolgen: Mangels einer generellen Berichtspflicht entsprechend § 90 AktG, auf der die Überwachung des Vorstands durch den Aufsichtsrat in weiten Teilen basiert, fehlen dem Aufsichtsrat schlichtweg die Informationen und Möglichkeiten für eine Angestelltenüberwachung.59 Kommt es durch eine Aufgabenübertragung auf einen leitenden Angestellten zu einer Schädigung der Gesellschaft, so ist durch den Aufsichtsrat zu prüfen, ob den Vorstand dafür eine Verantwortlichkeit trifft. Letztlich trägt der Vorstand die Rechtfertigungspflicht und Verantwortung für alle Maßnahmen und Entscheidungen von Personen, auf die er seine eigenen Befugnisse übertragen hat; auch die Berichtspflicht gegenüber dem Aufsichtsrat wird dadurch nicht beeinträchtigt.60 Insofern setzt sich der Aufsichtsrat im Einzelfall zwar auch mit Maßnahmen von Personen unterhalb der Leitungsebene auseinander, da er allerdings keine Maßnahmen gegen Angestellte anordnen oder durchführen kann, wäre es verfehlt, von einer Überwachung dieser Angestellten zu sprechen.61 Aufgrund der nur sehr beschränkten zeitlichen Möglichkeiten des Aufsichtsrats und unter Berücksichtigung der Haftung der Aufsichtsratsmitglieder für eigene Pflichtverletzungen (§ 116 Abs. 1 i.V.m. § 93 Abs. 2 AktG), die sich insbesondere auch aus einer unzureichenden Überwachung ergeben können, ist eine Ausweitung der Überwachungspflichten auch auf leitende Angestellte abzulehnen.62 Für den Aufsichtsrat ist das Kontrollobjekt damit der Vorstand,63 gegenüber dem er im Einzelfall Maßnahmen ergreifen kann und ihn damit im Einzelfall dazu bewegen kann, die Übertragung von Kompetenzen wieder aufzuheben oder eine Veränderung in der Organisationsstruktur vorzunehmen.64 Insoweit darf ein Nachvollziehen durch den Aufsichtsrat von solchen Maßnahmen, die von Personen unterhalb der Organebene durchgeführt wurden, nicht als Über59 Hoffmann-Becking, in: Hoffmann-Becking, Münchener Handbuch des Gesellschaftsrechts, Bd. 4, § 29 Rdnr. 24; Mertens/Cahn, in: Kölner Kommentar AktG, § 111 Rdnr. 26. Zwar wäre dem Aufsichtsrat im Rahmen seines Einsichts- und Prüfungsrechts ggf. auch die unmittelbare Befragung von Angestellten möglich (s. dazu S. 41 ff), dies kann allerdings bereits aus Praktikabilitätsgesichtspunkten nur einen Ausnahmefall darstellen, sodass im Regelfall Informationen über Angestellte durch den Vorstand übermittelt werden. 60 Zur Verantwortung des Vorstands bei Delegation vgl. bereits Semler, Leitung und Überwachung der Aktiengesellschaft, Rdnr. 24; ähnlich auch Mertens/Cahn, in: Kölner Kommentar AktG, § 111 Rdnr. 26. 61 Semler, Leitung und Überwachung der Aktiengesellschaft, Rdnr. 116; Spindler, in: Spindler/Stilz, AktG, § 111 Rdnr. 9; Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats, Rdnr. 71; Mertens/Cahn, in: Kölner Kommentar AktG, § 111 Rdnr. 26. 62 Daraus ergäbe sich ein zu hoher Pflichtenkanon. Überzeugend Steinbeck, Überwachungspflicht und Einwirkungsmöglichkeiten, S. 42. 63 Ebenso Lutter, ZHR 159 (1995), S. 287, 290. 64 Ähnlich Elsing/Schmidt, BB 2002, S. 1705, 1709, die auf die (alleinige) Verantwortung des Vorstands zur Überwachung der Angestellten hinweisen. Steinbeck, Überwachungspflicht und Einwirkungsmöglichkeiten, S. 43, spricht insofern von einer „passiven Überwachung“ der Angestellten durch den Aufsichtsrat, vermittelt durch den Vorstand.
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1. Teil: Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats und seiner Mitglieder
wachung missverstanden werden. Eine solche Überwachung ist mangels entsprechender Kontrollmöglichkeiten rein tatsächlich nicht möglich und sollte vom Aufsichtsrat mit Blick auf seine hohe zeitliche Belastung bereits durch die Vorstandsüberwachung nicht gefordert werden. 2. Art und Weise der Überwachung Die Überwachung des Vorstands durch den Aufsichtsrat gliedert sich, wie bereits dargestellt, sowohl in eine vergangenheitsbezogene, retrospektive Überwachung und eine beratende Tätigkeit. a) Vergangenheitsbezogene Kontrolle Kontrolle bedeutet in erster Linie Überwachung bereits durchgeführter bzw. unterlassener Maßnahmen und getroffener Entscheidungen und ist daher vergangenheitsbezogen. Dies wird insbesondere durch die Pflicht zur Prüfung des Jahresabschlusses und Lageberichts deutlich (vgl. § 171 Abs. 1 Satz 1 AktG). Ebenso ist die Prüfung der Bücher der Gesellschaft (§ 111 Abs. 2 AktG) durch den Aufsichtsrat ein Instrument nachträglicher Kontrolle. Anhand der gelieferten Daten kann der Aufsichtsrat die Arbeit des Vorstands der vergangenen Monate beurteilen, hat Beanstandungen der Hauptversammlung mitzuteilen (§ 171 Abs. 2 Satz 1 AktG) und darf den Jahresabschluss nicht billigen (§§ 171 Abs. 2 Satz 4, 172 AktG). Zusätzlich zu Jahresabschluss und Lagebericht hat der Vorstand dem Aufsichtsrat Berichte über unter anderem die Unternehmensplanung, sowie die Umsatz- und Ertragslage der Gesellschaft zur Verfügung zu stellen (vgl. § 90 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AktG). Das Ausmaß der Überwachungspflicht des Aufsichtsrats kann aus dieser Berichtspflicht des Vorstands abgeleitet werden. Anhand der gemäß § 90 AktG bestehenden und insbesondere durch das KonTraG65 präzisierten66 Pflicht des Vorstands, an den Aufsichtsrat bestimmte Informationen zu übermitteln, kann sich letzterer ein umfassendes Bild von der Gesellschaft machen. Was der Vorstand dem Aufsichtsrat berichten muss, das muss auch von dessen Kontrolle umfasst sein; anderenfalls wäre die Berichtspflicht bedeutungslos. Insofern hat der Aufsichtsrat unter anderem grundsätzliche Fragen der Unternehmensplanung, wie beispielsweise die Finanz-, Investitions- und Personalplanung (§ 90 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AktG) und die allgemeine Umsatz- und Ertragslage der Gesellschaft (§ 90 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 AktG), in seine Überprüfung mit einzubeziehen.
65 Gesetz zur Kontrolle und Transparenz im Unternehmensbereich, BGBl. I Nr. 24, S. 786 vom 30. 04. 1998. 66 Bereits zuvor bestand eine entsprechende Berichtspflicht des Vorstands an den Aufsichtsrat. Allerdings wurde diese Berichtspflicht erst durch im Zuge des KonTraGs klarer und genauer formuliert, vgl. Begründung des RegE zum KonTraG, BR-Drs. 892/97, S. 35.
B. Der Aufsichtsrat als Überwachungsorgan
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Nicht unter die Berichtspflicht und damit die (im gesetzlichen Umfang bestimmte) Kontrolle des Aufsichtsrats fallen Einzelmaßnahmen oder Geschäfte, soweit sie keinen erheblichen Einfluss auf die Lage der Gesellschaft haben. Dies ergibt sich zum einen schon aus rein praktischen Erwägungen: Dem Aufsichtsrat ist es schlichtweg weder zeitlich und aufgrund fehlender Informationen auch nicht sachlich möglich, Einzelentscheidungen des Tagesgeschäftes nachzuprüfen. Dies wird durch einen Umkehrschluss zu § 90 Abs. 1 Satz 3 AktG unterstützt: Dort ist festgehalten, dass der Vorstand dem Aufsichtsrat im Einzelfall über für die Lage der Gesellschaft besonders wichtige Vorfälle Bericht erstatten muss. Nicht unter die Berichtspflicht fallen damit solche Maßnahmen, die für die Lage der Gesellschaft nicht von maßgeblicher Bedeutung sind. Wäre beabsichtigt gewesen, dass auch Maßnahmen mit geringer Bedeutung für die Lage der Gesellschaft in die generelle Überwachungspflicht fielen, so fehlte dem Aufsichtsrat durch den Ausschluss dieser Geschäfte aus der Vorstandsberichtspflicht eine sachliche Grundlage für die Überwachung. Ferner würde eine solche kleinschrittige Überprüfung von wenig relevanten Einzelmaßnahmen, wie gezeigt, die Überwachungsmöglichkeiten des Aufsichtsrats bereits in tatsächlicher Hinsicht übersteigen. Das Tagesgeschäft der Gesellschaft ist aus diesem Grund nicht Gegenstand der Kontrolle; der Aufsichtsrat hat sich auf grundlegende Schwerpunkte der Vorstandstätigkeit zu beschränken.67 Zwar ist der Vorstand inhaltlich zur Übermittlung wahrer, vollständiger und nachvollziehbarer Informationen verpflichtet,68 allerdings hat der Aufsichtsrat darüber zu wachen, dass die Berichte tatsächlich in der entsprechenden Form eingehen. Er hat dafür Sorge zu tragen, dass aus den Berichten die erforderlichen Informationen hervorgehen, die als ausreichende Tatsachengrundlage für Entscheidungen oder Beratungen notwendig sind. Soweit Daten oder Berichte unvollständig oder ohne zusätzliche Erläuterungen unverständlich sind, hat der Aufsichtsrat entsprechende Informationen und Angaben vom Vorstand einzufordern und ihr Fehlen anzumahnen.69 Der Aufsichtsrat hat die ihm zur Verfügung stehenden Informationen gewissenhaft auszuwerten und sie zum Anlass für seine Beratung gegenüber dem Vorstand zu nehmen (§ 90 Abs. 2 Nr. 4 AktG). Grundsätzlich darf der Aufsichtsrat davon ausgehen, dass die vom Vorstand übermittelten Informationen inhaltlich korrekt sind. Eine Nachprüfungspflicht für sämtliche Vorstandsinformationen durch das Aufsichtsgremium führte zu weit und würde Misstrauen schüren; ein vertrauensvolles Zusammenarbeiten wäre erheblich erschwert.70 Jedoch darf der Aufsichtsrat dem Vorstand nicht blindlings vertrauen.71 67 Lutter, Information und Vertraulichkeit im Aufsichtsrat, S. 29; Hoffmann-Becking, in: Hoffmann-Becking, Münchener Handbuch des Gesellschaftsrechts, Bd. 4, § 29 Rdnr. 23; Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats, Rdnr. 67. 68 von Schenck, NZG 2002, S. 64, 66. 69 So bereits Kropff, NZG 1998, S. 613, 614. 70 OLG Düsseldorf, Urt. v. 23. 06. 2008 – I-9 U 22/08, DB 2008, S. 1961, 1962; ebenso Ritter, in: Schüppen/Schaub, Handbuch Aktienrecht, § 24 Rdnr. 124; Dierlamm, in: Münchener Kommentar StGB, § 266 Rdnr. 79; Cahn, WM 2013, S. 1293, 1299.
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1. Teil: Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats und seiner Mitglieder
Dort, wo sich besondere Anhaltspunkte für die Unvollständigkeit oder Unrichtigkeit der übermittelten Informationen ergeben, muss der Aufsichtsrat vertiefend tätig werden und weitere Ermittlungen anstellen. Gerade bei besonders risikoträchtigen Geschäften besteht eine verstärkte Plicht zur eigenen Informationsbeschaffung. Dies gilt unter Umständen selbst dann, wenn der Vorstand externe Gutachten in Auftrag gegeben hat.72 Im Extremfall muss der Aufsichtsrat sich auch der Unterstützung eigener Sachverständiger bedienen, wenn eine andere Aufklärung oder Informationsbeschaffung nicht erfolgsversprechend erscheint.73 Bei der Prüfung, ob die übermittelten Informationen korrekt sind, sind allerdings keine allzu engen Maßstäbe anzulegen. Der Aufsichtsrat muss nicht bei jeder Drittinformation davon ausgehen, dass ihm falsche Informationen übermittelt wurden.74 Er ist aber zu einer ordnungsgemäßen Prüfung verpflichtet und muss bei konkreten Anhaltspunkten weitere Informationen anfordern bzw. darf nicht allein auf die ihm vorliegenden Informationen vertrauen. Ein in den letzten Jahren und in der noch andauernden Aufarbeitung der Wirtschafts- und Finanzkrise zunehmend bedeutender Teil retrospektiver Kontrolluntersuchungen ist die Pflicht zur Geltendmachung von Ersatzansprüchen der Gesellschaft durch den Aufsichtsrat gegenüber dem Vorstand. Im Rahmen seiner Überwachungstätigkeit hat der Aufsichtsrat festzustellen, ob (1) ein entsprechender Ersatzanspruch grundsätzlich besteht, (2) Interessen des Unternehmenswohls gegen die Geltendmachung des Anspruchs sprechen könnten und (3) ob eine Verfolgung entsprechender Ansprüche ausnahmsweise unverhältnismäßig wäre.75 Kommt der Aufsichtsrat zum Ergebnis, dass Schadensersatzansprüche der Gesellschaft gegen den Vorstand bestehen, hat er diese – notfalls per Klage – geltend zu machen. Unterlässt der Aufsichtsrat die Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen, so macht er sich unter Umständen selbst haftbar.76 b) Zukunftsbezogene Kontrolle ex ante Wenn auch die Aufarbeitung vergangenen Fehlverhaltens den Kernpunkt der Aufsichtspflicht des Aufsichtsrats bildet, wird doch eine ausschließlich reaktionäre 71 OLG Düsseldorf, Urt. v. 08. 03. 1984 – 6 U 75/83, ZIP 1984, S. 825, Hoffmann-Becking, in: Hoffmann-Becking, Münchener Handbuch des Gesellschaftsrechts, Bd. 4, § 29 Rdnr. 29; Hopt/Roth, in: Großkommentar AktG, § 111 Rdnr. 173 m.w.N. 72 Für eine Pflicht zur eigenen Plausibilitätskontrolle vgl. Jäger, NZG 2001, S. 97, 99; anders aber wohl Dierlamm, in: Münchener Kommentar StGB, § 266 Rdnr. 79, der eine eigene Nachforschungspflicht des Aufsichtsrats nur für den Ausnahmefall annimmt. 73 Drygala, in: Schmidt/Lutter, AktG, § 111 Rdnr. 9. 74 OLG Köln, Urt. v. 05. 05. 1977 – 14 U 46/76, AG 1978, S. 17, 21. 75 So Koch, in: Hüffer, AktG, § 111 Rdnr. 10. 76 Grundlegend hierzu BGH, Urt. v. 21. 04. 1997 – II ZR 175/95, BGHZ 135, 244 ff; vgl. auch Henze, BB 2000, S. 209, 215 f; Jaeger/Trölitzsch, ZIP 1995, S. 1157, 1159; Drygala, in: Schmidt/Lutter, AktG, § 111 Rdnr. 12; Hüffer, AktG, 10. Aufl. 2012 (Voraufl.), § 111 Rdnr. 4b.
B. Der Aufsichtsrat als Überwachungsorgan
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Tätigkeit dem heutigen Leitbild des Aufsichtsrats als unterstützendes Organ nicht gerecht. Stattdessen soll die Aufsichtsratstätigkeit bereits mit der Beratung des Vorstands im Vorfeld von Entscheidungen beginnen und damit eine präventive Kontrolle des Vorstandshandelns bewirken.77 Im gemeinsamen Unternehmensinteresse werden die Entscheidungen und Maßnahmen des Vorstands durch diese präventive Kontrolle bereits einer kritischen Überprüfung unterzogen, bevor es zu ihrer Implementierung kommt. Der Aufsichtsrat erhält so die Möglichkeit, den Vorstand im Einzelfall davon zu überzeugen, die betreffende Maßnahme nicht auszuführen und so eine mögliche Fehlentscheidung bereits vor ihrer Umsetzung zu unterbinden. Bei einer rein retrospektiven Kontrolle könnte der Aufsichtsrat nur im Nachgang feststellen, dass die getroffene Maßnahme bereits im Zeitpunkt ihrer Durchführung mit dem Unternehmenswohl nicht zu vereinbaren war. Eine nachträgliche Abhilfe wäre dann aber nicht mehr möglich. Die Verpflichtung auch zu einer zukunftsorientierten Überwachung ergibt sich bereits aus dem Gesetz: § 90 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AktG legt dem Vorstand die Pflicht zur Übermittlung der geplanten Geschäftspolitik an den Aufsichtsrat auf. Eine solche Berichtspflicht wäre sinnentleert, würde sich nicht auch die Prüfungs- und Überwachungspflicht des Aufsichtsrats hierauf beziehen. Die Mitteilungspflicht des Vorstands löst daher mittelbar eine Überwachungspflicht des Aufsichtsrats aus. Dieser hat sich daher auch mit der geplanten Geschäftspolitik auseinanderzusetzen und den Vorstand hinsichtlich zu treffender Entscheidungen zu beraten. Die Beratung des Vorstands durch den Aufsichtsrat ist damit nicht nur eine Nebenpflicht, sondern vielmehr zentrales Element seiner qua Gesetz (auch) präventiven Überwachungstätigkeit. Davon ging auch der Gesetzgeber aus, als er im Rahmen des KonTraG die Berichtspflichten verschärfte, um zu verdeutlichen, dass „die Kontrolle des Aufsichtsrats […] nicht nur retrospektiv sein [darf], sondern […] sich gerade auch in die Zukunft richten [muss] (Ex-ante Kontrolle).“78 In den letzten Jahren verlief die öffentliche Diskussion sogar hin zu Forderungen nach einer noch stärkeren, vom Aufsichtsrat abhängigen Zukunftsplanung.79 Dem Aufsichtsrat sollte dabei nicht nur die Möglichkeit und Pflicht der Beratung des Vorstands zustehen bzw. auferlegt sein, es sollte ihm ein aktives Mitspracherecht hinsichtlich der zukünftigen Unternehmensentwicklung und -ausrichtung eingeräumt werden. So wurde beispielsweise vorgeschlagen, die Unternehmensplanung gemeinsam durch Aufsichtsrat und Vorstand vorzunehmen.80
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Eingehend BGH, Urt. v. 25. 03. 1991 – II ZR 188/89, BGHZ 114, 127, 139; Koch, in: Hüffer, AktG, § 111 Rdnr. 13; Drygala, in: Schmidt/Lutter, AktG, § 111 Rdnr. 14; zur gewandelten Rolle des Aufsichtsrats vgl. auch Lutter, ZIP 2003, S. 417, 418. 78 Vgl. Begründung des RegE zum KonTraG, BT-Drs. 13/9712, S. 15. 79 Mertens/Cahn, in: Kölner Kommentar AktG, § 111 Rdnr. 14. 80 Vgl. bspw. Kropff, NZG 1998, S. 613, 618 f.
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1. Teil: Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats und seiner Mitglieder
Zu einer effektiven „in die Zukunft gerichteten Kontrolle“81 gehört es, dass der Aufsichtsrat die vorgeschlagenen Modelle des Vorstands hinterfragt, Alternativen vorschlägt und eine lebhafte Auseinandersetzung mit der Problematik im Vorstand fördert. Bedenken hat der Aufsichtsrat ebenso vorzutragen wie unterstützende Gedanken. Für den Fall fehlender Zustimmung kann vom Aufsichtsrat allerdings nicht verlangt werden, entscheidungsreife Gegenmodelle vorzustellen; zu einer solchen umfassenden, sich mit der Geschäftsführung des Vorstands überschneidenden Handlung ist der Aufsichtsrat nicht berufen – dies wäre vielmehr ein Eingriff in die allein beim Vorstand verortete Leitungsbefugnis und stünde im Konflikt mit der Regelung des § 111 Abs. 4 Satz 1 AktG. Die endgültige Entscheidung verbleibt insoweit stets beim Vorstand.82 Damit geht einher, dass dem Vorstand eine vorherige Diskussion von anstehenden Entscheidungen und Maßnahmen mit dem Aufsichtsrat nicht insofern zum Vorteil gereichen kann, als sie eine Haftungsfreistellung bedeutet. Der Vorstand muss – auch wenn die entsprechende Leitungsmaßnahme vom Aufsichtsrat gebilligt wurde – stets selbst entscheiden, ob die Durchführung unternehmerisch und rechtlich vertretbar ist. Er allein steht dabei stets persönlich für ihre Richtigkeit und Vertretbarkeit ein; die entsprechende Bewertung erfolgt unabhängig von einer Weisung des Aufsichtsrats.83 Soweit der Vorstand zur Übermittlung von Informationen an den Aufsichtsrat hinsichtlich der zukünftigen Geschäftspolitik gem. § 90 Abs. 1 Satz 1 AktG verpflichtet ist, geht der Gesetzgeber neben einer Pflicht zur Auswertung dieser Informationen durch den Aufsichtsrat auch von der Pflicht zur Abgabe einer Stellungnahme aus. Die Übermittlung der Informationen durch den Vorstand an den Aufsichtsrat ist daher nicht Selbstzweck, sondern gebietet eine umfassende Auseinandersetzung des Aufsichtsrats mit den zukunftsgerichteten Maßnahmen. Hinsichtlich der rechtlichen und wirtschaftlichen Vertretbarkeit der Maßnahmen und Entscheidungen ist der Aufsichtsrat dann zur Wahrnehmung einer beratenden Tätigkeit berufen. Der Aufsichtsrat soll in diesem Fall als Ratgeber und Gesprächspartner den Vorstand unterstützen und als solcher die Vorstandsplanungen kritisch hinterfragen.84 Die im Rahmen des TransPuG85 eingeführten Pflicht des Vorstands, Abweichungen bei der tatsächlichen Ausführung von Maßnahmen von den ursprünglichen Planzielen unter Angabe von Gründen dem Aufsichtsrat mitzuteilen (§ 90 Abs. 1 Nr. 1 Halbs. 2 AktG), zeigt die Verquickung von vergangenheitsbezogener und zukunftsgerichteter Kontrolle. Hinsichtlich künftiger Berichte soll die Vorschrift verhindern, dass der Vorstand allzu optimistische Planungsziele 81
BGH, Urt. v. 25. 03. 1991 – II ZR 188/89, BGHZ 114, 127. Drygala, in: Schmidt/Lutter, AktG, § 111 Rdnr. 14; Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats, Rdnr. 62. 83 Mertens/Cahn, in: Kölner Kommentar AktG, § 111 Rdnr. 38 m.w.N. 84 Mertens/Cahn, in: Kölner Kommentar AktG, § 111 Rdnr. 40. 85 Gesetz zur weiteren Reform des Aktien- und Bilanzrechts, zu Transparenz und Publizität vom 19. 07. 2002, BGBl. I, S. 2681. 82
B. Der Aufsichtsrat als Überwachungsorgan
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formuliert.86 Andererseits wird auch deutlich, dass die Kontrolle des Aufsichtsrats eine dauerhafte ist und nicht mit der Billigung der Planungen des Vorstands endet. Festzuhalten ist jedoch, dass der Aufsichtsrat zwar die Vornahme bestimmter Maßnahmen von seiner Zustimmung abhängig machen kann, ihm allerdings nicht die Möglichkeit eines Weisungsrechtes gegenüber dem Vorstand eingeräumt wurde (vgl. § 111 Abs. 4 Satz 1 AktG). Es verbleibt daher bei einem Planungs- und Initiativrecht des Vorstands, wobei der Aufsichtsrat zu den Planungen Stellung nimmt. Ein faktisches Mitspracherecht wird dem Aufsichtsrat allerdings insofern nicht abzusprechen sein, als dass die Planung des Vorstands in der der Maßnahmendurchführung vorgeschalteten Diskussion mit dem Aufsichtsrat einer grundsätzlichen Kontrolle unterworfen wird. Gleichzeitig besteht die Möglichkeit für das Kontrollorgan, mithilfe des Zustimmungsvorbehalts bestimmte Maßnahmen einseitig zu unterbinden. Der Aufsichtsrat ist daher nicht darauf beschränkt, die Vorhaben des Vorstands allein auf ihre Vertretbarkeit hin zu überprüfen. Vor dem Hintergrund, dass der Aufsichtsrat die Vorstandsmitglieder ernennt und entlässt und die Ressorts durch Geschäftsordnungsregeln erweitern oder verengen kann (vgl. § 77 Abs. 1 Satz 2, § 82 Abs. 2, § 84 Abs. 2 Satz 1 AktG), sollte zudem beachtet werden, dass der Aufsichtsrat durch die Bestimmung der Vorstandsverantwortlichkeit und der Vorstandsmitglieder die Geschäftspolitik indirekt beeinflusst. Sollten hinsichtlich der Vorstellungen von Vorstand und Aufsichtsrat bezüglich der Unternehmensentwicklung und -politik unüberbrückbare Differenzen entstehen und der Vorstand insofern eine den Vorstellungen des Aufsichtsrats zuwider laufende Geschäftspolitik vertreten, so hat der Aufsichtsrat unter Umständen einzelne Vorstandsmitglieder abzuberufen oder aber selbst sein Amt niederzulegen.87 Soweit nämlich eine gemeinsame Geschäftspolitik nicht durchsetzbar ist, ist auch eine erfolgreiche Fortentwicklung des Unternehmens nicht zu erwarten.88 c) Aufsichtsratsamt als Nebenamt Das Amt des Aufsichtsrats ist vom Gesetzgeber als Nebenamt konzipiert.89 Dies wird beispielsweise dadurch deutlich, dass eine Vergütung für die Tätigkeit als Aufsichtsratsmitglied gewährt werden kann, aber nicht muss (§ 113 Abs. 1 Satz 1 AktG). Außerdem lässt das Aktiengesetz die Wahrnehmung von bis zu zehn verschiedenen Aufsichtsratsposten durch eine Person zu (§ 100 Abs. 2 Satz 1, 2 AktG). Bereits hinsichtlich der Vorgängernorm (§ 246 HGB 1900) ging man davon aus, dass aus der Möglichkeit, dass eine Person mehrere Aufsichtsratsmandate wahrnehmen konnte, abzuleiten sei, dass 86
RegE zum TransPuG, abgedruckt in NZG 2002, S. 213, 219. Semler, ZGR 1983, S. 1, 24 f. 88 Semler, Leitung und Überwachung der Aktiengesellschaft, Rdnr. 216. 89 Kritisch zum Begriff des Nebenamtes und für die Bezeichnung als „höchst anspruchsvolles Teilzeitamt“ Lutter, NJW 1995, S. 1133. 87
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1. Teil: Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats und seiner Mitglieder „die Mitglieder des Aufsichtsrats nur nicht verpflichtet sind, ihre ganze Tätigkeit dem Amt zu widmen, dass der Gesetzgeber nur verlange kann, dass sie ihre Pflicht innerhalb der Grenze des Möglichen und Üblichen erfüllen“.90
Aus der Ausgestaltung als Neben- oder Teilzeitamt ergibt sich, dass der Aufsichtsrat nicht ständig tagt, sondern in regelmäßigen Abständen zu Sitzungen zusammenkommt. Im Gegenzug darf allerdings daraus nicht geschlossen werden, dass der Aufsichtsrat lediglich im Einzelfall tätig wird; es handelt sich gerade nicht um ein ad hoc Organ, das nur zu bestimmten Situationen besteht. Der Aufsichtsrat ist vielmehr zur dauerhaften und permanenten Kontrolle der Geschäftsführung des Vorstands verpflichtet.91 Für börsennotierte Gesellschaften im Sinne von § 3 Abs. 2 AktG besteht im Übrigen die Pflicht, mindestens zwei Aufsichtsratssitzungen pro Kalenderhalbjahr durchzuführen; die Aufsichtsräte sonstiger Gesellschaften können beschließen, dass lediglich drei Sitzungen pro Geschäftsjahr stattfinden.92
II. Ausreichende Tatsachenfeststellung als notwendige Grundlage wirksamer Überwachung Grundlage jeder Überwachung ist die Ermittlung und Feststellung überwachungsrelevanter Tatsachen; der Aufsichtsrat kann schließlich nur kontrollieren und bewerten, wovon er auch Kenntnis hat. Da das Kontrollorgan nicht an der Gestaltung des Tagesgeschäftes beteiligt ist und aufgrund seiner eher externen Stellung im Unternehmen in der Regel von Einzelvorgängen im Unternehmen nur verspätete, geringe oder gar keine Kenntnis erlangt, ist es für den Aufsichtsrat von zentraler Bedeutung, in ausreichendem Maße über unternehmensinterne Vorgänge informiert zu werden. Die hinreichende Informationsversorgung des Aufsichtsrats ist der Schlüssel einer wirksamen Aufsichtsratstätigkeit. Daher wird die Schaffung eines Systems, das eine ausreichende Informationsversorgung des Aufsichtsrats durch den Vorstand garantiert, auch im Deutschen Corporate Governance Kodex („DCGK“) empfohlen. Darin wird die „ausreichende Informationsversorgung des Aufsichtsrats“ als „gemeinsame Aufgabe von Vorstand und Aufsichtsrat“ beschrieben (3.4 DCGK).93 90
Staub, HGB 1897, 11. Aufl. 1921, § 246 Rdnr. II. Habersack, in: Münchener Kommentar AktG, § 111 Rdnr. 18 f. 92 Koch, in: Hüffer, AktG, § 110 Rdnr. 10. 93 Der Deutsche Corporate Governance Kodex ist ein von der sogenannten Regierungskommission Corporate Governance erarbeitetes Regelwerk. Es handelt sich dabei nicht um zwingendes Gesetzesrecht (vgl. Koch, in: Hüffer, AktG, § 161 Rdnr. 3 m.w.N). Vielmehr stellt der DCGK eine Handlungsempfehlung von Führungsgrundsätzen für Vorstand und Aufsichtsrat durch die Regierungskommission Corporate Governance dar. Hintergrund der Entstehung des Corporate Governance Kodex war der Wille der Bundesregierung, durch einen „Code of Best Practices“ die Unternehmen anzuleiten, nachhaltigere Unternehmensstrukturen aufzubauen und insbesondere auf die Einhaltung von Recht und Gesetz zu achten. Die Vorschläge der Regierungskommission sind im DCGK zusammengefasst. Die Kommission überarbeitet ihre 91
B. Der Aufsichtsrat als Überwachungsorgan
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Da der Aufsichtsrat auf eine hinreichende Informationsbasis angewiesen ist, ist es von besonderer Bedeutung, seine umfassende Informierung zu gewährleisten. Dies erfolgt entweder durch die vom Vorstand übermittelten oder bei ihm angefragten Informationen (vorstandsabhängige Informationen) oder durch die eigenständige Einholung von Informationen durch den Aufsichtsrat selbst (vorstandsunabhängige Informationen). Insbesondere die Reichweite zur Einholung vorstandsunabhängiger Informationen ist in der Literatur umstritten. 1. Vorstandsabhängige Informationen a) Vorstandsberichte Von zentraler Bedeutung für eine ausreichende Tatsachengrundlage sind die Pflichtberichte des Vorstands an den Aufsichtsrat gemäß § 90 AktG. Der Vorstand übermittelt dem Aufsichtsrat nach der gesetzlichen Konzeption verschiedene Berichte über die geplante Geschäftspolitik sowie weitere wichtige Meilensteine der Unternehmensplanung (§ 90 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AktG), die Rentabilität der Gesellschaft und des Eigenkapitals (§ 90 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AktG), den Umsatz der Gesellschaft sowie den allgemeinen Geschäftsgang und die Lage der Gesellschaft (§ 90 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AktG), besondere Geschäfte, die für die Rentabilität und Liquidität der Gesellschaft von erheblicher Bedeutung sein können (§ 90 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 AktG), und sonstige Berichte über wichtige Anlässe (§ 90 Abs. 1 Satz 3 AktG). Gemäß § 90 Abs. 4 Satz 1 AktG sind die Berichte „den Grundsätzen einer gewissenhaften und getreuen Rechenschaft“ entsprechend anzufertigen. Darunter wird verstanden, dass die Berichte inhaltlich vollständig sein müssen und durch eine klare Gliederung nach Tatsachen und Meinungen unterscheiden.94 Durch diese Vorgaben soll sichergestellt sein, dass dem Aufsichtsrat Informationen vorliegen, die er ohne Aufwand grundsätzlich verstehen und nachvollziehen kann. Die Kontrolle der Vorstandstätigkeit darf nicht im Wege der Übermittlung einer Vielzahl unüberVorschläge regelmäßig und nimmt, soweit nötig (beispielsweise durch Gesetzesänderungen oder Erfahrungen aus der Praxis), Korrekturen des Kodex vor. Der aktualisierte Kodex wird sodann im Bundesanzeiger veröffentlich. Eine rechtliche Wirkung erfährt der DCGK insofern mittelbar, als dass Vorstand und Aufsichtsrat börsennotierter Gesellschaften gemäß § 161 Abs. 1 AktG zur Mitteilung verpflichtet sind, ob die Vorgaben und Empfehlungen des DCGK eingehalten werden. Weichen die Unternehmen von den Empfehlungen des Kodexes ab, so ist zu erklären, weshalb eine solche Abweichung vorgenommen wird (sogenanntes „comply or explain“). Die Vorschriften sind mithin rechtlich nicht binden. da Abweichungen allerdings Erklärungs- und Begründungspflichten auslösen, wird teilweise auch von einer faktischen Bindungswirkung gesprochen (zu den verfassungsrechtlichen Bedenken vgl. bspw. Mock, in: Spindler/Stilz, AktG, § 161 Rdnr. 4 m.w.N.). 94 Spindler, in: Münchener Kommentar AktG, § 90 Rdnr. 50; Dauner-Lieb, in: Henssler/ Strohn, AktG, § 90 Rdnr. 22; Fleischer, in: Spindler/Stilz, AktG, § 90 Rdnr. 48; Koch, in: Hüffer, AktG, § 90 Rdnr. 13.
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1. Teil: Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats und seiner Mitglieder
schaubarer Informationen, beispielsweise ohne nachvollziehbare Gliederung, erschwert werden; der Aufsichtsrat soll nicht durch eine Informationsfülle überfordert werden. Insbesondere bei technischen Vorgängen sollten durch zusätzliche Tabellen und Schaubilder kompliziertere Sachverhalte veranschaulicht werden.95 Bezüglich der Form der Berichte stellt § 90 Abs. 4 Satz 2 AktG klar, dass die Berichte (abgesehen von Berichten über wichtige Anlässe i.S.v. § 90 Abs. 1 Satz 3 AktG) im Regelfall in Textform zu erstatten sind. So hat der Aufsichtsrat zu jedem Zeitpunkt ein Dokument, auf das er sich berufen kann und auf dem er seine Prüfung aufbauen kann; der Vorstand wird gleichzeitig nicht mit überbürdenden Formvorschriften von seiner eigentlichen Aufgabe, der Unternehmensleitung, abgehalten. b) Vorstandsabhängige Information als Pflichtrecht des Aufsichtsrats Die aufgeführten Informations- und Berichtspflichten des Vorstands an den Aufsichtsrat führen auf zweierlei Art und Weise zu Pflichten des Kontrollorgans: Erstens hat der Aufsichtsrat sicherzustellen, dass er die Informationen tatsächlich erhält. Zweitens ergibt sich aus dem Umfang der Berichtspflicht des Vorstands auch der Umfang der Informationspflicht des Aufsichtsrats. Der Aufsichtsrat soll sich mit dem Hinweis auf gänzlich fehlende oder unzureichende Informationen durch den Vorstand nicht entlasten können.96 Es gehört zu der originären Aufgabe des Überwachungsorgans, sich über den zu überwachenden Gegenstand ausreichend zu informieren. Ohne eine solche Pflicht zur Eigeninformation liefe die Überwachung quasi leer. Der Aufsichtsrat könnte sich seiner – unstreitig bestehenden – Überwachungsverpflichtung entledigen, wenn er darauf verweisen könnte, vom Vorstand nicht in ausreichendem Maße informiert worden zu sein.97 Auch einer persönlichen Verantwortlichkeit könnten die Mitglieder des Aufsichtsrats entgehen, wenn der Vorstand keine oder nur unzureichende Informationen übermittelt hat. Dies allerdings würde die Überwachung des Aufsichtsrats so erheblich abschwächen, dass sie quasi wirkungslos würde. Eine Verpflichtung des Aufsichtsrats zur Beschaffung von Informationen, die der Vorstand eigentlich von sich aus zu übermitteln hat, nimmt auch der DCGK an, der daher von einer gemeinsamen Aufgabe von Vorstand und Aufsichtsrat spricht (vgl. 3.4 Abs. 1 DCGK). Demzufolge bezieht sich die Überwachungspflicht des Aufsichtsrats gerade auch auf die Frage, ob die Vorstandsberichte eingegangen und ob diese Berichte umfassend und vollständig sind. Das Gesetz lässt es nicht genügen, dass der Vorstand im Nachgang zu einer falschen oder unvollständigen Information an den Aufsichtsrat sanktioniert werden kann, sondern verpflichtet den Aufsichtsrat zur eigenen, vollständigen Sachverhaltsklärung, um etwaige Missstände unmittelbar aufzuklären und abzustellen. Wenn 95
Vgl. Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats, Rdnr. 224. Zu den möglichen Rechtsfolgen zur Durchsetzung einer umfassenden Berichtspflicht siehe unten, S. 79 ff. 97 Habersack, in: Münchener Kommentar AktG, § 111 Rdnr. 61. 96
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der Vorstand die Berichte dem Aufsichtsrat nicht von sich aus übermittelt, muss der Aufsichtsrat selbst tätig werden und hat sich um die vollständige und rechtzeitige Erfüllung der Pflichten des Vorstands zu kümmern. Die Vorstandspflicht des § 90 AktG korreliert also stets in zwei Pflichten des Überwachungsorgans, die alternativ ausgelöst werden: Übermittelt der Vorstand die Berichte, so prüft der Aufsichtsrat ihre Vollständigkeit und ob diese Informationen seine offenen Fragen beantworten.98 Übermittelt der Vorstand die Informationen nicht oder nicht wie geschuldet, so hat der Aufsichtsrat dies zu beanstanden und weitere Informationen anzufordern;99 es besteht insofern eine Holschuld.100 Hoffmann-Becking weist richtigerweise darauf hin, dass diese Holschuld allerdings nicht in gleicher Weise neben der Bringschuld des Vorstands besteht.101 Die Holschuld des Aufsichtsrats besteht nur dann und nur soweit, wie der Vorstand seiner Bringschuld nicht gerecht wird. Aus Klarstellungsgründen bietet sich es insofern an, von einer „sekundären Holschuld“ zu sprechen, da die Entstehung der Holschuld in erster Linie von der (Nicht-)Erfüllung der Bringschuld des Vorstands abhängt. Daraus ergibt sich, dass primär der Vorstand für die Information des Aufsichtsrats verantwortlich ist. Gleichzeitig wird aber auch deutlich, dass die Rechte des Aufsichtsrats zur Selbstorganisation als Kehrseite ihrer Berechtigung auch immer eine Pflicht beinhalten.102 Wenn der Vorstand seine Aufgaben nicht oder nicht hinreichend wahrnimmt, so kann sich der Aufsichtsrat hinsichtlich der ihm drohenden Haftung wegen unzureichender Überwachung nicht damit entlasten, ihm fehlten ausreichende Informationen. Im Gegenteil muss er hier selbst tätig werden und in diesem Zusammenhang überprüfen, welche Informationen ihm fehlen und die relevanten Daten beim Vorstand abfragen und einfordern. Lutter spricht insofern richtigerweise vom Informationsrecht des Aufsichtsrats als einem Pflichtrecht.103 c) Berichtsordnung für den Vorstand Zur Vermeidung von Missverständen und zur Gewährleistung einer rechtzeitigen, umfangreichen und lückenlosen Information des Aufsichtsrats ist zu empfehlen, dass dieser mit dem Vorstand eine Berichtsordnung erarbeitet.104 In einer solchen Berichtsordnung können die Stichtage der verschiedenen Berichte und deren spezifi98 Lutter, Information und Vertraulichkeit im Aufsichtsrat, § 13 Rdnr. 383; Hüffer, NZG 2007, S. 47, 49; Marsch-Barner, in: Kindler/Koch/Winter, Festschrift für Uwe Hüffer, S. 219, 220; Hoffmann-Becking, in: Grundmann/Kirchner/Raiser, Unternehmensrecht zu Beginn des 21. Jahrhunderts, S. 337 f. 99 Habersack, in: Münchener Kommentar AktG, § 111 Rdnr. 47. 100 Hüffer, NZG 2007, S. 47, 48 f; Altmeppen, ZGR 2004, S. 390, 391; Ruhwedel/Epstein, BB 2003, S. 161, 163. 101 Hoffmann-Becking, ZGR 2011, S. 136, 145. 102 Habersack, in: Münchener Kommentar AktG, Vor § 95 Rdnr. 17. 103 Lutter, Information und Vertraulichkeit im Aufsichtsrat, Rdnr. 383. 104 Lutter, Information und Vertraulichkeit im Aufsichtsrat, Rdnr. 100; ähnlich auch der Deutsche Corporate Governance Kodex in 3.4, Abs. 3, der sich für eine genauere Festlegung der Informationsrechte durch den Aufsichtsrat plädiert.
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1. Teil: Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats und seiner Mitglieder
sche Inhalte festgelegt werden und so die Pflichten von Berichtsersteller und -empfänger verdeutlicht werden. Inhaltlich kann die Berichtsordnung nicht vereinbaren, dass die Berichte hinter den in § 90 AktG festgelegten Grundsätzen zurückbleiben; es handelt sich dabei um Mindestanforderungen, deren Unterschreitung weder aufgrund einer vom Aufsichtsrat erlassenen Berichtsordnung noch aufgrund Vereinbarungen in der Satzung der Gesellschaft zulässig ist.105 Wohl aber kann der Aufsichtsrat die Berichtspflichten des Vorstands ausweiten.106 So kann in der Berichtsordnung festgelegt werden, dass die Vorstandsberichte in kürzeren Abständen als gesetzlich vorgegeben und in einem größeren Umfang zu erfolgen haben. Hinsichtlich des Berichtszeitpunkt ist eine Regelung dahingehend zu treffen, dass die jeweiligen Berichte dem Aufsichtsrat in einem ausreichenden Zeitraum vor der nächsten Aufsichtsratssitzung vorgelegt werden, damit die einzelnen Mitglieder sich über neue Sachverhalte informieren und sich mit den entsprechenden Informationen auseinandersetzen können. Jedoch sollte sichergestellt werden, dass Berichte nicht ausschließlich zu einem fixen Zeitpunkt vor den Sitzungen übermittelt werden. Bei besonderen Vorkommnissen können die Berichte gerade Anlass dafür sein, eine außerplanmäßige Sitzung des Überwachungsorgans einzuberufen. Deshalb sollten die Berichte zum einen regelmäßig einen gewissen Zeitraum vor der nächsten Aufsichtsratssitzung übermittelt werden, sodass die Mitglieder noch in der Lage sind, den Bericht vor der Sitzung zu lesen.107 Zum zweiten sollte ein Bericht außerplanmäßig dann zu übermitteln sein, wenn bestimmte Ereignisse eingetreten sind (beispielsweise Umsatz- oder Ertragseinbrüche). Zur besseren Nachvollziehbarkeit der Situation des Unternehmens sollte außerdem festgelegt werden, welche Kennzahlen oder Aufstellungen der Aufsichtsrat benötigt, um bestimmte Einschätzungen des Vorstands nachprüfen zu können. Die Pflicht zur Übermittlung solcher Zusatzinformationen sollte ebenfalls in der Berichtsordnung geregelt werden. Auf der anderen Seite sollte aber auch festgehalten werden, dass die jeweiligen Berichte mit einer groben Zusammenfassung ihres Inhaltes versehen werden und im Übrigen nur solche Informationen übersendet werden, die der Aufsichtsrat zur Beurteilung von Einzelfragen tatsächlich benötigt. Es besteht andernfalls die Gefahr, dass der Vorstand dem Aufsichtsrat eine zu große Anzahl an Informationen zur Verfügung stellt. Durch eine regelrechte Informationsflut, mit der er den Aufsichtsrat überzieht, erschwert es der Vorstand dem Aufsichtsrat, den Berichten die tatsächlich relevanten Daten und Angaben zu entnehmen. Der Aufsichtsrat darf von seiner Arbeit nicht dadurch abgehalten werden, dass er zunächst relevante von irrelevanten Informationen trennen muss. 105 Allgemeine Ansicht; vgl. Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats, Rdnr. 207; Mertens/Cahn, in: Kölner Kommentar AktG, § 90 Rdnr. 53. 106 Spindler in: Münchener Kommentar AktG, § 90 Rdnr. 8; Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats, Rdnr. 212. 107 Dauner-Lieb, in: Henssler/Strohn, AktG, § 90 Rdnr. 24; Spindler in: Münchener Kommentar AktG, § 90 Rdnr. 15.
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Der Deutsche Corporate Governance Kodex enthält eine Empfehlung für den Aufsichtsrat, die Informations- und Berichtspflichten des Vorstands „näher festzulegen“ und insbesondere eine Regelung zur rechtzeitigen Übermittlung wichtiger Berichte vor der nächsten Sitzung des Aufsichtsrats zu treffen (3.4 Abs. 3 DCGK). Weitere Informationen wie eine solche Berichtsordnung im Einzelnen ausgestaltet werden könnte enthält der DCGK nicht. Formell kann die Berichtsordnung als Geschäftsordnung einseitig durch den Aufsichtsrat gegenüber dem Vorstand erlassen werden (§ 77 Abs. 2 Satz 1 AktG).108 Vorstand und Aufsichtsrat können sich aber auch gemeinsam auf die Inhalte der Berichtsordnung verständigen.109 Eine bindende Wirkung erlangt die Berichtsordnung erst dann, wenn der Aufsichtsrat sie gemäß § 77 Abs. 2 Satz 1 AktG (einseitig) erlässt. Auf welche Art und Weise verfahren wird, steht im Belieben des Aufsichtsrats. Auch der DCGK äußert sich zu den verschiedenen Möglichkeiten nicht. Im Sinne einer guten und auf Gegenseitigkeit ausgelegten Unternehmensführung aber sollte der Aufsichtsrat vor dem Erlass der Berichtsordnung den Vorstand über die geplanten Inhalte in Kenntnis setzen. Im besten Fall wird ein gemeinsames Modell in Kooperation mit dem Vorstand erarbeitet.110 Dadurch lassen sich zum einen Missverständnisse ausräumen und zum anderen die Notwendigkeit bestimmter Regeln und Fristen verständlicher machen.
2. Vorstandsunabhängige Informationen Da der Aufsichtsrat die Lage der Gesellschaft und die Geschäftsleitung durch den Vorstand möglichst unabhängig begutachten soll, kann er sich nicht auf die Vorstandsberichte als einzige Informationsquelle verlassen. Anderenfalls wäre der Aufsichtsrat bei der Überwachung des Vorstands ausschließlich auf die von diesem zur Verfügung gestellten Informationen angewiesen. In diesem Fall wäre der Blick des Aufsichtsrats auf die Gesellschaft allerdings erheblich limitiert, da der Aufsichtsrat sämtliche Informationen nur aus dem Blickwinkel des Vorstands erfassen würde und seine Prüfung und Überwachung entsprechend beschränkt wäre. Neben den Vorstandsberichten steht dem Aufsichtsrat daher die Möglichkeit offen, Gebäude und Räume zu betreten, sowie Bücher, Schriften, Urkunden und Kassen wie auch Warenbestände der Gesellschaft einzusehen. Dieses umfassende Einsichtsrecht des Aufsichtsrats gewährt § 111 Abs. 2 Satz 1 AktG. In der Ausübung des Frage- und Einsichtsrechtes ist der Aufsichtsrat in keiner Weise an die Reichweite der Vorstandspflichten gebunden. Es besteht selbständig und unabhängig neben den Berichtspflichten des Vorstands an den Aufsichtsrat. 108
Dafür Lutter, Information und Vertraulichkeit im Aufsichtsrat, Rdnr. 101. So Semler, Leitung und Überwachung der Aktiengesellschaft, Rdnr. 142; wohl auch Deutscher Corporate Governance Kodex in 3.4 Abs. 3. 110 Lutter, Information und Vertraulichkeit im Aufsichtsrat, Rdnr. 101; Semler, Leitung und Überwachung der Aktiengesellschaft, Rdnr. 142. 109
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1. Teil: Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats und seiner Mitglieder
Nach dem Gesetz ist das Einsichts- und Prüfungsrecht dem Aufsichtsrat als Organ zugesprochen. Es unterscheidet sich insofern deutlich von dem Recht Vorstandsberichte zu verlangen. Während letzteres ausdrücklich auch einzelnen Mitgliedern des Organs zusteht (vgl. § 90 Abs. 3 Satz 2 AktG), steht das Einsicht- und Prüfungsrecht des Aufsichtsrats ausschließlich dem Gesamtorgan zu und hat daher strengere Voraussetzungen. Der Aufsichtsrat leitet die Ausübung des Frage- und Einsichtsrechts durch einen Beschluss des Organs ein. Diese Konstruktion erschwert es dem Aufsichtsrat, im Einzelfall schnell tätig zu werden und sich rasch einen Überblick über die Lage der Gesellschaft zu verschaffen. Gleichzeitig eröffnet das Frage- und Einsichtsrecht sehr weitgreifende Rechte, deren Ausübung unter einer strengen Kontrolle steht und wenigstens von der Mehrheit des Überwachungsorgans befürwortet werden sollte. Der Unpraktikabilität der Ausübung wird zu begegnen versucht, indem dem Aufsichtsrat die Möglichkeit zur Fassung eines Beschlusses für eine Vielzahl ähnlich gelagerter Fälle zugesprochen wird.111 Durch einen solchen Generalbeschluss erübrigt sich die Notwendigkeit einer Beschlussfassung in ähnlich gestalteten Fällen und bei ersten Anzeichen konkreter Verstöße kann der Aufsichtsrat unmittelbar tätig werden. Neben der Voraussetzung eines Beschlusses des Gesamtorgans zur Einleitung des Rechts bestehen auch bei der Ausübung des Rechts Beschränkungen. Eine Wahrnehmung des Einsichtsrechtes durch alle Mitglieder des Aufsichtsrats ist ineffektiv und nicht zielführend. Aus diesem Grunde besteht mit § 111 Abs. 2 Satz 2 AktG die Möglichkeit, einzelne Mitglieder des Aufsichtsrats mit der Aufgabenwahrnehmung zu betrauen. Auch kann der Aufsichtsrat externe Sachverständige hinzuziehen (§ 111 Abs. 2 Satz 2 2. Variante AktG). Allerdings gilt dies nur, soweit der Sachverständige zur Wahrnehmung „bestimmter Aufgaben“ eingesetzt wird. Während also den einzelnen Mitgliedern Befugnisse des Gesamtorgans übertragen werden können, darf eine Übertragung auf Externe nur in engen, klar umrissenen Bereichen erfolgen. Die generelle Übertragung von Prüfungsaufgaben auf externe Sachverständige ist nicht zulässig,112 da sich der Aufsichtsrat seiner persönlichen Überwachungspflicht nicht soll entziehen können. Außerdem räumt § 107 Abs. 3 AktG dem Gesamtorgan die Möglichkeit ein, Ausschüsse zu bestellen, um bestimmte Aufgaben wahrzunehmen. Ein solcher Ausschuss hat damit nicht per se die Prüfungsbefugnis aus § 111 Abs. 2 Satz 2 AktG. Stattdessen muss diese Befugnis dem Aufsichtsrat durch Beschluss übertragen werden – entweder im Wege eines (ad hoc) Beschlusses im Einzelfall oder als Generalermächtigung bei der Aufgabenübertragung auf den Aufsichtsrat.
111
Vgl. Lutter, Information und Vertraulichkeit im Aufsichtsrat, Rdnr. 284. Siehe BGH, Urt. v. 15. 11. 1982 – II ZR 27/82, BGHZ 85, 293, 295 f; ebenso: Semler, Leitung und Überwachung der Aktiengesellschaft, Rdnr. 165; Koch, in: Hüffer, AktG, § 111 Rdnr. 23; Steinbeck, Überwachungspflicht und Einwirkungsmöglichkeiten, S. 130, wohl ebenso Mertens/Cahn, in: Kölner Kommentar AktG, § 111 Rdnr. 63. 112
B. Der Aufsichtsrat als Überwachungsorgan
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a) Das Einsichts- und Fragerecht Der Aufsichtsrat hat im Rahmen des Einsichts- und Prüfungsrechtes nahezu unbeschränkten Zugriff auf die Informationen und Dokumente der Gesellschaft. Das Informationsrecht umfasst grundsätzlich den gesamten analogen und digitalisierten Datenbestand des Unternehmens.113 Insofern fällt unter das Informationsrecht auch sämtliche Korrespondenz mit Behörden, Beratern oder Gerichten. Der Aufsichtsrat kann Steuerbescheide, Verfügungen und Berichte der internen Revision ebenso einsehen wie Prüfungsberichte des Abschlussprüfers von Tochtergesellschaften.114 Als Pflichtorgan der Gesellschaft ist der Aufsichtsrat nicht Externer, sondern ein Teil der Gesellschaft. Er ist ebenso wie der Vorstand umfassend über alle Vorgänge im Unternehmen zu informieren. Es besteht insofern keine Geheimhaltung gegenüber dem Aufsichtsrat.115 Ausgeschlossen von dem Informationsrecht sind nur solche Informationen, die sich zufällig in den Räumlichkeiten des Unternehmens befinden, tatsächlich aber der privaten Sphäre der Angestellten oder des Vorstands zuzurechnen sind. Solche Daten und Informationen werden aber die Ausnahme sein. Eine gänzliche Verweigerung des Zutritts zu bestimmten Räumen oder Teilbereichen des Unternehmens werden sich aus diesen Einschränkungen nur in krassen Ausnahmefällen herleiten lassen können. Neben dem Recht zur Einsicht gewährt § 111 Abs. 2 AktG auch ein Fragerecht. Das Prüfungsrecht des Aufsichtsrats dient – ebenso wie das Fragerecht – der umfassenden Sachverhaltsermittlung. Jede inhaltliche Bewertung hat allein durch den Aufsichtsrat zu erfolgen. Unproblematisch erstreckt sich das Fragerecht auf den Vorstand. Dies bedeutet, dass der Aufsichtsrat sich bestimmte Sachverhalte vom Vorstand genauer beschreiben lassen kann, um sich ein besseres und klareres Bild über die Situation des Unternehmens und einzelne Vorgänge machen zu können. Das Fragerecht des § 111 Abs. 2 AktG erschöpft sich allerdings nicht in einer Befragung des Vorstands: Bereits § 90 Abs. 3 AktG enthält als Minus zum Recht des Aufsichtsrats vom Vorstand Berichte anzufordern das Recht, offene Punkte auch mündlich zu klären und damit ein Fragerecht. Insofern ist anerkannt, dass § 111 Abs. 2 AktG dem Überwachungsorgan auch das Recht einräumt, Angestellte und Mitarbeiter des Unternehmens unmittelbar zu befragen, ohne dass es dazu einer Vermittlung durch den Vorstand bedarf.116 Freilich ist das Fragerecht auch hier auf 113
Koch, in: Hüffer, AktG, § 111 Rdnr. 19. Hopt/Roth, in: Großkommentar AktG, § 111 Rdnr. 401; Habersack, in: Münchener Kommentar AktG, § 111 Rdnr. 63 f. 115 Lutter, Information und Vertraulichkeit im Aufsichtsrat, Rdnr. 289. 116 Habersack, in: Münchener Kommentar AktG, § 111 Rdnr. 68; Möllers, ZIP 1995, S. 1725, 1735; vgl. i.E. auch Lutter, Information und Vertraulichkeit im Aufsichtsrat, Rdnr. 310 ff. Wie extensiv der Aufsichtsrat von diesem besonderen Recht Gebrauch machen darf, ist indes höchst umstritten. Für eine sehr einschränkende Ausübung vgl. Dreher, in: Habersack/Hommelhoff, Festschrift für Wulf Goette, S. 43, 49, und zuvor bereits Dreher, in: Ebenroth/Hesselberger/Rinne, Verantwortung und Gestaltung, S. 71, 93 f mit umfangreichen weiteren Nachweisen. Im Rahmen der hier vertretenen Ansicht ist eine Begrenzung nur im 114
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1. Teil: Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats und seiner Mitglieder
die Sachverhaltsermittlung beschränkt und erlaubt regelmäßig nicht die Abfrage höchstpersönlicher Informationen. Schließlich bleibt zu berücksichtigen, dass für das Fragerecht die generellen (strengen) Regeln des § 111 Abs. 2 AktG gelten: Das Gesamtorgan hat über die Nutzung des Fragerechtes Beschluss zu fassen, bevor auf die besonderen Möglichkeiten zurückgegriffen werden kann. b) Das Einsichts- und Fragerecht als Pflichtrecht des Aufsichtsrats? Wie ausgeführt117 handelt es sich bei dem Recht des Aufsichtsrats Vorstandsberichte anzufordern (§ 90 Abs. 3 AktG), um ein Pflichtrecht, bei dem nicht nur das Recht, sondern gerade auch die Pflicht zur Ausübung besteht. Fraglich ist nun, inwieweit auch das Einsichts- und Fragerecht des Aufsichtsrats i.S.v. § 111 Abs. 2 AktG ein solches Pflichtrecht darstellt. Ebenso wie die Vorstandsberichte dient auch das Einsichts- und Informationsrecht der besseren Information des Aufsichtsrats. Die Argumente für die Qualifizierung von § 90 Abs. 3 AktG als Pflichtrecht sind hier in gleichem Maße anwendbar: Zum Wohle der Gesellschaft hat das Überwachungsorgan stets dafür zu sorgen, selbst ausreichend informiert zu sein, um eine differenzierte Entscheidung auf Basis einer ausreichenden Tatsachengrundlage treffen zu können.118 Der Aufsichtsrat hat dabei nicht nur das Recht, sondern vor allem gerade auch die Pflicht, eine solche Tatsachengrundlage zu schaffen und aus verschiedenen Quellen Informationen heranzuziehen.119 Im Gegensatz zum Pflichtrecht aus § 90 Abs. 3 AktG kann für die Verpflichtung zur Informationsbeschaffung allerdings nicht an das Vorliegen eines unzureichenden Vorstandsberichtes angeknüpft werden, da der Aufsichtsrat nicht bei jeder fehlenden (Teil-)Information dazu verpflichtet sein soll, vom Einsichts- und Fragerecht Gebrauch zu machen. Hier kann im Einzelfall eine erneute Anforderung der Informationen beim Vorstand sinnvoll sein. Das Einsichts- und Fragerecht erwächst vielmehr dann zum Pflichtrecht, wenn die dem Aufsichtsrat zur Bewertung der Lage der Gesellschaft oder der Handlung des Vorstands vorliegenden Informationen nicht ausreichend sind und eine Abhilfe durch (weitere) Vorstandberichte nicht zu erwarten ist. Rahmen der Verhältnismäßigkeit vorzunehmen. Soweit eine anderweitige, ebenso geeignete Informationsbeschaffung möglich ist, hat der Aufsichtsrat diese zu nutzen, um die Belastungen für das Unternehmen möglichst gering zu halten. Eine Beschränkung ist i.Ü. nur dann angezeigt, wenn die Belastung für das Unternehmen und der Aufklärungsbedarf in keinem Verhältnis zueinander stehen. 117 Siehe oben, S. 38. 118 So wohl auch Koch, in: Hüffer, AktG, Rdnr. 20. 119 Ebenso Lippert, Überwachungspflicht, Informationsrecht und gesamtschuldnerische Haftung, S. 80 f, der das Einsicht- und Fragerecht des § 111 Abs. 2 AktG ebenfalls als ein Pflichtrecht ansieht (es handele sich um eine Befugnis „von der der Aufsichtsrat im Rahmen seiner Überwachungspflicht nach pflichtgemäßen Ermessen Gebrauch machen muss“).
B. Der Aufsichtsrat als Überwachungsorgan
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aa) Historische Entwicklung Diese Bewertung wird getragen von einer historischen Analyse des Informationsrechts des Aufsichtsrats. Die dem heutigen § 111 Abs. 2 AktG vorgehende Norm des Art 225 ADHGB 1884 wurde durch das Gesetz betreffend die KGaA und AG 1884 ausdrücklich als umfassendes Informationsrecht eingeführt.120 Der Gesetzesentwurf beruhte auf einem Gutachten des Reichsoberhandelsgerichts zur Einführung neuer Regelungen im Aktienrecht, welches explizit ein vollumfängliches Kontrollrecht des Aufsichtsrats empfahl.121 Die Grundlage der heutigen Regelungen beruht auf der Überzeugung des historischen Gesetzgebers, dass eine umfassende Selbstinformationspflicht des Aufsichtsrats bestand und eine Einschränkung gerade nicht geboten war. Der Grund dafür, dass eine allgemeine Normierung von Pflichten im Gesetz unterlassen wurde, beruht im Wesentlichen darauf, dass „die Verschiedenartigkeit der Unternehmungen […] in dieser Hinsicht eine für alle Fälle gültige Regel [unmöglich macht], vielmehr müssen die Verhältnisse im Einzelfalle darüber entscheiden, inwieweit von dem Aufsichtsrathe derartige Revisionen nothwendig oder zweckmäßig vorzunehmen und die Folgen ihrer Unterlassung zu vertreten sind“.122 Dem Aufsichtsrat wurde damit ein umfassendes Prüfungsrecht eingeräumt, dessen konkrete Ausgestaltung offengelassen und exakte Ausübung dem Organ selbst unter Berücksichtigung des Einzelfalls übertragen wurde. Eine Einschränkung des Umfangs des Prüfungsrechts ist durch die offene Gestaltung der Norm nicht ableitbar.123 Vor dem Hintergrund der Pflicht zur umfassenden Kontrolle und Informationsbeschaffung war und ist dieses Recht jedoch
120
Vgl. Begründung zum Entwurf eines Gesetzes, betreffend die KGaA und AG (1884), abgedruckt bei Schubert/Hommelhoff, Hundert Jahre modernes Aktienrecht, S. 461 re. Sp.: „[Es] darf doch nicht dem Ermessen des Aufsichtsraths überlassen bleiben, ob und wie er eine Revision der Geschäftsthätigkeit des Vorstands eintreten lassen will; es muss ihm vielmehr als Pflicht auferlegt werden, sich von dem Gang der Angelegenheiten der Gesellschaft zu unterrichten und zu dem Zweck müssen auch seine Befugnisse dahin erweitert oder präzisiert werden, daß er jederzeit und in allen Dingen von dem Vorstande Berichterstattung soll verlangen, Revision nicht bloß selbst, sondern auch durch einzelne Mitglieder soll vornehmen und die Revisionen außer der Kasse auf die Bestände an Waren und sonstigen Werthen soll erstrecken können. […]“. 121 „Der Aufsichtsrath hat das unbeschränkte Recht der Controlle der Geschäftsführung.“, vgl. Gutachten über die geeignetsten Mittel zur Abhülfe der nach den Erfahrungen des ReichsOberhandelsgerichts bei der Gründung, der Verwaltung und dem geschäftlichen Betriebe von Aktienunternehmungen hervorgetretenen Umstände, S. 99, abgedruckt bei Schubert/Hommelhoff, Hundert Jahre modernes Aktienrecht, S. 157, 229. 122 Vgl. Begründung zum Entwurf eines Gesetzes, betreffend die KGaA und AG (1884), abgedruckt bei Schubert/Hommelhoff, Hundert Jahre modernes Aktienrecht, S. 461 re. Sp. 123 Auch in den Kommentierungen der jeweiligen Vorschriften wird eine solche Einschränkung nicht vertreten, vgl. exemplarisch Staub, HGB 1897, 8. Aufl. 1906, § 246 Anm. 4 ff; Ritter, AktG 1937, 2. Aufl. 1939, § 99 Anm. 4; Schmidt/Meyer-Landrut, in: Großkommentar AktG, 2. Aufl. 1961, § 95 Anm. 11.
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1. Teil: Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats und seiner Mitglieder
als Pflichtrecht anzusehen,124 bei dessen Nichterfüllung Ersatzansprüche der Aufsichtsratsmitglieder drohen.125 bb) Eigene Informationsbeschaffung als Ultima Ratio? Gegen die Behandlung des Einsichts- und Fragerechtes als Pflichtrecht spricht, so eine in der Literatur vertretene Ansicht, dass es sich bei dem Recht nach § 111 Abs. 2 AktG um ein dem Berichtsrecht im Rang nachgehendes Recht handele, das nur die Ultima Ratio des Aufsichtsratshandelns darstellen dürfe. Dies vermag aus mehreren Gründen nicht zu überzeugen. Das Recht zur Informationsbeschaffung ist für den Aufsichtsrat ein umfassendes und weitreichendes Mittel, um einen vollumfänglichen Eindruck über die Lage der Gesellschaft zu gewinnen. Die tatsächliche Ausübung dieses Rechts durch den Aufsichtsrat in der Praxis wird allerdings beschränkt sein und nicht den Regelfall darstellen. Eine im Schrifttum vor allem durch Lutter vertretene Ansicht hält die Ausübung des Einsichts- und Prüfungsrechtes für einen erheblichen Eingriff in die Führungsmacht des Vorstands, dem bereits durch den Beschluss des Aufsichtsrats, von dem Informationsrecht Gebrauch machen zu wollen, quasi öffentlich das Misstrauen ausgesprochen werde.126 Ein Aufsichtsrat, der von den Möglichkeiten des Einsichts- und Informationsrecht Gebrauch mache, drücke nach außen hin aus, dass er kein Vertrauen mehr in die Arbeit des Vorstands habe und sich nicht auf die vom Vorstand übermittelten Berichte und Informationen verlassen könne. Das Gesetz gehe von einem „Informationsvermittlungsmonopol“ des Vorstands aus, das nur in seltenen Ausnahmenfällen unterlaufen werden dürfe.127 Da die Entscheidung zur Ausübung des Einsichts- und Informationsrechts häufig nicht vollkommen geheim gehalten werden könne, werde bereits mit der Beschlussfassung nach außen hin ein erhebliches Misstrauen ausgedrückt. Nicht nur der Beschluss, auch die Ausübung des Informationsrechtes selbst führe zu erheblichen Beeinträchtigungen: Aufsichts124
So nun auch Henssler, in: Henssler/Strohn, AktG, § 111 Rdnr. 10. „Der Überwachungspflicht […] stehen die folgenden Rechte zur Erfüllung dieser Verpflichtung gegenüber. Sie müssen ausgeübt werden, wenn es erforderlich ist, anderenfalls eine Haftung aus §§ 99, 84 in Frage kommt.“, Godin/Wilhelmi, AktG 1937, 1937, § 95 Anm. 3. 126 Lutter, Information und Vertraulichkeit im Aufsichtsrat, Rdnr. 307; Steinbeck, Überwachungspflicht und Einwirkungsmöglichkeiten, S. 129; zustimmend Elsing/Schmidt, BB 2002, S. 1705, 1709; Hasselbach, NZG 2012, S. 41, 45; ähnlich – freilich ohne nähere Begründung – auch OLG Düsseldorf, Urt. v. 23. 06. 2008 – I-9 U 22/08, DB 2008, S. 1961, 1962. 127 Soweit ersichtlich geht dieser Begriff zurück auf Kropff, NZG 2003, S. 346, 348, der jedoch das Bestehen eines solchen Informationsvermittlungsmonopols verneint: für ein solches Vermittlungsmonopol aber Eichner/Höller, AG 2011, S. 885, 889; ein ähnliche Gedanke findet sich bereits bei Lutter, Information und Vertraulichkeit im Aufsichtsrat, Rdnr. 303; insofern zustimmend Hoffmann-Becking, ZGR 2011, S. 136, 146; jedenfalls für die Frage der Kontaktaufnahme des Aufsichtsrats gegenüber Mitarbeitern der Gesellschaft Dreher, in: Habersack/Hommelhoff/Hüffer/Schmidt, Festschrift für Peter Ulmer, S. 87, 84; Dreher, in: Habersack/Hommelhoff, Festschrift für Wulf Goette, S. 43, 49. 125
B. Der Aufsichtsrat als Überwachungsorgan
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ratsmitglieder, die sich im Unternehmen umschauten, Einsicht in Dokumente nähmen und Mitarbeiter befragten, drückten aus, dass die Lage des Unternehmens jedenfalls aus der Sicht des Überwachungsorgans nicht zufriedenstellend sei. Aus diesem Grunde solle die Ausübung des Informationsrechtes stets bloß Ultima Ratio sein und nicht „beliebig“ eingesetzt werden.128 Dem ist entgegenzusetzen, dass das Gesetz hinsichtlich der Mittel zur Informationsbeschaffung durch den Aufsichtsrat kein Stufenverhältnis kennt: Die Rechte aus § 90 Abs. 3 AktG und § 111 Abs. 2 AktG stehen nach dem Gesetzeswortlaut gleichberechtigt nebeneinander;129 die Entscheidung zu ihrer Ausübung liegt im alleinigen Ermessen des Aufsichtsrats.130 Ein „Informationsvermittlungsmonopol“ hat das Gesetz nicht festgelegt. Semlers Forderung an den Aufsichtsrat, vor der Ausübung des Informationsrechtes nach § 111 Abs. 2 AktG das „Vorrecht des Vorstands zur Berichterstattung nach § 90 [AktG]“ zwingend zu beachten, erscheint vor diesem Hintergrund problematisch. Aus dem Willen des historischen Gesetzgebers ergibt sich ein solches Vorrecht nicht.131 Ganz im Gegenteil wird von einem sehr umfassenden Kontrollrecht ausgegangen.132 Problematisch ist diese Ansicht auch aus einem weiteren Grund: Soweit man tatsächlich von einem Informationsvermittlungsmonopol des Vorstands ausgeht, müsste sich das Informationsrecht der Aufsichtsratsmitglieder darauf beschränken, den Vorstand zu befragen bzw. von 128 Semler, Leitung und Überwachung der Aktiengesellschaft, Rdnr. 174; Lutter/Krieger/ Verse, Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats, Rdnr. 244; Lutter, Information und Vertraulichkeit im Aufsichtsrat, Rdnr. 308; Steinbeck, Überwachungspflicht und Einwirkungsmöglichkeiten, S. 129; zustimmend Elsing/Schmidt, BB 2002, S. 1705, 1709; Hasselbach, NZG 2012, S. 41, 45; Dierlamm, in: Münchener Kommentar StGB, § 266 Rdnr. 80; ähnlich – ohne nähere Begründung – auch OLG Düsseldorf, Urt. v. 23. 06. 2008 – I-9 U 22/08, DB 2008, S. 1961, 1962; in diese Richtung nun auch – ohne eine Dreistufigkeit anzuerkennen – Mertens/ Cahn, in: Kölner Kommentar AktG, § 111 Rdnr. 52, die die Ausübung des Einsichts- und Prüfungsrechts auf anlassbedingte Sonderfälle begrenzt sehen wollen; so nun auch Cahn, WM 2013, S. 1293, 1298, der von einer „ergänzenden Funktion“ des Einsichts- und Prüfungsrechts spricht. 129 Wie hier Fleischer, in: Spindler/Stilz, AktG, § 111 Rdnr. 3; ähnlich auch Kropff, NZG 2003, S. 346, 348; einschränkend auch Velte, NZG 2011, S. 1401, 1403. 130 Hopt/Roth, in: Großkommentar AktG, § 111 Rdnr. 409 f; Habersack, in: Münchener Kommentar AktG, § 111 Rdnr. 66a; Mertens, in: Kölner Kommentar AktG, 2. Aufl. 1996 (Voraufl.), § 111 Rdnr. 42; Leyens, Information des Aufsichtsrats, S. 174, 179 ff; Roth, AG 2004, S. 1, 7; gegen eine Begrenzung auf Ausnahmefälle zunächst auch Hoffmann-Becking, in: Hoffmann-Becking, Münchener Handbuch des Gesellschaftsrechts, Bd. 4, § 29 Rdnr. 35, der sich von dieser Ansicht aber mittlerweile wieder distanziert hat, vgl. Hoffmann-Becking, ZGR 2011, S. 136, 147; ablehend nun auch Mertens/Cahn, in: Kölner Kommentar AktG, § 111 Rdnr. 52 („keine Unternehmensrevision durch den Aufsichtsrat“). 131 Siehe zur historischen Entwicklung oben, S. 45. 132 Vgl. Schmidt/Meyer-Landrut, in: Großkommentar AktG, 2. Aufl. 1961, § 95 Anm. 11: „Im übrigen hält das Gesetz die Gefahren einer unzureichenden Überwachung des Vorstands für größer als die Gefahren, die der Gesellschaft aus einer genauen Kenntnis des Aufsichtsratsmitglieds von den Verhältnissen der AG drohen. […] Der Vorstand hat ja auch kein Mittel in der Hand, um die Untersuchung durch den Gesamtaufsichtsrat zu verhindern, falls dieser darauf besteht.“
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diesem Unterlagen anzufordern. Unklar ist, ob und wann der Aufsichtsrat dann selbst zur Informationsbeschaffung berechtigt sein soll. Er würde in einem solchen Fall nämlich das Vorrecht des Vorstands zur Informationsmitteilung unterlaufen. Selbst wenn in derartigen Fällen ein eigenes Informationsrecht des Aufsichtsrats anerkannt würde, so bliebe dennoch unklar, ab welcher Verdachtsschwelle das Vorrecht des Vorstands ausgehebelt sein sollte.133 Ein Stufenverhältnis lässt sich auch weder aus dem Wortlaut der Normen noch aus ihrer Teleologie herleiten. Vielmehr handelt es sich um separate Überwachungsinstrumente, die dem Aufsichtsrat nebeneinander zur Verfügung stehen. In diesem Zusammenhang wird richtigerweise darauf hingewiesen, dass der Aufsichtsrat vorrangig zu einer effizienten Überwachung verpflichtet ist. Diese Pflicht geht weiter, als die Wahrung von Vertrauensverhältnissen in der Gesellschaft oder die Schonung des Ansehens der Gesellschaft im Außenverhältnis.134 Publizität und Transparenz ist nach dem heutigen Verständnis des Gesellschaftsrechts ein besonders hohes Gut; nicht nur für börsennotierte Gesellschaften. Vor dem Hintergrund eines sich insoweit wandelnden Verständnisses hin zu mehr Transparenz auch in nicht-börsennotierten Gesellschaften ist dem Gesellschaftsinteresse umso mehr der Vorrang vor dem Bedürfnis nach gesellschaftsinternen Vertraulichkeitsbestrebungen zu geben.135 Aufklärung und Abstellen von unternehmensinternen Missständen durch den Aufsichtsrat ist keine dem Gesellschaftswohl abträgliche, sondern vielmehr zuträgliche Leistung des Aufsichtsrats.136 Die Entscheidung des Aufsichtsrats, welches Überwachungsmittel er im Einzelfall wählt, hängt auch nicht von einem (im Gesetz nicht vorgesehen) „Vorrecht“ oder „Informationsvermittlungsmonopol“137 des Vorstands, sondern dem Ergebnis ihres Einsatzes, nämlich dem Ziel der bestmöglichen Überwachung ab. Der Aufsichtsrat ist hinsichtlich seiner Überwachungstätigkeit in erster Linie der Gesellschaft, ihren Aktionären und sonstigen Stakeholdern verpflichtet. Im Rahmen einer Abwägungsentscheidung hat er zu ermitteln, auf welche Art und Weise er seine Überwachung am effizientesten durchsetzt und damit dem Gesellschaftsinteresse dient.138 Eine ausschließliche Beschränkung auf Fälle, in denen es eine „Notwendigkeit zur erhöhten Wachsamkeit“139 gibt, steht jedenfalls nicht im Gesellschaftsinteresse und wird der Aufgabe nach bestmöglicher Überwachung nicht gerecht. 133 Im Ergebnis wie hier OLG Düsseldorf, Urt. v. 31. 05. 2012 – I-16 U 176/10, AG 2013, S. 171, 172 re. Sp. 134 So Koch, in: Hüffer, AktG, § 111 Rdnr. 20. 135 In diese Richtung auch Roth, AG 2004, S. 1, 7; ähnlich Habersack, in: Münchener Kommentar AktG, § 111 Rdnr. 67. 136 So auch Mutter, Unternehmerische Entscheidungen und Haftung des Aufsichtsrats der Aktiengesellschaft, S. 145. 137 So aber Eichner/Höller, AG 2011, S. 885, 889 li. Sp. 138 Ebenso Habersack, in: Münchener Kommentar AktG, § 111, Rdnr. 61, 66a; so wohl auch Kropff, NZG 2003, S. 346, 348. 139 Semler, Leitung und Überwachung der Aktiengesellschaft, Rdnr. 174.
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Lutter, der grundsätzlich ebenfalls von einer Ultima Ratio des Einsichtsrechtes ausgeht, erkennt an, dass es für die Gesellschaft unter Umständen von Vorteil sein kann, wenn der Aufsichtsrat im Wege des Einsichtsrechtes beim Vorstand konkrete Dokumente und Unterlagen anfordern kann, bevor er das Informationsrecht für einschneidendere Möglichkeiten, wie eine Durchsicht sämtlicher Vorstandsunterlagen, nutzt: Die bloße Anforderung von Informationen als eine „unmittelbare Anschauung statt Vermittlung der Sachverhalte auf dem Umweg über den Bericht des Vorstands“ sei unter Umständen zweckmäßiger, als die Wiedergabe der Informationen über den Umweg der Vorstandsberichte.140 Würde der Vorstand in seinem Bericht ausschließlich den Inhalt von Dokumenten wiedergeben, so hält Lutter dies zur Informierung des Aufsichtsrats für ungeeignet. Der Aufsichtsrat soll dann über sein Einsichts- und Fragerecht nach § 111 Abs. 2 AktG unmittelbar die Dokumente selbst und nicht bloß eine Zusammenfassung beim Vorstand anfordern können. Insbesondere wo es um die Einsicht in wichtige Vertrags- oder Prüfungsberichte geht, sieht Lutter ein Bedürfnis für eine Einsicht in die betreffenden Dokumente. Die entsprechenden Einzelheiten der Dokumente könnten gerade nur schwer durch langwierige Erörterungen mit dem Vorstand geklärt werden.141 Die in der Regel erfahrenen Aufsichtsratsmitglieder könnten im Einzelfall auf Basis der eingesehenen Informationen deutlich zutreffendere und damit bessere Ratschläge geben, als nur auf Grundlage der Vorstandsberichte. Die Ausführungen von Lutter zeigen die besondere Bedeutung des Einsichtsrechts, greifen allerdings zu kurz. Richtigerweise wird angeführt, dass für den Aufsichtsrat ein besonderes Bedürfnis zur Einsicht und Ansicht in und von einzelnen Dokumenten besteht, das schlichtweg nicht durch die Berichtspflichten nach § 90 AktG abgedeckt wird. Über die Vorstandsberichte kann der Aufsichtsrat nur die Inhalte, nicht aber auch die relevanten Dokumente selbst anfordern. Diese Wiedergabe durch den Vorstand ist aber zwangsläufig von dessen eigenem Verständnis geprägt und wird daher in den wenigsten Fällen gänzlich wertungsfrei sein. Die Wiedergabe von Drittinformationen ist daher für (unbewusste) Verfälschungen besonders anfällig. Insoweit ist der Ansicht Lutters beizupflichten. Gleichzeitig macht Lutter allerdings deutlich, dass die Befugnis nach § 111 Abs. 2 AktG nicht als „Basis für den Aufbau eines eigenen umfangreichen Informationssystems“ zu verstehen sei, da die Berichtspflichten nach § 90 AktG generell vorrangig seien.142 Dem kann nicht gefolgt werden. Die Unterscheidung Lutters deutet bereits an, dass das Informationsund Fragerecht des Aufsichtsrats eben nicht als Ultima Ratio in Betracht kommt. Die erläuterte Unterscheidung macht vielmehr deutlich, dass sich für eine effektive Vorstandskontrolle die Überwachungsrechte des Aufsichtsrats nach § 90 Abs. 3 und § 111 Abs. 2 AktG gerade nebeneinander ergänzen müssen und nicht in einem
140 141 142
Lutter, Information und Vertraulichkeit im Aufsichtsrat, Rdnr. 307. Lutter, Information und Vertraulichkeit im Aufsichtsrat, Rdnr. 307. Lutter, Information und Vertraulichkeit im Aufsichtsrat, Rdnr. 308.
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1. Teil: Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats und seiner Mitglieder
Rangverhältnis untereinander angeordnet sein dürfen.143 Ein Stufenverhältnis widerspricht dem umfassenden Informationsbedürfnis des Aufsichtsrats zur Durchführung seiner Vorstandsüberwachung. Der Aufsichtsrat muss nach eigenem Belieben und Dafürhalten entscheiden können, ob er neben den Informationen durch den Vorstand weitere Informationen benötigt. Eine Begrenzung auf Ultima Ratio Fälle ist zu kleinschrittig und unflexibel und kann im Einzelfall dazu führen, dass der Aufsichtsrat zunächst darauf angewiesen ist, eine ersichtlich notwendige eigene Prüfung zurückzustellen, um Informationen vom Vorstand zu erhalten. Im Einzelfall sind damit keine raschen Einsichtnahmen bei Einzelfragen möglich, da jedem Informationsbedürfnis die Frage, ob die (engen) Voraussetzungen von § 111 Abs. 2 AktG als Ultima Ratio erfüllt sind, vorgeschaltet ist. Eine Begrenzung des Informationsrechtes widerspricht dem Gesetzeszweck, dem Aufsichtsrat neben den Vorstandsberichten die Möglichkeit einer unabhängigen Informationsbeschaffung im Einzelfall zu eröffnen. Ein Rangverhältnis der Informationsrechte aus § 90 Abs. 3 AktG und § 111 Abs. 2 AktG ist weder von Gesetzeswegen vorgesehen noch rechtspolitisch erforderlich oder praktikabel. Das Einsichts- und Prüfungsrecht ist somit nicht bloß als Ultima Ratio zu verstehen.144 Zu beachten bleibt selbstverständlich, dass der Aufsichtsrat vor Ausübung seines Informationsrechtes Kosten und Nutzen im Rahmen seines pflichtgemäßen Ermessens abzuwägen hat.145 Dabei muss er die möglicherweise negative Öffentlichkeitswirksamkeit der Geltendmachung seiner Informationsrechte mit dem Interesse an der ordnungsgemäßen und umfassenden Überwachung gegenüberstellen. Hinsichtlich einer möglichen negativen Außenwirkung ist zu beachten, dass nicht jeder Aufsichtsratsbeschluss unmittelbar nach außen tritt; die Beschlussfassung und Ausübung des Informationsrechtes wird dem Aufsichtsrat im Einzelfall bei Bedarf auch ohne viel Aufhebens möglich sein, da nicht jede Informationsbeschaffung mit dem Einfallen einer Heerschaar von Anwälten und Wirtschaftsprüfern einhergehen muss.146 Insoweit ist die in der Literatur gegen die Ausübung des Informationsrechtes 143
Insoweit auch Lutter, ZHR 159 (1995), S. 287, 295 ff, der die fehlende Ausnutzung der entsprechenden Rechte durch den Aufsichtsrat beklagt; ähnlich auch Elsing/Schmidt, BB 2002, S. 1705, 1709, die zwar keine generelle Ausnutzung des Rechts durch den Aufsichtsrat zulassen wollen, allerdings im Einzelfall aus Sorge, um künftige Fehlentwicklungen stichprobenartige Prüfungen auf Grundlage von § 111 Abs. 2 AktG zulassen. 144 Ebenso Roth, AG 2004, S. 1, 7; Leyens, Information des Aufsichtsrats, S. 179 ff; Hoffmann-Becking, in: Hoffmann-Becking, Münchener Handbuch des Gesellschaftsrechts, Bd. 4, § 29 Rdnr. 35; Hopt/Roth, in: Großkommentar AktG, § 111 Rdnr. 409; Hopt/Roth, in: Großkommentar AktG, § 111 Rdnr. 409; ähnlich auch Leuering/Simon, NJW-Spezial 2007, S. 123, 124, die eine generelle Begrenzung auf Sonderfälle ablehnen. Ganz anders auch Wiesenhöfer, Die Kompetenzverteilung zwischen Vorstand und Aufsichtsrat der deutschen Aktiengesellschaft, S. 68, der eine mögliche Verpflichtung zur Ausübung des Einsichts- und Informationsrechtes anspricht; in diese Richtung auch Cahn, WM 2013, S. 1293, 1298 f. 145 Ähnlich Roth, AG 2004, S. 1, 6 f. 146 Im Gegenteil wird die Ausübung des Einsichtsrechts in der Praxis im Einzelfall auf eine Anforderung von Berichten oder Zugängen zu elektronischen Datenräumen hinauslaufen,
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angeführte pauschale „hohe Belastung“147 für die Gesellschaft bei Geltendmachung des Informationsrechtes nicht in jedem Fall nachvollziehbar und widerspricht einer Interessenabwägung im Einzelfall.148 Vor allem aber gilt, dass die Gleichsetzung der Ausübung gesetzlicher Informationsrechte mit „Misstrauen“149 nur dann verständlich erscheint, wenn im Übrigen von dem Informationsrecht nur selten oder nie Gebrauch gemacht wird. In solchen Fällen mag es freilich so sein, dass die unvermittelte Ausübung des Informationsrechtes „alarmierend“ wirken kann. Die Argumentation ist aber insofern zirkelschlüssig: Würde der Aufsichtsrat von seinem Informationsrecht nach § 111 Abs. 2 AktG regelmäßig Gebrauch machen, so würde der Beschluss zur Ausübung des Einsichts- und Informationsrechtes sowohl innerhalb des Unternehmens als auch extern als gewöhnlicher Vorgang im Rahmen der Überwachung der Geschäftsleitung angesehen werden und könnte wohl kaum mit einem fehlenden Vertrauen des Aufsichtsrats in die Geschäftsführung des Vorstands gleichgesetzt werden. Mithin verfängt das Argument, das Einsichts- und Fragerecht könne eine negative Außenwirkung mit sich bringen, gerade nicht. Zur Vermeidung der stigmatisierenden Wirkung ist eine regelmäßige Ausübung des Rechts zu empfehlen.150 Soweit nach der Gegenansicht das Gebrauchmachen des Rechts ausschließlich als Ultima Ratio befürwortet wird, verwundert es nicht, wenn in der Literatur bisweilen die fehlende Information der Aufsichtsratsmitglieder gerügt wird.151 Die weit verbreitete Ansicht, von dem Einsicht- und Fragerecht dürfe nur als Ultima Ratio Gebrauch gemacht werden, führt gerade dazu, dass der Aufsichtsrat im Zweifelsfall von der Nutzung des Rechts Abstand nimmt. Da nach dieser Ansicht das Einsichtund Fragerecht grundsätzlich nicht zur Verfügung steht, wird der Aufsichtsrat sich dann im Regelfall auf die Vorstandsberichte beschränken müssen und – nach der hier vertretenen Ansicht – gerade nicht alle verfügbaren rechtlichen und faktischen Mittel zur Informationsbeschaffung ausnutzen.152 Nur wenn durch die Ausübung des Informationsrechtes eine so negative Außenwirkung für die Gesellschaft und ihren sodass eine physische Einsichtnahme in den Räumlichkeiten der Gesellschaft zumeist nicht erforderlich sein wird. 147 Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats, Rdnr. 244. 148 Ebenso zweifelnd Leyens, Information des Aufsichtsrats, S. 179. 149 So Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats, Rdnr. 243. 150 In diese Richtung auch Leyens, Information des Aufsichtsrats, S. 180 f. 151 Vor dem Hintergrund in der Praxis häufig schlecht informierter Aufsichtsräte überzeugen die Bedenken bei Säcker/Rhem, DB 2008, S. 2814, 2820, die vor einer Überinformation des Aufsichtsrats warnen, nicht. 152 Insoweit verwundert der Hinweis bei Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats, Rdnr. 252, dass Aufsichtsräte teilweise nicht in ausreichendem Maße von ihrem Recht Gebrauch machten. Nach der dort vertretenen Ansicht ist das Einsichts- und Fragerecht gerade nur ausnahmsweise anwendbar, nämlich wenn die Vorstandsberichte nicht ausreichten. Wollte man eine Eigeninformation des Aufsichtsrats unterstützen, so sollte die Ausübung des Rechts nach § 111 Abs. 2 AktG nicht als Sonderfall betrachtet und dadurch gleichsam stigmatisiert werden, sondern allgemein anerkannt werden.
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Bestand droht, dass dahinter das Interesse an der Überwachung vollkommen zurücktritt, wird man diese Ausübung für gänzlich unvertretbar halten können. Zum einen aber liegt eine negative Außenwirkung nicht im Interesse des Aufsichtsrats, sodass auch dieser bemüht sein wird, die Belastungen für die Gesellschaft so gering wie möglich zu halten. Zum anderen aber handelt ein Aufsichtsrat, der das Unternehmen einer unnötigen umfangreichen Prüfung aussetzt, während er diese Informationen ohne weitere Mühe und zeitnah durch den Vorstand erhalten hätte,153 pflichtwidrig und macht sich unter Umständen ersatzpflichtig. Bereits das geltende Recht verhindert damit eine missbräuchliche Ausübung des Einsichts- und Informationsrechts und erfordert eine sorgfältige Abwägung der widerstreitenden Interessen. Einer Beschränkung auf Ultima Ratio Fälle bedarf es dazu nicht. c) Besondere Prüfungsaufträge und Schwerpunkte der regulären Abschlussprüfung aa) Allgemeine Voraussetzungen Als besondere Kontrollinstrumente stehen dem Aufsichtsrat, neben den schon erwähnten Möglichkeiten zur Selbstinformation, zwei weitere Befugnisse zur weiteren Informationsbeschaffung auch ohne Mitwirkung oder gegen den Willen des Vorstands zu. Zum einen kann der Aufsichtsrat gemäß § 111 Abs. 2 Satz 2 AktG einen besonderen Sachverständigen mit der Prüfung von Rechts- und Tatsachenfragen beauftragen.154 Den sachverständigen Prüfern steht dann – ebenso wie dem Plenum im Fall des Einsichts- und Prüfungsrechts nach § 111 Abs. 2 Satz 1 AktG – der gesamte Datenbestand des Unternehmens vollumfänglich zur Verfügung. Erforderlich für die Ausübung des Rechts ist ein Beschluss des Gesamtorgans Aufsichtsrat, durch welchen die Befugnisse zur Prüfung auf den Prüfer übertragen werden.155 Im Regelfall wird es sich um Wirtschaftsprüfer oder Rechtsanwälte handeln, die vom Aufsichtsrat mit der Prüfung einzelner, bereits abgeschlossener Vorgänge betraut werden. Dabei ist die Beauftragung inhaltlich und zeitlich zu begrenzen. § 111 Abs. 2 Satz 2 AktG erlaubt ausdrücklich nur eine Beauftragung für „bestimmte“ Aufgaben, sodass eine (zeitlich oder inhaltlich) unbegrenzte oder sehr umfassende Beratung nicht von § 111 Abs. 2 Satz 2 AktG gedeckt ist.156 Insbesondere im Vorfeld der Entscheidung, ob aus einem vorangegangenen (Fehl-)Verhalten personelle 153 Dies scheint Grund für die Bedenken von Hoffmann-Becking, ZGR 2011, S. 136, 147 f., zu sein. 154 BGH, Urt. v. 15. 11. 1982 – II ZR 27/82, BGHZ 85, 293, Rdnr. 14 (zitiert nach juris). 155 Großzügig Koch, in: Hüffer, AktG, § 111 Rdnr. 24, der Beschluß des Gesamtgremiums nicht zur Voraussetzung zu machen scheint, dies aber gleichvoll für ratsam hält. 156 BGH, Urt. v. 15. 11. 1982 – II ZR 27/82, BGHZ 85, 293, Rdnr. 14 (zitiert nach juris); Spindler, in: Spindler/Stilz, AktG, § 111 Rdnr. 46; Habersack, in: Münchener Kommentar AktG, § 111 Rdnr. 75; siehe auch Hoffmann-Becking, ZGR 2011, S. 136, 148.
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Konsequenzen gezogen werden sollen oder müssen oder ob eine Pflicht zur Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen besteht, ist eine solche Prüfung von praktischer Relevanz. Zum zweiten kann der Aufsichtsrat im Rahmen der Erteilung des Prüfungsauftrages für den Jahres- und Konzernabschluss besondere Schwerpunkte der Prüfung festlegen. Gemäß § 111 Abs. 2 Satz 3 AktG erteilt der Aufsichtsrat dem Abschlussprüfer den Prüfungsauftrag. Dabei kann der Aufsichtsrat zwar nicht den Prüfungsstandard bestimmen, wohl aber besondere Schwerpunkte vorgeben.157 Der Prüfer muss dann in der Bilanzsitzung des Aufsichtsrats, an der er gemäß § 171 Abs. 1 Satz 2 AktG teilzunehmen hat, über seine Ergebnisse berichten. Indem der Aufsichtsrat dem Prüfer bestimmte Schwerpunkte vorgibt, kann er – je nach Problemstellung – im Ergebnis ein ähnliches Resultat erzielen wie durch die Beauftragung eines Sachverständigen im Sinne von § 111 Abs. 2 Satz 2 AktG. Im Gegensatz zum Sachverständigen i.S.v. § 111 Abs. 2 Satz 2 AktG ist der Einsatz des Abschlussprüfers aber ohnehin gesetzlich vorgeschrieben; er wird daher im Regelfall weitaus weniger Aufsehen erregen. Handelt es sich also um Fragestellungen, die auch durch den Abschlussprüfer beantwortet werden können, dann ist der Aufsichtsrat gehalten, primär diese weniger konfrontative Möglichkeit zur Sachverhaltsermittlung zu nutzen,158 soweit sich hieraus keine Nachteile für die Eingriffsmöglichkeiten des Aufsichtsrats ergeben (beispielsweise Zeitverzug aufgrund längeren Zuwartens). bb) Erneut: nur subsidiäre Anwendung der Vorschriften? Fraglich ist nun, ob die Prüfung durch besondere Sachverständige im Sinne von § 111 Abs. 2 Satz 2 AktG gegenüber der Eigenvornahme der Prüfung durch den Aufsichtsrat gemäß § 111 Abs. 2 Satz 1 AktG subsidiär ist, d. h. ob der Aufsichtsrat zunächst selbst versuchen muss, die Informationen zu beschaffen, bevor er dazu Dritte beauftragt. Für eine solche Subsidiarität könnte ins Feld geführt werden, dass die Einschaltung Externer dem Vorstand gegenüber einen Vertrauensverlust bedeutet und sich auf die Außendarstellung des Unternehmens negativ auswirken könnte.159 Der Wortlaut der Vorschrift lässt jedoch eine solche Einschränkung nicht erkennen. Im Gegenteil spricht der Verweis des § 111 Abs. 2 Satz 2 AktG („Er kann damit auch […] für bestimmte Aufgaben Sachverständige beauftragen“) gegen eine nur subsidiäre Anwendungsmöglichkeit der Norm. Richtigerweise ist die Lösung daher ähnlich wie bei § 111 Abs. 2 Satz 1 AktG zu finden: Die Kontrollmöglich157 Begründung des RegE zum Gesetz zur Kontrolle und Transparenz im Unternehmensbereich (KonTraG), BT-Drs. 13/9712; S. 16; Hommelhoff, BB 1998, S. 2567, 2569; Mattheus, ZGR 1992, S. 682, 699; Theisen, DB 1999, S. 341, 344; Hopt/Roth, in: Großkommentar AktG, § 111 Rdnr. 467 ff. 158 So schon Hüffer, NZG 2007, S. 47, 53. 159 So jedenfalls Hoffmann-Becking, ZGR 2011, S. 136, 147 f, der von einer „erheblichen Eskalation“ spricht.
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keiten des Aufsichtsrats dürfen nicht durch vorgeschobene Bedenken hinsichtlich der öffentlichen Wahrnehmung des Vorgehens des Aufsichtsrats gegenüber dem Vorstand eingeschränkt werden. Anderenfalls ließe sich mit Verweis auf entsprechende Bedenken eine Vielzahl von Überwachungsmaßnahmen unterbinden. Auf der anderen Seite ist der Aufsichtsrat selbstverständlich gehalten, sein Ermessen im Unternehmensinteresse auszuüben und dabei insbesondere den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu wahren. Gibt es weniger einschneidendere Mittel als die Entsendung externer Prüfer in das Unternehmen, wie beispielsweise die persönliche Einholung einiger weniger Informationen durch den Aufsichtsratsvorsitzenden und die Weiterleitung dieser Informationen an den Sachverständigen, so ist der Aufsichtsrat verpflichtet, diese Möglichkeiten wahrzunehmen. Alles andere wäre, wie bereits dargestellt, unverhältnismäßig und damit pflichtwidrig und könnte zu Ersatzansprüchen gegen die einzelnen Mitglieder des Organs führen. Festhalten lässt sich damit, dass die Einholung der Informationen durch sachverständige Dritte häufig dann eingeschränkt sein wird, wenn die Aufsichtsratsmitglieder dies ebenso gut selbst vornehmen können (z. B. bei der Durchsicht einer geringen Anzahl von Dokumenten). Bei komplexeren Prüfungen, und insbesondere bei internen Prüfungen auf Verstöße gegen Kartell- oder Wettbewerbsrecht, wird dies aber zu verneinen sein, da dem Aufsichtsrat hierzu die zeitlichen, sachlichen und personellen Mittel fehlen werden. Eine Einschaltung Ditter muss hier zweifellos möglich sein. 3. Schranken der Information des Aufsichtsrats Das Einsichts- und Informationsrecht wie auch das Recht zur Information aus Vorstandsberichten stehen dem Aufsichtsrat grundsätzlich jederzeit zur Verfügung. Die Ausübung dieser Rechte kann allerdings im Einzelfall Schranken unterworfen sein, die sich zum einen aus der Struktur der Aktiengesellschaft oder aus gesetzlichen Verschwiegenheitspflichten ergeben können. Eine solche Einschränkung ergibt sich beim Einsichts- und Informationsrecht grundsätzlich hinsichtlich der Protokolle von Vorstandssitzungen. Im Trennungsprinzip der dualistischen Unternehmensverfassung ist eine Trennung der gestaltenden Vorstandshandlungen und der Überwachung durch den Aufsichtsrat angelegt. Daraus folgt, dass der Aufsichtsrat prinzipiell nicht zur Teilnahme an Vorstandssitzungen berechtigt ist.160 Der Vorstand soll seine Entscheidungen unabhängig und losgelöst von der Überwachung durch den Aufsichtsrat treffen; für die Überwachung ist eine solche Teilnahme auch nicht notwendig, da der Aufsichtsrat die Entscheidungen – und nicht die Art und Weise der Entscheidungsfindung – überwacht. Freilich ist es dem Vorstand unbenommen, einen oder mehrere Vertreter des Aufsichtsrats zu Sitzungen des Vorstands zuzulassen. Spräche man dem Aufsichtsrat nun 160 Habersack, in: Münchener Kommentar AktG, § 111 Rdnr. 28; Ulmer/Habersack, in: Ulmer/Habersack, MitbestR, § 25 MitbestG Rdnr. 53; Lutter/Grossmann, AG 1976, S. 203, 205.
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das Recht zu, unbeschränkte und jederzeitige Einsicht in alle Vorstandsprotokolle nehmen zu dürfen, so würde dies der angeführten Trennungsregel in Überwachung und unabhängige Geschäftsleitung zuwiderlaufen. Der Aufsichtsrat wäre gar nicht auf eine Teilnahme an den Sitzungen angewiesen, da er jede Entscheidung und Diskussion anhand der Protokolle nachvollziehen könnte. Auf der anderen Seite wäre eine effektive Kontrolle des Vorstands aber nicht möglich, wenn dieser jede Einsicht in seine Entscheidungsfindung und Geschäftsleitung mit Hinweis auf das aktienrechtliche Trennungsprinzip unterbinden könnte. Der Aufsichtsrat hätte dann kaum Anhaltspunkte für seine eigentliche Überwachungstätigkeit. Insofern sind die Vorstandsprotokolle und Aufzeichnungen über Vorstandssitzungen im Grundsatz nicht vom Einsicht- und Prüfungsrecht des Aufsichtsrats umfasst. Eine Ausnahme von diesem Grundsatz ist dort zu machen, wo es sachgerechte, im Unternehmensinteresse liegende Gründe gibt, dass der Aufsichtsrat die entsprechenden Berichte und Aufzeichnungen einsieht. Gerade wo es um die Pflichtverletzung einzelner Vorstandsmitglieder geht,161 wird eine Einsicht in die Sitzungsprotokolle und Berichte unumgänglich sein. Eine solche Einsicht kann nur auf Einzelfälle begrenzt sein, in denen das Informationsinteresse des Aufsichtsrats ausnahmsweise das Vertraulichkeitsinteresse des Vorstands übersteigt. In diesem Fall muss der Aufsichtsrat bereits in der Beschlussfassung zur Ausübung des Einsichts- und Fragerechtes im Sinne von § 111 Abs. 2 Satz 2 AktG deutlich machen, aus welchen übergeordneten Gründen er die Vorstandsprotokolle ausnahmsweise einzusehen verlangt.162 Eine weitere Schranke zur Ausübung der Informationsbeschaffungsrechte des Aufsichtsrats könnte sich aus der Pflicht zur Amtsverschwiegenheit nach § 93 Abs. 1 Satz 3 AktG ergeben, wenn diese Verpflichtung auch im Verhältnis der Gesellschaftsorgane zueinander gilt. Der Vorstand ist gehalten, über vertrauliche Angaben und Geschäftsgeheimnisse Stillschweigen zu bewahren. Fraglich ist, ob sich der Vorstand gegenüber dem Aufsichtsrat auf diese Verschwiegenheitspflicht berufen kann, aus diesem Grund bestimmte Informationen von den Vorstandsberichten ausschließen, die Antwort auf Fragen des Aufsichtsrats verweigern oder dem Aufsichtsrat die Einsicht in gewisse Unterlagen und Dokumente verwehren darf. Eine solche Einschränkung würde eine erhebliche Schwächung der Stellung des Aufsichtsrats bedeuten: Je weniger Informationen der Aufsichtsrat erhält, umso geringer sind seine Möglichkeiten, eine umfassende Überwachung zu gewährleisten. Mögliche Bedenken, einzelne Mitglieder des Aufsichtsrats könnten vertrauliche Informationen des Vorstands an Dritte weiterleiten, müssen hinter dem grundsätzlichen und umfassenden Informationsbedürfnis des Aufsichtsrats zurücktreten; anderenfalls wäre die Funktionsgrundlage der Überwachungsaufgabe des Aufsichtsrats er161
Dies ist insbesondere problematisch bei Gremienentscheidungen, vgl. dazu unten S. 111 ff. 162 Ebenso: Lutter, Information und Vertraulichkeit im Aufsichtsrat, Rdnr. 297, dem folgt auch Hoffmann-Becking, ZGR 2011, S. 136, 149.
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schüttert.163 Aus diesem Grund ist anerkannt, dass es zwischen Aufsichtsrat und Vorstand keine Verschwiegenheitspflicht und nicht einmal eine Befugnis dahingehend gibt.164 Der Aufsichtsrat ist – ebenso wie der Vorstand – Verwaltungsorgan der Aktiengesellschaft und darf aus diesem Grunde nicht wie ein externer Dritter behandelt werden. Die Pflicht zum Stillschweigen gilt daher nicht zwischen den Organen, sondern gegenüber Dritten nach außen. Davon geht auch der Gesetzgeber aus, der in der Gesetzesbegründung zur Neufassung der Regelung der Vertraulichkeitspflichten der Aufsichtsratsmitglieder in § 116 AktG ausdrücklich darauf hingewiesen hat, dass der Vorstand zur Weiterleitung (auch) vertraulicher Informationen an den Aufsichtsrat verpflichtet ist.165 Die Neufassung des § 116 AktG war aus Sicht des Gesetzgebers nötig geworden, da in der Praxis Vorstände Informationen häufig gar nicht oder nur unvollständig übermittelten, da sie befürchteten, einzelne Aufsichtsratsmitglieder könnten vertrauliche Informationen zum Nachteil des Unternehmens an Dritte weitergeben.166 Mit der Statuierung der Vertraulichkeitsverpflichtung in § 116 Satz 2 AktG hat der Gesetzgeber im Jahr 2002 deutlich gemacht, dass der Aufsichtsrat – ebenso wie der Vorstand – einer erheblichen Vertraulichkeitspflicht unterliegt. Gleichzeitig ergibt sich aus der Gesetzesbegründung, dass sich der Vorstand mit Verweis auf die Vertraulichkeit von Informationen nicht seiner Berichts- oder Auskunftspflicht entledigen kann. Eine Verschwiegenheitspflicht intra-organschaftlicher Art gibt es nicht – sie kann damit auch keine Schranke darstellen.
III. Maßstab der Überwachungspflicht Das Gesetz enthält keine Hinweise zur Reichweite der Überwachungspflicht, wenn es dem Aufsichtsrat die Überwachung der Geschäftsführung auferlegt (§ 111 Abs. 1 AktG). Der genaue Inhalt dieser Verpflichtung lässt sich insofern nur anhand einer Auslegung der Norm herleiten. Insofern wird man den Aufsichtsrat dazu verpflichtet halten, den Vorstand dahingehend zu kontrollieren, ob dieser die ihm in § 93 AktG auferlegten Pflichten einhält und ihn gegebenenfalls zur Pflichterfüllung anzuhalten bzw. gegen die Durchführung bestimmter Maßnahmen einzuschreiten. Die Überwachung richtet sich insofern zunächst auf die Rechtmäßigkeit der Geschäftsführung (sogleich unter a)), aber auch auf die Wirtschaftlichkeit (sogleich unter b)), Zweckmäßigkeit (sogleich unter c)) und Ordnungsgemäßheit (sogleich
163
Hüffer, NZG 2007, S. 47, 50. BGH, Urt. v. 26. 03. 1956 – II ZR 57/55, BGHZ 20, 239, 246; BGH, Urt. v. 06. 03. 1997 – II ZB 4/96, BGHZ 135, 48, 56. 165 Vgl. BT-Drs. 14/8769, S. 41 ff. 166 Vgl. BT-Drs. 14/8769, S. 42. 164
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unter d)) des Vorstandshandelns.167 Dabei hat der Aufsichtsrat neben den Belangen der Gesellschaft auch die Interessen der Gläubiger168 und Angestellten169 zu wahren. Handelt der Vorstand gegen Satzung oder Gesetz, so ist der Aufsichtsrat gegebenenfalls zur Abberufung von Vorstandsmitgliedern verpflichtet. 1. Rechtmäßigkeit Zentraler Punkt der Überwachung ist die Rechtmäßigkeit des Vorstandshandelns. Es gehört zu den Kernelementen einer ordnungsgemäßen Unternehmensführung, dass sich die Maßnahmen und Entscheidungen der Unternehmensleitung im Rahmen des geltenden Rechts bewegen.170 Der Aufsichtsrat ist daher zu überprüfen verpflichtet, ob Rechtsverstöße des Vorstands aktuell vorliegen oder in Zukunft drohen.171 Dabei ist sicherzustellen, dass die Handlungen und Maßnahmen nicht nur formal (Einhaltung erforderlicher Zustimmungserfordernisse), sondern auch materiell (Handeln im Rahmen der statutarischen oder gesetzlichen Vorgaben) rechtmäßig sind. Der Aufsichtsrat hat zunächst die Einhaltung der Regeln des Aktiengesetzes und der Satzung der Gesellschaft zu überprüfen. Nur die Hauptversammlung, nicht der Aufsichtsrat, kann den Vorstand von der Bindung an einzelne Satzungsbestimmungen befreien. Insofern hat der Aufsichtsrat die uneingeschränkte Einhaltung der Satzung durchzusetzen. Darüber hinaus sind ferner die Regeln weiterer gesetzlicher Vorschriften, die unmittelbar und mittelbar die Tätigkeit der Gesellschaft und des Vorstands betreffen, vom Aufsichtsrat zu überprüfen. Hierzu zählen etwa das Kartell- und Wettbewerbsrecht, das Kreditwesengesetz, Vorschriften über Rechnungslegung und Steuerrecht, Umwelt- und Vergaberecht.172 Teilweise wird abgelehnt, dem Aufsichtsrat generell die Pflicht aufzuerlegen, die Einhaltung sämtlicher Normen sicherzustellen und alle erdenklichen Rechtsverstöße aufzudecken.173 Dies sei eine zu große Belastung für den Aufsichtsrat und könne von 167 Allgemeine Ansicht, vgl. BGH, Urt. v. 25. 03. 1991 – II ZR 188/89, BGHZ 114, 127, 129 f; BGH, Urt. v. 12. 07. 1979 – III ZR 154/77, BGHZ 75, 120, 133; RG, Urt. v. 11. 01. 1924 – II 274/23, RGZ 170, 221, 226; Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats, Rdnr. 73; Koch, in: Hüffer, AktG, § 111 Rdnr. 14; Hopt/Roth, in: Großkommentar AktG, § 111 Rdnr. 306; Mertens/Cahn, in: Kölner Kommentar AktG, § 111 Rdnr. 16; Spindler, in: Spindler/ Stilz, AktG, § 111 Rdnr. 14; Spindler, in: Münchener Kommentar AktG, Vor § 76 Rdnr. 52 ff; Semler, in: Münchener Kommentar AktG, 2. Aufl. 2004 (Voraufl.), § 111 Rdnr. 122, 189; Wellhöfer, in: Wellhöfer/Peltzer/Müller, Die Haftung von Vorstand, Aufsichtsrat, Wirtschaftsprüfer, § 4 Rdnr. 110 ff. 168 RG, Urt. v. 27. 02. 1901 – Rev I 359/00, RGZ 48, 40, 44. 169 RG, Urt. v. 11. 01. 1924 – II 274/23, RGZ 170, 221, 226. 170 Henze, BB 2001, S. 53, 59. 171 OLG Karlsruhe, Urt. v. 04. 09. 2008 – 4 U 26/06, BB 2008, S. 900, 902 f. 172 Vgl. Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats, Rdnr. 74; Hopt/Roth, in: Großkommentar AktG, § 111 Rdnr. 302. 173 Ebenso Hopt/Roth, in: Großkommentar AktG, § 111 Rdnr. 303.
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1. Teil: Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats und seiner Mitglieder
diesem daher nicht geleistet werden.174 Der Aufsichtsrat sei gerade keine Staatsanwaltschaft und damit auch nicht zur Ahndung etwaiger Verstöße berufen. Unterschieden wird daher teilweise dahingehend, ob es sich um Verletzungen von unmittelbar die Unternehmenstätigkeit regelnden Gesetzen oder aber um sonstige Rechtsvorschriften handelt.175 Im ersten Fall müsse der Aufsichtsrat bei jedem Verstoß eingreifen, im letzteren Fall nur dann, wenn „schwerwiegende Verstöße“ drohten176 bzw. ein Eingreifen in Abwägung der „Schwere der Tat“ und der „Relevanz für das Unternehmen“ erforderlich sei.177 Etwas anderes komme nur dort in Betracht, wo es um Regeln gehe, die dem Schutz der Belange der Allgemeinheit dienten oder die Art des Verstoßes für das Unternehmen von nicht geringfügiger Bedeutung seien. Einer solchen Zweiteilung in relevante und nicht relevante Rechtsverstöße kann nicht gefolgt werden. Der aufgeführten Gegenansicht ist zuzugeben, dass es nicht zur Aufgabe des Aufsichtsrats gehört, als quasi Vorermittlungsbehörde sämtliche Rechtsverstöße aufzudecken und diese durch Anzeigen an die zuständigen Behörden weiterzuleiten. Es ist aber gerade die dem Aufsichtsrat qua Gesetz zugewiesene Rolle, dafür zu sorgen, dass keine rechtswidrigen Maßnahmen vom Vorstand durchgeführt werden und dass das Unternehmen alle seinen Bestand und seine Entwicklung betreffenden Rechtsnormen berücksichtigt.178 Insbesondere vor der dem Hintergrund der aktuellen Diskussion um eine höhere Compliance-Verantwortung auch der Aufsichtsräte und den generellen Forderungen nach einer besseren Corporate Governance von Unternehmen, Geschäftsleitung und Überwachungsorganen ist eine Einteilung in relevante und irrelevante Rechtsverstöße zweifelhaft. Die Zulassung derartiger Ausnahmen würde die Entwicklung der Aktiengesellschaft zum Normativsystem konterkarieren.179 Schließlich ist auch überaus fraglich, wie eine Einschätzung in „relevante“ und weniger relevante Pflichtverstöße erfolgen soll und inwiefern der Aufsichtsrat zu einer solchen Entscheidung berufen ist. Das Risiko einer Fehlentscheidung würde damit nicht dem pflichtwidrig handelnden Vorstand, sondern dem Aufsichtsrat angelastet. Es gibt schließlich keine Rechtsverletzungen, die sich nicht negativ auf die Reputation oder das Außenbild der Gesellschaft auswirken. Eine Berufung darauf, dass es sich um eine für die Gesellschaft „positive“ Rechtsverletzung handelt, da die Vorteile gegenüber der Gefahr der Aufdeckung überwiegen, kann daher wohl nicht als Rechtfertigung herangezogen werden.180 174
Semler, Leitung und Überwachung der Aktiengesellschaft, Rdnr. 187 ff, der keine Pflicht zur Verhinderung von Schmiergeldzahlungen im Ausland durch den Aufsichtsrat sieht. Entscheidend sei allein die „Risikobeurteilung des Aufsichtsrats“; ebenso Hopt/Roth, in: Großkommentar AktG, § 111 Rdnr. 303. 175 Vgl. Steinbeck, Überwachungspflicht und Einwirkungsmöglichkeiten, S. 86. 176 Semler, Leitung und Überwachung der Aktiengesellschaft, S. 70. 177 Raiser, ZGR 1989, S. 44, 64 f. 178 Spindler, in: Münchener Kommentar AktG, § 93 Rdnr. 73 f. 179 Zur Entwicklung vgl. Spindler, in: Spindler/Stilz, AktG, § 111 Rdnr. 15. 180 Drygala, in: Schmidt/Lutter, AktG, § 111 Rdnr. 15.
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Einen durch den Aufsichtsrat nicht überprüfbaren Prognosespielraum im Rahmen des Entscheidungsspielraums des Vorstands gibt es bei Rechtsverletzungen nicht: Dort, wo eine Verletzung von Rechtsnormen oder Satzung droht, ist der Aufsichtsrat zum Einschreiten verpflichtet. Soweit mit dem Hinweis auf die „Vielzahl möglicher Gesetzesverletzungen“181 die Beschränkung auf schwerwiegende Verstöße vertreten wird, entspricht dies in keiner Weise dem gesetzlichen Leitbild. Der Aufsichtsrat hat uneingeschränkt für die Einhaltung von Recht und Gesetz einzustehen und dafür zu sorgen, dass sämtliche ihm bekannt werdenden Verletzungen und Verstöße unverzüglich abgestellt werden. Eine anlaßlose Ermittlungspflicht besteht aber freilich nicht. Eine Pflicht des Aufsichtsrats zur Erstattung von (Straf-)Anzeigen gegenüber Behörden wird man hingegen nicht generell annehmen können. Der Aufsichtsrat hat im Rahmen seiner Selbstverwaltungskompetenz dafür zu sorgen, dass ein gesetzeskonformer Zustand eingehalten bzw. beibehalten wird. Dies schließt allerdings nicht ein, dass der Aufsichtsrat dafür verantwortlich ist, dass Fehlverhalten auch strafrechtlich geahndet werden. Dem Aufsichtsrat stehen eigene Instrumentarien (wie beispielsweise die Abberufung des Vorstands) zur Verfügung. Nur soweit die Herstellung eines rechtskonformen Zustandes nicht durch eigene Mittel erreichbar ist oder eine generelle Pflicht zur Anzeigenerstattung für Jedermann bestünde, ist auch der Aufsichtsrat zur Einschaltung von Behörden verpflichtet.182 Diese Frage nach der Verpflichtung zur strafrechtlichen Verfolgung von Rechtsverstößen durch den Aufsichtsrat darf daher keinesfalls mit der in der Überwachungsaufgabe enthaltenen Verpflichtung, Rechtsverstöße abzustellen, vermengt werden. 2. Zweckmäßigkeit Neben der Rechtmäßigkeitsprüfung obliegt dem Aufsichtsrat auch die Feststellung, ob das Vorstandshandeln zweckmäßig war. Zweckmäßigkeit der Unternehmensführung meint Nachhaltigkeit einer Vorstandsentscheidung, d. h. ihre langfristige Implikation. Unter einem Vergleich der (hypothetischen) Lage der Gesellschaft bei Vornahme und bei Unterlassen der betreffenden Handlung ist zu entscheiden, welche Variante den größtmöglichen Erfolg für die Gesellschaft bringt. Zu entscheiden ist damit, ob die Maßnahme in der konkreten Situation gegenüber anderen Möglichkeiten vorzugswürdig erscheint, oder ob ein gänzlicher Verzicht der Maßnahme eher im Unternehmensinteresse liegt. In diese Betrachtung sind neben der (wirtschaftlichen) Implikation der Zielerreichung auch die Geeignetheit der
181
Vgl. Steinbeck, Überwachungspflicht und Einwirkungsmöglichkeiten, S. 87. Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats, Rdnr. 74; Semler, Leitung und Überwachung der Aktiengesellschaft, Rdnr. 188. 182
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1. Teil: Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats und seiner Mitglieder
Mittel sowie damit verbundene Aufwendungen und mögliche Risiken in die Betrachtung mit einzubeziehen.183 Soweit zwischen Vorstand und Aufsichtsrat hinsichtlich des Zieles grundlegende Einigkeit herrscht, ist es allein die Aufgabe des Vorstands zu entscheiden, wie dieses Ziel erreicht wird. Der Vorstand ist grundsätzlich innerhalb der ihm verliehenen Befugnis darin frei, den von ihm für richtig erachteten Weg zu wählen.184 Der Aufsichtsrat muss ungeachtet der Frage, ob der Vorstand sich unzweckmäßig verhält, ebenfalls eine Zweckmäßigkeitsbeurteilung vornehmen. Eine bloße Nachprüfung, ob die Entscheidung des Vorstands im Rahmen des diesem überlassenen Ermessens beanstandungsfrei bleiben kann, genügt nicht. Der Aufsichtsrat muss sich selbst eine eigene Meinung über die bestmögliche Variante bilden. Denn selbst wenn der Vorstand hinsichtlich seiner Entscheidung innerhalb des ihm zugewiesenen Ermessens handelt, besteht eine Beratungsaufgabe des Aufsichtsrats losgelöst von der Frage, ob ein Eingreifen unmittelbar erforderlich ist.185 Dieser Beratungsaufgabe kann der Aufsichtsrat nur dann gerecht werden, wenn er sich selbst eine Meinung über die Zweckmäßigkeit der Maßnahme erarbeitet hat. Führt der Vorstand unzweckmäßige Handlungen durch, die nicht von seinem Ermessen gedeckt sind, so hat der Aufsichtsrat einzugreifen und im Rahmen des Möglichen diese Maßnahmen zu verhindern oder zu beenden bzw. auf eine Beendigung durch den Vorstand zu drängen. Im Übrigen beschränkt sich die Tätigkeit des Aufsichtsrats ex ante auf eine reine Beratungsfunktion. Handelt der Vorstand im Rahmen seines Ermessens, obgleich der Aufsichtsrat eine andere Lösung favorisiert, kann letzteres eine eigene Entscheidung nicht aufgrund der selbst angestellten Zweckmäßigkeitsbeurteilung durchsetzen. Dies würde einen Eingriff in die Geschäftsführungsmacht des Vorstands (und damit einen Widerspruch zum gesetzlichen Trennungsprinzip, vgl. § 111 Abs. 4 Satz 1 AktG) bedeuten.186 Zu beachten bleibt, dass sich die Zweckmäßigkeitskontrolle durch den Aufsichtsrat – wie auch seine generelle Überwachung – generell und allein auf die Unternehmensleitung beziehen kann. Die Zweckmäßigkeit gewöhnlicher Entscheidungen und Maßnahmen des Tagesgeschäftes ist zu keinem Zeitpunkt Überwachungsgegenstand.187 183
Semler, Leitung und Überwachung der Aktiengesellschaft, Rdnr. 192; Hopt/Roth, in: Großkommentar AktG, § 111 Rdnr. 306. 184 Spindler, in: Münchener Kommentar AktG, § 76 Rdnr. 32. 185 Semler, Leitung und Überwachung der Aktiengesellschaft, Rdnr. 193. 186 Insoweit unklar und missverständlich Steinbeck, Überwachungspflicht und Einwirkungsmöglichkeiten, S. 89, die darauf hinweist, dass der Aufsichtsrat eigene „Vorstellungen gegenüber dem Vorstand“ durchsetzen könne. Dies kann nur so verstanden werden, dass ein Eingreifen des Aufsichtsrats zur Verhinderung einer Vorstandsmaßnahme möglich ist. Eine aktive Umsetzung einer Vorstellung durch den Aufsichtsrat gegen den Willen des Vorstands bzw. ohne dessen Mitwirkung ist nicht möglich. 187 Vgl. dazu den Hinweis bei Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats, Rdnr. 90.
B. Der Aufsichtsrat als Überwachungsorgan
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3. Wirtschaftlichkeit Neben der Prüfung der Recht- und Zweckmäßigkeit von Entscheidungen nimmt insbesondere auch die Prüfung der Wirtschaftlichkeit eine wichtige Stellung ein. Die Überwachung erstreckt sich auch auf diesen Punkt, der insofern von der Frage der Zweckmäßigkeit zu trennen ist.188 Dabei gilt zu prüfen, ob hinsichtlich der Kosten und Nutzen der anvisierten Maßnahme auch ein vertretbares wirtschaftliches Verhältnis besteht. Gleichzeitig muss bei jeder wirtschaftlichen Entscheidung – erscheint sie noch so vielversprechend – stets die Überlebensfähigkeit der Gesellschaft auch im Falle des Fehlschlags der Maßnahme grundsätzlich gesichert sein. Der Aufsichtsrat hat sicherzustellen, dass der Vorstand bei seinen Entscheidungen stets die Ertrags- und Umsatzlage, ebenso wie die Liquidität und die damit verbundene angemessene Finanzierung der Gesellschaft im Blick hat.189 Zur Ermittlung, ob eine Entscheidung wirtschaftlich vertretbar ist, übermittelt der Vorstand im Vorfeld einer geplanten Maßnahme finanzwirtschaftliche Kennzahlen, um die Auswirkungen der Maßnahme auf die finanzielle Situation der Gesellschaft darzustellen. Hierbei kann es sich durchaus nur um Prognosen der Auswirkungen handeln. Im Rahmen seiner Leitungskompetenz steht dem Vorstand ein Prognosespielraum hinsichtlich der Wirtschaftlichkeit einer Maßnahme zu.190 Dies entbindet den Aufsichtsrat allerdings – ähnlich wie bei der Zweckmäßigkeitsprüfung – nicht von der Pflicht, eine eigene Beurteilung und Wirtschaftlichkeitsanalyse vorzunehmen. Zum Einschreiten wird der Aufsichtsrat erst dann verpflichtet sein, wenn die Grenze kaufmännisch vertretbarer Risiken im Einzelfall überschritten, das Verhältnis von (finanziellem) Risiko und möglichem Ertrag gänzlich unvertretbar ist oder die Liquiditäts- oder Finanzlage des Unternehmens in Gefahr zu geraten droht.
4. Ordnungsgemäßheit Was unter der Ordnungsgemäßheit der Geschäftsführung zu verstehen ist, wird unterschiedlich beurteilt. Vereinzelt wird dieses Kriterium als überflüssiger Prüfungsgegenstand angesehen, da es sich um Fragen handele, die bereits unter die übrigen Punkte subsumiert werden könnten.191 Im Ergebnis spielt es keine Rolle, unter welcher Überschrift einzelne Fragestellungen behandelt werden.192 Nach richtiger Ansicht handelt es sich bei der Ordnungsgemäßheit aber um allgemeinere 188 Anders Hopt/Roth, in: Großkommentar AktG, § 111 Rdnr. 307 f, die die Zweck- und Wirtschaftlichkeitsprüfung als Einheit verstehen. Wie hier: Semler, Leitung und Überwachung der Aktiengesellschaft, Rdnr. 192, der zutreffend ausführt, dass ein Vorhaben zwar wirtschaftlich, aber dennoch unzweckmäßig bzw. zweckmäßig, aber dennoch unwirtschaftlich sein kann. 189 Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats, Rdnr. 89. 190 Spindler, in: Münchener Kommentar AktG, Vor § 76 Rdnr. 52. 191 Hopt/Roth, in: Großkommentar AktG, § 111 Rdnr. 309. 192 Ebenso Steinbeck, Überwachungspflicht und Einwirkungsmöglichkeiten, S. 91.
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1. Teil: Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats und seiner Mitglieder
und weitergehende Prüfungspunkte als die bloße Betrachtung der Recht-, Zweckund Wirtschaftlichkeit von Maßnahmen.193 Sicherzustellen ist, dass das Unternehmen grundsätzlich über eine ausreichende Organisation und Risikoüberwachungsstruktur verfügt. Es handelt sich somit um Strukturmaßnahmen, die von allgemeinen Vorschriften nicht umfasst sind. Zunächst hat der Aufsichtsrat sicherzustellen, dass der Vorstand eine der Größe, dem Gesellschaftszweck und der tatsächlichen Lage der Gesellschaft angemessene Organisation eingeführt hat. Dazu zählt die Sicherstellung, dass der Vorstand rein faktisch in der Lage ist, das Unternehmen zu steuern und durch seine Maßnahmen einen Einfluss auf die Geschicke der Gesellschaft auszuüben.194 a) Ausreichende Organisation Zur Ordnungsgemäßheit der Vorstandstätigkeit gehört auch, dass Vorschriften hinsichtlich der Verfügbarkeit von Daten sowie sonstige Informationspflichten gegenüber dem Aufsichtsrat eingehalten werden. Dieser hat zu überprüfen, ob der Vorstand selbst aus seinem Unternehmen heraus hinreichend informiert wird, um seiner Leitungstätigkeit nachzugehen. Dazu gehört, dass ein ausreichendes Berichtsund Rechnungslegungssystem innerhalb der Gesellschaft etabliert ist und nachgeordnete Instanzen ausreichend organisiert und kontrolliert werden;195 Leitungsentscheidungen sind nur aufgrund hinreichender Tatsachengrundlagen zu treffen.196 Außerdem überprüft der Aufsichtsrat, ob der Vorstand ausreichend besetzt und die Aufgabenabgrenzung zweckmäßig ist.197 Soweit ein Vorstandsmitglied in seinem Geschäftsbereich über längere Zeit so stark beansprucht wird, dass er sich nur noch Teilaufgaben und nicht mehr seinen übrigen Aufgaben widmen kann, ist über eine neue Zuordnung nachzudenken. Der Aufsichtsrat könnte die Neuverteilung von einzelnen Ressorts vorschlagen. Außerdem können Erfahrungen aus der Vergangenheit oder zu erwartende Entwicklungen ebenfalls die Schaffung eines neuen Vorstandspostens nötig machen. Ein solches Bedürfnis hat sich bei einer Vielzahl von Großunternehmen in jüngster Vergangenheit im Bereich „Recht und Compliance“ gezeigt.198 193
Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats, Rdnr. 79 f; Semler, Leitung und Überwachung der Aktiengesellschaft, Rdnr. 184; Semler/Spindler, in: Münchener Kommentar AktG, 3. Aufl. 2008 (Voraufl.), Vor § 76 Rdnr. 93 f. 194 Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats, Rdnr. 87 ff. 195 Vgl. Spindler, in: Münchener Kommentar AktG, § 93 Rdnr. 18 ff. 196 Vgl. Henze, BB 2001, S. 53, S. 59. 197 Semler, Leitung und Überwachung der Aktiengesellschaft, Rdnr. 184. 198 Fromme, Financial Times Deutschland Online, http://www.ftd.de/unternehmen/versiche rungen/:konsequenz-aus-skandalen-ergo-installiert-chief-compliance-officer/60095925.html; Gröger/Krüger, Financial Times Deutschland Online, http://www.ftd.de/karriere-management/ management/:compliance-officer-aufpasser-mit-schwieriger-mission/60070190.html.
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b) Ausreichende Unternehmensplanung Wesentliches Element einer ordnungsgemäßen Unternehmensführung ist die Unternehmensplanung für die Zukunft. Gesetzlich verankert ist dies in § 90 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AktG, der dem Vorstand eine Berichtspflicht über die geplante Geschäftspolitik wie auch grundsätzliche Fragen der Unternehmensplanung auferlegt. Dem Aufsichtsrat erleichtert eine ausführliche Zukunftsplanung die Überwachung, da zum einen Entscheidungen und Maßnahmen des Vorstands vorhersehbar sind und zum anderen die ursprüngliche Planung und das spätere tatsächliche Handeln verglichen werden können. So kann festgestellt werden, ob das Vorstandshandeln sich im Rahmen der (selbstgesteckten) Ziele bewegt, oder ob eine Abweichung der Istvon der Soll-Situation stattgefunden hat.199 In seiner Unternehmensplanung hat der Vorstand einzelne Maßnahmen und Entscheidungen konkret anzugeben. Vor allem aber ist wichtig, dass eine Strategie des Unternehmens für die nächsten Jahre aus der Planung deutlich ablesbar ist. Auf die Rolle des Aufsichtsrats mit Blick auf die zukünftige Geschäftspolitik des Vorstands ist bereits eingegangen worden.200 c) Einrichtung von Risikoüberwachungssystemen § 91 Abs. 2 AktG, eingeführt durch das KonTraG,201 legt dem Vorstand die Pflicht zur Einrichtung eines ausreichenden Frühwarn- und Risikoüberwachungssystems202 auf, um negative Geschäftsentwicklungen rechtzeitig zu erkennen und beheben. Das System muss gewährleisten, dass eine Gefährdung für die Gesellschaft frühzeitig erkannt wird. Dabei hat der Vorstand dafür Sorge zu tragen, dass er selbst in ausreichender Weise und frühzeitig über etwaige Risiken informiert wird. Rechtzeitig ist die Mitteilung der Informationen dann, wenn nach Mitteilung einer nachteiligen Entwicklung noch entgegen gewirkt und dadurch der Eintritt eines Schadens verhindert werden kann.203 Der Aufsichtsrat hat zu überprüfen, ob das bestehende System alle Risiken hinreichend erfasst.204 Insbesondere dann, wenn es in der Vergangenheit zu Schäden der Gesellschaft gekommen ist, kann von einem hinreichenden Risikoüberwachungssystem oder jedenfalls von einem korrekten Umgang des Vorstands mit den entsprechenden Informationen nicht ausgegangen werden. Der Aufsichtsrat wird dann auf eine Verbesserung des Systems hinwirken müssen, damit künftig Risiken 199
Lutter, Information und Vertraulichkeit im Aufsichtsrat, Rdnr. 55. Vgl. oben S. 32. 201 Gesetz zur Kontrolle und Transparenz im Unternehmensbereich, BGBl. I Nr. 24, S. 786 vom 30. 04. 1998. 202 Zur Begrifflichkeit des Risikoüberwachungssystems in Abgrenzung zum betriebswirtschaftlichen Verständnis eines „risk managements“ vgl. Koch, in: Hüffer, AktG, § 91 Rdnr. 8 ff mit umfangreichen Nachweisen. 203 Begründung des RegE zum KonTraG, BT-Drs. 13/9712, S. 15. 204 Diederichs/Kißler, BOARD 2012, S. 215, 216 ff. 200
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1. Teil: Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats und seiner Mitglieder
besser und rechtzeitig erkannt und Nachteile für das Unternehmen vermieden werden. Besteht noch kein System zur effektiven Risikoüberwachung, so muss der Aufsichtsrat den Vorstand auf das Fehlen eines solchen Systems und die gesetzlich vorgeschriebene Pflicht zur Einrichtung des Systems hinweisen. Dabei trifft die Verpflichtung nicht nur das nach dem Geschäftsverteilungsplan für die Risikovorsorge zuständige Vorstandsmitglied, sondern sämtliche Mitglieder des geschäftsführenden Organs, da § 91 AktG die Verpflichtung dem Organ, und damit allen Organmitgliedern gemeinschaftlich, auferlegt.205 Weigert sich der Vorstand, ein solches System einzurichten oder kommt er seiner Verpflichtung nicht zeitnah nach, so kann (und ggf. muss) der Aufsichtsrat die Vorstandsmitglieder abberufen.206 Bei börsennotierten Gesellschaften ist das Risikoüberwachungssystem des Vorstands vom Prüfungsumfang des Abschlussprüfers umfasst (§ 317 Abs. 4 HGB). Dieser teilt seine Einschätzung über das System dem Aufsichtsrat mit (§ 321 Abs. 4 HGB), sodass dieser hier eine erhebliche Unterstützung bei seiner Kontrolltätigkeit erhält. Die Informationspflicht durch den Abschlussprüfer ist durch das BilMoG207 noch erhöht worden: Der Abschlussprüfer hat nunmehr dem Aufsichtsrat ausdrücklich mitzuteilen, inwieweit das Überwachungssystem Schwächen aufweist (§ 171 Abs. 1 Satz 2 AktG). Die Prüfungspflicht des Aufsichtsrats börsennotierter Gesellschaften beschränkt sich damit faktisch auf eine Feststellung dahingehend, ob der Vorstand den drohenden Risiken mit hinreichenden Mitteln begegnet und Gefährdungen abstellt.208 Bei nicht börsennotierten Gesellschaften prüft der Abschlussprüfer allein, ob Risiken aus der Vergangenheit im Lagebericht des Vorstands ausreichend dargestellt wurden (§§ 317 Abs. 2 Satz 2, 321 Abs. 2 HGB). Die Reichweite der Überwachung durch den Aufsichtsrat ist damit in diesem Fall ungleich weiter und umfasst auch die Überprüfung des Risikoüberwachungssystems als solches. 5. Insbesondere: die Einrichtung von Compliance-Organisationen In den letzten Jahren ist die Frage der Verantwortlichkeit von Vorstandsorganen für die sogenannte „Corporate Compliance“ vermehrt in den Fokus der juristischen Lehre und Praxis geraten.209 Der Begriff Compliance taucht zwar vereinzelt im Gesetz auf (vgl. beispielsweise § 33 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 a.E. WpHG), allerdings fehlt es an einer Legaldefinition oder allgemeinverbindlichen Präzisierung des Begriffs. 205 Koch, in: Hüffer, AktG, § 91 Rdnr. 3; ebenso LG Berlin, Urt. v. 03. 07. 2002 – 2 O 358/ 01, AG 2002, S. 682, 684. 206 LG Berlin, Urt. v. 03. 07. 2002 – 2 O 358/01, AG 2002, S. 682, 684; Spindler, in: Münchener Kommentar AktG, § 84 Rdnr. 131. 207 Gesetz zur Modernisierung des Bilanzrechts, BGBl. I S. 1102 vom 25. 05. 2009. 208 So auch Semler/Spindler, in: Münchener Kommentar AktG, 3. Aufl. 2008 (Voraufl.), Vor § 76 Rdnr. 105. 209 Vgl. die aktuelle Diskussion beispielsweise bei Kremer/Klarhold, ZGR 2010, S. 113; Kort, NZG 2008, S. 81; Preußner, NZG 2008, S. 574 jeweils m.w.N.
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Ausgehend vom englischen Wortsinn, der etwa mit „Ordnungsgemäßheit“ zu übersetzen ist, wird unter Compliance herkömmlicherweise die Einhaltung von Rechtsvorschriften, die für ein Unternehmen gelten, verstanden.210 Der ComplianceBegriff deckt sich insofern grundsätzlich mit dem Legalitätsprinzip des deutschen Aktienrechts, wonach eine Gesellschaft sämtliche Normen einzuhalten hat.211 Hierzu zählen unter anderem Umweltgesetze, Kartellbestimmungen und Normen des Außenwirtschaftsgesetzes ebenso wie strafrechtliche oder gesellschaftsrechtliche Vorschriften. Infolge spektakulärer Fälle mit Verhängung teilweiser erheblicher Geldstrafen für deutsche Großunternehmen, die gegen Kartell- oder Antikorruptionsvorschriften verstoßen hatten,212 ist die Frage nach einer besseren Unternehmensstruktur zur Vermeidung von Rechtsverletzungen und Nachteilen für Stake- und Shareholder verstärkt in den Mittelpunkt der öffentlichen Diskussion geraten. Dabei wurden und werden unter anderem die Verantwortlichkeit für die Einrichtung einer ausreichenden Compliance-Organisation, wie auch eine verstärkte Haftung von Unternehmensorganen für ihr eigenes Fehlverhalten diskutiert. Compliance in diesem Sinne bedeutet daher auch stets die Frage nach der Verantwortlichkeit für die Einrichtung einer hinreichenden Organisation zur Einhaltung der rechtlichen Vorschriften. Dies umfasst die Einrichtung, Implementierung und Verbesserung von Maßnahmen zur Einhaltung von Recht und Gesetz im Unternehmen durch seine Angestellten. a) Verantwortlichkeit des Vorstands Dass Unternehmen und Unternehmensleitung dazu verpflichtet sind, die geltenden Gesetze einzuhalten, versteht sich von selbst und wurde bereits ausreichend dargelegt.213 Zutreffend haben Uwe H. Schneider und Sven H. Schneider die Herleitung selbiger Pflicht im Rahmen der Verantwortlichkeit für die Einrichtung von Compliance-Organisationen insoweit als „Binsenweisheit“ bezeichnet.214
210
Kort, NZG 2008, S. 81, 82; Kremer/Klarhold, ZGR 2010, S. 113, 116. Kremer/Klarhold, ZGR 2010, S. 113, 116. 212 Vgl. nur in jüngster Zeit die öffentlichkeitswirksamen Fälle bei der Bayern LB (Vermutung der Bestechung des Risikovorstandes Gribowsky durch Zahlungen i.H.v. USD 50 Mio., vgl. Ott, Sueddeutsche Zeitung Online, http://www.sueddeutsche.de/geld/bayernlb-ex-risikovor stand-gribkowsky-verhaftet-1.1043070, Abruf vom 03. 06. 2013) und weiteren Verstößen bei Siemens (siehe dazu Höpner, Handelsblatt Online, http://www.handelsblatt.com/unternehmen/ industrie/siemens-kampf-der-korruption/5836868.html, Abruf vom 03. 06. 2013) oder Ferrostaal (siehe dazu Murphy, Handelsblatt Online, http://www.handelsblatt.com/unternehmen/industrie/ schmiergeld-ermittlungen-ferrostaal-affaere-zieht-sichhin/3574106.html, Abruf vom 03. 06. 2013). 213 Siehe oben, S. 57 f. 214 Schneider/Schneider, ZIP 2007, S. 2061; zustimmend auch Winter, in: Kindler/Koch/ Winter, Festschrift für Uwe Hüffer, S. 1103, 1104; ähnlich auch Kremer/Klarhold, ZGR 2010, S. 113, 116, die Compliance richtigerweise mit dem Legalitätsprinzip des deutschen Aktienrechts vergleichen. 211
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4.1.3 DCGK umschreibt Compliance als Pflicht des Vorstands, für die Einhaltung der gesetzlichen Bestimmungen und der unternehmensinternen Richtlinien zu sorgen und auf deren Beachtung durch die Konzernunternehmen hinzuwirken. In erster Linie meint Compliance damit die Einrichtung von Kontrollmaßnahmen zur besseren Gewährleistung von Legalität im Unternehmen und nicht die bloße Pflicht des Unternehmens, Recht und Gesetz einzuhalten. Der Kodex schreibt Vorstand und Unternehmen nicht vor, welche konkreten Maßnahmen zu treffen sind und ob im Einzelfall eine Compliance-Organisation einzurichten ist. Die Regierungskommission Corporate Governance Kodex hat der Unternehmensleitung ausdrücklich einen weiten Beurteilungsspielraum hinsichtlich der Frage, ob eine solche Compliance-Organisation einzurichten ist, eingeräumt.215 Von einer generellen Pflicht zur Einrichtung kann somit nicht grundsätzlich ausgegangen werden.216 Die Frage nach dem Ob und Wie der Einrichtung steht damit grundsätzlich im Ermessen des Vorstands.217 Etwas anderes gilt nur für Finanzdienstleistungsinstitute, für die § 25a KWG die Verpflichtung zum Aufbau einer Geschäftsorganisation zur Einhaltung der vom Unternehmen zu beachteten gesetzlichen Bestimmungen statuiert.218 Insofern ist für die übrigen Unternehmen auch hinsichtlich der Ausgestaltung eines entsprechenden Systems auf die Einzelheiten der Unternehmenssituation Rücksicht zu nehmen.219 Auch wenn sich für Nicht-Finanzdienstleistungsinstitute keine unmittelbare Pflicht zur Einrichtung einer Compliance-Organisation aus dem DCGK oder aus dem Gesetz ergibt, kann sie sich im Einzelfall dennoch aus der Vorstandsverantwortlichkeit für die Organisation des Unternehmens gemäß § 93 Abs. 1 AktG ergeben. Der Vorstand hat bei seiner Tätigkeit stets zu überprüfen, ob sich das Unternehmen im Rahmen von Recht und Gesetz bewegt.220 Erkennt er eine besondere Gefahrenlage hinsichtlich von Rechtsverletzungen (diese hat er abzustellen) oder sind in der Vergangenheit vermehrt Rechtsverstöße aufgetreten (diese hat er für die Zukunft zu unterbinden), so kann sich aus dieser Situation eine gesteigerte Verantwortung des Vorstands ergeben, die zur Verpflichtung, eine Compliance-Organisation einzu-
215 Vgl. Vortrag von Cromme anlässlich der 6. Konferenz Deutscher Corporate Governance Kodex, S. 7; Fleischer, NZG 2014, S. 321, 324. 216 In der Literatur ist die Frage nach einer branchenunabhängigen Rechtspflicht zur Einrichtung einer Compliance-Organisation umstritten und wird von der herrschenden Meinung abgelehnt, vgl. Bachmann, in: Gesellschaftsrechtliche Vereinigung (VGR), Gesellschaftsrecht in der Diskussion, S. 65, 73; Kremer/Klarhold, ZGR 2010, S. 113, 119; Preußner, NZG 2008, S. 574, 576, jeweils m.w.N. 217 Koch, in: Hüffer, AktG, § 76 Rdnr. 14; Spindler, in: Münchener Kommentar AktG, § 91 Rdnr. 31. 218 Vgl. dazu Schäfer/Zeller, BB 2009, S. 1706. 219 Eine umfassende Übersicht zur Compliance-Organisation bei der Bekämpfung von Korruption für die unterschiedlichen Unternehmensgrößen findet sich bspw. bei Hauschka/ Greeve, BB 2007, S. 165 ff. 220 Fleischer, BB 2008, S. 1070, 1071.
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richten, führen kann.221 Von einer solchen Pflicht wird man insbesondere dann ausgehen müssen, wenn es in der Vergangenheit vermehrt zu (erheblichen) Rechtsverstößen gekommen ist und solche Verstöße auch in Zukunft drohen. Nach der heute überwiegenden Meinung ist daher bei Überschreitung von Risikoschwellen eine generelle Pflicht zur Einrichtung einer Corporate Compliance-Organisation für das Unternehmen anzunehmen.222 b) Ausgestaltung der Compliance-Organisation Ziel von Compliance muss die Einhaltung gesetzlicher Normen und der Satzung der Gesellschaft sein, ebenso wie die Vermeidung von Haftungsansprüchen Dritter. Daher muss das Risikosystem so ausgerichtet sein, dass Risiken begrenzt oder wenigstens aufgedeckt werden und anschließend eine ausreichende Informierung des Vorstands stattfindet. Dabei ist der Vorstand nicht dazu verpflichtet, alle Einzelheiten der Organisation persönlich festzuhalten. Wie immer gilt, dass er zur Leitung des Unternehmens berufen ist. Er genügt daher seiner Verpflichtung bereits dann, wenn er die Einrichtung des Systems beschließt und die Kernpunkte festlegt. Die konkrete Ausgestaltung des Systems darf dann Mitarbeitern übertragen werden. Anhand der ihm zu übermittelnden Berichte hat der Vorstand die Einhaltung der Regeln zu überprüfen und bei Bedarf seine Leitlinien anzupassen. Neben der Einrichtung der umfassenden Risikoanalyse und der Identifikation von unternehmensinternen Risiken durch die Compliance-Organisation, muss der Vorstand auch deutlich machen, dass Recht und Gesetz uneingeschränkt eingehalten werden und Verstöße nicht geduldet werden („tone from the top“223). Ein Compliance-System, das nicht gelebt wird oder auf einer Unternehmenspolitik fußt, die Rechtsverstöße duldet oder gar fördert, kann nicht erfolgreich sein. Hier fehlt es am erforderlichen Commitment224 im Unternehmen. Insofern muss den Mitarbeitern von höchster Leitungsebene eine Politik der Zero Tolerance225 vorgelebt werden, bei der Verstöße wirksam geahndet werden. Kommt es zu Rechtsverstößen, so sind die entsprechenden Verhaltensweisen lückenlos aufzuklären, die vorhandenen Strukturen zu untersuchen und gegebenenfalls Anpassungen vorzunehmen.
221
Fleischer, AG 2003, S. 291, 300; Bürkle, BB 2007, S. 1797, 1798 f; Hauschka, in: Hauschka, Corporate Compliance, § 1 Rdnr. 26; Kremer/Klarhold, ZGR 2010, S. 113, 120. 222 Winter, in: Kindler/Koch/Winter, Festschrift für Uwe Hüffer, S. 1103, 1105. Weitergehend Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats, Rdnr. 75, die davon ausgehen, dass heutzutage praktisch kein Vorstand eines Großunternehmen sich der Verpflichtung zur Einrichtung einer Compliance-Organisation entziehen kann, ohne sich der Gefahr einer Ersatzpflicht auszusetzen. 223 Schürrle/Olbers, CCZ 2010, S. 102. 224 Zum Begriff Schneider, ZIP 2003, S. 645, 649. 225 Solmssen, Handelsblatt v. 25. 08. 2010, S. 7.
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1. Teil: Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats und seiner Mitglieder
Ebenso wie die grundsätzliche Frage des Ob steht dem Vorstand auch in der Frage des Wie ein unternehmerischer Gestaltungsspielraum zu.226 Es gilt insofern die Business Judgement Rule gemäß § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG. Eine Ermessensreduzierung kommt nur dort in Betracht, wo die bisherige Organisation eindeutig versagt hat und eine Anpassung offensichtlich notwendig ist. c) Verantwortlichkeit des Aufsichtsrats Da, wie gezeigt, zur Leitungstätigkeit des Vorstands auch die Einrichtung der Compliance-Organisation zählt, richtet sich die Überwachung durch den Aufsichtsrat auch auf die ordnungsgemäße Einrichtung dieses Systems.227 Aus der Vorstandsverantwortlichkeit zur Einrichtung und Ausgestaltung der ComplianceOrganisation und der überwachenden Tätigkeit des Aufsichtsrats folgt, dass es nicht die Aufgabe des Aufsichtsrats ist, ein Compliance-System zu entwickeln und dem Vorstand vorzuschlagen. In der Literatur228 hat die Aufsichtsratsverantwortlichkeit im Rahmen von Compliance bislang eine eher untergeordnete Rolle gespielt und wurde nur vereinzelt besprochen. Compliance wird zumeist als alleinige oder vorrangige Aufgabe des Vorstands des Unternehmens verstanden.229 Dem ist insofern zuzustimmen, als dass der Aufsichtsrat sich nicht mit allen Einzelheiten der Compliance-Organisation auseinandersetzen muss. Allerdings gilt, dass der Aufsichtsrat sämtliche Leitungsentscheidungen des Vorstands – und hierzu zählen gerade auch die Einrichtung einer Compliance-Organisation und die Anordnung von Leitlinien – zu überwachen hat. Der Aufsichtsrat hat daher zu überprüfen, ob eine Compliance-Organisation erforderlich ist und ob ein bereits etabliertes System den spezifischen Anforderungen des Unternehmens gerecht wird.230 Er muss sich das System vom Vorstand erläutern und plausibilisieren lassen und nachvollziehen, ob das eingerichtete System in der Lage ist, den zu erwartenden Risiken hinreichend zu begegnen.231 Mit einem bloßen Verweis auf die vorrangige Vorstandsverantwortlichkeit kann sich der Aufsichtsrat nicht entlasten.
226
Winter, in: Kindler/Koch/Winter, Festschrift für Uwe Hüffer, S. 1103, 1106. Koch, in: Hüffer, AktG, § 111 Rdnr 4; Kremer/Klarhold, ZGR 2010, S. 113, 124. 228 Vgl. bspw. Winter, in: Kindler/Koch/Winter, Festschrift für Uwe Hüffer, S. 1103; Lutter/ Krieger/Verse, Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats, Rdnr. 75; Hopt/Roth, in: Großkommentar AktG, § 111 Rdnr. 246 f; Bürkle, BB 2007, S. 1797, 1799 f; Rodewald/Unger, BB 2007, S. 1629, 1632. 229 Vgl. Vortrag von Cromme anlässlich der 6. Konferenz Deutscher Corporate Governance Kodex, S. 7 f. 230 Kremer/Klarhold, ZGR 2010, S. 113, 124; Bürkle, BB 2007, S. 1797, 1800; Reichert/ Ott, NZG 2014, S. 241, 242 f. 231 Lutter, in: Kindler/Koch/Winter, Festschrift für Uwe Hüffer, S. 617, 619. 227
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aa) Verantwortlichkeit bei fehlender Compliance-Organisation Nach der hier vertretenen Ansicht erscheint es – bis auf wenige Ausnahmen – jedenfalls bei größeren und dezentralisierten Unternehmen unerlässlich, eine Compliance-Organisation einzurichten. Wenn der Vorstand insofern nicht von sich aus tätig wird, hat der Aufsichtsrat darauf zu drängen, ein solches System zeitnah einzurichten. Im Einzelfall kann die Weigerung des Vorstands, eine ComplianceOrganisation trotz offenkundigen Bedürfnisses einzurichten, auch eine Abberufung desselben rechtfertigen.232 bb) Verantwortlichkeit bei bestehender Compliance-Organisation Soweit eine Compliance-Organisation bereits besteht, ist bislang nicht hinreichend geklärt, worauf sich der Verantwortungsbereich des Aufsichtsrats bezieht. Teilweise wird vertreten, der Aufsichtsrat habe eine bloß kursorische Prüfung vorzunehmen, ob das System grundsätzlich aufgrund der Gegebenheiten des Unternehmens geeignet erscheint, die Einhaltung geltender Rechtsnormen sicherzustellen.233 Mit Einzelheiten und Inhalten der Organisation müsse der Aufsichtsrat sich nicht auseinandersetzen. Etwas anderes gelte allein dann, wenn gravierende Verstöße in der Vergangenheit aufgetreten seien und solche Verstöße auch in der Zukunft drohen. Winter234 hält es für zu weit gefasst, dem Aufsichtsrat eine unmittelbare Zuständigkeit für sämtliche Rechtsverstöße aufzuerlegen und ihn für die Einhaltung von Rechtsvorschriften und Satzungsregeln des Unternehmens verantwortlich zu machen, da dafür grundsätzlich der Vorstand zuständig sei. Dem kann so nicht (uneingeschränkt) gefolgt werden. Für den Aufsichtsrat kann bei der Beaufsichtigung der Compliance-Organisation kein anderer Maßstab als bei den übrigen Rechtsverstößen des Vorstands gelten. Wie bereits ausgeführt, ist auch die Rechtmäßigkeit des Vorstandshandelns Gegenstand der Überwachungsaufgabe des Aufsichtsrats.235 Dabei hat der Aufsichtsrat insbesondere auch auf die Einhaltung bindender Rechtsvorschriften und Satzungsbestimmungen durch den Vorstand zu achten. Insofern kann sich auch im Rahmen der Compliance-Organisation die Aufgabe des Aufsichtsrats nicht darin erschöpfen, eine oberflächliche Prüfung, ob das System mit Blick auf die Einzelheiten der Gesellschaft ausreichend erscheint, vorzunehmen. Bereits der Ansatz Winters ist ungenau: der Aufsichtsrat ist zunächst nicht für die einzelne Rechts- oder Satzungsverletzung verantwortlich. Er ist (allein) zur Kontrolle des Vorstands verpflichtet. Diese Überwachungsaufgabe inkludiert auch die Überprüfung des Compliance-Systems. Kommt es zu einer Rechts- oder 232 Vgl. Spindler, in: Münchener Kommentar AktG, § 84 Rdnr. 130, wonach die Verletzung „fundamentaler Pflichten“ einen wichtigen Grund zur Abberufung darstellt. 233 Ringleb, in: DCGK-Kommentar, Rdnr. 600. 234 Winter, in: Kindler/Koch/Winter, Festschrift für Uwe Hüffer, S. 1103, 1117 f. 235 Siehe dazu im Einzelnen oben, S. 57.
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1. Teil: Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats und seiner Mitglieder
Pflichtverletzung, so ist der Aufsichtsrat für diese selbstverständlich nur mittelbar verantwortlich: Er selbst (bzw. seine Mitarbeiter) haftet stets nur für die Einhaltung der ihm obliegenden Überwachungspflicht. Kommt er dieser nicht nach, so spricht nichts dagegen, ihm bzw. seinen Mitgliedern eine Haftung für daraus entstehende Schäden aufzuerlegen. Diese resultiert aber zu keinem Zeitpunkt aus einer persönlichen Verantwortlichkeit dafür, dass der Vorstand Recht und Gesetz nicht eingehalten hat, sondern daraus, dass eine erforderliche und vorgeschriebene Überwachung der Geschäftsführung durch den Aufsichtsrat gar nicht oder nicht in ausreichendem Maße stattgefunden hat. Es besteht insofern keine sekundäre Verantwortlichkeit der Aufsichtsratsmitglieder für Verfehlungen des Vorstands.236 Der Aufsichtsrat muss sich darüber vergewissern, dass aufgetretene Verstöße hinreichend sanktioniert werden und der Vorstand entsprechend einer (oben angesprochenen) Zero Tolerance Politik verfährt, damit sich Verstöße in Zukunft nicht wiederholen.237 Die Funktions- und Wirkungsweise der Compliance-Organisation kann nur anhand der Prüfung konkreter Verletzungen und ihrer Aufarbeitung nachvollzogen werden. Der Aufsichtsrat muss daher wenigstens hin und wieder beispielhafte Einzelfälle von Verstößen und die nachfolgende interne Aufarbeitung persönlich nachvollziehen. Übermittelt der Vorstand nicht von sich aus die relevanten Informationen in regelmäßigen Abständen,238 so hat der Aufsichtsrat die entsprechenden Informationen bei ihm anzufordern. Unterlässt der Aufsichtsrat eine solche Prüfung und vertraut er damit quasi blind auf ein bestehendes System, so handelt er pflichtwidrig. Gleiches gilt, wenn dem Aufsichtsrat erhebliche Verstöße bekannt werden, er es allerdings unterlässt, weitere Nachprüfungen über die Veränderung des Systems und die Aufarbeitung der Einzelfälle anzustellen oder beim Vorstand eine Nachbesserung des bestehenden Systems zu fordern. Er wird in diesen Fällen der ihm obliegenden Pflicht zur Überprüfung der Leitung der Aktiengesellschaft nicht in hinreichendem Maße gerecht. d) Ergebnis Einhergehend mit der Verpflichtung zu rechtmäßigem Handeln ist der Vorstand (in der Regel) zur Einrichtung eines Compliance-Systems verpflichtet. Der Aufsichtsrat hat auf einer zweiten Ebene im Rahmen seiner Überwachungsaufgabe die Einrichtung und Ausgestaltung des Systems zu prüfen und die entsprechenden Maßnahmen im Grundsatz nachzuvollziehen. Die Prüfung des Systems durch den Aufsichtsrat erfolgt in zwei Schritten. Zunächst wird festgestellt, ob das System nach seiner Ausgestaltung und Konzeption grundsätzlich dazu geeignet ist, das Ziel Compliance zu gewährleisten. In einem zweiten Schritt hat sich der Aufsichtsrat regelmäßig über exemplarische Einzelfälle vom Vorstand informieren zu lassen. 236 237 238
So auch zutreffend Reichert/Ott, NZG 2014,S. 241, 250. Ähnlich Winter, in: Kindler/Koch/Winter, Festschrift für Uwe Hüffer, S. 1103, 1119. Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats, Rdnr. 75.
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Anhand dieser Fälle wird nachvollzogen, ob auch im konkreten Fall das ComplianceSystem greift, oder ob und wo im Einzelfall Nachbesserungsbedarf besteht. Gegebenenfalls hat der Aufsichtsrat dem Vorstand eigene Vorschläge zur Ausgestaltung des Systems zu unterbreiten. Unterlässt der Aufsichtsrat die Nachprüfung oder Beanstandung des Systems, so verletzt er die ihm übertragenen Pflichten. Richtet der Vorstand (obwohl dies erforderlich ist) gar kein Compliance-System ein, muss der Aufsichtsrat eingreifen. Zunächst hat er (soweit dies der Fall ist) den Vorstand über dessen Verpflichtung zur Schaffung des Systems zu informieren und auf die Notwendigkeit der Einrichtung hinzuweisen. Hierzu kann es möglicherweise hilfreich sein, durch (rechts-)wissenschaftliche Gutachten dem Vorstand dessen Handlungspflicht und die damit einhergehende haftungsrechtliche Verantwortung nachzuweisen. Zeigt sich der Vorstand auch dann nicht bereit, ein entsprechendes System einzurichten, so hat das Überwachungsorgan seinen Druck auf den Vorstand weiter zu erhöhen. Als Ultima Ratio sollte auch eine Abberufung des Vorstands nicht ausgeschlossen werden: ein Vorstand, der seiner nachgewiesenen gesetzlichen Verpflichtung trotz eindringlicher Aufforderung des Aufsichtsrats nicht nachkommt, handelt nicht im Unternehmensinteresse.
IV. Intensität der Überwachung: Abgestufte Überwachungspflicht? Der Aufsichtsrat ist zur Überwachung der Gesellschaft berufen, soviel ergibt sich aus dem Gesetz (§ 111 Abs. 1 AktG). Auf den Inhalt der Überwachungspflicht wurde bereits intensiv eingegangen. Fraglich ist allerdings auch, in welchem Umfang die Überwachungspflicht besteht. Hierbei geht es um die Frage, wie intensiv die Überwachungspflicht des Aufsichtsrats zu verstehen ist. Diese Frage ist insbesondere vor dem Hintergrund der nur geringen Häufigkeit der Aufsichtsratssitzungen und der damit begrenzten Zeit, die dem Aufsichtsrat überhaupt zur Überwachung verbleibt, von erheblicher Relevanz. Zur Frage des Umfanges der Überwachungspflicht werden unterschiedliche Meinungen angeführt, auf die im Folgenden eingegangen wird. 1. Abgestufte Überwachung Teilweise wird vertreten, dass der Aufsichtsrat eine risikoabhängige239 oder abgestufte240 Überwachung schulde. Semler241 hat diesen Ansatz grundlegend geprägt 239 Wiesner, in: Hoffmann-Becking, Münchener Handbuch des Gesellschaftsrechts, Bd. 4, § 29 Rdnr. 27b; LG München I, Urt. v. 06. 09. 2007 – 5 HK O 12570/07, AG 2007, S. 756; ähnlich wohl auch Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats, Rdnr. 92 ff; ebenso Steinbeck, Überwachungspflicht und Einwirkungsmöglichkeiten, S. 92 ff; wohl auch Bauer, Organklagen zwischen Vorstand und Aufsichtsrat, S. 121. 240 Habersack, in: Münchener Kommentar AktG, § 111 Rdnr. 44 ff; Koch, in: Hüffer, AktG, § 111 Rdnr. 15 ff; Henze, BB 2000, S. 209, 214; Boujong, AG 1995, S. 203, 205.
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1. Teil: Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats und seiner Mitglieder
und eine Dreistufigkeit der Aufsichtsratsverantwortung begründet. Demnach soll die Intensität der Überwachungspflicht stets von der aktuellen (Wirtschafts-)Lage der Gesellschaft abhängig sein. a) Normaler Geschäftsverlauf Beim normalen Geschäftsgang soll sich der Aufsichtsrat weitgehend zurückhalten und nur eine allgemeine und oberflächliche Kontrolle vornehmen. Dabei sollen die wesentlichen Leitentscheidungen des Vorstands nachvollzogen werden und sich der Aufsichtsrat dem Vorstand als Berater anbieten.242 Insbesondere soll der Vorstand nicht durch einen übervorsichtigen Aufsichtsrat an der eigenverantwortlichen Ausübung seiner Leitungsbefugnis gehindert werden und nicht für jeden seiner Einzelschritte Rechenschaft ablegen müssen. Es handele sich insofern um eine begleitende Überwachung durch den Aufsichtsrat.243 Ein Einschreiten des Aufsichtsrats wird erst dann als notwendig und auch ordnungsgemäß angesehen, wenn die Maßnahme des Vorstands unvertretbar erscheine.244 Zuvor fehle dem Aufsichtsrat jedwede Befugnis zu intervenieren. b) Verschlechterung der Lage des Unternehmens Kommt es zu einer Verschlechterung der Lage der Gesellschaft, so müsse der Aufsichtsrat seine Überwachungsbemühungen intensivieren, eine stärker beratende Funktion einnehmen, zunehmend Berichte vom Vorstand anfordern und gegebenenfalls die Vornahme bestimmter Handlungen unter einen Zustimmungsvorbehalt stellen.245 Die Zahl der Aufsichtsratssitzungen habe sich dann zu erhöhen; der Aufsichtsrat müsse sich dauerhafter und intensiver über die aktuelle Lage des Unternehmens informieren. Eine solche Pflicht soll aber nicht erst bei einer tatsächlichen Verschlechterung der wirtschaftlichen Lage eintreten, sondern bereits dann, wenn für den Aufsichtsrat hinreichende Anhaltspunkte dahingehend bestehen, dass eine wirtschaftliche Verschlechterung in Zukunft droht. Der Aufsichtsrat müsse dann durch häufigere Sitzungen und Anforderung weiterer Informationen die Aufklärung vorantreiben.
241
Vgl. grundlegend Semler, AG 1983, S. 141 ff; Semler, Leitung und Überwachung der Aktiengesellschaft, Rdnr. 235 ff. 242 Semler, Leitung und Überwachung der Aktiengesellschaft, Rdnr. 242. 243 Semler, AG 1983, S. 141. 244 Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats, Rdnr. 93; ähnlich auch Hopt/Roth, in: Großkommentar AktG, § 111 Rdnr. 271, die allerdings nicht von einer stufenweisen Überwachungspflicht ausgehen. 245 LG München I, Urt. v. 06. 09. 2007 – 5 HK O 12570/07, AG 2007, S. 756, 759; Hommelhoff, in: Lutter/Stimpel, Festschrift für Walter Stimpel, S. 603, 612; Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats, Rdnr. 101; Semler, AG 1983, S. 141, 142.
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c) Die Überwachung in der Krise Ist die Krise bereits akut und eingetreten, so habe der Aufsichtsrat seine Tätigkeit hin zur Aufarbeitung der Krise zu verlagern und dem Vorstand umfassend mit Rat und Tat zur Seite zu stehen. Der Aufsichtsrat versuche dann, dem Vorstand aus der Krise zu helfen. Dabei verbleibe die Geschäftsführungskompetenz zwar weiterhin allein beim Vorstand, allerdings könne der Aufsichtsrat von seiner Personalkompetenz Gebrauch machen: er könne Geschäftsbereiche der Vorstände neu zuschneiden, Vorstandsmitglieder austauschen und seine eigenen Vorschläge, wie der Krise begegnet werden sollte, dem Vorstand vorstellen.246 Wie immer gelte allerdings auch hier, dass der Aufsichtsrat selbst nicht zum Geschäftsleitungsorgan der Aktiengesellschaft werde. Diese Macht verbleibe auch in der Krise allein beim Vorstand.247 Der Aufsichtsrat könne allein die Durchsetzung ihm missliebiger Entscheidungen des Vorstands verhindern; eine Implementierung eigener Vorstellungen bleibe ihm verwehrt. Sobald die Krise überstanden scheint, soll eine Rückbildung der Einflussnahme des Aufsichtsrats erfolgen: Er solle sich zunehmend zurückziehen, bis er nur noch begleitend überwacht. d) Aufnahme der These in der Literatur Die Unterteilung der Aufsichtsratsverantwortlichkeit in drei verschiedene Stufen hat in Literatur und Rechtsprechung teilweise Zustimmung gefunden. Während es zunächst Kritik an Semlers Thesen gab,248 haben Literatur und Rechtsprechung das dreistufige Modell teilweise übernommen; so hat sich beispielsweise das OLG Brandenburg, allerdings ohne Verweis auf Semler und ohne weitere Begründung, der Ansicht einer dreistufigen Aufsichtsratsverantwortung angeschlossen.249 Unterschieden wird dort in eine normale Lage, wirtschaftliche Anspannung und Krise. Dabei sollen sich „Beratungsaufwand und Kontrolldichte“ jeweils erheblich erhöhen. Die Einteilung in eine klare dreigliedrige Trennung der Lagen der Gesellschaft und der daraus folgenden Pflichten findet sich auch in der (Kommentar-)Literatur.250 Nach anderer und weitergehender Ansicht soll die Überwachung situationsbedingt
246 Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats, Rdnr. 97; Semler, Leitung und Überwachung der Aktiengesellschaft, Rdnr. 234, Semler, ZGR 1983, S. 1, 142. 247 Insofern ist die Formulierung Semlers in Semler, ZGR 1983, S. 1, 142 irreführend, wenn er von einer „führenden“ Gestaltung spricht. Aufgrund (berechtigter) Kritik an dieser missverständlichen Formulierung spricht Semler mittlerweile von einer „gestaltender“ Überwachung, vgl. den Hinweis bei Semler, Leitung und Überwachung der Aktiengesellschaft, Rdnr. 234 (dort Fn. 359). 248 Siehe Claussen, AG 1984, S. 20. 249 Vgl. OLG Brandenburg, Urt. v. 17. 02. 2009 – 6 U 102/07, AG 2009, S. 662, 662 f. 250 Drygala, in: Schmidt/Lutter, AktG, § 111 Rdnr. 22 ff; Pahlke, NJW 2002, S. 1680, 1686 f; ebenso Krüger/Achsnick, NZI 2007, S. 612.
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1. Teil: Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats und seiner Mitglieder
variieren, der Aufsichtsrat also im Einzelfall entscheiden, welche Überwachungsintensität geschuldet ist.251 2. Gegenthese: Vollständige Überwachung Die dargestellte Dreiteilung der Intensität der Überwachungspflicht wird von Teilen der Literatur als problematisch angesehen und ihr insofern nicht uneingeschränkt gefolgt.252 Angeführt wird insbesondere, dass sich eine präzise Abgrenzung der drei verschiedenen Situationen der Gesellschaft wohl kaum exakt vornehmen lasse.253 Dieses Argument wird noch dadurch verstärkt, dass das Gesetz gerade keine abgestufte Überwachungspflicht kenne; § 111 AktG enthalte eine solche Regelung nicht.254 Auch in den Gesetzgebungsmaterialien findet sich kein Hinweis darauf, dass der historische Gesetzgeber eine solche Unterscheidung hatte vornehmen wollen. Außerdem wird geltend gemacht, dass der Aufsichtsrat in der Krise nicht mehr Befugnisse erhalten könne, als ihm gesetzlich zustünden. Er dürfe – auch in der Krise – entsprechend § 111 Abs. 4 AktG zu keinem Zeitpunkt eine Geschäftsführungsaufgabe übernehmen.255 Der Aufsichtsrat sei gerade nicht oberstes Organ der Aktiengesellschaft. Schließlich führe die Dreiteilung zu praktischen Problemen, da in der Unternehmenspraxis eine klare stufenweise Abgrenzung nicht vorgenommen werden könne.256 3. Stellungnahme Dem Vorschlag Semlers ist zuzugestehen, dass eine Dreiteilung für den Aufsichtsrat auf den ersten Blick eine Vereinfachung bedeutet. Dem Aufsichtsrat ist dadurch möglich zu ermitteln, welche Pflichten ihn treffen und wie er auf die einzelnen Lagen der Gesellschaft zu reagieren hat. Nichtsdestotrotz ist die Einteilung der Aufsichtsratsverantwortung in drei verschiedene Situationen bedenklich und nicht mit dem Gesetz vereinbar. Zunächst leidet die Unterteilung unter tatsächlichen Problemen. Semler berücksichtigt bei seiner Bestimmung der Pflichten nicht, wie die Dreiteilung stattzufinden hat. Die fehlende Abgrenzbarkeit der einzelnen Phasen, in welchen sich die 251
Bürgers/Israel, in: Bürgers/Körber, AktG, § 111 Rdnr. 6. Ablehnend Mertens/Cahn, in: Kölner Kommentar AktG, § 111 Rdnr. 25; Hopt/Roth, in: Großkommentar AktG, § 111 Rdnr 313 ff; Claussen, AG 1984, S. 20; Theisen, AG 1989, S. 161, 164; zur Kritik am Dreistufenmodell Semlers vergleiche insb. Wardenbach, KSzW 2010, S. 114. 253 Hopt/Roth, in: Großkommentar AktG, § 111 Rdnr 316; Mertens/Cahn, in: Kölner Kommentar AktG, § 111 Rdnr. 25. 254 Mertens/Cahn, in: Kölner Kommentar AktG, § 111 Rdnr. 25. 255 Claussen, AG 1984, S. 20 f; Theisen, AG 1989, S. 161, 164. 256 Hopt/Roth, in: Großkommentar AktG, § 111 Rdnr. 316; dies zugestehend auch ebenso Steinbeck, Überwachungspflicht und Einwirkungsmöglichkeiten, S. 94. 252
B. Der Aufsichtsrat als Überwachungsorgan
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Gesellschaft befindet, stellt den Aufsichtsrat vor kaum lösbare Probleme. Bereits für den Vorstand, der sich bei einer gewissenhaften Unternehmensführung täglich über die Lage seiner Gesellschaft wird informieren lassen, ist es schwierig festzustellen, ab welchem Zeitpunkt die Grenze einer „normalen“ Lage der Gesellschaft hin zu einer angestrengten Lage überschritten wird. Problematisch ist im Besonderen die genaue Abgrenzung, ab welchem Zeitpunkt die Lage „umschlägt“ und es dadurch einen strengeren Pflichtenkatalog zu erfüllen gilt. Diese praktischen Schwierigkeiten sind beim Aufsichtsrat durch die bestehende Informationsasymmetrie ungleich ausgeprägter: Der Aufsichtsrat erlangt seine Informationen (fast) ausschließlich über den Vorstand.257 Zwar wird es – einen kundigen und kritischen Aufsichtsrat vorausgesetzt – diesem auch möglich sein zu erkennen, ob sich die Lage der Gesellschaft verschlechtert; eine zeitnahe Feststellung des Umschlagens der Situation ist jedoch höchst problematisch. Vor dem Hintergrund der Haftung der Aufsichtsratsmitglieder für Pflichtverletzungen wird man dem Aufsichtsrat eine solche kleinteilige Unterscheidung mit der Unsicherheit der Pflichtenbestimmung nicht auferlegen können. Ein zu vorsichtiger Aufsichtsrat könnte unter Umständen zu früh intervenieren und Geschäftschancen zerstören, ein zu optimistischer Aufsichtsrat durch zu spätes Einschreiten eine persönliche Haftung auslösen. Dies gilt umso mehr, wenn man bedenkt, dass die meisten Aufsichtsratsmitglieder in Aufsichtsräten mehrerer Gesellschaften gleichzeitig vertreten sind.258 Die dadurch resultierende Unsicherheit der genauen Bestimmung des Pflichtenkatalogs kann somit kaum mit dem Argument, dem Aufsichtsrat stünde ein weitgehendes Ermessen zu (dazu unten), abgemildert werden.259 Zu bedenken ist ferner, dass das Bestehen der Krise gerade eine Indikation für das Versagen des Aufsichtsorgans ist.260 Eine Krise kann nämlich daher rühren, dass der Aufsichtsrat in der Vergangenheit seine Überwachungsaufgabe allzu sehr vernachlässigt hat und sich nur auf eine „Begleitung“ des Unternehmens beschränkt hat.261 Die Verwaltung der Aktiengesellschaft obliegt jedoch dem Vorstand und dem Aufsichtsrat zu gleichen Teilen; eine bloße „Begleitung“ des Vorstands durch den Aufsichtsrat greift daher zu kurz, weil sie die Wichtigkeit der Überwachungsaufgabe nicht hinreichend würdigt. Soweit gegen den Vorschlag der Dreistufigkeit eingewandt wurde, dass Semler dem Aufsichtsrat mehr Macht vermittle, als das Gesetz vorsehe, indem er eine „führende Gestaltung“ fordere,262 handelt es sich dabei um eine sprachliche Unge257 Bisweilen wird sogar (fälschlicherweise) von einem Informationsvermittlungsmonopol gesprochen, vgl. Eichner/Höller, AG 2011, S. 885, 889. Dazu i.E. bereits oben, S. 46 ff. 258 Aus diesem Grund begrenzt der Gesetzgeber die Höchstzahl der Mandate auf insgesamt zehn (§ 100 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AktG); der DCGK schlägt eine Begrenzung auf nur drei Mandate vor (5.4.5 DCGK). 259 So aber Steinbeck, Überwachungspflicht und Einwirkungsmöglichkeiten, S. 94. 260 Theisen, AG 1989, S. 161, 164. 261 Insoweit zutreffend die Kritik bei Claussen, AG 1984, S. 20, 21. 262 Claussen, AG 1984, S. 20, 21.
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1. Teil: Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats und seiner Mitglieder
nauigkeit Semlers. Diesem Einwand ist Semler mittlerweile entgegengetreten und hat die Formulierung „führende Gestaltung“ in „gestaltende Überwachung“ abgeändert.263 Dem kann insoweit nichts entgegen gesetzt werden; die von Semler aufgeführten Rechte des Aufsichtsrats264 bestehen unstreitig. Die Formulierung „gestaltende Überwachung“ deutet richtigerweise auf eine gesteigerte Verantwortung des Aufsichtsrats hin und wird seiner besonderen Rolle in der Krise gerecht: Gerade im Fall einer akuten Krise geschieht es nicht selten, dass der Vorstand mit der aktuellen Rolle des Unternehmens überfordert ist.265 Wird der Vorstand auch auf Drängen des Überwachungsorgans nicht selbst tätig, so ist der Aufsichtsrat beispielsweise zur Abberufung untätiger Vorstandsmitglieder266 oder zur Stellung des Insolvenzantrages verpflichtet (vgl. § 15a Abs. 3 Alt. 2 InsO).267 In diesen besonderen Krisensituationen erhält der Aufsichtsrat zum Schutze der Gläubiger und der Gesellschaft ausnahmsweise ein Mehr an Rechten und Pflichten. Nicht verwechselt werden sollte dies aber mit einer zusätzlichen Befugnis, unternehmensleitend tätig zu werden. § 111 Abs. 4 Satz 2 AktG normiert ausdrücklich eine Grenze, die es (auch in der Krise) einzuhalten gilt. Soweit angeführt wird, der Aufsichtsrat erhalte in der Krise die Pflicht, „die Unternehmensleitung in die Hand zu nehmen, wenn der Vorstand dazu nicht mehr in der Lage ist“268 ist dies insofern bedenklich, als dass hierdurch suggeriert wird, dass das Geschäftsführungsverbot des Aufsichtsrats nicht mehr gelte. Dies ist mitnichten so; der Aufsichtsrat ist lediglich dazu berufen, die Handlungsfähigkeit des Vorstands (wieder) herzustellen, oder aber die Insolvenz der Gesellschaft einzuleiten. Eine eigene Geschäftsführungsbefugnis besteht für ihn nicht. Anderenfalls bestünde die Gefahr, dass der Aufsichtsrat bei Meinungsverschiedenheiten mit dem Vorstand unter Berufung auf dessen fehlende Handlungsfähigkeit die Unternehmensleitung an sich zieht und darauf verweist, dass sich das Unternehmen in einer Krise befindet. Insofern ist eine extensive Auslegung der Befugnisse des Aufsichtsrats (in der Krise) dringend zu vermeiden; die Tätigkeit des Aufsichtsrats umfasst niemals auch geschäftsleitende Maßnahmen.269 263
Semler, Leitung und Überwachung der Aktiengesellschaft, Rdnr. 234 (dort Fn. 359); zustimmend Hopt/Roth, in: Großkommentar AktG, § 111 Rdnr. 316; anders noch Semler in Replik zu Claussen, AG 1984, S. 20, 22. 264 Vgl. insoweit Semler, Leitung und Überwachung der Aktiengesellschaft, Rdnr. 234. 265 Die Formulierung findet sich auch bei Karsten Schmidt, der von einer Überwachung in der Krise von „gestaltender Tragweite“ spricht und damit die besondere Verpflichtung des Überwachungsorgans zur Intensivierung seiner Anstrengungen in der wirtschaftlich schlechten Lage der Gesellschaft unterstreicht, vgl. K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, § 28 III 1 d), S. 827; ebenso Bürgers/Israel, in: Bürgers/Körber, AktG, § 110 Rdnr. 6. 266 OLG Düsseldorf, Urt. v. 31. 05. 2012 – I-16 U 176/10, AG 2013, S. 171, 172 re. Sp. 267 Haas/Mock, in: Gottwald/Adolphsen, Insolvenzrechts-Handbuch, Rdnr. 119; auch Hasselbach, NZG 2012, S. 41, 47, sieht ein „Einschreiten“ des Aufsichtsrats erforderlich, stellt aber klar, dass der Aufsichtsrat zu keinem Zeitpunkt als „Co-Vorstand“ fungiert. 268 Raiser/Veil, Recht der Kapitalgesellschaften, § 15 Rdnr. 109. 269 So auch klarstellend LG Düsseldorf, Urt. v. 07. 07. 1989 – 32 O 39/89, AG 1991,S. 70, 71: „Es war nicht seine Aufgabe als Aufsichtsrat, die Geschäftsleitung in der kritischen Phase zu übernehmen und andere Sanierungsvorschläge zu erarbeiten“.
B. Der Aufsichtsrat als Überwachungsorgan
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Dem Argument, das Gesetz sehe eine Abstufung der Überwachungspflicht nicht vor, hält Semler entgegen, dass eine solche Abstufung im Aktienrecht sehr wohl angelegt sei.270 So gebe es in außergewöhnlichen Situationen eine erhöhte Anforderung an den Vorstand, seinen Berichtspflichten nachzukommen (§ 90 Abs. 1 Satz 2 AktG). Außerdem sei es dem Aufsichtsrat in solchen Situationen ebenfalls erlaubt, weitere Berichte anzufordern (§ 90 Abs. 3 AktG). Dies ist zutreffend. Allerdings lässt sich hieraus gerade nicht herleiten, dass der Gesetzgeber eine Dreistufigkeit beabsichtigte. Vielmehr unterscheidet der Gesetzgeber in gewöhnliche und außergewöhnliche Umstände.271 Zudem ist zu bemerken, dass die zusätzliche Pflicht in erster Linie den Vorstand und nicht den Aufsichtsrat trifft. Grund hierfür ist die Annahme, dass der Vorstand durch eine zurückhaltende Informationspolitik in der Vergangenheit dem Aufsichtsrat die Möglichkeit genommen hat, drohende Probleme vorab zu erkennen. Insoweit verfängt das Argument hier nicht. Vielmehr muss auf § 111 Abs. 1 AktG rekurriert werden, der eine Abstufung ebenso wenig wie seine Vorgängernormen vornimmt. Zu bedenken ist, dass der Aufsichtsrat in Phasen, in denen das Unternehmen keinen Krisen ausgesetzt ist und insofern stabil erscheint, seine Überwachungstätigkeit weder einschränken soll noch darf. Er hat, so sieht es das Gesetz vor, zu jedem Zeitpunkt die Geschäftsführung zu überwachen und dabei alle ihm zur Verfügung stehenden Mittel auszuschöpfen. Dass in Problemlagen ganz ausnahmsweise zusätzliche Befugnisse verliehen werden, darf nicht dahingehend missverstanden werden, dass in den übrigen Zeiten die Überwachung weniger stark forciert werden darf.272 Besonders in vermeintlich „guten“ Phasen kann der Vorstand durchaus dazu geneigt sein, risikoreiche Entscheidungen zu treffen, die er in einer wirtschaftlich angespannten Lage nicht treffen würde.273 Diese Entscheidungen unterliegen aber in gleicher Weise einer intensiven Beobachtung und Kontrolle des Aufsichtsrats, wie dies auch in einer Krisensituation der Fall wäre. Der Aufsichtsrat ist gerade in derartigen Situationen als Kontrollinstanz gefragt. Er hat daher zu jedem Zeitpunkt und unabhängig von offensichtlich drohenden Risiken eine umfassende Überwachung der Geschäftsführung zu leisten.274 Zeichnet sich aber ab, dass eine Verschlechterung der Lage der Gesellschaft eintritt oder eingetreten ist, so hat der Aufsichtsrat unverzüglich seine bisherigen Überwachungsbemühungen zu überprüfen und zu intensivieren.275
270
Semler, ZGR 1983, S. 1, 19 f. Ähnlich, wenn auch nicht ausdrücklich, die Differenzierung bei OLG Stuttgart, Urt. v. 19. 06. 2012 – 20 W 1/12, Rdnr. 77 (zitiert nach juris). 272 So auch Wardenbach, KSzW 2010, S. 114, 116. 273 Auf welche Art und Weise er die Vorstandsüberwachung vornimmt, ist dem Aufsichtsrat grundsätzlich freigestellt; er hat hier ein weites Ermessen. Dies änders aber nichts daran, dass grundsätzlich die gleiche Beratungstiefe geschuldet ist. Anders aber wohl Bürgers/Israel, in: Bürgers/Körber, AktG, § 110 Rdnr. 6. 274 So auch OLG Düsseldorf, Urt. v. 08. 03. 1984 – 6 U 75/83, ZIP 1984, S. 825, 827. 275 OLG Düsseldorf, Urt. v. 31. 05. 2012 – I-16 U 176/10, AG 2013, S. 171, 172 re. Sp. 271
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1. Teil: Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats und seiner Mitglieder
Aufgrund der genannten Kritikpunkte ist das dreistufige Modell nicht praxisfähig. Eine andere Unterscheidung erscheint daher sinnvoller: Der Aufsichtsrat hat den Vorstand stets mit gleicher, hoher Intensität zu überwachen. Insbesondere eine gute wirtschaftliche Unternehmenslage darf nicht dazu führen, dass die Überwachung durch den Aufsichtsrat weniger stark durchgesetzt wird. Im Gegenteil muss der Aufsichtsrat dafür Sorge tragen, dass diese gute wirtschaftliche Situation auch in Zukunft fortbesteht und die Gesellschaft daher von allzu optimistischen und risikoreichen Vorstandsentscheidungen bewahren. Bestehen konkrete Anhaltspunkte für den Aufsichtsrat, dass eine Verschlechterung der Lage droht oder ist diese bereits eingetreten, so hat der Aufsichtsrat unverzüglich seine Überwachungstätigkeit zu überprüfen und gegebenenfalls zu verstärken.276 Hierbei handelt es sich vom Status Quo aus betrachtet zwar um eine Verschärfung der Überwachung, diese ist aber nur der zu schwachen vorausgehenden Kontrolle geschuldet. Der Aufsichtsrat stellt also durch die Verstärkung der Überwachung in der Krise lediglich den bereits zuvor geschuldeten Zustand her; die Krise erinnert insofern an die bestehenden Pflichten, ohne dass es hier zu einer Verschiebung des Pflichtenmaßstabs kommt. In selteneren Fällen, in denen eine Verschlechterung der Unternehmenslage auf (unvorhersehbaren) exogenen Faktoren beruht, vermag die Verstärkung der Überwachung ausnahmsweise aufgrund gestiegener externer Anforderungen notwendig geworden sein. Dann kann sich ausnahmsweise der geschuldete Pflichtenumfang modifizieren. Nur in ganz extremen Ausnahmefällen kommt es schließlich zu erweiterten Rechten und Pflichten des Aufsichtsrats, die neben die Überwachungspflicht treten. Nach der hier vertretenen Auffassung gilt es bei Feststellung der Verschlechterung der Lage der Gesellschaft durch den Aufsichtsrat zunächst den Sachverhalt lückenlos aufzuklären. Dazu hat der Aufsichtsrat vergangene Vorstandsberichte sorgfältig zu überprüfen, muss aber ggf. auch weitere Berichte und Informationen anfordern und dafür Sorge tragen, dass die Berichtsintensität des Vorstands sich erhöht.277 Dann ist zu klären, inwieweit der Aufsichtsrat durch Personalmaßnahmen oder Beratung selbst unterstützend tätig sein kann. Hinweisen auf eine Existenzbedrohung der Gesellschaft oder Pflichtverletzungen durch den Vorstand muss der Aufsichtsrat in jedem Fall nachgehen.278 Erforderlich ist dafür jedenfalls zunächst die Einberufung einer Aufsichtsratssitzung.279 Dabei sollten Lösungsmöglichkeiten eruiert und ausgearbeitet werden. Diese werden dann dem Vorstand vorgeschlagen. Ist die Krise 276 Ebenso Geßler, in: Geßler/Hefermehl, AktG, § 111 Rdnr. 23; wohl auch Hopt/Roth, in: Großkommentar AktG, § 110 Rdnr. 66, die im Krisenfall eine höhere Anzahl an Aufsichtsratssitzungen fordern; in diese Richtung Strohn, NZG 2011, S. 1161, 1163; OLG Düsseldorf, Urt. v. 31. 05. 2012 – I-16 U 176/10, AG 2013, S. 171, 172 re. Sp.; ähnlich auch für den Beirat, der dort aber mit einem Aufsichtsrat gleichgesetzt wird BGH, Urt. v. 22. 10. 1979 – II ZR 151/ 77, AG 1980, S. 109, 110. 277 Hasselbach, NZG 2012, S. 41, 43; Strohn, NZG 2011, S. 1161, 1163. 278 LG Bielefeld, Urt. v. 16. 11. 1999 – 15 O 91/98, BB 1999, S. 2630, 2631; ebenso LG München I, Urt. v. 06. 09. 2007 – 5 HK O 12570/07, AG 2007, S. 756, 757. 279 Ebenso LG München I, Urt. v. 06. 09. 2007 – 5 HK O 12570/07, AG 2007, S. 756, 758.
B. Der Aufsichtsrat als Überwachungsorgan
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überstanden, sollte sich der Aufsichtsrat auf keinen Fall „zurückziehen“, wie es im dreistufigen Modell anklingt. Im Gegenteil ist mit der Rückkehr zu geordneten Verhältnissen die Verantwortung des Aufsichtsrats nicht erledigt. Der Aufsichtsrat hat dann sowohl eine vergangenheitsbezogene Kontrolle als auch eine präventive Überwachung durchzuführen.280 Er klärt den Sachverhalt mit dem Ziel der Verhinderung weiterer Fehlentwicklungen auf, überprüft, ob die Berichtspflichten in der Vergangenheit unzureichend waren und ob weitere Maßnahmen für die Zukunft zu treffen sind, um eine angestrengte Lage in der Zukunft zu vermeiden. Der Aufsichtsrat überprüft außerdem, ob er dazu verpflichtet ist, Schadensersatzansprüche der Gesellschaft gegen die Vorstandsmitglieder geltend zu machen. Von einer verminderten Aufsichtspflicht kann also zu keiner Zeit ausgegangen werden. Entgegen der Formulierung bei Semler gilt es außerdem zu beachten, dass dem Aufsichtsrat – abgesehen vom Ausnahmefall des handlungsunfähigen Vorstands – selbstverständlich in jeder Situation grundsätzlich die gleichen Mittel gegenüber dem Vorstand zur Verfügung stehen.281 Ob ein Gebrauchmachen von diesen Mitteln in der konkreten Situation sinnvoll und erforderlich ist, bleibt eine Frage des Einzelfalls, die sich aber nicht pauschal an der Lage des Unternehmens orientieren kann, sondern einer Einzelfallabwägung des Aufsichtsrats unterliegt. Die generelle Versagung der Befugnis zur Ausübung der entsprechenden Rechte ist nicht mit dem Gesetz vereinbar.
V. Mittel der Überwachung: Einwirkungsund Handlungsmöglichkeiten Wie aufgezeigt hat der Aufsichtsrat verschiedene Rechte und Pflichten bei der Überwachung des Vorstands. Die Wirkungsfähigkeit von Kontrollrechten endet, wo eine Durchsetzung oder Sanktionierung ihrer fehlenden Umsetzung nicht möglich ist. Um eine ausreichende Information des Aufsichtsrats zu gewährleisten ist es notwendig, dass etwaige Weigerungen des Vorstands, seinen (Informations-) Pflichten nachzukommen, sanktioniert werden. Bliebe eine Weigerung des Vorstands, die relevanten Informationen zu übermitteln folgenlos, so gäbe es für ihn keinen hinreichenden Anreiz, den gesetzlichen Anforderungen oder den Aufforderungen des Aufsichtsrats nachzukommen. Ferner ist es für die Stellung des Aufsichtsrats als mit dem Vorstand gemeinsam die Aktiengesellschaft verwaltendes Organ notwendig, diesen zur Berücksichtigung seiner Ansichten anzuhalten und Maßnahmen unter den Vorbehalt der Konsultation oder Zustimmung zu stellen.
280
So auch Hüffer, NZG 2007, S. 47, 48. Die Dreiteilung bei Semler lässt den Schluss zu, dass die Vornahme der Maßnahmen der Personalplanung (bspw. Abberufung einzelner Vorstandsmitglieder) dem Aufsichtsrat nur in der Krise möglich sei. Zu beachten bleibt, dass im Krisenfall der Aufsichtsrat weitergehende Rechte und Pflichten erhält (vgl. bspw. Insolvenzantragspflicht). Diese veränderten Rechte und Pflichten wirken aber nicht gegenüber dem Vorstand. 281
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1. Teil: Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats und seiner Mitglieder
1. Stellungnahmen, Meinungsäußerungen und Beanstandungen Als einfachstes Mittel der Einwirkung auf die Tätigkeit des Vorstands steht dem Aufsichtsrat die Möglichkeit offen, dem Vorstand seine Ansicht zu einer bestimmten Frage mitzuteilen. Wie bereits ausgeführt282 ist der Aufsichtsrat dazu verpflichtet, sich sowohl mit Vorgängen aus der Vergangenheit, als auch mit Zukunftsplanungen auseinander zu setzen. Seine eigene Bewertung teilt der Aufsichtsrat dem Vorstand formlos, auch mündlich, mit.283 Dabei kann der Aufsichtsrat Maßnahmen aus der Vergangenheit nachträglich ausdrücklich missbilligen oder von geplanten Vorhaben abraten bzw. eigene Empfehlungen aussprechen. In bedeutsamen Fällen, oder wenn die Ansicht des Aufsichtsrats (als Gesamtorgan) erheblich von den Planungen oder Maßnahmen des Vorstands divergiert, ist der Aufsichtsrat zur Fassung eines förmlichen Meinungs- oder Empfehlungsbeschlusses berechtigt und ggf. verpflichtet.284 Bis auf wenige Sonderfälle besitzt der Aufsichtsrat gegenüber dem Vorstand kein Weisungsrecht.285 Hinweise, Äußerungen und Bedenken des Aufsichtsrats sind, auch wenn als förmlicher Beschluss getroffen, für den Vorstand nicht bindend.286 Ganz im Gegenteil: er darf nicht blind auf die Empfehlungen des Aufsichtsrats vertrauen, sondern ist vielmehr dazu verpflichtet, eine eigene Prüfung der angeratenen Maßnahmen vorzunehmen. Anderenfalls macht er sich unter Umständen ersatzpflichtig.287 Eine unmittelbare Beeinflussung der Vorstandstätigkeit durch einen Aufsichtsratsbeschluss würde die gesetzlich fixierte Trennung von Geschäftsführung und Überwachung verletzen und wäre unzulässig. Nichtdestotrotz ist der Vorstand zur Beachtung der Stellungnahmen verpflichtet.288 Er muss sich mit den einzelnen Bedenken oder Kritikpunkten wenigstens auseinandersetzen und nachvollziehen, ob diese zutreffend sind.289 Folgt er der Ansicht des Aufsichtsrats nicht, hat er die Gründe hierzu darzulegen.290 Rein tatsächlich wird er sich schon vor dem Hintergrund des Risikos, nicht wiederbestellt zu werden, mit den Auffassungen des Auf282
Siehe oben, S. 30 ff. Vetter, in: Marsch-Barner/Schäfer, Handbuch börsennotierte AG, § 26 Rdnr. 18. 284 Semler, Leitung und Überwachung der Aktiengesellschaft, Rdnr. 203. 285 Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats, Rdnr. 110, wobei offenbleibt, wann und in welchen Fällen ein solches Weisungsrecht vorliegen soll. 286 Hopt/Roth, in: Großkommentar AktG, § 111 Rdnr. 334. 287 Mertens/Cahn, in: Kölner Kommentar AktG, § 111 Rdnr. 38; Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats, Rdnr. 110. 288 Vetter, in: Marsch-Barner/Schäfer, Handbuch börsennotierte AG, § 26 Rdnr. 18; Hoffmann-Becking, in: Hoffmann-Becking, Münchener Handbuch des Gesellschaftsrechts, Bd. 4, § 29 Rdnr. 32; Steinbeck, Überwachungspflicht und Einwirkungsmöglichkeiten, S. 159. 289 Mertens/Cahn, in: Kölner Kommentar AktG, § 111 Rdnr. 37. 290 Matthiessen, Stimmrecht und Interessenkollision im Aufsichtsrat, S. 290; Mertens, in: Kölner Kommentar AktG, § 111 Rdnr. 39; wohl auch Hoffmann-Becking, in: Hoffmann-Becking, Münchener Handbuch des Gesellschaftsrechts, Bd. 4, § 29 Rdnr. 32. 283
B. Der Aufsichtsrat als Überwachungsorgan
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sichtsrats auseinandersetzen.291 Zu Recht wird daher darauf hingewiesen, dass die praktische Bedeutung dieser Art der Einwirkung nicht unterschätzt werden sollte: Durch die (abweichende) Meinungsäußerung des Aufsichtsrats entsteht für den Vorstand eine gesteigerte Begründungspflicht. Er muss vor dem Aufsichtsrat und auch vor sich selbst Rechenschaft über die Einzelfrage ablegen.292 Den Beanstandungen kommt insofern eine faktische Wirkung zu. 2. Begründung von Zustimmungsvorbehalten Anstatt einer bloßen unverbindlichen Meinungsäußerung kann der Aufsichtsrat festlegen, dass bestimmte Entscheidungen des Vorstands nur mit Zustimmung des Aufsichtsrats getroffen werden können (§ 111 Abs. 4 Satz 2 AktG). Ein solcher Zustimmungsvorbehalt bindet den Vorstand erheblich und schränkt seine Leitungsautonomie ein. Der Gesetzgeber beabsichtigte, dem Aufsichtsrat eine flexible Kontrollmöglichkeit zu eröffnen, indem er ihm die Möglichkeit einräumte, Geschäfte der Gesellschaft von wesentlicher Bedeutung unter einen Zustimmungsvorbehalt zu stellen. Dadurch soll zum einen eine rechtzeitige und hinreichende Informierung des Aufsichtsrats und zum anderen die Einbindung des Aufsichtsrats in für die künftige Entwicklung der Gesellschaft wichtige Entscheidungen und Maßnahmen sichergestellt werden.293 Die im dualistischen System angelegte Gewaltenteilung zwischen Vorstand und Aufsichtsrat wird zwar grundsätzlich aufrechterhalten. Nicht zu verkennen ist aber, dass der Aufsichtsrat durch die Möglichkeit, Zustimmungsvorbehalte einzurichten, eine erheblich gesteigerte Teilhabe an den Entscheidungsprozessen des Vorstands erhält. Der Bundesgerichtshof spricht in diesem Zusammenhang davon, dass der Aufsichtsrat die unternehmerische Tätigkeit des Vorstands „präventiv mitgestaltet“.294 Aufgrund der Verschiedenheit der Bedürfnisse einzelner Aktiengesellschaften wurde bewusst auf die Formulierung eines feststehenden Kataloges zustimmungspflichtiger Maßnahmen verzichtet und stattdessen die konkrete Ausgestaltung der Maßnahmen der Hauptversammlung (durch Festlegung von Satzungsbestimmungen) und dem Aufsichtsrat (per Aufsichtsratsbeschluss) überlassen.295 Der Aufsichtsrat kann damit ganz konkrete Geschäfte und Maßnahmen unter Zustimmungsvorbehalte stellen, bei denen er eine Beteiligung wünscht. Er ist nicht an in der Satzung festgelegte Vorbehalte gebunden und kann einen dort genannten Katalog 291
Hüffer, NZG 2007, S. 47, 52. Hoffmann-Becking, in: Hoffmann-Becking, Münchener Handbuch des Gesellschaftsrechts, Bd. 4, § 29 Rdnr. 30. 293 Vgl. RegE zum TransPuG, abgedruckt in NZG 2002, S. 213, 222. 294 BGH, Urt. v. 21. 04. 1997 – II ZR 175/95, BGHZ 135, 244, Rdnr. 25 (zitiert nach juris). 295 Vgl. RegE zum TransPuG, abgedruckt in NZG 2002, S. 213, 222. 292
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1. Teil: Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats und seiner Mitglieder
zustimmungspflichtiger Maßnahmen durch eigenen Beschluss erweitern.296 Allerdings darf das Überwachungsorgan den Maßnahmenkatalog der Satzung nicht unterlaufen. Es ist zur pflicht- und ordnungsgemäßen Ausübung seines Prüfungsrechtes verpflichtet und darf den zustimmungspflichtigen Maßnahmen, beispielsweise weil es das Zustimmungserfordernis der Satzung als überflüssig ansieht, nicht ohne Prüfung seine Zustimmung erteilen.297 Umgekehrt kann die Satzung auch nicht die vom Aufsichtsrat festgelegten Zustimmungsvorbehalte abändern oder festlegen, dass der Aufsichtsrat für bestimmte Geschäfte keine Zustimmungsvorbehalte festlegen darf.298 a) Art und Umfang des Zustimmungsvorbehalts Der Zustimmungsvorbehalt ist eine Maßnahme zur vorbeugenden Überwachung mit unmittelbarer Auswirkung auf die Geschäftsführung des Vorstands,299 da bereits durch die Verhinderung der Ausführung des Geschäfts im Einzelfall erheblicher Einfluss auf die Geschäftsleitung des Vorstands genommen wird. Vor dem Hintergrund der gemäß §§ 76, 111 Abs. 4 Satz 1 AktG allein beim Vorstands verorteten Geschäftsführungsbefugnis ist der Einfluss des Aufsichtsrats aber auf ein Vetorecht beschränkt; dem Vorstand dürfen insoweit keine Vorgaben zur Art und Weise der Ausführung eines bestimmten Geschäftes oder einer konkreten Maßnahme gemacht werden. Die Selbstvornahme von Geschäften oder Maßnahmen durch den Aufsichtsrat ist freilich ebenfalls unmöglich. Hinsichtlich der Art der Geschäfte des Zustimmungsvorbehalts sind dem Aufsichtsrat keine allzu engen Grenzen gesetzt.300 Das Gesetz spricht in § 111 Abs. 4 Satz 2 AktG von der Zulässigkeit von Zustimmungsvorbehalten nur für „bestimmte Arten von Geschäften“. Insofern müssen generalklauselartige Bestimmungen für „wichtige“ oder „bedeutende“ Geschäfte aufgrund der fehlenden Bestimmtheit als unzulässig angesehen werden.301 Eine andere Bewertung würde außerdem die Geschäftsführungsbefugnis des Vorstands einer zu erheblichen Einschränkung auferlegen und daher zu weitreichend in dessen Kompetenzbereich eingreifen. Die Be296 Hoffmann-Becking, in: Hoffmann-Becking, Münchener Handbuch des Gesellschaftsrechts, Bd. 4, § 29 Rdnr. 38; Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats, Rdnr. 114 f; Habersack, in: Münchener Kommentar AktG, § 111 Rdnr. 103; a.A. aber Wiedemann, ZGR 1975, S. 385, 426, andeutungsweise Wiedemann, BB 1978, S. 5, 8; Hölters, BB 1978, S. 640, 642. 297 Koch, in: Hüffer, AktG, § 111 Rdnr. 38; Habersack, in: Münchener Kommentar AktG, § 111 Rdnr. 103. 298 Hopt/Roth, in: Großkommentar AktG, § 111 Rdnr. 590. 299 Hopt/Roth, in: Großkommentar AktG, § 111 Rdnr. 583. 300 Vgl. die umfassende Darstellung bei Thiessen, AG 2013, S. 573 ff als Replik auf das engere Verständnis bei Fleischer, BB 2013, 835, 841 ff. 301 OLG Stuttgart, Urt. v. 27. 02. 1979 – 12 U 171/77, WM 1979, S. 1296, 1300; Lutter/ Krieger/Verse, Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats, Rdnr. 118; Ulmer/Habersack, in: Ulmer/Habersack, MitbestR, § 25 MitbestG Rdnr. 62; Habersack, in: Münchener Kommentar AktG, § 111 Rdnr. 106.
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stimmung der Maßnahmen und Geschäfte für den Zustimmungsvorbehalt erfolgt daher im Regelfall nach allgemeinen Merkmalen.302 Aus der Satzung und/oder dem Aufsichtsratsbeschluss muss deutlich werden, welche Arten von Geschäften unter den Vorbehalt fallen. Die Geschäfte müssen insofern ihrer Art nach eindeutig abgrenzbar und bestimmbar sein,303 so dass der Vorstand ohne weitere Prüfung erkennen kann, ob die anvisierte Maßnahme vom Aufsichtsrat gebilligt werden muss. Ausnahmsweise können auch Einzelmaßnahmen unter einen gesonderten Zustimmungsvorbehalt gestellt werden.304 Solche Einzelmaßnahmen können insbesondere Geschäfte mit erheblicher Implikation auf den Umsatz oder die Liquiditätslage des Unternehmens sein. Freilich kann nicht jedes Geschäft unter einen Zustimmungsvorbehalt gestellt werden. Vor dem Hintergrund einer drohenden zu weiten Einschränkung der Geschäftsführungsautonomie des Vorstands müssten die Maßnahmen nicht nur in ihrem Umfang eng umschrieben und klar abgegrenzt sein, sondern dürfen außerdem nur für bedeutsame Geschäfte und Maßnahmen angeordnet werden.305 Der DCGK empfiehlt in Ziffer 3.3 daher, die Zustimmungsvorbehalte für Geschäfte mit grundlegender Bedeutung festzulegen und meint damit Maßnahmen und Entscheidungen, welche die Finanz-, Ertrags- und Vermögenslage des Unternehmens nicht unerheblich beeinflussen. Die übrigen Geschäfte des Vorstands, insbesondere das Tagesgeschäft, sind bereits nicht von der grundsätzlichen Überwachung durch den Aufsichtsrat umfasst und können daher auch nicht Gegenstand des Zustimmungsvorbehalts sein, der die Überwachung des Aufsichtsrats umsetzen soll.306 Der Zustimmungsvorbehalt kann (und ggf. muss)307 auch ad hoc im Vorfeld einer geplanten Maßnahme des Vorstands getroffen werden.308 Ein ad hoc Vorbehalt kann insbesondere dann erforderlich werden, wenn sich der Vorstand mit dem Aufsichtsrat
302
Vgl. hierzu die beispielhafte Auflistung bei Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats, Rdnr. 118. 303 Spindler, in: Spindler/Stilz, AktG, § 111 Rdnr. 69. 304 BGH, Urt. v. 15. 11. 1993 – II ZR 235/92, BGHZ 124, S. 111, 126 f; OLG Stuttgart, Urt. v. 27. 02. 1979 – 12 U 171/77, WM 1979, 1296, 1300 f; Hoffmann-Becking, in: HoffmannBecking, Münchener Handbuch des Gesellschaftsrechts, Bd. 4, § 29 Rdnr. 39; Drygala, in: Schmidt/Lutter, AktG, § 111 Rdnr. 55; Götz, ZGR 1990, S. 633, 642 f. 305 Mertens/Cahn, in: Kölner Kommentar AktG, § 111 Rdnr. 84; Hoffmann-Becking, in: Hoffmann-Becking, Münchener Handbuch des Gesellschaftsrechts, Bd. 4, § 29 Rdnr. 43; Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats, Rdnr. 121; Hüffer, NZG 2007, S. 47, 52 f; Hopt/Roth, in: Großkommentar AktG, § 111 Rdnr. 602 ff; Habersack, in: Münchener Kommentar AktG, § 111 Rdnr. 107. 306 Vgl. Drygala, in: Schmidt/Lutter, AktG, § 111 Rdnr. 56. 307 Zur Zustimmungspflicht siehe unten, S. 86. 308 BGH, Urt. v. 15. 11. 1993 – II ZR 235/92, BGHZ 124, 111, 127; Hopt/Roth, in: Großkommentar AktG, § 111 Rdnr. 594; Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats, Rdnr. 1117; Habersack, in: Münchener Kommentar AktG, § 111 Rdnr. 115.
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bezüglich der Ausführung eines Geschäftes abstimmt, allerdings auf die Bedenken des Aufsichtsrats nicht eingeht und sich darüber hinwegzusetzen droht.309 b) Wirkung des Zustimmungsvorbehalts und der Zustimmungserklärung Unterliegt eine Maßnahme einem durch Satzung oder Aufsichtsratsbeschluss festgelegten Zustimmungsvorbehalt, so hat der Vorstand die Umsetzung des entsprechenden Geschäfts bis zur Zustimmung des Aufsichtsrats zurückzustellen. Zustimmung im Sinne von § 111 Abs. 4 Satz 2 AktG meint insofern die vorherige Zustimmung (Einwilligung) im Sinne von § 183 Abs. 1 BGB.310 Das ergibt sich zwar nicht unmittelbar aus dem Wortlaut der Norm, wohl aber aus deren Zielsetzung, die eine umfassende präventive Kontrolle durch den Aufsichtsrat fördern möchte. Dies kann nur durch die Pflicht zur vorherigen Zustimmung erreicht werden. Eine Ausnahme soll – unter strengen Voraussetzungen – nur bei besonders eilbedürftigen Maßnahmen zugelassen werden.311 Durch den Zustimmungsvorbehalt wird die unbeschränkte Vertretungsbefugnis des Vorstands (§ 82 Abs. 1 AktG) nicht berührt; das Zustimmungserfordernis bleibt damit ohne Außenwirkung.312 Der Vorstand kann somit auch unter Zustimmungsvorbehalt stehende Geschäfte ohne die im Innenverhältnis erforderliche Zustimmung vornehmen und die Gesellschaft wirksam verpflichten. Etwas anderes gilt allenfalls vor dem Hintergrund des Missbrauchs der Vertretungsmacht in Form eines kollusiven Zusammenwirkens von Vorstand und Dritten.313 Im Innenverhältnis handelt der Vorstand allerdings ohne Geschäftsführungsbefugnis; seine Mitglieder machen sich damit unter Umständen ersatzpflichtig. Umgekehrt wird der Vorstand durch die Zustimmungserteilung von seiner Verantwortung für die Folgen der umzusetzenden Maßnahme nicht befreit. Auch bei erteilter Zustimmung bleibt er für die Maßnahme haftungsrechtlich verantwortlich im Sinne von § 93 AktG.314 Gleichzeitig bindet die 309
Vgl. Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats, Rdnr. 117. Koch, in: Hüffer, AktG, § 111 Rdnr. 46; Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats, Rdnr. 124; Habersack, in: Münchener Kommentar AktG, § 111 Rdnr. 123; Spindler, in: Spindler/Stilz, AktG, § 111 Rdnr. 79; Bauer, Organklagen zwischen Vorstand und Aufsichtsrat, S. 97; Rodewig, in: Semler/von Schenck, Arbeitshandbuch für Aufsichtsratsmitglieder, § 8 Rdnr. 54. 311 Ausführlich hierzu Spindler, in: Spindler/Stilz, AktG, § 111 Rdnr. 79; vgl. auch Mertens/Cahn, in: Kölner Kommentar AktG, § 111 Rdnr. 106 ff; Hopt/Roth, in: Großkommentar AktG, § 111 Rdnr. 680; a.A. Drygala, in: Schmidt/Lutter, AktG, § 111 Rdnr. 58, der in Eilfällen lediglich eine Verpflichtung des Aufsichtsratsvorsitzenden zur Herbeiführung einer zeitnahen Entscheidung annimmt. 312 Spindler, in: Spindler/Stilz, AktG, § 111 Rdnr. 66. 313 Vgl. zur Rechtsfolge von kollusivem Zusammenwirken von Vorstand und Vertragspartner: Hopt/Roth, in: Großkommentar AktG, § 111 Rdnr. 703. 314 Hoffmann-Becking, in: Hoffmann-Becking, Münchener Handbuch des Gesellschaftsrechts, Bd. 4, § 29 Rdnr. 35; Mertens/Cahn, in: Kölner Kommentar AktG, § 111 Rdnr. 1148; Altmeppen, in: Bitter/Lutter/Priester/Schön/Ulmer, Festschrift für Karsten Schmidt, S. 23, 37. 310
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Zustimmung den Vorstand aber nicht, die Maßnahme vorzunehmen, sondern er kann nach eigenem Dafürhalten die Umsetzung der Maßnahme unterlassen. Jedoch führt auch die Zustimmungsverweigerung des Aufsichtsrats nicht automatisch zu einer Enthaftung des Vorstands, wenn dieser aus zwingenden Gründen des Gesellschaftsinteresses zur Vornahme der Handlung verpflichtet gewesen wäre.315 Über die Zustimmungserteilung entscheidet der Aufsichtsrat durch Beschluss. Die Übertragung der entsprechenden Kompetenz auf einen gesonderten Ausschuss – was insbesondere für eilbedürftige Maßnahmen sinnvoll erscheint – ist zulässig. Das Delegationsverbot in § 107 Abs. 3 Satz 3 AktG bezieht sich allein auf die Einrichtung des Zustimmungsvorbehalts, nicht auf die Erteilung oder Verweigerung der Zustimmung.316 Die Zustimmung des Aufsichtsrats ist nicht an rein wirtschaftliche Kriterien gebunden. Er ist daher nicht zu einer Zustimmung verpflichtet, wenn die Maßnahme wirtschaftlich vertretbar und sinnvoll erscheint. Stattdessen kann er die Zustimmung auch dann verweigern, wenn das Geschäft zwar ordnungsgemäß wäre, es aber nicht den Vorstellungen der Unternehmensentwicklung des Aufsichtsrats entspricht. Dadurch erhält das Überwachungsorgan einen unmittelbaren bindenden Einfluss auf die Geschäftsführung und damit ein quasi gleichberechtigtes unternehmerisches Mitentscheidungsrecht,317 das aber freilich auf eine Verhinderung künftiger Maßnahmen beschränkt ist. Der Aufsichtsrat kann selbst entscheiden, unter welchen Voraussetzungen er zustimmungspflichtigen Geschäften eine Zustimmung erteilt; möglich ist auch eine Beschränkung auf eine reine Vertretbarkeitsprüfung.318 Eine Verpflichtung zur Zustimmung besteht nur dann, wenn die Nichtausführung des Geschäftes eine rechtswidrige Schädigung des Unternehmens bedeuten würde.319 Daneben ist der Aufsichtsrat allerdings auch dazu verpflichtet, vor der Zustimmungserteilung zu prüfen, ob durch die geplante Maßnahme des Vorstands die Interessen der Gesellschaft verletzt werden. Dabei hat er sich hinreichend über das Geschäft und die möglichen Folgen zu informieren. Unterlässt der Aufsichtsrat dies und erteilt er
315
Mertens/Cahn, in: Kölner Kommentar AktG, § 111 Rdnr. 113; a.A. Götz, ZGR 1990, S. 633, 644 f, wonach im Fall der pflichtwidrigen Zustimmungsverweigerung des Aufsichtsrats dem Vorstand allein die Anrufung der Hauptversammlung bleib. Für etwaige Schäden hafte allein der Aufsichtsrat, nicht auch der Vorstand. 316 Drygala, in: Schmidt/Lutter, AktG, § 111 Rdnr. 58. 317 Habersack, in: Münchener Kommentar AktG, § 111 Rdnr. 110; Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats, Rdnr. 112; Semler, Leitung und Überwachung der Aktiengesellschaft, Rdnr. 212; Hopt/Roth, in: Großkommentar AktG, § 111 Rdnr. 671; zur gewandelten Rolle des Aufsichtsrats hin zu einem unternehmerischen Zusammenwirken vgl. auch Lutter, ZIP 2003, S. 417, 418; a.A. wohl Theisen, Die Überwachung der Unternehmungsführung, S. 371 f, der dem Aufsichtsrat insoweit kein Ermessen zugesteht. 318 Vgl. hierzu umfassend Hopt/Roth, in: Großkommentar AktG, § 111 Rdnr. 671 ff, die eine Unterscheidung in (1) eigene unternehmerische Entscheidungen, (2) Bestätigungen der Vertretbarkeit und (3) bloße Erlaubnisse vornehmen. 319 Mertens/Cahn, in: Kölner Kommentar AktG, § 111 Rdnr. 111.
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dennoch eine Zustimmung, obgleich er diese bei ordnungsgemäßer Prüfung hätte verweigern müssen, so macht er sich schadensersatzpflichtig.320 Verweigert der Aufsichtsrat die Zustimmung, so verbleibt die Möglichkeit, dass die Hauptversammlung die Zustimmung erteilt. Hierzu kann der Vorstand die Zustimmungskompetenz auf die Hauptversammlung übertragen (§ 111 Abs. 4 Satz 3 AktG), welche dem Geschäft mit einer qualifizierten Mehrheit von dreiviertel der abgegebenen Stimmen zustimmen muss. Die Zustimmung der Hauptversammlung ersetzt dann die Zustimmung des Aufsichtsrats. In der Praxis spielt diese Möglichkeit bereits wegen der unweigerlichen Publizität der Zustimmungsverweigerung durch den Aufsichtsrat freilich keine Rolle.321 c) Pflicht zur Einführung von Zustimmungsvorbehalten Im Rahmen der Neufassung des § 111 Abs. 4 Satz 2 AktG durch das TransPuG322 hat der Gesetzgeber die Befugnis des Aufsichtsrats zur Festlegung von Zustimmungsvorbehalten in eine Pflicht umgestaltet („Die Satzung oder der Aufsichtsrat hat zu bestimmen […]“ §111 Abs. 4 Satz 2 AktG). Gerade bei paritätisch besetzten Aufsichtsräten wurden in der Vergangenheit immer wieder Zustimmungskataloge gestrichen, um den Einfluss der Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat so gering wie möglich zu halten.323 Zur Vermeidung des Verzichts des Aufsichtsrats auf eines seiner wirkungsvollsten Überwachungsinstrumentarien und zur stärkeren Einbindung des Aufsichtsrats in grundlegende Unternehmensentscheidungen, hat der Gesetzgeber nunmehr eine Pflicht zur Einführung von Zustimmungsvorbehalten eingeführt. Auf einen festen Maßnahmenkatalog wurde aufgrund der Schwierigkeiten der Findung eines allgemeinverbindlichen Katalogs für alle Arten von Aktiengesellschaften bewusst verzichtet, jedoch ist der Aufsichtsrat zur Festlegung von Zustimmungsvorbehalten für „grundlegende“ Maßnahme verpflichtet.324 Der Aufsichtsrat genügt dieser Pflicht nicht bereits, wenn er überhaupt irgendwelche Geschäfte einem Zustimmungsvorbehalt unterstellt – beispielsweise solche Geschäften, die rein tatsächlich nicht oder nur im Ausnahmefall vorkommen werden und daher eine besonders geringe Praxisrelevanz besitzen, oder die aufgrund ihrer untergeordneten Rolle keinen oder nur geringen Einfluss des Aufsichtsrats auf 320
BGH, Urt. v. 11. 12. 2006 – II ZR 243/05, ZIP 2007, S. 224, 225 f. Spindler, in: Spindler/Stilz, AktG, § 111 Rdnr. 78; Habersack, in: Münchener Kommentar AktG, § 111 Rdnr. 130; Drygala, in: Schmidt/Lutter, AktG, § 111 Rdnr. 60; Hopt/Roth, in: Großkommentar AktG, § 111 Rdnr. 719; Götz, ZGR 1990, S. 633, 644. 322 Gesetz zur weiteren Reform des Aktien- und Bilanzrechts, zu Transparenz und Publizität vom 19. 07. 2002, BGBl. I, S. 2681. 323 Vgl. Lieder, DB 2004, S. 2251, 2252; Schiessl, AG 2002, S. 593, 597; Schilling, AG 1981, S. 341, 344. 324 Vgl. RegE zum TransPuG, abgedruckt in NZG 2002, S. 213, 222; Spindler, in: Spindler/ Stilz, AktG, § 111 Rdnr. 67; Habersack, in: Münchener Kommentar AktG, § 111 Rdnr. 107. 321
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wesentliche Unternehmensentscheidungen erlauben.325 Stattdessen sind solche Maßnahmen, die einen erheblichen Einfluss auf die Finanz-, Ertrags- oder Vermögenslage des Unternehmens haben oder eine besondere Risikoexposition nach sich ziehen und daher als „grundlegende“ Entscheidungen anzusehen sind, grundsätzlich unter Zustimmungsvorbehalte zu stellen.326 In regelmäßigen Abständen hat eine Überprüfung stattzufinden, ob aufgrund veränderter Umstände im Unternehmen eine Erweiterung des Maßnahmenkatalogs geboten ist.327 Nach der Neufassung durch das TransPuG bedarf es nicht mehr einer Begründung über eine Ermessensreduzierung auf null, um die Aufsichtsratspflicht zum Einschreiten gegen drohendes rechts- oder satzungswidriges Vorstandshandeln zu begründen.328 Stattdessen ergibt sich eine solche Pflicht nun unmittelbar aus dem Gesetz. Kommt der Aufsichtsrat seiner Verpflichtung zur Einrichtung der Zustimmungsvorbehalte nicht in hinreichendem Maße nach und kommt es bei einer Vorstandsmaßnahme, die grundsätzlich dem der Zustimmungspflicht zu unterstellenden Bereich zuzuordnen wäre, zu einem Schaden der Gesellschaft, so handelt er pflichtwidrig; seine Mitglieder sind unter Umständen zum Schadensersatz verpflichtet.329 d) Zusammenfassung Die aktienrechtliche Verschränkung von Vorstand und Aufsichtsrat wird für den Bereich von Zustimmungsvorbehalten noch weiter verstärkt: Dem Aufsichtsrat stehen dadurch weitreichende Eingriffsbefugnisse zu, die seine Stellung gegenüber dem Vorstand erheblich stärken. Gleichzeitig behält das Gesetz seine Grundentscheidung zur Gewaltenteilung in ein geschäftsführendes und ein überwachendes Organ bei; der Aufsichtsrat wird nicht zu einem Supergeschäftsführungsorgan erhoben, das über den Entscheidungen des Vorstands steht und diesen zu bestimmten Handlungen anweisen kann. Wohl aber sollen die besonderen Befugnisse des Auf325 Vgl. RegE zum TransPuG, abgedruckt in NZG 2002, S. 213, 222; Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats, Rdnr. 113; Ulmer/Habersack, in: Ulmer/Habersack, MitbestR, § 25 MitbestG Rdnr. 61a; Koch, in: Hüffer, AktG, § 111 Rdnr. 38. 326 So auch der DCGK in Ziffer 3.3; ebenso Habersack, in: Münchener Kommentar AktG, § 111 Rdnr. 109; im Grundsatz ebenso BGH, Urt. v. 15. 11. 1993 – II ZR 235/92, BGHZ 124, 111, 127, zum alten Recht, wonach sich im Einzelfall das Ermessen zur Festlegung des Zustimmungsvorbehalts auf null reduzieren konnte; siehe auch die ausführliche Darstellung bei Fleischer, BB 2013, S. 835, 840 ff. 327 Koch, in: Hüffer, AktG, § 111 Rdnr. 36; Götz, NZG 2002, S. 599, 602. 328 Anders: Koch, in: Hüffer, AktG, § 111 Rdnr. 36 (ohne Begründung); Spindler, Spindler/ Stilz, AktG, § 111 Rdnr. 71 (mit Verweis auf die alte Rechtslage). Unklar insoweit Lutter/ Krieger, Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats, 5. Aufl. 2009 (Voraufl.) Rdnr. 106. Die Unterscheidung bleibt allerdings ohne praktische Auswirkung. 329 Siehe Lange, DStR 2003, S. 376, 378; Lieder, DB 2004, S. 2251, 2253; Lutter/Krieger, Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats, 5. Aufl. 2009 (Voraufl.) Rdnr. 106; Ulmer/Habersack, in: Ulmer/Habersack, MitbestR, § 25 MitbestG, Rdnr. 61a; vgl. zur alten Rechtslage auch LG Bielefeld, Urt. v. 16. 11. 1999 – 15 O 91/98, BB 1999, S. 2630, 2631.
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sichtsrats diesem die Möglichkeit geben, bei zu erwartenden negativen Tendenzen aktiv gegen die Geschäftsführung des Vorstands einzuschreiten. 3. Einberufung einer Hauptversammlung Der Aufsichtsrat ist gemäß § 111 Abs. 3 AktG zur Einberufung einer Hauptversammlung verpflichtet, wenn das Gesellschaftswohl dies erfordert. Er kann auf diesem Wege die Hauptversammlung über mögliche Konfliktfelder im Verhältnis zum Vorstand informieren und Beschlüsse, die in den Zuständigkeitsbereich der Hauptversammlung fallen (§ 119 AktG), anregen. Insbesondere besteht die Möglichkeit, dass die Hauptversammlung allen oder einzelnen Mitgliedern des Vorstands das Vertrauen entzieht.330 Dadurch entsteht ein wichtiger Grund zur Abberufung des betreffenden Mitgliedes durch den Aufsichtsrat im Sinne von § 84 Abs. 3 Satz 2 AktG selbst dann, wenn allein die Verfehlung des Vorstandsmitglieds für eine Abberufung nicht ausgereicht hätte. Zwar kann die Hauptversammlung nur auf Verlangen des Vorstands auch über Geschäftsführungsmaßnahmen Beschluss fassen (§ 119 Abs. 2 AktG), allerdings wird man der Hauptversammlung die Möglichkeit einer (unverbindlichen) Diskussion auch ohne vorausgehendes Verlangen zusprechen müssen.331 Die Hauptversammlung kann dann eigeständig Maßnahmen diskutieren und Konflikte entschärfen, so dass eine Abberufung des betreffenden Vorstandsmitglieds nicht notwendig wird.332 Zu einer Beschlussfassung durch die Hauptversammlung über bestimmte Geschäftsführungsmaßnahmen bedarf es aber eines Verlangens des Vorstands. In der Praxis dürfte die Einberufung einer Hauptversammlung zur Klärung von Differenzen zwischen Aufsichtsrat und Vorstand über dessen Geschäftsführung wohl kaum eine Rolle spielen. Durch eine öffentliche Diskussion über gesellschaftsinterne Unstimmigkeiten drohen erhebliche Nachteile für die Gesellschaft, sodass die Nachteile durch die negative Publizität (fast) immer ein Klärungsinteresse des Aufsichtsrats durch die Hauptversammlung überlagern werden. 4. Verhängung eines Zwangsgelds durch das Registergericht Zur Durchsetzung des Informationsanspruchs des Aufsichtsrats sieht § 407 Abs. 1 AktG vor, dass das Registergericht gegen den Vorstand, der seinen Verpflichtungen aus unter anderem § 90 AktG oder § 111 Abs. 2 AktG nicht oder nicht vollumfänglich nachkommt, ein Zwangsgeld verhängen kann. Das Zwangsgeld kann bis zu 5.000 Euro betragen (§ 407 Abs. 1 Satz 2 AktG), wobei die Höhe des Betrages
330 331 332
Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats, Rdnr. 136. So Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats, Rdnr. 136. Steinbeck, Überwachungspflicht und Einwirkungsmöglichkeiten, S. 171.
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von der Zwangsgeldempfindlichkeit des Verpflichteten und den Umständen der Pflichtverletzung abhängt.333 Das Verfahren zur Verhängung eines Zwangsgelds gegen den Vorstand richtet sich nach den §§ 388 bis 391 FamFG. Sobald das Registergericht von einer Verletzung der Vorstandspflichten aus § 90 AktG oder § 111 Abs. 2 AktG glaubhaft Kenntnis erlangt, leitet es das Verfahren von Amts wegen ein. Es bedarf daher keiner formellen Antragsstellung durch den Aufsichtsrat;334 dieser kann das Einschreiten des Gerichtes allenfalls anregen. Das Registergericht hat gemäß §§ 388, 389 FamFG dem oder den die auskunftsverweigernden Vorstandsmitgliedern unter Androhung eines Zwangsgelds aufzuerlegen, ihren gesetzlichen Pflichten nachzukommen. Gegen die Auferlegung des Zwangsgelds können die Adressaten Einspruch bei Gericht einlegen. Zwar steht dem Aufsichtsrat damit kein originäres Recht zur gerichtlichen Durchsetzung eigener Ansprüche in Form einer klageweisen Geltendmachung des Informations- und Berichtsanspruchs zu und er ist im Rahmen des registerrechtlichen Verfahrens auch nicht formell antragsbefugt. Allerdings sollte die Relevanz des Einflusses auf Grundlage des Verfahrens nach § 407 AktG nicht unterschätzt werden. Einzelne Aufsichtsratsmitglieder können das Gericht (da eine volle Gewissheit des Registergerichtes für die Einleitung des Verfahrens nicht erforderlich ist auch anonym)335 auf die Nichterfüllung der Pflichten des Vorstands hinweisen und somit auch ohne formelle Antragsverpflichtung oder -berechtigung ein entsprechendes Registerverfahren einleiten. Eine solche Sanktionierung rechtswidrigen Vorstandsverhaltens bzw. die zunächst stattfindende Klärung durch das Registergericht ist deutlich weniger aufwendig und einschneidend, als eine mögliche Leistungsklage auf Berichterstattung oder gar eine Abberufung des Vorstands und bietet sich daher möglicherweise als milderes bzw. schnelleres Mittel an. Schließlich ist freilich auch die negative Außenwirkung des Zwangsgeldverfahrens zu berücksichtigen, die eine Einleitung des Verfahrens durch die Aufsichtsratsmitglieder wohl ausschließen dürfte. 5. Schadensersatzansprüche wegen Verletzung von Informationspflichten Zusätzlich zu einer ggf. bestehenden Möglichkeit zur zwangsweisen Durchsetzung der (Berichts-)Pflicht können sich die Mitglieder des Vorstands schadensersatzpflichtig machen, wenn sie dem Aufsichtsrat nicht oder nicht rechtzeitig die erforderlichen Informationen übermitteln. Die Schadensersatzpflicht entsteht gem. § 93 Abs. 2 AktG gegenüber der Gesellschaft; dem Aufsichtsrat steht kein eigener Anspruch gegen den Vorstand oder seinen Mitgliedern zu. Ein Schaden der Ge333
Koch, in: Hüffer, AktG, § 407 Rdnr. 16. Krafka, in: Münchener Kommentar FamFG, § 388 Rdnr. 17. 335 Krafka, in: Münchener Kommentar FamFG, § 388 Rdnr. 20. Bei einem anonymen Hinweis ist das Gericht aber zunächst zur Sachverhaltsaufklärung verpflichtet und wird daher Aufsichtsrat und Vorstand um Stellungnahmen bitten. 334
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sellschaft kann beispielsweise dann eintreten, wenn der Vorstand den Aufsichtsrat nicht über seine Absicht informiert, eine besonders große Investition zu tätigen.336 Solange sich eine solche Investition im Rahmen des kaufmännisch Vertretbaren hält, machen sich die Vorstandsmitglieder auch dann nicht ersatzpflichtig, wenn die Investition fehlschlägt und zu einem Nachteil für die Gesellschaft führt (vgl. § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG). Hat der Vorstand es aber zuvor unterlassen, den Aufsichtsrat über die Investition zu unterrichten und ist mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass der Aufsichtsrat gegen diese Maßnahme vorgegangen wäre (zum Beispiel, da der Aufsichtsrat in der Vergangenheit ähnliche Maßnahmen stets unterbunden hat), so ist das Unterlassen der Informationsweitergabe kausal für den Schaden der Gesellschaft, der aus der fehlerhaften Investition herrührt. Dem Aufsichtsrat wäre es bei vorheriger Information nämlich möglich gewesen, mittels eines Beschluss einen Zustimmungsvorbehalt einzurichten. Ein solcher Zustimmungsvorbehalt kann auch ad hoc festgelegt werden,337 was freilich eine vorherige Information des Aufsichtsrats über die betreffende Maßnahme voraussetzt. Mithin kann die unterlassene Erfüllung seiner Informationspflicht gegenüber dem Aufsichtsrat unmittelbar zu einer Ersatzpflicht des Vorstands (bzw. seiner Mitglieder) gegenüber der Aktiengesellschaft führen. 6. Gerichtliche Klagen Neben den angeführten aktienrechtlichen Möglichkeiten zur Durchsetzung der Überwachungsaufgabe des Aufsichtsrats ist fraglich, ob dem Aufsichtsrat auch die Durchsetzung seiner Rechte auf gerichtlichem Weg eröffnet ist. Bei der Frage nach der gerichtlichen Durchsetzbarkeit der Aufsichtsratsansprüche ist dabei zum einen in Klagen auf Erfüllung der Berichtspflicht zu unterscheiden, mittels derer der Aufsichtsrat den Vorstand zur Herausgabe oder Übermittlung von (Vorstands-)Berichten gerichtlich verpflichten kann (sogleich unter a)). Zum zweiten ist fraglich, ob und inwieweit der Aufsichtsrat gerichtliche Klagen zur Wahrung seiner Organrechte338 geltend machen kann, beispielsweise wenn der Vorstand sich nicht an in der Satzung oder durch den Aufsichtsrat festgelegte Zustimmungsvorbehalte hält und trotz dieser tätig wird (sogleich unter b)). a) (Leistungs-)Klage auf Erfüllung der Berichtspflicht Während mit der Verhängung eines Zwangsgelds dem Vorstand eine öffentlichrechtliche Verpflichtung auferlegt werden kann, durch die selbiger zur Erfüllung seiner Informationspflichten gegenüber dem Aufsichtsrat bewegt werden soll, ist fraglich, ob der Aufsichtsrat seinen Informationsanspruch auch selbst gegen den 336 337 338
Beispiel nach Lutter/Krieger, Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats, Rdnr. 207. BGH, Urt. v. 15. 11. 1993 – II ZR 253/92, BGHZ 124, 111, 127. Zum Bestehen von Organrechten siehe ausführlich unten, S. 236 ff.
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Vorstand auf dem Klagewege verfolgen kann. Die Einzelheiten dieser Frage sind überaus streitig. Zum einen ist unklar, ob ein solcher zivilrechtlicher Anspruch überhaupt besteht, da das Aktienrecht mit § 407 AktG bereits ein spezielles öffentlich-rechtliches Druckmittel enthält; dies könnte bereits das Rechtsschutzbedürfnis einer zivilrechtlichen Klage entfallen lassen. Falls eine Klage dennoch zulässig sein sollte, ist zum anderen zu klären, wer Anspruchsinhaber eines solchen Anspruchs und damit Kläger ist: der Aufsichtsrat als Organ im eigenen Namen oder im fremden Namen als Vertreter der Aktiengesellschaft (§ 112 Satz 1 AktG). aa) Zulässigkeit einer zivilrechtlichen Klage neben § 407 AktG Wie ausgeführt kann das Registergericht dem Vorstand bei Nichterfüllung der Informations- und Berichtspflicht ein Zwangsgeld aufgeben. Hierbei handelt es sich aber um ein rein öffentlich-rechtliches Verfahren und nicht um ein streitiges Verfahren, bei dem Rechte und Pflichte der Organe Vorstand und Aufsichtsrat nachgeprüft werden. Das Bedürfnis für eine gerichtliche Durchsetzung des Informationsanspruchs neben der Möglichkeit der Zwangsgeldverhängung besteht aufgrund der nur bedingten Eignung des öffentlich-rechtlichen Verfahrens vor dem Registergericht zur Klärung der Frage, ob ein entsprechender Informationsanspruch im konkreten Fall tatsächlich besteht.339 Zudem entsteht durch die Festsetzung des Zwangsgelds kein vollstreckungsfähiger Anspruch des Aufsichtsrats auf Herausgabe von Informationen. Auch spricht die Tatsache, dass das Erzwingungsverfahren nach § 407 AktG unabhängig vom Willen des Überwachungsorgans von Amts wegen eingeleitet wird, und damit die staatliche Rechtsfürsorge – und nicht die Durchsetzung eines Individualanspruchs – in den Vordergrund gestellt wird, dafür, ein Klageverfahren zur Durchsetzung von Individualansprüchen vor den Zivilgerichten zuzulassen.340 Die Verfahren nach dem FamFG und der ZPO sind schon allein deshalb nicht vergleichbar, da es im registerrechtlichen Zwangsgeldverfahren keine Beteiligten im Sinne eines streitigen Verfahrens gibt. Die Stellung der beteiligten Interessengruppen ist gegenüber dem zivilprozessualen Erkenntnisverfahren ungleich schwächer.341 Das Verfahren wird von Amts wegen eingeleitet; der Aufsichtsrat kann allenfalls als Hinweisgeber die Einleitung des Verfahrens beeinflussen, nicht jedoch eigene Rechte geltend machen oder durchsetzen. Auch die Prüfung der Berichtspflicht und ihre Einhaltung folgen im Registerverfahren nach dem FamFG anderen Regeln als im streitigen zivilprozessualen Verfahren. Ob eine Berichtspflicht überhaupt bestand, prüft das Gericht nur kursorisch;342 das Bestehen 339
Bauer, Organklagen zwischen Vorstand und Aufsichtsrat, S. 114; Westermann, in: Bettermann/Zeuner, Festschrift für Eduard Bötticher zum 70. Geburtstag, S. 369, 372. 340 Bauer, Organklagen zwischen Vorstand und Aufsichtsrat, S. 20, 114. 341 Vgl. Westermann, in: Bettermann/Zeuner, Festschrift für Eduard Bötticher, S. 369, 373. 342 Voraussetzung für die Einleitung ist die „glaubhafte Kenntnis“ des Registergerichts, vgl. § 388 Abs. 1 FamFG.
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der Pflicht wird zunächst vorausgesetzt.343 Erst bei einem Einspruch des Vorstands gegen die Zwangsgeldfestsetzung wird es zu einer genaueren Überprüfung kommen. Mangels eines vergleichbaren Prüfungsstandards und aufgrund divergierender Rechtsschutzinteressen im Registerverfahren nach § 407 AktG und zivilgerichtlichen Verfahren sperrt ersteres eine Klage des Aufsichtsrats gegen den Vorstand nicht. Während § 407 AktG in erster Linie das öffentliche Interesse an der Erfüllung der Berichtspflicht durch den Vorstand im Blick hat, geht es im zivilprozessualen Verfahren um die Durchsetzung eigener Interessen und Belange des Organs. Es ist damit von einem Nebeneinander der Verfahren nach ZPO und FamFG auszugehen. Nach teilweise vertretener Ansicht handelt sich bei dem Recht des Aufsichtsrats auf eine ausreichende Informationsversorgung durch den Vorstand im Wege der Vorstandsberichte und des Einsichts- und Fragerechts aus dogmatischer Sicht um das kollektive Informationsrecht eines jeden Verbandes gegen seine geschäftsführenden Personen,344 welches im Grundsatz auf § 666 BGB zurückgehe.345 Als Begründung der Zulässigkeit sei daher nicht auf die Unzulänglichkeit des öffentlich-rechtlichen Anspruchs zu rekurrieren, sondern allein das Bedürfnis, einen bestehenden privatrechtlichen Anspruch neben einer öffentlich-rechtlichen Pflicht gerichtlich geltend zu machen, zu berücksichtigen. Diese beiden Pflichten können nach allgemeiner Ansicht nebeneinander stehen.346 Gegen die Zulassung einer zivilrechtlichen Klage des Aufsichtsrats gegen den Vorstand auf Erfüllung der Berichtspflicht könnte eingewandt werden, dass dies im Regelfall in praxi wenig geeignet erscheint, die Lage der Gesellschaft unmittelbar zu verbessern und eine ausreichende Informierung des Aufsichtsrats herzustellen.347 Der Vorstand wird sich über seine Berichtspflicht nur dann bewusst hinwegsetzen – und sich damit wissentlich einer Schadensersatzpflicht und der Gefahr der eigenen Abberufung aussetzen – wenn er durch die Erfüllung seiner Berichtspflicht überwiegende Unternehmensinteressen für unmittelbar gefährdet hält oder eine Verpflichtung zur Übermittlung von Informationen im konkreten Fall als nicht gegeben ansieht. Er wird dann aber möglichst so schnell handeln, dass eine Verhinderung der Ausführung der Maßnahme durch einen ad hoc Zustimmungsvorbehalts des Aufsichtsrats mangels Kenntnis gar nicht möglich sein wird. Eine gerichtliche Durchsetzung des Berichtsanspruchs (im Nachhinein) wird damit die Ausführung der Maßnahme nicht verhindern und vermag den Zweck der Berichtspflicht, nämlich die zeitige und hinreichende Information des Aufsichtsrats, nicht zu erfüllen. Als Reaktion verbleibt dem Aufsichtsrat dann allenfalls die Abmahnung oder Abberufung des Vorstands bzw. die Geltendmachung von Ersatzansprüchen. Hierzu bedarf es jedoch nicht der Zulassung einer vorausgehenden Klage auf Information, da das 343 344 345 346 347
Bumiller/Harders, in: Bumiller/Harders, FamFG, § 388 Rdnr. 15. Vgl. dazu K. Schmidt, Informationsrechte in Gesellschaften und Verbänden, S. 18. Zum ganzen siehe ausführlich Stodolkowitz, ZHR 154 (1990), S. 1, 7 f. Stodolkowitz, ZHR 154 (1990), S. 1, 7 f m.w.N. So bereits eingehend Mertens, ZHR 154 (1990), S. 24, 33, 38.
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Bestehen der Berichtspflicht im Rahmen dieser Verfahren einer vollständigen gerichtlichen Nachprüfung unterliegt.348 Das Verfahren nach § 407 AktG wäre dann ausreichend, um den Vorstand in Zukunft zu einem ordnungsgemäßen Verhalten anzuhalten. Dem ist jedoch entgegen zu setzen, dass auch Fälle vorstellbar sind, in denen die gerichtliche Klärung der Frage nach dem Bestehen bzw. der hinreichenden Erfüllung der Berichtspflicht des Vorstands von praktischer Relevanz ist: Weigert sich der Vorstand seiner Berichtspflicht nachzukommen, weil er der Meinung ist, das Überwachungsorgan fordere Berichte oder die Einsicht in Dokumente oder Informationen, die diesem nicht zustehen oder meint der Vorstand, eine vom Aufsichtsrat festgelegte Berichtsordnung stelle nicht erfüllbare (zeitliche) Anforderungen auf, so muss eine Möglichkeit sowohl für den Aufsichtsrat als auch für den Vorstand bestehen, die Frage, ob die Berichtspflicht im konkreten Fall zulässig ist und ihr der Vorstand in hinreichendem Maße nachkommt, gerichtlich überprüfen zu lassen. Eine solche Klärung schafft Rechtssicherheit und dient beiden Organen.349 Freilich stehen dem Aufsichtsrat nach dem Aktiengesetz auch interne Kontroll- und Sanktionsmechanismen (Abberufung der Vorstandsmitglieder, Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen) zu,350 diese machen allerdings die Notwendigkeit der Klärung der Berichtspflicht nicht überflüssig, da nicht jede Streitigkeit über das Bestehen oder Nichtbestehen von Berichtspflichten eine Abberufung des Vorstands rechtfertigen kann.351 Insbesondere wird die Frage, ob eine vom Aufsichtsrat auferlegte Berichtsordnung für den Vorstand möglicherweise zu umfassend ist, nicht durch die Abberufung des Vorstands gelöst.352 Im Gegenteil wird sich die Problematik – kritische Vorstandsmitglieder vorausgesetzt – auch beim neu berufenen Vorstand stellen.353 Es besteht schließlich auch die Möglichkeit, dass der Aufsichtsrat die Anforderungen an den Vorstand überspannt; auch aus dessen Sicht kann daher eine gerichtliche Klärung erforderlich werden. Letztlich wird man auch negative Konsequenzen bezüglich der weiteren Zusammenarbeit von Vorstand und Aufsichtsrat nicht gegen eine Zulassung einer Klage anführen können. Entweder ist das Vertrauensverhältnis von Geschäftsleitung und Überwachungsorgan bereits nachhaltig zerstört – dann wird der Aufsichtsrat den Vorstand abberufen – oder es besteht die 348
Krieger/Sailer-Coceani, in: Schmidt/Lutter, AktG, § 90 Rdnr. 60. In einem solchen Fall praktischer Relevanz würde sich der Aufsichtsrat sicherlich auch nicht „der Lächerlichkeit preisgeben“. Insoweit wohl relativierend Mertens, ZHR 154 (1990), S. 24, 33. 350 Vgl. Spindler, in: Münchener Kommentar AktG, Vor § 76 Rdnr. 55, der diese aktienrechtlichen Sanktionsmöglichkeiten als ausreichend und abschließend ansieht. 351 Fleischer, in: Spindler/Stilz, AktG, § 90 Rdnr. 70; Ähnlich Kort, in: Großkommentar AktG, § 90 Rdnr. 191. 352 Ähnlich Kort, in: Großkommentar AktG, § 90 Rdnr. 191. 353 Dies verkennen Zöllner/Noack, in: Baumbach/Hueck, GmbHG, § 52 Rdnr. 129: „Ein Aufsichtsrat, der etwa GFührer verklagen muss, um notwendige Informationen zu erhalten, verfehlt sein Amt“; dem zustimmend U.H. Schneider, in: Scholz, GmbHG, § 52 Rdnr. 561. 349
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Möglichkeit, dass nach Lösung der Streitfrage die sinnvolle Zusammenarbeit zwischen den beiden wieder aufgenommen wird. Die Entscheidung, ob eine Klage die Aussicht auf eine weitere Zusammenarbeit erhöht oder verringert, sollte letztlich dem Aufsichtsrat vorbehalten bleiben und vermag nicht über eine generelle Unzulässigkeit der Klagemöglichkeit „gelöst“ zu werden. Letztlich wird die Frage der Rechtmäßigkeit der Weigerung des Vorstands, die Berichtspflicht (vollständig) in dem vom Aufsichtsrat vorgegebenen Umfang zu erfüllen, bei einer gerichtlichen Nachprüfung der Rechtmäßigkeit einer Vorstandsabberufung inzident vom zuständigen Gericht zu überprüfen sein und ist daher auch in diesem Fall Gegenstand einer gerichtlichen Überprüfung.354 Insoweit trägt die Begründung von Lewerenz,355 Schwierigkeiten der Gesellschaften könnten im Wege eines Klageverfahrens an die Öffentlichkeit dringen, weshalb dem Aufsichtsrat keine Klagebefugnis zugesprochen werden dürfe, nicht; auch das gesetzlich vorgesehene Verfahren nach § 407 AktG trägt Einzelheiten der Interorganbeziehung nach außen. Zur Vermeidung von Unklarheiten sollte die Überprüfung der Vorstandspflicht und deren (angebliche) Missachtung bereits von vorneherein durch Gewährung einer Klagebefugnis des Aufsichtsrats oder der Gesellschaft, vertreten durch den Aufsichtsrat, möglich sein.356 Somit wird deutlich, dass nicht nur ein erhebliches Bedürfnis für die gerichtliche Klärung der Frage nach Umfang und hinreichender Erfüllung der Informations- und Berichtspflichten des Vorstands besteht, sondern auch die Existenz des Zwangsgeldverfahrens durch das Registergericht nach § 407 AktG keine andere Bewertung zu rechtfertigen vermag. Nach ganz überwiegender Ansicht357 kann der Aufsichtsrat
354 So auch Krieger/Sailer-Coceani, in: Schmidt/Lutter, AktG, § 90 Rdnr. 60, denen zufolge die Erfüllung der Berichtspflichten auch im Verfahren über die Abberufung von Vorstandsmitgliedern vollständig gerichtlich nachprüfbar ist. 355 Lewerenz, Leistungsklagen zwischen Organen und Organmitgliedern, S. 151. 356 Ähnlich auch Pflugradt, Leistungsklagen zur Erzwingung rechtmässigen Vorstandsverhaltens, S. 56, der die Abberufung von Vorstandsmitgliedern als unverhältnismäßige Reaktion ansieht, wenn der Vorstand sein Unterlassen auf eine vertretbare Rechtsauffassung stützt; im Ergebnis auch Spindler, in: Münchener Kommentar AktG, § 90 Rdnr. 61 ff; Wiesner, in: Hoffmann-Becking, Münchener Handbuch des Gesellschaftsrechts, Bd. 4, § 25 Rdnr. 39; anders aber Mertens/Cahn, in: Kölner Kommentar AktG, Vor § 76 Rdnr. 4 ff, die die „Vorstellung der Aktiengesellschaft als einen Streitverband eigenberechtigter Organe unter Einschaltung der Gerichte“ als „Schreckbild“ bezeichnen. 357 Bauer, Organklagen zwischen Vorstand und Aufsichtsrat, S. 114, Bork, ZIP 1991, S. 137, 138; Kort, in: Großkommentar AktG, § 90 Rdnr. 191; Schlegelberger, AktG 1937, 3. Aufl. 1939, § 90 Rdnr. 10; Spindler in: Münchener Kommentar AktG, § 90 Rdnr. 70; Hefermehl, in: Geßler/Hefermehl, AktG, § 90 Rdnr. 36; im Ergebnis ebenso Hommelhoff, ZHR 143 (1979), S. 288, 302 f, der die Rechte von Vorstand und Aufsichtsrat nicht als subjektive Rechte im herkömmlichen Sinne, sondern als Organrechte verstanden wissen will, da sie nicht „der Aufrechterhaltung der Freiheit des einzelnen in der Gesellschaft“ dienten. Ausführlich dazu siehe auch unten, S. 242 ff.
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daher sein Informationsrecht klageweise auf dem Zivilrechtsweg durchsetzen; das Bestehen der Vorschrift des § 407 AktG hindert dies nicht.358 bb) Bestehen eines materiellen Anspruchs Für die Möglichkeit einer klageweisen Geltendmachung des Informations- und Berichtsanspruchs ist unabdingbare Voraussetzung, dass dieser Anspruch im prozessualen Sinne einklagbar ist. Da das zivilgerichtliche Verfahren in erster Linie der Durchsetzung subjektiver Rechte dient,359 ist dies jedenfalls dann der Fall, wenn es sich bei dem Anspruch auf Information des Aufsichtsrats gegen den Vorstand um ein subjektives Recht handelt. Teilweise wird die Qualifizierung als subjektives Recht abgelehnt.360 Das Informations- und Berichtsrecht gem. § 90 AktG diene ausschließlich der ordnungsgemäßen Pflichterfüllung des Aufsichtsrats und begründe für sich genommen kein subjektives Recht im herkömmlichen Sinne; es stehe bereits nicht zur Disposition des Aufsichtsrats.361 Vielmehr handelt es sich um „die funktionsbezogene Berechtigung eines Organs gegen ein anderes Organ“.362 Unabhängig von der (rechtstheoretischen) Klassifizierung des Berichtsrechts des Aufsichtsrat unter Ausweitung des Begriffs des subjektiven Rechts als subjektives Recht im weiteren Sinne363 oder als Organrecht364, ist eine prozessuale Durchsetzung des Informationsanspruchs des Aufsichtsrats nach beiden Ansichten möglich.365 Dies 358 Die Zulässigkeit der Lehre vom Organstreit „in welcher Form auch immer“ offenlassend BGH, Urt. v. 28. 11. 1988 – II ZR 57/88, BGHZ 106, 54, Rdnr. 34 (zitiert nach juris). Zwar spricht sich der BGH „grundsätzlich“ gegen eine „allgemeine Organrechtsfähigkeit und eine Organparteifähigkeit“ aus, BGH, Urt. v. 17. 05. 1993 – II ZR 89/92, BGHZ 122, 342, das Urteil betrifft allerdings die Klagemöglichkeit eines Aufsichtsratsmitgliedes gegen den Gesamtaufsichtsrat und damit den Fall des Intraorganstreits. Eine Übertragung auf die Frage der (Un) zulässigkeit des hier besprochenen sogenannten Interorganstreites erscheint mangels Vergleichbarkeit nicht unmittelbar möglich. 359 Vgl. Rauscher, in: Münchener Kommentar ZPO, Einl. Rdnr. 8. 360 Bauer, Organklagen zwischen Vorstand und Aufsichtsrat, S. 60 ff; Häsemeyer, ZHR 144 (1980), S. 265, 267; Hommelhoff, ZHR 143 (1979), S. 288, 302; a.A. aber Lewerenz, Leistungsklagen zwischen Organen und Organmitgliedern, S. 87; Bork, ZGR 1989, S. 1, 12 ff; Westermann, in: Bettermann/Zeuner, Festschrift für Eduard Bötticher, S. 369, 370. 361 Eingehend Hommelhoff, ZHR 143 (1979), S. 288, 302; vgl. auch Lewerenz, Leistungsklagen zwischen Organen und Organmitgliedern, S. 54 ff. 362 Siehe Hommelhoff, ZHR 143 (1979), S. 288, 303. 363 So Lewerenz, Leistungsklagen zwischen Organen und Organmitgliedern, S. 87; Westermann, in: Bettermann/Zeuner, Festschrift für Eduard Bötticher, S. 369, 371; sehr ausführlich und klarstellend auch Bork, ZGR 1989, S. 1, 12 ff. 364 Hommelhoff, ZHR 143 (1979), S. 288, 303; ähnlich auch Häsemeyer, ZHR 144 (1980), S. 265, 267 ff. 365 Handelt es sich um subjektive Rechte, so ergibt sich das von selbst. Hommelhoff, der das Informationsrecht als Organrecht ansieht, erkennt an, dass es „zum Wesen des materiellen Rechts gehört […], prozessual durchsetzbar zu sein“. Daher könne das Organ Aufsichtsrat sein
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1. Teil: Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats und seiner Mitglieder
war auch bereits für die Vorgängervorschriften von § 90 AktG in der Literatur anerkannt.366 cc) Aktiv- und Passivlegitimation Nachdem festgestellt wurde, dass eine gerichtliche Durchsetzung der Berichtspflichten des Vorstands durch den Aufsichtsrat grundsätzlich möglich ist, stellt sich weiterhin die Frage, wer zur Geltendmachung des Anspruchs auf Informationen berechtigt ist. Diese Frage ist in der Literatur stark umstritten; es werden insoweit zwei verschiedene Ansichten vertreten. Nach einer verbreiteten Ansicht367 ist die Gesellschaft selbst Inhaberin des Informationsrechtes. Bei den Informations- und Berichtspflichten handele es sich um das „kollektive Informationsrecht“ eines Verbandes gegenüber ihrer Geschäftsleitung.368 Inhaberin des Anspruchs auf Lieferung der Berichte und Informationen, und damit auch prozessführungsbefugt, könne daher allein die Gesellschaft als solche sein. Im Verfahren gegen den Vorstand werde die Aktiengesellschaft gemäß § 112 AktG durch ihren Aufsichtsrat vertreten.369 Der Aufsichtsrat selbst habe keine originär eigenen Rechte, sondern mache nur die Rechte der Gesellschaft in deren Namen geltend.370 Eine Geltendmachung der Ansprüche durch den Aufsichtsrat im eigenen Namen scheitere bereits daran, dass die Organe der Aktiengesellschaft selbst nicht rechtsfähig seien und damit mangels Rechts- und Parteifähigkeit nicht Parteien
Informationsrecht gegenüber dem Organ Vorstand klageweise geltend machen (Hommelhoff, ZHR 143 (1979), S. 288, 306); a.A. aber Mertens/Cahn, in: Kölner Kommentar AktG, Vorb. § 76 Rdnr. 4 f. 366 So bereits Staub, HGB 1897, 11. Aufl. 1921, § 247 Anm. 7, der von einem Klagerecht der Gesellschaf ausging, die durch den Aufsichtsrat vertreten wurde; Ritter, AktG 1937, 2. Aufl. 1939, Anm. 3c; Schmidt/Meyer-Landrut, in: Großkommentar AktG, 2. Aufl. 1961, § 95 Anm. 14. 367 So schon Schlegelberger, AktG 1937, 3. Aufl. 1939, § 90 Rdnr. 10, ebenso Stodolkowitz, ZHR 154 (1990), S. 1, 8; Koch, in: Hüffer, AktG, § 90 Rdnr. 19; Krieger/Sailer-Coceani, in: Schmidt/Lutter, AktG, § 90 Rdnr. 70; Spindler, in: Münchener Kommentar AktG, § 90 Rdnr. 61; Hefermehl, in: Geßler/Hefermehl, AktG, § 90 Rdnr. 36; Wiesner, in Hoffmann-Becking, Münchener Handbuch des Gesellschaftsrechts, Bd. 4, § 25 Rdnr. 39 (mit zweifelhafter Begründung unter Verweis auf BGH, Urt. v. 15. 11. 1982 – II ZR 27/82, BGHZ 85, 293, 295, wobei aus dem Urteil eine entsprechende Entscheidung des Bundesgerichtshofs nicht abgeleitet werden kann); so wohl auch Mertens, ZHR 154 (1990), S. 24, 38, für den Fall, dass das Bedürfnis für eine Organklage gesehen werde; ähnlich U.H. Schneider, in: Scholz, GmbHG, § 52 Rdnr. 561; ebenso OLG Hamburg, Urt. v. 06. 03. 1992 – 11 U 134/91, BB 1992, S. 2312, 2312 f, das eine Parteifähigkeit der Organe ablehnt. 368 Stodolkowitz, ZHR 154 (1990), S. 1, 7 f; ähnlich wohl auch Wiesner, in: HoffmannBecking, Münchener Handbuch des Gesellschaftsrechts, Bd. 4, § 25 Rdnr. 39. 369 Stodolkowitz, ZHR 154 (1990), S. 1, 8. 370 Flume, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, Band 1 Teil 2, S. 406.
B. Der Aufsichtsrat als Überwachungsorgan
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eines Rechtsstreites werden könnten.371 Teilweise wird die Aktivlegitimation auch nur einzelnen Mitgliedern des Gesamtorgans zugesprochen.372 Nach einer sich im Vordringen befindlichen Ansicht373 steht der Anspruch dem Gesamtorgan Aufsichtsrat zu. Begründet wird dies mit der Übertragung von Kompetenzen auf die Organe der Aktiengesellschaft. So stehe beispielsweise dem Vorstand das Recht zu, gemäß § 245 Nr. 4 AktG Hauptversammlungsbeschlüsse anzufechten. Analog dieser Vorschrift solle der Vorstand auch die Nichtigkeit von Zustimmungsvorbehalten feststellen lassen können.374 Im Umkehrschluss müsse der Aufsichtsrat seine unmittelbar aus der Überwachungspflicht resultierenden Rechte ebenfalls selbst geltend machen können.375 Unabhängig von der Frage, ob es sich beim Informations- und Berichtsrecht des Aufsichtsrats um ein subjektives Recht oder ein Organrecht handelt,376 stellt sich aber die Frage, ob die Organe selbst auch wenigstens (teil-)rechtsfähig und -parteifähig sind. Hommelhoff377 sieht Vorstand und Aufsichtsrat als soweit verselbständigt und von dem Rechtsgebilde der Gesellschaft gelöst an, dass man aus ihren Aufgaben, d. h. der Summe der ihnen zugewiesen Rechte und Pflichten, ebenso wie aus dem Umfang und der Intensität möglicher Konflikte auf ihre sektorale Rechtsfähigkeit wenigstens in dem Umfang schließen könne, wie ihnen eben diese Aufgaben zur autonomen Wahrnehmung gesetzlich zugewiesen sind. Demnach kann der Aufsichtsrat selbst als Organ gegen den Vorstand als Organ auf Erfüllung der Berichts- bzw. Informationspflichten gerichtlich vorgehen; eine Vermittlung der Rechte durch die Gesellschaft findet nicht statt. Gegen das Argument, die Berichts- und Informationspflichten des Vorstands stellten das kollektive Informationsrecht eines Verbandes gegenüber seiner Geschäftsleitung dar und könnten daher nur von der Aktiengesellschaft als Rechtsinhaberhin selbst ausgeübt werden,378 wird zutreffend angeführt, dass es sich im Fall der Ansprüche des Aufsichtsrats aus § 90 Abs. 3 AktG und § 111 371 Ausführlich Westermann, in: Bettermann/Zeuner, Festschrift für Eduard Bötticher, S. 369, 377 f; U.H. Schneider, in: Scholz, GmbHG, § 52 Rdnr. 561; vgl. auch Wiesner, in: Hoffmann-Becking, Münchener Handbuch des Gesellschaftsrechts, Bd. 4, § 25 Rdnr. 39, der das Informationsrecht als Recht der Gesellschaft, nicht des Organs ansieht. 372 So Mertens/Cahn, in: Kölner Kommentar AktG, Vorb. §76 Rdnr. 6. 373 Eingehend Pflugradt, Leistungsklagen zur Erzwingung rechtmässigen Vorstandsverhaltens, S. 25 ff, 153 f; Westermann, in: Bettermann/Zeuner, Festschrift für Eduard Bötticher, S. 369, 379; Bork, ZIP 1991, S. 137, 138 ff; Hommelhoff, ZHR 143 (1979), S. 288, 306 f; Bauer, Organklagen zwischen Vorstand und Aufsichtsrat, S. 49 ff; Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats, Rdnr. 241; Kort, in Großkommentar AktG, § 90 Rdnr. 192. 374 Siehe Hommelhoff, ZHR 143 (1979), S. 288, 308. 375 Pflugradt, Leistungsklagen zur Erzwingung rechtmässigen Vorstandsverhaltens, S. 57 ff. 376 Siehe ausführlich unten, S. 242 ff. 377 Hommelhoff, ZHR 143 (1979), S. 288, 304 f. 378 So Stodolkowitz, ZHR 154 (1990), S. 1, 7 f, mit Verweis auf die Ausführungen bei K. Schmidt, Informationsrechte in Gesellschaften und Verbänden, S. 15 f, 18.
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1. Teil: Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats und seiner Mitglieder
Abs. 2 AktG gerade um individuelle Ansprüche des Überwachungsorgans Aufsichtsrat handelt. Geltend gemacht werden Informationsansprüche zweier Organe innerhalb derselben juristischen Person.379 Die Organe – und nicht die Gesellschaft – trifft im umgekehrten Fall auch die Pflicht, sich zu informieren bzw. die Informationen bereitzustellen.380 Bei Nichteinhaltung der Pflichten haften schließlich wiederum die Organmitglieder von Aufsichtsrat und Vorstand persönlich – und gerade nicht die Gesellschaft. Für die Zuweisung der Informationsrechte und -pflichten, die nach dem Gesetz dem Aufsichtsrat zugesprochen sind, an die Gesellschaft besteht weder ein Bedürfnis noch eine gesetzliche Grundlage. Zur Gewährung einer hinreichenden Vorstandskontrolle bedarf es einer ausreichenden Informationsgrundlage für den Aufsichtsrat. Insofern erscheint es verfehlt, die Berichts- und Informationsrechte mit der Gegenansicht als Rechte der Gesellschaft einzuordnen. Vor dem Hintergrund der Qualifizierung der Ansprüche gleichsam als Pflichtrechte und einer mit der Nichtausübung verbundenen Ersatzpflicht der Mitglieder ist es konsequent und überzeugend, den Informationsanspruch und die Informationspflicht gerade den Organen selbst zuzusprechen.381 Es handelt sich bei den Rechten und Pflichten gerade um organspezifische Störungsbeseitigungsansprüche bzw. Kompetenzdurchsetzungsansprüche.382 Aus dieser Gesamtschau ist jedenfalls von einer Teil-Parteifähigkeit und -Rechtsfähigkeit der Organe auszugehen.383 Anderenfalls entstünde eine eigentümlich anmutende Konstruktion: Hielte man die Organe selbst nicht für berechtigt und verpflichtet, so müsste konsequenterweise auch die Gesellschaft – und nicht der Vorstand – zur Erfüllung der Berichtspflichten verpflichtet sein; die Gesellschaft handelte dann lediglich durch ihren Vorstand. Im Ergebnis wäre die Gesellschaft gleichzeitig Berechtigter und Verpflichteter. Dann aber würde sie einen Informationsanspruch, vertreten durch den Aufsichtsrat, gegen sich selbst, vertreten durch den Vorstand, geltend machen. Nach den obigen Ausführungen sprechen allerdings die besseren Argumente dafür, die Rechte und Pflichten nach dem Aktiengesetz den Organen selbst zuzusprechen. Wie bereits aufgezeigt, handelt es sich bei den Informationsrechten aus § 90 Abs. 3 und § 111 Abs. 2 AktG zwar nicht um subjektive Rechte des Organs im engeren Sinne,384 jedoch spricht gerade die Zuweisung der Rechte und Pflichten an das Überwachungsorgans selbst für die Existenz 379
Bork, ZIP 1991, S. 137, 138. Hieraus leitet Kort, in: Großkommentar AktG, § 90 Rdnr. 192, ab, dass es sich bei der Anerkennung des Interorganstreites nicht um einen Fall der Rechtsfortbildung handelt; vielmehr sei die Klagebefugnis des Aufsichtsrats bereits im Aktiengesetz angelegt. 381 Anders Westermann, in: Bettermann/Zeuner, Festschrift für Eduard Bötticher, S. 369, 379, der die einzelnen Mitglieder als klagebefugt ansieht. 382 Im Ansatz auch Leyendecker-Langner, NZG 2012, S. 721, 723. 383 So auch bereits Hommelhoff, ZHR 143 (1979), S. 288, 309. 384 Dies anerkennend, jedoch daraus keine Unzulässigkeit des Interorganstreites herleitend, Kort, in: Großkommentar AktG, § 90 Rdnr. 191; Fleischer in: Spindler/Stilz, AktG, § 90 Rdnr. 70. 380
B. Der Aufsichtsrat als Überwachungsorgan
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individueller Organrechte, deren Durchsetzung auch von den Organen selbst betrieben werden sollte.385 Nach richtiger Ansicht ist Klagegegner des Aufsichtsrats der Vorstand als Organ.386 Teilweise wird erwogen, die einzelnen Vorstandsmitglieder – verbunden im Wege der notwendigen Streitgenossenschaft – als Klagegegner anzusehen.387 Die Vorstandsmitglieder seien gemeinschaftlich zur Leistung (nämlich zur Berichterstattung an den Aufsichtsrat) verpflichtet.388 Die Klage sei daher nur gegen diejenigen Mitglieder zu richten, die sich weigerten ihrer Pflicht nachzukommen.389 Dem kann nicht gefolgt werden. Zum einen wäre diese Bewertung inkonsistent mit den oben gefundenen Ergebnissen: Wenn der Aufsichtsrat aufgrund der ihm zugewiesenen Organrechte als teilrechtsfähig anzuerkennen ist, dann muss das Gleiche auch für den Vorstand aufgrund der ihm zugewiesenen Rechte und Pflichten gelten.390 Im umgekehrten Fall, wenn nämlich der Vorstand die fehlende Verpflichtung zur Erstattung eines Berichtes i.S.v. § 90 AktG gerichtlich feststellen lässt, klagen nach einhelliger Ansicht nicht die einzelnen Mitglieder des Organs als notwendige Streitgenossen gegen den Aufsichtsrat auf Feststellung, sondern der Gesamtvorstand als Organ. Ferner trifft die Berichtspflicht den Vorstand nach der gesetzlichen Konzeption als Kollegialorgan – nicht die Gesellschaft und nicht die einzelnen Organmitglieder. Nach außen tritt schließlich nur eine Entscheidung des gesamten Organs, der Informationspflicht (nicht) nachzukommen, sodass auf die organschaftlichen Innenbeziehungen an dieser Stelle keine Rücksicht zu nehmen ist. Dass der Vorstand nicht selbst, sondern allein durch seine Mitglieder handelt, bedingt sich bei einem Organ wie auch bei einer juristischen Person aus der Sache und vermag keine andere Bewertung zu rechtfertigen. Auch die juristischen Personen selbst, und nicht ihre Organe, sind zur Vornahme von Handlungen verpflichtet und können gerichtlich dazu verpflichtet werden. Ferner birgt die Klageerhebung gegen die einzelnen Vorstandsmitglieder insofern erhebliche praktische Nachteile, als dass nur die jeweils aktuellen Vorstände von der Rechtskraft des Urteils erfasst wären;391 bei einem personellen Wechsel im Vorstand müsste der Aufsichtsrat Klage gegen das neue Mitglied persönlich erheben.392 Wird hingegen das Gesamtorgan Vorstand 385
Zum Bestehen von Organrechten des Aufsichtsrats vgl. eingehend unten, S. 236 ff. Bork, ZIP 1991, S. 137, 139 f; Hommelhoff, ZHR 143 (1979), S. 288, 305 f; überzeugend auch Steinbeck, Überwachungspflicht und Einwirkungsmöglichkeiten, S. 187. 387 Krieger/Sailer-Coceani, in: Schmidt/Lutter, AktG, § 90 Rdnr. 70; Westermann, in: Bettermann/Zeuner, Festschrift für Eduard Bötticher, S. 369, 380; Koch, in: Hüffer, AktG, § 90 Rdnr. 15; Lewerenz, Leistungsklagen zwischen Organen und Organmitgliedern, S. 105; Mertens, ZHR 154 (1990), S. 24, 38, für den Fall, dass das Bedürfnis für eine Organklage gesehen werde; ähnlich U.H. Schneider, in: Scholz, GmbHG, § 52 Rdnr. 561. 388 Westermann, in Bettermann/Zeuner, Festschrift für Eduard Bötticher, S. 369, 380. 389 Stodolkowitz, ZHR 154 (1990), S. 1, 8. 390 Überzeugend Bork, ZIP 1991, S. 137, 140. 391 Hommelhoff, ZHR 143 (1979), S. 288, 306. 392 Fleischer, in: Spindler/Stilz, AktG, § 90 Rdnr. 70. 386
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1. Teil: Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats und seiner Mitglieder
verklagt, so erstreckt sich die Rechtskraft auf das Organ als solches – unabhängig vom individuellen Mitgliederbestand. Mithin sprechen die überzeugenderen Argumente für eine unmittelbare Verpflichtung der Organe selbst und das Bestehen einer daraus resultierenden (Teil-)Rechts- und Parteifähigkeit derselben. dd) Zwischenergebnis: Interorganstreit zwischen Aufsichtsrat und Vorstand Kommt der Vorstand seiner Berichtspflicht nicht nach, kann der Aufsichtsrat seinen Informationsanspruch auf dem Klageweg geltend machen. Ob es sich bei dem Berichts- und Informationsanspruch um ein subjektives Recht oder ein Organrecht handelt, ist insoweit irrelevant. Der Aufsichtsrat selbst als Organ und Rechtsinhaber ist klagebefugt. Die Klage richtet sich gegen den Vorstand als Organ, nicht gegen die einzelnen Vorstandsmitglieder. b) (Feststellungs- und Unterlassungs-)Klage zur Wahrung von Organrechten des Aufsichtsrats? Neben der gerichtlichen Durchsetzung der Berichtspflicht im Wege der Leistungsklage ist fraglich, ob und inwieweit der Aufsichtsrat auch auf anderem (Rechts-)Wege seine Rechte gegenüber dem Vorstand durchsetzen kann. Dies betrifft insbesondere Fälle, in denen der Vorstand in unzulässiger Weise in die Rechte des Aufsichtsrats eingreift. In Betracht kommen Feststellungs- bzw. Unterlassungsklagen gegen den Vorstand. aa) Zulässigkeit einer gerichtlichen Geltendmachung Ein solcher Fall könnte dann eintreten, wenn der Vorstand in die Rechte und Kompetenzen des Aufsichtsrats eingreift. Das ist beispielsweise der Fall, wenn der Vorstand sich über einen vom Aufsichtsrat oder in der Satzung auferlegten Zustimmungsvorbehalt hinwegsetzt.393 In einem solchen Fall besteht ein tatsächliches Bedürfnis des Aufsichtsrats, gerichtlich feststellen zu lassen, dass der Vorstand sich pflichtwidrig verhalten und in den Kompetenzbereich des Überwachungsorgans eingegriffen hat.394 Der Aufsichtsrat hat aufgrund der drohenden Wiederholungsgefahr ein erhebliches praktisches Interesse an der gerichtlichen Untersagung bzw. Feststellung der Rechtswidrigkeit des Tuns des Vorstands. Zwar werden in den meisten Fällen der (bewussten) Kompetenzüberschreitung des Vorstands gegenüber dem Aufsichtsrat bereits die Voraussetzungen für die Abberufung des oder der be393 Bork, ZGR 1989, S. 1, 19; Häsemeyer, ZHR 144 (1980), S. 265, 282 f; ähnlich auch der Fall bei Raiser, ZGR 1989, S. 44, 61. 394 Ein solcher Fall läge beispielsweise dann vor, wenn der Vorstand versucht, dem Abschlussprüfer besondere Vorgaben für Inhalt oder Umfang seiner Prüfung aufzugeben. Dieses Recht obliegt alleinig dem Aufsichtsrat.
B. Der Aufsichtsrat als Überwachungsorgan
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treffenden Mitglieder aus wichtigem Grund vorliegen. Jedoch besteht ein Bedürfnis für den Aufsichtsrat, den Vorstand im Wege einer gerichtlicher Entscheidung zur Einhaltung von Recht und Gesetz anzuhalten, da nicht in jedem Fall eine sofortige Abberufung des Vorstands im besten Interesse der Gesellschaft ist. Im Übrigen muss gerade im Fall unbewusster Überschreitungen von Zustimmungsvorbehalten durch den Vorstand für den Aufsichtsrat die Möglichkeit der gerichtlichen Feststellung von eben dieser Überschreitung eröffnet werden. Das bloße Bedürfnis für eine Abwehrmöglichkeit selbst vermag aber nicht bereits die Existenz eines klageweise geltend zu machenden subjektiven Abwehrrechts zu begründen. Die Verleihung einer Kompetenz stellt noch kein klageweise geltendmachbares subjektives Recht dar und vermag daher von sich aus eine Klagebefugnis nicht zu rechtfertigen. § 111 Abs. 4 Satz 1 AktG vermittelt dem Aufsichtsrat (nur) die Kompetenz zur Einrichtung von Zustimmungsvorbehalten. Nicht abgeleitet werden kann daraus ein für die Begründung eines subjektiven Rechts notwendiges allgemeines Störungsverbot. Dieses Störungsverbot ergibt sich aber aus den materiellen, satzungsfesten (§ 23 Abs. 5 AktG) Grundsätzen des Aktienrechts.395 Das Aktienrecht hat sowohl dem Aufsichtsrat als auch dem Vorstand eigene Zuständigkeitsbereiche zugeschrieben, mit deren Zuteilung eine Exklusivität und ein ungeschriebenes innerorganschaftliches Störungsverbot besteht und deren Verletzung subjektive Abwehrrechte der jeweiligen Organe begründet.396 Jedem Organ steht das Recht auf Wahrung des eigenen Kompetenzbereiches zu; Übergriffe anderer Organe in den eigenen Zuständigkeitsbereich dürfen abgewehrt werden.397 Das Prozessrecht muss daher die Durchsetzung kompetenzieller Grenzen im Rahmen des Aktienrechts durch die einzelnen Organe anerkennen: Die Möglichkeit zur Durchsetzung von Kompetenzgrenzen ist notwendige Bedingung für die Schaffung von Kompetenzen. Ohne die Aussicht auf gerichtliche Klärung von Umfang und Grenzen von Kompetenzbereichen wäre die gesetzliche Kompetenzabgrenzung zwischen Vorstand und Aufsichtsrat mangels Kontroll- und Ahndungsmöglichkeiten wirkungslos. Alleinige Druckmittel des Aufsichtsrats wären dann die Drohung mit der Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen398 oder die Drohung mit der Abberufung des Vorstands. Die Abberufung des Vorstands und die Neubestellung eines 395
Bork, ZGR 1989, S. 1, 18 f. Ausführlich und anschaulich Bork, ZGR 1989, S. 1, 18 f; ähnlich bereits Hommelhoff, ZHR 143 (1979), S. 288, 309. 397 Dies ist allgemein anerkannt, vgl. LG Darmstadt, Urt. v. 06. 06. 1986 – 14 O 328/85, AG 1987, S. 218, 219; Häsemeyer, ZHR 144 (1980), S. 265, 275 ff, 282 ff; Bork, ZGR 1989, S. 1, 18; Hommelhoff, ZHR 143 (1979), S. 288, 307 ff; grundlegend und ausführlich bereits Lewerenz, Leistungsklagen zwischen Organen und Organmitgliedern, S. 86 ff unter Verweis auf die Grundsätze des verfassungsrechtlichen Organstreits; ähnlich Schmidt, ZZP 92, S. 212, 221. 398 Auch wenn im Rahmen einer gerichtlichen Klärung von Schadensersatzansprüchen der Gesellschaft gegenüber den Vorstandsmitgliedern inzident die verletzten Rechte und Pflichten durch das zuständige Gericht geprüft wird, vermag dies die Notwendigkeit der Klärung der bestehenden Rechte und Pflichten nicht zu ersetzen. 396
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1. Teil: Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats und seiner Mitglieder
dem Aufsichtsrat gefügigeren Vorstands vermag aber gerade nicht die richtigerweise zu klärenden Rechtsfragen der Reichweite der Aufsichtsrats- und Vorstandsbefugnis zu lösen. bb) Aktiv- und Passivlegitimation Wenn Rechte zur Abwehr in den eigenen Kompetenzbereich bestehen, dann sind Träger eben dieser Rechte die einzelnen Organe, in deren Zuständigkeit ein Eingriff stattzufinden droht. Es bedarf daher keiner Zwischenschaltung oder Überleitung von Kompetenzen auf die Gesellschaft. Die Organe sind selbst Träger des aus der Grundstruktur der Aktiengesellschaft abgeleiteten Rechts und machen die entsprechenden Abwehransprüche als Ansprüche im eigenen Namen gegen das jeweils andere Organ geltend.399 Der Aufsichtsrat kann daher gegenüber dem Vorstand im Wege der Feststellungs- oder Unterlassungsklage dessen Überschreitungen des allgemeinen Kompetenzgefüges als Organ und im eigenen Namen rügen. Dies gilt nach dem oben Ausgeführten aber freilich nur insoweit, wie das Verhalten des Vorstands tatsächlich dem Aufsichtsrat zustehende Kompetenzen tangiert. Greift der Vorstand hingegen in die Kompetenzen der Gesellschaft ein, so kann der Aufsichtsrat nur soweit seine eigenen Befugnisse betroffen sind im Wege der Feststellungs- oder Unterlassungsklage dagegen vorgehen.400 Im Übrigen besteht allenfalls die Möglichkeit der gerichtlichen Geltendmachung einer Rechtsverletzung des Vorstands durch den Aufsichtsrats im Namen der Gesellschaft.401 c) Ergebnis Dem Aufsichtsrat steht die Möglichkeit zur gerichtlichen Klärung kompetenzieller Streitfragen mit dem Vorstand zu. Zum einen kann er im Wege der Leistungsklage den Vorstand zur Einhaltung der Berichtspflicht nach § 90 AktG anhalten. Dieses Recht besteht als subjektives Recht bzw. Organrecht unabhängig von und neben einem registergerichtlichen Zwangsgeldverfahren nach § 407 AktG. Außerdem steht dem Aufsichtsrat die Möglichkeit zur Abwehr von Kompetenzeingriffen des Vorstands im Wege einer Feststellungs- und Unterlassungsklage aufgrund eines interorganschaftlichen Störungsbeseitigungsanspruchs zu, mit deren Hilfe eine Kompetenzüberschreitung gerügt und abgewehrt werden kann. Am
399 Siehe Bauer, Organklagen zwischen Vorstand und Aufsichtsrat, S. 95 ff; Bork, ZGR 1989, S. 1, 19; Häsemeyer, ZHR 144 (1980), S. 265, 283 f. 400 Setzt der Vorstand sich über einen in der Satzung festgeschriebenen Zustimmungsvorbehalt hinweg, so besteht für den Aufsichtsrat keine Handlungsmöglichkeit (im eigenen Namen). Etwas anderes gilt nur dann, wenn der Aufsichtsrat dem Vorstand bezüglich der betreffenden Frage selbst einen Zustimmungsvorbehalt gem. § 111 Abs. 4 Satz 2 AktG auferlegt hat. 401 So bereits Bauer, Organklagen zwischen Vorstand und Aufsichtsrat, S. 99 ff; Hommelhoff, ZHR 143 (1979), S. 288, 310.
B. Der Aufsichtsrat als Überwachungsorgan
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Rechtsstreit beteiligt sind dabei stets die Organe selbst, die im eigenen Namen und nicht im Namen der Gesellschaft auftreten. Es stellt sich nun die Frage, ob aus der Klagemöglichkeit des Aufsichtsrats gegen den Vorstand auch eine Pflicht des Aufsichtsrats zur Klageerhebung resultiert. Richtigerweise wird man den Aufsichtsrat nicht als verpflichtet ansehen dürfen, auf dem zivilgerichtlichen Weg gegen den Vorstand zur Erfüllung der Berichtspflicht vorzugehen. Das Überwachungsorgan muss selbst entscheiden können, wie es seine Überwachung ausgestaltet und ausübt und wie es auf eine unterlassene Berichterstattung reagiert.402 Das Gesetz gibt dem Aufsichtsrat hierzu keine Vorgabe und es wäre vor dem Hintergrund der Komplexität der Überwachungsaufgabe kaum sinnvoll, eine allgemeine Pflicht zur Klageerhebung zu statuieren. Dies würde dem Aufsichtsrat jegliche Flexibilität für Reaktionen auf Vorstandsverfehlungen nehmen. In gravierenden Fällen, beispielsweise bei einer dauerhaften und eindeutigen Weigerung des Vorstands der Berichtspflicht nachzukommen, kann es unter Umständen zielführender sein, den Vorstand unmittelbar abzuberufen, anstatt zunächst auf die Erstattung eines Berichtes zu klagen. Die Durchführung eines zeit- und kostenintensiven Rechtsstreites zur (gerichtlichen) Feststellung der Vorstandsverfehlungen vermag hier keine Abhilfe zu schaffen. In anderen, weniger einschneidenden Fällen kann es ausreichend sein, den Vorstand abzumahnen und möglicherweise auf den Bericht zu verzichten. Die Entscheidung, welche Maßnahme im Einzelfall geeignet erscheint und ob eine Klage erhoben werden sollte, fällt in die Einschätzungsprärogative des Aufsichtsrats. Eine Klageerhebung wird nur in einigen wenigen Fällen die einzig vertretbare Lösung sein; (nur) dann wird man ganz ausnahmsweise eine entsprechende Pflicht annehmen können.403 Solche Fälle könnten beispielsweise bei einer erheblichen Gefährdung des Gesellschaftswohls eintreten, die zu einer existenziellen Beeinträchtigung des Unternehmens führen könnte. Gewiss sollte beachtet werden, dass sich der Aufsichtsrat (auch bei Fehlen einer generellen Pflicht zur Klageerhebung) bei Unterlassen jeder Reaktion (z. B. Abmahnung des Vorstands oder auch Erhebung einer Klage) unter Umständen ersatzpflichtig macht, da er dann womöglich seiner Überwachungsaufgabe nicht gerecht wird. Irgendeine Reaktion wird vom Aufsichtsrat zu erwarten und im Regelfall notwendig sein. Wohl nur ganz ausnahmsweise wird der Aufsichtsrat daher in der Entscheidung frei sein, ob er im Nachgang der Unterlassung einer Berichtspflicht Maßnahmen ergreift. Wie er reagiert, bleibt ihm allerdings grundsätzlich überlassen. Diese Einschätzungs- und Entscheidungsprärogative muss dem Überwachungsorgan erhalten bleiben.
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Steinbeck, Überwachungspflicht und Einwirkungsmöglichkeiten, S. 211. Steinbeck, Überwachungspflicht und Einwirkungsmöglichkeiten, S. 211; ohne weiter Begründung in die gleiche Richtung gehend: Kort, in: Großkommentar AktG, § 90 Rdnr. 192. 403
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1. Teil: Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats und seiner Mitglieder
7. Abberufung von Vorstandsmitgliedern Der Aufsichtsrat kann die Bestellung des Vorstandsmitglieds vor Ende der regulären Amtszeit bei Vorliegen eines wichtigen Grundes jederzeit widerrufen (Abberufung). Durch die Abberufung endet die Geschäftsführungsbefugnis und die Vertretungsmacht des Vorstandsmitglieds, der hiervon zu trennende Anstellungsvertrag richtet sich nach allgemeinen Regeln und läuft unabhängig davon weiter. Die Abberufung kann nicht vorab durch Vereinbarung ausgeschlossen oder von besonderen Voraussetzungen abhängig gemacht werden.404 Für die Abberufung muss ein wichtiger Grund vorliegen (§ 84 Abs. 3 Satz 1 AktG). Die Abberufung aufgrund anderer Umstände kann weder in der Satzung festgelegt noch vertraglich vereinbart werden.405 Dies würde die Geschäftsführungsautonomie des Vorstands untergraben, da er in einem jederzeitigen Abhängigkeitsverhältnis vom Aufsichtsrat stünde. Ein wichtiger Grund liegt dann vor, wenn der weitere Verbleib des Vorstandsmitglieds in der Gesellschaft unzumutbar ist.406 Die Unzumutbarkeit muss in der Person des Vorstandsmitglieds selbst liegen, wobei es auf ein Verschulden nicht ankommt.407 Als wichtige Gründe sind in der Vergangenheit insbesondere grobe Pflichtverletzungen des Vorstandsmitglieds, wie beispielsweise die Missachtung von durch den Aufsichtsrat verhängten Zustimmungsvorbehalten,408 anerkannt worden. Auch die Unfähigkeit des Vorstandsmitglieds zur ordnungsgemäßen Geschäftsführung, insbesondere durch die Unfähigkeit der ordnungsgemäßen Vertretung der Gesellschaft Dritten gegenüber409 oder durch tiefgreifende, lang andauernde Störungen im Verhältnis zu nachgeordneten Angestellten, stellen einen wichtigen Grund zur Abberufung dar.410
404
BGH, Urt. v. 28. 01. 1953 – II ZR 265/51, BGHZ 8, 348, 360 f; OLG Köln, Urt. v. 25. 04. 1987 – 2 W 27/87, NJW-RR 1988, 254, 255; Mertens/Cahn, in: Kölner Kommentar AktG, § 84 Rdnr. 120. 405 Seibt, in: Schmidt/Lutter, AktG, § 84 Rdnr. 48; Mertens/Cahn, in: Kölner Kommentar AktG, § 84 Rdnr. 120; Spindler, in: Münchener Kommentar AktG, § 84 Rdnr. 125 f. 406 BGH, Urt. v. 23. 10. 2006 – II ZR 298/05, ZIP 2007, S. 119; OLG Stuttgart, Urt. v. 13. 03. 2002 – 20 U 59/01, AG 2003, S. 211, 212; OLG Karlsruhe, Urt. v. 04. 05. 1999 – 8 U 153/97, NZG 2002, S. 264, 266; Mertens/Cahn, in: Kölner Kommentar AktG, § 84 Rdnr. 121; Seibt, in: Schmidt/Lutter, AktG, § 84 Rdnr. 49 f; Koch, in: Hüffer, AktG, § 84 Rdnr. 34; Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats, Rdnr. 364 f; Spindler, in: Münchener Kommentar AktG, § 84 Rdnr. 129; Fleischer, in: Spindler/Stilz, AktG, § 84 Rdnr. 99. 407 Ulmer/Habersack, in: Ulmer/Habersack, MitbestR, § 31 MitbestG Rdnr. 30; OLG Stuttgart, Urt. v. 13. 03. 2002 – 20 U 59/01, AG 2003, S. 211, 212; Spindler, in: Münchener Kommentar AktG, § 84 Rdnr. 128 f; für die GmbH vgl. BGH, Urt. v. 24. 02. 1992 – II ZR 79/91, ZIP 1992, 760. 408 BGH, Urt. v. 13. 07. 1998 – II ZR 131/97, AG 1998, S. 519, 519. 409 BGH, Urt. v. 24. 02. 1992 – II ZR 79/91, ZIP 1992, S. 760, 761 f. 410 Vgl. Mertens/Cahn, in: Kölner Kommentar AktG, § 84 Rdnr. 126, mit umfassenden weiteren Beispielen und Nachweisen.
B. Der Aufsichtsrat als Überwachungsorgan
105
Insbesondere können auch Verstöße gegen die Informations- und Berichtspflichten so erheblich wirken, dass sie einen wichtigen Grund im Sinne von § 84 Abs. 3 AktG darstellen.411 Weigert sich der Vorstand, Berichte vollständig an den Aufsichtsrat zu liefern oder entsprechen die übermittelten Berichte nicht den Vorgaben einer bestehenden Berichtsordnung und/oder sind die Berichte trotz entsprechender Hinweise des Aufsichtsrats wiederholt unzureichend oder unvollständig, verletzt er seine Pflichten aus § 90 AktG. Diese Pflichtverletzung kann im Einzelfall so schwer wiegen, dass sie einen wichtigen Grund zur Abberufung darstellt.412 Treten zwischen Aufsichtsrat und Vorstand unüberbrückbare Differenzen auf, deren Beilegung nicht zeitnah zu erwarten ist, so stellt auch dies einen wichtigen Grund zur Abberufung des oder der betreffenden Vorstandsmitglieder dar.413 Das gilt auch dann, wenn der Vorstand sich sachlich im Rahmen des ihm zustehenden Ermessens bewegt, der Aufsichtsrat allerdings eine andere Vorstellung hinsichtlich einer erfolgreichen Geschäftspolitik vertritt.414 Freilich rechtfertigt vor dem Hintergrund der autonomen Leitungsbefugnis des Vorstands im Sinne von § 111 Abs. 4 Satz 1 AktG nicht jede abweichende Beurteilung oder Auseinandersetzung zwischen Vorstand und Aufsichtsrat eine Abberufung aus wichtigem Grund. Es muss sich um Differenzen handeln, die grundlegende Leitungsentscheidungen betreffen und für die Entwicklung der Gesellschaft von erheblicher Bedeutung sind. Vor dem Hintergrund einer drohenden negativen Entwicklung des Fortbestands der Gesellschaft bleibt in solchen Fällen erheblicher Spannungen zwischen Leitungs- und Überwachungsorgan nur ein Rücktritt oder eine Abberufung des Vorstands durch den Aufsichtsrat.415 Eine Pflicht zur vorherigen Einberufung einer Hauptversammlung würde aufgrund des Vorlauffristen und der erheblichen negativen Außenwirkung
411 Kort, in: Großkommentar AktG, § 90 Rdnr. 188; Fleischer, in: Spindler/Stilz, AktG, § 90 Rdnr. 66; Mertens/Cahn, in: Kölner Kommentar AktG, § 84 Rdnr. 124; Sailer, in: Schmidt/Lutter, AktG, § 90 Rdnr. 60; Spindler, in: Münchener Kommentar AktG, § 84 Rdnr. 131; Wiesner, in: Hoffmann-Becking, Münchener Handbuch des Gesellschaftsrechts, Bd. 4, § 25 Rdnr. 39. 412 Vgl. BGH, Urt. v. 26. 03. 1956 – II ZR 57/55, BGHZ 20, 239, Rdnr. 23 (zitiert nach juris), wonach der Verstoß gegen die dem Vorstand gegenüber dem Aufsichtsrat obliegende Offenheitspflicht einen Grund zur Abberufung darstellt; Spindler, in: Münchener Kommentar AktG, § 84 Rdnr. 131; Fleischer, in: Spindler/Stilz, AktG, § 90 Rdnr. 66; Krieger/Sailer, in: Schmidt/Lutter, AktG, § 90 Rdnr. 60; Koch, in: Hüffer, AktG, § 90 Rdnr. 15. 413 Fonk, in: Semler/von Schenck, Arbeitshandbuch für Aufsichtsratsmitglieder, § 10 Rdnr. 303; Thüsing, in: Fleischer, Handbuch des Vorstandsrechts, § 5 Rdnr. 24; Spindler, in: Münchener Kommentar AktG, § 84 Rdnr. 132; Mertens/Cahn, in: Kölner Kommentar AktG, § 84 Rdnr. 126; Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats, Rdnr. 365. 414 Wiesner, in Hoffmann-Becking, Münchener Handbuch des Gesellschaftsrechts, Bd. 4, § 20 Rdnr. 48. 415 Wiesner, in Hoffmann-Becking, Münchener Handbuch des Gesellschaftsrechts, Bd. 4, § 20 Rdnr. 48; unklar Semler, Leitung und Überwachung der Aktiengesellschaft, Rdnr. 216, 220.
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1. Teil: Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats und seiner Mitglieder
dem Bedürfnis nach einer zeitnahen Lösung nicht gerecht werden.416 Das Argument, die Abberufung aus wichtigem Grund bei unüberbrückbaren Differenzen im Sinne von § 84 Abs. 3 AktG stelle eine unmittelbare Beeinträchtigung der Leitungsautonomie des Vorstands dar, da dieser im Zweifelsfalle nicht zum Wohle der Gesellschaft handeln werde, wenn dies im Gegensatz zur Auffassung des Aufsichtsrats stehe,417 verfängt nicht. Durch die Aufsichtsratszuständigkeit für die erneute Bestellung besteht ohnehin eine nicht zu verachtende Abhängigkeit des Vorstands vom Aufsichtsrat. Er wird daher im Regelfall ohnehin nicht ohne weiteres den offenen Konflikt mit dem Überwachungsorgan suchen.418 Im Übrigen wird auch der Aufsichtsrat vor dem Hintergrund der eigenen Abhängigkeit von der Gunst der Hauptversammlung und der Verpflichtung zur Wahrung des Gesellschaftswohls ein Vorstandsmitglied bei kleineren Differenzen kaum leichtfertig aus wichtigem Grund abberufen. Geeigneter und weniger konfrontativ ist es, den Vorstand nicht wieder zu bestellen. In der Praxis wird die Drohung mit der Abberufung im Vergleich zur klageweisen Durchsetzung des Informationsanspruchs ganz überwiegend das wohl wirkungsvollere Mittel sein.419 Tritt auch nach Abmahnung des Vorstands trotz ausdrücklicher Aufforderung des Aufsichtsrats keine Besserung ein, so wird mit einer Veränderung der Informationspolitik auch nach einem zivilrechtlichen Prozess kaum zu rechnen sein. Für eine vertrauensvolle Zusammenarbeit fehlt dann die Grundlage; der Aufsichtsrat wird die fraglichen Organmitglieder abberufen. Eines möglicherweise langwierigen Gerichtsverfahrens zur Klärung der Frage, ob und warum der Vorstand seiner Berichtspflicht nicht nachgekommen ist, bedarf es insofern nicht. 8. Zusammenfassung Dem Aufsichtsrat steht eine Vielzahl verschiedener Eingriffsmittel zu, mit deren Hilfe er seine Überwachungsverpflichtung gegenüber dem Vorstand durchsetzen kann. Bisweilen wird kritisiert, dass die zur Verfügung stehenden Mittel nicht hinreichend differenziert genug seien, der Aufsichtsrat insofern nur die Wahl habe, entweder mit Kanonen auf Spatzen zu schießen oder gar nichts zu tun.420 Dem ist zuzugeben, dass zur Sanktionierung des Vorstandsverhaltens kaum milde, aber dennoch zwingende Maßnahmen zur Verfügung stehen. Kommt es zu einer Pflichtverletzung, so ist der Aufsichtsrat in jedem Fall gehalten, dem Vorstand seine 416 Mertens/Cahn, in: Kölner Kommentar AktG, § 84 Rdnr. 126; Wiesner, in HoffmannBecking, Münchener Handbuch des Gesellschaftsrechts, Bd. 4, § 20 Rdnr. 48; a.A. Kort, in: Großkommentar AktG, § 84 Rdnr. 176; Fleischer, AG 2006, S. 429, 440. 417 Fleischer, AG 2006, S. 429, 440. 418 Mertens/Cahn, in: Kölner Kommentar AktG, § 111 Rdnr. 42; siehe auch bereits Schmidt/Meyer-Landrut, in: Großkommentar AktG, 2. Aufl. 1961, § 95 Anm. 13. 419 Flume, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, Band 1 Teil 2, § 11 V, S. 408. 420 Schwark, in: Hommelhoff/Lutter/Schmidt/Schön/Ulmer, Corporate Governance, S. 75, 91.
C. Der Aufsichtsrat als Kollegialorgan
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Missbilligung darüber zum Ausdruck zu bringen. Die Anwendung und Wahl weiterer Mittel liegt im Ermessen des Aufsichtsrats. Er allein wählt die Art und Weise der anzuwendenden Sanktionen. Dabei hat er die Art und Schwere der Pflichtverletzung ebenso einzubeziehen, wie auch die Wahrscheinlichkeit ihrer Wiederholung und die Möglichkeit zu Änderung des Verhaltens des Vorstands.
C. Der Aufsichtsrat als Kollegialorgan I. Rechte und Pflichte des Organs Die Aufgaben des Aufsichtsrats beziehen sich fast gänzlich auf das interne Geschehen in der Aktiengesellschaft; er ist ein Innenorgan ohne weitreichende Rechtsbeziehungen nach außen.421 Nach außen hin tritt der Aufsichtsrat nur dann in Erscheinung, wenn er die Gesellschaft gegenüber Vorstandsmitgliedern vertritt (§ 112 AktG), den Abschlussprüfer bestellt oder sonstige Verträge mit Dritten abschließt, die ausschließlich für den Aufsichtsrat tätig werden.422 Der Aufsichtsrat vertritt die Gesellschaft nicht gegenüber sonstigen Dritten; mangels einer entsprechenden gesetzlichen Kompetenz würde es sich dabei um einen Eingriff in die Geschäftsführungskompetenz des Vorstands handeln (arg. ex. § 111 Abs. 4 AktG i.V.m. § 111 Abs. 2 AktG). Der Aufsichtsrat besteht aus mindestens drei Mitgliedern (§§ 95, 96 AktG). Die Mitgliederanzahl kann auf bis zu 21 Mitglieder erweitert werden, wobei je nach Höhe der Arbeitnehmerzahlen die Zusammensetzung aus Arbeiternehmer- und Arbeitgebervertretern variiert.423 1. Das Organ als Träger von Rechten und Pflichten Das Aktiengesetz weist verschiedene Rechte und Pflichten „dem Aufsichtsrat“ zu. Dabei stellt sich die Frage, wer Träger dieser Rechte und Inhaber der entsprechenden Pflichten ist: Möglich ist zum einen, dass das Organ Aufsichtsrat als solches berechtigt oder verpflichtet wird. Ebenso könnten die Rechte und Pflichte aber auch die Organmitglieder jeweils einzeln oder in ihrer Gesamtheit treffen. 421
Schaefer/Missling, NZG 1998, S. 441, 445; Fonk, ZGR 2006, S. 841, 869; Peltzer, NZG 2009, S. 1041, 1046. 422 Nach richtiger Ansicht erfolgt hier eine Vertretung der Gesellschaft durch den Aufsichtsrat im Rahmen einer Annexkompetenz zu den Rechten aus § 111 Abs. 2 AktG; vgl. Habersack, in: Münchener Kommentar AktG, § 111 Rdnr. 74; in diese Richtung wohl auch Koch, in: Hüffer, AktG, § 111 Rdnr. 24. 423 Bei Aktiengesellschaften mit mehr als 500 und weniger als 2.000 Arbeitnehmern beträgt das Verhältnis der Arbeiternehmervertretern zu den Arbeitgebervertretern 1/3 zu 2/3; bei Aktiengesellschaften mit mehr als 2.000 Arbeiternehmer erfolgt eine paritätische Besetzung (vgl. § 1 Abs. 1 Nr. 3 DrittelbG bzw. § 7 MitbestG).
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1. Teil: Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats und seiner Mitglieder
Das Gesetz unterscheidet hinsichtlich Berechtigung und Verpflichtung – teilweise sogar in unterschiedlichen Absätzen der gleichen Norm – trenngenau zwischen dem Aufsichtsrat als Organ („der Aufsichtsrat“, vgl. beispielsweise §§ 78 Abs. 1, Abs. 3 Satz 2; 82 Abs. 2; 90 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 4, Abs. 3 Satz 1 AktG) und seinen einzelnen Mitgliedern („die Mitglieder des Aufsichtsrats“ oder „die Aufsichtsratsmitglieder“ vgl. beispielsweise §§ 33 Abs. 1, 78 Abs. 2 Satz 1, 90 Abs. 5 Satz 1 AktG).424 Unter Zugrundelegung des unterschiedlichen Wortlauts wird davon ausgegangen, dass der Gesetzgeber mit der Differenzierung in Organ und Organmitglieder eine trennscharfe Abgrenzung dahingehend habe vornehmen wollen, ob das Organ, oder aber dessen Mitglieder als solche verpflichtet werden sollen.425 Diese Einschätzung wird von der Rechtsprechung, soweit ersichtlich, uneingeschränkt geteilt.426 Weist das Gesetz daher dem Organ Aufsichtsrat ein Recht oder eine Pflicht zu, so ist Verpflichteter das Gesamtorgan, nicht seine Mitglieder. Den Regelfall im Aktiengesetz stellt damit die Berechtigung und Verpflichtung des Gesamtorgans dar.427 Den einzelnen Mitgliedern sind nur ausnahmsweise, und soweit im Gesetz ausdrücklich angeordnet, spezifische eigene Befugnisse übertragen worden. Im Regelfall leiten sich die Befugnisse der Aufsichtsratsmitglieder von den Befugnissen des Organs ab. Probleme aus der Übertragung der Befugnisse auf das Organ ergeben sich allerdings aus dessen fehlender eigener Handlungsfähigkeit. Das Organ als solches ist als Rechtsgebilde grundsätzlich nicht selbst handlungsfähig und kann die ihm obliegenden Rechte und Pflichten nicht eigenständig er- und ausfüllen. Bedenken gegen die Übertragung der Pflichten auf den Aufsichtsrat als Organ ergeben sich dadurch jedoch nicht: Ähnlich wie Organe sind auch juristische Personen rechtstechnische Gebilde, die nicht selbständig zu Handeln im Stande sind. Die Aufgabenwahrnehmung erfolgt bei ihnen durch Vertreter des Organs (Organwalter), die für dieses nach außen hin handeln.428 Gegen eine Zuordnung von Rechten und Pflichten spricht dies nach ganz einhelliger Meinung nicht.429 Gleiches gilt für das Organ: Das Organ Aufsichtsrat handelt nach außen hin durch seine Mitglieder und nimmt durch
424
Eine analoge Unterscheidung erfolgt für den Vorstand und seine Mitglieder. Steinbeck, Überwachungspflicht und Einwirkungsmöglichkeiten, S. 21 f; Bauer, Organklagen zwischen Vorstand und Aufsichtsrat, S. 51 f; Hommelhoff, ZHR 143 (1979), S. 288, 292 ff; Bork, ZIP 1991, S. 137, 146; Hommelhoff, ZHR 143 (1979), S. 288, 292. 426 Vgl. beispielhaft hinsichtlich der Verpflichtung des Gesamtorgans zur Überwachung der Geschäftsführung: RG, Urt. v. 04. 10. 1918 – II 498/17, RGZ 93, 338, 440; RG, Urt. v. 07. 06. 1939 – II 199/38, RGZ 161, 129, 135; BGH, Urt. v. 06. 04. 1964 – II ZR 75/62, BGHZ 41, 282, 286; BGH, Urt. v. 28. 11. 1988 – II ZR 57/88, BGHZ 106, 54. 427 Vgl. Mertens/Cahn, in: Kölner Kommentar AktG, § 111 Rdnr. 13; Hopt/Roth, in: Großkommentar AktG, § 111 Rdnr. 108; Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats, Rdnr. 651; Koch, in: Hüffer, AktG, § 111 Rdnr. 17; so wohl auch Szalai/Marz, DStR 2010, S. 809, 811. 428 Hierzu ausführlich Wolff, Organschaft und juristische Person, S. 253 ff; dem zustimmend Steinbeck, Überwachungspflicht und Einwirkungsmöglichkeiten, S. 22. 429 Siehe auch Steinbeck, Überwachungspflicht und Einwirkungsmöglichkeiten, S. 22. 425
C. Der Aufsichtsrat als Kollegialorgan
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Beschlüsse und sonstige Handlungen dieser Mitglieder seine Aufgaben wahr.430 Das Verhalten der einzelnen Mitglieder wird damit dem Kollegialorgan Aufsichtsrat als eigene Organhandlung zur Erfüllung der ihm obliegenden Aufgaben zugerechnet.431 Dabei kommt es im Einzelfall nicht darauf an, ob das gesamte Plenum gehandelt hat oder Aufgaben auf einzelne Mitglieder oder Ausschüsse übertragen wurden.432 Die Mitglieder selbst sorgen in ihrer organisatorischen Verbundenheit im Gesamtorgan für die Aufgabenerfüllung.433 2. Delegation und Beauftragung Die Einrichtung von Ausschüssen innerhalb des Aufsichtsrats ist im Gesetz nicht vorgeschrieben, wohl aber für zulässig erklärt (§ 107 Abs. 3 AktG). Der Deutsche Corporate Governance Kodex empfiehlt, je nach Größe des Aufsichtsrats und abhängig von den spezifischen Einzelheiten, die Einrichtung von Ausschüssen (Ziffer 5.3.1 ff DCGK). Insbesondere bei größeren Gesellschaften wird man den Aufsichtsrat aufgrund seiner Verpflichtung zur sachgerechten Organisation seiner Tätigkeit zur Einrichtung von Ausschüssen verpflichtet halten müssen.434 Die Praxis macht von der Möglichkeit zur Bildung von Ausschüssen weitreichend Gebrauch. Eingerichtet werden im Regelfall insbesondere ein Personalausschuss und Ausschüsse für besondere Fachgebiete (beispielsweise Finanzen). Bei börsennotierten Gesellschaften werden zu einem großen Teil435 Prüfungsausschüsse (Audit Committees) eingerichtet, die sich mit Fragen der Abschlussprüfung, der Rechnungslegung sowie des internen Risikokontroll- und -managementsystems befassen. Der im Rahmen des BilMoG436 neu eingeführte § 107 Abs. 2 AktG nennt diesen Ausschuss und seine (möglichen) Aufgaben nun ausdrücklich, ohne damit jedoch eine Ver-
430
Bauer, Organklagen zwischen Vorstand und Aufsichtsrat, S. 51. Wolff, Organschaft und juristische Person, S. 253, 259; Steinbeck, Überwachungspflicht und Einwirkungsmöglichkeiten, S. 22; Leyendecker-Langner, NZG 2012, S. 721, 722. 432 siehe bspw. LG Köln, Urt. v. 13. 01. 1976 – 3 O 243/75, AG 1976, S. 105, 107: „[…] dass der Aufsichtsrat insbesondere durch das Aufsichtsratsmitglied F darauf gedrungen hat […]“. 433 Vgl. ausführlich Hommelhoff, ZHR 143 (1979), S. 288, 293, 299; ähnlich Steinbeck, Überwachungspflicht und Einwirkungsmöglichkeiten, S. 22, die eine Festlegung einer „inneren Ordnung“ verlangt. 434 Hopt/Roth, in: Großkommentar AktG, § 107 Rdnr. 262; Habersack, in Münchener Kommentar AktG, § 107 Rdnr. 92; umfassend auch Hommelhoff, ZHR 143 (1979), S. 288, 298 ff. 435 Nach den Entsprechenserklärungen gemäß § 161 AktG gilt dies für 100 % der DAXUnternehmen und 67,5 % aller börsennotierter Unternehmen, vgl. die Tabelle bei von Werder/ Talaulicar, DB 2009, S. 689, 693. 436 Bilanzrechtsmodernisierungsgesetz v. 25. 05. 2009, BGBl. I, S. 1102. 431
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1. Teil: Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats und seiner Mitglieder
pflichtung zur Einrichtung eines solchen Ausschusses zu statuieren.437 Zur Entlastung des Gremiums bietet es sich freilich an, verschiedene Ausschüsse einzurichten. Viele Aufgaben des Aufsichtsrats können den Ausschüssen nicht nur zur Vorbereitung, sondern zur endgültigen Entscheidung übertragen werden. Dies ergibt sich aus einem Umkehrschluss zu § 107 Abs. 3 Satz 3 AktG, wonach die Beschlussfassung bei bestimmten Themen nicht an Ausschüsse delegiert werden darf, sondern durch das Gesamtorgan erfolgen muss. Diese Aufgabe schließen beispielsweise den Erlass einer Geschäftsordnung für den Vorstand (§ 77 Abs. 2 Satz 1 AktG), die Bestellung und Abberufung von Vorstandsmitgliedern (§ 84 AktG), die Festlegung angemessener Vorstandsbezüge sowie die Einberufung von außerordentlichen Hauptversammlungen (§ 111 Abs. 3 AktG) oder die Einrichtung von Zustimmungsvorbehalten im Sinne von § 111 Abs. 4 AktG ein. Dabei ist allgemein anerkannt, dass sich das Aufsichtsratsplenum seiner allgemeinen Überwachungsaufgabe nicht durch Übertragung auf ein Untergremium entledigen kann: Die allgemeine Überwachungsaufgabe obliegt unübertragbar und unentziehbar dem Gesamtorgan.438 Da § 107 Abs. 3 Satz 3 AktG allein Entscheidungsbefugnisse, nicht auch Pflichten betrifft und es „sich von selbst [versteht], dass [der Aufsichtsrat] diese Tätigkeit keinem Ausschuss ausschließlich übertragen kann“ hatte der Gesetzgeber auf einen entsprechenden Passus verzichtet.439 § 107 Abs. 3 Satz 2 AktG verbietet aber lediglich die Übertragung der Beschlussfassung auf einen Ausschluss. Dadurch wird verhindert, dass durch eine Minderheit von Aufsichtsratsmitgliedern grundlegende Entscheidungen, die nachhaltig das Wohl der Gesellschaft betreffen, möglicherweise gegen den Willen der Mehrheit der übrigen Mitglieder beschlossen werden. Ähnliches gilt für die Kompetenz zur Bestimmung der inneren Ordnung des Aufsichtsrats: diese Organaufgabe kann ebenfalls nicht auf einen Ausschuss delegiert werden.440 Indes bleibt die Vorbereitung durch Gremien auch für grundlegende Entscheidungen freilich zulässig, soweit hier das Beschlussergebnis nicht bereits vorweggenommen wird und den übrigen Mitgliedern im Vorfeld der Beschlussfassung verschiedene Möglichkeiten und Alternativen hinreichend dargelegt werden.
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Bei Einrichtung eines solchen Ausschusses ist dieser Ausschuss nicht zur Übernahme sämtlicher in § 107 Abs. 3 Satz 2 beschriebenen Aufgaben verpflichtet, vgl. Begr. zum RegE v. 30. 07. 2008, BT-Drs. 16/10067, S. 102 re. Sp. 438 OLG Hamburg, Urt. v. 29. 09. 1995 – 11 U 20/95, ZIP 1995, S. 1673, 1675; Mertens/ Cahn, in: Kölner Kommentar AktG, § 107 Rdnr. 144 ff; Hoffmann-Becking, in: HoffmannBecking, Münchener Handbuch des Gesellschaftsrechts, Bd. 4, § 32 Rdnr. 3; Hopt/Roth, in: Großkommentar AktG, § 107 Rdnr. 370. 439 Siehe Begründung zu § 112 im RegE eines Aktiengesetzes vom 3. Februar 1962, BTDrs. 4/171, S. 142 re. Sp. 440 Siehe Begründung zu § 112 im RegE eines Aktiengesetzes vom 3. Februar 1962, BTDrs. 4/171, S. 142 re. Sp.
C. Der Aufsichtsrat als Kollegialorgan
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3. Beschlussfassung im Organ Der Aufsichtsrat kann als Organ seinen Willen nur durch Beschluss fassen und kundtun (§ 108 Abs. 1 AktG). Beschluss meint dabei die Bildung eines Organwillens durch Abstimmung über den Antrag, der ein mehrseitiges, allerdings nicht vertragliches (weil nicht auf Konsens abzielendes) Rechtsgeschäft darstellt.441 Zur Vermeidung von Auslegungsproblemen können Beschlüsse nicht konkludent, sondern nur ausdrücklich gefasst werden und erfordern daher eine Abstimmung der Mitglieder.442 Das Aktiengesetz enthält in §§ 107 bis 110 zwar grundsätzliche Aussagen über das Verfahren der Beschlussfassung. Die Vorschriften über die Abstimmung und das Beschlussverfahren sind aber nicht abschließend und nur rudimentär geregelt. Hilfsweise sind daher die Vorschriften des Vereinsrechts entsprechend heranzuziehen.443 In der Satzung der Gesellschaft oder einer gesonderten Geschäftsordnung für den Aufsichtsrat können die Bestimmungen im Rahmen der gesetzlichen Vorgaben weiter konkretisiert werden. a) Beschlussfähigkeit Grundsätzlich ist für die Beschlussfassung im Aufsichtsrat die Teilnahme der Hälfte der Mitglieder erforderlich, aus denen er zu bestehen hat (sogenannte Sollstärke, vgl. § 108 Abs. 2 Satz 2 AktG). Das gilt auch dann, wenn er tatsächlich aus einer geringeren Anzahl besteht (§ 108 Abs. 2 Satz 4 AktG). Der Satzung steht ein weiter Gestaltungsspielraum hinsichtlich der Festlegung von Quoren zu. Diese kann die Teilnahme aller, einiger oder nur einer geringen Anzahl von Mitgliedern festschreiben. Als Untergrenze ist § 108 Abs. 2 Satz 3 AktG heranzuziehen, wonach mindestens drei Mitglieder an der Beschlussfassung teilnehmen müssen. Die Beschlussfähigkeit darf indes nicht von der Teilnahme bestimmter Mitglieder (z. B. einer bestimmten Anzahl an Vertretern der Anteilseigner oder des Aufsichtsrats-
441 Koch, in: Hüffer, AktG, § 108 Rdnr. 3; Mertens/Cahn, in: Kölner Kommentar AktG, § 108 Rdnr. 7; Hopt/Roth, in: Großkommentar AktG, § 108 Rdnr. 12; offen gelassen bei BGH, Urt. v. 15. 11. 1993 – II ZR 253/92, BGHZ 124, 111, 122. 442 Siehe dazu BGH, Urt. v. 11. 07. 1953 – II ZR 126/52, BGHZ 10, 187, 194; BGH, Urt. v. 06. 04. 1964 – II ZR 75/62, BGHZ 41, 282, 286; BGH, Urt. v. 19. 12. 1988 – II ZR 74/88, ZIP 1989, S. 294; vgl. statt vieler Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats, Rdnr. 714. 443 So bereits RG, Urt. v. 11. 02. 1927 – II 129/26, RGZ 116, 116, 118 f; LG Düsseldorf, Urt. v. 27. 07. 1989 – 7 O 214/89, DB 1989, S. 1816; Drygala, in: Schmidt/Lutter, AktG, § 108 Rdnr. 6; Mertens/Cahn, in: Kölner Kommentar AktG, § 108 Rdnr. 17; Hopt/Roth, in: Großkommentar AktG, § 108 Rdnr. 24; Scheuffler, Fehlerhafte Aufsichtsratsbeschlüsse, S. 4 ff; a.A. aber Baums, ZGR 1983, S. 300, 305 ff.
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1. Teil: Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats und seiner Mitglieder
vorsitzenden) an der Abstimmung abhängig gemacht werden; dies würde dem Gleichbehandlungsgrundsatz aller Aufsichtsratsmitglieder widersprechen.444 Sondervorschriften gelten für mitbestimmte Gesellschaften, bei denen stets die Teilnahme mindestens der Hälfte der Sollstärke des Aufsichtsrats erforderlich ist (vgl. § 10 MontanMitbestG, § 11 MitbestErgG und § 28 MitbestG). Erleichterungen kann die Satzung in mitbestimmten Gesellschaften nicht vorsehen. Hinsichtlich mitbestimmter Gesellschaften nach dem MitbestG ist es umstritten, ob Erschwerungen der Beschlussfassung in der Satzung vorgesehen werden könne. Die wohl überwiegende Ansicht bejaht dies.445 b) Abstimmung Ein wirksamer Beschluss setzt voraus, dass sich eine hinreichend große Anzahl an Mitgliedern an der Beschlussfassung aktiv beteiligt. Dies kann sowohl durch Zustimmung, Ablehnung oder Stimmenthaltung erfolgen. Erfolgt gar keine Beteiligung, nicht einmal eine Stimmenthaltung, so zählt das entsprechende Mitglied bei der Feststellung der Beschlussfähigkeit auch dann nicht mit, wenn es während der gesamten Sitzung anwesend ist.446 Für gewöhnlich werden die Beschlüsse des Aufsichtsrats in einer Sitzung gefasst. § 108 Abs. 4 AktG verdeutlich jedoch, dass eine Beschlussfassung in der Sitzung nicht zwingend ist; vielmehr können die Aufsichtsratsmitglieder auch „schriftlich, fernmündlich oder [durch] andere vergleichbare Formen“ abstimmen. Die ehemals abschließende Vorschrift ist durch Änderung im Zuge des NaStraG447 auf moderne Kommunikationsmittel analog anzuwenden, weshalb eine Beschlussfassung auch per Telefax, E-Mail oder Videokonferenz als Beschlussfassung ohne (Präsenz-) Sitzung zulässig ist.448 Die Beschlussfassung setzt zunächst die Aufnahme des entsprechenden Gegenstandes in die Tagesordnung voraus. Für eine Abstimmung ist dann ein Antrag er444
Vgl. BGH, Urt. v. 25. 02. 1982 – II ZR 145/80, BGHZ 83, 151, 154 ff; Hoffmann-Becking, in: Hoffmann-Becking, Münchener Handbuch des Gesellschaftsrechts, Bd. 4, § 31 Rdnr. 60; Spindler, in: Spindler/Stilz, AktG, § 108 Rdnr 43. 445 Statt vieler Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats, Rdnr. 718, mit umfangreichen weiteren Nachweisen. 446 Koch, in: Hüffer, AktG, § 108 Rdnr. 15; Habersack, in: Münchener Kommentar AktG, § 108 Rdnr. 37; Mertens/Cahn, in: Kölner Kommentar AktG, § 108 Rdnr. 74; Hoffmann-Becking, in: Hoffmann-Becking, Münchener Handbuch des Gesellschaftsrechts, Bd. 4, § 31 Rdnr. 57; Drygala, in: Schmidt/Lutter, AktG, § 108 Rdnr. 9. 447 Gesetz zur Namensaktie und zur Erleichterung der Stimmrechtsausübung – NaStraG, v. 18. 01. 2001, BGBl. I S. 123. 448 Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats, Rdnr. 728; umfassend auch Habersack, in: Münchener Kommentar AktG, § 108 Rdnr. 60; siehe auch Mertens/Cahn, in: Kölner Kommentar AktG, § 108 Rdnr. 21, die die Zuschaltung per Videokonferenz als Fall der Beschlussfassung in der Sitzung ansehen.
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forderlich, der den Beschlussgegenstand konkretisiert. Das Recht, dem Plenum zu den Punkten der Tagesordnung Beschlussanträge zu unterbreiten, steht jedem Mitglied des Organs zu.449 War der Beschlussgegenstand nicht zuvor in der Tagesordnung angekündigt, so kann über ihn nur dann beschlossen werden, wenn keines der anwesenden Aufsichtsratsmitglieder der Beschlussfassung widerspricht und allen abwesenden Mitgliedern die Möglichkeit der nachträglichen Stimmabgabe bzw. des nachträglichen Widerspruchs hinsichtlich der Beschlussfassung als solcher eröffnet wird.450 Die Abstimmung erfolgt im Normalfall offen. Geheime Abstimmungen wurden früher als unzulässig angesehen. Nach wohl überwiegender Ansicht ist heute aber auch eine geheime Abstimmung im Aufsichtsrat zulässig.451 Nach der Gegenansicht soll eine geheime Abstimmung unzulässig sein, da sich hier Probleme insbesondere bei der Bestimmung von Verantwortlichkeiten einzelner Aufsichtsratsmitglieder im Rahmen ihrer individuellen Haftung ergeben könnten.452 Ob verdeckt oder offen abgestimmt wird, bestimmt der Aufsichtsratsvorsitzende als Sitzungsleiter nach pflichtgemäßem Ermessen.453 Durch Mehrheitsbeschluss kann der Aufsichtsrat allerdings abweichend von der Entscheidung des Vorsitzenden eine offene oder verdeckte Abstimmung bestimmen.454 Den Aufsichtsratsmitgliedern ist zu empfehlen, stets auf eine offene Abstimmung zu drängen, um im Falle einer Pflichtverletzung die individuellen Verursachungsbeiträge untersuchen zu können.455 Zur Abstimmung ist grundsätzlich jedes Aufsichtsratsmitglied berechtigt. Entsprechend § 34 BGB456 ist ein Mitglied jedoch immer dann von der Beschlussfassung ausgeschlossen, wenn über den Abschluss eines Rechtsgeschäftes der Gesellschaft mit ihm, über die Einleitung oder Erledigung eines Rechtsstreits zwischen ihm und 449 Mertens/Cahn, in: Kölner Kommentar AktG, § 108 Rdnr. 18; Habersack, in: Münchener Kommentar AktG, § 108 Rdnr. 17; Spindler, in: Spindler/Stilz, AktG, § 108 Rdnr. 15. 450 Hoffmann-Becking, in: Hoffmann-Becking, Münchener Handbuch des Gesellschaftsrechts, Bd. 4, § 31 Rdnr. 40; Mertens/Cahn, in: Kölner Kommentar AktG, § 110 Rdnr. 5; Habersack, in Münchener Kommentar AktG, § 110 Rdnr. 21. 451 Koch, in: Hüffer, AktG, § 108 Rdnr. 5; Hopt/Roth, in: Großkommentar AktG, § 108 Rdnr. 40 ff; Habersack, in: Münchener Kommentar AktG, § 108 Rdnr. 18; Ulmer/Habersack, in: Ulmer/Habersack, MitbestR, § 25 Rdnr. 26; Hoffmann/Preu, Der Aufsichtsrat, Rdnr. 424; Drygala, in: Schmidt/Lutter, AktG, § 108 Rdnr. 18; Peus, DStR 1996, S. 1656. 452 Mertens/Cahn, in: Kölner Kommentar AktG, § 108 Rdnr. 52; Zöllner/Noack, in: Baumbach/Hueck, GmbHG, § 52 Rdnr. 230; Spindler, in: Spindler/Stilz, AktG, § 108 Rdnr. 18; vgl. zur Frage der geheimen Abstimmung ausführlich unten. 453 Hoffmann/Preu, Der Aufsichtsrat, Rdnr. 424; Drygala, in: Schmidt/Lutter, AktG, § 108 Rdnr. 19, Hopt/Roth, in: Großkommentar AktG, § 108 Rdnr. 43. 454 Koch, in: Hüffer, AktG, § 108 Rdnr. 5a; Habersack, in: Münchener Kommentar AktG, § 108 Rdnr. 19; Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats, Rdnr. 722; Hopt/ Roth, in: Großkommentar AktG, § 108 Rdnr. 43. 455 Siehe zu Problematik eingehend unten, S. 192 ff. 456 Zur (teilweise umstrittenen) analogen Anwendung der Regeln des Vereinsrechts auf die Aktiengesellschaft siehe oben, Fn. 443.
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der Gesellschaft oder über die Beantragung einer gerichtlichen Abberufung des betreffenden Aufsichtsratsmitglieds im Sinne von § 103 Abs. 3 AktG abgestimmt wird.457 Sonstige Stimmrechtsausschlüsse oder ein allgemeines Prinzip des Stimmverbots bei Interessenkollisionen kennt weder das Aktiengesetz noch das analog anwendbare Vereinsrecht. So steht auch bei Wahlen zum Vorsitzenden des Aufsichtsrats oder Ausschüssen bzw. herausgehobenen Funktionen innerhalb des Organs allen Mitgliedern das Stimmrecht zu.458 Der Deutsche Corporate Governance Kodex empfiehlt in Ziffer 5.5.2 allen Aufsichtsratsmitgliedern, Interessenkonflikte dem Kollegialorgan offenzulegen. Der Aufsichtsrat soll dann in seinem Bericht an die Hauptversammlung über diese Interessenkollisionen berichten (5.5.3 DCGK). Bei Verhinderung kann ein Aufsichtsratsmitglied seine Stimme in der Sitzung durch ein anderes Mitglied schriftlich überbringen lassen (§ 108 Abs. 3 Satz 1, 2 AktG). Soweit die Satzung dies vorsieht können auch Dritte, die nicht dem Aufsichtsrat angehören, dazu bevollmächtigt werden, die Stimme des verhinderten Mitgliedes schriftlich zu überbringen (§ 108 Abs. 3 Satz 3 i.V.m. § 109 Abs. 3 AktG). Eine eigene Entscheidung des Stimmboten ist nicht zulässig; er darf nur eine vollständig schriftlich ausgefertigte Entscheidung überbringen. Blankoerklärungen oder die Überreichung verschiedener Stimmrechte, aus denen der Stimmbote auswählt, sind mithin unzulässig.459 Die Berechtigung der Aufsichtsratsmitglieder zur Teilnahme an Abstimmungen ist indes nicht nur ein bloßes Recht, sondern vielmehr ein Pflichtrecht, das die Aufsichtsratsmitglieder eigenverantwortlich wahrnehmen und ausüben müssen. Kommt ein Mitglied bei einer ex ante Analyse zu der Feststellung, dass eine bestimmte Maßnahme sich für die Zukunft der Gesellschaft besonders zu- oder abträglich verhält, so darf es der Abstimmung nicht fernbleiben oder sich der Stimme enthalten. Die gesetzlich verliehenen Mitwirkungsberechtigungen können nämlich nur dann ihre Wirkung entfalten, wenn sie von den Organmitgliedern auch tatsächlich wahrgenommen werden. Aus diesem Grund verlangt die Rechtsprechung von den Aufsichtsratsmitgliedern eine eigenverantwortliche Risikoanalyse und Urteilsbildung jedenfalls hinsichtlich besonders wichtiger Unternehmensentscheidungen.460 Informationsrechte und ein Recht zur Teilnahme an Sitzungen sowie zur Abstimmung sind nur dann zielführend, wo sich im Umkehrschluss auch eine 457
BayObLG, Urt. v. 28. 03. 2003 – 3Z BR 199/02, BayObLGZ 2003, 89, 90 ff; BayObLG, Urt. v. 28. 03. 2003 – 3Z BR 199/02, BayObLGZ 2003, 89; LG Düsseldorf, Urt. v. 22. 07. 2004 – XIV 5/03, NJW 2004, S. 3275, 2053; Mertens/Cahn, in: Kölner Kommentar AktG, § 108 Rdnr. 65 ff; Koch, in: Hüffer, AktG, § 108 Rdnr. 9; Habersack, in: Münchener Kommentar AktG, § 108 Rdnr. 29. 458 Koch, in: Hüffer, AktG, § 108 Rdnr. 9; Spindler, in: Spindler/Stilz, AktG, § 108 Rdnr. 30; Hoffmann-Becking, in: Hoffmann-Becking, Münchener Handbuch des Gesellschaftsrechts, Bd. 4, § 31 Rdnr. 66. 459 Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats, Rdnr. 726. 460 OLG Stuttgart, Urt. v. 29. 02. 2012 – 20 U 3/11, ZIP 2012, S. 625, Rdnr. 165, 167 (zitiert nach juris).
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grundsätzliche Verpflichtung zur Ausübung der Rechte ergibt; steht das Aufsichtsratsmitglied einer Entscheidung nach sorgfältiger Prüfung des Für und Wider indifferent gegenüber, so hat es sich der Stimme zu enthalten.461 Die Beschlüsse des Aufsichtsrats werden mit dem Ergebnis der Abstimmung wirksam. Für die Wirksamkeit bedarf es keiner konstitutiven Feststellung des Abstimmungsergebnisses durch den Versammlungsleiter462 oder der Niederschrift des Ergebnisses in das Protokoll (§ 107 Abs. 2 Satz 3 AktG). Insofern erlangt eine falsche Protokollierung keinerlei Rechtswirkung und ändert am tatsächlichen Inhalt des Beschluss nichts. c) Mehrheitserfordernisse Grundsätzlich ist für Abstimmungen des Aufsichtsrats die einfache Mehrheit der abgegebenen Stimmen ausreichend.463 Dies ergibt sich für die dem MitbestG unterliegende Aktiengesellschaften unmittelbar aus § 29 Abs. 1 MitbestG und für die übrigen Gesellschaften aus der entsprechenden Anwendung von § 31 Abs. 1 Satz 3 BGB. Die einfache Stimmenmehrheit ist dann erreicht, wenn die Anzahl der JaStimmen die der Nein-Stimmen um mindestens eine Stimme übersteigt, wobei Stimmenthaltungen nicht mitgezählt werden. Abweichende Mehrheitserfordernisse können sich aus Gesetz und Satzung ergeben. Das Gesetz sieht abweichende Mehrheiten insbesondere in § 124 Abs. 3 Satz 4 AktG, § 27 Abs. 1, 2, 3, § 31 Abs. 2 bis 4 und § 32 MitbestG vor. Ein Doppelstimmrecht des Vorsitzenden ist in § 29 Abs. 2 und § 31 Abs. 4 MitbestG festgelegt. Im Übrigen können abweichende Stimmrechte nur in der Satzung, nicht auch in der Geschäftsordnung des Aufsichtsrats festgelegt werden. Insbesondere kann dem Aufsichtsratsvorsitzendem oder seinem Stellvertreter in der Satzung das Recht zum Stichentscheid bei Stimmengleichstand eingeräumt werden.464 Im Übrigen haben, entsprechend dem Gleichbehandlungsgrundsatz für alle Mitglieder des Aufsichtsrats, alle Stimmen gleiches
461 Insofern ist die Einschätzung von Hoffmann, AG 2012, S. 478, 483 li. Sp., der davon ausgeht, dass eine Urteilsbildung auch unterbleiben könne, wenn das Aufsichtsratsmitglieds nichts zu beanstanden habe, verfehlt. Die Einschätzung, dass nichts zu beanstanden ist, kann nur Ergebnis einer inhaltlichen Prüfung und Beurteilung sein. Die Entscheidung stellt insofern gerade das zu treffende Urteil dar, da auch einer Stimmenthaltung bei einer Abstimmung insofern Bedeutung zukommt, als dass es sich gerade nicht um ein die Entscheidung oder Maßnahme verhinderndes Abstimmungsverhalten handelt. 462 Hopt/Roth, in: Großkommentar AktG, § 108 Rdnr. 25, 45; Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats, Rdnr. 732; Koch, in: Hüffer, AktG, § 108 Rdnr. 278. 463 Koch, in: Hüffer, AktG, § 108 Rdnr. 6 ff; Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats, Rdnr. 733; Mertens/Cahn, in: Kölner Kommentar AktG, § 108 Rdnr. 57. 464 Habersack, in: Münchener Kommentar AktG, § 108 Rdnr. 25; Koch, in: Hüffer, AktG, § 108 Rdnr. 8; Hoffmann-Becking, in: Hoffmann-Becking, Münchener Handbuch des Gesellschaftsrechts, Bd. 4, § 31 Rdnr. 64; Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats, Rdnr. 735.
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Gewicht. Ein höheres Stimmgewicht kann einzelnen Mitgliedern ebenso wenig wie ein Vetorecht eingeräumt werden.465
II. Rechte und Pflichten der Organmitglieder Wie gezeigt treffen die Rechte und Pflichten, die das Gesetz „dem Aufsichtsrat“ zuweist, das Kollegialorgan Aufsichtsrat und nicht dessen einzelne Mitglieder. Zwar handelt der Aufsichtsrat durch seine Mitglieder, die Rechte und Pflichten des Organs treffen aber nicht gleichermaßen die Organmitglieder als Pflichtenträger. Dies wäre auch insofern unsinnig, als dass es dem einzelnen Mitglied kaum gelingen kann, alle Rechte und Pflichten in eigener Person zu erbringen. Notwendig ist vielmehr, wie § 107 Abs. 3 AktG bereits andeutet, ein arbeitsteiliges Zusammenwirken der Organmitglieder zur Erfüllung der Organpflichten. Gerade die Zusammenarbeit unterschiedlicher Personen insbesondere mit unterschiedlichem Hintergrund und Sachverstand ermöglichen es dem Organ, seine Rechte und Pflichten ordnungsgemäß zu erfüllen.466 Rechte und Pflichten hat das Aufsichtsratsmitglied nur innerhalb des Aufsichtsrats, nach außen hin stehen dem Mitglied als Teil des Kollegiums insoweit grundsätzlich keine Rechte zu.467 Etwas anderes gilt nur dort, wo das Gesetz es ausdrücklich zulässt. So räumt beispielsweise § 90 Abs. 3 Satz 2 AktG einzelnen Mitgliedern das Recht ein, Vorstandsberichte anzufordern. Eine Ausnahme der Innenrechtsbezogenheit der Rechte und Pflichten ergibt sich, wenn dem einzelnen Mitglied im Sinne von § 111 Abs. 2 Satz 2 AktG die Wahrnehmung von Prüfungsaufgaben des Gesamtorgans übertragen wird. Das Mitglied selbst handelt dann ausnahmsweise nach außen im Namen des Organs. Daneben verfügen alle Organmitglieder aber über individuelle Rechte und Pflichten gegenüber anderen Organen der Gesellschaft, dem Aufsichtsrat und den übrigen Aufsichtsratsmitgliedern.468 1. Persönliche Voraussetzungen für die Bestellung zum Aufsichtsratsmitglied a) Allgemeines Mitglied des Aufsichtsrats kann jede natürliche, unbeschränkt geschäftsfähige, nicht betreute Person sein (§ 100 Abs. 1 AktG). Nicht dem Aufsichtsrat angehören dürfen Mitglieder des Vorstands oder sonstige Handlungsbevollmächtigte der Ge465 Mertens/Cahn, Kölner Kommentar AktG, § 108 Rdnr. 63; Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats, Rdnr. 733. 466 Steinbeck, Überwachungspflicht und Einwirkungsmöglichkeiten, S. 23. 467 Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats, Rdnr. 40. 468 Zur Frage der Rechte der Organe untereinander siehe ausführlich oben, S. 90 ff.
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sellschaft (vgl. § 105 Abs. 1 AktG). Weitere Einschränkungen für die Mitgliedschaft im Aufsichtsrat enthält § 100 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AktG. Demnach darf das zu bestellende Mitglied zum Zeitpunkt des Amtsantritts469 insgesamt höchstens zehn Aufsichtsratsmandate wahrnehmen, wobei Mandate des Aufsichtsratsvorsitzenden doppelt zu gewichten sind (§ 100 Abs. 3 Satz 3 AktG). Für Banken und Versicherungen gilt eine Höchstzahl von fünf Mandaten (§ 36 Abs. 3 Satz 6 KWG, § 7a Abs. 4 Satz 3 VAG). Die in den letzten fast zwanzig Jahren geführte Diskussion um eine Verschärfung der Höchstgrenze470 hat der Gesetzgeber aufgrund der Inflexibilität einer Pauschalierung nicht zum Anlass genommen, die gesetzlichen Vorgaben zu verändern und die Höchstgrenze insofern nicht modifiziert.471 Der DCGK empfiehlt (anstatt der gesetzlichen Höchstzahl von zehn Mandaten) eine Höchstzahl von drei Mandaten pro Aufsichtsratsmitglied (5.4.5 Satz 3 DCGK). Weitere gesetzliche Einschränkungen ergeben sich für Vertreter eines von der Gesellschaft abhängigen Unternehmens; diese können nicht zum Aufsichtsrat des Obergesellschaft bestellt werden (§ 100 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AktG), da dies dem natürlichen Organisationsgefälle in der Aktiengesellschaft zuwider laufen würde.472 Zur Vermeidung von Überkreuzverflechtungen darf außerdem nicht bestellt werden, wer gesetzlicher Vertreter in einer anderen Kapitalgesellschaft ist, deren Aufsichtsrat ein Vorstandsmitglied der betreffenden Gesellschaft angehört (§ 100 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 AktG).473 Schließlich besteht eine sogenannte Cooling-Off-Periode für ehemalige Vorstandsmitglieder börsennotierter Aktiengesellschaften. Diese dürfen erst nach dem Ablauf von zwei Jahren ab dem Zeitpunkt ihres Ausscheidens in den Aufsichtsrat in den Aufsichtsrat „ihrer“ ehemaligen Gesellschaft bestellt werden (§ 100 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 AktG), soweit die Wahl nicht aufgrund des Vorschlags von Aktionären, die mindestens 25 Prozent der Stimmrechte halten, erfolgt. b) Besondere fachliche und persönliche Voraussetzungen De lege lata werden an die Fachkunde der Aufsichtsratsmitglieder keine herausgehobenen gesetzlichen Anforderungen gestellt.474 Insbesondere ist nicht erforderlich, dass die Aufsichtsratsmitglieder zum Zeitpunkt ihrer Bestellung einen besonderen juristischen oder ökonomischen Sachverstand nachweisen können. Jedoch 469
Koch, in: Hüffer, AktG, § 100 Rdnr. 9; Drygala, in: Schmidt/Lutter, AktG, § 100 Rdnr. 4. 470 Lutter, ZHR 159 (1995), S. 287, 302; Raiser, NJW 1996, S. 2257, 2259 f; Bea/Scheurer, DB 1994, S. 2145, 2148. 471 Vgl. die Begr. zum RegE zum KonTraG v. 07. 11. 1997, BT-Drs. 13/9712, S. 38 ff. 472 Drygala, in: Schmidt/Lutter, AktG, § 100 Rdnr. 9. 473 Eine Ausnahme für diese Regelung gilt dann, wenn das entsprechende Aufsichtsratsmitglied als Stellvertreter eines Vorstandsmitglieds i.S.v. § 105 Abs. 2 Satz 1 AktG tätig ist, da es für diesen Zeitraum zwar nicht aus dem Aufsichtsrat ausscheidet, allerdings seine Tätigkeit nicht wahrnehmen darf, sodass ein Interessenkonflikt nicht droht. 474 Siehe zur Frage der Mindestqualifikationen ausführlich unten, S. 146 ff.
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ist die Wahrnehmung der Aufgaben im Aufsichtsrat ohne ein wirtschaftliches Grundverständnis und ohne betriebswirtschaftliche Mindestkenntnisse praktisch nicht erfüllbar; Mitglieder ohne entsprechende Grundkenntnisse können ihre Aufgabe im Aufsichtsrat kaum ordnungsgemäß wahrnehmen. Auch wenn das Gesetz solche Kenntnisse nicht ausdrücklich vorschreibt, so ist anerkannt, dass das einzelne Mitglied gleichwohl dazu verpflichtet ist, grundlegende Kenntnisse und Fähigkeiten bereits bei Amtsantritt vorzuweisen.475 Die Kenntnisse müssen soweit ausreichen, dass sich das Aufsichtsratsmitglied ohne fremde Hilfe über die Geschäftsvorgänge und Lage des Unternehmens aus den vom Vorstand übermittelten Berichten und Finanzdaten wenigstens ein grobes Bild verschaffen und die Lage des Unternehmens wenigstens ungefähr einschätzen kann.476 Fehlt einem Aufsichtsratsmitglied dennoch die entsprechende Sachkunde, so bleibt die Rechtmäßigkeit seiner Wahl nach ganz überwiegender Meinung davon unberührt.477 In ganz gravierenden Fällen, wenn das Aufsichtsratsmitglied zur Erfüllung der grundlegendsten Überwachungsaufgaben mangels entsprechenden Sachverstands nicht in der Lage ist und seine Aufgabe daher faktisch überhaupt nicht wahrnimmt, kann ausnahmsweise eine Abberufung durch das Registergericht in Betracht kommen.478 Die Übernahme des Mandats in Kenntnis des Fehlens der dafür notwendigen Voraussetzungen und Fähigkeiten kann außerdem zu einer persönlichen Haftung des Mitglieds wegen Verletzung der ihm obliegenden Sorgfalt bei der Amtsführung oder wegen Übernahmeverschulden führen.479 Im Rahmen des BilMoG480 ist in Umsetzung der EU-Abschlussprüferrichtlinie481 zu § 100 AktG ein neuer Absatz 5 eingefügt worden. Demzufolge muss in kapitalmarktorientierten Aktiengesellschaften im Sinne von § 264d HGB „mindestens ein unabhängiges Mitglied des Aufsichtsrats über Sachverstand auf den Gebieten Rechnungslegung oder Abschlussprüfung“ verfügen. Ziel dieser Regelung ist nicht, das gesamte bilanzielle Know-How des Aufsichtsrats in einer Person zu bündeln und damit die übrigen Mitglieder zu entlasten, die dann kein eigenes Verständnis mehr für derartige Fragen mitbringen müssen. Die übrigen Mitglieder sollen und müssen 475
Siehe hierzu ausführlich unten, S. 146 ff. Spindler, in: Spindler/Stilz, AktG, § 100 Rdnr. 39; Hopt/Roth, in: Großkommentar AktG, § 100 Rdnr. 28; Hommelhoff, ZGR 1983, S. 551, 553, 559. 477 Hoffmann-Becking, in: Hoffmann-Becking, Münchener Handbuch des Gesellschaftsrechts, Bd. 4, § 30 Rdnr. 2a; Vetter, in: Marsch-Barner/Schäfer, Handbuch börsennotierte AG, § 25 Rdnr. 2; Hopt/Roth, in: Großkommentar AktG, § 100 Rdnr. 25; Habersack, in: Münchener Kommentar AktG, § 100 Rdnr. 13; anders Spindler, in: Spindler/Stilz, AktG, § 100 Rdnr. 47 der in „krassen Ausnahmefällen“ eine Anfechtbarkeit der Wahl annimmt. 478 Hopt/Roth, in: Großkommentar AktG, § 100 Rdnr. 27, zustimmend Gruber, NZG 2008, S. 12, 14. 479 Vgl. Hopt/Roth, in: Großkommentar AktG, § 100 Rdnr. 29; Drygala, in: Schmidt/ Lutter, AktG, § 100 Rdnr. 30; Spindler, in: Spindler/Stilz, AktG, § 100 Rdnr. 47; Habersack, in: Münchener Kommentar AktG, § 100 Rdnr. 13. 480 Gesetz zur Modernisierung des Bilanzrechts, BGBl. I, S. 1102 vom 25. 05. 2009. 481 Richtlinie 2006/43/EG vom 17. Mai 2006, siehe BT-Drs. 10/90072. 476
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weiterhin wenigstens eigene Grundkenntnisse aufweisen, werden aber bei Fragen zum Rechnungswesen von der zusätzlichen Expertise eines besonders qualifizierten Mitglieds unterstützt.482 Es soll so sichergestellt werden, dass das Organ wenigstens über ein Mindestmaß an Sachverstand verfügt. Der Aufsichtsrat selbst legt durch einen Beschluss fest, wer Mitglied im Sinne von § 100 Abs. 5 AktG ist; ein möglicherweise zuvor gefasster Bestellungsbeschluss der Hauptversammlung, der dies (abweichend) regelt, erlangt insoweit keine bindende Wirkung.483 Dies folgt aus der Pflicht des Aufsichtsrats zur Selbstorganisation, wodurch dem Organ selbst die Bestimmung des Mitglieds i.S.v. § 100 Abs. 5 AktG überlassen bleibt; die Bestellung durch die Hauptversammlung hat lediglich indikative Bedeutung – sie legt fest, wer überhaupt Aufsichtsratsmitglied ist.484 Weist keines der Mitglieder die Voraussetzungen des § 100 Abs. 5 AktG auf, so ist die Rechtsfolge streitig. Teilweise wird von der Anfechtbarkeit des Wahlbeschlusses ausgegangen.485 Dagegen spricht allerdings, dass die Wahl der einzelnen Mitglieder jeweils für sich genommen einwandfrei ist. Es ist nicht vorgeschrieben, welches Mitglied die Voraussetzungen von § 100 Abs. 5 AktG vorweisen muss, sodass bei losgelöster Einzelbetrachtung dies nicht zur Anfechtbarkeit der Wahl eines einzelnen Mitglieds führen kann.486 Gerade die Gefahr der (rückwirkenden) Rechtswidrigkeit bereits gefasster Beschlüsse des Aufsichtsrats spricht eher für eine analoge Anwendung der Vorschriften zum Statusverfahren (§§ 97 – 99 AktG).487 Außerhalb des Aktiengesetzes werden zwingende besondere persönliche und sachliche Anforderungen für Aufsichtsratsmitglieder aufgestellt, die Vorstände besonders risikoanfälliger Gesellschaften überwachen.488 Derartige Besonderheiten ergeben sich beispielsweise für die Aufsichtsratsmitglieder von Banken und Versi482
Drygala, Der Aufsichtsrat 2010, S. 104, 105. Koch, in: Hüffer, AktG, § 100 Rdnr. 26; so auch von Falkenhausen/Kocher, ZIP 2009, S. 1601; a.A. aber Wardenbach, GWR 2010, S. 207, 208, der die Hauptversammlung als Adressat des Normbefehls von § 100 Abs. 5 AktG ansieht, da es sich bei ihr um das zuständige Organ handele. 484 A.A. Wardenbach, GWR 2010, S. 207, 208. Hierbei wird jedoch verkannt, dass § 100 Abs. 5 AktG gerade keinen ausdrücklichen Normbefehl an die Bestellungsorgane richtet. Insbesondere im Fall mehrer Mitglieder, die die Voraussetzungen nach § 100 Abs. 5 AktG aufweisen wird deutlich, dass eine Bestimmung durch die Bestellungsorgane alles andere als zwingend ist. 485 Habersack, AG 2008, S. 98, 102; Staake, ZIP 2010, S. 1013, 1020; Jaspers, AG 2009, S. 607, 612; Widemann, BB 2009, S. 2602, 2603 f; Diekmann/Bidmon, NZG 2009, S. 1087, 1091; von Falkenhausen/Kocher, ZIP 2009, S. 1601, 1603. 486 So bereits Drygala, in: Schmidt/Lutter, AktG, § 100 Rdnr. 63 f; Gruber, NZG 2008, S. 12, 14; Kropff, in: Bitter/Lutter/Priester/Schön/Ulmer, Festschrift für Karsten Schmidt, S. 1023, 1033. 487 Eingehend Staake, ZIP 2010, S. 1013, 1020; Drygala, in: Schmidt/Lutter, AktG, § 100 Rdnr. 64. 488 Vgl. die Begr. zum RegE des Gesetzes zur Stärkung der Finanzmarkt- und der Versicherungsaufsicht (FMVAStärkG) v. 27. 04. 2009, BT-Drs. 16/12783, S. 16. 483
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cherungen (vgl. beispielsweise § 36 KWG, §§ 5 Abs. 5 Nr. 9, 7a Abs. 4 VAG) sowie Kapitalanlagegesellschaften (§ 6 Abs. 3 Satz 1 InvG). Der DCGK enthält keine detaillierten Empfehlungen hinsichtlich der Qualifikationen von Mitgliedern des Aufsichtsrats. Er empfiehlt lediglich, bei der Wahl der Aufsichtsratsmitglieder darauf zu achten, „dass dem Aufsichtsrat jederzeit Mitglieder angehören, die über die zur ordnungsgemäßen Wahrnehmung der Aufgaben erforderlichen Kenntnisse, Fähigkeiten und fachlichen Erfahrungen verfügen“ (5.4.1 Abs. 1 DCGK). In Ziffer 5.4.1 Abs. 4 DCGK ist nunmehr eine Pflicht für die Mitglieder des Aufsichtsrats statuiert, sich eigenverantwortlich aus- und fortzubilden. Die Praxisauswirkung dieser Einfügung und der übrigen Empfehlung des DCGK hinsichtlich der Mitgliederqualifikation zur Verbesserung der Aufsichtsratstätigkeit dürften aber denkbar gering sein. Vorstand und Aufsichtsrat müssen gem. § 161 Abs. 1 Satz 1 AktG nur Abweichungen von den Empfehlungen des Kodex ausdrücklich erklären („comply or explain“). Da der Kodex mangels genauer Angaben einen großen Spielraum bezüglich der Qualifikation der Aufsichtsratsmitglieder zulässt, kann im Einzelfall gerade mit Blick auf die Qualifikation der Mitglieder selten bestimmt werden, ob bzw. dass die Kodexempfehlung nicht eingehalten wird. Bei vernünftiger Betrachtung wird sich außerdem kein Aufsichtsrat finden, der von einer fehlenden Qualifizierung seiner Mitglieder ausgeht und eine solche fehlende Qualifizierung als Abweichung der Vorgaben von Ziffer 5.4.1 Abs. 1 bzw. Abs. 4 DCDGK einräumt bzw. darauf hinweist. Vor dem Hintergrund der nach der Finanzkrise (wieder)489 erstarkten Diskussion um eine Professionalisierung der Aufsichtsratstätigkeit490 ist in nächster Zukunft von einer Erhöhung der Anforderungen an die Aufsichtsratsmitglieder auszugehen. Dies wird sich zum einen in den fachlichen Anforderungen (im Aufsichtsrat müssen Experten zu verschiedensten Themen, nicht ausschließlich zu Fragen der Rechnungslegung und Abschlussprüfung, vertreten sein) wie auch in persönlichen Anforderungen (siehe die aktuelle Diskussion um die Einführung einer gesetzlichen Frauenquote für Aufsichtsräte)491 niederschlagen.
489
Vgl. bereits Lutter, NJW 1995, S. 1133. Siehe bspw. Langenbucher, ZGR 2012, S. 314; Peltzer, NZG 2009, S. 1041; Lutter, DB 2009, S. 775; Keiluweit, DStR 2010, S. 2251; Bihr/Blättchen, BB 2007, S. 1285; Deutsches Aktieninstitut, BB 2010, S. 1482; Weber-Rey, WM 2009, S. 2255; vgl. auch die Absichtserklärung der Parteien CDU, CSU und FDP in „Wachstum. Bildung. Zusammenhalt“, Koalitionsvertrag der CDU, CSU und FDP für die 17. Legislaturperiode des deutschen Bundestages, S. 23. 491 Vgl. nur exemplarisch Weber-Rey/Langenbucher/Dauner-Lieb/Benner-Heinacher, DB 2010, S. 45; Künast, ZRP 2011, S. 11; Schladebach/Stefanopoulou, BB 2010, S. 1042; Hergert/ Kewes, Handelsblatt 11. 02. 2011, S. 62; Löwenstein, Frankfurter Allgemeine Zeitung Online, http://www.faz.net/s/Ru b594835B672714 A1DB1 A121534F010EE1/Doc~ED2497FE37E3 E42D4835EF1C428284CBF~ATpl~Ecommon~Scontent.html. 490
C. Der Aufsichtsrat als Kollegialorgan
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2. Rechte und Pflichten im Einzelnen Alle Aufsichtsratsmitglieder haben, unabhängig von der Dauer ihrer Organzugehörigkeit oder der Frage, von wem sie bestellt wurden, die gleichen Rechte und Pflichten.492 Die Befugnisse der Aufsichtsratsmitglieder sind von denen des Organs zu unterscheiden. Sie sind grundsätzlich nicht als Individualrechte im eigenen Interesse, sondern auf Grundlage der Organmitgliedschaft verliehen und in diesem Sinne auszuüben.493 Daher ist jedes Mitglied in erster Linie dem Wohl und Interesse der Gesellschaft verpflichtet und darf seine Amtsführung nicht an den Interessen desjenigen ausrichten, der ihn in den Aufsichtsrat gewählt oder entsendet hat. Der Aufsichtsrat ist kein Konglomerat von Vertretern von Partikularinteressen, sondern ein eigenständiges Organ der Aktiengesellschaft mit eigener Meinungsbildung. Ein imperatives Mandat ist mit der Aufsichtsratstätigkeit nicht vereinbar, sodass Entscheidungen oder Abstimmungsverhalten einzelner Mitglieder nicht (gerichtlich) erzwingbar sind.494 Die Mitglieder haben vielmehr in eigener Verantwortung unter Berücksichtigung des Unternehmensinteresses eine autonome Entscheidung zu treffen. Vor dem Hintergrund der persönlichen Haftung der Mitglieder für eigene Fehlentscheidungen birgt das Handeln nach Vorgaben Dritter im Übrigen ein erhebliches Haftungsrisiko. Vor diesem Hintergrund versteht sich auch das Delegationsverbot mit Pflicht zur persönlichen und eigenverantwortlichen Aufgabenwahrnehmung für alle Aufsichtsratsmitglieder (§ 111 Abs. 5 AktG). Allen Mitgliedern stehen die gleichen Mitwirkungs-, Informations-, Teilnahmeund insbesondere auch Stimmrechte zu. Ihnen obliegt die gleiche Sorgfaltspflicht und alle Mitglieder haften nach den gleichen Grundsätzen. Außerdem darf hinsichtlich der Vergütung nicht unterschieden werden, wer das betreffende Mitglied entsendet hat. Eine herausgehobene Stellung hat der Vorsitzende des Aufsichtsrats inne; ihn treffen besondere Vorschriften, durch welche ihm spezielle Befugnisse eingeräumt werden (vgl. z. B. §§ 107 Abs. 2 Satz 1, 109 Abs. 2, 110 Abs. 1 Satz 1 AktG). Für den nach dem MontanMitbestG mitbestimmten Aufsichtsrat ist die Gleichheit und Unabhängigkeit der Aufsichtsratsmitglieder in § 4 Abs. 3 MontanMitbestG ausdrücklich festgehalten. Die Grundsätze gelten aber in gleicher Form auch für die Anteilseigener- und Arbeitnehmervertreter der übrigen mitbestimmten Gesellschaften.495 492 BGH, Urt. v. 25. 02. 1982 – II ZR 145/80, BGHZ 83, 151, 154; Habersack, in: Münchener Kommentar AktG, § 111 Rdnr. 17; Vetter, in: Marsch-Barner/Schäfer, Handbuch börsennotierte AG, § 29 Rdnr. 3. 493 Ein Einzelrecht im eigenen Interesse stellt allein der Vergütungsanspruch der Mitglieder dar, vgl. Habersack, in: Münchener Kommentar AktG, § 113 Rdnr. 27 ff. 494 OLG Köln, Urt. v. 04. 05. 1987 – 2 W 27/87, NJW-RR 1988, 254; Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats, Rdnr. 822. 495 BGH, Urt. v. 25. 02. 1982 – II ZR 123/81, BGHZ 83, 106, 113; BGH, Urt. v. 25. 02. 1982 – II ZR 102/81, BGHZ 83, 144, 147; Hoffmann-Becking, in: Hoffmann-Becking, Münchener Handbuch des Gesellschaftsrechts, Bd. 4, § 33 Rdnr. 2.
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1. Teil: Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats und seiner Mitglieder
a) Interne Mitwirkungsbefugnisse Alle Organmitglieder haben das Recht und die Pflicht, an den Sitzungen des Aufsichtsrats teilzunehmen, zu denen sie jeweils unter Angabe der Tagesordnung rechtzeitig einzuladen sind.496 Ein Ausschluss von der Sitzung des Aufsichtsrats kommt nur als Ultima Ratio in Betracht, wenn anderenfalls eine ordnungsgemäße, störungsfreie Sitzung nicht möglich ist.497 Jedes Aufsichtsratsmitglied kann sich schriftlich und in der Sitzung mündlich zu allen Tagesordnungspunkten äußern. Auf Antrag eines einzelnen Mitgliedes ist die Tagesordnung um weitere Punkte zu ergänzen; dies kann das Mitglied im Zweifelsfall sogar selbst vornehmen (§ 110 Abs. 2 AktG analog).498 Außerdem kann jedes Mitglied jederzeit die Einberufung einer Aufsichtsratssitzung verlangen und notfalls selbst eine solche Sitzung einberufen (§ 110 Abs. 1, 2 AktG). Zur Vorbereitung von Beschlussfassungen sind den Mitgliedern Exemplare der Vorstandsberichte auszuhändigen. Da die Verpflichtung zur Vorstandsüberwachung gem. § 111 Abs. 1 AktG das Kollegialorgan Aufsichtsrat trifft, das nur durch seine Mitglieder handelt, steht jedem Mitglied das Recht zur Einsichtnahme zu. Das Recht auf Einsichtnahme ist ein unentziehbares Individualrecht des einzelnen Mitglieds, das über dem Geheimhaltungsinteresse der Gesellschaft steht.499 Insofern kann der Gesamtaufsichtsrat zwar gem. § 90 Abs. 5 Satz 2 AktG entscheiden, dass die Informationen den Mitgliedern nur für einen bestimmten Zeitraum zur Verfügung gestellt werden sollen. Ein gänzlicher Ausschluss ist aber auch durch Entscheidung des Gesamtaufsichtsrats nicht möglich.500 Soweit der Aufsichtsratsvorsitzende nichts anderes bestimmt, können alle Aufsichtsratsmitglieder an allen Ausschusssitzungen teilnehmen – auch dann, wenn sie dem betreffenden Ausschuss gar nicht angehören (§ 109 Abs. 2 AktG). Das ausschussfremde Mitglied ist in der Sitzung zwar nicht stimmberechtigt, hat aber ein Rederecht und kann die Aufnahme seiner Meinungsäußerung im Sitzungsprotokoll verlangen.501 Das Teilnahmerecht ausschussfremder Mitglieder umfasst auch das Recht, die für die Diskussion und Beschlussfassung in der jeweiligen Sitzung erforderlichen Unterlagen einzusehen.502 Die Teilnahmemöglichkeit in Ausschusssitzungen ist für das einzelne Mitglied insofern von nicht unerheblicher Bedeutung, 496 Drygala, in: Schmidt/Lutter, AktG, § 109 Rdnr. 3; Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats, Rdnr. 700; Koch, in: Hüffer, AktG, § 110 Rdnr. 3. 497 Habersack, in: Münchener Kommentar AktG, § 109 Rdnr. 9; Spindler, in: Spindler/ Stilz, AktG, § 109 Rdnr. 10; Drygala, in: Schmidt/Lutter, AktG, § 109 Rdnr. 4; Hopt/Roth, in: Großkommentar AktG, § 109 Rdnr. 25 f. 498 Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats, Rdnr. 826; Mertens/Cahn, in: Kölner Kommentar AktG, § 110 Rdnr. 4. 499 Ähnlich bereits Spindler, in: Münchener Kommentar AktG, 3. Aufl. 2008 (Voraufl.), § 90 Rdnr. 44. 500 Krieger/Sailer-Coceani, in: Schmidt/Lutter, AktG, § 90 Rdnr. 64. 501 Mertens/Cahn, in: Kölner Kommentar AktG, § 109 Rdnr. 30; Habersack, in: Münchener Kommentar AktG, § 109 Rdnr. 22; Hopt/Roth, in: Großkommentar AktG, § 109 Rdnr. 60. 502 Habersack, in: Münchener Kommentar AktG, § 109 Rdnr. 23.
C. Der Aufsichtsrat als Kollegialorgan
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als dass im Rahmen der Selbstorganisationspflicht alle Organmitglieder dazu verpflichtet sind festzustellen, ob die Organisationsverteilung auf die einzelnen Ausschüsse sinnvoll ist, ob die Aufgabenwahrnehmung durch die jeweiligen Ausschüsse funktioniert, und ob die Ausschüsse das Plenum hinreichend über ihre Arbeit informieren (§ 107 Abs. 3 Satz 4 AktG).503 b) Pflicht zur sorgfältigen Wahrnehmung der Organfunktion Den Mitwirkungsbefugnissen für die einzelnen Aufsichtsratsmitglieder steht eine Vielzahl von Pflichten gegenüber, die den Aufsichtsratsmitgliedern obliegen. Wie die Befugnisse der Mitglieder sind auch die Rechte an die Mitgliedschaft im Aufsichtsrat gebunden. Ausgangspunkt für die Pflichten der Aufsichtsratsmitglieder sind insofern (mittelbar) die Pflichten des Gesamtaufsichtsrats.504 Träger der dem Aufsichtsrat zugewiesenen Pflichten ist das Gesamtorgan Aufsichtsrat, nicht dessen einzelne Mitglieder.505 Da sich die Mitwirkungspflichten der Mitglieder aber aus den Pflichten des Organs ableiten, kommt es zu einer mittelbaren Übertragung der Organpflichten auf die Mitglieder. aa) Pflicht zur kollegialen Zusammenarbeit Die einzelnen Aufsichtsratsmitglieder sind zur Mitarbeit im Aufsichtsrat verpflichtet.506 Jedes Mitglied muss dabei entsprechend seinen Fähigkeiten und Fachkunde die ihm obliegenden Aufgaben ordnungsgemäß, sachgerecht und im Interesse des Unternehmens wahrnehmen.507 Die Anforderungen an die Beiträge im Rahmen der individuellen Kenntnisse sollten nicht überspitzt, gleichzeitig ihre Bedeutung aber nicht unterschätzt werden. Zwar braucht ein Rechtsanwalt im Aufsichtsrat kein juristisches Gutachten mit rechtlichen Bewertungen einzelner Vorstandsmaßnahmen zu erstellen,508 jedoch hat das juristisch vorgebildete und entsprechend erfahrene Mitglied im Rahmen der Überwachungsaufgabe darauf hinzuweisen, wenn rechtlich nicht einwandfreie Verhalten auftreten. Die einzelnen Aufsichtsratsmitglieder sind insofern gehalten, ihre spezifischen Fachkenntnisse einzubringen.509 Die Grenze 503
Hopt/Roth, in: Großkommentar AktG, § 111 Rdnr. 143. Siehe dazu oben, S. 116. 505 Vgl. dazu Steinbeck, Überwachungspflicht und Einwirkungsmöglichkeiten, S. 23 f; Mertens/Cahn, in: Kölner Kommentar AktG, § 116 Rdnr. 5. 506 Vetter, in: Marsch-Barner/Schäfer, Handbuch börsennotierte AG, § 29 Rdnr. 10. 507 Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats, Rdnr. 887 f; Steinbeck, Überwachungspflicht und Einwirkungsmöglichkeiten, S. 25; Hommelhoff, ZHR 143 (1979), S. 288, 292, Vetter, in: Marsch-Barner/Schäfer, Handbuch börsennotierte AG, § 29 Rdnr. 10. 508 Beispiel bei Mertens, in: Kölner Kommentar AktG, 2. Aufl. 1996 (Voraufl.), § 116 Rdnr. 5; ähnlich Hopt/Roth, in: Großkommentar AktG, § 111 Rdnr. 128. 509 BGH, Urt. v. 20. 09. 2011 – II ZR 234/09, DB 2011, S. 2484; LG Hamburg, Urt. v. 16. 12. 1980 – 8 O 229/79, ZIP 1981, S. 194. 504
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1. Teil: Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats und seiner Mitglieder
sollte dort anzusetzen sein, wo regelmäßig ein externer Sachverständiger gegen Entgelt heranzuziehen ist; eine solche Tätigkeit kann vom Mitglied des Aufsichtsrats nicht verlangt werden.510 In Betracht kommt aber der Abschluss eines besonderen Beratervertrages des Aufsichtsrats mit dem betreffenden Mitglied (§ 114 AktG). Die Mitwirkungspflicht schließt die Pflicht zur Teilnahme an Aufsichtsratssitzungen mit ein. Dabei haben sich die Mitglieder jeweils hinreichend auf die Sitzung vorzubereiten, um eine effektive Aufsichtsratsmitarbeit zu gewährleisten.511 Dazu gehört, dass sich die Mitglieder mit der zu behandelnden Thematik vertraut machen und sich ein eigenes Urteil über die Beschlussgegenstände bilden. Außerdem haben die Mitglieder sich in Diskussionen und durch Äußerung ihres Standpunkts unter Einschluss von Bedenken und Erwartungen aktiv an der Meinungsbildung zu beteiligen. Eine bloß passive Teilnahme an der Sitzung, die sich in der Stimmabgabe erschöpft, erfüllt die Pflicht zur gegenseitigen Mitwirkung und Unterstützung nicht hinreichend. Zur Steigerung der Effizienz der Aufsichtsratsarbeit empfiehlt der DCGK in Ziffer 5.6 eine regelmäßige Überprüfung der Tätigkeit durch den Aufsichtsrat. Die einzelnen Mitarbeiter sind im Rahmen ihrer Mitwirkungspflichten dazu verpflichtet, bei Bedarf Verbesserungsvorschläge für die Arbeit des Aufsichtsrats zu unterbreiten. Unter Umständen ist auch die Einberufung einer Aufsichtsratssitzung zu verlangen oder zu erzwingen.512 bb) Informationspflicht Die Informationspflicht der Aufsichtsratsmitglieder verläuft parallel in zwei Richtungen: die Mitglieder müssen sich selbst, aber in gleichem Maße auch das Organ und die übrigen Mitglieder informieren. Jedes Mitglied ist zunächst dazu verpflichtet, sich selbst in ausreichendem Maße über die Lage der Gesellschaft und die Situation im Aufsichtsrat zu informieren. Dazu gehört neben der Erfassung des für die Entscheidung wichtigen Sachverhalts – jedenfalls bei besonders bedeutsamen Geschäften – grundsätzlich auch eine eigenständige Risikoanalyse durch jedes Aufsichtsratsmitglied.513 In erster Linie umfasst dies auch die Pflicht, sich die Vorstandsberichte zu verschaffen und von ihrem Inhalt Kenntnis zu nehmen.514 Im Regelfall wird der Vorsitzende des Aufsichtsrats die Berichte des Vorstands für den Aufsichtsrat erhalten. Das Recht und die Pflicht der Mitglieder zur (Selbst-)Information resultiert dann in einer Pflicht des Vorsitzenden, die erlangten Informationen an seine Mitglieder weiterzureichen. Dies 510
So schon Hopt/Roth, in: Großkommentar AktG, § 111 Rdnr. 128; Mertens/Cahn, in: Kölner Kommentar AktG, § 116 Rdnr. 7. 511 Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats, Rdnr. 886. 512 Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats, Rdnr. 889. 513 OLG Stuttgart, Urt. v. 29. 02. 2012 – 20 U 3/11, ZIP 2012, S. 625, Rdnr. 165, 167 (zitiert nach juris). 514 Hopt/Roth, in: Großkommentar AktG, § 111 Rdnr. 146.
C. Der Aufsichtsrat als Kollegialorgan
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hat bis zur nächsten Sitzung, in dringlichen Fällen auch unverzüglich, zu erfolgen.515 Die Mitglieder dürfen sich allerdings nicht darauf verlassen, vom Aufsichtsratsvorsitzenden in allen Situationen ausreichend informiert zu werden bzw. alle notwendigen Informationen tatsächlich zu erhalten. Bestehen Zweifel daran, dass der Vorstand die notwendigen Informationen zeit- und ordnungsgemäß weiterleitet, trifft jedes einzelne Mitglied eine Verpflichtung zur weitergehenden Informationsbeschaffung. Das einzelne Mitglied muss, je nach Sachlage, den Aufsichtsratsvorsitzenden zur Übersendung der Unterlagen auffordern, konkrete Informationen direkt beim Vorstand anfordern, oder aber den Aufsichtsratsvorsitzenden dazu auffordern, die entsprechenden Informationen anzufordern. Die individuelle (Selbst-)Informationsverpflichtung der einzelnen Mitglieder führt weiter dazu, dass sich diese nicht auf Berichte oder Prüfungen durch andere Mitglieder verlassen dürfen. Der Verweis darauf, dass die übrigen Mitglieder sich bereits ausreichend inhaltlich mit einer Fragestellung befasst haben, lässt eine eigene Nachprüfungspflicht nicht entfallen. Insbesondere genügt es nicht, dass der Vorsitzende des Aufsichtsrats den übrigen Organmitgliedern ausführlich und überzeugend vermittelt, er habe sich bereits ein ausreichendes und umfassendes Bild von der ordnungsgemäß arbeitenden Geschäftsführung gemacht.516 Dies muss auch dann gelten, wenn der Vorsitzende (oder ein anderes Mitglied) im Plenum überzeugend die Arbeit des Vorstands vorstellt. Die Mitglieder müssen sich über die Arbeit des Vorstands selbst und unabhängig in ausreichendem Maße informieren und ein eigenes Urteil bilden und dürfen sich auch nicht allein auf Sachverhaltsdarstellungen Dritter verlassen. Sollten diese Informationen nicht ausreichen, um sich ein hinreichendes Bild zu verschaffen, so muss das einzelne Mitglied gegebenenfalls von seinem persönlichen Recht auf Anforderung zusätzlicher Informationen Gebrauch machen (§ 90 Abs. 3 Satz 2 AktG), wobei dieser Bericht an den gesamten Aufsichtsrat erstattet wird. Ergeben sich Anhaltspunkte, die eine weitergehende Überprüfung notwendig machen, so hat das einzelne Aufsichtsratsmitglied weitere Nachforschungen in diese Richtung anzustellen und darf nicht auf eine allgemeine Richtigkeit der Berichte vertrauen. Dies folgt unmittelbar aus der Verpflichtung des Aufsichtsrats zur anlassunabhängigen und stetigen Überwachung des Vorstands, aus der wiederum eine anlassunabhängige und dauerhafte Informationspflicht der einzelnen Aufsichtsratsmitglieder resultiert.517 cc) Treuepflicht, Verschwiegenheit Die Mitglieder des Aufsichtsrats haben gemäß § 116 Satz 2 AktG Stillschweigen über vertrauliche Angaben und Geschäftsgeheimnisse zu bewahren. Die Ver515 516 517
Vgl. Lutter, Information und Vertraulichkeit im Aufsichtsrat, Rdnr. 184 m.w.N. OLG Düsseldorf, Urt. v. 08. 03. 1984 – 6 U 75/83, ZIP 1984, S. 825, 829. OLG Düsseldorf, Urt. v. 08. 03. 1984 – 6 U 75/83, ZIP 1984, S. 825, 829.
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1. Teil: Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats und seiner Mitglieder
schwiegenheitspflicht ist direkter Ausfluss der Treuepflicht der Aufsichtsratsmitglieder gegenüber der Gesellschaft.518 Die Verschwiegenheitsverpflichtung wurde durch das TransPuG in § 116 Abs. 2 AktG im Jahr 2002 inkorporiert. Bereits vorher galt aber nach allgemeiner Ansicht eine Verpflichtung des Aufsichtsrats zur Verschwiegenheit.519 Die Geheimhaltungsverpflichtung gilt nicht nur gegenüber vollkommen gesellschaftsfremden Dritten, d. h. der breiten Öffentlichkeit, sondern auch gegenüber den Aktionären, der Belegschaft, besonderen unternehmensinternen Gremien oder Gewerkschaften.520 Besonders das Recht des Aufsichtsrats, Informationen vom Vorstand zu verlangen, korrespondiert gleichzeitig mit einer Verpflichtung, diese zumeist vertraulichen oder geheimen Informationen sorgfältig zu behandeln und nicht an Dritte weiterzugeben. Vorstandsberichte enthalten regelmäßig eine Vielzahl von Informationen in Bezug auf die Gesellschaft, die nicht öffentlich bekannt sind und nach dem Willen der Gesellschaft nicht weiter verbreitet werden sollen. Dazu gehören insbesondere langfristige Unternehmensplanungen wie auch Expansions- oder Sanierungspläne, welche für Dritte von besonderem Interesse sein können. Gerade bei börsennotierten Gesellschaften liegen die Auswirkungen der Weitergabe derartiger Informationen auf der Hand. Die Verschwiegenheitspflicht trifft alle Aufsichtsratsmitglieder in gleichem Maße; eine Differenzierung nach den verschiedenen Mitgliedern ist nicht zulässig.521 Eine Unterscheidung vermag im Einzelfall lediglich dahingehend statthaft sein, ob die einzelnen Mitglieder einem Ausschuss angehören, bei dessen Arbeit eine erhöhte Vertraulichkeit gegenüber dem Plenum angezeigt ist. So unterliegen beispielsweise Beratungen und Entscheidungen des Personalausschusses grundsätzlich einer besonderen Vertraulichkeit, die auch gegenüber anderen Mitgliedern des Gesamtorgans gilt.522
518
Koch, in: Hüffer, AktG, § 116 Rdnr. 9. Vgl. umfassenden Spindler, in: Spindler/Stilz, AktG, § 116 Rdnr. 78 m.w.N.; zur alten Rechtslage eingehend Lutter, Information und Vertraulichkeit im Aufsichtsrat, Rdnr. 408. 520 Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats, Rdnr. 276; Lutter, Information und Vertraulichkeit im Aufsichtsrat, Rdnr. 465 ff. 521 BGH, Urt. v. 05. 06. 1975 – II ZR 156/73, BGHZ 64, 325, 331; Hopt/Roth, in: Großkommentar AktG, § 116 Rdnr. 219; Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats, Rdnr. 276; Vetter, in: Marsch-Barner/Schäfer, Handbuch börsennotierte AG, § 29 Rdnr. 14; Koch, in: Hüffer, AktG, § 116 Rdnr. 11. 522 Hoffmann-Becking, in: Hoffmann-Becking, Münchener Handbuch des Gesellschaftsrechts, Bd. 4, § 33 Rdnr. 7; Vetter, in: Marsch-Barner/Schäfer, Handbuch börsennotierte AG, § 29 Rdnr. 15. 519
D. Durchsetzung der Überwachungsverantwortung des Aufsichtsrats
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D. Die Durchsetzung der Überwachungsverantwortung des Aufsichtsrats Fraglich ist, ob der Aufsichtsrat durch andere Organe der Aktiengesellschaft dazu angehalten werden kann, seiner Überwachungsverantwortung gerecht zu werden, d. h. ob eine Durchsetzung der bei Aufsichtsrat verorteten Überwachungsverantwortung stattfindet. Ein tatsächliches Bedürfnis für eine derartige Kontrolle des Überwachungsorgans besteht auf den ersten Blick in zweierlei Hinsicht: Zum einen besteht die Möglichkeit, dass der Aufsichtsrat als Organ die ihm übertragene Aufgabe der Vorstandsüberwachung nicht oder nur unzureichend wahrnimmt. Fraglich ist dann, ob es eine Möglichkeit gibt, den Aufsichtsrat zur ordnungsgemäßen Arbeit anzuhalten. Zum anderen besteht die Möglichkeit, dass der Aufsichtsrat sich über die ihm zugewiesenen Befugnisse hinwegsetzt und nicht nur eine Überwachung der Vorstandstätigkeit vornimmt, sondern (in Überschreitung der Regelung des § 111 Abs. 4 Satz 1 AktG) auch im Namen der Gesellschaft nach außen hin handelt. Zunächst ist fraglich, ob der Aufsichtsrat – zur Not gerichtlich – zu einer umfassenden Kontrolle des Vorstands angehalten werden kann, wenn er seiner Überwachungsaufgabe aus eigenen Stücken nicht nachkommt. Wie bereits gezeigt523 besteht eine generelle Verpflichtung des Aufsichtsrats zur Überwachung des Vorstands. Wie die Kontrolle im Einzelnen auszugestalten ist, bleibt allerdings dem Aufsichtsrat überlassen. Der historische Gesetzgeber hat bereits im Aktiengesetz 1885 darauf verzichtet, dem Aufsichtsrat einen festen Prüfkatalog vorzugeben oder anderweitig vorzuschreiben, wie die Überwachung konkret zu erfolgen hat.524 Diese Unabhängigkeit und das freie Ermessen des Aufsichtsrats würden nachhaltig beeinträchtigt und beschädigt, könnte der Vorstand oder könnten Dritte den Aufsichtsrat zur Vornahme der Überwachung oder zur Überwachung auf eine bestimmte Art und Weise anweisen. Überschreitet der Aufsichtsrat also seine Befugnisse, so gibt es für den Vorstand keinerlei Möglichkeiten, diesbezüglich zu intervenieren,525 da dies zwangsläufig eine Umkehrung des gesetzlichen Kompetenzgefüges bedeuten würde. Einer solchen Regelung bedarf es aber auch nicht, weil die Einhaltung einer ordnungsgemäßen und ausreichenden Überwachung auf andere Weise sichergestellt wird. Kommt der Aufsichtsrat seinen ihm obliegenden Verpflichtungen, dazu gehört insbesondere auch die Vorstandsüberwachung, nicht oder nicht in ausreichendem Maße nach, so haften die Mitglieder persönlich für die daraus entstandenen Schäden. Ferner besteht für die Hauptversammlung die Möglichkeit, einzelne oder sämtliche Aufsichtsratsmitglieder abzuberufen (vgl. § 95 AktG). Bei unzureichender Überwachungsleistung ist davon auszugehen, dass die Hauptversammlung von diesem Recht Gebrauch machen wird. Gleiches gilt im Übrigen auch bei einer Kompe523
Siehe oben, S. 21 ff. Vgl. die Begründung zum Entwurf eines Gesetzes über die KGaA und AG (1885), abgedruckt bei Schubert/Hommelhoff, Hundert Jahre modernes Aktienrecht, S. 461 re. Sp. 525 Siehe auch die Darstellung bei Leyendecker-Langner, NZG 2012, S. 721. 524
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1. Teil: Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats und seiner Mitglieder
tenzüberschreitung: Auch dann machen sich die entsprechenden Mitglieder möglicherweise ersatzpflichtig, wenn durch ihr eigenmächtiges Handeln ein Schaden der Gesellschaft eintritt. Vor diesem Hintergrund erscheint eine zusätzliche Möglichkeit, den Aufsichtsrat zur ordnungsgemäßen Überwachungstätigkeit anzuhalten, nicht grundsätzlich notwendig, da das Aktiengesetz bereits ausreichende Sanktionierungsmöglichkeiten vorsieht.526
526
Nicht unproblematisch ist allerdings, dass es notwendig sein kann, ein pflichtwidriges Verhalten des Aufsichtsrats unterbinden zu lassen. Hier fehlen entsprechende gesetzliche Regelungen. In Betracht kommt allenfalls eine Feststellungs- oder Unterlassungsklage, wenn die Handlung des Aufsichtsrats einen Eingriff in die Befugnisse des Vorstands darstellt. Zu den Grundlagen siehe oben, S. 100 ff.
2. Teil
Folgen von Pflichtverletzungen durch den Aufsichtsrat und seinen Mitglieder Nachdem im ersten Teil die grundsätzlichen Rechte und Pflichten sowohl des Organs Aufsichtsrat als auch die der jeweiligen Mitglieder dargestellt wurden, wird nachfolgend auf die Konsequenzen der Verletzung dieser Pflichten eingegangen. Dabei wird zu untersuchen sein, welche Folgen für die Mitglieder aufgrund von Pflichtverletzungen eintreten, bevor untersucht wird, ob neben oder anstelle der von der ganz allgemeinen Ansicht vertretenen Mitgliederhaftung eine Haftung des Kollegialorgans Aufsichtsrat besteht.
A. Die Innenhaftung der Aufsichtsratsmitglieder gegenüber der Gesellschaft Neben den nachfolgend darzustellenden haftungsrechtlichen Folgen bestehen weitere mögliche Konsequenzen, deren drohender Eintritt die Aufsichtsratsmitglieder zur Beachtung der ihnen obliegenden Pflichten anhalten soll. Die Hauptversammlung kann unabhängig vom Vorliegen einer Pflichtverletzung die Entlastung aller (§ 120 Abs. 1 Satz 1 AktG) oder einzelner Mitglieder des Aufsichtsrats (§ 120 Abs. 1 Satz 2 AktG) verweigern. Zudem besteht die Möglichkeit, einzelne Mitglieder durch das jeweilige Wahl- bzw. Entsendungsorgan (vgl. § 103 Abs. 1 Satz 1 AktG, § 12 DrittelbG, § 23 MitbestG, § 11 MontanMitbestG) abzuberufen. Zwar ist dies grundsätzlich auch ohne einen wichtigen Grund und ohne vorausgehende Pflichtverletzung möglich, allerdings wird aufgrund des hohen Quorums (drei Viertel der abgegebenen Stimmen, vgl. nur § 103 Abs. 1 Satz 2 Halbs. 2 AktG527) eine Abberufung vor Ablauf der regulären Amtszeit nur ausnahmsweise in Betracht kommen. Liegt ein wichtiger Grund vor, d. h. eine Pflichtverletzung durch alle oder einzelne Mitglieder des Aufsichtsrats, so kann entweder der Aufsichtsrat als Organ oder eine qualifizierte Minderheit von Aktionären (diese müssen zusammen zehn Prozent des 527
Aus Praktikabilitätsgründen und aufgrund der parallelen Regelungen im AktG, DrittelbG, MitbestG und MontanMitbestG wird nachfolgend nur auf die Regelungen des AktG eingegangen. Bei ggf. bestehenden Abweichungen wird auf diese gesondert hingewiesen. Insofern wird anstatt vom jeweiligen Wahlorgan allgemein von den Regelungen für die Hauptversammlung ausgegangen.
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2. Teil: Folgen von Pflichtverletzungen
Grundkapitals der Aktiengesellschaft oder den anteiligen Betrag von einer Millionen Euro erreichen) bei Gericht einen Antrag auf Abberufung des oder der Aufsichtsratsmitglieder stellen (§ 103 Abs. 3 Satz 3 AktG). Notwendig ist, dass der weitere Verbleib des betreffenden Mitglieds in der Gesellschaft bis zum Ablauf der regulären Amtszeit für die Gesellschaft unzumutbar ist.528 Das Gericht entscheidet dann durch Beschluss über die Abberufung des Aufsichtsratsmitglieds. Das Antragsrecht besteht auch dann fort, wenn die Hauptversammlung sich zuvor ausdrücklich gegen eine Abberufung ausgesprochen hat;529 notwendig ist ausschließlich das objektive Vorliegen eines wichtigen Grundes, was vom Gericht festgestellt wird. Die Ablehnung einer Abberufung durch die Hauptversammlung kann allenfalls indizielle Wirkung dahingehend haben, dass eine Pflichtverletzung nicht vorliegt oder ein weiterer Verbleib des Mitglieds im Aufsichtsrat bis zum Ablauf der regulären Amtszeit zumutbar ist.530 Da ein registerrechtliches Abberufungsverfahren jedoch eine erhebliche negative Publizitätswirkung mit sich bringt, spielt das Verfahren in der Praxis fast keine Rolle. Aufsichtsratsmitglieder, die ein solches Verfahren aus nichtigen Gründen eigenmächtig anstrengen und dadurch die Reputation der Gesellschaft nachhaltig gefährden, können sich unter Umständen ihrerseits ersatzpflichtig machen. Neben der Abberufung durch Hauptversammlung und Gericht kann ein Fehlverhalten einzelner Aufsichtsratsmitglieder mit Freiheitsstrafe oder Geldstrafe geahndet werden (vgl. beispielsweise §§ 399, 400, 404, 405 AktG, §§ 331, 334 HGB). Es handelt sich dabei, mit Ausnahme von § 404, § 405 AktG und § 334 HGB,531 um Offizialdelikte, die von der Staatsanwaltschaft von Amts wegen verfolgt werden.532 Neben den angeführten Reaktionsmöglichkeiten durch Hauptversammlung, Aufsichtsratsmitglieder oder Staatsanwaltschaft ist die wichtigste Konsequenz für Pflichtverletzungen des Aufsichtsrats und seiner Mitglieder die haftungsrechtliche Verantwortlichkeit gegenüber der Gesellschaft. Nachfolgend wird zunächst geprüft, unter welchen Voraussetzungen eine haftungsrechtliche Verantwortlichkeit der Mitglieder des Aufsichtsrats nach der vorherrschenden Ansicht besteht. Anschließend wird untersucht, ob neben oder anstelle der Mitgliederhaftung – entgegen der allgemeinen Ansicht – de lege lata eine primäre Haftung des Kollegialorgans selbst in Betracht kommt. Im Anschluss daran 528 Vgl. OLG Hamburg, Urt. v. 23. 01. 1990 – 11 W 92/89, NJW-RR 1990, S. 673, 674 ff; LG Frankfurt, Urt. v. 13. 10. 1986 – 3/11 T 29/85, NJW 1987, S. 505, 506; Habersack, in: Münchener Kommentar AktG, § 103 Rdnr. 39. 529 Mertens/Cahn, in: Kölner Kommentar AktG, § 103 Rdnr. 28. 530 Eckardt, NJW 1967, S. 1010, 1012; ebenso Habersack, in: Münchener Kommentar AktG, § 103 Rdnr. 39. 531 Schaal, in: Münchener Kommentar AktG, § 404 Rdnr. 66. 532 Siehe Kalss, in: Münchener Kommentar AktG, § 399 Rdnr. 288; Schaal, in: Münchener Kommentar AktG, § 400 Rdnr. 106; ders., in: Münchener Kommentar AktG, § 401 Rdnr. 45; ders., in: Münchener Kommentar AktG, § 402 Rdnr. 40; ders., in: Münchener Kommentar AktG, § 403 Rdnr. 49.
A. Die Innenhaftung der Aufsichtsratsmitglieder
131
folgt eine Analyse des bestehenden Haftungssystems unter Berücksichtigung von Vorschlägen zur Verbesserung der Haftungsstruktur de lege ferenda.
I. Die Innenhaftung der Aufsichtsratsmitglieder für eigene Pflichtverletzungen 1. Allgemeines Eine ausdrückliche (Innen-)Haftung der Aufsichtsratsmitglieder gegenüber der Gesellschaft ist im Aktienrecht nicht normiert. Das Aktiengesetz verweist in § 116 AktG für die „Sorgfaltspflicht und Verantwortlichkeit“ der Aufsichtsratsmitglieder auf die Vorschriften zur Haftung der Vorstandsmitglieder (§ 93 Abs. 2 AktG). Zwar enthält § 116 Satz 1 AktG damit nicht expressis verbis einen eigenen Tatbestand der Aufsichtsratshaftung, jedoch bildet die Norm durch den Verweis auf die Vorschriften der Vorstandshaftung in § 93 Abs. 2 AktG nach ganz überwiegender Meinung die Anspruchsgrundlage für eine Innenhaftung der Aufsichtsratsmitglieder gegenüber der Gesellschaft.533 Der Ersatzanspruch aus § 116 Satz 2 i.V.m. § 93 Abs. 2 AktG gilt ausschließlich im Verhältnis zwischen Organ und Gesellschaft und beinhaltet keine Haftung des Aufsichtsrats auch Aktionären oder Gesellschaftsdritten gegenüber.534 Eine solche Haftung gegenüber Dritten kann in Sonderfällen bestehen, auf die hier im Folgenden nicht eingegangen werden kann.535 Sinn und Zweck der Haftung ist zum einen (reaktiv) der Ausgleich von Schäden, die durch die Pflichtverletzungen der Aufsichtsratsmitglieder verursacht werden, um damit eine Schadloshaltung der Gesellschaft zu erreichen. In erster Linie aber soll die drohende Haftung bereits als präventives Element die Sorgfalt der Aufsichtsratsmitglieder erhöhen. Die drohende Haftung lässt erwarten, dass die Mitglieder eine erhöhte Sorgfalt bei der Erfüllung ihrer Aufgaben an den Tag legen.536 Aufgrund der im Regelfall erheblichen Schadenshöhe spielt das präventive Element als Anreiz für die Aufsichtsratsmitglieder im Vergleich zum reaktionären Schadensausgleich der Gesellschaft heute die deutlich größere Rolle.537 Der drohende tatsächliche finan533 Thümmel, DB 1999, S. 885; Kiethe, WM 2005, S. 2122, 2124, Spindler, in: Spindler/ Stilz, AktG, § 116 Rdnr. 103, Habersack, in: Münchener Kommentar AktG, § 116 Rdnr. 1 f; für § 93 Abs. 2 ebenso Hüffer, AktG, 10. Aufl. 2012 (Voraufl.), § 93 Rdnr. 11; anders nur Szalai/ Marz, DStR 2010, S. 809, 811. 534 OLG Düsseldorf, Urt. v. 23. 06. 2008 – I-9 U 22/08, DB 2008, S. 1961; LG Düsseldorf, Urt. v. 07. 07. 1989 – 32 O 39/89, AG 1990, S. 70, 71. 535 Siehe dazu bspw. Koch, in: Hüffer, AktG, § 116 Rdnr. 14; Spindler, in: Spindler/Stilz, AktG, § 116 Rdnr. 104. 536 Paal, DStR 2005, S. 382, 383; Jaeger/Trölitzsch, ZIP 1995, S. 1157, 1158; Spindler, in: Spindler/Stilz, AktG, § 116 Rdnr. 103. 537 So auch bereits von Frankenberg und Ludwigsdorf, Bedeutung und Grenzen der Gleichbehandlung der Aufsichtsratsmitglieder, S. 195, dort Fn. 928 m.w.N., der allerdings verkennt, dass das finanzielle Risiko in praxi (heutzutage) wohl überwiegend durch Versi-
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2. Teil: Folgen von Pflichtverletzungen
zielle Schaden für das einzelne Aufsichtsratsmitglied ist aufgrund einer im Regelfall vorhandenen Absicherung durch Vermögensschadenshaftpflichtversicherungen (sogenannte D&O Versicherungen) vergleichsweise gering. Selbst wenn die Gesellschaft nur einen Teil der Versicherungsprämie übernimmt, bleibt es dem Aufsichtsratsmitglied unbenommen, den restlichen Anteil der Schadenssumme auf eigene Kosten zu versichern. Dadurch besteht für die Aufsichtsratsmitglieder auch bei erheblichen Pflichtverletzungen im Regelfall nicht die Gefahr einer Existenzvernichtung. Nicht vernachlässigt werden darf aber zum einen die negative Außenwirkung einer tatsächlichen Inanspruchnahme für das einzelne Aufsichtsratsmitglied und zum anderen die Auswirkung eines tatsächlich eingetretenen Schadensfalls auf die Höhe der Police einer D&O Versicherung.538 Das Bekanntwerden einer erheblichen Verfehlung von Aufsichtsratsmitgliedern kann durchaus zu einer erheblichen öffentlichen Diskussion führen,539 sodass eine Berufung auf weitere Aufsichtsratsoder Leitungsposten unwahrscheinlich wird oder gar zu einer Abberufung von Posten aus anderen Gremien führen kann. Die Organmitglieder haben insofern vor dem Hintergrund der negativen Öffentlichkeitswirkung und einer möglichen Anhebung der Policen ein besonderes eigenes Interesse daran, einen Schaden von der Gesellschaft aufgrund eigenen Fehlverhaltens zu verhindern. Wie auch der Pflichtenkatalog richtet sich die Haftung aus § 116 Satz 1 i.V.m. § 93 Abs. 2 AktG an sämtliche Aufsichtsratsmitglieder gleichermaßen. Voraussetzung für die Haftung ist demnach allein die Organzugehörigkeit,540 ungeachtet dessen, ob das einzelne Mitglied von der Hauptversammlung gewählt oder durch die Arbeitnehmervertretungen entsandt oder gerichtlich bestellt wurde. Die haftungsrechtliche Verantwortlichkeit für künftige Verstöße endet mit dem Ausscheiden des Mitglieds aus dem Aufsichtsrat, d. h. mit Amtsniederlegung oder Abberufung, allerdings kann die Ersatzpflicht für während der Amtszeit begangene Pflichtverletzungen auch nach dem Ausscheiden des Mitglieds zu einem späteren Zeitpunkt durchgesetzt werden.541 Relevant ist dies insbesondere in der Insolvenz der Gesellschaft, wenn der Insolvenzverwalter bei der Überprüfung abgeschlossener Sachverhalte Pflichtverletzungen (ehemaliger) Aufsichtsratsmitglieder aufdeckt. Die Ansprüche der Gesellschaft verjähren fünf Jahre nach Entstehung des Anspruchs, bei börsennotierten Gesellschaften beträgt die Frist zehn Jahre (§ 93 Abs. 6 cherungen abgedeckt wird. Bei der Erhebung von Informationen über die Umsetzung der Empfehlungen des DCGK wurde festgestellt, dass der von den Mitglieder im Schadensfall zu entrichtende Selbstbehalt teilweise nur EUR 1.000 beträgt, vgl. von Werder/Talaulicar, DB 2005, S. 841, 845. 538 Dies betrifft das Aufsichtsratsmitglied freilich nur dann, wenn die Versicherungspolice nicht von der Gesellschaft, sondern vom Mitglied selbst gezahlt wird. 539 Siehe nur die Medienberichterstattung im Rahmen der Finanzkrise, vgl. bspw. Freiberger/Zydra, Sueddeutsche Zeitung Online, http://www.sueddeutsche.de/geld/bankenaufsichtfeuert-aufsichtsraete-mit-macht-gegen-unfaehigkeit-1.994191. 540 Mutter, Unternehmerische Entscheidungen und Haftung des Aufsichtsrats der Aktiengesellschaft, S. 164; Hopt/Roth, in: Großkommentar AktG, § 116 Rdnr. 11. 541 Hopt/Roth, in: Großkommentar AktG, § 116 Rdnr. 13.
A. Die Innenhaftung der Aufsichtsratsmitglieder
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AktG i.V.m. § 116 Satz 1 AktG). Der Fristlauf beginnt mit dem anspruchsgründenden Verhalten; auf eine Kenntnis der Gesellschaft kommt es auch bei Verheimlichung der anspruchsbegründenden Umstände durch den Aufsichtsrat nicht an.542 2. Pflichtverletzung a) Allgemeines Grundvoraussetzung der persönlichen Haftung der Organmitglieder ist zunächst das Vorliegen einer (persönlichen) Pflichtverletzung des einzelnen Aufsichtsratsmitglieds. Dies folgt aus § 93 Abs. 2 Satz 2 AktG, der über § 116 Satz 1 AktG Anwendung findet. Dem Mitglied muss ein individuelles Fehlverhalten in Form der Verletzung einer persönlichen Pflicht vorwerfbar sein, wobei die verletzten Pflichten auf Gesetz, Satzung oder Geschäftsordnung beruhen können. Da § 116 Satz 1 i.V.m. § 93 Abs. 2 AktG nur die Haftung des Aufsichtsrats gegenüber der Gesellschaft normiert, kommen als die Ersatzpflicht auslösende Pflichtverletzungen nur Pflichten in Betracht, die den Aufsichtsratsmitgliedern gerade im Verhältnis zur Gesellschaft obliegen.543 Pflichten, die der Aufsichtsrat im Verhältnis zu gesellschaftsfremden Dritten zu erfüllen hat, fallen grundsätzlich nicht in den Anwendungsbereich der Haftung nach § 116 Satz 1 i.V.m. § 93 Abs. 2 AktG; es kommen dann aber ggf. eigene Ansprüche der Dritten gegen die Gesellschaft oder die Aufsichtsratsmitglieder in Betracht. Die Abgrenzung ist nach dem Schutzzweck der Norm vorzunehmen. Dabei gelten Pflichten, die dem Aufsichtsrat gegenüber anderen Organen aufgegeben sind, auch als Pflichten gegenüber der Gesellschaft. Insofern kann auch die Verletzung von Organkompetenzen durch den Aufsichtsrat die Haftung nach § 116 Satz 1 i.V.m. § 93 Abs. 2 AktG auslösen.544 b) Übersicht möglicher Pflichtverletzungen Die wohl wesentlichste Pflicht und Aufgabe des Aufsichtsrats ist die Überwachung der Geschäftsführung des Vorstands. Die enorme Relevanz dieser Aufgabe des Aufsichtsrats führt aus sich heraus zu einer gesteigerten Haftungsanfälligkeit.545 Wie bereits ausgeführt, ist das Tagesgeschäft der Gesellschaft nicht von der Überwa-
542
Für den vergleichbaren Fall der Verjährung von Ersatzansprüchen gegen einen GmbHGeschäftsführer vgl. BGH, Urt. v. 29. 09. 2008 – II ZR 234/07, NZG 2008, S. 908, 910; Krieger/ Sailer, in: Schmidt/Lutter, AktG, § 93 Rdnr. 63; Fleischer, in: Spindler/Stilz, AktG, § 93 Rdnr. 255; Spindler, in: Münchener Kommentar AktG, § 93 Rdnr. 291. 543 Spindler, in: Spindler/Stilz, AktG, § 116 Rdnr. 105; Hambloch-Gesinn/Gesinn, in: Hölters, AktG, § 116 Rdnr. 58. 544 Spindler, in: Spindler/Stilz, AktG, § 116 Rdnr. 105. 545 Ähnlich Hoffmann-Becking, in: Hoffmann-Becking, Münchener Handbuch des Gesellschaftsrechts, Bd. 4, § 33 Rdnr. 62.
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2. Teil: Folgen von Pflichtverletzungen
chungsverpflichtung des Aufsichtsrats umfasst.546 Hier besteht für den Aufsichtsrat insofern auch kein Haftungsrisiko. Wohl aber hat der Aufsichtsrat die Führungstätigkeit des Vorstands genau zu untersuchen. Insbesondere die Einrichtung einer ordnungsmäßen Risikoüberwachung, eines Compliance-Systems und einer übergeordneten Organisationseinrichtung sind vom Aufsichtsrat zu prüfen.547 Der Umfang der Überwachungspflicht, insbesondere gesteigerte Überwachungspflichten in wirtschaftlich schwierigen Lagen, sind bereits ausführlich dargestellt worden.548 Kommt der Aufsichtsrat diesen Überwachungsaufgaben nicht oder nicht hinreichend nach, so verletzt er seine Pflichten. Damit einhergehend liegt denklogisch gleichzeitig auch eine Pflichtverletzung durch ein Mitglied vor. Neben der Überwachung der Geschäftsführung obliegt dem Aufsichtsrat auch die Pflicht zur ordnungsgemäßen Selbstorganisation.549 Der Aufsichtsrat als Organ, wie auch die einzelnen Mitglieder, haben darauf zu achten, dass die Aufsichtsratssitzungen in regelmäßigem und ausreichendem Turnus stattfinden, dass Problembereiche ausreichend kritisch hinterfragt werden und dass der Aufsichtsrat mit ausreichendem Sachverstand besetzt ist. Zur Pflicht zur Selbstorganisation gehört auch die Frage, ob Ausschüsse hinreichend besetzt sind. So sollten Ausschüsse zu Fragen der Personalpolitik oder zu Finanzfragen auch mit denjenigen Mitgliedern besetzt sein, die die größte Expertise auf dem Gebiet vorweisen können. Erkennt der Aufsichtsrat oder ein Mitglied des Aufsichtsrats, dass er bzw. es nicht über die notwendige Sachkunde zur Beantwortung einer Sachfrage verfügt, so kann es in Einzelfällen geboten sein, dass der Aufsichtsrat zur Unterstützung externe Berater heranzieht. Diese Beauftragung Dritter darf nicht generell erfolgen, sondern ist auf Einzelfälle begrenzt.550 Die Mandatierung von Beratern wird insbesondere dann zulässig und erforderlich sein, wenn das im Gremium vorhandene Fachwissen für die Analyse der in Rede stehenden Aufgabe nicht ausreicht oder wenn für die konkrete Aufklärung personelle Mittel erforderlich sind, die dem Aufsichtsrat nicht zur Verfügung stehen.551 Nimmt ein Aufsichtsratsmitglied den Rat Dritter in Anspruch, so darf es sich nicht blind auf die Aussagen des Beraters verlassen. Erforderlich ist vielmehr, dass nachgeprüft wird, ob die Auskunft auf einer hinreichenden Tatsachengrundlage basiert. Auch ein Vertrauen auf die Ergebnisse oder Vorschläge eines Gutachtens ist nicht zulässig.552 Das Gremium oder das einzelne Mitglied muss eine Plausibilitätskontrolle hinsichtlich offensichtlicher Begründungsschwächen oder Wertungswidersprüchen vornehmen und insbesondere auch prüfen, ob das 546
Siehe oben, S. 24 ff. Siehe oben, S. 64 ff. 548 Siehe oben, S. 72 ff. 549 Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats, Rdnr. 992. 550 Siehe oben, S. 109 ff. 551 So bereits Eichner/Höller, AG 2011, S. 885, 889. 552 Eingehend hierzu Fleischer, KSzW 2013, S. 3, 6 (m.w.N.), der sich für eine Beschränkung auf Auswahl- und Überwachungsverschulden ausspricht. 547
A. Die Innenhaftung der Aufsichtsratsmitglieder
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vorgeschlagene Ergebnis auch tatsächlich den Besonderheiten des Unternehmens Rechnung trägt.553 c) Haftungserleichterung: Anwendung der Business Judgement Rule auf den Aufsichtsrat? Wenn § 116 Satz 1 AktG für die Sorgfaltspflicht und Verantwortlichkeit der Aufsichtsratsmitglieder auf § 93 AktG verweist und eine entsprechende Anwendung statuiert, so ist fraglich, inwieweit sich die Haftungserleichterung durch die sogenannte Business Judgement Rule gemäß § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG auf die Haftung des Aufsichtsrats auswirkt. Der Verweis des § 116 Satz 1 AktG schließt nur eine Anwendung von § 93 Abs. 2 Satz 3 AktG aus, sodass im Umkehrschluss davon auszugehen ist, dass die Business Judgement Rule grundsätzlich auch für Aufsichtsratsmitglieder gilt. Die durch das UMAG554 kodifizierte Business Judgement Rule geht im deutschen Recht im Wesentlichen zurück auf die Ausführungen des Bundesgerichtshofs in der ARAG/Garmenbeck-Entscheidung zur Vorstandsverantwortlichkeit.555 Dort hat der BGH erstmals anerkannt, dass dem Vorstand bei unternehmerischen Entscheidungen ein besonderer eigenverantwortlicher, gerichtlich nicht nachprüfbarer Spielraum zuzubilligen ist.556 Grundlage findet dieses besondere Ermessen darin, dass unternehmerische Entscheidungen mit prognostischem Charakter stets risikobehaftet sind, daraus aber keine gänzliche, die Unternehmensentwicklung lähmende Risikoaversität resultieren soll.557 Dem Vorstand soll auf dieser Basis das bewusste Eingehen eines (freilich vertretbaren) Risikos nicht bereits als Pflichtverletzung anzulasten sein, da anderenfalls eine Unternehmensführung „schlechterdings nicht denkbar“ wäre.558 Eine Ersatzpflicht für Schäden, die aus eigenverantwortlichen Leitungsentscheidungen des Vorstands entstehen, soll erst dann eintreten, wenn die eingegangenen Risiken unverantwortlich hoch sind oder der Vorstand sonstige Pflichten verletzt hat.559 Der Gesetzgeber hat diese Grundsätze aufgegriffen und
553 BGH, Urt. v. 20. 09. 2011 – II ZR 234/09, DB 2011, S. 2484, 2487, Fleischer, KSzW 2013, S. 3, 6; vgl. für den vergleichbaren Fall der Vorstandsberatung Fleischer, NZG 2010, S. 121, 124 f m.w.N.; ebenso: Langenbucher, ZGR 2012, S. 314, 326; zurückhaltend Merkt/ Mylich, NZG 2012, S. 525, 529; Kiefner/Krämer, AG 2012, S. 498, 500. 554 Gesetz zur Unternehmensintegrität und Modernisierung des Anfechtungsrechts (UMAG), BGBl. I Nr. 60 S. 2802 vom 27. 09. 2005. 555 BGH, Urt. v. 21. 04. 1997 – II ZR 175/95, BGHZ 135, 244. 556 BGH, Urt. v. 21. 04. 1997 – II ZR 175/95, BGHZ 135, 244, Rdnr. 22 (zitiert nach juris). 557 Spindler, AG 2006, S. 677, 680; Paefgen, AG 2004, S. 245, 247 f; Koch, ZGR 2006, S. 769, 782; Fleischer, in: Spindler/Stilz, AktG, § 93 Rdnr. 61; Spindler, in: Münchener Kommentar AktG, § 93 Rdnr. 36 f. 558 BGH, Urt. v. 21. 04. 1997 – II ZR 175/95, BGHZ 135, 244, Rdnr. 22 (zitiert nach juris). 559 BGH, Urt. v. 21. 04. 1997 – II ZR 175/95, BGHZ 135, 244, Rdnr. 22 (zitiert nach juris).
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2. Teil: Folgen von Pflichtverletzungen
schließlich in § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG kodifiziert.560 Dabei legt die Norm Voraussetzungen nieder, die zu einem Tatbestandsausschluss führen, sodass bei Erfüllung der Voraussetzungen eine Haftung stets ausscheidet.561 Die Festlegung eines solchen Tatbestandsausschlussgrundes versperrt den Rückgriff auf die allgemeine Haftung nach § 93 Abs. 1 Satz 1 AktG und bildet in Anlehnung an das US-amerikanische Recht einen „safe harbor“ für den Rechtsanwender.562 Umgekehrt führt die Nichterfüllung der Voraussetzungen allerdings nicht gleichsam zu einer Haftung, da § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG keine umgekehrte Vermutungswirkung immanent ist und eine Pflichtverletzung insofern nachgewiesen werden muss.563 Für die Anwendung der Business Judgement Rule werden grundsätzlich fünf Voraussetzungen gefordert: (1) das Vorliegen einer unternehmerischen Entscheidung, (2) sachliche Unbefangenheit und Freiheit von Eigeninteressen der Vorstandsmitglieder, (3) die Entscheidung muss dem Gesellschaftswohl dienen, (4) auf angemessenen Informationen beruhen, und schließlich muss (5) das Vorstandsmitglied in gutem Glauben gehandelt haben.564 Übertragen auf den Aufsichtsrat bedeutet dies, dass die Business Judgement Rule, neben den vier übrigen Voraussetzungen, grundsätzlich (nur) dann einschlägig sein kann, wenn eine unternehmerische Entscheidung des Aufsichtsrats vorliegt.565 Daher gilt es zunächst festzustellen, unter welchen Voraussetzungen eine unternehmerische Entscheidung angenommen werden kann. Der Begriff ist im Gesetz nicht legaldefiniert und bedarf daher der Auslegung. In der Regierungsbegründung zum UMAG wird eine unternehmerische Entscheidung als „durch Prognosen und nicht justiziable Entscheidungen geprägt“ umschrieben, die insofern von gebundenen Entscheidungen abzugrenzen sei.566 Im Schrifttum wird in Anlehnung daran teilweise eine negative Definition vorgeschlagen: Eine unternehmerische Entscheidung liege jedenfalls dann nicht vor, wenn aufgrund gesetzlicher, statutarischer oder vertraglicher 560 Zu der Kritik im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens siehe ausführlich Hopt/Roth, in: Großkommentar AktG, § 116 Rdnr. 75 ff; Koch, ZGR 2006, S. 769, 782; zur Entstehungsgeschichte auch Fleischer, in: Spindler/Stilz, AktG, § 93 Rdnr. 63. 561 Fleischer, in: Spindler/Stilz, AktG, § 93 Rdnr. 65, der nach dem US-amerikanischen Vorbild den Begriff des „safe harbor“ verwendet. Anders nun Spindler, in: Münchener Kommentar AktG, § 93 Rdnr. 39, der von einer Pflichtenkonkretisierung, nicht von einem Tatbestandsausschluss spricht. 562 Fleischer, ZIP 2004, S. 685, 688 f; kritisch zum Begriff des „safe harbor“ vor dem Hintergrund der fehlenden Vermutung der Ordnungsgemäßheit des Handelns der deutschen Rechtsprechung: Cahn, WM 2013, S. 1293, 1305. 563 Spindler, in: Münchener Kommentar AktG, § 93 Rdnr. 40. 564 Vergleiche die RegBegr. zum UMAG, BT-Drs. 15/5092, S. 11 f; Arnold, in: MarschBarner/Schäfer, Handbuch börsennotierte AG, § 22 Rdnr. 19; Fleischer, in: Spindler/Stilz, AktG, § 93 Rdnr. 66 ff, Koch, in: Hüffer, AktG, § 93 Rdnr. 15 ff. 565 Drygala, in: Schmidt/Lutter, AktG, § 116 Rdnr. 11; Spindler, in: Spindler/Stilz, AktG, § 116 Rdnr. 37; zum grundsätzlichen Erfordernis einer unternehmerischen Entscheidung auch Schneider, DB 2011, S. 99, 100; sehr kritisch zur Begrifflichkeit und Übernahme in das deutsche Recht Hopt/Roth, in: Großkommentar AktG, § 116 Rdnr. 87 ff m.w.N. 566 RegBegr. zum UMAG, BT-Drs. 15/5092, S. 11.
A. Die Innenhaftung der Aufsichtsratsmitglieder
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Pflichten Ermessensspielräume nicht bestehen.567 Die positive Feststellung einer unternehmerischen Entscheidung ist weitaus schwieriger. Zumeist wird darauf abgestellt, dass für das Handeln im konkreten Fall aus ex ante Sicht des entscheidenden Aufsichtsrats oder Vorstands mehrere ähnlich gut geeignete Handlungsalternativen zur Verfügung stehen, wobei sich im Zeitpunkt der Entscheidungsfindung noch nicht feststellen lässt, welche der Alternativen sich im Nachhinein als (wirtschaftlich) sinnvollste herausstellen wird.568 Eine unternehmerische Entscheidung zeichnet sich nach dieser Auffassung daher stets durch prognostische Elemente, denen stets ein gewisser Grad an Unsicherheit innewohnt, aus. Die Mitglieder des Aufsichtsrats können insofern grundsätzlich die Erleichterung der Business Judgement Rule nur dann in Anspruch nehmen, wenn jedenfalls keine gebundene Entscheidung vorliegt. Ein generelles, der gerichtlichen Nachprüfung entzogenes Ermessen wird dem Aufsichtsrat insofern gerade nicht zugesprochen.569 Wo der Aufsichtsrat jedoch unternehmerisch tätig wird, steht ihm ein solches Ermessen freilich zu. Dies betrifft beispielsweise Fragen der Ausübung des Zustimmungsvorbehalts nach § 111 Abs. 4 Satz 2 AktG570 oder die Ausübung der Personalkompetenz (§ 84 AktG), wie auch die Organisation der Vorstandsarbeit, der Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen gegen Vorstandsmitglieder,571 die Mitwirkung bei der Feststellung des Jahresabschlusses (§ 172 AktG), oder den Abschluss von Verträgen mit dem Abschlussprüfer und die Festlegung eines Vergütungssystems.572 Diesen Entscheidungen wohnt das angesprochene prognostische Element der Entscheidungsfindung inne, was dazu führt, dass sich ex ante die bestmögliche Lösung für die Gesellschaft nicht von vorneherein feststellen lässt. Nicht umfasst hingegen ist die Frage der Angemessenheit der Vergütung der Vorstandsmitglieder (§ 87 AktG), bei der dem Aufsichtsrat aufgrund der Unbestimmtheit des Rechtsbegriffs zwar ein gewisser
567 Arnold, in: Marsch-Barner/Schäfer, Handbuch börsennotierte AG, § 22 Rdnr. 20; Fleischer, in: Spindler/Stilz, AktG, § 93 Rdnr. 67; ähnlich Krieger/Sailer, in: Schmidt/Lutter, AktG, § 93 Rdnr. 12. 568 Grundlegend Schneider, DB 2005, S. 707, 711; ebenso Koch, in: Hüffer, AktG, § 93 Rdnr. 21 ähnlich auch Fleischer, in: Spindler/Stilz, AktG, § 93 Rdnr. 68; Dauner-Lieb, in: Crezelius/Röhricht, Festschrift für Volker Röhricht, S. 83, 94; Schäfer, AG 2005, S. 1253, 1256; anders Gaul/Janz, NZA 2009, S. 809, 814, die darauf abstellen, ob dem Aufsichtsrat hinreichende Informationen zur Verfügung standen, sodass das Mitglied vernünftiger Weise davon ausgehen durfte, im Unternehmensinteresse zu handeln; das Element der Unsicherheit in den Hintergrund rückend Spindler, in: Spindler/Stilz, AktG, § 116 Rdnr. 37; deutlich weiter Hopt/Roth, in: Großkommentar AktG, § 116 Rdnr. 88, die auch Fälle des beschränkten Ermessen erfasst sehen möchten. 569 Hüffer, NZG 2007, S. 47, 48. 570 Habersack, in: Münchener Kommentar AktG, § 116 Rdnr. 41; Fonk, ZGR 2006, S. 841, 865 ff; Hüffer, NZG 2007, S. 47, 48. 571 LG Essen, Urt. v. 25. 04. 2012 – 41 O 45/10, NZG 2012, S. 1307, 1309. 572 Habersack, in: Münchener Kommentar AktG, § 116 Rdnr. 41; Koch, in: Hüffer, AktG, § 116 Rdnr. 19.
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2. Teil: Folgen von Pflichtverletzungen
Spielraum eingeräumt ist, der jedoch nicht mit der Frage des Vorliegens einer unternehmerischen Entscheidung zu verwechseln ist.573 Soweit die in Rede stehenden Maßnahmen aber die vergangenheitsbezogene Kontrolle von Vorstandsentscheidungen betreffen, soll der Entscheidung kein unternehmerischer Charakter innewohnen; dies betrifft insbesondere die Frage, ob Schadensersatzansprüche der Gesellschaft gegenüber Vorstandsmitgliedern geltend zu machen sind.574 Der Aufsichtsrat hat zwar bei der Bewertung des Vorstandshandelns zu berücksichtigen, dass der Vorstand sich für seine Handlung möglicherweise auf die Anwendung der Business Judgement Rule berufen kann und dessen Maßnahme oder Entscheidung daher nicht pflichtwidrig ist, für seine eigene retrospektive Kontrolltätigkeit kann der Aufsichtsrat eine solche Einschätzungsprärogative allerdings nicht geltend machen.575 Soweit der Aufsichtsrat seine vergangenheitsbezogenen Kontrollpflichten ausübt, überprüft er die Rechtmäßigkeit des Vorstandshandelns. Dieses lässt sich aus der ex post Perspektive vergleichsweise unproblematisch bewerten; ein prognostisches Element wohnt der Überprüfung durch den Aufsichtsrat nicht inne. In diesem Fall trifft das Kontrollorgan keine Entscheidungen im Sinne der Business Judgement Rule, sodass ein Haftungsausschluss aufgrund § 116 Satz 1 i.V.m. § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG nicht in Frage kommt. Liegt aber eine Entscheidung vor, bei der zugunsten des Vorstands die Business Judgement Rule eingreift, so kann der Aufsichtsrat sich bei einer retrospektiven Kontrolle dieser Handlung im Falle eines Schadenseintritts nicht auf die Business Judgement Rule stützen. Eine vermeintliche Übertragung der Verantwortlichkeit vom Vorstand auf den Aufsichtsrat besteht aber nur auf den ersten Blick: Zum einen trifft der Aufsichtsrat, wie gezeigt, keine unternehmerische Entscheidung. Er kann im Nachgang zweifelsfrei bestimmen, ob das Vorstandshandeln pflichtgemäß war und bedarf daher keines Schutzes im Sinne vom § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG. Zum zweiten aber scheidet eine Verantwortlichkeit des Aufsichtsrats ohnehin aus: Ist das Vorstandshandeln als unternehmerische Entscheidung zu qualifizieren, so fehlt es bereits an einer Pflichtwidrigkeit seiner Handlung – es liegt damit gar keine Pflichtverletzung vor, auf die der Aufsichtsrat zu reagieren hätte.576 Im Ergebnis nicht anders ist die Situation bei der präventiven Kontrolltätigkeit des Aufsichtsrats zu bewerten, die eine Beratung des Vorstands miteinschließt. Hier wird vertreten, dass es an einer Entscheidung des Aufsichtsrats fehle und insoweit eine Verantwortlichkeit des Aufsichtsrats von vornherein ausgeschlossen sei.577 Dem ist 573
Schäfer, AG 2005, S. 1253, 1258. BGH, Urt. v. 21. 04. 1997 – II ZR 175/95, BGHZ 135, 244, Rdnr. 25 (zitiert nach juris); Koch, in: Hüffer, AktG, § 116 Rdnr. 5; a.A. aber wohl Heermann, AG 1998, S. 201, 203. 575 BGH, Urt. v. 21. 04. 1997 – II ZR 175/95, BGHZ 135, 244, Rdnr. 25 (zitiert nach juris); Koch, in: Hüffer, AktG, § 116 Rdnr. 5; Habersack, in: Münchener Kommentar AktG, § 116 Rdnr. 42. 576 Ihrig, WM 2004, S. 2098, 2107; dem folgend Schäfer, AG 2005, S. 1253, 1258. 577 Habersack, in: Münchener Kommentar AktG, § 116 Rdnr. 42; Ihrig, WM 2004, S. 2098, 2107; Schäfer, AG 2005, S. 1253, 1258. 574
A. Die Innenhaftung der Aufsichtsratsmitglieder
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zuzustimmen. Der Aufsichtsrat bleibt auch bei der Beratung des Vorstands für wichtige Strukturentscheidungen (lediglich) Hinweisgeber und übernimmt nicht die Letztverantwortung für die Vorstandsentscheidungen. Dem Aufsichtsrat fehlt für die Qualifzierung als eine (unternehmerische) Entscheidung schlichtweg die Möglichkeit zur Verhinderung einer Vorstandsmaßnahme, die sich nach seiner Ansicht als ungeeignet herausstellt. Eine Ausnahme stellt die Möglichkeit zur Festlegung eines ad hoc Zustimmungsvorbehalts gemäß § 111 Abs. 4 Satz 2 AktG bzw. die Entscheidung über die Gewährung oder Verweigerung der Zustimmung zu einem geplanten Vorhaben dar. Bei diesen Fragestellungen handelt es sich um in die Zukunft gerichtete Entscheidungen unter Abwägung mehrerer Handlungsoptionen, wobei unklar ist, welche Option sich für die Gesellschaft am Vorteilhaftesten darstellen wird. Insofern ist den Aufsichtsratsmitgliedern hier ein unternehmerisches Ermessen im Sinne der Business Judgement Rule zuzubilligen.578 Aus Beweisgründen empfiehlt es sich hier, im Protokoll der Aufsichtsratssitzung festzuhalten, dass die Festlegung eines Zustimmungsvorbehalts zwar erwogen, mehrheitlich jedoch verworfen wurde. So kann dem Aufsichtsrat nicht nachträglich vorgehalten werden, sich mit der Möglichkeit eines aktiven Einschreitens nicht auseinander gesetzt zu haben. Dann nämlich läge keine aktive Entscheidung vor, sodass die Berufung auf den Tatbestandsausschlussgrund nach § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG und damit der „safe harbor“ verwehrt bliebe. Im Übrigen fehlt es aber bei der Vorstandsberatung durch den Aufsichtsrat im Regelfall bereits an einer Entscheidung des Aufsichtsrats, sodass die Regelungen über die Business Judgment Rule nicht zur Anwendung gelangen können. Festzuhalten bleibt also, dass die Business Judgement Rule aufgrund des Verweises von § 116 Satz 1 AktG auf § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG grundsätzlich auch für den Aufsichtsrat gilt, soweit eine unternehmerische Entscheidung vorliegt. Die klassischen Überwachungsaufgaben des Aufsichtsrats, nämlich die retrospektive Kontrolltätigkeit bereits getroffener Vorstandsentscheidungen, sowie eine präventive Kontrolle in Form einer Beratung des Vorstands, stellen dabei allerdings im Regelfall keine Fälle des unternehmerischen Ermessens dar.579 Ein solches Ermessen besteht nur in besonderen Fällen,580 beispielsweise bei Fragen zur Erteilung oder Verweigerung der Zustimmung im Zusammenhang mit Vorbehalten gemäß § 111 Abs. 4 Satz 2 AktG. Greift die Business Judgement Rule ein, so scheidet bereits eine 578 Fonk, ZGR 2006, S. 841, 859 ff, 865 ff; Habersack, in: Münchener Kommentar AktG, § 111 Rdnr. 127; Schäfer, AG 2005, S. 1253, 1258. 579 Ähnlich bereits Mutter, Unternehmerische Entscheidungen und Haftung des Aufsichtsrats der Aktiengesellschaft, S. 28 ff, 108, mit umfangreichen weiteren Nachweisen; unklar Schäfer, AG 2005, S. 1253, 1258, der wohl die Beratung auch als Anwendungsfall der unternehmerischen Entscheidung ansieht. 580 Solche – in der Praxis wohl wenig haftungsrelevanten – Fälle sind außerdem z. B. die Erteilung des Prüfungsauftrags i.S.v. § 111 Abs. 2 Satz 3 AktG, die Vorschlag für die Wahl des Abschlussprüfers und anderer Aufsichtsratsmitglieder, der Vorschlag für die Gewinnverwendung und die Aufstellung von Jahres- und Konzernabschluss; vgl. dazu Habersack, in: Münchener Kommentar AktG, § 116 Rdnr. 41 mit umfangreichen w.N.
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2. Teil: Folgen von Pflichtverletzungen
Pflichtverletzung aus, da das Verhalten aufgrund des prognostischen Charakters der Entscheidung und der Unsicherheit über eine „richtige Lösung“ nicht als pflichtwidrig anzusehen ist, sondern als Schaffung eines „erlaubten Risikos“ gelten kann. 3. Verschulden und Sorgfaltsmaßstab Aufgrund der Parallelität der Haftungskonzepte ist die Haftung der Aufsichtsratsmitglieder ebenso wie die Haftung der Mitglieder des Vorstands eine Verschuldenshaftung. Die Ersatzpflicht tritt demnach nur dann ein, wenn das Organmitglied dem jeweiligen Sorgfaltsmaßstab vorsätzlich oder fahrlässig nicht gerecht geworden ist.581 a) Ausgangslage: Allgemeiner (objektiver) Sorgfaltsmaßstab § 116 AktG enthält keine eigenständige Regelung für den Sorgfaltsmaßstab, den die Aufsichtsratsmitglied bei der Erfüllung der ihnen obliegenden Aufgaben anzuwenden haben. Insofern ist aufgrund des Verweises in § 116 Satz 1 AktG § 93 AktG entsprechend anzuwenden. § 93 Abs. 1 Satz 1 AktG schreibt jedoch für den Vorstand die Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters vor. Da der Aufsichtsrat zu keinem Zeitpunkt geschäftsleitend tätig werden darf (vgl. § 111 Abs. 4 Satz 2 AktG) ist fraglich, wie dieser Sorgfaltsmaßstab auf den Aufsichtsrat zu übertragen ist. aa) Historie Der historische Gesetzgeber hatte ausdrücklich darauf verzichtet, dem Aufsichtsrat den Sorgfaltsmaßstab eines „ordentlichen und gewissenhaften Aufsichtsratsmitglieds“ aufzuerlegen. Stattdessen wurde in Art. 226 ADHGB 1884 und Art. 225b ADHGB 1870 auf die Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmannes abgestellt. Da das Aufsichtsratsamt zum damaligen Zeitpunkt ein relativ neues war (für die Aktiengesellschaft ist der Aufsichtsrat erst seit 1884 Pflichtorgan, vgl. Art. 209 f ADHGB 1884) und – ebenso wie auch heute noch – ein Nebenamt, wurde befürchtet, dass mangels hinreichender Ausprägung des Amtes kein sicherer Maßstab für die Sorgfalt der Mitglieder bestimmt werden konnte.582 In der Diskussion um die Formulierung des Art. 226 ADHGB war ursprünglich gefordert worden, auf die Sorgfalt eines ordentlichen Hausvaters (bonus pater familias) bezüglich geschäftlicher Verhältnisse abzustellen.583 Da der Begriff des bonus pater familias dem Aktienrecht allerdings fremd war, einigte man sich darauf, die Sorgfalt eines ordentlichen Ge-
581
Spindler, in: Spindler/Stilz, AktG, § 116 Rdnr. 111. Vgl. dazu Makower, ADHGB 1861, 11. Aufl. 1893, Art. 226 Anm. a). 583 Vgl. Verhandlungen der Aktienrechtskommission 1882, 10. Sitzung am 4. April 1882, abgedruckt bei Schubert/Hommelhoff, Hundert Jahre modernes Aktienrecht, S. 355 f. 582
A. Die Innenhaftung der Aufsichtsratsmitglieder
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schäftsmanns zu fordern.584 Die Gesetzesbegründung wies allerdings ausdrücklich darauf hin, dass der Begriff des ordentlichen Geschäftsmanns mit dem des ordentlichen Hausvaters in Bezug auf geschäftliche Verhältnisse gleichzusetzen sei.585 Der Begriff des bonus pater familias meint dabei einen umsichtigen, gewissenhaften Wirtschaftsteilnehmer, der nicht notwendigerweise eine besondere Qualifikation oder geschäftliche Erfahrung aufweist.586 Insofern wird auch in der Gesetzesbegründung klargestellt, dass besondere, herausgehobene Kenntnisse und Erfahrungen in der Branche oder dem Geschäftszweig des Unternehmens ausdrücklich nicht als Maßstab angesetzt wurden.587 bb) Subjektiver vs. objektiver Sorgfaltsmaßstab Nach der Regelung des heutigen Aktiengesetzes gelten die Vorschriften über die Vorstandsverantwortlichkeit für den Aufsichtsrat entsprechend, § 116 Satz 1 AktG. Dies schließt grundsätzlich auch den in § 93 Abs. 1 Satz 1 AktG normierten Sorgfaltsmaßstab für die Vorstandsmitglieder mit ein. Wie sich das Geschäftsführungsverbot des § 111 Abs. 4 Satz 2 AktG auf die entsprechende Anwendung des Sorgfaltsmaßstabs eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters auf den Aufsichtsrat auswirkt, ist fraglich. Der Aufsichtsrat übernimmt nur überwachende, zu keinem Zeitpunkt aber geschäftsleitende Aufgaben. Auf den Aufsichtsrat angewandt könnte § 93 Abs. 1 Satz 1 AktG daher so gelesen werden, dass die Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Aufsichtsrats geschuldet ist. In jedem Fall kann der Sorgfaltsmaßstab des Vorstands nicht gleichsam auf den Aufsichtsrat übertragen werden: aus unterschiedlichen Pflichten folgen auch unterschiedliche Maßstäbe der Verantwortung.588 Der Aufsichtsrat haftet nicht für Verfehlungen des Vorstands, sondern nur für Schäden, die aufgrund seiner unzureichenden Überwachung entstanden sind. Wie bereits ausgeführt erstreckt sich die Überwachungspflicht dabei nicht auf „sämtliche Zweige der Verwaltung“, sondern vornehmlich auf richtungsweisende Strukturentscheidungen des Vorstands. Da diese Sorgfaltspflicht aber die Überwachung- und Prüfungspflichten des Aufsichtsrats im Gegensatz zur
584 Vgl. Verhandlungen der Aktienrechtskommission 1882, 10. Sitzung am 4. April 1882, abgedruckt bei Schubert/Hommelhoff, Hundert Jahre modernes Aktienrecht, S. 355. 585 Begründung des Entwurfs eines Gesetzes, betreffend die KGaA und AG (1884), § 12, Nr. 4 m.w.N., abgedruckt bei Schubert/Hommelhoff, Hundert Jahre modernes Aktienrecht, S. 462. 586 Vgl. zum Begriff des bonus pater familias auch die Erläuterung des Generalanwalts Van Gerven, Schlussantrag vom 24. 03. 1994, EuGH C-136/93, Rdnr. 11. 587 Begründung des Entwurfs eines Gesetzes, betreffend die KGaA und AG (1884), § 12, Nr. 4 m.w.N., abgedruckt bei Schubert/Hommelhoff, Hundert Jahre modernes Aktienrecht, S. 462. 588 Hoffmann-Becking, in: Hoffmann-Becking, Münchener Handbuch des Gesellschaftsrechts, Bd. 4, § 33 Rdnr. 58, Koch, in: Hüffer, AktG, § 116 Rdnr. 2; Mertens/Cahn, in: Kölner Kommentar AktG, § 116 Rdnr. 2.
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2. Teil: Folgen von Pflichtverletzungen
umfassenden Geschäftsleitungsverantwortung des Vorstands einschränkt, ist auch die Aufsichtsratshaftung inhaltlich enger als die Vorstandshaftung.589 Obgleich der historische Gesetzgeber zur Vermeidung von Inhaltsleere von der Normierung des Sorgfaltsmaßstabs eines ordentlichen und gewissenhaften Aufsichtsratsmitglieds ausdrücklich absah, spricht dies nicht dagegen, unter Berücksichtigung von § 116 S. 1 i.V.m. § 93 Abs. 2 AktG von einem solchen Maßstab auszugehen. Erforderlich ist allerdings eine hinreichende Konkretisierung. Fraglich ist zunächst, ob aufgrund der heterogenen Zusammensetzung des Aufsichtsrats und der damit verbundenen unterschiedlichen Fachkenntnis der jeweiligen Mitglieder der aufsichtsratsrechtliche Sorgfaltsmaßstab objektiv oder subjektiv zu verstehen ist. (1) Subjektiver Maßstab Für einen subjektiven Sorgfaltsmaßstab kann die Heterogenität des Aufsichtsrats angeführt werden. Gerade der mitbestimmte Aufsichtsrat weist hinsichtlich seiner Mitglieder eine große Bandbreite unterschiedlicher fachlicher und persönlicher Hintergründe auf. Eine Typisierung und Gleichbehandlung sämtlicher Mitglieder scheint daher zum einen schwer, zum anderen möglicherweise auch ungerecht. Dabei ist zu beachten, dass die in der Regierungskommission zum ADHGB 1884 vorgebrachten Bedenken auch heute noch aktuell sind: Das Amt des Aufsichtsrats ist in aller erster Linie von seiner gesetzlichen Konzeption, aber auch von seiner tatsächlichen Ausprägung im Unternehmensalltag, ein Nebenamt. Gleichzeitig ist die Zusammensetzung, gerade bei mitbestimmten Aktiengesellschaften, sehr heterogen, sodass es schwer fällt festzustellen, welcher Sorgfaltsmaßstab von einem durchschnittlichen Aufsichtsratsmitglied aufgebracht werden kann.590 Insofern gibt es in der Literatur vereinzelte Tendenzen, beim Sorgfaltsmaßstab bzw. bei der Verantwortlichkeit der Mitglieder hinsichtlich ihrer persönlichen Fähigkeiten zu differenzieren.591 Trotz identischer Pflichten soll dann ein unterschiedlicher Sorgfaltsmaßstab anzuwenden sein, wobei stets im Einzelfall auf den persönlichen Hintergrund und die jeweilige Pflichtverletzung abzustellen sein soll.592 Anderenfalls, so die Befürchtung, könne dem Bedürfnis nach einer ausgewogenen Einbindung unterschiedlicher Experten mit unterschiedlichem Fachwissen nicht Rechnung getragen werden.593 589 So auch Geßler, in: Geßler/Hefermehl, AktG, § 116 Rdnr. 9; zustimmend K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, § 28 III 1 d), S. 828. 590 So bereits Thümmel, DB 1999, S. 885, 886. 591 Ulmer, ZHR 142 (1978), S. 89, 90; Siehe Geßler, in: Geßler/Hefermehl, AktG, § 116 Rdnr. 10; so wohl auch Merkt/Mylich, NZG 2012, S. 525, 530. 592 Siehe Geßler, in: Geßler/Hefermehl, AktG, § 116 Rdnr. 10, der dies allerdings a.E. wieder zu relativieren scheint; Schilling, in: Großkommentar AktG, 3. Aufl. 1973, § 116 Anm. 5; ähnlich wohl auch Eisenhardt, Jura 1982, S. 289 f. 593 Godin/Wilhemi, AktG 1939, 4. Aufl. 1971, § 116 Anm. 2 f.
A. Die Innenhaftung der Aufsichtsratsmitglieder
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(2) Objektiver Maßstab Nach heute allgemeiner Ansicht stellt § 116 Satz 1 i.V.m. § 93 Abs. 1 Satz 1 AktG einen objektiven Sorgfaltsmaßstab dar, der gleichermaßen für sämtliche Mitglieder des Aufsichtsrats gilt.594 Strittig ist innerhalb dieser Ansicht nur, ob individuelle Sonderkenntnisse, so die wohl vorherrschende Ansicht, im Wege einer möglichen Haftungsverschärfung berücksichtigt werden können.595 Problematisiert wird dies zumeist im Zusammenhang mit der gesetzlich normierten Gleichbehandlung sämtlicher Aufsichtsratsmitglieder, die bei Anwendung eines unterschiedlichen Sorgfaltsmaßstabs unterlaufen würde. Auch aus § 93 Abs. 1 Satz 1 AktG lasse sich ein unterschiedlicher Sorgfaltsmaßstab nicht herleiten. Vielmehr sei mangels Differenzierung in der Norm neben einem Gleichlauf von Pflichten auch von einem Gleichlauf von Verantwortlichkeit auszugehen. Ausgegangen wird insofern von einem objektiven Sorgfaltsmaßstab, wobei bei jedem Mitglied bestimmte Mindestkenntnisse vorausgesetzt werden.596 (3) Stellungnahme Im allgemeinen Zivilrecht wird die Entscheidung, ob ein subjektiver oder objektiver Sorgfaltsmaßstab anzuwenden ist, grundsätzlich danach bestimmt, ob dies mit Blick auf die angeordnete Rechtsfolge sachlich angemessen ist.597 Für die Einordnung als objektiven Sorgfaltsmaßstab ist zunächst zu klären, ob die Ersatzpflicht den Ausgleich eines entstandenen Schadens bezweckt; das heißt, ob im vorliegenden Fall die Aufsichtsratsmitglieder oder aber die Gesellschaft das Risiko trägt, dass das einzelne Mitglied nicht in der Lage ist, seine ihm übertragenen Aufgaben ordnungsgemäß auszuführen,598 oder die Ersatzpflicht einen Sanktionscharakter im Sinne einer Genugtuung aufweist.599 Wie bereits ausgeführt, liegt der 594 Hoffmann-Becking, in: Hoffmann-Becking, Münchener Handbuch des Gesellschaftsrechts, Bd. 4, § 33 Rdnr. 61; Koch, in: Hüffer, AktG, § 116 Rdnr. 2; Spindler, in: Spindler/Stilz, AktG, § 116 Rdnr. 17; Schwark, in: Hadding/Immenga, Festschrift für Winfried Werner, S. 841, 850; Hopt/Roth, in: Großkommentar AktG, § 116 Rdnr. 284; Hommelhoff, ZGR 1983, S. 551, 573 f; K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, § 28 III 1 d), S. 829; Wagner, in: Semler/von Schenck, Arbeitshandbuch für Aufsichtsratsmitglieder, § 2 Rdnr. 102; Edenfeld/Neufang, AG 1999, S. 49, 50. 595 Dazu eingehend unten, S. 166 f. 596 BGH, Urt. v. 15. 11. 1982 – II ZR 27/82, BGHZ 85, 293; RG, Urt. v. 29. 05. 1934 – II 9/ 34, RGZ 144, 348, 355; Mertens/Cahn, in: Kölner Kommentar AktG, § 116 Rdnr. 7; Zempelin, AcP 155 (1956), S. 210, 216; Dürr, Die Haftung von Aufsichtsratsmitgliedern einer Aktiengesellschaft, S. 153. 597 Vgl. Deutsch, Fahrlässigkeit und erforderliche Sorgfalt, S. 114. 598 „Dabei spielt es offenbar eine wesentliche Rolle, ob die betreffende Norm einen Schadensausgleich bezweckt, wobei das Risiko, das sich aus dem Zurückbleiben der Fähigkeiten des Schädigers hinter dem Standard seiner Gruppe ergibt, notwendig dem einen oder dem anderen, dem Schädiger oder dem Geschädigten auferlegt werden muss […]“, Larenz, in: Batl, Festschrift Walter Wilburg, S. 119, 125. 599 Schwark, in: Hadding/Immenga, Festschrift für Winfried Werner, S. 841, 852.
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Sinn und Zweck der zivilrechtlichen Innenhaftung des Aufsichtsrats gegenüber der Gesellschaft in einer präventiven Verhaltenssteuerung hin zu einer guten Überwachung, motiviert durch eine drohende Ersatzpflicht. Die Haftung des Aufsichtsrats verfolgt in erster Linie nicht die Sanktionierung des Verhaltens der einzelnen Mitglieder im Sinne einer Genugtuungsfunktion sondern bezweckt primär die Schadloshaltung der Gesellschaft: Entweder indem das Organ durch ordnungsgemäße Überwachung bereits den Schadenseintritt verhindert oder aber indem die Mitglieder der Gesellschaft den entstandenen Schaden ersetzen. Ginge man von einem generell subjektiven Maßstab aus, so müssten auf der Ebene der Verantwortlichkeit der Mitglieder individuelle Defizite haftungsmildernd berücksichtigt werden.600 Das Risiko, dass ein Aufsichtsratsmitglied aufgrund solcher Defizite hinter „dem Standard seiner Gruppe“ zurückbleibt, würde damit der Gesellschaft aufgebürdet werden.601 Dies hätte zur Folge, dass das individuelle Unvermögen im Einzelfall eine Belastung des Gesellschaftsvermögens darstellten. Dadurch wäre jedoch der Zweck der Vorschrift, nämlich der Ausgleich von Vermögensschaden der Gesellschaft, nicht hinreichend erfüllt. Dies kann nur dann verhindert werden, wenn ein objektiver Sorgfaltsmaßstab angelegt wird. Diese Bewertung wird auch durch eine historische Analyse der Vorschriften zur Aufsichtsratshaftung getragen. Bei der Neufassung von Art. 226 ADHGB 1884 erklärte der Gesetzgeber ausdrücklich, dass „[…] Männer, welchen die gehörige Geschäftskenntnis fehlt, im Interesse der Gesellschaften und des Publikums von der wichtigen Stellung eines Mitgliedes des Aufsichtsraths ferngehalten werden müssen […]“.602 Zwar hatte die Aktienrechtskommission ausdrücklich darauf verzichtet, den Sorgfaltsmaßstab eines „ordentlichen und gewissenhaften Aufsichtsratsmitglieds“ zu normieren, dies aber allein aufgrund der fehlenden Definition und Bestimmtheit der Tätigkeit des Aufsichtsrats. Nicht hingegen sollte ein unterschiedlicher Sorgfaltsmaßstab für die einzelnen Organmitglieder statuiert werden.603 Eine solche unterschiedliche Behandlung war – soweit erkennbar – zu keinem Zeitpunkt Gegenstand der Diskussionen der Aktienrechtskommission 1882.604 Hieran wird deutlich, dass bereits der historische Gesetzgeber nicht von einer Anrechnung individueller Pflichten ausging, sondern eine objektive Pflicht statuierte. Ein subjektiver Haftungsmaßstab kann auch nicht damit begründet werden, dass es schwer fällt, einen allgemeinen objektiven Standard für sämtliche Mitglieder 600
Schwark, in: Hadding/Immenga, Festschrift für Winfried Werner, S. 841, 852. BGH, Urt. v. 31. 01. 1963 – II ZR 79/62, BGHZ 39, 53, Rdnr. 25 (zitiert nach juris); Larenz, in: Batl, Festschrift Walter Wilburg, S. 119, 125; ebenso Larenz, Lehrbuch des Schuldrechts, § 20 III, S. 288. 602 Vgl. Begründung zum Entwurf eines Gesetzes, betreffend die KGaA und AG (1884), abgedruckt bei Schubert/Hommelhoff, Hundert Jahre modernes Aktienrecht, S. 461. 603 Vgl. die Verhandlungen der Aktienrechtskommission 1882, 10. Sitzung am 4. April 1882, abgedruckt bei Schubert/Hommelhoff, Hundert Jahre modernes Aktienrecht, S. 355 f. 604 Vgl. die Verhandlungen der Aktienrechtskommission 1882, 10. Sitzung am 4. April 1882, abgedruckt bei Schubert/Hommelhoff, Hundert Jahre modernes Aktienrecht, S. 279 ff. 601
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festzulegen. Bereits die Aktienrechtsnovelle 1884 sah einen grundsätzlichen Mindeststandard an Qualifikationen für die einzelnen Aufsichtsratsmitglieder vor. Dieser Mindeststandard wurde durch die Rechtsprechung und Literatur mittlerweile soweit konkretisiert und ausgestaltet, dass eine Bestimmung der Mindestanforderungen heute weitestgehend möglich erscheint.605 Zusammenfassend sprechen sowohl die historische Rechtsentwicklung als auch allgemeine zivilrechtliche Grundsätze für einen gleichen, objektiven Sorgfaltsmaßstab aller Mitglieder des Aufsichtsorgans. Ein individueller Sorgfaltsmaßstab würde sowohl dem Willen des (historischen) Gesetzgebers als auch grundsätzlichen Haftungsprinzipien entgegen laufen. Er wäre ferner nur schwer mit dem aktienrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz, wonach die gleichen Rechte und Pflichten für alle Mitglieder des Aufsichtsrats gelten, sowie dem Sinn und Zweck der Ersatzvorschriften vereinbar. Davon losgelöst ist die Frage zu betrachten, ob spezifische Fachkenntnisse im Einzelfall erhöhte Sorgfaltspflichten der Mitglieder begründen können,606 da diese Frage unabhängig vom Bestehen des Sorgfaltsmaßstabs zu berücksichtigen ist. cc) Zwischenergebnis Die Verantwortlichkeit des Aufsichtsrats richtet sich nach § 116 Satz 1 i.V.m. § 93 AktG. Als Sorgfaltsmaßstab ist ein gleicher, objektiver Sorgfaltsmaßstab für alle Mitglieder heranzuziehen, der grundsätzlich nicht nach subjektiven Kriterien differiert.607 Dabei gilt ein typisierter Maßstab, ebenso wie auch bei § 276 Abs. 1 Satz 2 BGB.608 Ihm kommt eine Doppelfunktion zu: Bei Vorliegen einer Pflichtverletzung wird bei einem objektiv-typisierenden Maßstab bei Vorliegen einer rechtswidrigen Handlung im Regelfall auch Verschulden gegeben sein.609 In entsprechender Anwendung der Vorschriften über die Sorgfaltspflicht des Vorstands gelten als Sorgfaltsmaßstab für die Aufsichtsratsmitglieder das Verhalten eines ordentlichen und gewissenhaften Aufsichtsratsmitglieds. Es verbietet sich hier allerdings, den Umfang dieser Sorgfaltspflicht abstrakt oder absolut festzulegen, da die objektiven Pflichten eines Aufsichtsratsmitglieds je nach Art der Gesellschaft differieren. 605
Siehe zur Ausprägung im Einzelfall unten, S. 145 ff. Siehe ausführlich unten, S. 166 ff. 607 Zu den Auswirkungen individuellen Sonderwissens und einer eventuellen Haftungsverschärfung siehe unten, S. 166 ff. 608 Habersack, in: Münchener Kommentar AktG, § 116 Rdnr. 70; Spindler, in: Spindler/ Stilz, AktG, § 116 Rdnr. 58; RG, Urt. v. 28. 02. 1940 – II 115/39, RGZ 163, 200, 208; Kalss, in: Münchener Kommentar AktG, § 111 Rdnr. 89; für den Vorstand: Spindler, in: Münchener Kommentar AktG, § 93 Rdnr. 176; Koch, in: Hüffer, AktG, § 93 Rdnr. 6; Wirth, ZGR 2005, S. 327, 332. 609 Siehe auch Drygala, in: Schmidt/Lutter, AktG, § 116 Rdnr. 36; Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats, Rdnr. 1009; Hopt/Roth, in: Großkommentar AktG, § 116 Rdnr. 115; Spindler, in: Spindler/Stilz, AktG, § 116 Rdnr. 111; von Frankenberg und Ludwigsdorf, Bedeutung und Grenzen der Gleichbehandlung der Aufsichtsratsmitglieder, S. 196 f. 606
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b) Mindestqualifikation Bei einem objektiv-typisierenden Maßstab wird für eine Gruppe ein einheitlicher Maßstab angelegt, den es zu erfüllen gilt. Dieser Maßstab bildet gleichermaßen die Mindestqualifikation, die von allen Mitgliedern der Vergleichsgruppe zu erfüllen ist.610 Bleibt ein Mitglied hinter den Mindestanforderungen zurück, so macht es sich ersatzpflichtig. In diesem Sinne muss jedes Aufsichtsratsmitglied, ungeachtet ob Arbeitnehmer- oder Arbeitgebervertreter, gleichermaßen gewisse Mindestkenntnisse und Fähigkeiten aufweisen, um seine Tätigkeit als Überwacher des Vorstands ordnungsgemäß ausführen zu können. Das Gesetz nennt für den Aufsichtsrat einer Aktiengesellschaft keinen Mindestkanon an Befähigungen oder Kenntnissen, die es zu erfüllen gilt.611 Die Anforderungen ergeben sich daher aus der Auslegung von den qua Gesetz übertragenen Aufgaben sowie dem grob umrissenen Sorgfaltsmaßstab aus § 116 Satz 1 AktG i.V.m. § 93 Abs. 1 Satz 1 AktG. Die Anforderungen an den Aufsichtsrat sind zwar objektiv für jedes Mitglied zu bestimmen und gelten für sämtliche Mitglieder des Organs, sie können aber je nach Art und Branche der Gesellschaft variieren.612 Überwacher eines börsennotierten Großkonzerns werden bereits allein aufgrund der Komplexität der Konzernaufgaben, und damit auch der Überwachung, mehr gefordert sein, als die Organmitglieder einer Aktiengesellschaft mit lokalem Bezug und wenigen Mitarbeitern.613 Auch branchenübliche Besonderheiten können einen höheren Mindeststandard voraussetzen: Aufsichtsratsmitglieder einer Bank werden nur dann in der Lage sein, ein Risikobewusstsein zu entwickeln, wenn sie über grundlegende Fähigkeiten bzw. Kenntnisse im Bereich der Finanzierung und dem Bankgeschäft verfügen. 610 So schon Larenz, Lehrbuch des Schuldrechts, § 20 III, S. 285 f; Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats, Rdnr. 1009; Habersack, in: Münchener Kommentar AktG, § 116 Rdnr. 70; Spindler, in: Spindler/Stilz, AktG, § 116 Rdnr. 109. 611 Eine Ausnahme betrifft die Aufsichtsräte von Banken und Sparkassen. Für diese wurde mit § 36 Abs. 3 Satz 1 KWG am 1. September 2009 spezielle Voraussetzungen festgelegt: „Die Mitglieder des Verwaltungs- oder Aufsichtsorgans eines Instituts oder einer FinanzholdingGesellschaft müssen zuverlässig sein und die zur Wahrnehmung der Kontrollfunktion sowie zur Beurteilung und Überwachung der Geschäfte, die das Unternehmen betreibt, erforderliche Sachkunde besitzen.“ Außerdem schreibt § 6 Abs. 3 Satz 1 InvG für Kapitalanlagegesellschaften vor: „Die Mitglieder des Aufsichtsrats sollen ihrer Persönlichkeit und ihrer Sachkunde nach die Wahrung der Interessen der Anleger gewährleisten“. Bei einer Rechtsanwaltsaktiengesellschaft wird nach der Rechtsprechung des BGH außerdem § 59 f BRAO analog angewandt, so dass der Aufsichtsrat zur Hälfte aus Rechtsanwälten bestehen muss, vgl. BGH, Urt. v. 10. 01. 2005 – AnwZ (B) 27/03, AnwZ (B) 28/03, BGHZ 161, 376 ff, Rdnr. 52 (zitiert nach juris). 612 So bereits für die Aufsichtsratsmitglieder einer Genossenschaft RG, Urt. v. 28. 02. 1940 – II 115/39, RGZ 163, 200, 208 f: „Die Rechtsprechung des Senats geht in diesem Punkte dahin, dass die Verwaltungsträger die Fähigkeit haben und für deren Vorhandensein einstehen müssen, die für eine Genossenschaft von der Art, die gerade in Frage kommt, nach deren Bedürfnissen und insofern nach einem gegenständlichen Maßstab erforderlich ist.“ 613 So schon Spindler, in: Spindler/Stilz, AktG, § 116 Rdnr. 16; Hopt/Roth, in: Großkommentar AktG, § 116 Rdnr. 53.
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Einigkeit herrscht jedenfalls dahingehend, dass das Aufsichtsratsmitglied sich nicht damit exkulpieren kann, nicht über die notwendige Sachkunde zur Erfüllung der spezifischen Aufgaben zu verfügen.614 Tritt ein Schaden ein, der bei Anwendung der Sorgfalt, wie in der Mindestqualifikation umschrieben, vermeidbar gewesen wäre, so besteht damit keine Möglichkeit zur Exkulpation für das Aufsichtsratsmitglied. Auf etwaige persönliches Unwissen oder persönliche Unzulänglichkeiten kann sich das Mitglied nämlich nicht berufen.615 Ebenso wenig wie die mangelnde Fachkenntnis exkulpiert auch das mangelnde Wissen des Aufsichtsratsmitglieds um seine eigenen Pflichten: Der Hinweis, der genaue Umfang der eigenen Tätigkeit oder die Reichweite der Überwachungspflicht seien nicht eindeutig oder nicht bekannt gewesen, kann das einzelne Mitglied nicht entschuldigen. Stattdessen ist die eigene Pflichtenstellung ausgiebig und vollumfänglich bei Amtsantritt durch das Mitglied festzustellen616 – notfalls auch mit externer Hilfe. Durch den Antritt seines Amtes gibt das Aufsichtsratsmitglied schließlich zu verstehen, dass es über die durchschnittlichen Anforderungen zur Bestellung als Aufsichtsratsmitglied verfügt. Weist das Mitglied bereits bei Amtsantritt nicht die zur Aufgabenerfüllung notwendigen Fähigkeiten auf, so liegt der Verschuldensvorwurf nicht in der nicht sachgerechten Entscheidung der einzelnen Maßnahmen, sondern in der Übernahme des Mandats in Kenntnis der fehlenden eigenen Befähigung.617 Was genau die Mindestkenntnisse sind, die ein durchschnittliches Aufsichtsratsmitglied aufweisen muss, ist weder im Gesetz noch im DCGK normiert. Das Ergebnis der Auslegung von § 116 Satz 1 i.V.m. § 93 Abs. 2 Satz 1 AktG ist daher umstritten. aa) Rechtsprechung Das Reichsgericht hat im Jahr 1940 bezüglich der Mindestkenntnisse eines Vorstands- und Aufsichtsratsmitglieds einer Genossenschaft ausgeführt: „An diesen Begriff ist ein sachlicher Maßstab anzulegen; also soll von jedem das Maß der Sorgfalt verlangt werden, das nach der Lebenserfahrung ein ordentlicher Geschäftsmann regelmäßig anwendet, um seine eigenen oder fremde Geschäfte, deren Besorgung ihm obliegt, zu führen. Deshalb kann sich das Verwaltungsmitglied nicht auf seine Unfähigkeit 614 Vgl. RG, Urt. v. 28. 02. 1940 – II 115/39, RGZ 163, 200, 208 f; Hopt/Roth, in: Großkommentar AktG, § 116 Rdnr. 284. 615 RG, Urt. v. 29. 05. 1934 – II 9/34, RGZ 144, 348, 355; Mertens/Cahn, in: Kölner Kommentar AktG, § 116 Rdnr. 7; Hopt/Roth, in: Großkommentar AktG, § 116 Rdnr. 284; Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats, Rdnr. 1009; Mutter/Gayk, ZIP 2003, S. 1773, 1774; Wardenbach, Interessenkonflikte und mangelnde Sachkunde, S. 272. 616 Wagner, in: Semler/von Schenck, Arbeitshandbuch für Aufsichtsratsmitglieder, § 2 Rdnr. 102; Hopt/Roth, in: Großkommentar AktG, § 116 Rdnr. 284. 617 Vgl. RG, Urt. v. 28. 02. 1940 – II 115/39, RGZ 163, 200, 208 f; Mertens/Cahn, in: Kölner Kommentar AktG, § 116 Rdnr. 63; Hopt/Roth, in: Großkommentar AktG, § 116 Rdnr. 284; für den Vorstand: BGH, Urt. v. 15. 11. 1982 – II ZR 27/82, BGHZ 85, 293, Rdnr. 10 (zitiert nach juris); Koch, in: Hüffer, AktG, § 116 Rdnr. 4; Wiesner, in: Hoffmann-Becking, Münchener Handbuch des Gesellschaftsrechts, Bd. 4, § 26 Rdnr. 9.
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zur Geschäftsführung berufen; es kann sich grundsätzlich auch nicht darauf berufen, dass sein Bildungsstand gering sei. […] Der einzelne, der eine Vorstands- oder Aufsichtsratsstelle annimmt, kann also nicht geltend machen, dass er die für die Genossenschaften dieser Art erforderlichen Durchschnittskenntnisse und Fähigkeiten nicht besitze.“618
Der Bundesgerichtshof hat diese Rechtsprechung mit der sogenannten „HertieEntscheidung“619 konkretisiert: „Mit [dem] Gebot persönlicher und eigenverantwortlicher Amtsausübung ist vorausgesetzt, daß ein Aufsichtsratsmitglied diejenigen Mindestkenntnisse und -fähigkeiten besitzen oder sich aneignen muß, die es braucht, um alle normalerweise anfallenden Geschäftsvorgänge auch ohne fremde Hilfe verstehen und sachgerecht beurteilen zu können.“ 620
Dabei werden die Anforderungen an die Mitglieder des Aufsichtsrats nicht allzu hoch angesetzt; der BGH betont ausdrücklich, dass es sich um einen Mindestkanon handelt, den es zu erfüllen gilt. Spezialkenntnisse sind ebenso wenig erforderlich wie eine besondere Fachkunde, um besonders problematische Einzelfragen sachgerecht entscheiden zu können.621 Da das österreichische Aktiengesetz (öAktG) mit den Bestimmungen des deutschen Aktiengesetzes nahezu wortgleich identisch ist und auf die gleichen historischen Vorschriften zurückgeht,622 kann für die Auslegung der Sorgfaltspflicht des Aufsichtsrats auch die Rechtsprechung des Österreichischen Obersten Gerichtshofs (OGH) herangezogen werden. Nach der Rechtsprechung des OGH ist es erforderlich, dass „alle Mitglieder des Aufsichtsrats zumindest über die Fähigkeit, die Vorgänge in eben diesem Unternehmen sachgerecht zu beurteilen, verfügen“.623 Dies bedeute, „dass jedes Mitglied dieses Organs über das Wissen und die Erfahrung, die zur kompetenten Bewältigung der dem Aufsichtsrat übertragenen Aufgaben erforderlich ist, verfügen muss. Dazu zählt jedenfalls auch die Fähigkeit, die von den Geschäftsführern an den Aufsichtsrat herangetragenen Berichte mit entsprechender Sachkenntnis aufzunehmen, um daraus die richtigen Schlüsse für die zu treffenden Entscheidungen über Geschäftsführungsmaßnahmen ziehen zu können […]. Nur so kann sichergestellt werden, dass der Aufsichtsrat ins618
RG, Urt. v. 28. 02. 1940 – II 115/39, RGZ 163, 200, 208 f. BGH, Urt. v. 15. 11. 1982 – II ZR 27/82, BGHZ 85, 293. 620 BGH, Urt. v. 15. 11. 1982 – II ZR 27/82, BGHZ 85, 293, Rdnr. 10 (zitiert nach juris). 621 „Andererseits ist nicht zu erwarten, daß jedes Aufsichtsratsmitglied auf sämtlichen Gebieten, auf denen der Aufsichtsrat tätig wird, umfassende Spezialkenntnisse besitzt. Auch können im Aufsichtsrat Fragen auftauchen oder Maßnahmen durchzuführen sein, die über die Fachkunde oder die zeitlichen und technischen Möglichkeiten seiner Mitglieder hinausgehen.“ BGH, Urt. v. 15. 11. 1982 – II ZR 27/82, BGHZ 85, 293, Rdnr. 11 (zitiert nach juris). 622 Für die „Sorgfaltspflicht und Verantwortlichkeit“ des Aufsichtsrats verweist § 99 öAktG auf die Vorschriften zur Vorstandshaftung: „Die Vorstandsmitglieder haben bei ihrer Geschäftsführung die Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters anzuwenden.“ (§ 84 Abs. 1 öAktG). 623 Österreichischer Oberster Gerichtshof, Urt. v. 26. 02. 2002 – 1 Ob 144/01k, abrufbar unter http://www.ris.bka.gv.at/Dokumente/Justiz/JJT_20020226_OGH0002_0010OB00144_01 K0000_000/JJT_20020226_OGH0002_0010OB00144_01K0000_000.pdf, S. 35. 619
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gesamt jenes Wissen, das zur kompetenten Bewältigung seiner Aufgaben erforderlich ist, aufbringt. Jedes einzelne Mitglied muss daher in der Lage sein, die ihm von anderen – allenfalls auch zugezogenen Sachverständigen – gelieferten Informationen zu verstehen und sachgerecht zu würdigen […].“624
bb) Literatur In der Literatur zeigt sich keine einheitliche Tendenz zur Bestimmung des Mindeststandards. Die genannten Entscheidungen des BGH und OGH zum Umfang der Sorgfaltspflichten werden zwar weitestgehend begrüßt, allerdings leiten die Autoren aus den Urteilen sehr unterschiedliche Ergebnisse ab, was die Rechtsanwendung und Findung eines einheitlichen Standards erheblich erschwert. Teilweise wird, ohne nähere Konkretisierung, welche greifbaren Anforderung in der Praxis aus dieser Anforderung resultieren, auf den Wortlaut der Urteile verwiesen.625 Andere Stimmen spezifizieren die Anforderungen wenigstens in einigen Punkten. Weitestgehend übereinstimmend wird gefordert, dass die Aufsichtsräte auch und insbesondere in Fragen der Rechnungslegung nicht auf externe Unterstützung angewiesen sind.626 Sie sollen hinreichende Kenntnisse in Fragen des Bilanzwesens besitzen, um vom Vorstand aufgestellte Jahresabschlüsse, Vorschläge zur Verwendung des Bilanzgewinns und den Lagebericht nachvollziehen, nachprüfen und gegebenenfalls bestehende „Schwachstellen“ aufdecken zu können.627 Spindler stellt ein weitergehendes Anforderungsprofil auf: Er fordert, dass die Mitglieder des Aufsichtsrats neben den Grundsätzen der Rechnungslegung und Finanzierung auch die Marktstellung des Unternehmens und aktienrechtliche Grundlagen der Organe Aufsichtsrat und Vorstand zueinander verstehen und würdigen können müssen.628 Dabei betont er allerdings, dass es sich hierbei um ein grundsätzliches, nicht ein tiefgreifenden aktienrechtliches Verständnis handeln soll. Ein solches könne vom durchschnittlichen Aufsichtsratsmitglied nicht verlangt werden und sei auch nicht notwendige Voraussetzung.629 Die weiteste Auffassung mit dem schärfsten Anfor-
624 Österreichischer Oberster Gerichtshof, Urt. v. 26. 02. 2002 – 1 Ob 144/01k, abrufbar unter http://www.ris.bka.gv.at/Dokumente/Justiz/JJT_20020226_OGH0002_0010OB00144_01 K0000_000/JJT_20020226_OGH0002_0010OB00144_01K0000_000.pdf, S. 36 f. 625 So bspw. Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats, Rdnr. 1009; unspezifisch insoweit auch Hoffmann-Becking, in: Hoffmann-Becking, Münchener Handbuch des Gesellschaftsrechts, Bd. 4, § 30 Rdnr. 2; § 33 Rdnr. 61. 626 Drygala, in: Schmidt/Lutter, AktG, § 116 Rdnr. 8. 627 Raiser/Veil, Recht der Kapitalgesellschaften, § 15 Rdnr. 114; Vetter, in: Marsch-Barner/ Schäfer, Handbuch börsennotierte AG, § 29 Rdnr. 57 spricht von der „ausreichenden Sachkunde in der financial literacy“; ebenso Schwark, in: Hommelhoff/Lutter/Schmidt/Schön/ Ulmer, Corporate Governance, S. 75, 103; ähnlich Habersack, in: Münchener Kommentar AktG, § 116 Rdnr. 25 f, der allerdings nur von einem „verstehen und würdigen“ spricht und profunde Kenntnisse nur von den Mitgliedern des Prüfungsausschusses verlangt. 628 Spindler, in: Spindler/Stilz, AktG, § 100 Rdnr. 48. 629 Spindler, in: Spindler/Stilz, AktG, § 100 Rdnr. 49.
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derungsprofil vertritt Semler.630 Semler unterscheidet hinsichtlich der Anforderungen an die Mitglieder in Kenntnisse, Fähigkeiten und Erfahrungen.631 Dabei soll das Aufsichtsratsmitglied die Regelungen des Aktienrechts hinsichtlich der Kompetenzverteilung von Vorstand und Aufsichtsrat und der eigenen Pflichtenstellung in ausreichendem Maße kennen. Außerdem seien diejenigen Kenntnisse notwendig, um die Vorstandsberichte nachzuvollziehen und (mit Hilfe eines Abschlussprüfers) den Konzernabschluss und Jahresabschluss der Aktiengesellschaft zu verstehen. Dabei soll das Mitglied insbesondere auch in der Lage sein, die eigene Auffassung den übrigen Aufsichtsratsmitgliedern vorzustellen und diese mit den Organkollegen kritisch zu diskutieren. Schließlich wird als dritte Voraussetzung unternehmerische Erfahrung des Mitglieds gefordert. Dabei soll kein formales betriebswirtschaftliches Verständnis gefordert werden. Erforderlich ist vielmehr eine berufliche Erfahrung, welche durch die Tätigkeit in einem Unternehmen oder in der Beratung von Entscheidungsträgern erworben werden kann. Dies sei deshalb erforderlich, damit der Aufsichtsrat Ermessensentscheidungen hinreichend nachvollziehen könne.632 Das extensive Verständnis des Mindestkanons hat in der Literatur auch Widerspruch gefunden. Hopt und Roth633 kritisieren Semlers ausführliche und umfangreiche Anforderungen hinsichtlich der Mindestqualifikationen als nicht mit dem Gesetz vereinbar.634 Es sei nicht erforderlich, dass die Mitglieder über eine „financial literacy“ verfügen. Auch sei es nicht nötig, dass sich das einzelne Mitglied mittels Jahresabschluss, Lagebericht und Prüfbericht des Abschlussprüfers ein Bild über die tatsächliche Vermögenslage der Gesellschaft verschaffen kann.635 Notwendig sei aber, dass das Mitglied so viel Sachkunde aufweist, dass es ihm möglich ist, „an den dem Aufsichtsratsplenum vorbehaltenen Entscheidungen vernünftig mitzuwirken und die im Plenum von anderen, spezieller sachkundigen Aufsichtsratsmitgliedern vorgebrachten Argumente grundsätzlich zu würdigen.“636 Dabei wird im Wesentlichen davon ausgegangen, dass die einzelnen Mitglieder Expertise auf unterschiedlichen Gebieten mitbringen und daher ingesamt ein umfassendes Fachwissen im Aufsichtsrat vorhanden ist, wobei sich die einzelnen Mitglieder hier unterein-
630 Semler, in: Münchener Kommentar AktG, 2. Aufl. 2004 (Voraufl.), § 100 Rdnr. 66 ff; Semler, in: Bitter/Lutter/Priester/Schön/Ulmer, Festschrift für Karsten Schmidt, S. 1489, 1501 ff; ähnlich weitgehend auch Wardenbach, Interessenkonflikte und mangelnde Sachkunde, S. 200 ff, 259 ff. 631 Semler, in: Bitter/Lutter/Priester/Schön/Ulmer, Festschrift für Karsten Schmidt, S. 1489, 1501 f. 632 Semler, in: Bitter/Lutter/Priester/Schön/Ulmer, Festschrift für Karsten Schmidt, S. 1489, 1501 f. 633 Hopt/Roth, in: Großkommentar AktG, § 100 Rdnr. 20 ff; ähnlich auch Möllers, ZIP 1995, S. 1725, 1732 ff. 634 Hopt/Roth, in: Großkommentar AktG, § 100 Rdnr. 26. 635 Hopt/Roth, in: Großkommentar AktG, § 100 Rdnr. 28. 636 Hopt/Roth, in: Großkommentar AktG, § 100 Rdnr. 28.
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ander ergänzen. Ein Erfordernis für umfassende Mindestkenntnisse wird dann als überflüssig angesehen. cc) Stellungnahme Die Problematik um die Mindestvoraussetzungen für Aufsichtsratsmitglieder ist weder in der Rechtsprechung noch in der Literatur praxisgerecht gelöst. Die von der Rechtsprechung im Hertie-Urteil aufgestellten Grundsätze sind nachvollziehbar und richtig, sie sind allerdings unscharf und in der Praxis kaum verwendbar. Für (neue) Aufsichtsratsmitglieder herrscht ob der undurchschaubaren Situation und der Fülle der differenzierenden Ansichten eine erhebliche Unsicherheit.637 Es liegt auf der Hand, dass hinsichtlich des Mindeststandards keine allgemeingültige und verbindliche „Checkliste“ an zu erfüllenden Anforderungen aufgestellt werden kann. Jedoch ist es im Sinne von Rechtssicherheit und Rechtsklarheit unerlässlich, die nur formelhaften Beiträge zu konkretisieren. Ausgegangen werden soll dabei von der in der Hertie-Entscheidung638 aufgestellten Formel „daß ein Aufsichtsratsmitglied diejenigen Mindestkenntnisse und -fähigkeiten besitzen oder sich aneignen muß, die es braucht, um alle normalerweise anfallenden Geschäftsvorgänge auch ohne fremde Hilfe verstehen und sachgerecht beurteilen zu können.“ Auf dieser Grundlage sollen nachfolgend in Auseinandersetzung mit dem Streitstand in der Literatur überblicksartig grundlegende abstrakte Mindestvoraussetzungen für sämtliche Mitglieder des Überwachungsorgans aufgestellt werden. Auszugehen ist dabei von den üblichen Aufgaben des Aufsichtsrats. Die Fähigkeiten zur Bewältigung dieser Aufgaben muss der Aufsichtsrat wenigstens in Grundzügen aufweisen. In Anlehnung an Semler639 wird nachfolgend in Kenntnisse und Befähigung unterschieden. (1) Allgemeine Kenntnisse Um vernünftig zu überwachen, muss das Aufsichtsratsmitglied sich zunächst seiner Aufgabe und Stellung bewusst sein. Zu fordern sind grundlegende Kenntnisse über die Organisationsverfassung einer Aktiengesellschaft, sowie deren Organe und Berechtigungen. Insbesondere ist zu verlangen, dass ein Aufsichtsrat sich vor Amtsantritt über seine Aufgaben als Mitglied insbesondere im Verhältnis zum Vorstand informiert. Dabei muss ein grundsätzliches Verständnis über seine Rechte (Einsichts- und Informationsrechte, Erhalt von Vorstandsberichten, Einwirkung auf den Vorstand) wie auch seiner Pflichten (Mitwirkungspflichten, Einfordern von 637 So ist vollkommen unklar, ob „financial literacy“ gefordert werden kann; vehement dagegen Hopt/Roth, in: Großkommentar AktG, § 100 Rdnr. 26; dafür allerdings Baums, Bericht der Regierungskommission Corporate Governance, Rdnr. 310; Vetter, in: Marsch-Barner/ Schäfer, Handbuch börsennotierte AG, § 29 Rdnr. 57; Schwark, in: Hommelhoff/Lutter/ Schmidt/Schön/Ulmer, Corporate Governance, S. 75, 104. 638 BGH, Urt. v. 15. 11. 1982 – II ZR 27/82, BGHZ 85, 293, Rdnr. 10 (zitiert nach juris). 639 Semler, in: Bitter/Lutter/Priester/Schön/Ulmer, Festschrift für Karsten Schmidt, S. 1489, 1502.
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Berichten vom Vorstand, falls diese nicht unaufgefordert geliefert werden) vorhanden sein.640 Weniger grundsätzliche Vorschriften über die Aktiengesellschaft muss der Aufsichtsrat nicht im Detail kennen, wohl aber bei Bedarf in der Lage sein, sich entsprechendes Wissen binnen kürzester Zeit anzueignen oder zu verschaffen.641 Das Aufsichtsratsmitglied muss nicht nur seine Rechte zur Anforderung von Informationen kennen, sondern auch in der Lage sein, tatsächlich gelieferte Berichte, Daten und Statistiken auszuwerten und eigene Schlüsse hieraus zu ziehen.642 Dabei darf sich das Verständnis des einzelnen Mitglieds im Plenum gerade nicht darauf beschränken, die Berichte bloß nachzuvollziehen und bei anstehenden Entscheidungen Argumente von „anderen, spezieller sachkundigen Aufsichtsratsmitgliedern […] zu würdigen“.643 Ließe man dies zu, so würde die gemeinschaftliche Überwachung durch das Plenum darauf hinauslaufen, dass einige wenige versierte Mitglieder ihre Ansicht den übrigen Mitglieder so lange erläutern, bis diese die Vorzüge begreifen, mangels eigenen Sachverstands allerdings möglicherweise bestehende Nachteile nicht erkennen und diese nicht in ihre Bewertung einfließen lassen können.644 Bei einem dann eintretenden Schaden der Gesellschaft hafteten der Gesellschaft aber auch die „nicht speziell sachkundigen“645 Mitglieder auf Schadensersatz gemäß § 116 Satz 1 i.V.m. § 93 AktG, soweit sie nicht gegen die Maßnahme gestimmt haben. Freilich besteht eine solche Gefahr stets im Hinblick auf sämtliche Entscheidungen des Aufsichtsrats. Soll aber wenigstens bei den grundlegenden und regelmäßig wiederkehrenden Entscheidungen im Plenum eine Diskussionskultur gefördert werden, so darf die notwendige Voraussetzung für die Annahme des Amtes nicht ein bloßes Nachvollziehen der Vorstandsberichte und -informationen sein, sondern es muss ein grundsätzliches Verstehen vorausgesetzt werden. Wenn angeführt wird, es genüge, dass alle Mitglieder in ihrer Gesamtheit gemeinsam die notwendigen Kompetenzfelder abdecken,646 dann kann dem nur zugestimmt werden, soweit sich dies auf etwaige Spezialkenntnisse bezieht: Spezialkenntnisse müssen mitnichten von jedem Mitglied mitgebracht werden. Bei diesen Sonderkenntnissen genügt es, wenn sie von einigen Mitgliedern eingebracht werden. Für eine ganzheitliche kritische Überwachung ist es aber unerlässlich, dass alle Mitglieder über 640 So auch Wagner, in: Semler/von Schenck, Arbeitshandbuch für Aufsichtsratsmitglieder, § 2 Rdnr. 96 ff. 641 Semler, in: Bitter/Lutter/Priester/Schön/Ulmer, Festschrift für Karsten Schmidt, S. 1489, 1501 nennt hierfür Kapitalmaßnahmen als Beispiel. 642 Insofern ist die Befähigung zur bloßen Plausibilitätskontrolle zu eng gefasst. So aber Schwark, in: Hommelhoff/Lutter/Schmidt/Schön/Ulmer, Corporate Governance, S. 75, 105. Wie hier Möllers, ZIP 1995, S. 1725, 1733 f. 643 So aber Hopt/Roth, in: Großkommentar AktG, § 100 Rdnr. 28. 644 Dies meinen wohl auch Doralt/Doralt, in: Semler/von Schenck, Arbeitshandbuch für Aufsichtsratsmitglieder, § 13 Rdnr. 41, wenn sie richtigerweise vor den Gefahren des „Group Thinking“ im Aufsichtsrat warnen. 645 In Umkehrung der bei Hopt/Roth, in: Großkommentar AktG, § 100 Rdnr. 28, verwandten Terminologie. 646 Lutter, ZIP 2003, S. 417, 418; Möllers, ZIP 1995, S. 1725, 1733.
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Grundkenntnisse in den für die Überwachung grundlegenden Bereichen verfügen. Alles andere würde dazu führen, dass die nicht fachkundigen Mitglieder sich zurückziehen und die Kontrolle von Vorstandsberichten und Jahresabschlüssen den fachkundigen Mitgliedern überlassen. Das aber ist weder wünschenswert noch mit der anzuwendenden Sorgfaltspflicht eines Aufsichtsratsmitglieds zu vereinbaren. Neben den Vorstandsberichten stehen dem Aufsichtsrat auch die Bücher der Gesellschaft zur Selbstinformation offen.647 Außerdem hat der Aufsichtsrat den Jahresabschluss, den Lagebericht und den Vorschlag für die Verwendung des Bilanzgewinns zu prüfen und das Ergebnis der Hauptversammlung mitzuteilen (vgl. § 171 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1 AktG). Bei der Prüfung des Jahresabschlusses durch einen Abschlussprüfer hat dieser dem Aufsichtsrat über seine Ergebnisse zu berichten, § 171 Abs. 1 Satz 2 AktG. Aus § 107 Abs. 3 Satz 3 AktG ist abzuleiten, dass die aus § 171 AktG resultierenden Pflichten das Aufsichtsratsplenum treffen und nicht auf Ausschüsse delegierbar sind.648 Wenn das Plenum dafür verantwortlich ist, Bilanzen und Jahresabschlüsse zu überprüfen und einen entsprechenden Bericht der Hauptversammlung vorzustellen, so wird man bei jedem Mitglied des Organs wenigstens ein Mindestmaß an Sachkunde im Bereich Bilanzen und Rechnungslegung voraussetzen müssen. Freilich muss sich nicht jedes Mitglied besondere Fachkenntnisse angeeignet haben oder tiefgreifendes Wissen im Bereich der Buchführung und Rechnungslegung vorweisen können. Wohl aber muss bei jedem Mitglied ein so umfassendes Verständnis vorherrschen, dass bilanzielle Risiken, ggf. in Zusammenarbeit mit dem Abschlussprüfer, grundsätzlich erkannt bzw. nachvollzogen werden und Jahresabschluss und Lagebericht soweit nachvollzogen werden können, dass diese inhaltlich der Hauptversammlung erklärt werden können.649 Die (Höchst-)Grenze dessen, was von jedem Aufsichtsratsmitglied an bilanziellen Kenntnissen gefordert werden muss, ist in § 100 Abs. 5 AktG zu sehen. 647
Zur Reichweite vergleiche oben, S. 43 ff. Bereits deshalb ist die Auffassung von Möllers, ZIP 1995, S. 1725, 1733, die Überwachung des Plenums könne auf die Überwachung der Ausschüsse reduziert werden, nicht nur tatsächlich wenig wünschenswert sondern contra legem. 649 Ob man dies nun, wie Vetter, in: Marsch-Barner/Schäfer, Handbuch börsennotierte AG, § 29 Rdnr. 57 als „financial literacy“ bezeichnet oder nicht, spielt dabei keine Rolle. Entgegen der Ausführungen von Hopt/Roth, in: Großkommentar AktG, § 100 Rdnr. 26 handelt es sich bei dem Begriff nämlich sehr wohl um Grundwissen im Bereich der Rechnungslegung (vgl. dazu nur die Presidential Proclamation zum „National Financial Literacy Month“ vom 31. 05. 2011, Obama, Presidential Proclamation – National Financial Literacy Month, http://www.white house.gov/the-press-office/2011/03/31/presidential-proclamation-national-financial-literacymonth, Abruf vom 03. 06. 2013). Auch die Regierungskommission Deutscher Corporate Governance Kodex geht (entgegen der insoweit unklaren Ausführungen von Hopt/Roth, ebd.) von einer solchen, sich bereits aus dem Gesetz ergebenden Grundverpflichtung aus, vgl. Baums, Bericht der Regierungskommission Corporate Governance, Rdnr. 310; ebenso Schwark, in: Hommelhoff/Lutter/Schmidt/Schön/Ulmer, Corporate Governance, S. 75, 104; ähnlich auch Habersack, AG 2008, S. 98, 103, der zwischen „financial literacy“ aller Mitglieder des Prüfungsausschusses und dem „financial expert“ mit darüberhinausgehendem Sonderwissen differenziert. 648
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2. Teil: Folgen von Pflichtverletzungen
Demnach „muss mindestens ein unabhängiges Mitglied des Aufsichtsrats über Sachverstand auf den Gebieten Rechnungslegung oder Abschlussprüfung verfügen“. Entsprechend der Gesetzesbegründung setzt dies voraus, dass dieses Mitglied zuvor bereits beruflich mit Rechnungslegung und/oder Abschlussprüfung in Berührung gekommen ist – sei es aufgrund von seiner Tätigkeit als Steuer- oder Wirtschaftsberater, als Angestellter aus den Bereichen Finanzen und Controlling oder Angehörige von Prüfungsausschüssen oder Betriebsräten, wo es entsprechende Kenntnisse erworben hat.650 Aus diesen besonders gesetzlich normierten Voraussetzungen für ein besonderes Mitglied folgt mittelbar, dass derart hohe Anforderungen nicht an jedes Aufsichtsratsmitglied zu stellen sind (wobei ein solch erhöhtes Fachwissen für alle Aufsichtsratsmitglieder einer guten Corporate Governance nicht abträglich wäre). Ausreichend sind insoweit ein grundsätzliche Verständnis sowie die Fähigkeit, die Bilanzen und Abschlüsse soweit zu verstehen, dass grundlegende Fehler auffallen. Alle weiteren Detailkenntnisse, insbesondere in untypischen Unternehmenssituationen, werden nur durch das besonders qualifizierte Mitglied i.S.v. § 100 Abs. 5 AktG oder einem Mitglied mit besonderen Fachkenntnissen zu fordern sein. Es bleibt festzuhalten, dass eine eindeutige Definition dessen, was ein Aufsichtsratsmitglied als Mindestvoraussetzung beim Amtsantritt mitbringen muss, nicht pauschal festgelegt werden kann. Eindeutig ist aber, dass jedes Mitglied über Grundkenntnisse der aktienrechtlichen Strukturen sowie im Bereich Rechnungswesen/Bilanzen verfügen muss. Anderenfalls ist eine ordnungsgemäße Wahrnehmung der Überwachungsverpflichtung nicht möglich. Eine Orientierung für die Organmitglieder bilden die in § 107 Abs. 3 Satz 3 AktG verankerten Pflichten, die vom Aufsichtsratsplenum wahrzunehmen sind. Wenigstens dort, wo ein Delegationsverbot auf Ausschüsse besteht, müssen alle Mitglieder die notwendige Sachkompetenz aufweisen, um die im Rahmen dieser Fragestellungen regelmäßig aufkommenden Probleme eigenständig und kritisch zu hinterfragen; anderenfalls wäre mit der Zuweisung der Pflichten an das Gremium nichts gewonnen. Eine Verfügbarkeit der Mindestkenntnisse verteilt auf sämtliche Aufsichtsratsmitglieder genügt nicht. (2) Erfahrung Fraglich ist, ob von einem Aufsichtsratsmitglied eine irgendwie geartete wirtschaftliche Erfahrung verlangt werden kann. Eine solche Erfahrung wird teilweise gefordert651 und damit begründet, dass eine Vielzahl der Entscheidungen des Aufsichtsrats Ermessenentscheidungen seien. Dabei sei erforderlich, dass die einzelnen Mitglieder auf Erfahrungen im Bereich der Verantwortungsleitung zurückblicken könnten, um die Auswirkung von Entscheidungen besser nachvollziehen zu kön650
Vgl. BT-Drs. 16/10067, S. 101 li. Sp. Spindler, in: Spindler/Stilz, AktG, § 100 Rdnr. 48; Semler, in: Bitter/Lutter/Priester/ Schön/Ulmer, Festschrift für Karsten Schmidt, S. 1489, 1502; Wagner, in: Semler/von Schenck, Arbeitshandbuch für Aufsichtsratsmitglieder, § 2 Rdnr. 83. 651
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nen.652 Dagegen ist angeführt worden, das Erfordernis eines unternehmerischen Hintergrunds verhindere, dass die Aktionäre ihre eigene Vorstellung einer guten Aufsichtsratsstruktur durchsetzen und sei überdies „überreguliert und sachlich verfehlt“.653 In der Tat erscheint es nicht gänzlich konfliktfrei, von den Mitgliedern des Aufsichtsrats generell zu fordern, dass sie eine gewisse unternehmerische Erfahrung aufweisen. Hierdurch könnte es im Einzelfall dazu kommen, dass trotz sachlich einwandfreier Qualifikation eine Schadensersatzpflicht wegen nicht hinreichender Erfüllung der Mindestqualifikationen bei Amtsantritt eintreten könnte.654 Weder das Gesetz noch die Rechtsprechung gehen von einer besonderen Erfahrung der Mitglieder aus. Auf der anderen Seite sprechen gewichtige Gründe dafür, ein Mindestmaß an (unternehmerischer) Erfahrung und Verantwortung zu fordern. Wie Semler655 zutreffend ausführt, handelt es sich bei einer Vielzahl von Entscheidungen des Aufsichtsrats um Abwägungsentscheidungen, die nicht einer Bewertung von „richtig“ oder „falsch“ zugänglich sind. Zur Beurteilung solcher offenen Abwägungen ist ein angemessenes Maß an Erfahrung außerordentlich hilfreich, wenn nicht sogar notwendig. In der Praxis wird die (fehlende) unternehmerische Erfahrung eines Aufsichtsratsmitglieds allerdings wohl keine Rolle spielen. Zum einen ist das Aufsichtsratsmandat ein Nebenamt, weshalb jedes Mitglied einem hauptamtlichen Beruf nachgeht. Bereits dort wird eine gewisse (unternehmerische) Verantwortung erlernt worden sein – sei es aufgrund einer vorherigen Tätigkeit als Aufsichtsrat, in der Rechts- oder Wirtschaftsberatung von Unternehmen und Unternehmern oder aber aufgrund von Personal- oder Sachverantwortung als Arbeitnehmer.656 Eine darüber hinausgehende Erfahrung wird man mit Blick auf mitbestimmte Aktiengesellschaften nicht fordern können. Dass ein Berufsunerfahrener ohne unternehmerische oder personalleitende Erfahrung einen Posten als Aufsichtsratsmitglied einer Aktiengesellschaft übernimmt, dürfte daher wohl eher den Ausnahmefall darstellen, insbesondere aber bei Arbeitnehmervertretern vereinzelt vorkommen. Als Konsequenz fehlender Erfahrung kommt allein eine Innenhaftung des Mitglieds gegenüber der Gesellschaft nach § 116 Satz 1 i.V.m. § 93 AktG in Frage. Der Wahlbeschluss ist trotz Fehlen der entsprechenden Voraussetzungen nicht anfechtbar.657 Für eine Haftung ist aber ein kausaler Zusammenhang der Pflichtverletzung (hier: Über652 Semler, in: Bitter/Lutter/Priester/Schön/Ulmer, Festschrift für Karsten Schmidt, S. 1489, 1502. 653 Hopt/Roth, in: Großkommentar AktG, § 100 Rdnr. 24. 654 Zur Rechtsfolge der nicht hinreichenden Erfüllung der Mindestqualifikationen siehe unten, S. 162 f. 655 Semler, in: Bitter/Lutter/Priester/Schön/Ulmer, Festschrift für Karsten Schmidt, S. 1489, 1502. 656 Ähnliche Beispiele führt auch bereits bei Semler, in: Bitter/Lutter/Priester/Schön/Ulmer, Festschrift für Karsten Schmidt, S. 1489, 1502. 657 Sogleich unten, S. 158 ff.
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2. Teil: Folgen von Pflichtverletzungen
nahme des Amts obgleich die dafür notwendige Erfahrung bei Amtsantritt nicht vorliegt) mit dem bei der Gesellschaft eingetretenen Schaden erforderlich. Eine solche Kausalverknüpfung setzt aber voraus, dass der Schaden nicht eingetreten wäre, wenn das Organmitglied über die notwendige und hinreichende Erfahrung bei Amtsantritt verfügt hätte. Dies wird im Regelfall wohl nicht zweifelsfrei feststellbar sein, sodass die Haftungsrelevanz dieser Anforderung nicht überschätzt werden sollte. Mithin ist als Qualifikation für ein Aufsichtsratsmitglied unternehmerische Erfahrung wünschenswert und in vielen Fällen zur Bewältigung der anfallenden Überwachungsaufgaben auch erforderlich, allerdings spielt dieses Erfordernis aus haftungs- und rechtstatsächlicher Sicht keine Rolle. Das Argument, es trete durch dieses Erfordernis eine zu starke Verengung ein, sodass viele potentielle Mitglieder diesen Anforderungen nicht gerecht werden könnten,658 ist daher zurückzuweisen. (3) Abhängigkeit von Marktumfeld und Unternehmenslage Die Mindestkenntnisse sind freilich auch durch die Stellung des Unternehmens am Markt nach der jeweiligen Branche und dessen wirtschaftlicher Stärke bedingt.659 Es ist unerlässlich, dass die Mitglieder des Aufsichtsrats die Produkte und Dienstleistungen des Unternehmens kennen und ihre Herstellung und den Vertrieb in groben Zügen begreifen. Freilich wird von den Mitgliedern des Aufsichtsrats eines internationalen Chemiekonzerns nicht die Herleitung des Herstellungsprozesses verlangt werden können. Wohl aber darf vorausgesetzt werden, dass grundsätzliche Kenntnisse über das Produkt sowie die Markstellung des Unternehmens und seine Wettbewerber vorhanden sind.660 Die Aufsichtsratsmitglieder einer Großbank – und zwar alle Mitglieder – müssen beispielsweise ein grundsätzliches Verständnis für die Finanzprodukte des zu überwachenden Unternehmens aufweisen. Dabei ist insbesondere auch ein kritisches Verständnis von Risikopositionen zu fordern. Bei einem sich in der Krise befindlichen Unternehmen wird man zudem verlangen müssen, dass sich die Aufsichtsratsmitglieder mit Möglichkeiten alternativer Unternehmensfinanzierung zu beschäftigen in der Lage sind.661 Die Mindestkenntnisse für Aufsichtsratsmitglieder sind insofern nicht allgemeingültig für alle Unternehmen oder bestimmte Branchen bestimmbar, sondern beziehen sich stets einzelfallbezogen auf ein konkretes Unternehmen.662 658
Hopt/Roth, in: Großkommentar AktG, § 100 Rdnr. 24. Wenzel/Kurfels, Der Aufsichtsrat 2010, S. 101, 102; Wagner, in: Semler/von Schenck, Arbeitshandbuch für Aufsichtsratsmitglieder, § 2 Rdnr. 86. 660 von Werder/Wieczorek, DB 2007, S. 297, 299. 661 Dass entsprechende Kenntnisse bei Amtsantritt vorhanden sein müssen, gilt in solchen Fällen freilich nur dann, wenn sich das Unternehmen bereits zu diesem Zeitpunkt in einer Krise befand. Soweit dies nicht der Fall war, müssen entsprechende Kenntnisse ggf. nachträglich erworben werden. 662 So auch Hoffmann/Preu, Der Aufsichtsrat, Rdnr. 519.3. 659
A. Die Innenhaftung der Aufsichtsratsmitglieder
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Da sich die äußeren Faktoren und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen schnell ändern können, wird eine gewisse Anpassung des Fachwissens der Aufsichtsratsmitglieder an die neue Lage des Unternehmens zu fordern sein. Ändert das Unternehmen grundlegend seine angebotenen Produkte, oder kommen wesentliche neue Sparten, beispielsweise durch den Erwerb eines anderen Unternehmens, hinzu, so muss sich auch der Aufsichtsrat hieran anpassen und sich nötigenfalls Informationen über die neuen Produkte und das neue Marktumfeld verschaffen. In diesem Sinne ist die Formulierung des Bundesgerichtshofs,663 dass „[…] ein Aufsichtsratsmitglied diejenigen Mindestkenntnisse und -fähigkeiten besitzen oder sich aneignen muß […]“ zu verstehen. Die Formulierung sorgt bisweilen zu Missverständnissen und Unklarheit, da sie häufig dahingehend verstanden wird, dass die Mindestqualifikationen nicht bereits bei Amtsantritt vorliegen müssen, sondern dass es ausreiche, dass die Anforderungen erst während der Mandatsausübung erlernt werden.664 Ein solches Verständnis widerspricht aber aus zweierlei Gründen dem Modell des objektiv-typisierten Haftungsmaßstabs: Zum einen entstünde dann ein Aufsichtsrat, bei dem gerade (wenigstens zunächst) nicht sämtliche Mitglieder in der Lage wären, beispielsweise die Vorstandsberichte kritisch zu hinterfragen. Das Delegationsverbot des § 107 Abs. 3 Satz 3 AktG und die damit verbundene Plenumsverantwortlichkeit für wesentliche Überwachungsaufgaben machen aber keinen Sinn, wenn das Plenum zur Aufgabenerfüllung gar nicht in der Lage ist. Zum zweiten käme es zu einem „Anlernen“ der unerfahrenen Mitglieder durch diejenigen mit mehr Erfahrung und Fachwissen. Eine Heterogenität, wie sie für eine Arbeit im Aufsichtsrat aber zwingende Voraussetzung ist, wäre gerade nicht gegeben, da es – mangels abweichender Fachkenntnis und Qualifikation der zunächst unerfahreneren Mitglieder – gar nicht zu einer Diskussion mit konträren Standpunkten kommen würde. Ferner wäre das einzelne Mitglied bis zum Zeitpunkt des Vorhandenseins aller Kenntnisse gar nicht in der Lage, die ihm übertragene Überwachungsaufgabe in hinreichendem Maße auszufüllen. Zur Vermeidung solcher Missstände ist daher zu fordern, dass die Mindestqualifikationen für alle Mitglieder bei Amtsantritt vorliegen. Das Aneignen weiterer Kenntnisse ist nur dann zu einem späteren Zeitpunkt möglich und gleichzeitig auch erforderlich, wenn sich die Anforderungen an die Mindestqualifikation aufgrund externer Faktoren verändert haben.665
663
BGH, Urt. v. 15. 11. 1982 – II ZR 27/82, BGHZ 85, 293, Rdnr. 10 (zitiert nach juris). Hopt/Roth, in: Großkommentar AktG, § 100 Rdnr. 108; in diese Richtung wohl auch Baums, Bericht der Regierungskommission Corporate Governance, Rdnr. 311; wie hier aber Wagner, in: Semler/von Schenck, Arbeitshandbuch für Aufsichtsratsmitglieder, § 2 Rdnr. 84; zuvor bereits Semler, in: Münchener Kommentar AktG, 2. Aufl. 2004 (Voraufl.), § 100 Rdnr. 85. 665 Siehe hierzu und zur Unterscheidung in Aus- und Fortbildungskosten LeyendeckerLagner/Huthmacher, NZG 2012, S. 1415, 1416 f; zustimmend Merkelbach, Der Konzern 2013, S. 227, 231. 664
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2. Teil: Folgen von Pflichtverletzungen
dd) Rechtsfolge der Nichterfüllung der Mindestvoraussetzungen (1) Keine Unwirksamkeit der Bestellung wegen fehlender Qualifikation eines Aufsichtsratsmitglieds Fraglich ist, ob die Bestellung eines Aufsichtsratsmitglieds, das die notwendigen Mindestqualifikationen nicht in hinreichendem Maße erfüllt, rechtswirksam ist. Die Bestellung von Aufsichtsratsmitgliedern erfolgt durch Wahl der Hauptversammlung, soweit keine Sonderregeln der Mitbestimmung eingreifen (vgl. § 101 Abs. 1 AktG). Die Wahl erfolgt auf Vorschlag des Aufsichtsrats (§ 124 Abs. 3 Satz 1 AktG). Das Gesetz nennt in § 100 Abs. 1 und Abs. 2 AktG einige persönliche Voraussetzungen und Ausschlussgründe, die in der Person des Kandidaten für das Amt als Aufsichtsratsmitglied erfüllt sein müssen (natürliche, unbeschränkt geschäftsfähige Person, § 100 Abs. 1 AktG) bzw. nicht vorliegen dürfen (kein Überschreiten des Höchstmandatszahl, kein gesetzlicher Vertreter eines abhängigen Unternehmens, kein Unterschreiten der zweijährigen Cooling-Off Periode). Liegen diese Voraussetzungen nicht vor, leidet die Wahl des Mitglieds durch die Hauptversammlung an einem so gravierenden Fehler, dass sie nichtig ist, vgl. § 250 Abs. 1 Nr. 4 AktG. Die erst durch die Rechtsprechung und Literatur entwickelten und konkretisierten Mindestanforderungen an die Aufsichtsratsmitglieder sind weder in § 100 AktG noch in § 250 AktG aufgeführt. Liegen die Voraussetzungen nicht vor, hat dies daher nach ganz überwiegender und richtiger Ansicht keine Auswirkung auf die Rechtswirksamkeit der Wahl des betreffenden Mitglieds.666 Eine Gegenansicht nimmt bei Nichterfüllen der Mindestqualifikationen eine Unwirksamkeit der Bestellung des betreffenden Mitglieds an.667 Zurückgeführt wird dies darauf, dass der historische Gesetzgeber ursprünglich davon ausgegangen sei, dass die Aufsichtsratsmitglieder grundsätzlich über den nötigen Sachverstand zur Erfüllung der Überwachungsaufgaben verfügten und daher auf eine entsprechende Regelung verzichtet habe.668 Dass § 100 AktG 1965 die Mindestvoraussetzungen nicht enthalte, sei insofern als Versehen des Gesetzgebers anzusehen.
666 Semler, in: Bitter/Lutter/Priester/Schön/Ulmer, Festschrift für Karsten Schmidt, S. 1489, 1494; Hopt/Roth, in: Großkommentar AktG, § 100 Rdnr. 20; Koch, in: Hüffer, AktG, § 100 Rdnr. 2; Vetter, in: Marsch-Barner/Schäfer, Handbuch börsennotierte AG, § 25 Rdnr. 2; Hoffmann-Becking, in: Hoffmann-Becking, Münchener Handbuch des Gesellschaftsrechts, Bd. 4, § 30 Rdnr. 2a; Geßler, in: Geßler/Hefermehl, AktG, § 100 Rdnr. 10; Götz, AG 1995, S. 337, 345; Dreher, in: Ebenroth/Hesselberger/Rinne, Verantwortung und Gestaltung, S. 71, 73; Schwark, in: Hommelhoff/Lutter/Schmidt/Schön/Ulmer, Corporate Governance, S. 75, 104. 667 Wardenbach, Interessenkonflikte und mangelnde Sachkunde, S. 262 ff; ähnlich auch Bollweg, Die Wahl des Aufsichtsrats in der Hauptversammlung der Aktiengesellschaft, S. 111 ff. 668 Eindrucksvoll die Nachweise bei Wardenbach, Interessenkonflikte und mangelnde Sachkunde, S. 167 ff.
A. Die Innenhaftung der Aufsichtsratsmitglieder
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Die Argumentation, die fehlende Erwähnung der Mindestqualifikation lasse eine Berücksichtigung auf Haftungsebene, nicht aber als Bestellungsvoraussetzung nicht zu,669 verfängt nicht. Als Bestellungsvoraussetzung gilt nur, was der Gesetzgeber als solche festlegt. Der Gesetzgeber hat jedoch darauf verzichtet, einen Mindestkanon an zu erfüllenden Voraussetzungen zu statuieren. Somit kann auch ein fachlich ungeeigneter Kandidat grundsätzlich in den Aufsichtsrat gewählt werden. Einer Berücksichtigung dieser nicht ausreichenden Sachkenntnis auf Haftungsebene steht dies allerdings nicht entgegen. § 116 Satz 1 i.V.m. § 93 AktG verpflichtet die Organmitglieder zur entsprechenden Anwendung der Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters. Wer nicht die notwendige Fachkompetenz aufweist, muss sich dies jedoch – unabhängig von der Ordnungsgemäßheit seiner Bestellung – als Übernahmeverschuldens, vorwerfen lassen. Wollte man die Mindestqualifikationen als Bestellungsvoraussetzung begreifen, so müsste vorab eine entsprechende Prüfung stattfinden. Dies ist aber schon deshalb nicht möglich, weil nicht klar ist, wer zu einer solchen Prüfung berufen sein soll. Die Hauptversammlung erklärt schließlich durch den Bestellungsbeschluss, dass sie von den Fähigkeiten des Mitglieds – und damit auch dem Vorliegen der notwendigen Mindestqualifikationen – überzeugt ist. Zum anderen fehlt ein fester Maßstab anhand dessen sich eine entsprechende Bewertung vornehmen ließe. Die Bewertung der Pflichtwidrigkeit des Handelns steht somit in keiner Verbindung zur Ordnungsgemäßheit der Bestellung. Mit der ganz überwiegenden Ansicht sind die Mindestanforderungen an die Aufsichtsratsmitglieder nicht als Voraussetzung für deren Bestellung anzusehen. (2) Anfechtung der Bestellung? Fraglich ist, ob die Wahl eines nicht hinreichend qualifizierten Aufsichtsratsmitglieds anfechtbar ist. Teilweise wird eine solche Anfechtbarkeit in Extremfällen zugelassen, da die Wahl eines offenkundig gänzlich ungeeigneten Kandidaten die Interessen der Aktiengesellschaft verletzte.670 In einem solchen Fall soll eine Anfechtung wegen Gesetzesverletzung nach § 243 Abs. 1 AktG erfolgen; die §§ 250, 251 AktG seien im Fall der krassen Nichterfüllung von Mindestvoraussetzungen nicht anwendbar.671 Ob eine Anfechtungsmöglichkeit besteht, ist allerdings überaus fraglich. § 250 Abs. 1 Nr. 4 AktG statuiert die Nichtigkeit der Aufsichtsratsbestellung bei Nichterfüllung grundlegender persönlicher Voraussetzungen (vgl. zu diesen Voraussetzungen § 100 AktG). Die Anfechtung der Wahl von Aufsichtsratsmitgliedern ist in § 251 Abs. 1 Satz 1 AktG niedergelegt. Demnach ist eine Anfechtung nur dann möglich, wenn ein 669
So aber Wardenbach, Interessenkonflikte und mangelnde Sachkunde, S. 175. Semler, in: Bitter/Lutter/Priester/Schön/Ulmer, Festschrift für Karsten Schmidt, S. 1489, 1496; zweifelnd Spindler, in: Spindler/Stilz, AktG, § 100 Rdnr. 39; ablehnend Hopt/ Roth, in: Großkommentar AktG, § 100 Rdnr. 109. 671 Semler, in: Bitter/Lutter/Priester/Schön/Ulmer, Festschrift für Karsten Schmidt, S. 1489, 1496, dort Fn. 19; anders aber noch ders., in: Münchener Kommentar AktG, 2. Aufl. 2004 (Voraufl.), Rdnr. 109 dort Fn. 188. 670
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2. Teil: Folgen von Pflichtverletzungen
Verstoß gegen Gesetz oder Satzung vorliegt. Fraglich ist aber, ob mit dem Wahlbeschluss eines nicht hinreichend qualifizierten Kandidaten auch automatisch eine Gesetzes- oder Satzungsverletzung vorliegt. Die Mindestvoraussetzungen sind gesetzlich nicht geregelt, weshalb eine Nichterfüllung nicht gleichzeitig einen Gesetzesverstoß i.S.v. § 251 AktG bedeutet.672 Wenn Semler673 davon spricht, dass die Wahl eines nicht hinreichend qualifizierten Mitglieds eine Interessenverletzung der Aktiengesellschaft bedeute, dann mag dies zutreffen, begründet allerdings keinen Gesetzes- oder Satzungsverstoß durch die Hauptversammlung i.S.v. § 251 Abs. 1 Satz 1 AktG. Hinzukommt, dass nicht jeder Gesetzesverstoß zu einer Abberufung führen kann: Ist eine gerichtliche Abberufung (§ 103 Abs. 3 Satz 1 AktG) nur möglich, wenn ein wichtiger Grund im abzuberufenden Aufsichtsratsmitglied vorliegt, so muss die bei Vorliegen der Voraussetzungen ipso iure eintretende Nichtigkeit wenigstens ebenfalls die Schwelle eines wichtigen Grundes erreicht haben.674 Eine Anfechtung des Wahlbeschlusses aufgrund einer nicht hinreichenden Qualifikation des Mitglieds kommt nur dann in Betracht, wenn in der Satzung der Aktiengesellschaft Mindestvoraussetzungen für Aufsichtsratsmitglieder niedergelegt und diese Voraussetzungen nicht erfüllt sind. In diesem Fall besteht eine Anfechtbarkeit des Wahlbeschlusses wegen eines Satzungsverstoß nach § 251 Abs. 1 Satz 1 2. Variante AktG.675 Im Übrigen sind die allgemeinen Anfechtungsvorschriften der §§ 243 ff AktG auf Wahlbeschlüsse nur anwendbar, soweit auf diese verwiesen wird.676 Eine Anfechtung kann also weder auf § 243 Abs. 1 AktG noch auf § 251 AktG gestützt werden. (3) Gerichtliche Abberufung aus wichtigem Grund? Da die Bestellung eines nicht ausreichend qualifizierten Mitglieds weder einen Unwirksamkeits- noch einen Nichtigkeitsgrund darstellt, ist fraglich, ob und inwieweit eine gerichtliche Abberufung des Mitglieds in Frage kommt (§ 103 Abs. 3 AktG). Eine Abberufung durch das Gericht erfolgt, wenn ein entsprechender Beschluss des Aufsichtsrats dem Gericht vorliegt und in der betreffenden Person ein wichtiger Grund besteht, der einen Ausschluss rechtfertigt (§ 103 Abs. 3 Satz 1 672 So auch Hoffmann-Becking, in: Hoffmann-Becking, Münchener Handbuch des Gesellschaftsrechts, Bd. 4, § 30 Rdnr. 2a; Habersack, in: Münchener Kommentar AktG, § 100 Rdnr. 55; Hopt/Roth, in: Großkommentar AktG, § 100 Rdnr. 29, a.A. aber Wardenbach, Interessenkonflikte und mangelnde Sachkunde, S. 262 ff. 673 Semler, in: Bitter/Lutter/Priester/Schön/Ulmer, Festschrift für Karsten Schmidt, S. 1489, 1496. 674 So auch Simons, in: Hölters, AktG, § 251 Rdnr. 5, der die Relevanz des Gesetzesverstoßes als Voraussetzung für eine Anfechtungsklage nennt; ähnlich auch Hüffer, in: Münchener Kommentar AktG, § 251 Rdnr. 7. 675 Schwab, in: Schmidt/Lutter, AktG, § 251 Rdnr. 1; Habersack, in: Münchener Kommentar AktG, § 100 Rdnr. 57. 676 LG Mannheim, Urt. v. 17. 01. 1990 – 27 O 9/89, AG 1991, S. 29 f; Hüffer, in: Geßler/ Hefermehl, AktG, § 251 Rdnr. 1; Koch, in: Hüffer, AktG, § 251 Rdnr. 1; Simons, in: Hölters, AktG, § 251 Rdnr. 1.
A. Die Innenhaftung der Aufsichtsratsmitglieder
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AktG). Bei Anteilseignervertretern kann der Antrag an das Gericht auch von einer Aktionärsminderheit, die zehn Prozent des Grundkapitals oder den anteiligen Betrag von einer Million Euro erreicht, gestellt werden (§ 103 Abs. 3 Satz 3 AktG). Für eine Abberufung wegen Fehlens der notwendigen Kenntnisse und Voraussetzungen zur sachgerechten Erfüllung der Aufgaben als Aufsichtsratsmitglied ist damit zunächst ein wichtiger Grund in der Person des entsandten Mitglieds erforderlich. Fraglich ist, ob die fehlende Qualifikation als ein eine Abberufung rechtfertigender wichtiger Grund angesehen werden kann. Dies ist dann der Fall, wenn der Verbleib des Mitglieds bis zum regulären Ablauf seiner Amtszeit für die Aktiengesellschaft unzumutbar ist;677 ein besonders gesellschaftswidriges Verhalten ist nach heute vorherrschender Ansicht nicht (mehr) erforderlich.678 Fraglich ist also, ob es durch die fehlende Qualifikation für die Aktiengesellschaft schlechterdings nicht zumutbar ist, bis zum regulären Ablauf der Amtszeit abzuwarten. In der Literatur wird vertreten, dass die Unfähigkeit des Aufsichtsratsmitglieds, die ihm übertragenen Aufgaben ordnungsgemäß auszuüben, einen wichtigen Grund i.S.v. § 103 Abs. 3 Satz 1 AktG darstellt.679 Unfähigkeit zur Mandatsausübung sei dabei nicht auf körperliche Unfähigkeit (beispielsweise durch lange Krankheit) beschränkt, sondern umfasse sämtliche Ursachen, aufgrund derer ein Aufsichtsratsmitglied nicht in der Lage ist, seiner (Überwachungs-)Aufgabe nachzukommen. Richtigerweise fällt darunter auch die Unfähigkeit aufgrund des Fehlens hinreichender Kenntnisse in fachlicher Hinsicht. Wie erläutert sind die Mindestqualifikationen die grundlegenden Voraussetzungen, um die Arbeit als Aufsichtsratsmitglied ordnungsgemäß und sachgemäß ausüben zu können. Weist ein Mitglied diese entsprechenden Kenntnisse nicht oder nicht in ausreichendem Maße auf, so ist es nicht in der Lage, seiner Überwachungsaufgabe gerecht zu werden. Es macht insofern keinen Unterschied, ob das Mitglied aufgrund fehlender Fachkenntnis trotz Anwesenheit nicht in der Lage ist, den Diskussionen und Gedankengängen im Aufsichtsrat zu folgen, oder ob es aufgrund von langer Krankheit an den Sitzungen nicht teilnehmen kann. In beiden Fällen steht der Gesellschaft und dem Aufsichtsrat ein Organmitglied faktisch nicht 677 OLG Hamburg, Urt. v. 23. 01. 1990 – 11 W 92/89, NJW-RR 1990, S. 673, 674; OLG Frankfurt, Urt. v. 01. 10. 2007 – 20 W 141/07, NZG 2008, S. 272; LG Frankfurt, Urt. v. 13. 10. 1986 – 3/11 T 29/85, NJW 1987, S. 505; Drygala, in: Schmidt/Lutter, AktG, § 103 Rdnr. 14; Mertens/Cahn, in: Kölner Kommentar AktG, § 103 Rdnr. 33; Habersack, in: Münchener Kommentar AktG, § 103 Rdnr. 39; Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats, Rdnr. 933; Hoffmann-Becking, in: Hoffmann-Becking, Münchener Handbuch des Gesellschaftsrechts, Bd. 4, § 30 Rdnr. 59; Hoffmann/Kirchhoff, in: Beisse/Lutter/Närger/ Beusch, Festschrift für Karl Beusch, S. 377, 381. 678 Spindler, in: Spindler/Stilz, AktG, § 103 Rdnr. 32; Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats, Rdnr. 933; Drygala, in: Schmidt/Lutter, AktG, § 103 Rdnr. 14; Habersack, in: Münchener Kommentar AktG, § 103 Rdnr. 40. 679 Ulmer/Habersack, in: Ulmer/Habersack, MitbestR, § 6 Rdnr. 71; Habersack, in: Münchener Kommentar AktG, § 103 Rdnr. 39; Geßler, in: Geßler/Hefermehl, AktG, Rdnr. 38; Hoffmann-Becking, in: Hoffmann-Becking, Münchener Handbuch des Gesellschaftsrechts, Bd. 4, § 30 Rdnr. 59; in Extremfällen wohl auch Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats, Rdnr. 933.
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2. Teil: Folgen von Pflichtverletzungen
zur Verfügung; die Überwachungsaufgabe wird nicht im gesetzlich vorgesehenen Umfang durchgeführt. Das Nichterfüllen der Mindestvoraussetzungen kann insofern einen wichtigen Grund i.S.v. § 103 Abs. 3 Satz 1 AktG darstellen und damit eine Abberufung rechtfertigen.680 Vor dem Hintergrund der bei § 103 Abs. 3 Satz 1 AktG notwendigen Abwägungsentscheidung, ob ein Zuwarten bis zum regulären Ablauf der Amtszeit der Gesellschaft (nicht) zugemutet werden kann, ist ein wichtiger Grund für die Abberufung nur dann anzunehmen, wenn ein krasser Verstoß gegen die Mindestanforderungen zu verzeichnen ist, sodass praktisch keinerlei Kenntnisse vorhanden sind. In Fällen fehlender Einzelkenntnisse wird man eine Abberufung jedenfalls dann nicht für zwingend erforderlich halten müssen, wenn das Mitglied sich dazu bereit zeigt, die fehlenden Kenntnisse umgehend anzueigenen.681 Eine Leitlinie, das Fehlen welcher Voraussetzungen eine Abberufung zu rechtfertigen vermag, verbietet sich dabei ebenso, wie eine Auflistung aller erforderlicher Qualifikationen. Es handelt sich um eine die jeweilige Gesellschaft und den individuellen Sachverhalt betreffende Einzelfallentscheidung des zuständigen Gerichts, die einer schematischen Lösung nicht zugänglich ist. (4) Haftung Wenn nun fehlende sachliche Qualifikationen eines Mitglieds des Aufsichtsrats nicht zu einer Unwirksamkeit der Bestellung führen, der Aufsichtsrat diese Person aber der Hauptversammlung zur Wahl in den Aufsichtsrat vorgeschlagen hat, so ist fraglich, ob dies haftungsrechtliche Konsequenzen nach sich zieht. Zu unterscheiden ist dabei in die Haftung aller Aufsichtsratsmitglieder wegen eines nicht ordnungsgemäßen Wahlvorschlags und die Haftung des nicht hinreichend qualifizierten Mitglieds wegen Übernahme des Mandats trotz nicht ausreichender Kenntnis. (a) Der Aufsichtsrat: Haftung für Wahlvorschlag? Der Aufsichtsrat ist verpflichtet, in der Einladung zur Hauptversammlung der Aktiengesellschaft zum Tagesordnungspunkt der Wahl neuer Aufsichtsratsmitgliedern Vorschläge zur Beschlussfassung zu machen (§ 124 Abs. 3 Satz 1 AktG). Soweit auch Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat vertreten sind, genügt für den Beschlussvorschlag die Mehrheit der Stimmen der Aktionärsvertreter im Aufsichtsrat (§ 124 Abs. 3 Satz 4 AktG). Der Wahlvorschlag hat für die Hauptversammlung keine bindende Wirkung; diese kann auch andere Kandidaten als die vom Aufsichtsrat vorgeschlagenen wählen (§ 101 Abs. 1 Satz 2 AktG). Allerdings kann auf den Vorschlag seitens des Aufsichtsrats nicht verzichtet werden – ohne Vorschlag ist der 680
Ebenso Hopt/Roth, in: Großkommentar AktG, § 100 Rdnr. 27; 109; Habersack, in: Münchener Kommentar AktG, § 103 Rdnr. 39. 681 Die Frage, ob eine Abberufung zwingend erforderlich ist, hat freilich keine Auswirkung auf die Frage der Haftung des Mitglieds wegen Übernahmeverschuldens aufgrund fehlender Qualifikationen. Auch hat dies keine Auswirkung auf die mögliche Gebotenheit einer Amtsniederlegung.
A. Die Innenhaftung der Aufsichtsratsmitglieder
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dennoch gefasste Hauptversammlungsbeschluss anfechtbar.682 Da es sich bei § 124 Abs. 3 Satz 1 AktG um eine Pflicht des Aufsichtsrats handelt, haben seine Mitglieder hierzu auch die notwendige Sorgfalt entsprechend einem ordentlichen und gewissenhaften Aufsichtsratsmitglied anzuwenden (§ 116 Satz 1 i.V.m. § 93 AktG). Für die Tätigkeit als Aufsichtsrat besteht das Erfordernis des Vorliegens der vom Bundesgerichtshof aufgestellten und durch die Literatur konkretisierten Mindestqualifikationen. Das Aufsichtsratsplenum hat sich bei Fassung seines Beschlussvorschlags i.S.v. § 124 Abs. 3 Satz 1 AktG an diesen Vorgaben zu orientieren. Im Wahlvorschlag dürfen daher nur solche Personen als neue Organmitglieder der Hauptversammlung vorgeschlagen werden, die die Mindestqualifikationen erfüllen. Schlägt der Aufsichtsrat ungeeignete Mitglieder vor, so handelt er nicht pflichtgemäß.683 Auch wenn dem Aufsichtsrat in Personalfragen grundsätzlich ein weites Ermessen zusteht,684 so liegt jedenfalls dann eine Ermessensüberschreitung vor, wenn der Aufsichtsrat im Wahlbeschluss ein gänzlich ungeeignetes Mitglied vorschlägt. In diesem Fall machen sich die Aufsichtsratsmitglieder, wenn der Gesellschaft aufgrund der fehlerhaften Qualifikation des betreffenden Mitglieds ein nachweisbarer Schaden entsteht, möglicherweise ersatzpflichtig nach § 116 Satz 1 i.V.m. § 93 AktG.685 Die vorwerfbare Pflichtverletzung liegt dabei ausschließlich im Vorschlag eines ungeeigneten Kandidaten. Die Wahl durch die Hauptversammlung vermag den Aufsichtsrat insoweit nicht zu entlasten und kann die Pflichtverletzung durch das Gremium nicht beseitigen.686 Allerdings bleibt auch hier zu beachten, dass zum einen eine Ersatzpflicht ausschließlich dann eintreten kann, wenn tatsächlich ein nachweisbarer Schaden vorliegt. Der Nachweis eines Schadenseintrittes durch die fehlende Qualifikation nur eines Aufsichtsratsmitglieds wird sich in der Praxis allerdings als überaus schwierig gestalten, wenn nicht unmöglich sein. Die Problematik der praktischen Nachweisbarkeit eines kausalen Schadens ist aber im Einzelfall zu behandeln und vermag die Haftung nicht schlechthin auszuschließen. Zum zweiten ist eine Haftung selbstverständlich nur dann möglich, wenn das betreffende Mitglied vom Aufsichtsrat vorgeschlagen und anschließend auch tatsächlich von der Hauptversammlung gewählt wurde. Lehnt die Hauptversammlung beispielsweise die Wahl eines (ungeeigneten) Mitglieds ab – sei es, weil die Hauptversammlung an der Qualifikation zweifelt oder aus sonstigen Gründen ein anders Mitglied präferiert – und wählt stattdessen ein anders, nicht im Wahlvorschlag enthaltenes Mitglied in den Aufsichtsrat, so entfällt eine Haftung der für den Wahlvorschlag verantwortlichen Aufsichtsratsmitglieder mangels Kausalität der Pflichtverletzung. 682 Hoffmann-Becking, in: Hoffmann-Becking, Münchener Handbuch des Gesellschaftsrechts, Bd. 4, § 30 Rdnr. 15; Spindler, in: Spindler/Stilz, AktG, § 101 Rdnr. 40. 683 So wohl auch Wirth, ZGR 2005, S. 327, 343. 684 Vgl. Lutter, ZIP 2003, S. 417, 419. 685 Semler, in: Bitter/Lutter/Priester/Schön/Ulmer, Festschrift für Karsten Schmidt, S. 1489, 1495; ähnlich wohl Lutter, ZIP 2003, S. 417, 419; andeutungsweise auch Drygala, in: Schmidt/Lutter, AktG, § 100 Rdnr. 30, der von einer Anwendung in „Extremfällen“ spricht. 686 Lutter, ZIP 2003, S. 417, 419.
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2. Teil: Folgen von Pflichtverletzungen
Insofern haftet der Aufsichtsrat dann, wenn er der Hauptversammlung einen Wahlvorschlag mit einem oder mehreren nicht hinreichend qualifizierten Mitgliedern unterbreitet und die Hauptversammlung wenigstens eines dieser (nicht ausreichend qualifizierten) Mitglieder in den Aufsichtsrat wählt. Ob tatsächlich ein kausaler Schaden eingetreten ist, ist jeweils im Einzelfall zu entscheidenden. (b) Das nicht hinreichend qualifizierte Mitglied: Innenhaftung wegen Übernahmeverschuldens Neben einer möglichen Haftung der Mitglieder des Aufsichtsrats dafür, der Hauptversammlung ein nicht hinreichend qualifiziertes Mitglied für die Wahl in den Aufsichtsrat vorgeschlagen zu haben, ist fraglich, ob auch das nicht qualifizierte Mitglied selbst haftungsrechtlich zur Verantwortung zu ziehen ist. In der Literatur herrscht weitestgehend Einigkeit, dass jedes Mitglied für die Erfüllung der Mindestvoraussetzungen durch seine Person einzustehen hat.687 Die Mindestkenntnisse müssen dabei grundsätzlich bei Amtsantritt vorliegen; verändern sich die Rahmenbedingungen, so haben die Aufsichtsräte auch ihre Fachkenntnis entsprechend anzupassen. Liegen die Mindestvoraussetzungen in der Person eines Aufsichtsratsmitglieds nicht vor, so handelt dieses sorgfaltspflichtwidrig. Der individuelle Vorwurf liegt darin, dass das Mitglied in Kenntnis der Nichterfüllung der zur Mandatsausübung erforderlichen Qualifikationen dennoch das Aufsichtsratsmandat übernommen hat. Das Mitglied ist dann nämlich nicht in der Lage, auftretende Probleme und Fragestellungen ausreichend zu beurteilen und einzuschätzen und handelt aus diesem Grund nicht wie ein ordentliches und gewissenhaftes Aufsichtsratsmitglied. Durch Übernahme des Amts ohne die notwendige Kenntnis liegt ein Fall des sogenannten Übernahmeverschuldens vor.688 Tritt nun aufgrund der fehlenden Kenntnis des Organmitglieds ein nachweisbarer Schaden ein, kann es im Einzelfall zu einer Haftung eben diesen Mitglieds kommen. Im Schrifttum wird teilweise vertreten, dass sich im Falle einer fehlenden Qualifikation des Organmitglieds die Konsultation eines Beraters anbiete, da bei Bekanntwerden der fehlenden Qualifikation eine Inanspruchnahme auf Schadensersatz in unbekannter Höhe drohe, während bei der Beauftragung eines Beraters nur eine Inanspruchnahme in Höhe der Beraterkosten in Rede stehe; das Organmitglied wähle hier zwischen „Pest und Cholera“.689 Diese Lösung vermag nicht zu überzeugen. Einem Mitglied, das bei Amtsantritt nicht die erforderliche Mindestqualifikation besitzt, bleiben nur zwei Möglichkeiten: 687 Vgl. Hopt/Roth, in: Großkommentar AktG, § 100 Rdnr. 29; Drygala, in: Schmidt/ Lutter, AktG, § 100 Rdnr. 30; Spindler, in: Spindler/Stilz, AktG, § 100 Rdnr. 39; Habersack, in: Münchener Kommentar AktG, § 100 Rdnr. 13. 688 Semler, in: Bitter/Lutter/Priester/Schön/Ulmer, Festschrift für Karsten Schmidt, S. 1489, 1499. 689 Für die vergleichbare Situation beim Vorstand, wobei neben einem Schadensersatzanspruch auch eine Abberufung aus wichtigem Grund droht, Selter, AG 2012, S. 11, 15 f.
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Entweder es eignet sich die Kenntnisse unverzüglich an, oder es legt den Aufsichtsratsposten nieder. Wie das Mitglied sich die notwendigen Kenntnisse aneignet, spielt dabei in erster Linie keine Rolle. Freilich kann dies jedoch ausschließlich auf eigene Rechnung und nicht auf Rechnung der Gesellschaft erfolgen, da allein das Mitglied die Unkenntnis zu vertreten hat.690 Allerdings besteht bei dieser Lösung die Gefahr, dass bereits vor Abschluss der „Ausbildung“ weitere Entscheidungen oder Maßnahmen zu treffen sind, wodurch bei entsprechendem Verhalten des unqualifizierten Mitglieds (erneut) eine Haftung ausgelöst werden kann. Eine größere Sicherheit bietet die Amtsniederlegung, wobei dadurch bereits entstandene Schadensersatzansprüche für den Zeitraum der Übernahme des Postens bis zum Ausscheiden aus dem Überwachungsgremium nicht rückwirkend ausgeschlossen werden. Kommt es weder zu einem Ausscheiden aus dem Gremium noch zur Aneignung der erforderlichen Fachkenntnis, sondern beauftragt das Mitglied einen Berater, so perpetuiert sich die durch die Übernahme trotz fehlender hinreichender Qualifikation begründete Pflichtverletzung. Selbstverständlich ist das Mitglied auch hier selbst zur Tragung der Beraterkosten verpflichtet, soweit es sich um Fragen handelt, die es selbst im Rahmen der Mindestanforderungen zu beantworten in der Lage sein muss. Wie § 111 Abs. 5 AktG klarstellt, ist die Aufgabenwahrnehmung durch einen Dritten an Stelle des Aufsichtsratsmitglieds unzulässig, sodass ein Berater nur für die Beratung bei Einzelfragen herangezogen werden kann. Aufsichtsratsmitglieder, die nicht selbst über die fachlichen Mindestkenntnisse zur Aufgabenerfüllung verfügen, sind im Regelfall nicht dazu in der Lage, die Vorschläge, Anregungen und Beratungsergebnisse Dritter einer dezidierten Überprüfung zu unterziehen und sich hierüber eine qualifizierte eigenständige Meinung zu bilden. Insofern liegt bei fehlender Mindestqualifikation rein tatsächlich häufig eine (wenn auch mittelbare) Wahrnehmung der Aufgaben des Aufsichtsratsmitglieds durch den Berater vor, was einen Verstoß gegen § 111 Abs. 5 AktG bedeutet. Insofern ist entgegen der im Schrifttum vertretenen Meinung die Einschaltung eines Dritten keine Option, wenn die eigenen Qualifikationen nicht für die Tätigkeit als Aufsichtsratsmitglied genügen. (5) Zusammenfassung Besitzt das Aufsichtsratsmitglied nicht diejenigen Fähigkeiten und Qualifikationen, die es benötigt, um seine Arbeit ordnungsgemäß zu erfüllen, so wirkt sich dies nicht auf die Bestellung aus. Der Wahlbeschluss bleibt ungeachtet des Fehlens der fachlichen Voraussetzungen wirksam, soweit die persönlichen Voraussetzungen nach § 100 Abs. 1, 2 AktG erfüllt sind. Eine Anfechtung des Wahlbeschlusses der Hauptversammlung ist nicht möglich. Allerdings hat das zuständige Gericht auf Antrag des Aufsichtsrats oder einer qualifizierten Aktionärsminderheit bei Vorliegen von extremen Verstößen gegen die Mindestanforderungen das nicht hinreichend qualifizierte Mitglied gemäß § 103 Abs. 3 AktG abzuberufen. 690
Vgl. hierzu bereits Leyendecker-Lagner/Huthmacher, NZG 2012, S. 1415, 1416 ff.
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2. Teil: Folgen von Pflichtverletzungen
Schlägt der Aufsichtsrat im Rahmen seines verpflichteten Beschlussvorschlags zur Aufsichtsratswahl (§ 124 Abs. 3 Satz 1 AktG) einen Kandidaten vor und tritt aufgrund der fehlenden Qualifizierung bei der Gesellschaft nachweisbar ein Schaden ein, so haften die Mitglieder des Aufsichtsrats der Gesellschaft für diesen Schaden. Das Mitglied selbst handelt, soweit nicht ausreichend qualifiziert, durch die Annahme des Mandats sorgfaltspflichtwidrig und haftet der Gesellschaft ebenfalls für daraus entstehende Schäden gemäß § 116 Satz 1 i.V.m. § 93 Abs. 2 AktG. c) Auswirkung von individuellem Sonderwissen auf die persönliche Haftung der Aufsichtsratsmitglieder aa) Allgemeines Fachliche Mindestqualifikationen sind die Grundlage für die ordnungsgemäße Erfüllung allgemeiner, ständig wiederkehrender Aufgaben des Aufsichtsrats. Die Überwachungsaufgaben sind aber zu komplex, als dass sie nur mit den rudimentären Mindestkenntnissen zu bewältigen wären. Insbesondere für besondere Funktionen im Aufsichtsrat (Ausschussmitglied oder Ausschussvorsitzender, Aufsichtsratsvorsitzender) ist ein weitaus breiteres Spektrum an Erfahrungen und Qualifikationen erforderlich, die von den einzelnen Mitgliedern eingebracht werden müssen. Diese Spezialkenntnisse (zum Beispiel Kenntnisse über Vorstandsvergütungsstrukturen oder vertieftes bilanzielles Fachwissen) müssen nicht alle Mitglieder persönlich, sondern jedes Mitglied anteilig aufweisen, sodass der Aufsichtsrat in seiner Gesamtheit über dieses Fachwissen verfügt; idealerweise ist jedes Organmitglied Experte auf einem für die Aufsichtsratstätigkeit relevanten Fachgebiet. Dadurch, dass alle Mitglieder jedenfalls in den grundlegenden Fachgebieten Grundkenntnisse aufweisen, können sie den Ausführungen der Fachexperten folgen und deren Einschätzungen (kritisch) hinterfragen. Der Gesetzgeber hat keine allgemeine Regelung dahingehend getroffen, dass der Aufsichtsrat als Organ insgesamt über eine derartige Expertise verfügen muss. Allerdings wurde mit dem BilMoG691 in § 100 Abs. 5 AktG die Pflicht eingeführt, dass in jedem Aufsichtsrat einer kapitalmarktorientierten Aktiengesellschaft i.S.v. § 264d HGB mindestens ein unabhängiges Mitglied des Aufsichtsrats über „Sachverstand auf den Gebieten Rechnungslegung oder Abschlussprüfung“ verfügen muss. Qua Gesetz müssen die Mitglieder des Gesamtaufsichtsrats, mit Ausnahme des besonders qualifizierten Mitglieds in Fragen von Rechnungslegung oder Abschlussprüfung, also über keine speziellen Qualifikationen verfügen, die über die Mindestanforderungen hinausgehen.692 Der DCGK empfiehlt in seiner aktuellen Fassung, dass der Aufsichtsrat insgesamt über die zur Aufgabenbewältigung notwendigen Mittel verfügt (5.4.1 Abs. 1 DCGK). Vor dem Hintergrund des „Hertie-Urteils“ und den aus 691
Bilanzrechtsmodernisierungsgesetz v. 25. 05. 2009, BGBl. I, S. 1102. Ähnlich auch Kremer, in: DCGK-Kommentar, Rdnr. 969, wobei unklar ist, ob dort das Bestehen von Mindestqualifikationen anerkannt wird. 692
A. Die Innenhaftung der Aufsichtsratsmitglieder
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der Sorgfaltspflicht resultierenden Mindestkenntnissen für alle Aufsichtsratsmitglieder ist diese Formulierung dahingehend zu verstehen, dass die Mitglieder nicht über Fachkompetenzen verfügen müssen, die über die allgemeinen Mindestkenntnisse hinausgehen, individuelles Sonderwissen zur Bewältigung komplexer Fragestellungen aber erwünscht ist. Zur Förderung einer diversifizierten Ausgestaltung des Aufsichtsrats empfiehlt der DCGK ferner, bei der Zusammensetzung des Aufsichtsrats auf eine angemessene Vielfalt („Diversity“) der Hintergründe der einzelnen Mitglieder zu achten (namentlich Internationalität, Erhöhung der Beteiligung von Frauen,693 5.4.1 Abs. 2 Satz 1, 2 DCGK). bb) Konsequenzen des besonderen Fachwissens Wenn nun einzelne oder alle Mitglieder individuelles Sonderwissen mitbringen, so ist fraglich, inwiefern das Mitglied zur Einbringung dieser Kenntnisse verpflichtet ist und inwiefern das Spezialwissen zu einer Verschiebung der Haftungsmaßstäbe führen kann. Grundsätzlich wird angenommen, dass die Annahme eines Amtes trotz fehlender hinreichender Qualifikation eine Sorgfaltspflichtverletzung darstellt, die zu einer Ersatzpflicht des betreffenden Mitglieds führen kann. Das Mitglied handelt also bereits durch seine Mandatsübernahme pflichtwidrig. Weist das Mitglied bei Amtsantritt aber die notwendigen und erforderlichen Kenntnisse auf, so hat es bei Abstimmungen im Aufsichtsrat vor dem Hintergrund dieser Kenntnisse zu entscheiden. Ist eine Entscheidung vor dem Hintergrund dieses Wissens vertretbar, so kommt eine Haftung des Mitglieds nicht in Betracht. Fraglich ist aber, inwieweit sich Sonderkenntnisse eines Aufsichtsratsmitglieds auswirken. Problematisch ist dabei insbesondere, ob es dabei zu einer Verschiebung des Haftungsmaßstabs kommt und für Mitglieder mit unterschiedlichem fachlichem Hintergrund unterschiedliche Sorgfaltsanforderungen gelten. (1) Haftungsverschärfung durch Sonderwissen Teilweise wird vertreten, dass zusätzliche Sachkenntnis auf einem Gebiet auch eine gesteigerte Anforderung an die persönliche Sorgfalt nach sich zieht.694 Ein 693
Vgl. Kremer, in: DCGK-Kommentar, Rdnr. 979 ff. BGH, Urt. v. 20. 09. 2011 – II ZR 234/09, DB 2011, S. 2484, 2487; BGH, Urt. v. 02. 04. 2007 – II ZR 325/05, AG 2007, S. 484, 485; OLG Düsseldorf, Urt. v. 08. 03. 1984 – 6 U 75/83, ZIP 1984,S. 825; LG Hamburg, Urt. v. 16. 12. 1980 – 8 O 229/79, ZIP 1981, S. 194, 197; Spindler, in: Spindler/Stilz, AktG, § 116 Rdnr. 17, Drygala, in: Schmidt/Lutter, AktG, § 116 Rdnr. 37; Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats, Rdnr. 1011; Mertens/ Cahn, in: Kölner Kommentar AktG, § 116 Rdnr. 63; Habersack, in: Münchener Kommentar AktG, § 116 Rdnr. 28; Hopt/Roth, in: Großkommentar AktG, § 116 Rdnr. 64; Edenfeld/Neufang, AG 1999, S. 49, 53; Wagner, in: Semler/von Schenck, Arbeitshandbuch für Aufsichtsratsmitglieder, § 2 Rdnr. 87, 102; Semler, in: Bitter/Lutter/Priester/Schön/Ulmer, Festschrift für Karsten Schmidt, S. 1489, 1505; Säcker, AG 2004, S. 180, 184; Hoffmann-Becking, in: Hoffmann-Becking, Münchener Handbuch des Gesellschaftsrechts, Bd. 4, § 33 Rdnr. 61; 694
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2. Teil: Folgen von Pflichtverletzungen
Aufsichtsratsmitglied, das aufgrund seiner hauptberuflichen Tätigkeit erweiterte Fachkenntnisse aufweise, müsse diese auch im Gesellschaftsinteresse einsetzen.695 Die unterschiedlichen Qualifikationen sollen dann auf Verantwortungsebene in Form von gesteigerten Sorgfaltsanforderungen berücksichtigt werden. Das gelte umso mehr dann, wenn der eigentliche Grund für die Berufung gerade dieses besondere Fachwissen war.696 Nicht selten komme es vor, dass Aufsichtsratsmitglieder gerade aufgrund spezifischer Kenntnisse in für das Unternehmen wichtigen Märkten oder Problemfeldern, wie zum Beispiel die Expertise in bestimmten sogenannten neuen Märkten oder besondere fachliche Kompetenz in der Sanierung von Unternehmen, gewählt werden.697 An dieser Stelle werde besonders deutlich, dass eine Begrenzung der Pflichtenstellung allein auf das, was als Mindeststandard geschuldet ist, dann nicht ausreichen könne.698 Dem gesteigerten Anforderungsprofil an das Mitglied müsse durch erhöhte Anforderung an die Einbringung von Fachwissen Rechnung getragen werden. So soll beispielsweise von einem Bankenvertreter erwartet werden können, dass dieser aus einem Geschäft drohende wirtschaftliche Risiken auch dann erkenne, wenn dies von einem durchschnittlichen Aufsichtsratsmitglied nicht verlangt werden könne.699 Ebenso müsse ein Rechtsanwalt drohende rechtliche Probleme bereits frühzeitig erkennen, auch wenn dies über die üblicherweise geschuldete Sorgfalt eines Aufsichtsratsmitglieds hinausgehe.700 Außerdem, so wird angeführt, sei der Aufsichtsrat zur ordnungsgemäßen Aufgabenwahrnehmung darauf angewiesen, dass im Plenum eine Vielzahl verschiedener Experten vorhanden ist, damit ein insgesamt umfassendes Fachwissen gewährleistet sei und die Beauftragung von Sachverständigen und Gutachtern auf das absolut notwendige Mindestmaß reduziert werden kann.701 Wenn die Mitglieder vorhandenes Sonderwissen nicht einbringen müssten, so sei die Forderung nach mehr Fachwissen überflüssig.
Lutter, ZHR 145 (1981), S. 224, 228; Mutter/Gayk, ZIP 2003, S. 1773, 1773 ff, nunmehr auch Koch, in: Hüffer, AktG, § 116 Rdnr. 4. 695 BGH, Urt. v. 03. 07. 2006 – II ZR 151/04, BGHZ 168, 188, Rdnr. 18 (zitiert nach juris); BGH, Urt. v. 27. 04. 2009 – II ZR 160/08, AG 2009, 661 f. 696 Siehe hierzu Mutter, Unternehmerische Entscheidungen und Haftung des Aufsichtsrats der Aktiengesellschaft, S. 320; ebenso Mutter/Gayk, ZIP 2003, S. 1773, 1775. 697 BGH, Urt. v. 20. 09. 2011 – II ZR 234/09, DB 2011, S. 2484, Rdnr. 28 (zitiert nach juris). 698 Hopt/Roth, in: Großkommentar AktG, § 116 Rdnr. 51; Spindler, in: Spindler/Stilz, AktG, § 116 Rdnr. 17. 699 LG Hamburg, Urt. v. 16. 12. 1980 – 8 O 229/79, ZIP 1981, S. 194, 197. 700 RG, Urt. v. 29. 05. 1934 – II 9/34, RGZ 144, 348, 355. 701 Doralt/Doralt, in: Semler/von Schenck, Arbeitshandbuch für Aufsichtsratsmitglieder, § 14 Rdnr. 142, 148 f; Selter, AG 2012, S. 11, 19 li. Sp.; Grooterhorst, NZG 2011, S. 921, 925.
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(2) Keine generelle Steigerung der Sorgfaltspflicht Demgegenüber wird nach anderer Ansicht individuelle Sachkunde nicht als sorgfaltspflichtsteigernd angesehen.702 Der anzuwendende Maßstab soll ein rein objektiver sein703 und sich höhere Qualifikationen entsprechend nicht auf den Haftungsmaßstab auswirken. Geschuldet sind demnach nur die Mindestkenntnisse, wie sie jedes Aufsichtsratsmitglied zu erbringen hat. Da weitere, darüber hinausgehende Kenntnisse nicht gefordert werden könnten, seien sie im Falle ihres Vorhandenseins auch nicht pflichtensteigernd zu berücksichtigen. Allerdings sollen individuelle Kenntnisse unter Umständen haftungssteigernd wirken. Insofern wird anstelle einer strikten eine „relative“ Gleichbehandlung der Aufsichtsratsmitglieder vertreten: jeder sei dazu verpflichtet, seine persönlichen Fähigkeiten in den gesetzlich determinierten Überwachungsprozess einzubringen.704 Schwark weist darauf hin, dass die Rechtsprechung im Rahmen von § 276 BGB, der ebenfalls einen objektiven Mindeststandard darstellt,705 keine Differenzierung nach einer eventuell bestehenden besonderen Qualifikation des Haftenden vornimmt, sondern nach einem konkreten Wissensvorsprung.706 Wer dann sein besonderes Wissen an dieser Stelle nicht einbringt, handele dolos. Demnach soll derjenigen, der aufgrund eigener besserer Kenntnis mit einem Schaden hätte rechnen können, sich nicht auf den typisierten Sorgfaltsmaßstab zurückziehen können.707 (3) Stellungnahme Zur Klärung der Frage, ob Mindestqualifikationen objektiv oder subjektiv zu bestimmen sind, wurde auf die Frage des Normzwecks von § 116 Satz 1 i.V.m. § 93 AktG zurückgegriffen.708 Dabei wurde auf den Telos der Haftung abgestellt: Bezweckt die haftungsbegründende Norm einen reinen Risikoausgleich, so darf unterschiedliches Fachwissen keine Auswirkung auf die Haftung haben, da der Maßstab für die Verantwortlichkeit in diesem Fall objektiv zu bestimmen ist. Wenn aber eine Genugtuungsfunktion mit der Ersatzpflicht verbunden ist, so solle im Rahmen der Haftung auch unterschiedliches Fachwissen berücksichtigt werden.709 Da, wie gezeigt, die Aufsichtsratshaftung in erster Linie nicht auf Genugtuung, sondern auf Risikoausgleich gerichtet ist, gilt ein objektiver Haftungsmaßstab. Aufgrund dessen 702 Schwark, in: Hadding/Immenga, Festschrift für Winfried Werner, S. 841, 854; Hüffer, AktG, 10. Aufl. 2012 (Voraufl.), § 116 Rdnr. 3; zweifelnd auch K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, § 20 III 1 d), S. 828 f; ähnlich auch Wirth, ZGR 2005, S. 327, 334 f; Fleck, GmbHR 1997, S. 237, 238. 703 Fleck, GmbHR 1997, S. 237, 238. 704 von Frankenberg und Ludwigsdorf, Bedeutung und Grenzen der Gleichbehandlung der Aufsichtsratsmitglieder, S. 203. 705 Vgl. Löwisch, in: Staudinger, BGB, § 276 Rdnr. 28. 706 Schwark, in: Hadding/Immenga, Festschrift für Winfried Werner, S. 841, 850. 707 Schwark, in: Hadding/Immenga, Festschrift für Winfried Werner, S. 841, 854. 708 Siehe oben, S. 141 f. 709 Zum Ganzen siehe oben, S. 166 f.
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müsste folgerichtig auch hinsichtlich der Frage der Berücksichtigung von zusätzlichen Qualifikationen ein objektiver Maßstab anzuwenden sein; Zusatzqualifikationen wären dann auf haftungsrechtlicher Ebene nicht zu berücksichtigen. Problematisch ist dies allerdings in Zusammenschau mit dem allgemeinen Bedürfnis, dass die Mitglieder des Aufsichtsrats ihr spezifisches und die Mindestqualifikation übersteigendes Fachwissen im Rahmen ihrer Möglichkeiten in die Tätigkeit im Aufsichtsorgan einbringen. Ohne haftungsrechtliche Konsequenzen fehlt den Mitgliedern die intrinsische Motivation, ihr Spezialwissen mit den übrigen Mitgliedern zu teilen, was dazu führen würde, dass dem Organ Aufsichtsrat dieser besondere Sachverstand entginge und er im Zweifelsfall auf externe Berater angewiesen wäre. Mit den obigen Ausführungen zur Rechtsnatur der Aufsichtsratshaftung als Risikoausgleich und nicht als Genugtuungsfunktion wird deutlich, dass das Bestehen des objektiven Sorgfaltsmaßstabs es verbietet, beispielsweise Zugehörigkeiten von Berufsgruppen oder Qualifikationen generell als haftungssteigernd zu klassifizieren. Allerdings kann – dies ist auch im Rahmen von § 276 BGB anerkannt710 – im Einzelfall tatsächlich bestehendes Sonderwissen zu Lasten des Handelnden als eine subjektive Komponente haftungsverschärfend berücksichtigt werden.711 Die Mindestqualifikation hat nämlich die grundsätzliche Funktion der Herstellung eines allgemeinen Vertrauenstatbestands. Unter Berücksichtigung der Verpflichtung der Aufsichtsratsmitglieder zum Unternehmenswohl712 ist es nur konsequent, Sonderwissen haftungsverschärfend zu berücksichtigen; dies steht auch mit dem allgemeinen Gedanken des Vertrauens- und Verkehrsschutzes der Mindestqualifikation im Einklang, der eine darüber hinausgehende Haftung nicht verbietet.713 Das bedeutet, dass ein Banker im Aufsichtsrat, der über besondere Risiken eines Finanzierungsmodells aufgrund seiner langjährigen Berufspraxis gut informiert ist, diese Finanzierung nicht vorbehaltlos akzeptieren darf, sondern vielmehr weitere Nachforschungen anstellen und wenigstens die übrigen Mitglieder über seine Bedenken informieren muss. Die haftungsschärfende Wirkung von individuellem Sonderwissen darf indes nicht verwechselt werden mit der grundsätzlichen Verschiebung des Haftungsmaßstabs aufgrund von Qualifikationen. Die Haftungsverschärfung ergibt sich also nicht aus der Zugehörigkeit zu einer bestimmten Berufsgruppe oder einer be710
Vgl. nur Löwisch, in: Staudinger, BGB, § 276 Rdnr. 30. Ähnlich bereits LG Hamburg, Urt. v. 16. 12. 1980 – 8 O 229/79, AG 1981, S. 51, 53 li. Sp.; Dreher, in: Ebenroth/Hesselberger/Rinne, Verantwortung und Gestaltung, S. 71, 80 mit umfangreichen w.N.; von Frankenberg und Ludwigsdorf, Bedeutung und Grenzen der Gleichbehandlung der Aufsichtsratsmitglieder, S. 204; für die gesteigerte Anforderung bei Spezialwissen vgl. nur BGH, Urt. v. 10. 02. 1987 – VI ZR 68/86, NJW 1987, S. 1479; OLG Koblenz, Urt. v. 18. 03. 2004 – 5 U 1134/03, NJW-RR 2004, S. 1025. 712 DCGK, Ziffer 5.5.1; Habersack, in: Münchener Kommentar AktG, § 116 Rdnr. 11; Kremer, in: DCGK-Kommentar, Rdnr. 1087. 713 Dreher, in: Ebenroth/Hesselberger/Rinne, Verantwortung und Gestaltung, S. 71, 80; Schwark, in: Hadding/Immenga, Festschrift für Winfried Werner, S. 841, 850 ff. 711
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stimmten Qualifikation und der daraus resultierenden objektivierten Erwartung hinsichtlich des Vorhandenseins bestimmter Kenntnisse, sondern aus einer individuellen Sachkenntnis und der Frage, was das Aufsichtsratsmitglied aufgrund seiner individuellen Fähigkeiten bei Anwendung der erforderlichen Sorgfalt hätte erkennen können und müssen.714 Für den Banker im obigen Beispiel folgt die gesteigerte Verantwortung nicht aus seiner Eigenschaft als Banker, sondern ausschließlich aus seinem individuellen Fachwissen im Einzelfall.715 Zwar mag es sein, dass sich die aufgrund der Zugehörigkeit zu einem bestimmten Berufszweig ergebende verobjektivierte Erwartung des Vorliegens von erhöhtem Sachverstand mit dem tatsächlich vorliegenden, gegenüber der Mindestqualifikation erhöhten, Fachwissen deckt, allerdings bleibt Anknüpfungspunkt der Haftung zuvörderst die Frage, ob das Organmitglied im konkreten Fall unter Anwendung seines Fachwissens den eingetretenen Schaden hätte verhindern können.716 Auf eine (objektiv vorhandene) Qualifikation, deren Vorhandensein eine besondere Expertise im Einzelfall erwarten lassen könnte, kommt es dabei ausdrücklich nicht an. Ein Ingenieur im Aufsichtsrat kann aufgrund seiner hauptberuflichen Tätigkeit in einem Unternehmen dezidiertere Kenntnisse über bestimmte Gefahren bei Patentstreitigkeiten haben, als ein im gleichen Gremium vertretener Rechtsanwalt, der auf Fragen des Arbeitsrechts 714
Schwark, in: Hadding/Immenga, Festschrift für Winfried Werner, S. 841, 854; zustimmend von Frankenberg und Ludwigsdorf, Bedeutung und Grenzen der Gleichbehandlung der Aufsichtsratsmitglieder, S. 204; ungenau insofern Altmeppen, ZGR 2004, S. 390, 412, der das jeweilige Mitglied daran messen lassen will, was von ihm erwartet werden kann. Diese Abgrenzung ist allerdings insofern problematisch, als dass sie nicht dahingehend missverstanden werden darf, dass eine höhere abstrakte Qualifikation auch gleichzeitig einen höheren Haftungsmaßstab nach sich zieht. Eine erhöhte Haftung als subjektive Komponente des eigentlich objektiven Haftungsmaßstabs kann nur dann entstehen, wenn das Aufsichtsratsmitglied unterlässt, was im konkreten Einzelfall aufgrund einer Zusammenschau von persönlicher Erfahrung und fachlicher Qualifikation von ihm verlangt werden kann; a.A. aber wohl Doralt/ Doralt, in: Semler/von Schenck, Arbeitshandbuch für Aufsichtsratsmitglieder, § 14 Rdnr. 143 ff, die entgegen der hier vertretenen Ansicht von einer Haftungsverschärfung aufgrund „zu erwartender berufstypischer Sachkunde“ ausgehen; wie dort wohl auch Selter, AG 2012, S. 11, 19. 715 Anders aber wohl Doralt/Doralt, in: Semler/von Schenck, Arbeitshandbuch für Aufsichtsratsmitglieder, § 14 Rdnr. 144, die dies allerdings nicht weiter begründen. Gleichzeitig sollen auch solche Fähigkeiten eingebracht werden müssen, die nicht berufstypisch sind, derentwegen aber ein Aufsichtsratsmitglied bestellt wurde. Das dürfte im Konfliktfall wohl kaum nachweisbar sein. Grundsätzlich zweifelnd auch Selter, AG 2012, S. 11, 19, mit Verweis auf die Schwierigkeit des konkreten Nachweises; anders auch Merkt/Mylich, NZG 2012, S. 525, 530, die allerdings eindeutige Entscheidung dahinstehen lassen. 716 Unter den Vertretern der herrschenden Meinung wird nicht klar nach Fähigkeiten und Qualifikationen differenziert. Richtigerweise führt eine höhere Qualifikation nicht per se zur Anhebung des Sorgfaltsmaßstabs sondern (nur) ein über das Gewöhnliche hinausgehende Fachwissen eines Aufsichtsratsmitglieds kann im Einzelfall dazu führen, dass eine Berufung auf den allgemeinen Sorgfaltsmaßstab verwehrt bleibt. Der Unterschied besteht dabei in der objektiven Erwartung (Qualifikation) und dem tatsächlich vorhandenen (Fach-)Wissen. Nur auf letzteres kann es ankommen; ein abstraktes Mehrwissen kann nicht haftungsverschärfend wirken. Die Entscheidung über die Auswirkung es erhöhten Fachwissens richtet sich stets nach einer Einzelfallbetrachtung.
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spezialisiert ist. Diesen Rechtsanwalt hier gegenüber dem Ingenieur verschärft haften zu lassen, obgleich ihm ein spezielles individuelles Fachwissen für die Problematik fehlt, erscheint nicht sachgerecht. Umgekehrt kann aber dem Ingenieur ein Vorwurf gemacht werden, wenn er seine persönliche Fachkenntnis hier nicht mit einbringt.717 Es gilt also mit anderen Worten, dass § 116 Satz 1 i.V.m. § 93 AktG einen objektiven Maßstab kennt, bei dem eine Ausbildung oder Qualifikation nicht per se zu einer Anhebung dieses Standards führen. Wer aber im Einzelfall über besondere Expertise verfügt, der hat dieses Sonderwissen auch zu nutzen; eine Berufung auf den typisierten Sorgfaltsmaßstab bleibt ihm jedenfalls verwehrt.718 Zusammenfassend bleibt festzuhalten, dass die Haftung der Aufsichtsratsmitglieder an die Verletzung von Pflichten anknüpft. Dabei gilt ein objektivierter Sorgfaltsmaßstab, für deren Vorhandensein jedes Mitglied einzustehen hat und sich nicht mit dem Hinweis auf nicht ausreichendes Fachwissen entlasten kann. Ist im Einzelfall darüberhinausgehendes individuelles Sonderwissen vorhanden, so kann sich das Aufsichtsratsmitglied nicht darauf berufen, im Rahmen der geschuldeten Mindestqualifikation gehandelt zu haben – dies reicht in seiner speziellen Situation nicht aus. cc) Erhöhte Anforderungen für Ausschussmitglieder? In § 107 Abs. 3 AktG wird dem Aufsichtsrat die Möglichkeit zugestanden, für Einzelfragen Ausschüsse einzurichten. Der DCGK empfiehlt eine Einrichtung von Ausschüssen im Aufsichtsrat je nach Größe und abhängig von den jeweiligen Besonderheiten des Unternehmens und der Aufsichtsratsmitglieder (5.3.1 DCGK). Dies soll die Effizienz der Aufsichtsratsarbeit verbessern, da komplexe Sachfragen auf kleinere und spezialisierte Gruppen ausgelagert werden können. Die Ausschüsse können Beschlüsse für das Plenum vorbereiten und die Einhaltung der Beschlüsse überwachen (§ 107 Abs. 3 Satz 1 AktG). Der Vorteil der Ausschüsse liegt in ihrer Größe: während das Plenum aus bis zu 21 Mitgliedern besteht, gibt es für den Ausschuss keine festgelegte Mindestanzahl an Mitgliedern. Er ist daher im Regelfall deutlich kleiner und kann schneller und professioneller (re)agieren,719 weshalb nach ganz allgemeiner Ansicht die Effektivität der Überwachungstätigkeit des Auf-
717 Es leuchtet nicht ein, dass ein Mitglied konsequenzlos dazu berechtigt sein soll, seine Spezialkenntnisse der Gesellschaft vorzuenthalten. Nur bei einer entsprechend haftungsrechtlich sanktionierten Verhaltspflicht zum Einbringen der Kenntnisse lässt sich sicherstellen, dass sämtliche Mitglieder ein Interesse an der Einbringung der Kenntnisse haben. Dass es dadurch im Einzelfall zu Beweisproblemen kommen kann, liegt auf der Hand. Dies darf aber nicht zu einer generellen Haftungsverschärfung von Berufsgruppen führen, wenn keine besondere Begründung individueller Haftung vorliegt. Anders aber wohl Selter, AG 2012, S. 11, 19 li. Sp. 718 Schwark, in: Hadding/Immenga, Festschrift für Winfried Werner, S. 841, 854; ebenso Dreher, in: Ebenroth/Hesselberger/Rinne, Verantwortung und Gestaltung, S. 71, 80. 719 Vetter, in: Marsch-Barner/Schäfer, Handbuch börsennotierte AG, § 28 Rdnr. 1; Lutter, AG 1994, S. 176, 177; Deckert, ZIP 1996, S. 985, 987.
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sichtsrats durch die Einrichtung von Ausschüssen signifikant steigt.720 Das Ob und Wie der Einrichtung von Ausschüssen ist aber dem Aufsichtsrat selbst überlassen; eine Pflicht hierzu gibt es nicht.721 In der Praxis sind Ausschüsse weit verbreitet und finden sich in den allermeisten größeren Aktiengesellschaften.722 Eingerichtet sind häufig ein Personalausschuss (teilweise mit weitergehenden Befugnissen auch Präsidialausschuss genannt), der Vertragsangelegenheiten mit dem Vorstand regelt, ein Prüfungsausschuss (nach angelsächsischem Vorbild häufig auch als Audit Committee bezeichnet) mit dem Gegenstand der Prüfung von Jahresabschluss und Bilanz sowie ein Finanzausschuss betreffend sämtlicher Kredit- und Finanzierungsfragen.723 Abgesehen von den in § 107 Abs. 3 Satz 2 AktG enumerativ aufgezählten Aufgaben können grundsätzlich sämtliche Aufgaben des Aufsichtsrats auf Ausschüsse delegiert werden;724 ausgenommen bleibt hiervon freilich die Überwachung des Vorstands als Kernaufgabe gemäß § 111 Abs. 1 AktG, die in § 107 Abs. 3 Satz 2 AktG zwar nicht aufgeführt ist, allerdings auch nicht auf Ausschüsse delegiert werden kann.725 (1) Wahl und Zusammensetzung Die Ausschussmitglieder werden jeweils durch das Plenum gewählt. Da die Kernaufgaben des Gesamtorgans nicht auf Ausschüsse übertragen werden können und immer im Plenum abgestimmt werden, besteht auch bei mitbestimmten Gesellschaften keine Verpflichtung zur gleichen Verteilung von Arbeitnehmern- und Anteilseignervertretern in den Ausschüssen.726 Für den Prüfungsausschuss legt § 107 Abs. 4 AktG fest, dass in kapitalmarktorientierten Gesellschaften i.S.v. § 264d HGB 720
Siehe Lutter, ZHR 159 (1995), S. 287, 298, dort Fn. 42, m.w.N. BGH, Urt. v. 25. 02. 1982 – II ZR 123/81, BGHZ 83, 106, 115. 722 Hoffmann-Becking, in: Hoffmann-Becking, Münchener Handbuch des Gesellschaftsrechts, Bd. 4, § 32 Rdnr. 1a. 723 Zu Details der Aufgaben und Ausgestaltung der einzelnen Ausschüsse, vgl. beispielsweise Hoffmann-Becking, in: Hoffmann-Becking, Münchener Handbuch des Gesellschaftsrechts, Bd. 4, § 32 Rdnr. 3 ff; Vetter, in: Marsch-Barner/Schäfer, Handbuch börsennotierte AG, § 28 Rdnr. 29 ff jeweils mit umfangreichen w.N. 724 Siehe Begründung zu § 112 im RegE eines Aktiengesetzes vom 3. Februar 1962, BTDrs. 4/171, S. 142; Geßler, in: Geßler/Hefermehl, AktG, § 107 Rdnr. 75; Hopt/Roth, in: Großkommentar AktG, § 107 Rdnr. 370; Drygala, in: Schmidt/Lutter, AktG, § 107 Rdnr. 38; Spindler, in: Spindler/Stilz, AktG, § 107 Rdnr. 87 ff. 725 Siehe Begründung zu § 112 im RegE eines Aktiengesetzes vom 3. Februar 1962, BTDrs. 4/171, S. 142 re. Sp. 726 Das Gesetz spricht davon, dass der Aufsichtsrat die Ausschussmitglieder „aus seiner Mitte“ wählt; siehe nur BGH, Urt. v. 25. 02. 1982 – II ZR 102/81, BGHZ 83, 144, 148; BGH, Urt. v. 17. 05. 1993 – II ZR 89/92, BGHZ 122, 342, 357; OLG München, Urt. v. 27. 01. 1995 – 23 U 4282/94, AG 1995, S. 466, 467; Vetter, in: Marsch-Barner/Schäfer, Handbuch börsennotierte AG, § 28 Rdnr. 18; Hoffmann-Becking, in: Hoffmann-Becking, Münchener Handbuch des Gesellschaftsrechts, Bd. 4, § 30 Rdnr. 19 f. Zum dennoch bestehenden Diskriminierungsverbot, das gegenüber den einzelnen Mitgliedern gilt, vergleiche ausführlich Vetter, in: Marsch-Barner/Schäfer, Handbuch börsennotierte AG, § 28 Rdnr. 18 m.w.N. 721
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2. Teil: Folgen von Pflichtverletzungen
mindestens ein Mitglied besonderen Sachverstand auf dem Gebiet der Rechnungslegung oder Abschlussprüfung vorweisen muss. Der Bilanzexperte nach § 100 Abs. 5 AktG darf seine Tätigkeit also nicht bloß auf das Plenum beschränken, sondern muss auch im Prüfungsausschuss vertreten sein, soweit ein solcher eingerichtet ist. Im Übrigen macht das Gesetz keine Vorgaben für die personelle Auswahl der Ausschussmitglieder. Fraglich ist insofern, ob die gleichen Sorgfaltsanforderungen wie für das Plenum anzuwenden sind. Grundsätzlich erscheint ein solches Verständnis richtig, da der Aufsichtsrat in der Besetzung der Ausschüsse grundsätzlich frei und ungebunden ist. Dies spricht dafür, für die Arbeit im Ausschuss die gleichen Maßstäbe wie für die Plenumsarbeit anzulegen. Vor dem Hintergrund der bezweckten Intensivierung der Arbeit in den Ausschüssen erscheint es allerdings zielführender, die Auswahl der Kandidaten je nach Eignung für den konkreten Ausschuss vorzunehmen.727 Wenn für das Plenumsmitglied gilt, dass es „diejenigen Mindestkenntnisse und -fähigkeiten besitzen oder sich aneignen muß, die es braucht, um alle normalerweise anfallenden Geschäftsvorgänge auch ohne fremde Hilfe verstehen und sachgerecht beurteilen zu können“,728 so ist dieser objektive Sorgfaltsmaßstab für Plenumsmitglieder auf die Ausschussmitglieder entsprechend anzupassen: Verlangt werden diejenigen (Mindest-)Kenntnisse und Fähigkeiten, die erforderlich sind, um die Arbeit im entsprechenden Ausschuss ordnungsgemäß ausführen zu können. Da sich die einzelnen Ausschüsse idealiter jeweils auf einzelne Problemfelder spezialisieren, ist es erforderlich, dass ihre Mitglieder ein entsprechendes Fachwissen für die jeweilige Ausschussarbeit aufweisen. In der Literatur wird das Thema der zusätzlichen Qualifikation von Ausschussmitgliedern nur am Rande behandelt; gesprochen wird insoweit nur von einer Besetzung nach den jeweiligen Qualifikationen unter Berücksichtigung der Aufgabe des betreffenden Ausschusses.729 Vor dem Hintergrund der besonderen Tätigkeit im Ausschuss und der damit einhergehenden Notwendigkeit zur Aufbringung von Spezialkenntnissen erscheint es aber nur sachgerecht, von Ausschussmitgliedern für die Arbeit im Ausschuss zusätzliche fachliche Qualifikationen zur Erfüllung der übertragenen Aufgaben zu fordern.730 Freilich ist es an 727
Hoffmann-Becking, in: Hoffmann-Becking, Münchener Handbuch des Gesellschaftsrechts, Bd. 4, § 32 Rdnr. 21; Vetter, in: Marsch-Barner/Schäfer, Handbuch börsennotierte AG, § 28 Rdnr. 17; Habersack, in: Münchener Kommentar AktG, § 107 Rdnr. 134; Ulmer/Habersack, in: Ulmer/Habersack, MitbestR, § 25 Rdnr. 127; Spindler, in: Spindler/Stilz, AktG, § 107 Rdnr. 94; Hopt/Roth, in: Großkommentar AktG, § 107 Rdnr. 274; Lutter, Information und Vertraulichkeit im Aufsichtsrat, Rdnr. 357; eingehend auch Dreher, in: Ebenroth/Hesselberger/Rinne, Verantwortung und Gestaltung, S. 71, 87 ff. 728 BGH, Urt. v. 15. 11. 1982 – II ZR 27/82, BGHZ 85, 293, Rdnr. 10 (zitiert nach juris). 729 Hoffmann-Becking, in: Hoffmann-Becking, Münchener Handbuch des Gesellschaftsrechts, Bd. 4, § 32 Rdnr. 21; Vetter, in: Marsch-Barner/Schäfer, Handbuch börsennotierte AG, § 28 Rdnr. 17; diese vagen Anforderungen kritisiert Dreher, in: Ebenroth/Hesselberger/Rinne, Verantwortung und Gestaltung, S. 71, 88. 730 So grundsätzlich auch BGH, Urt. v. 17. 05. 1993 – II ZR 89/92, BGHZ 122, 342, Rdnr. 28 (zitiert nach juris), der zusätzliche Spezialkenntnisse aber nicht beim Personalaus-
A. Die Innenhaftung der Aufsichtsratsmitglieder
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dieser Stelle nicht möglich, einen allgemeinverbindlichen Katalog an notwendigem Fachwissen für die Arbeit in den einzelnen Ausschüssen aufzustellen. Die Qualifikationsanforderungen sind außerdem für jeden Ausschuss und dessen Schwerpunkt gesondert festzustellen. An die Qualifikation der Ausschussmitglieder sind freilich engere Voraussetzungen als an die eines Plenumsmitglieds zu stellen.731 Der Ausschuss dient als spezialisiertes Gremium der Vorbereitung und Aufbereitung von Einzelfragen und Problemen und wird somit als Berater des Gesamtaufsichtsrats tätig. Dies kann aber nur insoweit gelingen, wie dort ein gegenüber dem Plenum gesteigertes Fachwissen vorhanden ist. Ausgangspunkt für die Qualifikation der Ausschussmitglieder sind freilich die Mindestanforderungen, die an die Mitglieder des Gesamtaufsichtsrats gestellt werden. Die konkreten Anforderungen, die an ein Ausschussmitglied zu stellen sind, hängen dann vom Aufgabenbereich des jeweiligen Ausschussmitglieds ab. Die Anforderungen an die Kenntnisse variieren aber je nach Größe und Art des Unternehmens: Bei einem internationalen Konzern werden Kenntnisse in der Buchführung nach HGB nicht ausreichen; umgekehrt ist für Ausschussmitglieder einer kleinen Aktiengesellschaft mit regionalem Bezug üblicherweise kein fachspezifisches Sonderwissen der internationalen Rechnungslegungsvorschriften nach IFRS oder US-GAAP erforderlich. Eine genaue Spezifizierung der Kenntnisse ist aber, wie auch bei den Mindestanforderungen für das Plenum, kaum möglich. In der Praxis wird es regelmäßig nicht zu Fällen kommen, in denen eine Haftung der Plenumsmitglieder wegen einer Verletzung der Auswahlpflichten eintritt, da ein Kausalitätsnachweis grundsätzlich nicht gelingen wird. Für die Mitglieder eines Audit Committees können demnach die allgemeinen Grundkenntnisse in Bilanz und Rechnungslegung, die für alle Mitglieder als Mindestqualifikation vorausgesetzt werden, nicht ausreichen. Erforderlich ist, dass die Mitglieder in der Lage sind, die vom Vorstand übermittelten Bilanzen und Jahresabschlüsse nicht nur nachzuvollziehen, sondern auch nicht offenkundige Probleme zu erkennen und verstehen. Ebenso genügt es für die Mitglieder des Kreditausschusses nicht, generelle Grundkenntnisse vom Kreditgeschäft zu haben. Notwendig sind spezifischere Kenntnisse in diesem Bereich. Im Personalausschuss sollte besondere Kenntnis der möglichen Vorstandsvergütungssysteme vorherrschen; dabei
schuss verlangt; Mutter/Gayk, ZIP 2003, S. 1773, 1775; Dreher, in: Ebenroth/Hesselberger/ Rinne, Verantwortung und Gestaltung, S. 71, 88; Möllers, ZIP 1995, S. 1725, 733; Deckert, ZIP 1996, S. 985, 991; Wagner, in: Semler/von Schenck, Arbeitshandbuch für Aufsichtsratsmitglieder, § 2 Rdnr. 100. 731 Eine Ausnahme hiervon ist dann zu machen, wenn keines der Aufsichtsratsmitglieder über erhöhte Kenntnisse verfügt. Der Ausschuss soll Spezialisten zusammenführen, die dann schneller spezifische Entscheidungen vorbereiten können. Durch die Ausschussbildung soll aber mitnichten erreicht werden, dass einige Mitglieder höhere Qualifikationen aufweisen müssen als andere; ansonsten handelte es sich quasi um eine Einführung erhöhter Qualifikationen „über die Hintertüre“. In einem Aufsichtsrat, in dem sämtliche Mitglieder ausschließlich über die vorgeschriebenen Mindestqualifikationen verfügen, kann daher für die Mitgliedschaft im Ausschuss kein höherer Maßstab angelegt werden.
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2. Teil: Folgen von Pflichtverletzungen
sollten insbesondere fundierte Kenntnisse über die Ausgestaltungsmöglichkeiten von Aktienoptionen vorliegen. Etwas anderes muss aber dann gelten, wenn kein Aufsichtsratsmitglied über entsprechende Kenntnisse verfügt. Stellt der Ausschuss nämlich im Einzelfall kein spezifisches Fachgremium, sondern lediglich ein verkleinertes Plenum mit weitgehend identischen Fachkenntnissen dar, wäre es unbillig, für die Einrichtung eines Ausschusses höhere Kenntnisse zu fordern, als tatsächlich im Plenum vorhanden sind. Insofern bleibt festzuhalten, dass für die Tätigkeit im Aufsichtsratsausschuss besondere Qualifikationen wie Sachkenntnis oder Fachwissen erforderlich sind, die je nach Ausschuss variieren. Die für die Plenumsarbeit vorausgesetzten Mindestkenntnisse werden im Regelfall für eine Tätigkeit jedenfalls in einem spezialisierten Ausschuss nicht ausreichen. (2) Rechtsfolgen bei nicht ausreichender (Zusatz-)Qualifikation (a) Unwirksamkeit oder Anfechtbarkeit der Wahl? Die Rechtsfolgen, wenn ein Mitglied nicht die notwendigen Fachkenntnisse oder Qualifikationen mitbringt, um eine Stelle im Ausschuss zu besetzen, unterscheiden sich praktisch nicht von denen bei Fehlen der Mindestqualifikation von Plenumsmitgliedern. Die Wahl zum Ausschussmitglied ist nicht aufgrund fehlenden Fachwissens unwirksam oder anfechtbar. Zum einen sieht das Gesetz keine Unwirksamkeit oder Anfechtungsmöglichkeit als Rechtsfolge der mangelbehafteten Bestellung eines Ausschussmitglieds vor, zum anderen ist eine Unwirksamkeit oder Anfechtung sogar bei Nichterfüllung der Voraussetzungen zur Plenumswahl nicht Rechtsfolge. (b) Die Haftung der Plenumsmitglieder Relevant wird die fehlende Qualifikation der Ausschussmitglieder allerdings im Bereich der Haftung. Wie auch bei der Wahl des Aufsichtsratsmitglieds im Plenum ist dabei zu unterscheiden in die Haftung des Ausschussmitglieds für die Amtsübernahme im Wege des Übernahmeverschuldens und die Haftung der übrigen Aufsichtsratsmitglieder für den Wahlbeschluss. Außerdem ist nach Art der Pflichtverletzung dahingehend zu differenzieren, ob die Wahl bzw. Annahme des Mandats oder eine Entscheidung des Ausschusses als Sorgfaltsverstoß vorgeworfen werden. (aa) Haftung für fehlerhafte Auswahl Die Einsetzung eines Ausschusses beschließt der Aufsichtsrat im Rahmen seiner allgemeinen Autonomie. Da das Gesetz keine Vorgaben hinsichtlich der Art und Weise der Besetzung macht, gelten die allgemeinen aktienrechtlichen Regeln. Der Aufsichtsrat muss im Rahmen seines pflichtgemäßen Ermessens und im Rahmen seiner aktienrechtlichen Treuepflicht gegenüber der Gesellschaft die Ausschussbesetzung vornehmen. Insofern hat er dafür zu sorgen, dass die von ihm gewählten
A. Die Innenhaftung der Aufsichtsratsmitglieder
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Ausschussmitglieder die notwendige Qualifikation für die Bekleidung des Ausschusssitzes aufweisen. Ist dies nicht der Fall, so handeln die einzelnen Aufsichtsratsmitglieder hinsichtlich ihres Wahlbeschlusses pflichtwidrig.732 Dies gilt umso mehr, wenn die Mitglieder im Vorfeld der Wahl nicht hinreichend über die fachliche Eignung des Kandidaten informieren (lassen). Folgt daraus auch ein Schaden für die Gesellschaft, so machen sich die einzelnen Aufsichtsratsmitglieder aufgrund dieser Pflichtverletzung, nämlich der Wahl eines ungeeigneten Ausschussmitglieds, gegenüber der Gesellschaft ersatzpflichtig gemäß § 116 Satz 1 i.V.m. § 93 AktG. (bb) Haftung für unzureichende Überwachung des Ausschusses Neben der Wahl eines ungeeigneten Mitglieds ist aber fraglich, ob auch eine pflichtwidrige Entscheidung des Ausschusses den nicht im betreffenden Ausschuss vertretenen Mitgliedern des Aufsichtsrats zum Vorwurf gemacht werden kann. Relevant wird diese Fragestellung dann, wenn die Auswahl des Plenums nicht zu beanstanden ist, der Ausschuss aber eine nicht vertretbare Entscheidung trifft. Grundsätzlich führt die Delegation auf den Aufsichtsratsausschuss nicht zu einer Haftungsfreistellung der Mitglieder des Plenums, wohl aber zu einer Haftungserleichterung.733 In welchem Umfang der Gesamtaufsichtsrat zur Verantwortung zu ziehen ist, hängt davon ab, ob der Ausschuss nur vorbereitend tätig war (da die in § 107 Abs. 3 Satz 2 AktG genannten Aufgaben nur durch das Plenum wahrgenommen werden dürfen, können Ausschüsse zu diesem Thema schon qua Gesetz nur vorbereitend tätig werden) oder selbst eine abschließende Entscheidung getroffen hat.734 Handelt es sich um einen vorbereitenden Ausschuss, so liegt die finale Entscheidungskompetenz beim Gesamtaufsichtsrat. Zu diesem Zwecke wird ihm der Ausschuss eine Beschlussempfehlung oder -vorlage auf Grundlage der Vorarbeiten im Ausschuss präsentieren. Die Mitglieder des Gesamtaufsichtsrats haben dann im Rahmen ihres pflichtgemäßen Ermessens zu entscheiden, ob sie der Beschlussvorlage folgen oder eine abweichende Entscheidung treffen. Dabei können sie selbstverständlich auf die Empfehlungen und Erwägungen des Ausschusses zurückgreifen,735 dürfen diese aber nicht ungeprüft übernehmen. Verlangt werden kann und muss, dass sich die Mitglieder inhaltlich mit dem Vorschlag des Ausschusses auseinandersetzen und diesen kritisch hinterfragen. Einer vollständigen, eigenen Informationserfassung durch das Plenum bedarf es dabei im Regelfall nicht, soweit aus dem Ausschussbericht hervorgeht, dass sich dieser mit den erforderlichen Infor732
Hopt/Roth, in: Großkommentar AktG, § 107 Rdnr. 286; Deckert, ZIP 1996, S. 985, 993. Mertens/Cahn, in: Kölner Kommentar AktG, § 107 Rdnr. 179; Geßler, in: Geßler/Hefermehl, AktG, § 107 Rdnr. 84; Hopt/Roth, in: Großkommentar AktG, § 107 Rdnr. 296; Koch, in: Hüffer, AktG, § 116 Rdnr. 16. 734 Diese Unterscheidung treffen auch Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats, Rdnr. 1003 ff. 735 Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats, Rdnr. 1003. 733
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2. Teil: Folgen von Pflichtverletzungen
mationsgrundlagen in ausreichender Weise736 befasst hat.737 Zu prüfen ist sodann, ob auf die einschlägigen Probleme eingegangen und sich mit ihnen in hinreichendem Umfang auseinander gesetzt wurde. Treten dabei Unstimmigkeiten auf, so muss dem nachgegangen werden. Nimmt das Plenum ohne weitergehende Prüfung Beschlussvorlagen des Ausschusses an, so handeln seine Mitglieder sorgfaltswidrig, da sie ihren eigenen Prüfungspflichten nicht nachkommen.738 Das gilt umso mehr dort, wo der Gesetzgeber eine ausschließliche Zuständigkeit der Entscheidung beim Gesamtaufsichtsrat vorgesehen hat (§ 107 Abs. 3 Satz 3 AktG).739 Tritt aufgrund der Ausschussentscheidung ein nachweisbarer Schaden bei der Gesellschaft ein, so machen sich die Mitglieder des Gesamtaufsichtsrats ersatzpflichtig gemäß § 116 Satz 1 i.V.m. § 93 AktG. Der Vorwurf der Pflichtverletzung liegt dann nicht in der Entscheidung einer Maßnahme oder Handlung, die zum Schaden der Gesellschaft führt, sondern allein darin, die entsprechenden Vorschläge des Ausschusses ungesehen bestätigt zu haben. Insbesondere relevant kann dies dann werden, wenn eigentlich eine unternehmerische Entscheidung des Aufsichtsrats entsprechend der Business Judgement Rule740 vorliegt. In einem solchen Fall wäre die zum Schaden führende Entscheidung möglicherweise als vertretbare Entscheidung im Rahmen des pflichtgemäßen Ermessens anzusehen gewesen; dann wäre die Entscheidung nicht als Pflichtverletzung vorwerfbar. Liegt die Pflichtverletzung allerdings darin, ungeprüft eine Vorlage übernommen zu haben, so ist für die Anwendung der Business Judgement Rule kein Raum, da gar keine Ermessensbetätigung stattgefunden hat. Eine Haftung kann in diesem Fall nur dann ausgeschlossen werden, wenn im Rahmen der Kausalität nachweisbar ist, dass auch bei pflichtgemäßer Abwägung keine andere Entscheidung zustande gekommen wäre. Fraglich ist aber, inwieweit die Mitglieder des Gesamtaufsichtsrats für Handlungen des Ausschusses haftbar gemacht werden können, wenn dieser eigenständige Entscheidungen trifft und im Plenum keine Entscheidungsfindung zu diesen Fragestellungen mehr stattfindet. Vor dem Hintergrund der Haftung für eigene Pflichtverletzungen liegt es nahe, die Haftung für Maßnahmen und Entscheidungen primär den Mitgliedern des betreffenden Ausschusses aufzuerlegen.741 Gleichzeitig kann aufgrund der vorherrschenden Gesamtverantwortung des Plenums für die 736 Die Entscheidung hierüber ist aber von jedem Mitglied individuell zu treffen; es muss insofern wenigstens anhand des Ausschussberichts überprüfen, ob der Ausschuss ein Thema in hinreichender Weise gewürdigt hat. 737 Rellermeyer, Aufsichtsratsausschüsse, S. 63. 738 Hopt/Roth, in: Großkommentar AktG, § 107 Rdnr. 296; Janberg, AG 1966, S. 1; einschränkend Rellermeyer, Aufsichtsratsausschüsse, S. 63, der eine Prüfungspflicht verneint, wenn ein hinreichender „Vertrauenstatbestand“ bestehe. 739 Anders aber wohl Möllers, ZIP 1995, S. 1725, 1733, der eine Nachprüfung im Einzelfall für nicht erforderlich zu halten scheint und stattdessen eine (allgemeine) Überwachung des Ausschusses ausreichen lässt. 740 Zur Anwendung der Business Judgement Rule auf den Aufsichtsrat vergleiche oben, S. 135. 741 Habersack, in: Münchener Kommentar AktG, § 107 Rdnr. 168.
A. Die Innenhaftung der Aufsichtsratsmitglieder
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Aufgaben des Aufsichtsrats eine Verantwortung des Gesamtaufsichtsrats nicht schlechthin ausgeschlossen werden. Eine Verantwortung der übrigen, nicht dem Ausschuss angehörigen, Mitglieder ergibt sich aus ihrer Pflicht zur Überwachung der Ausschusstätigkeit.742 Der Gesamtaufsichtsrat hat dabei zum einen durch seine Personalauswahl dafür Sorge zu tragen, dass die jeweiligen Ausschüsse so besetzt sind, dass sie in der Lage sind, vertretbare Entscheidungen zu treffen. Zum Zwecke der Überwachung der Ausschussarbeit hat der Gesetzgeber im Rahmen des Transparenz- und Publizitätsgesetzes743 in § 107 Abs. 3 AktG einen neuen Satz 4 eingefügt und verlangt dort eine regelmäßige Berichterstattung der Ausschüsse an das Plenum über ihre jeweilige Arbeit. Die Berichterstattung soll dabei jeweils in der nächsten Sitzung des Gesamtgremiums erfolgen.744 Dem Gesamtgremium wird damit die Gelegenheit gegeben, sich über die Ausschussarbeit zu informieren. Zwar gibt es keine generelle Nachprüfungspflicht des Gesamtaufsichtsrats hinsichtlich jeder Einzelentscheidung des Ausschusses, allerdings muss der Aufsichtsrat allgemein „die Tätigkeit der Ausschüsse im Auge behalten“.745 Zu diesem Zwecke kann es auch erforderlich sein, dass die übrigen Aufsichtsratsmitglieder wenigstens gelegentlich an den Sitzungen eines Ausschusses, dem sie gar nicht angehören, teilnehmen, um die dortige Arbeitsweise zu überprüfen.746 Bei Anzeichen von Problemen oder Sorgfaltspflichtverstößen im Ausschuss – zur Überprüfung sind die Ausschussberichte i.S.v. § 107 Abs. 3 Satz 4 AktG heranzuziehen – müssen weitere Prüfungen hinsichtlich der Arbeit des Gremiums eingeleitet werden. Das Plenum sollte sich dabei nicht darauf beschränken, die Berichte der Ausschüsse schlicht zur Kenntnis zu nehmen, sondern muss diese gegebenenfalls hinterfragen und bei Unvollständigkeit weitere Informationen anfordern.747 Dabei ist auch zu untersuchen, ob der Ausschuss in zeitlicher wie fachlicher Sicht in der Lage ist, die übertragenen Aufgaben zu erfüllen. Im Extremfall ist die Entscheidungskompetenz durch das Gremium wieder zurück auf das Plenum zu übertragen oder der Ausschuss neu zu besetzen.748 Eine Haftung der Mitglieder des Gesamtaufsichtsrats für die Entscheidungen des Aus742 Mertens/Cahn, in: Kölner Kommentar AktG, § 107 Rdnr. 179; Rellermeyer, Aufsichtsratsausschüsse, S. 33 f; Habersack, in: Münchener Kommentar AktG, § 107 Rdnr. 169; OLG Hamburg, Urt. v. 29. 09. 1995 – 11 U 20/95, ZIP 1995, S. 1673, 1676. 743 Gesetz zur weiteren Reform des Aktien- und Bilanzrechts, zu Transparenz und Publizität (Transparenz- und Publizitätsgesetz) vom 19. 07. 2002. 744 RegE zum Transparenz- und Publizitätsgesetz vom 11. 04. 2002, BT-Drs. 14/8769, S. 16 li. Sp. 745 Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats, Rdnr. 1004; ähnlich auch OLG Hamburg, Urt. v. 29. 09. 1995 – 11 U 20/95, ZIP 1995, S. 1673, 1676. 746 Janberg, AG 1966, S. 1, 5; Hopt/Roth, in: Großkommentar AktG, § 107 Rdnr. 296. 747 Enger Hommelhoff, ZHR 143 (1979), S. 288, 300, der eine eigene Nachprüfung dann nicht fordert, wenn das Votum des Ausschusses „in sich schlüssig und plausibel ist“; ebenso Deckert, ZIP 1996, S. 985, 933; Habersack, in: Münchener Kommentar AktG, § 107 Rdnr. 169. Wie hier bereits Möllers, ZIP 1995, S. 1725, 1733 f, der eine Plausibilitätskontrolle nicht ausreichen lassen will und eine gezielte Kontrolle und Nachfrage fordert. 748 Ähnlich auch Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats, Rdnr. 1004.
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2. Teil: Folgen von Pflichtverletzungen
schusses kommt bei einem Ausschuss mit Entscheidungsgewalt grundsätzlich nur dann in Betracht, wenn der Gesamtaufsichtsrat bei Anzeichen von Problemen im Ausschuss nicht tätig wird und dadurch ein Schaden der Gesellschaft resultiert. (c) Die Haftung des Ausschussmitglieds Für das einzelne Ausschussmitglied gelten hinsichtlich der Haftung für die Übernahme des Mandats analog die oben besprochenen Haftungsregelungen für die Annahme des Amtes als Aufsichtsratsmitglied: Durch die Annahme der Wahl erklärt das Mitglied, grundsätzlich über die zur Aufgabenbewältigung notwendigen Fähigkeiten zu verfügen. Dies schließt – soweit für den betreffenden Ausschuss erforderlich – auch spezifisches Fachwissen, beispielsweise als Mitglied im Audit Committee, mit ein. Sollte das Mitglied tatsächlich nicht über die notwendigen Fähigkeiten verfügen, so handelt es hinsichtlich der Annahme des Mandats sorgfaltswidrig.749 Wenn in spezialisierten Ausschüssen höhere Anforderungen an die Mitglieder eines Ausschusses zu stellen sind, so ist der allgemein anzuwendende Sorgfaltsmaßstab zur Bestimmung, ob die Mitglieder des Ausschusses eine Pflichtverletzung begangen haben, entsprechend strenger anzusetzen; die Anforderungen an die Ausschussmitglieder sind im Vergleich zum Plenum höher.750 So können wirtschaftliche Schwierigkeiten für Mitglieder des Gesamtaufsichtsrats aufgrund ihrer geringen Fachkenntnisse in Finanzierungsfragen unerkannt bleiben, während für ein geschultes Auge diese Probleme offenkundig sein müssten. Von den Ausschussmitgliedern ist dann vor dem Hintergrund ihrer höheren Expertise zu erwarten, dass sie für ihren Fachbereich typische Probleme erkennen. Ist das nicht der Fall, so kommt eine Haftung der Ausschussmitglieder gemäß § 116 Satz 1 i.V.m. § 93 AktG in Betracht, während die übrigen, weniger qualifizierten Mitglieder des Gesamtaufsichtsrats nicht sorgfaltswidrig gehandelt hätten. (d) Ergebnis Es ergeben sich grundsätzlich keine Besonderheiten gegenüber der Haftungssituation für den Wahlvorschlag nichtgeeigneter Plenumsmitglieder bzw. der Annahme der Wahl als Aufsichtsratsmitglied. Allerdings bleibt zu beachten, dass die Anforderungen, die an das Ausschussmitglied zu stellen sind, je nach Ausschuss und Gesellschaft variieren. Rein tatsächlich wird man eine Sorgfaltspflichtverletzung insofern nur dann nachweisen können, wenn die fehlenden Kenntnisse auf der Hand 749 Habersack, in: Münchener Kommentar AktG, § 116 Rdnr. 26; Hommelhoff/Mattheus, AG 1998, S. 249, 256. 750 Spindler, in: Spindler/Stilz, AktG, § 116 Rdnr. 15; Habersack, in: Münchener Kommentar AktG, § 116 Rdnr. 26; Hopt/Roth, in: Großkommentar AktG, § 116 Rdnr. 64; Drygala, in: Schmidt/Lutter, AktG, § 116 Rdnr. 37; Schwark, in: Hadding/Immenga, Festschrift für Winfried Werner, S. 841, 848; Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats, Rdnr. 1011; Mutter/Gayk, ZIP 2003, S. 1773, 1774 f; Vetter, in: Marsch-Barner/Schäfer, Handbuch börsennotierte AG, § 29 Rdnr. 60.
A. Die Innenhaftung der Aufsichtsratsmitglieder
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lagen und das Mitglied ganz offensichtlich für die übertragene Aufgabe ungeeignet ist. Dies wird beispielsweise dann der Fall sein, wenn ein Mitglied des Kreditausschusses über keinerlei Erfahrungen hinsichtlich des Bank- und Kreditgeschäfts verfügt und in Fragen der Unternehmensfinanzierung nicht mehr als die geforderten Mindestkenntnisse für alle Aufsichtsratsmitglieder aufweisen kann. Eine Ausnahme von diesem Grundsatz ist freilich dort zu machen, wo kein Mitglied des Ausschusses über erhöhte Fachkenntnisse verfügt. Dann nämlich besteht keine Notwendigkeit, Sonderkenntnisse im Ausschuss zu fordern. dd) Sonderfall: Anforderung von § 100 Abs. 5 AktG und Auswirkung auf die Haftung Im Rahmen des BilMoG751 hat der Gesetzgeber in Umsetzung der sogenannten Abschlussprüferrichtlinie752 in § 100 Abs. 5 AktG die Pflicht eingeführt, dass in jedem Aufsichtsrat einer kapitalmarktorientierten Aktiengesellschaft i.S.v. § 264d HGB mindestens ein unabhängiges Mitglied des Aufsichtsrats über „Sachverstand auf den Gebieten Rechnungslegung oder Abschlussprüfung“ verfügen muss. Fraglich ist, ob und inwieweit sich für den Gesamtaufsichtsrat durch das Erfordernis, ein Mitglied i.S.v. § 100 Abs. 5 AktG in seiner Mitte aufzuweisen, ein abweichender Haftungsstandard ergibt und ob der Finanzexperte i.S.v. § 100 Abs. 5 AktG einer strengeren Haftung als seine Aufsichtsratskollegen unterworfen ist. (1) Haftung der übrigen Aufsichtsratsmitglieder Die Wahl des unabhängigen Finanzexperten i.S.v. § 100 Abs. 5 AktG erfolgt, wie jede Wahl eines Aufsichtsratsmitglieds, durch die Hauptversammlung (vgl. § 101 Abs. 1 Satz 1 AktG).753 Die Mitglieder des Aufsichtsrats sind an der Bestellung nicht beteiligt. Die Aufsichtsratsmitglieder sind allerdings dazu verpflichtet, im Vorfeld der Hauptversammlung einen Wahlvorschlag hinsichtlich der neuen Mitglieder des Aufsichtsrats abzugeben (§ 124 Abs. 3 Satz 1 AktG). Zwar ist die Hauptversammlung nicht an den Vorschlag gebunden und kann Mitglieder auch abweichend von diesem Vorschlag wählen (§ 101 Abs. 1 Satz 2 AktG), allerdings ist der Aufsichtsrat dazu verpflichtet, seine Wahlvorschläge so auszugestalten, dass – wenn die Hauptversammlung dem Wahlvorschlag uneingeschränkt folgt – der Aufsichtsrat insgesamt ordnungsgemäß zusammengesetzt ist.754 Aus diesem Grund ist der 751
Bilanzrechtsmodernisierungsgesetz v. 25. 05. 2009, BGBl. I, S. 1102. Richtlinie 2006/43/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17. Mai 2006 über Abschlussprüfungen von Jahresabschlüssen und konsolidierten Abschlüssen, zur Änderung der Richtlinien 78/660/EWG und 83/349/EWG des Rates und zur Aufhebung der Richtlinie 84/253/EWG des Rates, ABl. EG Nr L 157 vom 17. 05. 2005, S. 87. 753 Dies gilt freilich nicht für die Arbeitnehmervertreter bei mitbestimmten Gesellschaften. Hierauf wird nachfolgend nicht weiter eingegangen. 754 Siehe dazu schon die Ausführungen oben zur hinreichenden Qualifikation der Aufsichtsratsmitglieder, die im Wahlbeschluss vorgeschlagen werden, S. 162 f. 752
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2. Teil: Folgen von Pflichtverletzungen
Wahlvorschlag des Aufsichtsratsgremiums so auszugestalten, dass bei seiner Befolgung durch die Hauptversammlung in Erfüllung der Kriterien von § 100 Abs. 5 AktG mindestens ein Mitglied mit besonderem Sachverstand in Rechnungslegung oder Abschlussprüfung im Organ vertreten ist.755 Ist dies nicht der Fall, d. h. fehlt bei einer Befolgung des Wahlvorschlags ein solches Mitglied im Aufsichtsrat und entsteht der Gesellschaft daraus ein Schaden, so sind die Mitglieder des Aufsichtsrats der Gesellschaft möglicherweise zum Schadensersatz verpflichtet.756 Wie bereits dargestellt haften die Mitglieder des Aufsichtsrats grundsätzlich für den Wahlbeschluss des Aufsichtsrats, wenn dadurch nicht hinreichend qualifizierte Mitglieder in den Aufsichtsrat gewählt werden.757 Übertragen auf die Regelung in § 100 Abs. 5 AktG bedeutet dies, dass die Aufsichtsratsmitglieder dafür haften, wenn im Wahlbeschluss des Aufsichtsrats ein Finanzexperte fehlt und die Hauptversammlung dem Wahlbeschluss folgt. Werden alle Aufsichtsratsposten neu besetzt, so muss der Beschlussvorschlag mindestens einen Kandidaten vorsehen, der den Anforderungen des § 100 Abs. 5 AktG genügt. Wird nur ein einzelnes oder wenige Aufsichtsratsmitglieder neu bestellt, so muss der Beschlussvorschlag nur dann einen Finanzexperten vorsehen, wenn unter den bereits vorhandenen Mitgliedern des Aufsichtsrats kein Mitglied als Experte im Sinne von § 100 Abs. 5 AktG anzusehen ist.758 Problematisch wird die Haftungsfrage allerdings dort, wo eine Offenlegung des vom Aufsichtsrat als im Sinne von § 100 Abs. 5 AktG qualifiziert angesehenen (zukünftigen) Mitglieds unterbleibt. Das Gesetz schreibt nicht vor, dass der Aufsichtsrat in seinem Wahlbeschluss offenlegen muss, welches Mitglied er als Finanzexperten im Sinne von § 100 Abs. 5 AktG ansieht. Daher fordert auch die Literatur überwiegend keine Offenlegung durch den Aufsichtsrat.759 Wählt nun die Hauptversammlung nur ein einzelnes Mitglied des Wahlvorschlags nicht in den Aufsichtsrat und entsteht daraufhin ein Schaden, so wird sich das Gremium darauf berufen, dass das nicht gewählte Mitglied des Wahlvorschlags über die hinreichenden Kenntnisse verfügt. Insofern ist es zur Vermeidung von Missverständnissen ratsam, dass der Aufsichtsrat offenlegt, welche Person oder Personen des Wahlbeschlusses nach seinem Dafürhalten die Anforderungen von § 100 Abs. 5 AktG erfüllen.760 755 Zu beachten bleibt freilich, dass in mitbestimmten Gesellschaften der Finanzexperte auch Arbeitnehmervertreter sein kann. Weist ein Mitglied aus den Reihen der Arbeitnehmervertretern die Voraussetzungen von § 100 Abs. 5 AktG auf, so besteht freilich keine Notwendigkeit, dass die Anteilseignervertreter im Aufsichtsrat der Hauptversammlung in ihrem Wahlbeschluss ein weiteres Mitglied i.S.v. § 100 Abs. 5 AktG vorschlagen. 756 So auch Wind/Klie, DStR 2010, S. 1339, 1342; zuvor bereits Kropff, in: Bitter/Lutter/ Priester/Schön/Ulmer, Festschrift für Karsten Schmidt, S. 1023, 1035. 757 Siehe oben, S. 162. 758 Nowak, BB 2010, S. 2423, 2325. 759 Siehe ausführlich Bahreini, Der unbahängige Finanzexperte i.S.v. § 100 Abs. 5 AktG, S. 193 f; von Falkenhausen/Kocher, ZIP 2009, S. 1601; Bröcker/Mosel, GWR 2009, S. 132; a.A. Gruber, NZG 2008, S. 12, 14, der eine generelle Pflicht zur Offenlegung annimmt. 760 Ebenso Nowak, BB 2010, S. 2423, 2426.
A. Die Innenhaftung der Aufsichtsratsmitglieder
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In der Praxis werden Fälle, in denen eine Haftung des Aufsichtsrats für einen nicht ordnungsgemäßen Wahlvorschlag mangels Benennung eines in Rechnungslegung oder Bilanzen spezialisierten Mitglieds bereits mangels Nachweis eines kausalen Schadens im Regelfall ausscheiden.761 Weitaus praxisrelevanter ist allerdings die – nicht haftungsrelevante und daher hier nicht zu besprechende – Frage, ob und inwieweit die Aufsichtsratswahl aller oder einiger Mitglieder aufgrund des Verstoßes gegen Vorschriften des Aktiengesetzes angefochten werden kann.762 (2) Verschärfte Haftung des Finanzexperten? Ist die Wahl des Finanzexperten in den Aufsichtsrat erfolgt, so stellt sich die Frage, inwieweit der Finanzexperte als Aufsichtsratsmitglied einem verschärften Haftungsmaßstab unterworfen ist. Das Aktiengesetz sieht für den Finanzexperten keinen besonderen Haftungsmaßstab vor, sodass auf den allgemeinen Haftungsmaßstab für alle Aufsichtsratsmitglieder zurückzugreifen ist. Nach den obigen Ergebnissen ist von einem objektiven Haftungsmaßstab auszugehen, der in gleichem Maße für sämtliche Mitglieder des Aufsichtsrats gilt. Abweichungen ergeben sich nur insoweit, wie im Einzelfall tatsächlich ein weitergehendes Sonderwissen besteht. Für ein gewöhnliches Aufsichtsratsmitglied, das besondere Kenntnisse im Bereich Rechnungslegung oder Buchführung aufweist, würde also grundsätzlich der gleiche Haftungsmaßstab wie für sämtliche andere Mitglieder gelten, wobei eine Verschärfung der Haftung dann in Frage käme, wenn im Einzelfall individuelles Sonderwissen vorliegt. Fraglich ist, ob das tatsächlich auf den Finanzexperten zutreffen kann. Der deutsche Gesetzgeber hat für den Finanzexperten keine besondere Haftungsregelung getroffen. Weder die Regierungserklärung noch die Abschlussprüferrichtlinie enthalten weiterführende Erläuterungen, ob mit den gestiegenen Anforderungen auch eine gestiegene Haftung einhergeht. (a) Rechtsvergleichende Betrachtung: die Regelung nach dem Sarbanes-Oxley Act Im US-amerikanischen Aktienrecht wurde mit dem sogenannte Sarbanes-Oxley Act of 2002763 der Börsenaufsicht US Securities and Exchange Commission (SEC) die Vorgabe gemacht, Regeln aufzustellen, nach denen mindestens ein Mitglied des Audit Committees des Board of Directors ein „Financial Expert“ sein muss (vgl. 761
Skeptisch auch Simons, in: Hölters, AktG, § 100 Rdnr. 58. Die wohl h.L. lehnt eine Anfechtbarkeit der Wahl ab, da es jedenfalls an der Kausalität fehle. Vgl. hierzu Simons, in: Hölters, AktG, § 100 Rdnr. 58; Koch, in: Hüffer, AktG, § 100 Rdnr. 28; Drygala, in: Schmidt/Lutter, AktG, § 100 Rdnr. 62; Gruber, NZG 2008, S. 12, 14; von Falkenhausen/Kocher, ZIP 2009, S. 1601, 1602; a.A. aber Habersack, AG 2008, S. 98, 106; Wardenbach, GWR 2010, S. 207, 209; Jaspers, AG 2009, S. 607, 612; Staake, ZIP 2010, S. 1013, 1020. 763 Pub.L. 107 – 204, 116 Stat. 745 vom 30. 07. 2002. 762
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2. Teil: Folgen von Pflichtverletzungen
Section 407 Sarbanes Oxley Act of 2002). Die SEC hat daraufhin im Jahr 2003 eine Final Rule zur Umsetzung dieser Anforderungen veröffentlicht.764 Demnach muss der Finanzexperte des Audit Committees folgende Fähigkeiten aufweisen: „(i) An understanding of generally accepted accounting principles and financial statements; (ii) The ability to assess the general application of such principles in connection with the accounting for estimates, accruals and reserves; (iii) Experience preparing, auditing, analyzing or evaluating financial statements that present a breadth and level of complexity of accounting issues that are generally comparable to the breadth and complexity of issues that can reasonably be expected to be raised by the registrant’s financial statements, or experience actively supervising one or more persons engaged in such activities; (iv) An understanding of internal control over financial reporting; and (v) An understanding of audit committee functions“ (17 CFR § 229.401 (Item 401) (h) Abs. 2).
Dies entspricht im weitesten Sinne den Vorstellungen der deutschen Literatur hinsichtlich der Anforderungen an den Sachverstand des Finanzexperten nach § 100 Abs. 5 AktG.765 Neben den Regelungen zu den fachlichen Voraussetzungen trifft die SEC auch Aussagen über die Haftung des Financial Experts im Audit Committees: „Safe Harbor. (i) A person who is determined to be an audit committee financial expert will not be deemed an expert for any purpose, including without limitation for purposes of section 11 of the Securities Act of 1933 (15 U.S.C. 77k), as a result of being designated or identified as an audit committee financial expert pursuant to this Item 401. (ii) The designation or identification of a person as an audit committee financial expert pursuant to this Item 401 does not impose on such person any duties, obligations or liability that are greater than the duties, obligations and liability imposed on such person as a member of the audit committee and board of directors in the absence of such designation or identification. (iii) The designation or identification of a person as an audit committee financial expert pursuant to this Item 401 does not affect the duties, obligations or liability of any other member of the audit committee or board of directors“ (17 CFR § 229.401 (Item 401) (h) Abs. 4).
Der Financial Expert nach dem US-amerikanischen Aktienrecht unterliegt insofern einer Safe-Harbor-Regel. Er ist ausdrücklich keiner stärkeren Haftung als seine Kollegen aus dem Audit Committee ausgesetzt. Die Haftung der übrigen Mitglieder bleibt ebenfalls unverändert bestehen und wird durch die Hereinnahme des Financial Experts weder verringert noch erhöht. Diese Regelung ist beachtlich, 764 765
17 CFR § 229.401 (Item 401) (h). Vgl. bspw. Staake, ZIP 2010, S. 1013, 1014 f; Bröcker/Mosel, GWR 2009, S. 132.
A. Die Innenhaftung der Aufsichtsratsmitglieder
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da das US-Aktienrecht damit im Gegensatz zur Abschlussprüferrichtlinie und zur Umsetzung in § 100 Abs. 5 AktG eine Freistellung für eine erhöhte Haftung normiert. Weder in der Abschlussprüferrichtlinie noch in der Regierungsbegründung zum BilMoG wird die Haftung des Finanzexperten überhaupt angesprochen. In der Literatur wurde bereits früh eine Safe-Harbor-Lösung auch für das deutsche Aktienrecht nach amerikanischem Vorbild für den Fall der Einführung eines Finanzexperten gefordert, um die Stellung nicht von vornherein unattraktiv zu gestalten.766 Dieser Forderung sind der deutsche und europäische Gesetzgeber allerdings nicht nachgekommen. Für die Haftung des Finanzexperten im deutschen Aufsichtsrat muss insofern auf allgemeine Haftungsgrundsätze zurückgegriffen werden.767 (b) Übertragung der allgemeinen Haftungsgrundsätze Greift man nun für die Haftung des Finanzexperten auf die Grundsätze der Haftung der Aufsichtsratsmitglieder gem. § 116 Satz 1 i.V.m. § 93 AktG zurück, so gilt nach den obigen Prinzipen zunächst einmal ein objektiver Haftungsmaßstab, der gleichermaßen für jedes Aufsichtsratsmitglied anzuwenden ist.768 Ausgangspunkt ist damit der allgemeine Sorgfaltsmaßstab nach § 116 Satz 1 i.Vm. § 93 AktG. Fraglich ist, ob diese Grundsätze auch auf den Finanzexperten Anwendung finden. Bedenken könnten insbesondere deshalb bestehen, da für den Finanzexperten im Gesetz besondere Vorgaben bezüglich des von ihm zu erbringenden Kenntnisstandes festgehalten sind. Entgegen dem allgemeinen Grundsatz eines objektiven Mindeststandards, der im Einzelfall durch ein gesteigertes individuelles Sonderwissen modifiziert werden kann, könnte erwogen werden, dass der objektive Standard für den Finanzexperten anzuheben ist und somit die gesetzlich vorgeschriebenen Fachkenntnisse als Mindestkenntnisse für den Finanzexperten zu gelten haben. Der Finanzexperte müsste dann seine Handlungen an diesem (objektiven) Maßstab und nicht am allgemeinen Mindeststandard, gegebenenfalls aufgrund individuellen Sonderwissens erweitert, messen lassen. Dagegen könnte angeführt werden, dass das deutsche Aktienrecht, wie bereits ausgeführt, dem Finanzexperten weder einen strengeren noch einen milderen Sorgfaltsmaßstab als den übrigen Mitgliedern des Aufsichtsrats zuweist. Insofern gilt 766 Luttermann, BB 2003, S. 745, 748; ebenso Mutter/Gayk, ZIP 2003, S. 1773, 1775. Kropff, in: Bitter/Lutter/Priester/Schön/Ulmer, Festschrift für Karsten Schmidt, S. 1023, 1039, hält eine solche Regelung aufgrund fehlender Haftungsprozesse nicht für erforderlich. Unter Betrachtung der Haftungsprozesse gegen Organmitglieder von Aktiengesellschaften ist allerdings fraglich, ob diese Betrachtung im Zuge der Aufarbeitung der Finanzkrise aufrechterhalten werden kann. Jedenfalls aber vermag eine (noch) fehlende praktische Durchsetzung bestehender Ansprüche nicht die Frage, ob eine Safe-Harbor Lösung rechtspolitisch wünschenswert wäre, zu entscheiden. 767 Zur Rechtsfolge dieser allgemeinen Grundsätze vgl. die Ausführungen bei Altmeppen, ZGR 2004, S. 390, 411. 768 Siehe oben, S. 141 ff.
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2. Teil: Folgen von Pflichtverletzungen
grundsätzlich der Sorgfaltsmaßstab eines ordentlichen und gewissenhaften Aufsichtsratsmitglieds für sämtliche Mitglieder des Überwachungsorgans. Entsprechend der Grundsätze über die erhöhte Haftung bei individuellem Sonderwissen könnte hier die über das Übliche hinausgehende Kenntnis in Abschlussprüfung und/ oder Rechnungslegung eine Haftungsverschärfung für den Finanzexperten im Sinne des § 100 Abs. 5 AktG bedeuten.769 Dabei bleibt allerdings zu beachten, dass eine solche erhöhte Haftung ausdrücklich nicht aus der aufgrund höherer Qualifikation objektiv zu erwartenden Kenntnis, sondern nur aus einem im Einzelfall tatsächlich vorhandenen individuellen Sonderwissen folgen kann. Dies könnte bedeuten, dass der Finanzexperte nicht deshalb haftet, weil aufgrund seiner Vorkenntnisse von ihm zu erwarten gewesen wäre, ein Risiko zu erkennen, sondern weil er im konkreten Fall ein für ihn aufgrund seines spezifischen Kenntnisstandes erkennbares Risiko nicht erkannt hat. Ein (ehemaliger) Wirtschaftsprüfer, der als Finanzexperte im Sinne von § 100 Abs. 5 AktG in den Aufsichtsrat einzieht, haftet nicht deshalb für Schäden, die sich aus einer unrichtigen Rechnungslegung des Vorstands ergeben, weil er objektiv die Fähigkeit hatte, das Risikopotential zu entdecken, sondern deshalb, weil er aufgrund vorhergehender Tätigkeiten die Risikolage kannte.770 Unter Zugrundelegung der Haftung für Aufsichtsratsmitglieder haftete der Finanzexperte ausschließlich aufgrund eines möglicherweise vorhandenen Sonderwissens im Einzelfall, nicht jedoch aufgrund einer objektiven erhöhten Sorgfaltspflicht. Eine solche Bewertung greift jedoch zu kurz. Wenn schon für das Ausschussmitglied anerkannt ist, dass aufgrund seiner herausragenden Rolle der allgemeine Mindeststandard anzuheben ist und ein besonderer Standard für die jeweiligen Ausschüsse gilt, obgleich ein solcher Standard nicht gesetzlich normiert ist, so muss dies umso mehr dann gelten, wenn das Gesetz höhere Anforderungen ausdrücklich normiert. Für den Finanzexperten sieht das Gesetz gerade vor, dass bestimmte Kenntnisse und Qualifikationen (besondere Sachkunde im Bereich Rechnungslegung oder Abschlussprüfung) zu erbringen sind. Überträgt man die Grundsätze der Sorgfaltsmaßstäbe für Ausschussmitglieder auf den Finanzexperten, so ist der Sorgfaltsmaßstab desselbigen aufgrund der gesetzlichen Anforderungen höher als bei vergleichbaren „gewöhnlichen“ Aufsichtsratsmitgliedern.771 Der Finanzexperte wird sich bei seinen Entscheidungen damit stets an seinem überlegenen Fachwissen messen lassen müssen. Insofern besteht ein gradueller Unterschied zu solchen Mitgliedern des Aufsichtsrats, die über die gleichen Kenntnisse wie der Finanzexperte verfügen, selbst aber vom Aufsichtsrat nicht als Mitglied im Sinne von § 100 Abs. 5 AktG bestimmt wurden: Diese Mitglieder haften dann verstärkt, wenn sie im 769
So schon Altmeppen, ZGR 2004, S. 390, 411 f. Vgl. hierzu die trennscharfe Unterscheidung bei Schwark, in: Hadding/Immenga, Festschrift für Winfried Werner, S. 841, 854. 771 In diese Richtung wohl auch Kropff, in: Bitter/Lutter/Priester/Schön/Ulmer, Festschrift für Karsten Schmidt, S. 1023, 1038; von den allgemeinen Grundsätzen der höheren Haftung aufgrund individuellem Sonderwissen ausgehend Peltzer, NZG 2009, S. 1041, 1042; Altmeppen, ZGR 2004, S. 390, 411 f; Mutter/Gayk, ZIP 2003, S. 1773, 1775 f. 770
A. Die Innenhaftung der Aufsichtsratsmitglieder
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Einzelfall und aufgrund herausgehobenen Sonderwissens über bestimmte Fähigkeiten und Kenntnisse verfügen und diese nicht entsprechend einsetzen.772 Aufgrund bestimmter Qualifikationen zu erwartendes Sonderwissen vermag eine Haftungsverschärfung hier nicht auszulösen: Hätten diese Mitglieder aufgrund ihrer individuellen Kenntnisse einen Schadenseintritt nicht vorhersehen können, sind sie nicht zur Verantwortung zu ziehen. Im Gegensatz dazu ist der Finanzexperte allerdings nach der hier vertretenen Ansicht einem verschärften objektiven Haftungsmaßstab ausgesetzt: Entsteht ein Schaden, den er aufgrund seines Fachwissens hätte erkennen können, so ist er haftbar und kann sich nicht mit einem Hinweis auf fehlende Fachwissen im Einzelfall exkulpieren. Der Maßstab der Verantwortlichkeit des Finanzexperten ist mithin gegenüber dem generellen Maßstab, der für sämtliche Mitglieder des Aufsichtsrats gilt, deutlich angehoben und spezieller und gilt unbeschränkt. Fehlt die gesetzlich vorgeschriebene Qualifikation und nimmt das Mitglied das Amt als Finanzexperte im Aufsichtsrat dennoch an, so ist es – analog zu den übrigen Aufsichtsratsmitgliedern, die die Mindestkenntnisse nicht erfüllen – wegen Übernahmeverschuldens haftbar:773 Mit Amtsübernahme erklärt der Finanzexperte, die im Sinne von § 100 Abs. 5 AktG erforderlichen Qualifikationen und Anforderungen in seiner Person zu erfüllen.774 Der Finanzexperte hat dann in dem Maße für Schäden einzustehen, als wenn er den angemaßten Sachverstand tatsächlich besessen hätte.775 Ein Übernahmeverschulden kommt freilich nur dort in Betracht, wo für das als Finanzexperten gewählte Mitglied seine eigene Stellung als Mitglied im Sinne von § 100 Abs. 5 AktG offenkundig ist:776 Tritt der vom Plenum auserwählte vermeintliche Finanzexperte sein Amt an, ohne von seiner besonderen, ihm durch das Plenum zugedacht Position zu wissen, so kommt eine Haftung für ein Übernahmeverschulden mangels Verschulden selbstverständlich nicht in Betracht.777 Nicht abschließend geklärt ist, wie sich diese Haftung rein tatsächlich auswirken kann: Wenn keine Offenlegung des Aufsichtsrats nach außen erfolgt, welches 772
Siehe dazu oben, S. 166 ff. Bosse, in: Orth/Ruter/Schichold, Der unabhängige Finanzexperte im Aufsichtsrat, S. 293, 298; Bahreini, Der unabhängige Finanzexperte i.S.v. § 100 Abs. 5 AktG, S. 227 f. 774 So wohl auch Drygala, in: Schmidt/Lutter, AktG, § 116 Rdnr. 38; a.A. Wind/Klie, DStR 2010, S. 1339, 1342, die nur dann ein Übernahmeverschulden bejahen, wenn die grundsätzlichen Mindestqualifikationen, die für alle Aufsichtsratsmitglieder gleichermaßen gelten, nicht erfüllt werden. Dies widerspricht den hier gefundenen Ergebnissen des gegenüber den übrigen Mitgliedern herausgehobenen Haftungsmaßstabs für den Finanzexperten und wird seiner besonderen Stellung nicht gerecht. 775 Drygala, in: Schmidt/Lutter, AktG, § 116 Rdnr. 38. 776 Dies kann beispielsweise durch eine (freiwillige) Erklärung des Gesamtaufsichtsrats und des als Finanzexperten im Sinne von § 100 Abs. 5 AktG vorgesehen Mitglieds an Hauptversammlung erfolgen, worin die (geplante) Stellung des Finanzexperten und die Gründe für seine Qualifikation dargelegt werden, erfolgen. 777 In diese Richtung geht wohl die Darstellung bei Wind/Klie, DStR 2010, S. 1339, 1342. 773
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2. Teil: Folgen von Pflichtverletzungen
Mitglied als Spezialist im Sinne von § 100 Abs. 5 AktG anzusehen ist, so wird sich – wenn kein Mitglied die notwendige Kenntnis aufweist – jedes Mitglied dahingehend zu exkulpieren suchen, dass es selbst nicht als Finanzexperte zur Verfügung stand, sondern lediglich „gewöhnliches“ Aufsichtsratsmitglied habe sein wollen. Tritt durch ein Fehlverhalten ein Schaden bei der Gesellschaft ein, dessen Verhinderung durch das (rechtzeitige und ordnungsgemäße) Einschreiten eines Finanzexperten möglich gewesen wäre, den allerdings die übrigen Mitglieder des Aufsichtsrats nicht zu verhindern in der Lage gewesen wären, so zeigt sich das Ausmaß der Problematik: Nur der Finanzexperte, nicht aber die übrigen Mitglieder des Aufsichtsrats wären in diesem Fall haftbar. Die Möglichkeit der Exkulpation der Mitglieder des Aufsichtsrats (die nicht Finanzexperten im Sinne von § 100 Abs. 5 AktG sind) ergibt sich aus der grundsätzlichen Organbezogenheit des § 100 Abs. 5 AktG.778 Die Vorschrift richtet sich an das Organ Aufsichtsrat als solches und verquickt die gesetzlichen Anforderungen nicht mit einer bestimmten Person oder einem Mandat.779 Insofern ergibt sich keine unmittelbar zu erfüllende Pflicht aus § 100 Abs. 5 AktG, die sich an ein einzelnes Mitglied des Aufsichtsrats richtet. Jedes Mitglied kann grundsätzlich einwenden, nur eine Person im Organ habe die Anforderungen des § 100 Abs. 5 AktG zu erfüllen. Das einzelne Mitglied, das nach außen hin nicht die Übernahme des Amts als Finanzexperten hat verlauten lassen, muss in seiner Person diese Anforderungen nicht erfüllen. Mit Erbringung der Mindestqualifikationen sind die gesetzlichen Sorgfaltspflichten erfüllt. In einem solchen Fall besteht dann nur die Möglichkeit der Anfechtung der Wahl des Aufsichtsrats;780 zu einer Haftung eines einzelnen Mitglieds als Finanzexperten käme es nicht. Denkbar wäre allenfalls die Haftung aller Mitglieder des Aufsichtsrats für einen unzureichenden Wahlbeschluss.781 Eine Offenlegungspflicht, wer als Finanzexperte vom Aufsichtsrat angesehen wird – dies würde die Exkulpationsmöglichkeit der übrigen Mitglieder beseitigen – ist im Gesetz nicht ausdrücklich vorgesehen. Allerdings könnte sich eine solche Offenlegung mittelbar aus anderen Vorschriften ergeben. § 285 Nr. 10 HGB sieht beispielsweise vor, dass im Anhang zum Jahresabschluss unter anderem alle Mitglieder des Aufsichtsrats mit Namen und Beruf genannt werden müssen. Außerdem sind der Vorsitzendes des Aufsichtsrats und seine Stellvertreter zu bezeichnen. Allerdings ist der Finanzexperte hier nicht ausdrücklich aufgeführt. Da die Stellung des Finanzexperten nicht mit der des Aufsichtsratsvorsitzenden vergleichbar ist und der Gesetzgeber mit dem BilMoG auch § 285 HGB umfassend neugeregelt, allerdings keine Pflicht zur Benennung des Finanzexperten eingeführt hat, fehlt es sowohl an 778 Vgl. zu dieser Unterscheidung bereits Staake, ZIP 2010, S. 1013, 1018; dies aufnehmend Drygala, in: Schmidt/Lutter, AktG, § 100 Rdnr. 42, 60. 779 Drygala, in: Schmidt/Lutter, AktG, § 116 Rdnr. 42. 780 Wobei streitig ist, ob die Wahl aller Mitglieder oder nur einzelner Mitglieder angefochten werden können, siehe hierzu auch oben, S. 159 ff. 781 Zu den dort auftretenden Problemen (insb. hinsichtlich der Kausalität), siehe unten, S. 192 ff.
A. Die Innenhaftung der Aufsichtsratsmitglieder
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einer planwidrigen Regelunglücke als auch einer vergleichbaren Interessenslage; eine analoge Anwendung scheidet daher aus.782 Zwar sieht der ebenfalls mit dem BilMoG neu eingeführte § 289a Abs. 2 Nr. 3 HGB vor, dass die Zusammensetzung und Arbeitsweise von Ausschüssen des Aufsichtsrats im Lagebericht der Aktiengesellschaft aufgeführt werden. Die Regierungsempfehlung schlägt in Bezug auf § 289a HGB vor, die Angaben in Entsprechung der Kriterien von § 285 Nr. 10 HGB zu übernehmen,783 wonach Namen und Berufsbezeichnung der Ausschussmitglieder anzugeben wären. Auch hier muss damit aber gerade nicht (verpflichtend) angegeben werden, wer Finanzexperte im Sinne von § 100 Abs. 5 AktG ist.784 Für „nähere Spezifikationen“ verweist die Regierungsbegründung785 auf die Empfehlung der Kommission vom 15. Februar 2005 zu den Aufgaben von nicht geschäftsführenden Direktoren/Aufsichtsratsmitgliedern/börsennotierter Gesellschaften sowie zu den Ausschüssen des Verwaltungs-/Aufsichtsrats.786 Allerdings kann auch hieraus keine Offenlegungspflicht abgeleitet werden; die Empfehlungen zur fachlichen Kompetenz sieht gerade nicht die Bestellung eines Finanzexperten vor, sondern fordert, dass sämtliche Mitglieder des Verwaltungs-/Aufsichtsrats „in ihrer Gesamtheit“ die zur Aufgabenerledigung notwendigen Kenntnisse aufweisen (Abschnitt III Nr. 11.1) und verlangt daher nur die Offenlegung der Einzelkompetenzen der Mitglieder, nicht jedoch eine Benennung, wer als Finanzexperte anzusehen wäre (vgl. Abschnitt III Nr. 11.4).787 Aus der Offenlegung der Einzelkompetenzen folgt aber nicht, wer Finanzexperte i.S.v. § 100 Abs. 5 AktG ist. Kropff788 will aus der Empfehlung des DCGK in Ziffer 5.3.2 Satz 2, wonach der Vorsitzende des Prüfungsausschusses „über besondere Kenntnisse und Erfahrungen in der Anwendung von Rechnungslegungsgrundsätzen und internen Kontrollverfahren verfügen“ soll,789 eine Offenlegung ableiten, da sich hieraus ergebe, dass der 782 Gegen eine Herleitung der Offenlegungspflicht auch Gesell, ZGR 2011, S. 361, 389; zuvor bereits Kropff, in: Bitter/Lutter/Priester/Schön/Ulmer, Festschrift für Karsten Schmidt, S. 1023, 1036; a.A. Vetter, ZGR 2010, S. 751, 790; siehe hinsichtlich § 12 Abs. 4 EGAktG auch Bahreini, Der unabhängige Finanzexperte i.S.v. § 100 Abs. 5 AktG, S. 194. 783 Begründung zum RegE BilMoG vom 30. 07. 2006, BT-Drs. 16/10067, S. 78 li. Sp. 784 Anders aber wohl Gruber, NZG 2008, S. 12, 14 f; ebenso Koch, in: Hüffer, AktG, § 100 Rdnr. 26; Gesell, ZGR 2011, S. 361, 389; Widmann, BB 2009, S. 2602, 2605; Lanfermann/ Röhricht, BB 2009, S. 887, 888; zweifelnd Vetter, ZGR 2010, S. 751, 790; anders auch Bahreini, Der unabhängige Finanzexperte i.S.v. § 100 Abs. 5 AktG, S. 210 f, ohne dies näher zu begründen. 785 Begründung zum RegE BilMoG vom 30. 07. 2006, BT-Drs. 16/10067, S. 78. 786 ABl. EU Nr. L 52 S. 51 vom 15. Februar 2005. 787 Eine verschärfte Haftung würde dann nach den hier gefundenen Grundsätzen nur aufgrund der tatsächlich erhöhten Kenntnisse, nicht aber aufgrund der objektiv erhöhten Qualifikationen erfolgen. Schließlich vermag auch die Darlegung von Einzelkenntnissen je nach Ausgestaltung nicht immer zu klären, ob die Voraussetzungen nach § 100 Abs. 5 AktG erfüllt sind. 788 Kropff, in: Bitter/Lutter/Priester/Schön/Ulmer, Festschrift für Karsten Schmidt, S. 1023, 1036. 789 Dies übernimmt auch Gesell, ZGR 2011, S. 361, 389 f.
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2. Teil: Folgen von Pflichtverletzungen
Finanzexperte gleichzeitig der Vorsitzende des Prüfungsausschusses sein müsse, soweit die Entsprechungserklärung nach § 161 AktG keine Abweichung anzeige. Dann sei durch § 289a Abs. 2 Nr. 3 HGB i.V.m. Ziffer 5.3.2 DCGK Name und Beruf des Finanzexperten offengelegt. Eine etwaige Abweichung müsse angezeigt und begründet werden. Diese Auslegung ist aber mitnichten zwingend: Die Qualifikationen des Vorsitzenden des Prüfungsausschusses und des Finanzexperten stimmen vom Wortlaut nicht vollständig überein. Die Kodexempfehlung in Ziffer 5.3.2 findet sich bereits in der Fassung des DCGK vom 2. Juni 2005 und ist damit bedeutend älter als die Vorschrift des § 100 Abs. 5 AktG.790 Eine Identität der in beiden Normen bezeichneten Personen (Finanzexperte und Vorsitzender des Prüfungsausschusses entsprechend den Vorgaben der Nr. 5.3.2 DCGK) ist daher nicht zwingend; es könnten außerdem auch mehrere Personen mit entsprechendem Sonderwissen im Ausschuss vertreten sein, von denen aber nur einer nach § 100 Abs. 5 AktG verschärft haften würde. Freilich wird es sich in der Praxis anbieten, dass der Finanzexperte auch Vorsitzender des Prüfungsausschusses ist; verpflichtend ist dies aber nicht. Jedenfalls aber kann der Vorsitzende des Prüfungsausschusses nicht lediglich aufgrund der Vorschrift von Nr. 5.3.2 DCGK als Finanzexperte angesehen werden. § 100 Abs. 5 AktG sieht außerdem lediglich vor, dass der Finanzexperte Mitglied im Prüfungsausschuss sein soll – soweit ein solcher überhaupt eingerichtet ist. Die Einrichtung eines Prüfungsausschusses ist nämlich nicht zwingend; der Gesetzgeber hat bei der Umsetzung der Abschlussprüferrichtlinie von seinem dortigen Wahlrecht Gebrauch gemacht und eine solche Pflicht ausdrücklich nicht statuiert.791 Dies erklärt sich daraus, dass nach der Konzeption des deutschen Gesetzgebers (und entgegen der Empfehlung der Abschlussprüferrichtlinie) die in Artikel 41 der Abschlussprüferrichtlinie normierten Aufgaben durch den Aufsichtsrat als Ganzen und nicht durch den Prüfungsausschuss wahrgenommen werden.792 Der Aufsichtsrat kann also darauf verzichten, einen Prüfungsausschuss einzurichten.793 Dies ist aufgrund der Abweichung von der Kodexempfehlung in Ziffer 5.3.2 Satz 1 DCGK gemäß § 161 Abs. 1 AktG dann zwar zu erklären (comply or explain), hat aber im Übrigen keine weiteren unmittelbaren Auswirkungen. Besteht kein Prüfungsausschuss, so ist auch dessen Zusammensetzung nicht offen zu legen; der Finanzexperte müsste dann jedenfalls nicht genannt werden.794 Zusammenfassend lässt sich also feststellen, dass es nach der derzeitigen Rechtslage weder eine unmittelbare noch eine mittelbare Pflicht des Aufsichtsrats gibt, offenzulegen, welche Person als Finanzexperte im Aufsichtsrat 790
Das verkennt Bahreini, Der unabhängige Finanzexperte i.S.v. § 100 Abs. 5, S. 212. Begründung zum RegE BilMoG vom 30. 07. 2006, BT-Drs. 16/10067, S. 77. 792 Begründung zum RegE BilMoG vom 30. 07. 2006, BT-Drs. 16/10067, S. 101 f. 793 Insofern kann § 289a Abs. 2 Nr. 3 HGB nicht schlechthin als Offenlegungsnorm für den Finanzexperten angesehen werden. Der Aufsichtsrat kann auch gänzlich ohne Prüfungsausschuss auskommen. Dies übersieht Gruber, NZG 2008, S. 12, 14. 794 Warum der Aufsichtsrat „im eigenen Interesse“ eine Person, die als Finanzexperte gelten soll, benennen sollte, ist unklar. Im Gegenteil ist es für alle Mitglieder des Aufsichtsrats, wie hier aufgezeigt, von Vorteil, den Finanzexperten nicht zu benennen. Anders aber Kropff, in: Bitter/Lutter/Priester/Schön/Ulmer, Festschrift für Karsten Schmidt, S. 1023, 1036. 791
A. Die Innenhaftung der Aufsichtsratsmitglieder
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angesehen wird. Dadurch ist zu besorgen, dass in der Praxis Schadensersatzansprüche, die gegenüber dem Finanzexperten geltend zu machen wären, mangels Bestimmbarkeit des Ersatzpflichtigen nicht durchsetzbar sind.795 Auch wenn zu erwarten ist, dass – nicht zuletzt aufgrund der Unsicherheiten durch die uneinheitliche Bestimmung der Offenlegungspflichten im Schrifttum – eine Vielzahl von Gesellschaften eine Offenlegung des Finanzexperten im Sinne von § 100 Abs. 5 AktG vornehmen werden, erscheint es aus Gründen der Rechtssicherheit dennoch rechtspolitisch unerlässlich, de lege ferenda zweierlei Pflichten gesetzlich zu statuieren: Erstens sollte der Aufsichtsrat in seinem Wahlvorschlag angeben müssen, welches der vorgeschlagenen Mitglieder er als Finanzexperten als § 100 Abs. 5 AktG ansieht und inwiefern das betreffende Mitglied die erforderlichen Qualifikationen erfüllt. Zum zweiten sollte der Aufsichtsrat im Anhang oder Lagebericht veröffentlichen müssen, wer tatsächlich Finanzexperte ist (die tatsächliche Situation kann aufgrund der freien Entscheidung der Hauptversammlung vom Wahlbeschluss des Aufsichtsrats abweichen) und diese Entscheidung begründen. Weist nach Ansicht des Aufsichtsrats kein einziges Mitglied das Erfordernis auf, so ist auch dies offenzulegen. Bei mehreren i.S.v. § 100 Abs. 5 AktG qualifizierten Personen stellte sich zudem die Frage, wer in Anspruch zu nehmen ist. Ohne eine solche Offenlegungspflicht bleibt zu befürchten, dass die Einrichtung des Finanzexperten in haftungsrechtlicher Sicht insofern folgenlos bleibt, als schlichtweg nicht nachvollziehbar ist, ob die Qualifikationen erfüllt sind und wer im Einzelfall haftungsrechtlich zur Verantwortung zu ziehen ist. (3) Fazit Der Finanzexperte i.S.v. § 100 Abs. 5 AktG haftet im Vergleich zu den übrigen Mitgliedern des Aufsichtsrats verschärft. Er muss sich, entgegen des allgemeinen Grundsatzes, nicht am allgemeinen Mindeststandard, sondern an den objektiven Kriterien, die § 100 Abs. 5 AktG aufstellt, messen lassen; daran ändert auch die Organbezogenheit der Vorschrift nichts. Die rein tatsächliche Durchsetzung der Haftung ist allerdings aufgrund der fehlenden Offenlegungspflicht, wer tatsächlich Finanzexperte ist, problematisch. Für die übrigen Mitglieder des Aufsichtsrats ändert sich haftungsrechtlich dadurch nichts; sie müssen weiterhin die gebotene Sorgfalt walten lassen und haben Einschätzungen des Finanzexperten wenigstens einer Plausibilitätsprüfung zu unterziehen. Sie haften für einen Wahlbeschluss, wenn dieser kein hinreichend qualifiziertes Mitglied im Sinne von § 100 Abs. 5 AktG vorsieht, und der Gesellschaft
795
Ein Beschluss, wer als Finanzexperte gilt, kann de lege ferenda nur einstimmig gefasst werden, da anderenfalls die Gefahr besteht, dass eine Mehrheit der Mitglieder sich auf eine Person als Finanzexperten „verständigt“ und dieser nach außen verstärkt haftet, ohne möglicherweise tatsächlich die entsprechenden Qualifikationen aufzuweisen oder gar mit der Übertragung der besonderen Pflichten einverstanden ist.
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2. Teil: Folgen von Pflichtverletzungen
deshalb ein Schaden entstanden ist. In diesem Fall wird allerdings der Nachweis eines kausalen Schadens überaus schwierig sein. d) Kein Einstehen für die Pflichtverletzung Dritter § 116 Satz 1 i.Vm. § 93 AktG gilt nur für solche Pflichtverletzungen, die von einem Aufsichtsratsmitglied persönlich verursacht wurden. Die Aufsichtsratsmitglieder sind (grundsätzlich)796 nicht für die Pflichtverletzungen ihrer Kollegen verantwortlich:797 Da es an einem Über-Unterordnungsverhältnis zwischen den Aufsichtsratsmitgliedern fehlt, sind sie keine Verrichtungsgehilfen i.S.v. § 831 BGB.798 Die Aufsichtsratsmitglieder erfüllen eigene organschaftliche Pflichten gegenüber der Aktiengesellschaft und sind daher auch keine Erfüllungsgehilfen ihrer Kollegen i.S.v. § 278 BGB.799 Eine Haftung kommt daher nur für eigenes Verschulden in Betracht. Erfolgt eine Pflichtverletzung durch mehrere Aufsichtsratsmitglieder, so haften diese Mitglieder als Gesamtschuldner i.S.v. §§ 421 ff BGB. Ein mögliches Mitverschulden anderer Organmitglieder, des Vorstands, der Hauptversammlung oder sonstiger Personen entlastet das Aufsichtsratsmitglied nicht.800 Ein Mitverschulden kann allerdings im Rahmen des Gesamtschuldnerregresses berücksichtigt werden.801 4. Kausalität (bei Gremienentscheidungen) Pflichtwidrigkeit und Schaden müssen für eine Haftung im Sinne von § 116 Satz 1 i.V.m. § 93 AktG gemäß allgemeiner Grundsätze des Schadensersatzrechts im Wege der Kausalität verbunden sein.802 Die Frage der Kausalität richtet sich dabei nach den allgemeinen Kriterien zur Bestimmung einer Schadensursache unter Anwendung der 796
Zur Problematik der Kausalität bei Gremienentscheidungen und den Pflichten überstimmter Aufsichtsratsmitglieder vgl. unten, S. 192 ff. 797 Ausführlich Thümmel, Persönliche Haftung von Managern und Aufsichtsräten, Rdnr. 54; Spindler, in: Spindler/Stilz, AktG, § 116 Rdnr. 113; Habersack, in: Münchener Kommentar AktG, § 116 Rdnr. 70; so wohl auch Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats, Rdnr. 997, die von einer „individuellen Pflichtverletzung“ sprechen; für den Vorstand: Fleischer, NZG 2003, S. 449, 453; Hopt, in: Großkommentar AktG, § 93 Rdnr. 55; Mertens/Cahn, in: Kölner Kommentar AktG, § 93 Rdnr. 48; für den GmbH-Geschäftsführer: Haas/Ziemons, in: Michalski, GmbHG, § 43 GmbHG Rdnr. 176. 798 Für den GmbH-Geschäftsführer: RG, Urt. v. 18. 10. 1917 – VI 134/17, RGZ 91, 72, 74. 799 Spindler, in: Spindler/Stilz, AktG, § 116 Rdnr. 113. 800 LG München I, Urt. v. 06. 09. 2007 – 5 HK O 12570/07, AG 2007, 756, 758; Spindler, in: Spindler/Stilz, AktG, § 116 Rdnr. 116; Habersack, in: Münchener Kommentar AktG, § 116 Rdnr. 70. 801 Zu den Einzelheiten siehe Habersack, in: Münchener Kommentar AktG, § 116 Rdnr. 73 und Spindler, in: Spindler/Stilz, AktG, § 116 Rdnr. 11; Hambloch-Gesinn/Gesinn, in: Hölters, AktG, § 116 Rdnr. 63, jeweils m.w.N. 802 Allgemeine Ansicht, siehe nur Drygala, in: Schmidt/Lutter, AktG, § 116 Rdnr. 41; Spindler, in: Spindler/Stilz, AktG, § 116 Rdnr. 110; Habersack, in: Münchener Kommentar AktG, § 116 Rdnr. 69.
A. Die Innenhaftung der Aufsichtsratsmitglieder
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sogenannten Theorie der conditio sine qua non, d. h. der Feststellung, ob der Erfolg in seiner konkreten Form auch dann eingetreten wäre, wenn der betreffende Umstand hinweggedacht würde,803 sowie unter Anwendung der Adäquanztheorie,804 bei der es festzustellen gilt, ob die Pflichtverletzung nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge dazu geeignet ist, einen Schaden wie den eingetretenen hervorzurufen.805 In jedem Fall kann eine Haftung nur dann eintreten, wenn die Ursache des eingetretenen Schadens in der spezifischen Pflichtverletzung liegt. Dies ist nach den oben aufgeführten Kriterien regelmäßig dann der Fall, wenn die (pflichtwidrige) Handlung nicht hinweggedacht werden kann, ohne dass der Schaden in seiner konkreten Gestalt entfiele und sich im Schaden die spezifischen Gefahren der Pflichtverletzung niederschlügen.806 Fraglich ist, inwieweit sich ein Organmitglied auf ein sogenanntes rechtmäßiges Alternativverhalten berufen kann. Beim rechtmäßigen Alternativverhalten weist der Schädiger nach, dass der Schaden in gleicher Form auch bei Anwendung der gebotenen Sorgfalt, also im Alternativfall, eingetreten wäre. Auch wenn die Handlung des Mitglieds hier zwar kausal für Erfolg in seiner konkreten Gestalt war, wäre der Erfolg ohne die pflichtwidrige Handlung oder Unterlassung des Schädigers in gleichem Maße eingetreten, sodass dessen Beitrag keine Änderung des Ergebnisses zu bewirken vermag. Nach allgemeiner Ansicht ist der Einwand des rechtmäßigen Alternativverhaltens für das Verhalten der Mitglieder des Aufsichtsrats nicht grundsätzlich ausgeschlossen.807 Mit einem Hinweis darauf, dass auch bei vorschriftsmäßigem Verhalten der Schaden in gleicher Art und Weise eingetreten wäre, kann sich ein Organmitglied insofern entschuldigen. Der Eintritt des Schadens im Alternativfall muss dabei allerdings vom betreffenden Aufsichtsratsmitglied sicher nachgewiesen werden; die bloße Wahrscheinlichkeit eines Schadenseintritts auch ohne den Beitrag des Mitglieds ist nicht ausreichend und vermag das einzelne Mitglied nicht zu entlasten.808 Allerdings soll den Mitgliedern eine Berufung auf 803 Grundlegend die Ausführungen bei Traeger, Der Kausalbegriff im Straf- und Zivilrecht, S. 43 ff. 804 Drygala, in: Schmidt/Lutter, AktG, § 116 Rdnr. 41; Mertens/Cahn, in: Kölner Kommentar AktG, § 116 Rdnr. 66; Hopt/Roth, in: Großkommentar AktG, § 116 Rdnr. 283; Doralt/ Doralt, in: Semler/von Schenck, Arbeitshandbuch für Aufsichtsratsmitglieder, § 14 Rdnr. 61. 805 Kötz/Wagner, Deliktsrecht, Rdnr. 191; Doralt/Doralt, in: Semler/von Schenck, Arbeitshandbuch für Aufsichtsratsmitglieder, § 14 Rdnr. 61. 806 Vgl. für die Bedingung im Sinne der conditio sine qua non Formel: Traeger, Der Kausalbegriff im Straf- und Zivilrecht, S. 43 und Kötz/Wagner, Deliktsrecht, Rdnr. 191 für die Adäquanztheorie. 807 Mertens/Cahn, in: Kölner Kommentar AktG, § 116 Rdnr. 66; Hopt/Roth, in: Großkommentar AktG, § 116 Rdnr. 283; Hambloch-Gesinn/Gesinn, in: Hölters, AktG, § 116 Rdnr. 60; Drygala, in: Schmidt/Lutter, AktG, § 116 Rdnr. 41; Spindler, in: Spindler/Stilz, AktG, § 116 Rdnr. 60; Habersack, in: Münchener Kommentar AktG, § 116 Rdnr. 69a. 808 Zöllner/Noack, in: Baumbach/Hueck, GmbHG, § 43 Rdnr. 16; Hopt/Roth, in: Großkommentar AktG, § 116 Rdnr. 283; Mertens/Cahn, in: Kölner Kommentar AktG, § 93 Rdnr. 55.
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rechtmäßiges Alternativerhalten dann verwehrt sein, wenn es um die Verletzung von wesentlichen Organisations-, Kompetenz- und Verfahrensregeln geht.809 Diese Normen dienen in erster Linie der gesellschaftsinternen Abstimmung und Information und drohen ohne entsprechende Sanktionierung leerzulaufen. Unterlässt ein Aufsichtsratsmitglied es beispielsweise, andere Mitglieder über besondere Erkenntnisse zu informieren, so soll es sich nicht darauf berufen können, dass die übrigen Mitglieder auch in Kenntnis der Information nicht anders gehandelt hätten und der Schaden daher dennoch eingetreten wäre.810 Das sachgerechte, pflichtgemäße Verhalten der übrigen Organmitglieder wird in diesem Fall unterstellt, da eine Aufklärung ihres hypothetischen Verhaltens sich nicht erreichen lässt und die Nachlässigkeit Dritter den Schädiger nicht exkulpieren soll. a) Insbesondere: Probleme überbedingter Kausalität Ein besonderes Problem stellt die Frage dar, ob sich ein Aufsichtsratsmitglied mit dem Hinweis auf die fehlende tatsächliche Auswirkung seiner eigenen Handlung für den Schadenseintritt exkulpieren kann. Diese Exkulpationsmöglichkeit spielt insbesondere bei Mehrheitsentscheidungen des Gesamtorgans eine erhebliche Rolle. Trifft der Aufsichtsrat als Organ eine Gremienentscheidung so ist von Bedeutung, wie die Verantwortlichkeit für diese Entscheidung dem einzelnen Aufsichtsratsmitglied zugerechnet werden kann. Fleischer811 bezeichnet Gremienentscheidungen insofern als „Barriere innerhalb des zivilrechtlichen Zurechnungszusammenhangs“, da nicht das Abstimmungsverhalten des Einzelnen, sondern nur das Ergebnis der Abstimmung aller Mitglieder insgesamt zu einer Gremienentscheidung führt, deren Umsetzung dann in einem Schaden resultieren kann. Wendet man auf Mehrheitsentscheidungen die oben ausgeführten Kausalitätsregeln an, so scheint es, als könne sich jedes Organmitglied in bestimmten Fällen dahingehend exkulpieren, dass der eigene Beitrag für die Beschlussfassung nicht erforderlich war. Unproblematisch ist der Fall, wenn ein rechtswidriger Beschluss durch die für eine einfache Mehrheit notwendigen Stimmen der Aufsichtsratsmitglieder zustande kommt: in einem elfköpfigen Aufsichtsrat wird mit einer Mehrheit von sechs Mitgliedern ein Beschluss zur Umsetzung einer pflichtwidrigen Maßnahme gefasst. Keine der sechs zustim809 Hopt/Roth, in: Großkommentar AktG, § 116 Rdnr. 283; Spindler, in: Spindler/Stilz, AktG, § 116 Rdnr. 109; Hambloch-Gesinn/Gesinn, in: Hölters, AktG, § 116 Rdnr. 60; Habersack, in: Münchener Kommentar AktG, § 116 Rdnr. 69a; einschränkend Drygala, in: Schmidt/Lutter, AktG, § 116 Rdnr. 41, der darauf hinweist, dass der BGH den Einwand des rechtmäßigen Alternativverhaltens bei einem Verstoß gegen eine reine Kompetenzvorschrift zugelassen hat. 810 LG Hamburg, Urt. v. 16. 12. 1980 – 8 O 229/79, AG 1981, S. 51, 52 f, Mertens/Cahn, in: Kölner Kommentar AktG, § 116 Rdnr. 66; Habersack, in: Münchener Kommentar AktG, § 116 Rdnr. 69a; Hambloch-Gesinn/Gesinn, in: Hölters, AktG, § 116 Rdnr. 60. 811 Fleischer, BB 2004, S. 2645: die dortigen Ausführungen betreffen Kollegialentscheidungen im Organ Vorstand. Aufgrund der Ähnlichkeit der Problematik sind die Ausführungen hier aber entsprechend anzuwenden.
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menden Voten kann hinweggedacht werden, ohne dass der Erfolg in seiner konkreten Gestalt entfiele. Jede der abgegeben Stimmen zugunsten der Maßnahme ist insofern für den Gesamtbeschluss kausal und keines dieser Mitglieder kann sich mit einem Hinweis auf die fehlende Relevanz seiner Stimme exkulpieren.812 Verschieben sich nun die Mehrheitsverhältnisse, stimmen beispielsweise zehn der elf Mitglieder für die (pflichtwidrige) Maßnahme und tritt aufgrund dieser Maßnahme ein Schaden der Gesellschaft ein, so kann grundsätzlich jedes der zustimmenden Mitglieder einwenden, dass es selbst dann, wenn es sich gegen den Beschluss ausgesprochen hätte, nicht zu einer anderen Entscheidung gekommen wäre, da die übrigen Mitglieder auch ohne die Stimme des einzelnen eine Mehrheitsentscheidung in gleicher Form getroffen hätten. Das Verhalten des einzelnen Aufsichtsratsmitglieds ist in diesem Fall gerade nicht eine conditio sine qua non für den Gesamtbeschluss, da die Mehrheit für die Entscheidung ohnehin gegeben ist. Da es nur auf die Handlung jedes Mitglieds für sich ankommt, würde es auf diese Art und Weise jedem einzelnen Mitglied gelingen sich zu exkulpieren; die Haftung wäre jeweils aufgrund der fehlenden Relevanz für das Gesamtergebnis ausgeschlossen. Derartige Fälle, in denen die Einzelstimme aufgrund einer vermeintlich ohnehin vorhandenen Mehrheit jeweils nicht erheblich erscheint, werden auch als Fälle überbedingten oder überbestimmten Erfolgs bezeichnet.813 Es liegt auf der Hand, dass eine Haftungsbefreiung des Einzelnen mit Hinweis auf den fehlenden Beitrag der übrigen abstimmenden Mitglieder „dem Rechtsgefühl eklatant widerspricht“.814 Anderenfalls wäre es für sämtliche Entscheidungen von Vorteil, bei Abstimmungen stets überschießende Mehrheiten, d. h. solche, die über die erforderliche Mindestanzahl der Stimmen hinausgehen, zu bilden, um einer Haftung der einzelnen abstimmenden Gremienmitglieder zu entgehen. aa) Lösungsansätze im Strafrecht Im Strafrecht ist die Problematik bereits seit längerem Gegenstand einer intensiv geführten Diskussion.815 Ausgangspunkt der Debatte war der sogenannte Lederspray-Fall,816 den der Bundesgerichtshof im Jahr 1990 zu entscheiden hatte. Die Geschäftsführer einer Gesellschaft, die sich auf Lederpflegeartikel spezialisiert hatte, berieten, nachdem es nach der Verwendung eines Ledersprays der Gesellschaft 812
Zur Verantwortlichkeit der dissentierenden Mitglieder siehe unten, S. 207 ff. Jakobs, in: Kühne, Festschrift für Koichi Miyazawa, S. 419, 422; Fleischer, BB 2004, S. 2645, 2646; Röckrath, Kausalität, Wahrscheinlichkeit und Haftung, S. 29, 43; Röckrath, NStZ 2003, S. 641, 644, wobei letzterer bei Gremienentscheidungen von einer nur teilweise überbedingten Kausalität spricht, da jede Handlung für sich allein nicht ausreichend ist, um den GesamterfoLG herbeizuführen. 814 Hilgendorf, NStZ 1994, S. 561, 562; zustimmend Fleischer, BB 2004, S. 2645, 2646. 815 Siehe bspw. Schmidt-Salzer, NJW 1990, S. 2966; Kuhlen, Neue NStZ 1990, S. 566; Meier, NJW 1992, S. 3193; Hilgendorf, Neue NStZ 1994, S. 561. 816 BGH, Urt. v. 06. 07. 1990 – 2 StR 549/89, BGHSt 37, 106. 813
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in der Presse zu Meldungen über gesundheitliche Beschwerden bei Kunden gekommen war, über einen Verkaufsstopp und eine Rückrufaktion des Produkts. Da bei einer internen Untersuchung keine toxischen Inhaltsstoffe im Produkt festgestellt werden konnten, verzichtete die Geschäftsführung auf weitere Maßnahmen. In Folge unentdeckter toxischer Inhaltsstoffe kam es zu weiteren Gesundheitsschädigungen von Kunden. Die Kausalitätsproblematik, dass zugunsten jedes einzelnen Geschäftsführers angenommen werden kann, dass auch dann, wenn er für einen Verkaufsstopp votiert hätte, die übrigen Geschäftsführer mit ihrer Stimmenmehrheit dennoch genauso, wie tatsächlich geschehen, entschieden hätten, erkennt der BGH und löst die Frage über die Konstruktion einer Mittäterschaft: Wenn bei einem unechten Unterlassungsdelikt wie im vorliegenden Fall mehrere Garanten, die eine ihnen gemeinsam obliegende Pflicht nur gemeinsam erfüllen können, sich gemeinschaftlich dazu entschließen, dieser Pflicht nicht nachzukommen, so liege eine Mittäterschaft vor.817 Eine strafrechtliche Verantwortlichkeit wäre nach der Lösung des BGH nur dann ausgeschlossen, wenn ein Mitglied (nachweisbar) „alles ihm Mögliche und Zumutbare getan hätte, um den gebotenen Beschluß zu erwirken“.818 Dies sei aber im Lederspray-Fall gerade nicht erfolgt, weshalb alle Mitglieder gleichermaßen hafteten. Der BGH sah sich nach dieser Entscheidung teilweise erheblicher Kritik ausgesetzt.819 Insbesondere die Konstruktion einer Mittäterschaft bei Gremienentscheidungen ist in der Literatur auf zum Teil erheblichen Widerstand gestoßen.820 Der BGH hat später in der konzeptionell ähnlichen Politbüro-Entscheidung, in der es um die Strafbarkeit der Mitglieder des SED-Politbüros für die Tötung von Flüchtlingen ging, für den Kausalitätsnachweis darauf abgestellt, dass das pflichtgemäße Verhalten der übrigen Gremiumsmitglieder hinzugedacht werden müsse, da das „Recht von der Befolgung seiner Regeln auszugehen [hat]“.821 In dem Fall wurde den Mitgliedern des Politbüros vorgeworfen, nicht gegen die Schießbefehle an der innerdeutschen Grenze eingeschritten zu sein. Im Gegensatz zur Lederspray-Entscheidung lehnte der BGH hier eine Mittäterschaft ab.822 Handelt es sich bei der Tat um eine Mittäterschaft zwischen den verschiedenen Tätern, so kommt es auf den Nachweis der individuellen Kausalverursachung des Erfolgs bei den einzelnen Tätern nicht an; die Tatbeiträge der anderen Mittäter können dem jeweiligen Täter zugerechnet werden, sodass der Haftung im Falle überbedingter Kausalität mit dem Hinweis auf die fehlende Kausalität des eigenen Beitrags nicht entgangen werden kann.823 Fehlt es aber an den Voraussetzungen für 817 818 819 820 821 822 823
BGH, Urt. v. 06. 07. 1990 – 2 StR 549/89, BGHSt 37, 106, Rdnr. 59 ff (zitiert nach juris). BGH, Urt. v. 06. 07. 1990 – 2 StR 549/89, BGHSt 37, 106, Rdnr. 67 (zitiert nach juris). Vgl. statt aller die Ausführungen bei Hilgendorf, NStZ 1994, S. 561 m.w.N. Puppe, JR 1992, S. 30, 32 ff. BGH, Urt. v. 06. 11. 2002 – 5 StR 281/01, BGHSt 48, 77, Rdnr. 53 (zitiert nach juris). BGH, Urt. v. 06. 11. 2002 – 5 StR 281/01, BGHSt 48, 77, Rdnr. 54 (zitiert nach juris). Röckrath, NStZ 2003, S. 641, 645.
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die Mittäterschaft, so ist die Frage der Individualkausalität indes von besonderem Interesse. Die Lösung im Politbüro-Fall ist dabei nicht geeignet, alle Fälle der überbedingten Kausalität zu lösen: Handelt es sich um einen Fall nur teilweiser Überbedingtheit, wie es im Falle von Gremienentscheidungen zumeist der Fall sein wird, so fehlt es bei der Unterstellung des pflichtgemäßen Verhaltens der übrigen Mitglieder an einer praktischen Auswirkung der Einzelstimme des Gremienmitglieds. Aufgrund der vorhandenen Mehrheit käme es in diesem Fall bereits gar nicht mehr auf dessen Einzelstimme an.824 Dass eine derartige Entlastung dennoch im Ergebnis nicht zuzulassen ist,825 ist einleuchtend. Aus diesem Grund ergibt sich eine mögliche Lösung wie folgt: Bei der teilweisen Überbedingtheit wird, in Anlehnung an die Annahme des BGH, dass das Recht von der Befolgung seiner Regeln auszugehen habe, nicht von der Pflichterfüllung aller ausgegangen (wie dies bei der vollständigen Überbestimmtheit der Fall wäre), sondern ausschließlich von dem pflichtgemäßen Verhalten so vieler wie erforderlich, um die nicht pflichtgemäß handelnden Mitglieder zu überstimmen.826 In diesem Fall kann sich kein Mitglied darauf berufen, dass seine Stimme für die Stimmabgabe nicht erforderlich gewesen wäre: Es wird unterstellt, dass die übrigen Mitglieder alle ordnungsgemäß gehandelt hätten, da nur für so viele Mitglieder ein pflichtgemäßes Handeln unterstellt wird, wie gemeinsam mit der in Rede stehenden Stimme des einzelnen Mitglieds für die Stimmabgabe erforderlich wären.827 Diese Lösung entspricht in Anwendung und Ergebnis in weiten Teilen dem im US-amerikanischen Recht entwickelten sogenannten NESS-Test (Necessary Element of a Sufficient Set).828 Nach dieser Lehre sind sämtliche Elemente kausal, die zusammen mit anderen Elementen eine hinreichende Mindestbedingung829 für den Erfolg darstellen.830 824 Röckrath, Kausalität, Wahrscheinlichkeit und Haftung, S. 43; zuvor bereits Röckrath, Neue NStZ 2003, S. 641, 645 f. 825 Knauer, NJW 2003, S. 3101, 3103. 826 Puppe, in: Kindhäuser/Neumann/Paeffgen, StGB, Vorbemerkungen zu §§ 13 ff, Rdnr. 122; ebenso Röckrath, Kausalität, Wahrscheinlichkeit und Haftung, S. 43 f; Röckrath, NStZ 2003, S. 641, 646; anders wohl Jakobs, in: Kühne, Festschrift für Koichi Miyazawa, S. 419, 427, der auch bei einer „unnötig hohen“ Mehrheit von einer Kausalität der Einzelstimme ausgeht, ohne dies näher auszuführen. 827 Puppe, JR 1992, S. 30, 33 f; ähnlich auch Hoyer, Goltdammer’s Archiv für Strafrecht, 1996, S. 160, 174. 828 Siehe dazu Wright, Iowa Law Review 73 (1988), S. 1001, 1018 ff. 829 Die Mindestbedingung für den Erfolg sind im obigen Beispiel des elfköpfigen Gremiums sämtliche Abstimmungsvarianten, bei denen mindestens fünf der Mitglieder zugunsten der Maßnahme stimmen. Die sechste und für die Mehrheitsverhältnisse entscheidende Stimme ist dann jeweils als die Stimme desjenigen Mitglieds anzusehen, dem eine Pflichtverletzung vorgeworfen wird; sie ist also für das Gesamtergebnis stets erheblich und dieses Mitglied kann sich nicht auf die fehlende Relevanz seiner Stimmausübung berufen, vgl. dazu auch das Beispiel bei Röckrath, NStZ 2003, S. 641, 645, dort Fn. 62. 830 Zur Kritik an dieser Ansicht siehe Knauer, Die Kollegialentscheidung im Strafrecht, S. 118 ff, mit einer ausführlichen Argumentation. Eine Auseinandersetzung mit den Einzelheiten der strafrechtlichen Theorien würde den Rahmen dieser Arbeit sprengen.
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Andere Autoren kommen zum gleichen Ergebnis, indem sie die überschießenden (und insofern für die Beschlussfassung überflüssigen) Stimmen der übrigen Organmitglieder als nicht verwirklichte Reserveursachen betrachten.831 Jede Stimme in der Abstimmung, die zustimmend zum (pflichtwidrigen) Gesamtergebnis abgegeben wird, unterstütze damit den Gesamterfolg. Dies gelte unabhängig davon, ob die Einzelstimme zur Erreichung der Mehrheit tatsächlich erforderlich ist, oder diese lediglich überschreite. Unter Anwendung der modifizierten conditio sine qua non Formel für Fälle der alternativen Kausalität soll so der Nachweis der Ursächlichkeit der Einzelstimmen erbracht werden.832 bb) Zivilrechtliche Lösung Die oben aufgezeigten Lösungsansätze aus der Strafrechtslehre verdeutlichen, wie dogmatisch umstritten die Einordnung der Einzelverantwortung bei Gremienentscheidungen ist. Die gängigen Lösungsansätze der Kausalitätsdogmatik scheinen auf die Problematik nicht zu passen. Fraglich ist insbesondere, wie die Kausalitätsproblematik bei Gremienentscheidungen zivilrechtlich zu lösen ist. Während auch im zivil- und insbesondere im aktienrechtlichen Schrifttum weitgehende Einigkeit dahingehend herrscht, dass der Hinweis auf die fehlende Relevanz der eigenen Stimme aufgrund überbestimmender Kausalität durch die Abstimmungsbeiträge der übrigen Organmitglieder nicht entlasten kann,833 werden die zugrundeliegenden dogmatischen Gründe dafür bislang nur unzureichend beleuchtet. Fleischer834 spricht sich im Falle der deliktischen Außenhaftung für die Anwendung der Grundsätze von § 830 Abs. 1 Satz 1 BGB aus, wobei er die so entstehende Haftung nach den Grundsätzen der Mittäterschaft als „kausalitätsersetzende Zurechnungsfigur“ ansieht. Dies erscheint allerdings insofern problematisch, als dass eine Mittäterschaft nur dort angenommen werden kann, wo ein gewolltes Zusammenwirken der Organmitglieder in Betracht kommt. Zur Begründung der Mittäterschaft ist richtigerweise bereits ein kausaler Tatbeitrag der jeweiligen Mittäter erforderlich835 – das Modell der Mittäterschaft kann insofern nicht kausalitätsersetzend wirken, sondern allenfalls wechselseitige Tatbeiträge, die einzeln oder 831
Schaal, Strafrechtliche Verantwortlichkeit bei Gremienentscheidungen in Unternehmen, S. 98. 832 Schaal, Strafrechtliche Verantwortlichkeit bei Gremienentscheidungen in Unternehmen, S. 98; ebenso Meier, NJW 1992, S. 3193, 3198; Kuhlen, NStZ 1990, S. 566, 570. Siehe zur Kausalitätsproblematik bei alternativen Kausalverläufen auch Medicus, in: Staudinger, BGB, § 249 Rdnr. 96. 833 Siehe beispielsweise Zöllner/Noack, in: Baumbach/Hueck, GmbHG, § 43 GmbHG Rdnr. 16; Mertens, in: Kölner Kommentar AktG, § 116 Rdnr. 66; Habersack, in: Münchener Kommentar AktG, § 116 Rdnr. 69a; Hambloch-Gesinn/Gesinn, in: Hölters, AktG, § 116 Rdnr. 61; jeweils ohne Begründung. 834 Fleischer, BB 2004, S. 2645, 2647. 835 Siehe die ausführliche Kritik von Puppe, JR 1992, S. 30, 32.
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insgesamt für den Erfolg kausal wirken, gegenseitig zurechnen. Bei einer Gremienentscheidung stimmen die Mitglieder zunächst jeweils individuell über die betreffende Maßnahme ab. Auch wenn im Regelfall zuvor eine gemeinsame Diskussion und Erörterung der Beschlussgegenstände erfolgt, kann mangels gemeinsamen Vorsatzes im Regelfall keine Mittäterschaft im Sinne von § 25 Abs. 2 StGB bei der Abgabe der Stimmen angenommen werden. Eine Anwendung von § 830 Abs. 1 Satz 1 BGB vermag daher die Kausalitätsproblematik in diesem Fall nicht zu lösen. Für die übrigen Fälle schlägt Fleischer vor, die Grundsätze des § 830 Abs. 1 Satz 2 BGB in analoger Anwendung auf Gremienentscheidungen zu übertragen.836 Danach sei der Kausalitätsnachweis dann nicht zu erbringen, „wenn (1) bei jedem der Beteiligten eine Pflichtverletzung vorliegt, (2) die Kausalität der aggregierten Verursachungsbeiträge feststeht und (3) nicht feststellbar ist, welcher von den Beteiligten den Schaden ganz oder teilweise verursacht hat“.837 Diese Erfordernisse entlehnt Fleischer den grundsätzlichen Voraussetzungen für die Haftung nach § 830 Abs. 1 Satz 2 BGB, allerdings nicht ohne sie in (nicht unerheblichem) Maße zu modifizieren. Eine Haftung für Alternativtäter setzt nämlich nach vorherrschender Lehre voraus, dass „(1) bei jedem Beteiligten ein anspruchsbegründendes Verhalten gegeben ist, wenn man vom Nachweis der Kausalität absieht, (2) einer der unter dem Begriff der ,Beteiligten‘ zusammengefassten Personen den Schaden verursacht haben muss, und (3) nicht feststellbar ist, welcher von ihnen den Schaden tatsächlich (ganz oder teilweise) verursacht hat [und] (4) die Eignung des Verursachungsbeitrags eines jeden Beteiligten, den Schaden herbeizuführen“.838
Die haftungsbegründenden Kriterien einer Alternativtäterschaft sind bei Kollegialentscheidungen schon deshalb nicht erfüllt, da die erforderliche Schadensverursachung der Maßnahme gerade nicht nur einem Gremiumsmitglied zugerechnet werden kann, sondern Folge der Entscheidung des Gesamtgremiums ist. Für eine Modifizierung der Voraussetzung des § 830 Abs. 1 Satz 2 BGB im Falle einer analogen Anwendung entsprechend den oben aufgeführten Kriterien nach Fleischer spricht durchaus, dass die Kausalität bei Mehrheitsentscheidungen eine Kombination aus kumulativer und alternativer Kausalität darstellt:839 Jede Stimme als solche ist für sich nicht ausreichend, um den Erfolg in seiner konkreten Gestalt herbeizuführen. Es sind aber nicht sämtliche Stimmen aller Mitglieder erforderlich, um den Erfolg herbeizuführen, sondern mit dem obigen Beispiel des elfköpfigen Aufsichtsrats nur sechs. Es liegt damit auch ein Fall alternativer Kausalität vor, da es auf die Personen, welche die Stimmen abgeben, nicht ankommt. Die von Fleischer aufgestellten Kriterien der analogen Anwendung von § 830 Abs. 1 Satz 2 BGB passen allerdings 836
Fleischer, BB 2004, S. 2645, 2647, unter Verweis auf Röckrath, NStZ 2003, S. 641, 644. Fleischer, BB 2004, S. 2645, 2647. 838 Wagner, in: Münchener Kommentar BGB, § 830 Rdnr. 43. 839 Eingehend Röckrath, NStZ 2003, S. 641, 644; vgl. ihm nachfolgend auch Fleischer, BB 2004, S. 2645, 2647; ebenso Wagner, in: Münchener Kommentar BGB, § 830 Rdnr. 61. 837
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nicht auf den vorliegenden Fall des überbedingten Erfolgs bei Gremienentscheidungen. Die Kausalität der aggregierten Verletzungsbeiträge steht zwar fest, im Gegensatz zur kumulativen Kausalität sind hier allerdings nicht sämtlich Stimmen ursächlich für den Schadenseintritt.840 Auch das Argument Wagners, eine Haftung bei Kombination von kumulativer und alternativer Kausalität nach § 830 Abs. 1 Satz 2 BGB analog müsse schon aus einem erst-Recht-Schluss im Vergleich zur Haftung aus § 830 Abs. 1 Satz 2 BGB für „alternative Alleinkausalität“ folgen, verfängt nicht: Das Argument ist insofern zirkelschlüssig, als dass bei der alternativen Alleinkausalität die Alleinverursachung durch wenigstens einen der jeweiligen Täter gegeben ist.841 Bei Fällen mit überbedingtem Erfolg fehlt es gerade an der Alleinverursachung durch ein einzelnes Mitglied; das Ergebnis kann seinem Wesen nach nur in Kumulation mit Handlungen Anderer eintreten. Es liegt aber auch gerade kein Fall der (reinen) kumulativen Kausalität vor, schließlich ist hier gerade nicht nachweisbar, dass der Beitrag des (vermeintlichen) Schädigers überhaupt zu einem Schaden geführt hat. Zöge man nun mit Wagner den oben angeführten erst-RechtSchluss, so würden die Besonderheiten der Kombination kumulierter und alternativer Kausalität nicht hinreichend berücksichtigt. Für die organschaftliche Mitgliederhaftung schlägt Fleischer vor, die Kausalitätsfrage „durch spezifische aktienrechtliche Wertungen [zu] bewältigen“.842 Aufgrund des Nebeneinanders und der Parallelität der Pflichten der Organmitglieder könne sich ein einzelnes Mitglied nicht darauf berufen, die eigene Stimmabgabe sei zur Herbeiführung eines pflichtgemäßen Beschlusses aufgrund des übermäßigen Stimmgewichts der übrigen Organmitglieder nicht erforderlich gewesen.843 Dies liegt auf der Hand und wurde bereits oben festgestellt. Die reine Konstatierung, eine Berufung des einzelnen Mitglieds auf die fehlende Relevanz der eigenen Stimmabgabe sei den Organmitgliedern verwehrt, vermag aber deren dogmatische Begründung nicht zu determinieren. Stattdessen scheint Fleischer unter Verweis auf die Politbüro-Entscheidung844 ein pflichtgemäßes Abstimmungsverhalten aller übrigen Organmitglieder zu unterstellen.845 Dabei wird allerdings verkannt, dass es gerade 840 Röckrath, Kausalität, Wahrscheinlichkeit und Haftung, S. 39 f, nimmt die analoge Anwendung von § 830 Abs. 1 Satz 2 BGB daher nur für die Fälle der kumulativen Kausalität (dort „Doppelkausalität“) vor. Dies übersieht Fleischer bei seinem Verweis auf die Ausführungen Röckraths, vgl. Fleischer, BB 2004, S. 2645, 2647, dort Fn. 43. 841 Voraussetzung für die Haftung nach § 830 Abs. 1 Satz 2 BGB ist stets, dass die in Frage kommenden Täter die Gefahr des Gesamtschadens geschaffen haben. Liegt nur die Verwirklichung einer Teilgefahr vor, so scheidet die Anwendung von § 830 Abs. 1 Satz 2 BGB aus, vgl. Bauer, Juristenzeitung (JZ) 1971, S. 4, 8. Zweck der Norm ist es, die Gefahr der Unaufklärbarkeit des Sachverhaltes den Schädigern und nicht dem Opfer zuzuweisen, vgl. Weckerle, Die deliktische Verantwortlichkeit Mehrerer, S. 106; ähnlich auch Keuk, AcP 168 (1968), S. 175, 186. 842 Fleischer, BB 2004, S. 2645, 2647. 843 Fleischer, BB 2004, S. 2645, 2647. 844 BGH, Urt. v. 06. 11. 2002 – 5 StR 281/01, BGHSt 48, 77. 845 Fleischer, BB 2004, S. 2645, 2647.
A. Die Innenhaftung der Aufsichtsratsmitglieder
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nicht auf das Verhalten sämtlicher Gremiumskollegen, sondern nur einer so hohen Zahl, dass die Stimme des in Rede stehenden Mitglieds ausschlaggebend ist, als pflichtgemäß unterstellt werden darf, da anderenfalls erneut keine kausale Verknüpfung von Abstimmung und Endergebnis erreicht werden kann. Für die Lösung der Fälle überbedingter Erfolge (sowohl im Innen- wie auch im Außenverhältnis) empfiehlt sich insofern, wie auch im Strafrecht, eine Lösung in Anlehnung an den NESS-Test: Somit besteht die Möglichkeit, Mindestbedingungen zu bilden, die sich teilweise überschneiden und für jedes handelnde Organmitglied individuell zu bestimmen sind. Dabei wird unterstellt, dass eine so große Anzahl der übrigen Mitglieder des Gremiums pflichtgemäß gehandelt hat, dass die Stimme des in Rede stehenden Mitglieds für das Gesamtergebnis ins Gewicht fällt.846 Dies entspricht in eingeschränkter Form der Formel des Bundesgerichtshofs: „Das Recht hat von der Befolgung seiner Regeln auszugehen“.847 cc) Zusammenfassung Während das Ergebnis auf die Frage, ob sich Einzelmitglieder bei Gremienentscheidung mit Hinweis auf das ebenfalls pflichtwidrige Abstimmungsverhalten ihrer Kollegen entlasten können, schnell feststeht, ist die dogmatische Begründung dieser Lösung weitaus schwieriger. Die Problematik taucht sowohl im Straf- wie auch im Zivilrecht auf und scheint mit den gängigen Kausalitätstheorien nicht fassbar. Insbesondere Fälle mit überbedingtem Erfolg, bei denen mehr als die für eine Mehrheit notwendige Mindestanzahl an Stimmen vorhanden ist, sind nur schwer zu handhaben. In der Literatur hat sich die Lösung über den sogenannten NESS-Test bzw. die Aufstellung von Mindestbedingungen848 herausgebildet: Demnach wird, in Anlehnung an die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, unabhängig von ihrem tatsächlichen Abstimmungsverhalten unterstellt, dass eine bestimmte Anzahl von Mitgliedern bei pflichtgemäßem Verhalten des in Rede stehenden Aufsichtsratsmitglieds ebenfalls ordnungsgemäß gehandelt hätte. Die Anzahl der pflichtgemäß handelnden Mitglieder hat dabei eine solche Größe, dass die Stimme des in Rede stehenden Aufsichtsratsmitglieds den Ausschlag für das Ergebnis der Mehrheitsentscheidung gehabt hätte.
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Zum Ganzen siehe ausführlich Röckrath, Kausalität, Wahrscheinlichkeit und Haftung, S. 43 f. Ebenso wohl auch Wagner, in: Münchener Kommentar BGB, § 830 Rdnr. 614. In diese Richtung geht auch Vetter, DB 2004, S. 2623, 2627, der jedoch unterstellt, dass alle anderen Mitglieder ebenfalls pflichtgemäß gehandelt hätten. Dass es dann allerdings nicht zum Schaden gekommen wäre – unabhängig davon, ob das hier in Rede stehende Aufsichtsratsmitglied für oder gegen den Beschluss gestimmt hätte (und seine Stimme damit erneut nicht kausal für das Endergebnis wäre) – übersieht Vetter dabei. 847 BGH, Urt. v. 06. 11. 2002 – 5 StR 281/01, BGHSt 48, 77, Rdnr. 53 (zitiert nach juris). 848 Trotz terminologischer Differenzierung handelt es sich im Ergebnis um ein identisches Modell.
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2. Teil: Folgen von Pflichtverletzungen
b) Pflichten des dissentierenden Aufsichtsratsmitglieds? Neben der Frage nach der kausalen Verknüpfung von Abstimmungsverhalten und der aufgrund des Beschlusses ausgeführten Maßnahme bei Mehrheitsentscheidungen mit überbedingtem Erfolg, ist bei Gremienentscheidungen außerdem problematisch, unter welchen Voraussetzungen die fehlende Zustimmung eines Organmitglieds zum Beschluss des Gremiums zu einer Haftungsbefreiung führt. Die Frage nach dem „richtigen“ Verhalten zur Enthaftung eines dissentierenden Aufsichtsratsmitglieds ist nunmehr seit über 130 Jahren Gegenstand lebhafter Diskussionen.849 Grundsätzlich lässt sich anführen, dass jedes Stimmverhalten, bei dem ein Aufsichtsratsmitglied nicht zugunsten eines pflicht- oder rechtswidrigen Beschlusses stimmt, nicht kausal für den Beschluss und die daraus resultierende Maßnahme ist, da das Mitglied die Wahrscheinlichkeit für den Erfolgseintritt mangels unterstützender Stimmabgabe nicht erhöht hat. Folgt man dem, so ließe sich argumentieren, dass eine Enthaltung oder eine Gegenstimme zum (pflichtwidrigen) Beschluss haftungsbefreiend wirken und ein sich enthaltendes oder gegen den Beschluss stimmendes Mitglied nicht ersatzpflichtig im Sinne von § 116 i.Vm. § 93 Abs. 2 AktG macht.850 Eine solche Bewertung begegnet aber grundlegenden Bedenken: Die Aufgabe der Aufsichtsratsmitglieder erschöpft sich nicht in der bloßen Stimmabgabe, sondern erfordert eine aktive Teilnahme an den Sitzungen des Gremiums, bei denen sich alle Mitglieder auch durch die Äußerung eigener Meinungen und durch Kundtun eigenen Dafürhaltens an der Arbeit des Aufsichtsrats beteiligen.851 Die Aufsichtsratsmitglieder sind in erster Linie dem Unternehmenswohl verpflichtet. Besteht eine Gefährdung für die Interessen der Gesellschaft durch einen rechts- oder pflichtwidrigen Beschluss des Aufsichtsrats, so ist jedes Mitglied gehalten, das Notwendige zu tun, um diesen Beschluss zu verhindern.852 Welche Pflichten ein dissentierendes Aufsichtsratsmitglied im Einzelfall treffen, um einen von der Mehrheit unterstützten rechts- oder pflichtwidrigen Aufsichtsratsbeschluss zu verhindern und als „notwendig“ zur Verhinderung eines pflichtwidrigen Beschlusses anzusehen ist, ist in Rechtsprechung und Schrifttum bislang nicht ein849
Siehe bereits die Ausführungen im „Gutachten über die geeignetsten Mittel zur Abhülfe der nach den Erfahrungen des Reichs-Oberhandelsgerichts bei der Gründung, der Verwaltung und dem geschäftlichen Betriebe von Aktienunternehmungen hervorgetretenen Umstände“ aus dem Jahr 1877, abgedruckt bei Schubert/Hommelhoff, Hundert Jahre modernes Aktienrecht, S. 157, 226. 850 In diese Richtung wohl Fleischer, BB 2004, S. 2645, 2648, der jedenfalls bei Abgabe einer Gegenstimme eines Organmitglieds (dort: Vorstand) eine Pflichtverletzung ausschließt. Nach der dort vertretenen Ansicht kann aber ggf. eine Verpflichtung zur Äußerung von Gegenansichten bestehen. 851 Siehe dazu die generellen Mitwirkungspflichten der Aufsichtsratsmitglieder, S. 121 ff. 852 Fleischer, BB 2004, S. 2645, 2649, prüft eine Pflicht zur Verhinderung der Ausführung rechts- oder pflichtwidriger Beschlüsse. Richtigerweise sollten Organmitglieder zur Verhinderung von Endtatsachen bereits zu einem früheren Zeitpunkt intervenieren und bereits den Beschluss zu verhindern suchen.
A. Die Innenhaftung der Aufsichtsratsmitglieder
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heitlich beurteilt worden. Im Nachfolgenden werden die das einzelne Aufsichtsratsmitglied treffenden Pflichten vor und nach erfolgter Abstimmung aufgezeigt. Dabei muss freilich berücksichtigt werden, dass sich eine pauschale Festlegung von Pflichten grundsätzlich verbietet. Die Pflichten können je nach Art und Höhe des drohenden Schadens (erheblich) divergieren. Zur genauen Bestimmung der spezifischen Pflichten ist eine Einzelfallanalyse in jedem Fall angezeigt. aa) Vor der Abstimmung: Pflicht zur Gegenvorstellung Wenn die Aufsichtsratsmitglieder zu einer aktiven Teilnahme an den Sitzungen des Aufsichtsrats berufen sind und im Falle von drohenden rechts- oder pflichtwidrigen Beschlüssen des Organs versuchen müssen, derartige Beschlüsse zu verhindern, so ist fraglich, wie sich diese Pflicht vor und in der Abstimmung auswirkt. In der Literatur wird zum Teil vertreten, das Mitglied müsse alles ihm Mögliche und Zumutbare unternehmen, um ein gesellschaftsschädigendes Verhalten zu verhindern.853 Richtigerweise muss von einem dissentierenden Gremiumsmitglied verlangt werden, eigenen Bedenken gegen den Beschluss den Gremienkollegen mitzuteilen. Geht ein Mitglied davon aus, dass ein zu fassender Beschluss des Aufsichtsrats rechts- oder pflichtwidrig wäre, so kann es nicht genügen, wenn es bei der Beschlussfassung gegen den Beschluss stimmt, seine Bedenken aber in der vorherigen Diskussion nicht zum Ausdruck bringt.854 Das Erfordernis zur Erhebung von Gegenvorstellungen findet sich bereits in den Vorgängervorschriften des heutigen Aktienrechts. In Art. 225b ADHGB 1870855 war eine Haftung der Aufsichtsratsmitglieder vorgesehen, wenn „mit ihrem Wissen und ohne ihr Einschreiten“ bestimmte Tatbestände erfüllt wurden. Dabei bestand Übereinstimmung dahingehend, dass es zur Enthaftung nicht ausreichen könne, dass die Mitglieder bloß gegen den Beschluss protestierten. Stattdessen bestand dahingehend Einigkeit, dass „vielmehr diejenige Thätigkeit entwickelt werden [muss], welche den Zweck des Einschreitens, nämlich die Verhinderung des verbotenen Verfahrens, zu sichern geeignet ist.“856 Auch das Reichsoberhandelsgericht forderte für eine Enthaftung der Mitglieder des Aufsichtsrats wenigstens den „Vorschlage weiter greifender Maßregeln“, ohne dies aber weiter zu spezifizieren.857 Bereits in 853 Für die parallele Problematik im Strafrecht, vgl. Dierlamm, in: Münchener Kommentar StGB, § 266 Rdnr. 79 f; siehe auch BGH, Urt. v. 06. 07. 1990 – 2 StR 549/89, BGHSt 37, 106, Rdnr. 59 (zitiert nach juris) (Lederspray), der die gleichen Anforderungen an die Gremienentscheidung bei Geschäftsführern der GmbH stellt. 854 Ähnlich Drygala, in: Schmidt/Lutter, AktG, § 116 Rdnr. 16; Habersack, in: Münchener Kommentar AktG, § 116 Rdnr. 38; Henssler, in: Henssler/Strohn, AktG, § 116 AktG Rdnr. 11. 855 Zur historischen Entwicklung der Aufsichtsratshaftung ausführlich unten, S. 246 ff. 856 Keyssner, Die Aktiengesellschaften und Kommanditgesellschaften auf Aktien unter dem Reichsgesetz vom 11. Juni 1870, S. 184. 857 Siehe die Ausführungen des Reichsoberhandelsgerichts im „Gutachten über die geeignetsten Mittel zur Abhülfe der nach den Erfahrungen des Reichs-Oberhandelsgerichts bei
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2. Teil: Folgen von Pflichtverletzungen
den frühen Anfängen des Aktienrechts, als die Bedeutung des Aufsichtsrats noch vergleichsweise gering eingeschätzt wurde,858 vermochte der bloße Protest also keine Enthaftung zu bedeuten. Erforderlich war vielmehr, jede Möglichkeit zur Verhinderung des schädigenden Beschlusses auszuschöpfen. Das Aufsichtsratsmitglied handelt dann nicht im besten Interesse des Unternehmens, wenn es eine von der Mehrheit abweichende Einschätzung für sich behält und lediglich in der Abstimmung mit der eigenen Stimme gegen den Beschluss stimmt. Durch ein solches Verhalten nämlich wird den übrigen Mitgliedern die Möglichkeit genommen, sich kritisch mit der Ansicht des dissentierenden Mitglieds auseinander zu setzen und gegebenenfalls die eigene Meinung zu ändern. Pflichtgemäß handelt das Mitglied nur dann, wenn es die Zweifel an der Recht- und Pflichtmäßigkeit des Beschlusses vorträgt und sich aktiv um eine Vermeidung des Beschlusses bemüht.859 Dies kann geschehen durch die Einbringung zusätzlicher Expertenmeinungen, weiterer Hintergrundinformationen, Folgenabschätzungen und schließlich aber auch durch eine schlüssige und logische Argumentation und Darstellung der eigenen Bedenken.860 Sollten eindeutige und objektive Einschätzung im Einzelfall nicht verfügbar sein, so ist das Mitglied auch zur Mitteilung der abweichenden Vorstellung verpflichtet, wenn dies nur auf einem „Störgefühl“ beruht und das Mitglied aus diesem Grund gegen eine Maßnahme stimmt. Die Gegenvorstellung kann schließlich nicht nur dann gefordert werden, wenn die abweichende Ansicht des dissentierenden Mitglieds fachlich fundiert und belegbar ist, sondern soll den allgemeinen internen Diskurs im Gremium verbessern und stärken. Dies kann nur dann gelingen, wenn die Mitglieder für eine erfolgreiche Enthaftung dazu verpflichtet werden, auch möglicherweise nicht unmittelbar wissenschaftlich belegbare Bedenken vorzutragen. Nicht selten entstehen solche Bedenken durch langjährige Managementerfahrung oder Kenntnisse der internen Betriebsaufläufe und können Anlass für neue Untersuchungen sein, durch die im weiteren Verlauf Mängel aufder Gründung, der Verwaltung und dem geschäftlichen Betriebe von Aktienunternehmungen hervorgetretenen Umstände“, abgedruckt bei Schubert/Hommelhoff, Hundert Jahre modernes Aktienrecht, S. 157, 226. Die Anrufung der Hauptversammlung wurde indes nicht als notwendig erachtet. 858 Zur Entwicklung siehe unten, S. 246 f. 859 Hopt/Roth, in: Großkommentar AktG, § 116 Rdnr. 17; Zempelin, AcP 155 (1956), S. 210, 215; Hoffmann/Preu, Der Aufsichtsrat, Rdnr. 424; Vetter, in: Marsch-Barner/Schäfer, Handbuch börsennotierte AG, § 29 Rdnr. 67; Hambloch-Gesinn/Gesinn, in: Hölters, AktG, § 116 Rdnr. 21; Koch, in: Hüffer, AktG, § 116 Rdnr. 15; Hoffmann/Preu, Der Aufsichtsrat, Rdnr. 520; Habersack, in: Münchener Kommentar AktG, § 116 Rdnr. 38; Mertens/Cahn, in: Kölner Kommentar AktG, § 116 Rdnr. 648; Vetter, DB 2004, S. 2623, 2625; Patzina, in: Patzina/Bank/Schimmer/Simon-Widmann, Haftung von Unternehmensorganen, Kap. 7 Rdnr. 10; Spindler, in: Spindler/Stilz, AktG, § 116 Rdnr. 36; Hefermehl, in: Geßler/Hefermehl, AktG, § 116 Rdnr. 21; Ulmer, NJW 1980, S. 1603, 1605; in diese Richtung auch Henssler, in: Henssler/Strohn, AktG, § 116 Rdnr. 11; ähnlich auch Drygala, in: Schmidt/Lutter, AktG, § 116 Rdnr. 16, der verlangt, dass das dissentierende Mitglied versuchen solle, die übrigen Mitglieder von seiner Ansicht zu überzeugen; für den Vorstand ebenso Fleischer, BB 2004, S. 2645, 2651. 860 Schmidt, Die Umwelthaftung der Organmitglieder von Kapitalgesellschaften, S. 220 f.
A. Die Innenhaftung der Aufsichtsratsmitglieder
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gedeckt werden. Durch die Mitteilung wird den übrigen Mitgliedern jedenfalls die Möglichkeit gegeben, ihre eigene Ansicht zu überdenken und möglicherweise zu revidieren. Unterlässt ein Mitglied diese Hinweise, kann es sich bei einer möglichen haftungsrechtlichen Inanspruchnahme für den rechts- bzw. pflichtwidrigen Beschluss nicht auf seine Gegenstimme zum Beschluss berufen. Zwar liegt in der Abgabe der Gegenstimme (im Gegensatz zur Stimmabgabe der Mehrheit) selbst kein pflichtwidriges Verhalten,861 wohl aber ist die Nichtäußerung von Gegenvorstellungen als pflichtwidrig anzusehen,862 da die Aufsichtsratsmitglieder zu jedem Zeitpunkt dem Unternehmensinteresse verpflichtet sind und Schaden von der Gesellschaft abzuwenden haben.863 Das Aufsichtsratsmitglied hat dann nicht alles ihm Mögliche und für die Beschlussverhinderung Erforderliche getan. Für eine Beweisbarkeit der Äußerung seiner Gegenmeinung sollte ein dissentierendes Aufsichtsratsmitglied darauf bestehen, dass sowohl seine Gegenstimme sowie insbesondere auch sein Widerspruch bzw. die Mitteilung seiner Bedenken im Protokoll der Aufsichtsratssitzung vermerkt werden.864 Der Bundesgerichtshof hat in der ARAG/Garmenbeck-Entscheidung865 darauf hingewiesen, dass die Inanspruchnahme eines Aufsichtsratsmitglieds, das sich von einem Beschluss des Gesamtorgans zu distanzieren sucht, durch eine hinreichende Dokumentation des abweichenden Abstimmungsverhaltens abwehren lässt. Richtigerweise sollte aber nicht nur das Abstimmungsverhalten, d. h. die Stimmabgabe als solche, im Protokoll festgehalten werden, sondern insbesondere auch, dass das Mitglied bereits vor der Abstimmung seine Zweifel an der Recht- und Pflichtmäßigkeit des Beschlusses geäußert hatte.866 Wird nur die Gegenstimme verzeichnet, so besteht die Gefahr, dass 861
So auch richtigerweise Fleischer, BB 2004, S. 2645, 2648. So auch bereits Mertens/Cahn, in: Kölner Kommentar AktG, § 116 Rdnr. 64; Habersack, in: Münchener Kommentar AktG, § 116 Rdnr. 38; Hopt/Roth, in: Großkommentar AktG, § 116 Rdnr. 17. 863 So bereits BGH, Urt. v. 21. 04. 1997 – II ZR 175/95, BGHZ 135, 244, 248, Rdnr. 11 (zitiert nach juris), der darauf hinweist, dass die Mitglieder die Pflicht haben, die „im Rahmen […] [der] Organtätigkeit zugewiesenen Aufgaben, die Gesetz und Satzung an die Erfüllung stellen, wahrzunehmen“. Daraus leite sich zumindest auch ein Recht ab, darauf hinzuwirken, dass keine Beschlüsse entgegen der Satzung oder der gesetzlichen Vorschriften getroffen werden. 864 Hopt/Roth, in: Großkommentar AktG, § 116 Rdnr. 18; Hambloch-Gesinn/Gesinn, in: Hölters, AktG, § 116 Rdnr. 21; Thümmel, AG 2004, S. 83, 86; Hoffmann/Preu, Der Aufsichtsrat, Rdnr. 520; Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats, Rdnr. 999. Zum Recht eines jeden Mitglieds, die Protokollierung einer dissentierenden Meinung (und bei Bedarf auch deren Argumente) im Protokoll aufzunehmen, Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats, Rdnr. 709; Hoffmann-Becking, in: Hoffmann-Becking, Münchener Handbuch des Gesellschaftsrechts, Bd. 4, § 31 Rdnr. 100, jeweils m.w.N. 865 BGH, Urt. v. 21. 04. 1997 – II ZR 175/95, BGHZ 135, 244, 248, Rdnr. 11 (zitiert nach juris); zuvor bereits OLG Düsseldorf, Urt. v. 22. 06. 1995 – 6 U 104/94, BB 1996, S. 230, 231; jeweils zurückgehend auf Noack, DZWIR 1994, S. 338, 343. 866 In diese Richtung wohl auch Hoffmann/Preu, Der Aufsichtsrat, Rdnr. 520; Vetter, in: Marsch-Barner/Schäfer, Handbuch börsennotierte AG, § 29 Rdnr. 67; ungenau Kiethe, WM 862
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sich zu einem späteren Zeitpunkt nicht nachweisen lässt, dass die Bedenken auch tatsächlich inhaltlich vorgetragen wurden. Die Abgabe einer Gegenstimme allein erfüllt daher jedenfalls nicht das Kriterium, „alles Notwendige“ getan zu haben, um den Beschluss zu verhindern; das Stimmverhalten allein wirkt insofern nicht haftungsbefreiend. bb) Stimmenthaltung bei vorheriger Gegenvorstellung? Wenn ein Aufsichtsratsmitglied nun seine Bedenken entsprechend den oben aufgeführten Regeln seinen Kollegen mitteilt und sich darum bemüht, diese vom eigenen Standpunkt zu überzeugen, ist fraglich, ob eine Enthaltung bei der Beschlussfassung für eine Enthaftung ausreichend ist. Für eine solche Betrachtung lässt sich anführen, dass das Mitglied bereits seine Einwendungen vorgetragen hat und die Enthaltung für die Gesamtentscheidung mangels Niederschlag im Ergebnis nicht relevant ist. In diesem Sinne hat das LG Berlin867 entschieden, dass eine Enthaltung für das Abstimmungsverhalten „neutral“ sei. Eine Pflichtwidrigkeit könne nicht angenommen werden, da keine Pflicht zur Abgabe einer Stimme gegen den Beschluss bestehe, soweit eventuell bestehende Bedenken bereits zuvor geäußert worden seien. Jedenfalls aber, so das Gericht, sei die Enthaltung nicht kausal für das Gesamtergebnis, sodass eine Pflichtverletzung ausscheide.868 Demgegenüber wird von der ganz überwiegenden Ansicht vertreten, dass eine Stimmenthaltung nicht ausreiche, um eine Haftung auszuschließen.869 Begründet wird dies damit, dass bei einer Enthaltung der Eindruck entsteht, dass sich das Aufsichtsratsmitglied gerade nicht gänzlich gegen den Beschluss als solchen richtet, ihn aber aus bestimmten Gründen nicht (vollständig) unterstützt.870 Dies vermag auch nicht dadurch eine andere Bedeutung zu erlangen, dass das Mitglied bereits zuvor seine Bedenken geäußert hat. Gerade wenn das Organmitglied dem Gremium zuvor seine Bedenken bezüglich der Beschlussfassung vorgetragen hat, verlieren die Argumente bei einer anschließenden Enthaltung bei der Stimmabgabe an Über2005, S. 2122, 2127, der die Protokollierung als Voraussetzung für einen Schuldausschluss vorauszusetzen scheint. Zum einen entfällt richtigerweise nicht erst das Verschulden, sondern bereits die Pflichtverletzung, zum anderen dient die Protokollierung nur dem Beweiszweck. 867 LG Berlin, Urt. v. 08. 10. 2003 – 101 O 80/02, ZIP 2004, S. 73, Rdnr. 129 ff (zitiert nach juris). 868 LG Berlin, Urt. v. 08. 10. 2003 – 101 O 80/02, ZIP 2004, S. 73, Rdnr. 129 ff (zitiert nach juris). 869 Vetter, DB 2004, S. 2623, 2625; Spindler, in: Spindler/Stilz, AktG, § 116 Rdnr. 34; Drygala, in: Schmidt/Lutter, AktG, § 116 Rdnr. 33; Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats, Rdnr. 998; ähnlich auch LG Düsseldorf, Urt. v. 22. 07. 2004 – XIV 5/03, NJW 2004, S. 3275, 3276; für den Vorstand: Fleischer, AG 2003, S. 291, Rdnr. 68; Fleischer, BB 2004, S. 2645, 2651. 870 So lag es beispielsweise auch im Fall LG Düsseldorf, Urt. v. 22. 07. 2004 – XIV 5/03, NJW 2004, 3275, 3276.
A. Die Innenhaftung der Aufsichtsratsmitglieder
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zeugungskraft.871 In diesem Fall entsteht vielmehr der Eindruck, das Mitglied habe sich im Zuge der allgemeinen Diskussion – eine solche wird sich im Regelfall an die Äußerung der Bedenken anschließen – von den Argumenten seiner Mitglieder wenigstens teilweise überzeugen lassen. Gerade im Falle einer offenen Abstimmung werden die übrigen Mitglieder bei einer Stimmenthaltung davon ausgehen, dass das (ehemals) dissentierende Mitglied seine Bedenken nicht mit gleichem Nachdruck wie zuvor aufrechterhält. Auch wenn keine Zustimmung erfolgt, erscheint es dennoch so, als stehe das Mitglied dem Beschluss nunmehr wenigstens indifferent gegenüber und wende sich jedenfalls nicht mehr mit voller Intensität gegen die Maßnahme.872 Im Sinne der Bindung an das Unternehmensinteresse muss daher von jedem Aufsichtsratsmitglied gefordert werden, bei Überzeugung von der Rechtsoder Pflichtwidrigkeit einer Maßnahme auch tatsächlich gegen diese Maßnahme zu stimmen. Mit einer Enthaltung wird das Mitglied seiner Verantwortung Schäden von der Gesellschaft abzuwenden nicht in ausreichendem Maße gerecht,873 sodass die haftungsbegründende Pflichtverletzung dabei in der Stimmabgabe selbst liegt. Diese Pflichtverletzung ist für den Beschluss bzw. die beschlossene Maßnahme auch kausal,874 da – ähnlich wie bei der Mindestbedingung875 – unterstellt wird, dass im Falle einer Gegenstimme des in Rede stehenden Aufsichtsratsmitglieds eine so große Zahl der übrigen Mitglieder ebenfalls gegen die Maßnahme gestimmt hätten, dass für den Beschluss keine ausreichende Mehrheit zustande gekommen wäre.876 Das sich enthaltende Mitglied kann sich daher nicht auf das pflichtwidrige Verhalten der übrigen Organmitglieder berufen; der Hinweis auf die fehlende Kausalität der Stimmabgabe bei einer Enthaltung verfängt nicht.877 cc) Bei Unterliegen in der Abstimmung: weitere Pflichten im Nachgang? Kontrovers wird außerdem diskutiert, ob ein dissentierendes Aufsichtsratsmitglied weitere Pflichten treffen, wenn es trotz seiner Gegenstimme und vorheriger Mitteilung seiner Bedenken gegen die Beschlussfassung seine Kollegen von seiner Ansicht nicht überzeugen konnte und von diesen überstimmt wurde. Teilweise wird 871
So schon Vetter, DB 2004, S. 2623, 2625. Ebenso Vetter, DB 2004, S. 2623, 2625. 873 In diese Richtung auch Spindler, in: Spindler/Stilz, AktG, § 116 Rdnr. 41; Vetter, DB 2004, S. 2623, 2625. 874 An der grundsätzlichen Kausalität einer Enthaltung für das Zustandekommen des Beschlusses zweifelnd, dies aber im konkreten Fall bejahend LG Düsseldorf, Urt. v. 22. 07. 2004 – XIV 5/03, NJW 2004, S. 3275, 3276. 875 Siehe oben, S. 198 f. 876 In diesem Sinne auch Vetter, DB 2004, S. 2623, 2627; ähnlich Fleischer, BB 2004, S. 2645, 2651, wendet er auch in diesem Fall § 830 Abs. 1 Satz 2 BGB analog an. 877 A.A. LG Berlin, Urt. v. 08. 10. 2003 – 101 O 80/02, ZIP 2004, S. 73, Rdnr. 129 ff (zitiert nach juris). 872
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2. Teil: Folgen von Pflichtverletzungen
ausgeführt, überstimmte Gremienmitglieder seien – freilich nur bei rechts- oder pflichtwidrigen Beschlüssen – dazu verpflichtet, vor der Ausführung eines Beschlusses durch den Aufsichtsrat erneut auf bestehende Risiken und Bedenken hinzuweisen,878 den Vorstand zu mobilisieren,879 Staatsanwaltschaft oder Aufsichtsbehörden einzuschalten,880 gerichtlich mit einer Nichtigkeits- oder Anfechtungsklage gegen den Beschluss vorzugehen,881 das eigene Amt niederzulegen oder wenigstens mit der Niederlegung zu drohen,882 um der eigenen Haftung zu entgehen.883 (1) Erneute Remonstration Eine erneute Remonstration des unterlegenen Aufsichtsratsmitglieds, wie sie Fleischer884 für den Vorstand fordert, wird im Regelfall nicht als erforderlich anzusehen sein. Das überstimmte Mitglied muss bereits vor der Abstimmung seine Bedenken vortragen und versuchen, die übrigen Mitglieder von seiner Ansicht zu überzeugen. Eine erneute Äußerung dieser Bedenken nach Fassung eines mehrheitlichen Beschlusses wird im Regelfall nicht zu einer Meinungsänderung der übrigen Mitglieder führen.885 Diese werden sich bereits in der allgemeinen Diskussion Gelegenheit zur Auseinandersetzung mit den Bedenken gehabt haben. Eine Verpflichtung zur Wiederholung wäre insofern im Regelfall überflüssig und sollte daher nicht vom überstimmten Mitglied verlangt werden. Etwas anderes gilt nur, wenn durch den Beschluss noch keine Tatsachen geschaffen worden sind oder der Beschluss noch in eine tatsächliche Handlung umgesetzt werden muss. Dann ist eine Gegendarstellung jedenfalls nicht gänzlich ungeeignet.
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Für den Vorstand Fleischer, BB 2004, S. 2645, 2649. Mertens/Cahn, in: Kölner Kommentar AktG, § 116 Rdnr. 64. 880 Hoffmann/Preu, Der Aufsichtsrat, Rdnr. 520; für den Vorstand Fleischer, BB 2004, S. 2645, 2649. 881 Habersack, in: Münchener Kommentar AktG, § 116 Rdnr. 38; Vetter, DB 2004, S. 2623, 2626; Hoffmann/Preu, Der Aufsichtsrat, Rdnr. 520; nur im Extremfall: Mertens/Cahn, in: Kölner Kommentar AktG, § 116 Rdnr. 64; ebenso Vetter, in: Marsch-Barner/Schäfer, Handbuch börsennotierte AG, § 29 Rdnr. 67 und Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats, Rdnr. 1000. 882 Zempelin, AcP 155 (1956), S. 210, 215; nur im Ausnahmefall Habersack, in: Münchener Kommentar AktG, § 116 Rdnr. 38; Doralt/Doralt, in: Semler/von Schenck, Arbeitshandbuch für Aufsichtsratsmitglieder, § 14 Rdnr. 166; für den GmbH-Geschäftsführer ebenso Kleindiek, in: Lutter/Hommelhoff/Kleindiek, GmbHG, § 37 Rdnr. 30; Haas/Ziemons, in: Michalski, GmbHG, § 43 Rdnr. 164. 883 Vgl. ganz grundlegend bereits die Diskussion um die entsprechenden Pflichten bei Vorstandsmitgliedern eines Vereins im Zuge der Aktienrechtsreform 1937, Protokolle abgedruckt bei Schubert/Schmid/Regge, Akademie für Deutsches Recht, 1933 – 1945, S. 169 f. 884 Fleischer, BB 2004, S. 2645, 2649. 885 In diese Richtung einschränkend auch Fleischer, BB 2004, S. 2645, 2649. 879
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(2) Einschaltung des Vorstands Mertens verlangt vom unterlegenen Aufsichtsratsmitglied, den Vorstand einzuschalten,886 da dieser zur Schadensabwendung gegenüber der Gesellschaft verpflichtet sei.887 Dies wird von der überwiegenden Ansicht allerdings jedenfalls dann abgelehnt, wenn es sich um Fragen der Vorstandsüberwachung handelt.888 In der Tat kennt die Organisationsverfassung der Aktiengesellschaft keine Einwirkung des Vorstands auf den Aufsichtsrat im Sinne einer gegenseitigen Überwachung. Der Aufsichtsrat ist als Überwachungsorgan für den Vorstand konzipiert; Sinn und Zweck der Überwachung ist die Kontrolle des geschäftsführenden Organs durch ein unabhängiges Kontrollgremium. Würde nun das Recht oder gar die Pflicht des Vorstands geschaffen, auf die Beschlussfassung des Aufsichtsrats Einfluss zu nehmen, so würde die Trennung in ein geschäftsführendes und ein überwachendes Organ geradezu konterkariert und ad absurdum geführt.889 Der Aufsichtsrat muss in seiner Amtsführung losgelöst vom Vorstand agieren können und darf nicht selbst einer Kontrolle durch den Vorstand ausgesetzt sein. Dies muss auch dann gelten, wenn der Aufsichtsrat einen rechts- oder pflichtwidrigen Beschluss getroffen hat, da sich anderenfalls der Vorstand mit dem Hinweis auf die eigene Überzeugung von der Rechtswidrigkeit des Beschlusses stets in die Arbeit des Aufsichtsrats einmischen und möglicherweise Entscheidungen des Überwachungsorgans blockieren könnte. Wenn der Vorstand, wie regelmäßig der Fall,890 bereits ohnehin an der Sitzung des Aufsichtsrats teilnimmt, so kann er bereits dann versuchen, die Mitglieder des Aufsichtsrats umzustimmen oder die Bedenken des dissentierenden Mitglieds in seiner Entscheidungsfindung berücksichtigen. Für eine weitere „Einschaltung“ des Vorstands besteht insofern kein Bedürfnis; dieser ist im Regelfall bereits hinreichend informiert.891 Schließlich bleibt auch gänzlich unklar, welche Rechtsfolge die Einschaltung des Vorstands haben sollte. Mangels einer vergleichbaren Kompetenz wie § 111 Abs. 4 Satz 2 AktG, wie sie der Aufsichtsrat gegenüber dem Vorstand hat, hat der Vorstand im umgekehrten Fall gegenüber dem Aufsichtsrat bereits rein tatsächlich keine rechtlich Handhabe.892 Die Einwirkungsmöglichkeit des Vorstands würde sich also in der Einschaltung von Ermittlungsbehörden oder in der Erhebung
886
Mertens/Cahn, in: Kölner Kommentar AktG, § 116 Rdnr. 64. Mertens/Cahn, in: Kölner Kommentar AktG, § 116 Rdnr. 19. 888 Hoffmann/Preu, Der Aufsichtsrat, Rdnr. 520; ablehnend auch Hopt/Roth, in: Großkommentar AktG, § 116 Rdnr. 67. 889 Kritisch auch Vetter, DB 2004, S. 2623, 2626. 890 Davon geht auch der DCGK aus, wenn er in Ziffer 3.6 Abs. 2 empfiehlt: „Der Aufsichtsrat sollte bei Bedarf ohne den Vorstand tagen“; Schneider, ZIP 2002, S. 873, 875 f; Vetter, VersR 2002, S. 951, 952; Vetter, DB 2004, S. 2623, 2626. 891 Schneider, ZIP 2002, S. 873, 875 f. 892 Zur fehlenden Einwirkungsmöglichkeit des Vorstands auf den Aufsichtsrat siehe auch Leyendecker-Langner, NZG 2012, S. 721. 887
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2. Teil: Folgen von Pflichtverletzungen
von Feststellungs- bzw. Anfechtungsklagen erschöpfen.893 Dies jedoch kann das betreffende Aufsichtsratsmitglied auch selbst vornehmen.894 (3) Einschaltung von Behörden Die Forderung nach der Einschaltung von Staatsanwaltschaft und Aufsichtsbehörden im Falle der Fassung rechts- und gesetzeswidriger Beschlüsse895 ist ebenfalls kritisch zu sehen. Zwar gilt für den Aufsichtsrat grundsätzlich die Legalitätspflicht896 gemäß derer er sich für die Einhaltung von Recht und Gesetz einzusetzen hat. Gleichzeitig aber besteht keine Verpflichtung dahingehend, vergangene Rechtsverstöße zu ahnden oder eine strafrechtliche Ermittlung in Gang zu setzen. Deshalb ist der Aufsichtsrat im Regelfall gerade nicht dazu verpflichtet, Rechtsverstöße durch Vorstand oder Gesellschaft der Staatsanwaltschaft oder den zuständigen Aufsichtsbehörden anzuzeigen.897 Da auch die Ahndung durch den Beschluss oder dessen Umsetzung begangener Straftaten durch die Ermittlungsbehörden bzw. Gerichte die Entscheidung nicht aufheben, ist eine Anzeigepflicht des überstimmten Aufsichtsratsmitglieds im Nachgang zur Beschlussfassung abzulehnen. Ist die Beschlussfassung noch nicht erfolgt, so ist auch hier der Nutzen der Einschaltung der Ermittlungsbehörden überaus fraglich. Eine tatsächliche Verhinderung der Beschlussfassung wird faktisch nicht zu erreichen sein, sondern allenfalls zu einer Verunsicherung der Kollegen im Organ führen. Bei Einführung einer Pflicht zur präventiven Einschaltung von Polizei oder Staatsanwaltschaft würde zum einen der Entscheidungsprozess innerhalb des Aufsichtsrats nach außen getragen,898 zum anderen besteht die erhebliche Gefahr, dass es im Falle drohender Überstimmung sich die Minorität auf eine Rechtswidrigkeit der Beschlussfassung beruft und mit dem Hinweis auf die Verpflichtung zur Einschaltung von Ermittlungsbehörden erhebliche Unsicherheit im Aufsichtsrat verbreitet. Insbesondere aufgrund der mangelnden Möglichkeit zur Verhinderung der Beschlussfassung durch Einschaltung der Behörden ist eine solche Pflicht grundsätzlich abzulehnen.899 Eine Verpflichtung zur Anzeige von Rechtsverstößen kann allenfalls dann geboten sein, wenn durch die 893
So bereits zutreffend Vetter, DB 2004, S. 2623, 2626. Nimmt man eine Klagebefugnis der Organe aufgrund einer Verletzung der ihnen zugewiesenen Kompetenzen an, so muss auch den einzelnen Mitgliedern eine entsprechende Klagemöglichkeit eingeräumt werden, wenn dem einzelnen Mitglied zugewiesene Rechte verletzt werden. 895 Hoffmann/Preu, Der Aufsichtsrat, Rdnr. 520; für den Vorstand Fleischer, BB 2004, S. 2645, 2650; im Ausnahmefall auch Habersack, in: Münchener Kommentar AktG, § 116 Rdnr. 33 so noch Mertens, in: Kölner Kommentar AktG, 2. Aufl. 1996 (Voraufl.), § 116 Rdnr. 17, dies nun ablehnend Mertens/Cahn, in: Kölner Kommentar AktG, § 111 Rdnr. 64. 896 Siehe oben, S. 57 f. 897 Zu den Einzelheiten siehe oben, S. 129 f. Etwas anderes gilt freilich, wenn spezielle Meldepflichten gegenüber den Aufsichtsbehörden bestehen. 898 Aufgrund von Bedenken bezüglich der Verschwiegenheitspflicht eine Verpflichtung ablehnend Spindler, in: Spindler/Stilz, AktG, § 116 Rdnr. 41. 899 Ebenso Spindler, in: Spindler/Stilz, AktG, § 116 Rdnr. 41. 894
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Ausführung des Beschlusses erhebliche Schäden drohen, welche nachhaltige negative Auswirkungen für den Fortbestand des Unternehmens oder Dritte besorgen lassen.900 In einem solchen Ausnahmefall könnten strafrechtliche Sanktionen dazu führen, dass die Umsetzung des Beschlusses oder jedenfalls eine fortdauernde Verletzung von Pflichten unterbunden wird. Da aber eine generelle Anzeigepflicht der Aufsichtsratsmitglieder nicht besteht, gilt es im Einzelfall die Vor- und Nachteile einer behördlichen Anzeige abzuwägen. (4) Feststellungs-/Nichtigkeitsklage Schließlich ist fraglich, ob eine Pflicht für Aufsichtsratsmitglieder besteht, auf dem Klageweg gegen rechtswidrige Maßnahmen vorzugehen.901 Zur Beantwortung dieser Frage gilt es zunächst festzustellen, ob und inwiefern überhaupt ein Recht zu einer solchen Klage für die Aufsichtsratsmitglieder besteht. Da das Aktienrecht keine spezielle Klage eines Aufsichtsratsmitglieds gegenüber dem Gesamtaufsichtsrat kennt, kommen nur die allgemeinen zivilrechtlichen Vorschriften oder eine entsprechende Anwendung aktienrechtlicher Vorschriften zur Begründung eines Klagerechts in Frage. Während ein Teil der Literatur eine analoge Anwendung der Vorschriften über die Nichtigkeit und Anfechtbarkeit von Hauptversammlungsbeschlüssen gemäß §§ 241 ff AktG heranziehen möchte,902 gehen der Bundesgerichtshof und die wohl vorherrschende Ansicht im Schrifttum von der Anwendung der allgemeinen zivilrechtlichen Feststellungklage903 zur Feststellung der Nichtigkeit des Beschlusses aus. Im Ergebnis besteht nach beiden Ansichten ein auf die Feststellung der Nichtigkeit gerichtetes Klagerecht, sodass die prozessuale Begründung an dieser Stelle keine Rolle spielt.904 Entsprechend den allgemeinen Grundsätzen ist die Klage – entgegen
900 Fleischer, BB 2004, S. 2645, 2650 nennt im Vorstand das Beispiel der Beschlussfassung über Bestechungszahlungen, die in erheblichen existenzgefährdenden Strafen resultieren könnten. 901 Habersack, in: Münchener Kommentar AktG, § 116 Rdnr. 38; Vetter, DB 2004, S. 2623, 2626; Hoffmann/Preu, Der Aufsichtsrat, Rdnr. 520; nur im Extremfall: Mertens, in: Kölner Kommentar AktG, § 116 Rdnr. 64; ebenso Vetter, in: Marsch-Barner/Schäfer, Handbuch börsennotierte AG, § 29 Rdnr. 67 und Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats, Rdnr. 1000. 902 Baums, ZGR 1983, S. 300, 325 ff; Axhausen, Anfechtbarkeit aktienrechtlicher Aufsichtsratsbeschlüsse, S. 224 ff; Lemke, Der fehlerhafte Aufsichtsratsbeschluß, S. 178 f. 903 So BGH, Urt. v. 25. 02. 1982 – II ZR 102/81, BGHZ 83, 144, Rdnr. 7 (zitiert nach juris); BGH, Urt. v. 15. 11. 1982 – II ZR 27/82, BGHZ 85, 293, Rdnr. 7 f (zitiert nach juris); BGH, Urt. v. 17. 05. 1993 – II ZR 89/92, BGHZ 122, 342; BGH, Urt. v. 15. 11. 1993 – II ZR 235/92, BGHZ 124, 111, Rdnr. 12 f (zitiert nach juris); Hoffmann-Becking, in: Hoffmann-Becking, Münchener Handbuch des Gesellschaftsrechts, Bd. 4, § 33 Rdnr. 72; Koch, in: Hüffer, AktG, § 108 Rdnr. 26; Vetter, DB 2004, S. 2623, 2626; Noack, DZWIR 1994, S. 338, 342. 904 Stodolkowitz, ZHR 154 (1990), S. 1, 17; Raiser, ZGR 1989, S. 44, 67 f.
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der wohl vorherrschenden Meinung905 – nicht gegen die Gesellschaft, sondern den Aufsichtsrat als Organ zu richten,906 da die Pflichtverletzung durch das Organ selbst und nicht durch die Gesellschaft erfolgt. Für eine Zwischenschaltung der Gesellschaft besteht weder eine gesetzliche Grundlage noch ein tatsächliches Bedürfnis.907 Ob aus diesem Recht zur Klageerhebung auch eine Pflicht resultiert, ist allerdings überaus fraglich. Der Bundesgerichtshof hat dies in der ARAG/Garmenbeck-Entscheidung offen gelassen und nimmt „zumindest“ auch ein Recht für die Aufsichtsratsmitglieder an, „darauf hinzuwirken, daß das Organ, dem es angehört, seine Entscheidung nicht in Widerspruch zu Gesetz- und Satzungsrecht trifft“.908 Für eine Pflicht zur gerichtlichen Klärung spricht in erster Linie, dass dem dissentierenden Aufsichtsratsmitglied nach erfolgter Beschlussfassung und vorheriger Mitteilung der eigenen Bedenken keine anderen Möglichkeiten mehr bleibt, um gegen den Beschluss vorzugehen. Kommt es nicht zu einer Anrufung der Gerichte, so wird der Beschluss trotz seiner Rechts- und Pflichtwidrigkeit ausgeführt. Nur über eine Klagepflicht wäre sichergestellt, dass ein dissentierendes Mitglied auch nach der Äußerung von Bedenken ein intrinsisches Interesse an der Klageerhebung hat. Gegen die Pflicht zur Klageerhebung sprechen allerdings zwei wesentliche Gründe: Zum einen belastet eine Klage durch ein dissentierendes Mitglied nachhaltig die zukünftige gemeinsame und vertrauensvolle Tätigkeit im Gremium. Zwar kann bereits eine vehemente Äußerung von Bedenken gegen einen von der Mehrheit getragenen Beschluss das innerorganschaftliche Verhältnis zwischen den Gremienmitgliedern nachhaltig belasten. Eine Klage erhöht jedoch das interne Spannungsverhältnis um ein Vielfaches und dürfte häufig zu unüberbrückbaren Differenzen führen. Zum anderen führt eine Klage häufig zu (ungewollter) öffentlicher Aufmerksamkeit. Neben den internen Entscheidungsprozessen des Aufsichtsgremiums wird dabei insbesondere auch die Uneinigkeit der Mitglieder in der Ausführung ihrer Überwachungsaufgabe sowie der Verdacht, der Aufsichtsrat verabschiede rechtswidrige Beschlüsse, nach außen getragen. Dies führt zu einer erheblichen Publizität, die sich in aller Regel in einer Negativrezeption durch Medien, Anleger, Geschäftspartner und Stakeholder niederschlagen wird. Eine generelle Klagepflicht wird man aus diesen Gründen nicht annehmen können. Eine Pflicht zur gerichtlichen 905 BGH, Urt. v. 25. 02. 1982 – II ZR 102/81, BGHZ 83, 144, Rdnr. 7 (zitiert nach juris); BGH, Urt. v. 17. 05. 1993 – II ZR 89/92, BGHZ 122, 342, Rdnr. 8 (zitiert nach juris); HoffmannBecking, in: Hoffmann-Becking, Münchener Handbuch des Gesellschaftsrechts, Bd. 4, § 33 Rdnr. 72; Vetter, DB 2004, S. 2623, 2626; Mertens/Cahn, in: Kölner Kommentar AktG, § 108 Rdnr. 113. 906 Siehe bereits oben, S. 102 ff; wie hier Bork, ZGR 1989, S. 1, 26; Bork, ZIP 1991, S. 137, 146; Hommelhoff, ZHR 143 (1979), S. 288, 314; Häsemeyer, ZHR 144 (1980), S. 265, 274. 907 Siehe dazu oben, S. 102 f. 908 „Kann [das Aufsichtsratsmitglied die Einhaltung von Recht und Gesetz] im Rahmen der Diskussion und Entscheidungsfindung im Aufsichtsrat nicht erreichen, ist es berechtigt, eine Klärung auf dem Klagewege anzustreben.“, BGH, Urt. v. 21. 04. 1997 – II ZR 175/95, BGHZ 135, 244, Rdnr. 11 (zitiert nach juris).
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Geltendmachung kann nur dann bestehen, wenn im seltenen Ausnahmefall unter Abwägung der Vor- und Nachteile eine Klageerhebung aufgrund der drohenden erheblichen Nachteile durch den Beschluss zwingend geboten erscheint.909 Derartige Nachteile dürften ausnahmsweise dann vorliegen, wenn der Beschluss des Aufsichtsrats bzw. dessen Ausführung Strafgesetze verletzt oder daraus ein erheblicher finanzieller Schaden für die Gesellschaft droht.910 Ein dissentierendes Mitglied ist also nur in seltenen Ausnahmesituationen dazu verpflichtet, gegen den Beschluss des Gremiums gerichtlich vorzugehen. Umgekehrt ist das korrespondierende Recht freilich nicht auf diese Sonderfälle zu beschränken. Bei der Frage, ob es von dem Recht Gebrauch macht, muss sich das Mitglied allerdings am Unternehmensinteresse orientieren und die drohenden Nachteile gegenüber dem eigenen und dem Unternehmensinteresse an der gerichtlichen Klärung abwägen.911 (5) Pflicht zur Amtsniederlegung Schließlich besteht die Möglichkeit für Aufsichtsratsmitglieder, ihr Mandat niederzulegen, wenn sie den Beschluss des Gremiums für nicht tragbar erachten.912 Für GmbH-Geschäftsführer geht der Bundesfinanzhof in ständiger Rechtsprechung davon aus, dass sie zum Rücktritt verpflichtet sind, wenn sie die Fassung eines strafrechtlich relevanten, rechtswidrigen Beschlusses bzw. dessen Ausführung nicht verhindern können.913 Im aktienrechtlichen Schrifttum wird in diesem Sinne vertreten, auch überstimmte Aufsichtsratsmitglieder müssten im Extremfall ihr Amt 909 Raiser, ZGR 1989, S. 44, 68; Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats, Rdnr. 1000; Hambloch-Gesinn/Gesinn, in: Hölters, AktG, § 116 Rdnr. 21; Hopt/ Roth, in: Großkommentar AktG, § 116 Rdnr. 19; für eine Pflicht in „Extremfällen“ auch Mertens/Cahn, in: Kölner Kommentar AktG, § 116 Rdnr. 64; Vetter, DB 2004, S. 2623, 2626; Vetter, in: Marsch-Barner/Schäfer, Handbuch börsennotierte AG, § 29 Rdnr. 67; noch weitergehend Hoffmann/Preu, Der Aufsichtsrat, Rdnr. 502; ebenso Habersack, in: Münchener Kommentar AktG, § 116 Rdnr. 38; Fleischer, BB 2004, S. 2645, 2650; eine Verpflichtung stets ablehnend Stodolkowitz, ZHR 154 (1990), S. 1, 18; Drygala, in: Schmidt/Lutter, AktG, § 116 Rdnr. 16; Spindler, in: Spindler/Stilz, AktG, § 116 Rdnr. 41. 910 Hambloch-Gesinn/Gesinn, in: Hölters, AktG, § 116 Rdnr. 21; Vetter, DB 2004, S. 2623, 2626; Vetter, in: Marsch-Barner/Schäfer, Handbuch börsennotierte AG, § 29 Rdnr. 67; zurückhaltend Hopt/Roth, in: Großkommentar AktG, § 116 Rdnr. 19. 911 Ähnlich Raiser, ZGR 1989, S. 44, 68. 912 So bereits RG, Urt. v. 07. 06. 1939 – II 199/38, RGZ 161, 129, 136; Vetter, DB 2004, S. 2623, 2627; Vetter, in: Marsch-Barner/Schäfer, Handbuch börsennotierte AG, § 29 Rdnr. 67; Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats, Rdnr. 1001; Mertens/Cahn, in: Kölner Kommentar AktG, § 116 Rdnr. 17; Habersack, in: Münchener Kommentar AktG, § 116 Rdnr. 38; Hambloch-Gesinn/Gesinn, in: Hölters, AktG, § 116 Rdnr. 21; kritisch auch Doralt/ Doralt, in: Semler/von Schenck, Arbeitshandbuch für Aufsichtsratsmitglieder, § 14 Rdnr. 166, die eine Verpflichtung zur Klageerhebung „in aller Regel“ ablehnen. 913 Bundesfinanzhof, Urt. v. 12. 10. 1999 – VII B 54/99, GmbHR 2000, S. 395, 398; zuvor bereits Bundesfinanzhof, Urt. v. 25. 04. 1989 – VII S 5/89, Sammlung der Entscheidungen des Bundesfinanzhofs (BFH/NV) 1990, 757; Bundesfinanzhof, Urt. v. 09. 01. 1996 – VII B 189/05, Sammlung der Entscheidungen des Bundesfinanzhofs (BFH/NV) 1996, 589.
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niederlegen914 oder mit der Niederlegung drohen.915 Zugegebenermaßen stellt die Drohung mit der Niederlegung des Mandats aufgrund der mit einer Niederlegung drohenden öffentlichen Diskussion häufig ein nicht zu vernachlässigendes Druckmittel dar, welches möglicherweise die Motivation der übrigen Mitglieder zur Berücksichtigung der Bedenken des überstimmten Aufsichtsratsmitglieds erhöhen könnte.916 Allerdings bleibt zu beachten, dass der Rücktritt sich gerade nicht unmittelbar auf die Beschlussfassung oder die Ausführung auswirkt, und diese dadurch nicht verhindert werden können.917 Durch die Amtsniederlegung verliert das dissentierende Aufsichtsratsmitglied außerdem jede Einwirkungsbefugnis auf zukünftige Entscheidungen des Gremiums, sodass eine Mandatsniederlegung eines kritischen Aufsichtsrats mitnichten im Unternehmensinteresse liegen kann;918 dann nämlich schieden die pflichtbewussten Mitglieder mit Auftreten erster Differenzen aus dem Aufsichtsrat aus.919 Die Abwanderung kritischer Organmitglieder kann aber gerade nicht im Gesellschaftsinteresse liegen. Insbesondere ein stillschweigender Rücktritt hilft der Situation nicht ab, sondern wird die Stellung der Mehrheit nur noch weiter stärken.920 Daher spricht mehr dafür, die Mandatsniederlegung ohne vorherigen Versuch, die übrigen Mitglieder umzustimmen, als Pflichtverletzung des Aufsichtsratsmitglieds anzusehen, da das dissentierende Mitglied zuvor nicht „alles getan“ hat, um die Beschlussfassung zu verhindern.921 Insbesondere kann die Amtsniederlegung selbst, wenn zur Unzeit geschehen, eine Schadensersatzpflicht nach sich ziehen.922 Selbst wenn man aber eine Pflicht zur Amtsniederlegung an914 Mertens, in: Kölner Kommentar AktG, 2. Aufl. 1996 (Voraufl.), § 116 Rdnr. 12; im Ausnahmefall auch Habersack, in: Münchener Kommentar AktG, § 116 Rdnr. 38; für den GmbH-Geschäftsführer ebenso Kleindiek, in: Lutter/Hommelhoff/Kleindiek, GmbHG, § 37 Rdnr. 31; Haas/Ziemons, in: Michalski, GmbHG, § 43 Rdnr. 164, a.A. Hambloch-Gesinn/ Gesinn, in: Hölters, AktG, § 116 Rdnr. 21; Doralt/Doralt, in: Semler/von Schenck, Arbeitshandbuch für Aufsichtsratsmitglieder, § 14 Rdnr. 166; Hoffmann/Preu, Der Aufsichtsrat, Rdnr. 520; Vetter, DB 2004, S. 2623, 2627; Fleischer, BB 2004, S. 2645, 2649; Spindler, in: Spindler/Stilz, AktG, § 116 Rdnr. 41; Vetter, in: Marsch-Barner/Schäfer, Handbuch börsennotierte AG, § 29 Rdnr. 67; Vetter, DB 2004, S. 2623, 2127; so jetzt auch Mertens/Cahn, in: Kölner Kommentar AktG, § 116 Rdnr. 17. 915 Zempelin, AcP 155 (1956), S. 210, 215. 916 Davon geht auch Zempelin, AcP 155 (1956), S. 210, 215 aus. Ähnlich auch Vetter, DB 2004, S. 2623, 2627. 917 Spindler, in: Spindler/Stilz, AktG, § 116 Rdnr. 41; Vetter, in: Marsch-Barner/Schäfer, Handbuch börsennotierte AG, § 29 Rdnr. 67. 918 In diese Richtung Hoffmann/Preu, Der Aufsichtsrat, Rdnr. 520; Vetter, DB 2004, S. 2623, 2627. 919 Für die vergleichbare Situation beim Vorstand ebenso Dose, Die Rechtsstellung der Vorstandsmitglieder einer Aktiengesellschaft, S. 119 f. 920 Doralt/Doralt, in: Semler/von Schenck, Arbeitshandbuch für Aufsichtsratsmitglieder, § 14 Rdnr. 166. 921 Anders aber Kiethe, WM 2005, S. 2122, 2127 und Vetter, DB 2004, S. 2623, 2627, die bei Mandatsniederlegung stets eine Haftungsbefreiung annehmen. 922 Habersack, in: Münchener Kommentar AktG, § 116 Rdnr. 15; Hopt/Roth, in: Großkommentar AktG, § 103 Rdnr. 85, 94. Gerade die Herbeiführung der Beschlussunfähigkeit des
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nehmen wollte, so würde es an einer kausalen Verknüpfung einer unterlassenen Mandatsniederlegung und dem eingetretenen Schaden fehlen, da ungeachtet des durch den Rücktritt entstehenden Drucks auf die übrigen Mitglieder nicht davon ausgegangen werden kann, dass es bei Vornahme des Rücktritts zu einem anderen Ergebnis bei der Beschlussfassung gekommen wäre; die gefundenen Ergebnisse zur überbedingten Kausalität passen hier nicht. Jedenfalls haftungsrechtlich wäre die Verpflichtung zur Amtsniederlegung dann irrelevant.923 dd) Ergebnis Das dissentierende Aufsichtsratsmitglied ist durch Abgabe einer Gegenstimme zu einem rechts- oder pflichtwidrigen Aufsichtsratsbeschluss nicht automatisch von seiner Haftung gemäß § 116 i.V.m. § 93 Abs. 2 AktG befreit. Für eine Enthaftung ist erforderlich, dass das Mitglied im Vorfeld der Beschlussfassung die übrigen Mitglieder auf seine Bedenken bezüglich der Rechtmäßigkeit des Beschlusses hinweist. Dabei sollte das dissentierende Mitglied zu Beweiszwecken darauf bestehen, dass sowohl das Vorbringen von Bedenken wie auch das abweichende Stimmverhalten in das Protokoll der Aufsichtsratssitzung aufgenommen werden. Eine Stimmenthaltung kann auch bei vorherigem Hinweis auf bestehende Bedenken nicht haftungsbefreiend wirken. Ist es zu einer Abstimmung gekommen, bei der das dissentierende Mitglied überstimmt wurde, so ist dieses grundsätzlich nicht dazu verpflichtet, gegen die Ausführung des Beschlusses weiter vorzugehen. Ausnahmen bestehen ganz ausnahmsweise, wenn durch die Ausführung des Beschlusses erhebliche Schäden zu erwarten sind, welche den Fortbestand der Gesellschaft bedrohen. In einem solch speziellen Fall ist das dissentierende Aufsichtsratsmitglied, nach Abwägung der Vorund Nachteile, ausnahmsweise dazu verpflichtet, klageweise gegen den Beschluss vorzugehen bzw. bei Verletzungen von Strafgesetzen durch den Beschluss oder dessen Ausführung die Ermittlungsbehörden einzuschalten. Eine Pflicht zur Mandatsniederlegung besteht jedoch in keinem Fall. 5. Beweislast Prinzipiell gilt im Aktienrecht der allgemeine zivilprozessuale Grundsatz, wonach der Anspruchsteller anspruchsbegründenden Tatbestandsvoraussetzungen nachweisen und gegebenenfalls beweisen muss.924 Aufgrund interner EntscheiGremiums durch Mandatsniederlegung wird im Schrifttum als pflichtwidrig angesehen, vgl. Habersack, in: Münchener Kommentar AktG, § 103 Rdnr. 60. 923 Ähnlich Fleischer, BB 2004, S. 2645, 2649; ebenso Zempelin, AcP 155 (1956), S. 210, 215. 924 Vgl. grundlegend Rosenberg, Die Beweislast, S. 98 ff; Musielak, Die Grundlagen der Beweislast im Zivilprozeß, S. 282 ff.
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dungsprozesse und Beweisschwierigkeiten wird es der Gesellschaft bei Inanspruchnahme einzelner Aufsichtsratsmitglieder mangels entsprechender Information häufig nicht möglich sein, ein Verschulden oder eine Pflichtverletzung des Mitglieds nachzuweisen. Für die Haftung des Aufsichtsrats gilt daher (ebenso wie für den Vorstand) eine von den allgemeinen Grundsätzen abweichende Beweislastverteilung: Gemäß § 116 Satz 1 i.V.m. § 93 Abs. 2 Satz 2 AktG sind die Aufsichtsratsmitglieder zu beweisen verpflichtet, dass sie die erforderliche Sorgfalt bei ihrer Tätigkeit an den Tag gelegt haben. Für die Geltendmachung von Ersatzansprüchen der Gesellschaft gegenüber dem Aufsichtsrat gemäß § 116 Satz 1 i.V.m. § 93 AktG genügt aber nicht bereits das Vorliegen eines Schadens bei der Gesellschaft, für den sich die Aufsichtsratsmitglieder bei Inanspruchnahme sogleich zu exkulpieren hätten. Stattdessen muss die Gesellschaft vor Gericht zunächst darlegen (und ggf. beweisen), dass ihr aufgrund eines – möglicherweise pflichtwidrigen – Verhaltens des in Anspruch genommenen Aufsichtsratsmitglieds ein Schaden entstanden ist.925 Da die exakte Schadenshöhe nur schwer zu beziffern sein wird, genügt es, wenn die Gesellschaft Tatsachen vorträgt und beweist, die eine Schadensschätzung i.S.v. § 287 ZPO möglich machen.926 Will sich das in Anspruch genommene Aufsichtsratsmitglied nun entlasten, so hat es darzulegen und zu beweisen, dass es bei der Ausführung seines Amtes die erforderliche Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Aufsichtsratsmitglieds angewandt hat oder der Schaden auch bei Anwendung dieser Sorgfalt entstanden wäre.927 Nach mittlerweile allgemeiner Ansicht ist die Verpflichtung zum Nachweis sorgfaltsgemäßen Verhaltens sowohl objektiv wie auch subjektiv zu verstehen: Sie bezieht sich nicht nur auf das Verschulden, sondern auch auf den Nachweis der objektiven Pflichtverletzung.928 Da Dritte häufig nicht bestimmen können, welche
925
BGH, Urt. v. 01. 12. 2008 – II ZR 102/07, BGHZ 179, 71, Rdnr. 20 (zitiert nach juris); LG München, Urt. v. 31. 05. 2007 – 5 HK O 11977/06, NZI 2007, S. 609, 610; Spindler, in: Spindler/Stilz, AktG, § 116 Rdnr. 116; Hambloch-Gesinn/Gesinn, in: Hölters, AktG, § 116 Rdnr. 79; Drygala, in: Schmidt/Lutter, AktG, § 116 Rdnr. 42; Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats, Rdnr. 1020; zur entsprechenden Problematik beim Vorstand siehe Wiesner, in: Hoffmann-Becking, Münchener Handbuch des Gesellschaftsrechts, Bd. 4, § 26 Rdnr. 11. 926 BGH, Urt. v. 01. 12. 2008 – II ZR 102/07, BGHZ 179, 71, Rdnr. 20 (zitiert nach juris); LG München, Urt. v. 31. 05. 2007 – 5 HK O 11977/06, NZI 2007, S. 609, 610 f; siehe auch die Rechtsprechung zur GmbH: BGH, Urt. v. 04. 11. 2002 – II ZR 224/00, BGHZ 152, 280, Rdnr. 15 (zitiert nach juris); BGH, Urt. v. 18. 02. 2008 – II ZR 62/07, GmbHR 2008, S. 488, Rdnr. 8 (zitiert nach juris); Fleischer, in: Spindler/Stilz, AktG, § 93 Rdnr. 221 (zur entsprechenden Problematik beim Vorstand). 927 BGH, Urt. v. 16. 03. 2009 – II ZR 280/07, NJW 2009, S. 2454, 2456; BGH, Urt. v. 01. 12. 2008 – II ZR 102/07, BGHZ 179, 71, Rdnr. 20 (zitiert nach juris); Spindler, in: Spindler/Stilz, AktG, § 116 Rdnr. 116; zur Berufung auf rechtmäßiges Alternativverhalten siehe S. 192 ff. 928 Hambloch-Gesinn/Gesinn, in: Hölters, AktG, § 116 Rdnr. 79; Drygala, in: Schmidt/ Lutter, AktG, § 116 Rdnr. 42; Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats,
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Handlung (oder Unterlassung) des Aufsichtsrats einen bestimmten Schaden verursacht hat, ist von der Gesellschaft nicht die Erbringung eines Beweises für ein nachweislich objektiv pflichtwidriges Verhalten zu verlangen.929 Insbesondere im Fall von Mehrheitsentscheidungen wird sich für die Gesellschaft nicht feststellen lassen, wie die einzelnen Aufsichtsratsmitglieder abgestimmt haben und ob und inwieweit sie sich vom Gesamtbeschluss durch Gegenvorstellungen und Remonstration distanziert haben. Einen Nachweis des pflichtgemäßen Verhaltens kann aber das einzelne Mitglied durch Vorlage des Sitzungsprotokolls erbringen, sodass es unbillig wäre, der Gesellschaft die Beweislast aufzuerlegen, obgleich ein Nachweis durch das in Anspruch genommene Mitglied ohne Aufwand möglich ist.930 Bei einer anderen Bewertung käme es wohl nur im Ausnahmefall zu einer tatsächlichen haftungsrechtlichen Inanspruchnahme der Aufsichtsratsmitglieder, sodass die Beweislastumkehr von § 93 Abs. 2 Satz 2 AktG faktisch leer liefe.931 Aufgrund des typisierten Sorgfaltsmaßstabs für Aufsichtsratsmitglieder würde sich außerdem eine trennscharfe Unterscheidung in Pflichtverletzung und Verschulden schwierig gestalten.932 Eine fehlende Beweisbarkeit der objektiven Pflichtverletzung durch die Gesellschaft steht aber aufgrund der Beweislastumkehr nicht der Inanspruchnahme des Aufsichtsratsmitglieds entgegen.933 Zu seiner Entlastung muss das Aufsichtsratsmitglied bei Inanspruchnahme und bei Nachweis der Gesellschaft, dass ihr aufgrund des Verhaltens des Aufsichtsratsmitglieds ein Schaden entstanden ist, beweisen, dass es sorgfaltsgemäß gehandelt hat, der Sorgfaltsverstoß ihm nicht vorzuwerfen ist oder dass der Schaden auch bei pflichtgemäßem Verhalten eingetreten wäre.934 Ist eine Entlastung durch die Hauptversammlung erfolgt (§ 120 AktG), so hat dies keine Auswirkung auf die Frage der Beweislast oder die Möglichkeit der Durchsetzung des Ersatzanspruchs (§ 120 Abs. 2 Satz 2 AktG). Die Entlastung bedeutet lediglich eine Billigung der Tätigkeit der Organe in der abgelaufenen Periode und drückt ein in die Zukunft gerichtetes Vertrauen aus.935 Eine Beweislastumkehr oder ein Verzicht auf die Geltendmachung von Ersatzansprüchen kann durch einen Rdnr. 1021; Spindler, in: Spindler/Stilz, AktG, § 116 Rdnr. 116; für den Vorstand: Wiesner, in: Hoffmann-Becking, Münchener Handbuch des Gesellschaftsrechts, Bd. 4, § 26 Rdnr. 11. 929 Goette, ZGR 1995, S. 648, 672; a.A. aber Fleck, GmbHR 1997, S. 237, 239, der eine Beweislastumkehr durch § 93 Abs. 2 Satz 2 AktG nur für die Frage des Verschuldens anerkennt. 930 Etwaige Geheimhaltungspflichten stehen dem nicht entgegen; vgl. Spindler, in: Münchener Kommentar AktG, § 93 Rdnr. 133, 183. 931 Fleischer, in: Spindler/Stilz, AktG, § 93 Rdnr. 222; Spindler, in: Münchener Kommentar AktG, § 93 Rdnr. 188. 932 Spindler, in: Münchener Kommentar AktG, § 93 Rdnr. 188; Goette, ZGR 1995, S. 648, 672. 933 BGH, Urt. v. 04. 11. 2002 – II ZR 224/00, BGHZ 152, 280, Rdnr. 8; Spindler, in: Münchener Kommentar AktG, § 93 Rdnr. 188; Koch, in: Hüffer, AktG, § 93 Rdnr. 53. 934 Siehe entsprechend für den Vorstand Spindler, in: Münchener Kommentar AktG, § 93 Rdnr. 174. 935 OLG Düsseldorf, Urt. v. 22. 02. 1996 – 6 U 20/95, ZIP 1996, S. 503, 505.
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2. Teil: Folgen von Pflichtverletzungen
Entlastungsbeschluss nicht beschlossen werden;936 hierfür gilt die Sondervorschrift des § 116 Satz 1 i.V.m. § 93 Abs. 4 Satz 3 AktG. Daran vermag auch die Fassung eines einstimmigen Beschlusses durch alle Aktionäre nichts zu ändern.937 6. Geltendmachung und Durchsetzung des Ersatzanspruchs Wenn festgestellt ist, dass ein Ersatzanspruch der Gesellschaft gegenüber dem Aufsichtsrat besteht, so ist weiter fraglich, wie und durch wen eine Geltendmachung des Schadensersatzanspruchs erfolgt. Für die Geltendmachung des Ersatzanspruchs der Gesellschaft gegenüber dem Aufsichtsrat sind verschiedene Varianten denkbar. Zum einen kann der Anspruch durch den Vorstand oder die Aktionäre zugunsten der Gesellschaft geltend gemacht werden. Darauf wird im Folgenden einzugehen sein. Alternativ besteht aber auch die Möglichkeit, dass Gesellschaftsgläubiger selbst Ansprüche, die der Gesellschaft gegenüber dem Aufsichtsrat zustehen, im eigenen Namen geltend machen (§ 116 Satz 1 AktG i.V.m. § 93 Abs. 5 Satz 1 AktG). Sie können dann den Anspruch der Gesellschaft gegenüber dem Aufsichtsrat bis zur Höhe der ihnen gegenüber der Gesellschaft zustehenden Forderung erfüllt verlangen.938 Dabei handelt es sich allerdings nicht um die Geltendmachung eines Innenanspruchs zugunsten der Gesellschaft, sodass darauf nachfolgend nicht näher eingegangen wird. a) Anspruchsverfolgung durch den Vorstand Der Schadensersatzanspruch gemäß § 116 Satz 1 i.V.m. § 93 AktG steht der Gesellschaft gegen die Aufsichtsratsmitglieder zu. Die Gesellschaft wird dabei gemäß § 78 AktG durch den Vorstand vertreten. Für den umgekehrten Fall, das heißt die Geltendmachung von Ersatzansprüchen der Gesellschaft durch den Aufsichtsrat gegenüber dem Vorstand, hat der Bundesgerichtshof in der sogenannten ARAG/ Garmenbeck-Entscheidung entschieden, dass der Aufsichtsrat grundsätzlich zur Geltendmachung eines bestehenden Ersatzanspruchs verpflichtet ist und ihm hinsichtlich der Entscheidung des „Ob“ der Geltendmachung kein unternehmerisches Ermessen im Sinne von § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG zusteht, sodass die Business Judgement Rule keine Anwendung findet.939 Von einer Geltendmachung der Ansprüche dürfe der Aufsichtsrat nur ganz ausnahmsweise absehen, wenn „gewichtige Interessen und Belange der Gesellschaft“ dies erforderten.940 Das Schrifttum hat diese Rechtsprechungsgrundsätze noch erweitert und spricht bei der Geltendmachung von 936
OLG Düsseldorf, Urt. v. 22. 02. 1996 – 6 U 20/95, ZIP 1996, S. 503, 505. Kubis, in: Münchener Kommentar AktG, § 120 Rdnr. 14; Spindler, in: Schmidt/Lutter, AktG, § 120 Rdnr. 45. 938 Spindler, in: Münchener Kommentar AktG, § 93 Rdnr. 268. 939 BGH, Urt. v. 21. 04. 1997 – II ZR 175/95, BGHZ 135, 244, Rdnr. 25 (zitiert nach juris). 940 BGH, Urt. v. 21. 04. 1997 – II ZR 175/95, BGHZ 135, 244, Rdnr. 25 (zitiert nach juris). 937
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Schadensersatzansprüchen des Vorstands gegen den Aufsichtsrat von einer „umgekehrten“ Anwendung der ARAG/Garmenbeck-Grundsätze:941 Wie der Aufsichtsrat dazu verpflichtet ist, bestehende Ersatzansprüche der Gesellschaft gegen den Vorstand einzuklagen, so muss dieser im umgekehrten Fall erfolgsversprechende Ersatzansprüche der Gesellschaft gegenüber dem Aufsichtsrat geltend machen, ohne sich auf ein weites Ermessen im Sinne einer unternehmerischen Entscheidung berufen zu können.942 Kommt der Vorstand dieser Verpflichtung nicht nach, so handelt er pflichtwidrig und macht sich ersatzpflichtig.943 In der Praxis hat die Geltendmachung von Ersatzansprüchen der Gesellschaft durch den Vorstand gegenüber Aufsichtsratsmitgliedern wegen Pflichtverletzungen freilich kaum Relevanz: Das Verhalten des Aufsichtsrats ist aufgrund seiner Überwachungsfunktion zwangsläufig mit der Tätigkeit des Vorstands eng verbunden und bietet daher einen reichhaltigen Nährboden für Interessenkonflikte.944 Überwachungspflichtverletzungen des Aufsichtsrats sind häufig die Folge einer vorhergehenden Pflichtverletzung des Vorstands; dieser wird daher kaum aus eigenem Interesse versucht sein, Ersatzansprüche gegen Aufsichtsratsmitglieder durchzusetzen und sich durch die Aufdeckung des eigenen Fehlverhaltens einer persönlichen Haftung aussetzen.945 Die Gefahr einer Inanspruchnahme aus diesem Grund dürfte (zunächst jedenfalls) vergleichsweise gering ausfallen: zuständig für die Geltendmachung des Anspruchs der Gesellschaft gegenüber dem Vorstand wäre der Aufsichtsrat.946 Diese Verkettung von Überkreuzverflechtungen und Interessenkonflikten führt in der Praxis dazu, dass eine Geltendmachung der Ansprüche der Gesellschaft durch den Vorstand regelmäßig nur dann erfolgt, wenn sich die Pflichtverletzung nicht auf seine eigene Amtszeit bezieht und damit keine eigene Haftung der klagenden Vorstandsmitglieder droht.947 b) Verpflichtung des Vorstands durch die Hauptversammlung Da aufgrund der bestehenden Interessenkonflikte die Gefahr besteht, dass der Vorstand seiner Verpflichtung zur Geltendmachung der Ersatzansprüche der Ge941
Mertens, in: Bitter/Lutter/Priester/Schön/Ulmer, Festschrift für Karsten Schmidt, S. 1183, 1189; Vetter, in: Marsch-Barner/Schäfer, Handbuch börsennotierte AG, § 29 Rdnr. 70. 942 Drygala, in: Schmidt/Lutter, AktG, § 116 Rdnr. 45; Spindler, in: Spindler/Stilz, AktG, § 116 Rdnr. 119; Habersack, in: Münchener Kommentar AktG, § 116 Rdnr. 8; Lutter/Krieger/ Verse, Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats, Rdnr. 1025. 943 Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats, Rdnr. 1025. 944 Zu den Interessenkonflikten siehe auch Reg. Begr. zum UMAG, BT-Drs. 15/5092, S. 19 f; Götz, AG 1997, S. 219, 221; Heermann, AG 1998, S. 201, 210. 945 Davon geht sogar der Gesetzgeber aus, vgl. Reg. Begr. zum UMAG, BT-Drs. 15/5092, S. 20; Trescher, DB 1995, S. 661; Thümmel, DB 1999, S. 885, 887; Götz, AG 1997, S. 219, 221. 946 Siehe zu diesen Verflechtungen Trescher, DB 1995, S. 661 ff; Hirschmann, in: Hölters, AktG, § 147 Rdnr. 1; Koch, in: Hüffer, AktG, § 147 Rdnr. 6; weniger kritisch sieht die Situation Kallmeyer, AG 1997, S. 107, 108. 947 Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats, Rdnr. 1025; Vetter, in: Marsch-Barner/Schäfer, Handbuch börsennotierte AG, § 29 Rdnr. 70.
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2. Teil: Folgen von Pflichtverletzungen
sellschaft gegenüber dem Aufsichtsrat häufig nicht aus eigener Motivation nachkommen wird, sieht das Gesetz vor, dass die Hauptversammlung den Vorstand zur Durchsetzung des Regressanspruchs gegen den Aufsichtsrat verpflichten kann (vgl. § 147 Abs. 1 AktG). Alternativ besteht die Möglichkeit zur Bestellung eines besonderen Vertreters (§ 147 Abs. 2 Satz 1 AktG). Um den Vorstand dazu zu verpflichten, ist ein mit einfacher Stimmenmehrheit (d. h. Mehrheit der abgegebenen Stimmen, vgl. § 133 Abs. 1 AktG) getroffener Beschluss der Hauptversammlung erforderlich, wobei die Geltendmachung von Ersatzansprüchen zuvor als Gegenstand der Tagesordnung bekannt gemacht worden sein muss (§ 124 Abs. 1, Abs. 4 Satz 1 AktG).948 Aus dem Beschluss muss sich wenigstens eine Bestimmbarkeit der geltend zu machenden Ansprüche ergeben;949 eine Bezifferung der Höhe nach ist nicht erforderlich.950 Der Vorstand hat dann den Anspruch binnen sechs Monaten (vgl. § 147 Abs. 1 Satz 2 AktG) geltend zu machen. Wird der Vorstand nicht tätig, so können der Gesellschaft Schadensersatzansprüche gegen die Mitglieder des Vorstands entstehen.951 Die Vorschrift ist aufgrund der Regelung in § 23 Abs. 5 AktG bindend und kann durch die Satzung nicht abbedungen werden; auch kann kein abweichendes Mehrheitsverhältnis festgelegt werden.952 Dem Vorstand bleibt dabei zwar überlassen, wie er den Anspruch geltend macht, eventuelle Vorgaben der Hauptversammlung, zum Beispiel hinsichtlich der zu wählenden Klageart, bleiben ohne Bindungswirkung.953 Im Gegensatz zu den in der ARAG/Garmenbeck-Entscheidung954 entwickelten Grundsätzen steht dem Vorstand aber kein Beurteilungsspielraum hinsichtlich der Geltendmachung des Ersatzanspruchs gegen den Aufsichtsrat zu.955 Die Entscheidung der Hauptversammlung ist für ihn auch dann bindend, wenn durch die Klageerhebung erhebliche Nachteile für das Gesellschaftswohl drohen oder die Klage kaum Aussicht auf Erfolg hat.956 948 Zu den Ausnahmen nach einer Sonderprüfung vgl. Spindler, in: Schmidt/Lutter, AktG, § 147 Rdnr. 8; Koch, in: Hüffer, AktG, § 147 Rdnr. 4. 949 OLG Frankfurt, Urt. v. 09. 10. 2003 – 20 W 487/02, AG 2004, S. 104, 105; LG München I, Urt. v. 06. 09. 2007 – 5 HK O 12570/07, AG 2007, S. 756, 757; Spindler, in: Schmidt/ Lutter, AktG, § 147 Rdnr. 8; Koch, in: Hüffer, AktG, § 147 Rdnr. 7. 950 Kling, ZGR 2009, S. 190, 194; Bezzenberger, in: Großkommentar AktG, § 147 Rdnr. 19; Spindler, in: Schmidt/Lutter, AktG, § 146 Rdnr. 8. 951 Kronstein/Zöllner, in: Kölner Kommentar AktG, 1. Aufl. 1985 (Voraufl.), § 147 Rdnr. 10; Koch, in: Hüffer, AktG, § 147 Rdnr. 6. 952 Kling, ZGR 2009, S. 190, 194. 953 Spindler, in: Schmidt/Lutter, AktG, § 147 Rdnr. 10; Bezzenberger, in: Großkommentar AktG, § 147 Rdnr. 19; so wohl auch Hüffer, AktG, 10. Aufl. 2012 (Voraufl.) , § 147 Rdnr. 5; a.A. aber Schröer, in: Münchener Kommentar AktG, § 147 Rdnr. 25. 954 BGH, Urt. v. 21. 04. 1997 – II ZR 175/95, BGHZ 135, 244. 955 Mock, in: Spindler/Stilz, AktG, § 147 Rdnr. 29; Bezzenberger, in: Großkommentar AktG, § 147 Rdnr. 38; Spindler, in: Schmidt/Lutter, AktG, § 147 Rdnr. 6; Schröer, in: Münchener Kommentar AktG, § 147 Rdnr. 25. 956 Vgl. KG Berlin, Urt. v. 18. 11. 2004 – 1 W 185/04, NZG 2005, S. 319.
A. Die Innenhaftung der Aufsichtsratsmitglieder
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c) Besonderer Vertreter Hat die Hauptversammlung mit einfacher Stimmenmehrheit die Geltendmachung von Ersatzansprüchen gegen Mitglieder des Aufsichtsrats beschlossen (vgl. § 147 Abs. 1 Satz 1 AktG), so ist der Vorstand zu ihrer Geltendmachung verpflichtet. Da die Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen der Gesellschaft durch den Vorstand gegenüber dem Aufsichtsrat allerdings aufgrund häufig bestehender Interessenkonflikte957 ein erhebliches Konfliktpotential bildet und daher nicht immer gewährleistet ist, können ein oder mehrere sogenannte besondere Vertreter bestellt werden (§ 147 Abs. 2 AktG). Diese können zum einen durch die Hauptversammlung mit einfacher Stimmenmehrheit (§ 147 Abs. 2 Satz 1 AktG) oder durch das Gericht auf Antrag einer qualifizierten Aktionärsminderheit bestellt werden (§ 147 Abs. 2 Satz 2 AktG). aa) Bestellung durch die Hauptversammlung Über die Bestellung des besonderen Vertreters beschließt die Hauptversammlung mit einfacher Stimmenmehrheit (§ 147 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. § 133 Abs. 1 AktG). Der Hauptversammlungsbeschluss muss die Person des als besonderen Vertreters Bestellten namentlich benennen. Grundsätzlich kommt als besonderer Vertreter jede geschäftsfähige, natürliche, nicht befangene Person in Betracht.958 Auch Aktionäre oder Vorstands- bzw. Aufsichtsratsmitglieder, gegen die kein Ersatzanspruch geltend gemacht wird, können zu besonderen Vertretern bestellt werden.959 Die Bestellung des besonderen Vertreters kann durch die Hauptversammlung jederzeit widerrufen werden.960 Ist zu besorgen, dass der von der Hauptversammlung gewählte Vertreter nicht unabhängig die Interessen aller Aktionäre, sondern nur eines Teils der Aktionäre wahrnimmt, so besteht für eine qualifizierte Aktionärsminderheit die Möglichkeit der Bestellung eines anderen, unabhängigen besonderen Vertreters durch das zuständige Gericht. bb) Bestellung durch das Gericht Kommt in der Hauptversammlung keine Mehrheit für die Bestellung eines besonderen Vertreters zustande, wurde aber generell die Geltendmachung eines Ersatzanspruchs beschlossen (§ 147 Abs. 1 Satz 1 AktG) oder genießt ein von der Aktionärsmehrheit in der Hauptversammlung bestellter besonderer Vertreter nicht das Vertrauen einer (qualifizierten) Minderheit, so besteht für eine Aktionärsminderheit die Möglichkeit, einen besonderen Vertreter durch das Gericht bestellen zu lassen. Notwendig dafür ist ein Antrag von Aktionären, die zusammen einen Anteil 957
Siehe ausführlich oben, S. 218 f. Hefermehl, in: Geßler/Hefermehl, AktG, § 147 Rdnr. 14; Schröer, in: Münchener Kommentar AktG, § 147 Rdnr. 43. 959 Spindler, in: Schmidt/Lutter, AktG, § 147 Rdnr. 22; Bezzenberger, in: Großkommentar AktG, § 147 Rdnr. 43; Kling, ZGR 2009, S. 190, 198. 960 Schröer, in: Münchener Kommentar AktG, § 147 Rdnr. 63. 958
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2. Teil: Folgen von Pflichtverletzungen
von zehn Prozent oder einen anteiligen Beitrag von einer Million Euro am Grundkapital erreichen (§ 147 Abs. 2 Satz 2 AktG). Die Antragstellung ist nicht fristgebunden961 und zu Protokoll der Geschäftsstelle zu erklären oder schriftlich einzureichen (vgl. § 36 Abs. 1 FamFG). Die Minderheitsaktionäre können einen besonderen Vertreter mit der Durchsetzung eines Anspruchs stets nur dann beauftragen, wenn die Durchsetzung zuvor von der Hauptversammlung beschlossen wurde. Der Hauptversammlungsbeschluss über die Anspruchsdurchsetzung kann durch einen Minderheitsantrag nicht ersetzt werden.962 Das Gericht gibt dem Antrag statt, wenn ihm die Bestellung eines besonderen Vertreters zur Geltendmachung des Anspruchs „zweckmäßig erscheint“ (§ 147 Abs. 2 Satz 2 a.E.). Das wird dann der Fall sein, wenn eine pflichtgemäße Durchsetzung des Anspruchs trotz Hauptversammlungsbeschluss durch die eigentlich zuständigen Organe nicht zu erwarten ist,963 wobei eine bisherige Untätigkeit der Organe als Indiz dafür gesehen werden kann.964 Die Zweckmäßigkeit wird insbesondere dann zu bejahen sein, wenn bei den eigentlich zuständigen Organen ein Interessenskonflikt vorliegt.965 Die Aussicht der Klage auf Erfolg hingegen spielt für die Frage der Zweckmäßigkeit keine Rolle und ist vom Gericht daher nicht zu prüfen.966 Hinsichtlich der Person des besonderen Vertreters wählt das Gericht nach seinem Ermessen eine geeignete und befähigte Person. Dabei ist es in der Auswahl nicht an Vorschläge der antragsstellenden Aktionärsminderheit gebunden, sondern kann auch eine dritte Person beauftragen.967 Die Entscheidung ist jedoch vom Gericht selbst zu treffen und darf nicht auf Dritte delegiert werden.968 cc) Aufgabe und Rechtsstellung des besonderen Vertreters Für die Wirksamkeit der Bestellung durch Hauptversammlung oder Gericht ist die Annahme der Bestellung durch die betreffende Person erforderlich; die Bestellung ist
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Spindler, in: Schmidt/Lutter, AktG, § 147 Rdnr. 16. Mock, in: Spindler/Stilz, AktG, § 147 Rdnr. 45. 963 OLG Frankfurt, Urt. v. 09. 10. 2003 – 20 W 487/02, AG 2004, S. 104, 105; Koch, in: Hüffer, AktG, § 147 Rdnr. 12; Mock, in: Spindler/Stilz, AktG, § 147 Rdnr. 44. 964 Schröer, in: Münchener Kommentar AktG, § 147 Rdnr. 69. 965 AG Nürtingen, Urt. v. 14. 10. 1993 – I 1160/93, AG 1995, S. 287. 966 OLG Frankfurt, Urt. v. 09. 10. 2003 – 20 W 487/02, AG 2004, S. 104, 105; KG Berlin, Urt. v. 18. 11. 2004 – 1 W 185/04, NZG 2005, S. 319, 247; Kling, ZGR 2009, S. 190, 195; Westermann, AG 2009, S. 237, 239; Mock, in: Spindler/Stilz, AktG, § 147 Rdnr. 53. 967 OLG Frankfurt, Urt. v. 09. 10. 2003 – 20 W 487/02, AG 2004, S. 104, 105; AG Nürtingen, Urt. v. 14. 10. 1993 – I 1160/93, AG 1995, S. 287, 287 f; Koch, in: Hüffer, AktG, § 147 Rdnr. 12. 968 OLG Frankfurt, Urt. v. 09. 10. 2003 – 20 W 487/02, AG 2004, S. 104, 105; zustimmend Spindler, in: Schmidt/Lutter, AktG, § 147 Rdnr. 18. 962
A. Die Innenhaftung der Aufsichtsratsmitglieder
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also nicht bereits mit der Wahl abgeschlossen.969 Die gewählten Personen sind in der Entscheidung, ob sie das Amt annehmen wollen, frei. Eine Verpflichtung zur Annahme des Amtes besteht nicht; sie kann auch für Aktionäre nicht aus der Treuepflicht gegenüber der Gesellschaft hergeleitet werden.970 Eine Eintragung des besonderen Vertreters in das Handelsregister erfolgt nicht.971 Die Aufgabe des besonderen Vertreters ist die gerichtliche wie außergerichtliche Vertretung der Aktiengesellschaft gegenüber dem Aufsichtsrat.972 Der besondere Vertreter ist im Außenverhältnis gesetzlicher Vertreter der Aktiengesellschaft für die Geltendmachung der Ersatzansprüche der Gesellschaft,973 er ist aber nach ganz überwiegender Ansicht auch Organ der Gesellschaft.974 Im Bereich der ihm übertragenen Anspruchsverfolgung verdrängt der Vertreter die übrigen Organe der Aktiengesellschaft975 und tritt für diese Aufgabe an deren Stelle. Darüber hinaus stehen ihm keine Kompetenzen zu, wie etwa eine generelle Leitungs- oder Überwachungsbefugnis.976 Als Organ ist der Vertreter ausschließlich dem Gesellschaftsinteresse verpflichtet und nicht an die Interessen einzelner Aktionärsgruppen oder das öffentlichen Interesse gebunden.977 Zwar ist der besondere Vertreter zur Geltendmachung der von der Hauptversammlung ihm übertragenen Ansprüche ver-
969 Koch, in: Hüffer, AktG, § 147 Rdnr. 7; Spindler, in: Schmidt/Lutter, AktG, § 147 Rdnr. 21; Mock, in: Spindler/Stilz, AktG, § 147 Rdnr. 33. 970 Bezzenberger, in: Großkommentar AktG, § 147 Rdnr. 43; Schröer, in: Münchener Kommentar AktG, § 147 Rdnr. 47; Koch, in: Hüffer, AktG, § 147 Rdnr. 7. 971 Ausführlich Böbel, Die Rechtsstellung der besonderen Vertreter gem. § 147 AktG, S. 84 ff; Bezzenberger, in: Großkommentar AktG, § 147 Rdnr. 53. 972 BGH, Urt. v. 18. 12. 1980 – II ZR 140/79, NJW 1981, S. 1097, 1098; OLG München, Urt. v. 27. 08. 2008 – 7 U 5678/07, AG 2008, S. 864, 867; Kling, ZGR 2009, S. 190, 199; Schröer, in: Münchener Kommentar AktG, § 147 Rdnr. 47; Spindler, in: Schmidt/Lutter, AktG, § 147 Rdnr. 24; Böbel, Die Rechtsstellung der besonderen Vertreter gem. § 147 AktG, S. 89 f. 973 Bezzenberger, in: Großkommentar AktG, § 147 Rdnr. 52; Kling, ZGR 2009, S. 190, 212. 974 BGH, Urt. v. 18. 12. 1980 – II ZR 140/79, NJW 1981, S. 1097, 1098; LG München I, Urt. v. 06. 09. 2007 – 5 HK O 12570/07, AG 2007, S. 756, 757; Koch, in: Hüffer, AktG, § 147 Rdnr. 8; Schröer, in: Münchener Kommentar AktG, § 147 Rdnr. 47; Bezzenberger, in: Großkommentar AktG, § 147 Rdnr. 52; Spindler, in: Schmidt/Lutter, AktG, § 147 Rdnr. 23; Mock, AG 2008, S. 839, 840; Mock, DB 2008, S. 393, 385; Kling, ZGR 2009, S. 190, 212; Semler, AG 2005, S. 321, 330; Hirschmann, in: Hölters, AktG, § 147 Rdnr. 10; Böbel, Die Rechtsstellung der besonderen Vertreter gem. § 147 AktG, S. 134; Mimberg, in: Marsch-Barner/Schäfer, Handbuch börsennotierte AG, § 40 Rdnr. 24; a.A. aber wohl OLG München, Urt. v. 27. 11. 2007 – 7 U 4498/07, AG 2008, S. 172, 176 („eine dem Vorstand ähnliche Organstellung“); dem folgend LG Stuttgart, Urt. v. 27. 10. 2009 – 32 O 5/09 KfH, ZIP 2010, S. 329, Rdnr. 37 (zitiert nach juris); Wirth/Pospiech, DB 2008, S. 2471, 2474. 975 BGH, Urt. v. 18. 12. 1980 – II ZR 140/79, NJW 1981, S. 1097, 1098; Koch, in: Hüffer, AktG, § 147 Rdnr. 8; Mimberg, in: Marsch-Barner/Schäfer, Handbuch börsennotierte AG, § 40 Rdnr. 24. 976 Spindler, in: Schmidt/Lutter, AktG, § 147 Rdnr. 27. 977 OLG München, Urt. v. 03. 03. 2010 – 7 U 4744/09, AG 2010, S. 673, 676; Westermann, AG 2009, S. 237, 240 f; Spindler, in: Schmidt/Lutter, AktG, § 147 Rdnr. 23.
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2. Teil: Folgen von Pflichtverletzungen
pflichtet,978 aufgrund seiner Unabhängigkeit ist er in der Wahl der Art und Weise der Durchsetzung des Ersatzanspruchs aber frei und insbesondere nicht an Weisungen von Hauptversammlung,979 Vorstand und Aufsichtsrat gebunden.980 Neben der (unbedingten) Verpflichtung, Ansprüche der Gesellschaft gegen Organmitglieder durchzusetzen kann die Hauptversammlung dem besonderen Vertreter auch auferlegen, zunächst zu prüfen, gegen welche Organmitglieder sich ein Anspruch sinnvollerweise durchsetzen lässt.981 Er entscheidet dann nicht nur hinsichtlich des „Wie“ sondern auch des „Ob“ der Anspruchsverfolgung. Zur Prüfung der Ansprüche und zur Vorbereitung von Klagen stehen dem Vertreter gegenüber Vorstand, Aufsichtsrat, Abschlussprüfern und Arbeitnehmern umfassende Auskunfts- und Einsichtsrechte zu,982 die er notfalls per Klage geltend machen kann.983 Umgekehrt besteht allerdings keine Berichts- oder Informationspflicht des besonderen Vertreters gegenüber Vorstand und Aufsichtsrat.984 Die Überwachung der Tätigkeit des Vertreters obliegt nämlich allein der Hauptversammlung, die eigenverantwortlich über eine Abberufung entscheidet,985 und nicht dem Vorstand oder Aufsichtsrat.986
978
BGH, Urt. v. 18. 12. 1980 – II ZR 140/79, NJW 1981, S. 1097, 1098; OLG München, Urt. v. 27. 08. 2008 – 7 U 5678/07, AG 2008, S. 864, 867; Kling, ZGR 2009, S. 190, 199; Koch, in: Hüffer, AktG, § 147 Rdnr. 8. 979 LG München I, Urt. v. 28. 07. 2008 – 5 HK O 12504/08, AG 2008, S. 794, 796; Mock, in: Spindler/Stilz, AktG, § 147 Rdnr. 72; Schröer, in: Münchener Kommentar AktG, § 147 Rdnr. 48; Spindler, in: Schmidt/Lutter, AktG, § 147 Rdnr. 25; Mock, AG 2008, S. 839, 844; Westermann, AG 2009, S. 237, 240; a.A. aber Böbel, Die Rechtsstellung der besonderen Vertreter gem. § 147 AktG, S. 60, der die Weisungskompetenz als argumentum a miore ad minus aus der Berechtigung der Hauptversammlung zur Abberufung des Vertreters herleitet. 980 Mock, in: Spindler/Stilz, AktG, § 147 Rdnr. 72; Spindler, in: Schmidt/Lutter, AktG, § 147 Rdnr. 25. 981 OLG München, Urt. v. 27. 08. 2008 – 7 U 5678/07, AG 2008, S. 864, 867; OLG München, Urt. v. 27. 11. 2007 – 7 U 4498/07, AG 2008, S. 172, 174; Kling, ZGR 2009, S. 190, 200. 982 RG, Urt. v. 04. 11. 1913 – Rep II 29/13, RGZ 83, 248, 252; Semler, AG 2005, S. 321, 330; Schröer, in: Münchener Kommentar AktG, § 147 Rdnr. 45; Mimberg, in: Marsch-Barner/ Schäfer, Handbuch börsennotierte AG, § 40 Rdnr. 26; Spindler, in: Schmidt/Lutter, AktG, § 147 Rdnr. 26. 983 LG München I, Urt. v. 06. 09. 2007 – 5 HK O 12570/07, AG 2007, S. 756, 757; RG, Urt. v 04. 11. 1913 – Rep II 29/13, RGZ 83, 248, 252. 984 LG München I, Urt. v. 06. 09. 2007 – 5 HK O 12570/07, AG 2007, S. 756, 760; Mock, in: Spindler/Stilz, AktG, § 157 Rdnr. 74; Schröer, in: Münchener Kommentar AktG, § 147 Rdnr. 49 ff; a.A. Bezzenberger, in: Großkommentar AktG, § 147 Rdnr. 58, der eine Informationspflicht gegenüber dem Vorstand annimmt, diesem allerdings kein Recht zur Beeinflussung der Entscheidungen des besonderen Vertreters zugesteht. 985 Siehe ausführlich auch zur Möglichkeit der gerichtlichen Abberufung bei Vorliegen eines wichtigen Grundes Spindler, in: Schmidt/Lutter, AktG, § 147 Rdnr. 31 ff m.w.N. 986 Mock, AG 2008, S. 839, 842; Westermann, AG 2009, S. 237, 241.
A. Die Innenhaftung der Aufsichtsratsmitglieder
225
d) Die Aktionärsklage nach § 148 AktG Wenn die Mehrheit der Aktionäre sich gegen die Verfolgung von Ersatzansprüchen der Gesellschaft gegenüber dem Aufsichtsrat ausspricht, findet eine Anspruchsverfolgung gemäß § 147 AktG weder durch den Vorstand statt noch kann ein besonderer Vertreter durch das Gericht bestellt werden. Um zu verhindern, dass ein Mehrheitsaktionär die Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen unterbinden kann, hat der Gesetzgeber im Rahmen des UMAG im Jahr 2005 die Aktionärsklage in § 148 AktG verankert. Die Aktionärsklage ist der US-amerikanischen Gesellschafterklage (derivate suit oder derivate action) nachgebildet987 und berechtigt eine Aktionärsminderheit zur Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen gegen die Gesellschaft aufgrund eigener Klagebefugnis.988 Obgleich es bei der Einführung dieser Klagemöglichkeit erhebliche Bedenken bezüglich eines Missbrauchs der neuen Klage gab989 ist die Aktionärsklage bis heute ein „zahnloser Tiger“990 geblieben und spielt in der Rechtswirklichkeit bislang praktisch keine Rolle.991 Die Aktionärsklage ist als zweistufiges Verfahren ausgestaltet,992 das in ein Zulassungs- und das eigentliche Klageverfahren unterteilt ist (vgl. § 148 Abs. 1, Abs. 4 AktG). Das gerichtliche Klagezulassungsverfahren bezweckt, der Minderheit die Möglichkeit zur Einleitung eines (ex ante aussichtsreichen) Prozesses zu geben, ohne selbst das Kostenrisiko des späteren Rechtsstreits zu tragen (vgl. § 148 Abs. 6 Satz 5 AktG).993 Zur Vermeidung eines „kostenlosen Austestens“ der Erfolgsaussichten einer Klage sind die Antragssteller allerdings bei Abweisung des Antrags im Zulassungsverfahren grundsätzlich zur Tragung der entstandenen Kosten verpflichtet (§ 148 Abs. 5 Satz 1 AktG).994 Damit soll sichergestellt werden, dass die Aktionäre nur dann einen Antrag stellen, wenn sie sich „über die Validität ihres Verdachts ausreichend gewiss“ sind.995 Das Verfahren hat die Ermächtigung der Aktionäre zur Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen der Gesellschaft im eigenen Namen zum Zweck, wobei die Zahlung an die Gesellschaft zu erfolgen hat. Antragsberechtigt sind Aktionäre, die (zusammen) ein Prozent des Grundkapitals oder einen anteiligen Betrag von EUR 100.000,00 erreichen (§ 148 Abs. 1 Satz 1 AktG). 987 Grundlegend zur Übertragung der derivative suit (in abgewandelter Form) Lutter, ZGR 1998, S. 191, 210 ff. 988 Spindler, in: Schmidt/Lutter, AktG, § 148 Rdnr. 1. 989 Reg. Begr. zum UMAG, BT-Drs. 15/5092, S. 20; für das Schrifttum siehe bspw. Linnerz, NZG 2004, S. 307, 313, der von einem neuen „Haftungstourismus“ warnt. 990 Schmolke, ZGR 2011, S. 398, 399. 991 Siehe nur Schmolke, ZGR 2011, S. 398, 399 ff, der darauf hinweist, dass die Aktionärsklage bislang in nur drei Verfahren überhaupt Gegenstand war; zuvor bereits Seibert, NZG 2007, S. 841 f. 992 Dies geht auf den ursprünglichen Vorschlag von Marcus Lutter zurück, siehe Lutter, ZGR 1998, S. 191, 210 ff. 993 Reg. Begr. zum UMAG, BT-Drs. 15/509, S. 20. 994 Reg. Begr. zum UMAG, BT-Drs. 15/509, S. 23. 995 Reg. Begr. zum UMAG, BT-Drs. 15/509, S. 23.
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2. Teil: Folgen von Pflichtverletzungen
Zur Vermeidung missbräuchlicher Klagen ist es erforderlich, dass die Aktionäre nachweisen, ihre Aktien zu einem Zeitpunkt vor der Kenntniserlangung der Pflichtverstöße bzw. des behaupteten Schadens erworben zu haben (§ 148 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 AktG) und dass sie der Gesellschaft erfolglos eine Frist zur Klageerhebung gesetzt haben (§ 148 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AktG). Zudem ist erforderlich, dass Tatsachen vorliegen, die den Verdacht rechtfertigen, dass der Gesellschaft durch Unredlichkeit oder grobe Verletzung von Gesetz oder Satzung ein Schaden entstanden ist und der Geltendmachung keine überwiegenden Gründe des Gesellschaftswohls entgegenstehen (§ 148 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 und 4 AktG). Liegen diese Voraussetzungen kumulativ vor, so wird das Gericht dem Antrag stattgeben. Bei stattgegebenem Klagezulassungsantrag kann die Aktionärsminderheit binnen drei Monaten nach Rechtskraft der Entscheidung Klage erheben (vgl. § 148 Abs. 4 Satz 1 AktG). Zu diesem Zeitpunkt muss das für das Klagezulassungsverfahren erforderliche Quorum nicht weiter aufrechterhalten werden,996 da die Missbrauchsgefahr bereits durch das vorgeschaltete Zulassungsverfahren weitestgehend verringert worden ist und ohnehin nur ein begrenzter Zeitraum für die Klageerhebung zur Verfügung steht.997 Nach erfolgreichem Zulassungsverfahren und vor Klageerhebung hat die Aktionärsminderheit die Gesellschaft noch einmal zur Klageerhebung aufzufordern (§ 148 Abs. 4 Satz 1 Halbs. 2 AktG). Erst dann darf die Aktionärsminderheit die Klage erheben, wobei die qualifizierte Minderheit, die den Zulassungsantrag gestellt hat, dabei im Wege der gesetzlichen Prozessstandschaft für die Gesellschaft tätig wird.998 Die Klage und das Zulassungsverfahren sind gegenüber einer Geltendmachung des Anspruchs durch die Gesellschaft selbst (sei es vertreten durch den Vorstand oder einen besonderen Vertreter) subsidiär (vgl. § 148 Abs. 3 Satz 1 Halbs. 2 AktG). Die Einführung der Aktionärsklage hat also nicht etwa zu einer Verschiebung der Verantwortung von den Organmitgliedern auf die Aktionäre geführt, diese stellt lediglich ein zusätzliches Element zur Sicherstellung der Anspruchsverfolgung dar.999 Der Gesellschaft steht es daher frei, auch während eines laufenden Klagezulassungsverfahrens den Anspruch selbst geltend zu machen (§ 148 Abs. 3 Satz 1 AktG) und kann ein anhängiges Klageverfahren der Aktionäre auch nachträglich übernehmen (§ 148 Abs. 3 Satz 2 AktG). Im Schrifttum wird angenommen, dass die (im spezifischen Fall zuständigen) Gesellschaftsorgane im Falle eines erfolgreichen Klagezulassungsverfahrens zur Klageerhebung verpflichtet
996 Koch, in: Hüffer, AktG, § 148 Rdnr. 16; Mimberg, in: Marsch-Barner/Schäfer, Handbuch börsennotierte AG, § 40 Rdnr. 33; Semler, in: Hoffmann-Becking, Münchener Handbuch des Gesellschaftsrechts, Bd. 4, § 42 Rdnr. 25; Schröer, ZIP 2005, S. 2081, 2083; Mock, in: Spindler/Stilz, AktG, § 148 Rdnr. 133. 997 Mock, in: Spindler/Stilz, AktG, § 148 Rdnr. 133. 998 Reg. Begr. zum UMAG, BT-Drs. 15/509, S. 23; Spindler, in: Schmidt/Lutter, AktG, § 148 Rdnr. 40; Mock, in: Spindler/Stilz, AktG, § 148 Rdnr. 128. 999 Vgl. Hirschmann, in: Hölters, AktG, § 148 Rdnr. 2.
A. Die Innenhaftung der Aufsichtsratsmitglieder
227
seien.1000 Dagegen spricht jedoch, dass der Gesellschaft kein Vorteil durch die Anspruchsverfolgung durch den Vorstand (im Falle der Anspruchsverfolgung gegen den Aufsichtsrat) entsteht.1001 Der Wortlaut des § 148 Abs. 3 Satz 1 Halbs. 1 AktG spricht eher gegen die Annahme einer Klagepflicht: Demnach ist die Gesellschaft berechtigt (und gerade nicht verpflichtet), den Ersatzanspruch selbst geltend zu machen.1002 Die Klagezulassung löst allerdings eine eingehende Prüfungspflichtpflicht des Vorstands aus, wobei er festzustellen hat, ob er seine bisherige Auffassung, dass eine Klageerhebung nicht erforderlich ist, weiterhin aufrechterhalten kann. Dies wird im Regelfall zu verneinen sein.1003 Bei Vorliegen der Voraussetzungen für die Klagezulassung durch die Aktionärsminderheit (keine entgegenstehenden Gesellschaftsinteressen, Vorliegen von Tatsachen, die den Verdacht des Vorliegens eines Schadens aufgrund von Satzungs- oder Gesellschaftsverletzung rechtfertigen) wäre der Vorstand aber ohnehin von sich aus zur Anspruchsverfolgung verpflichtet, ohne dass es dazu eines Klagezulassungsverfahrens der Minderheitsaktionäre bedürfte; ein entsprechender Antrag ändert die faktische Rechtslage nicht.1004 Wird dem Klagezulassungsantrag stattgegeben, so wird es dem Vorstand ohnehin schwer fallen, Argumente dafür zu finden, dass eine Klage aus seiner Sicht bislang nicht erforderlich oder nicht zielführend war.1005 Die Abwendung weiteren Schadens von der Gesellschaft durch das Einklagen des Schadensersatzes kann die Aktionärsminderheit ebenso gut wie auch der Vorstand wahrnehmen; für eine gesonderte Verantwortung gibt es keinen Grund. Im Gegenteil erscheint es eigentümlich, das klageunwillige Organ nunmehr zur Anspruchsverfolgung anzuhalten.1006 Für in der Zwischenzeit entstandene Schäden oder eine Verringerung des einklagbaren Betrags bei den Aufsichtsratsmitgliedern aufgrund der Vernichtung von Vermögenwerten zwischen (ursprünglicher) Klageerhebungspflicht des Vorstands und tatsächlicher Klageerhebung der Aktionärsminderheit steht der Vorstand aufgrund der Tatsache, dass er trotz entsprechender Verpflichtung die Klage gegen die Aufsichtsratsmitglieder nicht erhoben hat, ohnehin ein.1007
1000 Mock, in: Spindler/Stilz, AktG, § 114 Rdnr. 116; Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats, Rdnr. 1027; Linnerz, NZG 2004, S. 307, 311; a.A. grundlegend Koch, in: Kindler/Koch/Winter, Festschrift für Uwe Hüffer, S. 447 ff; Koch, in: Hüffer, AktG, § 148 Rdnr. 14. 1001 Eingehend Koch, in: Kindler/Koch/Winter, Festschrift für Uwe Hüffer, S. 447, 456 ff. 1002 Koch, in Kindler/Koch/Winter, Festschrift für Uwe Hüffer, S. 447, 461 f; dem folgend auch Eichner/Höller, AG 2011, S. 885, 891 li. Sp. 1003 Eichner/Höller, AG 2011, S. 885, 891 re. Sp.; Krieger, ZHR 163 (1999), S. 343, 351. 1004 Ähnlich auch Koch, in: Hüffer, AktG, § 148 Rdnr. 14. 1005 Ähnlich Eichner/Höller, AG 2011, S. 885, 891 re. Sp. für den umgekehrten Fall der Geltendmachung eines Ersatzanspruchs des Aufsichtsrats gegen den Vorstand; ebenso Krieger, ZHR 163 (1999), S. 343, 351. 1006 Krieger, ZHR 163 (1999), S. 343, 351. 1007 Im Grundsatz ebenso Koch, in: Kindler/Koch/Winter, Festschrift für Uwe Hüffer, S. 447, 462.
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2. Teil: Folgen von Pflichtverletzungen
Festzuhalten bleibt, dass die Aktionärsklage in der Praxis bislang keine Rolle spielt und der Aufsichtsrat daher (noch) kaum zu befürchten hat, durch eine qualifizierte Aktionärsminderheit in Anspruch genommen zu werden. Ob dies an einer fehlenden Inzentivierung durch eine geringe Erfolgspartizipation bei vergleichbar hohem finanziellem Risiko1008 oder schlichtweg auf einer schlechten Informationslage der Aktionäre über das Fehlverhalten des Aufsichtsorgans beruht, kann an dieser Stelle nicht vertieft werden. e) Anspruchsverfolgung durch den Insolvenzverwalter Da der Aufsichtsrat bzw. dessen Mitlieder aufgrund der bestehenden Interessenskonflikte häufig nicht zu befürchten haben, vom Vorstand in Anspruch genommen zu werden und auch die Aktionärsklage bislang keine Rolle spielt, erfolgt die Verfolgung von Ansprüchen der Gesellschaft gegenüber den Aufsichtsratsmitgliedern in der Praxis regelmäßig durch den Insolvenzverwalter. Im Insolvenzfall geht die Verwaltung und Verfügung über das Vermögen der Aktiengesellschaft auf den Insolvenzverwalter über (§ 80 Abs. 1 InsO). Der Insolvenzverwalter wird allerdings nach vorherrschender Ansicht weder Gesellschaftsorgan noch Vertreter der Gesellschaft, er nimmt vielmehr ein Amt wahr.1009 Folgerichtig bleiben die Organe der Aktiengesellschaft auch im Insolvenzfall bestehen und werden nicht aufgelöst oder verlieren ihre Funktion.1010 Nimmt der Insolvenzverwalter Gläubigerinteressen wahr, so verdrängt er die Organe der Aktiengesellschaft in diesem Teilbereich.1011 Aufgabe des Insolvenzverwalters ist es, dafür zu sorgen, dass die vorhandene Masse bestmöglich verwertet wird, um die Gläubiger soweit wie möglich zu befriedigen.1012 Zu diesem Zweck wird der Insolvenzverwalter prüfen, ob der Gesellschaft gegebenenfalls Ersatzansprüche gegen Organmitglieder zustehen. Kommt er zu dem Schluss, dass solche Ansprüche bestehen, so hat er die Möglichkeit, diese Ansprüche im Namen der Gesellschaft gegenüber den Organmitgliedern, z. B. des Aufsichtsrats, geltend zu machen. An dieser Stelle verdrängt der Verwalter dann die Organkompetenz des Vorstands, sodass letzterer nicht mehr selbst die Verfolgung von Ersatzansprüchen der Gesellschaft gegen die Aufsichtsratsmitglieder durchsetzen kann. Im Gegensatz zum Vorstand ist der Insolvenzverwalter keinen möglichen Interessenskonflikten durch die Anspruchsverfolgung ausgesetzt, da dem Verwalter aus der Aufdeckung eines Fehlverhaltens des Vorstands keine Nachteile erwachsen. Neben dem fehlenden Interessenskonflikt durch die Anspruchsverfolgung kann nicht unbeachtet bleiben, dass der Insolvenzverwalter außerdem eine 1008
So Schmolke, ZGR 2011, S. 398, 441. Vgl. zum Streitstand und zur Amtstheorie von Reichsgericht und Bundesgerichtshof nur Uhlenbruck, in: Uhlenbruck, InsO, § 80 Rdnr. 79 mit umfangreichen w.N. 1010 Hirte, in: Uhlenbruck, InsO, § 80 Rdnr. 118. 1011 RG, Urt. v. 06. 05. 1911 – I 164/10, RGZ 76, 244, 246; Hirte, in: Uhlenbruck, InsO, § 80 Rdnr. 118. 1012 Leithaus, in: Leithaus, InsO, § 80 Rdnr. 6. 1009
A. Die Innenhaftung der Aufsichtsratsmitglieder
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intrinsische Motivation an der Anspruchsverfolgung hat: Die Vergütung des Verwalters zum Abschluss des Insolvenzverfahrens wird auf Grundlage des Wertes der Insolvenzmasse zum Zeitpunkt der Beendigung des Insolvenzverfahrens berechnet (§ 63 Abs. 1 Satz 2 InsO). Zwar werden auch die (noch nicht eingezogenen) Forderungen der Masse zugerechnet (§ 35 Abs. 1 2. Variante InsO),1013 jedoch werden diese, soweit sie nicht eingezogen sind, nur mit ihrem Verkehrswert angesetzt.1014 Gelingt es dem Insolvenzverwalter, die Forderungen zu einem höheren Betrag als ihrem Verkehrswert (gerichtlich) beizutreiben, so steigt damit die Insolvenzmasse und mittelbar damit auch die Vergütung des Verwalters. Die Kosten für die Rechtsverfolgung kann er dabei in Abzug bringen,1015 sodass der Verwalter selbst kein finanzielles Prozessrisiko trägt. Bereits aus diesem Grund hat der Verwalter ein nicht zu vernachlässigendes (positives) Interesse an der Geltendmachung des Ersatzanspruchs und wird daher bemüht sein, Ansprüche der Gesellschaft, insbesondere auch gegen Organmitglieder, geltend zu machen. Insbesondere aber wird die drohende persönliche Haftung den Verwalter zu einer Einziehung der Forderung veranlassen: Gemäß § 148 InsO ist es die Pflicht des Insolvenzverwalters, das gesamte zur Insolvenzmasse gehörende Vermögen der Gesellschaft in Besitz und Verwaltung zu nehmen. Daraus wird auch die Pflicht abgeleitet, zur Masse gehörende Forderungen des Insolvenzschuldners gegenüber Dritten einzuziehen.1016 Dies schließt auch die Verpflichtung zur gerichtlichen Geltendmachung der Ansprüche ein, soweit die Prozessführung wirtschaftlich vertretbar ist.1017 Unterließe es der Insolvenzverwalter, einen aussichtsreichen Ersatzanspruch der Gesellschaft gegen die Mitglieder des Aufsichtsrats geltend zu machen, so handelte er pflichtwidrig. Hieraus könnte unter Umständen eine persönliche Haftung des Verwalters gemäß § 60 Abs. 1 InsO entstehen. Da der Insolvenzverwalter keinem Interessenkonflikt ausgesetzt ist, ein nicht zu vernachlässigendes Eigeninteresse an der Erhöhung der Insolvenzmasse besitzt und insbesondere einer persönlichen Haftung wegen Pflichtverletzung bei Nichteintreiben von Forderungen unterliegt, ist die Wahrscheinlichkeit der Inanspruchnahme der Aufsichtsratsmitglieder im Falle der Insolvenz gegenüber der Inanspruchnahme
1013 Vgl. zur Massezugehörigkeit (pfändbarer) Forderungen nur Leithaus, in: Leithaus, InsO, § 35 Rdnr. 7; Peters, in: Münchener Kommentar InsO, § 35 Rdnr. 383 ff. 1014 BGH, Urt. v. 09. 06. 2005 – IX ZB 230/03, NZI 2005, S. 557, 558. 1015 Ist der Insolvenzverwalter selbst Rechtsanwalt, so kann er sich die Rechtsverfolgungskosten gemäß § 5 Abs. 1 InsVVerstatten lassen. Beauftragt der Insolvenzverwalter einen Dritten mit der Anspruchsverfolgung, so handelt es sich bei der Vergütung um Auslagen des Insolvenzverwalters i.S.v. § 54 Nr. 2 InsO, die gemäß § 209 Abs. 1 Nr. 1 InsO vorrangig vor den übrigen Masseverbindlichkeiten zu begleichen sind. Die Kosten des Verfahrens genießen damit einen absoluten Vorrang vor allen anderen Masseverbindlichkeiten, siehe auch Hefermehl, in: Münchener Kommentar InsO, § 209 Rdnr. 15. 1016 Bork, ZIP 2005, S. 1120; Schoppmeyer, in: Münchener Kommentar InsO, § 61 Rdnr. 22 f. 1017 Abeltshauser, in: Nerlich/Römermann, § 60 Rdnr. 24.
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2. Teil: Folgen von Pflichtverletzungen
durch den Vorstand deutlich wahrscheinlicher.1018 Kommt es zuvor nicht zu einer Geltendmachung bestehender Ersatzansprüche durch den Vorstand, besonderen Vertreter oder eine Aktionärsminderheit, so ist jedenfalls im Insolvenzfall von der Eintreibung der Forderung durch den Insolvenzverwalter auszugehen. f) Faktische Durchsetzung durch Entlastungsverweigerung der Hauptversammlung? Neben den im Gesetz ausdrücklich vorgesehenen Möglichkeiten zur Durchsetzung der Ersatzansprüche gegen die Mitglieder des Aufsichtsrats durch Vorstand oder Einsatz eines besonderen Vertreters ist denkbar, dass die Hauptversammlung dem Vorstand die Entlastung verweigert, solange und soweit er die Schadensersatzansprüche der Gesellschaft nicht gegen die Aufsichtsratsmitglieder geltend macht. Dies ist gegenüber der Bestellung eines besonderen gesetzlichen Vertreters nach § 147 Abs. 1 AktG insofern von Vorteil, als dass für die drohende Entlastungsverweigerung keine zusätzlichen Verfahren notwendig sind und durch eine fehlende Stimmenmehrheit bei der Abstimmung über die Entlastung des Vorstands (§ 120 AktG) durch die Hauptversammlung unmittelbar begrenzt werden kann. Gegenüber der gemäß § 147 Abs. 1 Satz 1 AktG ausgesprochenen und mit einfacher Stimmenmehrheit beschlossenen Verpflichtung zur Geltendmachung der Ersatzansprüche hat die Androhung der Entlastungsverweigerung den Vorteil, dass sie unmittelbare Konsequenzen nach sich zieht, während ein Verstoß gegen § 147 Abs. 1 Satz 1 AktG zwar grundsätzlich eine Ersatzpflicht auslösen kann, der entstandene Schaden allerdings noch festzustellen wäre. Außerdem werden weniger konfliktgeneigte Aktionäre sich möglicherweise eher dazu entschließen, der Entlastung nicht zuzustimmen, als ein gesondertes Verfahren zur Verpflichtung der Geltendmachung von Ersatzansprüchen zu beschließen. Unmittelbare Folgen hat die Entlastungsverweigerung für die Aufsichtsratsmitglieder nicht.1019 Allerdings ist die Entlastungsverweigerung aus zweierlei Gründen von besonderer Bedeutung für den Vorstand: Zum einen bedeutet die fehlende Entlastung ein erhebliches Vertrauensdefizit der Hauptversammlung in die Tätigkeit des Vorstands, was zu einer negativen Außenwirkung führt; dies schadet sowohl der Gesellschaft, als auch den betroffenen Vorstandsmitgliedern persönlich. Zum zweiten stellt der Vertrauensentzug durch die Hauptversammlung einen wichtigen Grund zur Abberufung des Vorstands durch den Aufsichtsrat im Sinne von § 84 Abs. 3 Satz 2 AktG dar.1020 Der Aufsichtsrat könnte die betreffenden Vorstands-
1018
So auch Thümmel, DB 1999, S. 885, 887. Koch, in: Hüffer, AktG, § 120 Rdnr. 2 f. 1020 Hoffmann, in: Spindler/Stilz, AktG, § 120 Rdnr. 29; einschränkend Kubis, in: Münchener Kommentar AktG, § 120 Rdnr. 35, der die Feststellung des Vertrauensverlustes durch die Hauptversammlung explizit fordert. Ähnlich auch Koch, in: Hüffer, AktG, § 120 Rdnr. 16. 1019
A. Die Innenhaftung der Aufsichtsratsmitglieder
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mitglieder dann auf dieser Grundlage abberufen.1021 Mithin stellt eine Drohung mit der Abberufung ein durchaus probates Mittel dar, um den Vorstand zur Verfolgung von Ersatzansprüchen zu motivieren. Allerdings sollte beachtet werden, dass die mit einfacher Mehrheit gefasste Verpflichtung zur Anspruchsverfolgung (der gleichen Stimmanzahl bedarf es gemäß § 133 AktG auch für die Versagung der Entlastung durch die Hauptversammlung) gegenüber der Entlastungsversagung einen noch größeren Vertrauensverlust der Hauptversammlung bezüglich der Vorstandstätigkeit bekundet und daher das stärkere Mittel zur Einflussnahme der Hauptversammlung auf das Exekutivorgan ist. 7. Innenausgleich: Gesamtschuldnerregress Die Mitglieder des Aufsichtsrats haften für Pflichtverletzungen gesamtschuldnerisch (§ 116 Satz 1 i.V.m. § 93 Abs. 2 Satz 1 AktG). Das bedeutet, dass jedes ersatzpflichtige Aufsichtsratsmitglied dazu verpflichtet ist, der Gesellschaft einen entstandenen Schaden in voller Höhe zu erstatten, wobei die Gesellschaft den Gesamtbetrag allerdings nur einmal fordern kann (§ 421 Satz 1 BGB). Die Verteilung der Haftung erfolgt dann unter den verpflichteten Aufsichtsratsmitgliedern gemäß § 426 Abs. 2 BGB. Grundsätzlich sind die Mitglieder zu gleichen Teilen ersatzpflichtig. Abweichungen können sich im Innenverhältnis aber aus der Schwere der Pflichtverletzung und daraus entstehender Anteile am Schadenseintritt ergeben. Zu beachten ist, dass die Pflichtverletzung durch ein einzelnes Mitglied gemäß § 116 Satz 1 i.V.m. § 93 Abs. 2 Satz 1 AktG nicht dazu führt, dass sämtliche Aufsichtsratsmitglieder für den daraus entstandenen Schaden haftbar gemacht werden können. § 93 Abs. 2 Satz 1 AktG beschränkt die Ersatzpflicht ausdrücklich auf diejenigen Mitglieder, die ihre Pflichten verletzt haben. Aufsichtsratsmitglieder, die sich pflichtgemäß verhalten haben, können daher von der Gesellschaft nicht in Anspruch genommen werden; sie sind auch nicht auf den Innenregress verwiesen. Neben der gesamtschuldnerischen Haftung der Aufsichtsratsmitglieder untereinander kann auch eine Gesamtschuld zwischen (pflichtwidrig handelnden) Mitgliedern des Aufsichtsrats und Vorstands gemeinsam entstehen, soweit der Schaden auf einer Pflichtverletzung von Mitgliedern der beiden Organe beruht.1022 Dabei werden die Vorstandsmitglieder aufgrund ihrer primären Verantwortlichkeit durch das Handeln bzw. Unterlassen als Exekutivorgan im Innenverhältnis in der Regel
1021 Problematisch ist freilich, dass dem Aufsichtsrat, der eine haftungsrechtliche Inanspruchnahme durch den Vorstand fürchtet, so die Möglichkeit gegeben wird, kritische Vorstandsmitglieder abzuberufen. Andererseits können auch neue Vorstandsmitglieder die Entlastungsverweigerung nicht ignorieren und müssten eine Anspruchsverfolgung gegen den Aufsichtsrat wenigstens prüfen. Durch die Abberufung kann sich der Aufsichtsrat einer kritischen Überprüfung also nicht entziehen. 1022 Doralt/Doralt, in: Semler/von Schenck, Arbeitshandbuch für Aufsichtsratsmitglieder, § 14 Rdnr. 231; Mertens/Cahn, in: Kölner Kommentar AktG, § 93 Rdnr. 50.
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2. Teil: Folgen von Pflichtverletzungen
stärker in die Verantwortung zu nehmen sein, als die zur Überwachung berufenen Aufsichtsratsmitglieder.1023
II. These: Die Haftung des Aufsichtsrats als Kollegialorgan Die bisher dargestellte Lösung einer Haftung der Aufsichtsratsmitglieder für eigene Pflichtverletzungen und eigenes Verschulden aus §§ 116 Abs. 1 i.V.m. § 93 AktG gegenüber der Gesellschaft entspricht der ganz herrschenden Meinung.1024 Demgegenüber ließe sich aber überlegen, ob davon abweichend eine Haftung des Kollegialorgans besteht, die neben oder an die Stelle der Mitgliederhaftung tritt. Grundlage der Überlegung eines von der vorherrschenden Ansicht abweichenden Verständnisses der Haftungsstruktur des Aufsichtsrats sind der Wortlaut des Aktiengesetzes und systematische Erwägungen. Weist das Aktiengesetz einer Person Rechte und Pflichten zu, so wird grundsätzlich davon ausgegangen, dass diese Person die entsprechenden Rechte und Pflichten wahrzunehmen hat und für eine Verletzung der Pflichten möglicherweise haftungsrechtlich einstehen muss. Die Mitglieder des Aufsichtsrats sind beispielsweise dazu verpflichtet, bei der Gründung der Gesellschaft eine sogenannte Gründungsprüfung durchzuführen (§ 33 Abs. 1 AktG). Kommen die Aufsichtsratsmitglieder dieser Aufgabe nicht oder nicht in hinreichendem Umfang nach, so sind sie nach § 48 AktG zum Ersatz des aus dieser Pflichtverletzung resultierenden Schadens verpflichtet. Neben natürlichen Personen weist das Aktienrecht aber Aufgaben häufig nicht den einzelnen Organmitgliedern, sondern auch ausdrücklich dem Gesamtorgan, d. h. dem Aufsichtsrat oder dem Vorstand, zu. § 111 Abs. 1 AktG beauftragt mit der Überwachung der Geschäftsführung beispielsweise den Aufsichtsrat (und nicht die Aufsichtsratsmitglieder). Vom Wortlaut ausgehend ist damit durch Zuweisung der Pflicht an das Kollegialorgan (nur) dieses selbst, und sind nicht die Organmitglieder, zur Aufgabenwahrnehmung berechtigt und verpflichtet. Konsequenterweise ließe sich streiten, dass – parallel zur Ausgestaltung bei der Pflichtzuweisung an natürliche Personen – auch die Haftung für die Verletzung der entsprechenden Pflichten das Gesamtorgan trifft. Anspruchsgegner eines Schadensersatzanspruchs der Gesellschaft wären damit nicht die einzelnen Mitglieder des Aufsichtsrats, sondern das Organ als solches. Anderenfalls drohte ein Auseinanderfallen von Haftung und Berechtigung und Verpflichtung.
1023
So auch Habersack, in: Münchener Kommentar AktG, § 116 Rdnr. 73. Statt aller Hoffmann/Preu, Der Aufsichtsrat, Rdnr. 515.1; anders nur Szalai/Marz, DStR 2010, S. 809 ff. 1024
A. Die Innenhaftung der Aufsichtsratsmitglieder
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1. Ausgangspunkt: das Organ als Zurechnungspunkt von (eigenen) Rechten und Pflichten Die obigen Ausführungen zeigen, dass eine kollegialorganschaftliche Aufsichtsratshaftung jedenfalls aus dem Aktiengesetz grundsätzliche ableitbar erscheint. Szalai/Marz1025 gehen noch weitergehend davon aus, dass die von der herrschenden Ansicht herangezogenen Normen zur Verantwortlichkeit der Mitglieder nicht eine Haftung der Aufsichtsratsmitglieder gegenüber der Gesellschaft, sondern lediglich das Innenverhältnis der Aufsichtsratsmitglieder untereinander regeln.1026 Nach dieser Ansicht besteht eine primäre Haftung des Organs Aufsichtsrat gegenüber der Gesellschaft; mangels eigenen Vermögens des Organs erfolge dann eine Haftungsüberleitung auf die Organmitglieder. Davon abweichen lässt sich aber streiten, dass eine primäre Haftung des Organs gegenüber der Gesellschaft die nach der herrschenden Meinung bestehende Mitgliederhaftung gemäß § 116 Satz 1 i.V.m. § 93 AktG nicht zwangsläufig ausschließt. Denkbar ist, dass neben der Mitgliederhaftung für eigenes Fehlverhalten auch eine Haftung des Organs im Falle der Organpflichtverletzung besteht. Mit einer solchen Unterscheidung würde sowohl der gesetzlichen Unterscheidung in Mitgliederpflichten einerseits und Organpflichten andererseits, als auch der (nach h.M. bestehenden) Primärhaftung der Mitglieder für eigene Pflichtverletzungen andererseits Rechnung getragen. Die Grundlagen der beiden angesprochenen Thesen zur Organhaftung des Aufsichtsrats werden nachfolgend kurz angesprochen, bevor im Anschluss untersucht wird, inwieweit die konzeptionellen Grundannahmen der Thesen mit den Bestimmungen des Aktienrechts in Einklang stehen. a) These 1: Kollegialorganschaftliche Primärhaftung anstatt individueller Mitgliederhaftung Die Vertreter einer kollegialorganschaftlichen Primärhaftung, die an die Stelle der individuellen Mitgliederhaftung tritt, begründen ihre Theorie zum einen mit dem Wortlaut und der Systematik des Aktiengesetzes, zum anderen mit rechtspolitischen bzw. teleologischen Erwägungen.1027 Die Unterscheidung des Aktiengesetzes in solche Rechte und Pflichten, die dem Organ und solche, die den Mitgliedern zugewiesen seien,1028 müsse ernst genommen werden. In Folge dieser Unterscheidung soll das Organ bei Verletzungen der ihm übertragenen Pflichten auch selbst für die Verletzung einstehen. Ein Schadensersatzanspruch der Gesellschaft würde sich nach dieser Auffassung ausschließlich gegen das Organ Aufsichtsrat, und nicht gegen die 1025 1026 1027 1028
Szalai/Marz, DStR 2010, S. 809 ff. Szalai/Marz, DStR 2010, S. 809, 811 ff. Szalai/Marz, DStR 2010, S. 809. Siehe dazu auch oben, S. 116 f.
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2. Teil: Folgen von Pflichtverletzungen
einzelnen Mitglieder richten. Da der Aufsichtsrat jedoch grundsätzlich keine Haftungsmasse besitze sei anzudenken, dass die einzelnen Mitglieder für die Verbindlichkeiten des Organs einstehen müssten.1029 Dafür, so wird angeführt, könne § 128 HGB in analoger Anwendung fruchtbar gemacht werden, da die Aufsichtsratsmitglieder untereinander GbR-ähnlich verbunden seien und eine planwidrige Gesetzeslücke vorliege.1030 Die Vorschrift des § 116 Satz 1 AktG wird – entgegen der herrschenden Meinung – nicht als Anspruchsgrundlage der Aktiengesellschaft gegen die Organmitglieder verstanden, sondern soll nach dieser Auffassung lediglich die Verantwortlichkeit der Mitglieder untereinander regeln; dies setze implizit eine primäre Organhaftung voraus. Bei der nach der herrschenden Meinung bestehenden primären Mitgliederhaftung wird individuell für jedes Mitglied eine Verschuldensprüfung vorgenommen, sodass sich die Verantwortlichkeit der Mitglieder jeweils ausschließlich nach dem individuellen Verschuldensgrad bestimmt. Bei einer primären Organhaftung, wie sie nach der hier aufgeführten Ansicht bestünde, findet eine Verschuldensprüfung ausschließlich auf der Ebene des Organs statt. Wenn nun mangels eigener Haftungsmasse des Organs eine Haftungsüberleitung entsprechend § 128 HGB auf die Organmitglieder erfolgte, so fände keine erneute Verschuldensprüfung auf Mitgliederebene statt, sodass es für die individuelle Inanspruchnahme der Organmitglieder nicht auf ihren eigenen Verschuldensgrad, sondern ausschließlich auf die Pflichtverletzung und das Verschulden des Organs ankommt. Die Organmitglieder müssen nach dieser Ansicht also verschuldensunabhängig und ohne Rücksicht auf die Art und Schwere ihres eigenen Verursachungsbeitrags für jede Pflichtverletzung des Organs einstehen. Ein Aufsichtsratsmitglied, das gegen einen rechtswidrigen Beschluss des Gremiums stimmt und alles Mögliche und Erdenkliche zur Verhinderung des Beschlusses unternimmt, wird damit (im Grundsatz)1031 dennoch nicht von seiner Verantwortung gegenüber dem Organ frei, sondern haftet in gleichem Maße wie diejenigen Mitglieder, die dem Beschluss zugestimmt haben. Die Aufsichtsratsmitglieder sollen als Gesamtschuldner haften (§§ 421 ff BGB), wobei der individuelle Verschuldensbeitrag im Rahmen des Gesamtschuldnerregresses berücksichtigt werden könne.1032 Dadurch entstünde eine hohe Motivation sämtlicher Aufsichtsratsmitglieder, pflichtwidrige Aufsichtsratsbeschlüsse zu verhindern, da nur auf diese Art die eigene Haftung vermieden werden könnte. Aus teleologischer Sicht wird angeführt, dass eine solche primäre Organhaftung und nachfolgende (verschuldensunabhängige) Haftung der Organmitglieder zu einer gesteigerten gegenseitigen Überwachung führe und eine gemeinschaftliche Verantwortung der Aufsichtsratsmitglieder fördere. Für den Vorstand wird eine solche 1029
Zum Ganzen: Szalai/Marz, DStR 2010, S. 809 ff. Szalai/Marz, DStR 2010, S. 809, 812. 1031 Szalai/Marz, DStR 2010, S. 809, 813 f, suchen andere Ansätze zur Enthaftung dissentierender Mitglieder und schlagen dazu eine Klagepflicht der Aufsichtsratsmitglieder vor. 1032 Szalai/Marz, DStR 2010, S. 809, 812. 1030
A. Die Innenhaftung der Aufsichtsratsmitglieder
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gegenseitige Überwachung für nicht notwendig und nicht gesetzlich vorgeschrieben angesehen, da beim Vorstand die Festlegung einer individuellen Verantwortlichkeit für abgetrennte Teilbereiche möglich sei und damit eine organschaftliche Haftung ausgeschlossen werde.1033 b) These 2: Das Organ als Zurechnungspunkt eigener Rechte und Pflichten – kollegialorganschaftliche (Primär-)Haftung neben individueller Mitgliederhaftung Fraglich ist, ob entgegen der zuvor angeführten These die Bestimmungen des AktG nicht dahingehend verstanden werden können, dass eine Haftung des Kollegialorgans nicht an die Stelle einer Mitgliederhaftung tritt, sondern eine solche Haftung ergänzt. Diese Ansicht ließe sich vor dem Hintergrund rechtfertigen, dass bestimmte Pflichten dem Organ zugewiesen sind (z. B. § 111 Abs. 1 AktG), während sich andere Pflichten unmittelbar an die Organmitglieder richten (z. B. § 33 Abs. 1 AktG). Mit der herrschenden Ansicht wäre § 116 Abs. 1 AktG i.V.m. § 93 AktG als Anordnung einer persönlichen Mitgliederhaftung für eigenes Verschulden zu verstehen. Dies wäre die denklogische Konsequenz einer Pflichtzuweisung an die Organmitglieder. Wenn nun das Gesetz bestimmte Pflichten ausdrücklich dem Organ zuweist, so ist folgerichtig anzunehmen, dass das Organ auch für die Verletzung der ihm übertragenen Pflichten haftungsrechtlich einzustehen hat. In der Praxis kann die Problematik des fehlenden eigenen Vermögens des Aufsichtsrats darüber gelöst werden, dass dieser eine D&O Versicherung nicht für die einzelnen Mitglieder, sondern für das Organ abschließt. Der Gesellschaft stünde im Falle des Schadenseintritts aufgrund einer Pflichtverletzung des Organs ein Schadensersatzanspruch gegen den Aufsichtsrat zu, der jedenfalls aufgrund der Versicherung hinreichend erfüllt wurde. Dies führt indes nicht zur Lösung der Problematik: Der Aufsichtsrat besitzt kein eigenes Vermögen und kann daher nicht wirksam die Beiträge zur Versicherung begleichen. Dies könnte nur aufgrund von Zahlungen der Mitglieder oder der Gesellschaft erfolgen. Vor allem aber löst dies nicht den Kernpunkt der Problematik: Eine Haftung des Organs für Organpflichtverletzungen neben einer Haftung der Mitglieder für deren individuelle Pflichtverletzung erfordert mangels Vermögens des Organs eine Überleitung des Anspruchs der Gesellschaft gegen das Organ auf die einzelnen Mitglieder. Ob eine solche Überleitung zulässig und möglich ist, wird nachfolgend untersucht. Eine Anwendung von § 128 HGB (doppelt) analog erscheint jedoch zweifelhaft,1034 da es sich bei den Aufsichtsratsmitgliedern nicht um einen freiwillig geschlossenen Personenverbund entsprechend einer Personengesellschaft, sondern aufgrund der Wahl der Anteilseigener und ggf. Entsendung der Arbeitnehmervertreter (vgl. § 96 AktG) 1033 1034
Szalai/Marz, DStR 2010, S. 809, 811 f. Anders Szalai/Marz, DStR 2010, S. 809, 812.
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2. Teil: Folgen von Pflichtverletzungen
vielmehr um eine heterogene Gruppe zufällig zusammentretender Personen mit divergierenden Interessen handelt. Neben der Haftung des Organs bestünde nach dieser Ansicht eine haftungsrechtliche Verantwortlichkeit der einzelnen Organmitglieder gemäß § 116 Abs. 1 i.V.m. § 93 AktG im Fall des eigenen Verschuldens, wie dies nach derzeit vorherrschenden Meinung bereits vertreten wird. Da das Organ selbst nicht handeln kann, sondern dazu auf seine Mitglieder angewiesen ist, kommt eine Organpflichtverletzung stets nur dann in Betracht, wenn einzelne Mitglieder gehandelt (oder eine erforderliche Handlung unterlassen) haben. Insofern kann es bisweilen zu Überschneidungen bei der Haftung des Organs und Haftungen der Organmitglieder kommen. Im Gegensatz zu der oben angeführten Ansicht bleibt es nach der hier vorgestellten These allerdings bei einer Haftung für individuelle Pflichtverletzungen bei persönlicher Vorwerfbarkeit des Verhaltens. Kommt es beispielsweise zu einer pflichtwidrigen Zustimmungserteilung des Aufsichtsrats i.S.v. § 111 Abs. 4 AktG, so liegt die Pflichtverletzung des Organs in der Erteilung der Zustimmung, während den einzelnen Mitgliedern vorgeworfen werden kann, dass sie innerhalb des Aufsichtsrats entweder zugunsten der Maßnahme abgestimmt haben oder es unterlassen haben, ihre Kollegen in hinreichendem Maße auf ihre Bedenken hinzuweisen und nicht alles ihnen Mögliche unternommen haben, um die Beschlussfassung zu verhindern. Insofern liegen hier zwei unterschiedliche Pflichtverletzungen vor, die auf unterschiedlichen Ebenen zu behandeln sind. Im Gegensatz zur oben vertretenen Ansicht ist aber solchen Mitgliedern, die ihre Bedenken geäußert und gegen die Maßnahme gestimmt haben, haftungsrechtlich nichts vorzuwerfen. Damit wird dem Grundsatz persönlicher Verantwortlichkeit in hinreichendem Maße Rechnung getragen. Problematisch ist nach diesem Modell allein die Verantwortlichkeit des Organs. 2. Grundvoraussetzung: Originäre Organrechte de lege lata? Eine Haftung für Pflichtverletzungen kann nur dann bestehen und entstehen, wenn der Haftende Träger rechtlicher Pflichten ist. Beide oben angeführten Überlegungen einer organschaftlichen Haftung neben oder anstatt einer Mitgliederhaftung setzen damit als Grundannahme voraus, dass den Organen Vorstand und Aufsichtsrat eigene Rechte und Pflichten zugewiesen werden. Fraglich ist aber, ob die Organe der Aktiengesellschaft tatsächlich Zurechnungsendpunkt eigener Rechte und Pflichte sein können, oder ob die Zuweisung an „den Aufsichtsrat“ oder „den Vorstand“ tatsächlich eine Verantwortlichkeit der Gesamtheit der Mitglieder begründet. Dazu ist zunächst zu untersuchen, ob sich der Normbefehl, wie es zunächst scheint, tatsächlich an das Organ selbst richtet, oder ob es sich um eine Aufgabenzuweisung an die Mitglieder des Organs handelt. Voraussetzung ist außerdem, dass Organe rechtstechnisch überhaupt Zurechnungsendpunkte von Rechten und Pflichten sein können. Nur bei einem entsprechenden Verständnis lassen sich ein-
A. Die Innenhaftung der Aufsichtsratsmitglieder
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zelne Pflichten auch tatsächlich „dem Organ“ zuordnen; anderenfalls muss eine Überleitung auf die Organmitglieder stattfinden. Das Aktiengesetz selbst weist einzelne Rechte und Pflichten zum Teil den Mitgliedern des Aufsichtsrats (vgl. § 110 Abs. 1 AktG) zum Teil dem Aufsichtsrat selbst (siehe nur § 111 Abs. 1 AktG) zu. Die Unterscheidung zwischen Organ und Organmitgliedern findet sich auch in weiteren Normen des Aktiengesetzes: so beschließt die Hauptversammlung nicht über die Entlastung von Vorstand und Aufsichtsrat, sondern über die Entlastung der Mitglieder des Vorstands und der Mitglieder des Aufsichtsrats (§ 120 Abs. 1 Satz 1 AktG); in der Gründungsphase der Gesellschaft sind die Mitglieder von Vorstand und Aufsichtsrat zu bestimmten Überwachungsaufgaben angehalten (§ 33 Abs. 1 AktG), während in anderen Fällen das Organ als solches mit ähnlichen Aufgaben betreut wird (§ 314 Abs. 2 AktG). Da sich die Unterscheidung durch das gesamte Aktienrecht zieht, lässt sich streiten, dass der Gesetzgeber eine bewusste Unterscheidung zwischen Rechten und Pflichten des Organs und Rechten und Pflichten der Organmitglieder hat vornehmen wollen. Zu beachten bleibt freilich, dass das Organ als solches selbst nicht dazu in der Lage ist, Rechte und Pflichten unmittelbar selbst wahrzunehmen, sondern durch seine Mitglieder handelt.1035 Fraglich ist nun aber, ob die durch Gesetz dem Organ bzw. den Mitgliedern zugewiesenen Rechte und Pflichten ganz allgemein stets solche der Gesellschaft sind, oder aber ob die Rechte und Pflichten dem Organ und/oder den Organmitgliedern persönlich zugewiesen sind. Bei der Beantwortung dieser Frage geht es dabei in erster Linie nicht um die Problematik, ob eine (Teil-)Rechts- oder Parteifähigkeit der Organe angenommen werden kann. Geklärt werden soll ausschließlich, ob eine Zuweisung von Rechten und Pflichten unmittelbar an das Organ möglich ist, oder ob sich eine solche Zuweisung verbietet. Sollte bereits eine Zuweisung von Rechten und Pflichten ausscheiden, so hätte dies zur Folge, dass schon aus diesem Grund eine primäre Haftung des Organs ausscheiden müsste, da mangels eigener Pflicht das Organ auch eine Pflichtverletzung nicht vorliegen könnte. a) Organe bloß als Wahrnehmungsintermediäre Bisweilen wird vertreten, den Organen fehle eine eigene Rechtsfähigkeit, da sie lediglich Rechte und Pflichten der Aktiengesellschaft im Innenverhältnis wahrnähmen.1036 Die im Aktiengesetz „dem Aufsichtsrat“ zugewiesenen Pflichten sollen nach dieser Ansicht tatsächlich Pflichten der Gesellschaft sein, deren Ausübungszuständigkeit mangels eigener Handlungsfähigkeit der Gesellschaft auf die Organe 1035
Hommelhoff, ZHR 143 (1979), S. 288, 292. Westermann, in: Bettermann/Zeuner, Festschrift für Eduard Bötticher, S. 369, 376; Lewerenz, Leistungsklagen zwischen Organen und Organmitgliedern, S. 108; so wohl auch Hefermehl, in: Geßler/Hefermehl, AktG, § 90 Rdnr. 36, obgleich er von einer Verpflichtung der Organe selbst ausgeht, vgl. Rdnr. 2; so wohl auch RG, Urt. v. 06. 06. 1903 – Rep. I 45/03, RGZ 55, 75, 76; RG, Urt. v. 22. 02. 1911 – Rep. I 580/09, RGZ 75, 308, 309. 1036
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2. Teil: Folgen von Pflichtverletzungen
der Gesellschaft übertragen wurde. Anders als nach den bislang angeführten Lösungen wären dann weder die Organe noch deren Mitglieder, sondern ausschließlich die Gesellschaft unmittelbares Berechtigungs- und Verpflichtungssubjekt der Innenrechtsvorschriften. Dies führt aber zu eigentümlichen Ergebnissen: Wenn die Rechte und Pflichten der Gesellschaft (und nicht dem Organ oder den Organmitgliedern) zugewiesen wären,1037 bestünde ein kurioses Konstrukt, wodurch die Gesellschaft, vertreten durch den Vorstand, die Geschäfte der Gesellschaft leitet und dabei durch den Aufsichtsrat überwacht wird, der jedoch keine eigenen Überwachungspflichten wahrnimmt, sondern ebenfalls die Gesellschaft vertritt.1038 Auf die Einzelheiten der Überwachung bezogen bedeutet dies, dass die Gesellschaft, vertreten durch den Vorstand, der Gesellschaft – also sich selbst –, vertreten durch den Aufsichtsrat, Bericht über die Geschehnisse in der Gesellschaft erstattet oder die Gesellschaft eigene Geschäftsführungsmaßnahmen durch sich selbst genehmigen lassen müsste.1039 Nach dieser Auslegung würde die Gesellschaft selbst die nach innen gerichteten Pflichten erfüllen; lediglich die Wahrnehmung der Erfüllung würde durch die Organe, die dann als Vertreter der Gesellschaft fungierten, wahrgenommen werden. Wenn es sich aber auf beiden Seiten um Rechte und Pflichten der Gesellschaft handelt und die Organe nur als Wahrnehmungsintermediäre fungierten, dann wäre die Parteienidentität nicht nur formeller, sondern auch materieller Natur; zu Interessenskonflikten würde es mangels Eigeninteresse der Organe nicht kommen können.1040 Die gewollte Konstruktion der Berechtigung und Verpflichtung der Gesellschaft mit Organen als Wahrnehmungsintermediäre passt nicht auf die gesetzliche Struktur der Aktiengesellschaft,1041 die auf einen ständigen Interessens- und Meinungsaustausch zwischen Vorstand und Aufsichtsrat angewiesen ist, wodurch erst die Willensbildung der juristischen Person erfolgen kann. Eine erfolgreiche 1037
Die bloße Zuordnung der Pflichten an die Organmitglieder bzw. das Organ, während die Rechte der Gesellschaft zugewiesen sind, bezeichnet Hommelhoff pointiert als gequälten dogmatischen Konstruktionsaufwand, siehe Hommelhoff, ZHR 143 (1979), S. 288, 295. 1038 Auf eine vergleichbare Problematik wurde bereits im Rahmen der Bestimmung des Parteifähigkeit von Vorstand und Aufsichtsrat bei interorganschaftlichen Streitigkeiten hingewiesen, siehe oben, S. 102 f. 1039 Hommelhoff, ZHR 143 (1979), S. 288, 295. 1040 Anders aber Westermann, in: Bettermann/Zeuner, Festschrift für Eduard Bötticher, S. 369, 376, der von einer nur formellen Identität der Parteien spricht, da ein Organstreit Ausdruck der vorherrschenden widerstreitenden Interessen sei. Insofern spreche viel dafür, „das Dogma der Unmöglichkeit des In-sich-Prozesses aufzugeben“. Wie es aber zu unterschiedlichen Interessenlagen bei einer Identität der Parteien kommen kann, bleibt unklar. Schließlich ist nach der bei Westermann vertretenen Lösung die Gesellschaft sowohl Berechtigter als auch Verpflichteter; die Organe wären dann nur Wahrnehmungsintermediäre, sodass es zweifelhaft erscheint, weshalb Ihnen eigene Interessen zustehen. Zu einem Interessenskonflikt kann es folglich nur dann kommen, wenn die Organe eigene Interessen besitzen und zwischen den Organen um die Dienlichkeit des Einzelinteresses für die Gesellschaft es Streitigkeiten bestehen. Diese eigenen Interessen ziehen aber denklogisch eine eigene Berechtigung zur Durchsetzung der Interessen im Gesellschaftsinteresse nach sich. 1041 Bauer, Organklagen zwischen Vorstand und Aufsichtsrat, S. 59.
A. Die Innenhaftung der Aufsichtsratsmitglieder
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Aktiengesellschaft bedarf einer stetigen Konsensfindung zwischen einem innovativen, entwickelnden Vorstand und einem mahnenden und wachenden Aufsichtsrat. Dabei bilden sich sowohl auf Vorstands- als auch auf Aufsichtsratsebene eigene Interessen heraus, die gegenseitig in Ausgleich zu bringen sind. Die Struktur der Aktiengesellschaft im dualistischen System des Aktienrechts kann nur dann funktionieren, wenn den Organen jeweils eigene Verantwortlichkeiten in Form eigener Rechte und Pflichten zugesprochen werden.1042 b) Organe als rechtliches Nullum zwischen Gesellschaft und Organmitglied Gegen eine Rechtsqualität der Organe als Zurechnungsendpunkt intrapersonaler Rechte und Pflichten könnte aber die fehlende eigene Handlungsfähigkeit der Organe sprechen. Wie juristische Personen können auch Organe nicht selbst handeln, sondern sind auf die tatsächlichen Ausführungen von natürlichen Personen – ihrer Organmitglieder – angewiesen; nur diese können nach außen handeln. Da sich die „Pflichtsubjektivität“ der juristischen Person (der Aktiengesellschaft) erst auf der Ebene einer natürlichen Person „auflöse“,1043 wird bisweilen davon ausgegangen, dass innerhalb der juristischen Person niemals Organe, sondern stets nur Organmitglieder Zurechnungsendpunkt von Rechten und Pflichten sein können.1044 Wenn das Gesetz auch dem Wortlaut nach Rechte und Pflichten dem Organ zuweist, so würden diese aufgrund der fehlenden eigenen Handlungsfähigkeit an die Organmitglieder „weitergeleitet“, ohne dass das Organ selbst Träger entsprechender Berechtigungen und Verpflichtungen wird. Mangels eigener Handlungsfähigkeit sei es ihm auch gar nicht möglich zu handeln, sodass eine Zuordnung an das Organ folgenlos bleiben müsste.1045 Die Wahrnehmung der Rechte bzw. die Erfüllung der 1042
Dies scheint auch Lewerenz, Leistungsklagen zwischen Organen und Organmitgliedern, S. 107 im Grundsatz zu erkennen. Lewerenz lehnt ein eigenes subjektives Organrecht aber schließlich nicht aufgrund sachlicher Bedenken, sondern aufgrund eines systematischen Vergleichs mit § 112 AktG ab. Daraus, dass der Aufsichtsrat die Gesellschaft gegenüber den Vorstandsmitgliedern vertritt, leitet Lewerenz ab, dass es am Bedürfnis nach einem eigenen „organisationsrechtlichen subjektiven Recht“ fehlt. Dabei übersieht er jedoch, dass § 112 AktG nicht als gesetzgeberische Entscheidung gegen Organrechte anzusehen ist, sondern lediglich für das Auftreten eines Streitfalls im Verhältnis Vorstandsmitglied – Gesellschaft den gesetzlichen Normalfall einer Vertretung der Gesellschaft durch den Vorstand (§ 78 AktG) zu vermeiden sucht. Weitergehende Schlüsse auf ein interorganschaftliches Rechtsverhältnis lässt die Vorschrift nicht zu. 1043 Wolff, Organschaft und juristische Person, S. 254. 1044 Wolff, Organschaft und juristische Person, S. 254, 259 f; dem zustimmend Baltzer, Der Beschluß als rechtstechnisches Mittel, S. 30, ebenso Mertens/Cahn, in: Kölner Kommentar AktG, § 76 Rdnr. 13; Mertens/Cahn, in: Kölner Kommentar AktG, § 76 Rdnr. 80; unklar Spindler, in: Münchener Kommentar AktG, § 76 Rdnr. 11; siehe auch den Hinweis bei Steinbeck, Überwachungspflicht und Einwirkungsmöglichkeiten, S. 22. 1045 Flume, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, Band 1 Teil 2, § 11 V, S. 405, der offenbar davon auszugehen scheint, dass es keine primären Organpflichten gibt. Wie sich dieses
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2. Teil: Folgen von Pflichtverletzungen
Pflichten wird daher nach dieser Ansicht stets an die Organmitglieder übertragen.1046 Zu beachten bleibt aber, dass die Weiterleitung der Pflichten der Organe an die Mitglieder nicht dahingehend missverstanden werden soll, dass es sich um eigene Pflichten des Organs handelt, zu deren Erfüllung es sich seiner Mitglieder bedienten. Anderenfalls entstünde eine juristische Person in der juristischen Person.1047 Zur Vermeidung einer solchen Konstellation müsste dann, auch bei einer Zuweisung dem Wortlaut nach an das Organ, primäres Verpflichtungs- und Zurechnungsendsubjekt das einzelne Mitglied des Organs sein. Noch weitergehend wird vereinzelt erwogen, die Begrifflichkeiten für Organ und Organmitglieder im Aktiengesetz zu vereinheitlichen, da den Organen jedenfalls auf der Pflichtenebene keine eigene Bedeutung zukommen könne.1048 Einem solchen Verständnis stehen aber grundlegende Bedenken gegenüber. Wenn nicht das Organ, sondern sämtliche Mitglieder des Organs zur Aufgabenerfüllung berufen sind, so führt dies zu einer Verpflichtung aller Organmitglieder zu gleichen Teilen.1049 Dann aber wäre die Regelung des § 107 Abs. 3 Satz 3 AktG hinfällig: Nach dieser Vorschrift ist es untersagt, bestimmte Aufgaben zur Beschlussfassung auf einen Ausschuss zu übertragen. Im Umkehrschluss bedeutet dies, dass eine Übertragung auf Ausschüsse der dort nicht aufgeführten Aufgaben zulässig und möglich sein muss. Eine solche Aufgabenübertragung auf Ausschüsse ist aber generell ausgeschlossen, wenn sich der Normbefehl der Verpflichtung an sämtliche Mitglieder des Organs richtet. Zwar können auch die einzelnen Mitglieder ihnen übertragene Aufgaben an Dritte delegieren. Dann jedoch würden sie die ihnen (ausdrücklich) auferlegten Aufgaben nicht selbst wahrnehmen und ggf. pflichtwidrig handeln (§ 111 Abs. 5 AktG). Geht man aber unter Berücksichtigung der ausdrücklichen gesetzlichen Differenzierung in Organ- und Mitgliederpflichten1050 davon aus, die primäre Verpflichtung zur Aufgabenerfüllung treffe das Organ Verständnis allerdings mit der (gezeigten) Differenzierung des Gesetzgebers in Organ und Mitgliederpflichten vereinbaren lässt, bleibt offen. Folgt man der These Flumes, (Flume, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, Band 1 Teil 2, § 11 I, S. 377, dort Fn. 3) dass für den Vorstand Organ und Organmitglieder gleichermaßen als Vorstand zu bezeichnen sind, wäre die gesetzlich vorgesehene separate Entlastung der Mitglieder von Vorstand und Aufsichtsrat überflüssig. 1046 Mertens/Cahn, in: Kölner Kommentar AktG, § 76 Rdnr. 80 f; so wohl auch Lewerenz, Leistungsklagen zwischen Organen und Organmitgliedern, S. 110; Westermann, in: Bettermann/Zeuner, Festschrift für Eduard Bötticher, S. 369, 377 f, 379; ähnlich auch Baltzer, Der Beschluß als rechtstechnisches Mittel, S. 30 f, der von einer Vertretung der Aktionäre durch die Organmitglieder ausgeht, wodurch eine Zurechnung an das Organ selbst ausgeschlossen sein soll. 1047 Stodolkowitz, ZHR 154 (1990), S. 1, 22. 1048 Flume, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, Band 1 Teil 2, § 11 I, S. 377, dort Fn. 3. 1049 Siehe dazu auch die Ausführungen bei Rupp, Grundfragen der heutigen Verwaltungsrechtslehre, S. 84 f, der bildlich von einer Notwendigkeit der „Aufbereitung“ der Norm bei Adressierung der Organmitglieder spricht. 1050 Eingehend dazu unten, S. 291 f.
A. Die Innenhaftung der Aufsichtsratsmitglieder
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Aufsichtsrat, dann bliebe es dem Organ selbst überlassen, welches seiner Mitglieder die Aufgaben im konkreten Einzelfall wahrnimmt und bearbeitet; das Organ könnte dafür eigenständige Regelungen treffen.1051 Begrenzt wäre diese Regelungsautonomie lediglich durch § 107 Abs. 3 Satz 3 AktG, dem nach dieser Ansicht ein eigenständiger Bedeutungsgehalt zukäme.1052 Für den Gesetzgeber spielt es im Ergebnis keine Rolle, welche Mitglieder innerhalb des Organs die entsprechenden Rechte und Pflichten wahrnehmen. Im Gegenteil kann der Gesetzgeber aufgrund des wechselnden Mitgliederbestands eine entsprechende Anordnung gar nicht sinnvoll treffen. Insofern ist es wirtschaftlicher, die Ressortaufteilung dem Organ selbst zu überlassen, soweit die Aufgaben auch tatsächlich erfüllt werden.1053 Vor allem aber ist zugunsten einer Anerkennung von Organen als Zurechnungsendsubjekte insbesondere auch ein Vergleich mit juristischen Personen anzuführen. Wie den Organen fehlt es auch den juristischen Personen an der Fähigkeit, unmittelbar selbst zu handeln; auch sie sind freilich auf natürliche Personen angewiesen. Forderte man für die Einräumung von Rechtssubjektivität immer auch eine unmittelbare persönliche Handlungsfähigkeit, so könnte auch die juristische Person nicht Zurechnungsendpunkt von Rechten und Pflichten sein. Sie wäre dann nicht finaler Normadressat, sondern nur Durchgangssubjekt für die Pflichten der Organmitglieder. Heute wird indes nicht mehr bezweifelt, dass juristische Personen selbst Träger von Rechten und Pflichten sein können. Folgerichtig kann auch der Rechtssubjektivität von Organen nicht entgegen gehalten werden, dass sie nicht unmittelbar selbst, sondern nur durch ihre Mitglieder handeln können.1054 Nicht zuletzt spricht der Wortlaut des Gesetzes mit einer Unterscheidung in Organ und Organmitglieder1055 gegen eine Überleitung sämtlicher Pflichten auf die Organmitglieder als mittelbare Normadressaten. Seinem wörtlichen Verständnis nach richtet das Gesetz Normbefehle teilweise an das Organ, teilweise an dessen Mitglieder. Dass es sich bei der Unterscheidung nicht um eine sprachliche Ungenauigkeit, sondern eine bewusste Differenzierung handelt, wird unter anderem am Beispiel des § 245 Nr. 4, 5 AktG deutlich, wonach ein Anfechtungsrecht sowohl dem Organ Vorstand als auch den Vorstandsmitgliedern eingeräumt wird. Richtete sich 1051 So anscheinend Westermann, in: Bettermann/Zeuner, Festschrift für Eduard Bötticher, S. 369, 376, 380. 1052 Die Delegation von Aufgaben an einen Ausschuss berührt das Delegationsverbot nach § 111 Abs. 5 AktG nicht (so auch Habersack, in: Münchener Kommentar AktG, § 111 Rdnr. 132). Das Delegationsverbot gilt nur für solche Aufgaben, die einem Mitglied bereits zugewiesen sind. Dies ist bei der Übertragung von Aufgaben an einen Ausschuss nicht der Fall, weil die Aufgaben der einzelnen Mitglieder erst in Folge der Verteilung festgestellt werden können; das Organ muss zuvor die Rechte und Pflichten der Einzelmitglieder feststellen. Nicht jedoch darf ein Ausschussmitglied seine Aufgaben auf ein anderes Mitglied delegieren. 1053 Bauer, Organklagen zwischen Vorstand und Aufsichtsrat, S. 52; zuvor bereits Hommelhoff, ZHR 143 (1979), S. 288, 292. 1054 Anders aber Wolff, Organschaft und juristische Person, S. 261; dem scheinen Mertens/ Cahn, in: Kölner Kommentar AktG, § 111 Rdnr. 80 zu folgen. 1055 Siehe dazu unten, S. 270.
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2. Teil: Folgen von Pflichtverletzungen
jede Norm automatisch an die Mitglieder, so wäre die Differenzierung nicht erforderlich.1056 c) Organe als Zurechnungsendpunkt eigener Rechte und Pflichten Wenn das Gesetz eindeutig zwischen dem Organ und seinen Organmitgliedern unterscheidet,1057 erscheint es nur folgerichtig, diese Unterscheidung auch ernst zu nehmen und Organe als Verpflichtungssubjekte anzuerkennen.1058 Die Differenzierung im Gesetz erfolgt aus der gesetzgeberischen Entscheidung für eine Unabhängigkeit der Aufgabenerfüllung von der innerorganschaftlichen Ausgestaltung sowie einem (möglichen) Wechsel des Mitgliederbestands des Organs.1059 Indem das Gesetz das Organ als Träger spezifischer Rechte und Pflichten bestimmt, schließt es gleichzeitig andere Organe oder die Organmitglieder von der Berechtigung oder Verpflichtung aus. Dem Organ wird mithin eine „monopolistische Verhaltensberechtigung“ eingeräumt.1060 Wenn sich nun der Normbefehl nicht unmittelbar an die Organmitglieder, sondern (primär) an das Organ richtet, besteht dadurch eine „Entpersonalisierung“1061 der Handlungen der Aufsichtsratsmitglieder: Durch die Zuweisung der Pflichten an das Organ lässt der Gesetzgeber gerade offen, wie die konkrete intraorganschaftliche Ausgestaltung zu erfolgen hat. Das Organ ist in der 1056 Davon scheint aber Flume auszugehen, wenn er fordert, dass für Organ und Organmitglieder die gleiche Bezeichnung verwendet werden sollte, vgl. Flume, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, Band 1 Teil 2, § 11 I, S. 377, dort Fn. 3. 1057 So auch Hommelhoff, ZHR 143 (1979), S. 288, 292, zustimmend Bauer, Organklagen zwischen Vorstand und Aufsichtsrat, S. 51. 1058 Ebenfalls für eine Zuweisung eigener Rechte (und Pflichten) unmittelbar an das Organ, ohne dass eine Einordnung als Organrecht erfolgt: Schulz-Gardyan, Die sogenannte Aktionärsklage, S. 87 f, 90; Bork, ZGR 1989, S. 1, 10; Bork, in: Stein/Jonas, ZPO, § 50 Rdnr. 9; so wohl auch Säcker, NJW 1979, S. 1521 f, 1526; für das Verwaltungsrecht bereits Rupp, Grundfragen der heutigen Verwaltungsrechtslehre, S. 85; Schwab, Das Prozeßrecht gesellschaftsinterner Streitigkeiten, S. 590, 594; Hommelhoff, ZHR 143 (1979), S. 288, 303; ähnlich auch Raiser, AG 1989, S. 185, 187; ebenso Bauer, Organklagen zwischen Vorstand und Aufsichtsrat, S. 36 ff; Steinbeck, Überwachungspflicht und Einwirkungsmöglichkeiten, S. 120 f, Lutter, Information und Vertraulichkeit im Aufsichtsrat, S. 74 ff; Pflugradt, Leistungsklagen zur Erzwingung rechtmässigen Vorstandsverhaltens, S. 122 f; von Schenck, NZG 2002, S. 64, 65; unklar Stodolkowitz, ZHR 154 (1990), S. 1, 8, der davon auszugehen scheint, dass eine Zuordnung der Pflichten zu den Organe besteht; unklar auch Schlechtriem, in: Kreuzer, Die Haftung der Leitungsorgane von Kapitalgesellschaften, S. 9, 21 ff, der von Pflichtverletzungen des Organs spricht, im Übrigen aber nicht weiter zwischen Organ und Organmitgliedern zu differenzieren scheint; Rittner, Die werdende juristische Person, S. 218 dort Fn. 37, will Rechtsstreitigkeiten und Interessenskonflikte innerhalb der juristischen Person zwischen den Organen zulassen und gesteht ihnen damit wenigstens durchsetzbare Rechtspositionen zu. 1059 Bauer, Organklagen zwischen Vorstand und Aufsichtsrat, S. 52. 1060 Bork, ZGR 1989, S. 1, 13; siehe auch Bork, in: Stein/Jonas, ZPO, § 50 Rdnr. 9; Rupp, Grundfragen der heutigen Verwaltungsrechtslehre, S. 85. 1061 Hommelhoff, ZHR 143 (1979), S. 288, 292 f.
A. Die Innenhaftung der Aufsichtsratsmitglieder
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Verteilung der Aufgaben auf die einzelnen Mitglieder als tatsächlich handelnde natürliche Personen darin frei (von wenigen Ausnahmen abgesehen, vgl. z. B. § 107 Abs. 3 Satz 3 AktG), die Aufgabenwahrnehmung auf alle oder nur einzelne Mitglieder oder Ressorts zu verteilen. Damit kann sichergestellt werden, dass weniger bedeutsame Aufgaben aus Vereinfachungsgründen von wenigen Mitgliedern wahrgenommen werden; das wäre nicht möglich, wenn alle Mitglieder gleichermaßen Normadressaten wären. Richtigerweise aber ist das Handeln der einzelnen Mitglieder entsprechend der vorgesehenen Aufgabenverteilung dem Organ zuzurechnen, sodass es damit nicht als Handeln einzelner Mitglieder, sondern als Organhandeln anzusehen ist.1062 Ähnlich wie bei der Handlung kommt es auch für die Willensbildung auf den Willen des Organs an, und gerade nicht auf Summe der Einzelwillen der Aufsichtsratsmitglieder.1063 Die Summierung von Einzelwillen ist damit streng zu trennen vom Organwillen und kann damit nicht gleichgesetzt werden.1064 Die „organschaftliche Funktion“ kann daher auch nicht von den Mitgliedern jeweils einzeln, sondern nur insgesamt und gemeinschaftlich als Kollektiv durch das Organ ausgeübt werden.1065 Auch dies spricht mithin dafür, eine Verantwortlichkeit des Organs, und nicht der einzelnen Mitglieder, zu begründen. Dem wird vereinzelt entgegen gehalten, dass dadurch eine „juristische Person in der juristischen Person“1066 entstehe, da eine Zurechnung des Verhaltens der Organmitglieder auf das Organ und wiederum des Organs auf die Gesellschaft erfolge.1067 Nach der hier vertretenen Ansicht wird das Organ zwar nicht zu einer juristischen Person, das Prinzip der Handlung durch die Organmitglieder ist dem Organ indes immanent und von Gesetz wegen angelegt. Es ist nicht ersichtlich, was gegen eine entsprechende „doppelte“ Zurechnung spricht.
1062 Bauer, Organklagen zwischen Vorstand und Aufsichtsrat, S. 52; Hommelhoff, ZHR 143 (1979), S. 288, 293. 1063 Eingehend Hommelhoff, ZHR 143 (1979), S. 288, 293 f. 1064 Baltzer, Der Beschluß als rechtstechnisches Mittel, S. 34. 1065 Grundlegend Baltzer, Der Beschluß als rechtstechnisches Mittel, S. 34. 1066 Stodolkowitz, ZHR 154 (1990), S. 1, 22. 1067 Stodolkowitz, ZHR 154 (1990), S. 1, 22, führt dagegen als Bedenken an, dass eine gerichtliche Klärung des Sorgfaltsmaßstabs eines Organs keine Auswirkungen auf ein erst später dem Organ beitretenden Organmitglieds haben dürfe, da dieses Mitglied eigenverantwortlich den gesetzlichen Sorgfaltsmaßstab anzuwenden habe. Die Bedenken sind jedoch gänzlich unbegründet: das Urteil kann sich denklogisch nur auf bereits ergangene Maßnahmen erstrecken und nicht Maßstäbe für ein künftiges Organverhalten setzen.
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2. Teil: Folgen von Pflichtverletzungen
aa) Subjektives Recht oder Recht sui generis Umstritten ist innerhalb der hier vertretenen Ansicht lediglich, ob es sich bei den dem Organ zugewiesenen Rechten um subjektive Rechte1068 oder um Rechte des Organs sui generis, sogenannte Organrechte,1069 handelt. Für die Begründung eines subjektiven Rechts wird angeführt, dass die Einräumung einer „monopolistischen Verhaltensberechtigung“ des Organs notwendig sei.1070 Indem bestimmte Rechte ausschließlich und abschließend einzelnen Organen zugewiesen sind, sollen gerade monopolistische Verhaltensberechtigungen bestehen, sodass subjektive Rechte vorlägen.1071 Diese Ansicht wird indes bestritten, da den Organen nur im intrapersonalen Bereich der juristischen Person Rechte und Pflichten zugewiesen seien, während derartige Rechte und Pflichten in einem Drittverhältnis, d. h. außerhalb der juristischen Person, nicht bestünden.1072 Insofern soll es sich nach anderer Ansicht nicht um subjektive Rechte im eigentlichen Sinn, sondern um Organrechte handeln. Außerdem wird angeführt, dass es sich bei den Berechtigungen des Aktiengesetzes im Innenbereichbereich regelmäßig um sogenannte Pflichtrechte1073 handele, bei denen die Rechteinhaber nicht nur zur Wahrnehmung der Rechte berechtigt, sondern auch verpflichtet seien.1074 Im Gegensatz zu subjektiven Rechten erfolgt die Wahrnehmung von Pflichtrechten nicht aus dem eigenen Interesse des Berechtigten (des Organs), sondern aus einer mittelbaren oder unmittelbaren gesetzlichen Verpflichtung. Die Wahrnehmung der Rechte dient außerdem nicht (nur) dem Organ, sondern erfolgt im Interesse der juristischen Person. Außerdem bestehen die Rechte ausschließlich im intrapersonalen Bereich, sodass den Rechten eine Außenwirkung fehle. Insofern könne nicht von einem subjektiven Recht ausgegangen werden. Jedenfalls aber sei anzuerkennen, dass die Funktionsweise der Rechte und Pflichten innerhalb des Organs derart verselbständigt seien und funktionsbezogene Rechte einräumten, dass ihnen eine ähnliche Wirkung wie subjektiven Rechten zukommen kann und insofern „Organrechte“ vorlägen.1075
1068 Schulz-Gardyan, Die sogenannte Aktionärsklage, S. 87 f, 90; Bork, ZGR 1989, S. 1, 10; Bork, in: Stein/Jonas, ZPO, § 50 Rdnr. 9; so wohl auch Säcker, NJW 1979, S. 1521 f, 1526; für das Verwaltungsrecht bereits Rupp, Grundfragen der heutigen Verwaltungsrechtslehre, S. 85. 1069 Schwab, Das Prozeßrecht gesellschaftsinterner Streitigkeiten, S. 590, 594; Hommelhoff, ZHR 143 (1979), S. 288, 303; so wohl auch Raiser, AG 1989, S. 185, 187; ebenso Bauer, Organklagen zwischen Vorstand und Aufsichtsrat, S. 36 ff, der in abweichender Terminologie von einer „Rechtssubjektivität“ bzw. „Intraorganrechten“ spricht. 1070 Schulz-Gardyan, Die sogenannte Aktionärsklage, S. 89 f. 1071 Bork, ZGR 1989, S. 1, 13; siehe auch Bork, in: Stein/Jonas, ZPO, § 50 Rdnr. 9. 1072 Eingehend Bauer, Organklagen zwischen Vorstand und Aufsichtsrat, S. 38 ff, der daher auch von Intraorganrechten spricht. 1073 Siehe dazu auch die Ausführungen oben, S. 44 ff. 1074 Hommelhoff, ZHR 143 (1979), S. 288, 302 f. 1075 Hommelhoff, ZHR 143 (1979), S. 288, 303.
A. Die Innenhaftung der Aufsichtsratsmitglieder
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bb) Stellungnahme Für die hier zu diskutierende Problematik, ob eine Organhaftung im Gegensatz zu einer Mitgliederhaftung grundsätzlich möglich ist, kommt es in erster Linie nur darauf an, ob die Organe selbst Träger von Rechten und Inhaber von Pflichten sein können. Ob diese Rechte als Organrechte oder als subjektive Rechte zu qualifizieren sind, spielt dabei keine Rolle, sodass der Streit eher akademischer Natur ist. Die Rechte und Pflichten der Organe wirken aber richtigerweise nur gegenüber den übrigen Organen und der juristischen Person selbst; gegenüber Dritten vermögen sie keine Wirkung zu entfalten. Zwar besteht eine für subjektive Rechte charakteristische monopolistische Verhaltensberechtigung, diese wirkt aber ebenfalls nur intrapersonal in der juristischen Person und verleiht in diesem Sinne keine allumfassende Rechtsmacht im Sinne eines subjektiven Rechts.1076 Aus diesen Gründen ist mit der wohl überwiegenden Ansicht davon auszugehen, dass den Organen keine subjektiven Rechte im eigentlichen Sinn, sondern sogenannte Organrechte zustehen, denen aber in ihrem Geltungsbereich vergleichbare Rechtsmacht wie subjektiven Rechten zukommt. Die Unterscheidung besteht damit vornehmlich in der Reichweite der Rechtswirkung der Berechtigung. Zur Auflösung intrapersonaler Streitigkeiten, beispielsweise Konflikte um Wahrnehmungszuständigkeiten innerhalb der juristischen Person, ist es daher möglich, eine gerichtliche Klärungsmöglichkeit bezüglich der Verletzung von Organrechten zu begründen.1077 d) Zwischenergebnis Im Innenbereich der Aktiengesellschaft stehen sich mehrere Organe als unabhängige Handlungseinheiten gegenüber, denen das Gesetz explizit eigene Aufgaben und Rechte zuweist. Bei dieser Zuweisung unmittelbar an die Organe, und nicht etwa die Mitglieder, handelt es sich weder um eine sprachliche Ungenauigkeit des Gesetzgebers noch um eine mittelbare Berechtigung und Verpflichtung der hinter den Organen stehenden Mitglieder noch um die Anordnung einer bloßen Wahrnehmungszuständigkeit von Pflichten, die tatsächlich der Gesellschaft zuzuordnen sind. Den Organen ist durch Gesetz im Innenbereich der Aktiengesellschaft eine jeweils so weitreichende exklusive Verhaltensberechtigung gegenüber den anderen Organen eingeräumt, dass diese Ausstattung mit eigenen Rechten und Pflichten der Verleihung von subjektiven Rechten gleichzusetzen ist. Aufgrund der Begrenzung auf den Innenbereich der Aktiengesellschaft jedoch handelt es sich weniger um subjektive Rechte im eigentlichen Sinn, als tatsächlich um Rechte eigener Art, sogenannte Organrechte. Diesen Organrechten kommt aber jedenfalls im intraorganschaftlichen Bereich eine ähnlich umfassende Rechtsmacht wie subjektiven Rechten zu, sodass sie auch auf dem Rechtsweg durchgesetzt werden können. 1076
Ähnlich bereits Bauer, Organklagen zwischen Vorstand und Aufsichtsrat, S. 125. Bauer, Organklagen zwischen Vorstand und Aufsichtsrat, S. 125; Hommelhoff, ZHR 143 (1979), S. 288, 305. 1077
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2. Teil: Folgen von Pflichtverletzungen
Damit steht fest, dass der Aufsichtsrat als Organ grundsätzlich selbst Zurechnungsendpunkt von Rechten und Pflichten sein kann. Insofern ist auch nicht ausgeschlossen, dass es zu einer Verletzung dieser Pflichten durch das Organ kommt. Es besteht folglich die Möglichkeit, dass das Organ für die Verletzung der Pflichten haftungsrechtlich einzustehen hat, sodass eine Organhaftung jedenfalls nicht schlechthin ausgeschlossen ist. 3. Analyse Nachdem festgestellt wurde, dass die Organe der Aktiengesellschaft grundsätzlich Adressaten und Zurechnungsendpunkte aktienrechtlicher Rechten und Pflichten sein können, ist fraglich, ob damit auch eine haftungsrechtliche Verantwortlichkeit des Kollegialorgans einhergeht. Festzustellen ist, ob die Verletzung eigener Organpflichten zu einer haftungsrechtlichen Verantwortung des Organs führen kann. Dazu ist zunächst fraglich, welche Bedeutung § 116 AktG zukommt und ob die Norm, wie vereinzelt vertreten,1078 dahingehend verstanden werden kann (oder muss), dass sie lediglich das Innenverhältnis der ersatzpflichtigen Aufsichtsratsmitglieder regelt. a) Historie Die Haftung des Aufsichtsrats war nicht immer eindeutig gesetzlich geregelt und hat sich mit den die Aktiengesellschaft betreffenden Gesetzen über einen Zeitraum von nunmehr über 160 Jahren stetig fortentwickelt. Für ein Verständnis der Bedeutung der heutigen Regelungen vor ihrem historischen Hintergrund und der Einordnung der Bedeutung der Rechtvorschriften ist daher eine Betrachtung der zurückliegenden Entwicklungen unerlässlich. Festzustellen ist insbesondere, welches Prinzip der historische Gesetzgeber der Normierung der Haftung der Aufsichtsratsmitglieder zugrunde gelegt hat und ob sich aus der historischen Entwicklung die Annahme einer kollegialorganschaftlichen (Innen-)Haftung des Aufsichtsrats anstelle oder neben der Mitgliederhaftung verbietet. aa) Gesetz über die Aktiengesellschaften 1843 Die erste gesetzliche Regelung über die Aktiengesellschaft (im heutigen Sinne) in Deutschland findet sich im Preußischen „Gesetz über die Aktiengesellschaften“ vom 9. November 1843.1079 Der Verabschiedung des Gesetzes waren lebhafte Diskussionen über die Rechtsnatur und Ausgestaltung dieser neuen Gesellschaftsform vorhergegangen, bis man sich schließlich auf ein einheitliches Grundgerüst einigen
1078
Szalai/Marz, DStR 2010, S. 809, 812. Text, Materialien und Entstehungsgeschichte bei Baums, Gesetz über die Aktiengesellschaften für die Königlich Preußischen Staaten vom 9. November 1843, siehe insb. S. 26 ff. 1079
A. Die Innenhaftung der Aufsichtsratsmitglieder
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konnte.1080 Das Gesetz enthielt eine nur geringe Anzahl an Normen und beschränkte sich auf die wichtigsten Regelungspunkte. Besondere Vorschriften für die Innenverfassung finden sich kaum, stattdessen galten die Statutenpraxis und das subsidiär geltende Sozietätsrecht weiterhin fort.1081 Das Aktiengesetz sah als Organe der Gesellschaft nur den Vorstand und die Generalversammlung, nicht aber einen Aufsichts- oder Verwaltungsrat vor. Nichtsdestotrotz war die Einrichtung eines unabhängigen Überwachungsorgans zur Kontrolle des Vorstands bzw. Direktoriums in Form eines Verwaltungs- oder Aufsichtsrats in der Praxis bekannt und weit verbreitet.1082 Ein Großteil der Aktiengesellschaften im Geltungsbereich des Aktiengesetzes 1843 hatte ein solches dem Gesetz unbekanntes und damit fakultatives Überwachungsorgan in ihrer Satzung vorgesehen, wobei mangels einer einheitlichen Kompetenzordnung die konkrete Ausgestaltung erheblich variieren konnte.1083 Durch die individuelle Ausgestaltung der Unternehmensverfassung und die synonyme Verwendung der Begrifflichkeiten Direktorium, Aufsichtsrat und Verwaltungsrat ließ sich auch dann, wenn die Satzung explizit die Einrichtung eines Verwaltungsrats oder Aufsichtsrats vorsah, nicht zweifelsfrei determinieren, welche Funktionen und Aufgaben dieses zusätzliche Organ haben sollte.1084 Hinsichtlich der übrigen Aktiengesellschaft ohne Aufsichts- oder Verwaltungsrat kann indes nicht davon ausgegangen werden, dass keinerlei Überwachung stattfand: In vielen Gesellschaften hatten die Vorstandsmitglieder mehr eine Repräsentations- denn eine operative Funktion inne.1085 Die Vorstandsmitglieder waren häufig bekannte Persönlichkeiten, die aufgrund ihres persönlichen, wirtschaftlichen und politischen Einflusses auf ihren Posten berufen worden waren und mit ihrem Ansehen den Einfluss der Aktiengesellschaft im Außenverhältnis stärken sollten.1086 Die tat1080 Siehe die ausführlichen Nachweise bei Kießling, in: Bayer/Habersack, Aktienrecht im Wandel, S. 193, Rdnr. 2 ff. 1081 Assmann, in: Großkommentar AktG, Einl. Rdnr. 59. 1082 Siehe dazu Kießling, in: Bayer/Habersack, Aktienrecht im Wandel, S. 193, 218; siehe insbesondere die konkreten Nachweise bei Landwehr, in: Scherner/Willoweit, Vom Gewerbe zum Unternehmen, S. 251, 257; Martens, Die Aktiengesellschaft in der Kritik der ersten drei Viertel des 19. Jahrhunderts und ein Beitrag zu ihrer Geschichte, S. 17 f; Hansemann, Die Eisenbahnen und deren Aktionäre in ihrem Verhältniß zum Staat, S. 110 f, 121. 1083 Reich, Ius Commune II, S. 239, 247; Hadding/Kießling, in: Eckert, Der praktische Nutzen der Rechtsgeschichte, S. 159, 183; siehe die Beispiele bei Landwehr, in: Scherner/ Willoweit, Vom Gewerbe zum Unternehmen, S. 251, 257 ff. 1084 Dazu auch Pahlow, in: Bayer/Habersack, Aktienrecht im Wandel, S. 237, 270. 1085 Kießling, in: Bayer/Habersack, Aktienrecht im Wandel, S. 193, 219. 1086 „Nicht selten auch herrscht bei der Gründung der Aktiengesellschaft das Bestreben, in den Aufsichtsrat Persönlichkeiten zu wählen, die durch eine einflußreiche soziale Stellung, den Glanz des Namens oder die Größe ihres Vermögens eine Art Bürgschaft für die Solidität des Unternehmens bieten. Sie dienen als eine Art Reklameschild, ohne daß sie die Mühen und die Arbeit des Amtes zu übernehmen ernstlich gewillt sind.“, Lehmann, Das Recht der Aktiengesellschaften, S. 354; siehe auch Kießling, in: Bayer/Habersack, Aktienrecht im Wandel, S. 193, 219, mit Verweis auf die Ausführungen bei Eichholtz, Junker und Bourgeoisie vor 1848 in der preussischen Eisenbahngeschichte, S. 138 ff.
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2. Teil: Folgen von Pflichtverletzungen
sächliche Unternehmensleitung übernahmen dann häufig hohe Angestellte des Unternehmens, die bei ihrer Tätigkeit vom Vorstand überwacht wurden.1087 Auch wenn dieses Modell nicht mit dem Trennungsprinzip des späteren Aktienrechts gleichzusetzen ist, sind hier jedoch bereits erste Ansätze einer (durch die Praxis eingeführten) Trennung von Leitung und Überwachung in der Aktiengesellschaft zu erkennen. Haftungsvorschriften für den Vorstand (der Aufsichtsrat war gesetzlich nicht geregelt) sah das Aktiengesetz 1843 nicht vor. Zentraler Gegenstand einer Haftungsdiskussion war vielmehr die Frage, ob und inwieweit die Aktionäre für die Verbindlichkeiten der Aktiengesellschaft einstehen sollten.1088 bb) Das Allgemeine Deutsche Handelsgesetzbuch 1861 Mit dem Allgemeinen Deutschen Handelsgesetzbuch (ADHGB) wurde 1861 erstmalig eine einheitliche gesetzliche Normierung des Handelsrechts in Deutschland geschaffen.1089 Das Gesetz stellte die erste Vereinheitlichung der handels- und gesellschaftsrechtlichen Vorschriften im Deutschen Bund dar; bis zu diesem Zeitpunkt galten in den 31 Einzelstaaten unabhängig voneinander verschiedene Vorschriften. Das ADHGB 1861 schaffte Neuregelungen zunächst nur für Aktiengesellschaften, die ein Handelsgewerbe betrieben, während für die übrigen Aktiengesellschaften die bis dahin anwendbaren Regeln (wie für die preußischen Gesellschaften das Aktiengesetz 1843) fortgalten, bevor die Vorschriften des ADHGB wenig später auch für diese Gesellschaften gesetzlich angeordnet wurden.1090 Das ADHGB 1861 erwähnte in Art. 225 erstmals den Aufsichtsrat als Überwachungsorgan der Gesellschaft und übernahm somit ein in der Praxis geschaffenes, zusätzliches Organ in das geschriebene Recht.1091 Die dem Aufsichtsrat übertragenen Aufgaben umfassten die Prüfung von Jahresrechnung, Bilanzen und Gewinnverwendungsvorschlägen, samt Bericht an die Generalversammlung (Art. 225 Abs. 2 ADHGB 1861). In der Rechtstatsächlichkeit wurden die Aufgaben häufig erweitert und auch auf allgemeine Geschäftsführungsaufgaben, einschließlich der Möglichkeit zur Erteilung bindender Anweisungen an den Vorstand, ausgedehnt.1092 Eine Ersatzpflicht gegenüber der Gesellschaft war zu diesem Zeitpunkt nur für die Mit1087
Landwehr, in: Scherner/Willoweit, Vom Gewerbe zum Unternehmen, S. 251, 255; Kießling, in: Bayer/Habersack, Aktienrecht im Wandel, S. 193, 219. 1088 Siehe dazu ausführlich Hadding/Kießling, in: Eckert, Der praktische Nutzen der Rechtsgeschichte, S. 159, 185; Kießling, in: Bayer/Habersack, Aktienrecht im Wandel, S. 193, 223 ff. 1089 Vgl. zur Geschichte des ADHGB: Pahlow, in: Bayer/Habersack, Aktienrecht im Wandel, S. 237 m.w.N. 1090 Pahlow, in: Bayer/Habersack, Aktienrecht im Wandel, S. 237, 242. 1091 Pinner, DJZ 1901, S. 373, 374 li. Sp. 1092 Auerbach, Das Gesellschaftswesen in juristischer und volkswirthschaftlicher Hinsicht, S. 380.
A. Die Innenhaftung der Aufsichtsratsmitglieder
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glieder des Vorstands bei Verletzung bestimmter Pflichten festgesetzt (vgl. Art. 241 Abs. 2 ADHGB 1861); eine Haftung der Mitglieder des Aufsichtsrats war gesetzlich nicht vorgesehen. Eine (entsprechende) Anwendung der Vorstandshaftung auf die Mitglieder des Überwachungsorgans wurde, soweit ersichtlich, nicht vertreten und nicht diskutiert. Eine umfassende Haftung der Mitglieder der beiden Organe gegenüber der Gesellschaft leitete sich aber nach der vorherrschenden Ansicht aus der subsidiären Anwendung der allgemeinen zivilrechtlichen Vorschriften aus dem Auftragsrecht ab.1093 cc) 1. Aktienrechtsnovelle 1870 Obgleich das deutsche Aktienrecht im Gegensatz zum angelsächsischen OneTier-System mit dem ADHGB 1861 eine klare Trennung von Leitung und Überwachung in zwei Organe vorsah, wurde diese Aufteilung in der Praxis weniger trennscharf umgesetzt. Die Funktion des Aufsichtsrats als fakultatives Organ der Aktiengesellschaft war diffus und unklar; die Ausgestaltung der individuellen Befugnis war abhängig von der konkreten Gesellschaftsstruktur und konnte sich daher von Gesellschaft zu Gesellschaft erheblich unterscheiden.1094 Häufig war neben dem Vorstand und Aufsichtsrat auch ein sogenannter Verwaltungsrat eingerichtet, dem – je nach individueller Gestaltung – weitere Befugnisse eingeräumt waren. Dies führte dazu, dass Vorstand und Aufsichtsrat häufig ein einheitliches Organ bildeten, bei dem die Kompetenzabgrenzungen verschwammen.1095 Aufgrund der unklaren Regelungen und einem fehlenden allgemeinen Verständnis für die Aufgaben des Aufsichtsrats nahmen viele Aufsichtsratsmitglieder ihre Aufgaben nicht in hinreichendem Maße wahr.1096 Persönliche Abhängigkeiten und Verflechtungen führten schließlich dazu, dass in vielen Fällen von einer Überwachung durch den Aufsichtsrat kaum mehr gesprochen werden konnte.1097 Nicht zuletzt aufgrund dieser Missstände wurde das ADHGB bereits weniger als neun Jahre nach seiner Entstehung durch die 1. Aktienrechtsnovelle vom 11. Juni 18701098 reformiert. Im Gegensatz zu den Regelungen im Aktiengesetz 1843 und ADHGB 1861 sah das ADHGB 1870 erstmals ein Normativsystem für die Aktiengesellschaften vor. Bis zu diesem Zeitpunkt herrschte ein staatliches Konzessionssystem mit staatlicher Oberaufsicht, wonach die Entstehung der Gesellschaft 1093
Sie dazu sogleich ausführlich. Siehe dazu auch oben, S. 140 ff. 1095 Schubert/Hommelhoff, Hundert Jahre modernes Aktienrecht, S. 91; ähnlich bereits Martens, Die Aktiengesellschaft in der Kritik der ersten drei Viertel des 19. Jahrhunderts und ein Beitrag zu ihrer Geschichte, S. 18. 1096 Siehe Begründung des Entwurfs eines Gesetzes betreffend die KGaA und AG (1884), § 12 Nr. 4, abgedruckt bei Schubert/Hommelhoff, Hundert Jahre modernes Aktienrecht, S. 461. 1097 Horn, in: Horn/Kocka, Recht und Entwicklung der Grossunternehmen im 19. und frühen 20. Jahrhundert, S. 123, 152 mit eindrucksvollen Nachweisen. 1098 Gesetz, betreffend die Kommanditgesellschaften auf Aktien und die Aktiengesellschaften, Bundesgesetzblatt des Norddeutschen Bundes, 25. 06. 1870, S. 375 ff. 1094
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2. Teil: Folgen von Pflichtverletzungen
einer staatlichen Genehmigung unterlag und der Staat außerdem dazu befugt war, Aufsichtsbeamte zur Kontrolle in die Gesellschaft zu entsenden.1099 Diese Aufsichtsbeamten hatten keine Eingriffsbefugnisse, sondern waren auf eine beratende Funktion beschränkt.1100 Mit Abschaffung des Konzessionssystems durch das ADHGB 1870 übertrug der Gesetzgeber die Überwachung und Kontrolle der Gesellschaft dem nunmehr obligatorischen Aufsichtsrat, der fortan die bislang dem Staat vorbehaltene Überwachungsaufgabe übernehmen sollte.1101 Problematisch war in diesem Zusammenhang aber insbesondere, dass nach dem ADHGB 1870 dem Aufsichtsrat durch die Satzung ein praktisch unbegrenztes Weisungsrecht gegenüber dem Vorstand eingeräumt werden konnte (Art. 231 Abs. 2 ADHGB 1870). In anderen Fällen wurde dem Aufsichtsrat durch die Satzung sogar die Befugnis zur Vertretung der Gesellschaft gegenüber Dritten zugesprochen.1102 Der Aufsichtsrat bildete daher häufig das unternehmerische Zentrum der Aktiengesellschaft und bestimmte durch seine Anweisungen an den Vorstand die Geschäftspolitik des Unternehmens.1103 Eine Überwachung des Vorstands erfolgte aber nicht oder jedenfalls nicht in dem vom Gesetzgeber vorgesehen Umfang, da der Aufsichtsrat häufig in so hohem Maße an der Geschäftsführung beteiligt war, dass er faktisch eine Kontrolle seiner eigenen Anweisungen und Maßnahmen hätte vornehmen müssen.1104 Die Pflichten des Aufsichtsrats unter dem ADHGB 1870 waren mit denen unter dem Regime des ADHGB 1861 identisch. Durch die Abschaffung des Konzessionssystems wurde allerdings die umfassende Aufgabenwahrnehmung durch den Aufsichtsrat immer wichtiger, da mit Wegfall der staatlichen Kontrolle die Überwachung durch den Aufsichtsrat eine große Bedeutung erlangte. Neu war daher, dass das Gesetz für bestimmte Fälle ausdrücklich Haftungs- und Strafvorschriften für die Organmitglieder vorsah. Dadurch sollte sichergestellt werden, dass die Aufsichtsratsmitglieder die ihnen übertragenen Pflichten auch tatsächlich wahrnahmen.1105 Die wichtigste Haftungsvorschrift für die Mitglieder des Aufsichtsrats stellte Art. 225b ADHGB 1870 dar: 1099 Pahlow, in: Bayer/Habersack, Aktienrecht im Wandel, S. 237, 258 ff; Lieder, in: Bayer/ Habersack, Aktienrecht im Wandel, S. 318, 322 ff, 327, jeweils mit weiteren umfangreichen Nachweisen. 1100 Lieder, in: Bayer/Habersack, Aktienrecht im Wandel, S. 318, 327. 1101 Pinner, DJZ 1901, S. 373, re. Sp.; Lieder, Der Aufsichtsrat im Wandel der Zeit, S. 112 f; Renaud, Das Recht der Actiengesellschaften, S. 630. 1102 Siehe die umfangreiche Untersuchung bei Lippert, Überwachungspflicht, Informationsrecht und gesamtschuldnerische Haftung, S. 67 f. 1103 Martens, Die Aktiengesellschaft in der Kritik der ersten drei Viertel des 19. Jahrhunderts und ein Beitrag zu ihrer Geschichte, S. 18 f; Auerbach, Das Gesellschaftswesen in juristischer und volkswirthschaftlicher Hinsicht, S. 380; für Beispiele vgl. auch Renaud, Das Recht der Actiengesellschaften, S. 634. 1104 Lieder, Der Aufsichtsrat im Wandel der Zeit, S. 362. 1105 Lieder, Der Aufsichtsrat im Wandel der Zeit, S. 105 ff.
A. Die Innenhaftung der Aufsichtsratsmitglieder
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„Die Mitglieder des Aufsichtsrathes sind persönlich und solidarisch zum Schadenersatz verpflichtet, wenn mit ihrem Wissen und ohne ihr Einschreiten: 1) Einlagen an die Aktionäre zurückbezahlt, oder, der Bestimmung des Art. 213 Abs. 3 entgegen, eigene Aktien der Gesellschaft erworben oder amortisirt worden sind; 2) Zinsen oder Dividenden gezahlt sind, welche nach Maßgabe der Bestimmungen des Artikels 217 nicht gezahlt werden durften; 3) Die Vertheilung des Gesellschaftsvermögens oder eine theilweise Zurückzahlung oder eine Herabsetzung des Grundkapitals ohne Beobachtung der gesetzlichen Bestimmungen (Art. 235 und 248) erfolgt ist.“
(1) Grundlagen im französischen Recht Ausweislich eines Gutachtens des Reichsoberhandelsgerichts zur Reform des Aktiengesetzes (ROHG-Gutachten)1106 ist die Vorschrift des Art. 225b ADHGB 1870 über die Haftung der Aufsichtsratsmitglieder zurückzuführen auf Art. 10 des französischen Loi du 17 Juillet 1856 Relative aux Sociétés en Commandite par Actions1107 (Gesetz über die KGaA).1108 Wie auch der (spätere) deutsche Art. 225b ADHGB 1870, sah das französische Gesetz zunächst eine gesamtschuldnerische Haftung der Aufsichtsratsmitglieder der KGaA gemeinsam mit den Vorstandsmitgliedern vor, die an bestimmte Voraussetzungen anknüpfte: „Tout membre d’un conseil de surveillance est responsable avec les gérants, solidairement et par corps lorsque […].“
Aus Klarstellungsgründen war – entgegen der ursprünglichen Formulierung des Conseil d’État – hinsichtlich der Verantwortlichkeit der Aufsichtsratsmitglieder der KGaA der Begriff « les membres » durch die Formulierung « tout membres » ersetzt worden, um die persönliche und individuelle Verantwortlichkeit eines jeden Aufsichtsratsmitglieds stärker zu betonen.1109 Damit wurde klargestellt, dass nicht das Organ als solches oder die Gesamtheit der Mitglieder, sondern jedes Mitglied für sich für die Verletzungen von Pflichten verantwortlich sein sollte. Eine primäre Organhaftung des Aufsichtsrats war damit ausdrücklich nicht beabsichtigt. Im Rahmen der französischen Gesetzesnovelle vom 24. Juli 1867 wurde die Norm in Art. 9 Abs. 2 des Loi sur les Sociétés1110 neu gefasst und in eine allgemeine Haftung für die Mitglieder des Aufsichtsrats überführt: 1106
Gutachten über die geeignetsten Mittel zur Abhülfe der nach den Erfahrungen des Reichs-Oberhandelsgerichts bei der Gründung, der Verwaltung und dem geschäftlichen Betriebe von Aktienunternehmungen hervorgetretenen Uebelstände des Reichsoberhandelsgerichts („ROHG-Gutachten“), abgedruckt bei Schubert/Hommelhoff, Hundert Jahre modernes Aktienrecht, S. 157 ff. 1107 Siehe den Abdruck bei Rivière, Loi du 17 Juillet 1856, 1857. 1108 Siehe ROHG-Gutachten, S. 97, dort Fn. 72, in: Schubert/Hommelhoff, Hundert Jahre modernes Aktienrecht, S. 157, 227. 1109 Siehe Rivière, Loi du 17 Juillet 1856 1857, Titre I, Article X, Anm. 99, S. 64. 1110 Hierzu siehe auch Peifer, Das Recht der Kapitalgesellschaften in Frankreich, Rdnr. 129.
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2. Teil: Folgen von Pflichtverletzungen
„Chaque membre du conseil de surveillance est responsable de ses fautes personnelles dans l’exécution de son mandat, conformément aux règles du droit commun.“
Damit fielen zum einen die Beschränkung der Haftung auf ausgewählte, im Gesetz genannten Fälle weg, zum anderen wurde die Haftung auch auf Fälle erweitert, die keine vorsätzliche Pflichtverletzung waren, da die bislang einschränkenden Voraussetzungen einer Handlung « en connaissance de cause » bzw. « sciemment » wegfielen.1111 Zwar enthielt das französische Aktienrecht bereits zu diesem Zeitpunkt Vorschriften über eine Aktiengesellschaft (Société Anonyme), allerdings ist die Organisationsstruktur der KGaA nach dem französischen Aktienrecht des 19. Jahrhunderts mit Blick auf die dort vorhandene Trennung von Vorstand (Directoire) und Aufsichtsrat (Conseil de Surveillance) besser mit der Unternehmensverfassung der deutschen Aktiengesellschaft vergleichbar, als dies bei der Société Anonyme der Fall war. Die französische Aktiengesellschaft nämlich kannte ursprünglich nur ein Conseil d’Administration (Verwaltungsrat), das mit Aktionären besetzt war und aus ihrer Mitte einen Directeur oder einen Dritten bestellte, der nach außen hin die Vertretung der Gesellschaft übernahm (Art. 22 Loi sur les Sociétés 1867). Insofern entsprach diese Unternehmensstruktur eher dem angelsächsischen One-Tier-System, das Geschäftsführung und Überwachung in sich vereint, als dem Prinzip der dualistischen Unternehmensverfassung. Die Société en Commandite par Actions entsprach eher dem Modell der deutschen Aktiengesellschaft. Für die Société Anonyme wurde eine der Mitgliederhaftung entsprechende Regelung in Art. 44 des Loi sur les Sociétés 1867 aufgenommen, wonach auch für die Mitglieder des Verwaltungsrats eine individuelle Verantwortlichkeit nach den Regeln des Gemeinen Rechts gelten sollte.1112 Das französische Aktienrecht regelte damit bereits im Jahr 1867 eine vollumfängliche, persönliche und individuelle Verantwortlichkeit für Aufsichtsratsmitglieder der KGaA sowie Verwaltungsratsmitglieder der Aktiengesellschaft im Falle der schuldhaften Verletzung einer Pflicht der jeweiligen Mitglieder. Indes dürfen die Vorschriften des Loi sur les Sociétés 1867 nicht als haftungsrechtliche Anspruchsgrundlage verstanden werden. Die Norm ordnete zwar ausdrücklich an, dass die Mitglieder des Organs im Falle einer individuellen Pflichtverletzung für die daraus resultierenden Folgen verantwortlich sein sollten (« est responsable »), verwies für die Ausgestaltung der Haftung allerdings auf das gemeine Recht (« conformément aux règles du droit commun ». Es handelte sich damit nicht um eine Anspruchsgrundlage, sondern um eine deklaratorische Darstellung des bestehenden Haftungsregimes in Form eines Rechtsgrundverweises. Da (aufgrund der eindeutigen Regelung in Art. 9 Abs. 2 Loi de Société 1867) die Organmitglieder sowohl des Aufsichtsrats der KGaA als auch des Verwaltungsrats der Aktiengesellschaft als
1111
Vgl. Rivière, Loi du 24 Juillet 1867, Titre I, Article IX, Anm. 88, S. 131. Peifer, Das Recht der Kapitalgesellschaften in Frankreich, Rdnr. 129, spricht hier von einer „persönlichen Geschäftsführerhaftung“. 1112
A. Die Innenhaftung der Aufsichtsratsmitglieder
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Beauftragte (Mandataires) angesehen wurden,1113 richtete sich die Haftung nach Art. 1991 des Code Civil vom 10. Oktober 1804, der die Haftung im Auftragsrecht (« Des obligations du mandataire ») normierte: „Le mandataire est tenu d’accomplir le mandat tant qu’il en demeure chargé, et répond des dommages-intérêts qui pourraient résulter de son inexécution. Il est tenu de même d’achever la chose commencée au décès du mandant, s’il y a péril en la demeure.“
Der Verantwortlichkeitsmaßstab hingegen war in Art. 1992 Code Civil 1804 normiert: „Le mandataire répond non seulement du dol, mais encore des fautes qu’il commet dans sa gestion. Néanmoins, la responsabilité relative aux fautes est appliquée moins rigoureusement à celui dont le mandat est gratuit qu’à celui qui reçoit un salaire.“
Der Haftungsmaßstab war einfache Fahrlässigkeit (« non seulement du dol, mais encore des fautes qu’il commet dans sa gestion »), wobei eine Milderung der Haftung eintreten soll, wenn der Auftragnehmer den Auftrag unentgeltlich vorgenommen hat (« moins rigoureusement à celui dont le mandat est gratuit »). Zusammenfassend ordnete das französische Aktienrecht eine individuelle Haftung der Mitglieder des Aufsichtsrats für eigene Pflichtverletzungen an, deren konkrete Ausgestaltung den Regeln des Auftragsrechts folgte. Die im deutschen Art. 225b ADHGB 1870 erstmals normierte „persönliche und solidarische“ Haftung der Aufsichtsratsmitglieder gegenüber der Gesellschaft nach französischem Vorbild sollte dann eintreten, wenn bestimmte Pflichtverletzungen der Aufsichtsratsmitglieder „mit ihrem Wissen und ohne ihr Einschreiten“ erfolgten. Pflichtverletzungen, die eine Ersatzpflicht begründeten, waren die Einlagenrückgewähr an Aktionäre, die (unerlaubte) Zahlung von Dividenden oder Zinsen oder die Verteilung des Gesellschaftsvermögens entgegen der gesetzlichen Bestimmungen. Das Gesetz forderte ausdrücklich ein positives Wissen von der Pflichtverletzung; eine Handlung in fahrlässiger Unkenntnis löste keine Haftung aus. Die Ersatzpflicht bestand allerdings nur gegenüber der Gesellschaft, nicht auch gegenüber den Aktionären;1114 letztere waren auch nicht zur Geltendmachung der Ersatzansprüche der Gesellschaft gegenüber den Mitgliedern berechtigt.1115 Die Ersatzpflicht richtete sich
1113 Rivière, Loi du 24 Juillet 1867, Titre I, Article IX, Anm. 88, S. 131 hinsichtlich des bis zur Neufassung vorherrschenden Streits, ob die Aufsichtsratsmitglieder als Beauftragte nach dem Code Civil anzusehen sind; hinsichtlich der Verwaltungsratsmitglieder vgl. Rivière, Loi du 24 Juillet 1867, Titre II, Art. 44 Anm. 280 (S. 309). 1114 Reichsoberhandelsgericht, Urt. v. 23. 11. 1875 – 1222/75, ROHGE 19, 178, 179 ff; für die abweichende Ansicht in der Literatur siehe nur Renaud, Das Recht der Actiengesellschaften, S. 633 m.w.N. 1115 Reichsoberhandelsgericht, Urt. v. 17. 04. 1877 – 1585/76, ROHGE 22, 239, 240 ff.
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2. Teil: Folgen von Pflichtverletzungen
an das einzelne Mitglied, das entgegen den gesetzlichen Bestimmungen gehandelt hatte;1116 eine Ersatzpflicht des Gesamtorgans war dem ADHGB 1870 fremd. (2) Haftung für allgemeine Pflichtverletzungen Auch wenn die Haftung der Aufsichtsratsmitglieder aus Art. 225b ADHGB 1870 auf wenige Fälle begrenzt war (der Wortlaut der Norm schränkte die aufgezählten Fälle nicht bloß als beispielhaft ein), war allgemein anerkannt, dass auch für solche Pflichtverletzungen der Aufsichtsratsmitglieder, die nicht von Art. 225b ADHGB 1870 erfasst wurden, eine Schadensersatzpflicht gegenüber der Gesellschaft bestand.1117 Zu diesen Fällen wurde unter anderem auch die unzureichende Überwachung des Vorstands durch die Mitglieder des Aufsichtsrats gezählt.1118 Die dogmatische Herleitung eines solchen Schadenersatzanspruchs erfolgte allerdings aufgrund des eindeutigen Wortlauts des Gesetzes nicht in Folge einer (analogen) Anwendung der Art. 225b ADHGB 1870.1119 Stattdessen wurden die aktienrechtlichen Ersatzansprüche als nicht abschließend angesehen.1120 Neben dem Handelsgesetzbuch war daher – subsidiär – auch das allgemeine Zivilrecht anzuwenden.1121 Mangels spezialgesetzlicher allgemeiner Haftungsvorschriften für Pflichtverletzungen im ADHGB oder anderen Gesetzen richtete sich die Haftung der Aufsichtsratsmitglieder für Pflichtverletzungen bei der Ausführung der ihnen übertragenen Aufgaben (mit Ausnahme der in Art. 225b ADHGB 1870 explizit genannten Fälle), ähnlich wie im französischen Recht, nach dem jeweils (subsidiär) geltenden Zivilrecht: Bis zur Einführung des Bürgerlichen Gesetzbuchs zum 1. Januar 1900 war die zivilrechtliche Landschaft im Deutschen Reich (bzw. Norddeutschen und Deutschen Bund) in verschiedene Regionen unterteilt, in denen jeweils unter1116
Perl, Gurchots Beiträge zur Erläuterung des deutschen Rechts 27 (1883), S. 621, 643. Vgl. nur Puchelt, AktG 1870, 2. Aufl. 1876, Art. 225b Anm. 2 a.E. „Uebrigens darf Art. 225b nicht exklusiv aufgefaßt werden, da z. B. auch eine Unterlassung pflichtgemäßiger Ueberwachung (Art. 225) zum Schadensersatze verpflichtet.“; ähnlich Keyssner, Die Aktiengesellschaften und Kommanditgesellschaften auf Aktien unter dem Reichsgesetz vom 11. Juni 1870, S. 186: „Auch außerhalb der Fälle des Art. 204, 225b HGB gegen die Mitglieder des Aufsichtsrats, aus der Verletzung der mit der Stellung übernommenen Obliegenheiten und Verpflichtungen, Ansprüche zu begründen, ist nicht ausgeschlossen“; siehe auch Renaud, Das Recht der Actiengesellschaften, S. 633. 1118 Begründung des Entwurfs eines Gesetzes betreffend die KGaA und AG (1884), § 12 Nr. 4, abgedruckt bei Schubert/Hommelhoff, Hundert Jahre modernes Aktienrecht, S. 461 f. 1119 Vgl. Reichsoberhandelsgericht, Urt. v. 23. 11. 1875 – 1222/75, ROHGE 19, 178, 181, wonach Art. 225b ADHGB 1870 ausschließlich Anwendung auf Gesetzesübertretungen finden kann, während Verstöße gegen die Satzung nicht von dieser Vorschrift erfasst sein sollen. 1120 Begründung des Entwurfs eines Gesetzes betreffend die KGaA und AG (1884), § 12 Nr. 4, abgedruckt bei Schubert/Hommelhoff, Hundert Jahre modernes Aktienrecht, S. 461 f. „Nimmt man auch an, daß durch die in Artikel 204 und 225b des Handelsgesetzbuchs aufgeführten drei Fälle die Verantwortlichkeit der Mitglieder des Aufsichtsraths nicht hat erschöpft […]“; wie hier Lieder, Der Aufsichtsrat im Wandel der Zeit, S. 106. 1121 So ist auch die Formulierung bei Perl, Gurchots Beiträge zur Erläuterung des deutschen Rechts 27 (1883), S. 621, 643, zu verstehen. 1117
A. Die Innenhaftung der Aufsichtsratsmitglieder
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schiedliche Vorschriften galten. Während im größten Teil des Deutschen Reichs das Allgemeine Preußische Landrecht (ALR) Anwendung fand, galt insbesondere im linksrheinischen Gebiet der französische Code Civil fort. In einigen Teilen galt im Übrigen unter anderem das Gemeine Recht, das auf dem römisch-kanonischen Recht (Corpus Iuris Civilis) fußte. Während das französische Recht ausdrücklich von einem Auftragsverhältnis der Aufsichtsratsmitglieder ausging (« Chaque membre du conseil de surveillance est responsable de ses fautes personelles, dans l’excécution de son mandat […] » Art. 9 Abs. 2 des Loi sur les Sociétés)1122, war die Rechtsstellung des Aufsichtsrats unter dem deutschen Aktienrecht nicht näher bestimmt.1123 Aus der Tatsache, dass die Mitglieder des Aufsichtsrats jedoch durch die Generalversammlung (heute Hauptversammlung) bestimmt wurden und demnach unmittelbar ihre Rechtsmacht durch diese erhielten, wurden auch die Aufsichtsratsmitglieder unter dem ADHGB als Beauftragte (Mandatare) angesehen und daher die zivilrechtlichen Vorschriften über den Auftrag (Mandat) auf die Aufsichtsratsmitglieder angewendet.1124 Aufgrund der Zersplitterung des Zivilrechts im Geltungsbereich des ADHGB gab es regionsabhängig verschiedene Anspruchsgrundlagen für die Haftung des Beauftragten und damit auch der Aufsichtsratsmitglieder.1125 Während nach I, 13 § 55 – 58 ALR der Beauftragte nur für die Sorgfalt in eigenen Angelegenheiten einzustehen hatte, galt nach Art. 1991 Abs. 1 i.V.m. Art. 1992 Code Civil in der Fassung vom 3. Oktober 1804 eine Haftung für den Beauftragten bereits für Fahrlässigkeit (« […] non seulement du dol, mais encore des fautes qu’il commet dans sa gestion »), wobei eine Haftungserleichterung bei unentgeltlicher Auftragsführung vorgenommen werden sollte (Art. 1992 Abs. 2 « […] moins rigoureusement à celui dont le mandat est gratuit […] »). Im Gemeinen Recht folgte die Haftung des Auftragnehmers den Vorschriften des Codex Iustinianus (C.4.35.11, C.4.35.13, C.4.35.21), wobei hier ein Einstehen für omnis culpa (jede Art von Verschulden) bestimmt war.1126 Insofern führte die Rechtszersplitterung nicht nur zu unterschiedlichen Anspruchsgrundlagen für die Haftung der Aufsichtsratsmitglieder, sondern außerdem zu verschiedenen 1122
Hervorhebung durch den Verfasser. Keyssner, Die Aktiengesellschaften und Kommanditgesellschaften auf Aktien unter dem Reichsgesetz vom 11. Juni 1870, S. 177. 1124 Keyssner, Die Aktiengesellschaften und Kommanditgesellschaften auf Aktien unter dem Reichsgesetz vom 11. Juni 1870, S. 177. 1125 Für das Deutsche Reich galten vor dem Inkrafttreten des BGB zum 1. 1. 1900 im Zivilrecht regionsabhängig und parallel die Vorschriften des Gemeinen Rechts, des Code Civil, des Allgemeinen Preußischen Landrechts, des Badischen Rechts, des Jütischen Rechts, des Codex Maximilianeus Bavaricus Civilis und des Bürgerlichen Gesetzbuches für das Königreich Sachsen. Aus Gründen der Vereinfachung wird exemplarisch nachfolgend auf die Vorschriften des Gemeinen Rechts, des Code Civil und des Allgemeinen Preußischen Landrechts eingegangen. 1126 Zum Gesamten siehe die Begründung des Entwurfs eines Gesetzes betreffend die KGaA und AG (1884), § 12 Nr. 4, abgedruckt bei Schubert/Hommelhoff, Hundert Jahre modernes Aktienrecht, S. 462, dort Fn. 1. 1123
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Haftungsmaßstäben, anhand derer das Vorliegen einer Pflichtverletzung gemessen wurde.1127 Insofern konnte die juristische Einordnung der gleichen Handlung unter dem Regime der unterschiedlichen zivilrechtlichen Vorschriften unterschiedlich ausfallen. Aus der analogen Anwendung der Vorschriften über das Auftragsrecht ergibt sich aber nicht zuletzt auch, dass nur derjenige zum Schadensersatz verpflichtet war, der tatsächlich selbst eine Pflicht verletzt hatte. Auch für nicht unter den Anwendungsbereich des Art. 225b ADGHB 1870 fallende Pflichtverletzungen galt daher eine persönliche und individuelle Haftung der Aufsichtsratsmitglieder. Eine Haftung des Kollegialorgans ließ sich aus den Vorschriften nicht herleiten. dd) 2. Aktienrechtsnovelle 1884 Bereits kurze Zeit nach der Aktienrechtsnovelle 1870 stellte sich heraus, dass auch die Einführung der Haftungs- und Strafvorschriften die Kontrolle durch den Aufsichtsrat nicht verbesserte. Daher begannen alsbald nach der Neufassung des ADHGB die Vorbereitungen für eine zweite Aktienrechtsnovelle. Gegenstand dieser Novelle sollten insbesondere die Kompetenzen und die Verantwortlichkeit der Aufsichtsratsmitglieder sein, da das Haftungsregime unter dem ADHGB 1870 unübersichtlich ausgestaltet war und nicht die erwünschte sorgfältige Überwachung durch den Aufsichtsrat mit sich gebrachte hatte.1128 (1) Vorschlag des Reichsoberhandelsgerichts Das Reichsoberhandelsgericht (ROHG) sprach sich in seinem Gutachten zur Reform des Aktienrechts im Rahmen der Diskussion um eine zweite Aktienrechtsnovelle für die Normierung einer umfassenden und einheitlichen Haftung der Mitglieder des Aufsichtsrats unter dem Regime des ADHGB 1884 aus. Der Vorschlag für einen neuen Art. 226 ADHGB 1884 lautete:1129 „Die Mitglieder des Aufsichtsrathes haften solidarisch für jeden der Gesellschaft in Folge schuldbarer Nichterfüllung der ihnen durch das Gesetz und den Gesellschaftsvertrag auferlegten Verpflichtungen entstanden Schaden der Gesellschaft und, sofern die schuldbare Nichterfüllung eine Verletzung der Vorschriften dieses Titels oder des Gesellschaftsvertrages oder die Nichtabwendung von Folgen dieser Verletzung verursacht hat, außer der Gesellschaft auch den hierdurch beschädigten Gesellschaftsgläubigern. Im Falle einer Betheiligung des Aufsichtsrathes an gesetz- oder statutenwidrigen Beschlüssen oder Ver1127 Vgl. Begründung des Entwurfs eines Gesetzes betreffend die KGaA und AG (1884), § 12 Nr. 4, abgedruckt bei Schubert/Hommelhoff, Hundert Jahre modernes Aktienrecht, S. 462, dort Fn. 1; so auch Lieder, Der Aufsichtsrat im Wandel der Zeit, S. 183; s.a. Schubert/Hommelhoff, Hundert Jahre modernes Aktienrecht, S. 95. 1128 Zum Meinungsstand in der Literatur vgl. Perl, Gurchots Beiträge zur Erläuterung des deutschen Rechts 27 (1883), S. 621, 643 ff. 1129 Siehe ROHG-Gutachten, S. 100, abgedruckt bei Schubert/Hommelhoff, Hundert Jahre modernes Aktienrecht, S. 157, 229.
A. Die Innenhaftung der Aufsichtsratsmitglieder
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fügungen oder seiner Weigerung, denselben oder ihrer Folgen entgegenzuwirken, sind auch diejenigen Aufsichtsrathsmitglieder für die Folgen verantwortlich, welche, ohne selbst jenem Verhalten zugestimmt zu haben, es unterlassen haben, einer unverzüglich zu berufenden Generalversammlung hiervon Kenntniß zu geben.“
Der Vorschlag enthielt erstmals eine einheitlich kodifizierte Aufsichtsratshaftung für die Fälle allgemeiner Pflichtverletzung und normierte damit eine deutlich weitgreifendere Haftung als sie bis zu diesem Zeitpunkt im Aktienrecht vorherrschte.1130 Nach dem Vorschlag des ROHG wäre eine Vereinheitlichung auf zwei Ebenen eingetreten: Zum einen wäre ein allgemeiner Verantwortlichkeitsmaßstab entstanden, der aufgrund der Zersplitterung der zivilrechtlichen Bestimmungen über das Auftragsrecht und den jeweiligen abweichenden Gesetzesbestimmungen bislang fehlte. Vor allem aber sah die Norm eine einheitliche Normierung der Haftung der Aufsichtsratsmitglieder im Aktiengesetz vor: Da in Satz 1 entgegen der bisherigen Ersatzvorschriften im ADHGB die Ersatzpflicht nicht auf bestimmte Fälle beschränkt war, sondern eine Haftung für jede Art der Pflichtverletzung eintreten sollte, wären die subsidiären zivilrechtlichen Vorschriften über das Auftragsrecht mangels einer Regelungslücke nicht weiter zur Anwendung gekommen. Die Haftung hätte sich nach dem Entwurf des ROHG ausschließlich nach dem Handelsgesetzbuch gerichtet, sodass erstmals eine vollumfängliche Haftung der Mitglieder des Aufsichtsrats kodifiziert gewesen wäre. Daneben ist zu beachten, dass das Reichsoberhandelsgericht in seinem Gutachten ausdrücklich von einer Ersatzpflicht der Aufsichtsratsmitglieder ausging und eine Haftung des Gesamtorgans für Pflichtverletzungen des Organs nicht ansprach, obgleich es ausdrücklich von einer eigenen Handlungsfähigkeit des Organs ausging. Vor dem Hintergrund der Entwicklung der Haftung der Aufsichtsratsmitglieder aus dem Auftragsrecht, das eine individuelle Haftung der einzelnen handelnden Personen und gerade nicht eines Organs vorsieht, war dies nur konsequent. (2) Vorschlag der Sachverständigenkommission und Reform der Haftung Neben dem Reichsoberhandelsgericht war auch eine Sachverständigenkommission zur Reform des Aktienrechts damit beauftragt worden, ein Gutachten mit Vorschlägen zur Neuregelung des Aktienrechts zu unterbreiten. Im Jahr 1882 legte die Kommission ein von dem des ROHG unabhängiges Gutachten mit Vorschlägen zur Neuregelung des Aktienrechts vor.1131 Die Sachverständigenkommission entwickelte ihre Vorschläge auf Grundlage eines Ministerialentwurfs des Reichsjustizamts und des Reichsamts des Inneren für ein neues Aktiengesetz aus Januar 1882. Der Entwurf sah hinsichtlich der Haftung der Aufsichtsratsmitglieder für das ADHGB 1884 mit der bisherigen Vorschrift des Art. 225b ADHGB 1870 weitge1130 Einen ähnlichen Vorschlag, der ebenfalls eine generelle Haftungsvorschrift bei (jeder Art von) Pflichtverletzungen vorsah, entwickelte auch Wiener, Der Aktiengesetz-Entwurf, S. 103. 1131 Abgedruckt bei Schubert/Hommelhoff, Hundert Jahre modernes Aktienrecht, S. 157, 288 ff.
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2. Teil: Folgen von Pflichtverletzungen
hend identische Regelung vor, die als Art. 226 in den Entwurf aufgenommen wurde. Der Gesetzesentwurf regelte weiterhin (ausdrücklich) eine Ersatzpflicht nur für bestimmte Fälle. Neben dem aus dem ADHGB 1870 entnommenen Inhalt sah der Entwurf einen neuen ersten Absatz vor, der wie folgt lautete:1132 „Die Mitglieder des Aufsichtsraths haben die Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmannes anzuwenden“.
Die Sachverständigenkommission schlug in Ihrem Gutachten vor, als zweiten Satz festzuhalten, dass die Aufsichtsratsmitglieder dazu verpflichtet seien, im Zweifelsfall einen Nachweis über die angewandte Sorgfalt zu erbringen und damit eine Beweislastumkehr festzulegen. Außerdem wurde in Abs. 2 klargestellt, dass die Ersatzpflicht in den dort aufgezählten Fällen (ausschließlich) gegenüber der Gesellschaft galt und somit eine Haftung gegenüber Dritten ausgeschlossen war.1133 Das generelle Haftungskonzept, das – wie oben ausgeführt – in eine Haftung aus aktienrechtlicher Anspruchsgrundlage in den im Gesetz aufgeführten Fällen und eine Haftung aus allgemeinen zivilrechtlichen Grundsätzen für sonstige, im Gesetz nicht erwähnte Pflichtverletzungen nach dem Auftragsrecht unterteilt war, wurde von der Sachverständigenkommission nicht diskutiert. Im Rahmen der Neufassung nahm der Gesetzgeber den Vorschlag der Sachverständigenkommission auf, während der Entwurf des Reichsoberhandelsgerichts nicht weiter verfolgt wurde. Der neue Art. 226 ADHGHB 1884 lautete: „Die Mitglieder des Aufsichtsraths haben bei Erfüllung der ihnen nach Artikel 225 zugewiesenen Obliegenheiten die Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmanns anzuwenden. Dieselben sind der Gesellschaft neben den Mitgliedern des Vorstands persönlich und solidarisch zum Ersatze verpflichtet, wenn mit ihrem Wissen und ohne ihr Einschreiten entgegen den gesetzlichen Bestimmungen: 1. Einlagen an die Aktionäre zurückgezahlt; 2. Zinsen oder Dividenden gezahlt; 3. eigene Aktien oder Interimsscheine der Gesellschaft erworben, zum Pfande genommen oder amortisirt worden; 4. Aktien vor der vollen Leistung des Nominalbetrages oder des in den Fällen der Artikel 209a Ziffer 2, 215a Absatz 2 festgesetzten Betrages, oder Aktien oder Interimsscheine im Falle einer stattgefundenen Erhöhung des Grundkapitals vor Eintragung derselben in das Handelsregister desjenigen Gerichts, in dessen Bezirke die Gesellschaft ihren Sitz hat, ausgegeben sind;
1132 Entwurf eines Gesetzes betreffend die KGaA und AG (1882), abgedruckt bei Schubert/ Hommelhoff, Hundert Jahre modernes Aktienrecht, S. 280. 1133 Siehe Protokoll der Sachverständigenkommission zur Reform des Aktiengesetzes 1882, S. 94, abgedruckt bei Schubert/Hommelhoff, Hundert Jahre modernes Aktienrecht, S. 288, 356.
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5. die Vertheilung des Gesellschaftsvermögens, eine theilweise Zurückzahlung oder eine Herabsetzung des Grundkapitals oder im Falle des Artikels 215 Absatz 4 die Vereinigung der Vermögen der beiden Gesellschaften erfolgt ist. Der Ersatzanspruch kann, in den Fällen des zweiten Absatzes auch von den Gläubigern der Gesellschaft, soweit sie von dieser ihre Befriedigung nicht erlangen können, selbständig geltend gemacht werden. Die Ersatzpflicht wird ihnen gegenüber dadurch nicht aufgehoben, daß die Handlung auf einem Beschlusse der Generalversammlung beruht. Die Ansprüche auf Grund der vorstehenden Bestimmungen verjähren in fünf Jahren.“
Durch diese Regelung beabsichtigte der Gesetzgeber eine Vereinheitlichung der Haftung des Aufsichtsrats. Er hatte erkannt, dass die bisherige Haftungsvorschrift im ADHGB, die nur eine Haftung der Mitglieder bei Verletzung bestimmter (gesetzlicher) Pflichten regelte, aufgrund der subsidiären Anwendung des allgemeinen Zivilrechts und der Rechtszersplitterung im Deutschen Reich zu Unsicherheiten und ungleichen Haftungsvoraussetzungen führte. Um diese divergierenden Regelungen zu beseitigen, entschied sich der Gesetzgeber zu einer Angleichung des Sorgfaltsmaßstabs: festgelegt wurde, dass die Aufsichtsratsmitglieder den Sorgfaltsmaßstab eines ordentlichen Geschäftsmannes anzuwenden hatten.1134 Die Einfügung des neuen Absatz 1 („Die Mitglieder des Aufsichtsraths haben bei Erfüllung der ihnen nach Art. 225 zugewiesenen Obliegenheiten die Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmanns anzuwenden“) zielte insofern nicht darauf ab, eine (neue) Anspruchsgrundlage der Gesellschaft gegenüber seinen Aufsichtsratsmitglieder im Falle einer Pflichtverletzung zu schaffen, sondern baute auf dem bis dahin geltenden Haftungskonzept auf und vereinheitlichte lediglich den Sorgfaltsmaßstab, der ebenso wie die Anspruchsgrundlage bislang je nach Region unterschiedlich war. Die im Deutschen Reich in verschiedene Anspruchsgrundlagen zersplitterte Haftung der Aufsichtsratsmitglieder nach dem Auftragsrecht blieb insofern grundsätzlich bestehen;1135 es galt aber nun erstmals ein einheitlicher Sorgfaltsmaßstab. Die teilweise vertretene Ansicht, Art. 226 Abs. 1 ADHGB 1884 kodifizierte (erstmals) eine allgemeine Schadensersatzanspruch der Gesellschaft gegenüber den Aufsichtsrats-
1134
Siehe ausdrücklich die Begründung des Entwurfs eines Gesetzes betreffend die KGaA und AG (1884), § 12 Nr. 4, abgedruckt bei Schubert/Hommelhoff, Hundert Jahre modernes Aktienrecht, S. 461 f: „Nimmt man auch an, daß durch die in Artikel 204 und 225b des Handelsgesetzbuchs aufgeführten drei Fälle die Verantwortlichkeit der Mitglieder des Aufsichtsraths nicht hat erschöpft, vielmehr die Anwendung der Grundsätze des Mandats für alle Fälle hat zugelassen werden sollen, in denen der Gesellschaft ein Schaden aus Ueberschreitung der Befugnisse oder aus Unterlassung der Prüfungs- und Aufsichtspflicht entsteht, so stimmen doch bezüglich der Verantwortlichkeit eines Mandatars in Deutschland geltenden Rechte keineswegs miteinander überein. Schon aus diesem Grunde empfiehlt sich eine einheitliche Regelung der Verantwortlichkeit. Sie erscheint aber auch geboten, um jeden Zweifel über deren Umfang zu beseitigen“. 1135 In diesem Sinne ist auch der Kommentar Wieners „In nicht unwesentlichen Punkten bleibt sogar das vom Entwurfe Geforderte hinter dem, was jetzt bereits gefordert werden kann, zurück“ zu verstehen, Wiener, Der Aktiengesetz-Entwurf, S. 98.
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2. Teil: Folgen von Pflichtverletzungen
mitgliedern,1136 lässt sich mithin weder mit dem Willen des Gesetzgebers noch mit der Entstehungsgeschichte der Norm vereinbaren. Die nur subsidiär anzuwendenden Vorschriften des Auftragsrechts wurden lediglich von den aktienrechtlichen Bestimmungen des Art. 226 Abs. 1 ADHGB 1884 überlagert, der einen gemeinsamen Sorgfaltsmaßstab, nicht aber eine allgemeine Haftung statuierte.1137 Anzuwenden waren daher zwar weiterhin die Anspruchsgrundlagen aus dem Auftragsrecht, für die Frage des Sorgfaltsmaßstabs war allerdings nun nicht mehr auf die Vorschriften der einzelnen Gesetze, sondern auf die Bestimmungen des Aktienrechts zu rekurrieren. Da der Vorschrift durch die Vereinheitlichung des Sorgfaltsmaßstabs ein eigener Erklärungsgehalt innewohnte, darf die Vorschrift aber auch nicht als lediglich „deklaratorische Verlautbarung“ missverstanden werden.1138 Dass durch die Neuregelung keine allgemeine Haftungsvorschrift für sämtliche Pflichtverstöße der Aufsichtsratsmitglieder begründet werden sollte (was zu einer Vermeidung der Rechtzersplitterung geführt hätte), ergibt sich aus zwei Gründen: Zum einen lässt sich anführen, dass der Gesetzgeber dem Entwurf des ROHG, das eine solche umfassende Haftung explizit vorgeschlagen hat, nicht gefolgt ist. Der Gesetzeswortlaut spricht in Abs. 1 nur von der Sorgfalt des Aufsichtsrats, allerdings nicht von einer Ersatzpflicht oder einer Haftung. Lediglich Abs. 2 sieht explizit eine Ersatzpflicht der Mitglieder in bestimmten Fällen vor. Zum zweiten war es die Absicht des Gesetzgebers, lediglich die Reichweite des anzuwendenden Sorgfaltsmaßstabs zu vereinheitlich und so die unterschiedlichen Sorgfaltsanforderungen im deutschen Reich abzuschaffen. Dies wird in der Gesetzesbegründung ausdrücklich festgehalten: 1139 „Nimmt man auch an, daß durch die in Artikel 204 und 225b des Handelsgesetzbuchs aufgeführten drei Fälle die Verantwortlichkeit der Mitglieder des Aufsichtsraths nicht hat erschöpft, vielmehr die Anwendung der Grundsätze des Mandats für alle Fälle hat zugelassen werden sollen, in denen der Gesellschaft ein Schaden aus Ueberschreitung der Befugnisse oder aus Unterlassung der Prüfungs- und Aufsichtspflicht entsteht, so stimmen doch bezüglich der Verantwortlichkeit eines Mandatars in Deutschland geltenden Rechte keineswegs miteinander überein. Schon aus diesem Grunde empfiehlt sich eine einheitliche Regelung der Verantwortlichkeit.“
Gewollt war damit explizit (nur) eine einheitliche Regelung der Verantwortlichkeit im Sinne eines Sorgfaltsmaßstabs; hinsichtlich der Grundlagen der Haftung beließ es der Gesetzgeber bei der Anwendung der Regeln des ALR, Code Civil und Gemeinen Rechts. Die Vereinheitlichung der Anspruchsgrundlagen erfolgte nicht. 1136
So Schubert/Hommelhoff, Hundert Jahre modernes Aktienrecht, S. 95. So auch Lippert, Überwachungspflicht, Informationsrecht und gesamtschuldnerische Haftung, S. 75. 1138 Missverständlich Schubert/Hommelhoff, Hundert Jahre modernes Aktienrecht, S. 95, unter Berufung auf die Gesetzesbegründung. 1139 Begründung des Entwurfs eines Gesetzes betreffend die KGaA und AG (1884), § 12 Nr. 4, abgedruckt bei Schubert/Hommelhoff, Hundert Jahre modernes Aktienrecht, S. 462. 1137
A. Die Innenhaftung der Aufsichtsratsmitglieder
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Gegen die Annahme der subsidiären Anwendung des Auftragsrechts nach der Neufassung des Art. 226 ADHGB 1884 könnte indes sprechen, dass im dortigen Absatz 2 eine ausdrückliche Ersatzpflicht normiert war. Diese Regelung könnte abschließend sein und insofern eine Anwendung des Auftragsrechts verbieten. Jedoch war dem Gesetzgeber die in der Rechtspraxis vorgenommene entsprechende Anwendung der Auftragshaftung bewusst, sodass bei einem gewollten Ausschluss der Haftung eine entsprechende Klarstellung im Gesetz zu erwarten gewesen wäre. Warum der Gesetzgeber aber trotz Kenntnis der Anwendung der Regelungen des Auftragsrechts dennoch eine Ersatzpflicht für bestimmte Fälle ausdrücklich im Gesetz normiert hat, ergibt sich erst bei näherer Betrachtung. Während in Art. 225b ADHGB 1870 noch eine explizite Schadensersatzpflicht normiert war, findet sich in Art. 226 ADHGB 1884, der diesem inhaltlich im Wesentlich nachfolgt, nur die Normierung einer Ersatzpflicht („Dieselben sind der Gesellschaft neben den Mitgliedern des Vorstands persönlich und solidarisch zum Ersatze verpflichtet, wenn mit ihrem Wissen […]“).1140 Es handelt sich damit bei Art. 226 Abs. 2 ADHGB 1884 (anders als noch bei Art. 225b ADHGB 18701141) nicht um einen Schadensersatzanspruch, sondern um einen schlichten Ersatzanspruch, der unabhängig vom Eintritt eines tatsächlichen Schadens eingreifen sollte.1142 Der Gesellschaft stand also in den im Gesetz genannten Fällen1143 (unerlaubte Dividendenzahlung, Einlagenrückge-
1140 Aus den Materialien zu Art. 225b ADHGB 1870 ist nicht ersichtlich, ob sich der Gesetzgeber der Lücke (subsidiäre Anwendung des Auftragsrechts) bewusst war. In den Gesetzgebungsmaterialien zum ADHGB 1884 bezieht sich der Gesetzgeber ausschließlich auf die Regelung des Sorgfaltsmaßstabs. Aufgrund der Diskussion um die analoge Anwendung der Auftragsvorschriften sowohl im deutschen wie auch im französischen Aktienrecht (vgl. nur Puchelt, AktG 1870, 2. Aufl. 1876, Art. 225b Anm. 2 a.E.; Keyssner, Die Aktiengesellschaften und Kommanditgesellschaften auf Aktien unter dem Reichsgesetz vom 11. Juni 1870, S. 186; Renaud, Das Recht der Actiengesellschaften, S. 633; Rivière, Loi du 24 Juillet 1867 1868, Titre I, Article IX, Anm. 88, S. 131) und aufgrund einer fehlenden (anderweitigen) Regelung durch den Gesetzgeber ist aber davon auszugehen, dass der Gesetzgeber diese Anwendung nicht unterbinden wollte. 1141 Art. 225b ADHGB 1870 ordnete eine Schadensersatzpflicht an, während die parallele Vorschrift für die Kommanditgesellschaft weitergehend von einer Ersatzpflicht sprach. Siehe hierzu auch die Bemerkung bei Puchelt, AktG 1870, 2. Aufl. 1876, Art. 225b Anm. 1 a.E., der auf diese Unterscheidung hinweist „[…] wobei übrigens zu beachten ist, daß der Eingang des Art. 225b zum Schadensersatze, jener des Art. 204 zur Erstattung der geleisteten Zahlungen verpflichtet“. 1142 „Die Mitglieder des Aufsichtsraths haften in den hier bezeichneten Fällen der Gesellschaft auf Ersatz des ihr rechtswidrig Entzogenen“, Makower, ADHGB 1861, Art. 226 Anm. 97 a) a.E.; siehe auch Wiener, Der Aktiengesetz-Entwurf, S. 99 f. Die Frage, ob eine Ersatzpflicht einen Schaden voraussetzte, war auch noch unter dem Regime des HGB 1897 höchst strittig, wobei die wohl vorherrschende Ansicht dies verneinte, vgl. die Ausführungen bei Pinner, AktG 1897, 1889, § 241 Anm. III und Staub, HGB 1897, 12. und 13. Aufl. 1926, § 241 Anm. 9 m.w.N., die indes anderer Ansicht waren. 1143 Art. 226 ADHGB 1884 (ebenso wie Art. 225b ADHGB 1870) bezieht sich nur und ausschließlich auf Fälle der Verletzung gesetzlicher Verpflichtungen; Verletzungen der Satzungen fallen nicht unter die dort normierte Ersatzpflicht (vgl. Reichsoberhandelsgericht, Urt.
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währ an Aktionäre, Verteilung des Gesellschaftsvermögens etc.) ein Ersatzanspruch in der Höhe des der Gesellschaft entzogenen Vermögens zu – unabhängig von der Frage, ob der Gesellschaft dadurch tatsächlich ein nachweisbarer Schaden entstanden war.1144 Art. 226 ADHGB 1884 erforderte damit – im Gegensatz zu den Ansprüchen auf Schadensersatz aus dem Auftragsrecht – insbesondere weder den Nachweis einer tatsächlichen Schadenshöhe noch einen (möglicherweise schwierigen) Kausalitätsnachweis, sondern statuierte eine unmittelbare Ersatzpflicht gegenüber der Gesellschaft in Höhe des der Gesellschaft entzogenen Betrags. Der Gesetzgeber etablierte damit eine doppelte Haftungsstruktur: Für die in Art. 226 ADHGB 1884 entwickelten Sonderfälle bei Verletzung einer gesetzlichen Pflicht bestand eine Ersatzverpflichtung ungeachtet des Eintritts eines Schadens. Daneben existierte eine Haftung für sonstige Pflichtverletzungen der Aufsichtsratsmitglieder, für die Art. 226 Abs. 1 ADHGB 1884 einen allgemeinen Sorgfaltsmaßstab normierte, deren sonstige Haftungsvoraussetzungen sich aber unabhängig von Art. 226 ADHGB 1884 aus den allgemeinen Grundsätzen des Auftragsrecht ergaben. Die Ersatzpflicht der Aufsichtsratsmitglieder in Art. 226 Abs. 2 ADHGB 1884 erlangte aber noch in zweiter Hinsicht besondere Bedeutung: Gemäß Art. 226 Abs. 3 ADHGB 1884 konnte jeder Gesellschaftsgläubiger den (eigentlich der Gesellschaft zustehenden) Ersatzanspruch selbständig geltend machen, wenn er nachweisen konnte, dass er von der Gesellschaft nicht befriedigt wurde.1145 Für die allgemeine Haftungsvorschrift bestand diese Möglichkeit freilich nicht, da der Anspruch durch den Auftraggeber (die Gesellschaft) gegenüber dem Auftragnehmer (dem Aufsichtsratsmitglied) geltend zu machen war. In den vorbereitenden Ausschüssen und Gremien war unstreitig, dass nur eine Haftung der einzelnen Mitglieder bestehen sollte. Eine Organhaftung war, soweit aus den Quellen ersichtlich ist, zu keinem Zeitpunkt Gegenstand der Diskussion. Im Gegenteil war die unterschiedliche Zuordnung von Pflichten und haftungsrechtlich Verantwortlichen bewusst gewollt („Im Falle der Beteiligung des Aufsichtsraths an gesetzes- oder statutenwidrigen Beschlüssen oder Verfügung oder seiner Weigerung, denselben oder ihrer Folgen entgegen zu wirken, sind auch diejenigen Aufsichtsrathsmitglieder für die Folgen verantwortlich […]“1146). Diese Trennung griff auch der Gesetzgeber auf und begründete die Schaffung eines einheitlichen Sorgfaltsv. 23. 11. 1875 – 1222/75, ROHGE 19, 178, 181), sondern können allenfalls nach den Vorschriften des Auftragsrechts ersetzt werden. 1144 Richtigerweise erwähnt Wiener, dass Ersatzpflicht und Schadensersatz häufig gleichliefen: „In allen normierten Fällen rechtswidriger Verausgabung vom Grundkapital, mit Ausnahme etwa der Verausgabung für Erwerb eigener Aktien, ergiebt sich aber ohne weiteres als Schaden die dem Grundkapital fehlende Summe, so daß hier Schadensersatz und Erstattungspflicht zusammenfallen“, Wiener, Der Aktiengesetz-Entwurf, S. 100. 1145 Vgl. Begründung des Entwurfs eines Gesetzes betreffend die KGaA und AG (1884), § 12 Rdnr. 4 b), abgedruckt bei Schubert/Hommelhoff, Hundert Jahre modernes Aktienrecht, S. 463 li. Sp. 1146 Vorschlag zur Neufassung des ADHGB durch das ROHG, abgedruckt bei Schubert/ Hommelhoff, Hundert Jahre modernes Aktienrecht, S. 229.
A. Die Innenhaftung der Aufsichtsratsmitglieder
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maßstabs damit, dass „[m]it der Präzisierung der Pflichten des Aufsichtsraths […] eine Bestimmung der Verantwortlichkeit seiner Mitglieder eintreten“1147 müsse. Trotz der generellen Zuweisung der Pflicht an das Organ sollte also die haftungsrechtliche Verantwortung den Mitgliedern, und nicht etwa ebenfalls dem Organ, zugeordnet werden.1148 ee) Neufassung durch das HGB zum 1. Januar 1900 Zum 1. Januar 1900 löste das Handelsgesetzbuchs (HGB 1897) (verabschiedet am 10. Mai 1897) das Allgemeine Deutsche Handelsgesetzbuch ab. Die Vorschriften über die Aktiengesellschaft aus dem ADHGB wurden im Grundsatz beibehalten und, teilweise überarbeitet, in das HGB überführt. Die Schadensersatzpflicht für die Mitglieder des Aufsichtsrats gegenüber der Gesellschaft wurde als § 249 HGB 1897 mit nachfolgendem Inhalt neugefasst: „Die Mitglieder des Aufsichtsrats haben bei der Erfüllung ihrer Obliegenheiten die Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmanns anzuwenden. Mitglieder, die ihre Obliegenheiten verletzen, haften der Gesellschaft mit den Vorstandsmitgliedern als Gesamtschuldner für den daraus entstehenden Schaden […]“
Wie auch bei der Vorgängervorschrift des Art. 226 ADHGB 1884 war in Abs. 1 von Art. 249 HGB 1897 ein allgemeiner Sorgfaltsmaßstab für die Aufsichtsratsmitglieder normiert. Im Gegensatz zur Vorgängernorm enthielt die Vorschrift aber in Abs. 2 nicht mehr eine Aufzählung besonderer gesetzlicher Pflichten, im Falle deren Verstoßes eine Ersatzpflicht ausgelöst wurde. Stattdessen regelte Art. 249 Abs. 2 HGB 1897 nunmehr ganz allgemein und umfassend eine Haftung der Aufsichtsratsmitglieder gegenüber der Gesellschaft auf Schadensersatz für jede Art von Pflichtverletzung. Insofern normierte Art. 249 Abs. 2 HGB 1897 erstmals eine allgemeine Haftung der Aufsichtsratsmitglieder im Falle der Verletzung der Ihnen aufgetragenen Pflichten. Damit wurde festgelegt, dass „Mitglieder, die ihre Obliegenheiten verletzten, […] der Gesellschaft mit den Vorstandsmitgliedern als Gesamtschuldner für den daraus entstehenden Schaden [haften]“ (§ 249 Abs. 2 HGB 1897). Mithin galt weiterhin der Sorgfaltsmaßstab des Art. 226 ADHGB 1884, eine Geltendmachung des Schadensersatzanspruchs durch die Gesellschaftsgläubiger war allerdings nicht mehr vorgesehen. Zwar sah § 249 Abs. 3 HGB 1897 i.V.m. § 241 Abs. 2 HGB einen Katalog von Maßnahmen vor, bei denen die Aufsichtsratsmitglieder haften sollten, wenn bestimmte Handlungen mit ihrem Wissen und 1147 Begründung des Entwurfs eines Gesetzes betreffend die KGaA und AG (1884), § 12 Nr. 4, abgedruckt bei Schubert/Hommelhoff, Hundert Jahre modernes Aktienrecht, S. 461. 1148 Irreführend ist insofern die Terminologie bei Wiener, Der Aktiengesetz-Entwurf, S. 99 „Die Haftung der Gesellschaftsorgane gegenüber der Gesellschaft wird vom Entwurf besonders in ihrem Umfange in denjenigen besonders zusammengetretenen Fällen qualifiziert […]“. Aus dem weiteren Zusammenhang der Ausführungen ergibt sich indes, dass auch Wiener von einer Haftung der einzelnen Mitglieder, und nicht der Organe, ausging.
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2. Teil: Folgen von Pflichtverletzungen
ohne ihr Einschreiten erfolgten, dies sollten allerdings nur Sonderfälle der Außenhaftung gegenüber den Gläubigern darstellen.1149 Durch den Zusatz „insbesondere“ wird im Übrigen deutlich, dass die in § 249 Abs. 3 HGB 1897 aufgezählten Fälle Sondertatbestände darstellen, die neben dem allgemeinen Tatbestand des § 249 Abs. 2 HGB 1897 treten sollten. Unter dem Regime des ADHGB wurden, wie ausgeführt,1150 die Vorschriften über das Auftragsrecht unter anderem nach dem Code Civil, dem Gemeinen Recht und dem Allgemeinen Preußischen Landrecht jeweils entsprechend auf die Haftung der Aufsichtsratsmitglieder für nicht im Aktiengesetz geregelten Pflichtverletzungen angewendet. Mit der Einführung des allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) fielen diese Vorschriften jedoch zum 1. Januar 1900 weg, sodass eine analoge Anwendung der Vorschriften nicht mehr möglich war. Zur Sanktionierung allgemeiner Pflichtverletzungen unter der Geltung des HGB 1897 war damit eine allgemeine Regelung notwendig geworden. Zwar wäre theoretisch in Fortsetzung des Verständnisses der Organmitglieder als Auftragnehmer eine analoge Anwendung der neugefassten Vorschriften des BGB möglich gewesen. Allerdings verstand das BGB unter einem Auftrag nunmehr ausschließlich unentgeltliche Leistungen (§ 662 BGB), sodass eine Anwendung auf solche Aufsichtsratsmitglieder, denen eine Vergütung gewährt wurde, nicht ohne weiteres möglich war. Der Gesetzgeber nutzte die Möglichkeit, die Haftung der Aufsichtsratsmitglieder eindeutig und abschließend im Aktienrecht zu regeln und folgte damit dem Vorbild des ROHG, das eine ähnliche (inhaltlich noch weitergehende) Regelung bereits zwanzig Jahre zuvor vorgeschlagen hatte.1151 Mithin richtete sich die Haftung der Aufsichtsratsmitglieder von nun an für jede Art von Pflichtverletzung ausschließlich nach § 249 Abs. 2 HGB 1897, ohne dass es auf eine (entsprechende) Anwendung der Haftungsvorschriften aus dem allgemeinen Zivilrecht angekommen wäre. Inhaltlich war die Haftung der Aufsichtsratsmitglieder größtenteils analog zur Vorstandshaftung ausgestaltet, sodass in der Literatur die Rechtsfragen des Vorstands und Aufsichtsrats weitgehend gleichbehandelt wurden.1152 Haftungssubjekt blieb auch hier jedes Mitglied für sich (wobei eine Mehrheit von sorgfaltspflichtwidrig handelnden Aufsichtsratsmitgliedern als Gesamtschuldner haftete). Im rechtswissenschaftlichen Diskurs findet sich an einigen wenigen Stellen ein Hinweis auf die „Verantwortlichkeit des Gesamtkollegiums“ und darauf, dass „der Aufsichtsrat als solcher der Gesellschaft […] verhaftet bleiben muss“.1153 Entgegen dem ersten Anschein wird hier indes nicht eine Organhaftung vertreten. Die Ver1149
Vgl. Staub, HGB 1897, 7. Aufl. 1900, § 249 Anm. 3. Siehe ausführlich oben, S. 254. 1151 Siehe ROHG-Gutachten, S. 100, abgedruckt bei Schubert/Hommelhoff, Hundert Jahre modernes Aktienrecht, S. 157, 229; vgl. auch die entsprechenden Ausführungen oben, S. 256 f. 1152 Siehe die Anm. bei Staub, HGB 1897, 11. Aufl. 1912, § 249. 1153 Stier-Somlo, Der Aufsichtsrat der Aktiengesellschaft, S. 64 f. 1150
A. Die Innenhaftung der Aufsichtsratsmitglieder
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antwortlichkeit des Gesamtkollegiums meint in diesem Zusammenhang eine persönliche Verantwortlichkeit aller Organmitglieder zu gleichen Teilen, im Gegensatz zu einer in der Literatur vorgeschlagenen Begrenzung der Haftung der Mitglieder1154 auf die ihnen individuell übertragenen Aufgaben.1155 Eine Haftung des Kollegialorgans als primäres Haftungssubjekt war, soweit ersichtlich, zu keinem Zeitpunkt Gegenstand der Reformdiskussion. ff) Aktienrechtsreformen 1937 und 1965 In den dreißiger Jahren des 20. Jahrhunderts kam es zu einer umfassenden Reform des deutschen Aktienrechts. Bereits im Jahr 1926 war infolge des 34. Deutschen Juristentags eine Kommission zur Prüfung einer Reform des Aktienrechts eingesetzt worden, die sich mit einer Novellierung des Aktienrechts befasste und im Jahr 1928 erste Gutachten zu grundsätzlichen Fragen der Neuregelung des Aktienrechts vorlegte.1156 Im Zuge der Diskussion um die Neufassung des Aktienrechts wurde im Sommer 1930 ein „Entwurf eines Gesetzes über Aktiengesellschaften und Kommanditgesellschaften auf Aktien“ veröffentlicht. Auf Grundlage dieses Entwurfs wurde – nach weiteren Umarbeitungen – im Oktober 1931 eine Kabinettsvorlage erarbeitet. Aufgrund der wirtschaftlichen und politisch schwierigen Lage durch die Bankenkrise 1931 und insbesondere die Machtergreifung der Nationalsozialisten wurde der Entwurf jedoch als überholt und mit dem Geiste des Nationalsozialismus als nicht vereinbar angesehen;1157 der Entwurf wurde nie Gesetz.1158 Stattdessen kam es in der Folge nur zu kleineren Änderungen des im HGB 1897 geregelten Aktiengesetzes durch Notverordnungen des Reichspräsidenten.1159 Das Reichsjustizministerium übertrug daraufhin 1933 die Aufgabe der Reformierung des Aktienrechts an den Ausschuss für Aktienrecht der Akademie für Deutsches Recht.1160 In den folgenden Jahren erarbeitete die Akademie Vorschläge für ein neues Aktiengesetz,1161 das schließlich am 30. Januar 1937 als Gesetz über Aktiengesellschaften 1154
Warschauer, Die Reorganisation des Aufsichtsratswesens in Deutschland, S. 35. Vgl. Stier-Somlo, Der Aufsichtsrat der Aktiengesellschaft, S. 65: „Diesem Vorschlage kann aber nur insofern zugestimmt werden, als eine solche Regelung der Haftbarkeit nur für die Aufsichtsräte unter sich zulässig erscheint, während der Aufsichtsrat nach außen, insbesondere gegenüber der Generalversammlung als Kollegium solidarisch haftbar zu bleiben hat“. 1156 Vgl. Schubert, in: Schubert/Hommelhoff/Schilling, Die Aktienrechtsreform am Ende der Weimarer Republik, S. 9, 28 f. 1157 Schubert, in: Schubert/Schmid/Regge, Akademie für Deutsches Recht 1933 - 1945, Protokolle der Ausschüsse, S. XXV, XXVI m.w.N. 1158 Teichmann, AktG 1939, 2. Aufl. 1939, Einl., S. 1. 1159 Siehe beispielsweise die Verordnung über Aktienrecht, Bankenaufsicht und über eine Steueramnestie vom 19. 09. 1931, RGBl. I, S. 493 ff. 1160 Bayer/Engelke, in: Bayer/Habersack, Aktienrecht im Wandel, S. 619, 624. 1161 Siehe hierzu im Einzelnen Bayer/Engelke, in: Bayer/Habersack, Aktienrecht im Wandel, S. 619, 625 ff; Schubert, in: Schubert/Schmid/Regge, Akademie für Deutsches Recht 1933 - 1945, Protokolle der Ausschüsse, S. XXV, XXVI m.w.N.; Schubert, in: Schubert/ 1155
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2. Teil: Folgen von Pflichtverletzungen
und Kommanditgesellschaften auf Aktien1162 (Aktiengesetz 1937) erlassen wurde und die §§ 278 – 334 des HGB 1897 ersetze. Das Gesetz trat am 1. Oktober 1937 in Kraft. (1) Inhalt der Neufassung Hinsichtlich der Haftung der Aufsichtsratsmitglieder sah das Aktiengesetz 1937 eine erhebliche Änderung zum bis dahin bestehenden § 249 HGB 1897 vor: Die Vorschrift wurde gänzlich gestrichen; stattdessen führte der Gesetzgeber § 99 AktG 1937 ein, der ausweislich seiner amtlichen Überschrift die Sorgfalt und Verantwortlichkeit der Aufsichtsratsmitglieder regelte: „Für die Sorgfaltspflicht und Verantwortlichkeit der Aufsichtsratsmitglieder gilt § 84 über die Sorgfaltspflicht und Verantwortlichkeit der Vorstandsmitglieder sinngemäß.“
Die Vorschrift unterschied sich damit erheblich von dem zweiten Entwurf eines Gesetzes über Aktiengesellschaften und Kommanditgesellschaften auf Aktien aus dem Oktober 19311163 (AktG-E 1937). Der dortige Vorschlag für § 85 AktG–E 1931, der die Haftung und Verantwortlichkeit der Aufsichtsratsmitglieder regeln sollte, jedoch niemals Gesetz wurde, war angelehnt an die Vorgängervorschrift des § 249 HGB 1897 und regelte eigenständig die Haftung der Aufsichtsratsmitglieder: „(1) Die Mitglieder des Aufsichtsrats haben bei der Erfüllung ihrer Obliegenheiten die Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmanns anzuwenden. Sie sind verpflichtet, über vertrauliche Angaben Stillschweigen zu bewahren. (2) Mitglieder, die ihre Obliegenheiten verletzen, haften der Gesellschaft als Gesamtschuldner für den daraus entstehenden Schaden; die gesamtschuldnerische Haftung erstreckt sich auch auf etwa verantwortliche Mitglieder des Vorstandes. (3) Insbesondere sind sie zum Ersatz verpflichtet, wenn sie die im § 73 Abs. 3 bezeichneten Handlungen vorsätzlich oder fahrlässig nicht verhindern. Auf die Geltendmachung des Ersatzanspruchs finden die Vorschriften des § 73 Abs. 4 Anwendungen. (4) Die Ansprüche aus diesen Vorschriften verjähren in fünf Jahren.“
Im Gegensatz zur Gesetz gewordenen Vorschrift sah § 85 AktG-E 1931 damit explizit eine Ersatzpflicht der Aufsichtsratsmitglieder bei Verletzung der übertragenen Pflichten bzw. Obliegenheiten vor. § 99 AktG 1937, der bis auf kleinere Änderungen heute fast unverändert als § 116 AktG fortgilt, enthielt weder Regelungen zu Haftung oder Sorgfaltsmaßstab, sondern verwies lediglich auf die Vorschrift des § 84 AktG 1937, der die Vorstandsverantwortlichkeit und -sorgfaltspflicht regelte. Der Gesetzgeber bezweckte damit offenbar, die Regelungen über die Verantwortlichkeit von Vorstand und Aufsichtsrat möglichst weit anzugleichen, um eine Schmid/Regge, Akademie für Deutsches Recht 1933 – 1945, Protokolle der Ausschüsse, S. XL ff. 1162 RGBl. I, S. 107 ff. 1163 Abgedruckt bei Schubert/Hommelhoff/Schilling, Die Aktienrechtsreform am Ende der Weimarer Republik, S. 849 ff.
A. Die Innenhaftung der Aufsichtsratsmitglieder
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unterschiedliche haftungsrechtliche Behandlung der Gesellschaftsorgane zu vermeiden.1164 (2) Keine Haftungsregelung in § 99 AktG 1937? Aufgrund des Wortlauts der Norm ließe sich möglicherweise argumentieren, dass § 99 AktG 1937 die Haftung der Aufsichtsratsmitglieder nicht regelte und keine eigene Anspruchsgrundlage für eine Haftung der Organmitglieder darstellte, sondern nur zur Bestimmung des Sorgfaltsmaßstabs auf die Vorschriften der Vorstandsverantwortlichkeit verwies, während sich eine Haftung aus allgemeinen Grundsätzen ergab. Ausweislich des Gesetzeswortlauts sind die Vorschriften des § 84 AktG 1937 über den Vorstand lediglich hinsichtlich der Sorgfaltspflicht und Verantwortlichkeit auf die Aufsichtsratsmitglieder anzuwenden. Unter Betrachtung der historischen Entwicklung der Aufsichtsratshaftung lässt sich streiten, dass die Begriffe Sorgfaltspflicht und Verantwortlichkeit jedenfalls für den Bereich der Aufsichtsratshaftung weitgehend synonym verwendet wurden. Der Gesetzgeber des HGB 1884 bezweckte ausweislich der Gesetzesbegründung durch die Regelung einer einheitlichen Verantwortlichkeit im Aktiengesetz (während die Anspruchsgrundlagen aus den unterschiedlichen Zivilgesetzen folgten) die Normierung eines einheitlichen Sorgfaltsmaßstabs.1165 Wenn der historische Gesetzgeber des HGB 1884 nun davon ausging, die Angleichung des Sorgfaltsmaßstabs führe zu einer Vereinheitlichung von Verantwortlichkeit, obgleich die Anspruchsgrundlagen des Ersatzanspruchs nicht vereinheitlicht wurden, so könnte argumentiert werden, dass die Begriffe Sorgfaltspflicht und Verantwortlichkeit vom Gesetzgeber des ADHGB 1884 synonym verwendet wurden. Für eine Angleichung der Haftung wäre eine Änderung bzw. Angleichung der landesrechtlichen Vorschriften erforderlich gewesen. In Konsequenz dieser Überlegung ließe sich streiten, dass Verantwortlichkeit im Sinne des AktG ausschließlich im Sinne der Festlegung einer Sorgfaltspflicht und nicht im Sinne von Haftung zu verstehen ist. Diese Auslegung wird auch dadurch getragen, dass die amtliche Überschrift des (freilich nicht Gesetz gewordenen) § 85 AktGE 1931 (ebenso wie bei § 73 AktG-E 1931, der die Vorstandshaftung regeln sollte) „Sorgfaltspflicht und Haftung“ und nicht „Sorgfaltspflicht und Verantwortlichkeit“ lautete. Außerdem statuierten sowohl § 85 als auch § 99 AktG-E 1931 ausdrücklich eine Haftung der Organmitglieder.1166 Die Entwurfsverfasser des AktG-E 1931 haben damit eine klare und eindeutige Regelung über die Haftung der Mitglieder von 1164 Siehe auch zu den ideologischen Hintergründen und der Umstellung auf das Führerprinzip die Darstellungen bei Thiessen, AG 2013, S. 573, 574 f m.w.N. 1165 Vgl. nur die Begründung des Entwurfs eines Gesetzes betreffend die KGaA und AG (1884), § 12 Nr. 4, abgedruckt bei Schubert/Hommelhoff, Hundert Jahre modernes Aktienrecht, S. 462, wo von einer einheitlichen Regelung der Verantwortlichkeit durch die Festlegung eines einheitlichen Sorgfaltsmaßstabs ausgegangen wird. 1166 § 73 Abs. 2 und § 84 Abs. 2 AktG-E 1937 lauten wortgleich: „Mitglieder, die ihre Obliegenheiten verletzen, haften der Gesellschaft als Gesamtschuldner für den daraus entstandenen Schaden“.
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2. Teil: Folgen von Pflichtverletzungen
Vorstand und Aufsichtsrat getroffen. Der die Aufsichtsratshaftung regelnde und Gesetz gewordene § 99 AktG 1937 hingegen verwendet (wie oben ausgeführt) in der amtlichen Überschrift, wie auch im Gesetzestext selbst, die von der Entwurfsfassung abweichende Begrifflichkeit „Sorgfaltspflicht und Verantwortlichkeit“.1167 Auch wenn nach Ansicht des Reichsjustizministeriums der Entwurf von 1931 bereits bei den Beratungen für das AktG 1937 als nicht mehr zeitgemäß anzusehen war, wurden die Entwurfsvorschläge von 1931 bei den Beratungen über das Aktiengesetz 1937 dennoch diskutiert und den Beratungen zugrunde gelegt.1168 Weshalb für das AktG 1937 nun von Verantwortlichkeit statt von Haftung gesprochen wird, ist aus den Protokollen und Berichten nicht ersichtlich.1169 Auch die Amtliche Begründung zum Aktiengesetz 1937 zu § 99 gibt hierüber keinen Aufschluss, sondern verweist auf die „sinngemäße“ Geltung der Vorschriften über die Sorgfaltspflicht und Verantwortlichkeit der Vorstandsmitglieder.1170 Die Literatur hat die Änderung der Terminologie nicht zur Kenntnis genommen, jedenfalls aber nicht thematisiert.1171 Fraglich ist aber, ob die divergierende Terminologie tatsächlich auf eine andere Bedeutung der Vorschrift im Vergleich zum AktG-E 1931 und zum HGB 1897 hindeutet. Das Gesetz spricht auch in anderen Teilen des Aktiengesetzesentwurfs von 1931 von einer „Verantwortlichkeit“ (vgl. nur §§ 39, 40, 41, 42 AktG-E 1937). Ausweislich der Gesetzesbegründung1172 und der systematischen Stellung dieser Vorschriften1173 war mit der Festlegung der Verantwortlichkeit entgegen der obigen Auslegung der Gesetzesbegründung des Aktiengesetzes 1884 nicht die Normierung eines Sorgfaltsmaßstabs, sondern einer haftungsrechtlichen Verantwortung beabsichtigt. Aus diesen systematischen Erwägungen und aus dem Sinn und Zweck der Vorschriften ergibt sich, dass „Verantwortlichkeit“ im Sinne von § 84 und § 99 AktG 1937 im Sinne von Haftung zu verstehen ist1174 und, entgegen der Bedeutung im ADHGB und HGB, nicht mit dem Verständnis als Sorgfaltsmaßstab gleichzu1167 „Die Sorgfaltspflicht und Verantwortlichkeit des Aufsichtsrats (§ 99) entspricht der des Vorstands nach § 84“, vgl. Amtliche Begründung des Gesetzes über Aktiengesellschaften und Kommanditgesellschaften auf Aktien (Aktiengesetz) 1937, abgedruckt bei Klausing, Gesetz über Aktiengesellschaften und Kommanditgesellschaften auf Aktien (RegE), S. 84. 1168 Bayer/Engelke, in: Bayer/Habersack, Aktienrecht im Wandel, S. 619, 624, dort insb. Fn. 7. 1169 Vgl. die umfangreichen Berichte und Protokolle, abgedruckt bei Schubert/Schmid/ Regge, Akademie für Deutsches Recht 1933 - 1945, Protokolle der Ausschüsse, S. 1 ff. 1170 Amtliche Begründung des Gesetzes über Aktiengesellschaften und Kommanditgesellschaften auf Aktien, § 99, abgedruckt bei Klausing, Gesetz über Aktiengesellschaften und Kommanditgesellschaften auf Aktien (RegE), S. 84. 1171 Vgl. nur Ritter, AktG 1937, 2. Aufl. 1939, § 99 Anm. 2; Großkommentar, AktG 1939, 3. Aufl. 1939, § 99 Rdnr. 2. 1172 Siehe die Amtliche Begründung des Gesetzes über Aktiengesellschaften und Kommanditgesellschaften auf Aktien, §§ 39 – 42, abgedruckt bei Klausing, Gesetz über Aktiengesellschaften und Kommanditgesellschaften auf Aktien (RegE), S. 37. 1173 Vgl. den Wortlaut bei § 43 AktG-E 1937, der ausdrücklich von einer Haftung spricht. 1174 So auch Schlegelberger, AktG 1937, 3. Aufl. 1939, § 99 Rdnr. 3.
A. Die Innenhaftung der Aufsichtsratsmitglieder
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setzen ist.1175 Der Wortlaut der Vorschrift im Vergleich zum Aktiengesetzentwurf 1931 ist vor dem Hintergrund der Entwicklungsgeschichte als sprachliche Ungenauigkeit des Gesetzgebers zu beurteilen, ohne dass der Abweichung eine gesonderte Bedeutung zukäme. Damit ist die Haftung der Aufsichtsratsmitglieder seit dem Aktiengesetz 1937 entsprechend zur Haftung der Vorstandsmitglieder ausgestaltet. Eine gesonderte Ersatzpflicht, wie sie noch das HGB 1897 für bestimmte Fälle der Verminderung des Gesellschaftsvermögens vorsah, die neben einen Schadensersatz treten konnte, kennt das Aktiengesetz seit 1937 nicht mehr. Ausweislich der amtlichen Überschrift und dem Wortlaut der Vorschrift wurde an einer Haftung der Aufsichtsratsmitglieder festgehalten; eine Organpflicht wurde nicht vorgesehen und war auch, soweit ersichtlich, nicht Gegenstand der Beratungen.1176 Die Vorschrift des § 99 AktG 1937 wurde im Zuge der Aktienrechtsnovelle 19651177 inhaltlich unverändert in den heutigen § 116 AktG überführt1178 und hat seitdem nur kleine Ergänzungen erfahren. Die grundsätzliche Ausgestaltung der entsprechenden Anwendung der Vorschriften über die Vorstandsmitglieder ist beibehalten worden. gg) Zwischenergebnis Die Haftung der Aufsichtsratsmitglieder blieb ursprünglich hinter der Haftung der Vorstandsmitglieder zurück; erst 1870 wurde sie im ADHGB geregelt bzw. eine (der Verpflichtung des Vorstands entsprechende) besondere Ersatzpflicht statuiert. Die Haftung für allgemeine Pflichtverletzung der Aufsichtsratsmitglieder richtete sich zunächst nicht nach den aktienrechtlichen Vorschriften des ADHGB, sondern nach den (entsprechend) anzuwendenden Vorschriften unter anderem des Auftragsrecht aus dem Gemeinen Recht, dem Code Civil und dem Allgemeinen Preußischen Landrecht. Zur Schaffung einer einheitlichen Haftung trotz dieser unterschiedlichen Gesetze, die in Abhängigkeit von der Region parallel im Deutschen Reich galten, führte der Gesetzgeber im ADHGB 1884 erstmals einen einheitlichen Sorgfaltsmaßstab ein, wobei die Anspruchsgrundlagen sich weiterhin nach den regionalen Gesetzen richteten. Im HGB 1897 schließlich wurde die Haftung des Aufsichtsrats erstmals ausdrücklich, ausschließlich und abschließend im Aktienrecht geregelt (Art. 249 HGB 1897). Diese Vorschrift wurde dann im Jahr 1937 durch § 99 AktG ersetzt, der hinsichtlich der Sorgfaltspflicht und des Haftungsmaßstabs auf die Vorstandshaftung verwies, sodass seitdem eine parallele Ausgestaltung der Verantwortlichkeit besteht. 1175
Siehe zur historischen Auslegung oben, S. 256 ff. Vgl. die Protokolle des Ausschuss für Aktienrecht der Akademie für Deutsches Recht, abgedruckt bei Klausing, Gesetz über Aktiengesellschaften und Kommanditgesellschaften auf Aktien (RegE), S. 1 ff. 1177 Aktiengesetz vom 6. September 1965, BGBl. I, S. 1089. 1178 Vgl. den kurzen Hinweis in der Begründung zu § 112 im RegE eines Aktiengesetzes vom 3. Februar 1962, BT-Drs. 4/171, S. 145. 1176
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2. Teil: Folgen von Pflichtverletzungen
Aus der Entstehungsgeschichte wird ersichtlich, dass der (historische) Gesetzgeber stets von einer individuellen Haftung der Mitglieder des Aufsichtsrats für eigene Pflichtverletzungen, und nicht einer Haftung des Gesamtorgans ausgegangen ist. Dies wird insbesondere aus der Entstehung der Haftungsvorschriften aus dem französischen Aktienrecht und dem Auftragsrecht (Mandat) deutlich: Die analoge Anwendung der Vorschriften über das Auftragsrecht war nur deshalb möglich, weil jedes Aufsichtsratsmitglied individuell als Mandatar angesehen wurde und für die eigene Pflichtverletzung einstehen musste. Auch im französischen Recht fand sich eine solche Betonung der persönlichen Haftung der Aufsichtsratsmitglieder wieder: Die vom Conseil d’Etat vorgeschlagene Änderung der Formulierung von « les membres » für das Loi du 17 Julliet 1856 Relative aux Sociétés en Commandite par Actions in « tout membres » (in späteren Fassungen « chaque membre ») sollte deutlich hervorheben, dass gerade nicht das Kollegialorgan, sondern seine jeweiligen Mitglieder zum Ersatz verpflichtet sein sollten. Auch wenn die Pflichten dem Gesamtorgan zugeordnet sind und waren, hat der historische Normgeber keinen Zweifel daran gelassen, dass gerade jedes einzelne Mitglied, und nicht das Organ, für die Verletzung seiner Pflichten einstehen sollte.1179 Eine kollegialorganschaftliche Haftung des Organs jedenfalls anstelle einer Mitgliederhaftung würde damit eindeutig gegen die historischen Grundlagen der Aufsichtsratshaftung verstoßen. Aus der historischen Normanalyse ergibt sich außerdem, dass § 116 Satz 1 AktG, entgegen einer anderslautenden Ansicht,1180 die Haftung der einzelnen Mitglieder des Aufsichtsrats gegenüber der Gesellschaft regelt. Zwar ist die Vorschrift – insbesondere vor dem Hintergrund der historischen Entwicklung der Norm – unglücklich formuliert. Es rechtfertigt sich allerdings nicht, aus diesem Grund eine primäre Mitgliederhaftung generell abzulehnen und die Norm als Vorschrift über die Sorgfaltspflichten der Aufsichtsratsmitglieder im Innenverhältnis anzusehen.1181 Zur Vermeidung weiterer Rechtsunsicherheit ist anzuregen, die Bestimmung des § 93 AktG und § 116 AktG dahingehend klarstellend zu ändern, dass der Begriff „Verantwortlichkeit“ durch den Begriff „Haftung“ oder „haftungsrechtliche Verantwortlichkeit“ ersetzt wird. So würde klargestellt, dass der Begriff der Verantwortlichkeit in § 116 AktG nicht mit dem Begriff der Sorgfaltspflicht gleichzusetzen ist. b) Wortlaut Fraglich ist, welche Bedeutung der Vorschrift des § 116 AktG dem Wortlaut nach zukommt. Dabei ist insbesondere zu untersuchen, ob der Wortlaut der Vorschrift eine Auslegung dahingehend zulässt, dass § 116 AktG eine eigenständige Anspruchs1179 „Mit der Präzisierung der Pflichten des Aufsichtsraths muß eine Bestimmung der Verantwortlichkeit seiner Mitglieder eintreten“, Begründung des Entwurfs eines Gesetzes betreffend die KGaA und AG (1884), § 12 Nr. 4, abgedruckt bei Schubert/Hommelhoff, Hundert Jahre modernes Aktienrecht, S. 461. 1180 Szalai/Marz, DStR 2010, S. 809. 1181 Szalai/Marz, DStR 2010, S. 809, 813.
A. Die Innenhaftung der Aufsichtsratsmitglieder
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grundlage der Aktiengesellschaft gegen ihre Mitglieder darstellt oder ob die Vorschrift so zu verstehen ist, dass sie ausschließlich einen einheitlichen Sorgfaltsmaßstab normiert und keine Aussagen hinsichtlich der haftungsrechtlichen Verantwortlichkeit der Aufsichtsratsmitglieder trifft; in letzterem Fall bestünde keine allgemeine Haftungsvorschrift der Aufsichtsratsmitglieder für eigene Pflichtverletzungen. Diese Ansicht ließe sich aus systematischer Sicht dadurch bestärken, dass das Aktiengesetz eine Reihe verschiedener, spezieller Haftungsvorschriften für die Aufsichtsratsmitglieder vorsieht und möglicherweise eine allgemeine Haftung für Pflichtverletzungen gar nicht erforderlich wäre (siehe nur §§ 48, 117 Abs. 2; 318 AktG). Teilweise wird auch vertreten, die Norm setze implizit eine Haftung des Kollegialorgans voraus.1182 § 116 Satz 1 AktG verweist hinsichtlich der „Sorgfaltspflicht und Verantwortlichkeit der Aufsichtsratsmitglieder“ auf die sinngemäße Geltung von § 93 AktG. Die Norm selbst enthält indes keine nähere Bestimmung über eine Haftung der Aufsichtsratsmitglieder, sodass sie selbst nicht unmittelbar als Anspruchsgrundlage herangezogen werden kann. Dazu fehlt es schlicht an einer entsprechenden Regelung. Eine Haftung der Aufsichtsratsmitglieder wäre demnach nur aus § 116 Satz 1 i.V.m. § 93 AktG möglich. In diesem Zusammenhang ist zu klären, welche Bedeutung den Begrifflichkeiten Sorgfaltspflicht und Verantwortlichkeit beigemessen werden kann. Fraglich ist dabei insbesondere, ob die Norm dem Wortlaut nach eine Haftung überhaupt regelt. Ist dies der Fall, so ist auf einer zweiten Stufe zu klären, ob der Verweis auf § 93 AktG eine Haftung tatsächlich zu begründen vermag. Der Gesetzgeber spricht in der amtlichen Überschrift von § 116 AktG wie auch in § 116 Satz 1 AktG ausschließlich von der „Sorgfaltspflicht und Verantwortlichkeit“ der Aufsichtsratsmitglieder, ohne ausdrücklich eine Aussage über eine Haftung zu treffen. Demgegenüber wird in § 116 Satz 3 AktG für bestimmte Fälle eine Ersatzpflicht ausdrücklich angeordnet. Insofern wird bisweilen vertreten, der Wortlaut des § 116 Satz 1 AktG sei so zu verstehen, dass die Norm keine Haftung, sondern vielmehr einen einheitlichen Sorgfaltsmaßstab für die Organmitglieder festlegt.1183 Es gilt festzustellen, ob eine solche Auslegung mit dem Wortsinn der Norm vereinbar ist. aa) Sorgfaltspflicht Der Begriff „Sorgfaltspflicht“ meint die Normierung eines einheitlichen Sorgfaltsmaßstabs, den die Aufsichtsratsmitglieder bei Erfüllung der ihnen übertragenen Aufgaben anzuwenden haben.1184 Die Vorschrift normiert damit einen einheitlichen Maßstab für das Verhalten der Organmitglieder. Dieses Normverständnis deckt sich auch mit der historischen Analyse, wonach durch die Vorgängervorschrift des § 116 1182
Szalai/Marz, DStR 2010, S. 809, 811. Szalai/Marz, DStR 2010, S. 809, 811. 1184 Habersack, in: Münchener Kommentar AktG, § 116 Rdnr. 16; zur Wortbedeutung vgl. auch Scholze-Stubenrecht, Duden, S. 3610. 1183
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2. Teil: Folgen von Pflichtverletzungen
AktG erstmals ein einheitlicher Sorgfaltsmaßstab der Aufsichtsratsmitglieder normiert werden sollte. Die Anspruchsgrundlage für die Haftung der Organmitglieder gegenüber der Gesellschaft folgte aus den je nach Region geltenden Landesgesetzen.1185 bb) Verantwortlichkeit Fraglich ist, ob mit der Regelung der „Verantwortlichkeit“ i.S.v. § 116 Satz 1 AktG erneut die Normierung eines einheitlichen Sorgfaltsmaßstabs gemeint ist, oder aber ob darin die Normierung einer haftungsrechtlichen Verantwortlichkeit im Sinne eines Anspruchs der Gesellschaft gegen die Aufsichtsratsmitglieder zu verstehen ist. (1) Der Begriff der Verantwortlichkeit im allgemeinen und juristischen Sprachgebrauch Im allgemeinen Sprachgebrauch wird der Begriff der Verantwortlichkeit einerseits verstanden als „Zurechnungsfähigkeit, Schuld“.1186 Andererseits kommt dem Begriff auch die Bedeutung zu, „für einen entstandenen materiellen Schaden aufzukommen“.1187 Im Rechtsinne wird Verantwortlichkeit definiert als „Einstehenmüssen“, welches durch Schadensersatzpflichten gesichert und durchgesetzt wird.1188 Folgt man nun der Einordnung der Begrifflichkeit als „Zurechnungsfähigkeit“, so liegt es nahe, die Normierung der Verantwortlichkeit in § 116 Satz 1 AktG als Ergänzung zur Anordnung eines einheitlichen Sorgfaltsmaßstabs und somit als einheitlichen Pflichtenkanon zu verstehen, was auch durch die Verwendung des Begriffs als Synonym für die Begrifflichkeiten „Pflichtbewusstsein“ und „Moral“ bestätigt wird.1189 Dies würde einer Auslegung, wonach § 116 Satz 1 AktG (auch i.V.m. § 93 AktG) als Anspruchsgrundlage der Aktiengesellschaft gegen die Aufsichtsratsmitglieder verstanden wird, entgegenstehen. Etwas anderes ergibt sich freilich dann, wenn eine Auslegung im Sinne eines „Einstehenmüssens“ in Betracht kommt. (2) Wortlautvergleich § 116 Satz 3 und § 93 AktG Vergleicht man den Wortlaut von § 116 Satz 1 AktG mit § 116 Satz 3 AktG, so fällt auf, dass in Satz 3 der Norm ausdrücklich von einer Ersatzpflicht gesprochen wird, während dies bei Satz 1 AktG nicht der Fall ist. Es hätte insofern eine eindeutigere Möglichkeit für den Gesetzgeber zur Verfügung gestanden, eine Haftung der Aufsichtsratsmitglieder zu normieren, weshalb sich bei einem Vergleich der 1185
Siehe hierzu im Einzelnen oben, S. 254 f. Krämer/Wahrig/Zimmermann, Brockhaus: Deutsches Wörterbuch, S. 467 re. Sp. 1187 Klappenbach/Steinitz/Malige-Klappenbach/Kempcke, Wörterbuch der deutschen Gegenwartssprache, S. 4019. 1188 Tilch, Deutsches Rechts-Lexikon, S. 878 re. Sp. 1189 Bibliographisches Institut GmbH, Duden online, http://www.duden.de/rechtschreibung/ Verantwortlichkeit. 1186
A. Die Innenhaftung der Aufsichtsratsmitglieder
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Wortwahl der beiden Sätze streiten lässt, dass Verantwortlichkeit bei § 116 Satz 1 AktG nicht im Sinne einer haftungsrechtlichen Verantwortlichkeit zu verstehen ist. Dagegen ist jedoch anzuführen, dass der Nennung der Begrifflichkeit Verantwortlichkeit neben der Sorgfaltspflicht in § 116 Satz 1 AktG nur dann eine eigene Bedeutung zukommt, wenn Verantwortlichkeit im Sinne einer haftungsrechtlichen Einstandspflicht verstanden wird. Anderenfalls hätte der Gesetzgeber durch zwei verschiedene Begriffe (Sorgfaltspflicht und Verantwortlichkeit) lediglich eine Tautologie gebildet, nämlich mit zwei unterschiedlichen Begriffen einen identischen Inhalt geregelt. Dass der Gesetzgeber eine solche Dopplung hat vornehmen wollen, liegt eher fern. Gegen ein solches Verständnis spricht ferner, dass § 116 Satz 1 AktG auf § 93 AktG verweist, der ausweislich der amtlichen Überschrift die Sorgfaltspflicht und Verantwortlichkeit der Vorstandsmitglieder regelt. § 93 Abs. 1 AktG trifft eine Regelung hinsichtlich des Sorgfaltsmaßstabs, den die Vorstandsmitglieder bei der Bestimmung eigener Pflichten anzuwenden haben, während in § 93 Abs. 2 AktG die Voraussetzungen einer Haftung der Vorstandsmitglieder gegenüber der Gesellschaft normiert sind; die übrigen Absätze befassen sich mit dem Ausschluss bzw. der Geltendmachung der Ersatzansprüche. Wenn § 93 AktG ausweislich der amtlichen Überschrift die Sorgfaltspflicht und Verantwortlichkeit der Vorstandsmitglieder regelt und die Norm sowohl einen einheitlichen Sorgfaltsmaßstab wie auch eine haftungsrechtliche Einstandspflicht der Vorstandsmitglieder regelt, so spricht viel dafür, dass der Gesetzgeber in der amtlichen Überschrift beide Fälle hat erfassen und nicht bloß eine tautologische Inhaltshäufung hat schaffen wollen. Übertragen auf § 116 Satz 1 AktG bedeutet dies, dass „Verantwortlichkeit“ in Zusammenschau mit den Vorschriften über die Vorstandsmitglieder (§ 93 AktG) als Regelung einer haftungsrechtlichen Einstandspflicht verstanden werden muss. Ein solches Verständnis wird auch dadurch gestützt, dass § 116 Satz 1 AktG insbesondere auch auf § 93 Abs. 2 Satz 1 AktG verweist, der die Vorstandshaftung normiert. Wäre ein solcher Verweis nicht gewollt, so hätte der Gesetzgeber dies im Wege eines Ausschlusses (wie auch bei § 116 Satz 1 AktG für § 93 Abs. 2 Satz 3 AktG) klargestellt. Wird also in § 116 Satz 1 AktG eine entsprechende Anwendung von § 93 AktG hinsichtlich der Sorgfaltspflicht und Verantwortlichkeit auf die Mitglieder des Aufsichtsrats angeordnet, so kann dies nur dahingehend verstanden werden, dass sich dieser Verweis insbesondere auch auf § 93 Abs. 2 Satz 1 AktG erstreckt und § 116 Satz 1 AktG insofern eine gesamtschuldnerische Haftung für die Mitglieder des Aufsichtsrats normiert, soweit diese jeweils eine Pflicht verletzt haben. Ergänzend kann als Auslegungshilfe auch die Intention des historischen Gesetzgebers herangezogen werden. Zwar kann Verantwortlichkeit im Sinne der Normierung einer allgemeinen Sorgfaltspflicht verstanden werden,1190 bei Einführung der (begriffsgleichen) Vorgängervorschrift des § 116 Satz 1 AktG beabsichtigte der Gesetzgeber mit Regelung der Verantwortlichkeit der Aufsichtsratsmitglieder 1190
Siehe oben, S. 265 ff.
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2. Teil: Folgen von Pflichtverletzungen
allerdings die Übertragung der allgemeinen Schadensersatzvorschriften der Vorstands- auf die Aufsichtsratsmitglieder.1191 (3) Zwischenergebnis Allein aus dem Wortlaut von § 116 Satz 1 AktG lässt sich nicht zweifelsfrei bestimmen, ob der Begriff der Verantwortlichkeit einen allgemeinen Sorgfaltsmaßstab normiert, oder ob hierdurch eine eigene Haftung begründet werden soll. Eine exakte Bestimmung der Bedeutung der Norm kann nur in Zusammenschau mit einem Vergleich gegenüber der Bedeutung bei § 93 AktG und einer historischen Auslegung erreicht werden. Hieraus ergibt sich, dass die Verantwortlichkeit bei § 116 Satz 1 AktG nicht einen einheitlichen Sorgfaltsmaßstab zu normieren sucht, sondern im Sinne einer haftungsrechtlichen Verantwortlichkeit zu verstehen ist und daher i.V.m. § 93 AktG eine Anspruchsgrundlage darstellt. cc) Ergebnis § 116 Satz 1 AktG regelt dem Wortlaut nach einerseits einen einheitlichen Sorgfaltsmaßstab für die Handlungen der Aufsichtsratsmitglieder, zum anderen soll eine haftungsrechtliche Verantwortlichkeit der Aufsichtsratsmitglieder für Pflichtverletzungen normiert werden. Indem die Norm ausdrücklich auch eine Verantwortlichkeit der Aufsichtsratsmitglieder anspricht, lässt sich entgegen einer Mindermeinung1192 nicht vertreten, dass sie eine Haftung des Aufsichtsrats als Organ implizit voraussetzt und lediglich einen Sorgfaltsmaßstab für das Innenverhältnis der Aufsichtsratsmitglieder regelt. Hinweise auf eine kollegialorganschaftliche Haftung finden sich bei § 116 AktG an keiner Stelle. Sowohl die amtliche Überschrift als auch die Norm selbst beziehen sich hinsichtlich der Sorgfaltspflicht und (haftungsrechtlichen) Verantwortlichkeit ausschließlich auf die Mitglieder und nicht auch auf das Organ. Während damit also eine kollegialorganschaftliche Haftung anstatt einer (unmittelbaren) persönlichen Mitgliederhaftung gegenüber der Aktiengesellschaft ausgeschlossen ist, trifft das Aktiengesetz dem Wortlaut nach in § 116 Satz 1 AktG keine Regelung hinsichtlich der haftungsrechtlichen Verantwortlichkeit des Kollegialorgans; insbesondere trifft das Gesetz keine Anordnung dahingehend, dass § 116 AktG als ausschließliche Haftungsvorschrift zu verstehen ist. Insofern ist nach dem Wortlaut nicht ausgeschlossen, dass neben einer individuellen haftungsrechtlichen Verantwortlichkeit der Mitglieder für eigene Pflichtverletzungen auch eine Haftung des Organs für die Verletzungen von Pflichten besteht, die diesem durch Gesetz zugewiesen sind. Für eine solche Haftung des Organs bedürfte es allerdings einer Erwähnung im Gesetz. Im Aktiengesetz findet sich jedoch weder explizit noch mittelbar eine entsprechende Haftungsanordnung, sodass eine primäre Organhaftung
1191 1192
Siehe ausführlich oben, S. 256 ff. Siehe Szalai/Marz, DStR 2010, S. 809, 811.
A. Die Innenhaftung der Aufsichtsratsmitglieder
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fernliegt. Es besteht ausschließlich eine Haftung der Organmitglieder für eigenes Verschulden. c) Systematik Fraglich ist, ob aus systematischer Sicht eine Haftung des Kollegialorgans Aufsichtsrats hergeleitet werden kann. Für eine kollegialorganschaftliche Haftung lässt sich aus systematischer Sicht streiten, dass eine Person oder ein Organ, die (oder das) eine Pflichtverletzung begeht, im Regelfall auch haftungsrechtlich für diese Pflichtverletzung einzustehen hat. Die gesetzliche Differenzierung in Organpflichten und Mitgliederpflichten könnte sich insofern in einer Unterscheidung der Haftung nach Organhaftung und Mitgliederhaftung fortsetzen: Dort, wo das Mitglied verpflichtet wird, müsste dieses auch haftungsrechtlich für die Erfüllung dieser Pflicht einstehen. Umgekehrt könnte dann, wenn das Organ verpflichtet wird, dieses auch haftungsrechtlich verantwortlich sein.1193 Außerdem könnte eine kollegialorganschaftliche Haftung des Aufsichtsrats möglicherweise nur dann eintreten, wenn auch der dem Aufsichtsrat strukturverwandte Vorstand als Organ haftet. Des Weiteren könnte angeführt werden, dass aus der Systematik der Vorschriften über die Haftung der Aufsichtsratsmitglieder für Pflichtverletzungen bei der Gesellschaftsgründung (§ 48 AktG) folgt, dass § 116 Satz 1 AktG nur die Sorgfaltspflicht der Aufsichtsratsmitglieder regelt, die Vorschrift mangels ausdrücklicher Haftungsanordnung nicht aber auch eine Haftung zu begründen vermag. aa) Begründung einer Organhaftung aus systematischem Vergleich zwischen § 116 Satz 3 und § 116 Satz 1 AktG? Argumente zugunsten einer Organhaftung können sich möglicherweise aus einem systematischen Vergleich zwischen § 116 Satz 3 AktG und § 116 Satz 1 AktG herleiten, da § 116 Satz 3 AktG ausdrücklich eine Ersatzverpflichtung statuiert, während eine entsprechende Regelung in § 116 Satz 1 AktG fehlt. Der durch das VorstAG1194 neu eingeführte § 116 Satz 3 lautet: „[Die Aufsichtsratsmitglieder] sind namentlich zum Ersatz verpflichtet, wenn sie eine unangemessene Vergütung festsetzen (§ 87 Absatz 1).“
Der Gesetzgeber hat damit eine unmittelbare Haftung der Aufsichtsratsmitglieder im Falle der Verletzung von Pflichten bei der Festsetzung der Vergütung der Vorstandsmitglieder (§ 87 Abs. 1 AktG) normiert. Dass der Gesetzgeber in § 116 Satz 3 AktG ausdrücklich eine Mitgliederhaftung für die Verletzung der Pflicht anordnet, ließe sich damit begründen, dass dies deshalb notwendig ist, weil § 116 Satz 1 AktG nicht ebenfalls eine Mitgliederhaftung anordnet, sondern von einer primären Organhaftung ausgeht. Regelte nämlich bereits § 116 Satz 1 AktG eine Mitgliederhaf1193
Szalai/Marz, DStR 2010, S. 809, 813. Gesetz zur Angemessenheit der Vorstandsvergütung (VorstAG) vom 31. 07. 2009, BGBl I, Nr. 50, S. 2509. 1194
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2. Teil: Folgen von Pflichtverletzungen
tung, so wären die Aufsichtsratsmitglieder der Gesellschaft bei Verletzung einer Pflicht i.S.v. § 87 Abs. 1 AktG bereits aus § 116 Satz 1 AktG zum Schadensersatz verpflichtet. Einer zusätzlichen Haftungsanordnung bedarf es dann nicht. Nimmt man hingegen an, dass § 116 Satz 1 AktG die Verantwortlichkeit der Mitglieder des Aufsichtsrats im Innenverhältnis regelt und im Übrigen eine primäre Haftung des Organs gegenüber der Gesellschaft besteht,1195 so kommt der Vorschrift eine eigenständige Bedeutung zu, da aufgrund der Vorschrift des § 116 Satz 3 AktG im Falle einer Verletzung der Pflichten aus § 87 Abs. 1 AktG die Mitglieder selbst und primär (anstelle des Organs) zum Ersatz verpflichtet wären. In der Literatur ist die Einfügung des neuen Satzes kritisiert worden, da ihm ein lediglich deklaratorischer Charakter zukomme.1196 Dies soll sich daraus ergeben, dass – wie gezeigt – eine Haftung der Organmitglieder für die Festsetzung einer unangemessenen Vergütung bereits aus § 116 Satz 1 i.V.m. § 93 AktG folgt. Fraglich ist aber, ob eine Bewertung, wonach § 116 Satz 3 AktG gegenüber § 116 Satz 1 AktG keine eigenständige Bedeutung zukommt, einer näheren Betrachtung standhalten kann. Auf den ersten Blick erscheint es zweifelhaft, dass der Gesetzgeber eine identische Haftung durch zwei verschiedene Anspruchsgrundlagen hat regeln wollen. Insofern ließe sich streiten, dass § 116 Satz 3 AktG ausdrücklich eine Mitgliederhaftung regelt, während § 116 Satz 1 i.V.m. § 93 AktG eine Haftung des Kollegialorgans anordnet. § 116 Satz 3 AktG würde dann ein eigenständiges Haftungskonzept für die Pflichtverletzung der Aufsichtsratsmitglieder bei der Festsetzung der Vorstandsvergütung regeln (§ 87 Abs. 1 AktG). Dagegen spricht jedoch bereits der Wortlaut von § 116 Satz 3 AktG, wonach die Ersatzpflicht der Aufsichtsratsmitglieder „namentlich“ bei Verletzung der Pflichten aus § 87 Abs. 1 AktG eintritt. Dieser Zusatz zeigt ausdrücklich, dass § 116 Satz 3 AktG keine von § 116 Satz 1 AktG abweichende Haftungskonstruktion zu begründen sucht, sondern lediglich einen gegenüber der allgemeinen Regelung des § 116 Satz 1 AktG ausdrücklich hervorgehobenen Fall darstellt.1197 Bedenken gegen eine Identität der grundsätzlichen Haftungsstruktur von § 116 Satz 1 AktG und § 116 Satz 3 AktG könnten sich aber daraus ergeben, dass § 116 Satz 3 AktG nicht von einer Schadensersatzpflicht, sondern von einer Ersatzpflicht spricht. Hieraus könnte sich eine andere Bewertung gegenüber der allgemeinen Haftung ergeben. Das Aktiengesetz unterschied bereits unter dem Regime des ADHGB zwischen einer schlichten Ersatzpflicht und einer Schadensersatzpflicht
1195
So Szalai/Marz, DStR 2010, S. 809, 811. Koch, in: Hüffer, AktG, § 116 Rdnr. 18; Drygala, in: Schmidt/Lutter, AktG, § 116 Rdnr. 51 ff; ähnlich auch Sailer-Coceani, in: Gesellschaftsrechtliche Vereinigung (VGR), Gesellschaftsrecht in der Diskussion 2009, S. 141, 143 f; siehe zuvor bereits Handelsrechtsausschuss des Deutschen Anwaltsvereins, NZG 2009, S. 612, kritisch auch Henssler, in: Henssler/Strohn, AktG, § 116 Rdnr. 10. 1197 Vgl. die Wortbedeutung „namentlich“ als „im Besonderen, hauptsächlich“ bei ScholzeStubenrecht, Duden – Die deutsche Rechtschreibung, S. 3371. 1196
A. Die Innenhaftung der Aufsichtsratsmitglieder
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von Aufsichtsratsmitgliedern der KGaA und Aktiengesellschaft.1198 Während bei der Schadensersatzpflicht zunächst neben einer (nachweisbaren) Pflichtverletzung ein Schaden der Gesellschaft vorliegen muss (dessen Bestimmung im Einzelfall erhebliche Schwierigkeiten bereiten kann),1199 bestimmt sich die Ersatzpflicht nicht nach einem Schaden, sondern verpflichtet zum Ersatz des entstandenen Fehlbetrags, der durch eine zu unterlassende Handlung entstanden ist.1200 Art. 226 ADHGB 1884 sah beispielweise eine Ersatzpflicht der Aufsichtsratsmitglieder der Aktiengesellschaft dann vor, wenn „[…] mit ihrem Wissen und ohne ihr Einschreiten entgegen den gesetzlichen Bestimmungen: 1. Einlagen an die Aktionäre zurückgezahlt; 2. Zinsen oder Dividenden gezahlt; 3. eigene Aktien oder Interimsscheine der Gesellschaft erworben, zum Pfande genommen oder amortisirt worden; 4. Aktien vor der vollen Leistung des Nominalbetrages oder des in den Fällen der Artikel 209a Ziffer 2, 215a Absatz 2 festgesetzten Betrages, oder Aktien oder Interimsscheine im Falle einer stattgefundenen Erhöhung des Grundkapitals vor Eintragung derselben in das Handelsregister desjenigen Gerichts, in dessen Bezirke die Gesellschaft ihren Sitz hat, ausgegeben sind; 5. die Vertheilung des Gesellschaftsvermögens, eine theilweise Zurückzahlung oder eine Herabsetzung des Grundkapitals oder im Falle des Artikels 215 Absatz 4 die Vereinigung der Vermögen der beiden Gesellschaften erfolgt ist.“
Der Gesetzgeber beabsichtigte mit dieser Aufzählung eine Verschärfung der Haftung der Aufsichtsratsmitglieder „in denjenigen Fällen, in denen es sich um eine wissentliche Duldung und folgeweise Förderung gesetzwidriger Verausgabung oder Verwendung von Grundkapital handelt“.1201 Auf die Frage, ob ein Schaden der Gesellschaft vorlag, kam es insofern gar nicht mehr an. Wendet man diese Differenzierung in Ersatz- und Schadensersatzpflicht auf § 116 Satz 3 AktG an, so hätte dies zur Folge, dass die Mitglieder des Aufsichtsrats bei Festlegung einer unangemessenen Vorstandsvergütung zum Ersatz desjenigen Betrages verpflichtet wären, 1198 Vgl. dazu die Unterscheidung in Art. 204 und Art. 225b ADHGB 1870 bzw. Art. 225b ADHGB 1870 gegenüber Art. 226 ADHGB 1884. Siehe dazu ausführlich oben und vergleiche die Ausführungen bei Puchelt, AktG 1870, 2. Aufl. 1876, Art. 225b Anm. 1 a.E., der auf diese Unterscheidung hinweist „[…] wobei übrigens zu beachten ist, daß der Eingang des Art. 225b zum Schadensersatze, jener des Art. 204 zur Erstattung der geleisteten Zahlungen verpflichtet“. 1199 Siehe zur Problematik der Schadensberechnung bei § 116 Satz 3 AktG: Drygala, in: Schmidt/Lutter, AktG, § 116 Rdnr. 52. 1200 „Die Mitglieder des Aufsichtsraths haften in den hier bezeichneten Fällen der Gesellschaft auf Ersatz des ihr rechtswidrig Entzogenen“, Makower, ADHGB 1861, Art. 226 Anm. 97 a) a.E.; siehe auch Wiener, Der Aktiengesetz-Entwurf, S. 99 f. 1201 Begründung des Entwurfs eines Gesetzes, betreffend die KGaA und AG (1884), § 12 Nr. 4 a), abgedruckt bei Schubert/Hommelhoff, Hundert Jahre modernes Aktienrecht, S. 463 li.Sp.
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2. Teil: Folgen von Pflichtverletzungen
der entsprechend der Wertung in § 87 Abs. 1 AktG einen angemessen Betrag übersteigt. Zwar ergeben sich, wie auch bei der Ermittlung eines Schadensersatzanspruchs, die größten Probleme bei der Bestimmung der (Un-)Angemessenheit der Vorstandsvergütung,1202 jedoch käme es auf das Vorliegen einer Pflichtverletzung und die Kausalitätsbestimmung der Pflichtverletzung bei einer reinen Ersatzpflicht nicht mehr an.1203 Insbesondere in solchen Fällen, in denen sich einzelne Aufsichtsratsmitglieder darauf berufen, dass eine Haftung deswegen ausscheidet, weil der Gesellschaft durch eine unangemessen hohe Vergütung kein Schaden entstanden sei, könnte die Ersatzpflicht eine Verschärfung gegenüber der Schadensersatzpflicht bedeuten.1204 Dies gilt umso mehr deshalb, weil § 116 Satz 3 AktG im Gegensatz zu beispielsweise Art. 204 oder Art. 226 ADHGB 1884 keine einschränkenden Haftungsvoraussetzungen aufstellt („mit Ihrem Wissen, ohne Ihr Einschreiten“, vgl. Art. 226 ADHGB 1884). Die Übertragung der Differenzierung in Ersatz- und Schadensersatzpflicht aus dem ADHGB auf § 116 Satz 1 bzw. Satz 3 AktG hätte zur Folge, dass beiden Sätzen eine eigenständige Bedeutung zukäme, ohne dass hierdurch ein von der herrschenden Ansicht abweichendes Haftungssystem entstünde. Ob diese Auslegung aber mit dem gesetzgeberischen Willen zu vereinbaren ist, ist fraglich. Der Gesetzgeber ging bei der Einführung von § 116 Satz 3 AktG davon aus, dass dieser Satz ohne eigenständige Bedeutung bliebe; er sollte lediglich die Bedeutung der Vorstandsvergütung als elementaren und wichtigen Teil der Verantwortlichkeit der Aufsichtsratsmitglieder besonders hervorheben.1205 Ursprünglich war vorgesehen, zusätzlich einen weiteren Satz als § 116 Satz 4 AktG einzufügen: „In diesem Fall ist der Mehrbetrag zu einer angemessenen Vergütung als Mindestschadensersatz zu erstatten.“ 1202 Zur Problematik beim Schadensersatz siehe Drygala, in: Schmidt/Lutter, AktG, § 116 Rdnr. 52. 1203 Damit scheidet dann auch die bei Gaul/Janz, NZA 2009, S. 809, 813 f besprochene Problematik der möglichen Anwendung der Business Judgement Rule aus. 1204 Die Angemessenheit der Vergütung kann denklogisch ausschließlich aus der ex ante Sicht bewertet werden und somit eine spätere, möglicherweise positive Entwicklung des Unternehmens nicht einschließen; die Entscheidung des Aufsichtsrats muss daher im Zeitpunkt der Festlegung der Vergütung vertretbar sein (ebenso Kort, in: Großkommentar AktG, § 87 Rdnr. 45; Spindler, in: Münchener Kommentar AktG, § 87 Rdnr. 72; a.A. Bundesregierung, vgl. BT-Drs. 16/7661, S. 2). Mitnichten führt damit das (erst ex ante vom Aufsichtsrat nicht berücksichtigte oder erkennbare) Fehlen eines Schadens auch zum Wegfall der Unangemessenheit der Vergütung (so aber Handelsrechtsausschuss des Deutschen Anwaltsvereins, NZG 2009, S. 612, 615 und Sailer-Coceani, in: Gesellschaftsrechtliche Vereinigung (VGR), Gesellschaftsrecht in der Diskussion 2009, S. 141, 144). Die Aufsichtsratsmitglieder könnten sich bei der Verteidigung gegen Schadensersatzansprüche der Gesellschaft wegen Verletzung der Pflicht aus § 87 Abs. 1 AktG aber möglicherweise darauf berufen, dass aus der ex ante Sicht ein Schaden der Gesellschaft zu erwarten war, dass aber die höhere Vergütung zu einer erhöhten Motivation und einem erhöhten Arbeitseinsatz der Vorstandsmitglieder führen werde, wodurch eine nachteilige Entwicklung der Gesellschaft verhindert werden könne. 1205 Vgl. den RegE zum VorstAG, BT-Drs. 16/12278, S. 6 re. Sp.
A. Die Innenhaftung der Aufsichtsratsmitglieder
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Hierdurch sollte klargestellt werden, dass die Berufung der Aufsichtsratsmitglieder auf eine positive Wirkung der unangemessen hohen Vergütung für die Entwicklung des Unternehmens ausgeschlossen ist.1206 Nach erheblicher Kritik der Literatur1207 wurde die Regelung im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens jedoch ersatzlos gestrichen, da anderenfalls die Schaffung eines dem deutschen Recht fremden Strafschadensersatzes drohe.1208 Vor diesem Hintergrund erscheint die oben vorgeschlagene Auslegung und Unterscheidung von Ersatz- und Schadensersatz zweifelhaft, da anderenfalls der Wille des Gesetzgebers, der einen „Mindestschadensersatz“ gerade nicht hatte regeln wollen, droht unterlaufen zu werden. Jedoch bleibt zu berücksichtigen, dass vor dem Hintergrund der trennscharfen Unterscheidung in Ersatz und Schadensersatz unter dem Regime des ADHGB bei der Vorgängervorschrift von § 116 AktG der Wortlaut auch unter der Geltung des heutigen Aktiengesetzes für eine Fortsetzung dieser Differenzierung spricht. Dagegen kann nicht angeführt werden, eine solche Ersatzpflicht sei deshalb hinfällig, weil es bereits an einer Unangemessenheit der Vergütung fehle, wenn diese im Ergebnis zu Vorteilen für die Gesellschaft geführt habe.1209 Da eine schadensunabhängige Ersatzpflicht für bestimmte Verfehlungen der Aufsichtsratsmitglieder über fast ein halbes Jahrhundert im deutschen Aktienrecht bestand,1210 kann eine Ersatzpflicht auch nicht als „systemwidriger Strafschadensersatz“1211 abgelehnt werden.1212 Der Gesetzgeber ist an dieser Stelle aufgefordert, Stellung zu beziehen und entweder seine ursprüngliche Intention auch in den Gesetzeswortlaut umzusetzen (dazu genügt die Ergänzung des Begriffs „Ersatz“ um die Vorschaltung von „Schadens“ in § 116 Satz 3 AktG), oder aber eine eindeutige Regelung dahingehend zu treffen, dass die Festsetzung einer unangemessen Vergütung i.S.v. § 87 Abs. 1 AktG zu einer Ersatzpflicht führt, die keinen Schadensersatz i.S. der allgemeinen Schadensersatzpflicht nach § 116 Satz 1 i.V.m. § 93 AktG darstellt. Die derzeitige Regelung bietet – auch unter Einbeziehung von § 93 Abs. 2 AktG, der den Ersatz des 1206
Vgl. BT-Drs. 16/12278, S. 6 re. Sp. Vgl. Handelsrechtsausschuss des Deutschen Anwaltsvereins, NZG 2009, S. 612, 615; Drygala, in: Schmidt/Lutter, AktG, § 116 Rdnr. 51. 1208 Vgl. die Beschlussempfehlung und den Bericht des Rechtsausschusses (6. Ausschuss) zum VorstAG, BT-Drs. 16/13433, S. 12 li. Sp.; so zuvor bereits die Kritik des Handelsrechtsausschuss des Deutschen Anwaltsvereins, NZG 2009, S. 612, 615. 1209 Ausführlich oben Fn. 1204, a.A. aber wohl Handelsrechtsausschuss des Deutschen Anwaltsvereins, NZG 2009, S. 612, 615; ebenso Sailer-Coceani, in: Gesellschaftsrechtliche Vereinigung (VGR), Gesellschaftsrecht in der Diskussion 2009, S. 141, 144. 1210 Die Ersatzpflicht findet sich erstmals in Art. 241 Abs. 2 ADHGB 1861, der bis zum Inkrafttreten des HGB 1897 fortbestand. 1211 So aber die Kritik des Handelsrechtsausschuss des Deutschen Anwaltsvereins, NZG 2009, S. 612, 615; zustimmend Drygala, in: Schmidt/Lutter, AktG, § 87 Rdnr. 52, der der Gesetzgeber schließlich folgte, vgl. die Begründung der Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses des deutschen Bundestages, BT-Drs. 16/13433, S. 12 li. Sp. 1212 Vgl. zur Zweifelhaftigkeit der Kritik am sogenannten Strafschadensersatz eingehend Behr, ZJS 2010, S. 292 ff; siehe dazu auch die Ergebnisse der Untersuchung von Ebert, Pönale Elemente im deutschen Privatrecht, S. 573 ff. 1207
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2. Teil: Folgen von Pflichtverletzungen
Schadens regelt – jedenfalls aufgrund ihres ungenauen Wortlauts Raum für verschiedene Auslegungen, die im Einzelfall zu unterschiedlichen Ergebnissen und damit Unklarheiten führen können. Aus systematischer Sicht ist jedoch eine Auslegung, wonach § 116 Satz 3 AktG so zu lesen ist, dass dadurch die Normierung einer Mitgliederhaftung und ein von § 116 Satz 1 AktG abweichendes Haftungskonzept begründet wird, ausgeschlossen. Aus dem grundsätzlichen Gleichlauf der Vorschrift ergibt sich, dass eine Auslegung, wonach § 116 Satz 1 AktG keine Mitgliederhaftung begründet, sondern eine Haftung bereits voraussetzt und lediglich einen internen Ausgleich regelt, nicht ausgeschlossen werden kann. bb) Systematischer Vergleich zwischen § 116 Satz 1 und § 48 Satz 2 AktG Neben § 116 Satz 1 AktG, der nach der vorherrschenden Meinung die Haftung der Aufsichtsratsmitglieder regelt, gibt es weitere Normen im Aktienrecht, die eine haftungsrechtliche Einstandspflicht der Aufsichtsratsmitglieder vorsehen. Hervorzuheben ist dabei insbesondere § 48 AktG, der eine haftungsrechtliche Verantwortlichkeit der Aufsichtsratsmitglieder bei der Gründung der Aktiengesellschaft normiert. Indem § 48 Satz 1 AktG ausdrücklich eine Haftung der Aufsichtsratsmitglieder statuiert, § 48 Satz 2 AktG aber für die „Sorgfaltspflicht und Verantwortlichkeit“ der Aufsichtsratsmitglieder auf §§ 93 und 116 AktG verweist, ließe sich überlegen, ob hieraus aus systematischer Sicht abzuleiten ist, dass § 116 Satz 1 AktG selbst keine Haftung der Aufsichtsratsmitglieder normiert, sondern lediglich einen einheitlichen Sorgfaltsmaßstab für die Organmitglieder festlegt. Bei der Gründung der Aktiengesellschaft bestehen verschiedene Überwachungsund Kontrollpflichten, die nicht dem Organ Aufsichtsrat, sondern ausdrücklich den einzelnen Mitgliedern zugewiesen sind (vgl. §§ 33 Abs. 1 AktG; 34 Abs. 1; 36 Abs. 1 AktG). Für den Fall der Verletzung dieser Pflichten in der Gründungsphase der Gesellschaft ordnet § 48 AktG eine Schadensersatzpflicht an. § 48 Satz 1 AktG normiert dabei eine gesamtschuldnerische Haftung der Mitglieder von Vorstand und Aufsichtsrat gegenüber der Gesellschaft, vgl. § 48 Satz 1 Halbs. 1 AktG: „Mitglieder des Vorstands und des Aufsichtsrats, die bei der Gründung ihre Pflichten verletzen, sind der Gesellschaft zum Ersatz des daraus entstehenden Schadens als Gesamtschuldner verpflichtet […].“
In § 48 Satz 2 AktG wird für die „Sorgfaltspflicht und Verantwortlichkeit der Mitglieder des Vorstands und des Aufsichtsrats bei der Gründung“ auf § 93 und § 116 AktG verwiesen. Hinsichtlich der Sorgfaltspflicht ist ein solcher Verweis weiterführend, da im Rahmen der Gründungshaftung bzw. der Pflichten von Vorstand und Aufsichtsrat bei der Gründung ein Sorgfaltsmaßstab nicht ausdrücklich statuiert ist. Indem § 48 Satz 2 AktG ausdrücklich auf § 93 bzw. § 116 AktG verweist, ist klargestellt, dass für die Mitglieder des Aufsichtsrats auch bei der Gründungsprüfung der
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Sorgfaltsmaßstab des § 116 Satz 1 i.V.m. § 93 AktG gilt. Der Verweis besitzt insofern einen eigenen Regelungsgehalt. Problematisch ist allerdings der Verweis in § 48 Satz 2 AktG auf § 93 und § 116 AktG hinsichtlich der Verantwortlichkeit. Wenn Verantwortlichkeit nach den oben gefundenen Ergebnissen mit der wohl allgemeinen Ansicht als haftungsrechtliche Verantwortlichkeit verstanden wird,1213 dann folgt aus dem Verweis in § 48 Satz 2 AktG auf § 116 AktG eine Haftung der Aufsichtsratsmitglieder für Verletzungen von Gründungspflichten gemäß § 116 Satz 1 i.V.m. § 93 AktG. Eine solche Auslegung ist aber deshalb zweifelhaft, da eine Haftung der Aufsichtsratsmitglieder für die Verletzung der gleichen Pflichten bereits ausdrücklich in § 48 Satz 1 AktG angeordnet ist. Die Vorschriften von § 48 Satz 2 AktG i.V.m. §§ 116 Satz 1, 93 Abs. 2 AktG und § 48 Satz 2 AktG unterscheiden sich inhaltlich nicht und knüpfen nicht an unterschiedliche Voraussetzungen an. Für eine doppelte Haftung aufgrund der gleichen Pflichtverletzung gibt es jedoch kein Bedürfnis; mangels abweichender Voraussetzungen für die Begründung der Haftung ist durch eine zusätzliche Haftung aus § 116 Satz 1 AktG neben § 48 Satz 1 AktG inhaltlich nichts gewonnen. In der Literatur wird § 48 Satz 1 AktG als spezialgesetzliche Ausprägung zur allgemeinen Haftungsvorschrift der Aufsichtsratsmitglieder aus § 116 Satz 1 i.V.m. § 93 AktG angesehen.1214 Der Norm wird allerdings kein eigener Regelungsgehalt zugesprochen, sondern sie wird aufgrund der ausdrücklichen Anwendung der allgemeinen Haftungsvorschriften als inhaltlich redundant bewertet.1215 An dieser Stelle ist zu prüfen, ob der Begriff der Verantwortlichkeit bei § 48 Satz 2 AktG (und damit gegebenenfalls auch bei § 116 Satz 1 AktG) aus systematischer Sicht entgegen der oben vorgenommenen Wortlautauslegung1216 nicht als Haftungsbegründung verstanden werden muss, sondern synonym zum Begriff Sorgfaltspflicht zu verstehen ist. Der Verweis in § 48 Satz 2 AktG auf § 116 Satz 1 AktG wäre dann nur für die Sorgfaltspflicht relevant; hinsichtlich der Verantwortlichkeit bliebe er ohne darüber hinausgehenden Inhalt. Insofern hätte der Verweis „für die Sorgfaltspflicht und Verantwortlichkeit“ nach einer solchen Auslegung nicht die Begründung einer Haftung im Sinne von § 116 Satz 1 i.V.m. § 93 Abs. 2 AktG (neben der ausdrücklich gesetzlich angeordneten Haftung aus § 48 Satz 1 AktG) zur Folge, sondern würde ausschließlich den Sorgfaltsmaßstab aus § 116 Satz 1 AktG auf § 48 AktG anwenden. Im Sinne einer einheitlichen Auslegung der Begrifflichkeiten dürften der Ausdruck „Verantwortlichkeit“ dann allerdings auch in § 116 Satz 1 AktG nicht als Haftungsbegründung ausgelegt werden. Stattdessen könnte § 116 AktG dahingehend verstanden werden, dass die Norm – entgegen der allgemeinen Ansicht – nicht eine primäre Verantwortlichkeit der Mitglieder des Auf1213
Siehe zu dieser Auslegung ausführlich oben S. 272. Ehricke, in: Großkommentar AktG, § 48 Rdnr. 4; Pentz, in: Münchener Kommentar AktG, § 48 Rdnr. 1. 1215 Davon geht Pentz, in: Münchener Kommentar AktG, § 48 Rdnr. 1, aus. 1216 Siehe zu dieser Auslegung ausführlich oben S. 272. 1214
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2. Teil: Folgen von Pflichtverletzungen
sichtsrats gegenüber der Gesellschaft regelt, sondern einen einheitlichen Sorgfaltsmaßstab für die Handlungen der Aufsichtsratsmitglieder festlegt.1217 Der Verweis auf § 93 AktG erfolgte dann – ähnlich wie bei § 48 Satz 2 AktG vorgeschlagen – ebenfalls nur hinsichtlich des Sorgfaltsmaßstabs. Insofern würde es bei § 116 Satz 1 AktG an einer haftungsrechtlich relevanten Regelung fehlen, sodass der Vorschrift keine Regelung über die Haftung der Aufsichtsratsmitglieder entnommen werden könnte. Bei diesem Verständnis könnte mangels allgemeiner Haftungsvorschrift eine Einstandspflicht der Aufsichtsratsmitglieder für Pflichtverletzungen bei der Gründungsprüfung ausschließlich aus § 48 Satz 1 AktG folgen. Die Vorschrift hätte in diesem Fall – ebenso wie auch § 48 Satz 2 AktG – einen eigenen Regelungsgehalt und wäre nicht redundant. (1) Historische Entwicklung und teleologische Bedeutung Fraglich ist indes, ob diese Überlegungen einer weitergehenden Prüfung standhalten. Hierzu ist zunächst die gesetzgeberische Intention von § 48 AktG und die Bedeutung der Vorschrift bei Ihrer Entstehung zu analysieren. Dabei ist zu untersuchen, ob der historische Gesetzgeber eine parallele und identische Mitgliederhaftung wegen allgemeiner Pflichtverletzung (§ 116 Satz 1 AktG) und Pflichtverletzungen bei der Gründung der Gesellschaft (§ 48 Satz 1 AktG, bzw. den jeweiligen Vorgängernormen) beabsichtigte, wie dies eine Auslegung nach der heute vorherrschenden Ansicht nahelegen würde. Soweit dies nicht der Fall war, ist zu prüfen, welche Bedeutung der Gesetzgeber § 48 Satz 2 AktG beimessen wollte und ob § 116 AktG aus systematischer Sicht im Sinne der obigen Ausführungen tatsächlich dahingehend verstanden werden kann, dass die Norm ausschließlich einen einheitlichen Sorgfaltsmaßstab der Aufsichtsratsmitglieder normiert und nicht als Haftungsnorm fungiert. (a) (Historische) Bedeutung der Prüfungspflicht nach Art. 209 h ADHGB 1884 Die Prüfungspflicht der Aufsichtsratsmitglieder bei der Gründung der Gesellschaft wurde mit Art. 209 h ADHGHB 1884, der im weitesten Sinne den Vorschriften der heutigen §§ 33 ff AktG entspricht, zeitgleich mit der erstmaligen Normierung eines allgemeinen Sorgfaltsmaßstabs für die Aufsichtsratsmitglieder in das deutsche Aktienrecht eingeführt. Dort wurde festgelegt, dass „die Mitglieder […] des Aufsichtsrats […] den Hergang der Gründung zu prüfen“ hatten. Die korrespondierende Haftung für die Verletzung dieser Pflicht wurde in Art. 213c ADHGB 1884 normiert, wonach „die Mitglieder des Vorstands und des Aufsichtsraths“ bei der Verletzung von Prüfungspflichten im Rahmen der Gesellschaftsgründung „der Gesellschaft solidarisch für den ihr daraus entstandenen Schaden“ haften sollten. 1217
Entgegen der Ausführungen bei Szalai/Marz, DStR 2010, S. 809, 812 soll sich dieser Sorgfaltsmaßstab nicht nur auf das Innenverhältnis der Aufsichtsratsmitglieder untereinander beziehen, sondern für sämtliche Handlungen der Organmitglieder innerhalb der juristischen Person Aktiengesellschaft gelten. Gründe für eine Beschränkung auf das Innenverhältnis sind nicht ersichtlich.
A. Die Innenhaftung der Aufsichtsratsmitglieder
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Entgegen der heute geltenden Fassung enthielt die Vorgängervorschrift von § 48 AktG (Art. 213c ADHGB 1884) keinen Verweis auf die allgemeine Sorgfaltspflicht der Aufsichtsratsmitglieder (Art. 226 ADHGB 1884). Die Gründerhaftung bestand damit als speziellere Vorschrift neben der Ersatzpflicht, die der Gesetzgeber ausdrücklich für eine abschließende Anzahl von Fällen festgelegt hatte (vgl. Art. 226 Abs. 2 ADHGB 1884). Eine Schadensersatzpflicht bestand für sonstige Fälle (abgesehen von der Pflichtverletzung bei der Gründungsprüfung) ausschließlich nach den jeweils geltenden landesrechtlichen Vorschriften, wobei der spezialgesetzlich normierte Sorgfaltsmaßstab des Art. 226 ADHGB 1884 galt.1218 Aus der speziellen Regelung des Art. 213c ADHGB 1884, die für den Fall der Pflichtverletzung bei der Gründung den allgemeinen Haftungsvorschriften vorgehen sollte, lässt sich indes nicht ableiten, dass der Gesetzgeber keine Mitgliederhaftung für sonstige Pflichtverletzungen statuierten wollte, sondern grundsätzlich eine Organhaftung vorsah und eine Mitgliederhaftung nur noch in Spezialfällen eintreten sollte.1219 Dafür wäre eine gänzlich andere Struktur der Vorschriften über die Haftung der Aufsichtsratsmitglieder bei allgemeinen Pflichtverletzungen erforderlich gewesen.1220 Ausweislich der Gesetzesbegründung zu Art. 226 ADHGB 1884 beabsichtigte der Gesetzgeber mit der Normierung eines einheitlichen Sorgfaltsmaßstabs keineswegs die Unanwendbarkeit der Haftungsvorschriften aus dem Auftragsrecht, sondern setzte die Anwendung dieser Haftungsvorschriften sogar voraus.1221 Da nach dem ADHGB 1884 eine Haftung der Aufsichtsratsmitglieder für jede Art von Pflichtverletzungen (und damit auch für die Verletzung von Pflichten aus Art. 209 h ADHGB 1884) bereits aus Art. 226 AktG i.V.m. mit den landesrechtlichen Vorschriften über das Auftragsrecht erfolgte,1222 wäre eine zusätzliche Haftungsregelung in Art. 213c ADHGB 1884 nur dann von Relevanz gewesen, wenn die Vorschrift von der allgemeinen Haftung abgewichen wäre. Ohne eigenen Regelungsgehalt wäre die Vorschrift schlichtweg überflüssig gewesen.1223 Dann wäre zu überlegen, ob ent1218
Siehe oben, S. 254. So aber offenbar Szalai/Marz, DStR 2010, S. 809, 811. 1220 Erneut: das ADHGB 1884 sah keine Haftungsvorschrift der Aufsichtsratsmitglieder für allgemeine Pflichtverletzungen vor, sondern beschränkte sich in Art. 226 Abs. 1 auf die Normierung eines einheitlichen Sorgfaltsmaßstabs, während in Abs. 2 eine Ersatzpflicht für bestimmte, gesetzlich normierte Fälle vorgesehen war. Die Haftung für allgemeine Pflichtverletzungen folgte weiterhin den Vorschriften des jeweils geltenden Landesrechts. Die Gesetzesbegründung zu Art. 226 ADHGB 1884 setzt ausdrücklich die weitere Geltung dieser landesrechtlichen Vorschriften mit einer Individualhaftung der Aufsichtsratsmitglieder für eigene Pflichtverletzungen voraus, vgl. Begründung eines Gesetzes über die KGaA und AG (1884), abgedruckt bei Schubert/Hommelhoff, Hundert Jahre modernes Aktienrecht, S. 461 f. Siehe i.Ü. ausführlich oben, S. 254 ff. 1221 Vgl. Begründung eines Gesetzes über die KGaA und AG (1884), abgedruckt bei Schubert/Hommelhoff, Hundert Jahre modernes Aktienrecht, S. 461 f. 1222 Siehe hierzu im Einzelnen oben, S. 254. 1223 Nach dem ersten Entwurf war bei Art. 213c HGB 1884 – im Gegensatz zur Haftung nach Art. 225 HGB 1884 – keine solidarische Haftung der Aufsichtsratsmitglieder vorgesehen, 1219
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2. Teil: Folgen von Pflichtverletzungen
gegen dem gesetzgeberischen Willen aus systematischer Sicht nicht eine abweichende Auslegung erforderlich ist. Die vermeintlich doppelte Haftungsregelung war allerdings weder gesetzgeberische Ungenauigkeit noch Redaktionsversehen. Grund für die Einführung der Prüfungspflicht der Organmitglieder bei der Gründung der Aktiengesellschaft waren etliche Skandale und Missbrauchsfälle (sog. Schwindelgründungen), bei denen die Gründer durch unterschiedlichste Gestaltungen die Aktionäre ausnutzten.1224 Zur Vermeidung derartiger Gestaltungen in der Zukunft wurde gesetzlich unter anderem vorgeschrieben, dass der Aufsichtsrat als Organ bereits bei der Gründung bestehen musste1225 und seine Mitglieder die Ordnungsgemäßheit der Gründung durch eine eigenständige Prüfung sicherstellen sollten.1226 Die Verpflichtung der Mitglieder (und nicht des Organs) sollte gewährleisten, dass jedes einzelne Mitglied die Prüfung tatsächlich durchführte und diese Prüfung mit seiner Unterschrift unter einem gemeinsamen Prüfungsbericht bestätigte.1227 Dadurch wurde sichergestellt, dass es nicht zu einem Ausschluss einzelner Mitglieder kam: Die individuelle Pflicht bei der Gründungsprüfung ist als Kontrast zur Hauptaufgabe des Aufsichtsrats, der Überwachung der Geschäftsleitung, zu sehen. Diese Pflicht war (und ist es auch heute noch) dem Gesamtorgan zugewiesen (Art. 225 ADHGB 1884). Da die Aufgabe sich als sehr umfassend erwies (Art. 225 ADHGB 1884 sprach noch von einer Überwachung des Aufsichtsrats „in allen Zweigen der Verwaltung“), war in Lehre und Praxis anerkannt, dass es zur Gestaltung einer effizienten Überwachung aus kapazitären und organisatorischen Gründen erforderlich war, einzelne Teilbereiche der dem Organ Aufsichtsrat zugewiesenen allgemeinen Aufgaben jedenfalls zur Vorbereitung auf Ausschüsse auszugliedern. Durch einen Geschäftsverteilungsplan konnte eine Aufgabenverteilung stattfinden, sodass einzelne Mitglieder bestimmte Aufgaben nicht, oder nicht in gleichem Maße wie andere, wahrnahmen. Der Aufgabenverteilung auf Ausschüsse war allerdings die Gefahr des Ausschlusses unvgl. hierzu ausführlich die Kritik bei Wiener, Der Aktiengesetz-Entwurf, S. 49 f. Im zweiten Entwurf wurde diese Unterscheidung beseitigt, sodass sich für die Haftung aus dem speziellen Art. 213c ADHGB 1884 und der allgemeinen Vorschrift des Art. 226 ADHGB 1884 i.V.m. den landesrechtlichen Vorschrift keine Unterscheidung ergab. 1224 Vgl. Begründung zum Entwurf eines Gesetzes, betreffend die KGaA und AG (1884), abgedruckt bei Schubert/Hommelhoff, Hundert Jahre modernes Aktienrecht, S. 431 re. Sp.; siehe auch Schubert/Hommelhoff, Hundert Jahre modernes Aktienrecht, S. 64 ff, für Beispiele und weitere Nachweise. 1225 Vgl. Begründung zum Entwurf eines Gesetzes, betreffend die KGaA und AG (1884), abgedruckt bei Schubert/Hommelhoff, Hundert Jahre modernes Aktienrecht, S. 441 re. Sp. 1226 Die Entstehung der Vorschrift kann also, entgegen der Ausführungen bei Szalai/Marz, DStR 2010, S. 809, dort Fn. 41, mitnichten darauf zurückgeführt werden, dass „bei Gründung der AG […] noch keine festen Strukturen vorhanden [sind]“. Wie die Gesetzesbegründung zum ADHGB 1884 deutlich macht, war das Bestehen des Aufsichtsrats zwingende Voraussetzung für die erfolgreiche Gründung der Aktiengesellschaft. Die Gründungsprüfung durch die Aufsichtsratsmitglieder macht ferner deutlich, dass die Strukturen des Überwachungsgremiums bei der Gründung sehr wohl bereits verfestigt sein mussten. 1227 Siehe Petersen/Pechmann, AktG 1884, Art. 224 – 226, Anm. 3 (S. 499).
A. Die Innenhaftung der Aufsichtsratsmitglieder
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liebsamer (z. B. weil kritischer) Mitglieder immanent, sodass die Überwachung nicht immer besonders gründlich erfolgte und eine erhebliche Missbrauchsgefahr bestand. Kontrollierten die Gründer auch nur einen Teil der Aufsichtsratsmitglieder, so konnten sie bei Anwendung der allgemeinen Regelungen über die Verantwortlichkeit der Aufsichtsratsmitglieder durch eine entsprechende Geschäftsverteilung des Gremiums eine Prüfung ausschließlich durch die den Gründern wohlgesonnen Mitglieder erreichen.1228 Zu einer kritischen Prüfung wäre es dann nicht mehr gekommen. Der Bereich der unter dem ADHGB 1884 auf den Aufsichtsrat erweiterten Gründungsprüfung (unter dem ADHGB 1870 war ausschließlich eine Prüfungspflicht der Vorstandsmitglieder vorgesehen, vgl. Art. 212 Abs. 2 ADHGB 1870) war von der allgemeinen Überwachungsaufgabe abgrenzbar und stellte einen für die Mitglieder des Überwachungsorgans vergleichsweise überschaubaren, einmaligen Aufwand dar. Zur Vermeidung des Ausschlusses einzelner Mitglieder von der Prüfungspflicht wies der Gesetzgeber die Prüfungspflicht daher nicht dem Kollegialorgan, sondern den einzelnen Mitgliedern als individuelle Pflichten zu. So wurde vermieden, dass es im Wege einer Aufgabenteilung zur Prüfung durch eine gründerfreundliche Minderheit kam, wodurch Schwindelgründungen ermöglicht wurden und das Erfordernis der Gründungsprüfung durch den Aufsichtsrat leergelaufen wäre. Die individuelle Prüfungspflicht machte die persönliche (positive) Gründungsprüfung eines jeden Aufsichtsratsmitglieds zur Voraussetzung für eine erfolgreiche Gründung. Fehlte die Zustimmung eines einzelnen Mitglieds, so scheiterte die Gründung insgesamt.1229 Insofern wirkte die Prüfungspflicht der Mitglieder gleichzeitig auch als Ausschlussmechanismus des allgemeinen Mehrheitsprinzips, das auf die Beschlussfassung im Aufsichtsrat grundsätzlich Anwendung fand.1230 Dementsprechend war sichergestellt, dass die Kritik und Bedenken eines jeden Mitglieds von den Kollegen gehört wurden. Gleichzeitig bewirkte die persönliche Pflichtenbindung nicht nur bezüglich der Übertragung der Entscheidung hinsichtlich des Ob der Genehmigung der Gründung, sondern auch hinsichtlich der Vorprüfung ein Delegationsverbot: Zwar war es rein tatsächlich möglich, sich auf die Meinung der übrigen Mitglieder zu verlassen und keine eigene Prüfung vorzunehmen. Unter Berücksichtigung der Tatsache, dass die Fehler des Vorarbeitenden nicht die Entlastung von eigenen Verfehlungen bewirken konnte, da mit der eigenen Unterschrift jedes Mitglied eine eigene haftungsbewährte Erklärung abgab, war eine solche Delegation bzw. Übernahme der Vorarbeiten Dritter jedoch nicht im Interesse der 1228
Nicht selten saßen die Gründer auch selbst im Aufsichtsrat (vgl. die Ausführungen bei Schubert/Hommelhoff, Hundert Jahre modernes Aktienrecht, S. 91), sodass durch eine geschickte Gestaltung des Geschäftsverteilungsplans die Gründer sich selbst prüften, ohne dass es dabei auf das Votum Dritter angekommen wäre. 1229 Für die (inhaltlich identische) Nachfolgevorschrift des § 192 HGB 1897: Goldschmit, Die Aktiengesellschaft, § 192 Anm. 2. 1230 Vgl. für die (inhaltlich identische) Nachfolgevorschrift des § 192 HGB 1897: Hachenburg, HGB, 3. Aufl. 1934, § 192 Anm. 2; Goldschmit, Die Aktiengesellschaft, § 192 Anm. 2; ebenso für die Parallelvorschrift im AktG 1937: Ritter, AktG 1937, 2. Aufl. 1939, § 25 Anm. 2b.
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2. Teil: Folgen von Pflichtverletzungen
Aufsichtsratsmitglieder.1231 Der in Art. 213c ADHGB 1884 spezialgesetzlich normierte Haftungstatbestand für die Aufsichtsratsmitglieder (die allgemeine Haftung der Aufsichtsratsmitglieder für Pflichtverletzungen richtete sich nach den entsprechend anzuwendender landesrechtlichen Vorschriften des Auftragsrechts i.V.m. Art. 226 ADHGB 1884)1232 rechtfertigte sich zum einen aus der Absicht des Gesetzgebers zur Klarstellung, dass „jeder nur für sein eigenes Versehen haftet“,1233 zum anderen wurde die individuelle Verantwortlichkeit und das entsprechende Delegationsverbot besonders hervorgehoben. Vor allem aber enthielt die Vorschrift gegenüber der allgemeinen Haftung der Aufsichtsratsmitglieder eine Beweislastumkehr und die Anordnung der nur subsidiären Haftung der Aufsichtsratsmitglieder gegenüber den Gründern (vgl. Art. 213c ADHGB 1884 a.E.).1234 Die Vorschrift sah damit unterschiedliche Bestimmungen vor, die sich von der allgemeinen Haftungskonstruktion abhoben. Mit Art. 213c ADHGB 1884 beabsichtigte der Gesetzgeber also zum einen eine Klarstellung, dass es sich bei der Pflicht des Art. 209 h ADHGB 1884 um eine persönliche und haftungsbewährte Pflicht aller Aufsichtsratsmitglieder handelte, insbesondere aber sollte durch die Beweislastumkehr und die Subsidiarität der Haftung der Aufsichtsratsmitglieder gegenüber den Gründern auch eine inhaltliche Abweichung vom Regelfall der Sorgfaltspflicht und Haftung nach Art. 226 ADHGB 1884 (i.V.m. mit den landesrechtlichen Vorschriften) eintreten. Die Vorschrift des Art. 213c ADHGB 1884 war insofern keine redundante Vorschrift ohne eigenen Inhalt, sondern enthielt einen eigenen Regelungsgehalt und verdrängte diesbezüglich die allgemeinen Haftungsvorschriften im Wege der Spezialität. Für eine parallele Anwendung der allgemeinen Haftungsvorschriften war daneben kein Raum. Daraus kann allerdings freilich nicht abgeleitet werden, dass Art. 213c ADHGB 1884 einen besonderen Fall der individuellen Haftung der Aufsichtsratsmitglieder darstellte und Art. 226 ADHGB 1884 eine Organhaftung begründen sollte. (b) Weitere historische Entwicklung der Prüfungspflicht Nachdem erstmals in das Aktiengesetz 1884 eingeführt, hat der Gesetzgeber die Prüfungspflicht in der Gründungsphase der Aufsichtsratsmitglieder bis auf wenige sprachliche Änderungen in das HGB 1897 übernommen (vgl. § 192 Abs. 1 1231 Siehe die Begründung zum Entwurf eines Gesetzes, betreffend die KGaA und AG (1884), abgedruckt bei Schubert/Hommelhoff, Hundert Jahre modernes Aktienrecht, S. 450 re. Sp.; vgl. auch für die (inhaltlich identische) Nachfolgevorschrift des § 192 HGB 1897: Hachenburg, HGB, § 192 Anm. 2. 1232 Siehe dazu eingehend oben, S. 254. 1233 Vgl. Begründung zum Entwurf eines Gesetzes, betreffend die KGaA und AG (1884), abgedruckt bei Schubert/Hommelhoff, Hundert Jahre modernes Aktienrecht, S. 450 re. Sp. 1234 Vgl. Begründung zum Entwurf eines Gesetzes, betreffend die KGaA und AG (1884), abgedruckt bei Schubert/Hommelhoff, Hundert Jahre modernes Aktienrecht, S. 450 re. Sp; siehe auch S. 462 li. Sp.
A. Die Innenhaftung der Aufsichtsratsmitglieder
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HGB 1897). Für den Fall der Verletzung dieser Prüfungspflicht ordnete das Gesetz an dieser Stelle eine Schadensersatzpflicht (und keine schlichte Ersatzpflicht) an (vgl. § 204 HGB 1897). Die allgemeine Überwachungspflicht des Aufsichtsrats wurde in § 246 HGB 1897 statuiert. Für die Verletzung allgemeiner Pflichten des Organs sah § 249 Abs. 2 HGB 1897 (als Nachfolgevorschrift von Art. 226 ADHGB 1884) ausdrücklich eine Schadensersatzpflicht der Mitglieder vor. Durch die in § 204 HGB 1897 normierte (weiterhin) subsidiäre Haftung der Aufsichtsratsmitglieder und die fortgeltende Beweislastumkehr1235 stellte die Vorschrift über die Haftung der Aufsichtsratsmitglieder bei der Gründungsprüfung eine Milderung dar und wies somit einen eigenen Regelungsinhalt auf.1236 Die Vorschrift war keine überflüssige Dopplung zur allgemeinen Haftungsvorschrift. Auch der Gesetzgeber des Aktiengesetzes 1937 behielt die persönliche und individuelle Mitgliederhaftung für allgemeine Pflichtverletzungen bei.1237 Die Prüfungsverantwortung bei der Gründung blieb auch unter dem Regime des Aktiengesetzes 1937 weiterhin ausdrücklich den Mitgliedern des Aufsichtsrats zugewiesen (§ 25 AktG 1937); für die Verletzung dieser Pflichten ordnete § 41 AktG 1937 eine ausdrückliche individuelle Haftung an: „Mitglieder des Vorstands und des Aufsichtsrats, die bei der Gründung ihre Sorgfaltspflicht außer acht lassen, sind der Gesellschaft für den ihr daraus entstehenden Schaden als Gesamtschuldner verantwortlich; sie sind dafür verantwortlich, daß eine zur Annahme von Einzahlungen auf die Aktien bestimmte Stelle (§ 49 Abs. 3) hierzu geeignet ist, die eingezahlten Beträge zur freien Verfügung des Vorstands zu stellen.“
Im Gegensatz zu sämtlichen Vorgängervorschriften und auch zum Aktiengesetzentwurf 19311238 sah § 41 AktG 1937 jedoch keine Subsidiarität der Haftung der Vorstands- und Aufsichtsratsmitglieder gegenüber der Inanspruchnahme der Gründer mehr vor; auch die Beweislastumkehr wurde nicht übernommen. Beweislastumkehr und Haftungssubsidiarität gaben der Vorschrift allerdings bis zur Neufassung ihre inhaltliche Bedeutung, weshalb die allgemeine Haftungsvorschrift im Wege der Spezialität verdrängt wurde. Eine solche Einschränkung sah das Gesetz nun nicht mehr vor, sodass Unklarheiten hinsichtlich des Verhältnisses von § 41 AktG 1937 (heute § 48 AktG) und § 99 AktG 1937 (heute: § 116 AktG) aufkamen.1239 Diese 1235
Die Beweislastumkehr war im Rahmen der Neufassung der Norm gestrichen worden und im Gegensatz zur Vorgängervorschrift (Art. 213c ADHGB 1884) nicht mehr in § 204 HGB 1897 aufgenommen. Nichtsdestotrotz wurde teilweise vertreten, dass die Beweislastumkehr „aus der rechtlichen Stellung“ der Aufsichtsratsmitglieder herzuleiten sei und daher unabhängig vom Gesetzeswortlaut fortbestehe, vgl. ausführlich Staub, HGB 1897, § 204 Anm. 4. 1236 Staub, HGB 1897, § 204 Anm. 4. 1237 Dazu ausführlich oben, S. 267 f. 1238 Vgl. § 33 AktG-E 1931, abgedruckt bei Schubert/Hommelhoff/Schilling, Die Aktienrechtsreform am Ende der Weimarer Republik, S. 857; zur Entstehungsgeschichte vgl. oben, S. 265. 1239 Siehe dazu die Regierungsbegründung zum Aktiengesetz 1965, BT-Drs. 4/171, S. 111.
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2. Teil: Folgen von Pflichtverletzungen
Unklarheiten hatten erhebliche praktische Bedeutung, da bei einer Anwendung von § 99 i.V.m. § 84 AktG 1937 aufgrund der Regelung in § 84 Abs. 5 AktG 1937 im Einzelfall eine Geltendmachung der Ansprüche durch die Gesellschaftsgläubiger möglich gewesen wäre. Eine entsprechende Möglichkeit sah § 41 AktG 1937 nicht vor, sodass bei Fortgeltung der (abschließenden) Spezialität der Vorschrift über die Gründungshaftung der Aufsichtsratsmitglieder eine Geltendmachung durch die Gesellschaftsgläubiger nicht möglich gewesen wäre. Die Neufassung der Haftung der Aufsichtsratsmitglieder für die Verletzung ihrer Gründerpflichten in § 41 AktG 1937 ist in zweierlei Hinsicht unglücklich: Zum einen verwendet der Gesetzgeber die Begrifflichkeit der Verantwortlichkeit, die, wie gezeigt, insbesondere unter dem Geltungsbereich des ADHGB nicht im Sinne einer Haftung, sondern im Sinne einer Sorgfaltspflicht verwendet wurde.1240 Geht man mit der allgemeinen Ansicht davon aus, dass § 99 AktG 1937 die Haftung der Aufsichtsratsmitglieder für jede Art von Pflichtverletzung regelte, so ist die Regelung des § 41 AktG 1937 (abgesehen vom 2. Halbsatz) inhaltlich redundant und überflüssig. Eine eigene Bedeutung behielte § 41 AktG 1937 nur dann, wenn man das Fehlen eines Verweises auf die Anwendbarkeit von § 84 Abs. 5 AktG 1937 (entspricht § 93 Abs. 5 AktG n.F.) und das Fehlen einer entsprechenden Anordnung in § 41 AktG 1937 so versteht, dass eine Geltendmachung durch die Gesellschaftsgläubiger nicht ermöglicht werden sollte. (c) Heutige Rechtslage Mit der Aktienrechtsreform 1965 wurden die Vorschriften erneut abgeändert und in die heutige Fassung überführt. § 33 AktG normiert die individuellen Pflichten der Mitglieder des Aufsichtsrats für die Gründungsprüfung; die Haftung im Falle der Verletzung der aus § 33 AktG folgenden Verpflichtungen ist in § 48 AktG geregelt. Die Vorschrift des Art. 226 ADHGB 1884 (und später § 99 AktG 1937) findet sich mit ähnlichem Inhalt heute in § 116 AktG wieder, der (nach ganz überwiegender Ansicht) auch heute noch die persönliche Haftung der Aufsichtsratsmitglieder für Pflichtverletzungen normiert. Im Gegensatz zur Vorschrift des Art. 226 ADHGB 1884, der mit dem heutigen § 116 Satz 1 AktG (i.V.m. § 93 AktG) inhaltlich seine Bedeutung seit 1884 weitgehend beibehalten hat, hat sich der Inhalt von Art. 213c ADHGB indes erheblich verändert. Der Gesetzgeber führte nach der ersten inhaltlichen Änderung durch das AktG 1937 mit dem AktG 1965 bei § 48 AktG einen zweiten Satz ein, der auf § 93 und § 116 AktG verweist. Ausweislich der Gesetzesbegründung bezweckte dies eine Klarstellung, um den Streit bei der Vorgängervorschrift (§ 41 AktG 1937) hinsichtlich der Anwendbarkeit der allgemeinen Mitgliederhaftung für Vorstand und Aufsichtsrat neben der Haftung wegen Pflichtverletzungen bei der Gründung, bei-
1240 Siehe dazu ausführlich oben, S. 267 f; zum Begriff Verantwortlichkeit siehe i.Ü. S. 272 f.
A. Die Innenhaftung der Aufsichtsratsmitglieder
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zulegen.1241 Damit sollte die unter dem Regime des AktG 1937 umstrittene Frage, ob die Haftung aus § 48 AktG neben die allgemeine Haftungsvorschrift aus § 116 Satz 1 AktG tritt, oder ob letztere verdrängt wird, eindeutig hin zu einer parallelen Anwendung beider Normen geklärt werden. Insofern folgt eine Haftung der Aufsichtsratsmitglieder bei Verletzung ihrer Gründungspflichten sowohl aus § 48 Satz 1 AktG als auch aus § 48 Satz 2 i.V.m. § 116 Satz 1 i.V.m. § 93 AktG. Der Grund für die Einführung der Regelung des Art. 213c ADHGB 1884, nämlich die Normierung einer spezialgesetzlichen Haftung mit einer gegenüber der allgemeinen Haftung umgekehrten Beweislastverteilung, gilt für § 48 Satz 1 AktG in seiner aktuellen Fassung nicht mehr. Auch ordnet die Norm keine bloß subsidiäre Haftung der Aufsichtsratsmitglieder gegenüber den Gründern und Emittenten an, wie dies noch bis zur Einführung von § 41 AktG 1937 der Fall war. Die nunmehr in § 48 Satz 1 AktG geregelte Haftung greift sogar kürzer, als die Haftung aus § 48 Satz 2 i.V.m. § 116 Satz 1 i.V.m. 93 AktG: während die Haftung aus letzterer Vorschrift auch durch die Gesellschaftsgläubiger geltend gemacht werden kann (vgl. § 93 Abs. 5 AktG), sieht § 48 Satz 1 AktG eine solche Inanspruchnahme nicht vor. (2) Bedeutung der Historie und der gesetzgeberischen Intention für das heutige Normverständnis (a) Bewertung Der Vorschrift über die Haftung der Vorstands- und Aufsichtsratsmitglieder bei Verletzung ihrer Gründungspflichten kommt heute nicht mehr die gleiche Bedeutung zu wie noch bei ihrer Einführung. Zur Bestimmung ihrer systematischen Bedeutung ist ergänzend die historische Genese der Norm zu berücksichtigen. Daraus ergibt sich, dass die Gründungshaftung der Organmitglieder aufgrund abweichender Regelungsinhalte ursprünglich die allgemeine Haftung der Aufsichtsratsmitglieder im Wege der Spezialität verdrängte. Durch die Einführung der Gründungshaftung sollte das grundsätzliche Haftungsprinzip nicht reformiert werden, stattdessen war die Schaffung einer zusätzlichen haftungsbewährten, individuellen Prüfungspflicht beabsichtigt, bei der eine dissentierende Minderheit nicht durch einen Mehrheitsentschluss überstimmt werden konnte. Die Mitgliederhaftung nach Art. 226 ADHGB 1884 i.V.m. mit den landesrechtlichen Vorschriften über das Auftragsrecht sollte davon unberührt bestehen bleiben. Jedes Mitglied von Vorstand und Aufsichtsrat ist gemäß § 33 Abs. 1 AktG auch heute dazu verpflichtet, bei der Gründungsprüfung eine eigene Untersuchung vorzunehmen und muss für die sorgfältige Vornahme dieser Untersuchung haftungsrechtlich einstehen. Dadurch entsteht ein Einstimmigkeitserfordernis und es wird vermieden, dass die Mehrheit eine dissentierende Minderheit überstimmen kann. Erklärt sich ein Aufsichtsratsmitglied nicht dazu bereit, den Hergang der Gründung zu bestätigen, so besteht zwar grundsätzlich 1241 Begründung zu § 112 im RegE eines Aktiengesetzes vom 3. Februar 1962, BT-Drs. 4/ 171, S. 111 re.Sp.
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2. Teil: Folgen von Pflichtverletzungen
die Möglichkeit der Abberufung durch die Gründer gem. § 103 Abs. 1 Satz 2, 3 AktG.1242 Allerdings müssen die Abberufung wie auch die Gründe des Mitglieds für die Verweigerung seiner Mitwirkung im Prüfbericht festgehalten werden,1243 sodass jedenfalls Transparenz über die Abweichung sowie die Gründe des Mitglieds herrscht. Die Bedenken eines abberufenen Mitglieds bleiben daher von den Aktionären jedenfalls nicht ungehört. Nicht erforderlich ist es jedoch, sowohl in § 48 Satz 1 AktG als auch in § 48 Satz 2 i.V.m. § 116 i.V.m. § 93 AktG eine Haftung der Organmitglieder für Pflichtverletzungen zu normieren. Soweit der Verweis in § 48 Satz 2 AktG auf § 116 AktG hinsichtlich der Sorgfaltspflicht und Verantwortlichkeit als Haftungsanordnung verstanden wird, reicht die Haftung aus dieser Vorschrift weiter, als die Haftung aus § 48 Satz 1 AktG. Wie gezeigt ist über den Verweis des § 48 Satz 2 AktG auf § 116 i.V.m. § 93 AktG eine Geltendmachung des Anspruchs der Gesellschaft auch durch die Gesellschaftsgläubiger möglich (§ 93 Abs. 5 AktG). § 48 Satz 1 AktG enthält demgegenüber keine weitergehende Haftungsanordnung, sodass die Vorschrift bei einem entsprechenden Verständnis von § 48 Satz 2 AktG redundant wäre. Aus diesem Grund erscheint es aus systematischer Sicht vorzugswürdig, den Verweis in § 48 Satz 2 AktG lediglich als Verweis zur Anwendung der Sorgfaltspflicht zu verstehen. Wenn auch die Systematik der Vorschriften eine solche Auslegung nahelegt, lässt sich dies aber, wie dargelegt, weder aus der gesetzgeberischen Intention noch der Entstehungsgeschichte von § 48 AktG, noch der Historie1244 oder dem Wortlaut1245 von § 116 AktG herleiten. Insofern ist eine Auslegung, wonach der Verweis in § 48 Satz 2 AktG bezüglich der Verantwortlichkeit nicht auch eine haftungsrechtliche Verantwortlichkeit meint, nicht mit dem Gesetz vereinbar und damit unzulässig. Es besteht demnach nach der derzeit geltenden Gesetzesfassung eine doppelte Haftung der Aufsichtsratsmitglieder gegenüber der Gesellschaft aus sowohl § 48 Satz 1 AktG als auch aus § 48 Satz 2 i.V.m. § 116 Satz 1 i.V.m. § 93 AktG. Für den Fall, dass die Gesellschaftsgläubiger selbst Ansprüche geltend machen wollen, ist für diese allerdings eine Inanspruchnahme nur nach § 48 Satz 2 i.V.m. § 116 Satz 1 i.V.m. § 93 Abs. 5 AktG möglich; der insofern engere § 48 Satz 1 AktG lässt eine entsprechende Inanspruchnahme nicht zu. (b) Reformbedarf Wie aufgezeigt ist die derzeitige Fassung der Gründerhaftung in sich nicht schlüssig. Der Gesetzgeber ist deshalb aufgefordert, die durch die Neufassung von § 48 Satz 2 AktG entstandenen Unklarheiten zu beseitigen. Dafür bestehen zwei Möglichkeiten: Entweder wird § 48 Satz 1 AktG gestrichen, sodass eine Haftung der 1242
Pentz, in: Münchener Kommentar AktG, § 33 Rdnr. 11. Arnold, in: Kölner Kommentar AktG, § 33 Rdnr. 7; Pentz, in: Münchener Kommentar AktG, § 33 Rdnr. 11. 1244 Siehe zur Entstehungsgeschichte von § 116 AktG ausführlich oben, S. 246 ff. 1245 Vgl. die ausführliche Wortlautanalyse oben, S. 270 ff. 1243
A. Die Innenhaftung der Aufsichtsratsmitglieder
291
Aufsichtsratsmitglieder bei der Verletzung von Gründungspflichten sich ausschließlich aus § 48 Satz 2 i.V.m. § 116 Satz 1 i.V.m. § 93 AktG richten würde. Dies hätte zum Vorteil, dass klargestellt würde, dass ein einheitliches Haftungskonzept verfolgt wird und die gleichen Haftungsvoraussetzungen gelten. Andererseits wäre es auch möglich, in § 48 Satz 2 AktG klarzustellen, dass eine entsprechende Anwendung von § 93 Abs. 5 AktG erfolgen soll. Damit würde eindeutig normiert, dass § 48 Satz 1 AktG eine eigenständige Haftungsvorschrift darstellt, die jedoch im Grundsatz den Regeln der allgemeinen Haftung nach § 116 Satz 1 i.V.m. § 93 AktG folgt. Die derzeitige Regelung enthält indes redundante Vorschriften und erweckt zudem den Eindruck, § 48 Satz 1 AktG unterscheide sich inhaltlich von der allgemeinen Haftung der Organmitglieder. Da jedoch die der Haftung zugrundeliegenden Überlegungen nicht in das Gesetz übernommen wurden, entfällt dies. cc) Parallelität von Vorstands- und Aufsichtsratshaftung Aus systematischer Sicht könnte gegen eine kollegialorganschaftliche Haftung des Aufsichtsrats außerdem angeführt werden, dass nach dem Grundprinzip des deutschen Aktienrechts Vorstand und Aufsichtsrat strukturell so eng verwandt sind, dass sie grundsätzlich eine gleiche oder ähnliche Haftungsstruktur aufweisen. Soweit tatsächlich eine solche starke gesetzlich verankerte Konnexität zwischen den beiden Organen bestünde, die möglicherweise aus dem Verweis der Vorschriften über die Aufsichtsratshaftung (§ 116 Satz 1 AktG) auf die Vorstandshaftung (§ 93 AktG) hergeleitet werden könnte, käme eine Organhaftung des Aufsichtsrats nur dann in Betracht, wenn auch der Vorstand entsprechend als Organ haftete. Eine Haftung des Vorstands als Organ wird indes von keiner Ansicht vertreten. (1) Haftungsgleichlauf Gegen einen Haftungsgleichlauf zwischen den beiden Organen wird angeführt, dass der Vorstand – im Gegensatz zum Aufsichtsrat – auch aus nur einer Person bestehen kann und daher die Haftung als solche konzeptionell unterschiedlich ausgestaltet sein müsse.1246 Außerdem seien beim Aufsichtsrat bestimmte Aufgaben zwingend im Gremium zu entscheiden (§ 107 Abs. 3 Satz 3 AktG), während ein entsprechendes Delegationsverbot beim Vorstand fehle, sodass hier prinzipiell eine Überleitung der Entscheidungen auf nur eine Person möglich sei. Insofern sei es erforderlich, beim Vorstand auf die Einzelpersonen abzustellen und auch diese gegenüber der Gesellschaft haften zu lassen.1247 Fraglich ist, ob diese Argumentation verfängt. Auch wenn der Vorstand nur aus einer Person besteht, spricht dies nicht generell gegen die (primäre) Haftung des Organs und einen anschließenden Rückgriff auf das Organmitglied oder eine parallele Haftung des Organmitglieds neben dem Organ. Das Zivilrecht kennt auch 1246 1247
Szalai/Marz, DStR 2010, S. 809, 811. Szalai/Marz, DStR 2010, S. 809, 811.
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2. Teil: Folgen von Pflichtverletzungen
andere Konstruktionen von primär haftenden Entitäten, hinter denen (nur) eine natürliche Person steht. So wird juristischen Personen nicht etwa dann ihre Berechtigung abgesprochen, wenn hinter ihnen im Einzelfall nur eine natürliche Person steht (vgl. beispielsweise die Ein-Mann-GmbH, § 1 GmbHG).1248 Handelnder und Verpflichteter zugleich ist (auch) dann (von Durchgriffsfällen abgesehen) die juristische Person, ohne dass es hierbei auf die Anzahl der dahinterstehenden Personen ankommt. Das Recht unterscheidet im Anknüpfungspunkt auch bei Ein-PersonenKonstellationen zwischen der handelnden juristischen und der dahinter stehenden natürlichen Person. Auch der Verweis auf die Satzung, wonach das operative Handeln nach außen einzelnen Mitgliedern des Vorstands übertragen werden kann, kann nicht zu einer anderen Bewertung führen.1249 Zwar besteht durchaus die Möglichkeit, dass (entgegen des gesetzlichen Normalfalls, vgl. § 77 Abs. 1 Satz 1 AktG) aufgrund entsprechender Satzungsbestimmungen Vorstandsmitglieder zur alleinigen Vertretung der Aktiengesellschaft berechtigt sind (§ 77 Abs. 1 Satz 2 AktG). Jedoch bleibt auch in diesem Fall der Vorstand als Organ in seiner Gesamtheit zur Leitung der Gesellschaft verpflichtet (§ 76 Abs. 1 AktG); die Pflicht trifft gerade nicht die Einzelmitglieder als natürliche Personen. Mangels Delegationsmöglichkeit1250 ist die Leitungsaufgabe stets eine „Gesamtaufgabe“ des Kollegialorgans – ungeachtet dessen, wer im Einzelfall die Erfüllung der Leitungsaufgabe im Außenverhältnis umsetzt und welche Regelung die Satzung für das Innenverhältnis bestimmt.1251 Der Grundsatz der Gesamtverantwortung bildet insoweit eine „immanente Schranke der Selbständigkeit“ der einzelnen Organmitglieder.1252 Damit unterscheidet sich die Willensbildung im Vorstand gerade nicht vor der im Aufsichtsrat: auch dort ist die Hauptaufgabe dem Gesamtorgan zugewiesen (§ 111 Abs. 1 AktG) und nicht auf Ausschüsse oder einzelne Mitglieder übertragbar.1253 Zentrale Aufgaben sind vom Gesamtorgan wahrzunehmen und können nicht auf Ausschüsse delegiert werden (vgl. § 107 Abs. 3 Satz 3 AktG), während bei anderen Aufgaben eine Aufgabenübertragung auf Ausschüsse (vgl. § 107 Abs. 3 Satz 1 AktG) oder im Einzelfall sogar auf einzelne Mitglieder möglich ist.1254 Die geringen Unterscheidungen rechtfertigen jedenfalls nicht die Annahme, die Handlungsstrukturen bei Vorstand und Aufsichtsrat unterschieden sich so sehr, dass daraus eine Unübertragbarkeit des Verpflichtungs- und Haftungskonzepts abzuleiten wäre. In1248
Siehe dazu statt aller Fleischer, in: Münchener Kommentar GmbHG, § 1 Rdnr. 61 ff. So aber Szalai/Marz, DStR 2010, S. 809, 812. 1250 Siehe Koch, in: Hüffer, AktG, § 76 Rdnr. 10 zur Unterscheidung der Delegationsmöglichkeit bei Leitungs- und Geschäftsführungsaufgaben. 1251 Ausführlich hierzu Fleischer, in: Spindler/Stilz, AktG, § 76 Rdnr. 8 mit umfangreichen weiteren Nachweisen. 1252 Dauner-Lieb, in: Crezelius/Röhricht, Festschrift für Volker Röhricht, S. 83, 100 f. 1253 Siehe Begründung zu § 112 im RegE eines Aktiengesetzes vom 3. Februar 1962, BTDrs. 4/171, S. 142 re. Sp. 1254 Siehe Spindler, in: Spindler/Stilz, AktG, § 107 Rdnr. 141; Hopt/Roth, in: Großkommentar AktG, § 107 Rdnr. 452; Gittermann, in: Semler/von Schenck, Arbeitshandbuch für Aufsichtsratsmitglieder, § 6 Rdnr. 28. 1249
A. Die Innenhaftung der Aufsichtsratsmitglieder
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sofern verbieten weder die generelle Möglichkeit der Vertretung der Gesellschaft durch einzelne Organmitglieder noch die Tatsache, dass der Vorstand aus einem einzigen Mitglied bestehen kann, die Begründung einer Organpflicht des Vorstands. Die Haftung von Vorstand und Aufsichtsrat muss daher nicht unterschiedlich ausgestaltet sein. Insofern ist der Verweis in § 116 Satz 1 AktG mangels notwendiger Abweichung von Vorstands- und Aufsichtsratshaftung so zu verstehen, dass für beide Organe grundsätzlich ein identisches Haftungskonzept besteht. Der in § 116 Satz 1 AktG normierte Haftungsgleichlauf erfährt zwar durch den Hinweis, die Anwendung erfolge nur „entsprechend“ den Vorschriften über die Vorstandshaftung eine Einschränkung. Allerdings ist dieser Hinweis nicht als generelle Einschränkung der Übertragbarkeit der Haftungsstruktur zu verstehen, vielmehr wird der besonderen Ausgestaltung der Sorgfaltspflicht der Vorstandsmitglieder („Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters“, § 93 Abs. 1 Satz 1 AktG) Rechnung getragen, die sich in diesem Maße nicht unmittelbar auf den Aufsichtsrat übertragen lässt. Den Aufsichtsratsmitgliedern soll nämlich gerade nicht die gleiche Verpflichtung wie einem Geschäftsleiter obliegen; ein solche Verständnis würde den dem Überwachungsorgan zur Verfügung stehenden zeitlichen und inhaltlichen Rahmen überschreiten und zu hohe Anforderungen an den Aufsichtsrat stellen. Insofern bezweckt die (nur) entsprechende Anwendung der Vorschriften über die Vorstandsverantwortlichkeit in § 116 Satz 1 AktG, die Besonderheiten des Organs Aufsichtsrat zu berücksichtigen. Damit vermag der Verweis auf die nur entsprechende Anwendung der Haftungsvorschriften im Einzelfall eine Abweichung von den Haftungsvorschriften zu rechtfertigen, nicht jedoch lässt die nur entsprechende Anwendung der Vorschriften ein Auseinanderfallen der Haftungskonzeption in ganz grundsätzlichen Fragen (Personenhaftung oder Organhaftung) zu. (2) Haftungsinhalt Wenn nun, wie soeben gezeigt, die Haftung von Vorstand und Aufsichtsrat im Grundsatz parallel verlaufen, so ist festzustellen, ob eine kollegialorganschaftliche Vorstandshaftung grundsätzlich in Betracht kommt. Soweit eine solche Haftung des Organs Vorstands ausscheidet, ist nach den oben gefundenen Ergebnissen zur Parallelität von Vorstands- und Aufsichtsratshaftung auch eine kollegialorganschaftliche Haftung des Aufsichtsrats ausgeschlossen. Die Haftung für den Vorstand (bzw. die Mitglieder des Vorstands) ist in § 93 AktG geregelt. Gemäß § 93 Abs. 2 Satz 1 AktG haften die Organmitglieder verschuldensabhängig für die Verletzung von Pflichten. Eine (primäre) Organhaftung sieht das Gesetz weder ausdrücklich vor noch bestehen Indizien dafür, dass der Gesetzgeber bei der Schaffung der Norm eine solche Haftung vorausgesetzt hat. Die Haftungskonzeption des Vorstands, wonach die Vorstandsmitglieder (und nicht das
294
2. Teil: Folgen von Pflichtverletzungen
Organ) für die Verletzung ihrer Pflichten einzustehen haben, beruht, wie gezeigt,1255 auf dem ersten Entwurf für ein deutsches Aktienrecht. Bereits damals war nicht eine Organhaftung, sondern (ausschließlich) eine Haftung der Organmitglieder vorgesehen. Die gesetzgeberische Wertung folgt dem Prinzip der Haftung für individuelle Verursachung und lässt ein handelndes Organmitglied für den eigenen Verursachungsbeitrag einstehen. Es ist aufgrund der Auslegung des gesetzgeberischen Willens davon auszugehen, dass der historische Gesetzgeber bei der Schaffung der Vorschriften zur Vorstandsverantwortlichkeit das Organ als nicht mit eigener (Teil-) Rechtsfähigkeit ausgestattet angesehen hat und insofern eine Organhaftung nicht Gegenstand der juristischen Betrachtung war. Insofern wurde ausdrücklich eine Haftung der Mitglieder für eigenes Fehlverhalten angeordnet. Für die Annahme einer Organhaftung bleibt aufgrund des eindeutigen Gesetzeswortlauts kein Raum. Mithin besteht trotz Pflichtenbindung des Vorstands als Organ eine unmittelbare Haftung der Vorstandsmitglieder. Aufgrund der aufgezeigten Parallelität von Vorstands- und Aufsichtsratshaftung bedeutet dies, dass der Verweis in § 116 Satz 1 AktG die aufgeführten Grundsätze der Mitgliederhaftung auf den Aufsichtsrat überträgt und damit eine Haftung des Aufsichtsrats als Organ ausgeschlossen ist. dd) Gleichlauf von Pflichtenbindung und Haftungssubjektivität Bisweilen wird angeführt, eine Haftung des Kollegialorgans Aufsichtsrat ließe sich aus der Systematik der Vorschriften des Aktiengesetzes herleiten: Das Aktiengesetz unterscheide streng zwischen Organpflichten und Mitgliederpflichten, sodass hieraus eine Differenzierung der Haftung einerseits in eine Organ- und andererseits in eine Mitgliederhaftung fortsetze.1256 Grundlage der Differenzierung bildet nach dieser Ansicht die Betrachtung, wer für die Erfüllung einer Pflicht einzustehen hat. Weist § 111 Abs. 1 AktG beispielsweise die Überwachungspflicht dem Aufsichtsrat als Organ zu, so soll auch das Organ für die Verletzung eben dieser Pflicht einstehen müssen. Wenn demgegenüber die einzelnen Mitglieder (auch gemeinschaftlich) verpflichtet werden (so z. B. im Falle des § 33 AktG), treffe die Haftung – ebenso wie die Verpflichtung – nicht das Organ, sondern die einzelnen Mitglieder. Auf diese Weise wird eine Konnexität zwischen Pflichtenadressierung und Haftungssubjektivität hergeleitet – die Pflichtenbindung bestimmt insofern gleichsam das Haftungssubjekt.1257 Vor dem Hintergrund dieses Verständnisses wird angeführt, § 116 AktG stelle keine eigenständige Anspruchsgrundlage dar, sondern
1255
Siehe oben, S. 246 ff. Szalai/Marz, DStR 2010, S. 809 f. 1257 Dies scheint die Grundlage der Überlegungen bei Szalai/Marz, DStR 2010, S. 809, 811 ff, zu sein. 1256
A. Die Innenhaftung der Aufsichtsratsmitglieder
295
regele die Verantwortlichkeit der Aufsichtsratsmitglieder im Innenverhältnis untereinander.1258 Für die Verifizierung dieser These ist es zunächst erforderlich, die grundlegenden Annahmen zu bestätigen. Dazu gilt es zu belegen, dass im Aktienrecht eine haftungsrechtliche Einstandspflicht immer nur das Organ oder diejenige Person trifft, dem bzw. der auch eine korrespondierende Pflicht zugewiesen ist. (1) Grundsätzlich: Differenzierung Das Aktiengesetz unterscheidet ausdrücklich zwischen solchen Aufgaben und Pflichten, die dem Aufsichtsrat, und damit dem Organ zugewiesen sind (siehe z. B. §§ 111, 318 AktG), während insbesondere die Vorschriften über die Gründungsprüfung (z. B. § 33 Abs. 1 AktG, § 34 Abs. 1, § 36 Abs. 1 AktG) eine Verpflichtung der Mitglieder vorsehen. Eine Differenzierung in der Anknüpfung des Verpflichtungssubjekts ist also prinzipiell gegeben. (2) Interdependenz? Fraglich ist aber, ob das Gesetz von dieser Unterscheidung ausgehend auch eine (generelle) Interdependenz zwischen Pflichtadressaten und Haftungssubjekten vorsieht. Dafür wäre es erforderlich, dass das Aktienrecht einem Pflichtenadressaten für den Fall der Verletzung der übertragenen Pflichten stets auch eine haftungsrechtliche Verantwortung zuweist. (a) Organhaftung statt Mitgliederhaftung? Exemplarisch könnte auf die Vorschriften bei der Gründerhaftung zurückgegriffen werden. Im Falle der Verletzung von den Mitgliedern zugewiesenen Gründungspflichten (z. B. § 33 AktG) müssen die Mitglieder selbst für entstandene Schäden haftungsrechtlich einstehen (§ 48 AktG). Pflichtenadressat und Haftungssubjekt sind an dieser Stelle entsprechend der oben angeführten These in einer Person vereint. Fraglich ist indes, ob sich aus dieser Gestaltung ein allgemeiner Grundsatz für das gesamte Aktienrecht ableiten lässt. Dazu bedürfte es weiterer, paralleler Ausgestaltungen im Gesetz. Eine weitere Ersatzpflicht für die Mitglieder des Aufsichtsrats ist ausdrücklich in § 318 Abs. 2 AktG normiert. Danach haften die Aufsichtsratsmitglieder für die Verletzung von Pflichten, die Ihnen nach § 314 AktG übertragen sind: „Die Mitglieder des Aufsichtsrats der Gesellschaft haften neben den nach § 317 Ersatzpflichtigen als Gesamtschuldner, wenn sie hinsichtlich des nachteiligen Rechtsgeschäfts oder der nachteiligen Maßnahme ihre Pflicht, den Bericht über die Beziehungen zu verbundenen Unternehmen zu prüfen und über das Ergebnis der Prüfung an die Hauptversammlung zu berichten (§ 314), verletzt haben.“ 1258
Szalai/Marz, DStR 2010, S. 809, 812.
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2. Teil: Folgen von Pflichtverletzungen
§ 314 AktG regelt die Prüfung des Vorstandsberichts über die Beziehungen zu verbundenen Unternehmen durch den Aufsichtsrat. In § 314 Abs. 2 AktG ist festgehalten, dass „[d]er Aufsichtsrat […] den Bericht über die Beziehungen zu verbundenen Unternehmen zu prüfen und in seinem Bericht an die Hauptversammlung (§ 171 Abs. 2) über das Ergebnis der Prüfung zu berichten“ hat. Die Prüfungspflicht richtet sich damit nicht an die Organmitglieder, sondern – wie beispielsweise auch bei § 111 Abs. 1 AktG – unmittelbar an das Kollegialorgan selbst. Die Mitgliederhaftung in § 318 Abs. 2 AktG scheint insofern in Abhängigkeit zu der Pflichtenadressierung an das Kollegialorgan zu stehen (§ 314 Abs. 2 AktG), sodass ein entsprechender Haftungsgleichlauf nicht zu verzeichnen wäre. Es scheint so, als müssten die Mitglieder für solche Pflichtverletzungen einstehen, die durch das Gesamtorgan verursacht werden, insofern also die Aufsichtsratsmitglieder quasi als Drittschuldner für fremde Pflichtverletzungen einstehen. Bei näherer Betrachtung wird indes deutlich, dass die Mitglieder aus § 318 Abs. 2 AktG nicht für die Verletzung der Pflichten durch das Gesamtorgan, sondern nur für die Verletzung eigener Pflichten haftungsrechtlich einzustehen haben. „Die Mitglieder des Aufsichtsrats der Gesellschaft haften […], wenn sie […] ihre Pflicht […] verletzt haben“ (§ 318 Abs. 2 1. Halbs. AktG).
Obgleich also § 318 Abs. 2 AktG für die Mitgliederhaftung an die Verpflichtung des Organs in § 314 AktG verweist, knüpft die haftungsrechtliche Einstandspflicht ausweislich der eindeutigen Regelung in § 318 Abs. 2 AktG nicht an das Verhalten eines Dritten bzw. des Organs, sondern stets nur an die persönliche Verpflichtung des Mitglieds an. Das Gesetz geht damit augenscheinlich von folgendem Grundsatz aus: Das Organ selbst ist handlungsunfähig und kann sowohl nach außen als auch nach innen nur durch seine Mitglieder handeln. Wenn aber das Organ ausschließlich durch die Vermittlung seiner Mitglieder handlungsfähig ist, dann zieht jede primäre Adressierung des Organs auf sekundärer Ebene auch eine Pflicht der Mitglieder jedenfalls zur ordnungsgemäßen Ausübung ihrer Mitgliederpflichten nach sich. Indem also in § 314 AktG bestimmte Pflichten (primär) dem Organ übertragen werden, werden mittelbar sekundäre Verpflichtungen der Mitglieder festgelegt. Vor diesem Hintergrund rechtfertigt sich auch der Verweis in § 318 Abs. 2 AktG auf die Organpflicht des § 314 AktG: Es handelt sich hierbei nicht um eine Einstandspflicht der Mitglieder für eine Verfehlung des Organs, sondern um eine Haftung der Organmitglieder für individuelle Pflichtverletzungen und Verschulden. Die Organpflicht dient lediglich als Rahmen zur Bestimmung der Mitgliederrechte und -pflichten, da sich die Mitwirkungspflichten der Aufsichtsratsmitglieder nach den Pflichten des Organs bestimmen. Eine vergleichbare Situation wie bei § 318 Abs. 2 AktG zeigt sich bei § 116 Satz 3 AktG. Der Gesetzgeber hat auch an dieser Stelle eine ausdrückliche Ersatzpflicht der Aufsichtsratsmitglieder normiert. Die korrespondierende Pflicht des § 87 Abs. 1 AktG richtet sich indes an das Gesamtorgan Aufsichtsrat und nicht an die Mitglieder
A. Die Innenhaftung der Aufsichtsratsmitglieder
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selbst. Problematisch ist hier, dass der Gesetzgeber nicht zwischen den Pflichten des Organs und den Pflichten der Organmitglieder zu differenzieren scheint: In § 116 Satz 3 AktG ist eine Ersatzpflicht der Aufsichtsratsmitglieder angeordnet, „[…] wenn diese eine unangemessene Vergütung festsetzen (§ 87 Abs. 1)“. Die Vorschrift ist freilich ungenau: Der Gesetzgeber scheint übersehen zu haben, dass gemäß § 87 Abs. 1 AktG die Pflicht zur Festsetzung einer angemessenen Vergütung dem Organ Aufsichtsrat (§ 87 Abs. 1 Satz 1 AktG), und nicht – wie § 116 Satz 3 AktG impliziert – gemeinschaftlich den Mitgliedern des Aufsichtsrats übertragen ist. Wenn nun aber § 87 Abs. 1 AktG (unstreitig) eine Aufgabe des Organs beschreibt, die Haftung für die Festsetzung einer unangemessene Vergütung aber den Aufsichtsratsmitglieder zugewiesen ist, dann könnte sich hieraus möglicherweise die Einstandspflicht der Mitglieder für Pflichtverletzungen des Organs ergeben, sodass tatsächlich ein Auseinanderfallen von Pflichtensubjekt und Haftungsadressat vorläge. Tatsächlich aber muss die Vorschrift des § 116 Satz 3 AktG anders ausgelegt werden: Der Gesetzgeber beabsichtigte durch ihre Einführung auf die besondere Verantwortung der Aufsichtsratsmitglieder bei der Festlegung der Vorstandsvergütung hinzuweisen. Dies sollte nicht durch ein Einstehen der Aufsichtsratsmitglieder für Pflichtverletzungen des Organs erfolgen. Aus dem Wortlaut von § 116 Satz 3 AktG folgt bereits, dass der Gesetzgeber die Organmitglieder für die Verletzung ihrer Pflichten haftungsrechtlich verantwortlich machen wollte. Da den Mitgliedern aber nur mittelbar die Festlegung der Vorstandsvergütung übertragen ist – nämlich im Rahmen ihrer Mitwirkungsrechte und -pflichten – kann sich die Haftung bei § 116 Satz 3 AktG auch lediglich auf eine Verletzung dieser Pflichten beziehen. Eine Einstandspflicht für die Verfehlungen des Organs ist hingegen aus der Vorschrift nicht ableitbar. Wenn auch die tatsächlichen Ausgestaltungen im Aktienrecht teilweise nicht eindeutig erscheinen, lässt sich aus den verschiedenen haftungsrechtlichen Konstellationen indes erkennen, dass das Aktiengesetz kein grundsätzliches Auseinanderfallen von Haftungssubjekt und Pflichtenadressat vorsieht. Im Gegenteil besteht eine Haftung nur dann und nur soweit, wenn und wie eine korrespondiere Pflicht besteht. Wie gezeigt gilt dies auch dort, wo auf den ersten Blick eine Dritthaftung der Organmitglieder für Pflichtverletzungen des Organs besteht. Bei näherer Betrachtung wird deutlich, dass keine Dritthaftung angeordnet ist, sondern eine Haftung der Organmitglieder bei Verletzung der ihnen individuell übertragenen Pflichten im Rahmen der Ausübung von Organpflichten. Diese Pflichten entstehen als Mitwirkungspflicht gerade durch die primäre Adressierung des Organs, das nicht selbständig handeln kann. Ein Verständnis dahingehend, dass eine primäre Haftung des Organs und eine sekundäre Haftung der Aufsichtsratsmitglieder besteht, ergibt sich entgegen der oben vorgestellten These nicht. Überträgt man die hier gefundenen Ergebnisse auf § 116 Satz 1 AktG, so ergibt sich, dass die Norm entgegen anderslautender Thesen sehr wohl eine allgemeine Haftung für Pflichtverletzungen der Aufsichtsratsmitglieder regeln kann; dem steht ein Grundsatz der Konnexität von Verpflichtung und Haftung nicht entgegen. Richtig
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2. Teil: Folgen von Pflichtverletzungen
ist zwar, dass § 111 AktG allgemein die Pflichten des Aufsichtsrats normiert. Eine primäre Haftung des Organs für seine Pflichtverletzungen ist im Gesetz allerdings nicht niedergelegt. Demgegenüber besteht eine ausdrückliche Haftung der Mitglieder des Aufsichtsrats bei Verletzung ihrer individuellen Pflichten (§ 116 Satz 1 AktG). Dass es sich dabei ausschließlich um Ansprüche im Innenverhältnis handeln soll,1259 findet – wie gezeigt – weder in der Historie noch in der Systematik der Vorschrift eine Grundlage. Auch das hier vorgestellte Prinzip eines Gleichlaufs von Pflichtenbindung und Haftungssubjektivität vermag zu keinem anderen Ergebnis zu kommen: Die Norm erfährt nur dann eine faktische Berechtigung, wenn man sie mit der allgemeinen Ansicht und entsprechend ihrem historischen und systematischen Kontext als Anspruchsgrundlage der Gesellschaft gegen die einzelnen Mitglieder versteht. Die Ansprüche der Gesellschaft richten sich daher nicht (wie aber von der Gegenansicht angedeutet)1260 ausschließlich gegen das Organ, sondern gerade gegen die einzelnen Aufsichtsratsmitglieder. Dabei darf indes nicht übersehen werden, dass die Mitglieder nicht für die Verletzungen der Pflichten des Aufsichtsrats (z. B. in § 111 Abs. 1 AktG) haften, sondern ausschließlich für die Verletzungen ihrer eigenen Pflichten haftungsrechtlich einzustehen haben, wobei diese Pflichten als Mitwirkungspflichten aus den Pflichten des Organs resultieren können. Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass eine Interdependenz von Haftungssubjektivität und Pflichtenadressierung, wie von der hier besprochenen These angenommen, zwar grundsätzlich besteht. Entgegen der Annahme der These führt diese Interdependenz allerdings nicht zu einer primären Haftung des Organs unter Ausschluss einer Individualhaftung der Mitglieder. Stattdessen besteht – ausdrücklich angeordnet – jedenfalls eine Haftung der Mitglieder des Aufsichtsrats für die Verletzung eigener (Mitwirkungs-)Pflichten, die eine Konkretisierung oder Erweiterung durch die dem Organ gesetzlich auferlegten Pflichten erfahren können. Eine Haftung besteht mithin (nur) dort, wo auch eine persönliche Verletzung von Pflichten erfolgt. (b) Organhaftung neben Mitgliederhaftung? Wenn das Aktiengesetz nach den oben dargestellten Ergebnissen die Haftung der Aufsichtsratsmitglieder (ausschließlich) für die Verletzung eigener Pflichten, nicht aber eine Haftung für die Pflichtverletzungen des Organs anordnet, so ist damit freilich über eine Haftung des Organs für eigene Pflichtverletzungen noch nichts gesagt. Nach den hier dargestellten Ergebnissen verbietet sich eine Auslegung, wonach § 116 Satz 1 AktG lediglich das Innenverhältnis der Aufsichtsratsmitglieder untereinander regelt. Stattdessen folgt aus der Norm eine Haftung der Aufsichtsratsmitglieder gegenüber der Gesellschaft für eigene Pflichtverletzungen. 1259
So jedenfalls Szalai/Marz, DStR 2010, S. 809, 811 f. Vgl. die Ausführungen bei Szalai/Marz, DStR 2010, S. 809, 811 f, die davon auszugehen scheinen, dass eine primäre Haftung des Organs die Anwendung von § 116 Satz 1 AktG als Anspruchsgrundlage der Gesellschaft gegen die Organmitglieder verdrängen und ausschließlich Ansprüche der Gesellschaft gegen das Organ zulassen wollen. 1260
A. Die Innenhaftung der Aufsichtsratsmitglieder
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Fraglich ist nunmehr, ob aus dem Grundsatz der Haftung für eigene Pflichtverletzungen nicht auch eine Haftung des Organs selbst (beispielsweise Verletzung der Pflicht aus § 111 Abs. 1 AktG) abgeleitet werden kann. Das Gesetz sieht eine entsprechende Haftung nicht explizit vor, schließt diese allerdings auch nicht aus: Die Mitgliederhaftung in § 116 Satz 1 AktG tritt – wie gezeigt – nur für eigene Pflichtverletzungen ein; es besteht keine Ersatzverpflichtung der Mitglieder für Verfehlungen des Organs. Auch bei der vergleichbaren Ausgestaltung der Festsetzung einer Vorstandsvergütung besteht nur eine Haftung der Mitglieder für eigene Pflichtverletzungen. Nicht geregelt (weder positiv noch negativ) ist damit eine Einstandspflicht – weder durch die Mitglieder noch durch das Organ – für die durch das Organ erfolgten Pflichtverletzungen. Mithin ist nicht ausgeschlossen, dass neben eine Haftung der Mitglieder für individuelle Pflichtverletzungen bei der Beschlussfassung im Organ oder der Ausführung solcher Beschlüsse auch eine Haftung des Organs selbst für die von ihm ausgeführten oder getroffenen Beschlüsse oder Maßnahmen besteht. Im Gegensatz zu der bei Szalai/Marz vertretenen These könnte aber eine solche Organhaftung aufgrund der oben aufgezeigten Ergebnisse nur parallel zur Mitgliederhaftung bestehen und diese nicht ersetzen. Zweifelhaft ist jedoch, ob ein praktisches Bedürfnis für eine solche Haftung besteht und woraus diese Haftung dogmatisch abgeleitet werden könnte. Eine Organhaftung neben der Mitgliederhaftung wäre nur dann von praktischer Relevanz, wenn der Gesellschaft dadurch ein zusätzliches Haftungssubjekt zur Verfügung stünde. Eine derartige Haftung hätte zur Folge, dass die Gesellschaft nicht nur Ansprüche gegen die Mitglieder wegen Verletzung der Teilhabe- und Mitwirkungspflichten aus § 116 Satz 1 AktG geltend machen könnte, sondern zusätzlich unmittelbar gegen das Organ vorgehen könnte. Problematisch ist allerdings, dass dadurch nichts gewonnen wäre. Mangels eigenen Vermögens besitzt der Aufsichtsrat keine eigene Haftungsmasse. Der Aufsichtsrat ist Teil der Gesellschaft und bezieht sein Vermögen über die Gesellschaft – eigene Einkünfte stehen ihm nicht zu. Selbst wenn man ihm, wie in der Literatur sehr vereinzelt vertreten,1261 ein eigenes Budget gewähren wollte, könnte die Gesellschaft im Haftungsfall strenggenommen allein erlangen, was sie bereits besitzt – das Vermögen aus dem Budget des Aufsichtsrats ist bereits ohnehin Vermögen der Gesellschaft. Ein rechnerischer Vorteil für die Gesellschaft käme (unter der Voraussetzung des Bestehens eines Aufsichtsratsbudgets) zwar dann zustande, da das Budget – und damit der Handlungsspielraum des Aufsichtsrats – im Haftungsfall erheblich verringert würde. Vor allem jedoch kann die Lösung über die Haftung des Budgets nicht überzeugen, weil unklar ist, was geschieht, wenn das Budget zur Deckung des Haftungsbetrags nicht ausreicht. Dem Organ stünde im Haftungsfall für seine Aufgabenerfüllung deutlich weniger bzw. gar kein Geld mehr zur Verfügung. Damit wäre die ordnungsgemäße Überwachung nicht mehr sichergestellt und die Sanktionierung eines vorangegangenen Fehlverhaltens
1261
Siehe dazu den (zweifelhaften) Vorschlag bei Theisen, Der Aufsichtsrat 2011, S. 1.
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2. Teil: Folgen von Pflichtverletzungen
würde sich zwangsläufig in einer noch schlechteren Überwachung und Kontrolle perpetuieren. (aa) Überleitungsvorschrift? Insofern wäre es für eine Haftung des Organs konsequenterweise erforderlich, die Verbindlichkeiten des Organs gegenüber der Gesellschaft auf die einzelnen Aufsichtsratsmitglieder überzuleiten.1262 Für eine solche Überleitung fehlt es allerdings bereits an einer entsprechenden gesetzlichen Anordnung: Das Aktienrecht sieht eine unmittelbare Haftung der Aufsichtsratsmitglieder und gerade nicht ein Einstehen für die Verbindlichkeiten des Organs vor. Soweit vertreten wird, dass sich eine Überleitung aus § 128 HGB (doppelt) analog ergibt,1263 kann dem nicht gefolgt werden. Abgesehen davon, dass aufgrund der eindeutigen gesetzlichen Regelung für eine Ersatzpflicht der Mitglieder aufgrund individuellen Pflichtverletzungen bereits das Bestehen einer Regelungslücke überaus fraglich ist, liegt jedenfalls keine Planwidrigkeit einer entsprechenden Regelungslücke vor: Der Gesetzgeber hat seit der Schaffung des Aktiengesetzes stets eine Mitgliederhaftung normiert, um die Haftung des Einzelnen für dessen individuelles Fehlverhalten sicherzustellen. Ein Einstehen für Dritte war im Aktiengesetz zu keinem Zeitpunkt vorgesehen; stets richtete sich die Haftung ausdrücklich an die Mitglieder für eigene Pflichtverletzungen, während allgemeine Pflichten dem Organ selbst zugewiesen waren, ohne dass Pflichtverletzungen des Organs sanktioniert wurden.1264 Aufgrund dieser eindeutigen Rechtslage seit nunmehr 150 Jahren, die durch mehrere Aktienrechtsnovellen bestätigt wurde, ist davon auszugehen, dass der Gesetzgeber sich bewusst zugunsten einer (ausschließlichen) Haftung der Mitglieder für eigene Pflichtverletzungen entschieden und absichtlich ein Einstehen der Mitglieder für Pflichtverletzungen des Organs nicht geregelt hat. Eine planwidrige Regelungslücke, die als Grundlage einer Anwendung von § 128 HGB erforderlich wäre, besteht nicht. Eine Organhaftung des Aufsichtsrats lässt sich nicht begründen. (bb) Keine Notwendigkeit der Überleitung aus systematischer Sicht Ungeachtet des Nichtbestehens einer Überleitungsvorschrift würde eine Überleitung aus systematischer Sicht bereits keinen Sinn machen: Leitete man den Schaden, welcher der Gesellschaft durch das Fehlverhalten des Organs entsteht, auf sämtliche Organmitglieder über, so würde die in § 116 Satz 1 AktG angelegte gesetzgeberische Unterscheidung nach der persönlichen Verantwortung der Mitglieder für den entstandenen Schaden ignoriert. Für eine Haftung käme es dann nämlich nicht mehr darauf an, ob das einzelne Mitglied an der Entstehung des Schadens tatsächlich beteiligt war; jedes Mitglied müsste in gleicher Höhe einen Anteil des 1262
So bereits Szalai/Marz, DStR 2010, S. 809, 811. So Szalai/Marz, DStR 2010, S. 809, 811 ff. 1264 Vgl. bspw. den Entwurf eines Gesetzes betreffend die KGaA und AG (1884), abgedruckt bei Schubert/Hommelhoff, Hundert Jahre modernes Aktienrecht, S. 461. 1263
A. Die Innenhaftung der Aufsichtsratsmitglieder
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Schadens tragen. In diesem Fall allerdings verlöre die verschuldensabhängige Haftung des § 116 Satz 1 AktG ihre Bedeutung: Stimmten die Aufsichtsratsmitglieder einer gesetzeswidrigen Maßnahme des Organs zu, so würden entsprechend den oben aufgezeigten Grundsätzen lediglich diejenigen Aufsichtsratsmitglieder, die der Maßnahme zugestimmt hatten, der Gesellschaft gegenüber für den aus der Maßnahme entstehenden Schaden haften. Mitglieder, die entsprechend der oben ausgeführten Grundsätze1265 gegen die pflichtwidrige Maßnahme gestimmt hatten, wären der Gesellschaft mangels Pflichtwidrigkeit ihres Handelns nicht zum Ersatz verpflichtet. Wenn nun aber die Haftung der Mitglieder nach § 116 Satz 1 AktG kumulativ neben eine Haftung des Organs träte, bestünde gemäß der (gezeigt erforderlichen) Haftungsüberleitung eine haftungsrechtliche Einstandspflicht der Aufsichtsratsmitglieder. Die Haftungsüberleitung könnte nunmehr entweder auf sämtliche Aufsichtsratsmitglieder oder nur auf diese Mitglieder, die an der Ausführung des rechtswidrigen Beschlusses beteiligt waren, erfolgen. Im letzteren Fall wäre durch die zusätzliche Organhaftung nichts gewonnen, da wie auch bei der Haftung nach § 116 Satz 1 AktG die gleichen Mitglieder gesamtschuldnerisch für die gleiche Schadenshöhe eintreten müssten, wobei dies nur indirekt, nämlich in Folge einer Haftung für die Verbindlichkeiten des Organs, erfolgen würde. Im ersten Fall hingegen käme es durchaus zu einer gegenüber der Haftungsanordnung nach § 116 Satz 1 AktG abweichenden Konstellation: für die Verbindlichkeit des Organs gegenüber der Gesellschaft, die in der in Höhe des durch die pflichtwidrige Organmaßnahme entstandenen Schadens bestünde, müssten nun sämtliche Mitglieder zu gleichen Teilen einstehen. Damit würde der individuelle Anteil der Mitglieder am Gesamtschaden reduziert, vor allem aber würde dies dazu führen, dass auch diejenigen Mitglieder, die sich pflichtgemäß von der Organmaßnahme distanziert hatten, in gleichem Maße wie die für den Schaden ursächlichen Mitglieder einstehen müssten. Überaus problematisch ist eine solche Haftungsüberleitung aber deshalb, da dadurch die Haftungsanordnung gemäß § 116 Satz 1 AktG unterlaufen würde. Es käme nunmehr nicht mehr auf den individuellen Verursachungsbeitrag, sondern nur darauf an, ob der Gesellschaft durch eine Organmaßnahme ein Schaden entstanden ist. Die gesetzlichen Haftungsanordnungen für die Mitglieder aufgrund individueller Pflichtverletzungen würden mithin leer laufen. Jedoch würden die Mitglieder als Gesamtschuldner haften (§§ 421 ff BGB). Der individuelle Verschuldensgrad könnte dann im Rahmen des Schadensausgleichs der Mitglieder untereinander berücksichtigt werden. Dies müsste dann den Voraussetzungen von § 116 Satz 1 AktG folgen, sodass sich die Ergebnisse nicht unterschieden. Schließlich fehlt es für eine Organhaftung auch an der gesetzlichen Normierung eines Haftungstatbestands. Zwar sind dem Aufsichtsrat als Organ Pflichten zugewiesen, eine Rechtsfolge für die Verletzung dieser Pflichten statuiert das Aktiengesetz allerdings nicht. Eine Haftungsanordnung ist auch nicht etwa aus allgemeinen 1265
Siehe dazu ausführlich oben, S. 202 ff.
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2. Teil: Folgen von Pflichtverletzungen
Vorschriften analog heranzuziehen, da es an einer entsprechenden Regelungslücke fehlt. Der Gesetzgeber hat den Aufsichtsrat ausdrücklich als Pflichtenadressat gewählt, um ihm eine flexible Organisation zur Erfüllung der zugewiesenen Rechte und Pflichten zu ermöglichen. Bis auf wenige Ausnahmen ist es dem Aufsichtsrat insofern möglich, die ihm zugewiesenen Aufgaben auf einzelne Mitglieder oder Ausschüsse zu verteilen. Die Zwischenschaltung des Organs als Pflichtenadressat ermöglicht insofern eine größere Flexibilität der Mitglieder zur Organisation ihrer Aufgaben. Eine Haftung des Organs bedarf es aber nicht, da das Gesellschaftsvermögen hinreichend über die individuelle haftungsrechtliche Einstandspflicht der einzelnen Aufsichtsratsmitglieder für ihre jeweiligen Pflichtverletzungen geschützt ist. Mithin ergibt sich, dass – ungeachtet teleologischer Bedenken – ein Gleichlauf von Pflichtenbindung und Haftungssubjektivität denklogisch nicht erfordert, eine Haftung des Organs für eigene Pflichtverletzungen zu begründen. Aus systematischer Sicht wäre durch eine solche Haftungsbegründung gegenüber der nach ganz allgemeiner Ansicht bestehenden Mitgliederhaftung nach § 116 Satz 1 AktG im Übrigen nichts gewonnen – die Vorschrift würde vielmehr überflüssig. ee) Systematischer Vergleich mit § 117 Abs. 2 und § 147 Abs. 1 AktG Fraglich ist, inwiefern eine systematische Analyse von § 117 Abs. 2 AktG und § 147 Abs. 1 AktG die These der organschaftlichen Haftung des Aufsichtsrats zu bestätigen oder widerlegen vermögen. § 117 Abs. 2 AktG normiert eine gesamtschuldnerische Haftung der Mitglieder von Vorstand und Aufsichtsrat gemeinsam mit einem Einflussnehmer i.S.v. § 117 Abs. 1 AktG für den Fall der individuellen Pflichtverletzung. Für die persönliche Haftung der Organmitglieder werden die Bestimmungen des § 93 AktG herangezogen, sodass die Voraussetzungen für eine Haftung der Aufsichtsratsmitglieder nach § 117 Abs. 2 Satz 1 AktG denen aus § 116 Satz 1 i.V.m. § 93 Abs. 2 AktG entsprechen.1266 Die Vorschrift erlangt aber deshalb eine eigenständige Bedeutung, da nach § 117 Abs. 5 AktG eine Geltendmachung des Ersatzanspruchs der Gesellschaft auch durch die Gesellschaftsgläubiger erfolgen kann. Aus der Vorschrift ergibt sich eindeutig, dass das Gesetz auch hier keine Haftung des Organs für eigene Pflichtverletzungen normiert und ausdrücklich von einer Haftung der Organmitglieder (und nicht des Organs) spricht. Aus diesem Grund ließe sich wohl kaum vertreten, dass § 116 Satz 1 i.V.m. 93 Abs. 2 AktG eine Organhaftung regelt, während § 117 Abs. 2 AktG i.V.m. § 93 AktG eine Mitgliederhaftung normiert. Schließlich ergibt sich aus § 147 Abs. 1 Satz 1 AktG, dass das Gesetz in § 116 AktG eine Haftung der Mitglieder des Aufsichtsrats (und nicht des Organs) zu 1266 Schall, in: Spindler/Stilz, AktG, § 117 Rdnr. 27; Spindler, in: Münchener Kommentar AktG, § 117 Rdnr. 58; Koch, in: Hüffer, AktG, § 117 Rdnr. 12.
A. Die Innenhaftung der Aufsichtsratsmitglieder
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regeln sucht. Nach § 147 Abs. 1 Satz 1 AktG muss ein Ersatzanspruch der Gesellschaft gegen die Mitglieder des Aufsichtsrats geltend gemacht werden, wenn die Hauptversammlung dies mit einfacher Stimmenmehrheit beschließt. Anspruchsgegner sind für Ansprüche „aus der Geschäftsführung“ „die Mitglieder von Vorstand und Aufsichtsrat“. Ansprüche aus der Geschäftsführung sind sämtliche Ansprüche im Zusammenhang mit der Verwaltung der Aktiengesellschaft und damit insbesondere auch Schadensersatzansprüche aus § 116 Satz 1 i.V.m. § 93 Abs. 2 AktG.1267 Daraus folgt, dass sämtliche Ersatzansprüche wegen Pflichtverletzung sich ausdrücklich gegen die Mitglieder des Aufsichtsrats, nicht auch gegen das Organ, richten. Über § 147 Abs. 1 AktG soll sichergestellt werden, dass die Hauptversammlung die Geltendmachung sämtlicher der Gesellschaft zustehenden Ansprüche anordnen kann, um einen Ausgleich des Schadens der Gesellschaft zu erlangen. Geht man nun von einer primären Haftung des Organs neben oder anstelle der Mitgliederhaftung aus, so wäre es der Hauptversammlung mangels Nennung in § 147 Abs. 1 AktG nicht möglich, die Verfolgung dieser Ansprüche gegen das Organ anzuordnen. Das würde aber dem Zweck des § 147 Abs. 1 AktG, der eine umfassende Geltendmachung der Ersatzansprüche der Gesellschaft sicherstellen soll, zuwiderlaufen. Daher kann angenommen werden, dass der Gesetzgeber nicht vom Bestehen einer Organhaftung ausging und aus diesem Grund eine entsprechende Ersatzpflicht nicht normierte. ff) Ergebnis Im Ergebnis lässt sich aus der Systematik der Vorschriften des Aktiengesetzes keine organschaftliche Haftung des Aufsichtsrats rechtfertigen. Die gesetzgeberische Intention deutet eindeutig auf eine Mitgliederhaftung des Aufsichtsrats (und auch des Vorstands) hin. Die Genese und die Ausgestaltung der Vorschriften sprechen dafür, dass der Gesetzgeber stets eine individuelle Haftung der Mitglieder für eigenes Verschulden zu schaffen suchte. Eine Haftung der Mitglieder für das Verschulden des Organs selbst war im Gesetz zu keinem Zeitpunkt vorgesehen und ergibt sich auch nicht aus der Systematik der Vorschriften. Es würde der Entstehung und Bedeutung der Vorschriften zuwider laufen. Etwas anderes kann auch nicht aus den Pflichten bei der Gründung abgeleitet werden, bei deren Ausgestaltung die Mitglieder des Aufsichtsrats (und nicht das Organ) alleiniger Zurechnungsendpunkt von Rechten und Pflichten sind. Wie gezeigt ist dies nicht der Errichtung eines neuen allgemeinen Haftungskonzepts, sondern dem Bedürfnis der Vermeidung des Ausschlusses einzelner Mitglieder, und somit der Schaffung einer umfangreichen individuellen Prüfung durch jedes einzelne Mitglied, geschuldet. Die Systematik der Haftungsvorschriften spricht damit eindeutig gegen eine Haftung der Mitglieder für
1267 Schröer, in: Münchener Kommentar AktG, § 147 Rdnr. 18; Mock, in: Spindler/Stilz, AktG, § 147 Rdnr. 10; Koch, in: Hüffer, AktG, § 147 Rdnr. 2; Hirschmann, in: Hölters, AktG, § 147 Rdnr. 2.
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2. Teil: Folgen von Pflichtverletzungen
ein Fehlverhalten des Organs – sowohl anstelle als auch neben einer individuellen und primären Mitgliederhaftung. d) Telos Fraglich ist, ob sich aus der Teleologie der aktienrechtlichen (Haftungs-)Vorschriften eine kollegialorganschaftliche Haftung ergibt. Dabei ist zu untersuchen, welcher objektive Zweck den aktienrechtlichen Haftungsvorschriften zugrunde liegt. Den Haftungsvorschriften im Aktienrecht kommt eine präventiv verhaltenssteuernde Funktion zur Vermeidung von Schäden der Gesellschaft zu, während sie keinen pönalisierenden Charakter besitzen.1268 Vor diesem Hintergrund erfolgt die Auslegung nach Sinn und Zweck der Haftungsvorschriften. Demnach sind die Vorschriften so auszulegen, dass sie eine möglichst hohe Motivation der Aufsichtsratsmitglieder zur Vermeidung von Schäden der Gesellschaft nach sich ziehen. Eine solche intrinsische Motivation ist im Regelfall bei einer hohen Wahrscheinlichkeit der Haftung gegeben, wobei es – mangels pönalisierender Funktion – nicht auf das Verschulden des individuellen Mitglieds ankommt. Vor diesem Hintergrund entspräche eine möglichst umfassende Regelung ohne Rücksicht auf einen individuellen Verschuldensbeitrag dem bestmöglichen Gesellschaftsinteresse. Dies könnte beispielsweise dadurch gewährleistet sein, dass die Mitglieder, unabhängig von einem persönlichen Beitrag, verschuldensunabhängig für Pflichtverletzungen des Organs einstehen müssten. Da jedes Mitglied befürchten müsste, auch ohne eigenes vorwerfbares Verhalten haftungsrechtlich in Anspruch genommen zu werden, könnte dies dazu führen, dass eine stärkere Kontrolle der Mitglieder untereinander stattfinden würde. Auf diesem Wege würde sichergestellt, dass sämtliche Entscheidungen des Aufsichtsrats von allen Mitgliedern intensiv diskutiert und durchdacht würden, da sie bei einer pflichtwidrigen Entscheidung des Gremiums selbst in Regress genommen werden könnten. Fraglich ist allerdings, ob eine solche Auslegung tatsächlich dem Sinn und Zweck des Aktienrechts und der aktienrechtlichen Haftungsvorschriften entspricht. Dafür sind die Folgen einer primären Organhaftung gegenüber einer individuellen Mitgliederhaftung zu analysieren. aa) Primäre Organhaftung Bei einer primären Organhaftung findet eine Haftungsüberleitung auf sämtliche Mitglieder des Organs statt. Die Haftungsüberleitung erfolgt zur Sicherstellung der bestmöglichen präventiven Schadensvermeidung ohne Rücksicht auf ein persönliches Verschulden der Mitglieder zu gleichen Stücken. Ein Mitglied, das bei einer Beschlussfassung alles unternommen hat, um diesen in seinen Augen rechtswidrigen Beschluss zu verhindern, haftet – wenn es zu einer Pflichtverletzung kommt – gleichermaßen wie auch dasjenige Mitglied, das von Anfang an seine Zustimmung 1268
Siehe dazu ausführlich oben, S. 143 ff.
A. Die Innenhaftung der Aufsichtsratsmitglieder
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der Maßnahme erklärt hat oder sich inhaltlich mit der Fragestellung überhaupt nicht auseinander gesetzt hat. Dadurch entstünde die Problematik, dass das einzelne Mitglied nicht mehr dazu geneigt sein würde „alles Erforderliche“ für die Beschlussvermeidung zu unternehmen, da es ohnehin damit rechnen muss, von der Mehrheit überstimmt zu werden. Da es für das Ergebnis ungeachtet des eigenen Verursachungsbeitrags einstehen müsste, wie als ob es den Beschluss selbst unterstützt hätte, ergibt sich keine Motivation zur abweichenden Handlung. Andererseits könnte sich bei knappen Mehrheiten eine noch stärkere Motivation ergeben, das Ergebnis der Beschlussfassung zu vermeiden, als dies bei der individuellen Verantwortlichkeit der Fall wäre. Dies läge durchaus im Unternehmensinteresse, da das Mitglied hier auf das Ergebnis, nämlich die Vermeidung des rechtswidrigen Beschlusses, und nicht auf das eigene Verhalten zur Enthaftung bedacht wäre. bb) Individuelle Mitgliederhaftung Bei der individuellen Mitgliederhaftung hingegen kommt es nicht auf das Vorliegen einer Pflichtverletzung des Organs, sondern ausnahmslos auf das Bestehen einer Pflichtverletzung und Verschulden des einzelnen Aufsichtsratsmitglieds an. Ob im Ergebnis dabei eine Pflichtverletzung des Organs eingetreten ist, ist irrelevant. Bei einer solchen Lösung wäre sichergestellt, dass nur diejenigen Mitglieder, die durch ihr Verhalten den Schaden herbeigeführt haben, für die Pflichtverletzung zur Verantwortung zu ziehen wären. Eine Einstandspflicht für die Pflichtverletzungen Dritter, so wie sie bei einer primären Organhaftung einträte, bestünde nicht. Dafür wäre gewährleistet, dass eine Einstandspflicht entsprechend dem Verschuldensprinzip nur bei vorausgegangenem Fehlverhalten des einzelnen Aufsichtsratsmitglieds entstünde. Das einzelne Organmitglied ist hier bedacht, das eigene Verhalten einer stetigen Kontrolle zu unterziehen und dauerhaft zu überprüfen, ob es alle notwendigen Schriftte zur Vermeidung des Schadens vorgenommen hat. Da es selbst nur für die eigenen Verfehlungen verantwortlich ist, muss es (lediglich) sicherstellen, dass es selbst ordnungsgemäß handelt. cc) Stellungnahme Fraglich ist, welche der beiden Auslegungsmöglichkeiten dem Sinn und Zweck der gesetzlichen Vorschrift am nächsten kommen. Sinn und Zweck der Vorschrift ist in erster Linie die Vermeidung von Nachteilen für die Gesellschaft durch präventive Verhaltenssteuerung und nicht eine Sanktionierung von vorausgegangenem pflichtwidrigem Verhalten. Vor diesem Hintergrund liegt es nahe, eine primäre Organhaftung anzunehmen, da es auf ein persönliches Verschulden nicht ankommt. Sanktionierung hingegen kann nur dort erfolgen, wo eine individuelle Pflichtverletzung festgestellt wird.
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2. Teil: Folgen von Pflichtverletzungen
Wenn das Gesetz nach § 100 Abs. 5 AktG als zusätzliches Mitglied im Aufsichtsrat einen sogenannten Finanzexperten verlangt,1269 so macht dies deutlich, das mit den verschiedenen Aufsichtsratsmitglieder eine Vielzahl verschiedener fachlicher und persönlicher Qualifikationen und Qualitäten in einem Organ zusammentreten. Will man sich diese Diversität zu Nutze machen1270 und die unterschiedlichen Hintergründe der Aufsichtsratsmitglieder angemessen berücksichtigen, so ist dies nur unter Einbeziehung der unterschiedlichen Qualifikationen in die haftungsrechtliche Bewertung des individuellen Verhaltens der Aufsichtsratsmitglieder möglich. Während im Falle der Haftung entsprechend der individuellen Pflichtverletzung bei vorausgesetzten Mindestkenntnissen sämtlicher Aufsichtsratsmitglieder1271 ein Abstimmungs- und Diskussionsverhalten zu erwarten wäre, bei dem eine Vielzahl verschiedener Ansichten berücksichtigt würden, ist zu erwarten, dass bei einer primären Organhaftung und Umlegung des Ersatzanspruchs auf sämtliche Mitglieder die Arbeitsteilung im Aufsichtsrats erheblich abnehmen und die Beschlussvorbereitung sich entsprechend langwieriger gestalten würde. Wenn bislang vertreten wird, Aufsichtsratsmitglieder schuldeten bei Entscheidungen eines Ausschusses lediglich eine Plausibilitätskontrolle bzw. eine grobe Überprüfung des Beschlusses oder der beschlussvorbereitenden Handlungen auf ihre Pflichtgemäßheit, so ist zu erwarten, dass eine solche Beschränkung auf Plausibilitätsfragen bei einer Einstandspflicht aller Mitglieder nicht mehr vorherrschen wird. Wenn durch die Verletzung von Pflichten durch das Gesamtorgan eine individuelle Mitgliederhaftung eintreten kann, so ist zu erwarten, dass insgesamt eine weitgreifende Kontrolle sämtlicher Beschlüsse und Maßnahmen durch alle Mitglieder erfolgen würde. Dadurch, so ist zu befürchten, würde allerdings die Abstimmung über die meisten potentiell haftungsträchtigen Beschlüsse unnötig in die Länge gezogen, da vermutlich alle Mitglieder durch vorherige umfangreiche Prüfungen sicherzustellen beabsichtigen, dass eine Pflichtverletzung nicht eintritt. Dadurch aber würde die Ausschussarbeit – jedenfalls in potentiell haftungsträchtigen Bereichen wie dem Finanzausschuss – faktisch abgeschafft, sodass eine erhebliche Verzögerung der Entscheidungsfindung einträte. Eine zeitnahe Entscheidungsfindung wäre durch den Aufsichtsrat kaum mehr leistbar. Hinzu kommt, dass bei einer Konzentration der Diskussionen und Beschlussfassung auf den für den Aufsichtsrat potentiell haftungsträchtigen Entscheidungen möglicherweise andere, für die Gesellschaft ähnlich wichtige Entscheidungen, die sich auf die Haftung der Aufsichtsratsmitglieder indes nicht oder nur in geringem Maße auswirken, weniger Aufmerksamkeit erführen. Vor diesem Hintergrund spricht viel dafür, dass durch eine primäre Organhaftung nichts zugunsten der Wirksamkeit der Aufsichtsratstätigkeit gewonnen ist. Das gilt umso mehr dann, wenn man mit der vorherrschenden Ansicht auf der Ebene des Innenausgleichs der gesamtschuldnerisch haftenden Aufsichtsratsmitglieder unter1269
Siehe die entsprechende Problematik oben, S. 181 ff. Siehe zu den positiven Auswirkungen eines diversifizierten Überwachungsorgans Langenbucher, ZGR 2012, S. 314, 316 f. 1271 Zu den Anforderungen im Einzelnen siehe ausführlich oben, S. 166 ff. 1270
A. Die Innenhaftung der Aufsichtsratsmitglieder
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einander (doch) den persönlichen Verschuldensmaßstab berücksichtigt, vgl. §§ 421, 426 BGB i.V.m. § 254 BGB analog.1272 Dann kommt es zwar auf Ebene der primären Inanspruchnahme nicht auf das individuelle Verhalten der Aufsichtsratsmitglieder bei der Abstimmung an, sodass die Gesellschaft jedes der Mitglieder als Gesamtschuldner auf den Gesamtbetrag in Anspruch nehmen kann. Allerdings findet nachgehend auf der Ebene des Innenausgleichs der Gesamtschuldner entsprechend § 254 BGB sehr wohl eine Berücksichtigung des individuellen (Fehl-)Verhaltens statt, sodass nach Abschluss des Innenregresses nur diejenigen Mitglieder, die eine Pflicht verletzt haben, tatsächlich ersatzpflichtig sind. Insofern unterscheidet sich die Organhaftung im Ergebnis (unter Absehung von der Verschiebung des Insolvenzrisikos) nicht von einer von vorneherein individuellen Haftung der Mitglieder für eigene Pflichtverletzungen. Auch für die Gesellschaft entsteht dadurch keine Besserstellung. Während die gesamtschuldnerische Haftung der Gesellschafter der GbR oder OHG für die Gesellschaft den Vorteil mit sich bringt, dass nicht sie, sondern die Gesellschafter wechselseitig das Insolvenzrisiko des schadensverursachenden Gesellschafters tragen, ist aufgrund der weiten Verbreitung von D&O Versicherungen für Aufsichtsratsmitglieder das Ausfallrisiko eines (anderen) Aufsichtsratsmitglieds ohnehin gering. Die Gesellschaft muss aufgrund der D&O Versicherung der Mitglieder grundsätzlich nicht befürchten, von einem Aufsichtsratsmitglied nicht den ihr zustehenden Ersatz zu erhalten.1273 Besteht keine D&O Versicherung oder liegt kein Versicherungsfall vor, so ist auch nicht ersichtlich, weshalb die übrigen, pflichtgemäß handelnden Aufsichtsratsmitglieder bei tadellosem Verhalten (zunächst) auf den kompletten Haftungsbetrag der Gesellschaft in Anspruch genommen werden sollen und das Insolvenzrisiko der übrigen Aufsichtsratsmitglieder tragen müssen. Zwar kann es sich den überzahlten Betrag im Rahmen des Gesamtschuldnerregresses möglicherweise nachträglich zurückholen, gerade wenn das Mitglied selbst aber pflichtgemäß gehandelt hat, erscheint es nicht nachvollziehbar, weshalb es für von den übrigen Mitglieder, die es womöglich kaum kennt und die es sich nicht als Kollegen aussuchen konnte, verursachte Schäden einstehen 1272
Vgl. im Rahmen des Innenausgleichs der GbR-Gesellschafter BGH, Urt. v. 09. 06. 2008 – II ZR 268/07, NJW-RR 2009, S. 49; BGH, Urt. v. 13. 05. 1955 – I ZR 137/53, BGHZ 17, 214, Rdnr. 17 (zitiert nach juris); BGH, Urt. v. 19. 12. 1968 – VII ZR 23/66, BGHZ 51, 275, Rdnr. 22 (zitiert nach juris); BGH, Urt. v. 01. 02. 1965 – GSZ 1/64, BGHZ 43, 227, Rdnr. 12 (zitiert nach juris); für die Anwendung auf § 116 Satz 1 AktG vgl. auch Habersack, in: Münchener Kommentar AktG, § 116 Rdnr. 73; für die alleinige Ersatzpflicht eines Gesellschafters bei Auslösung einer Schadensersatzpflicht der OHG siehe auch Koller, in: Koller/Roth, HGB, § 129 Rdnr. 10. 1273 Die Verschiebung des Risikos spielt bei bestehender D&O Versicherung keine Rolle, da die Policen in den ganz überwiegenden Fällen ohnehin von der Gesellschaft beglichen werden; sie ist zumeist Vertragspartner des Versicherers und schließt einen Vertrag zugunsten der Aufsichtsratsmitglieder ab, mit dem deren Pflichtverletzungen versichert werden. Kommt es zu einem Ausfall eines Mitglieds, so trifft eine mögliche Erhöhung der Police nur die Gesellschaft und nicht auch das einzelne Mitglied. Es kommt bei einer gesamtschuldnerischen Haftung der Mitglieder aufgrund der Identität des Versicherers auch nicht zu einem Ausgleich verschiedener Versicherer untereinander.
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2. Teil: Folgen von Pflichtverletzungen
soll, um deren Verhinderung es sich aktiv bemüht hat. Die Situation der Aufsichtsratsmitglieder untereinander unterscheidet sich erheblich von der bei der OHG oder GbR, da die Aufsichtsratsmitglieder sich im Regelfall vor Amtsantritt nicht persönlich kennen und somit nicht von einem freiwilligen Personenverbund gesprochen werden kann. Selbst bei einer primären Organhaftung kommt es also im Ergebnis nur auf den individuellen Verschuldensbeitrag des einzelnen Mitglieds an. Dann aber ist die erhoffte gesteigerte Überwachung durch die Aufsichtsratsmitglieder dahin, da sie in der Praxis nicht befürchten müssen, für die Pflichtverletzungen ihrer Kollegen haftungsrechtlich einzustehen. Zwar besteht die Gefahr, dass einzelne Aufsichtsratsmitglieder auf die Erstattung eines Schadens in Anspruch genommen werden, für den sie im Innenverhältnis gar nicht ersatzpflichtig wären. Dann aber greift die D&O Versicherung ein, die den Schaden für das Mitglied zunächst begleicht. In einem zweiten Schritt kann das Mitglied (bzw. dessen D&O Versicherung) von den Organkollegen dann den Ersatz des Betrags verlangen. Da es insofern stets nur auf ihr eigenes Verhalten ankommt, besteht für die Aufsichtsratsmitglieder gar kein Bedürfnis darauf hinzuarbeiten, dass auch die Mitglieder ihre jeweiligen Pflichten erfüllen; eine dahingehende erhöhte Motivation wird daher nicht feststellbar sein. Insofern spricht aus teleologischer Sicht nichts für eine primäre Haftung des Organs und eine Umlegung der Haftung auf die einzelnen Mitglieder erst auf sekundärer Ebene. 4. Ergebnis Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass keine Auslegungsmethode die These einer kollegialorganschaftlichen Haftung des Aufsichtsrats anstelle einer individuellen Haftung der Mitglieder zu stützen vermag. Das Gesetz weist eindeutig auf die persönliche haftungsrechtliche Verantwortlichkeit der Aufsichtsratsmitglieder hin und lässt eine anderweitige Auslegung nicht zu. Zwar finden sich im Gesetz vereinzelte Ungenauigkeiten, die bisweilen zu ambivalenten Auslegungen führen können, jedoch ergibt die Gesamtschau der Auslegung eindeutig, dass der Gesetzgeber zu keinem Zeitpunkt eine Organhaftung beabsichtigte. Die Vorschrift des heutigen § 116 Satz 1 AktG geht zurück auf die Regelungen des ADHGB 1884. Aus Vereinfachungsgründen entschied der Gesetzgeber mit der Neufassung des Aktienrechts im Aktiengesetz 1937, die Haftung von Vorstand- und Aufsichtsratsmitgliedern parallel auszugestalten. Eine haftungsrechtliche Verantwortung sah das Aktiengesetz seit jeher ausschließlich für individuelle Pflichtverletzungen der Organmitglieder, nicht auch für das Organ vor. Daran sollte die Neuregelung nichts ändern. Auch der Wortlaut und die Systematik von § 116 Satz 1 AktG lassen die Auslegung zugunsten einer primären Organhaftung nicht zu. Zwar waren dem Organ stets eigene Pflichten zugewiesen, an die Verletzung dieser Pflichten knüpft das Gesetz allerdings keine Rechtsfolge.
B. Neue Haftungsmodelle zur Steigerung der Überwachungstätigkeit
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Durch die Zwischenschaltung des Organs erlaubte der Gesetzgeber den Aufsichtsratsmitgliedern eine größere Flexibilität bei der Organisation des Organs und der Aufgabenverteilung. Dies wird insbesondere bei Analyse der Pflichten der Aufsichtsratsmitglieder bei der Gründungsprüfung unter dem ADHGB 1884 deutlich. Da dort ausdrücklich die Delegation auf Ausschüsse oder einzelne Mitglieder verhindert werden sollte, wies der Gesetzgeber die Pflichten den Mitgliedern selbst zu. Insofern bildet die Zwischenschaltung des Organs für die Aufsichtsratsmitglieder eine Erleichterung. Eine Haftung des Organs ist aber nicht erforderlich, weil die Schadloshaltung der Gesellschaft bereits durch die individuelle Verantwortlichkeit der Mitglieder gewährleistet ist. Da eine Pflichtverletzung des Organs ohne entsprechende Pflichtverletzung wenigstens eines Organmitglieds nicht möglich ist, gibt es auch keine Fälle, in denen trotz bestehender Pflichtverletzung des Organs eine haftungsrechtliche Verantwortlichkeit der Organmitglieder ausscheidet.
B. Neue Haftungsmodelle zur Steigerung der Überwachungstätigkeit de lege ferenda? Wenn nunmehr feststeht, dass eine kollegialorganschaftliche Haftung des Aufsichtsrats nach dem derzeit geltenden Aktienrecht nicht besteht, so ist fraglich, ob de lege ferenda eine entsprechende Regelung wünschenswert ist oder wie durch andere Gestaltungen eine verbesserte Corporate Governance in deutschen Aktiengesellschaften erreicht werden kann. Wie gezeigt besteht nach derzeitiger Rechtslage eine Haftung der Organmitglieder für eigene Pflichtverletzung bei individueller Vorwerfbarkeit. Überaus fraglich ist, ob eine Verbesserung der Überwachung durch eine verstärkte Haftung in Form einer primären kollegialorganschaftlichen Haftung zu erreichen ist. In einem solchen Fall entstünde eine verstärkte Haftung jedoch nur dann, wenn eine Verteilung des Schadens der Gesellschaft, auf dessen Ersatz das Organ in Anspruch genommen wird, auf sämtliche Mitglieder zu gleichen Teilen erfolgt, ohne dass es zu einer Berücksichtigung des persönlichen Verursachungsbeitrags käme. Könnten die einzelnen Mitglieder mit dem Verweis auf ihr eigenes pflichtgemäßes Verhalten die Haftung ausschließen, so träte gegenüber der Rechtslage de lege lata eine Verschärfung nur insofern ein, als dass die Mitglieder (und nicht die Gesellschaft) das Insolvenzrisiko der übrigen Organmitglieder trügen. Aufgrund der weitverbreiteten D&O Versicherungen bliebe dies aber weitgehend ohne praktische Bedeutung. Im Falle der primären Organhaftung (ohne Berücksichtigung des individuellen Verschuldensbeitrag) ist zu befürchten, dass die Aufsichtsratsmitglieder zur Vermeidung haftungsauslösender Beschlüsse des Aufsichtsrats die Aufgabendelegation auf Ausschüsse oder nur wenige Mitglieder weitestgehend reduzieren bzw. weitgehend abschaffen würden. Dadurch aber, so ist zu befürchten, könnten erhebliche Spannungsverhältnisse zwischen den einzelnen Mitgliedern entstehen. Außerdem ist
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2. Teil: Folgen von Pflichtverletzungen
die ordnungsgemäße Organisation des Aufsichtsrats zur Bewältigung der Vielzahl der ihm übertragenen Aufgaben erheblich gefährdet, wenn er auf die Bildung von Ausschüssen und die Bearbeitung von Einzelfragen in diesen Gremien verzichtete. Da der Versuch, die übrigen Mitglieder von seiner Gegenansicht zu überzeugen, für das einzelne Mitglied nicht enthaftend wirken würde, käme es zudem im Ergebnis zu einer unbilligen Inanspruchnahme einzelner Mitglieder. Ein Aufsichtsratsmitglied, das allein gegen ein vielköpfiges Organ eine abweichende Ansicht vertritt, wird kaum mit der gleichen Vehemenz versuchen, seine Kollegen von der Richtigkeit der eigenen Auffassung zu überzeugen, wenn es bei Unterliegen in der Abstimmung ohnehin haftet, wie es dies tun würde, wenn durch entsprechende Anstrengungen die eigene Haftung entfiele. Insofern wird deutlich, dass eine primäre Organhaftung auch de lege ferenda kein gangbarer Weg zur Verbesserung der Corporate Governance in deutschen Aktiengesellschaften ist. Nach dem derzeitigen Haftungsmodell des Gesetzgebers ist richtigerweise nicht der Pflichtenmaßstab zu verschärfen, sondern es ist sicherzustellen, dass der bestehende Pflichtenkanon tatsächlich auch erfüllt wird. Die vom Gesetzgeber getroffene Haftungsanordnung ist grundsätzlich ein geeignetes Mittel, um die Mitglieder zur ordnungsgemäßen Aufgabenerfüllung zu motivieren. Problematisch ist aber, dass in der Praxis eine Inanspruchnahme der Aufsichtsratsmitglieder nur in seltenen Ausnahmefällen erfolgt. Durch die angesprochene Verschränkung von Vorstand und Aufsichtsrat ist der Vorstand häufig nicht geneigt, Schadensersatzansprüche der Gesellschaft gegen den Aufsichtsrat zu verfolgen. Problematisch ist auch die häufig noch immer geringe Qualifikation vieler Aufsichtsratsmitglieder.1274 Wenn das Amt des Aufsichtsrats auch heute noch ein Nebenamt darstellt ist bereits bei der Bestellung der Aufsichtsratsmitglieder darauf zu achten, dass diese die notwendigen Mindestqualifikationen mitbringen. Dabei sind sowohl die übrigen Aufsichtsratsmitglieder, wie auch besonders die Hauptversammlung aufgerufen, sich dieser Problematik zu stellen und die Qualifikationen der Mitglieder vor der Bestellung einer hinreichenden Kontrolle zu unterziehen. Mitglieder, denen die erforderlichen Mindestqualifikationen fehlen, sind unmittelbar abzuberufen, soweit sie die Kenntnisse nicht unverzüglich erlernen. Hier ist eine Sensibilisierung der beteiligten Akteure für die Thematik zu fordern. Schließlich ist anzudenken, den in § 93 Abs. 2 Satz 3 AktG festgehaltenen Selbstbehalt der Vorstandsmitglieder im Rahmen der D&O Versicherung auch auf die Aufsichtsratsmitglieder auszuweiten. Da auch hier die Möglichkeit der (Selbst-)Versicherung des Selbstbehaltes besteht, entsteht dadurch keine besondere Härte für die Aufsichtsratsmitglieder. Gleichzeitig wird aber auf diesem Wege das Bewusstsein für die eigene Verantwortlichkeit bei Pflichtverletzungen verschärft. Die derzeitige Praxis, wonach die Gesellschaften häufig für sämtliche Verwaltungsmitglieder „Gesamtpakete“ bei den Versicherern abschließen und auch die Kosten der Versicherung
1274
Siehe nur Langenbucher, ZGR 2012, S. 314.
B. Neue Haftungsmodelle zur Steigerung der Überwachungstätigkeit
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tragen, vermögen nicht zu einem Bewusstsein der Organmitglieder hinsichtlich der Folgen eigener Pflichtverletzungen beizutragen. Insbesondere aber ist zu verfolgen, wie die Gerichte die Pflichten der Aufsichtsratsmitglieder im Einzelfall bewerten. Hier ist zu hoffen, dass künftig ein strenger Maßstab insbesondere beim Vorliegen der hinreichenden (Mindest-)Qualifikationen angelegt wird, um auch für die Zukunft eine Verbesserung der allgemeinen fachlichen Kenntnisse im Aufsichtsrat sicherzustellen. Der Gesetzgeber ist aufgefordert, die Entwicklung der Inanspruchnahme der Aufsichtsratsmitglieder gerade im Nachgang des kollektiven Kontrollversagens in der Wirtschafts- und Finanzkrise kritisch zu überprüfen und gegebenenfalls eine Verschärfung der geltenden Regeln umzusetzen. Bedarf zur Verschärfung gibt es, wie ausgeführt, weniger bezüglich der Verschärfung des Pflichtenkanons, als hinsichtlich der tatsächlichen Durchsetzungsmöglichkeit. Die praktische Bedeutung der Aktionärsklage ist weit hinter den Erwartungen bei ihrer Einführung zurückgeblieben.1275 Soweit sich die Situation der Inanspruchnahme nicht bessert, ist der Gesetzgeber zur Schaffung neuer Regelungen aufgerufen, die eine Durchsetzung der Ersatzansprüche erleichtern könnten.
1275
Schmolke, ZGR 2011, S. 398, 399 ff; Seibert, NZG 2007, S. 841 f.
3. Teil
Gesamtergebnis und Thesen Haftung, gerade wenn sie vornehmlich präventive Verhaltenssteuerung zum Zweck der Verhinderung von Schäden und nicht (lediglich) Sanktionierung beabsichtigt, steht stets im Spannungsverhältnis von zu großer Freiheit und zu enger Regelung. Die Haftungsvorschrift muss so gestaltet sein, dass dem Adressaten durch die drohende Ersatzpflicht die notwendige Freiheit nicht genommen wird, erkennbare Fehlentscheidungen aber gleichzeitig nicht folgenlos bleiben. Das deutsche Aktienrecht versucht diesem Spannungsverhältnis mit den Regelungen in § 116 Satz 1 i.V.m. § 93 Abs. 2 AktG zu begegnen, indem es auf die individuelle Verantwortlichkeit der Aufsichtsratsmitglieder abstellt. Dadurch wird sichergestellt, dass diejenigen Mitglieder, die alles Erforderliche zur Vermeidung des Schadenseintritts unternommen haben, von einer Haftung befreit sind. 1. Dem Aufsichtsrat stehen eine Vielzahl an Möglichkeiten zur Kontrolle der Geschäftsleitung bzw. des Vorstands offen. Neben den vom Vorstand zu übersendenden Berichten (§ 90 AktG) besteht für den Aufsichtsrat auch die Möglichkeit, sich unabhängig von der Berichterstattung des Vorstands Informationen zu beschaffen (§ 111 Abs. 2 AktG). Da der Aufsichtsrat zu einer umfassenden Kontrolle und Überwachung verpflichtet ist, ergibt sich im Einzelfall sogar eine Pflicht zur Beschaffung vorstandsunabhängiger Informationen. Zwar hat der Aufsichtsrat vor der Nutzung umfassender Eingriffsbefugnisse eine Abwägung vorzunehmen, ob sich aus der Nutzung des Informationsrechts möglicherweise nachteilige Folgen für die Gesellschaft ergeben. Das Informationsrecht des Aufsichtsrats ist aber zu keinem Zeitpunkt auf eine Ausübung nur als Ultima Ratio beschränkt (S. 46 ff). 2. Die Intensität der Überwachung durch den Aufsichtsrat erfolgt grundsätzlich auf einem einheitlichen, hohen Standard. Dabei ist keine Unterscheidung in verschiedene Phasen der Gesellschaft vorzunehmen. Insbesondere darf der Aufsichtsrat seine Überwachung in wirtschaftlich erfolgreichen Phasen nicht auf ein geringeres Maß zurückfahren. Vielmehr hat er durch eine umfassende Überwachung und Vorstandsberatung sicherzustellen, dass sich die Situation der Gesellschaft nicht verschlechtert. Kommt es zu einer Krise, so hat der Aufsichtsrat seine Überwachungsmaßnahmen sofort zu überprüfen und gegebenenfalls anzupassen, da der Eintritt der Krise häufig ein Indiz für die zuvor unzureichende Überwachung darstellen kann. Ein Reduzieren der Überwachung nach Abwendung einer Krise ist daher nicht geboten. Eine Leitung der Gesellschaft oder anderweitige Geschäftsführung ist dem Aufsichtsrat auch in der Krise stets untersagt (S. 74 ff).
3. Teil: Gesamtergebnis und Thesen
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3. Die Aufsichtsratsmitglieder sind verpflichtet, einen Grundkanon an Mindestkenntnissen zum Zeitpunkt der Aufnahme der Überwachungstätigkeit aufzuweisen. Die Mindestkenntnisse differieren nach Art und Umfang der Gesellschaft und des von ihr betriebene Geschäfts; ein fester Pflichtenkanon für sämtliche Gesellschaften lässt sich aufgrund der individuell verschiedenen Anforderungen nicht aufstellen. Die Mitglieder müssen aber solche Kenntnisse vorweisen, die es ihnen ermöglichen, die Entscheidungen des Vorstands und die Empfehlungen des Abschlussprüfers wenigstens nachzuvollziehen und kritisch zu hinterfragen. Weist ein Mitglied die erforderlichen Kenntnisse nicht auf, so hat es das Mandat sofort niederzulegen. Eine Möglichkeit zur nachträglichen Verbesserung der Mindestkenntnisse besteht nur dann, wenn ein Mitglied aufgrund von Veränderungen der Gesellschaft oder des Marktumfelds nicht mehr die notwendigen Kenntnisse aufweist. Es hat sich die entsprechenden Kenntnisse dann unmittelbar anzueignen. Besondere Qualifikationen werden nur für den Finanzexperten des Aufsichtsrats i.S.v. § 100 Abs. 5 AktG vorausgesetzt. Bringt ein Mitglied bei Amtsantritt nicht die notwendigen Mindestkenntnisse mit, so handelt es pflichtwidrig und macht sich unter Umständen ersatzpflichtig (S. 146 ff). 4. Zur Durchsetzung seiner Überwachung stehen dem Aufsichtsrat verschiedene Möglichkeiten, wie z. B. die Begründung von Zustimmungsvorbehalten, offen. Diese Möglichkeiten umfassen auch die Erhebung einer Feststellungs- oder Unterlassungsklage. Parteien einer solchen gerichtlichen Auseinandersetzung sind dabei die Organe Aufsichtsrat und Vorstand selbst, die vor Gericht eigene Rechte und Pflichten verteidigen oder durchsetzen können, ohne dass es sich um Rechte der Gesellschaft handelt (S. 79 ff). 5. Die Aufsichtsratsmitglieder haften der Gesellschaft für den aus einer Verletzung der ihnen übertragenen Pflichten entstandenen Schaden. a) Die Pflichtwidrigkeit des Verhaltens der Aufsichtsratsmitglieder bestimmt sich nach einem objektiv typisierten Maßstab. Somit besteht keine Möglichkeit der Mitglieder, sich aufgrund eines persönlichen Unvermögens zu exkulpieren oder nicht vorhandene Kenntnisse haftungsmildernd zu berücksichtigen; dies folgt bereits aus den Pflichten, die sämtliche Aufsichtsratsmitglieder gleichermaßen treffen. Allerdings kann im Einzelfall Sonderwissen haftungsverschärfend wirken. Wer Spezialkenntnisse aufweist, kann sich im Einzelfall nicht darauf berufen, er sei nur zur Einbringung geringerer Fachkenntnisse verpflichtet gewesen. Die Haftungssteigerung beruht allerdings nicht auf objektiv zu erwartenden Kenntnissen, sondern auf einem tatsächlich erhöhten Kenntnisstand. Relevant ist damit nicht, was ein Mitglied hätte wissen müssen, sondern nur, welche besonderen Kenntnisse es im Einzelfall tatsächlich hatte. Die Aufsichtsratsmitglieder müssen solches Sonderwissen stets einbringen und können sich nicht darauf berufen, dass sie nur einen niedrigen Standard schuldeten; Sonderwissen wirkt insofern haftungsschärfend (S. 166 ff). b) Ein erhöhter Haftungsmaßstab gilt grundsätzlich für den Finanzexperten, der nicht aufgrund einer höheren Kenntnis im Einzelfall, sondern aufgrund einer ge-
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setzlich verstärkten Anforderung an sein Fachwissen haftet (S. 183 ff). Für ihn gilt ein eigener, von dem der übrigen Mitglieder losgelöster Maßstab. Die derzeitigen gesetzlichen Regelungen zur Offenlegung der Sonderkenntnis des Finanzexperten sind unzureichend und bergen erhebliche praktische Schwierigkeiten. Der Gesetzgeber ist aufgerufen, durch eine eindeutige gesetzliche Regelung unverzüglich Abhilfe zu schaffen und eine klare Regelung zu treffen (S. 181 ff). c) Jedes Aufsichtsratsmitglied hat für eigene Pflichtverletzungen einzustehen. Hat ein Aufsichtsratsmitglied gegen einen pflichtwidrigen Beschluss des Organs gestimmt und ist der Beschluss aufgrund der Stimmenmehrheit der übrigen Organmitglieder dennoch zustande gekommen, so hat das Mitglied nur dann nicht pflichtwidrig gehandelt, wenn es alles ihm Mögliche und Zumutbare unternommen hat, die übrigen Mitglieder von seiner Ansicht zu überzeugen. Dies schließt ein aktives und überzeugendes Vorbringen der eigenen Bedenken im Vorfeld der Abstimmung sowie eine Stimmabgabe entgegen des Beschlusses ein. Eine klageweise Durchsetzung der Ansicht des dissentierenden Mitglieds ist aber nicht erforderlich (S. 192 ff). 6. § 116 Satz 1 i.V.m. § 93 Abs. 2 AktG normiert die Haftung der Mitglieder des Aufsichtsrats für eigene Pflichtverletzungen. Eine primäre Haftung des Überwachungsorgans lässt sich aus der Vorschrift nicht ableiten. a) Aus der historischen Analyse der Vorschriften über die Haftung der Aufsichtsratsmitglieder ergibt sich, dass der Gesetzgeber seit jeher von einer Haftung der Mitglieder für eigene Pflichtverletzungen ausging. Dieses Verständnis geht darauf zurück, dass die Aufsichtsratsmitglieder ursprünglich als Beauftragte (Mandatare) angesehen wurden, und die Vorschriften über das Auftragsrecht entsprechend auf die Aufsichtsratsmitglieder angewandt wurden. Eine Haftung des Organs selbst war zu keinem Zeitpunkt vorgesehen (S. 246 ff). b) Auch der Wortlaut und die Systematik des Aktiengesetzes sprechen für eine Haftung (ausschließlich) der Aufsichtsratsmitglieder. Aus einem systematischen Vergleich zu anderen Haftungsvorschriften im Aktiengesetz ergibt sich, dass stets eine Haftung nur der Organmitglieder für eigene Pflichtverletzungen normiert ist. Eine Organhaftung ist dem Aktiengesetz fremd (S. 270 ff). Zwar hat der Gesetzgeber mit der Formulierung „Sorgfaltspflicht und Verantwortlichkeit“ im Gegensatz zur ursprünglich vorgesehen Formulierung „Sorgfaltspflicht und Haftung“ eine missverständliche Formulierung gewählt, allerdings lässt sich daraus keine primäre Organhaftung ableiten. Ähnliche missverständliche und redundante Regelungen finden sich auch in § 116 Satz 3 AktG oder § 48 Satz 1 AktG. In § 116 Satz 3 AktG normiert der Gesetzgeber eine Ersatzpflicht, die unter Berücksichtigung des Wortlauts und der historischen Entwicklung des Aktienrechts von einer Schadensersatzpflicht streng zu trennen ist. Während bei letzterer ein Anspruch der Gesellschaft gegen die Aufsichtsratsmitglieder nur bei Eintritt eines nachweisbaren Schadens erfolgt, führt eine Ersatzpflicht zu einem Ausgleichsanspruch, ohne dass es eines Schadensnachweises bedarf. Weil der Wortlaut der Regelung mit der Absicht
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des Gesetzgebers nicht übereinstimmt, ist dieser aufgefordert, die gesetzliche Regelung durch Anpassung des Wortlauts anzupassen. Mit § 48 Satz 1 AktG regelt das Aktiengesetz eine Haftung der Aufsichtsratsmitglieder bei Verletzung der Gründungspflichten, die inhaltlich hinter der weitergreifenden Haftung nach § 48 Satz 2 i.V.m. § 116 Satz 1, § 93 Abs. 2 AktG zurückbleibt. Mangels eigenen Regelungsgehalts ist die Vorschrift redundant. Der Gesetzgeber ist aufgefordert, auch diese Unklarheiten zu beseitigen (S. 275 ff). c) Schließlich besteht für eine primäre Organhaftung gar kein Bedürfnis. Da der Aufsichtsrat kein eigenes Vermögen besitzt, müsste ein Ersatzanspruch gegen ihn auf seine Mitglieder übergeleitet werden. Zwar wären die Mitglieder dann zunächst in Anspruch zu nehmen, allerdings würde aufgrund des Gesamtschuldnerinnenregresses der Aufsichtsratsmitglieder untereinander eine Haftungsverteilung nach Verschuldensanteilen stattfinden, sodass im Ergebnis die gleiche Haftungskonstruktion wie bei einer primären Mitgliederhaftung entstünde. Lediglich das Insolvenzrisiko wäre von der Gesellschaft auf die Mitglieder verschoben (S. 304 ff). Somit ist festgestellt, dass für eine primäre kollegialorganschaftliche Haftung weder Raum noch Bedürfnis besteht. Zur Verbesserung der Aufsichtsratsarbeit und Verhinderung von Krisen sind die Schwachstellen der Überwachung durch den Gesetzgeber zu untersuchen. Nach den hier gefundenen Ergebnissen leidet das Aktienrecht nicht an einer nicht hinreichenden Regelungsdichte und -strenge, sondern vielmehr an der fehlenden Durchsetzung der dem Aufsichtsrat und den Mitglieder auferlegten Pflichten. Da die Haftung der Aufsichtsratsmitglieder bislang kaum Gegenstand gerichtlicher Auseinandersetzung war, sind Art und Umfang der einzelnen Rechte und Pflichten der Organe und Organmitglieder bislang häufig nur grob umrissen. Bleibt es bei der derzeitigen Qualität der Aufsichtsratstätigkeit, so ist der Gesetzgeber aufgefordert, Maßnahmen zur verstärkten Durchsetzung der Überwachungspflichten zu ergreifen. Diese Überlegungen sollten eingehen in die aktuelle Diskussion um eine verbesserte Qualifikation der Aufsichtsratsmitglieder, da erhöhte Qualifikationsanforderungen nur dort sinnvoll erscheinen, wo die Nichterfüllung hinreichend sanktioniert wird. Das Bewusstsein um eine mögliche haftungsrechtliche Inanspruchnahme bei Pflichtverletzungen vermag sich positiv auf eine verbesserte Aufsichtsratstätigkeit auszuwirken.
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Literaturverzeichnis
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– Kölner Kommentar zum Aktiengesetz. Band 1: §§ 1 – 147, 1. Aufl., Köln, Berlin, Bonn 1985 (zitiert: Kölner Kommentar AktG). – Kölner Kommentar zum Aktiengesetz. Band 1/2: §§ 1 – 75, 3. Aufl., Köln, Berlin, Bonn 2011 (zitiert: Kölner Kommentar AktG). – Kölner Kommentar zum Aktiengesetz. Band 2/1: §§ 76 – 94, 3. Aufl., Köln, Berlin, Bonn 2010 (zitiert: Kölner Kommentar AktG). – Kölner Kommentar zum Aktiengesetz. Band 2/2: §§ 95 – 117, 3. Aufl., Köln, Berlin, Bonn 2013 (zitiert: Kölner Kommentar AktG).
Sachwortverzeichnis Abschlussprüfer 53, 64, 153 Aktionärsklage 225, 311 ARAG/Garmenbeck-Entscheidung 135, 205, 212, 218 Aufsichtsrat – Ausschüsse 109 – Compliance 68 – Delegation 52 – Pflicht zur Selbstinformation 41 – Pflichten in der Insolvenz 76 – Stellungnahmen 80 – Überwachungspflicht 21 – Vorstandsberatung 33 – Wahlvorschlag 162 Aufsichtsratsmitglieder – Abberufung (durch die Gründer) 290 – Abberufung (durch die Hauptversammlung) 127 – Abberufung (gerichtliche) 114, 118, 160 – Amtsniederlegung 165, 213 – Bestellung durch die Hauptversammlung 159 – Inkompatibilität 116 – Voraussetzungen 117 – Wahlanfechtung 159 Aufsichtsratssitzungen – Anzahl 36, 72 – Einberufung 122 – Teilnahme 124
Berichtsordnung 39, 93, 105 Berichtspflicht 33, 38 – Berechtigter 96 – Holschuld 39 – klageweise Durchsetzung 91, 94, 100 – Registerverfahren 88, 91 – Schadensersatz 89 – Verpflichteter 27 besonderer Vertreter 221, 225 BilMoG 64, 109, 166
Business Judgement Rule – Aufsichtsrat 135 – safe harbor 136 – Vorstand 68, 218 Compliance
58, 64
D&O Versicherung
132, 235, 309 f.
Einsichts- und Informationsrecht – Geheimhaltung 43
44, 54
Finanzexperte 183, 191, 306, 313 – Haftung 183, 185 – Offenlegungspflicht 188 – safe harbor 139, 184 – Wahl 119, 181 Fragerecht siehe Einsichts- und Informationsrecht Gesamtschuldner 192 – Innenregress 231, 306 Geschäftsführung 24, 26, 27 Gründungsprüfung 232, 280 – Haftung 283, 288 Hauptversammlung – Einberufung 88 – Entlastungsbeschluss 129, 217 – Entlastungsverweigerung 230 Hertie-Entscheidung 148, 151 Interorganstreit
100
Kausalität – Gremienentscheidungen 192 – NESS-Test 197, 201 – überbedingte 194, 196, 215 KonTraG 30, 63 Krise 73, 156
Sachwortverzeichnis Mindestqualifikation 146, 155, 166 – Ausschussmitglieder 175 f. – Rechtsfolge bei Nichterfüllen 158, 164 – Sonderwissen 167, 170, 175, 183 – Übernahmeverschulden 164 – Zeitpunkt 157, 164, 310 NaStraG
112
Organhaftung 245, 262, 275, 291, 295, 308 Pflichten der Aufsichtsratsmitglieder 121 – des überstimmten Mitglieds 207, 215, 305 – kollegiale Zusammenarbeit 123 – Selbstinformation 124 – Treuepflicht 125 – Verschwiegenheit 125 Pflichtrechte 39, 44, 98, 114, 244 Risikoüberwachungssystem
63
Sarbanes-Oxley Act 183 Sorgfaltsmaßstab 140, 169, 185, 271, 281, 293
341
– typisierter 145, 217 Sorgfaltspflicht 141, 167, 188, 271, 288 – erhöhte 145, 186 – objektive 174 Strafschadensersatz 279 TransPuG UMAG
34, 86 f., 126
135 f., 225
Vorstand – Abberufung 104, 230 – als Kollegialorgan 27 – Haftung 89 – Leitung 24 – Unabhängigkeit 80 – Vorstandsberichte Siehe Berichtspflicht Vorstandsvergütung 276, 297, 299 Zustimmungsvorbehalt 35, 72, 81, 90 – ad hoc 83 – Hauptversammlung 81 – Pflicht zur Einführung 86 – Rechtsfolge 84, 100 – Umfang 82