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German Pages [288] Year 1982
Christos Yannaras Person und Eros
CHRISTOS YANNARAS
Person und Eros Eine Gegenüberstellung der Ontologie der griechischen Kirchenväter und der Existenzphilosophie des Westens
VANDENHOECK & RUPRECHT IN GÖTTINGEN
Forschungen zur systematischen und ökumenischen Theologie Herausgegeben von Edmund Schlink, Wolfhart Pannenberg und Reinhard Slenzka
Band 44
CIP-Kurztitelaufnahme
der Deutschen
Bibliothek
Giannaras, Chrestos: Person und Eros: e. Gegenüberstellung d. Ontologie d. griech. Kirchenväter u. d. Existenzphilosophie d. Westens / Christos Yannaras. [Aus d. Griech. von Irene Hoening], Göttingen: Vandenhoeck und Ruprecht, 1982. (Forschungen zur systematischen und ökumenischen Theologie; Bd. 44) Einheitssacht.: To prosöpo kai ho erös (dt.) ISBN 3-525-56250-0 N E : GT
Aus dem Griechischen von Irene Hoening Titel des Originals: Τό πρόσωπο και ό έρως. Θεολογικό δοκίμιο όντολογίας (Athen 1976) © Christos Yannaras, 11 Spartis, Athen 823, Griechenland © Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 1982. - Printed in Germany. Ohne ausdrückliche Genehmigung des Verlages ist es nicht gestattet, das Buch oder Teile daraus auf foto- oder akustomechanischem Wege zu vervielfältigen. Satz und Druck: Guide-Druck GmbH, Tübingen. Umschlag und Bindearbeit: Hubert & Co., Göttingen
INHALT Vorwort des Verfassers
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Vorwort des Ubersetzers
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Erster Teil: Die personale „Daseinsweise"
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Erstes Kapitel: Der ekstatische Charakter der Person § 1
§ 2 § 3 § 4 § 5 § 6 § 7
Das Ereignis der „Beziehung" als Grundvoraussetzung zur ontologischen Frage und die „Person" als einzige existenziale Möglichkeit von Beziehung Der ontologische Vorrang der personalen Beziehung im Hinblick auf das Bewußtsein Eine Lücke in der Fundamentalontologie Der ontologische Vorrang der personalen Beziehung gegenüber der Fähigkeit, syllogistisch-deduktiv zu denken Die personale Beziehung als ontologische Voraussetzung zur Kundgabe der umfassenden „Daseinsweise" Die personale Beziehung als existenziale Ekstase Die „apophatische" Erkenntnis im ontologischen Problem: Apophatisches Wissen vom Wesen und von der Person
Zweites Kapitel: Die Katholizität der Person § 8 § 9 § 10 § 11 §12 § 13
Die personale Andersheit als existenziale Verwirklichung der „Natur an sich" Die ontologische im Unterschied zur ontischen Deutung des Wesens oder der Natur Der Vorrang der Person gegenüber der Natur oder dem Wesen. Das Problem des Wesens in der Ontologie Martin Heideggers .. Die Wahrheit als Beziehung Die Seienden als „Dinge" Die Wahrheit des Seins als Erfahrung der Umfassendheit der Person
Drittes Kapitel: Die Einheit der Person § 14 § 15
Einheitlichkeit der Person - Voraussetzung der ekstatischen Andersheit Zweiheitlichkeit der Natur und Einheitlichkeit der personalen Existenz
16
16 17 19 24 27 28 29
32 32 36 38 42 43 45
48 48 48 5
§ 16 § 17 § 18 § 19 § 20
§ 21 § 22 § 23
D i e Unterscheidung von Seele und Leib als semantische Differenzierung der natürlichen Energie D i e Einheitlichkeit der Existenz als Voraussetzung der „Ebenbildlichkeit" Die formspezifische Definition der Einheitlichkeit des Subjekts und die einheitliche Andersheit der Person D i e Unterscheidung von Natur und Energien in der einheitlichen Daseinsweise D e r syllogistisch-deduktive Zugang zur energetischen Ersten Ursache und die existenziale Erfahrung der personalen Hervorbringung der natürlichen Energien D i e der Natur homogenen und heterogenen Energien oder Tätigkeitsweisen Die Folgen der Annahme oder Ablehnung der Unterscheidung von Wesen und Energien Die Unterscheidung von Natur und Energien - Voraussetzung zur Erkenntnis der einheitlichen personalen Andersheit
Zweiter Teil: Die kosmische Dimension der Person Erstes Kapitel: Die personale Dimension des Kosmos § 24 § 25 § 26 § 27 §28 § 29 § 30 §31 § 32 § 33 § 34 §35
D e r „ K o s m o s " als „Modus" der Kundgabe der natürlichen Realität D e r Kosmos - noetisch aufgefaßt als ontisches Gesamt. Materialistische, pantheistische und theozentrische Sicht Die wissenschaftliche Unbestimmbarkeit der Harmonie der Welt D e r personhafte Logos der geordneten Schönheit der Welt . . . . D i e Dimension des Eros in der Schönheit der Welt Asketische Selbstüberwindung - Voraussetzung zur Erkenntnis der Wahrheit der Schönheit der Welt Die „Betrachtung der N a t u r " Die „logische" Beschaffenheit der Materie Die „trinitarische Ausschmückung" der Schöpfung D e r Mensch - „Mikrokosmos" und „Mittler" D e r Gebrauch der Welt. Geschichte und Kultur Die theologischen Voraussetzungen der Technokratie
Zweites Kapitel: Die personale Dimension des Raumes: Die Abwesenheit § 36 § 37 § 38 § 39
6
D e r relationale Charakter des Raumes im Ereignis der Beziehung Die Objektivierung der personalen Beziehung zum örtlichen Ab-stand und zu räumlicher Ausdehnung Die Anwesenheit als Erfahrung der adimensionalen Nähe Mögliche ontologische Deutung der Abwesenheit als Erfahrung von Nicht-Sein der ontischen Erscheinung
51 54 56 58
60 65 68 72
77 78 78 81 83 85 86 88 89 91 93 95 99 105
109 109 109 111 113
§ 40
§ 41 § 42 § 43 § 44 §45
Die E r f a h r u n g der Abwesenheit als Ausgangspunkt z u m Verständnis der Unabhängigkeit der Person vom objektiven O r t („Utopie" der Person) Die personalen Energien „ O r t " der personalen Beziehung . . . . Der Eros als U b e r w i n d u n g der ontischen Ortsgebundenheit adimensionale Daseinsweise D e r kosmische Eros. Erotische Einheit des Weltalls Die Abwesenheit, der T o d und das trinitarische Vorbild der Fülle des Daseins Die Kirche - außerdimensionaler O r t der Gemeinschaft
Drittes Kapitel: Die personale Dimension der Zeit: Die Anwesenheit § 46 § 47 § 48
§ 49 § 50 § 51 § 52 § 53 § 54 § 55
Die Auffassung der personalen Ek-stase als Aufeinanderfolge von Zeit Die Zeit als „Maß" der personalen Beziehung Das „Jetzt" als unbewegte Zeit: das Nichts des Abstandes zwischen aufeinanderfolgenden Ereignissen oder die adimensionale Zeit der personalen Unmittelbarkeit und N ä h e Die gezählte Zeit: „Verlauf" und „Kontinuität" Der T o d als zeitliche „Kontinuität" und als ekstatische „Tendenz" der gesamten individuellen Existenz Das „Fortdauern" der personalen Energie Die U b e r w i n d u n g der Kontinuität der Zeit durch den Eros. „Bruchstückhafter" Eros und „wahrer" Eros Die „Veränderung" der Zeit im Verfall und im Tode - Funktion des Gebrauchs des Kosmos Das Leben als „Dauer" - Erfahrung der Askese Die liturgische Zeit
Dritter Teil: Die „Semantik" der personhaften Kundgabe
116 118 120 122 124 126
129 129 131
132 135 138 139 141 143 146 148
153
Erstes Kapitel: Der Logos - Kundgabe der Person
154
§56 § 57
154
Der Logos als Aussage und als Logik Der Logos (Begriff) als „Weise" der ekstatischen Bezogenheit der Person D e r B e g r i f f - „ A u s d r u c k " der personalen Beziehung Die „Logik" der ästhetischen Erfahrung Die natürlichen Energien als Ausdruck der personalen Andersheit
165
Zweites Kapitel: Die Ikone - „Semantik" der nicht-konventionellen Aussage
166
§58 §59 § 60
§ 61 § 62
Die phänomenologische Ontologie - Voraussetzung der konventionellen Semiologie Die Ontologie der personalen Daseinsweise - Voraussetzung f ü r die Erkenntnis mittels umfassender Beziehung
158 159 162
166 169 7
§ 63 § § § § § §
64 65 66 67 68 69
Die Einheitlichkeit der Erkenntnis im Ereignis umfassender Beziehung Logos und Sprache - Sprache und Ethos Die Ikone - Erkenntnis auf dem Wege der Analogie Das griechische „Schauen" Die Sprache der Ikonen - Schlüssel zu ihrem Verständnis Kundgabe und Verborgenheit der Wahrheit im Bild Die Ikone - Schönheit als Kategorie der Erkenntnis
Drittes Kapitel: Uber Analogie und Hierarchie
192
§70
192 192 195 198 201 203
Der Weg des analogen Erkennens a) Die Analogie bei Piaton b) Die Analogie bei Aristoteles c) Analogia entis § 71 Die scholastische Analogie als theologische Erkenntnislehre . . . § 72 Die Analogie der unähnlichen Ähnlichkeit § 73 Die Hierarchie - Stufen der Vervollkommnung als Weitergabe von Erkenntnis §74 Die hierarchische Einheitlichkeit der Wahrheit Vierter Teil: Der Fall und das Nichts Erstes Kapitel: Das Nichts als „Außerhalb" der personalen Beziehung
207 210 213
214
§ 75 Das Nichts als Ab-stand der ontischen Individualitäten § 7 6 Der „Fall" als existenziale Verfremdung § 77 Die existenziale Tatsache der Freiheit: der ontologische Unterschied zwischen Person und Natur § 78 Die Ausübung der Freiheit: Widerstand gegen die Leidenschaften § 79 Das ethische „Paradoxon" der Freiheit: Gerechtigkeit und Liebe § 80 Die Grenze der Selbstaufhebung der Freiheit: die Unähnlichkeit als Ab-stand § 8 1 Der Ab-stand als Nacktheit und Scham § 82 Das Nichts als erotische Erfahrung des Fehlens von Beziehung .
228 231 233
Zweites Kapitel: Die personale Dimension des Nichts
235
§ 83 § 84
235
§ 85
8
171 172 177 181 184 187 189
Die personale Andersheit - Voraussetzung der Existenz Der trinitarische Anruf - Grundlage und Ausgangspunkt der personalen Andersheit a) Wesenhafte Monas und existenziale Trinität b) Die trinitarische „Perichorese" (Einanderdurchdringung oder gegenseitige Einwohnung) c) Hypostase - Kenose Die natürlichen Energien - ontologische Voraussetzung der Beziehung „über die Natur hinaus"
214 217 221 223 225
237 238 238 241 242
§ 86 § 87 § 88
Die ekstatische Andersheit im Hinblick auf die Natur und die antithetische Spaltung von Person und Natur Der ontologische Inhalt der „Erlösung" Das Nichts als Möglichkeit persönlicher Entscheidung
246 250 254
Drittes Kapitel: Die ethische Dimension des Nichts
256
§89 § 90
256
§91 § 92 § 93 § 94 § 95
Ethos und Sein: Identität und Differenz Konventionelle Auffassung des Ethos und wertorientierte Ontologie a) Die scholastische Wertlehre b) Der kantische Imperativ Die Verbindung von Ethos und Sein bei Heidegger Die „Ethik der Freiheit" im französischen Existenzialismus . . . Gut und Böse - gegenstandslose (anhypostatische) Begriffe . . . . „Durch Tugend zur Wahrheit" Die Sünde als ethisch-existenziale Realisierung des Nichts . . . .
257 259 260 261 263 267 269 271
Literaturverzeichnis
275
Register
284
9
VORWORT Die vorliegende Studie ist der Versuch einer systematischen Ausarbeitung der grundlegenden Antworten der griechischen Patristik auf die ontologische Frage, die Frage nach dem Seienden und dem Sein - nach der Natur des Seienden und dem Erkenntniszugang zum Sein. Die Arbeit ist so angelegt, daß diese Antworten in zwei Kategorien zusammengefaßt sind, der Kategorie der P E R S O N und der des EROS. Sie beinhalten, wie die griechischen Väter die umfassende „Seinsweise" deuteten, die Voraussetzung zur Erkenntnis der Wahrheit jeder existenzialen und existenziellen Realität. Nach Auffassung der Kirchenväter des christlichen Ostens stellte sich die ontologische Frage nicht nur als Forderung nach noetisch-objektiven Definitionen; die Antwort ist nicht entleert zur Ubereinstimmung der Erkenntnis mit dem erkannten Gegenstande; sie ist die erfahrene Forderung, zurückzugehen auf die „naturgemäße" Wahrheit der Existenz - und diese Wahrheit findet in der intellektuellen Formulierung nur eine Einkleidung, die sie begrenzt und schützt: Der Zugang zum ontologischen Problem - zur Wahrheit des Seienden und zur Erkenntnis des Seins - setzt die existenziale Vollständigkeit des Menschen voraus, die Einheit von Geist und Herz, Vernunft und Tat, Ethos und Sein, eine Einheit, welche die umfassende Unmittelbarkeit und erfahrene Beweiskraft „wahrer Erkenntnis" sichert. Dieser dynamisch-ethische Zugang zum ontologischen Problem findet seine erste Formulierung in der realen (nicht konventionellen) Unterscheidung von Natur und Person, von Wesen und Energien. Diese Unterscheidungen erhellen, beinhalten aber auch das Ereignis der Existenz, die umfassende Seinsweise, das heißt, die Seinsweise als Person, in existenzialer Andersheit sich unterscheidend von den gemeinsamen Kennzeichen des Wesens und der Seienden als „Dinge" - von der Person geschaffenen Ergebnissen der Energien des Wesens, welche immer personhaft sind. Die personale Andersheit, als die Weise, in welcher die Natur oder das Wesen existiert, geht jeder noetischen Bestimmung des Wesens voraus, sie bestimmt den Vorrang der Person (und den personalen Charakter der „Dinge") gegenüber dem Wesen, den Vorrang, welchen die Existenz hat in Verbindung mit dem Verständnis der gegenständlichen Wesen. Und das existenziale Ereignis der Andersheit der Person wird verwirklicht als Ekstase der natürlichen Individualität in der persönlichen dynamischen Uberwindung der ontischen individuellen Existenz. Diese ekstatische Selbst11
Überwindung ist stets relational, sie ist immer ein Ereignis von Gemeinschaft und Beziehung, sie ist der Eros der griechischen Väter, die asketische Selbstverleugnung und umfassende liebende Hingabe, welche immer die Einmaligkeit und Unähnlichkeit der Person offenbart. Dennoch handelt es sich hierbei nicht um eine historische Studie, obwohl sich die Arbeit auf die patristischen Texte der sogenannten „byzantinischen Zeit" bezieht, vielmehr liefert der historische Rückblick das Fundament für eine sehr persönliche Suche: Das Buch möchte die Möglichkeiten der heutigen philosophischen Terminologie untersuchen, aber auch aufzeigen, welche Problematik die patristischen termini πρόσωπον und ερως in der Ontologie begründen. Konkreter ausgedrückt: die Arbeit ist auf eine ursprünglich gemeinsame Voraussetzung hin angelegt, die, neben grundlegenden Unterschieden, offensichtlich besteht bei den ontologischen Begriffen der griechischen Väter und denen der zeitgenössischen ontologischen Forschung, hauptsächlich der phänomenologischen Schule, insbesondere der Existenzialisten: Gleichsetzung des Wesens mit der Idee oder dem Begriff des Seienden als Ganzem ώς „καθόλου". Hauptsächlich Heideggers Hinwendung zu den Vorsokratikern und seine (für den Westen) neue Weise, Piaton und Aristoteles zu lesen, trug wesentlich dazu bei, das westliche Denken von der Ausweglosigkeit abzulösen, in die es geraten war durch die Objektivierung der Wahrheit zu noetischen Begriffen, zur „adaequatio rei et intellectus". Auch der Versuch Heideggers, des letzten der westlichen Mystiker des Wesens, gelangt nicht bis zum Verständnis der Wahrheit als Beziehung - zu dem die Erkenntnis ermöglichenden Vorrang der Erfahrung des „Getroffenseins vom Eros" - der Offenbarung der Wahrheit als personale Nähe einem Verständnis, das zum Maß wurde für die gesamte apophatische Ontologie der griechischen Väter. Und es war unausbleiblich, daß an Stelle des von ihm aufgelösten objektivierten Seienden als unerbittliche ontologische Realität das Nichts erschien, der andere Aspekt der ontischen Kundgebung - weil der Weg zur Wahrheit der Person verschlossen wurde, der die objektive Realität ebenfalls aufhebt, jedoch nur, um die Unmittelbarkeit der Wahrheit in der Hingabe der Liebe und die Erkenntnis in der Askese aus Liebe zu erfahren. Solcherart waren die Feststellungen, die zu der vorliegenden Arbeit führten: Sie will der Ontologie der griechischen Patristik nachgehen und damit den Antworten, die sie vertritt, um sie auf die zeitgenössischen Forschungen im Bereich der Ontologie zu beziehen, die keine abstrakten, vom Leben der Menschen abgelösten intellektuellen Studien sind, sondern die angsterfüllte Auseinandersetzung mit der Krise einer ganzen Kultur, die gegründet ist auf die objektivierte Nützlichkeit der Wahrheit und auf die Pein der Unterjochung des Menschen unter diese Nützlichkeit. Ich vermag nicht zu sagen, ob die folgenden Seiten für mich eine endgültige Formulierung darstellen. Die Beschäftigung mit dem ontologi12
sehen Problem wird, wenn sie einmal begonnen hat, unausweichlich zum zentralen Lebensthema. Sie wird zum Durst oder zur Hoffnung auf die Gabe, die Seele unaufhörlich bewegt zu halten, kreisend um „dieses Einzige und Eine und immer Selbe". · v Christos Y annaras
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VORWORT DES ÜBERSETZERS Diese Übersetzung wurde unternommen aus dem Wunsch, dem deutschen Leser eine der wesentlichen modernen Auseinandersetzungen mit der Frage nach dem Seienden und dem Sein nahezubringen, der sich jede Generation neu stellen muß. Die eigenwillige Ausdrucksweise des Verfassers, sein nicht alltäglicher Gebrauch einiger Begriffe, erforderte entsprechende Formulierungen im Deutschen. Beispielsweise: erotisch und logisch sind Adjektive zu Eros und Logos; es wird unterschieden zwischen existenzial (ύπαρκτικός) und existenziell (υπαρκτός, υπαρξιακός) - das eine dem Wesenhaften, das andere dem Äußeren der Existenz zugeordnet. Das Wort Logos (λόγος) kommt im griechischen Original in verschiedenen Bedeutungen vor; es wurde im Deutschen je nach Erfordernis übersetzt mit Vernunft, Seinssinn, Seinsgehalt, Seinsplan, Wesensgehalt der Dinge (λόγος των όντων) oder „das innere Vernunfthafte des Seins" (λόγος τού είναι). Ich folgte dabei Anregungen, die ich den Ubersetzungen dieses Begriffes durch Hans-Urs von Balthasar verdanke. Die Durchführung dieser Arbeit ermöglichten mir der Verfasser, Christos Yannaras, mit der Beantwortung zahlloser Rückfragen und geduldigem Erklären; Maretta Nikolaou, deren Hilfe den Anfang überhaupt ermöglichte; und Wilhelm Blum, der die meisten der patristischen Texte übersetzte, bei der Auswahl unter den vorliegenden Ubersetzungen der Zitate aus Piaton und Aristoteles half oder diese gegebenenfalls auch selbst ins Deutsche übertrug. Für diese Hilfen sei hier herzlich gedankt. Die Ubersetzung des Buchs und ihre Veröffentlichung wurde gefördert durch Beihilfen der Alexander von Humboldt-Stiftung und des Ökumenischen Forschungsfonds. Auch hierfür sei an dieser Stelle gedankt. München, im Herbst 1981
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I.H.
ERSTER TEIL
Die personale „Daseinsweise"
Erstes Kapitel: Der ekstatische Charakter der Person § 1 Das Ereignis der „Beziehung" als Grundvoraussetzung zur ontologischen Frage und die „Person" als einzige existenziale Möglichkeit von Beziehung Mit dem griechischen Wort Person (πρόσωπον) bezeichnen wir eine auf etwas anderes bezogene Realität. Der relationale Charakter des Begriffes wird bereits erkennbar aus seinem ursprünglichen Gebrauch, schon aus seiner Zusammensetzung und seiner Etymologie. Die Präposition προς zusammen mit dem Substantiv ώψ 1 , welches Auge, Antlitz, Gesicht bedeutet, bilden den zusammengesetzten Begriff πρόσ-ωπον: ich wende das Auge, den Blick jemandem oder etwas zu, ich befinde mich jemandem oder etwas gegenüber. Das Wort hatte ursprünglich die Funktion der Bezeichnung einer unmittelbaren Relation, einer Beziehung. Die Person wird definiert als Relation und Beziehung, und sie bestimmt selber eine Relation und Beziehung. Der ursprüngliche begriffliche Inhalt des Wortes schließt aus, daß wir die Person als eine Individualität für sich verstehen, außerhalb des Bereichs der Beziehung: Die Bedeutung, welche der Begriff Beziehung im Falle der Person annimmt, wird im folgenden weiter erläutert werden; es handelt sich niemals um abstrakte Analogie oder um Vergleich, sondern um das Ereignis, „sein - gegenüber einem andern". Das, was sich „gegenüber von etwas" befindet, nämlich die Person, repräsentiert auf jeden Fall eine Individualität, die dynamische Verwirklichung einer Beziehung. Die Beziehung ist die „differentia specifica" der Person, die Definition der Person, ihre grundlegende Unterscheidung vom Begriff der starren Individualität. Die Person ist zunächst die einzig mögliche Beziehung mit dem Seienden. Das Seiende existiert nur als Gegen-stände, das heißt, daß es ist, was es ist, nur in Beziehung auf die Person. Diese Relation bestimmt die existenziale Beschaffenheit des Seienden als Erscheinendes (φαινόμενον) - das Seiende erscheint, es tritt in Erscheinung als das, was es ist, nur als der Grund (λόγος) seiner Beziehung zu der Person. Der Versuch, das Seiende als solches zu definieren, in seiner Identität mit sich selbst, ohne relationale Beziehung zu dem, wovon es bestimmt wird, ist eine Art der Definition, 1
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Vgl. D. Dimitrakos, Großes Lexikon der Griechischen Sprache, Bd. 9, S. 8056.
welche willkürlich die Beziehung als Nicht-Beziehung voraussetzt; eine konventionell-intellektuelle Erfindung, ein Verneinen der einzig möglichen Erfahrung, welche die Existenz des Seienden bestätigt - der Erfahrung der Gegen-stände. Es handelt sich um eine konventionell-intellektuelle Erfindung, weil das Seiende „als solches", als „Synthese seiner selbst mit sich selbst" (Sartre) nicht mehr die in Erscheinung getretenen Gegenstände der ontischen Wirklichkeit sind, sondern nur Begriffe oder Ideen des Seienden. Das Seiende existiert nur als Phänomene, nur insofern es in der relationalen Beziehung der Erscheinung faßbar wird. Wir können über das Sein des Seienden, streng genommen, nichts aussagen, wohl aber über sein Anwesend-Sein, über die mit der Existenz gemeinsame Möglichkeit in Erscheinung zu treten. Wir erkennen das Seiende als Anwesenheit, nicht als Wesenheit.
5 2 Der ontologische Vorrang der personalen Beziehung im Hinblick auf das Bewußtsein Diese relationale Beziehung drückt sich unmittelbar aus als Bewußtsein (συν-είδησις) der Person, als umfassendes Aufnehmen und Synthese der „Auskünfte" der Welt, des Zeugnisses der Gegenstände. Das Bewußtsein erweist sich zunächst als notwendige und ausreichende Bedingung für das In-Erscheinungtreten des Erscheinenden - die Definition des Seienden als „Erscheinende" setzt den existenzialen Ort voraus, wo sie in Erscheinung treten können, einen Raum der Beziehungsmöglichkeit; Beziehung aber ist ausschließlich eine Möglichkeit der Person, die sich ursprünglich im Akt des Bewußtseins ausdrückt. Die Funktion des Bewußtseins ist auf jeden Fall relational, sie ist eine Funktion der Beziehung. Husserl hat gezeigt, daß das Bewußtsein immer „Bewußtsein von etwas" ist - Bewußtsein einer Ding-Wirklichkeit - , es gibt kein Bewußtsein, das nicht auf einen Inhalt bezogen wäre (Intentionalität), Bewußtsein bedeutet, eine Beziehung a priori zu den Gegenständen. Darum sagen wir, das Bewußtsein sei eine „personale" Eigenschaft. Indem wir das Bewußtsein als personale Eigenschaft bestimmen, verstehen wir, daß die Relation des Bewußtseins zu einem Inhalt die Wirklichkeit der Beziehung der Person zum Seienden nicht erschöpft. Die Fähigkeit bewußt zu sein allein genügt nicht, das Umfassende oder den Grund der Beziehung des Seienden zur Person zu erklären. Das Bewußtsein gehört zur Eigenschaft der Person, auf etwas bezogen zu sein, erschöpft sie aber nicht. Wir können die ursprüngliche Unterscheidung zwischen der umfassenden Realität der Person und der Tatsache des Bewußtseins verdeutlichen, indem wir - wieder auf Husserl zurückgreifend - den ursprünglichen Unterschied zwischen der Subjektivität des Erkennens und der Objektivität des 17
Erkenntnisinhaltes feststellen2. Ich bin mir der Gegenstände bewußt, und mit Hilfe der „Semantik", welche die Sprache mir bietet, definiere ich einen Stein, einen Fluß, ein Kind, und trotzdem hat die bewußte Erkenntnis oder der Begriff, welcher den Inhalt der Erkenntnis vermittelt, zum Ausgangspunkt mein „persönliches" Erkennen dieser alltäglichen Gegenstände - das heißt, daß die Erkenntnis sich von Mensch zu Mensch unterscheidet. Die Objektivität3 des erkannten Bewußtseinsinhaltes ist nicht ursprünglich, sie wird definiert und gestaltet von der „Semantik" der Sprache, das heißt, von der Verbindung der subjektiven Erfahrung mit den „akustischen Bildern", die das gemeinschaftliche sprachliche Idiom uns aufnötigt4. Die subjektive Erfahrung, das heißt, die Differenzierung der ursprünglichen bewußten Wahrnehmung von Mensch zu Mensch, bleibt „persönliches" Ereignis, trotz der automatischen Verbindung der Begriffe mit den „akustischen Bildern", die uns das gemeinschaftliche sprachliche Idiom aufnötigt. Und dieses persönliche Ereignis ist deutlicher und unmittelbarer faßbar, wenn es sich um ästhetische, moralische oder religiöse Konzeptionen oder Begriffe handelt: das Schöne, die Pflicht und der metaphysische Glaube bestätigen als Bewußtseinsinhalt unmittelbarer den „persönlichen" Charakter des bewußten Gewahrwerdens, denn sie offenbaren die Realität der Person über das Bewußtsein hinaus, die gesamte Person in Verbindung mit dem Bewußtsein. Also ist der Unterschied zwischen der Subjektivität des Erkennens und der Objektivität des bewußten Inhalts der Erkenntnis kein theoretischer, er bezieht sich nicht auf einen psychologischen Idealismus, sondern ist real (d. h. er beruht auf Tatsachen), er bestimmt die Realität der Person, das heißt, den Vorrang der Person vor dem Bewußtsein. Als Person zu existieren bedeutet, eine Möglichkeit des Gewahrwerdens vor jeder „semantischen" Formung der Bewußtseinsinhalte, es bedeutet den existenzialen Ort des Inerscheinungtretens des Seienden par excellence. Dieses Ubersteigen des Vorranges der „semantischen" (begrifflichen) Gestaltung der Bewußtseinsinhalte schließt die Möglichkeit aus, die menschliche Existenz einfach und durchaus mit dem Denken (νοεΐν, cogito) gleichzusetzen. Denn die Weise, auf welche der Mensch (als Person) dem Seienden gegenüber existiert, ist nicht beschränkt auf die „semantisch"-begriffsbestimmte Definition seiner zeitlichen und räumlichen Anwesenheit, sondern 2 unsere besondere Aufmerksamkeit auf den fundamentalen Unterschied zwischen der subjektiv-anthropologischen Einheit der Erkenntnis und der objectiv-idealen Einheit des Erkenntnisinhaltes richten." Edmund Husserl, Logische Untersuchungen, 4. Aufl. Halle (Niemeyer) 1928, Bd. I, S. 173-174. 3 Hier im Sinne des gemeinsamen (allgemeinen) Erkennens. 4 Vgl. Ferdinand de Saussure, Cours de linguistique generale, Paris (Payot) 1969, S. 144: „Des concepts tels que ,maison', ,blanc', ,voir', etc. consideres en eux memes, appartiennent a la psychologie; ils ne deviennent entites linguistiques que par association avec des images acoustiques."
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die Wirklichkeit der Person geht jeder begriffsbestimmt-objektiven Bestimmung voraus, das bedeutet, daß nicht die Fähigkeit des Menschen, logisch deduktiv oder syllogistisch zu denken, die ursprüngliche Voraussetzung zur ontologischen Frage ist (der Frage nach dem Seienden und dem Sein, ihrer Beziehung und Unterscheidung), sondern die „realistische" Wirklichkeit der Person.
§ 3 Eine Lücke in der
Fundamental-Ontologie
Die Erklärung des Menschen als vernünftig denkende Realität, als animal rationale, vernunftbegabtes Wesen, als ,,ζώον λόγον έχον", von Heidegger definitiv bestritten, macht deutlich, daß man sich von dem eigentlichen Inhalt des ontologischen Problems entfernt und das Problem in den Bereich der Werturteile verlegt, es wird zum Ausgangspunkt einer wertbestimmten Metaphysik 5 . Der ausschließliche Vorrang der Fähigkeit vernünftig zu denken, das Gleichsetzen der Existenz mit dem Denken, das „cogito, ergo sum", begründet eine wertbestimmte (und in der Folge konventionelle) Metaphysik, denn damit wird der kausale Zusammenhang zwischen dem Seienden und dem Sein vorausgesetzt. Das ontologische Problem erhebt sich als Frage, die a priori nach Kausalität strebt: was ist es, das die Seienden existieren läßt? Das Sein wird als Ursache des Seienden vorausgesetzt und wird damit zugleich in der Frage nach der Ursache ontisch vorweggenommen, als Ergebnis der Individualität. Die westliche Metaphysik hat dem Denken des Aristoteles Elemente entliehen, um den Unterschied zwischen dem Sein als Seiendem und dem real-weltlichen Seienden als wertbestimmt zu erklären. Die Definition des Unterschiedes war von den Scholastikern nach der Methode der Analogien und Abstufung begründet worden (analogia entis, via eminentiae), man verstand die Differenzierung nach einer Größenordnung, nämlich in der Antithese von Absolutem und Relativem, von Unendlichem und Endlichem. Dabei wurde das Sein unausweichlich definiert als dem anderen Seienden qualitativ übergeordnetes letztes Seiendes, als Göttliches - Ursache seiner selbst und des anderen Seienden, als Rückführung (regressus in infinitum) der ontischen Individualität auf das Absolute. Das Sein umfaßt die ewigen Ursachen oder Ideen des Seienden - die Existenz des Seienden wird einfach und durchaus gleichgesetzt mit der Rückführung der Gegenstände auf ihre ewigen Ursachen, ihre absoluten Ideen, die Existenz wird definiert als Ubereinstimmung der Erkenntnis mit ihrem Gegenstande 5 Vgl. Martin Heidegger, Über den Humanismus, Frankfurt a. M. (Klostermann), S. 12. Von dem gleichen Verfasser: Einführung in die Metaphysik, Tübingen (Niemeyer) 1958, S. 108. - Ebenfalls von dem gleichen Verfasser: Sein und Zeit, Tübingen (Niemeyer) 10. Aufl. 1963, S. 165.
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(adaequatio rei et intellectus)51. Diese Übereinstimmung wird verwirklicht und tritt in Erscheinung im vernunftgemäßen Urteil, das heißt, in der Fähigkeit, syllogistisch deduktiv zu denken, daher auch die Definition der Existenz als identisch mit dem Denken (νοεΐν). Es ist bekannt, daß Kant der erste war, der diese aprioristische von der Logik beherrschte Auffassung der Ontologie in Frage stellte; er als erster leugnete den ausschließlichen Vorrang der Fähigkeit, syllogistisch zu denken und unterschied das Denken von der Existenz, verwarf die Identität des Begriffes mit dem Sein des Seienden und setzte damit der scholastischen Ontologie ein Ende. Doch brachte er den Intellekt in Zusammenhang mit der Existenz im Bereich der individuellen Erfahrung und legte damit den Grund für den auf das Individuum konzentrierten Subjektivismus der Ontologie der Neuzeit. Hegel ging einen Schritt weiter und sprach in der Ausdrucksweise einer frühen Phänomenologie von der wesentlichen Entfremdung des Intellekts von den Dingen 6 : wir erkennen das Seiende nur anhand seines Erscheinens, nicht dem Wesen nach, und Erscheinen bedeutet das, was in Erscheinung tritt, das, was sichtbar wird, unabhängig davon, was es dem Wesen nach ist7. Die einzige Möglichkeit, dieses Auseinanderfallen zu überwinden, sieht Hegel in der Geschichte: Geschichte macht das Sein im Ereignis faßbar. Aber es ist offenbar, daß der Sprung von Kant zu Hegel weder die Grenzen der Subjektivität noch die der Individualität übersteigt. „Für die Metaphysik Hegels gilt die Definition: Metaphysik der absoluten Subjektivität" 8 . Hegel wendet sich gegen den ausschließlichen Vorrang der Fähigkeit, syllogistisch-deduktiv zu denken und gibt diesen Vorrang statt dessen der individuellen Erfahrung im Bereich der kollektiven historischen Existenz (der Subjekte). Die „Neuzeit" ist gekennzeichnet von der Einengung des Menschen in unbedingte Subjektivität, gleichzeitig verbunden mit dem Streben nach unbedingter Objektivität, wobei in beiden Fällen das Individuum den Mittelpunkt bildet. Den bezeichnendsten und auch interessantesten Ausdruck fand diese Einengung im „großen Augenblick" der neueren Philosophie, in der „neuen Ontologie" Martin Heideggers - in dem Versuch, eine nichtmetaphysische Ontologie zu formulieren, mit der Methode der Phänomenologie die Definition des Seins als absolut (ontisch und mystisch) zu überwinden, ebenso aber auch den Subjektivismus und Rationalismus, die sich der phänomenologischen Methode aufzwingen durch die Einschaltung des Bewußtseins als dem einzigen O r t der Deutung des Seins. 5
' Vgl. Thomas Aqu., Quaest. disp. de veritate qu. I, art. 1. Das Ding an sich ist ein Abstraktionsprodukt aus der Reflexion auf die Dingheit. G. W. F. Hegel, Wissenschaft der Logik, 2. Teil, S. 125. 7 A.a.O.: „Das dem Wesen gegenüberstehende Sein ist der Schein. Die Erscheinung ist die Wahrheit des Seins . . . " 8 M. Heidegger, Nietzsche, Pfullingen (Neske) 1961, Bd. 2, S. 200. 6
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Heidegger lehnt jede Definition des Seins ab; er betrachtet die Möglichkeit der Definition als unausweichlich an ontische Kategorien gebunden. Deshalb verneint er auch die kausale Formulierung des ontologischen Problems als Frage nach der Beziehung zwischen dem Seienden und dem Sein, die Erklärung des Seins als Ursache des Seienden. Er verlagert die ontologische Frage von der Beziehung in den Unterschied zwischen dem Seienden und dem Sein. Dieser Unterschied liegt darin, daß das Seiende in Erscheinung tritt, daß es „Phänomen" ist, während das Sein, das Wesen, „es liebt, verborgen zu bleiben"'. Nicht das Wesen erkennen wir, nicht das Sein des Seienden, sondern nur die Weise, in der es ist, und diese Weise ist das Ereignis des In-Erscheinungtretens. Z u m Ausgangspunkt für die Einsicht in das Sein des Seienden (die Weise, in der das, was ist, existiert), nimmt Heidegger die Erklärung der Wahrheit als das In-Erscheinung-treten, das Auftauchen aus der Verborgenheit: das Sein des Seienden ist nicht identisch mit seiner objektiven Wirklichkeit, das heißt, mit einer gegebenen „Wesenheit" (essentia, ουσία), sondern wird begriffen als Energie, als das konkrete Ereignis des „ans-Licht-kommens", als Auftauchen aus der Verborgenheit in die Un-verborgenheit, aus der Abwesenheit in die An-wesenheit. Folglich gehört zu der Weise, in welcher das Seiende ist, nicht nur die Tatsächlichkeit des Inerscheinungtretens, die Dimension der An-wesenheit, sondern auch das fortwährende Auftauchen aus der Ab-wesenheit. Das Seiende erscheint als Anwesenheit und existiert als Ab-wesenheit und An-wesenheit. Das fortwährende Auftauchen aus der Ab-wesenheit bestimmt die Dimension der Zeitlichkeit des Seins des Seienden; die Zeit ist die Voraussetzung zum Verständnis der Un-verborgenheit des Seienden, des Auftauchens aus der Ab-wesenheit in die An-wesenheit, sie ist der „ H o r i z o n t " , vor welchem das Seiende begriffen wird als das, was ist. Die Weise, also, in welcher das Seiende ist, setzt voraus aber bedingt zugleich sein In-Erscheinungtreten als Zeitlichkeit, als Auftauchen aus der Ab-wesenheit. So erweist sich die Auffassung des Seins des Seienden notwendig als phänomenologisch, die Erkenntnis des Seienden erschöpft sich im zeitlichen Auftauchen aus der Verborgenheit, in der Unterscheidung der An-wesenheit von der Ab-wesenheit, das heißt, im In-Erscheinungtreten der die Erkenntnis ermöglichenden Distanz von dem Wesen. Erkenntnis ist kein Zurückführen des Phänomens auf die umfassende „Idee" oder die begriffliche Erfassung seines Wesens; es ist die Einsicht, daß die Erscheinung oder die Verborgenheit die Seins weisen dessen sind, was ist, die Auffassung des Ereignisses der Erscheinung als Definition der Zeit - des einzigen Horizontes, vor welchem das, was ist, ans Licht kommt, erscheint. ' Heraklit, Fragmente (Diels I, 178) φ ύ σ ι ς κ ρ ύ π τ ε σ θ α ι φ ι λ ε ί . Vgl. auch E i n f ü h r u n g in die Metaphysik, S. 87.
Heidegger,
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Diese ontologische Auffassung gibt sich jedenfalls nicht zufrieden mit der vereinfachten Deutung des Problems der Wahrheit, mit der Definition der Wahrheit als der Übereinstimmung der Erkenntnis mit ihrem Gegenstande, der Begrenzung des Wesens auf Idee oder Begriff. Hier ist die Wahrheit verstanden als Erkenntnis oder Erfahrung der Distanz zum Wesen, der möglichen An-wesenheit oder Ab-wesenheit, Begrenzung der Erkenntnis des Seienden auf die Weise, in welcher es erscheint, das heißt, nicht Nichts ist. Erkennen ist nicht schon totale objektive begriffliche Gewißheit, jedoch ein Bewußtsein von der Bezogenheit auf das verborgene Wesen - schließlich auch die Angst in der Auseinandersetzung mit der Verborgenheit oder dem Nichts, Bewußtsein, daß die Verborgenheit oder das Nichts der andere Aspekt der zeitlichen Erscheinung ist. Das Begreifen oder die Erfahrung des Abstandes vom Wesen, nämlich die Erkenntnis der Seienden als Phänomene, als Erscheinende, wird zur Erfahrung der Distanz zwischen dem Menschen und den ihm gegenüber befindlichen Seienden und deren unzugänglichem Wesen. Der Mensch begreift die Weise, in welcher die Seienden sind - die Un-verborgenheit der Seienden als Erscheinung und das In-Erscheinungtreten als Zeitlichkeit aber das Begreifen des In-Erscheinungtretens, das heißt, das Zeitbewußtsein, als ausschließlich menschliche Fähigkeit, ist nichts anderes als die notwendige und zwingende Bedingung für das Erscheinungshafte der Phänomene; es hebt die Selbstverschweigung des Wesens, den Abstand zwischen dem Menschen und dem verborgenen Wesen der Seienden nicht auf. Die Erfahrung dieses Abstandes ist Erfahrung einer Entfremdung, Angst des Unbehaustseins, das, was Heidegger „die Unheimlichkeit des Daseins", das „Unzuhause" nennt10. Der Mensch ist in eine Welt „geworfen", wo die Offenbarkeit der Phänomene die ontologische Realität des Nichts offenbart; die Beziehung des Menschen zur Welt ist nichts anderes als die Angst der Auseinandersetzung mit dem Nichts11. Wenn auch die existenziale Erfahrung der Offenbarkeit der Phänomene als Angst der Auseinandersetzung mit dem Nichts eine radikale Reaktion auf das cartesianische „cogito" darstellt, so weicht sie doch nicht wesentlich ab von den Voraussetzungen der ontischen Individualität, auf die sich die cartesianische Ontologie gründet. In Ubereinstimmung mit dem Denken Heideggers sagten wir, daß die Seienden als An-wesenheit erscheinen und als An-wesenheit und Ab-wesenheit existieren. Als An-wesenheit werden die Seienden als Erscheinungen begriffen, und als Ab-wesenheit und Anwesenheit existieren sie und werden mittels des Verstandes und der Ver10 Vgl. Sein und Zeit, S. 189: „Das beruhigt-vertraute In-der-Welt-sein ist ein Modus der Unheimlichkeit des Daseins, nicht umgekehrt. Das Un-zuhause muß existenzialontologisch als das ursprünglichere Phänomen begriffen werden."
" Vgl. Sein und Zeit, S. 187: „Wenn sich demnach als das W o v o r der Angst das Nichts, das heißt die Welt als solche herausstellt, dann besagt das: wovor die Angst sich ängstet, ist das Inder-Welt-sein selbst."
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nunft erfaßt. Die Unterscheidung der An-wesenheit von der Ab-wesenheit beruht auf der Tatsache des Begreifens dessen, was die Dinge sind, das heißt, auf dem Akt des Denkens. Das Denken als Voraussetzung dazu, das Sein der Seienden als An-wesenheit und Ab-wesenheit zu begreifen, kennzeichnet die Unterscheidung von An-wesenheit und Ab-wesenheit und setzt sie voraus, das heißt, es setzt die Definition der Dinglichkeit der Seienden voraus, die Auffassung der Seienden als Individualitäten. Die Phänomenologie besteht darauf, daß diese Individualität nur eine Erscheinung ist und darauf, daß sie als Akt zu verstehen ist, als Auftauchen aus der Abwesenheit in die Anwesenheit, und diese Auffassung bringt die Unterscheidung von Anwesenheit und Abwesenheit mit sich, folglich die Definition des zeitlichen In-Erscheinungtretens als ontische Individualität. Selbst als Akt zeitlichen In-Erscheinungtretens bleibt die Individualität ontisch, weil die Seienden nur als Gegenstände erscheinen, nur in der Distanz der ontischen Individualität. Wenn wir aber die zeitliche Erscheinung als ontische Individualität annehmen, lassen wir ihren anderen Aspekt, die Verborgenheit oder das Nichts, in einer fast unbestimmten Mystizität. Das Sein, das Wesen, verbirgt sich selbst als An-wesenheit und Ab-wesenheit, als In-Erscheinungtreten, aber auch als fortwährendes Auftauchen aus der Verborgenheit; dieses sich selbst Verbergen aber ist weder in ontischen noch in nichtontischen Kategorien zu erfassen. Wenn die ontischen Kategorien in der einen Phase, der Selbstverbergung des Wesens, der An-wesenheit, beibehalten werden und in der zweiten Phase, der Ab-wesenheit, ersetzt werden durch die nicht-ontischen Kategorien der Verborgenheit oder des Nichts, dann bleibt das Problem des Wesens, des Seins - das ontologische Problem - philosophisch in der Schwebe. Man kann nicht die An-wesenheit, den feinen Aspekt des Problems des Wesens, als zeitliches In-Erscheinungtreten in ontische Kategorien fassen, so daß nur der andere Aspekt, die Abwesenheit, die Möglichkeit der Verborgenheit, bleibt, zur Begründung des Unterschieds zwischen dem Seienden und dem Wesen, das heißt, dem Wesen als Selbstverbergen. Wir können annehmen, daß das zeitliche In-Erscheinungtreten die Unverborgenheit (ά-λήθεια) des Seienden nicht ausschöpft, daß die Unverborgenheit keine ontische Kategorie ist, daß sie das Auftauchen aus der Verborgenheit ist, der Akt des In-Erscheinungtretens. Während aber das Auftauchen, der Akt der Erscheinung, als Zeit aufgefaßt wird - und die Zeit sich als Voraussetzung für den Aufschein der Erscheinung erweist - können die Erscheinungen selbst nur als ontische Individualitäten aufgefaßt werden, um sie von der Verborgenheit zu unterscheiden. Wie sehr auch die Phänomenologie betont, daß das Verborgene oder das Nichts der andere Aspekt des Scheins der Erscheinung sei, die ontische Individualität der Phänomene wird dadurch nicht erschüttert. Auch beim Ubergang von der Abwesenheit in die Anwesenheit und ihrer Unterscheidung, selbst bei der 23
Interpretation als ausschließlich zeitliche Erscheinung, bleiben die Gegenstände dennoch weiterhin in die Distanz der Individualität eingeordnet. Und die Individualität schöpft nur den einen Aspekt des Problems des Wesens aus, den andern läßt sie in der Schwebe, in willkürlicher Gleichsetzung mit der Verborgenheit oder dem Nichts, wobei sie in der Fundamental-Ontologie sozusagen eine Lücke läßt. Heidegger war sich dieser Lücke bewußt; es ist bekannt, daß er sich in SEIN U N D ZEIT auf die Erläuterung des Seins des Menschen beschränkte, als die einzige Möglichkeit, die Zeit „als Horizont des Seinsverständnisses aus der Zeitlichkeit, als Sein des seinsverstehenden Daseins" zu begreifen. Er hatte jedoch einen zweiten Band versprochen, mit einer Ontologie im eigentlichen Sinne (Zeit und Sein), worin das Problem nicht das Sein des Menschen gewesen wäre, erschlossen am Seinsverständnis des existierenden Daseins, sondern das Sein als solches, eine ontologische Erklärung des Seins als Sein. Aber diesen zweiten Band hat er niemals geschrieben.
§ 4 Der ontologische Vorrang der personalen Beziehung gegenüber der Fähigkeit, syllogistisch deduktiv zu denken Die christliche Theologie des griechischen Ostens, genauer, Gregor von Nyssa (f 394)12, führte im vierten Jahrhundert den Begriff der Person in den Bereich des ontologischen Problems ein. In ihrem Bestreben, die kirchliche Erfahrung der Wahrheit des Dreieinigen Gottes zu definieren, das heißt, die Art und Weise der göttlichen Existenz, wie sie sich im Ereignis der göttlichen Heilsgeschichte offenbart, und um diese Wahrheit gegen die häretischen Entstellungen (des Arianismus, der Sabellianer, Eunomianer, Apollinaristen) abzuheben, suchten die Kirchenväter der ersten christlichen Jahrhunderte die Begriffe der neuplatonischen Ontologie, Ousia und Hypostasis13 im Hinblick auf die göttliche Ousia und die drei göttlichen 12 Vgl. Klaus Oehler, Antike Philosophie und byzantinisches Mittelalter, München (C. H. Beck) 1969, S. 23-26: „Bei ihm (Gregor von Nyssa) wird ausdrücklich, was bei Basileios nur unausdrücklich gemeint ist: die nähere Eingrenzung des Hypostasebegriffs durch die Gleichsetzung mit dem Begriff Prosopon (Person)." 15 Vgl. K. Oehler, op. cit. S. 23: „Die altkirchliche Theologie hat der neuplatonischen Philosophie viele Begriffe entnommen. Von diesen Begriffen ist der der Usia der wichtigste . . . In enger Verbindung mit dem Begriff der Usia (ουσία) erscheint hier der Begriff der Hypostase (ύπόστασις), den sie ebenfalls der neuplatonischen Terminologie entnimmt." Und derselbe Terminus ουσία war auch schon vorher benützt worden (von den Vorsokratikern, Piaton, Aristoteles) mit ähnlichen Bedeutungen wie sie die christliche Theologie später beilegte. Während der Begriff der Hypostase philosophischen Inhalt annahm, und zwar nach Oehler (op. cit. S. 23) mit Plotin, nach Köster (Helmut Köster, Ύπόσχασις, Theol. Wörterbuch zum NT. Begr. von G. Kittel, Bd. 8, S. 574) mit den Stoikern. Vor den Neuplatonikern oder den Stoikern wurde das Wort ύπόστασις ausschließlich mit Ausdrücken verwendet, die sich auf die Natur oder die Heilkunde bezogen; vgl. Köster, a.a.O. S. 572-573
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Hypostasen zu deuten. E s war notwendig, die Differenzierung der drei Hypostasen deutlich zu machen, das jeder Hypostase „Eigentümliche", ohne dabei die Einheit der Einen Gottheit, die „Einwesentlichkeit", das όμοούσιον der Hypostasen aufzuheben. D e n n o c h waren die beiden Begriffe bis zur Zeit der Kappadokier (Basilius des Großen f 379, Gregors von Nazianz f 390 und Gregors von N y s s a t nach 3 8 1 ) noch nicht völlig geklärt, und sie wurden oftmals durcheinandergebracht oder gleichgestellt 14 . Es ist bezeichnend, daß auch die Erste Oekumenische Synode unter dem Begriff homoousios „ein Wesen und eine H y p o s t a s e " verstand, μίαν ούσίαν και ύπόστασιν. Erst die Kappadokier trennten und unterschieden die beiden Begriffe deutlich voneinander 1 5 . Hypostase kann verstanden werden in Bezug auf den aristotelischen Begriff der ουσία πρώτη und ist seit Gregor von Nyssa synonym mit der „Person". Die Person oder Hypostase ist unterschieden von der ουσία, dem und D . Dimitrakos, Lexikon der Griechischen Sprache, Bd. 9, S. 7504/5. Vgl. auch Leont. B . , Nest, et Eut. 2, 1 - P . G . 86, 1 5 2 8 D - 1 5 2 9 A . - Von dem Gebrauch des Begriffes bei Plotin führt Köster drei bezeichnende Stellen an: E n n . I I I , 6,7,13; V 4 , 2 , 3 6 ; - I I I , 5,3,1. Es ist bekannt, daß das W o r t Hypostase im N T fünfmal mit verschiedener Bedeutung gebraucht ist und nur einmal mit ähnlichem Inhalt wie der ihm später von der christlichen Theologie beigelegte ( H e b r . 1,3). 14 Vgl. Basil. Stephanidis, Kirchengeschichte 3, Athen (Ausg. „Astir", Papadimitrios) 1970, S. 193 in gr. Sprache. 15 Arist., Categ. 5, 2a 1 1 - 1 6 ; vgl. auch Metaphysica 7, 13, 1038b 9 - 1 6 . A u f jeden Fall nehmen die Begriffe ουσία und ΰπόστασίς oder πρόσωπον in den patristischen Schriften von Anfang an einen Inhalt an, der mit der aristotelischen Unterscheidung der ουσία δευτέρα - ουσία πρώτη nicht erschöpft ist. V . Lossky schreibt (A l'image et ä la ressemblance de Dieu, Paris, Aubier-Montaigne, 1967, S. 112): „II est clair qu'une teile definition de l'hypostase (gegründet auf die aristotelische Unterscheidung) ne pouvait servir que de preambule ä la theologie trinitaire, de point de depart conceptuel vers une notion deconceptualisee, qui n'est plus celle de l'individu d'une espece. Si quelques critiques ont voulu voir dans la doctrine trinitaire de saint Basile une distinction d'hypostasis - ουσία qui repondrait ä la distinction aristotelicienne entre πρώτη et δευτέρα ουσία, c'est qu'il n'ont pas su demeler le point d'arrivee d'avec le point de depart, l'edifice theologique, au delä des concepts, d'avec son echafaudage conceptuel."
Losskys Bemerkung ist zwar zutreffend, doch wird darin das westliche Verständnis der aristotelischen Unterscheidung erkennbar. Die im Westen jahrhundertelang übliche scholastische Deutung des Aristoteles hat das Sinnverständnis der von ihm verwandten Begriffe beeinflußt; sie wurden ihres existenzialen Inhalts beraubt, den die Griechen immer darin gesehen haben. Wir müssen auch hier wiederholen, wie spürbar gerade heute die Notwendigkeit ist, Aristoteles, wie auch Piaton, „griechisch" zu lesen. Hierzu ist bezeichnend, was E . Gilson in seinem B u c h : L ' E t r e et l'essence, Paris 1948, S. 57, zu den Fehldeutungen bemerkt, die im Westen während des Mittelalters hinsichtlich der Auffassung des Aristoteles begangen wurden: „Realistes et nominalistes du moyen äge, pour leurs donner leur noms traditionnels, n'avaient pas tort de se reclamer pareillement d'Aristote, bien qu'ils l'interpretassent, c o m m e l'on sait, en deux sens diametralement opposes." - U n d M . - D . Chenu ergänzt diese B e m e r kung in seinem Buch La theologie au douzieme siecle, Paris (Ed. Vrin) 1966, S. 313 mit Bezug auf Piaton: „ O n a vu, ä propos du platonisme au X l l e siecle, que les mythes existentiels de Piaton furent alors tournes en simples allegories, et, par cette desexistentialisation intellectualiste ramenes ä une expression figuree de la loi metaphysique des essences."
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Wesen, aufgrund der Einmaligkeit und Ungleichheit der Wesensmerkmale. Es ist das Eigentümliche, das „ιδιάζον", die Andersheit, definiert als das „Zusammentreffen der jedem eigenen Wesensmerkmale, welches jede einzelne Existenz kennzeichnet und individualisiert"16, „der Gedanke, der durch die aufscheinenden Eigenschaften bei einem Ding das Allgemeine und Umfassende in den Vordergrund rückt"17. Während Wesen das Allgemeine ist, die Art, die Gemeinsamkeit der Merkmale, „die Substanz . . . läßt sich nicht unterteilen in irgendeine Verschiedenheit der Natur"' 8 . „In Bezug auf die Substanz ist von jenen, die über diese Dinge nachzusinnen verstehen, aufgezeigt worden, daß man keinen Unterschied denken kann, sofern man sie von den betrachteten Qualitäten und Eigenschaften loslöst und so die Substanz in ihrem eigenen Wesen untersucht, also in Bezug auf den Grund ihres Seins"19. Der weiteren Entwicklung und Erläuterung der beiden Begriffe durch die späteren Väter des griechischen Ostens werden wir im folgenden noch weiter nachgehen. Hier interessiert uns diese erste Einführung des Begriffs der Person in den Bereich der Ontologie, seine ursprüngliche Definition als „das eigentümliche Kennzeichen der Existenz", das „Unbeschreibbare" der Person, die absolute Andersheit. Der ontologische Gehalt, den die Schriften der griechischen Väter dem Begriffe gaben, ist gerade die unbedingte Andersheit als existenzialer Unterschied zum Wesen, wir verstehen das Wesen als den umfassenden Begriff, als Form, als Gemeinsamkeit der Merkmale; hinsichtlich des Gottes und des Menschen aber existiert das Wesen nur ,,έν προσώποις" (in der Person von), und Person ist die absolute Andersheit gegenüber den gemeinsamen Merkmalen des Wesens. Die Person unterscheidet sich vom Wesen oder der Natur aufgrund des „Eigentümlichen" ihrer unbeschreibbaren Eigenart, das heißt, sie unterscheidet sich von allem, was als Seiendes an sich aufgefaßt wird, als Gemeinschaft von Merkmalen, als alles umfassende Form. Schließlich liegt der Unterschied in der Daseinsweise, das heißt, der Person als absoluter Andersheit und in der begrifflichen Auffassung des Wesens, das heißt, des Seienden als Gesamt, als Gemeinschaft objektiver Merkmale. Das bedeutet, daß das ontologische Problem, die Frage danach, auf welche Weise das, was ist, existiert, nur gestellt werden kann im Bereich der Realität der Person, auf der Grundlage des Vorrangs der Person vor dem Wesen, dem Vorrang der Existenz in Verbindung mit der Betrachtung der vor-handenen Wesen.
" Gr. 17 Gr. '« Gr. " Gr.
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Nyss., Nyss., Nyss., Nyss.,
diff. ess. 5 - P.G. 32, 336 C. diff. ess. 3 - P.G. 32, 328 B. ep. 24 - P.G. 46, 1089 C, Ausg. G. Pasquali, S. 76, 16-17. Eun. 1 - P.G. 45, 337 B, Ausg. Jaeger, Bd. I, S. 109, 22-26.
§ 5 Die personale Beziehung als ontologische Voraussetzung zur Kundgabe der umfassenden „Daseinsweise" Die Person, als absolute Andersheit, unterscheidet sich von allem, was mit dem Verstände als Seiendes an sich, als Gemeinsamkeit von Merkmalen begriffen wird; darum ist auch die Daseinsweise keiner Person objektiv bestimmbar, sie ist einzig, unähnlich und unwiederholbar, weil jede Definition und jedes Attribut in jedem Falle eine Gemeinsamkeit von Merkmalen darstellt. Das „Eigentümliche" der Person, ihre Andersheit zu definieren, ist nicht möglich - es kann nur als Ereignis erfahren werden, nämlich als einzigartige, unvergleichliche und unwiderholbare Beziehung. Die Andersheit ist dem Begriffe nach relational, sie wird stets definiert „in Beziehung zu etwas", und die absolute Andersheit kann nur als einzigartige, unvergleichbare und unwiederholbare Beziehung erfahren werden. Das bedeutet, daß es sich im Falle der Person bei Relation oder Beziehung nicht einfach um Vergleich handelt, nicht einfach um eine Art und Weise, die Andersheit als Differenzierung ontischer Individualitäten zu verstehen, sondern daß es jene Daseinsweise ist, die sich als Beziehung verwirklicht und nicht nur als Beziehung in Erscheinung tritt. Die Person existiert nur als dynamische Relation, nur „gegenüber einer anderen", nur als einzigartige, unähnliche und unwiederholbare Beziehung. In dieser Beziehung wird das „Wie" der personalen Relation deutlich aufgrund der Kundgabe der Andersheit der Person, und gleichzeitig wird es dieser Andersheit gegenüber definiert, es erscheint als das, was es ist, nur innerhalb der Beziehung, welche die Andersheit der Person offenbart. Folglich erhält aus der Perspektive der Ontologie, welche den Vorrang der Person voraussetzt, die Auffassung des Seienden als Erscheinung einen Inhalt vor-bewußter Erkenntnis: das Seiende offenbart sich nicht nur als Zeitlichkeit im Abstand der ontischen Individualität, sondern in dem personalen Ereignis, das jeder bewußt-begrifflichen Bestimmung vorausgeht, der Beziehung, welche die Andersheit der Person kundtut, wie auch die Art und Weise, in welcher das Seiende existiert. In jedem Falle verwirklicht sich die personale Beziehung (wie wir im folgenden sehen werden) nur im Bereich der Gemeinschaft von Personen, nur im Hinblick auf die Andersheit im eigentlichen, nämlich wesentlichen, Sinne; und doch hat sie ihren dynamischen Anfang im Ereignis der Erscheinung des Seienden am „Horizont" der persönlichen Wahrnehmung, das heißt, im übergreifenden Verständnis der vor-handenen Wesenheiten. Somit stellt die Erscheinung des Seienden ein Ereignis von Aufruf zur Offenbarung der Person dar und die Person die einzige Möglichkeit des Zugangs zur Daseinswezse des Seienden, jenseits jeder objektiven, beziehungsweise konventionellen Definition.
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§ 6 Die personale
Beziehung
als existenziale
Ekstase
Schon aus diesen allerersten Formulierungen wird deutlich, daß wir uns hier sehr weit entfernt haben von jeder Art eines objektivierten Subjektivismus, von jeder wertbestimmten Bevorzugung des Subjekts, als Möglichkeit, bewußt zu denken. Die Person, als Möglichkeit der Kundgabe des Seienden, besagt nicht, daß der Mensch zunächst und vor allem eine gegebene Fähigkeit habe, bewußt zu denken, und daß das, was er denkend begreift, sich deckte mit der Existenz oder der Zeitlichkeit des Objektes; sie ist nicht beschränkt auf den Vorrang eines funktionierenden Bewußtseins, welches wertorientiert ist, weil es „urteilt" und dem erkannten Objekt einen Sinn zuerkennt (es bestätigt Menge, Gewicht, Gestalt, Farbe, Ursache und Zweck des Seienden), die Bedeutung liegt vielmehr darin, daß, was immer ist, nur in Bezug auf die Person in Erscheinung tritt und nur im Bereich der Beziehung erscheint und die Andersheit der Person offenbart. Mit anderen Worten: die Person und das Seiende sind Pole einer Beziehung, welche die ontologische Frage erhellt. Die Seienden existieren als der Logos19' ihrer Beziehung zu der Person, die Un-verborgenheit oder Verborgenheit des Seienden ist identisch mit seiner Bezogenheit oder NichtBezogenheit auf die Person. Folglich ist die Frage, von der die Ontologie ausgeht - die Frage nach dem Seienden und dem Sein, nach der Weise, in welcher das, was ist, existiert - identisch mit der Frage nach der Person, mit der Untersuchung der existenzialen Tatsache der personalen Beziehung. Das Maß (λόγος) der Andersheit der Person antwortet auf die Frage nach dem Sein, nicht mehr nach dem Sein als solchem, als denkbarem Begriff oder unbestimmbarer Verborgenheit und zeitlicher Erscheinung, sondern als Daseinsweise·, der Mensch hat teil an der Frage als Befragter, als einziger, der befähigt ist, Antwort zu erfahren, als Pol einer „personalen" Beziehung. Person-Sein bedeutet die Wandlung des denkenden Subjekts zur Voraussetzung einer umfassend-existenzialen Beziehung, ein Ereignis von Ek-stase, von Heraustreten aus der Objektivität des Verständnisses in die umfassende existenziale Beziehung. Diese Wandlung von der denkend-bewußten Haltung oder Einstellung zur umfassenden (καθολική) Beziehung ist der Übergang von der ontischindividuellen Auffassung der Existenz des Menschen zu ihrer Definition als Ekstase. Und hier beschränkt sich die Ek-stase (das aus-sich-Heraustreten) nicht auf die Fähigkeit des Menschen, aus seiner Identität herauszutreten, sich über das Sein zu befragen, darüber, daß er allein, als Mensch, das InErscheinungtreten als Zeitlichkeit begreift20. Ekstase ist hier identisch mit Zu „Logos" s. Theol. Wörterbuch z. NT. Begr. v. G. Kittel, Bd. IV, S. 67 ff. Es ist der Sinn, den Heidegger dem Ek-statischen der menschlichen Existenz beilegte, indem er die Begriffe ek-sistieren, Ek-sistenz schuf, gegenüber dem Begriff der existentia der 20
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der Verwirklichung der Andersheit der Person, das heißt, mit der ihr eigenen existenzialen Voraussetzung, welche auch die einzige Möglichkeit des Zugangs zur Stmsweise des Seienden ist; - Ekstase bedeutet das Abrücken von der Selbstverständlichkeit des noetisch-bewußten Erfassens konventioneller Begriffe, das Aufgeben der gegebenen üblichen Auffassung der Wesen als Objekte, es bedeutet die umfassende existenziale Beziehung. Die dynamische und stets unerreichbare Vollendung dieser Beziehung ist der Eros der griechischen Väter des Ostens, die liebende Hinwendung, das Verlassen des im Bereich der Objekte individualisierten Daseins zur Verwirklichung der Beziehung im eigentlichen Sinne. Der Eros ist die Erfüllung der Ekstase, das heißt, der personalen Bezogenheit zur Andersheit schlechthin: „Es ist also die göttliche Liebe ekstatisch. Sie läßt nicht zu, daß wir Liebhaber unserer selbst, sondern nur Liebende des Geliebten sind."21
$ 7 Die „apophatische" Erkenntnis im ontologischen Problem: Apophatisches Wissen vom Wesen und von der Person Der ontologische Inhalt, den die griechische Patristik dem Begriff der Person beilegte, wurde zum Ausgangspunkt einer Ontologie, die sich radikal unterscheidet von der, welche die westliche theologische und philosophische Tradition während ihrer geschichtlichen Entwicklung vertreten hat. Die Einengung des Westens in die ausweglose Polarisierung des verhältnismäßig Absoluten, Ontischen und der mystischen Definition des Seins tritt ein als unausweichliche Folge des Vorrangs, den man im Westen, bereits in den ersten christlichen Jahrhunderten, dem Wesen gab gegenüber der Person - im Gegensatz zum griechischen Osten, der von Anfang an immer vom Vorrang der Person gegenüber dem Wesen ausging22.
westlichen Metaphysik. Vgl. Über den Humanismus, S. 1 5 - 1 6 : „Das ekstatische Wesen des Menschen beruht in der Ek-sistenz, die von der metaphysisch gedachten existentia verschieden bleibt . . . Ek-sistenz bedeutet inhaltlich Hinausstehen in die Wahrheit des Seins." U n d in seinem vorhergehenden Buch, vor Einführung der Schreibweise Ek-sistenz, eksistieren, schrieb er: „Der Satz: ,der Mensch existiert' bedeutet: der Mensch ist dasjenige Seiende, dessen Sein durch das offenstehende Innestehen in der Unverborgenheit des Seins, vom Sein her, im Sein ausgezeichnet ist. Sein ist nicht etwas anderes als ,Zeit', insofern die ,Zeit' als der Vorname für die Wahrheit des Seins genannt wird . . . " (Was ist Metaphysik?, Frankfurt, Klostermann, 9. Aufl. 1965, S. 16, 17). 21
Dion. Ar., d.n. 4, 13 - P . G . 3, 712 A .
„Die lateinische Philosophie untersucht zuerst die Natur als solche und geht an der Person vorbei . . ., die griechische Philosophie betrachtet zunächst die Person und dringt beständig in diese ein, um die Natur zu finden. Der Lateiner betrachtet die Person als Modus der Natur, der Grieche betrachtet die Natur als enthalten in der Person" aus Th. de Regnon, Etudes de theologie positive sur la Sainte Trinke, I, 433 (Diese Fußnote fehlt in der deutschen Ubersetzung des Buches: Die mystische Theologie der morgenländischen Kirche, (Styria) Graz, Wien, Köln 1961. Anm. d. Ubers.) - Vgl. auch H . - M . Legrand, Bulletin d'ecclesiologie 22
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Der Vorrang des Wesens in der ontologischen Frage nötigt zur objektiven Definition der Existenz des Seienden und zur begrifflichen (analogontologischen) und kausalen Definition des Seins. Die Scholastiker führten im Westen den dreifachen Weg ein, die via triplex der analogischen Erkenntnis des Seins; die via negationis, via eminentiae und die via causalitatis2\ Dennoch beschäftigt den Westen in widerspruchsvoller aber auch historischer Verbindung mit der analogen Definition des Seins auch die Apophatik des Seins, die Unfähigkeit des menschlichen Verstandes, die Wahrheit des Seins begrifflich auszuschöpfen. Die Apophatik ergab sich im Westen aus der Notwendigkeit, das Geheimnis der Wesenheit Gottes zu schützen, sie ist daher immer eine Apophatik der Ousia, des Wesens. Es ist bezeichnend, daß die beiden grundlegenden Gestalter der analogen Gotteserkenntnis im Westen, Anselm (f 1109) und Thomas von Aquin ( f 1274), gleichzeitig auch die Apophatik dieser Erkenntnis predigten, das wesentliche NichtErkennen Gottes, das Sein als Unnahbares 24 . Und auf dieser Linie oder Richtung der Apophatik des Wesens treffen sich sowohl die bedeutendsten Vertreter der Scholastik als auch die großen Mystiker des Mittelalters, Peter Abaelard (γ 1142), Albertus Magnus (f 1280), Johannes Duns Scotus ( f 1308), Meister Eckhart ( f 1327) und Nicolaus Cusanus (f 1464). Allein, mit der Apophatik des Wesens ist das ontologische Problem, als existenziales Problem, als Frage nach der „Daseinsweise" 25 , der Weise, in - Introduction aux Eglises d'Orient, Revue des Sciences Philosophiques et Theologiques, Bd. 56, No. 4, S. 709, wo der Verfasser, die westlich-scholastische Struktur der Dogmatik von P. N. Trempelas verurteilend, bemerkt: „. . . puis vient le traite de Dieu (livre I), oü le De Deo uno precede le De Deo Trino, comme dans la Somme de S. Thomas d'Aquin (cognossibilite de Dieu), vrai notion de Dieu, attributs divins et apres seulement le dogme trinitaire ,en general' puis ,en particulier'." 23 M. Schmaus, Katholische Dogmatik, Bd. I, München 1960, S. 306 ff. - Auch Karl Barth, Die kirchliche Dogmatik, II, 1, S. 390 und Chr. Androutsos, Dogmatik, Athen 1907, S. 47 ff., in gr. Sprache, sowie P. N. Trempelas, Dogmatik, Bd. I, Athen 1959, S. 186 ff., in gr. Spr. 24 E. Gilson, La philosophie au moyen äge, Paris (Payot), 2. Aufl. 1962, S. 241 ff., und Joh. Hirschberger, Geschichte der Philosophie, Freiburg i. B. (Herder) 8. Aufl. 1965, Bd. I S. 504/ 5 - sowie M.-D. Chenu, La theologie comme science au XHIe siecle, Paris (Ed. Vrin) 3. Aufl. 1969, S. 97 ff., wo der Verfasser bestätigt, das Werk des Thomas von Aquin sei eine „grandiose" Verbindung des mystisch-betrachtenden Charakters der Theologie mit den Forderungen der wissenschaftlichen Logik: „Verbe eternel ou Verbe fait chair, speculation contemplative ou regies de vie morale, symbolisme sacramentaire et communaute des saints, relevent tout uniment du meme principe de connaissance. Les categories si fermement tranchees du philosophe entre le speculatif et le pratique ne divisent plus ce savoir . . . ces savoirs sont campes dans un meme champ d'intelligibilite, que constitue la lumiere de foi en oeuvre de science: intellectus fidei." 25 Dieser Ausdruck wurde im theologischen Schrifttum des griechischen Ostens zuerst im Bereich der ontologischen Probleme gebräuchlich. Vgl. hierzu Max., qu. Thal. - P.G. 90, 285 Α und myst. - P.G. 91, 701 A; Gr. Nyss., Eun. 1 - P.G. 45, 316 C; Just., exp. recte confessionis 3 - P.G. 6, 1209 B; Jo. D., Jacob. 52 - P.G. 94, 1461 B.
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der das, was ist, existiert, nicht zu lösen. Die Verabsolutierung des Ereignisses der Existenz durch die Scholastiker, die Gott als „actus purus" definierten, erläutert wohl die Weise, in der das Wesen existiert, und diese Weise ist das ,,ύπάρχειν" (essentia est id cujus actus est esse)2\ sie berührt aber nicht die Weise des ύπάρχει,ν, des Daseins, und folglich ist sie bestrebt, das ontologische Problem auf den Bereich der abstrakten Definition zu beschränken. In der Theologie des Ostens dagegen war die Polarität zwischen der analog-ontischen und der mystisch-sakramentalen Definition des Seins von Anbeginn an ausgeschlossen; die Ontologie des Ostens ist vom Ursprung her existenzial, weil sie die Apophatik der Person als Ausgangspunkt und Grundlage hat, nicht aber die Apophatik des Wesens. „In der Uberlieferung der Ostkirche ist kein Raum für eine Theologie und noch viel weniger für eine Mystik des göttlichen Wesens . . . Wenn von Gott die Rede ist, handelt es sich für die Ostkirche immer um etwas Konkretes: um den „Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs, den Gott Jesu Christi", es handelt sich immer um die Trinität (der Personen) - Vater, Sohn und Heiligen Geist. Wenn dagegen in der Auffassung der Dreifaltigkeitslehre die gemeinsame Natur den ersten Platz einnimmt, ist es unausbleiblich, daß die religiöse Tatsache des dreieinigen Gottes zu einem gewissen Grade verdrängt wird zugunsten irgendeiner Philosophie des Wesens . . . Tatsächlich laufen im Rahmen der theoretischen Voraussetzungen des Westens alle rein theozentrischen Spekulationen Gefahr, das Wesen vor die Person zu stellen und einem Mystizismus des „göttlichen Urgrundes" zu verfallen (vgl. die Gottheit des Meister Eckhart), einer unpersönlichen Apophatik einer Gottheit als Nichts, die der Trinität vorausging. So kommen wir, einen paradoxen Kreis durchlaufend, durch das Christentum wieder zum neuplatonischen Mystizismus27. Die Unterscheidung zwischen der Apophatik der Person und der Apophatik des Wesens erschöpft sich nicht in einem theoretischen Unterschied, sondern vertritt und begründet zwei diametral entgegengesetzte geistige Haltungen, zwei Lebensweisen, schließlich auch zwei verschiedene Kulturen. Auf der einen Seite gründet sich das Leben auf die Wahrheit als Beziehung und existenziale Erfahrung; die Wahrheit wird als Leben verwirklicht und das Leben als Wahrheit gerechtfertigt. Auf der anderen Seite wird die Wahrheit verstandesmäßigen Definitionen gleichgestellt, sie wird objektiviert, der Nützlichkeit unterworfen; und Wahrheit als Nützlichkeit objektiviert das Leben selbst, setzt es um in technologische Hysterie, in Qual und Verfremdung des Menschen. 26 Vgl. E. Gilson, op. cit. S. 5 8 9 - 5 9 0 : II y a, dans le thomisme, un acte de la forme ellememe, et c'est l'exister . . . L'acte de l'essence n'est plus la forme, quo est du quod est, qu'elle est, mais l'existence. 27 V. Lossky, Die mystische Theologie der morgenländischen Kirche, Graz 1961, S. 73 ff.
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Aber die historischen und kulturellen Folgen, die sich aus den Unterschieden von O s t und West auf dem Gebiet der Ontologie ergeben, werden Gegenstand einer anderen Arbeit sein müssen 28 . Hier möchten wir lediglich an die Texte Heideggers erinnern (wohl dem letzten „Mystiker des Wesens" im Westen) 29 , mit der anschaulichen Darstellung der Ausweglosigkeit, die der Vorrang der Apophatik des Wesens hervorbringt. Der Fall Heidegger zeigte klar, wie die Apophatik des Wesens die Grenzen des Denkens definiert und respektiert und folglich auch die Grenzen der Metaphysik und des Unsagbaren, das Problem der ontischen Individualität jedoch bei seinem möglichen nihilistischen Inhalt beläßt; er offenbart das Nichts als gleichermaßen als Möglichkeit im Sein enthalten und verlegt die ontologische Frage in die Zwangsentscheidung zwischen dem Sein und dem Nichts: „Warum ist überhaupt Seiendes und nicht vielmehr Nichts?" 3 0 . Die Apophatik des Wesens zeigt sich bei Heidegger ebenso als Möglichkeit des ontologischen und theologischen Nihilismus wie auch die ontisch-noetische Definition des Wesens. Aber auf dieses Thema werden wir im folgenden Kapitel dieser Arbeit zurückkommen.
Die Katholizität der Person § 8 Die personale Andersheit als existenziale Verwirklichung der „Natur an sich " Die Katholizität der Person wird von ihrem ekstatischen Charakter bestimmt. In ihrer ekstatischen Relation, das heißt, ihrer Andersheit, unterscheidet sich die Person von der relationalen Anwesenheit der Seien28 In einer früheren Arbeit wurde, ebenfalls im Bereich der theoretischen Differenzierungen, der Versuch gemacht, aufgrund der Texte von Heidegger nachzuweisen, daß die scholastische theologische Tradition des Westens unweigerlich zur Erscheinung des heutigen „europäischen Nihilismus" führt. Vgl. Chr. Yannaras, Die Theologie der Abwesenheit und der Unkenntnis Gottes - mit Bezug auf die areopagitischen Schriften und Martin Heidegger, Athen 1967, in gr. Spr. 29 Vgl. die bezeichnenden Stellen aus seinen Schriften: „Sein erweist sich als ein höchst bestimmtes völlig Unbestimmtes" (Einführung in die Metaphysik, S. 59). - „Das Sein ist das Nächste. Doch die Nähe bleibt dem Menschen am weitesten" (Uber den Humanismus, S. 20). - „Die Unbestimmtheit dessen jedoch, wovor und worum wir uns ängstigen, ist kein bloßes Fehlen der Bestimmtheit, sondern die wesenhafte Unmöglichkeit der Bestimmbarkeit" (Was ist Metaphysik?, S. 32). - „Das Sein als das Geschick, das Wahrheit schickt, bleibt verborgen. Aber das Weltgeschick kündigt sich in der Dichtung an." (Über den Humanismus, S. 26). Vgl. auch die Charakteristik der Philosophie M. Heideggers in J. Hirschberger, op. cit. II, S.
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den, indem die Katholizität als Maß der Differenzierung angenommen wird. Der Begriff der Andersheit der Person beinhaltet die Seinsweise der menschlichen Existenz, die Daseinsweise „überhaupt"31; die relationale Anwesenheit der Seienden dagegen ist beschränkt auf den Grund (λόγος) ihrer Beziehung zu der Person, sie definiert sie als Phänomene, als im Rahmen der personalen Beziehung in Erscheinung getretene Individualitäten. Das Seiende, als relationale An-wesenheit, ist das Gesonderte, das Abgetrennte, die (in der Beziehung) in Erscheinung getretene Individualität; die Person, als Beziehungsmöglichkeit, das heißt, als Voraussetzung der Erscheinung des Seienden, ist das Ganze, das Umgreifende. Jede menschliche Person ist die Möglichkeit der umfassenden Kundgabe der Weise, in welcher das menschliche Dasein existiert und gleichzeitig die Voraussetzung der umfassenden Beziehung, in deren Rahmen das Seiende ins Licht kommt, das heißt, erscheint als das, was es ist. Mit der Definition der Katholizität der Person beantworten wir die Frage nach dem Wesen oder der Natur32 des Menschen. Wir sagten, daß die Person in ihrer ekstatischen Relation, das heißt, in ihrer Andersheit, die objektiven Eigenschaften und gemeinsamen Wesensmerkmale der Art übersteigt; folglich ist sie nicht von deren Natur bestimmt; im Gegenteil, die Person bestimmt ihre Natur oder ihr Wesen33; die Ek-stase der Person, die Verwirklichung der Andersheit, ist die Weise, in welcher der Mensch „überhaupt" existiert. Aber in diesem letzten Satz steckt ein grundsätzlicher logischer Widerspruch: wir sprechen von der „Verwirklichung der Andersheit", während wir gleichzeitig die Andersheit definieren als die Weise, in welcher der Mensch „überhaupt" existiert. Dieser gleichzeitige Bezug auf die Andersheit als Begriffsbestimmung und als dynamische Verwirklichung ist ein zentrales Thema, das im folgenden Kapitel weiter ausgeführt werden wird. Wir beschränken uns hier auf den Hinweis-Charakter dieses primär logischen Widerspruchs: er weist über die begrifflichen Definitionen hinaus, er unterstreicht die Andersheit als Begriff und zugleich als Abgrenzung eines existenzialen Ereignisses: der grundsätzliche Widerspruch bestätigt den existenzialen und nicht nur abstrakten Charakter sowohl der Andersheit der Person als auch der gemeinsamen Wesensmerkmale der Natur, von
6 4 8 : „Was bleibt, ist eine A r t Mystik und Romantik des Seins, bei der alles auf die Hinnahme ankommt." 30 Einführung in die Metaphysik, S. 1. 31 Ü b e r die Begriffe έν συνόλφ, έν γένει, γενικώς vgl. Arist., De interpretatione, 7, 17a, 38. - Leont. B „ Nest, et Eut. - P.G. 86, 1289 D - 1 2 9 2 A. 32 Die Begriffe φύση und ούσία sind zuerst gleichbedeutend, ebenso wie die Begriffe π ρ ό σ ω π ο und υ π ό σ τ α σ η . Vgl. hierzu Max., ep. 15 - P.G. 91, 459 Β und Leont. B., schol. 1 P . G . 86, 1193 A. 33 Thdr. Raith., praep. - Analecta Patristica (Orientalia Christiana Analecta), R o m 1938, S. 204, 10, 16; und Gr. Nyss., Eun. 1 - P.G. 45, 337 B.
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denen her sich die Andersheit definiert. Die Ekstase der Person, ihre Unterscheidung von den gemeinsamen Wesensmerkmalen der Natur, ist nicht nur verstandesmäßig zu begreifen, sie definiert nicht nur die Andersheit, sondern wird selbst definiert als existenziales Ereignis, nämlich als Realität, die nur dynamisch - als Möglichkeit - erkannt werden kann. Die personale Andersheit existiert als Begriff, verwirklicht sich aber auch dynamisch als existenziales Ereignis innerhalb der Grenzen der natürlichen Individualität. Das bedeutet, daß die objektiven Wesensmerkmale der Natur hier nicht einfach als theoretische und abstrakte Artmerkmale aufgefaßt werden, sondern auch als individuelle Eigenschaften der Existenz, als existenziale Merkmale der natürlichen Individualität. Die Person stellt in jedem Fall eine zunächst natürliche Individualität dar; die erste Annäherung an die Person verwirklicht sich, indem die natürliche Individualität zum Ausgangspunkt genommen wird, von dem aus sich die Andersheit definiert34. Folglich kann sich auch die erste Annäherung an die Natur vom Bereich der persönlichen Existenz ausgehend verwirklichen, und dann definiert die Natur nicht nur den gedachten Begriff des „Allgemeinen", sondern wird auch definiert als existenziale Realität im Rahmen des Ereignisses der Andersheit35. Die Person „subsistiert" die Ereignisse in der Natur36 - die „Akzidentien" der Natur sind „Modifikationen", „Widerfahrnisse" der Person37 - und gleichzeitig existiert die Person als Andersheit gegenüber der Natur und den „Akzidentien" der Natur. Die Überwindung der vorhandenen Eigenschaften - der „Akzidentien" der Natur - die Verwirklichung der Andersheit ist ein existenziales Ereignis, das in den existenzialen Grenzen der natürlichen Individualität verwirklicht wird - und folglich bezieht sich die Andersheit nicht nur auf die vorhandenen Seienden und auf andere Personen, sondern wird auch zuerst verwirklicht in Bezug auf die natürliche Individualität der persönlichen Existenz. Die dynamische Andersheit bestimmt hinsichtlich der individuellen Modifikationen, welche die „Akzidenzien" der Natur sind, den ekstatischen Charakter der personalen Existenz - Ek-stase bedeutet eine dynamische Selbstübersteigung. Die Ek-stase als Selbstübersteigung beinhaltet, das heißt, sie bestimmt die personale Andersheit und setzt sie zugleich voraus, denn sie „enthält" die gesamte Natur als existenziale Realität. Das bedeutet, daß die menschliche Person kein Ausschnitt oder Teil des menschlichen Seins, des menschlichen Wesens oder der menschlichen Natur ist, sondern 54 35
J o . D . , Jacob. 52 - P . G . 94, 1461 A. Leont. B., N e s t et Eut. 2,1 - P . G . 86, 1529 D .
56 Thdr. Raith., praep. - Analecta Patristica, S. 206, 5. - Vgl. auch Jo. D., dialect. 16 - P . G . 94, 581 B, kritische Ausg. Bonif. Kotter, Berlin 1969, S. 8 6 ; dialect. 43 - P . G . 94, 613 B , Ausg. Kotter, S. 109; dialect. 30 - P . G . 94, 593 A - 5 9 6 A, Ausg. Kotter, S. 9 4 - 9 5 . " Zur Gleichsetzung von „Akzidentien" und „Modifikationen" vgl. Arist., Metaphysica, 1088 a 17 und 989 b 3 ; De anima 402 a 7 - 9 ; auch Max., schol. d.n. - P . G . 4, 412 B C .
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deren Ek-sistenz38 - weil die Andersheit im Ereignis ihrer ekstatischen Selbstübersteigung die Natur beinhaltet; die Menschennatur existiert nur „in der Person von" 3 ', nur als ekstatische Andersheit in Bezug auf sich selbst, die Natur ist der Inhalt der Person. Weil die personale Andersheit die Daseinsweise der Natur bildet und jede Person die umfassende Andersheit bestimmt, „enthält" auch jede menschliche Person in ihrer ekstatischen Andersheit die gesamte Natur40, sie beinhaltet die Natur (im Bereich der personalen Ek-stase) - das heißt, jede menschliche Person ist die dynamische Zusammenfassung der ganzen Menschheit. Diese Rückführung auf die gesamte Menschheit mag zunächst ein begriffliches Schema sein - die Einheit aller menschlichen Personen ist zunächst eine spekulative Definition des „Ganzen" („was nämlich allgemein und vom Ganzen ausgesagt wird, als sei es ein Ganzes, das ist ein Ganzes in dem Sinne, daß es vieles insofern umfaßt, als es von jedem einzeln ausgesagt wird, und alle je einzeln genommen eins sind" (Aristoteles)41. Jedoch, der Ek-stase der Person als Zusammenfassung des Wesens oder der Natur im Ereignis ihrer Selbstübersteigung entspricht nicht die noetisch-bewußte (und folglich ontische), sondern die existenzial-ontologische Definition des „Ganzen". Es ist die „gesamte" Natur, welche im existenzialen Bereich der personalen Andersheit ek-sistiert, sowohl als Selbstübersteigung als auch als Beziehung zum Seienden - existenziale Voraussetzung für die umfassende Kundgabe des Seienden. Folglich verlangt die Katholizität der Person ein Verständnis des Wesens oder der Natur, das sich sehr unterscheidet von der abstrakten Rückführung auf die Gattung. Die Person in ihrer ekstatischen Andersheit bleibt ein Ereignis der Zusammenfassung der menschlichen Natur - des menschlichen Wesens definiert als Einheit - hier aber setzen die Zusammenfassung und die Definition die existenziale Erfahrung der Ekstase voraus, nämlich die ontologisch-existenziale und nicht die noetisch-ontische Deutung des Wesens oder der Natur42. 3» Gr. Nyss., Eun. 1 - P . G . 45, 405 B ; Leont. B., schol. 8 - P.G. 86, 1252 (1152) B C ; J o . D., dialect. 42 - P . G . 94, 613 A , Ausg. Kotier, S. 109.
' J o . D . , f. o. 3,6 - P . G . 94, 1001 D ; Leont. B., Nest, et Eut. - P . G . 86, 1280 A. Max., opusc. - P . G . 91, 2 0 0 D. 41 Metaphysica 1023 b 2 9 - 3 1 . - Heidegger, Was ist Metaphysik?, S. 11: „Allein die Metaphysik antwortet nirgends auf die Frage nach der Wahrheit des Seins, weil sie diese Frage nicht fragt. Sie fragt nicht, weil sie das Sein nur denkt, indem sie das Seiende als das Seiende vorstellt. Sie meint das Seiende im Ganzen und spricht vom Sein. Sie nennt das Sein und meint das Seiende als das Seiende." 3
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42 Der existenzial-ontologischen Deutung des Begriffes φύση, Natur, begegnen wir jedenfalls in den asketischen Schriften des orthodoxen Ostens. Die orthodoxe Askese gründet sich auf die Voraussetzungen und die Fähigkeiten der personalen Existenz zu dynamischer Selbstüberwindung der Natur. (Vgl. die Ausdrücke: νικήσαι την φύσιν, φύσεως ήττα, την έμήν ταύτην και ούκ έμήν, έχθράν φίλην σάρκα (Jo. Clim.); έξελθεϊν έκ του όρου της φύσεως, άγιασθήναι την φύσιν, δταν φθάση την άγάπην, ύπεραίρεται ύπέρ την φύσιν, άνακαινϊσαί τήν φύσιν (Isaak); την φύσιν άλλάξαι και μεταβαλεϊν, άλλαγηναι καϊ
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ξ 9 Die ontologische im Unterschied zur ontischen des Wesens oder der Natur
Deutung
Die ontische Deutung des Wesens seitens der traditionellen westlichen Metaphysik, die noetische Auffassung vom Sein als Seiendem „überhaupt", als begriffliche Definition der Einheit des Seienden (sedes ipsius esse in uno est, in uno semper sedet esse, sagt Meister Eckhart), führt in das Ereignis der Existenz die Verbindung von Abstraktem und Konkretem ein, als Beziehung des Wesens mit der Person43, das heißt, sie führt unausweichlich zur Auffassung der Person als einer ontischen „Monas", eines Teils, eines Anteils an der gesamten Natur und schließlich zur Auffassung der Person als Individuum (Thomas von Aquin erklärt die substantia als natura rei, per se esse)44. μεταβληθήναι εις έτέραν κατάστασιν και φύσιν (Makarios der Ägypter). Vgl. auch Chr. Yannaras, Die Metaphysik des Leibes, Athen 1971 (Ausg. „Δωδώνη") Kap. II und III, sowie Die Freiheit des Ethos, Athen 1970 (Ausg. „'Αθηνά") Kap. VIII: Die Unterscheidung der Askese von der praktischen Ethik. 45 M.-D. Chenu, La theologie au douzieme siecle, S. 302: „Les concepts de nature et de personne impliquent le rapport de l'abstrait (quo est) et du concret (quod est) dans les etres existants . . . Jeu philosophique de l'abstrait et du concret." 44 Summa theologica I, 29, 2 und De potentia IX, 1 und 2. - Vgl. hierzu auch Joh. Hirschberger, op. cit. I, S. 490-491 und Chenu. op cit. S. 303: „Das Wort res verliert seinen neutralen Sinn, um dank der Alliteration der technischen Formel, res naturae - natura rei die reale Bedeutung einer konkret existenten Sache zu bezeichnen, als Äquivalent zu hypostasis." Dieser Verlust des existenzialen Inhalts des Begriffes Hypostase, seine Auffassung als ontische Individualität, führte den Westen bereits vom 12. Jahrhundert an mächtig zur Objektivierung sämtlicher ontischer Kategorien auf dem Gebiete der Theologie. - Chenu bemerkt (im gleichen Buch auf S. 314): „Wenn sich auch von Anselm und Abälard an, als den großen Lehrern des 13. Jahrhunderts, die Durchdringung der Metaphysik fortsetzt (gemeint ist wohl das Durchdringen der Metaphysik zum Jenseitigen, im Gegensatz zu ihrer Begrenzung auf den Begriff der rationalen Analyse), ist es dennoch interessant, in dieser Durchdringung zwei recht verschiedene Bereiche zu unterscheiden, weil sie so klar werden. Der eine Bereich, dessen Wortführer Abälard ist, ist die Aktualisierung, in Begriffen der theologischen Synthese, der dialektischen Methoden, die, strenggenommen, profane Erkenntnisorgane sind und die dennoch benützt werden, weil ihnen der Wert zuerkannt wird, den sie im Raum des Sakralen selbst besitzen . . . Fortschreitend bildet sich eine andere Zone, wo es nicht mehr nur die syllogistisch-deduktiven Weisen sind, welche in das Studium des Gottesbegriffs eingeführt werden, sondern neue Objekte, die neuerlich bei der Erforschung der Welt und der Natur der Dinge bestätigt wurden. Es handelt sich nicht mehr nur um die Beziehung zu Gott mittels der Symbolik oder der Dialektik, um den Schöpfer der dinglichen Wirklichkeit, den sie mit ihrem Bezug auf das äußerste Ende zu ihrem eigentlichen Inhalt und ihrer irdischen Bedeutung machten; (sondern) es ist eine Erkenntnis, unabhängig vom Menschen und von der Welt, mit absoluter Gültigkeit auf dem Gebiet der profanen Erkenntnis, wie sie in Theorie und Praxis tatsächlich erreicht wurde, die heute in theologische Wissenschaft verwandelt wird. So bedienen sie sich seit langem des Unterschiedes von Form und Materie, um die Struktur der sakralen Mysterien zu analysieren . . . jetzt entdecken sie die metaphysische Wahrheit der Materie-Gestalt, begreifen den Menschen als Gestalt, versehen mit einer Materie, konstruieren eine grundlegende Sicht des Weltalls, definieren die Materie als Wesen (ούσία) der Dinge . . . Bei der Errichtung seiner fundamentalen Weisheit bemächtigt sich der Theologe der Objekte, 36
Dem entspricht umgekehrt bei der ekstatischen Auffassung der Person die ontologisch-existenziale Deutung der Natur oder des Wesens (wobei Ekstase das existenziale Ereignis der Andersheit als umfassende Beziehung bedeutet). Die Person ist die einzige Möglichkeit des „sich-Gegenüberbefindens" - gegenüber dem Seienden, aber auch der eigenen Natur - nicht nur grundsätzlich, als dem Bewußtsein zugeordnete Fähigkeit der objektiven Definition der realdimensionalen An-wesenheit des Seienden und als noetisches Verständnis der Natur „überhaupt", sondern als umfassende existenziale Beziehung, welche das Sein als Ereignis, das heißt, als Daseinsweise beinhaltet. In der Ontologie, welche der Person den Vorrang zuerkennt, „erkennen" wir das Sein als die Weise, in welcher das, was ist, existiert: die menschliche Natur als personale Ek-stase, das Wesen des Seienden als auf die Person bezogene An-wesenheit. Natur ist die erste Benennung des Seins45, der Logos des Seins46. Logos bedeutet hier, die Kundgabe, die Möglichkeit der Erkenntnis. Das Sein tritt in Erscheinung, das heißt, es wird wahrgenommen als Wesen oder Natur; Natur ist nicht die umfassende Erfassung des Seienden oder die noetische Definition des Seins als existenziales „Gesamt", sondern die existenziale Realität - das heißt, die Daseinswewe, welche das Sein erkennbar macht, die Möglichkeit der Verwirklichung des Logos des Seins. Wir sprechen von „Möglichkeit" nicht, um spekulativ anzunehmen, daß der Erscheinung ein angenommener „verborgener" Inhalt gegenüberstehe, sondern weil die Natur als existenziale Realität eine Erkenntnismöglichkeit, einen Erkenntnisinhalt darstellt: die Kundgabe des Seins setzt einen „Horizont" der Erscheinung voraus, der Logos des Seins setzt voraus, daß er aufgenommen wird, das heißt, er setzt Dia-log, Ek-stase, personale Relation voraus. Folglich wird die Frage nach dem Sein zusammengefaßt in der Definition einer ontologisch-existenzialen Realität, welche der Logos des Seins als Erkenntnismöglichkeit darstellt. Und solche Realität ist ausschließlich und allein das Wesen oder die Natur als Ereignis von Existenz, das heißt, als personale Ek-stase oder als An-wesenheit des Seienden bezogen auf die Person. Das bedeutet, daß das Wesen oder die Natur nur als Inhalt der Person die einzige Möglichkeit umfassender Kundgabe des Seins ist. Nur als existenziales Ereignis ist die Natur der Logos des Seins, nur als personale Ek-stase oder als An-wesenheit (des Seienden) relational zur Person. Jede Person ist die Möglichkeit umfassender Kundgabe des Logos des Seins. die ihm die rationalistischen Zweige der Wissenschaft liefern: die Wissenschaft vom Kosmos und seinen Gesetzen und die Wissenschaft vom Menschen und seinen Möglichkeiten." 45 Die Schriften „über die N a t u r " der Vorsokratiker enthalten das, was wir heute „Ontologie" nennen. - Vgl. auch J o . D. dialect. 31 - Ausg. Kotter, S. 94, 27. 44 Heraklit, Frg. 1 - Die Fragmente der Vorsokratiker, H . Diels-W. Kranz, Bd. 1, S. 150, wo die Ausdrücke κατά λόγον und κατά φΐισιν identisch sind. - Vgl. auch M. Heidegger, Einführung in die Metaphysik, S. 100: „Λόγος ist die ständige Sammlung, die in sich stehende Gesammeltheit des Seienden, d. h. das Sein. Deshalb bedeutet in Frg. 1 κατά τόν λόγον dasselbe wie κατά φύσιν. φύσις und Λόγος sind dasselbe."
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5 10 Der Vorrang der Person gegenüber der Natur oder dem Wesen. Das Problem des Wesens in der Ontologie Martin Heideggers Bisher haben wir vor allem auf zweierlei Weise versucht, das Wesen oder die Natur und die Beziehung, welche zwischen der Natur und der Person besteht, zu definieren und Zugang dazu zu finden. So beschrieben wir die Natur zuerst als existenziale Realität, die im Bereich der personalen Existenz (mit „Modifikationen" und „Akzidenzien") als Ereignis definiert wird und der „gegenüber" sich die Andersheit der Person verwirklicht. Zweitens definierten wir die Natur als den Logos des Seins und wiederum als existenziale Realität, welche die einzige Möglichkeit der Kundgabe oder des Erkennbarwerdens des Seins darstellt - als Realität personaler Ek-stase oder als auf die Person bezogene Anwesenheit des Seienden. Dieser Versuch einer ersten Definition der Beziehung zwischen der Natur oder dem Wesen und der Person setzt zwar die Person als einzige Möglichkeit des Zugangs zum Wesen oder zur Natur als ihrer Daseinsweise voraus, doch bedeutet das keine methodologische Bevorzugung der Person in Zusammenhang mit der Natur. Die Person geht der Natur nicht voraus als subjektives Definitionsprinzip der objektiven Katholizität, sie begründet keine grundsätzliche Bevorzugung des Subjekts, wie es die westliche Metaphysik seit Descartes wollte. Auch geht die Person der Natur nicht voraus in der Weise, wie Sartre es definiert - daß „l'existence precede l'essence"47. Die Person ist nicht nur ein Bewußtsein ihrer selbst, die sich selber definiert, bevor sie von irgendeinem umfassenden Begriff, das heißt, von einer umfassenden Natur oder einem umfassenden Wesen definiert werden könnte48. Der Vorrang des Subjekts (als Träger der Fähigkeit syllogistisch-deduktiv zu denken oder sittlicher und historischer Erfahrung) wie auch der Vorrang des existenziellen sich seiner selbst Bewußtseins (als Beziehung des Selbst mit sich selbst, wodurch das Selbst sich tatsächlich als sein eigenes Selbst erkennt), setzt die noetisch-ontische Auffassung des Begriffes des Wesens oder der Natur voraus, die noetisch-objektive Bestimmung des „Allgemeinen", selbst wenn diese Bestimmung der Existenz folgt und ihr nicht vorausgeht. Wenn die Beziehung des Wesens mit der Existenz zum Problem der Feststellung der Vorrangigkeit gemacht wird, ignoriert man dabei auf jeden Fall die Frage nach dem Sein als Frage nach der Existenz, als Überschreitung der Definitionen und Bezogenheit auf das Ereignis des Seins, zu der Weise, in welcher das, was ist, existiert. Heidegger zeigte, daß die Umkehrung des Hauptsatzes der Metaphysik, „daß das Wesen der Existenz vorausgeht", den Rahmen der Metaphysik nicht ver-
47 „L'existence precede l'essence." Jean-Paul Sartre, L'existentialisme est un humanisme, Paris (Ed. Nagel) 1962, S. 17 ff. 41 Sartre, op. cit. S. 2 1 : „II y a au moins un etre chez qui l'existence precede l'essence, un etre qui existe avant de pouvoir etre defini par aucun concept et cet etre c'est l'homme."
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läßt; auch die Umkehrung eines metaphysischen Prinzips bleibt ein metaphysisches Prinzip49. Die Wahrheit des Menschen (selbst wenn sie als Begriff der Existenz folgt und ihr nicht vorausgeht) wird, wie die Wahrheit jedes Seins, entleert im Zusammentreffen mit dem entsprechenden Begriff, der im Verstand enthalten ist. Die Gebundenheit an die mittelalterliche Objektivierung des Menschen als „animal rationale" wird nicht überwunden50. Und doch befinden wir uns, indem wir die Natur als Inhalt der Person definieren und die Person als die Existenz der Natur, bereits jenseits der von Heidegger festgestellten Uberwindung des Vorrangs des Wesens gegenüber der Existenz oder des existenziellen sich gegenüber dem Wesen seiner selbst Bewußt-Seins. Nach Heideggers Auffassung wird die Unterscheidung von Wesen und Existenz - wie sie in der Geistesgeschichte des Westens vorherrscht51 - aufgehoben durch die Auffassung des menschlichen Da-seins als ek-statisches Ereignis52. Ek-sistenz (nach der Schreibweise Heideggers) bedeutet hier das Auftauchen (Heidegger: das Hinausstehen) in die Wahrheit des Seins53, und die Wahrheit, die Un-verborgenheit (αλήθεια) des Seins, das heißt, die Möglichkeit des Seienden in dem, was ist, zu erscheinen, ist die Zeits\ Zeitlichkeit bedeutet, das Sein als Ereignis des Auftauchens in die Anwesenheit zu begreifen; ohne Zeit erscheint nichts als das, was es ist. Der Mensch ist das einzige Wesen, welches das Sein als Zeitlichkeit begreift, als Auftauchen in die Anwesenheit, und das bedeutet, daß der Mensch das einzige Wesen ist, welches ek-sistiert, welches „außerhalb" seines Seins sein kann, das heißt, sein Sein als An-wesenheit begreift, als zeitliches Da-sein55. Folglich unterscheidet sich die Ek-sistenz wesentlich von der Existenz (existentia), welcher Begriff im Westen allgemein gebräuchlich ist zur Unterscheidung der Realität von der essentia, nämlich der Möglichkeit56. Auch bei Sartre bedeutet existence die Realität des Seienden im Unter-
Über den Humanismus, S. 17. Βλ. Uber den Humanismus, S. 12 und 17; Einführung in die Metaphysik, S. 108. 51 „Die in ihrer Wesensherkunft verborgene Unterscheidung von essentia (Wesenheit) und existentia (Wirklichkeit) durchherrscht das Geschick der abendländischen und der gesamten europäisch bestimmten Geschichte." Über den Humanismus, S. 18. 49
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52 „Das ,Wesen' weder aus dem esse essentiae, noch aus dem esse existentiae, sondern aus dem Ek-statischen des Daseins bestimmt." Über den Humanismus, S. 16.
" „Ek-sistenz bedeutet inhaltlich Hinausstehen in die Wahrheit des Seins." Über den Humanismus, S. 16. 5* „. . . insofern die ,Zeit' als der Vorname für die Wahrheit des Seins genannt wird . . Was ist Metaphysik? S. 17. 55 „Als der Ek-sistierende steht der Mensch das Da-sein aus, indem er das Da als die Lichtung des Seins in ,die Sorge' nimmt." Ü b e r den Humanismus, S. 16. 56 „Ek-sistenz ist nicht identisch mit dem überlieferten Begriff der existentia, was Wirklichkeit bedeutet im Unterschied zu essentia als der Möglichkeit." Über den Humanismus, S. 15.
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schied zu der bloßen Möglichkeit der Idee"; Ek-sistenz dagegen definiert eine Aktivität, das Auftauchen des Seins in die Unverborgenheit, was wiederum nur als Zeitlichkeit faßbar ist. D e r Satz Heideggers, das „Wesen" des Menschen sei bedingt durch den ekstatischen Charakter seiner Existenz 58 , enthält jedenfalls die Trennung der Ontologie Heideggers von den ontisch-noetischen Kategorien der philosophischen Tradition des Westens. Aber Heideggers Deutung des „Wesens" ist trotz der Ablehnung der a priori noetischen Verdinglichung sehr weit entfernt von den ontologischen Begriffen des griechischen Ostens. Beiden gemeinsam ist eine Voraussetzung, nämlich die Ablehnung des Satzes, daß die Wahrheit des Wesens sich erschöpfe in der Ubereinstimmung der Erkenntnis mit ihrem Gegenstande (adaequatio rei et intellectus) - darum kann Heidegger für einen westlichen Denker eine sehr gute Vorbereitung sein, eine Einführung dazu, wie der griechische Osten das Wesen oder die Natur versteht. Seine überzeugend strenge Ablehnung „intellektueller Götzen" 5 9 nimmt dem westlichen Subjektivismus seine illusorische Sicherheit, wie sie das übliche Denken in objektiv-deduktiven Gedankengängen mit sich bringt. Der transzendenten Stützen der logischen Zwänge beraubt, welche sich auf die Fähigkeit des Subjekts gründen, logisch-deduktiv zu denken, oder auf seine a priori moralischen Urteile, offenbart die Ontologie das drohende Nichts der Ab-wesenheit als ontologische Voraussetzung zur Offenbarkeit der Phänomene, das Nichts als das verborgene Wesen allen Seins 60 . Der ek-statische Charakter der An-wesenheit des Menschen ist nach Heidegger beschränkt auf das Verständnis des Seins als Zeitlichkeit, das heißt, als An-wesenheit oder Ab-wesenheit, als mögliche Offenbarkeit oder Nichtheit des Seins. Dieses ek-statische „Verständnis" ist ein existenziales Ereignis, es wird bestimmt von dem existenzialen Bewußtsein des In-derWelt-Seins und verwirklicht als Angst gegenüber dem Sein als Nichts oder als Erscheinung 61 . Die Welt, das Seiende, die menschliche Anwesenheit
57 „Existence, meint dagegen actualitas, Wirklichkeit im Unterschied zur bloßen Möglichkeit als Idee." Uber den Humanismus, S. 16. 58 „Das ,Wesen' des Menschen beruht in seiner Ek-sistenz . . . ,der Mensch ek-sistiert' antwortet auf die Frage nach dem ,Wesen' des Menschen." Uber den Humanismus, S. 15 u. 16. - Vgl. auch Sein und Zeit, S. 42: „Das ,Wesen' des Daseins liegt in seiner Existenz."
Bas., Is. 96 - P.G. 30, 276 C. „Das Nichts gehört, auch wenn wir es nur im Sinne des völligen Nicht von Anwesendem meinen, ab-wesend zum Anwesen als eine von dessen Möglichkeiten. Wenn somit im Nihilismus das Nichts waltet und das Wesen des Nichts zum Sein gehört, das Sein jedoch das Geschick des Uberstiegs ist, dann zeigt sich als Wesensort des Nihilismus das Wesen der Metaphysik." M. Heidegger, Zur Seinsfrage, Frankfurt (Klostermann). 1956, S. 33 u. 38. Vgl. auch: Einführung in die Metaphysik, S. 62 u. 64. 59
60
" „Wenn sich demnach als das Wovor der Angst das Nichts, das heißt die Welt als solche herausstellt, dann besagt das: wovor die Angst sich ängstet, ist das In-der-Welt-sein selbst." Sein und Zeit, S. 187 und auch: Was ist Metaphysik? S. 33: „Mit der Grundstimmung der
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„schweben" - sie sind schwebende Phänomene inmitten der ontologischen Realität des Nichts. Schließlich beweist in der Ontologie Heideggers der ek-statische Charakter des menschlichen „Wesens" eine Fähigkeit „aufzutauchen" in die Erkenntnis des Nichts, in die Angst der existenzialen Auseinandersetzung mit dem Nichts 62 . Das Wesen ist nicht a priori noetisch-bewußte Bestimmung des Seienden, aber auch nicht das Sein des Seienden, der Logos des Seins; das Wesen ist der Ort sowohl des Seins als auch des Nichts", die Realität der Koexistenz beider64, die Offenbarkeit des „grundlosen Fundamentes" oder des „abgründigen Grundes" des Seienden und der Existenz. Die Uberwindung der Fähigkeit des Subjekts, syllogistisch-deduktiv zu denken, im Rahmen der Ontologie Heideggers, die Ablehnung der noetischen Gewißheit, welche die objektiv zwingenden Schlußfolgerungen bieten, bedeutet zweifellos eine radikale Änderung, einen Einschnitt in der historischen Entwicklung der ontologischen Problematik des Westens. Dennoch bleibt die Ontologie Heideggers eine typische Folge, ein typisches Ergebnis dieser historischen Entwicklung. Sowohl die noetische Bestätigung des Seins als auch die existenziale Angst der Erfahrung des Nichts vertreten eine gemeinsame Einstellung gegenüber dem ontologischen Problem, die davon bestimmt ist, daß das Ereignis der Beziehung weder verstanden noch erfahren wird, das heißt, daß die Person ontologisch keinen Vorrang hat65. Trotzdem sind viele der ontologischen Formulierungen Heideggers gerade heute besonders wertvoll im Hinblick darauf, daß wir wieder zum wahren Verständnis der ontologischen Kategorien des christlichen Ostens hinfinden, das heißt, daß wir uns von dem bei uns (im Bereich der westlichen Kultur) schon selbstverständlich gewordenen ontisch-noetischen Inhalt distanzieren, den das westliche Mittelalter den ursprünglich gemeinsamen Kategorien der christlichen Ontologie gab.
Angst haben wir das Geschehen des Daseins erreicht, in dem das Nichts offenbar ist und aus dem heraus es befragt w e r d e n m u ß . " " „Da-sein heißt: Hineingehaltenheit in das Nichts . . . In der hellen N a c h t des N i c h t s der Angst ersteht erst die ursprüngliche O f f e n h e i t des Seienden als eines solchen: daß es Seiendes ist - u n d nicht Nichts. Dieses von uns in der Rede dazugesagte ,und nicht N i c h t s ' ist aber keine nachgetragene Erklärung, sondern die vorgängige Ermöglichung der O f f e n b a r k e i t von Seiendem ü b e r h a u p t , das Wesen des ursprünglich nichtenden N i c h t s liegt in d e m : es bringt das Da-sein allererst vor das Seiende als ein solches." Was ist Metaphysik? S. 35 u. 34. 63 „Das N i c h t s gibt nicht erst den Gegenbegriff z u m Seienden her, sondern gehört ursprünglich z u m Wesen selbst. Im Sein des Seienden geschieht das N i c h t e n des Nichts." Was ist M e t a p h y s i k ? S. 35 u. 39: „Das N i c h t s bleibt nicht das unbestimmte Gegenüber f ü r das Seiende, sondern es enthüllt sich als zugehörig z u m Sein des Seienden." 64 „. . . beide gehören in Eins z u s a m m e n . " E i n f ü h r u n g in die Metaphysik, S. 62. 65 In den patristischen Schriften des o r t h o d o x e n Ostens wird die Beziehung immer erklärend in V e r b i n d u n g mit der H y p o s t a s e angeführt, bei Ath., dial. Trin. 1, 25 - P . G . 28, 1153 D ; G r . N a z . , or. 29, 16 - P.G. 36, 96 A ; G r . Nyss., E u n . 2 - P . G . 45, 473 B, Ausg. Jaeger, Bd. II, S. 319, 1 - 3 .
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§ 11 Die Wahrheit als
Beziehung
In bezug auf das Problem des Wesens oder des Seins und um die Überwindung der ontisch-noetischen Definitionen zu verdeutlichen, könnten wir hier die Ausdrucksweise Heideggers beibehalten und von der Offenbarkeit und dem Nichts sprechen, als den einzigen Weisen, in welchen wir das Sein in der Zeitlichkeit begreifen. Mit den ontologischen Voraussetzungen des christlichen Ostens müssen wir jedoch die Offenbarkeit als personale Beziehung und das Nichts als das Fehlen von Beziehung verstehen, und dann stellt nicht mehr die Zeitlichkeit, sondern die Beziehung die einzige Möglichkeit dar, das Sein als An-wesenheit zu begreifen - (im folgenden Kapitel werden wir sehen, wie auch die Zeitlichkeit in Zusammenhang steht mit der personalen Beziehung, als Maß der Beziehung). Das Sein oder das Nichts, die Un-verborgenheit oder die Verborgenheit des Seienden ist die Bezogenheit oder Nicht-Bezogenheit auf die Person, das Erscheinen oder das Verborgensein des Seinsgrundes (λόγος) als Inhalt der Person. Das Seiende ist, es existiert, nicht als noetisch bewußter oder a priori auf Erfahrung beruhender (stets objektiver) Befund - auch nicht als stillschweigende Identität mit seinem Sein, mit der Sammlung und Vereinigung seiner Wesensmerkmale (nämlich als Seiendes im eigentlichen Sinne), ebensowenig als „nicht Nichts", das heißt, als „Erscheinung" in der Zeitlichkeit, sondern nur als Bezogenheit zur Person, als An-wesenheit (παρ-ουσία). Im folgenden werden wir sehen, daß die Person selbst nur als An-wesenheit existiert, doch verwirklicht sich, im Falle der relationalen An-wesenheit der Person, die Bezogenheit zu einer anderen, nicht nur personalen, sondern auch „wesenhaften" Andersheit. Wenn wir jedoch hier darauf beharren, die An-wesenheit der Seienden als auf die Person bezogen zu verstehen, müssen wir diese zunächst als Erkenntnismöglichkeit definieren, nicht aber als objektive Notwendigkeit. Die Bezogenheit der Seienden auf die Person ist ihr Auftauchen aus der Verborgenheit der Nicht-Beziehung, die Wahrheit der Seienden ist das innere Vernunfthafte (der Logos) des Seins im Dia-log der personalen Beziehung. Die Seienden beinhalten nicht das Sein, das Sein ist nicht ihr Selbst, die Sammlung und Vereinigung ihrer Eigenschaften; aufgetaucht zum Ort der personalen Beziehung bezeugen die Seienden das Sein, sie sind auf das Sein bezogen als auf den Inhalt der Person. Folglich können wir die Existenz der Seienden nicht von der Weise unterscheiden, in welcher sie sind, was sie sind, das heißt, von der Bezogenheit auf die Person. Die Person steht mit dem Seienden in Beziehung gemäß dem Seinsplan (λόγος) der Seiendheit (της ουσίας) als Da-sein (παρ-ουσία), Person und Seiende bilden zusammen die ontologische, das heißt, die das Sein offenbarende Beziehung.
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§12
Die Seienden als
„Dinge"
Die Un-verborgenheit der Seienden, als Auftauchen zum Ort der personalen Beziehung, steht in Einklang mit der Definition der Seienden als „Dinge", als Bewirktes, Ergebnis eines persönlichen Aktes, vernunfthafter Ausdruck einer personalen Existenz66. Die Seienden als „Dinge" sind die Bestätigung der personalen Einzigkeit und Unähnlichkeit, das heißt, sie sind die Weise des Seins als Inhalt der Person, die Kundgabe des Wesens als personale Ekstase, sie offenbaren die „Daseinsweise" als personale Andersheit. Daher definieren sie eher eine Möglichkeit als eine Realität67. Unmittelbarer verstehen wir diese Aufspaltung der Möglichkeit in der erscheinenden Realität - den Charakter der Seienden als „Dinge" (das Auftauchen der Seienden in die personale Beziehung) - wenn es sich um Objekte im Bereich der Kunst handelt: das Bild eines Malers, zum Beispiel van Goghs, ist ursprünglich ein Gesamt aus neutralen Stoffen (Leinwand und Farben), das sich als solches, als gegenständliche Materie, objektivqualitativ nicht von irgendwelchen anderen Stoffen unterscheidet (von vielen anderen Stücken Leinwand bzw. Farben). Aber ein Bild von van Gogh ist gleichzeitig wesentlich unterschieden von der objektiven eigenständigen Beschaffenheit der Stoffe, die es bilden, es ist ein Ding, etwas persönlich Vollbrachtes und Geschaffenes, es bezeugt die Person von van Gogh, es ist van Gogh. Wenn wir das Unähnliche „erkannt" haben, das Einzigartige und Unwiederholbare der nicht beschreibbaren bildnerischen Ausdrucksweise von van Gogh und auf einen für uns neuen Ausdruck dieser bildnerischen Aussagen stoßen - wenn wir vor einem anderen seiner Bilder stehen - dann sagen wir: das ist van Gogh. Die Seienden als „Dinge", das heißt, aufgetaucht in die personale Beziehung, zeugen für die Person, was besagt, daß sie den Charakter der Unähnlichkeit, Einzigkeit und Unwiederholbarkeit der beiden Pole der Beziehung offenbaren: den des Aktes, dessen Folge die geschaffenen Dinge sind, wie auch den der vor-semantischen Erkenntnis, welche den Charakter der Seienden als „Dinge" erkennt. Danach bestätigt die Eigenart der Seienden, „Dinge" zu sein, die personale Andersheit als die alles umgreifende Daseinsweise des Wesens jedes Seienden: die Andersheit als unähnlichen, einzigartigen und unwiederholbaren Wesensgehalt eines persönlichen schöpferischen Aktes und als das persönliche Annehmen und Wahrnehmen dieses Wesensgehaltes. (Nur wenn die schöpferische Tat aufhört, persönlich zu sein - und das bedeutete, allein bei Einschaltung des unpersönlichen
66 M. Heidegger, Sein und Zeit, S. 6 8 : „Die Griechen hatten einen angemessenen Terminus für die ,Dinge': πράγματα, d. i. das, womit man es im besorgenden Umgang (πραξις) zu tun hat." 67 M. Heidegger, op. cit. S. 38: „Höher als die Wirklichkeit steht die Möglichkeit. Das Verständnis der Phänomenologie liegt einzig im Ergreifen ihrer als Möglichkeit."
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Faktors der Maschine - sind die hervorgebrachten Objekte neutralisiert zu typisierten gleichgestaltigen Formen und sind keine „Dinge" mehr, sondern „austauschbare Objekte" mit Nutzwert, nicht mehr Gegenstand von Beziehung. Daher stellt die Maschine, zumindest so, wie wir sie heute in der westlichen Technologie kennen, die radikalste Untergrabung der personalen Wahrheit des Menschen und der Welt dar, die Ablehnung des ontologischen Charakters der existenzialen Andersheit in dem Maße, in dem sie jene Einstellung des Menschen gegenüber der Welt materialisiert, die nicht die Beziehung im Auge hat, sondern die Unterwerfung der Welt unter unpersönliche individuelle Bedürfnisse und Wünsche.) Dennoch zeugen die „Dinge" als Ausdruck des persönlichen Aktes, welcher ihre Ursache ist, für die Person, ohne den Begriff der Person auszuschöpfen. Die von den „Dingen" bezeugte Person ist vorausgesetzt, ohne definiert zu werden - weder dem Wesen nach noch als real-dimensionale Anwesenheit - sie ist das Nächste und das Fernste68. Die Bezogenheit der Seienden auf die Person ist die Voraussetzung für ihre Un-verborgenheit, die Seienden existieren als zur Person relationale „Dinge", sie offenbaren als den Seinsgrund ihres Wesens eine auf die Person bezogene Anwesenheit. Aber indem die An-wesenheit der „Dinge" die Person bezeugt, gibt sie Aufschluß über die Person nur als Ab-wesenheit. Ein Bild von van Gogh ist die Bestätigung der Person van Gogh, jedoch die Bestätigung seiner realdimensionalen Abwesenheit. Ausgehend von den Seienden als „Dingen", erkennen wir die Person zunächst als Aufforderung zu einer Beziehung, welche über die Beschränkungen durch den Raum und die Zeit hinausgeht, wir erkennen auch den Charakter der Beziehung, die sich semantischobjektiv nicht festlegen läßt und die einzig und unwiederholbar ist. Doch die Wahrheit der Person erschöpft sich nicht nur in der Aufforderung zu ausschließlicher Beziehung mittels der „Dinge" als der Bestätigung ihrer Abwesenheit; die „Erkenntnis" der Person hat zur Voraussetzung die Verwirklichung der ausschließlichen Beziehung in unmittelbarer personaler Gemeinschaft, welche ein Ereignis gegenseitiger Ekstase ist, nämlich gegenseitiger liebender Hingabe. Diese ekstatische Gegenseitigkeit, das Ereignis „persönlicher" Erkenntnis der Person, ist der Eros. Ohne hier weiter diese Möglichkeit der „erotischen" Erkenntnis der menschlichen Person und der „Person" des Kosmos zu untersuchen, können wir, das oben Gesagte zusammenfassend, sagen, daß die personale Andersheit als umfassende Daseinsweise jedes Wesens der Welt die einzige Möglichkeit darstellt, sich dem Sein erkennend zu nähern. Wir erkennen das Sein nur als die Weise, in der das, was ist, existiert, und diese Weise ist die personale Andersheit als eine Aufforderung zu Beziehung und als "
M . Heidegger, op. cit. S. 3 1 1 : „Das Seiende, das wir je selbst sind, ist ontologisch das
Fernste."
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Verwirklichung von Beziehung. Die Unterscheidung der einzelnen Wesen aufgrund der gemeinsamen und gleichartigen Merkmale bildet zweifellos eine erste „Semantik" für den erkenntnismäßigen Zugang zur personalen Andersheit der Seienden; sie ist jedoch auch die existenzielle Möglichkeit einer konventionellen Objektivierung, einer Umwandlung der Wesen in begriffliche „Zeichen"; und diese Objektivierung verschließt den existenzialen Zugang zum Sein. Nur wenn das Wesen eines Seienden zunächst einfach als semantische Bestimmung seiner Andersheit aufgefaßt wird, bleibt das Problem des Seins als existenziale Möglichkeit offen. Und nur dann wird die Katholizität des Seins nicht entleert zur begrifflichen Erfassung des Ganzen, zur noetischen Definition der Einheit des Seienden, sondern wird gleichgesetzt mit der existenzialen Erfahrung der Umfassendheit der Person, mit der Möglichkeit, sich der personalen Andersheit der Seienden insgesamt „gegenüber zu befinden". Die Person beinhaltet die Möglichkeiten des Seins; nur als Inhalt der Person, nur im ekstatischen Elan der Beziehung, das heißt, in der liebenden Selbstüberwindung im Eros, kann das Sein „erkannt" werden. Aber die Person beinhaltet das Sein, ohne es jemals auszuschöpfen; das Sein als Inhalt der Person, als Ereignis umfassender ek-statischer Bezogenheit, wird begrenzt, ohne bestimmt zu werden - ebenso ist es das Nächste und das Fernste". Jede Person beinhaltet die Möglichkeiten des Seins, ohne dieses auszuschöpfen, weder als Katholizität der Kundgabe der relationalen An-wesenheit der Gegenstände noch als Ereignis ek-statischer Selbstüberwindung der Natur in der Liebesbeziehung. Jede Person beinhaltet die Katholizität des Seins als nicht zur Vollendung zu bringende existenziale Möglichkeit, nicht aber als nur das Bewußtsien angehende Kenntnis vom Allgemeinen, als noetische Definition der Einheit der Gattung. Um zu dem zurückzukehren, wovon wir ausgingen, müssen wir sagen: wir definieren die Natur oder das Wesen als die erste Benennung des Seins, als „Semantik" der Andersheit, das heißt, der Möglichkeiten der personalen Beziehung.
$ 13 Die Wahrheit des Seins als Erfahrung der Umfassendheit
der Person
Der Ubergang von der konventionellen Bezeichnung der Erscheinung der Phänomene zur Erkenntnis ihrer existenzialen Andersheit, wie auch der Übergang vom Begriff des Wesens als noetischem Allgemeinen zur existenzialen Erfahrung des Seins als Inhalt der Person kann ebenfalls nur als syllogistische Formulierung angenommen werden, nur als poetisch oder „mystisch" ausgedrückte Verstandesleistung; dennoch ist er die Definition " M . Heidegger, Ü b e r den Humanismus, S. 1 9 - 2 0 : „Das Sein ist weiter denn alles Seiende und ist gleichwohl dem Menschen näher als jedes Seiende . . . Das Sein ist das Nächste. D o c h die N ä h e bleibt dem Menschen am weitesten."
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einer erfahrbaren Möglichkeit, die „semantische" Grenze einer Erfahrung. Diese Möglichkeit und Erfahrung aber - die Uberwindung der abstrakten Formulierungen und der Zugang zum Bereich der existenzialen Wahrheit setzt auf jeden Fall das Ereignis personaler Beziehung voraus: die Begegnung des Menschen mit dem personhaften Wesensgehalt (λόγος) der „Dinge" in der Welt, nämlich das Eintreten des personhaften Gottes in die persönliche Erfahrung des Menschen. Die erscheinenden Seienden des kosmichen Gesamt, aufgetaucht in die personale Beziehung als „Dinge", sind bezogen auf das gesamte „Werk" der natürlichen Realität, das heißt, auf die „Schöpfung", auf das einheitliche Vernunfthafte einer Person, deren durch Akte Bewirktes die Seienden sind70. Der Ubergang vom Seienden zum Sein ist ein Ubergang von den „Dingen" zur Person und bezeichnet als existenziale Voraussetzung eine Möglichkeit, nicht aber eine noetische Gewißheit. Der Wesensgehalt der an-wesenden „Dinge", eine Bestätigung des personalen Aktes, der ihre Ursache ist, bezeugt die Person Gottes, ohne den Begriff der Göttlichen Person auszuschöpfen. So, wie das „ganze Haus" für denjenigen zeugt, von dem es gebaut ist71, verraten die Weisheit und Kunst des Bauwerks den Schönheitssinn und die Liebe, die Klugheit und Fähigkeit, das heißt, die „persönlichen" Eigenschaften des Künstlers und Schöpfers, ersetzen aber nicht die volle Kenntnis seiner Person, die nur in der unmittelbaren Gemeinschaft mit ihm gegeben ist - auf gleiche Weise zeugen die Seienden für den Schöpfer-Gott. Die Existenz des personhaften Gott-Logos erkennen wir zunächst, indem wir den Wesensgehalt der „Dinge" zum Ausgangspunkt nehmen, als Aufforderung zu einer Beziehung, welche die Grenzen von Raum und Zeit überschreitet und die sich semantisch-objektiver Bestimmung entzieht, da sie einzigartig und unwiederholbar, nämlich persönlich ist. Aber die „Erkenntnis" der Person des Logos mittels der Aufforderung durch den Wesensgehalt der „Dinge" setzt voraus, daß die ausschließliche Beziehung in der unmittelbaren personalen Gemeinschaft verwirklicht wird, und das ist ein Ereignis ekstatischer Gegenseitigkeit, nämlich das Ereignis gegenseitiger liebender Hingabe im Eros. Folglich stellt sich im Bereich der personalen Begegnung des Menschen mit dem personhaften Wesensgehalt der „Dinge" der Welt das Problem des Seins nicht mehr als Frage rationaler Forschung, kausaler Rückführung der Seienden auf das Sein oder auf ihre existenzielle Differenzierung; das Sein stellt nicht lediglich die causa prima des Seienden dar noch auch nur die Weise, in welcher das, was ist, erscheint, indem es auftaucht am Horizont 70 Man könnte anmerken, daß die moderne Physik, indem sie jede Form von Materie letztlich auf Formen von Energie zurückführt, den Charakter der Seienden als „Dinge" bestätigt; sie offenbart die ganze Schöpfung als vollbrachten Akt. 71 „. . . denn jedes Haus ist von jemand gebaut, und der das All gebaut hat, ist Gott." Hebr. 3,4.
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der Zeit. In der Beziehung zum personhaften Wesensgehalt der Welt ist die Wahrheit des Seins identisch mit der Erfahrung der Umfassendheit der Person, das heißt, mit der ekstatisch-erotischen Selbstüberwindung. Die Erkenntnis des Seins ist eine „ethische" Leistung der Verwirklichung erotischer Selbstüberwindung, sie ist der Zugang zu jenem Lebensbereich, der die Seienden als „Dinge" offenbart, die Materie als personale Energie, die Person Gottes und die menschliche Person als „jenseits" allen ontischen Wesens. Die erste Bewegung zur Verwirklichung dieser Erkenntnis offenbarenden Beziehung zwischen Mensch und Gott geschieht von Seiten Gottes. Die orthodoxe Theologie des christlichen Ostens nimmt Bezug auf die ekstatische Existenz Gottes, auf den Liebeswillen der göttlichen übersubstanziellen Wesenheit, sich hinzuschenken in eine personale Beziehung. „Er, die Ursache von allem", heißt es in den areopagitischen Schriften, „tritt im Übermaß der liebenden Güte aus sich heraus ... und entbrannte in Güte und Liebe. Und weil er über allem und von allem gelöst ist, kann er sich allem zugesellen, gemäß seiner überseinshaften ekstatischen Kraft, die aus ihm selbst kommt." 72 Die ekstatische „Bewegung" der göttlichen übersubstanziellen Wesenheit ist auch konstituierendes Element der Voraussetzung der menschlichen Person: „Denn der von Güte getriebene Eros erregte das Göttliche zur Vorsehung, zur Verbindung mit uns"73, schreibt der Heilige Maximos Confessor. Und die menschliche Person ist, gerade in der liebend-ekstatischen Hingabe ihrer selbst, das „Ebenbild", die Offenbarung Gottes. „Als Eros existierend, wird das Göttliche auch als Liebe bewegt, als Objekt der Liebe zieht es an sich alles, was für Eros und Liebe empfänglich ist. Um es noch deutlicher zu sagen: es werden erregt und zur Beziehung veranlaßt die, denen Eros und Liebe ins Herz gegeben sind, die fähig sind, sie zu empfangen; der göttliche Eros erregt aber, indem er durch seine Natur die von seinem Anruf Bewegten auf sich zieht."74 Wenn sich die Theologie der Kirche auf Gott bezieht, bezieht sie sich konkret auf den Gott der personalen Beziehung, auf den Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs, auf den Gott und Vater des Herrn Jesus Christus.
72 73 74
Dion. Ar., d. η. IV - P.G. 3, 712 AB. Dion. Ar., d. n. - P.G. 4, 261 B. Max., amb. - P.G. 91, 1260.
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Drittes Kapitel: Die Einheit der Person § 14 Einheitlichkeit
der Person - Voraussetzung der ekstatischen
Andersheit
Der ontologische Inhalt, den die griechischen patristischen Schriften dem Begriff der Person beilegten, bezeichnet auf jeden Fall eine einheitliche existenziale Realität; die Offenbarung des ontologischen Vorrangs der Person, ihre Erhebung zur grundlegenden existenzialen Wahrheit setzt ihre grundsätzliche Einheitlichkeit voraus. Die Person ist wesentlich eine Einheit: als vor-bewußte Möglichkeit sich dem Seienden „gegenüber" zu befinden, als einmalige existenziale Voraussetzung zur Kundgabe des inneren Vernunfthaften des Seins, aber auch in ihrer ekstatischen Andersheit gegenüber den gemeinsamen Wesensmerkmalen ist sie unvergleichlich einheitlich - „nichts ist einheitlicher als die Person"75. Wenn wir die Möglichkeiten des Seins als primär in der Dimension der Katholizität der Person zusammengefaßt erklären, beziehen wir uns auf eine einmalige Voraussetzung zur Offenbarung des Vernunfthaften des Seins, vor jeder „semantischen" Definition und vor einem einheitlichen - nicht zusammengesetzten - „Horizont" der Erscheinung. Die Einheit der Person ist die reale Voraussetzung für die vor-bewußte Bezogenheit und die ek-statische Andersheit, sie ist das existenziale Erfordernis und die ausreichende und notwendige Bedingung für den einmaligen, unähnlichen und unwiederholbaren Charakter der personalen Beziehung: sie ist tatsächlich die Voraussetzung zur Annäherung an die Daseinsweise überhaupt.
§ 15 Zweiheitlichkeit der Natur und Einheitlichkeit der personalen Existenz Der Versuch der philosophischen Anthropologie, die menschliche Existenz als zusammengesetzt - genau, als zweiheitlich zu definieren, unterscheidend zwischen Seele und Leib, Stoff und Geist, wurde von der christlichen Theologie ausschließlich mit Bezug auf die Natur des Menschen akzeptiert oder als Schema der Unterscheidung von Person und Natur. Die Formulierung des 4. Oekumenischen Konzils nimmt ausdrücklich Bezug auf die Zweiheit der menschlichen Natur. Das Konzil verkündete den fleischgewordenen Gott als „wahren Gott und wahren Menschen, mit Seele, Ver-
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Diesen Ausdruck gebraucht Leont. B. mit Bezug auf die Einung der göttlichen und der
menschlichen N a t u r in der Person Christi.
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nunft und Leib"76. Diese Lehre stützt sich ferner sowohl auf die Heilige Schrift77 als auch auf die Schriften der Väter, jedoch stets mit freier Anwendung und „Perichorese" der Begriffe Seele und Leib771, ohne die Unterscheidung je objektiv zu begrenzen und zu bestimmen und ohne sie gleichzusetzen mit der dualistischen und wertorientierten Antithese von Materie und Geist. Gewiß gibt es Aussprüche der Väter, die sich auf die beiden „Substanzen" der menschlichen Natur beziehen, die „unkörperliche Substanz der Seele" und die „vernunftlose Substanz des Leibes"78; aber die Seele vertritt nicht ausschließlich das „Geistige" und „Vernünftige" der menschlichen Natur, sie vertritt auch den Bereich des „Gefühls"79, sie ist „vermischt mit der stofflichen Natur durch die Empfindungen" 80 ; es gibt Väter, die von „körperlicher"81 oder „tierischer"82 Seele sprechen und andere, die Seelen„teile" unterscheiden, den „vernünftigen" vom „wunschhaften" und „verlangenden" Teil83; die Seele ist „himmlisch"84 und „göttlich"85, sie gehört „betrachtenden und denkenden Wesen an"86, doch gibt es auch einen Teil der Seele, der „leidenschaftlich und vernunftlos" ist87; dieser Teil hat „freien Willen"88, ist aber auch „materiell"89, von ihren Leidenschaften bewohnt" 90 . Bei der Vielzahl und Vielfalt der Ansichten und Aussprüche 76 I. Karmins, Dogmen und Symbole der Orthodoxen Kath. Kirche, Bd. I, Athen 1960 (2. Ausg.), S. 175, in gr. Spr. 77 Zur biblischen Deutung der Zweiheitlichkeit der menschlichen Natur und der Bedeutung der Begriffe σώμα - ψ υ χ ή - σαρξ - πνεύμα im AT und N T existiert eine umfangreiche Literatur, wovon hier nur auf folgende grundlegende und hilfreiche Titel verwiesen werden soll: Ernest de Witt Burton, Spirit, Soul, and Flesh, Chicago (Univ. Press) 1918; Daniel Lys, Nepesh, Histoire de l'äme dans la revelation d'Israel, Paris (P.U.F.) 1959; K. Galling, Das Bild vom Menschen in bibl. Sicht, Mainzer Universitäts-Reden 3, 1947; A. Gelin, L'homme selon la Bible, Paris (Cerf) 1968; Gerhard von Rad, Theologie des Alten Testaments, München (Kaiser) 1962, Bd. I, S. 166-167; Rudolf Bultmann, Theologie des Neuen Testaments, Tübingen (Mohr) 4. Aufl. 1961, S. 204 f.; Panag. Bratsiotis, Anthropologie des AT, I, Der Mensch als Gottesgeschöpf, Athen 1967, in gr. Spr.; Eusevios Vittis, Aspekte der johanneischen Anthropologie, Athen 1973, in gr. Spr. 771 Isaac, serm. - Ausg. Spanos, S. 317, in gr. Spr. 78 Chrys., in gen. serm. 14 § 5 - P.G. 53, 117. 79 Clem., str. 8,4 - P.G. 9, 573 Β und fr. 38 - P.G. 9, 769 C. 10 Gr. Nyss., hom. opif. 14 - P.G. 44, 176. 81 Clem., str. 7, 12 - P.G. 9, 509 C. 8! Didym., Trin. 54, 55, 59 - P.G. 39, 1079-1082. 83 Hesych. S., πρός Θεόδουλον 2,24 - P.G. 93, 1520 Α; auch Clem., paed. 3,1 - P.G. 8, 556 A. " Bas., Is. I, § 13 - P.G. 30, 140. 83 Gr. Nyss., hom. opif. 27 - P.G. 44, 228. 86 Bas., hom. 31 - P.G. 31, 1340 D. 87 Bas., hom. 3, 7 - P.G. 31, 213 C. 88 Cyr. H., catech. 4,21 - P.G. 33, 481 B. 89 Max., cap. theol. 1, 12 - P.G. 90, 1088 B. 90 Mac. Aeg., hom. 1 , 5 - Die 50 geistlichen Homilien des Makarios, Herausg. von Dörries, Klostermann, Kroeger, Berlin (de Gruyter) 1964, S. 6.
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der Väter erscheint die Verbindung von Stoff und Geist in der menschlichen Natur schließlich als das existenziale „Mysterium" des Menschen, als das Geheimnis der Vermischung, wovon jede einzelne Menschenperson Bewußtheit und Erfahrung besitzt91 und dank dessen die menschliche Natur zum Gefäß der unerschaffenen Gnade und des göttlichen Lebens werden kann. Das existenziale „Geheimnis" der menschlichen Doppelnatur berührt in keiner Weise die Einheitlichkeit des personalen menschlichen Daseins; wir könnten darauf verweisen, daß Gregor von Nyssa in einer Schlußfolgerung den Menschen definiert als „ein aus Seele und Leib gebildetes Seiendes"92. Und gleichzeitig könnte man, jede Definition vermeidend, diese Auffassung so formulieren, daß sich sowohl in der biblischen als auch in der patristischen Terminologie die Unterscheidung von Seele und Leib oftmals findet, um damit die ontologische Unterscheidung von Person und Natur zu verdeutlichen und zu erhellen. Die Seele (das hebräische nepesh des AT, Ergebnis des Atems, den Gott dem irdischen Menschen einblies93) ist nicht beschränkt auf einen Abschnitt oder Teil der menschlichen Existenz - auf das Geistige im Unterschied zum Stofflichen - sie stellt vielmehr das dem Menschen „Eigentümliche" dar (Ergebnis der verselbständigten schöpferischen Energie Gottes' 4 ), die Belebung und Begabung der irdischen Natur des Menschen mit den Möglichkeiten der Person95. Und das bedeutet, daß die Seele der gesamte Mensch ist, eine einheitliche, lebendige personhafte Hypostase 96 ; sie ist Personalität im eigentlichen Sinne, das, was wir hier mit Person des Menschen bezeichnen97, Abbild und „Herrlichkeit" des personhaften Gottes 98 . Und der Leib ist die Natur, die stoffliche Wirklichkeit, welche die kosmische Dimension des Menschen darstellt, die Teilhabe des Menschen an der stofflichen Natur der Welt, die Zusammenfassung der stofflichen Welt in der menschlichen Person99.
" Jo. Clim. - Ausg. (über Sophronios d. Eremiten) Konstantinopel, 1883, Kap. 15, § 83, S. 97. 92 Gr. Nyss., hom. opif. 29 - P.G. 44, 233. 93 Vgl. Gen. 2,7: „Da bildete Gott der Herr den Menschen aus dem Staub der Ackerscholle und blies in seine Nase den Odem des Lebens; so ward der Mensch zu einem lebendigen Wesen." 94 Gr. Palamas, Über den Hervorgang des Hl. Geistes, serm. 2, 8 - Ausg. Christos, Thessaloniki 1962, Bd. I, S. 85. 95 Gr. Palamas, op. cit., serm. 9, 85; auch Mac. Aeg., hom. 1, 7 - Ausg. Dörries, S. 9; Gr. Nyss., hom. opif. 6 - P.G. 44, 140. % Mac. Aeg., hom. 7, 8 - Ausg. Dörries, S. 76; Gr. Palamas, Hesych. 3, 2 - 22 - Ausg. Christos, Bd. I, S. 673. 97 S. 66: „Moses ex terra corpus esse docet. . . animum ratione praeditum coelitus a Deo in faciem inspiratum." Clem., ström. 5, 14 - P.G. 9, 140 A. 98 Gr. Nyss., mort. - P.G. 46, 509 C D und anim. et res. - P.G. 46, 52 A; Gr. Naz., hom. 38, 11 - P.G. 36, 321 D. 99 Gr. Nyss., or. catech. 6 - P.G. 45, 27 D - 28 Α und hom. opif. 27 - P.G. 44, 228. 50
Der Zusammenhang von Seele und Leib in der menschlichen Existenz ist mehr als das einander Durchdringen, die Perichorese zweier ontologischer Realitäten, es ist Vermischung und Zusammenbindung (ζεΰξις) zu einer Einheit, um einen Ausdruck des Hl. Johannes Klimakos zu gebrauchen 100 ; der Logos der Vermischung ist nach Gregor von Nyssa unsagbar und die Weise außerordentlich und unbegreiflich 101 . Innerhalb der stofflichen Schöpfung ist die irdische Natur des Menschen das einzige Werk Gottes mit welchem die „überirdische" Natur der Seele „verwachsen" ist, „jeder der Teile ist gleichwertig", Zeugnis von ihm zu geben in personaler Existenz, um dem Leibe das Bild des personhaften Gottes aufzuprägen, gleich dem „Abdruck eines Siegels". Und es ist gerade diese Vermischung von Seele und Leib, die „äußerste Einung", wie der Heilige Maximos es ausdrückte 102 , die das unaussprechliche Mysterium der gleichzeitig bestehenden existenzialen Identität und Andersheit des Menschen anzeigt, ohne es zu definieren. Die gleichzeitig bestehende existenziale Identität und Andersheit innerhalb der einen menschlichen Existenz, die „äußerste Einung", bestätigt sowohl das „Prinzip" der Einheit der Person als auch deren wesentliche und natürliche Zusammensetzung aus „Seele und Leib" - sie erhellt sowohl die ontologische Unterscheidung von Person und Natur als auch das existenziale Geheimnis der Zweiheit der menschlichen Natur. Und doch, wenn die Unterscheidungen von Seele und Leib, Person und Natur einander auch wechselseitig existenzial durchdringen, können sie dennoch nicht gleichgesetzt werden, ohne daß durch eine noetische O b j e k tivierung die tatsächliche geheimnisvolle Einheit aller „Ebenen" der menschlichen Existenz in der personalen Ekstase, die „hypostasierte Gemeinschaft" 1 0 3 der leiblichen und seelischen, personalen und körperlichen Merkmale aufgehoben wird.
§16 Die Unterscheidung von Seele und Leib als semantische Differenzierung der natürlichen Energie Die Ehrfurcht der griechischen Väter vor dem existenzialen Mysterium des zusammengesetzten Gebildes „Mensch", die sich in der Vermeidung jeglicher Definition und jeder Objektivierung der existenzialen Unterschiede ausdrückte, wurde von der späteren, sogenannten „systematischen" Theologie jedoch nicht gewahrt. Die Scholastiker brauchten begriffliche Erklä-
100 J o . Clim., Climax-Ausg. Konstantinopel 1883, Kap. 15, § 83 S. 97 und Kap. 26 b, § 54, S. 143; auch Chr. Yannaras, Die Metaphysik des Leibes, Athen (Ausg. „ D o d o n i " ) 1971, S. 65 ff. 101 102 1M
Gr. Nyss., hom. opif. 12 - P.G. 44, 160 und 15 - P.G. 44, 177. Max., opusc. - P . G . 91, 145 B. J o . D., nat. 6 - P . G . 95, 120 C und Max., opusc. - P . G . 91, 149 B.
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rungen und erschöpfende Definitionen; die überall sich verbreitende Objektivierung der Wahrheit104, welche die akademische Einstellung des Westens und ihrer Nachahmer im Osten der christlichen Theologie aufnötigte, führte unausweichlich auch zur Objektivierung des existenzialen Mysteriums der Synthese „Mensch", zur antithetisch-pragmatischen Unterscheidung von Seele und Leib, Stoff und Geist105. Diese Unterscheidung ist eine typische Folge der übernommenen Definition des Menschen als animal rationale, als primär biologisches Wesen, das darüber hinaus ausgestattet ist mit einer Seele oder mit Seele und Geist. Wir sahen oben106, daß diese Definition sich auf eine wertorientierte Metaphysik bezieht, nicht aber auf die Ontologie der existenzialen Erfahrung; sie setzt ontisch-noetische, nicht aber ontologisch-existenziale Kategorien voraus; die Frage nach dem Unterschied zwischen dem Seienden und dem Sein, von Natur und Person ist ihr fremd107. Auf der Grundlage der gegenständlichen Begriffe der scholastischen Anthropologie108 erhob die römisch-katholische Kirche auf dem Konzil von Vienne (1311-1312) die Lehre des Aristoteles zum Dogma, daß die Seele die Entelechie des Leibes sei'09. Es wäre Gegenstand einer besonderen Studie, aufzuzeigen, wie die Annahme dieses vergegenständlichten aristotelischen Hylemorphismus den Westen zwangsläufig zu einer äußerlichen und schematischen Auffassung des ethischen Lebens führte und schließlich zu dem richterlichen Moralis-
104 „. . . cette desexistentialisation intellectualiste . . ." Chenu, op. cit. S. 313. - Vgl. von dem gleichen Verf. La theologie comme science, S. 42: „Saint Thomas, lui faisant prevaloir la consideration de l'objet, s'engage ainsi dans une recherche qui d'une part menagera le concept authentique de science, et qui surtout l'amenera a accepter l'objectivation de la connaissance de foi dans la theologie." (Hervorhebung von mir.) Und auf S. 83: „La foi a pour objet la revelation (revelatum), tandis que la theologie a pour objet les conclusions que nous en pouvons tirer, le revele ,virtuel' (revelabile)." 105 „Maintenant . . . on decouvre la verite metaphysique de l'hylemorphisme, on considere l'homme comme une forme liee a une matiere . . . " Chenu, La theologie au douzieme siecle, S. 314. m S. 19. 107 Die Unterscheidung von Natur und Person ist auch in der neueren griechischen Anthropologie und Dogmatik völlig unbekannt. Chr. Androutsos (Dogmatik, Athen 1907, S. 129-164) und P. Trempelas (Dogmatik, Athen 1959, Bd. I, S. 456-568) sind typische Vertreter der Übertragung des westlichen Geistes der Objektivierung auf den Bereich der orthodoxen Theologie. 108 Thomas Aqu., Summa Theologica 1, 76, 1. l w De anima ut forma corporis, vgl. Denzinger, Enchiridion Symbolorum, 1950, S. 222-223, § 481 und Arist., De anima 412 a, 27 und 412 b, 5-9. - E. Gilson, La philosophie au moyen age, S. 627: „Le consile de Vienne venait de decreter (1311-1312) que la substance de l'ame raisonnable, ou intellective, est vraiment et par soi forme du corps humain." Das Konzil von Vienne, Frankreich, ist für die römischen Katholiken das 15. Oekumenische Konzil. Vgl. La foi catholique. Textes doctrinaux du Magistere de l'Eglise, übers, von Gervais Dumeige, Paris (Ed. de l'Orante) 1961, S. 161-162.
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mus der römisch-katholischen Kirche und zum Pietismus und Puritanismus der Protestanten110. Doch für die Theologen des griechischen Ostens können die Elemente der Synthese Mensch - Seele und Leib - nicht ontologischen Bestimmungen entsprechen. Nicht sie bestimmen die Seinsweise des Menschen, sondern sie werden bestimmt und wahrgenommen (immer relational oder auch konventionell) als unterschiedliche Ergebnisse der natürlichen Energie. Wir sprechen von körperlichen und seelischen oder geistigen Kundgebungen und bezeichnen damit objektiv (und folglich konventionell) das geoffenbarte Ergebnis der natürlichen Energie, nämlich der umfassenden ekstatischen Relation der zweiheitlichen Natur oder des zweiheitlichen Wesens. Die ekstatische Beziehung setzt voraus, beziehungsweise, sie „enthält" die zweiheitlich zusammengesetzte Natur als existenziale Realität, doch wirkt sie sich nur innerhalb der personalen Existenz aus: sie wird bestimmt von der personalen Andersheit oder definiert diese. Folglich hat die seelische oder körperliche Energie ontologischen Charakter, das heißt, sie stellt ein existenziales Ereignis dar nur als natürliche Energie „gegenüber" der personalen (oder, wie der Heilige Maximos 1 " es nannte, der „wählenden" Energie, der Energie der Erkenntnis) - im Gegensatz oder in Ubereinstimmung mit dem persönlichen Willen oder der persönlichen Energie. Mit anderen Worten, die Unterscheidung von Seele und Leib bezieht sich nicht auf die Seinsweise des Menschen (als Naturwesen und Person), sondern auf die semantische Differenzierung des Ergebnisses der natürlichen Energie. Die unmittelbare Erfahrung der Beziehung bestätigt den relationalen oder auch konventionellen Charakter der semantischen Differenzierungen der natürlichen Energie: Der Blick des Menschen, sein physiognomischer Ausdruck, die Gestik, die gegliederte Rede, die Bekundung von Liebe, sind körperliche oder seelische Äußerungen: die zeitgenössische Psychologie und besonders die Tiefenpsychologie wollte experimentell und empirisch nachweisen, daß es unmöglich wäre, die existenzialen Bereiche tatsächlich zu unterscheiden, daß es keine unvermischt körperlichen, seelischen oder geistigen Kundgebungen gäbe112. Aber auch die realistische Ontologie der 110 Zu einer ersten Annäherung an das Thema vgl. Chr. Yannaras, Die Metaphysik des Leibes, S. 87 Anm. 22 und S. 109 Anm. 28, S. 102 ff. - Zum gleichen Thema s. die bezeichnenden Anmerkungen über Thomas von Aquin bei Joh. Hirschberger, op. cit. Bd. I, S. 517, 518. Ohne ausdrücklich Bezug zu nehmen auf die Folgen des objektivierten aristotelischen Hylemorphismus, aber in deutlichem Gegensatz zur aristotelischen Auffassung der Seele, welche sich die römische Kirche zu eigen machte, bemerkte der Hl. Gr. Palamas: (Aristoteles) ψυχών των ημετέρων, τό γε εις αύτόν ήκον, άπεσύλησε τό άθάνατον. (ep. ad Barlaam et Akindynos - Ausg. Christos, Bd. I, S. 257.
opusc. - P.G. 91, 48 D. 192 C. 193 A. 45 C D . Ich verweise den Leser hierzu auf die Arbeit von Igor A. Caruso, Psychoanalyse und Synthese der Existenz (Herder) Wien 1952. Ich möchte hier auf die außerordentliche Bedeutung dieses Buches hinweisen. Es geht an die Grundprobleme der Psychoanalyse mit den 1,1
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Existenzialphilosophen, die gerade von der Interpretation der weltlichen Realität des Menschen ausgehen, von seinem Da-sein, bezieht den Leib auf das Wesen des Menschen und konstatiert den wesenhaften Unterschied zwischen dem Leib des Menschen und dem tierischen Organismus (Heidegger)'13 und definiert den Leib als unmittelbare Äußerung des Seelischen (Sartre)' 14 .
§ 17 Die Einheitlichkeit der Existenz als der „Ebenbildlichkeit"
Voraussetzung
Auf der semantisch-objektiven Unterscheidung der von der Existenz beinhalteten Anteile, das heißt, auf der Voraussetzung, daß der Mensch als animal rationale begriffen wird, beruht auch der Versuch der scholastischen Theologie, das „Bild" Gottes im Menschen dahingehend zu deuten, daß in den Elementen der „Ebenbildlichkeit" das objektivierte Ergebnis der natürlichen Energie zu sehen sei, nämlich die objektiven Merkmale der ontischen Individualität. Sie bezieht die Ebenbildlichkeit auf einen der beiden konventionellen Teile der ontischen Natur, auf den „Geist"-Verstand des Menschen" 5 . Existenziale Kategorien, die von den griechischen Vätern Kriterien der orthodoxen Theologie heran. Caruso schreibt, betreffs des einheitlichen Charakters der psychosomatischen Manifestationen: „Die Verabsolutierung der ,nestorianischen' Betrachtung führte dazu, daß das Eigentliche, Spezifische im Menschen sich bloß quantitativ von der Psychophysik des Tieres unterscheiden ließ. Demgegenüber sah die ,monophysitische' Betrachtung des Menschen das Eigentliche im Geist und in der Freiheit allein, unter Verdrängung seines unfreien Aspektes. Beide Betrachtungen waren in ihrer Einseitigkeit totalitär. Nicht die Psychophysik, aber auch nicht der Geist sind das eigentlich Menschliche. Eigentlich menschlich ist die Inkarnation des Geistes und die Vergeistigung des Fleisches. In der Anerkennung der intimen und unzertrennbaren Vereinigung des Geistes mit der Materie ist die Lösung des zentralen Problems der Anthropologie zu suchen." (S. 229) Die Neurose des Menschen hat einen Sinn, welcher die biologische, die psychophysische und die geistige Ebene durchdringt und auf allen diesen Ebenen zur Kenntnis genommen werden soll. (S. 87/88) 113 Uber den Humanismus, S. 14: „Der Leib des Menschen ist etwas wesentlich anderes als ein tierischer Organismus." 114 L'Etre et le Neant, Paris (Gallimard) 1943, S. 368. 115 Thomas Aqu., Summa theologica I, 93, 4, 5, 6, 7, 8. - Vgl. auch J.-H. Nicolas, Dieu connu comme inconnu, Paris (Ed. Desclee de Brouwer - Bibliotheque Fran$aise de Philosophie) 1966, S. 332 ff.: „C'est par son intellectualite que l'etre spirituel est ä l'image de Dieu Trinite . . . Si l'etre intelligent cree est ä l'image de Dieu, c'est done tres precisement ä ce point d'actualisation supreme de sa vie intellectuelle oü il lui est donne de communier ineffablement a l'intellection divine . . . (S. 339). - Une infinite de degres est possible entre la derniere des intelligences, l'äme humaine, et l'Intelligence infinie, identique a l'Etre premier, et qui est simultanement Esse et Intelligere." (S. 334) - Vergl. auch Chr. Androutsos, Dogmatik, S. 137: „Das Bild Gottes bezieht sich nicht deutlich auf den leiblichen Teil des Menschen . . . das göttliche Bild im Menschen gehört zu seinem geistigen Teil." (Hervorhebung von mir.) Auch P. N. Trempelas, Dogmatik, Bd. I, S. 487: „Die Ebenbildlichkeit bezieht sich auf das Immaterielle und Geistige im Menschen, nämlich auf die Seele . . . anders ausgedrückt, die
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gebraucht wurden, um den ontologischen Unterschied zwischen Person und Natur aufzuzeigen (die Katholizität der Person und ihre Einzigkeit), wie die „Vernunft" (λογικόν), die „freie Selbstbestimmung" (αύτεξούσιον) und die „Fähigkeit, über die Natur zu herrschen" (άρχι,κόν)116 werden von der Theologie der objektiven Kategorien als individuelle Eigenschaften117 der „geistigen Natur" des Menschen überhaupt gedeutet: die individuellen Merkmale werden auf eine analoge und vergleichende Deutung der „Ebenbildlichkeit" bezogen, die sich in der Phänomenologie der ontischen Individualität erschöpft und außerstande ist, die ontologische Realität des Unterschieds von Person und Natur, die „Daseinsweise" des Menschen zu deuten. Das Bild Gottes im Menschen setzt eine entsprechende Rückführung voraus118, nämlich eine syllogistisch-deduktive Anwendung ontischer Kategorien auf Gott und den Menschen; das Bild Gottes wird nicht auf das Sein des Menschen bezogen, auf die Seinsweise seiner Existenz; nicht existenzial und ontologisch ist der Mensch Ebenbild Gottes, das heißt, nicht als personhafte Einzigkeit und Unähnlichkeit, als „Daseinsweise", die dem Menschen die Liebesbeziehung und Gemeinschaft mit Gott erlaubt, das Gleichwerden dem göttlichen Urbild; vielmehr ist der Mensch Gott ebenbildlich auf analoge und anagogische Weise, mit der Bestimmung zum durchaus vernünftigen, sich selbst bestimmenden Wesen, welches fähig ist, die Natur zu beherrschen119. Im Gegensatz zur scholastischen Objektivierung sucht die Theologie des Ostens bei der Deutung des Bildes Gottes im Menschen das Mysterium der göttlichen Seinswe/se und seine Aufprägung auf das menschliche Dasein vor der Gefahr begrifflicher Schematisierung zu bewahren. Wie schon bei der Unterscheidung von Seele und Leib, lehnten die griechischen Väter auch in Ebenbildlichkeit entsteht aus der Vernunft, mit welcher der Schöpfer die geistige Natur des Menschen ausstattete und zu deren unerläßlicher Ergänzung die freie Selbstbestimmung, durch welche der Mensch zur moralischen Person erhoben wird." (Hervorhebung von mir.) 1,6 J o . D., volunt. 30 - P.G. 95, 168 B. 117 Hier aristotelisch aufgefaßt: De interpretatione 7, 17a, 39 und Metaphysica 1038 b 11. 118 „Si toutes les creatures ressemblent ä Dieu, c'est-ä-dire ä la Trinite, seules les creatures intellectuelles lui ressemblent en propre, car elles precedent de Lui selon une similitude qui se prend selon la perfection specifique (similitude speciei), bien qu'elle soit, evidemment, analogique: mais la ratio analogata, en cette analogie, est l'etre sous la forme oil il est caracteristique de l'Etre divin. C'est ce caractere analogique, impliquant la multiplicite et la hierarchie ä l'interieur de cette ressemblance, qu'exprime la formule: ä l'image de Dieu." (J.H. Nicolas, Dieu connu comme inconnue, S. 335). " ' Lossky schreibt hierzu (op. cit. S. 143, 144): „Das augustinische Denken ging aus vom Bild Gottes in uns und suchte von hier aus zu einem Begriff Gottes zu gelangen, indem es sich bemühte, in ihm das wiederzufinden, was sich in der nach seinem Bild geschaffenen Seele findet. Es wollte durch die Methode der psychologischen Analogie zur Gotteserkenntnis, zu einem theologischen Begriff von Gott gelangen. Ein Gregor von Nyssa hingegen wählte das zum Ausgangspunkt, was die Offenbarung uns über Gott sagt, um im Menschen das wiederzufinden, was in ihm dem göttlichen Urbild entspricht. Hier wird eine theologische Methode auf die Anthropologie, die Lehre vom Menschen, angewendet."
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der Deutung der „Ebenbildlichkeit" jede objektivistische wie auch jede dualistische oder monistische Deutung ab; sie weigerten sich, die existenziale Wahrheit einer a priori begrifflichen Bestimmung unterzuordnen. Sie beschränkten sich auf die semantische Darstellung des existenzialen Geheimnisses des Unterschieds zwischen Person und Natur und wahrten damit den Charakter der Einzigkeit der Person, den Vorrang der Person vor der Natur (die Fähigkeit der Person, ihre Natur zu bestimmen und nicht von ihr bestimmt zu werden - ihre Natur dem göttlichen Urbild dynamisch anzugleichen). Gewiß gab es Väter (hauptsächlich während der ersten Zeit der Kirche, das heißt, in einer geschichtlichen Umwelt, die noch von Idolatrie beherrscht war), die die Verbindung des Bildes Gottes mit dem Menschenleib verneinten, um die Wahrheit Gottes vor jeder körperhaften und vermenschlichenden Analogie zu schützen 120 . Es hat aber auch Väter gegeben, die mit Nachdruck die Offenbarung des Gottesbildes in der leibseelischen Ganzheit und Einheit des Menschen unterstrichen 121 . Öfter jedenfalls faßten die patristischen Deutungen die Wahrheit der „Gottesebenbildlichkeit" zusammen im trinitarischen Charakter der personalen Energien (νοΰς, λόγος, πνεύμα) 122 oder in dem „archikon", der Fähigkeit, die Natur zu beherrschen 123 oder der „freien Selbstbestimmung" 124 , welche vor allem die ontologische Differenzierung der Person gegenüber der Natur beinhalten.
§ 18 Die formspezifische Definition der Einheitlichkeit des Subjekts und die einheitliche Andersheit der Person Damit wird die Katholizität der Person wie auch ihre Einheit auf eine existenzial-reale und nicht auf eine noetisch-semantische Bestimmung bezogen. Das Begriffliche erschöpft sich stets in der ontischen Definition: sie definiert das Seiende als solches, seine Dinglichkeit und begriffsbestimmte Vielfalt - „das Sein als Seiendes und das dadurch Existierende als solches" 125 . Von „Seiendem" spricht man in mehreren Bedeutungen, aber 120 O r . , Cels. 6, 63 - P . G . 11, 1396 A. - C y r . , adv. anthropomorphites. - P . G . 76, 1068 A. - Gr. Nyss., hom. opif. - Ausg. Hörner, Leiden (Brill) 1972, S. 9. 121 Gr. Palamas, Prosopopoeia - P . G . 150, 1316; Capita physica, theologica, etc. 63 - P . G . 150, 1165 C D ; C y r . , J o . 9 - P . G . 74, 2 7 7 D ; Ireneos, haer. 5, 6, 1 - P . G . 7, 1137 A : „Anima autem et spiritus pars hominis esse possunt, homo autem nequaquam perfectus autem homo, commistio et adunitio est, animae assumentis Spiritum Patris, et admista ei carni, quae est plasmata secundum imaginem Dei."
Thdt., qu. in gen. 20 - P . G . 80, 108 A B ; Anast. S., serm. imag. - P . G . 89, 1148 B C . Gr. Nyss., hom. opif. - Ausg. Hörner, S. 16; Chrys., in gen. 9 b - P . G . 53, 78; Diod. Gen. 1, 2 6 - P . G . 33, 1564 C D . 124 Gr. Nyss., hom. opif. 16, 10 - P.G. 44, 184 B ; C y r . , J o . 9 - P . G . 74, 2 7 7 D. 125 Arist., Metaphysica 1003 a 21. 122 12J
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immer in Bezug auf eines und eine Natur126, „immer mit Bezug auf eine Quelle127" - die Semantik identifiziert das Seiende mit dem Sein des Seienden, sie bezieht sich auf das Sein als Seiendes und niemals auf den Unterschied zwischen beiden128. Und die reale Bestimmung entspricht der ontologischen: sie bezieht sich auf die Seinsweise des Seienden, auf den Unterschied zwischen dem Seienden und dem Sein - auf das Sein als Möglichkeit und Ereignis von Beziehung und auf das Seiende als den Ausdruck (λόγος) des Seins. Die Unterscheidung von ontischer und ontologischer Definition erklärt auch den Unterschied zwischen der objektiv-semantischen Deutung der Einheit des Seienden und der einheitlichen Andersheit der Person. Wenn wir die Einheit des Seienden in der Sprache der aristotelischen Ontologie definieren, das heißt, in Bezug auf die ontische Definition der Einheit, dann beziehen wir uns auf die υλη, die stoffliche Grundlage, auf den είδος, die Form und auf das „aus beiden Hervorgehende". („Unter Stoff verstehe ich zum Beispiel das Erz, unter Form die Struktur einer Idee und unter dem aus beidem Hervorgehenden, die Bildsäule, das konkrete Gesamt. ")'29. Das aristotelische „είδος" benennt die Einheitlichkeit des „konkreten Gesamt", soweit es den „spezifischen" Charakter des „Allgemeinen" in Erscheinung treten läßt, „das Allgemeine wird aber immer über eine Substanz ausgesagt (ύποκείμενον)"130. Der „spezifische" Charakter des „Allgemeinen", das aristotelische είδος, der die gegebene Vielfalt der Substanzen zur Einheit bringt in all ihren vielerlei „konkret gesamtheitlichen" Erscheinungen, ist bezogen auf das, was man „sehen" kann, das heißt, auf das, was der Verstand definieren kann; es ist folglich bezogen auf das Phänomen und die „Semantik" oder die Aussage (λόγος) des Phänomens131 - es wird entleert zur „Definition", zur Ubereinstimmung der Erkenntnis mit dem, was sie als „Allgemeines" erkennt: „denn die Definition ist Definition des Allgemeinen und der Form" 132 . So wird das „Dritte" „aus beiden"133 (aus Form und Materie) einheitlich definiert aufgrund des είδος, der Form, die ebenso aus dem Stoff hervorgeht wie auch „aus beidem"134: „die Teile sind zwar Teile des konkreten Gesamt, aber nicht auch der Form, auf die sich der
12
' Arist., Metaphysica 1003 a 33. Arist., Metaphysica 1003 b 5.
127
, 2 ' M. Heidegger, Uber den Humanismus, S. 12: „Die Metaphysik stellt zwar das Seiende in seinem Sein vor und denkt so das Sein des Seienden. Aber sie denkt nicht den Unterschied beider." 129 130 131 132 153 134
Arist., Metaphysica 1029 a 2 - 5 . Arist., Metaphysica 1038 b 16. Arist., Arist., Arist., Arist.,
De caelo A 3, 270 Metaphysica 1036 Metaphysica 1029 Metaphysica 1029
b 4. a 28. a 6. a 5-7.
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Begriff richtet"135, wobei der Logos den Sinn von Begriff hat („dasjenige,... dessen Begriff wir als Definition setzen")136. Folglich kann diese Definition der Einheit jeder „konkret gesamtheitlichen" Substanz mit Bezug auf den spezifischen Charakter des Ganzen nicht das existenziale Ereignis der einheitlichen menschlichen Existenz erklären, weil der Unterschied zwischen dem „Allgemeinen" und dem „Einzelnen" nur formspezifisch ist - es ist ein Unterschied der Erkenntnis und der Wahrnehmung137: „Das Allgemeine nämlich ist wertvoller für die Erkenntnis, das Einzelne für die Wahrnehmung, da die Erkenntnis auf das Allgemeine abzielt, die Wahrnehmung auf das Besondere". Die noetische und sinnenhaft wahrnehmende Auffassung des Seienden als „Allgemeines" und „Einzelnes" definiert einfach, das heißt, sie kennzeichnet die „gesamtheitliche" - zusammengesetzte und gleichzeitig einheitliche - Hypostase des menschlichen Subjekts: „Offenbar ist aber auch, daß die Seele die erste Wesenheit ist (oder Form), der Körper aber Stoff, der Mensch oder das Tier aber ist das daraus Hervorgehende im Sinne eines Allgemeinen."138 Somit berührt die Daseinsweise des menschlichen Subjekts als existenziale Einheit und Identität, als Tatsache, als Ausgangspunkt für jegliche Bestimmung von Identität und Andersheit gar nicht den Bereich der aristotelischen Metaphysik. Dort ist die Einheitlichkeit eine ideologischsemantische, nicht aber ontologisch-existenziale Kategorie, sie ergibt sich aus dem Unterschied von „gesamtheitlich" und „allgemein", sie bezieht sich auf den nicht-kategorialen Charakter des Substrates („Substrat aber ist dasjenige, über das das übrige ausgesagt wird, während es selbst über kein anderes ausgesagt wird")139. Das gleiche Substrat als etwas „Ganzes" genommen hat unterscheidbare Teile, während es „allgemein" genommen einheitlich und nicht geteilt ist: „Ebenso ist das Erz ein Teil der konkreten Bildsäule, aber kein Teil der nur im Sinne der Form verstandenen Bildsäule"140. Die formspezifisch-ontische Definition der Einheit des menschlichen Substrates läßt offensichtlich das existenziale Problem der einheitlichen ekstatischen Andersheit der Person unberührt.
§ 19 Die Unterscheidung von Natur und Energien in der einheitlichen Daseinsweise Was die Person betrifft, so bestätigt sich uns ihre Einheit nicht in einer noetisch-objektiven Definition, sondern in der umfassenden existenzialen 135
Arist., Metaphysica 1035 a 2 0 - 2 1 .
Arist, Metaphysica 1037 b 1 1 - 1 2 . Arist., Physica A 5, 189 a 5 - 8 ; Metaphysica 1018 b 3 2 - 3 3 . 13 ' Arist., Metaphysica 1037 a 5 - 7 . 136
137
13
' Arist., Metaphysica 1028 b 3 6 - 3 7 . Arist., Metaphysica 1035 a 6 - 7 .
1,0
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Erfahrung der Beziehung. Wir nennen Beziehung die Erfahrung eines vorbewußten Wissens, das immer einzigartig und unähnlich ist, wie auch die Erfahrung ek-statischer persönlicher Andersheit gegenüber der N a t u r . Gewiß können letztlich weder die vor-bewußte Beziehung mit dem personalen Wesensgehalt (λόγος) der „Dinge" noch die ekstatische Beziehung der Person zur N a t u r anders als begrifflich, mittels des Verstandes ausgedrückt werden, doch besteht ein sehr großer Unterschied zwischen der noetischen Definition, welche die Wahrheit zur begrifflichen Erfassung und formspezifischen Beschreibung entleert, und der symbolischen oder bildhaften Kennzeichnung allein des existenzialen Ereignisses, welches die Wahrheit erweist in der Möglichkeit umfassend erfahrbarer Teilhabe, d. h. in der „ethischen" Leistung. Die Erkenntnis der „umfassenden" Einheit der Elemente der Synthese Mensch berührt nicht das existenziale ontologische Problem der Daseinsweise der zweiheitlichen menschlichen N a t u r als einheitliche personale Existenz; die formspezifische Einheit verdeckt nicht die ontologische Realität der personalen Relation und der ekstatischen Andersheit, sie ignoriert die existenziale Verbindung von Person und N a t u r : die Person als relationale Zusammenfassung der Natur, die N a t u r als Inhalt der Person. Wenn wir die Person als relationale Zusammenfassung der N a t u r bezeichnen, verneinen wir sicherlich nicht den spezifischen Charakter der N a t u r oder des Wesens, nur deuten wir ihn ontologisch und nicht ontisch (als Erkenntnis-Möglichkeit, nicht aber als phänomenologische Realität). D e r spezifische Charakter der N a t u r ist, als existenziale Tatsache, das, was wir weiter oben im Bereich der personalen Andersheit das „geoffenbarte Ergebnis der natürlichen Energie" nannten 141 . Die ekstatische Kundgabe des Wesens oder der N a t u r als Verwirklichung von Beziehung zwischen Personen und als die Erfahrung einheitlichen und unähnlichen vor-bewußten Wissens offenbart gerade den spezifischen Charakter der N a t u r , sie bezeugt das Wesen als An-wesenheit. Folglich ist die „körperliche N a t u r " des Menschen nicht einfach die causa materialis der menschlichen Existenz, der Stoff, in der Bedeutung von Substrat, in seiner Beziehung zur Form 142 , sondern die natürliche Möglichkeit der Offenbarung der Andersheit der Person, der Verwirklichung der ekstatischen Kundgebung der N a t u r außerhalb der N a t u r , „geoffenbartes Ergebnis der Energien der N a t u r " im Bereich der personalen Andersheit. Damit befinden wir uns im Bereich einer weiteren ontologischen Unterscheidung, ähnlich der Unterscheidung von N a t u r und Person: wir unterscheiden die N a t u r oder das Wesen insgesamt von ihrem spezifischen Charakter, von dem geoffenbarten Ergebnis der natürlichen Energie in der 141
Vgl. S. 53. N . Avgelis, Die U b e r w i n d u n g der Physik bei Aristoteles, Philosophia. J a h r b u c h der K. Ε. E. Ph. (Akademie von Athen) 2, 1972, S. 293. 142
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personalen Andersheit; und endlich unterscheiden wir die Natur von der natürlichen Energie. Die Unterscheidung entspricht den Tatsachen, sie ist nicht nur begrifflich, denn wir können die Natur einzig in den geoffenbarten Energien erkennen, welche die Natur „spezifizieren", ohne mit ihr identisch zu sein. „Was als Feuer wirkt, strahlt und wärmt aus sich heraus und ist gewiß Feuer", sagte Gregor von Nyssa143, „darum ist die Identität der Natur durch die Identität der Wirkungen gegeben". Jedoch, wenn auch die Identität der verwirklichten Energien die Identität der Natur offenbart, ist die Natur dennoch nicht identisch mit den Energien, so wenig die Ursache identisch ist mit dem Ergebnis. Das Verursachte verkündet und „erhellt" die Ursachen, doch sind Ergebnisse und Ursache nicht dasselbe. „Denn es besteht keineswegs tatsächliche Gleichheit zwischen Ergebnis und Ursache; wenn die Ergebnisse einige Spuren der Ursache an sich tragen, bleibt diese dennoch getrennt von ihren Ergebnissen und übersteigt sie sogar prinzipiell aufgrund ihrer Natur. Um menschliche Bilder zu gebrauchen, bezeichnen wir unsere Freuden und Schmerzen als Ursachen von Genuß und Leiden, ohne daß sie als solche Genuß hätten oder Leiden empfänden, gleich wie das Feuer die Ursache der Wärme ist und der Verbrennung, ohne daß wir sagten, es verbrenne sich selbst oder es erwärme sich selbst. Was dem Ergebnis zugehört, ist vorzüglich und ausdrücklich vor allem Eigenschaft der Ursache."144 Damit befinden wir uns vor einer weiteren widersprüchlichen Koexistenz von Identität und Andersheit. Tatsächlich ist es unmöglich, die Natur von der Energie zu trennen, die Natur ohne die Energie oder die Energie ohne die Natur zu betrachten145, und gleichzeitig ist es unmöglich, die Natur gleichzusetzen mit der Energie der Natur146.
§ 20 Der syllogistisch-deduktive Zugang zur energetischen Ersten Ursache und die existenziale Erfahrung der personalen Hervorbringung der natürlichen Energien Aristoteles setzte die Energie gleich der Form, und diese phänomenologische Feststellung war vielleicht die für die Entwicklung der philosophischen Metaphysik bedenklichste. Er unterschied zwischen dem Vermögen nach Eun. 2 - P.G. 45, 564 B, Ausg. Jaeger, Bd. II, S. 402, 16-26. d. n. - P.G. 3, 645 CD. 145 Gr. Nyss., diff. ess. - F. Diekamp, Analecta Patristica (Orientalia Christiana Analecta 117) Rom 1938, S. 14.4; Bas., Doctrina Patrum de Incarnatione Verbi, 14, 9 - Ausg. F. Diekamp, Münster 1907, S. 88, 19 f.; Max., opusc. - P.G. 91, 200 C ; ambig. - P.G. 91, 1037 C ; Gr. Palamas, Hesych. III 1, 24 - Ausg. Christos, Bd. I, S. 637,6 und III 3, 6 S. 685,9. 144 Cyr., Thesaurus 18 - P.G. 75, 312 C ; Bas. Eun. 1 , 8 - P.G. 29, 528 Β und 2,32 - P.G. 29, 648 A. Ferner Gr. Palamas, capita physica, theologica etc. - P.G. 150, 1220 C. - περί θεοποιοϋ μεθέξεως 29 - Ausg. Christos, Bd. II, S. 162, 5. 143 144
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Seiendem, dem Stoff (dem Stofflichen, welches die Kraft und das Vermögen hat, etwas zu sein) und dem tatsächlich Seienden, der Form (der Daseinsweise des Seienden147). Damit das dem Vermögen nach Seiende verwirklicht werde, bedarf es der Bewegung; Bewegung ist der Ubergang von dem Vermögen nach Seiendem in tatsächlich Seiendes. Aber die Bewegung hat immer einen Ausgangspunkt oder Ursprung („... alles muß von einem Beweger bewegt werden")148, das dem Vermögen nach Seiende bedarf, um bewegt zu werden, etwas, das tatsächlich ist, sonst gibt es keine Bewegung: „... wenn ein Bewegen- oder Bewirken-Könnendes zwar existiert, aber nicht in Tätigkeit ist, dann braucht es keine Bewegung zu geben; denn es kann ja das, was nur die Möglichkeit dazu hat, auch nicht tätig sein"149. Thomas von Aquin führt ein konkretes Beispiel an: „Die WärmeEnergie Feuer läßt die nur der Möglichkeit nach seiende Holzwärme ebenfalls zur Wärme-Energie werden, solcherart aber bewegt sie auch alles andere ... bewegen bedeutet natürlich nichts anderes als etwas dem Vermögen nach Seiendes zu tatsächlichem Sein zu bringen. Aus der Möglichkeit kann es nur in die Wirklichkeit versetzt werden durch etwas, das bereits in der Wirklichkeit ist."'50 Es ist klar, daß die rückläufige Aufeinanderfolge von Bewegendem und Bewirktem unweigerlich zur metaphysischen Notwendigkeit des Ursprungs der Bewegung führt, zum ersten Beweger151. Der erste Beweger darf nicht nur das Vermögen der Bewegung haben, „denn er kann wohl das Vermögen haben, aber nichts bewirken". Folglich gewinnen wir nichts, wenn wir ewige Wesenheiten annehmen, wie es die platonischen Ideen sind, sofern in ihnen nicht ein Prinzip vorhanden ist, welches fähig ist, Umwandlung hervorzurufen und in der Folge Bewegung; („es ist uns also nicht geholfen, selbst wenn wir ewiges Sein annehmen, wie die Vertreter der Annahme der Ideen, wenn nicht ein Ursprung des Wechseln-könnens darin ist"152. Und damit die Quelle dieser Bewegung nur energetisch sei, weil der Übergang von dem Vermögen zur Verwirklichung für den ersten Beweger, den niemand in Bewegung setzte, ausgeschlossen ist, muß dessen 147
Metaphysica 1069 b 1 5 - 2 0 .
' Arist., Physica 2 5 6 a 14. 1W Metaphysica 1071 b 1 2 - 1 4 . - Vgl. auch N . Avgelis, op. cit. S. 300. 1S0 Summa Theologica I, 2, 3. ,S1 Summa Theologica I, 2, 3: „(Also muß alles, was in Bewegung ist, von einem anderen bewegt sein). Wenn demnach das, wovon etwas seine Bewegung erhält, selbst auch in Bewegung ist, so muß auch dieses wieder von einem anderen bewegt sein, und dieses andere wieder von einem anderen. Das kann aber unmöglich so ins Unendliche fortgehen, da wir dann kein erstes Bewegendes und infolgedessen überhaupt kein Bewegendes hätten. Denn die späteren Beweger bewegen ja nur in Kraft des ersten Bewegers, wie der Stock nur insoweit bewegen kann, als er bewegt ist von der Hand. Wir müssen also unbedingt zu einem ersten Bewegenden kommen, das von keinem bewegt ist. Dieses erste Bewegende aber meinen alle, wenn sie von ,Gott' sprechen." ,4
Arist., Metaphysica 1071 b 1 4 - 1 6 .
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Wesen reine Energie sein: „denn es muß ein solcher Ursprung sein, dessen Wesen Tätigkeit ist"153. Und weil die Bewegung der Übergang vom Vermögen in die Verwirklichung und dieser Ubergang für den ersten Beweger ausgeschlossen ist, ist das erste Bewegende, als reine Energie, selbst unbewegt'54. Zugleich wird offenbar, daß das erste Bewegende unstofflich und unkörperlich ist155, weil das erste Bewegende nur der Wirklichkeit nach Seiendes und keinesfalls dem Vermögen nach Seiendes sein kann, und weil das dem Vermögen nach Seiende Stoff ist155. Und da die Bewegung weder entsteht noch vergeht, sondern immer ist, zumindest als zeitlicher Wandel vom Früheren zum Späteren (,,άεί γαρ ήν"), und da es ohne den zeitlichen Ubergang keine Natur gibt, ist die Bewegung ewig, wie auch die Zeit ewig ist, und ist auch das erste Bewegende ewig156. Die aristotelische Deutung der Energie wird von Thomas von Aquin auf die christliche Theologie übertragen156'. Doch die syllogistische Rückführung auf das erste Bewegende, das - nach unserer Logik - dem Wesen nach ewige, reine und unstoffliche Energie sein muß, kennt überhaupt nicht die personhafte Seinsweise der Gottheit, wie sie sich im Ereignis der göttlichen Heilsgeschichte in der Erfahrung der Kirche offenbart. Die Problematik der Energien interessiert Thomas im objektiven Zusammenhang eines logischapodiktischen Verfahrens, welches das Mysterium der göttlichen Existenz zum syllogistisch zwingenden Begriff einer hervorbringenden und bewegenden Ursache der Schöpfung entleert. Darum ermangelt es der Summa Theologica auch jeder Bezugnahme auf den personhaften Gott der existenzialen Beziehung: hier ist Gott Gegenstand157 logischer Untersuchung, eine Arist., Metaphysica 1071 b 19-20. Arist., Metaphysica 1012 b 31; Physica 9, 6, 260 a 3 und De animalibus motione 698 a 9. ,5S Arist., Metaphysica 1071 b 20-21; Thomas Aqu., Summa Theologica I, 3, 1. 156 „Unmöglich kann die Bewegung entstehen oder vergehen; denn sie war immer. Ebensowenig die Zeit; denn das Früher und Später ist selbst nicht möglich, wenn es keine Zeit gibt. Die Bewegung ist also ebenso stetig wie die Zeit . . . Da nun aber dasjenige, was bewegt wird und bewegt, ein Mittleres ist, so muß es auch etwas geben, das ohne bewegt zu werden selbst bewegt, das ewig und Wesenheit und wirkliche Tätigkeit ist." Arist., Metaphysica 1071 b 6-10 und 1072 a 24-26. 1561 Diese Übertragung erfolgte im Rahmen der allgemeinen Unterordnung der Theologie unter die Wissenslehre des Aristoteles: „Par ['introduction de l'epistemologie aristotelicienne, s'etait constituee au XHIe siecle, dans une reflexion explicite, la theologie comme science. Saint Thomas d'Aquin etait le maitre de cette operation." M.-D. Chenu, La theologie comme science, S. 9. - Und auch S. 11: „Saint Thomas le premier a su - et ose - poser nettement le principe d'une integrale application du mecanisme et des precedes de la science au donne revele, constitutant par lä une discipline organique oü l'Ecriture, l'article de foi est non plus la matiere meme, le sujet de l'expose et de la recherche, comme dans la sacra doctrina du Xlle siecle, mais le principe, prealablement connu, ä partir duquel on travaille, et on travaille selon toutes les exigences et les lois de la demonstratio aristotelicienne." 157 Vgl. Summa Theologica I, 1, 7 und Chenu, La theologie comme science, S. 55: La foi qui a pour objet la Verite premiere . . . 15)
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abstrakte noetische Gewißheit, ein ontisches Wesen, das absolut energetisch ist, eine unpersönliche und existenzial unzugängliche Bewegungsursache. Im griechischen Osten hingegen stellt sich das Problem der Energien ausschließlich im Bereich der existenzialen Erfahrung. Die Erfahrung der Kirche ist die Gotteserkenntnis als Ereignis personaler Beziehung, und das Problem, das sich stellt, ist das „wie wir Gott erkennen können, denn er ist weder mit dem Verstand erkennbar noch mit dem Empfinden spürbar, und nichts, gar nichts ist ihm eigen, das den Wesen eignete"158. Die Gotteserkenntnis als Ereignis personaler Beziehung offenbart den Vorrang der Wahrheit der Person in der theologischen Erkenntnislehre; es steht uns nicht frei, die Realität der Person in einem unvermittelten intellektuellen Sprung von der Relation zum Wesen zu umgehen, „wenn die Wahrheit für uns in den Dingen besteht und nicht dem Namen nach" 15 '. Die Einheit der Person, ihr einheitlicher Charakter, beinhaltet die Daseinsweise und folglich auch jede Möglichkeit des Zugangs des existenzialen Inhalts der ontologischen Differenzierungen von Natur und Person, Natur und Energien. Wir erkennen das Wesen oder die Natur nur als Inhalt der Person, und diese einzige Möglichkeit, die Natur zu erkennen, bedeutet ihre ekstatische Zusammenfassung in der personalen Kundgabe, als Möglichkeit der Natur, „aus sich herauszustehen" (,,ιστασθοα έκτος εαυτής"), zugänglich zu werden und an sich teilhaben zu lassen, nicht begrifflich, sondern als Teilhabe an der personalen Einmaligkeit und Unähnlichkeit. Doch kann die Ek-stase der Natur nicht gleichgesetzt werden mit der Natur, weil diese Erfahrung der Beziehung eben Erfahrung der Nicht-Identität ist. Die Ekstase ist die Weise, in der die Natur im Rahmen der personalen Andersheit zugänglich und erkennbar wird, sie ist die Energie der Natur160, die weder mit ihrem Träger noch mit ihrem Ergebnis identisch ist: „Die Energie ist weder das Bewegende noch das Bewegte." 1 " Tatsächlich ist es nicht möglich, die Energie zu erkennen, außer durch das Bewirkende, aber auch das Bewirkende können wir nur mittels der natürlichen Energie erkennen, sowohl als personale Andersheit als auch als Natur oder Wesen. Der Wille, zum Beispiel, ist eine natürliche Energie, dennoch ist er uns nur zugänglich mittels seines persönlichen Trägers; wir sprechen vom Was des Willens nur, weil wir das Wie seiner personalen Hervorbringung kennen162. Das Was des Willens läßt uns die Natur erkennen, welche die Möglichkeit hat zu wollen, während das Wie des Willens die personale Andersheit seines Trägers offenbart163. Doch ist der Wille 151 159
Dion. Ar., d. n. 3 - P.G. 3, 869 C . Max., opusc. - P . G . 91, 32 B C . J o . D., f. o. 59 - Ausg. Kotter ( W . de Gruyter) 1973, S. 144. Bas., Anm. aus dem Werk des hl. Gr. Palamas, Capita physica et. - P.G. 150, 1220 C . Max., Pyrr. - P . G . 91, 292 D. Max., opusc. - P.G. 91, 25 A.
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weder gleich der Natur, welche die Möglichkeit hat, zu wollen, noch gleich der Person, die stets auf einmalige, unähnliche und unwiederholbare Weise will. Darum erkennen wir im Willen eine Energie der Natur, die ontologisch sowohl von der Natur als auch von der Person unterschieden ist. Wenn wir auch die Energie von der Natur und die Natur von der Person unterscheiden, beziehen wir uns doch auf keinerlei Synthese in der Natur selbst, das heißt, wir unterteilen sie nicht und spalten sie nicht auf in Personen und Energien: die Personen und die Energien sind weder „Teile" noch „Elemente" noch „Modifikationen" noch „Akzidentien" der Natur, sondern die Daseinsweise der Natur. Die personale Hervorbringung jeder Energie beinhaltet „ungeteilt" und „einheitlich" die gesamte natürliche Energie, so wie die Person die gesamte Natur beinhaltet; sie ist die Existenz der Natur. Das Wie der Willensenergie (oder der schöpferischen oder der liebenden oder sonst einer anderen Energie) beinhaltet das Was der natürlichen Willensenergie; das Vermögen der Natur zu wollen existiert und erklärt sich auch nur aus der Andersheit des personalen Willens. Die Musik, die Malerei, die bildende Kunst sind schöpferische Energien der Menschennatur, sie existieren aber nur als Kundgebungen der personalen Andersheit: als Musik von Mozart, Malerei von van Gogh, Skulpturen von Rodin usw. Und es gibt auch keine andere Weise der Kundgabe und Definition des Wesens oder der Natur außerhalb ihrer energetischen Ekstase im Bereich der personalen Andersheit. Die einzige Art, die Natur zu benennen, ist die personal offenbarte Energie der Natur; der Wesensgehalt der Energie „signalisiert" die Natur, er „zeigt die Natur an". „Das Wesen, ebenso wie die Energie, zieht auf sich dieselbe Bestimmung" 164 . So ist jede spezifische Kategorie des menschlichen Wesens oder der menschlichen Natur (Vernunft, Selbstbestimmung, Fähigkeit zu beherrschen) spätere Kennzeichnung des Wesens, objektive Bestimmung von Kundgebungen, die auf die Energien bezogen sind, das heißt, auf die gesamte Natur als Inhalt der Person. Aber auch „Gott hat die Beinamen von Energien, denn der Uberwesentliche ist namenlos"165. Das, was wir Gottes „Namen" nennen, übersteigt jede Möglichkeit menschlicher Erkenntnis, Bestimmung oder auch darauf bezogenen Vergleiches, darum „ist die göttliche Wesenheit auch „unfaßbar", „unbenennbar" und „über allem", über Gefühl, Phantasie, Lobpreis, Name, Vernunft oder Wissenschaft"166. Folglich beziehen sich die Namen, mit denen wir Gott benennen, nur auf die Energien, durch die uns die göttliche Natur zugänglich und erkennbar wird und durch die wir an ihr teilhaben können, wobei sie trotzdem „dem Wesen nach" unerreichbar, unerkennbar und nicht mittelbar bleibt. „Wenn 164 165 164
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Bas., ep. 189, 8 - P.G. 32, 696 Β und Max., opusc. - P.G. 91, 200 D. Gr. Palamas, Hesych. 3, 1, 31 - Ausg. Christos, Bd. I, S. 643, 15-17. Dion. Ar., d. n. 5 - P.G. 3, 593 AB.
wir das überwesentliche Geheimnis, zum Beispiel, Gott nennen, oder Leben, oder Wesenheit, Licht oder Vernunft, dann erfaßt unser Erkennen nur seine Kräfte, welche aus ihm hervordringen auf uns, uns zu vergöttlichen, uns wesenhaft zu machen, uns zu beleben und Weisheit zu schenken." 167 Die Gott eigene Göttlichkeit bekundet die göttliche Energie, nicht aber das göttliche Wesen: „Übrigens versichern die heiligen Väter einstimmig, daß wir keinen Namen finden können, der die Natur der unerschaffenen Trinität offenbarte, sondern daß die Namen sich auf die Energien beziehen. Und auch die „Gottheit", das „Göttliche" bezeichnet eine Energie, die Tatsache des sich-Bewegens, der Betrachtung oder des Brennens, oder sie bezeichnet die Vergöttlichung an sich. Was aber über jeden Namen hinausgeht, ist nicht identisch mit dem Benannten; also sind die Wesenheit und die Energie Gottes nicht identisch . . . und die Gottheit Gottes zeigt recht eigentlich die Tätigungsweise Gottes auf." 168
§ 21 Die der Natur homogenen und heterogenen Energien oder Tätigungsweisen Aber die Energien sind nicht ausschließlich und einzig die Weise, die Natur zu benennen und damit das Bewirkende mittels seiner Ergebnisse zu „bezeichnen". Die personal kundgegebene natürliche Energie vertritt jene Möglichkeit der erfahrbaren Erkenntnis, welche aus der persönlichen „Teilhabe" und der „Teilnahme" am Wesen oder der Natur herrührt, ohne daß die Teilnahme zugleich Identität mit der Natur bedeutet. Die areopagitischen Schriften benützen als Bild und Gleichnis für diese Teilhabe die menschliche Stimme, die ebenfalls, „obwohl eine, von vielen gehört und als eine gemeinsam aufgenommen wird" 169 . Wenn wir, dieses Bild eigenmächtig weiterführend, die Vernunft des Menschen als Wesen für sich betrachten, dann vertritt die Stimme die Wirkungsweise des Wesens der Vernunft, die Möglichkeit, daß wir teilhaben am Wesen der Vernunft, so wie die Stimme es erkennbar macht und an ihm teilzuhaben ermöglicht - so daß wir alle, insofern wir die gleiche Stimme vernehmen, teilhaben am gleichen Wesen der einen Vernunft, ohne
" 7 Ebenda - P.G. 3, 645 A. "·« Gr. Palamas, Hesych. 3, 2, 10 - Ausg. Christos, Bd. I S. 664, 23-665, 3. Wahrscheinlich ein Nachklang an den Kratylos von Piaton: „Die ersten Menschen, die Hellas bewohnten, scheinen für Götter allein das gehalten zu haben, was jetzt noch viele Barbaren dafür ansehen: Sonne, Mond, Erde, Sterne und Himmel. Weil sie nun alles dieses immer in rascher Bewegung und laufen sahen, haben sie von dieser Eigenschaft des Laufens, #εΐν, sie Läufer genannt, θεοί; obwohl sie dann später die übrigen kennenlernten, nennen sie doch alle schon mit diesem Namen." (397 c 8-d 6). - Vgl. auch Gr. Nyss., Eun. 2 - P.G. 45, 960, W. Jaeger, Gregorii Nysseni Opera I, S. 268. d. n. 9 - P.G. 3, 825 A; Max. schol. d. h. - P.G. 4, 332 CD. 65
daß solche Teilhabe auch Identität mit dem Wesen der Vernunft bedeutete, aber auch nicht Aufspaltung des Wesens in ebensoviele Teile, wie durch die Stimme Teilhabende sind. Personhaft kundgegeben, bleibt die Vernunft eins und ungeteilt, während sie zugleich „alle einheitlich an sich teilhaben läßt". Und wenn wir bei diesem schematischen Beispiel von Stimme und Vernunft bleiben, können wir eine weitere Feststellung treffen über die Möglichkeiten der Teilhabe am Wesen mittels der Energien oder Wirkungsweisen. Auf jeden Fall vertritt die Stimme eine Kundgabe der Wirkungsweise der Vernunft, die dem Wesen der Vernunft homogen ist und die unmittelbare Teilhabe an ihr ermöglicht. Es kann aber auch Kundgabe der Vernunft-Energie geben mittels Wesenheiten, die der Vernunft „heterogen" sind, - andere Wesenheiten können zu Vernunft werden, zum Beispiel die Schrift, die Farbe, die Noten oder der Marmor. Das Beispiel zeigt, daß wir von zwei Formen von Energie des gleichen Wesens oder der gleichen Natur sprechen können: von einer, die, wie wir sagten, der Natur des Bewirkenden „homogen" ist (weiter oben sprachen wir von der ekstatischen Hingabe der Natur in den Grenzen der personalen Andersheit) und von einer, die aus Wesenheiten in Erscheinung tritt, die der Natur des Bewirkenden „heterogen" sind, „welche die Dinge außerhalb ihrer selbst verwirklicht, und durch welche hindurch man auf die von ihm unterschiedenen anderen Wesenheiten wirken kann, indem man aus einer anderen Materie Dinge schafft, die von seiner Wesenheit verschieden sind"170. Auf Gott bezogen, bedeutet die „homogene" Energie die Erfahrung der Kirche hinsichtlich der göttlichen Gnade, welche unerschaffen ist (den Geschöpfen „heterogen", Gott aber „homogen") 17 ', und Gott „teilt sich durch sie allen mit"172 „auf einzigartige Weise"173, ungeteilt und unteilbar bleibend, dem Teilhabenden außerhalb der „wesenhaften Identität" schenkend, „was Er von Natur aus hat"17,1 und, nach einem Wort der Schrift (2. Petrus 1:4), den Menschen bezeugend als „der göttlichen Natur teilhaftig". Und die Kundgabe der Energie Gottes mittels Gott „heterogener" Energien deutet den Charakter der Seienden als von der göttlichen Energie geschaffenen „Dingen": der personhafte Wesensgehalt (λόγος) der „Dinge" (der Wesensgehalt an Kraft, Weisheit und Kunstfertigkeit) 175 , wenn auch jedem der Seienden im Bereich der unendlichen Vielfalt der Wesenheiten
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Max., ambig. - P.G. 91, 1265 D AB. Gr. Palamas, Contra Acindynum 3, 17 - Ausg. Christos, Bd. I S. 308, 2-14 und 23-26. 172 Max., ambig. - P.G. 91, 1076 C. und Gr. Palamas, περί θείων ενεργειών 28 - Ausg. Christos, Bd. II. S. 116, 24-28. 173 Dion. Ar., d. n. 9 - P.G. 3, 825 A. 174 Max., qu. Thal. 22 - P.G. 90, 320 Α und ambig. - P.G. 91, 1308 Β und 1237 AB. 175 Bas., Eun. 2, 32 - P.G. 29, 648 A. 171
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„eigentümlich", läßt die „einfache Ganzheit" der einen göttlichen Energie erkennen, bezeugt den ungeteilten und unteilbaren Gott176. Und auf den Menschen bezogen könnten wir sagen, daß die „homogene" Energie in seiner Fähigkeit zu lieben in Erscheinung tritt und in der erotisch-ekstatischen Hingabe, in der die existenziale Wahrheit des Menschen „erkennbar wird" und durch die er dieser "Wahrheit teilhaftig wird, des Mysteriums der Natur und der Person als einheitlicher Andersheit wenn der Mensch „zur Gänze im gesamten Objekt der Liebe aufgeht und von diesem mit gesamtem freien Willen übernommen wird" 1 ". Aber die „homogene" Energie erläutert auch die Realität des menschlichen Leibes in der einheitlichen Andersheit der Person - den Leib, als die personale Differenzierung der natürlichen Energien schlechthin178 und als Möglichkeit der Begegnung und Gemeinschaft der geschöpflichen Tätigungsweise (Energie) des Menschenwesens mit der unerschaffenen Energie der Gnade Gottes179. Soviel über die Kundgabe der Energie des Menschen aus ihm „heterogenen" Wesenheiten, es erläutert das Bewahren und Erscheinen der personalen Andersheit in der Vielfalt der „Werke" des Menschen180, in den Schöpfungen seiner Kunstfertigkeit, Gelehrsamkeit und Schaffenskraft. Grundlegend bleibt festzustellen und wird mit der Unterscheidung zwischen der „homogenen" Energie des Wesens oder der Natur und ihren „heterogenen" Kundgaben bestätigt, daß auch diese beiden Formen von Offenbarung der Energie die Natur oder das Wesen stets als „eines" offenbaren, immer als „einheitlichen" Inhalt der Person. Die personale Differenzierung der natürlichen Energien (die Einzigkeit und Unähnlichkeit jedes Ereignisses von Eros oder die Differenzierung des künstlerischen Ausdrucks - die Musik von Bach, die sich unterscheidet von der Musik Mozarts, oder die Malerei van Goghs zum Unterschied von der Malerei Goyas) differenziert die Natur, ohne sie zu zerteilen, sie offenbart die Daseinsweise der Natur, nämlich die personale Einheitlichkeit und Andersheit. Zu den Tätigungsweisen (Energien) oder Differenzierungen der Natur gehört all das, was die allgemeine Natur als Inhalt der Person offenbart und kundtut. 176 Max., ambig. - P . G . 91, 1257 Β : „Denn wer wäre wirklich imstande es auszudenken und auszusprechen, wie Gott in allen Dingen zusammengenommen ganz und in jedem Einzelnen besonders ist, teillos und nicht mit-veneilt, weder bunt vervielfältigt durch die unzähligen Verschiedenheiten der seienden Dinge, denen er als der Seiende einwohnt, weder zusammengezogen durch die sonderhafte Existenz der Einheit (des Einzeldings), noch selbst gemäß der einen einheitlichen Totalität aller Dinge die Verschiedenheiten der Wesen kontrahierend, vielmehr alles in allem in Wahrheit ist, ohne doch aus der eigenen teillosen Einfachheit herauszutreten?" (Nach H . - U . von Balthasar, Kosmische Liturgie, S. 79.) 177 Max., cap. theol. 5 - P . G . 90, 1377 A B ; siehe auch Nikolas Kabasilas, Über das Leben in Christo - P . G . 150, 644 D - 6 4 5 A . 17» Gr. Nyss., hom. opif. 6 - P.G. 44, 140; Gr. Palamas, Hesych. 2, 2 - 2 6 - Ausg. Christos I 533, 2 5 - 2 7 und Bas., ep. 233, 1 - P.G. 32, 864 D. 179 180
Gr. Nyss., or. catech. 6 - P.G. 45, 2 7 D - 2 8 A. Gr. Nyss., Eun. 1 - P.G. 45, 381 Β - Ausg. Jaeger, Bd. I, S. 149, 1 2 - 1 3 .
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§ 22 Die Folgen der Annahme oder Ablehnung der von Wesen und Energien
Unterscheidung
Im Rückblick auf die ersten Paragraphen dieses Kapitels können wir also sagen, daß wir mit der Unterscheidung von Natur und Energien den Grund legen für die Deutung des Ereignisses von Existenz, der Einheit der Person. Aufgrund dieser Unterscheidung können wir den menschlichen Leib definieren nicht als Teil oder Ausschnitt der personalen Existenz des Menschen, sondern als die im eigentlichen Sinne personale Differenzierung der Energien der „zweiheitlichen" - aus Stoff und Geist bestehenden - Natur des Menschen (welche „geschaffene" Energien der „geschaffenen" Natur sind181, im Gegensatz zu den unerschaffenen göttlichen Energien) und können den Leib deuten als unmittelbarsten Zugang und Erscheinung der Zusammenfassung der natürlichen Energien in den Grenzen der personalen Andersheit. Wie wir sahen, war es auch gerade diese Unterscheidung von Natur und Energien, worauf die orthodoxe griechische Theologie die Voraussetzungen gründete, daß der Mensch Gott zu erkennen vermag. Und man könnte sagen, der Zusammenhang zwischen der Deutung des menschlichen Leibes und seiner Bestimmung als Möglichkeit der Gotteserkenntnis bestehe nicht zufällig, da beides auf der gleichen ontologischen Voraussetzung beruht. Wenn der Mensch einen personhaften Gott zu erkennen vermag, muß das ebenso real sein wie die erfahrbare Realität der Zusammenfassung der natürlichen Energien in der personalen Andersheit des menschlichen Leibes. Das Verlagern der Gotteserkenntnis aus dem Bereich unmittelbarer persönlicher Offenbarung mittels der natürlichen Energien auf die Ebene verstandesmäßiger und syllogistisch-deduktiver Annäherung, die Beschränkung der Möglichkeiten der Gotteserkenntnis auf die der menschlichen Vernunft eigentümlichen Fähigkeiten182 entleert unausweichlich die Wahrheit Gottes zu abstrakten noetischen Schemata und zu kausaler Beweisführung'83, das heißt, es leugnet geradezu die Realität der personhaften göttlichen Existenz184. '»' Gr. Pal am as, Hesych. 3, 1, 31 - Ausg. Christos I, 643, 4 - 5 . 182 Thomas Aqu., Summa Theologica I, 12, 2. - Auch P. N . Trempelas, Dogmatik Bd. I, S. 139 in gr. Spr. 18J Thomas Aqu., Summa Theologica I, 12, 1 - Die gleiche Schlußfolgerung auch in der Summa contra gentiles 3, 5 1 : „Possibile sit substantiam Dei videri per intellectum." 1,4 „Zu diesem Gott (causa sui) kann der Mensch weder beten, noch kann er ihm opfern. V o r der causa sui kann der Mensch weder aus Scheu auf die Knie fallen, noch kann er vor diesem Gott musizieren und tanzen. Demgemäß ist das Gott-lose Denken, das den Gott der Philosophie, den Gott der causa sui preisgeben muß, dem göttlichen Gott vielleicht näher." M. Heidegger, Identität und Differenz, Pfullingen (Neske) 1957, S. 7 0 - 7 1 . - „Der letzte Schlag gegen Gott und gegen die übersinnliche W e l t . . . kommt gerade nicht von den Herumstehern, die nicht an Gott glauben, sondern von den Gläubigen und deren Theologen." M. Heidegger, Holzwege, Frankfurt (Klostermann) 1963, S. 2 3 9 - 2 4 0 .
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Es ist klar, daß sich das Problem der Erkenntnis Gottes, aber auch der Erkenntnis des Menschen und der Welt, an der Annahme oder Ablehnung der Unterscheidung des Wesens von den Energien entscheidet - wobei Erkenntnis einmal als unmittelbare personale Beziehung und existenziale Erfahrung verstanden ist oder, im zweiten Falle, als abstrakte rationale Annäherung. Die Annahme oder Ablehnung dieser Unterscheidung stellt zwei radikal verschiedene Betrachtungsweisen der Wahrheit dar, zwei voneinander abweichende „Ontologien", und das bedeutet nicht nur zwei verschiedene theoretische Aspekte und Deutungen, sondern zwei diametral entgegengesetzte Einstellungen dem Leben gegenüber, mit konkreten geistigen, geschichtlichen und kulturellen Folgen. Wird die Unterscheidung angenommen, dann bedeutet das die Wahrheit als personale Beziehung, nämlich als Erfahrung von Leben, und Erkenntnis als Teilhabe an der Wahrheit, nicht aber als ein Verstehen von Begriffen, die sich aus der noetischen Abstraktion ergeben. Die Annahme dieser Unterscheidung bedeutet folglich den Vorrang der Realität der Person vor jeder begrifflichen Bestimmung. Im unbegrenzten Bereich dieses Vorrangs wird Gott erkennbar und können wir seiner teilhaftig werden mittels seiner das Verstehen übersteigenden unerschaffenen Energien, die dem Wesen nach unerkennbar und nicht mittelbar bleiben; das heißt, Gott wird allein als personhafte Kundgabe erkannt, als trinitarische Gemeinschaft von Personen, als ekstatische sich hingebende erotische Güte. Und die Welt ist das Ergebnis der personalen Energien Gottes, geoffenbartes „Werk" der Logos-Person, für den Vater zeugend mittels der Gnade des Geistes, Substanz gewordener Aufruf Gottes zu Beziehung und Gemeinschaft, ein Aufruf, der personal und dennoch „anderswesentlich" substantiiert ist. Wird dagegen die Unterscheidung abgelehnt, dann bedeutet das den Ausschluß der umfassend-personalen Erfahrung und statt dessen den Vorrang des Verstandes als Erkenntnisweg, die Entleerung der Wahrheit zur Übereinstimmung der Erkenntnis mit ihrem Gegenstande, die Auffassung der Natur und der Person nach Definitionen, die sich aus der noetischen Abstraktion ergeben: die Personen haben den Charakter der Beziehungen des Wesens, die Beziehungen kennzeichnen nicht die Personen, sondern werden mit ihnen gleichgesetzt, um der logischen Notwendigkeit der Einfachheit des Wesens zu dienen. Letztlich wird Gott zugänglich nur als Wesen, das heißt, allein als Objekt verstandesmäßiger Erforschung, als notwendiger „erster Beweger", der selber „unbewegt" ist, nämlich „reine Energie" und dessen Existenz gleichgesetzt werden muß mit der Selbstverwirklichung seines Wesens. Und die Welt ist das vom „ersten Bewegenden" „Verursachte", wie auch die Gnade Gottes „verursacht" ist von dem göttlichen Wesen („übernatürlich" aber erschaffen). Die einzige Beziehung der Welt mit Gott ist die Verbindung der Ursache mit dem Ergebnis, diese „Verbindung" trennt Gott natürlich ab von der Welt - die Welt wird 69
verselbständigt und wird der intellektuellen Objektivierung und nützlichkeitsgebundener Zweckmäßigkeit unterworfen185. Das Problem der Unterscheidung von Wesen und Energien entschied endgültig und definitiv die Trennung des scholastischen Westens vom orthodoxen griechischen Osten. Der Westen leugnete den Unterschied, in dem Bestreben, die Einfachheit der göttlichen Wesenheit zu schützen, weil das Vernunftdenken die Antinomie der existenzialen Identität und Andersheit nicht akzeptieren kann, die Unterscheidung, welche keine Teilung zur Folge hat186. Nach westlicher Auffassung wird Gott allein seinem Wesen nach definiert; was nicht Wesen ist, gehört nicht zu Gott, ist Schöpfung Gottes. Folglich sind die Energien Gottes entweder identisch mit dem Wesen, als „reine Energie", oder jede ihrer äußeren Kundgebungen ist notwendig von anderer Wesenheit, das heißt, von der göttlichen Ursache erschaffenes Werk187. 1,5 Indem wir hier den Unterschied entwickeln, der zwischen der Annahme und der Ablehnung der Unterscheidung von Wesen und Energien besteht, wird vielleicht eine Schwäche oder auch Inkonsequenz deutlich, welche diese Arbeit fast durchweg kennzeichnet: wir sprechen vom Vorrang der personalen Beziehung und Erfahrung und vom Überwinden der begrifflichen Definitionen und benützen dennoch begriffliche, systematisch definierende Darstellungen. So könnte der Leser meinen, es handle sich nur um zwei verschiedene Denksysteme, nicht aber um zwei radikal gegensätzliche Lebensweisen oder Lebenseinstellungen. Gewiß kann der Gebrauch von Begriffen und deren systematische Darlegung „Semantik" des Lebens sein, es genügt, die Objektivierung der Wahrheit zu Begriffen ständig zu widerlegen; doch ist solches Widerlegen nicht einfach nur eine Art zu schreiben, es ist Funktion einer geistigen Reife, weil es die unmittelbar erfahrbare Teilhabe an der Wahrheit voraussetzt, welche dem geschriebenen Wort die Glaubhaftigkeit der erlebten Gewißheit verleiht. In den Texten der Kirchenväter kann der Leser nachforschen, und er wird diese persönliche Erfahrung ausgedrückt finden, welche der Sprache die Tiefe einer Ikone verleiht und die Möglichkeit existenzialer Teilhabe eröffnet. So zu schreiben scheint für uns Heutige unerreichbar. - Hier ist in einem allerersten Stadium der Versuch unternommen, aus der Auseinandersetzung mit den Ideen und Begriffen die Objektivierung der Wahrheit zu Begriffen zu überwinden. Darum bedarf es im folgenden einiger im wesentlichen vor-theologischer Erörterungen. 186 Thomas Aqu., Summa contra gentiles 11,9: „Die Aktualität Gottes ist sein Wesen" und 11,8: „Diese göttliche Kraft ist Gottes Wesen." Vgl. Barlaam von Kalabrien (Ausg. Christos, Bd. I S. 300, 24-301,3 κατά Μεσσαλιανών in den Συγγράμματα des heiligen Gregor Palamas): „Denn auch das verursachende, Teilnahme erlaubende und sichtbare Licht (der Energien Gottes) ist ungeschaffen . . . jedenfalls von der Gottheit ausgesagt, und die über alle Ursache und Teilnahme, Schau und alles Begreifen, alle Benennung und allen Ausdruck erhabene Natur Gottes - wie wird sie eine und nicht zwiefach sein, zwei ungeschaffene Gottheiten, . . .?" U n d der heilige Gregor Palamas antwortet: „"Εκθεσις δυσσεβημάτων" Ausg. Christos, Bd. II S. 579, 18-22): „ . . . in Unwissenheit, daß bei den ungeschaffenen Energien und dem Wesen diese Unterscheidung und gemäß dieser Verschiebung die Gottheit nicht gehindert wird, eine zu sein, ob nicht vielmehr dieses darauf hinzielt, daß ohne dieses es nicht möglich wäre, die zerstreuten Frommen in eine Gottheit zusammenzuführen." 187 Thomas Aqu., Summa Theologica I, 25, 1: „Die Tätigkeit Gottes ist nichts anderes als sein Vermögen, beides nämlich ist die göttliche Wesenheit, denn nicht einmal das Sein Gottes ist verschieden von seiner W e s e n h e i t . . . So bleibt auch in Gott die Eigenart des Vermögens gewahrt, sofern dieses Grund der Wirkung ist, nicht aber sofern es Grund der Tätigkeit ist, denn diese ist die göttliche Wesenheit."
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Das aber bedeutet letzten Endes, daß die Vergöttlichung des Menschen, daß seine Teilhabe am göttlichen Leben unmöglich ist188, sobald auch die von den Heiligen „strömende" Gnade erschaffen ist, wenn sie auch, nach der eigenmächtigen Definition der westlichen Theologen, bereits seit dem 9. Jahrhundert189 als „übernatürlich" eingestuft wird, eine Wertung, die überdies unerklärbar bleibt. Und es war gerade die Verteidigung des Ereignisses der Vergöttlichung des Menschen, der Teilhabe der „Hesychasten" am unerschaffenen Licht der Herrlichkeit Gottes, welche die orthodoxe Theologie des Ostens dahin führte, auf den Konzilien des 14. Jahrhunderts (1314, 1347, 1351 und 1368) die Unterscheidung von Wesen und Energien als den spezifizierenden Unterschied zwischen dem orthodoxen Osten und dem lateinischen Westen zu definieren und in dem wichtigsten Punkt, der Gotteserkenntnis, die Zusammenfassung der häretischen Neigungen der römischen Kirche zu sehen"0. In den folgenden Jahrhunderten wurde die Rechtfertigung der Theologen des Ostens historisch offenkundig an den tragischen Streitigkeiten der metaphysischen Ausweglosigkeit des Westens: Die Verlagerung der Gotteserkenntnis aus dem Bereich der unmittelbaren persönlichen Offenbarung durch die natürlichen Energien auf die Ebene intellektueller rationaler Schlußfolgerung hatte als unvermeidliches Ergebnis die scharfe antithetische Scheidung von Transzendent und Immanent, die „Verbannung" Gottes in einen der Erfahrung unzugänglichen Bereich, die Abtrennung der Religion vom Leben und ihre Beschränkung auf Symbole, die Überwältigung der natürlichen und historischen Wirklichkeit durch die Technik und ihre Unterwerfung unter den individuellen Wohlstand - mit dem Endergebnis des „Todes Gottes" in der westlichen metaphysischen Tradition und Vgl. die Formulierung der Enzyklika Mystici Corporis Christi von Papst Pius X I I . (in dem Buch: L a foi catholique. Textes doctrinaux du Magistere de l'Eglise, Paris, ed. de l'Orante, 1961, S. 3 6 4 ) : „ C e qu'il faut rejeter: tout mode d'union mystique par lequel les fideles, de quelque fa{on que ce soit, depasseraient l'ordre du cree et s'arrogeraient le divin au point que meme un seul des attributs du Dieu eternel puisse leurs etre attribue en propre." U n d dagegen der Standpunkt des Ostens, formuliert von Gr. Nyss., beat. 7 - P.G. 44, 1280 C D : „Seine eigene N a t u r übersteigt der Mensch, unsterblich aus Vergänglichem und aus Unbeständigem das Ewige, aus Vergänglichem Unvergängliches, und im ganzen ist ein Gott aus dem Menschen geworden . . . und gerade der, welcher der Natur nach G o t t ist, gewährt dem Menschen die Verwandtschaft mit ihm als Gnade, und das ist: er verspricht ihm in der Verwandtschaft die gleiche Ehrenstellung." M . - D . Chenu, op. cit. S. 294 Anm. - S. auch La foi catholique, S. 3 2 1 : „La grace est gratuite et surnaturelle", und dort auch die hierauf bezüglichen Anmerkungen in den dogmatischen Quellen der römisch-katholischen Kirche. - Ferner J . - H . Nicolas, op. cit. S. 2 1 8 f. - Charakteristisch die Stelle über die erschaffene Gnade bei Gr. Akindynos, welche der hl. Gr. Palamas anführt (προς Άθανάσιον Κυζίκου 33 - Ausg. Christos II 443, 2 0 - 2 5 in gr. Spr.). 1 , 0 S. die Arbeit von Stylianos G. Papadopoulos: Griechische Übersetzungen der Werke von Thomas von Aquin. Philothomisten und Antithomisten in Byzanz, Athen 1967, S. 20 und 137 in gr. Spr.
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der Erklärung des Nichts und des Absurden zu grundlegenden existenzialen Kategorien des Menschen im Westen.
§ 23 Die Unterscheidung von Natur und Energien - Voraussetzung zur Erkenntnis der einheitlichen personalen Andersheit Im vorhergehenden Kapitel sahen wir 1 ", daß sich die Möglichkeit, die Person im Rahmen der existenzialen Erfahrung zu erkennen, entweder auf eine Aufforderung zu ausschließlicher Beziehung mittels der „Dinge" bezieht - diese Aufforderung ist die Bestätigung der Person, aber die Bestätigung ihrer real-dimensionalen Abwesenheit - oder auf die unmittelbare Gemeinschaft von Personen, welche ein Ereignis ekstatischer Wechselbeziehung ist, nämlich gegenseitiger liebender Hingabe. Die Unterscheidung von Natur und Energie läßt diese Möglichkeiten besonders hinsichtlich der Gotteserkenntnis deutlich werden. Wir sahen, daß die Natur oder das Wesen als solches unerkennbar und unzugänglich bleibt - sie ist das Nächste und das Fernste. Nur mittels der natürlichen Energien wird die Daseinsweise des Wesens oder der Natur offenbar, und diese Weise ist die personale Andersheit. Im Bereich der erfahrbaren Realität offenbart sich die personale Andersheit entweder als die „konkrete" Bestätigung der realdimensionalen Abwesenheit oder als Verwirklichung erotischer Beziehung. Diese Möglichkeiten, die Person zu „erkennen", beziehen sich ebenso auf die Deutung des Seins des Menschen wie auf die Kundgabe des personhaften Gottes. Ein Kunstwerk zeugt von der Person seines Schöpfers, es ist die personhafte Kundgabe der schöpferischen Energie des Menschen, es läßt die Daseinsweise der menschlichen Natur als personale Andersheit erkennen; dennoch offenbart sich die Person des Schöpfers selbst nur als real-dimensionale Abwesenheit. Zugleich kann die Erfahrung der Person, welche in der erotischen Beziehung umfassender ekstatischer Gegenseitigkeit erlangt wird, objektiv nicht bestätigt werden, sie läßt sich nicht definieren oder in individuellen Kategorien beschreiben. Die sich in der ekstatisch-erotischen Beziehung offenbarende Daseinsweise der Person ist eine Gewißheit ursprünglicher, erkenntnishafter Art, die jedoch nur als Möglichkeit definiert werden kann. Diesen beiden in der empirischen Realität gegebenen Möglichkeiten die menschliche Person zu erkennen (der erotischen Gewißheit bei „tatsächlicher" Abwesenheit), entspricht die Grundeinstellung der orthodoxen Theologie gegenüber der Gotteserkenntnis: Gott wird „erkennbar" entweder mittels der „Dinge" der realen Welt als real-dimensionale Abwesenheit oder als erotische Gewißheit in einer wechselseitigen ekstatischen Beziehung. Und hier findet die Ek-stase ihren tiefsten Sinn, weil die Beziehung 1,1
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S. S. 44.
nicht nur im Bereich der personalen, sondern auch der natürlichen oder wesenhaften Andersheit verwirklicht wird. Als Gnade bezeichnen wir das Ereignis, daß Gott sich in erotischer ekstatischer Hingabe schenkt: unerkennbar und unzugänglich seinem Wesen nach - „weil er über allem ist und herausgenommen von allem" - offenbart er sich als liebende Hingabe gegenüber jeder menschlichen Person - Er, „der in alles herniedersteigt" im Uberströmen erotischer Güte - als Erwecker ausschließlicher personaler Beziehung. Gott tritt „aus sich heraus, gemäß seines überwesentlichen ekstatischen Vermögens, aus sich herauszutreten""2, er bewirkt „außerhalb" seiner Natur die unsagbare Möglichkeit personaler Beziehung, Gemeinschaft und Teilhabe. Deshalb übersteigt auch die Erkenntnis Gottes durch den Menschen jeden objektiven Erkenntniszugang, sie ist ein Ereignis von Erfahrung dynamischen Erkennens und Bejahens der erotischen Ekstase Gottes. Die Gotteserkenntnis hat mit dem Bereich objektiver menschlicher Forschung nichts zu tun, sondern ist innerste persönliche Offenbarung und Gewißheit, daß die Ekstase des göttlichen Eros ausschließlich auf ihn, den Menschen, gerichtet ist, daß er von Gott erkannt und geliebt ist und daß er darum nur entschieden auf diesen Anruf zu antworten braucht, um die Person seines Bräutigams und Geliebten zu „erkennen"; „Jetzt aber kennt ihr Gott, vielmehr seid ihr von Gott erkannt" (Gal. 4,9). Auf jeden Fall bleiben der Gotteserkenntnis im Bereich des Gegenständlichen als Ausgangspunkt des Suchens die Gegebenheiten der natürlichen Realität, die gegen-ständlichen Seienden, aufgetaucht in die personale Beziehung als „Dinge", „Werke" einer Schöpferperson - die Ergebnisse der Energien der unerkennbaren, unzugänglichen und unbegreiflichen göttlichen Wesenheit oder Natur, ihre äußeren Kundgebungen, welche die Seinswezse der Gottheit, ihren personhaften Charakter, der Erkenntnis zugänglich machen. Die Person des Schöpfergottes wird in der existenzialen Unmittelbarkeit personaler Beziehung, gleichzeitig aber auch als realdimensionale Abwesenheit bezeugt und erkannt durch die „Dinge". In der personalen Beziehung zwischen Mensch und Welt offenbaren die Seienden als „Dinge" die Existenz eines personhaften Gottes, den personalen Logos des Schöpfergottes, die Person Gottes als das Wort, auf jeden Fall aber die real-dimensionale Abwesenheit der Person. Außerhalb der wechselseitigen erotischen personalen Beziehung ist Gott die Abwesenheit. Die Theologie der kirchlichen Erfahrung könnte die Definition Sartres rechtfertigen, der die tragische Erfahrung der Gottsuche des westlichen Menschen nach dem „Tod Gottes", des Gottes der ontischen Kategorien, zusammenfaßt in den Ausspruch: „Gott ist die Abwesenheit"" 3 ; - gewiß, Gott ist die Abwesen1.2
D i o n . A r . , d. n. 4 - P . G . 3, 712 A B .
„. . . T u vois ce vide au-dessus de nos tetes? C'est Dieu. T u vois cette breche dans la porte? C ' e s t Dieu. T u vois ce trou dans la terre? C'est Dieu encore. Le silence, c'est Dieu, l'absence, c'est Dieu. . . ." Le Diable et le bon Dieu Χ , I X . 1.3
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heit, aber eine „persönliche" Abwesenheit, womit ein Ereignis erfahrener Gewißheit über die Existenz Gottes ausgedrückt wird. Abwesenheit zu erfahren, ist nur möglich in dem Bereich persönlicher Beziehung. Abwesenheit ist immer die Erfahrung, persönlicher Unmittelbarkeit beraubt zu sein, was die Realität oder die Möglichkeit der Beziehung voraussetzt. Dieser sinnfällig erfahrene Verlust unmittelbarer persönlicher Nähe, das Leiden an der persönlichen Abwesenheit Gottes, wird in den Texten Sartres zuweilen deutlich 194 , wie auch bei anderen typischen Vertretern des Westens in unserer Zeit, die sich weigern, der Wahrheit Gottes im Bereich des Denkens erschöpfend nachzugehen 195 . Zuweilen kann die Wahrnehmung der Abwesenheit einer Person auch die Unmittelbarkeit eines erotischen Ereignisses erlangen. Sartre schreibt: „ . . . als Hölle genügt es hundertmal, tausendmal nur zu existieren!" 196 Nur der Mangel an Eros, das Entbehren von Eros macht bereit, keinen Preis zu scheuen, um nur den Schmerz der Abwesenheit einzutauschen gegen die Bestätigung und Unmittelbarkeit der persönlichen Anwesenheit. Es kann keinen Zweifel geben, daß dieser Schmerz über den Verlust Gottes ein ursprüngliches Wissen und ein Erspüren seiner Person voraussetzt. „Wer Vernunft und Empfindung hat, vermöchte selbst die Hölle zu ertragen im Zustand der Betrachtung des Angesichts Gottes" 1 9 7 , schreibt der heilige Johannes Chrysostomos. Die Erfahrung der Kirche spricht in solchem Falle von dem „göttlichen E r o s " , der sich zeigt in der „Trauer" der Mönche über die Abwesenheit der Person Gottes. „Die G o t t wohlgefällige Trauer ist die Traurigkeit der Seele, ihr Kummer und ihr leidenschaftlicher Durst, den Geliebten zu suchen: das leidenschaftliche und leidvolle Suchen nach dem nicht Erscheinenden, der angerufen wird mit dem Schrei, der aus tiefstem Herzen kommt" 1 ' 8 , sagt Johannes Klimakos. Und der heilige Symeon, der neue Theologe, ruft an „die unbegreifliche Person, das verborgene Mysterium", sich zu offenbaren in unmittelbarer Anwesenheit: „ . . . Komm, D u Unsichtbarer und Unberührbarer und niemals Faßbarer . . . ersehnter und gerühmter Name . . . Wirklichkeit gewordenes Sehnen in
1 . 4 „Je marche dans ta nuit: donne-moi la main. Dis: La nuit, c'est toi, hein? L a nuit, l'absence dechirante de tout! C a r tu es celui qui est present dans l'universelle absence, celui qu' on entend quand tout est silence, celui qu'on voit quand on ne voit plus rien . . Le Diable et le bon Dieu V I I I - I X , II. 1 . 5 „Ist es also so schmerzhaft unmöglich, Gott mit den Sinnen zu fassen? W a r u m verbirgt er sich in einem Nebel von halben Versprechen und unsichtbaren Wundern . . . Wissen will ich, nicht glauben, keine Vermutungen. Wissen. Ich will, daß Gott mir seine Hand hinstreckt, daß er sich mir offenbart und mit mir r e d e t . . Ingmar Bergmann, Das siebte Siegel. 1 % L e Diable et le bon Dieu Χ , IV; Chr. Yannaras, Die Theologie der Hölle, in dem Buch Τίμιοι μέ την 'Ορθοδοξία, Athen (Ausg. Astir) 1968, S. 126 f. 1,7
Chrys., hom. in R o m . 5,6 - P . G . 60, 430.
"« J o Clim., über 7, § a.
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mir, das mich ersehnen läßt Dich ewig Unerreichbaren."'" Zweifellos ist diese „Trauer" über die Abwesenheit der „wahrgenommenen" Nähe nicht nur Schmerz, sondern auch die Voraussetzung zur erotischen Beziehung und Gemeinschaft, darum ist sie letztlich auch eine „freudeschaffende Traurigkeit" und ein „seliger Wahnsinn" 200 und Voraussetzung zur apophatisch erfahrbaren theologischen Erkenntnis. Jedoch, die Erkenntnis ermöglichende erotische Abwesenheit wird in Zusammenhängen definiert, die wir auf das nächste Kapitel verschieben müssen. Bisher sollte deutlich geworden sein, daß die Einheit der Person als existenziale Tatsache die Unterscheidung von Natur und Energien voraussetzt, das heißt, die Möglichkeit, daß die Natur in der ekstatischen Einmaligkeit der Person beinhaltet wird - was sich erweist und erkennbar wird durch das von der Natur Bewirkte, die „Werke" der Person, erfahren in der Unmittelbarkeit des Eros.
l w A u s dem Mystischen Gebet des hl. Symeon des Neuen Theologen, zitiert in Lossky, Die mystische Theologie, S. 203. 200 J o . Clim., über 30, § a.
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ZWEITER TEIL
Die kosmische Dimension der Person
Erstes Kapitel: Die personale Dimension des Kosmos § 24 Der „Kosmos" als „Modus" der Kundgabe der natürlichen
Realität
Die Seienden, als „Dinge" aufgetaucht zur persönlichen Beziehung, bilden die natürliche Realität als personhafte Kundgebung. Das Wort κόσμος (Schmuck) selbst bezeichnet die Weise, in welcher die natürliche Realität existiert, das Wie, nicht aber das Was der natürlichen Schöpfung. Kosmos ist die „in Schönheit geordnete" Kundgebung des Seienden, eine Kategorie der Schönheit, und Schönheit bezeichnet personale Differenzierung, die sich nur in der Beziehung erfahren läßt. Die vorsokratischen griechischen Schriften gebrauchen das Wort Kosmos, um das Wie zu definieren, nämlich die Harmonie und Ordnung der natürlichen Realität. Aetius erwähnt, daß „... Pythagoras als erster den Inhalt des Ganzen ,Kosmos' nannte, wegen der darin herrschenden Ordnung"'. Das „All" oder „Universum", Gegen-stand der menschlichen Erfahrung, zeigt sich als „Schönstes", als „Schmuck, Werk Gottes" (Thaies)2, als geordnete und unauflösliche Einheit („nicht gesondert von einander in einer Weltordnung" - Anaxagoras 3 ), harmonisch zusammengefügt aus unzähligen und begrenzten Mengen (,,άρμόχΰη έξ άπειρων τε και περαινόντων") (Philolaos4), eine Einheit, die weder vergehen noch entwikkelt werden, noch ihre Harmonie und geordnete Schönheit verlieren kann („und könnte weder untergehen noch größer werden noch sich umgestalten" - Melissos5). Noch bestimmter ist bei Anaximander die Auffassung ausgedrückt, daß die Ordnung und Harmonie der Welt keine mechanische, sondern vielmehr eine ethische Notwendigkeit sei, die ihre Entsprechung im Recht habe und in den Gesetzen des menschlichen Zusammenlebens, in der „gemeinschaftlichen Ordnung der Stadt" 6 . Anaximander schreibt: „... woraus aber das Werden ist den seienden Dingen, so auch entsteht ihr Vergehen nach
1
Diels I, 105, 24-25. Diels I, 71, 11. 3 Frgm. 8, Diels II, 36, 14. 4 Frgm. 1, Diels I, 406, 25. 5 Frgm. 7, Diels I, 270, 16 f. ' Die Formulierung stammt von Piaton, sie ist bezeichnend für den Gebrauch des Wortes Κόσμος, vgl. Leges 8, 846 D 5-6. 2
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Schicksalsbestimmung; denn sie zahlen einander gerechte Strafe und Buße für ihre Ungerechtigkeit gemäß der Zeitordnung"7. Es gibt einen gemeinsamen Ausgangspunkt für das Entstehen wie für das Vergehen des Seienden, eine das Seiende in Harmonie und Ordnung erhaltende Notwendigkeit, die wir ethisch voraussetzen müssen, denn sie erinnert an die Beziehung zwischen Strafe und Sühne, wobei die Zeit der objektive Regulator ist. Piaton faßt die Auffassung der Vorsokratiker zusammen, indem er die Welt als beseelte Einheit sieht, „als beseeltes und vernünftiges Wesen"8 - als lebendiges Ganzes von Beseeltem und Unbeseeltem, Göttern und Menschen: „Die Weisen aber sagen . . . den Himmel und die Erde, Götter und Menschen hielten Gemeinschaft, Freundschaft, Ordnungsliebe, Besonnenheit und Gerechtigkeit zusammen; und das All nennt man deshalb „Weltordnung" . . . nicht Unordnung und Zügellosigkeit."' Die Aufhebung von Unordnung und Zügellosigkeit ist die Offenbarung des Lebens, darum offenbart sich auch die Welt als lebendiges Gesamt, als sichtbares Wesen, als ,,ζώον όρατόν": „Denn nachdem die Welt ... mit sterblichen und unsterblichen belebten Wesen ausgerüstet und erfüllt worden, ist sie so selbst zu einem sichtbaren Wesen dieser Art geworden, welches alles Sichtbare umfaßt, zum Abbilde des Schöpfers und sinnlich wahrnehmbaren Gott und zum größten und besten, zum schönsten und vollendetsten, den es geben konnte." 10 Leben aber setzt Seele voraus, darum ist die Welt, der Welt-„Leib" auch beseelt". Die Schönheit der Welt offenbart eine lebendige und folglich beseelte Ordnung, einen sinnenhaft wahrnehmbaren Gott, „ein vollkommenes Wesen aus vollkommensten Teilen"12. Und die Seele ist nicht vernunftlos, sondern vernunftbegabt - die Ordnung, das Maß, die harmonische Übereinstimmung, welche die Schönheit der Welt bilden", verraten die Existenz von Vernunft, und deshalb ist die Schönheit der Welt nicht nur beseelt, sondern auch vernünftig14: das Schöne offenbart die Weise, auf
7 F r g m . 1, Diels I, 89, 11 f. S. auch Konst. Michaelides, Kosmos und Ethos bei Anaximander und Heraklit, φιλοσοφία 1/1971, S. 1 4 1 - 1 5 4 . ' „Und so darf man es denn mit Wahrscheinlichkeit aussprechen, daß diese Welt als ein wirklich beseeltes und vernünftiges Wesen durch Gottes Vorsehung entstanden ist." Timaios 30b, 6 - 8 .
' Piaton, Gorgias 507e 6 - 5 0 8 a 4. 10 Piaton, Timaios 92c 5 - 9 . " Piaton, Timaios 32c 1. 12 Piaton, Timaios 32d 1 - 2 . 13 Proclos, schol. über den Timaios von Piaton 11, 101 D - Ausg. E. Diehl, I, 1903, 332, 18 f. " „. . . daß unter den ihrer Natur nach sichtbaren Dingen kein vernunftloses Werk jemals schöner sein werde als ein vernunftbegabtes, - daß aber wiederum Vernunft ohne Seele unmöglich irgendeinem Gegenstande zuteil werden könne. In dieser Erwägung bildete er die Vernunft in eine Seele und die Liebe in einen Körper ein . . . um so naturgemäß das möglichst schönste und beste W e r k vollendet zu sehen." Timaios, 30b 1 - 6 .
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welche der Kosmos existiert, das Wie, nicht aber das Was der natürlichen Wirklichkeit, den Kosmos als beseeltes und vernünftiges Wesenx\ Jedenfalls ist offenbar, daß die Kategorien des Schönen für das platonische Denken vor allem das Leben, nicht aber eine personale Anwesenheit erkennen lassen; das Weltganze ist ein lebendiges Subjekt, jedoch keine gegen-ständliche Kundgabe einer personalen außerweltlichen Energie. Doch geht Piaton noch weiter und führt das Schöne zurück auf das Gute·, das Schöne, zusammen mit dem Ebenmaß und der Wahrheit, setzt die Idee des Guten voraus". Und weil das Gute (sei es göttlich oder menschlich) auf jeden Fall vom Göttlichen abhängt17 und das Schöne mit dem Guten „vermischt" ist, erweist sich die Schönheit des Kosmos als identisch mit der göttlichen Schönheit18, und darum können wir auch von der Schönheit der Welt auf die Güte des Schöpfergottes schließen". Nur wird die Schöpferkraft Gottes nicht auf die Weltschöpfung „aus dem Nichts" bezogen, sondern auf die Ausschmückung (κόσμησις) des Alls20, auf den dynamischen Ubergang von der Ungeordnetheit zur Ordnung2', das heißt, auf die Belebung des Kosmos. Dieser Zugang, diese Deutung des Weltganzen, die gegründet ist auf die Kategorien des Schönen, die Betrachtung der Welt als „bestes Werk", als beseeltes und vernünftiges Wesen, beläßt die Welterkenntnis des Menschen innerhalb der Grenzen der erfahrbaren Beziehung mit dem gegenständlichen Ganzen oder Einen der natürlichen Wirklichkeit; dazu bedarf es keiner rationalistischen Begründung, das heißt, keiner Neutralisierung des Kosmos in noetischer Abstraktion. Die Kategorien des Schönen setzen die auf Erfahrung gegründete Einsicht und Wertung der Daseinsweise der realen Welt voraus. In der realen Erfahrung wird die Schönheit der Welt 15 „Und so darf man es denn mit Wahrscheinlichkeit aussprechen, daß diese Welt als ein wirklich beseeltes und vernünftiges Wesen durch Gottes Vorsehung entstanden ist." Timaios 30b 6 - 8 . 16 „Und wenn wir also das Gute nicht in einer Rede erjagen können, so wollen wir es dreifältig nehmen, nämlich in Schönheit, Ebenmaß und Wahrheit, und sagen, daß man diese als Eins genommen mit vollstem Recht als die Ursache des Gehaltes der Mischung bezeichnen dürfe, und weil nun jene gut ist, auch diese selbst eine so beschaffene geworden sei." Philebos 65a 1 - 5 .
" „Es gibt zweierlei Arten von Gütern - die menschlichen und die göttlichen; und von den göttlichen hängen die andern ab." Leges 631b 6 - 8 . - „Nun ist aber wohl die Gottheit g u t . . ." Res publica 3 7 9 b 1. " „Alles Gute ist schön." Timaios 87c 4 - 5 . " denn die Welt ist das Schönste von allem Entstandenen." Timaios 29a 2 - 3 . - „und so darf man es denn aussprechen, daß diese Welt als ein beseeltes und vernünftiges Wesen durch Gottes Vorsehung entstanden ist." Timaios 30b 7 - 3 0 c 1. 20 „Gott fügte die Welt aufs schönste und beste zusammen." Timaios 53b 1; Ath., inc. 2,3 Migne P . G . 25, 100 A . 21 „Da nämlich G o t t wollte, daß, soweit es möglich, alles gut und nichts schlecht sei, da er aber alles, was sichtbar war, nicht in Ruhe, sondern in regelloser und ungeordneter Bewegung vorfand, führte er es aus der Unordnung in die O r d n u n g . " Timaios 30a 2 - 6 .
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(wie übrigens auch jede andere Schönheit) nur im Rahmen einer unmittelbaren Beziehung erlebt und kann nicht objektiv beobachtet werden mit den Maßstäben abstrakten Beweisens.
§ 25 Der Kosmos - noetisch aufgefaßt als ontisches Materialistische, pantheistische und tbeozentrische
Gesamt. Sicht
In den Texten des altgriechischen Schrifttums stoßen wir jedoch neben der auf Erfahrung gegründeten Beziehung zum Wie des Weltganzen auch auf die durchaus rationalistische Objektivierung und abstrakte Begründung der natürlichen Realität, die Zurückführung der Welt auf ein neutralisiertes Was, das vom Verstände erforscht werden kann. Wir können im Rahmen der syllogistischen Objektivierung der natürlichen Welt (ganz pragmatisch und ohne den Informationsgehalt der Texte damit zu erschöpfen) drei verschiedene Deutungsweisen der realen Welt feststellen. Die erste Deutung gründet sich auf die Annahme, daß die natürliche Welt vollständig unabhängig wäre, ewig, eigenständig und eigengesetzlich - sie ist bezeichnend enthalten in dem Ausspruch des Heraklit: „Diese Weltordnung, dieselbige für alle Wesen, schuf weder einer der Götter noch der Menschen, sondern sie war immer und ist und wird sein: ewig lebendiges Feuer, erglimmend nach Maßen und erlöschend nach Maßen" 22 . Auch die zweite Deutung verlegt die Ursache des Weltganzen nicht außerhalb des Kosmos, sondern vergöttlicht die Elemente der natürlichen Realität selbst. Es handelt sich im wesentlichen um die gleiche Auffassung der Eigenständigkeit, Eigengesetzlichkeit, aber auch Vollkommenheit der Welt, das heißt, um ihr zugeschriebene Eigenschaften, die - im Gegensatz zum Sterben und Verderben des Menschen - als göttlich bezeichnet werden. Es ist eine ursprüngliche menschliche Einstellung gegenüber der Welt, die nach Piaton den unkultivierten Barbaren ebenso eignet wie den gebildeten Griechen: „Vor allem ist doch die Erde da, die Sonne und all die vielen Sterne und die so herrliche Ordnung der Jahreszeiten mit ihren Teilungen in Jahre und Monate. Außerdem glauben auch alle Menschen, Griechen und Nichtgriechen, die Erde, die Sonne und die Sterne seien Götter." 23 Auch die dritte exemplarische Deutung setzt die syllogistische Rückführung der Ursache des Kosmos auf ein höchstes göttliches Prinzip voraus, auf einen der Erfahrung nicht zugänglichen Schöpfergott und wird von Aristoteles bezeichnend beschrieben: „Wenn sie nämlich bei Tage den Lauf der Sonne und bei Nacht die wohlgeordnete Bewegung der übrigen Gestirne betrachten, kommen sie zu der Uberzeugung, es müsse einen Gott
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Fragm. 30, Diels I, 1 5 7 - 1 5 8 .
25
Leges I, 886a 2 - 5 .
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geben, der die Ursache für diese Bewegung und diese Wohlgeordnetheit ist." 24 Man könnte sagen, daß die drei hier skizzierten Deutungen und Betrachtungsweisen der realen Welt - die Annahme ihrer Eigenständigkeit und Eigengesetzlichkeit, die Vergöttlichung der Elemente und Gesetze der natürlichen Welt und ihre ursächliche Zurückführung auf einen Gott - die Formen und Auffassungen sämtlicher späterer kosmologischer Theorien enthalten, der materialistischen, der pantheistischen und der theozentrischkansalen. Es gibt auch einen gemeinsamen Ausgangspunkt, eine gemeinsame Voraussetzung, welche diese verschiedenen Theorien zu einer einheitlichen Einstellung der Welt gegenüber verbindet: Alle drei setzen zunächst eine rationalistische Objektivierung und abstrakte Begründung der natürlichen Realität voraus, sie verabsolutieren noetische Kategorien, wie zum Beispiel die meßbaren Größenverhältnisse, die Harmonie der Zeitfolge von Früher und Später, die geregelte Bewegung im Raum, das heißt, die Ordnung und anderes mehr zu ontologisch selbständigen Dimensionen gottgeschaffen oder nicht. Aber diese Rückführung der begrifflich bestimmten Kategorien auf kosmologische Theorien bedeutet auch den Vorrang des zu syllogistischdeduktivem Denken fähigen menschlichen Subjekts gegenüber dem Kosmos, als Objekt. Die natürliche Wirklichkeit wird erklärt aus der Ubereinstimmung mit der noetisch aufgefaßten zusammengesetzten Einheit des Weltganzen, der universitas creaturarum. Der Kosmos offenbart nicht die Daseinsweise der natürlichen Realität, wobei die Wahrheit des Seins als Möglichkeit von Beziehung und Teilhabe gewahrt bleibt, sondern das Sein wird objektiviert als ontisches Gesamt, es wird gleichgesetzt mit der ontisch-noetisch begriffenen Seinsheit25. So wird der Kosmos zum metaphysischen Grundbegriff erhoben 26 , zur Voraussetzung des ganzen begrifflichen Gebäudes einer objektivierten Metaphysik: das Sein als ontisches Gesamt wird zum Maß für die Reduktion der Gottheit zum absoluten ontischen Wesen; die Welt, als das Gesamt unmittelbar erfahrbarer Wahrheit, bietet sich dem Menschen an zur kausalen Rückführung auf die Wahrheit der Gottheit, sie wird zum Maß der Unterscheidung von Relativem und Absolutem, von Bewegtem und Unbewegtem, von Zusammenge-
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Fragmenta Selecta, De philosophia 12a - Ausg. W . D. Ross, Oxonii 1964, S. 80.
„Die Auffassung des Weltbegriffes ist abhängig vom Verständnis des Wesens", bemerkt Heidegger (Vom Wesen des Grundes, 5. Aufl. Frankfurt, Klostermann, 1965, S. 27). - S. auch Was ist Metaphysik?, S. 11: „Inzwischen bleibt der Metaphysik während ihrer Geschichte von Anaximander bis zu Nietzsche die Wahrheit des Seins verborgen . . . Allein die Metaphysik antwortet nirgends auf die Frage nach der Wahrheit des Seins, weil sie diese Frage nie fragt. . . Sie meint das Seiende im Ganzen und spricht v o m Sein. Sie nennt das Sein und meint das Seiende als das Seiende." 25
26 „. . . der Weltbegriff als ein Grundbegriff der Metaphysik . . des Grundes, S. 27.
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Heidegger, V o m Wesen
setztem gegenüber dem Einfachen, sie wird zum tertium comparationis zwischen Mensch und Gott. All das gilt für ein theozentrisches Weltbild, das heißt, es gilt, wenn die Gott-Ursache dem neutralisierten Was des Weltganzen, der universitas creaturarum gegenübergestellt wird. Aber der Kosmos bleibt grundsätzlich eine metaphysische Kategorie, auch im Falle des nicht-theozentrischen Weltbildes, das heißt, wenn er verselbständigt wird zum objektiven ontischen Universum oder zum „Horizont" der existenzialen Erfahrung. Tatsächlich erlangt der Kosmos Eigengesetzlichkeit in der ontisch-noetischen Auffassung des „Gesamt" der Natur, im Falle des theozentrischen Weltbildes ebenso wie im Falle des nicht-theozentrischen Weltbildes: Gott wird als die causa, prima dem neutralisierten Weltganzen gegenübergestellt, was eine scharfe antithetische Unterscheidung zwischen Transzendenz und Immanenz voraussetzt - die transzendente Substantialität Gottes unterscheidet sich unendlich von der relativen, sinnlich faßbaren und erfahrbaren Dinglichkeit der Welt. Eine unmittelbare Folge ist die „Verbannung" Gottes aus der Welt - wie man es treffend genannt hat - seine Versetzung in die „Himmel", an einen andern, der menschlichen Erfahrung unzugänglichen Ort. Dieses Sein, welches Gott ist, wird abgetrennt von der realen Welt durch die Grenze, die das Erkennbare vom Nichterkennbaren scheidet, das erfahrbar Existierende vom nicht erfahrbar Existierenden, die sinnlich faßbare Wirklichkeit vom intellektuellen Begriff. Damit ist der Herrschaft des Menschen über die Natur und die Geschichte freies Spiel gegeben. Der Mensch deutet die reale Welt und unterwirft sie seinen individuellen intellektuellen Fähigkeiten, das objektive Was der Welt und der Geschieht wird rationalistisch so eingerichtet, daß es der Eigengesetzlichkeit der menschlichen Bedürfnisse und Wünsche dient. Auf diese Einstellung gründet sich offensichtlich das ganze Phänomen der zeitgenössischen Technologie.
§ 26 Die wissenschaftliche Unbestimmbarkeit der Harmonie der Welt Der Auffassung der weltlichen Realität als objektivierter Selbständigkeit und ihrer rationalistischen Deutung scheinen sich heute jedoch, vor jedem sonstigen Einwand, Schlußfolgerungen der Naturwissenschaften entgegenzustellen und zwar gerade diejenigen, die aus der rationalistischen Auswertung der Gegebenheiten der realen Welt gewonnen werden27. Die Objektivierung der Materie und ebenso die der „Prinzipien" wie der „Gesetze", 27 Zu diesem allen vergleiche man die interessante Arbeit von Sp. Kyriazopoulos, Das Auftreten der Naturwissenschaften, Athen 1963, wo auch die dazugehörige Bibliographie zu finden ist.
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mit denen die natürliche Wirklichkeit in Zusammenhang gebracht wird, gründet sich immer und überall auf die noetische Auswertung des Materials, das die Beobachtung und das Experiment liefern, nämlich die objektivierte und gemessene Sinneserfahrung, wobei Zahlen- und Mengenverhältnisse als absolute und einzige Möglichkeit zur Erkenntnis der Welt aufgefaßt werden28. Aber bereits seit Anfang unseres Jahrhunderts beginnt sich das neutralisierte Was der realen Welt im Lichte eben jener wissenschaftlichen Schlußfolgerungen vor allem als ein vielfältiges Wie einer Unzahl unbestimmbarer Differenzierungen zu zeigen. Lediglich als Beispiel und ohne die Absicht auf fremde wissenschaftliche Gebiete übergreifen zu wollen, könnte man als ersten Einbruch in die verstandesmäßige Gewißheit der objektiven Messungen die Relativitätstheorie anführen. Sie zeigte, daß die Beobachtung auf planetarer Ebene immer Funktion des Ortes und der Bewegung des beobachteten Gegenstandes ist. Oder später, die Unbestimmtheitsrelation von Werner Heisenberg, welche die Vorhersage im Bereich des natürlichen Werdens ausschloß. Sie brachte das Ergebnis oder die Schlußfolgerung aus der Beobachtung nicht mehr nur mit dem Faktor „Beobachter" in Zusammenhang, sondern mit der Tatsache der Beobachtung selbst, der Tatsache der Beziehung zwischen Beobachter und Beobachtetem. Oder auch die tiefen Einsichten von Niels Bohr über die Eigentümlichkeit des Elektrons, das sich entweder als Körperchen oder als Welle zeigt, ohne als solches das eine oder das andere zu sein, sondern etwas, das beide voraussetzt; das Zugeständnis, daß die Energie im Bereich der Wärmephysik nicht nur Bewegung ist, sondern sich deckt mit der Masse und daß sie zunimmt mit der Bewegung; man könnte die Bestätigung der Existenz von „Antimaterie" anführen oder die Theorie der fortgesetzten „Entstehung" von Materie und Sternkörpern im All, sowie die Fülle der Rückschlüsse sowohl auf dem Gebiet der Mikrophysik als auch im Bereich der Makrophysik, welche den Glauben an die objektive und mechanische Gesetzlichkeit des Weltganzen erschüttern. Diese Folgerungen zeigen, daß die Unterscheidung von richtig und falsch methodologisch letztlich unvorteilhaft ist, und nur ein Einstufen zwischen diesen beiden Polen der Erkenntnis wird die wissenschaftliche Forschung wirklich weiterbringen. Die Harmonie und Ordnung der Welt offenbart sich vor allem in der wissenschaftlichen Unbestimmbarkeit und Unregelmäßigkeit: „Das wissenschaftliche Weltbild der Physik hört auf, rein wissenschaftlicher Natur zu sein."29 Unbestimmbarkeit und Unregelmäßigkeit aber sind Kategorien, die sich vorzugsweise auf den Bereich der
28 „Von diesem Gesichtspunkt aus betrachtet, könnte man die mathematischen Naturwissenschaften einem Zuschauer im Theater vergleichen, der, mit dem Chronometer in der Hand, das Auftreten und den Abgang der Schauspieler v e r m e r k t . . . und der aus der Genauigkeit des Chronometers auf das Niveau der Aufführung schließt." Kyriazopoulos, op. cit. S. 2 5 9 - 2 6 0 . 2 ' W . Heisenberg, Das Naturbild der heutigen Physik, Hamburg 1955, S. 21.
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personalen Einzigkeit und Unähnlichkeit beziehen. Die wissenschaftlichen Schlußfolgerungen der zeitgenössischen Physik können zum Ausgangspunkt dafür werden, die Welt nicht als mechanische, auf Ursache und Wirkung angelegte Ordnung zu erkennen, sondern als gesamtheitliche Harmonie der unbestimmbaren unendlichen Differenzierungen einer personhaften Energie30.
§ 27 Der personhafte Logos der Schönheit der Welt
geordneten
Die endliche Uberwindung von Zahlen- und Mengenrelationen als absolute und einzige Möglichkeit, die Welt zu erkennen, das heißt, die Ablehnung der ontisch-noetischen Definition der Wahrheit der realen Welt (als Ubereinstimmung dessen, was an ihr objektiv sichtbar ist mit ihrer begrifflichen Bestimmung durch den Intellekt) wird nur möglich auf der Grundlage des ontologischen Unterschiedes von Seiendem und Sein, das heißt, sie wird nur möglich in den Dimensionen eines Ereignisses von „Kundgabe" des Seins innerhalb der personalen Beziehung, nicht aber in den Dimensionen einer ontisch-noetischen Auffassung des Seins. In der personalen Beziehung zur realen Welt erkennen wir das Sein nicht als Seiendes, nicht als ontisches in Zahlen und Mengen meßbares Gesamt, nicht als Natur oder Wesen, sondern als Unendlichkeit unbestimmbarer ontischer Differenzierungen, das heißt, die Daseinsweise der Seienden in ihrer einzigartigen und unvergleichbaren Unähnlichkeit, ihrer „personalen" Einmaligkeit. Diese Weise der „personalen" Einmaligkeit der Seienden ist die Schönheit, die natürliche Wirklichkeit der Welt als „Kosmos", „Schmuck". Im Bereich der gesamten natürlichen Wirklichkeit wird die ontologische Unterscheidung zwischen Seiendem und Sein deutlich, als Unterscheidung zwischen der ontisch-noetischen Erfassung der Seienden - ihrer konventionellen Bezeichnung aufgrund von Zahlen- und Mengenrelationen - und der Daseinsweise der Seienden, das heißt, ihrer „personalen" Differenzierung, 5 : „Das heißt nicht, daß die gleichen Schlußfolgerungen der heutigen Physik nicht zu einer gänzlich anderen Einstellung gegenüber der Welt führen könnten und zu einer tatsächlichen Flucht vor dem Streben nach Erkenntnis; weil der Mensch über die Welt herrscht, weil die Welt mittels der Technik seinen Bedürfnissen und seinem Begehren unterworfen wurde. „Zur Technik bedarf es keiner Erkenntnis, sondern des Gebrauches; nicht die Wahrheit ist das Ziel der mechanischen Arbeit, sondern der Nutzen, der Gewinn·, es beschäftigt die Menschen unserer Zeit nicht, was die Natur sei, sondern was sich aus ihr herstellen läßt. Also charakterisiert die technische Einstellung nicht nur die an der wissenschaftlichen Forschung Unbeteiligten, sondern auch die Naturwissenschaften, vorausgesetzt, daß die Forschung technisch vorangetrieben werde. Statt all dessen erscheint die Technik als angewandte Wissenschaft. Diese Sinnesart orientiert sich nicht an der Betrachtung, sondern hat es auf die Macht abgesehen." Sp. Kyriazopoulos, Die Herkunft des technischen Denkens, Athen 1965, S. 275-276.
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ihrer Un-verborgenheit, ihrem Auftauchen zur persönlichen Beziehung, der Schönheit. „Kosmos" ist somit die Offenbarung der umfassenden Personalität des Seins, der Weise, in der die Seienden sind, als Kundgabe einer personhaften Einmaligkeit und schönen Ordnung, als die Anwesenheit des Schönen. Die Un-verborgenheit der Seienden erweist sich als Schönheit, als der Ausdruck (λόγος) einer personalen Einzigkeit und Unähnlichkeit, welche eine dem Menschen antithetische personale schöpferische Anwesenheit und Energie voraussetzt und kundtut. Diese welterschaffende personhafte Energie, der Logos der geordneten Schönheit des Kosmos, die Schönheit als Un-verborgenheit der Seienden, wird von der menschlichen Vernunft nicht erschöpft in einer die Erkenntnis ermöglichenden „semantischen" Definition (in Zahlen oder Mengen), sondern sie wird gefunden, in einem persönlichen Dia-log, einem Ereignis personaler Beziehung. Und diese Beziehung ist es, welche die einzige Möglichkeit bietet, die Welt zu erkennen, die einzige Möglichkeit einer Kundgabe des Seins. Wir erkennen die Welt als Erscheinung und Kundgabe des Seins31 in dem Maße, in dem wir sie persönlich erkennen (aus der Erfahrung der Beziehung), als „Kosmos", das heißt, „Schmuck", als personhafte Einmaligkeit und geordnete Schönheit, in den unbestimmbaren Differenzierungen, welche das Schöne, die „personale" Unähnlichkeit der Seienden darstellt. Wir erkennen das Sein als die Weise der personalen Einmaligkeit und Unähnlichkeit, als das unähnliche und einzigartige Wie der personhaften Kundgebung, das heißt, als den Inhalt der Person. Zurückkehrend zum Gleichnis eines Kunstwerkes, können wir die Kundgabe der personalen Einmaligkeit und Unähnlichkeit näher und genauer definieren mit Hilfe der Schönheit der persönlichen schöpferischen Energie: das Unähnliche und Unwiederholbare des künstlerischen Ausdrucks hat nicht die von Maßrelationen geregelte Präzision einer programmierten Einmaligkeit, sondern es ist die umfassende, ek-statische, sich ständig kundtuende Energie einer schöpferischen Person, der Wesensgehalt und die Offenbarung einer personhaften Anwesenheit oder Abwesenheit. Entsprechend erscheint auch die Schönheit der gesamten realen Welt nicht in der regulierten Genauigkeit einer schablonemäßigen Wohlgeordnetheit, sondern ist personhafte Vernunft, ist Schönheit einer kundgebenden Person, der Logos der Person, die Person des Logos.
§ 28 Die Dimension des Eros in der Schönheit der Welt Die Schönheit der Welt, welche die Seienden als Werke und Kräfte des anwesenden göttlichen Schöpfers erweist, ist nicht nur einfach eine „ästhe31
Vgl. M . Heidegger, Über den Humanismus, S. 3 5 : ,„Welt' bedeutet . . . die Offenheit
des Seins. ,Welt' ist die Lichtung des Seins."
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tische" Schönheit, das heißt, sie ist kein subjektiver Eindruck, wie ihn das Genießen individueller Sinnesempfindungen hervorruft. Gewiß stellen auch schon die Sinneseindrücke eine Art „Erkenntnis" dar, welche über die objektiven Begriffsbestimmungen, über die Zahlen- und Mengenverhältnisse, die rein begrifflich und daher beschreibbar sind, hinausgehen 11 '. Und es ist kein Zufall, daß die Schönheit Ausgangspunkt des Eros wird, nämlich jener umfassenden „Erkenntnis", die danach strebt, sich in der vollendeten Verbindung der körperlichen Vereinigung und Hingabe zu erfüllen. Die sinnlich faßbare Schönheit kann zu dem objektiv nicht zu definierenden „Betroffensein" führen, aus dem die neue und offenbarende „Erkenntnis" der erotischen Erfahrung wächst, jenseits begrifflicher Bestimmung und sachlicher Wertung 32 . Das erotische „Betroffensein" von der Einmaligkeit einer natürlichen Schönheit ist immer Anruf zu Gemeinschaft und Beziehung, ein Angezogensein, das nach Vereinigung strebt, nach Zufriedenstellung des existenzialen Verlangens nach Gemeinschaft. Dieses Angezogensein ist nicht immer gebunden an die Schönheit eines menschlichen Körpers; zuweilen kann die natürliche Schönheit eines Ortes oder eines Kunstwerkes aus der Bewunderung das gleiche Verlangen nach erotischer Erfüllung hervorrufen, wie es die Anwesenheit einer geliebten Person veranlaßt. Der Anblick der Schönheit der Welt kann von dem gleichen natürlichen Verlangen nach erfüllter Beglückung in der „absoluten" Vereinigung begleitet sein, wie es die Gegenwart eines schönen Menschen hervorruft. Aber gerade in ihrer erotischen Dimension offenbart die Schönheit die Tragik der menschlichen Unzulänglichkeit, die Unmöglichkeit, daß der Mensch dem Anruf der Schönheit, ihrem wesentlichen Ziel entspreche: die erfüllte Gemeinschaft und Beziehung mit dem personhaften Logos der Welt zu erlangen. So erweist sich die Schönheit als tragischer Anruf zu einer Lebensfülle, die als unerreichbar erkannt wird. J e stärker der Mensch den Mangel an Gemeinschaft empfindet, desto quälender wird die Schönheit der Welt, wird sie zum tragisch unstillbaren Verlangen. Es ist die individuelle Natur, der von Natur aus egozentrische Mensch, der sich nicht selbst überwinden kann, um den Ruf der Schönheit zu beantworten; er vermag die Hingabe nicht zu vollziehen, welche die vollendete Beziehung schafft. Die natürliche Individualität - die individuellen Empfindungen, das individuelle Denken, die individuellen Eindrücke - bildet einen in sich geschlossenen Lebenskreis, der den Ruf der Schönheit mit einbezieht in die Ausweglosigkeit, das eigene Selbst zufriedenzustellen; dieser Ruf wird mißverstanden, als Aufforderung zu eigensüchtigem Genuß, weil die individuelle
3
" Gr. N a z . , or. 28, 33 - P . G . 36, 57 A.
Im Symposion 2 1 0 c 1 - 6 von Piaton lesen wir: „Wer nämlich bis hierher in der Liebe geleitet worden ist, indem er in richtiger Folge und Art das viele Schöne betrachtete, der wird endlich, am Ziel dieses Weges angelangt, plötzlich ein Schönes von wunderbarer Natur erblicken . . . " 32
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Natur ständig danach strebt, das Leben zu Selbstgenuß und Selbstgefälligkeit zu entleeren. Die Unfähigkeit zu persönlicher Beziehung und Hingabe verwandelt die Schönheit in einen qualvoll unstillbaren Durst nach der Fülle, die Schönheit erweist sich als ausweglose Tragik. Man braucht sich nur der Liebeslyrik eines Baudelaire, eines Kaväfis oder Saint-John Perse zu erinnern, um das Quälende der natürlichen Schönheit zu verstehen, den Schmerz, der die sinnenhafte Erfahrung der Schönheit begleitet.
§ 29 Die asketische Selbstüberwindung - Voraussetzung zur Erkenntnis der Wahrheit der Schönheit der Welt Die Art, wie die Kirchenväter von der Schönheit der Welt sprechen, läßt erkennen, daß eine ethische Leistung vorausgesetzt wird: Jede Wahrheit, die zum Gegenstand individuellen Denkens, Empfindens oder individueller psychologischer Erfahrung gemacht wird, ist nur ein Schatten der Wahrheit, ist Vorstellung, Vermutung der Realität. Damit der Mensch der wahren Schönheit der Welt begegne - „nicht der illusorischen Schönheit des Fleisches" 33 - muß er sich lossagen von dem natürlichen Verlangen nach Genuß, welches den Anblick der Schönheit begleitet; er muß sich der Verfälschung der Schönheit in genußvolle sinnliche „Vorstellung" verweigern. Und das bedeutet, daß er seine individuelle Natur verleugnen, seinen individuellen Willen abtöten muß, welche angesichts der Schönheit der Welt das natürliche egozentrische Verlangen nach Genuß geltend machen. Der Mensch kommt durch seine Sinne in Berührung mit der Welt; sie geben ihm Auskunft über ihre Schönheit. Gleichzeitig aber geben die Sinne auch den vernunftlosen Willensäußerungen der biologischen Individualität Ausdruck und machen sie merkbar: der unersättliche Durst der Sinne nach unbegrenztem Genuß ist die rebellische Neigung der natürlichen Individualität, sich selber zum Selbstzweck zu verabsolutieren. Darum entspricht auch die von unsern Sinnen vermittelte Erfahrung der Welt und ihrer Schönheit nicht der wahren Schönheit der Welt, sondern dem sinnlichen Verlangen nach Genuß; die Schönheit der Welt wird verfremdet zum ergötzlichen Gegenstand der Sinne des Individuums und dient dem individuellen Selbstgenügen. Weder finden noch erkennen die Sinne die wahre Schönheit der Welt; sie begegnen nur einem „Schemen" dieser Schönheit, dem verstellten Bild einer Schönheit, die dem individuellen Begehren ausgeliefert ist. „Die Betrachtung der Schöpfung", sagt der heilige Isaak der Syrer, „so süß sie ist, ist in Wahrheit ein Schatten der Erkenntnis oder eine falsche Erkenntnis, und das Vergnügen, das sie hervorruft, unterscheidet sich nicht wirklich von der Illusion" 34 . 3J 34
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Clem., paed. 3, 1 - P.G. 8, 557 C. Isaac, Τά εύρεθένχα άσκητικά, Brief 4 - Ausg. Spanos, S. 389, in gr. Spr.
Um die wahre „personhafte" Schönheit der Welt zu erkennen, muß der Mensch dem natürlichen Verlangen der Sinne entsagen, und solches Entsagen ist das Werk der Askese. Die Askese, so wie sie in der Praxis der Kirche körperlich zu üben vorgeschrieben ist, zielt darauf ab, dem individuellen Wollen zu entsagen, um die personalen Möglichkeiten des Menschen freizusetzen, seine Fähigkeit zu Gemeinschaft und liebender Hingabe. Der heilige Maximos sagt: „Die Erscheinungen brauchen immer das Kreuz."' 5 Jede Erscheinung, alles, was uns durch die Sinne zugänglich wird, muß durch die Erfahrung des Kreuzes gehen, muß aus der Erfahrung der Selbstentäußerung erkannt werden, aus der „Kreuzigung", der Abtötung des natürlichen individuellen Willens. Diese Art der Selbstentäußerung ist für den Menschen die einzige Möglichkeit, die Wahrheit der Dinge jenseits der trügenden Erscheinungen zu erkennen. Die Wahrheit der Dinge jenseits der Erscheinungen aber wird allein in der persönlichen Beziehung erkennbar, und das besagt: Möglichkeit der Ek-stase aus dem geschlossenen Lebenskreis der natürlichen Individualität in demütigem Bemühen um den Wesensgehalt der Dinge, in liebendem Annehmen dieses Wesensgehaltes. Darum ist auch die Erkenntnis der Welt, die Erkenntnis der Wahrheit der Dinge, eine ethische Leistung, die in der Askese erreicht wird; die körperliche Askese ist ein Weg zur Erkenntnis, sie ist die Voraussetzung zu wahrer Welterkenntnis, die einzige Möglichkeit, die „wahre Schönheit" zu finden.
§ 30 Die „Betrachtung
der Natur"
In den patristischen Schriften der sogenannten byzantinischen Zeit finden wir den Weg der Erkenntnis oftmals in drei Stufen dargestellt: Praxis Naturbetrachtung - Theologie1'''. Praxis ist die Askese, die konkrete Anstrengung, mittels des Körpers den individuellen Willen abzutöten, die Ablehnung individuellen sinnenhaften Genusses. Die Erkenntnis beginnt mit dieser Läuterung der die Erkenntnis ermöglichenden Fähigkeiten des Menschen, wodurch die Möglichkeit der personalen Beziehung freigesetzt wird. So wandelt sich die Welt vom Objekt der Sinne, vom objektiven „Phänomen" und subjektiven Eindruck zum Gegenpol der personalen Beziehung. Die persönliche Beziehung zur Welt setzt die Naturbetrachtung voraus, die der heilige Maximos als „das Mittlere zwischen den Urbildern und der Wahrheit" bezeichnet". Zwischen die objektive „Semantik" der Formen Max., cap. theol. 67 - P . G . 90, 1108 b. Vgl. H a n s - G e o r g Beck, Kirche und theologische Literatur im byzantinischen Reich, München (Beck) 1959, S. 3 4 7 ff. 37 qu. Thal. - Migne P . G . 90, 752 A. - Über die „Naturbetrachtung" bei den Kirchenvätern der sogenannten byzantinischen Zeit siehe H . - G . Beck, op. cit. S. 348, 356, 357, 360, 363, 585; ebenso Hans U r s von Balthasar, Kosmische Liturgie, Einsiedeln (Johannes-Verlag) 1961, 55 36
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(der konventionellen Begriffe, der objektivierten Eindrücke von den Erscheinungen) und die Wahrheit der Theologie (welche unmittelbare Gottesschau ist, Verwandlung des „Herzens in einen Ort der Geheimnisse der Neuen Erde" 38 ) fügt sich die Naturbetrachtung ein, das persönliche Finden des Wesensgehalts der Dinge38' und die Begegnung mit dem personhaften Logos der Welt, die erste erfahrbare Gewißheit der Anwesenheit des personhaften Gottes-Wortes. Diese Gewißheit bedeutet nicht zugleich Erkenntnis der Person des Gotteswortes: „... die sichtbaren Dinge betrachtend, wird der Mensch belehrt, daß ein Schöpfer der Erscheinungen sei, wie er zu begreifen sei, daß er unerreichbar und unerforschlich sei. Dieses jedoch, daß der Schöpfer sei, nicht aber, wie beschaffen er sei, läßt klar die Schöpfung erkennen." 39 Die Kosmologie der Kirche, das heißt, die Naturbetrachtung, beginnt mit der Entdeckung des personalen Logos der Dinge, nämlich mit der Erkenntnis, daß die Materie „logische" Energie ist. Die Materie ist nicht eine Realität, die nur ihre Ursache und ihren Ursprung in Gott hat, sie ist Substanz gewordener Wille Gottes, Ergebnis der personalen Energie Gottes, und sie bleibt wirksam als eine die göttliche Tätigungsweise offenbarende Vernunft. „Das Seiende wird nicht ständig aus einer untergeordneten Materie zur Erscheinung umgeschaffen, sondern der göttliche Wille ward zur Materie und zum Wesen der Geschöpfe", sagt der heilige Gregor von Nyssa 40 . Gott ist nicht bloß die Ursache der „Formen" oder „Ideen" oder „Gestalten" der Materie, sondern unlöslich verbunden mit der Form oder Gestalt (das heißt, mit dem jedem Wesen eigenen Sinn und Ziel), vollbringt die Materie selbst die Substanzwerdung des göttlichen Willens. Die Form oder Gestalt und somit die Weise der Materie41, ist die Kundgabe der personalen Energie Gottes, welche sich in der Materie substanzialisiert. Basilios der Große drückt das so aus: „Als Gott die Absicht gefaßt und es in Angriff genommen hatte, das Nicht-Seiende zum Werden zu führen, da erkannte er zugleich in seinem Sinn, wie die Welt beschaffen sein muß; und so schuf er ebenfalls die zur äußeren Form der Welt passende Materie"42. Aufgrund dieser Formulierung könnten wir sagen, daß sich das Denken Gottes auf die Form bezieht, aber das Denken kann nicht unterschieden werden von der Materie, das heißt, von seiner konkreten, gegenständlichen Kundgebung, weil „Gott denkend schafft und der Gedanke das Werk S. 53, 114, 176, 296, 581, 639 ff. und Lars Thunberg, Microcosm and Mediator, Lund 1965, S. 363 f. " Isaac, op. cit. S. 383. 3,1 Gr. Nyss., hex. - P.G. 44, 73 Α und 73 C. 39 Max., cap. theol. 3 - Migne P.G. 90, 1261 C D . 40 hom. in I Cor. 15,28 - P.G. 44, 1312 A, und Eus., d. e. 4,1 - P.G. 22, 252 D. 41 Über die Gleichstellung von Form είδος und Begriff λόγος vgl. Arist., Metaphysica 996b 8 und 1044b 12; Physica 209a 21-22 und 190a 16. 42 hex. 2, 2 - P.G. 29, 33 A. 90
bestehen läßt" 45 . Es gibt keinen Unterschied oder Abstand zwischen dem Begriff, dem Willen und der Energie Gottes, der Substanzialisierung seines Wortes: Gottes Wille ist Schöpfung, und die Schöpfung Gottes ist sein W o r t - „bei G o t t ist das Wort Werk" 44 . Das Wort Gottes, das seinen Willen verkündet, gleicht nicht dem mündlich gesprochenen Menschenwort, das nicht hypostasiert hervorgeht; das Wort Gottes substanzialisiert sich „unmittelbar zu Schöpfung mit Gestalt und wesenhaftem Sein"45. „Denn der göttliche Wille wird im Antrieb des Wollens gegenständlich; und so verwirklicht sich Gottes Wille, indem er unmittelbar zu N a t u r wird, wobei die allgewaltige Macht, in weisem und verständigem Wollen, diesen Willen nicht substanzlos entläßt. Denn die Grundlage des Willens ist Substanz." 4 '
§ 31 Die „logische" Beschaffenheit
der
Materie
Also bildet die Materie die Substanzialisierung des göttlichen Willens, die Seinsformen (λόγοι) der Materie, nämlich die „Formen" oder „Gestalten"; sie sind der Widerschein der schöpferischen Seinsgehalte der göttlichen Ideen und Wollungen 46ä . In ihrer Grundbeschaffenheit ist die Materie Folge der Einung „logischer" Eigenschaften, deren Zusammenfluß und Einung die Voraussetzung ist für das Bestehen der sinnlich wahrnehmbaren Dinge. „Daher wird alles zur Materie zusammengefügt, das Leichte, das Schwere, das Feste und Luftige, das Weiche und Harte, das Feuchte und Trockene, das Kalte und Warme, die Farbe, die Gestalt, der Umriß, der Zwischenraum; und all das sind immer einzig gedachte Willensakte . . . denn nichts davon ist an sich Materie, sondern sie werden zu Materie, indem sie z u s a m m e n k o m m e n " , sagt Gregor von Nyssa 47 . Die „logische" Beschaffenheit der Materie widerlegt von vornherein den ontisch-gegenständlichen Charakter der Dinge; die Materie ist nicht das Was der natürlichen Realität, das Material, welches „Form" annimmt oder „Gestalt", um das Wesen zu offenbaren, sondern sie ist der Zusammenfluß der Wesensmerkmale des Logos (heute würde wir sagen, der atomaren Energie-Einheiten) 48 , ihre 43 Jo. D . , f. o. - P.G. 94, 865 A, Ausg. Kotier, S. 45 und Gr. Naz., or. 45, 5 - P.G. 36, 629 A. 44 Gr. N y s s . , hex. - P.G. 44, 73 A. 45 Bas., Eun. - P.G. 29, 736 C. 44 Gr. Nyss., anim. et res. - P.G. 46, 124 B. Gr. N y s s . , hex. - P.G. 44, 73 C. 47 hex. 7 - P.G. 44, 69 C, und anim et res. - P.G. 46, 124 C. 4 * „Wenn das Elektron weder ,Körper' noch ,Welle' ist, überspringt es sämtliche geometrische Möglichkeiten der Darstellung und folglich ist es, in Bezug auf seine vom Menschen unabhängige Existenz, nicht auf die Physik bezogen, welche - auch wenn sie noch vom mathematischen Symbol erfaßt wird - letztlich sich für das interessiert, was physikalisch oder technisch irgendwo objektiv beobachtet werden kann. ,Körper' oder ,Welle', ,Molekül' oder ,Feld' sind also für die heutige Physik Symbole zur Aussage über Ort und Geschwindigkeit.
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Koordinierung zum Wie einer Harmonie ohnegleichen, welche in die „Form" oder „Gestalt" der Dinge mündet. Die gesamte reale Welt, die unzählbare Vielfalt der „Formen"-Wesen, ist nicht das Was der objektiven Beobachtung und der noetischen Erfassung, sondern das Wie der „personhaften"Harmonie der Logos-Eigenschaften, „eine gleichsam musikalische Harmonie, deren das All zusammenhaltende göttliche Kraft die Hymnodie bildet"49. Diese ununterbrochen wirkende „personhafte" Harmonie der Welt begründet für den Menschen die Möglichkeit zur persönlichen Beziehung mit der Welt und damit zur persönlichen Beziehung mit dem Schöpfer mittels des Wesensgehaltes (λόγος) der Geschöpfe. Anders ausgedrückt: die Verbundenheit der Welt mit Gott ist für den Menschen nicht nur eine Möglichkeit, das Ergebnis rational auf seine Ursache zurückzuführen, sie erschließt sich ihm nicht durch spekulative Folgerung; aus der noetischen Rückverfolgung von „Ideen", „Formen" oder „Gestalten" der Materie kann nicht auf Urformen geschlossen werden, welche die göttliche Weisheit vor Ewigkeiten konzipierte, auf die ewigen Ursachen der Geschöpfe, welche im Wesen Gottes enthalten sind50. Diese Harmonie besagt vielmehr, daß die Gegenwart Gottes personhaft, als Wille und Energie (nicht aber als Wesen) in der Welt unmittelbar wirksam ist - ein ständig wirkender Anruf, über den Wesensgehalt der Dinge mit dem personhaften Gottes-Wort in personale Beziehung zu treten. Dieser ständig wirkende Anruf ist dem Wesen nach weder mit dem Rufenden noch mit der Energie des Rufenden identisch; das Wort und der Wille Gottes sind nicht identisch mit den Geschöpfen selbst51, so wenig die Absicht des Künstlers identisch ist mit dem Kunstwerk, dem Ergebnis der persönlichen schöpferischen Energie. Sondern das Kunstwerk ist die Verstofflichung und Verkörperung der persönlichen Aussage und Absicht des Künstlers, ist ein wirkender Anruf und eine Möglichkeit zu persönlicher Beziehung mit dem Schöpfer mittels des Wesensgehaltes seiner Schöpfungen. Das Kunstwerk unterscheidet sich vom Künstler sowohl dem Wesen als auch der Energie nach52, (nach einem Ausspruch des heiligen Basilios des Somit gibt es weder diesen O r t noch die Geschwindigkeit als solche, sondern sie ergeben sich aus der Beobachtung. Wenn also mit dem Begriff des Körpers die Lokalisierung symbolisiert wird und mit dem Begriff der Welle die Kohärenz aufeinanderfolgender Lokalisierungen, sind beide Folgen (oder besser, Funktionen) der Anwesenheit des Menschen." Sp. Kyriazopoulos, Das Auftreten der Naturwissenschaften, S. 151. G r . Nyss., Pss. titt. - P . G . 44, 441 B, Ausg. J . McDonough - P. Alexander, S. 32, 4 - 6 . Ü b e r die Ablehnung dieser Ansicht, die zuerst von Augustinus vertreten wurde und die später allgemeine Lehre der westlichen christlichen Tradition wurde, siehe V. Lossky, Die mystische Theologie . . ., S. 119 ff. - Vgl. auch Olivier Clement, Le sens de la terre. N o t e s de cosmologie orthodoxe, in Contacts 5 9 - 6 0 / 1 9 6 7 , S. 2 5 7 ff. 49
50
51 Lossky, op. cit. S. 123. - J o . D . , conf. 2, 14 - P . G . 94, 1300 B, Ausg. Kotier, S. 105: „Ich verehre die Materie . . . nicht als Gott, sondern als göttliche Energie und erfüllt mit Gnade . . ." Auch Bas. Eun. 2, 32 - P . G . 29, 648 A . 52
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G r . Palamas, cap. phys. etc. - P . G . 150, 1220 C .
Großen „liegt Kunstfertigkeit in dem Gewirkten" und „die Kunst bei dem, der sich ihrer bedient hat" 53 ). Trotzdem offenbart das, was das Kunstwerk ist, die einzigartige, unähnliche und unwiederholbare persönliche Aussage des Künstlers und tut sie kund. Und um das Gleichnis zu wiederholen, das wir im vorhergehenden Kapitel gebrauchten: Ein von van Gogh gemaltes Bild ist „der Natur nach" ein Stück Leinwand mit Farben, aber diese Leinwand mit Farben bezeugt die Person van Gogh, sie ist die Substanz gewordene persönliche Aussage des Künstlers. Ohne die persönliche Beziehung, den persönlich aufgefaßten Sinngehalt, den das Kunstwerk verkörpert, bleibt dieses ein Gegenstand aus neutralen Materialien; der Sinngehalt des Kunstwerks bleibt unzugänglich, die Wahrheit des Werkes, des „Gewirkten" undeutbar, die Erfahrung der personhaften Anwesenheit des Künstlers, seiner Einmaligkeit und Unähnlichkeit, ist nicht zu erlangen.
§ 32 Die „trinitarische
Ausschmückung"
der
Schöpfung
„Aus der Schönheit der geschaffenen Dinge läßt sich, auf dem Wege der Analogie, der Schöpfer dieser Dinge betrachten, durch sein Werk." 54 In der „Naturbetrachtung" - im Sinne der Aussprüche der griechischen Väter hat die Analogie nicht den Charakter des folgernden Vergleichens von Größe oder Qualität: sie ist eine ethische Voraussetzung. Der Mensch entdeckt die wahre, nämlich personhafte, Schönheit der Welt im Maße der Läuterung seiner individuellen Sinnesorgane. „Wahre und höchst ersehnte Schönheit wird nur vom geläuterten Geiste geschaut."55 Wenn der „zur Vorstellung gewordene" individuelle Eindruck der sinnlich erfaßten Schönheit durch die Askese überwunden ist, wird das Seiende betrachtet, und „alles ist sehr gut"56, weil das Seiende an der „schönheitschaffenden" Tätigungsweise der schöpferischen Weisheit Gottes teilhat. „Schön aber nennen wir das, was an der Schönheit teilhat und Schönheit die Teilhabe an jener Ursache, welche die Schönheit all dessen schafft, was schön ist. Doch wenn es sich um das überwesentlich Schöne handelt, so nennt man es ebenfalls Schönheit, wegen jener Kraft, schön zu machen, die es jedem Sein in dem ihm eigenen Maße mitteilt, und die es, da es die Form des Lichts hat, ausstrahlen läßt über alle Dinge, um sie mit Schönheit zu umkleiden; aber die Ausgießungen dieser strahlenden Quelle, welche aus sich selber fließt, rufen endlich alles zusammen - auch sie werden schön genannt - und
hom. Spir. - P.G. 32, 180 C. Proc. G., υπόμνημα εις την γένεσιν - P.G. 87, 324 C. 55 Bas., hom. in ps. 29 - P.G. 29, 317 AB. 56 „. . . il faut songer aussi que rien n'existe qui soit totalement prive de participation au beau, car, comme l'affirme la verite des Dits, tout etait tres bon." Dion. Ar., c. h. - Ausg. Sources Chretiennes 58, S. 80, 32-34. Gr. Naz., or. 6, 14 - P.G. 35, 740 C. SJ
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sammeln in ihren Schoß alles in allem."57 Die Wandlung der Schönheit der Schöpfung in personales Anwesendsein des bewirkenden Gottes-Wortes ist ein ethischer Vorgang der Teilhabe an der „schönheitschaffenden" personhaften göttlichen Tätigungsweise, ein Annehmen des Rufes, welchen die Schönheit der Schöpfung verkörpert - ein ethischer Läuterungsprozeß dynamisch fortschreitender Transparenz der Vernunft, „des Staunens und Verstehens ... getrieben von Erkenntnis zu Erkenntnis und von Schau zu Schau, von Verstehen zu Verstehen"58. Das Ende dieser (nicht zur Vollendung zu bringenden) Weltbetrachtung ist das Offenbarwerden des trinitarischen Charakters der göttlichen Energie durch die Schönheit, „die Dreifaltigkeit durchdringt die Schöpfung ganz und gar mit Schönheit"59. Die Schönheit der Geschöpfe ist nicht die eindimensionale für sich bestehende Bestätigung einer hervorbringenden Ursache, sondern die Kundgabe der einheitlichen und zugleich trinitarischen Weise der göttlichen Energie, welche das Geheimnis der einen und zugleich dreifaltigen göttlichen Lebensweise widerspiegelt: „Aus der weisen Betrachtung der Schöpfung empfangen wir das Wort, um über die Heilige Dreifaltigkeit auszusagen...; denn die Schöpfung schreit durch ihre Geschöpfe und verkündet all denen, die zu hören vermögen, ihre trinitarisch kundgegebene Ursache." 60 Diese trinitarische Bezeugung der Schönheit ist eine Möglichkeit, erfahrbar teilzuhaben an der Tatsache, daß die Welt die göttliche Lebensweise darstellt, die mit entsprechenden Bildern und konventionellen Begriffen nur unzureichend ausgedrückt werden kann60'. Wir wagen die Formulierung, der Vater „denke" die Schöpfung, das Wort „bewirke" und der Heilige Geist „vollende" sie61. Die Schöpfung ist das gemeinsame Werk der Trinität, doch sind die drei Personen auf unterschiedliche, wenn auch wesenseine Weise die Ursache der Schöpfung62. Die Weisheit des Vaters schaut im voraus das Kommende, kennt, will und liebt die Geschöpfe der Welt „in alle Ewigkeit"; die wahre Schönheit der Welt offenbart diese Vorausschau, den Willen und die Liebe des Vaters. Diese Offenbarung aber ist Wort (λόγος), die Kundgabe der Tätigungsweise des Sohnes und Wortes, „durch welches alles Seiende erschaffen ist". Und der Wesensgehalt (λόγος) der Geschöpfe ist nicht einfach ihr „Sinn", die jedem Seienden zugrundeliegende „Idee", sondern das Sein der Seienden, geoffenbart als „enhypostasiertes Leben" und „lebensspendende Kraft" 63 , nämlich Energie des HeiliDion. Ar., d. n. 4 - P.G. 3, 701 C. Isaac, op. cit., ep. 4 - Ausg. Spanos, S. 384. 59 Didym., Trin. 2,1 - P.G. 39, 452 A. 60 qu. Thal. - P.G. 90, 296 BC. 601 Max., ep. 6 - P.G. 91, 432 C. " Bas., Spir. 16, 38 - P.G. 32, 136 AB. 62 Lossky, op. cit. S. 127. 63 Max., qu. Thal. - P.G. 90, 296 D ; cap. theol. - P.G. 90, 1209 A. 57
58
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gen Geistes. Die Schönheit der Schöpfung (nicht die sinnenhaft wahrnehmbare und vorgestellte, sondern die Schönheit, die sich dem geläuterten, dem „gekreuzigten" Menschen offenbart) spiegelt die personhafte Einzigkeit der göttlichen Energie wider, die sich trinitarisch kundgibt und zugleich einheitlich und unteilbar. „Denn der Vater schafft im Geiste alles durch den Sohn, w o aber das W o r t (Logos, der Sohn) ist, dort ist auch der Geist; und das durch das W o r t Geschaffene hat aus dem Geiste vermöge des Wortes seine Kraft zu sein. Denn im 33. Psalm steht geschrieben: „Durch das Wort des H e r r n sind die Himmel geschaffen, ihr ganzes Heer durch den H a u c h seines Mundes" 6 4 . Alle diese Äußerungen und Formulierungen bleiben „bloße" Begriffe, die - außerhalb der Naturbetrachtung - das Leben und die Wahrheit nicht wirklich berühren. Diese Naturbetrachtung ist eine bestimmte reinigende Askese, die zur Läuterung und Selbstverleugnung führt, mit dem Ziel, als Person Zugang zur Schönheit der Welt zu erlangen und die personale Dimension des Kosmos unmittelbar zu erfahren.
§ 33 Der Mensch - „Mikrokosmos"
und
„Mittler"
In der Naturbetrachtung, der ethischen Leistung einer personalen Beziehung des Menschen zur Welt, wird auch die Lehre der griechischen Väter der byzantinischen Zeit deutlich, die den Menschen als die Zusammenfassung der geschaffenen Welt betrachtet, als Mikrokosmos65 und die Welt als Makroanthropos66. Die Idee, den Kosmos im Menschen zusammengefaßt zu erkennen, finden wir auch bei den frühen griechischen Denkern, bei Demokrit, im Rahmen einer Ethik 67 , oder bei Piaton" und Aristoteles 6 ' in einer Naturlehre. Die patristischen Schriften nehmen diesen Gedanken der analogen Beziehung zwischen Mensch und Kosmos wieder auf: der Kosmos kann „im Kleinen" anhand des Menschen beschrieben werden, wie auch der Mensch, von einem bestimmten Gesichtspunkt her, „im G r o ß e n " im Rahmen des Kosmos beschrieben werden kann. Dennoch ist bei der Betrachtensweise " Ath., ep. Serap. 3, 45 - P.G. 26, 632 BC. 65 Jo. D., volunt. 15 - P.G. 95, 144 B, und Leont. B., Nest, et Eut. 1 - P.G. 86, 1284 C ; Gr. Naz., or. 28, 22 - P.G. 36, 57 Α und or. 38, 11 - P.G. 36, 324 A; Gr. Nyss., Pss. tin. 1,3 P.G. 44, 441 D - Ausg. McDonough-Alexander, S. 32, 18-27. " Max., myst. 7 - P.G. 91, 684 D - 684 A. - Über den Menschen als Mikrokosmos und den Kosmos als Makroanthropos siehe die Arbeit von Lars Thunberg, op. cit. insbesondere S. 140-152; auch W. Völker, Gregor von Nyssa als Mystiker, Wiesbaden 1955, S. 51 f. und Hans Urs von Balthasar, op. cit. S. 169-175. " H . Diels-W. Kranz, Die Fragmente der Vorsokratiker, Bd. II, N o . Β 34, S. 153, 4-11. '· Timaios 81a 2-b2 und Philibos 29b-30a. " Physica 252b 24-27: „Wenn dies aber bei einem Lebewesen möglich ist, warum soll es nicht auch im All so geschehen können? Denn was in der kleinen Welt geschieht, das geschieht auch in der großen . . 95
der Väter der „spezifizierende Unterschied" gerade die Überwindung der analogen Beschreibung zugunsten des dynamischen Charakters der Wahrheit vom Menschen als Mikrokosmos, wie sie sich hauptsächlich in der Lehre des heiligen Maximos dargestellt findet. Von der Natur hervorgebracht, beinhaltet der Mensch die Elemente des gesamten Kosmos, aber nach seinem Fall, nach der Selbstentfremdung seiner Natur, befinden sich diese Elemente in ihm und in der ihn umgebenden Welt im Zustande der Aufspaltung, zerteilt. Da der Mensch aber auch nach seinem Fall noch personale Existenz bleibt, vernunftbegabte, seelischkörperliche Hypostase, behält er die Fähigkeit, in seiner Person die Einheit der Welt dynamisch zu verwirklichen, das innere Vernunfthafte (λόγος) der Welt zusammenzufassen, indem er als Person die Aufforderung Gottes zu Gemeinschaft und Beziehung des Geschöpfes mit dem Ungeschaffenen beantwortet, die alles umgreifende Uridee (λόγος) der Welt offenbarend als personhaften Ausdruck von Lobpreisung des Schöpfers durch das Geschöpf. Der heilige Maximos spricht von fünf Scheidungen, die sich bereits im ersten Buch der Genesis erkennen lassen, die aber der Mensch überwinden muß, um seine natürliche Bestimmung zu erfüllen 70 : Erstens, die Scheidung der geschöpflichen von der ungeschaffenen Natur. Es folgt die Scheidung der geschöpflichen Natur in intelligibles und sinnfälliges Sein. Das sinnfällige Sein wiederum wird geschieden in Himmel und Erde; die Erde, in Paradies und bewohnten Erdkreis. Und schließlich ist der Mensch geschieden in Mann und Frau. Von seiner natürlichen Struktur her hat der Mensch den Vorzug, sich „in der Mitte der Scheidungen" zu befinden, „als Verbindung und Mittler, das heißt, als Möglichkeit, in seiner Person die Gegensätze zu vereinen. „Deshalb ist der Mensch als letzter geschaffen, mittels seiner Glieder, gleichsam als natürliches Bindeglied, die von Natur aus weit voneinander getrennten Gegensätze in sich vereinend." 71 Als konkretes und bezeichnendes Gleichnis für die existenziale Mittlerstellung des Menschen führt Maximos die Seele an: „In die Mitte gestellt zwischen Gott und die Materie ... und beide zu einen die Macht habend, den Geist zu Gott hin und zur Materie die Sinne."72 Das Werk der Einung des Geschiedenen soll der Mensch in den Grenzen seiner eigenen Natur beginnen, indem er die Trennung in Mann und Frau überwindet - das heißt, indem er gemäß dem göttlichen Urbild zu leidenschaftsloser Einheit der Person gelangt. Danach sollte das Paradies mit dem Erdkreis vereint, das heißt, die ganze Erde in ein Paradies verwandelt werden (damit die Schönheit der Welt als ständig tätiger Lobpreis Gottes offenbar werde und der Mensch sie empfange in einer persönlichen Bezie70 71 72
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Max., ambig. - P.G. 91, 1304 D f. und L. Thunberg, op. cit. S. 147. ambig. - P.G. 91, 1305 BC; 1305 AB. a m b i g . - P . G . 91, 1193 D.
hung mit G o t t , in sakramentaler D a n k s a g u n g , der Eucharistie: daß sich die ganze E r d e als ein Paradies der Anwesenheit Gottes erweise). Danach soll er die Trennungen nicht nur geistig, sondern auch in seinem Leibe überwinden, H i m m e l und E r d e einend, das ganze sinnenhaft wahrnehmbare All. „ H i e r z u soll er das Gedachte wie auch das Wahrgenommene vereinen, aufgrund der Gleichheit mit den Engeln, was die Erkenntnis anlangt, und s o soll er die gesamte S c h ö p f u n g zu einer einzigen machen; dabei wird diese S c h ö p f u n g sich ihm nicht mehr trennend darstellen, nach Erkennen oder Nichterkennen, vielmehr wird es immer die gleiche Erkenntnis sein wie von Seiten der Engel, ein erkennendes Wissen von den Vernunftgründen in den seienden Dingen, und aufgrund solchen Wissens wird dem Menschen nach göttlicher Satzung die unbegrenzt spendende Fülle der wahren Weisheit zuteil, denen, die würdig sind, die Erkenntnis Gottes zudem ohne irgendwelche Vermittlung; das aber ist ein Erkennen, das sich nicht mehr verdeutlichen oder näher erläutern läßt. U n d schließlich wird er, zu all diesem hinzu, noch die geschöpfliche N a t u r mit der ungeschaffenen N a t u r durch die Liebe vereinen . . . und zeigen, daß, zufolge der Beschaffenheit der Liebe, alles das eine und selbe ist, und so wird er sich gänzlich G o t t übereignen und somit alles werden, ja sogar G o t t selbst, sofern man absieht von der substanziellen Identität" 7 3 . Nicht der erste A d a m verwirklichte dieses Werk, das seinen A u s g a n g s p u n k t in der natürlichen existenzialen Stellung des Menschen hat, die ihn befähigt, Mittler zu sein zwischen G o t t und der Welt, und das sich vollendet in der Vergöttlichung des Menschen und der Welt, in der gänzlichen Durchdringung von Geschaffenem und U n g e s c h a f f e n e m ; es fand seine Verwirklichung vielmehr in der Person des zweiten A d a m , in Christus, dem Stammvater der „ N e u e n Schöpfung" 7 4 . Mit der Betrachtung des Menschen als Mikrokosmos und Mittler, im Rahmen einer dynamischen Beziehung, welche die liebende Vereinigung der S c h ö p f u n g mit dem Ungeschaffenen z u m Ziel hat, vollendet sich die Wahrheit der personalen Dimension des K o s m o s . D e r K o s m o s erweist sich als personhafte K u n d g a b e des göttlichen Seinsplanes (λόγος), den der Mensch empfängt und dynamisch beinhaltet, um ihn G o t t wiederum darzubringen, von dem er ausgeht und auf den hin er ausgerichtet ist. D e r Mensch ist aufgerufen, in den Grenzen seiner personalen Freiheit die dynamische Z u s a m m e n f a s s u n g und Einung der Ursache und des „Zieles" des Seinsplanes der S c h ö p f u n g zu verwirklichen, die „höchste" Einung des Geschaffenen mit dem ungeschaffenen Sein - diese Einung ist ein gänzliches Einanderdurchdringen und „zufolge von G n a d e " Identität des weltlich Seienden und des göttlichen Seins. Solange, bis der Mensch als Person die E i n u n g der Ursache und des „Zieles" verwirklicht haben wird, bleibt dieser Seinsplan der S c h ö p f u n g dynamische Energie und Bewegung, das heißt, 73 74
ambig. - P.G. 91, 1308 AB. ambig. - P.G. 91, 1308 D-1312 B. 97
Vielstimmigkeit der göttlichen Kräfte (λόγοι), deren „natürliche" Monas die menschliche Vernunft ist. Die „Vielzahl" der kosmischen Polyphonie „ist nur durch die Monas erkennbar . . . weil sie, bezüglich des Substrates, das gleiche ist wie die Monas, mag sie auch, einzig im Denken, Verschiedenheit zulassen. Denn das Ziel der Monas ist die Vielzahl und der Anfang der Vielzahl, die Monas. Oder richtiger, die Vielzahl ist eine bewegliche Monas und die Monas eine unbewegliche Vielzahl"75. In dieser Verbindung der unbeweglichen Vielzahl und der beweglichen Monas ist die natürliche Fähigkeit des Menschen beinhaltet, als Mikrokosmos Mittler zu sein, das heißt: er kann als Person den Kosmos „Logos werden lassen". Beim gefallenen und gescheiterten Menschen jedoch offenbart sich die Differenz zwischen der Monas der menschlichen Vernunft und der Polyphonie der göttlichen Kräfte in den Geschöpfen als Bewegung auf ein unerreichbares Ziel hin; diese Bewegung verfehlt ihr „Ziel" und ihren Zweck und ist darum eine das Leben „verfälschende" Bewegung. Wir nehmen sie hauptsächlich wahr als verderbliche „Veränderung" der Welt, sowohl in den Dimensionen der zeitlichen Aufeinanderfolge als auch der räumlichen Abständigkeit, als „begrenzten Stillstand". Die Erneuerung der Natur durch den Christus liegt in der Wiederherstellung der Möglichkeit, daß sich die Natur „unmittelbar" mit Gott „verbindet", wobei in dieser „Verbindung" und Beziehung die Einung des Geschaffenen mit dem ungeschaffenen Sein verwirklicht wird und das fleischgewordene Wort sich als die Realität „aller in allen" offenbart. Der heilige Maximos sagt: „Wenn die Natur, Raum und Zeit aktuell wie auch für unsere Sinne durchschreitet und sich unmittelbar mit der Vorsehung verbindet, dann erkennt sie diese als einfaches Sein (λόγος), das völlig ohne Bewegung ist. Deshalb befindet sich die Natur, wenn sie auf zeitliche Weise in der Welt besteht, in einer sie verändernden Bewegung, aufgrund der begrenzten Stabilität der Welt und des Verfalls, welchen die Zeit bewirkt. Bleibt sie aber in Gott, der ihre Existenz verursachenden natürlichen Einheit, dann wird sie für immer unentwegt in einer statischen Eigenbewegung um die eine und einzige Mitte verharren."76 Das Ziel der christlichen Kosmologie, das heißt, der Naturbetrachtung, ist die Einung „aller in allen", in der einheitlichen Einzigkeit des göttlichen Lebens; das bedeutet, daß die Naturbetrachtung in der Theologie ihre Vollendung erfährt, in der unmittelbaren Schau und Erfahrung des ungeschaffenen Logos der göttlichen Energien, in der bewegten Ruhe und der ruhenden Bewegtheit jenes „Lebens der Betrachtung" der Mönche des Ostens.
75 76
98
qu. Thal. - P.G. 90, 541 BC. qu. Thal. - P.G. 90, 760 A.
§ 34 Der Gebrauch
der Welt. Geschichte und Kultur
Natürlich erschöpft sich die Kosmologie der Väter der sogenannten byzantinischen Zeit nicht in der Abgrenzung einer Lehre, das heißt, in definierten Weltanschauungen, sondern sie vertritt eine bestimmte Einstellung zur Welt, eine Lebenswege und eine Weise, die Welt zu gebrauchen: der Kosmos ist der zweite Pol und der Seinsgrund (λόγος) eines Dia-loges, einer personalen Beziehung, welche die Verwirklichung und Offenbarung der einheitlichen Wahrheit des Seins zum Ziel hat. Innerhalb dieser Beziehung, welche die Grundvoraussetzungen des menschlichen Lebens betrifft (als Empfang von Nahrung, als Gebrauch der Materie, in der Kunst, Technik und Wirtschaft), steht der Mensch in Zwiesprache mit der Welt, verehrt er den Wesensgehalt der Dinge und hat Umgang mit ihm und bezeugt ihn. Er unterwirft die Welt nicht als ein unpersönliches, vernunftloses Objekt seiner individuellen Intelligenz und seinen technischen Fertigkeiten, er tut dem Wesensgehalt der Dinge keine Gewalt an mit Kriterien der Nützlichkeit, Notwendigkeit und des Begehrens und zwingt ihn nicht in den Dienst seines individuellen Lebens. Denn eine Nutzung der Welt, die den Seinsplan der Schöpfung verneint, das heißt, die sowohl die Wahrheit der Personheit des Kosmos verneint als auch die Wahrheit der Person des Menschen, verstümmelt und quält die Natur und den Menschen selbst, weil er die Wahrheit und die „Zielgerichtetheit" des Lebens leugnet; über das Erreichen des „Zieles" der Schöpfung schreibt der Heilige Maximos: „Denn eine Natur, die aufgrund der Kunstfertigkeit verstümmelt wurde, bringt keine Vollendung hervor, und durch das menschliche Denken legt sie das ab, was ihr eigentlich von Gott her im Sinne der Schöpfung zugehören sollte Mit anderen Worten: Die Kosmologie der griechischen Väter vertritt als Lebenswege und Gebrauch des Kosmos die Möglichkeit der Verwirklichung einer ganz bestimmten Art von Kultur, einer Kunst, Technik, Wirtschaft und Politik, die das in sich Vernunfthafte der Welt respektiert, die bemüht ist, es zu erkennen und zu bezeugen und die darum die Wahrheit des Lebens wahrt und ihr dient, ausgerichtet auf das Ziel hin: einem Leben in Wahrheit. Diese Kultur fand sich mehr oder weniger verkörpert in jener Epoche, die wir als die byzantinische und nachbyzantinische Zeit bezeichnen78. Es kann nicht Aufgabe der vorliegenden Studie sein aufzuzeigen, wie Kunst, Technik und Wirtschaft, Politik und Gesetzgebung in der byzantinischen Kultur Ausdruck der grundlegenden Lebenseinstellung der orthodoxen Kosmologie waren, wie sie die liturgische Auffassung von Kosmos und Geschichte bewahrten, den Wesensgehalt der qu. Thal. - P . G . 90, 756 B . Nicol. J o r g a , B y z a n c e apres Byzance, Continuation de l'histoire de la vie byzantine, Bucarest 1935 (2. Aufl. 1971). 77 78
99
Beziehung zwischen dem Menschen und den Dingen, der eine ganze Welt gestaltete und der sich ergibt aus der Unterordnung der individuellen Willkür unter die kosmische O r d n u n g und Weisheit 79 . Z u m Abschluß dieses Kapitels sei, wenn auch nur kurz, auf die Verwirklichung einer anderen, ebenfalls theologischen K o s m o l o g i e hingewiesen, die jedoch einen der byzantinischen Kultur entgegengesetzten Standpunkt vertritt (und die in ihrem U m k r e i s die byzantinische Kultur als L e b e n s w e g e und N u t z u n g der Welt schließlich austilgte). Sie ging hervor aus der häretischen westlichen Verfälschung der christlichen Theologie und ist verkörpert in der Geschichte der sogenannten technologischen Kultur des Westens. Im Bereich der westlichen Theologie scheint die Differenzierung der christlichen K o s m o l o g i e ausgegangen zu sein von der Lehre v o m Menschen als M i k r o k o s m o s , wie sie die griechischen Väter lehrten 80 . Diese Lehre wurde ungefähr v o m neunten Jahrhundert an durch die Ubersetzung der Werke des Heiligen M a x i m o s und des Heiligen G r e g o r von N y s s a durch Johannes Scotus Eriugena (+ 877) 81 in den geistigen R a u m des Westens getragen. Weitere Verbreitung fand sie jedoch erst in den ersten Jahrzehnten des 12. Jahrhunderts, das heißt, mit Beginn der Renaissance, die im Westen mit der Scholastik in Erscheinung trat ( „ E n t d e c k u n g " des klassischen Altertums, Eindringen der aristotelischen Wissenschaftslehre in das Gebiet der Theologie, rationalistische Struktur der menschlichen Erkenntnis, nützlichkeitsbestimmte Objektivierung der Wahrheit) 82 . Es ist das Zeitalter des „ E r w a c h e n s " der westlichen Theologen zu den Möglichkeiten 79 Hierzu die folgende Bibliographie: Dimitri Obolensky, The Principles and Methods of Byzantine Diplomacy, Actes du X l l e Congres International d'Etudes Byzantines I, Belgrade 1963, S. 45-61; Arnold Toynbee, Constantine Porphyrogenitus and his World, London ( O x f o r d Univ. Press) 1973; K. Lechner, Hellenen und Barbaren im Weltbild der Byzantiner, München 1954; L. Brehier, Les institutions de l'Empire byzantin, Paris (Albin Michel) 1948; P. Charanis, O n the Social Structure of the later Roman Empire, Byzantion X V I I 1944—45, S. 38-57; E. Bach, Les lois agraires byzantines du X e siecle, Classica et Mediaevalia V 1942, S. 70-91; J . B. Bury, The Imperial Administrative System in the Ninth Century, 2. Aufl. NewY o r k (Burt Franklin) 1963; A . Gervase Mathew, Byzantine Aesthetics, London (John Murray) 1963; J . M. H u s s e y , Church and Learning in the Byzantine Empire, L o n d o n 1937; Helene Ahrweiler, L'ideologie politique de l'Empire byzantin, Paris (P.U.F.) 1975; F. Dvornik, Darly Christian and Byzantine political Philosophy, Dumbarton O a k s 1966.
M . D . Chenu, La theologie au douzieme siecle, S. 34 ff. " M. A . Schmidt, Johannes Scotus Eriugena, in: Die Religion in Geschichte und Gegenwart, III, Sp. 820-821, und Chenu, op. cit. S. 40 u. 50. - Vgl. Etienne Gilson, La Philosophie au Moyen Age, S. 202. 12 C'est ce contexte de re-naissance oü l'inspiration prime l'imitation, oü aussi les ressources antiques nourissent les initiatives de l'esprit nouveau - que se developpe le theme litteraire, esthetique, doctrinal, des rapports de l'homme et de la nature: l'homme est un ,microcosme'." Chenu, op. cit. S. 37; vgl. Gilson, op. cit. S. 327-328. - Chenu, L a theologie comme science au X l l l e siecle, S. 101: „Entre les deux grands carrefours de la renaissance carolingienne et du Quattrocento, les X l l e et X l l l e siecles marquent une etape caracterisee de la recuperation du capital de l'Antiquite." 80
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der Logik und der Anwendung der ersten rationalistischen Schlußfolgerungen aus wissenschaftlichen Beobachtungen und methodischer und systematischer Erkenntnis. Das frühscholastische Denken ordnet die Wahrheit von dem Mikrokosmos Mensch und dem Makroanthropos Welt ein in die Erkenntnismöglichkeiten des Denkens in Analogien, das heißt, es befaßt sich mit der Beziehung Mikrokosmos-Makrokosmos im Rahmen einer rationalistisch vergleichenden Wissenschaftslehre85. Der Kosmos wird objektiviert zu den Dimensionen des menschlichen Mikrokosmos, als intellektuell erfaßbare, mit Hilfe der Sinne zu beobachtende meßbare Größe; seine objektive Wahrheit wird bestimmt, gemessen und dem menschlichen Verstand und seiner materiellen Verkörperung, dem Werkzeug, unterworfen84. So wird die Wahrheit vom Menschen als Mikrokosmos der Ausgangspunkt zur Errichtung eines anthropozentrischen Weltbildes, eines Humanismus^, der im menschlichen Mikrokosmos und dessen „Innenleben" die Möglichkeit sieht, den Makrokosmos mittels des Verstandes und der Maschine zu unterwerfen86. Auf dem Gebiet der intellektuellen Erfassung, der Beobachtung mit Hilfe der Sinne und der meßbaren Größen, verselbständigt sich die Welterkenntnis zu eigener Struktur und Ordnung, die sich nicht mehr in der „semantischen" Terminologie der sinnlichen Betrachtung und der religiösen Deutung ausdrückt, sondern mittels einer objektiven, wissenschaftlich ausgearbeiteten Methode, die das Naturgeschehen vorauszusehen und ursächlich zu begründen vermag87. Die Objektivierung der Wahrheit der Welt und ihre Unterwerfung unter den individuellen Verstand, allgemeiner aber auch die Einführung des Rationalismus in die westliche Theologie, ist kein vereinzeltes Symptom in der geschichtlichen Entwicklung des westlichen Christentums. Im Rahmen der historischen Phänomenologie wäre zunächst zu bemerken, daß die 81 Les premieres ressources du parallelisme microcosme-macrocosme sont de type rationel, disons meme d'abord scientifique: Chenu, La theologie au douzieme siecle, S. 41. - S. auch Gilson, op. cit. S. 327: „. . . le raisonnement par analogie, qui consistait ä expliquer un etre ou un fait par sa correspondance ä d'autres etres ou d'autres faits. Methode cette fois legitime et dont toute science fait usage . . . La description de l'homme comme un univers en reduction, c'est-ä-dire comme un microcosme analogue au macrocosme, est l'exemple classique de ce mode de raisonnement." , 4 „L'homme ,en face' de l'univers, n'accepte pas seulement le monde exterieur, il le change, et, avec ses outils, en veut composer un monde humain . . . La reflexion des hommes du X l l e siecle . . . avait ρεΓςυ tout ce que l'art, enforcant la nature, peut reveler sur l'homme." Chenu, op. cit. S. 49 (Hervorhebung von mir). 15 S. Chenu, op. cit. S. 40. " „La ,vie interieure' appelle, dans le microcosme, au titre meme de sa nature, l'emprise intellectuelle et mecanique sur le macrocosme." Chenu, op. cit. S. 49. 87 Chenu, op. cit. S. 314: „II y a de ce monde et de l'homme une connaissance autonome, valable en son ordre, efficace en verite de speculation et d'action, laquelle est transferable en science theologique." - Und S. 48: „L'ordre n'est plus seulement le schema d'une imagination esthetique ou d'une conviction religieuse; il est eprouve, soutenu par une methode."
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rationalistische Struktur und methodische Systematisierung der Erkenntnisfindung im mittelalterlichen Westen ursprünglich aus dem Recht übern o m m e n w u r d e und zuerst bei der Theologie Eingang fand, von w o aus sie übergriff auf die K o s m o l o g i e und die Naturwissenschaften 8 8 , wobei in der Folge umgekehrt auch die Beeinflussung der Theologie durch die N a t u r wissenschaften nicht ausblieb 89 . Aber die historischen Ursachen, welche die Entstehung des theologischen Rationalismus hervorriefen, liegen viel tiefer, und sie sind eher darin zu suchen, daß die römische Kirche ihre Autorität den Völkern des Westens aufzwingen mußte - eine Notwendigkeit, die ihre Wurzeln scheinbar sowohl in rein historischen und soziologischen Tatsachen hatte 90 als auch im versteckten Monarchianismus der römischen Theologie bereits zur Zeit des Sabellius 91 und des Augustinus 9 2 . 88 Chenu, L a theologie comme science . . . S. 16: „Dans son premier etat, la theologie est normalement un commentaire, et, sur tout son parcours, eile se developpera en constante reference a des structures apparentees ä l'enseignement du droit. A u moyen äge surtout, canonistes et theologiens travailleront en incessante collaboration dans des formes analogues et interchangeables." - D e m Thema der historischen Herkunft des juridisch-richterlichen Geistes der römisch-katholischen Kirche müßte einmal allgemeiner nachgegangen werden; beginnend mit der Zeit des Tertullian und Augustinus (die beide bedeutende Rechtsgelehrte waren). Die Art des juridischen Denkens erfordert von sich aus die Objektivierung der Ereignisse, ebenso wie die monarchische Auffassung der objektiven Autorität. 89 Chenu, L a theologie au douzieme siecle, S. 315: „ L e theologie prend ä son compte, dans la construction organique de sa sagesse, des objets qui lui fournissent les disciplines rationnelles, sciences de l'univers et de ses lois, sciences de l'homme et de ses facultes." - U n d S. 51: „ C ' e s t le meme Alain de Lille ( t 1203) ce maitre de nature, qui est aussi le theoricien des .regies de la theologie', c'est-ä-dire de la methode selon laquelle, comme toute discipline de l'esprit, la connaissance de foi s'organise, se bätit, gräce ä des principes internes qui lui donnent tournure et valeur de science." 90 D i e römische Kirche ist die einzige Bildungsinstitution im mittelalterlichen Westen, welche die Kontinuität einer kulturellen Uberlieferung wahrte, und sie entsprach dem Bedürfnis nach Einheit bei den Völkern, die im westlichen Europa nebeneinander existierten. Die Ausnützung der Notwendigkeit dieser Institution brachte bereits im 10. und 11. Jhdt. die Gesamtorganisation der religiösen Gemeinschaften im Westen zustande. Über die religiösen Bauten dieser mittelalterlichen Gemeinschaften im Westen und den Ausdruck, den sie in der Kunst des 11. Jhdts. fanden, vergl. die außerordentlich interessante Arbeit von Georges D u b y , Adolescence de la chretiente occidentale, Genf (Ed. Skira) 1967; auch Robert Fossier, Histoire sociale de l'Occident medieval, Paris (Ed. Colin) 1970, vor allem S. 43^t4, 54-56, und Jean Chelini, Histoire religieuse de l'Occident medieval, Paris (Ed. Colin). - Außerdem: J . Le G o f f , L a civilisation de l'Occident medieval, Paris (coll. „Les grandes civilisations") 1964. 91 D e r Westen legte klar und deutlich dem D o g m a von der Dreieinigkeit die Einheit Gottes (in Gott) zugrunde und versuchte das Geheimnis seiner Dreifaltigkeit begrifflich zu erfassen. Grundlegende Formulierungen waren dabei, „ein Wesen, eine H y p o s t a s e " . Aus diesen Formulierungen ergab sich die Gefahr, auf eine Person zu kommen (Alleinherrscher die herrschenden Bischöfe von R o m , Viktor, Zephirinos und Kallistos). Die Formulierung begünstigte den Monarchianismus und erleichterte die Polemik des Arianismus: Bas. Stephanidis, Kirchengeschichte, S. 169, in gr. Spr. - D e r monarchianistische Geist des Westens enthüllte sich ganz deutlich auch in der Ablehnung der Unterscheidung von Wesen und Energien Gottes und in den hierauf bezüglichen Schriften, die bestrebt waren, die Ablehnung zu untermauern, vor allem im 14. Jhdt. Die lateinisch gesonnenen Widersacher des hl. G r . Palamas definierten die Hypostase als relationales Wesen, das „της άπλώς ουσίας τοΰ
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Die objektive Sicherung der Wahrheit, welche ihrem institutionellen Forum, der Kirche, eine offensichtliche und unbezweifelbare Geltung und Autorität verschaffte, führte bei den westlichen Theologen zur Trennung von Glauben und Theologie 93 und zur Umbildung der letzteren in eine selbständige Wissenschaft 94 . Diese Wandlung der Theologie zur Wissenschaft erforderte eine apodiktische Methodologie, welche die zu erläuternde Wahrheit objektivierte und sie den Zielen und Prinzipien des menschlichen Verstandes unterwarf (regulae, axiomata, principia)95. Die apodiktische theologische Methodologie fand das grundlegende Material für ihre Ausbildung hauptsächlich in der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts, als die logica nova im Westen erschien, der zweite Teil des Organon des Aristoteles' 6 , das die Grundlage abgab für eine Wissenschaftstheorie und Wahrscheinlichkeitslehre 97 . Der nächste Schritt war die Übertragung der Wissenschaftslehre des αναφορικού λόγω μόνον διαφέρει" (J. Kyparissiotis, Πότερον τά υποστατικά εν τρ Τριάδι της ουσίας διαφέρει - Ausg. Ε. Candal, Orientalia Christiana Periodica 25/1959, S. 132, 140, 142). Der hl. Gr. Palamas urteilte von Anbeginn, daß die Ableugnung der ungeschaffenen Energien der Trinität eine verhüllte Ablehnung der Hypostasen und deren Gleichsetzung mit dem Wesen sei (vgl. Uber die göttlichen Energien, 2 7 - Ausg. P. Christos, Bd. II, S. 115), und M. Blastaris klagte die Gegner des hl. Gregor Palamas an, sie wollten die göttliche Natur in eine Hypostase zusammenpressen, indem sie die jüdische „Armut" in das Christentum einführten, nämlich den jüdischen Monotheismus (vgl. Uber die göttlichen Gnaden oder das göttliche Licht, Handb. Monac. 508, fol. 150r - in der Arbeit von Amphilochios Radowitz, Das Geheimnis der Heiligen Dreifaltigkeit nach dem Hl. Gregor Palamas, Thessaloniki 1973, S. 25 und 27, in gr. Spr.). 92 Stephanidis, op. cit. S. 198-199 (Anm.): „Im Westen hat sich die monarchianistische Terminologie der westlichen Theologie durch den Einfluß von Augustinus bis heute gehalten." - Vgl. Fr. Loofs, Dogmengeschichte, 1906, S. 363 f. - Auch die Bemerkung von Chenu (La Theologie comme science, S. 95): „La theologie d'Augustin . . . c'est d'un bei intellectualisme." N. Nisiotis, Prolegomena zur theologischen Erkenntnislehre, Athen 1965, S. 178-179. 93 „La theologie est decidement distincte de la foi (et de l'Ecriture) dans la plus courante vie scolaire." Chenu, La theologie comme science, S. 26; s. auch S. 55, 79 u. 83. 94 Chenu, op. cit. S. 26-27: „Le regime ,scientifique' qui s'instaure maintenant . . . c'est plus qu'un instrument du travail . . . c'est le droit de la raison ä s'installer ä l'interieur du donne et de la lumiere de la foi, et ä y travailler Selon ses propres lois." - Und S. 85-86: „La foi comporte . . . une capacite d'elaboration rationnelle, de manifestation, de probation, selon le sens philosophique du mot argumentum . . . La definition meme de la foi s'ouvre desormais, comme sur un horizon homogene, ä une expansion rationnelle de qualite scientifique." 95 Chenu, op. cit. S. 42: „. . . accepter l'objectivation de la connaissance de foi dans la theologie . . ." S. 20: „Gilbert de la Porree (1076-1154) enonce vigoureusement le principe du transfer ä la theologie des procedes de construction (regulae, axiomata, prindpia) coutumiers en toute discipline rationnelle." - La theologie au douzieme siecle, S. 51: „Comme toute discipline de l'esprit, la connaissance de foi s'organise, se bätit, gräce ä des principes internes qui donnent tournure et valeur de science. % Der erste Teil des „Organon" umfaßt die Werke „Categoriae", „De interpretatione", „Analytica I". Der zweite Teil: „Analytica II", „Topica et sophistici elenchi". In einigen Ausgaben des „Organon" sind folgende Werke angefügt: „De generatione et corruptione" und „De mundo". 97 Chenu, La theologie comme science, S. 20.
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Aristoteles von der Ebene der Theorie und Systematik auf das Gebiet der empirischen Realität, das heißt, auf die Kosmologie und die Naturwissenschaften - und offenbar waren es die naturalistes, die Arzt-Philosophen von Toledo, die diese Übertragung als erste verwirklichten98. So öffnete die Trennung von Glauben und Theologie, von Metaphysik und Wissenschaft den Weg zur Methodik und Systematisierung der Erkenntnisfindung auf allen Gebieten der Wissenschaft, das heißt, sie öffnete den Weg für die Beschränkung der Erkenntnis auf das Gebiet der verstandesmäßigen Erfassung und begrifflichen Aussage - sie führte endlich zur Unterordnung der Wahrheit unter den menschlichen Verstand und, als Folge, dazu, die Welt dem Willen und der Begehrlichkeit des Menschen zu unterwerfen". Wenn die Theologie als apodiktische Methodologie die Erkenntnis objektiviert, wenn sie die Wahrheit als Objekt des Verstandes auffaßt und als Ereignis personaler Beziehung ausschließt, dann schließt sie ebenso die Möglichkeit aus, den Kosmos personhaft zu sehen, und damit die Möglichkeit persönlicher Beziehung mit dem Wesensgehalt der Dinge, mit der Kundgebung der personhaften Energie Gottes in der Schöpfung. (Die Verwerfung der Unterscheidung von Wesen und Energien Gottes seitens der westlichen Theologen im 14. Jahrhundert ist typisch als Folge des theologischen Rationalismus, und sie schließt die personale Beziehung zur Wahrheit vollends aus.) Wenn aber die Erkenntnis der Welt nicht als persönliche Beziehung verwirklicht wird, wenn sie den Wesensgehalt der Dinge nicht annimmt und nicht um seine Erkenntnis bemüht ist, dann ist das einzige, was im Menschen das Interesse für die Erkenntnis der Welt wecken kann, ihre Nützlichkeit und Brauchbarkeit; das Kriterium der Nützlichkeit aber bedeutet, die Welt dem Willen und den Wünschen des Menschen zu unterwerfen. So beginnt die Naturerkenntnis ausschließlich der Technik zu dienen; das Kriterium der Nützlichkeit verwandelt die Welt in ein unpersönliches Objekt, es tut der Natur Gewalt an, um sie den Bedürfnissen der Menschen und ihren Wünschen zu unterwerfen100. Die Welt verliert ihre personale Dimension, das innere Vernunfthafte der Welt hört auf, Offenbarung der personhaften Energie Gottes zu sein, Gott wird von der Welt radikal getrennt durch die Grenze, welche das geschaffene vom ungeschaffenen " Chenu, op. cit. S. 20. 99 „La recontre de l'homme et de la nature ne s'accomplit en effet que lorsque l'homme s'empare de cette nature et la met a son service . . . Instaurer la Nature, c'etait bien, en verite, mettre fin ä une certaine conception chretienne de l'univers." La theologie au douzieme siecle, S. 44 und 50. 100 „Dans cet univers mecanique, l'homme . . . depersonnalise son action, devient sensible ä la densite objective et a ['articulation des choses sous la domination des lois naturelles . . . La science de l'homme embrasse la connaissance de cette maitrise de la nature." Chenu, op. cit. S. 48.
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ontischen Wesen trennt, das empirisch Bekannte vom empirisch Unbekannten, die sinnlich erfaßbare und meßbare Realität von der intellektuellen Hypothese (suppositio). Es steht dem Menschen frei, mittels seiner intellektuellen und technischen Möglichkeiten zu versuchen, die Herrschaft über einen so großen Bereich der Wahrheit zu erlangen, wie er ihm erreichbar ist, die Weltwirklichkeit mit den Kräften seines individuellen Verstandes zu erklären und zu unterwerfen.
§ 35 Die theologischen
Voraussetzungen
der
Technokrate
Diese Unterwerfung der Welt unter die intellektuellen und technischen Fähigkeiten des Menschen (das heißt, das, was wir heute als Technologie und technologische Kultur bezeichnen) findet bereits im Mittelalter die erste bezeichnende Verwirklichung in der gotischen Architektur. Der Meister des gotischen Bauwerkes interessiert sich nicht für den Wesensgehalt des Materials für sein Werk, er strebt nicht danach, diesem Wesensgehalt nachzuspüren, ihn einzubeziehen und mit dem Bau in Einklang zu bringen, indem er seine Ausdrucksmöglichkeiten erweist; im Gegenteil: er unterwirft das Material vorgegebenen Formen, er gibt dem Stein eine a priori willkürliche Gestalt, um das ideologische Ziel zu verwirklichen, auf das hin das Gebäude angelegt ist101. In seiner außerordentlich interessanten Arbeit „Architecture gothique et pensee scolastique"102 zeigt Erwin Panofsky die Einstellung und den Versuch, die Wahrheit mit dem Verstände zu erforschen, als gemeinsame 101 Eine völlig entgegengesetzte Einstellung gegenüber d e m Baumaterial zeigt die Architektur der sogenannten byzantinischen und nachbyzantinischen Zeit. W e n n m a n die gotischen B a u w e r k e mit den byzantinischen vergleicht, hat man die w o h l anschaulichste Ausprägung u n d V e r k ö r p e r u n g zweier diametral entgegengesetzter kosmologischer Auffassungen vor sich, die zu zwei gänzlich entgegengesetzten künstlerischen Möglichkeiten f ü h r t e n . Vgl. C h r . Yannaras, Die Freiheit des Ethos, A t h e n (Ausg. „Athena") 1970, Kap. 3: Das Ethos der liturgischen Kunst, S. 183 ff. Jedes byzantinische Bauwerk ist ein persönliches Bemühtsein u m die E r f o r s c h u n g der Möglichkeiten der natürlichen Materie. In der byzantinischen Architektur haben w i r nicht n u r einen personalen G e b r a u c h des Baumaterials vor uns, sondern auch einen persönlichen Dialog mit dem Material, die persönliche Begegnung und Beziehung des M e n schen mit der liebenden u n d weisen V e r n u n f t Gottes, welche sich in der stofflichen Schöpfung o f f e n b a r t . Dieser Dialog, der in der byzantinischen Architektur verkörpert ist, gibt das M a ß f ü r die W a h r h e i t des gesamten natürlichen Kosmos als Gemeinschaft und Kirche . . . Die materielle S c h ö p f u n g n i m m t Gestalt an, „ μ ο ρ φ ο π ο ι ε ί τ α ι " , wird Antlitz, die Person des Wortes. - Olivier Clement, Dialogues avec le Patriarche Athenagoras, Paris (Fayard) 1969, S. 278-283. - P. A. Michelis, Ästhetische Betrachtung der byzantinischen Kunst, A t h e n 2. Aufl. 1972, vor allem S. 85-98, in gr. Spr. - C h . Yannaras, Teologia apofatica e architettura bizantina, Simposio Cristiano, Mailand (Ediz. dell'Instituto di Studi teologici O r t o d o s s i ) 1971, S. 104-112. - Marinos Kalligas, Die Ästhetik des Kirchenraums im griechischen Mittelalter, A t h e n 1946. 102 Paris (Ed. de minuit) 1970, U b e r s e t z u n g aus dem englischen Original: G o t h i c Architecture and Scholasticism, Latrobe (The A r c h a b b e y Press) 1951.
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Eigentümlichkeiten des scholastischen Denkens wie auch der gotischen Architektur 103 . Bezeichnend ist auch die absolute zeitliche Entsprechung in der Entwicklung von beiden104. „Die Verbindung ist viel greifbarer als bloße Parallelität es wäre und gewiß viel allgemeiner verbreitet als nur vereinzelter Einfluß des scholastischen Denkens auf die Künstler; es ist eine echte Verbindung von Ursache und Wirkung." 105 Die gotische Architektur ist zeitlich und inhaltlich die erste unmittelbare technologische Anwendung des scholastischen Denkens, sie ist die Technik, die dem Bestreben der Scholastik sinnlich faßbaren Ausdruck verleiht, die Wahrheit, das neue Gebäude einer logisch gegliederten Wahrheit, wie die scholastische Theologie sie einführt, dem menschlichen Verstände unterzuordnen. Im 13. Jahrhundert wird, zum ersten Mal in der Geschichte der menschlichen Literatur, die Formulierung und Entwicklung einer Wahrheit methodisch in vielerlei Unterteilungen aufgegliedert: das Gesamt einer Abhandlung wird unterteilt in Stücke, die Stücke in Kapitel, die Kapitel in Paragraphen, die Paragraphen in Absätze; die Lehrsätze werden in systematischer Widerlegung der Antithesen abgesichert, der Leser wird fortschreitend, von Satz zu Satz, in eine verstandesmäßig ausgearbeitete Erläuterung der gegebenen Wahrheit eingeführt106. Es ist eine „Orgie logischer Konsequenz", wie Panofsky sagt, mit Bezug auf die Summa Theologica des Thomas von Aquin107. Dementsprechend gründet sich die Kunst der gotischen Architektur auf Strukturen aus kleinen, gleichförmig gemeißelten Steinen: die Steine bilden Pfeiler, die Pfeiler teilen sich auf in vielfach geäderte Verstrebungen, die in das ebenso vielfach verstrebte Netzwerk der Gewölbe einmünden, die sie aufnehmen 108 . Die Gliederung der Pfeiler und die Auflösung der Verstrebungen schafft ein völlig abgesichertes System, das die Schwere des Materials neutralisiert, indem es den Druck der Mauern ausgleicht. Auch hier werden die Lehrsätze durch die systematische Zurückweisung der Antithesen gesichert, „die Träger überragen das Getragene", die Schwere des Materials wird vom rational konstruierten statischen Ausgleich her neutralisiert. Hinter dieser Technik verbirgt sich ein „zutiefst analytischer Geist, der die Konstruktion streng beherrscht. Dieser Geist denkt, er löst die Kräfte auf in statische Diagramme und läßt sie im Raum erstarren"109 zu einer 103
S. S. 65. „. . . ce developpement extraordinairement synchrone . . ." S. 83; ebenfalls S. 71, sowie die entsprechenden Abbildungen S. 171-177. 105 S. 60. 106 „la construction d'un savoir dans la foi. C'est de quoi fonder la theologie comme science." Chenu, op. cit. S. 70. 11)7 „Veritable orgie de logique . . ebenda S. 94. 108 Vgl. P. A. Michelis, op. cit. S. 89-90. 109 Michelis, S. 90. 104
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Einheit, die nicht organisch ist, sondern mechanisch, zu einem monolithischen System von Verstrebungen. „Unser statisches Empfinden wird zufriedengestellt, aber in Erstaunen versetzt, weil die Glieder nicht mehr organisch ineinander greifen, sondern mechanisch verbunden sind; sie erinnern an das Knochengerüst des vom Fleisch entbundenen menschlichen Körpers." 110 Es ist die Technik, nämlich der Wille und die Logik des Menschen, die das Material bezwingt; das Gebäude offenbart vor allem die intellektuelle Konzeption und den Willen des Künstlers, nicht aber die Möglichkeiten des Materials - es zeigt den pflichtschuldigen Gehorsam der Materie gegenüber dem Geist, nicht aber die „Herrlichkeit" der Materie, nicht die O f f e n b a r u n g der Energien Gottes im Wesensgehalt der stofflichen Dinge. Historisch gesprochen, ist die gotische Architektur das erste deutliche Beispiel für das Ubergreifen der anthropozentrischen Kosmologie der Theologen des europäischen Mittelalters auf Kultur und Technik. Ausschließlich auf diese Kosmologie gründet sich das Gebäude der westlichen technologischen Kultur. Wenn es auch seltsam scheinen mag, ist es doch keine Willkür, die Entstehung der Technokratie zurückzuführen auf die Theologie. Die Entwicklung der Technik im Westen ist nicht einzig und allein ein Phänomen rasanten wissenschaftlichen Fortschritts, sie ist gleichzeitig auch die Verkörperung einer bestimmten Einstellung gegenüber der Welt, welche sämtliche Phasen der religiösen Entwicklung des Menschen im Westen umfaßt: die U n t e r o r d n u n g der Wahrheit unter den Verstand, die Leugnung der Unterscheidung von Wesen und Energien Gottes und folglich die Trennung von Transzendentem und Innerweltlichem, die Verfälschung der personalen Beziehung des Menschen zum Kosmos und das Bestreben, über die N a t u r und die historische Realität zu herrschen. Die Entwicklung der Technik im Westen ist Ausdruck eines bestimmten Ethos, Ausdruck der Grundsätze einer bestimmten Kosmologie (denn, wie wir auf den vorhergehenden Seiten sahen, ist die Beziehung des Menschen zum Kosmos das zugrunde liegende ethische Problem 111 ), sowohl als Phänomen dafür, daß der Mensch vom gesamten Rhythmus des Lebens der Welt gleichsam organisch abgeschnitten ist, wie auch dafür, daß die Geschichte verflochten ist in ein Gewirk furchtbarer unpersönlicher Mächte, welche unmöglich die Einmaligkeit der personalen menschlichen Existenz zur Voraussetzung haben können; hierzu gehört das kapitalistische System und seine sozialistischen Inversionen, die das Leben des Menschen im Rahmen einer unpersönlichen Wirtschaft verfälschen, denn sie verstricken den Menschen in die statistischen Erwägungen von Produktion und Konsum, von Angebot und Nachfrage. Es würde eigene und gezielte Studien erfordern, wollte man all den 110
Michelis, S. 90, und Worringer, Formprobleme der Gotik, München 1910, S. 73. Max., carit. I - P.G. 90, 981 B. 107
historischen Folgen der westlichen Kosmologie und der Verflechtung der sie begleitenden Probleme theologisch nachgehen. Vielleicht die bezeichnendste Erscheinung in der geschichtlichen Entwicklung der neuen Beziehung zwischen Mensch und Welt, welche die scholastische Theologie des Mittelalters eröffnete, ist das, was wir heute unter dem Begriff Umweltverschmutzung zusammenfassen, die in unseren Tagen Dimensionen einer ständig sich steigernden Bedrohung zeigt. Die vergiftete Atmosphäre der Industriegebiete, die verödeten Landstriche, die faulenden Gewässer und die Versicherung der Statistiker, daß in fünfundzwanzig, vielleicht auch weniger Jahren große Gebiete der Erde nicht mehr bewohnbar sein werden - all das offenbart unmittelbar eine Fehlhaltung in der Beziehung des Menschen zur Welt, es bezeugt das Scheitern des Menschen an seinem Versuch, die natürliche Realität seinen individuellen Bedürfnissen zu unterwerfen. Die Unterwerfung wurde erreicht, kraft des Intellekts, der sich in der Maschine materialisierte, doch wird heute auch erkennbar, wie die Natur gepeinigt wird und zugrundegeht - und das bedeutet unausweichlich auch Peinigung und tödliche Bedrohung für den Menschen. Denn das Leben des Menschen und die Wahrheit des Menschen sind nicht ablösbar vom Leben und der Wahrheit der Welt, die ihn umgibt. Die Zusammenhänge bestehen und sind unerbittlich; jede Verfälschung und Vergewaltigung dieser Beziehung bedeutet Perversion der existenzialen Wurzeln des Menschen. Im Rahmen der heutigen technologischen Kultur - die die Welt verbraucht., konsumiert, nicht aber gebraucht und in Beziehung mit ihr lebt die sich den Massen aufzwingt mit systematischer Gehirnwäsche und völliger Unterwerfung des Menschenlebens unter das Ideal unpersönlichen individuellen Wohlstands - im Rahmen dieser Kultur vertritt die orthodoxe theologische Weltsicht nicht einfach nur eine wahrere und bessere Naturlehre, sondern sie verkörpert den gegenteiligen Ethos und die gegenteilige Daseinsweise, die Möglichkeit einer dem Konsum sich entgegenstellenden Kultur. Die orthodoxe Kosmologie ist eine sittliche Ausrichtung des Lebens, welche die Verkündigung der personalen Dimension des Kosmos und der personalen Einmaligkeit des Menschen zum Ziel hat. Sie könnte im Rahmen der westlichen Kultur das radikalste Programm eines sozialen, politischen und kulturellen Wandels sein. Nur vergegenständlicht sich ein solches „Programm" nicht in den Dimensionen einer unpersönlichen Strategie; es bleibt immer Inhalt persönlicher Offenbarung, nämlich einer Umkehr, aber auch Inhalt kirchlicher Verkündigung und Praxis der orthodoxen Frömmigkeit. Der messianischen Utopie des Konsum-„Glücks", die den Menschen zur entpersönlichten Monas verfälscht und die sich nur nach den Erfordernissen der Schablone und Struktur des sozialen Systems richtet, stellt die Kirche die personale Einmaligkeit des Menschen entgegen, wie sie in der Askese erreicht wird, das heißt, in der personalen Beziehung zum Kosmos. 108
Zweites Kapitel: Die personale Dimension des Raumes: Die Abwesenheit § 36 Der relationale Charakter des im Ereignis der Beziehung
Raumes
Raumbewußtsein ist Bewußtsein des andern. Das andere, was immer das sei, setzt eine abständige Bezogenheit voraus, es stellt sich „gegenüber" und folglich „in" eine räumliche Distanz. Wir erkennen zunächst die Person als einzige Möglichkeit, sich dem Seienden „gegenüber" zu befinden, als Voraussetzung der relationalen Kundgabe des Seienden und folglich als Voraussetzung von Raumbewußtsein. Das heißt, wir erkennen den Raum als Funktion der personalen Bezogenheit im Ereignis von Beziehung.
§ 37 Die Objektivierung der personalen zum örtlichen Ab-stand und zu räumlicher
Beziehung Ausdehnung
Diese elementare Erfahrung des Raumes in der persönlichen Beziehung wird - insofern diese Beziehung selbst objektiviert wird - konventionell vergegenständlicht und als geometrische Größe und meßbare Dimension berechnet. Die Verfälschung der vorbewußten ek-statischen Bezogenheit der Person zu ausschließlich noetischem Erkennen der Erscheinung der Seienden als Gegenstände (das heißt, die Betrachtung der persönlichen Beziehung „von außen", aufgefaßt als ein Ereignis, welches außerhalb der Erfahrung der Beziehung definiert werden kann), hat zur Folge, daß auch der Raum objektiviert und in meßbaren Dimensionen definiert wird. Wenn sich die persönliche Beziehung zur Welt zur objektiven Beobachtung von Erscheinungen wandelt, dann wird das „Gegenüber" der personalen Bezogenheit konventionell gemessen anhand der Stellung des Beobachters, es wird definiert nach konkreten Maßstäben der räumlichen Distanz. Das gegenständliche andere ist hier oder dort, oben oder unten, rechts oder links, es ist näher oder ferner" 2 in objektiver, noetisch definierbarer Entfernung. Die Betrachtung der persönlichen Beziehung „von außen" objektiviert den Raum als Ab-stand zwischen den beiden Polen der Beziehung und führt die Aus-dehnung ein, als Maß zum Messen des Raumes. Der Raum " 2 „Denn von uns aus sind sie nicht immer dasselbe, je nach der Lage, die wir einnehmen, weswegen oft auch oben und unten, rechts und links, vorn und hinten dasselben ist." Arist., Physica, 2 0 8 b 1 2 - 1 4 .
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wird gemessen zwischen zwei Punkten, „wobei der Weg vom ersten zum zweiten derselbe ist, wie vom zweiten zum ersten"113. Die Ausdehnung „trennt" die Seienden, sie gibt ihnen Raum, und indem sie ihnen Raum gibt, gibt sie ihnen Grenzen, „definiert" sie sie: die Objektivierung der Seienden bedeutet letztlich ihre Bestimmung aus ihrer Ausdehnung: „Denn es gibt drei Ausdehnungen, Länge, Breite und Tiefe, durch die ein Körper bestimmt wird""*: So verliert der Raum gänzlich den Charakter des persönlichen „Gegenüber" der dynamischen ek-statischen Bezogenheit, er wird Grenze der Seienden, das heißt, ihre meßbare Größe, konventionelle Benennung ihrer Ausdehnung, der Raum wird gleichgesetzt mit dem Ort der Gegenstände. Der O r t ist eine unbewegliche Grenze115, die das Objekt „enthält", das heißt, die Erscheinung zur unbeweglichen Größe objektiviert: „Der Ort ist die Grenze des beinhalteten unbeweglichen ersten, ein unbewegliches Gefäß. ""6 Aufgrund dieser Definition können wir eine absolut vergegenständlichte Auffassung der gesamten natürlichen Realität erlangen, wo auch die Bewegung „der O r t des Ortes" ist117 - „ein Fahrzeug im Fluß"118 - und die Leere „ein von Körpern entblößter Raum"119, und wo der gesamte kosmische Raum von der Folge der sich wechselseitig durchdringenden räumlichen Ausdehnungen der Seienden gebildet wird, bis zur äußersten „Grenze" des Alls: „Und daher ist die Erde im Wasser, dieses in der Luft, diese im Äther, der Äther im Himmel, dieser jedoch nicht mehr in einem andern."120 Dennoch hebt die Objektivierung der natürlichen Realität in den Grenzen der örtlichen Abständigkeit nicht auf jeden Fall die Erfahrung des „Nicht-Ortes" auf (der „Utopie" - ουτοπία - ού τόπος), die die Erfahrung des Raumes im unbestimmten Bereich der personalen Beziehung ist. In den „Grenzen" der personalen Beziehung, der vor-bewußten, umfassenden ekstatischen Bezogenheit, vor jeder Einschaltung konventioneller Maßstäbe, bleibt das „Gegenüber" adimensional, das heißt, es läßt sich durch Messungen nicht bestimmen. Die ekstatische Bezogenheit der Person ist eine Tatsache, welche die Kategorien des meßbaren Raumes, das heißt, des Ortes, des Hier oder Dort, des Näher oder Ferner, übersteigt. Der andere Pol der personalen Beziehung kann hier sein, real-dimensional anwesend, oder anderswo, real-dimensional abwesend; vorausgesetzt ist immer derselbe, nicht real-dimensionale Raum der personalen Bezogenheit. In diesem 113
Arist., Physica, 202b 17-19. Arist., Pyhsica, 209a 4-6. 115 der Ort ist unbeweglich . . . gleichsam ein unbewegliches Gefäß . . . er bewegt weder noch wird er bewegt . . Arist., Physica, 212a 18-21 - 224b 5. 116 Arist., Physica 212a 20-21, 15-16, - 209b 1-2. - De caelo 310b 7-8. 1,7 Arist., Physica 210a 9. Arist., Physica 212a 17. Arist., Physica 208b 26-27. 120 Arist., Physica 212b 20-22. 1,4
110
Falle wird der Raum nicht als noetische Benennung des Abstandes zwischen zwei unbeweglichen Grenzen „verstanden", sondern als adimensionale dynamische Ek-stase in zwei Richtungen, als wechselseitiges persönliches Bezogensein, als erfahrbare Nähe, welche den Ab-stand aufhebt, ohne das Raumbewußtsein auszulöschen. Und das bedeutet, daß in dieser erfahrbaren Nähe der persönlichen Bezogenheit das andere jeweils eine zweite Person ist oder ein Akt personhafter „Kundgabe", ein Ding> niemals aber das konventionelle, objektivierte „austauschbare Objekt" des täglichen Bedarfs. Nur die Beziehung der Personen und das Auftauchen der Seienden in die persönliche Wahrnehmung ihrer Einmaligkeit und Umfassendheit als „Dinge" hebt die meßbare Ausdehnung zwischen Hier und Dort, Näher und Ferner auf; sie erweist die Anwesenheit ebenso wie die Abwesenheit als erfahrbare adimensionale Nähe.
§ 38 Die Abwesenheit
als Erfahrung der adimensionalen
Nähe
Doch die realdimensionale Anwesenheit verbindet sich als unmittelbare örtliche Nähe besonders eng mit dem noetischen Vorgang der Feststellung des meßbaren Abstandes; die Folge sind Maßstäbe, die sich auf die Sinne gründen, und das bedeutet Objektivierung des Raumes und damit die Schwierigkeit, wenn nicht sogar die Unmöglichkeit, sich des nicht realdimensionalen Raumes der persönlichen Beziehung bewußt zu werden. Die Feststellung der meßbaren Abstände im objektiven Raum ist, besonders wenn es sich um Objekte in unmittelbarer örtlicher Nähe handelt, ein auf jeden Fall automatisch vollzogener Akt des Bewußtseins, der die Erfahrung von Beziehung ersetzen kann, solange es sich um Bewußtsein von Entfernung im objektivierten Raum handelt. Darum müssen wir uns zunächst vor allem an die Abwesenheit halten, als Maß der bewußten Erfahrung des adimensionalen „Gegenüber" der personalen Bezogenheit. Jean-Paul Sartre hat den tatsächlichen Zusammenhang zwischen der persönlichen Abwesenheit und dem Raum ausführlich analysiert121. Ihm ging es nicht um den Beweis der personalen Dimension des Raumes, er hatte nicht die Absicht, die persönliche Beziehung als Voraussetzung für das Erlebnis von Abwesenheit als erfahrbare Nähe aufzuzeigen. Dennoch könnte man behaupten, daß aus der Analyse, die er vornahm, das Bewußtsein einer Abwesenheit in einem Raum sich als die Möglichkeit schlechtin erweist, Gewißheit zu geben über die adimensionale unmittelbare Nähe der persönlichen Beziehung. Sartre verwendet ein Beispiel der alltäglichen Erfahrung, das den tatsäch-
121
L ' E t r e et le N e a n t , Paris (Gallimard) 1943, S. 40 f.
111
liehen Zusammenhang zwischen der Abwesenheit und der unmittelbaren persönlichen Nähe besonders deutlich definiert122. Es handelt sich um die Abwesenheit meines Freundes Peter im Cafe, wo ich ihn gewöhnlich treffe. Ich komme zu spät hin und finde Peter nicht, Peter ist nicht da. Ich suche ihn überall im Cafe, und mein Suchen macht mir klar, daß Peter, in den Dimensionen des konkreten Raumes, abwesend ist. Das Cafe, wo wir gewöhnlich sitzen, mit Tischen und Stühlen, mit seinen Spiegeln und der von Atem und Tabakrauch schweren Luft, mit den bekannten Besuchern, dem Brausen der Gespräche und dem Lärm der Tassen und Gläser, ist ein real-dimensionales konkretes Ganzes, worin Peter fehlt, jede Einzelheit dieses Raumes macht seine Abwesenheit existenziell123. Daß Peter nicht da ist, stelle ich nicht bloß mit meinem Blick fest, der in die bekannte Ecke geht, wo wir uns an dem bestimmten Platz gewöhnlich treffen; Peter fehlt überhaupt im Raum des Cafehauses124, das Cafe „offenbart" mir Peters Abwesenheit; für mich ist das Cafe „erfüllt" von Peters Abwesenheit. Und gerade dieser Raum, welcher Peter nicht „enthält", der Raum ohne Peter, bestätigt mir Peters Existenz deutlicher als seine realdimensionale Anwesenheit125. Die auf Erfahrung gegründete Feststellung, Peter ist nicht hier, ist für mich ein Erlebnis unmittelbarer Beziehung mit ihm, das hervorgerufen wird von dem konkreten Raum, von dem er abwesend ist126. Entsprechende Feststellungen, die ebenfalls, jedoch nur noetisch, der Wahrheit entsprechen (wie zum Beispiel, Wellington ist nicht hier in dem Cafe, auch Paul Valery ist nicht da), haben für mich keinerlei Bedeutung, sie stellen keine durch die Abwesenheit hervorgerufene Erfahrung relationaler Nähe dar127. Peter ist nicht hier und ist dennoch jetzt für mich unmittelbar existent in konkreter, nicht-realdimensionaler Unmittelbarkeit. Der objektive Raum des Cafes offenbart mir Peters Abwesenheit als erfahrbare Gewißheit seiner Existenz, als Erfahrung des nicht-realdimensionalen „Gegenüber" meiner persönlichen Beziehung mit ihm. Wenn Peter hier ist, hat der Raum nicht 122
O p . cit. S. 44—46, ich arrangiere die Erzählung ein wenig mit meinen eigenen Worten.
„Lorsque j'entre dans ce cafe, pour y chercher Pierre, il se fait une organisation synthetique de tous les objets du cafe en fond sur quoi Pierre est donne c o m m e devant paraitre." O p . cit. S. 44. 123
124 „Pierre n'est pas la, cela ne veut point dire que je decouvre son absence en quelque lieu precis de l'etablissement. E n fait Pierre est absent de tout le cafe." O p . cit. S. 45. 125 „Je m'attandais ä voir Pierre et mon attente a fait arriver l'absence de Pierre comme un evenement reel concernant ce cafe, e'est un fait objectif, a present, que cette absence, je l'ai decouverte et eile se presente c o m m e un rapport synthetique de Pierre ä la piece dans laquelle je le cherche." O p . cit. S. 45. 126
„Et, certes, l'absence de Pierre suppose un rapport premier de moi ä ce cafe." O p . cit.
S. 45. 127 „. . . sont de pures significations abstraites . . . ils ne parviennent pas ä etablir un rapport reel entre le cafe, Wellington ou Valery: la relation: ,n'est pas' est ici simplementpensee." O p . cit. S. 45.
112
diese persönliche Dimension128, die mir jetzt seine Abwesenheit offenbart. Wenn Peter da ist, ist das eine konkrete, objektive, meinem Bewußtsein selbstverständliche Gegenwart. Jetzt, wo er nicht da ist, wird das Selbstverständliche des Bewußtseinsmechanismus aufgehoben, und es offenbart sich die vor-bewußte Erkenntnis des nicht-realdimensionalen Raumes der personalen Beziehung. Jetzt ist Peter schlechthin existent als der andere Pol einer unmittelbaren Beziehung, welche die objektivierte meßbare Entfernung aufhebt; Peters Abwesenheit „schafft" einen Bereich der Erfahrung existenzialer Nähe, wodurch sich die Existenz erkennt als dynamische Ekstase „gegenüber" einer zweiten in Beziehung befindlichen (relationalen) Person. Damit ist natürlich von dem Beispiel ein Gebrauch gemacht, der gänzlich von der Absicht abweicht, in welcher Sartre es gebrauchte. Sein Bezugnehmen auf Peters Abwesenheit hat nicht das Bewußtsein des unmittelbaren persönlichen „Gegenüber" im Auge; er möchte die Abwesenheit als die reale Tatsächlichkeit des Nicht-seins (non-etre) definieren'29, die Auffassung des Existenziellen in Bezogenheit auf das Nichts. Aber das gleiche Beispiel der Erfahrung einer persönlichen Abwesenheit führt zu Schlüssen, die uns zwangsläufig darüber hinausführen, vielleicht sogar ohne daß wir den Gedanken widerlegen, von dem Sartre ausging.
§ 39 Mögliche ontologische Deutung der Abwesenheit als von Nicht-Sein der ontischen Erscheinung
Erfahrung
Unzweifelhaft bestätigt das Bewußtsein der Abwesenheit des andern seine Existenz, indem es zwar den sinnlichen Zugang als nicht bestehend registriert, dabei aber die Realität der Existenz aus der Erfahrung des Nicht(vorhanden)Sej«5 erweist. Das Erlebnis der Realität des Nicht-Seins als Bestätigung der Existenz stellt eine tragische Erfahrung der Möglichkeit dar, daß Existenz sowohl das Sein als auch das Nicht-Sein verwirklichen kann, das, was Sartre angoisse, Angst, nennt, nämlich das Bewußtsein der existenzialen Identität von Sein und Nicht-Sein, Einsicht, daß mein Sein, das, was ich jetzt bin, mein zukünftiges Nicht-Sein ist130. Diese Angst, welche eine unmittelbare erfahrbare Erkenntnis des Seins und des Nicht-Seins begründet, als Inhalt aber auch als Möglichkeit der Existenz, bestätigt diese Existenz ebenso in der unmittelbar zugänglichen objektiven Gegenwart wie in deren Aufhebung, wobei stets von der „Dimension" im metaphorischen Sinne. ' Op. cit. S. 40. , J 0 Op. cit. 1. Teil, 1. Kap. Abs. 5: L'origine du neant (S. 58 f.) und besonders S. 69: „C'est precisement la conscience d'etre son propre avenir Sur le mode du n'etre pas que nous nommerons Ϋ angoisse." lis
,2
113
unmittelbaren existenziellen Erfahrung der Abwesenheit ausgegangen wird. So ist das Bewußtsein der Abwesenheit, als erfahrbare Voraussetzung auch der Angst, eine Form existenzialer Erkenntnis, welche die meßbare und sinnlich faßbare Erreichbarkeit null sein läßt, dabei aber die reale Tatsächlichkeit der adimensionalen Nähe des Nicht-(vorha.nden)Seins erweist: Das andere Objekt der existenzialen Wahrnehmung ist, und gleichzeitig ist es nicht; was immer existiert, ist, auch wenn es in den Dimensionen der sinnlichen Erreichbarkeit nicht ist. Doch es erhebt sich die Frage, ob diese die Existenz bestätigende Aufhebung der Erreichbarkeit durch die Sinne das Nichts auf das Sein der Seienden bezieht, ob das Nicht-Sein der realdimensionalen Abwesenheit sich auf die Seinsweise der Seienden bezieht, ob die Abwesenheit als erfahrbare Bestätigung der Existenz den Charakter des Seins als personale Kundgebung aufhebt und das Nichts als das verborgene Wesen jedes Seienden offenbart. Die Bestätigung der Existenz mittels der Abwesenheit als der realistischen Tatsächlichkeit des Nicht-Seins, die Definition der Existenz mittels ihrer Möglichkeit und Fähigkeit, als sinnlich Faßbares zu Nichts zu werden, ist offenbar auf ein Voraussetzen vor-bewußter Erfahrung gegründet, Sartre nannte es intuition"1. Mittels dieser Erfahrung offenbart sich uns die objektive Abwesenheit als existenziale unmittelbare Nähe. Die Frage ist aber, ob die als existenziale Nähe erfahrene Abwesenheit eine Beziehung mit der abwesenden Existenz voraussetzt, ein dynamisch-ekstatisches Annehmen und persönliches Erkennen der Einmaligkeit und Unähnlichkeit des andern - eine Beziehung und ein Erkennen, die als Tatsache erfahren werden, vor jedem bewußten Gewahrwerden der real-dimensionalen Anwesenheit oder Abwesenheit des andern - oder ob diese Erfahrung von Abwesenheit bloß psychologisch erlebt wird, als Bestätigung der konkreten Lücke in dem bestimmten objektiven Raum, wo der andere eigentlich sein müßte, als das Wahrnehmen des Nichtvorhandenseins der in konkreten Dimensionen jedoch dinglich vorhandenen Existenz - eine erfahrbare Umkehrung des real-dimensionalen ontischen Sezwj-Begriffes in ein Erkennen der realen Dimension des Nicht-Seins? Es ist klar, daß die Antwort auf diese Frage abhängig ist von unserem Standpunkt im Bereich der Ontologie im allgemeinen, von unserer Auffassung vom Sein: Ob wir das Sein gleichsetzen mit der ontischen Erscheinung der Gegen-stände oder ob wir es als die personale Daseinsweise erkennen - die einmalige und unähnliche Art und Weise, in welcher das, was ist, existiert - so wie sie sich im Ereignis der ek-statischen Beziehung offenbart. Wenn wir die Existenz als Erscheinung in der ontischen Dimension verstehen, dann bestätigt die Erfahrung der Abwesenheit, das heißt des Nicht-Erscheinens, die existenziale Nähe (in dem Maße, in dem vorher die real-dimensionale Erscheinung wahrgenommen wurde) als unausweichliche 1)1
114
O p . cit. S. 45.
und letztlich zwingende Kundgabe des Nichts, welches die Voraussetzung der Erscheinung ist. In diesem Falle spielt der Raum die Rolle des konkreten „Rahmens", in dem die Abwesenheit als das real-dimensionale NichtSein der Existenz „sich zeigt" (im obigen Beispiel ist der „Rahmen" von Peters Abwesenheit das mir „bekannte" Cafe). Die Existenz wird in den realen Dimensionen ihres Mc/>£-(vorhanden).SW«s bestätigt, die Abwesenheit offenbart sich als der „andere Aspekt" des Seins. Wenn jedoch die Wahrheit der Existenz allein im Ereignis der ekstatischen Beziehung erfahren wird, als das nicht-realdimensionale „Gegenüber" unserer persönlichen Beziehung zur ebenfalls personalen Einmaligkeit und Unähnlichkeit des andern, dann gibt die Realität der Abwesenheit dem Sein und dem NichtSein einen Inhalt, der sich von dem, der in Sartres Analyse vorausgesetzt ist, sehr unterscheidet. Ein Beispiel wird es erläutern: Aus der oben beschriebenen Erfahrung der persönlichen Abwesenheit des Peter erhebt sich die Frage, warum vermittelt mir die Abwesenheit von Wellington oder von Paul Valery in dem mir bekannten Cafe nicht dieselbe Erfahrung ihrer Existenz? Ihre Abwesenheit beruht doch auf der gleichen realen Tatsächlichkeit ihres nicht Vorhandenseins wie die Abwesenheit von Peter. Welche zwingende und hinreichend erfahrbare Bedingung gibt der Abwesenheit von Peter, nicht irgend jemandes sonst, die existenziale Dimension einer unmittelbaren Erreichbarkeit? Ist es einzig und allein die in meiner bewußten Erfahrung vorausbestehende realdimensionale (ontische) Erscheinung von Peter an eben diesem Ort? Dann aber müßte mir auch die Abwesenheit irgendeines anderen Gegenstandes, von dem ich früher ebenfalls die Erfahrung der ontischen Erscheinung an diesem Ort hatte (einer Hutschachtel zum Beispiel, oder eiher Schirmhülle, die durch eine andere ersetzt wurde), die existenziale Unmittelbarkeit dieser Gegenstände auf die gleiche Weise bestätigen, wie die Existenz Peters durch seine Abwesenheit bestätigt wird. Sartre versichert jedoch, nicht irgendein Objekt (kein Seiendes im Zustande des en-soi) erzeuge das Bewußtsein der Abwesenheit als existenziale Bestätigung des Nicht-Seins; das Objekt sei einfach nicht da, seine Abwesenheit offenbare nicht das Nicht-Sein (nonetre), sie begründe nur eine negative Feststellung, einen Vergleich des Früheren mit dem Gegenwärtigen, der sich in Form des nicht mehr (ne plus) ausdrücke132. Nur die menschliche Existenz (das einzige Seiende im Zustande des pour-soi) könne en dehors de l'etre (außerhalb des Seins) gesetzt werden mit der Abwesenheit, welche die Existenz (pour-soi) bestätige, indem sie das Sein als Seiendes (en soi) zunichtemache: „Der Mensch ist das Wesen, durch das das Nichts in die Welt kommt"133. Doch die Frage bleibt bestehen: Was ist die erfahrbare Voraussetzung, 1,2 „II faut un temoin qui puisse retenir le passe en quelque maniere et le comparer au present sous la forme du ,ne-plus'." O p . cit. S. 43.
O p . cit. S. 6 0 : „l'homme est l'etre par qui le neant vient au monde."
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welche die Existenz bestätigt, wenn die Dinglichkeit des Seins aufgehoben ist? Warum verschafft nicht jede beliebige Abwesenheit die Gewißheit der existenzial unmittelbaren Nähe, sondern nur die Abwesenheit der mir „aus vorhergehenden Erscheinungen bekannten" menschlichen Existenz? Ist es das Ergebnis einer besonderen, eigentümlichen Erfahrung von Deutlichkeit, welche jedesmal das Erscheinen einer Person begleitet und sie mir „bekannt" macht - die sich bestätigend zur existenzialen Gewißheit „erweitert", wenn der reale Raum mir die objektive Abwesenheit des andern offenbart? Aber begründet diese besondere und eigentümliche, nämlich einmalige und unähnlich erlebte Deutlichkeit, welche das Erscheinen der „mir bekannten" Person begleitet, kein persönliches (vor-bewußtes) Erkennen der Einmaligkeit und Unähnlichkeit des andern, kein dynamisches ekstatisches Entdecken seiner Wahrheit und schließlich keine Beziehung mit ihm - eine Beziehung, die jede Definition der Existenz mittels der ontischen Erscheinung oder des Verschwindens der ontischen Erscheinung am realen Ort übersteigt? Ist es folglich das Nichts, als existenziale Voraussetzung, oder die persönliche Beziehung - das nicht real-dimensionale „Gegenüber" der Bezogenheit von Personen - welche hinter den „Erscheinungen" der Existenz als Anwesenheit oder Abwesenheit verborgen ist? Bezieht das Bewußtsein von Abwesenheit, als Gewißheit der existenzialen Unmittelbarkeit und Nähe, die Realität der Existenz auf das Nichts oder auf das Sein als Möglichkeit adimensionaler personaler Bezogenheit? Die bejahende Antwort auf die oben gestellte Frage ist eine erfahrbare Möglichkeit, noetisch objektiv jedoch nicht zwingend: es ist eine Möglichkeit, die von „ethischen" (nämlich existenzial-ontologischen, nicht noetisch-ontischen) Voraussetzungen abhängt, die auf eine mögliche Daseinsweise bezogen sind. Konkret hängt diese Möglichkeit ab von der ek-statischen (asketischen) Uberwindung der Individualität, welche den erfahrbaren Zugang zur personalen Existenz des andern ermöglicht.
§ 40 Die Erfahrung der Abwesenheit als Ausgangspunkt zum Verständnis der Unabhängigkeit der Person vom objektiven Ort („Utopie" der Person) Das Bewußtsein der Abwesenheit bestätigt die Existenz als persönliche Nähe nur im dynamisch-existenzialen Ereignis der ekstatischen Beziehung und der liebenden Hingabe, welche Begrenzungen nicht-dimensionaler Art sind. Die ekstatische Beziehung und liebende Hingabe verwirklichen sich in gleicher Weise „gültig" (und werden als „realistisch, als wirklich" erfahren) im Falle der objektiven Gegenwart des andern, wie auch im Falle seiner real-dimensionalen Abwesenheit. Das bedeutet, daß die Tatsache der ekstatisch-personalen Beziehung dem Bewußtsein der dimensionalen Anwesenheit oder Abwesenheit vorausgeht. Jedoch beseitigt insbesondere das 116
Bewußtsein der Abwesenheit den Automatismus der noetischen Bestätigung der gegen-ständlichen Existenz des andern und offenbart die personale Beziehung als Voraussetzung für die relationale Nähe, welche die existenziale Realität des andern an einem Ort bestätigt, den es objektiv „nicht gibt". Mit anderen Worten, die Bestätigung der Existenz mittels der Erfahrung des Nichtvorhandenseins der ontischen Erscheinung offenbart sich in der personalen Daseinsweise nur dann, wenn die Beziehung besteht, die existenziale Erfahrung der Ekstase, der liebenden Selbstüberwindung, die dynamische Bewegung hin zum nicht-dimensionalen „Gegenüber" unmittelbarer persönlicher Nähe. Das vor-bewußte ekstatische Bezogensein der Person, ihre ursprüngliche Fähigkeit, sich dem „Wesen" der Seienden, ihrer möglichen An-wesenheit oder Ab-wesenheit „gegenüber zu befinden", erweist sich also mittels der Erfahrung der Abwesenheit nicht als eine a priori noetische Definition der menschlichen Existenz, sondern als eine „ethisch" mögliche und dynamische Tatsache - als Möglichkeit der „Erkenntnis" sowohl des existenzialen Wesens als auch der Realität des kosmischen Raumes: Das Wesen der Existenz - das Sein - wird nicht erschöpft im Benennen der ontischen Erscheinung und in der vor-bewußten Erfassung des Nichtvorhandenseins des Seienden mittels der Abwesenheit, sondern es wird bestätigt als die Weise, in der das, was ist, existiert, das heißt, als personale An-wesenheit oder Ab-wesenheit, als außerdimensionale unmittelbare Nähe, im grenzenlosen Bereich der personalen Beziehung. Und diese erfahrbare außerdimensionale - und nur konventionell dimensional meßbare - Unmittelbarkeit der personalen Beziehung ist der Raum: der kosmische Raum läßt sich nicht messen (außer mit den konventionellen Mengenmaßen des dimensionalen Abstandes), im Gegenteil, der Raum mißt die ekstatische Bezogenheit im Bewußtsein des personalen „Gegenüber". Die realistischste Basis für das Verständnis des Raumes ist die Erfahrung der dynamischen „Utopie" der Person, ihrer Unabhängigkeit vom real-dimensionalen Raum. Ausgehend von der Erfahrung und dem Verständnis des Raumes als „Maß" der ekstatischen Bezogenheit wird deutlich, daß die „Definition" der Person dem Bewußtsein des „in-der-Welt-Seins" der Existenz134 vorausgeht oder besser, daß sie es übersteigt. Das Da-sein, welches die Realität der menschlichen Existenz ausmacht, ist nicht auf ein abständiges In-derWelt-Sein bezogen, sondern auf die Unmittelbarkeit der ekstatischen Beziehung. Die existenziale Realität der persönlichen (ek-statischen) Beziehung kennt keine örtlichen Begrenzungen; von dem Augenblick an, wo eine Person sich „gegenüber" befindet, ist sie überall - das „Gegenüber" der personalen Beziehung ist örtlich nicht begrenzt. Das „Da-Sein" der realen 134 Heidegger, Sein und Zeit, I, 1 , 2 : „Das In-der-Welt-sein überhaupt als Grundverfassung des Daseins." (S. 52 f.)
117
menschlichen Existenz tritt auf jeden Fall als In-der-Welt-Sein in Erscheinung135, aber die Welt wird nicht ausgeschöpft mit den quantitativen Dimensionen des konventionellen Messens. Wenn wir eine Komposition von Mozart hören, befinden wir uns im „Bereich" der adimensionalen Nähe der Person Mozart, das gleiche gilt, wenn wir uns in ein Bild von van Gogh vertiefen. Es ist der Raum der persönlichen Beziehung, die Unmittelbarkeit der Einmaligkeit und Unähnlichkeit der Person, die am deutlichsten erfahren wird, wenn die Person objektiv, real-dimensional, nicht anwesend ist. Van Gogh oder Mozart sind „gegenüber" - sie existieren in einer adimensionalen Unmittelbarkeit - wo und wann immer ihre schöpferische personale Energie, der sinnlich faßbare Ausdruck ihrer ekstatischen Bezogenheit sich zeigt. Die personale schöpferische Energie bewahrt die adimensionale Unmittelbarkeit der personalen Einmaligkeit und Unähnlichkeit (besonders deutlich in den Fällen begnadeten echten künstlerischen Ausdrucks) und übersteigt das In-der-Welt-Sein der menschlichen Existenz als räumliche und zeitliche Begrenzung. Die personale Energie ist der Ort der existenzialen Kundgabe der Person, der adimensionale Ort der Beziehung, der die personale Einmaligkeit und Unähnlichkeit als erfahrbare Nähe offenbart.
$ 41 Die personalen
Energien „Ort" der personalen
Beziehung
Die Theologen des griechischen Ostens der sogenannten byzantinischen Zeit sehen in der personalen Energie den außerdimensionalen Ort der Kundgabe der menschlichen Person wie auch der Person Gottes. Der heilige Johannes Damaszenos definiert klar als Ort Gottes den Bereich der Kundgebung seiner personalen Energien: „Als Ort Gottes wird bezeichnet, wo seine Energie offenbar wird."136 Und die personale Energie Gottes wird zuerst erkennbar im Bereich der realen Welt. Wenn es dem Menschen gelingt, die Individualität ek-statisch zu überwinden, wodurch der Zugang zur Erfahrung der personhaften Existenz Gottes möglich wird, dann offenbart sich der Kosmos „gegenüber" dem Menschen als adimensionaler Ort der personalen göttlichen Energien. Und dieser kosmische Ort wird dann nicht mehr konventionell im Ab-stand vom Menschen gemessen, oder als Aus-dehnung zwischen den Gegenständen. Im Gegenteil, die Welt „mißt" (sie „umfaßt") die wechselseitige ek-statische Bezogenheit zwischen Menschen und Gott und von Gott zum Menschen, die adimensionale Unmittelbarkeit der Beziehung zwischen dem personhaften Gott und der menschlichen Person. Innerhalb der personalen Beziehung des Menschen mit dem Schöpfer der „Dinge" - der „geschaffenen Werke der realen Welt" - besteht 135
Zum Dasein gehört aber wesenhaft: „Sein in einer Welt." Heidegger, op. cit. S. 13.
136
f. ο. 1, 13 - P . G . 94, 852 A , Ausg. Kotter S. 38.
118
der Kosmos nicht mehr abgelöst für sich als im konventionellen Sinne neutralisiertes Objekt, das gemessen wird, weil es der Mensch zum Zwecke der Nutzung beansprucht, sondern die Welt „umfaßt" die Beziehung zwischen Gott und Mensch und gibt ihr Raum. Der Mensch entdeckt nichtsdestoweniger den Zugang zu Gott in der realen Welt, ohne daß damit die natürliche Distanz zwischen Gott und der Welt, zwischen dem Ungeschaffenen und der geschaffenen Natur aufgehoben wäre. „Gott ist immer fern, nicht räumlich, aber der Natur nach", sagt Johannes Damaszenos137. Die Nähe zwischen Gott und Mensch in der Welt ist keine natürliche, sondern eine räumliche, nämlich personale Nähe - die Nähe der Beziehung. Die Welt „ist fern von Gott" in einem unendlichen nicht bestimmbaren Abstand, zugleich ist sie der Substanz gewordene personale Wille Gottes, der Ort der Kundgebung seiner personalen Energie. Der göttliche Wille oder die göttliche Energie bleibt nicht unverwirklicht und substanzlos, sondern „substantiiert sich sogleich" „in der Substanz und Gestalt der Schöpfung"158 - „er substantiiert sich" außerhalb Gottes, während er zugleich die außerdimensionale „örtliche" Nähe Gottes kundtut. Es ist also nicht der Kosmos, welcher Gott oder seine personale Energie „umfaßt", sondern der göttliche Wille, die göttliche Energie „umfaßt" die Welt, gibt ihr Raum, einen Raum „außerhalb" Gottes, der gleichzeitig Ort Gottes ist, Kundgabe der außerdimensionalen Nähe seiner personalen Energie. Die geschaffene persönliche Energie des Menschen (seine schöpferische, liebende oder „logische" Aktivität) bewahrt die Unmittelbarkeit der personalen Einmaligkeit und Unähnlichkeit, auch noch in der Abwesenheit des ontischen Da-seins der menschlichen Existenz; ebenso bewahrt die Unterscheidung von Natur und Energien Gottes - ohne die Realität des natürlichen Abstandes zwischen Gott und Welt aufzuheben - die Welt als Ort unmittelbarer personaler Nähe Gottes und offenbart Gott als den Ort von allem: „Gott ... entfernt sich nicht, sondern ist selbst der Ort von allem."' 3 ' Das objektive „Gegenüber" der realen Welt als Kundgebung der personalen schöpferischen Energie Gottes offenbart dem Menschen die Existenz Gottes in einer außerdimensionalen „örtlichen" Nähe, in der Unmittelbarkeit von Beziehung. Und in den „Grenzen" der außerdimensionalen örtlichen Nähe Gottes, den Grenzen des Kosmos, übersteigt das weltliche Dasein der Existenz des Menschen die konventionell objektivierten räumlichen Begrenzungen, die Bestimmungen von Hier und Dort, von Nähe und Ferne. Das „Da-sein" der existenzialen Realität des Menschen bedeutet Inder-Welt-sein und folglich, im Bereich einer Beziehung, einer außerdimenf. ο. 1, 13 - P.G. 94, 853 C, Ausg. Kotier S. 39. » Bas., Eun. - P.G. 29, 736 C. Thphl. An:., Autol. 2, 3 - P.G. 6, 1049 D.
137 13
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sionalen personhaften unmittelbaren Nähe. Das Hier verdeutlicht die Daseinsweise, und die Daseinsweise ist die personale ekstatische Kundgabe: in-der-Welt-sein bedeutet, sich der personhaften schöpferischen göttlichen Offenbarung gegenüber zu befinden.
§ 42 Der Eros als Uberwindung der ontischen Ortsgebundenheit adimensionale Daseinsweise
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Aber die Erfahrung des adimensionalen Ortes der personalen Beziehung vollendet sich in jedem Fall innerhalb der „Grenzen" der unmittelbaren Gemeinschaft von Personen, das heißt, im Ereignis von Eros - in der dynamischen Bewegung der liebenden Hingabe. Für die Väter der Ostkirche ist die Perichorese die Erfüllung der adimensionalen Einheit des Eros, das liebende Einanderdurchdringen der Personen der heiligen Dreifaltigkeit: Gott ist „das All des Eros" (τό δλον τοΰ έρωτος)140 - „dieser Eros ist die Liebe - begreift doch, daß Gott Liebe ist"141. Der Eros ist es, der die „adimensionalen" göttlichen Hypostasen auszeichnet: „... denn sie werden nicht nach Wesenheit geschieden noch nach Kraft abgetrennt oder im Ort oder in Energie oder Willen abgesondert; gesammelt sind sie untereinander enthalten" 142 . Athanasios der Große „beschreibt" die adimensionale Unmittelbarkeit der Gemeinschaft der Personen von Vater und Sohn, indem er das Thronen des Sohnes „zur Rechten" des Vaters deutet: „Also sitzt (der Sohn) zur Rechten, nicht zur Linken schuf ihn der Vater; sondern der, welcher zur Rechten ist, spricht: was kostbar ist dem Vater, hat alles auch der Sohn, und er sagt: alles was der Vater hat, ist mein (Joh. 16,15). U m all dessen willen thront er auch zur Rechten, und wenn er auch wie ein Mensch spricht: Beständig habe ich den Herrn vor meinen Augen, ist er zu meiner Rechten, so wanke ich nicht (Ps. 15,18). In alledem aber erweist sich wieder, wie der Sohn im Vater, so ist auch der Vater im Sohne, denn da der Vater zur Rechten sitzt, ist der Sohn in der Rechten; und da der Sohn zur Rechten des Vaters sitzt, ist der Vater im Sohne"143. Wohl bedeutet die Vermeidung jeder räumlichen Bestimmung in der Beziehung der Personen der Heiligen Dreifaltigkeit die Überwindung jeder ontischen Kategorie und Dimension in Bezug auf das „Jenseits" Gottes von aller Wesenheit; aber diese Überwindung ist seitens des Menschen nicht erschöpft in der Verweigerung jeglicher Aussage über das Geheimnis des göttlichen Lebens, sie bejaht zugleich die Offenbarung Gottes - die Kund-
Max., schol. n. d. 4, 17 - P.G. 4, 269 D. Max., op. cit. 268 C. '« Jo. D., Jacob. 78 - P.G. 94, 1476 B; Clem., ström. 5 - P.G. 9, 109 AB. 143 Ar. I, 60-61 - Bibliothek der griechischen Väter, Athen (Ausg. Apostolische Diakonie), Bd. 30, S. 174, in gr. Spr. 140 141
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gäbe Gottes „außerhalb seiner selbst" in Willensakten und Energien - in der Gesamtheit der Gemeinschaft der Personen der Dreifaltigkeit. Die LiebesBeziehung und das erotische Einanderdurchdringen der göttlichen Personen hebt jedes Maß von dimensional Seiendem auf und offenbart die Trinität als „über jede Modalität erhabene"144 „adimensionale Einheit"145 und Verbindung, ohne Anfang und Ende, Maß oder Menge146. Der Ort Gottes ist die adimensionale personale Liebes-Beziehung, der Eros der trinitarischen Gemeinschaft; „die zeitlose, liebende" Trennung der Hypostasen147 „im ständigen unaufhaltsamen aus sich Herausgehen"148 offenbart die Weise der göttlichen Existenz, welche die Liebe ist: die Liebe ist der Ort als Seinswewe - „wer in der Liebe bleibt, bleibt in Gott und Gott in ihm" (1. Joh. 4,16). Nach den areopagitischen Schriften bezeichnen die Theologen „gemäß göttlicher Offenbarung" Gott als Eros und Agape. „Dieses allein durch sich selbst Schöne und Gute (ist) gleichsam sich selbst durch sich selbst offenbarend und hat durch Heraustreten aus der Einheit Güte und reine liebende Bewegung, die aus sich selbst bewegt und verwirklicht ist, die im Guten schon war und aus dem Guten in das Seiende kommt und wieder zum Guten zurückkehrt. Und in ihrem Selbst unendlich und anfangslos, offenbart sich die göttliche Liebe vor allem gleichsam in einem ewigen Kreisen, das Gute aus dem Guten und zu ihm hin, in ständigem Ineinanderübergehen ineinanderfließend und immer gleichbleibend"'49. Der „ursachelose" und „unerklärbare" Eros der trinitarischen Gemeinschaft wird nicht ausgeschöpft in den jede Aussage übersteigenden „Grenzen" des Geheimnisses des göttlichen Lebens, sondern tritt in Bewegung hervor und wirkt ekstatisch - „bewegt sich selbst, um dann tätig zu werden in endlosem schöpferischem Uberströmen in allen Dingen"150 - „bewegt sich in das Außen" in „lebendiger" und „natürlicher" liebender Bewegung „aus sich heraus", eine Bewegung und Wirkung, welche die geistige und die stoffliche Schöpfung begründet und erhält, um wiederum zu sich selbst und zu Gott zurückzukehren, in entsprechender personhaft-liebender Rückwendung der Schöpfung zur Liebe des Schöpfers: „Er, die ewige Ursache, liebt immer aus dem Ubermaß der Güte, schafft immer, vollendet immer, läßt immer fortbestehen, kehrt immer zurück, und der göttliche Eros ist Güte des Gütigen um des Guten willen."151 Max., qu. Thal. - P.G. 90, 640 B. Cyr., thes. 12 - P.G. 75, 192 C. 144 Gr. Nyss., Maced. 16 - P.G. 45, 1321 Α und Eun. 9 - P.G. 45, 813 Β - Ausg. W. Jaeger, Bd. II, S. 226, 22-29. ,4 ' Max., schol. d. n. - P.G. 4, 221 A. ,4« Max., qu. Thal. - P.G. 90, 640 B. , 4 ' d. n. 14 - P.G. 3, 712 C D - 713 A. 150 d. n. 10 - P.G. 3, 708 B; Max., schol. d. n. - P.G. 4, 261 AB. 151 d. n. 10 - P.G. 3, 708 AB; Max., cap. theol. 5 - P.G. 90, 1385 B. 144
145
121
§ 43 Der kosmische
Eros. Erotische
Einheit des
Weltalls
Die erotische Hinwendung Gottes zu den Geschöpfen und der Geschöpfe wieder zurück zu Gott umfaßt das Dasein dessen, was existiert, und sie offenbart das Weltall als das nach Zahl und Menge nicht darstellbare Wie einer Liebesgemeinschaft - als Ort, der nur in qualitativen Kategorien zu begreifen ist („in dem Guten, aus dem Guten, auf das Gute hin"), nur als dynamische Kundgabe des Geheimnisses des trinitarischen Eros „außerhalb Gottes". Bezeichnend ist die Formulierung dieser Schau des Weltganzen als adimensionalem Ort der Eros-Gemeinschaft durch den heiligen Maximos: er sieht die gesamte Schöpfung, von den Engeln bis zur unbeseelten Materie, als adimensionales einheitliches Ereignis von Eros, als hierarchische dynamische Verbundenheit und Bewegung, welche die Schöpfung umgreift und begründet - die personhafte wie die nicht-personhafte, die beseelte wie die nicht-beseelte - „gemeinschaftlicher" auf die Rückkehr zu Gott ausgerichteter aufeinander bezogener Verbundenheit152. Der heilige Maximos sagt: „Die erste Ursache des himmlischen Eros ist Gott, und zwar in grenzenloser und ursacheloser Weise. Wenn nämlich dieser Eros wirklich die Liebe ist und wenn geschrieben steht, daß Gott Liebe ist, dann ist es klar, daß der alles einende Eros, d. h. die Liebe, Gott ist. Von Gott nun steigt der Eros herab zu den Engeln, daher man ihn auch engelhaft nennen kann, und dieser göttliche Eros wird als eine zur Einheit führende Liebe erfunden. Bei den Engeln nämlich stimmt alles zusammen und streitet nichts widereinander. Hierauf folgt der geistige Eros, bei den von Gott wissenden Männern der Kirche, von denen Paulus sagt, daß sie alle in Eintracht reden sollen (l.Kor. 1,10). Der Herr sagt auch, sie sollen eins sein, wie auch wir eins sind. Das sagt er aber in Bezug auf die, die der Wahrheit wegen Christen sind; ferner aber auch in Bezug auf alle Menschen, in denen das Gesetz der Liebe herrscht. Die vernunftbegabten Seelen nannte er geistig, da sie von seinem göttlichen Geiste bewegt sind. Seelischen Eros aber nannte er den Eros der Vernunftlosen, die sinnenhafte Liebe, und diese ist sicherlich ohne Geist. Denn aus dieser Liebeskraft erheben sich die Vögel alle in Schwärmen in die Lüfte, die Schwäne, Gänse, Kraniche, Raben oder ähnliche Tiere. Doch auch auf der Erde lebende Tiere sind so, die Hirsche, die Rinder und alle die andern, ebenso auch die Tiere, die im Wasser leben, wie 152 Der Text des Hl. Maximos ist eine Lehrrede über die folgende Stelle aus den areopagitischen Schriften: „Den Eros nennen wir göttlich und engelhaft, geistig, seelisch, naturhaft, wir erkennen ihn als eine vereinigende und vermischende Kraft, die das Höhere zur Vorsehung für das Geringere bewegt; was aber demselben Rang zugehört, das verbindet sie zu wechselseitiger Teilhabe; und was die Dinge betrifft, die dem untersten Rang zugehören, so führt sie die K r a f t des Eros zurück in die stärkeren und grundlegenden Gegebenheiten." d. n. 4 - P.G. 3 713 A B .
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die Thunfische, Meeräschen und ihresgleichen. Von daher werden auch alle die mit ihren Artgenossen zusammengeführt, die nicht in Schwärmen leben. Als natürlichen Eros bezeichnete er das, was den seelen- und sinnlosen Wesen als Eigenschaft innewohnt; solche Geschöpfe nämlich lieben den Schöpfer, weil sie von ihm zum Dasein gebracht sind. In ihrer Lebensbewegung, also der natürlichen Bewegung, sind auch diese Wesen ausgerichtet auf Gott." 1 " Das Dasein des Menschen in der Welt ist die einzige Möglichkeit von Kundgabe, aber auch Verwirklichung der erotischen Einheit des WeltRaumes; durch den Menschen kann die Welt die erotische Umkehr und Rückwendung zu Gott vollziehen. Der Mensch beinhaltet dynamisch die durch den Eros verbundene Schöpfung als ihre personale Beziehung zu Gott; damit erfüllt er seine Rolle als „Mittler" zwischen Gott und der Welt. Der Mensch ist die einzige Möglichkeit personaler Verwirklichung des kosmischen Eros. Wenn die Liebe die Art und Weise der geordneten Schönheit der Schöpfung ist, der „Kosmos" der Geschöpfe, wenn sie der Ort der Beziehung des Geschaffenen mit dem Ungeschaffenen ist (der Ort als Daseinswewe) und wenn die Beziehung sich nur in der personalen Ekstase vollendet, dann ist die menschliche Person der Welt-Ori der Kundgabe der Wahrheit des Kosmos als erotische Beantwortung der personhaften göttlichen Aktivität. Aber die personale Verwirklichung des kosmischen Eros, das LogosWerden der im Eros geordneten Schönheit der Schöpfung durch den Menschen, ist nur die Kundgabe des trinitarischen Urbildes göttlichen Lebens. In dem Maße, in dem der Mensch die durch den Eros verbundene Welt in einer personalen Bezogenheit auf Gott beinhaltet, deutet, verwirklicht und heiligt er das Leben als die Hinwendung des göttlichen Eros zu den Geschöpfen und der Geschöpfe zu Gott 154 , wird er zum Ort dieses gegenseitigen liebenden Elans, zum Welt-Ort, aber auch zum „Ort Gottes"155, zur Kundgebung der einzigen Seinsweise des Eros der trinitarischen Gemeinschaft. Und je enger die persönliche Beziehung des Menschen mit Gott wird - ganz erfüllt sie sich niemals - um so mehr durchdringen einander, räumlich (nicht natürlich), innerhalb der adimensionalen Grenzen des unermeßlichen Ortes der personalen Beziehung156, der dreihypostatische Gott und der in Millionen Hypostasen existierende Mensch. Max., schol. d. n. - P . G . 4, 268 C D - 2 6 9 A. „Sofern es Eros und Agape ist, wird das Göttliche bewegt, sofern es geliebt und ersehnt ist, bewegt es alles des Eros und der Agape Fähige zu sich hin. Oder deutlicher: Bewegt wird es, sofern es den des Eros und der Agape fähigen Wesen eine innere Beziehung einsenkt, es bewegt hinwieder, sofern es durch seine Natur dieSehnsucht der zu ihm hin Bewegten anzieht. Oder nochmals: Gott bewegt und wird bewegt, als dürstend nach Erdürstetwerden, als sehnend, ersehnt zu werden, liebend, geliebt zu sein." ambig. - P.G. 91, 1260. Max. 154
155 156
Evagr. Pont., cap. pract. - P.G. 40, 1244 A. Gr. Nyss., v. Mos. - P . G . 44, 405 A B , Ausg. H . Musurillo, S. 117, 1 5 - 2 4 .
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§ 44 Die Abwesenheit, der Tod und das trinitarische der Fülle des Daseins
Vorbild
Innerhalb der realen Welt wird die personhafte Nähe Gottes durch seine ontische Abwesenheit bestätigt. Wenn die Erfahrung der Abwesenheit die Existenz als außerdimensionale Nähe der personalen Beziehung bestätigt, das heißt, wenn die Beziehung dem Bewußtsein des kundgegebenen Dinglichen vorausgeht, wenn sie als Erkenntnismöglichkeit die durch die Sinne bezeugte objektivierte Individualität übersteigt, dann ist die „Abwesenheit tatsächlich Gott" 157 , weil Gott die Fülle der personalen Beziehung ist, in der die objektivierte Individualität überwunden ist. Die Darstellung des Geheimnisses des einen und gleichzeitig trinitarischen Gottes in der christlichen Offenbarung, die Gleichung 3 = 1, welche jede mengen- und zahlenmäßige Objektivität aufhebt, wahrt die Wahrheit der Existenz als die Uberwindung der ontischen Individualität im Ereignis erotischer Gemeinschaft und liebender Beziehung. Gott ist Einer, ohne daß diese Monas eine existenzial abgesonderte und dem Begriffe nach ontische Individualität bildete, weil er gleichzeitig in drei Personen subsistiert, ohne daß die Dreiheit der Hypostasen die Einheit Gottes aufhöbe, wie es die ontische Auffassung der Zahl Drei erfordern würde. Die Formulierung, „Dreiheit in Einheit", besagt, daß Gott nicht in ontisch-individuellen Kategorien bestimmt werden kann, daß die Existenz Gottes nur im Ereignis personaler Beziehung offenbart wird; Gott ist als Liebe „begrifflich bestimmbar" (l.Joh. 4,8) - „Gott ist Liebe als Ganzes und als Teil"158. Die Formulierung, „Dreiheit in Einheit", ist nicht nur eine Weise, das Unsagbare des Geheimnisses der göttlichen Existenz zu wahren; sie umreißt auch die Wahrheit der personhaften Existenz (der einzigen Seinswewe), welche sich allein in der Überwindung der eigengesetzlich gewordenen Individualität, nur in der Unmittelbarkeit der Liebesbeziehung und im Eros der Hingabe offenbart. Und darum offenbart die Wahrheit über den dreieinigen Gott auch die Wahrheit des Menschen und macht das dynamisch-ethische „Ziel" dieser Wahrheit deutlich, nämlich, die personale Existenz des Menschen, die nicht-dimensionale persönliche Unmittelbarkeit der menschlichen Existenz15'. Die Existenz, als außerdimensionale personale Nähe, als Wahrheit, welche nur innerhalb der Grenzen der Beziehung und der liebenden 157 151
„L'absence c'est D i e u " : J . - P . Sartre, Le Diable et le bon Dieu, Χ , IV. Max., schol. d. n. - P . G . 4, 2 6 9 C .
159 F ü r die byzantinischen Väter war die Erkenntnis Gottes Anfang und Ende aller Erkenntnis - des Wissens v o m Menschen als personaler Existenz und der Erkenntnis der Welt als Kundgabe der personalen Energien Gottes - darum ist auch die Gotteserkenntnis, welche allein im Ereignis von Liebe verwirklicht wird, die „wahre Philosophie": „ή ούν άγάπη ή προς τόν θεόν αΰτη έστίν ή άληθής φιλοσοφία". J . D., dialect. - Ausg. Kotter, Berlin (de Gruyter) 1969, S. 56, 137, 160.
124
Hingabe erkannt wird, läßt das Ereignis des Todes als Eingang in den Bereich der endgültigen Überschreitung der ontischen Individualität erkennen, ebenso die orthodoxe Askese als freiwilligen Tod der egoistischen Individualität und als stetige dynamische Vollendung der personalen Daseinsweise 160 . Die Gleichung 3 = 1, welche die Existenz als Uberwindung der ontischen Individualität offenbart, offenbart auch den Tod - die Auflösung der natürlichen Individualität - als die Möglichkeit schlechthin, einzugehen zum Ort der Fülle der personalen Beziehung, der existenzialen Vollendung. Der Tod ist eine Realität des Lebens, welche zunächst als die objektive Abwesenheit der Existenz erfahren wird, als Ereignis der Vernichtung dessen, was den Sinnen zugänglich ist. Wenn aber die Abwesenheit als Erlebnis persönlicher Nähe und liebender Beziehung erfahren wird, dann bestätigt der Tod die existenziale Realität der Person als Realität von Leben, und zwar in der Beziehung und nicht in den Dimensionen des meßbaren Raumes. Die Liebesbeziehung selbst, als dynamisch-ethische Verwirklichung der existenzialen Wahrheit des Menschen, als eine Selbstüberwindung der natürlichen Individualität, des individuellen Wollens und der individuellen Wünsche, ist eine Erfahrung von Tod, erlebt als Lebensrealität und existenziale Vollendung 161 . Jedoch, außerhalb der personalen Beziehung, wenn die Person „herausfällt" in die objektivierte Individualität egoistischer Eigengesetzlichkeit, ist der Tod nur das angstvolle Bewußtsein der in der Zeit enthaltenen und mit der Existenz gegebenen Vernichtung der objektiven irdischen Dinglichkeit, auch das wiederum ein „Phänomen des Lebens", wie Heidegger es definierte162, aber nur insoweit der Tod die Wahrheit des Lebens in der gegebenen unausweichlichen Vernichtung der ontischen Existenz offenbart. Wenn Gott jedoch Trinität ist, wenn die Wahrheit der Existenz sich in der Gleichung 3 = 1 offenbart, dann ist der Tod die Möglichkeit des wahrhaften Lebens, nämlich der Vollendung des Menschen in der personalen Existenz' 63 . Wenn die Existenz als Person, als Ereignis wahrhaften Lebens, über das ontische Dasein hinausgeht, dann wird das adimensionale „Gegenüber" der personalen Bezogenheit vom Tode nicht eingeschränkt, sondern dann ist der Tod die Abwesenheit als existenziale Bestätigung der Person, dann bezeichnet er den „Verfall" des Natürlichen, Gegenständli160 J o . D., dialect. - Ausg. Kotter, S. 56, 7-12. Vgl. auch Evagr. Pont., cap. pract. 52: „Separer le corps de l'äme n'appartient qu'ä Celui qui les a unis; mais separer l'äme du corps, cela appartient aussi ä celui qui tend ä la vertu." S. C . 171, S. 618. Clem., ström. 7, 12 - P.G. 9, 500 A ; Bas., hom. in ps. 33 - P . G . 29, 385 A ; Symeon d. N . Th., über 9 - S.C. 129, 46-48: „ C a r la mort volontaire est le moyen prevu par Dieu pour que nous obtenions la vie eternelle. Meurs et tu vivras. Tu ne veux pas? Alors, tu es mort." 162 Sein und Zeit, S. 246. 163 Symeon d. N . Th., op. cit. - S.C. 129, S. 104, 341-342; Gr. N y s s . , Pulch. - P . G . 46, 877 A ; Bas., hom. in ps. 115 - P . G . 30, 109 D .
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chen und Ontischen, das „Verschlungenwerden des Sterblichen"164, das Eingehen in den personhaften Bereich des adimensional Zugänglichen. Als Bewußtsein der existenzial möglichen, aber auch sicheren Auslöschung des ontischen Daseins („in das wir unser Sein eingebracht haben"'65), das heißt, als Bewußtsein eines Bruches zwischen der erscheinungshaften und konkret-dimensionalen Realität der Existenz und ihrer dynamischen Vollendung in der Person, bleibt der Tod auf jeden Fall schlechthin die Prüfung, er bleibt Leid und angstvolle Erfahrung der individuellen Existenz; zugleich aber bezeugt er die „Menschenliebe Gottes"166, ist er schlechthin die Überwindung der unpersönlichen Objektivierung des Menschen, seines täglichen Scheiterns, Zugang zu finden zum außerdimensionalen Bereich der personalen Unmittelbarkeit und Nähe; der Tod bleibt ein „natürlicher" Widerstand gegen die Verabsolutierung der konventionellen Dimensionen der selbständigen Existenz. In der Sprache der Heiligen Schrift ist die einzelne Individualität die „Zerstückelung" der Existenz, die der Tod wieder aufhebt, um das „Ziel", die Vollendung, zu bewahren: „Wenn aber die Vollendung kommt, wird das Stückwerk ein Ende haben167, . . . wenn in Erscheinung tritt, was wir sein werden"168. „Stückwerk" der Existenz bedeutet, bruchstückhaftes Erkennen, gespaltene Selbsterkenntnis im Spiegel und in Rätseln, es bedeutet bedingte und stückhafte Gemeinschaft mittels unserer konventionellen „Sprachen" - „unser Erkennen ist Stückwerk ... wir sehen aber durch einen Spiegel und in Rätseln"169. Die „Vollendung" aber hebt das Stückwerk und die Sprachen auf und führt hin zum Ort der personalen Nähe: „Reden werden ein Ende nehmen; Erkenntnis wird nicht mehr gelten . . . dann werde ich ganz erkennen, wie auch ich ganz erkannt bin ... von Angesicht zu Angesicht."170 Das eine, was nicht aufhört beim Eintritt in den Bereich der personalen unmittelbaren Nähe, ist ihr existenzialer Vorgeschmack, die Liebe, die Erfahrung, welche hinleitet zur Katholizität der Person: „Die Liebe höret nimmer auf."171
§ 45 Die Kirche - außerdimensionaler
Ort der
Gemeinschaft
Die personale Dimension des Raumes und das Erlebnis der Abwesenheit als außerdimensionale personale Nähe sind vor allem Erfahrungen der Kirche, 2. Kor. 5,4. J o . Clim., Klimax 26, 80 - Ausg. Konstantinopel 1883, S. 136. Gr. Palamas, περί θεοποιοϋ μεθέξεως- Ausg. Christos, Bd. II, S. 144, 13-16. 167 1. Kor. 13,10. I 6 ' 1. Joh. 3,2. 1. Kor. 13,9 und 12. 170 1. Kor. 13,8 und 12. 171 1. Kor. 13,8. 164
165
126
insbesondere im Ereignis des Gottesdienstes. Der Gottesdienst hat als Ausgang und Grundlage die Feier der Eucharistie, in der sich die Kirche verwirklicht und die sie zum „Leib" macht, das heißt, zu jener existenzialen Realität, welche die Zerstückelung in Individualitäten überwindet, um die gleichzeitig bestehende Einheit und Vielfalt der Gemeinschaft von Personen zu bilden und zu offenbaren, die das Geheimnis der trinitarischen „Seinsweise" darstellt, welche die Wahrheit „realer Existenz" ist. Am Ort des Gottesdienstes, dem Bereich persönlicher unmittelbarer Nähe, besteht keine Trennung oder Abständigkeit der Gegenwärtigen und Anwesenden, Lebenden und Toten, jede Zusammenkunft einer Gebetsgemeinschaft an irgendeinem Ort umfaßt das Gesamt der Kirche - die alles umfassende (katholische) Kirche - die ganze „Schar der Heiligen", das dynamische Einanderdurchdringen der hingebenden Liebe, das liebende Danksagen der Welt an Gott; der Gottesdienst beinhaltet die ganze durch den Eros verbundene Schöpfung in einer personalen Bezogenheit auf Gott - „vor dem Angesicht Jesu Christi". In der Person des Christus, der naturhaften Einung Gottes mit dem Menschen (so organisch, wie Haupt und Glieder des Leibes eins sind), findet die erotische Struktur und Bewegung und „Liturgie" des Kosmos ihren personalen Ausdruck und ihre Verwirklichung „gegenüber" dem personhaften Gott: in Christus ist die liebende Hinwendung Gottes zur Schöpfung und der Geschöpfe zu Gott zusammengefaßt, er ist der Ort dieser wechselseitigen ineinanderströmenden Liebe, die adimensionale, unmittelbare, personhafte Einung des Geschaffenen mit dem Ungeschaffenen. In der Eucharistie der Kirche ist der Christus Brot und Wein, ist er die Welt in ihrer existenzialen Fülle, als Ort der Einung des Geschaffenen mit dem Ungeschaffenen in seiner Person, seinem Leib und Blut. Leib und Blut bedeuten Leben (und „Leben im Übermaß", Leben in seiner Gesamtheit, in seiner Einheit mit der ewigen Quelle des Lebens). Gemeinschaft und Teilhabe an diesem Leben gewährt die Verwirklichung von Kirche, als existenziale Einheit und Vielfalt, als personale Kundgabe der durch Liebe geordneten Schönheit der Welt und als Möglichkeit, einzugehen in den Eros der trinitarischen Gemeinschaft. Dieses Brot und dieser Wein sind nicht die gegen-ständliche Schöpfung, die beansprucht und vom individuellen Begehren und Wollen „ausgesondert" ist, sondern sie sind der Leib des „Gestorbenen und Auferstandenen", die Schöpfung „jenseits" des Todes der verselbständigten Individualität, sie sind das zu seiner trinitarischen Fülle wiederhergestellte Leben in seiner existenzialen Einheit und Vielfalt. Und das Leben „jenseits" des Todes hebt die Trennung auf zwischen Anwesenden und Nicht-Anwesenden, Lebenden und Toten, das Leben der Eucharistie „ist Liebe", der Mensch existiert in der personhaften Unmittelbarkeit der trinitarischen Seinswewe. „Dieses betrachte nun in heiliger Weise", lesen wir in den areopagitischen Schriften, „daß die geheiligten 127
Symbole dem göttlichen Opfermahl hinzugefügt werden, durch welche Christus bezeichnet und mitteilbar wird, und daß die gesamte Schar der Heiligen konkret dabei gegenwärtig ist, die uns damit ihr untrennbares Verbundensein und ihre überweltliche und heilige Einigung mit Ihm anzeigt."172 Die adimensionale Anwesenheit der Heiligen begründet die Kirche als Ort der Daseins weise, in welcher Lebende und Abgeschiedene, Irdische und Himmlische, Erste und Letzte vereint sind in dem einen Leibe des Christus, „in jener Einheit, in welcher der Meister die Heilige Dreifaltigkeit schuf Bezeichnend ist der bauliche und bildliche Ausdruck dieser nicht-dimensionalen Einheit des eucharistischen Leibes im kirchlichen Raum der byzantinischen Zeit: in einer byzantinischen Kirche sehen wir den Pantokrator, Gott den Allherrscher, in der Kuppel dargestellt mit den ihn umgebenden Engelsmächten, und darauf folgend die Propheten des Alten Bundes; in der darunterliegenden Reihe werden wir, mit dem Maßstab, den uns die vier Evangelisten in den vier sphärischen Dreiecken geben, übergeleitet in das Leben Christi, und die ganze „himmlische Hierarchie" ist organisch verbunden mit den Gestalten der Heiligen, die in voller Menschengröße abgebildet sind, damit der eine Leib vollendet werde durch die Gegenwart der Gläubigen, welche die Kirche füllen. Gott der Allherrscher, die Engel und Heiligen, gemeinsam mit den noch Lebenden, alle in einer lebendigen Einheit und personalen Unmittelbarkeit und Nähe „einheitlich und übereinstimmend"174 umfaßt in geisterfüllter Gemeinschaft175, wobei Ursprung der Einheit Christus ist, ihr „erster Vorstreiter". „Das heilige Sakrament der Kommunion", so bedeuten uns wiederum die areopagitischen Schriften, „wahrt seinen ewigen, einzigen, einfachen und ungeteilten Ursprung; es vervielfältigt sich aus Menschenliebe zu einer geheiligten Mehrzahl von Symbolen, und es erstreckt sich auf das Gesamt der heiligen Bilder, welche die Thearchie darstellen; aber, die Verschiedenheit der Symbole vereinend, kehrt es zurück in seine eigene Einheit und bringt zur Einheit die, welche fromm sich ihm nahen."176 Die Anbetung ist die Möglichkeit der Kundgabe, aber auch das Maß der personalen Dimension des Raumes, des adimensionalen und einsförmigen „Gegenüber" der personalen Bezogenheit, die Verwirklichung der erotischen Einheit des Weltraumes, der liebenden Rückwendung des Kosmos zu Gott.
172 173 174 175 176
128
c. h. 3 - P.G. 3, 437 C. Isaac, serm. 84, S. 323. Dion. Ar., c. h. 3 - P.G. 3, 432 B. c. h. 3 - P.G. 3, 428 B. c. h. 3 - P.G. 3, 429 A.
Drittes Kapitel: Die personale Dimension der Zeit: Die Anwesenheit § 46 Die Auffassung der personalen Ek-stase als Aufeinanderfolge von Zeit Die ek-statische Bezogenheit der Person, die vor-bewußte umfassende Beziehung zum gegen-ständlich Seienden und zu den andern Personen, kommt auch als Erfahrung von Zeit zu Bewußtsein. Die personale Beziehung ist die existenziale Voraussetzung für die Erkenntnis ermöglichende Erscheinung der Seienden, für ihr Auftauchen aus der Verborgenheit in die Un-verborgenheit. Als vor-bewußte Erkenntnis, aber auch als unwillkürlich-bewußte Wahrnehmung begründet dieses Auftauchen und Erscheinen der Seienden auf jeden Fall eine Erfahrung von Veränderung. Veränderung ist die Erfahrung des Ubergangs von einem Zustand in einen andern; nach einem Wort des Aristoteles „führt jeder Prozeß von einem Ausgangszustand in einen anderen"177. Somit ist der Ubergang von der Nicht-Bezogenheit in Beziehung, von der Verborgenheit in die Unverborgenheit ein Erfahren von Veränderung - Ausgangspunkt der Erfahrung, durch welche die Erscheinung der Seienden zum Bewußtsein gelangt. Die Ek-stase der Person aus der Nicht-Bezogenheit in die Beziehung kann nur dynamisch, nämlich relational und folglich nur als Veränderung definiert werden; um aber erkannt zu werden, muß auch die Veränderung ekstatisch sein; „jeder Wechsel . . . ist seiner Natur nach eine Störung"' 78 , definiert Aristoteles. Und es ist die Erfahrung der Ek-stase als Veränderung „von einem Zustand in den andern", der vom Bewußtsein als Übergang von einem „früher" in ein „später" erlebt wird, nämlich als Zeit. „Jede Veränderung verläuft in der Zeit"' 79 und „ohne Veränderung gibt es keine Zeit"180. Die Ek-stase „wird" als Veränderung „zu Zeit"; Zeit ist als Veränderung aufgefaßte Ekstase, das bereits bewußte Erkennen des Aufeinanderfolgens von Verborgenheit und Un-verborgenheit. Das bedeutet: das Bewußtsein von Zeit ist erfahrener Zusammenhang der Erscheinung der Seienden, ihres Auftauchens zur personalen Beziehung. Die personale Beziehung ist die existenziale Voraussetzung für das Erscheinen der Erscheinungen, für den Übergang von der Verborgenheit in die Un-verborgenheit, das heißt, für die Erfahrung von Zeit; die Erfahrung von Zeit setzt die personale Bezie177
Physica, 234 b 11.
175
Physica, 222 b 16 - und 222 b 16. Physica, 222 b 3 0 - 3 1 . Physica, 2 1 8 b 3 3 - 3 4 .
180
129
hung voraus - die Ek-stase der Person und die zur Person relationale Anwesenheit der Seienden. Die An-wesenheit (πάρ-ειμι) definiert und verlangt eine zweiheitliche Beziehung zwischen zwei Polen, deren einer die Person ist; ihr „Maß" ist die Zeit; „Maß" bedeutet hier, „Definition durch Menge"181 bei aufeinanderfolgender und wiederholter Veränderung, „Definition nicht durch Begrenzung, sondern Verhältnis"182. „Es gibt" die Zeit also nur in Verbindung mit der personalen Beziehung, als Erfahrung einer „Messung" des ekstatischen Übergangs von der Verborgenheit in die Un-verborgenheit, von der relationalen zur personalen Anwesenheit der Seienden. Insoweit die Ek-stase als Veränderung „zu Zeit wird", bleibt sie eine personale Erfahrung, setzt sie die Person voraus als „Horizont" für das Inerscheinungtreten der Veränderung, wird sie stets als dynamische Bezogenheit und zwei-polige Beziehung erfahren, immer als An-wesenheit. Das besagt, daß das Ereignis des Auftauchens der Seienden aus der Verborgenheit in die Un-verborgenheit, nämlich das Erscheinen der Erscheinungen, nicht die zur Person relationale An-wesenheit der Seienden als Zeitlichkeit definiert, sondern daß es vom ek-statischen Charakter der Bezogenheit auf die Person als Zeitlichkeit definiert wird. Wir können annehmen, daß auch die Zeitlichkeit ekstatisch ist'83, jedoch nur als Kundgabe der Ek-stase der Person, des Ubergangs von der Verborgenheit in die Un-verborgenheit, als Erfahrung der zur Person relationalen An-wesenheit der Seienden - als die Weise, in der die Un-verborgenheit der Seienden als Veränderung erfahren wird. Mit anderen Worten: die Zeit ist keine objektive Realität, die an der ekstatischen Veränderung gemessen wird (nämlich an der Wahrheit der Seienden), sondern es ist die Ek-stase als zur Person relationale Anwesenheit der Seienden, welche als Zeit gemessen wird. Die Zeit ist keine objektive oder vom Bewußtsein unabhängige Funktion der Erscheinung der Seienden am „Horizont" der Person, sie ist nicht die existenziale Voraussetzung für die Erscheinung der Seienden, sondern, was als Zeit gemessen wird, ist die Bezogenheit zur Person, die zweiheitliche Beziehung als Anwesenheit, das Auftauchen aus der Verborgenheit der Nicht-Beziehung. Die Seienden erscheinen am „Horizont" der Person, nicht aber am „Horizont" der Zeit; die Person „bestimmt" die Erscheinung der Seienden, während die Zeit diese Erscheinung „mißt", sie ist das Maß der personalen Beziehung mit den Seienden184.
182 183 m
130
Metaphysica 1052 b 20: „Maß nämlich ist das, wodurch das Quantitative erkannt wird." Ethica Eudem. 10, 1243 b 29. „Die Zeitlichkeit ist wesenhaft ekstatisch." Heidegger, Sein und Zeit, S. 331. Max., schol. d. n. - P.G. 4, 316 AB.
$ 47 Die Zeit als „Maß" der personalen
Beziehung
Wenn wir die Zeit deuten als erfahrbare Funktion der ek-statischen Veränderung und als Maß der personalen Kundgabe der Seienden, das heißt, als „Semantik" der personalen Daseinsweise, dann verschieben wir das Zeitproblem von der Ebene der Phänomenologie und der objektiven Bestimmungen auf eine andere; wir gehen sowohl über den objektiven als auch über den subjektiven Zeitbegriff hinaus, versuchen aber auch nicht, die beiden Auffassungen zu vermischen. (Für die Auffassung von objektiver und subjektiver Zeit und ihrer Verbindung gibt es bezeichnende Beispiele in der Geschichte der Philosophie: die Ansicht Piatons, der die Zeit mit der Bewegung der Himmelskörper gleichsetzte'85, er sah in ihnen „Werkzeuge der Zeit" oder „Werkzeuge der Zeiten"186; die Ansicht Plotins, der die Zeit als „Energie der Seele" betrachtete, das heißt, der ausschließlich der Seele die Fähigkeit zubilligte, „sich zu verzeitlichen"187; und die Ansicht des Aristoteles, die die beiden angeführten Ansichten in sich vereinigt; er definierte die Zeit als ein Maßverhältnis, als das aus der Verbindung von Objektivem und Subjektivem Hervorgegangene, als Verbindung der kosmischen Bewegung mit einer Funktion der Seele"188. Die phänomenologische - objektive und subjektive - Auffassung der Zeit189 geht aus von der Objektivierung der Erfahrung der ekstatischen Veränderung zu meßbarer Veränderung, der Objektivierung der Information des Bewußtseins über die Erscheinung in meßbare Aufeinanderfolge von Verborgenheit und Un-verborgenheit. Wenn die Seienden nur in einer relationalen Verbindung mit der Person in die Un-verborgenheit treten und wenn diese Verbindung von der Zeit, als ekstatische Veränderung „angezeigt" wird, dann ist es klar, daß die Zeit zum Maß wird für das Verständnis der Un-verborgenheit, nämlich für das Sein der Seienden. Wenn jedoch die Erfahrung der Ek-stase als Veränderung objektiviert wird zur Information des Bewußtseins über die meßbare Aufeinanderfolge, dann wird das Maß der ekstatischen Bezogenheit gleichgesetzt mit der Tatsache der Bezo185 N a c h Piaton ist die Zeit ein bewegtes Bild der Ewigkeit, ein „nach der Vielheit der Zahl" sich fortbewegendes dauerndes Abbild: eben das, was wir Zeit genannt haben. Timaios, 37 d 3-7.
Timaios 41 e 5 und 42 d 5. Plotin, Enrt. 3, 7, 7, insbes. 11, 5 9 - 6 2 und 12, 2 2 - 2 8 , 4 0 - 4 3 . 188 Physica 2 1 9 a 2 3 - 3 0 : „Wir sagen, es sei Zeit abgelaufen, wenn wir ein Früher und Später an der Bewegung gewahren. Wir begrenzen sie nun dadurch, daß wir die Jetzt wieder und wieder als ein anderes auffassen und zwischen ihnen wieder andere denken. Denn wenn wir die Grenzen von dem dazwischen unterscheiden und die Seele zwei Jetzt verschieden setzt, ein früheres und ein späteres, dann sagen wir, dies sei Zeit. Zeit nämlich scheint das zu sein, was wir durch das Jetzt abgrenzen. Und dies soll also gelten." 186 187
189 Heidegger, op. cit. S. 326 und 4 2 0 ; Husserl, Ideen zu einer reinen Phänomenologie und phänomenologischen Philosophie I, Husserliana Bd. III, Haag (Martinus Nijhoff) 1950, S. 196, 2 9 - 3 2 .
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genheit selbst, dann nämlich wird die Zeit identifiziert mit dem Sein der Seienden. Aristoteles sagt: „In der Zeit sein (bedeutet) von der Zeit gemessen zu werden."190 Dies ist der Ausgangspunkt für die Auffassung sowohl der sogenannten „objektiven" Zeit (der meßbaren Bewegung der Himmelskörper, des biologischen Wachstums, der im Entstehen begriffenen Geschichte, usw.) als auch der sogenannten „subjektiven" Zeit (dem bewußt erfahrenen Ablauf von Zeit). Und in beiden Fällen wird die Zeit nicht als die „semantische" Erfahrung der ekstatischen Bezogenheit aufgefaßt, woran diese gemessen wird, sondern als objektive oder bewußt erfahrene meßbare Realität, welche die Un-verborgenheit der Seienden „bedingt", als berechenbare Bewegung ekstatischer Aufeinanderfolge, das heißt, sie bestimmt das Sein der Seienden. Das Auftauchen in die Unverborgenheit, die Ek-stase aus der Verborgenheit, wird nicht als Beziehung und Bezogenheit auf den „Horizont" der vor-bewußten Katholizität der Person aufgefaßt, sondern als die Tatsache der ekstatischen Veränderung, welche als Bewegung von einem „früher" zu einem „später" gemessen wird (wobei das „früher" und das „später" die Punktmenge objektiver Vorgänge in einer gegebenen Abfolge bilden oder bewußtes Erleben bestimmter Abläufe sind), und diese Bewegung bildet die einzige Möglichkeit, die Seienden zu begreifen in dem, was ist. So wird die Folge von „früher" zu „später" - als physikalisch-meßbare Zeit oder als bewußt erfahrener Ablauf zur existenzialen Voraussetzung für die Seienden.
§ 48 Das „Jetzt" als unbewegte Zeit: das Nichts des Abstandes zwischen auf einander folgenden Ereignissen oder die adimensionale Zeit der personalen Unmittelbarkeit und Nähe Die Auseinandersetzung mit der Zeit und ihre Ablösung von der relationalen und personalen An-wesenheit der Seienden - dem Auftauchen aus der Verborgenheit der Nicht-Beziehung - ist bezeichnend ausgedrückt in der Formulierung von Sartre: „Ce qui separe Panterieur du posterieur c'est precisement rien. Et ce rien est absolument infranchissable, justement parce qui'il n'est rien."191 Die Erfassung des Nichts setzt auf jeden Fall die Auffassung der Zeit als objektive und meßbare ekstatische Veränderung voraus, das heißt, als berechenbare Folge objektiver Vorgänge, die nur als Punktmenge aller „Veränderlichen" begriffen werden, nämlich erscheinen. Das Nichts ist das gedankliche Erfassen des Augenblicks der Veränderung, der gedachte Zwischenraum zwischen den Ereignissen, der nicht-mengen-
Physica 221 b 27-28. „Ce qui separe l'anterieur du posterieur c'est precisement rien. Et ce rien est absolument infranchissable, justement parce qu'il n'est rien." L'Etre et le Neant, S. 64. 132
hafte Unterschied der valeurs continues, welchen die Veränderlichen der zeitlichen Punktmenge aufweisen. Aristoteles hat als erster - konsequent in der Auffassung der Zeit als berechenbarer Bewegung - das „Zwischen" dem früher und später192, welches das Jetzt ist193, als die unteilbare Monas der berechenbaren Zeit definiert, die, da sie unteilbar ist, auch bewegungslos ist - es ist das Nichts der Bewegung und der Zeit194. Aber Aristoteles deutet das jetzt auch als „Mitte", die zugleich ihren Anfang und ihr Ende enthält195, und das Denken der christlichen Väter des Ostens mußte bei dieser Definition im Jetzt die adimensionale Gegenwart der personalen Nähe sehen: Johannes Damaszenos definiert das Jetzt als nicht-quantitative Zeit (άποσος χρόνος) 19 ', und Basilius der Große bezieht es auf die „Zeit Gottes" 197 , die weder Bewegung noch Wandel kennt; Maximos sieht im Jetzt die Wahrheit der „nicht-bewegten" Zeit, das heißt, die „Ewigkeit", den „Aion, . . . Zeit ist getragen durch Bewegung, daher ist der Aion . . . die Zeit, welche frei ist von Bewegung; die Zeit, umgekehrt, ist der Aion, der in der Bewegung sein Maß findet" 198 . Der Aion ist die Zeit der Fülle der personalen Beziehung zwischen Gott und Mensch, denn die Zeit „verliert die Bewegung" nur dann, wenn „die Natur unmittelbar mit der Vorsehung verbunden ist". In den adimensionalen Grenzen dieser „Verknüpfung", das heißt, in der Fülle der personalen Nähe von Mensch und Gott, „findet die Natur den ihr gemäßen Sinn der Vorsehung, der einfach und unbewegt ist und niemals... beschrieben und deshalb immer ohne Bewegung". Beschreibung bedeutet, Grenze, Einschränkung, Begrenzung, es bedeutet die objektive Individualität und folglich Bewegung „von diesem zu jenem" - es bedeutet die Begrenzung oder die Aufhebung der adimensionalen personalen Nähe und Unmittelbarkeit. Darum wird auch im gegenständlichen Bereich der Welt die personale Ek-stase der Natur auf jeden Fall „bei jenen, die sich in der Zeit befinden", als Zeit und als „Veränderung der lebensgemäßen Bewe" 2 Physica 2 1 9 a 26 und 231 b 9. 1.3 „In der Zeit ist etwas Unteilbares, das wir das Jetzt nennen." Physica 234 a 2 2 - 2 3 . - „Die Zeit ist ja die Zahl des Wurfes, das Jetzt ist dem Geworfenen zu vergleichen, also gleichsam die Einheit dieser Zahl." Physica 2 2 0 a 3 - 4 . 1 . 4 „. . . daß Größe und Zeit und Bewegung aus unteilbaren Stücken bestehen und in unteilbare Stücke zerlegbar sind, oder keins von den dreien". Physica 231 b 1 9 - 2 0 . - „Wenn alles sich in der Zeit bewegt und niemals in einem J e t z t . " Physica 241 a 15. - „Wenn wir also das Jetzt als ein einziges gewahren und nicht entweder als früher und später in der Bewegung oder als zwar dasselbe, aber als früher als dieses und später als jenes, dann scheint uns keine Zeit abgelaufen zu sein, weil auch keine Bewegung. Gewahren wir aber ein Früher und Später, dann reden wir von Zeit." Physica 219 a 3 0 - 2 1 9 b 1. 195 194 197 ,9i
Physica 251 b 2 0 - 2 1 . J o . D „ dialect. 50, 52 - Ausg. Kotter S. 116. Bas., Is. 119 - P . G . 30, 312 A. Max., ambig. - P . G . 91, 1164.
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gung" gemessen, weil die Welt ein „endlicher Zustand" ist, verglichen mit der unendlichen und adimensionalen Unmittelbarkeit der personalen Beziehung zu Gott. Die verändernde Bewegung der der Natur unterworfenen Zeit bezieht sich auf ein Zertrennen von Verknüpfungen - und nicht auf die „natürliche Monas, in der sie entstand" und offenbart sich als „Veränderung" der Zeit und als Verderben. Nur „in Gott geschehend überwindet die Natur die Zeit, überschreitet sie Stillstand und Bewegung, . . . und sie wird die immerdar bewegte Ruhe haben, wie auch die ruhende Selbstbewegung, und zwar eine Bewegung, die ewig in Bezug auf dasselbe und eine geschieht"199. Somit zeigt sich, daß der Inhalt, den wir dem Jetzt geben, entscheidend ist, ebenso bei der Beurteilung der Frage nach der Zeit wie in der Beurteilung der Frage nach der Existenz; beide Fragen erfordern von Grund aus verschiedene Antworten, entsprechend unserer Auffassung vom Jetzt: als das Nichts (μηδέν), die Lücke des Abstandes zwischen den ekstatischen Veränderungen oder als die adimensionale Zeit der personalen Nähe. Der Begriff des Nichts, die Lücke, die sich auftut zwischen dem Vorausgegangenen und dem Folgenden, setzt voraus, daß die Zeit eine gegebene Folge objektiver Geschehnisse sei und definiert sie als solche, und er setzt voraus und definiert die Existenz der Seienden und des Menschen als ein Schweben in der Leere des meßbaren Ab-standes zwischen den Geschehnissen. Die Geschehnisse sind erscheinungshafte Widerlegungen des Nichts; die Seienden sind, weil sie nicht Nichts sind; die Existenz wird zwangsläufig in unmittelbarem Zusammenhang mit dem Nichts verstanden (dem Nichts des zeitlichen Ab-standes) und das Nichts als Ausgang, Ziel und unabtrennbarer Inhalt der zeitlichen Existenz. Wenn jedoch das Vorhergehende und das Folgende nicht Punkte einer objektiven Aufeinanderfolge sind, welche die ek-statische Unverborgenheit definiert und ausschöpft, sondern „Wegmarken" (das heißt, die Maße oder Grenzen) in der Erfahrung der Beziehung der Person mit den Seienden in der fortschreitenden und dynamischen Kundgabe der relationalen Anwesenheit der Seienden am „Horizont" der Person, dann mißt die Folge von Vorher und Nachher die ekstatische Bezogenheit, das Streben der Person nach Katholizität, nach umfassender Beziehung und Beinhaltung der Wahrheit der Welt. Und wenn wir sagen, die Zeitfolge messe das Streben der Person nach Katholizität und „Einheitlichkeit" der Beziehung, dann verstehen wir, daß - im kosmischen Bereich des Gegenständlichen die Zeit die Bruchstückhaftigkeit der personalen Beziehung mißt (das „im Entstehen-begriffensein" der Beziehung), während das Maß dieses Messens die Beziehung selbst ist, die adimensionale Zeit des Jetzt, die erotische Zeit der personalen Unmittelbarkeit und Nähe, der Einheitlichkeit der Beziehung zwischen dem Geschaffenen und dem Ungeschaffenen. Max., qu. Thal. - P.G. 90, 760 A.
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§ 49 Die gezählte
Zeit. „Verlauf" und
„Kontinuität"
Wir sprachen von der phänomenologischen Auffassung der - objektiven und subjektiven - Zeit, ausgehend von der Objektivierung der Erfahrung der ekstatischen Veränderung zur meßbaren Veränderung, der Objektivierung der Information des Bewußtseins über das Erscheinen der Seienden zu berechenbarer Aufeinanderfolge von Verborgenheit und Un-verborgenheit. Wir müssen auf diese Auffassung zurückkommen, um ihre Auswirkungen auf ontologischem Gebiet zu untersuchen. Wir sagten, die Zeit, als objektivierendes Messen der ek-statischen Veränderung, stelle für das Bewußtsein als Folge objektiver Geschehnisse oder Erfahrungen die Bestätigung der Wahrheit dar, sie werde identifiziert mit der Tatsache des Ubergangs von der Verborgenheit in die Un-verborgenheit, das heißt, mit dem Sein der Seienden. So gesehen, ist die Zeit nicht mehr die „Semantik" der Un-verborgenheit der Seienden, das Maß, wonach wir die Erscheinung der Seienden messen, sondern sie ist die gezählte Größe, der „Horizont" der Erscheinung der Seienden als Seiende. Aristoteles sagt: „Die Zeit ist das Gezählte und nicht das, wonach wir zählen."200 Wenn die Zeit „das Gezählte" ist, wird sie gezählt von der Ek-stase der Seienden, das heißt, ihrem Erscheinen am „Horizont" der Zeit und folglich von der Information des Bewußtseins über die Un-verborgenheit als Erscheinung. Als „Horizont" der Erscheinung der Seienden enthält die Zeit die Seienden - „... alles, was in der Zeit ist, muß von ihr umschlossen werden"201 - sie ist die existenziale Voraussetzung für die Seienden, denn die Zeitlichkeit als ekstatische Kundgabe ist die Daseinswewe dessen, was existiert: die Seienden sind auf Zeitlichkeit hin angelegt, das heißt, sie existieren nur insofern sie erscheinen, das aber würde besagen, daß sie von der Information des Bewußtseins über die Un-verborgenheit als Ek-stase in die Zeit definiert werden. Auf diese Weise wird die Zeit gedeutet als die Wahrnehmung des Seins - ohne Zeit wird das Sein nicht erkannt und ohne Sein ist die Zeit nicht zu begreifen202. Damit wird die Zeitlichkeit der Zeit, ihr kontinuierliches Sich-Wandeln, verselbständigt, sie ist nicht die erfahrbare Konsequenz der dynamischen Tendenz des Menschen zu seiner personalen Katholizität, der zur Person 200 Physica 2 1 9 b 7 - 8 und 2 2 0 b 8 - 9 : „Die Zeit ist als Zahl nicht die, durch die wir zählen, sondern die gezählte."
Arist., Physica 221 a 28. Heidegger, Sein und Zeit, S. 2 3 5 : „Der Entwurf eines Sinnes von Sein überhaupt kann sich im H o r i z o n t der Zeit vollziehen." U n d S. 4 0 4 - 4 0 5 : „Alles Verhalten des Daseins soll aus dessen Sein, das heißt aus der Zeitlichkeit interpretiert werden." S. auch Was ist Metaphysik? S. 1 7 - 1 8 : „.Sein' ist . . . nicht etwas anderes als ,Zeit', insofern die ,Zeit' als der Vorname für die Wahrheit des Seins genannt wird, welche Wahrheit das Wesende des Seins und so das Sein selbst ist . . . Gesetzt, die Zeit gehöre in einer noch verborgenen Weise zur Wahrheit des Seins, dann muß jedes entwerfende Offenhalten der Wahrheit des Seins als Verstehen von Sein in die Zeit als den möglichen Horizont des Seinsverständnisses hinaussehen." 201
202
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relationalen An-wesenheit der Seienden, sie ist nicht mehr die Definition oder „Semantik" der Ek-stase als Veränderung, welche die personale Beziehung mifit. Die Zeitlichkeit verselbständigt sich, sie wird zur objektiven Größe, die von der ekstatischen Erscheinung der Seienden gezählt wird. Anders ausgedrückt: Nicht, wenn die Veränderung als Bewegung vom Früher zum Später die personale Beziehung zählt, gibt es Zeit, sondern dann, wenn die Bewegung als Veränderung vom Früher zum Später das Gezählte ist: „Denn das ist die Zeit, die Zahl der Bewegung in Bezug auf das Früher und Später. Die Zeit ist also nicht Bewegung, sondern nur das Abzählbare an ihr."203 Damit wird die Wahrheit zu einer objektiven und zugleich einfachen erscheinungshaften Tatsache, welche die ontologische Frage nach dem Wesen der Seienden nicht deutet, da sie beschränkt ist auf die Bestätigung des Bewußtseins, daß das, was wahr ist, lediglich aus der Verborgenheit heraussteht (έξ-ίσταται), daß das, was ist, lediglich nicht Nichts ist; die ekstatische Veränderung ist eine objektive Information über die Un-verborgenheit als gezählte Bewegung, „die Zeit ist als Zahl nicht die, durch die wir zählen, sondern die gezählte .. ."204, „in der Zeit ist etwas wie in der Zahl"205. Die Deutung der Zeit wird letztlich im Bereich der ontologischen Unterscheidung von Individuum und Person entschieden, der Unterscheidung von individueller und personaler Existenz. Die Einbindung der Zeit in die phänomenologische Objektivierung der ekstatischen Veränderung setzt die Auffassung der menschlichen Person als selbständige ontische Individualität voraus - den Menschen als individuelles Bewußtsein und individuelle Vernunft, als psychologisches Ego. Die Deutung der Zeit als Maß der personalen Ekstase und Relation dagegen, nämlich als das Maß der Anwesenheit, des Auftauchens aus der Verborgenheit der Nicht-Beziehung, setzt die „ethische" Leistung der Katholizität der Person voraus, die dynamische Selbstüberwindung der Individualität, die erotische Zusammenfassung der Natur in der Person, die Person als Kundgabe des einheitlichen Menschenwesens. Im ersten Falle scheint sich die phänomenologische Objektivierung der Zeit auf jedem Gebiet existenzialer Erfahrung real zu bestätigen, als eine Tatsache fortschreitenden Verfalls. Die Bewegung der Veränderung ist erfahrungsgemäß verbunden mit der Bestätigung des Verfalls. „Die Bewegung bringt das, was ist, aus seiner Bahn"206, sagt Aristoteles; die Bewegung versetzt das Dasein in ein Später, welches immer weniger unverdorben ist
20J 204
Physica 2 1 9 b 1 - 3 . Physica 2 2 0 b 8 - 9 .
205 Physica 221 a 2 6 ; s. auch 221 b 1 4 - 1 6 : „In der Zeit sein" bedeutet jedoch, daß es von dem Ding eine Zahl gibt und seine Dauer durch die Zahl gemessen wird, in der es ist, so daß es in der Zeit unter der Einwirkung der Zeit steht." 206 Physica 221 b 3.
136
als das Früher. „In der Zeit wird und vergeht alles" 207 . Entstehen und Vergehen bei lebenden Organismen oder Wachsen und Schwinden bei der toten Materie (wo das Wachsen „als Größe quantitativer Veränderung" aufzufassen ist) 208 , sind die unmittelbar erfahrbaren Anzeichen, welche das Zeitbewußtsein begründen als „Bewegung am O r t " , nämlich, als zeitliche Veränderung der individuellen Existenz 209 . A b e r die „ B e w e g u n g am O r t " ist sowohl Veränderung als auch Wachsen und Schwinden, wobei die Veränderung, als zwangsläufige Aufeinanderfolge von Früher und Später die Ursache des Werdens und Vergehens ist210, U r s a c h e ihres aufeinander Folgens, nämlich Ursache der Kontinuität der Zeit 211 (hier im Sinne der Kohärenz in konkreter Begrenztheit). D i e individuelle Existenz dauert fort durch den Verlauf der Zeit, denn Werden und Vergehen „sind in den Dingen kontinuierlich vorhanden" 2 1 2 , sie hat ihre U r s a c h e im Vergehen. So bestimmt der Verlauf der Zeit, als notwendiges aufeinander Folgen von Werden und Vergehen oder von Wachsen und Schwinden, das Zeitbewußtsein als Erfahrung des „Werdens" und „Vergehens". U n d die Kontinuität, als Kohärenz der Zeit in den Grenzen des Werdens und Vergehens, definiert das Zeitbewußtsein als Erfahrung dauernder, ständiger Begrenztheit.
Physica 222 b 16-17 und D e generatione et corr. 336 b 18-24. Metaphysica 1069 b 11-12; 1088 a 31. 2 m Physica 201 a 12-15: „Bewegung ist Veränderung eines Gegenstandes, der wachsen und schwinden kann . . . Wachsen und Schwinden, diejenige eines Gegenstandes, der werden und vergehen kann, Werden und Vergehen eines beweglichen Körpers ist Veränderung." Auch 211 a 14-17: „(Bewegung) . . . zerfällt in Veränderung und in Wachsen und Schwinden. Denn auch mit Wachsen und Schwinden ist eine Veränderung verbunden und was vorher hier war, hat den Platz gewechselt und entweder einen größeren oder kleineren eingenommen." - Die Unterscheidung des Aristoteles zwischen dem (mengenmäßigen) Wachsen und Abnehmen der leblosen Materie und dem Werden und Vergehen der lebenden Organismen findet vielleicht eine bedingte Entsprechung in dem, was die heutige Physik unter den Begriffen Entropie und Metabolismus versteht. Im Bereich der leblosen Materie versetzt die Entropie - die Tendenz der Teile eines geschlossenen Systems zu einem Zustand vergrößerter Unregelmäßigkeit - das Existierende in ein Später, das immer weniger unverdorben ist als das Früher. Bei den lebenden Organismen, die von Wesen mit geringer Entropie gebildet werden, wird mit dem Metabolismus ununterbrochen eine neue Ordnung geschaffen, welche in eine Richtung strebt, entgegengesetzt der, welche das Entstehen der Entropie erfordern würde; so könnten wir sagen, daß der Metabolismus das Existierende in ein Später versetzt, welches unverdorbener ist als das Früher. Dennoch bewegt sich jedes lebende Individuum, trotz des Metabolismus, schließlich auf einen Zustand maximaler Entropie zu - den T o d . " 207
308
2,0 211 212
D e generatione 336 a 15-336 b 16. D e generatione 336 b 2-3. D e generatione 336 a 25-26.
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$ 50 Der Tod als zeitliche „Kontinuität" und als ekstatische der gesamten individuellen Existenz
„Tendenz"
Aufgrund dieser phänomenologischen Voraussetzungen der bewußten Erfahrung läßt sich das gewiß zentralste Ereignis verstehen, dessen wir uns in unserer zeitlichen Existenz bewußt werden, das Ereignis des Todes, unmittelbar verbunden mit dem Bewußtsein der Zeitlichkeit als Verderben und Kontinuität. Der Tod gehört zum Bewußtsein der Zeitlichkeit als Kontinuität, er hält die Zeit an, als Verlauf, und „wird selbst zu Zeit" als Verderben. Der Tod ist nicht das Ende der Zeitlichkeit, die Unterbrechung der Folge des Früher und Später zu irgendeinem gekommenen „Augenblick", sondern er ist die dauernde Realität der Kontinuität der Zeit, das Bewußtsein der Veränderung als immerwährende Begrenztheit. So ist die Aufeinanderfolge des Früher und Später als ständige Verwandlung ein Erfahren von Vergehen (denn sie verwandelt sich in „Wachsen und Schwinden") und als zeitliche Kontinuität, das heißt, als ständige Begrenztheit, ist sie das Bewußtsein von der Sterblichkeit. Die Zeit wird erlebt als ein Unterworfensein der Existenz und der Welt unter Verderben und Tod. Die Zeitlichkeit der Zeit „dauert fort" als Verfall, und die Kontinuität der Zeit wird ständig begrenzt durch den Tod. Das ist eine sehr reale auf Erfahrung gegründete Vorstellung und Auffassung der Zeit; von ihr kann ausgegangen werden, um auch die objektive Ursache des physischen Verfalls mit der Zeit in Verbindung zu bringen: „Das von der Zeit Umschlossene muß auch durch die Zeit eine Wirkung erfahren, wie wir ja auch vom Zahn der Zeit sprechen; auch altert alles und vergißt durch die Zeit, nur lernt man nicht durch sie, noch wird man jung und schön, da die Zeit eher am Vergehen schuld ist, ist sie doch Zahl der Bewegung, Bewegung aber bringt das, was ist, aus seiner Bahn."213 Die Ek-stase der Existenz, die als Verwandlung im Aufeinanderfolgen von Früher und Später „zu Zeit wird", wird als Verfall erfahren. Aber der ek-statische Existenzmodus (das „auf ekstatische Weise" Existieren) wird auch als Bewußtsein allesumfassender Kontinuität der Zeitlichkeit erlebt, das heißt, er ist eine Todesgewißheit. Die Ek-stase der Existenz ist enthalten im Ereignis des Todes; der Tod ist die Möglichkeit totaler ekstatischer Bezogenheit des Daseins - einer Bezogenheit auf das Nichts der ontischen Individualität, einer Ek-stase aus dem Sein ins Nichts. Darum auch kann das Todesbewußtsein für die individuelle Existenz das Selbst-Bewußtsein begründen und beinhalten, das Wissen der Existenz von sich selbst als einem zeitlich Begrenzten und als einer ekstatischen Bezogenheit. N u r am Ereignis des Todes begreifen wir die reale Welt der individuellen Existenz als Kontinuität von Zeit und allesumfassenden ekstatischen Verlauf. Die Zeitlichkeit der individuellen Existenz wird durch den Tod aufgehalten, die 213
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Physica 221 a 30-221 b 3.
Existenz ist in dauernder Begrenztheit, das Sein der individuellen Existenz ihre Daseinsimse - kann definiert werden als Sein zum Tode"*, als allesumfassender ekstatischer Verlauf auf den Tod zu. Das Todesbewußtsein beinhaltet eine Möglichkeit der individuellen Existenz, sich als allesumfassende ekstatische Bezogenheit zu erkennen. Aber die Möglichkeit der allesumfassenden relationalen Ekstase der individuellen Existenz ist zugleich auch ein erster möglicher Zugang zum Bereich der personalen Anwesenheit (hier im Sinne von adimensionaler unmittelbarer Nähe). Die zeitliche Daseinsweise braucht nicht nur in der umfassenden ekstatischen Bewegung auf den Tod hin beinhaltet zu sein, nicht nur in der Kontinuität des Todes, sondern auch im Fortdauern der personalen Energie, nämlich in jedem Ereignis von Kundgabe der personalen Einmaligkeit und Unähnlichkeit der Existenz, in jedem Ereignis von Anwesenheit. Die An-wesenheit dauert fort als personale Energie, als unmittelbare umfassende ekstatische Beziehung, womit sie eine Bresche schlägt in die Einsicht und das Bewußtsein der Existenz von ihrer Begrenztheit durch die Zeit.
^ 51 Das „Fortdauern"
der personalen
Energie
Dieser Ubergang vom Bewußtsein der zeitlichen Kontinuität und dem gesamten ekstatischen Verlauf der individuellen Existenz zur Erfahrung der relationalen Katholizität, der Ubergang vom beinhalteten Bewußtsein des Individuums seiner selbst zum Erlebnis der Tatsache der Anwesenheit, das heißt, der adimensionalen personalen Nähe, deren Fortdauern nicht von der Zeit bestimmt ist, ist auf jeden Fall eine Möglichkeit und keine Notwendigkeit; dennoch wird die Möglichkeit durch viele und konkrete Erfahrungen bestätigt. Es gibt ekstatische Ausdehnungen - umfassende Kundgaben - der individuellen Existenz, die nicht unter die zeitliche Begrenztheit des Individuums, das heißt, die Tatsache des Todes, fallen, sondern über die zeitliche Kontinuität hinaus fortdauern. Jedes Kunstwerk ist solch eine ekstatische Offenbarung und jede Gemeinschaft wahrer Liebe. Das Bild eines Malers, eine Plastik, eine musikalische Komposition, ein Gedicht, bewahren die unähnliche und unwiederholbare Einmaligkeit der Person als Erfahrung adimensionaler Nähe und Beziehung, welche die Grenzen der zeitlichen individuellen Existenz überschreitet2'5. Gemäß dem 2 . 4 Heidegger, Sein und Zeit, II, 1: „Das mögliche Ganzsein des Daseins und das Sein zum Tode." Charakteristisch die Formulierungen auf S. 245: „Das mit dem Tod gemeinte Enden bedeutet kein Zu-Ende-sein des Daseins, sondern ein Sein zum Ende dieses Seienden. Der Tod ist eine Weise zu sein, die das Dasein übernimmt, sobald es ist. „Sobald ein Mensch zum Leben kommt, sogleich ist er alt genug zu sterben." Und auf S. 250: „Mit dem Tod steht das Dasein selbst in seinem eigensten Seinkönnen bevor." 2 . 5 Das ist der Sinn der Verse von Seferis:
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Begriff der zählbaren Zeitfolge und deren Zusammenhang mit den endlichen Grenzen individuellen Existierens hatte die zeitliche Existenz des Malers van Gogh eine Lebensdauer von siebenunddreißig Jahren. Dennoch „existiert" van Gogh zweifellos auch über diese zeitliche Begrenzung hinaus, in einem personalen Anwesend-Sein, welches über die zeitliche Begrenztheit des Individuums hinausgeht und das fortdauert als umfassende ekstatische Kundgabe in jedem seiner Werke, das heißt, in der Kundgabe seiner personalen Energie. Jedes Bild von van Gogh ist van Gogh, offenbart seine Anwesenheit, die adimensionale Nähe der einzigartigen, unwiederholbaren Unähnlichkeit der Person van Gogh, seine personale Andersheit. Vergleichsweise könnte man auch sagen, van Gogh existiere - als umfassende ekstatische Kundgabe seiner personalen Andersheit - viel stärker in einem seiner Bilder denn als historisches Individuum, als objektiv bestätigte zeitliche Existenz. Die Eigenheiten und Charakteristika des individuellen Charakters und Lebens, die wir sammeln, um die individuelle Existenz des Malers van Gogh zu definieren und zu erkennen, die Interpretationen seiner Werke und die Lebensverhältnisse, die ihn beeinflußten, bleiben immer objektiv konventionelle Bestimmungen, die mehrere Individuen kennzeichnen können, doch geben sie gewiß keinen Zugang zur personalen Andersheit dieses Künstlers und zu seinem unmittelbaren Anwesend-Sein. Jedes seiner Bilder und Kunstwerke, das heißt, jede Kundgabe seiner personalen Energie, ist eine Möglichkeit, ihm als Person ungleich unmittelbarer zu begegnen und eine Beziehung mit ihm herzustellen, die jede örtliche und zeitliche Begrenzung übersteigt, als sämtliche Informationen über ihn das vermöchten. Und diese Beziehung, welche, die zeitliche Begrenzung des individuellen Lebens aufhebend, die ekstatische Kundgabe der Existenz, nämlich die Unmittelbarkeit der personalen Anwesenheit, umfassend bewahrt, ist eine Möglichkeit, die nicht nur an den künstlerischen Ausdruck gebunden ist; die künstlerische Begabung offenbart die personale Energie nur auf das ausdrücklichste als fortdauernde unmittelbare Anwesenheit. Die personale Energie ist jedoch die reale Voraussetzung für die Kundgabe und Erkenntnis der personalen Andersheit jedes Menschen, sie tritt in Erscheinung in der der Person eigenen existenzialen Wahrheit, ihrem ekstatischen CharakSo, wie die Föhren bewahren des Windes Gestalt, der doch entfloh und dort nimmer ist, bewahren die W o r t e die Gestalt des Menschen, der doch verging und dort nimmer ist. Aus: Τρία κρυφά ποιήματα, Athen 1966, S. 33 in gr. Spr. 216
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d. n. 4 - P . G . 3, 709 B C .
ter. Das Problem liegt nicht im unterschiedlichen Spielraum des Ausdrucks - im Ausmaß der in jedem Menschen angelegten oder ausgebildeten besonderen Fähigkeit, sich auszudrücken - sondern in der dynamischen („ethischen") Wandlung des zeitgebundenen Selbstverständnisses des Individuums (als Ek-stase zum Tode) zur Erfahrung der umfassenden personalen Bezogenheit, welche die Kontinuität der Zeit aufhebt. Die zeitliche Ekstase der individuellen Existenz ist auf jeden Fall Bewegung zum Tode hin (weil die einzig mögliche existenziale Veränderung der ontischen Individualität das Nichts ist, das Gegenteil der Kundgabe, die Verborgenheit), während die Ek-stase der Person ausgerichtet ist auf die Beziehung und Verwirklichung von Beziehung, Erfahrung der außerdimensionalen Gegenwart der unmittelbaren personalen Nähe. Und noch das angsterfüllte Erfahren der Kontinuität der Zeit, die Angst der Todesgewißheit, der Gewißheit der unabwendbaren Ek-stase des Individuums in die Nichtheit des erscheinungshaft Seienden, kann als bewußte Erfahrung objektiviert werden, ohne an die vorhandenen Möglichkeiten der außerdimensionalen Ekstase der Person heranzuführen, sie kann lediglich Angst sein vor der objektiven Möglichkeit, „daß man stirbt".
§ 52 Die Uberwindung der Kontinuität der Zeit durch den Eros. „Bruchstückhafter" Eros und „wahrer" Eros Der Ubergang vom Selbstverständnis der allesumfassenden Ek-stase des Individuums zur Erfahrung der Kundgabe der Katholizität der Person könnte als erste Begriffsbestimmung des Ereignisses von Eros dienen. Wir könnten den Eros zunächst definieren als das existenziale Streben nach Uberwindung der Grenzen der Individualität, nach Aufhebung der zeitlichen Kontinuität und des unabwendbaren Verfalls. Folglich kann die allesumfassende Ekstase des Individuums nicht allein Bewegung zum Tode, sondern auch Ekstase des Eros sein. Aber die erotische Ekstase des natürlichen Individuums erreicht nicht die sich selbst übersteigende umfassende Kundgabe der Person, die sich im Eros ereignet. Die erotische Ekstase des natürlichen Individuums ist zu unterscheiden von der umgreifenden erotischen Kundgabe der Person - oder, wie es die areopagitischen Schriften ausdrücken - wir müssen den „wahren Eros" unterscheiden von seinem Trugbild, dem „gefallenen Eros", dem „bruchstückhaften, körperlicher Nötigung unterworfenen, geteilten Eros" 2 ". Die erotische Ekstase des Individuums ist zunächst eine Naturnotwendigkeit, sie ist der für die natürliche Fortpflanzung notwendige Trieb, der durch das Fortbestehen der individuellen Gattung die Selbsterhaltung der Natur bezweckt. Er realisiert sich als unbewußtes Streben des Individuums nach Befriedigung des natürlichen Begehrens der Sinne. Dieser natürliche und notwendige Trieb ist auf jeden Fall ein Ereignis existenzieller Ekstase, 141
„bloßer Abglanz" des „Strebens nach dem Leben"217, dem existenzialen Erfordernis zur Uberwindung der Kontinuität der Zeit und des natürlichen Verfalls. Aber die individuelle Existenz ek-sistiert immer in den Grenzen des Natürlichen, sie begegnet dem „andern" nicht im Bereich der personalen Andersheit, sondern im Bereich des Natürlichen, als der ebenfalls individuellen Form, dem Gegenstand unüberbietbaren individuellen Genusses, das heißt, sie verwirklicht und bestätigt die Aufspaltung der Natur in Individuen. Und die erotische Ekstase des Individuums erfüllt sich in der Zeugung von Kindern, worin die Zerstückelung der Natur objektiv offenbar wird, die „Verurteilung" des neuentstandenen Menschen dazu, Träger einer individuellen Natur zu sein. Die philosophische Terminologie kann verdeutlichen, doch sie reicht nicht aus, die Ekstase des individuellen Eros als Erfahrung existenzialer „Versetzung" ins Nichts zu beschreiben, das tragische Bewußtsein der Leere, welche die egozentrische Erotik offenbart; nur zuweilen vermag die Dichtung, die Literatur von dieser Erfahrung zu „sprechen", sie „auszusagen". Der dynamische („ethische") Ubergang vom Selbstverständnis der totalen Ek-stase des Individuums zur Erfahrung umgreifender Bezogenheit der Person ist die Bestimmung des „wahren Eros". Der ekstatische erotische Trieb des Individuums ist auf jeden Fall die natürliche Voraussetzung zur umfassenden personalen Bezogenheit, weil die Person eine von der Natur nicht abzutrennende existenziale Realität ist. Der Heilige Maximos sieht die natürliche Voraussetzung zur „Liebesgewalt"218 des Menschen in der „Kraft des Begehrens": „... ohne die Kraft des Begehrens . . . kann es keine Sehnsucht geben, deren Ziel dann die Liebe ist. Denn etwas zu lieben, ist das Eigentliche des Begehrens, und ohne die Fähigkeit des Herzens, welche das Begehren auf die Einung mit dem Genuß ausrichtet, kann niemals ein Friede sein; wenn anders Friede die endgültige und nicht mehr gestörte Ruhe des Herzens ist"219. Für den heiligen Maximos bezieht sich das Begehren natürlich nicht auf den Genuß von Sinnesempfindungen, sondern auf die geistliche Freude220 - und in seiner Ausdrucksweise bedeutet Geist die personalen Möglichkeiten des Menschen221. Die Bezogenheit des Begehrens auf den Genuß von Sinnesempfindungen ist für die Väter sämtlich eine existenziale Perversion des Menschen, wie wir im folgenden Kapitel sehen werden. Aber diese Perversion hebt die natürlichen Voraussetzungen des „wahren Eros" nicht auf222. d. n. 4 - P.G. 3, 720 BC. cap. theol. 5 - P.G. 90, 1392 A. 2 . 9 cap. theol. 2 - P.G. 90, 1248 C D und cap. theol. 3 - P.G. 90, 1284 C D - 1285 A. 220 cap. theol. 4 - P.G. 90, 1317 C. 221 cap. al. - P.G. 90, 1437 B; cap. theol. 2 - P.G. 90, 1233 A; qu. Thal. 25 - P.G. 90, 332 D ; a m b i g . - P . G . 333 CD. 222 Dion. Ar., d. n. 4 - P.G. 3, 713 AB und 709 C (s. 2. Könige 1,26). - Jo. Clim. 5, 6, 57 (vgl. Chr. Yannaras, Die Metaphysik des Leibes, S. 157 ff.); Gr. Nyss., hom. opif. 13 - P.G. 44, 168 und 176. 2.7
2.8
142
Der „wahre Eros" setzt den natürlichen ekstatisch-erotischen Trieb, die mit Natürlichem „vermischte" Liebesgewalt des Individuums, voraus223, und zugleich überwindet er die natürliche Kontinuität dieser Ekstase, die Herrschaft der Eros in den Grenzen der Natur und hebt sie auf. Der Eros trägt die existenziale Ekstase hinüber in den grenzenlosen Bereich personaler Bezogenheit, in die dynamische und außerdimensionale Unmittelbarkeit der personalen Beziehung - er offenbart die existenziale Ekstase als umfassende und dauernde Gemeinschaft. Der Eros ist die „Kundgabe", das heißt, die unmittelbare Erfahrung der Katholizität der Person und der adimensionalen Gegenwart der persönlichen Nähe. Diese Gegenwart ist immer ein Ereignis von Anwesendsein, sie ist die Un-verborgenheit der Person, das Auftauchen des „andern" aus der Verborgenheit der Nicht-Beziehung - ein Auftauchen, welches das zeitliche Aufeinanderfolgen aufhebt in der Erfahrung eines alles umgreifenden existenzialen Betroffenseins, das relational ist zur Andersheit des Anwesenden. Die Anwesenheit dauert an als Unmittelbarkeit einer einzigartigen, unvergleichlichen und unähnlichen Beziehung, aber die Zeit kann dieses Andauern nur konventionell messen, weil das Andauern eine Funktion der Erfahrung von Anwesenheit ist und von der objektiv-konventionellen Zählung des Zeitablaufs weder abhängig noch daran gebunden; die Anwesenheit dauert an als adimensionale Gegenwart einer erotischen Gemeinschaft, das heißt, sie überwindet und widerlegt die objektive Zählung des Ablaufs von Zeit. Die Bestätigung dieser Wahrheit ist unmittelbar erfahrbar, sowohl als Fortdauern der personalen Energie in jeder schöpferischen „Kundgabe" der Person (die um so „eroshafter" ist, je vollständiger, das heißt, umfassender sie Ausdruck gefunden hat) als auch im Andauern der unmittelbaren erotischen Gemeinschaft der Geschlechter: Objektiv gemessen, braucht sich die Zeit einer erotischen Begegnung nicht zu unterscheiden von dem Zeitraum, in dem ein verspäteter Zug erwartet oder eine lästige Obliegenheit ausgeführt wird; aber die gleichen zeitlichen Größen unterscheiden sich voneinander in ihrer Dauer.
§ 53 Die „Veränderung" der Zeit im Verfall und im Tode Funktion des Gebrauchs des Kosmos Die Definition der Dauer der Zeit als Funktion der Anwesenheit bedeutet ganz und gar nicht ihre Rückführung auf eine Art „subjektiver" oder „psychologischer" Zeit. Auf jeden Fall beschränkt eine solche Rückführung den Raum, in welchem das Problem der Zeit zu suchen ist, auf den Bereich des individuellen Bewußtseins. Aber die Zeit, als erlebter Zusammenhang la
Gr. Nyss., hom. opif. 18 - P.G. 44, 193. 143
in der Erfahrung von Existenz, kann nicht ausschließlich auf den Bereich des Bewußtseins begrenzt sein, wenngleich das Bewußtsein die erforderliche und hinreichende Bedingung für das Erscheinen des Phänomens der zeitlichen Aufeinanderfolge in sich zu schließen scheint. Zweifellos vollzieht sich im Bewußtsein zunächst tatsächlich ein Prozeß, der das Erleben von Zeit auf ein Erkennen von Zeitabläufen gründet, ohne die Einschaltung objektiver Meßfaktoren 224 , ein Vorgang, der im Falle psychischer Erkrankungen gestört sein kann. Zur Definition dieses ursprünglichen Bewußtseinsprozesses kann man zunächst die Formulierungen Husserls übernehmen225, denen sich die moderne Psychologie nicht zu widersetzen scheint. Doch wäre es willkürlich, wenn wir das Zeitproblem nur auf die Funktion des Bewußtseins beschränkten, auf die Erfahrung von Zeit aufgrund des Erkennens von Zeitabläufen. Wesentliche Fragen blieben dabei unbeantwortet, wie sie auftauchen bei der durch Erfahrung bestätigten Wechselbeziehung zwischen der Zeit und der Tatsache fortschreitenden Verfalls, die das Problem der Zeit aus dem Bereich des Bewußtseins in den Raum des Existenziellen verlagert. Weder die Erfahrung des Verfalls noch das Bewußtsein der zeitlichen Kontinuität, nämlich der Todesgewißheit, lassen sich allein aus den Gegebenheiten der Funktion des Zeitbewußtseins erklären. Die Zeit als Verfall und als Eingebundensein der Existenz in die ständige Begrenzung durch den Tod kann allein in Dimensionen des Ereignisses der personalen Beziehung gedeutet werden, nur als Wechselbeziehung zwischen dem Fortdauern und der Anwesenheit. Weiter oben sagten wir, daß die Deutung der Zeit sich im Bereich der ontologischen Unterscheidung von Individuum und Person, bewußter Individualität und personaler Katholizität entscheidet. Die Gebundenheit der Zeit an den Bewußtseinsprozeß des Erlebens von Zeit aufgrund des Erkennens von Zeitabläufen geht aus von der Auffassung der Existenz als ontischer Individualität, als individuellem Selbstbewußtsein und psychologischem Ego. Dagegen setzt die Betrachtung der Zeit in den Dimensionen der kosmischen Herausforderung, welche Verfall und Tod für den Menschen darstellen, die Erfahrung der Katholizität der Person voraus - die Person als relational-ekstatische Zusammenfassung der Natur und die reale Welt als Ergebnis und Kundgabe einer personalen Energie. Anders ausgedrückt: eine Deutung der Zeit, die sich weder auf konven224 E. Husserl, Ideen zu einer reinen Phänomenologie . . . I, Husserliana, Band III, S. 197: „Diejenige Zeit, die wesensmäßig zum Erlebnis als solchem gehört, mit ihren Gegebenheitsmodis des Jetzt, Vorher, Nachher, des durch sie modal bestimmten Zugleich, Nacheinander usw., ist durch keinen Sonnenstand, durch keine Uhr, durch keine physischen Mittel zu messen und überhaupt nicht zu messen." Siehe auch auf S. 292, über die Ursynthese des ursprünglichen Zeitbewußtseins. 225 E. Husserl, Vorlesungen zur Phänomenologie des inneren Zeitbewußtseins, Halle 1928, Kap. 2, § 8 und § 14; Ideen zu einer reinen Phänomenologie . . . I, § 81 und § 113, § 118.
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tionell-syllogistische Verfahren noch ausschließlich auf die Vorgänge des Bewußtseins beschränkt, m u ß auf die Erfahrung der personalen Beziehung gegründet sein, als einer dynamisch-existenzialen H i n f ü h r u n g zur kosmischen Katholizität der Person und zur personalen Katholizität des Kosmos. Der Mensch verwirklicht auf jeden Fall eine unmittelbare Beziehung mit der Welt, eine Beziehung existenzialer Gemeinschaft. Er ist nicht der Beobachter oder Erforscher der kosmischen Realität, sondern ein die Welt unmittelbar Empfangender, sowohl in Gestalt von N a h r u n g als auch in F o r m von Material zur Verwirklichung seiner praktischen Zwecke, die dem Erhalt seiner Existenz dienen. Aber während diese Beziehung und Gemeinschaft zwischen Mensch und Welt, das tägliche selbstverständliche Empfangen der Welt durch den Menschen, seine Existenz zu erhalten scheint, zehrt eben diese Beziehung das menschliche Individuum gleichzeitig schrittweise auf und ordnet es existenziell gleich mit dem fortschreitenden Verfall jeder ontischen Individualität; dieser Verfall wird als Zeit gemessen. Die Beziehung des Menschen mit der Welt ist nicht nur noetisch oder bewußt, sie ist vielmehr eine dynamische Bewegung und eine existenziale Zuwendung zur Welt, die verwirklicht wird als ein Empfangen der Welt und zugleich als Verfall „zu Zeit w i r d " : die Bewegung zur Welt hin ist eine Ek-stase der Existenz, die als Zeit gemessen wird. Die Beziehung zwischen Mensch und Welt - wenngleich reale Existenzgemeinschaft - hat ihr „Ziel", ihren wesentlichen Zweck, außerhalb dieser Beziehung, sie zielt ab auf eine unerreichbare personale Nähe, auf eine nicht zu verwirklichende Dauer von Gegenwart. U n d darum stellt sie eine Bewegung dar, die nicht zur Vollendung k o m m t (die ihr natürliches „Ziel" niemals erreicht), ein ständiges sich Wandeln, welches der Dauer zuwiderläuft und als Verfall „zu Zeit wird". Also ist die Zeit als Verfall aber auch als gebunden an den T o d das Maß der Beziehung des Menschen mit der Welt, einer Beziehung, deren Scheitern und Auflösung und ständige Begrenztheit sie mißt. Die Beziehung hat als wesentlich-natürliches „Ziel" das Leben, nämlich die Dauer der Existenz, und das Scheitern der Beziehung ist ein Verfehlen dieses Zieles (nämlich Sünde, in der ursprünglichen Bedeutung dieses Wortes 22 ') - die Beziehung verwirklicht sich als Verfall und Gebundensein des Lebens an die ständige Begrenztheit durch den T o d ; sie erreicht niemals die existenziale Dauer der personalen Unmittelbarkeit, die adimensionale Gegenwart der existenzialen Vollendung. Auch darum erreicht die Beziehung nicht die Dauer der personalen Nähe, weil der Mensch in seiner Einstellung zur Welt nicht den persönlichen, liebenden Umgang mit dieser im Auge hat, sondern das individuelle Inanspruchnehmen, die U n t e r w e r f u n g der Welt unter das individuelle Begehren und Wollen. Das Annehmen der Welt, die existenziale Ek-stase Max., schol. d. n. - P.G. 4, 438 C.
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des Menschen in die Welt, dient nicht der persönlichen Beziehung mit der Welt, sondern ist der „natürlichen" Notwendigkeit und dem Trieb zur Selbsterhaltung des Individuums unterworfen, einem Trieb, der als Verfall „zu Zeit wird"; und als Verfall „wird er zu Zeit", weil der „natürliche" individuelle Selbsterhaltungstrieb eine Ek-stase des Individuums in die Natur ist und keine Ek-stase der Natur über die Natur hinaus, nämlich in die Existenz als Person, in die personale Daseinsweise. Der Selbsterhaltungstrieb des Individuums ist „natürlich", weil er von der Natur bestimmt wird, er erschöpft sich innerhalb der Grenzen der Natur, weshalb er auch unausweichlich in Gegensatz gerät mit dem ebenfalls „natürlichen" Selbsterhaltungstrieb der anderen Individuen. Aber diese einander innerhalb der Natur entgegenstehenden Ek-stasen der Individuen spalten die Natur auf und zerstückeln sie227, sie sind die Ursache für die existenziale Begrenztheit der Individuen und ihren fortschreitenden Verfall. Und wenn das „Ziel" der Natur das Leben als Dauer der Existenz ist, dann zeigt sich in dem „natürlichen" Selbsterhaltungstrieb der Individuen ein „widernatürlicher" Trieb, der die „naturgemäße" Daseinsweise der Natur, nämlich das Leben als Dauer, zerstört.
§ 54 Das Leben als „Dauer" - Erfahrung der Askese Wenn somit die personale Nähe, die adimensionale Gegenwart der erotischen Gemeinschaft, die einzige Möglichkeit ist, Leben als Dauer zu erfahren, und wenn das hauptsächliche und natürliche „Ziel" der Beziehung des Menschen mit der Welt die Dauer der Existenz ist, dann ist diese Beziehung „naturgemäß" nur insofern, als sie eine personale Beziehung ist. Und die Beziehung des Menschen mit der Welt ist dann personal, wenn das Empfangen der Welt durch den Menschen, wenn die existenziale Ek-stase des Menschen in die Welt nicht der Notwendigkeit und dem Selbsterhaltungstrieb des Individuums unterworfen ist und die Welt dem individuellen Begehren und Wollen unterwirft, sondern wenn sie die natürliche Individualität und die gegen-ständliche ontische Erscheinung überwindet, um dem personhaften Wesensgehalt der „Dinge" zu begegnen und die personale Dimension der Welt zu offenbaren. Diese dynamische Ek-stase der Natur über die Natur hinaus, das Entdecken und Annehmen der Welt unmittelbar, personhaft, ist ein zu vollbringendes Werk, eine Leistung, es ist das, was wesentlich in der kirchlichen Askese erfahren wird, wie im vorhergehenden Kapitel definiert. Die Askese ist die dynamische und in die Tat umgesetzte Weigerung des Menschen, sich von den Nötigungen und dem Selbsterhaltungstrieb des Individuums beherrschen zu lassen und die Welt dem individuellen Willen und Begehren 111
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Max., qu. Thal. - P.G. 90, 256 Β und 397 C, 716 B.
zu unterwerfen. Der asketische Umgang des Menschen mit der Welt setzt den ekstatischen Selbsterhaltungstrieb des Individuums um in ein Streben über die Natur hinaus, in das existenziale Entdecken und Wiederfinden einer personhaften Anwesenheit, deren Weise und Kundgabe die Natur ist. Der personale Wesensgehalt der „Dinge" ist bezogen auf die personhafte Gegenwart des Schöpfer-Wortes, auf die Kundgabe der Person des Logos im personhaften Wort Gottes. Und die Anwesenheit des Logos dauert fort als personale Energie in der Eigenschaft der Seienden, „Dinge" zu sein, von einer Schöpferperson Geschaffenes, in der „personalen" Einmaligkeit und Unähnlichkeit, der Schönheit und Weisheit der Seienden der realen Welt. Der Wesensgehalt der Seienden der realen Welt ist außerhalb ihrer selbst, er ist bezogen auf die Person des Logos (so wie der Wesensgehalt eines Bildes von van Gogh sich nicht in dem einen Bilde erschöpft, sondern Bezug hat zur Person von van Gogh und diese offenbart). Diese Bezogenheit ist keine Notwendigkeit, sondern eine ekstatische Fähigkeit, eine existenziale Möglichkeit der Un-verborgenheit, von Auftauchen aus der „Verborgenheit" des Objektseins, existenziale Möglichkeit erotischen Betroffenseins angesichts der personhaften Einmaligkeit und Unähnlichkeit der „Dinge", der personhaften Schönheit der Welt (ähnlich der Ergriffenheit vor der unvergleichlichen und einmaligen Schönheit jeder erotischen Hingabe, welche das Geschenk dem Bild des Geliebten anverwandelt)228. Erschöpft sich dagegen die Beziehung des Menschen zur Welt im individuellen Bedürfen und Begehren, in der „Sucht nach Empfindungen", dann ist der Sinngehalt der Seienden auf sich selbst beschränkt und verliert jede personhafte Bezogenheit, dann sind die Seienden lediglich dem Individuum dienliche „Tauschobjekte", ihre Un-verborgenheit ist entleert zu ihrer 228 S y m e o n d. N . T h . - Sources Chretiennes 129, S. 7 0 - 7 4 : „Stellen wir uns ein junges Mädchen vor, das von einem armen Mann geliebt wird und . . . ihm durch eine kleine und sehr enge Ö f f n u n g auch nur ihre goldbedeckte Hand hinausstreckt und sie ihrem Geliebten überläßt: er wird sie ergreifen . . . und dabei an die unvorstellbare Schönheit des Mädchens denken . . . W e n n es sich nun gewöhnlich mit den Körpern und den sichtbaren und spürbaren Dingen so verhält, die doch von Natur vergänglich sind . . . , mit wieviel mehr Grund wird es so sein bei den geistigen und unsichtbaren Dingen . . . ? Umsoviel höher die ewigen Güter sind als die vergänglichen, umso stärker ist im Verhältnis die Liebe in der Seele der Liebenden . . . Vergleichbar dem Bräutigam, der das leblose Bild seiner Braut vor Augen hat, mit Farben gemalt: er schaut es an . . . und will es vor Augen haben . . . , nicht mehr nur das Bild, sondern, indem er ohne Fehl und in unvergleichlicher und unbeschreiblicher Schönheit die Idee der Vollkommenheit selbst Gestalt annehmen s i e h t . . . Genau das ist es, nur noch stärker, was jene empfinden, die von der G r ö ß e und Schönheit der sichtbaren Dinge aufsteigen zur Betrachtung der Macht und Weisheit ihres Urhebers und die, von ihnen ausgehend, fortschreitend zu Ihm geführt werden, zur Liebe, zum Glauben, zu reiner Ehrfurcht. Wenn sie erst wesentlich mit G o t t selbst vereint sind und gewürdigt werden, ihn zu sehen und seiner teilhaftig zu sein, dann ist es nicht länger das Bild seiner W e r k e noch der Schatten der sichtbaren Dinge . . . D e n n sobald ihr D e n k e n sich vorzüglich in der Realität aufhält, welche das Empfinden übersteigt, die gleichsam eingegossen ist in sie, bekleidet mit der Herrlichkeit der göttlichen Natur, dann haben sie nicht mehr wie vorher ihr G e m ü t auf die sichtbaren Dinge gerichtet."
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gegenständlichen Erscheinung229 und ihre Veränderung in der Zeit wird nur als Ekstase von Verfall erfahren, als ständiges Begrenztsein auf das Nichts.
§ 55 Die liturgische Zeit Die dynamische Ek-stase der Natur über die Natur hinaus, das existenziale Entdecken und Wiederfinden der Anwesenheit des Logos-Wortes in der Welt als Sinn und Ergebnis der kirchlichen Askese, findet ihre höchste Verwirklichung im Ereignis der Eucharistie. Die Kirche als Vollzug von Eucharistie ist die Gemeinschaft der Welt in Gestalt von Brot und Wein, als dem Fleisch des Logos, das Empfangen der Welt als unmittelbares Verbundensein mit dem personhaften göttlichen Wort. Diese Verbundenheit jedoch - als Tatsache und Realität der Wandlung der Welt in das Fleisch des Gotteswortes und des Menschen zum Teilhabenden an der göttlichen Natur - setzt eine wechselseitige Ek-stase voraus, ein Uberschreiten der menschlichen wie auch der göttlichen Natur: die persönliche Askese findet ihre „höchste" Erfüllung in der kirchlichen Eucharistie, nicht nur als Ekstase der Natur über die Natur hinaus, nicht nur als dynamische Selbstüberwindung der natürlichen Individualität, sondern als Begegnung mit der entsprechenden Ek-stase Gottes in die Natur230. Das persönliche Annehmen der Natur seitens des Menschen begegnet in der Eucharistie der Kirche jener Natur, die von Gott angenommen wurde, damit sie nicht nur das Ergebnis der personalen Energie des göttlichen Wortes wäre, sondern das Fleisch des Gotteswortes. Gottes Annehmen der Natur, die Fleischwerdung des Gotteswortes, ist das eine und einmalige Ereignis, welches die Wahrheit der Kirche über die Existenz und die Zeitlichkeit, über den Menschen, die Welt und Gott beinhaltet und erschöpft. In der Person Jesu Christi, dem fleischgewordenen Wort Gottes, finden die personale Dimension des Kosmos und die existenziale Ekstase der natürlichen Individualität des Menschen ihre höchste personale Krönung, ihre höchste Verwirklichung und Vollendung im Ereignis der hypostatischen Einung des Geschaffenen mit dem Ungeschaffenen. Die Fleischwerdung des Logos bedeutet nicht, daß Gott Kosmos wird und der Kosmos Gott231, sondern sie bedeutet, daß die personalen Möglichkeiten des Kosmos und ihre umfassende Beinhaltung durch die menschliche Person, die einheitliche existenziale Wahrheit der personalen Katholizität, nach der jede Daseinsform dynamisch strebt, ihr natürliches „Ziel" erreicht Isaac, op. cit. Serm. 23 - Ausg. Spanos, S. 94. Dion. Ar., n. d. 4 - P . G . 3, 712 A B und Max., schol. n. d. - P.G. 4, 229 C . 251 „II est tout entier dans tout et nulle part; il est tout entier dans toutes les creatures visibles et tout entier hors d'elles, tout entier dans les choses visibles et tout entier dans les invisibles, present tout entier partout il est nullement tout entier nulle part." Symeon, cap. gnost. - S.C. 51, S. 79. 229 230
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in der gottmenschlichen Person des Christus, in der unvermischten, unwandelbaren, unteilbaren und untrennbaren Einheit der göttlichen und der menschlichen Natur - Gottes und des Kosmos232 - in einer Person und einer Hypostase 2 ". Diese Einung und Gemeinschaft, die unvermischte Einanderdurchdringung der beiden Naturen, ist eine „neue" existenziale Realität, welche die existenziale Ekstase als Ablauf von Zeit, als Verfall und Begrenztheit durch den Tod, aufhebt oder sie sogar integriert in die Unmittelbarkeit personaler Gemeinschaft, sie verleiht der Existenz ihre natürliche Dauer. Die Fleischwerdung des Logos, als unmittelbare personale Gemeinschaft des Geschaffenen mit dem Ungeschaffenen, ist eine „neue" existenziale und folglich auch zeitliche Realität: sie ist ein Schnitt durch die Zeit, der die Kontinuität der Zeit aufhebt, die Zeitlichkeit, als Verknechtetsein an das „Früher" und „Später" - sie bringt in die Zeit die Dauer der „natürlichen" Gemeinschaft zwischen Mensch und Gott ein. Gott greift ein in die Realität des Sichtbaren mit einem Spalt von Möglichkeit; die Möglichkeit ist die unmittelbare Beziehung mit ihm - die Fleischwerdung ist ein Spalt in der gegenständlichen Zeitlichkeit, sie offenbart die adimensionale Zeit der personalen Beziehung, den Ubergang der Zeit in die unbegrenzte Gegenwart der Liebesgemeinschaft. Der Glaube der Kirche an das „ewige Leben" bezieht sich nicht auf eine endlose Ausdehnung des zeitlichen Aufeinanderfolgens, sondern auf die Gegenwart der liebenden Beziehung, auf die adimensionale Tatsache der erotischen Gemeinschaft, das heißt, auf jene Daseinsweise, welche den Menschen wiederherstellt zur Fülle seiner personalen Wahrheit, frei von den Begrenzungen der natürlichen Individualität, durch Zeit, Ort, Verfall und Sterblichkeit. Dem Genuß und der Erfahrung der unvergänglich gewordenen Zeit personaler Gemeinschaft nähern sich die Gläubigen in der liturgischen Zeit der Kirche. Eine liturgische Versammlung zur Eucharistie ist nicht Wieder232 J o . D . , Ε ι ς τό γενέσιον της Θεοτόκου 1 - S.C. 80, S. 4 6 : „Denn der Mensch - zwischen Vernunft und Materie gestellt - ist die Verbindung aller sichtbaren und unsichtbaren Schöpfung, der Schöpfergeist Gottes hat die N a t u r der Menschen mit sich verbunden und dadurch die gesamte Schöpfung geeint." 235 „ N a c h den heiligen Vätern bekennen und lehren wir diesen unsern einen Sohn und Herrn Jesus Christus . . . in vollendeter Gottheit und vollendeter Menschheit, wahrer G o t t und wahrer Mensch, mit vernünftiger Seele und Leib, eines Wesens mit dem Vater, der Gottheit nach, und wesenseins mit uns, der Menschheit nach, - in allem uns gleich, außer der Sünde; vor Ewigkeiten aus dem Vater gezeugt, der Gottheit nach, zuletzt von uns, zu unserem Heil, aus Maria der Jungfrau, der Gottesgebärerin, der Menschheit nach, wir erkennen einen Christus, Sohn, H e r r n , den eingeborenen, in zwei Naturen, unvermischt, ohne Änderung, untrennbar, in keinerlei Unterschied der Natur. Mensch geworden durch die rettende Einung oder vielmehr Eigenheit beider Naturen und in eine Person und eine Hypostase vereinigt, auch nicht in zwei Personen geteilt oder gespalten, sondern ein und denselben eingeborenen Sohn, G o t t das W o r t , den Herrn Jesus Christus." Chalc. - J o h . Karmiris, D o g m e n und Symbole der O r t h o d o x e n Katholischen Kirche, B d . I, Athen 1960, S. 175.
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holung, Gedächtnis oder Symbol der Gemeinschaft der Welt, als dem Fleisch des Logos, sondern sie ist die immer gegenwärtige Möglichkeit der Teilhabe an dieser Gemeinschaft im Ereignis der „natürlichen" Einung des Menschen mit Gott. Als wiederholbare und dennoch unveränderliche und immer gegenwärtige Möglichkeit der Gemeinschaft mit dem Logos vereint die Eucharistie die Vergangenheit mit der Zukunft zur Unmittelbarkeit der Gegenwart: die Feier der Darbringung der Eucharistie ist eine Handlung existenzialen alles umgreifenden Einsseins, welche jeden existenziellen, moralischen oder zeitlichen Unterschied aufhebt: Lebende und Tote, Nahe und Ferne, Heilige und Sünder, die Ersten und die Letzten, alle sind sie, hier und jetzt, gegenwärtig „vor dem Angesicht Christi" und „in Christo" in der Unmittelbarkeit der personalen Beziehung mit ihm. Die Erfahrung des „Ewigen Lebens" in der Kirche, die Ewigkeit der Kirche, kann nicht mit der „Unsterblichkeit der Seele" der Philosophen gedeutet werden (höchstens bedingt und bildlich); die Fleischwerdung Gottes rettet nicht die „Geister", sondern den ganzen Menschen, so wie Christus ihn in seinem gott-menschlichen Leib angenommen hat234. Die Ewigkeit der Kirche ist die Erfahrung der Umwandlung der Zeit in die Unmittelbarkeit der Anwesenheit - der leibgewordenen Anwesenheit des Logos und der überzeitlichen Gegenwart des Leibes, welcher Teilhabe gewährt am Logos. Die liturgische Zeit der Kirche wandelt die Kontinuität der Zeit in das festliche Zeugnis des gegenwärtigen Heilsgeschehens. Parallel zu, und im wesentlichen außerhalb und jenseits der gezählten, Zeit des meßbaren Verfalls, hat die Kirche ihren eigenen Jahreskreis, das ständige dynamische Kreisen, welches das Leben sammelt auf das „eine und einzige und immer selbe" der Einheit des Eros - die Gewißheit des Heils verbunden mit täglicher Feier. Der Kreis ihrer Feste ist beweglich und unbeweglich unbewegte Bewegung und bewegte Unbewegtheit - einander folgende Einschnitte am zeitlichen Horizont der Veränderung zum Verfall, Spalten von Möglichkeiten zur Erfahrung adimensionalen und nicht endenden Lebens, die Erfahrung „ewiger Zeit", der „ewigen Teilhabe" - des „Teilhabens am Ewigen Sein"235. Die liturgische Zeit ist die Zeit der Liturgie eines Leibes, dessen Glieder teilnehmen an der gleichen Erfahrung personaler Nähe, es ist die Zeit des Gottesreiches, die adimensionale Gegenwart des „Achten Tages": Im Gegensatz zur Woche, welche „die Zeit zählt"236, weist der Achte Tag „über die Natur und über die Zeit hinaus auf einen Zustand, welcher über der Natur ist"237 - die adimensionale Gegenwart des Achten 234 235
Max., qu. Thal. - P . G . 90, 6 4 9 A . Max., schol. n.d. - P . G . 4, 313 D.
Gr. Nyss., Pss. titt. 2, 5 - P . G . 44, 505 A , Krit. Ausg. McDonough-Alexander, S. 84, 5. Max., cap. theol. 1, 51 - P . G . 90, 1101 C . und Symeon d. N . T h . : „(Le huitieme J o u r ) . . . il n'a ni commencement ni fin. C a r ce n'est pas un jour qui n'existe pas a tel moment, qui doit venir a l'existence et avoir un debut; au contraire, il existait a la fois avant les siecles, existe maintenant et existera dans les siecles des siecles; mail il est dit avoir un debut, lorsque 236
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Tages ist eine Daseinsimse, sie ist die Tatsache der Beziehung des Menschen mit Gott als dauernde erotische Gemeinschaft. Die Fleischwerdung des Logos hebt die Kontinuität auf, aber auch den Verlauf der Zeit, den Verlauf als Geschichte - diese Utopie der zeitlichen Möglichkeiten, die objektiven „Zustände" dynamisch zu „verändern", zu entwickeln und zu verbessern, die fiktive Ewigkeit eines ausweglosen „Entstehens", gewoben aus menschlicher Leidenschaft, Gewalt, Konkurrenzkampf, dem Grauen des Hasses, der Bestialität der Ausbeutung, der Unzulänglichkeit guter Vorsätze. Denn Geschichte ist nur das, was innerhalb der Zeit objektiviert werden kann; deshalb ist Geschichte auch nicht die Unmittelbarkeit der Beziehung von Personen - wie der Gottesdienst, die Liebe, die Kunst oder auch die Politik, als Gerechtigkeit und Selbstverleugnung. Und wenn einige Kundgaben des personalen Lebens ausdrücklich erwähnt werden und über die Zeit obsiegen, so sind das keine zum Gedächtnis objektivierten historischen Petrefakten, sondern unmittelbar personhafte Anwesenheit, ständig gegenwärtige Möglichkeiten personaler Teilhabe am Leben. Die Fleischwerdung des Logos hebt die Geschichte auf, weil sie das „Werden" des Menschen zusammenfaßt in die Gegenwart der existenzialen Auseinandersetzung des Menschen mit der Wahrheit und das Leben zusammenfaßt in der Wahrheit und die Wahrheit offenbart als Leben. In dieser Auseinandersetzung erweist sich die Geschichte als Folge von Möglichkeiten dynamischer Veränderung, als Form der Versklavung unter die objektivierte Zeit; eingeschlossen in das geschichtliche „Entstehen" ist der Mensch eine zeitliche Monas, den objektiven „Situationen", die ihn bestimmen, unterworfen oder sich dagegen auflehnend, ausweglos gebunden an das Getriebe der sozialen Auseinandersetzung mit den Ansprüchen und Verpflichtungen, im elenden Kreislauf des „Zeit ist Geld". Die Fleischwerdung des Wortes hebt die Kontinuität und den Verlauf der Zeit auf, aber auch den Verfall, denn sie hebt die Begrenztheit des „Augenblickes" auf, das Begehren in ein Dauern erotischer Fülle verwandelnd. Der Logos wird Fleisch „aus der Jungfrau", und diese jungfräuliche Geburt ist die Unvergänglichkeit der Natur, sobald der Eros das naturhafte Bedürfen der individuellen Ek-stase überwindet und sich vollendet in der alles umgreifenden Ek-stase der Natur Uber die Natur hinaus: im Leibe der Jungfrau vereinen sich der ganze Gott und der ganze Mensch, unvermischt, unwandelbar, unteilbar und untrennbar in der Fülle der erotischen Ekstase der beiden Naturen; diese Ekstase ist jungfräulich, weil sie frei ist vom unstillbaren individuellen Begehren. Von da an und weiterhin wird der Eros Geheimnis der Offenbarung der Einung des Christus mit der Menschheit, und jeder Eros ist eine Möglichkeit pleromatischer Dauer, Vollendung bewirkend in jungfräulicher Selbstüberwindung. Das Sehnen wird befreit s i m p l e m e n t viendra et n o u s sera pleinement revele un j o u r unique, sans declin et sans fin, qui n ' a r r i v e que p a r r a p p o r t ä n o u s . "
151
von der zeitlichen Gebundenheit an den „Augenblick", die erotische Zeit ist nicht mehr das tragische Wiederholen der Danaiden 238 , der Eros wird für den Menschen wieder zu einer Möglichkeit, seine naturhafte Vereinzelung, seine Versklavung an das stets sich erneuernde augenblickliche Verlangen zu überwinden, um das Mysterium der Gemeinschaft der Naturen im adimensionalen Raum der erotischen Hingabe zu verwirklichen. Eine theologische Bemerkung zum Schluß: Es ist klar, daß die „Ewigkeit" des Menschen, die existenziale Selbstüberwindung der Individualität und der Eingang zum Ort der personalen Nähe sich unterscheiden von der Ewigkeit Gottes, so wie auch die Natur des Menschen unterschieden ist von der göttlichen Natur. Wenn wir theologisch von der „Ewigkeit" Gottes sprechen, dann beziehen wir uns auf das dem Denken nicht zugängliche Mysterium der Fülle der personalen Gemeinschaft der drei Göttlichen Personen in der Einheit der einen und unteilbaren Natur: Diese Gemeinschaft, welche keine Uberwindung individueller Existenzen voraussetzt, ist unserer Erkenntnis ebenso verschlossen wie die göttliche Natur. Unser Bezugnehmen auf die Ewigkeit Gottes ist nur bedingt, es ist gegründet auf die Erfahrung der „Ewigkeit" der liturgischen Zeit in der Gemeinschaft der Kirche.
238
152
Max., qu. Thal. - P.G. 90, 516 C.
DRITTER TEIL
Die „Semantik" der personhaften Kundgabe
Erstes Kapitel: Der Logos - Kundgabe der Person § 56 Der Logos als Aussage und als Logik Die erste Bedeutung von λόγος ist συλ-λογή, Sammlung, Versammlung σύναξις, Zusammenkunft συναγωγή. Bei Homer lesen wir: „... laßt uns sammeln ... das Gebein des Menötiaden Patroklos." 1 Λέγω bedeutet im Altgriechischen sammeln, versammeln, die verstreuten Elemente oder Attribute zur Einheit zusammenbringen, welche unerläßlich ist, damit das Eine offenbar werde. Dieser alten Bedeutung des Wortes Logos entspricht recht genau die spätere Deutung durch Philon von Alexandria: „Denn der Logos des Seins ... ist die Fessel aller Dinge, wie gesagt wird, und er hält alle Teile zusammen und bindet sie und läßt nicht zu, daß sie aufgelöst oder vernichtet werden." 2 Der Logos wird gleichgesetzt mit der als gegeben angenommenen anfänglichen Einheit des Seienden, mit der ursprünglichen Möglichkeit, daß die einheitliche Umfassendheit des Seienden offenbart werde, das, was das Seiende ist, betrachtet als Umfassendes, als Wesen. „Eines ... ist das Wesen, eines der Sinngehalt dieses Wesens und noch eins - der Name" 3 , definiert auch Piaton. Die Ein-heit des Logos des Wesens wahrt die Einartigkeit des Seienden: „Dieses Wesen, dessen Sein wir einen Logos zuschreiben ...", wie Piaton ebenfalls formuliert 4 , das bedeutet, daß der Logos des Seienden ineinsgesetzt wird mit dem Wesen des Seienden, daß er auf das bezogen wird, was das Seiende als erstes ist, in gegebener umfassender Einheit, daß der Logos Vorrang hat vor der Definition der Eigenheiten und Kennzeichen (den Kategorien des Seins). Das Verhältnis von Logos und Wesen des Seienden wird systematischer von Aristoteles analysiert. Er spricht von den vereinzelten Elementen der Einheit des Seienden als dem Allgemeinen (Materie, Gestalt und „aus beiden das Dritte" 5 - das „Allgemeine" 6 ), ebenso von den Eigenschaften des Seienden als Ganzem - als zusammengesetztem Gesamt der Kategorien des Seienden („daß etwas ein Qualitatives oder Quantitatives sei ... oder einer ' Ilias 23, 239. De fuga et inventione § 112, Ausg. Starobinski-Safran, (Ed. du Cerf 17) Paris 1970, S. 184. 3 Leges I, 895 d 5-4. 4 Phaidon 78 d 1. 5 Metaphysica 1029 a 2-4. 6 Metaphysica 1037 a 6-7. 2
154
andern dieser Kategorien angehört ..." 7 ). Das gibt seiner Sprache die Möglichkeit, „(vom Seienden) in mehrfacher Bedeutung zu handeln" 8 , „dennoch immer auf einen Ursprung bezogen" 9 , auf die anfängliche und ursprüngliche Einheit des Seins, auf das Wesen oder die Natur des Seienden. Wenn wir sagen: der Baum ist aus Holz (Qualität), der Baum ist hoch (Quantität), der Baum ist im Walde (Lokalität), der Baum ist uralt (Temporalität), der Baum ist fruchttragend (Modalität) und so fort, dann definieren wir auf vielerlei Weise dieses eine Seiende, den Baum, setzen dabei aber seinen einheitlichen Wesensbegriff voraus: das ist ein Baum - das ursprüngliche Einssein dieses Seienden, die Einheitlichkeit seines Wesens; („jedes Wesen ist Eins" 10 - „und das Eine ist nicht etwas vom Seienden Verschiedenes" 11 ). Der Logos des Seins hat Vorrang vor den Kategorien, das heißt, vor den Eigenheiten des Seienden als Gesamt, darum erweist er sich auch als Voraussetzung zum Verständnis der Einheitlichkeit des Seienden: „Das Eine wird genannt . . . dasjenige, dessen Definition ein und dieselbe ist, nämlich sein innerstes Wesen" 12 . Und diese Einheitlichkeit hat umfassenden Charakter, sie bezieht sich auf alle vereinzelt existierenden „Monaden" des Seins, „sie ist immer Begriff (λόγος) des ,Allgemeinen' (des . . . als Allgemeines Zusammengefaßten" 13 ), „Begriff zum Teil der Sache" 14 . Der Begriff des Seins ist bezogen auf etwas, er ist kein Begriff von etwas, er stellt die Urfrage: „nach dem Wesenswas oder bestimmten Etwas" 15 , nach dem Wesen. „Indem nun in so vielen Bedeutungen das Seiende gebraucht wird, so ist offenbar darunter die erste, in welcher man unter dem Seienden das Was versteht, welches die Wesenheit bezeichnet" 16 . Die Gleichsetzung des Begriffes mit der Möglichkeit der Kundgabe des Wesens des Seins zeigt
7
M e t a p h y s i c s 1 0 2 8 a 1 2 - 1 3 . - und 1 0 1 7 a 24—27: „. . . da nun die K a t e g o r i e n teils ein W a s
b e z e i c h n e n , teils eine Q u a l i t ä t , teils eine R e l a t i o n , teils ein T u n o d e r L e i d e n , teils ein W o , teils ein W e n n . . . " . u n d 1 0 2 9 b 2 4 - 2 5 : „ D a es aber nach den anderen K a t e g o r i e n Z u s a m m e n g e setztes gibt . . . das Qualitative, das Q u a n t i a t i v e , das W a n n , das W o und die B e w e g u n g 8
..."
M e t a p h y s i c a 1 0 0 3 a 3 3 - 3 4 : „ D a s Seiende w i r d i m m e r in m e h r f a c h e r B e d e u t u n g g e b r a u c h t ,
aber i m m e r in B e z i e h u n g auf eines u n d auf eine einzige W e s e n h e i t . " ' Metaphysica
1003
b 5-10:
„. . . e b e n s o
wird
auch
das Seiende
zwar
in
vielfachen
B e d e u t u n g e n ausgesagt, aber d o c h alles in B e z i e h u n g auf ein P r i n z i p . D e n n einiges w i r d als seiend b e z e i c h n e t , weil es W e s e n h e i t , anderes, weil es A f f e k t i o n o d e r W e s e n h e i t , anderes, weil es der W e g z u r W e s e n h e i t o d e r z u m U n t e r g a n g o d e r z u r B e r a u b u n g , o d e r Q u a l i t ä t o d e r das für die W e s e n h e i t Schaffende und E r z e u g e n d e ist o d e r für etwas in B e z i e h u n g z u derselben Stehendes o d e r N e g a t i o n v o n etwas u n t e r diesem o d e r v o n der W e s e n h e i t . " 10
Metaphysica 1003 b 32.
"
M e t a p h y s i c a 1 0 0 3 b 31 und 1 0 1 6 b 8 - 9 :
im ursprünglichen Sinne aber ist dasjenige
eines, dessen W e s e n h e i t eine einzige ist." U n d 1 0 5 3 b 2 5 : „. . . das E i n e aber w i r d in e b e n s o vielfacher B e d e u t u n g g e b r a u c h t wie das Seiende." 12
Physica 185 b 7 - 8 .
1J
Metaphysica 1035 b 3 4 - 3 5 .
14
Metaphysica 1034 b 21.
15
Metaphysica 1028 a 11-12.
"
Metaphysica 1028 a 1 3 - 1 5 .
155
unmittelbar den Aussagech.arzV.ttT des Begriffes. Nicht jeder Begriff sagt aus17, doch ist die Aussage - die Voraussetzung dazu, daß sich das Sein in seinem Wesen offenbart (άπο-φαίνεσθαι) - immer Begriff18. Aussagend, erläuternd ist der auf das Wesen bezogene Begriff19, der uns sagt, daß etwas ist oder nicht ist, daß es existiert oder nicht existiert, daß es sieb verwirklicht - erscheint oder sich verbirgt20. Der Akt des Erscheinens, das heißt, das Wirken des Begriffes, welcher das Wesen des Seins offenbart (in Erscheinung treten läßt), setzt die Sammlung und Vereinigung der einzelnen Elemente und Kategorien der umfassenden und gesamtheitlichen Einheit des Seins voraus, aber auch den Ausschluß anderer Elemente und Kategorien, die nicht zu dieser Einheit gehören: so werden wir zur Bedeutung des Begriffes als Wesensbestimmung geführt, nämlich als Abgrenzung der unterschiedlichen Voraussetzungen der Einheitlichkeit des Wesens jeden Seins. Der über das Wesen aussagende Begriff begrenzt, das heißt, er um-schreibt und trennt die Elemente, welche die Einzigkeit und Einheitlichkeit des Wesens „aussagen", er unterscheidet und trennt diese Elemente von allen „semantischen" Elementen anderer Wesen. Die Wesensbestimmung bezieht sich auf den einheitlichen Charakter des Wesens („wodurch . . . dasjenige eins ist, dessen Begriff wir als Wesensbestimmung setzen"21). Indem wir die Unterschiede voraussetzen, welche die einheitliche Einzigkeit des Wesens bezeugen, „ist offenbar, daß die Wesensbestimmung der aus den Unterschieden hervorgehende Begriff ist"22. Und diese Einheitlichkeit hat immer umfassenden Charakter, ob sie sich auf die Einzigkeit der existenzialen „Monas" des Seins bezieht (des Menschen oder des Pferdes - subsistierender Individuen) (ουσία πρώτη) oder auf alle einzelnen existenziellen „Monaden" des Seins, auf die Gattung23 (ούσία δευτέρα). Und in beiden Fällen ist der Sinngehalt der unterscheidenden Unterschiede im Einheitsbegriff des „Allgemeinen" enthalten, der über das Wesen aussagt; die Begriffsbestimmung definiert die Einheitlichkeit des Wesens als Begriff „aus den Unterschieden": „Der letzte Unterschied muß das Wesen und die Wesensbestimmung der Sache sein."24 So offenbart der Akt der Erscheinung, der über das Wesen aussagende Begriff, nicht nur die Einheitlichkeit des Seins als „Allgemeines", sondern auch die Art und Weise 17 D e interpretatione 5, 17a 1 1 - 1 2 : „Der Ausdruck ,Mensch' ist solange noch keine echte Aussage, als ,ist' oder ,wird sein' oder ,war' oder etwas Ahnliches hinzugefügt wird." 18 D e interpretatione 5, 17a 2 3 - 2 4 . " D e interpretatione 5, 17a 1 5 - 1 6 . 20 D e interpretatione 4, 17a 2 - 3 . - Siehe auch J o . D., dialect. § 64 - Ausg. Kotter, S. 132. Heidegger, Sein und Zeit, S. 32 f. 21 Metaphysica 1037 b 1 1 - 1 2 . 22 Metaphysica 1038a 8 - 9 . 23 Metaphysica 1038b 9 - 1 6 und Categoriae 5, 2a 1 1 - 1 6 . 24 Metaphysica 1038a 1 9 - 2 0 .
156
dieser Einheitlichkeit: er bewahrt sowohl den Sinngehalt der unterscheidenden Differenzen, welche die umfassende Einheitlichkeit des Wesens definieren, als auch die Wesensgehalte, die λόγοι, der einzelnen „Teile" oder Elemente, welche die Ordnung der einheitlichen Umfassendheit des Wesens bilden, „die Aussage über den Wesensgehalt der Teile muß enthalten sein im Begriff des Ganzen" 25 - „der Begriff enthält Teile des Definierten" 26 . Folglich entspricht der Begriff als Wesensbestimmung nicht nur der „Semantik" der Einheitlichkeit und Umfassendheit des Wesens, sondern auch der Kundgabewewe der Vereinigung der einzelnen „Teile" oder unterscheidenden Differenzen, welche die Einheitlichkeit und Umfassendheit des Wesens erweisen; der Begriff entspricht der Art und Weise oder dem Wie der Existenz der Wesenheiten. Weil also das Seiende durch den Begriff offenbart wird, offenbart es sich auch gemäß dem Begriffe; seine Erscheinungsweise wird von dem aussagenden Begriff eines Wesens definiert, und sie ist eine „begriffgemäße" Art und Weise, bezogen auf die harmonische und „ordnungsgemäße" (Harmonie und Ordnung begründende) Sammlung und Vereinigung der unterscheidenden Differenzen und einzelnen „Teile" und erweist dabei die Einheitlichkeit des umfassenden Wesens - das, was das Seiende ist: „jede Ordnung beruht auf einem Verhältnis" 27 , „der Zweck steckt im Begriff" 28 . So gelangen wir zur Bedeutung des Logos als dem Begriffe gemäße natürliche und begründete Folge und Ordnung. Allein, die Art und Weise, in welcher das Wesen ist, die Einheitlichkeit, Umfassendheit und Einzigkeit der Wesenheit, ist bezogen auf die Form, ihre unähnliche Gestalt. Folglich bezieht sich die Wesensbestimmung als erläuternder Begriff (der den einheitlichen und einzigartigen Charakter der Wesenheit offenbart) auf die Form, ist sie spezifizierender Begriff: „Wesensbestimmung des Allgemeinen und der Form" 29 , und das Unterscheidende, das die einheitliche Einzigkeit des Wesens bezeugt, ist der spezifizierende Unterschied: „der aus den Artunterschieden hervorgehende Begriff" 50 . „Denn jeder spezifizierende Unterschied schafft mit der Art und Weise die Form" 31 . Aber nur die Form kann „aussagen", das heißt, mit der Erfahrung ihrer Einzigkeit verbunden werden, darum ist auch der Begriff als Wesensbestimmung „Zeichen" der Einzigkeit des Wesens: „denn der Begriff, dessen Zeichen das Wort (der Name) ist, wird zur festen Bestimmung" 52 . Und dieser Name hat an sich, als phonetischer Ausdruck, keinerlei Bedeutung, wenn er nicht „Zeichen" ist, das heißt, Symbol - wenn er 25
Metaphysics 1034b 23.
26
Metaphysica 1037a 2 2 - 2 3 .
27
Physica 252a 1 3 - 1 4 . Physica 200a 1 4 - 1 5 .
28 29 50 31 J2
Metaphysica 1036a Metaphysica 1043a Topica VII 6, 143b Metaphysica 1012a
28-29. 19-20. 7-8. 23-24.
157
nicht die vereinzelten Erfahrungen der Formen zusammenbringt, die wir, jeder von uns für sich, haben, um das Seiende zu „bezeichnen", indem wir es definieren. „Die Namen haben kein Wesen, außer wenn sie Symbole werden."" Die zum Zeichen gewordene Form benennt die Dinge: „Die Formen geben dem Einzelnen Namen." 34 Folglich ist der Begriff, als Aussage wie auch logisch, mit der Möglichkeit, die Wesenheit zu offenbaren, nur dann gleichgesetzt, wenn er semantisch und symbolisch wirkt, das heißt, nur, wenn er die Erfahrung der Form voraussetzt und auf diese Erfahrung bezogen ist. Hier könnten wir hinzufügen, daß die Erfahrung der Form die vor-bewußte Beziehung des Menschen mit der „personhaften" Einzigkeit und Unähnlichkeit der Seienden voraussetzt und daß folglich der Begriff, als Aussage über das Sein des Wesens, die personale Beziehung des Menschen mit dem Seienden voraussetzt und offenbart, denn die Beziehung ist die notwendige und geeignete Voraussetzung zur Erfahrung der Form, welche der Begriff „bezeichnet".
§ 57 Der Logos (Begriff*) als „Weise" der Bezogenheit der Person
ekstatischen
Wir sahen in den vorausgehenden Kapiteln, daß das Auftauchen der Seienden aus der Verborgenheit in die Un-verborgenheit einen „Horizont" voraussetzt, eine Möglichkeit zu erscheinen, nämlich die existenziale Realität der Person. Jetzt könnten wir sagen, es setze auch eine Weise oder ein Mittel der Erscheinung voraus (nicht nur das Wo, sondern auch das Wie der Erscheinung), und das ist der Begriff. Die Seienden tauchen auf aus der Verborgenheit und erscheinen am „Horizont" der Person als Begriffe. Ihr aussagendes und dem Begriffe gemäßes Erscheinen wurde weiter oben, mit Hilfe der Analyse des Aristoteles, als semantisches und symbolhaftes Wirken des Begriffes gedeutet. Durch den Begriff sind die Seienden auf die einheitliche Einzigkeit der sie umfassenden Form bezogen, und wir fügen hinzu, die Semantik der Form setzt die Erfahrung der Form voraus und ist auf sie bezogen; folglich betrifft sie die allererste Möglichkeit einer Beziehung der Person mit den Seienden: diese Beziehung ist die Erscheinung der Seienden am „Horizont" der Person. Der Begriff wird ineinsgesetzt mit der Weise oder dem Wie der Erscheinung, dennoch ist die Unterscheidung von Erscheinungsweise und Erscheinungs^onzont eher eine noetische Konzep-
De interpretatione 2, 16a 27-28. De plante A 1, 816a 14. * Anm. d. Ubers.: Logos ist hier, nach u.a. Bonitz, mit Begriff übersetzt. Zur umfassenden Bedeutung dieses Wortes vgl. Handbuch der philosophischen Grundbegriffe, (Kösel) München 1973, S. 192 ff., 208, 332, 627ff. 53
34
158
tion als eine Erfahrungsmöglichkeit. Das, was wir den Erscheinungs„Horizont" nennen, ist - bevor es ein konkretes Wo wird, „Raum" bewußter oder auch noetischer Erkenntnis - ein dynamisches Wie ekstatischer Bezogenheit, existenziale Tatsache vor-bewußter Beziehung, welche die notwendige und geeignete Voraussetzung für die Erscheinung und Un-verborgenheit der Seienden bildet. Wenn wir jedoch zum Zwecke (konventioneller aber) systematischer Formulierung weiterhin die Erscheinungsweise vom Horizont der Erscheinung unterscheiden, können wir konkreter formulieren: Die dynamisch-ekstatische Bezogenheit der Person bildet als Möglichkeit den „Horizont" der Erscheinung der Seienden, sie hat als Ergebnis oder Folge die Un-verborgenheit der Seienden, den Verband der Elemente der ontischen Individualität zur Aussage, zur das Wesen des Seienden erläuternden Definition. Doch verwirklicht sich in beiden Fällen - im Falle der Möglichkeit der Erscheinung, wie auch in deren Ergebnis - die ekstatische Bezogenheit der Person als Begriff und begründet diesen: im ersten Falle gründet sich die Möglichkeit der Erscheinung der Seienden am „Horizont" der Person auf ein Bereitsein des Begriffes, eine Fähigkeit, den Wesensgehalt der Dinge „begriffsgemäß" anzunehmen, eine Voraussetzung zum Dia-log, das heißt, zur Beziehung. Im zweiten Falle ist das Ergebnis der ekstatischen Bezogenheit der Person, die Kundgabe der Seienden, das heißt, ihre Un-verborgenheit, wiederum Begriff, „semantische" Definition der vor-bewußten Erfahrung der Form, das heißt, der personalen Beziehung des Menschen mit der „personhaften" Einzigkeit und Unähnlichkeit der Seienden. Hier könnten wir hinzufügen, daß auch die ekstatische Bezogenheit der Person wieder Begriff ist: wirksam als Ruf zur Beziehung zwischen Personen (in Rede, Schrift, künstlerischem und physiognomischem Ausdruck, als Gebärde, Ausübung von Kunst, Bekundung von Liebe). Zusammenfassend können wir also sagen, daß die Person in ihrer ekstatischen Bezogenheit immer Begriff ist.
§ 58 Der Begriff „Ausdruck" der personalen
Beziehung
Folglich ist der Begriff die Weise der umfassenden ekstatischen Bezogenheit der Person, nämlich ein existenziales Ereignis, die Tatsache der Beziehung, die ontologische Uberwindung der ontischen Individualität, die dynamische Aufhebung der Individualität als Ziel ihrer selbst, ihres auf sich selbst Begrenztseins - er ist die Kundgabe der Person schlechthin. Die Er-fassung des Wesensgehaltes der Seienden, die Kundgabe ihrer Wesenheit, erweist sich als weit umfassenderes Ereignis als der gedanklich-noetische Vorgang der Verbindung der Gegenstände mit den konventionellen „Zeichen" der gemeinsamen Sprache. Das Erkennen des Wesensgehaltes der Seienden, als umfassende Erfahrung ihrer personhaften Un-verborgenheit, ihrer Erscheinung am „Horizont" der Person, erschöpft sich nicht in der Übereinstim159
mung der Erkenntnis mit ihrem Gegenstande oder im „Klangbild", das diese Verbindung konventionell bezeichnet, im selbsttätigen Benennen der Gegenstände, wie es die täglich notwendige Verständigung erfordert34'. Das Erscheinen der Seienden als Begriffe am „Horizont" der Person setzt den personhaften Wesensgehalt der Seienden als „Dinge" voraus, aber auch die vor-bewußte umfassend ekstatische Bezogenheit der Person auf diesen Wesensgehalt, seine dynamische Annahme, das heißt, es setzt eine Beziehung voraus zwischen der Person und den Seienden. Gleichsam im Umriß könnten wir diese Beziehung, die als umfassende Erfahrung die nur noetische Erkenntnis der Gegenstände übersteigt, vielleicht auch darin erblicken, wie Aristoteles die sinnliche Wahrnehmung gleichsetzt mit dem Begriff: „Der Begriff ist Sinneswahrnehmung."" Aristoteles bezieht sich, konkret, auf den „Einklang" des äußeren Reizes mit der Erfahrung seiner Aufnahme durch die Sinne. „Wenn nun die Stimme eine Art Einklang darstellt, ferner die Stimme und das Gehör in gewissem Sinne eins und dasselbe ist, der Einklang aber sich auf ein Verhältnis gründet, so ergibt sich mit Notwendigkeit, daß auch das Gehör auf einem gewissen Verhältnis beruht."36 Der Begriff als „Ubereinstimmung" der Sinneserfahrung mit dem äußeren Reiz gibt sehr konkret den Vorgang der Erscheinung der Seienden als Begriffe am „Horizont" der Person wieder. Aristoteles bringt die Sinneserfahrung nicht in Gegensatz zur Erkenntnisfähigkeit der Vernunft, im Gegenteil: „Da die Seele hauptsächlich durch zwei Eigenschaften bestimmt wird, erstens durch die örtliche Bewegung, zweitens durch das Denken, Urteilen und Wahrnehmen, könnte es scheinen, als ob das Denken und Erkennen gewissermaßen ein Wahrnehmen sei. Denn in diesen beiden Tätigkeiten beurteilt und erkennt die Seele etwas von den Dingen der Wirklichkeit. Und die Alten wenigstens erklären das Erkennen und Wahrnehmen für dasselbe."37 Sowohl die Sinneserfahrung als auch die Fähigkeit noetischen Erkennens - so könnten wir hier sagen - bilden Stufen oder Bekundungen der umfassend-ekstatischen Bezogenheit der Person, welche immer vernunfthaft sind, ebenso wie die äußeren Reize, nämlich die Form der Seienden oder die Sprache als spezifizierende Kennzeichnung der Seienden. In dieser Sicht ist „die Sprache Symbol des von der geistigen Energie Erkannten", denn „der Begriff ist Offenbarung des Geistes", wie
,4> Z u m konventionellen Charakter der Benennung der Objekte in den Sprachen vergl. Ferdinand de Saussure, Cours de linguistique generale, Paris (Ed. Payot) 1969 u. a.: „La langue est une convention, et la nature du signe dont on est convenu est indifferente." (S. 2 6 ) U n d : „La langue, c'est un systeme de signes oü il n'y a d'essentiel que l'union du sens et de l'image acoustique, et oü les deux parties du signe sont egalement psychiques." (S. 32) U n d endlich: „Tout moyen d'expression reju dans une societe repose en principe Sur une habitude collective ou, ce qui revient au meme, sur la convention." (S. 100) 35 De anima III 2, 4 2 6 b 7. " D e anima III 2, 436a 2 7 - 3 0 . 37 De anima III 3, 427a 1 9 - 2 2 .
160
Maximos es sehr konkret definiert38. Die erkennende Energie der Seele oder die Vernunft sind hier gleichbedeutende Ausdrücke, die sich auf die ekstatische Bezogenheit der Person beziehen, welche immer vernunfthaft ist. Mit anderen Worten, Begriff bedeutet, als Funktion des Erscheinens, das existenzial umfassende (und nicht nur noetische oder bewußtseinsmäßige) Ereignis der personalen Erkenntnis, die Erfahrung der vernunft-gemäßen Annahme des Wesensgehaltes der „Dinge" durch den Menschen, nämlich das Ereignis der Beziehung des Menschen mit der Welt - darum wird auch der Begriff als die personale Möglichkeit schlechthin bezeichnet, als die ursprüngliche und grundlegende Fähigkeit der Person. „Begriffsbildung findet sich bei keinem Tier, wohl aber bei einigen die Einbildungskraft", sagt Aristoteles39. Der Begriff ist der spezifizierende Unterschied zwischen dem Menschen und der vernunftlosen Natur; er besteht in der Fähigkeit zu personaler ekstatischer Bezogenheit und umfassender Beziehung zum Seienden, welche die Un-verborgenheit der Seienden, ihr Auftauchen aus der Verborgenheit (der Nicht-Beziehung) voraussetzt. Bevor diese Bestimmung der Seienden, der Vorgang des Erscheinens, im Bereich des Automatismus der täglichen Erfordernisse konventionell objektiviert wird (bevor die Sprache „abfällt" von ihrer Eigenschaft, „Symbol des mit der geistigen Energie Erkannten" zu sein und verfälscht wird zum konventionellen Zeichen des täglichen Gebrauchs, dienstbar gemacht dem MiteinanderExistieren der Individuen), hat dieser Vorgang des Erscheinens den Charakter einmaliger, unähnlicher und unwiederholbarer Erfahrung, weil die umfassende Beziehung jeder Person mit den Seienden und den anderen Personen einmalig, unähnlich und unwiederholbar ist. Das, was wir Begriff des Seienden nennen, ist die Kundgabe des Wesens des Seienden als Anwesenheit, als Bezogenheit auf den „Horizont" der personalen Einzigkeit und Unähnlichkeit. Damit kommen wir zu einer Deutung des Begriffs: wir können ihn „definieren" als die Fähigkeit der Person, die Einzigkeit und Unähnlichkeit ihrer ekstatischen Bezogenheit und ihrer umfassenden Beziehung mit den Seienden und den andern Personen zu offenbaren und auszudrücken. Bevor er als konventionelle „Benennung" des Seienden objektiviert wird40, ist der Begriff eine personhafte Kundgabe, die Offenbarung einer einzigartigen, unähnlichen und unwiederholbaren Beziehung. Jede einzelne Weise oder Stufe des Offenbarwerdens und der Ausprägung dieser Beziehung, jede Weise des Ausdrucks (Rede, geschriebenes Wort, physiognomischer Aus-
3" cap. theol. II P . G . 90, 1253 C und myst. V - P.G. 91, 680 B ; cap. al. - P.G. 90, 1432 A . 39 De anima III 3, 428a 2 3 - 2 4 . 40 U b e r die Unterscheidung von Begriff λόγος und konventioneller Benennung s. Arist., Analytica I 35, 48a 30 und 39, 49b 5 ; Topica V 2 130a 3 9 ; Physica 184b 10; Topics I 5, 102a 2-5.
161
druck, Gebärde, bildende Kunst oder die Kundgabe von Liebe) ist - ehe sie aussagende Bestimmung des Wesens des Seienden wird - Begriffsbestimmung der Person, Kundgabe der personhaften Einzigkeit und Unähnlichkeit.
§ 59 Die „Logik" der ästhetischen
Erfahrung
Aus dem oben Gesagten wird deutlich, daß es sich auch bei der ursprünglichen Bedeutung der Logik nicht um die Errichtung eines Gefüges zur Erklärung und Bestimmung handelt, gemäß abgegrenzter, objektiv geregelter Ordnung, sondern um die personale Fähigkeit, den Wesensgehalt der „Dinge" anzunehmen und zu erkennen, um die Begegnung der menschlichen Vernunft mit dem Seinsplan der Welt und ihre Einordnung in ihn. Nach den Maßstäben der objektiv und konventionell anerkannten „Vernunft" (ratio, raison) kann solches Einordnen nur Unbestimmtheit, Ungeregeltheit und Irrationalität sein. Die vernunft-gemäße Struktur einer Erscheinung bedeutet nicht, daß sie die objektive Beweiskraft einer systematisch-noetischen Darlegung und erwägend-erläuternden oder bestimmenden Klassifizierung hätte; sie ist vielmehr die Bezeugung oder Kundgabe der persönlichen Einordnung des Menschen in den Seinsplan der Welt. Und diese Bezeugung und Kundgabe kann sowohl in noetischen als auch in ästhetischen Kategorien Ausdruck finden, sie kann Rede sein, geschriebenes Wort, physiognomischer Ausdruck, Gebärde, bildende Kunst oder die Bekundung von Liebe. Der Verfall des Begriffes zur unpersönlichen konventionellen „Semantik" der Gegenstände (die Verselbständigung des Begriffes, die Tatsache, daß er zur „Benennung" der Gegenstände der Nützlichkeit unterworfen wurde, die Trennung des Begriffes vom existenzialen Ereignis der Beziehung), das heißt, die Neutralisierung der Sprache41 und die Beschränkung der Logik auf die Fähigkeit, objektiv überzeugende Schlußfolgerungen zu ziehen42, hat den Vorgang des Erscheinens - den Charakter des Begriffes als Kundgabe der personalen Einzigkeit - auf wenige Lebensbereiche
41 F. de Saussure, Cours de linguistique, S. 21: „Le langage est un fait social." - S. 26: „Ce n'est pas le langage parle qui est naturel ä l'homme, mais la faculte de constituer une langue, c'est-ä-dire un systeme de signes distincts correspondant ä des idees distinctes." 42 „Logic may be defined as the science which investigates the general principles of valid thought. . it seeks to determine the conditions under which we are justified in passing from given Judgments to other Judgments that follow from them." J. N. Keynes, Studies and Exercises in Formal Logic, London 1906, Introduction, § 1. - „Logic is . . . the examination of that part of reasoning which depends upon the manner in which inferences are formed . . . It has so far nothing to do with the truth of the facts, opinions or presumptions, from which an inference is derived: but simply takes care that the inference shall certainly be true, if the premises be true." Aug. de Morgan, Formal Logic (Elements of Logic), London 1947, ch. 1.
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beschränkt, vor allem auf den Ausdruck von Eros und die ausübende Kunst. Ein Kunstwerk bleibt immer die Aussage, die vernunfthafte Kundgabe einer Person, das „Zeichen" des persönlichen Einklangs zwischen dem Künstler und dem personhaften Wesensgehalt des Gegenstandes, den darzustellen er unternimmt. Die bildende Kunst bezeichnet die Dinge, sie offenbart ihre Un-verborgenheit, weil sie sie wieder in ihre personale Bezogenheit bringt. Und diese Bezeichnung der Dinge ist, im Falle des Kunstwerkes, personaler Wesensgehalt, einmaliges, unähnliches und unwiederholbares Zeugnis für das persönliche Entdecken und Annehmen des Wesensgehaltes der Dinge, ist die Bezeugung und Kundgabe einer Person. Das Bild, auf dem van Gogh ein Paar ausgetretener Bauernschuhe darstellt, definiert diese Schuhe auf unwiederholbare Weise, es offenbart ihre einmalige Un-verborgenheit 43 , ihr Auftauchen zum Raum der existenzialen Erfahrung des Künstlers - zum „Horizont" seiner persönlichen Erkenntnis - und ihre Darstellung wird zum personhaften Begriff, zur Kundgabe der Person von van Gogh selbst; angesichts des Bildes sagen wir: das ist van Gogh. Wir könnten hier hinzufügen, daß auch die wertorientierte Einschätzung eines Kunstwerkes sich auf den Grad der Vollkommenheit bezieht, in dem der künstlerische Ausdruck die Einmaligkeit der persönlichen Beziehung des Künstlers zum Gegenstand des Kunstwerkes wiedergibt, das heißt, inwieweit die Gestaltung durch den Künstler die unpersönliche und konventionelle Auffassung der Gegenstände übersteigt. Die Kundgabe der persönlichen Beziehung des Künstlers zum Gegenstand des Kunstwerkes „holt" das Objekt aus seiner unpersönlichen Neutralität „heraus" und fordert den Betrachter (den Leser oder Zuhörer) auf, ebenfalls persönlich teilzuhaben an der personhaften Einmaligkeit des Gegenstandes. Da jedes Kunstwerk immer Symbol ist, „bringt es" die einzelnen Erfahrungen persönlicher Teilhabe an der personhaften Einmaligkeit des Gegenstandes „zusammen" (συμ-βάλλει): der künstlerische Ausdruck oder die künstlerische Offenbarung der persönlichen Begegnung des Künstlers mit dem personhaften Wesensgehalt des Gegenstandes (welcher immer Ausdruck der Schönheit, nicht der Bedeutung ist) öffnet den Weg, lädt ein und vereinigt das Teilhaben einzelner Personen auf diesen Wesensgehalt - er verbindet die Erscheinung der Seienden aufs neue mit dem „Horizont" ihrer Wahrheit, der menschlichen Person, bringt sie mit ihr in Zusammenhang und Einklang und erweist damit das dynamisch Umfassende der einen 43 Heidegger, Holzwege, Frankfurt (Klostermann) 1963, S. 2 5 : „Van G o g h s Gemälde ist die Eröffnung dessen, was das Zeug, das Paar Bauernschuhe, in Wahrheit ist. Dieses Seiende tritt in die Unverborgenheit seines Seins heraus. Die Unverborgenheit des Seienden nannten die Griechen αλήθεια . . . Im Werk der Kunst hat sich die Wahrheit des Seienden ins W e r k gesetzt. .Setzen' sagt hier: zum Stehen bringen. Ein Seiendes, ein Paar Bauernschuhe, k o m m t im W e r k in das Licht seines Seins zu stehen. Das Sein des Seienden k o m m t in das Ständige seines Scheinens."
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persönlichen Beziehung. Und da ein Kunstwerk Symbol ist, ist es auch Allegorie im ursprünglichen Sinne dieses Wortes: es bezeugt den Wesensgehalt des Gegenstandes im Zeugnis der Person, welche diesen Wesensgehalt erfaßt hat - der Gegenstand eines Kunstwerks bezieht sich auf eine andere Realität als die seiner konventionellen ontischen Konzeption, er sagt etwas anderes aus44. Darum ist auch die Aussage der Kunst um so umfassender unmittelbar, je personhafter sie ist, je näher sie heranreicht an den Ausdruck der umfassenden Möglichkeit, die mit der persönlichen Beziehung gegeben ist, der Möglichkeit, die personhafte Einmaligkeit und Unähnlichkeit des Gegenstandes am „Horizont" der Kundgabe durch eine Person zu offenbaren. Gerade weil die Person die Natur des Menschen umfassend „enthält" und beinhaltet, ist sie die ek-statische Möglichkeit der Natur, und die Natur ist der Inhalt der Person; darum sagt die Kunst auch Umfassenderes aus und ermöglicht gemeinschaftliche Erfahrung von Erkenntnis, wenn sie den Ausdruck der personalen Ek-stase erreicht, das heißt, wenn sie den Ausdruck lediglich individueller Erfahrung (Gemütsbewegung oder Begeisterung) übersteigt. Mit anderen Worten, die künstlerische Aussage ist ein „ethisch"-erotisches Ringen, die Individualität, die Gespaltenheit der Natur in Individuen zu überwinden, ein Ringen, das hinführt zur umfassenden personalen Beziehung zur Welt. Die Uberwindung der Individualität wird erreicht durch die Unterordnung der Kunst unter die inneren „Gesetze", welche den die Dinglichkeit des Seienden begründenden „Zusammenfluß" der Wesensgehalte der natürlichen Realität regieren45. Diese Unterordnung erweist die Kunst als Möglichkeit zu einer „asketischen" Vollendung, als Weg zur Wiederherstellung der Person in ihre existenziale Unverfälschtheit, und sie setzt die künstlerische Schöpfung gleich mit der Begegnung mit der personalen Dimension des Kosmos, mit der persönlichen Wiederentdeckung und Bezeugung des personhaften Wesensgehaltes der Dinge. Wenn darum der Künstler in seinem individuellen Ausdruck nicht nur den vollendeten Effekt anstrebt, sondern die Gestaltung wahren Lebens - und wenn er nicht mehr erreichte, als die Erfahrung des existenzialen Scheiterns des Menschen zum Ausdruck zu bringen - wenn er sich der Grenze des persönlichen schöpferischen Ausdrucks nähert, erlebt er immer etwas von der Erfahrung der Seligkeit „vor dem Fall". Hinter aller Kunst tut sich das abgründige Geheimnis der Person auf, die Daseinsweise des Menschen und der Welt, jenseits aller konventionell objektivierten Formulierung. In dem Maße, in dem die Person das Nächste und das Fernste ist, ist sie gleichzeitig auch das Unsagbare. Die Kunst ist die Aussage dieses Unsagbaren. 4< Heidegger, Holzwege, S. 9: „Mit dem angefertigten Ding wird im Kunstwerk noch etwas anderes zusammengebracht. Das Zusammenbringen heißt griechisch συμβάλλειν. Das Werk ist Symbol. - Das Kunstwerk ist wohl ein angefertigtes Ding, aber es sagt noch etwas anderes, als das bloße Ding selbst ist, άλλο άγορεύει." 45 Vgl. Gr. Nyss., anim. et res. - P.G. 46, 124 C.
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5 60 Die natürlichen Energien - als der personalen Andersheit
Ausdruck
Nach dem soeben Dargelegten können wir jetzt sagen: der Begriff bewirkt die Kundgabe der Person mittels der natürlichen Energien, wie wir sie im vorhergehenden Kapitel definierten, als umfassende Möglichkeit, der N a t u r ihre personale Daseinsweise zu offenbaren. Wir erkennen die N a t u r nur als Inhalt der Person, das heißt, wir erkennen nur die Weise, in welcher die N a t u r ist, und diese Erkenntnis wird uns zugänglich mittels der natürlichen Energien, die uns den Seinssinn der personalen Andersheit offenbaren. Die Rede, das geschriebene Wort, der physiognomische Ausdruck, die Gebärde, die Ausübung von Kunst, das Bekunden von Liebe sind derartige Möglichkeiten der umfassenden N a t u r , welche den Seinssinn der personalen Andersheit kundtun. Die Person ist in ihrer ekstatischen Bezogenheit immer Begriff, und dieser Begriff ist Kundgabe der natürlichen Energien, welche stets die personale Andersheit offenbaren. Aus dieser ontologischen Sicht des Begriffes können wir uns auch wieder der Tatsache des Vernunfthaften des Kosmos nähern, können wir im Kosmos die Kundgabe und den Ausdruck einer personhaften schöpferischen Energie sehen. Wenn wir die Seienden als „Dinge" sehen, dann sind die Vernunftsgründe (λόγοι) der Seienden auf die Energien oder „Willensäußerungen" einer Schöpfer-Person bezogen: „Die Vernunftgründe der seienden Dinge sind von Ewigkeit her in G o t t angelegt, so wie er es weiß; sie sind zwar unsichtbar - gotterfüllte Männer pflegen sie als die guten Willensäußerungen zu bezeichnen - doch von ihren Ergebnissen her werden sie wahrgenommen. Alle Werke Gottes können entsprechend ihrer N a t u r mit Hilfe des geeigneten Wissens auf dem Wege der Erkenntnis von uns betrachtet werden; ja, sie verkünden uns auf geheimnisvolle Art die G r ü n d e um deretwillen sie sind und lassen das göttliche Ziel, das bei jedem Geschöpf vorhanden ist, auch an sich selbst offenbar werden; so rühmen die H i m m e l die Herrlichkeit Gottes und das Firmament kündet von dem Werk seiner Hände. Ewig ist die Macht und göttlich die Vorsehung, die in ihrem Wirken von G o t t her auf alle Dinge das Seiende zusammenhält." 4 6 Die gesamte reale N a t u r offenbart den Seinssinn in dem Maße, in dem die Vernunftgründe der Seienden sich nicht in sich selbst erschöpfen, sondern die personalen Energien oder Willensäußerungen Gottes kundtun, indem sie einen Einklang bilden; „in diesem Einklang ist es dem Ganzen und den Gliedern des Ganzen natürlich, daß sie erscheinen und existieren, denn sie haben sämtlich ihre Ursache, daß sie über ihnen leuchte" 47 . Die vernünftige Struktur des Kosmos, der kosmische Einklang oder das Zusammenwirken der Wesensgehalte der ontischen Realität, läßt die Ein-artigkeit des existen" qu. Thal. - P.G. 90, 293 D-296 A. 47 Max., myst. - P.G. 91, 665 A.
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zialen Ursprungs der Seienden erkennen, die Person des Gotteswortes, des Logos, wie sie sich mittels der Energien der göttlichen Wesenheit offenbart48. Die Möglichkeit, Gott durch die Zeugnisse der Welt zu erkennen, bezieht folglich den Seinsplan des Kosmos nicht auf ein unpersönliches kausales Prinzip, sondern als Möglichkeit personaler Kundgabe auf Gott selbst. Und das ist keine Bezogenheit des Einzelnen auf das Allgemeine, des Relativen auf das Absolute, weil es im Bereich der personhaften Kundgabe keine quantitativen Kategorien gibt. Den Wesensgehalt der Seienden anzunehmen bedeutet Erfahrung einer persönlichen Beziehung, die den Logos des Kosmos als den zweiten Pol einer dialogischen Beziehung offenbart; diese Beziehung kann nur als Gemeinschaft von Personen gelebt werden, als Gemeinschaft ekstatischer gegenseitiger Liebe. In dieser erfahrbaren Gemeinschaft offenbaren die vernunfthafte Existenz des Menschen und die den göttlichen Seinsplan kundtuende Struktur und Einheitlichkeit der Welt ihre ursprüngliche existenziale Voraussetzung, die Person des Gott-Logos, „Im Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott, und Gott war das Wort. Dasselbe war im Anfang bei Gott. Alle Dinge sind durch dasselbe gemacht, und ohne dasselbe ist nichts gemacht, was gemacht ist." (Joh. 1, 1-3).
Zweites Kapitel: Die Ikone - „Semantik" der nicht-konventionellen Aussage § 61 Die phänomenologische Ontologie - Voraussetzung der konventionellen Semiologie Wenn wir für das Problem der Erkenntnis von der ursprünglichen Bedeutung des Wortes άλήθεια, Wahrheit, ausgehen, nämlich von Wahrheit im Sinne von Offenbarwerden, Erscheinen, Auftauchen aus der Verborgenheit, dann entscheidet die Bestimmung des „Horizontes" dieser Erscheinung die Erkenntnisfrage und ist die Grundlage für die Errichtung einer Erkenntnislehre - der Lehre oder Wissenschaft von den Problemen der Erkenntnis. Wenn die Un-verborgenheit der Seienden, ihr Auftauchen aus der Verborgenheit, einen objektiven „Horizont" der Erscheinung definiert, 48 Bas., Eun. - P.G. 29, 736 C ; ΑΤΗ., πρός "Ελληνας 42 - P.G. 25, 84 Β; Dion. Ar., d. n. VIII - P.G. 3, 824 BC.
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aber auch voraussetzt - nach Heideggers ontologischer Auffassung den Horizont der Zeit - , dann ist die Erkenntnislehre notwendig phänomenologisch. Die Erkenntnis erschöpft sich in dem als Erscheinung aus der Verborgenheit in die Zeit Auftauchenden - in der Unterscheidung der Anwesenheit von der Ab-wesenheit, das heißt, dem Offenbarwerden der die Erkenntnis ermöglichenden Distanz von dem Wesen. Die Erkenntnis ist keine Rückführung der Erscheinung auf die umfassende „Idee" und keine noetische Erfassung ihres Wesens; Erkenntnis ist das Bewußtsein, daß die Erscheinung die Daseinsweise dessen ist, was ist, das Verstehen der Erscheinung als Bestimmung der Zeit, des einzigen Horizontes vor welchem das, was ist, ans Licht kommt, erscheint. Das Offenbarwerden der Distanz von dem Wesen, das heißt, das Erkennen der Seienden als Erscheinungen, als Phänomene, wird zur Erfahrung der Distanz zwischen dem Menschen und den gegen-ständlich Seienden, ihrer unzugänglichen Wesenheit. Der Mensch versteht die Weise, in welcher die Seienden sind - die Un-verborgenheit der Seienden als Erscheinung und die Erscheinung als Zeitlichkeit - aber das Verständnis der Erscheinung, das heißt, das Bewußtsein von Zeit, als Möglichkeit, die allein der Mensch besitzt, ist nur die notwendige und ausreichende Bedingung zum Erscheinen der Erscheinungen; es hebt weder die Selbstverbergung des Wesens auf noch den Abstand zwischen dem Menschen und dem verborgenen Wesen der Seienden49. Die Erhellung des Abstandes von den Seienden, die Bestimmung der Gegen-stände, geschieht mittels des Begriffes (λόγος). Der Begriff überbrückt die Lücke zwischen der Subjektivität des Erkennens (Husserl 50 ) und der Objektivität des semantischen Erkenntnisinhaltes: die Erkenntnis ist immer Erfahrung oder Bewußtsein einer Kundgabe, aber der Kundgabe von etwas Realem, sie hat stets „semantischen" Inhalt. Im Begriff findet sie somit die gestaltete gegenständliche Fassung ihres „semantischen" Inhalts, so daß sein Gebrauch, seine Umsetzung in die Praxis tatsächlich möglich wird, immer jedoch mittels konventioneller Formen. Da sich die aus der phänomenologischen Ontologie ergebende Erkenntnislehre auf das Bewußtsein des Abstandes vom Wesen gründet, auf die Wahrheit als zeitliches Phänomen, muß sie die Erkenntnis der „Wesen" im Bereich der „Semantik" der Gegenstände objektivieren. Der objektivierte Erkenntnisinhalt wandelt sich vom Begriff zum Vorgestellten, zum Bezeichneten (signifie), um mittels des Klangbildes des Bezeichnenden (signifiant)51 sprachlichen Ausdruck zu finden. So verlagern sich die Grenzen der Erkenntnis in den Bereich der Sprache. Nichts kann differenziert, keine Erkenntnis definiert werden, ehe sie nicht sprachlichen Ausdruck " Diese Fragen wurden im 1. Kapitel des I. Teiles behandelt und weiter ausgeführt (S. 2 0 f . ) . 50 Logische Untersuchungen, 4. Aufl. Bd. I, S. 1 7 3 - 1 7 4 . 51
Vgl. de Saussure, op. cit. S. 97 f.
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gefunden hat. Nur in Verbindung mit dem sie bezeichnenden Klangbild ist die Erfassung des bezeichneten Vorgestellten möglich52 - wir denken in Klangbildern, auch wenn wir sie nicht phonetisch äußern53. Das Klangbild nimmt Gestalt an, das heißt, es definiert und erschöpft den „semantischen" Erkenntnisinhalt, es wird zum Zeichen54, zur formulierten Vorstellung; diese aber verliert bereits ihren Zusammenhang mit der existenziellen Erfahrung der Bedingtheit der Erkenntnis gegenüber der Selbstverbergung des Wesens. Die Erkenntnis ist auf jeden Fall bedingt, nicht nur, weil das Bezeichnende (signifiant) willkürlich verbunden ist mit dem Bezeichneten (signifie)55, sondern auch weil das Bezeichnete nur Erscheinung ist, ,,άφίσταται, της ουσίας": „es entfernt sich von dem Wesen". Die Bedingtheit der Erkenntnis aber begründet eine absolute Bejahung des sprachlichen Ausdrucks als Erkenntnismöglichkeit, das heißt, einen sprachlichen Positivismus - die Erkenntnis erschöpft sich in den Grenzen der Sprache56. Wir erkennen die Realität nur in sprachlich strukturierter Gestalt, das heißt, nur soweit die Möglichkeit geboten ist, sie mit den Zeichen unseres gemeinsamen sprachlichen Idioms zu benennen. Das gemeinsame Element, welches die Sprache mit der Realität verbindet, ist die begriffliche Form und Struktur der Sprache, und für uns ist ihre begriffliche Gestalt und Struktur, die sich in der Sprache widerspiegelt, die einzige Weise, die Realität zu erkennen. Folglich erkennen wir nur das, was mittels der Sprache aussagbar ist und sich in ihr widerspiegeln kann, das heißt, nur das, was Sinn hat, das, was einer begrifflichen Gestalt und Struktur entspricht. So kann die Wahrheit nicht anders als nach den Regeln der „sprachlichen Logik" ausgedrückt werden57, sie muß den Regeln der sprachlichen Logik genügen, auch wenn diese Logik nur „semantisch" ist, das heißt, konventionelle Erkenntnis von Nutzen nur für ihre praktischen Konsequenzen. Saussures grundle52 „Nous proposons . . . de remplacer concept signifie et signifiant." Saussure, S. 99.
et image
acoustique
respectivement par
53 „Sans remuer les levres ni la langue, nous pouvons nous parier a nous-memes ou nous reciter mentalement une piece de vers. C'est parce que les mots de la langue sont pour nous des images acoustiques." Saussure, S. 98. 54 „Le signe linguistique unit non une chose et un nom, mais un concept et une image acoustique . . . N o u s appelons signe la combinaison du concept et de l'image acoustique: mais dans l'usage courant ce terme designe generalement l'image acoustique seule." Saussure, S. 98-99. 55 „Le signe linguistique est arbitraire . . . Le principe de l'arbitraire du signe n'est conteste par personne." Saussure, S. 100. 56 „Der Positivismus legitimiert allein das, was gesagt wird, indem er das andere verkündet jenes, was nicht gesagt wird, was nicht in W o r t e zu fassen ist (in die Sprache) - was wesenlos ist oder auch nicht existent . . . Das Drama des Positivismus ist nicht, daß er nichts zu sagen hätte, sondern daß er nichts zu verschweigen hat." Zisimos Lorentzatos, Der „Tractatus" von Wittgenstein . . . In seinem Buch Δ ύ ο κείμενα, Athen (Ikaros) 1972, S. 4 1 - 4 2 und 50, in gr. Spr. 57 Wolfgang Stegmüller, Metaphysik - Wissenschaft - Skepsis, Frankfurt-Wien (Humboldt) 1954, S. 4 8 - 4 9 .
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gende These, daß die Verbindung des Bezeichnenden mit dem Bezeichneten rein willkürlich sei, offenbart den ganz und gar relativen und konventionellen Charakter der linguistischen Logik: Die Richtigkeit des Satzes: „der Baum ist eine Pflanze" und der Fehler in dem Satz: „der Baum ist ein Säugetier", sind völlig abhängig von der konventionellen und willkürlichen Gewohnheit der Benennung als „Pflanze" und als „Säugetier". Und dennoch, so relativ und konventionell dieser sprachliche Ausdruck und diese sprachliche Logik auch sind, wird unsere „unbestimmte" und „ungenaue" Sprache des täglichen Alltags zur Bildung der „exakten" formalistischen Sprache des wissenschaftlichen Positivismus benützt58. Keine Erkenntnis läßt sich abgetrennt vom konventionellen sprachlichen Idiom einer Gruppe von Menschen ausdrücken59.
5 62 Die Ontologie der personalen Daseinsweise - Voraussetzung für die Erkenntnis mittels umfassender Beziehung Wenn wir nun die menschliche Person als „Horizont" der Erscheinung der Seienden annehmen (ihres Auftauchens aus der Verborgenheit in die Unverborgenheit), dann ist die Erkenntnis das Erfahren der Erscheinung in der Beziehung der Person mit den gegen-ständlichen Seienden. Das Verständnis und die Deutung des existenzialen und die Erkenntnis ermöglichenden Ereignisses der Beziehung bezieht sich auf ontologische Voraussetzungen, die auf jeden Fall andere sind als die der Phänomenologie. Eine gemeinsame Voraussetzung gibt es: die Ablehnung einer Definition des Wesens nach ontischen Kategorien, die Weigerung, das Wesen gleichzusetzen mit der Idee oder dem Begriff des Seins „überhaupt". Folglich ist die Erkenntnis in keinem der beiden Fälle Offenbarung des Wesens; dieses bleibt unzugänglich, nicht nur der phänomenologischen, sondern auch der persönlichen Erkenntnis. Jenseits dieser gemeinsamen Vorausetzung jedoch weichen die Einstellungen diesem Problem gegenüber radikal voneinander ab. Im vorhergehenden Kapitel dieser Arbeit60 wiesen wir kurz auf die Lücke hin, welche in der Einstellung der Fundamentalontologie und der Phänomenologie gegenüber dem Problem des Wesens offenbleibt; diese Lücke läßt sowohl den verabsolutierten Mystizismus des Wesens der westlichen Apophatik zu als auch die konventionelle Zweckmäßigkeit einer semiologischen Erkenntnislehre. Der Art und Weise, wie die Phänomenologie das Problem des Seins angeht, setzen wir hier die Unterscheidung des Wesens von der Person entgegen, sowie die Unterscheidung des Wesens von seinen Stegmüller, op. cit. S. 55. „Prise en elle-meme la pensee est c o m m e une nebuleuse oü rien n'est necessairement delimite . . . rien n'est distinct avant l'apparition de la langue." Saussure, op. cit. S. 155. 58
59
60
S. 19 ff.
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Energien, die immer personal sind. Diese beiden Unterscheidungen beantworten die Frage nach der Weise, in welcher das Wesen ist; das Wesen, das Sein „verbirgt sich" in der Weise, in welcher ist, was existiert, und diese Weise sind die Personen, Träger der Energien des Wesens, und die Dinge (Taten, Gewirktes der Person), Ergebnisse der Energien des Wesens, die immer personal sind. Folglich bedeutet die „Selbstverbergung" des Wesens hier keine willkürliche Mystifikation des Wesens, die unausweichlich dazu führen würde, es nihilistisch aufzufassen. Die „Selbstverbergung" bedeutet, daß das Wesen sich nicht zeigt oder niemals identifiziert wird mit der ontischen Individualität oder mit noetischen Definitionen oder mit der phänomenologischen Auffassung von Verborgenheit und Unverborgenheit. Das Wesen kann nur erkannt werden im Ereignis von Existenz, in der Seinsweise, und diese Erkenntnis bildet eine beinhaltete Möglichkeit, nicht aber Erkennen einer objektiven Gegebenheit. Das ontologische Problem wird zusammengefaßt und ausgeschöpft in der Realität der Person (die sprachlicher Darstellung immer entzogen ist), welche die einzige Möglichkeit zur Kundgabe des Wesens ist, die Seinsweise des Wesens. Die Realität der Seienden, die Daseinsweise, wird abgelöst vom Begriff der ontischen Individualität, sie wird nicht entleert zur objektiven zeitlichen Erscheinung und zur intellektuellen Konzeption der Nicht-Erscheinung, der Verborgenheit oder des Nichts. Die gegenständlich Seienden sind Formen von Energie, und in dieser Feststellung treffen sich die ontologischen Einsichten der Theologen des christlichen Ostens über den vernunfthaften Charakter der ein-fachen Beschaffenheit der Materie mit den Auffassungen der zeitgenössischen Mikrophysik". Das ontologische Problem verlagert sich vom Bereich der Erscheinung der ontischen Individualität, vom Bereich der konventionellen „Semantik" der Begriffe und Bewußtseinsinhalte in den Bereich der personalen Existenz, auf das dynamische und umgreifende Ereignis der Beziehung: die Person als ek-statische Existenz oder als das Ergebnis der personalen Energien, als Ruf zu personaler Gemeinschaft. Die personale Beziehung bildet die dynamische Verwirklichung der gültigen Daseinsweise und kann nur im Ereignis gelebter Erfahrung erkannt werden. Keine noetische Definition vermag die Weise auszuschöpfen, in der das, was ist, existiert, das heißt, das Wesen (das Sein) als personhafte Existenz und als personale Energie. Und allein das Ereignis der Beziehung ermöglicht die umfassende Existenz, die Fülle des Daseins und der Erkenntnis. Das Sein (die Seinsweise) ist nicht „verborgen" in einem unbestimmten oder schwierigen noetischen Zugang, sondern im existenzialen und die Erkenntnis ermöglichenden Inhalt einer dynamisch-ethischen Leistung, der Rückkehr zur gültigen (oder der Natur gemäßen) Daseinsweise. Das dynamische Uberwinden der ontischen Individualität (die Uberwindung der Aufspal-
61
170
S. 91 ff.
tung der Natur in Individuen und der Existenz in einzelne Vorgänge oder Möglichkeiten), die Rückkehr der Person zur ek-statischen Ein-artigkeit der Natur, das heißt zu ihrer dynamischen Umfassendheit, die sich in der liebenden Hingabe und Beziehung verwirklicht, ist eine ethische Leistung: die dynamisch-personale und nicht ontische Auffassung des Daseins ist eine als Erfahrung gelebte, dem Erleben zugängliche, das heißt, ethische Auffassung. Die Einheit von Existenz und Erkenntnis in der Person wird dynamisch verwirklicht in der Einheit von Vernunft, Herz, Verstand und Tat, von Ethos und Sein, in einer Einheit, welche die Existenz gänzlich verwandelt in ein Organ der Erkenntnis, das die umfassende, unmittelbar erfahrbare Gewißheit „wahrer Erkenntnis" vermittelt.
5 63 Die Einheitlichkeit der Erkenntnis umfassender Beziehung
im
Ereignis
Diese ontologische Sicht bleibt in den Grenzen der erfahrbaren Realität ohne zurückzugehen auf abstrakte intellektuelle aprioristische Prinzipien und Axiome - auch wenn sie eine Erfahrungsmöglichkeit und keine objektiv beweisbare Gewißheit vertritt. Der Bereich des Seins ist erfüllt von der personhaften Anwesenheit Gottes und des Menschen, er ist identisch mit dem dynamischen Ereignis dieser personalen Beziehung. In der Ausdrucksweise der Phänomenologie würden wir sagen, daß der „Horizont" der Erscheinung (die menschliche Person) und die kundgegebenen Seienden (das von der göttlichen Energie Bewirkte, die Dinge) die beiden Pole einer Beziehung sind, in deren Bereich das ontologische Problem beinhaltet ist. Das, wie immer beschaffene, Sein - die Realität der Seienden und die Gesamtheit dessen, was sich innerhalb der Realität abspielt - ist eingefügt in die Einheit des Ereignisses der personalen Beziehung zwischen Gott und Mensch: Die Seienden sind „Dinge", von der göttlichen Energie Bewirktes, sie offenbaren die personhafte göttliche Anwesenheit, und sie bilden schöne Gestalten und Strukturen, nämlich Schmuck, κόσμος, ein schmückendes Gesamt, einen erotischen Ruf Gottes an den Menschen zu personaler Beziehung. Und das Gesamt der kosmischen und historischen Ereignisse und Tatsachen, das Werden und Entstehen, ist die bejahende Annahme oder - umgekehrt - die Verneinung und Ablehnung dieses personhaften Rufes zur Gemeinschaft des Geschaffenen mit dem Ungeschaffenen - die existenziale Tatsache der Freiheit der Person in den Dimensionen ihrer realen Welt. Damit wird die Daseinsweise nicht zu einem Ausweichen vor dem Problem des Wesens, es bleibt kein Spielraum für einen Mystizismus des Wesens, der die Selbstverbergung des Wesens sowohl als ontisch-zeitliche Offenbarung als auch als gedankliche Erfassung der Nicht-Offenbarung 171
deutet, nämlich als Verborgenheit oder als das Nichts. Die Art und Weise des Seins beinhaltet und erschöpft das ontologische Problem im existenzialen Ereignis der personalen Beziehung, die eine umfassende Erfahrungsmöglichkeit ist und keine konventionell bezeichnete Erscheinung. Die Möglichkeit der personalen Beziehung ist bezogen auf die ursprüngliche „Bestimmung" des Menschen, auf das, was er grundsätzlich ist: Möglichkeit, im Eros sich selbst zu überwinden, Fähigkeit zu liebender Gemeinschaft. Möglichkeit beinhaltet aber auch die Ablehnung der Selbstüberwindung, nämlich egozentrische Einengung auf die subjektive Betrachtung der Erscheinung der Phänomene einer sinnlosen Welt. Im zweiten Falle ist die Wahrheit der Seienden ein gedankliches oder bewußtes Erfassen und konventionelles Bezeichnen des Auftauchens aus der Verborgenheit oder dem Nichts und die Erkenntnis eine „semiologische" Konvention, ein sich Einigen auf Benennungen. Im ersten Fall ist die Wahrheit ein erotisches Betroffensein, Entdeckung der personalen Dimension des Kosmos und die Erkenntnis ein dynamisch-ethisches Ereignis, ein körperlicher und geistiger Kampf asketischer Selbstverleugnung und liebender Hingabe. Die Erkenntnis der Welt ist nur in der dynamischen personalen Beziehung zwischen Mensch und Gott möglich. Wir erkennen die Seienden nicht mittels einer konventionellen Bezeichnung, indem wir den Gegenstand gleichsetzen mit dem Begriff oder die zeitliche Erscheinung mittels des Begriffs definieren, um sie mit Hilfe ihres Klangbildes erreichbar und praktisch nutzbar zu machen. Sondern wir erkennen die Seienden als dynamische Kundgaben der personalen Energie Gottes, als den Ausdruck, den Logos dieser Energie oder als den Ruf zu personaler erotischer Beziehung mit Ihm. Und das Erkennen dieses Rufes ist bereits erotische Teilhabe an der Beziehung, ist der Eros als einheitliche Daseinsweise, die Einheit der Fülle des Daseins und der Erkenntnis.
§ 64 Logos und Sprache - Sprache und Ethos Die Erkenntnis, als personale Beziehung, drückt sich zwar mittels des Begriffes (Logos) aus, doch ist dieser nicht beschränkt auf die Verbindung des semantischen Inhalts der subjektiven Erkenntnis mit dem sprachlichen Ausdruck, den die gemeinsam gesprochene Sprache gefunden hat. Es gibt weitere Ausdrucksmöglichkeiten für die Kundgabe der personalen Beziehung und die Verwirklichung persönlicher Erkenntnis, welche die Phänomenologie ebensowenig kennt wie der sprachliche Neopositivismus. Wenn die Person zur objektivierten Individualität verfällt, wenn sie verfälscht wird zur sozialen oder psychologischen Monas, genügen die beiden Denkrichtungen durchaus. Doch gehen sie darüber nicht hinaus zu den Schlußfolgerungen, welche der Ausdruck von Eros erfordert, die Aussage der Kunst, die Aussage mittels der Worte und über Worte hinaus in den 172
Bereich des „word within a word" 6 2 , in die Unmittelbarkeit der Aussage des Ausdrucks des menschlichen Körpers 621 . Die von einer G r u p p e von Menschen gemeinsam gesprochene Sprache ist ein Mittel, ein Werkzeug, das dem Ausdruck oder der Kundgabe des persönlichen Wesensgehaltes jedes Menschen dient, weshalb sie auch Trägerin des die Erkenntnis ermöglichenden „Betroffenseins" ist, des „Staunens" (εκπληξις), über alle subjektiv vorher bestehende Erkenntnisfindung hinaus. Wir können die Wörter isolieren als „Klangbilder" und als konventionelle „Zeichen" der Verständigung untereinander, aber die Isolierung der Wörter und das Befaßtsein mit ihrem konventionellen Charakter, den Regeln oder dem „Mechanismus" der Sprache 63 und ihre Auffassung als vom Denken gegliedertes „phonetisches Material" 64 genügt nicht, den sprachlichen Vorgang zu erklären, der in den Wörtern und über die Wörter hinaus stets den dem Menschen eigenen persönlichen Wesensgehalt k u n d tut. Die Abtrennung der Sprache von der Einmaligkeit und Unähnlichkeit der persönlichen Aussage (λόγος) ist intellektuelle Willkür; abgetrennt von ihrem persönlichen Träger ist sie ebensowenig das Ereignis sprachlichen Ausdrucks des Menschen, Ereignis von Leben, Beziehung und Gemeinschaft der Menschen mittels der Sprache, wie die Leiche auf dem Seziertisch des Anatomen das ganze Ereignis menschlicher Existenz ist. Sogar eine gänzlich konventionelle oder technische Terminologie, die zum Zwecke praktischer Verständigung nur zeichenhaft funktioniert, ist immer noch Leben, nämlich Aussage, Kundgabe einer zur Gewohnheit gewordenen Nicht-Gemeinschaft, ein Ablehnen oder eine Unfähigkeit zu personaler Beziehung. „Die Sprache ist Symbol des mit der geistigen Energie Erkannten", definiert Maximos 65 . Die die Erkenntnis ermöglichende Energie der Seele ist die Fähigkeit der Person, den Wesensgehalt der „Dinge" und der anderen Personen aufzunehmen, und ihre ekstatische Fähigkeit, die Person in der Beziehung mit den „Dingen" und den anderen Personen aussagend nach außen k u n d z u t u n . Diese Fähigkeit der Person ist eine personale Energie, Kundgabe der einzigen, unähnlichen und unwiederholbaren Daseinsweise jedes Menschen. U n d die Sprache ist das Ergebnis dieser die Erkenntnis ermöglichenden logischen Energie der Seele, untrennbar verwoben mit der fundamentalen Ursache des Menschen - sie ist Symbol, das die die Erkenntnis ermöglichende Energie der Seele zusammenbringt, συμ-βάλλει, mit der Kundgabe oder dem Ergebnis dieser Energie. Die Sprache läßt sich niemals abtrennen von dem Menschen, der sie spricht. Sie ist immer Aussage (λόγος) eines bestimmten Menschen, K u n d 62
„The w o r d within a w o r d , unable to speak a w o r d . . ." T. S. Eliot, G e r o n t i o n . G r . N y s s . , E u n . II - P . G . 45, 980 - Ausg. Jaeger, Gregorii Nysseni O p e r a I, S. 285. 65 „Mecanisme de la langue." Saussure, op. cit. S. 176. " „La langue c o m m e pensee organisee dans la matiere p h o n i q u e . " Saussure, S. 155. 15 cap. theol. II - P . G . 90, 1253 C. 621
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gäbe seiner personalen Einzigkeit und Unähnlichkeit. Und die Sprache ist eine der Kundgebungen des menschlichen Ethos schlechthin, wenn wir mit Ethos die dynamische Stufung oder das Ausmaß der Differenzierung bezeichnen, von der persönlichen Liebes-Beziehung bis hin zum egozentrischen Selbstgenügen des Individuums (von der „naturgemäßen" bis zur „naturwidrigen" Daseinsweise). Der Egozentrik des Individuums unterworfen, wird die Sprache zum konventionellen Mittel oder Werkzeug, das den individuellen Bedürfnissen, Wünschen und Ansprüchen dient, sie wird dann beschränkt auf die willkürliche Zweckmäßigkeit gegenseitiger, den Individuen dienender Verständigung. Die Wörter sind nicht auf die gemeinsame Erfahrung bezogen, sie sind nicht mehr Brücken zur Gemeinschaft, sondern Material für die Äußerung und Bestätigung des Individuums; darum werden sie oftmals auch dem Sinn dienstbar gemacht, den jemand ihnen zu geben beabsichtigt. Wir sprechen die gleichen Wörter aus, und jeder versteht, was er will, nicht aber das, was eine Gemeinschaft herstellen würde zwischen ihm, den Dingen und den anderen. Wörter wie Gerechtigkeit, Liebe, Freiheit, Frömmigkeit, Demokratie, Schönheit, Wahrheit, verlieren ihren Symbolcharakter, das heißt, sie „bezeichnen" nicht mehr die persönliche Erfahrung und ordnen sie ein, sondern sie werden zu wandelbaren Hüllen für die unterschiedlichsten individuellen Sinngebungen66. Der sprachliche Neopositivismus wollte die Willkür, Ungenauigkeit und Vieldeutigkeit der Wörter der Alltagssprache beschränken; man regte die Errichtung strenger logischer Systeme an zum Aufbau oder zur Erhellung des sprachlichen Ausdrucks, das heißt, eine rationalistische Strukturierung und Neubildung der Alltagssprache67. Ein derartiges Vorgehen hat natürlich nur ganz gegenständlich die Stärkung des konventionellen Charakters der Sprache im Auge, die Erstellung einer sehr strengen Konvention, die nichts weiß vom Ethos der Sprache - ihrem Einssein mit dem Leben, mit der Daseinsweise des Menschen; es zielt darauf ab, die Sprache höher zu stellen als das Leben, nicht aber die Sprache der Wahrheit des Lebens unterzuordnen. Im Gegensatz zur Betonung der Eigenständigkeit der sprachlichen „Semantik", welche die Sprache der Willkür der egozentrischen Individualität unterordnet, offenbart sich der Ethos der Sprache, wenn ihr Gebrauch der personalen Beziehung dient und sie bewahrt. Wenn wir von einem Gebrauch der Sprache reden, welcher der persönlichen Beziehung dient, so ist darunter ein dynamisch-ethisches Ereignis asketischer Unterordnung 66 In „Die kahle Sängerin" zeigt Ionesco in haarsträubendem Realismus die Auflösung der Sprache innerhalb der konventionellen menschlichen Beziehungen; letztlich ihre Umschaffung in eine zusammenhanglose Aneinanderreihung von Wörtern, die sich nicht von unzusammenhängenden Lauten und Gebrüll unterscheiden. 67 N . Goodman, The Structure of Appearance, Cambridge, Mass. 1951, S. 5 - 6 ; Jerry A . F o d o r - J. J. Katz, The Structure of Language: Readings in the philosophy of language, Prentice-Hall Inc. U S A 1964, Einleitung.
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der Egozentrik der individuellen Existenz unter den Gemeinsinn (κοινός λόγος) zu verstehen, das heißt, unter die „Semantik" der persönlichen Erfahrung 6 8 . Dieses Zurückstellen der individuellen Willkür läßt den Sinngehalt der personhaften Kundgabe zum Ausdruck k o m m e n ; es bezeugt die Sprache als eine der Person eigene Fähigkeit und Energie, als eine die Erkenntnis ermöglichende Tatsache von Beziehung und Gemeinschaft. Dann wirkt die gemeinsam gesprochene Sprache als Kundgabe (oder Ergebnis) der personalen Energie, sie dient dem Dia-log der personalen Beziehung, sie drückt die persönliche Erfahrung aus, ruft sie hervor und ordnet sie ein, sie ist ein dynamischer Ruf zu Gemeinschaft und Beziehung, und sie hat diese Eigenschaft in dem Maße, in dem sie die personale Energie verkörpert, denn die Energie ruft stets nach Gemeinschaft und Beziehung und ist nur im Ereignis der Beziehung zugänglich. Als Anruf stellt die Sprache einen „semantischen" Ausdruck der personalen Energie dar - sie „bezeichnet", das heißt, sie bewirkt, sichert und bewahrt die existenziale Möglichkeit der Beziehung. Gewiß „bezeichnet" die Sprache zunächst immer die Gegenstände des realen Lebens, und trotzdem m u ß sich ihre „Semantik" nicht erschöpfen in der konventionellen Erfassung der Gegenstände, der Verbindung eines gemeinschaftlich vereinbarten Klangbildes mit einer konkreten Erscheinung (einem Gegenstande oder Ereignis). Die Sprache vermag die Erscheinungen als Ereignisse personaler Energie zu „bezeichnen", den personalen Logos, den Wesensgehalt der „Dinge" und der Geschehnisse zu offenbaren, und diesem Wesensgehalt - der selbst ein personhafter Ausdruck oder personhafte Energie ist - im Ereignis der Beziehung zu begegnen 69 ; und dies ist die Fähigkeit, welche die eigentliche Aufgabe der Sprache
68 Die Aufgabe der Dichtung bleibt immer die Verwirklichung par excellence der Selbstüberwindung des Individuums im Bereich des sprachlichen Ausdrucks und ihres Dienstes am Gemeinsinn: „Dichtung ist nicht für persönliche Bekenntnisse da, wenn sie das auch tut, nicht diese machen sie aus. Sie versucht nicht, der Persönlichkeit des Verfassers der Werke Ausdruck zu verleihen, sondern eher, diese auszuschalten, wie Eliot schrieb. Aber indem sie das tut, bringt sie eine andere Personalität zum Ausdruck, die allen gehört; wer sein Leben verliert, wird es finden, heißt es im Evangelium. So . . . sollen wir beim Dichter nicht versuchen nachzuempfinden, was er an kleinen Dingen seines alltäglichen Lebens darstellt; diese kleinen Begebenheiten sind, wenn sie Dichtung werden, deine und meine Erlebnisse, so wie sie gestern geschahen und heute geschehen. Wenn es nicht so wäre, gäbe es keine Dichtung." G. Seferis, Μέρες τοϋ 1945-1951, Athen (Ikaros) 1973, S. 168-169. " Für die theologische Tradition des orthodoxen christlichen Ostens bedeutet das „Benennen" personale Energie und Verwirklichung von Beziehung, aber die Benannten werden auch aufgrund der Unterscheidung der personalen Energie benannt, welche sie verkörpern: Vgl. Bas., Eun. 1 , 7 - P.G. 29, 525 A; Gr. Nyss., Trin. 8 - P.G. 32, 696 B. - Sehr interessant ist die Erläuterung der Funktion der Benennung und Namensgebung bei G. van der Leeuw (Phänomenologie der Religion, 1933, S. 129-141). Er zieht den Schluß: „. . . in jeder Religion ist der Name nicht eine Bezeichnung, sondern eine auf ein Wort gebrachte Wesenhaftigkeit." Und nach Hans von Bietenhard ("Ονομα, T h W N T , Bd. V, S. 242-243): „Aussprechen oder Anrufen des Namens setzt die in ihm enthaltene potentielle Energie um in wirkende Kraft."
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darstellt. Die „Semantik" der Sprache ist vollendet, wenn sie auf die Person bezogen ist, oder vielmehr wenn sie über die Person hinausgeht, und wir müssen diese Bezogenheit oder dieses über die Person Hinausgehen als Dynamik in zwei Richtungen verstehen: die Sprache bezeugt den Träger Einen Namen zu tragen, bedeutet, in eine Gemeinschaft eingeführt zu werden, in eine gemeinschaftliche Beziehung, weshalb auch das Kind, um in die soziale Gemeinschaft eingeordnet zu werden, den Namen seines Vaters annimmt (L. Levy-Bruhl, Die Seele der Primitiven, 1930, S. 355). Wenn man einem Ding einen Namen gibt, bringt man es damit in einen Bereich von Gemeinschaft und Beziehung. Die Benennung schafft die Möglichkeit der Bezogenheit, des Anrufens, des Herbeirufens, d. h. die Möglichkeit der Beziehung. - Nach Piaton kann nicht irgend jemand Namensgeber werden, die Namensgebung ist nicht lediglich ein Produkt von Willkür und Gutdünken: „ - Kratylos hat recht, wenn er behauptet, die Namen kämen von Natur den Dingen zu, und nicht jeder sei Schöpfer der Benennungen, sondern der allein, der sich nach dem Namen richtet, der jedem Dinge von Natur zukommt und der seinen Begriff in die Buchstaben und Silben einzubilden versteht." (Piaton, Kratylos 390e 1-4). Der Name bezieht sich auf die spezifische Einmaligkeit, das heißt, auf das Wesen: „Wenn nur das Wesen des Dinges in dem Namen sich kundzugeben imstande ist . . . " (Kratylos 393d 2-4). Piaton legt diese Ansicht dem Sokrates in den Mund, der die Meinung des Hermogenes zurückweist, die Richtigkeit des Namens sei lediglich Verabredung und Ubereinkunft (Kratylos 384c 9-384d 8). (Uber die Bedeutung des Namens in der altgriechischen Philosophie vgl. F. Heinimann, Nomos und Physis, Schweizerische Beiträge zur Altertumswissenschaft, I, 1945, vor allem S. 46-56, und W. Nestle, Vom Mythos zum Logos, 1940, vor allem S. 197 und 271 ff.) - In der jüdischen Überlieferung bedeutet die Kenntnis des Namens eine Art Herrschaft über das Benannte; ich gebe einem Ding einen Namen, bedeutet, daß ich es in den Bereich meiner eigenen Existenz einführe (H. Bietenhard, op. cit. S. 252). Dadurch, daß Adam allen Lebewesen der Erde einen Namen gab (Gen. 2,19-20), offenbart sich seine Herrschaft über die Schöpfung, das Königliche seiner Würde. Und jeder Mensch trägt einen Namen, der sich auf seine existenziale Identität bezieht, auf seine Person (M. Noth, Die israelischen Personennamen im Rahmen der gemeinsemitischen Namensgebung, Beiträge zur Wissenschaft vom Alten und Neuen Testament 3/10, 1928, S. 66 ff.). Kinder zu haben, ist ein Segen, weil die Kinder den Namen des Vaters lebendig erhalten (Gen. 48,16). Diese Bedeutung des Namens macht den Israelitern den Namen Gottes unzugänglich; wie Jakob in seinem Kampf mit Gott, „nicht Jakob soll fürderhin dein Name sein" (Gen. 32,22-32), so auch Moses, vor dem brennenden Dornbusch (Exod. 3,13): beide wollen den Namen Gottes wissen als die einzige Bestätigung der Theophanie (vgl. F. Giesebrecht, Die alttestamentliche Schätzung des Gottesnamens, 1901, S. 17 ff.). - Im Neuen Testament versichert Christus: „Ich bin im Namen meines Vaters gekommen" Qoh. 5,43), die Offenbarung Gottes besteht in der Kundgabe seines Namens: „Ich habe deinen Namen den Menschen geoffenbart" (Joh. 17,6). Die Jünger „wirkten Machttaten im Namen Jesu" (Mk. 9,38-39; Lk. 9,41 und 49). Der Name des Christus ist „über alle Namen" (Phil. 2,9), „kein anderer Name ist unter dem Himmel den Menschen gegeben, daß wir in ihm das Heil erlangen sollten" (Apg. 4,12) (vgl. M. Meinertz, Theologie des Neuen Testaments, Bd. I, S. 175, 176, und Bd. II, S. 75). Diese biblische Auffassung des Namens findet sich als Grundlage in der gesamten orthodoxen religiösen Geistigkeit und vor allem in der hesychastischen Tradition (vgl. Chr. Yannaras, Die Metaphysik des Leibes, S. 228 ff., wo auch die entsprechende Bibliographie angegeben ist, vor allem in Bezug auf Joh. Klimakos) als Quelle - eine der ersten - für die „Kunst" und Methode des Herzensgebetes, die in der Wiederholung des Namens Jesu besteht, ein Wiederholen, das „Wissen" wird: Κλίμαξ, Konstantinopel 1883, 10, 6 S. 104: „Der Name Jesu geißelte die Widersacher; denn es gibt keine stärkere Waffe im Himmel und auf Erden." Dieser kurze Hinweis auf die Wirkung des Namens in den religiösen Überlieferungen ist nicht mehr als ein Hinweis auf eine sprachliche „Semantik", welche über die konventionelle Auffassung der Namensgebung als einfacher Bezeichnung hinausgeht, welche die Objekte in
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der Aussage und das, was die Aussage bezeichnet (die Dinge und Personen), als die beiden Pole einer personalen Beziehung.
§ 65 Die Ikone - Erkenntnis auf dem Wege der
Analogie
Dies ist der Rahmen, in dem die Theologie des christlichen orthodoxen Ostens die Ikone versteht, als Mittel zum Ausdruck der Wahrheit der Personen und der „Dinge", und sie bedient sich einer Bildsprache, welche die Person Gottes und die Person des Menschen kundtut. Die Ikone ist die Semantik der personalen Beziehung, „logische", das heißt hier, den Sinngehalt vermittelnde Kundgabe der personalen Energie als Ruf zu Gemeinschaft und Beziehung; damit ist gesagt, daß die Ikone als Erkenntnis vermittelnde Kategorie nicht innerhalb ihrer Grenzen erschöpft ist, sie stellt nicht ein „Bezeichnetes" statisch dar, sie vertritt nicht bloß „vorbildhaft" eine Realität oder ein Ereignis, sondern sie offenbart eine personhafte Energie, welche zu Gemeinschaft und Beziehung ruft und bewahrt den Erkenntnischarakter im Ereignis dynamischer Beziehung. Die vom christlichen Osten (insbesondere von Byzanz) gepflegte Auffassung von der Ikone als erkenntnisvermittelnder Kategorie unterscheidet sich sowohl vom griechischen Begriff des Abbildes (είκών) wie auch vom heutigen Gebrauch des Terminus im Rahmen der sogenannten analytischen Philosophie: Die griechische Auffassung der Ikone drückt ein Verhältnis aus (das Wort είκών ist abgeleitet von dem Verb εικω, έοικα, ähnlich sein, gleichen), es bedeutet Ähnlichkeit, Abbildung, proportionale, verhältnisgetreue Darstellung der Gestalt. Das Bild kann stoffliche Vergegenwärtigung realer oder vorgestellter Objekte sein, gemalte oder plastische Nachbildung70, es kann auch Spiegelung sein - das Trugbild eines Gegenstandes in einem Spiegel71 - oder Vergegenwärtigung von Ereignissen oder Dingen im Geiste des Menschen72; schließlich kann die Ikone noch Allegorie sein, das heißt, eine sinnlich faßbare Gestalt, die von etwas anderem kündet (άγορεύει) als sie selbst ist, die sich symbolhaft auf eine andere Realität oder Idee bezieht73. der gemeinschaftlichen Sprache vertritt. Die Namen einfach als Bezeichnung mit einem bestimmten Sinn aufzufassen (vgl. Ludwig Wittgenstein, Tractatus Logico-Philosophicus 3.202, 3.203, 3.21, 3.22, 3.221, 3.23), vertritt eine typisch westeuropäische Auffassung der Sprache, sie setzt nämlich die im Westen übliche Ablehnung der Unterscheidung von Wesen und Energien voraus, die Unfähigkeit, die Sprache als Träger und Ergebnis einer personalen Energie zu betrachten und zu erfahren, als existenziales Ereignis, das die Person kundtut. H e r o d o t , historia 2, 9 3 0 ; Aischylos, Sieben vor Theben 5 5 9 ; Plutarch, Ethik, 117 C . Euripides, Medea, 1162; Piaton, Res publica 402 B. 72 Piaton, Philibos 39b 1 0 - c 1: „. . . er die Bilder des Vorgestellten und Gesprochenen in sich selbst sieht." 70
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Piaton, Timaios 29 abc: „Wenn nun aber doch diese Welt schön und vortrefflich und der
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Entsprechend ist der Begriff des Bildes auch in der zeitgenössischen Philosophie aufgefaßt, zumindest in den anfänglichen Formulierungen von Wittgenstein 74 , nur daß sich hier die ana-loge Beziehung zwischen Bild und abgebildeter Realität auf die analytische Entsprechung der logischen Zusammenhänge gründet, welche die einfachen Dinge untereinander verbinden, mit der Realität auf der einen und dem Bild auf der anderen Seite. „Wir machen uns Bilder der Tatsachen" 75 - das Bild entspricht einer Tatsache, das heißt, es entspricht einer bestimmten Verbindung von Gegenständen 76 und der Weise, in welcher die Gegenstände (untereinander) verbunden sind und somit Struktur oder der Form des Sachverhaltes 77 . Das Bild hat mit dem Abgebildeten die logische Form der Abbildung gemeinsam 78 : die Verbindung der Gegenstände in dem abgebildeten Sachverhalt und die Verbindung der Elemente des Bildes 79 , auf welchem der Sachverhalt abgebildet ist, haben die Form und Struktur gemeinsam, welche logisch sind. Das Bild ist ein Modell der Wirklichkeit 80 , was besagt, daß die logische Form und Struktur des Bildes auch die Form ist, unter der wir die Realität erkennen können, daß sie die Art und Weise ist, uns dieser Realität zu nähern81. Jedes Bild ist auch logisches Abbild 82 , und nur als solches kann es die Welt abbilden 83 , (die Gesamtheit der Tatsachen 84 ). Und weil wir die Tatsachen, das heißt, den Kosmos, nur erkennen, indem wir uns Bilder davon machen, ergibt sich daraus, daß die einzige Möglichkeit eines Erkenntniszugangs zur Welt in der Fähigkeit zur Abbildung in logischer Identität besteht. Die Gleichsetzung von logischer und abgebildeter Form bedeutet die Gleichsetzung von Bild und Sinn; was das Bild darstellt, ist sein Sinn85. „Eine Situation, ein Sachverhalt ist denkbar", besagt: wir
Meister gut und v o l l k o m m e n ist, so ist o f f e n b a r , daß er nach d e m Ewigen schaute . . . Schreiten wir nun auf diesen G r u n d l a g e n zur Betrachtung dieser unserer Welt, so ist sie eben hiernach g a n z notwendigerweise ein A b b i l d von etwas . . . und so muß man denn auch zwischen der A r t , wie man von d e m A b b i l d e u n d der, wie man von seinem U r b i l d e zu handeln hat, s o f o r t feste G r e n z e n ziehen, indem man erwägt, daß die Darstellungsweise mit den Gegenständen, welche sie z u m Verständnis bringen soll, auch selbst verwandt ist, und daß daher die D a r l e g u n g des Bleibenden und Beständigen und im Lichte der Vernunft Erkennbaren selber das G e p r ä g e des Bleibenden und Unumstößlichen an sich trägt, - die des nach jenem Gebildeten dagegen, so wie dieses selbst nur ein A b b i l d ist, diesem ihrem G e g e n s t a n d e entsprechend das des bloß Wahrscheinlichen." - „. . . nachdem die Welt in der obigen Weise mit sterblichen u n d unsterblichen belebten Wesen ausgerüstet und erfüllt w o r d e n , ist sie so selbst zu einem sichtbaren Wesen dieser Art geworden, welches alles Sichtbare umfaßt, z u m A b b i l d e des S c h ö p f e r s und sinnlich wahrnehmbaren G o t t . . . " 92b. 74 V o r allem in: N o t e b o o k s 1914-1916 ( A u s g . G . H . von Wright und G . Ε . M . A n s c o m b e , engl. U b e r s , von G . Ε . M . A n s c o m b e , O x f o r d , Blackwell, 1961) und im: Tractatus L o g i c o 80 Tractatus 2.12. Philosophicus. 75 Tractatus 2.1. 81 Tractatus 2.1511. 76 Tractatus 2 u n d 2.01. 82 Tractatus 2.182. 77 Tractatus 2.151, 2.1511. 83 Tractatus 2.19. 78 Tractatus 2.2. 84 Tractatus 1.1 79 Tractatus 2.131. 85 Tractatus 2.221.
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können uns ein Bild von ihm machen 86 ; das Bild ist die Art und Weise des erkennenden Verstehens. Der Gedanke bildet die Erkenntnismöglichkeit, denn er ist Bild: jeder Gedanke ist ein logisches Bild der Tatsachen 87 . Nun setzt natürlich auch die byzantinische Auffassung des Bildes die Möglichkeit abzubilden voraus, die ana-loge Verbindung der Bildgestalt mit der abzubildenden Realität. Nur, daß sich hier die Analogie nicht in der Entsprechung der analytisch-noetischen Korrelation erschöpft, weder bei den einfachen Gegenständen der Realität noch bei den Bildelementen: Der Sinngehalt der Realität ist keine meßbare Wechselbeziehung der Gegenstände, welche einen Sachverhalt bilden, und der Sinngehalt des Bildes ist nicht nur eine Form der Abbildung, das heißt, ein metrischer Kanon, der der Struktur oder der Korrelation der Gegenstände in einem Sachverhalt entspricht. Das Dargestellte liegt nicht in einer Entsprechung von Korrelationen (welche die Frage nach dem, was die in Korrelation Stehenden sind, unbeantwortet läßt), sondern in einer Beziehung der Wesensgehalte (λόγοι) der Dinge mit der Vernunft des Menschen, in der Fähigkeit der menschlichen Vernunft, dem Vernunfthaften (λόγος) der Realität angemessen, also „logisch", zu begegnen und es zu offenbaren. Der Sinngehalt der Realität ist der Wesensgehalt der Dinge selbst, insofern sie „Werke" (πεπραγμένα) sind - er ist personhaft, Wesensgehalt eines Geschehnisses, es ist der Logos der personalen Energie Gottes, der verwirklichte (πεπραγμένος) Logos eines Handelns. Und der Wesensgehalt der Ikone vermittelt eine Tätigungsweise, kein Maß. Das sinn-entsprechende Annehmen des Sinngehalts (λόγος) der Realität durch den Menschen als Person ist die „sinnhafte" („logische") Art und Weise, in welcher die menschliche Vernunft dem Wesensgehalt der „Dinge" begegnet und ihn offenbart88. Folglich wird die Möglichkeit bildlicher Darstellung nicht erschöpft in der sinnvollen Verbindung und Struktur des Einzelnen, sondern vollendet sich in sinnerfülltem existenzialen Geschehen: in der Fähigkeit des Menschen, mit der ihm eigenen Vernunft dem personhaften Wesensgehalt der gegen-ständlichen „Dinge" zu begegnen und ihn zu offenbaren. „Mit Hilfe des rationalen Verstandes gelangt die Vernunft zu den eigentlichen Vernunftgründen" 89 . Wenn wir das Denken als Reproduktion oder Ausprägung der „personalen" Eigenform der Dinge, das heißt, ihrer Schönheit, auffassen90 und folglich als die Fähigkeit zur bildlichen Darstellung, dann ist dies die Weise, in welcher die Vernunft des Menschen der vernunfthaften Natur der Dinge begegnet. „Bei allem Abgebildeten wird nicht die Natur,
86 17
Tractatus 3.001. Tractatus 3.
«8 Max., qu. Thal. - P . G . 90, 293 D - 2 9 6 A. " cap. al. - P.G. 90, 1425 A. 90 Meth. arbitr. 22 - Ausg. G. N . Bonwetsch, G. C . S. 27, S. 205, 13; auch Clem., ström. 8,8 - P . G . 9, 588 D.
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sondern die Hypostase dargestellt", definiert Theodoras Studites". Neben ihrem ursprünglich theologischen Bezug besagt diese Definition in aller Klarheit, daß das Bild, die Ikone, nicht das Wesen oder die Natur der Geschöpfe selbst abbildet, sondern deren Substanz, die Daseinsweise der Natur oder des Wesens. Und diese Weise ist stets vernunfthaft - die Substanz wird nur als Träger erkannt, als Kundgabe der schöpferischen Ideen (λόγοι) der Natur, in ihren Energien, die immer personhaft sind. Somit verlagert sich der Erkenntnisbereich in den Bereich der Beziehung der Person mit dem Wesensgehalt, gleichbedeutend mit der „dem Logos gemäßen Daseinsweise". Solche Existenz erschöpft sich nicht in der Metrik, Gestalt, Struktur oder Korrelation der Einzelteile, sondern ist bezogen auf deren Hypostase selbst, welche Schöpfungswort, Logos, ist, Kundgabe der Logos-Energien des Wesens. Und die Erkenntnis der einzelnen Logoi ist stets „logisch", sie ist das Ereignis der Begegnung zweier personhafter göttlicher Kräfte, das Ereignis personaler Beziehung. Das Problem der Erkenntnis der einfachen Gegenstände oder der Wesen verlagert sich aus dem Bereich des gedanklich-konventionellen Unterscheidens in den der Begegnung mit den Wesensenergien, welche immer personhaft sind, personhafte göttliche Kräfte, λόγοι. Und weil die Energien des Wesens personhaft und vernunfthaft sind, rufen sie stets auf zur Beziehung, zur Erkenntnis der Hypostase, welche nur mittels der Wesensenergien erkennbar wird. Die Semantik solchen Erkennens ist die Ikone. Die Aussage der Ikone „bezeichnet" eine Energie, einen Ruf, „weshalb sie auch schön genannt wird" 92 , darum ist die Ikone eine Sprache der Schönheit, keine Sprache objektivierter Begriffe oder Korrelationen. Im Gegensatz zum Begriff (concept), welcher dem gedanklichen Erfassen des Wesens entspricht, und im Gegensatz zur logischen Korrelation in objektivierter Struktur, die sich ebenfalls in der gedanklichen Erfassung erschöpft, setzt die aussagende Schönheit der Ikone die erfahrbare Teilhabe voraus, das umfassende existenziale Entsprechen und Antworten auf den Ruf zu personaler Gemeinschaft. Mit anderen Worten vertritt die Ikone in der Theologie der sogenannten byzantinischen Zeit die Semantik dieser Erkenntnis, deren Organ nicht die vereinzelte bruchstückhafte Fähigkeit noetischen Denkens ist, sondern der ganze Mensch in seiner existenzialen Gesamtheit, in der Einheit von Vernunft und Herz, Wort und Tat, Ethos und Sein, das heißt, das Gesamt der Hypostase Mensch.
" Thdr. Stud., antirr. 3, 34 - P.G. 99, 405 A. Dion. Ar., d. n. 4 - P.G. 3, 701 C.
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§ 66 Das griechische
„Schauen"
Vielleicht könnte man vermuten, daß diese Auffassung der Ikone und ihrer Erkenntnisfunktion als aussagende Schönheit ihre geschichtlichen Wurzeln im altgriechischen Kunsterleben hat. Auf jeden Fall bestehen analoge Zusammenhänge zwischen der byzantinischen Ikone und der Funktion der bildlichen Darstellung in der griechischen Kunst vor allem des 5. vorchristlichen Jahrhunderts, das heißt, mit dem Bild als Kundgabe eines dynamisch-persönlichen Betrachtens, einer bewußten Art, die Dinge zu sehen 93 . D e m griechischen Künstler jener Zeit war nicht an der getreuen Nachbildung des natürlichen Urbildes gelegen, an dessen künstlicher Reproduktion, sondern an jener Art der Abbildung, welche erlaubt, den Sinngehalt oder das Wesen des Gegenstandes unmittelbar anschaulich zu machen. Deshalb schuf er eine Art von Abstraktion der individuellen und von den Umständen bedingten Eigentümlichkeiten des abzubildenden Gegenstandes, f ü r die R ü c k f ü h r u n g des Konkreten auf die Dimensionen der umfassenden, dem Wesensgehalt entsprechenden („logischen") Harmonie und Unversehrtheit. So diente „das Kunstwerk, die Statue, als Maß der Schönheit des natürlichen Urbildes, nicht umgekehrt'" 4 . Das Kunstwerk ist eine Statue (άγαλμα), weshalb es die Freude und das Hochgefühl (άγαλλίασις) wahrer Welt-Betrachtung vermittelt, es ist Ausdruck der über die Vernunft hinausführenden Betrachtung des Gegenstandes, es zeigt am SinnlichWahrnehmbaren dessen wesenhafte Realität, die realer ist als der von den Umständen bedingte Eindruck: die Kunst gewährt eine Weise zu schauen, welche die Welt deutet. Allgemeiner gesagt, ist für den Griechen der klassischen Zeit das Schauen schlechthin die Möglichkeit einer Beziehung, welche die Teilnahme am Betrachteten erfordert. Es ist die Art und Weise, auf welche sich der Wesensgehalt der Dinge dem Sinn des Menschen, seiner Vernunft und seinem Bewußtsein „einprägt" 95 . Besonders Demokrit übertrug diese Erkenntnisfunktion des Schauens auf die Sprache; er sah in den Wörtern begriffliche Anblicke, anschauliche Begriffe, ν ο η τ ά θ ε ά μ α τ α , und bezeichnete die N a m e n der Götter als „tönende Statuen" ά γ ά λ μ α τ α φωνήεντα 9 6 ; die Funktion der Sprache wird „durch die N a m e n gleichsam in Bildern" verwirklicht. 93 C h r . Karousos, Die Anfänge der ästhetischen Betrachtung im 5. J h d t . v. C h r . (in: F r ü h e Kunst, A t h e n , Ermis, 1972, S. 43 ff., in gr. Spr.) mit der Definition des bewußten Betrachtens, welches die Kunst des 5. Jhdts. kennzeichnet, im Unterschied z u m U n b e w u ß t e n , das die archaische K u n s t prägte. 94 C h r . Karousos, op. cit. S. 51. 95 Gorgia, Frgm. 11 (17), Diels-Kranz II, S. 293. - G. Rudberg, Hellenisches Schauen, Classica et Medievalia 5/1942, S. 162: „Die Hellenen besaßen in h o h e m G r a d e die G a b e des Sehens, des Schauens. Sie waren ein Volk des Auges, mit feinem Sinn f ü r das Geschaute verschiedener A r t u n d auf verschiedener geistiger H ö h e . " 96 F r g m . 142. Diels-Kranz II, S. 170, 9, auch 10-14.
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Dieser gnoseologischen Sicht nicht sehr fern setzt Piaton die Erkenntnis gleich mit der θεωρία, dem Schauen der Wahrheit. Der Mensch erkennt die sinnlich faßbare Realität mit den Augen des Leibes und die geistige Wirklichkeit, das wahre Sein, mit den Augen der Seele. Das Werkzeug der Erkenntnis ist das Schauen, das heißt, die umgreifende Zusammenfassung aller Erkenntnis- und Erfahrungsfähigkeiten des Menschen in einem unmittelbaren Wahrnehmen, das zugleich Teilnahme an dem zu Erkennenden ist; es objektiviert die Erkenntnis und das zu Erkennende nicht zu intellektuellen Schlußfolgerungen'7. Piaton nennt wahre Philosophen die, „welche begierig sind, die Wahrheit zu schauen"98. Diese suchen nicht die Wahrheit, welche auf ihre individuelle Meinung (Ansicht, intellektuelle Auffassung) gegründet ist - die bringt nur Unwissenheit hervor", sondern sie streben danach, die Wahrheit zu schauen mit „den Augen der Seele"'00 - „denn durch dieses Organ allein wird die Wahrheit geschaut"10'. Die in Eines gebrachte Erkenntnis ist die Idee, im ursprünglichen etymologischen Sinne des Wortes (von ίδείν, sehen), als Ergebnis des dynamisch-aktualisierten Schauens'02. Die Rückführung der Dinge auf die Idee, das heißt, auf das dynamische Schauen der Dinge, setzt viel mehr voraus als die einfache Beobachtung: es erfordert die umfassende Erfahrung und Teilnahme an der Schönheit des Geschauten. Die Erkenntnis des Schönen ist kein stückweises, nur gedankliches oder sinnenhaftes Erfahren, sondern erfordert, im Gegenteil, das Zusammenwirken aller Erkenntnis- und Erlebnisfähigkeit des Menschen, und solche Sammlung ist ein dynamisch-existenziales sich Hinwenden zur Schönheit des Geschauten, eine erlebte innere Verbindung mit ihm, es ist Eros, Liebe zu der geschauten Schönheit. Folglich ist das
97 Das Thema des Schauens ist bei Piaton von großer Wichtigkeit, es ist das Herzstück des Piatonismus überhaupt und wird hier nur epigrammatisch und hinweisend gestreift. Die hierauf bezügliche Bibliographie wird in fast allen Veröffentlichungen zitiert, die Piaton betreffen, weshalb hier nur auf zwei verwiesen werden soll, die beiden - meiner Ansicht nach grundlegenden Handbücher von F. Boll, Vita Contemplativa, 1922, und A . J. Festugiere, Contemplation et vie contemplative selon Piaton, Paris (Ed. Vrin) 1967. Sehr ausführlich ist auch das Kapitel: Das Motiv des Schauens bei Plato, aus dem Buch von Otfrid Becker, Plotin und das Problem der geistigen Aneignung, Berlin 1940, S. 7 2 - 8 7 .
" "
Res publica 475e 4. Res publica 4 4 3 e - 4 4 4 a . 100 Res publica 533d 2. 101 Res publica 5 2 7 d - e . 102 Symposion 2 0 4 c : „Denn das Liebenswürdige ist in der Tat das wahrhaft Schöne, Zarte, Vollendete und Seligzupreisende; das Liebende aber trägt eine ganz andere Gestalt an sich, und zwar die, welche ich soeben mit dir betrachtet habe." - U n d I. Sikoutris bemerkt (Piatons Symposion, Ausg. Akademia, Athen 2, Athen 1949 S. 147): „Das W o r t ιδέα hat hier seine ursprüngliche Bedeutung (von είδον, Aussehen, F o r m , Gestalt, Beschaffenheit); es ist das, was dem Blick sich zeigt, ein Ding. Weil aber der Gesichtssinn der Sinn ist, welcher tiefer und genauer als die andern in die N a t u r der Dinge eindringt (eine Auffassung, die für das hauptsächlich optische Wesen der Griechen charakteristisch ist), muß ιδέα die Beschaffenheit einer Sache bedeuten."
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Schauen, als Ausgangspunkt der Erfahrung von Eros, ein Organ, welches die Erkenntnis ermöglicht oder sie schlechtin begründet. Das „Zunehmen" an fortschreitender Erkenntnis sind Stufen des Eros, gegründet auf einander folgendes Betrachten und Schauen der Schönheit der Körper und des kunstvoll Gefertigten, der Gesetze und der Wissenschaften, das zu erotischem Betroffensein führt beim unerwarteten Anblick jeder Schönheit, die einfach und ewig ist; vor ihr „erschauert der Philosoph angesichts des Meeres der Schönheit und des Geschauten" 153 . Der Gegenstand der vorliegenden Studie kann nicht dahin erweitert werden, daß wir den Vorrang des umfassend erlebten Schauens der Wahrheit auch noch systematisch in Zusammenhang mit der Erkenntnistheorie des Aristoteles darlegen. Wir können hier nicht deutlich machen, wie unangebracht die antithetische Unterscheidung vom Schauen Piatons und der Logik des Aristoteles ist, der die westlichen Deutungen (von der Scholastik bis heute) gewöhnlich folgen. Wir beschränken uns auf die einfache Feststellung, daß die Ansicht unbewiesen ist, Piatons Schauen, seine Betrachtung fände als erkenntnistheoretische Haltung ihre natürliche Erweiterung und Fortsetzung bei Aristoteles: die Logik des Aristoteles setzt zur richtigen Begriffsbestimmung und zum rechten Aufbau der Begriffe und Ableitungen den όρθόσ λόγος voraus, die Vernunft, aber sie entleert die Erkenntnis nicht zum Aufbau von Begriffen. Die Erkenntnis bezieht sich auf „vernünftiges" Betrachten 134 , es ist die Seele, welche dem die Erkenntnis ermöglichenden Begriff begegnet, „wenn die Seele überhaupt bei einer Verstandesüberlegung hinzutritt" 135 - und Seele ist der gesamte Mensch106, der sich der Erkenntnis (von Geschautem und Begrifflichem) zuwendet107. Das geistige Lernen strukturiert und ordnet und stellt vorher bestehende Erkenntnis zusammen, „denn alles Lehren und Lernen auf dem Wege des Verstandes geht nur aufgrund einer schon vorhandenen Erkenntnis vor sich"108 - doch „das unmittelbare Wissen ist nicht beweisbar"109 - so wie auch Erkenntnisse unaussprechlich bleiben - „denn es gibt mehr Beweisgründe (λόγοι) als Namen" 115 . Letztlich ist die Schau „das angenehmste und edelste" der Erkenntnis" 1 , aber auch ihr metaphysisches Ziel; der Sinn des Lebens liegt für den Menschen in der „Gottesschau", in der „Verehrung und Betrachtung Gottes" 112 .
IC3 104 105
107 108 109 1.0 1.1 1.2
Symposion 2 1 0 a - 2 1 1 c . Analytica II A 21, 82b 3 5 - 3 6 . Physiognomica 6, 813a 30. De anima Β 2, 414a 1 2 - 1 3 . De memoria 1, 449b 17. Analytica II A 1, 71a 1 - 2 . Analytica II A 3, 72b 1 9 - 2 0 . Analytica I A 35, 48a 30. Metaphysica 1072b 24. Ethica Eudemica VII, 1249b, 16 f.
183
$ 67 Die Sprache der Ikonen - Schlüssel zu ihrem
Verständnis
Versehen mit dem Maßstab und Vergleich der frühgriechischen Auffassung des Schauens und Abbildens (die sich auch in der Zeit des Neoplatonismus nicht wesentlich verändert hat), können wir nun zurückkehren zur Auffassung und Funktion der Ikone in Byzanz. Zunächst wäre der spezifizierende Unterschied zwischen den beiden Auffassungen festzustellen: wieder ist die Wahrheit der Person die grundlegende Voraussetzung der patristischen Ontologie. Die Väter sahen in der Sprache der Ikonen die Sprache der Schönheit der Kundgebung der Person. Sie sahen die Schönheit der geschaffenen Welt als Bild und Ausdruck (λόγος) Gottes113, als Ergebnis der personalen Energien der göttlichen Wesenheit114, als personhafte Offenbarung des Gottes-Wortes115, und sie setzten die Gotteserkenntnis gleich der erlebten Schau der „geistigen Schönheit" der Person des Herrn116. Wie aber wirkt die Sprache als Organ der Erkenntnis, wenn sie sich der in das Geheimnis einführenden Tiefe der Ikone bedient, um die Kundgabe der Person zu ermöglichen? Zunächst ließe sich anführen, daß die Sprache bildhaft wirkt, im Sinne der Ikone, wenn sie bestrebt ist, einen inneren Sinngehalt zu bewahren, indem sie die Eigengesetzlichkeit der Begriffe überwindet, das heißt, wenn sie das Bezeichnete nicht entleert zum üblichen Gebrauch des Bezeichnenden. Dieses Überwinden des konventionellen Charakters der Wörter wird hauptsächlich dadurch bewirkt, daß diese in einer Weise gebraucht werden, die im Gegensatz steht zum herkömmlichen Gebrauch der Bezeichnung, also mit Hilfe einer Art von sprachlich-begrifflichem Widersinn, der in der Aussage jedoch nicht widersinnig ist. In den Texten der Kirchenväter der sogenannten byzantinischen Zeit widerlegen sich die Bezeichnungen oftmals selbst und heben sich auf, um darüber hinauszugelangen: um mittels der begrifflich-logischen Widersprüche die konventionelle Objektivierung der Begriffe zu überwinden und die Teilnahme des ganzen Menschen (nicht bloß seines Denkens) an der auszudrückenden Wahrheit zu erreichen. So ist der Gott der Kirche überwesentliche Wesenheit, unvernünftige Vernunft, unsagbares Wort, er ist der namenlose Name, die übergöttliche Gottheit, der anfanglose Ursprung, dessen Name umfassendes Unumfaßbares ist. Und die Gotteserkenntnis ist unwissendes Erkennenn, nicht-teilhabende Teilnahme, die Theologie Gestaltung des Gestaltlosen, Form des Formlosen, Prägung des Ungeprägten, Vollendung bewirkendes Scheitern, sie drückt die unähnliche Ähnlichkeit aus, „die das Abgetrennte letztlich umgreifende
Athenag., leg. 34,1 - P.G. 6, 968B; Dion. Ar., c. h. 1,3 - S.C. 58, S. 72 - P.G. 3, 121 C. Jo. D., imag. 2,14 - P.G. 94, 1300b - Ausg. Kotter S. Bd. III, 105, 17-20. ,1S Symeon d. N. Th., über 6 - S.C. 129, S. 138. 116 Symeon d. N. Th., liber 3 - S.C. 129, S. 70 und über 5, S. 96; Dion. Ar., c. h. 4.3.1 P.G. 3, 473 B. 113 114
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Verbindung". Die Wahrheit wird ineinsgesetzt mit der mystischen Erfahrung, die Theologie mit der Gottesschau, der nie zur Vollendung gelangenden Vollendung: die gottschauenden Theologen „erblicken ohne zu sehen die unaussprechliche Schönheit Gottes selbst; sie halten ohne zu berühren, erkennen ohne zu begreifen die gestaltlose Gestalt und ungeformte Form, sein bildloses Bild, in sichtlosem Schauen in einer Schönheit von ein-facher Vielfalt""'. Wenn zwei gegensätzliche Begriffe gleichzeitig auf das gleiche Bezeichnete bezogen sind, so ist das „Semantik" eines Begriffes, die auf die objektive und konventionelle Auffassung eines der beiden Begriffe nicht beschränkt werden kann: der gemeinsame und einheitliche Inhalt, auf den sich das gegensätzliche Begriffspaar bezieht, setzt den gesamten Inhalt jedes der beiden Begriffe voraus, zugleich aber ihre gegenseitige Aufhebung. Jeder Begriff ist gültig in voller Bedeutung, das heißt, wir müssen das Bezeichnete sowohl als begriffsbestimmte Feststellung verstehen als auch als deren Widerlegung, ohne jedoch das Bezeichnete allein mit der Feststellung noch mit deren Widerlegung gleichzusetzen: Jeder Pol des begrifflichen Gegensatzes drückt eine Ähnlichkeit mit dem Bezeichneten aus, welche in der einheitlichen antithetischen Formulierung nur als Andersheit verstanden werden kann. Und genau das ist der die Erkenntnis ermöglichende Inhalt der Ikone: In jeder Ikone ist die bildliche Darstellung dem abgebildeten Gegenstand ähnlich, aber zugleich dem Wesen nach unähnlich. Entsprechend haben, in der bildhaften Sprache der Ikone, welche gegensätzliche Begriffspaare benützt, sowohl die begriffsbestimmte Feststellung als auch deren Aufhebung eine Ähnlichkeit mit dem Bezeichneten, die nicht als begriffsgemäße Identität verstanden werden darf, sondern als bildhafte Ähnlichkeit, welche die wesenhafte Unähnlichkeit voraussetzt. Anders ausgedrückt: das gleichzeitige und einheitliche Bezogensein der begriffsbestimmten Feststellung wie auch ihrer Aufhebung auf ein und dasselbe Bezeichnete erlaubt eine dynamische bildliche Darstellung der bezeichneten Wahrheit; das aber bedeutet das Uberwinden der Entleerung der Erkenntnis zur Ubereinstimmung mit ihrem Gegenstande, denn es erlaubt den dynamischen Ubergang („Durchgang") zu einer anderen Art des Erkennens, dessen Organ nicht das gemeinsame konventionelle, begrifflich abgesicherte Idiom der Sprache ist, sondern eine viel umfassendere Erfahrungs- und Erkenntnismöglichkeit des Menschen: die Fähigkeit zur personalen Beziehung mit dem Bezeichneten. Und zur Verwirklichung dieser dynamischen Beziehung fordert die Ikone auf. Wir wollen das auf ein konkretes Beispiel übertragen, auf die Gotteserkenntnis in Unkenntnis Gottes. Gotteserkenntnis kann nicht begrenzt werden auf den gewöhnlichen, konventionell aufgefaßten Begriff von Erkenntnis und Einsicht, wie er im wissenschaftlichen Bereich üblich ist. 1,7
Symeon d. N . T h „ über 3 - S.C. 129, S. 6 8 - 7 0 .
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Verglichen mit der wissenschaftlichen Erkenntnis ist die Gotteserkenntnis auf jeden Fall Unkenntnis, sie geht über die Grenzen des wissenschaftlich Erkennbaren hinaus und bleibt dennoch eine Art Erkenntnis, die der wissenschaftlichen Erkenntnis unähnlich ist. Aber auch die Unkenntnis kann, sofern es sich um Gott handelt, nicht gleichgesetzt werden mit dem Inhalt, der diesem Begriff üblicherweise durch die Sprache beigelegt wird, weil allein die Einsicht, Gott nicht erkannt zu haben, in Verbindung mit dem Erkennen des Erkennbaren eine Art Erkenntnis ist, ohne darum aufzuhören, Unkenntnis zu sein, ähnlich der wissenschaftlichen Unkenntnis. Sowohl der Begriff der Erkenntnis als auch der Begriff der Unkenntnis haben eine begriffsbestimmte (bildhafte) Ähnlichkeit mit der zu bezeichnenden Wahrheit der Erkenntnis in Unkenntnis, die jedoch als wesentliche Unähnlichkeit verstanden werden muß. So hat der Ausdruck, Erkenntnis in Unkenntnis, nur eine bildhafte Funktion, es wird zum „Zeichen" oder Bild, das die Möglichkeit einer persönlichen Einsicht „bezeichnet", jenseits jeder konventionell objektiven Begrifflichkeit, wie sie in der gemeinsamen Sprache gebräuchlich ist. Auf vergleichbare Weise geht die (darstellende) Ikonographie von Byzanz hinaus über die naturalistische (oder besser: „photographische") Wiedergabe des individuellen Objekts, aber auch über eine allegorischanaloge Deutung; sie bezieht sich auf den Prototyp, sie „geht über" in das Urbild" 8 , dessen personale Einzigkeit nur als unähnliche Ähnlichkeit dargestellt und nur in der personalen Beziehung erkannt werden kann. Der staunenswerten Kunst der byzantinischen Ikonographie gelingt es, das sinnlich faßbar Seiende der natürlichen Individualität zu überwinden, ohne in den figürlich-ästhetischen Eindruck, die Idee oder in andeutende Allegorie auszuweichen. Sie vermag mit der Abbildung konkreter Personen eine Daseinsweise nachzuzeichnen, oder besser, „zu umschreiben": die Uberwindung der ontischen Individualität, die Wiederherstellung der Person in ihre existenziale Ganzheit, die unvermischte Einung der geschaffenen und der nicht-geschaffenen Natur oder der geschaffenen und der ungeschaffenen Energie in der sinnlich faßbaren Person. Die Darstellung des „Urbildes" (der Person des Christus, der Gottesgebärerin oder der Heiligen) dient als Aufforderung, teilzunehmen an der personalen Daseinsweise, und nur wenn dieser Aufforderung dynamisch (das heißt, in einer „ethischen" Leistung) entsprochen wird, ist der die Erkenntnis ermöglichende „Durchbruch" zum Urbild möglich. Und folglich wird in beiden Fällen, sowohl in der Ikonologie als auch in 118 „Denn die, welche ständig die bildlichen Darstellungen betrachten (von Christus und den Heiligen), werden aufgerüttelt durch das, was sie sehen, des Urbildes zu gedenken und Verlangen danach zu tragen." I. Karmins, op. cit. S. 2 3 9 (in der Ausgabe Mansi, X I I I , 3 7 3 ) Bas., Spir. 18, 45 - P . G . 32, 149 C ; J o . D . , op. cit. I - P . G . 94, 1240 C - Ausg. Kotter, S. 8 3 ; auch 1337 Af. - Kotter, S. 1 2 5 - 2 2 6 . Siehe auch Epiph., epit. haer. 72.10 - P . G . 42, 3 9 6 C .
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der Ikonographie von Byzanz, die Wahrheit „bezeichnet", ohne zu ihrem „semantischen" Ausdruck entleert zu werden; die Semantik der Ikone „stellt die Andersheit in der Ähnlichkeit dar", und es ist gerade diese Dynamik des Ausdrucks der unähnlichen Ähnlichkeit 119 (die ständig zu personaler, objektiv von nichts bestimmbarer Beziehung aufruft), welche der Ikone den Charakter der Erkenntniskategorie verleiht.
§ 68 Kundgabe und Verborgenheit
der Wahrheit im Bild
Wir sagten, daß die Sprache der Kirchenväter der sogenannten byzantinischen Epoche Bilder gebrauchte, um jenseits der Worte einen inneren Sinngehalt (λόγος) zu bewahren, wobei sie die Objektivierung der Begriffe des gemeinsamen sprachlichen Idioms überwand. Dieses Bewahren des Sinngehalts vor der Objektivierung der Begriffe setzt die bildliche Ähnlichkeit von Bezeichnendem und Bezeichnetem voraus, zugleich aber ihre wesenhafte Unähnlichkeit. Folglich könnten wir sagen, die Sprache wirke bildhaft, wenn sie sowohl auf die Offenbarung als auch auf das Verbergen der bezeichneten Wahrheit abzielt (auf ihre bildhafte Offenbarung und ihre wesenhafte Verbergung) 120 . Sehr bezeichnend ist folgender Abschnitt aus den areopagitischen Schriften: „Daß man dem Gestaltlosen Gestalt zuschrieb und dem Formlosen Form, hat seinen Grund wohl nicht allein in dem Mißverhältnis unserer Kräfte, die nicht fähig sind sich zu unmittelbarer geistiger Schau zu erheben sondern der Hinaufführung bedürfen, die unserer eigenen Natur verwandt ist und dadurch geeignet, uns zu dieser gestaltlosen und übernatürlichen Schau zu bringen; doch ist es diesen mystischen Aussageweisen ebenfalls angemessen sich in unergründlichen und geheiligten Rätseln zu verbergen,
' " „A partir de tout on peut done concevoir de belles contemplations et, pour les appliquer aux etres, qui sont ä la fois intelligibles et intelligents, former ä partir des etres materiels les similitudes dissemblantes qu'on a dites, etant etendu que les etres intelligents possedent sur un autre mode les facultes qui ont ete imparties d'une autre fa^on aux etres sensibles." Dion. Ar., c. h. 11,4 - S.C. 58, S. 81 - P.G. 3, 141 C und 144 B C . S.C. 58, S. 83: „II est done possible de forger, pour designer les etres celestes, des figures qui ne soient point sans harmonie avec eux en partant meme des parties les plus viles de la matiere, puisque cette matiere, eile aussi, ayant re$u l'existence de Celui qui est reellement beau, conserve, dans toute sa disposition materielle, certains echos de la splendeur intelligente et qu'on peut s'elever, grace ä eux, vers les archetypes immateriels, a condition, comme on l'a dit, de prendre les similitudes sur le mode de la dissemblance et de ne point les definir univoquement mais en les adaptant plutöt et en les appropriant aux caracteres respectifs des etres intelligents et des etres sensibles." 1!0 Die Sprache der Ikonen bezeichnet und zeigt die Wahrheiten, welche die konventionell erworbenen Begriffe übersteigen, während sie diese Wahrheiten gleichzeitig schweigend bewahrt. Die Ikonen sprechen durch ihr Schweigen - ein beredtes Schweigen. Vgl. Wittgenstein, op. cit. 4.114, 4.115, 6.522. „Wovon man nicht sprechen kann, darüber muß man schweigen" (7).
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welche die heilige und verborgene überweltliche Wahrheit der Menge unzugänglich machen."121 Übereinstimmend mit der angeführten Stelle ermöglicht die bildhafte Funktion der Sprache mit Hilfe von „Formen" und „Gestalten", die dem menschlichen Erkenntnisvermögen zugänglich sind, die dynamische Hinführung zur Schau der „form- und gestaltlosen Wahrheit". Aber gerade weil die der menschlichen Sprache und ihren begriffsbestimmten Entsprechungen zugänglichen „Formen" und „Gestalten" sich auf Wahrheiten beziehen, die über die Ebene der gegebenen sprachlichen „Semantik" hinausgehen, wirkt auch die bildliche „Darstellung" auf zweierlei Weise (das heißt, sie stellt zwei Möglichkeiten dar): Sie ist „Zeichen" oder Ruf zur dynamischen Hinführung auf eine umfassende (und nicht nur intellektuelle Erkenntnis (Schau) der Wahrheit, gleichzeitig aber ist sie auch ein heimliches Rätsel, das die Wahrheit verbirgt und sie entzieht und denjenigen unzugänglich macht, die sich ihr mit der vorhandenen sprachlichen „Semantik" als Werkzeug nähern122. Anders ausgedrückt: die Rätselhaftigkeit der Ikonen dient objektiv als Verbergung, subjektiv aber als Offenbarung der Wahrheit. So stellt sie nicht nur eine tiefe Ehrfurcht vor der Wahrheit dar, die vor der Verfälschung durch Objektivierung zu bewahren ist, sondern schützt vor allem auch den Menschen123 vor der Gefahr, die Wahrheit zu verfremden zur „noetischen Vorstellung". Die heilige Rätselhaftigkeit der Ikonen verhindert, daß die Wahrheit dem Intellekt zum Gegenstand werde124, denn das würde bedeuten: Leugnung der Wahrheit des personhaften Gottes und der menschlichen Person und der personalen Dimension des Kosmos. Die Sprache der Ikonen verbirgt die Wahrheit als dynamischen „Sauerteig" im mystagogischen Bereich der personalen Beziehung und Gemeinschaft der Kirche; der Zugang zur Wahrheit mittels der Sprache der Ikonen setzt eine „ethische" Leistung voraus - Askese und Uberwindung des Ego, Ableh-
c. h. II 2 - S.C. 58, S. 7 6 - 7 7 . „Denn alle Kenner der göttlichen Weisheit . . . halten diese fern von Menschen, die profan sind und ohne Heiligkeit, und sie tragen Sorge, daß sie auf heiligen Abbildern dargestellt werde, ohne Ähnlichkeit, aus Besorgnis, daß die göttlichen Geheimnisse NichtEingeweihten nicht leicht zugänglich würden, und damit die, welche es lieben, die heiligen Bilder zu betrachten, sich nicht an Abbilder hängen, als entsprächen sie der Wahrheit - und daß damit die göttlichen Wirklichkeiten geehrt würden, sowohl durch echte Negationen als auch durch Ähnlichkeiten, die entliehen sind vom Andersartigen - von dem entnommen, was tiefer steht . . Dion. Ar., c. h. II, 5 - S.C. 58, S. 8 4 - 8 5 . 121
122
123 „Denn es ist unmöglich, daß der von Gott herrührende Strahl uns anders erleuchte, als daß er sich verhüllt, zu unserer Erhebung, unter der Seltsamkeit heiliger Schleier, und daß eine väterliche Vorsehung ihn den Erfordernissen unserer Natur angleiche . . ." Dion. Ar., c. h. I, 2 - S.C. 58, S. 72. 124 Die Objektivierung der Wahrheit durch den Intellekt wird in den patristischen Schriften als die äußerste Gefahr für den Wahrheitsuchenden hervorgehoben. Max., qu. Thal. - P . G . 90, 333 C D .
188
nung des geistigen und gefühlsmäßigen Selbstgenügens des Individuums, Eingehen in den Raum der liebenden Hingabe, in den Bereich der personalen Beziehung und Gemeinschaft.
5 69 Die Ikone - Schönheit als Kategorie
der
Erkenntnis
Wir könnten uns der Erkenntnisfunktion der Ikone auch auf andere Weise nähern: Maximos unterscheidet drei Ebenen der Erkenntnis, die sinnliche Wahrnehmung, (αϊσ&ησις), und die praktische und theoretische Vernunft (λόγος-νοϋς). Jede vertritt beim Menschen eine Erkenntnismöglichkeit, aber auch einen entsprechenden Erkenntnisbereich oder eine Weise, die Realität zu betrachten. Die sinnliche Wahrnehmung bezieht die Erkenntnis aus der Unmittelbarkeit der gegenständlich Seienden, ihrer stofflichen Hypostase, der Form oder Gestalt, durch die sich jede ontische Individualität unterscheidet, aber auch aus der Erfahrung der natürlichen Zusammenhänge, welche die Gegenstände der realen Welt untereinander verbinden und sie tatsächlich begründen. Folglich ist die sinnliche Wahrnehmung die erkenntnisermöglichende Fähigkeit des Menschen, „daß er das Seiende in vielerlei Gestalt erkenne"125: die gesamtheitliche Erfassung der differenzierten Formen geht aus von der fundamentalen Erkenntnismöglichkeit, die uns die sinnliche Wahrnehmung gewährt, die Fähigkeit, „den Unterschied des Substrats" zu erkennen126. Die bildhafte Differenzierung jeder ontischen Individualität geschieht mittels der Sinne, sie bildet den Ausgangspunkt der Erkenntnis; die Erkenntnis des Seienden „entsprechend der Wahrnehmung, die in der Form vorgebildet ist durch die Gestalten der wahrnehmbaren Dinge"127, findet ihr dauerndes Maß und das Ziel der unterscheidenden Differenzierung in der Vernunft'2'. Aber die erste Erkenntnisfunktion der sinnlichen Wahrnehmung, der erste Zugang des Menschen (vor der praktischen Vernunft) zu den sinnlich wahrnehmbaren Gestalten und Formen, der ihm zum Ausgangspunkt wird zur Erfassung „des Geschaffenen" (der gesamten Realität), wird mittels der Vorstellung verwirklicht129 (hier, mittels der Bezeichnung der sinnenhaften Erfahrung der Erscheinungen)130. Die Vernunft ist die Weise oder das Mittel und die Fähigkeit, welche persönliche Erkenntnis ermöglicht, die Verbindung zwischen der sinnlichen Erfahrung und der umfassenden Einsicht des denkenden Subjekts. Die Gestalten und Formen der sinnlichen Wahrnehmungen werden dem Geist schol. d. n. I, 5 - P.G. 4, 201 B. cap. al. - P.G. 90, 1425 AB. 127 qu. Thal. - P.G. 90, 456 AB. ,2« qu. Thal. - P.G. 90, 709 B. 129 cap. al. - P.G. 90, 1425 A. 130 ambig. - P.G. 91, 1116 A. 125
126
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weitergegeben als vernunfthafte Dinge131, wegen der Fähigkeit des Menschen, die Informationen der sinnlichen Wahrnehmung „Logos werden zu lassen", das heißt, ihrem Wesensgehalt nachzugehen, die sinnlich erfahrene Wahrnehmung zu wandeln in Wissen und Erkenntnis'". So wird die Fähigkeit der Vernunft gleichgestellt sowohl mit dem Verstand des Menschen 1 ", mit der Tätigkeit der Gedanken134, als auch mit der „Fähigkeit der Natur, nach dem Logos zu streben, welche Wille der denkfähigen Seele genannt werden kann"135. Der vernünftige Wille offenbart das Umfassende der wirkenden Vernunft, die sich nicht allein in der Fähigkeit logisch deduktiven Denkens erschöpft: die Kraft der menschlichen Vernunft verbindet die Fähigkeit zur Erkenntnis mit der des Wollens; darum wird sie zum Ausgangspunkt der erotischen Ek-stase, welche die Erkenntnis schlechthin begründet136. Damit sich das vernünftige Erkennen in der „Macht der liebenden Hinwendung" vollende137, ist die Erkenntnis mittels der Vernunft beschränkt auf das „natürliche" oder „erkennende" Betrachten, „welches die Mitte darstellt zwischen den Urbildern und der Wahrheit"138, es stellt die Möglichkeit dar, die konventionellen „Formen" zu überwinden, doch vermag es sich nicht der Wahrheit zu nähern: auf jeden Fall ist die Erkenntnis „relativ", „welche einzig in der Vernunft und in den Denkvorgängen liegt"139. „Sie ergibt sich aus der Analogie des Seienden"140 und ist „aus der Relation zu den mit-gedachten Dingen" nicht zu lösen141. Sie entspricht der natürlichen Notwendigkeit der praktischen, die Erkenntnis ermöglichenden Zweckhaftigkeit, „durch welche wir in unserem gegenwärtigen Leben bestimmt sind"142. Der Geist endlich ist „das Auge der Seele"143, die Fähigkeit zu schauen, nämlich zur Betrachtung der Wahrheit. Die Betrachtung der Wahrheit, die ein erfahrendes Erkennen ist, „das wesentliche und wahre Erkennen, das ohne Begriff und Gedanken, allein im seinsgegenwärtigen Verkosten des Erkannten besteht"144. Hier handelt es sich nicht mehr um die Erfahrung der
131
qu. Thal. - P.G. 90, 456 AB. cap. theol. II - P.G. 90, 1248 C. 135 cap. al. - P.G. 90 1437 B. 134 cap. al. - P.G. 90, 1425 Α und 1432 A. 135 Pyrr. - P.G. 91, 293 BC. 136 cap. theol. V - P.G. 90, 1377 AB. 137 cap. theol. V - P.G. 90, 1392 A. 138 qu. Thal. - P.G. 90, 752 A. ,3 ' qu. Thal. - P.G. 90, 621 C D . 140 qu. Thal. - P.G. 90, 624 A. 141 ambig. - P.G. 91, 1108 C. 142 qu. Thal. - P.G. 90, 621 C D . 143 myst. - P.G. 91, 673 D : „Die Seele, sagte er, hat zwei Kräfte, eine betrachtende, wie gesagt worden ist, und eine tätige. Die betrachtende Kraft wird Geist genannt (νούς), die tätige Vernunft (λόγος)." 144 qu. Thal. - P.G. 90, 621 CD. 132
190
Sinne, die Erfahrung der sinnlich wahrnehmbaren Formen und Gestalten, sondern um die Art geistiger (Sinnes-)Wahrnehmung, die nicht nur die Erfahrung der körperlichen Wahrnehmung übersteigt, sondern auch die Erkenntnis des Verstandes - „sie macht das begriffliche Denken überflüssig und bringt das überlegende Nachdenken zum Stillstand" 145 . Es ist die Erkenntnisfähigkeit, die ungleich umfassender ist als auch die Gedanken und Begriffe, es ist die Erkenntnis, welche das umgreifende existenziale Ereignis der Beziehung bewirkt, das heißt, die Teilnahme am „Erkannten" selbst, das erst offenbar wird, wenn alles Denken darüber aufgehört hat" 146 . Die erkenntnisermöglichende Unmittelbarkeit der Teilnahme, welche alles begriffliche Objektivieren übersteigt, ist ausschließlich auf den Bereich der personalen Kundgabe und Gemeinschaft bezogen, auf die einmalige, unähnliche und unwiederholbare Un-verborgenheit der Person, weil „sie nicht zu den relativen Dingen gehört, sie hat nämlich überhaupt nichts, was jeweils noch mitgedacht werden müßte" 147 . Die personale Beziehung oder Teilnahme ist eine dynamisch erlangte Erkenntnis, „ein Erkennen . . . in uns erregt, welches dasjenige Erkennen aufhebt, das durch Begriffe geschieht und sich im Denken vollzieht" 148 . Darum wird diese Erkenntnis auch niemals endgültig erlangt, so daß sie in objektive Erkenntniskategorien verwandelt werden könnte, sondern „wird auf ewig in uns wirksam und erregt in uns das Begehren nach dem Erkennen aus der Seinsgegenwart des Teilhabens" 149 . Folglich ist der Geist, als Mittler der personalen Möglichkeiten der Teilhabe an der Wahrheit, „die uns mit Gott einende Kraft" 1 ", „durch die wir uns auf nicht erkennbare, aber dabei sehr wohl aufzeigbare Weise mit Gott vereinen, entsprechend der Einung, die jedes Denken übersteigt" 151 . Wir könnten jetzt sagen, daß die Erkenntnisfunktion der Ikone sich dynamisch auf allen drei Ebenen verwirklicht; der heilige Maximos definiert sie als Wahrnehmung mittels der Sinne, mittels der Vernunft und mittels des Geistes. Die „Semantik" der Ikone „erhebt sich aber mit Hilfe der Formen und Gestalten vom sinnlich Wahrnehmbaren zum Geist, indem sie diesem die Dinge der Wahrnehmung vermeldet; sie schreitet herab vom Geiste zur Wahrnehmung, indem sie die Dinge des Geistes zugrundelegt". Im Bereich der christlichen Orthodoxie des Ostens bezieht sich die theologische Kategorie der Ikone, welche eine sinnlich, geistig und vernünftig erfaßbare Kategorie der Schönheit ist, auf die akthafte Erkenntnis „durch ein Hinstreben", auf die „unaufhörlich wirkende" personale, dynamische 145 1,6 147
qu. Thal. - P.G. 90, 624 A. qu. Thal. - P.G. 90, 624 A. ambig. - P.G. 91, 1108 C .
' qu. Thal. - P . G . 90, 621 D. qu. Thal. - P.G. 90, 621 C . 150 ambig. - P.G. 91, 1193 D. 14
149
151
cap. theol. II - P . G . 90, 1225 B.
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Beziehung und Teilhabe. „Von allem Abgebildeten", sagt der heilige Theodoras Studites, „ist nicht die Natur, sondern die Hypostase abgebildet." Die Naturen oder Wesenheiten werden nicht bildlich dargestellt, sie werden definiert in begriffsbestimmten Kategorien, die ihren Erkenntnisinhalt auf jeden Fall innerhalb ihrer Grenzen erschöpfen. Sie setzen die Ontologie der ontischen Kategorien oder der Erscheinung der ontischen Individualitäten voraus, während die Ikone, als Kategorie sinnenhafter, vernünftiger und geistiger Schönheit, das heißt, als umfassend erfahrbare Erkenntnis, „das überlegende Nachdenken zum Stillstand bringt"; sie ist bezogen auf die Personen oder Hypostasen, welche objektiv unähnlich und unwiederholbar sind und die erkannt werden nur mittels einer dynamischen, akthaften „ewig wirksamen" Erkenntnis („die nicht zu den relativen Dingen gehört").
Drittes Kapitel: Hierarchie § 70 Der Weg des analogen
Erkennens
Die Auffassung der Erkenntnis als existenziales Problem, der Zusammenhang zwischen der Erkenntnisfähigkeit und der „Daseinsweise", führt uns zur Wahrheit der Hierarchie; sie ist der Weg und die Weise zur Übermittlung und Zueignung der Erkenntnis, das Bezogensein der Erkenntnisfähigkeit auf nachfolgende Stufen oder Ebenen der unverfälschten Existenz oder geistigen Vollendung des Menschen.
a) Die Analogie bei Piaton Die Wahrheit der Hierarchie läßt erkennen, wie die Theologie des christlichen Ostens die analoge Teilhabe an der Erkenntnis, wie sie den Weg des analogen Erkennens verstand. Die Möglichkeit der Erkenntnis mittels Analogie wurde auf jeden Fall zuerst von Piaton begrifflich formuliert152. Gemäß seiner Auffassung hat jedes Sein „verhältnisgemäß" (άνά τον 152 Als Erkenntnis ermöglichende Möglichkeit und Methode ist die Analogie bei Piaton, Aristoteles, bei Thomas und den Neothomisten ein sehr umfangreiches Thema, dessen systematische und historische Untersuchung einer eigenen sehr gründlichen Untersuchung bedürfte. Wir beschränken uns hier darauf, bestimmte Aspekte des Themas einfach anzumerken, die - positiv oder negativ - den Zugang zur Wahrheit der Hierarchie erleichtern.
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λόγον) teil an seiner Idee, und jede Idee (ist) „hervorgebracht von dem . . . Guten (άγαθόν) und wurde ... ein ihm entsprechendes Ebenbild"'53. Das Verhältnis (λόγος) stellt die Möglichkeit dar, gemäß Erkenntnis teilzuhaben an der Wahrheit des Seins, und zwar mittels der Verhältnisgleichheit (Analogie) von Seienden und Ideen (das Seiende „steht in Verhältnisgleichheit" mit seiner Idee), folglich stellt es auch die Möglichkeit dar, mittels der Analogie von Ideen und Gutem an diesem teilzuhaben. Besonders unmittelbar wird der Zugang über die Analogie von Seiendem und Ideen bei schöpferischen Werken. Jedes schöpferische Werk offenbart den gemeinsamen Urgrund von Idee und Werk, das heißt, es setzt die „Schau", θέα, der Idee des Werkes voraus, während die Idee selbst „jenseits" jeder schöpferischen Möglichkeit bleibt: „... der Hersteller jeder der beiden Gerätschaften schafft im Hinblick auf die ideelle Gemeinschaft: der eine Stühle, der andere Tische zu unserm praktischen Gebrauch; denn die abstrakte ideelle Einheit davon fertigt uns keiner der ... Werkmeister an"154. Indem wir den Urgrund der Seienden erkennen, „schauen" wir die Wahrheit der Ideen, haben wir, mittels Analogie, teil am Bereich der unzerstörbaren und ewigen Wahrheiten; diese „Schau" ist Teilhabe am Guten, denn das Gute ist es, „was den erkannt werdenden Objekten Wahrheit verleiht und dem erkennenden Subjekt das Vermögen der Erkenntnis gibt" 1 ". Das Gute läßt „analog" an sich teilhaben mittels der Schau der Ideen oder Wesenheiten, denn es ist die Ursache sowohl der Wesenheiten als auch ihrer „Schau", während es selbst „jenseits der Seiendheit" bleibt156 - „bestürzend, überwältigend schön". Die Wahrheit und ihre Erkenntnis άνά τον λόγον und ihre substantiierte Kundgabe sind „Ergebnisse" des Guten und Möglichkeiten analoger Teilnahme daran. Der Geist ist das Organ oder die Weise der erkennenden Betrachtung und Teilhabe, und es ist offenbar, daß der Geist hier nicht allein auf die Fähigkeit des Verstandes beschränkt ist, sondern daß er das umfassende Erkenntnisvermögen der Seele darstellt157. Der Geist hat teil am Guten, analog der Weise, in der das Sehvermögen teilhat am Anblick der Sonne; Res publica VI, 508b 1 2 - 1 3 . Res publica I, 596b 6 - 1 0 : „Und so räume denn auch nun ein, daß den durch die Vernunft erkennbaren Dingen von dem eigentlichen Guten nicht nur das Erkanntwerden zuteil wird, sondern daß ihnen dazu noch von jenem das Sein und die Wirklichkeit kommt, ohne daß das höchste Gut Wirklichkeit ist; es ragt vielmehr über die Wirklichkeit an Hoheit und Macht hinaus." 155 Res publica VI, 508e 1 - 2 . 1S