Paulus und die imperiale Theologie der Evangelien: Das Neue Testament als kontroverser politischer Machtdiskurs [1 ed.] 9783428535415, 9783428135417

Im Kontext der politischen Ideengeschichte ist die Bibel ein Machtdiskurs. Schon das Alte Testament hat kein eindeutiges

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Paulus und die imperiale Theologie der Evangelien: Das Neue Testament als kontroverser politischer Machtdiskurs [1 ed.]
 9783428535415, 9783428135417

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Beiträge zur Politischen Wissenschaft Band 165

Paulus und die imperiale Theologie der Evangelien Von Mathias Eichhorn

Duncker & Humblot · Berlin

MATHIAS EICHHORN

Paulus und die imperiale Theologie der Evangelien

Beiträge zur Politischen Wissenschaft Band 165

Paulus und die imperiale Theologie der Evangelien Das Neue Testament als kontroverser politischer Machtdiskurs

Von Mathias Eichhorn

Duncker & Humblot · Berlin

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Alle Rechte vorbehalten

© 2011 Duncker & Humblot GmbH, Berlin

Fremddatenübernahme: Process Media Consult GmbH, Darmstadt Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0582-0421 ISBN 978-3-428-13541-7 (Print) ISBN 978-3-428-53541-5 (E-Book) ISBN 978-3-428-83541-6 (Print & E-Book) Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706

Internet: http://www.duncker-humblot.de

Meinen akademischen Lehrern Dieter Georgi † und Herfried Münkler gewidmet

„Wir führen zwar unser Leben im Fleisch, unseren Kampf aber führen wir nicht nach dem Fleisch. Denn die Waffen, die wir auf unserem Feldzug mitführen, sind nicht irdisch, sondern dienen Gott dazu, Bollwerke niederzureissen. Ja, grossartige Gedankengebäude reissen wir nieder, alles Hochragende, das sich erhebt wider die Erkenntnis Gottes, und alles Denken führen wir dem Gehorsam Christi zu.“ 2. Kor 10, 3 ff.

„… we are of course embedded in practices and constrained by them. But those practices owe their dominance in part to the power of our normative language to hold them in place, and it is always open to us to employ the resources of our language to undermine as well as to underpin that practice. We may be freer than we sometimes suppose.“ Skinner, Quentin: Visions of Politics Vol. I. Regarding Method, Cambridge 2002, S. 7.

Vorwort Das Buch ist aus einem Vortrag erwachsen, den ich im Oktober 2009 in der Evangelischen Akademie in Tutzing zum Thema des Imperiumsverständnisses des Neuen Testaments gehalten habe1. Die Anregung und Ermutigung, den Vortrag zu einem Buch zu erweitern, kam von Hans Grünberger, dem ich zudem, wie auch Marcus Llanque, wichtige Hinweise und kritische Begleitung verdanke. Er hat den Text auch korrekturgelesen. Dank bin ich auch Herfried Münkler schuldig und seinem Berliner Doktorandenkolloquium, das bereit war, meine Überlegungen mit mir zu diskutieren. .

Frankfurt, im Oktober 2010

Mathias Eichhorn

1 Eichhorn, Mathias: Kein Friede und keine Sicherheit: Eine politische Lesart der paulinischen Briefe, in: Zeitschrift für Weltgeschichte Jahrgang 11, Heft 2, hrsg. v. H. H. Nolte (Herbst 2010), S. 71 ff.

Inhaltsverzeichnis Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13 A. Macht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26 I. Paulus und die Evangelien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26 II. Der Erste und der Zweite . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30 III. Der Machtdiskurs im Alten Testament . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35 IV. Herrschaft und Regiment im römischen Imperium . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47 V. Die imperiale Mission Roms . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59 B. Petrus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77 I. Der Machtdiskurs in den Evangelien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77 II. Petrus als Zweiter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91 C. Paulus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 96 I. Zum theologischen Verständnis der Auferstehung – Auferstehung als Metaphysik . 96 II. Paulusforschung im politischen Kontext . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 116 III. Der schwache Paulus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131 IV. Die Auferstehung der Toten und die Präsenz des Auferstandenen . . . . . . . . . . . . . . 139 V. Der pragmatische Paulus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 155 VI. Der Erste und seine Narren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 160 Schluss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 166 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 176 Personen- und Sachverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 186

Einleitung Es gibt keine Fakten, es gibt nur Interpretationen, lautet ein Satz Friedrich Nietzsches.2 In der modernen, besser gesagt der postmodernen Hermeneutik des Neopragmatismus, wie ihn etwa Richard Rorty vertritt, gilt alles, was nicht auf Interpretationen, sondern auf vorgebliche Fakten bezogen wird, als Metaphysik. Gianni Vattimo zieht daraus folgenden Schluss: „Wenn die Hermeneutik einen Sinn hat, dann ist mit ihr eine grundlegende Revolution der Ontologie verbunden. Dann ist es erforderlich, daß wir uns verabschieden von der Idee des Seins als einer Objektivität von Dingen ,da draußen, der sich das Denken möglichst angleichen sollte.“3 Ist aber Metaphysik nicht insofern unumgänglich, als die Interpretation sich auf etwas beziehen muss, das sie nicht ist? Sonst bezöge sie sich nur auf Sprache selbst, und das, was wir Bedeutung nennen, wäre nichts als Konvention.4 Wenn es aber jenseits der Sprache keine feststellbaren Fakten geben sollte, wäre dann nicht alles relativ? Aber Konvention ist nicht nichts. Wer spricht, kann sich der Konvention nicht entziehen, oder nur um den Preis, dass er sich selber nicht verstünde. „(I)t is worth bearing in mind that any code must be addressed to a potential decoder, and must to that extent be public before it can be secret. There is a logographic necessity (…) that all secrets must be shared and all conspiracies open.“5 Das Besondere erkennt sich als Besonderes nur im Medium des als Konvention verstandenen Allgemeinen, d. h. im Begriff. Aber das Allgemeine, der Begriff, ist wiederum auch nicht unabwendbares Schicksal. Im Verlauf seines sich Erkennens kann das Besondere auf das 2

Nietzsche, Friedrich: Der Wille zur Macht, Stgt 1980, S. 337. Vattimo, Gianni: Weltverstehen – Weltverändern, in: „Sein, das verstanden werden kann, ist Sprache“. Hommage an Hans-Georg Gadamer, Ffm 2001, S. 53. 4 Dabei wird Sprache weiter gefasst als nur die verbale Kommunikation. Alles, was verstanden werden kann, ist Sprache. 5 Pocock, J. G. A.: Political thought and History. Essays on Theory and Method, Cambridge 2009, S.78 f. Im weiteren Verlauf lese ich die angesprochenen Schriften des Neuen Testaments weitgehend in dem Sinne, wie Pocock und Quentin Skinner die politischen Philosophen der frühen Neuzeit lesen, nämlich als Diskurse ihrer Zeit, die es zu rekonstruieren gilt. „The model I present consists neither of a single and unitary community, nor of a number of segmented communities, of writers and readers, authors and respondents. It entails the problem – which on the whole I find an opportuniy – that if we retain the concept ,paradigm at all, we must modify it to allow for the possibility that a single community, and indeed a single author, may respond to a number of simultaneously active paradigms, overlapping and interacting, consonant and dissonant, requiring the actor to choose, but permitting him to combine, compare and criticize. (…) Methodologically speaking, all that I need claim is that I have been writing the history of debates conducted in a culture where paradigms and other speech-structures overlapped and interacted; where there could be debate, because there was communication, between different ,languages and language-using groops and individuals“ (S. 79). 3

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Allgemeine zurückwirken. Im Rahmen des als Konvention verstandenen Allgemeinen ist der Mensch frei, auch die Konventionen zu gestalten. Sie sind abhängig von seiner Anerkennung. Er verändert sie entweder in Übereinkunft mit anderen, kann die Veränderung aber auch initiieren, wenn er das Allgemeine verfremdet – allerdings so verfremdet, dass die Absicht in der Verfremdung allgemein erkennbar bleibt. Allgemeines und Besonderes sind darum nie von einander so zu unterscheiden, dass sie etwa isoliert von einander betrachtet werden dürften. Über das, was das Allgemeine sei, in dem das Besondere begriffen werden kann, entbrennt dann der Streit. Alles Innovative im Denken erscheint zunächst als Verstörung, die als solche aber verstanden werden muss, wenn sie nicht wirkungslos verpuffen soll. Autoren, die sich von der Metaphysik verabschieden, müssen also anders schreiben als Autoren, die einen Bereich der Metaphysik, einen außersprachlichen Bereich der Geltungssicherung, anerkennen. Ihre Texte müssen nicht mühsam als Sprechakte identifiziert werden, denn sie sind als solche schon von Hause aus erkennbar. Das betrifft z. B. Reden, aber auch Briefe. Die Briefe des Paulus sind keine Abhandlungen und auch nicht für eine Leserschaft geschrieben worden, die zeitlos und ortlos gedacht worden wäre. Autoren, die gleichsam für einen Cartesianisch unbeteiligten Leser schreiben, die sich also selber in die Position eines außer der Welt hockenden Wesens hinein versetzten, wird es wohl immer wieder geben. Metaphysik ist unvermeidlich. Sie will etwas Endgültiges sagen, das unabhängig von Raum und Zeit gilt. Ablehnung ihrer Zeitgenossen erträgt sie, auf Zustimmung ist sie ihrem Selbstverständnis nach nicht angewiesen. Sie wendet sich nicht an das vergängliche Hier und Jetzt. Hermeneutik freilich, die behauptet, Metaphysik besser zu verstehen, als sie sich selber versteht, wird dann als Angriff aufgefasst – und das zu recht. Die Metaphysik erfüllt die Funktion einer Fluchtburg, seien ihre Mauern und Palisaden nun die klassischen metaphysischen Begriffe wie Gott und unsterbliche Seele oder eben angebliche Fakten der empirischen, positiven Wissenschaften. Die Hermeneutik aber schleift diese Befestigungen: „Die Interpretation ist wie ein Virus, das alles infiziert, womit es in Berührung kommt.“6 Hinter den vorgeblich zeitlosen Wahrheiten der Metaphysik bzw. den vermeintlich unbezweifelbaren Tatsachen der positiven Wissenschaften verbergen sich sehr wandelbare irdische Interessen. Und so begreift die Hermeneutik Metaphysik auch als Sprechakt und muss mühsam die Diskurse rekonstruieren, die die Metaphysik führt, um die jeweiligen Absichten der jeweiligen Autoren ermitteln zu können. Diese Mühe kann man sich bei den paulinischen Briefen sparen. Paulus war kein Metaphysiker, sondern vielmehr ein Meister des semantischen Ausnahmezustands. In seinen Briefen bearbeitete er die als selbstverständlich scheinenden Bedeutungen zentraler Begriffe seiner Zeit, die das Selbstverständnis der diversen Strömungen im Judentum und der frühen christlichen Gemeinden prägten, und zwar so, dass neue Bedeutungen an ihre Stelle treten konnten. Dabei kam ihm zustatten, dass das jeweilige Selbstverständnis weder im Judentum noch in den frühen christlichen Gemeinden tatsächlich so selbstverständlich war. In Konkurrenz mit Anderen war Paulus darum 6

Vattimo, Gianni: Christentum im Zeitalter der Interpretation, Wien 2004, S. 19.

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auch gleichzeitig bemüht, eine Interpretationsgemeinschaft zu organisieren, in der sich seine neue Semantik als Konvention etablieren konnte. Die Dekonstruktion einer alten Semantik und die Konstruktion eines neuen konventionellen Rahmens, d. h. einer Interpretationsgemeinschaft, kann nur sprachlich geleistet werden. Alle institutionellen Objekte und Fakten sind, wie John R. Searle zeigt, nicht auf außersprachliches Sein reduzierbar, sie sind nur als allgemein anerkannte Sprachspiele da. Die Veränderung der Semantik eines oder mehrerer Begriffe kann nun freilich auch im Rahmen einer schon bestehenden Konvention geschehen, ohne dass deren allgemeine Anerkennung in Frage gestellt werden müsste. Tatsächlich geschieht das tagtäglich, ohne dass es uns besonders auffiele. Aber wer die Veränderung des Konventionellen zu unternehmen gedenkt, kann sich nicht darauf beschränken, es einfach nur abzulehnen oder sich ihm nur zu entziehen. Wer nicht in der Isolation enden will, muss auf einen Verstehenshorizont zielen, in den die Konvention sich ihrerseits einfügt, und den Searle Background nennt.7 Darum ermahnt Paulus nicht nur seine Gemeinden und schimpft, umwirbt, klagt, macht lächerlich, parodiert und anderes mehr, er verblüfft sie auch immer wieder, indem er das scheinbar Selbstverständliche auf den Kopf stellt. Eine einheitliche, systematische Theologie wird man bei Paulus vergeblich suchen. Es ist m. E. auch nicht möglich, einen zentralen Gedanken bei Paulus zu identifizieren, von dem sich alles andere her einordnen und verstehen ließe, sondern nur eine zentrale Absicht: die Gründung von Gemeinden als neuer Interpretationsgemeinschaft, die aber dem Judentum verpflichtet bleibt. Searle zeigt am Beispiel der surrealistischen Malerei, dass jeder Bruch mit einem Background diesen nicht nur voraussetzen muss, sondern auch aufhebt im Sinne von bewahren. „Notice the sheer intellectual effort it takes to break with our Background. Surrealist painters tried to do this, but even in a surrealist painting, the three-headed woman is still a woman, and the drooping watch is still a watch, and those crazy objects are still objects against a horizon, with a sky and a foreground.“8 Dabei können sich aber auch neue, vom Interpreten gar nicht intendierte Horizonte eröffnen, worauf J. G. A. Pocock im Hinblick auf die politische Ideengeschichte hinweist: „We may therefore define the verbal innovation as one which suggests, and according to its power imposes, some change in the rules or conventions of political language: it may propose an alteration in value signs, a treatment of that which was bad is now good or vice versa; or it may propose to remove the discussion of a term or problem from the language context, in which it has been conventionally discussed into some other context itself known but not hitherto considered appropriate to this discussion. (…) (A)nd since those who answer an adversary must do so by accepting his language and presuppositions, even as a prelude to debating and denying their acceptability, a sufficiently resonant or scandalous innovator necessarily succeeds in imposing new languages

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Searle, John R.: The Construction of Social Reality, Penguin Books 1996. Ebenda, S. 134.

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and new rules of the language game, though often in ways not congruent with his intention.“9 Der Background des Paulus ist sein zeitgenössisches Judentum und die vielfältigen Vorstellungen, die es ausgebildet hat, inklusive jener der Jesusjüngerschaft. Für Paulus gibt es kein alternatives Jenseits von der Interpretationsgemeinschaft des Judentums, sondern nur die Möglichkeit der Hineinnahme in dieselbe, und zwar auf Grund der schon in der Abrahamstradition intendierten Öffnung des Judentums für die Völker. Mit anderen Worten: Die Unsicherheit darüber, was jüdische Identität ist, ist für Paulus eine im Judentum selbst ausgebildete Unsicherheit im Interesse der Integration der Heiden, und das macht für ihn jüdische Identität überhaupt erst aus. Darum, wegen der Inklusivität des von Paulus so verstandenen Judentums, konnte es in der Gestalt des Christentums zur erfolgreichen Herausforderung des römischen Imperiums werden. Die von einigen jüdischen Gruppen auch behauptete Exklusivität im Interesse jüdischer Identitätssicherung eröffnete dem Judentum zur Zeit des Paulus dagegen zwei andere, wenngleich auch völlig konträre Strategien: auf der einen Seite friedliche Koexistenz mit Rom, auf der anderen Seite die sich immer wieder als katastrophal herausstellende Entscheidung für den bewaffneten Aufstand. Die doppelte Frontstellung gegen die römische imperiale Propaganda auf der einen und ein sich als exklusiv verstehendes Judentum auf der anderen Seite macht nun formal die politische Brisanz der paulinischen Briefe aus. Sowohl Rom als auch Paulus ging es ums Ganze. Aber die paulinische Strategie wandte sich nicht nur gegen Rom. Inhaltlich forderte Paulus das römische Imperium heraus, indem er der imperialen kaiserlichen Propaganda den von den Römern gekreuzigten Christus gegenüberstellte. Das machte freilich die Theologie bzw. Christologie der Evangelien auch. Aber Paulus radikalisierte das, indem er in der Identifizierung des Auferstanden mit der Gemeinde zugleich die Dichotomie der Metaphysik – Gott im Himmel und wir in der Welt –, bzw. der Apokalyptik – heute Rom, aber dann der kommende oder wiederkommende Messias –, überwandt. Seine Verkündigung wurde damit offen Politik, nämlich Organisation von Widerstand durch Aufbau einer Gegengesellschaft, die eine neue, eine kritische Semantik trug und zugleich von ihr getragen wurde. Das Schweben des Paulus, das in der Paulusforschung immer wieder thematisiert wird, die Unentschiedenheit zwischen ganzheitlichem und dualistischem Menschenbild, zwischen präsentischer und futurischer Eschatologie usw., dient damit der Abwehr von Metaphysik. Mit dieser Strategie verhinderte Paulus, dass er metaphysisch ausgelegt werden kann. So entzieht er sich aber nicht nur der immer wieder versuchten politischen Vereinnahmung durch die Konservativen, sondern auch der Inanspruchnahme durch die apokalyptisch-messianisch argumentierenden Linken. Es gebe kein richtiges Leben im falschen, heißt es etwa bei Adorno.10 Aber aus welcher Perspektive erkennt er das? Für Adorno ist das die Perspektive des Messias. Der Messias erscheint bei 9 10

Pocock, S. 101 f. Adorno, Theodor W.: Minima Moralia, Ffm 1986, S. 42.

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Adorno buchstäblich erst am Ende, aber auch da nicht wirklich.11 Adornos Philosophie ist Apokalyptik, die es sich zum Ziel setzt, sich über alles, und zuletzt auch über sich selbst, zu enttäuschen – Hegel hätte es unglückliches Bewusstsein genannt.12 Für Paulus dagegen fällt vom gekreuzigten Christus aus, und damit von einem historischen Ereignis und nicht vom Ende der Geschichte her, ein Licht auf die Gegenwart, und daraus erwächst für ihn die Möglichkeit, aber auch die Verpflichtung, sich dem Leben zuzuwenden – und sich gerade nicht auszurichten auf ein Jenseits, ein Innen oder ein Ende. Dieses In-der-Welt-Sein-und-Bleiben ist für Paulus im eigentlichen Sinne jüdisches Leben im Unterschied zur „Weisheit der Welt“ (1. Kor 1, 20), die eine Weisheit ist, die die Welt gerade nicht mehr im Blick hat, sondern eine Überwelt, oder, um es mit Nietzsche zu sagen, eine Hinterwelt. Die Weisheit der Welt ist recht eigentlich weltlose Weisheit wie die Stoa, über die Hellfried Dahlmann schreibt: „Seneca, Lucan und Persius führt die ihnen gemeinsame Weltanschauung der Stoa, als für sie eine Verbindung von Stoa und Rom unmöglich wurde, in eine andere Welt, wo Zeit und Rom, wo das Walten der Fortuna keinen Platz mehr haben. Sie werden zu Verkündern eines transzendenten Ideals sittlicher Vollendung, der Bildung wahren Menschentums in einer zeitlosen Sphäre von ewiger Gültigkeit.“13 Die Weisheit Gottes dagegen ist Weltweisheit, und als solche ist sie dann von Hause aus politisch. Diese Weltweisheit – und nicht die Weisheit der Welt – betrachtet immer nur die jeweils gegenwärtige Welt, an der sie ausschließlich interessiert ist, und die sie in der Verfasstheit ihres Selbstverständnisses nicht ernst nimmt – aber auch gerade darum wieder ernst nimmt, indem sie auf ihre Verwandlung hinwirkt. Mit Gegenwart ist hier nicht das punktuelle Jetzt gemeint, das unmittelbar vergeht, sondern das, was Heidegger Zeitlichkeit nennt, oder Existenz: also das Dasein, das aus dem Vergangenen in 11 Im letzten Abschnitt der Minima Moralia heißt es: „Philosophie, wie sie im Angesicht der Verzweiflung einzig noch zu verantworten ist, wäre der Versuch, alle Dinge so zu betrachten, wie sie vom Standpunkt der Erlösung aus sich darstellten. (…) Aber es ist auch das ganz Unmögliche, weil es einen Standort voraussetzt, der dem Bannkreis des Daseins, wäre es auch nur um ein Winziges, entrückt ist, während doch jede mögliche Erkenntnis nicht bloß dem was ist erst abgetrotzt werden muß, um verbindlich zu geraten, sondern eben darum selber auch mit der gleichen Entstelltheit und Bedürftigkeit geschlagen ist, der sie zu entrinnen vorhat“ (Adorno, S. 333 f.). 12 Über das unglückliche Bewusstsein schreibt Hegel: „Sein Denken als solche (sic) bleibt das gestaltlose Sausen des Glockengeläutes oder eine warme Nebelerfüllung, ein musikalisches Denken, das nicht zum Begriffe, der die einzige immanente gegenständliche Weise wäre, kommt. Es wird diesem unendlichen reinen innern Fühlen wohl sein Gegenstand, aber so eintretend, daß er nicht als begriffener, und darum als ein Fremdes eintritt. Es ist hiedurch die innerliche Bewegung des reinen Gemüts vorhanden, welches sich selbst, aber als die Entzweiung schmerzhaft fühlt; die Bewegung einer unendlichen Sehnsucht, welche die Gewißheit hat, daß ihr Wesen ein solches reines Gemüt ist, reines Denken, welches sich als Einzelheit denkt; daß sie von diesem Gegenstande ebendarum, weil er sich als Einzelheit denkt, erkannt und anerkannt wird. Zugleich aber ist dies Wesen das unerreichbare Jenseits, welches im Ergreifen entflieht oder vielmehr schon entflohen ist“ (Hegel, G. W. F.: Phänomenologie des Geistes, Hamburg 1952, S. 163 f.). 13 Dahlmann, Hellfried: Seneca und Rom (1942), in: Klein, Richard (Hrsg.): Prinzipat und Freiheit, Darmstadt 1969, S. 264.

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das Zukünftige hineinragt. Für Paulus war der Kontext seiner Existenz die Vielfalt der jüdischen Tradition, aber auch das römische Imperium, dessen neues Selbstverständnis sich in der imperialen Propaganda äußerte. Wer die Zukunft gewinnen will, darf nicht nur nicht der Vergangenheit verhaftet bleiben, er darf sich auch nicht ausschließlich auf die Zukunft ausrichten. Paulus glaubte wohl, dass seine jüdische Identität Vergangenheit, das Imperium dagegen Zukunft war. Seiner Vergangenheit gab er zwar keine Zukunft mehr, aber sie hinderte ihn gleichzeitig daran, sich der Zukunft des Imperiums auszuliefern. Auf der anderen Seite war auch die Zukunft des Imperiums noch an eine Vergangenheit gebunden, an die der Republik, und es war darum alles andere als selbstverständlich. Auch die Kaiser, zumindest jene der julisch-claudischen Dynastie, standen vor dem gleichen Problem wie Paulus: Ihre Propaganda hatte auch den Aufbau einer Interpretationsgemeinschaft zum Ziel, die einen Namen, nämlich den des Caesars, zu institutionalisieren suchte.14 Was ein Imperium ist, wissen wir heute, oder glauben es zu wissen, aber die Römer zur Zeit des Paulus wussten es nicht – nicht einmal die Kaiser der julisch-claudischen Familie wussten es. Denn die bisherigen Imperien waren Monarchien gewesen. Aber die römischen Kaiser, zumindest der julisch-claudischen Dynastie, waren dem augusteischen Erbe verpflichtet und durften de jure keine Monarchen sein, auch wenn sie die Rolle de facto doch spielen mussten. Und so wurde der kaiserlichen oder imperialen Propaganda auch nicht nur von Juden und Christen widersprochen. Sie war selbst innerhalb der führenden Kreise des römischen Imperiums, selbst innerhalb der kaiserlichen Familie, z. T. heftig umstritten. Was nun Paulus in diesen Auseinandersetzungen auszeichnet, ist, dass er nicht einfach unter Wahrung der Konvention eine Gegenpropaganda verfasste, sondern der imperialen Propaganda den metaphysischen Boden entzog. Das musste ihn dann aber auch zwangsläufig in Konflikt mit jenen Kreisen innerhalb der frühen Gemeinden der Jesusanhänger bringen, die zwar die imperiale Propaganda bekämpften, aber ihre metaphysischen Konventionen respektierten und für ihre eigenen Zwecke zu nutzen suchten. Das abendländische Denken ist spätestens seit Plato und Aristoteles, folgt man Heidegger, wesentlich Metaphysik. Es ist aber immer auch von einem anderen, um es mit den Worten des Philosophen Gianni Vattimo zu sagen, schwachen Denken begleitet worden: „Geprägt hatte ich diesen Begriff unter dem Eindruck einiger Seiten eines Aufsatzes von Carlo Augusto Viano, (…) und für mich bedeutet er nicht so sehr und nicht hauptsächlich die Idee eines Denkens, das sich seiner Grenzen stärker bewußt ist, das die Ansprüche der großen, globalen metaphysischen Visionen aufgibt usw., sondern vor allem eine Theorie, nach der Schwächung ein konstitutives Merkmal des Seins in der Epoche des Endes der Metaphysik ist.“15 Dem starken Denken 14 Institution ist im Sinne von Searle die allgemeine Anerkennung einer Konvention (z. B. in Entscheidungsprozessen), die es zulässt, zukünftiges Verhalten vorauszusagen und zu steuern. 15 Vattimo, Gianni: Glauben – Philosophieren. Stgt 1997, S. 27 f. (Vattimo bezieht sich hier u. a. auf Vianos Aufsatz La ragione, labbondanza e la credenza, in: Crisi della ragione, hrsg. von A. Gargani Turin 1979).

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der Metaphysik hat sich schon in der Antike ein anderes Denken entgegengestellt, als z. B. Platons Ideenlehre auf den Widerspruch der Sophistik und der Kyniker stieß.16 Dem Realismus der mittelalterlichen Philosophie stellte sich der Nominalismus entgegen. Im deutschen Kontext ist noch auf Hegels Kantkritik zu verweisen. Schließlich verkündeten Nietzsche und Heidegger das Ende der Metaphysik. Der hier vorgestellte Ansatz, Paulus zu interpretieren, hätte auch unter Berufung auf Hegel und Heidegger durchgeführt werden können, und es wird auch gelegentlich auf die beiden zurückgegriffen. Allein ihr Denken ist im kontinental-europäischen Rahmen, namentlich im deutschen Sprachraum, immer wieder metaphysisch eingeholt worden. Darum erschien es mir sinnvoller, vor der Befreiung des Paulus von der Metaphysik, d. h. von seiner Beanspruchung durch die Metaphysik, nicht auch noch die Befreiung Hegels und Heideggers zu unternehmen, sondern gleich auf jene Autoren zurückzugreifen, die eben der Metaphysik von Hause aus abhold sind.17 Es ist kein Zufall, dass in der politischen Ideengeschichte Metaphysik die traditionellen Verhältnisse zu stabilisieren sucht, und da wäre vor allen an Leo Strauss zu den16 Vattimo unterscheidet vor und nach Christus, d. h. er lässt das „schwache Denken“ erst mit dem Christentum einsetzen, Rorty sogar erst mit dem späten 18. Jahrhundert, als die Französische Revolution und die Romantik zusammengefallen seien. Vgl. Rorty/Vattimo: Die Zukunft der Religion, Ffm 2009, S. 76 bzw. S. 79. 17 Auf der anderen Seite ließe sich unter Berufung auf Hegel und Heidegger insbesondere gegenüber Searle zeigen, dass auch seine Unterscheidung zwischen brute facts und institutional facts eben eine Strategie darstellt, die nur im Hinblick auf die Konstruktion sozialer Wirklichkeit sinnvoll ist, aber im Rahmen einer Wissenschaftstheorie, die brute facts einfach nur hinnähme, nicht mehr genügte. Hegel und besonders Heidegger mit dem Pragmatismus etwa von John Dewey zu versöhnen, ein Anliegen Richard Rortys, hätte den Rahmen dieser Arbeit gesprengt. Aber wie sich die alte Metaphysik mit moderner Physik durchaus vereinbaren lässt, sofern die Gegenstände der Physik als brute facts anerkannt werden, zeigt Günter Ewald im Hinblick auf die Auferstehung, die dann auch als brute fact behauptet wird – bzw. die Möglichkeit, ein brute fact zu sein, wird ihr zumindest zugesprochen: „Mit einer Jenseitsperspektive braucht sie (die Theologie; Anm. M. E.) keinen Widerspruch zu einem kritisch-offenen physikalischen Weltbild zu befürchten und kann ihre Suche nach deren Darstellung mit superstringtheoretischen Denkmodellen verbinden, wenngleich nur hinsichtlich des Ermöglichungsrahmens und in ,diesseitiger Sicht“ (Ewald, Günter: Die Physik und das Jenseits. Zur naturwissenschaftlichen Denkmöglichkeit einer individuellen Fortexistenz nach dem Tod, in Kessler, Hans: Auferstehung der Toten. Ein Hoffnungsentwurf im Blick heutiger Wissenschaften. Darmstadt 2004, S. 147). Die Auferstehung ist bei Paulus ohne die Unterscheidung zwischen brute und institutional facts gar nicht zu verstehen, d. h. man kann nur auf der Basis dieser Unterscheidung zeigen, dass Paulus sie gerade nicht als brute fact versteht, und darum wird die von Searle gemachte Unterscheidung hier auch nur als ein Werkzeug der Interpretation verstanden, nicht als eine Seinsaussage. Darum greife ich auch nicht auf Searles jüngere Studie zurück, in der er eine Ontologie der sozialen Welt zu schreiben versucht (Searle, John R.: Making the Social World. The Structure of Human Civilization, New York 2010). Searle will hier zeigen, wie die brute facts bzw., wie er sie jetzt auch nennt, basic facts, er bezieht sich dabei auf die Gegenstände der modernen Teilchenphysik und der Evolutionsbiologie, und die soziale Wirklichkeit eben nicht zwei Welten, sondern eine Welt bilden. Dem ist aber entgegenzuhalten, dass es aus der Sicht der Hermeneutik nur einen brute fact gibt, wenn man den Begriff beibehalten will, nämlich dass das bewusste Sein von allem Seienden abstrahieren kann, aber nicht vom bewussten Sein.

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ken18, während dagegen die Metaphysikkritik diese Verhältnisse hinterfragt. Auch Paulus ist in der Geschichte seiner Rezeption sowohl als konservativ als auch als revolutionär ausgelegt worden. Einen gelungenen Überblick über die Paulusrezeption, angefangen beim Neuen Testament bis in unsere Tage, gibt das jüngst erschienene Buch von Robert Paul Seesengood.19 Lässt sich aber, gerade auch vom Standpunkt einer neo-pragmatischen Hermeneutik aus, hier überhaupt eine Entscheidung darüber fällen, wie Paulus verstanden werden wollte? Seesengood meint dazu: „Modern readers are perfectly free to read in any way they wish, with any agendas or biases or interests.“20 Da ist freilich mit Paulus einzuwenden: „Alles ist mir erlaubt; aber nicht alles ist zuträglich. Alles ist mir erlaubt; aber nichts soll Macht haben über mich“ (1. Kor 6, 12). Darum gilt: Ich reihe mich bei jenen ein, die in Paulus einen Vertreter des schwachen Denkens auszumachen glauben, und will dann natürlich das, was ich hier schreibe, auch als Sprechakt verstanden wissen. Dabei genügt es aber nicht, sich bei der Interpretation des Paulus alleine auf die gerade angesprochene Tradition des Pragmatismus zu berufen, die von Ludwig Wittgenstein aus denkt. Es gilt hier das jeweilige Vorverständnis vom Verstehenshorizont zu unterscheiden. Clifford Geertz bemerkt sehr zu Recht: „(T)he limits of my world are the limits of my language, which is not exactly what the man said. What he said, of course, was that the limits of my language are the limits of my world, which implies not that the reach of our minds, of what we can say, think, appreciate, and judge, is trapped within the borders of our society, our country, our class, or our time, but that the reach of our minds, the range of signs we can manage somehow to interpret, is what defines the intellectual, emotional, and

18 Ich beziehe mich hier besonders auf die Arbeiten von Matthias Bohlender, der Strauss als Vertreter des theoretischen Denkens z. B. Carl Schmitt gegenüberstellt, was er an beider Verhältnis zu Thomas Hobbes aufzeigt, und Harald Bluhm, der in seiner Studie über Strauss herausstellt, wie sehr dessen Ordnungsdenken die vorgeblich natürliche Ungleichhheit der Menschen zu rechtfertigen sucht (Bohlender, Matthias: Die Rhetorik des Politischen. Zur Kritik der politischen Theorie, Berlin 1995; Bluhm, Harald: Die Ordnung der Ordnung. Das politische Philosophieren von Leo Strauss, 2. Aufl. Berlin 2007). So schreibt Bluhm: „Politisch läuft dieser Ansatz auf eine scharfe Attacke gegen die Gleichheitsvorstellungen in der Moderne und eine Verteidigung von Ungleichheit mittels antiker Autoren hinaus“ (S. 21). Bohlender betrachtet dabei Strauss auch als einen Rhetoriker, d. h. für ihn ist die Theorie letztlich auch nur Rhetorik: „Das eigentümliche Verhältnis von Sprecher – Sprache – Auditorium übersetzte sich bei Leo Strauss in multiple politische Philosophien, obgleich es seine Ursprungsintention war, eine einzige politische Phiolosophie zu behaupten. Der Philosoph, der sich mit anderen Philosophen philosophisch über die Welt verständigt, wurde zum Rhetor und Intellektuellen in dem Moment, als er gegenüber der politischen Gemeinschaft (Staat, Bürger) seine Lebensform zu rechtfertigen hatte. Dieser Zwang zur Rhetorik, zu einer politischen Sprache der (Selbst-) Rechtfertigung und Anerkennung zerbrach den monolithischen Block einer einzigen ,Politischen Philosophie und setzte die Probleme der Rhetorisierung wieder frei: Wer spricht? Mit welcher Sprache? Zu welchem Auditorium?“ (S. 229). 19 Seesengood, Robert Paul: Paul. A Brief History, Chichester and Oxford, 2010. 20 Ebenda, S. 25.

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moral space within we live.“21 Mit anderen Worten: Meine Sprache ist nicht wirklich meine Sprache, sondern ein allgemeines, aber eben darum auch ein gesellschaftlich vermitteltes Medium, das mich nicht nur limitiert, sondern über das ich nur verfüge, sofern ich mich ihm unterordne, indem ich also mitspiele. Das wusste freilich auch der späte Wittgenstein, auf den Geertz sich hier gerade nicht bezieht22, und der die Möglichkeit einer Privatsprache explizit nicht anerkannte.23 Die Regeln der Sprachspiele kann man als Einzelner verletzen, ändern kann man sie nur, wenn man mit Anderen Übereinkunft über die Veränderung erreicht, wie es auch Searle betont. Um solche Übereinkünfte rang Paulus mit den Adressaten seiner Briefe in der Sprache, die freilich durch seine Welt limitiert war. Wir verstehen ihn dabei aber vielleicht besser, wenn wir nicht so sehr darauf achten, was er sagt, sondern wie er es sagt. Die vermeintlich ewigen Wahrheiten der Metaphysik, ihre Inhalte, sind im Wandel der Konventionen sehr vergänglich, im Unterschied zur Rhetorik und ihren Stilmitteln, mit denen sie der Metaphysik begegnet. Hier erweist sich auch die Weisheit als Torheit und die vermeintliche Torheit als Weisheit (1. Kor 1, 20). Platon hat das noch gewusst und sein Denken im Dialog nicht nur entwickelt, sondern auch dargestellt. Es wird also bestritten, dass Paulus eine Theologie schuf, die er metaphysisch abgesichert hätte. Metaphysik mag zwar auch Glaubensgemeinschaften zusammenführen, aber nur exklusive. Andererseits führt sie in die paradoxe Situation der individualisierten Glaubensgemeinschaften, in denen sich jeder einrichten darf, sofern er seine fides im Rahmen der allgemeinen confessio für sich behält, so wie Thomas Hobbes es in seinem Leviathan für den absolutistischen Staat vorsah. Solche Glaubensgemeinschaften sind um des lieben Friedens Willen notwendig hierarchisiert. Charles Taylor versteht Säkularisierung nur als Zersplitterung des metaphysischen Denkens in die jeweils individuellen Vorstellungen und Vorlieben, und als römischer Katholik betrachtet er diese Entwicklung auch nicht primär als Bedrohung. An die Stelle der Lehre der Kirche trete ein Bedürfnis nach fullness, die unterschiedlich empfunden werden könne: „the presence of God, or the voice of nature, or the force which flows through everything, or the alignement in us of desire and the drive to form.“24 Aber Taylor sieht auch die Gefahr, die dieser Säkularisierung innewohnt: „Again, ,finding out about oneself, expressing oneself, discovering ones own way of ,becoming all that one can … be, is opposed to ,denying or sacrifying oneself for the sake of a super-self order of things even … living by reference to such an order. But this contrast cant be considered exhaustive. The first term could be seen as a definition of the contemporary ethic of authenticity; the second invokes ones view of what is supremely important in life. The question set in the first can initiate a quest, and this can end in the second as an answer. Nothing guarantees this, but nothing en21

Geertz, Clifford: Available Light. Anthropological Reflections on Philosophical Topics, Princeton 2000, S. 77. 22 Wittgenstein, Ludwig: Tractatus logico-philosophicus. Logisch-philosophische Abhandlungen (5.6), Ffm 1977, S. 89. 23 Wittgenstein, Ludwig: Philosophische Untersuchungen (243 ff), Ffm 2003, S. 145 ff. 24 Taylor, Charles: A Secular Age, Cambridge Massachusetts und London 2007, S. 6.

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sures its opposite either.“25 Karsten Fischer teilt in seiner zwei Jahre nach Taylors Buch erschienenen Studie Die Zukunft einer Provokation die gleichen Befürchtungen, unterstreicht aber unter Berufung auf Ernst-Wolfgang Böckenförde, der den liberalen Rechtsstaat vor dem Dilemma sieht, die Grundlagen, die ihn ermöglichten, nicht selber garantieren zu können26, die bleibende Bedeutung der Religion: „Zumal angesichts des Böckenförde-Paradoxes profitiert der liberale Staat davon, daß die knappe und ihm unverfügbare Ressource ,Sinn außerhalb seiner selbst reproduziert und über Transzendenz codiert wird. Die Religion wiederum profitiert davon, daß die Machtfrage im politischen System behandelt und rechtlich begrenzt wird. Auf diese Weise genießt sie rechtsstaatlichen Schutz vor politischer Verfolgung und den Prätentionen totalitärer politischer Religionen und bleibt frei von dysfunktionalen Versuch(ung)en, das eigene Medium des Glaubens mit dem politischen Medium Macht kurzzuschließen oder zu verwechseln.“27 Demgegenüber erklärt Vattimo unumwunden: „Im Allgemeinen benötigt eine demokratische Regierungsform ein nicht-metaphysisches Verständnis von Wahrheit, da sie sich andernfalls sofort in ein autoritäres Regime verwandelt.“28 Dem Säkularisierungsverständnis Taylors, der die Säkularisierung als einen mehr oder weniger selbstlaufenden Prozess versteht, steht die Auffassung gegenüber, dass sie Befreiung, und zwar Befreiung von Metaphysik, sei, die die Geschichte nicht schenke, sondern die gegen die Metaphysik erkämpft und behauptet werden müsse. Diese Befreiung ruft die Einzelnen zur Übereinkunft auf – hier sei an die berühmte Stelle in der Vorrede zur Phänomenologie des Geistes erinnert, in der Hegel der Schleiermacherschen Metaphysik den Kampf ansagt: „Indem jener sich auf das Gefühl, sein inwendiges Orakel beruft, ist er gegen den, der nicht übereinstimmt, fertig; er muß erklären, daß er dem weiter nichts zu sagen habe, der nicht dasselbe in sich finde und fühle; – mit anderen Worten, er tritt die Wurzel der Humanität mit Füßen. Denn die Natur dieser ist, auf die Übereinkunft mit anderen zu dringen, und ihre Existenz nur in der zustande gebrachten Gemeinsamkeit der Bewusstsein(e).“29 Stattdessen gestattet es die Metaphysik, dass sich der Einzelne auf Positionen zurückzieht, deren Anerkennung er von den An25

Ebenda, S. 509. Böckenförde, E.-W.: Die Entstehung des Staates als Vorgang der Säkularisation, in: Böckenförde, E.-W.: Recht, Staat, Freiheit. Studien zur Rechtsphilosophie, Staatstheorie und Verfassungsgeschichte, Ffm 1991, S. 92 ff. 27 Fischer, Karsten: Die Zukunft einer Provokation. Religion im liberalen Staat, Berlin 2009, S. 52. 28 Vattimo, (2004), S. 26. 29 Hegel (1952), S. 56. Hegel greift das in seiner. Rechtsphilosophie im § 270 wieder auf. So wie der Marxismus als ein Kommentar zu den §§ 243 ff verstanden werden kann (Schmitt, Carl: Die geschichtliche Struktur des heutigen Welt-Gegensatzes von Ost und West. Bemerkungen zu Ernst Jüngers Schrift: „Der Gordische Knoten“. in: Freundschaftliche Begegnungen. Festschrift für Ernst Jünger zum 60. Geburtstag, Frankfurt a.M. 1955, S.164.) und Schmitt seine Überlegungen zu Land und Meer als Kommentar zum § 247 verstanden wissen wollte, so kann man meine Ausführungen über Paulus durchaus auch als einen Kommentar zum § 270 der Hegelschen Rechtsphilosophie betrachten. 26

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deren nur erbeten, nötigenfalls erzwingen, aber niemals argumentativ erreichen kann. Aber dabei kann er sich nicht auf Paulus berufen, weil Paulus schon das Judentum und entsprechend die eigenen Gemeinden nicht als exklusive Gemeinschaften versteht, die sich um ein metaphysisches Wissen zu sammeln hätten. Paulus kann nicht metaphysisch interpretiert werden, und es darf auch niemandem widerstandslos gestattet werden, ihn in den Dienst irgendeiner Metaphysik zu stellen. Vielmehr muss er dort, wo es geschieht, aus dieser Verstrickung wieder befreit werden. Dieser Befreiungsakt ist dann zugleich aber auch eine Befreiung der Befreier selbst insofern, als die Paulusforschung damit das Projekt des Paulus fortsetzt und den semantischen Ausnahmezustand gegenüber dem metaphysischen Denken immer wieder aufs Neue erklärt. Damit wird die Freiheit im Sinne des Paulus politisch. Freilich mangelt es dem Neopragmatismus an Einsicht in das Verständnis des Politischen. Er bedarf also dringend einer politischen Anreicherung. Rorty und Vattimo etwa wollen an die Stelle der Metaphysik die Liebe setzen. Rorty spricht an anderer Stelle auch weniger pathetisch von Solidarität.30 Hier scheint auf den ersten Blick eine Nähe zu Paulus auf, denkt man etwa an sein Hohes Lied der Liebe in 1. Kor 13, aber nur scheinbar. Im Vergleich zu Paulus argumentieren Rorty und Vattimo sentimental. Und dass nicht die Liebe, sondern das Politische das Totale ist, wissen wir mit Carl Schmitt nicht erst seit 193331, sondern mit Goethe schon seit 1808.32 Paulus wusste es auch, wenngleich er sein Wissen auch anders formulierte. Das Politische gilt es also zunächst auch als Handlung, und zwar wesentlich als Sprechakt, zu verstehen. Das Politische ist eine Kommunikation zwischen verschiedenen sich auch widersprechenden, sich aber dennoch gegenseitig bedürfenden Funktionen der Macht. Darum setze ich ideengeschichtlich ein und betrachte zunächst das Problem, das Carl Schmitt den Zugang zum Machthaber genannt hat, das Problem zwischen Erstem und Zweiten in jeder Machtpyramide, das schlechthin die Überlebensfrage größerer politischer Verbände ist. Dem schließt sich eine Überlegung an, wie das Alte Testament das Problem Macht reflektiert. Wenn später Paulus 30 Auf die Liebe verweisen beide in: Rorty/Vattimo S. 68; vgl. Vattimo, Gianni: Glauben – Philosophieren a.a.O. S. 65 ff.; der Begriff der Solidarität steht bei Rorty im Mittelpunkt in: Kontingenz, Ironie und Solidarität. Ffm 1989. 31 „Inzwischen haben wir das Politische als das Totale erkannt und wissen infolgedessen auch, daß die Entscheidung darüber, ob etwas unpolitisch ist, immer eine politische Entscheidung bedeutet, gleichgültig wer sie trifft und mit welchen Beweisgründen sie sich umkleidet“ (Schmitt, Carl: Politische Theologie. Vier Kapitel zur Lehre von der Souveränität. 3. Aufl. Berlin 1979. Vorwort zur 2. Aufl. im November 1933). 32 Der Begriff des Schicksals wird von Goethe in Erinnerung an eine von ihm wohl als schicksalhaft empfundene Begegnung mit Napoleon reflektiert. Am 2. Oktober 1808 empfing Bonaparte Goethe in Erfurt. Die Räumlichkeiten, der Saal der Audienz, waren dem Dichter wohlbekannt, denn Erfurt hatte zu Weimar gehört. Man spricht über das französische Theater und über den Werther, den Napoleon zu kennen vorgibt. Der möchte von Goethe wissen, ob er auch Schicksalsstücke schreibe. Der Kaiser fügt aber gleich hinzu, er möge sie nicht: „Was will (…) man jetzt mit dem Schicksal, die Politik ist das Schicksal“ (Goethe, Johann Wolfgang von: Dichtung und Wahrheit, in: Werke B.10, München 1982, S. 546).

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als jüdischer Denker vorgestellt wird, ist es ja unerlässlich, seine Verankerung in der alttestamentlichen Tradition zu verorten. In dieser Tradition wird das Machtproblem aus der Perspektive einer Kultur verhandelt, die den sie umgebenden Großmächten weitgehend ausgeliefert war, und die ihren Gott darum stets auch mit dem Problem konfrontiert sah, dass seine Macht gefährdet war, und der sich darum um die Zustimmung seiner ihm Unterworfenen bemühen musste. Von diesem Machtdiskurs fällt dann ein bezeichnendes Licht auf die Machtverhältnisse, die Israel um den Preis seines Überlebens verstehen musste. Im Alten Testament ist die Macht nicht auf den Ersten und den Zweiten, wie bei Schmitt, reduzierbar, die Dritten, d. h. die Machtunterworfenen, treten hier in den Blick. Damit wird aber die Macht nicht wie bei Schmitt aus der Perspektive des Oben, des Ersten, sondern aus der Perspektive des Unten, also, wenn man so will, aus der Perspektive der Letzten, der schatoi, betrachtet. Im nächsten Schritt wird die Problematik des Verhältnisses zwischen Erstem und Zweitem dann am Beispiel der Verfassung der frühen Kaiserzeit in Rom anschaulich gemacht. Dies bildet dann den Kontext für eine Interpretation der kaiserlichen Macht in der Auferstehungsvorstellung der Evangelien. Abschließend wird gezeigt, wie Paulus sich von dieser Vorstellung, die er kannte, in deren Tradition er auch dachte, die ihm freilich noch nicht in der literarischen Form der uns bekannten Evangelien vorlag, abgrenzte und sie neu interpretierte. Was ich hier vorlege, verstehe ich als einen Beitrag zur politischen Ideengeschichte. Die Idee, die im Mittelpunkt steht, ist die Idee der Auferstehung. Es wird also ein theologisches Thema betrachtet, aber von außen, also nicht theologisch. Damit wird die Bibel zur Literatur. Gott und Christus sind literarische Gestalten. Der Kanon wird als Interpretationsrahmen nicht akzeptiert.33 Politische Ideengeschichte ist aber wiederum nicht als Geschichte politischer Ideen zu verstehen. Ideen sind keine Entitäten, die die Vernunft zu erkennen hätte oder denen sie sich anzunähern vermöchte (Platonismus). Es wird auch keine Entwicklung von Ideen behauptet, also dass Ideen keimhaft im primitiven Denken 33 Damit lernt die biblische Exegese aber nur, was die Historiographie von der biblischen Exegese selber hat lernen müssen, folgt man R. G. Collingwood, der 1926 schrieb: „The peculiar treatment which narrative demands is generally called by such names as higher criticism, Quellenkritik, and so forth. Avery remarkable and almost unique example is to be found in the present state of New Testament criticism, which has been undertaken with the deliberate intention of testing with the utmost possible rigour the trustworthiness of those narratives on whose truth Christianity stakes its hope of human happiness and salvation. (…) (T)he theologians have by no means adopted a weapon which others had prepared, but have gone ahead of historians in the sphere of historical technique. It is safe to say that nowadays the average professional historian is far less critical in his attitude to Herodotus than the average professional theologian in his attitude to St Mark“. (Collingwood, R.G.: The Idea of History, Oxford 1994, S. 387 f.). Heute, wenn es nicht um die großen Erzählungen, sondern um die großen Debatten geht, von denen die Paulusbriefe zeugen, führen die Ideengeschichtler die Waffen, die die Theologie einst besser zu nutzen verstand als die Historiker, besser, als es die biblischen Exegeten vermögen, und sie verhalten sich gegenüber den neutestamentlichen Texten weniger kritisch als die Ideengeschichtler gegenüber Machivelli oder Hobbes. Damit werden sie der frühchristlichen Debatte und ihren Protagonisten aber nicht gerecht.

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schon enthalten seien und sich dann in einer Ideengeschichte offenbarten. Für die neopragmatische Hermeneutik gibt es eigentlich keine Ideengeschichte, sondern nur die Geschichte des Gebrauchs von Ideen. Ideen werden aber nicht nur im Rahmen wechselnder Konventionen gebraucht, denn auch die Konventionen sind nicht unabhängiges, vorgängiges Sein, sondern werden vereinbart. Die Art und Weise, wie diese Vereinbarungen getroffen, vorgegeben und akzeptiert werden, ist die Offenbarung von Macht, die sich als Schicksal, als normative Kraft des Faktischen, als Metaphysik zu tarnen sucht. Der Epheserbrief nennt diese Offenbarung von Macht den „Fürsten der Lüfte (…), der jetzt noch wirksam ist in den Söhnen und Töchtern des Ungehorsams“ (Eph 2, 2). Ideen werden aber auch gebraucht, um bestehende Konventionen zum Einsturz zu bringen. Wird Paulus aus dem Kontext des biblischen Kanons gelöst und in den Kontext der Debatte über das imperiale Selbstverständnis Roms gestellt, dann wird eine Konvention missachtet, an die sich die Theologie zu halten hat. Dann lässt sich aber m. E. zeigen, dass die Gegner des Paulus nicht außerhalb des Kanons zu verorten sind, also etwa judaistische Missionare in den christlichen Gemeinden oder frühe Gnostiker waren, sondern dass seine schärfsten Gegner sich im Rahmen des Kanons befinden. Umgekehrt lässt sich freilich dann auch sagen, dass Paulus ihr schärfster Kritiker war. Theologie wird nicht von außen bedroht, etwa durch Atheismus. Theologie und Atheismus teilen vielmehr die gleiche metaphysische Grundlage und bestätigen sich so gegenseitig, indem sie sich negieren. Sie bedürfen einander. Christliche Theologie dagegen, die auf der Bibel beruht, trägt den Keim ihres Niedergangs in sich. Darin ist sie analog zu jeder imperialen Macht, die auch nicht mehr von Außen bedroht wird, sondern von innen her erodiert, zu verstehen. Von daher ist es kein Wunder, dass sich imperiales Denken immer wieder theologisch absichert und sich umgekehrt die Theologie immer wieder für imperiale Zwecke einspannen lässt.34 Darum darf bezweifelt werden, dass es eine politische Theologie im Sinne einer Emanzipationsbewegung überhaupt geben kann. Erst die Befreiung des Paulus aus der theologischen Umklammerung ist dann die Voraussetzung dafür, auch Paulus als einen Apostel der Freiheit wahrzunehmen.

34 Vgl. Rieger, Jörg: Christus und das Imperium. Von Paulus bis zum Postkolonialismus, Berlin 2009.

A. Macht I. Paulus und die Evangelien Im Neuen Testament liebt es besonders das Lukasevangelium, große Umkehrungen anzukündigen. Das Oberste werde zum Untersten werden und umgekehrt. Wer sich selbst erhöhe, werde erniedrigt werden, und wer sich selbst erniedrige, werde erhöht werden (Lk 14, 11 und Lk 18, 14). In der ihm eigenen psychologischen Klarsicht hat Nietzsche diese Stellen verbessern wollen: Wer sich selbst erniedrige, wolle erhöht werden.35 Überträgt man diesen Gedanken Nietzsches auf eine andere Bibelstelle, ließe sie sich so lesen: Die Letzten wollen die Ersten sein (Mt 19, 30). Und tatsächlich sind die Evangelien Dokumente einer politischen Theologie, die in diesem Sinne gegen den Kaiserkult gerichtet ist. Schon das Wort euangelion ist, im semantischen Kontext der damaligen Zeit verstanden, ein Angriff auf das kaiserliche Selbstverständnis, bezeichnet es doch die Nachricht der Thronerhebung eines neuen Potentaten bzw. der Geburt eines Thronerben.36 Besonders die Geburtsgeschichten Jesu im Matthäus- und im Lukasevangelium fordern die offizielle römische Kaisertheologie heraus: Anstelle der Mächtigen in Rom werden die Hirten, das sind in der Antike die nicht einmal im unmittelbaren Bereich des städtischen Haushalts arbeitenden Sklaven, Zeugen des Geschehens, das die Umkehr hervorrufen wird, die das Magnificat des Lukasevangeliums ankündigt. Das Oberste werde zum Untersten, und die erhöhten Untersten erführen den Frieden der basilea tn ourann, des wirklichen Imperiums anstelle der angemaßten römischen Herrschaft: „Mächtige hat er vom Thron gestürzt und Niedrige erhöht. Hungrige hat er gesättigt mit Gutem und Reiche leer ausgehen lassen“ (Lk 1, 52 f). Die Sprache der Evangelien ist die Sprache der kaiserlichen Propaganda, aber gegen die kaiserliche Propaganda gerichtet. Der Christus ist gegenüber dem Kaiser in Rom der wahre hegemn (Mat 2, 6). Doch indem die Evangelien, so sehr sie sich auch unterscheiden und ihre jeweils eigenen Akzente setzen, die Sprache der kaiserlichen Propaganda übernehmen, übernehmen sie auch ihre Denkmuster. Christus Jesus ist der Erste, und die Letzten müssen sich, bis zu seiner Wiederkunft zumindest, mit der Hoffnung, mit ihm zu den Ersten gezählt zu werden, zunächst begnügen. Sie 35

Nietzsche, Friedrich: Menschliches, Allzumenschliches. Ein Buch für freie Geister, Stgt 1978, S. 79. 36 Wenngleich auch eingeräumt werden muss, dass nur das Markusevangelium das Wort euangelon verwendet (Mk 1,1) und es später erst, wohl aber schon im ersten Jahrhundert, als literarischer Gattungsname verwendet wird; das Verb euangelzo (die frohe Botschaft verkünden) ist häufiger.

I. Paulus und die Evangelien

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stehen wie Soldaten im Felde. Die Offenbarung des Johannes schildert diese Kampfzeit. Doch in der Folge der imperialen Ausrichtung politischer Theologie stellen sich auch hier alle Probleme ein, der sich die imperiale Herrschaft des römischen Prinzipats und ihre Propagandisten gegenübergestellt sahen. Die Gesetze der Macht wollen auch in der Gegenpropaganda berücksichtigt werden, ansonsten wirkte sie nicht. Sie wiese sich selber als bedeutungslos aus und verfehlte dabei gerade ihre beabsichtigte Wirkung der politischen Mobilisierung. Panajotis Kondylis schreibt über diesen Sachverhalt: „Da Feinde wenigstens das Schlachtfeld teilen müssen, so muß auch jeder Machtanspruch mit den konkurrierenden auf gemeinsamem Boden stehen und sich erst auf diesem Boden, dem Boden der konkreten geschichtlichen Lage artikulieren.“37 Man ist versucht zu sagen, dass die Autoren der Evangelien nicht als wirklichkeitsfremd erscheinen durften, wobei freilich vergessen würde, dass nicht nur im ersten nachchristlichen Jahrhundert nicht klar gewesen sein dürfte, was unter Wirklichkeit zu verstehen war. Die Ebene der Wirklichkeit wird ja nicht objektiv festgestellt, sondern vereinbart. Ein Angriff im Feld der theologischen Semantik kann wirklicher sein als ein Vortrag in Nationalökonomie, auch wenn er sich auf vorgebliche Fakten oder Tatsachen stützt. Die neopragmatische Hermeneutik kennt so etwas wie eine sprachunabhängige Objektivität nicht. So gibt es also nicht nur eine Wirklichkeit. Jan Assmann schreibt dazu: „Die Menschen bewohnen nicht nur verschiedene Länder, sondern auch verschiedene Sinnwelten, und diese symbolischen Universen gewinnen sichtbare, dauerhafte und verpflichtende Form sowohl in den Institutionen der politischen Herrschaft als auch in denen der religiösen Ordnung. Je weiter man in der Zeit zurückgeht, desto schwerer wird es, zwischen religiösen und politischen Institutionen zu unterscheiden.“38 So ist davon auszugehen, dass im ersten nachchristlichen Jahrhundert viele Wirklichkeitsvorstellungen mit- bzw. gegeneinander bestanden. Sie bildeten die Kampfplätze, auf denen sich jene trafen, die um die Deutungshoheit des politischen Geschehens miteinander rangen. Die Schriften des Neuen Testaments sind wesentlich Kampfschriften im Ringen um eine Identität der frühen Gemeinden in Abgrenzung gegenüber dem Herrschaftsanspruch des römischen Imperiums. Sie lassen sich umso besser verstehen, wenn man sie nicht als symbolische Formen einer angeblich tatsachengetränkten Geschichtsschreibung gegenüberstellt. Was sich hier gegenübersteht, sind auf beiden Seiten symbolische Formen. Indem nun die Evangelien die Macht des Kaisers mit der Macht des Christus konfrontieren, reflektieren sie die Macht und ihre Funktionsweise. Und hier ist an erster Stelle zu bemerken, dass es in der Machtpyramide neben dem Ersten und den Letzten noch Zwischenstufen gibt, ohne die eine imperiale Herrschaft nicht bestehen kann. 37

Kondylis, Panajotis: Machtfragen. Ausgewählte Beiträge zu Politik und Gesellschaft, Darmstadt 2006, S. 150. 38 Assmann, Jan: Politische Theologie zwischen Ägypten und Israel. München 1992, S. 23.

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A. Macht

Das mussten auch die Evangelien berücksichtigen. Die wichtigste Zwischenstufe ist die Ebene des Zweiten. In den Evangelien übernimmt diese Rolle Simon Petrus. Es wird also zu zeigen sein, dass die Evangelien nicht nur den Ersten, Christus, und die Letzten, die Gemeinden, thematisieren, sondern dass es in allen vier kanonischen Evangelien auch darum geht, Petrus als den Zweiten, und damit überhaupt die Bedeutung eines Zweiten für den Ersten, zu behaupten. Das Johannesevangelium hat diese Bedeutung des Petrus zunächst wohl bestritten und konnte erst nach einer Überarbeitung als kanonisch anerkannt werden.39 In der Reflexion über die Rolle des Petrus erweisen sich die Evangelien darum nicht als naive messianische Träumereien, sondern im Gegenteil, es zeigt sich in ihnen ein sehr waches Verständnis für die politischen Gesetzmäßigkeiten, die zu beachten für die politisch Handelnden eine Frage von Sein oder Nichtsein ist. Dieser Theologie widersprechen die Briefe des Apostels Paulus, auch wenn sie natürlich vor den Evangelien datiert werden müssen.40 Aber die uns überlieferten Evangelien sind nur die literarischen Manifestationen einer Theologie, die Paulus sehr wohl kannte und gegen die er sich wandte, mit der er in seiner Missionsarbeit konkurrierte, namentlich in den beiden Korintherbriefen. Für gewöhnlich hat die neutestamentliche Exegese in den Gegnern des Paulus auch in den Korintherbriefen u. a. judaisierende Apostel gesehen, die in Verbindung mit der Urgemeinde in Jerusalem gestanden und in deren Namen gefordert hätten, die Heiden sollten erst in die Christusgemeinschaft aufgenommen werden, wenn sie zuvor Juden geworden seien.41 Die angelsächsische Forschung hat aber seit den Arbeiten von Krister Stendahl schlüssig gezeigt, dass Paulus nicht so verstanden werden kann, als habe er gegen das Judentum als solches polemisiert.42 So lässt sich m. E. auch vielmehr zeigen, dass seine Gegner, besonders jene in den Korintherbriefen, den Gekreuzigten in der Tradition der jüdischen Märtyrertheologie verkündigten, wie sie erstmals in der Zeit der Makkabäer vertreten worden ist, und die die Auferstehung Jesu darum nicht ohne leeres Grab und anschließende Himmelfahrt denken konnten. Ihnen zufolge ist der Erste im Himmel, und der Zweite führt für ihn stellvertretend das Regiment. Die Imperien, sowohl 39

Simon, Lutz: Petrus und der Lieblingsjünger im Johannesevangelium, Ffm 1994. Gerd Theißen freilich sieht den Grund für die Akzeptanz des Johannesevangeliums in Rom darin, dass es sich infolge seiner Identifizierung des Christus mit Gott selber gegen Markion richten ließ (Theißen, Gerd: Die Entstehung des Neuen Testaments als literaturgeschichtlichem Problem, Heidelberg 2007, S. 292). 40 Als echte Paulusbriefe gelten heute der Erste Thessalonicherbrief, der Galaterbrief, der Erste und der Zweite Korintherbrief, der Brief an Philemon, der Römerbrief und der Philipperbrief. Umstritten ist, welcher Brief der letzte Paulusbrief ist (Römerbrief oder Philipperbrief), wobei allgemein anerkannt wird, dass der Erste Thessalonicherbrief wohl das älteste Dokument des Neuen Testaments ist. 41 So Berger, Klaus: Die Urchristen. Gründerjahre einer Weltreligion, München 2008. Es habe in Korinth eine petrinische Tradition gegeben, die Berger mit judaisierenden Christen identifiziert. Anders Dieter Zeller, der Paulus nur in 1. Kor 3, 10 – 17 antijudaistsich argumentieren sieht (Zeller, Dieter: Der erste Brief an die Korinther, Göttingen 2010, S. 40). 42 Stendahl, Krister: Paul Among Jews and Gentile. And Other Essays, Minneapolis 1976.

I. Paulus und die Evangelien

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das römische als auch das himmlische der Märtyrertheologie, sind hierarchisiert. Die Christologie des Paulus ist dagegen eine andere: Christus ist nicht im Himmel, sondern die Gemeinde, die er mit dem politischen Begriff für die Volksversammlung der plis als ekklesa bezeichnet43, ist der Leib des auferstandenen Christus (1. Kor 12, 12 ff und Röm 12, 4 f). In ihm ist keine Hierarchie, weder eine der Ämter noch eine der Herkunft oder des Geschlechts: „Da ist weder Jude noch Grieche, da ist weder Sklave noch Freier, da ist nicht Mann und Frau. Denn ihr alle seid eins in Christus Jesus“ (pntes gr hymes hes este en christ jesoffl; Gal 3, 28 f). So kann das Neue Testament als ein kontroverser Imperiumsdiskurs, als eine Reflexion über imperiale Politik und deren Folgen für das Selbstverständnis der Kirche verstanden werden. Auf der einen Seite wird das prekäre Verhältnis zwischen Erstem und Zweitem beleuchtet und auf das himmlische Imperium, dessen Bürgerrecht die Gemeinden schon zu besitzen glauben, übertragen, während auf der anderen Seite eine hierarchisierte Verfassung der Christusgemeinschaft, die erst das Problem der Rollenverteilung und gegenseitigen Akzeptanz von Erstem und Zweitem hervorbringt, nicht anerkannt wird. Es wird hier also unterstellt, dass die Gegner des Paulus, besonders in Korinth, sich nicht so sehr auf Jerusalem beriefen als vielmehr auf Antiochien, der Heimatgemeinde der petrinischen Tradition im Urchristentum. Es hat früh eine Gemeinde im syrischen Antiochien gegeben, von der wir annehmen, dass von ihr die Heidenmission ausgegangen ist. Die Jerusalemer Gemeinde dagegen war wohl rein judenchristlich. Es ist fraglich, ob sie überhaupt die Urgemeinde gewesen ist, und ob die Jesusjüngerschaft ihren Anfang nicht in Galliläa gehabt hat. Sie spielt darum auch meines Erachtens nicht die Rolle, die ihr z. B. in der Apostelgeschichte zugewiesen wird. Der Autor der Apostelgeschichte hatte das Interesse, den Konflikt zwischen Paulus und Antiochien herunterzuspielen, denn beide Traditionen bildeten im ausgehenden ersten nachchristlichen Jahrhundert den Rahmen, in dem sich das frühe Christentum entwickelte. Darum mussten zur Zeit der Abfassung der Apostelgeschichte die früheren Konflikte entschärft und beide Traditionen miteinander harmonisiert werden. Die Jerusalemer Gemeinde war da schon Geschichte. Sie bestand vielleicht sogar schon vor der Zerstörung Jerusalems durch Titus im Jahre 70 n. Chr. nicht mehr. Das frühe Christentum war in der Zeit des Paulus alles andere als eine einheitliche, in sich harmonische Bewegung, und es verstand sich auch noch nicht als vom Judentum unterschieden. Und so wurde um das eigene Selbstverständnis noch gerungen, miteinander und gegeneinander. Für Jerusalem z. B. sammelt Paulus Geld in seinen Gemeinden. Paulus betreibt hier, was wir heute Scheckbuchdiplomatie nennen. Alles, auch um die christlichen Gemeinden herum, war in Bewegung geraten. Die Welt war aus den Fugen. Was vielen Menschen Furcht bereitete, begriffen die frühen Christen als eine Chance, und die allgemeine Krise verstanden sie ausgezeichnet zu nutzen – 43 J. Christiaan Beker weist darauf hin, dass mit ekklesa die zum Kult versammelte Gemeinde gemeint sei, und er verweist auf die Synonymität von ekklesa und dem versammelten Gottesvolk in der Septuaginta (Beker, J. Christiaan: Paul the Apostle. The Triumph of God in Life and Thought, Fortress Press 1984, S. 315).

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A. Macht

während die Jerusalemer Brüder und Schwestern auf das Wiederkommen des Herrn warteten und sich ihren frühkommunistischen Lebensstil aus dem Ausland finanzieren lassen mussten. Es darf darum bezweifelt werden, ob die Gemeinde in Jerusalem von dem Streit, den Paulus mit seinen Gegnern in Korinth austrug, und nicht nur in Korinth, überhaupt etwas mitbekommen hat, und wenn ja, ob sie ihn dann verstanden hätte. Diese Auseinandersetzungen interessierten die Jerusalemer wahrscheinlich gar nicht. Die Gegner des Paulus waren nicht in Jerusalem, sondern sie kamen aus Antiochien. Die von der Apostelgeschichte unternommene Harmonisierung zwischen Paulus und Antiochien muss also eingeklammert und ignoriert werden, will man die paulinische Polemik verstehen. Diese wendet sich gegen eine Verfassung der Macht, wie sie von Antiochien aus vertreten wurde, weil sie den in Antiochien Mächtigen als selbstverständlich galt. Dieses Selbstverständnis war und ist freilich den Machtunterworfenen nicht immer offenbar. Der Machtdiskurs des Neuen Testaments (und letztlich auch des Alten Testaments), den Paulus inszeniert, ist darum, wenn man bedenkt, dass für die Bibel Gott die Macht schlechthin ist, eine Offenbarung des Selbstverständnisses von Macht und damit Aufklärung der Unterworfenen über ihre Bedeutung für die Macht – und damit ihre Befreiung gegenüber den Ansprüchen der Mächtigen. Dieses Selbstverständnis der befreienden Macht Gottes gilt es im weiteren Verlauf zu explizieren.

II. Der Erste und der Zweite Die Hierarchie von Erstem und Zweitem ist komplexer, als das auf den ersten Blick erscheint. Denn der Erste und der Zweite sind in einer gegenseitigen Angewiesenheit spannungsvoll voneinander abhängig. Dies gilt so nicht für den Sport, wo der Zweite ohne den Ersten selber Erster wäre. Freilich müssen auch hier mindestens zwei gegeneinander antreten, denn einer alleine kann auch im Sport nicht Erster sein. Beim Wettkampf Zweiter gewesen zu sein, ist aber weitaus schlimmer, als hätte man nur den dritten Platz erreicht. Der Dritte steht noch mitten im Licht. Nach vorne hin ist da zwar noch einer zwischen ihm und der Spitze, aber er hat die Masse der nach ihm Namenlosen, deren Schicksal er entging, deklassiert. Ab dem dritten Rang zählt dann niemand mehr wirklich. Siegte nun der Dritte über die Masse, so siegte der Erste über den Zweiten. Während also die Verlierer ab dem vierten Platz – für sie gilt die Parole „dabei sein ist alles“ – der Schatten der Anonymität auch schützt, exponiert der zweite Platz die Niederlage seines Inhabers in einer Weise, die seinen Sieg über den Dritten verblassen lässt. Und so stimmt wohl einem Vers aus der Ilias, der der Kultur des agn, die das antike Griechenland bildete, als Ausweis ihres Charakters dienen kann, vorbehaltlos zu, wer über Ehrgeiz verfügt: „Immer der erste zu sein und ausgezeichnet vor anderen“ (Hom. Il. VI 208). Doch das, was in der archaischen Zeit für den Sport und für den Krieg galt, ist in der Zeit, die die

II. Der Erste und der Zweite

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politische Beteiligung des dmos, in welcher Verfassung auch immer, als selbstverständlich betrachtet, nicht auf das Politische übertragbar.44 Klassisch hat das Sophokles in seinem König Ödipus ausgesprochen. Ob der Beschuldigung, die Teiresias gegen ihn vorbringt, nämlich den König von Theben und damit auch noch den eigenen Vater erschlagen zu haben, klagt Ödipus Theiresias selber und seinen Schwager Kreon an, sie planten einen Staatsstreich. Heftig wehrt sich Kreon gegen die Anwürfe, indem er die Vorteile schildert, die er als Zweiter gegenüber Ödipus als Erstem habe: „Betrachte dies als erstes: ob du meinst, daß wohl mit Ängsten jemand lieber herrschen will als bei geruhigem Schlaf, wenn er dieselbe Macht doch hat“. Wer vernünftig denke, so fährt Kreon fort, wolle gar nicht König sein, denn er müsste vieles ungern tun. Jetzt aber könne er als der Gönner vieler erscheinen, etwa als Vermittler einer Gunst, wenn sie vom Ersten gewährt werde, deren Ablehnung man dagegen nicht ihm, dem Zweiten, sondern dem Ersten zuschreibe. „Wie sollte da das Königtum mir köstlicher als sorgenfreie Macht, als Rang und Geltung sein?“ (Soph. Oid. T. 583 ff).45 Bei Sophokles ist der Zweite dem Ersten zwar dem Rang nach unterlegen, aber im politischen Alltag ist er ihm überlegen. Was also im Sport gilt, scheint sich im Politischen umzukehren. Denn im politischen agn ist man Erster nicht nach dem Wettkampf. Vielmehr gilt es, sich dauernd als Erster im Geschehen zu behaupten. Die Politik kennt nicht die Unterbrechung der Siegerehrung. Für gewöhnlich erfordert die Unübersichtlichkeit der politischen Situation im Kampf um die Spitze dann einen Stab, der, selber persönlich entlastet von der Sorge um die öffentliche Wirkung in der Auseinandersetzung, die notwendigen Entscheidungen vorbereitet und exekutiert – und damit zwar den Besitz der Symbole der Macht entbehrt, aber die tatsächliche Macht ist. Carl Schmitt hat an einem historischen und an einem literarischen Beispiel das Verhältnis zwischen Erstem und Zweitem analysiert, an Wilhelm I im Verhältnis zu Bismarck und an Philipp II im Verhältnis zum Marquis Posa in Schillers Don Carlos. Dabei betrachtet Schmitt diese Verhältnisse freilich aus der Perspektive der Zweiten, weil sie für ihn die Ersten eigentlich führen. Das Machtzentrum befindet sich für Schmitt nicht an der Spitze, sondern auf der Ebene der Zweiten. Jede direkte Macht sei, weil angewiesen auf Information und Vortrag, indirekten Einflüssen unterworfen. „Vor jedem Raum direkter Macht bildet sich ein Vorraum indirekter Einflüsse und Gewalten, ein Zugang zum Ohr, ein Korridor zur Seele des Machthabers. Es gibt keine menschliche Macht ohne diesen Vorraum und ohne diesen Korridor.“46 Aber 44 Die Odyssee zeigt freilich, dass die Mannschaft des Odysseus in nicht unerheblichem Umfang an den Entscheidungen beteiligt ist, sich sogar, wenn sie sich als übergangen betrachtet, das Recht herausnimmt, Befehlen zuwider zu handeln. Demokratie ist ursprünglicher als andere Formen der Herrschaft. 45 Sophokles: Tragödien und Fragmente, München 1966, S. 393. 46 Schmitt, Carl: Gespräch über die Macht und den Zugang zum Machthaber. Abdruck der Erstauflage von 1954, Berlin 1994, S. 18. Es ist nicht uninteressant, dass Schmitt hier mit seiner Betonung der menschlichen Macht natürlich die göttliche davon ausgenommen sieht. Auf die Bibel kann er sich dabei aber nicht berufen, wie zu zeigen sein wird.

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dieses Zentrum ist ohne die Spitze völlig wirkungs- und darum machtlos. Darum kann die Macht m. E. nicht über den Begriff der Entscheidung begriffen werden, wie es Panajotis Kondylis versucht, dem es aber dennoch gelingt, dem Phänomen einige erhellende Einsichten abzugewinnen, etwa im Hinblick auf die Notwendigkeit der Metaphysik für jede Macht: „Ist der Selbsterhaltungstrieb innerhalb der Kultur ins Ideelle erhoben und zum Glauben an den Sinn des Lebens geworden, so muß jeder, der Machtansprüche stellt, den Sinn des Lebens groß herausstellen; denn die Sinnlosigkeit des Lebens würde auch die Sinnlosigkeit jedes Machtanspruchs implizieren und dem Aufruf, Opfer zu bringen, jede Verbindlichkeit entziehen. (…) Indem sich der Machtanspruch hinter dem Glauben an den Sinn des Lebens verschanzt, verschafft er sich die größtmögliche Objektivierung“.47 Die Macht ist in eigentümlicher Weise eine Identität von Identität und Nichtidentität zwischen Erstem und Zweitem. Aber das darf nicht dialektisch im Sinne eines versöhnenden Fortschreitens verstanden werden. Vielmehr besiegelt diese Identität von Identität und Nichtidentität die Endlichkeit der Macht. Sie kann niemals als auf eine Person beschränkt gedacht werden. Besonders Hannah Arendt hat die Macht als ein Miteinander verstanden, aber leider auch entscheidend missverstanden. Sie betont den potentiellen Charakter der Macht, was sie auch etymologisch herleitet – Macht komme nicht von machen, sondern von mögen und möglich, im Lateinischen heiße sie potentia, im Griechischen dy´namis. Aber geblendet von der Etymologie sieht Arendt dann nur noch den schaffenden, schöpferischen Charakter der Macht, ihre Ausstrahlung. Arendts Missverständnis lässt sich in einem längeren Absatz sehr schön zeigen: „Wäre Macht mehr als dies im Miteinander sich bildende Machtpotential, könnte man Macht wie Stärke besitzen oder wie Kraft anwenden, anstatt von der niemals ganz zuverlässigen und immer nur zeitweiligen Übereinstimmung vieler Willensimpulse und Intentionen abhängig zu sein, so würde Allmächtigkeit durchaus im Bereich menschlicher Möglichkeiten liegen. Denn Macht ist ihrem Wesen nach so schrankenlos wie das Handeln; sie kennt nicht die materiell-physische Begrenzung, durch die der menschliche Leib und seine Notdurft alle Stärke in bestimmten Schranken hält. Die Grenze der Macht liegt nicht in ihr selbst, sondern in der gleichzeitigen Existenz anderer Machtgruppen, also in dem Vorhandensein von Anderen, die außerhalb des eigenen Machtbereichs stehen und selber Macht entwickeln. Diese Begrenztheit der Macht durch Pluralität ist nicht zufällig, weil ihre Grundvoraussetzung ja von vornherein eben diese Pluralität ist. Hieraus erklärt sich die merkwürdige Tatsache, daß Machtteilung keineswegs Machtverminderung zur Folge hat, ja daß das Zusammenspiel der ,Gewalten, das auf Teilung beruht, ein lebendiges Verhältnis von sich gegenseitig kontrollierenden und ausgleichenden Mächten hervorruft, in dem vermöge des in ihm waltenden Miteinanders mehr Macht erzeugt wird, jedenfalls solange es sich wirklich um ein lebendiges Zusammenspiel handelt, und die

47

Kondylis, S. 61.

II. Der Erste und der Zweite

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in solchen Systemen immer bestehende Gefahr der gegenseitigen Paralysierung und des sich Festfahrens gebannt ist.“48 Es ist schon merkwürdig, dass Arendt, die so großen Wert darauf legt, dass verschiedene Begriffe nicht synonym verstanden werden – „der Unfähigkeit, Unterschiede zu hören, entspricht die Unfähigkeit, die Wirklichkeit zu sehen und zu erfassen“49 – hier Macht und Gewalt, Gewalt im Kontext von Gewaltenteilung, miteinander identifiziert. Die Gewaltenteilung hat nämlich nicht Machtpotenzierung zum Zweck, sondern vielmehr die Intention, die Macht des Staates gegenüber der Gesellschaft einzuschränken. Dass Gewaltenteilung auch außenpolitische Überlegenheit begründet, ist darum allenfalls ein Kollateralnutzen. Und was heißt überhaupt „lebendiges Zusammenspiel“? Arendt verfehlt in ihrer Begriffsunterscheidung ausgerechnet den Begriff, um den es ihr am meisten geht, nämlich den der Macht. Die Macht ist nicht schrankenlos auf Grund anderer Mächte, die sich gegen sie stellten. Imperien z. B. werden von außen nicht mehr bedroht. Ihre Macht erodiert und kollabiert. So betont auch Carl Schmitt die Notwendigkeit der Freund-Feind-Unterscheidung für die Erhaltung der politischen Einheit, und man kann ergänzen, für das einvernehmliche Verhältnis von Erstem und Zweiten im Interesse der gemeinsamen Machterhaltung. Die Macht wird also von äußeren Feinden nicht nur bedroht, sie findet im Feind nicht nur ihre Grenze, wie Arendt schreibt, sondern vielmehr ihre Quelle. Sie verdankt dem Feind ihr Sein, ihre Stabilität, insofern sie ohne ihn in sich selbst instabil wäre – weil sie dazu neigt, sich selbst zu negieren. John R. Searle fällt aber in seinem jüngsten Buch The Making of the Social World noch hinter die Einsichten Arendts zurück. Searles Ansatz, die Entstehung der institutional facts aus der Sprache zu rekonstruieren, also eine Ontologie der sozialen Wirklichkeit über ihre Genese zu schreiben, führt dazu, dass er das Phänomen Macht verfehlt, weil er Macht nicht ausschließlich als gesellschaftliches Verhältnis begreift, sondern als ein natürliches Phänomen. Macht versteht er im Sinne von ability, und er schreibt: „The first thing to notice about the concept of power is that it is not confined to relationships between human beings. In the same literal sense in which the president of the United States has certain powers defined by the Constitution, my car engine has a certain amount of power measured as horsepower. There is no pun involved here. The notion of power is the notion of capacity, and for that reason, a power may exist without ever being used or exercised.“50 Auf der anderen Seite betont aber Searle dennoch die Bedeutung der performativen Sprechakte für das Entstehen von Institutionen, und dass diese Sprechakte der Anerkennung bedürfen. Darum kommt er durchaus zu folgender Schlussfolgerung: „Because the system of status functions requires collective recognition or acceptance, all genuine political power comes from the bottom up.“51 Aber Searle begreift nicht, was er da schreibt, bzw. 48 49 50 51

Arendt, Hannah: Vita activa oder Vom täglichen Leben, München 1985, S. 195. Arendt, Hannah: Macht und Gewalt, München und Zürich 1998, S. 44. Searle (2010), S. 145. Ebenda, S. 165.

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er nimmt nicht Ernst, was er behauptet, wenn er gleich anschließend über die großen Diktaturen des zwanzigsten Jahrhunderts notiert: „Lenins greatest invention, imitated by both Mussolini and Hitler, was the Party – not a traditional political party, but an elite organization of disciplined, committed fanatics who could work for the overthrow of the old system of status functions and take power once they had overthrown it and then create a new system of status functions. The ,October Revolution was not a revolution; it was a classic coup detat carried out because Lenin had complete control of the Party and the Party was easily able to overthrow the Provisional Government.“52 Hier übersieht Searle nämlich, dass auch ein Staatsstreich der Anerkennung der Massen bedarf, weil er ansonsten z. B. durch einen Generalstreik verhindert werden kann. Searle hat kein wirkliches Kriterium dafür zu erklären, warum in dem einen Fall ein Staatsstreich gelingt, im anderen Fall nicht. So fällt er seiner eigenen Metaphysik zum Opfer und muss sich notwendig widersprechen, wenn er den Erfolg Lenins, Mussolinis und Hitlers ihren Parteiapparaten zuschreibt, also den abilities von politischen Eliten, und ausblendet, dass er gerade noch behauptet hat: all genuine political power comes from the bottom up? Weil er zwischen brute und institutional facts ontologisch und nicht in pragmatischer Hinsicht unterscheidet, muss er Macht als brute fact verstehen, weil sie für ihn keine Institution ist, sondern der Institutionalisierung bedarf, um stabil zu sein. Als Metaphysik scheitert Searles Ontologie der sozialen Welt. Anerkennung generiert erst Macht, und Macht verschwindet, wird die Anerkennung versagt. Sie ist also weder brute fact noch institutional fact, weil sie weder jenseits des Konventionellen noch Institution ist, auch nicht durch Institutionen ist. Sie erscheint als soziale Welt, die gleichzeitig aber auch ihre Voraussetzung ist. Mit der einfachen Dichotomie Searles ist das Phänomen Macht nicht zu verstehen, noch weniger aber ihr Wandel – also weder Machtverlust noch Machtgewinn, weder Verfall von Institutionen noch das Entstehen von neuen Institutionen. Schließlich setzt sich auch Byung-Chul Han in seiner Studie über die Macht mit diversen Machttheorien auseinander und versucht, in dieser Auseinandersetzung einen eigenen Machtbegriff zu entwickeln. Er versteht Macht auch als Kommunikation, aber alleine als eine zwischen Machthabern und Machtunterworfenen, während die Macht ipsozentrisch sei.53 Damit unterliegt er dem gleichen Missverständnis wie Arendt, weil er nicht erkennt, dass Macht sich selber aufhebt, sich selber im Wege steht. Das ipse der Macht, und übrigens nicht nur der Macht, ist kein Zentrum im Sinne eines Punktes, sondern Spannung. Die Macht ist darum ein soziales, ein in sich und gegen sich antagonistisches Phänomen nicht nur insofern, als ein Machthaber einen braucht, über den er Macht hat, sondern weil einer alleine gegenüber den Vielen gar nicht mächtig sein kann. Hegel hat in der Phänomenologie des Geistes, im berühmten Kapitel über Herr und Knecht, schon die in sich widersprüchliche Verfasstheit des Selbstbewusstseins gezeigt, das sich als Herr auf sich selbst stützen will, 52 53

Ebenda, S. 165. Byung-Chul Han: Was ist Macht? Stgt 2005, S. 120 ff.

III. Der Machtdiskurs im Alten Testament

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aber, um nicht nichts zu sein, sich als Knecht im Wissen zu verlieren droht – und sich schließlich nur in seiner intrinsischen gegenseitigen Anerkennung erhält. Das Selbst der Macht ist in sich selber entsprechend antagonistisch und bedarf seiner intrinsischen gegenseitigen Anerkennung als einer unabdingbaren Voraussetzung, um sich institutionalisieren zu können. Nirgendwo ist in der Antike über das Problem der Macht, nämlich dass sie der Anerkennung bedarf, schärfer nachgedacht worden als im Nahen Osten, und ihren literarischen Niederschlag hat dieses Denken in den Schriften des Alten Testaments gefunden und die jüdische Identität geprägt. Der Nahe Osten war immer ein Spielball der großen Imperien gewesen, und die Auseinandersetzung mit Großmächten schärft das Denken mehr als die Ausübung der Macht. Es darf nicht übersehen werden, dass der Gott Israels einer ist, mit dem Jakob kämpft (Gen 32, 22 ff), dass Israel also mit Gott streitet. Es unterwirft sich nicht ohne weiteres der Macht Gottes, und der Gott des Alten Testaments ringt mit seinem Volk um Anerkennung. Was den jüdischen Glauben auszeichnet vor allen Religionen um Israel herum ist nicht sein Monotheismus, sondern dass sein Gott spricht, argumentieren muss, sich in Rhetorik offenbart. Der Gott Israels ist nämlich ein Redner, der um Anerkennung wirbt. Und in seinem Reden offenbart sich sein Sein, d. h. die Angewiesenheit der Macht auf Anerkennung, d. h. auf einen Bund.

III. Der Machtdiskurs im Alten Testament Im Alten Testament verengt der Kanon den verstehenden Zugang, weil er suggeriert, die Texttraditionen am Anfang seien die ältesten bzw. bezögen sich auf früheste historische Ereignisse. So heißt es bei Hans Christoph Schmitt: „Ziel des atl. Kanons ist es (…), der atl. Gemeinde des zweiten Tempels theologische Orientierung zu vermitteln, wobei er dafür allerdings auf die geschichtliche Erfahrung Israels von der Nomadenzeit bis in die nachexilische Gegenwart zurückgreift.“54 Da werden die Patriarchengeschichten, wenngleich sie auch später noch bearbeitet worden seien, als die älteste Tradition betrachtet, gefolgt von der Überlieferung der Moseszeit (Ägypten und Exodus), der sich die Literatur aus der Richter- und Königszeit anschließe. Darauf folge die Literatur der Epoche der Prophetie und der babylonischen Gefangenschaft, dann die der Perserzeit und schließlich die des Hellenismus. Was aber, wenn es sich so verhielte, dass sich das älteste Traditionsgut in den Samuel- und Königsbüchern fände, und dass die anderen Traditionen (mehrheitlich) sich mit deren Versuch auseinandersetzten, die davididische Dynastie des Südreichs Juda gegenüber rivalisierenden innerisraelitischen Gruppen zu verteidigen – wenn es also gar keine geschichtliche Erfahrung Israels gäbe, sondern schlicht und einfach nur Literatur? So liest Wolfgang Oswald das Alte Testament als einen politischen Diskurs. Er unterscheidet mehrere Traditionen, insgesamt sechs „Grundmuster“ bzw. „Paradigmen“ (die Propheten behandelt er nicht), die, aufeinander Bezug nehmend, keinesfalls 54

Schmitt, Hans Christoph: Arbeitsbuch zum Alten Testament, Göttingen 2005, S. 19.

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eine Geschichte des Volkes Israel von den Urvätern her widerspiegelten, sondern Auseinandersetzungen um die Verfasstheit und Identität des Volkes seit der Königszeit dokumentierten. Als älteste Tradition betrachtet Oswald dabei die Davididenerzählungen, die, als Diskurs verstanden, die Herrschaft der Dynastie des Südreichs zu legitimieren oder im Namen von Herrschaftsansprüchen anderer Herrscherhäuser des Nordreichs zu delegitimieren versucht habe.55 Andere antimonarchische Gegner der davididischen Dynastie hätten nicht nur ein anderes Davidbild gegen das offizielle gestellt, sondern die Handlung ihrer Texte auch in eine fernere, nichtmonarchische Vergangenheit verlagert und damit versucht, der eigenen Auffassung als der vermeintlich historisch älteren Tradition mehr Gewicht zu verleihen. Wenn Oswald recht hätte, dann wäre der Moses, den wir kennen – oder zu kennen vermeinen, denn seine biblische Überlieferung ist auch nicht eindeutig, sondern höchst kontrovers – eine literarische Gestalt, die als solche erst in der Königszeit eine Rolle gespielt hätte. Und die Urvätergeschichten ließen sich als biblische Literatur verstehen, die sich nicht auf die Thora, sondern auf ein allen Völkern gemeinsames Sittengesetz beriefe, und sie wäre historisch eben auch nicht vor Moses anzunehmen, sondern setzte das Mosesparadigma gerade voraus, und auch eine Monarchie, die versuchte, sich gegenüber egalitären Strömungen mit Hilfe der Thora zu behaupten (z. B. Deuteronomium): „Die Vätergeschichte setzt sich (…) gegen die Innovationen der Werke des Mose-Paradigmas zur Wehr, denn sie teilt nicht deren Konzept eines von Gott schriftlich fixierten und offenbarten Gesetzes. Die Vätergeschichte arbeitet dagegen mit der Vorstellung eines natürlich-geschöpflichen Ethos, dem alle Menschen unterworfen sind in Analogie zur Konzeption von zedeq und mischpat (Gerechtigkeitsordnung und Rechtsprechung) im Amosbuch oder von chesed (Solidarität/Hingabe) im Hoseabuch.“56 Wolfgang Oswald liest diese Texte des Alten Testaments also als Staatstheorie. In ihnen steckt aber auch eine politische Philosophie, die freilich nicht über die historisch-kritische Methode alleine ermittelt werden kann. Die historisch-kritische Forschung verfehlt die Absicht der biblischen Autoren, wenn sie zu sehr nach ältesten Quellen und Traditionen hinter den Texten sucht, ohne die Bedeutung der Komposition aus älterem Traditionsgut und die Stellung im Kanon zu berücksichtigen.57 So müsste man, um es an einem Beispiel zu illustrieren, für das Verständnis des Rings des Nibelungen nicht aus dem Wagnerschen Libretto das Nibelungenlied oder die Edda rekonstruieren, gesetzt den Fall, diese Texte wären für uns nicht mehr vorhan55

Oswald, Wolfgang: Staatstheorie im Alten Israel. Der politische Diskurs im Pentateuch und in den Geschichtsbüchern des Alten Testaments, Stgt 2009. 56 Ebenda, S. 167. 57 Damit soll der historisch-kritischen Forschung nicht die verdienstvolle Absicht bestritten werden, dass sie die zu interpretierenden Texte überhaupt erst wieder herzustellen bemüht ist. Aber als Philologie ist sie eben gerade nicht Interpretation: „Die Identifizierung und Wiederherstellung von Texten der Vergangenheit – also das, was in diesem Buch mit dem Wort ,Philologie gemeint ist – stellt (…) eine gewisse Distanz her zu dem intellektuellen Raum der Hermeneutik und der Interpretation als hermeneutisch geprägtem Umgang mit Texten“ (Gumbrecht, Hans U.: Die Macht der Philologie, Ffm 2003, S. 12 f.).

III. Der Machtdiskurs im Alten Testament

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den. Denn die Kenntnis beider Texte bildet keine notwendige Voraussetzung dafür, dass man den Opernzyklus versteht. Eher gilt das Gegenteil. Entscheidend aber ist es, den Kontext, und zwar den sozioökonomischen, den politischen und den künstlerischen Kontext der Zeit Wagners, zu kennen, um die richtigen Schlüsse auf die Intention des Werks zu ziehen. Übertragen auf die Bibel heißt das, dass nicht so sehr interessiert, aus welcher Zeit das älteste Traditionsgut z. B. des Jahwisten (auch mit dem Buchstaben J abgekürzt) stammt, sondern seine literarische Ausgestaltung in der Form, die wir für die Zeit ihrer Entstehung zu rekonstruieren vermögen, und ihre Stellung im Kanon, die eine Interpretation leiten will. Die Texte müssen also regelrecht von ihrem kanonischern Kontext befreit werden. Arnold Goldberg formuliert das so: „Allen Prozessen der Kanonisierung ist gemeinsam, daß im besonderen der historische Kontext der Kanonisierung nicht in die Tradition eingeht, ja gänzlich verschwiegen wird, und daß auch die übrigen Kontexte der Literatur aufgehoben werden: Die kanonisierte Literatur stimmt mit den ursprünglichen Funktionen (bzw. Intentionen) der Texte nicht mehr überein.“58 Im ersten Buch der Bibel, im Buch Genesis, unterscheidet nun die Forschung grob mindestens drei Texttraditionen. Das Buch Genesis ist also eine Komposition aus diesen Traditionen. Eine dieser Traditionen wird Jahwist genannt, weil sie den Gottesnamen verwendet. Am Beispiel des Jahwisten lässt sich aufzeigen, dass die Problematik und die Krise der Macht, die darin begründet ist, dass zwischen Erstem und Zweitem unterschieden werden muss, schon im Kern der biblischen Literatur, in ihrem Gottesverständnis, reflektiert wird. Die Reflexion dessen, wie Macht zu verstehen sei, setzt das Neue Testament dann bruchlos fort, so dass es sich aus dieser Perspektive eigentlich erübrigt, die beiden Testamente noch zu unterscheiden. Diese Unterscheidung diente und dient ohnehin nur der christlichen Identitätssicherung gegenüber dem Judentum und ist insofern diskriminierend, als sie das vorgeblich Alte gegenüber dem vermeintlich Neuen als nur vorläufig denunziert. Mit dieser Diskriminierung schadet sich der christliche Bibelleser, der die kirchliche Unterscheidung der Testamente akzeptiert, aber selber, weil sie als solche den Zugang zum Text verstellt und Manipulationen des Textverständnisses Tür und Tor öffnet – indem sie Türen und Tore zum Text versperrt. Reformierte Bibelexegese tat und tut darum gut daran, stets darauf zu achten, das Alte Testament nicht vom Neuen Testament her zu verstehen, sondern umgekehrt. Was ist denn so neu am Neuen Testament? Es gibt schon im Alten Testament Gottessöhne, und es gibt Auferstehungen. Die Lehre von der Auferstehung, wie sie im Neuen Testament dann aufgegriffen und kommentiert wird, wurde im Rahmen des Alten Testaments schon entwickelt. Die Ausweitung der Erwählung auf alle Völker findet sich bei den Propheten. Bietet Paulus dann vielleicht etwas Neues? Im Gegenteil, vielmehr lässt sich zeigen, dass gerade Paulus, wenn man unbedingt an der Unterscheidung 58 Goldberg, Arnold: Die Zerstörung von Kontext als Voraussetzung für die Kanonisierung religiöser Texte im rabbinischen Judentum, in: Assmann, Aleida/Assmann, Jan (Hrsg.): Kanon und Zensur. Archäologie der literarischen Kommunikation II, München 1987, S. 203.

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zwischen den beiden Testamenten festhalten will – und gerade um sie zu überwinden, muss man sich ja auch ständig auf sie beziehen – eigentlich sogar dem Alten Testament zuzurechnen wäre. Die christliche Verkündigung setzt nämlich die jüdische Gottesvorstellung und gerade nicht die griechische Metaphysik voraus. Denn im jüdischen Gottesbegriff wird das Problem der Macht ganz anders reflektiert als bei den Griechen. Für die weisheitliche Literatur des Alten Testaments ist Gott die Macht schlechthin, und darum lässt sie sich als Diskurs der politischen Philosophie lesen. Es handelt sich m. a. W. um Beiträge zur politischen Ideengeschichte, die vielleicht sogar die Tradition der griechisch-römischen Antike in den Schatten zu stellen vermögen. Sie reflektieren Macht als solche. Aber dies geschieht nicht im Rahmen einer Machttheorie, die einen Machtbegriff schon voraussetzte oder auch entwickelte. Hierin liegt der Fehler z. B. des Ansatzes von Martin Sicker,59 der das Buch Genesis als politische Philosophie zu begreifen sucht, aber das erste Kapitel als hermeneutischen Schlüssel für die dann folgenden Texte benutzt. Damit handelt er ganz im Sinne jener, die die Reihenfolge der beiden so genannten Schöpfungsberichte60 gerade so angeordnet haben, dass die kritische Spitze des zweiten, also des jahwistischen Textes, der sich an die Erzählung über das Sechs-Tage-Werk anschließt, die man der priesterlichen Tradition zurechnet, gebrochen wird. Anstatt die Paradiesgeschichte als Literatur zu verstehen, die das Phänomen der Macht reflektiert, akzeptiert Sicker die unreflektiert behauptete Macht des Schöpfergottes in Gen 1, 1 – 31 und muss in der Folge alles, was sich dann nicht mehr mit der Vorstellung dieser Allmacht vereinbaren lässt, wie schon Philo von Alexandrien allegorisch deuten. Bei Sicker, auch darin steht er in der Tradition Philos, herrscht eine platonische Lesart des Buches Genesis vor, und darum dürfte sein Buch eigentlich nicht Reading Genesis Politically, sondern müsste vielmehr Reading Genesis Platonically heißen.61 Dem metaphysischen Verständnis nach korrespondiert einem Begriff eine von ihm unterschiedene Wirklichkeit, die es aufzuzeigen gilt, damit der Begriff in Urteilen und Schlüssen die Erkenntnis zu garantieren vermag (adaequatio intellectus et res). So wird man aber dem Phänomen der Macht nicht näher kommen. Dabei findet zumeist eine Reduzierung des Machtbegriffs auf einen als grundlegend betrachteten Aspekt statt, so wie z. B. auf den instrumentellen Charakter der Macht in Rolf Kramers Studie über die Ethik der Macht im Alten Testament62, die aber das Phänomen verfehlt. Das 59 Sicker, Martin: Reading Genesis Politically. An Introduction to Mosaic Political Philosophy, 2002. 60 In beiden Texten geht es so wenig um Schöpfung, wie es Tierfabeln um Verhaltensforschung geht. Das muss den Redakteuren des Buches Genesis jedenfalls insofern klar gewesen sein, als sie den zweiten Text über die „Schöpfung“ auf den ersten unmittelbar folgen ließen. 61 So stellt er hinsichtlich der Mytheninterpretation auch die allegorische Methode in den Mittelpunkt: „myths, by their very nature and purpose, are to be taken not literally but figuratively, as in the case of allegory and metaphor“ (Sicker, S.25). 62 Kramer, Rolf: Ethik der Macht. Sozialwissenschaftliche und theologische Aspekte, Berlin 1994. Kramer unterscheidet in der Bibel die menschliche Macht von der göttlichen

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ist das Dilemma einer jeden Theorie der Macht, weil Macht als eine Substanz nicht in einem Machtvollzug erscheint, sondern weil die Erscheinung von Macht schon ihr Wesen ist. Hegelisch gesprochen ist ihr Sein Schein. Darum lässt sie sich nicht in einer Theorie darstellen, sondern nur erzählen. Im griechischen Denken ist das im Medium der historischen Erzählung erfolgt, paradigmatisch bei Thukydides.63 In der biblischen Literatur finden sich ebenfalls historische Erzählungen, die die analytische Schärfe des Thukydides im Hinblick auf die Machtbeziehungen, auf die Entscheidungsprozesse, jedoch nicht erreichen (gemeint sind die geschichtlichen Bücher, also Erstes und Zweites Buch Samuel, Erstes und Zweites Buch Chronik und Erstes und Zweites Buch Könige). Aber es findet sich auch eine Art Literatur, die gerne als Mythos bezeichnet wird, und die, anders als der historische Bericht, der die zu verstehenden Begriffe wie Macht, Autorität, Gewalt usw. immer schon voraussetzt, um überhaupt erzählen zu können, die Phänomene als noch nicht theoretisch begriffen selbst in gewisser Weise erzählerisch erscheinen lässt. Hier wird Thukydides überboten. Am Beispiel des dritten und vierten Kapitels des Buches Genesis lässt sich zeigen, dass die erst zu bestimmende Semantik des Machtbegriffs aus dem Text gewonnen werden kann, und dass dessen Form des Märchens oder des Mythos es dem Leser gestattet, ihn immer wieder auf beliebige reale Machtkrisen hin zu reflektieren. Entmythologisierung bedeutete dagegen, seine Wirkungsgeschichte im Sinne der Aufklärung zu unterbrechen. Herfried Münkler hat darauf hingewiesen, dass Mythen mobilisieren, aber auch fort- und umgeschrieben werden können, schließlich auch Gegenmythen provozieren.64 Was er am Beispiel der Mythen der Deutschen gezeigt hat, lässt sich auch in der Bibel aufzeigen. Der Machtdiskurs in der Bibel, der Altes und Macht: „Freilich geht es nun einmal in der biblischen Überlieferung vornehmlich um Gottes Macht und nicht so sehr um die des Menschen“ (S. 34). Diese Unterscheidung ist aber dem Umstand geschuldet, dass Kramer die Macht zunächst, unter Berufung auf Max Weber, eben instrumentell und zudem wertneutral versteht und dann den bösen vom guten Machtgebrauch unterscheiden will. Dabei nimmt er auch Bezug auf Karl Barth, für den Gott nicht Allmacht habe, sondern Allmacht sei (S. 52). Vor dem Hintergrund dieses Barth unterstellten ontologischen Verständnisses der Macht Gottes ist aber ein instrumentelles Verstehen des Machtbegriffs eigentlich unsinnig. 63 „Thucydides is not the successor of Herodotus in historical thought but the man in whom the historical thought of Herodotus was overlaid and smothered beneath anti-historical motives“ (Collingwood, S. 30). „Thucidean speech … is constantly being drawn away from the events to some lesson that lurks behind them, some unchanging and eternal truth of which the events are, Platonically speaking, paradegmata or mimmata“ (ebenda, S. 31). 64 Münkler, Herfried: Die Deutschen und ihre Mythen, Berlin 2009. „In politischen Mythen wird das Selbstbewusstsein eines politischen Verbandes zum Ausdruck gebracht, beziehungsweise dieses Selbstbewusstsein speist sich aus ihnen. Sie sind die narrative Grundlage der symbolischen Ordnung eines Gemeinwesens, die insbesondere dann in Anspruch genommen werden muss, wenn sich Symboliken nicht mehr von selbst erschließen oder wenn es gilt, sie zu verändern. In einer solchen Situation sind politische Mythen und Symbole Angriffen von innen und außen ausgesetzt“ (S. 15 f.). Vergl. auch Münkler, Herfried/Storch, Wolfgang: Siegfrieden. Politik mit einem deutschen Mythos, Berlin 1988: „Es ist demnach nicht der Mythos selbst, der in konservative oder reaktionäre, progressive oder revolutionäre Richtung weist, sondern alles hängt ab von der ,Arbeit am Mythos (Blumenberg), von der bestimmten Form des Umgangs mit ihm, seiner spezifischen Verarbeitung und Ausdeutung“ (S. 57).

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Neues Testament verbindet, lässt sich darum als fortlaufende Arbeit am Mythos lesen.65 Betrachten wir die Rollen, die Gott, Adam und Eva in der Paradiesgeschichte spielen. Juristisch betrachtet haben wir einen Eigentümer (Gott), der einem anderen den Nießnutz an seinem Eigentum überlässt (Adam). Adam besitzt den Garten, so wie ein Mieter eine Wohnung besitzt, ohne Eigentumsrechte daran zu haben. Diese Form des gemeinsamen Habens von Eigentümer und Besitzer ist eine uns völlig selbstverständliche Nichtidentität von Identität, mit der wir ökonomisch und rechtlich in unserem Alltag trefflich zurande kommen. Eigentümer und Besitzer haben etwas Gemeinsames, aber auf völlig unterschiedliche Weise. Alles geht gut, solange beide ihre Identität der Nichtidentität anerkennen. Das befördert die Effizienz und ist damit in beiderseitigem bzw. allgemeinem Interesse. Die Notwendigkeit dieser Unterscheidung ist aber keine seinsnotwendige, die Differenz kann auch fehlen. Es gibt Eigentümer, die ihr Eigentum selber nutzen. Wäre dies aber der Normalfall, wäre unsere Wirtschaft heute nicht so leistungsfähig, wie wir das für selbstverständlich halten. Letztlich handelt es sich um eine Form des Kredits. Das lässt sich auf den politischen Bereich übertragen. Der Unterscheidung zwischen Eigentum und Besitz entspricht hier die zwischen Machthaber bzw. Herrschaft (beides synonym verstanden) und Regiment, also zwischen dem Ersten und dem Zweiten. Die Analogie darf aber nicht zu weit getrieben werden. Es ist historisch möglich, dass Eigentümer auch die Machtträger sind. Aber Eigentum ist nicht notwendig Voraussetzung von Macht bzw. umgekehrt. Die Analogie behauptet ja keinen Zusammenhang zwischen dem privatrechtlichen und dem staatsrechtlichen Sachverhalt, sondern nur, dass ein Sachverhalt in seiner semantischen Struktur so wie ein anderer Sachverhalt verstanden werden kann.66 Auch Macht und Regiment lassen sich als Unterschied einer Gemeinsamkeit verstehen. Und so, wie der Besitzer, wenn er nicht Eigentümer ist, Eigentum voraussetzt, so hat das Regiment einen Machthaber bzw. Herrschaft zur Voraussetzung. Wie 65 Blumenberg, Hans: Arbeit am Mythos, Ffm 1986. Bei Blumenberg dient diese Arbeit aber der Selbstbehauptung des an sich metaphysisch heimatlosen Menschen gegenüber dem Absolutismus der Wirklichkeit. Diese metaphysische Sorge teilt der biblische Mensch, der den platonischen Dualismus nicht kennt, nicht. Arbeit am Mythos ist ihm wesentlich politische Kritik. 66 Hier sei auf Karl-Heinz Brodbeck hingewiesen, der einen Zusammenhang zwischen dem Phänomen der Macht und dem des Wertes bemerkt, weil sich beide analog verstehen ließen. Der Wert stehe nicht für eine Wertesubstanz, sondern sei nichts weiter als eine Konvention, ein soziales Einverständnis, m.a.W. eine soziale Beziehung, die unabhängig von anderen sozialen Beziehungen nicht zu denken sei, aber dennoch wieder soziale Beziehungen stifte und zu beherrschen vermöge. Folgerichtig spricht Brodbeck von der Herrschaft des Geldes (Brodbeck, Karl Heinz: Die Herrschaft des Geldes, Darmstadt 2009). Analog versteht er Macht und Wert: Macht und Geld seien als zirkulär-reflexive Sozialbeziehungen zwar isomorph, man könne jedoch Geld nicht aus Macht ableiten, wohl aber beide Verhältnisse auf einen Prozess der Bedeutungserzeugung zurückführen (S. 372): „Wie ein König in seinen besten Tagen, ist auch das Geld nur mächtig, solange sich seine Untertanen in willigem Marktgehorsam ihm unterwerfen. Darin liegt seine Geltung. Das ist der Inhalt des Werts, nichts weiter. Und deshalb kann man diesen Wert natürlich auch nicht ,aufbewahren“ (S. 376).

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der Eigentümer sein Eigentum erwarb, ist unerheblich, wenn er als Eigentümer anerkannt wird, sowohl vom in Frage kommenden Besitzer als auch von Dritten. Die Anerkennung seiner Rechte ist dem Eigentümer durch allgemeine Anerkennung rechtlich gesichert. Insofern gibt es in der Tat kein Eigentum ohne einen immer schon bestehenden sozialen Rahmen der Anerkennung. Die Eigentumsrechte sind daher beständig, solange der soziale Bereich rechtlich gesichert bleibt und der Eigentümer sein Eigentum nicht veräußert. Die Herrschaft muss sich dagegen ständig legitimieren. Hier findet die Analogie zum Eigentümer ihre Grenze. Die Herrschaft ist ständig in Gefahr, dass sie die Anerkennung verliert. Wer das Regiment führt, muss sich freilich nicht ständig legitimieren. Seine Rechtfertigung ist gegenüber dem Unten der Hinweis auf seine Beauftragung, gegenüber der Herrschaft seine Unabkömmlichkeit. Macht als das Zusammenspiel von Erstem und Zweitem setzt also Anerkennung für ihren Bestand voraus, die der Erste empfängt, um dann den Zweiten ermächtigen zu können. Bei Hannah Arendt heißt es dazu, wobei sie freilich die Bedeutung des Zweiten für den Ersten nicht berücksichtigt: „Wenn wir von jemand sagen, er ,habe die Macht, heißt das in Wirklichkeit, daß er von einer bestimmten Anzahl von Menschen ermächtigt ist, in ihrem Namen zu handeln. In dem Augenblick, in dem die Gruppe, die den Machthaber ermächtigte und ihm ihre Macht verlieh (potestas in populo – ohne ein ,Volk oder eine Gruppe gibt es keine Macht), auseinander geht, vergeht auch ,seine Macht.“67 Zusammengefasst lässt sich sagen: So wie nun der wirtschaftliche Erfolg großer Unternehmungen auf der Unterscheidung zwischen Eigentum und Besitz zu beruhen scheint, so beruht der Erfolg großer politischer Verbände, nicht zuletzt der von Imperien, entsprechend auf der Unterscheidung zwischen Herrschaft und Regiment, dem Ersten und dem Zweiten. Sicker sieht es auch so, ohne die machtpolitischen Schlussfolgerungen zu ziehen. Aber trotz des Titels seines Buches, der eine politische Lektüre des Buches Genesis verspricht, verfehlt Sicker gerade das spezifisch Politische, wenn er zwar den Menschen als „Elohims lieutenant“ versteht68, aber dann nicht dieses Verhältnis als solches beleuchtet, also als Spannungsverhältnis gegenseitiger Abhängigkeit zwischen Erstem und Zweitem, und stattdessen daraus lediglich eine moralische Verpflichtung des Menschen als lieutenant ableitet. Für Sicker hat Politik nur eine Richtung von oben nach unten. Sie hat bei ihm darum nur ein Gefälle, aber keine Spannung. Die Spannung rührt daher, dass das Regiment auf schwachen Beinen steht, denn es ist nur von oben ermächtigt. Es erstrebt darum von seiner Natur her, selber das Oben zu sein. Die Herrschaft aber ist vom Unten abhängig, freilich ohne dass es ihr in den Sinn käme, selber dieses Unten zu werden. Das wäre ihr Torheit. Darum versucht sie, das Unten zu manipulieren. Das ist die Funktion der Propaganda. Eine andere Möglichkeit bleibt der Herrschaft nicht. Aber diese Möglichkeit ermöglicht nun wiederum ganz andere Wirklichkeiten. Eine solche Wirklichkeit ist die jahwistische Paradies67 68

Arendt (1998), S. 45. Sicker, S. 3.

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geschichte. Nicht jeder wird geneigt sein, die folgende Interpretation zu akzeptieren, darum sei zuvor Harold Bloom zitiert, der sich auch schon um ein neues Verständnis der jahwistischen Texte bemüht hat: „Since I am aware that my vision of J will be condemned as a fancy or a fiction, I will begin by pointing out that all our accounts of the Bible are scholarly fictions or religious fantasies, and generally serve rather tendentious purposes.“69 Ich befinde mich also in guter Gesellschaft, wenn ich hier auf der Basis des jahwistischen Textes eine neue Wirklichkeit, d. h. eine neue Interpretation, wage. Im Paradies (Gen 3, 1 ff.) findet während der Mittagsruhe des Machthabers ein dramatisches Geschehen statt. Die Nummer Zwei (Adam) überlässt ihre Position der eigentlich subordinierten Nummer Drei (die später Eva heißen wird), der sich, über die Schlange vermittelt, eine Chance bietet, ihre Stellung zu verbessern. Sie isst vom Baum der Erkenntnis, um wie Gott zu sein, obwohl Gott gedroht hat, die Menschen stürben, wenn sie von dem Baum äßen: „Mitnichten werdet ihr sterben“, sagt die Schlange, „(s)ondern Gott weiss, dass euch die Augen aufgehen werden und dass ihr wie Gott sein und Gut und Böse erkennen werdet, sobald ihr davon esst“ (Gen 3, 4 f). Bekanntlich unterwirft sich Adam der Frau, als er selber, nach ihr, auch von den Früchten des Baums isst. Als der Herr in der Abendkühle erscheint, begreift er nicht, was vorgefallen ist. Er hegt nur einen Anfangsverdacht und ruft nach Adam. Aber Adam hat nichts mehr zu sagen. Was folgt, ist für alle Beteiligten peinlich. Der Herr steht nämlich da bar aller Autorität, während jener, dem das Regiment anvertraut war, dies eben nicht aus eigener Machtvollkommenheit weiter behaupten kann, er verdankt es ja der Herrschaft Gottes. Er steht buchstäblich nackt da, entblößt seines Auftrags. Schwerer wiegt allerdings der Autoritätsverlust Jahwes.70 Hier gilt es zunächst, den Begriff der Autorität gegenüber dem der Macht oder dem des Regiments kurz abzugrenzen, weil sonst nicht klar wird, warum Gott im Paradies seine Autorität verliert. Autorität ist nicht abhängig von Legitimität. Man erwirbt sie nicht als Auftrag. Sie weist sich selber aus, z. B. durch Weisheit, aber auch durch Glaubwürdigkeit. Hierzu noch einmal Hannah Arendt: „Ihr (der Autorität; Anm. M. E.) Kennzeichen ist die fraglose Anerkennung seitens derer, denen Gehorsam abverlangt wird.“71 Gott aber sagt nicht die Wahrheit, wenn er begründet, warum er die beiden Bäume in der Mitte des Paradieses der Verfügungsgewalt der Menschen vorenthält. „Und der Herr, Gott, gebot dem Menschen und sprach: Von allen Bäumen im Garten darfst du essen. Vom Baum der Erkenntnis von Gut und Böse aber, von dem darfst du nicht essen, denn sobald du davon isst, musst du sterben“ (Gen 2, 16 f). Beide sterben aber mitnichten, als sie die Früchte berühren und essen, so wie es vorausgesagt ist. Wer versucht, die Autorität Gottes mit dem Hinweis zu retten, es sei Adam und dem Weib ja nicht mit plötzlichem Tod, sondern mit Sterblichkeit im Falle der Ver69

Bloom, Harold: The Book of J, New York 1990, S. 9 f. Vergl. dagegen Schmitt, Hans Christoph.: „Wie der Priesterschrift geht es auch ,J darum, die Alleinmächtigkeit Jahwes zu betonen“ (S. 216). 71 Arendt (1998), S. 46. 70

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botsübertretung gedroht worden, vergisst, dass die Vertreibung aus dem Paradies damit begründet wird, es müsse jetzt verhindert werden, dass beide auch noch vom Baum des Lebens essen: „Sieh, der Mensch ist geworden wie unsereiner, dass er Gut und Böse erkennt. Dass er nun aber nicht seine Hand ausstrecke und auch noch vom Baum des Lebens nehme und esse und ewig lebe!“ (Gen 3, 22).72 Die Menschen sind also nicht als unsterblich geschaffen worden, und ihr Ungeschick besteht darin, nicht zuerst vom Baum des Lebens gegessen zu haben. Darin, die Frau nicht zur Absicherung zuerst auf den Baum des Lebens aufmerksam gemacht zu haben, bestätigt sich die Schlange als Teufel, dem es nicht um die Emanzipation, sondern um die Rücknahme der Schöpfung des Menschen geht. Rechnet sie doch damit, dass Gott an Adam und der Frau die angedrohte Strafe vollziehen wird. Von Sünde ist übrigens in der ganzen Geschichte an keiner Stelle die Rede. Als Begriff taucht sie erst im vierten Kapitel des Buches Genesis auf. Das Ende der Paradiesgeschichte zeigt uns dann einen Gott, der so reagiert, wie einer nur reagieren kann, der seine Autorität verloren hat: Er greift zum Mittel der Gewalt. Die Vertreibung ist keine Strafe, sondern eine Vorsichts- bzw. Defensivmaßnahme – vom Baum des Lebens sollen die Menschen nicht mehr essen können, der Genuss seiner Früchte ließe sie endgültig wie Gott werden (Gen 3, 22). Das Projekt Mensch läuft nicht aus. Anders, als die frommen Lesarten es suggerieren, ist die menschliche Sexualität darum nicht für die Verführung verantwortlich zu machen, im Gegenteil: Sie schlägt dem Teufel ein Schnippchen, weil sie die Kontinuität der Schöpfung Mensch, und zwar in der emanzipierten Variante und nicht etwa als Neuschöpfung, sichert. Es ist immer wieder bemerkt worden, dass in den jahwistischen Texten Gott anthropomorphe Züge trage.73 Meist wird dies mit dem Alter der Texte begründet, mit dem Hintergrundverständnis, es gebe eine Entwicklung vom Mythos hin zum Logos.74 Aber die Mythen sind nicht primitiver als Theorien, in beiden Fällen handelt es sich um symbolische Formen – Rorty sagt, wie Bloom, um Literatur. Was ist nun eigentlich das speziell Menschliche an Gott? Bei genauerem Hinsehen ist es seine Nichtidentität, d. h. dass er nicht mit sich identisch bleibt. Er verändert sich. Diese Veränderung ist eine notwendige insofern, als ohne sie die Geschichte zu Ende wäre, noch ehe sie begonnen hätte. Sie ist tatsächlich ein Lernen. Veränderung als Lernen ist aber die allein mögliche Seinsweise der Macht als Schein. Diese Botschaft ist der wesentliche Beitrag der Bibel zum Machtdiskurs der politischen Ideenge72 So schreibt auch J. Christiaan Beker unter Berufung auf Jacob Edmonds Artikel „Death“, in: The Interpreters Dictionary of the Bible: „Nevertheless, according to the basic conviction of the Old Testament, death is not the punishment for sin: Adams and Eves punishment is a life of toil and sweat, not a loss of immortality“ (Beker 1984, S. 224). 73 Schmitt, Hans Christoph: Jahwes anthropomorphes Verhalten sei „nicht als Zeichen eines noch ,primitiven Gottesbildes zu interpretieren. Vielmehr betont ,J hiermit die Personalität und Unmittelbarkeit der Zuwendung Jahwes zum Menschen“ (S. 216). Die Schlüssigkeit dieser Argumentation will aber nicht ganz einleuchten. Sowohl die Vertreibung aus dem Paradies als auch das Verschmähen der Opfergabe Kains kann schwerlich als Zuwendung verstanden werden. 74 Nestle, Wilhelm: Vom Mythos zum Logos. Stgt 1940.

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schichte. Sie nimmt ihren Anfang in der Paradiesgeschichte, als deren Autor Harold Bloom nicht ohne Grund eine Frau vermutet75, und gipfelt im paulinischen Denken. Der Gott der Bibel aber, der sich ändert, der sich nicht gleich bleibt, ist damit ein Gott, der sich dem metaphysischen Denken verweigert. Dieser Verzicht auf metaphysische Machtbegründung ist aber seine wirkliche Macht, die neue Möglichkeiten schafft. Der Gott der Bibel ist als Lernender ein Pragmatiker, d. h. er ist seinem Wesen nach Gnade. Christian Meier hat das verkannt und nur den Griechen zugesprochen, was er der Bibel explizit abspricht, dass sie nämlich eine Vorstellung entwickelt habe, dass ein Gott sich verändere, und er schreibt unter Bezug auf Aischylos (Der gefesselte Prometheus): „Aischylos übertrug die Lehre der ,Eumeniden auf Zeus: Der Sieg für sich reicht nicht aus, es muß erst die Versöhnung der Unterlegenen hinzukommen, um ihn vollständig werden zu lassen. Aber es besteht zwischen Orestie und Promethie ein wesentlicher Unterschied: Dort steht Zeus über den Parteien und lenkt das Geschehen, hier ist er selbst Partei. Damit passiert etwas unerhört Kühnes: Der oberste Gott erhält eine Geschichte. Ich kenne sonst kein Beispiel dafür, daß ein oberster Gott sich wandeln muß, damit seine Herrschaft zugleich gerecht und dauerhaft wird. Götter mögen geboren werden und ein bestimmtes Alter erreichen, sie haben insofern eine ,Biologie, aber eine ,Geschichte im Sinne einer inneren Reifung haben sie nicht. Auch die Reue Gottes im Alten Testament ist nicht so radikal gedacht: Da ändert Jahwe nur seine Politik.“76 Meier fällt also genau so auf die Redaktion der biblischen Geschichten herein wie Sicker, indem er Gen 1 als hermeneutischen Schlüssel für alles Folgende akzeptiert. Er übersieht, dass der Gott des Alten Testaments nicht nur mit keiner Metaphysik zu vereinbaren ist, sondern antimetaphysisch vorgeht, Metaphysik als Abfall betrachtet. Das hat weitreichende Folgen für Meiers politisches Denken, denn er übersieht, dass das republikanische Denken sich nicht der politischen Theorie der Griechen, sondern der Bibel verdankt. Karsten Fischer bezieht sich auf Meier, wenn er die Ausdifferenzierung des Politischen aus dem Religiösen bei den Griechen verortet: „Insoweit ist jegliche demokratische Politik ein Akt von Säkularisierung“77. Nun hat aber Eric Nelson in seinem kürzlich veröffentlichten Buch über die Hebrew Republic gezeigt, dass gerade der moderne Republikanismus nicht über Rekurs auf die klassische Antike, sondern auf das Alte Testament begründet worden ist: „(I)f one compares the average number of Biblical citations in the political works of Petrarch, Bruni, Machiavelli, More, and Guicciardini with the number in the political works of Grotius, Selden, Milton, Pufendorf, and Locke, one can be in no doubt about the direction in which the dis-

75

Siehe Bloom. Meier, Christian: Die politische Kunst der griechischen Tragödie, München 1988, S. 168 f. 77 Fischer, S. 40. Fischer verweist in diesem Zusammenhang auf Meier, Christian: Die Entstehung des Politischen bei den Griechen, Ffm 1983. 76

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course is moving.“78 Die klassischen Autoren seien indifferent gegenüber Monarchie, Aristokratie und Demokratie gewesen, sie hätten sie nur von ihren Verfallsformen unterschieden. Dagegen sei die Monarchie von den protestantischen Staatsdenkern unter Bezug auf die Hebräische Bibel und die Rabbinen als von Grund auf illegitim betrachtet worden. „(T)hey now began to claim that monarchy per se is an illicit constitutional form and that all legitimate constitutions are republican.“79 Die Wiederentdeckung der hebräischen Sprache und der Hebräischen Bibel in der Folge der Reformation habe aber nicht nur das politische Denken verändert, sondern die Redistributation als Staatsaufgabe wieder anerkannt und die Toleranz verkündigt.80 Eric Nelsons Hinweis ist aber im Hinblick auf die immer wieder versuchte Verankerung des Gottesbegriffs in der Verfassung dahingehend zu ergänzen, dass die Begründung einer republikanischen Verfassung nicht nur die antimonarchische Tradition der alttestamentlichen Literautur in den Blick nehmen darf, sondern auch den Gottesbegriff des Alten Testaments, der sich eben nicht gleich bleibt. Damit garantierte die Verfassung, wäre sie auf diesen Gott bezogen, aber gerade nicht die Stabilität einer religiösen Tradition, sondern eine gerade ihr gegenüber geforderte Lernfähigkeit. Gott verändert sich also schon im Verlauf der ersten drei Kapitel des ersten Buches der Bibel. Jedoch beginnt der Lernprozess Gottes explizit eigentlich erst in dem auf die Paradiesgeschichte folgenden Kapitel (denn die Vertreibung aus dem Paradies ist nicht ohne weiteres als Akt der Begnadigung erkennbar, obwohl sie ja eine Veränderung Gottes insofern impliziert, als Gott die angedrohte Strafe eben nicht vollzieht, sich also in seiner Drohung nicht treu bleibt – aber das wird noch nicht explizit anerkannt). Im nun folgenden vierten Kapitel Genesis wird übrigens erkennbar, wie die Übersetzung der Bibel nicht vom ursprünglichen Text in der Ursprache, sondern dem jeweiligen hermeneutischen Grundverständnis der Übersetzer, hier am Beispiel der lutherischen und der reformierten Tradition gezeigt, geleitet ist, und wie in der reformierten Lesart Gott als ein Lernender verstanden wird. Nachdem Kain seinen Bruder Abel ermordet hat, obwohl Gott ihn vor der Sünde gewarnt hatte – „handelst du aber nicht recht, so lauert die Sünde vor der Tür, und nach dir steht ihre Begierde; du aber sollst Herr über sie werden“ (Gen 4, 7) – wird er von Gott verflucht. Bei Luther antwortet Kain mit „meine Sünde ist größer, denn dass sie mir vergeben werden möge“ (v. 13). Die Zürcher Bibel übersetzt aber mit „meine Strafe ist zu gross, als dass ich sie tragen könnte“. Anschließend wird Kain von Gott nicht nur begnadigt, sondern unter seinen besonderen Schutz gestellt. Geschieht dies auf Grund Kains Ein78

Nelson, Eric: The Hebrew Repubic, Cambridge und London 2010, S. 2. Ebenda, S. 3. 80 Ein grundsätzliches Problem des deutschen Staatsdenkens besteht darin, dass der liberale Rechtsstaat von der Renaissance her gedacht wird und nicht grundsätzlich als Republik (so bei Böckenförde). Für den frühneuzeitlichen Staat stellte sich das Problem, dass er auf Grundlagen beruhte, die er selber nicht garantieren konnte. Aus diesem Grund ist für ihn die religiöse Gesinnung und die religiöse Sinnvermittlung unabdingbar. Für die Republik gilt das so nicht. Ihre Voraussetzung ist die republikanische Erziehung, die sie selber garantieren kann und garantieren muss. Darum ist in der Republik Politik, insbesondere Bildungspolitik, res publica, öffentliche Sache. 79

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sicht in sein Vergehen (so Luther) oder auf Grund seines Protests (Zürcher Bibel)? Die Philologie hilft hier nicht weiter, denn sowohl das hebräische avon als auch das griechische aita der Septuaginta bedeuten in den überwiegenden Fällen ihres Vorkommens Schuld, lediglich aita lässt sich auch als Anklage lesen. Dennoch folgt auch die revidierte Lutherbibel mittlerweile der reformierten Übersetzung. Und Kain wird schließlich zum Städtegründer. Interessant ist übrigens, dass der Brudermord in Rom, anders als in der Bibel, nach der Stadtgründung erfolgt. In der Bibel wird ein begnadigter Mörder bzw. Totschläger zum Begründer des Rechts, in Rom wird ein Recht setzender Bruder dagegen zum Mörder seines Zwillings durch Ausnahmerecht. In der Bibel gilt also, wenn man so will, das Prinzip des nullum crimen sine lege universal, in Rom nur in den Grenzen der Stadt (Remus springt wohl über die Mauer aus der Stadt hinaus). In Rom kann das Recht nicht ohne die Drohung seiner ständigen Suspension gedacht werden, d. h. nicht ohne Blick auf den Ausnahmezustand und die kommissarische Diktatur. Hier liegt ein völlig anderes Verständnis von Verfassung vor als im östlichen Mittelmeer. Der Übergang von der Republik zur Monarchie ist in Rom kein solcher Bruch, wie ihn die makedonische Herrschaft über die freien griechischen pleis bedeutete. So untergrub schon Roms Gründungsmythos die imperiale Mission der Kaiser auf fatale Weise, bzw. er konterkarierte ihre Legitimität und damit die Legitimität des Imperiums, weil schon die Republik für sich annahm, von Beginn an den Bürgerkrieg in sich getragen zu haben (was Livius in seiner römischen Geschichte aufgreift, um mit Augustus und dessen vorgeblicher Überwindung der Bürgerkriege ein goldenes Zeitalter beginnen zu lassen). In der Bibel gehören Mord und Totschlag zum Naturzustand, die Stadt und damit der Bereich des Rechts beruht dagegen auf einem göttlichen Gnadenakt – den der Mensch Gott abverlangt. Sicker sieht auch das anders. Für ihn ist die von Kain gegründete Stadt eine gottlose Stätte: „As such, it was a challenge to the lordship of the Creator. It was by definition and by design a godless society.“81 Er steht auch hier gänzlich im Banne Philos.82 Der Fortlauf der biblischen Geschichte lässt sich aber auch anders lesen: Die Viehzucht beginnt, die Künste entstehen, die Metallverarbeitung wird entwickelt, aber alles geschieht, ohne dass Gott noch eine Rolle spielte.83 Nur als Adam noch einmal sein Weib erkennt und sie den Set gebiert, entsteht ein Geschlecht, das beginnt, den Namen Jahwes anzurufen. Aber man kann 81

Sicker, S. 62. Philo: De posteriate Caini, B. II. Harvard University Press 1958, S. 321 ff. 83 Es wird freilich auch bestritten, dass hier Kulturgeschichte angesprochen werde. Die Darstellung sei zu knapp, und man erfahre nichts über die Entwicklung von Werkzeug, das z. B. zum Städtebau notwendig sei. Hier solle also nur gezeigt werden, dass es schon vor Israel Städte gegeben habe (vgl. Seebass, Horst: Genesis I. Urgeschichte (1,1 – 11, 26). Neukirchen 1996, S. 169 ff.). Aber folgt diese Interpretation nicht auch dem Motto, dass nicht sein kann, was nicht sein darf? Seltsam, dass hier im Zusammenhang mit Stadt auch zunächst an Städtebau gedacht wird, nicht an Verfassung. Als könne einer alleine eine Stadt gründen und dann auch bauen. Beides setzt Übereinkunft vieler Teilnehmer voraus. Demgegenüber ist die Frage, welches Werkzeug benutzt wird, sekundär. Die heutige Exegese unterstellt den biblischen Autoren ihre eigene Naivität. 82

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das auch so lesen, dass Noah nicht dieser Linie, sondern der des Kain entstammt! Hier kann auch nachträgliche Bearbeitung des Textes bzw. die Vermischung zweier Überlieferungen vorliegen, denn Lamech, Noahs Vater (Gen 5, 28), wird sowohl als Nachkomme Kains (Gen 4, 18) als auch Sets genannt. So ließe sich Gen 11 auch direkt an Gen 5 anschließen, und dann zeigte es sich noch deutlicher, dass Gott in Babylon nichts zu bestrafen hat (also den Turmbau), sondern wieder, wie schon in der Paradiesgeschichte, aus Notwehr handelt. Gott spielt in der Entwicklung der Kultur des emanzipierten Menschen keine Rolle mehr. Die Allmacht Gottes, die das erste Kapitel des Buches Genesis noch durchwaltet, ist bereits im vierten Kapitel des gleichen Buches faktische Ohnmacht geworden. Gottes Macht kann dann nur durch den Bund mit Noah und schließlich den Gnadenbund mit Israel gesichert werden, d. h. letztlich auf Grund ihrer Anerkennung durch besondere, ausschließlich für diesen Zweck erwählte Partner, nachdem die Menschheit als solche ihr diese Anerkennung verweigert hat (wofür Babylon steht). Die Reflexion über die Macht, die die Bibel ist, ist eine Reflexion von Machtunterworfenen, d. h. eines Judentums, das seine kulturelle Eigenart in der Geschichte des Widerstreits zwischen Anpassung und Widerstand gegenüber den abfolgenden Imperien seiner Geschichte zu behaupten vermochte. Die Imperien der Ägypter, Assyrer, Babylonier, Perser und Makedonen konnte das Judentum überdauern. Alle diese Imperien wurden von äußeren Feinden bezwungen – abgesehen von dem Imperium Alexanders, das aber von viel zu kurzer Dauer war, um als ein Imperium gelten zu können. Es zerfiel gleich nach seinem frühen Tod. Aber mit Rom trat ein Imperium auf, dessen Machthaber sich ihrer Rolle noch nicht gewiss waren und die blutige Bürgerkriege darüber führten, was ein Imperium eigentlich ist. Hier bot sich die Chance, einzugreifen. Und weil die römische Tradition kein imperiales Selbstverständnis bereitstellen konnte, suchte Rom propagandistische Anleihen in der griechischen bzw. hellenistischen Kultur des östlichen Mittelmeeres. Das gilt sowohl für jene Römer, die in die Alexanderrolle zu schlüpfen versuchten wie Caesar und Marcus Antonius, aber auch für Octavian, der sich von Vergil als ein Nachkomme des aus Troja entkommenen Aeneas verkünden ließ. Was Wunder, dass man den Römern in dieser Verlegenheit auch die jüdische Tradition nahelegte. Immerhin ist sie es dann ja gewesen, die Rom in der Gestalt des Christentums tatsächlich adaptierte. Es hatte sie aber auch, und zwar um den Preis des Untergangs des Imperiums, nötig, wie im folgenden Kapitel zu zeigen ist.

IV. Herrschaft und Regiment im römischen Imperium Während der Erste vor allem dadurch ausgezeichnet ist, dass er ein Charisma besitzt oder aber als legitimer Herrscher gilt, beherrscht der Zweite die Technik der Macht. Er verfügt über das Wissen um die arcana imperii, die er im Interesse des Ersten – oder auch gegen den Ersten – zur Not skrupellos anwendet.

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Es liegt nun nahe, die Trennung der Funktionen zwischen dem Ersten und dem Zweiten mit den Worten des Polen Jan Zamojskis aus dem 16. Jahrhundert zu begreifen: Le roi rgne et ne gouverne pas. Aber eine Unterscheidung der Begriffe begreift noch nicht die Unterscheidung in der Verwendung der Begriffe. Die französische Überlieferung gibt nicht exakt wieder, was der Pole im polnischen Reichstag in Anwesenheit Sigismunds III natürlich nicht in Französisch, sondern in Latein formulierte, und was Adolphe Thiers dann für seine Zeit übersetzte: Regna, sed non impera. Aber imperare ist von gouverner (gubernare) sehr wohl zu unterscheiden. In Rom war gerade der Erste Imperator, d. h. zunächst nur Inhaber des militärischen Oberbefehls. Dass sich dieser militärische Ausdruck im politischen Bereich durchsetzte, wirft ein bezeichnendes Licht auf das Verhältnis zwischen Militär und Politik in Rom. Mars regierte die Stunde. Hinter den Imperatoren standen die Legionen. Laut Plutarch soll Cäsar während einer Alpenüberquerung und angesichts eines kleinen Dorfes auf die Frage, ob man sich da auch so heftig um Ämter und Posten streite wie in Rom, geantwortet haben: „Ich wenigstens wollte lieber hier der Erste als in Rom der Zweite sein“ (Plut. Caes. 11,4)84. Das wird, wäre der Ausspruch historisch, seine Begleiter zuversichtlich gestimmt haben. Denn die Versorgung ihrer Ansprüche konnte nur durch diesen Ehrgeiz gesichert werden. Das hatte sie die Erfahrung gelehrt. Einer der ihren musste das imperium auch in Rom übernehmen, besser gesagt, auch Rom seinem imperium unterwerfen. Die Legionen des Lucullus und die des Pompejus, zweier berühmter Heerführer aus der späten Phase der Republik, waren nämlich weitgehend leer ausgegangen, obwohl sich Pompeius an die Optimaten verkauft hatte. Die Soldaten forderten m. a. W. ihre Versorgung über die Zeit ihres aktiven Dienstes hinaus. So zwangen sie ihre Imperatoren in die Politik. Erfolgreiche Heerführer mussten, wollten sie sich auf die Loyalität und die Tapferkeit ihrer Soldaten in den Feldzügen verlassen können, notgedrungen Politiker werden, und zwar Politiker auf der Seite der popularen Partei, die die Landverteilung unter die Soldaten gegenüber den Optimaten, der Partei des senatorischen Adels, durchzusetzen versuchte. Wir wissen heute, dass das Motiv der römischen Aristokratie, die sich gegen die Verteilung von Land an die aus dem aktiven Dienst ausscheidenden Soldaten wehrte, nicht alleine Gier nach Land war. Vielmehr war man auch besorgt, wie die Lebensmittelversorgung Roms zu sichern war. Mit kleinparzelliger Landwirtschaft war das nicht mehr zu leisten. So weit dachte aber niemand, der in Gallien marschierte und focht. Aber Caesar musste es bedenken. Als er freilich die Macht endlich ergriffen hatte, nachdem also die Würfel zu seinen Gunsten gefallen waren, konnte er die strukturellen Probleme in Rom nicht lösen. Sein Fall begann schon mit seinem Sieg im Bürgerkrieg und lange vor den Iden des März im Jahre 44 v. Chr. Caesar war als Sieger über die Optimaten auf jene angewiesen, die er besiegt hatte. Die hatten aber nicht begriffen, dass Rom auch auf einen Caesar angewiesen war, wollte es sich als Impe84 Plutarch: Fünf Doppelbiographien B.1. Übers. v. K. Ziegler und W. Fuhrmann. Düsseldorf und Zürich 2001, S. 219.

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rium bewähren und erhalten. Rom stand vor dem Problem, die Dialektik zwischen Erstem und Zweitem lernen zu müssen. Es wurde ein langer Prozess der Aufeinanderfolge von Versuchen und Irrtümern, bis das Problem gelöst war. Schon der erste Versuch kostete nahezu alle uns heute noch namentlich bekannten Protagonisten das Leben, abgesehen von den nicht gezählten namenlosen Gefallenen und ermordeten Zivilisten. Augustus Octavian, Caesars Nachfolger, ging einen anderen Weg. Er setzte nicht auf Gewalt, sondern auf Kooperation. Es ist aber ein Irrtum anzunehmen, dass sein Weg politisch der erfolgreichere gewesen sei, wie es etwa bei Richard Heinze, der unser Augustusbild maßgeblich mitgeprägt hat, durchklingt, wenn er schreibt: „Augustus Schöpfung hat annähernd in den Formen, die er ihr gegeben hat, Jahrhunderte lang bestanden.“85 Aber was hat Augustus eigentlich geschaffen? Anders als Heintze urteilt Alfred Heuss über die Regierungszeit Oktavians: „Spannungen zwischen Augustus und der Aristokratie waren (…) unvermeidlich. Sie haben in der Tat auch nicht gefehlt und führten teilweise zu höchst bedenklichen Konflikten. Durch die ganze Regierungszeit des Augustus ziehen sich, bis in die letzten Lebensjahre, Anschläge auf sein Leben. Zeitweise trug er im Senat unter seinem Zivilkleid einen Panzer.“86 Indem Augustus nicht der Erste sein wollte, aber der Erste in der Tat und laut Titel (princeps) doch war, erreichte er zwar für seine Lebenszeit eine fragile, aber dennoch relative Stabilität der res publica87 – eine institutionelle Sicherung der Macht der Dynastie gelang ihm aber nicht. Seine Nachfolger changierten darin, auf der politischen Bühne entweder den Caesar oder den Augustus zu geben, d. h. offen die Monarchie anzustreben oder sie als Republik zu tarnen. Ihr Problem bestand so lange fort, so lange es nicht gelang, die Rollen des Ersten und des Zweiten zu institutionalisieren. Institution verstehe ich hier im Sinne von John Searle, der brute facts der Natur von institutional facts unterscheidet: „Brute facts exist independently of any human insti85

Heinze, Richard: Die augusteische Kultur. 3. Aufl. Darmstadt 1960, S. 15. Heuss, Alfred: Römische Geschichte. 6. Aufl. Paderborn, München, Wien und Zürich 1998, S. 280. 87 Vergl. auch Dahlheim, Werner: Augustus. Aufrührer – Herrrscher – Heiland. Eine Biographie. München 2010. Dahlheim schwankt etwas in der Einschätzung der Leistung des Augustus, auch der Stabiliität der von ihm repräsentierten Macht. Das ist sicher auch darin begründet, dass Dahlheim eine Biographie des Augustus vorlegen wollte. In seinem Caesarbuch zeigt er seinen Protagonisten mehr als einen Getriebenen (Dahlheim, Werner: Julius Caesar. Die Ehre des Kriegers und der Untergang der römischen Republik. München 1987; neu aufgelegt und überarbeitet unter dem Titel: Julius Caesar. Die Ehre des Kriegers und die Not des Staates. Paderborn, München, Wien und Zürich 2005). In seinen Caesarbüchern versteht Dahlheim Augustus noch als den Vollender dessen, was Caesar nicht gelungen sei, nämlich die Not des Staates zu beenden. Was aber, wäre Augustus wie Caesar einem Attentat zum Opfer gefallen? Und Anschläge auf sein Leben hat er fürchten müssen. Eine dauerhafte Institutionalisierung der Macht gelang auch Augustus nicht, sodass auch keine Rede davon sein kann, er habe die Not des Staates beendet. Ein gelungenes Attentat auf ihn hätte ihm die gleiche historische Würdigung eingebracht wie Caesar. Der Bürgerkrieg war nicht beendet, sondern nur unterbrochen worden. Dass Dahlheim zudem in seinem Augustusbuch die Überlieferung der Evangelien historisch ernst nimmt, ist verwunderlich. 86

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tutions; institutional facts can exist only within human institutions. Brute facts require the institution of language in order that we can state the facts, but the brute facts themselves exist quite independently of language or of any other Institution. (…) Institutional facts, on the other hand, require special human institutions for their very existence. Language is one such institution; indeed, it is a whole set of such institutions.“88 Die Probleme der römischen imperialen Macht sind also vor dem Hintergrund dieses Institutionenverständnisses Kommunikationsprobleme, die es eben auch den Kritikern der imperialen Ansprüche Roms ermöglichten, sich störend in diese Kommunikation einzuschalten. Die kaiserliche Propaganda stand durchaus vor dem gleichen Problem wie Paulus, nämlich ebenfalls eine Interpretationsgemeinschaft zu etablieren, die ihre neue Semantik, die es auch erst herauszubilden galt, verstand und akzeptierte. Der Fortschritt im weiteren Verlauf der Geschichte bestand dann darin, dass auch neue Begriffe und die entsprechenden Vorstellungen entwickelt wurden, die Kommunikation als kollektives Verhalten über erwartetes kollektives Verhalten der Zukunft zu optimieren. Das heißt aber nicht, dass der Grundkonflikt zwischen Erstem und Zweitem damit aufgehört hätte. Aus der römischen Zeit setzt er sich im mittelalterlichen Streit zwischen Kaiser und Papst fort – und besteht bis heute, wenn man etwa an das Verhältnis zwischen Willy Brandt und Herbert Wehner oder das zwischen Gerhard Schröder und Franz Müntefering denkt, um zwei zeitgenössische Beispiele zu bemühen. Es handelt sich um ein Grundproblem des politischen Betriebs überhaupt. Hier interessiert das aber nur hinsichtlich seiner Auswirkungen auf die politische Theologie des Neuen Testaments, dessen politischer Kontext das römische Imperium gewesen ist, das Egon Flaig wie folgt charakterisiert: „Die römische Monarchie war ein Akzeptanz-System. Die Monarchie als Institution war unbestritten, also legitim, die einzelnen Kaiser konnten gestürzt werden, sie waren also im strengen Sinne nicht legitim, sondern wurden akzeptiert. Akzeptanz soll heißen: verlierbare Zustimmung bestimmter relevanter Gruppen zur Herrschaftsbefugnis einer bestimmten Person.“89 Die römische Monarchie war offiziell eine Republik, aber die Republik war eine heimliche Monarchie. Unter Augustus war sie noch sehr heimlich. Später wurde sie für alle Beteiligten immer unheimlicher. Es wird zu zeigen sein, dass das der Preis war, den der Bestand des Imperiums erforderte, dass das aber auch zu einer Entrechtlichung und damit einhergehend einer Entinstitutionalisierung der überkommenen politischen Machtverhältnisse führte. An die Stelle von Institutionen trat dann nach der Ermordung des Nero, d. h. nach dem Erlöschen der julisch-claudischen Dynastie, wieder die nackte Gewalt in der Form des Bürgerkriegs. Gemeinhin betrachtet man mit dem Herrschaftsantritt des Augustus die römischen Bürgerkriege als beendet. Aber das ist nur kaiserliche Propaganda, die Augustus mit 88

Searle (1996), S. 27. Flaig, Egon: Wie im Westen des Imperium ein neues politisches System entstand, in: Jussen, Bernhard: Die Macht des Königs. Herrschaft in Europa vom Frühmittelalter bis in die Neuzeit. München 2005, S. 3. 89

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der Hilfe des Maecenas, der die Dichter in der Tasche hatte, steuerte. Vergil und Horaz priesen die vorgeblich neue Zeit als Wiederkehr des Goldenen Zeitalters, und historisierende Schriftsteller wie Livius schrieben die römische Geschichte so, als sei die Herrschaft des Augustus schon von den Anfängen der Republik her angelegt gewesen, als ziele die ganze römische Geschichte auf sie hin – so wie nicht wenige Christen die Menschwerdung Gottes in Jesus auch schon im Alten Testament als angekündigt betrachten und darum das Alte Testament durch die Brille des Neuen Testaments lesen. Aber Rom fand unter den julisch-claudischen Kaisern keine Ruhe. Und Augustus scheiterte mit seinem Versuch der sittlichen Erneuerung der römischen Gesellschaft, die das Ziel hatte, die Geburtenrate innerhalb der römischen Bürgerschaft und besonders innerhalb der Aristokratie zu heben. Nicht alle Dichter folgten ihm und ordneten sich ihm unter, wie es das berühmte Beispiel des Ovid zeigt. Augustus herrschte lange, von 30 v. Chr. bis 14 n. Chr., aber als er starb (vielleicht auch ermordet wurde90), war die Nachfolge nicht institutionell geregelt. Alle Kaiser der julisch-claudischen Familie verweigerten sich einer Institutionalisierung ihrer Macht, mit der die Nachfolge hätte geregelt werden können, weil sie sich weder den Institutionen der untergegangenen Republik noch neuen, neu zu schaffenden Institutionen mehr unterordnen wollten. So verbrachte Tiberius, der Augustus nachfolgte, einen großen Teil seiner Zeit als Kaiser auf Capri, wo er, folgt man Tacitus, seinen Lastern frönte. Vielleicht fühlte er sich auf Capri aber auch einfach nur sicherer. Caligula, der 37 n. Chr. an die Macht kam, gilt als der Prototyp des Caesarenwahns. Er wurde nach nur vier Jahren ermordet. Über ihn sprach der Senat eine damnatio memoriae aus. Claudius (41 bis 54 n. Chr.) wurde der Nachwelt von Seneca als ein Trottel vorgeführt. Er wurde auch ermordet, wie Nero, der von 54 n. Chr. bis 68 n. Chr. Kaiser war. Und solange die Kaiser lebten, beseitigten sie nicht nur tatsächliche wie auch vermeintliche Konkurrenten, nicht zuletzt auch in der eigenen Verwandtschaft – der Widerstreit zwischen dem julischen und dem claudischen Zweig der Familie konnte auch das gemeinsame Interesse, die Macht gegen die anderen Familien des senatorischen Adels zu verteidigen, nicht beenden –, sie mordeten auch aus Habgier, wohl gelegentlich auch aus reiner Mordlust. Was die augusteische Propaganda versprochen hatte, musste in den Ohren der Römer und all der Anderen, die der Macht Roms unterworfen waren, wie Hohn in den Ohren geklungen haben. Was aber schon in der römischen Geschichtsschreibung, z. B. bei Tacitus, auf die Charaktere zurückgeführt wird, hatte tatsächlich ganz andere Gründe. Es gelingt aber den römischen Intellektuellen nicht, diese Gründe zu benennen. Hier erweist sich die Literatur des griechischen Ostens, die die Monarchie in Verbindung mit der urbanen Selbstverwaltung kannte, als scharfsinniger. Sogar die Unterscheidung zwischen Erstem und Zweitem trat hier in

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So gab es das Gerücht, Tiberius und seine Mutter Livia hätten beim Ableben des Augustus nachgeholfen. Das ist wahrscheinlich nur ein Gerücht. Aber dass es dieses Gerücht gab, zeigt, dass die Zeitgenossen einen anderen Blick auf Augustus hatten als die Nachgeborenen, und dass man dem Frieden nicht traute (Tacitus, Annalen I, 5; hrsg. v. Erich Heller. München und Zürich 1982, S. 21).

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den Blick. Der Osten wusste, dass Macht der Anerkennung von unten bedarf, soll sie Bestand haben. Die Lösung des Konfliktes zwischen Erstem und Zweitem konnte gerade im Hinblick auf die imperiale Ausrichtung der römischen Macht, die die Unterscheidung zwischen Erstem und Zweitem aber auf der anderen Seite auch wieder notwendig machte, nicht gelingen. Die Katze biss sich in den Schwanz. So war das Kaisertum und das jeweilige persönliche Scheitern der Protagonisten kein persönliches Versagen, sondern durch die Verhältnisse bedingt. Das hatte Folgen für die politische Theologie. Als einer der ersten hat Erik Peterson gezeigt, dass die Schriften des Neuen Testaments sich nur vor dem Hintergrund der politischen Auseinandersetzungen ihrer Zeit verstehen lassen: „In einer Welt, die notwendigerweise von allem Institutionellem gelöst ist, da die Juden ohne König sind und die Heiden nur den Cäsar haben, muß auch der König der kommenden Welt in dem Kampf um den zukünftigen Äon etwas von einem Imperator annehmen.“91 Die Götter oder Gott oder Christus sind Modelle imperatorischer Macht. In der Antike ist jedes Gespräch über Götter und Gott gleichzeitig ein Gespräch über Macht und damit über Politik. Und auch das Neue Testament ist ein in der Sprache der Theologie geführter Diskurs über die Verfassung, die der Würde der in der Welt Letzten gerecht zu werden vermag, und das vor dem Hintergrund der Verfassungskrise Roms. Der Erste kann nicht gleichzeitig Zweiter sein, und umgekehrt der Zweite nicht Erster. Die sich um die Macht streitenden Angehörigen des römischen Patriziats und namentlich des julisch-claudischen Kaiserhauses haben dies im Verlauf des Verfalls der republikanischen Ordnung lernen müssen. Bevor dieser zeitgenössische Hintergrund der Schriften des Neuen Testaments näher betrachtet wird, muss noch eine weitere Unterscheidung im politischen Machtverständnis untersucht werden, die nicht nur die Differenz zwischen Erstem und Zweitem zu beleuchten vermag, sondern zudem noch den Vorteil bietet, dass sie auch auf das Verhältnis zwischen Staaten bzw. Imperien und Vasallenstaaten übertragbar ist: Es ist die Unterscheidung zwischen Führung oder Hegemonie auf der einen und Herrschaft auf der anderen Seite – wobei darauf hinzuweisen ist, dass der Begriff der Herrschaft im Kontext mit Hegemonie eher im Sinn von Regiment, von Befehlsgewalt, zu verstehen ist. Heinrich Triepel hat den Begriff der Hegemonie zunächst im zwischenmenschlichen Bereich untersucht und dann auf die große Politik übertragen. Er gewann so einen Begriff der Führung, der sich übrigens, bedenkt man die Zeit, in der das Buch erschienen ist, nämlich das Jahre 1938, als eine fundamentale Kritik der NS-Herrschaft verstehen lässt.92 In diesem Zusammenhang gilt es zu bedenken, dass auch die Autoren des Neuen Testaments auf Leser Rücksicht nehmen mussten, deren Loyalität anders ausgerichtet 91

Peterson, Erik: Christus als Imperator, in: Theologische Traktate. 2. Aufl. Würzburg 1994, S. 90. Als Erster in dieser Hinsicht, der erkannte, dass die neutestamentlichen Schriften auch politisch zu lesen sind, ist natürlich Bruno Baur zu nennen: Christus und die Caesaren. Berlin 1877. 92 Triepel, Heinrich: Die Hegemonie. Ein Buch von führenden Staaten. Berlin 2. Aufl. 1943.

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war als die Loyalität der eigentlichen Adressaten.93 Die Gegenpropaganda kann oft nicht offen Stellung nehmen, ist aber gerade dann um so erfolgreicher, je besser sie den herrschenden, versteinerten Verhältnissen deren eigene Melodie vorzusingen vermag, um sie zum Tanzen zu zwingen.94 Neben dem Führer, der seine Stellung einem rechtlich anerkannten Amt innerhalb eines Verbandes verdanke, gebe es, so Triepel, auch noch den aus eigenem Entschluss heraus Führenden, dessen Führung allerdings nicht auf Zwang, sondern auf freiwilliger Gefolgschaft beruhe. Nur unter der Voraussetzung der freiwilligen Gefolgschaft, das wird betont, sei es gerechtfertigt, von echtem Führertum zu sprechen. Der Führer sei so in erster Linie Vorbild, d. h. es gehe dem Führer nicht darum, einzelne Befehle in bestimmten Situationen zu geben, er erheische vielmehr, dass seine Gefolgschaft ihr Gesamtverhalten auf ihn ausrichte. In diesem Zusammenhang spricht Triepel von einer Homogenität zwischen Führung und Gefolgschaft.95 Entsprechend sei Führung von Herrschaft zu unterscheiden: „Das Mittel, dessen sich die Herrschaft bedient, ist – vor dem Zwange – der Befehl.“96 Führung dagegen beruhe auf Autorität, über die Triepel schreibt: „Autorität ist nicht Macht, erst recht nicht Herrschaft, sondern sie ist eine die Macht des Mächtigen begründende Eigenschaft (…) Denn jede Autorität ist eine ,anerkannte Autorität; das Wort ,Zwangsautorität enthält einen inneren Widerspruch.“97 Damit sei Führung auch gebändigte Macht, „Selbstbändigung der Macht einer Person, die vielleicht Herrscher werden könnte und dürfte, es aber nicht werden will.“98 Der Führer sei eigentlich Erzieher – „wie ja überhaupt Führen und Erziehen, ducere und educere, aufs innigste miteinander verwandt“ seien.99

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In diesem Sinne muß m. E. auch Röm 13 gelesen werden. Wenn es da gleich zu Beginn heißt, alle exousiai seien von Gott eingesetzt, so kann man das als Zensor mit einer gewissen Beruhigung lesen, denn die Macht des Kaisers wird nicht in Frage gestellt, nur seine Vergöttlichung, die weder die römische Aristokratie noch die plebs urbana sonderlich ernst nahm. Tatsächlich erfolgt aber eine Entmythologisierung aller staatlichen Gewalt, der hier ein Spiegel vorgehalten wird. Der Text wird zwar deskriptiv formuliert, ist aber präskriptiv zu verstehen. 94 Marx, Karl: Zur Kritik der Hegelschen Rechtsphilosophie. Einleitung. In: MEW B.1, Berlin (Ost) 1981, S. 381. 95 Triepel, S. 25. 96 Ebenda, S. 33. 97 Ebenda, S. 34 f. 98 Ebenda, S. 41. 99 Ebenda, S. 43. Für Triepel war Adolf Hitler so wenig ein Führer wie für Paulus das römische Imperium ein Diener Gottes (Röm 13,4). Von Triepel und Paulus lässt sich die Kunst lernen, unter den Bedingungen der Tyrannis öffentlich so Stellung zu nehmen, dass sie als Tyrannis demaskiert wird, ohne sich wehren zu können. Das ist dann doch schon ein anderer Umgang mit den Tyrannen als jener, den Leo Strauss in seinem Kommentar zu Xenophons Hieron, Über Tyrannis (Neuwied 1963), vorschlägt, denn hier geht es nicht nur um das bloße Überleben des Intellektuellen, und wie er sich gegenüber dem Angebot, Zweiter zu werden, aus der Affäre retten kann, ohne Blessuren davonzutragen. Bei Triepel und Paulus kann nicht zwischen einem esoterischen und einem exoterischen Text unterschieden werden, und hier wird keine Philosophie vertreten, die nur die Philosophen verstünden. Hier handelt es sich auch nicht

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Es liegt nun nahe, im Ersten den Führer zu sehen, der Kraft seiner Autorität den Massen ein Vorbild ist, während der Zweite dem Ersten darin dient, dass er für ihn regiert. Die Stellung des Ersten wird dann aber immer vom Zweiten abhängig sein, der den Stab leitet. Freilich ist die Stellung des Zweiten prekärer, denn er muss nicht nur nach unten hin leiten, regieren, befehlen, sondern er muss auch den Ersten über ihm führen – er muss beides beherrschen. Er führt vor allem durch die Filterung von Information, aber auch im Gespräch. Er führt nicht wie der Erste durch Vorbild, also offen, sondern verdeckt. Balthasar Gracian hat in seinem Handorakel gezeigt, wie das zu geschehen hat. Der Erste enthält sich dagegen der Befehle, auch gegenüber dem Zweiten. Sobald aber der Zweite mehr als nur Gehorsam, sondern Gefolgschaft findet, wird er danach streben, die Führung für sich zu beanspruchen – jedenfalls wird der Erste solches Misstrauen gegenüber dem Zweiten nicht mehr verlieren und verlieren dürfen – und Andere werden sich im Bund mit dem Ersten entweder des Zweiten entledigen, oder umgekehrt, der Zweite wird sich mit Anderen im Bunde des Ersten entledigen. Erster und Zweiter können die Rolle des jeweils anderen nicht gleichzeitig mitspielen. Es ist aber unerlässlich, dass beide sich ständig in die Lage des anderen versetzen, was Konflikte zwangsläufig zur Folge haben muss, weil zukünftige Verhaltensalternativen des Anderen stets mit bedacht und in Rechnung gestellt werden müssen. Das Paradebeispiel für einen solchen Konflikt ist die Auseinandersetzung zwischen Tiberius und Seianus, der den Kaiser während der Zeit, die er auf Capri verbrachte, in Rom vertrat, und die hier zudem noch von Interesse ist, weil Pontius Pilatus seine Karriere vielleicht dem Seianus verdankte und dann nach dessen Sturz bei Tiberius nicht hätte auffällig werden dürfen. Darauf wird noch zurückzukommen sein. Die Ausstrahlung des Ersten geht weiter als die des Zweiten. Die innere Machtstruktur von Imperien, die, wie Herfried Münkler zeigt, sich nicht wie Staaten dadurch auszeichnen, dass sie klar abgrenzbare Grenzen analog der Staatsgrenzen haben, sondern in einem Raum wirken, in dem nur zwischen Zentrum und Peripherie unterschieden werden kann100, wird darum immer von diesem zwiespältigen Verhältnis einer eliptischen Polarität zwischen Erstem und Zweitem geprägt sein. Der Erste führt die Peripherie und wirkt in sie hinein, während der Zweite das Zentrum regiert. Diese Arbeitsteilung gelang Julius Caesar noch nicht. Zwar hatte er seine Vertrauten in Rom, die für ihn die Kleinarbeit der Regierung besorgen sollten, aber sie waren nicht mächtig genug, die Gegner und auch potentielle Zweite, zumeist beides in einer Person, auszuschalten oder zu kontrollieren. Partnern wie Marcus Antonius konnte Caesar nicht vertrauen, sie akzeptierten seine Führung nur widerstrebend. Aber Gestalten wie Pansa, Hirtius und Matius, die sich als hervorragend in Finanzum Ratschläge wie im Falle der Fürstenspiegel, also um Vorschläge, die umgesetzt werden könnten – Paulus z. B. redet erst gar nicht mit den Tyrannen, sondern über sie. 100 Münkler, Herfried: Imperien. Die Logik der Weltherrschaft – vom Alten Rom bis zu den Vereinigten Staaten. Berlin 2005: „Ein Imperium ist (…) zu unterscheiden von einem Staat, genauer: vom institutionellen Flächenstaat, der gänzlich anderen Imperativen und Handlungslogiken unterliegt als ein Imperium“ (S. 16).

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geschäften ausgewiesen hatten, mangelte es an vornehmer Herkunft und entsprechend an Autorität. Ventidius Bassus war vom Maultiertreiber zum Heereslieferanten aufgestiegen, verdankte also sein Vermögen Caesar, und war nicht anerkannt. Rabirius Postumus, in dem Ronald Syme noch einen Idealisten vermutete, war wohl als Bankier mehr ein Abenteurer, ein Hasardeur.101 So mied Caesar, weil er der Erste sein und bleiben wollte, das Zentrum, das ihm mehr und mehr verloren ging, und fand in der Peripherie seine Bestätigung. Die Attraktivität der Kleopatra lag wohl weniger in ihrem Äußeren als darin begründet, dass sie als Spross einer alten Dynastie Trägerin von Charisma war. Caesar unterschätzte aber das Misstrauen, das ihm dieser Sachverhalt in Rom zusätzlich einbrachte und einbringen musste. Der Bürgerkrieg war militärisch gewonnen, aber was das politisch bedeutete, war nicht klar. So schreibt Christian Meier: „Jetzt (…) ging es darum, meuternde Legionen zu befriedigen, wirtschaftliche Probleme zu lösen, die Ordnung in Rom aufrecht zu erhalten und schließlich all die Fragen der Personalpolitik mit Geschick und Takt anzupacken, ohne die Caesars Stellung in Rom in der Luft hing. (…) Dies alles konnte Caesar nur selbst erledigen.“102 Er konnte es aber nicht! Nicht, weil er persönlich versagt hätte, sondern weil der Erste eben nicht gleichzeitig Zweiter sein kann. Aus Caesars Scheitern lernte der Nachfolger, dass er sich besonders um das Zentrum zu kümmern hatte, und er mied die Peripherie. Während Caesar sich in den Krieg gegen die Parther retten und das Imperium imperialistisch machen wollte103, wurde unter Augustus der Janustempel zunächst geschlossen.104 Imperien werden auch imperialistisch, wenn sich innenpolitisch die Macht nicht im Sinne einer klaren Arbeitsteilung zwischen Erstem und Zweitem zu organisieren versteht, auf die der Erste eben angewiesen ist. Im Interesse seines Machterhalts flüchtet er sich dann ins Militärische. Octavian dagegen begnügte sich mit den Titeln augustus und princeps (abgesehen natürlich von den untergeordneten republikanischen Ämtern, die er noch bekleidete). Offiziell regierten der Senat und die Konsule. In seinen Res gestae betont er, dass er sowohl die ihm angetragene Diktatur als auch das Konsulat auf Lebenszeit abgelehnt habe.105 Augustus gerierte sich nicht einmal als Erster, sondern stellte sich in der römischen Öffentlichkeit als der Zweite dar, der einem abstrakten Ersten diene, nämlich dem römischen Imperium, für das er dann auch weiter kräftig Kriege führte, bzw. führen ließ. Die Be101 Vergl. Syme, Ronald: Die römische Revolution. Machtkämpfe im antiken Rom. Stgt 2003, S. 79 und S. 87. Allerdings schwächt Syme sein Urteil ab, wenn er hinsichtlich der Zusammenarbeit zwischen Postumus und Octavian nach der Ermordung Caesars bemerkt, dass Postumus zu allen dunklen Geschäften bereit gewesen sei (S. 137). 102 Meier, Christian: Caesar. 2. Aufl. Berlin 1982, S. 493. 103 Herfried Münkler weist darauf hin, dass Imperien nicht unbedingt aus Imperialismus, also einem Willen zum Imperium heraus, entstehen müssen: „Es gibt zweifellos eine imperiale Dynamik, die aus dem Zentrum zur Peripherie drängt und den eigenen Machtbereich immer weiter expandiert; daneben ist jedoch ein von der Peripherie ausgehender Sog zu bemerken, der ebenfalls zur Ausdehnung des Herrschaftsbereiches führt“ (Münkler, Imperien a.a.O. S. 21). 104 Sehr zu Unrecht, wie schon die Aufzählung der militärischen Siege zeigt, deren sich Augustus in seinen Res gestae rühmt. 105 Augustus: Meine Taten – Res Gestae Divi Augusti. München 1970, S. 15.

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tonung, dass er sich als ein Dienender verstand, zeigen schon die Eingangsworte seiner Res gestae: „Rerum gestarum divi Augusti, quibus orbem terra(rum) imperio populi rom(a)ni subiecit“. Die republikanische Ordnung bestand nach außen hin fort. Alfred Heuss skizziert die Aufgabe, die sich Octavian nach dem Sieg im Bürgerkrieg stellte, folgendermaßen: „Die Dinge hatten sich in einer Sackgasse festgelaufen. Die Tat des Augustus bestand nun darin, sie aus dieser herausgeführt und einen Weg gefunden zu haben, der zur Monarchie überleitete und dennoch die Existenz des alten Freistaates nicht grundsätzlich verneinte. Dieses schwierige Ziel war indes nur zu erreichen, wenn zu den äußeren Maßnahmen des Machthabers sich eine innere Zustimmung der Beherrschten gesellte und der neue Zustand nicht nur der Abfolge geschickter Anordnungen entsprang, sondern ebenso sich in der Einstellung und Haltung des öffentlichen Bewußtseins verwirklichte.“106 Hier kommt dann die Propaganda ins Spiel. Im Osten dagegen, wo Augustus als Gott verehrt wurde, blieb die Verwaltung der Provinzen dem Senatsadel vorbehalten, der hier also die Rolle des Zweiten übernahm. Ägypten freilich war von Anfang an kaiserliche Provinz. Augustus vollbrachte also das Kunststück, in den Provinzen der Erste, in Rom aber der Zweite zu sein, während in Rom sowohl in der Propaganda als auch in der Art und Weise, wie die politische Macht sich aufführte, die abstrakte res publica an erster Stelle stand. Es war nichts als Theater.107 Vor dem Hintergrund der imperialen Ordnung und dem daraus resultierenden spannungsreichen Verhältnis zwischen Erstem und Zweitem konnte aber eine dauerhaft friedliche Lösung nicht gelingen. Das Problem des Zweiten und des Ersten ist nämlich die Nachfolge. Der Erste kann sich seiner Stellung, gleichwohl er in der Abhängigkeit zum Zweiten steht, sicherer sein als der Zweite, sofern seine Nachfolge geregelt ist, d. h. sofern er einen allgemein anerkannten Nachfolger hat, in der Regel einen legitimen Erben. Die Zweiten bilden keine Dynastien. Das ist der Preis, den sie dafür zu entrichten haben, dass sie die tatsächliche Macht ausüben, dass sie, um es mit Triepel auszudrücken, herrschen, d. h. Entscheidungen fällen und durchsetzen. Die julisch-claudische Dynastie ging auch darum zu Grunde, weil es schon dem Augustus nicht gelang, legitime und geeignete Erben vorzuweisen. Alle, die er in den Blick nahm, starben vor ihm, bis sich schließlich nur noch Tiberius anbot. Die julisch-claudische Familie scheiterte aber auch daran, dass es ihr nicht gelang, das Zentrum zu kontrollieren. Ihr ging hier das verloren, was zu Recht als der Kitt jeder stabilen Ordnung betrachtet werden kann, nämlich die fides, griechisch pstis, was am besten wohl mit Loyalität zu übersetzen ist. Das hat aber mit der ungeregelten Nachfolgefrage zu tun. Es entstanden keine dauerhaften Loyalitätsbeziehungen. 106

Heuss, S. 272. Laut Sueton zitierte Augustus auf seinem Sterbebett die auf der Bühne des Theaters übliche Schlussformel: „Wenn es gut gefallen euch, gewähret Beifall diesem Spiel, und dankend laßt uns alle nun nach Hause gehen“ (Sueton: Leben der Caesaren. Zürich 1970, S. 163). Ob Augustus das wirklich äußerte, mag zweifelhaft sein, aber dass seine unmittelbare Nachwelt ihm es unterstellte, zeigt, wie sie kaiserliche Politik einzuschätzen vermochte. 107

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Wer dagegen ohne Zweiten Erster sein will oder aus Ermangelung an geeigneten Kandidaten sein muss, scheitert wie Galba, Otho und Vitellus, jene Militärführer, die nach dem Sturz Neros die Herrschaft zu behaupten versuchten, weil ihre fides sich nicht bewähren konnte, weil sie sich in den Mühen des alltäglichen Entscheidens zu schnell verbrauchte. Wie sehr er sich darüber bewusst war, dass er eines Zweiten bedurfte, zeigte Galba, indem er den Zweiten Neros, den Prätorianerpräfekten Tigellinus, im Amt hielt, obwohl die plebs urbana dessen Hinrichtung forderte. Es war wohl eine der Hauptursachen für den dann erfolgten Sturz Galbas, dieser Forderung zu spät nachgegeben zu haben. Vitellus dagegen führte sein Ende dadurch herbei, dass er nur denen traute, die ihn zum Imperator ausgerufen und ihn dann auch in der Durchsetzung dieses Anspruchs unterstützt hatten, also Männern aus seinen Legionen. Weil er der Erste war, der nach der Beendigung des Bürgerkriegs wieder Legionen gegen Legionen geführt hatte, nämlich gegen jene, die Othos Thronanspruch verteidigten, gelang ihm damit nicht die Überwindung der von ihm verursachten Spaltung der Armee. Es ist oben gesagt worden, dass der Zweite den Ersten zu führen habe, aber dass er das nicht durch sein Vorbild erreichen könne. Das gilt aber nur in der Regel, denn es hat auch Ausnahmen gegeben. Insbesondere sollte der Führungsschwäche der julisch-claudischen Dynastie damit abgeholfen werden, dass Agrippina (die jüngere) den Seneca zum Erzieher und Berater ihres Sohnes Nero bestellte. Die weiter unten zu behandelnde Ethik des Paulus muss vor dem Hintergrund der in seiner Zeit als Herrschaftsethik vertretenen stoischen Ethik betrachtet werden. Auf den ersten Blick scheint Paulus so mit der stoischen Ethik übereinzustimmen, dass sogar im zweiten Jahrhundert ein angeblicher Briefwechsel zwischen Paulus und Seneca kursierte,108 in dem sich beide austauschen und sich ihrer gegenseitigen Wertschätzung versichern. Tatsächlich aber besteht zwischen Paulus und Seneca ein schroffer Gegensatz: Seneca beginnt sein Buch über die Milde De clementia mit den Worten: „Zu schreiben über die Milde, Kaiser Nero, habe ich mich entschlossen, um gewissermaßen ein Spiegel zu sein und dich dir zu zeigen als einen Menschen, der zur größten Freude aller Menschen werden wird“ (Sen. clem. I,1,1).109 Dies sei nötig angesichts der ungeheuren Macht, die Nero als Kaiser und Gott in Händen halte, damit ihn eben nicht der Zorn regiere, sondern er sich selber bewache. Das Versagen der Dynastie, ihre Wertlosigkeit im Hinblick auf die Erhaltung der Macht, spricht Seneca offen aus: „(N)iemand spricht mehr vom vergöttlichten Augustus noch von den ersten Jahren des Kaisers Tiberius; niemand sucht ein Vorbild, das du nachahmen solltest, außerhalb deiner Person“ (Sen. clem. I,1,6).110 Dass Seneca freilich mit seinem Buch dem Kaiser einen Spiegel vorhält, in dem dieser nicht sein, sondern das Antlitz Senecas zu sehen bekommt, verschweigt er. Es wird ihm nichts nützen. Der Kaiser wird ihn beim Wort nehmen und den Befehl zum Selbstmord übermitteln lassen. Doch 108 Henecke, Edgar/Schneemelcher, Wilhelm: Neutestamentliche Apokryphen B. II, Tübingen 1964, S. 84 ff. 109 Seneca, L. Annaeus: Philosophische Schriften B. 5, Darmstadt 1989, S. 3. 110 Ebenda, S. 7.

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noch führt Seneca. Anders aber als sein Neffe Lucan, der Caesar in seiner Pharsalia schmäht, verwirft er hier den Weg des Augustus als Erfolg versprechende Strategie im Umgang mit dem Senat. Er greift mit dem Konzept der clementia vielmehr gerade auf Caesar zurück, der seine sprichwörtliche clementia caesaris als Herrschaftsmittel eingesetzt hatte, einerseits um seiner Popularität willen, andererseits aber auch, um seine Standesgenossen zu düpieren. „Clementia war bis dahin für Rom nur ein außenpolitisches Programm gewesen: Die Milde der siegreichen, der herrschenden Stadt gegenüber den Unterworfenen, wie sie Caesar selbst mehrfach in Gallien geübt hatte. Sie hatte die Verzeihung eines Vergehens, den Verzicht auf das Recht zur Bestrafung impliziert. Vielleicht hat Caesar deshalb den Begriff Clementia in seinen Schriften stets rücksichtsvoll vermieden; er sprach von Erbarmen (misericordia), Großmut (liberalitas) und Milde (lenitas).“111 Seine Gegner empfanden es aber als clementia, und Seneca, indem er die clementia empfiehlt, propagiert damit offen caesaristische Politik. Denn Milde sei nicht Schwäche, so Seneca, wie zum Beispiel das Mitleid, die misericordia: „Mitleid aber vermeiden; es ist nämlich eine Fehlhaltung einer schwächlichen Seele, die beim Anblick fremden Elends niedersinkt. (…) Mitleid sieht nicht die Ursache an, sondern das Geschick; Milde gehört zur Vernunft“ (Sen. Clem. II,3,1).112 Aber die Probleme der Kaiser waren nicht persönlicher Art, und über Erziehung konnte das strukturelle Problem Roms nicht gelöst werden. Der kluge Ratgeber Seneca fiel dem, den er beriet, zum Opfer, als er sich gegen ihn wandte. Die schärfsten Angriffe auf die Herrschaft des julisch-claudischen Kaiserhauses wurden aus demselben heraus geführt, und nicht nur rhetorisch oder schriftstellerisch – es wurde in der Familie gemordet, und das ganz offen im Lichte der Öffentlichkeit. In der Zeit des Niedergangs der julisch-claudischen Dynastie, der noch einmal unterbrochen wurde durch die Thronbesteigung Neros, die große Hoffnungen im Imperium weckte, entstanden die ersten Schriften des Neuen Testaments, die mit einigem Recht dem Paulus zugeschrieben werden können, während die Evangelien in einer Zeit geschrieben wurden, in der sich die flavische Familie um die Gründung einer Dynastie bemühte. Darin ist auch begründet, dass Paulus einen anderen Christus verkündet als die Evangelien. Sein Christus wird ein radikaler Gegenentwurf zum Herrscherideal der Stoa sein, der sich nicht als Pantokrator abbilden lässt, wie er in den Apsiden spätantiker Kirchenbauten erscheint, den ihrerseits die Evangelien verkünden. Die Kaiser Roms bildeten zur Zeit des Apostels Paulus solch ein Vorbild nicht. Wenn Seneca schreiben kann, niemand spreche mehr vom vergöttlichten Augustus, der somit auch Nero nicht mehr als Vorbild dienen könne, dann war nach einem knappen Jahrhundert die Wirkung der ganzen Propaganda eines Vergils, eines Horaz und eines Livius schon verbraucht. Diese frühe imperiale Propaganda kann darum auch nicht mehr als Kontext für die paulinischen Briefe in Frage kommen. Paulus schreibt nicht in der Zeit des Aufstiegs, sondern des Niedergangs der imperialen Macht, 111 112

Meier, Christian (1982), S. 451. Lenitas ist freilich eher mit Sanftmut zu übersetzen. Seneca, S. 21.

V. Die imperiale Mission Roms

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d. h. in einem Klima des sich schon ankündigenden erneuten Bürgerkriegs. Die Macht der Kaiser war bereits hohl geworden.

V. Die imperiale Mission Roms Rom hat nicht entschieden, Imperium zu werden, sondern ist auf Grund seiner Machtausdehnung nach dem Zweiten Punischen Krieg wie von selbst zu einem Zentrum geworden, auf das sich die anderen Reiche, namentlich die im östlichen Mittelmeer, hinorientierten.113 Roms eigene Geschichte der Bürgerkriege scheint ihm ein gewisses Know How für den Umgang mit Bürgerkriegen anderswo verschafft zu haben. Herrschern im Osten, die sich an Rom wandten, war die eigene Macht oft wichtiger als die Unabhängigkeit, und ihre innen- und außenpolitischen Gegner wurden so automatisch Feinde Roms. Die Unabhängigkeit zu wahren konnte nur durch einen Umsturz erreicht werden. Dies bot Rom die Gelegenheit zur Intervention. Auf der anderen Seite ordneten sich auch die kleineren Mächte Rom freiwillig unter, denn die Alternative wäre nur gewesen, einem größeren Nachbarn zum Opfer zu fallen. Ihre Feinde waren ihnen näher als Rom, und Rom hielt sie im Zaum oder ihnen vom Leib. Schließlich unterstützte Rom auch Volksaufstände, wenn sich die Chance bot, romfreundliche Regime zu etablieren. Es gibt so etwas wie die Gravitation der Macht. Imperien zeichnen sich dadurch aus, dass sie Bürgerkriege zu beenden in der Lage sind, was sie dazu legitimiert, in Bürgerkriege einzugreifen – die sie freilich auch gelegentlich initiieren oder auch nur schüren, um Eingriffe zu rechtfertigen. Schon Caesars gallischer Krieg war durch die Kriege der Gallier untereinander gerechtfertigt worden, in die die germanischen Sueben unter ihrem Führer Ariovist schon eingegriffen hatten, was die Helvetier wiederum veranlasst hatte, die angestammten Wohnsitze zu verlassen und die römischen Provinzen zu gefährden. So entsprang das gallische Unternehmen Caesars nicht so sehr seinem Ehrgeiz, gleichwohl es ihm diente. Vielmehr musste er intervenieren, um die Grenze seiner ihm anvertrauten Provinzen zu sichern. Aber die Gallier waren dann auch später auf allen Seiten des römischen Bürgerkriegs beteiligt. In Pharsalus kämpften eben nicht nur Römer gegen Römer, es schlugen Truppen aus aller Welt aufeinander ein. Das Imperium war nicht nur der Wille Roms, vielmehr gab Rom einem allgemeinen Willen seine Gestalt. Dass ein Imperium sein musste, ist dieser Zeit spätestens seit Alexander selbstverständlich gewesen. Ihren allgemeinen Ausdruck fand diese Erwartung am Schluss des zwölften Buches der aristotelischen Metaphysik, wo es heißt: t de nta ou bofflleitai plithefflesthai kaks, ouk agathn polykoirane, heis koranos (Das Seiende mag nicht schlecht

113 „Es gibt zweifellos eine imperiale Dynamik, die aus dem Zentrum zur Peripherie drängt und den eigenen Machtbereich immer weiter expandiert; daneben ist jedoch ein von der Peripherie ausgehender Sog zu bemerken, der ebenfalls zur Ausdehnung des Herrschaftsbereichs führt“ (Münkler 2005, S. 21).

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beherrscht sein. Nimmer ist gut eine Vielherrschaft; nur einer sei Herrscher).114 Wahrscheinlich verhielt es sich, abgesehen vom vorklassischen Griechenland und dem Europa nach dem Westfälischen Frieden, immer so.115 Der heute erlebte Umbruch kann auch als ein sich Neugewöhnen an einen imperialen Zustand verstanden werden, dem die Peripherie noch Widerstand entgegenzusetzen versucht. Das Imperium kann und muss nun beides, was im Inneren getrennt ist, nach außen hin gleichzeitig sein, nämlich Erster und Zweiter, also Hegemonie und Herrschaft. Es muss also sowohl durch sein Vorbild als auch letztlich durch seine militärische Macht sowohl führen als auch drohen können. Ohne die Fähigkeit der militärischen Durchsetzung seiner Interessen, letztlich des militärischen Schutzes seiner Verbündeten bzw. seiner Gefolgschaft, verliert es die Fähigkeit zur Führung. Die imperialen Kriege haben auf der anderen Seite aber auch oft Bürgerkriege im Zentrum zur Folge, weil sie die Spannung zwischen ihm und der Peripherie erhöhen. Die Gewalt der Peripherie greift dann auf das Zentrum über, während umgekehrt der Bürgerkrieg im Innern auch die Gewalt an den Rändern zu provozieren vermag. Dies wird am Beispiel des Jüdischen Krieges 66 bis 71 n. Chr. zu zeigen sein, der für die Autoren der Evangelien den entscheidenden Referenzrahmen bildet. Die römische Republik hatte als Großmacht im Übergang zu einem Imperium versagt. Sie war zwar von den anderen kleineren Mächten als Hegemonie begrüßt worden, hatte sich aber zunehmend als Imperium und nicht als Hegemon (in der Unterscheidung folge ich hier Triepel) gebärdet. Auch die Verbündeten waren wie Unterworfene dem hemmungslosen Erwerbstrieb der römischen Oberschicht ausgeliefert gewesen.116 Dies hatte schon zu den Bundesgenossenkriegen geführt (91 – 89 v. Chr.). Aber letztendlich waren auch die Bürgerkriege zwischen den Protagonisten sowohl des ersten als auch des zweiten Triumvirats schon durch den Gegensatz zwischen dem mediterranen Osten und Westen geprägt.117 Weil es aber den Gegensatz zwischen Zentrum und Peripherie gibt und dieser die Unterscheidung zwischen Erstem und Zweitem nötig macht, deren Verhältnis selber in sich spannungsgeladen ist, ist das Imperium nicht der versprochene Frieden gewesen. Die Schriften des Neuen Testaments wollen den Zwiespalt zwischen Anspruch und Wirklichkeit aber nicht nur aufzeigen, sie versuchen auch, mit der religiös-politischen Sprache ihrer Zeit die Gründe für das Scheitern des imperialen Ansatzes aufzudecken. Sie verfolgen dabei freilich keine einheitliche Strategie. So zeigt Lukas 114 Aristoteles: Metaphysik Bücher VII (Z) bis XIV (N). Neubearbeitung der Übersetzung von Hermann Bonitz. Mit Einleitung und Kommentar hrsg. von Horst Seidl. Griechischer Text in der Edition von Wilhelm Christ. Hamburg 1991, S. 274 f. Diesen Hinweis, auch dass Aristoteles hier Homer zitiert (Ilias II 204 f.), verdanke ich Erik Peterson: Der Monotheismus als politisches Problem, in: Peterson, Eric: Theologische Traktate a.a.O. S. 25. 115 Vgl. Ferguson, Nial: Colossus. The Rise and Fall of the American Empire. London 2005: „It is the nation state – an essentially nineteenth-century ideal type – which is the historical novelty, and which may yet prove to be the more ephemeral entity“ (S. XII). 116 Davon gibt Ciceros Rede gegen Verres ein beredtes Zeugnis. 117 Vgl. Zanker, Paul: Die Macht der Bilder. 2. Aufl. München 1990.

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Bormann am Beispiel des Lukasevangeliums, wie sehr die rechtliche Ordnung als korrumpiert empfunden worden ist, wie groß aber auch eine Sehnsucht nach einem Recht, das der Gerechtigkeit dient, gewesen sein muss. In der Hoffnung auf die von Jesus verkündete basilea toffl theoffl und im Glauben an den charismatischen Christus habe diese Sehnsucht einen Ausdruck gefunden, aber im Lukasevangelium eben nicht im Hinblick auf ein Ende des römischen Imperiums, sondern auf seine Verwandlung. Über den Prozessbericht des Lukasevangeliums schreibt Bormann: „Die lukanische Darstellung führt die römische Provinzialverwaltung in den Gegensatz zwischen Anspruch und Wirklichkeit. Sie kritisiert nicht die Grundsätze römischer Verwaltungspraxis, sie fordert im Gegenteil geradezu die Einhaltung des Beamtenspiegels, wie er sich in den Digesten findet. (…) Die hellenistische Welt akzeptiert die guten Seiten römischer Politik und fordert deren Verwirklichung in der politischen Wirklichkeit.“118 Das Lukasevangelium und die Apostelgeschichte betreiben eine Verrechtlichung der Botschaft Jesu, indem sie die Überlieferung mit rechtlichen Details anreichern, sie freilich auch in einem rechtlichen Kontext zu interpretieren suchen, und zwar vor dem Hintergrund, dass das römische Recht den Mittelmeerraum durchdringt. „Die Erfahrungen der Gemeinde mit polizeilichen und gerichtlichen Auseinandersetzungen möchte er (der Verfasser des Lukasevangeliums und der Apostelgeschichte; Anm. M. E.) in seinen Schriften über die Entstehung und Ausbreitung der Jesusjüngerschaft konstruktiv bearbeiten. Er entlastet die juristischen Vorgänge von einem ihnen unangemessenen Interpretationsrahmen, indem er sie aus dem Bezug zum Endgericht und zur Parusie löst, und schafft so Raum für das Interesse am Bestehen in der konkreten rechtlichen Situation. Die Jesusanhänger sollen sich vor Synagogen, Versammlungen, Behörden und Gerichten so verhalten können, daß sie auch nach dort geltenden Regeln freigesprochen werden können.“119 Folgt man Bormann, dann ist das Lukasevangelium sicher ein Ausweis für einen hohen Bildungsgrad seines Verfassers, was die formale juristische Bildung betrifft, aber auch für einen Hohlkopf im Hinblick auf seine politische Bildung bzw. seinen politischen Instinkt. Aber diese Mischung ist auch heute noch weit verbreitet. Die lukanische Position auf der einen und die paulinische auf der anderen Seite bilden die Ränder eines Spektrums, in dem sich die Haltung der ersten Gemeinden gegenüber dem römischen Imperium widerspiegelt. Dabei ist aber zu berücksichtigen, dass es das Imperium, wie es z. B. in den lukanischen Schriften geschildert wird, so gar nicht gab, und zwar weder in der Zeit der julisch-claudischen Dynastie noch danach. Im Lukasevangelium und der Apostelgeschichte ist nicht nur das Himmelreich, sondern auch das geschilderte römische Reich Utopie, die sich an der augusteischen Propaganda orientiert. Die Wirklichkeit auch des augusteischen Imperiums war aber eine andere. 118

Bormann, Lukas: Recht, Gerechtigkeit und Religion im Lukasevangelium. Göttingen 2001, S. 345. 119 Bormann, Lukas: Die Verrechtlichung der frühesten christlichen Überlieferung im lukanischen Schrifttum, in: Bormann/del Tredici/Standhartinger: Religious Propaganda and Missionary Compelition in the New Testament World. Essays honoring Dieter Georgi. Leiden, New York and Köln 1994, S. 301.

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Einen Teil der Macht, Italien und die sicheren Provinzen, in denen keine nennenswerten militärischen Kräfte stationiert werden mussten, hatte Augustus dem Senat überlassen. Freilich führte auch hier ein kaiserlicher Beamter, der Prokurator, die Finanzverwaltung. Die, wie Heuss es nennt, „ausdehnungsfähigen Randgebiete“ blieben mit dem militärischen Oberbefehl dem Augustus vorbehalten. Ägypten wurde sogar ausschließlich kaiserliche Provinz, und mit der Kontrolle dieser Kornkammer hatte Augustus Rom in der Hand. Freilich zeigte sich in Ägypten dann auch gleich das Dilemma, in das der Erste fällt, weil er auf einen Zweiten angewiesen ist: „Der Ritter Cornelius Gallus, als Dichter und Freund Vergils bekannt, hatte Ägypten mit dem Auftrag, im einzelnen Ordnung zu schaffen, übernommen. Wie heute noch eine Inschrift, in der er selbstgefällig seine Taten preist, beweist, war selbst ihm die Würde ordentlich zu Kopf gestiegen. Er gebärdete sich, als wenn er selbst der Herr des Landes und Nachfolger der früheren Herrscher wäre, ließ überall seine Statue aufstellen, verewigte sich durch Aufzeichnungen auf Pyramiden. Augustus hielt es für notwendig, ihm offiziell den Prozeß zu machen. Er wurde verbannt und verlor sein Vermögen, eine Katastrophe, die ihn zum Selbstmord trieb.“120 An der Peripherie wurde Augustus als Gott verehrt, namentlich im Osten. Die alte hellenistische Verwaltung blieb weitgehend intakt. Heinrich Triepel schreibt über diese Politik: „Das immer bewährte Mittel hegemonialer Politik, sich Parteigänger in den Gefolgsstaaten zu schaffen, wird mit Erfolg angewendet“121. So regierte König Herodes der Große Palästina bis zu seinem Tode 4 v. Chr. als Klientelfürstentum, danach regierten seine Söhne, aber unter geringeren Titeln als dem des Königs. Judäa wurde 6 n. Chr. römische Provinz. Das war ein tiefer Fall, bedenkt man, dass die hasmonäische Herrschaft in einem Vertrag mit Rom im Jahre 161 v. Chr. noch als foedus aequam anerkannt worden war. Auf der anderen Seite darf aber auch nicht vergessen werden, dass hier zunächst einmal, wie auch anderswo im östlichen Mittelmeer, nur der einheimische Adel in seiner politischen Macht eingeschränkt wurde. Im Osten waren die Großkönige insofern Erlöser, als sie die Völker auch vor der Herrschaft des eigenen Adels schützten.122 Die Bereitschaft, den Kaiser als einen solchen Erlösergott zu verehren, mit dem nicht nur dem eigenen Adel, sondern auch den mit 120

Heuss, S. 292. Triepel, S. 484. 122 Eingeschränkt muss aber gesagt werden, dass das weniger für die Landbevölkerung galt, also für die Bauern, deren Abgabenlasten stiegen. Richard A. Horsley weist darauf hin, dass in Palästina z. Z. Jesu eine hauptsächlich bäuerlich geprägte Bevölkerung gelebt habe, aus der sich die Zeloten rekrutiert hätten. Horsley neigt aber dazu, die Rolle der Bauern in der damaligen jüdischen Gesellschaft in Palästina zu überschätzen. Immerhin gab es nicht nur den Aufstand der Juden gegen die Römer, sondern der Aufstand war auch ein Aufstand der Zeloten und Iskarier gegen das jüdische Establishment. Die herrschenden Hohenpriester hätten aber, ohne selber gesellschaftlich unterstützt worden zu sein, diesem Aufstand nichts entgegensetzen können. Die Aufständischen unterlagen auch dem judäischen Establishment. Außerdem fällt auf, dass der Widerstand auf dem Lande, dem eigentlichen Terrain für eine Guerilla, von den Römern sehr schnell gebrochen werden konnte und sich die jüdischen Kämpfer in die Städte, zuletzt nach Jerusalem, zurückziehen mussten (vgl. Horsley, Richard A./Hanson, John S.: Bandits, Prophets and Messiahs. Popular Movements in the Time of Jesus. Harrisburg 1979). 121

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ihm paktierenden römischen Beamten gedroht werden konnte, war in breiten Volksschichten durchaus vorhanden. Wie wichtig die Appellation für den Osten gewesen ist, bezeugt nicht zuletzt die lukanische Apostelgeschichte, die Paulus sogar zum römischen Bürger macht, wahrscheinlich gegen die historische Richtigkeit123, um damit die über dem lokalen Recht stehende Autorität des Kaisers zu betonen. Charisma als Herrschaftslegitimation nimmt in besonderem Maße Rücksicht auf die traditionelle Autonomie der griechischen poleis und damit auch auf die demokratische Tradition vieler dieser Gemeinwesen. Fritz Taeger hat in seiner Studie über den antiken Charismaglauben, freilich ohne seinen demokratischen Charakter zu bemerken, darauf aufmerksam gemacht, mit welchen Schwierigkeiten die römischen Machthaber zu kämpfen hatten, wenn sie dem hellenistischen Herrschaftsideal im Osten gerecht zu werden versuchten, weil es ihnen im Zentrum, also in Rom, Verdächtigungen eintrug, und dies natürlich mit Recht. Denn die Provinzen konnten so über die als Götter verehrten Kaiser Druck auf die Zentralverwaltung ausüben. Darum stieß die Charismavorstellung besonders auf den Widerstand der römischen Aristokratie. Sie widersprach auch dem aristokratischen Selbstverständnis manches Kaisers, z. B. des Tiberius, schrieb man sich in diesen Kreisen politische Verdienste doch lieber selber zu, als dass man sich als Träger einem Gott zur Verfügung zu stellen bereit gewesen wäre. Der demokratische Charakter der charismatischen Machtlegitimität wird besonders deutlich, wenn man bedenkt, dass er traditionelle Legitimität grundsätzlich in Frage stellt. Taeger steht noch viel zu sehr im Bann der Vorstellung einer Entwicklung vom Mythos hin zum Logos, wie sie Wilhelm Nestle vertreten hat, um die politische Brisanz des Charismaglaubens für die Machthaber auch im Osten erkennen zu können. So schreibt er: „Von Überlieferung und Umwelt bestimmte Vorstellungen bleiben wirksam, auch wenn sie den höher entwickelten Erkenntnisstufen widersprechen; denn es sind zu allen Zeiten nur ganz wenige Menschen, die stark und tapfer genug sind, sie völlig zu überwinden, und diese sind nun einmal zu einem Dasein in tragischer Einsamkeit verurteilt, das, in der Regel wenigstens, auch ihrem Wirken auf ihre Umwelt sehr enge Grenzen zieht.“124 Weiter heißt es, dass auch die Außenseiter von den Vorstellungen, die sie ablehnten, noch abhängig seien, dass diese Vorstellungen, seien sie auch noch so gestaltlos, ungreifbar und flüchtig, ungemein geschichtshaltig seien. Man sei bestrebt, „in ihren Besitz zu gelangen, wenn man sie als segensreich empfindet, und sie zu bannen, wenn man sie fürchtet.“125 Die Kaiser sieht Taeger vor diesem Dilemma stehen, denn der in Taegers Sinne noch unterentwickelte Osten habe die Vergöttlichung der Kaiser unaufgefordert betrieben, während der nüchterne Westen nicht einmal ein Wort für die griechische Vorstellung des Charismas besessen habe,

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Vgl. Stegemann, Wolfgang: War der Apostel Paulus römischer Bürger? ZNW 78 (1987), S. 200 – 221. 124 Taeger, Fritz: Charisma. Studien zur Geschichte des antiken Herrscherkultes B. 1. Stgt 1957, S. 18. 125 Ebenda, S. 20.

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geschweige denn ein Verständnis für die Sache.126 Aber im Gegensatz dazu muss betont werden, dass die Vorstellung eines irrationalen, in der geistigen Entwicklung zurückgebliebenen, im Aberglauben und gegenüber dem klassischen Griechenland in Dekadenz versunkenen hellenistischen Ostens nicht haltbar ist. Dabei handelt es sich um nichts anderes als die Tradierung römischer Propaganda, und zwar republikanischer Propaganda, die nicht republikanisch in unserem heutigen Sinne war, sondern den Interessen des senatorischen Adels diente. Die thoi der hellenistischen Kultur waren keine außer der Welt hockenden Wesen, sondern innerweltliche Mächte mit sehr realer Präsenz. Die politische Konsequenz zeigt sich in folgender Bemerkung Jan Assmanns: „Der Staat setzt die Gottesferne (…) voraus – und kompensiert sie. Noch schärfer formuliert: Wären die Götter gegenwärtig, gäbe es keinen Staat.“127 Man drehe das um, und es zeigt sich das Motiv der hellenistischen Charismafrömmigkeit: Die Anwesenheit des Kaisers in Rom oder über seine Bilder in den Provinzen reglementierte das Regiment der im Osten anwesenden römischen Vertreter des Senats. Die Gegenwart des vergöttlichten Caesars vermochte die vor Ort agierenden römischen Behörden von Fall zu Fall auch zu düpieren und verhinderte, dass sie, wie in den Zeiten der Republik, übermütig wurden. Dionysos, der Gott der Wandlung und damit auch des Rauschs, war und ist chemisch nachweisbar, er bedarf in seiner Realpräsenz keiner Repräsentation, keiner Metaphysik. Im römischen Bürgerkrieg zwischen Octavian und Marc Anton ist die Trunksucht des letzteren von der octavianischen Propaganda im Westen geschmäht worden. Was aber im Westen wie Trunksucht aussah, hat sich im Osten wohl ganz anders dargestellt. In einer eigenen Propagandaschrift hatte Marc Anton auf den ihm gemachten Vorwurf geantwortet. Leider ist sie uns nicht überliefert.128 Es dürfte aber erkennbar sein, wie sehr die Vergöttlichung der Herrscher im Osten nicht so sehr einem Irrationalismus oder einem religiösen Gefühl entsprang, sondern einer politischen Strategie der Unterworfenen im Interesse ihrer Bewegungsfreiheit. In seiner Sicht der Welt als einem dynamischen Geflecht von Machtbeziehungen war der hellenistische Mensch sicher hellsichtiger als beispielsweise die satten und vergnügungssüchtigen römischen Plebejer, die bei den Spielen vorgegaukelt bekamen, sie hätten Teil am Imperium – was nicht heißt, dass die Plebs von Kaiser und Senat völlig unbeachtet hätte bleiben können. Die Plebs konnte einen Kaiser stützen oder stürzen helfen – aber sie konnte keinen Kaiser machen. Der hellenistische Mensch achtete darum weniger auf seine Stellung im Klientelwesen, das sich übrigens auch in den späten Jahren der Republik in Rom schon in Auflösung befunden hatte.129 Machtbeziehungen waren für ihn nicht durch Recht und 126

Virtus steht eigentlich in Opposition zu felicitas. Assmann, Jan: Herrschaft und Heil. Politische Theologie in Altägypten, Israel und Europa. München 2000, S. 43. 128 De ebrietate sua; über die octavianische Propaganda gegen Antonius s.a. Zanker, S. 68. 129 So zitiert, um die Bedeutung des Klientelwesens zu betonen, Efrain Agosto aus einem Brief des jüngeren Plinius an Trajan, in dem dieser auf eine neu gewonnene Freundschaft mit einem Rosianus Geminus in Bithynien hinweist, und schließt daraus: „Several elements in this letter illustrate the dynamics of patron-client relations at the provincial level“ (Agosto, Efrain: Patronage and Commendation, Imperial and Antiimperial, in Horsley, Richard A.: Paul and the 127

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entsprechende Institutionen zu sichern bzw. zu kontrollieren, sondern durch öffentliche Kommunikation.130 Der Herrscher bekam das Charisma zugesprochen, wenn er Erfolg hatte, und es wurde ihm im Falle des Misserfolgs schlicht und einfach versagt, d. h. ihm wurde dann die Gefolgschaft aufgekündigt. Beides, aber auch wie weit die Gefolgschaft noch strapaziert werden konnte, also wie es um die wirklichen Machtverhältnisse stand, offenbarte sich in öffentlichen Festen, in Proklamationen und Zustimmungen, die über Akklamation gemacht oder verweigert wurden.131 Der hellenistische Mensch des Ostens mag in seinem Alltag abergläubisch gewesen sein, aber in der Volksversammlung, in der öffentlichen Debatte über das Wohl der Stadt, entsagte er sich der Metaphysik und war sehr pragmatisch. In diesem antimetaphysischen Kontext denkt Paulus. Dieser Kontext entspricht aber durchaus auch seiner jüdischen Herkunft. Denn auch Israels ursprüngliche Führung, wie sie zumindest literarisch tradiert wurde, kann charismatisch genannt werden (während Taeger im Judentum gerade keine charismatische Herrschaft auszumachen vermag). Literarisch hält das Buch der Richter, das eindeutig antimonarchisch ausgerichtet ist132, diese Vorstellung wach. Aber auch Moses wird als charismatischer Führer dargestellt. Bei den Richtern, darauf hat Richard A. Horsley aufmerksam gemacht133, fällt politische Führung und Prophetie noch in einer Person zusammen (Horsley betrachtet das Buch Richter als literarischen Niederschlag einer historischen Epoche). Während der Monarchie traten die Propheten in der Regel gegen die Könige auf. Wird Jesus dann wieder als endzeitlicher König und Prophet in einer Person verkündet, besteht die Gefahr der Herausforderung des Imperium Romanum. Das Judentum, sofern es sich exklusiv verstand, konnte diese Einheit nicht akzeptieren, denn es sicherte die Exklusivität durch den Verzicht auf den König und die Prophetie, wenn es mit den fremden Mächten kooperieren wollte. In den paulinischen Gemeinden ging es nun darum, einer solchen Exklusivität entgegenzutreten. Die Kämpfe, die Paulus mit Roman Imperial Order. Harrisburg 2004, S. 106). Aber in dem angesprochenen Brief geht es um einen Mann, der Kriegskamerad des Trajan gewesen ist. Wenn Plinius dessen Beförderung erbittet, dann geht es ihm, wie es auch der Schluss des Briefes deutlich macht, nicht zuletzt auch um sein eigenes Fortkommen (Plinius der Jüngere 10, 26). Das Klientelwesen war die Machtbasis des senatorischen Adels in der Zeit der Republik. Die Kaiserherrschaft löste es auf, bzw. seine Auflösung machte die Herrschaft der Kaiser erst möglich. Die Kaiser beanspruchten zunehmend, die einzigen Euergeten zu sein, bzw. die Euergeten in den Provinzen mussten ihre Wohltaten im Rahmen des Kaiserkultes ausrichten. So sicherten sich die Kaiser die Massenloyalität. 130 Es verdankt sich wohl auch diesem hellenistischen Grundverständnis, dass Paulus in seinen Briefen das Gesetz, den nmoi, der nicht alleine die Thora bezeichnet, so kritisch betrachtet. 131 Vgl. Peterson, Erik: Heis Theos. Epigraphische, formengeschichtliche und religionsgeschichtliche Untersuchungen. Göttingen 1926. 132 Vgl. besonders die Fabel Jothams (Richt 9), die er gegen die Anmaßung seines Bruders Abimelech richtet, König zu sein; die Israeliten erhoben ihn aber dann doch für drei Jahre zu ihrem König (Richt 9, 22), so dass die Königszählung eigentlich nicht mit Saul, sondern mit Abimelech zu beginnen hat. 133 Horsley/Hanson, S. 136 ff.

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seinen Konkurrenten führte, waren also Kämpfe um die politische Positionierung der Gemeinden vor dem Hintergrund, dass die Kaiser viel zu schwach waren, den versprochenen Freiraum zu sichern. Sie waren keine Garanten des Rechts. Aber die Alternative der Rückkehr des Imperiums zu einer republikanischen Verfassung konnte gerade auch nicht im Interesse der Provinzen liegen.134 Etwas Neues musste her. Aber weil der Griechisch sprechende Osten Macht öffentlich verhandelte, Macht sich in der öffentlichen Debatte entfalten und erhalten sah, nicht in institutionellen Verfahren, entwickelt Paulus keine Verfassung. Vielmehr spricht er seine Gemeinden mit dem griechischen Wort für Volksversammlung an, als ekklesa. Generell darf wohl gelten, dass man der Monarchie als Ausdruck von traditioneller Herrschaftslegitimität im Sinne Max Webers im hellenistischen Osten nicht viel zutraute. Sie hatte den Mächtigen immer nur als ein Mittel des Machtmissbrauchs gedient. Herrschaft musste verdient werden und verdient sein, und hier war die Fähigkeit, den Frieden im Innern und die Getreideversorgung zu sichern, so wichtig wie der militärische Sieg über äußere Feinde. Aber die Professionalisierung der Krieger, damit einhergehend ständige Kriegsbereitschaft, Kasernierung, strenge Hierarchie usw. erforderten eine stabile Führung auch über den Tod des Oberbefehlshabers hinaus. Die Ablehnung des Krieges bei den Propheten, die Visionen vom ewigen Frieden der Endzeit, sind nicht so sehr einem humanitären Pazifismus geschuldet als vielmehr der Sehnsucht nach einer Verfassung aller Völker in einem Imperium, das gerade keine Erbmonarchie mehr sein sollte. Das ist aber ein Widerspruch in sich: Das Imperium war nur als Monarchie denkbar, aber die Hegemone starben. Ein unsterblicher, himmlischer Hegemon erst wäre die Lösung des Dilemmas gewesen, d. h. die Unterscheidung zwischen den zwei Körpern des Königs. Die Sterblichkeit der cha134 Die Geschichtsbücher des Alten Testaments sind über weite Strecken als Diskurse über die rechte Monarchie zu lesen, also als eine Verfassungstheorie. Denn die Monarchie wurde als notwendig anerkannt. Im Ersten Buch Samuel wird auch deutlich, dass die Ursache für das Auftreten des Königtums in der Entwicklung der Waffentechnik lag. Der Krieg war nämlich zur Profession geworden. Die im Alten Testament gewonnenen Einsichten in die Problematik, in ihre Aporien, befruchten die politische Bildung bis heute. Herfried Münkler hat in einer kleinen Studie den David Michelangelos, den die Republik Florenz 1505 vor dem Palazzo Vecchio auf der Piazza del popolo aufstellen ließ, dem David Donatellos gegenübergestellt, der zehn Jahre zuvor an der gleichen Stelle gestanden hatte. Michelangelo stelle David vor dem Kampf mit Goliath dar. Donatello habe für seinen Blick auf David eine andere Perspektive gewählt, die von nach dem Kampf. David, der als Guerillero und auch, wie Horsley betont, als Räuberhauptmann (1. Sam 22,2) seine Karriere begonnen habe (Horsley/Hanson, S.93), werde als König zum Tyrannen, der wegen der Bathseba deren rechtmäßigen Ehemann Uria aus dem Weg habe schaffen lasse (2. Sam 11). Münkler verweist noch auf die Davidstatue von R. Heß auf der Frankfurter Zeil, die David mit gespreizten Beinen, und nun selber behelmt, auf dem Kopfe Goliaths sitzend triumphieren lässt, und schließt seine Überlegungen mit dem Hinweis, dass David zwar für den Augenblick gesiegt habe, aber der eigentliche Sieg Goliaths zu den bestgehüteten Staatsgeheimnissen gehöre (Münkler, Herfried: Goliath und David, in: Odysseus und Kassandra. Politik im Mythos. Ffm 1990, S. 38). Es ist aber die politische Strategie schon des Zweiten Buches Samuel, der biblischen Schriften generell, dieses Staatsgeheimnis zu lüften. Das Judentum unter Einschluss der neutestamentlichen Autoren war also gut auf die Verfassungsprobleme des römischen Imperiums vorbereitet.

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rismatischen Herrscher bildete das Problem. Ihre Erhebung in den Stand der Unsterblichkeit, also ihre Heroisierung, sollte angesichts der Probleme der Nachfolgeregelung, die charismatische Herrschaft nun eben einmal mit sich bringt, die Nachfolger verpflichten. Die Vergöttlichung der Herrscher ist somit der erste Schritt hin zur Institutionalisierung einer monarchischen Herrschaftsform, aber gerade nicht als Erbmonarchie. So erwartete der Osten eine charismatische Monarchie, die der Westen, zumindest der senatorische Adel, ablehnte, und die freilich auch für die Kaiser nicht allzu attraktiv war, wenn sie dynastische Nachfolge anstrebten. Im Westen und im Osten des Reichs teilte man dieselben politischen Ideale, nämlich, und darüber muss man sich nicht wundern, Stabilität und Berechenbarkeit. Darum ist das Imperium als solches nicht in Frage gestellt worden, auch nicht in den Bürgerkriegen. Über die Frage aber, wie Stabilität und Berechenbarkeit gesichert werden konnten, bestand ein sich gegenseitiges Nichtverstehen, das die Kaiser als solche sowohl erforderte als auch überforderte. Indem der Westen den Osten beherrschte, glich er sich dem Osten in gewisser Weise auch an. Denn die Rolle, die der Kaiser spielte, war nicht rechtlich festgelegt, sondern konnte auch nur in einer im Senat und vor der Öffentlichkeit inszenierten Kommunikation erprobt und bestimmt werden. Das römische Kaisertum war weit davon entfernt, eine absolute Monarchie zu sein. Seine Macht beruhte auf den Legionen, aber sie war auch abhängig vom senatorischen Adel bzw. den Adelsfamilien, die ihre Macht im Senat gegenseitig austarierten, und schließlich der urbanen Plebs. Es galt auch in Rom immer mehr Konsens statt Recht. Egon Flaig unterscheidet darum zwei Verfassungsbegriffe: Verfassung sei einmal „die Summe aller Regeln, gemäß welchen abgegrenzte Herrschaftsbefugnisse bestimmten Personen oder Gruppen erteilt werden.“135 Dieser Verfassungsbegriff sei auf das Rom der Kaiserzeit nicht anwendbar, sondern folgender: „Verfassung meint die Gesamtheit der Regeln und Praktiken eingeforderter Kommunikation und Interaktion der politisch relevanten Gruppen untereinander und jeder einzelnen mit dem Kaiser.“136 In diesem Zusammenhang betont Flaig die Wichtigkeit der Spiele in Rom. Übertragen auf die paulinischen Gemeinden hieße das: Verfassung meint die Gesamtheit der Regeln und Praktiken eingeforderter Kommunikation und Interaktion der in der Gemeinde relevanten Gruppen untereinander und jeder einzelnen mit Christus als dem Gekreuzigten. Was für Rom die Spiele sind, ist dann für die Gemeinde das Herrenmahl. Flaig untersucht die Quellen mit den Methoden einer, wie er es nennt, praxeologischen Historiographie. Den historischen Quellen sei zu misstrauen, denn sie unterlägen einer Maxime, so dass er sie als einen maximischen Diskurs bezeichnet, der die Fakten schon in der Darstellung deute und in seinen Dienst nehme. Am Beispiel des Tacitus zeigt Flaig auf, wie dieser das aristokratische Vorurteil vom verwahrlosten und potentiell delinquenten Soldaten bedient. Von den Berichten sei grundsätzlich 135 Flaig, Egon: Den Kaiser herausfordern. Die Usurpation im Römischen Reich. Frankfurt am Main und New York 1992, S. 174. 136 Ebenda, S. 175.

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kein Rückschluss auf die Ereignisse möglich, sondern alleine aus den als Kommunikation verstandenen Handlungen. Damit ist ein Ansatz bezeichnet, der nicht nur Texte als Handeln, sondern gewissermaßen auch Handeln als Kommunikation versteht. Freilich ist im Falle von historischem Handeln dieses auch nur über Texte (und Monumente) vermittelt. Nicht zuletzt aber ist politische Gewalt Kommunikation, wie Herfried Münkler am Beispiel des heutigen Terrorismus zu betonen nicht müde wird.137 Flaig hat auf Grund seiner Einschätzung ein großes Misstrauen gegenüber den Quellen, besonders gegenüber Tacitus, und er zieht den Schluss: „(U)nsere Episteme hat ihre eigenen Fragen, ihr eigenes nomologisches Wissen, das unendlich viel reicher an Kategorien und Modellen ist als die spärlichen differentiellen Konzepte, mit denen die schriftstellernden Individuen der herrschenden Klassen in der griechisch-römischen Antike politisches Handeln und seine Bedingtheit zu fassen suchten.“138 Er übersieht aber dabei, dass die Antike den politischen Diskurs nicht nur in der Geschichtsschreibung oder einer schon ausdifferenzierten Fachsprache führte (z. B. Aristoteles und Xenophon in ihren Verfassungsstudien), sondern auch in Texten, die wir heute als Mythen oder Theologie bezeichnen. Der antike Diskurs lebte davon, dass die Kontexte gewechselt werden konnten, sein Thema aber präsent blieb. Der Diskurs war darum immer auch dann, wenn er für unser Verständnis rein theologisch ist, schon politisch. Er ist gerade darum wesentlich politischer gewesen als die heutige Politikwissenschaft, die sich von ihrem Wissenschaftsverständnis her von ihrem Gegenstand zu unterscheiden hat, ihn im Verfolg dieser Methode aber gerade verfehlt. Ihre Begriffe bilden nichts mehr ab und dienen im Zweifel dem Bestehenden als eben dem vermeintlich Abbildbaren. Sie schafft aber ihre Wirklichkeit erst, die sie dann ausschließlich nur noch versteht. Das führt dann im weiteren Verlauf dazu, dass der eigentliche Gegenstand der Politikwissenschaft die Politikwissenschaft wird und nicht mehr das Politische. Rhetorik versteht dagegen das Politische nicht von einer vorgeblich neutralen Position aus, sondern sich selber als Intervention, als Einspruch. Sie kann sich freilich, ohne aufhören zu können, Rhetorik zu sein, auf Metaphysik einlassen – sie kann ihr aber auch den Boden unter den Füßen wegziehen. Werden die Schriften des Neuen Testaments im Kontext der Geschichte des römischen Imperiums unter der julisch-claudischen und der flavischen Dynastie gelesen, eröffnet sich m. E. die Chance, anhand eines zeitgenössischen Kommentars der Verhältnisse, der sie zu beieinflussen suchte, eine Analyse der Verhältnisse zu gewinnen, die auch unsere von Flaig angesprochene „Episteme“ nicht zu leisten vermag. Für das Verständnis des Prinzipats ist Flaigs Ansatz dagegen äußerst hilfreich. Wer das Neue Testament im Kontext der imperialen Ordnung Roms verstehen will, wird ihn nicht links liegen lassen dürfen. Die neutestamentliche Theologie neigt, sofern sie 137 Vgl. Münkler, Herfried: Die neuen Kriege. Hamburg 2002, S. 175 ff; ders.: Über den Krieg. Stationen der Kriegsgeschichte im Spiegel ihrer theoretischen Reflexion. Weilerswist 2002, S. 252 ff; ders.: Der Wandel des Krieges. Von der Symmetrie zur Asymmetrie. Weilerswist 2006, S. 189 ff. 138 Flaig (1992), S. 15.

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die politische Dimension betont, immer noch dazu, die innerrömischen Probleme unterzubelichten. Das Aut-Caesar-aut-Christus-Prinzip, das noch die Studie von Klaus Wengst beherrscht und allzu oft auch noch die neuere US-amerikanische Forschung prägt139, führt gerade dazu, den Vorwurf, politische Theologie sei naiv und weltfremd, zu bestätigen. Das Gegenteil ist der Fall: Die vorgeblich wertfreien professionellen Beobachter des politischen Geschehens sind als angeblich außer der Welt hockende Wesen im Unterschied zur politischen Theologie der Evangelien und zur Rhetorik des Paulus selber naiv und weniger wertfrei als weltfremd. Flaig folgt in seiner Einschätzung der römischen Kaiserherrschaft dem Urteil Mommsens, dass nämlich die Kaiser illegitim geherrscht hätten, er betont aber dagegen die Legitimität der Monarchie als der eigentlichen Herrschaftsform des Imperiums, weil sie von niemandem in Frage gestellt worden sei, im Gegenteil: Die Aristokratie habe um ihre Notwendigkeit im Interesse der imperialen Herrschaft gewusst. Aus diesem Zwiespalt ist zu folgern, dass dadurch die Macht blockiert wurde, Macht im Sinne von Hannah Arendt zu werden, also Möglichkeit. Die römische Macht war vielmehr ein Ausdruck der römischen Impotenz. Im westlichen Teil des Reichs setzte sich die göttliche Verehrung des princeps nicht durch. Gerade im Interesse einer dynastischen Nachfolgeregelung durften sich die Kaiser nicht gänzlich auf sie einlassen. Die Macht des Augustus war schon während seiner Lebenszeit nicht ohne Probleme zu sichern gewesen, das Verhältnis zwischen dem Nachfolger Caesars und dem Senatsadel und schließlich auch seiner Familie blieb prekär.140 Wie sollte die Sache aber nach seinem Tode weitergehen? Augustus und der julisch-claudischen Dynastie mangelte es an der institutionalisierten Absicherung ihrer Macht, und sie beruhte im Falle des Augustus alleine auf seiner persönlichen Autorität141 und nicht zuletzt auf seinen militärischen Erfolgen,

139 Wengst, Klaus: Pax Romana. Anspruch und Wirklichkeit. München 1986; vgl. auch die Bücher von Richard A. Horsley, die Aufsätze von Neutestamentlern versammeln, die einen politischen Blick auf das Neue Testament werfen (Paul and Empire. Religion and Power in Roman Imperial Society. Harrisburg 1997; Paul and Politics. Ekklesia, Israel, Imperium, Interpretation: Essays in Honor of Krister Stendahl, Harrisburg 2000; Paul and the Roman Imperial Order, Harrisburg 2004). 140 Auch S.R.F. Rice betrachtet die römische Herrschaft als zu monolithisch, wenn er schreibt: „The empire was in the hands of a family“ (Rituals and Powers, in: Horsley 1997, S. 65). 141 Der Begriff der Autorität im Sinne von Hannah Arendt scheint mir auf Augustus eher anwendbar als der des Charismas, um sein öffentliches Auftreten und die öffentliche Darstellung seiner Person zu bezeichnen: „Autorität, das begrifflich am schwersten zu fassende Phänomen und daher das am meist mißbrauchte Wort, kann sowohl eine Eigenschaft einzelner Personen sein – es gibt persönliche Autorität, z. B. in der Beziehung von Eltern und Kindern, von Lehrer und Schülern – als auch einem Amt zugehören, wie etwa dem Senat in Rom (auctoritas in senatu) oder den Ämtern der katholischen Hierarchie (auch ein betrunkener Priester kann vermöge der Autorität des Amtes gültige Absolution erteilen). Ihr Kennzeichen ist die fraglose Anerkennung seitens derer, denen Gehorsam abverlangt wird; sie bedarf weder des Zwanges noch der Überredung“ (Arendt 1998, S. 46). Der Doppelcharakter des Autoritätsbe-

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mochten die auch von anderen erfochten worden sein, etwa von Agrippa. Sein Nachfolger Tiberius war ein erfolgreicher Militärführer, aber seine Strategie, wie Augustus im Senat als der Erste unter Gleichen aufzutreten, zahlte sich nicht aus. Er beherrschte, um es mit den Worten Aloys Winterlings zu sagen, diese Kommunikation mit doppeltem Boden nicht. Seine Strategie führte zu einer Kommunikationsstörung mit gefährlichen Folgen für alle Beteiligten: „Die daraus resultierenden Schwierigkeiten der Kommunikation von Kaiser und Aristokratie im Senat hat Tacitus in seinen Schilderungen der tiberischen Zeit in den Annalen eindringlich vor Augen geführt. Es gehörte für die Senatoren großes Geschick dazu, das zu tun, was der Kaiser wollte, ohne zu wissen, was er wollte. Ein aufschlussreicher Fall wird aus dem Jahre 15 n. Chr. berichtet. Als Tiberius im Senat in einer wichtigen, ihn selbst betreffenden Angelegenheit unter Eid seine Stimme abgeben wollte und die übrigen Senatoren aufforderte, das gleiche zu tun, fragte (…) Calpurnius Piso: ,An welcher Stelle willst du stimmen, Caesar? Wenn als erster, weiß ich, welcher Meinung ich folgen muß; wenn nach allen anderen, dann fürchte ich, ich könnte aus Unwissenheit anderer Meinung sein. (1,74,5 f).“142 In einer vor kurzem veröffentlichten Studie über den Großen Kameo von Frankreich zeigt Luca Giuliani die Schwierigkeiten der Thronfolge im julisch-claudischen Herrscherhaus am Beispiel des Tiberius auf. Der habe nur die Wahl gehabt, bei der Nachfolge zwischen den Söhnen des Germanicus, den er auf Geheiß des Augustus habe adoptieren müssen, also Nero Caesar, Drusus Caesar und Gaius Caesar, die über ihre Mutter Agrippina maior als der Tochter des Augustus auf direkte Blutsverwandtschaft mit dem Begründer der Dynastie hätten verweisen können, und seinen eigenen Enkeln Tiberius Gemellus und Germanicus Gemellus zu entscheiden. Als es an der Zeit gewesen sei, die Entscheidung zu fällen, hätten schließlich nur noch Gaius Caesar und Tiberius Gemellus gelebt. Tiberius habe sich aber nicht entschieden: „(E)r entschied sich also (…), demonstrativ keine Entscheidung zu treffen. Diese Verweigerungshaltung ist ihm von vielen Historikern als Schwäche ausgelegt worden. Plausibler scheint es allerdings, in ihr die Züge einer bewußten politischen Strategie zu erkennen. Augustus hatte bekanntlich genau die entgegen gesetzte Strategie verfolgt: möglichst früh nach einer Lösung für die Nachfolge zu suchen (auch wenn die anvisierten Lösungen dann immer wieder am frühen Tod der Kandidaten gescheitert waren). Aber Augustus hatte unter ganz anderen Bedingungen geherrscht. Seine Autorität war, sowohl in der Familie als auch im Staat, völlig unangefochten gewesen. Eine nennenswerte Opposition scheint es gar nicht gegeben zu haben. Ungefährdet seinen Nachfolger bestimmen kann nur ein Herrscher, dessen Autorität unangefochten ist und der sich auf die Loyalität des Nachfolgers vollständig verlassen kann.“143 griffs bildet die eigentliche Grundlage der Herrschaftsstrategie des Augustus, der die Ämter nach außen hin respektierte, aber auf Grund seiner persönlicher Autorität die Fäden zog. 142 Zit. n. Winterling, Aloys: Caligula. Eine Biographie. 3. Aufl. München 2004, S. 27. 143 Giuliani, Luca: Ein Geschenk für den Kaiser. Das Geheimnis des Großen Kameo. München 2010, S. 36. Die hier formulierte Einschätzung der Situation des Augustus im Vergleich zu der des Tiberius ist freilich zu optimistisch. Auch Augustus konnte Tiberius und seiner

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Mit dem Geschenk des kostbaren Kameo habe man Tiberius zur Entscheidung anhalten wollen.144 Weil es für die Lösung des Nachfolgeproblems angesichts der scheinbaren Wiederherstellung der Republik unter Augustus Octavian keine amtliche Regelung gegeben habe, zudem auch kein politisches Vokabular, um ihm Ausdruck zu verleihen, habe man eben zum Mittel der Kunst gegriffen. Diese Geschenke hätten freilich ein erhebliches Risiko bedeutet: „(J)ede Vermutung über seine (des Kaisers; Anm. M. E.) Absichten konnte sich als gravierender Irrtum herausstellen; umso höher war freilich die Prämie, wenn man richtig geraten hatte.“145 Caligula, der Tiberius nachfolgte, hatte zunächst auch den Weg des Augustus eingeschlagen, um dann aber, nachdem ein Anschlag auf sein Leben misslungen war, zum Caesar zu werden, dessen Schicksal er dann freilich auch teilte, denn er wurde ermordet. „Die lebenslange Schauspielkunst des Augustus, die er (Caligula, Anm. M. E.) (…) kopiert hatte, wurde somit ebenfalls als Lüge, als ,Schein und ,eitler Ruhm entlarvt, der letztlich nur die kaiserliche Sicherheit gefährdete. Stattdessen erklärte er seinen Verzicht auf die aristokratische Anerkennung seiner Stellung und sagte voraus, daß sich an der Unterwürfigkeit der Aristokratie gleichwohl nichts ändern werde. Damit hatte Caligula nichts weniger als das Ende des augusteischen Prinzipats verkündet. Er hatte die politische Paradoxie der Zeit, die widersprüchliche Verbindung von Republik und Monarchie, offen als solche benannt und sich zu einer der beiden Seiten, zur Monarchie bekannt.“146 Sueton hat das als Caesarenwahn aufgefasst und so der Nachwelt überliefert. Schließlich habe Caligula sogar geplant, seinem Pferd das Konsulat zu verleihen. Winterling erläutert dagegen, wie im Verhältnis zwischen Caligula und der Aristokratie letzterer einfach die Möglichkeit genommen wurde zu kommunizieren, ohne in Verdacht zu geraten. Während der Kaiser sie öffentlich düpierte, musste sie gute Miene zum bösen Spiel machen. „Indem der Kaiser selbst dem Senat sein Kommunikationsverhalten gegenüber dem Kaiser vorhielt, machte er ihn kommunikationsunfähig. Die Senatoren konnten sich an seiner Metakommunikation über die doppelbödige Kommunikation nicht beteiligen.“147 Dies führte aber dazu, dass sich Caligula den Zweiten nicht mehr aus der Aristokratie und schließlich auch nicht mehr aus der Familie wählen durfte, denn mit seiner Vergöttlichung gefährdete er den Bestand der Dynastie. Aber das julisch-claudische Kaiserhaus hatte sich von Anfang an als eine Mördergrube ausgewiesen. Caligula hatte das von klein auf schon lernen können. Freigelassene übernahmen jetzt die Rolle des Zweiten. Ihr Schicksal war aber an das des Caligula gebunden. Nach seiner ErmorMutter Livia, d. h. seiner eigenen Frau, nicht uneingeschränkt vertrauen. Lange genug kam Tiberius als Nachfolger nicht in Betracht, und Augustus entschied sich erst für ihn, als er tatsächlich keine Alternative mehr hatte. 144 Der Cameo zeigt 24 Personen (z. T. auch allegorische Personen, aber zumeist Mitglieder des Kaiserhauses) auf drei horizontalen Ebenen. Es wird, das macht die Komposition deutlich, einer der Söhne Agrippinas für die Nachfolge vorgeschlagen, wohl Nero Caesar. 145 Giuliani, S. 43. 146 Winterling, S. 96. 147 Ebenda, S. 95.

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dung mussten sie mit der Rache der anderen Familienmitglieder und des Senats rechnen. Hatte sich nun Caligula auch den Hass der Aristokratie zugezogen, es vergrößerte nur seine Popularität gerade bei den unteren Schichten, wenn er den senatorischen Adel dezimierte, wie Paul Veyne bemerkt: „Es gefiel der Plebs, wenn schlechte Kaiser die Adligen erniedrigten. In den Prozessen wegen Majestätsbeleidigung, mit denen die Herrscher Senatoren in den Selbstmord trieben, galten als Schrecken der Schrecken der anständigen Leute die Denunziationen und Zeugenaussagen von Sklaven gegen ihre Herren. Manche empfanden sie nicht nur als gesellschaftlichen Skandal, sondern als einen Verstoß gegen die guten Sitten und gegen die Beziehungen innerhalb der Familie, also wie einen Vatermord. Andere wiederum sahen in ihnen eine Rache, bei der die Letzten die Ersten wurden. Caligula hatte Sinn für solche Details.“148 Die christliche, apokalyptische Hoffnung, dass die Letzten die Ersten werden, hatte sich also schon in Teilen erfüllt. Es war aber ausgerechnet der Kaiser gewesen, der sie erfüllte. Wer später die Evangelien las, hatte dann vielleicht nicht nur einen Blick für die Zukunft, sondern erinnerte sich auch an die jüngste Vergangenheit. Und die Verkündigung des Paulus, dass die Starken eigentlich schwach, die Schwachen dagegen stark seien, zielte vielleicht nicht auf eine apokalyptische Zukunft, sondern weckte, freilich auf schauerliche Weise, ganz andere Assoziationen. Es war eben auch schon eine Wirklichkeitsbeschreibung, die Beschreibung einer schon eingetretenen Wirklichkeit: Die Welt war aus den Fugen. Nero ließ freilich später alle freigelassenen Sklaven, die unter Caligula ihre Freiheit den Denunziationen verdankten, verhaften und hinrichten. Caligula war der erste Kaiser, der sich von der Aristokratie in Rom göttlich verehren ließ. Das war nur konsequent und gehörte zu seinem Programm, mit der Republik zu brechen und die Monarchie, freilich auf Kosten der Dynastie, durchzusetzen. Bewusst knüpfte er dabei an die hellenistische Tradition an. Er entlarvte die Verehrung des Kaisers „als Lüge, indem er sie ernst nahm, und er demütigte seine Kommunikationspartner, indem er zynisch ein der Schmeichelei entsprechendes reales Verhalten einforderte.“149 Diese römische Aristokratie befand sich da schon in der Lage, in der sich später jene Christen befinden sollten, die das von ihnen geforderte Kaiseropfer ablehnten – die damit aber auf ihre Weise die Kommunikation mit den römischen Imperatoren führten, und die, anders als der senatorische Adel, der sein Leben auch lassen musste, die Herausforderung annahmen und nicht in Schande und Folgenlosigkeit starben. Das frühe Christentum war keine Sklavenreligion150, 148

Veyne, Paul: Brot und Spiele. Gesellschaftliche Macht und politische Herrschaft in der Antike. Ffm, NY und Paris 1988, S. 624 f. 149 Winterling, S. 145. 150 Anders dagegen Berger (2008): „Das frühe Christentum war eine typische Sklavenreligion“ (S. 274). Berger weist auf die vielfältige Verwendung des Begriffs des Sklaven in der neutestamentlichen Literatur hin. „Die für die soziologische Einordnung der frühen Gemeinde entscheidende Frage ist: Wäre es nicht für jeden anderen eine Zumutung gewesen, sich im Bild des Sklaven wiederzuerkennen zu müssen?“ (S. 278) Onesimus, für den sich Paulus im Philemonbrief einsetzt, sei ein Sklave gewesen. Was Berger aber nicht bedenkt ist: Der Sklavenhalter Philemon, dem Onesimus weggelaufen ist, wird von Paulus wie ein Sklave angesprochen:

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sondern fand vielmehr schon früh Anhänger in den Kreisen sowohl des Senatsadels als auch der Kaiserfamilien, also in den höchsten Kreisen Roms. Das hatte seinen Grund in den spezifischen Machtverhältnissen, die in Rom herrschten, weil Rom Imperium war. Das Judentum war im römischen Reich weit verbreitet und für bestimmte Kreise, in denen sich Bildung mit Wohlstand verband, auch attraktiv151 (der Antijudaismus für andere Kreise entsprechend auch152). Es konnte aber mit der Attraktivität des Christentums nicht Schritt halten, weil es die imperiale Theologie der späten Prophetie nach der Katastrophe des gescheiterten jüdischen Aufstandes und nach der Zerstörung Jerusalems nicht mehr weiterverfolgte und sich zunehmend exklusiv verstand, ja gerade im Verzicht auf die Prophetie die Exklusivität und damit friedliche Koexistenz mit dem Imperium zu sichern suchte. Das Christentum dagegen bot mit seinem Imperator Christus den bedrängten Römern eine kommunizierbare imperiale Alternative, die sie nutzten konnten, um dem Kaiser in seinem unbegrenzten Machtanspruch zu widerstehen. Das Christentum, das zeigt schon die Verschriftlichung der Lehre, setzte Bildung voraus. Es war urban. Es sprach zunächst wohl eine soziale Schicht an, die von der Macht ausgeschlossen war, sich aber als den eigentlichen Träger des gesellschaftlichen Lebens verstand. Dieser Gesellschaftsschicht mangelte es aber an Organisationsfähigkeit über ihre jeweilige Heimatstadt hinaus, während sie das städtische Vereinswesen, z. B. die jeweiligen Kultgemeinden, trefflich zu nutzen und zu organisiseren verstand. Michael Mann urteilt wie folgt: „Das Christentum war weder eine Reaktion auf eine materielle Krise, noch war es eine ideelle Alternative zur materiellen Welt. Die Krise war vielmehr eine der sozialen Identität: Zu welcher Gesellschaft gehöre ich? Diese Frage war hervorgerufen worden durch genau die Erfolge des Römischen Reiches und der hellenistischen Kultur, die transzendente Prinzipien der sozialen Organisation interstitiell aus ihrer eigenen Sozialstruktur heraus produzierten.“153 Mann gibt auch eine sehr plausible Antwort auf die Frage, warum diese unverzichtbaren Elemente des sozialen Lebens in der Regel machtlos bleiben: „Die Frage, warum die Massen nicht revoltieren – „Obwohl ich in Christus dazu berechtigt wäre, dir zu befehlen, was zu tun ist, will ich dich doch um der Liebe willen bitten als der, der ich bin: Paulus, der Gesandte und nun auch Gefangene Christi Jesu“ (Philem 8). Und um nur ein außerbiblisches Beispiel zu nennen: Epiktet hat in einem seiner Lehrbriefe selbst die Senatoren unter der Kaiserherrschaft als Sklaven verspottet (Diatribe 4,1, in: Epiktet, Teles, Musonius. Ausgewählte Schriften. Hrsg. und übersetzt von Rainer Nickel. Zürich 1994). Bergers Sicht auf die frühen Gemeinden ist ein schönes Beispiel dafür, wie in die Texte hineingelesen wird, was sein soll, was sein muss. Leider betrachten auch jene, die durchaus die politische Bedeutung der paulinischen Verkündigung betonen, die frühen und besonders auch die paulinischen Gemeinden als Versammlungen der gesellschaftlich Deklassierten, z. B. Richard A. Horsley, gerade im Hinblick auf den Ersten Korintherbrief in: 1. Corinthians: A Case Study of Pauls Assembly as an Alternative Society, in: Horsley 1997). 151 Vgl. Momigliano, Arnaldo: Die Juden und die griechische Kultur, in ders.: Die Juden in der Alten Welt. Berlin 1988, S. 28 ff. 152 Vgl. Schäfer, Peter: Judenhass und Judenfurcht. Die Entstehung des Antisemitismus in der Antike. Berlin 2010. 153 Mann, Michael: Geschichte der Macht B.2. Vom Römischen Reich bis zum Vorabend der Industrialisierung. Ffm und New York 1991, S. 102.

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ein Dauerproblem von sozialer Schichtung –, findet damit eine simple Antwort, die weder Wertekonsens noch Gewalt, noch Tausch im Sinne jener konventionellen soziologischen Erklärungen zu bemühen braucht. Die Massen halten still, weil sie in kollektive und distributive Machtorganisationen eingebunden sind, die von anderen kontrolliert und beherrscht werden. Sie sind organisationell umstellt und umzingelt.“154 Wenn der Adel nun nicht mehr in der Lage war, mit dem Kaiser zu kommunizieren, und gleichzeitig diese Kommunikationsstörung gefährliche Folgen zeitigen konnte, wurde die Kommunikation mit der unter ihm stehenden Klasse für ihn überlebensnotwendig. In diese Kommunikation schalteten sich die entstehenden Gemeinden der Jesusanhänger ein, bzw. ihr Entstehen ist wahrscheinlich nur aus dem Bedürfnis nach dieser gesellschaftlichen Kommunikation heraus zu erklären. So sind die Entstehungsbedingungen der Gemeinden zugleich auch die Voraussetzung für innergemeindliche Strukturen gewesen, mit denen Paulus sich herumschlug, denn die Egalität, die er predigte, widersprach jenen Bestrebungen, die Botschaft von der Auferstehung Christi als Ausweg jenen Kreisen schmackhaft zu machen, die etwas analog zu dem suchten, was der Kaiser den Provinzen war – einen charismatischer Herrscher, der die Kaiser selber in die Schranken zu verweisen vermochte, sie mit anderen Worten institutionell einband. Das Christentum bot der gegenüber dem Kaiser sprachlosen römischen Oberschicht eine Möglichkeit, mit dem Kaiser wieder zu kommunizieren, aber nur in der Folge einer Christologie, die später in den Evangelien ihre literarische Form fand. Es ist also gar nichts gewesen mit Eintracht und Frieden, was die Kaiser von Augustus an versprochen hatten. „Wenn die Leute sagen: Friede und Sicherheit, dann wird das Verderben so plötzlich über sie kommen wie die Wehen über die Schwangere, und es wird kein Entrinnen geben“ (1. Thess 5,3).155 Der Bürgerkrieg war gar nicht beendet, sondern durch einen Gewaltfrieden unterbrochen worden. Dieser Frieden wiederum war sehr brüchig, denn sowohl der gelebte Widerspruch zwischen Republik und Monarchie und schließlich die ungeklärten Rollen des Ersten und des oder der Zweiten, die Augustus und der augusteische Senat immerhin noch, wenn auch mit Glück, bewältigt hatten, ließen die Gewalt immer wieder aufflammen, und zwar besonders dann, wenn die Nachfolge eines Kaisers zu regeln war. Die Bedeutung der Nachfolge kann für die damalige Zeit kaum überschätzt werden. Caligula war es nicht einmal gelungen, die auf seine Person zugeschnittene caesaristische Monarchie durchzusetzen, u. a. weil ihm der militärische Erfolg in Britannien versagt geblieben war. Sein Triumphzug über das Meer im Golf von Neapel war eine Farce. Caligula hatte den demokratischen Charakter der charismatischen Monarchie nicht beachtet, dass sie nämlich der Anerkennung bedarf. Sein Britannienaben154

Mann, Michael: Geschichte der Macht B.1: Von den Anfängen bis zur Griechischen Antike. Ffm und New York 1990, S. 23. 155 Zur politischen Theologie des Ersten Thessalonicherbriefs vgl. auch Georgi, Dieter: The Hour of the Gospel: Jesus and Caesar, in: Georgi, Dieter: The City in the Valley. Biblical Interpretation and Urban Theology, Atlanta 2005, S. 82 f; siehe auch ders.: On Pauls Image of the Human, ebenda, S. 93 ff.

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teuer war gescheitert, die Anerkennung eines militärischen Triumphs seitens der Legionen war damit verspielt. Ohne Perspektive verwandelte er sein Prinzipat in die grausame Karikatur einer charismatischen Monarchie. Während in diesen Jahren des Scheiterns der julisch-claudischen Kaiserfamilie Paulus wirkte, entstanden die Evangelien erst, nachdem das Militär in Gestalt der Flavier die Macht in die Hand genommen hatte. Das flavische Kaisertum legitimierte seine caesaristische Politik mit der Niederschlagung des jüdischen Aufstandes, und zudem bot das Militär die Chance, über seine Kommandostrukturen das Verhältnis zwischen Erstem und Zweitem zu institutionalisieren. Damit waren die Legionen in die Säue gefahren, um es mit den Worten des Markusevangeliums zu sagen (Mk 5, 12 f). Im Bürgerkrieg gegen Vitellus hatte Vespasian die Getreideversorgung Roms unterbrochen. Das trug ihm die plebs urbana nach, außerdem seine einjährige Abwesenheit von Rom nach dem errungenen Sieg. Vespasian ordnete von Alexandria aus den Osten neu. Klientelstaaten wurden aufgelöst und in Provinzen verwandelt. Das führte zu einer Vereinheitlichung der Verwaltung. Den Senat besetzte er zu einem großen Teil neu. Die Neupatrizier mussten sich aber entweder militärisch oder verwaltungstechnisch bewährt haben. Vespasian war ein homo novus gänzlich neuer Art und setzte auf Effizienz. Seine Unbeliebtheit bei der römischen Plebs war dennoch eine Gefahr. Aber nicht nur von Rom aus drohte Gefahr. Nero war beim senatorischen Adel und bei den Militärs unbeliebt gewesen, das galt aber nicht für die unteren Schichten. Auch in den Provinzen hielt sich während der gesamten Zeit der flavischen Herrschaft das Gerücht, Nero sei nicht tot, sondern noch am Leben, und es traten in den östlichen Provinzen auch immer wieder Neros auf (vgl. auch Offb 13). Flaig betont die Widrigkeit politischer Gerüchte, die Vespasian zu schaffen machten, und denen er sich in einem Fall auch nur durch die Hinrichtung eines Rivalen entgegenzustellen vermochte. Zwar sicherten die Flavier damit ihre Macht, aber sie offenbarten mit dieser Gewaltmaßnahme auch ihre Schwäche: „Einerseits demonstrierte (das) die Entschlossenheit des neuen Regimes, keinen Zweifel darüber aufkommen zu lassen, daß eine neue Dynastie mit einem Augustus und zwei Cäsaren zu herrschen begonnen hatte und kein ruhmreicher Name Schonung garantierte, falls sie sich bedroht sah. Andererseits offenbarte der Akt eine fundamentale Fragilität der römischen Monarchie. Wenn ein bloßes Gerücht ausreichte, um einen Thronrivalen zu schaffen, dann übte die konstitutionelle Offenheit des gemäß der Akzeptanz mehrerer Sektoren funktionierenden politischen Systems einen ständigen Sog auf die Vorstellungen von der Princeps-Qualifikation aus: letztere fand also nicht zu einer stillgestellten verbindlichen Form.“156 Auf die Aushöhlung der Legitimität des flavischen Caesarismus waren auch die Evangelien aus. Das schließliche Scheitern der Flavier unter Domitian wird dann die Offenbarung des Johannes reflektieren. Die Evangelien unterminieren die Legi156 Flaig (1992), S. 399 f. Flaig bezieht sich auf die Hinrichtung des Licinius Piso, über den Gerüchte kursierten, er sollte zum princeps erhoben werden.

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timität der flavischen Kaiser, indem sie das Bekenntnis zu Jesus im entscheidenden Augenblick, nämlich dem des Todes Jesu, in den Mund eines römischen Hauptmannes legen (Mk 15, 39; Mt 27, 54, Lk 23, 47). Die Apostelgeschichte berichtet von der Bekehrung des Hauptmanns Cornelius (Apg 10) und, im Verbund damit, wenn man so will, von der Bekehrung des Petrus zur heidenchristlichen Mission. Davon soll im Folgenden die Rede sein, bevor, historisch gesehen, auf Paulus zurückgekommen wird.

B. Petrus I. Der Machtdiskurs in den Evangelien Das Programm der julisch-claudischen Dynastie war, die Monarchie aus Rücksicht auf die römische Aristokratie republikanisch zu tarnen. Damit folgte sie, zumindest am Anfang, dem politischen Programm des Augustus. Aber dieser Kompromiss verurteilte die römische Aristokratie zunehmend dazu, sprachlos zu werden. Ihre republikanische Rhetorik konnte ihr genau so zum Verhängnis werden wie ihre monarchische Huldigung, denn der Kaiser konnte beides als Affront und Angriff interpretieren. Mit dem Konzept der Auferstehung in den Evangelien gelingt eine Auflösung dieser verhängnisvollen Situation. Denn die Institutionalisierung der Herrschaft gelingt nur, wenn sie als Stellvertretung begriffen wird. Diese Stellvertretung setzt aber, will sie Herrschaft bleiben, die dauernde Abwesenheit eines eigentlichen Herrschers voraus. Die Auferstehung impliziert darum ein leeres Grab und die Himmelfahrt. Die Evangelien boten somit zunächst der römischen Aristokratie ein attraktives Modell einer imperialen Verfassung. Die Kaiser ließen sich erst mit der konstantinischen Wende auf dieses Modell ein. In ihrer Person als Stellvertreter des eigentlichen Herrschers (Christus) ist dann Christus in seiner Abwesenheit anwesend. Diese Einschränkung der Macht ist auch im kaiserlichen Interesse, weil sie die Macht und sogar die Macht der Dynastie institutionell abzusichern vermag. Denn die Diktatur überfordert ihre Träger und verliert in der Krise an Stabilität. Institutionen entlasten. Die Theologie der synoptischen Evangelien ist keine Herausforderung der römischen imperialen Theologie als solcher, sondern nur der Kaiserverehrung als Ersatz für institutionalisierte und damit berechenbare Macht. Besonders deutlich wird das in den Kindheitserzählungen bei Matthäus und Lukas. Die in Bethlehem verortete Geburt (Mt 2, 1 und Lk 2, 4) bestreitet, wie schon eingangs erwähnt, für die Hörer und Leser der damaligen Zeit nachträglich die Legitimität des Augustusgünstlings Herodes als König, was diesen ja dann auch gleich den Kindermord zu Bethlehem ausführen lässt (Mt 2, 16 ff). Die Engel nennen den Hirten das Kind als den Träger der Titel sotr und ky´rios, Titel der hellenistischen Herrscher, und christs, das griechische Wort für meschiach, der israelitische Königstitel. Die zentrale Botschaft Jesu ist die Verkündigung der Gottesherrschaft, der basilea toffl theoffl, als eines Friedensreichs der bislang Entrechteten, und dies ganz im Stil der alttestamentlichen Prophetie. Die Evangelien entstehen in ihrer uns bekannten literarischen Form erst nach Paulus. Die ihnen zu Grunde liegende Christologie ist es aber, gegen die sich Paulus schon gewandt hat. Sie greift auf das Alte Testament zurück, vor allem auf die Makkabäer-

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tradition, aber anders als Paulus. Die Evangelien propagieren eine zwar antirömische, aber dennoch imperiale Theologie. Der Kampf des Paulus gegen das römische Imperium ist insofern, verglichen mit dem Kampf der Evangelien gegen Rom, ein asymmetrischer Kampf, der der Evangelien aber ein symmetrischer. Während die Verurteilung Jesu durch Pilatus in den synoptischen Evangelien recht knapp abgehandelt wird, führen Jesus und Pilatus im Johannesevangelium einen längeren Dialog – aber einen, um den gerade verwendeten Begriff noch einmal aufzugreifen, asymmetrischen insofern, als Pilatus Jesus nicht versteht. Auf Grund dieser kommunikativen Asymmetrie gibt Jesus keine Antwort mehr (Joh 19, 9). Daraufhin fragt Pilatus: „Redest du nicht mit mir? Weisst du nicht, dass ich die Macht habe, dich freizugeben, und die Macht, dich kreuzigen zu lassen?“ Jesus antwortet daraufhin: „Du hättest keine Macht über mich, wenn es dir nicht von oben gegeben wäre“ (Joh 19, 10 f). Was ist das aber für ein Oben? Der fromme Leser liest die Stelle aus der Perspektive Jesu, und dann ist dieses Oben natürlich der Himmel, also Gott. Diese Lesart wird bestätigt, denn Jesus verweist im weiteren Verlauf des Dialogs auf Kaiphas, der dies eigentlich hätte wissen müssen, Jesus aber trotzdem an Pilatus ausgeliefert habe: „Darum hat der, der mich dir ausgeliefert hat, grössere Schuld“ (Joh 19, 11). Aber die literarische Form des Dialogs gestattet es nicht nur, sich in die Position beider Dialogpartner hineinzuversetzen, sondern fordert gerade dazu auf. Dies lässt sich auf zweierlei Art bewerkstelligen. Der gebildete Leser damals und heute wird sich erinnern, dass der historische Pilatus große Schwierigkeiten gehabt hätte, dieses Oben nun aus seiner Sicht zu benennen. Zunächst hätte ihm der Kaiser einfallen müssen. Aber Pilatus verdankte seine Karriere vielleicht dem Seianus, der von Tiberius mit dem Regiment beauftragt worden war, aber in Ungnade fiel, weil er danach strebte, Tiberius zu stürzen und selber Kaiser zu werden.157 Im Tumult des Umsturzversuchs und seiner Niederschlagung, in deren Folge die Anhänger des Seianus hingerichtet worden waren, hätte Pilatus also große Schwierigkeiten gehabt, seine abgeleitete Macht bzw. seine Gewalt zu legitimieren. Wenn sich die Oberen streiten, wird die verliehene Macht der unteren Ränge hinfällig. So gesehen wäre der Hinweis Jesu, die Macht des Pilatus über ihn sei ihm von oben gegeben, eine in den Augen der Vertreter römischer Macht perfide, nämlich ironische Anspielung auf die tatsächliche Ohnmacht des Pilatus. Denn dass in diesem fiktiven Dialog Jesu Pilatus nicht unterstellen kann, dass dieser unter oben das gleiche versteht wie er selber, ist aus dem Kontext heraus überdeutlich: Jesus schweigt, weil Pilatus nichts versteht. Darum wird die größere Sünde auch nicht dem Pilatus zugeschrieben, sondern dem, „der mich ausgeliefert hat“. Für die Zeitgenossen der Evangelisten war aber die Frage, was das für ein Oben sein soll, von dem sich die politische Macht her als beauftragt betrachten kann, noch zweifelhafter geworden. Denn nach dem Sturz der julisch-claudischen Kaiserfamilie, 157 Seianus wurde im Jahre 31 n. Chr. hingerichtet. Die Hinrichtung des historischen Jesus wird ebenfalls um das Jahr 30 n. Chr. datiert.

I. Der Machtdiskurs in den Evangelien

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dem Ende Neros also, fiel die Kaiserwürde in die Hände der Militärs. Hatten sich die Militärs in der Ausübung der Gewalt bisher auf die Kaiser berufen können, die als Mitglieder der julisch-claudischen Familie über ihre Abstammung von den Begründern der Dynastie für alle sichtbar die imperiale Mission verkörperten, usurpierten die Flavier den Namen Caesars. Sie gewannen die Macht wie Caesar im Bürgerkrieg. Es fehlte aber ein Augustus, der die Republik, wenn auch zum Schein, restituiert hätte. Die Flavier fielen also auf den Status des historischen Caesars zurück und mussten entsprechend auch mehr noch als die Kaiser der julisch-claudischen Dynastie fürchten, sein Schicksal zu erleiden. Sollte das Johannesevangelium also noch in der Zeit der Flavier entstanden sein, hätten die Zeitgenossen des Evangelisten, die die Hintergründe des Pilatus nicht kannten, auch Schwierigkeiten gehabt, dieses Oben zu verstehen, denn die Flavier verdankten ihre Macht keinem Oben. Sie verdankten sie ihrem Schwert, d. h. ihren Legionen. Die Legionen standen von nun an nicht mehr an den Grenzen des Imperiums, sie hatten das Zentrum übernommen. Die notwendige Unterscheidung zwischen Erstem und Zweitem war nicht mehr möglich. Für verständige Beobachter musste das ein unlösbares Dilemma bedeuten. Man lese einmal nach, in welchen Farben etwa Tacitus die Rolle des Militärs in seinen Annalen und Historien malt.158 Die Gräuel der Soldaten in den geschilderten Bürgerkriegen, ihr Plündern und die Verheerungen, die sie anrichteten, werden in den grellsten Farben gemalt. Tacitus schrieb sein Geschichtswerk aus dem Blickwinkel des senatorischen Adels, und seine Kritik der Soldateska früherer Jahre traf auch sein zeitgenössisches Militärregiment, dem eben die Legitimität fehlte, weil die Kaiser Soldaten blieben und nur Kaiser bleiben konnten, wenn die Soldaten es duldeten. Die imperiale Mission war in Frage gestellt. Der Bürgerkrieg nach dem Ende Neros, eigentlich schon der Aufstand der Legionen gegen Nero, hatte das allen, die es sehen konnten, offenbar gemacht. Ausschließlich militärisch lässt sich vielleicht eine kleinere Stadt, aber schon nicht mehr Rom als urbs, schon gar nicht ein Imperium halten. Diese Einsicht steckt hinter dem Ausruf des Hauptmanns unter dem Kreuz, dass dieser Jesus in Wahrheit der Sohn Gottes sei (Mk 15, 39; Lk 23, 47; in Mt 27, 54 bekennen der Hauptmann und seine Männer) – und eben nicht Vespasian, Titus, Domitian, um die Flavier zu nennen, und schließlich all die anderen, die dann noch folgten – bis Konstantin. Immerhin konnten sich die julisch-claudischen Kaiser noch als Söhne des vergöttlichten Caesars betrachten; sie trugen den Namen des Begründers ihrer Dynastie zu Recht. Nach dem Ende Neros und damit dem Ende der julisch-claudischen Dynastie war das anders. Der Hauptmann unter dem Kreuz huldigt nicht nur dem Christus, er bestreitet damit implizit die Legitimität der Macht seiner Vorgesetzten. Als hätten die Evangelisten um das Legitimationsdefizit der neuen flavischen Kaiser gewusst, boten sie auf dem Markt der Machtrechtfertigungen eine neue imperiale Theologie an, die den Soldaten Legitimation verschaffen konnte, nämlich über den ebenfalls wie Caesar, besser gesagt anstelle des Caesars in den Himmel aufgefahre158

Flaig (1992) S. 25 ff.

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nen Christus, der eine Legitimität zu verleihen vermochte, die Pilatus respektive die Flavier entbehren mussten. Dabei zielten die Evangelien auf die Centurionen, das eigentliche Rückgrat der römischen Legionen. So wurde Petrus zur eigentlichen Gegenfigur des Pilatus. In der Apostelgeschichte ist nämlich er der Apostel, der die Heidenmission als Auftrag des Herrn empfängt, und er beginnt mit dem Hauptmann Cornelius, also einem Militär (Apg 10). Die Bedeutung des römischen Militärs für die Ausbreitung des Christentums kann nicht hoch genug eingeschätzt werden. Die Strukturverwandtschaft zwischen den Legionen und der Kirche deutet das auch an. Die Ehelosigkeit der Legionäre, zumindest während der Dienstzeit, dürfte auch Vorbild für die Organisation der Kirche geworden sein. Den Centurionen entsprechen in ihrer kirchlichen Stellung die Bischöfe. Die Evangelien haben Konstantin antizipiert, weil sie auf die Legionen ausgerichtet waren. Die paulinische Mission zielte dagegen auf die Zivilgesellschaft und bildete eine Gegengesellschaft aus, die sich eigene Strukturen im Dienste einer aufgeklärten, einer die kaiserliche Propaganda entlarvenden Kommunikation schuf. Anders als für die Evangelien ist für Paulus Christus nicht der Erste, sondern der Letzte. Dies hat für seine Gemeinden zur Folge, dass sie nicht hierarchisiert sind. Dennoch sind die Paulusbriefe in den Kanon aufgenommen worden, bzw. der Kanon entstand als Widerstand gegen Markion, der ihn weitgehend auf die Paulusbriefe beschränken wollte (wobei Markion andere Briefe noch für Paulusbriefe hielt und auch die Apostelgeschichte akzeptierte). Der neutestamentliche Kanon ist darum ebenso ein Kompromiss wie die Hebräische Bibel bzw. die Septuaginta, also ein aus Rücksicht auf innerkirchliche Machtbeziehungen geschlossener Vertrag. In ihrer Reflexion der Macht und im Umgang miteinander zeigen sich die Autoren des Neuen Testaments und die Redakteure des christlichen Kanons nicht als naive und weltfremde Gesinnungsethiker, sondern geradezu als Spezialisten des politischen bzw. herrschaftstheoretischen Diskurses, den sie miteinander freilich in theologischer Terminologie führten159. Dabei bezogen sich die Evangelisten ebenso wie Paulus auf das Alte Testament, und zwar auf ein gemeinsames Paradigma, um den Begriff von Oswald wieder aufzugreifen, das sie aber völlig konträr auslegten und weiterentwickelten. Paulus rezipierte dabei aber auch noch in größerem Umfang die jüdische Apokalyptik. Dieses alttestamentliche Paradigma stammt aus der Zeit der Makkabäer, also aus dem zweiten vorchristlichen Jahrhundert, als es den Juden mit der Unterstützung 159

Dabei ist der Kanon, wie Gerd Theißen zeigt, gar nicht durch einen förmlichen Beschluss entstanden, sondern in einem Prozess, der sich über einen geraumen Zeitraum hinzog. Besonders für die Evangelien aber sei schon ein vorkanonischer Viererkanon nachweisbar (Theißen 2007, S. 288 ff.). Bei der Kanonbildung seien aber, so Theißen, hauptsächlich formale Kriterien ausschlaggebend gewesen, nämlich dass die Schriften als apostolisch gegolten hätten und weit verbreitet gewesen seien („Rechtgläubigkeit war dann evident, wenn eine Schrift allgemein akzeptiert war“ (S. 285)). Das mag für die endgültige Festlegung des Kanons in der Tat zutreffen, darf aber hinsichtlich des Umstandes, was verbreitet wurde und was nicht, nicht angenommen werden. Die Weiterverbreitung bzw. Unterdrückung von Schriften hat inhaltliche Gründe gehabt und war nicht Zufall.

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Roms gelungen war, sich gegenüber den Seleukiden eine Autonomie zu erkämpfen. Während nun das Erste Buch der Makkabäer diesen Erfolg der geschickten Diplomatie der neuen Führung, den Makkabäern also, die die Dynastie der Hasmonäer gründeten, zuschreibt, betonen das Zweite und das Vierte Buch der Makkabäer die Bedeutung der Märtyrer, die den Griechen widerstanden und die Erlösung des Volkes bewirkt hätten. Das apokryphe Vierte Buch der Makkabäer greift das schon im Zweiten Makkabäerbuch, das die römisch-katholische Kirche als kanonisch betrachtet, beschriebene Martyrium des Eleazar und von sieben Brüdern und ihrer Mutter (2, Makk 6, 18 – 31 und 7, 1 – 42) noch einmal auf und malt es in den grellsten Farben aus, um dann aus dem Geschehen den Schluss zu ziehen: „Sie wurden ja ob ihrer Starkmut und Geduld nicht bloß von allen andern Menschen, sondern selbst von ihren Peinigern bewundert“ – wer dächte hier nicht an den römischen Hauptmann, der unter dem Kreuz Jesu als erster Heide Jesus als den Christus bekennt – „weil sie die Tyrannen durch ihre Geduld so besiegten, daß das Vaterland durch sie gereinigt wurde.“160 Eleazar, der sich weigert, Schweinefleisch zu essen, wird gegeißelt, gefoltert und grausam zu Tode gebracht. Dem Autor des Vierten Makkabäerbuches ist er ein Beispiel dafür, dass die Vernunft die Triebe beherrsche, das eigentliche Thema des Buches, und er ist natürlich ein Vorbild zur Nachahmung. „Nur der ist imstand, die Fleischestriebe zu beherrschen, der sich um die Frömmigkeit aus ganzem Herzen kümmert, im Glauben, daß man, gleich unsern Erzvätern Abraham, Isaak und Jakob, für Gott nicht stirbt, sondern für Gott lebt.“161 Die Brüder bekennen angesichts der ihnen angedrohten Martern gegenüber ihrem Peiniger: „Glaub aber nicht, daß du durch deine Folter unsern Seelen Schaden brächtest, wenn du uns der Frömmigkeit wegen tötest! Denn wir werden durch dieses unser geduldiges Ertragen der Leiden den Siegespreis der Tugend empfangen und bei Gott sein, um dessetwillen wir dies erdulden.“162 Dem folgt die Drohung: „Du aber wirst wegen unserer Ermordung, wodurch du dich befleckst, von der göttlichen Gerechtigkeit ewige Feuerqual zu erleiden haben.“163 Das Martyrium hat hier die Voraussetzung, dass zwischen sterblichem Leib und unsterblicher Seele unterschieden wird, und der Ausweis dafür, dass diese Unterscheidung möglich ist, ist dem Autor die beobachtbare Herrschaft der Vernunft über die Triebe. So wird schließlich das Martyrium selbst zum Nachweis der Unsterblichkeit, und es heißt ausdrücklich, dass die Märtyrer so heldenhaft zu sterben wüssten, „zumal sie auch wußten, daß, wer für Gott stirbt, auch bei Gott lebt, wie Abraham, Isaak und Jakob samt allen andern Erzvätern.“164 Darüber hinaus wird der Märtyrertod noch als Sühne für die Sünde des Volkes betrachtet, für den Abfall, als es dem fremden Tyrannen diente. „Sie (die Märtyrer; Anm. M. E.) waren gleichsam ein Ersatz für die Sünde des Volkes. Durch 160 Altjüdisches Schrifttum außerhalb der Bibel. Übersetzt und erläutert von Paul Riessler. Augsburg 1928, S. 701. 161 Ebenda, S. 712. 162 Ebenda, S. 714. 163 Ebenda, S. 714. 164 Ebenda, S. 726.

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das Blut jener Frommen und ihren Sühnetod rettete die göttliche Vorsehung das vorher schlimm bedrängte Israel.“165 Das Buch schließt mit einem Aufruf: „O Israeliten, Nachkommen Abrahams! Folget diesem Gesetz und seid in allem fromm! Wisset, daß die gottgeleitete Vernunft der Triebe Herrin ist, und zwar nicht bloß der innerlichen, sondern auch der äußerlichen Schmerzen. Weil jene der Frömmigkeit zuliebe die Körper den Schmerzen preisgaben, so wurden sie nicht nur von den Menschen bewundert, sondern auch der Teilnahme am Göttlichen gewürdigt. Und um ihretwillen bekam das Volk Frieden. (…) Und der Tyrann Antiochus ward nicht bloß auf Erden bestraft, sondern wird auch nach seinem Tod noch gezüchtigt.“166 Im Martyrium wird nun nicht nur die Göttlichkeit des Herrschers und damit sein Charisma bestritten, sondern sogar seine Dämonisierung bewirkt. Sein Anspruch wird ins Gegenteil verkehrt, während dem Märtyrer gerade das widerfährt, was dem Tyrannen abgesprochen wird, nämlich Bestätigung seines Charismas durch Auferstehung. Es liegt eine eigentümliche Dialektik in diesem Sachverhalt, also im Martyrium als Leiden. Letztlich kann es keines der Tat geben. Täter sind so wenig Märtyrer, wie auch Anschlagsopfer keine sein können. Es gibt kein Martyrium ohne einen gerichtlichen Prozess, der mit einem Unrechtsurteil endet. Das erst offenbart, wie es in Wahrheit um die Verhältnisse bestellt ist. Die staatspolitischen Geheimnisse liegen offen vor aller Augen, und das führt dann in der Tat zur Destabilisierung der bestehenden Ordnung. Das Judentum kannte vor der Zeit des Hellenismus kein Martyrium, weil es die Unsterblichkeit der Seele nicht behauptet hatte. Erst während des Hellenismus bekämpften jüdische Gruppen die fremden Eroberer mit deren eigenen Mitteln, deren eigener Philosophie.167 Denn die erste literarische Schilderung eines Martyriums ist der von Platon im Phaidon geschilderte Tod des Sokrates. Die dem allen zu Grunde liegende Metaphysik und ihre entsprechenden Anthropologie impliziert freilich eine Verfassung der gläubigen Gemeinde, die analog der Herrschaft der Vernunft über die Triebe gesehen wird, und zwar sowohl bei Platon als auch in der jüdischen Märtyrertheologie, in deren Tradition die Evangelien stehen.168 Platons Seelenlehre entspricht die Hierarchie der idealen plis, wie er sie in seinem Dialog Politeia entwirft. Die Behauptung der Unsterblichkeit der Seele ist so politisch wie die Auferste165

Ebenda, S. 727. Ebenda, S. 727. 167 Vgl. Barth, Gerhard: „Umstrittener Auferstehungsglaube“, in: Bormann/del Tredici/ Standhartinger S. 117 ff. Barth bezieht sich auf H.C.C. Cavallin: Life after Death. Pauls Argument for the Ressurection of the Dead in 1. Cor 15. Lund 1974, und zeigt auf, dass es auch zur Zeit der Entstehung der Schriften des Neuen Testaments keine allgemeine Auferstehungshoffnung im Judentum gegeben habe, dass also nicht nur die Sadduzäer die Auferstehung der Toten leugneten. Die alttestamentlichen Hinweise auf Auferstehung seien auch rar (Barth verweist auf Jes 26,19 und Dan 12, 2.13). 168 Freilich wird die Unsterblichkeit der Seele bei Platon erkenntnistheoretisch begründet. Außerdem entpolitisiert Platon den Prozess des Sokrates, den die athenische Demokratie nach ihrer größten Krise, nach ihrer Niederlage gegen Sparta und nach der Herrschaft der 30 Tyrannen, als erklärten Gegner der Demokratie hinrichtete. 166

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hung des Caesar oder die des Christus. Wie sie zu denken ist, ist keine Frage der Metaphysik alleine, sondern eine Verfassungsfrage bzw. eine Auseinandersetzung darüber, welche Ordnung der politischen Macht der Ordnung der Seele am besten entspricht. In den Evangelien hat also Christus Jesus den Tyrannen getrotzt und wurde getötet. Er ist auferstanden, aber dann zum Vater heimgekehrt und folglich jetzt nicht mehr da. Seine Hegemonie ist durch sein Leiden und seine Auferstehung begründet worden. Damit wurde die unrechtmäßige Herrschaft sowohl der Römer als auch des Hohen Rats der Juden vor aller Welt entlarvt. Jesus hat in der Zeit, während der er auf Erden weilte, seine Hegemonie durch Zeichen und Wunder ausgewiesen. Davon kursierten in den ersten Gemeinden viele Berichte. Die neutestamentliche Forschung geht z. T. davon aus, dass die Evangelisten der kanonischen Evangelien über mehrere Quellen verfügt haben müssen, vielleicht sogar über eine literarische Sammlung von Wundern neben der mit Q bezeichneten Redenquelle, die Zeichenquelle. Der darin geschilderte Jesus trat wohl im Stile eines hellenistischen Wundermannes auf. So sehr nun aber auch die Evangelisten aus diesen Quellen geschöpft haben mögen, sie relativieren gerade das Wunderwirken, besonders das Markusevangelium. Die Auferstehungsbotschaft ist ihnen dagegen wichtig, gemeinsam mit dem Passionsbericht. Helmut Köster schreibt in seiner Einführung in das Neue Testament: „Der Ausgangspunkt der Predigt von Jesu Auferstehung war das syrische Antiochien (…) Jakobus und seine Anhänger in Jerusalem scheinen dieser Entwicklung reserviert gegenüber gestanden zu haben. Aber aus dem Kreise der ersten Führer der Jerusalemer Gemeinde hat Petrus sich aufgeschlossener gezeigt. (…) Für eine Biographie des Petrus ist das zu wenig. Aber die Verankerung der Autorität dieses Jüngers und Apostels in der Tradition der Christenheit, die sich auf das Zeugnis von Jesu Auferstehung berief, gehört zu den sichersten Daten der urchristlichen Überlieferung. Es ist ebenso unbestreitbar, daß diese Petrustraditionen in Syrien beheimatet waren. In der aus der antiochenischen Gemeinde stammenden Formel 1. Kor 15, 3 – 7 wird Petrus als erster Zeuge der Auferstehung genannt. Reichhaltige Zeugnisse kommen aus den kanonischen Evangelien. Am Schluss der Emmausgeschichte steht der wie ein Stück einer Formel anmutende Satz, ,er ist wahrhaft auferstanden und dem Simon erschienen (Luk. 24, 34).“169 Der Gemeinde in Jerusalem hatte sich wohl eine Gruppe hellenistischer Juden angeschlossen, die aber, wie es das Martyrium des Stephanus bezeugt, verfolgt wurde und vor dieser Verfolgung nach Galliläa bzw. ins syrische Antiochien auswich. Die Jerusalemer Gemeinde erachtete die Thora weiterhin als verbindlich, gestattete aber, wie es das in Apg. 15 bezeugte Apostelkonzil zeigt, die Heidenmission. Petrus ist nun nicht, wie gewöhnlich vermutet wird, als Missionar für die Juden im Gegensatz zu Paulus als dem Apostel der Heiden zu sehen, denn Petrus missionierte auch Heiden, das geht aus der Apostelgeschichte hervor. In einem Teil der Forschung wird der Kon169 Köster, Helmut: Einführung in das Neue Testament. Berlin und New York 1980, S. 596 f.

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flikt zwischen Petrus und Paulus aber auf die Arbeitsteilung zwischen Juden- und Heidenmission zurückgeführt, während andere die Auseinandersetzung zwischen Paulus und der judaistischen Gemeinde in Jerusalem als zentral ansehen, in der Petrus von Antiochien aus eine vermittelnde Rolle einzunehmen versucht habe. Einen Überblick über den Forschungsstand bietet Lothar Wehr.170 Er sieht freilich den Konflikt zwischen Paulus und Petrus hauptsachlich darin begründet, dass Paulus in Jerusalem Probleme mit der Anerkennung als gleichberechtigter Apostel gehabt habe. Petrus habe in seiner Verantwortung die undankbare Mittlerrolle übernehmen müssen, sei aber gerade so Gegenstand der Polemik des Paulus geworden, der seine Position als absolut gesetzt habe: „Petrus zeigt durch sein Verhalten seine Verantwortung für die Gesamtkirche, d. h. für Juden- und Heidenchristen.“171 Schön beobachtet ist, dass Paulus den Petrus mit der Ausnahme von Gal 2, 7 seinen heidenchristlichen Lesern gegenüber mit dem aramäischen Wort kephas benennt, um so einen „Verfremdungseffekt“ zu erzielen.172 Der Konflikt zwischen Petrus und Paulus scheint m. E. aber darin begründet gewesen zu sein, dass zwar beide Heidenmission betrieben, aber Paulus gerade nicht wie die Petrusanhänger auf das Militär zielte. Entsprechend war seine Gemeindekonzeption antihierarchisch ausgerichtet. So ist auch Franz Mussner zu widersprechen, wenn er den Konflikt der Apostel im ökumenischen Geist zu vermittelt versucht, indem er Petrus die institutionelle und Paulus die theologische Kompetenz zuschreibt.173 Demgegenüber ist zu betonen, dass die Briefe des Paulus gerade die Verfassung der Gemeinden ansprechen, dass in dem Konflikt zwischen beiden Gemeindetraditionen, zwischen jener, die sich auf Paulus, und jener, die sich auf Petrus berief, keine Trennung des Theologischen vom Institutionellen gemacht wurde. Zuzustimmen ist Mussner, wenn er schreibt: „Ein wichtiger Grund für das Ansehen des Petrus in der Urkirche schon zu seinen Lebzeiten scheint der Umstand gewesen zu sein, daß man in ihm schon früh den Erstzeugen für die Erscheinung des Auferstandenen sah.“174

170 Wehr, Lothar: Petrus und Paulus – Kontrahenten und Partner. Die beiden Apostel im Spiegel des Neuen Testaments, der apostolischen Väter und früher Zeugnisse ihrer Verehrung. Münster 1996. 171 Ebenda, S. 69. 172 Ebenda, S. 56, s.a. S. 41 ff. Auch Martin Hengel betrachtet den Konflikt zwischen Paulus und Petrus als den Hauptkonflikt, der seine Ursache darin gehabt habe, dass beide in der Heidenmission konkurriert hätten: „Der jetzt erfolgte Bruch mit der Antiochener Gemeinde (nach dem in Gal 2, 11 ff geschilderten Streit; Anm. M.E.), mit der er wohl über ein Jahrzehnt verbunden gewesen war, auch wenn er sich nicht immer dort aufgehalten hatte, zeigt sich daran, daß er in seinen – mit Ausnahme von 1Thess – nach dem Konflikt geschriebenen Briefen Antiochien nur noch einmal, eben in dem Bericht über den damaligen Streit Gal 2, 11, aber sonst nie mehr erwähnt, während in seinen echten Briefen Jerusalem/Hierosolyma zehnmal genannt wird“ (Hengel, Martin: Der unterschätzte Petrus. Zwei Studien. Tübingen 2006, S. 103 f.). 173 Mussner, Franz: Petrus und Paulus – Pole der Einheit. Eine Hilfe für die Kirchen. Freiburg, Basel und Wien 1976. 174 Ebenda, S. 71.

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Aber selbst in Antiochien wird das Kerygma von der Auferstehung verschieden gedeutet, wie Klaus Berger bemerkt: „Das Thema Auferstehung/Auferweckung, orientiert am strikten Wortgebrauch, ist nicht in dem Maße, in dem wir das vermuten möchten, gemeinsames Gut der drei antiochenischen Säulen (Petrus, Johannes und Jakobus; Anm. M. E.) gewesen. Das gilt schon für die Auferstehung Jesu, da an ihrer Stelle weithin die Erhöhung genannt wird. Während für Auferstehung/Auferweckung die Wiederbelebung und die ,Erstattung des Leibes im Blick auf jeden einzelnen wichtig sind, fehlt bei den Erhöhungsaussagen jede Reflexion über die Leiblichkeit und allein Vollmacht und Funktion gegenüber anderen sind wichtig.“175 Es habe wohl, so Klaus Berger, in den ersten Gemeinden darüber Einigkeit geherrscht, dass Jesus weiter existierte, aber hinsichtlich des Wie hätten unterschiedliche Vorstellungen geherrscht: Auferweckung in der uns in den Evangelien beschriebenen Weise, Entrückung in den Himmel, Eingang zu Gott in der Identifizierung von Kreuzigung und Auferstehung, Verherrlichung, Erhöhung und Unterwerfung von Engelsmächten, wobei zwischen all diesen Vorstellungen natürlich Verschmelzungen möglich gewesen seien. Berger zählt nur die im neutestamentlichen Kanon auffindbaren Vorstellungen auf, nicht berücksichtigt sind also die Apokryphen und die gnostischen Phantasien, die noch mit in Rechnung gestellt werden müssen. Die Verkündigung der frühen Gemeinden ist, so lässt sich zumindest aus den Evangelien schließen, stets auf eine Urerfahrung der ursprünglichen Jesusjünger bezogen, die diese an sich selbst wohl haben machen müssen, nämlich die maßlose Enttäuschung, die die Kreuzigung Jesu für sie bedeutet hatte. Ihren deutlichsten Ausdruck findet sie in den Worten der Emmausjünger, die gegenüber dem noch unerkannten Auferstandenen auf die Frage, warum sie so niedergeschlagen seien, selber fragend antworten, ob er noch nichts von den Ereignissen in Jerusalem gehört habe: „Das mit Jesus von Nazareth, der ein Prophet war, mächtig in Tat und Wort vor Gott und dem ganzen Volk, und wie unsere Hohenpriester und führenden Männer ihn ausgeliefert haben, damit er zum Tod verurteilt würde, und wie sie ihn gekreuzigt haben. Wir aber hofften, er sei es, der Israel erlösen sollte“ (Lk 24, 19 f). Nun vermitteln die Evangelien weder an dieser noch an einer anderen Stelle den Eindruck, neben Jesus selber seien auch seine Anhänger von Verhaftung, Prozess und Kreuzigung bedroht gewesen (der Prozess Jesu ist freilich eine literarische Fiktion176). Die zuständigen Behörden sowohl der Juden als auch der Römer, dieser 175

Berger, Klaus: Theologiegeschichte des Urchristentums. Theologie des Neuen Testaments. Tübingen und Basel 1994, S. 378. (zu den Auferstehungsvorstellungen allein im syrischen Antiochien vgl. auch S. 183 ff.). 176 Vgl. Cohn, Chaim: The Trial and Death of Jesus, New York 1977, und Crossan, John Dominic: Who killed Jesus? San Francisco 1995. Beide zeigen die antisemitischen, besser müsste gesagt werden, antijudaistischen Motive der Autoren der Evangelien besonders im Zusammenhang mit dem Prozess bzw. den Prozessen (vor dem Rat der Ältesten, vor Pilatus und schließlich bei Lukas auch vor Herodes) auf, vor allem des Johannesevangeliums. Cohn betont dagegen, dass bei der paulinischen Theologie, auch wenn sie historisch hauptverantwortlich für die Trennung zwischen Christentum und Judentum gemacht werden müsse, Antisemitismus bzw. Antijudaismus auszuschließen sei (ich spreche lieber von Antijudaismus, obwohl Peter

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Schluss kann aus der Darstellung gezogen werden, glauben, es bei einem Exempel belassen zu können. Kaiphas wird der Satz in den Mund gelegt, dass es besser sei, einer sterbe für das Volk, als dass das ganze Volk verderbe (Joh 11, 50). Diese Strategie geht zunächst auf: Petrus leugnet, mit Jesus überhaupt zu tun gehabt zu haben, aber sicher nicht aus Furcht vor Repressalien. Petrus verleugnet den Herrn im Matthäusevangelium dreimal (Mt 26, 69 ff). Aber im Falle einer Gefahr hätte er sich doch schon in Sicherheit bringen müssen, nachdem er das erste Mal von einer Magd als Jünger Jesu angesprochen worden war. Das Markusevangelium ist noch deutlicher: Es ist hier dieselbe Magd, die Petrus ein zweites Mal anspricht (Mk 14, 66 ff). Er sieht aber darin keinen Grund zur Flucht. Im Lukasevangelium heißt es, das dritte Mal sei Petrus ungefähr nach einer Stunde angesprochen worden (Lk 22, 59), und das Johannesevangelium stellt besonders heraus, wie ungefährdet sich die Jünger während des Verhörs Jesu haben bewegen können, denn hier wird Petrus sogar als Gewalttäter erkannt: „Einer von den Knechten des Hohen Priesters, ein Verwandter dessen, dem Petrus das Ohr abgehauen hatte, sagte: Habe ich dich nicht im Garten mit ihm gesehen?“ (Joh 18, 26). Bei der Gefangennahme Jesu tritt Petrus nämlich noch ganz anders auf, als Haudegen, der mit der Waffe in der Hand eingreift und sogar dem Knecht des Hohenpriesters Malchus ein Ohr abschlägt ((Joh 18, 10). Die Synoptiker schreiben diese Tat dagegen nicht dem Petrus, sondern einem nicht genannten Begleiter zu, auch das Opfer wird nicht benannt (Mk 14, 47; Mt 26, 51 und Lk 22, 50). Gründe für die Verhaftung der Anhänger Jesu kann der Leser also in allen Evangelien finden. Aber es geschieht ihnen nichts, man lässt sie laufen. So wird auch Petrus bei seinen Verleugnungen nicht so geschildert, als leite ihn die Furcht, Jesu Schicksal teilen zu müssen. Vielmehr schämt er sich, dass er bei diesem vom Ende her betrachtet doch recht armseligen Unternehmen, was immer es auch gewesen sein mag und worüber man nur Vermutungen anstellen kann, mitgemacht hat. Die Sache ist ihm peinlich.177 Dieter Georgi hält dagegen eine Flucht der Jesusanhänger nach der Gefangennahme und Hinrichtung Jesu nach Galiläa für wahrscheinlich.178 Aber hier sollen keine Spekulationen über die historischen Verhältnisse vor der Abfassung der jeweiligen neutestamentlichen Schriften angestellt werden. Diese Schriften sind Literatur, die Diskurse und auch Auseinandersetzungen ihrer Zeit wiedergeben, die alleine rekonstruiert werden können. Georgis Bemerkung, dass die Geschichte in den Geschichten verborgen sei179, ist zwar zuzustimmen, aber es ist Geschichte in mindestens zweierlei Sinn: einmal die nicht mehr rekonstruierbare Geschichte der Zeit Jesu, zum zweiten Schäfer den Begriff des Antisemitismus auch im Hinblick auf die Antike verwendet. Im deutschen Kontext ist der Antisemitismus rassistisch begründet. Die Antike kannte aber den Begriff der Rasse nicht. Zudem hat im englischen Kontext race eine andere Bedeutung als Rasse im deutschen; vgl. Schäfer). 177 Alleine Mk 14, 51 f. erwähnt einen Jüngling, der nur mit einem leinenen Kleid sich dem verhafteten Jesus habe anschließen wollen. Als die Häscher auch ihn hätten ergreifen wollen, habe er das Kleid fahren lassen und sei nackt entkommen. 178 Georgi, Dieter: Der Armen zu gedenken. Die Geschichte der Kollekte des Paulus für Jerusalem. 2. Aufl. Neukirchen-Vluyn 1964, S. 25. 179 Ebenda, S. 9.

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aber die durchaus rekonstruierbare Geschichte der Auseinandersetzungen über die Deutung der schon damals nicht mehr rekonstruierbaren Geschichte Jesu und seiner Jünger. Dabei stellt sich aber heraus, dass die Jünger Jesu und insbesondere Petrus keinen Anteil am Charisma Jesu haben. Darum muss im Hinblick auf die charismatische Herrschaft Max Weber widersprochen werden, wenn er schreibt: „Der Verwaltungsstab des charismatischen Herrn ist kein ,Beamtentum, am wenigsten ein fachmäßig eingeschultes. Er ist weder nach ständischen, noch nach Gesichtspunkten der Haus- oder persönlichen Abhängigkeit ausgelesen. Sondern er ist seinerseits nach charismatischen Qualitäten ausgelesen: dem ,Propheten entsprechen die ,Jünger.“180 Aber im Neuen Testament ist es so gerade nicht! Die als peinlich erscheinende Sache Jesu wird darum auch nicht von charismatischen Jesusjüngern gerettet, sondern, zumindest in den synoptischen Evangelien – das Johannesevangelium endete wohl in seiner ursprünglichen Fassung mit der Kreuzigung –, nur durch die Auferstehung und das leere Grab. Denn die Stellvertreter dürfen im Interesse der Stabilität der institutionalisierten Macht gerade keine Charismatiker mehr sein. Das Neue Testament erweist sich hier in seiner politischen Klugheit Max Weber als überlegen. Die Evangelien stehen also in der Tradition der jüdischen Märtyrertheologie, die bis in die Zeit der Makkabäer zurückreicht, also in das zweite vorchristliche Jahrhun180

Weber, Max: Wirtschaft und Gesellschaft. 5. Aufl. Tübingen 1985, S. 141. Das Missverständnis Webers führt bis heute dazu, dass politisches Charisma in seiner Funktion für die Machterhaltung nicht recht verstanden wird. Ludolf Herbst wirft z. B. den Historikern vor, dass sie die Idealtypen der politischen Herrschaft, die Weber unterscheide, nicht als Instrumente der Analyse zu nutzen verstünden, sondern in ihnen Beschreibungsmodelle sähen. Aber diese Idealtypen träten nicht an die Stelle der klassischen Verfassungstypen, also traditionale Herrschaft für die Monarchie, bürokratische Herrschaft für die Demokratie, charismatische Herrschaft für die Diktatur: „Jeder dieser Verfassungstypen lässt sich als Mischform legaler, traditionaler und charismatischer Herrschaftselemente beschreiben“ (Herbst, Ludolf: Hitlers Charisma. Die Erfindung eines deutschen Messias, Ffm 2010, S. 16). Aber was heißt hier Mischform? Das Ziel einer Analyse ist es doch gerade, die Elemente einer Mischung zu unterscheiden und in ihrer Funktion zu beschreiben. So schreibt Herbst über die Funktion des Charismas Hitlers: „Um Gehorsam zu finden, benötigt der Befehlende erstens eine ,Legitimation, die er für sich in Anspruch nehmen kann und die die Beherrschten anerkennen, und zweitens einen ,Verwaltungsstab, der seine Befehle ausführt oder Dritten übermittelt. Beides – Legitimation und Verwaltungsstab – variiert von Herrschaft zu Herrschaft. Je nachdem, wie eine Herrschaft legitimiert ist und was für einen Verwaltungsstab sie besitzt, bildet sie unterschiedliche Merkmale aus, die unterschiedliche Idealtypen konstituieren“ (ebenda, S. 16). Dabei kommt Herbst aber gar nicht in den Blick, dass es auch eine Administration sein kann, die sich eines charismatischen Politikers bedient, der dann gar nicht die Herrschaft hat, sondern eine bürokratische Herrschaft charismatisch legitimiert, als Staats- bzw. Führungsschauspieler. So heißt es zum Ende des Buches zwar, dass Charisma wohl immer „Legende“ sei (ebenda, S. 272 f.), aber das impliziert doch, dass es eine charismatische Herrschaft im Sinne Webers gar nicht gibt. Herrschaft bzw. Macht ist immer Arbeitsteilung, in der der Erste für das Charisma, der Zweite für die Befehle (Bürokratie) zuständig ist, und es ist diese Arbeitsteilung, die die Mischung der Idealtypen in der Wirklichkeit notwendig macht. Wenn Herbst schreibt, dass Herrschaft, je nachdem, wie sie legitimiert sei, unterschiedliche Idealtypen konstituiere, hat er das Feld der Analyse selber verlassen und benutzt die Idealtypen selber als Beschreibungsmodelle. Dass ein politischer Führer somit nur die charismatische Tarnung einer eigentlich bürokratischen Herrschaft sein kann, tritt dann nicht mehr in den Blick.

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dert, als die Juden sich gegen die seleukidische Herrschaft und auch ihre eigene Führungsschicht auflehnten. Sie rezipieren diese Tradition vor dem Hintergrund des jüdischen Aufstands gegen die römische Herrschaft in den sechziger Jahren des ersten nachchristlichen Jahrhunderts, der nicht ohne Bezug zum römischen Bürgerkrieg war, der am Ende der Regierungszeit Neros wieder ausbrach. Herfried Münkler schreibt, der Kampf der antiimperialen Akteure beginne als Bürgerkrieg in den Gesellschaften der Peripherie, und in ihm werde darum gerungen, welche Werte gelten sollten, die der eigenen Tradition oder die des Imperiums.181 Er verweist in diesem Zusammenhang auch auf den Aufstand der Makkabäer gegen die seleukidische Herrschaft im zweiten Jahrhundert v. Chr., in dem die Juden siegten und noch einmal eine politische Unabhängigkeit erreichen konnten. Aber dieses Beispiel passt nicht, gleichwohl in diesem Kampf das Martyrium eine Rolle zu spielen begonnen hat, mit dem Unterschied, dass die Märtyrer seinerzeit keine Kämpfer waren, wie es heute in den aktuellen Kämpfen, insbesondere im Nahen Osten und im islamistischen Terrorismus, der Fall ist. Der Aufstand gelang, weil er von Rom, das in seine imperiale Rolle gerade hineinwuchs, unterstützt wurde. Das Erste Buch der Makkabäer stellt den Unabhängigkeitskampf im Rahmen der Politik der großen Mächte dar. Der Erfolg ist hier nicht den Märtyrern aus dem Volk geschuldet, sondern sowohl der diplomatischen Anerkennung der Führer des Aufstandes von Seiten der fremden Mächte (Sparta und Rom) als auch ihrem diplomatischen und militärischen Geschick. Anders das Zweiten Buch der Makkabäer. Mit seiner Betonung der Bedeutung der Märtyrer für die erfochtene nationale Freiheit ist es gerade gegen die führende Klasse gerichtet, deren Herrschaft, nachdem sie die traditionelle Herrschaft der Zadokiden182 gestürzt hatte, mit der Betonung ihrer Verdienste im Ersten Buch der Makkabäer gerechtfertigt worden war. Der Makkabäeraufstand ist darum eher mit den Unabhängigkeitskämpfen z. B. im zerfallenden Jugoslawien zu vergleichen. Er war gerade nicht antiimperial, sondern auf imperiale Intervention angewiesen. Ein besseres Beispiel für Münklers These wäre der jüdische Aufstand von 66 bis 71 n. Chr., denn diese Erhebung ging mit der Machtergreifung der Zeloten und Iskarier, die die Römer Räuber nannten, einher. Flavius Josephus, der die Geschichte dieses Krieges schrieb, hatte als Angehöriger der jüdischen Oberschicht, die den Aufstand zunächst nicht verhindern konnte, ihn aber schließlich zu führen versuchte, ein Kommando übernommen, geriet aber nach dem Fall von Jotapata in römische Kriegsgefangenschaft. Eine Stadt, die sich nicht ergab, fiel eigentlich nach dem damals gültigen Kriegsrecht nach ihrem Fall der Plünderung anheim. Der männliche Teil der erwachsenen Bevölkerung wurde getötet, der Rest auf den Sklavenmärkten zu Geld gemacht. Dass Josephus aufgespart wurde, später sogar, noch während der Kämpfe, die Freiheit erhielt, verdankte er wohl weniger seiner Prophezeiung, Vespasian, der Feldherr des römischen Heeres, das den Aufstand bekämpfte, werde einmal Kaiser (Jos. B. J. III, 393), obgleich sich 181

Münkler (2005), S. 204. Freilich muss man sich den Übergang der Herrschaft nicht revolutionär vorstellen. Die Hohenpriester der zadokidischen Linie verloren nicht jeden Einfluss und behaupteten auch weiterhin die hohenpriesterliche Würde und Funktion. 182

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für den ambitionierten General hier eine Loyalität zeigte, die er in den Wirren vor und nach der Ermordung Neros sicher zu schätzen gewusst hat. Es spricht für die effiziente Kriegführung Vespasians und das diplomatische Geschick seines Sohnes Titus, dass man den jungen jüdischen Aristokraten lebendig höher veranschlagte als tot. Der dankte es beiden, indem er mit seiner Geschichte des jüdischen Krieges ihr politisches Programm unterstützte und die Notwendigkeit der römischen Macht betonte, die für Ruhe, Ordnung und Sicherheit sorge. Dem Hohenpriester Ananias legt er die Worte in den Mund: „(W)enn man die Dinge beim rechten Namen nennen will, so wird man bald feststellen müssen, daß die Römer für uns Schirmherren der Gesetze sind, deren Feinde innerhalb unserer Mauern sitzen“ (Jos. B. J. III, 185).183 Hier wird dem römischen Imperium seine imperiale Mission bestätigt, während sie das Neue Testament bestreitet. Die Geschichte des jüdischen Krieges, die Josephus schrieb, erfüllte für die Flavier den Zweck, den Caesars eigene Bücher über den gallischen Krieg und den Bürgerkrieg verfolgten. Sie waren Propaganda und Rechtfertigung der Machtergreifung. Gleichzeitig stellte sich Josephus Flavius in die Tradition des Ersten Buches der Makkabäer, was nicht verwundert, denn sie gestattete es ihm, sowohl Rom als auch die politische Klasse, der er entstammte, zu preisen, während die Aufständischen sich in der Tradition des Zweiten Makabäerbuches sahen. Beide Gruppierungen des Judentums intervenierten somit auf ihre Weise in den Bürgerkrieg des Imperiums. Aber diese Interventionen scheiterten, im Gegensatz zur Intervention der Jesusanhänger. Die Aufständischen übersahen, dass ihr Kampf eben kein Martyrium war, dass zudem das Zweite Buch der Makkabäer eine literarische Fiktion darstellt. Es zeichnet Fundamentalisten aber immer aus, dass sie Literatur wörtlich verstehen. Flavius Josephus scheiterte auf lange Sicht, weil er aus seiner priesterlichen Tradition die Seinsweise der Macht nicht verstand, weil er die Bibel eben nicht als Machtdiskurs zu lesen verstand. Die Evangelien stehen, gerade im Hinblick auf den jüdischen Aufstand, ebenfalls wie Josephus in der Tradition des Ersten Buches der Makkabäer, sie berufen sich aber auch auf die Märtyriologie des Zweiten und Vierten Buches der Makkabäer. Sie nehmen dabei aber keine mittlere Position ein, vielmehr begründen sie eine völlig neue, eine der Zeit viel angemessenere Position. Ihre Adressaten sind eben nicht die Flavier und über sie die Römer, wie bei Josephus, der das Ziel verfolgte, den status quo ante für das Judentum zu sichern, auch nicht die Juden, deren Aufstand gescheitert war. Ihre Adressaten sind jene Heiden, denen der Sieg der Flavier einerseits willkommen war, denn der gefährliche jüdische Aufstand war niedergeschlagen, denen aber andererseits die Folgen des Sieges, nämlich der Aufstieg der Flavier zur Kaiserwürde und damit die Militärdiktatur, Unbehagen bereitete. Während also die aufständischen Juden und Josephus den Blick in die Vergangenheit richteten, die Aufständischen in eine legendäre, Josephus in eine realpolitische Vergangenheit, und damit der Vergangenheit letztlich verhaftet blieben und wie sie vergingen, blickten die Evangelis183 Mommsen versäumt es nicht darauf hinzuweisen, dass Paulus diesen Ananias, der ihm auf den Mund geschlagen hat, eine geweißte Wand nannte (Apg 23, 3): Mommsen, Theodor: Römische Geschichte B.5. Neu Isenburg 2006, S. 526.

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ten in die Zukunft, allerdings zugleich im scharfen Hinblick auf die aktuellen Legitimationsprobleme der Sieger. Alle Stärke liegt in den Evangelien bei Jesus, der sich als die eigentliche Macht auch über Rom erweist. Er ist der wirkliche Imperator. Der Träger der römischen Macht, nämlich mittlerweile nicht mehr die julisch-claudische Dynastie, sondern das Militär, erkennt das in den Evangelien an und untergräbt damit die Macht des flavischen Kaisertums. Es ist nicht harmloser Zufall, dass erzählt wird, ein Hauptmann und damit römischer Soldat habe Jesus unter dem Kreuz als Sohn Gottes bekannt (Mk 15, 39; Mt 27, 54 und Lk 23, 47); man bedenke in diesem Zusammenhang nur, was das Christusbekenntnis für Folgen für Simon Petrus gehabt hatte. Der erste Heide, der Jesus als den Christus bekennt, ist also ein Soldat. Das mächtige Rom ist in den Evangelien nicht stark, sondern schwach, gebunden. Pilatus wird als Erfüllungsgehilfe des jüdischen Establishments geschildert. Das hat weniger antijudaistische Gründe, die Argumentation des Kaiphas, es sterbe besser einer, als dass das ganze Volk verderbe (Joh 11, 50), klingt politisch sogar vernünftig. Der Prozessbericht, der den Evangelisten als literarische Quelle vorgelegen haben wird, schildert Pilatus dagegen als einen Schwächling. Er findet keine Schuld bei Jesus. Im Johannesevangelium sucht er nach einer Möglichkeit, Jesus freizulassen, wird aber dann durch Akklamation dazu gezwungen, der Menge ihren Willen zu geben: „Die Juden aber schrieen: Wenn du den da freigibst, bist du kein Freund des Kaisers. Jeder, der sich zum König macht, widersetzt sich dem Kaiser“ (Joh 19, 12). Besonders ernst können sie das nicht gemeint haben, denn in Joh 18, 40 hatten sie noch die Freilassung des Räubers Barabbas gefordert, eines Räubers also, eines Zeloten, der damit jener Gruppe angehörte, die den jüdischen Aufstand trug. Und die Hohenpriester bekennen da ebenfalls und befinden sich dann plötzlich in einer Koalition mit Leuten, die Angehörigen ihres Standes gelegentlich die Kehlen durchschneiden: „Wir haben keinen König ausser dem Kaiser“ (Joh 19, 15). In ihrer Schilderung des Verhältnisses zwischen Römern und Juden entlarven die Evangelien vor dem Hintergrund der Katastrophe des jüdischen Aufstandes den Wahnsinn der Realpolitik ihrer Zeit. Die Evangelisten wissen ja bereits, dass die jüdische Oberschicht zusammen mit den Aufständischen in Jerusalem untergegangen ist. In der Realpolitik agiert nur eingebildete Macht. Und so sind die Evangelien in ihrer Reflexion von Realpolitik und realer politischer Macht sowohl gegen die gerichtet, die Rom militärisch herausfordern, als auch gegen die, die sich ihm als vermeintlicher Friedens- und Ordnungsmacht zu unterwerfen bereit sind. Die Christen spielen entsprechend in der Geschichte des jüdischen Krieges, die Josephus verfasst, keine Rolle, wie sollten sie auch. Sie bereiteten ihre eigene Integration in das Imperium zwar auch literarisch vor, aber ihr Blick reichte weiter als der des Josephus. Ihre Vorstellung von Integration war eher davon getragen, nicht als eine weitere Religionsgemeinschaft in das römische Imperium integriert zu werden, sondern das römische Imperium in die jüdische Prophetie zu integrieren.

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II. Petrus als Zweiter Auf den ersten Blick mag es merkwürdig, vielleicht sogar absurd erscheinen, dass die Rolle des Petrus für die Christologie eine nicht unerhebliche Rolle spielen soll. Aber es mutet doch merkwürdig an, dass die Evangelien hinsichtlich der Christologie z. T. erheblich divergieren, nicht aber in der Darstellung des Simon Petrus. Besonders das Johannesevangelium unterscheidet sich in seiner Identifizierung Jesu mit Gott von den synoptischen Evangelien, die die Beziehung zwischen dem Vater und Jesus als eine Adoption verstehen. Die Person des Petrus wird aber recht einheitlich dargestellt. So ist davon auszugehen, dass über die Aufnahme eines Evangeliums in den Kanon nicht theologisch, sondern kirchenpolitisch entschieden worden ist: Eingang in den Kanon der christlichen Bibel konnte nur finden, wer die dem Petrus zugeschriebene Stellung akzeptierte. Diese konnte wiederum nur im Rahmen einer entsprechenden Auferstehungstheologie vertreten werden. Die Überarbeitung des Johannesevangeliums zeigt das sehr deutlich.184 Petrus ist nämlich in der basilea toffl theoffl der Zweite gegenüber Christus als dem Ersten. Jede Christologie impliziert eine ihr gemäße Ekklesiologie. Das koptische Thomasevangelium z. B., das wie Paulus eine streng egalitäre Gemeindeordnung vertritt, aber die Petrustradition nicht anerkennt, wurde nicht in den Kanon aufgenommen. Petrus spielte in der Jerusalemer Gemeinde, wie es die Apostelgeschichte bezeugt, eine wichtige Rolle. Die Gemeinde scheint aber von Jakobus, der auch der Herrenbruder genannt wird, gegründet und geleitet worden zu sein. Ob die Jerusalemer Gemeinde die erste Gemeinde, also die Urgemeinde gewesen ist, kann nicht als erwiesen gelten. In drei Evangelien wird gesagt, der Auferstandene gehe den Jüngern nach Galliläa voran (Mt 28, 10; Mk 16, 7 und Joh 21). Nur das Lukasevangelium siedelt die Erscheinung des Auferstandenen in Jerusalem an, wohl um dann nahtlos mit der Schilderung des Gemeindelebens der Jerusalemer Gemeinde in der Apostelgeschichte fortfahren zu können. Aber wenn auch die Gemeinde in Jerusalem nicht die erste christliche Gemeinde war, und wahrscheinlich auch nicht die zentrale Rolle gespielt hat, die die Apostelgeschichte ihr zuspricht, die Anwesenheit einer Gemeinde in Jerusalem war im Rahmen der spätjüdischen Eschatologie von außerordentlicher Wichtigkeit, wie Dieter Georgi betont: „In den Rahmen dieser alttestamentlich-spätjüdischen Hoffnung läßt sich auch die eschatologische Erwartung der Aramäisch sprechenden Judenchristen einordnen. Der Unterschied zwischen ihrer und der jüdischen Hoffnung bestand darin, daß die Judenchristen glaubten, der entrückte bzw. auferweckte Jesus sei der eschatologische Prophet oder auch der kommende Menschensohn, und sie selbst seien der heilige Rest Israels. Auf Grund einer solchen Hoffnung konnte man sich leicht dazu berufen fühlen, Jerusalem nicht den ungläubigen Juden zu überlassen, sondern selbst den Platz der Parusie besetzt zu halten, gleichsam als eschatologischer Vorposten, als die Wächter auf den Zinnen der Stadt, die der Welt und insbesondere den Zerstreuten das Kommen des himmlischen Königs kün-

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Siehe Simon.

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den sollten, wenn es soweit war (Jes. 52, 8).“185 Die Jerusalemer Gemeinde hat sich sehr deutlich von den späteren paulinischen Gemeinden unterschieden, auch in ihrer eschatologischen Ausrichtung. Das heißt aber nicht, dass in den anderen Gemeinden keine eschatologische Hoffnung bestand. Sie bildete wohl eine gemeinsame Grundhaltung aller Gemeinden. Aber sie war auch sehr unterschiedlich ausgeprägt. Vielleicht ist auch von zwei Jerusalemer Gemeinden auszugehen, also noch von einer Gruppe griechisch sprechender Juden aus der Diaspora um Stephanus, die schnell in Schwierigkeiten geraten sein muss, darum zunächst nach Galliläa auswich und sich dann zerstreute, etwa nach Damaskus und nach Antiochien in Syrien. Petrus wendet sich später nach Antiochien und zeigt sich gegenüber der Heidenmission offen (Apg 11). Der Beschluss zur Heidenmission ist aber nicht in Jerusalem gefasst worden (Apg 13, 1 ff). Nach der Zerstörung Jerusalems spielte die Jerusalemer Gemeinde keine Rolle mehr. Es ist unbekannt, ob sie während des Aufstands und der Belagerung in der Stadt verblieben war und mit der Einwohnerschaft Jerusalems unterging, oder ob es ihr gelungen war, etwa nach Pella zu entkommen. Die zionistische Hoffnung bedurfte nach der Zerstörung des Tempels einer Neuinterpretation, die nun sowohl im Judentum als auch in den christlichen Gemeinden einsetzte – die einzig funktionstüchtige Interpretationsgemeinschaft der jüdischen Tradition bildeten wohl neben den Rabbinen die Pharisäer, die entsprechend in den Evangelien auch als die Hauptgesprächspartner Jesu auftreten. Jedenfalls waren die heidenchristlichen Gemeinden für den Fortbestand der Jesustradition plötzlich unentbehrlich geworden, so dass sich als gemeinsame Basis für eine heiden- und judenchristliche Kirche als Gesamtverbund der Gemeinden die Petrustradition anbot. Entsprechend setzte sich ihre Christologie auch durch. Ihr zufolge ist der Herr am Kreuz gestorben, aber am dritten Tage auferweckt worden von den Toten. Er ist in den Himmel aufgefahren, von dort wird er als Endzeitherrscher erwartet. Er ist der Erste. Aber er hat Petrus als den Zweiten eingesetzt, was am deutlichsten im Matthäusevangelium ausgesprochen wird: „Du bist Petrus, und auf diesen Felsen werde ich meine Kirche bauen, und die Tore des Totenreichs werden sie nicht überwältigen. Ich werde dir die Schlüssel des Himmelreichs geben, und was du auf Erden bindest, wird auch im Himmel gebunden sein, und was du auf Erden löst, wird auch im Himmel gelöst sein“ (Mt 16, 18 f). Dieser Beauftragung als Zweitem ist der Akt der Unterwerfung des Zweiten unter den Ersten vorausgegangen, das Christusbekenntnis des Simon, der mit der Beauftragung erst seinen Namen Petrus wie einen Titel erhält. Jesus fragt reihum, für wen ihn die Menschen hielten, und erhält zur Antwort, sie hielten ihn für Johannes den Täufer (noch ein Auferstandener also, denn Johannes ist seit dem vierzehnten Kapitel tot), für Elia, für Jeremia oder einen der anderen Propheten (Mt 16, 13 ff). Nur Simon bekennt Jesus als den Christus (wichtig der Artikel h, denn ohne ihn hat der Titel durchaus auch Namenscharakter: sy´ ei ho christs ho hys toffl theoffl toffl zntos; du bist der Christus, der Sohn des lebendigen Gottes, Mt 16, 16) und unterwirft sich damit dem universalen und entspre185

Georgi (1964), S. 27.

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chend imperialen Herrschaftsanspruch Jesu. Im Johannesevangelium verläuft die Beauftragung des Petrus in der Sache gleich, aber unter anderen Umständen. Erst der auferstandene Herr sagt zu Simon Petrus, der den Beinamen schon trägt – und dabei lässt Christus es sich dreimal beteuern, dass Petrus ihn liebe: „Weide meine Schafe!“ (Joh 21, 15 ff). Im Thomasevangelium heißt es dagegen: „Jesus sagte zu seinen Jüngern: Vergleicht mich, sagt mir, wem ich gleiche. Simon Petrus sagte zu ihm: Du gleichst einem gerechten Engel. Matthäus sagte zu ihm: Du gleichst einem weisen Philosophen. Thomas sagte zu ihm: Meister, mein Mund wird es absolut nicht zulassen, daß ich sage, wem du gleichst. Jesus sagte: Ich bin nicht dein Meister, denn du hast dich berauscht an der sprudelnden Quelle, die ich hervorströmen ließ. Und er nahm ihn (und), zog sich zurück (und) sagte ihm drei Worte. Als Thomas zu seinen Gefährten zurückgekehrt war, fragten sie ihn: Was hat dir Jesus gesagt? Thomas sagte zu ihnen: Wenn ich euch eines der Worte sage, die er mir gesagt hat, werdet ihr Steine nehmen (und) sie gegen mich werfen, und ein Feuer wird aus den Steinen hervorkommen (und) euch verbrennen“ (Logion 13).186 Inwiefern sich in diesem Text Erfahrungen niedergeschlagen haben, die die Gemeinden der Thomastradition mit Vertretern der antiochenischen Richtung gemacht haben, darübe kann nur spekuliert werden. Es war jedenfalls wohl klüger für diese Minderheit, sich öffentlich zurückzuhalten und nicht zu offenbaren, was Jesus dem Thomas sagt. Die Eingeweihten wussten es, aber dieses Wissen blieb exklusiv. Deutlich aber wird, dass anstelle des Petrus hier Thomas bevorzugt wird. Im Johannesevangelium aber ist ausgerechnet dieser Thomas der ungläubige Thomas (Joh 20, 24 ff). Aber wenn auch die kanonischen Evangelien Petrus die Rolle des Zweiten zusprechen, sie schildern die Beziehung zwischen Jesus und Petrus keineswegs als frei von Konflikten – wie in der Sphäre der politischen Macht eben die Beziehung zwischen Erstem und Zweitem ebenfalls nicht ohne Spannung sein kann. In Mt 16, 23 und Mk 8, 33 nennt Jesus den Petrus sogar Satan, weil Petrus ihm auf Grund seiner Leidensankündigung Vorwürfe macht. Hier will der Zweite den Ersten führen, in dessen Augen freilich verführen. Aber das gefährdet die basilea toffl theoffl nicht, weil in ihr ein entscheidendes Problem gemeistert wird, nämlich das der Nachfolge. Durch die Auferstehung und Entrückung der Nummer Eins bedarf es hier keiner Nachfolgeregelung. Dem Zweiten ist die Möglichkeit der Usurpation genommen, es bleiben ihm nur die Möglichkeiten des Abfalls, also der Verleugnung, oder der Nachfolge, zur Not der Nachfolge ins Martyrium. Gleichzeitig wird er davon entbunden, Charismatiker zu sein. Die antiochenische Tradition sicherte ihre Stabilität und damit die Durchsetzung ihrer Macht innerhalb der zusammenwachsenden Gemeinden zur Kirche ausdrücklich nicht durch Berufung auf ein Charisma ihrer Führer, auch wenn sie durch in ihren Augen charismatische Apostel wie Paulus herausgefordert wurde – und Paulus ist, wie es das Beispiel der Thomastradition zeigt, sicher kein Einzelfall gewesen.

186 Schneemelcher, Wilhelm: Neutestamentliche Apokryphen B. 1. Evangelien. Tübingen 1987, S. 101.

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Wie groß das Problem der Nachfolge Jesu im Sinne einer dynastischen Nachfolge im Zusammenhang mit dem Messiastitel auch zur Zeit der Abfassung der Evangelien noch war, erkennt man an dem Bemühen anderer Traditionen als der petrinischen und der paulinischen, Jesus als den Sohn Davids auszugeben. Damit wird er in den Zusammenhang mit der alten Herrscherdynastie gestellt. Hier scheint eine Auseinandersetzung ihren literarischen Niederschlag gefunden zu haben, die wohl in Jerusalem unmittelbar nach der Kreuzigung Jesu zwischen den Aposteln und den Familienangehörigen Jesu stattgefunden haben mag. Die Behauptung der Herkunft Jesu aus dem Hause Davids impliziert nämlich einen Anspruch der Verwandten Jesu auf Vorrangstellung gegenüber den anderen Aposteln, insbesondere gegenüber dem Petrus. Nicht von ungefähr wird die Auferstehungsbotschaft mit dem Namen des Simon Petrus und nicht mit dem des Jakobus, dem Herrenbruder, verbunden. Die judenchristliche Gemeinde in Jerusalem bedurfte auf Grund der dynastisch gedachten Nachfolge keines auferstandenen Jesus. Es ist dann auch nicht verwunderlich, dass auch Jakobus, wie die Apostelgeschichte bezeugt (Apg 12, 2), den Märtyrertod starb. Er stand als wahrscheinlich nächster Verwandter des schon hingerichteten Jesu im Fokus des Blicks der Strafverfolgungsbehörden, die wohl der Bewegung der Jesusanhänger Herr zu zu werden glaubten, indem sie konsequent die Führer zu liquidieren versuchten – getreu dem Spruch, dass es besser sei, Einer sterbe, als dass das ganze Volk verderbe. Irmgard Bruns ist zuzustimmen, wenn sie in der Behauptung der Herkunft Jesu aus dem Hause Davids die literarische Manifestation eines Konflikts um die Vorrangstellung im Kreis der Jesusanhänger ausmacht187, denn im Markusevangelium, das einem Schüler des Petrus zugeschrieben wird, ist von der Herkunft Jesu aus dem Hause Davids konsequenterweise keine Rede. Mehr noch, insbesondere werden hier auch die Bande der Blutsverwandtschaft betont relativiert (Mk 3, 31 ff). Die frühen Gemeinden mussten also erst die Form finden, in der sie sich organisierten. Die Familie Jesu spielte zur Zeit der Abfassung der Evangelien wohl kaum eine Rolle mehr. Sollte von ihr aus aber ein entscheidender Impuls für die erste Gemeindebildung ausgegangen sein, dann wäre die Analogie zwischen den Evangelien und der kaiserlichen Propaganda noch deutlicher. Auf beiden Seiten musste die historische Gestalt des Gründers (Jesus und Caesar) gegenüber den Ansprüchen der jeweiligen Familie institutionalisiert werden. Aber erst im Verlauf einer geraumen Zeit gelang dieser Versuch sowohl im Imperium als auch in der sich formierenden Kirche. Als der Prozess auf beiden Seiten abgeschlossen war, fanden sie entsprechend zusammen. Das Imperium erkannte aber in der Kirche erst dann einen Partner, als sie sich im Sinne der Evangelien institutionalisiert hatte und es in den Bischöfen verbindliche Ansprechpartner gab. Diese Institutionalisierung ging Hand in Hand mit der Kanonbildung. Die paulinischen Gemeinden hätten sich als Partner Roms weder angeboten, noch wären sie dem Imperium als solche überhaupt aufgefallen. Sie unterwarfen sich aber 187 Vgl. hierzu Bruns, Irmgard: Von der jüdischen Sekte zur Staatsreligion. Machtkämpfe im frühen Christentum. Düsseldorf 2008, S. 69.

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schließlich der petrinischen Tradition, wurden so Teil der Kirche, und ihre Literatur, die paulinischen Briefe, wurden Teil des Kanons. Die Aufnahme der paulinischen Briefe ebenso wie die Akzeptanz der Behauptung der Herkunft Jesu aus dem Hause Davids bedeutete zu diesem Zeitpunkt keine Gefahr mehr für die petrinische Tradition, sie signalisierte vielmehr jenen, die draußen blieben, die Unterwerfung der betreffenden Traditionen. In der petrinischen Tradition gelang es dann im Verlauf der Zeit, ein Verfahren für die Nachfolge des Zweiten durchsetzen, das allmählich eine Integration der den biblischen Kanon bildenden Gemeinden wenn schon nicht einleitete, so doch beschleunigte. Die Verfassung der civitas coeli wurde so zum Vorbild stabiler weltlicher Herrschaft.188 Damit begann die Kirchengeschichte wirklich. Dass die Evangelien auf die Instituionalisierung des Charismas des Gründers abzielten, begründete die Geschichtsmächtigkeit der Kirche. Die Schwäche der paulinischen Tradition lag darin, dass sie zwar ein Gemeindeleben zu organisieren verstand, aber die einzelnen Gemeinden nicht zu verbinden vermochte. Es fehlte eine gemeinsame Mitte. An die Stelle des Hegemons im Himmel musste hier dann die Gemeinde in Jerusalem treten, für die Paulus in seinen Gemeinden Kollekten veranstalten ließ. Es ist zwar aufschlussreich, dass Paulus seinen Gemeindeaufbau eben nicht metaphysisch abzusichern suchte, sondern durch Geld, durch eine, wenn man so will, ökonomische Abhängigkeit. Aber nach dem Untergang der Jerusalemer Gemeinde wäre Paulus sicher in arge Verlegenheit geraten, seinen Gemeinden eine andere Mitte zu vermitteln, auf die sie sich hätten ausrichten können. Konsequenterweise ordnen sich seine Schüler dann der antiochenischen Tradition unter.

188 Und nicht erst mit der gregorianischen Revolution des 11. Jahrhunderts, wie Harold Berman es vertritt (Berman, Harold: Recht und Revolution, 2. Aufl. Ffm 1991). Die Unterscheidung zwischen den beiden Körpern des Königs ist hier schon angelegt. Die Bedeutung der Auferstehung für die abendländische politische Ideengeschichte kann kaum überschätzt werden (vgl. Kantorowicz, Ernst H.: The Kings Two Bodies. A Study in Mediaeval Political Theology. Princeton University Press 1957; dass in der Kirche die Unterscheidung, die Kantorowicz thematisiert, schon älter ist, zeigt Agostino Paravicini Bagliani: Der Leib des Papstes. Eine Theologie der Hinfälligkeit. München 1997; Bagliani beschränkt sich in seiner Quellenauswertung aber hauptsächlich auf das Hochmittelalter).

C. Paulus I. Zum theologischen Verständnis der Auferstehung – Auferstehung als Metaphysik Versteht der theologisch Geschulte Auferstehung grundsätzlich anders als der Laie, der sich ja auch gelegentlich Gedanken über eine Fortexistenz über sein zeitliches Ende hinaus macht? Die Auferstehung scheint doch angesichts der von Charles Taylor und Karsten Fischer festgestellten Sinnsuche und Ausbreitung der Religiösität die zentrale Botschaft zu sein, die es rechtfertigt, das Christentum weiterhin als Metaphysik zu verstehen? Dennoch scheint die kirchliche Verkündigung ihren Schwerpunkt mehr auf die Ethik, und über die Ethik mehr auf die Sinnsuche im Leben vor dem Tode als auf die Hoffnung der Auferstehung nach dem Tod zu legen. Die Auferstehung dann andererseits gänzlich so zu entmythologisieren, dass sie gar keine Rolle mehr spielte, getraut man sich freilich auch nicht. Das führt zu Verlegenheiten. Denen gegenüber gilt es aber, die Verkündigung der Auferstehung weiterhin als ein zentrales christliches Anliegen zu verteidigen. Nur wird man dann nicht nur Abschied nehmen müssen von der Metaphysik, man wird die Botschaft von der Auferstehung gerade gegen die Metaphysik richten müssen. Dass das schon im Neuen Testament geschieht, soll am Beispiel des Paulus gezeigt werden. Dem sei hier aber ein kurzer Überblick über das theologische Verständnis der Auferstehung vorausgeschickt, wie es in der Moderne in der Hoffnung ausgebildet wurde, es lasse sich mit dem modernen Weltbild vermitteln. Dies geschieht aber auch schon im Hinblick auf das Paulusbild des politischen Messianismus unserer Tage. Es zeigt sich dann nämlich, dass die politische Linke nahtlos an die Theologie anzuknüpfen vermag, d. h. dass die moderne biblische Exegese Paulus für seine Adaption durch die politische Linke aufbereitet hat, auch wenn sie deren politische Ziele und Strategien nicht teilt. Ein pragmatisches Verständnis des paulinischen Denkens vermag dann die Metaphysik sowohl der modernen Bibelexegese als auch des politischen Messianismus als Gerede zu entlarven, das sich selber nicht mehr versteht und darum letztlich im Interesse aller möglichen politischen Programme selber unpolitisch ist. Die Auferstehungsbotschaften des Neuen Testament können nur verstanden werden, wenn man sie im Kontext der Auferstehungsvorstellungen betrachtet, die im Judentum entwickelt wurden und mit denen sie sich auseinandersetzten, von denen sie sich im Kontext ihrer Zeit und in der Auseinandersetzung mit der imperialen Propaganda der römischen Kaiser schließlich abgrenzten. Der Auferstehungsglaube war dem Judentum zunächst fremd, und die Partei der Sadduzäer z. B. lehnte ihn zur Zeit des Paulus auch weiterhin ab. Erst im Hellenismus trat das Individuum neben

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dem Kollektiv des Bundesvolkes in den Blick des Interesses, und es stellte sich nun das Problem, dass der Gerechte litt, der Gottlose dagegen triumphierte. Hans C. Cavallin urteilt: „Nur im Glauben an ein Fortleben des Einzelnen nach dem Tode konnte dieses Problem seine Lösung finden.“189. Darum steht die Auferstehungsbotschaft in einem direkten Zusammenhang mit der Androhung eines endzeitlichen Gerichts. Es ist darum kaum verwunderlich, dass das jüdische priesterliche Establishment zur Zeit Jesu die Auferstehung leugnete. Sie lag nicht in seinem Interesse. Die Auferstehungshoffnung hatte vielmehr ihren Sitz im Leben und Leiden der kleinen Leute. Sie diente auch anderen jüdischen Gruppen wie beispielsweise den Pharisäern oder Essenern dazu, die Legitimität der Dominanz der Sadduzäer zu untergraben. Im Zusammenhang damit wurden aber im Judentum platonische Vorstellungen übernommen, die mit dem Menschenbild des Pentateuch nicht vereinbar sind. Denn biblisch gesehen ist der ganze Mensch Geschöpf Gottes. Die Seele wird weder als präexistent noch als unvergänglich gedacht. So ist auch das Neue Testament gegenüber der Spekulation, wie die Auferstehung gedeutet werden müsse, erstaunlich reserviert, vergleicht man es mit spätjüdischen Vorstellungen: „Die Anfänge eines Gesamtbildes, das dann im rabbinischen Judentum vorausgesetzt und weiterentwickelt worden ist, werden sichtbar. Dazu gehören Vorstellungen wie der Tod als Trennung von Seele und Leib, eine Zwischenexistenz der Seele allein, die endzeitliche Auferstehung des Leibes, Paradies und Hölle, himmlische Erhöhung und Verherrlichung der Gerechten, ein messianisches Reich mit irdischen Freuden, das jedoch von einem jenseitigen Endzustand abgelöst wird, wo Gott allein König ist“.190 Die platonischen Vorstellungen drangen dagegen in die Kirche erst später ein.191 Im Neuen Testament jedenfalls wird ein ewiges Leben der Seele noch ausgeschlossen. Später bot dann die platonische Philosophie der christlichen Theologie und besonders der christlichen Apologetik die Möglichkeit, das Auferstehungsgeschehen zu verstehen. Erst mit dem Beginn der historisch-kritischen Forschung seit der Aufklärung entwickelten sich realistischere Vorstellungen darüber, wie Auferstehung zu denken sei. Aber was heiß hier realistisch? Jedenfalls ging und geht es um eine Vermittlung mit dem neuzeitlichen Weltbild. Es erfolgte aber kein wirklicher Bruch mit dem Platonismus der Tradition, auch wenn im Programm der Entmythologisierung, das mit dem Namen Rudolf Bultmanns verbunden ist, oder in der Betonung des eschatologischen Charakters der neutestamentlichen Schriften in der Folge von Albert Schweitzer nicht mehr ausdrücklich auf Platon verwiesen wird. Es geht der Theologie, die die Moderne ernstnehmen will, gar nicht mehr darum, die Auferstehung als ein Geschehen zu verkünden, das dem Realismus unseres modernen Weltbildes nicht mehr gerecht wird. Es 189 Cavallin, Hans C.: Leben nach dem Tode im Spätjudentum und im frühen Christentum. I Spätjudentum. In: Haase, Wolfgang: Aufstieg und Niedergang der römischen Welt B. 19,1. Berlin und New York 1979, S. 244. 190 Ebenda, S. 270 f. 191 Vgl. Beierwaltes, Werner: Platonismus im Christentum. 2. Aufl. Ffm 2001. Beierwaltes betont freilich die Angewiesenheit der biblischen Botschaft auf die griechische Metaphysik.

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wird aber trotzdem weiter die Auferstehung als ein Geschehen behauptet, auf das Sprache nur verweise. Realistisch verdient aber eine Verkündigung der Auferstehung nur genannt zu werden, wenn auch zu verstehen ist, was gesagt wird. Das darf aber sowohl bei den Vertretern der Entmythologisierung als auch bei jenen, die den eschatologischen Charakter der neutestamentlichen Schriften betonen, in Zweifel gezogen werden. Mit anderen Worten, sie wissen nicht, was sie sagen, und sie wissen darum auch nicht, was sie tun. In der dritten Auflage der RGG betont z. B. Paul Althaus in seinem Artikel über das dogmatische Verständnis der Auferstehung, dass der Tod die leiblich-seelisch-geistige Daseinsgestalt des Menschen durchbreche und Kontinuität nur aus der Gegenwärtigkeit des Heils in der gläubigen Existenz hervorgehe. In seiner Liebe erhalte Gott das persönliche Ich.192 Dieser Sicht widerspricht Oscar Cullmann in seiner in der damaligen Zeit (1945) höchst umstrittenen Studie Christus und die Zeit: „Die Zukunft des einzelnen Mensch (sic; M. E.) hängt nach der urchristlichen Erwartung ganz und gar von der Zukunft der gesamten Heilsgeschichte ab. Daher ist dieser Erwartung nicht nur der griechische Glaube an die Unsterblichkeit der Seele, sondern auch die Meinung fremd, die leibliche Auferstehung trete für jeden Menschen sofort nach seinem Tode ein. (…) Aber gerade hier muß die andere Seite besonders hervorgehoben werden: daß der Ausgangspunkt dieser Hoffnung, sofern sie sich auf den einzelnen bezieht, nicht die Sorge um sein individuelles Glück ist.“193 Althaus steht in einer frömmelnd-metaphysischen Tradition, die sich an Platon anlehnt, Cullmann in der Tradition Albert Schweitzers, der die eschatologische Dimension der frühchristlichen Botschaft betont hat. In einem von Helmut Rislow und Karl Matthiae zu Beginn der sechziger Jahre des letzten Jahrhunderts herausgegebenen Band über den historischen Jesus und den kerygmatischen Christus sind Beiträge der Crme der damals weltweit hoch geachteten deutschsprachigen neutestamentlichen Exegese versammelt, die natürlich auch die Auferstehung thematisieren.194 Damals herrschte die existenziale Interpretation Bultmanns vor, wenn auch nicht unangefochten. Das Bemühen um ein realistisches Auferstehungsverständnis in dem Sinne, dass man versteht, was man sagt, wird in dem Beitrag des Bultmannschülers Hans Conzelmann deutlich: „Wir haben (…) nicht nur zu fragen: Wie versteht die Gemeinde Jesus, sondern: Wie versteht sie

192 Religion in Geschichte und Gegenwart. 3. Aufl. 1957, B.1 S. 696 ff. Althaus vertrat die Ganztodtheorie, d. h. dass der Mensch ganz sterbe, im Gedächtnis Gottes aber verbleibe und dann in der Auferstehung neu geschaffen werde. 193 Cullmann, Oscar: Christus und die Zeit. 3. Aufl. Zürich 1962, S. 206. Freilich behauptete Althaus nicht die Auferstehung des Einzelnen nach seinem Tod, sondern die GanzTod-These; demnach bleibe der Einzelne im Gedächtnis Gottes und auferstehe am Ende der Zeiten daraus. 194 Rislow, Helmut/Matthiae, Karl (Hrsg.): Der historische Jesus und der kerygmatische Christus. Beiträge zum Christusverständnis, in: Forschung und Verkündigung. Berlin 1961.

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ihren eigenen Bezug zu ihm? und darin sich selbst?“195 und weiter: „Man versteht die Erscheinungen des Auferstandenen selbstverständlich als in Raum und Zeit, also in der Welt spielend. Die Frage aber ist, was den Sinn der Erscheinungen und damit des Weitersagens derselben ausmacht“196. Der Schwerpunkt des Verstehens wird vom Ereignis der Auferstehung hier schon auf die Verkündigung des Ereignisses verlegt. Über Paulus schreibt Conzelmann schließlich: „Die Leistung des Paulus besteht darin (…), daß er den Existenz-Sinn dieses Glaubens zeigt.“197 Der Streit ging aber dann vor allem darum, ob die Auferstehung im Lichte der Existenzialphilosophie oder der Heilsgeschichte zu verstehen sei.198 In der Deutung der Auferstehung lassen sich die meisten Theologen auch heute noch einer dieser beiden Traditionen zuordnen, sofern sie sich überhaupt noch um ein Verständnis der Auferstehung bemühen. Denn in der vierten Auflage der RGG versteht Christoph Schwöbel die Auferstehung nunmehr nur noch als Metapher, ohne dass deutlich würde, für was diese Metapher steht.199 Das historisch-kritische Verstehen könne nur das Entstehen einer solchen Vorstellung würdigen, nicht mehr die Vorstellung selber. Aber hier zeigt sich eine Distanz zu den Quellen, die den Glauben fahren lässt, weil er mit dem modernen Weltbild nicht mehr zu vermitteln zu sein scheint. Dann kann man das Ganze aber auch lassen. Das bestreitet wiederum die römisch-katholische Theologie und lässt es als letztes Wort nicht gelten. Im Katechismus der katholischen Kirche heißt es, es habe zwar keine Zeugen der Auferstehung gegeben, aber Zeugen dafür, dass Jesus der Urgemeinde leiblich erschienen sei: „Niemand konnte sagen, wie sie (die Auferstehung; Anm. M. E.) äußerlich vor sich ging. Noch weniger aber konnte ihr inneres Wesen, der Übergang in ein anderes Leben, durch die Sinne wahrgenommen werden. Obwohl sie ein Ereignis war, das sich durch das Zeichen des leeren Grabes und durch die Wirklichkeit der Begegnung der Apostel mit dem auferstandenen Christus feststellen ließ, bleibt die Auferstehung in dem, worin sie über die Geschichte hinausgeht, im Herzen des Glaubensmysteriums.“200 Das mag erbaulich klingen, zu verstehen ist da aber 195

Conzelmann, Hans: Jesus von Nazareth und der Glaube an den Auferstandenen, in: Rislow/Matthiae S. 190. 196 Ebenda, S. 191 197 Ebenda, S. 193. 198 Beide Positionen schließen sich dabei gar nicht aus, wenn sie spirituell vermittelt werden, wie Wilhelm Schmidt-Biggemann bemerkt. Paulus habe die messianische Spannung in eine eschatologische umdefiniert, indem er eine Epoche des Gesetzes und eine der Gnade unterschieden habe, aber ohne die messianische Spannung herauszunehmen: „Die Spannung dieses Wartestandes besteht zuinnerst darin, daß die ,Erlösung durch Christus zwar bereits vollzogen ist, daß er sich aber noch nicht endgültig in seiner Herrlichkeit gezeigt hat. Wie ist eine solche verborgene Erlösung zu begreifen? Allein als innere Erlösung, die der späteren äußeren Erlösung vorausgeht“ (Schmidt-Biggemann, Wilhelm: Philosophia perennis. Historische Umrisse abendländischer Spiritualität in Antike, Mittelalter und Früher Neuzeit. Ffm 1998, S. 585). 199 Religion in Geschichte und Gegenwart. 4. Aufl. 1998, B.1 S. 925. 200 Katechismus der katholischen Kirche. München 1993, S. 199 f.

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nichts mehr; sowenig wie in Hans Kesslers Übersicht über die Auferstehungsvorstellungen vom Alten Testament durch die Dogmengeschichte bis in unsere Tage. Kessler selber betrachtet die Auferstehung als etwas, das „,jenseits der uns erfahrbaren natürlichen Welt“ liege201: „,Auferstehung und ähnliche Ausdrücke sind also Metaphern für ein real eingetretenes Geschehen, das sich gleichwohl der sinnlichen Anschauung und empirischen Feststellbarkeit entzieht.“202 Damit wird die Auferstehung aber nur für einen Kreis von Menschen relevant, deren Wirklichkeit Platz lässt für Geschehnisse, die jenseits des empirisch Feststellbaren geschehen. Wie kann eine Erfahrung („real eingetretenes Geschehen“) aber jenseits von Erfahrung vermittelt werden? Ist das nicht Zungenrede? Der Begriff der Auferstehung wird generell, am offensichtlichsten bei den hier zitierten römisch-katholischen Quellen, dekontextualisiert, damit seiner Bedeutung entleert und endlich, besonders in der protestantischen Exegese, unter Rückgriff auf eine Metaphysik, die das jeweils zeitgenössische Selbstverständnis prägt, mit einer neuen Bedeutung gefüllt – ein Verfahren, dem sich die römisch-katholische Exegese für gewöhnlich enthält, aber um den Preis, dass sie die Unverständlichkeit offen riskiert. Auf den ersten Blick hat dann das eschatologische Verständnis der Auferstehung als eines endzeitlichen, aber dennoch heilsgeschichtlichen Ereignisses einen realistischeren touch, denn hier lassen sich Auferstehungsvorstellung und geschichtliche Existenz ethisch und sogar politisch vermitteln – wobei freilich nicht vergessen werden darf, dass auch die existenziale Interpretation Bultmanns die Ethik der Liebe als existenzielle Wirklichkeit des christlichen Lebens versteht Die christliche Verkündigung verliert aber , wenn sie nicht mehr den gekreuzigten und auferstandenen Christus verkündigt, sondern sich darauf beschränkt, die Verkündigung zu verkündigen, ihre neutestamentliche, besser gesagt ihre paulinische Legitimation, denn sie ist in ihrer paulinischen Variante wesentlich Kampf gegen eine unpolitische, weltflüchtige Auferstehung, eine Auferstehung ohne Hoffnung, eine Auferstehung als Trost im Sinne des Heineschen „Eiapopeia vom Himmel“203 – sei der Himmel nun ein Ort (ein Jenseits oder ein inneres Selbst) oder eine unbekannte, ferne Zukunft (und nicht Zukunft im Sinne der Heideggerschen Existenz). Schon in der Apostelgeschichte fragen zwei plötzlich dastehende Männer in weißen Gewändern die staunenden Zeugen der Himmelfahrt: „Ihr galiläischen Männer, was steht ihr da und blickt zum Himmel auf?“ (Apg 1, 11). Die Auferstehungsbotschaft der petrinischen Tradition freilich, die in der Verkündigung der Kirche im Zentrum steht, lässt sich nicht realistisch interpretieren, sondern nur in ihrer Funktion verstehen. Die pau201 Kessler, Hans: Sucht den Lebenden nicht bei den Toten. Die Auferstehung Jesu Christi. 2. Aufl. Würzburg 2002, S. 475. In diesem Zusammenhang sei auch auf N.T. Wrights monumentale Studie über die Auferstehung hingewiesen, die die orthodoxe Auffassung der Reformation vertritt (Wright, N.T.: The Resurrection of the Son of God. Minneapolis 2003). Zu Wright weiter unten mehr. 202 Ebenda, S. 47. 203 Heine, Heinrich: Ein Wintermärchen Caput 1. Werke in fünf Bänden B. 2. Berlin u. Weimar 1981, S. 94.

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linische Botschaft von der Auferstehung fordert aber die anderen Botschaften von der Auferstehung radikal heraus. Metaphysik unterstellt freilich den neutestamentlichen Schriften eine theologische Harmonie, um ihr außerbiblisches Prinzip in die neutestamentlichen Auferstehungsvorstellungen hineinlesen zu können, oder umgekehrt: ein außerbiblisches Prinzip begründet dann die biblische Harmonie. Aber ob man es nun als ein Mysterium bezeichnet (wie in der römisch-katholischen Tradition), ob man es in der Existenzialphilosophie als authentisches Selbst gefunden zu haben glaubt (Bultmannschule), oder ob man einen Teilaspekt zum hermeneutischen Schlüssel für das Ganze erklärt, in der Tradition Albert Schweitzers die radikale Eschatologie oder bei Cullmann ein bestimmtes Verständnis von Heilsgeschichte, man kommt an der fundamentalen Einsicht Ernst Käsemanns nicht vorbei, der über den neutestamentlichen Kanon geschrieben hat, „daß uns im Kanon nur Fetzen des in der Urchristenheit geführten Gesprächs geblieben sind und daß die Variabilität des urchristlichen Kerygmas noch sehr viel größer gewesen sein muß, als die Beobachtung des im Kanon erhaltenen Tatbestandes wahrnehmen läßt. Solche Variabilität ist jedoch bereits im NT so groß, daß wir nicht nur erhebliche Spannungen, sondern nicht selten auch unvereinbare theologische Gegensätze zu konstatieren haben“204, und weiter: „Aus den (…) aufgewiesenen Sachverhalten der Variabilität des nt.lichen Kerygmas, der außerordentlichen und das NT übergreifenden Fülle theologischer Positionen in der Urchristenheit und ihrer wenigstens teilweise zutage tretenden Unvereinbarkeit ist nun die Folgerung für unser Thema zu ziehen. Sie kann nur lauten: Der nt.liche Kanon begründet als solcher nicht die Einheit der Kirche.“205 Und indem man Paulus in die Harmonie mit der petrinischen Tradition zwingt, lässt man die Möglichkeit fahren, Auferstehung zu verstehen. Denn Paulus ringt mit seinen Gemeinden gerade um ein Verstehen dessen, was Auferstehung ist, und nicht darum, was ihre Verkündigung bedeutet. So kann der Kanon nur als Diskurs verstanden werden. Die Auferstehungsvorstellungen werden dann aber nicht alleine nur im Rahmen dieses Diskurses als ihres Kontextes verständlich, es muss zudem berücksichtigt werden, dass dieser Diskurs selber auch einen Kontext hat, dessen Kenntnisnahme für das Verständnis des Diskurses und damit seiner Elemente unabdingbar ist.206 Der römische Kontext ist schon skizziert 204 Käsemann, Ernst: Begründet der neutestamentliche Kanon die Einheit der Kirche? in Käsemann, Ernst: Exegetische Versuche und Besinnungen B.1. Göttingen 1964, S. 218. 205 Ebenda, S. 221. 206 Im Themenheft über die Auferstehung hat die Zeitschrift für Neues Testament (ZNT 19, 2007) mehrere Aufsätze versammelt, die die heilsgeschichtliche Bedeutung der Auferstehung nicht mehr sonderlich betonen, aber dennoch nicht über das in den sechziger Jahren bereits Gedachte hinausgehen. So bemerkt Dieter Zeller, dass eine Analogie zwischen der neutestamentlichen Auferstehungsbotschaft und dem ägyptischen Osiriskult bestehen könne, und er weist auch auf die politische Bedeutung des Osiriskultes hin, indem er eine Pyramideninschrift zitiert:„Wenn er (Osiris) lebt, wird dieser König leben, wenn er nicht stirbt, wird dieser König nicht sterben (§ 219)“ (Zeller, Dieter: Erwägungen zur Auferstehung, S. 15), aber er fährt dann fort, dass sich mit dieser Botschaft alle Menschen identifizieren sollten. Das Politische wird ins Existenzielle uminterpretiert. Zur neutestamentlichen Auferstehungsbotschaft nimmt er als

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worden, hier soll nunmehr noch auf die bleibende Bedeutung des Judentums für Paulus hingewiesen werden. E. P. Sanders hat mit seiner Forschung eine neue Perspektive (New Perspective) auf Paulus eröffnet. In der Folge von Krister Stendahl stellt er Paulus in den Kontext des spätjüdischen Denkens und zeigt auf, dass für Paulus das Einhalten der Gebote der Thora zwar nicht mehr Bedingung für die Zugehörigkeit zum Bund, aber dennoch ein Zeichen für die Zugehörigkeit zum Bund bedeutet, und dass Paulus hier mit dem im Judentum überwiegenden Selbstverständnis völlig konform sei.207 Es ist von daher unverständlich, dass in der deutschen neutestamentlichen Exegese Paulus noch immer als Begründer einer neuen Religion bezeichnet werden kann. So heißt es bei Udo Schnelle: „Wenn er nach 1 Kor 9, 20, 21 den Juden ein Jude und den Heiden ein Heide werden kann, dann ist er im Vollsinn weder Jude noch Heide, sondern ReReligionsgeschichtler Stellung. Sie sei „unlösbar mit kosmologischen Entwürfen der Apokalyptik verstrickt, die wir heute nicht mehr nachvollziehen können“ (S. 21 f.). Andererseits sieht er ihren theologischen Sinn darin, dass der Mensch sich eben nicht mit allem abfinden müsse. Richard B. Hays und J. R. Daniel Kirk geben einen Überblick über die us-amerikanische Forschung zur Auferstehung,, die sich in ihrer metaphysischen Ausrichtung von der europäischen nicht weiter unterscheidet. Der einzige Hinweis auf einen sozialwissenschaftlichen Ansatz ist der auf Claudia Setzer (Resurrection of the Body in Early Judaism and Early Christianity: Doctrine, Community, and Selfdefinition. Boston und Leiden 2004). Robert Cummings Neville und Hans. H. Kessler führen eine Kontroverse, in der Cummings Neville die spirituelle Sprache der herkömmlichen Metaphysik verteidigt und ihre Bilder beschwört (Auferstehung, S. 46 ff), während Kessler die Auferstehung auf Grund von existenzieller Erfahrung her postuliert: „Das irdische Leben enthält ein unabgegoltenes Versprechen und eine Forderung, die es selbst nicht einzulösen vermag, die aber, wenn menschliche Existenz nicht einfach absurd, sondern sinnvoll und prinzipiell nicht bejahbar sein soll, nach Einlösung in einem anderen Leben verlangt, und zwar geradezu gebieterisch (im Sinne eines Postulats)“ (Wie die Auferstehung der Toten denken?, S. 51). Man wird Kessler sicher keine bewusste Exklusion vorwerfen können, aber sprachlich vollzieht er sie. Denn ein Leben, das sich selber nicht transzendiert im Sinne Kesslers, ist dieser Argumentation zufolge nicht sinnvoll und prinzipiell nicht bejahbar. Es ist dieses Wissen um den Menschen, das die Metaphysik zu einem exklusiven Geschäft macht, während für jene, die die Metaphysik verabschieden, der Mensch eben ein nicht festgestelltes und nicht feststellbares Wesen ist. Man beachte einmal, wen Kessler ausschließt, wenn er über den Menschen grundsätzlich bemerkt: „Warum ist der Mensch überhaupt so strukturiert, dass er – in einer (zumindest prinzipiell) endlosen Unzufriedenheit und Unersättlichkeit – über alles, auch über den Tod hinausfragt, transzendiert, projiziert?“ (S. 52). Zuvor war von den Versäumnissen der atheistischen Religionskritik die Rede. Sind Atheisten also nicht wie Menschen „strukturiert“? Das angesprochene Heft der ZNT enthält noch einen Beitrag von Eckhart Reinmuth (Ostern – Ereignis und Erzählung. Die jüngste Diskussion und das Matthäusevangelium, S. 3 ff.), indem er hinsichtlich der Auferstehung zwischen Tatsache und Wirkung unterschieden wissen will und auf das Matthäusevangelium hinweist, das die Auferstehung gerade nicht als Tatsache verkünde, aber als Ereignis, wobei letzteres eben eine Wirkung darstelle, die sich nicht alleine auf empirisch feststellbare Tatsachen zurückführen lasse. Ulrich Volp fasst die Auferstehungsvorstellungen der Alten Kirche zusammen (Gedanken zum Auferstehungsverständnis in der Alten Kirche) und Gerhard Löhr vergleicht Christentum und Islam. Er gibt auch noch einen Literaturüberblick zum Thema (Eschatologie in Islam und Christentum. Die Vorstellung über Tod und Auferstehung in den heiligen Schriften und Traditionen beider Religionen, S. 57 ff.). 207 Sanders, E. P.: Paul and Palestinian Judaism. Fortress Press 1977.

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präsentant einer neuen Bewegung und Religion.“208 In seinem Paulusbuch unterscheidet Schnelle gar zwischen einem „vorchristlichen“ und einem „christlichen“ Paulus209. So, wie Schnelle 1. Kor 9, 20 f interpretiert, lässt sich die Stelle aber gerade nicht verstehen, denn Paulus schreibt doch, dass er den Juden ein Jude sei – und freilich auch den Heiden ein Heide. Es heißt doch gerade nicht, er sei den Juden ein Heide und den Heiden ein Jude, bzw. er sei weder Heide noch Jude. Es verhält sich bei der angegeben Stelle vielmehr so, dass Paulus betont, dass es Juden und Heiden, aber eben nichts Drittes gebe, so dass sich die Stelle letztlich nicht anders verstehen lässt, als dass Paulus die versteinerten Verhältnisse damit zum tanzen zwingen will, dass er den Juden ein Jude und den Heiden ein Heide wird – indem er ihnen ihre jeweils eigene Melodie vorsingt. So wenig Paulus eine neue Religion gründet, so wenig denkt er auch in dem Sinne universalistisch, wie Schnelle es versteht: „Paulus vertritt einen Universalismus, der sich von der Nation, dem Land, dem Tempel und dem Gesetz als Regulativen des Gottesverhältnisses trennt. Damit verlässt er jüdisches Denken, das als national und partikular bezeichnet werden kann.“210 Vielmehr ist zu konstatieren, was J. Christiaan Beker so ausdrückt: „The issue ist not particularism versus universalism but universalism within the context of particularism“211 Damit drückt Beker das aus, was Paulus als Organisator einer neuen Interpretationsgemeinschaft in der Tradition des Judentums auszeichnet.212 In seiner Sicht der paulinischen Auferstehungsvorstellung als Inkorporation bezieht sich Sanders aber auf Albert Schweitzer und dessen angeblich realistisches Verständnis der Auferstehung, denn auch für Schweitzer sei Auferstehung mystische Hineinnahme in den Leib Christi: „As long as one studies Paul under the loci of systematic theology, relegating eschatology to the last place in ones discussion, understanding of Paul is hindered if not completely obscured. Further as long as one takes 208

Schnelle, Udo: Die theologische und literarische Formierung des Urchristentums, in: Graf, Friedrich Wilhelm (Hrsg.): Die Anfänge des Christentums. Ffm 2009, S. 187. Freilich muss an dieser Stelle zugestanden werden, dass Sanders in Paulus auch den Begründer einer neuen Religion sieht, der mit dem Judentum breche. Darum sei hier noch auf N. T. Wright hingewiesen: „He (Paulus; Anm. M.E.) was not opposed to the idea of Judaism per se, nor indeed could he be; he was claiming the high ground that this, indeed, was what Judaism had always been supposed to be, the historical people whose identity and destiny were now revealed in the crucified Messiah“ (Wright, N. T.: Pauls Gospel and Caesars Empire, in: Horsley 2000). Die antijüdische Kritik des Paulus richte sich nur gegen das nichtmessianische Judentum. 209 Schnelle, Udo: Paulus. Leben und Denken. Berlin 2003. 210 Ebenda, S. 185. 211 Beker (1984), S. 89. 212 Klaus Berger konstatiert immerhin: „Am allermeisten liebt Paulus sein Volk“ (Berger, Klaus: Paulus. München 2002, S. 34), um aber dann an anderer Stelle fortzufahren: „Das Heidenchristentum des Paulus ist Pharisäismus minus Judentum“ (Ebenda, S. 41). Berger sieht das radikale Liebesgebot als den Kern der pharisäischen Lehre an. Aber jüdische Identität ist nicht auf das Ritualgesetz, den Tempelkult oder gar die Thorafrömmigkeit beschränkt. Unter Pharäismus minus Judentum vermag ich mir nur eine spezielle Art und Weise der Kaffeezubereitung vorzustellen.

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the central theme in Pauls gospel to be ,righteousness by faith alone, one misses the significance of the realism with which Paul thought of incorporation in the body of Christ, and consequently the heart of his theology.“213 Für Schweitzer ist Paulus in der Tat ein Mystiker, wobei Schweitzer hier Mystik nicht im Sinne einer Vereinigung, einem Einswerden mit Gott versteht. Vielmehr kenne Paulus nur eine Christusmystik, d. h. eine durch den eschatologischen Vorbehalt gebrochene Gottesmystik, die also der endgültigen Vereinigung noch harre. „Das Sein in Christo wird nicht als ein ruhendes Teilhaben an dem geistigen Wesen Christi aufgefaßt, sondern als ein reales Miterleben seines Sterbens und Auferstehens.“214 Was hier reales Miterleben aber bedeutet, wird nicht ganz klar, außer dass es vom Symbolischen unterschieden wird. Darum spreche Paulus auch nicht von Wiedergeburt, sondern von Auferstehung: „Daß Paulus bei seiner Vertrautheit mit der griechischen Sprache den Ausdruck Wiedergeburt und seine Bedeutung für die hellenistische Frömmigkeit gekannt hat, ist wohl anzunehmen. Aber er kann ihn nicht verwenden, weil er ganz realistisch und logisch denkt. Das Sterben mit Christo und das Auferstehen mit ihm ist ihm nicht etwas Symbolisches, das daneben auch noch durch ein anderes Symbol ausgedrückt werden kann, sondern einfache Wirklichkeit.“215 Getreu seinem Ansatz, die Eschatologie als zentral bei Paulus zu verstehen, muss dann aber Schweitzer eine zweite, eine noch ausstehende Auferstehung behaupten. Sanders entgeht also auch nicht der Metaphysik, zumindest nicht, wenn er sich auf das Realismusverständnis Schweitzers bezieht. Als besseren Gewährsmann für Sanders ließe sich aber auf Karl Barth verweisen, der in guter reformierter Tradition das jüdische Gesetz nicht vom Evangelium trennt, sondern selber schon als Gnade versteht.216 Hier sei besonders auf Barths Studie über das Auferstehungskapitel im Ersten Korintherbrief hingewiesen.217 Barth hat die inhaltliche Geschlossenheit dieses Paulusbriefes betont und die in ihm vor dem Hintergrund des Christusgeschehens sowohl behauptete als auch geforderte Egalität der einzelnen Gemeindeglieder, die zu leben Paulus als Christusbekenntnis der Gemeinde abverlange218, als zentrales Anliegen des Briefes gedeutet. Damit darf aber Barth 213

Sanders, S. 434. Schweitzer, Albert: Die Mystik des Apostels Paulus, 2. Aufl. Tübingen 1954, S. 13. 215 Ebenda, S. 15. 216 Siehe u. a. Barth, Karl: Evangelium und Gesetz. Neuauflage München 1956. 217 Barth, Karl: Die Auferstehung der Toten. Eine akademische Vorlesung über 1. Kor. 15. 3. Aufl. 1935. 218 In seinem ansonsten sehr verdienstvollen Überblick über die Paulusrezeption hat Robert Paul Seesengood ein vernichtendes Urteil über Barth gefällt, das aber Barth nicht gerecht wird: „His organizing structure was a Hegelian dialectic. In simple terms, the philosopher Hegel argued that truth was located by taking one idea (thesis), contrasting it with an opposing idea (antithesis) and reconciling the two into a third option (synthesis). For Barth, the conflicting theses were grace and law“ (Seesengood, S. 189). Abgesehen davon, dass die Logik Hegels die Selbstbewegung des Begriffs in den Mittelpunkt stellt, die voraussetzt, dass der Begriff eben sein Gegenteil ist (in der Identität von Identität und Nichtidentität) und nicht mit ihm von außen konfrontiert wird, hat Barth von seiner Theologie nicht als einer dialektischen Theologie, 214

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als der eigentliche Vertreter eines realistischen Auferstehungsverständnisses gelten. Das freilich nur, wenn man Auferstehung nicht alleine als Zugehörigkeit begreift, wie Sanders, sondern wenn man zudem noch Eschatologie nicht als Lehre von der letzten Zeit, sondern als Verfassungslehre der Gemeinschaft der Letzten im Hinblick auf die Machtverhältnisse versteht, was Barth in folgenden Worten ausdrückt: „Das Zeugnis von Christus eignet sich darum nicht zum Gegenstand religiöser Kraft- und Glanzleistungen, wie sie die hellenistische Religionswelt liebte, weil es zu allem menschlich betrachtet Großen, Achtbaren, Staunenswerten schlechthin im Verhältnis eines Entweder-Oder, Paulus sagt: im Verhältnis von mora, Narrheit, Torheit zu sopha, zur Weisheit schlechthin steht.“219 Damit wird Auferstehung zum Gegenbegriff zur Metaphysik. Wie sehr der Streit um das Auferstehungsverständnis kirchen- und auch allgemeinpolitische Implikationen hat, wird deutlich, wenn man sich die Rezensionen von Paul Althaus und Rudolf Bultmann über Barths Auferstehungsstudie anschaut und dabei berücksichtigt, welche Rolle beide im Kirchenkampf nach der nationalsozialistischen Machtergreifung spielten – Althaus stand auf der Seite der Reichskirche und stand bis zum Sportpalastskandal sogar den Deutschen Christen nah, ohne sich ihnen freilich angeschlossen zu haben220, während Bultmann sich in eine Art innere Emigration begab, sich freilich auch in der Bekennenden Kirche engagierte. Althaus schreibt: „Die Erkenntnis der Auferstehung Jesu wird von Paulus nicht an die Gewißheit der allgemeinen Totenauferstehung ,gebunden, sondern umgekehrt.“221 Althaus sieht unter Berufung auf 1. Kor 3, 2 ff sogar Ungleichheit in der Gemeinde gerechtfertigt, eine Ungleichheit, die eben auf unterschiedlichen Einsichten beruhe. Die Betonung des Auferstehungsgeschehens als historischem Ereignis bei Barth begrüßt Althaus dagegen, aber nur, um so die Möglichkeit einer christlichen Geschichtsphilosophie retten zu können. Die Botschaft von der Auferstehung begründe die Möglichkeit einer gelebten Liebe und Prophetie. Hier zeigt sich formal durchaus eine größere Nähe zwischen Althaus und Barth als zwischen letzterem und Bultmann. Der schließt sich zwar weitgehend der Interpretation Barths an und betont, dass vor dem Hintergrund der Auferstehung Jesu das ganze Leben der Gläubigen unter dem Gesichtspunkt der Eschatologie zu sehen sei. So werde ein kritischer Maßstab gewonnen. Insbesondere weist Bultmann, wie Barth, jede religiöse Deutung zurück, also etwa die Annahme der Fortsetzung der Existenz in einer zweiten, übernatürlichen Welt – aber auch, dass sich mit der Auferstehung der Zustand des Gläubigen verändere. Der Christ sei in der Welt, der er aber jetzt nicht mehr gehöre. Christ sein sei kein Zustand, aber Beanspruchung im Zuständlichen. Barth habe es jedoch versäumt, den sondern einer Wort-Gottes-Theologie gesprochen, und das Gesetz war für ihn nicht der Gegenbegriff zur Gnade, sondern selber schon Gnade. Seesengoods Äußerungen über Barth sollte man also getrost überlesen. 219 Barth (1935), S. 6. 220 Vgl. Scholder, Klaus: Die Kirchen und das Dritte Reich. Ffm, Berlin u. Wien 1977, 538 ff, zum Sportpalastskandal S. 701 ff. 221 Althaus, Paul: Theologische Aufsätze B.1. Gütersloh 1929, S. 134.

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paulinischen Begriff des sma zu interpretieren, so dass ein in gewisser Weise religiöser Rest sowohl bei Paulus als auch bei Barth verbleibe, der auch dem gewonnenen kritischen Maßstab unterworfen werden müsse. Darum sei das dreizehnte Kapitel und nicht das fünfzehntes Kapitel als das Zentrum des Ersten Korintherbriefs zu betrachten: „daß die Verkündigung der agpe die Verkündigung der Totenauferstehung ist.“222 Bultmann blendet aber die politische Dimension des Auferstehungsglaubens aus. Glaube wird zur existentiellen Entscheidung, die den Zustand der Welt nicht mehr herausfordert. Barth hat dagegen, wie zu zeigen sein wird, sehr deutlich die Gemeinde als sma christoffl im Blick, was Bultmann im Interesse, seinen eigenen Ansatz zu verteidigen, übersieht. Im Gegenteil, indem Bultmann das sma ausblendet, erweist sich seine Vorstellung von der Auferstehung in der Liebe als bedeutungslos, als Sentimentalität. Erst über den Begriff der Körperschaft wird die Liebe verortet und verzeitlicht, erhält sie m. a. W. ein Gegenüber. Bultmanns Kritik wäre berechtigt, wenn Barth die Auferstehung metaphysisch verstanden hätte, so wie Bultmann es auch Paulus unterstellt. Allzu viel Ungereimtes ist für Bultmann noch mit der Auferstehungsbotschaft verbunden. Und hat er nicht recht, sieht sich nicht auch schon das Neue Testament gezwungen, gegenüber Paulus eine gewisse, um es in den Worten Bultmanns zu sagen, Entmythologisierung vorzunehmen, indem die Auferstehung der Toten in den deuteropaulinischen Briefen explizit präsentisch verstanden wird? Das zweite Kapitel des Epheserbriefs stellt eine Auslegung von 1. Kor 15 dar, in dem Paulus sich explizit zur Auferstehung äußert, und versteht die Auferstehung präsentisch: „Auch ihr wart tot durch eure Verfehlungen und Sünden, in denen ihr einst gelebt habt, wie es eben dieser Weltzeit entspricht, wie es dem Fürsten der Lüfte, des Geistes, der jetzt noch wirksam ist in den Söhnen und Töchtern des Ungehorsams, entspricht – unter diesen haben auch wir alle einst dahingelebt in den Begierden unseres Fleisches, indem wir taten, was das Fleisch wollte und wonach der Sinn uns stand, und waren unserem Wesen nach Kinder des Zorns wie die anderen auch … Gott aber, der reich ist an Erbarmen, hat uns in seiner grossen Liebe, die er uns entgegenbrachte, mit Christus zusammen lebendig gemacht, obwohl wir tot waren in unseren Verfehlungen – durch Gnade seid ihr gerettet –, und hat uns mit ihm zusammen auferweckt und uns einen Platz in den Himmeln gegeben, in Christus Jesus“ (Eph 2, 1 ff). Ebenso legt der Kolosserbrief die Auferstehung aus: „Seid ihr nun mit Christus auferweckt worden, so suchet nach dem, was oben ist, dort, wo Christus ist, zur Rechten Gottes sitzend. Trachtet nach dem, was oben ist, nicht nach dem, was auf Erden ist. Denn ihr seid gestorben, und euer Leben ist mit Christus verborgen in Gott. Wenn Christus, euer Leben, offenbar wird, dann werdet auch ihr mit ihm offenbar werden in Herrlichkeit“ (Kol 3, 1 ff). Auch wenn der Kolosserbrief die petrinische Tradition akzeptiert (Christus im Himmel, das impliziert leeres Grab und Anerkennung der Stellvertretung), im weiteren Verlauf betont er doch auch die egalitäre Verfassung der Gemeinde: „Ihr habt doch den alten Menschen mit all seinem Tun abgelegt und den neuen Menschen angezogen, 222 Bultmann, Rudolf: Karl Bart. „Die Auferstehung der Toten“, in: Bultmann, Rudolf: Glauben und Verstehen B.1. 5. Aufl. Tübingen 1964, S. 38 ff.

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der zur Erkenntnis erneuert wird nach dem Bild seines Schöpfers. Da ist kein Grieche und Jude, keine Beschneidung noch Unbeschnittensein, nicht Barbar, Skythe, Sklave, Freier, sondern Christus ist alles und in allen“ (Kol 3, 9 – 11). Anders aber als bei Paulus selbst sind jetzt die Frauen von dieser Egalität ausgenommen, im Gegenteil, sie sollen den Männern untertan sein (Kol 3, 18; vgl. auch Eph 5, 22). Freilich weigert man sich im Falle von Röm 13, 1, das griechische hypostsso mit „unterwerfen“ oder „untertan sein“ zu übersetzen, so dass hier auch vorsichtiger argumentiert werden sollte. Aber insgesamt geraten die Frauen in den deuteropaulinischen Schriften ins Hintertreffen. Die Theologie des Epheser- und des Kolosserbriefes, so urteilt Klaus Berger, sei unanstößig, weil sie nicht mehr apokalyptisch sei223 und die Haustafeln (Anordnungen zum rechten Verhalten) eine Hierarchie zu stabilisieren suchten.224 Bedenkt man aber, dass Rom eben kein monolithisches Machtgebilde gewesen ist, so stellt sich auch hier die Frage, welche Macht gegen welche Macht stabilisiert wird. Den Schluss zu ziehen, die christlichen Gemeinden erschienen in den genannten Briefen als Garanten jeglicher Ordnung, ist angesichts der politischen Umbrüche in ihrer Zeit nicht haltbar. Allenfalls berücksichtigen sie, dass sich mittlerweile mehr römische Familien für die christlichen Gemeinden und ihre politische Theologie zu interessieren begonnen haben, abgesehen davon, dass die paulinischen Gemeinden – oder sagen wir besser Kreise – einen Preis für die Integration in die antiochenische Petrustradition zu zahlen hatten. Aber entscheidend ist, dass in den Deuteropaulinen die Rhetorik des Paulus schon Theorie geworden ist. Die rhetorische Delegitimierung jeglicher Macht, auch der Macht jeglicher Theorie oder Lehre, wird in Ethik verwandelt, die eine Hierarchie begründet. Darum gilt es jetzt, die Rhetorik des Paulus gegenüber der ihm unterstellten Metaphysik wieder stark zu machen. Die im Epheser- und im Kolosserbrief unternommene Interpretation des paulinischen Auferstehungsverständnisses kann sich nämlich durchaus auf Paulus berufen, etwa auf Röm 6, 1 ff: „Wir, die wir für die Sünde tot sind, wie sollten wir noch in ihr leben können? Wisst ihr denn nicht, dass wir, die wir auf Christus Jesus getauft wurden, auf seinen Tod getauft worden sind? Wir wurden also mit ihm begraben durch die Taufe auf den Tod, damit, wie Christus durch die Herrlichkeit des Vaters von den Toten auferweckt worden ist, auch wir in der Wirklichkeit eines neuen Lebens unse-

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Freilich muss auch der Begriff der Apokalyptik zunächst geklärt sein, bevor man über die Frage streitet, ob Paulus oder das Neue Testament auch apokalyptisch zu verstehen seien. Cullmann hat zu Recht darauf hingewiesen, dass sich das Neue Testament von der jüdischen Apokalyptik dahingehend unterscheidet, dass für es das entscheidende Ereignis schon geschehen sei, während die jüdische Apokalyptik es noch erwarte. Freilich benutzt auch Cullmann den Begriff der Apokalyptik noch zur Charakterisierung einzelner neutestamentlicher Stellen. 224 Vgl. Berger (1994), S. 524 f. Über Paulus urteilt Berger in diesem Zusammenhang, „daß (er) z. B. keine Konkurrenz zur imperialen Ideologie im Auge hatte (wie Eph) und den innerhäuslichen Strukturen kein Interesse abgewinnen konnte“ (S. 523).

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ren Weg gehen.“225 Jakob Kremer weist in diesem Zusammenhang auf das vierte Kapitel des Ersten Thessalonicherbriefs hin, wo es heißt, dass bei der Wiederkunft Christi sowohl die schon Entschlafenen als auch die noch Lebenden entrückt würden, und folgert daraus: „Paulus schließt (…) für sich und seine Leser aus, volles Heil in diesem Leben, also ohne Auferstehung, zu erlangen. Diese Folgerung ist im Hinblick auf unsere Fragestellung umso bedeutsamer, als der Apostel nach V. 52 damit rechnet, noch bei der Parusie zu leben. Was er hier (VV. 16 – 19) über den Wert der Auferstehung von den Toten schreibt, gilt offensichtlich nicht bloß für die, die gestorben sind oder sterben werden, sondern auch für diejenigen, die bei der Parusie nicht zu den Toten zählen. Bei ,Auferstehung der Toten scheint also Paulus nach Aussage dieser Stelle nicht einzig an ein Auferstehen von (biologisch) Verstorbenen, d. h. ein Herauskommen aus den Gräbern zu denken.“226 Auch wenn sich hier bei Kremer der Blick auf ein realistischeres Auferstehungsverständnis eröffnet, es bleibt doch noch ein metaphysischer Mehrwert übrig, ein Spekulieren über den biologischen Tod hinaus – aber nur, wenn man als Theorie versteht, was eigentlich Rhetorik ist. Rhetorik greift immer ein mehr oder weniger allgemeines Verständnis auf, holt die Zuhörer dort ab, wo sie sich befinden. Aber dies geschieht bei Paulus oft nicht, um etwas zu bestätigen, sondern um etwas zu verändern. Ein erster Schritt dazu ist, dass man die Adressaten verwirrt. Dass es uns nicht gelingen will, eine klare Vorstellung von dem zu entwickeln, was Paulus unter Auferstehung und ewigem Leben versteht, verdanken wir seiner Rhetorik, ist beabsichtigt, ist rhetorische Strategie. Platon hat es uns dagegen wesentlich einfacher gemacht (zumindest auf den ersten Blick, denn er verfasst Kunstmythen als Gleichnisse, die auch nicht wörtlich verstanden werden dürfen, die weniger Allegorien denn Parabeln sind). Aber Platon hat die Rhetorik auch gerade darum mit Argwohn betrachtet. Paulus ist dagegen der Antiplatoniker schlechthin und steht damit in der Tradition der Sophistik. Das wird nirgends deutlicher als zu Beginn des Ersten Korintherbriefs: „Hat nicht Gott die Weisheit der Welt zur Torheit gemacht?“ (1. Kor 1, 20). Wenn Weisheit Torheit ist, und Torheit Weisheit, bezeichnen die Begriffe nicht mehr Sachverhalte. Sie wechseln ihre Bedeutung je nach Kontext. Paulus ist im Bemühen um den Aufbau einer Interpretationsgemeinschaft darum besorgt, eine Interpretationsgemeinschaft zu etablieren, in der es nicht primär darum geht, Gemeinschaft zu sein, sondern darum zu interpretieren. In den Auseinandersetzungen mit seinen Gemeinden, besonders in seinen Polemiken, zeigt sich Paulus nicht gerade gemeinschaftsorientiert. Darum ist Paulus im Sinne der neopragmatischen Hermeneutik zu verstehen, er ist der Prototyp eines neopragmatischen Hermeneutikers. Vattimo z. B. sieht sich auch in der christlichen Tradition stehen, aber nicht unter Berufung auf Paulus, sondern auf das gesamte Neue Testament: 225

Im 2. Tim 2, 17 – 18 wird ein Hymenaeus und ein Philetus verurteilt, weil sie behauptet hätten, die Auferstehung sei schon geschehen. Es lässt sich daraus aber nicht erkennen, ob die beiden nur die Auferstehung des Christus behaupten, wie eine Gruppe in Korinth, mit der sich Paulus auseinandersetzt, oder ob sie die Auferstehung im Sinne von Röm 6 verstehen. 226 Greshake, Gisbert/Kremer, Jacob: Resurrectio Mortuorum. Zum Theologischen Verständnis der biblischen Auferstehung. Darmstadt 1986, S. 25.

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„Die Beziehung, die die moderne Hermeneutik zur Geschichte des Christentums unterhält, ist also nicht nur, wie man immer angenommen hat, durch die wesentliche Nähe von hermeneutischer Interpretation und exegetischer Ausdeutung biblischer Texte bestimmt, sondern Hermeneutik – im radikalsten Sinne des Wortes, wie ihn Nietzsche und Heidegger verkörpern – ist nichts anderes als die konsequent entwickelte und zu ihrer Reife gebrachte christliche Botschaft.“227 Das gilt aber für das Christentum nicht insgesamt. Vattimio blendet das Judentum aus, schließt aber die Theologie der Evangelien ein. Ein differenzierterer Blick zeigte ihm, dass er im Neuen Testament eigentlich nur bei Paulus seinen Ansatz wiederfinden kann, und über Paulus gewönne er dann auch eine Einschätzung des Alten Testaments, die ihn von der Behauptung abrücken ließe, das schwache Denken beginne erst mit dem Christentum. Vattimo ist selber dem metaphysischen Denken noch zu sehr verhaftet, wenn er dieses schwache Denken sich geradezu apokalyptisch mit den Schriften des Neuen Testaments ereignen lässt. Paulus praktizierte seine Hermeneutik in der Tradition eines schwachen Denkens, das er über seine griechische, d. h. seine rhetorische Bildung kannte und das sich mit dem Gottesbild des Judentums vereinbaren ließ, das wiederum der griechischen Metaphysik diametral gegenübersteht. Das schwache Denken ist von Hause aus nicht christlich und wäre ohne die paulinischen Briefe auch nicht christlich überliefert worden. Wo keine Metaphysik mehr vertreten wird, herrscht ein anderer Stil, denn eine andere Sprache steht nicht zur Verfügung. Auch Vattimo nennt sein schwaches Denken noch Theorie. Aber Theorien sind nie schwach, sondern immer stark. In diesem Sinne versteht freilich Vattimo seine Theorie nicht. Es besteht eine Beziehung zwischen Theorien, Regeln und Gesetz, auf die Searle aufmerksam macht, wenn er die Kenntnis der Regeln einer Institution für nicht entscheidend für die Ausführung hält. So lernten Kinder spielen oder sprechen, ohne zuvor die Regeln der Spiele oder der Grammatik zu kennen. „(I)n real life we are in a very similar situation regarding the rules of syntax or the rules of speech acts. Only someone who is a speech act theorist as I am, would ever bother to codify the rules of speech acts.“228 In diesem Zusammenhang könnte der Umgang des Paulus mit der Thora auch so gedeutet werden, dass er sie eben nicht als Metaphysik verstanden wissen will, dass er sich weigert, sie als ein metaphysisches Prinzip anzuerkennen. Paulus vertritt keine Metaphysik, und sein Denken ist darum keine Theorie, keine Theologie, kein Denken aus einem Guss. „Paulus ist ein ad hoc Denker“229. Zudem sind seine Briefe nicht verfasst worden, wie der hier vorliegende Text, sondern diktiert.230 Sie sind schon auf Grund ihres ermahnenden 227 Vattimo (2004), S. 21 f. Vattimo steht damit in der Tradition von Bultmann, der die Entmythologisierung auch schon im Neuen Testament ausmacht. 228 Searle (1996), S. 145. 229 Stendahl, Kristal: Das Vermächtnis des Paulus. Eine neue Sicht auf den Römerbrief. Zürich 2001, S. 30. 230 Ebenda, S. 26. Peter Müller hat unter Verweis auf Horaz auf die wachsende Bedeutung des geschriebenen Textes gegenüber dem mündlichen Vortrag aufmerksam gemacht, und schon Vergil sei ein Schreiber gewesen, der redigiert habe. So betont Müller, die Briefe des Paulus

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Charakters Prophetie, die die Gemeinde aufruft, in ihrem aktuellen Sein das prophetische Amt in der Welt wahrzunehmen. Sie stehen in der Tradition der Propheten Israels. Der eigentlichen Absicht des Apostels entspricht die literarische Form des Briefs. Er will überreden, oder, besser gesagt, er unterscheidet nicht zwischen überreden und überzeugen.231 Wie anders sind die anderen Briefe des Neuen Testaments verfasst, ganz zu schweigen von den Briefen, die die Antike sonst noch kennt, und die uns ja in großer Zahl überliefert sind. Die paulinischen Briefe sind in einem diatribischen Stil geschrieben, lassen sich aber eigentlich keiner literarischen Gattung zuordnen, auch nicht der Diatribe. Dazu sind sie zu leidenschaftlich. Selbst die Gelegenheitsbriefe Ciceros lassen sich so lesen, als ob sie für eine Veröffentlichung, also für die Nachwelt, verfasst worden seien, die Briefe des Seneca ohnehin. Die als echt geltenden Briefe des Paulus unterscheiden sich von dieser Briefliteratur fundamental. Es ist bekannt, dass Cicero seine Reden, nachdem er sie gehalten hatte, für die Veröffentlichung noch einmal redigierte. Die Versuche, die Briefe des Paulus zu redigieren, sind gelegentlich leicht zu durchschauen, wie etwa in 1. Kor 14, 34 f, wo es heißt, die Frauen sollten in der Gemeinde schweigen. In der Behauptung der Egalität der Gemeindeglieder ist Paulus nämlich eindeutig, während er in den theologischen Themen durchaus unterschiedliche Positionen einnehmen kann und eine Redigierung dieser Positionen darum gar nicht durchführbar ist. Paulus schreibt nicht für eine Nachwelt. Paulus schreibt nicht im Interesse der Kontinuität einer weiteren Gemeinschaft, die neben und mit anderen Gemeinschaften eine Koexistenz behaupten müsste, sondern er schreibt gegen jede Form der Metaphysik und im Interesse der Kontinuität dieses antimetaphysischen Anliegens, und das ist sein Evangelium vom gekreuzigten und auferstandenen Herrn. Paulus steht in der Tradition der klassischen und der hellenistischen Rhetorik, damit in der Tradition der Sophistik und nicht der platonischen Philosophie, wenn man ihn im griechischen Denken verorten möchte. Der Gott der Bibel ist nicht der Gott der Philosophen. Der Gott der Philosophen ist eine Denkprothese, ist Weisheit dieser Welt. Der Gott der Bibel ist ein Lernender, der sich verändert. Paulus arbeitet an der Interpretation dieses Lernprozesses im Rahmen der jüdischen Interpretationsgemeinschaft so mit, dass er das Judentum im Sinne der Abrahamstradition zu erweitern sucht. Es geht also nicht um die theologische Identität eines Restes, sondern um die müssten, trotz Röm 10,17, gerade in ihrer Schriftlichkeit ernst genommen werden. Müller möchte das rhetorische Moment zugunsten des Abhandlungscharakters zurückdrängen, wenngleich auch nicht ganz vernachlässigt wissen. Zu bedenken aber ist, dass auch die Reden in der damaligen Zeit zunächst schriftlich verfasst und dann auswendig gelernt wurden. Gestik, Mimik und Tonfall entschieden und entscheiden auch heute noch über den Inhalt, wenn dieser z. B. ironisch verstanden werden soll (Müller, Peter: Der Glaube aus dem Hören. Über das gesprochene und das geschriebene Wort bei Paulus, in: Bormann/del Tredici/Standhartinger, S. 405 ff.). 231 Vgl. Rorty, Richard: Philosophie und die Zukunft, Ffm 2001: „Manche Philosophen sehen einen wesentlichen Unterschied zwischen Logik und Rhetorik oder zwischen ,Überzeugen und ,Überreden. Ich nicht“ (S. 168).

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Umwandlung des gesamten Imperiums, „damit Gott alles in allem sei“ (1. Kor 15, 28). Nur in diesem Sinne kann Paulus imperial verstanden werden. Er greift vor dem Hintergrund des Imperiums, der imperialen Erscheinung von Macht, zentrale Begriffe der theologischen Deutung seiner Zeit auf und verändert ihre Semantik, an zentraler Stelle die Bedeutung des Begriffs der Auferstehung. Die antike Rhetorik unterschied schon zwischen dem Wortlaut (scriptum) und der Absicht (sententia). Schließlich heißt es in Ciceros De inventione über das Problem der Interpretation: „(D)eshalb habe der Gesetzgeber die Richter aus einem bestimmten Stand und mit einem bestimmten Alter eingesetzt, damit Männer da seien, die nicht nur das von ihm schriftlich Niedergelegte vorlesen, was jedes Kind tun könnte, sondern die durch Nachdenken seinen Willen erfassen und auslegen können; weiterhin hätte jener Gesetzgeber, wenn er das von ihm schriftlich Niedergelegte törichten Menschen und barbarischen Richtern anvertrauen würde, alles mit größter Sorgfalt niedergeschrieben; nun aber habe er, weil er erkannt habe, was für Männer Urteile über die Angelegenheiten fällen, deswegen nicht dazugeschrieben, was, wie er sah, klar ist; er glaubte nämlich, ihr würdet nicht die Vorleser des von ihm schriftlich Niedergelegten, sondern die Ausleger seines Willens sein“ (II, 138 f). Wenn Cicero aber die Möglichkeit ins Auge fasst, dass die Gesetzgeber hätten sorgfältiger formulieren können, denkt er hier daran, dass die Richter die aequitas zu berücksichtigen haben. Es geht ihm also nicht darum, dass das Verstehen des Wortlautes kontextgeleitet sein müsste, sondern es geht ihm um die Anwendung des Gesetzes auf einen Fall, also die quaestio juris. Das lässt sich wiederum aus dem Kontext der Urteilsfindung vor Gericht leicht verstehen. Hier kann nicht die Bedeutung eines Begriffs geändert und einem Fall angepasst, hier muss ein Fall einem Gesetz subsumiert werden. Unserem Verständnis nach müssen die Gesetzgeber, nicht die Richter, auf geänderte Konventionen Rücksicht nehmen, wollen sie die gesellschaftlichen Beziehungen weiterhin gestalten, während z. B. die Rechtsphilosophie bzw. die Politik auf die Konventionen zielt, um eine Veränderung der Gesetzgebung zu ermöglichen. Freilich haben Richter nicht nur die questio juris, sondern auch die quaestio facti zu beantworten, und hier ergibt sich sogar die Verpflichtung zu einer kontextualen Interpretation. Aber Cicero geht sogar noch einen Schritt weiter, wenn er seinen fiktiven Redner bemerken lässt, dass Gesetze nicht aus Worten, sondern aus Gedanken bestünden (ut ea videatur in sententiis, non in verbis consistere; II, 141). Das ist hier nicht analog zu der späteren augustinischen Unterscheidung zwischen verbum externum und verbum internum zu verstehen, denn bei Cicero muss der Wortlaut dem Nutzen und der Ehrenhaftigkeit geopfert werden. Die Gedanken folgen also anders als die Worte einer Intention. Cicero steht zwar zwischen der Philosophie und der Rhetorik, aber doch mehr auf der Seite der Rhetorik als der der Philosophie. Der Nutzen wird nämlich nicht erkannt, sondern vor Gericht vereinbart. Wer sich auf ihn beruft, muss ihn erst schaffen, indem er ihn als Konsequenz einer beabsichtigten Entscheidung dann rhetorisch erscheinen lässt. In diesem Sinne denkt auch Paulus. Über das Verständnis der paulinischen Texte schreibt Seesengood entsprechend: „The reconstructions of Paul take on the markers of lexicographic inquiry. Words do

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not have inherent ,meaning stored within them. Words only have meaning by their use, but every moment of discourse or use is distinct and context driven. The meaning of a word is not static. Words do not carry fundamental meaning in and of themselves; words ,mean what they mean by the exclusion of other semantic possibilities. Words and language display nothing if not ,specific ambiguity. We can only discover ,Paul by his ,context. We cannot clearly sift out or separate denotative and connotative elements of the final reconstruction. We cannot say who Paul ,is; we can only say what Paul (most likely) is not in a given reconstructed context. It should not surprise us, then, that, much as we cannot clearly and finally say what language ,means or how it functions, we also cannot reach consensus on the historical Paul.“232 Hier gilt es aber, kurz auf einen Einwand Krister Stendahls einzugehen, um zu zeigen, wie die Kritik an der Hermeneutik diese gelegentlich missversteht. Stendahl schreibt: „Often there is a sort of slogan or password by which one is proven to be really in the club, in the swing of things; it used to be eschatology, and then for a while it was kerygma, now it is hermeneutics, i. e. the methods of interpretation.“233 Aber wenn nun Stendhal hier auch methods schreibt, versteht er nicht, dass er einem Kategorienfehler unterliegt, wenn er vergleicht, was nicht verglichen werden kann, nämlich auf der einen Seite eine Methode mit auf der anderen Seite zwei Ansätzen, die jeweils eine Theorie begründen. Stendahl missversteht die Hermeneutik, die ja gerade keine Metaphysik mehr sein will und darum auch keine Theorie mehr begründet. „Die philosophische Wahrheit der Hermeneutik, das heißt ihr Anspruch, ,gültiger, ,wahrer zu sein als beispielsweise der Neoempirismus oder der Historische Materialismus, kann sich offensichtlich nicht darauf berufen, eine ,richtigere Beschreibung der Wirklichkeit zu bieten als die anderer Philosophien, denn die These der Hermeneutik, ,dass es keine Tatsachen gibt, sondern nur Interpretationen, wie Nietzsche sagt, darf selbst natürlich nicht als eine objektive, metaphysische Aussage missverstanden werden.“234 Wie will Stendahl aber selber die Bibel gelesen wissen? „But, we must first read the Bible to find original meanings and allow those meanings to correct our tendencies to read our own views into the original rather than letting the original stand and speak for itself.“235 Und wie findet Stendahl dann einen Zugang zum Orginalen? Nur dadurch, dass er das erste Jahrhundert nach Christus analog zu unserer 232

Seesengood, S. 228 f. Stendahl (1976), S. 36. 234 Vattimo (2004), S 17. Vattimo argumentiert hier freilich missverständlich, wenn er Objektivität und Metaphysik gleichsetzt. Die logische Struktur der Behauptung, Nietzsches Satz sei auch nur Interpretation – und Nietzsche läd selber zu dieser Lesart ein – unterliegt dem gleichen Kategorienfehler wie die Behauptung, der Skeptizismus sei in sich widersprüchlich, weil er zwar an allem zweifele, müsse aber seinen Grundsatz davon ausnehmen. Das „Alles“, an dem gezweifelt werden müsse (de omnibus dubitandum) umfasst aber alles, an dem sinnvoll gezweifelt werden kann, und das sind Tatsachenbehauptungen. Der skeptische Grundsatz ist aber keine Tatsachenbehauptung, sondern eine Aufforderung, die eben nicht bezweifelt, sondern entweder befolgt oder nicht befolgt werden kann. Nietzsches Hinweis, es gebe keine Tatsachen, sondern nur Interpretationen, ist keine Tatsache, sondern die Bestreitung, dass es Tatsachen gibt. 235 Stendahl (1976) S. 36. 233

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Zeit versteht, nämlich als insgesamt bedrohlich und apokalyptisch: „Now it happens that the New Testament also has a script for a horror movie, the Book of Revelation. That in itself is something of a key to the fact that our age and that age of the first century have more in common than we think. We share not only a search for individual peace and inner harmony and salvation, but also a wider and more pervasive generalized anxiety.“236 Aber diese Kongruenz der von Stendahl genannten Epochen zu behaupten, ist mehr als aberwitzig. Was ist die Welt anderes als die Weltwahrnehmung jener Menschen, die in ihr leben, und zwar aus ihrem Wahrnehmungshorizont und ihrem Vorverständnis heraus? Stendahl findet einen Zugang zum originalen Theologen Paulus nur dann, wenn er außer Acht lässt, was er in seinem die New Perspective erst ermöglichenden Text The Apostle Paul and the Introspective Conscience of the West237 schlüssig aufgezeigt hat, dass wir nämlich die augustinische Brille absetzen müssen, um zu Paulus vorstoßen zu können. Stendahl müsste sich nicht widersprechen, nähme er die Hermeneutik und die Rhetorik des Paulus ernster. Das von ihm so genannte Orginale ist eben nur unser Originales. Es mag für Theologen die Möglichkeit des Sprungs in den Glauben geben, aber keine des Sprungs aus dem hermeneutischen Zirkel heraus. Wie kaum ein anderer hat J. Christiaan Beker als Erster Paulus als Rhetoriker verstanden.238 Im ersten Teil seines 1980 erschienenen Paulusbuches, den er mit der The Contingency of the Gospel überschreibt, interpretiert Beker Paulus kontextual: Im Galaterbrief polemisiere Paulus nicht nur gegen judaisierende Apostel, sondern auch gegen die Thora selber, während er im Römerbrief einen Dialog mit Juden führe und diesem ein wesentlich anderes Thoraverständnis unterlege. Im zweiten Teil aber, überschrieben mit The Coherence of the Gospel, wird die Apokalyptik als das Herz der paulinischen Verkündigung betrachtet. Die paulinische Auferstehungsvorstellung versteht Beker aber nur im Rahmen dieses bei Paulus vorgeblich zentralen Gedankens, dieses einen Kontextes, von dem er nicht geschieden werden 236

Ebenda, S. 39. Ebenfalls abgedruckt in Stendahl (1976), S. 78 ff. 238 In diesem Zusammenhang muss aber darauf hingewiesen werden, dass die paulinischen Briefe schon seit längerem sowohl im angelsächsischen als auch im deutschen Sprachraum, stärker aber in ersterem, als Rhetorik verstanden werden. Über die Geschichte der Erforschung der paulinischen Rhetorik vgl. SchüsslerFiorenza, Elisabeth: Rhethoric and Ethic. The Politics of Biblical Studies. Fortress Press Mineapolis 1999. Dennoch wird Paulus da nicht in die Tradition des Gorgias gestellt, sondern als Theologe betrachtet, der sich der Rhetorik als Mittel bediene. Schüssler Fiorenza unterstellt aller biblischen Theologie eine politische Tendenz, auch der sich wissenschaftlich-objektiv gebenden Bibelforschung. Sie stellt ihre Bibelauslegung in den Dienst einer radikal-demokratischen, postkolonialen und feministischen Politik. Dabei kommt sie aber hinsichtlich des Paulus und seines Ersten Korintherbriefs zu der Auffassung, Paulus habe eine hierarchische Gemeindeordnung vertreten: „In 1 Corinthians Paul introduces the vertical line of kyriarchal subordination not only into social relationship of the ekklesia, but into its symbolic universe as well by arrrogating the authority of God, the ,father, for himself“ (S. 119). Aber schon die Unterscheidung der antiken Schulrhetorik in Gerichtsreden, Beratungsreden und epideiktische Reden ist schwer auf Paulus anzuwenden, weil er sich keiner dieser Gattungen eindeutig zuordnen lässt (Fiorenza Schüssler ordnet ihn der Beratung zu). 237

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dürfe: „We must be aware of the fact that resurrection language cannot function properly when it is divorced from this temporal and cosmological framework, because there is a necessary correlation between the resurrection of Christ and the age to come. If we divorce the two events by allocating the age to come to a far-off point, or if we retain one event and discard the other by eliminating the age to come as myth and by retaining the resurrection of Christ in some sense a historical event, resurrection language is forced to function in a new semantic field, where it loses its intended meaning.“239 Hier zeigt sich, wie Beker in eine Metaphysik zurückfällt, die er im ersten Teil seines Buches als mögliche Interpretation des paulinischen Denkens noch abgelehnt hat. Im Interesse, die Apokalyptik als den zentralen Gedanken bei Paulus weiter behaupten zu können, widerspricht sich Beker selbst – aber eben anderes, als sich Paulus widerspricht. Bei letzterem ist es rhetorische Absicht, bei Beker aber Resultat seines letztlich metaphysischen Denkens. Im Umgang des Paulus mit der Tradition beobachtet Beker sehr richtig, dass er mit den Schriften anders verfährt als mit der apostolischen Tradition: „Pauls hermeneutic of the gospel differs from his interpretation of the Scriptures. The gospel is not a written text about the life, death, and resurrection of Christ; rather, it is oral proclamation that dictates its own hermeneutical method. The interpretive content (the interpretandum) and the interpretative act (the interpretation) fuse here more directly than in the interpretation of a written text of the past. Because oral interpretation involves a live audience, it is dialogically centered and decisively situational. The proclamation of the gospel is directed to a specific group in a specific time and place.“240 Aber die vermeintliche Apokalyptik des Paulus nimmt Beker davon aus, weil er die Kontingenz bei Paulus nur im Zusammenhang mit einer Kohärenz denken kann, der die Kontingenz rhetorisch diene. Aber Kohärenz muss nicht metaphysisch begründet werden, sie kann auch in einer Absicht bestehen, nämlich in der Absicht, eine Interpretationsgemeinschaft zu organisieren, die sich der jüdischen Tradition mit dem Zweck verbunden weiß, die gelebte Lüge der imperialen Propaganda zu entlarven und nicht mehr ernst zu nehmen, schließlich der imperialen Macht, die sich metaphysisch legitimiert, ihre metaphysischen Mäntelchen wegzunehmen, hinter der sie ihre Nacktheit zu verbergen sucht. Es gilt also im weiteren Verlauf, Bekers Ansatz radikal zu Ende zu führen. Es bleibt dann, indem Paulus nicht nur der konventionellen Metaphysik seiner Zeit, sondern dem metaphysischen Denken schlechthin den Boden unter den Füßen wegzieht, nichts mehr zu verkündigen übrig, das im damaligen oder heutigen herkömmlichen konventionellen Rahmen, sofern er metaphysisch begründet wird, gedacht werden kann. Darum sei an dieser Stelle auf die aktuelle Debatte über die Auferstehung in der angelsächsischen Forschung verwiesen, deren Pole der englische reformierte Theologe N. T. Wright auf der einen und der irisch-katholische J. D. Crossan auf der an-

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Beker (1984) S. 153 ff. Ebenda, S. 121.

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deren Seite bilden.241 Beide behaupten, und das leitet über in das hier folgende Kapitel, die politische Bedeutung der Auferstehungsbotschaft. Während sich Wright und Crossan aber über die politischen Implikationen der Auferstehungsbotschaften durchaus einig sind, verstehen sie sie – auf den ersten Blick zumindest – doch völlig verschieden. Wright behauptet in Übereinstimmung mit der protestantischen orthodoxen Tradition ein Auferstehungsgeschehen, auf das Sprache nur verweise, aber, und das ist wichtig, denn hier sprengt Wright den Rahmen der Tradition, dieses Auferstehungsgeschehen begründe als solches die politische Bedeutung der christlichen Heilsbotschaft. Ohne diesen Glauben an ein Auferstehungsgeschehen im Sinne der petrinischen Tradition habe die Auferstehungsbotschaft keine weltverändernde Wirkung. Es geht Wright um wirkliche Veränderung in kosmologischem Ausmaß. In Bezug auf sein Buch über die Auferstehung242 schreibt er:„Ive hinted throughout the book that resurrection was a politically revolutionary doctrine and that it remains so for the early Christians.“243 Aber auch heute fordere die Botschaft von der leiblichen Auferstehung gerade die neuzeitliche Aufklärung, die die Herrschaftsverhältnisse keineswegs beendet, sondern nur neue Herrschaftsstrukturen geschaffen habe, heraus. Dabei verortet Wright die Aufklärung in der sadduzäischen Tradition: „It is, in fact, (and Ive hinted this throughout the book and have developed it in some of my other writings) only with the bodily resurrection of Jesus, demonstrating that his death dealt the decisive blow to evil, that we can find the proper ground for working to call the kingdoms of the earth to submit to the kingdom of God. That, I think, is the real reason for modernisms shrill rejection of bodily resurrection, exactly like the Saduccees, actually. Not that science has disapproved Easter, but that Easter challenges the social and political pretensions of modernism, both right wing and left wing, and modernism knows it. Perhaps the most important thing then about the resurrection is also the most deeply countercultural in our own day – that deeply orthodox theology about the resurrection, and a good deal else besides, is the proper seedbed of radical politics.“244 Dagegen steht Crossan in der Tradition der Aufklärung und betrachtet Auferstehung rein hermeneutisch, Aber auch wenn Robert B. Stewart in Crossan einen Vertreter der hermeneutischen Tradition sieht, und das m. E. zu Recht245, behauptet selbst Crossan noch eine Art Vision oder Erlebnis, auf das Sprache noch verweise, und ohne das sich die Entstehung der Christusgemeinschaft nicht erklären lasse: „I am convinced as a fact that they had apparitions.“246 Sicher geht Crossan von allen Theologen am weitesten auf die Her241 Stewart, Robert B. (Hrsg.): The Resurrection of Jesus. John Dominic Crossan and N. T. Wright in Dialogue. Fortress Press Minneapolis 2006. 242 Wright (2003). 243 Stewart, S. 22. 244 Ebenda, S. 23. 245 „Nevertheless, for Wright, texts generally refer to the world outside the text; content matters for Wright. Crossan, on the other hand, believes that texts create their own worlds, and he generally focuses on their effect rather than their content“ (Stewart, S. 63). 246 Ebenda, S. 33.

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meneutik zu. Aber auf einen Rest an Metaphysik beharrt auch er. Wer freilich nicht bereit ist, sich von der Metaphysik zu lösen, lässt sich auf einen Kampf über die Interpretationshoheit ein, dessen Regeln der Gegner aufstellt. So lässt sich sowohl ein politisch linker wie ein politisch rechter Paulus behaupten. Beide Positionen stehen sich, sofern sie metaphysisch argumentieren, symmetrisch gegenüber. Mit der Metaphysik kann man aber nur, wenn man sie besiegen will, asymmetrisch kämpfen. Das hat uns Paulus vorgemacht. Der Einwand von Wright, die politische Bedeutung der christlichen Heilsbotschaft stehe und falle damit, dass die Auferstehung als ein Ereignis im Sinne der Evangelien zu verkünden sei, und zwar in dem Glauben, dass dieses wirklich stattgefunden habe, entbehrt jeder Grundlage, erwartet vielmehr die Verwandlung der Welt durch einen göttlichen Eingriff und entspricht in diesem Glauben einer nicht nur vormodernen Frömmigkeit, sondern widerspricht auch Wrights politischem Anliegen insofern, als er dem Menschen nichts zutraut. Ein solcher Glaube lässt sich aber nicht biblisch begründen. Die Aufklärung kann nur als gescheitert betrachtet werden, wenn sie aufgegeben wird. Aufklärung ist keine Zustandszuschreibung für ein Zeitalter, sondern eine dauernde Verpflichtung.

II. Paulusforschung im politischen Kontext Im Hinblick auf die als echt geltenden Paulusbriefe im Neuen Testament zeigt John Dominic Crossen auf, wie ihre Stellung nach der Apostelgeschichte und vor den Deuteropaulinen die Interpretation zu beeinflussen sucht.247 Es lässt sich m. E. sogar zeigen, wie die Voranstellung der Evangelien und der Apostelgeschichte vor die Paulusbriefe schon eine solche gewichtige Beeinflussung darstellt. Der neutestamentliche Kanon ist, wie schon der des Alten Testaments, nicht nur, was die Aufnahme von Texten und deren Redaktion und Bearbeitung betrifft, sondern auch hinsichtlich der Reihenfolge der Schriften, ein Kompromiss zwischen verschiedenen Gruppen, die eben verschiedene Positionen unter Berufung auf ihre unterschiedlichen Traditionen vertraten. Die Minderheitspositionen waren aber so mächtig, dass sie nicht ausgeschlossen werden konnten. So können nicht alleine die Texte, sondern auch der Aufbau des Kanons selbst nur im Hinblick auf die Auseinandersetzungen verstanden werden, die sie veranlasst haben. Man muss Paulus also zunächst einmal aus der kanonischen Umklammerung befreien. In Deutschland hat als einer der Ersten Dieter Georgi dabei die politische Dimension der paulinischen Briefe aufgezeigt. Aufgegriffen hat das dann Jacob Taubes.248 Aber was heißt eigentlich politisch? 247 Crossan, John Dominic: In Search of Paul. How Jesuss Apostle Opposed Romes Empire with Gods Kingdom. A New Vision of Pauls Words and World. New York 2004. „Our basic argument is that the New Testament content and sequence has literally and figuratively framed Paul by locating (…) seven authentic Pauline letters after Lukes Acts of the Apostles, which corrects Pauls story before we read him, and among or before (…) inauthentic letters, which correct Pauls theology after we have read him“ (S. 106). 248 Taubes, Jacob: Die politische Theologie des Paulus. München 1993.

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Der Begriff des Politischen gilt als schwer zu fassen. Im Zentrum der theologischen Auseinandersetzungen über das Verhältnis der Theologie zum Politischen steht Carl Schmitt, der den Begriff der Politischen Theologie geprägt hat. Dabei ist aber nicht so sehr im Blick, dass Schmitt eine Strukturverwandtschaft zwischen theologischen und juristischen Begriffen behauptet, sondern Schmitts Verständnis des Politischen als einer, um es mit Heidegger zu sagen, nicht nur existenziellen Möglichkeit neben anderen, etwa dem Ökonomischen, dem Moralischen, dem Ästhetischen, schließlich dem Religiösen, sondern als einer existenzialen Bestimmung: „Inzwischen haben wir das Politische als das Totale erkannt und wissen infolgedessen auch, dass die Entscheidung darüber, ob etwas unpolitisch ist, immer eine politische Entscheidung bedeutet, gleichgültig wer sie trifft und mit welchen Beweisgründen sie sich umkleidet.“249 Wen wundert es darum, dass sich alle, die über die politische Dimension der Theologie schreiben, sich entweder auf Schmitt berufen oder sich von Schmitt abgrenzen. Auf Schmitt beruft sich, wer dessen Nachdenken über den Ausnahmezustand im Hinblick auf apokalyptische Hoffnungen für anschlussfähig hält, während jene, denen davor schaudert und die eine politische Aufladung metaphysischer Debatten zu verhindern trachten, Theologie und damit die Schriften zumindest des Neuen Testaments als im Kern unpolitisch verstanden wissen wollen. Jacob Taubes akzeptiert das existenziale Verständnis des Politischen bei Schmitt. Paulus vertrete die messianische Hoffnung der Juden und richte sie gegen das bestehende Imperium Romanum, dessen Herrschaft sich für Paulus zum Ende neige. Es seien seine letzten Tage angebrochen. Den politisch pragmatischen Ansatz des Paulus aber vernachlässigt Taubes. Politischer Widerstand sei sinnlos, Röm 13 sei nur ein Ausdruck dafür, dass man sich um das, was eh keinen Bestand mehr habe, nicht mehr zu kümmern brauche: „(N)a, man lebt doch im bösen römischen Reich, wie lebt man da? Was, noch Aufstände machen gegen das, was sowieso zugrunde geht? Es lohnt nicht, den Finger zu rühren, das wird sowieso verschwinden.“250 Taubes nennt das einen „Quietismus mit Tiefe“.251 Aber führt dieses Verständnis von politischer Theologie nicht in einen merkwürdig passiven Zustand, in einen Quietismus, der nur noch wartet? Ist das also m. a. W. nicht unpolitische Politik?252 Dies offenbart die Studie von Giorgio Agamben über Paulus, die in der Tradition von Taubes steht, besonders deutlich.253 Das Fatale an diesem Ansatz ist nämlich, dass nicht nur Paulus 249

Schmitt (1979) Vorwort zur 2. Aufl. im November 1933. Taubes (1993), S. 58. 251 Ebenda, S. 58. 252 Hier berühren sich die Extreme. So heißt es bei Bluhm: „Strauss entwickelt, so meine leitende These, eine paradoxe Form von politischem Philosophieren, nämlich ein politisches Denken, das im Kern unpolitisch ist“ (Bluhm, 22). Strauss betrachte den Philosophen in seinem Bemühen, das Gute zu erkennen, als unpolitischen Berater der Politik, der sich prinzipiell in Gefahr befinde, weil seine Beratung auch immer Kritik am Bestehenden impliziere. Von daher seien philosophische Texte immer zugleich exoterisch – für die ungebildete Masse – und esoterisch – für die Mitphilosophen – verfasst.. 253 Agamben, Giorgio: Die Zeit, die bleibt. Ein Kommentar zum Römerbrief. Ffm 2006. 250

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verfehlt wird, sondern auch Schmitts Begriff des Politischen. Agambens Denken kreist um den Ausnahmezustand, aber er denkt ihn anders als Carl Schmitt, obwohl er Schmitt besser verstehen möchte, als der sich selber verstanden habe. Für Agamben ist der Ausnahmezustand der paradoxe Zustand, in dem das Gesetz in seiner Aufhebung in Kraft sei.254 Aber Schmitt versteht den Ausnahmezustand nicht so, dass das Gesetz aufgehoben wäre, sondern die Verfassung ist im Ausnahmezustand ganz oder in Teilen suspendiert. Souveränität ist für Schmitt zudem eine personale Größe (Quis judicabit, quis interpretabitur?), während es bei Agamben dagegen immer wieder heißt, dass sich die Regel auf die Ausnahme anwende.255 Die Souveränität kommt bei Agamben als personale Größe gar nicht vor, er braucht sie auch nicht. Alles macht das Gesetz selber. Das Messianische ist entsprechend auch nichts weiter als ein paradoxes Spiel mit Worten, kein Ernst. Das ist Theologie ohne Gemeinde, deren Credo zudem noch die Unverständlichkeit ist. Es ist auf fatale Weise Metaphysik, die sich antimetaphysisch gibt.256 Schmitts zentrale Forderung, zwischen Verfassung und Gesetz zu unterscheiden, wird einfach ignoriert. Dabei ist das für Schmitt die Voraussetzung dafür, dass das Politische eben nicht mehr vom Staat her, sondern der Staat vom Politischen her begriffen werden kann. Politik basiert für Schmitt auf einem Willen, einem, wenn man so will, allgemeinen Willen, und dieser Wille muss, wie jeder andere Willen auch, einen Träger haben, der für alle anderen, die betroffen sind, den Willen artikuliert und repräsentiert. Wer das Politische aber nicht mehr denken kann, kann auch nicht mehr zwischen Krieg, Ausnahmezustand und Verbrechen unterscheiden. Entsprechend sieht Agamben sowohl im KZ-Häftling als auch im Ge254

Ebenda, S. 118 ff. Ebenda, S. 118. Vgl. dazu Hegel im Paragraphen 140 seiner Rechtsphilosophie: „Aber das Gesetz handelt nicht, es ist nur der wirkliche Mensch, der handelt, und bei dem Werte der menschlichen Handlungen kann es nach jenem Prinzip nur darauf ankommen, inwiefern er jenes Gesetz in seiner Überzeugung aufgenommen hat“ (Hegel, G. W. F.: Grundlinien der Philosophie des Rechts, Hamburg 1955, S. 135). 256 In ihrer Kritik an Agamben schreibt Angela Standhartinger: „Im Ausnahmezustand besteht die absolute Unbestimmtheit zwischen innen und außen, denn die Souveränität stehe sowohl innerhalb als auch außerhalb des Gesetzes. Im Zustand der souveränen Selbstaufhebung erreiche das Gesetz seine äußere Grenze.“ (Standhartinger, Angela: Paulus als politischer Denker der Gegenwart. Die Pauluslektüre von Jacob Taubes, Alain Badiou und Giorgio Agamben aus neutestamentlicher Sicht, in: Reinmuth, Eckart (Hrsg.): Politische Horizonte des Neuen Testaments, Darmstadt 2010, S. 86 f.). Das ist nicht viel klarer formuliert. Aber Standhartinger schreibt auch hinsichtlich Agamben weiter: „Mir leuchten nicht alle Parallelen zwischen Schmitts Definition des Ausnahmezustands und dem paulinischen Gesetz des Glaubens ein. Was mir fehlt, ist die konstruktive und gemeinschaftsstiftende Dimension, das ,Einer trage des anderen Last aus Gal 6, 2“ (S. 87). Aber das Politische erschöpft sich nicht in Lastenausgleich, vielmehr ist der Voraussetzung für Politik im Sinne des Paulus, dem es nicht darum geht, dass die Gemeinden einfach nur Gemeinschaften sind, sonder Interpretationsgemeinschaften. Man wird den Bezug auf Benjamin, den Taubes macht, auch bei Agamben in Rechnung stellen müssen, um sein Denken zu verstehen. Taubes hat auf die Bedeutung des Theologisch-poilitischen Fragments Benjamins für das Verständnis von Röm 13 hingewiesen: „Die Welt vergeht, die morph dieser Welt ist vorbei. Das Verhältnis zur Welt ist hier im Sinne des jungen Benjamins Weltpolitik als Nihilismus (…)“ (Taubes 1993, S. 100), und weiter: „Hier ist ein nihilistischer Blick auf die Welt, konkret auf das Imperium Romanum“ (ebenda, S. 101). 255

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fangenen in Guantanamo den homo sacer, der außerhalb des Rechts stehe. Aber hinsichtlich der Lagerhäftlinge muss zwischen jenen, die aus politischen Gründen in Haft saßen, und denen, die aus rassistischen Gründen und mit der Absicht ihrer Ermordung in die Vernichtungslager geschafft wurden, unterschieden werden – wie überhaupt zwischen Konzentrationslagern und Vernichtungslagern unterschieden werden sollte. Wer das alles in eins wirft, hat nicht gelernt, politisch zu unterscheiden, d. h. politisch zu denken. Denn die Maßnahme der Konzentrationslager für politische Gegner setzt eben Gegner voraus, deren Widerstand weitgehend ihre Entscheidung ist, während die Vernichtungslager und Arbeitslager im Stile des GULAG in dem Sinne gar keinen Ausnahmezustand voraussetzen, und ihre Einrichtung ist entsprechend keine Notstandsmaßnahme, sondern eine Rückführung in den Naturzustand im Verständnis von Thomas Hobbes. Agamben setzt Ausnahmezustand und Verbrechen gleich. Beides muss aber von einander unterschieden werden. Denn wer das nicht unterscheidet, wirft Nationalsozialismus, Faschismus und die us-amerikanische Demokratie in einen Topf, spart sich dabei aber gerade die Mühe der Formulierung einer politischen Strategie, also eines politischen Widerstands im Hinblick auf Abhilfe, und verliert darüber hinaus auch die Möglichkeit, eine politische Situation angemessen zu analysieren. Die Einrichtung von Konzentrationslagern offenbart z. B. die Schwäche eines totalitären Systems, weil es sich anders seiner Widersacher nicht zu wehren versteht. Die Einrichtung von Vernichtungslagern und Arbeitslagern zeigt dagegen die Stärke und Stabilität eines solchen Systems, die es seinen Machthabern gestattet, zu schalten und zu walten, wie sie es wollen. Die apokalyptisch denkende Linke, zu der auch Alain Badiou und Slavoj Zizek zu rechnen sind, steht zudem vor dem Problem, das sich jeder revolutionären Programmatik stellt: Die Revolution will einen neuen Menschen machen. Aber die Revolution muss notgedrungen noch von den alten Menschen gemacht werden. Wie kann aus dem Alten das Neue kommen?257 Die jüdische Apokalyptik stand vor dem gleichen Problem. Sie unterstellte darum einen heiligen Rest, der sich nicht habe korrumpieren lassen, und der sich im Martyrium bewähre. Diesen Rest kann die revolutionär und marxistisch ausgerichtete Sozialkritik nicht unterstellen, denn alle unterliegen dem alten, dem zu überwindenden System, und sind entsprechend diesem System auch mehr oder weniger verfallen. Ihr gesellschaftliches Sein bestimmt ihr Bewusstsein. Es ist darum nicht verwunderlich, dass dann der Messianismus der christlichen Überlieferung für dieses politische Denken von besonderem Interesse ist. Das Neue trete ereignishaft in der Geschichte auf und begleite die Geschichte auch dann, wenn es

257 Badiou macht sich Paulus interessant, indem er ihn auf das Bekenntnis reduziert, Jesus sei auferstanden. Diese Reduktion auf die „Fabel“ als das schlechterdings Nichthistorische sei Befreiung von allen Bindungen: „Jeden Wahrheitsprozess unbarmherzig von der ,kulturellen Historizität, in der die gängige Meinung ihn auflösen will, zu trennen, dies ist die Operation, in der wir Paulus folgen“ (Badiou, Alain: Paulus. Die Begründung des Universalismus, Zürich und Berlin 2002, S. 13).

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nicht erscheine.258 Man müsse ein Gespür für die entscheidenden Momente entwickeln. Insbesondere bei dem durch die zeitgenössische Theologie vermittelten Paulus und dessen vermeintlicher Dialektik vom Schon-und-doch-noch-nicht wird man dann fündig, aber nur, indem man es als eine ontologische Beschreibung der Welt versteht und nicht als eine Rhetorik, die sich gerade gegen die apokalyptischen Erwartungen wendet. Dem neopragmatischen Ansatz wird dagegen von dieser Art apokalyptisch ausgerichteter Sozialkritik z. B. Zynismus vorgeworfen, fetischisierter Widerstand zu sein, der das System nicht gefährde, sondern geradezu stabilisiere (Slavoj Zizek). In seiner gründlichen Studie über Alain Badiou und Slavoj Zizek schreibt Adrian Johnston: „As long as one continues to criticize capitalism (properly using the tried-and-true resources of a purely negative Marxism) during the indefinitely long period of waiting for the occurrence of the imposible Act-miracle, one is free to be a nonbeliever in the capitalist system, leaving believe to, among others, those naive adherents of the ,Third Way or ,radical democracy (perhaps playing the part of Zizeks ,subjects supposed to believe). Isnt there a genuine danger that this particular combination of Marx (qua critic of capitalism) and Lacan (qua theorist of the act) could itself serve as a theoretical fetish-object in Zizeks own precise sense, sustaining a version of the stance of ,I know full well, but nonetheless …?“259 Dass der politische Messianismus eine große Nähe zu dem theologischen Denken hat, das in Paulus den Begründer einer neuen Religion sieht, ist offensichtlich. Letztendlich sehen sich die Vertreter der Linken nicht selten auch in der Rolle eines Paulus, der dann natürlich selber vorher die Rolle des heroischen Intellektuellen angedichtet bekommen hat.260 258 Paul Veyne schreibt über diese Art zu denken: „Das Nicht-Gedachte ist ebensowenig das Ungedachte, wie das Nicht-Bewußte das Unbewußte ist. Die Entdeckung, die künftige Gelehrte und Revolutionäre machen, umschwebt uns nicht bereits in der Erwartung, daß wir sie endlich zur Sprache kommen lassen. (…) Die Menschheit sieht nicht weiter als bis zu ihrer Nasenspitze und schafft sich nur die Probleme, auf die sie stößt“ (Veyne 1988, S. 57). 259 Johnston, Adrian: Badiou, Zizek and Political Transformations. The Cadence of Change. Evanston 2009, S. 109 f. 260 In diesem Zusammenhang sei kurz auf das Auferweckungsverständnis von Stefan Alkier verwiesen (Alkier, Stefan: Die Realität der Auferweckung in, nach und mit den Schriften des Neuen Testaments, Tübingen 2009). Alkier versteht die Auferweckung analog zur creatio ex nihilo. Auch die Gemeinde sei aus dem Nichts erschaffen worden (S. 22). Alkier bezieht sich auf die kategoriale Semiotik von Charles Sander Peirce. Er unterscheidet zwischen drei Wirklichkeitsebenen, Objekt, Zeichen und Interpretand, bzw. zwischen der diesen Unterscheidungen jeweils entsprechenden Erst-, Zweit- und Drittheit. Das Sein der Objekte der Erstheit sei ohne Bezug auf anderes Sein, während in der Zweitheit die Wahrnehmung, in der Drittheit die Erschließung der Zusammenhänge hinzukämen. Alkier erläutert das am Beispiel eines vergessenen Traums: „Der geträumte Traum als solcher, vergessen, unerzählt uninterpretiert ist ein Phänomen der Erstheit“ (S. 207). Aber diese Metaphysik weiß nicht, was sie sagt. Ein nicht bemerktes Phänomen ist kein Phänomen. Wenn Auferstehung als Bezeichnung für ein Ereignis dient, das als Schöpfung aus dem Nichts aufgefasst wird, das in der Erstheit den Menschen betreffe, sogar betroffen mache, dann ist dieses Ereignis, sofern es der Mensch bemerkt, was das Ereignis aber strenggenommen keines der Erstheit mehr sein lässt, entgegen dem Beteuern Alkiers nichts weiter als ein psychisches Erlebnis, das metaphysisch überhöht wird. Die einen begründen mit dieser Metaphysik ihre politische Haltung, Alkier dagegen eine

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So sei hier noch einmal darauf hingewiesen, dass das paulinische Denken nicht apokalyptisch zu verstehen ist. Das zeigt schon seine bleibende Bindung an das Judentum und die Ablehnung der Vorstellung, es sei ein heiliger Rest übrig geblieben, der sich im Martyrium bewähren müsse. Alle haben gesündigt (Röm 3, 9 ff). Paulus steht dagegen in der prophetischen Tradition. Die Prophetie bezog sich nicht auf einen heiligen Rest, sondern forderte alle zur Umkehr auf, die fehlgegangen waren. Zudem steht die Apokalyptik vor einem logischen Problem: Wenn nämlich der heilige Rest selber vernichtet wird, indem er sich im Martyrium bewährt, wenn keine Richter oder anderen Retter wie Esther mehr auftreten, bleibt als letzter Ausweg nur die Vorstellung von der Auferstehung. Für die Evangelien ist dieser Rest auf einen Menschen zusammengeschmolzen, auf Jesus, dessen Weg zum Kreuz darum auch alternativlos ist. Diese Sicht des Lebens Jesu hat Paulus nicht. Für ihn ist, sofern von einem heiligen Rest überhaupt zu reden ist, der heilige Rest der auferstandene Christus in seiner Gemeinde, die ihn als Gekreuzigten im Hier und Jetzt verkündet, als ihren Herren anerkennt und damit von jeder Metaphysik befreit ist. Der heilige Rest hat sich zudem nicht abzusondern, sondern die Aufgabe, sich zu organisieren und immer mehr, schließlich alles zu werden, indem er die Anderen integriert. Es bedarf darum auch keines anderen Zeugnisses, also etwa eines Martyriums. Damit traut Paulus den Menschen, wie sie sind, alles zu, während die moderne politische Apokalyptik dem Menschen so wenig zutraut wie der schon angesprochene N. T. Wright, der darum die Auferstehungslehre der reformierten Orthodoxie nicht ohne Grund als „the proper seedbed of radical politics“261 versteht. Wer Paulus als Apokalyptiker betrachtet, entpolitisiert ihn, auch wenn er das Gegenteil behauptet. Michael Walzer hat drei Wege der Sozialkritik unterschieden, nämlich den der Entdeckung, den der Erfindung und den der Interpretation sozialer Prinzipien. Eigentlich seien aber alle drei Wege Formen der Interpretation, nur dass die ersten beiden Vorgehensweisen diesen Sachverhalt verschleierten.262 Der Weg der Interpretabestimmte Art der Seelsorge. Abgesehen davon entsteht die Lehre von der creatio ex nihilo erst in nachapostolischer Zeit in der Apologetik. Die Bibel kennt sie nicht. 261 Johnston, S. 23. 262 Walzer, Michael: Interpretation and Social Criticism. Harvard University Press 1985, S. 21. Wie sehr Badiou dem Typus des „Erfinders“ entspricht, wird in seinem Paulusbuch deutlich, wo er den, wie er es nennt, griechischen Diskurs, die Aneignung der Ordnung der Welt, vom jüdischen Diskurs, der die wundermäßige Ausnahme vom Ganzen thematisiere, unterscheidet: „Der Jude ist die Ausnahme vom Griechen“ (S. 55). Frage man einen Philosophen oder Propheten nach Zeichen, mache man sie zu seinen Herren. Das Bekenntnis verweigere sich aber der Logik der Herren: „Das Bekenntnis ist nämlich nicht durch die Leere (der Frage) affiziert, in der der Herr sich einquartiert. Von einem Mangel, der durch die Figur des Herren zu beheben wäre, bleibt der, der bekennt, unbetroffen. Darum kann er den Platz des Sohnes einnehmen. Ein Ereignis bekennen, heißt zum Sohn dieses Ereignisses werden. Das Sohnsein des Christus ist emblematisch dafür, dass das Bekennen des Ereignisses den Bekenner zum Sohn macht. Die Philosophie kennt nur Anhänger. Aber als Sohn ist ein Subjekt das Gegenteil eines Anhängers, denn es ist derjenige, dessen Leben beginnt“ (Badiou, Alain: Paulus a.a.O. S. 75). Hat Badiou nun Anhänger, oder sind seine Anhänger das Gegenteil von Anhängern? Dann wären sie seine Bekenner. Das ist eine eigentümliche Dialektik. Oder bekennt er stell-

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tion dagegen sei der prophetische Weg, wie er in der Bibel gegangen werde (mit der Ausnahme des Buches Jona, das Walzer aber darum gerade als eine Parodie auf die beiden zuerst genannten Wege begreift). „Philosophy is a second coming (lower case), which brings us not millenial understanding but the wisdom of the owl at dusk. There is, though, this alternative, which I find more frightening than attractive: the wisdom of the eagle at daybreak.“263 Dem ist noch hinzuzufügen, dass die Interpretation politische Aktion ist, Entdeckung und Erfindung dagegen exklusive Gemeindebildung. Was also in der sich revolutionär gebärdenden akademischen Linken formuliert wird, ist „a metapolitics purified to the point of being a politics-withoutpolitics.“264 Die messianisch denkende Linke gibt auf der Bühne einer sehr bourgeoisen Nachdenklichkeit den benjaminschen Engel der Geschichte, der, das Antlitz der Vergangenheit zugewandt, die Geschichte nur als eine Kette von Katastrophen betrachtet, „die unablässig Trümmer auf Trümmer häuft und sie ihm vor die Füße schleudert.“265 Ein Sturm weht für Benjamin vom Paradiese her, der sich in den ausgebreiteten Flügeln des Engels verfangen habe und ihn, auch wenn er verweilen und die Trümmer reparieren wolle, immer weiter treibe. Das ist ein sehr zutreffendes Bild einer sich der Politik verweigernden Intellektuellenszene, die nicht auf den Messias blickt, sondern ihn nur benötigt, damit er ihr den Rücken freihält. Paulus blickt aber auf den Messias, und nicht komplentativ auf die Geschichte. Und getrieben wird er nicht durch einen Wind, sondern einen Geist des Aufbaus, durch den Beruf, eine Interpretationsgemeinschaft zu organisieren. Die apokalyptisch argumentierende Linke kannn sich also weder auf Carl Schmitt noch auf Paulus berufen. vertretend für sie? Wie dem auch sei: So wie der Tod eine „Erfindung“ des Menschen sei, sei die Auferstehung die „Erfindung eines neuen Lebens durch den Menschen“ (S. 89). Aber dieses „neue Leben“ wird gerade nicht in der Kontinuität des Lebens gesehen. Die Sache geht nicht auf, sofern sie als creatio ex nihilo verstanden wird, und hat mit Paulus nichts zu tun. 263 Ebenda, S. 8. 264 Johnston, S. 17. Auch Prophetie kann spiritualistisch verstanden werden, wie etwa bei Wilhelm Schmidt-Biggemann: „Prophetien sind stets typologisch, denn sie sind darauf angewiesen, im Gegenwärtigen den Typus – und damit den Sinn – des Kommenden zu sehen, der den Propheten auf ausgezeichnete Weise innerlich offenbar ist“ (Schmidt-Biggemann, S. 523). Er urteilt dann über Paulus: Nachdem Jesaja die Weltgeschichte allererst als die Erwartung einer Endoffenbarung erkannt hatte, beschrieb Paulus die Weltgeschichte aus der Sicht seiner Christologie. Ihm war der Messias erschienen, ohne daß sich die Zeit schon vollendet hätte, und so teilte er die Weltgeschichte ein, in eine Epoche des Gesetzes und eine Epoche der Gnade, ohne doch der Geschichte ihre messianische Spannung zu nehmen. Die messianische Spannung wird in eine eschatologische umdefiniert“ (S. 523). Abgesehen davon aber, dass die revolutionären Linken in ihrer spiritualistisch verstandenen Prophetie eine merkwürdige Nähe zur reaktionären Rechten zeigen – Harald Bluhm verweist darauf, dass das ideengeschichtliche Denken von Leo Strauss unpolitische Politik sei, die Politik nur betrachte als das Streben nach der besten Ordnung, die einer philosophischen Elite eine vita contemplativa ermögliche, die wiederum der Poltik Orientierung zu vermitteln vermöge –, Paulus macht generell Schluss mit den metapysisch begründeten Dichotomien, auf die Schmidt-Biggemann verweist. Darum ist unter Berufung auf Paulus keine politische Theologie zu formulieren. 265 Benjamin, Walter: Theologisch-politisches Fragment, in ders: Illuminationen. Ausgewählte Schriften, Ffm 1961, S. 280.

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Andererseits wird das Politische bei Paulus aber auch verfehlt, wenn gegenüber Schmitts Verständnis des Politischen auf die Ausdifferenzierung des Politischen und des Religiösen als getrennten Bereichen, dem vorgeblichen Signum der Moderne, bestanden wird. Dieser Ansatz herrscht z. B. in dem von Eckhart Reinmuth herausgegebenen Sammelband über Die politischen Horizonte des Neuen Testaments vor.266 Dabei fällt es dann freilich schwer, das Politische bei Paulus überhaupt zu identifizieren. „Keiner der neutestamentlichen Texte wurde als politische Programmschrift oder als ein Manifest politischer Philosophie geschrieben. Diese Texte erlebten zwar eine Wirkungsgeschichte, die mit einer zur Herrschaft gelangenden Kirche verbunden war und ihnen entsprechende Begründungsleistungen abverlangte – sie selbst aber kann man zunächst durchaus als unpolitische Texte bezeichnen. Das eigentlich Politische der Texte wird erst sichtbar, wenn sie ihrer wirkungsgeschichtlich bedingten Machtposition entkleidet werden.“267 Was heißt das aber? Die Texte seien zwar unpolitisch, aber dann kann man sie nicht in einen politischen Kontext stellen, und der veröffentlichte Band über die politischen Horizonte wäre überflüssig. So wird ein „eigentlich“ Politisches eingeführt, das aber gerade in der Absehung von der Wirkungsgeschichte gefunden werden könne. Wie soll das verstanden werden? Unter der Voraussetzung der Anerkennung der Differenzierung zwischen dem Religiösen und dem Politischen kann das Politische nur über den Staat verstanden werden. Aber das Imperium Romanum war im modernen Sinne kein Staat. Im Sinne des Jus publicum europaeum, das dem Staat das Politische in der Tat als ausschließliche Kompetenz zuwies, gibt es auch heute überhaupt keinen Staat mehr. Das Politische, sofern man es über den Staat versteht, wird in einem Kontext gedacht, der weder für die Zeit des Neuen Testaments galt noch für unsere Zeit mehr gilt. Oft genug versucht man sich dann so zu helfen, dass Paulus als Vorläufer des modernen Staatsgedankens betrachtet wird, also „dass das Neue Testament den wesentlichen ideellen Impuls für die Unterscheidung und dann auch institutionelle Trennung von Politik und Religion gegeben“ habe.268 Dann wären die Schriften des Neuen Testaments ca. 1600 Jahre zu früh für eine kurze Periode von nur ca. 150 Jahren geschrieben worden, also grob gerechnet für die Zeit seit dem Ende des Dreißigjährigen Krieges bis zur amerikanischen Unabhängigkeit. Wenn Tine Stein dagegen behauptet, die neutestamentlichen Texte politiktheoretisch zu lesen, und zwar im Hinblick darauf, dass in diesen Texten „ein tiefes Wissen über die Grundbedingungen der menschlichen Existenz ausgedrückt“269 werde, dann muss einer betrübten Menschheit mitgeteilt werden, dass ihren Grundbedingungen, von denen sie wahrscheinlich nicht einmal weiß, seit dem Beginn der christlichen Verkündigung gerade einmal 150 Jahre lang genüge getan worden ist, und zwar in den Zeiten der lutherischen und reformierten Orthodoxie, und das auch nur in Westeuropa. Auch wenn sich hier auf Politiktheorie, die über 266

Siehe Reinmuth. Ebenda, S. 18. 268 Stein, Tine: Neues Testament, Politik und Recht. Versuch einer Beziehungsklärung aus politiktheoretischer Sicht, in: Reinmuth, S. 148. 269 Ebenda, S. 148. 267

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ein Wissen über die Grundbedingungen der menschlichen Existenz verfüge, berufen wird, es ist schlichte Metaphysik. J.G.A. Pocock und Quentin Skinner haben aufgezeigt, dass die politischen Ideen nicht unter der Prämisse verstanden werden können, als ob sie in einer Geschichte immer wieder aufgegriffen und in ihrer Bedeutung deutlicher bestimmt worden seien. Sie müssten vielmehr hinsichtlich ihrer Funktion betrachtet werden, die sie in den jeweils zeitgenössischen Diskursen gespielt hätten.270 Im eigentlichen Sinne gibt es dann aber keine politische Ideengeschichte: „It is rather that, as soon as we see that there is no determinate idea to which various writers contributed, but only a variety of statements made by a variety of different agents with a variety of different intentions, what we are seeing is that there is no history of the idea to be written. There is only a history of its various uses, and of the varying intentions with which it was used.“271 Jede Politiktheorie muss es sich also gefallen lassen, in das Licht jener Tradition gestellt zu werden, in der Pocock und Skinner stehen, jener Tradition sowohl des amerikanischen Pragmatismus als auch der Sprechakttheorie Austins, letztlich also der Sprachphilosophie Wittgensteins. Hier wird ein radikaler Nominalismus vertreten, der die Vorstellung ablehnt, Worte hätten jenseits der Konventionen eine Bedeutung, die sich an realen, nicht sprachlichen Sachverhalten ausweisen lasse. Entsprechend lässt sich kein neutraler Standpunkt einnehmen, von dem aus sich ein Diskurs beobachten ließe. Vielmehr ist jedes Beobachten immer auch ein Eingreifen in den Diskurs, auch wenn es sich um einen historischen Diskurs handelt, indem z. B. Diskursteilnehmer ausgeklammert werden bzw. unberücksichtigt bleiben. Der Kontext eröffnet einen Zugang zum Verständnis eines Diskurses, und nicht eine Politiktheorie, die sich selber nicht durchschaut. Wie sehr solche Politiktheorie den Zugang zum Verstehen versperrt, zeigt sich in einem Text von Oda Wischmeyer, wenn sie über Paulus schreibt: „Seine Kommunikation des euanglion hat imperiale Züge, ist im Kern aber weder politisch noch sozial, sondern eschatologisch gerichtet.“272 Aber im weiteren Verlauf heißt es dann: „Für Paulus waren die ekklesai theoffl und ihre Mitglieder eine neue Öffentlichkeit oder besser: Sie bildeten in den großen Städten einen neuen populus der jeweiligen Stadt, eine neue Gesellschaft mit neuer religiöser Identität und neuen sozialen Strukturen, die Vorhut der neuen Welt Gottes, so ,die Volksversammlung der Thessaloniker in Gott (1 Thes 1,1) oder ,die Volksversammlung Gottes, die sich in Korinth befindet (1 Kor 1,2).“273 Und schließlich heißt es: „Paulus selbst empfand die ungeheure Neuigkeit dieser Botschaft und ihrer Auswirkungen auf die einzelne Person und auf die politischen und gesellschaftlichen Bedingungen so deutlich, daß er die Metapher der Neuschöpfung (kain ktsis), von Luther mit ,neuer Kreatur übersetzt, prägte und die Kategorie der 270 Vgl. hierzu Llanque, Marcus: Politische Ideengeschichte. Ein Gewebe politischer Diskurse. München und Wien 2008. Llanque untersucht die politischen Ideen sowohl in ihrem diaals auch ihrem synchronen Kontext. 271 Skinner, Quentin: Visions of Politics, Vol. 1: Regarding Method. Cambridge 2002, S. 85. 272 Wischmeyer, Oda: Die paulinische Mission als religiöse und literarische Kommunikation, in: Graf, Friedrich Wilhelm (Hrsg.) a.a.O. S. 110. 273 Ebenda, S. 110 f.

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,Neuheit in die Beschreibung der christlichen Existenz einführte.“274 Den Schlüssen Wischmeyers ist inhaltlich durchaus zuzustimmen, aber was bleibt, liest man die letzten zwei Zitate, von der Behauptung übrig, die Botschaft des Paulus sei im Kern weder politisch noch sozial? Paulus kannte weder den Begriff des Politischen noch den des Sozialen in unserem heutigen Verständnis, und er hatte keinen Begriff von Religion. Und wir Heutigen haben zwar die Begriffe, aber damit keineswegs begriffen, was sie bedeuten. Auch unsere Begriffe gewinnen ihre Bedeutung aus ihrem jeweiligen Kontext heraus. Die Antike unterschied nicht zwischen Politik und Religion, vielmehr verkleideten sich die Interessen in Metaphysik und führten oft einen unversöhnlichen Kampf miteinander. Ist es heute etwa anders? Max Weber schrieb schon kurz nach dem Ersten Weltkrieg: „Die alten vielen Götter, entzaubert und daher in Gestalt unpersönlicher Mächte, entsteigen ihren Gräbern, streben nach Gewalt über unser Leben und beginnen untereinander wieder ihren ewigen Kampf“.275 Davor schaudert vielen. Es genügt aber nicht, davor die Augen zu verschließen. Die behauptete Unterscheidung von Politik und Religion unterschätzt die politische Sprengkraft der Metaphysik. Abgeschreckt davon, sich in das Kampfgetümmel zu begeben, beansprucht diese Art von Politiktheorie einen Beobachterplatz, der aber selber als eine metaphysische Position auch dem Urteilsspruch Carl Schmitts unterworfen ist, nämlich dass die Entscheidung darüber, was als politisch gilt und was nicht, eine politische Entscheidung darstellt. Dabei ist das Anliegen, das die Unterscheidung von Politik und Religion fordert, das gleiche wie das der neopragmatischen Hermeneutik, nämlich die Hegung von Konflikten, die Humanisierung ihrer Austragung. Aber diese Hegung setzt gerade nicht Metaphysik, sondern Befreiung von Metaphysik voraus. Es gilt also nicht nihil contra deum nisi deus ipse. Vielmehr gilt, dass der Herr, den Paulus verkündet, einer ist, der sich seiner Gottheit entäußert hat (Phil 2, 7). Das sollte alle, die Metaphysik betreiben und gar einen unpolitischen Bereich des Religiösen zu behaupten trachten, aufhorchen lassen. In der deutschen Forschung stößt man also, trotz des überwältigenden Einflusses von Carl Schmitt, entweder nicht bis zum Politischen durch oder verfehlt es. Man betrachtet die Texte des Neuen Testaments vom Standpunkt einer Theorie aus, also aus der Sicht eines neutralen Beobachters, dem unterstellt wird, er alleine könne dann auch das tiefe Wissen über die Grundbedingungen der menschlichen Existenz erfassen und entscheiden, ob die neutestamentliche Literatur politisch oder unpolitisch sei. Aber damit läuft man Carl Schmitt in die Falle. Man kommt also um Schmitt nicht herum. Vielleicht gelingt aber ein fruchtbarerer Umgang mit Carl Schmitt erst dann, wenn man ihn so versteht, wie Richard Rorty Heidegger verstehen will, d. h. wenn man ihn einmal so liest, dass er sich mit dem Denken von John Dewey, des führenden Denkers des amerikanischen Pragmatismus

274 275

Ebenda, S. 113. Weber, Max: Wissenschaft als Beruf. Dritte Auflage 1930, S. 28.

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im 20. Jahrhundert, vereinbaren lässt.276 Das heißt dann aber nicht, dass Schmitt und Dewey die gleichen politischen Ideale vertreten hätten. Es heißt lediglich, dass sie sich hinsichtlich der Natur des Politischen einig gewesen wären, und zwar darin, dass das Politische eben konventionelles Sein ist, mehr noch, dass es Kampf um das Verstehen alles konventionellen Seins ist.277 Wer auf der Seite der Rhetorik gegen die Metaphysik steht, wird die Behauptung, eine Position sei unpolitisch, nicht anerkennen. Die Frage, die die Schmittforschung umtreibt, was denn nun eigentlich das Politische bei Schmitt sei, stellte sich dann als eine sinnlose Frage heraus. Das Politische hat kein Sein jenseits des Gebrauchs des Begriffs des Politischen. Schmitt benutzt ihn für seinen Angriff auf ihm nicht genehme Metaphysik. Es geht ihm übrigens auch um die Hegung von Feindbeziehungen,278 zumindest vordergründig. Er nennt aber in seiner Aufzählung der Bereiche, die er vom Politischen unterscheidet, indem er die in ihnen spezifischen Unterscheidungen benennt (Moral, Ästhetik und Ökonomie), die Theologie nicht, weil sie für ihn schon von Hause aus po276

„The vacant place that remains when all metaphysical thinking has been destroyed is all we have. So whether the history of philosophy is viewed as Dewey views it (as working out of various causal processes in an intellectual ,superstructure) or as Heidegger views it (as the words of Being) does not seem to matter. For the vacant place remains for both. For Dewey, it is to be filled in with concrete attention to beings (…). For Heidegger, it is a clearing for Being. What is there to disagree about here? (…) Perhaps how one views it is a matter of which philosophers one has been reading lately, and of which jargon one fancies“ (Rorty, Richard: Overcoming the Tradition: Heidegger and Dewey, in: Guzzoni, Ute (Hrsg.): Nachdenken über Heidegger. Eine Bestandsaufnahme.Hildesheim 1980, S. 264 f.). Freilich grenzt Rorty Dewey und Heidegger im weiteren Verlauf doch noch von einander ab, denn Heidegger erwarte noch etwas, was nicht ohne Metaphysik antizipiert werden könne. „One way of bringing the difference to a point is to say that Dewey thinks of philosophy, as a discipline or even a distinct human activity, as obsolete. Heidegger, on the other hand, thinks of philosophy – of Thought as opposed to ontology – as something which might be recaptured“ (S. 267). 277 Auch wenn Bohlender Schmitt als einen Vertreter der Rhetorik betrachtet, sieht er ihn dennoch in die Metaphysik zurückfallen, wenn es ihm darum gehe, soziale Interessenvertretung zu tarnen: „Wo immer die Rhetorisierung das soziale Verhältnis von Sprecher, Sprache und Auditorium offen legt, reaktiviert Schmitt mit bedacht seine Politische Theologie – eine zutiefst monologische Rede, die das Rauschen des eigenen Diskurses zum Schweigen bringt und den Diskurs der anderen ausschließt, ausgrenzt und stigmatisiert“ (Bohlender, S. 229). Dieses Urteil trifft m. E. nicht zu. Gerade Schmitts Behauptung, die Theologie sei grundsätzlich politisch, begreift sie ja gerade als Rhetorik und nicht mehr als Metaphysik. Das muss Schmitt nicht unbedingt einsehen. Aber zu bedenken ist, dass Schmitt als römischem Katholiken nichts an der Theologie liegt, sondern alleine an der Kirche als einer geschichtlichen Größe, als einer Machtform. Schmitts politische Theologie ist ihm ein Kampfmittel gegen den Protestantismus. 278 Schmitt, Carl: Der Begriff des Politischen. Berlin 1979, S. 26 f. Die spezifisch politische Unterscheidung sei die zwischen Freund und Feind, während in der Moral zwischen gut und böse, in der Ästhetik zwischen schön und hässlich und in der Ökonomie zwischen effizient und nichteffizient unterschieden werde. Seltsamer Weise kommt Schmitt aber dann doch noch auf das Religiöse zu sprechen, aber an anderer Stelle: „Der Krieg als das extremste politische Mittel offenbart die jeder politischen Vorstellung zugrunde liegende Möglichkeit dieser Unterscheidung von Freund und Feind und ist deshalb nur so lange sinnvoll, als diese Unterscheidung in der Menschheit real vorhanden oder wenigstens real möglich ist. Dagegen wäre ein aus ,rein religiösen, ,rein moralischen, rein juristischen oder ,rein ökonomischen Motiven geführter Krieg sinnwidrig“ (S. 36; Herv. M. E.).

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litisch ist. Mit Schmitt wird man nicht fertig, wenn man die Unterscheidung von Theologie und Politik weiter krampfhaft hochhält, weil der Politikbegriff Schmitts den Politikbegriff solcher Politiktheorie unterläuft. Dieser Politikbegriff ist der Partisan im Arsenal seiner Begriffe. Aber Rorty kann das Politische durchaus auch wie Schmitt denken, freilich nicht im Kampf gegen eine bestimmte Metaphysik, sondern gegen alle Metaphysik. Er unterscheidet zwischen drei Strömungen des aktuellen liberalen Denkens: Die absolutistische Seite werde etwa von Ronald Dworkin vertreten, der den Begriff der ahistorischen Rechte des Menschen als unabdingbare Voraussetzung für eine freie Gesellschaft halte, während der Kommunitarismus davon ausgehe, dass die liberale Kultur das Scheitern ihrer metaphysischen Rechtfertigung über ahistorische Menschenrechte nicht überleben könne und auch nicht überleben dürfe. Die dritte Variante aber werde von Dewey und auch John Rawls vertreten: „Nach dieser Auffassung kann es sein, daß der Philosoph der liberalen Demokratie eine Theorie des menschlichen Ich aufstellen möchte, die mit den von ihm bewunderten Institutionen in Einklang steht. Doch damit rechtfertigt ein solcher Philosoph nicht diese Institutionen, indem er auf fundamentalere Prämissen Bezug nimmt, sondern er verfährt umgekehrt: Er stellt die Politik an den Anfang und stutzt die Philosophie dementsprechend zurecht.“279 Das ist die Sprache, die Carl Schmitt verstanden hätte, und die Melodie, mit der man ihn hätte zum Tanzen zwingen können. Sie wendet sich aber auch gegen das Verständnis Böckenfördes, der Staat habe Grundlagen, die er selber nicht zu garantieren vermöge. Die Republik will sich selbst, eine andere Voraussetzung hat sie nicht. Wenn nun auch in den USA in der Paulusforschung ein pragmatisches Interesse vorherrscht, das sich zwar in der Freiheit neopragmatischer Hermeneutik übt, realisiert sie diese Freiheit nicht ganz. Im Kontext der aktuellen Säkularisierungsdebatte auf der einen, der apokalyptischen linken Metaphysik auf der anderen Seite wird diese Unentschlossenheit zur Freiheit aber dazu führen, dass die Positionen von Wright und von Crossan von politischen Interessen in Anspruch genommen werden können, mit denen sie vielleicht nicht gemein sein wollen. Nur wer die Metaphysik verabschiedet, wer seine Argumentation also nicht mehr metaphysisch fundiert, ist frei davon, metaphysisch im Interesse einer Herrschaftslegitimierung vereinnahmt zu werden. Es wird freilich auch und gerade gegenüber der neopragmatischen Freiheit, zu der auch die angelsächsische Theologie, etwa die von Crossan, nicht gänzlich durchdringt, der Vorwurf des Relativismus gemacht. Aber wenn auch der Pragmatismus keine außerhalb der Konvention behaupteten Gründe mehr akzeptiert, ist damit nicht gesagt, dass gar nicht mehr begründet würde. Gerade hier ist Begründung nicht nur gefordert, sondern alleine möglich, während die Metaphysik nur verweist. Die Welt, die Wright als real versteht, also im Sinne von Searle als brute, so dass für ihn auch die Auferstehung ein brute fact sein muss, hat diesen Status der Begründungsbegründung nicht. Auch die Welt des Caesars beruht auf Anerkennung und 279 Rorty, Richard: Der Vorrang der Demokratie vor der Philosophie, in: Rorty, Richard: Solidarität oder Objektivität? Drei philosophische Essays. Stgt 1988, S. 87.

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ist nicht brute fact – abgesehen davon, dass auch die brute facts selber keine wären, wenn ihnen nicht Bedeutung beigemessen würde. So wenig, wie Searle zu Recht sagt, institutional facts ohne Bezug auf brute facts sein können, so wenig können brute facts ohne Bezug auf institutional facts sein. Die Unterscheidung zwischen brute facts und institutional facts ist selber ein institutional fact, oder sagen wir besser, ein Sprachakt. Was also Searle in seinem durchaus berechtigten Anliegen entgegengehalten werden muss, ist, dass seine Unterscheidung selber hermeneutisch eingeholt werden kann und eingeholt werden muss, und dass es dann zwischen Semantik und Konvention und Verstehenshintergrund zu unterscheiden gilt, nicht zwischen Sprache und Gegenstand oder Geschehen. Bezogen auf die neutestamentliche Verkündigung heißt das: Die Auferstehung erfolgt im Geflecht der institutional facts. Wird sie, wie bei Wright, und hier durchaus in politischer emanzipatorischer Absicht, als brute fact behauptet, hat das eine Bedeutung. Die Frage ist nur, ob man dann noch die Deutungshoheit über die Bedeutung der Auferstehungsbotschaft zu behaupten in der Lage ist, weil man die Konvention, die auch die Gegenposition zulässt, gerade mit der Behauptung, die Auferstehung sei ein brute fact, nicht in Frage stellt, sondern indirekt als möglich bestätigt. Von der neopragmatischen Hermeneutik dagegen eröffnen sich völlig andere Zugänge zum politischen Paulus. Und vielleicht ist es auch hilfreich, dass sich in den USA niemand bemüßigt fühlt, sich zuvor von Carl Schmitt abzugrenzen oder sich auf ihn zu berufen. Freilich lassen sich auch verschiedene Positionen von einender unterscheiden. Aber in ihrer Argumentation, das ist ihr gemeinsames Anliegen, beziehen sie sich auf den biblischen Text, und ihre Argumentation weist sich im Hinblick auf biblische Texte aus, nicht im Hinblick auf eine politische Theorie. Hier ist zunächst neben den schon erwähnten Horsley und Crossan Neil Elliott zu nennen.280 Elliott möchte Paulus aus der Vereinnahmung durch eine Politik der Herrschaftslegitimierung befreien und sieht ihn bei der Arbeit, eine Gegengesellschaft gegen das Imperium Romanum aufzubauen. Dabei versteht er Paulus nicht als einen systematisch arbeitenden Theologen, sondern unter Berufung auf J. Christiaan Beker als einen Rhetoriker: „If, with Beker, we recognize that ,Paul seems more interested in persuasion, emotional appeal and moral exhortation in his letters than in the academic pursuit of coherence and consistency of thought, we should adopt a method appropriate to the study of persuasion: rhetorical criticism.“281 Ebenso pragmatisch, aber inhaltlich völlig konträr, argumentiert Bruno Blumenfeld.282 Er verortet Paulus gar nicht mehr im Judentum, womit er sich auch gegen die New Perspective von Stendahl und Sanders wendet, sondern in der Tradition der klassischen griechi280 Elliott, Neil: Liberating Paul. The Justice of God and the Politics of the Apostle. 1994, sec. Ed. 2006. 281 Ebenda, S. 83 (Elliotts Hinweis auf Beker: Beker, J. Christiaan: The Method of Recasting Pauline Theology: The Coherence – Contingency Theme as Interpretive Model, in Kent H. Richards (ed.): Society of Biblical Literature 1986 Seminar Papers, Atlanta 1986, S. 597). 282 Blumenfeld, Bruno: The Political Paul. Justice, Democracy, and Kingship in a Hellenistic Framework. London 2001.

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schen Philosophie und der hellenistischen Populärphilosophie. „Hellenistic political philosophy retained from the Classical canon its theories about the polis, a concept that the Hellenistic thinkers employed slavishly but not in a sterile way, and its kingship theories, especially insofar as these show the transcendental foundation of monarchy and praise its merits. Paul has use for both concepts, the first within the Christian community, as a way of structuring and legitimizing it, and the second at the level of the empire, to accept and strengthen it.“283 Es ist überdeutlich, dass Blumenfeld Paulus durch die Brille der Apostelgeschichte liest. So wird aus einem Gegner der römischen Herrschaft gar ein ideologischer Wächter derselben: „Paul, in other words, is the ideological guardian of the processes and structures of imperial power. Pauls political objective was to make the empire endure, to ward off its decay by steeling it with a Christian ribband. Paul understood the political advantages of Christianity and used them to strengthen the Roman political system he admired and endorsed.“284 Blumenfeld sieht also Paulus gerade bei der Arbeit, die ich den Evangelien zuschreibe. Dabei hat er freilich auch die zentrale Problematik des Imperiums im Blick, nämlich den strukturellen Konflikt zwischen Erstem und Zweitem, den Paulus aber im Sinne des hellenistischen Philosophen Sthemidas auf folgende Weise habe lösen wollen: „God has eternal dominium, the king temporal command.“285 Was Blumenfeld freilich, trotz des Versuchs der Verortung des Paulus in der griechischen Populärphilosophie, nicht erkennt, ist, dass die Legitimitätsprobleme, die z. B. die Evangelien thematisieren, sich dem Herrscherhaus der julisch-claudischen Familie in der Zeit des Paulus so nicht stellten. Der Himmel der Caesaren bis Nero war voll, erst die Flavier hatten die Macht mit dem Schwert gewonnen und die Republik nicht wieder hergestellt, auch nicht mehr scheinbar. Ihr Himmel war leer, ihnen konnte beispielsweise die Philosophie eines Sthemidas keinen Ratschlag mehr geben, außer dem, besser abzutreten. Blumenfeld liest die politische Christologie der Evangelien in die paulinischen Briefe hinein. Er wertet zudem das Imperium Romanum als eine geschlossene, organisierte politische Einheit. Aber die war es nur von außen betrachtet. Paulus hatte die Innenperspektive. Was z. B. für einen Parther als ein mit sich identisch bleibendes Imperium erscheinen konnte, war für seine Bewohner ein von Bürgerkrieg bedrohtes, durch Bürgerkrieg malträtiertes Gemeinwesen, statt eines stabilen Reichs ein Aufeinanderfolgen von Imperien – Caesar, der die Republik zerstörte, dann Augustus, der seine Monarchie als Republik tarnte, was nicht dauerhaft gelang, und schließlich die Flavier, die das Kaisertum offen in die Militärdiktatur führten. Selbst während der Zeit der julisch-claudischen Dynastie herrschte Unsicherheit darüber, wem gegenüber man seine Loyalität zum Ausdruck bringen sollte. Es konnte beim Übergang der Herrschaft das Leben kosten oder in die Verbannung führen, wenn man sich plötzlich auf der falschen Seite wiederfand. Blumenfeld müsste schon deutlicher werden, welches Imperium er meint, das Paulus angeblich so bewundert habe. Ein abstraktes Imperium in dem Sinne, dass zwischen zwei Körpern des Kaisers hätte unterschieden 283 284 285

Ebenda, S. 33. Ebenda, S. 283. Ebenda, S. 256.

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werden können, gab es nicht, und Paulus hätte es auch nicht antizipieren können, etwa im Sinne unseres Reichsbegriffs, des britischen Empires oder der heutigen Supermacht USA. Selbst die Semantik des Imperiumsbegriffs war z. Z. des Paulus alles andere als deutlich und weit davon entfernt, politisch institutionalisiert zu sein. Meint also Blumenfeld das Imperium des Claudius, den Seneca nach dessen Tod in seiner Apokolokyntosis verspottete? Oder das des Nero, der Seneca in den Selbstmord trieb? Paulus schrieb über diese Imperien: „Es ist Friede (eirne) und Sicherheit (asphleia), dann kommt plötzliches Verderben (aiphdios lethros) über sie wie die Wehen über die schwangere Frau, und sie werden nicht entfliehen können“ (1. Thess 5, 3). Paulus aus dem Kontext zu befreien, in den Blumenfeld ihn stellt, ist darum ein berechtigtes Anliegen Elliotts. Aber es reicht nicht aus, Paulus alleine in Oppsition gegenüber der kaiserlichen Propaganda zu sehen. Seine Gegengesellschaft muss er nicht nur gegen die imperiale Öffentlichkeit, sondern auch gegen Gegner innerhalb der Jesusjüngerschaft durchsetzen und verteidigen. Wer Paulus in Opposition zur römischen Herrschaft sieht, darf ihn zudem nicht bzw. nicht ausschließlich im Kontext der augusteischen Propaganda zu verstehen suchen. Zur Zeit des Paulus war diese Kultur schon überlebt. Die Römer selber waren kritischer gegenüber der kaiserlichen Propaganda, als man das gemeinhin so annimmt. Es stehen sich nicht Paulus und die römische imperiale Propaganda der augusteischen Zeit gegenüber, und Paulus ist auch nicht eine weitere Stimme in einem vielstimmigen, durchaus atonal singenden Chor. Er lässt sich eben nicht auf Metaphysik ein und gehört zu einer Gruppe, die die kaiserliche Herrschaft weit gefährlicher herausfordert als die zeitgenössische Philosophie oder die imperiale Christologie aus Antiochien. Der Kontext seiner Gemeinden ist sein zeitgenössisches Theater, wie weiter unten gezeigt wird. Nicht nur die Christen lebten gefährlich. Ja es kann sogar angenommen werden, dass in der Zeit der julisch-claudischen Dynastie andere, dem Kaiserhaus sogar näher stehende Zeitgenossen, gefährlicher lebten als die Christen. Und die Hinrichtung der römischen Christen nach dem Brand Roms unter Nero war keine Christenverfolgung, vielmehr lautete die Anklage auf Brandstiftung (deren sich die Christen vielleicht sogar dadurch verdächtigt gemacht haben könnten, dass sie den Brand eschatologisch deuteten). In diesem Zusammenhang sei schon darauf hingewiesen, dass der Narr, den Paulus in den Korintherbriefen spielt, vor dem Hintergrund der Rolle des Seneca betrachtet werden kann, die jener im julisch-claudischen Kaiserhaus gespielt hat. Er, Seneca, der den Claudius als Trottel verspottete und nicht nur zum Erzieher des neuen Caesars Nero avancierte, sondern zu dessen maßgeblichen Berater, aber dennoch stürzte und in den Selbstmord getrieben wurde, zeigte in den Augen des Paulus nichts weiter an, als dass seine Weisheit Torheit war. Seneca war aber gerade kein Narr. Er hielt sich für weise, war aber eigentlich ein Trottel. Sein Schicksal gibt davon Zeugnis. Der Narr, den Paulus in den Korintherbriefen spielt, entlarvt nicht die Weisheit der Welt als Torheit – die hatte sich schon selber, nicht zuletzt in der Person Senecas, als Torheit entlarvt. Paulus sagt nichts Neues. Er stellt nur das, was viele dachten, und was sie übrigens im Theater

III. Der schwache Paulus

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hören und sehen konnten, weil es in der Rolle des Narren gesagt werden durfte, in den Kontext der Kreuzigung Jesu.

III. Der schwache Paulus Im Verlauf des Alten Testaments lernt Gott, was es mit der Macht auf sich hat. Er sichert sie durch einen ersten Bund mit Kain. Es folgen weitere Bundesschlüsse. Die Art und Weise, wie das Phänomen der Macht immer besser verstanden wird, erreicht ihren Abschluss in der paulinischen Theologie. Dieter Georgi verortet Paulus in der Tradition der jüdischen Weisheitstheologie. Schon die in nachexilischer Zeit entstandene Weisheitslehre habe in ihren verschiedenen Ausprägungen von Tempel und Königtum nichts mehr erwartet. So sei z. B. die ursprünglich monarchische Ausrichtung der alten vorexilischen, prophetischen Apokalyptik verloren gegangen. Im siebten Kapitel des Buches Daniel beugten sich alle Knie nicht einmal mehr vor Gott, sondern vor den Märtyrern. Die Kollektivierung der Ämter und der Macht, die sich in der jüdischen Weisheitslehre schon zeige, werde nun von Paulus radikalisiert: Paulus sehe sich „von seiner biblisch-jüdischen Tradition ebenso gedrängt wie vorbereitet, aus der Identifizierung des heiligen Gottes mit dem Verfluchten Rückfragen nach Gott selbst und seiner Ordnung zu stellen. Und mit dieser offenkundigen Selbstkorrumpierung Gottes und seiner Ordnung sind auch Gottes Autorität, Herrschaft und Macht, ja seine Souveränität, zur Disposition gestellt, und von Gott selbst dem kritischen Überdenken befohlen.“286 Das habe erhebliche Folgen für den Gottesbegriff: „(D)ie Einführung eines Gekreuzigten und damit nicht nur durch den Tod Verunreinigten, sondern sogar Verfluchten, in die himmlische Welt entheiligt die himmlische Welt. Daß das Kreuz Jesu nicht nur die Erde, sondern auch den Himmel verändert hat, ja der Himmel eigentlich kein Himmel mehr ist, buchstabiert Paulus dann in seinen Briefen aus.“287 So dürften nicht die Evangelien, sondern die Briefe des Paulus als die eigentliche, radikale Herausforderung des kaiserlichen Selbstverständnisses betrachtet werden, denn der Vergottung des Caesars stelle Paulus die Vermenschlichung Gottes gegenüber. Man kann sich das wie in einem Paternosteraufzug vorstellen: Auf der einen Seite fährt Gott nach unten, während auf der anderen Seite die Caesaren in einen leeren und bedeutungslosen Himmel aufsteigen.288 286 Georgi, Dieter: Gott auf den Kopf stellen. Überlegungen zu Tendenz und Kontext des Theokratiegedankens in paulinischer Praxis und Theologie, in: Taubes, Jacob: Religionstheorie und Politische Theologie B.3, München, Paderborn Wien und Zürich 1987, S. 160. 287 Ebenda, S. 161. 288 Hier wird Paulus radikaler verstanden, als er von vielen verstanden wird, die ihn im Umfeld von Richard A. Horsley zwar als politischen Theologen, aber damit eben noch als einen Theologen betrachten. Man nehme z. B. N. T. Wright: „Paul was not opposed to Caesars empire primarily because it was an empire, with all the unpleasant things we have learned to associate with that word, but because it was Caesars, and because Caesar was claiming divine

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C. Paulus

Der Machtdiskurs der Bibel gipfelt in der fundamentalen Erkenntnis des Paulus, dass Macht nicht von oben, sondern von unten her der Anerkennung bedarf, um Bestand haben zu können. Eine Anerkennung von oben ist demgegenüber nur Autosuggestion der vermeintlich Mächtigen, die sie zwangsläufig zu Fall bringt, wenn ihnen die Anerkennung von unten versagt wird. Auch der Gott Israels bedarf dieser Anerkennung und leistet sie selbst, indem er sich mit dem Unten nicht nur solidarisiert, sondern identifiziert, indem er sich also selber in die von oben so eingeschätzte Ohnmacht begibt, damit aber auch die vermeintlich Mächtigen mit keinem Regiment von oben mehr weder beauftragen will noch beauftragen kann. Die davididische Utopie hat ebenso ausgespielt wie die römische imperiale Theologie – und das richtet sich sowohl gegen jede Theologie als Herrschaftslegitimität als auch gegen jeden apokalyptischen Messianismus. Wer sich auf Gott beruft, kann sich nicht mehr auf einen höheren Auftrag berufen, er kann sich aber auch nicht mehr selber als höhergestellt betrachten, nicht einmal mehr als überhaupt beauftragt. Dieser radikalen Egalität korrespondiert eine radikale Inklusivität. Die Universalität der Botschaft Jesu und damit die Heidenmission verdanken sich nicht einem Auftrag des Auferstandenen, sondern schon dem Geschehen am Kreuz. Ein Auffahren in den Himmel ist in dieser Theologie denkunmöglich geworden. Es konterkarierte den Triumph des Kreuzes, das das Scheinbare aller Macht, die sich auf ein Oben beruft, aufgedeckt hat. Die Propaganda läuft ins Leere. Im eigentlichen Sinne ist Paulus kein Theologe, bei ihm löst sich die Theologie in Christologie auf, die sich aber gleichzeitig als Ekklesiologie, und diese umgekehrt wieder als Christologie abbilden lässt. Paulus wird von einer Theologie und erst recht einer Religionsphilosophie verfehlt, die die Gottesfrage als ein metaphysisches Problem versteht, mit der nach einem Unbedingten gefragt wird, das dem irdischen Dasein einen transzendenten oder zukünftigen Sinn zu verleihen vermag. Wer sich gedanklich in die Richtung eines solch unbedingten, absoluten Grundes oder einer kommenden Zukunft wendet, sieht nicht nur nichts, sondern hat zudem Paulus schon aus dem Blick verloren. Paulus lässt sich mit keinerlei Metaphysik versöhnen. Daraus lässt sich erklären, warum die paulinische Nüchternheit manch einen Suchenden auch abstößt. Die Briefe zeigen ja deutlich, mit wie viel attraktiveren Angeboten Paulus schon auf dem damaligen Markt der Möglichkeiten zu konkurrieren hatte. Für Paulus aber tragen diese Konzepte nicht. Dieter Georgis Verständnis des paulinischen Denkens korrespondiert mit dem schwachen Denken Gianni Vattimos. Die Schwächung starker Strukturen, so Vattimo, ziehe sich wie ein roter Faden durch die Seinsgeschichte und sei nichts anderes „als die Transkription der christlichen Lehre von der Menschwerdung des Gottessohnes“289. Hier zeige sich ein Erziehungsprozess Gottes an der Menschheit.290 Vattimo status and honors which belonged only to the one God“ (Wright, in Horsley 2000, S. 164). Aber vor dem Hintergrund dessen, was Georgi schreibt, kann es eigentlich auch keine Theologie mehr geben. 289 Vattimo (1997), S. 29.

III. Der schwache Paulus

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bezieht sich dabei ausgerechnet auf die Evangelien, aber sein eigentlicher Gewährsmann sollte Paulus sein. Vattimos Sicht ist übrigens schon bei Karl Barth im Blick, über dessen Verständnis der Neuzeit Dieter Schellong schreibt: „Gott hat sich selber säkularisiert, ja er ist, da die weltverändernde Tat sein Wesen ausmacht, seinem Wesen nach säkular. Wir haben ihn also nicht zu säkularisieren.“291 Vattimo verkennt also Karl Barth, wenn er urteilt, dass „(a)llen Analogien zum Trotz (…) daher der Sinn, in dem ich hier die Säkularisierung als einen positiven Entwicklungsweg des Christentums in der Geschichte verstehe, dem der dialektischen Theologen diametral entgegengesetzt (ist).“292 Vattimo liest Heidegger, Nietzsche und Hegel als Hermeneutiker und ist vielleicht darum verstört, dass Barth Heidegger, auf den sich Bultmann berief, als hermeneutische Möglichkeit für die Exegese ablehnte. Aber diese Ablehnung resultierte aus dem Missverständnis Barths heraus, Heidegger gehe es um Metaphysik. Hier wären noch einige Dialoge stellvertretend für die Protagonisten zu führen, um zu zeigen, dass die Fronten früherer Auseinandersetzungen auf Missverständnissen beruhen, die wohl zumeist daraus resultierten, dass die großen Geisteskämpfer sich gegenseitig herzlich wenig zur Kenntnis nahmen, und wenn, sich dann immer schon durch eine Brille, die ihnen das Lagerdenken ihrer Zeit aufgesetzt hatte, polemisch lasen. Barths Heideggerverständnis und Heideggers Barthverständnis war vor der gegenseitigen direkten Kenntnisnahme durch Vermittlung anderer geprägt293, und man fand dann beim Anderen nur das, was man suchte. Die Strategie des Paulus gegen die imperiale Anmaßung der eigentlich ohnmächtigen Macht war die Herstellung von Kommunikation, die Ausbildung einer Gegengesellschaft. Paulus war der Apostel, der sich auf das Meer begab, weil er es als Medium begriff, während die Offenbarung des Johannes erwartet, dass es am Ende kein Meer mehr geben wird (Offb 21, 1).294 Paulus nutzte dagegen die Seefahrt zum Auf290

Ebenda, S. 32. Schellong, Dieter: Karl Barth als Theologe der Neuzeit, in: Schellong, Dieter und Steck, Karl-Gerhard: Karl Barth und die Neuzeit. München 1973, S. 93. 292 Vattimo (1997) S. 46. 293 Vgl. hierzu Bultmann, Rudolf/Heidegger, Martin: Briefwechsel 1925 – 1975. Ffm und Tübingen 2009. Barths Bild von Heidegger ist wohl nicht nur von Bultmann, sondern wohl auch von seinem Bruder, dem Baseler Philosophen Heinrich Barth, geprägt worden. 294 Man beachte in diesem Zusammenhang auch die ambivalente Haltung Carl Schmitts gegenüber dem Meer, das er in seiner Bedeutung für das Rechtsdenken der (protestantischen) angelsächsischen Völker seinen eigenen (römisch-katholischen) kontinentaleuropäischen „Landtretern“ begreiflich zu machen versucht. Schmitt verabscheut letztlich die „Meerschäumer“, auch wenn er sie bewundert. Sie anerkennen keine Grenzen, keine Ordnung, weder im Recht noch in der Semantik (vgl. Schmitt, Carl: Land und Meer. Eine weltgeschichtliche Betrachtung. Köln-Lövenich 1981). Sie sind das, was Schmitt gerne wäre, aber nicht sein kann. Aus diesem Grunde sind sie seine Feinde, „seine eigene Frage in Gestalt“. Anders Hegel, der im § 247 seiner Rechtsphilosophie das Meer wie Schmitt so einschätzt, dass es keine Begrenzungen kenne, das aber anders bewertet, nämlich als ein die Menschen verbindendes Element: „Daß die Flüsse keine natürlichen Grenzen sind, für welche sie in neueren Zeiten haben sollen geltend gemacht werden, sondern sie und ebenso die Meere vielmehr die Menschen verbinden, daß es ein unrichtiger Gedanke ist, wenn Horaz sagt (Carm., I,3): – des abscidit / Prudens 291

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C. Paulus

bau eines oikoumeneweiten Netzwerkes. Jene, die ihm folgten, waren oft Menschen mit hoher Mobilität, die ihnen sowohl das Meer als auch der römische Straßenbau ermöglichte, vorzugsweise Händler und Seeleute, die die Offenbarung des Johannes wiederum verabscheut. Von ihnen und ihrer über Kommunikation hergestellten Öffentlichkeit drohte den Mächtigen und den Regimentern Gefahr – so wie das Internet es uns und mehr noch den Mächtigen etwa im heutigen Iran oder in China vor Augen führt. Herrschaft ist im wesentlichen Herrschaft über Kommunikation. Wenn sie zur Gewalt greift, hat sie schon verloren, weil sie Herrschaft über Kommunikation dann nur als Kontrolle über die Kommunikationsmittel durchsetzen kann. Über die Sprache selbst und die theologisch-politische Semantik verfügt sie nicht. Verfassungen sind nicht so sehr Texte als Machtstrukturen, und Verfassungsfragen sind in diesem Sinne Machtfragen.295 Die Gemeinschaft der Letzten ist darum nicht verfasst und darum auch nicht in den Griff zu bekommen, weil Sprache und Semantik nicht verfasst sind, bzw. nicht anders verfasst sind denn als Konvention. Darum ist die Gemeinschaft der Letzten aus der Sicht der Herrschaft (und damit auch der Wissenschaft) nicht begreifbar. Das Verdikt des Paulus über die Weisheit dieser Welt, die Torheit ist, schließt die politische Ideengeschichte, die sich etwa auf Leo Strauss beruft, und die politische Theorie oder die Politikwissenschaft usw. mit ein, und es ist für die Theologie ausgeschlossen, deren Terminologie zu übernehmen, ohne selber zur Torheit zu werden. Es ist sinnlos, die Verfasstheit der Gemeinde als dem auferstandenen Leib Christi mit Begriffen einer politischen Theorie begreifen zu wollen. Der Herr ist in seiner Kenosis souverän in seiner ekklesa, von daher kann sie nicht demokratisch verfasst sein, aber auch nicht monarchisch, timokratisch, usw. Muss sie überhaupt verfasst sein?296 Aber wie wäre dann nunmehr ihre Macht zu denken, wenn sie sich nicht in einer Verfassung ausdrücken lässt? Hannah Arendt, deren Machtverständnis sich durchaus mehr einer Identitätstheorie (etwa der Carl Schmitts) verdankt als einer dem Pluralismus verbundenen Konkurrenztheorie (z. B. der Ernst Fraenkels), greift hinsichtlich des Machtbegriffs zu kurz. Zwar wird die Macht der Mächtigen aus der Zustimmung der Gruppe abgeleitet, die sich einem Mächtigen unterwirft, aber diese Gruppe ist selber nicht frei, diese ZustimOceano dissociabili / Terras, – zeigen nicht nur die Bassins der Flüsse, die von einem Stamme oder Volke bewohnt werden, sondern auch z. B. die sonstigen Verhältnisse Griechenlands, Ioniens und Großgriechenlands (…) Welches Bildungsmittel aber in dem Zusammenhange mit dem Meere liegt, dafür vergleiche man das Verhältnis der Nationen, in welchen der Kunstfleiß aufgeblüht ist, zum Meere, mit denen, die sich die Schiffahrt untersagt (haben), und wie die Ägypter, die Inder, in sich verdumpft und in den fürchterlichsten und schmählichsten Aberglauben versunken sind; – und wie alle großen, in sich strebenden Nationen sich zum Meere drängen“ (Hegel 1955, S. 203). 295 Lassalle, Ferdinand: Über Verfassungswesen, in: Reden und Schriften. Köln 1987. Außerdem kann Lassalle noch als ein früher Vertreter der Sprechakttheorie betrachtet werden, denn in seinem zweiten Vortrag über Verfassungswesen heißt es: „Alle große politische Aktion besteht in dem Aussprechen dessen was ist, und beginnt damit“ (S. 173). 296 Blumenfeld hat den Begriff der doulocracy vorgeschlagen, aber auch hier findet sich noch das kraten wieder (vgl. Blumenfeld, S. 93).

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mung zu verweigern. Sie ist auch nicht frei, einfach auseinanderzugehen. Im ersten Jahr des Zweiten Weltkrieges stellte Martin Heidegger in Freiburg im Rahmen seiner Auseinandersetzung mit Nietzsche auch Betrachtungen über das Phänomen der Macht an, die durchaus paulinisch anmuten: „Wo immer wir noch die Macht in der Hand von Machtträgern sehen, ist es noch nicht die Macht selbst, die da getragen wird, sondern je ein von der Macht erzwungenes und bestimmtes ,Mittel der Machtermächtigung.“297 Die Macht hat bei Heidegger scheinbaren Subjektcharakter, wirkt hypostasiert. Das ist bei Paulus aber auch der Fall. Er spricht z. B. von den Mächten und Gewalten dieses Äons. Dabei ist es aber wichtig zu beachten, dass Paulus nur die Mächte dieser Welt hypostasiert, in der Vorstellung der Gemeinde als Leib Christi diesen, also Christus, aber eigentlich enthypostasiert. Die soziologische Enttarnung der Hypostasen und damit die soziologische Entmythologisierung können aber nicht gelingen, weil die Theorie mit ihrem scheinbaren Blick hinter die Kulissen selber Macht beansprucht und Handeln ermächtigen will. Das gilt selbstverständlich auch für jede Kritische Theorie.298 Sie ist selbst ein Machtmittel: „Alle Machthaber ,haben stets nur Machtmittel, machtentsprechende Einrichtungen des Seienden, die

297 Heidegger, Martin: Koinon. Aus der Geschichte des Seins. Gesamtausgabe B.69, Ffm 1998, S. 63. Ein passendes Beispiel dafür, wie die Macht den Machthaber hat und nicht umgekehrt, zeigt m. E. Martin Jehne an der Person Caesars auf, freilich etwas entgegen der Intention, die Jehne hat. Einerseits möchte Jehne die Handlungsspielräume aufzeigen, die Caesar trotz der Trends und Sachzwänge gehabt habe (Jehne, Martin: Der große Trend, der kleine Sachzwang und das handelnde Individuum. Caesars Entscheidungen.München 2009). So sieht er in Caesars Entscheidung, als noch junger Mann für das prestigeträchtige Amt des Pontifex maximus im Jahre 63 v. Chr. gegen zwei Altkonsulen anzutreten und die Wahl auch zu gewinnen, die Voraussetzung dafür, dass Caesar auch die sich anschließende Wahl zur Praetur gewonnen habe – allerdings wiederum nur um den Preis, sich in den führenden Kreisen in Rom dafür sehr unbeliebt gemacht zu haben. Jehne weist in diesem Zusammenhang aber auch darauf hin, dass Caesar alle diese Wahlen nur mit großem finanziellem Aufwand habe gewinnen können, und dass er sich dafür habe verschulden müssen. Die ständige Suche nach Einnahmequellen und die Notwendigkeit, ein Amtsträger zu sein, um in den Genuss der Immunität zu kommen, bestimmten in der Tat die Entscheidungen Caesars mehr als sein Wille. Entgegen seiner Absicht schildert Jehne Caesar also als einen Getriebenen, der die Alleinherrschaft gar nicht angestrebt habe, sondern zu ihr von den Umständen gezwungen worden sei. So schreibt er im Hinblick darauf, dass Caesar nach der gewonnen Schlacht bei Pharsalos Pompeius verfolgte, anstatt die angeschlagenen senatorischen Gegner in Griechenland militärisch zu stellen und zu vernichten, so dass diese die pompeianischen Truppen in Nordafrika verstärken konnten: „Um es auf den Punkt zu bringen: Der direkte Weg zur Monarchie führte über die Vernichtung der Pompeianer in Nordafrika, nicht über die Gefangennahme des Pompeius. Dass Caesar trotzdem hinter Pompeius hereilte, deutet meiner Ansicht nach darauf hin, dass ihm die Alleinherrschaft, die ihm der Bürgerkrieg am Ende faktisch bescherte, noch nicht als vordringliches Ziel vor Augen stand“ S. 111 f.). Er habe also den Ausgleich mit Pompeius gesucht. Wenn Jehne dann Caesar mit den anderen Feldherren vor ihm vergleicht, die sich nicht für den Bürgerkrieg entschieden hätten, verkennt er, dass jene nicht vor der Alternative Alles oder Nichts standen, während Caesar sich alleine auf seine Truppen verlassen konnte, die er aber darum unbedingt versorgen musste. 298 Während Herfried Münkler gerade den Mythos als „demokratisch-egalitär“ einschätzt (Münkler 2009, S. 22).

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selbst seiend. Sie ,haben nie die Macht, weil sie von ihr ,gehabt werden“299, und weiter: „Die Macht kann nicht ergriffen werden (in Besitz gebracht), weil wir nur von ihr besessen werden können.“300 So kann die Macht auch nicht einfach aus freiem Willen von einer Gruppe einem Mächtigen verliehen oder entzogen werden. Die Sache lässt sich nicht theoretisch, sondern nur theologisch, besser gesagt biblisch verstehen. Paulus hat sich wie kein anderer neutestamentlicher Autor um dieses Verstehen bemüht. Byung-Chul Han, der Macht und Freiheit zusammen denkt, schreibt, dass Macht nicht nur Freiheit für die Machtunterworfenen schaffe, die also aus freier Zustimmung folgten, sondern dass auch der Machthaber frei sein müsse: „Auch der Machthaber muß frei sein. Sähe er sich nämlich durch eine Sachlage gezwungen, eine bestimmte Entscheidung zu treffen, dann hätte nicht er, sondern, wenn überhaupt, die zwingende Sachlage die Macht.“301 Aber gerade so betrachtet es Heidegger, und auch ByungChul Han schränkt im weiteren Verlauf plötzlich seltsam ein: „Der Machthaber muß frei sein, um ein bestimmtes Verhalten wählen und durchsetzen zu können. Er muß zumindest in der Illusion handeln, daß seine Entscheidung tatsächlich seine Wahl ist, nämlich in der Illusion, daß er frei ist.“302 Diese Illusion entlarvt Paulus aber als eine solche, mehr noch, sie offenbart sich ihm im Licht des Kreuzes Jesu als eine Torheit – und jeder offenbart sich ihm als Tor, der der Macht diese Freiheit zuspricht. Byung-Chul Han traut seinem Argument immerhin selber nicht. Wenn Paulus also die Mächte dieser Welt als Hypostasen betrachtet, Christus aber gerade enthypostasiert, dann begreift er die Mächte dieser Welt als Gestalten, die vergehen. Von Christus aber, der sich selbst, und zwar in der Verkündigung des Apostels, als Gemeinde rekonstituiert, als Interpretationsgemeinschaft in Gegnerschaft zu jeder Hypostasierung (oder, wenn man so will, zur Metaphysik) immer wieder neu konstituiert, fällt dann ein Licht auf die jeweilige Situation, das die Weisheit ihrer Protagonisten als Torheit entlarvt, sofern diese Weisheit sich metaphysisch zu legitimieren versucht. Die Interpretationsgemeinschaft der paulinischen Gemeinden hat als Verfassung nichts als die Freiheit, und als Auftrag nichts anderes als die Bewahrung der Freiheit. Sie hat keine Gestalt. Sie wird in dieser Verfassung der Nichtverfasstheit z. B. für Carl Schmitt, der den Feind nicht ohne Gestalt denken kann, nicht mehr fassbar. Die Kirche ist für Schmitt eine juristische Person, sie hat eine juridische Form.303 Der Protestantismus dagegen wird von Schmitt im eigentlichen Sinn dann gar nicht als Kirche verstanden, sondern als Rhetorik, als ein der Kirche in ihrem Inneren wirkender Feind. Damit versteht er ihn völlig richtig. Er ließe sich aber erst eliminieren, wenn auch Paulus aus dem neutestamentlichen Kanon ausgeschlossen würde. Darum soll im Folgenden am Beispiel des Ersten Korintherbriefes gezeigt werden, wie Paulus rhetorisch arbeitet und insbesondere die antiochenische Behauptung der Auferstehung Jesu für seine Zwecke benutzt. 299 300 301 302 303

Heidegger, S. 64. Ebenda, S. 63 f. Byung-Chul Han, S. 18 f. Ebenda, S. 19. Schmitt, Carl: Römischer Katholizismus und politische Form. Stuttgart 1984.

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Paulus gibt im dritten Kapitel des Ersten Korintherbriefs einen kleinen Einblick in seine Rhetorik: „Doch ich, liebe Brüder und Schwestern, konnte nicht zu euch sprechen wie zu Menschen, die aus dem Geist leben, sondern musste zu euch sprechen wie zu solchen, die auf das Irdische beschränkt sind, mit in Christus noch unmündigen Kindern. Milch gab ich euch zu trinken, nicht feste Speise; denn die konntet ihr noch nicht vertragen. Ja, ihr könnt es noch immer nicht“ (1. Kor 3, 1 f). Die Gemeinde in Korinth ist in mehrere Parteien zerfallen, ihre Einheit steht auf dem Spiel. In der Gemeinde gibt es wohlhabende, aber auch arme Mitglieder. Auch Unterschiede im Bildungsstand rufen Spannungen hervor. In der Gemeinde wird aber auch darüber gestritten, wie der Situation begegnet werden soll. Es geht also um Verfassungsfragen. Hier muss Paulus auf der Hut sein, denn in einer solchen Situation der drohenden Auflösung erscheint die Etablierung einer Hierarchie oft als letzter Ausweg. Und in der Tat haben sich in Korinth dann auch Apostel von anderswo angeboten, der Gemeinde eine neue Identität zu vermitteln. Darum geht Paulus die Wurzeln an, aus denen seines Erachtens die Probleme in Korinth erwachsen. Er wird also ab jetzt Klartext reden: „Als ich ein Kind war, redete ich wie ein Kind, dachte wie ein Kind, überlegte wie ein Kind; als ich aber erwachsen war, hatte ich das Wesen des Kindes abgelegt“ (1. Kor 13, 11).304 Die Kapitel zwölf, dreizehn, vierzehn und fünfzehn bilden eine rhetorische Einheit. Die Kapitel zuvor bereiten auf diesen zweiten Teil des Briefes vor. Kapitel zwölf entwickelt das Bild von der Gemeinde als dem Leib Christi, dessen Leben im Kapitel dreizehn als Liebe geschildert wird. Dem schließt sich das Kapitel vierzehn an, in dem Paulus an den Verstand seiner Korinther appelliert. Das bereitet alles auf das Auferstehungskapitel vor, wo mit Verstand über die Auferstehung als Liebe geredet wird, die den Leib Christi aufbaut. So werden die Kapitel dreizehn und vierzehn durch die Kapitel zwölf und fünfzehn umklammert und bilden ihren Kontext, aus dem heraus sie verstanden werden sollen. Es handelt sich um zwei Ermahnungen an zwei Gruppen, die sich in Korinth gegenüberstehen, nämlich einmal an jene, die sich auf Grund ihrer Bildung brüsten, und zum anderen an jene, die dieser Bildung nichts als Zungenreden entgegenzusetzen wissen.305 Im zwölften Kapitel betont Paulus die Egalität der Gnadengaben, um dann im dreizehnten Kapitel die Liebe über alle Gnadengaben zu stellen: „Und wenn ich die Gabe prophetischer Rede habe (en cho prophetean) und alle Geheimnisse kenne (eid t mystria pnta)und alle Erkenntnis (tn gnsi) besitze und wenn ich allen Glauben (psan tn pstin) habe, Berge zu versetzen, aber keine Liebe habe, so bin ich nichts“ (1. Kor 13, 2). Verweist das nicht auf Rorty und Vattimo, also bestätigt das nicht ihr Insistieren darauf, dass die Liebe an die Stelle der Metaphysik zu treten habe? Im Kapitel vierzehn des Ersten Korintherbriefes ist aber von der Liebe plötzlich so nicht 304 Das ist eine m. E. sprachlich nicht geglückte Übersetzung. In der älteren Zürcher Bibel von 1930 heißt es: „als ich ein Mann wurde, tat ich ab, was kindisch war“. 305 „To him (Paulus; Anm. M.E.), glossolalia is the gift that fits into his experience of weakness“ (Stendahl, Krister: Glossolalia – The New Testament Evidence, in: Stendahl (1976) S. 111).

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mehr die Rede. Hieß es gerade noch, ohne die Liebe sei das prophetefflein nichts, schreibt Paulus gleich zu Beginn des vierzehnten Kapitels, aber nun an die gerichtet, die sich des Zungenredens befleißigen: „Bleibt auf dem Weg der Liebe! Strebt (zelofflte) nach den Geistesgaben, vor allem aber danach, prophetisch zu reden (mllon prophetefflete)“ (1. Kor 14, 1). Die Gebildeten ermahnt Paulus zur Liebe, aber er kann, wenn der Kontext sich ändert, wenn er also zu denen spricht, die bisher recht lieblos abgefertigt worden sind, die Gewichtung nahezu umkehren und das verständige Reden denen zur Hauptaufgabe machen, die auf die Liebe angewiesen sind. Egalität bedeutet nicht Uniformität, schon gar nicht eine Uniformität, die es jedem gestattete, sich in sein privates Glaubensverständnis zurückzuziehen. Es ist im zwölften Kapitel des Ersten Korintherbriefs zwar zugegeben worden, dass verschiedene Charismata in der Gemeinde wirken, aber die seien trotzdem und sehr wohl unterschiedlich zu gewichten, und zwar, wie Kapitel dreizehn und Kapitel vierzehn zeigen, je nach dem Kontext. Was die Zungenrede war, ist wohl nicht mehr zu rekonstruieren, aber Paulus lässt sie nur zu. Sie soll auf keinen Fall überhand nehmen. Zwei oder drei sollen der Reihe nach in Zungen reden, einer soll auslegen (v. 27). Ohne Auslegung soll keine Zungenrede sein. Das, was im Mittelpunkt steht, ist das Wort oikodomo: „Wer in Zungen redet, baut sich selbst auf; wer aber prophetisch redet, baut die Gemeinde auf“ (v. 4). Paulus rechtfertigt die Zungenrede ohnehin nur im Hinblick auf Jes 28, 11: „Ja, mit Unverständlichem von der Lippe und in fremder Zunge wird er zu diesem Volk sprechen“. Die besondere Wertschätzung der prophetischen Rede dagegen unterstreicht noch den egalitären Charakter und den politischen Anspruch der Gemeinde gegenüber den Mächten der Welt. „Darum bete, wer in Zungen redet, dass er es auch übersetzen kann. Denn wenn ich in Zungen bete, so betet zwar mein Geist (t pnefflma mou prosefflchetai), mein Verstand aber bleibt ohne Frucht (ho d noffls mou karpos estin). Was folgt daraus? Ich will im Geist beten, ich will aber auch mit dem Verstand beten; ich will im Geist lobsingen, ich will aber auch mit dem Verstand lobsingen. Denn wenn du den Lobpreis sprichst im Geist, wie soll dann, wer als Fremder dazustösst, auf dein Dankgebet das Amen sprechen? Er versteht ja nicht, was du sagst. Denn du magst zwar ein schönes Dankgebet sprechen, doch der andre wird nicht aufgebaut. Ich danke Gott, dass ich mehr als ihr alle in Zungen rede; aber in der Gemeinde will ich lieber fünf Worte mit meinem Verstand sagen als tausend Worte in Zungen“ (vv. 13 – 19). Paulus schließt diese Ermahnung mit dem Appell: „Liebe Brüder und Schwestern, seid nicht Kinder, wo es um Einsicht (m paida gnesthe tas phresn) geht. Seid unbedarft, wo es um Bosheit geht, in der Einsicht aber seid vollkommen“ (v. 20). Anschließend erwähnt er das Jesajazitat und deutet so die Zungenrede als Zeichen nicht für die Gläubigen, sondern für die Ungläubigen. Was hier geschieht, ist geschickte Rhetorik. Paulus holt seine Leser dort ab, wo sie sind, nämlich in der Wertschätzung der Zungenrede. Zu Beginn seiner Ausführung scheint es, er lasse sie zu, aber zum Ende hin wird deutlich, dass er sie gerade nicht für vertretbar hält. Er redet mit Verstand prophetisch über die prophetische Bedeutung der Zungenrede, jenseits der sie keine Bedeutung hat, nur Ärgernis ist und der frommen Isolierung dient. Die Aufgabe der Gemeinde aber ist die Öffentlichkeit. Die Begabung der Prophetie ist

IV. Auferstehung der Toten und Präsenz des Auferstandenen

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Gabe der ganzen Gemeinde. Sie ist egalitäres Charisma, ist verliehen, und ihre Träger müssen sich vor dem Gerichtshof der Vernunft, den die eschatologische Gemeinde zu bilden berufen ist, bewähren. Und darum ist ihre Verfassung, besser gesagt ihre eschatologische Verfassung, keinem anderen Gesetz mehr unterworfen als dem Gesetz Christi, und das ist die Egalität der Vernunft, die in die Übereinkunft ruft, die aber Liebe und Geduld von Seiten der Gebildeten erfordert, die ihre Bildung als Gnadengabe zu verstehen haben. „Ihr könnt doch alle, einer nach dem anderen, prophetisch reden, damit alle etwas lernen und alle Zuspruch erfahren“ (v. 31).

IV. Die Auferstehung der Toten und die Präsenz des Auferstandenen Paulus entwickelte seine Sicht der Auferstehung im fünfzehnten Kapitel des Ersten Korintherbriefs. Er befand sich in Korinth in Konflikten mit einer ganzen Reihe von Gegnern. In der Forschung herrscht darüber weitgehend Einigkeit, dass er es einmal mit judaistischen Gegnern zu tun gehabt habe, auf der anderen Seite aber auch mit Pneumatikern, die sich auf Grund der Vorstellung einer mystischen Identität mit dem Auferstandenen der Welt als enthoben betrachtetet hätten. Das hätten sie durch Libertinage zum Ausdruck gebracht, in dem Glauben, ihnen sei alles erlaubt. Dagegen habe Paulus Stellung beziehen müssen, aber ohne in das andere Extrem einer Gesetzestreue fallen zu dürfen, die seine ganze Gemeindekonzeption in Frage gestellt hätte. „Alles ist mir erlaubt, aber nicht alles ist zuträglich. Alles ist mir erlaubt, aber nichts soll Macht über mich haben“ (1. Kor 6, 12). So sieht Dieter Georgi in 1. Kor 15 den Versuch des Paulus, die Einheit der Gemeinden und damit seiner Gemeinden mit der Jerusalemer Gemeinde zu sichern, weil die Gemeinden ohne die Bindung an das historische Geschehen in Jerusalem und damit an die Jerusalemer Gemeinde nur zu weiteren Gruppen innerhalb der vielfältigen hellenistischen Mysterienkulte degeneriert wären. Man kann das Bemühen um die Anbindung an die Jerusalemer Gemeinde durchaus auch so verstehen, dass sie die Verwurzelung in der jüdischen Tradition sichtbar werden ließ. Georgi fährt fort: „Schließlich weist Paulus im fünfzehnten Kapitel den Korinthern nach, daß sie die Tradition im Grunde nicht begriffen haben, obgleich sie meinten, diese sich geradezu einverleibt zu haben. Aber sie verstanden nicht, daß die ersten Zeugen der Erscheinungen des Auferstandenen kein mystisches Identitätserlebnis gehabt hatten, sondern einem Herrn begegnet waren, einem souveränen Gegenüber also, das sie in seinen Dienst nahm. Die Korinther begriffen nicht, daß dieser Herr auch in Wort und Sakrament ebenso souveränes Gegenüber war. Sie wollten erst recht nichts davon wissen, daß dieser Herr auch in Zukunft souveränes Gegenüber bleiben würde. Die Auferstehung des Leibes leugneten die Korinther, weil für sie – wohl auf Grund einer symbolischen Deutung der Tradition von der Auferstehung Jesu – christliche Existenz sich in einem mystischen Identitätserlebnis hier und jetzt verwirklichte und vollendete. Das bedeutete Aufhebung jedes Gegenübers, jeder Begegnung, jeder räumlichen und vor allem zeitlichen Distanz und jeder

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Erstreckung in solchen Distanzen.“306 Die zeitliche Dimension in die Zukunft konnte nur in der Vergangenheit, im historischen Wirken Jesu, verankert werden, die räumliche Ausbreitung der Mission musste entsprechend von Jerusalem ausgehen und mit Jerusalem verbunden bleiben. Allerdings hat Paulus die leibliche Auferstehungsvorstellung dann doch modifiziert und anders verstanden, als es in der petrinischen Tradition üblich wurde, die auch nicht in Jerusalem, sondern im syrischen Antiochien ihren Ursprung hatte. Denn der Anerkennung der imperialen Tradition versagt er sich. So schreibt auch Martin Hengel in Bezug auf die Gegner des Paulus in Korinth und ihre Verkündigung: „Man könnte sich fragen, ob es nicht eine stärker ,synoptische Form der neuen Botschaft war, die Jesu Lehre und Wunder mehr in den Mittelpunkt stellte.“307 Darum wird 1. Kor 15 im Folgenden im unmittelbaren Zusammenhang mit den Kapiteln 1. Kor 12, 13 und 14 gesehen. Der auferstandene Christus ist der in 1. Kor 12 angesprochene Leib Christi, den die Gemeinde bildet, dessen Verfassung die Liebe ist (Kapitel 13). Das bis dahin Gesagte wird dann in Kapitel 14 als verständige Rede zunächst gegenüber der Zungerede abgegrenzt, schließlich aber auch gegenüber der antiochenischen Auferstehungsvorstellung, die Paulus in Kapitel 15 referiert. Hintergrund ist aber die Ablehnung einer petrinischen bzw. antiochenischen Verfassung, die für die paulinischen Gemeinden eine Versuchung darstellte, weil wohl einige glaubten, nur über eine solche hierarchisierte Verfassung der Konflikte innerhalb der Gemeinden Herr werden zu können. Diese Gruppe halte ich für die dritte Gruppe, mit der Paulus im Konflikt stand, und mit der er den Hauptstreit führte, weil sie das Grundverständnis von Gemeinde, das Paulus hatte, weit stärker in Frage stellte als die beiden zuerst genannten Gruppen, also die Judaisten und die Pneumatiker. Das Auftreten der antiochenischen Apostel bildete wohl den Anlass, die egalitäre Verfassung der paulinischen Gemeinden in Frage zu stellen. In der Verkündigung, die sich auf die petrinische Tradition in Antiochia stützte, bot sich zudem für einige Gemeindeglieder eine Möglichkeit, den Widerstand gegen die Anmaßung der kaiserlichen Macht so zu organisieren, dass die Gemeinden auch für einflussreiche Römer, die die kaiserliche Allmacht nicht ertrugen, attraktiv wurde. Die Kirche entstand nicht gegen Rom oder gegen die kaiserliche Macht, vielmehr entstand und entwickelte sich beides synchron, und das ist kein Zufall. Das paulinische Konzept drohte also schon von Anfang an unterzugehen. Dass es immer wieder, freilich immer auch modifiziert, aufgegriffen worden ist, hat seine Ursache darin, das es in der Tradition des schwachen Denkens steht, die sich aber nicht selbst über Inhalte tradiert, sondern nur über ihre Methode der Destruktion von Metaphysik. Daraus resultiert letztendlich die Glaubenszuversicht des Paulus. In den paulinischen Gemeinden sollte es anders zugehen als in Antiochien. Hierarchie ist für Paulus die Gestalt dieser Welt, die auf die Weisheit dieser Welt angewiesen ist, die im Lichte des Kreuzes Christi Torheit ist. Darum vergeht die Gestalt dieser 306 307

Georgi (1964), S. 38 f. Hengel, S. 117.

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Welt. Warum sollten sich dann die Gemeinden die Gestalt dieser Welt aneignen? Um zu vergehen? Darum sollen die Letzten keine Ersten sein oder werden, sondern sie werden Letzte zu bleiben haben. In 1. Kor 4, 8 ff bemerkt Paulus voll Spott über die Gemeinde in Korinth: „Ihr seid schon satt geworden, ihr seid schon reich geworden, ohne uns habt ihr die Herrschaft angetreten. Ja, hättet ihr sie doch angetreten, damit auch wir herrschen könnten mit euch! Ich meine nämlich: Gott hat uns Apostel als die Letzten hingestellt (ho thes hems toffls apostlous eschtous apdeixen), wie zum Tode Verurteilte; zu einem Schauspiel sind wir geworden für die Welt, für Engel und Menschen. Wir sind töricht um Christi willen, ihr dagegen seid klug in Christus; wir sind schwach, ihr seid stark; ihr seid angesehen, wir sind verachtet“. Wen meint Paulus hier mit den Aposteln? Sind seine Gegner mit eingeschlossen? Sicher, aber polemisch. Mit dem Plural meint Paulus den Apostel als solchen, dem seine Gegner aber eben nicht entsprechen – und damit nicht Christus! Diese apostolische Selbsteinschätzung entspricht gerade nicht der herrschaftlichen Ethik der Stoa, die für die römische Bildungsschicht so attraktiv war, dass selbst die Kaiser sich auf sie beriefen. Denn hier zeigt sich nicht Mitleid mit einem, der man nicht selber ist, dessen Elend man nicht teilt, sondern hier vollzieht sich eine Kenosis, deren Haltung nicht clementia sein kann, sondern agpe. Das berühmte Hohe Lied der Liebe in 1. Kor 13 stellt der Gemeinde die für die Vornehmen attraktiv sein will, vor Augen, welcher Gehorsam von ihr gefordert ist. Es eignet sich darum nicht für Predigten anlässlich von Eheschließungen.308 Es entbehrt jeglicher Sentimentalität, auch wenn es auf den ersten Blick anders scheint. Es ist keine Beschreibung idealer ehelicher Liebe, es ist vielmehr ein Angriff auf die Aufgeblasenheit einer Hierarchie, die auf Unterschieden besteht. Der Kontext dieser Preisung der Liebe ist die herrschaftliche Ethik der Stoa: „Die Liebe hat den langen Atem, gütig ist die Liebe, sie eifert nicht. Die Liebe prahlt nicht, sie bläht sich nicht auf, sie ist nicht taktlos, sie sucht nicht das ihre, sie lässt sich nicht zum Zorn reizen, sie rechnet das Böse nicht an, sie freut sich nicht über das Unrecht, sie freut sich mit der Wahrheit. Sie trägt alles, sie glaubt alles, sie hofft alles, sie erduldet alles.“ (1. Kor 13, 4 ff). Der sich anschließende Vers ist dann schon auf das Auferstehungskapitel 1. Kor 15 zu beziehen: „Die Liebe vergeht niemals“ (1. Kor 13, 8). Karl Barth bemerkt dazu: „Liebe ist eben, um das Doppelseitige in ein Wort zusammenzufassen, das Lebenselement der Gemeinde Christi, das was sie als solche konstituiert: die Hingabe des vereinzelten Menschen, durch die er aufhört ein solcher zu sein, man darf wohl geradezu sagen: der Tod, den er als solcher stirbt, die totale Aufhebung, die er als solcher erfährt, und dann: seine Auferstehung, jetzt nicht mehr als Vereinzelter, sondern als Einer im Dienst seines Herrn.“309

308

Vgl. Stendhal (2001), S. 91. Barth (1935), S. 47. Im Zusammenhang mit 1. Kor. 12, 12 – 31 und Röm 12, 4 f, wo Paulus die Vorstellung von der Gemeinde als Leib Christi erwähnt, ist noch einmal auf Seneca zu verweisen, wie er Nero als die Seele der res publica bezeichnet: „Nam si, quod adhuc colligitur animus rei p. tute es, illa corpus tuum, uides, ut puto, quam necessaria sit clementi – Denn wenn, was bislang gefolgert wird, du wirklich die Seele des Staates bist, der Staat aber 309

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Freilich, auch Barth betrachtet die Liebe hier als ein Prinzip, nämlich als das der Selbstaufgabe. Auch Barth dekontextualisiert und kommt damit dem Bultmannschen Verständnis der Liebe als christlichem Leben in der Zuständlichkeit dieser Welt verdächtig nahe. Der Begriff der Liebe ist aber für Paulus kein Prinzip, vielmehr ist er in der Situation, in der ihm eine Gemeinde verloren zu gehen droht, eine Waffe des Angriffs gegen die stoische Ethik, die Hierarchien nicht in Frage stellt, sondern auf sie verpflichten will. Wenn auch nun Paulus aus bestimmten Gründen die in Antiochien vertretene Vorstellung von der Auferstehung übernimmt, und zwar weil von Antiochien aus die Öffnung der Gemeinschaft der Jesusjünger sich gegenüber den Heiden ermöglicht hat, nicht von Jerusalem aus, so modifiziert er sie doch. Sein Christus ist nicht im Himmel, sondern in der Welt, und seine, Christi Gemeinden sind sein Leib (1. Kor 12, 12 – 31) und brauchen keinen Hirten, der sie weidet. In 1. Kor 9 geht Paulus auf die Verhältnisse anderswo ein und fragt die Adressaten: „Haben wir nicht das Recht zu essen und zu trinken? Haben wir etwa nicht das Recht, eine Schwester als Ehefrau bei uns zu haben, wie die übrigen Apostel und die Brüder des Herrn und Kefas? (…) Im Gesetz des Mose nämlich steht geschrieben: ,Du sollst dem Ochsen, der drischt, das Maul nicht zubinden. Geht es Gott etwa um die Ochsen? Oder spricht er nicht allenthalben um unsertwillen?“ (1. Kor 9, 4 ff.) „Ich aber habe nichts von alledem in Anspruch genommen“ (1. Kor 9, 15). Das ist hier nicht Selbstlob in der Bescheidenheit, sondern Kirchenpolitik. Entsprechend ihrer egalitären Verfassung ist die Gemeinde auch die Trägerin der Charismata, die die einzelnen zum Dienst in der Gemeinde empfangen (1. Kor 12, 1 ff). Das an sich schon demokratische Verständnis von charismatischer Herrschaft wird von Paulus radikal egalisiert. Es fällt dabei auf, dass der der Antike doch durchaus geläufige Begriff der Demokratie weder bei Paulus noch im Neuen Testament überhaupt fällt. Es wird aber auch selten erwähnt und gewürdigt, dass die in den Evangelien oben schon angesprochene Schilderung der Szene, wie die Menge Pilatus unter Druck setzt, Jesus kreuzigen zu lassen, ein demokratisches Verfahren par excellence zur Darstellung bringt.310 Die Demokratie ist eben auch nur eine Form der Herrschaft, und auf Grund der Ablehnung jeglichen Herrschaftsverhältnisses in der Gemeinde wäre die Verwendung des Demokratiebegriffs auch fehl am Platze. Man ist versucht, eher von einer Theokratie zu sprechen, aber im Zusammenhang mit Paulus muss von einer Christokratie gesprochen werden, denn Paulus hat, darauf hat Georgi aufmerksam gemacht, die herkömmliche Gottesvorstellung auf den Kopf gestellt. Entsprechend stellt Paulus in 1. Kor 15 das antiochenische Auferstehungsverständnis auf den Kopf: Zwar betont Paulus zunächst seine Anbindung an Petrus in Antiochien, der als erster Zeuge der Auferstehung genannt wird (v. 3 ff). „Denn ich habe euch vor allen Dindein Körper, dann siehst du, meine ich, wie notwendig Milde ist“ (Sen.clem. III, 1,5, Seneca a.a.O. S. 34 f.). 310 Vgl. Kelsen, Hans: Vom Wesen und Wert der Demokratie. Tübingen 1920.

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gen weitergegeben, was auch ich empfangen habe: dass Christus gestorben ist für unsere Sünden gemäss den Schriften“, und ausführlich zählt er die Elemente dieser Tradition auf, die dann erst später ihre literarische Ausgestaltung in den Evangelien finden wird: „(U)nd dass er begraben wurde, dass er am dritten Tag auferweckt worden ist gemäss den Schriften, und dass er Kefas erschien, und dann den Zwölfen.311 Danach erschien er mehr als fünfhundert Brüdern auf einmal, von denen die meisten noch leben, einige aber entschlafen sind. Danach erschien er dem Jakobus, dann allen Aposteln“ (1. Kor 15, 3 ff). Das alles ist antiochenischer Konsens, verankert in der makkabäischen Märtyriologie. Aber ist es nicht auch Zungenrede? So steht dieses Weitergeben (gnorzo) in 1. Kor 15, 3 auch in einem seltsamen Kontrast zum Wissen (eidnai) in 1. Kor 2, 2, wo von Christus als dem Gekreuzigten die Rede ist. Nichts als den gekreuzigten Jesus Christus habe er unter den Korinthern gewusst, während er die antiochenische Auferstehungsbotschaft nur mitteilt bzw. weitergibt. Zuletzt sei der Auferstandene auch ihm erschienen, dem Paulus, der es nicht wert gewesen sei, habe er doch die Gemeinde verfolgt. Alleine durch die Gnade Gottes sei er Apostel. Aber Vorsicht, der Hinweis auf die Gnade ist hier kein Ausdruck von Demut, im Gegenteil: Wer aus der Gnade Gottes Apostel ist, ist es gerade nicht durch die Autorität des Kephas, also des Petrus312. Gnade bedeutet hier Freiheit, Autonomie! Diese Bemerkung leitet nun den Angriff ein, der alles umstößt, was gerade aufgezählt worden ist. Es ist ein rhetorischer Volltreffer, und von der antiochenischen Auferstehungstheologie, die Paulus gerade eben noch referierte, bleibt nichts mehr übrig als ein Einschlagstrichter. Jetzt redet Paulus nicht mehr in Zungen, sondern mit Verstand: „Wenn es keine Auferstehung der Toten gibt, dann ist auch Christus nicht auferweckt worden“ (ei d anstasis nekrn ouk stin, oud christs eggertai (v. 13)). Und das wird dann sogar noch einmal in Vers 16 wiederholt (ei gr nekro ouk egerontai, oud Christos eggertai). 311

Wer sind die Zwölf? Denn laut der Tradition der Evangelien dürften es nur noch elf sein, weil Judas Iskariot nicht mehr dazu gezählt werden kann. In Apg 1, 18 ff wird gesagt, er habe sich von seinem Verräterlohn einen Acker erworben, sei aber entzwei geborsten, aber in Mt 27, 5 erhängt Judas sich. Vielleicht entstand die Figur des Judas erst nach Paulus im Zusammenhang mit dem jüdischen Aufstand? Judas wird als ehemaliger Iskarier eingeführt, also als ein ehemaliger Parteigänger jener terroristischen Gruppe des pälästinensischen Judentums, die Mordanschläge gegen Römer und vor allem gegen jüdische Kollaborateure mit den Römern verübte. Die Iskarier waren mit die treibende Kraft im jüdischen Aufstand von 66 bis 70 n. Chr. Literarisch interessant könnten sie für die Autoren des Neuen Testaments vielleicht erst im Verlauf des jüdischen Aufstands geworden sein. 312 Nach dem Tode Jesu muss die Frage geklärt werden, wie das Personal ausgewählt wird, und vor allem, wer über die Beauftragung zur Mission entscheidet. In Apg 1, 15 ff heißt es, dass die Apostel auf Vorschlag des Petrus zwei Männer auswählen und über sie das Los werfen, um einen Apostel zu bestimmen. So tritt Matthias an die Stelle des Judas Iskariot. Hier werden die Apostel aber mit den Zwölfen identifiziert. Für Paulus aber gibt es Apostel neben den Zwölfen, wie 1. Kor 15 zeigt. Die Zwölf stellen wohl auf Grund dessen, dass sie dem engeren Kreis um Jesu angehörten, eine besondere Autorität in den frühen Gemeinden dar. Ihre Identifizierung mit den Aposteln ist unzulässig. Die Apostelgeschichte zeigt aber sehr deutlich die Vorrangstellung des Petrus, der bei der Bestellung neuer Apostel eine Vorauswahl trifft.

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Wie diesem Text in der Auslegung Gewalt angetan wird, dafür gibt der katholische Exeget Karl Adam Zeugnis, wenn er, gegen den Wortlaut, interpretiert: „Durch Christi Auferstehung ist ihm (Paulus; Anm. M.E.) die Auferstehung der Toten verbürgt. So steht dem Apostel gerade die Wirklichkeit der Auferstehung Christi im Herzpunkt seiner Verkündigung und im Herzpunkt des christlichen Glaubens.“313 Karl Adam spielt für die neutestamentliche Exegese heute sicher keine große Rolle mehr, aber dieses Denken hinsichtlich der Auferstehung setzt sich fort, wenn man etwa bei N. T. Wright nachlesen kann: „(T)he resurrection of Jesus was a real event as far as Paul was concerned, and it underlay the future real event of the resurrection of all Gods people.“314 Aber auch J. Christiaan Beker entschärft die Verse, wenn er, um seine These zu stärken, Paulus argumentiere apokalyptisch, schreibt: „Pauls apocalyptic argument collides with the Hellenistic, enthusiastic world view of the Corinthians. He argues as follows (1 Cor. 15: 12 – 22): (1) The resurrection of Christ from the dead (…) – that is; from Sheol and the realm of dead bodies – necessarily implies a final resurrection of the dead (…). (2) If there is no final resurrection of the dead, there is no resurrection of Christ.“315 Aber das sagt Paulus gerade nicht! Die Auferstehung der Toten ist nicht in der Auferweckung Christi mitgemeint, sondern sie ist die Bedingung der Auferweckung Christi (ouk … oud). Und in Vers 16 heißt es nicht, dass die Totenauferweckung die Voraussetzung dafür sei, dass Christus auferstehe, sondern auferstanden sei (eggertai), d. h. ein gegenwärtiger Vorgang wird zur Seinsbedingung eines Geschehens aus der Vergangenheit (das griechische Perfekt ist in diesem Sinne keine Vergangenheitsform, sondern bezeichnet eine Gegenwart, die sich aus einem in der Vergangenheit abgeschlossenen Vorgang ergibt). Das ist nicht Apokalyptik, wie Beker vermeint, das ist Apokalyptik in ihr Gegenteil verkehrt. Bei Anderen, die das Problem erkennen und nicht einfach weginterpretieren, wird die Auferstehung der Toten in Kommentaren zum Ersten Korintherbrief auch als logische Voraussetzung der Auferstehung Christi verstanden, etwa bei Eckhard J. Schnabel: „Eine apriorische Bestreitung der Möglichkeit, dass Tote auferstehen, schließt logisch aus, dass der Mensch Jesu das Grab verlassen hat (…) und auferstanden ist.“316 Und daraus wird die Schlussfolgerung gezogen: „Der Glaube an die Auferstehung Christi ist logisch unmöglich, wenn es keine Auferstehung der Toten gibt.“317 Aber abgesehen davon, dass Paulus plötzlich die Logik bemühen sollte, also die Weisheit der Welt, die er doch sehr deutlich als Torheit bezeichnet: Wenn die Auferstehung der Toten auch nur der Möglichkeit nach, also logisch, die Voraussetzung dafür wäre, dass auch Christus von den Toten auferstehen kann, dann wäre sie auch ohne Christus denkbar. Aber dann wäre Christus gerade nicht mehr der Erstling 313

Adam, Karl: Das Zeugnis der Apostel von der Auferstehung Jesu, in: Rislow/Matthiae, S. 171. 314 Wright (2003) S. 318. 315 Beker (1984), S. 166. 316 Schnabel, Eckhard J.: Der erste Brief des Paulus an die Korinther. Wuppertal 2006, S. 913. 317 Ebenda, S. 914.

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der Entschlafenen, wie es in 1. Kor 15, 20 heißt (dazu weiter unten mehr). Christus wäre nicht der neue Adam, von dem in 1. Kor 15, 22, 1. Kor 15, 45 und in Röm 5, 12 ff die Rede ist. Und hier widerspricht sich die metaphysische Argumentation auch selber. Unmissverständlich geht nämlich auch Schnabel davon aus, dass für Paulus die Überzeugung selbstverständlich ist, „dass Gott das Subjekt, d. h. der Urheber des Erlösungshandelns ist“, und weil „Jesus genauso Kyrios ist wie Gott der Herr, kann Paulus Jesus mit göttlichen Funktionen und mit göttlichem Handeln verbinden“318 Wie sollte aber göttliches Handeln der Logik, der Weisheit der Welt unterworfen sein? Das wird ja gerade von Paulus heftig dementiert. Wer also so die Logik bemüht, nimmt die Botschaft vom Kreuz nicht ernst. Hier erweist sich die Metaphysik selber als Rhetorik. In seinem kürzlich erschienen Kommentar zum Ersten Korintherbrief folgt Dieter Zeller auch dem logischen Argument, freilich leicht modifiziert. Er liest die Verse 13 und 16 durch die Brille des Verses 20: „(D)ie Bestreitung der Auferweckung wird dadurch widerlegt, dass damit auch die mitgesetzte Auferweckung Christi in Frage gestellt ist. Damit das schlüssig ist, muss aus dem vorangegangenen Text stillschweigend angenommen werden, dass die Auferweckung Christi feststeht. Davon geht dann V. 20 aus. Interessanter als dieses formal-logische Verfahren ist für uns die religionsgeschichtliche Beobachtung, dass umgekehrt die Tatsache der Auferweckung Christi an die Möglichkeit der Auferstehung der Toten allgemein gebunden ist. Es gibt keine reine Faktizität ohne Denkmöglichkeit. Der Auferweckung Christi wird man nur im Horizont des jüdisch-pharisäischen Auferstehungsglaubens ansichtig.“319 Aber „stillschweigend“ muss gar nichts angenommen werden, und es ist im Text auch nicht von „möglicher“ Auferstehung der Toten die Rede, vielmehr wird in den Versen 13 und 16 die Auferstehung der Toten als notwendige Voraussetzung für die Auferweckung Christi genannt. Der auftretende Widerspruch kann nicht so gelöst werden, indem man das Zweite vor das Erste stellt. Bleibt die Reihenfolge aber so, wie sie Paulus gewollt hat, ist es nicht mehr möglich, seine Auferstehungsvorstellung metaphysisch zu verstehen. Die Faktizität hat die Denkfähigkeit in der Tat zur Voraussetzung. Aber damit kann auch Zeller die Auferstehung eigentlich auch nicht anders als einen institutional fact verstehen, und dann muss er nicht „stillschweigend“ Vers 20 für das Verständnis der Verse 13 und 16 voraussetzen. An einer Stelle schreibt Blumenfeld: „Christianity speaks a new language with old words and builds its vocabulary from skandalon to skandalon.“320 Und in der Tat, was geschieht hier anderes, als dass Paulus auf einem pragmatischen Verständnis des Begriffs der Auferstehung besteht, wie auch im sechsten Kapitel des Römerbriefs: „Wisst ihr denn nicht, dass wir, die wir auf Christus Jesus getauft wurden, auf seinen Tod getauft worden sind? Wir wurden also mit ihm begraben durch die Taufe auf den Tod, damit, wie Christus durch die Herrlichkeit des Vaters von den Toten auferweckt worden ist, auch wir in der Wirklichkeit eines neuen Lebens unseren Weg gehen (…) 318 319 320

Ebenda, S. 49. Zeller (2010), S. 477 f. Blumenfeld, S. 300.

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Unser alter Mensch wurde mit ihm gekreuzigt, damit der von der Sünde beherrschte Leib vernichtet werde und wir nicht mehr Sklaven der Sünde seien. (…) Betrachtet euch als solche, die für die Sünde tot, für Gott aber lebendig sind, in Christus Jesus“ (Röm 6, 3 ff). Unterstellt man nun Paulus etwa ein metaphysisches Verständnis der Auferstehung als einem Geschehen, das nach dem biologischen Tot erwartet wird – und in seinem Bemühen, Paulus als Apokalyptiker zu verstehen, müht sich Beker redlich ab, die allgemeine Totenerweckung am Ende der Zeiten zu verstehen – fällt die Widersprüchlichkeit sofort ins Auge. Versteht man Paulus aber in dem Sinne, wie Blumenfeld im gerade angeführten Zitat das frühe Christentum versteht, nämlich dass es eine neue Sprache mit alten Worten spricht, um Ärgernis zu erregen, kann Paulus direkt zu uns sprechen. Paulus benutzt in 1. Kor 15 die Worte des antiochenischen Auferstehungsverständnisses, aber im Kontext von 1. Kor 12 bis 1. Kor 14 verlieren sie ihre ursprüngliche Bedeutung, die sie nur im Kontext der Gemeinde in Antiochien hatten haben können, die hierarchisch verfasst war. Aber sagt denn Paulus nicht auch, Christus sei der Erstling der Entschlafenen? „Nun aber ist Christus von den Toten auferweckt worden, als Erstling derer, die entschlafen sind“ (1. Kor 15, 20). Er sagt es, aber erst sechs bzw. drei Verse später. Und warum sollte er es auch nicht sagen können, ja sogar sagen müssen, sofern die Auferstehung nicht als ein im Sinne Searles brute, sondern als institutional fact verstanden wird? Denn die Gemeinde ist ja da, die Verkündigung geschieht und ist als solche Bedingung der Auferstehung der Toten. Die Auferstehung der Toten hat die Gemeinde, hat die Verkündigung zur Voraussetzung, sofern sie als institutional fact verstanden wird. Während also Paulus in den Versen 13 und 16 zu verstehen gibt, dass er die Auferstehung eben nicht als ein metaphysisch zu begreifendes Ereignis betrachtet, kann er, ja er muss dann sogar in Vers 20 das Zeitverhältnis hinsichtlich der Auferstehung der Toten und der Auferstehung Christi wieder umkehren. Nur in umgekehrter Reihenfolge ließe sich der ganze Abschnitt als Metaphysik verstehen. So aber lässt sich gerade an dieser Stelle zeigen, wie Paulus eine hergebrachte Konvention auf den Kopf stellt, aber gleichzeitig diese Umkehrung als neue Konvention etabliert, die dann die neue Semantik trägt. Wenn die Toten nicht auferstehen, ist Christus nicht auferstanden; das zu behaupten heißt, die alte Konvention auf den Kopf stellen. Nun aber ist Gemeinde, ist Verkündigung. Die neue Konvention ist vorgestellt, aber jetzt in der zweifachen Bedeutung von vorgestellt: zum einen nämlich im Sinne von öffentlich gemacht, zum anderen aber auch im logischen Sinn, insofern eine neue Konvention eine neue Semantik schafft und trägt. Die durch die Auferstehung der Toten bewirkte Auferstehung Jesu wird jetzt zur Voraussetzung der Auferstehung derer, die noch der Todesmacht der Sünde unterliegen. Es handelt sich also mit anderen Worten um einen hermeneutischen Zirkel, in den man freilich nur über Christus hinein gelangt, d. h. aber durch die apostolische Verkündigung. Darum ist es Paulus so wichtig, als Apostel anerkannt zu sein. Schwierigkeiten scheinen dann noch die Verse 1. Kor 15, 35 ff zu bereiten, in denen Paulus sich recht geheimnisvoll über die Art und Weise der Auferstehung der Toten auszulassen scheint. „Es gibt himmlische Körper, und es gibt irdische Kör-

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per. Doch anders ist der Glanz der himmlischen als der der irdischen“ (1. Kor 15, 40). Auch diese Verse müssen aus einem damals aktuellen Kontext heraus verstanden werden, den wir aber nicht mehr ganz zu rekonstruieren vermögen. Paulus lehnt jedenfalls die platonische Vorstellung einer Fortexistenz der Seele ab, darüber ist sich die neutestamentliche Forschung weitgehend einig. Er besteht auf leiblicher Auferstehung. Im Zusammenhang mit sma ist ihm wohl der Aspekt der Sichtbarkeit immer wieder wichtig. Es ist mit Leib aber mehr als nur der menschliche Körper gemeint, denn in 1. Kor 6 heißt es: „Die Speisen sind für den Bauch (koila) und der Bauch für die Speisen; Gott aber wird sowohl jenen als diese zunichte machen. Der Leib (sma) dagegen ist nicht für die Unzucht, sondern für den Herrn, und der Herr für den Leib“ (1. Kor. 6, 13). Und gleich anschließend erfolgt der Hinweis, die Leiber der Gläubigen seien die Glieder Christi, was das zwölfte Kapitel dann aufgreifen und ausführen wird. So deutet doch alles darauf hin, dass nicht Metaphysik, sondern inklusive Egalität die Absicht des Paulus ist, die er gerade so herbeiführen möchte, indem er die Metaphysik ad absurdum führt. Die Vorstellung einer leiblosen Seele ist übrigens nicht nur von Hause aus dem Judentum fremd, sie ist auch in der griechischen Philosophie bestritten worden, wie man z. B. bei Lukrez in seinen Rerum naturae nachlesen kann. Die griechische Philosophie ist ja nicht durchgängig Metaphysik. Geist und Seele sind in der epikuräischen, und nicht nur in der epikuräischen Tradition, körperlich zu denken, „denn sie bewegen den Körper, und Berührung kann nicht ohne Körper sein“ (Lucr. II, 161).321 Zu Beginn des vierten Buchs veranschaulicht Lukrez, wie das einfache Verliebtsein die Sinne leite und die Missgestaltungen der Frauen als Vorzüge erscheinen lasse. Man wird vielleicht diese epikuräisch geprägte Vorstellung der sinnlichen Wahrnehmung auch Paulus unterstellen dürfen. Dass seine Leser den Lukrez kannten, zumindest was er über die Blindheit der Liebe zu sagen wusste, davon darf nämlich angesichts des wohl weit verbreiteten Phänomens der Verliebtheit ausgegangen werden. In Erinnerung sollte auch die Ansicht des Lukrez bleiben, dass in der Angst vor dem Tode die Quelle für die Gier und die Habsucht, den Streit und die Bürgerkriege – kurz für das, was Heidegger in Sein und Zeit Abständigkeit nennt – zu sehen sei (Lucr. III, 65 ff).322 321

Lukrez: De rerum naturae (Über die Natur). Düsseldorf und Zürich 1991, S. 205. Ebenda, S. 197. So schreibt auch Paul Veyne skeptisch über die jeweiligen Hoffnungen auf Weiterexistenz nach dem Tode: „Es ist fraglich, ob der Glaube an die Unsterblichkeit der Seele stark genug ist, um die Menschen über den Tod hinwegzutrösten und den Wunsch nach Ewigkeit zu befriedigen. Statt dessen investiert man lieber in Pflichtgefühl, Frömmigkeit, Leistung oder in seine Nachkommenschaft. Um dies an einem Extremfall zu verdeutlichen: Die Märtyrer jedweder Couleur lassen sich töten, um ewigen Ruhm zu erlangen, nicht aber weil sie von der Unsterblichkeit ihrer Seele felsenfest überzeugt sind“ (Veyne, Paul: Die griechischrömische Religion. Kult, Frömmigkeit und Moral. Stgt 2008, S. 134). Je höher die gesellschaftliche Stellung und entsprechend je aufwendiger die Bildung in der Antike gewesen sei, um so weniger habe man sich auch in der Antike dem Aberglauben verschrieben. Im Übrigen ist die Behauptung der Unsterblichkeit der Seele bei Platon ein Kunstmythos, er hat in der platonischen Philosophie einen dienenden Charakter, er dient der Absicherung der platonischen 322

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Aber die Leiblichkeit thematisiert Paulus gerade nicht aus einem metaphysischen Interesse, etwa um Bewegung oder Entwicklung zu erklären. Paulus vermeidet die Hauptbegriffe der griechischen Metaphysik. Er will auch gar nichts erklären. Veränderung ist für ihn Verwandlung, die er anmahnt. Die Leiblichkeit aber meint bei Paulus Anwesenheit.323 Anwesenheit ist m. E. das Grundthema des Ersten Korintherbriefs, weil nämlich schon die leibliche Abwesenheit des Paulus in Korinth ein Anlass für die Streitigkeiten und damit den Brief ist. Paulus erklärt sich aber für abwesend anwesend, wenn er z. B. Stellung gegenüber einem Mann nimmt, der wohl seine Stiefmutter geheiratet hatte, zumindest mit ihr ein erotisches Verhältnis eingegangen war: „Ich freilich – körperlich zwar abwesend, im Geist aber anwesend – habe über den, der diese Tat verübt hat, bereits das Urteil gefällt, als wäre ich anwesend“ (1. Kor 5, 3). Leib ist nicht einfach nur das in unserem Sinne Körperliche, das für Paulus Fleisch oder Bauch ist (siehe 1. Kor 6, 13) Der Leib ist dem Herrn, und als Leiber sind alle in der Gemeinde Glieder des in seiner Leiblichkeit anwesenden Herrn. Darum ist ein entsprechender Lebenswandel gefordert, der den Leib vergeistigt. So wie Searle jeden institutional fact auf einem brute fact beruhen lässt324, so muss bei Paulus die Auferstehung leiblich sein, gerade als institutional fact. Searle macht das Verhältnis zwischen brute und institutional fact am Beispiel des Geldes deutlich. Die brute facts sind Metall, ein bestimmtes Papier, ein Computerausdruck oder nur ein elektronisches Zeichen im Rechner. So sind auch die Briefe des Paulus Leib, und man spricht von ihnen zu Recht als vom corpus paulinum. Alle institutional facts basieren auf einer gewissermaßen materiellen Grundlage. Eine Universität als Institution setzt Gebäude voraus, aber die jeweilige Bedeutung und die Verfahren, in denen sich die Bedeutung äußert, sind institutional facts, die nur auf der Grundlage von Anerkennung sind. Aber die Gebäude machen nicht die Körperschaft der Universität aus, auch wenn sie ihr einen Ort geben. Der Leib ist also Träger von Bedeutung, der er Präsenz verleiht, und ohne den Bedeutung nicht gedacht werden kann. Bedeutung unabhängig Erkenntnislehre. Das darf bei all dem nicht vergessen werden. Erst im Verlauf der Entwicklung einer platonischen Ontologie trat die platonische Metaphysik an die erste Stelle. 323 „In diesem Leib ist der Auferstandene durch seinen Geist anwesend“ (Theißen, Gerd: Erleben und Verhalten der ersten Christen. Eine Psychologie des Urchristentum. Gütersloh 2007, S. 91). Theißen betont auch den antihierarchischen Zug der Metapher, die er als eine remythisierende Metapher versteht, d. h. als eine, die wörtlich verstanden werden will. Meines Erachtens gelingt es Theißen aber nicht, die Semantik des paulinischen Leibbegriffs herauszuarbeiten. Er vergleicht ihn mit dem Fleisch, sieht, dass beide Begriffe bei Paulus synonym gebraucht, aber auch gegenübergestellt werden können. „Fleisch gibt es nur auf der Erde, ,Leiber aber auch in der himmlischen Welt der Sterne“ (S. 80). Dabei weise Fleisch nach unten, zur Erde, Leib nach oben, zum Himmel hin. Aber Paulus gesteht auch dem Weizenkorn einen Leib zu, der verweslich sei (1. Kor 15, 37 ff). Theißen unterscheidet dann beides so, dass Leib die Passivität und Sterblichkeit des Menschen, Fleisch seine gottfeindliche Aktivität und Stärke meine. Aber gleichzeitig sagt er: „Die Pointe liegt darin, dass beide Begriffe, soma und sarx, die psychische Dynamik des Menschen bezeichnen.“ (S. 87). Es gelingt nicht, aus Paulus eine Anthropologie herauszulesen, sowenig wie ein metaphysisches Programm. 324 Searle (1996), S. 34.

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von brute facts zu denken wäre ja krudeste Metaphysik. So ist also gerade die Botschaft von der leiblichen Auferstehung Ausweis der paulinischen Antimetaphysik. Darum gehört der Leib dem Herrn, der den Lebenswandel entsprechend der Bedeutung, die der Leib vergegenwärtigt, leitet: „Oder wisst ihr nicht, dass wer der Dirne anhängt, ein Leib ist mit ihr? Denn, so heisst es, die zwei werden ein Fleisch sein. Wer aber dem Herrn anhängt, ist ein Geist mit ihm“ (1. Kor 6, 16 f). Aber der geforderte Lebenswandel ist einer in der Welt, nicht jenseits des Alltags. Claudia Setzer hat auf die soziale Bedeutung der Auferstehungshoffnung im Judentum hingewiesen und sie auch dann für die frühen Christengemeinden behauptet. „For the Pharisees and their successors it serves as a usefull tool in the symbollic construction of community in a period of social change.“325 Dennoch interpretiert sie 1. Kor 15 nicht als Dekonstruktion von Metaphysik, im Gegenteil: „Pauls interpretation in 1 Corinthians prescribe behaviour, not belief, yet the letter ends with Pauls ringing demand for belief in resurrection from the dead.“326 Wenn nun konstatiert wird, Paulus habe sich von seinem frühere Leben als Pharisäer radikal distanziert, so wie es ja auch Phil 3, 1 – 14 bezeugt, warum sollte er ausgerechnet an der Auferstehungsvorstellung der Pharisäer festgehalten haben? Denen ging es doch um Absonderung. Setzer zählt die Funktion ihres Auferstehungsglaubens im Rahmen des pharisäischen Selbstverständnisses auf: „(1) knowledge of Scripture; (2) ability in the interpretation of Scripture according to their tradition, which they attribute to earlier teachers; (3) punctiliousness in observance; (4) authority with the people; (5) an understanding of God as powerful in human affairs, and a belief in the afterlife that includes resurrection from the dead“327 – letzteres als Trost und Versprechen angesichts der Umbrüche und Gefährdungen der Gemeinschaft in der Welt. Für die Pharisäer hat die Lehre von der Auferstehung letztendlich eine defensive Funktion. Hier stehen die Toten unabhängig von Jesus auf, hier gibt es also keinen Erstling der Auferstehung. Für Paulus aber ist die Auferstehung, und zwar die stattfindende, nicht die bloß verkündete Auferstehung, Herausforderung der Mächte dieser Welt, letztlich sogar ihre Überwindung. Darum ist sie in der Welt, und nicht jenseitig, innerlich oder zukünftig, exklusiv gegenüber der Schöpfung, sondern inklusiv. Darum gibt es für Paulus auch nicht die Möglichkeit der Absonderung vom Alltag. Das zeigt sich m. E. daran, dass er sich nicht gegen die in Korinth herrschende Praxis wendet, die noch ungetauft Verstorbenen nachträglich zu taufen. Jene, die die Totenauferstehung in Korinth leugnen, haben sich z. T. für Tote taufen lassen (1. Kor 15, 29 – 30). Was mag das für eine merkwürdige Praxis gewesen sein, die uns wie finsterster Aberglauben anmutet? Aber auch hinter diesem vermeintlich irrationalen Verhalten steckt vielleicht eine rational nachvollziehbare Absicht. Bei jenen, die sich stellvertretend für die Toten taufen lassen, handelt es sich womöglich 325 Setzer, Claudia: Resurrection of the Body in Early Judaism and Early Christianity: Doctrine, Community, and Selfdefinition. Boston und Leiden 2004, S. 36. 326 Ebenda, S. 55. 327 Ebenda, S. 35.

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um Gemeindemitglieder aus höhergestellten Familien, die den Ahnenkult, der in der römischen Welt die Bedeutung der Familie gegenüber der Öffentlichkeit vermittelte, nicht aufgeben wollten. Die Taufe der Toten überführte auch die Ahnen in die Gemeinde. Auch die Ahnen verkörpern so den Christus, sind in ihm anwesend, und ihre Masken können dann etwa bei Begräbnisprozessionen bedenkenlos mitgeführt werden. Paulus gestattete diese uns abergläubisch anmutende Praxis, weil er nicht den Bruch mit dem Alltag, hier der Familie, predigte, so wie das wohl für die Gemeinde in Jerusalem galt, die eine Art Urkommunismus pflegte – und entsprechend chronisch pleite bzw. klamm war. Es geht um Verwandlung des Lebens im Alltag, der sich entsprechend dann auch wandeln wird.328 Paulus nutzt die Metaphorik seiner religiösen Umwelt, um das Leben der Gemeinde in der Spannung zwischen präsentischer und futurischer Eschatologie zu leiten. Darum erfolgt abschließend, nachdem Paulus die Gemeinde in Korinth als den Ort der leiblichen Anwesenheit des auferstandenen Herrn ermahnt hat, der Aufruf, an jene zu denken, die die Zukunft der Gemeinden – in der religiösen Sprache der damaligen Zeit gefasst: die Wiederkehr des Herrn in seiner Herrlichkeit –, jetzt schon in Jerusalem antizipieren: „Was aber die Sammlung für die Heiligen betrifft, so haltet es ebenso, wie ich es für die Gemeinden in Galatien angeordnet habe. An jedem ersten Tag der Woche lege ein jeder von euch zur Seite, was er erübrigen kann, damit nicht erst dann, wenn ich komme, gesammelt werden muss“ (1. Kor 16, 1). Da folgt also einem vermeintlich hohen Spiritualismus sogleich wieder die Sorge um das liebe Geld, mit dem Paulus natürlich Kirchepolitik zu treiben gedenkt. Das ist aber alles nichts anderes als brillante Rhetorik im Dienst der Nüchternheit. Paulus egalisiert die Auferstehung radikal, besser gesagt, die Gemeinde wird mit Jesus egalisiert, indem alle auferstehen. Werde nur die Auferstehung Christi geglaubt, dann sei dieser Glaube leer. Nur vor dem Hintergrund der Auferstehung der Toten kann die Auferstehung Christi sinnvoll verkündigt werden, denn, so Karl Barth: „Was könnte die Osterbotschaft anderes sein als die ganz konkret gewordene Bot328 Meines Erachtens ist Klaus Wengst zuzustimmen, wenn er das Sendschreiben nach Thyatira (Offb 2, 18 – 29) in der Johannesoffenbarung als gegen eine im paulinischen Geiste wirkende Frau gerichtet sieht. Sie wird hier „Isebel“ genannt, und es scheint sich um eine gesellschaftlich höher gestellte Frau zu handeln, die Opferfleisch isst, weil sie sich nicht ganz aus den öffentlichen Angelegenheiten heraushalten kann oder will. Paulus hatte hier einen pragmatischen Ansatz vertreten, gerade gegenüber den Korinthern (1. Kor 8, 1 ff), während der Autor der Apokalypse das für Abfall vom Glauben hält (Wengst, Klaus: „Wie lange noch?“ Schreien nach Gerechtigkeit – eine Deutung der Apokalypse des Johannes, Stgt 2010, S. 74). Auch Horsley missversteht Paulus, wenn er insbesondere die Gemeinde in Korinth als eine begreift, die sich von der Welt abschottet: „The Assembly stands diametrically opposed to ,world as a communitiy of ,saints“ (Horsley, Richard A.: 1. Corinthians: A Case Study, in Horsley 1997, S. 246). So auch Rollin A. Ramsaran, der Paulus der Rhetorik des griechischrömischen Dominanzsystems apokalyptische Weisheit gegenüberstellen sieht: „Paul in 1 Cor 15 is providing assurance and exhortation to proper living for those Corinthians who have already been called into Gods renewed people and away from compromise with the world“ (Ramsaran, Rollin A.: Resisting Imperial Domination and Influence, in: Horsley 2004, S. 100). Der von Wengst gemachte Hinweis zeigt, dass die paulinische Gemeindepraxis, insofern sie von einem apokalyptischen Standpunkt aus betrachtet wurde, dahingehend kritisiert werden konnte, selber nicht apokalyptisch zu sein.

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schaft, daß Gott der Herr ist.“329 An anderer Stelle schreibt Barth unmissverständlich: „Das Leben geht seinen Gang, die Zeit eilt, die Geschichte ist unendlich, als wäre kein Jesus gewesen. Ist es so, fährt Paulus fort (und es ist so!), ist die Offenbarung nicht schlichte Lebensweisheit, so ist sie auch keine historische Wahrheit, dann sind wir Apostel pseudomrtyres toffl theoffl, falsche Zeugen Gottes (v. 15). Wir gehören dann in die lange Reihe der Kirchenmänner, die zum Wohl oder doch zum Trost der Menschheit und unter dringendem Verdacht, mehr uns selbst zu dienen als Gott, eine Autorität in Anspruch zu nehmen, die uns niemand gegeben hat, theologische Auguren und Haruspizes, die sich nicht begegnen können, ohne sich behutsam zuzulächeln im Bewußtsein des fatalen Geheimnisses der gänzlichen Bedeutungslosigkeit ihres Tuns. Pfaffen könnte man auch einfach sagen, die von Dingen reden, von denen sie nicht mehr verstehen als irgend jemand.“330 In dieser syntaktisch alles andere als gelungenen Formulierung Barths wird aber der eigentliche Realismus Barths deutlich, der nicht ein nichtsprachlich vermitteltes, im Sinne des Realismus realistisches Auferstehungsgeschehen behauptet. Barths Forderung ist, dass der Prediger selber verstehen muss, was er sagt, und dass er darüber schweigen soll, worüber sich nichts sagen lässt – weil es sich nicht verstehen lässt. Die neopragmatische Hermeneutik ist von daher keine neue kritische Anfrage an die Theologie. Barth steht aber schon in der Tradition der Bibel, die selber die Forderung stellt, dass sich die Verkündigung selber zu verstehen hat. Der Gott der Bibel spricht, d. h. redet, d. h. ist Rhetoriker. Seine Verkündigung hat darum auch keinen Geheimnischarakter, sondern muss demjenigen, der sie verkündigt, verständlich sein. Im Zusammenhang mit 1. Kor 14 ist das schon aufgegriffen worden. Paulus interpretiert also die Auferstehung Jesu im Hinblick auf ein endzeitliches Gemeindeverständnis, demzufolge die Gemeinde Christi als auferstandener Leib des Herrn (1. Kor 12, 12 ff und Röm 12, 4 f) jetzt schon die Gemeinschaft der schatoi, der Letzten, ist, denen es um den Preis des Verlustes der Gemeinschaft mit Gott versagt ist, Erste zu werden, und die ihren Glauben in diesem Verzicht zu bewähren haben. Darum ist der auferstandene Leib Christi bei Paulus gerade keine basilea, auch wenn, wie Beker bemerkt, der Begriff achtmal in den authentischen Briefen vorkommt.331 Aber er ist ein Reich der Freiheit. Das griechische Wort srx bezeichnet bei Paulus den biologischen Leib, damit auch die Triebhaftigkeit, die an sich nicht als böse betrachtet wird, aber als schwach, so dass das Fleisch sich aus dem Zustand der Sünde nicht befreien kann. Dass srx auch den ganzen Bereich der Beziehungen umfasst, das Mit-Anderen-Sein und das In-der-Welt-Sein, ist in der Auslegung des siebten Kapitels des Römerbriefs zu berücksichtigen: „(D)enn nicht, was ich will, das führe ich aus, sondern was ich hasse, das tue ich“ (Röm 7, 19). Damit kann man srx weitgehend als Konvention verstehen. 329 330 331

Barth (1935), S. 115. Ebenda, S. 92. Röm 14, 17; 1. Kor 4, 20; 6, 9 – 10; 15, 24; 15, 50; Gal 5, 21; 1. Thess 2, 12.

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Krister Stendahl lehnt eine psychologische Deutung dieser Stelle ab. Ausgehend von seiner These, der Römerbrief sei gegen einen arroganten Antijudaismus gerichtet, und dem ist m. E. zuzustimmen, sieht er die paulinische Argumentation auf den sechzehnten Vers hin gezielt: „Wenn ich aber gerade das tue, was ich nicht will, gestehe ich dem Gesetz zu, dass es Recht hat.“332 Beker zeigt zudem in einer kontextualen Interpretation jeweils des Galater- und des Römerbriefes, dass Paulus trotz seiner Ausfälle gegen die Thora auch die Vorstellung des Bundes nicht fallen lässt – der Punkt, von dem Sanders glaubt, dass er alleine Paulus vom palästinensischen Judentum seiner Zeit unterscheide: „Because Galatians 3 combats Judaizers who argue for the salvation-historical combination of Torah and Christ, Pauls response is polemical and antithetical. (…) Romans 4, to the contrary, is engaged in a dialogue with Jews.“333 Freilich ist die Argumentation des Paulus damit noch nicht beendet, vielmehr geht es im Folgenden dann darum, dass die Macht der Sünde über das Fleisch und im Fleisch gebrochen wird durch Christus Jesus. Dieser Wandel, den Paulus an sich selbst erlebt hat als Berufung, als ein von außen ihn Erfassendes, das nicht seine Entscheidung war, das mit ihm also geschieht, ist die Auferstehung der Toten, die sich in der agpe bewährt. Gleichwohl Stendahl den Calvinisten nachsagt, sie läsen den Römerbrief als Begründung der Prädestinationslehre und missverständen ihn so334, kann die Prädestination in ihrer Bedeutung für die egalitäre Verfassung der ekklesa aber auch nicht unterschlagen werden, indem sie jedwedes Rühmen verwehrt. Auch die Verwendung und damit die Bedeutung des Begriffs der Prädestination ist kontextabhängig. Die Auferstehung Christi garantiert zwar den Anspruch auf diese Egalität, aber ohne dass die ekklesa sie lebt und verkündet, wird sie zu einem Mythologem, das für die Welt ohne Bedeutung ist – aber dann wäre es auch ohne Bedeutung, dass Christus auferstanden ist. Von hier aus wird klar, wie besonders die Kapitel zwölf bis fünfzehn des Ersten Korintherbriefs miteinander im Zusammenhang stehen und wie Paulus die Auferstehungsbotschaft der antiochenischen Gemeinde im Interesse der egalitären Verfasstheit seiner Gemeinde und unter Zurückweisung jeglichen Herrschaftsanspruchs modifiziert. Die Kapitel zwölf bis fünfzehn bilden eine rhetorische Einheit, deren Mitte das vierzehnte Kapitel ist, wenngleich auch die Pointe sich im fünfzehnten Kapitel befindet. Aber spricht Paulus denn nicht nur von der Auferstehung der Toten, sondern auch vom Tod selber, und dass Christus ihn besiegt habe? „Als letzter Feind wird der Tod zunichte gemacht“ (1. Kor 15, 26)? Crossan vertritt in Hinsicht auf diesen Vers den wohl radikalsten, aber auch vernünftigsten Standpunkt: „(I)s Gods last enemy death or violence or, maybe better, violent death (violence understood, of course, as a human monopoly)? (…) There is one final and even more basic question whose answer may serve as summary not only of 1 Corinthians 15, but of Pauls transmutation of 332 333 334

Stendahl (2001), S. 59 ff. Beker (1984), S. 99. Stendahl (2001), S. 30.

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both general Jewish apocalyptic eschatology and specific Pharisaic resurrection theology. Why did Paul not agree with his ,wise Corinthian converts by accepting Platonic theology and insisting that Christs soul, as purer even than Socratess, resided now with God in a state of such eternal holiness that it judged positively or negatively all other souls before or after it (…)? Because, quite simply, the general bodily resurrection was, first of all, about the justice of God amid the goodness of creation here below upon a transformed earth, and, second, within that, it was about the martyrs who had died for justice and from injustice with their bodies tortured, brutalized and murdered. Resurrection was not just about us and survival, but about God and this earth. It was not about the heavenly evacuation, but the earthly transfiguration of this bodily world.“335 Nun, so weit unterscheidet sich Crossan nicht von den oben zitierten deutschen Autoren. Wie steht es um die „transfiguration of this bodily world“? Was heißt es konkret? Verständlich wird das nur im politischen Kontext, den Crossan nun zum Verständnis dessen, was es heißen kann, dass als letzter Feind der Tod besiegt wird, heranzieht: „Christs ,death always meant for Paul the terrible death of an unjust execution, the horrible death of a shameful crucifixion. It did not mean death as the normal end of life. His theology was not actually built on Christs death and resurrection as if Christ had died at home in Nazareth and rose there on the third day. (…) Is it death or is it violence that is the last enemy of God? Or, better, is it unjust and violent death that is the last enemy of God?“336 Im Rahmen des bisher Gesagten ist es m. E. eindeutig, dass Paulus den Triumph des Todes in der römischen Kultur meint, wie er sich nicht nur in der Allgegenwart des römischen Militärs in den Provinzen zeigte, sondern besonders in den Amphitheatern. In diesem Zusammenhang kommen dann auch die Tiere ins Spiel, die Röm 8, 19 ff anspricht, nämlich dass auch sie danach seufzen, aus dem Todesspiel herausgenommen zu werden. Ein weitergehender Aspekt darf aber auch nicht unberücksichtigt bleiben. Crossans Hinweis, dass in 1. Kor 15, 26 der gewaltsame Tod gemeint sei, übersieht die Bedeutung, die die römische Kultur dem Tode überhaupt beigemessen hat. Im Tode, d. h. wie der Einzelne dem Tod begegnete, offenbarte sich letztlich für die Römer sein Charakter. Der Tod hatte damit das letzte Wort. Was einer war und was einer nicht war, entschied sein Tod. Catharine Edwards hat in einer brillianten Studie auf den Zusammenhang zwischen der Philosophie der Stoa und dem Kult um den Tod in Rom aufmerksam gemacht.337 Insbesondere der furchtlose Tod des Gladiators im Amphitheater habe der Aristokratie Roms als Beispiel dafür gedient, wie sie die Kommunikation mit dem Kaiser habe auch führen können. Der Selbstmord Catos habe als Vorbild gedient und als Ausweis von virtus gegolten. Mit dem Selbstmord hätten die in Ungnade gefallenen Aristokraten nicht nur der Familie das Vermögen sichern können (freilich sei das nur die Regel gewesen, es habe auch Ausnahmen 335 336 337

Crossan (2004) S. 344 f. Ebenda, S. 389. Edwards, Catharine: Death in Ancient Rome, Yale University Press 2007.

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gegeben), man habe dem Kaiser auch die Möglichkeit der clementia im Falle einer Verurteilung genommen. Im Hinblick auf den Begriff virtus gibt Edwards noch einen für unseren Zusammenhang weiteren wichtigen Hinweis. Cicero habe den Begriff virtus im Vorwort zu De re publica von vir abgeleitet, also von Mann. Die männlichen Charaktereigenschaften hätten sich besonders im Kampf offenbart, hauptsächlich als Mut. Cicero habe aber virtus nicht mehr ausschließlich militärisch, sondern auch politisch verstanden: Nicht nur die Tapferkeit in der Schlacht mache einen Mann aus, sondern auch sein Einsatz in der Leitung des Gemeinwesens. In der Zeit des Prinzipats aber sei der römischen Aristokratie sowohl der Zugang zu hohen militärischen Rängen als auch zu hohen politischen Ämtern verwehrt gewesen. So habe sich ihr virtus nur noch in der Überwindung der Todesfurcht zeigen können. Seneca verwende zwar auch noch, wie Cicero, die militärische Metaphorik, aber entscheidend anders als Cicero: „Indeed, it often seems Seneca is only interested in battle when there is no chance of victory.“338 Insbesondere verstehe er den Tod als Freiheit. Und in der Tat: Hatte Seneca, als er noch Erzieher und später Berater Neros gewesen war, die clementia Caesaris als die Nero adaequate Methode der Herrschaft empfohlen, musste er, nachdem er bei Nero in Ungnade gefallen war, nach einem Mittel suchen, gerade der clementia des Nero zu entkommen, und er musste konsequenter Weise den Selbstmord als Weg in die Freiheit preisen. Es ist darum nicht ohne Ironie, dass Nero Seneca nicht zu verhaften, anzuklagen und hinzurichten suchte, sondern ihm den Befehl zum Selbstmord zukommen ließ. So ließ er Seneca gerade nicht die Wahl zum Selbstmord, den Seneca als Akt der Freiheit gepriesen hatte, denn verordnete Freiheit ist keine Freiheit. Seneca darf somit als das vollkommenste Beispiel eines Aristokraten gelten, dem jede Möglichkeit genommen wurde, mit dem Kaiser noch erfolgreich zu kommunizieren. Erst der Sturz Neros machte es möglich, Seneca nachträglich zu rehabilitieren – und gerade die Kirche hatte ihren Anteil dabei. In den Märtyrerlegenden pries auch sie die Todesverachtung der bei den Spielen hingerichteten Christen, deren Mut dem des von der Stoa gepriesenen Mutes entsprach. Auf Paulus hätten sich die Märtyrer allerdings nicht berufen können, weil Paulus dem Tod diese Bedeutung nicht beimisst. Paulus ist nicht dem Tode, sondern dem Leben verpflichtet, und er feiert nicht den Tod, sondern das Leben. Sein Verständnis der Auferstehung ist mit dem Märtyrertod unvereinbar, so wenig wie mit der Haltung der Stoiker. Seneca mag im Sterben eine gute Figur abgegeben haben (sofern die Schilderung des Tacitus nicht eine nachträglich literarische Glorifizierung darstellt, wofür alles spricht339), aber im Lichte einer historisch-kritischen Forschung war sein Ende adaequat seiner Rolle, die er von Anfang an im julisch-claudischen Kaiserhaus spielte – er war ein Tor, der sich als Weiser dünkte und frei zu sein vermeinte. Seine Freiheit war der Tod. Für Paulus dagegen hat der Tod nicht das letzte Wort. 1. Kor 15, 26 ist im Kontext der Stoa und im Kontext des Ersten und Zweiten Korintherbriefes wohl so zu verstehen, dass erst in der Überwindung der Weisheit eines Senecas der Tod seine Herrschaft verliert – und zwar nicht nur der Tod als gewaltsamer Tod, sondern in seiner Bedeutung als 338 339

Ebenda, S. 92. Ebenda, S. 109 ff.

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Bestätigung von virtus. Und auch der Glaube bewährt sich nicht in der Arena, sondern in der Liebe, das heißt im Aufbau der Gemeinde. Hinsichtlich der Auferstehung aber sei abschließend noch Ernst Käsemann zitiert, der unmissverständlich schreibt, und m. E. damit auch die Interpretation der paulinischen Auferstehungsbotschaft des Epheser- und Kolosserbriefs mit umfasst: „Es kommt darauf an, daß man sich von ihr (der Auferstehung; Anm. M.E.) her in Jesu Nachfolge und zu einer Theologie der Wanderschaft rufen, also in das Sterben mit Jesu stellen läßt. Alles andere ist nichts als die verbreitete religiöse Erwartung eines seligen Lebens, mit welcher das spezifisch Christliche überhaupt noch nicht angerührt worden ist. In unseren Tagen ist es sogar, um mit der wahrhaft nötigen Schärfe zu sprechen, normalerweise nur der alles beherrschende Trieb einer Bourgeoisie, unter allen Umständen den Status quo zu erhalten und zu überleben.“340 Bekers Befürchtung, die realisierte Eschatologie etwa des Epheserbriefs führe dazu, dass die Gnosis Paulus als einen natürlichen Verbündeten zu gewinnen vermöge, ist vor dem Hintergrund dessen, was Käsemann schreibt, dann nicht mehr verständlich.341

V. Der pragmatische Paulus Unser heutiger Pragmatismus ist ein sprachlich distinguiertes, kritisches Unternehmen gegenüber jeder sich als Metaphysik ausweisenden Theorie und hinterfragt sie auf ihre pragmatische Konsequenzen, ihre Absichten. Somit ist der Pragmatismus in seinem Anspruch so total wie das Politische, und letztlich fällt er mit dem Politischen zusammen, wenn man ihn, politisch verstanden, gegen Carl Schmitt wendet. D. h. aber nichts anderes, als dass auch der Pragmatismus zwischen Freund und Feind unterscheiden muss. So wenig wie vom Standpunkt Carl Schmitts das vorgeblich Unpolitische als solches anerkannt wird, sowenig anerkennt der Pragmatismus Metaphysik als nicht pragmatisch begründet an. Paulus verfügte nicht über die Metasprache des Pragmatismus. Ihm blieb also nichts anderes übrig, als einfach nur pragmatisch zu sein. Paulus ist ein Kind seiner Zeit, aber ein sehr innovatives, was Sprache betrifft. Er stiftet nicht neue Worte, aber neue Bedeutungen, indem er gleichzeitig durch die Organisation einer Interpretati340 Käsemann, Ernst: Der Ruf der Freiheit. 5. Aufl. Tübingen 1972, S. 101. Wie sich dieser von Käsemann so genannte bourgeoise Trieb zeigen kann, lässt sich z. B. bei Bernhard N. Schuhmacher nachlesen, der gegen die Begrenztheit der Zeitlichkeit einwendet, dass der Tod „Ausdruck der Unmöglichkeit des Subjekts, Pläne zu haben“ bedeute (Schuhmacher, Bernhard N.: Die philosophische Interpretation der Unsterblichkeit des Menschen, in Kessler, 2004, S. 117), ein Argument, dass mich nicht zu überzeugen vermag. Weiter heißt es aber dann, und nun sehr klar formuliert: „Der Tod hindert ihn (den Menschen; Anm. M. E.) daran, das Objekt seines konditionalen Wunsches, das dem Faktum Leben untergeordnet ist, zu erreichen, das heißt, das Subjekt wünscht etwas und setzt dabei voraus, es selbst lebe weiter. Die wahre Liebe will, daß das Objekt ihres Strebens im Sein verbleibbt“ (S. 120). Ein Haben, als habe man nicht, scheint hier denkunmöglich zu sein. 341 Beker (1984), S. 214.

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onsgemeinschaft einen die neuen Bedeutungen sichernden Kontext, m. a. W. eine neue Konvention zu schaffen bemüht ist. Paulus spielt mit der Sprache, aber die Regelverletzungen im Hinblick auf Regelveränderungen müssen die Regeln auch auf eine bestimmte Art und Weise beachten. Paulus ist ein Pragmatiker des semantischen Ausnahmezustands, aber gerade darum, als Pragmatiker, darauf angewiesen, andere in diesen Ausnahmezustand und semantischen Neuaufbau mit hinein zu nehmen. Wäre er nur ein Theoretiker des semantischen Ausnahmezustandes gewesen, hätte seine Botschaft als Mystik missverstanden werden können – und ist ja trotzdem auch als Mystik aufgefasst worden! Wir hätten in diesem Falle aber nicht Briefe, sondern Abhandlungen, vielleicht nur Gedichte von Paulus. Darum urteilt Seesengood zu skeptisch, wenn er schreibt: „(W)e are, from the nature of our texts, best able to articulate what or who Paul isnt.“342 Das klingt mystisch. Wir wissen von Paulus jedoch sehr viel mehr und kennen vor allem seinen Stil, in dem er schreibt. Und im Kampf um die Interpretation in unserer Interpretationsgemeinschaft ist Paulus darum ein hervorragender Zeuge, der der Gegenseite nicht kampflos überlassen zu werden braucht. Paulus muss nicht befreit werden, wie Elliott es sich vorgenommen hat. Die Freiheit kann Paulus niemand wegnehmen. Paulus ist der Hauptzeuge der Anklage gegen angemaßte Macht, der sich vor keinem Kreuzverhör fürchten muss. Seine Freiheit ist unsere Freiheit, wenn wir in seinem Sinne Gemeinde sind. Es bleibt aber die Frage noch zu klären, ob der Pragmatismus, auch der Neopragmatismus Richard Rortys, sich in seinem radikalen Nominalismus überhaupt als entsprechend politisch anreichern lässt, wie das eingangs behauptet worden ist, denn er ist individualistisch geprägt. Für den Pragmatismus, wie er von Peirce und James in den USA des 19. Jahrhunderts entwickelt worden ist, ist Glaube (belief) das Prinzip allen Denkens, mit dem Ziel, Handeln zu ermöglichen (unter belief wird das verstanden, „upon which a man is prepared to act“343). Allerdings ist diese Auffassung auch etwas naiv, denn es gilt zu bedenken, was Paul Veyne bemerkt: „Wir sollten sorgfältig unterscheiden zwischen jener Ethik, die eine Gesellschaft praktiziert (unabhängig davon, ob sie dies bewusst tut oder implizit durch ihr Verhalten zum Ausdruck bringt) und jener Ethik, die diese Gesellschaft öffentlich verkündigt. Beide Ethiken haben generell wenig miteinander zu tun.“344 Mit anderen Worten, ich kann mir viel einbilden, was ich glaube, aber ich bin in meinem Verhalten vielleicht von etwas ganz anderem gesteuert, das unter Umständen sogar meinen Grundüberzeugungen zutiefst widerspricht. Darum ist individueller Glaube ein Unding, pure Phantasie. Glaube ist nur möglich als Integration in ein soziales feedback, also als Reflexion. Glaube ist dementsprechend Gespräch.345 Glaube ist ein soziales Phänomen, in dem der Ein-

342

Seesengood, S. 228. Murphy, John P.: Pragmatism. From Peirce to Davidson. Boulder, San Francisco, Oxford 1990, S. 21. 344 Veyne (1988), S. 47. 345 Etwa im Sinne Hölderlins: „Viel hat von Morgen an, / Seit ein Gespräch wir sind und hören voneinander, / Erfahren der Mensch; bald sind wir aber Gesang“ (aus: Friedensfeier). 343

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zelne sich überhaupt erst darüber versichern kann, ob er tatsächlich dem Bild entspricht, das er von sich hat. Auf dieser Einsicht gründet der Pragmatismus des Paulus. In der Tradition des amerikanischen Pragmatismus steht nun auch ein Philosoph, Josiah Royce, der sich in seiner Philosophie der Loyalität (Philosophy of Loyalty) gegen James wandte, ohne die gemeinsame Grundlage des Pragmatismus zu verlassen. John E. Smith schreibt in seiner Einleitung zu dem Royceschen Spätwerk The Problem of Christianity (1916): „To Royce it seemed that James concentrated exclusively on the individual and his first person experience, leaving out the fact that we are primarily social animals and that each one of us is enmeshed in a web of social relationships, responsibilities, and legacies long before we have achieved a clear idea of ouerselves as unique individuals with unique constitiutions and destinies.“346 Hier zeigt sich eine Nähe zwischen Royce und dem eingangs zitierten Richard Geertz. Royce selber erwähnt in diesem Zusammenhang dann auch noch das Bedürfnis nach Metaphysik: „The favorite methods of approaching the metaphysical problems of theology end by leaving the individual alone with God, in a realm which seems, to many minds, a realm of merely concepts, of intellectual abstractions, of barren theories. The ways which are just now in favor in the philosophy of religion seem to end in leaving the individual equally alone with his intuitions, his lurid experiences of sudden conversion, or his ineffable mysteries of saintly peace.“347 Aber für Royce ist der Mensch nicht nur ein soziales Wesen, sondern weitergehend ein Wesen, das interpretiert: „Man is an animal that interprets; and therefore man lives in communities, and depends upon them for insight and for salvation.“348 Auch als Einzelwesen interpretiere der Mensch sein gegenwärtiges Selbst aus seiner Vergangenheit in sein zukünftiges Selbst, das aber ein ideales Selbst sei: „It is, in fact, the ideally extended self, and not, in general, the momentary self, whose life is worth living, whose sense outlasts our fleeting days, and whose destiny may be worthy of the interest of beings who are above the level of human individuals. The present self, the fleeting individual of today, is a mere gesticulation of a self. The genuine person lives in the far-off past and future as well as in the present.“349 Dieses ideale Selbst sei für Paulus der auferstandene Christus gewesen, das heißt die Gemeinschaft derer, die diesem ihrem neuen Selbst gegenüber in Loyalität anhingen. „Loyalty, as I have elsewhere defined it350, is the willing and throughgoing devotion of a self to a cause, when the cause is something which unites many selves in one, and which is therefore the interest of a community.“351 Royce zeigt an dem Beispiel der Gemeinschaft der Wissenschaft auf, wie Loyalität die einzelnen Forscher dazu bringe, sich einem Ethos der Forschung zu unterwerfen. 346 347 348 349 350 351

Royce, Josiah: The Problem of Christianity. Chicago 2001, S. 8. Ebenda, S. 270. Ebenda, S. 298. Ebenda, S. 255. Royce, Josiah: The Philosophy of Loyalty. 1908. Royce (2001), S. 83.

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Sie blieben zwar Individuen, aber sie unterwürfen sich gänzlich einer wissenschaftlichen Disziplin und wissenschaftlichen Regeln. Es gebe aber in der Wissenschaft keinen anderen Weg als diesen, um sich Anerkennung zu erwerben. Letztlich handelt es sich ja hier auch um ein Sterben und ein Auferstehen: Es stirbt der alte Mensch mit seinen privaten Neigungen, während der Wissenschaftler als Wissenschaftler sich idealiter gänzlich seinem Stoff und den ihm angemessenen Methoden beugt und unterwirft, aber in der Anerkennung seiner Ergebnisse etwas gewinnt, was das Verlorene bzw. Aufgegebene mehr als aufwiegt. Obwohl nun Royce in Deutschland studiert und Hegels Philosophie kennen gelernt hatte, schließlich auch als der Hegelianer des amerikanischen Pragmatismus gilt, bezieht er sich in seiner Kritik an James aber gerade nicht auf den deutschen Idealismus, sondern auf Paulus. Die Kirche, wie Paulus sie im Blick gehabt habe, sei nämlich analog zur Wissenschaft zu verstehen. Dahinter trete die Person des Gründers zurück: „Those, I say, are right who have held that the church, rather than the person of the founder, ought to be viewed as the central idea of Christianity.“352 In der Auseinandersetzung mit der Metaphysik könnten sich alle, die sich der Säkularisierung verpflichtet fühlen, in diesem pragmatischen Hegelianismus von Royce durchaus wiederfinden. Rorty vermutet bei Royce noch eine metaphysische Grundlage, vielleicht, weil er mehr an der pragmatischen Lesart Heideggers als an einer Hegels interessiert ist. Die neopragmatische Hermeneutik kann aber m. E. aus dem Werk von Royce lernen, wie sie dem Vorwurf des Relativismus, der ihr immer wieder gemacht wird, begegnen kann. Insbesondere kann sie unter Rückgriff auf Royce ihren individualistischen Ansatz überprüfen, der letztlich mit dem Realitivismus korrespondiert. Denn die Liebe, auf die sich Rorty und Vattimo berufen, ist auch relativ. Würde sie zum Prinzip erklärt, hätte die neopragmatische Ethik eine metaphysische Grundlage. Wäre die Liebe aber jeweils kontextabhängig, wäre das, was Liebe bedeutet, in der Tat relativ. Es gibt also eine Verantwortung für einen Kontext, in dem Liebe erst Liebe ist. Diese Verantwortung ist eine politische. Liebe ist ein soziales Phänomen, das u. U. die Strafe beinhaltet, auch die Zurückweisung, wie Paulus es in seinen Briefen sowohl zeigt als auch exekutiert, aber niemals die auf Dauer gestellte Exklusion. Von daher besteht die politische Verantwortung für den Kontext, in dem Liebe erst Liebe ist, darin, einen Rahmen zu schaffen und zu erhalten, in dem Säkularisierung als Befreiung von Metaphysik geschieht. Einen solchen Rahmen zu schaffen bedeutet, die Konventionen zu verändern. Für Searle ist die Konvention die Trägerin der Macht, er spricht von conventional powers. Die Macht der Konvention beruhe auf ihrer Akzeptanz. Eine herrschende Konvention könne aber nur durch eine andere Konvention in Frage gestellt werden. „In cases where the act is one of explicit creation or destruction of a conventional power, it is itself typically the exercise of another conventional power, the power to so create 352 Ebenda, S. 43. Zur Paulusexegese von Royce vgl. auch Georgi, Dieter: Bultman Was Not First. Josiah Royce as Interpreter of Paulus, in: Georgi (2005), S. 309 ff. Georgi betont vor allem die Bedeutung von Royce für eine urbane Theologie und seine Opposition gegen das bourgeoise Interesse am historischen Jesus als einem religiösen Heroen.

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or destroy.“353 Hier stellt sich dann freilich das Problem, wie eine neue Konvention geschaffen werden kann, wenn eine alte noch gilt – das Kernproblem des sich revolutionär gebenden linken Denkens bei Badiou und Zizek. Gerade in diesem Zusammenhang ist es hinsichtlich des Paulus wichtig, auf die bleibende Bedeutung seines jüdischen Kontextes hinzuweisen, in den er die Heiden integrieren will. Er interpretiert ihn aber nicht einfach neu, sondern er interpretiert eben noch auf eine besondere Art und Weise. Seine Rhetorik will nicht nur überzeugen oder überreden, m. a. W. ein Programm verkaufen. Sie will aufklären. An den entscheidenden Stellen argumentiert Paulus nämlich nicht, sondern verblüfft. Er ist auf Gelächter aus. Denn im gemeinsamen Lachen kommt es zu einem Gleichklang der Stimmungen, in dem sich eine Veränderung einer kognitiv verstandenen Semantik ereignen kann. Von entscheidender Bedeutung ist in diesem Zusammenhang aber Searles Verständnis des Background, der im Verstehen der Einzelnen eine Erwartung erwecke, deren Erfüllung sich dann als Kontinuität des Verstehens manifestiere. „At any given point I am ready for certain things and not other things. (…) When I am on the ski slope, I am ready for other skiers coming by as potential projectiles. But when I am giving a lecture I am not at all ready for a skier to come skiing through the lecture hall (ob Searle hier an Heidegger dachte, der in Davos, in dem er mit Cassirer 1929 ein berühmtes Gespräch führte, mit geschulterten Skiern bei der versammelten Abendgesellschaft auftauchte und dadurch ungewöhnliche Aufmerksamkeit erregte? Anm. M.E.354) (…). If in the deep snow at the top of Red Dog Ridge, I encountered a bunch of people seated at university desks, raising their hands and saying such things to me as ,There is an infinite regress in one of your arguments, I would be astounded by that. Such things could happen, but they definitely are not the sort of thing that the Background makes me ready for. A lot of comedy is based on just such incongruities.“355 Auf was Searle nicht gefasst ist, muss aber der Leser der paulinischen Briefe gefasst sein. Denn Paulus sucht nicht nur durch seinen diatribischen Stil zu überreden oder zu überzeugen, sondern er führt ad absurdum, mehr noch, er enttäuscht bewusst aus der herkömmlichen Konvention sich aufbauende Erwartungen. Darum muss jetzt abschließend noch über Paulus als Narren gesprochen werden, als Komödianten. Im Gleichklang der Stimmungen, die das Gelächter erzeugt, erscheint nämlich die Möglichkeit einer neuen Konvention, die freilich noch ihres sprachlichen Ausdrucks harrt, um dann die noch gültige abzulösen. Für Paulus ist das Lachen also durchaus ein Moment, in dem sich Offenbarung ereignet.

353

Searle (1996), S. 106. In einem Brief an Elisabeth Blochmann schildert Heidegger, wie er nach den Gesprächen mit Ernst Cassirer 1929 in Davos mit Kurt Riezler in den Bergen Ski gefahren sei und dann bei der Rückkehr mit ihrer Kluft und den geschulterten Skiern „die Eleganz der abendlichen Toiletten“ gestört habe (zit. n. Safranski, Rüdiger: Ein Meister aus Deutschland. Heidegger und seine Zeit. München und Wien 1994, S. 222). 355 Searle (1996), S. 136. 354

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VI. Der Erste und seine Narren Einen einzigen Witz nur, ein Wortspiel zudem, gestand Hans Freiherr von Campenhausen Paulus zu, und er verortete ihn im Galaterbrief, wo es sinngemäß heißt, jene, die die Galater gegen Paulus aufhetzten, sollten sich doch gleich kastrieren lassen (Gal 5, 12). Um ein Wortspiel zwischen Beschneidung und Verschneidung handelt es sich aber nur im Kontext der deutschen Sprache, im griechischen Text ist es keines (perime und apokpto). Außerdem ist Campenhausen bei diesem angeblichen Witz des Paulus nicht ganz wohl, denn er sei „leicht frostig und geschmacklos“356. Aber „(w)eitere Texte, die sich eindeutig als ,Witz erkennen ließen, dürften sich innerhalb des Neuen Testaments kaum mehr nachweisen lassen.“357 Von Campenhausen folgt in dieser Einschätzung Rudolf Bultmann, auf den er sich auch ausdrücklich bezieht. Bultmann räumt zwar ein, dass der eigentliche abendländische Humor sich als Säkularisierung des christlichen Leidensverständnisses verstehen lassen könne, aber: „Dem alten Christentum ist er sogar fremd, und das Neue Testament zeigt keine Züge von Humor.“358 Dagegen schreibt Wolfgang Koeppen unter Berufung auf Sören Kierkegaard: „Der Apostel Paulus war kein ernster Mann.“359 Die Schriften des Neuen Testaments sind hier aus der Perspektive des Politischen betrachtet worden, natürlich mit dem Anspruch, sie zu verstehen. Dieser Anspruch bestreitet der theologischen Exegese, dass sie autonom sein könnte. Barths Einspruch gegen das von ihm so genannte Bindestrichchristentum sollte nun aber gerade der Autonomie der Theologie dienen, d. h. ihrer ausschließlichen Bindung an die Offenbarung. Aber das vorliegende Vorgehen widerspricht Barths Anliegen nicht. Barths Abwehr galt nichts anderem als den Versuchen, die Theologie metaphysisch zu begründen. Denn das Offenbarungsgeschehen ist für Barth die Fleischwerdung des Wortes, das sich damit in die geschöpfliche Verfasstheit begibt, die wesensmäßig Machtbeziehungen verkörpert. Jede Machtbeziehung nährt und legitimiert sich aber aus einer zweiten Welt, einer Überwelt, die nicht im Gewand der Religion auftreten 356 Campenhausen, Hans Freiherr von: Ein Witz des Apostels Paulus und die Anfänge des christlichen Humors, in: Campenhausen, Hans Freiherr von: Aus der Frühzeit des Christentums. Studien zur Kirchengeschichte des ersten und zweiten Jahrhunderts, Tübingen 1965, S. 103. 357 Ebenda, S. 105. Vgl. auch den Beitrag Christentum und Humor im selben Band S. 308 ff. 358 Bultmann, Rudolf: Das Christentum als orientalische und als abendländische Religion, in: Bultmann, Rudolf: Glauben und Verstehen B.II, 4. Aufl. Tübingen 1965, S. 209. Über Bultmanns Verständnis des Humors gibt folgender Absatz Auskunft: „Christlich ist der Humor offenbar dann, wenn die heitere Distanz zur Welt nicht bloße Resignation ist, sondern das Bewußtsein der Freiheit, das aus der Erfahrung des Scheiterns erwachsen ist, aus der Erfahrung, daß der Ernst un die angstvolle Sorge, mit der der Mensch seine eigenen Lebensentwürfe verwirklichen will, sinnlos sind, daß in solchem Scheitern der Mensch erst wirklich zu sich selbst gebracht und zur Liebe befreit wird, in der sein Tun und Treiben wirklichen Ernst gewinnt“ (S. 209). 359 Zit. n. Veit, Lothar: Einsam in der Menge. Der Schriftsteller in Wolfgang Koeppens Nachkriegsromanen. Marburg 2002, S. 77.

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muss. Sie kleidet und verkleidet sich als Geschichte, Kunst, Philosophie, nicht zuletzt als Wissenschaft. Man kann in diese zweite Welt jeweils einbrechen und versuchen, die Kommandohöhen zu besetzen. Man bestreitet dann den jeweils Herrschenden ihren Monopolanspruch auf Interpretation. Diese Strategie verfolgen die kanonischen Evangelien. Der Weg des Paulus ist radikaler. Seine Gemeinden sind die Abbruchunternehmen für leer stehende Über- bzw. Hinterwelten. So geschieht eine merkwürdige Umkehrung, die beachtet werden muss: Die Begriffe dieser Überwelten sind schlechterdings nicht geeignet, die Gemeinde als den auferstandenen Leib Christi adäquat zu begreifen. Die Weisheit der Welt ist im Lichte des Kreuzes Jesu Christi nichts als Torheit (mora, Torheit im Sinne von Dummheit, 1. Kor 3, 19). „Niemand betrüge sich selbst! Wenn sich jemand unter euch weise zu sein dünkt in dieser Welt, so werde er töricht, damit er weise werde“ (1. Kor 3, 18). Paulus muss sich mit Gegnern in Korinth herumschlagen, die sich als weise dünken und Paulus wohl als einen Toren oder Trottel bezeichneten. Er nimmt sie beim Wort. L. L. Welborn hat in einer Studie über den Begriff der mora bei Paulus im Ersten Korintherbrief aufgezeigt, wie sehr er mit den Verachteten und Ausgestoßenen, den Letzten also, verbunden ist. „The term mora designated the attitude and behavior of a particular social type: the lower class moron.“360 Indem sich Paulus selber zum Toren mache, solidarisiere er sich aber nicht nur mit den Deklassierten, sondern er spiele auch eine in der Antike wohlbekannte Rolle, nämlich die des Mimen. Der habe auf der Theaterbühne zumeist die Rolle eines Sklaven gespielt (und sei in seiner eigenen sozialen Wirklichkeit oft auch selber Sklave gewesen oder habe zumindest ein Leben am untersten Rand der Gesellschaft geführt). Ihm sei aber, und das ist von außerordentlicher Bedeutung, als einzigem Spieler auf der Bühne die Möglichkeit zugestanden worden, die ungeschminkte Wahrheit zu sagen und die Verblendung und Lüge der Etablierten zu demaskieren. Eine solche Rolle nicht nur im Theater, sondern auch im alltäglichen gesellschaftlichen Leben zu adaptieren, habe aber schon zur Strategie mancher Philosophen gehört: „(T)he adoption of the role of the fool was a strategy practiced by a number of intellectuals in Greek and Roman antiquity. The attraction of the role lay in the freedom it permitted for the utterance of a dangerous truth. Numerous anecdotes relate how, especially in the early Empire, the mimes became voices for what no one else dared to say.“361 Welborn verweist auf zahlreiche Beispiele, besonders aber auf Sokrates, in dessen Tradition er auch Paulus verortet: „Paul follows a Socratic precedent in making himself and his manner of speaking the object of parody.“362 In diesem Zusammenhang ist Welborns Hinweis wichtig, dass Paulus sein Verständnis der Kreuzigung Jesu erst im Zusammenhang mit der mora im Ersten Korintherbrief entwickele, dass also die paulinische Kreuzestheologie nur im Kontext mit der mora verstanden werden könne.363 Hier freilich muss aber Paulus von Sokrates unterschie360 Welborn, L. L.: Paul, the Fool of Christ. A Study of 1 Corinthians 1 – 4 in the ComicPhilosophic Tradition. London und NY 2005, S. 1. 361 Ebenda, S. 112. 362 Ebenda, S. 99. 363 Ebenda, S. 252.

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den werden. Hier gilt es noch radikaler zu formulieren: Paulus spielt nicht nur die Rolle des Trottels, sondern bezeichnet sich selber als einen solchen, und indem er den gekreuzigten Christus predigt, versteht er auch Christus als einen Trottel. Ein Blick in den Philipperbrief vermag das zu verdeutlichen. Da heißt es, nachdem Paulus noch einmal die Gleichgesinntheit in der Liebe angemahnt hat: „Seid so gesinnt, wie es eurem Stand in Christus entspricht: Er, der doch von göttlichem Wesen war, hielt nicht wie an einer Beute daran fest, Gott gleich zu sein, sondern gab es preis (eknosen)“ (Phil 2, 5 f). Das Adjektiv kens kann aber nicht nur leer, sondern auch töricht bedeuten. In der Philosophie spielt der Weise den Trottel, bleibt aber in den Augen der Welt ein Weiser. Sein Spiel ist so angelegt, dass es die Welt als Spiel durchschaut. Aber Gott und Paulus spielen keine Rollen. In den Augen der Welt sind sie Trottel, und indem sie die Rolle akzeptieren, werden sie zu Narren. Ihre Weisheit ist ihre Narrheit und umgekehrt, ihre Narrheit ist ihre Weisheit, die sich aber darin erschöpft, die Weisheit der Welt als Torheit zu durchschauen. Es tritt keine überlegene biblische Metaphysik an die Stelle der philosophischen Metaphysik. Welborn zeigt, wie sehr Paulus die Sprache des Theaters schätzt und übersetzt skenopois in Apg 18, 3 unter Berufung auf Frederick Dankers Beitrag in A Greek-English Lexicon of the New Testament nicht mit „tentmaker“, sondern mit „manufacturer of stage properties“.364 Aus dieser beruflichen Verbindung zum Theater lasse sich die häufige Verwendung von Ausdrücken aus der Theatersprache gerade in den Korintherbriefen erklären. Aber Paulus spielt nicht einfach Theater, sowenig wie Christi Kreuzigung nur ein Theatertrick ist. Und an Stelle der Weisheit der Welt verkündigt Paulus keine geheimnisvolle Weisheit, sondern Christus den Gekreuzigten. Das gesteht auch Welborn zu: „Indeed, it is not ,wisdom (sopha) that is the counterpoint to ,foolishness (mora) in the thesis statement in 1, 18, but the ,power of God (dy´namis theou).“365 Aber die Macht Gottes ist eben nicht ein sich selbst gleich bleibender Sachverhalt, ein Seinszustand Gottes, sondern bezeichnet einen Prozess der Erkenntnis darüber, wie Macht verfasst ist. Damit offenbart sich das Angewiesensein der Macht auf die Zustimmung der Letzten, sprich der Narren, die die Wahrheit darüber, wie es um die Macht der Mächtigen, auch die Macht Gottes, wirklich steht, offen aussprechen dürfen. Die Trottel sind freilich noch keine Narren, solange sie das, was sie eigentlich tun dürfen, noch nicht tun. Aber gerade sie können werden, was sie eigentlich sind. Sie haben nichts zu verlieren, denn sie brauchen keine Metaphysik. Von ihnen und ihrer Nichtanerkennung der Macht droht den Mächtigen die größte Gefahr. Bei Paulus spielt also kein weiser Gott Versteck, sondern ein Narr den Trottel, m. a. W. Gott selber ist ein Narr: Der Herausgeber des Gesprächs Richard Rortys mit Gianni Vattimo und ihrer beider Texte über die Zukunft der Religion, Santiago Zabala, schreibt in seiner Einleitung: „Der ,Tod Gottes (ursprünglich eine Formulierung Luthers) verweist heute auf die Inkarnation, die knosis (…), mit der Paulus die ,Selbstentäußerung des göttlichen verbum beschreibt, das sich zum Menschentum 364 365

Ebenda, S. 11. Ebenda, S. 19; Welborn bezieht sich auf 1. Kor 1, 18.

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erniedrigte, um am Kreuz zu sterben. All dies drängt uns zu einem weniger objektiven und stärker interpretierenden Verständnis der Offenbarung, was zugleich heißt, zu einem Verständnis der dem ,letzten Gott eigenen Schwäche.“366 Nur in dieser Schwäche sind die Gemeindeglieder, um es mit den Worten des Philipperbriefs zu sagen, „Kinder Gottes ohne Makel mitten unter einem verkehrten und verdrehten Geschlecht, unter dem ihr leuchtet als Lichter in der Welt“ (Phil 2, 15). Sie sind wie das Kind im Märchen von Andersen, das nicht alleine nur erkennt – denn die Erkenntnis haben alle anderen auch – sondern auch ausspricht, dass der Kaiser keine Kleider anhat. Die Gegner des Paulus in Korinth sind im Zweiten Korintherbrief, in dem der Begriff der Torheit noch einmal aufgegriffen wird (aber jetzt auch als aphrosy´ne, das weniger Verstandesdefizite meint als Verstandesverwirrung; 2. Kor. 11 f), Missionare, die, wohl im Stile der judaistischen Mission, so dass der Eindruck entstehen kann, es handele sich um Judaisten aus der Jerusalemer Urgemeinde, einen Christus-Superstar verkündigen und nebenbei sich selber ihrer Herkunft und ihrer besonderen Begabungen rühmen. Paulus nennt sie ironisch „Überapostel“ (2. Kor 11, 5), aber auch direkt falsche Apostel (pseudoapstoloi), hinterhältige Gesellen, Diener Satans (2. Kor 11, 13 f). Paulus ist nie zimperlich, wenn er seine Gegner beschimpft. Im Philipperbrief heißt er sie „Verschnittene“ und sogar „Hunde“ (Phil 3, 2). Das sind wahrlich keine Ausdrücke einer sentimentalen Liebe! In seinen Augen machen sie sich zu Trotteln, und ihnen gegenüber spielt nun Paulus im Zweiten Korintherbrief als Narr die Rolle des Trottels, um sie als Trottel zu entlarven. An die Korinther gewandt schreibt er im elften Kapitel: „Würdet ihr doch ein wenig Unverstand an mir ertragen“367 (v.1), um sich anschließend mit seinen Gegnern ironisch zu vergleichen, so als ginge er wirklich auf die Strategie seiner Gegner ein: „Hebräer sind sie? Ich auch. Israeliten sind sie? Ich auch. Nachkommen Abrahams sind sie? Ich auch. Diener Christi sind sie? – Bar jeglicher Vernunft sage ich: Ich bins weit mehr! Mehr Mühsal, mehr Gefangenschaft, unzählige Schläge, oft in Todesgefahr! Von Juden erhielt ich fünfmal die Vierzig-weniger-einen. Dreimal bekam ich die Prügelstrafe, einmal wurde ich gesteinigt“ usw. (v. 22 ff). Diese Schilderung seines Ruhms schließt er wie folgt ab: „So rühme ich mich lieber meiner Schwachheit, damit die Kraft Christi bei mir Wohnung nehme. Darum freue ich mich über alle Schwachheit, über Misshandlung, Not, Verfolgung und Bedrängnis, um Christi willen. Denn wenn ich schwach bin, dann bin ich stark“ (2. Kor 12, 10). Täusche sich niemand: Diese Schwachheit ist Angriff und entlarvt die vorgebliche Stärke als Aufgeblasenheit. Gespielte Torheit ist Narrheit. Auch Röm 13 ist ein Narrenstück, Fastnacht, wenn es z. B. heißt: „Denn die Regierenden sind ein Gegenstand der Furcht nicht für den, der Gutes tut, sondern für den Bösen“ (Röm 13, 3). Ist also Christus zu Recht gekreuzigt worden? Wer einen solchen Satz im Kontext des Imperiums der fünfziger und sechziger Jahre des ersten Jahrhunderts las, konnte doch wohl nicht anders, als in spontanes La366

Rorty/Vattimo S. 28. Auch hier erscheint mir die alte Zürcher Bibel geglückter übersetzt zu haben: „Möchtet ihr doch an mir ein wenig Torheit ertragen“. 367

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chen auszubrechen. Gäbe es eine politische Ideengeschichte der Narrheit, Paulus wäre einer ihrer prominentesten Vertreter.368 Darum trifft sein Verdikt über die Weisheit dieser Welt, die zur Torheit wird, schließlich auch die politische Ideengeschichte als Ideengeschichte und die politische Theorie oder die Politikwissenschaft usw., sofern sie sich metaphysisch zu begründet versucht, also z. B. in der Tradition von Leo Strauss Ideen behauptet, die eine Geschichte hätten. Es ist für die Theologie ausgeschlossen, deren Terminologie zu übernehmen, ohne selber zur Torheit zu werden, der es versagt ist, Narrheit zu sein. Von daher kann Theologie nur pragmatisch sein. Sie hat im Hier und Jetzt ihre Aufgabe, indem sie nichts weiter verkündigt als Christus den Gekreuzigten: „Denn ich hatte beschlossen, bei euch nichts anderes zu wissen ausser das eine: Jesus Christus, und zwar den Gekreuzigten“ (1. Kor 2, 2). Diese Verkündigung ist die Auferstehung Christi. Darum schlägt jetzt, und immer wieder jetzt, für die, die in Christus Jesus sind, die Stunde der Komödianten. 368 Es ist darum nicht verwunderlich, dass Peter L. Berger, der durchaus eine Beziehung zwischen Humor und Theologie ausmacht, mit Paulus nicht viel anfangen kann, weil er den Humor nur als eine entlastende Unterbrechung des Alltags versteht, der aber den Alltag, das Selbstverständliche, nicht aufheben soll (Berger, Peter L.: Erlösendes Lachen. Das Komische in der menschlichen Erfahrung, Berlin 1998). So herrsche bei Paulus eine Spannung zwischen dem kenotischen Christus und dem Christus Victor des Ostermorgens, die die paulinische Narrheit begründe (S. 224), aber: „Wie im Falle des Heiligen muß auch das Komische eingefriedet werden, gezähmt, wenn seine potentielle Bedrohung der sozialen Ordnung an der Verwirklichung gehindert werden soll“ (S. 78). Berger, der sich selber als Witzeerzähler outet (S. XIII), ist kein Narr im Sinne des Paulus, weil er an das vermeintlich Selbstverständliche und seine Vorherrschaft glaubt, es nicht als Torheit durchschaut. Sein Bekenntnis, dass nicht der Gegenstand des Glaubens, sondern die Welt absurd sei, was den Glauben wiederum ermögliche (S. 217), ist vor dem Hintergrund seiner Argumentation nicht anders zu verstehen, als dass der Glaube, was immer er darunter versteht, eben hilft, die vorgebliche Absurdität der Welt zu ertragen. Aber die Welt ist nicht absurd, sondern die metaphysischen Interpretationen der Welt. Berger untersucht viele Traditionen des Humors, aber es ist nicht von ungefähr, dass er die Kyniker ausblendet. Bezeichnend ist auch sein Verständnis einer Geschichte über Thales, wie sie Platon im Theaetet zum Besten gibt: Thales sei nämlich nächtens, als er den Himmel beobachtet habe, in einen Brunnen gefallen und morgens von seiner Magd, die ihn im Brunnen sitzend aufgefunden habe, ausgelacht worden. Platon übernahm diese Geschichte aus der äsopischen Fabelsammlung (vgl. Blumenberg, Hans: Das Lachen der Thrakerin. Eine Urgeschichte der Theorie, Ffm 1987), aber da ist nur von einem Astrologen die Rede, dem dieses vermeintliche Missgeschick widerfährt, nicht von Thales. Platon möchte mit seiner Zuschreibung zeigen, dass der Philosoph, insbesondere denkt er an Sokrates als Vorbild, eben im Alltag notgedrungen als lächerlich erscheinen müsse. Berger sieht nun die Magd im Recht, wenn sie lacht. Aber bei genauerem Hinsehen ist die Geschichte gerade nicht im paulinischen Sinne närrisch, sondern die Magd töricht. Der Beobachter des nächtlichen Firmaments ist nicht in den Brunnen gefallen, sondern hinein gestiegen, um den Brunnenschacht als Sehrohr nutzen und damit einen Auschnitt des Nachthimmels besser beobachten zu können. Mit den Augen des Paulus betrachtet sind sowohl Platon und Berger als auch die vermeintlich mit gesundem Menschenverstand ausgestattete thrakische Magd Toren. Die paulinische Narrheit hat eine ganz andere Dimension, weil sie der Torheit keine Weisheit gegenüberstellt, sondern die Botschaft vom Kreuz, die sowohl den gesunden Menschenverstand, die Philosophie im Sinne des Platon und das von Berger so geschätzte Selbstverständliche als Torheit entlarvt.

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Shakespeare zeigt in Much Ado about Nothing, wie es geht. In dieser Komödie intrigiert ein Don Juan gegen seinen Bruder, den Herzog, der, während er sich mit seinem Tross bei einem befreundeten Adligen, Don Pedro, aufhält, einen seiner Gefolgsleute, Claudio, mit Hero, der Tochter Don Pedros, verheiraten möchte. Don Juan will diese Ehe unter allen Umständen verhindern, was auch fast gelingt – hätten nicht die Männer des Konstablers Dogberry zwei Handlanger des Spitzbuben festgenommen. In der deutschen Übersetzung von Graf von Baudissin heißt Dogsberry Holzapfel, der freilich kein Narr ist, sondern eigentlich zu den übergroßen Aposteln gezählt werden muss. Er ist nun wirklich der Inbegriff eines reinen Toren. Seinem Verhör vermögen die Gefangenen kaum zu folgen, weil sie die Sprache des Konstablers nicht verstehen. In seiner Aufgeblasenheit benutzt er Vokabeln, die er selber nicht versteht, die ihn aber als einen gebildeten und gewieften Ermittler ausweisen sollen. Das ist humoristische Zungenrede. Alle reden aneinander vorbei, und am Ende ruft Dogsberry aus: „O Spitzbube! Dafür wirst du noch ins ewige Jubiläum verdammt werden“ (4,2). Dem Vater der verleumdeten Braut stattet er wie folgt Bericht ab: „Zum Henker, gnädiger Herr, falschen Rapport haben sie begangen, überdem sind Unwahrheiten vorgekommen; andernteils haben sie Kolonien gesagt; sechstens und letztens haben sie ein Fräulein betrogen; drittens haben sie Unrichtigkeiten verifiziert, und schließlich sind sie lügenhafte Spitzbuben“ (5,1). Das Publikum lacht. Don Pedro lächelt verständig und bedankt sich, den Konstabler und seine Männer hinauskomplimentierend. Alles wird gut. Doch keiner denkt daran, dass ohne die Wachsamkeit der Toren die Intrige nicht ans Licht gekommen wäre, die die ach so kluge und witzige (das englischen wit vereint ja beide Bedeutungen), die gebildete und lebenserfahrene Adelsgesellschaft nicht in der Lage war zu erkennen (auch deren Frauen nicht). Ist Dogsberry ein Narr im Sinne des Paulus? Nein, dessen Gestammel ist nur Zungenrede. Der Narr im Geiste des Paulus ist William Shakespeare.

Schluss Mit einem Problem der politischen Ideengeschichte, nämlich wie Macht verfasst sei, ist begonnen worden, mit einer grundsätzlichen Unterscheidung der politischen Ideengeschichte soll auch geschlossen werden. Es gebe, so Herfried Münkler, zwei Traditionsstränge der politischen Ideengeschichte, nämlich einen, der auf Platon, und ein zweiter, der auf Thukydides zurückführe. 369

Münkler macht diese Unterscheidung in der Absicht, die Entstehung des modernen Staates in der frühen Neuzeit u. a. aus der Selbstrechtfertigung von Intellektuellen aufzuzeigen, die beansprucht hätten, in der Rolle der in der vorliegenden Studie so genannten Zweiten die jeweiligen Fürsten zu führen, und zwar unter Berufung auf Thukydides. Für den Zweck des Nachweises, dass die Schriften des Neuen Testaments einen politischen Diskurs darstellen, ist diese Unterscheidung zwischen Platon und Thukydides aber nicht hilfreich, denn dann ließe sich das Neue Testament sehr schnell der platonischen Seite zuschlagen. Die Platonisierung des Christentums ist wohl gerade auch darauf zurückzuführen, dass in der Folge der Erklärung des Falls von Rom im Jahre 410 eine Zeitenthebung der civitas dei, die zwar in der Zeit erscheine, ihr aber nicht verfalle, propagiert wurde (Augustinus).370 Denn damit wird die Kirche zwar als in der Zeit, aber dennoch dem ewigen Kreislauf des Politischen, der civitas terrena, sowohl enthoben als auch gegenübergestellt betrachtet. So begründete das mittelalterliche Denken zwar die Kirche, aber gerade 369 Münkler, Herfried: Im Namen des Staates. Die Begründung der Staatsraison in der Frühen Neuzeit, Ffm 1987, S. 23 ff. 370 Vgl. Meier, Mischa/Patzold, Steffen: August 410 – Ein Kampf um Rom. Stgt 2010. Die Ereignisse des Jahres 410 seien von Anfang an im Dienste der Legitimierung der jeweils aktuell herrschenden Interessen interpretiert worden Der tatsächliche Verlauf der Belagerung Roms durch die Westgoten unter Alarich, und wie die Belagerung beendet worden sei, bleibe dagegen unentdeckt und sei nicht zu rekonstruieren. Insbesondere die von Augustinus angeregte Geschichtsschreibung des Orosius (Historiarum adversum paganos libri VII) habe die Absicht gehabt, das Christentum gegen den Vorwurf zu verteidigen, es sei für den Niedergang des Imperiums verantwortlich zu machen, im Gegenteil: „Das römische Reich ist spätestens seit den Zeiten des Augustus auf dem Weg zum christlichen Imperium und vermag dabei auch die Barbaren mitzunehmen“ (S. 68). Die Platonisierung des Christentums dient also der Absicht, eine imperiale Verfassung zu institutionalisieren, und dies konnte nur auf der Basis der Theologie der Evangelien erfolgen. Paulus geriet demgegenüber ins Hintertreffen. Er trat erst in der Reforrnation wieder in den Vordergrund, als das Imperium erneut mit urbanen bzw. territorialstaatlichen Autonomiebestrebungen konfrontiert wurde. Mit der Reformation begann freilich die Ideologisierung des paulinischen Denkens als Theologie. Nicht von ungefähr fordert unsere Zeit der Globalisierung die Befreiung des Paulus aus dieser Verstrickung (Neil Elliott).

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nicht den Staat. Entsprechend konnte mit Platon zu Beginn der Neuzeit kein Staat mehr gemacht werden. Um die politische Brisanz des Neuen Testaments aufzeigen zu können, bedarf es darum einer anderen, einer tiefergehenderen Unterscheidung. Dabei wird die von Münkler gemachte Unterscheidung aber nicht verabschiedet, sondern nur aufgehoben, und zwar so, dass Platon und Thukydides auf dieselbe Seite geraten. Sie unterscheiden sich nämlich insofern nicht, als sie beide entweder Ideen oder Gesetze des Politischen behaupten, die unabhängig von der politischen Wirklichkeit bestünden, d. h. unabhängig von Zeit und Raum sich selber gleich blieben. Diese Ideen respektive Gesetze bedürfen dann freilich eines Mediums, in dem sie erscheinen können. Bei Platon ist dieses Medium der sokratische Dialog, bei Thukydides ist es die Geschichte. Nimmt man beide von Münkler unterschiedenen Traditionen als eine an, kann man in ihr das politische Denken von Leo Strauss verorten. In einer kleinen Schrift über die Frage, was politische Philosophie und ihre Aufgabe sei, schreibt Strauss: „(T)o replace opinion about the nature of political things by knowledge of the nature of political things“371, und zwar mit folgender Absicht: „Political philosophy is the attempt truly to know both the nature of political things and the right, or the good, political order.“372 Zwar gilt Strauss als Platoniker, aber er kann sich auch auf Thukydides berufen: „Of the many, but not very many, great historians which the West has produced, Thucydides is said to be the most political historian, the greatest political historian of all times, the man who grasped and articulated most fully the essence of political life, the life of politics as it actually is: i. e., not the application of the principles of the Declaration of Independence but the operation of the principles which were operative in the Louisiana Purchase – ,power politics in its harsh grandeur“373 ; m. a. W. Thukydides „lay bare the eternal or permanent character of political life as such.“374 Auf Strauss wird hier verwiesen, weil er es als nötig empfindet, dieses Denken zu verteidigen. Und was verteidigt werden muss, ist dann also so selbstverständlich nicht mehr. Für Strauss erfolgt der Angriff, den es abzuwehren gilt, u. a. von Isaiah Berlin, der in seinen Essays über die Freiheit die negative Freiheit, die Freiheit von etwas, von der Freiheit zu etwas unterscheidet und gleichzeitig darauf besteht, dass der Staat lediglich die Aufgabe habe, die negative Freiheit zu befördern, währenddessen die Freiheit zu etwas im Ermessen der Einzelnen zu verbleiben habe – hier habe der Staat keine Kompetenzen zu beanspruchen.375

371 Strauss, Leo: What is Political Philosophy? And Other Studies, Chicago und London 1959, S. 11 f. 372 Ebenda, S. 11. 373 Strauss, Leo: Thucydides: The Meaning of Political History, in ders.: The Rebirth of Classical Political Rationalism. An Introduction to the Thought of Leo Strauss. Essays and Lectures by Leo Strauss. Selected and Introduced by Thomas S. Pangle. Chicago und London 1989, S. 75. 374 Ebenda, S. 76. 375 Berlin, Isaiah: Freiheit. Vier Versuche. Ffm 2006, S. 197 ff.

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Das führe, so Strauss, in den Relativismus.376 Die politische Philosophie sei dagegen das Arsenal, aus dem in Zeiten der Krise immer wieder auf ewig gültige Wahrheiten zurückgegriffen werden könne. Strauss und Ernst-Wolfgang Böckenförde stehen damit auf derselben Seite, nur dass Böckenförde auf die Religion, Strauss auf die Philosophie rekurriert. Denn, so Strauss, um die Erkenntnis der ewig gültigen Ideen sei schon die Philosophie der Antike bemüht gewesen, und sie müsse uns in diesem Bemühen Vorbild bleiben. Voraussetzung für unser Erkennen sei somit saubere Philologie. Um nun den politischen Diskurs des Neuen Testaments sichtbar machen zu können, ist es also nötig, nicht auf die von Münkler, sondern auf die von Strauss gemachte Unterscheidung zweier Stränge in der Geschichte des politischen Denkens zurückzugreifen und die Gegenposition zu ihm zu behaupten. Es gibt keine sich selbst gleich bleibenden Ideen und Gesetze jenseits der Konventionen. Oder anders gesagt, das Es, das ihnen jeweils Bedeutung gibt, ist der jeweilige Kontext, die jeweilige Konvention. Vor diesem Hintergrund entscheidet es sich, welcher Gebrauch von den Verweisen auf die vermeintlich der Zeit und dem Raum enthobenen Ideen und Gesetze in den Diskursen gemacht wird, und zwar im Hinblick darauf, ob die Erhaltung oder die Veränderung einer Konvention angestrebt wird. Was sich hier letztlich gegenübersteht, ist also Metaphysik und Rhetorik. So werden zwei Stränge des politischen Denkens unterschieden, die in dem einen Fall auf Platon und Thukydides, im anderen auf Gorgias verweisen, der ja behauptete, es gebe nichts, und für den Fall, dass es etwas gebe, könne man es nicht erkennen – und für den Fall, dass man etwas erkennte, könnte man nichts darüber sagen.377 Wer aber daraus nun schließt, dann ließe sich ja überhaupt nichts mehr sagen, missversteht Gorgias gründlich. Immerhin war er ein Rhetoriker. Aber das, was der Redner sagt, ist nicht über etwas gesagt, das als etwas Ewiges und Unwandelbares vorgefunden oder entdeckt worden wäre, sondern über etwas Gemachtes. Schließlich ist auch der Begriff der Idee gemacht. Seine Bedeutungsge376 Dabei macht Strauss Berlin den Vorwurf, selber nicht auf Metaphysik zu verzichten: „Berlin cannot escape the necessity to which every thinking being is subject: to take a final stand, an absolute stand in accordance with what he regards as the nature of man or as the nature of the human condition or as the decisive truth“ (Strauss, Leo: Relativism, in: Strauss (1989), S. 17). Tatsächlich argumentiert Berlin in seinem Freiheitsessay aber an keiner Stelle metaphysisch, sondern politisch. Strauss bemerkt das auch und empört sich. Er hätte Berlin nicht kritisiert, „if he had limited himself to saying that liberalism is merely his ,own subjective end, not intrinsically superior to any other subjective end, (…) if he had not rejected the nonliberal position as ,barbarian (…) if he had remained within the confines of the positivism of our time, he would never have contradicted himself“ (ebenda, S. 17 f.). 377 Gorgias von Leontinoi: Über das Nichtseiende. Fragment 3, in: Gorgias: Reden, Fragmente und Testimonien. Hrsg. mit Übersetzung und Kommentar von Thomas Buchheim. Hamburg 1989, S. 41. Bohlender weist darauf hin, dass die Rhetorik in Sizilien entstanden sei, aus dem Prozesswesen, und dass die platonische Philosophie darauf reagiere. Auch er stellt Platon und Gorgias gegenüber: „Während Platon die Sprache als reines Transportmedium eines unproblematischen Sachverhaltes begreift, situiert Gorgias die Sprache immer schon als Rede innerhalb eines spezifischen Kommunikationszusammenhanges von Redner – Sprache – Hörer, der wesentlich durch eine Problemsituation bestimmt ist“ (Bohlender, S. 39).

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schichte rechtfertigt dabei schon die Rhetorik. Sofern die Idee, wie bei Kant, Begriff ohne Anschauung ist, also für die Erkenntnis nicht taugt, sondern lediglich praktische Bedeutung hat, ist sie das Gegenteil dessen, was der Begriff im Griechischen ursprünglich bedeutete, nämlich Bild. Und Hegel gebraucht dann im Anschluss an Kant den Begriff der Idee wieder anders, insofern er ihn als den sich entwickelnden Begriff begreift, der nicht des Mediums des Dialogs, der Geschichte, der praktischen Philosophie, aber auch nicht der Anschauung mehr bedürfe, der vielmehr sein eigenes Medium sei, weil er nicht mit sich identisch bleibe. Alles das aber ist schon in dem Satz des Paulus beschlossen, der da lautet: „Es gibt wer weiss wie viele Arten von Sprachen in der Welt, nichts ist ohne Sprache“ (1. Kor 14, 10). So unterscheidet auch Paulus nicht mehr zwischen, abstrakt gesprochen, Medium und Idee, konkret zwischen Gemeinde und Christus, sondern er betrachtet beides als Identität von Identität und Nicht-Identität – aber nicht im Sinne eines dialektischen Prozesses der Vernunft, sondern als Ausweis ihrer grundsätzlicheren Nichtidentität im Sinne ihrer unendlichen Endlichkeit im Rahmen der endlichen Unendlichkeit. Der Identitätsbegriff in der Klammer (Identität von Identität und Nichtidentität) ist ein anderer als der der Klammer selber (denn der erste Identitätsbegriff klammert Identität und Nichtidentität ja ein). Die Auferstehung Christi hat die Auferstehung der Toten zur Voraussetzung, aber ohne die Botschaft von der Auferstehung Christi leben die Lebenden kein Leben, sondern sind nur untot. Dann ist ihr Leben dem Tod verfallen und kein eigentliches Leben mehr. Ihre Identität äußert sich im dem Tod verfallenen Leben darin, keine Anderen mehr werden zu wollen. Sie sind als solche dann die Träger jeder politischen Herrschaft, die ihnen die vermeintliche Sicherheit ihre Identität verspricht. Wer dagegen seine Identität in der Nichtidentität wagt, wer also ein anderer werden will – und das ist das klassische Verständnis von Lernen –, macht sein Leben lebendig. „Wer sein Leben findet, wird es verlieren; wer sein Leben verliert um meinetwillen, wird es finden“ (Mat 10, 39). Was im Matthäusevangelium deutlich vor dem Hintergrund der Unterscheidung zwischen Leib und Seele (v. 28) auf die Tradition des Zweiten und Vierten Makkabäerbuches verweist, kann im paulinischen Kontext nicht als Aufruf zum Martyrium verstanden werden, im Gegenteil: Das Martyrium ist nämlich kein Anderswerden, sondern Sicherung von Identität im Tod – und damit das Gegenteil von Auferstehung. Darum kann auch kein größerer Kontrast zu den Evangelien des Neuen Testaments gedacht werden als der, der sich im Neuen Testament schon selber findet, auch wenn ihn die Redaktion des Kanons zu verwischen sucht. So wie nämlich in der politischen Ideengeschichte jenen, die das Politische entweder an ewig gültige Ideen oder Werte binden oder über unveränderliche Gesetze, die es regierten, verstehen und berechnen wollen, jene gegenüber stehen, die das Politische als eine pragmatische Herausforderung betrachten, die die Beteiligten vor immer neue Aufgaben stellt, die nicht unter Verweis auf Traditionen oder Geltungen gelöst werden können, so steht im Neuen Testament Autoren, die metaphysisch gesicherte Konventionen als solche anerkennen, Paulus gegenüber, der diesen Konventionen nicht nur die Anerkennung verweigert, sondern ihnen auch noch den Boden unter

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den Füßen wegzieht. Paulus steht damit in der Tradition des Gorgias. Er begreift die Auferstehung nicht als einen Fakt, der ohne Sprache auch wäre – also als einen, wie Searle es nennt, brute fact –, sondern als einen institutional fact. Damit ist die Auferstehung, wie Paulus sie versteht, ein politisches Geschehen. Von da aus aber ist die Entscheidung, ob das metaphysische Verständnis der Auferstehung politisch ist oder nicht, auch schon gefallen. In unserem Sinne des Verständnisses von Theologie ist Paulus kein Theologe. Er hätte die Bezeichnung Theologie auch gar nicht verstanden. In seinem Selbstverständnis war er Apostel. Wenn es so ist, wie Herfried Münkler in einem Gespräch über Niklas Luhmann geäußert hat, dass die Unterscheidung von Politik und Religion als verschiedenen Systemen für unser aktuelles bundesrepublikanische Selbstverständnis nicht mehr tauglich ist, die zeitgenössischen Herausforderungen des Politischen zu begreifen378, dann kann es nur hilfreich sein, Paulus in seinem Kontext ernster zu nehmen, weil er diese Systemdifferenzierungen eben auch nicht kannte. Er hätte sie so wenig verstanden, wie jene, die sie heute noch vertreten. Ihn aber als Apostel zu verstehen, und zwar in dem Sinne, wie es hier versucht wird, bedeutete vielleicht, dass es uns heute in die Lage versetzte, nicht nur die politischen, sondern auch die zeitgenössischen Herausforderungen des Religiösen zu begreifen, d. h. ihnen auch als politische Herausforderungen unseres republikanischen Selbstverständnisses zu begegnen. Was heißt das? Die paulinische Rhetorik stellt keine direkte, sondern eine indirekte Auseinandersetzung mit der imperialen Propaganda Roms dar. Indem sie sich mit der Christologie der Evangelien auseinandersetzt, die imperiale Züge trägt, und die Auferstehung nicht metaphysisch als ein außerweltliches Geschehen in der Welt begreift, entzieht sie auch der späteren Adaption der christlichen Theologie durch die römische Herrschaft den Boden. Mit Paulus lässt sich kein christlicher Staat begründen, überhaupt keine politische Herrschaft, die sich metaphysisch legitimiert. Aber ohne metaphysische Legitimation wird jede Herrschaft brüchig. Weil sich Paulus nicht direkt mit der römischen Propaganda auseinandersetzt, ist aus seinen Briefen auch kein Verfassungsmodell herauszulesen, das er präferiert hätte. Man darf wohl annehmen, dass er die urbane Selbstverwaltung, wie sie im griechischen Kulturkreis herrschte, als selbstverständlich empfand. Seine Rhetorik zeigt jedenfalls, dass die öffentliche Beratung in seinen Gemeinden üblich war. Seine Briefe sind nicht an ausgewählte Zirkel der Gemeinden gerichtet, sondern an alle Gemeindemitglieder, d. h. er adressiert sie, mit Ausnahme des Philipperbriefes und natürlich des Briefes an Philemon, der an eine Einzelperson gerichtet ist, immer an die ganze Gemeinde – was bei den anderen neutestamentlichen Briefen so nicht der Fall ist.379 378 Im Gespräch mit Dirk Baecker und Wolfgang Hagen, in: Hagen, Wolfgang (Hrsg.): Was tun, Herr Luhmann? Vorletzte Gespräche mit Niklas Luhmann. Berlin 2009, S. 99 ff. 379 Der Hebräerbrief und der Erste Johannesbrief sind nicht adressiert, der Jakobusbrief, der Zweite Johannesbrief und die beiden Petrusbriefe erwähnen den Begriff der ekklesa in der Anrede nicht.

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Im Ersten Thessalonicherbrief heißt es gar: „Ich beschwöre Euch beim Herrn, diesen Brief allen in der Gemeinde vorzulesen“ (1. Thess 5, 27). Es scheint also nicht allgemeine Praxis gewesen zu sein, dass die apostolischen Briefe allen zugänglich gemacht wurden. Wer sich aber rhetorisch um die Zustimmung aller bemüht, setzt voraus, dass alle auch mitentscheiden. Die Auseinandersetzungen, die Paulus führte, seine Argumentation, die sich gegen jene wandte, die ihre Vorrangstellung metaphysisch abzusichern suchten, haben in der Kirchengeschichte immer wieder Wirkung gezeigt. Die Reformatoren des 16. Jahrhunderts haben sich zwar zunächst maßgeblich auf den Galaterbrief und besonders den Römerbrief berufen, aber ihnen war es zunächst wichtig, den einzelnen Christenmenschen von der institutionellen Umklammerung durch die Kirche zu befreien. Als es aber darum ging, die Befreiten nun auch wieder in Gemeinden zu integrieren, stand das Gemeindeverständnis des Paulus, wie es sich in den Korintherbriefen äußert, im Vordergrund. Einen Einfluss des Paulus auf das moderne republikanische Selbstverständnis hat man indirekt über sein Gemeindeverständnis, wie es sich in den Gemeindeordnungen der reformierten Gemeinden widerspiegelt, durchaus gesehen, namentlich in der reformierten Tradition. Immerhin wird die Gemeindeordnung hier nicht als Anhang zu den Bekenntnissen (und in der reformierten Tradition gilt die Bekenntnisbildung nicht, wie im Luthertum, als abgeschlossen, vielmehr gilt ecclesia reformata semper reformanda), sondern als Teil, damit als praktische Konsequenz, als Umsetzung des Bekenntnisses verstanden. Dennoch spielte in der Geschichte des politischen Diskurses innerhalb des Protestantismus das Alte Testament und nicht Paulus die herausragende Rolle für das Verständnis darüber, wie die Verfassung des politischen Gemeinwesens zu gestalten sei. Das Alte Testament begründet das republikanische Denken, das sich im Protestantismus herausbildete. Es ist ein Irrweg gerade der protestantischen Exegese gewesen, Paulus in Gegnerschaft zum Judentum zu sehen. Das zu korrigieren, hat insbesondere die US-amerikanische Paulusforschung der letzten 40 Jahre vermocht. Dann rechtfertigt es sich aber, Paulus auch direkt in die republikanische Tradition zu stellen. Diese Tradition zeichnet sich gegenüber allen anderen Staatsformen dadurch aus, dass sie eine Voraussetzung hat, die sie selber garantieren kann, nämlich den politischen Willen ihrer Bürger. Ihn zu erhalten ist Aufgabe republikanischer Politik, sowohl republikanischer Steuer- als auch republikanischer Sozial-, nicht zuletzt republikanischer Bildungspolitik. Die Religion dagegen ist so wenig öffentliche Sache wie das Zungenreden in Korinth. Sie wird geduldet aus Liebe. Aber Vorrang hat die vernünftige Rede. Die paulinische Rhetorik ist darum Übung in Republikanismus, gerade gegenüber den Ansprüchen der Religion. Die Unterstellung Böckenfördes, der moderne liberale Rechtsstaat beruhe auf metaphysischen Voraussetzungen, die er selber nicht zu garantieren vermöge, ist unzutreffend. So finanziert er sich z. B. durch Steuern und muss darum Sorge dafür tragen, dass der gesellschaftliche Wohlstand wächst, zumindest erhalten bleibt. Das gilt nicht nur im Hinblick auf seine Eigenversorgung, sondern auch im Hinblick auf die Vertei-

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lungsgerechtigkeit. Seine Voraussetzung ist also Freiheit, auch und gerade Freiheit der ökonomischen Entscheidungen. Seine Stärke ist seine Schwäche, weder im qualitativen noch im quantitativen Sinne totaler Staat zu sein.380 Darum zeichnet sich der moderne liberale Rechtsstaat dadurch aus, dass er statt auf metaphysische Voraussetzungen auf dem schwachen Denken beruht. Seine Voraussetzung ist nichts weiter als der Willen und das Engagement seiner Bürger. Analog dazu, dass Christus nicht auferstanden ist, wenn die Toten nicht auferstehen, ist kein liberaler Rechtsstaat, ist keine Republik, wenn die Bürgerschaft sich nicht entsprechend verfasst und in dieser Verfassung erhält. Die Republik ist also nur in ihrem Vollzug, als gelebte Konvention, und nicht Staat an sich. Sie ist eigentlich nicht Staat, und man sollte besser den Staatsbegriff vermeiden und vom Gemeinwesen nur als Republik reden. Denn im Begriff des Staates ist Stärke mitgedacht. Die Republik in ihrer Schwäche ermutigt freilich jene, die sie herauszufordern trachten. Doch ihre Feinde müssen schließlich erkennen, dass ihre vermeintliche Stärke Schwäche, aber die vermeintliche Schwäche einer wirklichen Republik Stärke ist. Denn die Republik hat die Anerkennung ihrer Bürger, und wenn sie Republik ist, bemüht sie sich um diese Anerkennung. Sie ist nichts anderes als die Anerkennung ihrer Bürger sich selbst gegenüber und gegenseitig, Bürger zu sein. Auch die von Carl Schmitt unterschiedenen totalen Staaten sind nicht an sich, sondern bleiben nur bestehen, solange sie Anerkennung finden. Das leugnen sie zwar, und darum bedürfen sie der Metaphysik, die aber nichts anderes ist als Propaganda. Ihr Glaube an ihre vorgebliche Stärke ist aber gerade ihr Verhängnis. Denn indem sie ihre Voraussetzungen in der Tat nicht zu garantieren vermögen, überfordern sich diese Systeme immer wieder und erodieren von innen. Sie scheitern an ihrer eigenen imperialen Mission. Für den Staat gilt also auch, dass er nur stark ist, wenn er schwach, wenn er nicht mehr Staat, sondern Republik ist. Seine Schwäche ist seine Angewiesenheit auf das bürgerliche Engagement – letztendlich ist er nichts anderes als dieses Engagement. Das muss aber seinerseits schwach begründet sein, darf also gerade nicht in einer Metaphysik begründet sein, die ausschließt, sondern in einem pragmatischen Denken, das die Freiheit aller will. Freiheit, Gerechtigkeit, Sicherheit und Fortschritt stehen sich nicht unvermittelt gegenüber und schließen sich auch nicht gegenseitig aus. Sie sind keine Ideen mit zeitloser Bedeutung, sondern sie vermitteln sich im republikanischen Kontext ihre Bedeutung erst: Die Freiheit steht im Zentrum, die es über Gerechtigkeit zu sichern, über Fortschritt auf möglichst alle auszudehnen gilt, wobei der Fortschritt wiederum Freiheit voraussetzt (wie auch, von Michael Wal380

Der totale Staat im quantitativen Sinne ist für Carl Schmitt „ein Staat, der sich unterschiedslos in alle Sachgebiete, in alle Sphären des menschlichen Daseins hineinbegibt, der überhaupt keine staatsfreie Sphäre mehr kennt, weil er überhaupt nichts mehr unterscheiden kann. Er ist total in einem quantitativen Sinne, im Sinne des bloßen Volumens, nicht der Intensität und der politischen Energie“ (Schmitt, Carl: Weiterentwicklung des totalen Staates in Deutschland, in: Schmitt, Carl: Verfassungsrechtliche Aufsätze. Berlin 1985). Der Staat im qualitativen Sinne ist für Schmitt der Staat, der die ungeheuren technischen Mittel, die ihm zur Verfügung stehen, monopolisiert und nicht duldet, dass sie ihm aus der Hand genommen werden (Schmitt denkt an Bewaffnung, aber auch an die Technik der Nachrichtenübermittlung, an Massenbeeinflussung usf.).

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zer gezeigt, die Gerechtigkeit). Die Rhetorik des Paulus, seine Kommunikation mit seinen Gemeinden, die zwar herrschaftsfrei war, schon aus dem Grunde, weil Paulus eine Minderheitenposition vertrat, aber nicht frei von Autorität, vermag darum dem republikanischen Denken auch heute noch Grundlage zu sein, insbesondere dann, wenn unter Rückgriff auf die so genannte christliche Tradition versucht wird, ganz andere Traditionen zu immunisieren. Ich habe mich vor allem auf die Forschung Herfried Münklers über Imperien und die angelsächsische Paulusexegese gestützt, wobei ich heute wohl Crossan und Elliott am nächsten stehe. Ich zähle auch Dieter Georgi zur angelsächsischen Forschungstradition, obwohl er von den frühen 80er Jahren ab wieder in Frankfurt am Main lebte und lehrte. Er wird aber im angelsächsischen Raum ungleich stärker rezipiert als im deutschsprachigen. Der Prophet zählt eben nichts im eigenen Land. Ich gehe sicher einen Schritt über die angelsächsische Forschung hinaus, weil ich die paulinischen Briefe ausschließlich als Rhetorik verstehe, ohne einen theologischen Kern, ohne theologische Absicht. Paulus geht es m. E. vielmehr um den Aufbau einer Interpretationsgemeinschaft, die sich nicht mehr über Metaphysik definiert. Außerdem macht die Paulusforschung, die sich für den politischen Paulus interessiert, den Fehler, zu versuchen nachzuweisen, dass Paulus in direkter Konfrontation mit dem römischen Imperium gestanden habe. Dieser Nachweis ist nicht nur sehr schwer zu führen, er muss sich auch notgedrungen auf das tiefenhermeneutische Verfahren etwa eines Leo Strauss einlassen und zwischen den Zeilen lesen. Wer sich aber auf dieses Vorgehen einlässt, begibt sich auf einen Kampfplatz, auf dem die Unterscheidung zwischen exoterischer und esoterischer Lesart anerkannt wird. Diese Anerkennung unterstellt Paulus dann aber gerade das, was bestritten werden soll, nämlich dass Paulus seine Leser bzw. Zuhörer in Wissende und Nichtwissende, Philosophen und einfaches Volk, Theologen und Laien unterschieden, dass er m. a. W. Metaphysik betrieben habe. Mit der Metaphysik muss man asymmetrisch kämpfen. Ich sehe Paulus darum indirekt, vermittelt über seine innergemeindlichen Gegner, im Konflikt mit dem Imperium. Das machte ihn freilich nicht bequemer für Rom, sondern im Gegenteil sogar noch gefährlicher für jeden imperialen Anspruch. Im Interesse der Asymmetrie verstehe ich Paulus darum auch nicht mehr als Theologen. Vielleicht ist die Befreiung des Paulus von der Theologie erst der Durchbruch zum politischen Paulus, um den sich insbesondere die angelsächsische Forschung bemüht, den sie aber verfehlt, wenn sie ihm weiterhin Metaphysik unterstellt, und sei es auch nur die, die jede Apokalyptik letztlich doch trägt. Apokalyptik ist unpolitische Politik. Der prophetische Paulus erst ist ein republikanischer Paulus, denn die Republik basiert nicht auf einer Metaphysik, der sich die Rhetorik unterzuordnen hat, sondern ist wesentlich Rhetorik. Wenn behauptet wird, Paulus habe keine Theologie in einem Guss geschrieben, seine Verkündigung verfolge vor allem den Zweck, Konventionen zum Einsturz zu bringen, um neue Semantiken durchzusetzen, dann gilt freilich auch für Paulus, dass er selber sich noch in alten Konventionen gefangen sah, von denen er sich nur mühsam und nur im Dialog mit seinen Gemeinden zu lösen vermochte. Er war

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kein einsamer Heros des semantischen Ausnahmezustands. Selbstbefreiung von Metaphysik ist kein einsames Geschäft. Metaphysik ist das freilich auch nicht, aber sie kann sich diese Scheinwelt vorgaukeln. Rhetorik hat soziale Voraussetzungen und reagiert auf Einwürfe. Sie rechnet mit dem Missverständnis, sowohl dass sie sich missversteht als auch dass sie missverstanden wird. Es gibt darum eine Geschichte des Denkens und damit der Verkündigung des Paulus, die gerade keine Entwicklung ist, sondern nur an der Freiheit festhält. Die Eschatologie des Ersten Thessalonicherbriefes trägt in der Tat noch apokalyptische Züge. Die Vorstellung von der Auferstehung, die Paulus im Ersten Korintherbrief entwickelt, ist als Konvention im Römerbrief für ihn schon selbstverständlich. Inwiefern sie es für ihn im Ersten Korintherbrief schon ist, ist ungewiss. Er ringt mit der Gemeinde in Korinth noch um ein Auferstehungsverständnis, das sich erst im Römerbrief deutlicher zeigt. Paulus entwickelt seine Gedanken im Dialog, wobei ihm der Dialog, die Übereinkunft, wichtiger ist als eine Erkenntnis, die verteidigt werden müsste. Es geht ihm nicht um reine Lehre, sondern um Freiheit. Darum vertritt er gegenüber seinen Gemeinden keine Lehre, die er schon entwickelt hätte. Im Zweiten Thessalonicherbrief heißt es, man möge sich von einen Brief, der angeblich vom Verfasser stamme, nicht von der Besonnenheit abbringen lassen (2. Thess 2, 2). Der Zweite Thessalonicherbrief widerspricht nämlich der eschatologischen Naherwartung des Ersten Thessalonicherbrief, was ihn in den Augen der meisten Ausleger als pseudo- bzw. deuteropaulinisch ausweist. Aber dennoch ist dieses sich Zurücknehmen ganz im Sinne des paulinischen Denkens. Ohne die Adressaten des Paulus, ohne ihre beständigen Einwände, die Paulus immer wieder neu haben ansetzen lassen, gäbe es das paulinische Denken, wie es uns seine Briefe dokumentieren, gäbe also die paulinische Rhetorik nicht. Die ihm folgten, sind leider als Zeugen nicht mehr zu befragen. Wir kennen die Briefe des Paulus an die Gemeinden, und er hat sicher noch mehr geschrieben, die uns nicht erhalten sind, aber wir kennen nicht die Briefe, die an ihn geschrieben worden sind. Was hier vorliegt, beansprucht darum auch nicht, endgültige Paulusexegese sein – im Gegenteil: Die Möglichkeit einer solchen Interpretation wird ja von mir gerade bestritten. Es gilt für Paulus am Ende, was schon am Anfang dieser Studie mit den Worten J. G. A. Pococks gesagt wurde und jetzt noch einmal wiederholt wird: „(A) sufficiently resonant or scandalous innovator necessarily succeeds in imposing new language and new rules of the language game, though often in ways not congruent with his intention.“381 Das erfordert aber noch ein abschließendes Wort über jene, die Paulus zwar noch als Metaphysiker verstehen, aber ihn dennoch nicht konservativ vereinnahmt wissen wollen. Hier wäre insbesondere an die angelsächsische Paulusexegese zu denken, auf die ich mich berufen habe, und N. T. Wright möchte ich da nicht ausgenommen wissen. Vielleicht kann man eine Analogie zum Neuen Testament sehen: So, wie die Einen bei den Juden und Paulus und Andere bei den Heiden den Auferstandenen verkündigten, so verkündigen die Einen unter uns bei denen, die auf Metaphysik nicht 381

Pocock, S. 101 f.

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verzichten können, während sich der hermeneutische Ansatz an jene wendet, die sich von der christlichen Metaphysik nicht mehr ansprechen lassen, aber unbemerkt anderen metaphysischen Einstellungen zum Opfer fallen. Freilich muss jeder, der sich heute auf Metaphysik einlässt, wissen: In den metaphysischen Kämpfen unserer Zeit geht es, wie zu allen Zeiten, um das Interpretationsmonopol, das nicht unabhängig von der gesellschaftlichen Praxis behauptet werden kann. Wer sich auf Metaphysik einlässt, dient ja nicht seiner von ihm verkündeten metaphysischen Position, sondern der jeweils herrschenden, der konventionellen Metaphysik. „Doch was solls! Es geht doch einzig darum, dass so oder so, aus echten oder unechten Motiven, Christus verkündigt wird, und darüber freue ich mich“ (Phil 1, 18).

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Personen- und Sachverzeichnis Abel 45 Adam 40, 42 f, 46, 145 Adam, Karl 144, 176 Adorno, Theodor W. 16 f, 176, 184 Agamben, Giorgio 117 ff, 176 Agosto, Efrain 64, 176 Agrippa, Marcus Vipsanius 70 Agrippina maior 70 f Agrippina minor 57 Alexander d. Gr. 47, 59 Alkier, Stefan 120, 176 Althaus, Paul 98, 105, 176 Ananias 89 Antijudaismus 73, 85, 90, 152 Antiochien 29 f, 83 ff, 92 f, 95, 107, 130, 136, 140, 142 f, 146, 152 Antiochus IV 82 Antisemitismus 73, 85 f, 182 Antonius, Marcus 47, 54, 64 Apokalyptik (apokalyptisch) 16 f, 72, 80, 102, 107, 109, 113 f, 117, 119 ff, 127, 131, 144, 146, 150, 173 f Apostelgeschichte 29 f, 61, 63, 76, 80, 83, 89, 91 f, 94, 100, 116, 129, 143, 162 Arendt, Hannah 32 ff, 41 f, 69, 134, 176 Ariovist 59 Aristoteles 19, 60, 68, 176 Assmann, Aleida 37, 176 Assmann, Jan 27, 37, 64, 176 Augustus (Octavian) 46, 49 ff, 55 ff, 62, 64, 69 ff, 74 f, 77, 79, 129, 166, 176, 178 Austin, John L. 124 Autorität 39, 42 f, 53 ff, 63, 69 f, 83, 131, 143, 151, 173 Badiou, Alain 118 ff, 159, 176, 180, 184 Bagliani, Agostino Paravicini 95, 176 Barth, Gerhard 82, 176 Barth, Karl 39, 82, 104 ff, 133, 141 f, 150 f, 160, 176, 182 Bassus, Ventidius 55

Baudissin, Graf von 165 Beierwaltes, Werner 97, 176 Beker, J. Christiaan. 29, 43, 103, 113 f, 128, 144, 146, 151 f, 155, 176 Benjamin, Walter 118, 122, 177 Berger, Klaus 28, 72 f, 85, 103, 107, 177 Berger, Peter L. 164, 177 Berlin, Isaiah 167 f, 177 Berman Harold 95, 177 Bloom, Harold 42 ff, 177 Bluhm, Harald 20, 117, 122, 177 Blumenberg, Hans 39 f, 164, 177 Blumenfeld, Bruno 128 ff, 134, 145 f, 177 Böckenförde, E.-W. 22 f, 45, 127, 168, 171, 177 Bohlender, Matthias 20, 126, 168, 177 Bormann, Lukas 61 f, 82, 110, 176 f, 181 Brodbeck, Karl-Heinz 40, 177 Bruni, Leonardo 44 Bruns, Irmgard 94, 177 Bultmann, Rudolf 97 f, 100 f, 105 f, 109, 133, 142, 160, 177 Bürgerkrieg 46 f, 48, 50, 55 ff, 59 f, 64, 67, 74, 79, 88 f, 129, 135, 147 Byung-Chul Han 34, 136, 177 Caesar, Gaius Julius 18, 47 ff, 54 f, 58 f, 64, 70, 79, 89, 94, 129, 135, 154, 178 ff, 184 f Caligula, Gaius Julius Caesar 51, 70 ff, 74, 185 Campenhausen, Hans Freiherr von 160, 178 Cavallin, Hans C. 82, 97, 178 Centurio (Hauptmann) 76, 79 ff, 90 Charisma 47, 55, 61, 63 ff, 67, 69, 74 f, 82, 87, 93, 95, 138 f, 142, 180, 184 Chronik (Erstes und Zweites Buch) 39 Cicero, Marcus Tullius 60, 110 f, 154, 178 Claudius, Tiberius Nero Germanicus 51, 130 Cohn, Chaim 85, 178 Collingwood, R. G. 24, 39, 178

Personen- und Sachverzeichnis Conzelmann, Hans 98 f, 178 Crossan, John Dominic 85, 114 ff, 127 f, 152 f, 173, 178, 184 Cullmann, Oscar 98, 101, 107, 178 Cummings, Robert Neville 102, 178 Dahlmann, Hellfried 17, 178 Dankers, Frederick 162 Dewey, John 19, 125, 126 f, 182 Dominitian, Titus Flavius 75, 79 Drusus Caesar 70 Edwards, Catharine 153, 178 Elliott, Neil 128, 130, 153, 156, 166, 172, 178 Epiktet 74, 178 Eschatologie (eschatologisch) 16, 91 f, 97 ff, 112, 122, 124, 130, 139, 150, 153, 155, 174, 181 Eva 40, 42 Ewald, Günter 19, 178 Feminismus 113 Fischer, Karsten 22, 44, 96, 178 Flaig, Egon 50, 67 ff, 75, 79, 178 Fraenkel, Ernst 134 Führung 52 ff, 60, 65 f, 81 Gaius Caesar 70 Galaterbrief 28 f, 84, 113, 118, 151 ff, 160, 171 Galba, Servius Sulpicius 57 Gallus, Cornelius 62 Geertz, Clifford 20 f, 157, 179 Gefolgschaft 53 f, 60, 65 (Der) Gekreuzigte 16 f, 28, 67, 100, 110, 121, 131, 143, 162, 164 Georgi, Dieter 61, 74, 86, 91 f, 116, 131 f, 139 f, 142, 158, 173, 177, 179 Germanicus, Nero Claudius 70 Germanicus Gemellus 70 Giuliani, Luca 70 f, 179 Gnade 44, 46 f, 99, 104 ff, 122, 137, 139, 143 Goethe, Johann Wolfgang 23, 179 Gorgias von Leontinoi 113, 168 f, 179 Gracian, Balthasar 54

187

Graf, Friedrich Wilhelm 103, 124, 179, 183, 185 Greshake, Gisbert 108, 179 Grotius, Hugo 44 Guicciardini, Francesco 44 Gumbrecht, Hans U. 36, 179 Guzzoni, Ute 126, 179, 182 Hagen, Wolfgang 170, 179 Hays, Richard B. 102, 179 Hegel, G. W. F. 16 f, 19, 22, 34, 39, 53, 104, 117 f, 133 f, 158, 169, 180 f Hegemonie 26, 52, 60, 62, 83, 184 Heidegger, Martin 17 ff, 100, 109, 117, 125 f, 133, 135 f, 147, 158 f, 177, 179, 182 Heidenchristen (heidenchristlich) 76, 84, 92, 103 Heine, Heinrich 100, 179 Heinze, Richard 49, 179 Henecke, Edgar 57, 179 Hengel, Martin 84, 140, 179 Herbst, Ludolf 87, 180 Herodes Antipas 85 Herodes d. Gr. 62, 77 Heuss, Alfred 49, 56, 62, 180 Hirtius, Aulus 54 Hitler, Adolf 34, 53, 87, 180 Homer 60, 180 Horaz 51, 58, 109, 133 Horsley, Richard A. 62, 64 ff, 70, 73, 103, 128 f, 132, 150, 176, 180, 182, 185 Institution 15, 18 f, 27, 33 ff, 49 ff, 54, 65 ff, 69, 74 f, 77, 87, 94, 109, 123, 127 f, 130, 146 ff, 166, 170 f Interpretationsgemeinschaft 15 f, 18, 50, 92, 103, 108, 110, 114, 118, 122, 136, 156, 173 Jahwist 37 f, 41 ff James, William 156 f, 158 Jehne, Martin 135, 180 Jerusalem 28 ff, 62, 73, 83 ff, 90 ff, 139 f, 142, 150, 163, 179 Johannesevangelium 28, 78 f, 85 f, 87, 90 f, 93, 183 Johnston, Adrian 120 ff, 180 Judaistisch 25, 28, 139 f, 163

188 Judas (Ischariot) 143 Judenchristen (judenchristlich) 94 Jussen, Bernhard 50, 179 f

Personen- und Sachverzeichnis

29, 91 f,

Kain 43, 45 ff, 131 Kaiphas 78, 86, 90 Kanon 24 f, 28, 35 ff, 80 f, 83, 85, 91, 93 ff, 101, 116, 136, 161, 169, 176, 180 Kantorowicz, Ernst H. 95, 180 Käsemann, Ernst 101, 155, 180 Kelsen, Hans 142, 180 Kessler, Hans 19, 100, 102 f, 155, 178, 180 Kierkegaard, Sören 160 Kirk, J. R. Daniel 102, 179 Klein, Richard 117, 178 Kleopatra VII Philopator 55 Koeppen, Wolfgang 160 Kondylis, Panajotis. 27, 32, 180 Könige (Erstes und Zweites Buch) 39 Konvention 13 ff, 18, 21, 25, 34, 40, 74, 111, 114, 124, 126, 128, 134, 146, 151, 156, 158 f, 168 f, 172 f, 174 f Korintherbrief (Erster) 17, 20 f, 23, 28 f, 73, 83, 102 ff, 108, 110 f, 113, 125, 130, 136 ff, 171, 174, 176, 185 Korintherbrief (Zweiter) 28, 154, 162 ff, 171, 179 Köster, Helmut 83, 180 Kramer, Rolf 38 f, 180 Kreuz 79, 81, 90, 92, 121, 131 f, 136, 140, 145, 161, 163 f Lacan, Jacques-Marie Emile 120 Lassalle, Ferdinand 134, 180 Legion 48, 55, 57, 67, 75, 79 f Leib 32, 81, 98, 139, 146 f, 169 Leib (Christi) 29, 85, 97, 99, 103, 115, 134 f, 137, 140 ff, 151 Leib (des Papstes) 95, 176 Leiblichkeit 85, 148 Lenin 34 Livius 46, 51, 58 Llanque, Marcus 124, 180 Locke, John 44 Löhr, Gerhard Luca 102, 181 Lucan, Marcus Annaeus 17, 58

Lukasevangelium 26, 61, 76 ff, 85 f, 90 f, 177 Lukrez., Titus Carus 147, 181 Machiavelli, Niccolo 44 Machthaber 23, 31, 34, 40 ff, 47, 56, 63, 119, 135 f, 183 Maecenas, Gaius Cilnius 51 Mann, Michael 73 f, 181 Markion 28, 80 Markusevangelium 26, 75 f, 79, 83, 86, 90 f, 93 f Märtyrer 81 f, 88, 131, 147, 154 f Märtyrertheologie 28 f, 82, 87 Martyrium 81 ff, 88 f, 93, 119, 121, 169 Marx, Karl 53, 120, 181 Matthäusevangelium 26, 76 ff, 86, 90 ff, 102, 143, 169, 182 Matthiae, Karl 98 f, 144, 176, 178, 182 Meier, Christian 44, 55, 58, 181 Meier, Mischa 166, 181 Militär (militärisch) 48, 55 ff, 60, 62, 66, 69 f, 74 f, 79, 84, 88, 90, 135, 153 f Militärdiktatur 89, 129 Milton, John 44 Momigliano, Arnaldo 73, 181 Mommsen, Theodor 69, 89, 181 More, Thomas 44 Müller, Peter 109 f, 181 Münkler, Herfried 39, 54 f, 59, 66, 68, 88, 135, 166 ff, 173, 181 Murphy, John P. 156, 181 Mussner, Franz 84, 181 Mussolini, Benito 34 Napoleon Buonaparte 23 Narrheit 105, 130, 159, 160 ff Nelson, Eric 44 f, 181 Nero, Caesar 70 f Nero, Claudius Caesar 50 f, 57 f, 72, 75, 79, 88 f, 129 f, 141, 154 Nestle, Wilhelm 43, 63, 181 Nietzsche, Friedrich 13, 17, 19, 26, 109, 112, 133, 135, 181 Orosius, Paulus 166 Oswald, Wolfgang 35 f, 80, 182

Personen- und Sachverzeichnis Otho, Marcus Salvius Ovid 51, 150

57

Patzold, Steffen 166, 181 Peirce, Charles Sanders 120, 156, 181 Peripherie (imperiale) 54 f, 59 ff, 88 Persius, Aulus Flaccus 17 Peterson, Erik 52, 60, 65, 182 Petrarca, Francesco 44 Petrus 28, 76 f, 80, 83 ff, 90 ff, 107, 142, 178, 181, 183, 185 Petrusbriefe 170 Philemonbrief 28, 72 f, 170 Philipp II (Spanien) 31 Philipperbrief 28, 125, 149, 162 f, 170 Philo von Alexandrien 38, 46, 182 Pilatus, Pontius 54, 78 ff, 85, 90, 142 Piso, Calpurnius 70, 79 Platon 19, 21, 82 f, 97 f, 108, 147, 164, 166 ff Platonismus 24, 38 ff, 97, 110, 147 f, 153, 166, 168, 176 Plinius d. J. 64 f, 182 Plutarch 48, 182 Pocock, J. G. A. 13, 15 f, 124, 174, 182 Pompeius, Gnaeus 48, 135 Postumus Rabirius 55 f Prinzipat (princeps) 17, 27, 49, 55, 68 f, 71, 75, 154, 178 Propaganda 16, 18, 26 f, 41, 50 ff, 56, 58, 61, 64, 80, 89, 94, 96, 114, 130, 132, 170, 172, 177, 179 Pufendorf, Samuel von 44 Ramsaran, Rolllin A. 150, 182 Reinmuth, Eckhart 102, 118, 123, 182, 184 Remus 46 Rice, S. R. F. 69, 182 Richter (Buch der) 65 Rieger, Jörg 25, 182 Riessler, Paul 81, 176 Rislow, Helmut 98 f, 144, 176, 178, 182 Rom (als Imperium) 16 ff, 24, 25 f, 28 f, 46 ff, 59, 61, 65 ff, 73, 78, 88 ff, 117 f, 123, 128 ff, 166, 173 Rom (imperiale Mission) 46, 59, 79, 89 Römerbrief 28 f, 53, 107 ff, 113, 117 f, 121, 141, 145 f, 151 ff, 163, 171, 174, 176, 184

189

römisch-katholizisch 21, 28, 69, 81, 99 ff, 114, 126, 133 f, 136, 144, 180 Rorty, Richard 13, 19, 23, 43, 110, 125 ff, 137, 156, 158, 162 f, 182 Royce, Josiah 157 f, 179, 182 Safranski, Rüdiger 159, 182 Sanders, E.P. 102 ff, 128, 152, 182 Schäfer, Peter 73, 86, 182 Schellong, Dieter 133, 182 Schiller, Friedrich 31 Schmidt-Biggemann, Wilhelm 99, 122, 183 Schmitt, Carl 20, 22, 23 f, 31, 33, 117 f, 122, 125 ff, 133 f, 136, 155, 172 Schmitt, Hans Christoph 35, 42 Schnabel, Eckhard J. 144 f, 183 Schneemelcher, Wilhelm 57, 93, 179, 183 Schnelle, Udo 102 f, 183 Scholder, Klaus 105, 183 Schuhmacher, Bernhard N. 155, 183 Schüssler Fiorenza, Elisabeth 113, 183 Schweitzer, Albert 97 f, 101, 103 f, 183 Searle, John R. 15, 18 f, 21, 33 f, 49 f, 109, 127, 146 f, 148, 158 f, 170, 183 Seebass, Horst 46, 183 Seesengood, Robert Paul 20, 104 f, 111 f, 156, 183 Seianus, Lucius Aelius 54, 78 Selbstmord 57, 62, 72, 130, 153 f Selden, John 44 Seneca, Lucius Annaeus 17, 51, 57, 110, 130, 141 ff, 154, 178, 183 Setzer, Claudia 102, 149, 182 Sexualität 43 Shakespeare, William 165 Sicker, Martin 38, 41, 44, 46, 183 Simon, Lutz 28, 92, 183 Skinner, Quentin 7, 13, 124, 183 Smith, John E. 157 Sokrates 82, 161, 164 Sophokles 31, 183 Sprechakt 14, 20, 23, 33, 124, 134 Standhartinger, Angela 61, 82, 110, 118, 176 f, 181, 184 Stegemann, Wolfgang 63, 184 Stein, Tine 123, 184 Stendahl, Krister 28, 69, 102, 109, 112 ff, 128, 137, 152, 180

190

Personen- und Sachverzeichnis

Stewart, Robert B. 115, 184 Stoa 17, 58, 141, 153 f Strauss, Leo 19 f, 53, 117, 122, 134, 164, 167 f, 173, 177, 184 Sueton 56, 71, 184 Sünde 43, 45, 78, 81, 106 f, 143, 146, 151 f Syme, Ronald 55, 184 Tacitus 51, 67 f, 70, 79, 154, 184 Taeger, Fritz 63, 65, 184 Taubes, Jacob 116 ff, 131, 179, 184 Taylor, Charles 21 f, 96, 184 Theißen, Gerd 28, 80, 148, 184 Thessalonischerbrief (Erster) 28, 74 f, 84, 108, 124, 130, 151, 170 f, 174 Thessalonischerbrief (Zweiter) 174 Thiers, Adolphe 48 Thomasevangelium 91, 93 Thukydides 39, 166 ff Tiberius, Julius Caesar 51, 54, 56 f, 63, 70 f, 78 Tiberius Gemellus 70 Tigellinus, Gaius 57 Titus, Flavius Vespasianus 29, 79, 89 Tod 19, 42, 47, 69, 76, 81 f, 85, 96 ff, 102, 107 f, 122, 130,141, 143 ff, 152 ff, 162, 169, 178 Torheit 21, 41, 105, 108, 130, 134, 136, 140, 144, 160, 162 ff Triepel, Heinrich 52 f, 56, 60, 62, 184 Vattimo, Gianni 13 f, 18 f, 22 f, 108 f, 112, 132 f, 137, 158, 163, 182 Veit, Lothar 160, 184

Vergil 47, 51, 58, 62, 109 Vespasian, Titus Flavius 75, 79, 88 f Veyne, Paul 72 f, 120, 147, 156, 184 Viano, Carlo Augusto 18 Vitellus, Aulus 57, 75 Volp, Ulrich 102, 185 Wagner, Richard 36 f Walzer, Michael 121 f, 172, 185 Weber, Max 39, 66, 87, 125, 185 Wehr, Lothar 84, 185 Weisheit 17, 21, 42, 105, 108, 110, 130, 134, 136, 140, 144 f, 150, 154 ,161 f, 164 Weisheit Gottes 17, 151 Weisheit (jüd.) 38, 131 Welborn, L. L. 161 f, 185 Wengst, Klaus 69 f, 150, 185 Wilhelm I (v. Hohenzollern) 31 Winterling, Aloys 70 ff, 185 Wischmeyer, Oda 124 f, 185 Wittgenstein, Ludwig 20 f, 124, 185 Wright, N. T. 100, 103, 114 ff, 121, 127 f, 131 f, 144, 174, 184 f Xenophon

53, 68

Zabala, Santiago 162 Zamojskis, Jan 48 Zanker, Paul 60, 64, 185 Zeller, Dieter 28, 101, 145, 185 Zentrum (der Macht) 31 f, 34 Zentrum (imperiales) 54 ff, 59 f, 63, 79 Zizek, Slavoj 119 f, 159