Paul Tillich in der Diskussion: Werkgeschichte – Kontexte – Anknüpfungspunkte 9783110767728, 9783110765946

Die Tillich-Forschung hat sich in den letzten 20 Jahren grundlegend verändert. Stand in der zweiten Hälfte des 20. Jahrh

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German Pages 304 [308] Year 2022

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Table of contents :
Inhalt
Vorwort
Paul Tillich in der Diskussion
Teil I: Werkgeschichtliche Perspektiven
Im Schatten des Kreuzes
“Directedness Towards the Unconditioned”
Paul Tillich als Diagnostiker und Kritiker der Gesellschaft
„Halb bin ich es und halb nicht“
Teil II: Problemgeschichtliche Kontexte
Paul Tillich im Lerngespräch mit der klassischen Metaphysik
Herrmann, Troeltsch und Tillich über die Konstruktion der Theologiegeschichte
Von der Schwierigkeit, ein Paradox zu akzeptieren
Einsichten zu Paul Tillichs Verständnis des Judentums
Teil III: Systematische Anknüpfungspunkte
Theologie, Religion, Kultur
Looking for Alfred
Krise, Theologie und Gesellschaft
Exploring the Universal and the Particular in Tillich for Feminist Theology
Publikationsliste Erdmann Sturm
Autorenverzeichnis
Personenregister
E1 Erratum zu: Inhalt
E2 Erratum zu: Personenregister
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Paul Tillich in der Diskussion: Werkgeschichte – Kontexte – Anknüpfungspunkte
 9783110767728, 9783110765946

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Paul Tillich in der Diskussion

Tillich Research

Tillich-Forschungen Recherches sur Tillich Edited by Christian Danz, Marc Dumas, Verna Ehret, and Werner Schüßler

Volume 23

Paul Tillich in der Diskussion Werkgeschichte – Kontexte – Anknüpfungspunkte Festschrift für Erdmann Sturm zum 85. Geburtstag

Herausgegeben von Christian Danz und Werner Schüßler

ISBN 978-3-11-076594-6 e-ISBN (PDF) 978-3-11-076772-8 e-ISBN (EPUB) 978-3-11-076776-6 ISSN 2192-1938 Library of Congress Control Number: 2022933196 Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. © 2022 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston Frontispiz: Erdmann Sturm, Foto aus privatem Besitz Druck und Bindung: CPI books GmbH, Leck www.degruyter.com

Festschrift für Erdmann Sturm zum 85. Geburtstag

Inhalt Vorwort

IX

Christian Danz / Werner Schüßler Paul Tillich in der Diskussion Ein Prospekt 1

Teil I: Werkgeschichtliche Perspektiven Stefan Dienstbeck Im Schatten des Kreuzes Entwicklungslinien der Geistlehre Tillichs in werksgeschichtlicher 9 Perspektive Fábio Henrique Abreu “Directedness Towards the Unconditioned” On the Theoretical Foundations of Paul Tillich’s Theology of Culture 31 Georg Neugebauer Paul Tillich als Diagnostiker und Kritiker der Gesellschaft Werner Schüßler „Halb bin ich es und halb nicht“ Paul Tillich als Existentialist

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Teil II: Problemgeschichtliche Kontexte Marc Röbel Paul Tillich im Lerngespräch mit der klassischen Metaphysik Dargestellt am Beispiel der Partizipation 105 Folkart Wittekind Herrmann, Troeltsch und Tillich über die Konstruktion der Theologiegeschichte 133

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VIII

Inhalt

Alf Christophersen Von der Schwierigkeit, ein Paradox zu akzeptieren Paul Tillich und die Standortgebundenheit des Religiösen Sozialismus 171 Ilona Nord Einsichten zu Paul Tillichs Verständnis des Judentums Kritische Anfragen an die Konstruktion eines Prophetischen 189 Geistes.

Teil III: Systematische Anknüpfungspunkte Christian Danz Theologie, Religion, Kultur Überlegungen zur systematischen Theologie im Anschluss an Paul 203 Tillich Peter Haigis Looking for Alfred Ein Blick auf Alfred Hitchcocks Filme mit Paul Tillichs kulturtheologischer Brille 217 Christian Polke Krise, Theologie und Gesellschaft Zur Bedeutung Paul Tillichs für die ‚öffentliche Theologie‘ Mary Ann Stenger Exploring the Universal and the Particular in Tillich for Feminist Theology 261 Publikationsliste Erdmann Sturm Autorenverzeichnis Personenregister

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E1

Erratum zu: Inhalt

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Erratum zu: Personenregister

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Vorwort Im Juli 2022 feiert Erdmann Sturm seinen 85. Geburtstag. Die Beiträgerinnen und Beiträger dieses Bandes möchten ihm zu diesem Anlass gratulieren, indem sie Perspektiven auf das Werk Paul Tillichs entwickeln, die allererst durch Erdmann Sturms unermüdliche Editionstätigkeit möglich geworden sind. Seit 1994 hat er dreizehn Bände für die Ergänzungs- und Nachlaßbände zu den Gesammelten Werken Paul Tillichs mit Nachlassmaterialien vorgelegt und dadurch die TillichForschung auf eine quellenmäßig neue Grundlage gestellt. Der Band wäre ohne vielfältige Unterstützung nicht zustande gekommen. Danken möchten wir Herrn Immanuel Carrara (Wien), in dessen Händen sowohl die Erstellung der Druckvorlage als auch der Register lag, Dr. Albrecht Döhnert und dem Verlag de Gruyter in Berlin/Boston für die gewohnt sehr gute Zusammenarbeit. Wien und Trier Januar 2022

https://doi.org/10.1515/9783110767728-001

Christian Danz Werner Schüßler

Christian Danz / Werner Schüßler

Paul Tillich in der Diskussion Ein Prospekt Die Tillich-Forschung hat sich in den letzten 20 Jahren entscheidend verändert.¹ Stand in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts vor allem das Spätwerk, wie es in der Systematischen Theologie vorliegt, im Blickpunkt des Forschungsinteresses, so mehrten sich seit der Jahrtausendwende Untersuchungen zum Frühwerk und zur Werkgeschichte. Seinen Grund hat das vor allem in der Edition von Materialien aus dem Nachlass von Paul Tillich durch Erdmann Sturm. Seit 1994 hat er bislang dreizehn Bände für die Ergänzungs- und Nachlaßbände zu den Gesammelten Werken Paul Tillichs ediert.² Durch diese Editionen wurde es erst möglich, die werkgeschichtliche Entwicklung der Theologie und Religionsphilosophie Tillichs genauer zu rekonstruieren, als es zuvor möglich war. Einseitige Bilder von dessen Theologie, die vom Spätwerk ausgingen, wurden vor dem Hintergrund der nun zugänglich gewordenen Manuskripte Tillichs aus allen Werkphasen korrigiert und modifiziert. Die neu zur Verfügung stehenden Quellen machten die Umformungen und Verschiebungen in der Grundlegung seiner Theologie und Religionsphilosophie sichtbar, die Tillich in der Weiterentwicklung seines Denkens in Deutschland und den Vereinigten Staaten von Amerika vornahm. Dadurch kam es in der Forschung auch zu einer Historisierung von Tillichs Theologie und Religionsphilosophie. Auf der Grundlage der frühen Nachlasstexte, der frühen Berliner Vorlesungen, der Vorlesungsmanuskripte aus Marburg, Dresden, Frankfurt, New York sowie aus Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg konnte sein Denken kontextualisiert und in die zeitgeschichtlichen Debatten eingeordnet werden. Diese Neubewertung Paul Tillichs und seiner werkgeschichtlichen Entwicklung steht selbst wiederum im Horizont einer neuen Sicht der protestantischen Theologiegeschichte des 20. Jahrhunderts, die in den 1990er Jahren einsetzte. Diese schlug sich unter anderem auch in den kritischen Editionen von Klassikern protestantischer Theologie nieder, wie den Kritischen Gesamtausgaben  Zur Tillich-Forschung vgl. W. Schüßler/ E. Sturm, Paul Tillich. Leben – Werk – Wirkung, Darmstadt 2007, 215 – 258. Die Werke Paul Tillichs werden in diesem Band nach folgenden Ausgaben und Siglen zitiert: Gesammelte Werke, hg. von R. Albrecht, 14 Bde., Stuttgart 1959 – 1975 = GW; Ergänzungs- und Nachlassbände zu den Gesammelten Werken von Paul Tillich, hg. von I. Henel u. a., bisher 20 Bde., Stuttgart, dann Berlin 1971 ff. = EW; Main Works/Hauptwerke, hg. von C. H. Ratschow, 6 Bde., Berlin/New York 1987– 1998 = MW; Systematische Theologie, Bd. 1– 3, Stuttgart 1955 – 1966 = ST.  Vgl. hierzu die Bibliographie von Erdmann Sturm in diesem Band. https://doi.org/10.1515/9783110767728-002

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Christian Danz / Werner Schüßler

der Werke Friedrich Schleiermachers oder Ernst Troeltschs, die in dieser Zeit begannen. Erdmann Sturms Edition der Nachlassmaterialien Paul Tillichs gehört ebenfalls in diesen veränderten theologiegeschichtlichen Kontext. Das wichtigste Resultat der sich seit den 1990er Jahren durchsetzenden Neubewertung der Geschichte der protestantischen Theologie im 20. Jahrhundert besteht in der Auflösung derjenigen Frontstellungen, welche die Theologiegeschichtsschreibung bis dato dominierten. Beherrscht war diese durch die Alternative Gott versus Religion, die sich nicht selten mit den Namen von Karl Barth und Paul Tillich verband. Einerseits argumentierte man, durch die Entstehung der sogenannten Dialektischen Theologie nach dem Ersten Weltkrieg sei die protestantische Theologie zu ihrer eigentlichen Sache zurückgekehrt. Thema und Gegenstand der Theologie seien nämlich nicht der Mensch und seine Religion, sondern Gott und seine Offenbarung. Entsprechend konstruierte man die theologiegeschichtliche Entwicklung im 20. Jahrhundert als Durchsetzung und Kampf um deren eigentliches Thema, welches im Jahrhundert zuvor gleichsam verloren gegangen sei, da es durch den Religionsbegriff ersetzt wurde. Gegenüber diesen Interpretationen der Theologiegeschichte, welche die Selbstdeutungen der Dialektischen Theologen affirmativ fortschrieben und als verbindlich ansetzten, machte man andererseits geltend, der mit der Wort-Gottes-Theologie verbundene Umbruch in der protestantischen Theologie nach dem Ersten Weltkrieg habe zu ihrem Auszug aus dem modernen Wissenschaftsverständnis geführt und eine vormoderne, antihistoristische Form von Theologie etabliert, die gleichsam unmittelbar Gott und seine Offenbarung in Anspruch nahm. Um jedoch die Theologie an die Fragen und Themen der modernen Kultur und Gesellschaft anschlussfähig zu halten, sei an dem Religionsbegriff als deren Grundlage festzuhalten. Diese fatale Alternative löste die neuere Theologiegeschichtsschreibung auf. In der pluralen, hochdifferenzierten Kultur und Gesellschaft des späten 20. und frühen 21. Jahrhunderts verlor jener Gegensatz von Gott oder Religion, richtiger oder falscher Theologie, zunehmend auch in der protestantischen Theologie jegliche Plausibilität. Die theologischen Positionen der damaligen Protagonisten wurden historisiert und in die theologiegeschichtliche Entwicklung eingeordnet. In den Blick kam dadurch, dass in den neuen Theologien, die nach dem Ersten Weltkrieg entstanden, Grundlegungsprobleme moderner protestantischer Theologie, wie sie seit dem 19. Jahrhundert bearbeitet wurden, nicht einfach abgebrochen oder beiseite geschoben, sondern auf eine neue, reflexive Weise behandelt wurden. Im Rückgriff auf Gott und seine Offenbarung nahmen diese Theologen vor dem Hintergrund der sich um 1900 beschleunigenden Ausdifferenzierung von Kultur und Wissenschaftssystem Neubeschreibungen der Religion in der Theologie vor, die sich nun selbst als autonome Wissenschaft ausdifferenzierte und verstehen musste. Die verschiedenen neuen Theologien nach dem Ersten Weltkrieg nehmen also Gott

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und seine Offenbarung nicht unmittelbar in Anspruch. Gott und seine radikale Transzendenz sowie seine bleibende Andersheit gegenüber der Welt haben vielmehr eine ganz bestimmte Funktion für die theologische Neubeschreibung der Religion. Diese wird an ihren unableitbaren Vollzug gebunden und das Wissen, nur als ein solcher Vollzug zu existieren, als Bestandteil des religiösen Bewusstseins behauptet. Gottes Transzendenz, auf die sich der Glaube bezieht, symbolisiert in diesen selbstbezüglichen Neubestimmungen der Religion deren Unableitbarkeit aus anthropologischen und kulturellen Voraussetzungen. Abgelehnt werden damit religionsphilosophische Grundlegungen der Theologie, die von einer im Menschen bereits angelegten Religion, einem religiösen Apriori oder einer religiösen Anlage ausgehen. Unabhängig von ihrem Gebrauch, so die neuen Deutungen, gebe es keine Religion. Um 1900 entstanden diverse Neubestimmungen der Theologie, die höchst unterschiedlich ausgearbeitet wurden. Paul Tillichs Theologie und Religionsphilosophie, ihre Anfänge und Ausführung, stehen in diesem problemgeschichtlichen Horizont und lassen sich nur in ihm angemessen verstehen. Ihm geht es, wie vielen anderen seiner theologischen Generation, um eine zeitgemäße Neubestimmung der Theologie und ihrer gegenwärtigen Aufgabe. Die Eigenart seiner Theologie besteht nicht einfach in ihrer religionsphilosophischen Grundlegung, die einem vermeintlichen Offenbarungspositivismus entgegengesetzt wird, wie man lange Zeit annahm. Vielmehr ist auch Tillich Offenbarungstheologe, und er ist es Zeit seines Lebens geblieben. Allein, er konstruiert die Offenbarung Gottes anders als in der Schule Albrecht Ritschls und in der späteren WortGottes-Theologie, die diese auf die Heilsoffenbarung in Jesus Christus beschränkten. Seit seinen theologischen Anfängen während seines Studiums geht Tillich von einer allgemeinen Offenbarung Gottes in der Schöpfung aus und ordnet in diesen Rahmen die Heilsoffenbarung ein.³ Seine Rezeption der Philosophie, zunächst der des Deutschen Idealismus und später von anderen zeitgenössischen Strömungen bis hin zur Existentialontologie und Lebensphilosophie des Spätwerks, muss immer auch in diesem systematischen Kontext verstanden werden. Die Philosophie hat eine Funktion für die Grundlegung und Ausarbeitung seiner Theologie und nicht umgekehrt. Sie dient von Anfang an der Kritik an theologischen Grundlegungen, die von der Gottesoffenbarung in Jesus Christus ausgehen und auf diese Weise Natur und Kultur theologisch irrelevant werden lassen.

 Im Hintergrund von Tillichs Fassung des Offenbarungsgedankens dürfte die modern-positive Bibeltheologie seiner akademischen Lehrer Adolf Schlatter und Wilhelm Lütgert stehen, was von der Tillich-Forschung bislang jedoch kaum wahrgenommen wurde.

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Christian Danz / Werner Schüßler

Tillichs Theologie, das dokumentieren seine Nachlasstexte und Vorlesungsmanuskripte von den 1920er Jahren bis hin zu den späten Vorlesungen über Ontologie, unterliegt im Horizont der sehr verschiedenen Diskursfelder zunächst in Deutschland und dann in den Vereinigten Staaten von Amerika einem werkgeschichtlichen Wandel. Die der Forschung durch die Editionstätigkeit von Erdmann Sturm zur Verfügung gestellten Quellen erlauben es, Kontinuitäten und Diskontinuitäten in der Entwicklung von Tillichs Denken präzise zu rekonstruieren. Neueinsätze und Umbrüche, die ohne Fragen zu konstatieren sind, müssen jedoch systematisch rekonstruiert werden. Das beinhaltet die Aufgabe, die systematischen Probleme und Aporien herauszuarbeiten, die durch deren systematische Neufassung bearbeitet und überwunden werden. Andernfalls bleibt es bei der bloßen Behauptung von Umbrüchen und Neueinsätzen. Mit einer Zusammenstellung von Zitaten allein, die einen Neueinsatz belegen sollen, ist eine solche systematische Rekonstruktion ersichtlich noch nicht geleistet. Wie stellt sich das Bild der werkgeschichtlichen Entwicklung von Tillichs Theologie und Religionsphilosophie unter Einbeziehung dieser neuen Quellen dar und welche Aspekte seines Denkens bieten Anknüpfungspunkte für gegenwärtige theologische Debatten? Diesen Fragen gehen die Beiträge des vorliegenden Bandes nach. Die erste Abteilung widmet sich werkgeschichtlichen Perspektiven auf Tillichs Theologie und Philosophie. Stefan Dienstbeck untersucht in seinem Beitrag Im Schatten des Kreuzes. Entwicklungslinien der Geistlehre Tillichs in werkgeschichtlicher Perspektive Tillichs Pneumatologie in dessen Systematischer Theologie von 1913 und der späten Systematic Theology. Tillichs Kulturtheologie und Symboltheorie widmet sich Fábio Henrique Abreu in seinen Überlegungen „Directedness Towards the Unconditioned.“ On the Theoretical Foundations of Paul Tillich’s Theology of Culture. Georg Neugebauers Beitrag Paul Tillich als Diagnostiker und Kritiker der Gesellschaft spannt den Bogen von Tillichs frühen Deutungen der Lage der modernen Kultur bis hin zum amerikanischen Spätwerk. Paul Tillichs Existentialontologie und Anthropologie erörtert Werner Schüßlers Beitrag „Halb bin ich es und halb nicht.“ Paul Tillich als Existentialist. Die Beiträge der zweiten Abteilung thematisieren problemgeschichtliche Kontexte von Paul Tillichs Theologie und Philosophie. Der Bedeutung der metaphysischen Tradition und ihrer Aufnahme im Werk Tillichs geht Marc Röbel unter der Überschrift Paul Tillich im Lerngespräch mit der klassischen Metaphysik. Dargestellt am Beispiel der Partizipation nach. Tillichs Deutung der Theologiegeschichte des neueren Protestantismus untersucht Folkart Wittekind in seinen Ausführungen zu Herrmann, Troeltsch und Tillich über die Konstruktion der Theologiegeschichte. Alf Christophersen wendet sich in seinem Beitrag Von der Schwierigkeit, ein Paradox zu akzeptieren. Paul Tillich und die Standortgebundenheit des Religiösen Sozialismus dem für die Theologie Tillichs wichtigen Begriff des

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Paradoxes im Kontext der theologiegeschichtlichen Debatten der 1920 Jahre zu. Paul Tillichs komplexes Verhältnis zum Judentum stellt Ilona Nord in ihrem Beitrag Einsichten zu Paul Tillichs Verständnis des Judentums. Kritische Anfragen an die Konstruktion eines Prophetischen Geistes dar. Während die beiden ersten Abteilungen werk- und problemgeschichtliche Perspektiven auf das Werk Paul Tillichs werfen, fragen die Beiträge der dritten Abteilung nach systematischen Anknüpfungspunkten seiner Theologie für gegenwärtige theologische Problemfelder. Christian Danz geht in seinem Beitrag Theologie, Religion, Kultur. Überlegungen im Anschluss an Paul Tillich der Frage nach, wie dessen Kulturtheologie unter den Bedingungen des 21. Jahrhunderts aufgenommen und weiterführt werden kann. Alfred Hitchcocks Filme analysiert Peter Haigis aus der Perspektive von Tillichs Kulturtheologie in seinen Ausführungen zu Looking for Alfred. Ein Blick auf Alfred Hitchcocks Filme mit Paul Tillichs kulturtheologischer Brille. Christian Polkes Überlegungen zu Krise, Theologie und Gesellschaft loten die Bedeutung Paul Tillichs für die ‚öffentliche Theologie‘ aus. Und Mary Ann Stenger fragt in ihrem Beitrag Exploring the Universal and the Particular in Tillich for Feminist Theology nach der Rezeption Tillichs in der feministischen Theologie. Was die Beiträge des vorliegenden Bandes Paul Tillich in der Diskussion eint, ist, dass sie auf den von Erdmann Sturm in mühevoller Arbeit edierten Texten aus dem Nachlass Paul Tillichs basieren. Ihm gilt deshalb unser aller Dank und wir wünschen ihm: Ad multos annos!

Teil I: Werkgeschichtliche Perspektiven

Stefan Dienstbeck

Im Schatten des Kreuzes

Entwicklungslinien der Geistlehre Tillichs in werksgeschichtlicher Perspektive Werksgeschichten tragen in sich das Problem der dritten Perspektive. Zunächst können sie frühestens nach Abschluss eines Werkes, also in der Regel nach den Lebzeiten eines Denkers, analysiert und erstellt werden. Dies beinhaltet, dass der Untersuchungsbefund immer nur ein objektiver, in diesem Sinne als: von außen herangetragener zu verstehen ist, weil die Rückfrage an den Ursprungsverfasser unmöglich ist oder zumindest – auch im Falle der Befragungsmöglichkeit – subjektiv verbrämt sein könnte. Sodann bleibt jede Werksgeschichte notwendigerweise theoretisches Konstrukt, das allenfalls mit Indizien, nicht jedoch mit überzeugender Beweiskraft argumentieren kann. Dafür wäre die Rückprüfung an der Intention des werksgeschichtlich dargestellten Autors notwendig; und diese Rückprüfung wiederum würde voraussetzen, dass die vom Untersuchten vorgenommen Modifikationen oder gar Brüche im eigenen theologischen Ansatz auch intendiert und logisch abgestimmt waren. Gerade Letzteres dürfte zu vielen kontingenten Aspekten unterliegen. Letztlich versteht daher jede werksgeschichtliche Darstellung das untersuchte Werk dem Anspruch nach ,besser‘ als der Ursprungsverfasser selbst. Dies ist selbst dann der Fall, wenn in aller wissenschaftlicher Redlichkeit, die Werksgeschichte ihrerseits als Versuch und nicht als letzte Wahrheit ausgewiesen wird – sonst hätte sie nicht in dieser, sondern in anderer Weise verfasst werden müssen. Hängt mithin der Werksgeschichte die Grundfraglichkeit aller historischen Darstellung an, so ist sie in gleicher Weise wie diese auf vorausgehende Quellenarbeit angewiesen. Ohne edierte Quelltexte bleibt jeder werksgeschichtliche Ansatz vorläufiges Stückwerk. Im Fall von Paul Tillich ist es dem scheinbar unerschöpflichen Herausgeberbemühen des in diesem Band geehrten Erdmann Sturm zu verdanken, dass werksgeschichtliche, werksbiographische und werkübergreifend thematische Studien zu Person und Werk Tillichs sich auf einem gesicherten Grund wissen dürfen. Die editorische Tätigkeit Erdmann Sturms hat daher nicht zuletzt zu einer neuen Sicht auf Tillich von dessen Frühwerk her beigetragen und eine ganze Generation von Tillich-Forscherinnen und -Forschern beeinflusst. Zu Letzterer rechnet sich auch der Verfasser dieses Beitrags, der mit großem Dank und guten Wünschen – nicht nur für die Tillich-Editionen und die Forschung um die Herausgabe der Schriften, sondern auch für die unaufgeregte

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Stefan Dienstbeck

Bescheidenheit und freundliche Hilfsbereitschaft des Tillich-Forschers Sturm – mit dieser kurzen Untersuchung Erdmann Sturm gratuliert.

1 Werksgeschichtliche Thesen und Untersuchungsverlauf Der folgende werksgeschichtliche Ansatz zu Tillichs Geistlehre ist von zwei Annahmen geleitet, die beide als Grundzüge Tillich’scher Pneumatologie über das Werk hinweg gelten: Erstens fungiert bei Tillich der Geist als Symbol für die universale Realisierung des in Offenbarungstheologie und Christologie Vorgestellten und zwar, wie es einerseits für die Welt geschieht und andererseits im Einzelnen aufgeht. Diese frühe pneumatologische Setzung soll im Folgenden als Kontinuum Tillich’scher Geistlehre ausgewiesen werden, obgleich sich die Funktion und die Gewichtung der Pneumatologie im System über das Werk hinweg verändern. Damit verbunden ist die zweite These, dass trotz der bleibenden Symbolleistung des Geistes, die Stellung der Lehre vom Geist im Gesamtsystem eine andere wird. Konkreter gesprochen erhält die Geistlehre in späteren Entwürfen Tillichs erst ihre eigentliche Dignität, die sie in den frühen Systemdarstellungen noch vermissen lässt, weil sie mehr als Annex zur Gotteslehre und Christologie erscheint als eigentlicher Systemteil zu sein. Dies verändert sich grundlegend in der werksgeschichtlichen Entwicklung Tillichs, was es nachzuzeichnen gilt. Die kurze Werksgeschichte des Geistes bei Tillich beschränkt sich auf die beiden obigen Annahmen und möchte dadurch Gründe und Muster offenlegen, weshalb die Grundanlage von Tillichs Pneumatologie gleichbleibt und sie dabei zugleich eine neue Positionierung im System erhält. Ziel kann es dabei nicht sein, eine gesamte Werksgeschichte zu zeichnen; wohl aber müssen zumindest peripher weitere Topoi hinzugezogen werden, sofern sie entscheidende Stellschrauben für die Pneumatologie und ihre Bedeutung fürs System darstellen. Dazu wird (2.) als systematische Grundlage Tillichs frühestes ausgearbeitetes System, die Systematische Theologie von 1913 herangezogen. Sie zeichnet dasjenige pneumatologische Grundverständnis Tillichs vor, das sich auch in seiner dreibändigen späten Systematik wiederfindet. Sodann (3.) kommt eben die große Systematische Theologie aus den 50er und 60er Jahren des 20. Jahrhunderts in den Blick. Sie bildet gewissermaßen den werksgeschichtlichen Systemabschluss und stellt daher die Endreferenz für Tillichs Systemdenken dar. Zwischenschritte auf dem Weg vom Erst- zum Letztsystem lassen sich in Tillichs Arbeiten nicht als ausformulierte Lehre ausmachen, weil eine systematische Geistlehre von Tillich nur in diesen

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beiden Gesamtdarstellungen geboten wird. Weder in der Dresdner Dogmatik-Vorlesung,¹ die Tillich bereits in Marburg zu konzipieren begonnen hatte, noch in den Advanced Problems in Systematic Theology ist die Geistlehre ausgeführt.² Dies ist insofern von Bedeutung, als die beiden Werke die Entwicklung der Pneumatologie in der Mitte der 20er und 30er Jahre nachzeichnen würden und mithin zwischen der 1913er und der großen Systematik zu stehen kämen.³ Zuletzt (4.) sollen die beiden Thesen zu Tillichs Geisttheologie nochmals reflektiert und zudem soll ihre Funktion für das Verstehen der Doppelsträngigkeit von Kontinuität und Neueinordnung der Pneumatologie bei Tillich plausibilisiert werden. Hier soll sowohl eine zusammenführende Perspektive eingenommen werden wie auch die Beurteilung der Pneumatologie Tillichs in werksgeschichtlicher Perspektive anhand der zwei Einleitungsthesen erfolgen.

2 Die Pneumatologie der Systematischen Theologie von 1913 a) Die Struktur der Systematischen Theologie von 1913 Tillichs erster ausgearbeiteter Entwurf stammt noch aus der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg. Er wurde nie veröffentlicht und war auch über Jahrzehnte hinweg der Tillich-Forschung nur vermittels einer Gliederung bekannt.⁴ Tillich selbst hat eine Veröffentlichung nie erwogen, weil sich sein Systemdenken nach dem ersten Weltkrieg radikal modifiziert hat, wie es sich gut aus dem Briefwechsel mit seinem

 Vgl. EW XIV.  Vgl. EW XIX. Hierzu vom Herausgeber: E. Sturm, Tillichs New Yorker Vorlesungszyklus ‚Advanced Problems in Systematic Theology‘ (1936 – 1938), in: C. Danz / W. Schüßler (Hg.), Paul Tillich im Exil (Tillich Research, Vol. 12), Berlin/Boston 2017, 267– 286.  Die Lücke in der expliziten Geistdarstellung bei Tillich wäre insofern von großem Interesse, als sich in diesem Zeitraum auch der Systemwechsel von einem sinntheoretischen Denken hin zu Tillichs später Ontologie vollzieht (vgl. hierzu: C. Danz, Religion als Freiheitsbewusstsein. Eine Studie zur Theologie als Theorie der Konstitutionsbedingungen individueller Subjektivität bei Paul Tillich, Berlin/New York 2000; S. Dienstbeck, Transzendentale Strukturtheorie. Stadien der Systembildung Paul Tillichs, Göttingen 2011.) Da leider keines der Systeme in dieser Zeit eine Pneumatologie vorsieht oder ausgearbeitet hat, bleibt die Rekonstruktion auf die beiden Klammersysteme an Anfang und Ende von Tillichs Schaffen begrenzt. Zugleich dürfte sich die Lehre vom Geist bei Tillich entsprechend seinem übrigen Systemdenken modifiziert haben, so dass am Geist ein Trend ablesbar scheint, der auch anhand anderer Linien hervortritt.  Vgl. MW VI, 63 – 81.

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Stefan Dienstbeck

Freund aus Studientagen Emanuel Hirsch ablesen lässt.⁵ Die frühe Systematik beweist schon das von Tillichs späteren Werken bekannte hohe Systemdenken und arbeitet mit einem durchdachten klaren Aufbau, den es vorab zu skizzieren gilt, bevor die Geistlehre in diesem komplexen System verortet wird. Das 1913er System Tillichs arbeitet mit einer sich wiederholenden Dreigliedrigkeit, die einerseits theologische Trinitätsanleihen erkennen lässt und andererseits idealistisches Denken aufgreift. Grundsätzlich ist die Systematik von 1913 unterteilt in Fundamentaltheologie, Dogmatik und theologische Ethik.⁶ Diese Dreigliedrigkeit findet sich innerhalb der drei Hauptteile wieder. So kennt die Fundmentaltheologie drei Standpunkte, nämlich absolut, relativ und theologisch oder nominal gefasst: Intuition, Reflexion und Paradox. Die Dogmatik gliedert sich in eine Gotteslehre, Christologie und Pneumatologie und die theologische Ethik wiederum behandelt die „Anwendung des theologischen Prinzips auf das religiöse Leben“, „auf das sittliche Leben“ sowie „auf das kulturelle Leben“ (ST 1913, 228 f.). Innerhalb dieser jeweils dreiteiligen Untergliederungspunkte findet sich zumeist wieder eine triadische Gruppierung, die allerdings nicht gänzlich durchgehalten wird. Für die Behandlung der Geistlehre sind in Tillichs frühem System vor allem zwei Aspekte zentral: Erstens stellt der dritte Teil des ersten Hauptabschnitts, also der theologische Standpunkt noch innerhalb der Fundamentaltheologie die Weichen für ein trinitarisches Verständnis in der Dogmatik. Zweitens ist die ausgewiesene Geistlehre selbst als dritter Teil der Dogmatik in den Blick zu nehmen. Der erstgenannte Punkt, der „theologische Standpunkt: Das Paradox“ (ST 1913, 427) stellt insofern die Voraussetzung für den zweiten Punkt, die Verortung der Geistlehre in der Dogmatik dar, als er diese präfiguriert bzw. umgekehrt die Geistlehre eine Funktion gemäß dem theologischen Prinzip Tillichs aus der Fundamentaltheologie erfüllt. Mit kurzem Blick auf das theologische Prinzip, welches – wie bereits die Überschriften erkennen lassen – den theologischen Standpunkt eigentlich prägt, wird deutlich, dass das theologische Prinzip bereits Pate für die Grundgliederung des Systems steht: Der Dreischritt von abstrakt über konkret hin zu absolut vollendet die Fundamentaltheologie. Dies ist insofern von höchster Relevanz, als mit dem absoluten Moment des theologischen Prinzips Vollendung assoziiert wird. Ging die Fundamentaltheologie selbst noch abstrakt vor, indem sie von absolut über relativ bishin zu theologisch oder paradox fortschreitet, so fängt

 Vgl. EW VI, 95 – 136.  Zum Folgenden vgl. die Skizze, die nachträgliche Gliederung der Systematischen Theologie von 1913: EW IX, 278 – 434, hier: 426 – 429.

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Tillich diese Abstraktheit im synthetisierenden dritten Moment auf. Das theologische Prinzip prägt und vollendet somit den Teil des Systems, in dem es selbst Unterkapitel ist. Dies mutet zunächst ungewöhnlich an, weil eine Subkategorie letztlich zum leitenden Prinzip des Gesamtsystems wird; dennoch verifiziert sich diese Annahme darin, dass bereits fundamentaltheologisch im Paradox nur vermittels Jesus Christus, also einem Moment aus der materialen Dogmatik, das Zentrum, nämlich das konkrete Moment des theologischen Prinzips, expliziert werden kann. Das theologische Prinzip greift also bereits in der Fundamentaltheologie auf Inhalte aus der Materialdogmatik zurück. Dies verwundert dann nicht mehr, wenn man den Prinzipbegriff so versteht, wie ihn Tillich selbst, nämlich in Paragraph 4 der Systematischen Theologie von 1913 (vgl. ST 1913, 282 f.) definiert: Demnach ist das „Prinzip als lebendiges System“ (ST 1913, 282; bei P.T. kursiv), was nichts anderes meint, als dass im Prinzip bereits das System als ganzes enthalten ist, wenn auch in abstrakter, das heißt, in nicht konkreter Form.⁷ Den Prinzipbegriff verwendet Tillich mithin für ein bis zur Abstraktheit verdichtetes System. Lässt sich diese Prinzipialität allerdings mit dem theologischen Prinzip assoziieren, so ist im theologischen Prinzip selbst das System in nuce angelegt.

b) Geist aus Prinzip: Die Pneumatologie im System von 1913 Nimmt man die Prinzipfunktion des theologischen Prinzips entsprechend Tillichs eigenen Explikationen zum Prinzipbegriff ernst, dann lässt sich das theologische Prinzip in allen anderen Teilen der Systematischen Theologie identifizieren. Dies für alle Aspekte der Systematik von 1913 aufzuzeigen, würde an dieser Stelle zu weit führen, doch sei es an der Dogmatik und speziell an der Funktion der Geistlehre expliziert. Die Aufgliederung der Gesamtdogmatik in der Systematischen Theologie von 1913 ist daher für die Frage nach Position und Funktion der Pneumatologie entscheidend. Auch hierbei kennt Tillich drei Teile. Der erste ist mit „Der Hervorgang der Welt aus Gott bis zum vollendeten Widerspruch (Gott der Vater)“, der zweite mit „Das Eingehen Gottes in die Welt des Widerspruchs (Gott der Sohn)“ und der letzte, dritte mit „Die Rückkehr der Welt zu Gott bis zu der vollendeten Einheit (Gott der Geist)“ überschrieben (ST 1913, 427 f.). Tillich zeichnet hier eine Wider „[E]s wird klar, daß Prinzip und System nur für die darstellende Reflexion zweierlei sind, in Wahrheit aber das gleiche, einmal abstrakt, das andre Mal konkret gefaßt“. (ST 1913, 282) Das System ist gewissermaßen die Explikation des Prinzips vermittels der mit Begriffen arbeitenden Reflexion.

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spruchsbewegung nach, die bereits in den ersten Paragraphen der Systematischen Theologie von 1913 entworfen wird (vgl. ST 1913, 278 – 283). Inspiriert von Schelling entwirft Tillich einen Vollzug,⁸ der sich aus der Abstraktheit völliger Indifferenz fortbewegt in die Konkretheit, um von dieser – durch das Eingehen der Absolutheit in die Konkretheit – zurückzukehren in die Abstraktheit, die durch das Eingehen in die Konkretheit nun zur Absolutheit vollendet ist. Die trinitätstheologische Anlage von Tillichs 1913er Systematik ist allerdings – vorausgreifend auf seine spätere Symboltheorie – sehr wohl symbolisch und nicht schlicht thetisch zu verstehen.⁹ Diese symboltheoretische Grundstruktur wird 1913 natürlich noch nicht explizit als solche benannt; doch im „Begriff“, dem Tillich den Paragraphen 5 seiner Systematik von 1913 widmet, wird deutlich, was auch symbolisch gemeint ist: Der Begriff beinhaltet in sich die Doppeldeutigkeit von völliger Absolutheit und gänzlicher Relativität. Dies ist dadurch möglich, dass er „der lebendige Durchgangspunkt des lebendigen Prozesses“ (ST 1913, 284) ist und als solcher den Prozess selbst symbolisiert, als er selbst jedoch aus dem Prozess herausfällt und für sich steht. Tillich macht dies an der Grunddialektik von Wahrheit und Denken fest, welche sich in dem Grundsatz verdichtet: „Insofern das Denken die Wahrheit denkt, steht es der Wahrheit gegenüber, insofern es die Wahrheit denkt, ist es eins mit der Wahrheit. Dieses Urverhältnis heißt absolute Identität, d. h. die absolute Einheit des absoluten Widerspruchs.“ (ST 1913, 281) Wird Tillich den absolutheitstheoretischen und identitätsphilosophischen Ansatz nach Art des späten Schelling in seiner weiteren Entwicklung in dieser Starrheit hinter sich lassen, so tritt dabei umso mehr die Symbolleistung des Begriffs hervor, der im System für das System steht – und zugleich in Eigenberechtigung sich selbst behauptet. In diesem Sinne hat auch schon die frühe Geistlehre Tillichs symbolische Dignität, ohne dass der Symbolbegriff hier schon explizit entwickelt ist.¹⁰

 Vgl. die beiden Dissertationsschriften Tillichs: Die religionsgeschichtliche Konstruktion in Schellings positiver Philosophie, ihre Voraussetzungen und Prinzipien (EW IX, 154– 272) und Mystik und Schuldbewußtsein in Schellings philosophischer Entwicklung (GW I, 11– 108).  Vgl. hierzu bereits N. Slenczka, Die klassische Pneumatologie im Gespräch, in: C. Danz / M. Murrmann-Kahl (Hg.), Zwischen Geistvergessenheit und Geistversessenheit. Perspektiven der Pneumatologie im 21. Jahrhundert, Tübingen 2014, 109 – 129, hier insbes.: 117– 119, wo Slenczka betont, „nicht Informationen über ausstehende Wirklichkeiten“ würden in der modernen Geistlehre gegeben, sondern „gegenwärtige Lebensvollzüge gedeutet und orientiert“. (A.a.O., 118) Auf Slenczkas Interpretation wird später noch zurückzukommen sein, weshalb hier nur der Verweis gegeben sei.  Vgl. zum frühen Symbolbegriff sowie zu seinem Zusammenhang mit dem Geistbegriff: L. C. Heinemann, Sinn – Geist – Symbol. Eine systematisch-genetische Rekonstruktion der frühen Symboltheorie Paul Tillichs, Berlin/Boston 2017, sowie meine Besprechung des Bandes in: C.

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In seinem frühesten ausgearbeiteten System positioniert Tillich die Lehre vom Geist der Tradition folgend als an die Auferstehung anschließendes und damit das christologische Ereignis fortführendes Geschehen. Entsprechend charakterisiert Tillich den Geist auch eindeutig als „Geist Christi“. (ST 1913, 366) Damit wird nicht nur die unmittelbare Verknüpfung mit dem Christusgeschehen deutlich, sondern auch die Abhängigkeit der Geistwirkung von der in Christus vollzogenen Versöhnung illustriert. Gerade mit der zusätzlichen, trinitätstheologisch etwas schiefen Aussage, der Geist gehe „von Gott und dem Sohn“ (ST 1913, 365) aus, und der damit verbundenen Unterstützung eines filioque wird die Geistwirkung rein formal zum Annex der Gotteslehre und Christologie. Bleibt prima facie somit die Geistwirkung ein gänzlich nachrückendes Moment im Ductus der dogmatischen Topoi, so erschöpft sich ihre Funktion bei weitem nicht im Christusgeschehen. Zwar ist laut Tillich ‚prinzipiell‘ bereits alles mit dem Tod Jesu Christi vollzogen und selbst die „Erhöhung Christi bringt kein neues Moment in die Bedeutung des Christus für die Rettung vom Standpunkt der Sündhaftigkeit“ (ST 1913, 361); doch auch die in Christi Erhöhung enthaltene „faktische Überwindung des Zustandes der Sündhaftigkeit“ (ST 1913, 361) bedarf ihrerseits noch einer Realisierung, um nicht prinzipiell zu bleiben. Exakt diese Funktion übernimmt im System Tillichs der Geist. Ihm kommt die „Rückkehr der Welt zu Gott bis zu der vollendeten Einheit“ (ST 1913, 428) zu, wie es in der nachträglichen Gliederung, der ‚Skizze‘, zur Systematischen Theologie von 1913 heißt. Auch hier klingt die eigentliche Durchführung eher traditionell, wenn unter die Lehre vom Geist die Soteriologie und die Eschatologie zu verorten sind. Zu Erster sind sodann die Lehre von der Kirche sowie die Grundlagen der Ethik zu zählen, zu Letzterer die Lehre vom Ende der Welt, von der Auferstehung, vom Jüngsten Gericht sowie vom ewigen Leben (vgl. ST 1913, 428). So klassisch Tillichs Gliederung und in vielen Punkten auch die Durchführung der Pneumatologie anmutet, so bedeutsam sind manche kurze Hinweise, die auf die systeminterne Funktion der Geistlehre hinweisen und die auch als werksgeschichtliche Kontinuitätsmomente im System Tillichs verstanden werden können:¹¹ Tillich bestimmt den Geist nicht einfach als Realisationsmoment dessen, was in Christus bereits prinzipiell geschehen und in seiner Erhöhung bzw.

Danz / M. Dumas / W. Schüßler/ B. Wagoner (Hg.), International Yearbook for Tillich Research, Vol. 13, Berlin/Boston 2018, 307– 313.  Der Verfasser dieses Beitrags hat dies nachzuzeichnen versucht in: S. Dienstbeck, Transzendentale Strukturtheorie (s. Anm. 3). An den grundsätzlichen Aussagen dort wird weiterhin festgehalten. Im Falle der Pneumatologie mag jedoch das Bild noch differenzierter sein, als dies – gerade in Bezug auf das Spätwerk Tillichs – in der Dissertationsschrift gezeigt wurde. Insofern kann dieser Beitrag als ergänzende Weiterführung in pneumatologischer Hinsicht gelten.

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Auferstehung faktisch geworden ist; vielmehr kann er den Geist „das Prinzip der Rückkehr zu Gott“ (ST 1913, 365 f.) nennen. Dies ist in doppelter Hinsicht von Bedeutung: Erstens wird der Geist somit zum Prinzip erhoben und zweitens erfüllt er das vielleicht bedeutendste und komplexeste Moment innerhalb der frühen Systematik, nämlich die Zusammenführung von abstraktem und konkretem Standpunkt. Auf diese beiden Punkte sei kurz erklärend eingegangen, weil sich die Dreigliedrigkeit in Tillichs System auch im Spätwerk und mithin über die ganze Werksgeschichte beobachten lässt und sie hier grundgelegt wird. Für den Geist als Prinzip der Rückkehr zu Gott bedeutet dies, dass der Geist im System für diese Rückkehr steht, also sie symbolisiert. Der Geist selbst ist nicht die Rückkehr der Welt zu Gott, sondern er ist deren Prinzip. Dies ist insofern ein entscheidender Unterschied, als daher mit dem Geist keine Realie, sondern das Prozesshafte am Geschehen selbst assoziiert wird.¹² Der Geist steht für das dritte Moment des theologischen Prinzips, das Abstraktheit und Konkretheit zur Absolutheit synthetisiert. Kommt dem Geist mithin an sich das vollendende Moment des theologischen Prinzips zu, so hält sich die tatsächliche Relevanz des dritten Moments in Tillichs frühsten System in engen Grenzen. Der Fokus in Tillichs 1913er System liegt eindeutig auf dem prinzipiellen Vollzug der Überwindung und gleichzeitigen Bewahrung alles Konkreten. „Gott trägt die Züge Jesu von Nazareth“ (ST 1913, 365), das ist die Kernaussage von Tillichs theologischem Paradox, das im Christusgeschehen, also der Erhöhung Christi und seiner Einheit mit Gott erfüllt ist. Die Einzelheit ist damit „gesetzt […] in der ewigen Einheit“ (ebd.) Gottes, so dass die Rechtfertigung für die Menschheit in Jesus Christus und seiner Erhöhung für Tillich vollumfänglich erfolgt ist. Bereits dies „bedeutet die Rückkehr dieses ganzen Standpunktes zu Gott“ (ebd.). Zwar lässt sich sagen, dies geschehe „durch den Geist“ (ebd.), allerdings wird damit keine konkrete oder allenfalls eine sehr traditionell-dogmatische Assoziation, nämlich die Lehren von Schrift und Sakrament, verbunden (vgl. ST 1913, 367). Letzteres mag durchführendes, jedoch nicht im strengen Sinne theologisch-systematisches Moment in Tillichs Denken sein. Insofern kulminiert die theologische Pointe bei Tillich eindeutig in seiner christologischen Figur, dass im Christus völlige Konkretheit und Relativität auf die abstrakte Absolutheit treffen und in Form der Auferstehung oder Erhöhung im Absoluten selbst das Konkrete eingezeichnet wird. Tillich reproduziert hier im Wesentlichen seine bereits 1911 ausgearbeiteten christologischen Grundthesen.¹³  Dieser Aspekt wird auch im Spätwerk aufzugreifen sein. Dort soll auch die Auseinandersetzung mit verschiedenen Stimmen aus der Tillich-Deutung erfolgen, so dass an dieser Stelle nur darauf vorverwiesen wird.  Vgl. MW VI, 21– 37.

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Letztere bettet er jedoch in einen ausgefeilten systematisch-theologischen Entwurf ein, der zwar ebenfalls wie die Christologie von 1911 Schelling’sches Erbe atmet, darüber jedoch weit hinausgeht und Tillichs grundsätzliches Denken bis hinein in das Spätwerk vorzeichnet.

3 Der göttliche Geist in der dreibändigen Systematischen Theologie a) Der Systemaufbau in Tillichs großem Spätwerk Aufgrund der zeitnahen Veröffentlichung und der auch teilweise noch autorisierten deutschen Übersetzung durch Tillich selbst hat die späte, dreibändige Systematik zunächst nicht nur in der engeren Tillich-Forschung, sondern auch in der Tillich-Rezeption generell eine große Wirkung entfalten können.¹⁴ Zahlreiche Veröffentlichungen bis zum Ende des 20. Jahrhunderts haben sich daher der Spättheologie samt deren Vorstufen in der amerikanischen Zeit gewidmet.¹⁵ Bei der Neuentdeckung des Frühwerks und der werksgeschichtlichen Perspektive, die sich durch Letzteres ergab, geriet die ‚Ontologie‘ der späten Systematik zunächst etwas in Verruf; inzwischen findet sich ein ausgewogenes Forschungsbild, das gerade auch der späten Ausformung Tillich’scher Theologie hohe theologische Kompetenz und Kunstfertigkeit attestieren kann. Tillichs dreibändige Systematik aus den 50er und 60er Jahren des 20. Jahrhunderts umfasst fünf große Teile, die ihrerseits jeweils aus zwei Hauptabschnitten bestehen. Die jeweils zwei Abschnitte der fünf Hauptteile sind nach der Methode der Korrelation aufgebaut und formulieren damit im ersten Teil je eine Frage, die in der Existenz beschlossen liegt, worauf eine theologische Antwort im zweiten Teil folgt. Dabei stehen Frage und Antwort jedoch in einem wechselseitigen Verhältnis und sind nicht unabhängig voneinander zu verstehen, was Tillich als Korrelation bezeichnet.¹⁶ So behandeln der erste Hauptteil die Korrelation von

 Wobei die deutsche Übersetzung an vielen Stellen hoch problematisch ist und nicht immer Tillichs Intention der englischen Fassung entspricht.  Vgl. paradigmatisch: G. Wenz, Subjekt und Sein. Die Entwicklung der Theologie Paul Tillichs (Münchener Monographien zur systematischen und historischen Theologie), München 1979.  Vgl. ST I, 75: „Die Theologie formuliert die in der menschlichen Existenz beschlossenen Fragen, und die Theologie formuliert die in der göttlichen Selbstbekundung liegenden Antworten in Richtung der Fragen, die in der menschlichen Existenz liegen. Das ist ein Zirkel, der den Menschen zu einem Punkt treibt, wo Frage und Antwort nicht mehr voneinander getrennt sind.“

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Vernunft und Offenbarung, der zweite diejenige von Sein und Gott, der dritte die Korrelation von Existenz und Christus, der vierte diejenige von Leben und Geist und der fünfte schließlich diejenige von Geschichte und Reich Gottes. Wie schon das Frühwerk kennt auch Tillichs Spätwerk mithin eine trinitarische Aufteilung, die in diesem Fall die mittleren drei Teile prägt. Innerhalb dieser äußerlich im Kern noch vorhandenen und in anderer Weise bedeutsamen Dreigliedrigkeit hat sich jedoch programmatisch viel verändert: Tillichs Erschütterung durch den ersten Weltkrieg hat ihn dazu veranlasst, seine Systemkonzeption zu modifizieren. Der bereits erwähnte Briefwechsel mit Emanuel Hirsch, der im noch laufenden Krieg einsetzt, sowie das Programm einer Kulturtheologie aus dem Jahr 1919, des Systems der Wissenschaften von 1923 und der Religionsphilosophie aus dem Jahr 1925 geben hiervon beredt Zeugnis.¹⁷ Durch die zunehmende Aufnahme existentialistischer¹⁸ und lebensphilosophischer¹⁹ Gedankenstrukturen ändert sich der zunächst schellingianisch-idealistische Ansatz. Tillich kommt ab von einem alles überformenden Prinzip absoluter Indifferenz, aus dem sich das System heraus entwickelt.²⁰ Materialdogmatisch gesprochen weicht Tillich von der Gotteslehre als der systemrelevant-maßgeblichen Thematik ab. An deren Stelle tritt das Individuum mit seinen Zweifeln und seiner in sich selbst liegenden Fraglichkeit. Auch wenn bereits 1913 die Christologie der konkrete Kristallisationspunkt prinzipieller Überlegungen war, dem die Geistlehre nachfolgte, so war doch die Konzeption des Absoluten systemgebende

Vgl auch: EW IV, 19 – 35, sowie kritisch zur Korrelationsmethode: M. Murrmann-Kahl, Einleitung (I 9 – 83), in: C. Danz (Hg.), Paul Tillichs ‚Systematische Theologie‘. Ein werk- und problemgeschichtlicher Kommentar, Berlin/Boston 2017, 15 – 34. Die Systematische Theologie wird mit römischen Bandangaben im Folgenden einfach als ‚ST‘ zitiert. Die Zitate stammen aus: Paul Tillich, Systematische Theologie, 3 Bde., Berlin/New York 1987 (Nachdruck).  Vgl. dazu die folgenden Schriften Tillichs: Über die Idee einer Theologie der Kultur (GW IX, 13 – 31), Rechtfertigung und Zweifel (1919) (EW X, 127– 230), Das System der Wissenschaften nach Gegenständen und Methoden (GW I, 109 – 293) und Religionsphilosophie (GW I, 295 – 364).  Vgl. hierzu die anthropologischen Untersuchungen von M. Fritz, Menschsein als Frage. Paul Tillichs Weg zur anthropologischen Fundierung der Theologie, Berlin/Boston 2022, sowie ders., ‚The doctrine of man as the present approach to theology‘. Tillichs Anthropologie im Übergang von Deutschland in die USA, in: C. Danz / W. Schüßler (Hg.), Paul Tillich im Exil (s. Anm. 2), 287– 322.  Vgl. hierzu: E. Sturm, Selbstbewusstsein zwischen Dynamik und Selbst-Transzendenz des Lebens und unbedingter Realitätserfassung. Paul Tillichs kritische Rezeption der Religions- und Lebensphilosophie Georg Simmels, in: C. Danz (Hg.), Theologie als Religionsphilosophie. Studien zu den problemgeschichtlichen und systematischen Voraussetzungen der Theologie Paul Tillichs (Tillich-Studien, Bd. 9), Wien 2004, 23 – 47.  Paradigmatisch lässt sich dies ersehen an dem bekannten Zitat aus dem Hirsch-Briefwechsel, in dem Tillich auf Kähler rekurriert: „Das Absolute ist ein Götze“ (Tillich, Briefwechsel, 99).

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Vorlage auch für die Lehre vom Christus. Nach dem ersten Weltkrieg bis hin zur amerikanischen Zeit kommt Tillich genau von dieser Vorgabe ab und rückt das zweite Moment des theologischen Prinzips in den Mittelpunkt, das aber nicht dogmatisch beim Christus Jesus, sondern beim Menschen selbst ansetzt. Im Christus wird dann allerdings die Antwortseite eben jener Fraglichkeit des Menschen erblickt. Letzteres erreicht in der späten Systematik seinen Höhepunkt. Neben diesen Verschiebungen im System tritt außerdem noch der inzwischen ausgearbeitete Symbolansatz Tillichs hinzu.²¹ Er prägt das Spätwerk insgesamt und hat maßgeblichen Einfluss auf die Korrelationsmethode. Auch wenn das Verstehen des Symbols der Symbole, wie Tillich es im Christus Jesus erblickt, nach wie vor der hermeneutische Schlüssel aller Theologie nach Tillich bleibt, so hat zugleich zu gelten, dass eine echte Realität dieses Symbols allererst im Geist zugänglich wird. Christian Danz spricht daher davon, dass die ersten beiden Bände der Systematischen Theologie, welche die Gotteslehre und die Christologie beinhalten, noch reine „Abstraktionen“ seien und erst im dritten Band mit der Geistlehre „die Realisierung der christlichen Religion in ihrer geschichtlichen Wirklichkeit“ umgesetzt werde.²² Ähnliches hatte Tillich – wie bereit gesehen – schon im Ansatz von 1913 intendiert, wenn er die Geistlehre dort als die Konkretion des im Christusgeschehen prinzipiell Erfolgten versteht; in der Durchführung blieb Tillich diesen Ansatz jedoch schuldig, der jetzt im Spätwerk neu angegangen wird, so dass die Ursprungsintention – wie noch zu zeigen ist – echtes Gewicht bekommt, was der zweiten These dieses Beitrags entspricht. Bleiben Tillichs christologische Linien sehr nahe an seiner frühen Christologie, so kann die Geistlehre ein völlig neues Gewicht erhalten. Darauf werden sich die folgenden Ausführungen konzentrieren. Unbeachtet sollte dabei nicht bleiben, dass auch der fünfte Teil von Tillichs dreibändigem Werk letztlich in den Realisierungszusammenhang der Pneumatologie fällt. Die Lehre vom Reich Gottes und die Frage danach aus der Geschichte heraus sind unmittelbare Konsequenzen aus der im Geist beschlossenen Glaubensfigur. Insofern prägt die Lehre vom Geist den gesamten dritten Band der Systematischen Theologie und damit vom Umfang her etwa die Hälfte des späten systematischen Werks.

 Vgl. zum Symbolbegriff bei Tillich insbesondere: L. Heinemann, Sinn – Geist – Symbol (s. Anm. 10).  C. Danz, Gottes Geist. Eine Pneumatologie, Tübingen 2019, 90.

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b) Geist als Symbol: Die Pneumatologie in der späten Systematischen Theologie Die Lehre vom Geist umfasst in Tillichs später Systematik drei Hauptkapitel: Zunächst geht es um „Die Gegenwart des göttlichen Geistes“ (ST III, 134– 190), sodann um den „göttliche[n] Geist und die Zweideutigkeiten des Lebens“ (ST III, 191– 323) und schließlich kommen „Die trinitarischen Symbole“ (ST III, 324– 337) in den Blick. Die erste Geisteinheit unterteilt sich wiederum in die Manifestationen des göttlichen Geistes einerseits im menschlichen Geist, andererseits in der geschichtlichen Menschheit. In diesen Abschnitten finden sich die Grundlagen der Geistlehre, die sich vornehmlich werksgeschichtlich in Bezug setzen lassen. Der zweite Hauptteil der Geistlehre untersucht die Gegenwart des göttlichen Geistes in den Zweideutigkeiten von vier Gebieten: Religion, Kultur, Moralität und aller Dimensionen des Lebens. Die trinitarischen Symbole stellen demgegenüber eher einen Annex dar. Im Folgenden sei vor allem auf die Grundlegung der Geistlehre im ersten Teil des ersten Hauptabschnitts eingegangen. Dies beinhaltet besonders die individuelle Komponente der Geistmanifestation. Aber auch die sozialen Momente der Geistpräsenz werden behandelt, soweit sie für die Rekonstruktion der Tillich’schen Pneumatologie von Relevanz sind. Grundlage der Geistlehre Tillichs im dritten Band seiner Systematischen Theologie ist die korrelierte Frage aus dem Leben selbst.²³ Leben in seinen drei Dimensionen der Selbst-Integration, des Sich-Schaffens und der Selbst-Transzendierung erweist sich als durchgängig zweideutig und setzt dadurch aus sich selbst die Frage nach der Unzweideutigkeit von Leben heraus. In allen Lebensdimensionen attestiert Tillich dem Leben Zweideutigkeit. Letztere wird sich in der Selbst-Transzendierung im Bereich des Geistes, was für Tillich gleichbedeutend ist mit Religion (vgl. ST III, 130), selbst bewusst. Im Leben des Lebens oder – mit Tillich gesprochen – in der Aktualisierung von Leben selbst liegt die Zweideutigkeit des Lebens beschlossen. Gleiches gilt für die Geschichte im fünften Teil des dritten Bandes. Indem sich Konkretes aktualisiert oder anders formuliert: indem eine Richtung genommen wird, welche die neue Basis für weitere Aktualisierungen wird, tritt unmittelbar Zweideutigkeit auf. Da diesem Prozess nicht zu entkommen ist, weil sich der Mensch in der Existenz befindet, stellt der Mensch die Frage nach einem Leben, das unzweideutig ist. Hierin lässt sich die Ausgangsfrage fassen, deren Lösung Tillich in der Lehre vom Geist präsentiert.

 Vgl. hierzu den ersten Teil der Korrelationsseite zum Leben: ST III, 21– 133.

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Die Bedeutung, die der Geistlehre Tillichs zukommt, lässt sich in der Bestimmung des Menschen ermessen: Der Mensch selbst wird von Tillich als Geist verstanden, verfügt damit über die Möglichkeit zur Selbst-Transzendierung und dadurch auch zur Religion und er spricht vom Geist, weil er selbst Geist ist. Anders formuliert: Das Geistsein des Menschen ist die Voraussetzung dafür, dass das Symbol des göttlichen Geistes für die Sphäre des Unzweideutigen überhaupt verwendet werden kann.²⁴ Dabei versteht Tillich diese Symbolik nicht so, als wäre mit dem göttlichen Geist eine externe Entität verbunden.²⁵ Vielmehr ist das Wirken des göttlichen Geistes im menschlichen Geist so gezeichnet, dass hierdurch der menschliche Geist über sich hinausgetrieben wird, ohne sich dabei zu verlieren, was Tillich als Ekstase bezeichnet (vgl. ST III, 134 f.). Tillich versteht sich hierbei als Verteidiger „der ekstatischen Manifestation des göttlichen Geistes gegen die kirchliche Kritik“ (ST III, 142), indem er im Rekurs auf neutestamentliche Vorstellungen den Wert der Ekstase hervorhebt, ohne dabei einem Schwärmertum das Wort zu reden. Gemeinsam mit der transzendenten Einheit unzweideutigen Lebens, in welche die Geistekstase versetzt, bilden sie den Beurteilungsrahmen für Geisterfahrungen. An dieser Stelle sei kurz auf die frühe Systematik Tillichs zurückgekommen, weil bereits 1913 der Grundstein für das Verständnis des Menschen als Geist gelegt ist: Natur und Geist stehen in Tillichs frühestem System für zwei Modi, wie sich in der systembildenden Grundfigur das Denken zur Wahrheit verhalten kann. Als Natur bleibt das Denken noch unreflektiert und intuitiv in der Wahrheit verhaftet, ermangelt also einer Loslösung von selbiger. Umgekehrt, erreicht das Denken als Geist seine größtmögliche Emanzipation von der Wahrheit durch Anwendung der

 Vgl. ST III, 134: „Wenn der Mensch sich selbst als Mensch erfährt, wird er sich bewußt, daß er in seinem ganzen Wesen durch die Dimension des Geistes bestimmt ist. Diese unmittelbare Erfahrung gibt uns die Möglichkeit, von ‚Gott als Geistʻ oder vom ‚göttlichen Geistʻ zu sprechen. Wie alle Aussagen über Gott sind diese Ausdrücke symbolisch. […] Ohne sich selbst als Geist zu erfahren, wäre der Mensch nicht fähig, von Gott als Geist oder vom Geiste Gottes zu reden. Es gibt keine Lehre vom göttlichen Geist ohne ein Verständnis des Geistes als einer Dimension des Lebens.“  Vgl. C. Danz, Die Gegenwart des göttlichen Geistes und die Zweideutigkeiten des Lebens (III 134– 337), in: ders. (Hg.), Paul Tillichs ‚Systematische Theologie‘ (s. Anm. 16), 227– 256. Ob man allerdings so weit gehen sollte wie Danz und mit dem Symbol des Geistes ein reines „Reflexionsgeschehen im Selbstverhältnis des Bewusstseins“ (a.a.O., 238) versteht, muss fraglich bleiben. Tillich selbst spricht bei der Ekstase, also beim Geschehen der Selbst-Transzendierung davon, dass der menschliche Geist „von etwas Letztem und Unbedingtem ergriffen“ (ST III, 135) werde. Entscheidend am Geist als Symbol ist mithin dasjenige Moment, das Danz als Unverfügbarkeit bezeichnet. Daher sollte es markant in die Symbolleistung des Geistes aufgenommen werden, ohne dass damit unmittelbar Externität verbunden sein muss.

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eigenen reflexiven Stärke und „setzt sich als die Wahrheit bestimmend.“²⁶ Natur und Geist treffen und verfehlen damit die Wahrheit aufgrund unterschiedlicher Ursachen: „In der Natur ist das Denken der Wahrheit näher, insofern es sich noch nicht frei gemacht hat von ihr, und ferner, weil es sich noch nicht seiner Entfernung bewußt ist. Im Geist ist es umgekehrt.“²⁷ Unter Aufnahme einer Denkfigur, wie sie dem Kierkegaard’schen Sündenbegriff entlehnt sein dürfte, zeichnet Tillich hier mithin eine Polarität, in welcher der Mensch als „Übergangspunkt von der Natur zum Geist“²⁸, als „Gleichgewicht beider, wo weder das Denken noch die Wahrheit das Bestimmende ist“²⁹, erscheint. Als solches ist der Mensch Freiheit, das heißt, er ist in der Lage sich als Natur und Geist zu verhalten, weil er frei ist „von beiden Seiten und für beide Seiten“³⁰, die durch Geist und Natur markiert sind. Auf die Figur von Denken und Wahrheit angewandt bedeutet dies, dass im Menschen das Denken sowohl selbstbehauptend auftritt als auch um das eigene Herkommen und Integriertsein in die Wahrheit weiß. Tillichs Verständnis vom Menschen trifft nun insofern diese frühe Bestimmung aus dem Jahr 1913, als auch der späte Tillich klar den Menschen als Geistwesen versteht, sein Geistsein aber zugleich eingebettet bleibt in die „vieldimensionale Einheit des Lebens“ (vgl. insbes. ST III, 21– 41). Menschliches Leben hat damit die Potenz zum Geistsein und ist dies dadurch auch; und zugleich umfasst das menschliche Leben immer auch die anderen Dimensionen des Lebens, was der frühe Tillich noch unter den Naturbegriff versammeln konnte. Diese Entsprechung von Früh- und Spätwerk im Verstehen des Menschen als Geist ist insofern von Relevanz für eine werksgeschichtliche Einordnung der Pneumatologie Tillichs, als deutlich wird, dass die Grundanlage der Geistlehre Tillichs und ihr symbolischer Grundzug schon früh auftreten und ihre Fortsetzung im Spätwerk finden. Dennoch kann der späte Tillich in der Rede von den Dimensionen des Lebens sowie ihrer Einheit noch präziser und deutlich weniger idealistisch dasselbe Phänomen beschreiben. Für die Lehre vom göttlichen Geist bedeutet dies, dass sie ihre Grundlage in der speziellen Verfasstheit des Menschen als dem geistbegabten Wesen findet, weil andernfalls das Verstehen des göttlichen Geistes als Symbol gänzlich unmöglich wäre. Zugleich schärft Tillich – wie schon angedeutet – ein, dass der göttliche Geist sich selbst im menschlichen Geist Raum schafft. Dies kann allerdings auch zu Fehldeutungen führen, die vermeintliche Geist-Ekstase etwa mit Rauschzustän    

ST 1913, 286. A.a.O., 287. Ebd. A.a.O., 288. Ebd.

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den verwechseln (vgl. ST III, 144). Christian Danz spricht davon, dass „das Meinen oder die Richtung auf das Unbedingte […] zugleich dessen Verfehlung“³¹ sei. Damit ist Tillichs Verständnis auch von der Zweideutigkeit der Geisterfahrung korrekt erfasst und greift zugleich das auf, was Tillich 1913 bereits unter dem Vorzeichen von Wahrheit und Denken entwickelt hatte: Jede Ekstase ist – sofern sie in Form der Selbst-Transzendierung erfolgt – Geisterfahrung und zugleich verfehlt sie als Ekstase diese, weil auch der ekstatische Zustand vom Boden des Lebens anhebt.Wie also das Denken sich in Wahrheit aufzuheben anschickt, aber dabei selbst Denken bleibt und bleiben soll, so verhält es sich auch mit der Ekstase als dem Über-sich-selbst-Hinausgetriebenwerden des menschlichen Geistes durch den göttlichen Geist. Insofern bleibt für Tillich jede Überwindung von Zweideutigkeit fragmentarisch. Verbunden mit der Wirkung des göttlichen Geistes im menschlichen Geist in Form der Ekstase ist auch die Medialität aller Geistwirkung: Bereits in der traditionellen protestantischen Dogmatik dienen Wort und Sakrament als media salutis, als die Heilsmittel, vermittels derer der Gottesgeist seine Wirkung entfaltet. Tillich nimmt sich ebenfalls dieser klassischen Lehren an, interpretiert sie aber seinem Symbolverständnis vom göttlichen Geist gemäß, wodurch Sakramentales und Wort zwar zu den paradigmatischen Mitteln der Geistwirkung werden, Tillich aber gleichzeitig ihre Begrenztheit aufzeigt. Insgesamt kommt es zu einer kulturtheologischen Weitung des Mittelgedankens.³² Dies meint, dass der göttliche Geist nicht an das biblische Wort oder die kirchlichen Sakramente exklusiv gebunden ist, sondern entsprechend dem Symbolbegriff alles durchbrechen und für sich erschließen kann (vgl. ST III, 145). Tillich greift hier durchaus auf ein Verständnis zurück, das er bereits 1913 entwickelt hatte, ohne dass es zu diesem Zeitpunkt schon auf eine explizite Kulturtheologie zielte.³³ Gebunden bleibt der

 C. Danz, Die Gegenwart des göttlichen Geistes (s. Anm. 25), 242.  Vgl. a.a.O., 239.  Vgl. ST 1913, 326: „Normativ ist nur die Schrift, insofern sie das theologische Prinzip in seiner Reinheit […] enthält.“ Und wie Tillich wenig später formulieren kann: „Unmittelbar autoritativ für die christliche Erkenntnis ist allein die Darstellung des Prinzips in seiner Reinheit, eine abgeleitete Autorität kommt dagegen auch den klassischen Grundlagen, Antithesen und Synthesen zu, die es in der alttestamentlichen und neutestamentlichen Geschichte eingegangen ist.“ Sichtbar beschränkt Tillich bereits früh den unbedingten Geltungscharakter des biblischen Zeugnisses anhand des theologischen Prinzips. Nur sofern und soweit die Bibel das theologische Prinzip zur Darstellung bringt, ist sie Offenbarung und damit – so ließe sich ergänzen – Instrument für den Durchbruch des göttlichen Geistes. Umgekehrt kann daraus gefolgert werden, dass diese Aussage auch in die andere Richtung hin gelesen werden kann, nämlich dass Offenbarung auch jenseits des biblischen Zeugnisses denkbar ist. Einziges Kriterium bleibt für Tillich die unverfälschte Wiedergabe des theologischen Prinzips.

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Geist aber unaufgebbar an Mittel, auch wenn diese ihr Kriterium allererst vom Geist selbst erhalten (vgl. ST III, 152). Unter den Aspekt der Gegenwart des Geistes fasst Tillich noch die Werke des göttlichen Geistes, die als Schöpfungen von Glaube und Liebe beschrieben werden. Dabei stellen Glaube und Liebe zwei Seiten desselben dar, indem der Glaube „der Zustand des Ergriffenseins von der transzendenten Einheit“ und die Liebe „der Zustand des Hineingenommenseins in die transzendente Einheit“ ist (ST III, 154). Auch hier leuchtet die 1913er Fassung von Denken im Verhältnis zur Wahrheit durch, wenn das Denken tendenziell die selbsttätige Bezugnahme auf die Wahrheit oder das Sich-hineinnehmen-Lassen sein kann. Tillich hatte dies – wie gesehen – mit Geist und Natur umschrieben. Der späte Tillich verfährt analog, wenn er das Erfasstwerden von der transzendenten Einheit unzweideutigen Lebens als Glaube beschreibt und das Aufgenommenwerden in selbige als Liebe. Beide liegen ineinander, lassen sich also nicht isoliert verstehen und führen gemeinsam zur Überwindung der Frage, die in den Zweideutigkeiten des Lebens geborgen liegen.³⁴ Insofern verwundert es nicht, wenn Tillich in diesem Kontext auch die Zusammenhänge der Entfremdung und damit die Sündenthematik erwähnt (vgl. ST III, 154). Unzweideutiges Leben zielt immer auf die Überwindung der Spaltung, die in der Existenz begründet und mit dem Entfremdungs- bzw. Sündenbegriff umschrieben wird. Glaube und Liebe sind also die Werke des Geistes, vermittels derer der göttliche Geist den menschlichen in einen Zustand versetzt, der vom menschlichen Geist selbst weder produziert noch erreicht werden könnte. Die Schöpfungen des göttlichen Geistes – Glaube und Liebe – sind mithin nicht als rein internalisierte Akte des Reflexionsvermögens des Menschen zu denken, sondern stehen für das unableitbare Woher dieses Geschehens, das nicht wieder in den Reflexionsakt selbst eingezogen werden darf.³⁵

 Vgl. ST III, 154: „In der Wiedervereinigung von essentiellem und existentiellem Sein wird das zweideutige Leben über sich hinausgehoben zu einer transzendenten Einheit, die es aus eigener Kraft nicht hätte erreichen können. Diese Einheit beantwortet die Fragen, die in den Lebensprozessen und in den Funktionen des Geistes enthalten sind. Sie ist die direkte Antwort auf die Fragen, die in den Zweideutigkeiten der Funktion der Selbst-Transzendierung liegen. Die transzendente Einheit erscheint im menschlichen Geist als das ekstatische Erlebnis, das, von der einen Seite gesehen, Glaube, von der anderen Seite gesehen, Liebe genannt wird. Glaube und Liebe sind die Manifestationen der transzendenten Einheit, die der göttliche Geist im menschlichen Geist schafft.“  Dazu tendiert Christian Danz, dessen akkurate Beschreibung der Gedanken Tillichs ansonsten für die Tillich-Forschung von unüberschätzbarem Wert sind. Dass der Glaubensakt allerdings letztlich einem Reflexionsakt entspricht (vgl. C. Danz, Die Gegenwart des göttlichen Geistes [s. Anm. 25], 242), ist ebenso problematisch in der Aussage wie: „Er [sc. der Glaubensakt] ist der Vollzug von reflexiver Selbsterschlossenheit des menschlichen Geistes, die sich selbst als Ge-

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Der zweite Teil des ersten pneumatologischen Hauptabschnitts dient vor allem dazu, das individuell beschriebene Geschehen des Präsent-Werdens des göttlichen Geistes im menschlichen Geist aus seiner Abstraktheit zu ziehen und dem menschlichen Wesen gemäß sozial zu verorten. Die Geistgegenwart „ereignet sich nicht in isolierten Einzelnen, sondern in sozialen Gruppen, da alle Funktionen des menschlichen Geistes […] durch die Ich-Du-Beziehung im sozialen Zusammenhang bedingt sind.“ (ST III, 165) Damit stellt Tillich ein Doppeltes fest: Einerseits ist der Geistdurchbruch immer an Tradition gebunden, das heißt, dass die Mittel der Präsent-Werdung des Geistes zwar prinzipiell offen sind, jedoch an den Lebenszusammenhang des Menschen andocken. Andererseits verwirklicht sich der Geist immer in der Geschichte, die als Geschichte sozialer Gruppen verstanden wird. Beides fasst Tillich im Begriff der Geistgemeinschaft zusammen, der die Geistlehre in Ekklesiologie überführt. Mit dem Geist tritt das Neue Sein, wie es christologisch erschlossen ist, in „Raum und Zeit“ (ST III, 167) und überwindet alle Zweideutigkeiten, auch wenn dies antizipatorisch und fragmentarisch zu denken ist (vgl. ebd.). Dabei muss ein kurzer Blick auf der Lehre vom Christus verbleiben, denn Tillich denkt die Verbindung von Christologie und Pneumatologie gegenüber dem 1913er System durchaus modifiziert. Tillich entwirft hierzu eine „Geist-Christologie“ (ST III, 171– 176), in der die Frage gestellt ist, wie Offenbarung möglich ist. Tillich beantwortet dies zweisträngig, indem einerseits der Christus zum Kriterium aller Geisterfahrung wird: „Der göttliche Geist war in Jesus als dem Christus ohne Verzerrung gegenwärtig. In ihm erschien das Neue Sein als das Kriterium aller Geisterfahrung in Vergangenheit und Zukunft.“ (ST III, 171) Andererseits muss hinzugenommen werden, „daß es nicht der menschliche Geist des Mannes Jesu von Nazareth ist, der ihn zum Christus macht, sondern der göttliche Geist (d. h. Gott in ihm), der in ihm wohnt und die treibende Kraft in ihm ist.“ (ST III, 173) Tillich verbindet die Lehre vom Christus mit derjenigen vom Geist somit deutlich enger als dies noch 1913 der Fall war, als der Geist noch allein als der Geist Jesu bestimmt wurde, dem abstrakt die Realisierung dessen zugesprochen wurde, was sich im Christusgeschehen ereignet. Zugleich bettet Tillich diesen Zusammenhang in ein offenbarungsgeschichtliches Konzept ein, das er dem göttlichen Geist

genwart des göttlichen Geistes darstellt.“ (A.a.O., 243) Zwar hat Danz recht, dass die traditionellen Begriffe, die Tillich verwendet, von ihm als symbolische Umschreibungen und nicht als „Realien“ gedacht sind; doch bedeutet dies nicht umgekehrt, dass die Unableitbarkeit des Sich-Einstellens der transzendenten Einheit wieder völlig in die reflexive Selbst-Bewusstwerdung so aufgenommen werden muss, dass jene – die Unableitbarkeit – von dieser – der reflexiven Selbst-Bewusstwerdung – nur spiegelnd aus sich herausgesetzt wird, um eine Projektionsfläche für den eigenen Vollzug zu finden. So weit geht Tillich an keiner Stelle seines Werkes.

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zuschreibt: „Deshalb muß das Wirken des göttlichen Geistes in der Geschichte der Menschheit unter dreifachem Aspekt gesehen werden: erstens als die Vorbereitung für die zentrale Manifestation des göttlichen Geistes in allen Teilen der Menschheit, zweitens als die zentrale Manifestation des göttlichen Geistes in Jesus als dem Christus, und drittens als die Manifestation des göttlichen Geistes in der Geistgemeinschaft.“ (ST III, 176) War im frühesten System noch keine Interdependenz von Gottes-, Christus- und Geistlehre in offenbarungstheoretischer Dimension erkennbar, so verknüpft Tillich nun im Spätwerk alle diese Aspekte unter dem Vorzeichen des Wirkens des göttlichen Geistes. Dies bedeutet nicht weniger, als dass auch das Zentralsymbol, das Tillich nach wie vor in Jesus als dem Christus erblickt, nur aufgrund der vorgängigen und im Christus wirkenden Geisttätigkeit überhaupt möglich ist. Anders formuliert: Erst der Geist Gottes macht das Christusereignis zu dem, was es ist, auch wenn umgekehrt das Christusereignis zum Kriterium für alle Geistbeurteilung wird. In werksgeschichtlicher Perspektive bedeutet dies, dass der ursprüngliche Annex der Pneumatologie die Christologie nun dahingehend überholt, dass sie vorbereitendes Moment der Christologie selbst wird. Konkret zugespitzt ist es der göttliche Geist, der im Menschen Jesus von Nazareth das Christusereignis schafft. Gleichzeitig kann erst vermittels des Kairos im Christus der göttliche Geist im Menschen seine Werke vollbringen, weil er in ihm seinen geschichtlichen Anhaltspunkt findet. Dadurch gelingt es Tillich, dem göttlichen Geist seine schon 1913 zugedachte Funktion offenbarungstheologisch so neu zu positionieren, dass der Geist auch christologisch das bewirkt, wofür er steht und in Tillichs System schon immer stand, nämlich die Realisierung dessen was im Paradox des Neuen Seins im Glauben aufgeht. Der Geist bleibt auch im späten System dem Kreuz Christi nachgeordnet, weil das Christusgeschehen als einzigartig verstanden wird.³⁶ Und doch ist es der Geist, ohne den das Christusereignis nicht als solches aufgenommen werden könnte, weil der geschichtliche Bezug und die Integration in die Geschichte der Menschheit fehlen würden. Insofern verweilt der Geist zwar im Schatten der Christologie, tritt aber zugleich als umfassendes Integrations- und Realisierungsprinzip die Funktion, die er schon 1913 hätte haben sollen, tatsächlich an. Emanzipation – auch vom Christusgeschehen – ist die Sache des Geistes bei Tillich nicht; im Gegenteil: Es ist seine Aufgabe, das Getrennte in Einheit zu überführen und die transzendente Einheit unzweideutigen Lebens aus dem  Vgl. ST III, 174: „Das Ereignis ‚Jesus als der Christus‘ ist einzigartig, aber nicht isoliert.“ Und: „Die Gegenwart des göttlichen Geistes im Christus als Mitte der Geschichte macht ein volles Verständnis der Manifestation des göttlichen Geistes in der Geschichte möglich.“ Unbeschadet der Exklusivität des Christusereignisses bleibt auch Letzteres in den pneumatologischen Zusammenhang eingebunden.

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Neuen Sein, wie es in Jesus als dem Christus erschienen ist, zu vermitteln – mit der elementaren Ergänzung, dass eben auch das Erscheinen des Neuen Seins im Christus nur im und durch den Geist möglich ist.

4 Über das Kreuz hinaus: Der göttliche Geist als internes Movens des Christusgeschehens Die Geistlehre nimmt in Tillichs spätem System eine deutlich größere Funktionsbreite ein, als dies noch 1913 der Fall war. Insofern bleiben einige Aspekte in diesem Beitrag weitestgehend unbeachtet wie etwa die ekklesiologischen Konsequenzen in Tillichs Begriff der Geistgemeinschaft, der Begriff der Theonomie an den Realisierungsorten der Geistwirkung – auch wenn der Theonomiebegriff natürlich schon 1913 bei Tillich auftritt – sowie der gesamte Bereich der Eschatologie im letzten Teil der Systematischen Theologie. Entscheidende Weichen stellt Tillich jedoch bei seiner Geistlehre bezogen auf die Gesamtanlage des dogmatischen Systems, wie in den vorherigen Abschnitten zu zeigen versucht wurde. Werksgeschichtlich lässt sich daher der Trend feststellen, der eingangs in den zwei Thesen festgehalten wurde: Tillich versteht den Geist über seine Schaffensperioden hinweg weitestgehend gleich. Die Pneumatologie verfolgt dieselben Ziele bzw. übernimmt dieselbe Funktion im Verbund der dogmatischen Topoi. Konkret steht der göttliche Geist für das dritte Moment des theologischen Prinzips, für die Rückkehr des Denkens zur Wahrheit oder für die transzendente Einheit unzweideutigen Lebens in den Schöpfungen von Glaube und Liebe. Anders formuliert ist der göttliche Geist das Prinzip oder Symbol für den Realisierungszusammenhang dessen, was dem Glauben am Christusereignis aufgeht. Der Geist vollendet damit sowohl beim frühen als auch beim späten Tillich das System, indem er das zur konkreten Verwirklichung bringt, was im Christus zwar prinzipiell, nicht jedoch konkret durchgeführt ist. Diese Umsetzung kann Tillich dann sowohl individuell wie gemeinschaftlich denken. Wird der Realisierungszusammenhang dessen, was im Christusereignis geschieht, 1913 noch an die Christologie angehängt, die ihrerseits wiederum von der Gotteslehre prinzipiell vorgegeben ist, so überwindet Tillich im Spätwerk den Bruch zwischen Christologie und Pneumatologie: Wenn im System von 1913 noch nicht praktisch wird, warum der Geist überhaupt noch als Realisierungsmoment notwendig ist, wenn bereits die Auferstehung des Christus Jesus alles beinhaltet, dann kann der dritte Band der Systematischen Theologie erklären, wie Christologie, Geistlehre, Offenbarungstheologie und damit letztlich das Funktionieren der christlichen Religion überhaupt zusammenhängen. Die Geistlehre zieht sich

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durch das ganze System und kann damit – im Gegensatz zum frühesten System – plausibilisieren, weshalb der göttliche Geist maßgeblichen Anteil am Übersetzen des Christlichen für den Menschen hat. Laut Christian Danz „repräsentiert Jesus Christus die Struktur der Gegenwart des Gottesgeistes im menschlichen Geist, das Neue Sein“³⁷ und damit gehe es „um die Aneignung der christlichen Religion.“³⁸ Die Christologie wird damit also zum Höhepunkt der Geistlehre, indem im Christus das Paradigma des Glaubens und der Liebe – also der Schöpfungen des Geistes – ansichtig wird. Dies Funktion der Geistlehre holt Tillich offenbarungstheologisch ein, indem er den Geist in allen Momenten der Offenbarungsgeschichte als das Prinzip der Realisierung einzeichnet. Der Geist bereitet die Christusoffenbarung vor, vollzieht sie im Christus und ermöglicht ihre Aneignung im individuellen Glauben sowie im Zusammenschluss der Geistgemeinschaft. Werksgeschichtlich bedeutet dies, dass das Anliegen der Geistlehre konstant bleibt. Schon immer ist der Geist Symbol für den konkreten Aneignungsvollzug der Offenbarung. Dass Letztere nicht auf die Kenntnis von Realinformationen abzielt, ist im Falle von Tillich evident. Nach Notger Slenczka sind religiöse Aussagen daher „[…] Sinnstiftungen und Orientierungen für das gegenwärtige Leben und stellen ein Selbstverständigungsangebot für den Vollzug dieses Lebens dar, bieten aber nicht Informationen über Jenseitiges und dessen Wirken am Subjekt.“³⁹ Nicht der objektive Vorgang der Geistbegabung oder der Zwei-NaturenLehre ist zu erklären, sondern wie der Glaube im Menschen Gestalt gewinnt – und hierbei kommt dem Geist die entscheidende Funktion zu, weshalb die Geistlehre in Tillichs spätem System der Systemschlüssel sein dürfte. Dies war vor dem ersten Weltkrieg noch sichtbar anders. Hier konnte Tillich zwar bereits dieselbe christologische Grundfigur entwickeln und sie auch an den Geist koppeln. Da allerdings auch die Christologie von der starr vorgegebenen Gottesvorstellung abhing, war es Tillich nicht möglich, das christologisch Erfasste pneumatologisch zu verwerten. Die Verschiebungen innerhalb des Systems Tillichs über sein Schaffen hinweg führen mithin dazu, dass der Fokus von der Gotteslehre bzw. der Lehre vom Absoluten über die Christologie letztlich auf die Pneumatologie verlagert wird. Nimmt man ernst, dass durch diese Gewichtsverschiebungen inner-

 C. Danz, Gottes Geist (s. Anm. 22), 92. Zu Recht verweist Danz hierbei auf die Stelle ST III, 624: „Der göttliche Geist verlässt ihn nie, er [sc. Jesus als der Christus] ist immer von der Macht der transzendenten Einheit unzweideutigen Lebens getragen.“  C. Danz, Gottes Geist (s. Anm. 22), 93.  N. Slenczka, Die klassische Pneumatologie im Gespräch (s. Anm. 9), 119. Tillich gehe es gerade nicht darum – wie noch in der altprotestantischen Orthodoxie –, objektive Prozesse oder Gegenständliches zu beschreiben, sondern Deutungsangebote für den Menschen zu liefern. Genau so dürfte sich Tillich als selbst bezeichneter ‚apologetischer‘ Theologe verstanden haben.

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halb des Systems das bereits 1913 ausformulierte Grundanliegen dann adäquat zum Ausdruck gebracht werden kann, dann spricht vieles dafür, dass die Modifikationen am systematischen Ansatz bei Tillich zwar biographisch – beispielsweise durch die Kriegserfahrung oder durch Begegnungen an bestimmten Wirkorten – bedingt sein mögen, sich jedoch theologisch bewähren. Insofern kann mit gewissem Recht die bewusste Systemmodifikation bei Tillich in diese Richtung angenommen werden. Erstaunlich bleibt dennoch die Konstanz im Werk Tillichs, das seine Grundstrukturen bereits beim erst 27jährigen Theologen gewonnen hatte und sich im Laufe der Zeit den angemessenen Ausdruck angeeignet hat. Im Falle des Geistes ist es die Transzendierung auch des Kreuzestodes Christi, der erst in der Geistbegabung des Gekreuzigten seine heilsame Funktion erhält. Die Geistlehre tritt auch damit nicht aus dem Schatten des Kreuzes heraus, sondern bescheidet sich als Moment der Vollendung damit, dem System nichts Neues hinzuzufügen, sondern es zu erklären und seine Symbolgehalte bereit zu stellen. Der Schatten des Kreuzes ist bei Tillich – so ließe sich in diesem Bild bleiben – allerdings ein langer.

Fábio Henrique Abreu

“Directedness Towards the Unconditioned” On the Theoretical Foundations of Paul Tillich’s Theology of Culture That the search for meaning is a basic need of all conscious life; that the management of meaning is one of the central tasks of social systems; and that religion, in its individual as well as in its public form, has a share in both; is nowadays almost a commonplace. That was not always so. We owe the first meaning theoretical construction of the concept of religion to Paul Tillich. He has thus set standards that are of lasting importance for the scientific-cultural, sociological, religious-philosophical and systematic-theological treatment of the concept of meaning.¹

“Religion is directedness towards the unconditioned”². This sentence, written by Tillich in the second version of his famous lecture Über die Idee einer Theologie der Kultur, delivered in 1919 and revised in 1921, is often quoted to mark the center of his cultural-theological program. It is, without a doubt, one of his most famous formulations. This sentence configures, according to Trutz Rendtorff, a kind of “recognition melody [Erkennungsmelodie],” a “soundtrack,” which, wherever it sounds, becomes “unmistakably recognizable: here speaks Paul Tillich.”³ The conciseness of the formula, however, obliterates the fact, as Georg Neugebauer correctly points out, that it is extremely hermetic and hardly understandable when taken in itself.⁴ The concepts that are fundamental to the theology of culture – such as form (Form), content (Inhalt), substance (Gehalt/Substanz), autonomy (Autonomie), heteronomy (Heteronomie), theonomy (Theonomie), cultur U. Barth, Die sinntheoretischen Grundlagen des Religionsbegriffs, in: Id., Religion in der Moderne, Tübingen 2003, 89. All translations are my own (FHA).  P. Tillich, Über die Idee einer Theologie der Kultur, in: G. Radbruch / P. Tillich (ed.), Religionsphilosophie der Kultur, Darmstadt 1968, 27– 52, here, 35. For the first version of the Tillich’s Kulturvortrag, given at the Kantian Society of Berlin in 1919, cf. MW II, 69 – 85.  T. Rendtorff, In Richtung auf das Unbedingte, in: H. Fischer (ed.), Paul Tillich, Frankfurt a. M. 1989, 335. As Rendtorff states in the same page of his article: “So lautet die Erkennungsmelodie, die, wo sie ertönt, unverwechselbar zu erkennen gibt: Hier spricht Paul Tillich. In vielen Variationen kehrt dieser Grundton immer wieder: Denken und Reden ‚in Richtung auf das Unbedingte‘. Dieser Grundton hat dem Werk Tillichs sein eingentümliches Gepräge gegeben. Im System der Wissenschaften von 1923 liest man, der ‚Wille zum Unbedingten‘ liege allem Geistigen zu Grunde”.  Cf. G. Neugebauer, Die geistphilosophischen Grundlagen der Kulturtheologie Tillichs vor dem Hintergrund seiner Schelling- und Husserlrezeption, in: C. Danz / W. Schüßler (ed.), Paul Tillichs Theologie der Kultur, Berlin 2011, 38. https://doi.org/10.1515/9783110767728-004

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al synthesis (Kultursynthese) –, which he himself schematically inserted in the center of his program, tend to give a false idea that it is possible to reconstruct his Kulturtheologie through an analysis of these concepts alone.⁵ This procedure, however, loses the focus of the theoretical foundations that organize them – especially the philosophy of spirit, the theory of meaning and the theory of symbols. Tillich’s theology of culture is based on a specific concept of spirit, whose foundations were developed before the First World War, i. e., in the course of his studies of Fichte and Schelling and in his Systematische Theologie of 1913. However, it was only through the theoretical turn of his systematic approach, made possible by the appropriation of neo-Kantianism and Husserl’s phenomenology during the First World War – especially the Intentionalitätstheorie that conforms the Husserlian phenomenology⁶ –, that Tillich was able to articulate the basis of the philosophy of the spirit on which his programmatic sketch is substantiated.⁷ My task here cannot be other than to unravel the central contours

 Cf. ibd.  Through the internalization of Husserl’s Intentionalitätstheorie in the determination of his concept of religion as “directedness towards the unconditioned,” Tillich makes use of the central theme of Husserlian phenomenology. On the position of the theory of intentionality in Husserl’s system, see E. Ströker, Intentionalität und Konstitution, in: Dialectica 38 (1984) 191: “Intentionalität ist das Generalthema der Philosophie Edmund Husserls. Wollte man die gleiche Rolle dem Bewusstsein zuschreiben, so wäre dies ebenso zutreffend. Denn für Husserl ist es die Intentionalität, durch welche Bewusstsein im prägnanten Sinne charakterisiert ist. Es ist also nicht wie ein Dinghaftes, Substantielles, sondern als Beziehung aufgefasst dergestalt, daß es nur mittels etwas bestimmt werden kann, das nicht es selbst ist, auf das vielmehr es ‹sich richtet› als auf seinen Gegenstand. Dieser ist primär nicht von der Art des Bewusstseins, sondern ihm gegenüber transzendent. Das Prädikat ‹intentional› könnte also bloss einen Pleonasmus ergeben, gälte es nicht, die darin ausgedrückte eigentümliche Beziehung des Bewusstseins zu thematisieren und analytisch zu erhellen”. On the role of Husserl’s phenomenology in Tillich’s system, see U. Barth, Religion und Sinn, in: C. Danz / W. Schüßler (ed.), Religion – Kultur – Gesellschaft, Berlin / Wien / Münster 2008, 197– 213, (especially note 28 on page 207): “‚Richtung auf‘ bzw. ‚sich richten auf‘ sind Tillichs Verdeutschung von Husserls ‚Intentionalität‘”. Despite the centrality of Husserl’s theory of intentionality in the determination of Tillich’s concept of religion, there is still no properly exegetical investigation of Tillich’s reception of Husserl. Initial considerations about this issue can be found, however, in the following works: D.-M. Grube, Unbegründbarkeit Gottes?, Marburg 1998, 63 – 71; U. Barth, Die sinntheoretischen Grundlagen des Religionsbegriffs, 89 – 123; M. Moxter, Kritischer Intuitionismus, in: C. Danz / W. Schüßler (ed.), Religion – Kultur – Gesellschaft, 186 – 195; G. Neugebauer, Die geistphilosophischen Grundlagen der Kulturtheologie Tillichs vor dem Hintergrund seiner Schelling- und Husserlrezeption, 47– 63; L. C. Heinemann, Sinn – Geist – Symbol, Berlin 2017, 335 – 348.  Unlike the already mentioned analysis by G. Neugebauer, the present study will not be concerned, therefore, with the task of demarcating the contours of Tillich’s theology of culture in the period prior to the First World War. Rather, my concern here is to provide a systematic analysis of

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of the philosophy of spirit and meaning that underlie his program. The theory of symbols, which only reaches its final form after the text Das religiöse Symbol, from 1928,⁸ will be thematized through an incursion into the structure of this founding theoretical base. In general terms, it can be said that Tillich’s theological-cultural program intends to offer an overcoming of the antithesis between religion and culture through the claim of a religious culture an sich. ⁹ As a background to this program, there is the attempt to integrate the process of self-differentiation of the autonomous modern culture into different subsystems¹⁰ from the basis of a new foundation of the whole theological system. To that end, and under the prism of a theory of consciousness, Tillich employs the concept of the unconditioned as the basic function for articulating the concepts of religion and culture. In his 1919 study Rechtfertigung und Zweifel,¹¹ which operates as a presupposition of the famous programmatic lecture given that same year at the Kantian Society of Berlin, Tillich demonstrates how the paradoxical and antinomic determination of his new concept of spirit – i. e., the unconditioned – enables the theological-critical reflection not only to appropriating the autonomous determination of modern culture, but also to subjecting it to an unconditional judgment.¹² This antinomic determination of the spirit based on the concept of the unconditioned, already outlined in his correspondence with Emanuel Hirsch be-

Tillich’s Kulturtheologie in its mature and fully developed form. For considerations on Tillich’s theology of culture before the First World War, see G. Neugebauer, Tillichs frühe Christologie, Berlin 2007, 146 – 292; S. Dienstbeck, Transzendentale Strukturtheorie, Göttingen 2011, 37– 234; E. Sturm, Die Genese von Tillichs Kulturtheologie in seinen frühesten Texten, in: C. Danz / W. Schüßler (ed.), Paul Tillichs Theologie der Kultur (s. Anm. 4), 64– 93; L. C. Heinemann, Sinn – Geist – Symbol (s. Anm. 6), 65 – 172.  See MW IV, 213 – 228.  E. Sturm, Die Genese von Tillichs Kulturtheologie in seinen frühesten Texten (s. Anm. 7), 64: “Der Schlüsselbegriff dieses Vortrags ist der Begriff ‚Kultursynthese‘ (GW IX, 22) bzw. ‚Einheitskultur‘ (GW IX, 30. 31)”.  See N. Luhmann, Die Ausdifferenzierung der Religion, in: Id., Gesellschaftsstruktur und Semantik, Bd. 3, Frankfurt a. M. 1989, 259 – 357; F. Wagner, Kann die Religion der Moderne die Moderne der Religion ertragen?, in: C. Danz / J. Dierken / M. Murrmann-Kahl (ed.), Religion zwischen Rechtfertigung und Kritik, Frankfurt a. M. 2005, 173 – 201.  See EW X, 127– 230.  EW X, 187: “Es bleibt nur noch der andere Weg, von dem Prinzip des Protestantismus auszugehen, es in immanenter Dialektik zu entfalten und auf einen Punkt zu führen, durch den es zum religiösen Prinzip des modernen Kulturbewußtseins werden kann. Wir können demnach unsere Aufgabe so bestimmen: Es soll gezeigt werden, daß das Prinzip des Protestantismus in sich ein Moment enthält, durch dessen Entfaltung es in Einheit kommt mit einem auf Autonomie aufgebauten Geistesleben”.

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tween the years of 1917 and 1918, underlies the dynamics of appropriation and overcoming – or criticism and formation (Kritik und Gestaltung)¹³ – of the autonomous consciousness from the binomial “justification and doubt.” Tillich’s theological program thus internalizes the enlightened critique of religion as a foundational moment of a concept of religion that is capable of respecting the “conditions of possibility” imposed by modernity. Modern subjectivity, which assumes each contentual determination as an act of self-position and production of the human spirit, thus becomes the starting point for theological reflection. In his cultural-theological program, Tillich describes theology as an elementary and self-referential mode of self-presentation of the self-relation of consciousness, which apprehends itself in the historicity of its reflexive disclosedness (reflexiver Erschlossenheit). By denying the concreteness of conditioned determinations, or rather, by means of the unconditional judgment intrinsic to radical doubt, the transparency of the reflexive act on which all acts of contentual determination of the spirit are based – i. e., the unconditionality of self-relatedness – is brought to consciousness. Based on these preliminary considerations, the structure of the following considerations is already outlined. My remarks are grounded on the thesis that the mode of the relationship between religion and culture in Tillich’s theological-cultural program is not only mediated by a philosophy of spirit and meaning, but also claims a fully delineated theory of symbols. Apart from an elucidation of the foundations of his philosophy of spirit, his theory of meaning and his theory of symbols, it is not possible therefore to offer any reconstruction of Tillich’s theology of culture. This means that the program of a theology of culture, as a mode of self-presentation and interpretation of reality from the point of view of the unconditioned, cannot be analyzed on the basis of his Kulturvortrag alone.¹⁴ If, as stated, the determination of the concept of religion and the mode of interrelationship between religion and culture are dependent on his philosophy of spirit and meaning, on the one hand, and on the theory of symbols that emerges from this philosophical foundation, on the other, then an analysis of the concept of meaning in the determination of his theory of consciousness becomes an inescapable starting point. The analysis of Tillich’s philosophy of spirit and meaning will be developed in the first part of this exposition (1).

 See MW VI, 127– 149.  Here against the positions of, among others, J.-P. Gabus, Introduction à la théologie de la culture de Paul Tillich, Paris 1969; N. Grondin, Genèse de l’idée d’une théologie de la culture, in: M. Despland / J.-C. Petit / J. Richard (Éd.), Religion et culture, Québec 1987, 207– 216; W. Schweiker, Theology of Culture and its Future, in: R. R. Manning (ed.), The Cambridge Companion to Paul Tillich, New York 2009, 138 – 151.

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From the elucidation of his philosophy of spirit and meaning, the concept of religion, as directedness towards the unconditioned, can be presented in its most proper nature. The task of elucidating the concept of religion comprises the content of the second part of this study (2). In the third and last part of the following discussion, an analysis of the role of the concept of symbol for the precise demarcation of his theology of culture will be offered (3). As will become evident, it is from the concept of symbol that the proper form of the relationship between religion and culture, i. e., between the unconditioned and the conditioned, is articulated. Only then can the true substance of one of Tillich’s most well-known formulas – namely, “religion is the substance of culture and culture is the form of religion” (MW II, 199)¹⁵ – be adequately described. It is, therefore, to the fundamental contours of his philosophy of spirit and meaning that the present investigation must turn first. In this procedure I will not only make use of Tillich’s Kulturvortrag, but also of indispensable texts produced during the 20s of the last century.

1 Spirit and meaning; or, the meaning fulfillment structure (Sinnerfüllungsstruktur) In his 1925 Religionsphilosophie, Tillich describes the close connection between the concepts of spirit and meaning in a transparent way. Every spiritual act is an act of meaning; it does not matter whether the realist theory of knowledge speaks of a meaning reception, or whether the idealist theory of knowledge speaks of a meaning bestowal, or whether the metalogical method speaks of an act of meaning fulfillment; it does not matter, therefore, how the relationship between subject and object is thought of in the spiritual act; the spirit is always meaning actualization and what is intended by the spirit is the context or interconnectedness structure of meaning. (MW IV, 133)

According to Tillich’s description, every act of the spirit is an act of meaning and spiritual life is life in meaning.¹⁶ However, Tillich’s understanding of the spirit is

 This formula can already be found in Tillich’s essay Kirche und Kultur, from 1924. As Tillich says: “denn der tragende Gehalt der Kultur ist die Religion und die notwendige Form der Religion ist die Kultur” (MW II, 110).  See EW VI, 125: “Geistiges Leben ist Leben im Sinn oder unablässige schöpferische Sinngebung. So geben wir der Welt einen logischen – ethischen – ästhetischen, so auch einen religiösen Sinn”.

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not yet fully described. There are two fundamental aspects missing here. In the first place, the spirit does not posit itself in its actualization only as meaning and does not intend only the context of interconnection of meaning. Rather, in its spontaneous act of self-position, the spirit apprehends itself. Therefore, its constitutive self-relation also belongs to the spirit. “This consciousness [Bewußtheit], this self-contemplation [Sich-selbst-Zuschauen] and self-determination [Sichselbst-Bestimmen] of thought in the creative act is the fundamental characteristic of the spiritual” (MW I, 201). From this determination it results, secondly, that the spirit is characterized in its self-actualization by an irresolvable tension. This is the tension, in other words, between the universal and the individual. The spirit can only posit the universal as something individual and determined. “The spiritual act can be directed towards the universal only when it intuits the universal in a concrete norm, in an individual realization of the universal” (MW I, 200). On the basis of this determination of the spirit, Tillich’s understanding of history is built.¹⁷ This means that the spirit is always already involved in history in such a way that it always finds itself in every concrete act of self-position.¹⁸ As he states in his 1923 Wissenschaftssystem, “there is no origin of spirit; for every spiritual creation presupposes the spirit” (MW I, 200). A “constitution theory,” according to which spirit produces empirical reality as an external world through the activity of consciousness itself, is thus rejected. Rather, the spirit is always already intertwined in the historical reality, without obviously being derived from it.¹⁹ The spirit is directed, in its concrete and determined acts of self-position, to the structure of meaning fulfillment. In this structure, the spirit appre-

 See MW I, 200: “Die individuelle Substanz der geisttragenden Gestalt ist kein ungeformtes Chaos, denn die geisttragende Gestalt ist immer auch geistgeformte Gestalt; sie steht in einer historischen Folgereihe. Aus ihrer individuellen historischen Formung heraus schafft die geisttragende Gestalt. Diese Formung reicht zurück über ihren eigenen Gestaltanfang hinaus durch den Zusammenhang aller Gestalten bis zu der universalen und unendlichen Gestalt, die Idee ist und nicht Wirklichkeit. Es gibt keinen außergeschichtlichen Moment einer geschichtlichen Gestalt. Es gibt keinen Anfang des Geistes; denn jede geistige Schöpfung setzt Geist voraus”. On Tillich’s construction of history, see F. Wittekind, ,Sinndeutung der Geschichte’. Zur Entwicklung und Bedeutung von Tillichs Geschichtsphilosophie, in: C. Danz (ed.), Theologie als Religionsphilosophie, Wien 2004, 135– 172.  From the 1930s onwards, Tillich began to refer to the inextricable belonging of the spirit to history through the Heideggerian term “Geworfensein” or “being-thrown.” On this point, see MW III, 290.  See F. Wittekind, Gottesdienst als Handlungsraum, in: C. Danz / W. Schüßler/ E. Sturm (ed.), Internationales Jahrbuch für die Tillich-Forschung, Bd. 2: Das Symbol als Sprache der Religion, Berlin / Wien 2007, 79.

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hends itself as spirit: it finds itself beyond itself, without ceasing to remain, at the same time, with itself. From the determination of the concept of spirit, the fundamental contours of Tillich’s theory of meaning become perceptible. After all, what does Tillich mean by the concept of act and meaning fulfillment structure? With his theory of meaning, Tillich intends to fundamentally overcome the opposition between the idealist and the realist models of knowledge.²⁰ The dialectical-critical method presupposes the autonomy of the spiritual in opposition to all that which is immediately given. In this sense, it does not need to represent an epistemological idealism; it must not assume that spirit confers laws on nature. Nevertheless, it certainly cannot admit that an epistemological realism is true. It cannot assume that nature confers laws on spirit. It must presuppose that the principles of meaning to which consciousness submits itself in the spiritual act are, at the same time, the principles of meaning to which being is submitted. It must presuppose that the meaning of being achieves expression in the consciousness formed by meaning. (MW IV, 125)

The critical-dialectical method must assume both that the principles of meaning to which consciousness submits itself in the spiritual act are, at the same time, principles of meaning to which being is submitted and that the meaning of being only achieves expression in the consciousness formed by meaning.²¹ Based on a critical reflection of their performances, the idealist and realist models of knowledge present fragmentation and need of complementation, as they encounter problems that cannot be elucidated based on their own assumptions. For Tillich, just as realism, as a critical analysis of its epistemological assumptions demonstrates, is unable to explain how nature can confer laws on spirit, so idealism, in turn, is unable to explain how a formless substance becomes able to accept these laws. From the perspective of his theory of meaning, both models prove to be abstractions from the fundamental recognition that substance (Gehalt) and form (Form), as the constitutive structure of consciousness, already configure a unity in each experience of meaning.²² As a corollary of such considerations the experience of meaning cannot be adequately described neither as meaning bestowal, nor as meaning apprehension, but only as “meaning fulfillment.”²³

   

See MW I, 204– 206; MW IV, 124– 133. See MW I, 204 f. See MW IV, 134. C. Danz, Religion als Freiheitsbewußtsein, Berlin 2000, 308.

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The concept indicates that things remain in their directedness towards the unconditioned form and that this directedness finds its fulfillment in spiritual creations. Neither ideal norms, which lie beyond being, nor a reality of meaning formed in opposition to spirit, are bearers of meaning. Meaning is not given, either in real or ideal form, but it is intended, and it achieves its fulfillment in the spirit.²⁴

The concept of meaning fulfillment finds its epistemic function insofar as it presupposes that, in each process of actualization of consciousness, substance and form always configure, by necessity, a unity.²⁵ On the other hand, the more the fulfillment of meaning points to a unitary performative structure, the more it allows us to designate the moments that are constitutive of the infinite process of meaning fulfillment.²⁶ The need to form independent concepts is everywhere where the elements of a unitary reality prove to be independently variable. The formation of concepts, the emergence of certain objects from the absolutely uniform flux of reality, finds its basis in this fact. Now, however, there is the fact that, both in ontology and in the philosophy of history, the form of meaning and the substance of meaning remain, in all spheres of reality, in a relationship of tension with each other, and that in this tension lies the richness of both objects and processes. Of course, there are no isolated elements. Reality is always in integration.²⁷

The form of meaning (Sinnform) and the substance of meaning (Sinngehalt) configure the structural moments that constitute the meaning fulfillment process, and not any independently available data. The relationship between the form of meaning and the substance of meaning must therefore be understood as one of strict interrelation.²⁸ It follows that just as the form of meaning can

 P. Tillich, Zu Tillichs Systematik, in: Blätter für Religiösen Sozialismus 5 (1924) 19.  See MW IV, 134: “Form und Gehalt gehören zusammen; es ist sinnlos, das eine ohne das andere zu setzen”. The establishment of a diastasis between Form and Gehalt necessarily results from any ontologizing interpretation of Tillich’s thought. A typical example here is the study by K. Herberger, Historismus und Kairos, in: Theologische Blätter 14 (1935) 129 – 141; 161– 175; see also W. Schüßler, Der philosophische Gottesgedanke im Frühwerk Paul Tillichs (1910 – 1933), Würzburg 1986, 49 – 67.  See EW VI, 125.  P. Tillich, Zu Tillichs Systematik (s. Anm. 24), 19. In the same page, Tillich asserts: “Aber es gibt […] keine vollkommene Integration, keine absolute Synthese. Gäbe es sie, so wäre weder die Dynamik des Geschehens, noch die Möglichkeit der Verunwesung gegeben. Alles Geschehen, alle Lebendigkeit beruht auf der Spannung der Elemente, auf der Variabilität ihrer Relation. Wer darum die Dynamik des Werdens verstehen will, muß diese Elemente in abstracto herausgreifen und ihre Spannungsverhältnisse beobachten”.  See MW IV, 134. Due to the strict mutual belonging relationship between form and substance, it becomes impossible to carry out an identification between the concepts of uncondi-

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never be thought of without the concept of substance on the one hand, so the concept of substance can never be thought of without the form of meaning on the other.²⁹ Assuming this thesis of Tillich to be correct, then it follows that every form of perception is already bestowed with meaning, just as every perception of meaning depends on mediation through a form. Between the structural moments of meaning, i. e., the form of meaning and the substance of meaning, there is not only a strict continuous interrelationality, but an interrelationality such that it must be understood as independently variable. One cannot operate, therefore, without the risk of drastic consequences for the internal systematicity of Tillich’s thought, neither an identification between the concepts of unconditioned and substance, on the one hand, nor between the concepts of conditioned and form, on the other.³⁰ tioned and substance, on the one hand, and the concepts of conditioned and form, on the other. Such misidentification can be found, for example, in the analysis of Tillich’s concept of symbol developed by J. Ringleben, Symbol und göttliches Sein, in: G. Hummel (ed.), God and Being, Berlin 1989, 165 – 181, especially, 166 and 181. If the interpretation of the relationship of mutual belonging between form and substance operates an identification between the unconditioned and the substance and between the conditioned and the form, then it would be impossible to visualize how the concept of symbol could be defended against the critical objections raised by Ringleben, who identifies, in Tillich’s thought, a diastasis between the unconditioned and the conditioned. The point to be realized here is that the categories form and substance constitute, in the dynamics of their mutual belonging and interrelatedness, the means through which the unconditioned find expression. There is, therefore, no identification insofar as the unconditioned is expressed through the juxtaposition of form and substance. On this point, see C. Danz, Religion als Freiheitsbewußtsein (s. Anm. 23), 308 f., note 17.  See MW IV, 134.  The question of the relationship between the concept of the unconditioned and the polarity between form and substance is still a subject of dispute and controversy in the Tillich-Forschung. In conjunction with interpretations that determine the unconditioned in terms of a description of the relationship between form and substance, as does, for example, T. Ulrich, Ontologie, Theologie, gesellschaftliche Praxis, Zürich 1971, 45, numerous authors presuppose an identification between the concepts of unconditioned and substance. For this identification, see F. Wagner, Absolute Positivität, in: Neue Zeitschrift für Systematische Theologie und Religionsphilosophie 15 (1973) 128, who takes a stand against Thomas Ulrich. On this point, see also M. Repp, Die Transzendierung des Theismus in der Religionsphilosophie Paul Tillichs, Frankfurt a. M. 1986, 180; 238. In the interpretation of W. Schüßler, Der philosophische Gottesgedanke im Frühwerk Paul Tillichs (1910 – 1933) (s. Anm. 25), 49 – 67, the terms in turn become interchangeable. Another identification is operated by Michael Palmer in his introduction to the second volume of Tillich’s Main Works. As M. Palmer, Paul Tillich’s Theology of Culture, in: MW II, 14, states: “Import, in a word, is the name given to the unconditioned meaning intended in religion and presupposed in every cultural creation.” Still on this problematic interpretation, see P. Haigis, Im Horizont der Zeit, Marburg 1998, 65; 94. Despite such interpretations, however, it should be noted that, as early as 1924, in his article-replica Zu Tillichs Systematik, Tillich takes a stand against an iden-

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If the meaning fulfillment is to be understood as a unity between the form of meaning and the substance of meaning, then a moment, which cannot be deduced from either the form of meaning or the substance of meaning, is also always already claimed. This moment is the synthesis between form and substance, a synthesis that is always already claimed in the meaning fulfillment process. Tillich thematized this third moment, which is always and invariably operative in each experience of meaning, in different studies elaborated in the twenties of the last century. In his Wissenschaftssystem and his Religionsphilosophie, Tillich devotes both the concept of meaning and the concept of spirit to determining the synthesis between form and substance.³¹ “The duplicity of form of meaning and substance of meaning is elementary for each meaning function.

tification between the concept of the unconditioned and the concept of substance. From an emphasis on the strict interrelationship between form and substance, P. Tillich, Zu Tillichs Systematik, 18 states that the identification between the unconditioned and the substance implies a flight towards “an empty transcendence [eine leere Transzendenz].” The substance of this reservation echoes Tillich’s criticism of Emanuel Hirsch’s theology. On this point, see MW VI, 116; 118; 124. Still on the problematic identification between unconditioned and substance, see H. Jahr, Theologie als Gestaltmetaphysik, Berlin 1989, 70 – 85. In her interpretation of the Tillichian writings of the 1920s, Jahr points out, in opposition to Tillich’s own intention, that there is “a preponderance of the meaning of the element of substance in opposition to the form” (ibid., 82). On the basis of the strict relationship between form and substance elaborated by Tillich, however, it is not possible to identify what Tillich calls substance with the unconditioned and the conditioned with form. On this point, GW, XII, 185: “Das Unbedingte des Gehaltes und das Unbedingte der Form gehören wesenhaft zusammen”. Rather, as stated by C. Danz, Religion als Freiheitsbewußtsein (s. Anm. 23), 308, note 17, “substance and form are simply the expression of the unconditioned, without the unconditioned coinciding with the polarity.” If one decides to insist on this reading of the relation of the concept of unconditioned with the polarity of substance and form as being systematically more fundamental, then the reading of those passages in which Tillich operates a misleading identification between the concepts of unconditioned and that of substance would also result in an interpretation contrary to Tillich’s own interests. This identification, in fact, occurs, albeit in an isolated way. On this point, see, for instance, MW I, 208; MW II, 97. Despite these contradictions, Tillich’s mistakes are to be found in the process of the system construction, and not in the theoretical system taken in itself. An identification of the unconditioned with substance and the conditioned with form leads to immeasurable consequences for the concept of symbol and, in this sense, therefore, for the totality of Tillich’s thought. It is precisely this type of interpretation that, starting from the identification of the unconditioned with the substance and the conditioned with the form, results in a complete deconstruction of Tillich’s theory of symbols. On this point, see J. Ringleben, Symbol und göttliches Sein (s. Anm. 28), 166; 181. On the basis of this identification, the concept of symbol would give rise to an abstract diastasis between the unconditioned meaning and the conditioned forms – as Ringleben accuses in Tillich – instead of a mediation, as Tillich, de jure et de facto, intends.  See MW I, 214; MW IV, 126.

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This duplicity is not a principle of meaning, but the principle of meaning itself” (MW I, 214). In his 1926 study Kairos und Logos. Eine Untersuchung zur Metaphysik der Erkenntnis, Tillich describes this third moment through the terms “interpretation of essence,” “spiritual understanding of reality,” or even “decision” (MW I, 279).³² In open opposition to realist and idealistic theories of knowledge, Tillich states: “such a doctrine of knowledge neglects, however, a third element of cognition that is neither formal nor material, and which makes cognition thus primarily a spiritual matter” (MW I, 279).

 In this same page, Tillich explains the third element, i. e., the moment of synthesis between form and substance, in the following terms: “Es handelt sich nicht um die Anwendung der Form auf das Material, des Evidenten auf das Wahrscheinliche, also um die ,Urteilskraft‘. Sie kann bis zur Genialität geisteigert sein, aber sie hört darum nicht auf, eine technische Funktion zu sein, die der Entscheidung in unserem Sinne entzogen ist. Das dritte Element, von dem wir reden, ist die Wesensdeutung, das geistige Verstehen der Wirklichkeit”. On Tillich’s appropriation of Kant’s Kritik der Urteilskraft, see A. Davidoch, Religion as a Province of Meaning, Minneapolis 1993, 221– 303. See also B. Love, Tillich on Eros and the Beauty of Kant, in: Bulletin of the North American Paul Tillich Society, 38 (2012) 10 – 14. In contrast to Tillich’s interpretations based on Kant’s third Critique, C. Perrottet, Au-delà du criticisme kantien. La méthode critique-intuitive dans la première philosophie de la religion de Paul Tillich. 2008. Thèse (Doctorat en Théologie) – Université Laval (Faculté de Théologie et de Sciences Religieuses), Québec, 2008, 133, focuses his interpretation of Tillich on the basis of Kant’s first Critique: “j’avais annoncé dès le début de ma thèse que l’originalité de Tillich consiste en ce qu’il a cherché – et trouvé – le critère déterminant de la réalité religieuse dans la partie apparemment la plus séculière de l’oeuvre kantienne, la première Critique. La manière logique de terminer la discussion sur Kant, avant de passer à la méthode critique-intuitive dans le prochain chapitre, est donc de montrer en quoi Tillich a fait sienne la notion kantienne de l’inconditionné à laquelle ma démarche a abouti”. Against the interpretations of both Davidoch and Perrottet, however, M. Boss, Which Kant?, in: R. R. Manning / S. Shearn (ed.), Returning to Tillich, Berlin 2018, 14, focuses his interpretation of Tillich on the basis of Kant’s second Critique: “I shall contend that both claims are partly misguided insofar as they neglect the neo-Fichtean frame that shapes Tillich’s early reception of Kant’s philosophical program as a doctrine of freedom rooted in the Critique of Practical Reason. It is true that Tillich’s affiliation with neo-Fichteanism has not yet received much attention, but if we look at the course of his philosophical training up to 1916, a period now well documented by the considerable amount of archival material published in the past fifteen years, it becomes unmistakably clear that Tillich’s early writings, including his two doctoral dissertations on Schelling, find their impulse and purpose in the so-called Fichte-Renaissance introduced to Halle by his philosophical mentor Fritz Medicus.” For Boss’s analysis of the importance of Kant’s second Critique to Tillich’s systematic thinking, see the pages 23 – 25 of the mentioned study. Despite the still controversial character with regard to the precise determination of Kant’s influence on the totality of Tillich’s thought, the value of the third Critique for the clarification of the moment of synthesis between form and substance intrinsic to his theory of meaning is indisputable. On this point, see C. Danz, Religion als Freiheitsbewußtsein (s. Anm. 23), 340 (especially note 80).

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The concept of meaning is, thus, constructed by Tillich through a structure that can no longer be adequately described through a relationship that is supposed to be binary, such as the subject-object scheme. This is so because it was precisely this binary cognitive model that provoked, according to Tillich, the alternative between idealism and realism.³³ An overcoming of this alternative, as Tillich claims it with his theory of meaning, can no longer operate within the limits of binary relations, but must move, by virtue of its own systematic intention, towards the establishment of “triadic relations.”³⁴ Otherwise, Tillich’s claim to offer an overcoming of the theoretical-cognitive alternative imposed by the limits of idealism and realism would remain no more than a mere promise. Thus, the synthesis between form and substance systematizes, as a moment always already claimed in the meaning fulfillment process, the way in which the unity between the form of meaning and the substance of meaning is achieved by the spirit. For, insofar as it cannot be deduced from either the form of meaning or the substance of meaning, synthesis constitutes a third moment that makes the process of cognition “primarily a spiritual matter” (MW I, 279). This implies that Tillich assumes, with his theory of meaning, the systematic task of following the spiritual path that starts from a binary relationship towards a triadic relationship. Nevertheless, just as the mode of interrelation between the form of meaning and the substance of meaning cannot be unilaterally reduced either to form or substance, neither can the concept of synthesis, through which the form of meaning and the substance of meaning constitute the particular experience of meaning, be reduced to one of the poles of this relationship.³⁵ Since the concept of meaning is constructed through the triad of form, substance and synthesis, Tillich’s theory of meaning makes clear why the concept of meaning can only be thought of in terms of a binding of meaning, or rather, as a sequential concept.³⁶ From the assimilation of neo-Kantianism, Tillich differentiates the acts of the spirit into theoretical and practical acts, and distinguishes theoretical acts in science and arts and practical acts in law and community. Through these four functions of meaning, the basic scheme of culture is structured. This is because, for Tillich, culture is nothing other than the realization of these meaning functions of the spirit. Based on the determination of the concept of culture as the realization of the theoretical and practical functions of meaning, it follows that, for Tillich, the human spirit can only be realized as culture, i. e., the unconditioned can only be expressed through conditioned forms.    

See MW I, 215 – 217; MW IV, 125. C. Danz, Religion als Freiheitsbewußtsein (s. Anm. 23), 310. See MW IV, 134. See C. Danz, Religion als Freiheitsbewußtsein (s. Anm. 23), 310.

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The individual meaning, which becomes experienced and performed, remains always in relation to other meanings; apart from these, the individual meaning would be a frivolous aphorism. Meaning is always interconnection of meaning. The quintessence of all contexts or interconnectedness structures of meaning is what we objectively call world, and subjectively, culture. (MW II, 103)³⁷

According to this quotation, a given experience can only be characterized as meaningful if – and only if – it remains in a sequentially binding and interconnected relationship with other experiences of meaning. It is precisely through advancing towards a sequential context of meaning that an experience can be qualified as meaningful. Insofar as this experience comes to occupy a determined position in the interconnectedness structure of meaning, it thus becomes determined, at the same time, by this structure.³⁸ Therefore, the experience of individual meaning must be understood, according to Tillich, as the presentation mode of a relationship of determinacy and indeterminacy. Only when it is possible to affirm that each individual experience of meaning represents an instance of indeterminacy and, thus, a surplus of meaning, is it possible to discuss the inescapable need to advance towards a context of sequential binding of meaning. Individual meaning must always represent an indeterminate interconnectedness structure of meaning, through which a further actualization of meaning is achieved. In all formations, as Tillich accurately states, both aesthetic and logical, both social and legal, must therefore be contained “the unconditional claim of the absolute formation.”³⁹ In each act of meaning, a horizon of meaningfulness (Sinnhaftigkeit) is already set, which cannot be deduced from the structural moments of form and substance, but which is due, rather, to the synthesis that Tillich describes through the concept of meaning. The meaningfulness of the interconnectedness structure of meaning, which is co-represented in each particular meaning, is, however, not representable in itself.

 In this connection, see also MW I, 205; MW IV, 133 – 157.  See MW I, 115: “Erkannt ist, was als notwendiges Glied einem Zusammenhang eingeordnet ist. Das Einzelne in seiner Vereinzelung ist kein Gegenstand der Erkenntnis”. Through his Gestalt theory, Tillich conceptualizes the precedence of the interconnectedness structure of meaning over individual meaning, a precedence that cannot be given, however, at the expense of the individual element of meaning. The interconnectedness structure of meaning is constructed through the sequential binding of each particular experience of meaning, not apart from it. On this point, see H. Jahr, Theologie als Gestaltmetaphysik (s. Anm. 30), 85 – 96; M. Harant, Religion – Kultur – Theologie, Frankfurt a. M. 2009, 142– 159.  P. Tillich, Zu Tillichs Systematik (s. Anm. 24), 20.

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It is important to note now that this aspect does not constitute something that could become an object of knowledge in the very act of knowledge. Wherever this is intended, the third element, which lies beyond form and matter, would itself become a formed material. This would, however, deprive it of its meaning. (MW I, 280)

Indeed, the meaningfulness of meaning is already claimed in every act of meaning, but it can only be intuited in a given form, not as itself. The a priori synthesis, which is constitutive for the actualization of meaning, can only be thematized by consciousness, therefore, as a posteriori synthesis. Thus, the meaningfulness of meaning does not coincide, therefore, with the correlative structural categories of form and substance, even though it is claimed in every actual performance of meaning.

2 The determination of the concept of religion – directedness towards the unconditioned The synthesis between form and substance, as a moment already claimed in the process of meaning fulfillment, systematizes, as seen, the way in which the unity between the form of meaning and the substance of meaning is apprehended by the spirit. Through this advance towards a sequential context of meaning, triadically schematized, experience can be qualified as meaningful insofar as it comes to occupy a determined position in the interconnectedness structure of meaning. On the other hand, the experience itself thus becomes determined by this very structure. According to Tillich, the experience of individual meaning must be understood in terms of the mode in which a relationship of determinacy and indeterminacy is presented. The dialectic that emerges from this relationship is characterized as a dialectic of self-affirmation and self-negation. Insofar as consciousness is aware of and thematizes this relationship, it, consciousness, becomes properly religious. The meaningfulness, which is already claimed in every act of meaning, can only be realized, however, in a determinate form, and not as itself. It is for this reason that the a priori synthesis, which is constitutive for the actualization of meaning, can only be thematized by consciousness as an “a posteriori synthesis.”⁴⁰ Here, the determination of the concept of religion within the scope of Tillich’s theory of meaning becomes apprehensible, insofar as it, religion, constitutes a qualitative attitude of the intentionality of consciousness. Religion differs from culture or cultural consciousness in that it not

 See C. Danz, Religion als Freiheitsbewußtsein (s. Anm. 23), 310 f.

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only knows the relationship of determinacy and indeterminacy that must be understood in terms of a dialectic of self-affirmation and self-negation, but also because it explicitly deals with this dialectic. In this context, the determination of the concept of religion, which Tillich describes by means of the formula “directedness towards the unconditioned” (MW IV, 134), reveals why the concept of religion and the concept of symbol belong together. Religion is the directedness of the spirit towards the unconditioned meaning, culture is the directedness of the spirit towards the conditioned forms. Both meet, however, in the directedness of the complete unity of the forms of meaning. This unity is for culture the conclusion, but for religion it is a symbol. From the standpoint of the unconditioned, this symbol is affirmed and denied at the same time: this is the general result of the metalogical analysis of meaning. (MW IV, 141)⁴¹

In programmatic and systematic terms, the determination of the concept of religion and the form of the relationship between religion and culture on the basis of a theory of meaning makes use of a double intuition.⁴² First, the formula articulated by Tillich demarcates the autonomous and transcendental character of religion: it is, as he states in his Wissenschaftssystem, “the immediate directedness of the spirit towards the unconditioned” (MW I, 209). The demarcation of the transcendental character of religious consciousness attests that religion can never be completely harmonized with culture without the strict loss of its distinctive uniqueness. Rather, what Tillich’s formula describes is that religion is extrapolatively actualized in the symbolic and immediate thematization of the unconditional dimension of meaning and unity whose genesis is to be found in a motive internal to the transcendental structure of meaning consciousness. Second, and in close correlation with the transcendental determination of religion, Tillich’s formula precludes an understanding of religion in the simplistic terms of an abstract negation of culture. By ensuring the transcendental character of religion as an intentional directedness towards the unconditioned meaning, Tillich’s formula also brings with it the intuition that religion has the function of naming the breakthrough (Durchbruch)⁴³ of the unity of the transcen-

 On the contours of Tillich’s metalogical method in the scope of his Wissenschaftssystem, see MW I, 211– 217.  See MW IV, 133 – 157.  For a brief reconstruction of the “Durchbruch” metaphor, see C. Danz, Breakthrough of the Unconditional, in: Bulletin of the North American Paul Tillich Society 33 (2007) 2– 6; U. C. Scharf, The Concept of the Breakthrough of Revelation in Tillich’s Dogmatik of 1925, in: F. J. Parrella (ed.), Paul Tillich’s Theological Legacy, Berlin / New York 1995, 65 – 81.

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dental functions of the spirit that are objectified in culture. As Tillich points out in his 1919 Kulturvortrag, religion is not a function of spirit, but an attitude in all spheres of meaning “which connects practical, theoretical, and intuitive-emotional elements into a complex unity” (MW II, 73). For Tillich, therefore, there is no possibility of affirming a diastasis between religion and culture. The fundamental mutual belonging between them is ground in the dimension of unconditionality of consciousness. Insofar as religion cannot be understood as a special sphere of meaning,⁴⁴ or as one transcendental functions of the spirit among others, it is only able of actualizing itself by means of the cultural forms created by the spirit. In its most specific theoretical-systematic meaning, religion must be understood as the event of self-transparency of the spirit that breaks through the cultural forms, even though, under no circumstances, is it a particular function of meaning among others. Tillich understands religion as a mode of reflexive disclosedness of the cultural consciousness that dissolves its character as a special form of culture. This event of spirit’s self-reflexivity, implicit in the formula directedness towards the unconditioned, can be more readily determined as the event in which the spirit becomes evident to itself in its cultural activity, i. e., the event of self-transparency in the self-relation of consciousness and its presentation.⁴⁵ However, as true as it is to say that religion becomes actual through cul-

 See MW I, 209: “Voraussetzung dieser Auffassung ist die Erkenntnis, daß Religion ist keine Sinnsphäre neben den anderen ist, sondern eine Haltung in allen Sphären: die unmittelbare Richtung auf das Unbedingte. Wo die Unbedingtheit des Heiligen erfasst ist, kann seine Nebenordnung neben die übrigen Gebiete nicht in Frage kommen, auch nicht in Form der Überordnung”. In the determination of Tillich’s concept of religion and its dissolution as a particular function of meaning alongside others, the influence of Windelband on his thinking is quite evident. As W. Windelband, Kulturphilosophie und transzendentaler Idealismus, in: Logos: Zeitschrift für systematische Philosophie 1 (1910 – 1911) 193 states: “Ihre besonderen Funktionen, soweit sie ihre Vernunftgründe aus den logischen, ethischen oder ästhetischen Inhalten schöpfen, nehmen an deren transzendentalem Wesen teil, und der einzige Vernunftgrund, der der Religion selbständig eigen ist, besteht in dem Postulat, die Totalität aller Vernunftwerte in einer absoluten Einheit zu erleben, die von keiner der Formen unseres Bewußtseins erfaßt werden kann”. For Windelband, therefore, religion constitutes the contingent event of the spirit’s self-transparency in relation to the sphere of transcendental validity in its dimension of unity and totality, or, as he himself points out, as the “postulate of normal consciousness [Postulat des Normalbewußtseins],” which is already present in the three aprioristic cultural functions of consciousness. On this point, see also the following studies: W. Windelband. Das Heilige, in: Präludien, Tübingen 1907, 414– 450; W. Windelband, Einleitung in die Philosophie, Tübingen 1920, § 13, 246– 257; § 20 f., 392– 425. On the Postulat des Normalbewußtseins in Windelband, see M. Kemper, Geltung und Problem, Würzburg 2006, 100 f.  C. Danz, Zwischen Transzendentalphilosophie und Phänomenologie, in: J. Lauster/ P. Schüz / R. Barth / C. Danz (ed.), Rudolf Otto. Theologie – Religionsphilosophie – Religionsge-

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tural forms, it is even more important to realize that religion cannot be deduced or created as it breaks through into consciousness in an underivable and always already concrete way.⁴⁶ The transcendental determination of the concept of religion reveals that subjectivity, in its religious extrapolation, is actualized through an assimilation that only breaks through the cultural forms, in such a way that religion simultaneously uses and negates these very forms. The intuition of the relationship of mutual coexistence and opposition between religion and culture constitutes the context from which Tillich introduces his concept of symbol. Religion can be understood, in this way, as “a symbolic realization of the unconditioned meaning.”⁴⁷ In the symbol of ‘God’, religion, or religious consciousness, realizes the meaningfulness of meaning already claimed in every act of meaning. With this, it is clear how religion is distinguished from the other transcendental functions of the spirit: to the extent that religion transpasses cultural functions in its intentional directedness towards the depth or unconditionality dimension of meaning, it symbolically realizes the unconditioned meaning or the meaningfulness of meaning. In contrast to cultural consciousness, religion is essentially, therefore, symbolic consciousness. Even though symbolic consciousness takes the unconditioned meaning as an evidently athematic claim, it does not symbolize the unconditioned meaning itself, but rather shapes reality through the theoretical and practical functions. From the determination of religion as symbolic consciousness, the difference between religion and culture becomes apprehensible. This difference lies in the fact that culture operates fundamentally, to make room for Kantian concepts, as “schematization,” while religion constitutes the proper realm of “symboliza-

schichte, Berlin 2014, 345. For more detailed considerations on the implications of the determination of the concept of religion by means of the formula “directedness towards the unconditioned,” see F. H. Abreu, “Richtung auf das Unbedingte” and “Self-Transparency”, in: Revista Eletrônica Correlatio 16 (2017) 5 – 97.  In the context of the dispute over the “paradox,” Karl Barth’s criticism of Tillich’s theology based on the metaphor of an “Offenbarungswalze” thus proves to be untenable. For Barth’s critique, see K. Barth, Von der Paradoxie des “positiven Paradoxes”, in: GW, VII, 226 – 239, especially, 234. On the debate between Tillich and Barth in the periodical Theologische Blätter, see P. Gallus, Der Mensch zwischen Himmel und Erde, Leipzig 2007, 555 – 564; W. Schüßler, Paul Tillich und Karl Barth, in: Id., “Was uns unbedingt angeht”, Berlin 2009, 119 – 129; C. Danz, Die Religion in der Kultur, in: C. Danz / W. Schüßler (ed.), Paul Tillichs Theologie der Kultur (s. Anm. 4), 211– 227; F. Wittekind, Grund- und Heilsoffenbarung, in: C. Danz / W. Schüßler/ E. Sturm (ed.), Internationales Jahrbuch für die Tillich-Forschung, Bd. 6: Jesus of Nazareth and the New Being in History, Berlin 2013, 89 – 119; L. C. Heinemann, Sinn – Geist – Symbol (s. Anm. 6), 437– 454.  C. Danz, Religion als Freiheitsbewußtsein (s. Anm. 23), 341.

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tion.”⁴⁸ Culture and religion must be distinct, however, insofar as culture constitutes the intentional directedness of the spirit towards the conditioned cultural forms, whereas religion is the intentional directedness of the spirit towards the unconditioned meaning. The unconditioned meaning, however, can only be symbolically – and not schematically – realized.⁴⁹ Objectifications of the unconditioned meaning through conditioned forms always remain under the judgment

 I. Kant, Kritik der Urteilskraft, in: W. Weischedel (ed.), Immanuel Kant, Bd. 8: Kritik der Urteilskraft und Schriften zur Naturphilosophie, Darmstadt 1983, 233 – 620, here, especially § 59, 458 – 463. The concept of symbol developed by Tillich fundamentally follows the distinction between “symbolization” and “schematization” as developed by Kant in his Kritik der Urteilskraft. For the distinction between schematization and symbolization, see I. Kant, Kritik der Urteilskraft, § 59, 458 – 463. On the concept of symbol in Kant, see G. Schönrich, Kategorien und transzendentale Argumentation, Frankfurt a. M. 1981, 237– 242; C. Dierksmeier, Das Noumenon Religion, Berlin 1998, 40 – 48; 85 – 96; H. Bielefeldt, Symbolic Representation in Kant’s Practical Philosophy, Cambridge 2003, 32– 39; B. Recki, Die Dialektik der ästhetischen Urteilskraft und die Methodenlehre des Geschmacks (§§ 55 – 60), in: O. Höffe (ed.), Kritik der Urteilskraft, Berlin 2008, 189 – 210; S. Maly, Kant über die symbolische Erkenntnis Gottes, Berlin 2012, 21– 30; 149 – 203. The confusion between Kantian concepts of schematization and symbolization in interpreting Tillich’s theory of symbols is not unknown in the secondary literature. A typical example in this case is K.-D. Nörenberg, Analogia Imaginis, Gütersloh 1966, 175, who interprets Tillich’s theory of symbols not through the Kantian concept of symbolization, but rather through schematization. This interpretation ends up locating Tillich’s theory of symbols precisely in the place it wants to avoid. As Nörenberg states: “Die Schematisierung soll dem reinen transzendentalen Begriff eine empirisch fundierte Verbildlichung ermöglichen, denn wir können uns das Obersinnlich-Transzendente und Göttliche nur durch Analogie mit der empirischen Wirklichkeit, durch einen Schematismus der Analogie faßlich machen.” (Ibid.) In the context of his interpretation of Tillich’s concept of symbol, Nörenberg does not adequately present the locus of Tillich’s concept of symbol from the basis of the Kantian distinction between schematization and symbolization. Only in the introduction of his study, which is dedicated to the history of the concept of symbol, Nörenberg contemplates Kant’s concept of symbol within the scope of the Kritik der Urteilskraft. Nevertheless, Nörenberg is wrong when dealing with the reasons for the Kantian distinction between schematization and symbolization – namely, the function of the symbol for practical philosophy (see here G. Krüger, Philosophie und Moral in der kantischen Kritik, Tübingen 1967, 83) – insofar as he assesses the contours of the concept of symbol in Kant from the analogia entis doctrine. On this point, see 47– 75 of Nörenberg’s study. In this sense, G. Wenz, Subjekt und Sein, München 1979, 161– 190, especially, 182 f. correctly criticized Nörenberg’s approach by stating categorically: “Die Funktion des Rekurses auf den Kantschen Schematiesierungsgedanken ist dabei keine andere, als diese These zu verdeutlichen. Freilich, mit Kant hat der Nörenbergsche Schematismus genausowenig etwas zu tun, wie der Begriff ‚transzendental‘ mit einer übersinnlich-transzendenten Welt.” (Ibid., 182) The Kantian presuppositions of Tillich’s concept of symbol are also emphasized by W. W. Müller, Das Symbol in der dogmatische Theologie, Frankfurt a. M. 1990, 119. On this point, see also C. Danz, Religion als Freiheitsbewußtsein (s. Anm. 23), 341– 347; L. C. Heinemann, Sinn – Geist – Symbol (s. Anm. 6), 31– 53.  C. Danz, Religion als Freiheitsbewußtsein, 342.

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of the spirit’s own constitutive unconditionality dimension. Therefore, the precise determination of the difference between religion and culture, in terms of the Kantian distinction between schematization and symbolization, justifies, equally, the essential unity and the actual distinction present in both poles of intentionality towards which consciousness is directed.⁵⁰ This is because religion has no other way to realize the unconditioned meaning apart from the conditioned forms.⁵¹ It follows that the difference between religion and culture can only find its justification in the distinctive attitude of the intentional consciousness with regard to the conditioned cultural forms.⁵² The distinction between the two lies therefore in the quality of the intentional attitude of consciousness. When conceived as the intentional directedness towards the unconditioned – or as the “living experience of unconditionality [Unbedingtheitserlebnis],” or “the unconditional relationship with reality [unbedingte Realitätsbeziehung]” (EW XII, 405), as Tillich defines it in his Berliner Vorlesungen of the early 1920s –, religion must be understood as an event that takes place through cultural forms. This is because it is the spirit that posits, through its spontaneous creative activity, the concrete cultural forms and gives rise to a cultural world of its own. From this perspective, culture can be more properly understood as an objectification of the human spirit.⁵³ As the individual spirit reflects on its own conditioned cultural forms, it becomes aware not only of its own creative and spontaneous activity, but also of its own relationship with itself. In this foundational self-relatedness, the spirit apprehends itself in its cultural activity. Religion can only be understood, in this sense, as the reflexive event of self-disclosedness of cultural consciousness that takes place in the spirit and thus in the meaning functions of the spirit. Since the religious event of the spirit’s becoming evident to itself in its internal reflexivity is an event that can only occur through cultural functions, it follows that the cultural functions themselves, i. e., the meaning functions of the

 On this point, see F. H. Abreu, “Richtung auf das Unbedingte” and “Self-Transparency” (s. Anm. 45), 27– 48. See also G. Neugebauer, Die geistphilosophischen Grundlagen der Kulturtheologie Tillichs vor dem Hintergrund seiner Schelling- und Husserlrezeption, 38 – 63; C. Cordemann, Religion und Kultur, in: C. Danz / Werner Schüßler (ed.), Paul Tillichs Theologie der Kultur. Aspekte – Probleme – Perspektiven, Berlin / Boston 2011, 94– 127; P. Haigis, Tillichs Programm einer Theologie der Kultur, in: C. Danz / W. Schüßler (ed.), Paul Tillichs Theologie der Kultur, 128 – 151; C. Danz, Die Religion in der Kultur, 211– 227.  See MW I, 230.  See EW X, 176: “Klärend für dieses Verhältnis ist der von der phänomenologischen Schule gebrauchte Begriff des ‚Meinens‘. Ein Begriff ‚meint‘ etwas, zielt auf etwas hin, und dieses Gemeinte ist etwas ganz anderes als die Vorstellung, durch die hindurch gemeint wird. So wird das Unbedingte gemeint in bedingten Vorstellungen”.  Cf. C. Cordemann, Religion und Kultur (s. Anm. 50), 103.

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spirit, become the means for the reflexive self-apprehension of the unconditionality that sustains the spirit in its self-relatedness.⁵⁴ The meaning categories of Gehalt and Form describe precisely the mode of spiritual self-apprehension. Tillich integrates these differentiated levels of reflexive self-apprehension in order to delineate the structure of his theory of meaning consciousness.⁵⁵ The category of Gehalt describes the self-apprehension of the spirit in the reflexivity of its cultural activity, while the category of Form stands for the transcendental functions of the spirit, i. e., the autonomous activity of the spirit in its inner self-relatedness. Thus, the categories of substance and form constitute, in the dynamics of their mutual belonging and interrelationship, the means through which the unconditioned finds expression. As an event that occurs in the spirit and in the transcendental functions of the spirit, religion must be understood as a reflexive self-disclosedness which is, however, always and invariably historical. “All spiritual creation,” as Tillich states, “is oriented towards history” (MW I, 200).⁵⁶ This means that the religious event is always a historical self-disclosedness, given that there is no possible self-apprehension of spiritual self-relation apart from a concrete historical determination. In the religious act, the human spirit apprehends itself in its reflexive structure and presents its own transparency in symbolic forms. In its self-apprehension, the spirit is already necessarily involved in a particular history, so that it is only able to describe its self-disclosedness through concrete and historically determined symbols. In this sense, the ways in which the spirit presents the event of its reflexive self-transparency necessarily derive from an already historically developed culture. However, it should be noted, religious symbols should not be equated with cultural symbols. There is a qualitative difference between them. Religious symbols differ from symbolic cultural creations in that they have

 See ibd., 122 – 124 [Sinn als Medium des Geistes].  See MW I, 245 – 254; MW IV, 150 – 157. On this point, see also the works by J. Heinrichs, Der Ort der Metaphysik im System der Wissenschaften bei Paul Tillich, in: Zeitschrift für katholische Theologie 92 (1970) 249 – 286; H. Jahr, Theologie als Gestaltmetaphysik (s. Anm. 30), 74– 76, as well as M. Moxter, Kultur als Lebenswelt, Tübingen 2000, especially, 67– 69.  “Der geistige Akt kann sich auf das Allgemeine nur richten, wenn er es anschaut in einer konkreten Norm, in einer individuellen Verwirklichung des Allgemeinen. Darum ist alles geistige Schaffen der Geschichte zugewendet. Die stärksten geistigen Schöpfungen in theonomer und autonomer Kultur sind aufs nachdrücklichste auf die Vergangenheit gerichtet. Offenbarungsautoritäten, klassische Zeiten, romantische Rückwendungen bedeuten nichts anderes, als das Bewußtsein um die Gebundenheit alles geistigen Schaffens an die konkreten Verwirklichungen des Geistes, an die Geschichte”.

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the function of presenting the event of the self-disclosedness of the spirit.⁵⁷ Therefore, it is wrong to assume that religious symbols refer to a particular sphere of objects in which they participate – or even to a ‘God’ that is independent of reflexive consciousness. Religious symbols are means by which the spirit’s self-disclosedness achieves expression. Or, put more directly, religious symbols are an expression of the reflexive self-disclosedness that is constitutive for the human spirit, or rather, they constitute an image that is, at the same time, extracted from the spirit and from which it, the spirit, fundamentally differentiates itself. Thus, religious symbols do not point to any kind of positive realities, but give expression to the event of reflexive self-disclosedness that is, by virtue of its very nature, internal to the subject.⁵⁸ Religion is understood in Tillich’s theology of culture, therefore, as the event in which cultural consciousness becomes graspable, in culture and through the cultural forms, in its depth structure. As such, religion is not identical, however, with any cultural form. There are two consequences arising from this construction of the relationship between religion and culture that need to be highlighted. First, the construction of the concept of religion from the basis of this philosophy of spirit and meaning results in a double concept of religion. From the determination of religion as an event that occurs in the meaning functions of the spirit, Tillich draws a distinction between religion as an event of self-transparency of the spirit and religion as a cultural form. Religion as a cultural form is criticized by Tillich as a form of religion in which awareness of the depth structure of the spirit is emptied. Second, religion, understood as an event in the cultural forms, is, for Tillich, as stated, an event that cannot be derived and is therefore always already concrete. In this sense, religion cannot be created. It is not a cultural production, an epiphenomenon, but it always occurs only as an underivable event in which the self-transparency of the unconditionality dimension of the spirit takes place.

 See MW IV, 214: “Die religiösen Symbole sind vor den übrigen dadurch ausgezeichnet, daß sie Veranschaulichung dessen sind , was die Sphäre der Anschauung unbedingt übersteigt, des im religiösen Akt Letztgemeinten, des Unbedingt-Transzendenten”.  See, in this connection, MW IV, 140: “Darum ist der Gegenstand der Religion nicht nur real, sondern er ist die Voraussetzung aller Realitätssetzung. Aber er ist nicht in dem Sinne real wie irgendeine Einzelsetzung. Auch die universale Synthesis ist keine Gegebenheit, sondern ein Symbol. Im wahren Symbol wird die Realität erfaßt; aber Symbol ist die uneigentliche Ausdrucksform, die immer da notwendig ist, wo ein eigentlicher Ausdruck wesensmäßig unmöglich ist”.

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3 The a priori synthesis of consciousness and the function of the theory of symbols From the determination of the concept of religion as an event of reflexive self-disclosedness that breaks through in the transcendental functions of the spirit, Tillich dissolves the idea of religion as a cultural sphere of its own. Religion takes place in the realm of consciousness as its internal dialectic. Religious consciousness is marked by a dialecticity insofar as it denies its cultural and religious forms and, on the other hand, it cannot be realized in any other way than by accepting these forms. However, religion is not only the form of the performance of this dialectic, but also the consciousness of this dialectic. It is, in this sense, the awareness that the forms produced by consciousness itself are the historically changeable forms of expression (Ausdrucksgestalten) of the unconditioned. Religion is therefore essentially symbolic consciousness. With the determination of religion as symbolic consciousness or symbolic realization of the unconditioned meaning, the foundation of Tillich’s theory of religion within the scope of his theory of meaning can be grasped. Insofar as the individual meaning must always represent an indeterminate interconnectedness structure of meaning and thus a surplus of meaning, the dimension of ultimate meaningfulness and unity of reality is symbolically thematized by consciousness. In every meaning consciousness three elements are contained: first, the consciousness of the context or interconnectedness structure of meaning in which each particular meaning remains and without which meaning would be lost; second, consciousness of the meaningfulness of the context or interconnectedness structure of meaning and, with it, of each particular meaning, that is, consciousness of an unconditioned meaning that is present in each particular meaning; third, the consciousness of a claim, under which each particular meaning stands, to fulfill the unconditioned meaning. (MW IV, 133)

According to the theoretical and systematic description of the interconnectedness structure of meaning just explained, it becomes evident that it is precisely this meaningfulness always already claimed in each act of meaning that Tillich thematizes through his concept of the unconditioned. As Tillich describes in a letter sent in May 1918 to Hirsch, “the divine is meaning, not being [ist Sinn, nicht Sein], and it is ‘another meaning’” (EW VI, 126).⁵⁹ If it is possible to assume,  In his 1919 article Rechtfertigung und Zweifel, Tillich states: “Das Unbedingte ist ein Sinn, aber nicht ein einzelner Sinn, denn jeder einzelne Sinn steht unter dem Zweifel und könnte den Zweifler nicht rechtfertigen. Das Unbedingte ist der Sinn schlechthin, der Ausdruck dafür, daß überhaupt ein Sinn ist, die Setzung der Sinnsphäre. Indem das Ich das Unbedingte bejaht,

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with Tillich, that the unconditioned meaningfulness is already claimed in each experience of meaning, without it being able, however, to be represented in and of itself, it follows that this circumstance demands an even more complex form of the idea of the absolute. The latter must take into account not only the immediate presence of the unconditioned meaning in all meaning performances, but also its reflexive transcendence. According to Tillich, the dilemma between the immediate presence of unconditioned meaning in each meaning performance and its reflexive transcendence cannot evade any ideational selfenlightenment of consciousness. However, if one recognizes that this dilemma occurs in every conceptual self-enlightenment of consciousness, then it becomes transparent that it is due precisely to the paradox that marks the distinctive particularity of the very idea of the absolute. In his 1922 article Die Überwindung des Religionsbegriffs in der Religionsphilosophie, Tillich unequivocally explains the reflexive transcendence intrinsic to the idea of the absolute. Now, however, there is a point where paradox is not grounded in the subject but rather grounded completely in the object, a point where the paradox is as necessary to assertion as the non-contradictoriness or consistency is to every scientific-experiential assertion: the point at which the unconditioned becomes an object. The fact that the unconditioned becomes an object consists precisely in the original paradox (Urparadoxie), given that, while unconditioned, it lies, in essence, beyond the opposition between subject and object. (MW IV, 73)⁶⁰

bejaht es zugleich sich selbst als sinnvoll, erhält es erst einen Sinn” (EW X, 169 f.); see also MW II, 74; MW VI, 127– 149, especially 103 – 107; MW IV, 133 – 141. In this sense, see still F. Wagner, Absolute Positivität (s. Anm. 30), 181, note 22: “Denn der Zweifel kann sich überhaupt nur dann als Zweifel äußern, wenn er sich schon auf den bezweifelten, damit gleichwohl vorausgesetzten Sinn und Sinngrund bezieht. Mit dem Durchbruch der Gewißheit von Sinn, der Grundoffenbarung, durch den Zweifel an sich selber zweifelt”. In the context of his correspondence with Hirsch between 1917 and 1918, Tillich still operates an identification between meaning and value. As he states in this same letter to Hirsch, “‘value’ and ‘meaning’ result, on a deeper analysis, as identical concepts” (EW VI, 125). However, Tillich differentiates them in his Wissenschaftssystem, more specifically, in his “Doctrine of the norms of meaning or Systematics [Die Sinnormenlehre oder Systematik].” On this point, see MW I, 220 f. The distinction between meaning and value is central to the so-called neo-Kantianism of Marburg, whose main representatives are Hermann Cohen, Paul Natorp and Ernst Cassirer, while its identification is decisive for the Baden variant of neo-Kantianism, as represented above all by Wilhelm Windelband, Heinrich Rickert and Emil Lask. In this connection, see A. C. Zijderveld, Rickert’s Relevance, Leiden 2006, 1– 29; F. C. Beiser, The Genesis of Neo-Kantianism, 1796 – 1880, Oxford 2014, 1– 9.  In this context, see EW VI, 122. On the problematic of a “double absolute,” see D. Korsch, Das doppelte Absolute, in: Dialektische Theologie nach Karl Barth, Tübingen 1996, 241– 272, especially 242– 245.

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If one tries to conceptually dissect what could be said with the idea of the original or “profound” paradox of the absolute, which Tillich indicates as the only adequate and possible conceptual form of description of the absolute, one is then led to a double circumstance. What becomes evident with this is that, on the one hand, Tillich intends to ensure the Kantian perception that denies any possibility of a path from the conditioned to the unconditioned, and that reflection is – by virtue of the very limits imposed on it by the critical-enlightened reason – always, therefore, unsuccessful. On the other hand, the always already claimed presence of the absolute in the reflexive performances of consciousness must be, ipso facto, validated. Tillich’s idea of the original paradox of the absolute thus demands not only the immediate actualization of the absolute, but also that the reflexive transcendence of the absolute be thought of as belonging to the absolute itself. As can readily be seen, the double version of the absolute that results from this systematic elaboration undertaken by Tillich is a direct consequence of the peculiar structure of the meaning consciousness. Apart from its concrete realization, as well as from the mutual and constant intersection between two opposing movements that characterizes the concept of symbol elaborated by Tillich, the absolute is never intended. However, “since consciousness has no other forms than the conditioned forms, it then follows that it must employ them,” as Tillich asserts, “to express the unconditioned through them, that is, it must employ scientific concepts symbolically, not literally” (MW IV, 122).⁶¹ According to Tillich’s

 See also MW I, 229 – 231. As Tillich states already in his draft Rechtfertigung und Zweifel from 1919: “Sobald sich das Bewußtsein aber auf die Stufe des radikalen Zweifels erhoben hat, können jene Vergegenständlichungen in ihrer unreflektierten Anschaulichkeit nur als Symbole gelten für die Lebendigkeit und Konkretheit des absoluten Paradox. Auf dieser Stufe kann das Bewußtsein jene Symbole nur gebrauchen unter ständiger Erinnerung an ihren symbolischen Charakter und den Sinn, den sie zwar anschaulich und lebendig, aber doch inadäquat ausdrücken” (EW X, 172). However, in the second version of this study, the concept of symbol is abandoned. The revision of the study not only makes use of cum grano salis Hegelian concepts such as Anschauung and Begriff for the problem of the objectifications of religious statements, but also places the concept of revelation as a solution for the expression of vitality and concreteness of the absolute paradox. On this point, see EW X, 221: “Aber das Bewußtsein kann nicht umhin, das Unbedingte in diesen drei Formen zu hypostasieren. Es liegt hier gewissermaßen ein Schweben zwischen Anschauung und Begriff vor, ein Vergegenständlichen des Sinnes zu einem Seienden durch die Anschauung und ein Entgegenständlichen des Seienden zu einen Sinn durch den Begriff […] Sobald sich das Bewußtsein aber auf die Stufe des radikalen Zweifels erhoben hat, können jene Vergegenständlichungen nur als Offenbarungen gelten für die Lebendigkeit und Konkretheit des absoluten Paradox”.

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sentence, it can be inferred that the symbol describes a ratio, a relation of presentation in which scientific concepts are not employed in their authenticity, but rather in an overtly inauthentic and indirect way.⁶² That the concepts are used in

 In his 1928 article Das religiöse Symbol, Tillich states that “inauthenticity [Uneigentlichkeit]” constitutes “the first and fundamental characteristic of the symbol.” According to Tillich, inauthenticity demonstrates that the inner act of consciousness “which directs itself towards the symbol does not intend the symbol as such, but rather what is symbolized in it.” In this case, says Tillich, “the symbolized itself can become a symbol for a higher status category [höheren Ranges] that is symbolized in the symbol” (MW IV, 213). Nevertheless, the demarcation of the inauthenticity character of symbolic expressions must be developed together with their indirectness character (Indirektheit). On this point, see L. C. Heinemann, Sinn – Geist – Symbol (s. Anm. 6), 508 – 518. Tillich emphasizes this indirectness character of symbolic expressions in his Dogmatik-Vorlesungen uttered in Marburg and Dresden between 1925 and 1927. In the context of explaining the ineffability of the unconditioned, Tillich states: “Da nun all unsere Worte ihren Gegenstand in diese Welt einreihen, so ist das Unbedingte zunächst das Unaussprechliche. Spricht es sich nun doch aus, so kann das nur in indirekten Worten, in Symbolen geschehen. Das Symbol hat die Tiefe, daß es die Verborgenheit achtet und doch real auf das Gemeinte hinweist. Auch das Wort Gott ist so ein Symbol” (EW XIV, § 4, 17). In the condition of “indirekten Worten,” symbols can thus be designated not only as “inauthentic expressions,” but also as “indirect expressions.” In the characteristics of inauthenticity and indirectness that constitute the theory of symbols, the intrinsic reserve to symbolic statements is articulated distinctly in contrast to the systematic transgression of the concept of immediacy. It is precisely through his theory of symbols, as L. C. Heinemann, Sinn – Geist – Symbol (s. Anm. 6), 517 f. states, that Tillich’s systematic thinking can be “differentiated from the exaggerated claims of immediacy.” Unfortunately, this indirectness character of the symbolic conception pointed out by Tillich is not further developed either in his Wissenschaftssystem and in his Religionsphilosophie, on the one hand, or in his 1928 article Das religiöse Symbol, on the other. Especially with regard to this last article, an explicit identification of indirectness as a constitutive characteristic of symbolic expressions – together with the other characteristics of the symbol pointed out by Tillich (see, MW IV, 213 f.) – would have contributed to greater clarity in the determination of the conceptual framework of Tillich’s theory of symbols. For an in-depth analysis of the fundamental characteristics of symbols pointed out by Tillich in his 1928 article, see L. C. Heinemann, Sinn – Geist – Symbol (s. Anm. 6), 455 – 500. Furthermore, as stated by Heinemann, the elucidation of the indirectness character of symbolic expressions “would have prevented the mistaken reception of Tillich as the representative of a genuinely epistemological ‘postulate of immediacy.’” (Ibid. 518) The characterization of Tillich as the representative of an epistemological “Unmittelbarkeitspostulat” is developed by D.-M. Grube, Unbegründbarkeit Gottes? (s. Anm. 6), 46 – 54 in the context of his interpretation of Tillich’s American works, especially in relation to the book Dynamics of Faith, from 1957. Nevertheless, within the scope of a historical-genetic reconstruction of Tillich’s theory of symbols, the determination of the character of the symbol concept expressed in his latest works cannot be simply projected, without further problematization, on the formation period of the theory under analysis. On this point, see L. C. Heinemann, Sinn – Geist – Symbol (s. Anm. 6), 514; 548 f. Rather, an investigation of Tillich’s later works must take seriously the fundamental contours of the concept of symbol as they are presented in the context of the develop-

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their inauthenticity and indirectness is a fact that marks, in the first place, the peculiar difference in the construction of the empirical reality of meaning. On the other hand, Tillich also reaffirms this peculiar difference in his discourse on an intersection and correlation between the “expression character” and the “validity character” of symbolic concepts. “Metaphysical concepts have,” as Tillich aptly states, “an expression character [Ausdruckscharakter] and, therefore, a value character [Geltungscharakter], even though they do not have validity in the same sense as scientific concepts do” (MW IV, 230). The distinction and intersection between the expression character and the validity character attests that symbolic statements do not have a referential-objective function, but rather describe the inauthenticity of conditioned forms as the necessary means of expression of the unconditioned. With this particular concept of symbol, Tillich seeks to ensure the difficulty of specifying the precise conditions under which it becomes possible to correctly interpret a concept such as that of symbol. Put more directly, if consciousness has only the conditioned forms at its disposal, then it must always already know that when it employs concepts to represent the unconditioned meaning, it does so not literally, but always and invariably in a symbolic manner. To explain this knowledge always already presupposed by consciousness is the task of Tillich’s theory of the absolute.⁶³ Assuming the premise that the process of meaning must be unquestionable for consciousness – since consciousness is itself consciousness of meaning – there cannot be any possibility that consciousness derives this knowledge through an external cause. For this reason, Tillich, in his Religionsphilosophie, undertakes the task of pushing the philosophical analysis of consciousness “to the point where it apprehends itself together with the totality of culture as an expression of the religious” (MW IV, 142). The perception of the underivability of the conditioned corresponds to the perception of the irreducible relationship of reciprocity and correlation between the unconditioned and the conditioned. The insightful construction of the underivability of the conditioned thus also constitutes a construction of the conditioned as an expression of the unconditioned. This knowledge, already present in the conditioned, taken in itself as an expression of the unconditioned, represents the indispensable condition for consciousness to understand signs as symbols. For only when consciousness already knows itself as an expression of the unconditioned can it employ conditioned forms in a symbolic manner. ment of his theory. Only in this complexity can Tillich’s theory of symbols be truly reconstructed in its systemic depth.  In what follows, see C. Danz, Religion als Freiheitsbewußtsein, 345 – 347, whom we follow through paraphrases and not direct translations.

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The symbol thus becomes a concept when it is interpreted by consciousness as a presentation of the a priori synthesis of meaning consciousness. In this procedure, the concept is no longer used to designate the construction of the reality of meaning, but it is the very meaningfulness of meaning already claimed in this construction procedure that must now be presented. This difference, which Tillich points out as a process of transition from the value character of concepts to their expression character, can be explained as the aforementioned difference presented by Kant between symbolization and schematization. Since meaning is given neither ideally nor really,⁶⁴ it follows, therefore, that it cannot be schematized, but only symbolized. The actualization of the meaningfulness that consciousness always already claims in each realization of meaning cannot depend, as such, on the help of any sensible intuition. This is because this meaningfulness is, of course, no empirical instance. Thus, the realization of unconditioned meaning can only happen insofar as the very structure of meaning fulfillment itself becomes a presentation. To speak with Kant, it is an intuitive mode of presentation, a hypotyposis, which, in contrast to the discursive mode, encompasses, together with the schematic presentation, also a presentation of a strictly symbolic character. As sensification (Versinnlichung), the symbol is, as Kant states in his Kritik der Urteilskraft, a non-schematic method or procedure of presentation, “since the concept is one that only reason can think and to which no sensible intuition can be adequate.”⁶⁵ In the latter case, as Kant states, the concept is provided with an intuition such that the procedure of the faculty of judgment is simply given in an analogous way to what it observes in the schematization, that is, it comes to terms with it simply as a function of the rule of that procedure, not as a function of the intuition itself, and therefore only in terms of the form of reflection, not the content.⁶⁶

In this direction, and in accordance with a perspective that could be cum grano salis described as semiotic, it can be stated, based on the auspicious Kantian distinction between symbolization and schematization, that “the symbol is a sign in

 See P. Tillich, Zu Tillichs Systematik, (s. Anm. 24), 19.  I. Kant, Kritik der Urteilskraft (s. Anm. 48), § 59, 459.  Ibd. “Alle Hypotypose (Darstellung, subiectio sub adspectum), als Versinnlichung, ist zwiefach: entweder schematisch, da einem Begriffe, den der Verstand faßt, die korrespondierende Anschauung a priori gegeben wird; oder symbolisch, da einem Begriffe, den nur die Vernunft denken, und dem keine sinnliche Anschauung angemessen sein kann, eine solche untergelegt wird, mit welcher das Verfahren der Urteilskraft demjenigen, was sie im Schematisieren beobachtet, bloß analogisch, d.i. mit ihm bloß der Regel dieses Verfahrens, nicht der Anschauung selbst, mithin bloß der Form der Reflexion, nicht dem Inhalte nach, übereinkommt”. On this point, see C. Dierksmeier, Das Noumenon Religion (s. Anm. 48), 42 f.

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which the very use of the sign operates as sign.”⁶⁷ The symbolic presentation thus consists not in the illustration of a reality, but in the very presentation of the meaning fulfillment process of consciousness itself.⁶⁸ What Tillich seeks, in other words, is nothing less than the overcoming of the irresolvable cleavage between the unconditioned meaning and the meaning fulfillment process of the conditioned meaning. The indeterminacy intrinsic to the interconnectedness structure of meaning, through which a further actualization of meaning is achieved, describes the necessarily transcendent character of the meaning fulfillment process. For this reason, each meaning contains a surplus of meaning, which Tillich aptly describes as “transcendent meaning” (MW VI, 138). As Tillich puts it in his 1929 essay Der Protestantismus als kritisches und gestaltendes Prinzip: “The holy is not unintuitable. However, it is not objective. The holy is intuited non-objectively; it is intuited as transcendent meaning [transzendente Bedeutung]” (MW VI, 138). By way of conclusion, we must emphasize that the concept of symbol developed by Tillich describes a state of affairs in which the meaningfulness claimed by finite subjects in each particular act of meaning cannot be realized by itself. Rather, meaningfulness finds its fulfillment in the very presentation of the meaning fulfillment process. Thus, insofar as religious symbols are constituted as such in the mental performances of religious consciousness, Tillich’s theory of

 C. Danz, Religion als Freiheitsbewußtsein (s. Anm. 23), 346. As an indirect mode of presentation, symbolic hypotyposis makes use of a “qualitative analogy” – on this point, see C. Dierksmeier, Das Noumenon Religion (s. Anm. 48), 41– 43 – insofar as it is not the intuitable components of symbols that are transferred to other objects, but the relation of components with “the suprasensible objects” intuited in the symbols. As stated by C. Dierksmeier, Das Noumenon Religion, 43, “the symbol is not, therefore, fulfilled in intuition, but in the reflection on this relationship.” On Kant’s analogical method, see A. Pieper, Kant und die Methode der Analogie, in: G. Schönrich / Y. Kato (ed.), Kant in der Discussion der Moderne, Frankfurt a. M. 1996, 92– 112, especially 106. According to his appropriation of Kant’s theory of symbols, the concept of symbol elaborated by Tillich has the function of presenting, in the very symbolization performance, the meaning fulfillment process. On this point, see also L. C. Heinemann, Sinn – Geist – Symbol (s. Anm. 6), 548 f.  The closeness between Tillich’s theory of symbols and that of Kant is, in this sense, readily perceptible. For Kant too, as Dierksmeier points out, the symbol does not find its theoretical validity in a supposed apprehension of a transcendent substance, but in its own transcendental function of symbolization. In the words of C. Dierksmeier, Das Noumenon Religion (s. Anm. 48), 92: “Denn das Symbol hat seine geltungstheoretische Seinsquelle in seiner (transzendentalen) Funktion, nicht aber in einer ihm innewohnenden transzendenten Substanz”. On this point, see also H. Bielefeldt, Symbolic Representation in Kant’s Practical Philosophy (s. Anm. 48), 32– 39.

“Directedness Towards the Unconditioned”

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symbols proves to be, above all, a theory of symbolization.⁶⁹ Put another way, the task of Tillich’s theory of symbols is not so much to describe the form of referential participation of symbolic utterances. Rather, symbols describe more properly the altered position of the reflexive consciousness in relation to its concrete and determinate contents. The meaningfulness of meaning already claimed in each act of meaning is carried out in the very structure of presentation of the meaning fulfillment process. In their internal transcendence, symbols must be considered, at the same time, as an expression of the absolute transcendence of the idea of the unconditioned. In the symbol, as a mode of presentation of the meaning fulfillment process, consciousness realizes both the difference and the unity between the unconditioned and the conditioned, i. e., the essential unity and the actual distinction between religion and culture. It is in the concept of symbol, therefore, that the true theoretical substance of Tillich’s reformulation of the doctrine of justification by faith finds its most proper expression.⁷⁰ From the determination of religion as symbolic consciousness, the objectivity and conditionality of religious statements are at the same time justified in their necessity and submitted to the scrutiny of radical doubt. Only through this theoretical demarcation of the systemic function of the symbol concept can religion not only be determined as the substance of culture and culture as the form of religion, but also as Richtung auf das Unbedingte – just as Tillich formulated it programmatically exactly one hundred years ago.

 Cf. L. C. Heinemann, Sinn – Geist – Symbol (s. Anm. 6), 548.  On Tillich’s reformulation of the Rechtfertigungslehre, see F. Wittekind, “Allein durch Glauben”. Tillichs sinntheoretische Umformulierung des Rechtfertigungsverständnisses 1919, in: C. Danz / W. Schüßler (ed.), Religion – Kultur – Gesellschaft (s. Anm. 6), 39 – 65.

Georg Neugebauer

Paul Tillich als Diagnostiker und Kritiker der Gesellschaft 1 Einleitung Der Ausdruck ,Lage‘ ist selbstverständlicher Teil der Alltags- und Wissenschaftssprache. Er zeichnet sich durch eine enorme Bandbreite an Bedeutungen aus. Er betrifft die räumlichen Koordinaten eines Gegenstandes, er kann im Sinne von ‚Schichten‘ verwendet werden und genauso fragen wir uns, in welcher Lage wir uns gerade befinden, wie es uns also geht. Diese Bedeutungsvielfalt war diesem Ausdruck nicht von Anfang an zu eigen. Vielmehr handelte es sich ursprünglich um eine allen voran räumliche Kategorie. Von der Lage gesprochen zu haben, bedeutete, einen Ort zu lokalisieren, etwa auf einer Landkarte. Spätestens im 18. Jahrhundert erweiterte sich jedoch das Bedeutungsspektrum. Es liegt vermutlich an der Durchsetzung des modernen geschichtlichen Denkens im Zeitalter der Aufklärung, dass der Begriff der Lage nicht nur im räumlichen, sondern auch im zeitlichen Sinne verstanden wurde. Die Lage der Dinge ist seither eben nicht nur innerhalb räumlicher, sondern auch innerhalb zeitlicher Koordinaten zu bestimmen. Nicht zuletzt der Vergeschichtlichung der ,Lage‘ wegen trat dann auch das Kompositum gegenwärtige Lage auf den Plan. Die Gegenwart der Lage impliziert unmissverständlich die Signatur der Zeitlichkeit. Es steht zu vermuten, dass Vertreter der Theologie zu den ersten gehörten, die Schriften verfassten, in deren Titel dann auch der Ausdruck gegenwärtige Lage zu stehen kommt. So schrieb der Schweizer Theologe Johann Jakob Hess (1741– 1828) eine Geschichte der drey letzten Lebensjahre Jesu. Dieser Schrift fügte er ab der dritten Auflage (1773) einen Anhang bei: Über die beste Art, die göttlichen Schriften zu studiren; in Rücksicht auf die gegenwärtige Lage des Christenthums. ¹ Es ist in diesem Fall also die gegenwärtige religiöse Lage, vor deren Hintergrund Hess die beste Art des Bibelstudiums auf den Punkt bringen wollte. Und das machte er deswegen, weil die gegenwärtige Lage seiner Auffassung nach in eine Schieflage geraten war. Hess kritisierte allen voran den neologischen Umgang mit der Bibel,  Vgl. auch D. G. Niemeyer, Ueber die Pflicht eines Predigers in der Erkenntniß und Erfahrung zu wachsen; in Rücksicht auf die gegenwärtige Lage des Christenthums, Halle 1778. In den folgenden Jahren etablierte sich die Verwendungsweise des Ausdrucks „gegenwärtige Lage“ in der Wissenschaftssprache mehr und mehr und wurde auf die unterschiedlichsten soziokulturellen Bereiche angewandt. https://doi.org/10.1515/9783110767728-005

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also deren aufgeklärte historische Kritik, die u. a. zu dem den damaligen Zeitpunkt erschütternden Ergebnis kam, dass nicht alles, was in der Bibel steht, Wort Gottes sei. Das alte protestantische Schriftprinzip geriet bekanntlich in jenen Jahren und auf diesem Wege ins Wanken und führte zu massiven Verwerfungen und Konflikten innerhalb von Theologie und Kirchen. Damit kristallisierte sich zugleich ein Spezifikum in der Verwendung des Ausdrucks gegenwärtige Lage heraus. Es indizierte eine Krisensymptomatik. Sich auf die gegenwärtige Lage – in diesem Fall des Christentums – zu besinnen, impliziert eine Pluralisierung unterschiedlicher Perspektiven auf ein und denselben Gegenstand. Unterschiedliche Urteile gerieten zueinander in Konkurrenz und es setzte ein Ringen um Deutungshoheit ein. Die Diskussion der gegenwärtigen Lage des Christentums hob im 18. Jahrhundert an und ist seither nicht verstummt. Als ein Höhepunkt theologischer Publizistik zum Thema gegenwärtige Lage kann die Zeit um 1900 angesehen werden. Eine Vielzahl von Schriften zur theologischen, christlichen, religiösen und geistigen Lage der Gegenwart gingen damals in den Druck. Dem zuvor Gesagten entsprechend florierte damit auch das Geschäft der Krisentheologie, die bekanntlich keineswegs erst nach dem Ersten Weltkrieg auf den Plan trat. In diesem Klima der theologischen Gegenwartsdiagnostik und damit einhergehend Krisentheologie wuchs auch der lutherische Theologe und Religionsphilosoph Paul Tillich auf. Er trat in die Fußstapfen dieser Form theologischer Reflexion und fertigte eine Vielzahl von Schriften an, die sich mit der jeweils gegenwärtigen Lage befassten und diese in Begriffe zu überführen versuchten. Und doch zeichnete sich sein Denken diesbezüglich von Anfang an durch ein Spezifikum aus. Tillich befasste sich nicht allein mit der religiösen, sondern auch mit der gesamtgesellschaftlichen Lage. Die religiöse Lage in den Blick zu nehmen, bedeutete für ihn zwangsläufig, die Gesellschaft insgesamt in Augenschein nehmen zu müssen. So hebt seine berühmteste gesellschaftsdiagnostische Studie Die religiöse Lage der Gegenwart (1926) mit den Worten an: „Ein Buch über die religiöse Lage der Gegenwart muß von allem Gegenwärtigen etwas sagen.“ (GW X, 9) Diese Klammer von religiöser und gesamtkultureller Gegenwartsdiagnose liegt in der Konsequenz seines theologischen Ansatzes begründet. Sein Gottes- und sein davon abgeleiteter Religionsbegriff bringen es mit sich, letztlich alle Bereiche der gesellschaftlichen Wirklichkeit mit ins Kalkül ziehen zu müssen. Vor allem ab den 20er Jahren erweist sich Tillich mehr und mehr als ein aufmerksamer Beobachter der gesellschaftlichen Situation und seine Beobachtungen schlagen sich in der Regel in Gestalt von Krisendiagnosen nieder. Diese Seite seines Oeuvres mag auf den ersten Blick wenig überraschend erscheinen. Bei genauerem Hinsehen setzt es jedoch eine spezifische wissenschaftsgeschichtliche Konstellation voraus, die kurz umrissen sei.

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Auf der einen Seite gehört die Krisendiagnose zum Kerngeschäft der Theologie. Das liegt gleichsam in der Natur der Sache, richtet doch – der biblischen Überlieferung nach – Gott die Welt. Und das Gericht – Krisis – ist immer auch Kritik. Aber die Theologie stellte diese ‚himmlische‘ Diagnose oft, ohne einen genaueren Blick in die Welt bzw. in eine Gesellschaft zu werfen. Die Krisendiagnose verharrte dann in der Abstraktion und geht kaum über die Feststellung hinaus, dass Gott die Welt richtet. Eine soziologische Perspektive im Rahmen der Krisendiagnose einzunehmen, letztere also an empirischem, soziokulturellem Material zu konkretisieren, verstand und versteht sich innerhalb der Theologie nicht von selbst. An der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert entdeckten Teile der evangelischen Theologie jedoch mehr und mehr die Notwendigkeit, eine soziologische Perspektive einnehmen zu müssen, wenn es um die Diagnose von Gesellschaftskrisen geht. Als eine – emphatisch gesprochen – Licht- und Ausnahmegestalt kann in dieser Hinsicht nach wie vor Ernst Troeltsch gelten.² Auch in dieser Beziehung kann Tillich als ein Schüler Troeltschs begriffen werden, als den er sich selbst mehrfach bezeichnete. Und das gilt ausdrücklich für die Entdeckung, wie fruchtbar die soziologische Perspektive für die Theologie ist. An dieser Stelle deutet sich eine wissenschaftsgeschichtliche Konstellation an, die weit über Troeltsch und Tillich hinausgeht und ganz unterschiedliche disziplinäre Spielarten kennt. In den 50er Jahren des vergangenen Jahrhunderts wurde sie von Hans Freyer pointiert auf den Begriff gebracht. Demnach habe die Soziologie „das Erbe der Geschichtsphilosophie“³ angetreten. Diese Annahme ist für unseren Zusammenhang insofern aufschlussreich, weil sie uns verstehen lässt, auf welchen Wegen die soziologische Fragestellung in der Theologie Fuß fassen konnte und damit auch das Geschäft einer – wenn man so will – modernen Gesellschaftsanalyse. Das erfolgte, wie in anderen Disziplinen auch, über das geschichtliche Denken. Grob gesagt konnte die soziologische Fragestellung dort auf fruchtbaren Boden fallen, wo die Theologie sich in geschichtsphilosophischen Bahnen bewegte, wo sie sich offen zeigte für den geschichtlichen Zugang zur Wirklichkeit. Und hier ragt natürlich Troeltsch heraus. Aber diese Offenheit lässt sich – freilich unter ganz eigenen Voraussetzungen – ebenso bei Tillich beobachten. Die Geschichtsphilosophie ist für ihn gleichsam das Einfallstor zur Soziologie geworden.

 Diese Leistung ist fächerübergreifend anerkannt, vgl. etwa H. Joas, Die Macht des Heiligen. Eine Alternative zur Geschichte von der Entzauberung, Berlin 2017.  H. Freyer, Soziologie und Geschichtsphilosophie, in: Jahrbuch für Sozialwissenschaft 10 (1959) 115 – 125, 117.

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Dass es sich hier um eine spezifische Formation soziologischen Denkens handelt, steht außer Frage. Denn Tillich war kein Soziologe im disziplinären Sinne des Wortes. Er bediente sich soziologischer Elemente und stellte sie in den Dienst seiner Theologie und Religionsphilosophie. Die gesellschaftliche Krisendiagnose ist bei ihm zuallererst eine theologische Krisendiagnose. Auch im Denken Tillichs finden wir den alten, schon erwähnten Gedanken wieder, dass Gott die Welt richtet. Oder in Tillichs Sprache: „Jede Krise ist das Gericht des Unbedingten über das Bedingte, insofern es sich gegen das Unbedingte behaupten will.“ (EW X, 295) Aber er bleibt eben nicht bei dieser abstrakten Formel stehen, sondern bildet sie auf das geschichtliche Material und auf gesellschaftliche Konstellationen ab. Seine theologisch begründete Krisendiagnose beinhaltet einen eigenen Typus von Religionssoziologie. Doch soll dieser Faden hier nicht weiterverfolgt werden. Den Fokus werden wir vielmehr darauf richten, welche gesellschaftlichen Prozesse Tillich thematisiert und welche Krisen er in diesem Zusammenhang diagnostiziert. Das erfolgt exemplarisch und in Bezug auf drei werkbiographische Phasen. Den Anfang macht Tillichs Zeit- und Krisendiagnose bis zum Ersten Weltkrieg. Danach wenden wir uns seinem Denken in der Zeit der Weimarer Republik zu. In einem dritten Abschnitt sollen Essays der amerikanischen Zeit zu Wort kommen. Ein Resümee schließt diesen Beitrag ab.

2 Tillich Gesellschaftsdiagnose vor dem Ersten Weltkrieg – Sehnsucht nach Einheit Tillich wuchs in einer gesellschaftlichen Situation auf, die sich durch ein ausgeprägtes Krisenbewusstsein auszeichnete. Das Kaiserreich war, mit Hans-Ulrich Wehler formuliert, eine Welt von Krisenherden.Von dieser Krisenstimmung wurde auch die protestantische Theologie an der Neige des 19. Jahrhunderts erfasst. Und auch die heranwachsende Theologengeneration wurde von ihr infiziert. Das gilt auch für Tillich und wird bereits vor dem Ersten Weltkrieg greifbar, allen voran in seinem Programm einer kirchlichen Apologetik. Dieses Programm entfaltete er in einer relativ ausführlichen Schrift, die ca. 1912 entstanden war. Darin versuchte der 26jährige eine „Theorie der praktischen Apologetik“ (GW XIII, 34) zu entwerfen. Die ihm vorschwebende Apologetik habe die Aufgabe, „von dem vorhandenen Wahrheitsbesitz auf dem Wege des Denkens zu der christlichen Wahrheit hinzuführen.“ (GW XIII, 34 f.) Dabei richtet sich dieses Programm an ein bestimmtes Milieu – die „geistig lebendigen, kirchenfremden Gebildeten“ (GW XIII, 43). Diese gelte es wiederzugewinnen. Tillich schwebt eine – wenn man so will – intellektuelle „Evangelisation“ (GW XIII, 47) vor. Auf dem Wege des Den-

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kens versucht er ausgehend von den bestehenden Wahrheitsbeständen und -ansprüchen den Pfad zur christlichen Wahrheit zu eröffnen, in der alle Wahrheit ihren Grund habe. Wie dieses Programm im Einzelnen aussieht, können wir hier nicht weiterverfolgen. Wichtiger ist an dieser Stelle, das Motiv herauszustellen, aus dem heraus Tillich apologetisch tätig werden will. Es ist in der „geschichtliche[n] Lage“ (GW XIII, 35) begründet, die er auf wenigen Seiten sehr holzschnittartig umreißt. Tillich konstatiert, dass im Gefolge der Aufklärung eine autonome, aber gleichwohl nach wie vor christlich geprägten Kultur erwachsen sei (vgl. GW XIII, 36 f). Der Geist der Aufklärung artikuliere sich in der vorherrschenden mathematisch-naturwissenschaftlichen Weltanschauung. Allerdings bescheinigt er dieser zugleich den fundamentalen Mangel, dass es dem „freien Denken“ nicht gelungen sei, „Allgemeingültiges zu schaffen“ (GW XIII, 62). Der Geist der Aufklärung ist für ihn so gesehen geistlos, denn der Geist ist für ihn die Instanz des Allgemeinen und damit auch der Wahrheit. Dementsprechend zeichne sich die gegenwärtige Lage durch den Verlust der Wahrheit aus. Doch sei die Lage nicht hoffnungslos. Denn der wissenschaftliche „Materialismus“ (GW XIII, 37) befinde sich auf dem Rückzug und es sei ein Wiedererstarken der Geisteswissenschaften zu beobachten – eine Bemerkung, die unübersehbar selbstreferentiell ist; sieht sich Tillich doch selbst als einen ihrer Vertreter an. „Ein gewaltiges Ringen um neuen geistigen Gehalt hat begonnen.“ (Ebd.) In der Arena von Widersprüchen stehe auf der einen Seite der freie, wahrheitslose Geist der Aufklärung und auf der anderen Seite der wiedererwachte, wahrheitssuchende Geist. Voller Optimismus sieht Tillich die Religion gewappnet und befähigt, jene Widersprüche in einer neuen Kultursynthese zu überwinden: „Nun aber ist es allein der Religion gegeben, diese Widersprüche in sich zu vereinigen und so zu umspannen, daß ein Zerreißen unserer Geisteskultur verhindert werden kann. Und darum ist der Religion, dem Christentum, der Kirche die Aufgabe gestellt, mit den ihr allein gegebenen Kräften die Synthese der modernen Geisteskultur zu schaffen, wieder die Führerrolle zu übernehmen.“ (GW XIII, 38) Dem 26jährigen Tillich schwebt also schon vor dem Ersten Weltkrieg das vor, wovon Troeltsch kaum zu träumen wagte: eine Kultursynthese unter christlichen Vorzeichen. Denn allein die Wahrheit, die das christliche Denken repräsentiert, vermag Allgemeingültigkeit zu verbürgen, und die Risse, die durch die Gesellschaft gehen, zu kitten.⁴  Schon Tillichs philosophische Dissertation ist mit dem Anspruch verbunden, eine Lösungsperspektive auf die Herausforderungen des Historismus zu eröffnen. Dass er sich hier von Anfang an in einem Gespräch mit Troeltsch befindet, macht der ursprünglich angedachte Titel dieser Qualifikationsschrift deutlich: „Die Konstruktion der Religionsgeschichte und die Absolutheit des

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Dieses Thema führt er sodann in einer Variation durch, und zwar in einem Vortrag, den er im Rahmen der sog. apologetischen Abende hielt.⁵ Der Vortrag steht unter dem Titel Die Grundlage des gegenwärtigen Denkens. Er zieht in diesem Vortrag zwei große Linien nach, die religiöse „Linie der Autorität“ und die profane „Linie[] des freien Denkens“ (EW X, 78 f.). Erstere sei zerbrochen, aber dennoch sei es „notwendig, diese Linie der Autorität in neuen Formen weiterzubilden“.⁶ Denn die zweite Linie, die über die Prinzipien der Aufklärung und des mathematischnaturwissenschaftlichen Weltbildes führt, bedeutete im Effekt einen Verlust der „Wahrheit“ (EW X, 82). Auch die Renaissance des Geistes bei Kant, in der Romantik und im deutschen Idealismus konnte dieser Entwicklung nicht Einhalt gebieten. Mit Blick auf die Mitte des 19. Jahrhunderts bilanziert Tillich. „Der tausendfach überwundene Materialismus wurde eine Macht wie nie zuvor.“ (EW X, 83) Und so lauten für ihn die daraus resultierenden Zeichen der Zeit „Skepsis, Verzweiflung an der Wahrheit“ (EW X, 84). Und auch in diesem Vortrag hofft Tillich angesichts des Widerspruchs von Autonomie und Religion – jedenfalls in ihren alten Formen – auf eine neue „Einheit“ (EW X, 84), die aber wiederum nur in der christlichen Wahrheit begründet sein könne (vgl. GW XIII, 62). Tillichs tiefsitzende Einheitssehnsüchte sind hier mit Händen zu greifen. Die religionsphilosophisch imprägnierten Grundsätze seines Denkens, die seine Perspektive auf die Wirklichkeit beeinflussen, lassen ihn ein defizitäres Bild der gesellschaftlichen Lage erkennen. Zugleich sind mit ihnen gegenüber der soziokulturellen Lage der Gegenwart normative Ansprüche verbunden. Aus ihnen erwächst die Forderung, eine Welt nach dem Bilde dieses Denkens zu schaffen. So wie sich die Widersprüche auf intellektuellem Wege in Einheit überführen lassen, so glaubte Tillich auch die gesellschaftlichen Widersprüche in eine neue Einheit überführen zu können. Seine Gedanken zur gesellschaftlichen Lage verharren zu diesem Zeitpunkt einerseits noch weitgehend in der Abstraktion. Sie sind

Christentums in Schellings ‚positiver‘ Philosophie“. Es gehört zu den groben Schnitzern der von Gert Hummel und Doris Lax verantworteten Edition der frühen Schriften Tillichs (EW IX), diese wichtigen Angaben nicht mit aufgenommen zu haben. Dass sie mittlerweile gleichwohl bekannt sind, ist Erdmann Sturm zu verdanken, vgl. G. Neugebauer, Tillichs frühe Christologie. Eine Untersuchung zu Offenbarung und Geschichte bei Tillich vor dem Hintergrund seiner Schellingrezeption, Berlin/New York 2007, 156. 159–161.  Vgl. GW XIII, 59 – 63. EW X, 75 – 100.  Tillichs Aufklärungskritik fällt allerdings nicht einseitig aus. Schon in seinem apologetischen Vortrag Die Grundlagen des gegenwärtigen Denkens hält er fest, dass diese Epoche „mit oft nur schlecht begründeter Geringschätzung Aufklärung oder Rationalismus“ (EW X, 81) genannt wird. Vgl. dazu G. Neugebauer, Paul Tillich und die Dialektik der Aufklärung, in: U. Barth / C. Danz / F.W. Graf / W. Gräb (Hg.), Aufgeklärte Religion und ihre Probleme. Schleiermacher–Troeltsch–Tillich, Berlin/Boston 2013, 477– 512.

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gleichsam ein Spiegel seiner in weiten Teilen schematischen historischen Kenntnisse und gesellschaftlichen Analysen. Andererseits kommt aber bereits zu diesem Zeitpunkt ein signifikanter Zug seines intellektuellen Profils zum Ausdruck: die Überzeugung von der – wie er es später nennen sollte – „Nicht-Unterscheidung von Theorie und Praxis“.⁷ Die Arbeit am Begriff schlägt sich bei ihm in gesellschaftlichem Engagement nieder. Der Zug ins Praktische artikuliert sich in Gestalt der von ihm mitinitiierten apologetischen Abende. Neben der theoretischen Linie seines Denkens gab es also von Anfang an eine praktische. Die normativen Implikationen seines Denkens waren nicht allein intellektueller Natur, sondern trieben ihn in die Gesellschaft hinein. Diese für Tillichs Leben und Denken signifikante Zweigleisigkeit baut er nach der Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts systematisch aus.

3 Tillichs Gesellschaftsanalysen nach dem Ersten Weltkrieg – Kritik an der bürgerlichen Gesellschaft Tillich arbeitete sich nach dem Ersten Weltkrieg weiter und noch viel intensiver an den Zeichen der Zeit ab. In theoretischer Hinsicht ist davon Tillichs erste große Vorlesung beredtes Beispiel, die er als Privatdozent in Berlin hielt. Sie trägt den Titel Das Christentum und die Gesellschaftsprobleme der Gegenwart und dokumentiert, wie er das Reich seiner Ideen mehr und mehr sozialgeschichtlich und gesellschaftstheoretisch zu verflechten begann. Die Begeisterung für diesen methodischen Zugang zur Wirklichkeit kommt bereits in der ersten Vorlesung zum Ausdruck, in der er auf ein Buch verweist, dem er für die Vergegenwärtigung der gegenwärtigen Lage eine fundamentale Rolle zuerkennt: Ernst Troeltschs Soziallehren der christlichen Kirchen und Gruppen (1912).Von diesen heißt es: „Es hat den soziologischen Gesichtspunkt in die Theologie eingeführt, den sie nun nicht mehr verlieren kann …“ (EW XII, 30).⁸ Und so wie Troeltsch arbeitet sich nun auch

 E. Sturm (Hg.), Paul Tillich und Max Horkheimer im Dialog. Drei bisher unveröffentlichte Texte, in: ZNThG 1 (1994), 275 – 304. 297. Vgl. dazu A. Christopherson, „Die Nicht-Unterscheidung von Theorie und Praxis“. Paul Tillich, Emil Ludwig und der Council for a Democratic Germany, in: C. Danz / W. Schüßler (Hg.), Paul Tillich im Exil, Berlin/Boston 2017, 179 – 203.  In seinem Wingolf-Rundbrief von 1919 nimmt er auf dieses Vorlesung Bezug und schreibt entsprechend: „Das historische Material stammt meistens aus Troeltsch: ‚Die Soziallehren der christlichen Kirchen und Gruppen‘, das große theologische Buch seit Harnacks Dogmenge-

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Tillich an führenden Vertretern der Soziologie ab. Hierzu gehören allen voran Georg Simmel und Ferdinand Tönnies. Die intellektuelle Durchschlagskraft dieser Autoren lässt sich daran ermessen, dass es für ihn festzustehen scheint: „man wird auf allen Gebieten des Geisteslebens soziologisch denken müssen“ (EW XII, 56) – also auch auf dem der Religion. Die Vorlesungen geben zu erkennen, wie sich Tillich ein kategoriales Rüstzeug erarbeitete, um gesellschaftliche Prozesse sozialtheoretisch einordnen zu können. Diese Auseinandersetzung mit Theoretikern der Gesellschaft und der Gemeinschaft bedeuteten zweifelsohne, dass sein Denken konkretere Züge annahm bzw. annehmen musste. Sein intellektueller Weg führte ihn in viel stärkerem Maße in den Bereich des Empirischen, auch wenn kein Zweifel daran bestehen kann, dass weiterhin Ideen die Zügel in der Hand hielten. Allen voran der Geistbegriff und die absolutheitstheoretisch begründete Philosophie des Geistes saßen – um im Bilde zu bleiben – auf dem Kutschbock des Denkens. Dieser Zug ins Konkrete ist aber nicht allein der Beschäftigung mit sozialtheoretischen und -philosophischen Schriften geschuldet. Er ist auch Ausdruck einer politischen Option, die sich während des Ersten Weltkriegs herauszuschälen begann. Diese praktische Linie artikulierte sich bekanntlich in Tillichs intensivem und federführendem Engagement im religiösen Sozialismus. Diese Neuorganisation seines apologetischen Interesses bedeutete aber zugleich, sich auch dem Marxismus geöffnet zu haben. Es ist nach wie vor schwer zu taxieren, wofür der Marxismus bei Tillich genau steht und was er von Marx gelesen hat.⁹ Im weitesten Sinne steht Marx bei Tillich einerseits für Kapitalismuskritik und andererseits für die bereits angedeutete Notwendigkeit, geistige Prozesse soziologisch betrachten zu müssen. Das wird von Tillich mehrfach herausgestellt, so auch in einer kurzen Schrift aus den 20er Jahren, in der es pointiert heißt: „Es ist seit Marx nicht mehr angängig, von der geistigen Lage zu reden, ohne die gesellschaftliche zu erwähnen.“ (GW X, 95)¹⁰ Und dennoch kann – wie schon angedeutet wurde – kein Zweifel daran bestehen, dass weder Tillichs Hinwendung zur Soziologie noch seine politische Option ihn im Entferntesten zu einem – zugespitzt formuliert – Empiristen gemacht hätten. In seiner Zeitdiagnose und -kritik stellten theologische bzw. reli-

schichte, das für jeden von Euch, der an der Weiterentwicklung der Theologie teilnehmen will, unumgänglich notwendig ist.“ (EW V, 144)  Tillich bezieht sich mehrfach auf die im Kroner-Verlag erschienenen Frühen Schriften von Marx (vgl. EW XI, 453. 459).  Vgl. auch GW X, 108. In seinem Beitrag Die Bedeutung der Gesellschaftslage für das Geistesleben (1927) heißt es ebenso: „Die für unsere Frage wichtigste Form ist die soziologische Betrachtung, wie sie Karl Marx mit gewaltiger Denk- und Willenskraft vertreten hat.“ (GW II, 134)

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gionsphilosophische Begriffe die Leitlinien dar, anhand derer er das historische und gesellschaftliche Material durchkämmte. In den 20er Jahren stehen hierfür die Begriffe des Kairos, der Theonomie und des Dämonischen. Doch nicht diese Begriffe sollen im Folgenden ins Visier genommen werden. Vielmehr gilt es nun, Tillichs Gegenwartskritik der 20er Jahre zu umreißen. Wie schon vor dem Ersten Weltkrieg steht das Autonomieprinzip im Zentrum seiner Aufmerksamkeit, dem er eine prinzipielle Zweideutigkeit bescheinigt. Diese illustriert er jedoch nicht mehr am Wahrheitsbegriff, sondern an dem des Sinns. Das die gesellschaftliche Lage bestimmende Freiheitsprinzip leide nicht am Verlust der Wahrheit, sondern an einem Sinnverlust. Der autonome Geist, der sich von den autoritären Fesseln der Religion befreit hatte, entledigte sich im Zuge seiner Selbstbefreiung seiner religiösen Ausdrucksformen. Für den Verlust der Ewigkeit findet Tillich ein ausgesprochen starkes Bild, das dem Weberschen Bild vom stahlharten Gehäuse des Kapitalismus wahlverwandt ist. Er spricht von einer Welt der „in sich ruhende[n] Endlichkeit“ (GW X, 53) und dieses Weltbild sei das Produkt der Geisteshaltung, die sich im 18. Jahrhundert herausgebildet habe. Er wendet sich nicht gegen die gewonnene Freiheit des Menschen, die vor allem eine Befreiung von religiöser Autorität und Bevormundung gewesen sei. Aber er ist der Überzeugung, dass diese sinn- und das heißt religionslose Freiheit und Kultur sich gegen den Menschen richte. Die Motive, die Tillich hier verwendet, erinnern an das, was Horkheimer und Adorno später als die Dialektik der Aufklärung bezeichnet haben.¹¹ Gegenüber der Vorkriegszeit kann Tillich seine ideengeschichtlichen Analysen nun auch – im weitesten Sinne – soziologisch untermauern. Der Buhmann ist – wie im linksintellektuellen Lager der Weimarer Republik üblich – die bürgerliche Gesellschaft, wobei Tillich diese nicht nur im empirisch-soziologischen Sinne in den Blick nimmt.Vielmehr spricht er – und hier klingt erneut Weber an – von deren „Geist“. Es geht ihm also um die idealtypisch gedachte Mentalität der bürgerlichen Gesellschaft. Dieser Geist der bürgerlichen Gesellschaft artikuliere sich in der „Dreieinigkeit von Naturwissenschaft, Technik und Wirtschaft“ (GW X, 17). Aber genau diese – mit Arnold Gehlen gesprochen – Superstruktur der Moderne sei in eine tiefe Krise geraten. Und diese Krise betrifft die jener Dreieinigkeit zugrundeliegenden Rationalität, die Tillich als eine technische Rationalität spezifiziert, die sich im Medium der Mittel-Zweck-Relation auslegt – auch hier klingt ein Grundmotiv der Dialektik der Aufklärung an. Im Jahre 1926 schreibt Tillich: „Die durchgängige Vernünftigkeit der drei großen Mächte Wissenschaft, Technik, Wirtschaft beginnt zweifelhaft zu werden; überall tun sich Abgründe auf, und

 Vgl. G. Neugebauer, Dialektik der Aufklärung (s. Anm. 6), 505 – 508.

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überall ringt die Seele um Erfüllungen, die aus tieferen Schichten des Lebens hervorbrechen sollen.“ (GW X, 20) Das herrschende Rationalitätsmuster hat zu einer Entzauberung der Welt geführt. Die Durchsetzung eines immanenten Weltbildes führte im Effekt dazu, dass die Religion keine adäquaten kulturellen Träger besitzt. Die Welt der in sich geschlossenen Endlichkeit ist gleichwohl nicht religionslos – das kann sie Tillichs Auffassung nach prinzipiell nicht sein; aber sie findet keine religiösen Ausdrucksmöglichkeiten. Dennoch meint er, dass sich ein religiöser Gehalt aus den Tiefenschichten der Wirklichkeit und das heißt des Geistes erneut Bahn bricht. Es gehört zu den Spezifika des Tillichschen Denkens, dass er genau jene Bruchstellen zu identifizieren versucht, die – in seiner Diktion – Durchbrüche des Unbedingten in das Bedingte sind. Dementsprechend artikuliert sich in Tillichs Krisendiagnose zugleich ein religionshermeneutisches Verfahren. Dass für sein Denken signifikante Begriffsarsenal dient ihm dazu, die unterschiedlichen Kulturbereiche zu durchforsten und ‚Durchbrüche des Unbedingten durch das Bedingte‘ zu identifizieren. Die bereits erwähnte Schrift von 1926 – Die religiöse Lage der Gegenwart – vermag fast überall solche Durchbrüche zu erkennen, sei es nun die Kunst oder sei es die Wissenschaft. Und Tillich sieht sich hier auch selbst am Werk, die Welt der in sich geschlossenen Endlichkeit aufzubrechen. Das ist – wenn man so will – sein prophetisches Amt. Dementsprechend heißt es von Der religiösen Lage der Gegenwart (1926): „Wenn es dem Buch gelingt, von der Erschütterung dieses Geistes und damit von der Erschütterung unserer Zeit durch die Ewigkeit ein wirkungskräftiges Zeugnis zu geben, so hat es seinen Zweck erfüllt.“ (GW X, 10) Die Wirkung zielt auf die Überwindung der bürgerlichen Gesellschaft. Das sei der „archimedische Punkt der Deutung unserer Geisteslage“ (GW VII, 32). Tillich stellt sich diese Überwindung im strengen Sinne des Wortes radikal vor. Denn er stellt nicht allein die herrschenden bürgerlichen Eliten an den Prüfstand, sondern auch deren Ideale und Errungenschaften, letztlich all das, was seiner Überzeugung nach in die Katastrophe des Ersten Weltkriegs geführt hat. Das gilt allen voran für das spätkapitalistische Wirtschaftssystem. Es betrifft aber auch die noch junge Demokratie. Bis in die amerikanische Zeit hinein hatte Tillich massive Vorbehalte gegenüber der Demokratie. Greifbar werden sie jedoch schon in seinen frühen Berliner Vorlesungen von 1919. Tillich ist auf der einen Seite der Überzeugung, dass die Demokratie auf der Grundlage der Volkssouveränität stehe, worin er natürlich einen ihrer Vorzüge erblickt. Auf der anderen Seite zeichnen sich ihre Realisationsgestalten dadurch aus, dass in ihnen bestimmte Gruppen die Macht hätten, die aber – wie er mehrfach bemerkt – im Verborgenen agieren würden. Deswegen benötige die Demokratie immer ein Korrektiv, das diese Verhältnisse unterbricht und aufdeckt; man könnte auch sagen ein ideo-

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logiekritisches Korrektiv. Nach dem Ersten Weltkrieg verbindet er dieses Korrektiv mit dem Anarchismus. Dieser richte sich gegen die herrschende „seinsmächtige[] Gruppe“ (EW XI, 241), wobei Tillich auch hier wieder an das Bürgertum denkt (vgl. EW X, 421; GW II, 170; GW II, 196 f.; GW II, 346). Die Kritik an der bürgerlichen Gesellschaft bildet den Nährboden für die Kritik an der Demokratie. Diese ist für Tillich eine politische Lebenserscheinung der bürgerlichen Gesellschaft. Gilt es letztere zu überwinden, dann gilt es auch deren Realisationsgestalten zu überwinden bzw. zu korrigieren. Im Falle der Demokratie plädiert Tillich für letzteres. Letztlich ist seine Demokratieskepsis Ausdruck seines gebrochenen Verhältnisses zur bürgerlichen Gesellschaft, dessen Kind er freilich selbst gewesen ist. Die Annahme, dass die Demokratie von den die Volkssouveränität konterkarierenden Partikularinteressen bürgerlicher Eliten gesteuert wird, verband Tillich später mit dem Aufstieg der Diktaturen in Europa. Diese galten ihm als ein Beleg dieser Annahme. Dementsprechend heißt es: „Diktatur gibt es nur auf dem Boden der Demokratie.“ (EW XI, 446; vgl. auch GW XIII, 257). So wie Tillich in den 20er Jahren den sozialen Träger der Krise kannte – die bürgerliche Gesellschaft –, so kannte er ebenso einen potentiellen sozialen Träger der Lösung dieser Krise – den religiösen Sozialismus, dessen Realisationsgestalt aber letztlich kaum über den um Tillich und Eduard Heimann formierten KairosKreis hinausging. Die auf praktische Realisierung angelegte Idee des religiösen Sozialismus sollte sich nicht in die Tat umsetzen lassen. Darin liegt angesichts des ungeheuren Engagements Tillichs für diese Sache eine gewisse Tragik. Die politische Option Tillichs formuliert Riccardo Bavaj pointiert zusammen: „Auf jeden Fall hatte der Theologe weder eine liberale Demokratie noch ein autoritäres Regime noch eine sozialistische Räteherrschaft im Sinn …. Tillichs politische Gedankenwelt offenbarte … in besonders augenfälliger Weise jenen Hiatus zwischen deutlicher Ablehnung des Bestehenden und nebelhafter Projektion konturloser Gegenentwürfe, der für die gesamte Weimarer Linksintelligenz – und insonderheit für die linkssozialistische – charakteristisch war.“¹² Ende der 20er Jahre setzte sich eine zunehmend resignierte Stimmung im Denken Tillichs durch. Die Hoffnung auf bessere Zeiten begann zu bröckeln. Das dokumentiert etwa die kurze Schrift Geisteslage der Gegenwart. Rückblick und Ausblick (1930). Für alle, so Tillich, die an dem Ersten Weltkrieg teilnahmen, wäre es unverkennbar gewesen, dass der „Bau des neunzehnten Jahrhunderts zusammengebrochen“ (GW X, 113) sei. Wer das erlebte, für den habe es nur „Wandel

 R. Bavaj, Von den „Gesellschaftsproblemen der Gegenwart“ zur „sozialistischen Entscheidung“. Paul Tillichs politisches Denken in der Weimarer Republik, in: Kirchliche Zeitgeschichte 20 (2007) 97– 127. 126.

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und Neubau“ (GW X, 113) geben können. Am Ende dieses Jahrzehnts des versuchten Wandels und Neubaus hat Tillich jedoch ein Déjà-vu. „Eine merkwürdige Überraschung erlebten alle, die in jenen Jahren mitabgebrochen und neugebaut hatten: Das, was sie neu schufen, glich bei genauer Betrachtung oft sehr dem, was sie zerstört hatten. Die Macht des Alten erwies sich stärker, als die fünf Jahre der Krise es hatten ahnen lassen. Überall trat der Rückschlag ein.“ (GW X, 116) Und wieder verwendet Tillich ausdrucksstarke Bilder für die aktuelle Gesellschaftskrise: die Erde bebe noch und solange das der Fall sei, könnten keine neuen Fundamente gelegt werden (vgl. GW X, 119). Wie andere Theologen auch erkennt er sich als „zwischen den Zeiten“ stehend. „Zwischen den Zeiten und zwischen den Räumen stehen wir, hin und her gerissen, in schwerstem Kampf. Neue Beunruhigungen zeigen sich nach den fünf Jahren der Ruhe …“ (GW X, 120). Die Unruhen sollten sich verschärfen und sich auch auf Tillichs persönliches Schicksal fundamental auswirken.

4 Tillichs Gesellschaftsanalysen in den USA – Kritik am Nationalismus Tillich emigrierte 1933 mit seiner Familie in die USA. Dieser privat wie beruflich enorm herausfordernde Schritt bedeutete aber auch den Beginn einer außerordentlich erfolgreichen Vernetzung mit unterschiedlichen gesellschaftspolitischen Akteuren und Milieus, wie der 2017 erschienene Tagungsband Tillich im Exil eindrucksvoll dokumentiert.¹³ Schon wenige Monate, nachdem Tillich in der neuen Welt angekommen war, veröffentlichte er in der 1934 gegründeten, an der New School beheimateten Zeitschrift Social Research einen Beitrag unter dem Titel Der totale Staat und der Anspruch der Kirchen (The totalitarian state and the claims of the church). In diesem Beitrag erweist sich Tillich einmal mehr als ein sehr aufmerksamer Beobachter gesellschaftlicher Entwicklungen und derer Ideologien. Das lässt sich auch an diesem Aufsatz sehr gut studieren, der den Titel eines Buches aufgreift, das der Carl Schmitt-Schüler Ernst Forsthoff im Jahre 1933 veröffentlicht hatte – Der totale Staat. Es gehört zu den Spezifika und vielleicht auch zur Natur des nun emigrierten Denkens, noch stärker in globalen Bezügen zu denken. Es ist die Zeit, in der Tillich die Welt nicht nur als einen Grenzbegriff der Vernunft kannte, sondern als eine

 Vgl. C. Danz / W. Schüßler (Hg.), Paul Tillich im Exil, Berlin/Boston 2017.

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realgeschichtliche Tatsache entdeckte.¹⁴ Das spiegelt sich auch in seinen Reflexionen zur Entstehung der Idee des totalen Staates wider. Tillich hält sie für ein Produkt des globalen Spätkapitalismus und dessen gesellschaftlichen Trägers – der bürgerlichen Gesellschaft.¹⁵ Eine weitreichende These besteht nun darin, dass die Entstehung dieser Idee nicht das Produkt zufälliger Ereignisse sei. Vielmehr erblickt Tillich darin eine „Strukturnotwendigkeit[]“¹⁶ (GW X, 121), die sich aus der Lage der modernen Welt ergibt (vgl. GW X, 204). Der globale Spätkapitalismus habe weltweit zu einer massiven Desintegration gesellschaftlicher Verhältnisse beigetragen.¹⁷ Dass Gesellschaften zerbrechen können, hat Tillich am eigenen Leibe erfahren, besorgt beobachtet und beschrieben. Jetzt identifiziert er diese Phänomene aber nicht nur in Deutschland, sondern auf der ganzen Welt. Es handelt sich um ein globales Massenphänomen (vgl. GW X,124).Vor diesem Hintergrund betrachtet erachtet er die „Reintegration“ als die größte Herausforderung der Staatenwelt. Er resümiert: „Das Problem der Reintegration ist das Zentralproblem des Spätkapitalismus.“ (Ebd.) Als Antwort auf dieses Problem sei der „nationale Staat“ zu neuer Stärke gekommen.¹⁸ In ihm wird in ganz unterschiedlichen Ländern der Gewährsmann erkannt, die Fragmentierung der Gesellschaften zu stoppen und diese zu konsolidieren (vgl. GW X, 123).¹⁹

 GW X, 203. 223. 237. 260 f. In seinem Fragment gebliebenen Buchprojekt Religion und Weltpolitik (GW IX, 139 – 192; vgl. dazu GW XIII, 253) finden sich die wohl ausführlichsten Erörterungen Tillichs zum Begriff der Welt, die teilweise auch in seine Systematische Theologie eingeflossen sind.  So auch noch 1945, vgl. GW X, 237.  Der Begriff der Strukturnotwendigkeit ist für Tillich eine sozialphilosophische Kategorie.  Den Unterschied zwischen Integration und Desintegration bringt Tillich im Jahre 1941 auf den Begriff. In seinem Aufsatz Der Zerfall unserer Welt heißt es: „Integration ist der Akt, in dem gegensätzliche Prinzipien in einem höheren, umfassenden Prinzip vereinigt werden. Desintegration, Zerfall, ist das Geschehen, in dem ein solches höheres umfassendes Prinzip seine einigende Kraft verliert und die gegensätzlichen Elemente, die in ihm vereinigt waren, auseinanderbrechen.“ (GW X, 203) So auch noch im Jahre 1948, vgl. GW X, 280.  Es sei am Rande bemerkt, dass Tillich sich schon 1919 deutlich vom „Nationalismus“ (EW V, 144) abgrenzte. In einem Wingolf-Rundbrief schreibt er: „Was ich will, ist eine neue aus dem Geist der christlichen Liebe und des Sozialismus geborene Gesellschaftsordnung, in der Kapitalismus und Nationalismus grundsätzlich überwunden sind.“ (EW V, 144)  Darauf nimmt Tillich auch später in seinen Radioansprachen Bezug. Die Ansprache vom 10.7. 1942 trägt den Titel: Die nationale Idee und der nationale Götzdienst, vgl. dazu W. Halder, Für Deutschland, nicht gegen Deutschland – Paul Tillichs Sicht auf Ursachen und Funktionsweise der NS-Diktatur. Eine Analyse seiner Radioansprachen für die ‚Voice of America‘ (1942– 1944) im Vergleich mit Thomas Manns Radioansprachen für die BBC (1940 – 1945), in: C. Danz / W. Schüßler (Hg.), Paul Tillich im Exil, Berlin/Boston 2017, 205 – 225. 223.

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Die von Tillich als „nationalstaatliche Konzentration“ (GW X, 126) bezeichnete Tendenz bildet nun den Nährboden für die Idee des totalen Staates, die vor allem in Deutschland „vollendet“ sei.²⁰ Während die globale nationalstaatliche Konzentration als das genus proximum dieser Idee angesehen werden kann, arbeitet Tillich eine Deutschland kennzeichnende differentia specifica heraus. Dabei handelt es sich zum einen um die weltanschaulich, in diesem Fall mythologische Einkleidung des totalen Nationalstaates. Es habe sich eine „nationale Mythologie“ herausgebildet, als „deren Kern der Mythos des Blutes, des Bodens, der Rasse, des Staats, des Führertums“²¹ (GW X, 131) u.s.w. angesehen werden können. Hier spielt er deutlich auf Alfred Rosenbergs Mythus des 20. Jahrhunderts (1930) an. Zum anderen verweist er an dieser Stelle auf den Volksmythos und damit auf Emanuel Hirschs Schrift Die gegenwärtige geistige Lage von 1934. Die Idee des totalen Staates baut sonach auf diesen Elementen auf: dem Wiedererstarken des Nationengedankens, der im Verbund mit völkischem Denken mythologisiert und damit in den Rang einer Quasireligion erhoben wurde. Das verleihe der Idee des totalen Staates die letzte Durchschlagskraft.²² Die Religion, allen voran das Christentums in Gestalt der Kirche, die sich ihrem Wesen nach gegen jedwede Verabsolutierung des Endlichen wenden muss, bildet für ihn die entscheidende Gegenmacht gegen den sich mythologisch eingekleidenden Nationalismus. Voller Zuversicht notiert Tillich: „Die Idee des totalen Staates wird an der Kirche und am Evangelium scheitern; der neue Mythos wird durch sie zerstört werden.“ (GW X, 145)

 Zu den Motiven der nationalstaatlichen Konzentration zählt für Tillich auch die globalisierte Wirtschaft und der aus ihr erwachsene Konkurrenzdruck zwischen den einzelnen nationalen Akteuren, vgl. GW X, 123. 173. 204 u. ö.  Mit Schelling hält er fest, dass „Mythos und Mythologie“ keine „willkürliche Erdichtung“ sei, „sondern Erhebung realer, aber bedingter Mächte zum Range der Unbedingtheit und Heiligkeit.“ (GW X, 131)  Der Hinweis auf den Volksmythose ist insofern pikant, als Emanuel Hirsch als dessen ideologischer Schöpfer genannt wird – Tillichs langjähriger Freund und Wingolfbruder. Tillich nimmt auf dessen Schrift Die gegenwärtige geistige Lage Bezug. Darin habe Hirsch den „mystische[n] Charakter des Mythos vom Volk“ (GW X, 131) auf den Begriff gebracht. Im direkten Anschluss an eine Skizze dieser Schrift Hirschs resümiert Tillich: „Das ist der totale Staat, geboren aus der Unsicherheit der geschichtlichen Existenz im Zeitalter des Spätkapitalismus.“ (GW X, 132) Hirsch wird damit in die Gruppe derer eingereiht, die die Idee des totalen Staates mit auf den Weg gebracht haben. Nicht zuletzt aus theologischen Gründen ist diese Idee für Tillich hoch problematisch. Denn sie verleiht dem Staat, also etwas Bedingtem, die Aura der „Unbedingtheit“. Damit tritt der Staat aber notgedrungen in schärfsten Konflikt zur Religion. „Der neue Mythos widerspricht der Unbedingtheit des Unbedingten und damit der Botschaft der Kirche und damit dem Anspruch, von dem sie nicht lassen kann.“ (GW X, 140) Tillich prangert an dieser Stelle auch den damit einhergehenden Antisemitismus an.

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Tillich bescheinigt den christlichen Kirchen eine weitreichende Bedeutung im Kampf gegen die nationalstaatliche Konzentration und deren religiöser Überhöhung. Das unterstreichen etliche Essays, die Tillich in den 30er Jahren verfasst hat. Der Universalismus des religiös hypertrophierten Nationalismus und der Universalismus der Kirchen stoßen aufeinander und treten gleichsam in einen Götterkampf. Das klingt auch in dem 1939 erschienenen Beitrag Die europäische Lage. Religion und Christentum (De situatie van Europa. Religie en Christendom) an, in dem er aus besagter Lage Folgerungen für das Christentum ableitet (vgl. GW X, 179 f.). Dazu gehört zunächst die Hoffnung auf eine „weltkirchliche[] Einheit“, in der sich der Universalitätsanspruch des Christentums realisiert. Sodann müssen die Kirchen die zeittranszendierende Dimension des Christentums zum Ausdruck bringen. Diese Forderung hebt auf die Nicht-Verrechenbarkeit der christlichen Botschaft mit einer bestimmten Raum-Zeit-Stelle im Geschichtskontinuum ab, etwa „das National-Kirchliche“. Damit einher geht der Appell, einen Ort aufzeigen zu können, „an dem Sinnerfüllung jenseits der Tragik des Zeitlich-Geschichtlichen möglich ist.“ (GW X, 179) Was dieser Ort sei, wird von ihm allerdings nicht genannt. Sodann beschwört er an den „prophetischen Geist“ des Christentums, der gefordert sei, um die Zeichen der Zeit zu deuten und die Erwartung des „Neuen“ zu stärken und zu formen. Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang, dass Tillich die dogmatische Arbeit in diesen Kampf mit einzeichnet. So heißt es im besagten Beitrag: „Das Christentum muß seine Symbolwelt den religiös entleerten Massen aller Schichten neu erschließen, als Antwort auf die Frage nach dem Lebenssinn verständlich machen …“ (GW X, 179). Das Programm seiner Systematischen Theologie, das hier in nuce anklingt, impliziert somit eine politische Option. Und von hier aus gewinnt der Satz, mit dem die Systematische Theologie anhebt, noch einmal eine andere Bedeutung: „Theologie ist eine Funktion der christlichen Kirche, sie muß den Erfordernissen der Kirche entsprechen.“ (ST I, 9) Diese Forderungen, die hier in wenigen Zeilen umrissen werden, bleiben jedoch weitgehend abstrakt.Wie sie sich realisieren lassen, verrät der Autor nicht. In seiner Schrift Der Zerfall unserer Welt (Our disintegrating world) (1941) treibt Tillich seine Gesellschaftskritik noch einige Stollen tiefer. Den Zerfall der Welt erkennt er einerseits in gesellschaftlicher und andererseits in ideologischer Perspektive. Hier wie dort seien tiefgreifende Spaltungen und Umwälzungen zu erkennen. Dabei nennt Tillich nicht allein die Klassenspaltung, mit der er sich schon nach dem Ersten Weltkrieg intensiv auseinandergesetzt hatte. Vielmehr beobachtet er tiefgreifende innere Spaltungen innerhalb der einzelnen Klassen, wobei er vor allem an das Bürgertum und das Proletariat denkt. Tillich setzt mit dem Großbürgertum ein. In dieses seien „faschistische Tendenzen“ eingedrun-

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gen. Es sei eine Art von „monopolistischem Feudalismus“ (GW X, 205) entstanden. Durch die Gleichzeitigkeit beschäftigter Arbeiter und Dauerarbeitslosen kam es sodann zu einer Spaltung des Proletariats. Erstere wurden gestützt durch Gewerkschaften und fortschrittsgläubige Reformer. Letztere wurden empfänglich für die kommunistische und faschistische Propaganda. Sie wechselten von einer Partei zur anderen und bildeten die „‚Sturmtrupps‘ aller totalitären Kräfte“ (ebd.). Sie seien – so sein ernüchtertes Resümee – „das Produkt einer zerfallenden Welt, gegen Zerfall kämpfend und zugleich für ihn wirkend.“ (Ebd.) Von den Vertretern der alten Mittelschicht heißt es, sie seien nun „Unterführer des Faschismus“ und vielleicht dessen „wichtigsten Träger“ (ebd.) geworden. Das „Kleinbürgertum“ spielt für ihn insofern eine Rolle als die antisemitischen und nationalistischen Elemente der nationalsozialistischen Ideologie die „Ausdrucksformen“ (GW X, 206) dieser Gruppe sind. Schließlich wirft Tillich einen Blick auf die „Intelligenz“ bzw. die „Intellektuellen“. Auch in dieser Gruppe verzeichnet er massive Spaltungen. Dazu gehört zunächst, dass sie ursprünglich als die Hüter der Ideale der Aufklärung und der Humanität angetreten waren. Allerdings seien sie unter den gegenwärtigen Bedingungen zu einer „Klasse von intellektuellen Proletariern geworden“. Das machte sie zu einer „leichte[n] Beute totalitärer Propaganda“ (ebd.). Aber genau diese Propaganda steht für eine konsequente Konterkarierung jener Ideale. Neben diesen Bestimmungen zur Klassenlage benennt Tillich im Hinblick auf den zweiten Punkt, die ideologischen Spaltungen, allen voran die Gleichzeitigkeit von „Rationalismus und Irrationalismus“ (GW X, 208). Diese Gleichzeitigkeit befindet sich aber in einer Schieflage, weil sich das Vernunftprinzip der Aufklärung auf dem Rückzug, der Irrationalismus auf dem Vormarsch befinde. „[D]ie Macht der Vernunft wurde zweifelhaft, als sich die Siege der modernen Gesellschaft in Niederlagen verwandelten, was seit dem Weltkrieg offenkundig geworden war.“ (Ebd.) Die Vernunft geriet in Misskredit, zunächst bei denen, die als ihre Bewahrer galten, den Intellektuellen. Sie brachten einen „Enthusiasmus für das Irrationale“ (ebd.) zum Ausdruck, der durch die an sich intellektuellenkritische untere Mittelschicht dankbar aufgenommen wurde. Dort verwandelte sich der Irrationalismus in „brutale Vitalität und Barbarentum“ (ebd.). Auch die „oberen Mittelschichten bekannten immer offener ihren Antiintellektualismus, denn sie vermuteten mit Recht, daß die Aufklärung in der Hand revolutionärer Massen zur Waffe werden kann“ (GW X, 209). Tillich resümiert: „Folglich unterstützten alle diese Gruppen irgendeine anti-rationale Ideologie […] Die kritische Vernunft war für die herrschenden Klassen gefährlich geworden und für die Intelligenz leer. Diese Leere unserer rationalisierten Zivilisation war gefährlicher und zersetzender als die bewußte Wendung vom Rationalen zum Irrationalen in den führenden Schichten.“ (Ebd.) Auch von hieraus lässt sich verständlich machen, warum sich

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Tillich in der Systematischen Theologie von seiner eigenen einseitigen Vernunftkritik löst und den Versuch unternimmt, die Vernunft in Teilen zu rehabilitieren. In seiner Schrift Der Zerfall unserer Welt arbeitet sich Tillich wieder an der Frage nach den Gründen der gesellschaftlichen Desintegration ab. Er versucht, sie auf allen Gebieten aufzudecken und nimmt hier dementsprechend Kirchen und Christentum nicht aus. Erst in dem Augenblick, in dem die „Zerfallsstruktur“ (GW X, 211) durchsichtig gemacht worden ist, könne ein Neubau einsetzen. Und wie schon in den 20er Jahren denkt Tillich diesen Neubau im strengen Sinne des Wortes radikal. Es sei eine „radikale Wandlung unserer eigenen Lebens- und Denkordnung“ erforderlich, was für ihn nach wie vor zuerst bedeutet, vom Spätkapitalismus abkehren zu müssen.²³ Denn der durch dieses Wirtschaftssystem evozierte „soziale Verfall“ sei die „Hauptursache für den Zerfall der Welt“ (GW X, 212). Der erste und wichtigste Schritt für den Wiederaufbau sei der „soziale Aufbau […], der über den Kapitalismus hinausführt.“ (Ebd.) Die dafür notwendige politische Transformation bedeutet für die europäischen Verhältnisse, dass die Nationen ihre „absolute Souveränität“ opfern müssten. „Das Ergebnis des Krieges muß ein europäischer Staatenbund sein und nicht die Wiederaufrichtung jenes Gleichgewichts der Mächte, in dem eine Schaar souveräner Staaten nichts als Figuren im Schachspiel einiger weniger mächtiger Nationen war.“ (Ebd.) In seiner ebenfalls 1941 erschienenen Schrift Kriegsziele (War aims) plädiert er in ähnlicher Weise für einen Überwindung der Idee des Nationalstaates bzw. der „Souveranität der Einzelstaaten“ (GW XIII, 260 f). Souveränität solle allein einem Staatenbund zukommen. Die „Schaffung eines Staatenbundes für den europäischen Kontinent“ (GW XIII, 262) sei das Ziel, um die nationalstaatliche Souveränität, die er für eine „dämonische Kraft“ hält, zu überwinden.²⁴ Eine „föderative Union“ in Europa zu installieren, ist Tillichs „Vision“ (GW XIII, 257) für die Nachkriegszeit gewesen. Er sieht sich auch deswegen dazu veranlasst, sie zu formulieren, weil er der Überzeugung ist, dass die im Krieg befindlichen Demokratien nicht in der Lage seien, die Vision von einer Welt nach dem Krieg zu entwerfen, letztlich weil diese Vision über „heutige demokratische Existenz“ (ebd.) hinausgehen müsste. „Die Vision, die die Demokratie braucht, ist eine Vision von ihrer eigenen grundlegenden Umformung.“ (GW XIII, 258)²⁵ Tillich

 Aber auch Tillichs Skepsis gegenüber der Demokratie schlägt hier wieder durch (vgl. GW X, 212). Nach dem Zweiten Weltkrieg äußert sich Tillich in unterschiedlicher Weise gegenüber diesem Gesellschaftssystem, vgl. GW XIII, 350. 368.  Nicht weniger weitreichend sind Tillichs Vorstellungen, wie die Nachkriegswirtschaft auszusehen habe. Er plädiert für eine Planwirtschaft auf liberaler Grundlage (vgl. GW XIII, 263).  „Das Kriegsziel, das von der Demokratie formuliert werden muß, ist eine soziale, politische und geistige Lebensordnung, in der die Ursachen, die die jetzige Katastrophe herbeigeführt ha-

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bleibt sich in seiner Weimarer Gesellschaftsdiagnose treu und schreibt auch in jenen Jahren gegen die verborgenen Mächte der demokratisch-bürgerlichen Gesellschaftssystems an (vgl. GW XIII, 259).²⁶ Seine Visionen und seine Bemühungen, sie zu realisieren, sollten indes kurze Zeit später auf dem harten Boden der Realpolitik jäh zerbrechen. So erfuhr er von Roosevelt persönlich, dass die Alliierten keine Föderationspläne in Europa hätten.²⁷ Tillich machte um 1945 die für ihn bittere und ernüchternde Erfahrung, dass seine politischen Ideen und Initiativen weit davon entfernt waren, realisiert werden zu können. Seine „Visionen“ waren – wie selbst kritische Mitstreiter zu Protokoll gaben – „viel zu abstrakt und ohne handlungsrelevantes Einstiegsszenario.“²⁸ Im Januar 1945 gesteht Tillich sich und anderen ein: „Weder im Denken noch im Handeln kann ich der Alte sein. In beiden bin ich von der Paulus-Bekehrungs-Situation in eine etwas skeptischere Saulus-Situation abgesackt.“²⁹ Der Enthusiasmus der 20er Jahre ist verflogen.³⁰ Nach dem Zweiten Weltkrieg erscheinen etliche Schriften, die einen gesellschaftspolitischen Pessimismus erkennen lassen. Bilder wie die ‚heilige Leere‘, die ‚eindimensionale‘ oder die ‚zerfallene Welt‘ werden von Tillich immer wieder aufgerufen und unterstreichen damit diese Stimmung. Gleichwohl darf dieser Zug seines Denkens nicht überzeichnet werden. Tillich zieht sich zwar weitgehend aus der Politik zurück, aber er beginnt dafür wieder im größeren Stil zu schreiben, und

ben, überwunden sind. Diese Ursachen sind keine unglücklichen Zufälle, sondern Tendenzen, die im tiefsten Wesen der bürgerlichen Demokratie verwurzelt sind.“ (GW XIII, 258)  Im Hinblick auf den weltanschaulichen Wiederaufbau bescheinigt Tillich auch dem von den Verfallsstrukturen befreiten Christentum eine Schlüsselstellung und fordert auch hier die Bereitschaft zu radikalen Neuerungen. Dazu gehört es wiederum, sich von der zerfallenen abendländischen Kultur und westlichen Welt zu distanzieren (vgl. GW X, 289). Nur so könne die Kirche „das religiöse Zentrum für eine Reintegrierung des Lebens“ (GW X, 291) werden. Tillichs Vision einer christlich imprägnierte Kultursynthese klingt hier wieder an und lebt auch nach dem Zweiten Weltkrieg weiter. Wie die Kirche oder das Christentum eine solche Einheit schaffen soll, bleibt jedoch in seinen Essays oft in der Schwebe bzw. unbeantwortet.  C. D. Krohn, Kairos und ‚Dritte Kraft‘. Paul Tillichs Diskurs- und Kampfgemeinschaft mit Adolf Löwe für eine freie und gerechte Gesellschaft, in: C. Danz / W. Schüßler (Hg.), Paul Tillich im Exil, Berlin/Boston 2017, 143 – 177. 173.  C. D. Krohn, Kairos (s. Anm. 27), 171.  E. Sturm, Paul Tillich und Max Horkheimer (s. Anm. 7), 297  Adolf Löwe fasst die pessimistische Stimmung pointiert zusammen: „Uns allen ist die Welt, in der wir gestanden haben, zusammengebrochen, aber Paul und ich haben umgekehrte Konsequenzen gezogen.Wir hatten die Illusion, daß das, was wir taten, auf das Wesentliche, Unbedingte gerichtet war. Die Überzeugung, daß man am richtigen Orte gestanden hat, ist zusammengebrochen. Heute zweifeln wir, ob wir jemals am richtigen Orte standen. Alles, was man getan hat, ist fragwürdig geworden.“ (E. Sturm, Paul Tillich und Max Horkheimer [s. Anm. 7], 296)

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zwar auf dem Gebiet, das seiner Profession entsprach. 1948 erschienen seine religiösen Reden In der Tiefe ist Wahrheit (The shaking of the foundations), 1951 seine ausgesprochen erfolgreiche Schrift Der Mut zum Sein (The courage to be). Es sind Versuche eines religiös-geistigen Neuaufbaus, vermutlich auch für ihn selbst. Aber auch seine Arbeit an der Systematischen Theologie besitzt, wie oben schon angedeutet wurde, eine gesellschaftspolitische Option. Man wird vielleicht mit Adolf Löwe sagen können, dass Tillich „zu einer viel strengeren dogmatischchristlichen Haltung“ zurückgekehrt und „viel spiritualistischer und unhistorischer geworden“³¹ sei – beide Zuschreibungen ließen sich sogar auf die Systematische Theologie und den Mut zum Sein abbilden – aber beides bedeutete eben auch, nicht in einer resignativen, pessimistischen Stimmung zu verharren, sondern gegen den von ihm unterstellten Sinnverlust der Moderne aufzubegehren.³²

5 Schluss Tillich war ein aufmerksamer Beobachter der eigenen Zeit und er war ein engagierter Teilnehmer an der eigenen Zeit. Dass er nicht nur aus der Distanz beobachtete, sondern ebenfalls ein in die Prozesse involvierter Akteur war, ist auch seinem Grundsatz der Nicht-Unterscheidung von Theorie und Praxis geschuldet. Distanziert oder wertfrei an die Wirklichkeit herantreten zu können, hielt er für eine nichtdurchführbare Maxime der Wissenschaftspraxis. Zu den Voraussetzungen, sich vergleichsweise tief in den Bereich der Gesellschaftsanalyse eingearbeitet zu haben, gehört einerseits, dass Tillich ein geschichtlich denkender Theologe gewesen war, wobei geschichtlich hier nicht im disziplinären Sinn der Geschichtswissenschaft begriffen werden darf. Tillich war Geschichtsphilosoph und -theologe. Wie andere auch erweiterte er sein Geschichtsdenken um gesellschaftliche Beobachtungen und Analysen. Die Dimension des Geschichtlichen wurde auch für ihn zum konzeptionellen Einfallstor in die Gesellschaft. Andererseits dürfte ihm seine auch im hohen Maße interdisziplinäre Vernetzung, gerade mit Vertretern der Sozialtheorie und -philosophie geholfen haben, den Bereich des Politisch-Gesellschaftlichen gedanklich durchdringen zu können. Sein öffentliches gesellschaftspolitischen Engagement, seine nicht zur Ruhe kommenden Reflexionen über die gegenwärtige soziokulturelle Lage machten ihn in

 Ebd.  A. Christopherson, Nicht-Unterscheidung von Theorie und Praxis (s. Anm. 7), 203.

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der US-amerikanischen Zeit zu einem im strengen Sinne des Wortes ‚öffentlichen Theologen‘ – und als ein solcher wurde er auch wahrgenommen.³³ Die hier vorgenommene punktuelle Sichtung seiner Beiträge zur Gesellschaftsanalyse und -kritik zeigt aber auch, dass vieles sehr holzschnittartig ausfällt. Seine Gesellschaftskritik trägt an vielen Stellen die typischen Züge des linksintellektuellen Milieus der Weimarer Republik. Das betrifft die diffuse Bezugnahme auf den Marxismus genauso wie die oft undifferenzierte Bürgertumsund Kapitalismuskritik, die an vielen Stellen sehr stereotyp ausfällt. Aber auch seine Forderungen an das Christentum und an die Kirchen fielen vergleichsweise abstrakt aus. Die meisten seiner Visionen waren weit davon entfernt, sich gesellschaftlich realisieren zu lassen. Gleichwohl sind seine Vorstellungen aber auch nicht samt und sonders bar jedweder politischen Rationalität gewesen. Das betrifft zum einen seine in den 40er Jahren für die Nachkriegszeit erhobene Forderung eines europäischen Staatenbundes. Zum anderen findet die kritische Diskussion des Nationalismus sowie des Prinzips der Nationalstaaten bis in unsere Tage hinein statt. Hier lassen sich durchaus sachliche Nähen zwischen den zum damaligen Zeitpunkt keineswegs nur von Tillich angestellten Überlegungen und aktuellen gesellschaftspolitischen Diskussionen identifizieren, auch wenn kein Zweifel daran bestehen kann, dass die heutigen Diskussionen um den Nationalismus und das Prinzip des Nationalstaats unter grundlegend veränderten Voraussetzungen stattfinden. Das führt zu einem letzten Punkt. Tillich als einen Kritiker der Gesellschaft in den Blick zu nehmen, bedeutet auch, auf eine religiöse Perspektivierung der Kritik zu stoßen. Seine Gesellschaftskritik war immer auch religiös imprägniert und das konnte bei ihm auch gar nicht anders sein. Er betrachtete die Welt sub specie aeternitatis. Das Religiöse war für ihn und in ihm eine dauernde Unruhe. Denn alles Zeitliche befinde sich in einem permanenten Zustand der Krise, die das Ewige für das Zeitliche bedeutet. Diese dauerhafte Krisensituation der Welt hatte bei ihm aber auch eine unmittelbar gesellschaftspolitische Konsequenz. Denn es bedeutete im Effekt eine Ablehnung jedweder Form endlicher Selbstverabsolutierung. Ein Endliches, dass sich dazu aufschwang, aus sich selbst heraus, ein Absolutes zu werden, war für ihn nichts anderes als ein Götze. Es mag nur die Kontingenz einer Denkformation des letzten Jahrhunderts gewesen sein und sie mag auch ihrerseits Ambivalenzen in sich tragen. Aber sie war in ihrer Gestalt auch eine grundlegende Kritik an den Totalitarismen, von denen das letzte Jahrhundert so furchtbar erschüttert wurde. Für Tillich sprach sich in dieser Kritik das prophetische Prinzip der Religion aus.

 Vgl. dazu F. W. Graf, Paul Tillich im Exil, in: C. Danz / W. Schüßler (Hg.), Paul Tillich im Exil, Berlin/Boston 2017, 11– 77. 42– 43.

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„Halb bin ich es und halb nicht“ Paul Tillich als Existentialist Innerhalb der deutschen Tillich-Forschung finden sich starke Tendenzen, auch den späten Tillich von seinem frühen Ansatz her zu interpretieren und so besonders seine Ontologie der amerikanischen Zeit entweder zu relativieren oder nur als ‚Lightversion‘¹ seines frühen Ansatzes anzusehen. Ohne Zweifel lassen sich im Frühwerk Paul Tillichs subjektivitätstheoretische bzw. transzendentalphilosophische Überlegungen identifizieren, wobei aber kaum zu klären ist, welche philosophische Position hier genau im Hintergrund steht – Kant, der Deutsche Idealismus, der Neukantianismus oder gar Husserl –, weil sein Interesse nie rein historischer Natur, sondern immer auf philosophische bzw. theologische Sachfragen ausgerichtet ist. In diesem Sinne hat sich Tillich selbst auch nie als Philosophie- oder Theologiehistoriker verstanden,² bezieht er sich doch auf philosophische bzw. theologische Vorgänger-Positionen immer nur im Sinne einer ‚Aneignung‘ (Karl Jaspers), indem er sie seinem eigenen Denkansatz ‚einverleibt‘. In seinem während seiner Japanreise 1960 an der St. Paul’s University in Tokio gehaltenen Vortrag mit dem Titel My philosophical background of my theology wird das auch überdeutlich, wenn es hier gleich zu Anfang heißt, dass seine Beziehung zur Philosophie „eigentlich eine Beziehung zu vielen Philosophen“ sei (GW XIII, 478). Analoges trifft natürlich auch auf seinen Rekurs hinsichtlich theologischer Vorgänger-Positionen zu. Für die erste Richtung, die das Spätwerk Tillichs – und hier besonders seine Ontologie – aus der Perspektive seiner frühen Schriften zu rekonstruieren sucht,³

 Vgl. M. Röbel, Partizipation. Zu einem existentialontologischen Schlüsseltheorem im philosophischen Denken Paul Tillichs, Habil.-Schrift Theologische Fakultät Trier 2020, 16. Diese Arbeit wird demnächst im Verlag Walter de Gruyter in der Reihe Tillich Research (ed. C. Danz / M. Dumas / V. Ehret / W. Schüßler) erscheinen.  Das wird auch schon anhand der kritischen Bemerkungen der Gutachter zu seiner theologischen Habil.-Schrift von 1915 (vgl. EW IX, 435 – 588) deutlich, ist diese, entgegen ihrem Titel (Der Begriff des Übernatürlichen, sein dialektischer Charakter und das Prinzip der Identität – dargestellt an der supranaturalistischen Theologie vor Schleiermacher), doch eigentlich keine historische, sondern eine systematische Arbeit, was auch der Grund dafür war, dass er mit dieser fast gescheitert wäre (vgl. Brief Wilhelm Lütgerts an Tillich vom 8.7.1915, in: EW V, 101– 103).  Vgl. M. Röbel, Partizipation (s. Anm. 1), 17– 21, setzt sich ausführlich mit der Tillich-Interpretation von Danz, Neugebauer und Dienstbeck auseinander. https://doi.org/10.1515/9783110767728-006

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stehen exemplarisch die Arbeiten von Christian Danz,⁴ Georg Neugebauer,⁵ Folkart Wittekind⁶ und Stefan Dienstbeck.⁷ Für die zweite steht Carl Heinz Ratschow,⁸ der schon recht früh die These vertreten hat, dass die erzwungene Emigration in die USA bei Tillich zu einer „Komplexitätsreduzierung“⁹ seines Denkens geführt habe, was nicht zuletzt auch der englischen Sprache geschuldet sei. Neuerdings wurde diese Deutung in einer etwas modifizierten Form auch von Dirk-Martin Grube vertreten. Grube stimmt zwar meiner unten genannten TillichDeutung grundsätzlich zu, ist aber der Meinung, dass Tillichs ‚Wende‘ damit zu erklären sei, dass dessen Letztbegründungsansprüche der frühen Zeit im englischsprachigen Denkkontext nur auf wenig Verständnis gestoßen wären.¹⁰ Es wird sich aber zeigen, dass es sich beide Interpretationsmodelle, sowohl dasjenige, das Tillichs späte Ontologie aus der Perspektive seiner frühen Schriften zu rekonstruieren sucht, als auch dasjenige, das eine „Simplifikationshypothese“¹¹ vertritt, zu einfach machen und der Komplexität und Originalität von Tillichs Denken auf diese Weise kaum gerecht werden können. Ich selbst habe demgegenüber immer auf die Nähe des späten Tillichs zu Positionen der klassischen Metaphysik und ganz besonders zu solchen der modernen Philosophischen Anthropologie und Existenzphilosophie aufmerksam

 Vgl. C. Danz, Religion als Freiheitsbewußtsein. Eine Studie zur Theologie als Theorie der Konstitutionsbedingungen individueller Subjektivität bei Paul Tillich, Berlin/New York 2000.  Vgl. G. Neugebauer, Tillichs frühe Christologie. Eine Untersuchung zu Offenbarung und Geschichte bei Tillich vor dem Hintergrund seiner Schellingrezeption, Berlin/New York 2007.  Vgl. F. Wittekind, Das Sein und die Frage nach Gott (I 193 – 245), in: C. Danz (Hg.), Paul Tillichs „Systematische Theologie“. Ein werk- und problemgeschichtlicher Kommentar, Berlin/Boston 2017, 93 – 115. So spricht Wittekind in Bezug auf Tillichs ontologische Grundstruktur, die SelbstWelt-Korrelation, von „einer neoidealistischen Weiterführung des Neukantianismus“ (ebd., 111). Eine solche Zuordnung unterschlägt aber, wie wir sehen werden, völlig den existentialistischen Aspekt im Spätwerk Tillichs.  Vgl. S. Dienstbeck, Transzendentale Strukturtheorie. Stadien der Systembildung Paul Tillichs, Göttingen 2011.  Vgl. C. H. Ratschow, Paul Tillich. Ein biographisches Bild seiner Gedanken, in: M. Baumotte (Hg.), Tillich-Auswahl, 3 Bde., Bd. 1, Gütersloh 1980, 11– 104.  M. Röbel, Partizipation (s. Anm. 1), 16.  Vgl. D.-M. Grube,Wahlheimat USA: Paul Tillichs Abschied vom Letztbegründungsdenken und a priorischen Wahrheitsansprüchen, in: M. Beck / N. Coomann (Hg.), Historische Erfahrung und begriffliche Transformation: Deutschsprachige Philosophie im amerikanischen Exil 1933 – 1945 (= Emigration – Exil – Kontinuität. Schriften zur zeitgeschichtlichen Kultur- und Wissenschaftsforschung, Bd. 16), Wien 2018, 291– 316.  M. Röbel, Partizipation (s. Anm. 1), 16.

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gemacht. In verschiedenen Beiträgen habe ich versucht, diese ‚Wende‘ Tillichs, die Ende der 1920er/Anfang der 1930er Jahre zu verorten ist, aufzuzeigen.¹² Tillich hat bekanntlich alles, was um ihn herum passierte, aufgenommen und verarbeitet, was den Tillich-Schüler und -Assistenten Theodor W. Adorno wohl auch dazu veranlasste, von dessen „fast grenzenloser Impressionabilität“ zu sprechen – er sei quasi „ein wandelndes System von Antennen“ gewesen.¹³ Wen sollte es dann noch verwundern, dass durch die aufkommende moderne Philosophische Anthropologie und Existenzphilosophie Tillichs Denken eine neue Ausrichtung bekommen hat? 1927 erschien bekanntlich Martin Heideggers Sein und Zeit,¹⁴ 1928 Max Schelers Stellung des Menschen im Kosmos und Helmuth Plessners Stufen des Organischen und der Mensch, und 1932 publizierte Karl Jaspers seine dreibändige Philosophie. Dass diese wichtigen Werke auf Tillich keinen Einfluss haben sollten, ist kaum vorstellbar. Die verdienstvolle Herausgabe postumer Vorlesungen und Texte Tillichs besonders auch dieser ‚Übergangszeit‘ durch Erdmann Sturm in den letzten Jahrzehnten macht dies auch mehr als deutlich und unterstreicht dessen Bedeutung als eigenständiger und origineller Philosoph, was aber bisher in der Fachwelt kaum wahrgenommen wurde. Auch in vier von mir betreuten akademischen Arbeiten konnte diese Deutung hinsichtlich bestimmter Themenbereiche überzeugend erhärtet werden. So hat Crépin Acapovi dies in Bezug auf Tillichs Ontologie der Liebe aufgewiesen,¹⁵ Richard Atchadé in Bezug auf dessen Verständnis der Macht;¹⁶ Marc Röbel konnte

 Vgl. W. Schüßler, Abkehr von der Bewusstseinsphilosophie. Zur Kulturtheologie des späten Tillich, in: C. Danz / W. Schüßler (Hg.), Paul Tillichs Theologie der Kultur. Aspekte – Probleme – Perspektiven (= Tillich Research, Vol. 1), Berlin/New York 2011, 152– 168; ders., Der Mensch und die Philosophie. Zur existenzphilosophischen und anthropologischen Wende Paul Tillichs in seiner Frankfurter Zeit, in: G. Schreiber/ H. Schulz (Hg.), Kritische Theologie. Paul Tillich in Frankfurt (1929 – 1933) (= Tillich Research, Vol. 8), Berlin/Boston 2015, 215 – 249; ders., Tillichs „existentialistic turn“. Seine Wende von der Transzendentalphilosophie zur Existenzphilosophie in der Zeit des Übergangs von Deutschland in die USA, in: W. Schüßler/ C. Danz (Hrsg.), Paul Tillich im Exil (= Tillich Research, Vol. 12), Berlin/Boston 2017, 323 – 345.  Interview mit Theodor W. Adorno, in: Werk und Wirkung Paul Tillichs. Ein Gedenkbuch. Mit der letzten Rede von Paul Tillich und Beiträgen von Theodor W. Adorno u. a., Stuttgart 1967, 25.  Auf den Einfluss Heideggers auf Tillich hat schon recht früh Gunther Wenz hingewiesen (vgl. ders., Subjekt und Sein. Die Entwicklung der Theologie Paul Tillichs, München 1979, 53).  Vgl. C. Acapovi, L’être et l’amour: Une étude de l’Ontologie de l’Amour chez Paul Tillich (= Tillich-Studien, hg. von W. Schüßler und E. Sturm, Bd. 22), Berlin 2010.  Vgl. B. E. R. Atchadé, Philosophie der Macht. Paul Tillichs Verständnis der Macht im Kontext philosophischer Machttheorien im 20. Jahrhundert (= Tillich Research, ed. by C. Danz / M. Dumas / V. Ehret / W. Schüßler, Vol. 20), Berlin/Boston 2020.

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dies hinsichtlich des Begriffs der Partizipation nachweisen¹⁷ und Christina Saal aufgrund der Interdependenzen zwischen Paul Tillich und Rollo May.¹⁸ Zu meinen, dass auch der späte Tillich vornehmlich von seinem frühen subjektivitätstheoretischen bzw. transzendentalphilosophischen Ansatz her zu interpretieren sei, übersieht einfach, dass sich Tillich spätestens seit Ende der 1920er/Anfang der 1930er Jahre Gedanken der neu aufgekommenen Philosophischen Anthropologie und der modernen Existenzphilosophie angeeignet hat. Zudem wird eine solche Sicht der Originalität von Tillichs Denken kaum gerecht, ist dieses doch alles andere als statischer Natur, sondern es hat sich immer wieder weiterentwickelt. Einmal gewonnene Einsichten werden zwar nicht völlig verworfen, geraten aber in den Hintergrund, und neue Gedanken reichern die Grundidee an, die in Tillichs ‚Theologie der Kultur‘ zu sehen ist. Karl Jaspers hat diese Methode des Umgangs mit der Philosophie- und Theologiegeschichte als ‚Aneignung‘ bezeichnet. Dabei geht es nicht um eine historisch genaue Interpretation, sondern um die Integration neuer Gedanken in das eigene System. In diesem Sinne sind es ja bekanntlich auch nicht in erster Linie philosophie- oder theologiegeschichtliche Forschungen, die die Philosophie oder Theologie weiterbringen, sondern dies geschieht vielmehr aufgrund ‚schöpferischen Verstehens‘, wie das Beispiel des Thomas von Aquin in Bezug auf Aristoteles deutlich macht. Aber Fortschritte in Philosophie und Theologie können ebenso durch „schöpferisches Mißverstehen“ (GW XIII, 199) zustande kommen, worauf Tillich auch selbst hinweist und wie bekanntlich auch das Beispiel des Aristoteles in Bezug auf Platon zeigt. Hätte nämlich Aristoteles seinen Lehrer Platon ‚richtig‘ verstanden – was auch immer dieses ‚richtig‘ bedeuten mag –, dann wäre er sicherlich Platoniker geblieben und nicht zu ‚dem‘ Philosophen aufgestiegen, wie er im Mittelalter gerne bezeichnet wurde.¹⁹ Dass es Tillich mehr um die großen Linien geht und weniger um bestimmte historisch zu lokalisierende Positionen, kann man nicht nur an seiner Habilitationsschrift sehen,²⁰ sondern auch schon an seinen beiden Dissertationen zu Schelling, die bekanntlich in der Schelling-Forschung nur auf wenig Interesse gestoßen sind. Aber man erfährt hier sehr viel über Tillich selbst. Das heißt, in der

 Vgl. M. Röbel, Partizipation (s. Anm. 1).  Vgl. C. Saal, Der Mensch in Zeiten des Umbruchs. Rollo May und Paul Tillich im Gespräch auf der Grenze von Philosophie, Theologie und Psychotherapie, Diss. Theologische Fakultät Trier 2021. Diese Arbeit wird demnächst auch im Verlag Walter de Gruyter in der Reihe Tillich Research (ed. by C. Danz / M. Dumas / V. Ehret / W. Schüßler) erscheinen.  Wenn es z. B. bei Thomas von Aquin heißt: „Philosophus dicit“, dann ist damit Aristoteles gemeint.  Vgl. dazu oben Anm. 2.

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Auseinandersetzung mit historischen Positionen geht es Tillich vornehmlich darum, sein eigenes Denken zu klären.²¹ Natürlich kann man in akademischen Arbeiten den einen oder anderen Einfluss geltend machen, doch betrifft das nie den ‚ganzen‘ Tillich. Das macht gerade auch die Großen in Philosophie und Theologie aus, dass sie nie erschöpfbar sind, sondern dass immer nur Teilaspekte ihres Denkens deutlich werden. Was Karl Jaspers in der Einleitung zu seiner Schrift Die großen Philosophen über die Großen sagt, trifft zweifellos auch auf Tillich zu: „Kein Großer ist subsumierbar, weder unter Zeitalter und Völker, noch unter philosophische Grundpositionen, die wir erdenken, noch unter geistige Typen. Jede solche Subsumtion trifft nur eine Seite von ihm. Kein Großer ist durch einen Aspekt erschöpft. Jeder überschreitet zugleich den Rahmen, in den man ihn einordnen will, er wächst hinaus über jeden Typus, dem er immer nur in gewissem Maße entspricht. Ein großer Philosoph gehört nirgends hin in einem wißbaren Gebäude, in dem ihm ein endgültiger Platz zukäme.“²² Ohne Zweifel kann man Tillich einen Idealisten nennen, allerdings muss dann geklärt werden, was darunter zu verstehen ist – sicherlich nicht das, was man im Deutschen Idealismus darunter verstanden hat. Tillich selbst macht dies am „idealistischen Prinzip“ fest, unter dem er die Übereinstimmung von Denken und Sein als Prinzip der Wahrheit versteht.²³ Das ist natürlich eine sehr weite Fassung dieses Begriffs, die in gewisser Weise wohl auf die Mehrzahl philosophischer Positionen zutrifft. Im Folgenden will ich die von mir favorisierte Tillich-Interpretation weiter erhärten, indem ich in einem ersten Punkt Selbstaussagen Tillichs zu seiner philosophischen Verortung vorstellen werde. In einem zweiten werde ich sodann die Frage zu klären versuchen, was näherhin unter Existenzphilosophie bzw. Existentialismus zu verstehen ist. In diesem Zusammenhang werde ich auch Tillichs eigene Theorie des Existentialismus vorstellen. In einem dritten Punkt werde ich Tillichs Selbstaussage, dass er sowohl ein halber Existentialist als auch ein halber Essentialist ist, zu erhärten suchen, indem ich zum einen den Unterschied zwischen Essential- und Existentialanalyse verdeutlichen werde und zum anderen anhand von Tillichs Ontologie aufzuzeigen suche, dass hier beide Aspekte mit einfließen. Abschließend ziehe ich ein kurzes Fazit meiner Darlegungen.

 Vgl. dazu bes. Tillichs Berliner Vorlesungen II (1920 – 1924), in: EW XIII, wo er in Auseinandersetzung mit philosophischen (und theologischen) Positionen von der Antike bis zur Aufklärung seinen eigenen Standort zu klären sucht. Ähnlich verhält es sich auch in Bezug auf seine Vorlesungen über die Geschichte des christlichen Denkens (vgl. EW I und II).  K. Jaspers, Die großen Philosophen, Bd. 1, München (Neuausgabe 1988) 71992, 51.  Vgl. GW XII, 49.

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1 Selbstaussagen Tillichs zu seiner philosophischen Verortung In dem von Sydney und Beatrice Rome im Jahr 1964 herausgegebenen Band mit dem Titel Philosophical Interrogations,²⁴ in dem neben Tillich u. a. auch Martin Buber, Jean Wahl und Charles Hartshorne von Kollegen aus den Bereichen Philosophie und Theologie zu ihrem Denken und Werk befragt werden, finden sich interessante Selbstaussagen Tillichs in Bezug auf die Frage, inwieweit sein Denken von bestimmten historischen Positionen beeinflusst ist. So fragt hier Albert C. Outler hinsichtlich seiner philosophiegeschichtlichen Verortung, ob Tillich in Bezug auf die Aussagen, dass Gott nicht ein Seiendes sei, sondern das „SeinSelbst“ oder der „Grund des Seins“, nicht von John Norris oder dessen Mentoren, den Cambridge Platonikern und Malebranche beeinflusst sei. Tillich antwortet darauf, dass er den Namen Norris bis dahin nie gehört habe und auch über die Cambridge Platoniker und Malebranche nur Wissen aus zweiter Hand besitze.²⁵ Dann sagt er den äußerst bemerkenswerten Satz: „Dies mag eine Warnung vor einer allzu selbstsicheren Anwendung der ‚Methode der literarischen Abhängigkeit‘ in der historischen Forschung sein.“²⁶ Und auf die Frage von Lewis S. Ford, ob der von ihm entwickelte Symbolbegriff nicht auf Schellings Begriff der Polarität zurückgehe,²⁷ repliziert er: „Das Konzept meiner Theorie der religiösen Symbole geht weit zurück auf Quellen, die ich in ihrer Wirksamkeit für mein Denken nicht zu beurteilen vermag, auf das Studium von Dionysius Areopagita, Scotus Erigena, Meister Eckhart, Hegel und David Friedrich Strauss und die ganze Entwicklung der Bibelkritik von Spinoza bis Albert Schweitzer und Rudolf Bultmann.“²⁸ Auch Tillichs Antworten auf die Fragen von Georges H. Tavard, ob er nicht zuweilen „seine gegenwärtige ‚existenzielle Phase‘“ in seine eigene Vergangenheit hineinprojiziere und ob die Existentialanalyse im zweiten Band seiner Systematischen Theologie nur eine „apologetische Relevanz“ habe oder ob die Existenzphilosophie „einen Wert in sich habe, unabhängig von jeder theologischen Antwort“,²⁹ werfen ein höchst interessantes Licht auf das angesprochene Pro-

 S. Rome / B. Rome (Hg.), Philosophical Interrogations: Interrogations of Martin Buber, John Wild, Jean Wahl, Brand Blanshard, Paul Weiss, Charles Hartshorne, Paul Tillich, New York 1964.  A.a.O., 357.  A.a.O., 358. – Übers. von mir!  Vgl. ebd.  A.a.O., 359. – Übers. von mir!  A.a.O., 361. – Übers. von mir!

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blem. Ohne Zweifel, so Tillich, hätten für ihn der Einfluss von Heideggers Philosophie und Kafkas Erzählungen eine entscheidende Bedeutung. Aber er betont in diesem Zusammenhang ausdrücklich, dass er auch schon Jahrzehnte zuvor vom existentialistischen Denken Kierkegaards (seit 1905), Böhmes und des späten Schellings (seit 1910), Nietzsches (seit 1917) und Marx’ Frühschriften (seit 1920) beeinflusst gewesen sei.³⁰ Auf die zweite Frage antwortet Tillich, dass die Schriften von Pascal und Kierkegaard, von Feuerbach, Marx und Nietzsche, von Heidegger, Jaspers und Sartre unsere Einsichten hinsichtlich der Endlichkeit des Menschen immens bereichert hätten. Und dann heißt es: „Aus diesem Grund ist ihr Werk ein unschätzbares Geschenk für die Theologie.“³¹ Diese Selbstaussagen Tillichs machen dreierlei deutlich: Erstens, dass sich Tillich mit dem Existentialismus im weiteren Sinne schon recht früh auseinandergesetzt hat, auch wenn sein eigenes Denken in dieser Richtung erst entscheidend beeinflusst wurde durch das Auftreten der modernen Existenzphilosophie, die mit den Namen Heidegger und Jaspers eng verbunden ist. Zweitens, dass Tillich dem Existentialismus eine Bedeutung beimisst, die über dessen theologische Relevanz im Rahmen seiner eigenen Methode der Korrelation hinausgeht, was, wie wir sehen werden, auch an der von ihm entwickelten recht eigenständigen Ontologie der Spätzeit deutlich wird. Drittens, dass sich eine eindimensionale Interpretation Tillichs hinsichtlich bestimmter Traditionen zu verbieten scheint. Ganz allgemein kann man sagen, dass er nicht von bestimmten Positionen beeinflusst ist, sondern immer generelle Linien aufgreift. Das alles spricht gegen eine Interpretation des späten Tillich von subjektivitätstheoretischen bzw. transzendentalphilosophischen Positionen her, die sich ohne Zweifel in seinem Frühwerk finden. Aber selbst hier greift er, wie gesagt, keine speziellen Positionen auf, sondern bezieht sich immer recht global auf diese Traditionen insgesamt. Dass spätestens seit Ende der 1920er/Anfang der 1930er Jahre anthropologische und existenzphilosophische Überlegungen zum neuen philosophischen Instrumentarium seiner Theologie werden, wobei existenzphilosophische Theoreme mit

 Vgl. a.a.O., 362. Vgl. auch seine Selbstaussage in seiner Autobiographie Auf der Grenze von 1936: „Zu einem neuen Verständnis des Verhältnisses von Philosophie und Theologie wurde ich durch das Aufkommen der sogenannten ‚Existentialphilosophie‘ in Deutschland geführt. […] Ich selbst war in dreifacher Weise zur Aufnahme dieser Philosophie vorbereitet. Einmal durch die genaue Kenntnis von Schellings Spätperiode, in der er im Kampf mit Hegels Wesensphilosophie einer Existentialphilosophie den Weg zu bahnen suchte. Zweitens durch eine, wenn auch begrenzte Kenntnis von Kierkegaard, dem eigentlichen Begründer der Existentialphilosophie, drittens durch meine Abhängigkeit von der Lebensphilosophie.“ (GW XII, 36)  S. Rome / B. Rome (Hg.), Philosophical Interrogations (s. Anm. 24), 362. – Übers. von mir!

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der Zeit die anthropologischen mehr und mehr überlagern,³² erhellt auch aus der Beobachtung, dass Tillichs erste philosophische Vorlesung nach seiner Emigration in die USA an der Columbia University vom Frühjahr 1934 eine Einführung in die Existential-Philosophie ³³ darstellt. Auch in den darauffolgenden Semestern ging es Tillich immer wieder um „die Lehre vom Menschen“.³⁴ So heißt es in einer Vorlesung vom April 1935, die Tillich an der Yale Divinity School gehalten hat: „Die Lehre vom Menschen ist nicht Theologie, aber sie kann ein Zugang und Werkzeug der Theologie werden. […] Darum sind wir verpflichtet, so denke ich, in jeder Periode des menschlichen Denkens die besten Werkzeuge für die Theologie und den besten Zugang zu ihr zu suchen. Es war mein Ziel in diesen Vorlesungen, Ihnen zu zeigen, dass die Lehre vom Menschen heute der beste Zugang zur Theologie ist und dass ihre Begriffe die besten Werkzeuge für die Theologie sind.“ (EW XVII, 313) Mit diesen Aussagen ist aber weniger die Philosophische Anthropologie, sondern vielmehr die Existenzphilosophie gemeint, hat doch bekanntlich Heidegger immer bekundet, dass der Mensch der beste Zugang zum Sein sei.³⁵ Und in einem Aufriss zu einer Vorlesung am Union Theological Seminary zum Thema „Die Lehre vom Menschen als der gegenwärtige Zugang zur Theologie“ von 1934/35 kommt Tillich in einer Anmerkung auf „die so genannte Philosophie der Existenz“ zu sprechen, die, laut Tillich, in Deutschland „durch Heidegger und Jaspers und die Mehrzahl der jüngeren Generation“ vertreten werde. Und dann ergänzt er: „und zu der auch ich in gewissem Ausmaß gehöre“ (EW XVII, 195). Wer will Tillich hier absprechen, dass er das eigentlich nicht so gemeint haben könne? Wenn man diese Selbstaussagen Tillich ernst nimmt, und ich denke, dass man sie ernst nehmen muss, dann läuft jede ausschließlich subjektivitätstheoretische bzw. transzendentalphilosophische Rekonstruktion des späten Tillichs Gefahr, ein rein „interpretatorisches Konstrukt“ zu bleiben.³⁶ Dass Tillich zu seinen frühen Schriften inzwischen auch den inneren Zugang verloren zu haben scheint, geht aus den folgenden Sätzen aus einem Rundbrief vom September 1949 hervor: „Es werden jetzt verschiedene meiner englischen Arbeiten ins Deutsche übersetzt. Leider bin ich in dieser Beziehung nicht sehr hilfreich. Abgesehen von dem Zeitmangel wird es mir schwer, mich auf meine alten Sachen zu konzentrieren. Selbst wenn ich sie nicht schlecht finde, sind sie

 Zur Bedeutung der Anthropologie für Tillichs Denken vgl. M. Fritz, „The doctrine of man as the present approach to theology.“ Tillichs Anthropologie im Übergang von Deutschland in die USA, in: C. Danz / W. Schüßler (Hg.), Paul Tillich im Exil (s. Anm. 12), 287– 321.  Vgl. EW XVII, 57– 156.  Vgl. a.a.O., 157– 314.  Vgl. M. Heidegger, Sein und Zeit, Tübingen 182001, 13; dazu auch ST I, 199.  M. Röbel, Partizipation (s. Anm. 1), 22.

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für mich wie ein Fremdkörper, ein Ding für sich selbst, nicht mehr ein Teil meines Lebens.“ (EW V, 324)

2 Tillich als Theoretiker des ‚Existentialismus‘ Auf den ersten Blick scheint es einfach zu sein, die Existenzphilosophie näher zu bestimmen, steht doch hier der Begriff der ‚Existenz‘ im Zentrum der philosophischen Analyse.³⁷ Aber was genau meint ‚Existenz‘? Das ist schwer zu sagen, da diese, um mit Jaspers zu sprechen, einen „ungegenständlichen“ Charakter besitzt – ähnlich wie Transzendenz. Gemeint ist hiermit der „innerste Kern des Menschen“,³⁸ der wesentlich als Freiheit zu bestimmen ist. Hinzu kommt, dass Martin Heidegger hier vom ‚Dasein‘ spricht, wenn er die spezifische Weise des Menschseins thematisiert. Bei Karl Jaspers meint aber ‚Dasein‘ das vitale Leben. Bekanntlich begegnet auch schon in der mittelalterlichen Philosophie der Begriff der ‚existentia‘, im Gegensatz zu demjenigen der ‚essentia‘. Aber ein Rekurs darauf ist für unsere Frage wenig erhellend, meint ‚existentia‘ hier doch den Akt, den jedes Seiende durch seine Festlegung in Zeit und Raum ausübt. Heidegger und Jaspers sind bekanntlich die wichtigsten Exponenten der modernen Existenzphilosophie. Allerdings wollte Heidegger selbst diesen Titel für sein eigenes Denken nicht akzeptieren, und auch Jaspers hat sich schon früh dagegen gewehrt, einseitig als Existenzphilosoph wahrgenommen zu werden. Das Ganze scheint also nicht wenig verwickelt zu sein, und desto mehr man sich in diese Thematik einarbeitet, desto komplizierter wird sie. Aber das ist in der Philosophie insgesamt so – warum sollte es in Bezug auf die Existenzphilosophie anders sein? Was Philosophie ist, ist eben selbst schon eine eminent philosophische Frage. Folglich gibt es hierauf auch nicht nur eine mögliche Antwort. Und: Was Philosophie ist, kann immer nur von einer konkreten Philosophie aus beantwortet werden, nicht abstrakt. Das heißt, Philosophie tritt immer nur im Plural auf; diese Einsicht verdanken wir u. a. auch der Existenzphilosophie.

 Tillich verwendet in der Regel den Begriff ‚Existentialismus“. Der Name ‚Existenzphilosophie‘ geht auf Fritz Heinemann zurück, einem Denker, der dieser Richtung selbst eher reserviert gegenübergestanden hat. Eingeführt hat er diese Bezeichnung in seiner Schrift: Neue Wege der Philosophie: Geist – Leben – Existenz. Eine Einführung in die Philosophie der Gegenwart, Leipzig 1929, X. Jaspers hat diesen Begriff, wie er in einem „Nachwort“ zur zweiten Auflage seiner Schrift „Existenzphilosophie“ von 1956 selbst sagt, schon seit Mitte der 1920er Jahre in seinen Vorlesungen verwendet (vgl. ders., Existenzphilosophie. Drei Vorlesungen gehalten am Freien deutschen Hochstift in Frankfurt a. M., September 1937, Berlin/New York 41974, 86).  O. F. Bollnow, Existenzphilosophie, Stuttgart 1955, 13.

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Ohne Zweifel finden sich Gemeinsamkeiten bei denjenigen Denkern, die man gemeinhin unter dem Schubladenbegriff ‚Existenzphilosophie‘ bzw. ‚Existentialismus‘ subsumiert, aber man muss sich diese Denker schon im Einzelnen anschauen, um zu erfahren, was ihr eigentliches Thema ist. Diese Schwierigkeit ist auch der Grund dafür, dass sich Einführungen in die sogenannte Existenzphilosophie in der Regel historisch orientieren und die Denkgebäude ihrer Hauptvertreter darstellen. Gewöhnlich werden – wie schon gesagt – Heidegger und Jaspers als die klassischen Exponenten dieser Richtung im 20. Jahrhundert angesehen. Beide Denker sind in entscheidender Weise von dem dänischen Philosophen und Theologen Sören Kierkegaard beeinflusst, der die moderne Existenzphilosophie wesentlich geprägt hat. Unter christlichem Vorzeichen werden in der Regel Peter Wust und der französische Dramatiker und Philosoph Gabriel Marcel, unter atheistischem Vorzeichen die beiden französischen Philosophen Jean-Paul Sartre und Albert Camus genannt. Letztere werden oft auch mit dem Etikett ‚Existentialismus‘ gekennzeichnet. Dieser Begriff wird aber auch häufig synonym für ‚Existenzphilosophie‘ verwendet, so auch von Tillich. Vorläufer der Existenzphilosophie werden gewöhnlich in der Lebensphilosophie ausgemacht; hier wären dann u. a. Henri Bergson, Georg Simmel, aber auch Friedrich Nietzsche und Arthur Schopenhauer zu nennen mit ihrer Betonung des Willens und damit des Irrationalen. Aber auch der späte Friedrich Wilhelm Joseph Schelling mit seiner sogenannten positiven Philosophie, Blaise Pascal, ja selbst Augustinus werden zuweilen in die Riege derer eingereiht, die dieses Denken vorbereitet haben. Daran ist auch zweifellos etwas Richtiges. So nehmen Augustins Überlegungen in den Confessiones ihren Ausgangspunkt bei der inneren Erfahrung des Menschen mit all seinen widersprüchlichen Neigungen und damit seiner tragischen Situation. Pascal wendet sich bekanntlich mit seiner ‚logique du cœur‘ gegen den Rationalismus eines René Descartes. Und auch der späte Schelling wendet sich, nicht anders als Kierkegaard, gegen Hegels Vernunftphilosophie, die alles und jedem seinen Platz im System des Denkens zuweist. Ein solches Denken musste notwendig scheitern, ist das Leben doch nicht nur durch Vernunft geprägt, sondern – um mit Jaspers zu sprechen – auch durch ‚Widervernunft‘. Und selbst der christliche Existenzphilosoph Peter Wust stellt fest, dass trotz aller Intelligibilität des Seins, von der er im Tiefsten überzeugt ist, doch auch in der Welt immer wieder Dysteleologie am Werk zu sein scheint; im biblischen Buch Hiob wird dieses Problem schon früh thematisiert. Dass die moderne Existenzphilosophie nach der Katastrophe des Ersten Weltkriegs auf den Plan tritt, ist darum alles andere als ein Zufall.

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Damit wird schon ein erster Grundzug dieses Denkens deutlich, den man durch Gegensätze wie: „Existenzphilosophie versus wissenschaftliche Philosophie“ (Karl Jaspers),³⁹ „Existenzphilosophie versus Erkenntnisphilosophie“ (Ignace Lepp)⁴⁰ oder „Existenzphilosophie versus Wesensphilosophie“ (Franz Zimmermann)⁴¹ auf den Begriff bringen kann. Aber in diesem ‚versus‘ steckt auch schon wieder ein entscheidendes Problem, wenn man mit Tillich der Überzeugung ist, dass das existentielle Moment eigentlich zur Philosophie als solcher immer schon dazugehört. Wie existenzphilosophisches Denken historisch schon weit vor Kierkegaard verortet werden kann, so kann man dieses natürlich auch im 20. Jahrhundert über die genannten Exponenten hinaus wesentlich breiter lokalisieren; so u. a. in der ‚Dialektischen Theologie‘ eines Karl Barth, Friedrich Gogarten und Emil Brunner, im Bereich personalistischen Denkens u. a. bei Martin Buber oder Emmanuel Mounier, in der existentiellen Psychotherapie eines Viktor E. Frankl, Ignace Lepp oder Rollo May. Damit wird auch schon deutlich, dass das Anliegen der Existenzphilosophie weder historisch noch sachlich auf die philosophische Richtung im engeren Sinne begrenzt ist. Tillich hat es wie kaum ein zweiter verstanden, in diese zum Teil verwirrende Vielfalt historischer und systematischer Bezüge eine gewisse Linie hineinzubringen. Auch daran ersieht man schon die Bedeutung, die er selbst dem Existentialismus beimisst. Somit ist Tillich nicht nur selbst ein Vertreter dieser Richtung, sondern darüber hinaus auch ein wichtiger Theoretiker des Existentialismus.⁴² Sein diesbezügliches Verständnis des Existentialismus soll im Folgenden näher entfaltet werden.

a) Existentialismus als Haltung ‚Existentiell‘ im Sinne einer Haltung steht nach Tillich im Gegensatz zu einer ‚detachierten‘, d. h. fernstehenden, nur beobachtenden Haltung. „Existentiell“ heißt in diesem Sinne „teilhaben an einer Situation mit der ganzen Existenz“ (EW XVI, 174 f.). Außer in den Gebieten, die der reinen Abstraktion zugänglich sind

 Vgl. K. Jaspers, Philosophie und Wissenschaft (1948), in: ders., Was ist Philosophie? Ein Lesebuch, hg. von H. Saner, München 1996, 183 – 196.  Vgl. I. Lepp, Christliche Existenzphilosophie, Würzburg 1968, 53 – 83.  Vgl. F. Zimmermann, Einführung in die Existenzphilosophie, Darmstadt 21988, 5 – 10.  Ich beziehe mich hier auf den folgenden Text: P. Tillich, Die menschliche Situation im Lichte der Theologie und Existentialanalyse (Gastvorlesung FU Berlin, Sommersemester 1952), in: EW XVI, 169 – 334, hier 172– 209; vgl. auch GW XI, 96 – 106.

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(wie die Mathematik und mathematische Physik), gibt es nach Tillich in allen Problemen, die für den Menschen von Bedeutung sind, keinen Standpunkt über der Existenz. Eine sogenannte ‚wissenschaftliche Philosophie‘ ist demgegenüber davon überzeugt, dass der Standpunkt des Erkennenden zeitlos, raumlos und geschichtslos ist und dass alle diese Einflüsse nur Fehlerquellen sind, die es zu beseitigen gilt. Tillich ist demgegenüber der Auffassung, dass man ohne Teilnahme keinen Zugang zu den Dingen hat; und das ist besonders deutlich in den Bereichen der Philosophie, Religion, Psychologie, Soziologie und medizinischen Biologie. Die konkrete Wirklichkeit ist eben keine Abstraktion, sondern immer unendlich, unerschöpflich und unermesslich. Um z. B. zu wissen, was ein ‚Selbst‘ ist, muss man an diesem teilnehmen, aber gleichzeitig muss man es natürlich im Erkenntnisprozess auch objektivieren können. Das heißt, es geht hierbei um „eine balancierte Relation von Detachiertheit und Teilnahme“ (EW XVI, 177).

b) Existentialismus als Bewegung Das Wort ‚existentiell‘ bezeichnet aber Tillich zufolge nicht nur eine ‚Haltung‘, sondern auch eine ‚Bewegung‘. Das betrifft bestimmte Formen der Philosophie, der Kunst, der Literatur, des Theaters usw., wobei hier drei Aspekte zu unterscheiden sind: nämlich erstens der Existentialismus als Gesichtspunkt, zweitens als Protest sowie drittens als Ausdruck. Existentialismus als Gesichtspunkt. Als Gesichtspunkt ist der Existentialismus Tillich zufolge überall gegenwärtig, in der Philosophie, der Theologie, der Kunst usw. Erst im 19. Jahrhundert wird der Existentialismus zu einer Bewegung des Protests gegen die Vergegenständlichung, wobei einige Vorgänger bis ins 17. Jahrhundert hineinreichen. Aber erst im 20. Jahrhundert nimmt er die Form eines Ausdrucks an. So findet sich der Existentialismus als Gesichtspunkt nach Tillich selbst schon in Platons Unterscheidung zwischen der „Welt der Wesenheiten“ und der „Welt der Realität“ (EW XVI, 180), wird doch dadurch immer auch schon die Entfremdung des Menschen von dem, was er wesenhaft sein soll, offenbar. Der existentialistische Gesichtspunkt drückt sich auch deutlich in Augustins Confessiones aus, wird doch hier wie kaum sonst in der philosophischen Tradition die menschliche Situation schonungslos aufgedeckt. Dieser existentialistische Gesichtspunkt ging aber zu Beginn der Neuzeit verloren. Hier hat der menschliche Geist etwas geschaffen, das nie zuvor da war, „nämlich die rationale Interpretation der Welt in wissenschaftlicher Tradition und in technischer Anwendung“ (EW XVI, 185), die verbunden ist mit Namen wie

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Galilei, Newton, Descartes. Im cartesianischen „Cogito ergo sum“ sieht Tillich „den Wendpunkt zu einem völligen Verlust des existentialphilosophischen Denkens“ (EW XVI, 186), drückt sich doch hierin eine philosophische Haltung aus, die allein im Bewusstsein und seinen Formen und Strukturen das sieht, auf das sich die Philosophie zu richten hat. Den größten Versuch, den Problemen der Existenz auszuweichen, sieht Tillich in Hegels System, wo Existenz aufgelöst wird in Essenz. Aber selbst hier sind immer auch noch existentialistische Elemente am Werk, sah doch selbst Hegel „die nichtrationalen Elemente im menschlichen Sein“ (EW XVI, 189). Aber trotzdem war die weitere philosophische Entwicklung ‚antiexistentialistisch‘ geprägt. Existentialismus als Protest. Da, wo der Essentialismus zu seiner vollen Entfaltung kommt, dort kommt auch der Protest gegen dieses Denken zum Tragen. Das wird deutlich an Pascal, der gegen Descartes andenkt, ebenso an Kierkegaard und dem späten Schelling, die sich gegen das Denken Hegels wenden. Den wichtigsten „existentialistischen Revolutionär“ aber sieht Tillich in Nietzsche, war doch „seine Beschreibung des europäischen Nihilismus […] die Beschreibung einer Welt, in der die menschliche Existenz vollkommen sinnlos geworden ist“ (EW XVI, 192). Dieser Protest ist auch in der Kunst und Literatur zu sehen; van Gogh und Dostojewski sind hierfür eindringliche Beispiele. Was genau rief diese ‚Revolution‘ hervor? Tillich gibt darauf folgende Antwort: „All diese Männer mit ihren Vorläufern begriffen, dass ein Prozess vor sich ging in der modernen industriellen Gesellschaft, in der die Menschen in Dinge verwandelt wurden, in Stücke der Wirklichkeit, die die reine Wissenschaft berechnen und die Technik kontrollieren kann.“ (EW XVI, 193) Und das trifft Tillich zufolge sowohl auf den Idealismus als auch auf den Naturalismus zu, geht es doch beiden um die Eliminierung „der unendlichen Bedeutung der individuellen Persönlichkeit“ (EW XVI, 194). Tillich fasst zusammen: „Alle diese Menschen kämpften für die Bewahrung der Person, für die Selbstbejahung des Selbst als Selbst in einer Situation, in der das Selbst mehr und mehr in der von ihm geschaffenen Welt der Objekte verloren gegangen war. Sie alle wollten darüber hinaus, und sie sind die Grundlage, auf der nun die dritte Form des Existentialismus sich entfaltete, der Existentialismus als Ausdruck, d. h. unsere Situation.“ (EW XVI, 194 f.) – Wenn man das bedenkt, so wird deutlich, dass der Existentialismus heute aktueller denn je ist. Existentialismus als Ausdruck. Am Anfang steht hier die Erfahrung des Zusammenbruchs des Sinns im universalsten und tiefsten Sinne. Tillich beschreibt dies so: „Der Mensch des 20. Jahrhunderts hat eine sinnhafte Welt verloren, er hat ein geistiges Zentrum verloren. Die vom Menschen geschaffene Welt der Objekte hat ihn in sich selber hineingezogen.“ (EW XVI, 195 f.)

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Im Existentialismus als Ausdruck nimmt nach Tillich die Verzweiflung des Menschen Gestalt an. Im Hintergrund steht hier der ‚Verlust Gottes‘ im 19. Jahrhundert (Feuerbach, Marx, Nietzsche). Mit dem Glauben an Gott stürzt aber auch das ganze System der Werte zusammen. Von daher wird verständlich, dass das Sinnproblem das entscheidende Problem des 20. Jahrhunderts ist. Literarischen Ausdruck findet diese Sinnlosigkeit u. a. bei T. S. Eliot und Kafka, künstlerisch im Expressionismus und Surrealismus,⁴³ philosophischen Ausdruck findet sie bei den sogenannten modernen Existenzphilosophen, Tillich nennt hier Heidegger, Jaspers und Sartre.⁴⁴

3 Tillich als halber Existentialist und halber Essentialist Nicht nur Friedrich Bollnow, sondern auch Tillich hat immer betont, dass eine existentialistische Position notwendig auf einer essentialistischen aufruhe. So heißt es in seiner Vorlesung Einführung in die Existential-Philosophie von 1934 dezidiert: „Die Philosophie der Existenz setzt eine Art Wesensphilosophie voraus.“ (EW XVII, 129)⁴⁵ In dem schon genannten Vortrag My philosophical background of my theology geht es Tillich u. a. in einem historischen Überblick darum, zwei Linien des Denkens aufzuzeigen, die er im Anschluss an Augustinus in der Geschichte der Philosophie zu erkennen meint: nämlich zum einen eine „essentialistische Linie“ und zum anderen eine „existentialistische“.⁴⁶ Und dann heißt es: „Meine Theologie ist ein Versuch, diese beiden Linien zu vereinigen. Manchmal hat man mich einen ‚existentialistischen Philosophen‘ genannt, oder besser: einen ‚existentialistischen Theologen‘. Aber das trifft nicht zu, da der Existentialismus die Probleme der menschlichen Existenz aufwirft, und die Theologie versucht, im Namen der religiösen Symbole, die sie interpretiert, Antworten zu geben. Dafür verwendet sie die ganze essentialistische Entwicklung innerhalb der Philosophie,⁴⁷ und nur die Einheit dieser beiden Linien kann der Theologie

 Vgl. EW XVI, 200 – 205.  Vgl. a.a.O., 205 – 209.  Vgl. auch GW VIII, 311 f. mit Bezug auf Sartre und Heidegger.  Vgl. GW XVIII, 482.  Die dt. Übers. in GW XVIII, 483 bringt hier fälschlich: „Bei diesem Versuch stützt sie sich auf den die ganze Philosophiegeschichte durchziehenden Existentialismus.“ Aus diesem Grund ziehe ich für dieses Zitat den engl. Originaltext heran (siehe dazu die folgende Anm.).

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dienlich sein. Wenn wir uns ausschließlich an die eine oder die andere Linie halten, werden wir die Symbole unserer Religion niemals verstehen können.“⁴⁸ Dabei ist Tillich aber nie den Gefahren eines einseitig existentialistischen Standpunktes verfallen, will er diesen doch notwendig rückgebunden wissen an die Philosophische Anthropologie, d. h. an eine essentialistische Analyse.⁴⁹ In diesem Sinne ist es seine tiefste Überzeugung, „daß die Frage nach dem, was die Existenz des Menschen ausmacht, nicht gestellt und nicht beantwortet werden kann, ohne daß man die Frage vorher gestellt und beantwortet hat, was das Wesen des Menschen ist“ (MW VI, 415).⁵⁰ So ist es auch nur konsequent, wenn Tillich einmal auf die Frage, ob er ein Existentialist sei, geantwortet hat: „Halb bin ich es und halb nicht. […] Man kann unmöglich ein reiner Essentialist sein, wenn man persönlich in der menschlichen Situation steht und nicht auf dem Thron Gottes zu sitzen glaubt wie Hegel […]. Andererseits ist es auch unmöglich, ein reiner Existentialist zu sein, denn um die Existenz zu beschreiben, muß man sich der Sprache bedienen, und die Sprache hat mit Universalien zu tun. Sie ist also ihrem Wesen nach unumgänglich essentialistisch.“ (EW II, 204 f.)⁵¹ Das bedeutet, dass der Existentialismus Tillich zufolge nicht in der Lage ist, aus sich heraus seine eigenen Fragen zu beantworten. Die verschiedenen Antworten, die die Existentialisten auf die Fragen nach der Endlichkeit, der Einsamkeit, der Schuld, der Leere gegeben haben, sind nach Tillich vielmehr direkt oder indirekt abgeleitet von religiösen Traditionen, seien diese katholisch, mystisch, protestantisch, pietistisch, humanistisch oder naturalistisch.⁵²

 P. Tillich, The Philosophical Background of My Theology, in: Paul Tillich – Journey to Japan in 1960, ed. by T. Fukai.With a preface of F.W. Graf (= Tillich Research,Vol. 4), 51– 60, 55. – Übers. von mir!  Vgl. dazu GW V, 223 – 236.  Dass Tillich keine Probleme hat, anthropologische und existenzphilosophische Fragestellungen zusammenzudenken, verbindet ihn mit dem christlichen Existenzphilosophen Peter Wust. Beschäftigt sich die Philosophische Anthropologie vornehmlich mit der Frage „Was ist der Mensch?“, so die Existenzphilosophie mit der Frage „Wie wird man Mensch?“. Vgl. dazu P. Wust, Weisheit und Heiligkeit (Wintersemester 1931/32), hg. von W. Schüßler und M. Röbel, in: dies. (Hg.), „Die Unruhe des Menschenherzens.“ Einblicke in das Werk Peter Wusts (= Edition Peter Wust. Schriftenreihe der Peter-Wust-Gesellschaft, hg. von H. Hoffmann und W. Schüßler, Bd. 5), Berlin 2013, 153– 165, 155.  Im engl. Originaltext heißt es hier: „I say, fifty-fifty.“ (P. Tillich, Perspectives on 19th and 20th Century Protestant Theology, ed. and with an Introduction by C. E. Braaten, New York 1967, 245) Die dt. Übers. von Ingeborg Henel trifft den Sinn hier recht gut. Vgl. auch S. Rome / B. Rome (Hg.), Philosophical Interrogations (s. Anm. 24), 360.  Vgl. S. Rome / B. Rome (Hg.), Philosophical Interrogations (s. Anm. 24), 362; GW IV, 182.

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Und in einem kleinen Beitrag mit dem Titel On the Boundary Line, in dem er auf seine Japan-Reise von 1960 Bezug nimmt, heißt es: „Ich bin nie ein Existentialist im Sinne von Kierkegaard oder Heidegger gewesen. Und selbst sie sind mehr als Existentialisten, da es unmöglich ist, ein reiner Existentialist zu sein. In Bezug auf jeden sinnvollen Satz lebt der Existentialist von seinem Gegenteil, dem Essentialisten. […] Das kann auch nicht anders sein, wenn man versucht, ein theologisches System aufzubauen. Denn mit Negativitäten kann man kein Gebäude errichten; man kann nicht einmal das Negative beschreiben, ohne das Positive, nämlich die essentiellen Strukturen des Seins, vorauszusetzen. Aus diesem Grund sind meine gegenwärtigen Untersuchungen vorwiegend essentialistisch, da sie sich mit den Dimensionen und Prozessen des Lebens und des Geistes befassen, ohne jedoch den entfremdeten, fragmentarischen und zweideutigen Charakter dieser Prozesse zu vergessen.“⁵³ In seinem Beitrag Existentialanalyse und religiöse Symbole ⁵⁴ legt er näher dar, worin er den Unterschied zwischen existentialistischen und essentialistischen Analysen sieht, worauf im folgenden Abschnitt näher einzugehen ist.

a) Essential- und Existentialanalysen Die meisten philosophischen Probleme sind zwar so alt wie die Philosophie selbst. Allerdings bedeutet das nicht, dass diese Probleme auch schon früher im Zentrum der Philosophie standen. Vielmehr ist es meist so, dass zu bestimmten Zeiten alte Probleme in der Weise neu werden, dass sie von der Peripherie ins Zentrum rücken. Genau das ist nach Tillich beim Existentialismus der Fall. Denn dieser wurde nach dem Siegeszug des Cartesianismus in den Hintergrund gedrängt, und „es war die Funktion der existentialistischen Bewegung, die Bedeutung der existentiellen Fragen wieder zu entdecken und sie im Licht heutiger Erfahrungen und Einsichten neu zu formulieren“ (GW V, 223).⁵⁵ Doch bleiben, wie gesagt, existentielle Fragen immer rückgebunden an essentielle Theoreme. Wie unterscheiden sich nun aber diese beiden Aspekte voneinander? Der Unterschied zwischen existentialistischen und essentialistischen Analysen wird besonders deutlich in Bezug auf die Lehre vom Menschen. So kann man die Probleme der menschlichen Situation in rein essentiellen Begriffen behan P. Tillich, On the Boundary Line, in: The Christian Century, Dec. 7, 1960, 1435 – 1437. 1437. – Übers. von mir!  Vgl. GW V, 223 – 236; vgl. auch GW XIII, 485 f.  Mit leichter Korrektur nach MW VI, 386.

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deln. Hier geht es dann primär um die Wesensfrage: „Was ist das ‚Wesen‘ des Menschen? Was ist seine ousía?“ (GW V, 224) Tillich zufolge kann keine Philosophie dieser Frage völlig ausweichen. Die Frage nach der differentia specifica des Menschen im Unterschied zur nicht-menschlichen Natur ist in diesem Sinne ein Versuch, auf diese Wesenfrage eine Antwort zu finden. Die klassische Antwort lautet hier bekanntlich: ‚homo animal rationale‘. Der Mensch ist das vernünftige Lebewesen; wobei die lateinische Version auf die griechische zurückgeht, wonach der Mensch das Lebewesen ist, das den Logos besitzt (zoon logon echon). Eine solche klassische Begriffsbestimmung ist typisch essentialistisch. Auch der biblische Begriff der Gottebenbildlichkeit geht in diese Richtung, denn der Mensch bleibt ja trotz seiner Entfremdung von seinem essentiellen Sein immer auch Ebenbild Gottes.⁵⁶ Es kann also nicht darum gehen, die essentialistische Methode im Namen einer angeblich existentialistischen Methode abzulehnen, denn die essentialistische Bestimmung behält immer auch ihr Recht. Aber es sollte auf jeden Fall vermieden werden, die Essentialanalyse mit existentiellen Problemen zu vermengen.⁵⁷ Auch das sogenannte ‚Leib-Seele-Problem‘ gehört nach Tillich in den Bereich der essentialen Analyse, seien die Antworten nun monistischer oder dualistischer Natur.⁵⁸ Selbst die Erkenntnis, dass der Mensch – um mit Buber zu sprechen – „nur in der Begegnung mit einem anderen Selbst zu seinem eigenen Selbst kommen kann und daß das Selbst in dieser Begegnung zugleich seine Begrenzung erfährt und auf sich selbst zurückgeworfen wird“ (GW V, 225), gehört zur Essentialanalyse, denn hier kommt der Begriff der Sprache mit ins Spiel und damit der Begriff des ‚Universalen‘. Schließlich geschieht auch die Beschreibung der sittlichen Struktur des Menschen in Begriffen der Essentialanalyse (ob in formalen Kategorien wie bei Kant oder in materialen wie bei Thomas von Aquin oder Max Scheler).⁵⁹ Was versteht man aber nun unter existentialistischen Analysen? Existentialistischen Analysen geht es um „eine Beschreibung des antiessentiellen, d. h. des entfremdeten Zustandes des Menschen und seiner Welt“ (GW V, 226). Das heißt, existentialistische Analysen sind „auf die konkrete Situation des Menschen gerichtet, und ihr Ausgangspunkt ist das unmittelbare Bewußtsein des Menschen von seiner Situation“. Hier geht es somit um die Beschreibung derjenigen Elemente innerhalb der Erfahrung, „in denen der Gegensatz zwischen dem, was der

   

Vgl. GW V, 224. Vgl. a.a.O., 225. Vgl. a.a.O., 224. Vgl. ebd.

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Mensch wesenhaft ist, und dem, was er in seinem aktuellen Dasein ist, zum Ausdruck kommt“ (ebd.). Ein Beispiel hierfür ist die Erfahrung der Endlichkeit. Diese ist immer auch „meine“ Erfahrung der Endlichkeit – „im Gegensatz zu einer Endlichkeit, die ich objektiv wahrnehme“. So kann ich zwar den Tod von Menschen durch das Erdbeben auf Haiti (objektiv) erfahren, aber wenn ich – um mit Heidegger – den eigenen Tod denkend vorwegnehme oder – um mit Jaspers zu sprechen – in die Grenzsituation des Todes bewusst eintrete, so ist das noch einmal etwas ganz anderes. Handelt es sich im ersten Fall „um eine objektivierende Erfahrung“, so im zweiten um „die eigene existentielle Situation in der Angst“ (ebd.). Ein anderes Beispiel ist mit der Erfahrung der Schuld gegeben. Ich kann objektivierend über Schuld sprechen; das geschieht jeden Tag in den Gerichten. Aber wenn ich mir bewusst werde, dass Schuld bedeutet, dem zu widersprechen, was ich wesenhaft bin und sein sollte, dann sind wir im Bereich existentialistischer Begriffe.⁶⁰ Ein weiteres Beispiel, das Tillich anführt, ist die Erfahrung der Sinnlosigkeit. Auch hier kann ich objektivierend darüber sprechen, dass jemand ein sinnloses Leben führt, wobei dieser Mensch sich dessen noch nicht einmal bewusst sein muss. Wenn ich mich selbst von jedem Lebenssinn abgeschnitten fühle und die Angst dieses Zustandes fühle, geht es um etwas ganz anderes, nämlich um meine eigene Erfahrung, die ich dann in existentialistischen Begriffen zum Ausdruck bringen kann.⁶¹ Ein letztes Beispiel: ‚Endlichkeit schließt Ungesichertheit ein‘. Im biologischen, sozialen und psychologischen Sinne gibt es ‚essentielle Ungesichertheit‘ – als Korrelat zur essentiellen Gesichertheit. Gegen diese essentielle Ungesichertheit kann ich Vorsorge treffen. Existentielle Ungesichertheit ist demgegenüber etwas ganz anderes. Als Existenz erfahre ich in der Angst eine prinzipielle Ungeborgenheit; ich erfahre mich als ‚heimatlos‘ und ‚verloren‘ in der Welt. Zwar kann auch essentielle Ungesichertheit das Gefühl letzter Ungeborgenheit hervorrufen; aber selbst in einer äußerlich gesicherten Lage kann die existentielle Ungesichertheit „als plötzlicher Schock da sein“ (GW V, 229).

 Vgl. a.a.O., 226 f.  Vgl. a.a.O., 227.

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b) Konkretisierungen am Beispiel von Tillichs Ontologie Tillich ist der einzige Theologe im 20. Jahrhundert, der für sein theologisches System eine eigene Philosophie entwickelt hat, genauerhin eine Ontologie und eine Philosophie des Lebens. Auch hieran kann man verdeutlichen, dass er ein halber Existentialist und ein halber Essentialist ist. So sind seine Ausführungen zu den Dimensionen und Prozessen des Lebens und des Geistes, wie er oben selbst gesagt hat, vornehmlich essentialistisch, wobei aber auch hier deren zweideutiger Charakter nicht vergessen werden darf; und damit sind wir schon wieder im Bereich existentialistischer Analysen. Dass Tillich ein halber Existentialist und ein halber Essentialist ist, lässt sich auch gut an seiner Ontologie der Spätzeit darlegen. So ist sein ontologischer Ansatz, besonders was die verschiedenen Polaritäten anbelangt, existentialistisch ausgerichtet. Doch finden sich auch hier Anleihen bei der klassischen Metaphysik, die er allerdings immer einer gewissen Transformation unterzieht. Von daher zögere ich inzwischen etwas, seine Ontologie als eine Existentialontologie zu bezeichnen. Ohne Zweifel teilt Tillich mit dem Existentialismus ein gewisses Desinteresse an rein erkenntnistheoretischen Fragen, wie sie für die Transzendentalphilosophie seit Descartes wesentlich sind. Dahinter steht seine Überzeugung, dass weder ein objektiver Realismus noch ein subjektiver Idealismus als philosophische Grundlage geeignet ist. In seiner Systematischen Theologie begründet er dies wie folgt: „Das Selbst ohne Welt ist leer, die Welt ohne Selbst ist tot. Der subjektive Idealismus von Philosophen wie Fichte kann die Welt der Inhalte nicht erreichen, ohne daß das Ich einen irrationalen Sprung in sein Gegenteil, das Nicht-Ich, macht. Der objektive Realismus von Philosophen wie Hobbes kann die Formen der Selbstbezogenheit nicht erreichen, ohne einen irrationalen Sprung von der Bewegung der Dinge in das Ich. Descartes versuchte verzweifelt und ohne Erfolg, die leere cogitatio des reinen Ichs mit der mechanischen Bewegung toter Körper zu vereinigen. Wenn immer die Selbst-Welt-Korrelation zerschnitten ist, ist eine Wiedervereinigung unmöglich.“ (ST I, 202)⁶² Dieses Problem, so führt er in seiner Ontologie-Vorlesung von 1951 aus, hat selbst Schelling im Rahmen seiner Identitätsphilosophie nicht lösen können. Und dann heißt es: „Aus diesen Gründen glaube ich, dass wir der neueren Entwicklung der Philosophie dankbar sein müssen, wenn diese neuere Entwicklung uns Möglichkeiten gegeben hat, onto-

 Vgl. EW XVI, 23: „Es ist dem Idealismus nie gelungen, nachdem er das Objekt ausgeschaltet hat, vom Subjekt zu ihm zurückzufinden, wie es dem Realismus, Naturalismus und Materialismus nie gelungen ist, nachdem sie das Subjekt ausgeschaltet haben, vom Objekt her zurückzukehren.“

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logisch an einer Stelle anzusetzen, die jenseits der Dinge, jenseits des abstrakten Selbst liegt und zugleich lebendig und dynamisch ist, und das ist, was ich mit Selbst-Welt-Korrelation meine.“ (EW XVI, 35) Das heißt, dass wir an einer Stelle anfangen müssen, die noch eine Schicht tiefer liegt als die Subjekt-Objekt-Spaltung. Und diesen Ausgangspunkt bildet für Tillich die Selbst-Welt-Korrelation,⁶³ wobei der Begriff ‚Selbst‘ nicht auf das cartesische Cogito reduziert werden darf. Denn nach Tillich ist über das erkenntnistheoretische Cogito Descartesʼ hinaus zu fragen, ob Sein nicht mehr ist als Bewusstsein. Das „Selbst“ will er in diesem Sinne als eine „umfassende Ganzheit“ (EW XVI, 26) verstanden wissen, die in verschiedenen Abstufungen auftritt, deren höchster Grad aber ohne Zweifel erst im Menschen erreicht wird, weshalb Tillich hier den Begriff „Ich-Selbst“ (EW XVI, 28) vorzieht. Eine ähnliche Position scheint mir schon in Tillichs System der Wissenschaften von 1923 vorgeformt zu sein, wenn es hier heißt: „Die Sinnfunktion ist weder Sinngebung, wie es der Idealismus, noch Sinnerfassung, wie es der Realismus will. Weder gibt der Geist den Dingen Gesetze, noch geben die Dinge dem Geiste Gesetze. Der Idealismus hat Unrecht, weil er nicht zeigen kann, wie die Sinnfunktionen zu den Dingen kommen; der Realismus, weil er nicht zeigen kann, wie die Dinge zu den Sinnformen kommen.“ (GW I, 233)⁶⁴ Von dieser Selbst-Welt-Korrelation leitet Tillich die für sein gesamtes Denken entscheidenden drei Polaritäten ab: Individualisation und Partizipation, Dynamik und Form sowie Freiheit und Schicksal.⁶⁵ Allerdings macht Tillich auch wichtige Anleihen bei der klassischen Metaphysik, und das hinsichtlich der Analogie des Seins, des Partizipations- und Substanzbegriffs, der Lehre von den  Auch von seiner ‚Ontologie der Begegnung‘ aus, die Tillich ansatzweise schon in seiner Frankfurter Zeit im Rahmen seiner Vorlesung über Geschichtsphilosophie (vgl. EW XV, 1– 289) entwickelt hat, lässt sich dieser Neuansatz Tillichs begreiflich machen. In seinem Beitrag Participation and Knowledge. Problems of an Ontology of Cognition von 1955 führt er dazu aus: „Vor 20 Jahren habe ich versucht, eine Ontologie der Begegnung von der Annahme aus herzuleiten, dass es möglich ist, das Subjekt-Objekt-Verhältnis aus den Phänomenen abzuleiten, während es jedoch unmöglich ist, Formen der Begegnung wie Liebe oder Erkennen verständlich zu machen, wenn man entweder von der reinen Objektivität oder der reinen Subjektivität ausgeht oder wenn man mit Spinoza und Schelling von einer vorgängigen Identität ausgeht. Was vorausgeht, ist nicht die Identität, sondern die Polarität, und im aktuellen Lebensprozess ist es die Begegnung. […] Begegnung hat die Konnotation, von beiden Seiten zu kommen, sich in einer gemeinsamen Situation zu treffen, an dieser Situation dadurch zu partizipieren, dass man ein Teil davon ist. Erkennen ist eine solche Begegnung und eine solche Teilnahme an einer gemeinsamen Situation. Subjekt und Objekt begegnen sich in der Situation des Erkennens. Beide sind Teil der Situation. […] Der Mensch kann Erkenntnis haben, weil er eine Welt hat.“ (MW I, 383/GW IV, 108. – Übers. von mir!)  Vgl. auch GW I, 307.  Vgl. EW XVI, 48 – 87; ST I, 206 – 218.

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Transzendentalien sowie der aristotelischen Unterscheidung zwischen Akt und Potenz (im Rahmen seiner Lebensphilosophie). Allerdings übernimmt er diese Theoreme nicht unkritisch, sondern transformiert sie auf seine ganz eigene Weise. So führt die Lehre der Analogie für Tillich nicht zu einer ‚natürlichen Theologie‘ im Sinne der klassischen Metaphysik, sondern garantiert nur, dass den religiösen Symbolen in Bezug auf Gott ein objektiver Erkenntniswert zukommt. Den Begriff der Partizipation versteht er als polaren Begriff zu demjenigen der Individualisation, womit dieser ‚dynamisiert‘ wird. Den Substanzbegriff hält Tillich – z. B. gegenüber Jaspers – ontologisch für unentbehrlich, deutet diesen aber nicht mit Aristoteles statisch, sondern dynamisch. Und an die Transzendentalienlehre knüpft er mit seinem Begriff der Mächtigkeit an, indem er diesen Begriff als konvertibel mit dem Seinsbegriff ansieht, was zu interessanten sozialethischen und politischen Folgerungen führt.

Fazit Die Bedeutung des Existentialismus für das (theologische) Denken Tillichs sollte man ernst nehmen. Tillich selbst hat gesagt, dass dieser für die Theologie ein „Glücksfall“ (ST II, 33) sei. In seinen Vorlesungen über Irrelevance and relevance of the Christian message, die er 1963 an der Pacific School of Religion gehalten hat, sagt er sogar, dass der Existentialismus „der Umweg (way around) [sei], den (wie so oft zuvor) die Geschichte oder, wenn Sie so wollen, die göttliche Vorsehung uns geschenkt hat, um das Christentum wieder relevant zu machen“.⁶⁶ Der Verweis auf die göttliche Vorsehung ist natürlich eine Metapher. Mit diesem Bild will Tillich aber ohne Zweifel die Bedeutung des Existentialismus – nicht nur für sein eigenes Denken – unterstreichen. Wenn man heute in der Philosophie eine starke Tendenz beobachten kann, diese auf ‚Analytische Philosophie‘ zu reduzieren – was im deutschsprachigen Raum ganz besonders auch innerhalb theologischer Fakultäten zu beobachten ist –, dann kann sie zwar ‚Wissenschaftlichkeit‘ beanspruchen (ähnlich der Reduktion der Philosophie auf Philosophiegeschichtsschreibung), verfehlt aber damit, worauf Tillich immer wieder aufmerksam gemacht hat, ihre eigentliche Aufgabe. Philosophie hat es nämlich wesentlich mit dem Leben zu tun und sollte keine intellektuelle Spielerei sein. Rollo May, Schüler und Freund Tillichs, erklärt in seiner Tillich-Biographie, dass die Studierenden seinerzeit bei Tillich das erste

 P. Tillich, The Irrelevance and Relevance of the Christian Message, ed. by Durwood Foster, Cleveland, Ohio 1996, 39 f.

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Mal „lebendige Wahrheiten (vital truths)“ gehört hätten – und das war es, was sie so an Tillich faszinierte!⁶⁷ Von daher wird auch ein Wort Mays aus einem Vortrag mit dem Titel The human dilemma verständlich, das prima facie vielleicht etwas überzeichnet erscheinen mag, aber wohl doch ein Quäntchen Wahrheit enthält, besonders mit Blick auf die US-amerikanische Situation, wenn er hier sagt, dass Tillich „der letzte Philosoph dieses Landes“, d .h. der USA, gewesen sei.⁶⁸ Die Existenzphilosophie betont zu Recht, dass es zwischen Philosophie und Einzelwissenschaften einen entscheidenden Unterschied gibt. Wenn dieser nivelliert wird und es zu Formen einer sogenannten ‚wissenschaftlichen Philosophie‘ kommt, wie das bei bestimmten Ausprägungen der Transzendentalphilosophie, der Phänomenologie oder auch der Analytischen Philosophie der Fall ist, dann handelt es sich um ein Selbstmissverständnis der Philosophie. Von Emil M. Cioran, dem bekannten rumänisch-französischen Dichterphilosophen und größten Aphoristiker nach Nietzsche, stammen die folgenden Sätze: „Die Philosophen haben begonnen, mir gleichgültig zu sein, als ich inne geworden bin, daß man nur in einer psychischen Gleichgültigkeit zu philosophieren vermag, in einer unzulässigen Unabhängigkeit von jedem Gemütszustand. Psychische Neutralität ist wesentlicher Charakter des Philosophen. Kant ist niemals traurig gewesen. Ich kann die Menschen nicht lieben, welche den Gedanken nicht Reue beimischen. Die Philosophen haben wie die Ideen kein Schicksal. Wie bequem es doch ist, Philosoph zu sein!“⁶⁹ Tillich hat demgegenüber schon in seiner Frankfurter Antrittsvorlesung von 1929 mit dem bezeichnenden Titel Philosophie und Schicksal ⁷⁰ davon gesprochen, dass die Philosophie im Schicksal stehe. Einem solchen Philosophieverständnis hätte sich sicherlich auch Cioran anschließen können, ist doch der späte Tillich als Philosoph auch alles andere als ‚bequem‘.

   

R. May, Paulus. Tillich as Spiritual Teacher, Dallas 1988, 116. Vgl. https://www.youtube.com/watch?v=HH-9XkjqYHY [21.10. 2021]. E. M. Cioran, Werke. Aus dem Französischen von F. Leopold u. a., Frankfurt a. M. 2008, 292. Vgl. GW IV, 23 – 35.

Teil II: Problemgeschichtliche Kontexte

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Paul Tillich im Lerngespräch mit der klassischen Metaphysik Dargestellt am Beispiel der Partizipation

1 Zur ontologischen Wende im Spätwerk Tillichs In einem hintergründigen Gedicht beschreibt Bertolt Brecht die bestürzte Reaktion, die der Schriftsteller Alfred Döblin bei Freunden und Weggefährten auslöst, als er seine Konversion zur katholischen Kirche bekannt gibt. Als „peinlicher Vorfall“ ist diese überraschende Mitteilung in die Literaturgeschichte eingegangen.¹ Tillich hat vor und während seiner Emigration einige philosophische Positionswechsel vollzogen, die in seiner Umgebung auf ähnliches Unverständnis stießen. Vor allem die Tatsache, dass er im Rahmen seiner Systematischen Theologie, aber auch in anderen Schlüsselwerken wie in The Courage to Be oder Love, Power and Justice sein Denken ontologisch fundiert sehen wollte, hat in der Tillich-Forschung unterschiedliche Resonanzen ausgelöst. Insbesondere in der gegenwärtigen deutschen Tillich-Rezeption ist die kritische Beurteilung dieses Ansatzes oftmals gepaart mit Interpretationsansätzen, die darauf abzielen, aus Tillichs Existentialontologie gewissermaßen eine Ontologie in Anführungszeichen zu machen. So macht Peter Haigis darauf aufmerksam, dass der „gesellschaftliche und politische Kontext zu Anfang der Fünfziger Jahre in den USA und in Europa“ in Rechnung gestellt werden müsse, um Tillichs Anliegen einer ontologischen „Grundlagenarbeit“ zu würdigen.² Auch ältere Arbeiten monieren die Prävalenz der Ontologie im Denken des späten Tillich. Für Carl-Heinz Ratschow ist diese sogar eine Grundkonstante im gesamten Systementwurf des Philosophen und Theologen, die er auch „Theoontologie“ nennt.³ Der TillichInterpret steht vor einem Rätsel: „Die Tatsache […], daß Tillich seine Ontologie  B. Brecht, Peinlicher Vorfall, in: ders., Gesammelte Werke, Bd. 10, Frankfurt a. M. 1967, 861 f.; vgl. dazu H. Joas, Braucht der Mensch Religion?, in: ders., Braucht der Mensch Religion? Über Erfahrungen der Selbsttranszendenz, Freiburg i. Br. 2004, 12– 31, hier: 12 f.  P. Haigis, Diesseits des Seins.Wie die Ontologie den Blick auf sozialethische Debatten verstellen kann, in: C. Danz / M. Dumas / W. Schüßler/ M. A. Stenger/ E. Sturm (Hg.), Justice, Power, and Love, Berlin/Boston 2014, 1– 26, hier: 1. – Herv. von mir!  Vgl. C. H. Ratschow, Paul Tillich. Ein biographisches Bild seiner Gedanken, in: M. Baumotte (Hrsg.), Tillich-Auswahl, Bd. 1: Das Neue Sein, Gütersloh 1980, 35, Anm. 32. https://doi.org/10.1515/9783110767728-007

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eigentlich erst in Amerika grundsätzlich auszubauen suchte, wird man ja auch kaum auf amerikanisches Konto schreiben dürfen. Dieses merkwürdige Phänomen, daß Tillich in dieser philosophischen Umgebung ausgerechnet eine Ontologie ausbaut, ist das zentrale Problem dieser letzten beiden Perioden seines Denkens.“⁴ Mit dem Erklärungsmodell, das Ratschow anbietet, macht er sich zum Fürsprecher einer Simplifikationshypothese, die dem ,amerikanischen‘ Tillich eine Komplexitätsreduzierung seines eigenen Denkens unterstellt: „Durch den gelinden Zwang der englischen Sprache wurde manches an seinen Begriffen wie in seinem Satzbau anders und zwar klarer.“⁵ Das hatte Konsequenzen für Tillichs gesamtes systematisches Denken: „Aber seine Grundkonzeption verschob sich gewissermaßen auch. Ihre Struktur vereinfachte sich in Richtung auf eine Ontologie.“⁶ Doch zeigen sich auch neuere Tillich-Studien gegenüber den ontologischen Anteilen des Spätwerks reserviert. Nach Danz ist Tillichs Ontologie damit nicht nur „der transzendentalphilosophischen Rekonstruktion fähig, sondern auch bedürftig“.⁷ Auch Dienstbeck will die Tillich-Forschung durch seinen dezidiert transzendentaltheoretisch orientierten Interpretationsansatz vor Fehlinterpretationen bewahren.⁸ Zu den gravierendsten Missverständnissen gehört es offenbar, Tillichs Ontologie in die Nähe einer klassischen, antik-mittelalterlichen Position zu rücken. Denn nach Tillich – das ist für Dienstbeck offenbar evident – „hat es Ontologie nicht mit dem Seienden als solchen zu tun.“⁹ Der Fragehorizont der ,alten‘ Metaphysik eines Aristoteles oder eines Thomas von Aquin wurde von Tillich demnach ein für alle Mal verlassen: „Eine theologia naturalis und damit verbunden eine analogia entis im klassischen Verständnis des Begriffs strebt Tillich nicht an. Dies geht schon daraus hervor, dass die Struktur des Seins – ob

 A.a.O., 77.  A.a.O., 72.  Ebd.  C. Danz, Religion als Freiheitsbewußtsein. Eine Studie zur Theologie als Theorie der Konstitutionsbedingungen individueller Subjektivität bei Paul Tillich, Berlin/New York 2000, 4. – Inzwischen ist Danz zu einer stärkeren werkgeschichtlichen Würdigung der Ontologie des späten Tillich übergegangen, wie er mit Blick auf Love, Power, and Justice ausführt; vgl. ders., „Sein […] ist die Macht zu sein.“ Beobachtungen zu Paul Tillichs ontologischem Begriff der Macht, in: Ders. / M. Dumas / W. Schüßler/ M. A. Stenger/ E. Sturm (Hg.), Justice, Power, and Love (s. Anm. 2), hier 29: „Während sich die Auseinandersetzung mit dem Machtbegriff durch sein gesamtes Werk hindurchzieht, liegt eine Eigentümlichkeit seiner späteren diesbezüglichen Überlegungen in einer explizit ontologischen Fassung des Begriffs.“  Vgl. S. Dienstbeck, Transzendentale Strukturtheorie. Stadien der Systembildung Paul Tillichs, Göttingen 2011.  A.a.O., 374.

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nun des Seienden oder des Seins selbst – nicht Gegenstand der Erkenntnis ist oder werden kann, sondern präsent wird ausschließlich in der Erfahrung.“¹⁰ Dass die von Tillich selbst so genannte „konstruktive Ontologie“ (EW XIV, 1) einer transzendentalphilosophischen Deutung offensteht und damit auch die Kontinuitätslinien zwischen der späten amerikanischen und den früheren deutschen Entwicklungsstadien kenntlich gemacht werden können, soll hier nicht in Abrede gestellt werden. Zu fragen ist allerdings, ob Tillich selbst das ausschließlich in diesem Sinne verstanden wissen wollte. Betrachtet man die Hinwendung des amerikanischen Tillich zur klassischen Metaphysik bzw. zur Ontologie in einem werkgeschichtlichen Horizont, so ergibt sich eine andere Perspektive, die ich hier nur skizzenhaft umreißen kann: Tillichs Aufgreifen der Seinsfrage, die ontologische Fundierung seines Denkens und seine damit zusammenhängende Reformulierung metaphysischer Theoreme liegen in der Konsequenz seines Denkens, das sich schon in den deutschen Jahren durch eine Anschlussfähigkeit an die philosophische Anthropologie, die moderne Existenzphilosophie, aber auch an eine neue Art von Realismus ausgezeichnet hat. Für seine Frankfurter Zeit lässt sich eine anthropologische und existenzphilosophische Wende nachweisen, wie Schüßler kürzlich gezeigt hat.¹¹ Auf dieser entwicklungsgeschichtlichen Linie bewegen sich auch die Deutungen von Fritz.¹² Mein eigener Interpretationsvorschlag nimmt diesen Ansatz einer anthropologischen und existenzphilosophischen Wende im Denken Tillichs auf und betrachtet diese als die entscheidende Hintergrundfolie für die ontologische Wende der amerikanischen Jahre.

 A.a.O., 375.  Schüßler hat in den letzten Jahren in verschiedenen seiner Veröffentlichungen hierauf aufmerksam gemacht: Vgl. W. Schüßler, Abkehr von der Bewusstseinsphilosophie. Zur Kulturtheologie des späten Tillich, in: C. Danz / W. Schüßler (Hg.), Paul Tillichs Theologie der Kultur. Aspekte – Probleme – Perspektiven, Berlin/Boston 2011, 152– 168; ders., Tillichs „existentialistic turn“. Seine Wende von der Transzendentalphilosophie zur Existenzphilosophie in der Zeit des Übergangs von Deutschland in die USA, in: C. Danz / W. Schüßler (Hg.), Paul Tillich im Exil, Berlin/Boston 2017, 323 – 345; ders., Der Mensch und die Philosophie. Zur existenzphilosophischen und anthropologischen Wende Paul Tillichs in seiner Frankfurter Zeit, in: G. Schreiber/ H. Schulz (Hg.), Kritische Theologie. Paul Tillich in Frankfurt (1929 – 1933), Berlin/Boston 2015, 215 – 249.  Vgl. M. Fritz, ‚The doctrine of man as the present approach to theology‘. Tillichs Anthropologie im Übergang von Deutschland in die USA, in: C. Danz / W. Schüßler (Hg.), Paul Tillich im Exil (s. Anm. 11), 287– 321.

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2 Tillichs Verhältnis zur klassischen Metaphysik Tillichs ,Existentialontologie‘ gehört neben Heideggers ,Fundamentalontologie‘ und der von Jaspers entwickelten ,Periechontologie‘ zu den seinsphilosophischen Entwürfen des 20. Jahrhunderts, die einerseits eine konstruktive Antwort auf die Selbst- und Weltentfremdung des modernen Subjektes geben wollen und dabei andererseits durch das Feuer der Metaphysikkritik Kants und Nietzsches hindurchgegangen sind.¹³ Das wird beispielsweise an Jaspers deutlich, der vor dem Hintergrund dieser Kritik als Vertreter der modernen Philosophie die „Unmöglichkeit der Ontologie für uns“ postuliert.¹⁴ Während Jaspers für den Terminus Metaphysik optiert und das Projekt einer Ontologie für obsolet erklärt, macht sich Tillich in seinen Berliner Vorlesungen von 1951 zum Anwalt einer „konstruktiven Ontologie“ (EW XVI, 1). Diese aber hat sich nach seiner Auffassung zuvor gegen Nietzsche als post-metaphysischer Entwurf zu behaupten. Sein Auditorium bezieht er in seine begriffsgeschichtlichen Überlegungen ein: An sich wissen Sie ja alle, dass ‚Metaphysik‘ die Bücher von Aristoteles sind in der Sammlung seiner Schriften nach den Büchern über Physik. Daher ist das Wort unendlich harmlos, aber leider hat die Silbe ‚meta‘, die mit ‚nach‘ übersetzt werden kann und mit ‚dahinter‘, eine Nebenbedeutung, die das ganze Unheil hervorgerufen hat. (EW XVI, 4)¹⁵

Diese ,Nebenbedeutung‘ aber hat nach Tillichs Beobachtung zu fundamentalen Fehldeutungen der Metaphysik geführt, und zwar bei Vertretern wie Gegnern dieser Denkrichtung gleichermaßen: „Man hat nämlich Metaphysik mit der Statuierung einer Hinterwelt identifiziert, einfach mit ‚Supranaturalismus‘ übersetzt und also auf diese Weise das ‚meta‘ aufgefasst als die Konstruktion einer Welt, die sich der Erfahrung entzieht und die jenseits der erfahrungsgegebenen Welt liegt.“¹⁶ Positiv ist damit der Anspruch an eine mehrdimensionale Wirklichkeitsdeutung umrissen, die weder in die Fänge des Naturalismus noch des Supranatura-

 Tillich sieht einen Neuaufbruch metaphysischen Denkens in der Phänomenologie der späten zwanziger Jahre, der die moderne Philosophie durch die „neuen ontologischen Fragestellungen“ (GW X, 31) sensibilisiert habe; vgl. ebd: „Trotz aller kritischen Gegenwehr konnten diese Fragen nicht mehr zum Schweigen gebracht werden.“ – Vgl. auch seine Prognose einer „Wiedergeburt der Metaphysik“ in: GW VII, 38.  Vgl. K. Jaspers, Philosophie, Bd. III: Metaphysik, München 51991, 160 f.  Vgl. GW V, 113.  K. Kremer, Gott und Welt in der klassischen Metaphysik. Vom Sein der „Dinge“ in Gott, Stuttgart 1969, 102.

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lismus gerät und dabei zugleich noch etwas anderes sein will als eine transzendentale Weltauslegung des Subjektes oder gar eine rein subjektive Sinngebung.¹⁷ Tillich will ähnlich wie Jaspers oder auf seine Weise auch Heidegger zum „ursprünglichen Sinn von Metaphysik“ (ST I, 28) zurückkehren. Er fällt seinem Selbstverständnis nach weder hinter Nietzsche noch hinter Kant zurück, wenn er die Philosophie mit Ontologie „identifiziert“, „weil immer und unter allen Umständen Sein der erste und fundamentalste Begriff ist“ (EW XVI, 4). Tillich will nach eigenem Bekunden mit seinem Konzept einer konstruktiven Ontologie dazu beitragen, „etwas ganz anderes zu sehen“, als Nietzsche dies vermochte.¹⁸ Er kontrastiert seine eigene Terminologie mit der Metaphysikkritik Nietzsches, um auf diese Weise die systematischen Vorzüge seines ontologisch fundierten Existenzdenkens zu veranschaulichen. So weist er darauf hin, dass das ,Unbedingte‘, also das, ,was uns unbedingt angeht‘, die ,Dimension der Tiefe‘ meint und nicht etwa eine ,Nebenwelt oder Hinterwelt‘, ,eine Welt neben der Welt‘. Ein Existenzdenken, das durch die Schule Nietzsches gegangen ist, und dennoch weiterhin seinsphilosophisch orientiert ist, muss Wirklichkeitswissenschaft sein. Sie kann zugleich nicht von den transzendentalen Erfahrungsbedingungen absehen, die eine Begegnung mit der Wirklichkeit erst möglich machen. Durch den transzendentalen Erfahrungshorizont ist jede Deutung der Wirklichkeit in epistemischer Hinsicht vorstrukturiert. Zugleich meint dies für Tillich mehr als die transzendentalphilosophische Vorgabe bestimmter Erfahrungsmuster, die dem menschlichen Erkennen apriori inhärent sind. Das Erkennen ist also auf die Seinsmächtigkeit der Dinge bezogen, wie man mit Tillichs nietzscheanisch motivierter Machtanalyse sagen könnte. Ich werde darauf zurückkommen.Von daher legt es sich nahe, in Tillichs Existentialontologie doch etwas anderes zu sehen als eine „Transzendentaltheorie“.¹⁹ In der Systematischen Theologie legt er die folgende, an Nietzsches Metaphysikkritik geschulte Definition vor: „Die Ontologie ist kein spekulativer oder phantastischer Versuch, eine Welt hinter der Welt aufzubauen; sie ist die Analyse jener Strukturen des Seins, die wir in jeder Begegnung  Dass die gesamte Chorismos-Problematik durch die Unterscheidung zwischen einem lokalen und einem modalen Verständnis gegen den Vorwurf des ,Hinterwelt‘-Konzeptes verteidigt werden könnte, zieht Tillich offenbar nicht explizit in Betracht. – Vgl. dazu die diesbezügliche Kritik bei K. Kremer, Gott und Welt (s. Anm. 16) 100 f.  Dass Tillich bewusst über Nietzsche hinausgehen wollte, verdeutlicht auch sein Buch Love, Power, and Justice; vgl. dazu D. F. Breisbach, Will to Power, vs. Agape, in: C. Danz / W. Schüßler/ E. Sturm (Hg.), Tillich und Nietzsche, Wien/Berlin 2008, 5159. – Zu den Aufgaben einer postmetaphysischen Ontologie gehört nach Tillich das „Auffinden der konstitutiven Prinzipien des SeinsSelbst“ (GW V, 142).  Vgl. S. Dienstbeck. Transzendentale Strukturtheorie (s. Anm. 8), 370: „Kurz gesagt: Tillich versteht unter Ontologie eine Transzendentaltheorie.“

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mit der Wirklichkeit vorfinden.“ (ST I, 28 f.) Von daher dürfte sich Tillichs Alternativvorschlag plausibel machen lassen, dass es „vielleicht weniger mißverständlich [ist], wenn man von Ontologie statt von Metaphysik spricht“ (ebd.). Ein Schlüsselterminus dieses begegnenden Denkens ist der Partizipationsbegriff, der nach Tillich nicht auf eine Hinterwelt oder eine ideale Sphäre verweist. Mit seiner Hilfe soll vielmehr die Weltverbundenheit des erkennenden Subjektes analysiert werden. Diese Fragerichtung wird von ihm schon vor dem Exil, spätestens aber in seinen amerikanischen, also den fünfziger und sechziger Jahren existenzphilosophisch zugespitzt. In dieser Phase erreicht auch der Begriff der Partizipation den schon angedeuteten prominenten systematischen Status. Gemeinsam mit der Individualisation bildet der Terminus eines von drei bipolaren Begriffspaaren, die er auch die „ontologischen Elemente“ nennt und die zu den Schlüsselbegriffen seiner gesamten Ontologie gehören.²⁰ In seinen Berliner Vorlesungen von 1951 bemerkt der Philosoph dazu: „Dieser Begriff ‚Partizipation‘ scheint mir in einer besonderen Weise im Zentrum der Ontologie zu stehen.“ (EW XVI, 5) Die Partizipation ist dabei nicht nur ein Schlüsselterminus in Tillichs philosophischtheologischem Entwurf. Er betrachtet dieses Theorem als grundlegend für das menschliche Selbst- und Weltverständnis überhaupt und entwickelt eine eigenständige Philosophie der Partizipation. Bei der kritischen Würdigung seiner Beziehung zur klassischen Metaphysik ist entscheidend, dass Tillich als Partizipationstheoretiker antike und mittelalterliche Vorgaben zwar aufnimmt, aber zugleich über sie hinausdenkt. In seinem Reformulierungsprojekt vertritt er eine anthropologisch bzw. existenzphilosophisch gewendete Ontologie. In Anlehnung an Hermann Deuser, der Tillichs Philosophie als „Existenz-Ontologie“ deutet,²¹ schlage ich im Folgenden den Begriff Existentialontologie vor.

3 Platonische Spiegelungen im Partizipationskonzept Tillichs Zu den Grundproblemen der Moderne gehört für Tillich das Stehen des Menschen zwischen den Extremen des Individualismus und des Kollektivismus, der totalen Vereinsamung einerseits und der Vermassung andererseits. Demgegenüber versteht sich seine Theorie der Partizipation als Lösungsvorschlag in einer prekären

 Vgl. ST I, 206 – 218.  H. Deuser, Gottes Poesie oder Anschauung des Unbedingten? Semiotische Religionstheorie bei C. S. Peirce und P. Tillich, in: C. Danz / W. Schüßler/ E. Sturm (Hg.), Das Symbol als Sprache der Religion, Wien/Berlin 2007, 117– 134, hier: 118 – 120.

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Kultursituation. Sein Rückgriff auf den Schlüsselterminus Platons ist somit nicht restaurativ, sondern innovativ motiviert. Die Konturen seiner Philosophie der Partizipation lassen sich mit Tillichs eigenen Worten so umreißen: „Dieser Begriff der Teilhabe, der bei Plato vorkommt, wenn er über das Verhältnis der Ideen zu den Einzeldingen spricht, scheint mir einer der Begriffe zu sein, mit deren Hilfe wir dem Nominalismus entgehen, der unser aller Erbe ist und zur Folge hat, daß der Erkenntnisakt, der Akt der Gemeinschaft, der Liebesakt unverständlich werden. Deshalb ist es überaus wichtig, den Begriff der Teilhabe wieder zu betonen.“ (GW VIII, 229) Auch wenn Tillich nicht als Philosophiehistoriker zu betrachten ist, sind seine philosophiegeschichtlichen Einordnungen nicht selten aufschlussreich und anregend. Dies gilt für seine Platon-Deutung ebenso wie für seine Theorie der Existenzphilosophie. Nach seiner Auffassung finden sich gewisse ,existentialistische Elemente‘ nicht erst im 19. Jahrhundert bei Kierkegaard, Schelling oder Nietzsche, sondern bereits in der Antike bei Heraklit, Sokrates, Platon oder Augustinus. Ihnen stehen die antiken Denker mit einer ,essentialistischen‘ Ausrichtung gegenüber, zu denen nach Tillich Anaxagoras, Demokrit, Aristoteles und die Schule Epikurs gehören. Mit Blick auf das existenzphilosophische Denken der europäischen Tradition unterscheidet Tillich insgesamt drei Perioden: Den Existentialismus als vormodernen „Gesichtspunkt“, als neuzeitlich-modernen „Protest“ und als „Ausdruck“ einer modernen Denkströmung im 20. Jahrhundert.²² Seine Relecture der platonischen Philosophie ist somit existenzphilosophisch interessiert. In der Seinserfahrung Platons ist nach Tillich ein Aspekt enthalten, der den besagten „existentialistischen Gesichtspunkt“ plausibel macht: „Für das erste kann man weit in die Geschichte zurückgehen, und man muss, wenn immer man über Existentialismus spricht, zu Plato zurückgehen, weil Platos Scheidung der Welt der Wesenheiten, der Welt der Essenzen, die er ‚eidos‘ nannte, und der Welt der Realität der Hintergrund alles existentiellen Denkens ist.“ (EW XVI, 180) So erweist sich die platonische Philosophie als ein existenzphilosophisch sensibilisiertes Denken, das in seiner Ausrichtung an den ewigen Ideen immer gleichzeitig ein metaphysisches Deutungsangebot für die Brüchigkeit des Daseins bereithält. Letztere war Platon in den Gefährdungen der athenischen Demokratie und im Schicksal seines zum Tode verurteilten Lehrers Sokrates auf eindringliche Weise begegnet.

 Vgl. dazu W. Schüßler, Einleitung, in: P.Wust, Der Mensch und die Philosophie. Einführung in die Hauptfragen der Existenzphilosophie. Neu herausgegeben und mit einer Einleitung und Anmerkungen versehen von Werner Schüßler, Berlin 2014, 7– 18, hier: 12– 17.

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Die platonischen Grundbegriffe haben über die ontologische Dimension hinaus einen realgeschichtlichen Entstehungshintergrund, mit dem sich Tillich beschäftigt. Speziell in seinen Frankfurter Jahren interessiert sich Tillich für die hinter den ontologischen Fragen stehende „Lebenserschütterung und Fragenotwendigkeit“ (EW XVIII, 510). Tillich erläutert dies an zwei zentralen Begriffen der griechisch-antiken Philosophie, an der ἀρχή und dem für unseren Zusammenhang zentralen Begriff der Teilhabe. Dabei kommt der Begriff der Teilhabe als politische Mitbestimmung ins Spiel. Tillich hat das Wahlrecht mit seinen abgestuften Teilhabeoptionen vor Augen, wenn er die athenische Demokratie als eine „Mischung von denen, die weiter unten sind bis hin zu denen, die nur am Menschen-Sein schließlich am Sein überhaupt Teil haben“ (ebd.), charakterisiert. Will man nach Tillich also die Grundbegriffe der antiken Metaphysik nachvollziehen, so sind sie zunächst als Antwort auf einen historischen Fragekontext aufzufassen. Der „Zerfall der Aristokratie in dem Kampf um Demokratie und Tyrannis“ (ebd.) bedarf einer ideengeschichtlichen Würdigung; denn für Tillich ist dies der historisch-soziologische Entstehungshintergrund der antiken Metaphysik, „die Grundlage für das Verständnis der ganzen griechischen Philosophie“ (EW XVIII, 511). So gesehen könnte man Platons Ideenlehre als eine Antwort auf die Frage nach dem Bleibenden, Beständigen und Maßgebenden betrachten angesichts der immer wieder in die Krise geratenden athenischen Demokratie. Vor dem Hintergrund dieser Folie wird Tillichs Definition der Existenzphilosophie verständlich, die auf der Unterscheidung zwischen existentia und essentia basiert: „Unter Existenzialismus verstehe ich eine Philosophie, die auf die Existenz der Dinge, sofern sie im Widerspruch zu ihrem Wesen stehen, platonisch und christlich gesprochen, auf die Dinge in ihrem Abfall von sich selbst, gerichtet ist. Existentiale Elemente finden sich, wie bei Plato, in den meisten Essentialphilosophien.“²³ Der von Tillich hier programmatisch angedeutete Zusammenhang berührt eine Grundfrage der platonischen Seinsphilosophie, die mit dem Begriff der Partizipation eng verbunden ist. Von Platon selbst gibt es keine geschlossene Abhandlung, die dem Schlüsselbegriff in allen Einzelheiten nachgeht. Es handelt sich hierbei um einen Terminus, den er im Laufe seines Denkens entwickelt und damit auch verändert hat. Von daher empfehlen sich zur genaueren philosophiegeschichtlichen Einordnung der platonischen Vorgaben einige grundsätzliche Beobachtungen: In den platonischen Schriften erscheint die ,Methexis‘ zu Schelling und die Anfänge des existentialistischen Protestes (1955), in: GW IV, 133 – 144, hier: 134 f. – Mit dem Terminus ,Existentialismus‘ ist an dieser Stelle das Existenzdenken im weiteren Sinne, nicht etwa der französische Existentialismus eines Jean-Paul Sartre gemeint. Insbesondere von dessen atheistischen Prämissen und der Breitenwirkung dieser Richtung als ,Modephilosophie‘ grenzt sich Tillich durchaus kritisch ab.

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nächst als Verb (metechein). In etymologischer Hinsicht ist die Verbform wiederum auf das Grundverb ,echein‘ (= haben, halten) zurückzuführen. Zwar bringt rein sprachlich wie systematisch ,das präverbale meta‘ ein entscheidendes ,Moment der Gemeinsamkeit‘ ins Wort.²⁴ Doch ist dies für Platon offenbar in abgestufter Weise zu verstehen. Die entscheidende Differenz stellt sich so dar: Dasjenige, was partizipiert, besitzt nach dieser Auffassung einen seinsschwächeren Modus als das, woran es partizipiert. Im Horizont der Ideenlehre ausgedrückt: Die Einzeldinge stehen den Ideen in einer deutlichen ontologischen Defizienz gegenüber. Das ist für unser heutiges Empfinden zunächst befremdlich, weil wir den ,realen‘ Tisch, der vor uns steht, ja für wirklicher halten, als die ,Idee‘ des Tisches. Die Philosophie der Partizipation, wie sie etwa von Platon entwickelt wurde, ist eine mehrdimensionale Betrachtung der Wirklichkeit. Ein Tisch besteht für Platon nicht nur aus Holz, sondern in ihm ist eine Idee verwirklicht, die vom Tischler umgesetzt wurde. Der konkrete Tisch ist für Platon nicht nur die handwerkliche Umsetzung einer Skizze. Er hat auf eine bestimmte Weise teil an der geistigen Wirklichkeit dieser Idee. Für Platon und viele Metaphysiker dieser Tradition stehen die einzelnen Dinge in einem größeren geistigen Zusammenhang. Die Philosophie der Partizipation fragt danach, ob die Einzelphänomene, die uns in der Wirklichkeit begegnen, nur empirische Tatsachen sind, oder ob sich mehr ,dahinter‘ verbirgt. Und wie genau ist dieses ,dahinter‘ zu verstehen? Gibt es eine Wirklichkeit hinter der empirischen Wirklichkeit, und lässt sich auf dieser Grundlage erkennen, was die Einzelphänomene verbindet? Dass wir Schreibtische, Esstische, Operationstische und auch Altäre unter dem Begriff ,Tisch‘ versammeln – ist das eine Zuschreibung, die wir uns ausdenken? Oder gibt es zwischen den einzelnen Typen von Tischen so etwas wie eine ,Idee‘ des Tisches, die alle Einzeltische verbindet? Für Platon handelt es sich hierbei nicht um einen nur gedachten Allgemeinbegriff. Alle Wirklichkeit, der wir in der sinnlich erfahrbaren Welt begegnen, ist für ihn eine Wirklichkeit zweiter Ordnung. Die Idee, das Urbild, ist für ihn seinsmächtiger als das Abbild. Denn es ist die Idee, die aller Wirklichkeit zugrunde liegt. Völlig abwegig wäre es für Platon, die Idee in den Bereich der Fantasie oder der lebensfernen Theorie einzuordnen. Es ist geradezu umgekehrt: Die Dinge wie z. B. ein Baum sind wirklich, weil sie Abbilder eines Urbildes sind. Hier kommt ein Vorrang des Geistigen, Ideellen vor dem Materiellen zum Tragen.

 Das klingt auch im lateinischen Äquivalent an. Der Begriff Partizipation zeigt an, dass die Partizipierenden dasjenige, woran sie partizipieren gemeinsam ,haben‘.

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Gegen diese Konzeption sind schon zu Lebzeiten Platons massive Einwände erhoben worden, nicht zuletzt von seinem Schüler Aristoteles. Was diesen an der Teilhabe-Lehre vor allem irritierte, war die von ihm beanstandete Tendenz, die konkrete, sinnenfällige Lebenswirklichkeit der realen Welt zu einer abgeleiteten und schattenhaften Wirklichkeitsform herabzustufen. Im Hintergrund dieser Kritik steht die sogenannte Chorismos-Problematik, die an dieser Stelle nicht weiter ausgeleuchtet werden soll.²⁵ Die Aporien dieses ontologischen Konzeptes, das die Sinnenwelt, den kosmos aisthetos, von der Ideenwelt, dem kosmos noetos, durch eine scharfe ontologische Kluft, den chorismos, getrennt sieht, wurden nicht nur von Aristoteles moniert. Wichtig daran ist für den hier interessierenden Kontext die wirkungsgeschichtliche Fortsetzung dieser Kritik bei Nietzsche, der den Platonikern und der Metaphysik insgesamt die Konstruktion einer ,Hinterwelt‘ zum Vorwurf machte.²⁶ Ob Nietzsche damit die eigentliche Pointe der platonischen Philosophie erfasst hat, kann bezweifelt werden. Der Nietzsche-Leser Tillich hat die fundamentale Metaphysik-Kritik, wie sie ihm in der Lektüre des Zarathustra entgegenkam, jedenfalls beherzigt: Dass er den Terminus ,Ontologie‘ gegenüber dem aus seiner Sicht belasteten Begriff der ,Metaphysik‘ bevorzugt,²⁷ ist diesem Hinterwelt-Verdacht Nietzsches geschuldet.²⁸ Somit ist es nur konsequent, dass Tillich bei seiner Reformulierung der Partizipationslehre eigene Wege geht, dabei antike und neuzeitliche Impulse adaptiert und zu einer innovativen, eigenständigen Synthese führt. Schon seine eigene Wortwahl signalisiert die kritische Distanz gegenüber dem „altplatonischen Gebrauch von ‚metechein‘: Alles, was existiert, jeder von uns und jedes Ding nimmt teil an den Wesenheiten, zu denen wir gehören, dem Wesen Mensch, dem Wesen Frau, dem Wesen Lebewesen“ (EW XVI, 56)²⁹. Tillichs eigene Arbeitsdefinition

 Vgl. K. Kremer, Gott und Welt (s. Anm. 16), 28: „In Wirklichkeit hat Platon mit seinem παρά gar keine räumliche Trennung lehren wollen: Nicht an eine lokale, sondern an eine modale, nicht [sc. An] eine quantitative, sondern an eine qualitative Trennung denkt er, richtiger: überhaupt nicht an eine Trennung, sondern an eine modal-qualitative Unterscheidung – das Wort Trennung beinhaltet nämlich durchweg die räumliche Entfernung.“  Tillich nimmt dabei Hegels Kritik an „jeder Zweiweltentheorie“ (EW XVIII, 570) auf.  Zur Erläuterung seiner Vorbehalte gegenüber dem Begriff ,Metaphysik‘ vgl. EW XVI, 4; GW V, 113.  Zur Rezeption dieses Nietzsche-Gedankens vgl. GW IX, 57. – Zur Kritik an Nietzsches Einwand vgl. EW XVII, 43.  Herv. von mir! – Vgl. die Kritik an Tillichs historischen Rückgriffen bei: E. McManus, An Exploration of Tillich’s Employment of Symbolic Participation in his published Sermons and his Systematic Thought, Washington D. C. 1982, 371: „It is this lack of elaborated detail which causes so much difficulty in attempting to interpret Tillich’s use of participation. As a consequence,

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bringt einen Doppelaspekt des Theorems zur Sprache: „Partizipation bedeutet gerade dieses: Teil sein von etwas, von dem man zugleich getrennt ist.“ (GW XI, 71) Die platonische Auslegung der Partizipation ist dabei für ihn eine von drei möglichen Deutungen des Begriffs: Wörtlich heißt Partizipation ‚Teil-nehmen‘. Das kann drei Bedeutungen haben: die Bedeutung von ‚etwas teilen‘, wie man zum Beispiel ein Zimmer mit jemandem teilt; die Bedeutung von ‚gemeinhaben‘, der metexis, wie Plato es nennt, dem ‚Mithaben‘ oder Anteilhaben des Individuellen am Universalen; oder die Bedeutung von ‚Teil von etwas sein‘, zum Beispiel von einer politischen Bewegung. (Ebd.)

Der existenzphilosophische Reiz des Konzeptes liegt für Tillich wie schon erwähnt darin, dass es für eine Grundspannung der Wirklichkeit sensibilisiert: „Der Mensch ist entfremdet von dem, was er wesenhaft ist. Seine Existenz in der vorübergehenden Welt, in der Welt des Vergänglichen, widerspricht seiner wesenhaften Teilhabe an der Welt der Essenzen.“ (EW XVI, 180)³⁰ Tillich selbst versteht sich vor allem deshalb nicht als Platoniker, weil er weit davon entfernt ist, die Welt der Ideen als ideale ,Hinterwelt‘ zu akzeptieren.³¹ Er wäre in seiner Platon-Kritik nicht so weit gegangen wie Aristoteles, der die Annahme einer Transzendenz der Ideen und die gesamte Teilhabemetaphysik scharf als „poetische Metaphern“ attackiert hat.³² Dass der Philosoph und Theologe als Existenzdenker der Moderne das klassische Partizipationstheorem in sein eigenes Konzept hinein adaptiert, ist seiner kritischen Auseinandersetzung mit den mittelalterlichen Diskurslinien und ihren wirkungsgeschichtlichen Folgen für die Moderne geschuldet.

Tillich’s employment of such terminology seems, at times, to resemble a private language, which one must accept as a necessary price of entering upon his domain of thought.“  Tillich deutet auch in der Systematischen Theologie die für das existenzphilosophische Denken zentralen Begriffe ,Essenz‘ und ,Existenz‘ vor dem Hintergrund der platonischen Metaphysik und unterstreicht die ,Zweideutigkeit‘ der Termini (vgl. ST I, 236 f.).Von daher stellt sich für ihn die Frage nach dem empirisch-logischen Charakter des Begriffs ,Essenz‘ einerseits und nach seinem ,wertenden Sinn‘ andererseits; vgl. ST I, 237: „Warum hat diese Zweideutigkeit in der Philosophie seit Plato angedauert? Die Antwort […] liegt in dem zweideutigen Charakter der Existenz, die zugleich Sein ausdrückt und ihm widerspricht. […] Essenz gibt dem, was existiert, Sein und richtet es zugleich.“  Vgl. EW XVII, 68: „Sie [sc. die antiken und mittelalterlichen Platoniker] suchten die Wahrheit der Dinge hinter den Dingen. Sie errichteten eine zweite Welt des Wesens hinter und über der Welt der Existenz. Sie hatten darum eine asketische Moral; sie versuchten, der Existenz zu entfliehen, um das Wesen zu erreichen.“  Aristoteles, Metaph. 1079 b 25; vgl. dazu ebd., 991 a 20 – 22 (= Metaphysik, Neubearbeitung der Übers. von H. Bonitz, mit Einl. u. Komm. hg. von H. Seidl, griech. Text in der Edition von W. Christ, 2 Bde., Hamburg 31989).

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4 Mittelalterliche Diskurslinien Dass Paul Tillich als Philosoph und Theologe des 20. Jahrhunderts ausdrücklich auf das Partizipationstheorem zurückgreift und dieses auf eigenständige Weise reformuliert, ist letztlich auf den anti-nominalistischen Impuls seines Existenzdenkens zurückzuführen. War die antik-mittelalterliche Philosophie der Partizipation mit Cusanus zu einem vorläufigen Höhepunkt gekommen, so wirkte sich in der Folgezeit der Abbruch dieser Linie aus, der sich bereits im Spätmittelalter abzuzeichnen begann.³³ Für Tillich ist diese Entwicklung mit dem Stichwort ,Nominalismus‘ verbunden.³⁴ Darunter versteht er einerseits eine bestimmte Tradition der Spätscholastik und andererseits einen neuzeitlich-modernen Denktypus. Gegen beide Positionen wendet sich sein eigenes Denken. Tillich klärt sein amerikanisches Publikum 1953 in der Vorlesungsreihe Geschichte des christlichen Denkens über seine fundamentalen Vorbehalte gegenüber dem Nominalismus auf: „Es vergeht kaum ein Tag, an dem ich nicht gegen den Nominalismus ankämpfe auf Grund meines verhältnismäßig realistischen Denkens, das Sein als Macht des Seins begreift.“ (EW I, 159) Nach Ian E. Thompson wird Tillichs systematisches Denken insgesamt nur dann adäquat interpretiert, wenn man es zugleich als „long life fight against nominalism“³⁵ auffasst. Tillich hat auf seine Weise die Metaphysikkritik Kants und Nietzsches mitvollzogen und lässt sich in seinem philosophischen Denken davon beeinflussen. Aber daraus folgt für ihn keine grundsätzliche Zurückweisung metaphysischer Denkfiguren. Ihn interessieren im Sinne einer historischen Rekonstruktion die Fragen, auf die ein bestimmtes Theorem eine Antwort gibt. Dieser Fragehintergrund kommt auch bei seiner Interpretation der mittelalterlichen Philosophie der Partizipation zum Tragen. Dabei schlägt er typologische Unterscheidungen vor, die aus heutiger Sicht etwas holzschnittartig wirken. Anregend an seiner Perspektive bleibt die Verbindung von Denk- und Sozialgeschichte, die auch seinen Blick auf die mittelalterlichen Entwicklungen bestimmt. Drei große Frageperioden werden von ihm unterschieden, nämlich das Frühmittelalter mit der allmählichen Herausbildung feudaler Strukturen, die höfische Epoche als mittlere Periode und

 Vgl. R. Schönberger, Art. Teilhabe, in: Historisches Wörterbuch der Philosophie, hg. von K. Gründer/ J. Ritter/ G. Gabriel, Darmstadt 1998, Bd. 10, 961– 969.  Vgl. M. Röbel, „Wir sind alle von Hause aus Nominalisten.“ Paul Tillichs Existentialontologie als Antwort auf das „Nominalismus-Syndrom“, in: C. Danz / M. Dumas / W. Schüßler/ M. A. Stenger/ E. Sturm (Hg.), Ethics and Eschatology, Berlin/Boston 2015, 207– 239.  I. E. Thompson, Being and Meaning, Paul Tillich’s Theory of Meaning, Truth and Logic, Edingburgh 1981, 57.

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die Spätphase, in der sich der Übergang zur bürgerlichen Gesellschaft vorbereitet.³⁶ Die höfische Kultur dieser Zeit ist durchformt vom Gedanken der Repräsentation, die sich vom philosophischen Blickwinkel aus als die Vermittlung von „Übernatürlichem und natürlich-Weltlichem“ artikulieren lässt. Tillich philosophiert im Modus einer historisch orientierten ars interrogandi, der es um den Nachvollzug gesellschaftlich-kultureller Fragehintergründe geht: „Sie [sc. Die höfische Zeit] antwortet auf die Frage, die gestellt ist: das Natürliche ist Stufe zum Übernatürlichen.“ (EW XVIII, 520) Alle Formen weltlicher und geistlicher Repräsentation waren von der Frage durchdrungen, wie sich das Göttliche in das Irdische hinein vermittelt: „Die fundamentale und stärkste religiöse Macht des Mittelalters war die Hierarchie. Sie repräsentierte die sakramentale Wirklichkeit, von der die Kirche, der Staat und die gesamte Kultur abhängig waren.“ (EW I, 161) Tillichs ideengeschichtliche Bilanz lautet: „Bis zum Ende des 13. Jahrhunderts ist die Autorität des Mittelalters unmittelbar. Es ist eine Autorität der Teilhabe.“ (EW XVI, 184) Zur ontologischen Hintergrundphilosophie dieser Weltauffassung gehört die oftmals unausgesprochene Voraussetzung, „daß die Universalien logisch und die Kollektive aktuell mehr Wirklichkeit haben als das Individuum“ (GW XI, 75). Ontologisch heißt das: „Das Partikulare (wörtlich: ein kleiner Teil) hat seine Seinsmächtigkeit durch Partizipation am Universalen.“ (Ebd.)³⁷ Lebensweltlich drückt sich das so aus: „Man ist nicht von außen unterdrückt, sondern man fühlt sich lebendig teilhaben an dem, was die Autoritäten symbolisieren. Sie sind nicht etwas, was gegen einen steht, sondern etwas, was man selber ist, und nur dann ist Autorität erträglich, wenn sie das ausdrückt, was man selbst ist in seinem wahren Wesen.“ (EW XVI, 184) Tillich hat sich nicht en detail und schon gar nicht auf der Basis eigener quellenkritischer Forschung mit unterschiedlichen Partizipationsansätzen der Antike und des Mittelalters beschäftigt. Er selbst benutzt in der Darstellung bestimmter historischer Positionen den Partizipationsbegriff als Explikationsmedium, um bestimmte Denkprofile herauszuarbeiten. So skizziert er beispielsweise unterschiedliche erkenntnistheoretische Ansätze, wobei die epistemologische Dimension der Partizipation in den Vordergrund rückt. Dazu gehört beispielsweise die averroistische Philosophie: „Nach ihm [sc. Averroes] ist die geistige Tätigkeit des Menschen nur ein passives Teilhaben (intellectus passivus) an der

 Vgl. EW XVIII, 520. – Tillich hat zu einem späteren Zeitpunkt vier mittelalterliche Perioden unterschieden: die Periode des Übergangs (600 bis 1000), das Frühmittelalter (1000 bis 1200), das Hochmittelalter (1200 bis 1300) und das Spätmittelalter (1300 bis 1450); vgl. EW I, 151 f.  Dafür nennt Tillich als Beispiel die „Selbstbejahung als Gefolgsmann eines Feudalherrn, als Mitglied einer Zunft, als Student in einer akademischen Körperschaft oder als Träger einer besonderen Funktion, wie der eines Handwerks, eines Gewerbes oder eines akademischen Berufes“.

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ewigen Vernunft (intellectus agens), also keine selbständige, persönliche, sondern eine unpersönliche oder überpersönliche Funktion.“ (EW I, 160)³⁸ Tillich referiert auch die von Bonaventura vertretene Variante der Illuminationstheorie mitsamt ihren erkenntnisphilosophischen, ontologischen und theologischen Implikationen.³⁹ Demnach steht Bonaventura mit seiner Überzeugung in der Tradition Augustins: „Die Erkenntnis Gottes geht jeder anderen Erkenntnis voraus, wir müssen mit ihr beginnen; in uns selbst liegt das Prinzip der Wahrheit. Gott ist die Voraussetzung auch noch der Frage nach Gott. Er ist, wie Bonaventura sagt, wirklich in der Seele gegenwärtig und unmittelbar erkennbar.“ (EW I, 198) Aus diesem illuminationstheoretischen Ansatz folgt: „Dieses Licht ist ungeschaffen, es ist etwas, an dem wir partizipieren, woraus folgt, daß es keine eigenständige weltliche Erkenntnis gibt.“ (EW I, 199)⁴⁰ Tillich unterstreicht die philosophiegeschichtliche Schlüsselbedeutung des Partizipationstheorems für die Blütezeit der Scholastik: „Die so genannte ‚realistische‘ Philosophie des Mittelalters ist eine Philosophie der Partizipation.“ (GW XI, 75) Das gilt nach seiner Beurteilung sogar für Thomas von Aquin, der landläufig eher dem aristotelischen Denken zugeordnet wird. Dennoch kann Tillich auf der Grundlage seiner partizipationstheoretischen Perspektive aufzeigen, dass Thomas weder reiner Aristoteliker noch Platoniker bzw. Neuplatoniker, sondern gewissermaßen beides in einer Person war. Auch wenn in den Werken des dominikanischen Magisters Aristoteles häufig ,der Philosoph‘ genannt und somit als der maßgebliche philosophische Gesprächspartner bezeichnet wird, so bleibt doch der augustinische Hintergrund seines Denkens erkennbar. Thomas denkt in den Bahnen des christlichen Neuplatonikers Augustinus, was die Adaption des Partizipationstheorems betrifft.⁴¹ Er nimmt zwar explizit das aristotelische Individuationsprinzip in seine Schöpfungstheologie auf, ohne sich allerdings damit vollends von der Ideenlehre Platons zu verabschieden. Er folgt dem Projekt der augustinischen Platon-Adaption, indem auch er die Ideen im göttlichen Intellekt verortet. Darin hatte eine der Innovationsleistungen Augustins bestanden. Er sah sich als christlicher Platon-Leser vor die Herausforderung gestellt: Wie lässt sich die Ideenlehre Platons in eine christliche Theologie integrieren, die an der ab-

 Zu Tillichs weitergehender Deutung dieser Position vgl. EW XIII, 561 f.; EW XVIII, 195 und 559.  Die Bonaventura-Deutung ist breiter ausgeführt in EW XIII, 573 – 577; EW XVIII, 205 – 209; EW I, 198 – 200.  Zu Bonaventuras Konzept der „Verstandeserleuchtung“ vgl. P. Böhner/ E. Gilson, Christliche Philosophie.Von ihren Anfängen bis Nikolaus von Cues, Paderborn 21954, 500 – 503; S. Gilson, Der heilige Bonaventura, Hellerau 1929, 526 – 549.  J. Hirschberger, Geschichte der Philosophie. Erster Band: Altertum und Mittelalter, Darmstadt 2018 (unveränderter Nachdruck der 13. Auflage, Freiburg i. Br. 1949), 399.

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soluten Souveränität Gottes festhält? Gott als ,creator‘ greift nach Augustinus nicht auf etwas Anderes, etwa die Ideen, zurück, um daraus seine ,creatio‘ werden zu lassen. Er findet alles in sich vor. Wie aber lassen sich die Konzepte der biblischen ,creatio‘ und der platonischen ,participatio‘ zu einer Synthese verbinden? Soll es für die Schöpfung oder womöglich für bestimmte Eigenschaften Gottes etwa auch ,Ideen‘ geben, die außerhalb seiner (d. h. Gottes) selbst irgendwo angesiedelt sind? Wir nennen, so der spätantike Denker, beispielsweise Gottes Güte ,groß‘. Gibt es für diese ,Größe‘ einen Maßstab, der nicht in Gott selbst zu finden ist? Wie lassen sich in diesem Vorstellungsrahmen überhaupt Aussagen über die Größe, Güte oder Allmacht Gottes fassen? Etwa so, dass Gott an der Idee des Guten teilhat oder an der ,Großheit‘ (magnitudo) an sich partizipiert? Der augustinische Lösungsweg ist ebenso elegant wie kongenial zu nennen: Gott findet die Idee der Großheit nicht außerhalb von sich, sondern in sich selbst vor. Er ist, um bei diesem Beispiel zu bleiben, durch jene „Größe groß, durch die er selbst eben diese Größe ist“.⁴² Damit ist der entscheidende Transformationsschritt genannt, der für die christliche bzw. allgemeiner gesagt für eine schöpfungstheologisch interessierte Adaption des Theorems kennzeichnend ist: Die Ideen werden im göttlichen Intellekt als schöpferische Möglichkeiten verortet. Die von Augustinus an Platon vorgenommene schöpfungstheologische Korrektur an der Ideenlehre wird von Thomas um eine aristotelische Facette erweitert: Der von Aristoteles übernommene Formbegriff wird zu einem Zentralmotiv des von Thomas explizierten Gedankens einer Hierarchie der Formen. Die einzelnen in der Realität begegnenden Dinge und die mit ihnen verbundene Verschiedenheit der Formen werden zurückgebunden an die ,forma formarum‘, die ,Form aller Formen‘, d. h. auf Gott selbst. Thomas führt dies in der Summa contra Gentiles mit den Worten aus: „Von der Verschiedenheit der Formen her bestimmt sich aber der Grund für die Ordnung der Dinge. Denn weil es die Form ist, gemäß der das Ding Sein hat, jedes Ding sich aber, insofern es Sein hat, der Ähnlichkeit mit Gott nähert, der sein einfaches Sein selbst ist: so ist notwendig die Form nichts anderes als die Teilhabe an der Ähnlichkeit mit Gott in den Dingen.“⁴³ So kann Thomas den Menschen einerseits als causa secunda auffassen, der nicht in allem von der causa prima abhängig ist. Die menschlichen Erkenntnisleistungen sind

 Vgl. Augustinus, trin. V, 10, 11 (= De Trinitate. Lat.-dt. [Bücher VIII–XI, XIV–XV, Anhang: Buch V], neu übers. und mit Einl. hg. von J. Kreuzer, Hamburg 2001).  Thomas von Aquin, Summe gegen die Heiden, hg. und übers. von K. Allgaier. Lat. Text besorgt u. m. Anm. vers. von L. Gerken, 4 Bde., Darmstadt 1990, III, 97: „Ex diversitate autem formarum sumitur ratio ordinis rerum. Cum enim forma sit secundum quam res habet esse; res autem quaelibet secundum quod habet esse, accedat ad similitudinem Dei, qui est ipsum suum esse simplex: necesse est quod forma nihil sit aliud quam divina similitudo participata in rebus.“

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aus der schöpfungstheologischen Perspektive des Aquinaten als partizipativ aufzufassen.⁴⁴ Dazu Tillich: „Wahrheit erkennt der menschliche Geist, weil er an der göttlichen Vernunft participiert, wie er an dem göttlichen Sein participiert; sein Erkennen ist ein geschöpfliches Abbild des göttlichen Erkennens.“ (EW XIII, 597) Die von Thomas vollzogene Synthese aus aristotelischen und platonischaugustinischen Elementen hält Tillich insgesamt für wenig tragfähig. Das „ganze Problem des Thomismus“ sieht er darin, dass dieser den „aristotelischen Stufengedanken“ aufnimmt, „nach dem die höhere Form das Niedere dadurch vollendet, daß es dasselbe zur Materie macht.“ (EW XIII, 591) Die mit dieser Deutung der Individuation verbundene Hierarchisierung weist Tillich u. a. deshalb zurück, weil das Problem der stufenweisen Vermittlung aus seiner Sicht nicht überzeugend beantwortet wird.⁴⁵ Ohne an dieser Stelle weiter auf Tillichs Thomas-Kritik einzugehen, soll im Folgenden auf die Auflösungserscheinungen innerhalb der mittelalterlichen Philosophie hingewiesen werden, die er zum Ausgangspunkt seiner eigenen systematischen Reflexionen macht. Die mit dem wachsenden Einfluss des spätmittelalterlichen Nominalismus einhergehende Krise des philosophischen Teilhabedenkens steht in engster Verbindung mit der Ablösung der klassischen Wesensmetaphysik insgesamt.⁴⁶ Ausführliche historische Darstellungen des Nominalismus durch Tillich finden sich vor allem in zwei Vorlesungszyklen: in den Berliner Vorlesungen von 1920 bis 1924⁴⁷ sowie den Vorlesungen über die Geschichte des christlichen Denkens ⁴⁸ aus seiner amerikanischen Werkperiode. Tillich hat auch in den USA auf den Fundus seiner historischen Vorlesungen zurückgegriffen, die er in Deutschland  Zur Deutung des Partizipationsdenkens bei Thomas vgl. F. Drews, Teilhabe-Ontologie und interreligiöser Dialog im Platonismus und Christentum. „Gott ist Richter unter den Göttern“ (Ps 82, 1b). Monotheismus, Polytheismus und Teilhabe-Ontologie im Platonismus und Christentum, die Henaden bei Proklos und der interreligiöse Dialog bei Nikolaus von Kues, Tübingen 2018, 319 – 333; zur wirkungsgeschichtlichen Linie des aristotelisch-thomanischen Denkansatzes in diesem Kontext vgl. S. Herzberg, Pros-hen-Einheit und Analogie. Die Vielheit des Seienden und das ontologisch Primäre bei Aristoteles und Thomas von Aquin, in: J. Brachtendorf / ders. (Hg.), Einheit und Vielheit als metaphysisches Problem, Tübingen 2011, 35 – 59, hier: 57 f.  Vgl. EW XIII, 591: „Die Stufe soll vermitteln. Die Entelechie soll ein einheitliches System schaffen, und zwar von unten nach oben aufsteigend. Aber dieses System soll vermitteln zwischen den beiden Welten, die die Antike geschieden hat, das Natürliche und das Übernatürliche. Die Augustiner hatten das Natürliche als solches aufgehoben; es war darum ein Gegensatz eigentlich nur vorhanden zwischen dem Göttlichen und dem Widergöttlichen; hier gibt es keine Vermittlung.“  Zur philosophiegeschichtlich-systematischen Charakterisierung dieser Denkströmung vgl. J. Kreuzer, Art. Nominalismus, in: RGG, Bd. 6, Tübingen 42003, 356 – 359.  Vgl. EW XIII.  Vgl. EW I.

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vor 1933 gehalten hat. Im Wintersemester 1923/24 hatte Tillich eine Vorlesung über die Geschichte der altchristlichen und mittelalterlichen Philosophie gehalten.⁴⁹ Er hat darin ein neues inhaltliches Terrain betreten, das er sich erst allmählich vertraut machen musste. Im Ganzen kann Sturms kritische Einschätzung der Berliner Vorlesungen wohl für die beiden erwähnten historischen Reihen Tillichs insgesamt gelten: „In keiner der drei hier veröffentlichten Vorlesungen kann sich Tillich durch eigene originale philosophiegeschichtliche Forschungen profilieren.“⁵⁰ Dennoch lag ihm bei aller grundsätzlichen Kritik am Nominalismus doch an einer differenzierten Einschätzung. Dabei beweist er, wie bereits betont wurde, zugleich ein Gespür für die sozial- und kulturhistorischen Wirkungszusammenhänge, in denen die jeweilige nominalistische Position zu sehen ist: Es handelt sich also nicht nur um ein logisches Argument, in dem der Nominalismus zunächst gewann, sondern um eine veränderte Haltung zur Wirklichkeit in der gesamten Gesellschaft. Die Beschreibung der Auseinandersetzung zwischen Nominalismus und Realismus in Schriften über die Geschichte der Logik gibt also kein vollständiges Bild. (EW I, 211)

Ockhams Position und den historischen Nominalismus insgesamt hält Tillich rückblickend sogar für eine „notwendige Reaktion“ (EW I, 159). Ohne den Nominalismus hätte sich nach Tillichs Auffassung „die Achtung vor der Persönlichkeit – die wahre Grundlage der Demokratie – nicht entwickeln können“ (ebd.). Diese Entwicklung beruht in philosophischer Sicht für ihn auf der Durchsetzung einer Grundhaltung, die den Einzeldingen eine ontologische Präferenz gegenüber den Allgemeinbegriffen zuweist: Obgleich ich den Nominalismus sonst bekämpfe, so muß ich ihn für seine Anerkennung der voll entwickelten Persönlichkeit und ihrer Potentialitäten, ohne die wir zu Asiaten geworden wären, in Schutz nehmen. In dieser Gefahr, in der wir uns heute wieder befinden, hat der Nominalismus ebenso positiven Wert wie der Realismus (EW I, 160).

In Wilhelm von Ockham sieht er den eigentlichen „Vater des Nominalismus“ (EW I, 210). Dagegen ließe sich aus der Sicht der heutigen Ockham- und Nominalismusforschung einiges einwenden. In einer Vorlesung führt er aus: Was beispielsweise ist die Gattung Baum? Wilhelm von Ockham behauptet, daß sie nur im Verstand vorhanden sei und folglich keine Wirklichkeit besitze. Der Begriff intendiert etwas Wirkliches, aber er ist selbst nichts Wirkliches. Die Realisten antworten hierauf, daß die

 Vgl. EW XIII, 407– 638.  Vgl. E. Sturm, Historische Einleitung. Paul Tillichs Berliner Vorlesungen (1920 – 1924), in: EW XIII, XXXI–LII, hier: XL.

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Gattung Baum eine Seinsmacht sei, die den einzelnen Baum zum Baum macht, aber kein Ding. Für den Nominalisten jedoch gab es nichts Wirkliches außer den einzelnen Dingen; sie behaupteten, daß es dem Gesetz der Ökonomie widerspräche, den Universalien Wirklichkeit zuzuschreiben, wie Plato den Ideen, und so die Zahl der Prinzipien unnötig zu vermehren. (EW I, 211)

Sind die Allgemeinbegriffe rein konventionelle Zeichen und als solche reine Konstrukte des Denkens? Was besagt Tillichs Formulierung, der „Begriff intendiert etwas Wirkliches, aber er ist selbst nichts Wirkliches“ (ebd.)? Intendieren die Begriffe „nur“ einen Bezug zur Realität oder erreichen sie diesen Bezug auch? Für Ockham stellt sich dieses komplexe Bezugsverhältnis so dar, dass die Allgemeinbegriffe zwar nicht außerhalb des Verstandes existieren, aber doch die „extramentale Realität angemessen erfassen“⁵¹. Es entspricht ihnen etwas in der Wirklichkeit. Anders als Tillich unterstellt, sind die Einzeldinge für Ockham keine Entitäten, die so oder auch anders bezeichnet werden könnten. Die Bezeichnung selbst unterliegt einer ,Ordnungsstruktur‘. Es stellt sich insgesamt die Frage, ob Tillich der historischen Leistung des Spätscholastikers gerecht geworden ist oder am Ende ,seinen‘ Ockham trotz aller Würdigungen gleichsam wie einen ,Schattenbruder‘ bekämpft hat – um es mit einer tiefenpsychologischen Kategorie auszudrücken. Die Gesamtentwicklung als solche hat Tillich gleichwohl in einem entscheidenden Punkt getroffen, wenn er sie als Ablösung eines metaphysischen Systemdenkens durch nominalistische Zeichentheorien charakterisiert. Damit wiederum ist er bei seinem eigentlichen Thema angelangt, nämlich den bewusstseinsgeschichtlichen Folgewirkungen nominalistischer Grundannahmen auf den neuzeitlich-modernen Denkhorizont: Die heutigen wie die alten Nominalisten betrachten ein Wort als konventionelles Zeichen, dessen Bedeutung sich in der Art erschöpft, wie es in einer bestimmten Gruppe zu einer bestimmten Zeit gebraucht wird. Wäre das der Fall, müßten viele Worte als unwiederbringlich verloren angesehen und durch andere ersetzt werden. Aber die nominalistische Voraussetzung – daß Worte nur konventionelle Zeichen sind – muß zurückgewiesen werden. (ST II, 25)

Die größte Gefahr, die nach Tillich von dieser Entwicklung ausgeht, ist der Verlust des partizipativen Denkens: „Die Einheit, die die Dinge in Gott hatten, die sie auch aneinander hatten durch ihre Teilhabe an der idealen Welt, ist aufgehoben. Es ist die Theorie der Zerspaltenheit. Man hat voneinander nur noch Zeichen, Termini.“ (EW XIII, 629)  V. Leppin, Wilhelm von Ockham. Gelehrter, Streiter, Bettelmönch, Darmstadt 22012 (bibliographisch aktualisierte Sonderausgabe), 69.

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Für Tillich ist Ockham nicht nur die Gründerfigur des Nominalismus, sondern auch des „gesamten neuzeitlichen Denkens“ (EW I, 210). Das ist zwar eine stark zugespitzte historische These, die, wie bereits angedeutet, weder Ockham gerecht wird noch den Nominalismus trifft. Dennoch sind die wirkungsgeschichtlichen Zusammenhänge aufschlussreich, die Tillich herausgearbeitet hat, zumal sie ein bezeichnendes Licht auf seine eigene Haltung zu bestimmten Strömungen werfen, vom amerikanischen Pragmatismus bis hin zum modernen Naturalismus seiner Zeit. Denn schon im mittelalterlichen Nominalismus zeichnet sich für Tillich ein Argumentationsmuster ab, das er in unterschiedlichen Varianten in anderen Epochen wiederzuerkennen glaubt: Die Ockhamisten haben fast alle Positionen der modernen Philosophie und Naturwissenschaft vorweggenommen. Das zeigt, wie die Moderne auf dem Nominalismus beruht und zwar ebenso in ihrem Rationalismus wie in ihrem positivistischen Empirismus. Es war die völlige Objektivierung der Dinge, die Entfernung aller mystischen Realitäten, so daß nur noch die mathematische Formung übrig blieb. (EW XIII, 636)

Dass Tillich Philosophiegeschichte vorzugsweise in gegenwartsdiagnostischer Absicht betreibt, belegen auch seine Deutungen der neuzeitlich-modernen Derivate des Nominalismus, zu denen der ,Naturalismus‘, der ,Positivismus‘ und der ,Pragmatismus‘ gehören.⁵² Die Folgen einer rein naturalistischen Perspektive für die menschliche Selbst- und Weltdeutung lassen sich am ,naturalistischen‘ bzw. ,reduktionistischen‘ Credo des Nobelpreisträgers Francis Crick veranschaulichen. Dieser wollte als Naturwissenschaftler seine Zuhörerschaft auf die folgende Perspektive einschwören: „Sie, Ihre Freuden und Leiden, Ihre Erinnerungen, Ihre Ziele, Ihr Sinn für Ihre eigene Identität und Willensfreiheit – bei alledem handelt es sich in Wirklichkeit nur um das Verhalten einer riesigen Ansammlung von Nervenzellen und dazugehörigen Molekülen.“⁵³ Ein derartiges Statement wäre für Tillich ein Beispiel für das von ihm kritisierte „Nominalismus-Syndrom“. Wenn Tillich in späteren Jahren, wie etwa in seiner 1955 publizierten Schrift Biblische Religion und die Frage nach dem Sein ⁵⁴, die nominalistische Grundthese in ontologischen Kategorien ausbuchstabiert, dann ist die gesellschaftlich-kulturelle Dimension des spätmittelalterlichen Individualisierungsschubes mit seinen Folgen für die Moderne immer mitzulesen. „Es ist jedenfalls“, so betont er als Universitätslehrer, „nicht falsch, wenn man seinen amerikanischen Studenten  Auch den zeitgenössischen Existentialismus ordnet Tillich in diese wirkungsgeschichtliche Linie ein; vgl. dazu GW XI, 100.  F. H. Crick, Was die Seele wirklich ist. Die naturwissenschaftliche Erforschung des Bewußtseins, Reinbek bei Hamburg 1997, 17.  Vgl. GW V, 138 – 184.

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sagt, ‚sie seien als Nominalisten auf die Welt gekommen‘.“ (GW VIII, 22) Doch Tillich belässt es nicht bei dieser Diagnose. Im Rahmen seines eigenen Denkentwurfs unternimmt er den Versuch einer existentialontologischen Therapie der nominalistischen Kultur.

5 Zu Tillichs Philosophie der Partizipation Die systematische Bedeutung, die dem Terminus Partizipation in Tillichs Konzept zukommt, lässt sich anhand maßgeblicher Schlüsselwerke der amerikanischen Werkperiode ansatzweise erahnen. Erst durch die von Erdmann Sturm edierten Berliner Vorlesungen zur Ontologie vervollständigt sich das Bild. Tillich hat nicht nur den Stellenwert der Philosophie für die systematische Theologie erkannt und ihre wechselseitige Bezogenheit herausgearbeitet. Er kann als Vertreter eines originären philosophischen Entwurfs betrachtet werden, was sich in dieser Deutlichkeit erst durch die von Erdmann Sturm herausgegebenen Berliner Vorlesungen zur Ontologie zeigt, die Tillich 1951 gehalten hat.⁵⁵ Im Rahmen dieses Entwurfs kommt dem Partizipationstheorem eine Schlüsselfunktion zu, weil es „überall seine Funktion hat“ (EW XVI, 56), etwa in der Erkenntnistheorie- und Symboltheorie Tillichs, aber auch in der Theologie, der Tiefenpsychologie bis hin zur Soziologie. Auch in der Analyse gesellschaftlicher Phänomene greift die „Grundstruktur der Polarität von Individualisation und Partizipation“, die beständig „unter der Drohung des Zerreißens steht und in der Existenz aktuell zerrissen ist“ (EW XVI, 142). Daraus erklären sich für Tillich individuell-seelische, aber auch gesellschaftliche „Krankheiten“.⁵⁶ Sein Interesse an diesem Theorem der klassischen Metaphysik ist wie gesagt nicht restaurativ motiviert, sondern wendet sich innovativ den Fragen der Zeit zu. Die Metapher der ,Zerrissenheit‘ unterstreicht die zeitdiagnostische Dringlichkeit in Tillichs ontologischen Ambitionen. Er ist auf der Suche nach einem adäquaten Theorem der Verbundenheit, mit dessen Hilfe sich die menschliche Selbst-Welt-Entfremdung, die von Heidegger, Jaspers und anderen Existenzdenkern konstatierte ,Subjekt-Objekt-Spaltung‘ überwinden lässt. Die Ontologie soll wieder als ,Wurzelwissenschaft‘ betrieben werden wie in ihren aristotelischen Anfängen. Dabei ist sie freilich postmetaphysisch zu rehabilitieren,⁵⁷ wobei die existenzphilosophischen Vorzeichen zu beachten sind. Die Existentialontologie

 Vgl. EW XVI, 1– 168.  Vgl. EW XVI, 56.  Vgl. EW XVI, 167.

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im Unterschied zur aristotelischen philosophia prima ist eine anthropologisch gewendete Ontologie, die mit dem Fragen der Frage beginnt. Denn die Frage ist der dem Menschen gemäße Zugang zum Sein. Das macht zugleich den interrogativen Charakter der Philosophie für Tillich aus, der sich auf unsere Partizipationsthematik unmittelbar auswirkt. Im Sinne seiner philosophischen ars interrogandi hat Tillich nicht nur historische Fragehintergründe bestimmter Konzepte ausgeleuchtet. Er selbst macht die Frage zum Ausgangs- und Bezugspunkt seiner eigenen Existentialontologie. Insofern ist Tillichs Seinsentwurf als eine ,anthropozentrische‘ Ontologie zu lesen, denn Fragen ist für ihn wie schon erwähnt ein entscheidendes specificum humanum: „Der Mensch stellt die Seinsfrage, weil er zugleich im Sein und im Nichtsein steht und weil er darum vom Nichtsein her nach dem Sein fragen kann. Das heißt, Ontologie ist kein göttliches Unternehmen. Die Götter sind keine Ontologen, und das haben die Griechen auch schon gewusst, indem sie sie selig nannten.“ (EW XVI, 16) Eine knappe systematische Skizze dieser interrogativen Ontologie soll zumindest die systematische Ausrichtung der wichtigsten Frageschritte anzeigen. Tillich unterscheidet vier „Schichten“ bzw. „Dimensionen“, in denen die ontologische Frage artikuliert wird.⁵⁸ Anders als die Urbild-Abbild-Theorie Platons oder nachfolgende stufenontologische oder substanzmetaphysische Konzepte der klassischen Metaphysik ist Tillichs Entwurf als polaritätstheoretischer Entwurf angelegt, d. h. als eine Theorie der wechselseitigen Bezogenheit. Auch Aristoteles hat in seiner Kategorienlehre die Relation der einzelnen Entitäten thematisiert, sie allerdings als seinsschwächste Kategorie charakterisiert. Tillich hingegen vertritt eine polaritätsontologisch fundierte Theorie der Korrelation.⁵⁹ Er ist somit der Vertreter eines ontologischen Wirklichkeitsmodells, dem es um die Analyse gleichursprünglicher Beziehungskonstellationen geht. Die Fundamentalstruktur dieser ontologischen Analyse ist die von ihm selbst so genannte Polarität von ,Selbst‘ und ,Welt‘. Die polare Grundstruktur Selbst-Welt, die Tillich als erste Schicht bezeichnet, hat polare Elemente in sich, die er in einer zweiten ontologischen Schicht ansiedelt. Diese so genannten „ontologischen Elemente“ beschreiben Wesensstrukturen in allen Gebieten, eine „Seinsstruktur, die immer und überall notwendig real ist“⁶⁰! Mit anderen Worten: Tillich macht auch hier den Anspruch

 Vgl. EW XVI, 22. – Vgl. dazu K. Grau, „Healing Power“ – Ansätze zu einer Theologie der Heilung im Werk Paul Tillichs, Münster 1999, 166 – 169.  Vgl. M. Röbel, Die Frage nach der Frage. Paul Tillichs Korrelationsmethode und ihre existentialontologische Fundierung, in: C. Danz / M. Dumas / W. Schüßler/ M. A. Stenger/ E. Sturm (Hg.), The Method of Correlation, Berlin/Boston 2017, 17– 43.  Ebd., 48.

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geltend, keine Regionalontologie, sondern eine komprehensive Ontologie vorzuschlagen. Er nennt als ontologische Elemente drei polare Begriffspaare, nämlich „Individualisation und Partizipation“, „Dynamik und Form“, sowie „Freiheit und Schicksal“.⁶¹ Die dritte Schicht, in der die ontologische Frage zur Anwendung kommt, verlangt nach Tillichs Auskunft einen anderen Modus der Analyse. Von der polaritätstheoretischen Darstellung der „ontologischen Elemente“ leitet er über zu einer Analyse der Endlichkeit. Angeregt durch George Santayanas Untersuchungen des Schocks,⁶² macht der Philosoph und Theologe den „Schock des Nichtseins“ zum Ausgangspunkt seiner Existentialanalyse. Der zweite Analyseschritt innerhalb der dritten Schicht konzentriert sich auf die genauere Analyse der Endlichkeit. Tillich bedient sich dabei zentraler „Kategorien der Endlichkeit“ (EW XVI, 116). Dabei legt er größten Wert darauf, dass diese Kategorien nicht nur einen erkenntnistheoretischen oder logischen Sinn haben, sondern „Ausdruck einer Wirklichkeitsstruktur“ (EW XVI, 109) sind. Tillich wählt vier Kategorien aus, nämlich Zeit, Raum, Kausalität und Substanz, um an ihnen die „Korrelation von Angst und Mut“ (ebd.) im Einzelnen durchzuführen. In der vierten Schicht ist die Ausarbeitung der Gottesfrage angesiedelt. Tillich fasst die Analyse der vier Kategorien zusammen, um von dort aus die philosophisch wie theologisch brisante Frage nach der Möglichkeit oder Unmöglichkeit einer natürlichen Theologie zu artikulieren. Er setzt die „so genannten Beweise“ für die „so genannte Existenz Gottes“ gleich zweifach in Anführungszeichen. (EW XVI, 148) Sein religionsphilosophischer Gegeneinwand mit Blick auf die traditionelle theologia naturalis lautet: „Gott existiert nicht, er ist das Sein-Selbst jenseits von Wesen und Existenz; und darum, Beweise für die Existenz Gottes zu bringen bedeutet, ganz gleich, wie diese Beweise auslaufen, ihn zu verneinen.“ (EW XVI, 150)⁶³ Dennoch rehabilitiert Tillich die natürliche Theologie in gewisser Weise, indem er ihr eben nicht einen demonstrativen, sondern einen interrogativen Stellenwert zuweist. In existentialontologischer Hinsicht sind die Argumente für das Dasein Gottes „Ausdrucksformen der Frage nach Gott, die in der menschlichen Endlichkeit enthalten ist“  Den Terminus ‚Individualisation‘ hat Tillich an die klassische Tradition angelehnt. Begriffe wie die aristotelisch-thomanische ‚Individuation‘ oder die neuzeitlich verstandene ‚Individualität‘ gehen letztlich auf den Wortstamm ‚in-dividuum‘ (das ‚Unteilbare‘) zurück. In Tillichs System steht die Individualisation für die Selbstzentriertheit einer Entität im Gegenüber zur Welt.  Vgl. GW V, 110 – 121. Vgl. dazu: Comstock, W. R., Two Ontologies of Power: A Comparison of Santayana and Tillich, in: Harvard Theological Review/ Volume 60/ Issue 01 / January 1967, 39 – 67.  Das ist eine überpointierte, beinahe populistische Zurückweisung der klassischen theologia naturalis. Der Position eines Anselm von Canterbury oder Thomas von Aquin wird Tillich damit in keiner Weise gerecht, wohl aber apologetischen Tendenzen, die es beispielsweise innerhalb der katholischen Neuscholastik gab.

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(EW XVI, 151). Letztere ist nicht auf dem Boden kognitiver Argumentationsstrategien zu lösen. Der Glaube ist aber ebensowenig ein supranaturalistisch verstandenes Überwältigtwerden ,von oben‘. Es gibt eine in der Endlichkeit des Menschen verwurzelte Aufnahmefähigkeit für das Unendliche, die in der Gottesfrage zum Ausdruck kommt. Die Gottesfrage bezeugt bereits als solche ein vorhandenes und dieser Frage vorausgegangenes ,Gewahrwerden Gottes‘. Tillich bringt es auf die einfache Formel: „Gott ist gegenwärtig, wo die Frage nach Gott erhoben wird.“ (EW XVI, 152) Gemessen an dem in meinem Beitrag erhobenen programmatischen Anspruch, das Existenzdenken Tillichs als eine Philosophie der Partizipation darzustellen, scheint die zuletzt vorgenommene systematische Verortung eher bescheiden auszufallen. Auf den ersten Blick könnte es so wirken, als sei die Partizipation lediglich ein Element unter mehreren. Doch muss der Grundzug in Tillichs Philosophieansatz insgesamt als partizipativ verstanden werden. Die philosophische Frage als solche ist für ihn gar nicht anders verständlich zu machen als im Modus der Partizipation. In seiner Analyse der Fragesituation führt Tillich etwa aus: „Der Stein hat sein Steinsein vollständig, er fragt nicht. Das Tier hat sein Tiersein bei sich und in sich und fragt nicht. Der Mensch ist verbunden […] mit sich selbst und seiner Welt in einer universalen Weise, aber er ist nicht so damit eins, dass er aufhören könnte zu fragen. Er muss fragen, weil er zugleich davon getrennt ist.“ (EW XVI, 16) Das Fragen kann gewissermaßen als latente Partizipation des Fragenden an der befragten Wirklichkeit aufgefasst werden: „Die Frage setzt ja immer voraus einerseits freilich, dass man getrennt ist, sonst würde man nicht fragen, andererseits, dass man so teilhat an dem, wonach man fragt, dass man nach ihm fragen kann.“ (EW XVI, 154) So unspektakulär sich diese Formulierung zunächst ausnehmen mag – sie hat doch erhebliche Konsequenzen bis in die Thematisierung der philosophischen Gottesfrage hinein. Den Traditionshintergrund der klassischen Metaphysik, vor dem sich Tillich hier bewegt, deutet er selbst an. Ausdrücklich nimmt er Bezug auf das ‚Fragegefüge‘ in den augustinischen Confessiones. ⁶⁴ Er zitiert ein berühmtes augustinisches Diktum: „Wie Augustin gesagt hat: ‚Ich hätte nicht nach Dir fragen können, hätte ich nicht schon etwas von Dir gewusst.‘“ (EW XVI, 154)⁶⁵ Aufschlussreich ist Tillichs Nachsatz, der die erkenntnisphilosophischen und ontologischen Perspektiven andeutet, die sich daraus ergeben: „Und so ist es in allen Dingen.“ (Ebd.)⁶⁶ Im  Zum ,Fragegefüge der Konfessionen‘ vgl. A. Maxsein, Philosophia cordis. Das Wesen der Personalität bei Augustinus, Salzburg o.J. (1966), 169; A. Schöpf, Augustinus. Einführung in sein Philosophieren, Freiburg/München 1970, 39 – 46.  Tillich zitiert Augustinus, Confessiones X, 18. 27.  Herv. von mir!

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Hintergrund der interrogativen Ontologie Tillichs steht wohl auch das cusanische Axiom „Omnis quaestio de Deo praesupponit quaesitum.“⁶⁷ Überhaupt wäre Tillichs Cusanus-Rezeption noch eine eigene Untersuchung wert.⁶⁸ Die Tatsache, dass Tillich das Partizipationstheorem ausdrücklich wieder in den philosophischen Diskurs einspeisen wollte, verdankt sich vermutlich nicht zuletzt den cusanischen Impulse, die sein eigenes Denken bestimmen. Als ausdrücklichere Hinweise darauf, dass Tillich in Nikolaus von Kues, diesem universal interessierten Renaissance-Denker, einen maßgeblichen Gesprächspartner gesehen hat, kann man die zahlreichen expliziten Textverweise in seinem Gesamtwerk sehen. Ähnlich wie Nikolaus von Kues zu seiner Zeit steht Tillich im 20. Jahrhundert für ein anthropologisch gewendetes Denken und eine eigenständige Adaption des Partizipationstheorems. Auch der für die Spätphase von Tillichs Denken so zentrale Begriff des ,Lebens‘ atmet cusanischen Geist. Im Kontext seiner Selbst-Welt-Korrelation arbeitet Tillich heraus, „dass das Menschliche zugleich teilhat am Universalen“ (EW XVI, 52). Im Hintergrund dieses TeilhabeKonzeptes steht nicht zuletzt der cusanische Traditionsstrang: Der klassische Begriff dafür ist der Renaissance-Mikrokosmosbegriff. D. h. in ihm, dem Menschen, ist die ganze Welt potentiell gegenwärtig, oft sehr unterentwickelt, oft wie in einem Tier, aber entwicklungsfähig. Diese Idee der universalen Teilhabe wird von Philosophen wie Cusanus und Leibniz dann vom Menschen übertragen auf alle anderen Wesen, aber im Menschen allein ist die universale Teilnahme aktuell möglich, während sie in den anderen Wesen potentiell, aber unterdrückt ist. (EW XVI, 52 f.)

Die wirkungsgeschichtliche Fortsetzung dieser Partizipationsauffassung macht Tillich auch in der Renaissance-Philosophie generell aus, in der sich das „schöpferische Individuum“ nicht als Zufallsbegabung versteht, sondern als „einmaliger Repräsentant des Universums“, in dem die „unbewußte schöpferi-

 „Jede Frage über Gott setzt das Gefragte voraus.“ – Vgl. dazu K. Kremer, Nikolaus Cusanus: „Jede Frage nach Gott setzt das Gefragte voraus“ (Omnis questio de deo praesupponit quaesitum), in: ders., Praegustatio naturalis sapientiae. Gott suchen mit Nikolaus von Kues, Münster 2004, 147– 178. – Zu Tillichs Cusanus-Rezeption bzw. zum Vergleich der beiden Ansätze vgl. außerdem W. Schüßler, Jenseits von Religion und Nicht-Religion. Der Religionsbegriff im Werk Paul Tillichs, Frankfurt a. M. 1989, 45 – 49; ders., Paul Tillich, München 1997, 37.  Ansätze dazu finden sich bei K. H. Kandler, Die Einheit von Endlichem und Unendlichem. Zum Verhältnis von Paul Tillich zu Nikolaus von Kues, in: Kerygma und Dogma 25 (1979), 106 – 122; W. Schüßler, Der philosophische Gottesgedanke im Frühwerk Paul Tillichs (1910 – 1933). Darstellung und Interpretation seiner Gedanken und Quellen. Mit einem Geleitwort von Renate Albrecht, Würzburg 1986, 25, 84, 100, 116; ders., Jenseits von Religion und Nicht-Religion. Der Religionsbegriff im Werk Paul Tillichs, Frankfurt a. M. 1989, 45 – 49; ders., Paul Tillich, München 1997, 37.

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sche Kraft der Natur“ wirksam ist (GW XI, 82). In dieser über die Epoche weit hinausweisenden Linie stehen für ihn auch Pico della Mirandola, Leonardo da Vinci, Giordano Bruno, Shaftesbury, Goethe und Schelling. Was diese in seinen Augen verbindet, ist die „Idee einer Partizipation am schöpferischen Prozeß“. (GW XI, 83) Dazu gehört vor allem die Vorstellung des Menschen als „Mikrokosmos, der am schöpferischen Prozeß des Makrokosmos partizipiert“ (ebd.). Von diesem Hintergrund herkommend, hat sich Tillich um eine Ausarbeitung des Partizipationstheorems verdient gemacht, die platonische Elemente in sich aufnimmt und zugleich über sie hinausdenkt. Der entscheidende Divergenzpunkt zwischen dem platonischen Konzept und Tillichs existentialontologischer Deutung der Partizipation ist in dem polaritätstheoretischen Ansatz des letzteren begründet. Tillichs Partizipationsbegriff lotet wie derjenige Platons das Verhältnis zwischen dem Ganzen und dem Teil aus, also etwa die Beziehung zwischen Selbst und Welt. Aber im Unterschied zu Platon sieht er darin keine stufenontologische Hierarchisierung, sondern eine ontologische Gleichrangigkeit.⁶⁹ Mit Tillich könnte wohl auch Platon sagen: „In jedem Fall ist Partizipation teilweise Identität und teilweise Nicht-Identität. Ein Teil des Ganzen ist nicht identisch mit dem Ganzen, zu dem es gehört.“ (GW XI, 71) Dann aber geht Tillich über Platon mit der Umkehrung der Perspektive hinaus: „Aber das Ganze wäre nicht, was es ist, ohne den Teil.“ (Ebd.) Tillich lässt die Vorgaben der klassischen Ideenlehre hinter sich, indem er den Aspekt der Individualisation – Platon hätte von den Einzeldingen gesprochen – neben die Partizipation, also den Teil als gleichursprünglich neben das Ganze stellt: „Das Selbst ist ein Teil der Welt, die es als seine Welt hat. Die Welt wäre nicht, was sie ist, ohne dieses individuelle Selbst.“ (Ebd.) Was Tillich mit Blick auf die personale bzw. interpersonale Partizipation ausführt, gilt auch prinzipiell: Die Partizipation ist auf allen Ebenen konstitutiv für die vollständige Individualisation. Noch einmal betont Tillich die Gleichursprünglichkeit von Selbst- und Weltbezug. Wenn grundsätzlich gilt: „Kein Individuum existiert ohne Partizipation“, dann heißt das für das menschliche Selbstverhältnis erst recht: „Kein personales Sein existiert ohne gemeinschaftliches Sein“ (ST I, 208). Im Unterschied zur aristotelischen Kategorienlehre ist dabei die Relation nicht die seinsschwächste Eigenschaft. Es ,gibt‘ kein Selbst, das sich isoliert von anderen ,Selbsten‘ in seiner eigenen ,Substanz‘ bewahren könnte. Das In-Beziehung-Treten, das Tillich hier ,Partizipation‘ nennt, ist für den Selbstvoll-

 Zur Wirkungsgeschichte der platonischen Stufenontologie vgl. ST III, 332 f. Auch in diesem Kontext betont Tillich das von Platon ausgehende „tief existentielle Verständnis der Wirklichkeit“ (a.a.O., 332).

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Marc Röbel

zug nicht nur akzidentell, sondern konstitutiv.⁷⁰ An diesem Beispiel zeigt sich, auf welche Weise Tillich Denkfiguren der klassischen Metaphysik adaptiert und diese mit Theoremen der modernen Philosophie kombiniert hat. Tillich zählt zu den Philosophen, die das systematische Potential des Partizipationsbegriffs für aktuelle Fragestellungen erkannt haben. Der Terminus ist zu einem Schlüsseltheorem seines eigenen Denkens geworden. In seinem eigenen Konzept jedenfalls weist Tillich dem Partizipationsgedanken entscheidende systematische Funktionen zu: Der Begriff der Partizipation hat viele Funktionen. Ein Symbol partizipiert an der Wirklichkeit, die es symbolisiert; der Erkennende partizipiert am Erkannten; der Liebende partizipiert am Geliebten; das Existierende partizipiert an den Essenzen, die es zu dem machen, was es ist. Das Individuum partizipiert am Schicksal der Trennung und der Schuld; der Christ partizipiert am Neuen Sein, wie es offenbar ist in Jesus dem Christus. (ST I, 208 f.)

Hier deutet sich bereits neben ontologischen, erkenntnis- und symboltheoretischen sowie anthropologischen und existenzphilosophischen Fragestellungen auch die theologische Perspektive an, auf die Tillichs Reformulierung des Partizipationsbegriffs angelegt ist: Bestimmte Sphären der Wirklichkeit wie die Kunst, die Religion oder die Liebe erschließen sich nur denjenigen, die an ihnen partizipieren. Einer ,nur‘ objektiven Betrachtung entgehen entscheidende Facetten solcher Phänomene. Diese erschließen sich nicht in der „Sphäre des bloßen Wissens“ bzw. des „bloß Detachierten“, wie Tillich sagt. (EW XVI, 57) Seine philosophische Grundfrage lautet in diesem Zusammenhang: Wie findet der Mensch aus dem Gehäuse einer eindimensionalen Weltanschauung zu einer mehrdimensionalen Wirklichkeitserfahrung? Das von ihm herausgearbeitete Partizipationstheorem hat aus systematischer Perspektive „überall seine Funktion“ (EW XVI, 56). In der Problemanalyse gesellschaftlicher Phänomene, zu denen auch der zeitgenössische Kollektivismus und Individualismus in ihren einseitigen Ausprägungen zählen, greift Tillich auf eben diese „Grundstruktur der Polarität von Individualisation und Partizipation“ zurück. Aus dem Auseinanderdriften dieser polaren Verbindung erklären sich für Tillich „die Krankheiten der Seele und der Gesellschaft“ (ebd.). Ebenso programmatisch wie kämpferisch erklärt Tillich in seinen Berliner Vorlesungen zur Ontologie: „Lassen Sie mich schließen mit der Feststellung, dass ich glaube, dass eines der Grundprobleme des menschlichen Denkens, an dem das Mittelalter

 Vgl. ST I, 209: „In Polarität mit Individualisation ist Partizipation die Basis für die Kategorie der Beziehung als ontologischem Grundelement. […] Ohne Partizipation hätte die Kategorie der Beziehung keine Basis in der Realität. Jede Beziehung schließt eine Art Partizipation ein.“

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beinahe am Anfang und dann am Ende wirklich zugrunde ging, nämlich Nominalismus und Realismus, durch die Polarität von Individualisation und Partizipation gelöst ist.“ (EW XVI, 55) Ob Tillichs Denkansatz tatsächlich als ,Lösung‘ zu verstehen ist, soll an dieser Stelle nicht entschieden werden. Unbestreitbar aber stellt seine Philosophie einen Beitrag dar, der auch im 21. Jahrhundert zu denken geben kann. Im derzeitigen ,Zeitalter der Partizipation‘ ist Tillich als Partizipationstheoretiker noch zu entdecken.

Folkart Wittekind

Herrmann, Troeltsch und Tillich über die Konstruktion der Theologiegeschichte 1 Einleitung In den Gesammelten Schriften Tillichs findet sich eine Theologiegeschichte des 19. und 20. Jahrhunderts, als zweiter Teil eines Gesamtüberblicks über die christliche Theologie. Der von Ingeborg Henel 1971 herausgegebene Band beruht auf Tonbandmitschnitten einer Vorlesung des 77jährigen Tillich in Chicago im Jahr 1962.¹ Tillich hat hier weitgehend frei und ohne Kontrolle an seinen vorbereiteten Texten vorgetragen. Obwohl es im Tillich-Archiv, wie Henel in ihrem editorischen Vorwort mitteilt,² schriftliche Aufzeichnungen Tillichs zu einer solchen thematischen Vorlesung auch bereits aus früheren Jahren gibt, wurde für die Edition der Theologiegeschichte auf eine Wiedergabe der originalen Tillich-Notate verzichtet. Henel bemerkt zutreffend, dass dadurch die Vorlesung so etwas wie ein Gedächtnisprotokoll Tillichs zu den theologiegeschichtlich entscheidenden Schritten ist, welche die Entwicklung seiner eigenen Theologie während der 1910er und 20er Jahre in Deutschland prägen. Zu bearbeiten und zu deuten ist also an der vorliegenden Form der Theologiegeschichte weniger die jeweilige Darstellung der einzelnen Theologen und noch weniger die Frage der Sachgemäßheit dieser Deutung, sondern viel mehr die Stellung und funktionale Bedeutung, die Tillich den verhandelten Personen im Aufbau der geschichtlichen Situation in der Theologie am Anfang des 20. Jahrhunderts gibt. Es bleibt zu hoffen, dass auch das von Tillich vorbereitend niedergeschriebene Material (sowohl zu dieser Vorlesung als auch zu anderen in den Jahren zuvor) eines Tages in der von Erdmann Sturm vorbildlich vorangetriebenen neuen Werkedition erscheinen wird, so dass auch der Arbeitsprozess und die Entwicklung der Sicht Tillichs mit in die Exegese der ‚Theologiegeschichte‘ einbezogen werden kann. Zu fragen ist also nach der systematischen Konstruktion der Theologiegeschichte Tillichs. Dabei ist diese selbst theologiegeschichtlich zu verorten. Fragt man nach den Hintergründen von Tillichs Konstruktion, dann ist zu berücksichtigen, dass er bereits früh mit einer cum grano salis ‚typologischen‘ Konstruktion der Geistesgeschichte hantiert. Diese Typen werden aber nicht um ihrer

 Vgl. EW II.  Vgl. a.a.O., 9 – 12. https://doi.org/10.1515/9783110767728-008

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selbst willen nebeneinandergestellt und zum Ausgangspunkt der Darstellung genommen,³ sondern eingebettet in eine teleologische – nämlich auf die eigene Position zulaufende – Gesamtkonstruktion der Theologie- und Geistesgeschichte. Es werden also historische, entwicklungsbezogene und typologische Elemente ineinandergeschoben. Wie Tillich zu dieser Konstruktion der Theologiegeschichte kommt, soll hier selbst als eine theologiegeschichtlich zu erforschende Frage behandelt werden. Ausgangspunkt der folgenden Überlegungen ist eine Bemerkung Tillichs zur Dogmen- (bzw. Theologie)geschichte aus seinem absolutheitstheoretisch konzipierten frühen System von 1913.⁴ Der vom Idealismus unternommene Versuch, aus all diesen Elementen [sc. Alte Kirche, mittelalterlicher Katholizismus, Mystik, Reformation, altprotestantische Orthodoxie, Humanismus, Aufklärung, Liberalismus] ein neues absolutes System zu errichten, verfiel der Kritik der Reflexion (Hegel und das 19. Jahrhundert); es folgte die Forderung, das theologische Prinzip in seiner Reinheit herauszustellen und unter Verzicht auf das absolute System mit den verschiedenen Formen des Geisteslebens in freie Beziehung zu setzen. (Dies ist die dogmengeschichtliche Rechtfertigung des vorliegenden Unternehmens.) (EW IX, 324)

Tillichs Systemüberlegungen liegt eine absolutheitstheoretische Strukturanalyse kultureller menschlicher Akte zugrunde, aber diese wird immer wieder durch bestimmte geschichtliche Hinweise und Erläuterungen aufgelockert bzw. angereichert. Tillich verbindet seine Diagnose des eigenen theologiegeschichtlichen Ortes (und damit in abgekürzter Form die theologiegeschichtliche Einbettung dieses Ortes) mit der Reflexivität der Struktur. Beides hängt entwicklungsgeschichtlich zusammen. Zu fragen ist also danach, was in dem zitierten Text ‚das theologische Prinzip in seiner Reinheit‘ bedeutet, wie der Unterschied von absolutem System und einem ‚auf die verschiedenen Formen des Geisteslebens‘ angewendeten theologischen Prinzip aufzufassen ist, und wie diese Durchsichtigkeit des theologischen Prinzips mit der Erfassung der Theologie in der Gegenwart zusammenkommt. Die Fragen sollen beantwortet werden durch Einbettung der Äußerung Tillichs in den theologiegeschichtlichen Kontext. Deshalb wird ausgegriffen auf Modelle der Theologiegeschichte in der Theologie bis zum Ersten Weltkrieg, insbesondere auf den Gegensatz von Ernst Troeltsch und Wilhelm Herrmann in dieser Frage. Es soll gezeigt werden, dass Tillich in seiner Konstruktion nicht nur

 Vgl. das bekannte, seinerseits von Tillich abhängige ‚typologische‘ Verfahren in H. R. Niebuhr, Christ and Culture, New York 1951.  Vgl. P. Tillich, Systematische Theologie von 1913, in: EW IX, 273 – 434.

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auf Troeltschs Zuspitzung der Theologie als rein historische Wissenschaft zurückgreift, sondern auch die Vertiefungen Herrmanns als Korrektur an Troeltsch rezipiert. Tillichs Bemerkungen werden also eingestellt in die Entwicklung der theologischen Selbstreflexion im Medium der Theologiegeschichtsschreibung, wie sie das wissenschaftliche Bemühen der protestantischen Theologie in Deutschland zwischen 1890 und 1930 auszeichnet.

2 Zur Entwicklung der Theologiegeschichtsschreibung während Tillichs Studienzeit Gegen 1890 wandelt sich das Erscheinungsbild der Systematischen Theologie. Die zunehmende Verwissenschaftlichung und Historisierung prägt auch die Selbstwahrnehmung der Theologie, die in der Diagnose der Gegenwartstheologie beschrieben und in auf die Gegenwart hinführenden Theologiegeschichten erzählt wird.⁵ Genauer: Die Theologiegeschichtsschreibung bis 1890 steht noch im Bann positioneller Selbstbehauptungen, d. h. die eigene Weiterführung der Theologie wird zur Norm für die gesamte Theologie gemacht und die anderen Positionen von da aus negativ beurteilt. Es gibt damit kein zusammenhängendes Bild einer gemeinsamen Arbeit oder eines gemeinsamen Ziels der wissenschaftlichen Theologie. Davon gibt es entsprechend verschiedene Varianten. Die spekulative Form, wie sie z. B. in der Theologiegeschichte von Schwarz vorliegt,⁶ setzt auf die Überlegenheit der durch Hegel beeinflussten Theologie. Die altliberale, durch die Jenaer Vermittlungstheologie geprägte Form z. B. bei Gustav Frank versucht eine umfassende Beschreibung,⁷ kann aber ihren Widerwillen gegen konfessionalistische, pietistische und repristinatorische Theologien nicht verbergen. Umgekehrt wird in der häufig zitierten Theologiegeschichte des Erlangers Reinhold Frank die erweckliche Überwindung der rationalen Theologie zum Schibboleth der modernen Theologiegeschichte – hier wird kein präziser Unterschied von Fröm-

 Vgl. zum Folgenden grundlegend M. Murrmann-Kahl, Art. Theologiegeschichte / Theologiegeschichts-schreibung, in: TRE Bd. 33, Berlin / New York 2010, 344– 349.  Vgl. C. Schwarz, Zur Geschichte der neuesten Theologie (1856), Vierte sehr vermehrte und umgearbeitete Auflage, Leipzig 1869.  Vgl. G. Frank, Die Theologie des neunzehnten Jahrhunderts. Aus dem Nachlasse herausgegeben und mit einem Lebensabriß des Verfassers versehen von G. Loesche, Leipzig 1905.

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migkeits- und Wissenschaftsgeschichte zugelassen.⁸ Die letzte große positionelle Theologiegeschichte der Gegenwart stammt wiederum aus spekulativer Feder, nämlich von Otto Pfleiderer.⁹ Dieser hat seine Sicht noch einmal in einem umgehend publizierten öffentlichen Vortrag zusammengefasst. Hier wird dann die positionelle Behandlung ausgedehnt auf Ritschl, und es ist zu vermuten, dass Pfleiderer damit auch die seit den 1870er Jahren zunehmend dominierenden Ritschlschüler mitmeint. Mit der entschiedenen Ablehnung Ritschls versucht Pfleiderer, die wissenschaftliche Theologie auf die spekulative Methode, wie sie von Biedermann geübt wird, festzulegen.¹⁰ Ein Versuch, die Modernität oder gar Notwendigkeit einer geschichtlich-empirisch verfahrenden Theologie für das Christentum und seine bestimmte Identität zu verstehen, wird nicht gemacht. Der Zugriff auf die Theologiegeschichte ändert sich mit Kattenbuschs antwortendem Entwurf von 1891/92.¹¹ Hier wird zum ersten Mal die Aufgabe unternommen, die verschiedenen Strömungen der Theologie im 19. Jahrhundert aus einem historischen Zusammenhang zu verstehen und damit auch die vermeintlich feindlichen Formen im Kontext zu würdigen. Zwar biegt Kattenbusch am Ende die Entwicklung natürlich in seine (durch Ritschl geprägte) Richtung um. Aber er will darstellen, welchen positiven Anteil die verschiedenen Theologievarianten an der gegenwärtigen Erfassung der Aufgabe der Theologie haben und damit seine Beschreibung dieser Aufgabe auch aus der theologiegeschichtlichen Gesamtentwicklung herleiten. Sein Ausgangspunkt ist die Behauptung, dass alle Theologen Kinder des 19. Jahrhunderts seien und dass dieses an sich bloß richtige Faktum auch inhaltlich stärker sei als die Differenzen.¹² Damit wird hermeneu Vgl. F. H. R. von Frank, Geschichte und Kritik der neueren Theologie, insbesondere der systematischen, seit Schleiermacher. Aus dem Nachlass des Verfassers herausgegeben von P. Schaarschmidt (1894), Erlangen / Leipzig 21895. Vgl. bereits K. F. A. Kahnis, Der innere Gang des dt. Protestantismus, Leipzig 1854; sowie parallel M. Kähler, Geschichte der protestantischen Dogmatik im 19. Jahrhundert, bearbeitet und mit einem Verzeichnis der Schriften Martin Kählers herausgegeben von E. Kähler, München 1962. (Kähler hat die dem Buch zugrundeliegende Vorlesung zwischen 1890 und 1911 regelmäßig gehalten.)  Vgl. O. Pfleiderer, Die Entwicklung der protestantischen Theologie in Deutschland seit Kant und in Grossbritannien seit 1825, Freiburg 1891.  Vgl. O. Pfleiderer, Die Entwicklung der protestantischen Theologie seit Kant. Populärer Vortrag [1891], Berlin 1892.  Vgl. F. Kattenbusch, Von Schleiermacher zu Ritschl. Zur Orientierung über den gegenwärtigen Stand der Dogmatik, Gießen 1892.  Wie sich der Ausgangspunkt theologiegeschichtlicher Forschung ändern kann, erhellt der Blick auf Max Geigers in einer Rezension Hirschs unternommenen Versuch, die Historisierung der Dogmatik als Auslieferung der Theologie an die ‚Geschichtsmächte‘ zu desavouieren (vgl. M. Geiger, Geschichtsmächte oder Evangelium? Zum Problem theologischer Geschichtsschreibung und ihrer Methode, Zollikon 1953). Sucht Kattenbusch noch nach einem gemeinsamen Merkmal

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tisch der entscheidende Historisierungsschritt getan – alle (und besonders die moderne) Theologie ist grundsätzlich zeitbezogen und damit aus und mit der Zeit erklärbar. Inhaltlich zeigt Kattenbusch dies daran, dass die streitenden Richtungen des zweiten Jahrhundertdrittels, also spekulative, konfessionelle und Vermittlungstheologie, alle inhaltlich von Schleiermacher abhängig sind. Deshalb ist die Differenz von der von ihm ‚romantisch‘ genannten Vermittlungstheologie (hier im später auch gebräuchlichen weiteren Sinn für alle drei Positionen; die Bezeichnung ‚romantisch‘ hat sich dafür nicht durchgesetzt) zur Aufklärungstheologie und Orthodoxie stärker als die Unterschiede untereinander. Indem er Hegel und Schleiermacher inhaltlich-religionstheoretisch eng aneinanderrückt und Schleiermacher dabei positiv durch seine größere Nähe zu Kant auszeichnet, bereitet er in der Schleiermacherrezeption des 19. Jahrhunderts bereits die erkenntnistheoretisch-neukantianische Position der Ritschlschule vor. Kattenbusch sieht (alle) Vermittlungstheologie durch zwei miteinander in verschiedenen Positionen verknüpfte Größen charakterisiert: Einerseits die Anerkennung des Bewusstseins und der Subjektivität des Glaubens als Grundlage aller Religion – damit ist eine starke Absetzung von aller vorigen Theologie gegeben. Andererseits aber die freie assoziative Konstruktion einer starken Allgemeinheit (im Gottes- und Geistgedanken, der Geschichte, der Kirche und ihrer geschichtlichen Bindung). Beides zusammen macht das Romantische, das Schwankende und den unkontrollierbaren Behauptungscharakter der vorritschlschen Theologie aus. Dagegen profiliert Kattenbusch dann die Theologie Ritschls als methodisch kontrolliert, als objektiv und historisch normativ, weil auf Jesus und das Urchristentum bezogen. Bei Kattenbusch bleibt die Vorstellung von der Normativität des gesuchten Religionsbegriffs dabei unklar: Handelt es sich um eine historische, auf die Identität des Christentums in der Geschichte bezogene? Oder geht es um eine begriffliche Normativität, wie sie in konstitutionsbezogenen Religionsvorstellungen gegeben ist? Damit zeigt sich, dass das Auseinandergehen der Ritschlschule zwischen der historischen Linie bei Harnack und Troeltsch und der begründungslogisch-bewusstseinstheoretischen bei Herrmann (mit vielen Zwischenstationen wie z. B. bei Julius Kaftan) bereits hier in der Ritschlrezeption angelegt ist. Es ist dabei vielleicht angesichts der sich in den folgenden 30 Jahren verschiebenden Modernisierungsbrüche bis hin zu Karl Barth nicht uninteressant zu sehen, dass schon Kattenbusch sich gegen die ‚Bewußtseinstheologie‘ nach moderner Theologie, geht es Geiger im Gefolge Karl Barths um die Behauptung einer überzeitlichen Theologie in der Moderne – und um die Selbststilisierung einer sich so betrachtenden Theologie zur einzig möglichen. Mit der Absetzung der Theologie gegen alle zeitbedingten Einflüsse wird hier, so ist Geiger zu lesen, die Differenz von Theologie und anderen Deutungen in einer modernegemäßen, radikal pluralisierten Gesellschaft herausgehoben.

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Schleiermacher wehrt und eine richtige Erkenntnis der theologischen Sache selbst in der Rechtfertigungslehre der Reformation ansetzt.¹³ Damit aber wird die Theologie aus einer freien assoziativen Verwendung der Dogmen im System des Geistes hingeführt zu einer gedanklichen Kontrolle der Dogmenauslegung an einem festen Religions- und Christentumsbegriff. Kattenbusch sieht hier Ritschl auf dem richtigen Weg: Er liest die Offenbarungs- und Behauptungselemente von dessen historischer Urchristentums- und Reformationsdeutung als Abkehr von einer Religionsphilosophie und als methodische Arbeit der Theologie am Begriff der Religion bzw. genauer am Begriff einer solchen (absoluten) Religion, wie sie im Christentum historisch gegeben ist. In dieser methodischen Forderung sieht er das Erbe Ritschls, nicht jedoch in dessen inhaltlichen Bestimmungen von Christentum und Religion. Diese auf die Aufgabe der Theologie in der Gegenwart gerichtete Diagnose Kattenbuschs hat sich in den nächsten 40 Jahren, bis zur Auflösung der pluralen Debattenkultur in der theologischen Wissenschaft im Gefolge der gesellschaftlichen und politischen Machtergreifung durch den Nationalsozialismus, im Wesentlichen erfüllt. Es kommt zu einer Konzentration der Systematischen Theologie auf den Glaubens- und den Christentumsbegriff als Grundlage der Dogmatik, und die Neukonzentration auf den Gottesbegriff und seine spezifisch religiöse Dimension kann als Hinweis auf die stärker werdende Bearbeitung der Ausdifferenzierung der Religion in der Gesellschaft verstanden werden. Daran arbeiten Ritschlschüler und -enkel sowie modern-positive bzw. aus der Erlanger Schultheologie oder der Schule Kählers stammende (also Bibel‐) Theologen zusammen. Dieser Zusammenhang wird in den theologischen Stellungnahmen zur Gegenwart aus den verschiedenen Richtungen bis in die dreißiger Jahre hinein immer wieder betont. In dem Bewusstsein dieser fortschreitenden Zusammenarbeit an einem gemeinsamen Problem sind dann in den 1920er Jahren die Dauerinvektiven insbesondere Karl Barths gegen alle anderen Formen von Theologie von den Älteren mehr als peinlicher Rückfall in überwundene Zeiten wahrgenommen worden. Nicht nur Troeltsch und Herrmann, sondern eine Reihe weitere Theologen arbeiten am Jahrhundertanfang an einer gegenwartsorientierten umfassenden Sicht auf die neuere Theologiegeschichte. Dabei ist zu unterscheiden zwischen mehr deskriptiven und mehr systematisierenden Aufstellungen. Kattenbuschs eigene Entwicklung in seiner mehrfach aufgelegten und

 Von den „Gefahren der Bewusstseinstheologie“, denen erst Ritschl entgegentreten sei, redet dann auch Herrmann (ders., Christlich-protestantische Dogmatik [1906], in: P. Hinneberg [Hg.], Die Kultur der Gegenwart. Ihre Entwicklung und ihre Ziele [Teil I Abt. 4, 2. Hälfte: Systematische christliche Religion], Berlin / Leipzig 1906, 129 – 180, 160). Vgl. den Abdruck der zweiten Auflage (1909) in: W. Herrmann, Schriften zur Grundlegung der Theologie Teil 1, hg. von P. Fischer-Appelt, München 1966, 298 – 361.

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dabei grundlegend erweiterten genannten Theologiegeschichte bewegt sich immer mehr hin zu einer aufzählenden Darstellung der verschiedenen gleichzeitigen Positionen.¹⁴ Dazu trägt auch bei, dass Überblicke über die Gegenwartstheologie zunächst als Ergänzungen zu den alten Werken erscheinen¹⁵ oder in den Gesamtzusammenhang der Kirchengeschichte eingeordnet werden.¹⁶ Demgegenüber zeichnet sich der im folgenden darzustellende Diskurs zwischen Troeltsch und Herrmann dadurch aus, dass die Theologiegeschichtsschreibung von vornherein unter der Frage nach der einen richtigen bzw. möglichen Theologie in der Gegenwart steht. Nicht umfassende Darstellung, sondern das Skizzieren der entscheidenden gedanklichen Probleme und Hinführung auf den gegenwärtigen Moment der Entscheidung steht im Vordergrund. Es wird sich zeigen, dass Tillichs Einordnung seines Systems in die Dogmengeschichte ebenfalls von einer solchen Problemzuspitzung auf das eine Richtige in der Gegenwart motiviert ist.

3 Wilhelm Herrmanns Konstruktion der neueren Theologiegeschichte 1906 Unter dem Titel Christlich-protestantische Dogmatik lässt Wilhelm Herrmann 1906 in Hinnebergs großem Überblickswerk zur Kulturgeschichte einen Artikel erscheinen, in welchem er die Gesamtgeschichte der evangelischen systematischen Theologie einer eigenen Deutung unterzieht und auf seine Theologie hinordnet. In vielen Dingen ist er mit Kattenbusch einig, insbesondere mit der Betonung der Bedeutung Schleiermachers für den Neuprotestantismus. Allerdings will er – damit Kattenbusch weiterführend – diese Anknüpfung an Schleiermacher mit einer anderen theologischen Interpretation versehen. Die Abkehr von der Lehre als Ausgangsform der Theologie setzt er dabei mit diesem voraus: Die lehrhaft-

 Vgl. insbesondere seit der sehr erweiterten und unter neuem Titel erschienenen vierten Auflage von 1924: F. Kattenbusch, Die deutsche evangelische Theologie seit Schleiermacher. Ihre Leistungen und ihre Schäden, Gießen 1924.  Vgl. H. Stephan, § 6. Die evangelische Dogmatik seit Schleiermacher, in: F.A.B. Nitzsch, Lehrbuch der evangelischen Dogmatik [Erste Auflage 1889], dritte Auflage bearbeitet von H. Stephan, Tübingen 1912, 30 – 62 (vgl. die Bemerkung Stephans auf Seite V). R. H. Grützmacher, Die Theologie der Gegenwart, in: F. H. R. v. Frank, Geschichte und Kritik der neueren Theologie, insbesondere der systematischen, seit Schleiermacher, Erlangen / Leipzig 41908.  Vgl. z. B. H. Stephan, Die Neuzeit (Handbuch der Kirchengeschichte für Studierende, hg. von Gustav Krüger), Tübingen 1909, 215 – 224. 239 – 259; oder R. Seeberg, Die Kirche Deutschlands im neunzehnten Jahrhundert. Eine Einführung in die religiösen, theologischen und kirchlichen Fragen der Gegenwart, Leipzig 1903, 238 – 323.

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normative Auffassung der Dogmatik wird mit dem Namen Melanchthon verknüpft; sie hat die Theologie völlig beherrscht durch Orthodoxie, Pietismus und Rationalismus hindurch. Seit Schleiermacher ist diese Dominanz gebrochen. Alle Theologen wandeln die lehrhafte Fassung um in die Funktion, den Glauben zum Ausdruck zu bringen. Insofern sind alle Theologen nach Schleiermacher, egal ob liberal, konservativ oder erweckt, auch für Herrmann ‚moderne‘ Theologen. Kattenbuschs Bezeichnung romantische Theologie verwendet er allerdings nicht. Das liegt auch daran, dass Herrmanns Blick auf diese Errungenschaft Schleiermachers für die moderne Theologie gebrochen ist. Denn Schleiermacher hat zwar die Religion an die Stelle der Lehre gesetzt, und hierin sind ihm alle gefolgt. Aber er bestimmt die Religion noch nicht in Herrmanns (mit Luther als evangelisch normierten) Sinne. Der Religionsbegriff Schleiermachers (nach Herrmann) enthält zwei Elemente, nämlich die bewusstseinstheoretische (also allgemeine) Bestimmung der Besonderheit der Religion (gegenüber Wissen und Wollen) und ihre Individualität bzw. ihren individuellen Vollzug. Herrmann wirft der gesamten Theologie des 19. Jahrhunderts vor, nur den ersten Strang berücksichtigt zu haben. Für diese Sicht ist Religion ein eigenes Vermögen des Menschen (aller Menschen), um Transzendenz wahrzunehmen. Hier wird die Theologie zu einer Weise von Bewusstseinsphilosophie des Absoluten. Diese (falsche) Auffassung der Theologie ist erfolgreich gewesen, weil sie sowohl mit der Freiheitsphilosophie der Moderne als auch mit Autoritätsanspruch der alten Lehre kompatibel ist. Schleiermacher ist der Ahnherr sowohl der liberalen als auch der konservativen Theologie. Herrmann dagegen betont im Religionsbegriff Schleiermachers die individualitätstheoretischen Aspekte der ersten Werkphase, also der Reden und der Monologen. Allerdings verbindet er diese Individualitätsthese immer direkt mit der Konstitutionsbehauptung. Dadurch gewinnt er einen normativ-allgemeinen Begriff des individuellen Glaubensvollzugs. Entscheidend ist seine direkte Verknüpfung beider Aspekte: Theologie beschreibt die Konstitution der Gehalte des Glaubens im Akt des Glaubensvollzugs. Aneignung und Produktion liegen hier normativ ineinander. Dafür ist der christliche Bezug auf Jesus das Bild, und dies ist eigentlich der innere Kern der reformatorischen Erkenntnis Luthers. In modernen Begriffen geht es hier um das Verhältnis von Freiheit und Bestimmtheit im Vollzug des Selbstbewusstseins. Deshalb rekonstruiert Herrmann die Theologie Schleiermachers als Freiheitstheologie im Gefolge der praktischen Philosophie Kants. Die erkenntnistheoretische Seite Kants, den Kritiker der Metaphysik und metaphysischen Lehre setzt er dabei in Schleiermacher einfach voraus. Religion ist nicht Aneignung von Inhalten, wie die moderne Theologie vermeintlich Luther rezipierend formuliert. Sondern Religion ist das Vollziehen von Gehalten, die im Moment des Vollzugs entstehen. Theologie ist deshalb eine hermeneutische

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Wissenschaft, die dem Entstehen des Glaubens zuschaut – und in diesem Zuschauen eben auch das Entstehen der Gehalte betrachtet. Inhalte sind deshalb aber auch nicht mit Schleiermacher nur Ausdruck eines bereits bestehenden Glaubens. Sondern sie sind direkt Zeugen der Produktion, deren Zeugnis sie zugleich sind. D. h., sie sind reflexive und zugleich unmittelbare Darstellungen des Produktionsakts, in dem sie entstehen.¹⁷ Dieser Akt hat selbstbewusstseinstheoretische Letztbegründungsfunktion. Da es die Individualität der Person selbst ist, die hier vollzogen wird, kann Herrmann auch von Wahrheit des Glaubens sprechen. Denn im Gegensatz zu allen anderen Akten des Bewusstseins wird hier nicht etwas (ein Gegenstand oder ein bestimmter Wunsch oder Wille) vollzogen, sondern die (individuelle) Person selbst. Gott, Selbstbewusstsein der Person, Freiheit als Bestimmung des Menschen und Glaube gehören in Herrmanns Religionsbegriff konstitutiv zusammen. Der Maßstab dafür (oder der theologische Begriff für ihn) ist die Wirklichkeit Jesu Christi, die im Glauben erlebt wird. Der reformatorische Christ glaubt an Jesus Christus – und indem er an ihn glaubt, ist ihm dieser Christusglaube zugleich das Fundament, das Zeugnis und der Ausdruck seiner freien Personalität. Aufgrund der Konstitutivität dieses Glaubensinhaltes für den richtigen Begriff des Glaubens kann jedoch an dieser Stelle nicht mehr davon gesprochen werden, dass Christus nur ‚Ausdruck‘ für eine von ihm verschiedene Idee bzw. eine theologische Theorie ist. Damit kommt auf einer Dogmenbildungsstufe zweiter Ordnung der normativchristologische Anspruch in die Theorie hinein, den Troeltsch an den Ritschlianern kritisiert hat. Allerdings hat Troeltsch, wie wir sehen werden, genau die von Herrmann bezeichnete reflexive theologische Funktion dieses ‚Dogmas‘ nicht mitgelesen, weil ihn die Frage nach der Konstitution der Religion im Vollzug nicht interessiert hat bzw. er diese Frage immer als bereits gelöst (in einem philosophisch erst noch zu erweisenden religiösen Apriori) vorausgesetzt hat. Theologiegeschichtlich bedeutet Herrmanns Vorgehen, dass er mit der Unterscheidung von ‚richtigen‘ und ‚falschen‘ Momenten in Schleiermachers Theologie zwar an der allgemeinen Anknüpfung der Ritschlianer an Schleiermacher festhält. Aber zugleich gewinnt er die Möglichkeit, sich von dem Hauptstrom der Theologie des 19. Jahrhunderts, nämlich den liberalen, spekulativen Theologen und den vermittlungstheologischen Schleiermachernachfolgern, loszusagen.

 „[Schleiermacher] meint nicht nur, daß wir alles, was zur Religion gehört, erst damit religiös besitzen, daß wir es auf uns selbst anwenden. Alles [!], was zur Religion gehört, soll vielmehr eben darin erst gegeben sein, daß ein geistig lebendiges Wesen [gemeint ist eine Person bzw. Individuum] zu seinem vollen Leben erwacht.“ (W. Hermann, Christlich-protestantische Dogmatik [1906] [s. Anm. 13], 140. Zitiert wird hier im Folgenden nach der Erstveröffentlichung; die Seitenangaben finden sich auch in der Neuedition von Fischer-Appelt).

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Diese haben gerade an den fehlerhaften Elementen angeknüpft, nämlich an dem späten, in der Glaubenslehre vorliegenden Versuch, Religion und ihren Inhalt mithilfe allgemeiner bewusstseinsbezogener Konstruktion auszusagen. Denn die Glaubenslehre (Schleiermachers) wird für Herrmann aus zwei Elementen gebildet, dem allgemeinen Religionsbegriff als Grundlage und der historischen Aufnahme der Lehrelemente der protestantischen Religion, also Schleiermachers Bezug auf die Bekenntnisschriften, als Füllung. Beides findet in der Theologie nach Schleiermacher Aufnahme. Damit widerspricht Herrmann allerdings indirekt der Konstruktion Kattenbuschs, nach welcher gerade die Konzentration auf das historische Wesen des Christentums das Neue bei Ritschl und das Verbindende der Ritschlianer sei. Auch diese Positivierung der Theologie in Form von Historisierung ist nicht das, was Herrmann sucht. Ausfälle gegen die Psychologie (als Wissenschaft von der allgemein menschlichen Religion) und die Geschichte (als bloß vorfindliches Element der Tradition in der Religion) zieren den Text, wie sie Barth später wiederholt hat.¹⁸ Damit sind auch die konservativen Theologen des 19. Jahrhunderts, die sich auf die Identität des Christlichen bzw. die traditionelle Lehre der Kirche berufen, als Schleiermacherschüler eingeordnet – sie rezipieren einen der Aufbaustränge der Glaubenslehre Schleiermachers. Die Vermittlungstheologie im engeren Sinne (Herrmann nennt hier Karl Immanuel Nitzsch, Julius Müller und Isaak August Dorner) knüpft dagegen in der Weise an Schleiermacher an, dass sie die Lehrelemente des Protestantismus aufnimmt und mit Schleiermachers eigener Fortsetzung des Pietismus verknüpft zu einer „religiös belebten Orthodoxie“:¹⁹ In dieser ist nicht die Rechtgläubigkeit entscheidend, sondern die allgemeine Funktion der Lehre, Ausdruck des Glaubens zu sein. Es kommt aber auch hier nicht zu einer konstitutiv-begründenden Theorie der Entstehung des Glaubens im individuellen Vollzug, sondern zu mehr bildhaften Beschreibungen. Alle diese Theologien aber haben das im Frühwerk Schleiermachers gegebene Individualitätsmoment vernachlässigt, statt es, wie es Herrmann für notwendig hält, herauszuarbeiten und zur konstitutiven Grundlage der Religionstheorie zu machen. Damit wird die Eigenständigkeit der Position Herrmanns auch in der theologiegeschichtlichen Konstruktion betont. Allerdings macht er auch Kontinuitäten hin zu seiner eigenen Position aus. Diese sind einerseits bei den Erlanger Erfahrungstheologen zu suchen – Konrad Hofmann ist „einer seiner [sc. Schleiermachers] größten Schüler“²⁰ –, andererseits gilt dies für Ritschl. Damit bestätigt

 Vgl. W. Herrmann, Christlich-protestantische Dogmatik (1906) (s. Anm. 13), 151 f.  A.a.O., 153.  A.a.O., 150.

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Herrmann die Diagnose Kattenbuschs, dass alle ‚Schüler‘ Ritschls bereits durch frühere Formen von Theologie geprägt waren, bevor sie sich Ritschl zuwandten. Bei Kattenbusch ist dies – wie bei Julius Kaftan – die Vermittlungstheologie, bei Herrmann hingegen die Erweckung. Die Ritschlschüler verstehen sich so bereits im Ansatz als eine Sammelbewegung der vorhergegangenen Theologie. Die Ritschlrezeption ist für alle nur ein Element dieser Modernisierung. Gleichwohl betont Herrmann auf dieser Basis ein ganz anderes Element als das Eigentliche der Theoriebildung. Wie zeigt sich die Individualisierung der Glaubensvorstellung bei den Erlangern und bei Ritschl? Die Entwicklung der Dogmatik bei Hofmann und Frank wird zum zeitdiagnostischen Richtungssignal. Denn indem die Erlanger versuchen, die Subjektivität des Glaubens mit den kirchlichen traditionellen Bekenntnisformen zu vereinen, dabei aber immer mehr den Vorrang des individuellen Zugangs betonen, stellen sie die von den ‚offiziellen‘ evangelischen Kirchen betonten normativen Schriftbezug in Frage. Die Bedeutung der Theologie Hofmanns und Franks besteht darin, gezeigt zu haben, dass eine einfache Verbindung von Glauben und Schrift unter modernen Bedingungen nicht mehr zu haben ist; und dass es in dieser Situation nur einen Ausweg gibt, nämlich entschieden die Subjektivität bzw. den Vollzug des individuellen Glaubens in den Mittelpunkt der theologischen Analyse zu stellen. Herrmann lässt zeitdiagnostisch die Kirche an der Modernisierung und Individualisierung der Gesellschaft scheitern. Schleiermacher wollte, wie Herrmann sagt, noch bewusst „der evangelischen Kirche dienen“²¹, indem die Glaubenslehre nicht die individuelle Gründung, sondern die Ausdrucksfähigkeit des kirchlichen Bekenntnisses betont. Die Theologie des 19. Jahrhunderts musste deshalb erst die Verbindung von allgemeinem Religionsbegriff und geschichtlicher Wesensbestimmung auflösen, um den Ansatzpunkt der Reden neu zu entdecken. Das hat die Erlanger Theologie gerade dadurch bestätigt, dass sie in ihrem eigentlichen Anliegen gescheitert ist. Denn die Verbindung von Individualität und Kirchenlehre ist dogmatisch unmöglich und führt, wie sich an Hofmann und Frank sehen lässt, zu unhistorischen und unwissenschaftlichen Umdeutungen des Bibeltextes. Genau an dieser Stelle des Gedankengangs (und der Theologiegeschichte) tritt Ritschl auf den Plan. Ritschl war wissenschaftlicher Historiker und religiöser Mensch zugleich. Seine Behauptung, wie ihn (nach Herrmann) seine ‚Schüler‘ verstanden haben, war gerade, dass Glaube und Geschichtsbewusstsein auch in religiösen Dingen zu vereinen sind. Mit dieser Anregung hat Ritschl das ‚Patt‘ zwischen wissenschaftlicher Theologie und kirchlicher Bindung aufgelöst. Reli-

 A.a.O., 154.

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gion ist selbst eine historische Angelegenheit; ihre Geltung hängt nicht an überhistorischen Wahrheiten, sondern an dem Einleuchten von Überzeugungen jetzt und hier. Dieses Einleuchten ist damit selbst ein historischer Akt. Religion ist geschichtlich und sonst nichts. Allerdings: Diese positive Aussage bezieht sich auf Ritschl als methodischen Anreger. Herrmann wirft sogleich ein, dass Ritschl selbst diesen Anspruch theoretisch und inhaltlich gar nicht eingelöst habe. Denn es geht in der Theologie um die angemessene Beschreibung des historischen Vorgangs, in welchem dem einzelnen Menschen etwas als Wahrheit einleuchtet, also des Glaubens. Ritschl hat hier die zunehmende Individualisierung religiöser Überzeugungen zurückzudrängen versucht und im Rückgriff auf die Orthodoxie die Bindung an die Offenbarung betont. (Ritschls Theologie enthält also zwar neue Elemente, aber bleibt im Wesentlichen den Denkformen der Vermittlungstheologie und ihrer Form einer ‚romantischen Orthodoxie‘ verhaftet.) Damit hat Ritschl den reformatorischen Schriftbezug auf einer neuen, nämlich historischen Stufe wiederhergestellt und stärker als die Erlanger Theologen die Allgemeingültigkeit des Glaubensgeschehens in den Vordergrund der neuen Theologie gerückt. Während Herrmann damit formal übereinstimmt, behauptet er jedoch, dass Ritschl damit inhaltlich nicht weitergekommen sei. Denn trotz seiner (richtigen) Orientierung an der Glaubensoffenbarung hat er diese am Ende doch inhaltlich-lehrhaft zu definieren versucht. Der Fehler liegt für Herrmann darin, dass Ritschl zwischen Geschichte und allgemeiner Gültigkeit nicht differenziert und sich damit die Probleme eines normativen Bezugs auf die Gestalt Jesu nie klar gemacht hat. Damit bestätigt Herrmann seinerseits die Kritik, die Troeltsch seit den 1890er Jahren immer wieder an den Ritschlianern geübt hat.²² Er meint, diese Kritik nicht auf sich beziehen zu müssen. Ritschl zeigt damit ebenso wie die Erlanger, dass eine theologische Normierung des Glaubens immer zu einer unwissenschaftlichen Bemächtigung und Umdeutung der Geschichte führt. Dieses Problem wird wissenschaftlich sichtbar an der Notwendigkeit, die Bibel in der Exegese als Zulieferer für die dogmatischen Ideen zu missbrauchen. Darüber ist die religionsgeschichtliche Exegese zugunsten reiner Historisierung wissenschaftlich hinausgegangen. Aber wie sieht es, wenn man diese Vorgehensweise wählt, mit der Allgemeingültigkeit der in Jesus Christus geschichtlich verkörperten Offenbarung Gottes aus?

 Herrmann nennt als Positionen, welche die Verbindung von Geschichtlichkeit und Normativität bei Ritschl für das entscheidend Neue halten, entsprechend Kattenbusch und Kaftan (vgl.W. Herrmann, Christlich-protestantische Dogmatik [1906] [s. Anm. 13], 159.).

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Dies führt zu einem gravierenden Problem von Ritschls Theologie. Es ist ebenfalls darin begründet, dass Ritschl nicht genau genug zwischen Geschichte und Glaubensinhalt unterscheidet. Dadurch zeichnet er in richtiger Weise Jesus Christus als Inhalt des christlichen Glaubens aus. Aber er fügt damit auch normativ Inhalte der neutestamentlichen Jesusberichte in den Glauben ein. Herrmann nennt hier insbesondere Ritschls naives Verhältnis zur Vorstellung der Auferstehung Jesu. Jesus Christus ist, jedenfalls so wie Ritschl ihn in seiner Theologie behandelt, gerade nicht Bild des Glaubensgeschehens, sondern wiederum eine Lehre, die von der Theologie als Inhalt des Glaubens ausgegeben wird. Damit aber fällt Ritschl für Herrmann wieder in die alten Bahnen der Orthodoxie und auch der philosophischen Allgemeinheitsaussagen der Theologie des 19. Jahrhunderts zurück. Der Ansatz ist also richtig: Es gilt, Geschichte und Glaube miteinander zu verbinden; es gilt zudem, den Offenbarungsgedanken wieder in den Mittelpunkt der Theologie zu rücken, aber nicht im Sinne der Orthodoxie als Lehroffenbarung, sondern als unmittelbarer Ausdruck der Evidenz des Glaubens; und es gilt zudem im Christentum, diese Evidenz direkt mit der Anschauung der Person Jesu Christi zu verbinden, ohne aber daraus eine neue Form lehrhafter Normierung des Glaubens abzuleiten. In diesen Neuansätzen stimmt Herrmann mit Ritschl überein, er ist aber der Meinung, dass Ritschl das Programm zwar gesehen, aber nicht hinreichend erkennbar umgesetzt hat – und dass die Ritschlianer, die sich auf die lehrhaft-normativen, historisch-christologischen Bestandteile des Systems berufen, gerade dieser Nichterkennbarkeit zum Opfer gefallen sind. Dagegen gilt es für Herrmann, die theologische Aufgabe in der Gegenwart neu zu bestimmen. Was schlägt Herrmann als Weiterführung der Theologie vor? Da es hier darum nicht geht, kann das nur kurz skizziert und gedeutet werden, und auch dies nur soweit, wie es für die Erfassung der Aufgabe der Theologie bei Tillich wichtig ist. Herrmann fordert eine Theologie des Glaubensaktes, nicht des Glaubens. Theologie sagt nicht, welchen Inhalt der christliche Glaube hat. Hier schafft bzw. erlaubt sie vielmehr ein Feld vielfältiger Aussagen, an denen die Glaubenden sich einzeln erfreuen können sollen (wie Herrmann formuliert). Dabei können auch gegensätzliche Aussagen der biblischen Schriften in jeweiliges Recht haben. Eine (Theologie als) Systematisierung der Glaubensgehalte ist deshalb vollständig abzulehnen. Dies würde vermutlich auch für verschiedene Christusprädikate und -vorstellungen gelten. Neben diese Ebene der vielfältigen individuellen (und historischen) Ausdrucksgestalten des Glaubens, die gerade nicht lehrhaft verstanden werden dürfe, tritt aber nun eine neue Ebene der theologischen Aussagen. Sie richten sich auf die Allgemeingültigkeit des je individuell vollzogenen Glaubensaktes. Herrmann versucht also, eine Theologie zweiter Ordnung aufzubauen, welche die Produktion von Gehalten im Glaubensakt funktional analysiert

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und beschreibt. Diese Beschreibung ist strikt wissenschaftlich und allgemeingültig, da es in ihr um die allgemeine Struktur des Glaubens geht. Und sie ist wissenschaftliche Theologie, da sie diese Strukturbeschreibung aussagt mit Rückgriff auf die Gotteslehre, die Offenbarungslehre und die Christologie. Herrmann funktionalisiert also die bisherigen Lehr- und Inhaltsaussagen zu reflexiven Analyseelementen desjenigen Produktionsaktes, in welchem sie entstehen. Damit ist eine neue bewusstseinstheoretisch-reflexive Stufe der Theologie gegeben, und sie kreist um den Gottes- und Offenbarungsbegriff. (Diesen Zusammenhang hat dann Karl Barth auf seine Weise aufgenommen.) Zwar ist die Betonung des Ausgangs der Theologie im Gottesgedanken auch in anderen Theologien der Zeit erkennbar. Zeitbezogen könnte man sagen, dass mit der Ersetzung des Religions- durch den Gottesgedanken zunehmend die Eigenständigkeit der Religion gegenüber einer allgemeinen Theorie des menschlichen Bewusstseins betont wird. Es geht also zunächst gar nicht um den Widerstand der Theologie gegen einen anthropologischen Religionsbegriff, sondern ‚nur‘ um den Versuch, die eigenständige, systeminterne Funktionalität religiöser Aussagesysteme zu beschreiben. Das gleiche Ziel ist erreichbar, wenn man versucht, den allgemeinen philosophischen Religionsbegriff durch eine engere Konzentration auf die Wesensbestimmung des Christentums zu ersetzen. Der Glaube an Jesus Christus kann so zum Kulminationspunkt der Modernisierung der Theologie zwischen Individualisierung und Systemrationalität werden. In diesem allgemeinen Zeitkontext hat aber Herrmann versucht, diese Konzentration auf Offenbarung, Gott und Jesus Christus zu einer konzisen Strukturtheorie des religiösen Aktes umzuformen, wobei seine Beschreibung (in der Theologie zweiter Stufe) mit genau denjenigen theologischen Mitteln erfolgt, die zugleich (in einer Theologie erster Stufe) als lehrhaft abgelehnt werden. Der damit latent unerkennbar werdende (wie sich an Troeltschs Lektüre Herrmanns zeigen wird) theoretische Versuch Herrmanns, diesen neuen Gedanken auf den Begriff zu bringen, bedient sich der missverständlichen Betonung der ‚Tatsache‘. Jesus Christus ist nicht Inhalt von Lehre, sondern er ist die Tatsache im Erleben des Glaubens, die dessen (des Glaubens) Wahrheit bedingt. Jesus Christus wird damit (und damit greift Herrmann auf Luthers Christologie zurück) zum unmittelbaren, direkten Bild der Gottesoffenbarung im Glauben. Gott, Offenbarung und Christus sind Ausdruck (auf der Ebene der Theologie zweiter Ordnung), dass der Glaubensakt auf einer strikt allgemeinen Struktur der Produktion von Gehalten beruht. Dadurch wird die moderne Freiheit der Person religiös gewahrt. Die Theologie verwendet die Gehalte des Glaubens, um den Akt, in welchem sie angeeignet werden und einleuchten, reflexiv zu beschreiben. Dabei geht es, und das macht dann die bleibende grundsätzliche Bedeutung des Glaubens (und auch der Theologie) aus, nicht um eine von vielen möglichen Produktionsakten der

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Bewusstseinsvermögen. Vielmehr geht es um einen fundamentalen Akt des individuellen personhaften Selbstbewusstseins. In diesem wird – an der ‚Tatsache‘ der Offenbarung in Christus – die Grundlage der Einheit und Wahrheit der Person gebildet. Die Tatsache steht damit zugleich für die vollständige reflexive Durchsichtigkeit des personalen Selbstverhältnisses. Da der Mensch diese aufgrund seiner Verstrickung in weltliche und in soziale Beziehungsgefüge nicht erreicht, bleibt der Glaube kontingent – und er bleibt sich der Kontingenz und Unverfügbarkeit bewusst, indem er im Glauben Gott als Tatsache erkennt und die Person Christi mit der Tatsache der Offenbarung verknüpft. Jesus Christus ist damit zwar der Inhalt der christlichen Religion. Aber eine moderne Theologie beschreibt ihn gerade nicht als diesen Inhalt, sie versucht auch nicht, diesen Inhalt durch allgemeine Theoriebildung für den Menschen und das Bewusstsein als wahr zu erweisen, sondern sie deutet diesen Inhalt theologisch, und damit als Vollzugsstruktur des sich seiner selbst reflexiv erschlossenen personalen Selbstbewusstseins. Zusammenfassend lässt sich zur Bedeutung Schleiermachers und Ritschls in Herrmanns Konstruktion der Theologiegeschichte des 19. Jahrhunderts sagen: Die Kritik an Schleiermacher ist für Herrmann selbst genauso zentral wie die Anknüpfung an Ritschl. Das gilt gerade dann, wenn gleichwohl die positiven Momente in Schleiermacher und die kritischen bei Ritschl genannt werden können. Mit Ritschl beginnt noch einmal etwas ganz Neues in der Theologie: Nämlich die Konzentration der (systematischen) Theologie als Wissenschaft auf die Analyse des Glaubensakts. Damit werden die Inhalte des Glaubens neu einer wissenschaftlichen Deutung zugeführt. Alle vorherige Theologie, auch die Schleiermachers, gleichen die Inhalte der Religion bzw. des Christentums mit einer allgemeinen Sicht des menschlichen Geistes aus. Die Inhalte werden so zu Bildern, romantischen Allegorien der eigentlich gemeinten Sachverhalte auf der Ebene des allgemeinen Geistes. Und die Theologie als Wissenschaft verfährt als philosophische Theorie der menschlichen Religion und unterlegt sie der Dogmatik. Herrmann will dagegen die Theologie als Reflexionswissenschaft für den Glauben verstehen. Ritschl hat mit dieser Form der Theologie begonnen, weil er keine metaphysische Religionstheorie, sondern eine auf den Christusglauben bezogene Christentumstheorie formuliert hat. Die historischen Elemente von Ritschls Theorie will Herrmann dabei gerade nicht beerben, sondern nur das formale Vorgehen, das zudem erst noch geklärt und individualisiert bzw. am Vollzug als allgemeinem Geschehen orientiert werden muss. Herrmanns Betonung der Individualität ist also nur eine (nicht besonders gelungene) Weise der Beschreibung der Differenz von alter und neuer Theologie: Eigentlich geht es nicht um Individualität, sondern die reflexiv-konstitutive Analyse des Glaubensvollzugs mit theologischen Mitteln. Religion ist nicht bloß (gegen Troeltsch) eine besondere

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Weise, die eine Wirklichkeit anzuschauen, so dass man religiöse mit naturwissenschaftlicher Weltanschauung vergleichen und inhaltlich ausgleichen könnte. Dann hat man die eigentliche Differenz des Religiösen nicht in den Blick bekommen. Sondern Religion ist eine eigene Weise der Konstitution einer eigenen Wirklichkeit. Erst damit ist die Pluralisierung der modernen Welt nicht nur oberflächlich, sondern in ihrer radikalen Weise ernst genommen und auf den Begriff gebracht.

4 Troeltschs Konstruktion der neueren Theologiegeschichte Troeltsch hat die Theologie Wilhelm Herrmanns, wie auch die anderer Ritschlianer, immer wieder dargestellt und kritisiert.²³ Auch Troeltschs Sicht der Theologiegeschichte widerspricht dem von Herrmann vorgelegten Entwurf. Denn Troeltsch hält Schleiermacher für den eigentlichen Erneuerer der modernen Theologie, während er Ritschls Theologie und die der Ritschlianer letztlich als unwissenschaftliche Sondergruppensemantik (um ein modernes Bild zu benutzen) ohne allgemeine Bedeutung einschätzt. Tillichs Ablehnung der Theologie Ritschls und seiner Schüler, aber auch seine Anknüpfung an den Idealismus knüpft an diese Sicht Troeltschs an. Was ist im Einzelnen gemeint? In seinem großen Überblick über das neuzeitliche Christentum in demselben kulturgeschichtlichen Überblickswerk,²⁴ in dem auch Herrmanns oben bearbeiteter Artikel erscheint, behandelt Troeltsch die Theologie von vornherein nicht unter einem internen wissenschaftlichen Gesichtspunkt, sondern stellt die (universitäre) Theologie insgesamt – mit ihren Institutionen und Protagonisten – in  Einschlägige Schriften Troeltschs finden sich im ersten Band der Kritischen Gesamtausgabe, zusammen mit theologiegeschichtlichen Gesamtentwürfen zum 18. und 19. Jahrhundert; z. B. E. Troeltsch, Die Selbständigkeit der Religion (1895/96); ders., Die historischen Grundlagen der Theologie unseres Jahrhunderts (1895); ders., Geschichte und Metaphysik (1896) (gegen Julius Kaftan); ders., Zur theologischen Lage (1898) (gegen Kattenbusch); ders., Die wissenschaftliche Lage und ihre Anforderungen an die Theologie (1900). Daneben sind die bekannten Auseinandersetzungen mit bzw. Weiterführungen von Harnack (zum Wesensbegriff) und Herrmann (zur Ethik) zu beachten.  Vgl. E. Troeltsch, Protestantisches Christentum und Kirche in der Neuzeit, in: P. Hinneberg (Hg.), Die Kultur der Gegenwart. Ihre Entwicklung und ihre Ziele (Teil I, Abt. 4, 1. Hälfte), Berlin / Leipzig 1906, 253 – 458. 444, in: E. Troeltsch, Protestantisches Christentum und Kirche in der Neuzeit (1906/1909/1922) (KGA 7, hg. von V. Drehsen in Zusammenarbeit mit C. Albrecht), Berlin / New York 2004. Im Folgenden werden die Seitenzahlen der Erstveröffentlichung von 1906 verwendet, die sich in dem Band der Gesamtausgabe unter dem Sigel A am Rand finden lassen.

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einem kultur- und sozialgeschichtlichen Sinne als „großes Lebensgebiet des modernen Protestantismus“²⁵ dar. Ihre eigentliche Aufgabe ist die Vermittlung zwischen dem alten Kirchenglauben und dem modernen, zunehmend unchristlicher werdenden wissenschaftlich gebundenen Weltwissen. Troeltsch behandelt die christliche Religion damit als eine altgewordene Form von inhaltlich mehr oder weniger richtiger Weltanschauung, nicht aber als ein eigenes, eine eigene Form von Sinn mithilfe inhaltlicher Bild- und Vorstellungsfindung herstellendes Deutungssystem. Die Vermittlung von modernem wissenschaftlichem Weltbild und altem Glauben leistet die Theologie des 19. Jahrhunderts in drei verschiedenen Ausprägungen: Einmal in der historisch-wissenschaftlichen der Tübinger Schule, die wesentlich auf der Hegelschen Trennung von Begriff und Vorstellung basiert und die Dogmenbildung deshalb als Ausdrucksgestalt der reinen Idee auffasst. Sie wird von Troeltsch für die eigentliche Basis der modernen wissenschaftlichen Theologie gehalten. Dann der kirchlichen Fassung der Theologie, die soweit wie möglich am alten Glaubensinhalt und der Bibelbindung festhält und in einer nur leicht ermäßigten Modernisierung die Weltanschauung der meisten Pfarrer (gewesen) ist. Dazwischen aber gibt es ein breites Feld an Möglichkeiten, sozusagen Vermittlungstheologie im eigentlichen Sinn: Hier ist Schleiermacher anzusiedeln. Die Theologie Schleiermachers beschreibt Troeltsch in einer eigenartigen Weise. Denn Schleiermachers Betonung der Eigenständigkeit der Religion sieht Troeltsch als Abschwächung von Erkenntnisanspruch durch Ansiedlung im Gefühl, während er den Inhalt formalistisch als ‚Menschheitsidee‘ aufnimmt.²⁶ Das Eigentliche von Schleiermachers Konzentration auf das Wesen der Religion dürfte damit kaum berührt sein. Die historisch-institutionelle kirchliche Einbindung, also die Frage nach dem Wesen des Christentums, schiebt Troeltsch dagegen ganz in die gegenwartspraktische Anwendung, die für ihn keinen eigenen Erkenntnisanspruch für das Ganze der Welt hat. Ritschl wird von Troeltsch ganz auf dieser Linie Schleiermachers gesehen; er hebt nur hervor, dass Ritschl die Verbindung von Religion und Metaphysik ganz abzuschneiden versuche und  Diese Auffassung der Aufgabe der Theologie (vgl. E. Troeltsch, Protestantisches Christentum [s. Anm 25], 445, Anm. 13) findet sich schon bei A. Biedermann in einer spekulativen Begründung („… was man gegenwärtig gewöhnlich Vermittlungstheologie nennt. […] man kann sagen, alle theologische Wissenschaft müsse Vermittlungstheologie sein, da ja das die Aufgabe der Wissenschaft ist, ihren Gegenstand mit dem Denken zu vermitteln.“ A. E. Biedermann, Christliche Dogmatik, Zürich 1869, 57), sie ist auch in Tillichs später Theologiegeschichte noch das erste, was ihm zum Thema Vermittlungstheologie wichtig ist, vgl. EW II, 171. Ab der zweiten Auflage hat Troeltsch die Rede von den ‚großen Lebensgebieten‘ vermieden bzw. umformuliert.  „Dogmatik als Darstellung der vollendeten religiösen, nicht im Erkennen, sondern im Gefühl wurzelnden Menschheitsidee in den Formen der kirchlichen Überlieferung“ (E. Troeltsch, Protestantisches Christentum [s. Anm. 25], 449).

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damit (selbst in der Interpretation Luthers) das Praktische der Religion gegenüber der Erkenntnis einseitig in den Vordergrund stellt. Auch Troeltsch artikuliert in diesem Beitrag von 1906 die Notwendigkeit einer neuen theologischen Einigung des Protestantismus. Allerdings sieht er die Möglichkeit dieser Einigung nur dort, wo die Theologie als Wissenschaft sich der Aufgabe stellt, die „Ausgleichung der Religion mit der neuen Wissenschaft“²⁷ vorzunehmen. Die traditionellen kirchlichen Gruppen, wie zum Beispiel die Lutheraner in Amerika, kann Troeltsch als Historiker zwar wahrnehmen, aber ihre religiöse Gesinnung kann er nur als abständige Antiquiertheit in der modernen Welt ansehen. Das Eigene der Religion, obwohl von Troeltsch immer wieder betont, besteht für ihn nur in der lebenspraktischen Anwendung von Erkenntnisideen, nicht aber in einer eigenen Formulierung solcher ‚Ideen‘.²⁸ Die damit gegebene Differenz von Wissenschaft und Praxis beherrscht auch Troeltschs 1908 veröffentlichten Überblick über die Gegenwartstheologie.²⁹ Wissenschaft auf theologischem Feld gibt es dabei grundsätzlich nur noch historisch, weil nur hier Erkenntnisse und Wahrheiten allgemein geteilt werden. Glaube und Religion sind dagegen nur „persönliche, subjektive, bekenntnisartige Überzeugungen“³⁰ – wieder wird der Inhalt des Glaubens als erkenntnisförmig aufgefasst, nur seine Anwendung ins persönliche Wechselhafte bzw. Praktische verlagert. Einerseits bestätigt Troeltsch damit auf seine Weise die Individualisierungsdiagnose, die sich auch bei Herrmann findet. Andererseits findet sich bei Troeltsch kein konstruktiver religionsbezogener Umgang mit dem Phänomen. Denn es lässt sich fragen, ob seine lehr- und inhaltsbezogene Auffassung der Religion und ihrer bloß subjektiven praktischen Aneignung das eigene Wesen der Religion überhaupt in den Blick bekommt. An einem anderen Beispiel verdeutlicht: Man kann ja auch die Kunst wohl kaum angemessen unter dem Blickwinkel betrachten, welche Ideen und Inhalte sie eigentlich hat, und die künstlerische Ausdrucksweise ins Beliebige bzw. rein Subjektive stellen. Gleichwohl macht Troeltsch aus dieser Sicht der Religion eine eigene Kategorie der Beurteilung der Gegenwartstheologie: Sie sei im Wesentlichen „agnostische Theorie der religiösen Erkennt-

 E. Troeltsch, Protestantisches Christentum (s. Anm. 25), 450.  Ich würde deshalb vorsichtig sein hinsichtlich der transzendentalphilosophischen Deutung von Troeltschs Fassung des religiösen Apriori. Vgl. U. Barth, Religionsphilosophisches und geschichtsmethodologisches Apriori (1992), in: ders., Gott als Projekt der Vernunft, Tübingen 2005, 359 – 394.  Vgl. E. Troeltsch, Rückblick auf ein halbes Jahrhundert der theologischen Wissenschaft (1908), in: ders., Gesammelte Werke Bd. 2, Zur religiösen Lage, Religionsphilosophie und Ethik, (Neudruck der zweiten Auflage 1922) Aalen 1962, 193 – 226.  E. Troeltsch, Protestantisches Christentum (s. Anm. 25), 199.

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nis“³¹, indem sie von dem Grundsatz ausgehe, dass „auch in solcher praktischsymbolischer Haltung [des Menschen im Glauben] ein Zugang zu den wirklichen Gründen des Lebens möglich sei“³². Diese Beurteilung Troeltschs lebt von der Annahme, dass es nur eine Wirklichkeit (bzw. letzte Wirklichkeit), nämlich die wissenschaftlich feststellbare gibt, und dass andere Zugänge zu ihr, wie künstlerische, religiöse, soziale, sich bezüglich ihrer ‚Adäquatheit‘ an dieser messen lassen müssen. Theologie ist deshalb keine Wissenschaft, sondern eben ‚Vermittlung‘; sie ist prinzipiell ein „Verzicht auf jede adäquate und die transzendente Welt wirklich sachlich erfassende theoretisch-wissenschaftliche Erkenntnis“³³. Damit kann dann auch die Partikularität der Religion erfasst werden, insofern eine solche vermittelnde Theologie nur für diejenigen Personen gelten kann, die die Wirklichkeit auch religiös deuten. Troeltsch sieht mit Herrmann, dass die orthodoxe Fassung der Dogmatik als Lehre für den Glauben ausgedient hat, aber er sieht dies nicht als Chance für die Eigenständigkeit von Religion und Theologie, sondern als unwissenschaftliche Abirrung, als eingestandenes Einknicken vor der Beliebigkeit pluraler Ausdrucksgestalten. Wichtig dabei: Alle Formen einer Religionsphilosophie oder theologischen Begründung, die eigene ‚religiöse‘ Funktionen der Symbole, der ‚Erkenntnisse‘ und Vorstellungswelten der Religion oder des christlichen Glaubens zu beschreiben versuchen, werden von Troeltsch wieder zurückgenommen auf ihren Inhalt; und dessen theologische Beschreibung wird immer interpretiert als Aussageform, welche die Wirklichkeit (umfassend Transzendenz und Immanenz) im Ganzen thematisieren soll, es aber nicht schafft. Dass Religion möglicherweise eben nicht diese Funktion hat, kommt damit in der Wahrnehmung und Darstellung der neueren Theologie nicht mehr in den Blick. Für die Theologiegeschichte bedeutet dies: Die Linie Schleiermacher-Ritschl, welche die Dogmatik in der Gegenwart dominiert, ist im Grunde von Anfang an negativ zu beurteilen. Sie hat mit ihrem Agnostizismus das wissenschaftliche Anliegen einer Erkenntnis der Wirklichkeit der Welt aufgegeben. Sie ist auch nur eine Reaktion auf die Wissenschaft und ihre Erkenntnisse, die ein Weltbild erzeugen bzw. erzeugt haben, welches mit der christlichen Tradition immer weniger vereinbart werden kann. Wie Kant und Schleiermacher auf den Zusammenbruch der Metaphysik und die neue naturwissenschaftliche Sicht der Welt in apologetisch-agnostisch-reduktiver Weise reagieren, so reagiert in Troeltschs Gegenwart die Dogmatik (Ritschl und Schüler) auf die eigentlich wissenschaftliche Theologie der historischen Forschung (Baur und Nachfolger): Indem sie den agnostischen

 A.a.O., 200.  Ebd.  A.a.O., 201.

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Blickwinkel verschärft, sich noch enger auf die Sicht des Glaubens zurückzieht und sich auf die praktische Absicht, der Kirche zu dienen, konzentriert. So interpretiert Troeltsch die Theologie Ritschls und seiner Schule. Sie ist „schroffste Leugnung aller Metaphysik“³⁴ sowie Missbrauch der Geschichtswissenschaft zur einseitigen Betonung der großen christentumsbildenden Momente. Mit leicht empörtem Unterton formuliert Troeltsch, diese Theologie diene gar „nicht als Erkenntnis des Transzendenten, sondern als lediglich religiöse […] Deutung der Dinge und der Welt“ und sie habe sich „verselbständigt gegen die eigentliche Historie und gegen die Spekulation“³⁵. Den von Herrmann formulierten reflexivkonstitutiven Anspruch seiner Theorie nimmt Troeltsch nicht wahr. Das zeigt sich auch daran, dass er Herrmanns Entstehungstheorie für den Glauben nicht konstitutiv, sondern wieder gegenständlich liest: Durch Herrmanns Betonung des Entstehungsmoment solle der Glauben nur „hinreichend an eine entscheidende Grundsubstanz [gemeint ist hier das Bild Jesu] gebunden“³⁶ werden. Zusammenfassend formuliert Troeltsch, die Dogmatik der Ritschlschule „verzichtete […] auf die Identifikation der christlichen Idee [!] mit der wissenschaftlich-philosophischen Gotteserkenntnis und vertraute sich der Souveränetät des spezifischreligiösen Gefühls an“³⁷ – wobei letzteres eben nicht zustimmend, sondern durchaus kritisch gemeint ist. Damit übernimmt sie die Aufgabe, „den ihnen dargebotenen Lebensgehalt [sc. der großen historischen Persönlichkeiten des Christentums] für die Gemeinde nach dem Prinzip schonender Vermittlung“³⁸ zu bearbeiten. Damit wird deutlich, wie Troeltsch zu seinen beiden Gegenwartsaufgaben für die Theologie kommt. Es geht ihm um ein einheitliches Welt- und Wirklichkeitsbild. Um dieses zu erreichen, ist eine der Aufgaben dabei die Bestimmung des bleibenden Offenbarungscharakters Jesu. Hier tendiert die Wissenschaft zu einer völligen Leugnung, was auch mit reduzierten Formen der Christlichkeit kaum übereinstimmen kann. Troeltsch glaubt hingegen, durch historischen Rückgang auf die Quellen dann „aus dem Leben und der Persönlichkeit des Helden“³⁹ die christliche Religion ableiten zu können. Das zweite ist aber das Absolutheitsproblem für das Christentum. Da Troeltsch an der Erkenntnishaftigkeit der Religion für die Wirklichkeit festhält, kann das Christentum absolute Religion nur dann sein, wenn es gültige letzte Erkenntnisse über die Transzendenz und die

     

A.a.O., 204. A.a.O., 205. A.a.O., 208. Ebd. A.a.O., 210. A.a.O., 216.

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Immanenz enthält. An einer solchen „Theorie der religiösen Erkenntnis“⁴⁰ sieht er aber die Ritschlschule scheitern, gerade Herrmanns Theorie des Glaubens weise „recht bedenkliche Lücken“⁴¹ auf. Die letztere sei deshalb mehr eine „psychologische Anweisung, an Jesus diese Erfahrung [sc. von Gottes Heiligkeit und Liebe] zu gewinnen“⁴², womit aber alle Weltanschauungsfragen offen blieben. Herrmann selbst hingegen, so war oben gezeigt worden, hat sich gegen eine solche psychologische Funktion der Theologie entschieden gewehrt. Auf psychologischer Ebene ist das Phänomen des seines Inhaltes gewissen Glaubens überhaupt nicht theologisch sinnvoll zu bearbeiten. Er muss vielmehr als ein eigenes, aus sich selbst generiertes und seine Inhalte konstitutiv gewinnendes Vollzugsmoment im menschlichen Bewusstsein betrachtet werden. Troeltsch setzt dagegen einen historischen, kultur- und sozialgeschichtlichen Blick auf die religiösen ‚Erkenntnis’inhalte des Christentums und kommt zu dem Schluss, es gelte, eine „allgemeine Entwicklungsgeschichte des religiösen Bewußtseins“⁴³ zu schreiben, in der das Christentum „sich nicht mehr isolieren [läßt], es muß in die Kontinuität der Entwicklung hineingestellt werden, auch wenn man sein Eigenes und Neues noch so hoch wertet“⁴⁴. Wieder zeigt sich: Troeltsch lässt nur einen inhaltlichen Blick auf das ‚Neue‘ in der Religions- als Kulturgeschichte zu; die zugrundeliegende Eigenständigkeit des Religiösen als einer eigenen Form der Gewinnung von Weltdeutung fällt dabei mehr oder weniger unter den Tisch. Letztlich ist die Religionsgeschichte ein Teil der Kultur- und der Wissenschaftsgeschichte; die Ablösung des Christentums durch die moderne Weltsicht ist ein Angriff auf die Religion; die Chancen einer Entwicklung hin zur Eigenständigkeit von Religion und ihrer theologischen Reflexion werden nicht gesehen. Die Kulturgeschichte verstanden als Geschichte sich entwickelnder einheitlicher Weltauffassung, in welche die immer wieder betonte Differenz von wissenschaftlicher und religiöser Erkenntnis eingeordnet ist, bildet den Horizont. Das Postulat, das sich Troeltsch aus der Theologiegeschichte ergibt, ist das einer „allgemeinen Theorie der religiösen Erkenntnis“⁴⁵, von der her sowohl dogmatische Ansprüche als auch die nichtnormative, wissenschaftliche Erforschung des Christentums begründet werden – und genau das habe eigentlich auch Schleiermacher als Religionsphilosophie gemeint; doch müsse dieses Programm erst in der Gegenwart noch ausgearbeitet werden.

     

A.a.O., 217. Ebd. A.a.O., 218. A.a.O., 220. A.a.O., 221. A.a.O., 224.

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5 Herrmanns Antwort Wilhelm Herrmann hat Troeltschs Ausführungen zum Anlass genommen, seine Gesamtdarstellung der Probleme der gegenwärtigen Theologie und der Herkunft dieser Probleme noch einmal einer Revision zu unterziehen und ein etwas neues Bild zu entwerfen.⁴⁶ In diesem neuen Bild wird nicht mehr so sehr die Tatsache Jesu Christi im Glauben und damit die Rechtfertigungslehre als protestantischer Identitätsmarker (den es noch auszuarbeiten gelte) betont, sondern Troeltschs Geschichtsbild wird benutzt, um ein ebenso umfassendes Bild des Verhältnisses von Religion und moderner Entwicklung dagegenzusetzen. Herrmann begreift Troeltschs inhaltsbezogene Auffassung der Religion als verfehlte Suche nach einer einheitlichen Weltanschauung. Das Eigene der Religion ist nicht über den Praxisbezug und damit die psychologisch-sozial-religiöse Anwendung von Erkenntnissen gegeben, sondern es wird seit der Reformation versucht theologisch zu beschreiben über die Differenz von Religion und anderen Formen des Weltund Wirklichkeitsbezugs wie Moral, Wissen, Politik, Recht etc. Die Modernisierung in der Gegenwart wird damit nicht mehr so sehr über den Aspekt der Individualisierung beschrieben (deren Darstellungsfeld die Religion ist), sondern über den der Pluralisierung von Zugangsweisen zur Wirklichkeit. Damit aber wandelt sich auch das von der gesuchten Theologie gezeichnete Bild entsprechend ab. Herrmann bleibt zwar bei seiner reflexiv-konstitutiven Theorie des Glaubensakts, betont aber nun wesentlich stärker das Moment der Allgemeinheit der Struktur (die damit die gedankliche Grundlage der Ausdifferenzierungsbeschreibung wird). Offenbarung und Gott werden in der Theologie zu Beschreibungsformen der grundsätzlichen Kontingenz des Religiösen in der pluralen modernen Kultur. Der individuelle Ernst der Religion wird von Herrmann gegen ihre Verlagerung ins Praktisch-Anwendungsbezogene gewendet. Gemeint ist das Beharren auf einer grundsätzlichen Eigenständigkeit von Religion, die nicht über den Inhalt mit dem allgemeinen Wissen einer Zeit verrechnet werden kann. Dies soll hinsichtlich einiger Aspekte ausgeführt werden. Zunächst zum Gedanken der Autonomie der Religion: Herrmann lehnt Troeltschs Idee der Universitätstheologie als Vermittlung zwischen einer modernegemäßen Bildungsreligion und einer kirchlich-antiquierten Frömmigkeit grundsätzlich ab. Damit hängt zusammen, dass er auch Troeltschs Idee einer Religionsphilosophie (neo‐)

 Vgl. W. Herrmann, Die Lage und Aufgabe der evangelischen Dogmatik in der Gegenwart, in: ZThK 1907, 1– 33. 172– 201. 315 – 351; mit den Seitenzahlen der Erstveröffentlichung wieder abgedruckt in: W. Herrmann, Schriften zur Grundlegung der Theologie Teil II (hg. von P. Fischer-Appelt), München 1967, 1– 87.

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idealistischer Art, die also den Gedanken Gottes als notwendigen Gehalt des menschlichen Bewusstseins erweist, vollständig für verfehlt hält. Diese Ausgleichung als „Vermischung von Religion und Wissenschaft“⁴⁷ ist für ihn ein Irrweg und kann letztlich immer nur auf eine Überfremdung von Religion durch ein wissenschaftliches Verständnis ihrer Gehalte hinauslaufen. Genau dies wirft Herrmann Troeltsch und seiner Lektüre der protestantischen Theologie vor. Eine „Einigung von Religion und Wissenschaft“⁴⁸ wolle Troeltsch über die „in ihr erzeugten Gedanken“⁴⁹ erreichen, also über die Inhalte. Damit sei aber die Bedeutung der Inhalte für die Religion nicht erfasst bzw. genauer und entscheidender: An Troeltschs falscher Sicht auf die Funktion der Inhalte ist zu erkennen, dass er, so Herrmann, für das eigenständige Sein der Religion kein Sensorium hat. Mit Lotze wolle Troeltsch die Religion in einer metaphysischen Wahrheitsbehauptung für den Gottesgedanken (als letzter Punkt der einen Wirklichkeit der Welt) begründen und damit in diesem Abschlussgedanken Religion und Wissenschaft zusammensehen.⁵⁰ Dagegen stellt Herrmann ein modernisiertes Verständnis verschiedener und unableitbarer Hinsichten auf die Welt. Wissenschaft und Religion sind je für sich ein „sehr inhaltvolles und mächtiges geistiges Leben“.⁵¹ Und entscheidend ist die Forderung, dass jede der Hinsichten vollständig autonom und reflexiv zu verstehen ist, also ohne Verbindung über eine im Hintergrund bestehende und theoretisch als Grundlage postulierte ‚eigentliche‘ Wirklichkeit. „Die sich selbst begründende Wissenschaft stellt daher an die Religion die Schicksalsfrage, ob sie für sich [!] dasselbe leisten könne.“⁵² Sodann aber bedeutet dies ein ganz anderes Verständnis der Theologiegeschichte. Denn bei Troeltsch wird die Theologiegeschichte an der Frage orientiert, wann und wie ein Ausgleich der alten mit den neuen Inhalten der Welterkenntnis gefunden wird. Deshalb steht in seiner Geschichtsauffassung die Aufklärung im Zentrum, hat sie doch die Notwendigkeit erwiesen, von der alten Sicht der Theologie auf Gott, Welt und Mensch abzugehen. Herrmann sieht hingegen eine eigene innere Aufgabe der Theologie in ihrer Geschichte, nämlich das Wesen der  W. Herrmann, Schriften zur Grundlegung (s. Anm. 46), 3.  Ebd.  A.a.O., 5.  Vgl. Herrmanns Bemerkung: „Gerade einer der gedankenvollsten und eifrigsten unter den jüngeren Theologen, E. Troeltsch, hat sich das Ziel gesteckt, den alten Bund der Wissenschaft mit dem Glauben zu erneuern. Er ist in dieser Beziehung der konservativste oder, wenn man das lieber hört, der reaktionärste von uns allen.“ (W. Herrmann, Der Glaube an Gott und die Wissenschaft unserer Zeit. Nach einem Vortrag in Chicago am 21. März 1904 [1905], in: ders., Schriften, Bd. 1 [s. Anm. 13], 242– 263. 258.)  W. Herrmann, Schriften zur Grundlegung (s. Anm. 46), 5.  A.a.O., 7.

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Religion – besser des christlichen Glaubens – in seiner Eigenart immer grundlegender zu verstehen und begrifflich zu artikulieren. Er beschreibt also schon die Theologiegeschichte nicht über die Inhalte, sondern die Funktion der jeweiligen Inhalte (wie die Rechtfertigung in der Reformation) als Beschreibungsversuche für die Eigenständigkeit des Religiösen. Die Theologiegeschichte bekommt damit eine andere Aufgabe. Sie setzt bereits bei Luther die Einsicht in die selbständige Religion voraus und skizziert die Theologie unter der Frage, ob diese Einsicht einen adäquaten gedanklichen Ausdruck gefunden hat. Damit handelt es sich um eine innertheologische Konstruktion, nicht um eine von dem allgemeinen Wandel der Weltanschauung geleitete Fragestellung.⁵³ Die Wahrheitsbindung in der Theologie als Wissenschaft besteht darin, Funktion und Bedeutung der Gehalte des Glaubens aus dem Prozess seiner Entstehung zu erklären. Damit wird die dem Glauben eigene Form der Wahrheitsbindung theologisch aufgenommen. Die Rechtfertigungslehre der Reformation beschreibt nach Herrmann den Glauben nicht nur als Vertrauen in Gott, sondern notwendig zugleich auch als freies Werk des Menschen. Damit entsteht erst wahre selbständige Religion, die sich ihrer Unableitbarkeit, Nichtfunktionalisierbarkeit und Kontingenz bewusst ist. Glaube ist nicht Aneignung von Inhalten als intellektuelles Werk, sondern er entsteht in der Begegnung mit der Macht Gottes. Offenbarung und Gotteswirklichkeit sind nicht nur religiöse Erfahrungen, sondern theologische Beschreibungsmuster für die Selbständigkeit der Religion im Akt ihres Vollzugs: „In dieser erlebten Einigung von Abhängigkeit [sc. von der Macht Gottes] und Freiheit [sc. Glaube als unser eigenes Werk] ist die Art wirklicher Religion, in der ein innerlich selbständiges Wesen geschaffen, also das schlechthin Unbegreifliche Ereignis wird.“⁵⁴ Die Reformation hat aber wegen der Schriftbindung und der damit gegebenen Auffassung des Glaubens als Aneignung von bereits formulierten Inhalten dieses Moment der Freiheit des Glaubens nicht anerkennen und eigens aussprechen können. Entscheidend ist der behauptete innere Zusammenhang von Freiheit und Abhängigkeit. Inhaltlich handelt es sich um die Selbstzurechnung der freien Persönlichkeit als Norm des individuellen Lebens. Formal gesehen ist diese Selbstzurechnung der Ort der Entstehung des Glaubens bzw. der

 „Offenbar erkennt Troeltsch für die Religion, wie er sie versteht, diese Folge aus dem geistigen Fortschritt des 18. Jahrhundert nicht an. Sie soll, um in dieser vernünftigen Welt ein Recht zu haben, in den Gedanken der Wissenschaft die Anknüpfung für ihre Gedanken suchen. Die Religion will sich nicht ins Freie wagen. Dagegen ist nun doch die selbständige Religion, die mit eigenem Recht neben die mündig gewordene Wissenschaft treten darf, bereits im 16. Jahrhundert in die Welt gekommen und hat auch in der protestantischen Dogmatik sich immer einen Platz zu verschaffen gesucht.“ (W. Herrmann, Schriften zur Grundlegung [s. Anm. 46], 7)  A.a.O., 18; kursiv im Original gesperrt.

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Religion. Damit wird beides ineinandergeschoben; die Religion hat die Funktion, die Selbständigkeit der Person normativ zu fordern und zugleich konstitutiv zu ermöglichen. Jesus Christus ist als Offenbarung Gottes der christlich-religiöse Ausdruck dieses Doppelsachverhalts. Herrmann kommt am Ende dazu, ‚dialektisch‘ eine zugleich geforderte wie auch bestrittene Allgemeingültigkeit der theologischen Aussagen zu formulieren: „Man muß sich also in der Dogmatik entschließen, das Notwendige zu tun, und an der Forderung allgemeiner Erkenntnis zwar festhalten, aber zugleich auf eine allgemeingültige Formulierung der Erkenntnisse des Glaubens verzichten.“⁵⁵ Die Individualisierung der Religionsauffassung – und zwar nicht als Ausdruck und Anwendung, sondern als konstitutiver, den Vollzug als Genese der Inhalte begreifende – ist der „Schatz“ des Protestantismus, den „wir zu hüten haben“⁵⁶ gegen die moderne Kultur und ihre Auffassung subjektübergreifender Größen. Herrmann meint mit der geforderten Allgemeinheit die theologische Strukturbeschreibung des Glaubensakts und seiner konstitutiven Funktion. Die Inhalte, die sich aus dieser Funktion ergeben und ableiten, also die reflexive Erfassung der Religion im Glauben, sind und bleiben bindend. Herrmann setzt hier den Offenbarungs-, den Gottesgedanken und die Christologie ein. Daraus wird aber keine Lehre für den Glauben gemacht. Sondern die Theologie wird aus einer Systematik erster Stufe, die die Inhalte vergleicht und ihre inhaltliche Allgemeinheit prüft, umgeformt zu einer strikt konstitutions- und reflexionstheoretischen Wissenschaft des Glaubensvollzugs. Das bedeutet für die Theologiegeschichte und die Weiterentwicklung ihrer Erfassung zweierlei. An der Individualisierungsthese wird festgehalten, aber sie wird der Strukturbeschreibung untergeordnet. Herrmanns Individualisierungsgedanke war nur ein notwendiger Durchgangsschritt der Kritik der bisherigen Theologie. Das damit Gemeinte bezieht sich jetzt immer mehr auf die Erfassung dessen, was die Aufgabe der (protestantischen) Theologie (als einer allgemeingültig kontrollierbaren Wissenschaft) in der Gegenwart ist, nämlich die allgemeine Struktur des Glaubensaktes so zu beschreiben, dass zugleich mit dieser Beschreibung die für den Glauben bestehende Objektivität des Inhalts – Gott und Offenbarung – einsichtig wird. Damit kann man die zunächst kritisch behauptete Geltung der Theologie für die ‚Sondergruppe‘ der Glaubenden hermeneutisch auffangen und wieder wissenschaftlich verallgemeinern. Sodann: Der Bibelbezug wird zum Darstellungselement der neuen Theologie. Es geht nicht um einen protestantischen papierenen Papst, sondern immer schon

 A.a.O., 29.  Ebd.

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um den Versuch, Glaubensreflexivität theologisch – und das heißt allgemein – zu erfassen. Beides kulminiert wieder in der Neuformulierung der Christologie. Sie wird theologisch zum neuen Darstellungspunkt dessen, wie die Theologie ihre eigene Erkenntnismethode versteht und darstellt. Hier wird also sichtbar, wie sich Barth und Bultmann auf Herrmanns Verbindung von einer Christologie des Glaubensakts und einer methodisch-hermeneutischen Aufgabenbeschreibung für die Theologie haben inspirieren lassen.

6 Geschichtlichkeit der menschlichen Existenz als Grundlage der Theologiegeschichte Bevor die im Titel dieses Punkts formulierte These inhaltlich entfaltet werden kann, ist noch ein letzter Aspekt der Herrmannschen Theologie, nämlich ihre geschichtsphilosophische Anwendung zu nennen. Zweifellos ist Tillichs Theorie der Geschichtlichkeit des Übergangs von Reflexions- zum Glaubensstandpunkt ein Ergebnis seiner Troeltsch-Rezeption in Verbindung mit der intensiven Schellinglektüre. Es finden sich aber auch bei Herrmann Überlegungen, die eine Verbindung von Geschichtlichkeit und Glaubensvollzug nahelegen. Bultmann konnte mit seiner phänomenologischen Hermeneutik des Entscheidungsrufs im Neuen Testament genau an diese Überlegungen anknüpfen. Aber auch für Tillich zeigt sich an dieser Stelle, dass er nicht nur Troeltsch, sondern ebenso Herrmanns weiterführende Troeltsch-Kritik rezipiert hat. Grundlage dafür ist Ritschls Bindung von humanem allgemeinem Sinn an die Person Jesu. In ihm realisiert sich die Idee des Guten in einer personal letztgültigen Weise. Die Reich-Gottes-Verkündigung ruft auf zur Verwirklichung der Idee des Guten in der Welt und der Geschichte. Darum kommt für Ritschl in Jesus die religiöse Deutung des Selbst und die Entwicklung der christlichen Kirche mit der profanen Freiheitsgeschichte der Menschheit zusammen. Die Geschichte wird erst dort wahres selbstbestimmtes und zielgerichtetes Geschehen, wo Religion und Personalität sowie allgemeine Humanität zugleich bewusst werden. Harnack hat diese These in seiner Beschreibung der Entwicklungsgeschichte des Christentums aufgenommen. Jesus ist die Darstellung der Idee der Religion, aber seine Verkündigung drängt in der Gemeinde auf allgemeine humane Realisierung. Darin vereinigt Jesus Religion und Moral; und genau damit ist die abendländisch-moderne Auffassung von Geschichte begründet: „Was sich damals entwickelte, ist

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unsere Geschichte; denn es gäbe überhaupt keine ‚Menschheit‘, keine ‚Weltgeschichte‘ im höheren Sinn ohne jene entscheidende Wandlung.“⁵⁷ Troeltsch hat aus diesen Andeutungen die Möglichkeit und Notwendigkeit einer spekulativen umfassenden Weltgeschichtsdeutung abgeleitet. Die Geschichte als ein zusammenhängender, ganzheitlicher Prozess ist der Rahmen um ihre menschlich-subjektive Deutung und muss deshalb in dieser Deutung als objektive Instanz aufgenommen werden.⁵⁸ Die Einheitssicht auf die Geschichte ist die Begründung für die oben dargestellte Suche nach einer einheitlichen Weltanschauung in der Moderne. Die historisch-spekulative Vernunft konstruiert die auseinanderfallende Moderne unter der Notwendigkeit einer Synthese. Auch an dieser Stelle beansprucht Herrmann eine fundamentale Gegenposition. Er wendet seine religiöse Individualisierungsthese nämlich zugleich als geschichtsphilosophische Grundlagenkategorie. Nicht die Natur und ihre Gesetze in der ablaufenden Zeit, aber auch nicht die großen Taten der Entdecker, Forscher und Genies prägen die Geschichte, sondern das je individuelle Ausleben von (wahrer) Humanität. „Jeder von uns gehört der Menschheit, die in der Geschichte lebt, nur insofern an, als er selbst um wahrhaftes Leben kämpft.“⁵⁹ Aber die in der Geschichte lebende Menschheit ist dabei gar nicht vorgegeben, sondern selbst nur im Modus dieses je individuellen Kampfes existent. Denn „das, was die Geschichte und den Menschen als Träger der Geschichte erst möglich macht, ist die Religion. […] [D]ie stille Lebensfreude des Frommen bildet den Gehalt der Geschichte. Alles, was sonst in dem Weltgetriebe entsteht, hätte [ohne dies] keinen Sinn und Zweck“.⁶⁰ Ausdrücklich wird die Erfassung des Sinns der Geschichte, als die Deutung der geschichtlichen Lebendigkeit der Gesamtgeschichte der Menschheit, an den persönlichen Vollzug von Sinn gebunden. Ebenso auch die Moralität der allgemeinen praktischen Vernunft, denn im „Dienste des Guten eigenes Leben haben, heißt […] nicht bloß eine allgemein gültige sittliche Ord-

 A. v. Harnack, Das Wesen des Christentums. Sechzehn Vorlesungen vor Studierenden aller Fakultäten im Wintersemester 1899/1900 an der Universität Berlin gehalten von Adolf v. Harnack, hg. von C.-D. Osthövener, Tübingen 2005, 50.  Vgl. zu diesem ‚metaphysischen‘ Aspekt von Troeltschs Geschichtsdeutung die Bemerkungen von Ulrich Barth, Apriori (wie Anm. 28), 376 – 377. Die Bedeutung von Troeltschs Kantrezeption fasst Barth in der These zusammen: „Der geschichtsphilosophische Begriff der Religion ist die prinzipiellste Fassung der Geschichtlichkeit des menschlichen Geistes.“ (382) In dieser These wird allerdings bewusst die Geschichtsmetaphysik und die behauptete Objektivität der Gesamtgeschichte bei Troeltsch nicht mehr mit dargestellt.  W. Herrmann, Die religiöse Frage in der Gegenwart, in: C. H. Cornill u. a., Das Christentum. Fünf Einzeldarstellungen, Leipzig 1908, 102– 140, 128; wiederabgedruckt in: ders., Schriften, Bd. 2 (s. Anm. 46), 114– 149.  A.a.O., 127 f.

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nung verwirklichen, sondern dadurch diesem bestimmten Individuum das Recht des Lebendigen geben“.⁶¹ Damit wird der Sinn der Geschichte und die behauptete für diesen Sinn vorausgesetzte Zielbestimmung nicht (wie bei Troeltsch) in ein objektives Allgemeines der geschichtlichen Entwicklung verlagert, sondern in den individuellen Vollzug. Die Religion als individueller, je situativer existenzieller Vollzug des Glaubens rückt damit in die geschichtsphilosophische Konstruktion ein. Glaube in diesem Sinn begründet nicht nur das freie Individuum in seiner selbstbezogenen Würde, sondern auch die Geschichte der Menschheit und den letztgültigen (nämlich geschichtlichen) Sinn jeder Moralität. Zugleich wird damit Cohens ethische Deutung der Religion aufgenommen und (nach Herrmanns Meinung) rechtfertigungstheologisch überboten.

7 Theologiegeschichtskonstruktion in Tillichs System von 1913 Damit kann nun wieder zurückgeführt werden zu dem einleitend zitierten Satz aus Tillichs System von 1913. Zum Verständnis müssen noch einige Erklärungen aus dem Zusammenhang der von Tillich beabsichtigten neuen Systemaufstellung vorausgeschickt werden. Erstens: Theologiegeschichtlich bezieht sich Tillich hier auf Hegel bzw. die durch Ritschl methodisch durchgesetzte Kritik an ihm, also auf die Entwicklung im 19. Jahrhundert. Diese Problemstellung ist aber eingeordnet in die kirchengeschichtliche Entwicklung des Christentums insgesamt.⁶² Zweitens: Gleichwohl eignet der Gegenwart noch eine besondere prinzipientheoretische Funktion, sie ist nicht nur ein weiteres Moment der Theologiegeschichte, sondern sie ist der Moment, an dem die Theologiegeschichte so reflektiert wird, dass der Übergang zu einer neuen Gesamtansicht möglich und durchsichtig wird. Genauer: Die Überwindung des Widerspruchs von Hegel und Ritschl (oder Spekulation und positivistischer Kritik) ist Aufgabe der Gegenwart, sie ist aber zugleich strukturell der Übergang zu einem modernegemäßen (und zugleich absoluten) System, das Tillich auch als nachkantische Metaphysik bezeichnet. Darin fließen dann selbst wieder vermögenstheoretische, erkenntnistheoretische und geschichtsphilosophische Elemente ineinander. Drittens: Der Anspruch Hegels auf das absolute System wird zwar bestritten, aber in einer bestimmten Weise. Denn nicht die

 A.a.O., 132.  Auch die anfänglich zitierte späte Theologiegeschichte Tillichs bildet nur den zweiten Teil einer das gesamte Christentum umfassenden Dogmen- bzw. Theologiegeschichte.

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Absolutheit ist für Tillich das Problem, sondern die systematische Ableitung der ganzen Wirklichkeit bzw. Kultur. Dem setzt er eine kultursphärenbezogene Durchführung der Absolutheitsidee entgegen. Damit aber ist viertens die Ausdifferenzierung der Religion in der Kultur zum Ort der theologischen Absolutheit gemacht. Das wird einerseits mit einer strukturellen Analyse der Religion im Kontext der Aporien einer autonomen Kultur untermauert, andererseits mit einer religionsgeschichtlichen Entwicklungsbeschreibung. Fünftens ist aber die Differenz von Theologie und Religion wichtig: Denn erst in der Theologie (deren Entwicklung wiederum in die zuerst genannte Kirchengeschichte eingebaut ist) kann philosophische Absolutheit (bzw. die Rolle des Denkens in der Religion) und religiöse Absolutheit (das existenzielle Moment) begrifflich miteinander in Beziehung gesetzt werden. Damit aber sechstens bezieht sich Tillich auf Probleme der Theologie, die in Form von theologiegeschichtlichen Zuordnungen (Aufklärung, Pietismus, Kant, Schleiermacher, Hegel, Vermittlungstheologie und Ritschl) in seiner Studienzeit diskutiert werden. Er stellt sich die Aufgabe, „das theologische Prinzip in seiner Reinheit herauszustellen“ (EW IX, 324), und bezieht sich so auf die Debatte zwischen Troeltsch und Herrmann um die Weiterentwicklung einer evangelischen Theologie als Wissenschaft unter den Bedingungen der Gegenwart. Auf die Darstellung dieser Bezüge (also sechstens) soll es im Folgenden ankommen. a) Zunächst ist die Verbindung von theologisch-wissenschaftsbezogener Erfassung der Gegenwartssituation und grundsätzlicher philosophischer Begründung zu nennen. Tillichs verallgemeinert hier die implizite Kritik Herrmanns an Troeltschs Religionsauffassung. Zwei Zusammenhänge sollen genannt werden. Erstens ist hinzuweisen auf die Einleitung der ‚Monismusschrift‘, Tillichs systematischer schriftlicher Hausarbeit zum Examen von 1908. Es handelt sich dabei um Anwendungen dessen, was Tillich in Halle aus der Idealismus- und Fichtedeutung von Fritz Medicus gelernt hatte. Mit Medicus geht es um den Versuch, die vermögenstheoretischen Grundideen des Neukantianismus durch Neuaufnahme idealistischer Ideen weiterzudenken.⁶³ Das Weiterdenken gilt der Weise, wie Vermögen und konstituierte Inhalte sich zueinander verhalten. Kritisiert wird die Vorstellung, die Bewusstseinsvermögen seien apriori schematisch funktionierende Leistungen, in welche die Inhalte nur eingestellt sind. Diese Form von Erkenntnistheorie mag der positivistischen Gegenwart entgegenkommen, aber sie unterschlägt den andauernden schöpferischen Bezug des freien Bewusstseins zur

 Vgl. P. Tillich, Welche Bedeutung hat der Gegensatz von monistischer und dualistischer Weltanschauung für die christliche Religion? (Schönschrift) (1908), in EW IX, 94– 153. 98 – 102; vgl. die Kommentare von Fritz Medicus, besonders 99, Anm. 3.

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Wirklichkeit. Die neue Theorie arbeitet aktbezogen und erweitert damit die Inhaltssetzung durch geschichtsphilosophische Selbstrealisierungsideen. Sie nimmt die nachkantische Begründungsspekulation der Welt aus dem freien Setzen des Bewusstseins auf und behauptet so die vorgängige Verbindung von Inhalten und Setzungsakten in einem Absoluten. Tillich schiebt aber in diese Aufnahme der zeitgenössischen Philosophie die entsprechenden theologischen Entwicklungen hinein, indem er den Neukantianismus direkt mit der Religionsphilosophie der Ritschlschule (und die Kantrezeption Ritschls und dann seiner Schüler) verbindet. Damit wird Troeltschs Rede vom religiösen Apriori aufgenommen und überhaupt erst einer philosophisch zureichenden Begründung zugeführt – und nur so kann dann die Idee der Religionsgeschichtsschreibung Troeltschs, die auf einer direkten Erfassung der Inhalte als Quellen der religiösen Entwicklung besteht, sinnvoll durchgeführt werden. Tillich behauptet damit eine notwendige spekulative Grundlegung und Beerbung der Theologie der Ritschlianer.⁶⁴ Zweitens ist diese Aufnahme der gegenwärtigen theologischen Begründungsprobleme mit Tillichs Schellinginterpretation zu verbinden. Die Bestimmung des Religionsbegriffs bei Schelling wird zum Anwendungs- bzw. Begründungsfeld für den angemessenen Religionsbegriff in der Gegenwart. Kant wird hier als neukantianischer Vermögenstheoretiker gedeutet,⁶⁵ der „auf dem Weg der Vernunftkritik eine allgemeine apriorische Norm für eine bestimmte Gruppe von Vernunfttätigkeiten aufzuweisen“ (EW IX, 232) versucht. Diese Konstruktion wird durch Fichte überwunden, indem er in dem „im Vernunftprozeß sich erfassenden Ich ein inhaltsreiches Prinzip als gemeinsamen Grund der […] nebeneinanderstehenden Vernunfttätigkeiten gefunden hatte“ (ebd.). Freiheit, Absolutheit und Geschichte werden in diesem neuen Prinzip miteinander verbunden; und in diesem Sinn wird Schellings Geschichtsphilosophie und seine Religionsgeschichte als Realisierungsgestalt einer neuen Theorie interpretiert. In der Religion wird das Bewusstsein sich seiner Freiheit und Absolutheit als eines Prinzips bewusst, welches des inhaltlich gefüllten Durchgangs durch die (Religions‐)Geschichte notwendig bedarf, um sich seiner (so) bewusst werden zu können. Denn „der spekulativ gewonnene Begriff der […] Religiosität“ wird erst „durch die Empirie in seiner ganzen Reichhaltigkeit zum Bewußtsein gebracht“ (EW IX, 235). Zugleich ist es (das freie, absolute Bewusstsein) sich in seiner Faktizität unableitbar.  Medicus hat diese Tendenz Tillichs erkannt und für verfehlt erklärt, vgl. EW IX, 100, Anm. 4.  Vgl. dazu die Ausführungen zur Methodik der Bestimmung des Religionsbegriffs: P. Tillich, Die religionsgeschichtliche Konstruktion in Schellings positiver Philosophie, ihre Voraussetzungen und Prinzipien (1910), in: EW IX, 273 – 434. 231– 236.

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Mit beiden Elementen zusammen wird im Streit zwischen den Theologien der Zeit, also zwischen dem Aufbau über den Religions- oder den Absolutheits- bzw. Gottesbegriff, die von Herrmann beabsichtigte, beides zusammenführende Konstruktion über den Glaubensbegriff aufgenommen und durch die starke Stellung des Gottesgedankens im religiösen Sinn weitergeführt: Gott kann nicht „an die Idee gebunden [sein]. Es fehlt der Machtgedanke, dem gegenüber das Wollen Gehorsam, das Fühlen Furcht und das Denken Wahrnehmung wird. […] Gott ist der Herr.“ (EW IX, 235, Anm. 336) Hier besteht ein großer Anklang an Formulierungen Herrmanns, mit denen dieser die Objektivität und Allgemeinheit der Struktur des Glaubensakts beschreibt, aber natürlich auch an spätere ähnliche Formulierungen Hirschs, Barths und Bultmanns. Damit kann eine erste theologiegeschichtliche Konsequenz gezogen werden: Tillichs begründungstheoretische Rezeption des Idealismus ist der Versuch einer Bearbeitung der theologischen Probleme der Gegenwart. Diese Dimension ist in seiner Neudarstellung einer Absolutheitstheorie immer mitzulesen. Über Medicus hat Tillich seine Wahrnehmung der gegenwärtigen theologischen Gegensätze in die spekulativ-idealistische Theoriebildung hineinprojiziert, später aber – wohl auch unter Eindruck von Medicus‘ Kritik – diese ritschlschulische Herkunft seiner religionsbezogenen Absolutheitsspekulation nicht mehr benannt.⁶⁶ b) Tillichs Absolutheitssystem reflektiert permanent das Verhältnis von Gegenwartsdiagnose im Allgemeinen (also nicht bezogen auf die Theologie) und Theoriebildung. Dazu ist zu berücksichtigen, dass Tillichs absolutheitstheoretische Strukturanalyse des Bewusstseins unterfüttert ist mit gesellschaft- und kulturhistorischen Bezügen, und dass diese Bezüge hinauslaufen auf die Anforderungen einer Kulturrevolution in der Gegenwart, die in der theologischen Theorie impliziert sein soll. Tillichs Kairos-Bewusstsein aus den frühen 20er Jahren lässt sich also schon in seiner Theoriebildung vor dem Weltkrieg erkennen. ‚Kairos‘ ist nur die spätere Bezeichnung für den schon hier angelegten Zusammenhang von Gesellschaftsdiagnose, geforderter Revolution und theologischer Erkenntnis, welche die Grundlegung der Kultur allgemein betrifft. Auf den Text der ‚Systematischen Theologie von 1913‘ bezogen, ist dafür auf Tillichs Gliederung der Ausführungen in die drei Standpunkte, nämlich absolut,

 Dass Tillich seine Absolutheitstheorie in bewusster Abgrenzung von Hegels Spekulation entwickelt, ergibt sich auch aus seiner Kritik der Gottesbeweise: „der Fehler Hegels und der Orthodoxen […], Gott abgesehen von der Religion haben zu wollen“ (EW IX, 293). Tillichs Absolutheitstheorie beansprucht, sowohl die bewusstseinstheoretische Begründung als auch die Gegenständlichkeit Gottes gleichermaßen berücksichtigen zu können und damit aller bisherigen Theoriebildung überlegen zu sein.

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relativ bzw. reflexiv und theologisch zu achten.⁶⁷ Entscheidend ist dabei, dass die Theorie selbst ihren Ort in dem Umschwung vom zweiten zum dritten Standpunkt hat. Zugleich werden die Strukturanalysen der ersten beiden Standpunkte aber mit historischen Hinweisen versehen. Mit dem ersten nimmt Tillich dabei die Rede Troeltschs von der mittelalterlichen Einheitskultur auf, indem der absolute Standpunkt mit dem Sakramentalismus bzw. schlichter dem Katholizismus als kultureller Ausprägung identifiziert wird.⁶⁸ Wichtiger ist die Identifikation des Reflexionsstandpunkts mit der Kultur und Gesellschaft der griechischen und der modernen Aufklärung. Beides (also sowohl die theoretische Fassung sowie die historische Ausprägung) kulminiert in der Gegenwart, und zwar in der positivistischen Kritik des Idealismus durch den Neukantianismus einerseits und in der antispekulativen Theologie Ritschls andererseits. So wird die Überwindung dieser Kritik in der Gegenwart zum Ziel der bearbeitbaren Geschichte. Die Differenz von gesellschaftlicher und kultureller Entwicklung einerseits und Theoriebildung andererseits wird von Tillich über die Differenz von Religion und Theologie artikuliert. Auch damit nimmt er die sozial- und mentalitätsgeschichtlichen Versuche Troeltschs und die entsprechende Erweiterung des Religionsverständnisses auf. Zugleich aber verbindet er dies grundlegend mit der Einengung auf die theologische Bestimmung des religiösen Apriori im Sinn der oben dargestellten Kritik am Neukantianismus (und damit auch Troeltschs formaler Fassung des religiösen Apriori). Dadurch wird das theologische Prinzip einerseits zu einer allgemeinen Strukturbestimmung der Grundlage der Kultur, andererseits pluralisiert es sich damit gleichzeitig in die Form einer je eigenen Grundlegung der bestimmten Kulturgebiete. Was dies bedeutet, ist kurz aufzuzeigen. Die philosophischen Inhalte der beiden ersten Standpunkte, also des absoluten und des reflexiven (später kann Tillich auch die Bezeichnungen heteronom und autonom verwenden), werden parallelisiert. In beiden werden eine Naturund Kulturtheorie und eine Funktionsbeschreibung der Religion in der Kultur geboten. Das Ziel wird es dabei sein, die heteronome, durch die Religion bestimmte Einheitskultur des absoluten Standpunkts mit dem autonomen, durch die freie Selbstbesinnung des Menschen und die Selbständigkeit der Kulturformen gekennzeichneten reflexiven Standpunkt zu verbinden. Dadurch ergibt sich die Forderung, die Theologie als eine absolutheitstheoretische Reflexionstheorie speziell für die Religion zu entwickeln und die entsprechende Theorie für die anderen Kulturformen zunächst zurückzustellen. Nur so kann die Theonomie als

 Vgl. die entsprechenden Eintragungen: EW IX, 278, Anm. 1. 306, Anm. 71. 313, Anm. 94.  Vgl. EW IX, 302, Anm. 64. 304, Anm. 73.

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die einer modernen Gesellschaft, die sich doch zugleich der Bindung ihrer Freiheit im Absoluten bewusst bleibt, entsprechende Fassung erreicht werden. Für die genauere Erfassung der Gegenwartssituation ist also ein Blick in die Religionsbestimmung des Reflexionsstandorts notwendig. Für die (gegenwärtige, unter den Bedingungen der modernen Welt erfolgende) Erfassung des Religionssystems ist der Übergang von der Natur in die Kultur und die aporetische Struktur des Reflexionsstandpunkts maßgeblich.⁶⁹ Tillich wendet dabei die absolutheitstheoretischen Überlegungen auf die erkenntnistheoretischen Grundüberlegungen des Kantianismus und seiner Folgen, dem Empirismus und Positivismus an. In aller Kultur (wie in aller Natur) gibt es Konkretes, Einzelnes, das aber unter dem Ziel des Aufgehens im Absoluten vorgestellt und gedacht werden soll. Für die Kultur ergibt sich daraus die strukturell zu bestimmende Aporetik der Moderne „in den verschiedenen Formen des Geisteslebens“:⁷⁰ Die Kultur entdeckt ihre Eigenmacht (Autonomie) in der Verfolgung der – modern gesprochen – Systemlogiken, dadurch wird Ökonomie (Sachkultur), Politik (objektive Geisteskultur), Wissenschaft und Kunst in der Moderne sowohl rational und durchsetzungsstark als auch anfällig für Grundsatzkritik, die keine positive Zielsetzung hat (also nicht selbst in eine theoretische Position überführt werden kann). Ökonomische Rationalität kämpft mit der Grundsatzkritik des Sozialismus, die politische mit der Demokratieidee, die Wissenschaft mit dem grundsätzlichen Zweifel und die Kunst mit der ästhetischen Dekadenz. Dieses Schema ist auch und gerade auf die Religion als kulturelle Repräsentationsform des Absolutheitsgedankens anzuwenden: Religion sieht Gott (das Absolute) immer in der Gestalt eines bestimmten Gottes und seiner bestimmten Offenbarung. Dadurch wird die Religion greifbar, und sie beherrscht im mächtigsten (autonomsten) Fall die gesamte Kultur. In dieser Gestalt ihrer (notwendigen!) Konkretisierung aber widerspricht die Religion ihrer eigenen Idee. Deshalb setzt Tillich der (bzw. jeder mächtigen) konkreten Religion die Mystik entgegen. Hier wird die Idee auf Kosten einer möglichen Realisierung festgehalten. In der Entgegensetzung beider Möglichkeiten neigt die religiöse Entwicklung aufgeklärter Kulturen damit aus strukturellen Gründen notwendig zum Atheismus, das heißt dem Verlust der Religion zugunsten der Deutungsmacht des Menschen. Mit der Strukturantinomie der modernen Kultursphären ist das Prinzip des Reflexionsstandpunkts, also einer philosophisch-rationalen Durchdringung der Autonomie des modernen Menschen, erreicht. Die kantische Erkenntniskritik und die modernen Naturwissenschaften stehen für eine spekulationsfreie, gegen-

 Vgl. EW IX, 308 – 311.  Vgl. wieder das Zitat oben (EW IX, 324).

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standsgebundene und selbstbestimmte menschliche Gegenwart. Für Tillich würde aber das Sein zerfallen oder als zerfallend gedacht werden müssen (und die Moderne ihrer Auflösung entgegengehen), wenn dies die letzte Auskunft wäre. Tillich hält an der Formulierung eines absoluten Einheitsprinzips fest, das gerade dann, wenn Freiheit und Autonomie gelten sollen, für deren Begründung gebraucht wird. Dabei beschränkt er sich aber (im theologischen System) bewusst darauf, dieses Prinzip in der Sphäre der Religion zu bestimmen. Die Religionsgeschichte mit ihrem Gipfel im Christentum ist der Ort, an dem die Geltung des Einheitsprinzips in rationaler Weise festgehalten wird. Tillich grenzt seine Theorie allerdings gegen zwei Missverständnisse ab: Einerseits ist Religion nicht die ganze Kultur; ihre Lösung des Problems ist also nicht zugleich schon gültig für die Probleme in Ökonomie, Politik, Wissenschaft und Kunst. Diese müssen in der Moderne zu eigenen Formen der autonomen Begründung im Absoluten finden. Und andererseits: Der Standpunkt im Christentum ist rational uneinholbar. Hier widerspricht Tillich sowohl Troeltschs anfänglicher Suche nach der absoluten Religion als auch ihrer zunehmend skeptischen Eingrenzung auf Europa,⁷¹ also Troeltschs Einräumung von Kontingenz: Für Tillich ist die Idee einer absoluten Religion ein fehlgeleitetes philosophisches Konstrukt; zugleich aber ist die Kontingenz des religiösen Standpunkts (des Christentums) selbst notwendig und geht in die Strukturbeschreibung des Absolutheitsmoments an der konkreten christlichen Religion ein. Das theologische Prinzip in seiner Reinheit, nämlich die „Synthesis des Paradox“ (EW IX, 316) ist Tillichs Formel einer zusammenführenden Theorie, die philosophische Spekulation im Sinn Hegels und religionsbezogene christliche Theologie vereint. Damit ist sie zugleich eine wissenschaftliche Theologie, die sich des irrationalen Glaubensmoments sowie des konkreten Inhaltsmoments der bestimmten Religion (des Christentums) bewusst bleibt. Sie ist Religionsphilosophie und christliche Theologie in einem und nimmt zugleich die Reformation und die Modernisierungsgeschichte der Theologie seit der Aufklärung auf. Tillich ist der Meinung, damit die von Troeltsch aufgemachte Unterscheidung zwischen einer wissenschaftlich-historischen Theologie und einer dogmatischen Glaubenstheologie, welche die Rechtfertigungslehre der Reformation (nur) als Identitätsmarker verwendet und als religiöses Prinzip für eine Sondergruppe postuliert, überbrücken zu können. Er nimmt damit theologisch Anregungen von Wilhelm Herrmann auf, der Troeltschs Suche nach einer Religionsphilosophie für die Gegenwart als theologisch unbefriedigend gekennzeichnet hat. Es zeigt sich also auch hier, dass die absolutheitstheoretischen Ansprüche Tillichs theologiegeschichtlich erklärt

 Vgl. EW IX, 315.

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werden müssen aus der Rezeption der gegenwärtigen Situation der Theologie und aus der Diskussion um die mögliche Wissenschaftlichkeit der Theologie. c) Damit kann die allgemeine Struktur desjenigen Aktes bestimmt werden, welche der reflexiven Erfassung der Gegenwart aus der Geschichte und der Erschließung dieses Aktes in derselben (Geschichte) zugrunde liegt. Die erkenntnistheoretische Vertiefung von Troeltschs Aprioribegriff und die kultursphärenbezogene Vertiefung von Troeltschs moderneangepasster Weltanschauungssuche sind die Voraussetzung. Beides kulminiert in der Forderung einer Reflexion des Aktes, mit dem die Gegenwart durchschaut wird, auf seine geschichtsphilosophischen Bezüge hin. Die theologische Reflexion der christlichen Religion ist der Ort, an dem die Struktur des Glaubensaktes (mit Herrmann) geklärt wird – aber zugleich (mit Troeltsch) so, dass der Akt selbst als historisch eingebundener inhaltlich gefüllt und hergeleitet werden kann. Die Geschichtlichkeitsreflexion verbindet Struktur mit historischer Füllung – und im Bereich der Religion handelt es sich damit um die Forderung einer Verbindung von Idealismus und kritischem Kantianismus, von Troeltsch und Herrmann bzw. um die Synthese von Apriori und kulturgeschichtlicher Füllung, von religiösem Akt und inhaltlicher Selbstbeschreibung dieses Akts mithilfe christlicher Bilder. Diese Selbstbeschreibung der Struktur des religiösen Akts in der Gegenwartssituation, die notwendig sich auf seine Geschichte (also die der christlichen Religion) zurückbezieht, steht dabei paradigmatisch für eine entsprechende Grundlagenreflexion auch in den anderen Kultursphären. Da diese allerdings auf ihre je eigene Geschichte – die des Rechts, der Politik, der Wissenschaft und der Kunst – bezogen sind, kann das theologische System nur als Platzhalter dienen. Die Strukturen der Absolutheitsreflexion müssten auf die anderen Formen der Kultur übertragen werden; aber der revolutionäre Habitus des ‚Systems‘ betrifft an dieser Stelle nur die Erneuerung der Theologie. Tillichs Einordnung seines Versuchs in die ‚Dogmengeschichte‘ der neueren Theologie ist also zu sehen im Kontext der Bestimmung des dritten Standpunkts als ‚theologisch‘ – es handelt sich um eine bestimmte Anwendung der absolutheitstheoretischen Systemanlage, nämlich im Bereich der Religion. Mit Herrmann geht Tillich davon aus, dass der Sinn der Kultur und ihrer Gehalte nicht (wie bei Troeltsch) auf einer inhaltlich-gegenständlichen Ebene vollständig erfasst werden kann, sondern dass der akthafte Vollzug im Jetzt diesen Sinn mitkonstitutiert. Herrmanns reine Strukturbeschreibung mithilfe einer idealtypologischen Christologie (bzw. dem theologischen Konstrukt einer solchen und ihrer theologiegeschichtlichen, über die Rechtfertigungslehre des Protestantismus laufenden Herleitung) wird von Tillich allerdings mit einer religionsund christentumsgeschichtlichen Gesamtkonstruktion im Sinn Troeltschs erweitert. In dieser geschichtlichen Fassung seiner Herleitung erfasst sich erst der Akt

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vollständig. Dies zu beschreiben ist die Aufgabe der Theologie in der Gegenwart. Kulturgeschichte, Absolutheitsspekulation und Erkenntnis- bzw. Selbstbewusstseinstheorie werden ineinandergeschoben. Oder im religiösen Bereich: Die Theologie- und Dogmengeschichte des Christentums, das religiöse Bewusstsein der Macht Gottes jenseits des gedanklichen Gottesbegriffs und das theologische Nachdenken der Gegenwart über den Glauben (und zwar in Form von dessen Beschreibung als eines reflexiv sich selbst und seiner geschichtlichen Bedingungen erfassenden individuellen Vollzugs) führen alle auf dasselbe Ergebnis: Nämlich die Weiterführung der Theologie der Gegenwart in einer Weise, welche die wissenschaftliche, rein historische Sicht auf das Christentum, wie es Troeltsch fordert, mit der konzentrierten Reflexion auf das Wesen des Glaubens im Sinne Ritschls und insbesondere Herrmanns verbindet. Die Sphäre des Religiösen hat ihre eigene Geschichte, sie ist nicht nur ein Annex der allgemeinen Kultur- und Geistesgeschichte. Entsprechend dürfen auch die Inhalte des Glaubens bzw. spezifisch der christlichen Religion nicht auf eine Ebene mit den Inhalten der modernen Weltanschauung gestellt werden. Die Eigenheit der Religion bedarf aber genau deshalb auch einer eigenen, auf die Autonomie des Religiösen abgestellten Grundlagenreflexion. Mit der Frage nach der Konstitution der Glaubensinhalte im Akt des Vollzugs und der dadurch gegebenen, nicht kulturgeschichtlich, sondern selbstreflexiv-funktional analysierenden Theologie hat Herrmann diesen Weg vorgegeben. Zugleich gilt es aber, den Ort dieser strukturanalytischen theologischen Wissenschaft selbst zu bestimmen. Damit wird nicht nur die Verbindung der Inhalte mit dem Vollzug gefordert, sondern es wird die Reflexion dieser Verbindung als Aufgabe der Wissenschaft verstanden. Dazu dient – theologiebezogen – die theologiegeschichtliche Einordnung des eigenen Theorieentwurfs. Und dieser wieder – das sollte gezeigt werden – bezieht sich auf die Varianten der Theologiegeschichtskonstruktion, die Tillich – besonders in Gestalt von Ernst Troeltsch und Wilhelm Herrmann – vor Augen hatte, aber damit eben auch auf die internen Probleme der protestantischen Theologie, die Tillich in seiner Studienzeit kennenlernte. Es wäre theologiegeschichtlich wünschenswert, diese zeitbezogene interne Problemgeschichte der Theologie (und dies gilt spätestens mit der aufgezeigten, modernereflexiven Selbständigkeit der Theologie seit 1890) stärker in den Blick zu fassen und mit der üblichen weitläufigeren Bezugnahme auf philosophische Fragestellungen auszugleichen. Zusammenfassend zur Auslegung des oben einleitend zitierten Textabschnitts aus Tillichs System von 1913: 1. ‚Das theologische Prinzip in seiner Reinheit‘ beschreibt den religiösen Akt (des Glaubens) in seinem Bezug zum Absoluten. Es meint die Struktur des Grundlegungsaktes, in welchem Vollzug, Reflexion und absoluter Gehalt sich gegenseitig bedingen und erhellen. Diese Beschreibung nimmt die Ansätze

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Troeltschs zur Formulierung des religiösen Apriori auf und verbindet sie mit den Ideen Herrmanns zur strikten konstitutionsbezogenen Individualisierung des Glaubens. „[…] unter Verzicht auf das absolute System mit den verschiedenen Formen des Geisteslebens in freie Beziehung zu setzen“ (EW IX, 324): Während das theologische Prinzip in seiner Reinheit für die Religion als einzelne ‚Form des Geisteslebens‘ ausgearbeitet wird und die anderen Systeme nur durchgangsweise für die Modernediagnose genannt werden, so ist doch zu erkennen, dass Tillich die weitergehende Forderung mitmeint, dass die theologisch beschriebene Struktur des religiösen Aktes auf die anderen Systeme der menschlichen Kultur äquivalent („freie [!] Beziehung“) übertragen werden kann. Tillich verbindet also die konstitutive Funktion des Glaubensaktes und seines Vollzugs, die Herrmann herausgearbeitet hat, mit dem allgemeinen Weltanschauungsbeschreibungsanspruch Troeltschs, indem er an einer allgemeinen Theorie der Kultur festhält. Diese muss nur in den verschiedenen Formen des Geisteslebens je unterschiedlich, d. h. je durch die zuständige Wissenschaft und für die jeweilige ‚Form‘, ausgearbeitet werden. Die ‚dogmengeschichtliche Rechtfertigung‘ des Tillichschen Systems nimmt beide Aspekte, also den erkenntnis- und subjektivitätstheoretischen sowie den kultur- und sozialphilosophischen, auf und verbindet sie mit der Diagnose des absolutheitstheoretischen Standes der Gegenwart. Hegel und seine Kritiker im 19. Jahrhundert sind die beiden Antipoden, die es zu synthetisieren gilt. Troeltsch (statt Hegel) und Herrmann (statt Ritschl und Neukantianismus) können an dieser Stelle als ungenannte Referenzautoren aus der Theologie der Gegenwart (1913!) mitgelesen werden. Damit ist der theologiegeschichtliche Ort genannt, an dem Tillich seinen Systemversuch verortet. Zusammengebunden werden die drei genannten Punkte in der Beschreibung der Gegenwart unter aktionistischem Gesichtspunkt. Tillich erwartet eine vollzugsgestützte Revolution der Gesamtkultur. Denn er weist in allen ihren Systembereichen eine aporetische Grundstruktur nach. Die Aufforderung zum Glauben, die Herrmann in seiner Theologie ins Zentrum stellt, wird dadurch verallgemeinert, mit der gesellschaftlichen Syntheseforderung Troeltschs verbunden und zugleich pluralisiert. In allen Bereichen der modernen Gesellschaft ist ein solcher vollzugsorientierter und unter dem Gesichtspunkt der Absolutheit stehender Kritikmoment notwendig. Daran arbeitet Tillichs Theologie, indem sie Kulturtheorie und Glaubenstheologie miteinander verbindet und diese Verbindung geschichtsphilosophisch und absolutheitstheoretisch einordnet. Das Verfahren der Theologiegeschichte, nämlich auszugehen von einer logischen Entwicklung der Denkstrukturen und diese mit historischen

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Reminiszenzen zu füllen, ist damit zu erklären. Tillich nimmt hier die auf die notwendige Theologie der Gegenwart bezogene Theologiegeschichtsdiagnostik von Troeltsch und Herrmann auf. Aber er verschärft ihren konstruktiven Charakter, indem er ihn zum Leitgesichtspunkt der Anordnung des Materials macht. Wie, in welcher Absicht und mit welchen Gesprächspartnern dies geschieht, wäre dann wieder werkgeschichtlich bis zur Theologiegeschichte aus den 1960er Jahren zu verfolgen.

Alf Christophersen

Von der Schwierigkeit, ein Paradox zu akzeptieren Paul Tillich und die Standortgebundenheit des Religiösen Sozialismus Einige vorangestellte Überlegungen zu Søren Kierkegaard. In seinem Nachdenken über die Gerechtigkeit Gottes, in das er die fragile Existenz des Menschen einzeichnet, weist Paulus Abraham mit Genesis 15,6 eine besondere Position zu: „Abraham hat Gott geglaubt, und das wurde ihm zur Gerechtigkeit gerechnet.“ Er „wusste auf Allergewisseste: Was Gott verheißt, das kann er auch tun“ (Römer 4,3.21). In Abraham sah auch Søren Kierkegaard eine bewunderungswürdige Gestalt, verfügte er doch über eine beneidenswerte Glaubenssicherheit, die der dänische Spannungsspezialist sich selbst nicht zuschreiben mochte. In Furcht und Zittern hielt er eine „Lobrede auf Abraham“ und demonstrierte darin den paradoxen Charakter des Gottesbegriffs. Nie werde vergessen, dass Abraham „in hundert und dreißig Jahren nicht weiter gekommen“ sei „als zum Glauben“.¹ Kierkegaard legte es darauf an, „aus der Geschichte von Abraham das Dialektische, das darin liegt, in Gestalt von Problemata herauszuziehen, um zu sehen, was für ein ungeheuerliches Paradox der Glaube ist, ein Paradox, welches einen Mord zu einer heiligen, Gott wohlgefälligen Handlung zu machen vermag, ein Paradox, das Isaak Abraham wiedergibt, – etwas, dessen sich kein Denken bemächtigen kann, weil der Glaube eben da beginnt, wo das Denken aufhört“.² Gegen seinen letztlich als übermächtig wahrgenommenen Antipoden Hegel, dem er vorhält, die Individualität im absoluten Geist verschwinden zu lassen, stellt Kierkegaard eine genau entgegengesetzte Priorität heraus. Im tiefen Wissen um die Nacht- und Schattenseiten religiöser Existenz gibt er der Einsicht Raum: „Der Glaube ist eben dies Paradox, daß der Einzelne als Einzelner höher ist denn das Allgemeine, ihm gegenüber im Rechte ist, ihm nicht unter-, sondern übergeordnet ist.“³ Dabei stünde „der Einzelne als Einzelner in einem absoluten Verhältnis zum Absoluten“. „Dieser Standpunkt läßt sich nicht vermitteln […]; es ist und bleibt in alle Ewigkeit ein Paradox, unzugänglich dem Denken.“⁴ Pointen- und begriffs S. Kierkegaard, Furcht und Zittern (GW 4), übersetzt von E. Hirsch, zweite, durchges. Aufl., Düsseldorf/Köln 1954, 22.  A.a.O., 56.  A.a.O., 59.  Ebd. https://doi.org/10.1515/9783110767728-009

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sicher inszeniert Kierkegaard an Abrahams Beispiel den Zusammenprall von Glauben und Wissen als Extrem: „sein Leben ist nicht bloß das paradoxeste, das sich denken läßt, sondern so paradox, daß es sich gar nicht denken läßt“.⁵ Kierkegaard versucht, den paradoxalen Charakter der Existenz in ihrem permanenten Bezug auf die Ewigkeit zu erfassen, die sich im Augenblick zeige. Das Denken werde, wie er in den Philosophischen Brocken behauptet, an seine Grenze geführt. Sein „höchstes Paradox“ liege darin, „etwas entdecken [zu] wollen, das es selbst nicht denken kann“.⁶ Allerdings dürfe dem Paradox nicht Unrecht getan werden, sei es doch „des Gedankens Leidenschaft“.⁷ Das „Unbekannte“ nun, „an dem der Verstand in seiner paradoxen Leidenschaft sich stößt“,⁸ könne Gott genannt werden. Er sei vom Menschen „schlechthin verschieden“. Umgekehrt gelte dies auch. „[A]ber wie sollte der Verstand dies fassen? Hier scheinen wir vor einem Paradox zu stehen.“⁹ Dieser Umstand wird aber von einer ganz eigenen Dynamik begleitet, da Gott als Lehrer dem Menschen das Sündenbewusstsein vermitteln wolle. Es sei deshalb seine Absicht gewesen, ihm gleich zu sein, um Verstehen zu ermöglichen.¹⁰ Kierkegaard spitzt zu: „So wird das Paradox noch furchtbarer, oder ebendasselbe Paradox hat die Doppelheit an sich, durch die es sich als das unbedingte erweist, im Nein dadurch, daß es die schlechthinnige Verschiedenheit der Sünde an den Tag bringt, im Ja dadurch, daß es diese schlechthinnige Verschiedenheit in der schlechthinnigen Gleichheit aufheben will. Läßt nun ein solches Paradox sich denken?“¹¹ Emanuel Hirsch hat hier die dänischen Begriffe ,negativt‘ und ,positivt‘ mit ,Nein‘ und ,Ja‘ übersetzt.¹² Die Gedanken Kierkegaards kreisen um den negativen und den positiven Charakter des Paradoxes. Wenn Gott in dieser Sache als Lehrer auftritt, um ein Verstehen zu ermöglichen, wendet er sich stets aufs Neue im jeweiligen Augenblick an den einzelnen Menschen. Der Ausgangspunkt dieses „Jünger[s] zweiter Hand“ ist die Gleichzeitigkeit: er ist „gleichzeitig mit dem Geschichtlichen“, das „ihn auf andre Art interessieren“ will „als bloß historisch“. Vielmehr will es „Bedingung seiner ewigen Seligkeit sein“.¹³ Zur entscheidenden Frage wird der Umgang mit

 A.a.O., 60.  S. Kierkegaard, Philosophische Brocken. De omnibus dubitandum est (GW 10), Düsseldorf / Köln 1952, 35.  Ebd.  A.a.O., 37.  A.a.O., 44.  Vgl. a.a.O., 45.  Ebd.  A.a.O., 178, Anm. 117.  A.a.O., 55.

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dem Paradox, denn, fragt Kierkegaard: „Wie kommt nun der Lernende zum Einverständnis mit diesem Paradox, denn wir sagen nicht, er solle das Paradox verstehen, sondern nur er solle verstehen, daß dies das Paradox ist?“¹⁴ Diese Perspektive stuft Kierkegaard als unbefriedigend ein, beschwört nun die „glückliche Leidenschaft“, die ihren eigenen Untergang wolle, und nennt sie „Glaube“. Sie sei eine „Bedingung […], welche das Paradox mitgibt“.¹⁵ Aber auch an dieser Stelle ist der Argumentationszug nur an einem Zwischenhalt angekommen, denn die Fragen ans Paradox sind naturgemäß unendlich, so dass das (sokratische) Lehrgespräch weitergeht: „Aber alsdann ist der Glaube ja ebenso paradox wie das Paradox? Allerdings; wie sollte er sonst am Paradox seinen Gegenstand haben und glücklich sein in seinem Verhältnis zu ihm? Der Glaube selbst ist ein Wunder, und alles was vom Paradox gilt, gilt auch vom Glauben.“¹⁶ Von Søren Kierkegaards Gedankenwelt geht eine Sogwirkung aus, die bis heute nichts an ihrer Sprengkraft verloren hat. Nicht zuletzt Karl Barth hat wesentliche Impulse Kierkegaards aufgriffen und in eigene dialektisch-theologische Aufbruchsmuster eingetragen. „Geheimnis“, formuliert er im Römerbrief, „dürfte in der Sprache des Paulus das sein, was wir das Paradox nennen“.¹⁷ Und in den Bahnen seines dänischen Stichwortgebers präzisiert er entsprechend, dass das „Geheimnis […] vor allem das Evangelium selbst“ sei, „als Menschenwort, aus dem das Gotteswort erst hervortreten möchte“.¹⁸ Innerweltliche Gegensätze verblassen einem Paradox gegenüber, das keinen Kompromiss duldet: „Es ist ja notwendig, dass das Paradox absolut, dass der Abgrund zwischen Gott und Mensch ganz aufgerissen“¹⁹ wird. Weder Religion, Moral oder Erlebnis ermöglichen es, so Barth, dem Paradox auszuweichen. Die Treue Gottes zeige sich im „Paradox des Glaubens“.²⁰ Probleme, das Paradox zu akzeptieren, treten, wie der geschärfte Blick auf seine verwickelte Theorie- und Rezeptionsgeschichte zeigt, zumal dort auf, wo der Versuch unternommen wird, das Paradox zu fixieren, um somit dem an sich nicht Festlegbaren einen vermeintlich sicheren Ort zu geben. In den theologischen und (religions‐)philosophischen Debatten der 1920er und 30er Jahre zeigen sich wie unter einem Brennglas die zentralen Momente einer das Denken konsequent

 Ebd.  A.a.O., 56, vgl. 45.  A.a.O., 62.  K. Barth, Der Römerbrief (Zweite Fassung). 1922 (Gesamtausgabe, Bd. 47/II. Abt.), hg. von C. van der Kooi / K. Tolstaja, Zürich 2010, 556.  Ebd.  A.a.O., 140.  A.a.O., 157, vgl. 151 und 165.

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verunsichernden Begriffsprovokation: das Paradox, zumal das absolute, kann eigentlich nicht sein, es scheint aber dennoch zu existieren. Eine besondere Lebendigkeit erhielt der Dauerstreit ums Paradox 1923 durch eine Attacke Paul Tillichs auf die Dialektische Theologie. Karl Barth und Friedrich Gogarten setzten sich zur Wehr. Worin die bleibende Relevanz dieser Auseinandersetzung liegen könnte, soll in den folgenden Abschnitten gezeigt werden. Zur Sprache kommt dabei das Ineinander ganz unterschiedlicher Perspektiven, Interessen und Strategien.

1 ,Religiöse Krisis‘ als ,beständiges hochgradiges Fieber‘ In der Zeitschrift für Theologie und Kirche veröffentlichte 1923 Georg Wünsch, der sich im Jahr zuvor in Marburg habilitiert hatte, unter der Überschrift Ethik des Zorns und Ethik Gnade einen Frontalangriff auf Karl Barth und Friedrich Gogarten. Ihrer dialektischen Theologie attestierte er einen einseitigen, abstrahierenden Blick auf die soziale Lage der Welt. Negation und Gerichtsgedanke stünden im Vordergrund. Die von ihnen beschworene „religiöse Krisis“ sei „Dauerkrankheit im Höchstzustande; Religion in ihrem Sinne wäre beständiges hochgradiges Fieber“. Eine tatsächliche „religiöse Erneuerung“ könne nicht erwartet werden. Die Gnade werde der Not immer wieder entgegengehalten, erweise sich aber letztlich als „Fata morgana“.²¹ Wünsch vermisst Strukturen einer materialen Wertethik, die er für unabdingbar hält. Barth und Gogarten seien nicht dazu in der Lage, eine „Position“ einzunehmen. Vielmehr sei bei ihnen „eine gänzliche Vergleichgültigung von Staat, Wirtschaft, Kultur und Gesellschaft“²² auszumachen. Natur, Schöpfung und Geschichte kämen nicht in den Blick. „Das Ringen um die inhaltliche Beantwortung der Frage: Was sollen wir tun? ist besser als sich in den Prophetenmantel der untätigen Erhabenheit über die stets nutzlose Weltarbeit zu hüllen.“ Erforderlich sei es „Erlösungs- und Schöpfungsakt“²³ als Einheit zu betrachten. Gogarten setzte sich umgehend zur Wehr und wies die Notwendigkeit einer „besondere[n] christliche[n] ‚Materialität‘ der Ethik“ zurück. Mit Karl Barth hält er eine „besondere Verchristlichung“ für unangebracht. Gefordert seien hier vielmehr die „Fachwissenschaften“. „Aber Sache der Theologie wäre es, den Weg

 G. Wünsch, Ethik des Zorns und Ethik der Gnade, in: ZThK 31 ([NF 4]) 1923/24, 327– 352; hier: 344.  A.a.O., 349.  A.a.O., 351.

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zu einer […] ideologielosen, sachlichen Erforschung der tatsächlichen Wirklichkeit dieser Welt frei zu machen.“²⁴ Nur das Evangelium von der Sündenvergebung sei tatsächlich gefragt. Georg Wünsch ließ von seiner Kritik an der Dialektischen Theologie nicht ab. Auch in seiner für die Disziplin des Faches durchaus wegweisenden Wirtschaftsethik von 1927 warf er ihren Protagonisten vor, sich als „blind gegen die Fülle des Wirklichen und die in ihm feststellbaren allgemeinen Zusammenhänge“ zu erweisen: Menschen handelten aber nun einmal nicht „im luftleeren Raum, sondern inmitten einer durch Geschichte, Gemeinschaft und mancherlei Tatsachen bestimmten Situation, aus der die ‚Entscheidung‘ nicht herausfallen kann“.²⁵ Barth habe bereits 1919 bei der Tambacher Konferenz für gesteigerte Verwirrung gesorgt und „für die Anwesenden in Zungen“ geredet, so dass „alle glaubten, ihn für die religiös-soziale Bewegung in Anspruch nehmen zu dürfen“.²⁶ Aber nicht nur mit Barth und Gogarten stand Wünsch auf Kriegsfuß. Auch zu Paul Tillich befand er sich in einem doppelten Konkurrenzverhältnis: Nicht nur waren beide Hauptrepräsentanten unterschiedlicher religiös-sozialistischer Strömungen, sondern zugleich Bewerber um den Ehrenplatz des legitimen Erben Ernst Troeltschs. Wünsch hatte den einstigen Heidelberger Lehrer zum Vorbild erkoren; er bewunderte dessen diagnostisch scharfen Blick auf die Wirklichkeit in ihrer historischen, sozialen, religiösen und politisch-gesellschaftlichen Prägung. Doch begegnete Wünsch Tillich durchaus mit Respekt, obgleich er von diesem umgekehrt eher ignoriert wurde. Er schätzte Tillichs ausgeprägte Fähigkeit zu abstraktem Denken und seine kreative Sprachmächtigkeit. „Innere, sinnhafte Beziehung der Menschen untereinander und der Menschen zur Sache auf dem Hintergrund des Unbedingten so, daß jede sachliche Größe wie Wirtschaft, Kunst, Persönlichkeit usw. innerhalb ihrer Grenzen ihre ‚Mächtigkeit‘ entfalte, ohne die andern zu vergewaltigen, d. h. in Dämonie auszuarten, das etwa ist […] der Inhalt seines religiösen Sozialismus.“²⁷ Näher befasste sich Wünsch in seiner Wirtschaftsethik auch mit Tillichs Aufsatz Zum Problem der evangelischen Sozialethik, der im Juli/August-Heft 1926 der von Carl Mennicke herausgegebenen Blätter für religiösen Sozialismus erschienen war.²⁸ Tillich vertrete hier „das Recht des ‚Allgemeinen‘ bei der kon-

 F. Gogarten, Ethik der Gü te oder Ethik der Gnade?, in: ZThK 31 ([NF 4]) 1923/24, 427– 443; hier: 442 f.  G. Wünsch, Evangelische Wirtschaftsethik, Tübingen 1927, 267.  A.a.O., 534, Anm. 1.  A.a.O., 536, Anm. 2.  P. Tillich, Zum Problem der evangelischen Sozialethik, in: Blätter für religiösen Sozialismus 7 (1926) Nr. 7/8, 73 – 79.

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kreten Entscheidung so klar, scharf und einsichtig, daß ich mich nur mit seinen Gedanken identifizieren kann“, unterstreicht Wünsch. „Er schweigt sich freilich aus darüber, was denn nun dieses Allgemeine sei. […] Tillich hat bis jetzt den ‚Kairos‘-Gedanken so stark betont und ist selber bisher so im Formalen verweilt, daß es Fernerstehenden immer noch schwer wird, seine Gedanken von denen der Dialektiker zu unterscheiden.“ Wünsch geht aber noch weiter: „Der Formalismus ist nachgerade eine Krankheit des Protestantismus geworden, die vom melanchthonisierten Luthertum über Kant (Schleiermachers Ethik wurde wenig beachtet) und Herrmann bis in die neueste Theologie dauernd Opfer fordert. Es bedarf eines kräftigen Ruckes, um aus dieser verengten Lage herauszukommen.“²⁹ Wieder ist es also ein mangelndes Eingehen auf die für Wünschs Theoriebildung entscheidende Wirklichkeit, der er 1932 mit Wirklichkeitschristentum auch monografisch nachging.³⁰ Tillich betonte in seinem Aufsatz zur Sozialethik „[j]ede wirkliche Wesenserfassung und darum jede wirkliche Ethik ist konkret, steht im Kairos“. Das Wesen sei „Ausdruck seines schöpferischen Ursprunges und seiner jenseitigen Vollendung“,³¹ die auf das Ewige verweise. Die „Idee der Theonomie“ liefere nun „der evangelischen Botschaft eine Norm für das Gericht […], das sie in der Ethik konkret und nicht nur dialektisch ausüben muß. […] Ihre Anwendung ist immer Wagnis.“³² Im Anschluss an Tillichs Überlegungen äußert sich auch Carl Mennicke zur Sozialethik. Er rechnet in seinem Aufsatz mit Georg Wünsch ab, näher mit dessen Publikation Religion und Wirtschaft von 1925. In der Wirtschaftsethik wird dann wiederum zwei Jahre später Mennicke, dessen „religiöser Sozialismus in der Luft“³³ hänge, zum Gegenstand kritischer Abgrenzungen.

 G. Wünsch, Wirtschaftsethik (s. Anm. 25), 268, Anm. 2; vgl. dazu auch A. Christophersen, Kairos. Protestantische Zeitdeutungskämpfe in der Weimarer Republik, Tübingen 2008, 239 – 241.  G. Wünsch, Wirklichkeitschristentum. Über die Möglichkeit einer Theologie des Wirklichen, Tübingen 1932.  P. Tillich, Zum Problem (s. Anm. 28), 78.  A.a.O., 79.  G. Wünsch, Wirtschaftsethik (s. Anm. 25), 536, Anm. 2.

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2 Von der Seite beobachtet: Kurt Leese – Religiöser Sozialismus und Geschichtsphilosophie Als sich Georg Wünsch 1923 mit Karl Barth und Friedrich Gogarten auseinandersetzte und ihnen letztlich vorhielt, die ethischen Herausforderungen der Gegenwart nicht nur zu unterschätzen, sondern ihnen auch argumentativ nicht gewachsen sein, fand nahezu zeitgleich eine andere Debatte statt, in der sich die theoretischen und begrifflichen Voraussetzungen der von Wünsch aufgeworfenen Ethik-Problematik spiegelten: In den von Karl Ludwig Schmidt herausgegebenen Theologischen Blättern lieferten sich Karl Barth, Friedrich Gogarten und Paul Tillich einen heftigen Schlagabtausch über die theologische Relevanz einer Rede vom ,Paradox‘. Beide Seiten brachten darin ihr theologisches Grundverständnis zum Ausdruck.³⁴ Doch zuerst einige Worte zu einem engen Freund Paul Tillichs: Kurt Leese. Der Hamburger Pastor, Theologe und Religionsphilosoph, dem auch der siebente Band der Gesammelten Werke von 1962 gewidmet ist, in dem die Beiträge zum Paradox wieder abgedruckt worden sind, verfolgte Tillichs intellektuelle Entwicklung mit großer, aber durchaus auch kritischer Aufmerksamkeit. Im hier zu erörternden Debattenjahr 1923 publizierte Leese in der Christlichen Welt einen längeren Aufsatz, in dem er sich mit der Geschichtsphilosophie des religiösen Sozialismus befasste. Durchaus erwartungsgemäß nahm Tillich darin eine zentrale Position ein, habe er doch den Religiösen Sozialismus „in den Brennpunkt einer umfassenden geschichtsphilosophischen Betrachtung“ gerückt. Schelling und Hegel, Kant, Kähler, Troeltsch und Max Weber seien seine entscheidenden Orientierungspunkte. Die als Fundament des religiös-sozialistischen Programms erkannte Geschichtsphilosophie Tillichs führt Leese auf das Theoriegebäude

 Die einschlägigen Texte wurden verschiedentlich wieder abgedruckt. Der vorliegende Beitrag richtet sich nach der Wiedergabe in der Barth-Gesamtausgabe, Bd. 19: Vorträge und kleinere Arbeiten. 1922– 1925, hg. von H. Finze, Zürich 1990, 349 – 380. Als dort nicht abgedruckten, ergänzenden Beitrag s. zudem F. Gogarten, Zur Geisteslage des Theologen. Noch eine Antwort an Paul Tillich, in: GW VII, 244– 246. – Bei der Erörterung der Kontroverse zum Paradox nehme ich Überlegungen eines Vortrags auf, den ich am 27. April 2019 im Rahmen der Jahrestagung der Deutschen Paul-Tillich-Gesellschaft in Lutherstadt Wittenberg gehalten habe und führe sie kritisch weiter. Eine Kurzfassung dieses Vortrags findet sich im Mitteilungsblatt der Gesellschaft: Dialog NF Nr. 68/69 (Dezember 2019) 8 – 12: „Aber ‚Krisis‘ heißt doch nicht an sich Negation …“. Die Kontroverse zwischen Tillich und Barth in den Theologischen Blättern. Zur Paradox-Debatte vgl. auch H. Fischer, Theologie des positiven und kritischen Paradoxes. Paul Tillich und Karl Barth im Streit um die Wirklichkeit, in: Neue Zeitschrift für Systematische Theologie 31 (1989) 195 – 212.

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Hegels zurück. Wenn Tillich den Schicksalsglauben prominent herausstelle, nehme er einen Angelpunkt der Hegelschen Geschichtsdeutung auf. Spreche Tillich von „Paradoxie“, sei er der dialektischen Grundhaltung des Idealismus verpflichtet, die Hegel „zur vollendetsten Meisterschaft“³⁵ ausgebildet habe. Auch das für ihn systemrelevante Verhältnis von „Theonomie und Autonomie“ sei „in dem Aufrißplan der Geschichtsphilosophie Hegels vorgebildet“. Tillich erkenne die „Schwächen“ seines Vorbilds und gehe konstruktiv darüber hinaus. „Er befreit vor allen Dingen das dialektische Prinzip aus seiner inneren Unmöglichkeit, in die es sich bei Hegel festgerannt hat.“³⁶ Indem Leese die Hegel-Rezeption Tillichs aufweist, verankert er den Religiösen Sozialismus im Deutschen (Spät‐)Idealismus. Er würdigt damit die theoriebildende Kraft, die Konkurrenzunternehmen – wie insbesondere die offenbarungstheologischen Konstrukte der Dialektischen Theologie – substanziell in den Schatten stellt. Martin Rades Christliche Welt war aus dieser Perspektive gesehen ein passendes Forum, um liberaltheologische und soziale Deutungsansprüche nachdrücklich zu untermauern. Leeses Bezug auf die Wurzeln des von Tillich entworfenen Theoriekonzeptes deutet eine Tiefe der Argumentationsführung an, die von Karl Barth, wie sich zeigen wird, fundamental unterschätzt wird. Ein Jahr vor seinem Aufsatz über den Religiösen Sozialismus war 1922 Kurt Leeses Die Geschichtsphilosophie Hegels erschienen. Darin charakterisiert er das dialektische Prinzip als „das Flüssigwerden der Gegensätze, die Idee des Überganges, wie es das Lebendige zeigt“. Zumal gegen den „tote[n] Mechanismus“ Marxscher Dialektik gerichtet, hebt Leese hervor: „Die Dialektik ist in ihrer eigentlichen, letzten Absicht nicht eine Schematisierung und Einschnürung des lebendigen Geistes, sondern das Erspüren des Rhythmus, der diesen Geist als lebendigen erweist.“³⁷ Leeses Hegel-Deutung wird Tillich durchaus entgegengekommen sein, ist sie doch von einem Gedanken der Dynamik bestimmt, der schematische Muster meidet. Nicht von ungefähr sind es der Schicksalsbegriff und die Paradoxie, die von Leese in ihrer Beweglichkeit und im Ineinander gleichzeitig vorhandener Spannungsmomente benannt werden. Grundsätzlich begegnete Tillich Hegel aber mit großer Reserve, auch wenn er sich immer wieder an ihm abarbeitete. Eine Freiheit vom Schicksal im Denken konnte er nur als Scheinlösung ansehen. Hegels Rede vom versöhnten Schicksal, das begriffenes Schicksal sei, betrachtete er letztlich nur als eine Illusion. Prominent trat Hegel  K. Leese, Die Geschichtsphilosophie des religiösen Sozialismus, in: CW 37 (1923) Nr. 24/26, 370 – 385; hier: 372; vgl. dazu auch A. Christophersen, Kairos (s. Anm. 29), 97– 100.  K. Leese, Geschichtsphilosophie des religiösen Sozialismus (s. Anm. 35), 372.  K. Leese, Die Geschichtsphilosophie Hegels auf Grund der neu erschlossenen Quellen untersucht und dargestellt, Berlin 1922, 311.

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auch 1929 in Tillichs Frankfurter Antrittsvorlesung Philosophie und Schicksal in Erscheinung, als die Überlegung im Raum stand, wie Wahrheit aussehe, „die im Schicksal steht, wie schicksalsgebundene Erkenntnis“ (MW I, 310). Tillich grenzte sich an mehreren Fronten gleichzeitig ab. „Es ist unmöglich, die Freiheit zu opfern zugunsten einer fremden Notwendigkeit, wie es unmöglich war, die Notwendigkeit zu opfern zugunsten der Freiheit. Nicht nur gegen Hegel, auch gegen Soziologie und Psychologie siegt der Schicksalscharakter des Denkens, gegen jenen die Notwendigkeit, gegen diese die Freiheit.“ (MW I, 317) Eine „schicksalsfreie Philosophie“ gebe es nicht. Transzendenter Sinn lasse sich nicht vollständig fassen, sondern „steht, wie es echt protestantischem Geist entspricht, jeder Verwirklichung unbedingt gegenüber“. Das Denken erhalte von hier aus „seine unbedingte Grenze, aber auch sein unbedingtes Recht“. Das Schicksal müsse in das Denken integriert werden. Der Logos sei „in den Kairos“ aufzunehmen, „die Geltung in die Zeitenfülle, die Wahrheit in das Zeitschicksal“ (MW I, 318).³⁸ Tillich zieht an dieser Stelle ein gewisses Resümee seiner gedanklichen Entwürfe, insbesondere des Aufbruchs nach 1918. Das Konzept des Religiösen Sozialismus bildet den roten Faden. Genaue Einblicke in die Diskurslage, die Kurt Leese, als er Hegel und Tillich in Bezug zueinander setzte, aus relativer Entfernung vor Augen gehabt haben wird, ermöglicht der von Erdmann Sturm herausgegebene Text Die Umstellung der Debatte ³⁹ aus dem Jahr 1922. Mit Nachdruck propagierte Tillich einen vom Kairos bestimmten Religiösen Sozialismus, der vom „Durchbruch des Unbedingten“ geprägt und „als das Gemeinschaft stiftende Element […] die Grundlage eines möglichen Sozialismus“ sei. Das Kairos-Bewusstsein ist, unterstreicht Tillich, Schicksalsbewusstsein. Es handele sich bei ihm um „die einzige schöpferische Kraft; denn sie besagt ja, a) daß das Unbedingte sich in besonderer Form realisieren will, b) daß es sich durch uns realisieren will, c) daß eine individuelle Gestalt, die Gnade im Werden ist“ (EW X, 334). Das Bewusstsein, in der Gnade zu stehen, erweist sich für Tillich dabei als „Paradox“, in dem sich „[d]as Leben im Heiligen als Leben in den absoluten, alles Empirische transcendierenden Spannungen“ (EW X, 333) ausdrückte. Der Religiöse Sozialismus könne diesen fragilen Zustand aufnehmen als Ausdruck „konkrete[r], unserm Kairos durch unser Schicksal aufgegebene[r] Schöpfung, die ebenso unter der Gnade wie unter dem Gericht steht“. In den Fokus rückt das Unbedingte, das in seinem paradoxen Durchbruchscharakter schöpferisch wirkt, so „daß eine individuelle Gestalt, die Gnade im Werden ist“ (EW X, 334).

 Bei Tillich Hervorhebungen.  Zu finden in: EW X, 328 – 334.

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Wie sehr diese Bestimmungen Tillichs gerade auch in den Zusammenhang seiner Auseinandersetzung mit Hegel zu setzen sind, zeigen die von 1923/24 stammenden Reflexionen Hegel und die Erfassung des Göttlichen im Denken. Am Ende dieses Textes, der vor allem um den Dialektikbegriff kreist, formuliert Tillich einige ,Bedenken‘. Er weist in ihnen vor allem auch darauf hin, dass sich „Offenbarung und Gnade“ sowohl im einzelnen Menschen als auch in der Geschichte ereignen, wobei die „Gefahr“ bestünde, „aus der reformatorischen Paradoxie in das rationale Identitätsprincip zu rutschen“. Dies komme besonders zum Ausdruck, wenn „Christus als Ausgang, nicht als Dauerbeziehung“ verstanden werde. Tillich notiert auch einen Hinweis darauf, dass Geschichte immer dynamisch zu verstehen sei. Wenn in „historische[r] Dialektik“ vom „Übergang von der Idee zur Natur“ gesprochen werde, müsse dieser als „Sprung“ verstanden werden, da er „dialektisch nicht motiviert“ sei. Vom Sprung könne hier aber nur dann ausgegangen werden, „wenn in der Idee a priori das Irrationale steckt“. Dieses „bricht hervor in neuen Schöpfungen. Wir selbst werden Schöpfer, und alles geht durch unsere Freiheit.“ (EW X, 402) Kurt Leese hatte mit seinen Aussagen in der Christlichen Welt zu Tillichs Hegel-Verständnis und der entsprechend reflexiv gebrochenen Abhängigkeit also durchaus einen neuralgischen Punkt benannt. Wenn Tillich vom Irrational-Schöpferischen spreche, rekurriere er, ob ausgewiesen oder nicht, auf Schelling, Nietzsche und Otto, wodurch es ihm möglich sei, die bei Hegel dominierende logische Idee hinter sich zu lassen und dem „Zwang einer starren Systematisierung des Geschichtsprozesses“⁴⁰ zu entgehen. Mit einer Idee des Klassenkampfes mag sich Leese allerdings überhaupt nicht anfreunden. Der empirische Sozialismus sei alles andere „als tiefster Wille zur Wendung ins Unbedingte“.⁴¹

3 Paul Tillich und ,das Problem des Wirklichen als X‘ Auch Rudolf Bultmann, dessen Kollege Tillich 1924 in Marburg werden sollte, beobachtete aus gewisser Distanz dessen ambitioniertes und von manchen durchaus als provokant wahrgenommenes Auftreten. Unter dem Eindruck von Tillichs Vortrag über Das Unbedingte und die Geschichte,⁴² aber auch in Kenntnis des Kairos-Aufsatzes von 1922, mit dem sich der letzte Teil des Marburger Vortrags

 Leese, Geschichtsphilosophie des religiösen Sozialismus (s. Anm. 35), 383.  A.a.O., 384.  Zu finden in: EW X, 335 – 350.

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‚stark berühre‘, hatte Bultmann am 11. Juni 1923 in einem Brief an Gogarten eine kritische Analyse des vielversprechenden Redners entfaltet und zugleich leichte eigene Unsicherheit im Urteil erkennen lassen: „Persönlich wirkte er über Erwarten sympathisch: bescheiden und streng unter der Herrschaft der Sache.“ Anders als von ihm bislang angenommen, sei Tillich „doch zentral theologisch interessiert“. Spreche er vom „Unbedingten“, präsentiere er keinen „rein negative[n] Formbegriff“, vielmehr umschreibe er „das Problem des Wirklichen als X“. Tillich „scheint mir ähnlich wie Sie selbst“, kommentiert Bultmann Gogarten gegenüber, „von Troeltsch auszugehen“.⁴³ Dabei liege seinem „Begriff der Krisis […] der gleiche Wille zugrunde über den Standpunkt der Immanenz und das Denken in Relationen hinauszukommen; und doch ist der Begriff der Krisis nur in Begriffen des Idealismus gefaßt.“⁴⁴ Tillich behaupte zwar, kommentiert Bultmann in deutlicher Nähe zu den Überlegungen Kurt Leeses, von Hegel abzuweichen, und zu bestreiten sei auch nicht, „daß es etwas anderes sein soll“, er, Bultmann, „sehe aber nicht wie“.⁴⁵ Im Kairos-Aufsatz geht Tillich, im Gegensatz zum Vortrag über das Unbedingte, direkt auf Hegel ein und weist auf eine entscheidende Differenz zu seinem eigenen Ansatz hin: „Dem Kairos wird seine Tiefe genommen, wenn er sich in den unendlichen Wiederholungen des dialektischen Prozesses selbst immer wiederholt.“ (MW IV, 62) Mit großer Aufmerksamkeit registrierte Rudolf Bultmann auch die Auseinandersetzung zwischen Paul Tillich und Karl Barth sowie Friedrich Gogarten über Kritisches und positives Paradox. Karl Ludwig Schmidt hatte Gogarten Tillichs Aufsatz zukommen lassen, der ihn nun Bultmann gegenüber als „eine gute Gelegenheit zu einer fruchtbaren Diskussion“⁴⁶ einstufte, im Unterschied zu Wünschs „sehr harmlos[em]“ ZThK-Aufsatz zu Ethik, Güte und Gnade: „Zu beantworten ist er nur wegen des Ortes, an dem er erschienen ist, oder vielmehr wegen der Vergangenheit dieses Ortes.“⁴⁷ Dass Tillich in einer ganz anderen Liga spielt, muss Bultmann nicht eigens gesagt werden. Wenn Barth erkläre, als Theologe keinen „Standpunkt“ zu vertreten, fragt er rhetorisch zielgenau, „ver-

 R. Bultmann an F. Gogarten, 11.6.1923, in: Rudolf Bultmann – Friedrich Gogarten. Briefwechsel. 1921– 1967, hg. von H. G. Göckeritz, Tübingen 2002, 31– 36; hier: 33.  A.a.O., 34. Bultmann zitiert, ebd., in seinem Brief folgenden Satz aus dem Kairos-Aufsatz von 1922: „Die Krisis vollzieht sich durch Neuschöpfung; und in der Neuschöpfung ist mehr als bloße Krisis; es ist die Realisierung des Unbedingt-Wirklichen, wenn auch in der Form des Bedingten, die zu neuer Krisis treibt.“ Das Zitat bei P. Tillich, Kairos (1922), in: MW IV, 53 – 72; hier: 58 f.  R. Bultmann an F. Gogarten, in: Bultmann – Gogarten. Briefwechsel (s. Anm. 43), 34.  F. Gogarten an R. Bultmann, 27.11.1923, in: Bultmann – Gogarten. Briefwechsel (s. Anm. 43), 50 f.; hier: 50.  A.a.O., 51.

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wechselt er“ dann „nicht Theologie und Glaube“? Gleichzeitig gibt Bultmann Tillich Recht, wenn dieser hervorhebe, „daß Barths dialektischem Denken eine Position zugrunde liege“. Sei dies nicht der Fall, „wäre ja Barth völliger Relativist“.⁴⁸ Theologie habe immer einen Standpunkt. Den zentralen Gegensatz zwischen den beiden Kontrahenten erkennt Bultmann darin, dass der Glaube von Tillich zu einer „wissenschaftlichen Hypothese“ erklärt werde, wohingegen Barth „die theologische Aussage zum Glaubensakt“⁴⁹ mache. Doch wie schätzte Karl Barth selbst die Lage ein?⁵⁰ Am 19. November 1923 schrieb er an sein Alter Ego Eduard Thurneysen und gab sich ungewohnt sportlich: „Die hydraulische Presse ist wieder in schönstem Gang. Hast Du den TillichArtikel bekommen? Ich habe eine umfassende Antwort darauf ergehen lassen. Er ist auch einer von denen, die ich mir längst ‚notiert‘ hatte, um einmal mit ihm abzurechnen. Nun ist Fußballclub Klein-Basel einmal gründlich gegen Berlin-O angetreten. Die Zahl der erzielten ‚Tore‘ ist freilich noch nicht festgestellt.“⁵¹ Wenige Tage später antwortete Thurneysen: „Tillich – ich bin froh, daß du diesen großen Löwen, der seit einiger Zeit sein baldiges Erscheinen in der theologischen Arena ankündigt, sofort gestellt hast. Seine ganze Theologie ist ein Großstadtgewächs, hat etwas seltsam Künstliches an sich, jedenfalls fehlt weithin die biblische Grundlage, und nun hat er auch ganz deutlich gezeigt, daß er das, was Offenbarung heißt und ist, umgehen möchte.“⁵² Doch zurück an den Anfang: Die Eingangsthese des von Tillich geführten Frontalangriffs auf Barth und Gogarten wirkte zunächst noch verbindlich und durchaus nicht gegen Barth und Gogarten gerichtet: „Wer das Verhältnis von Unbedingtem und Bedingtem undialektisch sieht, der sieht es überhaupt nicht, der hat von der Gewalt dessen, was im Begriff des Unbedingten gemeint ist, keine Vorstellung.“ Die vom Unbedingten ergehende Krise sei kein „einmaliger, sondern

 R. Bultmann an F. Gogarten, 22.12.1923, in: Bultmann – Gogarten. Briefwechsel (s. Anm. 43), 51– 56; hier: 54.  A.a.O., 55.  Zum Verhältnis von Barth und Tillich vgl.v. a. C. Danz, Christologie als Selbstbeschreibung des Glaubens. Zur Neubestimmung der Christologie bei Karl Barth und Paul Tillich, in: Kerygma und Dogma 58 (2012) 132– 146; W. Schüßler, Paul Tillich und Karl Barth. Ihre erste Begegnung in den zwanziger Jahren, in: ders., „Was uns unbedingt angeht“. Studien zur Theologie und Philosophie Paul Tillichs, Münster u. a. 1999, 119 – 132.  K. Barth an E. Thurneysen, 19.11.1923, in: Karl Barth – Eduard Thurneysen. Briefwechsel, Bd. 2: 1921– 1930, hg. von E. Thurneysen, Zürich 1974, 198 – 200; hier: 199.  E. Thurneysen an K. Barth, 22.11.1923, in: Barth – Thurneysen. Briefwechsel (s. Anm. 51), 200 f.; hier: 201.

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ein ständiger Durchgang“.⁵³ Die Dialektik laufe nicht ins Unendliche weiter, sondern benötige einen Punkt, von dem aus sie überhaupt erst möglich sei. „Der Dialektiker muß einsehen, daß er als Dialektiker eine Position unter anderen hat, die durch keine dialektische Selbstaufhebung aufhört, Position zu sein […].“ Abgezielt werde auf „die Erfassung des Ja, das die Voraussetzung des Nein ist, es ist der Rückgang vom kritischen zum positiven Paradox“.⁵⁴ Für Tillich ergibt sich daraus als zentrale Konsequenz: „Ist aber diese Voraussetzung der kritischen Position, daß sie Position ist, einmal erkannt, so ist der Blick frei geworden für alle Positionen, für diesen Kosmos und diese Erde und dieses Volk, für diese Geistesformen und diese Geschichte und diese Religion, für diesen Menschen an diesem Ort und am heutigen Tag.“⁵⁵ „Sie alle stehen unter der Einheit von Gericht und Gnade […].“ Und unter dieser Gnade zu stehen, bedeute „an der Wahrheit teil[zu]haben“.⁵⁶ Der Glaube sei diejenige Instanz, die dieses Gefüge zu erschließen vermag. Tillich untersucht den Zusammenhang nun unter drei Perspektiven: a) „Gott und Natur“, b) „Gott und Geist“ sowie c) „Gott und Geschichte“. Gleich der erste Punkt erweist sich als der Wichtigste. Tillich attestiert Barth und Gogarten eine fatale Reserve dem Schöpfungsgedanken gegenüber. „Von der Schöpfungsordnung sei es besser nicht zu reden; sie sei durch Sünde unkenntlich geworden […].“⁵⁷ Formeinheit, Gestalteinheit und Wirklichkeit benennt Tillich als Positionen, die vorauszusetzen seien, wenn von einem Gericht gesprochen werde, das sich ereigne. „Denn das Negative kann sich nur am Positiven, nicht am Negativen offenbaren.“⁵⁸ Schöpfungs- und Erlösungsordnung lassen sich, folgert er, nicht trennen.Von der Schöpfung geht Tillich über zum Geist des Menschen und zu den Formen, in denen er sich ausdrücke. Auch hier weist er die „Geste der Absolutheit“ zurück, mit der „die dialektische Position“ auftrete, um erneut zu fragen, ob nicht auch an dieser Stelle eine unaufhebbare Position vorliege, die es zu ergründen gelte. Tillich macht sie im „Glaube[n] an die Einheit von Gericht und Offenbarung auch im menschlichen Geist“⁵⁹ aus. „Es gibt in aller religiösen und aller profanen Kultur Erscheinungen, die den Ursprung, auf dem sie ruhen, die

 P. Tillich, Kritisches und positives Paradox. Eine Auseinandersetzung mit Karl Barth und Friedrich Gogarten, in: K. Barth, Vorträge und kleinere Arbeiten (s. Anm. 34), 351– 358; hier: 351.  A.a.O., 352.  Ebd.  A.a.O., 353.  Ebd.Vgl. dazu auch H. Fischer, Theologie des positiven und kritischen Paradoxes (s. Anm. 34), 200: „Schöpfung scheint für Barth kein konstitutives Element des positiven Paradoxes zu sein.“  P. Tillich, Kritisches und positives Paradox (s. Anm. 53), 353.  A.a.O., 354.

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Offenbarung der Gnade und des Gerichts im Auge des Glaubens sichtbar machen.“ Aus der Religion und aus der Kultur lassen sich, folgert Tillich, „symbolkräftige Erscheinungen“ entnehmen, die es ermöglichen, eine „Metaphysik der Geschichte“ zu entwerfen, in Form einer „symbolische[n], paradoxe[n] Heilsgeschichte“.⁶⁰ Auch in seinem Vortrag Das Unbedingte und die Geschichte greift Tillich den hier analysierten Zusammenhang auf, wenn er prononciert unterstreicht: „Die Krisis der Barthschen Schule, […] ob sie an irgendeinem Punkte, um aus den transcendenten Paradoxien, die infolge ihrer Negativität unerträglich sind, herauszukommen, doch eine transcendente Heilsgeschichte in die empirische hereinragen läßt, d. h. supranatural wird.“ Für gangbar hält Tillich nur den Weg einer „theonome[n] Geschichtsmetaphysik“ (EW X, 343) – von der Realität der Schöpfung zum Transzendenten. In seinem dritten Schritt wendet sich Tillich im Paradox-Aufsatz der Geschichte zu. Aus der dialektischen Perspektive zeige sich, dass „[d]ie gesamte Geschichte“ mit einem „negative[n] Vorzeichen“⁶¹ versehen sei. Auch hier beharrt Tillich auf einer Position, einer „positive[n] Wurzel“, und formuliert mit Nachdruck: „Die Offenbarung, die in der Geschichte sich vollzieht und die Geschichte trägt, ist unanschaulich; aber sie ist nicht unwirklich.“⁶² An diesem Punkt geht Tillich nun, unter besonderem Bezug auf Gogarten, auf die entscheidende Schwachstelle seiner Kontrahenten ein, wenn er in den Raum stellt, dass auch sie eine bestimmte historische „Position in der Geschichte“ aus dem Dauerprozess negativer Dialektik herausnähmen: „Dieser Ort der Offenbarung ist Christus. In der Christologie kommt der Gegensatz von positivem und kritischem Paradox zu entscheidendem Austrag.“ Mit dieser „Anerkennung einer empirischen Tatsache“⁶³ werde die Stringenz der Argumentation durchbrochen. Tillich benennt als Konsequenz: „Der Glaube ist nicht ein Werk der Bejahung des Absurden, sondern er ist erwachsen auf dem Boden der unanschaulichen Offenbarungsgeschichte, die durch die Geschichte verborgen hindurchgeht und in Christus ihren vollkommenen Ausdruck gefunden hat.“⁶⁴ Davon, „daß etwas Menschliches göttlich gesetzt“ werde, sei keine Rede, dies verhindere die Gerichtsverkündigung, „die im positiven sowie im kritischen Paradox enthalten ist“. Somit sei „[j]eder Pantheismus, jeder Idealismus, jede Synthese von Relativem und Absolutem […] überwunden“. Die „Theologie der Krisis“ könne somit nicht als voraussetzungslos beurteilt werden, sondern besitze in „Schöpfung und Gnade“ einen der Krisis     

A.a.O., 355. A.a.O., 356. A.a.O., 357. Ebd. A.a.O., 358.

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entzogenen Punkt. Dreifach könne vor diesem Hintergrund und mit dem Attribut „ewig“ theologisch geredet werden: „In Schöpfung, Erlösung und Vollendung stellt sich der Sinn des Paradox dem Glauben dar.“⁶⁵

4 Karl Barth: Christologie als Differenzmoment Unter der Überschrift Von der Paradoxie des „positiven Paradoxes“ reagierte Karl Barth in polemischem Duktus und eher unwillig auf Tillichs Reflexionen. Er verstehe letztlich nicht, was sein Gegenüber eigentlich aussagen wolle. Barth spricht Tillich ab, tatsächlich theologische Aussagen zu machen. Er bespiele vielmehr das Feld der Kulturphilosophie.⁶⁶ Wie könne Tillich überhaupt „auf den Verdacht kommen“, Gogarten und er „‚stünden‘ auf“ ihrer „Dialektik, auf – ein schrecklicher Gedanke! – auf der unendlichen Reihe“ ihrer „Selbstaufhebungen“: „[…] ‚Krisis‘ heißt doch nicht an sich Negation und also ‚Verbot‘, sondern Warnung allerdings, aber vielleicht auch Mahnung.“⁶⁷ Auf einen Begriff Tillichs hat es Barth besonders abgesehen: „Warum dieses Versteckspiel mit dem frostigen Ungeheuer ‚das Unbedingte‘?“⁶⁸ Letztlich schießt Barth argumentativ den Ball zurück zu Tillich, wenn er die Frage stellt, wo eigentlich „die Paradoxie des ‚positiven Paradoxes‘“⁶⁹ zu finden sei. Tillich lege, wie Barth hinsichtlich der Begriffe Gericht, Gnade und Offenbarung feststellt, „eine Verwilderung des christlichen Denkens und Redens“⁷⁰ an den Tag und entwickle eine „breite allgemeine Glaubens- und Offenbarungswalze, […] als ob es sich wiederum von selbst verstünde, daß überall, überall Gericht und Gnade waltet“. „[M]it dem Gotte Schleiermachers und Hegels“ zeige sich hier „eine ganz auffallende Ähnlichkeit“.⁷¹ Tillich unterschätze das „göttliche[] Paradox“ völlig, wenn er von dem Unanschaulichen spreche – „göttliche Freiheit und Liebe“⁷² könne er auf diese Weise nicht erfassen. Gott entäußere sich in freier Souveränität und ermögliche so, „indem wir von ihm erkannt werden“, ein „zu erkennendes Geschehen, ein Ereignis von Person zu Person, eine Mitteilung, eine Gabe im strengsten Sinn des

 Ebd.  Siehe v. a. K. Barth, Von der Paradoxie des „positiven Paradoxes“. Antworten und Fragen an Paul Tillich, in: ders., Vorträge und kleinere Arbeiten (s. Anm. 34), 358 – 375; hier: 361; vgl. 374.  A.a.O., 363.  A.a.O., 365.  A.a.O., 367.  A.a.O., 368.  A.a.O., 369.  A.a.O., 370.

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Wortes“.⁷³ Zum entscheidenden Differenzmoment erklärt auch Barth die Christologie: „Für ‚uns‘ ist Christus die Heilsgeschichte, die Heilsgeschichte selbst – Christus ist das ‚positive Paradox‘“ und nicht nur „die Darstellung einer mehr oder weniger immer und überall sich ereignenden Heilsgeschichte in vollkommener Symbolkraft“.⁷⁴ Von diesem Punkt ausgehend, dreht Barth schließlich seine Argumentation ins Grundsätzliche. Der so konfliktär aufgeladene Unterschied zu Tillich liege im „Hinweis auf die unlösliche Korrelation des theologischen Wahrheitsbegriffs mit den Begriffen Kirche, Kanon, heiliger Geist“.⁷⁵ In den Theologischen Blättern antwortete Tillich Barth noch einmal knapp und äußerte vor allem die Sorge, dass die von Barth und Gogarten vertretene Dialektik zu einem „sehr positiven und sehr undialektischen Supranaturalismus“ führen könne, der zu einem „einfache[n] Nein gegenüber der Welt werde“. Auch den Kulturbegriff sieht Tillich einer unzulässigen „Profanisierung“ ausgesetzt, die aus der Perspektive reformierter Theologie zu erklären sei. Er selbst wolle der „deutsch-lutherische[n] Tradition“ folgen, „deren geistesgeschichtliche Bedeutung gerade darin besteht, daß immer neue Versuche zur Überwindung der profanen Autonomie durch eine gefüllte, theonome hervorgegangen sind“.⁷⁶ Prägnant verweist Tillich seinerseits noch einmal auf Schleiermacher und Hegel, denen er sich verbunden sieht, „wenn es sich darum handelt, in den Formen des Logischen und Ethischen den Hinweis auf das Paradox erschaubar zu machen, die profane Autonomie aufzuheben in Theonomie“.⁷⁷ Karl Barth war von Tillichs Schlussüberlegungen enttäuscht. Er hatte sich dann wohl doch mehr erhofft und teilte vor Weihnachten, am 20. Dezember 1923, in einem Rundbrief mit: „Wenn ich mich je wieder auf ein solches Gespräch einlasse, so werde ich die Bedingung stellen, daß man mir nachher auch Rede stehe und sich nicht so ‚schnell und kurz‘ in die Büsche schleiche.“⁷⁸ Besonders begeistert von der Debatte zeigte sich auch Karl Ludwig Schmidt in seiner Funktion als Schriftleiter der Theologischen Blätter in einem kurzen Nachwort vom Dezember 1923 nicht. Immerhin sei aber die Christologieproblematik ernsthaft vertieft worden.⁷⁹ Im Januar 1924 erschien dann allerdings noch ein Beitrag von

 A.a.O., 369.  A.a.O., 370.  A.a.O., 375.  P. Tillich, Antwort, in: Barth, Vorträge und kleinere Arbeiten (s. Anm. 34), 376 – 379; hier: 378.  A.a.O., 379.  K. Barth, Rundbrief, 20.12.1923, in: Barth – Thurneysen. Briefwechsel (s. Anm. 51), 205 – 212; hier: 210.  Vgl. K. L. Schmidt, Nachwort der Schriftleitung, in: Barth, Vorträge und kleinere Arbeiten (s. Anm. 34), 379 f.

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Friedrich Gogarten Zur Geisteslage des Theologen. Noch eine Antwort an Paul Tillich, in dem er sich Barths Überlegungen dezidiert anschließen, aber auch noch einmal seine eigene Haltung formulieren möchte. Irritiert zeigt er sich von Tillichs Theologieverständnis und betrachtet eine argumentative Verlagerung auf die Kulturphilosophie als Ausweichmanöver: „ein verhängnisvoller Irrtum“ sei es, „wenn Tillich meint, die Direktheit des Zugriffs und die Selbstverständlichkeit der Aussage, die er mit allem Recht für den Namen ‚Gott‘ abwehrt, dadurch entscheidend vermeiden zu können, daß er statt von Gott vom Unbedingten redet“.⁸⁰ Konsequent wäre es dann nur, die Wirklichkeit der Welt in ihrer ganzen Gottesferne zu fokussieren – Friedrich Nietzsche sei das entsprechende Muster. Wer sich ihm anschließe sei allerdings kein Theologe mehr. Gogarten sieht derartige Versuche aus theologischer Perspektive zwangsläufig scheitern. „Und zwar deshalb, weil es für uns keine Wirklichkeit gibt außer der des in dem Menschen Jesus Christus geoffenbarten Gottes.“⁸¹ Eine existenzielle Dringlichkeit sei hier vorhanden, die alles „Symbolhafte“⁸² hinter sich lasse. Gogarten lässt seine Gedanken, in die er Barth einbindet, auf eine prägnante Formel zulaufen: Er suche „die Wirklichkeit der Welt und des Lebens und ihre Erkenntnis von Jesus Christus her, ja, genauer: in Jesus Christus […], während Tillich die Erkenntnis Jesu Christi oder wie er bezeichnend sagt: des Christusgeistes in der Erkenntnis der Welt und des Lebens sucht“.⁸³ In gewisser Analogie klingt hier auch der Rudolf Bultmann gegenüber erhobene Vorwurf an, er verwandele die Theologie in Anthropologie. Im Laufe der Jahre sollten sich die Gräben vertiefen. Alte Allianzen wurden gelöst, neue geschmiedet. In den scharfen Auseinandersetzungen über die theologische und kirchenpolitische Deutung nationalsozialistischer Ideologiebildung, nicht zuletzt in den strittigen Bereichen von Natürlicher Theologie und Volksnomos, kamen die Debatten der 1920er Jahre in ganz neuer und an Geschwindigkeit zunehmender Konfliktdynamik zur Geltung. Letztlich sind es die Christologie und der Schöpfungsbegriff, auf den sich die hier fokussierte ParadoxProblematik nun vertieft zuspitzt. Das Ende von Zwischen den Zeiten und die Konflikte um die Barmer Theologische Erklärung werden dabei zu nicht nur exemplarischen Kristallisationspunkten.Wie deutlich die Entwicklungen der 1930er Jahre bereits in der ersten Hälfte der 1920er angelegt sind, mag abschließend eine Passage aus Tillichs Text Der religiöse Sozialismus als universale Bewegung verdeutlichen. Er stammt von 1923 und ist im Kontext des Aufsatzes zum Paradox zu verorten. Tillich betont zunächst, dass „das Verhältnis von Jenseits und Diesseits    

F. Gogarten, Antwort (s. Anm. 34), 244 f. A.a.O., 245. A.a.O., 246. Ebd.

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als das Verhältnis von Wesen und Existenz, von Idealität und Realität bezeichnet werden“ müsse. Die Realität sei angewiesen auf „die Idealität der in Gott gesetzten Formeinheit“ und „leb[e] vom Ewigen, von der Setzung des Jetzt“ (EW X, 352).Von entscheidender Bedeutung für Tillichs Argumentation ist, dass er die Perspektive aber auch umdreht und herausstellt, dass sich die Idealität nicht „ohne die Realität“ offenbaren könne, „Gott nicht ohne Schöpfung“. Als Konsequenz ergebe sich, dass „die Realität“ auf diese Weise „die Bedeutung“ erhalte, „die sie in der Theologie des kritischen Paradoxes verloren“ habe. Sie sei zu betrachten als „die Stätte der individuell-schöpferischen Offenbarung, die immer zugleich Krisis und Position ist“ (EW X, 353). Tillichs Differenzierung von einer Heilsoffenbarung und einer Grund- oder auch Uroffenbarung vertieft an anderer Stelle genau diese Einsicht weiter.⁸⁴ Eine Offenbarung, die christozentrisch sei, hebt er 1924 in einer Vorarbeit zu Rechtfertigung und Zweifel hervor, „scheitert daran, daß sie die Grundoffenbarung nicht kennt“. Ihre fehle somit die „Basis“. „[D]ie universale Fassung der Offenbarung“ schließlich „ist unvollkommen, solange sie nicht die Paradoxie der Rechtfertigung auf die Grund-Offenbarung anzuwenden vermag.“ (EW X, 445) Aus dieser Einsicht ergeben sich für Tillich die anzugehenden Problemstellungen, in die dann auch der Kulturbegriff einzubeziehen ist. Leitend bleibt bei alledem der konsequente Rekurs auf die Rechtfertigungslehre. Entsprechend konnte Tillich 1931 in seiner kleinen Schrift Protestantisches Prinzip und proletarische Situation prägnant formulieren: „Der Kampf gegen die Ideologie geschieht im Protestantismus aus dem Rechtfertigungsglauben, d. h. aus der Gewißheit, daß in paradoxer Überwindung der menschlichen Bestimmungswidrigkeit der Mensch zur transzendenten Erfüllung seiner Bestimmung berufen ist.“ (MW III, 228)

 Vgl. dazu ausführlich A. Christophersen, Uroffenbarung. Der Wille Gottes und das Gesetz des Staates – Schöpfungsethik im Nationalsozialismus, in: Urworte. Zur Geschichte und Funktion erstbegründender Begriffe (Anfänge, Bd. 5), hg. von M. Ott und T. Doering, München 2012, 195 – 218.

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Einsichten zu Paul Tillichs Verständnis des Judentums Kritische Anfragen an die Konstruktion eines Prophetischen Geistes.

1 Zum Kontext und zur Zielorientierung der Überlegungen Es ist inzwischen aufgearbeitet worden, dass eine nicht geringe Anzahl lutherischer Theologen des 19. und 20. Jahrhunderts nicht nur dem Antisemitismus, der zur Shoa führte, nichts entgegensetzten, sondern ihn beförderten.¹ Dies ergibt sich mindestens aus der Rezeption von Texten des Leipziger Alttestamentlers Franz Delitzsch, des thüringischen Landesbischofs Martin Sasse, des Rostocker Lutherforschers Wilhelm Walther, des Gießener Kirchengeschichtlers Heinrich Bornkamm oder des Königsberger Lutherforschers Erich Vogelsang, die hier exemplarisch genannt antijudaistische und antisemitische Positionen mit Luther legitimierten.² Paul Tillich, der 1933 ins amerikanische Exil ging, sah sich selbst ebenfalls in der Tradition Luthers. Dies zeigt sich nicht zuletzt in seiner autobiografischen Schrift Auf der Grenze. Hier markiert er seine Position eben auch auf der Grenze von Luthertum und Sozialismus, dies tut er mit folgendem profilierten Satz: „Zum Lutherthum aber gehöre ich durch Geburt, Erziehung, religiöses Erleben und theologisches Nachdenken.“ (GW XII, 45) Es ist klar, dass, wenn es um Kritik an und Opposition gegen Antisemitismus geht, sich Paul Tillich von Zeitgenossen, die mit der nationalsozialistischen Be-

 Vgl. C. Wiese, ‚Unheilsspuren‘ – Zur politischen Dimension des theologischen Denkens Luthers im Kontext des modernen Antisemitismus, in: Zentralrat der Juden in Deutschland (Hg.), Perspektiven jüdischer Bildung. Diskurse – Erkenntnisse – Positionen. Konzept und wissenschaftliche Leitung: Doron Kiesel, Berlin 2017, 426 – 444.Vgl. auch C. Danz, Jesus von Nazareth zwischen Judentum und Christentum. Eine christologische und religionstheologische Skizze, Tübingen 2020.  Vgl. zu den hier genannten weiteren Positionen Wiese, ‚Unheilsspuren‘ (s. Anm. 1), 431– 441. https://doi.org/10.1515/9783110767728-010

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wegung sympathisierten oder sie aktiv unterstützten, deutlich abhebt. Werner Schüssler und Erdmann Sturm schreiben in ihrer Biografie Tillichs hierzu: Wenige Tage nach Erlass des ‚Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums‘, am 13. April 1933, wird Tillich als Professor beurlaubt. Max Horkheimer erinnert sich: ‚Ich habe ihm eines Tages im Februar 1933 eine Reihe von Stellen aus seinen Schriften vorgelesen und gesagt, ich glaube, wenn er Deutschland nicht verließe, würde es ihn sein Leben kosten‘.³

Es handelt sich um Texte, in denen Tillich die Bedeutung des Sozialismus entfaltet, Anfang 1933 wird seine 1932 verfasste Schrift Die sozialistische Entscheidung ⁴ verboten, Sturm und Schüssler schreiben, dass das Buch bei der Bücherverbrennung am 10. Mai 1933 ebenfalls ins Feuer geworfen worden sei.⁵ Tillichs Sozialismus führte dazu, dass er emigrieren musste. Seine Frau Hannah berichtet in ihren Memoiren, dass er kurz vor der Emigration im abschließenden Gespräch im Kultusministerium in Berlin zwei Fragen gestellt habe: „,Was geschieht mit den Juden?‘ Und ‚Wie stehen Sie zu unserer modernen Kultur?‘“⁶ Paul Tillich hatte zu zahlreichen jüdischen Kollegen wie u. a. insbesondere Theodor W. Adorno und Max Horkheimer gute Kontakte, er machte sich Sorgen über die Zukunft jener, die in Deutschland lebten, so z. B. die englisch-deutsche Sozialarbeiterin und Autorin Lilly Pincus, zu der er gute und verbindliche Kontakte und Freundschaft auch aus den USA nach Deutschland während des Nationalsozialismus pflegte. Tillich zeigte offensichtlich öffentlichkeitswirksam viel Verbundenheit und Solidarität in Bezug auf die Abwehr des Antisemitismus, so dass er selbst mit dem Judentum identifiziert wurde. Erdmann Sturm arbeitete dankenswerterweise heraus, wie der nationalsozialistische Schriftsteller, Kulturpolitiker und Soziologe Friedrich Otto Hermann Schulz sich in seinen 1933 und 1934 veröffentlichten antimarxistischen und antijüdischen Schriften mit Tillichs ‚Geist des Judentums‘ auseinandersetzte. Schulz‘ Ergebnis habe gelautet, dass Paul Tillich ‚jüdisch denke‘ und deshalb sei er Jude, es sei denn, seine Abstammungsurkunde könne etwas anderes belegen.⁷ Sturm bringt mit der Aufarbeitung dieser antisemitischen

 W. Schüssler/ E. Sturm, Paul Tillich, Leben – Werk – Wirkung. Stuttgart 2007, 16; Originalzitat in: T.W. Adorno u. a., Werk und Wirken Paul Tillichs. Ein Gedenkbuch, Stuttgart 1967, 17.  P. Tillich, Die sozialistische Entscheidung. Frühe Schriften zum Sozialismus, GW II, 219 – 365.  W. Schüssler/ E. Sturm, Paul Tillich (s. Anm. 3), 16.  Ebd.; Originalzitat: H. Tillich, From Time to Time, New York 1973, 155.  E. Sturm, „Die Zugehörigkeit Paul Tillichs zum Judentum als feststehende Tatsache…“ Über Paul Tillichs „Geist des Judentums“ und eine antisemitische Polemik (1933 – 1935), in: F. Siegert (Hg.), Grenzgänge. Menschen und Schicksale zwischen jüdischer, christlicher und deutscher Identität, Festschrift D. Aschoff, Münster 2002, 255 – 269, hier 261.

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Polemik unter dem Titel Die Zugehörigkeit Paul Tillichs zum Judentum als feststehende Tatsache ⁸ Tillichs Solidarität mit jüdischen Zeitgenoss*innen, ihrer Religion und Kultur sowie seine Hochschätzung der Bedeutung der jüdischen Tradition für das Christentum, insbesondere für den Protestantismus, in Erinnerung. Ausgehend von der eingangs angesprochenen Nähe lutherischer Theologen zu nationalsozialistischem und antisemitischem Gedankengut, mehr noch der Feststellung, dass sie dieses gefördert haben, stellt sich die Frage, wie Tillich in seinem Verständnis als lutherischer Theologe argumentiert. In diesem Beitrag wird nicht Tillichs Luther-Rezeption bearbeitet, vielmehr geht es darum, welche Argumentationsmuster seine Verhältnisbestimmung von Judentum und Christentum bestimmen und inwiefern diese mit einer lutherisch zu nennenden Tradition verbunden sind. Gerade auf der Folie, dass Tillich sich solidarisch mit Jüd*innen und jüdischer Kultur und Religion zeigt, fragt sich, ob und wie er diese Haltung theologisiert. Es steht demnach kein theologiehistorisches Interesse hinter dieser Fragestellung, sondern es sind aktuelle Herausforderungen einer religionspädagogisch versierten antisemitismuskritischen Bildung.⁹ Die Pandemie und nicht zuletzt mit ihr auftretende Verschwörungsmythen haben antisemitische Haltungen ebenso befördert wie bereits zuvor der Populismus der Pegida-Bewegung.¹⁰ Doch über diese aktuellen Dynamiken hinaus ist es m. E. grundsätzlich die Aufgabe der (evangelischen) Theologie, ihre eigenen Konzeptionen, Verständnisse oder genauer gesagt Normativität erzeugenden Deutungen des Heilshandelns Jesu Christi darauf hin zu prüfen, wie diese das Verhältnis zu den jüdischen Grundlagen ihrer Religion und zum aktuell gelebten Judentum bestimmen. Es ist unverzichtbar in dieser Sache einer Hermeneutik des Verdachts zu folgen,¹¹ denn wir können davon ausgehen, dass antijudaistische sowie mit ihnen verbunden antisemitische Denk- und Handlungsmuster zur Geschichte des Christentums und seiner Reli-

 Ebd.  Vgl. https://www.ev-theologie.uni-wuerzburg.de/forschung/ (19.12.21): Center of Critical Education on Antisemitism in (Religious) Education.  Vgl. z. B. Kompetenzzentrum für Rechtsextremismus- und Demokratieforschung, Antisemitismus in Zeiten von Covid 19. Sekundärauswertung der Leipziger Autoritarismus Studien für Baden-Württemberg unter: https://www.baden-wuerttemberg.de/fileadmin/redaktion/dateien/ PDF/210429_StM_BW_Studie_Antisemitismus_in_Zeiten_von_Covid-19_Uni_Leipzig.pdf (19.12.21).  Vgl. C. Janssen, Feministische Exegese, in: Das Wissenschaftliche Bibellexikon im Internet (https://www.bibelwissenschaft.de/wibilex/das-bibellexikon/lexikon/sachwort/anzeigen/de tails/exegese-feministische/ch/625ef91fbab7142cdef64b507cb20fca/ [22.12. 2021]), 2018. Für Elisabeth Schüssler-Fiorenzas wirksame Arbeit an einer Hermeneutik des Verdachts vgl. dies., Zu ihrem Gedächtnis, München 1988.

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gionspraxen bis in die aktuelle Gegenwart hinzugehören. Die Hermeneutik des Verdachts ist in der feministischen Exegese innerhalb der Theologie ausgearbeitet und bereits dort mit der Frage des Antisemitismus und Antijudaismus zusammengedacht worden. Was sie im Kontext einer antisemitismuskritischen Theologie wichtig macht, ist, dass sie Texte, seien es biblische, seien es solche der Tradition, wie auch ihre Grammatik und Weltsicht mit dem Ziel hinterfragt, ihre ideologischen Funktionen für menschen- und gruppenbezogenes feindliches Handeln sichtbar zu machen. Sie leitet dazu an, zeitgenössische Deutungen auf Vorurteile hin zu analysieren, die sie transportieren und im Hinblick auf Wertesysteme, die sie etablieren wollen, zu prüfen. Dies alles kann zudem nicht geschehen, ohne dass eigene Vorverständnisse offengelegt werden, die die Deutung von Texten bestimmen. Kurz zusammengefasst: Das Phänomen des Antisemitismus ist so vielschichtig mit christlich imprägnierten Kulturen und Theologien verwoben, dass der kritische Blick über die eigene Schulter unerlässlich ist.

2 Das Kernargument: Das Judentum als Volk der prophetischen Geschichte Es ist Robert Meditz gelungen,¹² wesentliche Textkorpora zur Frage von Tillichs Verständnis des Verhältnisses von Judentum und Christentum zusammenzuführen und insbesondere auch die ausführliche Argumentation Tillichs in seinen Berliner Nachkriegs-Vorlesungen Die Judenfrage – Ein christliches und ein deutsches Problem ¹³ von 1953 nachzuzeichnen und im Blick auf das Gesamtwerk Tillichs einordnend zu kommentieren. Auf diese Arbeit sei ausdrücklich verwiesen. Hier soll nun anschließend an sie zur weiteren Ausdeutung und Einordnung von Tillichs Hauptargument verholfen werden. Es ist bereits hervorzuheben, dass Tillich eingangs die Terminologie des ihm gestellten Themas traktiert. Er fragt, was denn mit der ‚Judenfrage‘ zur Debatte stehe, wer gemeint sei und in welcher Hinsicht, ob die religiöse Dimension oder auch eine Rassentheorie u. a.m. hierbei angesprochen werde. Tillich dekonstruiert die ihm vorgegebene Fragestellung; jene Dekonstruktion genauer anzusehen würde sich auch im Hinblick auf seine Verhältnisbestimmung zwischen Antisemitismus, Antijudaismus und Kirche bzw. Theologie lohnen; sie kann hier allerdings nicht geleistet werden.¹⁴

 R. Meditz, The Dialectic of the Holy. Paul Tillich’s Idea of Judaism within the History of Religion, Berlin/Boston 2016.  P. Tillich, Die Judenfrage – ein christliches und deutsches Problem, GW III, 128 – 170.  Vgl. a.a.O., 128 f.

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Deutlich tritt das Argumentationsmuster hervor, in dem Tillich ,die Funktion des jüdischen Geistes‘ darin sieht, den prophetischen Protest gegen jede neu entstehende ursprungsmythische Bindung zu erheben. Hiermit meint er den Nationalsozialismus, der mit einer Ideologie politischer Romantik seine Ausbreitung in immer weiter expandierende Räume legitimiere. Das Judentum identifiziert er mit der Kategorie der Zeit, im Unterschied zu Religionen, die den Raum als Primärkategorie bevorzugten. Tillich nimmt die Exodustradition, insbesondere die Bedeutung der Figur Abrahams, in Anspruch, aber im Grunde ist die Vertreibungs- und Exilsgeschichte, die jüdisches Leben begleite, für ihn die markante Linie zur Identifizierung seiner Bedeutung in einer Prophetie, die das Herausgerufen-Werden aus ursprungsmythischen Bindungen fokussiert. Das Judentum insgesamt steht symbolisch für eine historisch orientierte Religionsgemeinschaft. Es gab schon einen römischen Antijudaismus noch ehe es einen christlichen gab. Im römischen Pantheon waren die Götter aller Räume versammelt, aber dem Gott des römischen Raumes unterworfen. Und die Römer fühlten, dass die Juden durch den Gott der Zeit, dem sie dienten, den Raum des Imperiums angriffen […] Das Gefühl der Römer war berechtigt […] Solange der jüdische Gott als jüdischer Nationalgott gegen andere Nationalgötter steht, ist er ein raumgebundener polytheistischer Gott wie alle anderen, auch wenn er nur einer ist. Erst als durch die prophetische Kritik die Gebundenheit Jahwes an sein Volk zerschnitten war, wurde der Gott Israels zum Gott des Monotheismus. Er wurde es, als er zum Gott der Zeit wurde. (GW III, 156 f.)

Er sieht – drückt man es einmal generalisierend aus, was bereits eigene Schwierigkeiten hat – das Judentum in diesem Text als „Volk der Geschichte“ und „des prophetischen Geistes“. Dieses Kernargument kehrt in verschiedenen Texten wieder, auch bereits vor den Berliner Vorlesungen. So findet es sich z. B. in der Radioansprache Die jüdische Frage ¹⁵ von 1942, auf die Tillich möglicherweise später dann aufgebaut hat. Er schreibt: Das deutsche Volk hat das angenommen, was von den jüdischen Propheten aufs Schärfste bekämpft worden ist: den jüdischen Nationalismus, das, was der Berufung des Judentums im Judentum widerstrebte, das, um dessentwillen sie von Gott verworfen und einem tragischen Schicksal überlassen sind: das ist nun deutscher Glaube geworden und – wie sollte es anders sein – deutscher Fluch! (EW III, 20)

Tillich verbindet das ‚Schicksal des jüdischen Volkes‘ aufs engste mit dem ‚Schicksal des deutschen Volkes‘, mehr noch er macht ‚die jüdische Frage‘ zu  P. Tillich, Die Jüdische Frage, EW III, 19 – 22.

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einer Frage der Existenz nicht nur der Christen, sondern des Humanismus und damit der Menschheit: „Die jüdische Frage ist die Frage unseres eigenen Seins und Nichtseins als Christen und Menschen. Es ist die Frage unserer Rettung oder unseres Gerichts.“ (EW III, 22) Tillich spricht eindeutig die Opposition zwischen ‚Judentum‘ und ‚Nationalsozialismus‘ aus. Es ist möglich, seine Zeilen so zu verstehen, dass er ‚das Christentum‘ dazu bewegen will, sich mit dem ‚Judentum‘ zu solidarisieren und seine Einsichten zu übernehmen. Doch zugleich verbleibt diese Argumentation in der Sphäre Gottes und der göttlichen Heils- und Gerichtsaktivität. In seiner Argumentation kommt er aber nicht zu der Aussage, dass die Vernichtung des Judentums der Vernichtung der Menschheit gleichkommt. Er bindet seine Aussagen zurück an den religiösen und theologischen Kontext, das Urteil Gottes über Rettung und Gericht habe das letzte Wort. So gut diese Bezugnahme auf das Gericht Gottes nachvollziehbar ist, stellt sich doch die Frage, ob die Argumentation nicht problematische Konsequenzen haben kann. Denn in dieser Aufspaltung von Argumenten sozusagen in dogmatische und ethische Aspekte liegt die Gefahr, dass die Vernichtung des jüdischen Volkes auf der ethischen Seite steht und ,zum Vorletzten‘ wird. Es ist hier nicht möglich, alle Facetten dieser Argumentation zu besprechen. Kurz zusammengefasst ist insbesondere ein Aspekt hervorzuheben: Israel wird als ein Volk bezeichnet, das wegen seiner Bestrebungen zum Nationalismus ‚von Gott abgefallen‘ ist und damit die von ihm identifizierte Tiefendimension des JüdischSeins selbst aufgab. Diese ontologisierende Argumentation spielt einer Klischeebildung zu einem Bild von einem konstruierten biblischen Judentum in die Hände, die der Vielfalt der Überlieferungen der hebräischen Bibel in keiner Weise gerecht wird, sie vielmehr auf eine, wie er sagt, Funktion des jüdischen Geistes im Judentum und im Christentum festlegt. Tillich bewegt sich damit in einer gefährlichen Nähe zu antijudaistischen und auch antisemitischen Argumentationen, die Jüd*innen das Jüdisch-Sein bestreitet. Neben dem Analogie-Argument schwingt in der Argumentation mit, dass ‚das Judentum‘ seiner geschichtlichen Aufgabe nicht gerecht geworden sei. Freilich ist gerade die Einsicht in Verfehlungen, in die Entfremdungsstruktur menschlichen Daseins zentral für die Tillichs Theologie, doch in diesem Fall wird ‚das Judentum‘ in gewisser Weise zur Blaupause für eine Argumentation christlicher Anthropologie und Ekklesiologie gemacht. Eine solche Argumentation ist möglicherweise noch nicht selbst als antisemitisch, sondern besser als eine philosemitische Argumentation zu bezeichnen, die antisemitische Konsequenzen erzeugen kann. Dies entwickelt sich, indem innerjüdische Diskurse – wie etwa innerhalb der Prophetie geführt – zur Deutung christlicher Themen aufgegriffen und damit kontextfremd verwendet werden.

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3 Das Interesse an der jüdischen Prophetie in der Bibelwissenschaft des 19. Jahrhunderts Tillichs Argumentation für ein Judentum als Volk der prophetischen Geschichte schließt eng an bibelwissenschaftliche Forschungen des 19. Jahrhunderts an. Es ist Julius Wellhausen hier zu nennen, allerdings greift dieser bereits auf Forschungen von Wilhelm Martin Leberecht de Wette (1780 – 1849)¹⁶ zurück: Mit Julius Wellhausen (1844– 1918) verbindet sich die Erkenntnis, dass weite Bereiche der prophetischen Literatur der Hebräischen Bibel vor dem Entstehen des Pentateuch vorhanden waren, was in der schlagwortartigen Formel ‚lex post prophetas‘ zusammengefasst wurde […] Diese ‚kopernikanische Wende‘ der Bibelwissenschaft beinhaltete eine Hochschätzung der Prophetie, die weit über Datierungsfragen hinausging. Die prophetische Literatur wurde nicht nur chronologisch vor dem Pentateuch angesetzt, sondern galt auch als theologisch höherstehend als dieser, der nun als gesetzliche ‚Erstarrung‘ der ursprünglich lebendigen und unmittelbaren Gottesbeziehung Israels gesehen wurde.¹⁷

Wellhausen ist bekannt für starke metaphorische Formulierungen, so beschreibt er geradezu triumphal die Bedeutung der Individualität sowie der Subjektivität ‚des Propheten‘ für die Geschichte des Judentums. Losgetrennt vom Propheten in abstracto, gebe es keine Offenbarung, sie lebe in seinem gottmenschlichen Ich. Die Propheten wie auch Jesus hätten nichts Neues verkünden wollen, sondern nur die alte Wahrheit. Sie bringt er in scharfen Gegensatz zum Gesetz, zur Thora. In den Prolegomena zur Geschichte Israels versteigt er sich zu folgender Formulierung: „Aber ihr Credo [das der Propheten] steht in keinem Buche. Es ist eine Barbarei, einer solchen Erscheinung mit dem Gesetz die Physiognomie zu verderben.“¹⁸ Susanne Plietzsch arbeitet unter Rückgriff auf David Nirenberg heraus, wie diese Deutungsrichtung sich mit einer Emanzipationsbewegung in der Exegese und insgesamt der Theologie verband, die sich mehr und mehr von geschichtstheologischen Narrativen und metahistorischen Dogmatiken löste. „Zum einen

 Nochmals sei Rainer Kessler für diesen Hinweis gedankt. De Wette schreibt in seiner Biblischen Dogmatik des Alten und Neuen Testaments. Oder kritische Darstellung der Religionslehre des Hebraismus, des Judenthums und Urchristenthums, Berlin 21818: „ […] 3) während der Hebraismus Sache des Lebens und der Begeisterung war, ist das Judenthum Sache des Begriffs und des Buchstabenwesens.“  S. Plietzsch, Hermeneutik des Konkreten. Die Propheten als Repräsentanten Israels bei Julius Wellhausen und Abraham Geiger: https: doi.org/10.1515/9783110551631– 004 (12.12.21).  J. Wellhausen, Prolegomena zur Geschichte Israels. Berlin 1905, 398. Ich danke Rainer Kessler für diesen Hinweis und das sehr erhellende Gespräch zum Thema!

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wurde nun die Prophetie als der religions- und literaturgeschichtliche Ausgangspunkt der israelitischen Tradition beschrieben, zum anderen etablierte sich der Gedanke einer Priorität der Ethik vor Kult und Ritual als theologisch-religionswissenschaftlicher Topos der Moderne.“¹⁹ Plietzsch urteilt, Wellhausen lege mit teilweise sarkastischen Worten die regulierende, disziplinierende und tötende Wirkung des ‚Gesetzes‘ dar, die auf die prophetischen Aufbrüche gefolgt seien. Er sah, so sagt sie, ‚prophetisch‘ und ‚jüdisch‘ im Widerspruch zueinander und den Geist des Prophetentums erst wieder im Christentum zum Leben erweckt. Dem Judentum habe er den Verrat des prophetischen Ursprungs vorgeworfen. Durch sein Schweigen zum nachbiblischen Judentum habe er sich vor einer differenzierteren Sichtweise und ihren Konsequenzen geschützt. Wer Rudolf Smends Artikel zu Wellhausen und das Judentum kennt,²⁰ weiß, dass Smend Wellhausens Sicht auf die Thora und ‚das Gesetz‘ differenzierter darzustellen weiß, doch räumt dies keineswegs die Grundprobleme aus, die Plietzsch erarbeitet hat. Kürzlich hat Walter Homolka den Einfluss dieser These auf Adolf von Harnacks Werk herausgestellt. Das Judentum zur Zeit Jesu erscheint wiederum als ‚gesetzlich‘ erstarrte, überholte, obsolet gewordene Vorstufe des Christentums.²¹ Tillichs Fokussierung der Prophetie speist sich sicherlich auch aus seiner Kenntnis des Wellhausschen Oeuvres, allerdings nimmt er kaum explizit auf ihn Bezug.²² So weist seine Bezugnahme auf die Prophetie ebenfalls offene Flanken zu einer möglichen Abwertung der Vielfalt des Judentums auf. In aller Vorsicht wird es richtig zu sagen sein, dass auch Tillich in seinem Werk der Prophetie eine höhere Bedeutung gab als der Thora sowie der Weisheitstradition und dass die intertextuellen Bezüge, die heute diskutiert werden, zu seiner Zeit und in seinem Werk nicht im Horizont waren.²³

 S. Plietzsch, Hermeneutik des Konkreten (s. Anm. 17), 26.  Vgl. Rudolf Smend, Wellhausen und das Judentum, in: ZThK 79, 249 – 282.  W. Homolka, Der Jude Jesus – Eine Heimholung. Freiburg im Breisgau 2020, 98 u. 108.  Innerhalb der Gesammelten Werke wird nur eine Referenz auf eine Rede an der Harvard University gesetzt. Hier würdigt Tillich Wellhausen als interdisziplinären Theologen, vgl. P. Tillich, 68. Die Rolle der Religion im Leben der Universität. Vortrag vor dem Board of Overseers der Harvard University in Cambridge am 24.11.1959, GW XIII, 466 – 470, hier 467.  Vgl. Anm. 11.

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4 Kritische Kommentare von Albert Friedländer und Susanna Heschel Der Rabbiner und Leiter des Leo Baeck-Kollegs in London Albert H. Friedländer würdigt Tillichs Arbeit in einem Beitrag aus den beginnenden achtziger Jahren des letzten Jahrhunderts in hohem Maße; er zeichnet differenziert verschiedene Haltungen Tillichs in der Frage nach dem Verhältnis von Raum und Zeit in der Relation von Christentum und Judentum nach. Er greift das eben genannte Argumentationsmuster des jüdischen prophetischen Geistes dabei auf. Dann konstatiert er, dass Martin Buber genau dieses mit Tillich kritisch diskutiert habe. Aller Kritik zum Trotz habe Tillich doch an dieser Hoffnung festgehalten: „[…] Tillich still looked for the special Jew – the Martin Buber and the Leo Baeck of his private encounters – who would represent the prophetic principle and who would be a witness for the coming Kingdom of God.“²⁴ Friedländer legt nahe, dass Tillich möglicherweise seine jüdischen Freund*innen und das Judentum insgesamt nicht unabhängig von der biblischen Tradition und ihrer christlichen Auslegung gesehen haben könnte: Meanwhile, there were still biblical dimensions within the life of the Jewish people to which he responded; there was the reality of the ‘suffering servant’ that was present in his Jewish friends; and there was the inner knowledge that Christianity could not come to terms with its own identity without meeting the challenge of the Jew as a reality and as a concept.²⁵

Auch Susanna Heschels Review des einführend genannten Buchs von Robert Meditz The Dialectic of the Holy vertieft diesen Eindruck. Sie ordnet das Argumentationsmuster vom ‚Prophetischen Judentum‘ geistesgeschichtlich ein: […] Tillich repeats old themes – for instance, that Judaism failed to transcend its nationalism, even though its own Hebrew prophets demanded a renunciation of the ‘idolatry of religious nationalism.’ Yet, Meditz argues, Tillich deserves credit for departing from other Christian theologians who deny Jews their prophetic history. Moreover, he credits the Reformation with attempting to restore the prophetic tradition to Christianity, an argument also made by some nineteenth century German Jewish thinkers. Indeed, Tillich sounds a bit like Hermann Cohen when he writes, ‘The Protestant principle is the prophetic principle […] there exists a close relationship between Protestantism and Judaism.’²⁶

 A. H. Friedländer, Tillich and Jewish Thought, in: J. L. Adams / W. Pauck / R. L. Shinn (Hg.), The Thought of Paul Tillich. San Francisco 1985, 194.  Ebd.  S. Heschel, Beyond Supersessionism. Paul Tillich on Judaism. Veröffentlicht am 15.02. 2019: https://themarginaliareview.com/beyond-supersessionism-paul-tillich-judaism/ (12.12.21).

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Doch Nähe schützt noch nicht vor Diskriminierung, denn zugleich argumentiert Tillich auch mit inklusivistischer Tendenz. So kommt er in die Reichweite von Argumentationsmustern, die in der lutherischen Tradition eine Funktionalisierung des Judentums vornahmen und es als Inkarnation des prophetischen Geistes sehen wollten, zudem dann das Urteil fällten, dass dieser nicht mehr aus ihm spreche.

5 Zusammenfassende Schlussgedanken Es ist letztlich die Frage, ob und inwiefern es in der christlichen Tradition eine Kontinuität von antijudaistischen und antisemitischen Argumentationsmustern gibt, die Susanna Heschel dazu angeleitet haben dürfte, in ihrer Rezension auch auf den Einfluss von Luthers auf Tillichs Denken einzugehen. Für Luther formuliert sie: „Luther’s own expectation that the Jews would join his movement precisely because he had revived prophecy was disappointed.“²⁷ Die enttäuschte Hoffnung, die jüdische Seite für die eigenen Heilsanliegen gewinnen zu können, habe dazu geführt, dass Martin Luther nicht nur antijudaistisch, sondern auch protoantisemitisch zu nennende Argumentationsmuster ausgebaut habe. Der Kirchen- und Theologiehistoriker Thomas Kaufmann antwortete auf die Frage, ob er bei Luther ausschließlich Antijudaismus oder auch einen Antisemitismus sieht, wie folgt: Ich bin in meinen Büchern Luthers Juden und Luthers Judenschriften und in einem Aufsatz in dem Band Konfession und Kultur auf die Terminologiefrage eingegangen und habe dort für einen Begriff wie ‚protorassistischer Antisemitismus‘ oder ‚frühneuzeitspezifischer Antisemitismus‘ plädiert. Dabei ging es um einige Äußerungen etwa auch Luthers, die eine Wirkungslosigkeit der Taufe bei Juden voraussetzen. In der Tat hat sich meine Position in dieser Frage im Laufe der Jahre ’radikalisiert’. Gewiss: Luther zum Ahnherrn des ‚eliminatorischen Antisemitismus‘ zu machen, geht nicht an. Gleichwohl nimmt er 1543, um Druck auf die Obrigkeiten auszuüben, die Juden ausweisen sollen, die Warnung vor dem Volkszorn gegen die Juden – und insofern Pogrome – billigend in Kauf, ja droht an, sie entfesseln zu wollen, wenn man ihm nicht folgt. Das ist in der Tat ein sinistres ‚Spiel mit dem Feuer‘; ansonsten gilt allerdings für den lutherischen Protestantismus in toto, dass Ahasver eine Art Symbolfigur darstellt. Ahasver, der lebende Leichnam, kann und darf nicht sterben, denn er muss den Sieg des Christentums und die Schmach der Juden repräsentieren.²⁸

 Ebd.  Mail an I. Nord vom 18. November 2021. In Privatbesitz.

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Es ist leider zu konstatieren, dass Kaufmann ebenfalls dazu beiträgt, was explizit zu konzedieren ist: Auch Paul Tillich bildet keine prinzipielle Ausnahme. Er hat der christlich theologischen Vereinnahmung des Judentums über den Weg einer Konstruktion des prophetischen Judentums nicht widersprochen. Er hat, soweit zu sehen ist, auch nicht die Risiken dieser Konstruktion benannt. Die Prophetie und das Prophetische gehören in der Orientierung, wie sie in der lutherischen Theologie und später auch in der Religionsphilosophie bzw. Religionswissenschaft bei Wellhausen zu finden sind, zum Kernbestand seiner Theologie. Auf welcher Basis er selbst diesen Kernbestand theologisch verantwortet hat, dies hat er, soweit zu sehen ist, keiner kritisch-konstruktiven Revision nach der Erfahrung der Shoa unterzogen. Er hat ferner die Chance, die die Kritik von Leo Baeck eröffnet hat, offensichtlich nicht aufgegriffen oder verstehen können. Tillich hat vielmehr an diesem zentralen Argumentationsmuster der lutherischen Tradition festgehalten, und zwar, soweit zu sehen ist, ohne Ambivalenzen zu äußern. Für die nicht zuletzt auch religionspädagogische Weiterarbeit heute stellt sich die folgende Frage: Wie kann die Bedeutung der jüdischen Prophetie für den christlichen Glauben und eine christliche Ethik so gefasst werden, dass sie nicht zu einem verzerrten Bild jüdischen Glaubens und jüdischer Religionskultur insgesamt, indem sie beispielsweise die Thora abwertet, führt? Angeknüpft werden kann hierzu sicherlich an die neuere exegetische Forschung, die sowohl der Prophetie wie der Thora Offenbarungsqualität zuschreibt.²⁹ Davon ausgehend bleibt in der Wahrnehmung der jüdischen Religionskultur die Spannung zwischen beiden, Thora und Prophetie, zwischen Bindung und Aufbruch, erhalten. Für die christliche Religionskultur und Theologie ergibt sich freilich, dass sie sich nicht mehr als das legitime Nachfolge-, weil notwendige Reformprojekt darstellen kann, das aus ,einem erstarrten Judentum‘ hervorging. Die christlichen Religionsgemeinschaften sind seit langem herausgefordert, ihre Identitätspolitik radikal zu überdenken. Wo profilieren sie sich auf der Basis von konstruierten Bildern eines Judentums, das sie selbst – provokativ gesprochen – allererst theologisch erfunden haben? Für die Religionspädagogik geht es auf jeden Fall darum, konsequent an eine Revision der in Unterrichtsmaterialien wie Kompetenzerwartungen gesetzten Ziele zu gehen. Es ist erstens immer wieder zu prüfen, ob und inwiefern weiterhin Überbietungsansprüche geltend gemacht werden. Zweitens gilt es religionspädagogisch dazu zu befähigen, dass analysiert und reflektiert wird, wer wo und wie weiterhin Definitionen jüdischer Religionskultur kommuniziert, die diese vor allem in Bezug auf ihre Funktion für die christliche Religion

 Vgl. R. Kessler, Der Weg zum Leben. Ethik des Alten Testaments. Gütersloh 2017, § 28, 431– 443, hier: 431.

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darstellt. Seit Jahrzehnten ist es klar, dass es ein unverzichtbarer Schritt ist, den Eigensinn jüdischen Glaubens und Lebens anzuerkennen. Dazu freilich ist es ebenso unverzichtbar, sich einer Frage zu stellen, die nicht ein für alle Mal und nicht in einem Satz beantwortet werden kann: welchen Eigensinn der christliche Glaube und die christliche Religionskultur wo und für wen hat, ohne dass sie sich komplexitätsreduzierend eine Negativfolie zimmert, die sie selbst im hellen Licht erstrahlen lässt.

Teil III: Systematische Anknüpfungspunkte

Christian Danz

Theologie, Religion, Kultur Überlegungen zur systematischen Theologie im Anschluss an Paul Tillich Paul Tillichs Theologie gehört zu den wichtigsten und einflussreichsten Konzeptionen des 20. Jahrhunderts. Insbesondere seine Theologie der Kultur übte eine breite Faszination an seinem Werk aus und wurde geradezu zu seinem Markenzeichen. Diese beinhaltet die These, dass Religion die Substanz der Kultur sei und Kultur die Form der Religion.¹ Sie zielt auf die Ermöglichung einer religiösen Deutung der Wirklichkeit im Ganzen. In seine Kulturtheologie, die Tillich vor allem nach dem Ersten Weltkrieg ausgearbeitet hat, nahm er grundlegende Motive der sogenannten modern-positiven Theologie seiner Lehrer Adolf Schlatter und Wilhelm Lütgert auf. Sichtbar werden diese Motive besonders an der Kritik an soteriologischen Theologiebegriffen, also an Beschränkungen der Offenbarung Gottes auf Jesus Christus, die sich in Tillichs Gesamtwerk finden. Mit Schlatter und Lütgert geht Tillich von einer allgemeinen Offenbarung Gottes in der Schöpfung aus und ordnet die Offenbarung Gottes in Christus in diesen Rahmen ein. Tillichs Rezeption des Deutschen Idealismus, also der Philosophien Fichtes und Schellings in der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg, muss in diesem problemgeschichtlichen Kontext verstanden werden.² Es geht Tillich um eine bessere erkenntniskritische Begründung der modern-positiven Theologie. Auch Tillichs Verhältnis zu den neuen Theologien, die nach dem Ersten Weltkrieg von Friedrich Gogarten und Karl Barth ausgearbeitet wurden, wird allein aus seiner Prägung durch die modern-positive Theologie seiner akademischen Lehrer verständlich.³ Denn mit den dialektischen Theologen teilt Tillich die Auffassung, dass Gott strikt transzendent und von der Welt unterschieden ist. Vom Menschen aus führt kein Weg zu Gott. Gotteserkenntnis ist durchgehend an die Offenbarung Gottes gebunden. Die Differenz Tillichs zu Barth und Gogarten liegt also nicht im Offenbarungsbegriff, sondern in dessen Fassung. Deren Beschränkung der Gottesof Vgl. P. Tillich, Religionsphilosophie, GW I, 297– 364, bes. 319 – 321.  Vgl. C. Danz, Historicism, Neo-Idealism, and Modern Theology. Paul Tillich and German Idealism, in: J. Stewart (Hg.), The Palgrave Handbook of German Idealism and Existentialism, Cham 2020, 287– 303.  Vgl. P. Tillich, Kritisches und positives Paradox. Eine Auseinandersetzung mit Karl Barth und Friedrich Gogarten, GW VII, 216 – 225; K. Barth, Von der Paradoxie des „positiven Paradox“. Antworten und Fragen an Paul Tillich, GW VII, 226 – 239; P. Tillich, Antwort, GW VII, 240 – 243; F. Gogarten, Zur Geisteslage des Theologen, GW VII, 244– 246. https://doi.org/10.1515/9783110767728-011

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fenbarung auf Christus setzt Tillich die Behauptung einer allgemeinen Schöpfungsoffenbarung entgegen. Tillichs Kulturtheologie, um die es im Folgenden unter den Leitbegriffen ‚Theologie, Religion, Kultur‘ gehen soll, ergibt sich aus seiner Fassung des Offenbarungsbegriffs. Um die Bedeutung seiner Konzeption für die Debatten im 21. Jahrhundert auszuloten, müssen wir uns der Konstruktion sowie den Aufbauelementen seiner Theologie zuwenden. Erst indem das erfolgt ist und wir uns ein Bild von den systematischen Grundlagen seiner Theologie gemacht haben, können wir deren Grenzen benennen und der Frage nachgehen, in welcher Form Tillichs Idee einer Theologie der Kultur unter den Bedingungen des 21. Jahrhunderts weitergeführt werden kann. Dabei wird sich zeigen, dass Tillichs eigene Grundlegung einer Theologie der Kultur in einem allgemeinen Religionsbegriff unter den Bedingungen einer pluralistischen Kultur und Gesellschaft nicht fortgeführt werden kann, sondern durch eine Konzeption ersetzt werden muss, welche den Differenzen und Unterschieden der Religionen mehr Aufmerksamkeit schenkt. Nur so lässt sich in der Gegenwart des 21. Jahrhunderts eine Theologie der Kultur ausarbeiten, die dann freilich auch eine ganz andere Funktion bekommt als bei Tillich selbst. Die Gliederung meiner Ausführungen ergibt sich aus der eben angedeuteten Frage nach der Bedeutung von Tillichs Kulturtheologie für unsere Gegenwart. Einzusetzen ist mit einem Blick auf die systematischen Grundlagen von Tillichs Theologie der Kultur. Ich beschränke mich hierbei vor allem auf seinen Entwurf Rechtfertigung und Zweifel aus dem Jahre 1919. Dieser bietet die erste ausführliche systematische Entfaltung einer Kulturtheologie, die gleichsam den Hintergrund von Tillichs berühmten Vortrag Über die Idee einer Theologie der Kultur vom selben Jahr bildet. Wie wir sehen werden, behält Tillich die systematische Grundlegung, die er in dem Entwurf von 1919 ausgearbeitet hat, bis auf wenige Modifikationen bis hin zu seiner späten Systematischen Theologie bei. Damit ist freilich nicht bestritten, dass Tillich seine Terminologie ändert und seit Mitte der 1920er Jahre anthropologische und ontologische Gesichtspunkte in den Fokus der Aufmerksamkeit treten. Was sich jedoch unverändert durchhält, ist die systematische Konstruktion des Gottesgedankens. Im zweiten Abschnitt werden wir uns mit den systematischen Problemen von Tillichs Kulturtheologie beschäftigen, die vor allem seinen Religionsbegriff betreffen. Um diese Schwierigkeiten aufzulösen, werde ich einen Vorschlag zur Neubestimmung der Religion vorstellen, der einen allgemeinen Religionsbegriff, wie ihn Tillich vertritt, zurückweist. Auf dieser Grundlage kann dann im abschließenden dritten Abschnitt eine Reformulierung einer systematischen Theologie der Kultur angedeutet werden. Diese nimmt die Intention Tillichs auf, gibt ihr jedoch nicht nur eine andere Begründung, sondern auch eine andere Wendung.

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1 Paul Tillichs Theologie der Kultur und ihre offenbarungstheologischen Grundlagen Paul Tillichs Theologie geht es von Anfang an um die Begründung der Möglichkeit einer religiösen Deutung der Wirklichkeit. Bereits die Schriften aus der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg, seine beiden Dissertationen zu Schelling sowie die Systematische Theologie von 1913 arbeiten ein solches theologisches Programm aus. Es erfolgt im Rückgriff auf die spekulativen Philosophien Fichtes und Schellings, um der modern-positiven Theologie eine erkenntnis-kritische Begründung zu geben. Schlatters empirische Theologie, die von der realistischen Annahme ausgeht, dass Gott als Ursache und Einheit der Welt allem Konkreten in ihr stets schon zugrunde liegt,⁴ überführt Tillich in eine spekulative Theologiekonzeption, die das Verhältnis von Gott und Welt als Verhältnis von absolutem und besonderem Geist versteht. Das Universum ist der Prozess, in dem Gott sich selbst in der von ihm geschaffenen und von ihm unterschiedenen Welt erfasst. Diese spekulative Konzeption hat Tillich während des Ersten Weltkriegs umgebaut. Der markanteste Unterschied zur Vorkriegstheologie besteht darin, dass nun die Gegenwart sowie das Konkrete in der Geschichte in den Fokus der Theologie Tillichs rücken und der spekulative Rahmen einer Geschichte des Absoluten fallen gelassen wird.⁵ Die erste umfassende Ausarbeitung dieser neuen theologischen Konzeption findet sich in dem Entwurf Rechtfertigung und Zweifel. ⁶ Tillich hatte ihn 1919 verfasst, um sich der Berliner Theologischen Fakultät vorzustellen, an die er sich nach dem Krieg umhabilitierte.⁷ Worum geht es in dem Entwurf Rechtfertigung und Zweifel? Tillich arbeitet in diesem Text eine Grundlegung der Theologie aus, die die moderne, auf Autonomie fußende Kultur aufnehmen soll. Hierfür stehen die Stichworte Rechtfertigung und Zweifel. „Es soll gezeigt werden, daß das Princip des Protestantismus in sich ein Moment enthält, durch dessen Entfaltung es in Einheit kommt mit einem auf  Vgl. A. Schlatter, Das christliche Dogma, Stuttgart 21923. Vgl. auch die Weiterführung von Schlatters Programm bei W. Lütgert, Schöpfung und Offenbarung. Eine Theologie des ersten Artikels, Gütersloh 1934.  Vgl. P. Tillich, Theodicee, EW X, 101– 106 (1. Entwurf), EW X, 107– 113 (2. Entwurf).Vgl. hierzu F. Wittekind, „Allein durch den Glauben“. Tillichs sinntheoretische Umformulierung des Rechtfertigungsverständnisses 1919, in: C. Danz / W. Schüßler (Hg.), Religion – Kultur – Gesellschaft. Der frühe Tillich im Spiegel neuer Texte (1919 – 1920), Wien/Berlin/Münster 2008, 39 – 65, bes. 46 – 52.  P. Tillich, Rechtfertigung und Zweifel, EW X, 128 – 185 (1. Version), EW X, 185 – 249 (2. Version).  Vgl. hierzu E. Sturm, An der engen Pforte der historischen Methode vorbei … Paul Tillichs Habilitation in Halle (1916) und seine Umhabilitierungen nach Berlin (1919) und Marburg (1924), in: Ethics and Eschatology, International Yearbook for Tillich Research 10 (2015), 273 – 331.

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Autonomie aufgebauten Geistesleben.“ (EW X, 187) Die kritische Subjektivität, also das Wissen, dass jeder Gehalt vom Menschen gesetzt und produziert ist und folglich auch wieder zurückgenommen werden kann, wird zum Bestandteil der theologischen Grundlegung. Damit ist die Religionskritik in die Begründung der Theologie aufgenommen. Jeder Gottesgedanke, davon geht Tillich aus, ist ein vom Menschen produzierter Gedanke. Wie konstruiert er nun seine theologische Grundlegung, die einerseits die religionskritischen Einwände der Moderne aufnimmt und sie andererseits überwindet? Tillich legt seiner Theologie nach dem Ersten Weltkrieg eine Neubestimmung des Bewusstseins zugrunde, die als allgemeine Grundlagenstruktur fungiert. Damit ist gemeint, dass das Bewusstsein als ein reflexiv erschlossenes und selbstbezügliches der Ursprung und die Basis aller theoretischen und praktischen Realitätssetzungen im Bewusstsein ist. Tillich bezeichnet das Bewusstsein, welches die Voraussetzung und Grundlage aller konkreten Akte des Bewusstseins ist, als das Unbedingte und bestimmt es näher als Sinn.⁸ Damit liegt das Unbedingte der gesamten Wirklichkeit und jedem Bezug des Bewusstseins auf Wirklichkeit sowie jedes einzelne in ihr bereits zugrunde. Als gleichsam unendliche Reflexivität des Bewusstseins, der sich alle konkreten Bestimmungen und Inhalte verdanken, ist das Unbedingte selbst unbestimmt und nicht darstellbar. Es ist in einem strikten Sinne transzendent und bleibend von der Welt unterschieden. Von dieser aus gibt es keinen Weg zum Unbedingten, obwohl es der Wirklichkeit der Welt stets zugrunde liegt. Es ist, wie es in den Schriften der 1920er Jahre heißt, zugleich Grund und Abgrund. Von der Welt aus gibt es keine Möglichkeit, das Unbedingte zu erfassen. Denn alle Inhalte des Bewusstseins sind als bestimmte Inhalte Produkte des Bewusstseins und damit nicht das Unbedingte, welches weder ein Inhalt noch ein Gegenstand ist. Das Unbedingte kann sich dem Menschen nur erschließen. Die kontingente Erschließung der allgemeinen Grundlagenfunktion des Bewusstseins im individuellen Bewusstsein bestimmt Tillich als Religion. Deren allgemeine Bestimmung ist, Meinen oder Richtung auf das Unbedingte zu sein.Wie ist Tillichs Religionsbegriff, Religion sei Meinen des Unbedingten, zu verstehen? Religion entsteht im Menschen dadurch, dass ihm das im Bewusstsein bereits angelegte Unbedingte sich erschließt. Dies ist an einen Reflexionsakt im Selbstverhältnis des Bewusstseins gebunden, der selbst unbestimmt ist. Nur in diesem Akt ist das Unbedingte im Bewusstsein gegeben. Tillich schließt es explizit aus, dass Religion eine besondere Form im Bewusstsein ist. Sein Religionsbegriff zielt geradezu auf die Überwindung der Vorstellung, Religion sei eine besondere Form in der Kultur

 Vgl. P. Tillich, Rechtfertigung und Zweifel, EW X, 169 f.

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neben anderen Kulturformen. Es bleibt somit nur, die Erschlossenheit des Unbedingten im individuellen Bewusstsein als Negation des bestimmten Bewusstseins bzw. der bestimmten Kulturfunktionen des Bewusstseins zu verstehen. Damit sind die offenbarungstheologischen Grundlagen von Tillichs Religionsbegriff benannt. Religion als Richtung auf das Unbedingte entsteht im Menschen in einem kontingenten Akt im Selbstverhältnis des Bewusstseins. In diesem Akt, der nicht vom Menschen herstellbar ist, ist die allgemeine Grundlagenfunktion des Bewusstseins im individuellen Bewusstsein erschlossen. Da das Unbedingte selbst unbestimmt und kein Inhalt oder Gegenstand ist, kann es sich nur als Negation des inhaltlich bestimmten Bewusstseins darstellen. Tillichs Religionsbegriff – Religion als Meinen des Unbedingten – ergibt sich aus dieser Struktur. Das Unbedingte, eben weil es selbst kein Inhalt ist, kann nur als Negation der inhaltlichen Bestimmungen des Bewusstseins dargestellt werden. Mit dem soweit skizzierten Religionsbegriff ist die Grundlegung des theologischen Prinzips, welches den Zweifel in sich aufnimmt, abgeleitet. Denn Glaube sei, wie Tillich ausführt, die Bejahung des absoluten Paradox,⁹ also, wie wir gesehen haben, die Erfassung des Unbedingten als Voraussetzung aller Akte des Bewusstseins, die nur als kritische Negation, also als Zweifel, dargestellt werden kann. Der reflexiv gewordene Zweifel hebt das Stehen in der Wahrheit nicht auf, sondern er ist die Form, wie das Unbedingte allein erfasst werden kann. Mit dieser gleichsam rechtfertigungstheologischen Konstruktion des Glaubens sind Konsequenzen verbunden, von denen ich zwei noch nennen möchte, bevor wir uns im nächsten Abschnitt den systematischen Problemen von Tillichs Kulturtheologie zuwenden können. Der erste zu nennende Aspekt betrifft das Verhältnis von Religion und Kultur sowie die daraus sich ergebende Fassung der Inhalte der Religion. Religion ist, wie erwähnt, für Tillich weder eine besondere Bewusstseinsfunktion noch ein besonderer Akt. Sie ist allein durch die Intention bestimmt, Richtung auf das Unbedingte zu sein. Das heißt, sie kann sich an allen Inhalten des Bewusstseins darstellen, da alle religiösen Inhalte nur Darstellungen der Erschlossenheit des Bewusstseins hinsichtlich des bereits von ihm in Anspruch genommenen Unbedingten sind. Damit ist jede Erfassung der Erschlossenheit des Unbedingten im Bewusstsein, die als Darstellung stets ein vom Bewusstsein produziertes Bild ist, Kultur.¹⁰ Religiös – im Unterschied zur Kultur – sind diese Bilder allein dadurch, dass sie als Darstellungen der Erschlossenheit des Bewusstseins diese lediglich als Negation zum Ausdruck bringen können. Für die religiösen Gegenstände, also

 A.a.O., 218 – 221.  A.a.O., 225.

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Gott, bedeutet das, dass sie von Tillich selbstbezüglich konstruiert sind: sie stellen im Bewusstsein die reflexive Erschlossenheit des Bewusstseins dar und strukturieren sie zugleich. Indem sich das religiöse Bewusstsein auf Gott bezieht, bezieht es sich auf sich selbst. Genau das ist der Gehalt von Tillichs ‚Gott über Gott‘, der bereits in Rechtfertigung und Zweifel den Schlüsselbegriff seiner Theologie bildet.¹¹ Dieser Gott über Gott verweist nicht auf einen eigentlichen Gott jenseits der Gottesbilder. Er bezeichnet vielmehr die reflexive Struktur des Glaubensakts, der in ihm zur Darstellung kommt. Damit ist zugleich der Gehalt von Tillichs Symboltheorie benannt, die er erst in den 1920er Jahren ausgearbeitet hat.¹² Grundlegend für Tillichs Verständnis von Symbolen ist nicht ihr Verweischarakter, also dass Symbole auf etwas anderes verweisen.Vielmehr geht es beim Symbol um die Stellung des Bewusstseins zu seinen Inhalten. Das Bewusstsein ist gleichsam selbst schon durch Symbolizität ausgezeichnet.¹³ Zweitens ist noch einmal ein Blick auf Tillichs offenbarungstheologische Konstruktion der Religion zu werfen. Um den Gegensatz von Religion und Kultur zu überwinden, kann das Geschehen der Erschlossenheit des Unbedingten im individuellen Bewusstsein kein besonderer oder bestimmter Akt sein, sondern lediglich ein unbestimmter. Wie muss man sich diesen Akt vorstellen, in dem es zum Übergang von der Kultur, der das Unbedingte implizit zugrunde liegt, zur Religion als explizitem Meinen des Unbedingten, kommt? Denn wenn in diesem Übergang das Unbedingte dem Bewusstsein erschlossen sein soll, dann muss das Bewusstsein ein Wissen von ihm haben. Andernfalls könnte es gar nicht wissen, dass das Unbedingte nicht darstellbar ist. Tillich lässt jedoch die Frage, wie Religion im einzelnen Menschen entsteht, offen, indem er es bei dem Hinweis belässt, dass das Unbedingte in jedem Bewusstsein bereits gegeben sei.¹⁴ Damit übergeht er allerdings ein grundlegendes Problem seiner Konstruktion mit Stillschweigen. Es wird auch in der weiteren Entwicklung seiner Theologie von den 1920er Jahren bis hin zur Systematischen Theologie nicht wirklich gelöst.

 A.a.O., 219.  Tillich benutzt den Symbolbegriff zwar bereits in der Erstfassung von Rechtfertigung und Zweifel, aber er ist hier kein relevanter Grundbegriff. In der zweiten Version von Rechtfertigung und Zweifel hat er den Begriff des Symbols dann auch nicht mehr verwendet. Vgl. P. Tillich, Rechtfertigung und Zweifel, EW X, 172.  Das ist der Gehalt von Tillichs sogenanntem ‚one non-symbolic statement‘ im ersten Band der Systematischen Theologie, das Sein Gottes sei das Sein-Selbst. Vgl. P. Tillich, Systematic Theology, Vol. I, Chicago 1951, 238 f. Gemeint ist eine Strukturbeschreibung des im Bewusstsein gegebenen Verhältnisses von Bewusstsein und Sein.  Vgl. F. Wittelkind, Grund- und Heilsoffenbarung. Zur Ausformung der Christologie Tillichs in der Auseinandersetzung mit Karl Barth, in: Jesus of Nazareth and the New Being. International Yearbook for Tillich Research 6 (2011), 89 – 119, bes. 96 f.

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Was sich in Tillichs offenbarungstheologischer Grundlegung der Theologie zwischen dem frühen Entwurf Rechtfertigung und Zweifel und der Systematic Theology ändert, ist vor allem die Einführung der Unterscheidung zwischen Grund- und Heilsoffenbarung in dem Vortrag Rechtfertigung und Zweifel von 1924.¹⁵ Mit ihr differenziert er den Offenbarungsbegriff aus, um ihrer Konkretheit besser Rechnung tragen zu können. Unter Grundoffenbarung ist dabei eine allgemeine Erschlossenheit des Bewusstseins zu verstehen, die zweideutig bleibt. Zur Vollendung kommt die Grundoffenbarung in der Heilsoffenbarung, in der die Zweideutigkeit der Grundoffenbarung dadurch überwunden ist, dass das Offenbarungsbewusstsein selbst reflexiv wird. Das bedeutet, die Erschlossenheit des Unbedingten im Bewusstsein, die sich nur als Negation der Bestimmtheit des Bewusstseins in diesem darstellen kann, ist selbst wieder zu negieren. Auch in dieser Weiterentwicklung seiner Theologie hält Tillich an der allgemeinen Struktur des Offenbarungsbegriffs fest, die wir besprochen haben. Wichtig an dieser Unterscheidung ist, darauf möchte ich noch hinweisen, dass Tillich in den 1930er Jahren in den USA die Terminologie von Grund- und Heilsoffenbarung fallen gelassen und durch das dialektische Wechselverhältnis von Frage und Antwort ersetzt hat.¹⁶ Im Hintergrund der späteren Methode der Korrelation, wie sie für die Systematische Theologie und ihren Aufbau signifikant ist, steht der Offenbarungsbegriff.

2 Vom allgemeinen Religionsbegriff zur Diversität des Religiösen Tillich geht in seiner Kulturtheologie, wie wir gesehen haben, von einem offenbarungstheologischen bzw. – in Tillichs eigener Terminologie – einem metalogischen oder theonomen Religionsverständnis aus. In der Religion als Richtung auf das Unbedingte ist dem individuellen Bewusstsein die allgemeine Grundlagenstruktur des Bewusstseins erschlossen. Im Bewusstsein realisiert sich diese Erschließung als Negation der vom Bewusstsein produzierten inhaltlichen Bestimmungen, da das Unbedingte selbst nicht darstellbar ist. Damit sind Religion

 Vgl. P. Tillich, Rechtfertigung und Zweifel, GW VIII, 85 – 100. Vgl. hierzu C. Danz, Erläuterungen zu Paul Tillich „Rechtfertigung und Zweifel“, in: P. Tillich, Rechtfertigung und Neues Sein, hg. u. kommentiert v. C. Danz, Leipzig 2018, 66 – 111.  Vgl. P. Tillich, What is wrong with the „Dialectic“ Theology?, in: The Journal of Religion 15 (1935), 127– 145; ders., Natural and Revealed Religion, in: ders., Ausgewählte Texte, hg.v. C. Danz / W. Schüßler/ E. Sturm, Berlin/New York 2008, 265 – 273.

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und Kultur verbunden. Religion ist das explizite Wissen um diejenige Voraussetzung, die in jedem Bewusstsein, also auch dem Kulturbewusstsein, bereits gegeben und in Anspruch genommen ist, nämlich das Unbedingte. Im Interesse an der Allgemeinheit der Religion lehnt es Tillich vehement ab, das Geschehen von Religion selbst inhaltlich zu bestimmen. Diese ist allein durch ihre Intention bestimmt, Richtung auf das Unbedingte zu sein. Als Intentionalität ist Religion auf keinen Gegenstand oder Inhalt gerichtet. Denn sie besteht gerade in der Negation jedes Inhalts, eben weil das Unbedingte als Grundlage aller bestimmten Inhalte selbst kein Inhalt ist. Tillichs Religionsbegriff, wie wir ihn uns deutlich zu machen versucht haben, bildet die Grundlage seiner Kulturtheologie. Zugleich ist dieser Religionsbegriff jedoch mit Problemen konfrontiert, die ihn in der pluralen Kultur des 21. Jahrhunderts revisionsbedürftig werden lassen. Es sind vor allem drei Probleme, mit denen Tillichs Grundlegung der Theologie konfrontiert ist. Erstens hält er an einem allgemeinen bzw. universalen Religionsbegriff fest. Wo auch immer Religion im Menschen entsteht, da besteht sie in der Erschlossenheit des Bewusstseins, also in der Richtung auf das Unbedingte bzw. – wie die spätere Formel lautet – in dem, was den Menschen unbedingt angeht. Ebenso wie Jesus Christus sind auch die Symbolträger anderer Religionen lediglich Veranschaulichungen der allgemeinen Struktur der Religion, die jeder geschichtlichen Religion zugrunde liegt. Mit diesem Religionsbegriff ist zweitens verbunden, dass Religion als Richtung auf das Unbedingte eine neue Einheit der ausdifferenzierten, fragmentierten modernen Kultur stiftet. Diese neue Einheit der Kultur liegt unterhalb der Gegensätze der nebeneinander stehenden kulturellen Systeme wie Wirtschaft, Recht, Politik, Kunst etc. Eine neue Einheitskultur kann Religion nur stiften, wenn sie selbst keine besondere Kulturform neben anderen ist. Das ist der Grund, warum Tillich eine autonome Religion als eigene Form auflöst. Denn an ihrer Allgemeingeltung kann nur festgehalten werden, wenn sie selbst nicht bestimmt, mithin unbestimmt ist. Und schließlich führt Tillichs Religionsbegriff drittens dazu, dass nichtreligiöse Lebensweisen eigentlich gar nicht möglich sind. Das Unbedingte liegt, wie wir gesehen haben, jedem Bewusstsein zugrunde. Ist jemand nicht religiös oder behauptet es zu sein, dann ist sein eigenes Selbstverständnis defizitär, da er nicht zu einem angemessenen Verständnis seiner selbst gekommen ist. Eine Erschlossenheit des Bewusstseins und damit eine Selbsterfassung des Menschen gibt es allein als Religion. Ein solcher allgemeiner Religionsbegriff, wie ihn Tillich seiner Kulturtheologe zugrunde gelegt hat, ist in einer pluralen Kultur und Gesellschaft nicht mehr überzeugend. Erstens hebt ein allgemeiner Religionsbegriff die Diversität und Pluralität der geschichtlichen Religionen auf. Alle Religionen haben einen identischen, invarianten Kern, lediglich ihre Oberfläche, also die symbolischen For-

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men, in denen sie sich darstellen, sind verschieden. Doch diese symbolischen Formen sind als Schale gegenüber dem eigentlichen religiösen Kern unwesentlich. Zweitens: ein solches Einheitsmodell, wie es Tillich seiner Kulturtheologie zugrunde legt und mit dem der Anspruch verbunden ist, eine neue Begründung der Einheit der ausdifferenzierten Kultur zu geben, ist unter den Bedingungen der gegenwärtigen Kultur und Gesellschaft bloße Romantik. Und schließlich ist drittens in einer pluralen, durch hochgradige Differenzierungen charakterisierten Kultur die Behauptung einer anthropologischen Notwendigkeit der Religion, wie sie Tillich konstruiert, ein bloßes nicht überprüfbares Postulat. Es dient lediglich der Allgemeinheitsbehauptung der Religion und führt dazu, dass nichtreligiöse Selbstverständnisse in der Theologie nicht als berechtigt anerkannt werden können. Wäre dies so, dann wäre die Theologie auch nicht in der Lage, die moderne, plurale Welt anzuerkennen. Um an Tillichs Idee einer Kulturtheologie festzuhalten und sie unter den Bedingungen des 21. Jahrhunderts weiterzuführen, muss, wie deutlich geworden ist, dessen allgemeiner Religionsbegriff ebenso fallengelassen werden wie seine Konstruktion der Religion. Im Unterschied zu ihm ist von Religion als einer autonomen Form in der Kultur auszugehen, die sich im Prozess der kulturellen Evolution als ein eigener Bereich ausdifferenziert hat. Religion ist also kein Bestandteil der conditio humana oder der allgemeinen Grundlegungsstruktur des Bewusstseins wie bei Tillich, sondern kontingentes Produkt des kulturellen Ausdifferenzierungsprozesses. Als solche ist sie nicht notwendig für den Menschen und sein Sich-Verstehen oder seine Selbsterfassung. Das bedeutet, dass ein allgemeiner Religionsbegriff von der systematischen Theologie aufzugeben und der Religionsbegriff auf die christliche Religion zu beschränken ist. Der Religionsbegriff der Theologie dient dazu, das Christentum als Religion begrifflich zu erfassen und zu bestimmen. Indem auf einen allgemeinen Religionsbegriff verzichtet wird, ist die Möglichkeit geschaffen, anzuerkennen, dass andere Religionen Religion anderes verstehen als im Christentum. Es geht also nicht darum, nur das Christentum als Religion auszuzeichnen oder als wahre und eigentliche Religion zu verstehen, sondern gerade umgekehrt, in die Theologie aufzunehmen und anzuerkennen, dass das, was Religion ist, bereits in den verschiedenen Religionen unterschiedlich bestimmt ist. Jede Religion ist eine Religion sui generis und nicht lediglich die geschichtliche Besonderung eines ihnen gemeinsam zugrunde liegenden Allgemeinen. Wie ist nun Religion im Unterschied zu Tillich zu bestimmen? Mein Vorschlag ist, die christliche Religion als eine eigene Form von Kommunikation in der Kultur zu verstehen, die um sich selbst als Religion weiß und in ihrer inhaltlichen

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Kommunikation Religion kommuniziert.¹⁷ Die christliche Religion ist ein in Kommunikation eingebundenes Geschehen, welches in der religiösen Benutzung der Kommunikation durch Menschen besteht. Sie entsteht allein in der Kommunikation und nicht durch Voraussetzungen, die außerhalb von ihr gegebenen sind, etwa eine religiöse Anlage im Subjekt oder einen bereits existierenden religiösen Gegenstand. Konstitutiv für die christliche Religion ist ein Wechselverhältnis von drei Strukturelementen: sie ist erstens abhängig von christlich-religiöser Kommunikation, also der Erinnerung an Jesus Christus, die es in der Kultur bereits geben muss, zweitens hängt die christliche Religion am verstehenden Aneignen der Erinnerung an Jesus Christus sowie drittens der symbolischen Artikulation der angeeigneten Erinnerung an Jesus Christus. Als Religion entsteht die christliche Religion aus den drei Elementen zusammen. Sie lässt sich nicht auf eines dieser Elemente zurückführen oder begründen. Nur indem Menschen die christlich-religiöse Kommunikation als Religion aufnehmen und zur Darstellung von Religion benutzen, existiert die christliche Religion. Diese hängt ausschließlich an dem Gebrauch, den Menschen von der Kommunikation machen. Religiöse Inhalte und ein religiöses Subjekt gibt es mithin lediglich in der christlichen Religion, nicht aber als Voraussetzungen, aus denen sie abgeleitet oder begründet werden könnte. Mit dem skizzierten Religionsbegriff, der sich auf die christliche Religion bezieht, ist die von Tillich und der Theologie des frühen 20. Jahrhunderts vorgenommene Neubestimmung der Religion als nicht ableitbarer Vollzug im Selbstverhältnis des Bewusstseins aufgenommen und weitergeführt, indem einerseits Tillichs allgemeine Grundlegungsstruktur fallen gelassen wurde und andererseits die Besonderheit der Religion nicht allein an ihrem Vollzug festgemacht wird. An dessen Stelle tritt ein Verständnis der christlichen Religion als ein selbstbezügliches, um sich wissendes und in sich strukturiertes Kommunikationsgeschehen. Diesen Begriff der Religion hat die systematische Theologie zu entfalten. Was das für eine Weiterführung von Tillichs Kulturtheologie bedeutet, müssen wir jetzt abschließend noch in den Blick nehmen.

 Vgl. C. Danz, Gottes Geist. Eine Pneumatologie, Tübingen 2019.

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3 Systematische Theologie als Wissenschaft von der christlichen Religion in der pluralen Kultur der Moderne Schon Tillich war der Auffassung, dass es nicht die Aufgabe der systematischen Theologie sei, die christliche Religion zu begründen. Aufgabe der Theologie ist es vielmehr, die christliche Religion zu entfalten.¹⁸ Die christliche Religion, das ist aufzunehmen, lässt sich nicht durch Voraussetzungen begründen, die außerhalb von ihr gegeben sind. Sie hat ihre Begründung, Geltung und Wahrheit in sich selbst, nämlich im durchsichtigen und selbstbezüglichen Gebrauch der religiösen Erinnerung an Jesus Christus zur Kommunikation von Religion. Dieses innere Funktionieren der christlichen Religion als Religion oder das Wissen der christlichen Religion, Religion zu sein, sind Thema sowie Gegenstand der systematischen Theologie. Diese beschreibt die christliche Religion aus ihrer Selbstsicht, also aus der Perspektive derjenigen, die die christliche Religion praktizieren. Aber systematische Theologie ist nicht selbst Religion.¹⁹ Grundlegend für die moderne protestantische Theologie – auch für Tillich – ist, dass sich die Theologie als Wissenschaft selbst von der Religion unterscheidet, auf die sie sich bezieht. Die Unterscheidung von Theologie und Religion ist eine Unterscheidung, welche in der Theologie gemacht wird, um die Religion aus theologischer Bevormundung in ihre Autonomie zu entlassen. Wenn die systematische Theologie sich auf die christliche Religion bezieht, dann kann sie das nur vor dem Hintergrund der Unterscheidung beider. Das bedeutet: der Religionsbegriff der systematischen Theologie ist ein Konstrukt der Theologie. Sie konstruiert in sich ein vollständiges Bild der christlichen Religion, welches sie zugleich von dieser unterscheidet. Nur so kann systematische Theologie eine autonome Wissenschaft sein und in sich die Autonomie der Religion berücksichtigen. Beides ist revoziert, wenn sich die Theologie als Ausfluss oder Verlängerung der Religion in die Wissenschaft hinein versteht oder als Wahrheit der Religion. Systematische Theologie konstruiert in eigener Regie die christliche Religion. Anders kann sie sich nicht auf Religion beziehen. Aber sie beschreibt die Selbstsicht der christlichen Religion, ihr inneres Funktionieren als Religion. Was bedeutet das nun für die Aufgabe der systematischen Theologie?

 Vgl. P. Tillich, Systematic Theology, Vol. I (s. Anm. 13), 10.  Vgl. hierzu C. Danz, Theologie und Religion. Überlegungen zu einer umstrittenen Unterscheidung, in: Theologie als Streitkultur. Wiener Jahrbuch für Theologie, Bd. 13, hg.v. U. Heil / A. Schellenberg, Göttingen 2021, 139 – 154.

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Die systematische Theologie beschreibt die Selbstsicht der christlichen Religion, indem sie diese als ein um sich wissendes, selbstbezügliches und in sich strukturiertes Kommunikationsgeschehen konstruiert. Als Religion entsteht die christliche Religion, wie bereits erwähnt, indem die in der Kultur tradierte religiöse Erinnerung an Jesus Christus von Menschen verstehend als Religion angeeignet und zur Darstellung von Religion benutzt wird. Genau das, das Funktionieren als Religion, symbolisieren die Inhalte der christlichen Religion in ihr. Der Heilige Geist repräsentiert in der christlichen Religion ihre bleibende Abhängigkeit von der Erinnerung an Jesus Christus, Gott repräsentiert die Bindung der christlichen Religion an das Verstehen der Kommunikation und Jesus Christus die Notwendigkeit der symbolischen Darstellung der christlichen Religion. Die gegenständlichen Gehalte der christlichen Religion, die es als religiöse Gehalte allein in der Religion gibt, haben somit keine gegenständliche Funktion, sondern eine reflexive. Sie symbolisieren in der christlichen Religion, wie sie als Religion entsteht und in der Geschichte weitergegeben wird. Nämlich nur so, dass sie als Religion an der verstehenden Aneignung und Artikulation der überlieferten religiösen Erinnerung an Jesus Christus hängt. Um die christliche Religion theologisch erfassen zu können, muss die systematische Theologie beschreiben, wie die christliche Religion zusammen mit ihren Inhalten in der christlich-religiösen Kommunikation entsteht. Denn Religion ist nicht hinreichend an ihren Inhalten zu erkennen. Religiöse Inhalte wie Gott, Jesus Christus oder der Heilige Geist können in der Kommunikation jederzeit in einem nichtreligiösen Sinn, nämlich historisch, ästhetisch, politisch etc. gebraucht werden. Die religiöse Qualität der kommunizierten Inhalte hängt allein an ihrem Gebrauch und nicht an den Inhalten als solchen. Dies hat bereits Tillich gesehen, denn er bindet den Übergang von der kulturellen Verwendung der Kommunikation zur religiösen Kommunikation an einen Akt im Bewusstsein. Doch die in diesem Akt erschlossene allgemeine Grundlagenfunktion des Bewusstseins, die Tillich voraussetzt, ist aufzugeben. Ihre Funktion besteht allein darin, die Allgemeingültigkeit der Religion zu behaupten. Die christliche Religion entsteht vielmehr, indem die überlieferte Erinnerung an Jesus Christus von Menschen religiös benutzt wird, mit ihr also Religion gemeint ist. Das bedeutet, dass die kommunizierten Inhalte in der Religion ihre ‚kulturelle‘ Bedeutung verlieren – diese negiert wird, wie es bei Tillich heißt – und dadurch zum Ausdruck von Religion werden. Folglich hängt das Religionsein der christlichen Religion nicht an ihren inhaltlichen Aussagen, sondern an deren religiösem Gebrauch. Gleichwohl werden damit die inhaltlichen Bestandteile der christlichen Religion, also die Erinnerung an Jesus Christis, wie sie durch die Bibel übermittelt ist, nicht bedeutungslos. Denn als christliche Religion ist diese allein an ihren inhaltlichen Aussagen zu erkennen. Das ist die Funktion der Bibel in der

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christlichen Religion. Nur indem die christlich-religiöse Kommunikation an die medial vermittelte Erinnerung an Jesus Christus gebunden ist, ist sie in der Kultur identifizierbar. Aber ihr Religionsein fußt nicht auf ihren inhaltlichen Aussagen, sondern ausschließlich auf dem religiösen Gebrauch dieser Aussagen, auf ihrem religiösen Sinn, der mit ihnen gemeint ist. Was bedeutet das für das Projekt einer Theologie der Kultur? Einer Theologie der Kultur kann es nicht mehr, wie noch bei Tillich, darum gehen, die wahre Begründung der Kultur oder gar eine Begründung oder Grundlage des kulturellen und religiösen Pluralismus zu liefern.²⁰ In einer pluralen und ausdifferenzierten Kultur ist kein kulturelles System dazu in der Lage, auch nicht die Religion. Vielmehr muss eine Kulturtheologie eine Anerkennung des kulturellen und religiösen Pluralismus ermöglichen. Das ist indes nur möglich, wenn sie die christliche Religion auf sich selbst beschränkt. Das gilt auch für den Gottesgedanken. Er ist nicht als allgemeine und übergeordnete Grundlage der Kultur und der Religionsvielfalt zu postulieren, sondern auf die christliche Religion selbst zu beschränken, die sich im trinitarischen Gott selbst darstellt. Andersheit und Autonomie der Kultur kann die systematische Theologie nur in sich berücksichtigen, wenn sie die christliche Religion nicht als die wahre und eigentliche Grundlage der Kultur oder des Pluralismus behauptet. Die systematische Theologie bezieht sich nur auf die christliche Religion. Diese wird jedoch in einer pluralen Kultur und Gesellschaft gelebt. Das bedeutet, dass jederzeit in der Kultur traditionelle religiöse Inhalte in einem nichtreligiösen Sinne gebraucht werden. Aber genauso bezieht auch umgekehrt die christliche Religion ständig kulturelle Inhalte in die christlich-religiöse Kommunikation ein. Dadurch verlieren diese Inhalte ihre kulturelle Bedeutung. Denn in der christlichen Religion, in die diese Inhalte aufgenommen werden, fungieren sie als Ausdruck und Darstellung von Religion. Die christliche Religion existiert in der Geschichte lediglich als eine Selbstbeschreibung, die einem permanenten Wandelt unterliegt. Das erfolgt im Rückbezug auf die Erinnerung an Jesus Christus und deren Neuinterpretation in einer hochdifferenzierten Kultur, die mit darüber entscheidet, was eine plausible gegenwärtige Selbstbeschreibung des Christentums als Religion ist. Diesem Prozess der Selbstbeschreibung liegt keine fixierte Identität der christlichen Religion zugrunde, die im Wandel der Zeiten als Kern konstant bleibt, während sich die äußere Schale ändert. Eine solche Sicht der christlichen Religion ist eine Abstraktion. Vielmehr wandelt sich die christliche Religion in der Geschichte als

 So der Vorschlag von Christoph Schwöbel im Anschluss an Paul Tillich. Vgl. C. Schwöbel, Glaube und Kultur. Gedanken zur Idee einer Theologie der Kultur, in: NZSTh 38 (1996), 137– 154.

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Ganze, also auch ihr Verständnis von sich selbst als Religion. Das Christentum wird in jeder Zeit und in jedem kulturellen Kontext anders. Seine Identität besteht allein im Rückbezug auf Jesus Christus und dem religiösen Gebrauch der Erinnerung an ihn. Das zu erörtern, also den Wandel der Selbstbeschreibung der christlichen Religion und eine Anerkennung von Pluralität zu ermöglich, ist die Aufgabe einer Kulturtheologie im 21. Jahrhundert.²¹

 Vgl. hierzu C. Danz, Nochmals: Monistischer Pluralismus oder pluralismusoffene Theologie? Eine Duplik auf Perry Schmidt-Leukel, in: ThR 86 (2021), 106 – 119.

Peter Haigis

Looking for Alfred Ein Blick auf Alfred Hitchcocks Filme mit Paul Tillichs kulturtheologischer Brille Wenn ich niedergeschlagen bin, gehe ich ins Kino, aber wenn ich mit meinem Latein am Ende bin, dann gehe ich zu Tillich. ¹

Ein wesentlicher Aspekt Tillichscher Theologie ist das, was er 1919 in einem programmatischen Vortrag vor der Berliner Sektion der Kant-Gesellschaft als Projekt einer Theologie der Kultur vorgestellt hat. Paul Tillichs Theologie der Kultur ist dabei mehr als eine Sparte theologischer Ethik, so etwa als würde die Ethik neben dem politischen, rechtlichen, wirtschaftlichen oder medizinischen Handeln des Menschen nun auch die Bereiche von Spiel, Kunst oder Sport in den Blick nehmen und zum Gegenstand ethischer Reflexion machen – ganz gleich unter welcher Hinsicht, sei sie normen-, werte- oder zweckorientiert. In Tillichs Theologie der Kultur geht es auch nicht um eine theologische Ästhetik, die die Ausdrucks- und Gestaltungsformen menschlicher Produktivität auf ein bestimmtes Koordinatensystem theologischen Denkens hin abtastet oder gar orientiert. Letzteres, also die orientierende Bestimmung, wäre als normenbasierte Regulation eine Verletzung der Autonomie der Kunst bzw. Kultur. Ersteres, das Abtasten, erfüllt eine hermeneutische Funktion und deutet die Hervorbringungen menschlichen Kunstschaffens auf einen religiösen Aspekt hin und rückt damit schon mehr in die Nähe dessen, was Tillich mit seiner Kulturtheologie im Sinne hatte, greift aber noch zu kurz. Zwar hat Tillichs Theologie der Kultur in diesem Sinne viel mit einer theologischen Ästhetik gemein, erreicht so verstanden aber noch nicht den universalen Horizont, um den es Tillich geht.²

 So bei W. Pauck / M. Pauck, Paul Tillich. Sein Leben und Denken, Bd. 1, Stuttgart 1978, 235. Pauck bezieht sich hier auf den Beitrag Wanderer zwischen zwei Welten von Helmut Thielicke in der Verlagsfestgabe Der Spannungsbogen (Stuttgart 1961), 15; vgl. H. Thielicke, Botschafter einer neuen Wirklichkeit, in: Paul Tillichs Werk im Spiegel seiner Reden und Artikel zu seinem 75. Geburtstag am 20. August 1961, Stuttgart 1961, 14– 19; a.a.O., 14: „In Amerika sagte mir einmal ein Student […]: ‚Wenn ich ein Kümmerchen habe, geh‘ ich ins Kino; doch wenn ich an einem wirklichen Brocken würge, dann gehe ich zu Tillich.‘“  In seiner Vorlesung Das Christentum und die Gesellschaftsprobleme der Gegenwart vom Sommersemester 1919 erhebt Tillich in der dritten Stunde einen universalen Anspruch der Theologie auf alle Kulturgebiete: „Wie die Theologie es sich nicht nur gefallen läßt, sondern es sogar verhttps://doi.org/10.1515/9783110767728-012

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1 Was ‚Kulturtheologie‘ im Sinne Tillichs ist Tillichs Kulturtheologie zieht sich durch sein gesamtes Oeuvre wie ein roter Faden. Der Herausgeberkreis der sogenannten Main Works hat in den 1980er Jahren den Versuch unternommen, einen Band dezidiert ‚kulturphilosophischen Schriften‘ Tillichs zu widmen. Ein Blick in das Inhaltsverzeichnis des 1990 erschienen zweiten Bands dieser Reihe gibt einen Eindruck von der weitgespannten Themenfülle, die Tillich hier im Visier hatte. Freilich sind Herausgeberentscheidungen immer von bestimmten Editionserwägungen geprägt. Möglicherweise hätten sich für die Gruppierung der Texte auch andere Kriterien angeboten. Doch auch die in den letzten rund 20 Jahren erschienenen Ergänzungs- und Nachlassbände zu den Gesammelten Werken von Paul Tillich lassen die Virulenz der kulturtheologischen Themenstellung erahnen. Erdmann Sturm hat in einer überaus konsequenten und sorgfältigen wie kompetenten Arbeit unveröffentlichtes Material aus der Feder Tillichs aus allen Schaffensphasen zusammengetragen und in – in der Regel chronologisch orientierten – kritischen Ausgaben ediert. Diese Arbeit wird die Tillich-Forschung auf Jahrzehnte hinaus beschäftigen, und für seine Impulse ist dem Jubilar dieser Festschrift, Erdmann Sturm, herzlich zu danken. Wer an der Rekonstruktion der Kulturtheologie Paul Tillichs interessiert ist, findet dazu Material in den von Erdmann Sturm edierten Bänden Religion, Kultur und Gesellschaft. Unveröffentlichte Texte aus der deutschen Zeit 1908 – 1933 (Erster und zweiter Teil) (EW X und XI) oder Berliner Vorlesungen I (1919 – 1920) (EW XII). Besonders hinweisen möchte ich in diesem Zusammenhang auf die in diesem letztgenannten Band veröffentlichten Vorlesungen Das Christentum und die Gesellschaftsprobleme der Gegenwart von 1919 (!), wo Tillich eine kulturtheologische Einordnung politologischer und ökonomischer Konzepte vornimmt,

langt, psychologisch, soziologisch, ja biologisch behandelt zu werden, so erhebt sie nun auch ihrerseits den Anspruch, nicht nur ein Stoffgebiet für sich zu haben, das religiöse Leben im engeren Sinne, sondern auch eine Methode zu sein, die auf alle Kulturgebiete anzuwenden ihr Recht und ihre Pflicht ist; es gibt nicht nur eine Soziologie der Religion, sondern auch eine Theologie der Gesellschaft, wie auch eine Theologie der Kunst, der Wissenschaft, des Rechts, der Sittlichkeit“ (EW XII, 57). In der vierten Stunde wird dann diese universale Methode als „Theologie der Kultur“ entfaltet und auf verschiedene Exempel hin angewandt, deren erstes eine Beschäftigung mit Georg Simmels Rembrandtinterpretation ist (67– 69). Vgl. dazu dann auch Tillichs stichwortartige Überlegungen zu einer ‚Kulturtheologie‘ in der Enzyklopädie der Theologie und Religionswissenschaft aus dem Wintersemester 1920 (EW XII, 266 – 267).

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bzw. die Religionsphilosophie von 1920, in der Tillich den Gang der Religionsgeschichte unter kulturtheologischen Aspekten deutet.³ Tillichs Theologie der Kultur setzt – etwas elementarisiert dargestellt – ein bestimmtes Verständnis des Verhältnisses von Religion und Kultur voraus, wie es Tillich selbst auf die Formel von der Religion als der Substanz der Kultur und von der Kultur als der Form der Religion brachte.⁴ Diese Formel taucht in seinem Werk in unterschiedlichen Variationen auf und ist gewiss mehrdeutig und in vielerlei Hinsicht erläuterungs- und ergänzungsbedürftig. Ohne an dieser Stelle in die Analyse jenes Bestimmungsverhältnisses bei Tillich eintreten zu wollen und zu können,⁵ gebe ich zu bedenken, dass es sich dabei auch lediglich um Vorklärungen seiner Kulturtheologie handelt, sozusagen um deren Prolegomena, die einige der Prinzipien, Grundbegriffe und Kategorien entfaltet, auf deren Basis und mit deren Hilfe später kulturtheologisch gearbeitet werden soll. Bei der Rekonstruktion des Tillichschen Ansatzes kommen wir nicht umhin, in ein spezifisches Verständnis des Menschseins einzutreten, weil beide, Kultur und Religion Hervorbringungen menschlichen Seins sind. Sie nehmen daher notwendig teil an den Grundverfasstheiten, unter denen sich menschliches Sein vollzieht und in deren Rahmen es sich entfaltet. So gesehen würde es passen, Tillichs Kulturtheologie vor dem Hintergrund einer Art theologischer Fundamentalanthropologie oder auch theologischer Existenzanalyse zu lesen. Paul Tillich ist 1919 und zu Beginn der 1920er Jahre diesen Weg noch nicht so ausdrücklich gegangen,⁶ die Rezeption seines kulturtheologischen Ansatzes in seiner weiteren Werkentwicklung in den USA trägt aber zunehmend genau diese Züge.  Des Weiteren sind für die Beschäftigung mit Tillichs Kulturtheologie aus diesen neueren Nachlassbänden besonders interessant die stichwortartig erhaltene Vorlesung Religion und Kultur. Die Stellung der Religion im Geistesleben (Wintersemester 1920) (EW XII), die Dresdner Vorlesung Religion und Kunst (Wintersemester 1925/26) (EW XX), die New Yorker Vorlesung Religionsphilosophie aus dem Frühjahr 1934 (EW XVII) sowie die Vorlesung Die menschliche Situation im Lichte der Theologie und Existentialanalyse (1952) (EW XVI).  So bereits in der Vorlesung Religionsphilosophie am Union Theological Seminary in New York vom Frühjahr 1934: „Darum die allgemeine Formel: Kultur ist der Bereich der Formen, durch welche Religion Existenz hat. Religion ist der transzendente Sinn in allen Formen der Kultur. Oder kurz: Kultur ist die Form der Religion, Religion ist der Gehalt oder die Substanz der Kultur.“ (EW XVII, 52) In dem Vortrag Kirche und Kultur von 1924 heißt es: „der tragende Gehalt der Kultur ist die Religion und die notwendige Form der Religion ist die Kultur“ (MW II, 110).  Vgl. dazu meine Dissertation Im Horizont der Zeit. Paul Tillichs Projekt einer Theologie der Kultur (Marburg 1998).  Wenngleich sich Ansätze hierzu finden: In den stichwortartigen Skizzen zu Religion und Kultur. Die Stellung der Religion im Geistesleben aus dem Wintersemester 1920 merkt Tillich zu der für seine Kulturtheologie zentralen Kategorie des Gehalts an: „Gehalt nur möglich als Beziehung von bedingt und unbedingt respektive ‚Existenz‘ und ‚Sinn‘.“ (EW XII, 316)

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1919 und zu Beginn der 1920er Jahre verortet Tillich seine Kulturtheologie vor allem im Horizont der Geschichte als dem umfassendsten Bezugsrahmen menschlichen Handelns sowie seiner Äußerungsformen: Indem der Mensch geschichtlich existiert, setzt er kulturelle Vollzüge frei, und indem er sich kulturell manifestiert, projektiert er Geschichte. Diese kulturell-geschichtlichen Entfaltungsformen menschlichen Seins kulminieren in Stilen oder Signaturen bestimmter Epochen oder Kulturkreise, die höchst differenziert dargestellt werden können. Tillich bedient sich hierbei einer spezifischen Methodik, die er als ‚typologisch‘ kennzeichnet. Sie versucht Muster in jenen Clustern kultureller Äußerungsformen zu erkennen und herauszuarbeiten.⁷ Das Entscheidende an diesen Mustern ist die Grundkonstellation des Verhältnisses des Bedingten zum Unbedingten oder, anders formuliert, die Frage danach, wie der Mensch mit seiner Endlichkeit umgeht. Die ‚Hermeneutik der Stile‘ ist somit eine wesentliche Aufgabe kulturtheologischer Arbeit.⁸ Der Verweis auf die existentiale Verfasstheit des Menschen ist die Richtung oder der Bezugspunkt für die theologische Auseinandersetzung mit diesen Stilprägungen, wobei Tillich mit der Zeit mehr und mehr eine Art von ‚protestantischer Existenztheologie‘ vertritt. Nach Tillichs Kulturtheologie bringen Kulturprodukte also einen Tiefensinn zum Ausdruck, in dem sich menschliches Dasein in seinem Selbstverständnis vor den letzten Fragen des Unbedingten ausspricht. Im Duktus einer solchen kulturtheologischen Argumentation werden die kulturellen Hervorbringungen des Menschen zu Symbolen seines Verhältnisses zum Unbedingten (oder zur Ewigkeit oder zur Transzendenz, wie Tillich auch sagen kann).⁹ Es gilt, sie in diesem Sinne zu lesen und zu interpretieren. Dem kundigen Kulturtheologen verraten sie etwas über das religiöse Selbst- oder Da-

 John P. Clayton hat in seiner Einführung zu einer von ihm besorgten Edition religionsphilosophischer Schriften Paul Tillichs die typologische Methode Tillichs treffend so beschrieben: „Such typologies […] should be regarded as idealised or stylised portrayals of systematic alternatives. They are descriptive only in a weak sense. The value of such types lies in their ability to make us see compex material in a particular way, with a view to directing discussion alon fresh paths. When only modest claims are made fort hem, such typologies can become heuristically useful devices“ (Introducing Paul Tillich’s Writings in the Philosophy of Religion, in: MW IV, 9 – 28, hier: 13).  Vgl. dazu beispielsweise Tillichs Anmerkungen in seiner New Yorker Vorlesung über Religionsphilosophie von 1934 (EW XVII, 1– 55, hier bes.: 8 f.).  Belege hierfür anzuführen ist eigentlich überflüssig, einen jedoch möchte ich hier erwähnen, weil er wiederum ein Licht auf den unschätzbaren Wert des editorischen Werks von Erdmann Sturm wirft: „Religion ist Beziehung auf ein Unbedingtes (!) oder ist unbedingte Beziehung.“ So Tillich in der bereits erwähnten Skizze zu Religion und Kultur aus dem Wintersemester 1920 (EW XII, 310).

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seinsverständnis des Menschen. Für die traditionelle Theologie, d. h. die Entfaltung der christlichen Botschaft, ist dies in zweierlei Hinsicht wertvoll: Einerseits lassen sich auf diese Weise vielfache Anknüpfungspunkte entwickeln, an denen entlang für jede Zeit neu ausgesagt werden kann, was christlicher Glaube bedeutet. Dies hat Tillich später mit seiner Korrelationsmethode in seiner Systematischen Theologie in umfassender Weise regelrecht durchexerziert. Andererseits muss die Offenbarung des Unbedingten oder des Seins-Selbst oder der Macht des Seins, wie Tillich den Gottesbezug theologischen Redens religionsphilosophisch, ontologisch oder metaphysisch auch fasst, stets in einem universaleren Horizont verortet werden, denn – traditionell gesprochen – bringt sich Gott auf vielerlei Art und Weise in der Geschichte und in der Existenz des Menschen zu Gehör bzw. zu erkennen. Das bedeutet, dass die traditionelle Theologie (Tillich nennt sie auch „Kirchentheologie“) durch die Kulturtheologie nicht nur sprachfähig gemacht wird für eine jeweilige Zeit, sondern dass sie durch sie Anreicherungen und Entfaltungen erfährt, die sie lebendiger und vielfältiger machen. (Beides sind übrigens Aspekte, die sich aus der missionstheologischen Perspektive unterstreichen lassen: hier wird ja nicht nur verhandelt, in welchen kulturellen Anverwandlungen christliche Botschaft kommunikabel wird, sondern welche neuen thematischen und inhaltlichen Bezüge sie durch den jeweiligen zivilisatorischen Kontext erhalten hat, in den sie eingeführt wurde.)

2 Paul Tillich meets Alfred Hitchcock Für den weiteren Diskussionsgang könnte man sich nun einige Beispiele konkreter kulturtheologischer Analyse aus der Feder Paul Tillichs vornehmen und sie auf ihre theologische Erschließungskraft hin untersuchen. Das ist bereits vielfach unternommen worden und soll hier nicht reproduziert werden. Anregender und auch experimenteller für einen Beitrag des hier zu feiernden Anlasses scheint mir der Versuch, im Sinne des kulturtheologischen Ansatzes von Paul Tillich selbst tätig zu werden und Kulturtheologie am Exempel zu betreiben. Das setzt etwas Risikofreude und ein gewisses Grundvertrauen in Tillichs Konzept voraus. Beides ist in meinem Beitrag, den ich nun vorstellen will, gegeben. Ich möchte meine kleine kulturtheologische Exkursion an einem kulturellen Phänomenfeld unternehmen, das meines Wissens in Tillichs Oeuvre wenig Berücksichtigung gefunden hat: dem Kinofilm. Zugleich möchte ich mich dabei auf Kulturprodukte konzentrieren, die zur unmittelbaren Zeitgenossenschaft Paul Tillichs gehören. Immerhin ist vorstellbar, dass Tillich sich zu einem der Filme, die zu seinen amerikanischen Lebzeiten in einem Kino in New York oder Chicago gezeigt wurden, hätte kulturtheologisch äußern können. Zum andern nehme ich –

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getreu einer häufig geäußerten Interessensbekundung Tillichs – gerne diejenigen Kulturprodukte ins Visier, die vorderhand als ‚rein säkular‘ gelten, bei denen sich also rasch der Verdacht einstellt, sie würden durch eine kulturtheologische Betrachtungsweise allenfalls religiös aufgeladen. Auf diese Weise kam ich bei meinen Überlegungen auf drei Klassiker von Alfred Hitchcock, gedreht in den USA in den Jahren 1954 bis 1963. Es gibt zwei in den USA produzierte ‚Agententhriller‘ Alfred Hitchcocks, in denen unbescholtene US-Bürger zufällig in rätselhafte Aktivitäten der Polizei oder eines Geheimdienstes verwickelt werden: Der Mann, der zuviel wusste (mit James Stewart) aus dem Jahr 1956 und Der unsichtbare Dritte (mit Cary Grant) aus dem Jahr 1959. Im einen Fall ist es der Arzt und unbescholtene Familienvater Ben McKenna, im anderen der biedere Werbefachmann und Muttersohn Roger O. Thornhill, die sich beide plötzlich und aus unerfindlichen Gründen in einer Hetzjagd von Geheimdienst, Polizei und organisierter Kriminalität wiederfinden. Ich meine, an ihrer Stelle könnte man sich auch gut einen Theologen vorstellen, z. B. einen Universitätsprofessor, der sich von seinem Katheder weg mit einem Mal ins Rampenlicht eines Kriminalfalls gestellt sieht. Sicher wäre es interessant sich vorzustellen, was Hitchcock aus diesem Stoff gemacht hätte. Da es diesen Film jedoch nicht gibt, konzentriere ich mich auf eine andere Materie. Paul Tillich (1886 – 1965) und Alfred Hitchcock (1899 – 1980) vereint eine Zeitgenossenschaft in den USA, die jedoch auf bestimmte Lebensphasen beschränkt blieb: Tillich lebte und arbeitete die ersten 47 Jahre in Deutschland, bevor er 1933 nach New York übersiedelte. Hitchcock, gebürtiger Brite, kam nach Jahren beruflicher Tätigkeit in England 1939 nach Hollywood. Dort produzierte er zahlreiche Filme für verschiedene Studios. 1955 nahm er zusätzlich die US-amerikanische Staatsbürgerschaft an. Für seinen vorletzten Film (Frenzy) kehrte er 1970 nochmals in seine alte Heimat zurück. Hitchcock starb 1980 in Los Angeles. Tillich lehrte die längste Zeit seines Lebens in New York (am Union Theological Seminary), unternahm 1948 eine erste Vortragsreise nach dem Krieg, die ihn zurück nach Deutschland führte. Spätere Aufenthalte in Deutschland sollten folgen. Nach seiner Emeritierung im Jahr 1955 lehrte er zunächst als University Professor in Harvard und die letzten Jahre seines Lebens, von 1962 an in Chicago. Dort verstarb er 1965. Ob sich beide jemals persönlich getroffen haben, weiß ich nicht. Werkbiografische Koinzidenzen gibt es natürlich nicht. Weder hat Hitchcock Stoffe von und über Paul Tillich gedreht, noch nimmt Paul Tillich meines Wissens in irgendeiner seiner Vorlesungen oder Vorträge auf Alfred Hitchcock Bezug (für etwaige Hinweise wäre ich dankbar). Und überhaupt: Hat sich Tillich eigentlich für das Kino interessiert? Eine ausführlichere Theologie des Films oder einzelner Filme fehlt. Dass er ins Kino gegangen ist, davon gehe ich aus. Es gibt zahlreiche

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Andeutungen in den Erinnerungen Hannah Tillichs an gemeinsame kulturelle Unternehmungen mit ihrem Mann in New York – der Besuch im Lichtspielhaus dürfte dazugehört haben. Ich vermute sogar, dass Tillich – wenn er denn die Zeit und Muße dazu hatte – einen der hier besprochenen Filme Hitchcocks im Original gesehen haben wird. Doch dies sind Spekulationen, die nur der Vollständigkeit halber, die diese Thematik anregt, angedeutet seien, für die weitere inhaltliche Entfaltung meines Beitrags sind sie nebensächlich. Alfred Hitchcock gilt als Altmeister des Krimis, aber seine Filme sind mehr als Krimis – das wird rasch deutlich, wenn man sich Filme wie Spellbound (Ich kämpfe um dich), Psycho oder Marnie anschaut. In ihnen versucht Hitchcock, Einsichten der Psychoanalyse aufzugreifen und in seinen Stoffen zu verarbeiten, um etwa das Schicksal eines verurteilten Menschen oder ein Täterprofil aufzuhellen. Dabei geht es ihm nicht nur um spannende stilistische Kunstgriffe, sondern um das Ausloten der menschlichen Psyche jenseits eines (bürgerlich‐)moralischen Kodex. Hitchcock begreift den Kriminalfall bzw. das Genre des Krimis als Medium für psychologische, gesellschaftskritische oder auch zeitkritische politische Kommentare. Deshalb können seine Filme auch ebenso gut existenzphilosophisch gelesen werden (etwa im Blick auf die Frage nach der menschlichen Freiheit und ihrer Grenze in Cocktail für eine Leiche und in Der Fremde im Zug, oder im Blick auf die Frage nach den Bindungen und Auflösungen eines Schicksals, z. B. in Der falsche Mann oder eben in Der Mann, der zuviel wusste und in Der unsichtbare Dritte). Hitchcocks Filme können aber auch als ‚metaphysische Thriller‘ verstanden werden, insofern sie thematische Aspekte eines umfassenden Welt- und Menschenverständnisses berühren – bis hin zur freilich von ihm nicht beantworteten Frage nach einer letzten Instanz, auf die menschliches Leben bezogen bleibt.¹⁰ In diesem Sinne wende ich mich nun der kulturtheologischen Interpretation von dreien seiner Filme zu. Dabei muss der Katalog Tillichscher kulturtheologischer Kategorien notwendigerweise erweitert werden; dies geschieht jedoch im Horizont der Auffassung Tillichs vom Dasein des Menschen und seiner Endlichkeit im Verhältnis zum Unbedingten.

 Zur Theologie der Kriminalliteratur vgl. P. Haigis, Wenn Doktor Luther Miss Highsmith begegnet … Eine kurze Theologie des Kriminalromans, in: Deutsches Pfarrerblatt 118 (2018), 154– 156. 161– 163.

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3 Das Fenster zum Hof (Rear Window, 1954) und die Kategorie des Verborgenen Das Leben der Moderne ist geprägt von der bürgerlichen Kultur und mithin gehört zu seiner Signatur die Unterscheidung von Öffentlichem und Privatem; man könnte auch sagen, dass in der bürgerlichen Kultur eine neue Art des Privaten gegenüber dem Öffentlichen definiert wurde. Dies hängt u. a. mit den spezifischen Lebensbedingungen in der Stadt zusammen, die seit dem 17. Jahrhundert mehr und mehr und schließlich bevorzugt zum Mittelpunkt bürgerlichen Lebens wurden. Das Hochparterre, Gardinen an den Fenstern, innerhalb des Wohnbereichs abgetrennte Schlaf- oder Ankleidezimmer und Bäder sind Beispiele dieser kulturellen Akzentuierungen. Dazu gehören bestimmte Tabus, so zum Beispiel, dass man nicht in Gesellschaft anderer über die Höhe des Einkommens bzw. über die Praxis ehelicher Sexualität spricht. Die Studiobauten, die Alfred Hitchcock für seinen Film Rear Window in den Paramount Studios errichten ließ, repräsentieren genau diese Lebens- und Wohnform in naturalistischer Weise und machen sie zum Gegenstand eines Kriminalfilms. Dabei erhebt Hitchcock den Perspektivenwechsel zum Prinzip und lüftet den bürgerlichen Schleier – zumindest ein Stück weit. Denn die der Straße zugewandte Fassade der Bürgerhäuser wird zum Hintergrund und die Hofseite der Ansicht und Einsicht für die Zuschauer eröffnet. Damit eröffnet Hitchcock den Blick in eine Intimsphäre, der so nicht der allgemeinen Öffentlichkeit, sondern allenfalls einer Halböffentlichkeit, nämlich der Mietergemeinschaft und Nachbarn eines Häuserblocks zugänglich ist. Doch auch dieser Einblick bleibt halb im Verborgenen, denn Jalousien und Rollos, Läden und Gardinen verhindern einen kompletten Einblick. Auf der anderen Seite begünstigt genau diese halböffentliche Einsichtmöglichkeit samt ihrem Spiel mit Durchblick und Verbergen den Voyeurismus der Anwohner. Eben dieses Wechselverhältnis von Öffentlichem und Privatem, von ermöglichter und verhinderter Einsichtnahme, von Sichtbarem und Verborgenem, von Sehen-Lassen, Sehen-Wollen und Verbergen macht Hitchcock zum Thema seines kammerspielartig entwickelten Krimis Rear Window. Der Plot ist rasch erzählt: Der sensationshungrige Pressefotograf L.B. ‚Jeff‘ Jefferies (James Stewart) liegt mit einem Beinbruch zuhause und langweilt sich. Zum Zeitvertreib beobachtet er seine Nachbarn an der Fensterfront des gegenüberliegenden Hauses. Dabei stellt er Merkwürdigkeiten fest, die ihn zunehmend dazu bewegen, in einem der Nachbarn einen Mörder zu sehen. Der Vertreter Lars Thorwald (Raymond Burr) hat anscheinend in einer Nacht- und Nebelaktion seine schwerkranke Frau Anna umgebracht und ihre Leiche beseitigt. All dies reimt sich für Jeff (und den Zuschauer) anhand einiger Bruchstücke von Beobachtungen und

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in Gesprächen mit seiner Freundin Lisa Carol Fremont (Grace Kelly) und seiner Pflegerin Stella zusammen. Ein befreundeter Detektiv soll Klarheit in die Sache bringen, ist aber bis zum Schluss skeptisch und bietet auf diese Weise eine andere Lesart für die beobachteten und zusammengetragenen ‚Indizien‘ an. Die cinematografische Genialität dieses Hitchcock-Klassikers besteht darin, dass er dem Zuschauer einen (zunächst vermeintlichen) Mordfall, also einen Mordverdacht, und dessen Aufklärung anhand eines Bildermosaiks präsentiert, bei dem sich die aufgefundenen Stücke und Fragmente wie bei einem Puzzle zusammensetzen lassen – und dies, ohne jemals den Schauplatz wechseln zu müssen. Dabei spielt Hitchcock mit den Elementen des Verborgenen und Distanzierten (zum Beispiel ist, selbst bei geöffneten Fenstern, durch die Fensterausschnitte ja nie alles zu sehen, was sich in den gegenüberliegenden Räumen abspielt, oder es gibt zwar etwas zu sehen, aber eben auf den Abstand hin nichts Genaues zu hören). Hitchcock greift auch Medien des visuellen Zugriffs auf (ein Fernglas, das Teleobjektiv einer Kamera), zeigt aber zugleich deren begrenzten Ausschnitt. Am Ende hat nicht nur Jeff eine Reihe von Diapositiven gesammelt, sondern auch der Zuschauer hat das Sammelsurium einer Art Diamagazin vor Augen, das sich nun zu einem Ganzen fügen soll bzw. will. Kulturtheologisch interessant ist die im Hintergrund stets mitschwingende Frage nach dem Verhältnis von Öffentlichem und Privatem, nach dem Recht des Menschen auf seine Privatsphäre als Ausdruck seiner Persönlichkeit, nach dem Verbergen-Können und Verbergen-Dürfen bzw. nach dem Anspruch auf Aufklärung, zumindest dort, wo diese Sphäre des Privaten gewaltsam durchbrochen wird – nur, wo genau ist das der Fall? Wer definiert die angemessene Grenzziehung? Wo endet meine Privatsphäre und wo beginnt diejenige eines anderen? Und wo enden alle Privatsphären in einer Öffentlichkeit mit wiederum eigenem Wahrheits- und Aufklärungsanspruch (hier vertreten durch Recht und Gesetz)? Es geht mithin um eine anthropologische Grundfrage, die einmündet in eine theologische Reflexion, denn die Aufhebung unserer Immunität vor den Augen Gottes ist ein zentrales Motiv christlicher Eschatologie (vgl. z. B. 2. Kor. 5,10: „Denn wir müssen alle offenbar werden vor dem Richterstuhl Christi, […]“). Es gehört zur Dramaturgie eines befriedigenden Kriminalfilms, den dargebotenen Fall aufzuklären, aber es gehört keineswegs zur Dramaturgie der Weltgeschichte mit ihren verborgenen und versteckten Scheußlichkeiten und Untaten, in eine vollständige Aufklärung überführt zu werden. Hier bleibt ein unabgegoltener Rest, dessen Zurechtrückung wir an unsere Endlichkeit gebundenen Menschen uns nur vorstellen können im Rahmen eines endgültigen Gerichts, also im Eschaton. Zu dessen entscheidenden Voraussetzungen gehört aber die unbegrenzte Verfügbarkeit des ‚richterlichen‘ Zugriffs auf die Fülle der Ereignisse samt ihrer versteckten und verborgenen Anteile – was auch immer er, der Richter, danach in

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seinem allgerechten wie allgütigen Urteil damit anfangen mag. Im Grunde ist jeder klassische Krimi – oder fast jeder – eine Art Kurzform dieses eschatologischen Dramas, eine Art Symbol für die Unabdingbarkeit einer letzten Instanz angesichts des unabgegoltenen Unrechts in der Welt. Natürlich gibt es Krimis, die wiederum genau diese Unabgegoltenheit zum Anlass nehmen, die Absurdität dieser Welt vorzuführen – sie sind deshalb aber nicht weniger religiös oder metaphysisch und daher auch nicht weniger theologisch herausfordernd oder relevant. Auf diese Weise führt also auch Hitchcocks Film Rear Window ins Herz eines Themenstücks christlicher Eschatologie. Er gibt aber noch mehr zu sehen. Zugleich zeigt er nämlich durch die menschlichen Begrenztheiten, die bestehen, weil der Mensch – glücklicherweise – nicht über die Eigenschaft der Ubiquität verfügt, wie menschliches Urteilen immer im Horizont der Mutmaßung, der Indizienketten und der Schlüssigkeit ihrer Kombinationsmöglichkeiten verbleibt, bis hin zu einer zweifelsfreien Überführung des Tätersubjekts – und sich damit von einer jenseitigen Perspektive dezidiert unterscheidet. Hitchcock arbeitet das auf raffinierte Weise heraus: Zunächst suggeriert die Gesamtanlage der dem Betrachter Jeff gegenüberliegenden Häuserfront, dass Jeffs Sicht der Dinge derjenigen derer, die er im Visier hat, überlegen sei. Damit mag zwar Jeff über eine ‚kleine Gottesperspektive‘ verfügen von seinem Zimmer mit Aussicht aus, doch der Suggestion dieser Gottesperspektive werden rasch Grenzen gesetzt, etwa durch die Uneinsehbarkeit dessen, was sich zwischen den Fensteröffnungen abspielt, und nicht zuletzt dann, wenn Jeff von seiner Müdigkeit übermannt wird und entscheidende Beobachtungschancen verspielt. An dieser Stelle lässt Hitchcock den Zuschauer, der Jeffs überschauende Perspektive weitgehend teilt, an einer Entgrenzung teilhaben: der Zuschauer sieht, dass Jeff schläft, und er sieht mehr als Jeff in diesem Augenblick, bevor auch für ihn in einer Schwarzblende das Licht ausgeht. Will sagen: es gibt immer nur vermeintlich umfassendere Perspektiven, aber niemals die Totalperspektive. Ganz abgesehen davon ist Jeff mit unverkennbar menschlichen Instinkt ausgestattet, der ihn zwar zielsicher in die Richtung der Aufklärung des Falles führt, aber eben auch voyeuristisch geprägt ist samt allen Vorurteilen, aller Neugier, Missgunst und Eifersucht, die in menschliche Perspektiven stets einfließen und mitgedacht werden müssen. Eine echte Gottesperspektive stellt man sich, theologisch verantwortlich reflektiert, wohl deutlich anders vor. Nur wie? Zumal dann, wenn wir sie eschatologisch gesehen brauchen. Diese theologische Herausforderung bleibt bestehen, wenn am Ende des Films nach ‚gelöstem Fall‘ Jeff erschöpft schläft und seine Freundin Lisa entspannt in der Zeitschrift Bazaar blättert bzw. wenn die Kinobesucher das Kino verlassen und essen oder schlafen gehen.

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Kulturtheologisch interessant ist aber darüber hinaus die Frage nach der Möglichkeit des Menschen sich zu verbergen, mit der der Film ausgiebig spielt. Die bürgerliche Kultur hat diese Facette des Menschseins in einer bestimmten Ausdeutung und bis zum Exzess stilisiert. Das ist zivilisationstheoretisch und ethisch umstritten. Wie auch immer das Verbergen zwischenmenschlich zu bewerten ist, inwieweit gilt seine Möglichkeit vor Gott, also theologisch? Es ist ein Aspekt der Gotteslehre, vom deus absconditus im Verhältnis zum deus revelatus zu handeln. Doch inwieweit gehört es zur Anthropologie, insbesondere zur theologischen Anthropologie, vom homo absconditus versus homo revelatus zu handeln? Räumt Gott den Menschen diesen Eigenraum ein? Gibt es Orte, an denen ‚er, der alles sieht‘, nicht hinschaut? Aus Scham? Aus Menschenwürde? Aus Gottebenbildlichkeit (weil er ja schließlich auch nicht alles von sich sehen lässt)? Wie ist es überhaupt mit dem Offenbarwerden? Gilt es nur von Gott oder nicht genauso vom Menschen? Und wenn ja, wenn also auch ein Mensch offenbar wird, vor anderen, vor Gott, sogar ‚offenbar werden muss‘, welchen aktiven Anteil hat er dann an dieser seiner Offenbarung? Die biblische Sündenfallerzählung kleidet dieses Urphänomen des Menschlichen in das Symbol des nackten Adam und seiner Scham, die ihn dazu treibt sich zu verstecken. Freilich, die Motive sich zu verbergen könnten weitaus vielschichtiger sein als das, wenn man dem menschlichen Individuum das Recht auf eine Intimsphäre zugesteht, und die beginnt, recht betrachtet, ja schon dort, wo gesungen und bekannt wird: „die Gedanken sind frei“. Frei sind auch der Glaube oder das religiöse Bekenntnis, und ob letzteres immer und überall öffentlich gemacht werden muss, ist mehr als eine Frage der Märtyrertheologie. Doch zurück zur Sündenfallerzählung: Interessant ist hier allemal, dass Gott Adam seinen Schutzraum lässt. Er spricht ihn an, stellt ihn zur Rede. Mit Recht, denn der Mensch ist bei aller Möglichkeit zu verbergen, die ihm durch sein Personsein gegeben ist, zugleich dialogfähig. Auch das bedeutet ‚Personsein‘. Eine Person hat stets eine abgewandte und eine zugewandte Seite. Gott greift auf Adam als ‚Dialogpartner‘ zu, sein Zugriff geht aber nicht so weit, dass er Adam entblößte – im Gegenteil. Vor dem Hintergrund der Paradies- und Sündenfallerzählung liegt die Grenze menschlichen Rechts auf Verbergen zunächst im Unrecht, das andernfalls unaufgedeckt und auch unabgegolten bliebe. Doch wir können und müssen weiterfragen: Sind die Rahmenbedingungen für das Verhältnis von Verborgenem und Offenbarem bzw. Offensichtlichem im letzten Sinne nur rechtlicher Natur, also letztlich durch Rechtssubjekte gleicher Würde und gleichen Maßes gesteckt, nämlich Menschen (bzw. in absoluter Stellvertretung für den Menschen als Opfer eschatologisch durch Gott)? Oder gibt es noch einen weiteren Horizont für die Grenzziehung zwischen dem, was offenbar werden muss, und dem, was verborgen

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bleiben darf – nämlich den Horizont der Gnade? „Ein Mensch sieht, was vor Augen ist, doch Gott sieht das Herz an“ (1. Sam. 16,7) – das kann ebenso bedrohlich wie erlösend wirken, denn von der Möglichkeit der Selbstoffenbarung kann, wie wir aus der Psychotherapie und Seelsorge wissen, Heilsames, ja (Er‐) lösendes hervorgehen. Beide, Therapie und Seelsorge, sind nicht von Ungefähr vor einem totalen Rechtszugriff geschützt. Auf diese Weise führt uns Alfred Hitchcocks Rear Window in einen spannenden Diskurs, der weit mehr Facetten hat als einen unterhaltsamen kriminalistischen Plot. Er rührt an das Selbstverständnis des modernen Menschen samt all seinen Fragwürdigkeiten, bildet es ein Stück weit, nämlich in einem Rechtskontext, ab, sucht aber – recht verstanden – zugleich nach einer Antwort, die erst jenseits eines relativ klar definierten Rechtsgefüges aufleuchtet, zumindest dann, wenn wir die Figuren aus Hitchcocks Krimi als das nehmen, was sie sind: endliche und fehlerhafte Menschen.

4 Vertigo (1957/58) und die Kategorie des Abgründigen Noch entschiedener fordert der nächste Film Alfred Hitchcocks, den ich hier besprechen will, die theologische Gottesfrage heraus, insbesondere in einer für Tillich typischen Variante. Der 1957 produzierte und 1958 veröffentliche Film Vertigo (im deutschen Verleih mit dem Titel Aus dem Reich der Toten versehen) knüpft kriminaldramaturgisch an Rear Window an: Hier wie dort ist es eine Ehegattinnenmordgeschichte. In beiden Fällen vertuscht der Mörder den Mord an seiner Frau mithilfe eines Doubles. Doch Hintergründe und Begleitumstände sind verschieden, und fundamental verschieden ist auch die narrative Struktur. In Rear Window hatte der Vertreter Lars Thorwald sich durch Mord seiner schwerkranken Frau entledigt, um eine neue Beziehung eingehen zu können. Den Mord vertuscht Thorwald, indem er vortäuscht, seine kranke Frau wäre verreist. Thorwalds Geliebte (die allerdings in dem Film nicht als handelnde Person vorkommt) übernimmt es, am anderen Ort in die Rolle der ermordeten Mrs. Thorwald zu schlüpfen. In Vertigo tötet der Schiffbauunternehmer Gavin Elster aus wirtschaftlichen Motiven seine reiche Frau Madeleine. Den Mord gibt er als Suizid aus, indem er eine lange Vorgeschichte konstruiert, die seine Frau als psychisch krank und selbstmordgefährdet vorstellen soll. Dabei lässt er diese durch eine andere Frau doubeln, die er wegen ihrer Ähnlichkeit für seinen Coup ausgewählt und bezahlt hat.

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Der Titel ‚Vertigo‘ spielt an auf eine medizinische Fachbezeichnung für eine Drehschwindelerkrankung – in der deutschen Synchronfassung ist auch von ‚Akrophobie‘ (‚Höhenangst‘) die Rede. Das Krankheitssymptom wird zum entscheidenden dramaturgischen Marker der Geschichte und von Hitchcock effektvoll in Szene gesetzt. Genau dieser Dimension einer sogartig in die Tiefe ziehenden und zerstörerischen Dynamik folgen wir in unserer kulturtheologischen Interpretation, indem wir die Kategorie des Abgründigen bemühen. Doch dazu später mehr. Hier zunächst der Filmplot: John ‚Scottie‘ Ferguson (James Stewart) ist ein Detektiv, der während der Verfolgungsjagd eines Gangsters über die Dächer von San Francisco in eine Situation gerät, in der er fast abstürzt (ein Polizist, der mit ihm gemeinsam die Verfolgung aufgenommen hat, stürzt in den Tod, als er versucht, Ferguson zu retten). Seit diesem Ereignis leidet Ferguson an Höhenangst und ist dienstunfähig. Sein alter Schulfreund Gavin Elster (Tom Helmore) wird auf ihn aufmerksam und bittet ihn um den Gefallen, seine Ehefrau Madeleine (Kim Novak) zu beschatten. Er mache sich Sorgen um sie, weil sie seit einiger Zeit immer wieder Phasen erlebe, in denen sie wie weggetreten sei. Offensichtlich werde sie in diesen Trancemomenten vom Geist einer verstorbenen Frau, ihrer Urgroßmutter Carlotta Valdes, heimgesucht, die sich im Alter von 26 Jahren das Leben nahm. Elster befürchtet, dass seine Frau sich so sehr mit der Geschichte der Valdes identifiziert, dass sie sich ebenfalls das Leben nehmen könnte. Rätselhaft ist, dass Madeleine tatsächlich von all dem nichts weiß, auch ihre Urgroßmutter und deren Geschichte gar nicht kennt. Ferguson nimmt den Auftrag an und beobachtet Madeleine bei ihren unbewussten Ausflügen in die Vergangenheit bzw. ins Reich der Toten. Dabei rettet er sie nach einem Sprung in die Bucht von San Francisco, und die beiden verlieben sich ineinander. Doch die Tragik nimmt ihren Lauf: Eigentlich möchte Ferguson Madeleine vom Fluch der Vergangenheit befreien und reist mit ihr an einen Ort, von dem Madeleine wiederholt träumt und den sie ihm detailliert beschreiben kann, obwohl sie dort wissentlich noch nie gewesen ist: die katholische Missionsstation San Juan Bautista südlich von San Francisco. Dort stürzt sich Madeleine dann tatsächlich vom Kirchturm, während Ferguson ihr wegen seiner Höhenangst nicht folgen kann und ihrem Tod deshalb hilflos zusehen muss. Gavin Elster setzt sich nach dem Tod seiner Frau nach Europa ab. Ferguson landet schwer traumatisiert in einer Nervenheilanstalt. Unbestimmte Zeit später, nach seiner Entlassung, begegnet er zufällig einer Frau namens Judy Barton, die ihn auf verblüffende Weise an Madeleine erinnert. Durch eine zunächst freundschaftliche Beziehung zu ihr hofft er, über den Tod Madeleines hinwegzukommen. Doch er ist wie besessen von dem Gedanken, Judy in seine verstorbene Geliebte zu verwandeln. Judy, die wirklich die Doublerolle für Elsters Frau in dessen Mordplan übernommen hat, hofft, auf diese Weise die alte Liebe zu

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Ferguson unter neuer Identität wieder aufleben lassen zu können, und macht das Spiel mit. Durch ein kleines Detail wird Ferguson jedoch skeptisch und kommt der wahren Geschichte auf die Spur, die er Stück für Stück enthüllt, bis sich am Ende beide auf dem Kirchturm von San Juan Bautista, dem Ort des mörderischen Geschehens, wiederfinden. Alfred Hitchcock hat diese Geschichte raffiniert entwickelt. Es vergehen nahezu 75 Minuten, bis sich Madeleine in den Tod stürzt. Es folgt eine kurze Untersuchung des Falles vor einem Geschworenengericht, das auf Suizid erkennt; Elster setzt sich nach Europa ab und Ferguson landet in der Klinik. Nach 86 Minuten scheint sich die Schlussszene anzukündigen, in der der entlassene Ferguson einer Frau begegnet, die ihn an Madeleine erinnert, was sich jedoch als Täuschung erweist. Doch dann blättert Hitchcock seine Geschichte noch einmal neu auf, und all das, was der Zuschauer bislang für die Wahrheit gehalten hat, erweist sich als Täuschung: gemeinsam mit Ferguson wurde er zum Zeugen einer bösen Intrige gemacht. Dass Elster seine Frau in Wirklichkeit ermordet hat und dafür Judy Barton als Double sowie den Detektiv als Zeugen instrumentalisierte, wird nun in einer Rückblende aus der Sicht Judys alias Madeleines erkennbar, entschlüsselt sich aber zu diesem Zeitpunkt noch nicht für Ferguson. Der kommt dem teuflischen Betrug tatsächlich erst ganz am Ende auf die Schliche. Es ist das Spiel mit der Metapher des Abgrundes, das Hitchcock in seinem Thriller entfaltet, und zwar in dreierlei Hinsicht: Da ist zunächst die räumliche Tiefe, die den unter Höhenangst leidenden Detektiv Ferguson hinabzieht. Für die visuelle Umsetzung hat Hitchcock einen speziellen Kameraeffekt entwickelt, der im Film an mehreren Stellen eingesetzt wird: zu Anfang in den Häuserschluchten von San Francisco und später im Kirchturm von San Juan Bautista. Dabei fährt die Kamera in die Tiefe des Raumes, während gleichzeitig rückwärts gezoomt wird. Auf diese Weise wird die perspektivische Tiefe des Bildes gestreckt, ohne dass sich der Bildausschnitt selbst verändert. Dieser optische Trick signalisiert an den entscheidenden Stellen Fergusons Trauma. Darüber hinaus stürzt Ferguson in einem Traum an Stelle Madeleines vom Kirchturm herab, und Madeleine ‚fällt‘ in die Bucht von San Francisco bzw. stürzt sich vermeintlich in den Tod. Neben der räumlichen Tiefe gibt es eine zeitliche Tiefe, von der der Film erzählt: es ist die verhängnisvolle Vergangenheit, die offenbar von einer jungen Frau so sehr Besitz ergreift, dass sie ihren Ort in der Gegenwart verliert und in diese vergangene Geschichte regelrecht hineinzufallen droht. Und schließlich geht es um eine Tiefe im psychischen Sinn, die sogartige Kraft entfaltet. Der Abgrund in Häuserschluchten, an einer Hafenbucht oder vom Kirchturm herab stellt nur für diejenigen Menschen eine Gefahr dar, die an Höhenangst oder Schwindelanfällen leiden. Üblicherweise wird man seiner vergleichsweise gut Herr. Anders der zeitliche Abgrund: die Vergangenheit kann einen Menschen

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einholen und bestimmen, ganz gleich ob es biografisch erlebte oder ererbte, oft unbewusst mitgetragene und unverarbeitete Geschehnisse sind, die diese Wirkung ausüben – wie der sich für die Psychoanalyse interessierende Hitchcock weiß –, oder ob es sich um kollektive Verstrickungen in die Vergangenheit handelt. Dass es auch übersinnliche, also parapsychologische Dynamiken dieser Art geben könnte, greift Hitchcock zwar auf, benutzt das Motiv aber als Vehikel für einen Betrug. Interessant für unseren kulturtheologischen Deutungsansatz ist die dritte Dimension der Tiefe – der psychische Abgrund, der sich ‚unter‘ einer rational distinguierten Persönlichkeit auftut, bzw. der Abgrund, den Personen füreinander darstellen und in den sie sich gegenseitig hinabziehen können. Auch hier steigen wir wiederum auf einer anthropologisch-existentialen Ebene ein, werden aber sehr bald bei der theologischen Dimension des Ganzen landen. Der ‚Filmbösewicht‘ Elster ist eine Abgrundfigur per se. Hitchcock hält sich nicht lange mit einer Persönlichkeitsdiagnose auf. Elster ist eine zutiefst finstere Gestalt. Er ist kaltblütig berechnend, sucht den eigenen Vorteil, geht über eine Leiche, aus niederen, selbstsüchtigen Motiven. Das Problem ist dabei, dass er andere in seinen Abgrund mit hineinzieht. Das passive Opfer seiner Machenschaften, seine tatsächliche Frau Madeleine, wird dabei quasi nur ‚zitiert‘; man sieht sie einmal: als bereits Getötete, die wie eine Puppe den Kirchturm hinuntergeworfen wird. Eine eingehendere Analyse widmet Hitchcock den beiden Figuren, die Elster für seine Zwecke instrumentalisiert und als Werkzeuge des Bösen missbraucht – Judy Barton in der Rolle Madeleines und John ‚Scottie‘ Ferguson als Detektiv und falscher Zeuge. Man könnte diese Geschichte natürlich auch unter ethischen Gesichtspunkten lesen, doch darum geht es Hitchcock nicht. Der Altmeister des Krimis entfaltet hier eine tragische Handlung im besten Sinne des antiken Dramas. Oberflächlich gesehen sind beide Figuren in eine Mordgeschichte verstrickt, wobei ihre Anteile unterschiedlich gewichtet werden. Ferguson scheint eine Art blindes Werkzeug zu sein. Sein Anteil an der bösen Tat ist lediglich der, dass er zum falschen Zeugen gemacht wird. Er trägt weder handelnd noch wissentlich irgendeine Verantwortung für den Gang des Geschehens, jedenfalls nicht in den ersten neunzig Minuten des Films. Judy alias Madeleine übernimmt aktiv die Rolle des Doubles; allerdings scheint ihr die Ungeheuerlichkeit dessen, wohinein sie geraten ist, im Laufe der Zeit aufzugehen. Am Ende bekennt sie, sie habe den Mordplan Elsters noch in letzter Sekunde vereiteln wollen, doch da war es schon zu spät. Nun muss sie ihre zweifelhafte Rolle zu Ende spielen und sich das Schweigen über ihre Mitwisserschaft erkaufen lassen. Sie ist – metaphorisch gesprochen – bereits tief in den Abgrund gefallen, der sich mit Elsters Mordplan auftat.

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Die tragische Verkettung beginnt an der Stelle, an der der Mordplan Elsters aus der Kalkulation gerät – als sich Judy alias Madeleine und ‚Scottie‘ Ferguson ineinander verlieben. Dies bindet sie auf andere Art und Weise aneinander als die von Elster geschmiedete Kette, und beide Stränge vertragen sich nicht miteinander. Als Ferguson Judy wiederfindet, entbrennt in beiden die alte Leidenschaft neu, doch ihr Wissen um die gemeinsame Vergangenheit ist unterschiedlich. Das verlangt nach einem Ausgleich, der am Ende zu Lasten der Liebe oder des Lebens gehen muss. Judy hat nicht die Kraft, Ferguson über die Wahrheit zu unterrichten – einen Brief, in dem sie sich zur wahren Geschichte und ihrem Anteil daran bekennt, zerreißt sie wieder, weil sie in neuer Identität die Liebesbeziehung zu ‚Scottie‘ aufnehmen will. Ferguson hingegen ist vom Verlust Madeleines, an dem er sich selbst die Schuld gibt, und der irrationalen Möglichkeit, sie in einer scheinbar fremden Frau wiederfinden zu können, so besessen, dass er Judy in seine Geschichte der Selbstheilung hineinzieht. So werden die beiden füreinander zum Abgrund. Judy kann mit ‚Scottie‘ nur in der Lüge zusammenleben, und ‚Scottie‘ wird in seinem Drang, der wahren Geschichte auf die Spur zu kommen, Judy in San Juan Bautista ‚in die Tiefe stoßen‘. Es ist ihre Tragik, dass sie seine Liebe nicht ohne den Preis der Lüge gewinnen kann, und es ist seine Tragik, dass er die Wahrheit nur finden kann, indem er sie opfert. In der Schlussszene erleben wir einen unbarmherzigen Ferguson, der nur noch der beschädigte und geschädigte Detektiv ist, fanatisiert von der Idee, um jeden Preis von seinem Drehschwindel durch nochmaliges Erklimmen jenes verhängnisvollen Kirchturms geheilt zu werden, wütend über die Erkenntnis, zum falschen Zeugen missbraucht worden zu sein, enttäuscht darüber, eine Mordkomplizin geliebt zu haben. Bereits zuvor hat er Judy nach seinem Willen umgeformt und sie zu seiner Puppe gemacht (wie einst Elster). Nun zwingt er sie in den Turm, ohne ihr eine letzte Ausflucht zu lassen. Dass sie am Ende durch einen Unfall in die Tiefe stürzt, und er sie nicht wirklich gestoßen hat, verändert allenfalls juristisch, nicht aber moralisch etwas an seiner Verantwortung. Nun ist er ihr zum Abgrund geworden – neben Elster das zweite Ungeheuer dieses Films, das Menschenleben verschlingt. Man kann den Film in einer feministisch-kritischen Perspektive lesen, weil Männer Frauen zu Opfern ihrer Selbstverwirklichung machen, doch das ist nicht das Gleis, das ich hier weiterverfolgen will. „Jeder Mensch ist ein Abgrund, es schwindelt einem, wenn man hinabsieht“ – dieses Zitat aus Georg Büchners Woyzeck könnte als Motto über Hitchcocks Vertigo stehen, und wie bei Büchner fallen auch hier Menschen in den Abgrund, den sie wechselseitig füreinander darstellen. Der Abgrund, der sich zwischenmenschlich auftut, die Sogwirkung, die sich entfaltet und menschliches Leben verschlingt, und die tragische Dynamik, dieser Abgründigkeit nicht entkommen zu können, sondern vielmehr notwendig auf sie zuzusteuern – all dies sind an-

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thropologische Motive, die Hitchcock hier wirkungsvoll in Szene setzt. Doch die Geschichte bleibt unbefriedigend. Es ist wohl noch kaum ein Protagonist so bitter, ja traumatisiert aus seiner Heilung hervorgegangen, wie Ferguson, der im Schlussbild des Films den Blick in die räumliche Tiefe zwar aushalten kann, vor dessen Psyche sich aber ganz neue Tiefen des Abgrunds auftun. Für eine Version von Vertigo hat es eine kleine Zusatzszene gegeben, die beschreibt, wie der Bösewicht Elster gefasst wird. Sie wurde – auch auf Hitchcocks Initiative hin – jedoch rasch wieder entfernt. Das Sujet ist und bleibt tragisch, dagegen wirkt die Überführung des Täters aufgesetzt, ja lau. Es ist jedoch genau jenes unbefriedigende Ende, das die inhaltliche Auseinandersetzung mit Vertigo weitertreibt. Wie schon bei Rear Window macht sich bemerkbar, dass die Themen in einer anthropogisch-existentialen Tiefe angesiedelt sind, die eine oberflächliche Beruhigung oder Stillstellung mit den dem Krimi üblicherweise zu Gebote stehenden Mitteln von Recht und Gesetz nicht verträgt. Der Abgrund des Menschen zielt auf die Frage nach seinem Grund. Der menschliche Abgrund, von dem Büchner spricht, ist total und fragt nach einer Begründung, die diese Abgründigkeit im letzten Sinne auffängt oder trägt. Kann sie nicht aufgewiesen werden, stehen wir vor dem Abgrund des Nihilismus, vor einem gähnenden Nichts, in das der Mensch und mit ihm das Humane fällt und worin es zu versinken droht. Abgrund ist jedoch in dem dramaturgischen Beziehungsgefüge, das hier entfaltet wurde, zunächst eine Kategorie der Verhältnisbestimmung zwischen handelnden Personen, also ein soziales Phänomen. Jemand wird jemand anderem gegenüber zum Abgrund bzw. zieht ihn in seinen eigenen Abgrund mit hinein. Das ist der Auftakt einer Geschichte des Verhängnisses. Menschlich gesehen gibt es Untiefen unterschiedlichen Ausmaßes; sozial wirksam werden sie in den Interaktionsgemeinschaften, die der Mensch bildet. Diese Dynamik ist aber kontingent; sie ist nicht zwingend. Es muss nicht notwendig so sein, dass Menschen einander in ihrer Abgründigkeit verschlingen. Es kann sein, aber es muss nicht sein. In sozialer Perspektive könnte man genauso gut nach der positiven Seite fragen, also danach, wer wen wie zu tragen vermag; wie also die zwischenmenschliche Situation nicht nur zum Sog nach unten im je Anderen wird, zum Durch-Fall des Menschlichen im Menschen, sondern zur wechselseitigen Trägerkonstruktion, in der nicht nur einer die Last des anderen trägt, sondern wo einer dem anderen zum tragenden Grund zu werden vermag, wo immer das Abgründige droht – jedenfalls vorübergehend, temporär, von Zeit zu Zeit und hier und dort. Dass diese Grundlegung nur partiell wirksam ist, liegt in der Natur des Menschen oder – wie Tillich sagen würde – an seiner Endlichkeit und Bedingtheit. Alles, was im Horizont eines Bedingungsgefüges steht, kann wiederum nur

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bedingt zum Grund eines anderen Bedingten werden. Das bedingte Tragen und Getragensein wirft in Tillichs Konzeption die Frage nach einem letzten unbedingten Getragensein auf. Auf der theologisch-anthropologischen Ebene mündet die Frage nach dem Abgrund des Menschen in Überlegungen zu seiner Natur, die traditionell mit dem Terminus der ‚Sünde‘ umschrieben wird. Tillich hat die konventionelle Sündenlehre zeitgemäß am Begriff der Entfremdung durchdekliniert. Gleiches könnte man mit der Metapher des Abgrunds tun: die Sünde als das Abgründige im Menschen, als etwas, das sich im Letzten nicht schließen lässt, weil wegen der Endlichkeit des Menschen immer etwas Unerfülltes in ihm zurückbleibt, das nur ersatzweise aufgefüllt wird und in seinem Hunger nach Erfüllung immer wieder neu anderes und andere verschlingt. Auf der theologisch-ontologischen Ebene zielt die Frage nach dem Abgrund des Menschen auf einen letzten tragenden Grund, der verhindert, dass alles im totalen Nichts versinkt. In dichter Auseinandersetzung mit Nihilismus und Existentialismus und in der Aufnahme mystischen Gedankenguts hat Paul Tillich an dieser Stelle eine Gotteslehre reformuliert, in der zwar auch Gott in seiner Unerschöpflichkeit vom Menschen als Abgrund erfahren werden kann (deus absconditus), in der er aber faktisch immer wieder als tragender Grund begegnet (deus revelatus), und zwar als einziger tragender Grund, weil – wenn überhaupt, dann – nur das Unbedingte zum letzten Grund der Untiefen des Seins und der Abgründe des Menschen werden kann. Diese Antwortperspektive leuchtet in Hitchcocks Film Vertigo natürlich nicht auf, aber der Film stellt im hier rekonstruierten Sinn zumindest die Frage nach einer solchen Perspektive – andernfalls bliebe am Ende wirklich nur das unbefriedigende Nichts menschlicher Abgründigkeit, in das alle – Gavin Elster, Madeleine Elster, Judy Barton und auch der so aufrichtig scheinende John ‚Scottie‘ Ferguson – hinabstürzen.

5 Die Vögel (The Birds, 1963) und die Kategorie des Bösen Der dritte Film Alfred Hitchcocks, den ich hier einer kulturtheologischen Betrachtung unterziehen will, ist zugleich einer der rätselhaftesten des Krimi-Altmeisters. Genau genommen gehört er nicht zum Genre des Kriminalfilms, sondern mutet eher wie ein Horrorfilm an – doch das greift zu kurz, wie wir gleich sehen werden. Beginnen wir wiederum mit einer kurzen Schilderung des Plots: Die Protagonisten des Films sind Melanie Daniels (Tippi Hedren), die etwas launische und

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verwöhnte Tochter eines Zeitungsmoguls, und Mitch Brenner (Rod Taylor), ein in San Francisco tätiger Rechtsanwalt. Die beiden sind sich bereits einmal vor Gericht begegnet, als Brenner einen Klienten in einem Bagatelldelikt gegen Daniels vertreten hat. Doch daran erinnert sich Melanie Daniels nicht mehr, als sie sich in einer Vogelhandlung zufällig treffen. Die Wiederbegegnung ist von Ironie und Koketterie gezeichnet. Es wird rasch deutlich, dass beide – bei aller vorgespielten Abneigung dem anderen gegenüber – etwas füreinander empfinden. Brenner war in die Vogelhandlung gekommen, um ein Paar Sperlingspapageien als Geburtstagsgeschenk für seine jüngere Schwester zu erwerben. Melanie Daniels nutzt die Gelegenheit, um selbst tätig zu werden: sie bringt das gewünschte Vogelpaar nach Bodega Bay, wo Mitch Brenners Herkunftsfamilie lebt – vordergründig, um Brenner den Coup des Überraschungsgeschenks wegzunehmen, de facto jedoch hat sie dieser Mann einfach neugierig gemacht. Nachdem sie dort überraschend freundlich aufgenommen wird, entschließt sie sich dazu, zur Geburtstagsparty von Cathy, Mitchs Schwester, zu bleiben. Während ihres Aufenthalts kommt es vermehrt zu Vorfällen, bei denen Vögel aus unerfindlichen Gründen die Bewohner des Ortes angreifen. Diese Ereignisse werden immer bedrohlicher und dramatischer. Am Ende muss Brenners Familie zusammen mit der bei einem der Vogelangriffe verletzten Melanie Daniels Bodega Bay Richtung San Francisco verlassen, um dort ein Krankenhaus zur Behandlung von Melanie aufzusuchen. Der Film endet mit einer Einstellung, die zeigt, wie der Wagen das von Vögeln regelrecht besetzt gehaltene Grundstück der Brenners verlässt und in der Ferne auf der Küstenstraße verschwindet. Hitchcocks Film The Birds stellt in verschiedener Hinsicht eine Pionierarbeit dar: Erstmals wird in einem Kinofilm komplett auf eine Filmmusik verzichtet und stattdessen nur mit elektronisch erzeugten Soundcollagen gearbeitet. Sodann kann die tricktechnische Verarbeitung der Vogelangriffe als für damalige Zeiten ausgesprochen innovativ gelten. Hitchcock präsentiert als ‚Täter‘ Tiere, deren ‚Handeln‘ sich einer psychologischen Entschlüsselung und Einordnung, wie sie der Regisseur sonst oftmals bevorzugte, komplett entzieht. Und: er bietet keinerlei Erklärung oder Auflösung an; der Film endet offen. Für eine Interpretation legen sich zunächst – oberflächlich betrachtet – ökologisch-apokalyptisch orientierte Deutungsvarianten nahe. Man könnte die Vogelangriffe beispielsweise als ‚Rache der Natur‘ gegenüber einem sich ausbeuterisch verhaltenden Menschen verstehen oder gar als ein Symptom einer sich ankündigenden unmittelbaren kosmischen Katastrophe. Beides überzeugt nicht. Die Angriffe der Vögel stehen in keinem erkennbaren Zusammenhang mit irgendeinem Verhalten des Menschen der Natur gegenüber. Sie erfolgen diesbezüglich völlig willkürlich und machen eine derartige Interpretation ebenso willkürlich. Hitchcock stellt die Vogelangriffe aber auch in keinerlei Zusammenhang

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zu einem übergreifenden gesellschaftlich-politischen, geschweige denn kosmischen Geschehen – im Gegenteil: er fokussiert seine Geschichte auf den kleinen Küstenort Bodega Bay und weiter noch auf eine dort ansässige Familiengemeinschaft. An einer kosmologisch-apokalyptischen oder ökologischen Deutungsperspektive scheint er wenig interessiert. Verwehrt ist auch der Umweg über die literarische Vorlage (Daphne du Mauriers 1952 erschienene gleichnamige Kurzgeschichte). Deren Interpretation führte oft auf den Pfad der Verarbeitung von Kriegsereignissen oder der aufkommenden globalen Ost-West-Konfrontation. Hitchcock hat sich in seiner Filmerzählung jedoch so stark von seiner Vorlage entfernt, dass hiervon, abgesehen vom Motiv des Vogelangriffs, kaum etwas übrig bleibt. Freilich, die erwähnte letztere Deutungsperspektive geht bereits über das wörtliche Verständnis dieser Vogelangriffe hinaus und versteht sie als eine Art Versinnbildlichung. Die Frage ist: Was sollen sie genau symbolisieren? Die beste Annäherung an eine Antwort gewinnen wir, wenn wir die Handlungsorte, die handelnden Personen in ihren Beziehungen zueinander und das Milieu genau unter die Lupe nehmen. In dieser Hinsicht folge ich nochmals dem Filmplot und lege mein Augenmerk auf einzelne Szenen, in denen die thematisierten Vögel ‚wider ihre Natur‘ auffällig werden und damit als Sinnträger für etwas anderes fungieren. Offensichtlich werden Melanie Daniels und Mitch Brenner als Antagonisten eingeführt: hier der fleißige Anwalt und treu für seine verwitwete Mutter sowie für seine Schwester sorgende Sohn und Bruder, dort die extravagante, aus dem Geldadel stammende Lebedame. Mitch entstammt einer kleinbürgerlichen Familie aus der Küstenprovinz, Melanie der mondänen Großstadt. Er wird als korrekt und ernsthaft eingeführt, sie als lebenslustig und leicht skurril, um die sich zudem Skandalgeschichten mit pikanten Details ranken. Dennoch sind beide von Anfang an wie elektrisiert voneinander und ziehen sich im Lauf der Geschichte immer stärker an. Unverkennbar dringt mit Melanies Anwesenheit in Bodega Bay etwas Fremdartiges in dieses biedere Milieu ein, das notwendigerweise Funken schlägt. Hitchcock hat diese Fremdartigkeit auf treffliche Weise inszeniert, etwa durch den modischen Aufzug, in dem Melanie Daniels im Fischerhafen des Ortes herumstolziert. Verständlicherweise wird sie beargwöhnt – von einigen der Bewohner, von Mitchs Mutter sowie von der Lehrerin am Ort, die sich als ehemalige Geliebte von Mitch entpuppt. Man ist jedoch freundlich und höflich, wenn auch zunächst reserviert, und umgekehrt gelingt es Melanie, sich mehr und mehr für Mitch und seine Familie zu öffnen und in die Herzen der Menschen vor Ort zu ‚spielen‘. Sie wandelt sich von einer etwas zickigen Jetset-Lady zur hilfsbereiten und vertrauten Nachbarin.

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Neben den im Film geschilderten kollektiven Vogelangriffen gibt es zwei Szenen, in dem einzelne Tiere aggressiv werden: Im Fischerhafen von Bodega Bay wird Melanie Daniels kurz nach ihrer Ankunft von einer plötzlich herabstürzenden Möwe an der Stirn verletzt und am Abend nach ihrer Ankunft fliegt eine Möwe gegen die Tür des Hauses der Lehrerin Annie Hayworth, während Annie und Melanie im Gespräch miteinander sind. Diese ersten Angriffsakte wirken so, als seien sie gegen die Fremde aus der Großstadt gerichtet. Schon bald werden derart kurzschlüssige Erklärungsmuster jedoch zerstreut. Die Vögel greifen auch andere Personen am Ort (und auch anderswo) an, die mit Melanie in keinerlei Beziehung stehen. Ihre Angriffe richten sich zudem gegen völlig unschuldige Personen, zweimal gegen Kinder. Das verleiht ihnen eine Brutalität von – modern gesprochen – terroristischem Ausmaß. Und damit ist in der Tat ein entscheidendes Stichwort eingeführt: der Angriff der Vögel ist Terror; er erzeugt Angst. Angst ist zugleich ein wichtiger dramaturgischer Treiber der Erzählung. Jedoch geht es Hitchcock nicht um die Aufschlüsselung des Phänomens der Angst. Was also steckt hinter diesen Angst machenden Angriffen? Eine Antwort finden wir, wenn wir auf eine zentrale Szene des Films schauen: Nach dem zweiten, deutlich massiveren Angriff einer Schar von Krähen auf Kinder, die aus einem Schulhaus kommen, wird der Vorfall von Besuchern im Hafenbistro diskutiert. Dabei kommen unterschiedliche Meinungen zu Wort (Volkes Stimme sozusagen): Ein Gast meint, man solle die lästigen Biester einfach ‚abknallen‘; ein angetrunkener Arbeiter zitiert Bibelstellen und spricht vom nahen Ende der Welt; eine überaus gelehrte und eingebildete Hobby-Ornithologin doziert über die Schönheit und das Wunder der Vogelwelt und darüber, dass es absolut widersinnig ist, Vögeln ein derart aggressives Verhalten zu unterstellen. Hitchcock gibt alle diese Auffassungen ihrer Unzulänglichkeit preis, indem er im nächsten Moment einen der fatalsten Vogelangriffe auf Bodega Bar präsentiert. Der zeigt die völlige Ohnmacht des Menschen diesen Angriffen gegenüber und straft die Hobby-Ornithologin Lügen. (Sie sitzt nach dem Angriff wie versteinert und schweigend in einer Nische des Lokals). Einzig der Arbeiter könnte mit seinen apokalyptischen Einwürfen vom Ende der Welt Recht behalten, doch er ist bereits durch seine Trunkenheit als ernsthafter Deuter der Ereignisse disqualifiziert. Seinen Abgesang nimmt er selbst nicht so ganz ernst und benutzt ihn eher als Vorwand, um vor dem Ende der Welt noch schnell einen hinter die Binde zu kippen. Als Mitch Brenner und Melanie Daniels nach dem Vogelangriff das Lokal betreten, steht eine Besucherin auf und klagt Melanie an, Urheberin alles Bösen zu sein, dass sich hier ereigne, denn immerhin habe das alles ja erst mit ihrer Ankunft begonnen. „Sie sind böse“, sagt sie ihr ins Gesicht. Hitchcock präsentiert hier die klassische Variante eines Fremden- oder Minderheitenhasses. Das ist

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natürlich eine Projektion, deren er als Autor sich nicht schuldig machen will. Er zeigt nur, wie ‚man‘ in solchen Situationen eben auch reagiert. Doch das Stichwort vom Bösen ist tatsächlich das entscheidende Signal: die Vögel sind Ausdruck einer bösen Macht. Gehen wir für unsere Deutung von diesem Fußpunkt aus, so zeigt sich eine Reihe von Übereinstimmungen. Das Böse, das die Vögel mit ihren Angriffen repräsentieren, ist völlig unberechenbar und unerklärlich. Es ist einfach da und wirkt aus einem dunklen, nicht aufzuhellenden Hintergrund heraus. Es überfällt die von ihm Bedrohten ohne Vorwarnung und plötzlich, auch aus dem Hinterhalt. Es ist undurchschaubar, aber mächtig. Es richtet sich möglicherweise gegen Menschen, die etwas ‚ausgefressen‘ haben (so dass ein Tun-Ergehen-Zusammenhang als Erklärungsmuster in Anschlag gebracht werden kann), aber auch gegen unschuldige Opfer (so dass jeder derart geknüpfte Zusammenhang wieder zerreißt).Vor allem aber: man kann mit dem Bösen nicht paktieren und sich gegen seine Angriffe nur schwer schützen. Gänzlich schutzlos sind die Menschen, wie Hitchcock zeigt, gegen die List des Bösen aber nicht. Dazu gleich noch etwas mehr. Mit dem ‚Aufgebot‘ des Bösen ist ein theologischer Topos ersten Ranges aufgerufen. Es gibt zahlreiche Abhandlungen enormen Ausmaßes, die das Phänomen des Bösen in der Welt zu erklären und einzuhegen versuchen. Wie weit es ihnen gelingt, mit diesem Problem fertig zu werden, muss hier nicht thematisiert werden. Hitchcock präsentiert die Bedrohungen durch das Böse in den Angriffen der Vögel in allen denkbaren Facetten und er schlägt allen Versuchen, damit rasch fertig zu werden, ihre Strategien aus der Hand. Die Vögel stören und zerstören menschliches Zusammenleben auf eminente Weise, und sie stören es vor allem dort, wo die Unschuld und die Ohnmacht am Größten sind – bei den Kindern. Dass Hitchcock dabei die Gestalt seines Symbols stetig wandelt, macht es nur umso stärker und in seinem Symbolgehalt umso klarer: Es sind weiße freche Möwen wie schwarze unheimliche Krähen, harmlose Hühner und zierliche Sperlinge, die zu Bedeutungsträgern einer Bedrohung durch das Böse werden. Einer vorschnellen schablonenhaften Darstellung schiebt Hitchcock damit einen Riegel vor. The Birds wäre – das Böse hin oder her – fatalistisch bzw. auf eine spezifische Weise doch wieder negativ-apokalyptisch oder dystopisch, wenn er bei der Ausmalung der Bedrohung durch das Böse stehenbliebe. Wieder einmal ist es der psychologischen Feinsinnigkeit Hitchcocks geschuldet, dass er sich dem fast kammerspielartigen Tableau einer Handvoll handelnder Personen widmet, die er umso genauer unter die Lupe nimmt. Daher wäre es geradezu eine Umkehrung der dramaturgischen Perspektive des Films, wollte man die Phänomene auf Melanie Daniels und die sie umgebenden Personen beziehen. Sie sind nicht der Grund der

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Ereignisse, wohl aber das Ziel der Betrachtung, die Hitchcock anstrebt. Sie sind im Fokus, weil ihn interessiert, wie sich Menschen gegenüber den Angriffen des Bösen wappnen können. Es gibt eine Szene des Films, in dem die Vögel in ihrer Präsenz zwar bedrohlich bleiben, aber ihre Aggressivität eingestellt ist. Nach einem letzten Angriff, den Hitchcock ausschließlich aus der Innenperspektive des Wohnhauses der Brenners schildert, entschließt sich die Familie, mit der verletzten und traumatisierten Melanie Haus und Ort zu verlassen und ein Krankenhaus in San Francisco aufzusuchen. Die Vögel, die das Areal weitläufig besetzt halten, lassen die vier Personen ungehindert abziehen. Man könnte das als eine Art Kapitulation deuten: die Vögel haben das Territorium erobert, die Menschen müssen weichen. Doch die Schlusssequenz erzählt mehr: Über den Angriffen der Vögel ist es zu einer Annäherung der bedrohten Personen gekommen. Die Menschen tun das, was sie am stärksten macht – sie bilden eine Not- und Schicksalsgemeinschaft und überwinden das Böse in Liebe. Das deutet sich bereits zuvor an etlichen Stellen an. Das Beziehungsgewebe zwischen Mitchs Familie und Melanie wird immer dichter. Am Ende hält ausgerechnet die anfangs so reservierte und skeptische Mutter von Mitch die verletzte und blutende Melanie im Arm wie eine Mutter ihr gepeinigtes Kind. Das Bild wirkt wie eine Pietà-Darstellung. Einen stärkeren Ausdruck für menschliche Verbundenheit hat Hitchcock nicht gefunden. Vor diesem Akt zwischenmenschlicher Liebe kommt das Böse zum Schweigen, wie schon zuvor die Attacken des Bösen an dem Schutzpanzer, den diese menschliche Gemeinschaft bildet, abprallen mussten: Als die Familie unter den hämmernden Angriffen der Vögel in ihrem Haus einer tödlichen Niederlage entgegensieht, ziehen die Vögel plötzlich ab – nicht weil sie das Haus nicht hätten zu Fall bringen können, sondern weil sie den Beziehungen, die die Menschen in diesem Haus verkörpern, nichts mehr anhaben können. Versteht man die Vögel samt ihren Angriffen in Alfred Hitchcocks The Birds als Symbolträger des Bösen in seiner Abstraktheit, dann finden wir uns auch hier wiederum – wie schon bei den beiden zuvor besprochenen Werken – in einer Art Bestandsaufnahme der anthropologischen Grundsituation vor: Der Mensch besteht in einer Welt, in der es unerklärlich Böses gibt, und muss sich dort dessen Attacken widersetzen. Indem Hitchcock bei der Darstellung des Bösen auf menschliche Subjekte verzichtet, erreicht er eine tiefer liegende Erschließung des Problems. Zweifellos ist der Krimi dasjenige Genre, das die Realität des Bösen in der Welt auf eine besonders treffsichere Art abzubilden und zu charakterisieren vermag. Immer jedoch sind es Menschen, die als Agenten des Bösen auftreten. Die Frage, was das Böse denn ‚an sich‘ ist, das Menschen verführt, erreicht, umtreibt oder auch deformiert, bleibt dabei in der Regel hinter psychologischen und soziologischen Deutungsmustern zurück. Warum es in der Welt ‚das Böse‘ abgese-

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hen von Resultaten böser Handlungen gibt, kann erst thematisiert werden, wenn von einer quasi-empirischen Betrachtungsweise abgesehen wird. Und diese – das zeigen zeitgemäße Interpretationen eines Verhaltens oder Handelns, das gemeinhin als ‚böse‘ bezeichnet wird – neigen häufig dazu, die Problematik des Bösen in komplexen und diffusen Motivkonglomeraten zu verflüchtigen. Man kann so argumentieren, handelt sich damit aber die Schwierigkeit ein, besonders schwerwiegende Fälle ‚bösen Vorkommens‘ in die Nische psychisch kranker Dispositionen schieben zu müssen, weil eine andere rational vermittelbare Deutungsvariante nicht mehr übrig bleibt. Es ist die Frage, ob ein anthropologischer Ansatz, der mit der Möglichkeit eines ‚schlechthin‘ oder ‚radikal Bösen‘ rechnet, der Realität menschlichen Seins nicht eher gerecht wird als ein Ansatz, der von der generellen Zähmung des Bösen mittels Ethik oder Pädagogik ausgeht. Wie immer man sich hier entscheidet: es wird deutlich, dass die Frage auf dem Spiel steht, ob der Mensch von Natur aus gut oder böse ist, ob er eine Wolfsnatur hat, die gezähmt werden muss bzw. kann, ob es eine Bildbarkeit des Menschen gibt, die ihn, auf rechte Weise entwickelt, dem Guten zuführt, wohingegen böse Resultate dann lediglich Abweichungen oder Defizite in der angewandten Methodik wären, gemäß dem Grundsatz: Es gibt nichts Böses, sondern nur die Abwesenheit des Guten – oder aber, ob es eine ‚Macht des Bösen‘ gibt, die sich des Menschen bemächtigt. Letzteres ist wahrscheinlich ein sehr gängiges Denkmodell, auch im Christentum. Es hat aber die Schwierigkeit bei sich, auf einen metaphysischen Dualismus hinauszulaufen, in dem Gott gegen eine dunkle eigenständige Macht des Bösen steht, den Satan. Ein solcher Dualismus hat am biblischen Zeugnis (von der späten apokalyptischen Literatur einmal abgesehen) wenig Anhalt und ist zudem eschatologisch unbefriedigend, denn wer sagt uns, dass am Ende wirklich das Gute siegt. Ein konsequenter Dualismus ist ein Problem für die Heilsgewissheit. Auch Tillich hat die Schwierigkeiten eines derart dualistisch konzipierten Denkmodells erkannt und den Weg einer dialektischen Denkfigur für überlegener gehalten. Dabei erscheint das Böse als eine Art Schatten im Göttlichen, der jedoch in der Dynamik des Göttlichen bereits überwunden ist. Tillich ersetzt in seiner Theologie die Kategorie des Bösen weitgehend durch diejenige des ‚Dämonischen‘. Das Dämonische erscheint innerhalb der Dialektik des Heiligen und bezeichnet dessen Pervertierung. Bei Tillich ist diese Perversion verbunden mit einer Beanspruchung göttlicher und unbedingter Machtfülle durch ein Endliches und Bedingtes, das diese göttliche Machtfülle für sich beansprucht. Auf diese Weise ist auch die Problematik des Bösen in der Sphäre des Endlichen, insbesondere des endlichen Menschen mit seinem Verhältnis zum Unbedingten angesiedelt. Dialektisch gesprochen ist das Böse das ungelöste Problem der Endlichkeit des Menschen in seinem Selbstverhältnis wie im Verhältnis zum Unendlichen.

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Mir scheint, dass Hitchcocks The Birds eine Position einnimmt, die sich vergleichsweise illusionslos hinsichtlich der Realität des Bösen zeigt, ohne jedoch eine pessimistische Auffassung vom Humanen zu pflegen. Es gibt eine Macht des Bösen, über deren Ursprung Hitchcock sich ausschweigt. Der Mensch – mag er sie nun aus sich heraussetzen oder nicht – ist ihr jedenfalls ausgeliefert; er ist ihr aber nicht zwangsläufig unterworfen. Allerdings gilt es auch keineswegs als ausgemacht, dass der Mensch in der Lage ist, sein Humanum gegenüber den Angriffen des Bösen zu schützen und zu retten. Damit sind wir in der Betrachtung bereits einen Schritt weiter vorgedrungen, denn die Frage nach der Einschätzung der Realität des Bösen ist nur die eine Seite; die andere ist die Frage nach den Strategien, die zu seiner Einhegung und Überwindung dienen. Hier eröffnet sich eine Bandbreite von religiösen Erlösungshoffnungen bis hin zu menschlichen Bewältigungsstrategien nach humanistisch-ethischen Denkmustern. Die Antwort, die Hitchcocks The Birds präferiert, habe ich angedeutet: die Rückbesinnung auf ein in menschlichen Beziehungen wirksames und darin auch mächtiges Liebesprinzip. Das mag man für einen seichten Aufguss eines humanistischen Optimismus säkularer Provenienz halten – selbst wenn es von der Losung des Paulus („Lass dich nicht vom Bösen überwinden, sondern überwinde das Böse mit Gutem“, Röm. 12,21) nicht weit entfernt scheint. Doch um derlei Bewertungen geht es hier auch noch gar nicht. Es geht vielmehr um eine erste Eröffnung eines Dialogs mit den Mitteln von Tillichs Kulturtheologie. Die Entscheidungen fallen sozusagen erst hinterher: nach der kulturtheologischen Bestandsaufnahme. Freilich, das sei ebenfalls zugestanden, zu einer Verortung des Bösen im Verhältnis zu Gott dringt Hitchcock in seinem Film nicht vor: Ob das Böse als eigene Macht neben Gott steht oder in ihm selbst verwurzelt ist oder aber ob das Böse durch den Menschen in die Welt kommt (wobei wiederum die Frage bliebe, woher der Mensch seine Affinität zum Bösen hat) – all dies bleibt unbeantwortet. Eine Antwort darauf ist allerdings auch gar nicht nötig, um allererst in eine kulturtheologisch motivierte Auseinandersetzung zu geraten. Es ist die in dieser Art, wie hier vorgeführt, geschehene Erschließung eines Deutungshorizontes selbst, worum es geht und worum es auch Paul Tillich in seinem kulturtheologischen Ansatz ging. Kulturtheologie eröffnet einen Streit des Geistes, denn beide – Religion und Kultur – gehören der Sphäre des Geistes an und finden sich samt ihren Vergegenständlichungen in Kunstwerken und Predigten, in biblischen Texten wie Meisterwerken der Filmgeschichte in eben dieser Sphäre vor. Um diesen Streit aufzunehmen und sich mit der eigenen Position oder ‚Botschaft‘, wie der spätere Tillich sagen würde, darin zu präsentieren, bedarf es zunächst einmal eines heuristischen Instruments, kulturelle Ausdrucksgestalten hinsichtlich ihres reli-

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Peter Haigis

giösen Aussagegehalts lesen zu können. In vielen Fällen, auch in Tillichs eigenen Versuchen dieser Art, läuft der Faden nicht über explizit oder traditionell religiöse Stoffe, sondern über die anthropologische Grundsituation, die thematisiert wird. In zweiter Linie kulturtheologischer Arbeit geht es sodann um die Auseinandersetzung, um den Streit der Positionen, und die können in einem konvergierenden, komplementären oder auch konfrontativen Verhältnis zueinander stehen.

6 ‚Looking for Alfred‘ – Paul Tillich im Gespräch mit Alfred Hitchcock Das Verborgene, das Abgründige, das Böse – drei Kategorien, die zu einer existentialen Analyse der Situation des Menschen gehören. Sie sind Bestimmungsmerkmale menschlichen Seins. Sie lassen sich – wie gezeigt – im Horizont eines Grundverständnisses des Menschen entfalten, das von dessen Endlichkeit oder Bedingtheit ausgeht und nach seiner Beziehung zum Ewigen oder Unbedingten fragt. Es geht dabei um nichts weniger als um die Wahrheit des Menschseins. Theologie hat dazu viel zu sagen. Tillich hat dies in christlicher Perspektive stets mit Verve getan. Und ich behaupte: Hitchcocks hier vorgestellte Filme werfen die Frage nach der Wahrheit des Menschseins in konkreten Stories auf und zum Teil wagen sie auch eine Antwort darauf. Sie eignen sich daher als Dialogpartner für die Theologie. Wir haben gesehen, wie die Thematik des Verborgenen in Rear Window auf die Spur von Schuld und Recht, aber auch auf die einer letzten Aufdeckung des Menschen im Licht der Gnade führt. Wir haben gesehen, wie die Kategorie des Abgründigen in Vertigo in eine Tragik führt, die letzten Endes die Entscheidungsfrage zwischen Nihilismus oder einer transzendenten Erlösungsperspektive stellt. Und wir haben gesehen, wie mit der Symbolik der Vogelattacken in The Birds die Frage nach dem Ursprung und der Wirksamkeit des Bösen auftaucht, zugleich aber auch nach den Möglichkeiten des Menschen, sich diesen Angriffen oder Verführungen zu widersetzen und sie zu überwinden. Leider hat Paul Tillich kein Gespräch mit Alfred Hitchcock vor seinen Studenten in New York oder Chicago geführt. Wahrscheinlich war die Zeit dafür noch nicht reif. Das ist schade, denn es hätte ausgesprochen spannend werden können. Doch die Spur, die Tillich gelegt hat, lässt sich ja weiterverfolgen.

Christian Polke

Krise, Theologie und Gesellschaft Zur Bedeutung Paul Tillichs für die ‚öffentliche Theologie‘

Paul Tillichs Theologie ist fast von ihren ersten Anfängen an eine genuine Krisentheologie. Sieht man einmal von den ersten akademischen Gehversuchen in Lizentiatenarbeit, Dissertation und dem verwegenen Unterfangen, als kaum 27Jähriger eine Systematische Theologie zu konzipieren, ab, dann lässt sich bis hinein in das Alterswerk sagen, dass, schon aufgrund der vielfältigen einschneidenden Erfahrungen während dieses langen Lebens, dessen Theologie stets im Zeichen von Krisen ihre Aufgaben wie ihren Ausdruck fand. In diesem Zusammenhang sollte man zudem unterstreichen, was zumeist eher randläufig bemerkt wird: Tillich ist der Einzige der großen Gestalten dieser Theologengeneration im 20. Jh., der die fundamentale Krise, genauer: die Epochenwende durch den geistig-kulturellen Zusammenbruch der europäischen Welt am eigenen Leib hautnah erfahren musste. Als Feldgeistlicher, der zudem auch dekoriert wurde, hat Tillich fast die gesamten vier Jahre des Ersten Weltkrieges an der Front zugebracht. Was das für den jungen Theologen, der bis dato in lutherisch-konservativen Kreisen, wenngleich mit einer großen Lust an intellektueller Spekulation in der Tradition des deutschen Idealismus, Fichtes und Schellings allzumal, weilte, bedeutete, darüber gibt uns der Briefwechsel mit seinem Freund aus Wingolf-Tagen, Emanuel Hirsch, eindrücklich Auskunft: Mitten im Angesicht Verduns finden sich beide Jungtheologen vertieft wie geworfen in eine Auseinandersetzung um Sinn und Sein, unbedingtem Grund und das, was allem, das zunichte wird, standhalten könne.¹ Wie ein loser Blick in die biographischen Stationen und intellektuellen Wegmarken Tillichs im Nachgang des Jahres 1918 leicht belegt, ist der unruhige Geist Tillich fortan mit verstärktem Krisenbewusstsein ausgestattet, welches sich zeitlebens zwar in mancherlei Sehnsucht in die Geborgenheit der frühen Jahre, der Kindheit, Jugend und des Studiums begeben kann, aber nur, um dann umso beherzter mit neugierigem Blick offen, wenn  Der Briefwechsel ist abgedruckt in: EW VI, 95 – 136. Man sollte nicht vergessen, dass Hirsch zur gleichen Zeit wegen seines chronischen Augenleidens für längere Zeit in klinischer Behandlung war und somit vom Krankenbett aus Antworten schrieb. Überhaupt hat er noch lange nach dieser Zeit damit gehadert, dass er nicht aktiv für ,Kaiser und Vaterland‘ an der Front hatte dienen können. – Im selben Band finden sich dann auch schriftliche Dokumente der Entfremdung zwischen Tillich und Hirsch, wie sie im Zuge der Machtergreifung Hitlers und der Deutung der Vorgänge um 1933 eingetreten ist.Vgl. a.a.O., 137– 218. Das Verhältnis sollte nie wieder nachhaltig gekittet werden. https://doi.org/10.1515/9783110767728-013

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auch nicht unkritisch, in die Zukunft zu blicken.² Während manch einer seiner Generationsgenossen zu Beginn der 1920er Jahre als Konsequenz aus der Katastrophe das radikale „Nein Gottes“³ als Auftakt zu einer neuen Theologie wagte und im Zeichen der Krise die Dialektik, zwar nicht der Aufklärung, wohl aber als theologische Methode und religiöse Denkform adelte; und andere wiederum sich des demokratischen Neuaufbruchs auch dergestalt verweigerten, dass sie letztlich theologisch wie kirchlich Restauration betrieben, um dann im rechten Moment – sobald die Stunde geschlagen hatte – dem Führer als politischen „Befreier“ nicht nur die Hände zu schütteln, sondern dessen Programm gar mit geschichtstheologischen Weihen zu veredeln glaubten;⁴ war es im Grunde Tillich, der sich mit der Neugier des sensiblen Zeitdiagnostikers offen den Ambivalenzen, d. h. den neuen Chancen wie Gefahren einer krisenhaften Zeit-, Gesellschafts- und Geschichtslage als Theologe widmete. Die religiöse Lage der Gegenwart von 1926 ist neben vielem anderen auch ein Stück (weitgehend) gelungener Zeit-, d. h. Krisenwie Aufbruchsdiagnostik. Tillich hingegen ist und bleibt Zeit seines Lebens ein Denker ‚auf der Grenze‘. Einer der prägnantesten Auftritte als das, was man – unter heutigen Begrifflichkeiten – als den eines Öffentlichen Theologen (public theologian) werten könnte, ist seine Rede aus Anlass der Verleihung des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels in der Frankfurter Paulskirche am 23. September 1962.⁵ Angesichts der politisch angespannten Lage knapp ein Jahr nach Mauerbau und im Nachgang zur Kubakrise stellt er diese nicht zufällig erneut unter den Titel „Grenzen“. Damit schreibt er seine Selbstcharakterisierung, die er dem amerikanischen Publikum kurz nach der Emigration in die USA gegeben hat, konsequent fort.  Ein beeindruckendes Dokument dieser Stimmungslage, die m. E. noch für den alten Tillich zutrifft, gibt dessen autobiographische Skizze.Vgl. P. Tillich, Auf der Grenze. Aus dem Lebenswerk Paul Tillichs, München/Hamburg 1964, 9 – 57.  In Anlehnung an eine berühmte, wiederkehrende (rhetorische) Formel Karl Barths in seinem Römerbrief-Kommentar von 1922. Nur zwei Beispiele hierfür: „Die radikalste Erledigung der Geschichte, das Nein, unter das alles Fleisch kommt, die absolute Krisis, die Gott für die Welt der Menschen, der Zeit und Dinge bedeutet“ (K. Barth, Der Römerbrief [Zweite Fassung] 1922, Zürich 16 1999, 56 [zu Röm 3,1]), oder auch: „Anders als in der Negation des Geschöpfes ist die Position des Schöpfers und der ewige Sinn des Geschöpfs noch nicht erkannt worden.“ (a.a.O., 67, zu Röm 3,18, im Verbund mit der Absage an alle Größen von Religion, Kultur und Moral, denen ein ewiges „Nein“ gilt.)  Das gilt nicht nur, wenngleich in extremis für den alten Weggefährten Emanuel Hirsch, sondern nicht minder – wenn auch mit unterschiedlicher ,Laufzeit‘ – für Theologen wie Paul Althaus, Friedrich Gogarten und Werner Elert.  Diese findet sich abgedruckt in: GW XIII, 419 – 428. In diesem Band finden sich zudem zahlreiche tagespolitische Eingaben von Tillich, die ihn als engagierten Beobachter wie Zeitgenossen bezeugen.

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Grenzziehung und Grenzöffnung dienen hier als metaphorisch angereicherte Termini für eine auch politische Standort-Bestimmung. Dabei ist die absolute ‚Wesensgrenze‘, die der Mensch selbstkritisch im Lichte des (wahrhaft) Unbedingten anzuerkennen und sich ihr entsprechend zu verhalten hat, das eine: die permanente Revision, darin gleichwohl behutsame Verschiebung der je bedingten ‚Wirklichkeitsgrenzen‘ als Bedingung, Feindschaften nicht absolut zu setzten, das andere. Diese mit eher rhapsodischen Auszügen aus einem ebenso vielschichtigen wie umfangreichen Werk operierende Annäherung an mein Thema hat mehrere Gründe. Erstens: Will man Tillich als einen öffentlichen, oder auch nur einen politischen Theologen verstehen, dann muss man zunächst festhalten, inwiefern er das im Vergleich zu den üblichen Ansätzen von Politischer und/oder Öffentlicher Theologie gerade nicht ist. Tillich behandelt zwar in vielen seiner kleineren Schriften ab Mitte der 1920er Jahre Themen des Politischen. Zum Beispiel das Problem der Macht⁶ oder eben die Frage des Sozialismus.⁷ Sieht man jedoch genauer hin, dann durchzieht alle diese Texte ein bestimmter, allerdings nicht primär ethischer oder politischer Blick auf die Themen. Noch in den in den USA verfassten und durchaus öffentlich breit rezipierten Überlegungen zu Liebe, Macht und Gerechtigkeit wird man jedenfalls nicht davon sprechen können,⁸ dass hier abseits der metaphysischen oder sagen wir mit dem späten Tillich: der ontologischen Frage nach dem Wesen von Macht und ihrem Verhältnis zu Gerechtigkeit und Liebe irgendwelche tagesaktuellen oder die Gegenwart generell betreffenden politischen Fragen im Lichte der religiösen, genauerhin: der christlichen Botschaft einer Beantwortung zugeführt werden. Tillich ist zwar vor allem in den USA zu einem Public Intellectual geworden. Aber im Unterschied zu seinem langjährigen Kollegen am Union Theological Seminary, dem gleichermaßen berühmten Reinhold Niebuhr, trat er nie wirklich als ein Öffentlicher Theologe im Sinne von public theology in Erscheinung; letztere hatte sich in den  Vgl. Tillichs Schrift Das Problem der Macht, in: GW II, 93 – 208.  Die verschiedenen Studien zum Religiösen Sozialismus und auch die letzte, vor der Emigration fertiggestellte, aus politischen Gründen aber nicht mehr veröffentlichte, umfangreiche Abhandlung Die sozialistische Entscheidung von 1933, finden sich ebenfalls in GW II, 219 – 365, gebündelt.  Vgl. P. Tillich, Love, Power, and Justice. Ontological Analysis and Ethical Applications, New York/London 1954. – Der Untertitel, den die dt. Ausgabe nicht übernommen hat (vgl. dazu die dt. Ausgabe in: GW XI, 141– 225), ist aufschlussreich. Schließlich wird mit ihm bereits Tillichs Grundprämisse für jede theologische Erwägung zu ethischen und politischen Problemen umrissen. Es bedarf stets des Umwegs oder genauer: der vorgängigen ontologischen Analyse und Fundierung für die folgenden Auslassungen zu ethischen, sozialen, politischen und ökonomischen Fragestellungen.

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USA insbesondere in Anschluss und Weiterführung von Niebuhrs Denken gebildet. Dafür fehlte Tillich im Grunde schlicht das tiefergehende Interesse an den Details tagesaktueller politischer, sozialer oder ökonomischer Fragen. Als eine Ausnahme ließen sich allenfalls seine engagierten Eingaben zur nuklearen Bedrohung betrachten. Zweitens: Dessen ungeachtet gibt es einen spezifischen Tillich′schen Zug in der Art und Weise, wie gleichwohl Probleme, Nöte und Herausforderungen von öffentlichem Rang zur Sprache kommen. Angedeutet habe ich dies bereits beim Umgang von zeitgenössischen Krisen und ihrer Deutung durch die Verwendung von symbolischen Bildern und Metaphern: Stichwort: Grenze(n). Hier geht es nun nicht nur um den Erweis, dass auch der Theologe, die Theologin sich als hellwache Zeitdeuter*in erweisen kann, sondern mehr noch um den Aufweis, inwiefern ein religiöser Umgang mit Wirklichkeitsproblemen, die alle angehen, ein Spezifikum aufweist. Worin liegt die theologische Aufgabe einer Zeitdeutung, insbesondere in Situationen der Krise, gleichwohl keineswegs nur in ihnen? Es geht um die durch Symbole, Metapher, Topoi – Tillich unterscheidet bekanntlich nicht hinreichend genug zwischen diesen Kategorien – zu erschließende Tiefendimension bedingter Lagen und deren Erschließungskraft für die Präsenz eines wahlweise richtenden oder rettenden Unbedingten. Man darf hier Tillich durchaus ein lutherisches Erbe attestieren. Zudem stellt der Kairos-Begriff,⁹ dem auch metaphorisch-topische Züge innewohnen, das prominenteste Beispiel für eine solche Vorgehensweise dar. Mit ihm wurde nicht nur das Anliegen eines religiösen Sozialismus prominent zugespitzt, sondern zugleich die krisenhafte Lage der 1920er Jahre in den europäischen Ländern auf ihre, wenn auch eschatologisch fokussierte, Überwindung auf den Punkt gebracht. Drittens: Beide genannten Momente – die ontologisch-metaphysische Fundierung und die zugleich symbolische Formung – begründen zudem die theologische Form der Herangehensweise. Dabei bleibt allerdings ein Gesichtspunkt unterbestimmt, der auch in meinen bisherigen Ausführungen noch nicht wirklich zum Tragen kam und der gleichwohl mit Blick auf das Thema ,Tillich und die Öffentliche Theologie‘ von Nutzen sein könnte. Selbst in seinen stark kulturtheologischen 1920er Jahren unterlässt es Tillich bei seinen Eingaben oder sollen

 Dazu siehe die überaus wichtige Studie von: A. Christophersen, Kairos. Protestantische Zeitdeutungskämpfe in der Weimarer Republik, Tübingen 2008. – Zu dem hier nur gestreiften Problem von Geschichtsdeutung und Kairos-Gedanken im Programm des Religiösen Sozialismus bei Tillich siehe auch: C. Polke, Apokalypse Now? Geschichtstheologische Deutungsfiguren zwischen Untergang und Aufbruch, in: M. Moxter/ A. Smith (Hg.), Untergänge – Umbrüche – Anfänge. Zur Lage von Theologie und Religionsphilosophie in der frühen Weimarer Republik, Tübingen 2022 (im Erscheinen).

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wir sagen: bei seinen „Stichworten zur Zeit“ (K. Jaspers) nicht, die Rolle der Kirchen als soziale und institutionelle Gestaltformen des Christentums zu thematisieren. Das nimmt in den Jahren des Zweiten Weltkriegs und der anschließenden Nachkriegszeit nicht ab. Mit Ausnahme von Tillich-Expert*innen bislang wenig beachtet sind dies kleinere Texte, die sich mit der Funktion und Aufgabe der Kirchen im Angesicht totalitärer Regime oder in zunehmend sich säkularisierenden Gesellschaften (Demokratien) beschäftigen. Allerdings fällt dabei stets die geschichtstheologische Weitung der Frage- und Problemstellungen auf und ins Gewicht. Das schlägt sich dann nicht zufällig noch in der Systematischen Theologie, dem reifen Alterswerk, dahingehend nieder, dass die politische Ekklesiologie im Ringen um den Sinn der Geschichte entfaltet wird. Sind doch die Kirchen nichts anderes als „Repräsentanten des Reiches Gottes in der Geschichte“ (ST III, 426), in aller Ambiguität und Zweideutigkeit zwar, aber durchaus mit dem Auftrag, den Dämonisierungen und Profanisierungen des öffentlichen Lebens wirksam und d. h. öffentlich entgegenzutreten. Sie vertreten, „indem sie sich weigern, sich mit dem Element des Zwangs in den Machtkämpfen zu identifizieren, symbolisch den ‚Frieden des Reiches Gottes‘ und [sind bereit], die unvermeidliche Reaktion der politischen Macht, der sie angehören und die sie beschützt, auf sich zu nehmen.“ (ST III, 440) Überträgt man das in die Sprache heutiger öffentlicher Theologien, wäre hier der Ort, an welchem man einerseits vom prophetischen Wächteramt der Kirchen reden könnte, andererseits von dem, was der Theologe und Sozialethiker Stanley Hauerwas unter dem Stichwort „Kirche als Sozialethik“¹⁰ oder auch als „Kontrastgesellschaft“ – wohl gemerkt innerhalb der Gesellschaft als Ganzer – verhandelt hat. Beide Aufgaben bzw. ,Ämter‘ richten sich weniger nach ,Innen‘, sondern eben in das ,Außen‘ bzw. in die Welt als Ganzes im Ringen um deren geschichtlichen Sinn und politischen Verlauf. Im Folgenden möchte ich nach einer kurzen Betrachtung dessen, was in unseren Zeiten und Kontexten Öffentliche Theologie meint, auf diese drei Momente zurückkommen, die ich für Tillichs Vorgehen kennzeichnend finde: 1. die ontologische, d. h. stets positionell kritische Fundierung, 2. die gleichwohl nötige, symbolische Formung und 3. die unter christlichen Vorzeichen notwendige, ekklesiologische Verständigung. In Kontrastierung zum Vorgehen der derzeitigen Öffentlichen Theologie soll so das Eigenprofil von Tillichs theologischer Herangehensweise stärker herausgestellt werden. Über deren Vorzugswürdigkeit für unsere eigene Gegenwart – etwa auch im Kontrast zum Ansatz einer kritischen Theorie im Gefolge von Horkheimer und Adorno – wäre gesondert zu diskutieren.

 S. Hauerwas, Selig sind die Friedfertigen. Ein Entwurf christlicher Ethik, hg. und eingeleitet von R. Hütter, Neukirchen-Vluyn 1995, 158 – 162.

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1 Öffentliche Theologie und das öffentliche Proprium der Theologie Was Öffentliche Theologie ist und ob sie dem derzeitigen, insbesondere deutschsprachigen Protestantismus nicht zuletzt in seiner kirchlichen Gestalt guttut, ist umstritten. Darauf will ich aber an dieser Stelle nicht weiter eingehen. Die nach wie vor prägnanteste Definition des Programms Öffentlicher Theologie stammt meines Erachtens von Wolfgang Vögele. Sie entnehme ich seiner bei Wolfgang Huber geschriebenen und 1994 erschienenen Dissertation über die Zivilreligion in der Bundesrepublik Deutschland: „Öffentliche Theologie ist die Reflexion des Wirkens und der Wirkungen des Christentums in die Öffentlichkeiten der Gesellschaft hinein: das schließt ein sowohl die Kritik und die konstruktive Mitwirkung an allen Bemühungen der Kirchen, der Christen und Christinnen, dem eigenen Öffentlichkeitsanspruch gerecht zu werden, als auch die orientierend-dialogische Partizipation an öffentlichen Debatten, die unter Bürgern und Bürgerinnen über Identität, Ziele, Aufgaben und Krisen dieser Gesellschaft geführt werden.“¹¹ Diese Definition ist deshalb hilfreich, weil sie zum einen die Instanzen Öffentlicher Theologie weit fasst und deren Selbstverständnis offenlässt. Insofern können auch die Vertreter eines Öffentlichen Protestantismus (R. Anselm, Chr. Albrecht), welche den Adressatenkreis ihrer Anliegen eher auf die Politik im engeren Sinne und deren Repräsentant*innen sowie Funktionsträger*innen ausrichtet, mit ihr leben. Zumal nicht allein von kirchlichen Interessen und Anliegen die Rede ist, somit auch nicht primär kirchliche Amtsträger*innen als die Vertreter*innen einer Öffentlichen Theologie gelten, sondern es um den öffentlichen, d. h. den die res publica betreffenden Gehalt des Christentums geht.¹² Zum anderen wird der Begriff der Öffentlichkeit konsequent im Plural

 W. Vögele, Zivilreligion in der Bundesrepublik Deutschland, Gütersloh 1994, 421 f. – Diese Definition ist u. a. von Wolfgang Huber in seinen weiteren Schriften durchweg affirmativ aufgenommen worden, wenngleich sie eben nicht alle hierzulande unter dem Begriff der Öffentlichen Theologie auftretenden Personen und Positionen in gleicher Weise prägnant kennzeichnet. Zu Huber, vgl. nur: W. Huber, Kirche in der Zeitenwende. Gesellschaftlicher Wandel und Erneuerung der Kirche, Gütersloh 1998, 117. Dort wird die Definition allerdings nicht hinsichtlich ihres Urhebers namentlich gekennzeichnet.  Zum Programm eines Öffentlichen Protestantismus in Abgrenzung und Annäherung an das in sich ja keineswegs eindeutige Programm der Öffentlichen Theologie, siehe kurz und bündig: C. Albrecht / R. Anselm, Verantwortung für das Gemeinsame. Die Aufgaben eines Öffentlichen Protestantismus, in: C. Albrecht / R. Anselm / U.H.J. Körtner (Hg.), Konzepte und Räume öffentlicher Theologie. Wissenschaft – Kirche – Diakonie, Leipzig 2020, 57– 65. – Der Band versammelt viele Stimmen und Protagonist*innen der gegenwärtigen Debatte.

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gefasst. Auch die Kirchen fungieren nurmehr als eine von mehreren Subjekten bzw. Instanzen öffentlicher Theologie. Von einer ausschließlich auf Politikberatung konzentrierten Aufgabenstellung kann hier jedenfalls nicht die Rede sein.¹³ Vielmehr gilt das Augenmerk einer Vielzahl an Bewegungen, Gruppen, Organisationen und intermediären Institutionen, welche eine pluralistische Zivilgesellschaft ausmachen. Schließlich zielt Vögele von vornherein nicht nur auf Identitätsfragen des Politischen im Sinne der res publica, also der öffentlichen Angelegenheiten, sondern er spricht auch dezidiert von Krisen, d. h. von fundamentalen Herausforderungen, die die Instanzen, Ordnungen, Subjekte und Verfahren des Politischen – nicht nur, aber eben auch in ihrer verfassten Gestalt – durchlaufen. Insofern gibt es vor Ort und innerhalb einer jeden Gesellschaft mit ihren Institutionen und Organisationen auch Themen von internationaler, ja globaler Bedeutung, die öffentlich-theologisch, d. h. konstruktiv wie kritisch verhandelt werden (müssen). Kritik und Konstruktion nicht im Nebeneinander, sondern in ihrem Verschränkt-Sein sind gleichermaßen Anliegen öffentlicher Theologie wie der Theologie Paul Tillichs. Letzterem ist zudem von seinen ersten Anfängen das Anliegen einer zeitgenössisch sensiblen Apologetik des Christentums in seiner Kulturbedeutung – die anderes meint als bloße Kulturlegitimation – besonders wichtig. Nicht umsonst lautet eine zentrale These zu Beginn des ersten Bandes der Systematischen Theologie: Alle Theologie ist immer auch ‚apologetische Theologie‘. Damit wird ein Verständnis von Apologetik im Anschluss an die klassische Stelle von 1 Petr 3,15: „Seid allezeit bereit zur Verantwortung vor jedermann, der von euch Rechenschaft fordert über die Hoffnung, die in euch ist“, profiliert. In den Worten Tillichs: „Apologetische Theologie heißt: antwortende Theologie. Sie antwortet auf die Fragen, die die Situation stellt, und sie antwortet in der Macht der ewigen Botschaft und mit den begrifflichen Mitteln, die die Situation liefert, um deren Fragen es sich handelt.“ (ST I/II, 12) Darin kommt ein genuin öffentliches Interesse mit der Idee eines öffentlichen Forums, vor dem der Glaube zu den Anliegen je seiner Zeit Stellung bezieht, zum Ausdruck. In diesem Sinne ist Theologie gar nicht anders möglich denn als öffentliche Theologie, nicht für Tillich und nicht für die meisten anderen theologischen Strömungen.

 Heinrich Bedford-Strohm, der gegenwärtig promineste Vertreter einer Öffentlichen Theologie, zumal von 2014 bis 2021 im kirchlichen Doppelamt des Bischofs der bayerischen Landeskirche und des Vorsitzenden des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland, spricht bekanntlich von (mind.) vier Dimensionen öffentlicher Theologie bzw. „öffentlicher Rede der Kirche“ – neben der pastoralen, diskursiven und prophetischen kommt die politikberatende zum Tragen. Vgl. H. Bedford-Strohm, Klar und verständlich. Vier Dimensionen öffentlicher Rede der Kirche, in: ders., Position beziehen. Perspektiven einer öffentlichen Theologie, München 32012, 47– 55.

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Jedoch meint das, was wir heute unter Öffentliche Theologie (mit großem ‚Ö‘) verstehen, deutlich mehr. Ihr eignet ein spezifischer Fokus auf ethische und politische Fragenstellungen, weswegen sie auch an Krisendiagnosen besonderes Interesse zeigt. Auch hier ließen sich allerdings Nähen zu Tillich ziehen. Sind doch vor allem seine Krisenbeschreibungen, ganz gleich, wodurch sie ausgelöst und worin sie sich primär zeigen, stets als Indizien für ein mögliches Herannahen von mehr oder minder kleinen oder größeren kairoi zu lesen. Krisen fordern zur Neuausrichtung wie erneuten Ortsbestimmung der Zeitgenoss*innen heraus, und somit auch von Theologie und Kirche. In diesem Sinne werden noch im Spätwerk die kleinen und großen revolutionären Bewegungen innerhalb und außerhalb der manifesten Kirchen geschichtstheologisch unter dem Begriff des Kairos gefasst.¹⁴ Trotz aller Ambivalenz, ja Gefährlichkeit solcher brodelnden Entscheidungssituationen wird deren positive Gestalt(ungs)möglichkeit niemals in Gänze geleugnet oder abgeblendet. Dadurch bleibt Tillichs Ansatz, wie Max Horkheimer in seinem Nachruf auf ihn mit zunehmender Melancholie herausgestellt hat¹⁵, vom Ansatz der Kritischen Theorie unterschieden. Tillichs vorsichtiger Optimismus ist zwar noch nicht das, was viele Öffentliche Theologien heute Politik und Zivilgesellschaft, Kirche und uns einzelnen Mitmenschen, positiv zutrauen. Aber er bezeugt doch (wenigstens konzeptionell) eine bleibende Zugewandtheit zu den je neuen Fragen, Problemen und Herausforderungen der Gegenwart. Was ihn nun allerdings deutlich von vielen Öffentlichen Theolog*innen unserer Tage abhebt, ist das Anliegen, worum es öffentlicher Krisen- wie Zeitdiagnose und letztlich auch bei Gesellschaftskritik geht: nämlich um die Vergewisserung „über das, was uns“ eigentlich – so könnte man hinzufügen – „unbedingt angeht“ (ST I/II, 19) und was in den Krisen „über Sein oder Nichtsein entscheidet“ (ST I/II, 21). Dieses existentialistisch getönte Pathos stellt im Grunde eine Konsequenz des ‚Prae‘ der

 Vgl. ST III, 419 – 423.  Vgl. M. Horkheimer, Letzte Spur von Theologie – Paul Tillichs Vermächtnis, in: ders., Gesammelte Schriften, Bd. 7: Vorträge und Aufzeichnungen 1949 – 1973, hg. von G. Schmid Noerr, Frankfurt a. M. 22014, 269 – 275. Siehe zudem die Schlussbemerkungen Horkheimers im Gespräch mit Gerhard Rein: „Ich möchte vor allem eines nennen, was mich als Philosophen von ihm unterschied – aber nicht so unterschied, daß er nicht sowohl meine wie ich seine Gesichtspunkte in gewisser Weise respektierte –, nämlich, daß wir von Gott und vom Jenseits nicht unmittelbar sprechen können. Er beharrte jedoch als Theologe darauf, daß das Jenseits die Gerechtigkeit bedeute. Eben dieses habe ich stark bezweifelt. Ich kann seinen großen Optimismus nicht mitmachen, nur das Heimweh.“ (Erinnerung an Paul Tillich. Ein Gespräch mit Gerhard Rein, in: a.a.O., 276 – 283, 283) – Zu Horkheimer und Tillich, v. a. hinsichtlich ihrer Geschichtsdeutungen in den 1920er Jahren, vgl. C. Danz, Geschichte und Utopie. Geschichtsphilosophie bei Paul Tillich und Max Horkheimer, in: G. Schreiber/ H. Schulz (Hg.) Kritische Theologie. Tillich in Frankfurt (1929 – 1933), Berlin/Boston 2015, 307– 322.

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ontologischen Frage vor den ethischen Applikationen dar. Anders gesagt, Tillich verteidigt gerade darüber den ,transmoralischen‘ Charakter der religiösen Haltung. Selbst noch bei dem, was er prophetische Kritik bzw. Prinzip nennt, sind es zunächst gar nicht ethische oder moralische Kriterien, die diese leiten, sondern eben das religiöse Grundanliegen, das Unbedingte nicht dergestalt zu verendlichen, dass es totalitäre Züge annimmt. Das überrascht insofern nicht, als die Weite des religiösen Angegangen-Seins und somit des theologischen Denkens für Tillich seit dem Ende des Ersten Weltkrieges nicht mehr allein auf die ethische Signatur der Zeit oder die moralischen Probleme der Gegenwart und schon gar nicht auf den Zustand der Kirche(n) fokussiert sein kann, sondern eben die Kultur als Ganzes mit und in all ihren Facetten in den Blick nimmt. So sind die programmatischen Sätze aus dem Aufsatz Über die Idee einer Theologie der Kultur (1919) zu verstehen, deren Grundanliegen Tillich nie wieder aufgeben, sondern maximal präzisieren wird: „Meine Behauptung ist nun die: Was in der theologischen Ethik letztlich beabsichtigt war, kann seine Erfüllung nur finden in einer Theologie der Kultur, die sich nicht nur auf die Ethik, sondern die Kulturfunktionen bezieht. Nicht theologische Ethik, sondern Theologie der Kultur. Das erfordert zunächst einige Bemerkungen zu dem Verhältnis von Kultur und Religion.“ (GW IX, 16) Mit der hier nur angedeuteten Weite von Tillichs Kulturbegriff sind gleichermaßen Chancen wie Probleme verbunden, über die an dieser Stelle nur andeutungsweise nachgedacht werden kann. Es ist vor allem der holistische Begriff von Kultur, der es Tillich einerseits gestattet, selbst noch die (moderne) Technik als Symbol zu lesen, das etwas über unser Selbstverständnis – und darin unser Verhältnis zum Unbedingten – aussagt; andererseits sind es doch insbesondere Wirtschaft, Technik, Wissenschaft und die Strukturen und Politiken der bürgerlichen Gesellschaft, die von Tillich tendenziell exklusiv für die Pathologien unseres modernen Lebens verantwortlich gemacht werden. In letzterem kommt Tillichs monistischer Zug nachgerade nachteilig zum Tragen. Denn er stellt alles rein unter die Voraussetzung eines Durchbruchs zum Unbedingten.¹⁶ – Nur zur Erinnerung: Troeltsch sah hier weiter, weil er die kulturellen, ethischen und im engeren Sinne religiösen Ressourcen (Kraftquellen) deutlicher von den strukturellen Bedingungen von Ökonomie und Politik abhob;¹⁷ jedenfalls eine einfache

 Eine präzise Diagnose monistischer Motive im Gesamtwerk Paul Tillichs gibt F.W. Graf, „Old harmony“? Über einige Kontinuitätselemente in ‚Paulus‘ Tillichs Theologie der ‚Allversöhnung‘, in: ders., Der heilige Zeitgeist. Studien zur Ideengeschichte der protestantischen Theologie in der Weimarer Republik, Tübingen 2011, 343 – 380.  Man übersieht leicht, dass Troeltsch in seiner Skizze zu einer (europäischen) Kultursynthese im zweiten der drei abschließenden Basissätze klar fordert, den ganzen Komplex an ökonomischpolitisch-rechtlichen Herausforderungen zunächst viel stärker empirisch, d. h. unter praktischen

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Korrelation als kurzschlüssig erachtete. Funktionale Systemlogiken und lebensweltliche Orientierungen müssen sich nicht ausschließen, noch die einen die anderen kolonialisieren – um in der Sprache der zweiten Generation der Frankfurter Schule zu bleiben;¹⁸ aber sie gehen nicht ineinander auf. Das Problem der religiös-theologischen Kurzschlüssigkeit lässt sich ebenso in vielen Beiträgen und Stellungnahmen Öffentlicher Theologie feststellen. Tillich ist hierbei gerade keine Hilfe, da auch er die Hoffnung hegte, die strukturellen Konflikte, die sich stets nur ausbalancieren, aber niemals stillgelegen lassen, überwinden zu können.¹⁹

2 Dimensionen öffentlicher Theologie bei Tillich Gleichwohl ist es gerade die Weite des Gespürs für die religiöse Dimension in aller Kultur, die Tillich nicht nur für die Praktische Theologie, die ja ebenfalls das Thema der Öffentlichkeit von Religion und Christentum zu ihrem Gegenstand zählt²⁰, interessant gemacht hat. Schon Ende der 1980er Jahre hat Dorothee Sölle die Integration der Religion in die Kultur durch Tillich als einen der wesentlichen Gründe angesehen, in seinem theologischen Denken Ansätze für eine „Befreiungstheologie für die Erste Welt“²¹ zu erblicken; samt Sensibilität für Fragen des Friedens, der Gerechtigkeit, der Bewahrung der Schöpfung, der Geschlechtergerechtigkeit etc. Heute fungiert etwa bei Heinrich Bedford-Strohm auch die Öffentliche Theologie unter dem Stichwort einer „Befreiungstheologie einer demo-

Problemgesichtspunkten handzuhaben, wobei hierfür nur mittelbar die davon zu unterscheidende geistig-kulturelle Wertbasis infrage kommt. Anders gewendet: Nur, wer beide Bereiche deutlich in ihrer Eigenlogik voneinander unterscheidet, kann sie dann auch – das macht den dritten Basissatz aus – wieder aufeinander beziehen. Vgl. E. Troeltsch, Der Historismus und seine Probleme. Erstes (einziges) Buch. Das logische Problem der Geschichtsphilosophie, Gesammelte Schriften Bd. 3, Tübingen 21922, ND Aalen 1977, 769 f.  Vgl. Jürgen Habermas’ entsprechende Analyse in: J. Habermas, Theorie des kommunikativen Handelns, Bd. 2: Zur Kritik der funktionalistischen Vernunft, Frankfurt a. M. (1981) 1995, 548 – 593.  Von daher stellt für Troeltsch der Kompromiss eine anthropologische wie ethische, politische wie religiös-theologische Grundkategorie dar. Vgl. dazu meine Ausführungen: C. Polke, Vom Kompromiss. Ein (kleiner) theologisch-politischer Traktat, in: J. Dierken / D. Evers. (Hg.), Religion und Politik. Historische und aktuelle Konstellationen eines spannungsvollen Geflechts (FS für H. Ruddies), Frankfurt a. M. u. a. 2016, 269 – 282.  Vgl. etwa: W. Gräb, Vom Menschsein und der Religion. Eine praktische Kulturtheologie, Tübingen 2018, v. a. 151– 165, 307– 316.  Vgl. D. Sölle, Der Beitrag Paul Tillichs zu einer Theologie der Befreiung innerhalb der Ersten Welt, in: H. Fischer (Hg.), Paul Tillich: Studien zu einer Theologie der Moderne, Frankfurt a. M. 1989, 281– 300, v. a. 281– 287.

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kratischen Gesellschaft“²². Man mag das als eine Vereinnahmung der Theologie Tillichs durch andere betrachten. Für Sölle spricht immerhin die Tatsache, dass in den USA die Impulse der Theologie Tillichs in vielerlei Hinsicht insbesondere bei progressiven und öffentlichen Theolog*innen Wirkung gezeigt haben. Das gilt für feministische und interreligiöse Theologien nicht minder wie für ökologische Prozesstheologien.²³ Nun ließe sich natürlich einfach behaupten, die Bedeutung Tillichs für public theologies im erwähnten Sinn sei eben rein standort- und kontextgebunden. Und in der Tat lassen sich unterschiedliche Rezeptionsfäden dieses umfangreichen Werkes für die USA und den deutschen Kontext feststellen. Wo jenseits des Atlantiks vor allem der gegenwartsaffine Zeitdiagnostiker und materiale Kulturtheologe fortwirkte,²⁴ galt hierzulande das Interesse vornehmlich den religionsphilosophischen Grundlagen und konzeptionellen Anlagen des theologischen Systemdenkers. Doch in meinen Augen reichen die Gründe tiefer, warum im Grunde erst der amerikanische Tillich zu so etwas wie einem Vorfahren öffentlicher Theologie werden konnte. Er selbst gibt deutlich zu erkennen, dass sein öffentliches Wirken in den USA ganz andere Wirkungen zeitigen konnte, weil die gesellschaftlichen Bedingungen andere waren. Das betraf nicht nur den politischen Raum, sondern hatte auch mit der öffentlichen Stellung des Christentums, vor allem aber der Kirchen zu tun. In einer kleinen Abhandlung über Die Bedeutung der Kirche für die Gesellschaftsordnung in Europa und Amerika aus dem Jahre 1936 kommt diese Einsicht deutlich zum Ausdruck. Nach Tillich lassen sich vor allem bei den sozialen Funktionen, welche die Kirchen in den Gesellschaften wahrnehmen, markante Unterschiede aufweisen. Diese bergen – theologisch gesehen – auch unterschiedliche Chancen und Gefahren. „Im allgemeinen“, so resümiert er in seinem Fazit, „kann man sagen, daß die amerikanischen Kirchen viel offensichtlicher und bewußter als die europäischen Kirchen an der Gestaltung des sozialen Lebens beteiligt sind. Die soziale Funktion der europäischen

 Vgl. H. Bedford-Strohm,Vorrang für die Armen. Öffentliche Theologie als Befreiungstheologie einer demokratischen Gesellschaft, in: F. Nüssel (Hg.), Theologische Ethik der Gegenwart. Ein Überblick über zentrale Ansätze und Themen, Tübingen 2009, 167– 181.  Die Wirkmächtigkeit von Tillichs Denken in der ersten Nachfolgegeneration belegen die Beiträge einflussreicher Protagonist*innen dieser Zeit in: J. M. Adams / W. Pauck / R. L. Shinn (Hg.), The Thought of Paul Tillich, San Francisco 1985.  Hierzu verweise ich nur auf das Tillich-Kapitel im Band II sowie auf die Bemerkungen zu den diversen Tillich-Rezeptionen in Bd. III von Gary Dorriens großer Theologiegeschichte der amerikanischen liberalen Theologie, vgl. G. Dorrien, The Making of American Liberal Theology, Vol. 2: Idealism, Realism, & Modernity, 1900 – 1950, Louisville (KT) 2003, v. a. 483 – 521, sowie: ders., The Making of American Liberal Theology, Vol. 3: Crisis, Irony, & Postmodernity, 1950 – 2005, Louisville (KT) 2006 (zu den Tillich-Stellen siehe Index).

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Kirchen ist […] latenter und indirekter Art.“ (GW III, 119) Man beachte: Tillich spricht nicht vom offiziellen politischen Einfluss, obgleich der für die deutschen Kirchen in den 1930er Jahren ohnehin kaum gegeben war,²⁵ sondern von der gesellschaftlichen Prägekraft. „Infolgedessen“, so fährt er fort, „werden die europäischen Kirchen Europa kaum vor der Selbstzerstörung retten können; aber sie bewahren inmitten der Katastrophe ein Reich, in das sich Einzelne und Gruppen aus dem unlösbaren Konflikt der Zeit zurückziehen können. Die Kirchen in Amerika dagegen können zwar ihre religiöse Aufgabe im sozialen und politischen Leben erfüllen, aber in ihrem gegenwärtigen Zustand verkörpern sie kaum einen Wert, der das soziale Leben transzendiert, und es ist fraglich, ob sie der neuen Gesellschaftsordnung, die nach der endgültigen Krise des Kapitalismus zu erwarten ist, eine religiöse Grundlage zu geben vermögen.“ (GW III, 119) Bekanntlich kam es anders, obgleich Tillich in diesen Jahren nach wie vor an seinem religiösen Sozialismus, wie man den Zeilen entnehmen kann, vom Grundsatz her festhielt. Was gleichwohl an diesen Bemerkungen interessant ist: Sie bilden so etwas wie Versatzstücke (gleichsam Minuskeln) zu einer Art Prolegomena für eine politische Ekklesiologie, die unter Beachtung der jeweiligen gesellschaftlichen Konstellationen der Frage nachgeht, wie das religiöse Proprium weder einfach nur als existentielles Residuum angesichts unüberwindbarer Systemzwänge und Krisen fungieren kann, noch aber sich in der ethischen und politischen Aufgabe der Verwirklichung gelungener Gesellschaftsentwürfe erschöpfen darf. Zwischen beiden Polen schwankt noch heute – dies nur als Nebenbemerkung – die Debatte, wenn es um die Aufgabe von Kirchen, ob sie system- und/oder existenzrelevant sind, und das Problem des hinsichtlich der Lebensorientierung geht. Von Tillich lässt sich für die gegenwärtige Öffentliche Theologie jedenfalls lernen, dass sie selbst dann, wenn sie vor der Moralisierung des Glaubens (scheinbar) gefeit ist, darauf achtgeben muss, der genuinen Botschaft des Religiösen – also christlich gesprochen: der Heilsan- wie -zusage – nicht verlustig zu gehen. Das muss sich auch am Ort der Kirche als institutionelles Manifestwerden der christlichen Bot Allerdings nicht nur in Deutschland. Immerhin schreibt Tillich in den 1930er und -40er Jahren mehrere Texte zum Zustand der Kirchen in Diktaturen. Die entscheidenden Texte sind Der totale Staat und der Anspruch der Kirchen (1934) (GW X, 121– 145), sowie Die Kirche und der Kommunismus (1937) (GW X, 146 – 158). – Bis ins amerikanische Exil hinein ist die Kirchenfrage somit für Tillich entscheidend. D. h. die Frage, wie Kirche und Kultur zueinander ins Verhältnis gebracht werden können; wie die Anliegen des religiösen Sozialismus unter der kirchlichen Lage der Gegenwart daselbst Gehör erhalten; und zudem, wie Bestand und Zukunft von Kirchen als religiöse Gemeinschaften und Institutionen in totalitären Regimen einzuschätzen sind. Erst nachdem das amerikanische Exil für ihn auf Dauer gestellt ist, scheint mir diese Besorgnis aufgrund der anders geformten, nunmehr (persönlich) gesicherten Lage abzunehmen und somit der Blick für theoretische Fragen der Ekklesiologie im engeren Sinne frei zu werden.

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schaft, d. h. in ihrem Auftrag zeigen. Dabei gilt für Tillich selbstredend auch das Umgekehrte: Christentum und mit ihm Theologie dürfen sich nicht abseits der sozialen, ökonomischen, politischen, kulturellen und – wie wir heute hinzufügen müssen – der ökologischen Fragen der Zeit bewegen. Und das gilt selbst dann, wenn sich die Hoffnung auf die Umsetzung vollmundiger Programme und Ideen, wie sie bei Tillich eine Zeit lang unter der Vision eines religiösen Sozialismus firmierte, als illusionär erweist.²⁶ Tillich selbst ist, ohne dass es dieses Programm schon gab, zu einem Öffentlichen Theologen geworden; zumal in den USA, wo ihn eine große Öffentlichkeit zur Kenntnis nahm und ganze Generationen von Studierenden (nicht nur der Theologie) von seinen Ideen geprägt wurden. Er hat den Erfolg und die Anerkennung zweifelsohne genossen. Aber er ist darin seinem Anliegen nicht untreu geworden, theologisch, d. h. ‚in Richtung aufs Unbedingte‘ Position zu beziehen und zu handeln. Streng genommen finden sich in seinem Werk Texte zu allen vier Dimensionen einer öffentlicher Theologie, wie man heute im Anschluss u. a. an Bedford-Strohm gerne unterscheidet. Als eine solch öffentliche Theologie erscheint sie bei ihm stets als „eine Funktion der christlichen Kirche, [d]ie […] den Erfordernissen der Kirche entsprechen [muß].“ (ST I/II, 9) So finden sich Überlegungen zu den „Angst reduzierenden Kräften“ von Religion in gesellschaftlichen und kulturellen Krisenzeiten, welche auf die pastorale Dimension theologischen Redens verweisen.²⁷ Geradewegs prophetisch formuliert sind hingegen die Reden an „seine deutschen Freunde“ über „die Stimme Amerikas“ während des Zweiten Weltkrieges.²⁸ Ohnehin nahm er darüber hinaus gern Gelegenheiten wahr, die ihm ermöglichten, diskursiv über das humane Selbstverständnis unserer Zeit angesichts des Ertrags und der Einsichten heutiger (Natur- und Sozial‐)Wissenschaften mit religiösen wie nicht-religiösen Zeitgenoss*innen ins Gespräch zu kommen.²⁹ Schließlich findet sich fast so etwas wie die politikberatende Form

 Interessanterweise ist Tillichs Programm des religiösen Sozialismus wenigstens für einen deutschen Theologen der Nachkriegszeit und dessen theologische Sozialethik einflussreich geworden, nämlich für Heinz-Dietrich Wendland (1900 – 1992). Dessen ,Theologie der Gesellschaft‘ steht ganz im Zeichen eines christlichen Humanismus, der in vielerlei Hinsicht durch Tillich geprägt wurde. Zu Wendlands Entwicklung siehe jetzt: K. Bruns / S. Dietzel, Heinz-Dietrich Wendland (1900 – 1992). Politisch-apologetische Theologie, Göttingen 2017. – Tillichs Verbindung von Religion und Humanität wird prägnant entfaltet in seiner Rede zur Verleihung des Hansischen Goethe-Preises: Humanität und Religion (1958) (GW IX, 110 – 119).  Vgl. Tillichs Schrift Angst-Reduzierende Kräfte in unserer Kultur (1950) (GW III 293 – 302).  Diese sind abgedruckt in: EW III.  Dazu allgemein: W. Pauck / M. Pauck, Paul Tillich. Sein Leben und Denken, Bd. 1: Sein Leben, Stuttgart/Frankfurt a. M. 1978, 265 f. – Die Texte zu einem gegenwärtigen Menschenbild finden sich in: GW III, 181– 217.

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theologischen Redens, etwa in den schon erwähnten Stellungnahmen zur nuklearen Frage oder zur Geburtenkontrolle.³⁰ Weniger die Originalität der jeweiligen Position noch die Präzision der hierzu nötigen Argumentation ist das Entscheidende, sondern der zumeist tentative, darin auf consultatio setzende Charakter der Äußerungen. Man vergleiche hierzu nur einmal Texte aus der Feder Karl Barths. In vielen wichtigen politischen Fragen der Nachkriegsjahre waren Tillich und Barth gar nicht weit voneinander entfernt. Aber trotz aller tagespolitischen Weitsicht, die man dem Schweizer mehr als attestieren muss, lebt dessen ,öffentliche Theologie‘ von einer fast schon ‚heilig‘ einseitigen Verve, mit theologischen Pointen unmittelbar politische Haltungen zu legitimieren oder ihnen ihre Legitimation zu entziehen.³¹ Gleichwohl: Auch in Tillichs Texten herrscht mitunter ein theologischer Ton vor, der normative Eindeutigkeit nicht scheut. Dabei bemühen sie sich möglichst, das Problem tiefer zu verstehen, indem es in einen symbolischen Horizont (Rahmen) gestellt wird: Theologie nicht als Vereindeutigungs- bzw. Vereinseitigungsunternehmen, sondern als prägnante Form des Polyvalenzmanagements. Noch einmal sei an das zu Beginn erwähnte Beispiel der Grenze erinnert. Man kann hier der Vorteile jener Vagheit und Abstraktheit ansichtig werden, die in ethischer wie sozial- und geschichtswissenschaftlicher Hinsicht ebenso unbefriedigend sind wie manch überstrapazierte Idealtypisierung, von der auch ein Text wie Die sozialistische Entscheidung nicht frei ist. Ganz im Gegenteil. Tillich neigt bisweilen zu vorschnellen, damit aber verzerrenden Generalisierungen und Pauschalisierungen. Das teilt er mit den Autoren der Programmschrift der Kritischen Theorie, Adorno und Horkheimer. Aber: Er scheut dabei das absolute Urteil, er schreckt vor harten Verurteilungen zumeist zurück. Weder eignet ihm das Pathos noch die Schärfe einer Dialektik der Aufklärung. Das hat seine Gründe, selbst wenn man die zugegeben natürlich sehr unterschiedlichen Schicksalslagen der Exilierten massiv in Betracht zieht. Tillich findet in Amerika allmählich sein neues

 Vgl. P. Tillich, Die Atombombe. Beiträge zu einem Symposium „Die Wasserstoff-KobaltBombe“ im Jahre 1954, in: GW XIII, 454. Zur gleichen Frage siehe auch: ders., Das Problem des Atomkriegs. Beiträge zu einem Symposium „Das Dilemma der Atomforschung“ im Jahre 1961, in: a.a.O., 456 f.; sowie: ders., Das Problem der Geburtenkontrolle. Erklärung für die „Planned Parenthood Association“ in Chicago am 6. 3.1961, in: a.a.O., 458. – Keine dieser knappen Beiträge wird explizit religiös, aber der Gedankengang zeigt deutlich auf, von welchem Standpunkt aus der Beitragende argumentiert bzw. votiert.  Es scheint mir nach wie vor klärungsbedürftig, warum gerade dieser Zug von Barths Denken bei Tillich in dessen abwägender Kritik Barths am Beginn der Systematischen Theologie Erwähnung findet. Vgl. ST I/II, 12.

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Zuhause. Eine Rückkehr nach Deutschland zieht er nicht mehr wirklich ernsthaft in Betracht; selbst als ihm in den 1950er Jahren lukrative Angebote dazu vorlagen.

3 Von der dreifachen Aufgabe öffentlicher Religion und Theologie Welche Bedeutung könnte Paul Tillichs Denken für eine öffentliche Theologie unserer Tage zukommen? Darum soll es abschließend gehen. So zu fragen bedeutet, man ist weniger an der Rolle interessiert, die Tillich bei der Ausarbeitung von Positionen, die sich selbst als Öffentliche Theologie bezeichnen, gespielt hat. Vielmehr geht es darum, inwiefern sein Werk Impulse gibt, wie unter heutigen Bedingungen Menschen aus christlicher Perspektive zu den res publica, den öffentlichen Problemen und Angelegenheiten, zu denen wir alle, ganz gleich, ob wir glauben oder nicht, Stellung nehmen können. Dazu möchte ich ein letztes Mal auf einen eher wenig bekannten Text aus der Feder Tillichs rekurrieren, an dem sichtbar wird, wie sich – auch gesellschafts- und kulturkritisch – Theologie zu öffentlichen Fragen äußern sollte. In einem im Januar 1958 im World Affairs Center in New York gehaltenen Vortrag über Religion und die freie Gesellschaft ³² geht Tillich zunächst den Wurzeln des autoritären Charakters von Religion nach, vor allem in der vierfachen Gestalt von religiösem Konservativismus, religiösem Autoritarismus, religiöser Intoleranz und religiösem Transzendentalismus. Unter letzterem versteht er eine gänzliche Abkehr von den ‚horizontalen‘ Fragen des politischen Engagements. Interessanterweise reiht er auch den von ihm vertretenen Religiösen Sozialismus der 1920er Jahre unter diese, gleichsam utopistische, Gefahr ein. Dann aber stellt sich die Frage, inwiefern Religion (überhaupt) noch eine freie Gesellschaft mit ermöglichen kann. Die Antwort darauf ist wiederum vielfältig: „erstens, indem sie sich selbstkritisch überprüft, zweitens, indem sie die Träger einer freien Gesellschaft formt, und drittens, indem sie das Leben der freien Gesellschaft ihrem Urteil unterwirft.“ (GW X, 307) Was aber genau heißt dies, und inwiefern liegen darin Potentiale für eine Art von ö/Öffentlicher Theologie? Mit dem ersten Punkt ist der Gedanke der Selbstkritik aufgegriffen, der im Grunde so etwas wie Ideologiekritik in Gestalt des protestantischen Prinzips meint. Kein Vorübergehen an der geschichtlichen Gebundenheit der eigenen Position als religiös geformte Antwort auf die Fragen der Zeit! Öffentliche Theologie hat der Kontextualität ihrer Ansichten dergestalt Rechnung zu tragen, dass sie gerade  Vgl. GW X, 303 – 312.

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nicht die Relativität ihrer Aussagen kaschiert, um sich somit zur Anwältin einer höheren, gar absoluten Wahrheit zu machen. Der zweite Aspekt ist in sich selbst vielschichtig: Denn zum einen zielt Tillich hier auf die Rolle von Erziehung zur Religion, die neben dem Vertrautmachen mit der religiösen Einstellung zur Wirklichkeit auch die kritische Haltung gegenüber einem (falschen) buchstäblichen (literalen) Wahrheitssinn umfasst. Zur Einübung der religiösen Urteilskraft gehört Religions- wie Sach- und Selbstkritik. Nur so kann im Gefolge dem Umstand Rechnung getragen werden, dass die „Gesetze der Wissenschaft, der Kunst, der Moral, der Politik“ (GW X, 309) anzuerkennen und sie gleichwohl am unendlichen Wert jedes Einzelnen (Schöpfung) sowie am Gedanken der geschichtlichen Erneuerung qua Überwindung von Ungerechtigkeiten als Unfreiheiten geschichtlich auszurichten sind. Öffentliche Theologie stellt somit einen Vorschlag dar, alle politischen, ökonomischen, ökologischen, sozialen, kulturellen Probleme in einen weiteren Orientierungshorizont zu stellen, der nicht automatisch Handlungsoptionen generiert und moralisch legitimiert, allenfalls Handlungskorridore erschließt und gerade darin für die eigene Urteilskraft Freiräume lässt oder sogar schafft. Darin ist sie ein Zeichen von verantwortlich vollzogener Freiheit am Ort der Religion. Und schließlich zielt der dritte, wohl umstrittenste Gedanke auf eine Beurteilung der Zustände unserer Zeit, unserer Gesellschaften, unserer Weltlagen, und zwar unter der Maßgabe einer religiösen Haltung. Hinsichtlich der „kritischen Beurteilung der freien Gesellschaft durch Religion“ (GW X, 310) sieht Tillich sehr genau die alles entscheidende Frage. Nämlich: „Wer ist hier Richter?“ (Ebd.) Nicht notwendigerweise und zuvorderst die Kirchen und ihre Instanzen. Schon eher alle diejenigen, die vom Geist der christlichen Botschaft im Lichte prophetischer Kritik je situationsbedingt getrieben sind. Dazu können dann sogar die sog. „Feinde der Kirche“ zählen, „durch die Gott“ (ebd.) bisweilen offensichtlicher spricht. Öffentliche Theologie ist ein demokratisches, aber nicht willkürliches Unterfangen: „Welcher Art ist das prophetische Gericht? Ganz allgemein gesagt, muß es Grundsätze festlegen und Mißstände kritisieren. Aber es darf nicht im Namen der Kirche mit konkreten Vorschlägen hervortreten, die auf bestimmte Reformen des sozialen Lebens abzielen.“ (GW X, 311) Öffentliche Theologie muss also stets die Reichweite, Art und Form ihrer Kritik sorgsam bedenken. Es zeichnet allein Extremlagen aus, dass in ihnen die Kritik an den Missständen und die Verteidigung elementarer Grundsätze zur prinzipiellen Ablehnung der herrschenden Umstände und ergo zu ihrer Beseitigung aufrufen. Aber das sind eben Extremlagen. Tillich hat mindestens eine solche hautnah erlebt und mit Blick auf den Einsatz nuklearer Waffen, wie so viele vor und nach ihm, einen solchen Extremzustand im Sinne eines absoluten Verbots ebenfalls bedacht. Dennoch: Vom Grundsatz her gilt, dass es nicht einfach die Kirchen oder sonstige zivilgesellschaftlichen Institutionen sind, die konkrete Reformen zu beschließen

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haben. Bei aller Orientierungshilfe und (öffentlichen) Kritik an unwürdigen Zuständen darf darüber hinaus nicht vergessen werden: „In einer Zeit der Unruhe und Verwirrung, die sowohl das Leben der einzelnen Menschen wie auch das gesamte Dasein der Völker erfaßt, verweist die Kirche auf ihre Symbole, die zeigen, daß es eine unbedingte Gewißheit gibt, trotz Unruhe und Chaos […] daß es noch eine andere Dimension der Existenz gibt – eine Quelle erfüllten Daseins, des Sinns und der Wahrheit. Das ist das eine, was die Kirche für die freie Gesellschaft tun kann.“ (GW X, 311 f) – Wie wahr nicht erst in Zeiten der Pandemie! „Das andere ist folgendes: Wenn das Leben eines Menschen offenkundig ins Wanken gekommen ist, kann die Kirche die Kräfte seines Seins so anstacheln, daß es ihm schwer wird, den Kampf aufzugeben. Das ist die zweifache Aufgabe der Kirche in einer freien Gesellschaft“ (GW X, 312), und wir dürfen ergänzen: die Aufgaben aller Religionsgemeinschaften in solchen, aber eben nicht nur solchen Gesellschaften: Stärkung in soziales Zutrauen, in die Lösbarkeit von Problemen einerseits; individuelle Begleitung von Menschen in Krisen andererseits. Anwaltschaftliches Handeln, so könnte man zusammenfassend sagen. Mir scheint, die Reihenfolge dieser dreifachen Aufgabe von Religion und – in ihrem Dienst – von öffentlich zu Tage tretender, weil in Frage und Antwort stehender und sich beidem stellender Theologie, ist nicht beliebig.³³ Sie ist keinesfalls umkehrbar. Das belegt nicht allein der Argumentationsduktus in diesem Aufsatz von Tillich. Denn ohne Selbstkritik kann man nicht diejenige Freiheit erlangen, religiöse Orientierung so anzubieten, dass man sie niemanden aufzwingt. Zugleich macht man sich selbst frei von Illusionen, allein die richtigen Antworten zu kennen. Dem kritischen folgt so der hermeneutische Impuls, der durchaus zu seinen normativen Überzeugungen steht. Und erst wenn beides erfolgt ist, lässt sich auch mit Fug und Recht – und durchaus transparent – Kritik an den gegenwärtigen Zuständen üben, deren Teil man stets zugleich ist. Selbstkritik, hermeneutische Sensibilität und erst dann, aber dann sehr wohl normative Beurteilung stellen so die Komponenten einer Öffentlichen Theologie dar, welche sich den öffentlichen Belangen, Nöten und Sehnsüchten (Hoffnungen) unseres Zusammenlebens stellt. Mir scheint, wenigstens der späte Tillich nimmt dabei zunehmend eine tentative Haltung ein. Die stereotypisierenden Zuordnungen nehmen ab, es fehlen die mit Schärfe und Vehemenz vorgetragenen, allzu pauschalen

 Dass das in der Korrelationsmethode wurzelnde, (späte) Frage/Antwort-Schema durchaus strukturell dem Grundanliegen der Theologie Tillichs von Beginn an entspricht und somit die berühmten Einwände von Philipp Clayton teilweise modifiziert werden müssten, zeigt: U. Barth, Protestantismus und Kulturtheorie. Kontinuität und Wandel im Werk Tillichs, in: ders., Kritischer Religionsdiskurs, Tübingen 2014, 409 – 430, bes. 428 – 430.

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Schuldzuweisungen. Jedenfalls meist. Das mag man Altersmilde nennen. Ich selbst werte es als Ausdruck lebensgesättigter Reifung.

Mary Ann Stenger

Exploring the Universal and the Particular in Tillich for Feminist Theology

Paul Tillich clearly was not a feminist theologian, yet his ideas have influenced several feminist thinkers in the past and still continue to provide insights for some contemporary feminist religious scholars. In this essay,¹ my focus is on the issue of the relationship between universal claims and particular experiences. I begin with a brief overview of some past applications of Tillich’s thought in feminist theology where this issue has been raised. I then offer two proposals for incorporating ideas of Tillich on this issue into feminist theology and ethics.

1 Moving Beyond Male-dominated Symbolism to Feminist Particularity Although feminism was a fairly quiet movement during Tillich’s life, he did recognize the absence of female symbolism in Protestant theology. Most directly, we see this in his discussion of the Trinity in volume III of his Systematic Theology where he notes the Protestant purging of the symbolic power of the Virgin Mary and states that “exclusively male symbolism prevailed in the Reformation.” (ST III, 293) He then raises the question of whether there are elements in Protestant symbolism that could be developed over against this “one-sided male-determined symbolism”(ST III, 293). He suggests that the “ground of being,” which he sees as part conceptual and part symbolic, could point to “the mother-quality of giving birth, carrying, and embracing, and, at the same time, of calling back, resisting independence of the created, and swallowing it” (ST III, 294). He sees his emphasis on God as the power of being as a way to reduce “the predominance of the male element in the symbolization of the divine.” (ST III, 294) He then argues that the self-sacrifice of Jesus as the Christ “breaks” the contrast of male and female and that “the ecstatic character of the Spiritual Presence” transcends “the alternative of male or female symbolism in the experience of the Spirit” (ST III, 294).

 This article is an updated and revised version of my article “Critical Application of Tillich’s Thought to Feminist Theology,” Estudos de Religião 30:3 (December, 2016), 369 – 388 (permission granted by the editors). https://doi.org/10.1515/9783110767728-014

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Tillich is correct that his ontological theology offers an alternative to traditional male-dominated Christian theology, both Protestant and Roman Catholic. But as feminist thinker Mary Daly recognized, Tillich’s ideas need both application and transformation. She incorporates aspects of his ontological concepts and symbols in her 1973 ground-breaking work, Beyond God the Father even as she moves well beyond Tillich. At that time, she saw his theology as “potentially liberating in a very radical sense” but also as too “detached” from sexual oppression.² In Gyn/Ecology and Pure Lust,³ she develops more fully her own post-patriarchal language with no clear roots in Tillich, but she still occasionally uses and critiques some of his ideas. These include 1) his understanding of symbols as opening up new levels of reality but also possibly dying as situations change; 2) his analysis of courage; and 3) his distinction between ontological and technical reason.⁴ However, Daly shifts from universal claims to particular dimensions in women’s experiences. Experience is an important medium of theology and a key element in the truth of religious symbols, for Tillich and also for many feminist theologians, including womanist and mujerista thinkers. They distinguish between experience as a medium for theology and the sources of theology. For Tillich, sources include the Bible, church history, history of religions, and history of culture, with their connection to the event of Jesus as the Christ determining their importance; experiences, then, are the medium for interpreting the sources.⁵ In most of his theology, Tillich speaks ontologically and existentially about experience whereas feminist theologians focus more particularly on their concrete experiences. For example, Delores Williams emphasizes black women’s struggles,⁶ Ada Maria Isasi-Diaz privileges Latina voices,⁷ and Kwok Pui Lan Asian voices.⁸ As this type of particularity increased in feminist theological work, Tillich’s ontological theology received much less attention. On the theological issue of sin and grace, Mary Daly and Jewish feminist Judith Plaskow critique Tillich’s approach for its implicit focus on male experi-

 M. Daly, Beyond God the Father, Boston 1973, 20 f.  M. Daly, Gyn/Ecology, Boston 1978; M. Daly, Pure Lust, Boston 1984.  Cf. M. Daly, Pure Lust (s. Anm. 3), 25. 223. 155 – 161.  Cf. ST I, 40.  Cf. D. Williams, Sisters in the Wilderness, Maryknoll, New York 1993.  Cf. A. M. Isasi-Diaz, Mujerista Theology, Maryknoll, New York 1996.  Cf. K. Piu-lan, Postcolonial Imagination and Feminist Theology, Louisville, Kentucky 2005. For a deeper discussion of Williams and Isasi-Diaz on this issue, see M. Stenger, Theology of Liberation – Liberating Theology, in: M. Dumas et al. (ed.), Théologie et Culture, Laval 2004, 150 – 152.

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ences.⁹ Plaskow argues that Tillich provides helpful categories for addressing women’s experience in some parts of his theology, such as his appreciation of the ambiguities in self-sacrifice or the challenges of self-hate or uncreative weakness, but she finds these missing in his discussion of the Fall and estrangement.¹⁰ Similarly, she appreciates Tillich’s understanding of grace as a spiritual source for self-creation and autonomy but argues that his ontological structure and theological analysis need more concrete application and attention to the variety of human experiences.¹¹ Daly offers more concrete application, providing a detailed analysis of women’s self-hate with emotional dependence and false humility as a few of the byproducts.¹² She sees grace and hope rooted in New Being but offers a more concrete woman-focused application than Tillich’s conception of the Christ as the New Being provides.¹³ Rachel Baard supports Plaskow’s and Daly’s affirmations of female agency, but her focus is a feminist theology of sin and grace. For her, Tillich’s ontological and existential language such as his use of ’estrangement’ instead of sin, is helpful because it moves beyond a moralistic view and recognizes “not only the sins of the powerful but also the ‘sins of weakness’”.¹⁴ Tillich’s understanding of God as the Ground of Being also supports an existential understanding of sin as separation and brokenness rather than simply a moral matter. Consequently, his view of justification emphasizes acceptance that overcomes estrangement. The woman does not have to assert herself or act in a particular way; she is “accepted just as she is”.¹⁵ How central Tillich’s idea of acceptance is to Baard’s feminist theology is revealed in her long quotation from his sermon, You Are Accepted, in her conclusion to her book on sin and feminist theology.¹⁶ Sigridur Gudmarsdottir offers an appreciative yet critical interpretation of Tillich’s understanding of the abyss. Although the idea of the abyss can be abstract, she sees Tillich’s understanding as continually opening up meanings that can liberate and transform people’s lives. Her insightful analysis places Tillich in dialogue with numerous feminist thinkers and earlier Christian theolo Cf. M. Daly, Beyond God the Father (s. Anm. 2), 45; cf. J. Plaskow, Sex, Sin, and Grace, Lanham Maryland 1980, 3.  Cf. J. Plaskow, Sex, Sin and Grace (s. Anm. 9), 114– 118.  Cf. ibid., 139, 147.  Cf. M. Daly, Beyond God the Father (s. Anm. 2), 49 – 55.  Cf. ibd., 72.  R. Baard, Tillich and Feminism, in: R. Manning (ed.), The Cambridge Companion to Paul Tillich, Cambridge 2009, 428.  Ibid., 429 – 431.  Cf. R. Baard, Sexism and Sin-Talk. Feminist Conversations on the Human Condition, Louisville, Kentucky 2019, 152 f.

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gians but also interprets him “in light of sexed bodies and theories of language”.¹⁷ While her work is highly theoretical, she regularly connects theory with praxis, by exploring Tillich’s sermons and connecting to her own pastoral experiences, moving regularly from the universal to the particular. Her analysis offers deep understanding of Tillich’s theology and incorporates those insights into her own original feminist theology of the abyss. Lisa Stephenson incorporates elements of Tillich’s theology of Spiritual Presence and his understanding of sacrament to propose a feminist, Pentecostal theology.¹⁸ She emphasizes Tillich’s ideas that words can have a sacramental quality but then connects oral words to embodiment as potentially sacramental. For her, Tillich’s theology of sacramental spirituality can be used to support the importance of women’s prophetic voices and the role of community, not only with other persons but also with all of creation. In Selfless Love and Human Flourishing in Paul Tillich and Iris Murdoch,¹⁹ Julia Meszaros incorporates elements from both Tillich and Murdoch to develop her own theory of selfless love as a key part of human flourishing. Her nuanced, appreciative interpretations of Tillich’s understanding of love emphasize the role of participation in the self-world structure and the importance of a connection to a reality beyond the finite. She criticizes Tillich for being too optimistic about humans and for undervaluing the personal and inter-personal dimensions of humans and the transcendent. Meszaros shows appreciation for Tillich’s ontological understanding of love, but she adds concrete dimensions of experience that can contribute to a feminist approach to human flourishing. In her overview of Tillich and feminism, Rachel Baard concludes: “there exists a surprising amount of common ground between Paul Tillich and some of the leading feminist thinkers of recent decades, as well as avenues for further reflection.”²⁰ While references to Tillich’s work in feminist theology may have decreased, several of us still find Tillich’s thought a helpful resource for thinking about issues in feminist theology, often shifting from the universal to the particular and concrete. In the next two sections, I offer some of my applications of Tillich’s thought to feminist ethics and feminist theology, with focus on the relationship of the universal to the particular.

 S. Gudmarsdottir, Tillich and the Abyss. Foundations, Feminism, and Theology of Praxis, London 2016, 165.  Cf. L. Stephenson, Tillich’s Sacramental Spirituality in a New Key, in: N. Wariboko/ A. Young (ed.), Paul Tillich and Pentecostal Theology, Illinois 2015, 115 – 125.  Cf. J. Meszaros, Selfless Love and Human Flourishing in Paul Tillich and Iris Murdoch, Oxford, United Kingdom 2016.  R. Baard, Tillich and Feminism (s. Anm. 14), 285.

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2 Value in the Universal: Critical Use of Tillich’s Ontological Approach to Ethics Many postmodern critics, as exemplified in the feminist theologians mentioned above, have challenged ’grand narratives’, universal claims, and ontology/metaphysics for failing to take account of particular people and concrete experiences. The very assumption of the possibility of universal truths has been under attack … and with good reason. In Christian theology, male-grounded thought, especially that of white European males, dominated the content of most universities and seminaries and was treated as presenting universal Christian truths. But, as I have argued elsewhere,²¹ Tillich’s ontology can be a resource for feminist theology, both with respect to methodology and in relation to issues of justice and power. In Love, Power, and Justice, Tillich’s recognition of the ontological interconnection of these three realities prevents over-simplification of any one of them. With respect to love, not only does Tillich offer different qualities of love, including philia, eros and agape, but he also emphasizes that love is one in its most basic ontological sense; love is the “drive towards the reunion of the separated”.²² Love “is the moving power of life,” without which being cannot be actual, in Tillich’s view.²³ Love and power, then, are inseparable in their ontological connection. Love, he argues, “is the foundation, not the negation, of power.” The work of love is to “destroy what is against love”; thus, “love must be united with power,” including compulsory power.²⁴ But, for Tillich, this is effective only if love is also understood as “the principle of justice.” He then derives four further principles of justice, namely 1) adequacy of forms of justice to the content and situation, 2) equality “applied democratically to every human being”, which includes the “demand to treat every person as a person”, 3) freedom of political and cultural self-determination, and 4) the principle of community.²⁵ I note that these principles continue to be manifest in numerous statements put forward by the United Nations that deal with women’s rights, covering polit-

 in:    

Cf. M. Stenger, Paul Tillich’s Ontology. A ‘Modern’ Relic or a Resource for Feminist Theology, K. Grau et al. (ed.), Tillich Preview 2009, Berlin 2009, 5 – 23. P. Tillich, Love, Power, and Justice, New York 1960, 28. Ibid., 25. Ibid., 49 f. Ibid., 57– 62.

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ical, economic, and educational rights.²⁶ The rights of women are built upon a recognition of women as full human persons, deserving full human rights equal with those of men. The challenge, of course, is how to bring about the necessary political changes that will enable this ideal of equality to be realized – a challenge that leads us to issues of power. Tillich’s insights into the nature of power show deep insight both for personal relations and for group relations. What he recognizes is that every encounter of one human with another involves a power relation and that one cannot talk about justice without that recognition. I have changed the following quotation for inclusive language: In any encounter of human with human, power is active, the power of the personal radiation, expressed in language and gestures, in the glance of the eye and the sound of the voice, in face and figure and movement, expressed in what one is personally and who one represents socially. Every encounter, whether friendly or hostile, whether benevolent or indifferent, is in some way, unconsciously or consciously, a struggle of power with power. […] Such struggles start in the life of an individual in the moment of his or her conception and go on up to the moment of his or her last breath. They permeate one’s relations to everything and everybody one encounters.²⁷

Moreover, Tillich recognizes that encounters often involve one person in a more superior position to another. He states: “But injustice occurs if in this struggle the superior power uses its power for the reduction or destruction of the inferior power”.²⁸ Clearly, Tillich did not apply these insights and this analysis of power to women’s situation in patriarchy or to other situations of oppression. But we can and should. By highlighting the power elements in every human relationship and in every person to person encounter, Tillich makes it clear that we can never avoid power issues and that all people are affected by them. His acknowledgement of a differential in power in most human encounters points to how difficult it is to enact equality. Cases of sexual harassment and of unequal opportunities continue to arise because of such differences in personal power. But many of these cases occur in group relations and institutional settings, not just in individual personal encounters. Efforts toward equality will require changes in reli-

 See the Beijing Declaration and Platform for Action, 1995 (www.un.org/womenwatch/daw/ beijing/platform [25.11. 2021]).  P. Tillich, Love, Power, and Justice (s. Anm. 22), 87. I have changed the quotation to incorporate inclusive language.  Ibid., 88.

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gious, political, and social structures – changes that are only possible if we address the power elements in the structures themselves. When we turn to Tillich’s analysis of group relations, we note that discussion focuses primarily on States with attention to rulers. But he also recognizes the centered and hierarchical character of social power in many forms. “It can appear in the control of a society by a feudal group, a military caste, a high bureaucracy, an economic upper class, a priestly hierarchy, an individual ruler with or without constitutional restrictions, the ruling committees of a parliament, a revolutionary vanguard”.²⁹ In their historical manifestations, most of these examples also incorporate patriarchal power, an aspect not discussed by Tillich. But his analysis of group power as not only expressing the power and justice of the whole group but also the claim of rulers of justice for themselves as rulers can be applied to patriarchal structures. The challenge for feminists addressing religious power is how to counter theological justifications for men as priests and ministers over women.³⁰ It is much more difficult to break through claims of divine power and divine authority justifying inequality. Such claims of superiority often incorporate religious symbols, and Tillich’s analysis recognizes the power of symbols and ideas as the underlying support of ruling structures.³¹ Thus, efforts toward greater equality, whether addressing sex and gender or economics or politics, need to address not only the underlying structures but also the ideas and symbols that uphold those structures. Tillich’s analysis points to the need for critique, reinterpretation, and perhaps rejection of those ideas and symbols by the people who have been oppressed and by those who may have benefitted but still support greater liberation, equality, and justice. In many ways, efforts to change symbolism, especially for God, encounter greater resistance than work to change the social structures of religious institutions. Symbolizing God as Mother may result in greater resistance than accepting women as clerics. Perhaps this resistance stems from an implicit absolutization of male language for God. With respect to absolutization, Tillich offers another principle that can be connected to efforts for justice, namely the critique of idolatry.³² This principle

 Ibid., 94.  For example, see Pope John Paul II, Ordinato Sacerdotallis (May 22, 1994). Pope Francis reconfirmed this in October 2016. See J. McElwee, National Catholic Reporter (November 1, 2016).  Cf. P. Tillich, Love, Power, and Justice (s. Anm. 22), 101.  For discussion of idolatry in relation to feminism, see A. Carr, Transforming Grace, San Francisco 1988, 101 f.; S. McFague, Metaphorical Theology. Models of God in Religious Language, Philadelphia 1982, 13; id., Life Abundant, Minneapolis 2001, 65 f.; M. Stenger/ R. S. Stone, Dialogues of Paul Tillich, Macon, Georgia 2002, 87 f. 96 f. 103. 113 – 116. 120 – 139. 147 f.

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is important epistemologically and ethically, with recognition that its roots are ontological. In his discussion of ultimacy and holiness in his Systematic Theology, Tillich states: “Justice is the criterion which judges idolatrous holiness.” Here, he is connecting to the prophets who “attack demonic forms of holiness in the name of justice” (ST I, 216). In Dynamics of Faith, Tillich posits the critique of idolatry as a criterion of the truth of a symbol of faith. A symbol of faith is true if “it expresses the ultimate which is really ultimate. In other words, that it is not idolatrous”.³³ If we put these ideas together, as I suggest the prophets did, then we can see that injustice may involve idolatry, the elevation of one group of people as absolute over another; using the critique of idolatry, the ideas justifying that elevation can be declared false. Applying this to patriarchal language and patriarchal structures highlights the absolutization of males both in language and in social structures. The challenge, of course, is that social groups seldom recognize the implicit idolatry in their structures, laws, and language that privilege one group over against another. Not only can we apply this to political and social power for men and women, but today we can also see it in economic power structures privileging a wealthy minority over against the middle and lower classes.³⁴ I offer these applications of Tillich’s analysis of power and his critique of idolatry with the understanding that he grounds these in his ontology interrelating power to love and justice. A religious ethic of love and ethical actions aimed toward justice and equality for women and men must address power at all levels, from the individual to the group. But in moving to specific issues, we must not lose his theological grounding in the universal. That issue of how to address the particular but keep some element of universal grounding is central to several contemporary theological discussions. In his last lecture, Tillich related it to the need for theology to address the plurality of religions in our world. In the next section, I will use his discussion in that last lecture to address the issue of the particular and the universal for feminist theology.

 P. Tillich, Dynamics of Faith, New York 1957, 97.  For an excellent analysis of this economic phenomenon in the United States, see R. Rothstein, The Color of Law, New York/London 2017.

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3 Holding Together the Particular and the Universal in Tillich’s ’Religion of the Concrete Spirit’ Religion scholar Morny Joy asks: “How can there be a method which allows for the diversity and complexity involved in the interaction of two autonomous human beings, where the interpreter can no longer take for granted that her specific interpretation of the world, reinforced by her culture and the particular discipline she employs, is all-inclusive and universalizable?”³⁵ Even in discussion of particular experiences, feminist theologians offer understandings that aim toward more universal claims. The question here is whether there is a theological grounding for feminist theology that can hold together both the particular and the universal elements. In a much earlier essay, I argued that feminist and pluralist critiques of Christian theology share several issues and approaches: relativizing theological concepts and symbols, challenging universal claims of religious truth, criticizing dominant, exclusive structures, and constructing new metaphors and concepts for God and Christ.³⁶ Here, I explore whether Tillich’s idea of the ’Religion of the Concrete Spirit’, focused on the plurality of religions, can be applicable to feminist concerns about universality and particularity. Tillich offers the idea of the ’Religion of the Concrete Spirit’ to hold together the particularity of religious traditions and the direction toward the universal of all religions. As his writings suggest, he came to this understanding as a theological response to his encounters with Buddhists and other non-Christians. But the issues that he raises in that last lecture are issues that theologians face in response to many postmodern critiques of universal claims and grand narratives, including feminist critiques. I will summarize key points in his lecture and explore to what extent these can be helpful for grounding feminist theological reflection, with focus on the issue of universality and particularity.

 M. Joy, Postcolonial and Gender Reflections. Challenges for Religious Studies, in: T. Beattie/ U. King (ed.), Gender, Religion and Diversity, London/New York 2004, 31.  Cf. M. Stenger, “Feminism and Pluralism in Contemporary Theology,” Laval Théologique et Philosophique 46:3 (Octobre, 1990), 291– 305.

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a) Universality and Particularity in the ’Religion of the Concrete Spirit’ Tillich begins with five presuppositions: 1) “revelatory experiences are universally human.” 2) humans receive revelation in their finite human situations. 3) “there are not only particular revelatory experiences throughout human history, but […] there is a revelatory process in which the limits of adaptation and the failures of distortion are subjected to criticism.” He notes three types of criticism: mystical, prophetic, and secular. 4) there may be (emphasis on may) a central event in the history of religions that “makes possible a concrete theology that has universalistic significance.” 5) the sacred is the “depths” of the secular. “The sacred is the creative ground and at the same time a critical judgment of the secular. But the religious can be this only if it is at the same time a judgment on itself, a judgment which must use the secular as a tool of one’s own religious self-criticism”.³⁷ In relation to feminist theology, the first two presuppositions offer grounding for female revelatory experience, received in concrete human situations. The third recognizes adaptation and distortion and argues for critique; clearly, among feminist theologians one can find use of mystical, prophetic, and secular criticism of distortions in the history of Christian theology. With respect to the possibility of one central event that enables a concrete theology with universalistic significance, the event for Tillich is the Cross. While I will work with the double negation Tillich extracts from the event of the Cross, I will also look at the event of the Incarnation. Finally, the fifth presupposition that posits the sacred both within the secular but also as the creative ground and critical judgment of the secular works well with the inter-relations of secular and theological feminism. Tillich calls his approach “dynamic-typological” and incorporates both affirmation of “experience of the Holy within the finite” as the sacramental basis of all religions and the three forms of criticism, mystical, prophetic, and secular.³⁸ The mystical critique devalues the many concrete embodiments of the Holy to affirm only the Holy as Ultimate. The prophetic also affirms the ultimacy of the Holy but warns against demonic consequences of elevating the finite to ultimacy, often resulting in denial of justice. The prophetic concern with justice brings in the moral dimension, but Tillich emphasizes that this must be integrated with the sacramental and mystical elements or else it becomes “moralistic

 P. Tillich, The Significance of the History of Religions for the Systematic Theologian, in: id., The Future of Religions, ed. by J. Brauer, New York 1966, 81 f.  Ibid., 86.

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and finally secular”.³⁹ The secular critique counters religious domination of life that leads to repression of goodness, justice, truth, and beauty.⁴⁰ The Religion of the Concrete Spirit’ unites the universal basis of religion in the revelation of the Holy and the concrete expressions of the Holy. Tillich argues that it incorporates the whole history of religions and expresses a telos toward which all religion aims. Because it is both affirmative of religion and negating in its critical element, its positive expression is always fragmentary. He further characterizes it as “a fight of God against religion within religion.⁴¹

I note a parallel between Tillich’s discussion of the Religion of the Concrete Spirit in this last lecture and his discussion of absolute faith in The Courage to Be. Both concepts point to an underlying dynamic depth that grounds all forms of faith and religion but in itself is not tied to any one form of faith or religion. Absolute faith “is always a movement in, with, and under other states of the mind. […] It is not a place where one can live, it is without the safety of words and concepts, it is without a name, a church, a cult, a theology. But it is moving in the depth of all of them”.⁴² In a parallel way, he states that the inner telos of every religion is “to become a Religion of the Concrete Spirit” although that cannot be identified “with any actual religion, not even Christianity as a religion”.⁴³ One can say that both are grounded in the God above the God of theism, in the God who is the Unconditioned, beyond and yet underlying all specific expressions of ultimacy. The Unconditioned not only grounds all religions but also posits the demand for expression of ultimacy as well as the critique against absolutizing particular expressions. The Unconditioned is the dynamic universal ground of all concrete religious experiences and expressions. Yet, in the Religion of the Concrete Spirit, in contrast to absolute faith, Tillich adds dimensions of ethics and knowledge to the activity of the Unconditioned. He invokes agape and gnosis, connecting them to the ecstatic experience of the Spirit which unites with the rational element. He does not fully develop this interconnection except to say that “the rational structure of which I am speaking implies the moral, the legal, the cognitive and the aesthetic”.⁴⁴ Of course, this takes us to his much more developed discussion of theonomy in vol-

 Ibid., 87.  Cf. ibid., 90.  Ibid., 88.  P. Tillich, The Courage to Be, New Haven/London 1952, 188 f.  P. Tillich, The Significance of the History of Religions for the Systematic Theologian (s. Anm 37), 88.  Ibid., 89 f.

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ume III of his Systematic Theology. In the last lecture, Tillich states that theonomy ’appears’ fragmentarily in the ’Religion of the Concrete Spirit’ but also has a future-directed eschatological dimension, with fulfillment beyond time.⁴⁵ But the very term ’concrete’ shifts the focus to the here and now, to particular manifestations. Yet the theonomous element carries a universal quality.

b) Exploring Implications for Feminist Theology First, Tillich’s understanding of God as the Unconditioned, the Holy, or the Ultimate as the source and ground of revelation is not tied to any particular content of ultimacy but opens up the possibility of multiple contents. Recognizing revelation and saving powers in all religions means that contents will vary but share a common root. This does not mean that all contents are equally valid, but it does offer a universal basis for diverse contents. This point can apply to a universal basis for multiple feminist theologies, including those rooted in diverse ethnic and racial experiences. Second, Tillich’s proposal of the ’Religion of the Concrete Spirit’ suggests particularity by invoking the adjective ’concrete’. But note that ’concrete’ here has a very specific meaning for Tillich. The Spirit manifests in concrete ways in various religions, albeit fragmentarily, in struggles against demonic and secularist distortions of the Holy.⁴⁶ The Concrete Spirit is the ’fight of God’ against religious distortions of God and demonic uses of God and religion. The activity of God is ’over against’ that which negates God, or as Tillich states it in The Courage to Be, the power of being affirming itself against the threat of nonbeing.⁴⁷ Many feminists have fought and continue to ’fight’ for an understanding of God that transcends the patriarchal Father-God and counters the oppression connected with it. Tillich does not engage directly in this ’fight’, but his brief statements on the absence of female symbolism provide seeds of a fight against maledominated theology. Feminist theologians take that fight much further, critiquing not only language but assumptions of the universality of male experience and the pervasive patriarchal structures in society. Third, the Religion of the Concrete Spirit includes the ethical and the goal of justice. Tillich recognizes that this element can occur both within religion and in the secular against religion. If religion in the name of the Holy represses good-

 Cf. ibid., 90.  Cf. ibid., 88.  Cf. P. Tillich, The Courage to Be (s. Anm. 42), 179.

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ness, justice, truth, and beauty, then secularization can help liberate people from those oppressions.⁴⁸ While the element of the ethical may be universal in religion and in the secular world, the critiques themselves take on particular repressions and oppressions. Justice is a demand and a goal, with specific efforts always ambiguous and limited. Feminists, both religious and secular, critique oppressions supported by religions and engage in political efforts to change them or eliminate them. Tillich sees the interconnection of guarding ultimacy as ultimate and working for justice expressed quite clearly in the prophets. Absolutizing some finite aspect of life generally results not only in idolatry of that element but also in unjust treatment of some group of people. Thus, we might say that the fight of God against religion within religion must also be a fight for justice. Tillich’s principle of equality, the demand to treat every person as a person, and the principle of freedom (both internal and external), discussed in Love, Power, and Justice, resonate with feminist social and political efforts, in the secular arena as well as in religious communities. These principles can easily be seen as universal principles, but as soon as one applies them in a specific social matrix, the adequacy of particular forms or laws and the interactions within specific communities come into play and are open to challenge. Fourth, the Religion of the Concrete Spirit works with religious symbols which bring together the universal and the particular. Symbols bring together the Holy as the universal ground of religious experiences and the particular through the ’social matrix’ in which the symbols have grown. Tillich states: “Religious symbols are not stones falling from heaven. They have their roots in the totality of human experience including local surroundings, in all their ramifications, both political and economic”.⁴⁹ He then suggests that the symbols may express a revolt against the specific social situation as well as a reflection of it. This allows for symbols that arise from critical moments and events in history, moments of “kairoi in which the Religion of the Concrete Spirit is actualized fragmentarily”.⁵⁰ As we connect these ideas to feminist theology, we can certainly see examples of feminists who experienced the turn from patriarchy as a kairos for them, with religious experiences that broke through the patriarchy and opened up symbols that revolted against the traditional expressions, offering new directions for expressing ultimacy. I think of Mary Daly who spoke of God as Verb, Sallie McFague  Cf. P. Tillich, The Significance of the History of Religions for the Systematic Theologian (s. Anm. 37), 90.  Ibid., 93.  Ibid., 89. 93.

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who expressed the symbol of God as Mother, Lover and Friend, Elizabeth Johnson who explored God as She Who Is, and Carol Christ who reflected on She Who Changes… the list goes on.⁵¹ The universal element in all of these is the underlying ultimacy that grounds religious experience and religious expression. The particular, of course, comes from the specific context in which each was or is living and the particular symbol that grasped each one as true. Elizabeth Johnson builds on Tillich’s theory of symbols, both in recognizing the deep religious experience that grounds symbols as well as the way symbols function. In She Who Is she argues: “Women’s religious experience is a generating force for these symbols, a clear instance of how great symbols of the divine always come into being not simply as a projection of the imagination, but as an awakening from the deep abyss of human existence in real encounter with divine being”.⁵² For her, as for Tillich, symbols cannot be produced intentionally but stem from the depths of experience. But that universal ground is expressed in what Tillich calls the social matrix that includes political and economic ramifications. Johnson argues that we must recognize and respond to how a symbol functions psychologically, socially, politically, and religiously.⁵³ Both Johnson and Tillich point out the importance of people’s response to symbols as an element of their truth. The symbol must be alive for people and connect to their living situations; this inner response is central to the viability of a symbol.⁵⁴ Fifth, for Tillich, the ideal symbol and the criterion for a Christian effort to engage in the Religion of the Concrete Spirit is the event of the Cross. For him, “the appearance of Jesus as the Christ” was the “decisive victory” in the struggle of God against religion within religion.⁵⁵ Tillich understands “the victory on the cross as a negation of any demonic claim,” making it the criterion for Christians. But he also argues that the criterion of negation of the demonic “also happens fragmentarily in other places, in other moments, has happened and will happen even though they are not historically or empirically connected with the cross”.⁵⁶ This criterion of negation that he states in this last lecture had been stated earlier in Dynamics of Faith in this way: “The criterion of the truth of faith, therefore, is that it implies an element of self-negation. That symbol is most

 Cf. M. Daly, Beyond God the Father (s. Anm. 2); cf. S. McFague, Models of God, Philadelphia 1987; cf. E. Johnson, She Who Is, New York 1992; cf. C. Christ, She Who Changes, New York 2003.  E. Johnson, She Who Is (s. Anm. 51), 46 f.  Cf. ibid., 38.  Cf. ibid., 46 f.; cf. P. Tillich, Dynamics of Faith (s. Anm. 33), 96 f.  P. Tillich, The Significance of the History of Religions for the Systematic Theologian (s. Anm. 37), 88.  Ibid., 89.

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adequate which expresses not only the ultimate but also its own lack of ultimacy”.⁵⁷ Thus, for Tillich, the sacrifice of Jesus or Jesus crucified is central to Jesus as the Christ. Stated in another way, the particularity of Jesus’ humanity is sacrificed to Jesus as the Christ or the New Being. On the Cross, Jesus is the Christ. To see Jesus as the Christ without accepting the crucified Jesus is idolatry, in Tillich’s view.⁵⁸ If one connects this with feminist concerns about God or the Christ as maleidentified, this ’sacrifice’ opens up symbolism not tied to sex and gender. And in some ways this seems very liberating, as Tillich himself suggested in his discussion of “one-sided male-determined symbolism” that dominated Protestant thought. For him, the self-sacrifice of Jesus as the Christ breaks through the contrast of male and female (ST III, 293 f.). But Tillich’s approach here ignores a key aspect of Jesus as the Christ, namely the Incarnation, the embodiment of God in Jesus. As feminist theology has evolved over the last few decades, embodiment has become a key issue – not only in relation to one’s living in a particular social-cultural context but also in connection with race, ethnicity, gender, sexuality, and violence. Clearly, this was not an issue discussed theologically in Tillich’s time, but we cannot ignore it today. The particularity of the embodied Jesus – Jewish, male, Middle-Eastern – does not match most of the European depictions of him. The fact that many artists depict Jesus as looking like their own race and ethnicity shows a connection to the universal meaning and attraction he holds. Today there are artistic depictions that include the female Christa as well as Asian or African or South American embodiments of Jesus, in addition to the white-European images. Perhaps we can say, using Tillich’s terms, that people respond to the New Being in Jesus as the Christ but also make that New Being concrete in symbols and images directly connected to their own lives. Another aspect of Jesus’ embodiment that can be significant for feminist work is Jesus’ suffering on the Cross, an aspect barely dealt with by Tillich. Artistic depictions of Jesus on the Cross vary greatly in terms of how vivid the imagery of suffering is, with some of the most violent depictions in Spanish and South American art. But the image of Jesus’ bodily suffering connects with many people, especially those who have experienced bodily harm or who have watched others endure great bodily pain. Some find hope in identifying with Jesus’ suffering while others have been victimized by being asked to endure suf-

 P. Tillich, Dynamics of Faith (s. Anm. 33), 97.  Cf. ibid., 98.

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fering as a form of connection to Jesus. I will never forget the sermonettes of several Black women reflecting on the Cross on Good Friday some years ago. Each expressed identification with the suffering of Jesus in their stories of their own or family members’ recent suffering. And through that connection, each also elicited hope and the ability to go forward. The concrete aspects of that bodily suffering were key to their experience of the New Being in Jesus. For them, it is not the sacrifice of Jesus’ particularity that brings forth the Christ but rather the New Being held in the suffering Jesus. The Cross is central but not as an abstracted Cross or an abstracted sacrifice; rather, it is the particular embodied Jesus who is the Christ, the New Being. By focusing on Jesus as embodied and living in a concrete social matrix, we can open up new or renewed theological possibilities. A former student, who has worked with refugees for the State Department, wrote a wonderful piece on Facebook, arguing against the kind of Christians who want to reject refugees who are not Christian. He points to Mary and Joseph as non-Christian refugees in the same general area as Syria and how those refusing refugees parallel the rejection of Mary and Joseph at the inn. One might say that Jesus was born as a refugee, a helpless baby in the arms of a refugee mother. The Incarnation or the embodied Jesus is important in his particularity as well as in the more universal meanings of the Christ or the New Being. Both the image of Jesus on the Cross and the image of Jesus as the helpless, baby refugee raise the issue of power. Political power permeates the biblical stories of Jesus, from his birth through the Cross. And power as empowerment is central to the understanding of Jesus as the Christ, the New Being. The universal aspect of power, for Tillich, is the power of being, the active ultimate always affirming power of being over against the threat of nonbeing. For him, nothing is without participation in being itself, in the power of being. There is no courage without such participation. But, of course, everything is in its particularity, in its own concrete form and particular social matrix, in its specific embodiment with specific spiritual, intellectual, and psychological abilities in the case of humans. Tillich posits an “intrinsic claim for justice for everything that has being”.⁵⁹ He does note that the intrinsic claim is different for a tree than for a person. (It might be interesting to develop an ecological argument based on his understanding of justice. But, here, I will focus on humans.) Each person in his or her power of being has an intrinsic claim to justice, yet how justice is meted out depends on the social-cultural-political structures and specific situation. Once again, we move from the universal claim of justice for everything to the specific circum-

 P. Tillich, Love, Power, and Justice (s. Anm. 22), 63.

Exploring the Universal and the Particular in Tillich for Feminist Theology

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stances of power struggles, distribution of justice, power structures, etc. For many Christian feminists, their hope and courage to engage in these struggles is grounded in the empowerment they experience through the New Being in Christ. One critique feminists sometimes leveled at Tillich’s theology, as well as at many other Christian theologies, was its failure to see the circumstances of women that did not fit the male-identified approaches. As discussed earlier, critiques focused on his understanding of sin, guilt, and sacrifice as too abstract or too connected with male experience to be adequate to women’s experiences. And for these, it is more involved than simply seeing women’s experiences as examples of estrangement. They are that, but the bodily and psychological dimensions of their experiences often differ from the existential description of estrangement Tillich offers. Unbelief, hubris, concupiscence, and guilt, elements upheld and critiqued by Tillich, contrast to the ’sin’ of internalizing blame or accepting a low status or failing to resist oppression, etc. I point to these as further examples of the importance of particular embodiment and specific experiences.⁶⁰ Tillich is clear that the Religion of the Concrete Spirit cannot be identified with any one religion, not even Christianity. Even though he uses the event of the Cross as an example of the negation of demonic claims of power, he argues that it can liberate christological dogma and be a criterion for Christians. Still, he does see the symbolic meaning of the Cross as providing a criterion more universal than Christianity. The fight of God against religion within religion involves the negation of absolutizing or demonic claims; that criterion then allows for events in other places and times not connected to the cross. This not only opens up fragmentary manifestations in other religions but also in new liberating expressions within Christianity. Feminist theology, like a specific religion, cannot be identified with the Religion of the Concrete Spirit, but it may, and I would argue sometimes does, offer fragmentary manifestation of it. Feminist theology in its multiple manifestations argues for grounding in revelation and applicability of religious affirmation and critique in very particular cultures and situations. Tillich’s concluding statements to his last lecture bring together the universal grounding of theological expression and the critical element that opens up new possibilities. He states: “The universality of a religious statement does not lie in an all-embracing abstraction which would destroy religion as such, but it lies in the depths of every concrete religion. Above all it lies in the openness

 One could expand this critique to include issues of race, sexual orientation, and other forms of oppression.

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Mary Ann Stenger

to spiritual freedom both from one’s own foundation and for one’s own foundation”.⁶¹ Tillich still asserts the importance of developing universally valid statements but argues that the universality comes from the living depths of religious experience, not from abstractions. And, for him, religious experiences in their depth ground spiritual freedom, a point most feminists would support. Moreover, the freedom is both from the restrictions of one’s religious foundation or tradition and for serving that foundation. This connection to one’s religious roots and tradition is central to feminist theological work: freedom from its patriarchal restrictions and freedom for developing and strengthening the more positive elements of that foundation in their feminist theologies. The openness to the new and the experience of the power of new or sometimes renewed but forgotten living symbols keeps a religious tradition connected to people in their current social situations, however diverse they may be. Feminist theological work should be seen as renewing and enlivening the tradition, connecting to many women in their concrete lives. We also recognize that spiritual freedom can open up ethical action and political action, especially in relation to the prophetic or ethical critique that Tillich discusses. Faith and action for justice work together – for feminists, but not only for feminists – for all engaged in improving our world. Whether offering feminist symbols and metaphors for God rooted in particular experiences or reflecting on justice and power, Tillich’s ideas still offer helpful insights for feminist theologians today. His arguments about the Religion of the Concrete Spirit in his last lecture show a way to bring the issues of symbolism and ethics together, not only for religious pluralism as Tillich does directly but also for feminism: The power of the universal is effective and actual only in particular embodiments, actions, and expressions. And justice is the criterion which judges those actions and expressions, limiting unjust power and affirming empowerment of persons in all aspects of their being.

 P. Tillich, The Significance of the History of Religions for the Systematic Theologian (s. Anm. 37), 94.

Publikationsliste Erdmann Sturm I Monographien 1.

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Der junge Zacharias Ursin. Sein Weg vom Philippismus zum Calvinismus (1534 – 1562) (= Beiträge zur Geschichte und Lehre der Reformierten Kirche, Bd. 33), Neukirchen-Vluyn: Neukirchner Verlag 1972, XI u. 323 S. Geschichte der Reformation im Unterricht (= Handbücherei für den Religionsunterricht, Heft 19), Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus 1975, 141 S. Paul Tillich: Leben – Werk – Wirkung, zus. mit Werner Schüßler, Darmstadt Wissenschaftliche Buchgesellschaft 2007, X u. 278 S. 2. aktualisierte Aufl. 2015.

II Editionen / Sammelbände / Tillich-Jahrbuch 1.

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Paul Tillich, Frühe Predigten (1909 – 1918), hg. und mit einer hist. Einleitung versehen von Erdmann Sturm (= Ergänzungs- und Nachlassbände zu den Gesammelten Werken von Paul Tillich, Bd. VII), Berlin/New York: Walter de Gruyter 1994, XVI u. 694 S. Paul Tillich, Vorlesung über Hegel (Frankfurt 1931/32), hg. und mit einer hist. Einleitung versehen von Erdmann Sturm (= Ergänzungs- und Nachlassbände zu den Gesammelten Werken von Paul Tillich, Bd. VIII), Berlin/New York: Walter de Gruyter 1995, XXI u. 621 S. Paul Tillich, Writings in Social Philosophy and Ethics / Sozialphilosophische und ethische Schriften, ed. by / hg. von Erdmann Sturm (= Paul Tillich, MainWorks / Hauptwerke, ed. by / hg. von Carl Heinz Ratschow, Vol. 3 / Bd. 3), Berlin/ New York: Walter de Gruyter – Evangelisches Verlagswerk 1998, 712 S. Paul Tillich, Religion, Kultur, Gesellschaft. Unveröffentlichte Texte aus der deutschen Zeit (1908 – 1933). Erster Teil, hg. von Erdmann Sturm (= Ergänzungs- und Nachlassbände zu den Gesammelten Werken von Paul Tillich, Bd. X), Berlin/New York: Walter de Gruyter – Evangelisches Verlagswerk 1999, XIV u. 478 S. Paul Tillich, Religion, Kultur, Gesellschaft. Unveröffentlichte Texte aus der deutschen Zeit (1908 – 1933). Zweiter Teil, hg. von Erdmann Sturm (= Ergänzungs- und Nachlassbände zu den Gesammelten Werken von Paul Tillich, Bd. XI), Berlin/New York: Walter de Gruyter – Evangelisches Verlagswerk 1999, XIV u. 494 S. Paul Tillich, Berliner Vorlesungen I (1919 – 1920), hg. und mit einer hist. Einleitung versehen von Erdmann Sturm (= Ergänzungs- und Nachlassbände zu den Gesammelten Werken von Paul Tillich, Bd. XII), Berlin/New York: Walter de Gruyter – Evangelisches Verlagswerk 2001, XXI u. 667 S. Paul Tillich, Berliner Vorlesungen II (1920 – 1924), hg. und mit einer hist. Einleitung versehen von Erdmann Sturm (= Ergänzungs- und Nachlassbände zu den Gesammelten Werken von Paul Tillich, Bd. XIII), Berlin/New York: Walter de Gruyter – Evangelisches Verlagswerk 2003, LII u. 861 S.

https://doi.org/10.1515/9783110767728-015

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Robert P. Scharlemann, Religion and Reflection. Essays on Paul Tillich’s Theology, ed. by Erdmann Sturm (= Tillich-Studien, hg. von Werner Schüßler und Erdmann Sturm, Bd. 16), Münster: Lit Verlag 2004, II u. 263 S. Macht und Gewalt. Annäherungen im Horizont des Denkens von Paul Tillich, hg. von Werner Schüßler und Erdmann Sturm (= Tillich-Studien – Abt. Beihefte, hg. von Werner Schüßler und Erdmann Sturm, Bd. 5, Münster: Lit Verlag 2005, 124 S. Wie viel Vernunft braucht der Glaube?, hg. von Christian Danz, Werner Schüßler und Erdmann Sturm (= Internationales Jahrbuch für die Tillich-Forschung, hg. von Christian Danz, Werner Schüßler und Erdmann Sturm, Bd. 1), Wien: Lit Verlag 2005, 212 S. Paul Tillich, Dogmatik-Vorlesung. (Dresden 1925 – 1927), hg. und mit einer hist. Einleitung versehen von Werner Schüßler und Erdmann Sturm (= Ergänzungs- und Nachlassbände zu den Gesammelten Werken von Paul Tillich, Bd. XIV), Berlin/New York: Walter de Gruyter – Evangelisches Verlagswerk 2005. XLIV u. 456 S. Religionsunterricht – Orientierung für das Lehramt, hg. von Rainer Lachmann, Reinhold Mokrosch und Erdmann Sturm, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2006, 390 S. Das Symbol als Sprache der Religion, hg. von Christian Danz, Werner Schüßler und Erdmann Sturm (= Internationales Jahrbuch für die Tillich-Forschung, hg. von Christian Danz, Werner Schüßler und Erdmann Sturm, Bd. 2). Wien/Berlin: Lit Verlag 2007, 256 S. Paul Tillich, Vorlesungen über Geschichtsphilosophie und Sozialpädagogik (Frankfurt 1929/30), hg. und mit einer hist. Einleitung versehen von Erdmann Sturm (= Ergänzungsund Nachlassbände zu den Gesammelten Werken von Paul Tillich, Bd. XV), Berlin/New York: Walter de Gruyter – Evangelisches Verlagswerk 2007, LIX u. 379 S. Paul Tillich, Ausgewählte Texte (= de Gruyter Texte), hg. von Christian Danz, Werner Schüßler und Erdmann Sturm, Berlin/New York: Walter de Gruyter 2008, 492 S. Tillich und Nietzsche, hg. von Christian Danz, Werner Schüßler und Erdmann Sturm (= Internationales Jahrbuch für die Tillich-Forschung, hg. von Christian Danz, Werner Schüßler und Erdmann Sturm, Bd. 3), Wien/Berlin: Lit Verlag 2008, 222 S. Paul Tillich, Berliner Vorlesungen III (1951 – 1958), hg. und mit einer hist. Einleitung versehen von Erdmann Sturm (= Ergänzungs- und Nachlassbände zu den Gesammelten Werken von Paul Tillich, Bd. XVI), Berlin/New York: Walter de Gruyter – Evangelisches Verlagswerk 2009, LXVIII u. 422 S. Religion und Politik, hg. von Christian Danz, Werner Schüßler und Erdmann Sturm (= Internationales Jahrbuch für die Tillich-Forschung, hg. von Christian Danz, Werner Schüßler und Erdmann Sturm, Bd. 4), Wien/Berlin: Lit Verlag 2009, 218 S. Religionstheologie und interreligiöser Dialog, hg. von Christian Danz, Werner Schüßler und Erdmann Sturm (= Internationales Jahrbuch für die Tillich-Forschung, hg. von Christian Danz, Werner Schüßler und Erdmann Sturm, Bd. 5), Wien/Berlin: Lit Verlag 2010, 235 S. Jesus of Nazareth and the New Being in History, ed. by Christian Danz, Marc Dumas, Werner Schüßler, Mary Ann Stenger, and Erdmann Sturm (= International Yearbook for Tillich Research, ed. by Christian Danz, Werner Schüßler, Mary Ann Stenger, and Erdmann Sturm, Vol. 6), Berlin/Boston: Walter de Gruyter 2011, 456 S. Paul Tillich, Frühe Vorlesungen im Exil (1934 – 1935), hg., übersetzt und mit einer hist. Einleitung versehen von Erdmann Sturm (= Ergänzungs- und Nachlassbände zu den Gesammelten Werken von Paul Tillich, Bd. XVII), Berlin/Boston: Walter de Gruyter – Evangelisches Verlagswerk 2012, LIX u. 357 S.

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22. Theology and Natural Science, ed. by Christian Danz, Marc Dumas, Werner Schüßler, Mary Ann Stenger, and Erdmann Sturm (= International Yearbook for Tillich Research, ed. by Christian Danz, Werner Schüßler, Mary Ann Stenger, and Erdmann Sturm, Vol. 7), Berlin/Boston: Walter de Gruyter 2012, 315 S. 23. Paul Tillich, Dogmática (Lessiones de Drede 1925 – 1927). Edición e introducción de Werner Schüßler y Erdmann Sturm. Traducción de Luciano Elizaincín. Revisión de la traducción de Pedro Fernández Castelao, Madrid: Editorial Trotta 2013, 419 S. [= span. Übers. von II/11]. 24. Paul Tillich, Frankfurter Vorlesungen (1930 – 1933), hg. und mit einer hist. Einleitung versehen von Erdmann Sturm (= Ergänzungs- und Nachlassbände zu den Gesammelten Werken von Paul Tillich, Bd. XVIII), Berlin/Boston: Walter de Gruyter – Evangelisches Verlagswerk 2013, XLVIII u. 734 S. 25. Interpretation of History, ed. by Christian Danz, Marc Dumas, Werner Schüßler, Mary Ann Stenger, and Erdmann Sturm (= International Yearbook for Tillich Research, ed. by Christian Danz, Werner Schüßler, Mary Ann Stenger, and Erdmann Sturm, Vol. 8), Berlin/Boston: Walter de Gruyter 2013, 222 S. 26. Justice, Power, and Love, ed. by Christian Danz, Marc Dumas, Werner Schüßler, Mary Ann Stenger, and Erdmann Sturm (= International Yearbook for Tillich Research, ed. by Christian Danz, Werner Schüßler, Mary Ann Stenger, and Erdmann Sturm, Vol. 9), Berlin/Boston: Walter de Gruyter 2014, 226 S. 27. Ethics and Eschatology, ed. by Christian Danz, Marc Dumas, Werner Schüßler, Mary Ann Stenger, and Erdmann Sturm (= International Yearbook for Tillich Research, ed. by Christian Danz, Werner Schüßler, Mary Ann Stenger, and Erdmann Sturm, Vol. 10), Berlin/Boston: Walter de Gruyter 2015, 356 S. 28. Faith in Post-Modernity, ed. by Christian Danz, Marc Dumas, Werner Schüßler, Mary Ann Stenger, and Erdmann Sturm (= International Yearbook for Tillich Research, ed. by Christian Danz, Werner Schüßler, Mary Ann Stenger, and Erdmann Sturm, Vol. 11), Berlin/Boston 2016, 232 S. 29. Paul Tillich, Advanced Problems in Systematic Theology. Courses at Union Theological Seminary, New York, 1936 – 1938, hg. und mit einer hist. Einleitung versehen von Erdmann Sturm (= Ergänzungs- und Nachlassbände zu den Gesammelten Werken von Paul Tillich, Bd. XIX), Berlin/Boston: Walter de Gruyter 2016, LVII u. 359 S. 30. Paul Tillich, Dresdner Vorlesungen (1925 – 1927), hg. und mit einer historischen Einleitung versehen von Erdmann Sturm (= Ergänzungs- und Nachlassbände zu den Gesammelten Werken von Paul Tillich, Bd. XX), Berlin/Boston: Walter de Gruyter 2017, LXX u. 455 S. 31. The Method of Correlation, ed. by Christian Danz, Marc Dumas, Werner Schüßler, Mary Ann Stenger, and Erdmann Sturm (= International Yearbook for Tillich Research, ed. by Christian Danz, Werner Schüßler, Mary Ann Stenger, and Erdmann Sturm, Vol. 12), Berlin/Boston: Walter de Gruyter 2017, 234 S.

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III Aufsätze / Beiträge / Lexikonartikel 1.

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Briefe des Heidelberger Theologen Zacharias Ursinus aus Wittenberg und Zürich (1560/61), in: Heidelberger Jahrbücher, Bd. XIV, Berlin/Heidelberg/New York 1970, 85 – 119. Didaktische Probleme des Kirchengeschichtsunterrichts, in: Gerhard Ruhbach / Erdmann Sturm, Umgang mit der Kirchengeschichte. Studienbrief 15 des Fernstudienlehrgangs für evangelische Religionslehrer (Deutsches Institut für Fernstudien der Universität Tübingen), Tübingen 1974, 47 – 67. Kind und Tod. Zur Sprache des Glaubens im Gespräch mit Kindern über den Tod, in: Ottheinz Braun, Seelsorge am kranken Kind. Was Ärzte, Psychologen und Seelsorger dazu sagen, Stuttgart 1983, 2. Aufl. 1983, 37 – 50. „Christus non est otiosus.“ Theologie und Politik bei Hans Joachim Iwand, in: Berliner Theologische Zeitschrift 9, 1992, 87 – 106. Pansophie und Pädagogik bei Jan Amos Komensky, in: Klaus Goßmann / Christoph T. Scheilke (Hg.), Jan Amos Comenius 1592 – 1992. Theologische und pädagogische Deutungen, Gütersloh 1992, 101 – 125. Entwicklungsproblematik und Entwicklungspolitik im Kontext der evangelischen Religionspädagogik, in: Jürgen Bellers / Horst Gründer (Hg.), Entwicklungspolitik und ihre Didaktik. Geschichte und Kulturen. Münstersche Zeitschrift zur Geschichte und Entwicklung der Dritten Welt 5, 1993, 63 – 86. Sein oder Werden? Paul Tillich und die Prozeßphilosophie, in: Gert Hummel (Hg.), Natural Philosophy versus Theology of Nature? / Natürliche Theologie versus Theologie der Natur?, Berlin/New York 1994, 184 – 211. Paul Tillich und Max Horkheimer im Dialog. Drei bisher unveröffentlichte Texte (1942/45), in: Zeitschrift für Neuere Theologiegeschichte / Journal for the History of Modern Theology 1, 1994, 275 – 304. Bibel und Befreiung. Zur politischen und sozialen Hermeneutik der lateinamerikanischen Befreiungstheologie, in: Herbert Ulonska / Detlev Dormeyer (Hg.), Die Bibel: Erleben, Verstehen, Weitersagen. Elementare und neue Zugänge zur Bibel, Rheinbach-Merzbach 1994, 109 – 128. Die Theologie des J. A. Comenius, in: Comenius-Jahrbuch 3, 1995, 9 – 18. Das absolute Paradox als Prinzip der Theologie und Kultur in Paul Tillichs „Rechtfertigung und Zweifel“ von 1919, in: Gert Hummel (Hg.), The Theological Paradox / Das theologische Paradox, Berlin/New York 1995, 32 – 45. „Holy Love Claims Life and Limb.“ Paul Tillich’s War Theology (1914 – 1918), in: Zeitschrift für Neuere Theologiegeschichte / Journal for the History of Modern Theology 2, 1995, 60 – 84. Theodor W. Adorno contra Paul Tillich. Eine bisher unveröffentlichte Tillich-Kritik Adornos aus dem Jahre 1944, in: Zeitschrift für Neuere Theologiegeschichte / Journal for the History of Modern Theology 3, 1996, 251 – 299. Gemeinsam den einen Glauben bekennen. Zur ökumenischen Auslegung des Glaubensbekenntnisses von Nicäa-Konstantinopel, in: Hermann Horn (Hg.), Didaskalos. Studien zum Lehramt in Universität, Schule und Religion. Festschrift für Gerhard J. Bellinger zum 65. Geburtstag, Dortmund 1996, 73 – 93.

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15. „Nicht den Staat wollen wir anbeten, sondern den Geist …“ Gustav Landauers Programm des anarchischen Föderalismus in Paul Tillichs kulturtheologischem Entwurf von 1919, in: Gustav Landauer im Gespräch. Symposium zum 125. Geburtstag, hg. von Hanna Delf und Gert Mattenklott (= Conditio Judaica, Bd. 18), Tübingen 1997, 129 – 148. 16. Ca. 20 Beiträge zu Gottesdienst und Predigt an Sonn-, Fest- und Gedenktagen der Kirche, in: Gerhard Ruhbach / Anselm Grün / Ulrich Wilckens (Hg.), Meditative Zugänge zu Gottesdienst und Predigt, Bd. I/1 – VIII/2, Göttingen 1990 – 1997. 17. Geschichte und Geschichtsphilosophie bei Paul Tillich und Karl Löwith, in: Gert Hummel (Hg.), Truth and History – a Dialogue with Paul Tillich / Wahrheit und Geschichte – ein Dialog mit Paul Tillich, Berlin/New York 1998, 239 – 254. 18. „… daß wir die verlorene Grenze zwischen Gott und Mensch wiederfinden.“ Hans Joachim Iwands Arbeiten über Luthers Theologie in seiner Dortmunder Zeit (1937 – 1945), in: Jürgen Kampmann (Hg.), Aus dem Lande der Synoden. Festgabe für Wilhelm Heinrich Neuser zum 70. Geburtstag, Lübbecke 1996, 261 – 297. Erneut abgedruckt in: Martin Hoffmann (Hg.), Die Provokation des Kreuzes, Waltrop 1999, 45 – 80. 19. Sein oder Wort? Zu Oswald Bayers Tillich-Interpretation, in: Gert Hummel / Doris Lax (Hg.), Being versus Word in Paul Tillich’s Theology? / Sein versus Wort in Paul Tillichs Theologie, Berlin/New York 1999, 24 – 48. 20. Zwischen Apologetik und Seelsorge. Paul Tillichs frühe Predigten (1908 – 1918), in: Theologische Literaturzeitung 124, 1999, 251 – 268. Erneut abgedruckt in: Ilona Nord /Yorick Spiegel (Hg.), Spurensuche. Lebens- und Denkwege Paul Tillichs (= Tillich-Studien, hg. von Werner Schüßler und Erdmann Sturm, Bd. 5), Münster 2001, 85 – 104. 21. Die Rechtfertigung des Zweiflers als Paradox – Paul Tillichs Begründung eines theologischen Prinzips und sein Programm einer philosophischen Theologie, in: Mariano Delgado (Hg.), Das Christentum der Theologen im 20. Jahrhundert. Vom „Wesen des Christentums“ zu den „Kurzformeln des Glaubens“, Stuttgart 2000, 37 – 51. 22. Mystik und Ethik bei Paul Tillich, in: Gert Hummel / Doris Lax (Hg.), Mystisches Erbe in Tillichs philosophischer Theologie / Mystical Heritage in Tillich’s Philosophical Theology. Frankfurt/M. 2000 (= Tillich-Studien, hg. von Werner Schüßler und Erdmann Sturm, Bd. 3), Münster 2000, 231 – 252. 23. Artikel „Heidelberger Katechismus“, in: RGG, 4. Aufl., Bd. 3, Tübingen 2000, Sp. 1514 f. 24. Paul Tillichs Heidegger-Rezeption, in: Kulturwissenschaftliche Studien 7, hg. von Hans-Jürgen Lachmann und Uta Kösser, Leipzig 2001, 24 – 37. 25. „Die Zugehörigkeit Paul Tillichs zum Judentum als feststehende Tatsache …“ Über Paul Tillichs „Geist des Judentums“ und eine antisemitische Polemik (1933 – 1935), in: Folker Siegert (Hg.), Grenzgänge. Menschen und Schicksale zwischen jüdischer, christlicher und deutscher Identität. Festschrift für Diethard Aschoff (= Münsteraner Judaistische Studien. Wissenschaftliche Beiträge zur christlich-jüdischen Begegnung, hg. vom Institutum Judaicum Delitzschianum in Münster, Bd. 11), Münster 2002, 255 – 269. 26. Schrecklicher Heidegger! Ein Fund. Zwei unbekannte Briefe Thomas Manns an Paul Tillich, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 20. 06. 2002, S. 45. 27. La prière comme élévation de l’âme à Dieu et comme abandon à sa volonté, in: Marc Boss / R. Picon (ed.), Penser le Dieu vivant. Mélanges offerts à André Gounelle, Paris 2003, 205 – 214.

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28. Paul Tillich, in: Deutschsprachige Exilliteratur seit 1933, Bd. 3: USA, Tl. 4, hg. von John M. Spalek, Konrad Feilchenfeldt und Sandra H. Hawrylchak, München 2003, 195 – 224. 29. „Geh aus deinem Land und aus deines Vaters Hause in ein Land, das ich dir zeigen will …“ Die Abraham-Typologie im Denken und Leben Paul Tillichs, in: Peter Haigis / Doris Lax (Hg.), Brücken der Versöhnung. Festschrift für Gert Hummel zum 70. Geburtstag, Münster 2003, 238 – 251. 30. „Wandelt alles, was ihr erlebt, in ein Gebet, in ein Einswerden der Seele mit Gott.“ Die Gebetstheologie des frühen Paul Tillich im Kontext der Theologie Hegels und der Dogmatik Emanuel Hirschs (1909 – 1922), in: Werner Schüßler / A. James Reimer (Hg.), Das Gebet als Grundakt des Glaubens. Philosophisch-theologische Überlegungen zum Gebetsverständnis Paul Tillichs (= Tillich-Studien – Abt. Beihefte, hg. von Werner Schüßler und Erdmann Sturm, Bd. 2), Münster 2004, 77 – 107. 31. Selbstbewußtsein zwischen Dynamik und Selbst-Transzendenz des Lebens und unbedingter Realitätserfassung. Paul Tillichs kritische Rezeption der Religions- und Lebensphilosophie Georg Simmels, in: Christian Danz (Hg.), Theologie als Religionsphilosophie. Studien zu den problemgeschichtlichen und systematischen Voraussetzungen der Theologie Paul Tillichs (= Tillich-Studien, hg. von Werner Schüßler und Erdmann Sturm, Bd. 9), Wien 2004, 23 – 47. 32. Artikel „Tillich, Paul“, in: RGG, 4. Aufl., Bd. 8, Tübingen 2005, Sp. 410 – 412. 33. Rudolf Bultmann über Paul Tillich, in: Wie viel Vernunft braucht der Glaube?, hg. von Christian Danz, Werner Schüßler und Erdmann Sturm (= Internationales Jahrbuch für die Tillich-Forschung, hg. von Christian Danz, Werner Schüßler und Erdmann Sturm, Bd. 1), Wien 2005, 175 – 181. 34. Macht und Gewalt im politischen Denken Paul Tillichs, in: Werner Schüßler / Erdmann Sturm (Hg.), Macht und Gewalt. Annäherungen im Horizont des Denkens von Paul Tillich (= Tillich-Studien – Abt. Beihefte, hg. von Werner Schüßler und Erdmann Sturm, Bd. 4), Münster 2005, 53 – 86. 35. Protestantismus und protestantisches Prinzip in der philosophischen Theologie Paul Tillichs, in: Theologische Revue 102, 2006, 443 – 458. 36. Systematische Theologie – Dogmatik, in: Religionsunterricht – Orientierung für das Lehramt, hg. von Rainer Lachmann, Reinhold Mokrosch und Erdmann Sturm, Göttingen 2006, 211 – 247. 37. Ökumenische Theologie, in: Religionsunterricht – Orientierung für das Lehramt, hg. von Rainer Lachmann, Reinhold Mokrosch und Erdmann Sturm, Göttingen 2006, 283 – 315. 38. Rudolf Bultmanns Programm der Entmythologisierung und existentialen Interpretation, in: Werner Schüßler (Hg.), Wie läßt sich über Gott sprechen? Von der negativen Theologie Plotins bis zum religiösen Sprachspiel Wittgensteins, Darmstadt 2008, 133 – 148. In japan. Übers. erschienen in: Werner Schüßler, Kami ni tsuite ikani katari uruka. Japan. Übers. von Sadamichi Ashina, Tokyo 2018, 181 – 204. 39. „Die uralte christliche katholische Religion.“ Der Katechismus des Johann Amos Comenius, in: Studien zu Comenius und zur Comeniusrezeption in Deutschland. Festschrift für Werner Korthaase zum 70. Geburtstag, hg. von Petr Zemek, Jiří Beneš und Beate Motel (= Studia comeniana et historica, Bd. 79), Uherský Brod 2008, 215 – 233. 40. „First, read my sermons!“ Tillich as Preacher, in: Russell Re Manning (ed.), The Cambridge Companion to Paul Tillich, Cambridge 2009, 105 – 120.

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41. Tillichs religiöser Sozialismus im Rahmen seines theologischen und philosophischen Denkens, in: Religion und Politik, hg. von Christian Danz, Werner Schüßler und Erdmann Sturm (= Internationales Jahrbuch für die Tillich-Forschung, hg. von Christian Danz, Werner Schüßler und Erdmann Sturm, Bd. 4), Wien/Berlin 2009, 15 – 34. 42. Die Genese von Tillichs Kulturtheologie in seinen frühesten Texten, in: Christian Danz, Werner Schüßler (Hg.), Paul Tillichs Theologie der Kultur. Aspekte – Probleme – Perspektiven (= Tillich Research, ed. by Christian Danz, Marc Dumas, Werner Schüßler, Mary Ann Stenger, and Erdmann Sturm, Bd. 1), Berlin/Boston 2011, 64 – 93. 43. „Vielleicht kommen wir nun doch zu einer gemeinsamen Arbeit in Berlin.“ Paul Tillichs Briefe an Reinhold und Erich Seeberg (1924 – 1935), in: Theology and Natural Science, ed. by Christian Danz, Marc Dumas, Werner Schüßler, Mary Ann Stenger, and Erdmann Sturm (= International Yearbook for Tillich Research, ed. by Christian Danz, Marc Dumas, Werner Schüßler, Mary Ann Stenger, and Erdmann Sturm, Vol. 7), Berlin/Boston 2012, 211 – 253. 44. Sinntheoretische Deutung der Geschichte als Antwort auf die Frage nach unserer geschichtlichen Existenz. Zu Tillichs Geschichtsdeutung der dreißiger Jahre, in: Interpretation of History, ed. by Christian Danz, Marc Dumas, Werner Schüßler, Mary Ann Stenger, and Erdmann Sturm (= International Yearbook for Tillich Research, ed. by Christian Danz, Marc Dumas, Werner Schüßler, Mary Ann Stenger, and Erdmann Sturm, Vol. 8), Berlin/Boston 2013, 45 – 69. 45. Tillich liest Troeltschs ‚Soziallehren‘, in: Ulrich Barth / Christian Danz / Wilhelm Gräb / Friedrich Wilhelm Graf (Hg.), Aufgeklärte Religion und ihre Probleme. Schleiermacher – Troeltsch – Tillich (= Theologische Bibliothek Töpelmann, Bd. 165), Berlin/Boston 2013, 271 – 290. 46. Von der Erwartung zur Utopie. Tillichs Geschichtsdeutung zwischen Anthropologie und Eschatologie, in: Ethics and Eschatology, ed. by Christian Danz, Marc Dumas, Werner Schüßler, Mary Ann Stenger, and Erdmann Sturm (= International Yearbook for Tillich Research, ed. by Christian Danz, Marc Dumas, Werner Schüßler, Mary Ann Stenger, and Erdmann Sturm, Vol. 10), Berlin/Boston 2015, 57 – 79. 47. An der engen Pforte der historischen Methode vorbei… Paul Tillichs Habilitation in Halle (1916) und seine Umhabilitierungen nach Berlin (1919) und Marburg (1924), in: Ethics and Eschatology, ed. by Christian Danz, Marc Dumas, Werner Schüßler, Mary Ann Stenger, and Erdmann Sturm (= International Yearbook for Tillich Research, ed. by Christian Danz, Marc Dumas, Werner Schüßler, Mary Ann Stenger, and Erdmann Sturm, Vol. 10), Berlin/Boston 2015, 273 – 331. 48. „Wir sind entfremdet von unserem wahren Wesen …“ Der Mythos vom „Fall“ in Tillichs Deutung, in: Christian Danz / Werner Schüßler (Hg.), Die Macht des Mythos. Das Mythosverständnis Paul Tillichs im Kontext (= Tillich Research, ed. by Christian Danz, Marc Dumas, Werner Schüßler, Mary Ann Stenger, and Erdmann Sturm, Vol. 5), Berlin/Boston 2015, 92 – 117. 49. Über einige vermisste Briefe und Vorträge des jungen Tillich, in: Faith in Post-Modernity, ed. by Christian Danz, Marc Dumas, Werner Schüßler, Mary Ann Stenger, and Erdmann Sturm (= International Yearbook for Tillich Research, ed. by Christian Danz, Marc Dumas, Werner Schüßler, Mary Ann Stenger, and Erdmann Sturm, Vol. 11), Berlin/Boston 2016, 175 – 180. 50. Paul Tillich: Contemporary German Philosophy. Einleitung und Edition, in: Faith in Post-Modernity, ed. by Christian Danz, Marc Dumas, Werner Schüßler, Mary Ann Stenger,

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and Erdmann Sturm (= International Yearbook for Tillich Research, ed. by Christian Danz, Marc Dumas, Werner Schüßler, Mary Ann Stenger, and Erdmann Sturm, Vol. 11), Berlin/Boston 2016, 181 – 216. Die Kapitalismuskritik Paul Tillichs und des Kairos-Kreises, in: Matthias Casper / Karl Gabriel / Hans-Richard Reuter (Hg.), Kapitalismuskritik im Christentum. Positionen und Diskussionen der Weimarer Republik und der frühen Bundesrepublik (= Schriftenreihe „Religion und Moderne“, Bd. 5), Frankfurt am Main/New York 2016, 13 – 36. Die Wirklichkeit der Offenbarung (I 129 – 189), in: Christian Danz (Hg.), Paul Tillichs ‚Systematische Theologie‘. Ein werk- und problemgeschichtlicher Kommentar, Berlin/Boston 2017, 65 – 91. Tillichs New Yorker Vorlesungszyklus ‚Advanced Problems in Systematic Theology‘ (1936 – 1938), in: Christian Danz, Werner Schüßler (Hg.), Paul Tillich im Exil (= Tillich Research, ed. by Christian Danz, Marc Dumas, Werner Schüßler, Mary Ann Stenger, and Erdmann Sturm, Vol. 12), Berlin/Boston 2017, 267 – 286. Auf dem Weg zur Methode der Korrelation, in: The Method of Correlation, ed. by Christian Danz, Marc Dumas, Werner Schüßler, Mary Ann Stenger, and Erdmann Sturm (= International Yearbook for Tillich Research, ed. by Christian Danz, Marc Dumas, Werner Schüßler, Mary Ann Stenger, and Erdmann Sturm, Vol. 12), Berlin/Boston 2017, 45 – 65. „Der Mut zum Sein“ Eine Einführung, in: The Courage to Be, ed. by Christian Danz, Marc Dumas, Werner Schüßler, and Brian Wagoner (= International Yearbook for Tillich Research, ed. by Christian Danz, Marc Dumas, Werner Schüßler, and Bryan Wagoner, Vol. 13), Berlin/Boston 2018, 1 – 24. Paul Tillich: Der Mut zum Sein. Zwei bisher unveröffentlichte Vorträge aus dem Jahr 1951, in: The Courage to Be, ed. by Christian Danz, Marc Dumas, Werner Schüßler, and Brian Wagoner (= International Yearbook for Tillich Research, ed. by Christian Danz, Marc Dumas, Werner Schüßler, and Bryan Wagoner, Vol. 13), Berlin/Boston 2018, 258 – 283. Tillichs Deutung Luthers und der Reformation als Durchbruch des Unbedingten und seiner Aufnahme und Verwirklichung, in: Reformation und Revolution in der Wahrnehmung Paul Tillichs / Réformation et révolution dans la perception de Paul Tillich / Paul Tillich’s Perceptions into Reformation and Revolution, hg. von Raymond Asmar, Christian Danz, Martin Leiner und Matthew Lon Weaver (= Tillich Research, ed. by Christian Danz, Marc Dumas, Verna Ehret, and Werner Schüßler, Vol. 18), Berlin/Boston 2019, 101 – 131. „Dass das Prinzip der Entgegensetzung nicht aufgehoben werden kann, sondern menschliches Sein überhaupt erst möglich macht.“ Paul Tillich als Interpret der Jugendschriften Hegels, in: Brokenness and Reconciliation, ed. by Christian Danz, Marc Dumas, Werner Schüßler, and Brian Wagoner (= International Yearbook for Tillich Research, ed. by Christian Danz, Marc Dumas, Werner Schüßler, and Bryan Wagoner, Vol. 14), Berlin/Boston 2020, 83 – 104.

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IV Mitbegründer und Mitherausgeber folgender Buch-Reihen 1. 2. 3.

4. 5.

Tillich-Studien, hg. von Werner Schüßler und Erdmann Sturm, Lit Verlag, Bd. 1 – 22 (1999 – 2010). Tillich-Studien – Abt. Beihefte, hg. von Werner Schüßler und Erdmann Sturm, Lit Verlag, Bd. 1 – 5 (2002 – 2005). Internationales Jahrbuch für die Tillich-Jahrbuch / International Yearbook for Tillich Research / Annales internationales de recherches sur Tillich, hg. von Christian Danz, Werner Schüßler und Erdmann Sturm, Lit Verlag, Bd. 1 – 5 (2005 – 2010). Tillich-Research, ed. by Christian Danz, Marc Dumas, Werner Schüßler, Mary Ann Stenger and Erdmann Sturm, Walter de Gruyter, Bd. 1 – 17 (2011 – 2018). International Yearbook for Tillich Research / Internationales Jahrbuch für die Tillich-Jahrbuch / Annales internationales de recherches sur Tillich, ed. by Christian Danz, Marc Dumas, Werner Schüßler, Mary Ann Stenger and Erdmann Sturm, Walter de Gruyter, Bd. 6 – 12 (2011 – 2017).

Autorenverzeichnis Dr. Fábio Henrique Abreu Habilitationskandidat für Systematische Theologie an der Evangelisch-Theologischen Fakultät der Universität Wien; Sekretär der Paul Tillich-Gesellschaft von Brasilien

Dr. Alf Christophersen Professor für Systematische Theologie an der Fakultät für Geistes- und Kulturwissenschaften der Bergischen Universität Wuppertal

Dr. Christian Danz Professor für Systematische Theologie an der Evangelisch-Theologischen Fakultät der Universität Wien

Dr. Stefan Dienstbeck Forschungsprofessor am Institut für Ökumenische Forschung in Strasbourg (Frankreich); Privatdozent für Systematische Theologie an der Evangelisch-Theologischen Fakultät der Ludwig-Maximilians-Universität München

Dr. Peter Haigis Privatdozent für Systematische Theologie an der Universität Heidelberg; Theol. Referent am Geistlichen Zentrum Kloster Wülfinghausen bei Hannover

Dr. Georg Neugebauer Privatdozent für Systematische Theologie an der Theologischen Fakultät der Universität Leipzig; Pfarrer in Aken (Elbe)

Dr. Ilona Nord Professorin für Religionspädagogik und Didaktik des Religionsunterrichts am Institut für Evangelische Theologie der Julius Maximilians-Universität Würzburg

https://doi.org/10.1515/9783110767728-016

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Autorenverzeichnis

Dr. Christian Polke Professor für Systematische Theologie an der Georg-August-Universität Göttingen

Dr. Marc Röbel Privatdozent für Philosophische Grundfragen der Theologie an der Theologischen Fakultät Trier; Akademiedirektor der Katholischen Akademie Stapelfeld

Dr. Dr. Werner Schüßler Professor für Philosophie an der Theologischen Fakultät Trier

Dr. Mary Ann Stenger Prof. em. für Geisteswissenschaften an der University of Louisville, Kentucky

Dr. Folkart Wittekind Professor für Systematische Theologie an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn mit Dienstsitz an der Universität zu Köln

Personenregister Abreu, Fábio Henrique 4 Acapovi, Crépin 83 Adorno, Theodor W. 69, 83, 190, 247, 256 Albrecht, Christian 248 Anaxagoras 111 Anselm, Reiner 248 Areopagita, Dionysius 86 Aristoteles 84, 101, 106, 108, 111, 114 f., 118 – 120, 125 Atchadé, Richard 83 Augustinus 90, 94, 111, 118 f. Baard, Rachel 263 f. Baeck, Leo 197, 199 Barth, Karl 2, 91, 137, 142, 146, 158, 173 – 175, 177 f., 181 – 183, 185 – 187, 203, 256 Baur, Ferdinand Christian 151 Bavaj, Riccardo 171 Bedford-Strohm, Heinrich 252, 255 Bergson, Henri 90 Biedermann, Alois Emanuel 136 Bollnow, Friedrich 94 Bonaventura 118 Bornkamm, Heinrich 189 Brecht, Bertold 105 Brunner, Emil 91 Bruno, Giordano 129 Buber, Martin 86, 91, 97, 197 Bultmann, Rudolf 86, 158, 180 – 182, 187 Camus, Albert 90 Christophersen, Alf 4 Cioran, Emil M. 102 Cohen, Hermann 197 Crick, Francis 123 Cusanus, Nicolaus; Nikolaus von Kues 128 Daly, Mary 262 f., 273 Danz, Christian 5, 19, 23, 28, 82, 106 Delitzsch, Franz 189 Demokrit 111 Descartes, René 90, 93, 99 f.

116,

Deuser, Hermann 110 Dienstbeck, Stefan 4, 82, 106 Döblin, Alfred 105 Dorner, Isaak August 142 Dostojewski, Fjodor Michailowitsch Eliot, Thomas Stearns Epikur 111 Erigena, Scotus 86

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Feuerbach, Ludwig 87, 94 Fichte, Johann Gottlieb 32, 99, 161 f., 203, 205, 243 Ford, Lewis S. 86 Forsthoff, Ernst 72 Frank, Franz Hermann Reinhold von 135, 143 Frank, Gustav 135 Frankl, Viktor E. 91 Friedländer, Albert H. 197 Gehlen, Arnold 69 Goethe, Johann Wolfgang von 129 Gogarten, Friedrich 91, 174 f., 177, 181 – 187, 203 Gogh, Vincent van 93 Grube, Dirk-Martin 82 Gudmarsdottir, Sigridur 263 Haigis, Peter 5, 105 Harnack, Adolf von 137, 158 Hartshorne, Charles 86 Hauerwas, Stanley 247 Hegel, Georg Wilhelm Friedrich 86, 93, 95, 134 f., 137, 160 f., 169, 172, 177 – 181, 186 Heidegger, Martin 87 – 90, 94, 96, 98, 109, 124 Heimann, Eduard 71 Henel, Ingeborg 134 Heraklit 111 Herrmann, Wilhelm 4, 133 f., 137 – 148, 150 – 159, 161, 163, 165 – 170, 176 Heschel, Susanna 197 f.

https://doi.org/10.1515/9783110767728-017. The original version of this chapter was revised: Chapter title and page numbers has been corrected. An Erratum is available at DOI: https://doi.org/10.1515/ 9783110767728-019

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Personenregister

Hess, Johann Jakob 61 Hinneberg, Paul 139 Hirsch, Emanuel 12, 18, 33, 52, 172, 243 Hitchcock, Alfred 221 – 226, 229 – 231, 233, 235 – 239, 241 f. Hobbes, Thomas 99 Hofmann, Konrad 142 f. Homolka, Walter 196 Horkheimer, Max 69, 190, 247, 250, 256 Huber, Wolfgang 248 Husserl, Edmund 82, 32 Isasi-Diaz, Ada Maria

262

Jaspers, Karl 81 f., 84 f., 87 – 91, 94, 98, 101, 108 f., 124, 247 Johnson, Elizabeth 274 Kafka, Franz 87, 94 Kaftan, Julius 137, 143 Kähler, Martin 177 Kant, Immanuel 32 f., 42, 47, 49, 54, 57, 66, 81, 97, 102, 108 f., 116, 137, 140, 151, 160 – 162, 164 f., 167, 169, 176 f., 217 Kattenbusch, Ferdinand Friedrich Wilhelm 136 – 139, 143 Kaufmann, Thomas 198 f. Kierkegaard, Søren 87, 90 f., 93, 96, 111, 171 – 173 Leese, Kurt 177 – 180 Leibniz, Gottfried Wilhelm 128 Leonardo da Vinci 129 Lepp, Ignace 91 Lotze, Hermann 155 Löwe, Adolf 79 Lütgert, Wilhelm 203 Luther, Martin 62, 140, 146, 150, 156, 176, 186, 189, 191, 198 f., 243, 246 Malebranche, Nicolas 86 Marcel, Gabriel 90 Marx, Karl 68, 80, 87, 94, 178, 190 May, Rollo 84, 91, 101 McFague, Sallie 273 Medicus, Fritz 161, 163 Meditz, Robert 192, 197

Meister Eckhart 86 Melanchthon, Philipp 140 Mennicke, Carl 175 f. Meszaros, Julia 264 Mirandola, Giovanni Pico della Morny, Joy 269 Mounier, Emmanuel 91 Müller, Julius 142

129

Neugebauer, Georg 4, 31, 82 Niebuhr, Reinhold 245 f. Nietzsche, Friedrich 87, 90, 93 f., 102, 108 f., 111, 114, 116, 180, 187 Nirenberg, David 195 Nitzsch, Karl Immanuel 142 Nord, Ilona 5 Norris, John 86 Ockham, Wilhelm von 121 – 123 Otto, Rudolf 180 Outler, Albert C. 86 Pascal, Blaise 87, 90, 93 Pfleiderer, Otto 136 Pincus, Lilly 190 Plaskow, Judith 262 f. Platon 84, 86, 92, 110 – 115, 118 – 120, 125, 129 Plessner, Helmuth 83 Plietzsch, Susanne 195 f. Polke, Christian 5 Pui-Lan, Kwok 262 Rade, Martin 178 Ratschow, Carl-Heinz 182, 105 f. Rendtorff, Trutz 31 Ritschl, Albrecht 3, 136 – 138, 141 – 145, 147 – 149, 151 – 153, 158, 160 – 164, 168 f. Röbel, Marc 4, 83 Roosevelt, Franklin D. 78 Rosenberg, Alfred 74 Saal, Christina 84 Santayana, George 126 Sartre, Jean-Paul 87, 90, 94 Sasse, Martin 189 Scheler, Max 83, 97

Personenregister

Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph 14, 32, 84, 90, 93, 99, 111, 129, 162, 177, 180, 205 Schlatter, Adolf 203 Schleiermacher, Friedrich 137 – 143, 147 – 149, 151, 161, 186 Schmidt, Karl Ludwig 177, 181, 186 Schmitt, Carl 72 Schopenhauer, Arthur 90 Schulz, Friedrich Otto Hermann 190 Schüßler, Werner 4, 107 Schwarz, Carl 135 Schweitzer, Albert 86 Shaftesbury, Anthony Ashley Cooper 129 Simmel, Georg 68, 90 Slenczka, Notger 28 Smend, Rudolf 196 Sokrates 111 Sölle, Dorothee 252 f. Spinoza, Baruch de 86 Stenger, Mary Ann 5 Stephenson, Lisa 264 Strauss, David Friedrich 86 Sturm, Erdmann 1 f., 4 f., 9 f., 83, 121, 124, 134, 179, 190, 218

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Tavard, Georges H. 86 Thomas von Aquin 84, 97, 106, 118 – 120 Thompson, Ian E. 116 Thurneysen, Eduard 182 Tönnies, Ferdinand 68 Troeltsch, Ernst 4, 63, 65, 67, 134 – 137, 138, 141, 144, 147, 149 – 153, 155, 158 – 161, 166 – 170, 177, 181, 251 Vögele, Wolfgang 248 f. Vogelsang, Erich 189 Wahl, Jean 86 Walther, Wilhelm 189 Weber, Max 69, 177 Wellhausen, Julius 195 f., 199 Wette, Wilhelm Martin Leberecht de Williams, Delores 262 Wittekind, Folkart 4, 82 Wünsch, Georg 174 – 177 Wust, Peter 90 Zimmermann, Franz

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E1 Erratum zu: Inhalt Veröffentlicht in: Christian Danz, Werner Schüßler (Hg.), Paul Tillich in der Diskussion, 978-3-11-076594-6

Erratum Trotz sorgfältiger Erstellung unserer Bücher lassen sich Fehler manchmal leider nicht ganz vermeiden. Wir entschuldigen uns, dass die Kapitelüberschrift des Personenregisters fehlerhaft war. Wir bitten Sie um Beachtung der nachfolgenden Richtigstellung: Kapitelüberschrift des Personenregisters haben wir von „Personenregister FS Sturm“ zu „Personenregister“ geändert.

https://doi.org/10.1515/9783110767728-018

E2 Erratum zu: Personenregister Veröffentlicht in: Christian Danz, Werner Schüßler (Hg.), Paul Tillich in der Diskussion, 978-3-11-076594-6

Erratum Trotz sorgfältiger Erstellung unserer Bücher lassen sich Fehler manchmal leider nicht ganz vermeiden. Wir entschuldigen uns, dass die Seitenzahlen, die Überschrift und Kolumnentitel im Personenindex fehlerhaft waren. Wir bitten Sie um Beachtung der nachfolgenden Richtigstellung: Die Seitenzahlen mussten fortlaufend gezählt werden, statt 1, 2, 3 – wie in der Originalversion angegeben- müssen die Seitenzahlen des Personenregisters 291, 292 und 293 lauten. Außerdem haben mussten die Überschrift, sowie die Kolumnentitel „Personenregister“ und nicht „Personenregister FS Sturm“ lauten.

https://doi.org/10.1515/9783110767728-019. The updated original chapter is available at DOI: https:// doi.org/10.1515/9783110767728-017