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German Pages 76 Year 2019
Ursula Beckmann
Pflege packt’s an So macht mir die Arbeit Spaß
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Ursula Beckmann
Pflege packt’s an So macht mir die Arbeit Spaß
VINCENTZ NETWORK
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Inhalt Warum ich dieses Buch geschrieben habe
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„Ich pflege gerne“
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„Du bist nicht allein“
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„Von Kollegen lernen“
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Meine eigenen Ressourcen nutzen Menschen, die mich entlasten können So helfe ich mir selbst Vertrauen in meine eigenen Stärken Ich lasse mich nicht so schnell unterkriegen Wissenswertes über Stress „Wenn es eine gute Fee gäbe …
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Meine „Ich-pfleg’-mich-Planung“ Gewohnheiten ändern Ganzheitliches Zeitmanagement Effektives Stressmanagement Resilienz stärken Kommunikationsstörungen vermeiden
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Zum Ausklang … Autorin
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Pflege packt΄s an
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„Aaaber “
Warum ich dieses Buch geschrieben habe „Ich pflege gerne“ – höre ich häufig von Altenpflegerinnen und Altenpflegern – immer noch. Man glaubt es zwar kaum angesichts der vielen negativen Schlagzeilen, und meistens kommt auch noch ein gedehntes „Aaaaber…“ hinterher. Doch ich treffe wirklich bei meinen Fortbildungsveranstaltungen und in Altenheimen zufriedene und engagierte Pflegekräfte, denen man die Freude am Beruf anmerkt. Auch im ambulanten Pflegebereich begegne ich ausgeglichenen und gut gelaunten Mitarbeitern. Man ist fast versucht zu behaupten, Pflege mache glücklich, wenn es nicht doch so viele begründete Kritikpunkte gäbe. Aber diese sollen hier nicht im Vordergrund stehen. Klagen über Missstände gibt es nämlich schon genug. Und trotz aller berechtigten Kritik an den schwierigen Rahmenbedingungen in diesem Tätigkeitsfeld, geht es in diesem Büchlein um die positiven Seiten der Arbeit in der Altenpflege. Basis sind meine Interviews, die ich im Verlaufe der letzten Jahre mit Altenpflegerinnen und Altenpflegern und auch mit Leitungskräften von verschiedenen Einrichtungen geführt habe. Es war meine Neugier als ehemalige Fachseminarleiterin, die mich in die Praxis geführt hat auf der Suche nach zufriedenen Pflegekräften. Fragen wie zum Beispiel: „Warum haben Sie diesen Beruf ergriffen? Was gefällt Ihnen an diesem Beruf? Wie erhalten Sie sich Ihre Zufriedenheit? Worauf muss man achten, um lange in diesem Beruf gesund zu bleiben und sich die Freude zu bewahren?“ standen im Mittelpunkt. Viele der Antworten finden Sie in diesem Buch als „Stimmen aus der Praxis“. Alle Zitate sind wörtlich aus den Interviews übernommen, höchstens hier und da ein wenig gekürzt. Die Namen sind frei erfunden.
Pflege packt΄s an
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Mir ist es wichtig, den vielen engagierten Mitarbeitern, die Tag für Tag ihrer anspruchsvollen Arbeit nachgehen, auch einmal ein Forum zu geben für die positiven Dinge aus ihrem Arbeitsleben, die wichtig für sie sind. Dieses Büchlein soll ein großes DANKESCHÖN für die Mitarbeiter in den vielen Pflegeeinrichtungen im Lande sein! Deshalb ist es gleichzeitig ein Durchhalte-Buch Unterstützer-Buch Mutmacher-Buch Dankeschön-Buch Ich-pfleg-mich-Buch
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Warum ich dieses Buch geschrieben habe
„Ich e g e pfl “ e n ger
„Ich pflege gerne“ WAS ist denn jetzt eigentlich das Schöne an diesem Beruf? Das, was Menschen motiviert, den Beruf zu ergreifen? Was sie im Beruf hält, trotz der schwierigen Rahmenbedingungen. Da es bereits genügend schlaue Analysen zu dieser Frage gibt, sollen hier einmal die Altenpflegerinnen und Altenpfleger selbst zu Wort kommen. Diana: „Zufriedene Bewohner. Ich find
das schön, wenn sie sich alle wohlfühlen.
Wenn die ... Ja, wenn die trotz ihrer
schweren Erkrankung glücklich sind. Wenn
ich merke, jemand ist angekommen, jemand hat Lebensqualität, jemand muss sich nicht quälen,
so ... Ja, jemand kann sich freuen, wenn man ihn
gut pflegt, wenn er schön eingecremt ist. Oder Frauen, wenn sie dann noch irgendwie schön
zurecht gemacht sind. Mit Seidenschal oder so ...
Wir haben auch schon Bewohnerinnen gehabt, die
geschminkt worden sind. Ja, sowas. Das ist schön. Und auch, wenn die Angehörigen dann kommen
und sagen können ‚Das ist für mich gut so’ und die
Bewohner freuen sich darüber, dass die Angehörigen regelmäßig kommen. Das ist schön. Das macht dann
auch Spaß.“
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Tobias: „Das ist einfach mein Ding.
Die alten Leute freuen sich, wenn sie
mich sehen. Und dann die Vielseitigkeit.
Altenpflege ist mittlerweile sehr vielseitig
geworden. Man ist das Steuerelement –
sage ich einmal – zwischen Bewohner, Arzt,
Angehörigen und halt … Ja, auch den anderen
Berufsgruppen, die noch dazugehören. Also der
erste Ansprechpartner sind wir. Und dann die
Situationskomik hier. Wie zum Beispiel, dass eine
Bewohnerin ihre Hand anguckte, ganz ernsthaft und
dann sagte: ‚Eine Hand ist etwas Wunderbares! Vor
allem mit den Fingern dran. Die kann man sehr gut
gebrauchen. Es ist gut, dass es so was gibt.’ So was würde man woanders nicht erleben.“
Sabine: „Ich finde es zum Beispiel schon
schön, wenn einfach, sag ich mal, wenn
jemand, der kaum redet, kaum spricht,
wenn man ihn gepflegt hat und er dann
einfach mal lächelt. Das ist meine Ansicht. Mir
reicht das schon aus. Und manchmal gibt es auch
echt lustige Sachen: Wir hatten uns damals das
war während meiner Ausbildung – Wir haben uns
immer gewundert, im Speiseraum, warum und
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„Ich pflege gerne“
wieso das immer so ein bisschen nach „Verdauung“
riecht. Wir haben alles abgesucht, wirklich alles
abgesucht, von Schubladen über sämtliche Ecken,
Vorhänge, bis irgendwann einer vom Nachtdienst
gesehen hat, dass ein Bewohner nachts immer an
den Blumentöpfen entlang geht und seine „kleinen
Kügelchen“ auf die SERAMIS-Erde in die Blumen-
töpfe gelegt hat. Also da mussten wir doch alle sehr
drüber lachen.“
Stella: „Schöne Momente, man kommt
nach 4 oder 5 Tagen wieder zur Arbeit
und wenn sie dann einfach trotzdem dein
Gesicht mit der Zeit erkannt haben und
sich dann einfach freuen oder auch wenn man aus
dem Urlaub kommt und sie sich einfach freuen, wenn man wieder da ist. Das ist auch schon schön. Und
dann auch mit den Bewohnern umzugehen, was über die Menschen zu erfahren, wie es früher war.“
Der Sinn der Arbeit und das Gefühl etwas Gutes und Nützliches für die Menschen tun zu können und dafür Anerkennung zu erhalten, sind also die Hauptgründe für die hohe Zufriedenheit im Altenpflegeberuf. Die Beziehung zu einzelnen, alten Menschen, ihre Individualität und Originalität, der intensive, zwischenmenschliche Kontakt, die erlebte Dankbarkeit von Bewohnern, Patienten und Angehörigen
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machen die Arbeit so wertvoll. Vielseitigkeit und fachliche Herausforderungen bei der täglichen Arbeit, die immer wieder positive sowie negative Überraschungen bereithält, machen den Alltag abwechslungsreich und spannend. Einen Durchhänger hat jeder wohl mal und fragt sich dann vielleicht „Wieso um Himmels willen konnte ich bloß in die Pflege gehen?“ Hilfreicher wäre es aber natürlich, sich zu erinnern und sich zu fragen: „Welche Gründe hatte ich, diese Ausbildung anzufangen? Diesen Beruf zu ergreifen? Hätte ich eigentlich lieber etwas anderes gelernt? Gab es Alternativen? Warum habe ich das nicht gemacht? Was hält mich hier noch?“ Auch zu diesen Fragen gibt es hier wieder typische Geschichten aus dem Alltag anstatt trockener Theorien über Berufswahlmotivation. Tobias: „Ich habe damals angefangen
im Kindergarten. Weil ich unbedingt
den Leuten helfen wollte. Und dann
habe ich im Kindergarten versucht, die
Erzieherausbildung zu machen und hab nach ’m
Jahr dann festgestellt: Dass isses nich. Ich bin dann
über eine Umschulung in die Altenpflege gekommen und habe nach einem Praktikum einfach gesagt:
‚Das isses.’ Dann die Ausbildung gemacht und bin
bis jetzt noch froh, das damals gemacht zu haben.
Ich hab’ halt in der Ausbildung viele nette Leute
kennengelernt und hab’ halt gedacht, wenn das so
weitergeht, dann ist das super. Und wenn nicht,
dann kann ich immer noch gucken, ob ich eventuell noch irgendwas anderes mache.“
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„Ich pflege gerne“
Diana: „Ja, ich habe mich damals
entschieden, Altenpflegerin zu werden,
weil ich gerne einen Beruf haben wollte,
der mit Menschen zu tun hat. Ich habe
vorher lange Jahre in einer Apotheke gearbeitet
und dann bin ich arbeitslos geworden und ich
wollte mit 21 Jahren nicht arbeitslos sein und habe
dann gesagt, ich möchte was anderes machen. Was mit Menschen und auch mit einem ordentlichen
Verdienst. Und das war dann halt der Pflegeberuf.
Also, ich hätte auch gerne Krankenpflege gemacht. Aber damals gab es in der Krankenpflege ganz
wenige Ausbildungsplätze. Und Altenpflege war
das, was sich unmittelbar angeboten hatte. Dann habe ich halt Altenpflege gemacht. Ich bin
dann angefangen, habe erst mal ein zweiwöchiges Praktikum gemacht und hab geguckt, ob das
überhaupt das Richtige ist. Das hat mir sehr gut gefallen und dann habe ich Bewerbungen geschrieben und
dann kriegte ich direkt eine Zusage und konnte starten.
Sabine: „Wir haben alte Leute zu Hause, also sprich meine Oma und mein Opa,
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und die haben wir auch immer als Enkelkinder versorgt.
Das hat mir immer Spaß gemacht. Dann
habe ich Praktika gemacht während meiner
Hauptschulzeit. Die haben mir auch Spaß gemacht,
dann habe ich mich dazu entschlossen. Und das war die richtige Entscheidung. Auch wenn Freunde mir sofort die negativen Seiten aufgezählt haben: Was,
dauernd Hintern abwischen, Wochenende arbeiten, Feiertage arbeiten? Die üblichen Vorurteile halt.“
Stella: „Damals, als ich klein war, wollte
ich unbedingt Krankenschwester werden.
Habe dann auch ein Praktikum im
Krankenhaus gemacht und war nachher
total enttäuscht, weil ich dachte, da hat man
auch richtig Kontakt zu den Patienten, aber das war nicht so. Dann hatte ich einen Bekannten,
der hat Zivi im Altenheim gemacht. Er hat mir
erzählt, er fand das total toll. Und dann habe ich mein Jahrespraktikum im Altenheim gemacht.
Und danach war es klar, hab’ dann mein Fachabi zu Ende gemacht und habe dann die Ausbildung
gemacht. Am Anfang war mir noch so ein bisschen, will ich das wirklich? War alles neu, was man da
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„Ich pflege gerne“
machte, aber danach war es das Ding, was ich machen wollte. Ich bereue es nicht. Ich kann
sagen, ich hatte damals ’ne super Anleitung und
Kollegen. Wenn irgendwas unklar war, wenn man
Situationen hatte …, wo man …, die sich dann auch
Zeit genommen haben. Das war gut. Okay, bei der ersten Körperpflege ist mir mulmig geworden.
Okay, und mit dem Latschenkiefernöl später
ging es dann. Die haben sich auch wirklich Zeit und Rücksicht genommen. Das ist auch bestimmt ein
ganz wichtiger Fakt, ob man überhaupt erst richtig rein kommt.“
Diese Statements entsprechen auch meinen Erfahrungen, die ich als Fachseminarleiterin bei Bewerbungsgesprächen mit Interessenten für die Ausbildung gemacht habe. Die häufigsten Antworten auf die Frage „Warum möchten Sie Altenpflegerin/Altenpfleger werden?“ waren immer wieder: „Ich möchte was mit Menschen machen“ und „Ich will Menschen helfen“. Einige hatten positive Erfahrungen in der Familie oder von Freunden oder Bekannten mitbekommen oder ein Praktikum gemacht. Aber manche sind auch einfach ins kalte Wasser gesprungen, weil sie einen sicheren Arbeitsplatz haben wollten. Eins ist ja wohl klar: Pflegen kann nicht jeder! Und ob und wie lange man in der Altenpflege arbeitet, hängt von vielen Faktoren ab.
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Was also gut laufen müsste, möglichst von Anfang an, davon handeln die weiteren Kapitel.
t s i b „Du nicht “ n i e l l a 18
„Ich pflege gerne“
„Du bist nicht allein“ Arbeit in der Pflege ist immer auch gleichzeitig Teamarbeit. Natürlich im stationären Bereich in einem größeren Ausmaß als in der ambulanten Pflege. Was für die meisten eine große Entlastung und Stütze darstellt, ist für andere ein Grund zur Klage. Ich kenne sogar einen Wohnbereich in einem Heim, in dem eine Altenpflegerin sich regelmäßig weigerte ihren Dienst anzutreten, wenn der Name einer bestimmten Kollegin im Dienstplan stand! Solche Fälle sind hoffentlich eine Ausnahme. Ein gutes Team ist wie eine Mannschaft, in der jeder seine Aufgaben hat und seine eigenen Stärken und Schwächen zum Wohl des Ganzen einbringen kann. Auch zu der Frage, welchen Stellenwert die Teamarbeit hat, kommen hier wieder die Altenpflegerinnen und Altenpfleger selbst zu Wort. Stella: „Dieser Beruf geht nur im
Team! Allein wenn man irgendetwas
für die Bewohner erreichen will. Dann
muss man halt an einem Strang ziehen.
Sonst kriegt man nichts hin. Es liegt auch an den Personen, wie die selber auf Teamarbeit stehen.
Es gibt ja welche, die meinen, ich kann alles alleine, ich brauche keinen anderen.
Ein gutes Team spricht auch über Probleme,
wenn mal wirklich was ist, wo man nicht mit
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klar kommt, dass man auch darüber reden kann.
Und nicht, wenn ich was sage, dann krieg’ ich einen
auf den Deckel und erreiche doch nichts.
Die Teamleitung muss auch dahinter stehen.
Ansonsten klappt das nicht. Wenn schon die
Teamleitung selbst Grüppchen bildet, dann brauch’
ich gar nicht erst weitermachen. Dann kann ich eh
nichts erreichen. Ja, man muss wirklich einen haben,
der auch im Notfall hinter’m Team steht, und
nicht welche, die sagen, das habt ihr gemacht, das
interessiert mich nicht. Dann kann man auch sagen, wir haben als Team gehandelt und wir stehen als
Team dafür gerade.“
Diana: „Also, mich hält das Team hier fest. Also, ich finde unser Team total
klasse. Weil wir irgendwie auch vieles so
zusammen durchgestanden haben. Und
vieles auch so miteinander erlebt haben in den
Jahren.
Unser Team ist ein sehr offenes Team. Also, ich
finde, wenn ich jetzt von meinem Team spreche,
dann ist es erst mal so, dass jeder willkommen ist
– was ich auch gut finde – wenn neue Mitarbeiter kommen, neue Schüler, neue Praktikanten. Die
werden mit offenen Armen empfangen. Das
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„Du bist nicht allein“
finde ich immer ganz, ganz klasse. Auch – sag
ich mal – wenn man merkt, dass das schwierige Leute sind. Irgendwie ist es dann trotzdem so,
dass sie angenommen werden, so wie sie sind. Das finde ich ganz, ganz klasse. Ich finde diese ganze
Gruppendynamik ganz, ganz wichtig.
Und, ja, es wird auch Kritik geübt. Offen
Kritik geübt. Es wird da auch offen direkt darüber
gesprochen: ‚Das und das hat mir nicht gefallen!
– Das und das war super, dass du das gemacht
hast!’ Und dann kriegt man vielleicht auch mal
Contra. Und ja, ich finde, wir haben einen guten
Umgangston miteinander. Also, einen ordentlichen Umgangston. Es ist nicht so, dass jemand jetzt
beleidigt wird, gekränkt wird. Vielleicht mal im
Spaß, aber dann halt vorsichtig. Also, wertschätzend und, ja, die Leitungsebene ist halt mit involviert.
Auch wenn der Chef immer im Team ist, ist er
immer noch mein Chef. Ich sag mal – es ist jetzt so,
dass man schon als Team funktioniert, aber wenn da so Leitungsaufgaben sind oder so... Wenn der
Chef halt sagt, das und das wird gemacht, dann
wird das dann auch gemacht. Und dann ist es nicht
so, dass man auf die Kumpelebene runtergeht.
Es ist schon so, dass Wertschätzung und Autorität
halt auch vorhanden sind. Was ja auch sein muss,
sonst würde es ja nicht funktionieren. Das Team
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funktioniert sehr, sehr gut, aber es muss halt auch
eine Leitungskraft da sein. Und das funktioniert
eigentlich hier sehr, sehr gut. Wir sitzen alle in einem
Boot und sind auch alle interessiert, dass es gut läuft, und auch motiviert, dass es gut läuft.“
Sabine: „Der gesamte Ablauf ist
eigentlich nur im Team zu schaffen.
Das muss komplett Hand in Hand
gehen. Und man muss sich auf sein Team
verlassen können. Ist meine Meinung.
Wenn man ein gutes Team hat, dann kann
man das alles regeln, wenn man am Wochenende
im Dienstplan steht und wird dann überraschend
eingeladen oder hat was Bestimmtes vor. So ist
das bei uns, dann springt auch jemand ein. Das ist
überhaupt kein Problem. Und bei Krankmeldungen,
da springen wir halt ein und wenn es umgekehrt ist, dann genau das Gleiche. Also das ist hier super.“
Tobias: „Also, bisher habe ich nur sehr
gute Erfahrungen mit der Teamarbeit
hier gemacht. Weil das Team hier einfach
super gut funktioniert.
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„Du bist nicht allein“
Es herrscht eine überdurchschnittlich hohe
Harmonie hier, finde ich. Es zeigt sich dadurch,
dass ... Ja, irgendwie weiß ich nicht ... Die Leute,
die nicht in dieses Team passen, die sortieren sich
automatisch raus. Aber das ist – sag ich mal – zwei bis drei Mal bis jetzt nur passiert. Aber trotzdem.
Also, die Leute, wo man sagt: ‚Boah, die passen rein’, die integrieren sich auch ganz schnell. Die Leute sind
ja wirklich von allen Ecken und Enden – sag ich mal
– nach hier hingekommen. Und das finde ich schon
super. Weil, ich habe es auch schon in Teams erlebt, wo halt der eine gegen den anderen gestochen hat und gesagt hat: ‚Ach der, der geht ja überhaupt
nicht.’ Und der wurde dann total ausgestoßen, und
dann tun mir einfach die Leute leid, die da außen vor sitzen und nicht dazugehören, sage ich jetzt
einmal. Und das ist hier einfach nicht so.
Ich denke halt, dass die Leitung hier auch ganz
gut mit daran gearbeitet hat, dass es hier so ist, wie es ist. Die Mitarbeiter haben sich zwar auch
irgendwo gefunden, aber es wird schon von oben
immer geguckt. Und es wird auch immer gefragt.
Also, sobald ein neuer Mitarbeiter da ist, dann wird auch erst einmal geguckt und dann wird auch im
Team gefragt. Da wird schon drauf geachtet. Das finde ich super.
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Weil, wenn man einen Quertreiber drin hat, und
das Team zu Bruch geht, kann man – sag ich mal
– die Arbeitsleistung, die man hier leisten muss,
nicht erbringen. Weil, ich finde der Anspruch ist hier schon sehr hoch. Wenn da jemand ist, der
gegen andere treibt und tut und macht, das bricht
irgendwann. Und dann geht man nicht mehr gerne zur Arbeit und dann kann man das hier nicht
leisten.
Einzelkämpfer kann ich nicht empfehlen, wird
sich nicht lange halten. Es ist schon so, dass man im
Team mehr schaffen kann als alleine. In einem guten Team. Wenn jeder für sich alleine arbeitet, dann greifen die Räder nicht ineinander.“
Uwe, Heimleitung: „Was gar nicht geht: Mangelnde Bereitschaft, sich im Team
einzubringen. ‚Gift zu verspritzen’. Sich
in den Vordergrund zu stellen. ‚Lager zu
bilden’. Wichtig sind für uns Einfühlungsvermögen
und Reflexionsbereitschaft. Wer das nicht hat, der hat auch keine Chancen hier. Da nutzen wir das
Instrument der 6-monatigen Probezeit auch voll
aus.“
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„Du bist nicht allein“
Maria, Leitung ambulanter Dienst:
„Ein gutes Team ist wirklich das
ganz Entscheidende in diesem Beruf.
In der ambulanten Pflege ist es die
Eigenverantwortlichkeit im Team. Also,
wenn eine Wunde gut heilt, dann bin ich als
verantwortliche Kraft selber dafür zuständig –
zwar auch im Team, aber ich kann das als meinen
persönlichen Erfolg mitverbuchen. Mir ist wichtig,
dass jeder Mitarbeiter täglich ins Büro kommt, um sich mit Kollegen und Leitung auszutauschen. Und
wenn die Mitarbeiter sich zusammenfinden, dass sie miteinander lachen können. Probleme besprechen können. Also wirklich den Stress loslassen, bevor
sie nach Hause gehen.
Ich denke, die Zufriedenheit ist das Größte, was
wir hier kriegen können. Und wenn man so in
sich zufrieden ist, geht man auch besser arbeiten.
Wer schon halb ausgestiegen ist oder im Burn-out
steckt, den kann ich eigentlich nicht auf die Leute loslassen.
Wir machen auch relativ viel Privates hier. Also
auch mal einen Maigang, Weihnachtsfeiern oder
auch mal Kroamstuten* irgendwo hinbringen; wenn eine Mitarbeiterin ein Kind gekriegt hat, oder
* Hefestuten, den man jungen Eltern nach der Geburt eines Kindes bringt. Alter Brauch im Münsterland.
Pflege packt΄s an
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nur Kaffee trinken oder so. Mal alle. Mal die
Jüngeren, mal die Älteren zusammen.
Also, ich freue mich, wenn das Team sich gut
versteht. Das freut mich auch. Oder auch, wenn ich
mit einbezogen werde, auch zum Team dazugehörig bin.“
Egal, ob stationär oder ambulant – Altenpflege ist immer Teamarbeit – auch dann, wenn man als Pflegekraft allein im Bewohnerzimmer handelt oder in der Wohnung beim Patienten pflegt. Für beide Bereiche gilt: gute Absprachen und professionelle Dokumentation, Pflege bei Schwerstpflegebedürftigen Hand in Hand, gegenseitige Hilfe, kollegialer Austausch und die Möglichkeit, auch mal Dampf ablassen zu können, all diese Dinge sind für ein gutes Team unverzichtbar. Und natürlich muss man bei allen Lobeshymnen auch immer wieder genau hinschauen, welche Grenzen es für Teamarbeit gibt und welche Probleme typischerweise immer wieder auftreten. Denn leider ist gerade die Teamarbeit oft auch die Quelle von viel Ärger. Ausnahmslos alle hier Interviewten beurteilten ihre Teamarbeit als sehr positiv. Sie betonten aber auch, dass ihre Aussagen nur für ein „gutes“ Team gelten. Dabei wird deutlich, welche Voraussetzungen stimmen müssen, damit die Arbeit gut läuft und eine gute Arbeitsatmosphäre herrscht. „Einzelkämpfer“ und mangelnde Bereitschaft, sich im Team einzubringen, gehen gar nicht, wird immer wieder gesagt. Natürlich gibt es Mitarbeiter, die aufgrund ihrer Persönlichkeit im Umgang nicht einfach sind. Nicht jeder eignet sich gleich gut für die Zusammenarbeit mit anderen. Dafür kann es verschiedene Gründe geben. Menschen sind unterschiedlich, und das ist zunächst einmal nichts Schlechtes. Der
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„Du bist nicht allein“
entscheidende Unterschied besteht darin, ob ein Mitarbeiter sich nicht in ein Team integrieren kann oder ob er nicht will. Bei den meisten Problemen, die in Pflegeteams in der Zusammenarbeit der Mitarbeiter untereinander auftauchen, sind immer die Leitungskräfte gefragt.* Manchmal ist es nur eine ungeschickte Art der Kommunikation, die immer wieder zu Missverständnissen und Schwierigkeiten führt. „Von der Lunge auf die Zunge“ – wer nach diesem Prinzip mit anderen kommuniziert, muss sich über Schwierigkeiten nicht wundern. Schon ein wenig Nachdenken und ein Minimum an Empathie würden hier weiterhelfen. Und eventuell sind ein verständnisvolles Gespräch mit Kollegen oder Vorgesetzten oder mal eine Fortbildung nötig. „Quertreiber“ können jedes Team kaputtmachen, wenn nicht von Anfang an konsequent gegengesteuert wird. Auch das ist in erster Linie Führungsaufgabe. Es gibt natürlich auch Grenzen von Teamarbeit, die in der Art der Arbeit begründet sind. Es gibt Aufgaben, die man besser, effektiver und schneller als Einzelner erledigen kann: Zum Beispiel Tabletten stellen, in die Doku eintragen, Pflegeplanungen schreiben. Das hat jeder schon erlebt, der mit mehreren über Formulierungen allein für eine simple Glückwunschkarte diskutiert hat. Geschweige denn gemeinsam mit Kollegen ein Konzept, Referat oder Ähnliches zu schreiben. So etwas geht immer schneller allein (und dann können die anderen später immer noch korrigieren oder Verbesserungsvorschläge machen). Und immer wieder klingt durch, wie wichtig klare Führungsstrukturen für die Mitarbeiter sind. Damit ist nicht zwangsläufig ein autoritärer Führungsstil gemeint! Aber man muss als Chef oder Chefin – egal ob als Wohnbereichs-, Pflegedienst- oder Heimleitung – einfach „erkennbar“ sein. Mitarbeiter erwarten das von ihren direkten Vorgesetzten. Man sollte Richtungen und Ziele vorgeben und für verbind* Für Führungskräfte, die mehr zu Teamentwicklung oder den Umgang mit schwierigen Mitarbeitern wissen möchten, sei auf mein Buch „Mit Mitarbeitern konstruktiv umgehen“, Vincentz Verlag 2016, verwiesen.
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liche Regeln sorgen. Das wird manchmal vergessen, wenn man Seite an Seite in der Pflege arbeitet und sich dadurch als gleichberechtigter Teil seines Teams sieht. Ganz wichtig für die Motivation ist die Anerkennung und Wertschätzung „von oben“. Wenn nicht nur die direkten Vorgesetzten, sondern auch Heimleiter oder Geschäftsführer in die Teamgespräche kommen, um Feedback zu geben und Lob auszusprechen, wenn etwas toll gelaufen ist. Oder vielleicht auch nur, um deutlich zu machen, dass die Belastung der Mitarbeiter wahrgenommen wird, selbst wenn leider nichts daran geändert werden kann.
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„Du bist nicht allein“
n o V „ n e g e Koll “ n e lern
„Von Kollegen lernen“ In Phasen von Unzufriedenheit oder persönlichen Zweifeln bei der Arbeit lohnt es sich zu fragen: Wie machen’s die anderen? Also die, die auch nach vielen Jahren noch Spaß an ihrem Beruf haben. Was ist wichtig für eine lange Verweildauer im Beruf? Ich treffe in Altenheimen, ambulanten Einrichtungen und auch in Krankenhäusern immer wieder auf ehemalige Schülerinnen und Schüler und auf deren Kollegen, also auf Altenpflegerinnen und Altenpfleger, die erklärtermaßen auch nach vielen Berufsjahren noch Freude an ihrer Arbeit mit alten Menschen haben und diese Tätigkeit auch in Zukunft weiter ausüben wollen. Als neugieriger Mensch interessiert mich: Was machen diese zufriedenen Pflegekräfte anders und besser als ihre unzufriedenen, gefrusteten Kollegen? Worin unterscheiden sich diejenigen, die schnell wieder aus ihrem Beruf aussteigen, von denjenigen, die auch nach vielen Berufsjahren immer noch sagen: „Pflege macht Spaß“? Man kann also von den folgenden Kommentaren und Tipps der Kolleginnen und Kollegen einiges lernen. Sabine: „Man muss abschalten können.
Also man darf die Dinge nicht mit nach
Hause nehmen. Ich meine, Krankheit,
Sterben, Tod gehören dazu. Aber man muss
auch irgendwo eine gewisse Grenze für sich ziehen, ansonsten wird die psychische Belastung enorm zu hoch, dass man selber irgendwann krank wird.
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Man muss auch gucken, dass man sich nicht zu
eng bindet von der Beziehung her an bestimmte Personen.
Und man muss auf seine Arbeitstechniken
achten. Die Leute werden immer schwerer. Das
ist so. Rückenschonendes Arbeiten. Da brauch’ ich
kein Fitnessstudio. Da kann man ja selbst auch mit
den richtigen Techniken dafür sorgen, dass man
keine Probleme kriegt. Und ich denke, wenn man zufrieden ist im Beruf, dann ist das ja auch eine
ganz wichtige Voraussetzung dafür, dass man es auch körperlich besser verkraftet.“
Stella: „Ich würde darauf achten, dass
man Freizeitausgleich hat, wie unterwegs
sein und auf sich selber achten. Und
dass man wirklich auch merkt, wann
seine Grenzen sind. Und ich finde, da gehört auch
ein Freundeskreis und eine Familie dazu, die einen unterstützen.“
Diana: „Man muss auch mit den
Bewohnern lachen. Also man muss sie
auch einbeziehen. Ich finde, dass
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„Von Kollegen lernen“
man auch über sich selbst lachen können muss und
auch über andere. Also, ich finde, die Beziehung lebt davon, dass man sie auch lebt. Emotionen müssen einfach auch gelebt werden.
Man muss schon stabil sein in allem. Ich brauch’
Rückhalt von meinem Mann, der mir dann auch
mal sagt, wenn ich dann nach Hause komme
und sage: „Ach, irgendwie heute war ich ziemlich
unzufrieden.“ Der mir dann sagt: „Ja, aber morgen
ist ein neuer Tag.“ Alleine schon, dass man das
sagen kann. Dass das auch in einer Ehe Platz findet. Und wenn jemand gestorben ist, dann geht man
nicht gleich zum Kaffeetrinken oder einen lustigen
Geburtstag feiern oder so. Dann möchte man auch mal einen Moment innehalten. Und das ist, glaube
ich, auch für eine Partnerschaft ganz wichtig, dass
derjenige, mit dem man zusammenlebt, dass er
das auch akzeptiert. Ja. Und ich finde schon, dass
man ein stabiles Umfeld haben sollte. Um auch diese
Leistung zu bringen.
Sich mit Kollegen auch austauschen oder sich
absprechen, wenn einer in Not ist und auch schon mal aufeinander aufpassen, und sagen: Hör mal,
dem geht’s grad nicht so gut.
Und dem Chef auch mal sagen können ‚Mir geht’s
grad nicht so gut’, einfach das direkt thematisieren, und das dann auch sagen können.
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Das hat mich dann auch entlastet. Dieses
Vertrauensverhältnis gibt dann auch Rückhalt. Ich brauche jemanden, der mir den Rücken freihält.
Und sich das einfach anhört, so.
Und um mich körperlich fit zu halten, gehe ich
sehr viel laufen. Und Haushalt. Und ein bisschen kochen.“
Tobias: „Ich musste einfach für mich lernen: Wenn du in diesem Beruf
bestehen willst, dann musst du sehen,
dass du mit Nähe und Distanz wirklich
arbeitest. Dass du das alles nicht zu nah an dich ran lässt. Zwar schon ein bisschen näher als im
alltäglichen Leben, aber dann trotzdem noch so viel
Distanz zu haben, dass dich so ein Tod – sag ich mal
– nicht so runterhaut.
Als Altenpfleger muss man auch bereit sein,
sich weiterzuentwickeln. Die Entwicklung muss
weitergehen. Die Leute, die keine Weiterbildung
machen, sind in so einem alten Trott eingefahren,
die stehen auf der Stelle. Ich finde, dass man immer daran interessiert sein sollte, sich weiterzubilden. Es
hat auch was mit Wertschätzung zu tun, wenn man
auf Weiterbildungen ist.
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„Von Kollegen lernen“
Man bekommt auch was Neues dazu. Und man braucht – ich würde nicht sagen ein ganzes
Team – aber einige Leute im Team, die einem
zur Seite stehen und die einem auch den Rücken freihalten. Die braucht man schon. Und da muss
ein gepflegter Ton herrschen. Einfühlungsvermögen muss vorhanden sein. Eine Axt im Walde hilft in
der Pflege nichts. Die Kommunikation muss einfach stimmen und die Einstellung zum Beruf muss auch passen.
Aber auch die Kollegen, dass die mal Dampf
ablassen können in der Übergabe, wenn mal einer
eine Situation nicht gepackt hat, dass man da auch mal hingehen kann und dann auf den Tisch hauen kann. Und dann ist die Sache erledigt, und dann
geht’s wieder weiter. Das finde ich wichtig.
Man braucht privat den Ausgleich. Und halt
die Anerkennung, die hier ziemlich hoch ist, hier
auch von den Angehörigen, auch von oben, von
der Chefetage. Das stärkt und das bewegt dann eigentlich dazu, auch weiterzumachen.“
Uwe, Heimleitung: „Wichtig ist die
Ausgangslage. Dass diejenigen, die sich
für den Beruf entscheiden, auch
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darüber klar sein müssen, dass der mit Belastungen verbunden ist. Dass man stabil sein sollte.
Dass man ein offenes Klima hat, in dem man
auch seine Belastungssituation formulieren kann. Das ist sehr wichtig.
Dass man regenerieren kann:
Supervisionsangebote, Mitarbeiter-Feedback-
Gespräche, Belastungsgespräche und Fortbildungen.
Außerdem: Verantwortung übertragen. Gestaltungsspielräume zulassen.
Am Anfang war es schon schwierig, erst
einmal Bewusstsein zu schaffen. Bewusstsein
hinsichtlich Kommunikation, hinsichtlich Toleranz
auch und Wertschätzung und Selbstreflekxion Die
Wertschätzung der Geschäftsführung und auch der
anderen Berufsgruppen im Haus.
Vor allen Dingen: Dass Kollegen sich selber
wertschätzen.“
Diesen Worten ist eigentlich nichts mehr hinzufügen! Gerade der letzte Satz sollte – in welcher Form auch immer – in jedem Dienstzimmer als Ansporn und zur Bestätigung groß über der Tür stehen.
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s e R „ n e c r sou “ n e z t u n
Meine eigenen Ressourcen nutzen Der Umgang mit „Ressourcen“ ist Altenpflegern bestens vertraut, denn jede Pflegeplanung beginnt damit, dass man die vorhandenen Fähigkeiten und Reserven des Bewohners oder Patienten ermittelt. Weniger vertraut hingegen ist den meisten Pflegekräften der Gedanke, sich auch einmal die eigenen Ressourcen bewusst zu machen. Wie wäre es denn einmal mit einer „ICH-pfleg’-MICH-Planung“? „Hey, sei nicht so hart zu dir selbst!“, singt Andreas Bourani und tatsächlich starren wir leider häufig viel zu selbstkritisch auf die Defizite und Mängel in unserem Leben und sind dadurch oft unzufrieden. Und leider sind wir uns unserer eigenen Stärken, unserer Talente und Fähigkeiten oft nicht bewusst. Ein geringes Selbstwertgefühl und Selbstbewusstsein sind meistens die Ursache dafür. Deshalb hier gleich zu Anfang eine gute Übung für das eigene Ego:
„Streicheleinheiten“ • Schreiben Sie Ihre fünf positivsten Eigenschaften auf einen Zettel und stecken Sie ihn in Ihr Portemonnaie! • Bitten Sie zusätzlich eine gute Freundin, Kollegin oder einen anderen vertrauenswürdigen Menschen, auf die Rückseite dieses Zettels Ihre deren Meinung nach besten Eigenschaften zu notieren. • Schreiben Sie Ihren größten Erfolg in Ihrem bisherigen Leben auf einen weiteren Zettel. Mit „Erfolg“ kann Vieles gemeint sein: • Zum Beispiel sich in einer bestimmten Angelegenheit gegen eine andere Person (Eltern, den Partner oder den Vorgesetzten) durchgesetzt zu haben.
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• Eine Ausbildung beendet zu haben. • Oder eine schwierige persönliche Situation gemeistert zu haben. Wenn schlechte Laune oder Selbstzweifel Sie überkommen: Lesen und freuen! In diesem Kapitel geht es vor allen Dingen darum, sich klarzumachen, über welche persönlichen Ressourcen man schon verfügt, und wie man die bereits vorhandenen eigenen Kompetenzen und Fähigkeiten besser für sich nutzen kann. Es sollen die praktischen Entlastungsmöglichkeiten von sozial-psychologischen Erkenntnissen für den Alltag aufgezeigt werden. Denn, obwohl alle diese Theorien oft recht kompliziert klingen, lassen sie sich tatsächlich als konkrete Hilfe effektiv umsetzen!*
Menschen, die mich entlasten können „Warum hat mir das nicht jemand schon früher mal erklärt?“, fragte mich eine 43jährige Auszubildende am Ende des Unterrichts, nachdem sie die – zugegebenermaßen – zunächst sehr abstrakt klingende Theorie von den sozialen Unterstützungssystemen verstanden hatte. „Dann hätte ich von meinen Mann doch nicht so viel Verständnis und Hilfe für meine Ausbildung verlangt. Ich hab’ den echt überfordert, anstatt mir zu überlegen, was ich denn tatsächlich von ihm erwarten kann oder wo ich mir lieber zusätzliche Unterstützung von anderen hätte holen sollen.“ „Soziale Unterstützung“ meint die praktische Hilfe und den emotionalen Halt, die sich Menschen im Alltag und besonders in Notfällen * Wer eine ausführlichere, anschauliche Darstellung der zugrundeliegenden Theorien mit vielen Fallbeispielen aus dem Alltag der Altenpflege lesen möchte, sei auf mein Buch „Traumberuf Altenpflege“, Vincentz Verlag 2015 verwiesen.
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gegenseitig geben. Jeder Mensch kennt im Idealfall einen Kreis von anderen Menschen, zu dem er in einer zuverlässigen Beziehung steht und der ihm, wenn nötig, zur Seite steht. Das können Freunde, Nachbarn, Familienmitglieder oder Kollegen sein. Die Anzahl der Personen ist dabei nicht wichtig. Entscheidend ist, ob alle Bedürfnisse abgedeckt werden können. Und über eines sollte man sich klar sein: nur eine einzige Person, die alle Anforderungen erfüllen soll, wäre ziemlich wahrscheinlich überfordert! Wie der Mann der o. g. Schülerin. Amerikanische Sozialpsychologen haben diese Bedürfnisse in sechs verschiedene „Funktionen“ eingeteilt und beschrieben. Klingt kompliziert – ist es aber nicht! Mit den folgenden Fragen können Sie selbst prüfen, ob Sie zu den Glücklichen gehören, die in ihrem Alltag schon ein gutes System haben.
Mein persönliches Unterstützerteam: 1. Wem können Sie jederzeit von Ihren kleinen und großen Sorgen und Problemen berichten? Wem können Sie vertrauen? Wer hält sich dabei mit eigenen Ratschlägen zurück? 2. Wer kann Ihre fachlichen Qualitäten beurteilen und gibt Ihnen Rückmeldungen? Wem können Sie in beruflichen Angelegenheiten vertrauen? 3. Von welchen Kollegen erhalten Sie neue Ideen und Anregungen? Wer bringt Sie fachlich weiter? 4. Wer ist für Sie da, wenn es Ihnen wirklich schlecht geht? Wer nimmt auch Mühen auf sich, um Ihnen bei Schwierigkeiten zu helfen? 5. Von wem lassen Sie sich auch einmal unangenehme Dinge sagen? Wer „darf“ Sie kritisieren? Von wem nehmen Sie Kritik an? 6. Wer „schwimmt“ mit Ihnen auf derselben „Wellenlänge“? Mit wem teilen Sie dieselben Werte und Ansichten?
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Funktionen des Sozialen Unterstützungssystems:* 1. Zuhören kann jeder, der Sympathie und Verständnis mitbringt und nicht immer sofort gute Ratschläge erteilt. 2. S(F)achliche Anerkennung in einer bestimmten Sache kann nur der/diejenige geben, der sich auf dem fachlichen Gebiet auch auskennt. Wenn es um berufliche Themen geht, sind Mütter, Ehepartner oder Freunde eher nicht geeignet, es sei denn, sie sind auch „vom Fach“. 3. S(F)achliche Herausforderung wird dann notwendig, wenn man seine Arbeitsaufgaben routiniert erledigt und das Gefühl hat, auf der Stelle zu treten. Personen mit einer gewissen Fachkompetenz wären dafür am besten geeignet. 4. Emotionale Unterstützung kann jeder geben, der bereit ist, dem anderen ohne Bedingungen und Bewertungen zur Seite zu stehen. Egal, ob Familienmitglied, Partner, Freund, Kollege oder Vorgesetzter. 5. Emotionale Herausforderung benötigt man, wenn man sich selbst etwas vormacht oder sich völlig in eine Sache verrannt hat. Dann braucht man jemanden, der das offen anspricht, ohne Scheu vor Ärger oder Abwehr. Um Kritik annehmen zu können, benötigt man unbedingt gegenseitiges Vertrauen. 6. Geteilte soziale Realität ist immer dann vorhanden, wenn man Menschen im Umfeld hat, die ähnliche Ansichten und Wertvorstellungen haben wie man selbst. Fazit: Es ist klar, dass ein einzelner Mensch überfordert wäre, wenn er als einzige Bezugsperson sämtliche Aufgaben übernehmen müsste. Eltern, Ehepartner oder Freunde sind sicherlich in vielen Situationen wich*
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Pines, Ayala M./Aronson, Elliot/Kafry, Ditsa: Ausgebrannt, 10. Auflage, 2006
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tige und hilfreiche Mitmenschen. Im beruflichen Alltag aber ist besonders die Unterstützung von guten Kollegen oder Vorgesetzten wichtig.
So helfe ich mir selbst Jeder von uns muss im Alltag größere oder kleinere Probleme oder stressige Situationen auf die Reihe kriegen – sowohl privat als auch beruflich. Meistens handeln wir dann ohne lange zu überlegen aus unserer Erfahrung heraus. Im Idealfall verfügen wir über eine bewährte Auswahl von Handlungsmöglichkeiten, um Schwierigkeiten zu bewältigen. Und instinktiv machen wir vieles richtig, auch wenn wir uns darüber nicht bewusst sind. „Coping“-Strategien“** heißt das Zauberwort, wenn es darum geht, einer nicht einfachen Situation gewachsen zu sein und sie zu bewältigen. Je nach Art, Umfang und Schwere des Problems und der eigenen Persönlichkeit verwenden wir üblicherweise eine der folgenden zehn Coping-Strategien, um zurechtzukommen: 1. Ich lenke mich ab. 2. Ich versuche, die Spannung zu reduzieren. 3. Ich bereite mich gedanklich auf das Schlimmste vor. 4. Ich greife auf frühere Erfahrungen zurück. 5. Ich reagiere mit Humor. 6. Ich mache mir einfach nichts daraus. 7. Ich rede mit anderen. 8. Ich beschaffe mir zusätzliche Informationen. 9. Ich entwickle konstruktive Ideen. 10. Ich fange andere Aktivitäten an. ** engl.: to cope with = schwierige Aufgaben meistern, etwas in den Griff bekommen, mit etwas fertig werden
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Natürlich passt nicht jede Strategie für jedes Problem. Und natürlich entwickelt jeder im Laufe seines Lebens persönliche Vorlieben. Es leuchtet ein, dass zum Beispiel die Strategie 8 „Sich zusätzliche Informationen beschaffen“ gut geeignet wäre, um eine Pflegeplanung zu schreiben oder um eine schwierige Pflegesituation zu meistern, die völlig neu für alle Beteiligten ist. Die Strategie 7 „Mit anderen reden“ würde sich eignen, um die Gründe des veränderten Verhaltens einer Bewohnerin gemeinsam mit den Kollegen zu erörtern. Strategie 5 „Mit Humor reagieren“ ist in der Pflege vorsichtig zu verwenden, da vielleicht Bewohner oder Patienten ihre Lage nicht als lustig oder komisch empfinden und auf witzige Bemerkungen eher ärgerlich, beleidigt oder verstört reagieren könnten. Spitze Bemerkungen eines Kollegen kann man einfach ignorieren, wenn sie nur manchmal vorkommen = Strategie 6 „Sich nichts daraus machen“. Auch die Strategie 4 „Auf frühere Erfahrungen zurückgreifen“ ist in beruflichen Problemsituationen oft hilfreich, setzt aber natürlich eine gewisse Berufserfahrung voraus und ist deshalb für Berufsanfänger nicht machbar. Diese können sich dann aber sicher Rat von kompetenten Kollegen einholen.
Meine Lieblingsstrategien Überlegen Sie sich, welche Coping-Strategien Sie am häufigsten und in welchen Situationen anwenden Was tun Sie dann konkret? Ist das immer das Beste?
Vertrauen in meine eigenen Stärken Manche Menschen führen die Erfolge in ihrem Leben grundsätzlich auf ihr eigenes Handeln zurück. Sie sind felsenfest davon überzeugt,
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dass sie gezielt Einfluss auf viele Dinge nehmen können. Sie finden sich mit Problemen und Schwierigkeiten nicht so schnell ab, sondern erwarten, dass sie selbst etwas daran ändern können. Das Sprichwort „Jeder ist seines Glückes Schmied“ haben sie sozusagen verinnerlicht. Und wenn manche sagen: „Ja, is’ halt so. Kann man nix dran machen“, dann sagen sie: „Was? Das woll’n wir doch mal sehen!“ Psychologen nennen das eine hohe „Selbstwirksamkeitserwartung = SWE“.
Schätzen Sie Ihre persönliche „SWE“ ein: 0 = Stimmt nicht. 1 = Stimmt selten. 2 = Stimmt meistens. 3 = Stimmt genau. • Wenn sich Widerstände zeigen, finde ich Mittel und Wege, mich durchzusetzen. • Die Lösung schwieriger Probleme gelingt mir, wenn ich mich darum bemühe. • Es bereitet mir keine Schwierigkeiten, meine Absichten und Ziele zu verwirklichen. • Auch bei überraschenden Ereignissen glaube ich, dass ich gut mit ihnen zurechtkommen kann. • Schwierigkeiten sehe ich gelassen entgegen, weil ich meinen Fähigkeiten vertrauen kann. • Wenn eine neue Sache auf mich zukommt, weiß ich, wie ich damit umgehen kann. Niedrige Punktzahl = geringe SWE, hohe Punktzahl = hohe SWE. Aber Vorsicht bei zu hoher Punktzahl! Wenn Sie sich überall 3 Punkte gegeben haben, dann liegt der Verdacht nahe, dass Sie vielleicht unter Größenwahn leiden …
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Die nicht so von ihren Einflussmöglichkeiten überzeugten Menschen machen das Schicksal oder Zufälle für den Ablauf und das Ergebnis von Ereignissen in ihrem Leben verantwortlich. Sie trauen sich selbst wenig zu, sehen sich eher als „Spielball des Schicksals“ oder Opfer äußerer Umstände. Man spricht dann von einer niedrigen Selbstwirksamkeitserwartung. Menschen mit einem starken Glauben an die eigenen Fähigkeiten zeigen erfahrungsgemäß größere Ausdauer bei der Bewältigung von Aufgaben und haben häufig mehr Erfolg in Ausbildung und im Berufsleben. Menschen mit einer niedrigen Selbstwirksamkeitserwartung vermeiden eher schwierige Situationen oder geben bei Problemen schneller auf. Zur Entstehung von Selbstwirksamkeit gibt es viele Theorien. Sicher ist, dass erfolgreiche Vorbilder, eigene Erfolgserlebnisse und positives Feedback aus dem persönlichen Umfeld die Selbstwirksamkeitserwartung erhöhen.
Ich lasse mich nicht so schnell unterkriegen Manche Menschen sind wie „Stehaufmännchen“. Nichts im Leben kann sie so schnell umhauen. Auch nach schweren Schicksalsschlägen rappeln sie sich wieder auf. Diese Menschen sind belastbarer als andere, kommen nach Krisen rascher wieder auf die Beine und behalten auch in stressigen Situationen die Ruhe und die Übersicht. „Resilienz“* heißt das Zauberwort der Stunde! Resilienz geht über die bekannten Methoden der Stressbewältigung hinaus. Sie setzt tiefer an, nämlich bei den Fragen nach dem WARUM – warum sind man-
* Der Fachbegriff „Resilienz“ stammt ursprünglich aus den Ingenieurwissenschaften, genauer gesagt aus der Werkstoffkunde, und gibt an, ob und wie ein Material nach Verformungen, die zum Beispiel durch hohen Druck entstanden sind, wieder in seine ursprüngliche Form zurückkehren kann.
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che Menschen widerstandsfähiger als andere? Und nach dem WOHER – woher nehmen sie die erforderlichen inneren Stärken? Die Antworten geben Aufschluss darüber, was man von Haus aus schon an Resilienz mitbringt. Denn tatsächlich sind die Grundlagen für eine hohe psychische Widerstandsfähigkeit in der Vergangenheit gelegt worden: Ererbte Gene, Erziehung und Bedingungen und Erfahrungen in der frühen Kindheit sind ausschlaggebend.
Check: Bin ich resilient? • Kann ich meine eigenen Gefühle wahrnehmen und lenken, anstatt sie nur zu unterdrücken? • Habe ich genügend Disziplin, um meine Ziele zu erreichen? • Kann ich eine Situation richtig einschätzen, also zum Beispiel die wahren Ursachen für eigene Unzufriedenheit erkennen? • Beruht mein Optimismus auf der Realität oder rede ich mir etwas schön? • Kann ich mich in die Gedanken und die Gefühlswelt eines anderen Menschen hineinversetzen? • Kann ich einmal gesetzte Ziele notfalls auch ändern oder weiterentwickeln? • Inwieweit bin ich überzeugt davon, dass ich die Kontrolle über mein Leben habe und selbst etwas bewirken kann? Bei der Beantwortung dieser Fragen, geht es nicht simpel um viele Punkte oder Ja- oder Nein-Antworten. Sondern Reflexion und Nachdenken über mein eigenes Verhalten sind hier angesagt.
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Theorie der sieben Resilienzfaktoren*: 1. Emotionssteuerung 2. Impulskontrolle 3. Kausalanalyse 4. Realistischer Optimismus 5. Empathie 6. Zielorientierung 7. Selbstwirksamkeitserwartung Diese doch sehr vielschichtigen Faktoren zeigen deutlich, dass Resilienz offensichtlich sowohl angeboren und in der frühen Kindheit entstanden als auch erlernbar ist. Noch ein Wort zum oben so positiv dargestellten Bild des „Stehaufmännchens“, dem man im Zusammenhang mit Resilienz so oft begegnet. Der Begriff ist meiner Meinung nach nicht sehr glücklich gewählt und zugleich wenig hilfreich. „Hinfallen. Aufstehen. Krönchen richten. Weitermachen.“ – dieser oft gehörte Rat ist nicht unbedingt immer zu empfehlen. „Wenn uns Belastungen, Lebenskrisen oder gar Schicksalsschläge zu Boden drücken, können wir durch Verarbeitung dieses leidvollen Geschehens nicht nur in eine alte, ‚gesunde’ Form unserer selbst zurückkehren, sondern uns eine weitaus höhere Lebensqualität erschließen.“** Es soll hier nicht zynisch klingen, aber man kann auch schweren Schicksalsschlägen wie Krankheiten oder Unfällen durchaus etwas Positives abgewinnen. Betroffene berichten manchmal, dass sie danach Kleinigkeiten im Leben intensiver wahrnehmen oder sie dadurch motiviert wurden, ihr Leben von Grund auf zu ändern oder schädliche Gewohnheiten abzulegen.
* n. Mourlane ** Kéré Wellensiek/Galuska, Resilienz – Kompetenz der Zukunft, 2014, S.21.
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Wissenswertes über Stress Hier die Geschichte von der Frau, die den ganzen Tag lang hektisch ihre Hühner einfängt. Als der Nachbar ihr den Rat gibt, doch einen Zaun zu bauen, damit sie auch mal andere Dinge in Ruhe erledigen könne, antwortet sie: „Dafür habe ich keine Zeit. Ich muss ja schließlich meine Hühner einfangen!“ Diese kleine Geschichte zeigt, wie sehr der Blick für Entlastungsmöglichkeiten verloren geht, wenn man vor lauter Stress den Kopf nicht mehr frei hat. Was der Einzelne dabei als Stress wahrnimmt, ist individuell sehr unterschiedlich. Ob man eine schwierige Situation als Herausforderung = „Eu-Stress“ (motivierend und leistungsfördernd) oder als Überforderung = „Dis-Stress“ (unangenehm und bedrohlich) annimmt, ist von vielen Faktoren abhängig und wird deshalb von jedem Menschen anders empfunden. Hier zunächst ein paar Fakten: Symptome, die auf eine hohe negative Belastung durch Stress hinweisen, können als körperliche, psychische, seelische und kognitive Reaktionen auftreten: Zum Beispiel in Form von Kopf- und Rückenschmerzen, Zähneknirschen, zu hohem Blutdruck, Magen- und Darmbeschwerden, Schlafstörungen, Gereiztheit, Stimmungsschwankungen, Gefühlen von Wertlosigkeit, sozialem Rückzug, Konzentrationsstörungen oder aber auch verringerter Arbeitsleistung. Stressreaktionen im Körper werden durch eine Abfolge von Aktivitäten in Nerven und Drüsen in Gang gesetzt, die dann auf verschiedene Organe einwirken und deren Funktion verändern. Zum Beispiel werden der Blutdruck erhöht, die Atmung beschleunigt und gleichzeitig verflacht, der Muskeltonus verstärkt, Verdauungsvorgänge gedrosselt, die Immunabwehr verringert und insgesamt mehr Energie zur Verfügung gestellt.
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Um den Sinn dieser körperlichen Vorgänge besser zu verstehen, muss man sich nur einmal klar machen, dass unser Stressbewältigungssystem aus der Steinzeit stammt, also uralt ist und sehr gut in die damalige Zeit passte. Die Menschen wohnten in Höhlen und waren entweder als Sammler von Früchten, Nüssen und Wurzeln oder als Jäger von Kaninchen bis hin zum Mammut stunden- und tagelang unterwegs. Stress gab’s, wenn man einem wilden Tier oder feindlichen Menschenhorden begegnete. Dann musste man stark sein oder schnell rennen können! Die Reserven, die unter Stress im Körper zur Verfügung gestellt wurden, konnte man im Kampf oder bei der Flucht wieder verbrauchen. Dieses System funktioniert heutzutage leider nicht mehr, weil es völlig veraltet ist. In unserer heutigen Zeit haben wir eine völlig andere Art von Stress: Stau auf dem Weg zur Arbeit, zu viele Termine oder Ärger mit dem Chef. Und für diese Situationen kommen Kampf oder Flucht als Stressabbau meistens nicht infrage … Also sammeln wir die Stresshormone und Energiereserven im Körper an und wundern uns dann über die Zunahme von Burn-out oder Übergewicht oder HerzKreislauferkrankungen in unserer Gesellschaft. Das folgende kleine Rechenexempel macht die Ursache des Problems deutlich: Seit ca. 13.000 Generationen sind wir Jäger, Sammler, Viehzüchter und Ackerbauern. Seit erst 10 Generationen leben wir im Zeitalter der Industrialisierung mit zunehmenden technischen Möglichkeiten. Seit nicht einmal 1 Generation leben wir im Zeitalter der Digitalisierung mit rasant zunehmenden Entwicklungen, die sich auf alle Lebensbereiche auswirken. An unserem Rechenbeispiel sieht man, dass die Evolution verhältnismäßig wenig Zeit hatte, um unseren Körper an ein Leben mit Autos, Fahrstühlen, Fernsehern, Computern und Smartphones „anzupassen“.
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Negative und – überraschenderweise – auch positive Lebensereignisse wirken sich als Stressfaktoren schädigend auf unsere Gesundheit aus. Wissenschaftler erstellten eine Skala, mit der man einen Punktewert für die eigene Stressgefährdung errechnen kann. Bei 150 bis 199 Punkten innerhalb eines Jahres zeigten 37 % der Testpersonen Überlastungssymptome. Bei über 300 Stresspunkten wurden 79 % ernsthaft krank.
Testen Sie Ihre persönliche Stressbelastung Punkteskala für Stress-Reize: 43 Ereignisse 1. Tod des Partners
Punkte 100
2. Scheidung73 3. Trennung vom Partner
65
4. Haftstrafe63 5. Tod eines nahen Familienangehörigen
63
6. Eigene Verletzung oder Krankheit
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7. Heirat50 8. Verlust des Arbeitsplatzes
47
9. Versöhnung mit dem Partner
45
10. Pensionierung45 11. Krankheit in der Familie
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12. Schwangerschaft40 13. Sexuelle Probleme
39
14. Geburt eines Kindes
39
15. Arbeitsplatzwechsel39
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16. Erhebliche Einkommensveränderung
38
17. Tod eines nahen Freundes
37
18. Berufswechsel36 19. Änderung der Streithäufigkeit in der Ehe
35
20. Aufnahme eines Kredits über 8000 €
31
21. Kündigung eines Kredits
30
22. Neuer Verantwortungsbereich im Beruf
29
23. Kinder verlassen das Elternhaus
29
24. Ärger mit der angeheirateten Verwandtschaft
29
25. Großer persönlicher Erfolg
28
26. Anfang oder Ende der Berufstätigkeit der Frau
26
27. Schulbeginn oder -abschluss
26
28. Änderung des Lebensstandards
25
29. Änderung persönlicher Angewohnheiten
24
30. Ärger mit dem Vorgesetzten
23
31. Änderung der Arbeitszeit und -bedingungen
20
32. Wohnungswechsel20 33. Schulwechsel20 34. Änderung der Freizeitgewohnheiten
9
35. Änderung der kirchlichen Gewohnheiten
19
36. Änderung der gesellschaftlichen Gewohnheiten
18
37. Aufnahme eines Kredits unter 8000 €
17
38. Änderung der Schlafgewohnheiten
16
39. Änderung der Häufigkeit familiärer Kontakte
15
40. Änderung der Essgewohnheiten
15
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41. Urlaub13 42. Weihnachten12 43. Geringfügige Gesetzesübertretungen
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Ob die negativen Folgen von Stress tatsächlich eintreten, hängt von den eigenen Bewältigungsmethoden ab. Jeder Mensch entwickelt persönliche Vorlieben: Laute Musik hören, in die Badewanne legen, auspowern beim Sport, putzen (gar nicht so selten!), mit dem Kind spielen, shoppen, Schokolade naschen, mit Freunden quatschen bis hin zur Beruhigungszigarette; alles ist dabei. Die wenigsten Menschen unterscheiden zwischen gesunden und ungesunden oder zwischen kurzfristigen und langfristigen Methoden. Und wenn man zufrieden ist und keine besonderen gesundheitlichen Probleme hat, dann hat man wahrscheinlich für sich die optimalen Methoden bereits gefunden. Und wenn nicht, dann helfen die Infos im Kapitel 6 hoffentlich weiter.
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h c s n „Wü Dir “ s a w 54
„Wenn es eine gute Fee gäbe …“
„Wenn es eine gute Fee gäbe …“ … und Sie hätten drei Wünsche frei. Was würden Sie sich für Ihren Berufsalltag wünschen?“ So lautete in meinen Interviews immer die letzte Frage. Hier einige Antworten: Sabine: „Ich würd’ gerne mal wieder Betreuungsangebote organisieren,
Feste oder so. Was wir während der
Ausbildung noch gelernt haben. Da ist
heute überhaupt nicht mehr dran zu denken. Aber
das ist doch auch ein Stück weit, warum man
diesen Beruf auch ergriffen hat. Die Betreuung
alter Menschen. Mit einem Gespräch oder einer
Begleitung irgendwohin, das wäre schön. Sich von
alten Menschen mal erzählen lassen, wie es früher
gewesen ist.“
Diana: „Mehr Zeit für die Bewohner,
dass man wirklich auch mal ’ne ganze
Stunde mit jemandem hat oder so. Mehr
Geld sowieso. Und ich würd mir noch ’ne nette Fortbildung wünschen.
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Also sprich Palliative Care. Das wäre so ein Wahl-
bereich, der mich interessieren würde. Da hab ich noch ganz viel Wissensdurst, sage ich jetzt mal.
Vielleicht auch in Kombination mit Demenzkranken. Und mehr Aufstiegschancen.“
Tobias: „Wenn die gute Fee dann mal
kommt, würde ich mir wünschen, dass
sie die Wertschätzung der Altenpflege
ein wenig steigern würde. Also wenn ich
nur einen Wunsch frei hätte, würde ich mir wirklich
mehr Anerkennung von außen wünschen. Für die
ganze Altenpflege. Auch im privaten Umfeld habe
ich so manchmal das Gefühl, wenn die Leute dann
selber betroffen sind, dann steigt die Anerkennung.
Aber die Menschen, die gar keine Erfahrung haben, für die ist das Hintern abputzen und füttern. Mehr
nicht. Und das ja – sage ich einmal – seit Jahren,
seit Jahrzehnten. Und das will irgendwie nicht weg,
dieser Fluch.“
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„Wenn es eine gute Fee gäbe …“
Maria, Leitung ambulanter Dienst: „Ich für mich persönlich hätte den Wunsch,
weniger am Schreibtisch zu sitzen.
Ich finde, Qualitätsmanagement und
Bürokratie nehmen teilweise überhand.
Die Kunden sagen auch schon, ihr schreibt ja mehr,
als dass ihr pflegt. Ich finde, das ist eine Aussage, die irgendwie richtig ist – da merken wir, es läuft was verkehrt, und trotzdem ist es nicht zu vermeiden.
Und dass die Pflegeberufe weniger Überstunden
hätten. Ich finde das schon unglaublich, dass das in
diesem Beruf schon fast selbstverständlich ist, dass
jeder Überstunden macht! Angefangen vom ersten
bis zum letzten Mitarbeiter, weil wir eben alles noch
annehmen, was kommt. Wenn Freitag noch jemand anruft, kommt der am Sonntag auch noch rein. Obwohl das dann anders geplant war, wird der
auch noch versorgt.“
Uwe, Heimleitung: „Wir bräuchten mehr Lobby, geänderte Finanzierung. Es geht
nicht mal um die Altenpfleger, es geht
immer um den alten Menschen, der nicht
mehr produktiv ist. Ich sage mal, ich würde gerne
2 % mehr Mehrwertsteuer bezahlen, wenn
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dafür der Mensch, der Deutschland aufgebaut
hat – das ist jetzt ein bisschen pathetisch – ein
menschenwürdiges Leben führen kann. Es muss
nicht nur Pflegepersonal sein, es geht einfach nur
um Menschen, die betreuende Beziehung gestalten.“
Wie man sieht, sind die Wünsche sehr unterschiedlich. Vom vergleichsweise recht bescheidenen Wunsch nach etwas mehr Zeit für Gespräche mit Bewohnern, Feste mit ihnen zu gestalten und zu feiern bis hin zur Veränderung gesellschaftlicher Rahmenbedingungen wie einer großzügigeren Finanzierung und einem besseren Image für den Beruf reicht das Spektrum. (Wobei man nicht verhehlen sollte, dass natürlich beides eng zusammenhängt: Wenn Fachkräfte mehr Zeit mit Bewohnern verbringen wollen, die nicht direkt die Pflege betrifft, sondern eher in den Betreuungsbereich gehört, dann muss man natürlich überlegen, wo das nötige Geld dafür herkommt.) Für alle, die nicht an gute Feen glauben, gibt es im nächsten Kapitel noch ein paar Tipps, wie Sie selbst Veränderungen für sich in die Hand nehmen können.
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„Wenn es eine gute Fee gäbe …“
„Ich pfleg’ mich“
Meine „Ich-pfleg’-mich-Planung“ Sie glauben nicht an gute Feen? Im „Gute-Fee“-Kapitel ging es um erfüllbare und unerfüllbare berufliche Wünsche. Auch um solche, die sich zwar grundsätzlich verwirklichen ließen, deren Erfüllung man aber nicht selbst beeinflussen kann wie zum Beispiel die Änderung von Gesetzen oder ein besseres Image für den Beruf. Ständiges Jammern und Klagen über gesellschaftliche Rahmenbedingungen oder schwierige Mitmenschen, mit denen man nun mal auskommen muss, bringen auf die Dauer nichts. Akzeptieren Sie lieber die Dinge, die Sie nicht verändern können, und konzentrieren Sie sich auf das, was für Sie machbar ist. Sie möchten lieber selber aktiv werden? In dem Kapitel „Meine eigenen Ressourcen nutzen“ ging es darum, bei sich zu schauen, was eigentlich schon ganz gut läuft und womit Sie zu Recht schon ganz zufrieden sein dürfen. Aber vielleicht haben Sie ja trotzdem den einen oder anderen Veränderungsbedarf entdeckt. Dann halten Sie es am besten mit Erich Kästner, der dazu meinte: „Wer die Menschen ändern will, der beginne nicht nur bei sich selbst, sondern er höre auch bei sich selber damit auf!“ Deshalb möchte ich hier einige bewährte Tipps weitergeben, die sich aus meiner Erfahrung besonders gut zur persönlichen Entlastung eignen. Einige muss man nur wissen, um bereits entlastet zu sein! Zum Beispiel Folgendes:
Gewohnheiten ändern Sie wollen einige lästige oder auch ungesunde Angewohnheiten bei sich selbst ändern? Nichts schwerer als das! Der Mensch ist nämlich
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ein Gewohnheitstier: 30 % bis 50 % unseres täglichen Tuns sind sozusagen automatische Handlungen, die wir ausüben, ohne groß darüber nachzudenken. Diese werden durch komplizierte Vorgänge im Gehirn gesteuert und dienen einer energiesparenden Arbeitsweise des Körpers. Gewohnheiten sind über einen längeren Zeitraum hinweg entstanden, also gelernt, und lassen sich deshalb nicht „mal eben“ durch Einsicht oder Appelle von außen ändern. Während nämlich unsere Gewohnheiten bequem „wie auf einer Autobahn durch unser Gehirn fahren“, muss sich neues Verhalten mühsam wie auf einem schmalen Pfad durch den Dschungel der Routine kämpfen. Und nur regelmäßiges Benutzen des neuen Pfades verhindert, dass er schnell wieder zuwächst. Unser Gehirn ist also „schuld“, wenn zum Beispiel die vielen guten Vorsätze von Silvester nicht funktionieren! Und weil die Steuerung dieser Vorgänge nicht bewusst kontrolliert werden kann, ist es so schwer, sie zu verändern. Denn Gewohnheiten laufen unbewusst auf drei Stufen ab: 1. Auslösereiz, 2. Routinehandlung (= Gewohnheit), 3. Belohnung.
Lästige Gewohnheiten ändern in 3 Schritten Zum Beispiel: Weg mit den Dickmachern am Arbeitsplatz! Schritt 1: Überlegen, welcher Auslösereiz lässt mich zu Schokolade, Keksen oder Ähnlichem greifen? Ist es Langeweile, das Bedürfnis nach einer Pause oder Hunger? Oder liegt es einfach nur daran, dass immer etwas Süßes herumsteht? Schritt 2: Wodurch lässt sich diese Gewohnheit ersetzen? Bei Langeweile könnte man zum Beispiel fünf Minuten mit Kollegen plaudern. Oder man könnte einen interessanten Artikel in einer Zeitschrift lesen. Als Pause
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Meine „Ich-pfleg’-mich-Planung“
könnte man einen kleinen Gang vor die Tür machen oder sich ans offene Fenster stellen, einige tiefe Atemzüge lang die Natur wahrnehmen. Und bei Hunger könnte man besser einen Apfel oder einen Joghurt essen. Und vor allen Dingen: Die Kekse aus dem Blickfeld verbannen! Schritt 3: Fühlt man sich danach zufrieden oder zumindest ein wenig zufriedener als vorher? Hat die „Ersatz“-Belohnung gewirkt? Wenn nein: Weiter experimentieren und durchhalten! Und immer daran denken: Zu Anfang besteht die Belohnung vielleicht manchmal nur in dem guten Gefühl, wenigstens für dieses eine Mal den inneren Schweinehund besiegt zu haben!
Ganzheitliches Zeitmanagement Die Frau, die den ganzen Tag lang ihre Hühner einfangen muss, weil sie keine Zeit hat, einen Zaun zu bauen, hat ein großes Problem: Sie kommt nie dazu, die wirklich wichtigen Dinge in ihrem Leben anzupacken. Menschen, die in ihrem Beruf viel arbeiten müssen, dabei möglicherweise zusätzlich auch noch privat mehrfach belastet sind, benötigen ein gutes Zeitmanagement. Und damit ist hier ausdrücklich nicht gemeint, durch ausgeklügelte Methoden, Organizer, Apps und so weiter immer mehr in den Tag hineinzupressen. Gesünder und sinnvoller ist es, eine vernünftige Balance zwischen Belastungen und Entlastungen zu finden. Es geht nicht darum, noch mehr Dinge noch schneller zu machen, sondern das Richtige zu tun und das Unwichtige zu lassen. Seien wir ehrlich zu uns selbst: Oft kommen wir vor lauter Alltagskleinkram gar nicht dazu, uns um die wichtigen Dinge zu kümmern. Gesünder essen? Ja klar, demnächst, wenn man Zeit hat, die gesammelten Rezepte durchzuschauen und entsprechend einzukaufen. Aber weil man ja immer unter Druck steht, greift man beim nächsten Einkauf wieder zu den gewohnten Sachen. Oder Bezie-
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hungen zu Freunden, Nachbarn oder entfernten Familienmitgliedern pflegen? Mal anrufen oder vorbeischauen? – Ja, demnächst, wenn wieder mehr Zeit ist! Für die Suche nach einer sinnvollen Balance im Leben zwischen all den Anforderungen, die die lieben Mitmenschen oder auch wir selbst an uns richten, müsste man sich also erst einmal ein wenig Zeit für eine Art Sichtung und Planung nehmen. Zwischen „Zeit nehmen“ und „Zeit haben“ gibt es nämlich einen großen Unterschied: „Ach, dafür habe ich keine Zeit“, sagt sich schnell, gemeint ist aber dann oft: „Dafür will ich mir keine Zeit nehmen. Andere Dinge sind mir wichtiger.“ Kein Problem, solange eine bewusste Entscheidung dahintersteht. Schwierig wird es erst, wenn man sich ständig getrieben und gehetzt fühlt. Das berühmte „Hamsterrad“ wird zwar gerne als Bild für diese Situation angeführt, aber ich persönlich kenne keinen Hamster, der rennt bis er tot umfällt! Es empfiehlt sich, mit einem Zeitprotokoll zu beginnen, um die eigenen Zeiträuber zu identifizieren. Das klingt aufwendiger, als es ist. Dafür genügt ein einfaches DIN-A4-Blatt, auf dem man Uhrzeit und Stichworte der einzelnen Tätigkeiten an einem typischen Tag notiert. Das wird nie perfekt gelingen, und man kann sich auch mit zwischendurch nachträglich geschätzten Angaben begnügen. Das reicht, um einen Überblick zu gewinnen und sich die Fragen zu beantworten, die sich jeder manchmal stellt: „Was habe ich heute bloß geschafft? Es ist schon 17 Uhr! Wo ist meine Zeit geblieben? Wer hat an der Uhr gedreht?“
Gesucht: Zeiträuber • Zu viel auf einmal tun wollen. • Nicht zwischen Wichtigem und Unwichtigem unterscheiden. • Chaos in der Organisation.
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Meine „Ich-pfleg’-mich-Planung“
• Alles perfekt erledigen wollen. • Unfähigkeit, „Nein!“ zu sagen. • „Aufschieberitis“ von unangenehmen Aufgaben. • Mangelnde Konsequenz und Selbstdisziplin. • Zu wenig Zeit für Unvorhersehbares einplanen. • Keine Erholungspausen reservieren. Wenn man erst herausgefunden hat, wo und wie man seine Zeit verplempert hat, und beschließt, seine ganz persönlichen „Zeiträuber“ zu bekämpfen, dann kann man noch einen Schritt weitergehen und sich um die wichtigen Dinge im Leben kümmern. Dafür ist das folgende Modell aus dem Buch „Wenn du es eilig hast, gehe langsam“ von Lothar Seiwert sehr hilfreich: Ganzheitliches Zeit- und Lebensmanagement Die folgenden vier Lebensbereiche sollten sich im eigenen Alltag wiederfinden:
Familie/ Freunde
Beruf
GesundheitSinn
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Nicht in jeder Lebensphase können diese vier Bereiche in einem ausgewogenen Verhältnis zueinanderstehen, manchmal gibt es zum Beispiel schwerwiegende Probleme in der Familie, in denen man die eigene Gesundheit vernachlässigt. Oder man muss besonders viel arbeiten (wie bei der Vorbereitung auf eine Prüfung), sodass man vielleicht die Familie oder die Freunde eine Zeit lang hinten anstellt. Aber man sollte den vernachlässigten Bereich niemals ganz aus den Augen verlieren. Auch die Frage nach dem Sinn meines Lebens ist für viele nicht leicht zu beantworten und wird häufig außen vor gelassen. Umso beneidenswerter sind die Menschen, die eine klare Antwort darauf für sich gefunden haben. Ziel dieser ganzheitlichen Sichtweise ist es, eine persönliche „Zeitsouveränität“ zu erlangen. Damit ist gemeint, dass man die vorhandenen Rahmenbedingungen, die man nicht ändern kann, akzeptiert, und versucht, das eigene Leben nach den persönlichen Vorstellungen und Wünschen innerhalb dieser Rahmenbedingungen zu gestalten.
Effektives Stressmanagement Laute Musik, Kinderlärm, Stau im Berufsverkehr, viele Termine und Aufgaben, herausforderndes Verhalten von Demenzkranken – jeder reagiert anders auf solche Stressfaktoren. Ob man das überhaupt als Stress empfindet oder nicht, hängt von vielen Umständen ab: Zum Beispiel vom persönlichen Geschmack, von der Lautstärke und Dauer der Beeinträchtigung, von der eigenen Einstellung und der momentanen Verfassung. Ob man genervt oder gelassen reagiert, ist immer auch eine Frage des persönlichen Umgangs mit Stress. Wenn man sich einmal klar macht, dass Stress grundsätzlich auf verschiedenen Ebenen bekämpft werden kann, ist es leichter, eine Lösung zu finden:
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Stressmanagement auf drei Ebenen Ebene 1: Man kann die Situation stressfreier gestalten, indem man versucht, den Stressfaktor auszuschalten oder zu vermeiden. Ebene 2: Man kann die eigene geistige Stresskompetenz erhöhen, indem man seine persönlichen Einstellungen und Werte überprüft und, wenn nötig, seine Einstellung ändert und eine neue Bewertung der Situation vornimmt. Dadurch erledigt sich der Stress meistens von selbst. Ebene 3: Man kann die eigene Belastbarkeit erhöhen durch eine gesündere Lebensweise und zum Beispiel durch das Erlernen von Entspannungstechniken.
Auf welcher der drei Ebenen man ansetzen kann, hängt von den jeweiligen Umständen ab. Zu 1: Die Situation stressfreier gestalten. Es ist im Alltag, insbesondere im Pflegealltag, oft nicht möglich, die Stressfaktoren selbst auszuschalten, weil es Rahmenbedingungen gibt, die man nicht verändern kann. Das Verhalten von demenziell erkrankten Bewohnern gehört dazu. Deren „herausforderndes“ Verhalten kann man meistens nicht beeinflussen. Aber vielleicht gibt es ja im Team Mitarbeiter, die besonders gut mit Herrn Müller oder Frau Meyer umgehen können? Dann könnten diese sich vorrangig um besonders schwierige Bewohner kümmern und Kollegen dadurch entlasten. Es muss nicht jeder im Team alles gleich gut können. Wenn der Stress aber zum Beispiel in organisatorischen Mängeln innerhalb der Einrichtung oder in schlechter Kommunikation im Team besteht, kann man sich natürlich etwas einfallen lassen, das den Stressfaktor in Zukunft verhindert.
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Zu 2: Die eigene geistige Stresskompetenz erhöhen. Die persönliche Einstellung und die eigenen Werte spielen eine ganz entscheidende Rolle bei der Definition von Stress. Nimmt man das Beispiel des herausfordernden Verhaltens von Demenzkranken, dann leuchtet ein, dass mehr Wissen über die entsprechenden Krankheitsbilder und den professionellen Umgang mit den Symptomen hilft, sich angemessen zu verhalten. Allein dadurch kann man die eigene Einstellung ändern, zum Beispiel dadurch, dass man aggressives Verhalten nicht persönlich nimmt, und den Stress dadurch reduziert. Leider gibt es bestimmte, persönliche Einstellungen im Leben, die meistens anerzogen sind und sich stressverstärkend auswirken können. Diese spiegeln sich häufig in Sätzen wider, wie zum Beispiel: „Ich muss immer perfekt sein oder: Ich will bei allen beliebt sein oder: Ich schaffe alles oder: Ich muss das aushalten oder: Was man anfängt, macht man zu Ende.“ Und so weiter. Wenn man diese „Stressverstärker“ bei sich identifiziert, sollte man die entsprechenden Überzeugungen einmal auf den Prüfstand stellen. Zu 3: Die eigene Belastbarkeit erhöhen. Um die eigene Belastbarkeit zu erhöhen, reicht es oft bereits aus, auf eine – zumindest einigermaßen – gesunde Lebensweise zu achten. Jeder weiß, was damit gemeint ist: Gutes Essen, ausreichender Schlaf, Bewegung und Entspannung. Dabei ist es wirklich wichtig, während der Arbeit rechtzeitig zwischendurch kleine Pausen zu machen und sich zu entspannen. Es ist erwiesen, dass mehrere kurze Auszeiten von 2 – 3 Minuten effektiver sind, als eine einzige große Pause am Tag. Und auch wenn der innere Schweinehund zu Ruhe und Bequemlichkeit rät: Jegliche Form von regelmäßiger Bewegung baut Stress ab, egal ob Treppe statt Fahrstuhl, Sport oder Spazierengehen. Nehmen Sie öfter mal das Fahrrad oder steigen eine Bushaltstelle früher aus und gehen eine kleine Strecke zu Fuß. Es gibt viele Möglichkeiten, etwas mehr Bewegung ohne große Mühe in den Alltag einzubauen.
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Und natürlich ist es eventuell nötig und sinnvoll, sich auch einmal zu überlegen, ob die eigenen Lieblingsstrategien zum Stressabbau wirklich so gesund sind: Das Gläschen Bier oder Wein nach Feierabend ist zwar zunächst entspannend, aber nur bis zu einem bestimmten Maß. Und auch zu viele Freizeittermine können ins Gegenteil umschlagen, nämlich selbst zu einem Stressfaktor werden, wenn sie zu weiterem Zeitdruck und Hetze im Alltag führen.
Resilienz stärken Wenn die Resilienzfaktoren in erster Linie angeboren und in der frühen Kindheit entstanden sind, lassen sie sich dann überhaupt trainieren? Sicherlich nicht „mal eben“. Dafür sind die sieben Faktoren, die im Kapitel 4.4 erläutert worden sind, einfach zu komplex. Doch die gute Nachricht lautet: Man kann durchaus etwas tun! Die Grundlagenforschung hält vor allen Dingen zuverlässige, soziale Beziehungen für die Entstehung von Resilienz für wichtig. Und dafür ist es nie zu spät. Gute Kontakte und dauerhafte Beziehungen im Arbeitsalltag und im Privatleben zu pflegen, ist also auch im Hinblick auf die eigene Resilienz (und die der Kollegen) sehr zu empfehlen. Die Fähigkeit zu Empathie wird als weitere wichtige Voraussetzung für Resilienz genannt. Menschen, die in der Altenpflege arbeiten, sind in der Regel ausgesprochene Menschenfreunde und bringen bereits viel Einfühlungsvermögen für andere mit. Trotzdem können auch einfühlsame Menschen einmal danebenliegen in ihrer Reaktion auf ihr Gegenüber. Nicht immer ist das, was man selbst als angemessen ansieht, auch tatsächlich aus der Sicht des Betroffenen wirklich das Wichtige. Verbessern kann man die eigenen Fähigkeiten am besten, indem man sich immer mal wieder zwischendurch ein Feedback von Kollegen oder Vorgesetzten einholt: Wie habt ihr mich in dieser oder jener Situation erlebt? War meine Reaktion dem Bewohner/dem Angehö-
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rigen/dem Kollegen gegenüber angemessen? Was hättet ihr an meiner Stelle gesagt oder getan? In diesem schwierigen und anspruchsvollen Arbeitsfeld ist es besonders wichtig, einen gesunden, aber eben auch realistischen Optimismus zu pflegen! Nach dem Motto „In jedem Tag steckt etwas Gutes, und sei es noch so klein.“ Deshalb hier die Übung:
Machen Sie sich Ihre „Good News“ selber! Es ist schnell und einfach gemacht: Nehmen Sie sich am Abend ein paar Minuten Zeit (vielleicht beim Zähneputzen?) und denken Sie an drei Dinge, die an diesem Tag gut gelaufen sind. Das kann das Lächeln eines Menschen sein, dem Sie begegnet sind. Oder wenn Ihnen eine Arbeit gut gelungen ist. Oder wenn ein schwieriger Patient heute kooperativ war. Oder wenn ein sehr hinfälliger Bewohner heute mit Appetit gegessen hat. Oder eine Neuigkeit oder nette Geschichte, die Sie gehört haben. Oder, oder, oder … Damit diese Dinge nicht verloren gehen und um sich später daran erinnern zu können, können Sie sie natürlich auch aufschreiben. Wer mag, kann sogar eine Art Tagebuch daraus machen.
Kommunikationsstörungen vermeiden Hier sollen keine Theorien und Modelle vorgestellt werden. (Die sind in meinen anderen Büchern bereits ausführlich vermittelt.) Nur an das Allerwichtigste sei noch einmal erinnert: Jegliche Art von Kommunikation beginnt mit Wahrnehmung. Und Wahrnehmung ist – aus vielerlei Gründen – immer subjektiv! Jeder Mensch sieht die jeweilige Situation von seinem individuellen Standpunkt aus. Sich das immer wieder klar zu machen, insbesondere dann, wenn es wieder mal nicht so gut geklappt hat in Gesprächen mit Kol-
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legen, Vorgesetzten, Bewohnern oder Angehörigen, hilft eher weiter als der Versuch, alle Regeln und gut gemeinten Ratschläge für bestimmte Gesprächsanlässe penibel zu befolgen. Man muss sich einfach immer wieder Folgendes vor Augen halten: Ich kann etwas sagen, was ich so nicht meine. Der andere kann etwas hören und verstehen, was ich so weder gesagt noch gemeint habe. Und dann helfen endlose Diskussionen darüber, wer was gesagt oder gemeint hat, nicht wirklich weiter. Es geht dann nicht darum, wer Recht hat! Wenn es wirklich wichtig ist, eine Sache befriedigend für alle Beteiligten zu klären, dann muss man: –– sich ein wenig Zeit nehmen, –– gut zuhören, –– das Gesagte mit eigenen Worten wiederholen und –– nachfragen, ob man richtig verstanden hat. –– Und das muss man solange wechselseitig wiederholen, bis beide Gesprächspartner einverstanden und zufrieden sind. Es gibt so viele Ursachen für eine gestörte oder misslungene Kommunikation, die in der Persönlichkeit des Gegenübers, in der eigenen Persönlichkeit oder in den äußeren Umständen liegen können, dass man sich darüber nicht allzu sehr ärgern, sondern stattdessen über jedes auch nur halbwegs gelungene Gespräch freuen sollte. Übersicht meiner Empfehlungen für Ihre „Ich-pfleg-mich-Planung“: –– Gewohnheiten ändern, –– Ganzheitliches Zeitmanagement, –– Effektives Stressmanagement, –– Resilienz stärken, –– Kommunikationsstörungen vermeiden.
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Ganz besonders wichtig ist es meiner Meinung nach, zu akzeptieren, dass Veränderungen zum Leben dazugehören! Auch unerwartete Ereignisse als normal hinzunehmen und flexibel reagieren zu können, sind weitere wesentliche Fähigkeiten, sich in diesem Beruf langfristig gesund zu erhalten. Sorgen Sie also auch für sich selbst und nicht nur für die anderen! Und holen Sie sich Hilfe und Unterstützung, wenn es nötig ist!
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d n u „ zum “ s s u l h c S Pflege packt΄s an
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Zum Ausklang … … erscheint es mir nur konsequent, wenn eine Stimme aus der Praxis das Schlusswort spricht. Ein Heimleiter sagte zum Abschluss des Interviews:
„Das Ergebnis ist wichtig. Dass man das nicht aus den Augen verliert. Und das ist das Wohlfühlen des einzelnen Menschen. Das hört sich platt an, aber das Wohlbefinden sollte man nicht aus den Augen verlieren. Das ist eigentlich die Grundlage unseres Handelns. Dass man nicht denkt, man ist nur noch in Abläufen verhaftet. Alte Menschen finde ich absolut faszinierend und die Biografie, die dahintersteht, die Lebenserfahrung, die dahintersteht, die Wertschätzung, was der alte Mensch erlebt hat, was dieser geleistet hat, das finde ich immer noch faszinierend. Das ist der Motor meines Handelns trotz aller Rahmenbedingungen, die natürlich beklagenswert sind. Trotzdem ein Stück Idealismus ausüben. Mit Realismus – ganz klar. Das muss sich die Waage halten. Wo man das im Kleinen umsetzen kann, das was ich mir damals auch vorgestellt hatte als meinen beruflichen Werdegang. Das ist meine Wunschvorstellung.“
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Autorin Ursula Beckmann hat Altenpfleger ausgebildet und war als Leiterin eines staatlich anerkannten Fachseminars für Altenpflege in Herten und in Münster tätig. Ferner hat sie langjährige Erfahrungen in der Fortund Weiterbildung im Pflegebereich. Seit 2007 arbeitet sie freiberuflich und unterstützt Pflegeeinrichtungen durch Beratung und Fortbildung in den Bereichen Teamentwicklung und Kommunikation. Seit 2008 ist sie Trainerin von Kollegialen Beratungsgruppen mit Systemischen Beratungsmethoden. Sie hat Sozialwissenschaften, Germanistik und Pädagogik studiert und ist von Haus aus Realschullehrerin. www.team-komm.de
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Unser Tipp
... zum Thema „Aktivieren“
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