Kritische Theologie: Paul Tillich in Frankfurt (1929-1933) 9783110434163, 9783110441260

This volume examines the multifaceted origins of Paul Tillich’s “critical theology” during the Frankfurt years (1929–193

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German Pages 467 [468] Year 2015

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Kritische Theologie: Paul Tillich in Frankfurt (1929-1933)
 9783110434163, 9783110441260

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Kritische Theologie

Tillich Research

Tillich-Forschungen Recherches sur Tillich Edited by Christian Danz, Marc Dumas, Werner Schüßler, Mary Ann Stenger and Erdmann Sturm

Volume 8

Kritische Theologie

Paul Tillich in Frankfurt (1929–1933) Herausgegeben von Gerhard Schreiber und Heiko Schulz

ISBN 978-3-11-044126-0 e-ISBN (PDF) 978-3-11-043416-3 e-ISBN (EPUB) 978-3-11-043375-3 ISSN 2192-1938 Library of Congress Cataloging-in-Publication Data A CIP catalog record for this book has been applied for at the Library of Congress. Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. © 2015 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston Druck und Bindung: CPI books GmbH, Leck ♾ Gedruckt auf säurefreiem Papier Printed in Germany www.degruyter.com

Inhalt Vorwort

VII

Gerhard Schreiber und Heiko Schulz Paul Tillich in Frankfurt (1929 – 1933) Einleitung 1 Gesche Linde „daß Leute, die den Kapitalismus stützen, von uns als Vertreter des Protestantismus im echten Sinn nicht angesprochen werden können.“ Paul Tillich (1886 – 1965) und Erich Foerster (1865 – 1945) in Frankfurt am 13 Main Markus Wriedt Theologie am Ende der ersten deutschen Demokratie Frankfurt am Main und Paul Tillich 133 Michael Moxter Symbolischer Realismus Tillichs Mythostheorie im Horizont der zwanziger Jahre

195

Werner Schüßler Der Mensch und die Philosophie Zur existenzphilosophischen und anthropologischen Wende Paul Tillichs in seiner Frankfurter Zeit 215 Yiftach Fehige More than Sand Castles: Paul Tillich, Christianity, and Science Heiko Schulz Sein und Geschehen Tillichs Metaphysikverständnis der 1920er Jahre Peter Slater Tillich’s Critical Theology of Principled Human Being

269

289

251

VI

Inhalt

Christian Danz Geschichte und Utopie Geschichtsphilosophie bei Paul Tillich und Max Horkheimer Bryan Wagoner Religious Socialism as Critical Theory Tillich and the Institute in Frankfurt Christopher Craig Brittain Adorno’s Debt to Paul Tillich? On Parataxical Theology

307

323

343

Christian Wiese Spuren des Dialogs mit Martin Buber in Paul Tillichs Reflexionen über Judentum und „Judenfrage“ 361 Hans-Günter Heimbrock Empirische Theologie mit Tillich? Abkürzungsverzeichnis Autorenverzeichnis Namensregister Sachregister

431 435

437 451

411

Vorwort Der vorliegende Band enthält die zur Drucklegung überarbeiteten und zum Teil erweiterten Beiträge zu einer Tagung, die unter dem Titel Kritische Theologie. Paul Tillich in Frankfurt (1929 – 1933) vom 25. bis 28. Juni 2014 an der Goethe-Universität Frankfurt stattfand. Die mit Teilnehmern/innen aus Deutschland, Österreich, Großbritannien, den USA und Kanada international besetzte Konferenz wurde vom Frankfurter Lehrstuhl für Systematische Theologie und Religionsphilosophie im Rahmen der 100-Jahr-Feier der Goethe-Universität 2014 ausgerichtet und in Kooperation mit dem dortigen Institut für Religionsphilosophische Forschung (IRF) durchgeführt. Wir danken an dieser Stelle allen Vortragenden und Tagungsteilnehmern/ innen für ihre sachkundigen Beiträge und die engagierten Diskussionen vor Ort. Dem Präsidium der Goethe-Universität sowie der Deutschen Forschungsgemeinschaft danken wir für die großzügige finanzielle Unterstützung der Tagung, ohne die diese nicht hätte durchgeführt werden können. Stellvertretend für alle Mitarbeiter/innen der GU 100-Initiative geht unser Dank an Frau Dr. Annabelle Hornung für die kompetente Betreuung unseres Projektes vor Ort. Um die Tagungsorganisation und -durchführung hat sich neben den Mitgliedern des IRF vor allem Jeanette Schindler, Sekretärin am Frankfurter Lehrstuhl für Systematische Theologie und Religionsphilosophie, verdient gemacht; dafür an dieser Stelle ein herzlicher Dank. Frau stud. theol. Mirjam Raupp danken wir für die Mitarbeit bei der Erstellung der Register des vorliegenden Bandes. Weiterhin gilt unser Dank den Herausgebern der Reihe Tillich Research / Tillich-Forschungen / Recherches sur Tillich sowie dem Verlag De Gruyter, namentlich Herrn Dr. Albrecht Döhnert, für die Aufnahme des Buches in diese Reihe bzw. für die kompetente verlegerische Betreuung. Ein besonderer Dank gebührt der Erich und Maria Russell-Stiftung für die Gewährung eines Druckkostenzuschusses. Frankfurt am Main, 21. Juni 2015 Gerhard Schreiber

Heiko Schulz

Gerhard Schreiber und Heiko Schulz

Paul Tillich in Frankfurt (1929 – 1933) Einleitung „In Frankfurt habe ich wohl die 4 glanzvollsten Jahre meines Lebens gehabt“¹, schreibt Paul Tillich (1886 – 1965) am 10. September 1961 aus East Hampton, New York, in seiner Antwort an den Dekan der Frankfurter Philosophischen Fakultät, Alfred Rammelmeyer (1910 – 1995), der Tillich einen Monat zuvor brieflich zum 75. Geburtstag gratuliert hatte.² Bereits in seinem Schreiben vom 3. September 1961 an den Rektor der Universität, Karl Hax (1901– 1978), hatte Tillich dem Wunsch Ausdruck verliehen, „dass trotz meines Alters die Verbindung mit meiner geliebten Frankfurter Universität lebendig bleibt“, blicke er doch auf die dortigen vier Jahre von 1929 bis 1933 „als auf die Glanzzeit meines Lebens zurück.“³ Durch einen Ministerialbeschluss⁴ – „gegen alle bisherigen Beschlüsse der philosophischen Fakultät und alle Fachgutachten“⁵ – wurde Tillich am 28. März 1929 als Nachfolger von Hans Cornelius (1863– 1947) auf den Frankfurter Lehrstuhl für Philosophie und Soziologie, einschließlich Sozialpädagogik, an der erst 15 Jahre zuvor gegründeten Universität Frankfurt berufen, nachdem er bereits vorher kurzzeitig

 Universitätsarchiv Frankfurt am Main, Abt. , Nr. , Blatt .  Vgl. Universitätsarchiv Frankfurt am Main, Abt. , Nr. , Blatt  –  (Schreiben vom . August ). Aus Abt. , Nr. , Blatt  (Schreiben vom . August ) geht hervor, dass sich für dieses Glückwunschschreiben niemand anderes als Max Horkheimer als Ghostwriter betätigt hat, vgl. Abt. , Nr. , Blatt  – .  Universitätsarchiv Frankfurt am Main, Abt. , Nr. , Blatt ; vgl. Abt. , Nr. ,  – .  Vgl. den Brief des Preußischen Ministeriums für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung an Paul Tillich vom . März , abgedruckt in: EW V,  f., hier : „Indem ich Ihnen die darüber ausgefertigte Bestallung übersende, verleihe ich Ihnen in dieser Fakultät die durch das Ausscheiden des Professors Cornelius freigewordene planmäßige Professur mit der Verpflichtung, die Philosophie und die Soziologie einschließlich Sozialpädagogik in Vorlesungen und Übungen zu vertreten. Zugleich ernenne ich Sie zum Direktor des Seminars für Philosophie, sowie zum Direktor des Pädagogischen Seminars der Universität Frankfurt a.M.“ (vgl. dagegen GW XIII, ). In der Tat „bleibt es als bemerkenswertes Faktum, daß eine der bedeutendsten Gestalten, die dem Frankfurter Lehrkörper angehört haben, der Universität vom Ministerium oktroyiert worden ist“ (Paul Kluke, Die Stiftungsuniversität Frankfurt am Main  –  (Frankfurt am Main: Waldemar Kramer, ), ). Zur verwickelten Berufungsgeschichte Tillichs und der Rolle des preußischen Kultusministers Carl Heinrich Becker ( – ) in diesem Zusammenhang vgl. Erdmann Sturm, „Historische Einleitung“, in: EW XV, S. XXIII-LIX.  So Sturm, „Historische Einleitung“, in: EW XV, S. XL, über den Kurator der Frankfurter Universität, Kurt Riezler, der sich, dem Vorschlag Beckers entsprechend, für die Berufung Tillichs stark machte.

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Gerhard Schreiber und Heiko Schulz

außerordentlicher Professor für Theologie in Marburg und Ordinarius für Religionswissenschaft in Dresden gewesen war. Die Frankfurter Universität war zu dieser Zeit, wie es in einer knappen autobiographischen Skizze Tillichs aus dem Jahr 1952 heißt, „the most modern and most liberal university in Germany“⁶. Gleichwohl – oder gerade deshalb? – besaß sie zu jener Zeit keine eigene theologische Fakultät,⁷ und so verwundert nicht, dass sich der junge Professor in Frankfurt gleichsam „als protestantischer Theologe in philosophischem Material“⁸ fühlte, seine Vorlesungen nach eigenem Dafürhalten sich mithin „auf der Grenze zwischen Theologie und Philosophie bewegten“⁹ – eine Formulierung, die sich rückblickend als Signum seines Denkens insgesamt herausstellen sollte. Tillichs Tendenz zum theoretischen Spagat wurde ferner begünstigt, ja de facto mit bedingt durch eine Erfahrung, die seine theoretische Entwicklung bereits zuvor in einen höchst kreativen Gärungsprozess versetzt hatte: die Konfrontation mit dem als extrem empfundenen Gegensatz zwischen den Anfängen der dialektisch-theologischen ‚Orthodoxie‘ in Marburg einerseits und der Liberalität und Weltoffenheit einer stark kulturwissenschaftlich ausgerichteten Denkungsart, die in Dresden dominierte. Von diesem Gärungsprozess legen nicht zuletzt die zahlreichen Texte Tillichs Zeugnis ab, die in den Frankfurter Jahren verfasst bzw. (zum Teil postum) veröffentlicht wurden.¹⁰ Nimmt man die vielfachen, von Martin Buber (1878 – 1965) bis zu Theodor W. Adorno (1903 – 1969) reichenden Anregungen hinzu, die Tillich in Frankfurt empfing, so hätte die Prophezeiung von Tillichs Hallenser Lehrer Fritz Medicus (1876 – 1956) leicht Wirklichkeit werden können, wonach „Tillich der ‚kommende Mann‘ in der Philosophie sei.“¹¹ Doch dazu sollte es nicht kommen, denn Tillich wurde von den Nationalsozialisten mit Wirkung vom 13. April 1933 seines Amtes enthoben und Ende Oktober 1933 zur Emigration in die USA gezwungen – „die

 Paul Tillich, „Autobiographical Reflections“, in: The Theology of Paul Tillich, hg. von Charles W. Kegley und Robert W. Bretall (New York: Macmillan,  / Library of Living Theology, Bd. ),  – , hier ; vgl. Paul Tillich, „Autobiographische Betrachtungen“, in: GW XII,  – , hier .  Vgl. hierzu Gesche Linde, „‚Diese Lehrstühle […] hätten Wissenschaft und nicht Glauben zu tradieren‘. Zur systematischen Diskussion um den universitären Ort der Theologien am historischen Beispiel der Universitätsgründung in Frankfurt am Main“, in: Theologie im Wissenschaftsdiskurs der säkularen Universität, hg. von Knut Wenzel (Freiburg i. Br.: Herder, erscheint vsl.  / Quaestiones disputatae).  So Tillich retrospektiv in einem Brief an Eugen Rosenstock-Huessy von Anfang , abgedruckt in: EW VI,  – , hier .  Tillich, „Autobiographische Betrachtungen“, in: GW XII, .  Siehe untenstehende Tabelle.  Fritz Medicus, „Paul Tillich“, in: Neue Zürcher Zeitung, Nr.  vom . . , Blatt ; vgl. GW XIII,  (samt GW XIV, ).

Paul Tillich in Frankfurt (1929 – 1933)

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bisher grösste Katastrophe meines Lebens“¹², wie es im eingangs zitierten Antwortschreiben Tillichs an den Dekan der Philosophischen Fakultät heißt. „Die junge Frankfurter Universität war Heimstätte nicht weniger neuer intellektueller Tendenzen.“¹³ So ist es gewiss nicht übertrieben, dass sich an der mit privaten Mitteln finanzierten Bürgeruniversität in der Zeit vor der nationalsozialistischen Machtergreifung „ein ‚Who is Who‘ der deutschen Gelehrtenwelt“¹⁴ versammelte. Gerade für den Austausch zwischen jüngeren Gelehrten sollten sich die Frankfurter Verhältnisse als besonders offen und produktiv herausstellen. Die offenbar instantane Wirkung, die Tillichs Auftreten im geistig-kulturellen Milieu dieser „großsprecherische[n] Provinzhauptstadt“¹⁵ auslöste, hat sich denn auch in zahlreichen Kontakten zu und wechselseitigen Beeinflussungen mit anderen Wissenschaftlern aus dem Umfeld der gesamten Frankfurter Universität niedergeschlagen. Dies zeigen auch Tillichs vielfältige Lehrveranstaltungen in Frankfurt, die, wie der Blick in die Vorlesungsverzeichnisse der betreffenden Jahre¹⁶ zeigt, nicht selten in Kooperation mit Anderen durchgeführt wurden: Sommersemester 1929 Vorlesung: Griechische Philosophie¹⁷ Wintersemester / Vorlesung: Sein und Geschehen (Geschichtsphilosophie); Do. Fr.  –  Vorlesung: Masse und Geist (Sozialpädagogik); Mi.  –  Seminar: Geschichtsphilosophische Übungen; Mi.  –  Sommersemester  Vorlesung: Philosophie der Religion; Di. Do.  –  Vorlesung: Schelling und die innere Krisis des deutschen Idealismus; Mi.  –  Seminar: Der Begriff des Absoluten; Mi.  – 

 Universitätsarchiv Frankfurt am Main, Abt. , Nr. , Blatt .  Walter Müller, Dekan der Philosophischen Fakultät in Tillichs Todesjahr, in seinem Beileidsbrief an Hannah Tillich vom . November , abgedruckt in: EW V,  – , hier .  Michael Maaser, „Geschichte der Goethe-Universität“, http://www.uni-frankfurt.de/ /Geschichte (zuletzt eingesehen am . . ).  So der damalige Städel-Professor Max Beckmann ( – ) über Frankfurt, zitiert nach einem Brief (o.D.) der zeitlebens mit dem Ehepaar Tillich befreundeten Margot Hahl, abgedruckt in: EW V,  – , hier .  Abrufbar unter http://publikationen.ub.uni-frankfurt.de/solrsearch/index/search/searchtype/collection/ id//start//rows//sortfield/year/sortorder/desc (zuletzt eingesehen am . . ).  Nicht im Vorlesungsverzeichnis für das Sommersemester  angekündigt, vgl. jedoch Erdmann Sturm, „Historische Einleitung“, in: EW XVIII, S. XIX – XLVIII, hier S. XX – XLI (mit zum Teil geringfügig abweichenden Titeln gegenüber den Ankündigungen in den Vorlesungsverzeichnissen).

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Gerhard Schreiber und Heiko Schulz

Proseminar: Lektüre philosophischer Schriften; Mi.  –  (mit Horkheimer) Seminar; Di.  –  [ohne Titel] (mit Wertheimer, Riezler und Gelb) Wintersemester / Vorlesung: Die Entwicklung der Philosophie von der Spätantike zur Renaissance; Do. Fr.  –  Seminar: Die Sozialethik des Thomas von Aquino und die moderne katholische Sozialethik; Mi.  –  Proseminar: Lektüre von Locke; Mi.  –  (mit Horkheimer) Sommersemester  Vorlesung: Geschichte der philosophischen Ethik; Do. Fr.  –  Seminar: Die philosophische Grundlage der politischen Richtungen; Mi.  –  Proseminar: Lektüre eines philosophischen Schriftstellers; Mi  –  (mit Horkheimer) Philosophisches Kolloquium; Do.  –  (-täg.) (mit Riezler, Gelb und Wertheimer) Wintersemester / Vorlesung: Hegel; Do. Fr.  –  Seminar: Hegels Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften; Mi.  –  Proseminar: Lektüre ausgewählter Abschnitte aus Hegels Geschichtsphilosophie; Mi.  –  (mit Wiesengrund) Sommersemester  Vorlesung: Die philosophischen Ideen in der deutschen Klassik von Lessing bis Novalis; Do. Fr.  –  Seminar: Kants Kritik der Urteilskraft; Mi.  –  Proseminar: Lessing[,] Die Erziehung des Menschengeschlechts; Mi.  –  (mit Wiesengrund) Wintersemester / Vorlesung: Grundfragen der systematischen Philosophie; Do. Fr.  –  Philosophisches Kolloquium über Grundfragen der systematischen Philosophie; n. Verabr. Seminar: Besprechung philosophischer Begriffe; Mi.  –  Proseminar: Simmel, Hauptprobleme der Philosophie; Mi.  –  (mit Wiesengrund) Sommersemester  [angekündigt] Vorlesung: Französische Philosophie des . und . Jahrhunderts; Do. Fr.  –  Philosophisches Kolloquium: Fragen der systematischen Philosophie; n. Verabr. Proseminar: Locke „Essay“; Mi.  –  (mit Wiesengrund) Seminar: Spinoza „Ethik“; Mi.  – 

Nach seinem frühen Hauptwerk Das System der Wissenschaften (1923)¹⁸ war Tillich noch nicht wieder durch ein größeres Werk hervorgetreten, während seine bisherigen zum Teil an entlegener Stelle und in den verschiedensten Organen verstreut publizierten Aufsätze und Beiträge einem größeren Leserkreis nur schwer zugänglich waren. In Frankfurt begann für Tillich nun eine außerordentlich produktive Phase, in der er Philosophie und Theologie mit einem selten breiten interdisziplinären Horizont betrieb. Angesichts eines systematisch derart eigenständigen und ge-

 Paul Tillich, Das System der Wissenschaften nach Gegenständen und Methoden. Ein Entwurf (Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, ), vgl. GW I,  – .

Paul Tillich in Frankfurt (1929 – 1933)

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radezu seismographisch sensiblen¹⁹ Denkers wie Tillich überrascht es kaum, dass sich in den durch mannigfaltige Diskurszusammenhänge geprägten Frankfurter Jahren nicht nur der stetige Ausbau bzw. die Verfestigung jener Positionen zeigt, die sich seit Beginn der 1920er Jahre in Berlin, Marburg und Dresden in seinem Leben wie in seiner philosophischen und theologischen Arbeit immer deutlicher herauskristallisierten, sondern dass es nicht zuletzt aufgrund des offenbar überaus anregenden intellektuellen Umfeldes der Frankfurter Professur zu Präzisierungen ebenso wie zu spezifischen Korrekturen und Modifikationen des zuvor Erarbeiteten kommt. Auch im Hinblick auf die Theologie und Philosophie der Spätzeit nehmen Tillichs Frankfurter Jahre „geradezu eine Schlüsselrolle“²⁰ ein. Vor dem Hintergrund der korrespondierenden Annahme, dass Tillichs Wirken in Frankfurt eine theorieformativ und werkgenetisch entscheidende Bedeutung zukommt, bestimmten drei Leitziele die Konzeption der Tagung, auf die der vorliegende Band zurückgeht: Erstens sollten neben den offensichtlichen auch jene untergründigen Formationsbedingungen des Tillichschen Denkens im quellenund rezeptionshistorischen Detail rekonstruiert werden, die seine Entwicklung während der Frankfurter Jahre geprägt haben. Zweitens sollte mit heuristisch umgekehrter Stoßrichtung ein konturschärferes Bild der geistigen Situation der Frankfurter Universität unmittelbar vor der nationalsozialistischen Machtübernahme herausgearbeitet und so die offensichtlich fruchtbaren Wechselwirkungen zwischen Tillich und seinem akademischen Umfeld genauer bestimmt werden. Drittens sollte im Sinne eines Maximalziels die prinzipielle Leistungsfähigkeit des Tillichschen Denkens als einer genuin ‚kritischen Theologie‘ taxiert sowie deren systematisches Potential ausgelotet und wenn möglich weiterentwickelt werden. Alle Tagungsteilnehmer/innen haben konstruktive Beiträge zur Realisierung dieser Zielvorgaben geleistet und dabei neue, historisch wie systematisch vertiefende und weiterführende Einsichten in die Formationsbedingungen dieser Schaffensperiode Tillichs vermittelt. Die Annahme ihrer werkgenetisch maßgeblichen Bedeutung ließ sich dabei – zu Recht, wie sich im Nachhinein zeigt – von der Beobachtung leiten, dass Tillich im fraglichen Zeitraum auf ganz verschiedenen, für die Entwicklung seines Denkens durchweg zentralen Themenfeldern grundlegende Texte verfasst hat – Texte, die hermeneutisch und systematisch bislang allerdings noch kaum erschlossen waren, weil sie entweder an entlegener

 Adorno etwa sieht in der „fast grenzenlose[n] Impressionabilität“ und „selbstvergessene[n] Fähigkeit, andere Menschen auch auf sich einwirken zu lassen“, einen zentralen Schlüssel zum Verständnis Tillichs: „Er war wie ein wandelndes System von Antennen“ (Werk und Wirken Paul Tillichs. Ein Gedenkbuch. Mit der letzten Rede von Paul Tillich und Beiträgen von Theodor W. Adorno […] (Stuttgart: Evangelisches Verlagswerk, ), ).  So Werner Schüßler in seinem Beitrag im vorliegenden Band, .

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Gerhard Schreiber und Heiko Schulz

Stelle oder erst während der letzten Jahre publiziert wurden.Wie die nachstehende Auflistung aller von Tillich in den Frankfurter Jahren verfassten bzw. (zum Teil postum) veröffentlichten Texte verdeutlicht,²¹ gilt dies nicht zuletzt für die umfangreichen Vorlesungsmanuskripte zur systematischen Philosophie, Philosophie der Geschichte und Religionsphilosophie: Titel

Abfassungsjahr – Erstveröffentlichung (ggf. GW/EW) Erscheinungsjahr

„Der Protestantismus als kritisches und gestaltendes Prinzip“

 – 

„Nichtkirchliche Religionen“

 – 

„Religiöse Verantwortung“ „Gegenwart und Religion“ „Philosophie und Schicksal“

 –   –   – 

„Philosophie der Macht“ „Zwang und Freiheit im sozialen Leben (Philosophie der Macht)“ „Griechische Philosophie“ (SoSe ) [Vorlesungsmanuskript, Einleitung] „Geschichtsphilosophie“ (WiSe / ) [Vorlesungsmanuskript] „Sozialpädagogik“ (WiSe /) [Vorlesungsmanuskript] „Geschichtsphilosophische Übungen“ (WiSe /) „Religion und Technik“ „Der natürlich-schöpfungsmäßige und geschichtlich-eschatologische Sinn der Technik“ „Der Mensch“ „Theologie und Philosophie“ „Seele und Sakrament“

 –   – 

Protestantismus als Kritik und Gestaltung,  –  (GW VII,  – ) Volk und Reich der Deutschen, Bd. ,  –  (GW V,  – ) Berliner Tageblatt , Nr. ,  Neuwerk ,  –  Kant-Studien ,  –  (GW IV,  – ) EW XI,  –  EW XI,  – 

 – 

EW XVIII,  – 

/ – 

EW XV,  – 

/ – 

EW XV,  – 

/ – 

EW XV,  – 

/ –  / – 

EW XI,  –  EW XI,  – 

/ –  / –  / – 

EW XI,  –  EW XI,  –  EW XI,  – 

 Als Grundstock hierfür dienten: „Bibliographie“, von Renate Albrecht, Peter H. John und Gertraut Stöber, ergänzt und fortgeführt von Werner Schüßler, in: Schlüssel zum Werk von Paul Tillich. Textgeschichte und Bibliographie sowie Register zu den Gesammelten Werken. Gesammelte Werke Band XIV, hg. von Renate Albrecht und Werner Schüßler (Berlin und New York: Walter de Gruyter,  []),  – ; sowie Werner Schüßler, „Bibliographie der Primär- und Sekundärliteratur zu Paul Tillich“, in: https://www.uni-trier.de/index.php?id= (letzter Zugriff am . . ).

Paul Tillich in Frankfurt (1929 – 1933)

Titel

Abfassungsjahr – Erstveröffentlichung (ggf. GW/EW) Erscheinungsjahr

„Entwurf zu einem Lehrgang der Metaphysik“ „Metaphysik“ [Einleitung und Gliederung] Religiöse Verwirklichung

ca. / –  ca. / –  / –  () . „Die Protestantische Verkündigung  –  und der Mensch der Gegenwart“ . „Protestantische Gestaltung“  –  . „Über gläubigen Realismus“  – 

. „Das religiöse Symbol“

 – 

. „Christologie und Geschichtsdeutung“ . „Eschatologie und Geschichte“

/ – 

. „Natur und Sakrament“ . „Die Überwindung des Persönlichkeitsideals“ . „Klassenkampf und religiöser Sozialismus“ . „Der Staat als Erwartung und Forderung“ . „Die Staatslehre Augustins nach De civitate Dei“ . „Lessing und die Idee einer Erziehung des Menschengeschlechts“ . „Zum Problem der evangelischen Sozialethik“ „Mythus und Mythologie: I. Begrifflich und religionspsychologisch“ „Offenbarung. V. A. Religionsphilosophisch“ „Philosophie I. Begriff und Wesen“

 – 

EW XI,  –  EW XI,  – 

(GW VII,  – ) (GW VII,  – ) Theologische Blätter ,  –  (GW IV,  – ) Blätter für Deutsche Philosophie ,  –  (GW V,  – ) (GW VI,  – )

 –   – 

Die Christliche Welt , Nr.  (GW VI,  – ) (GW VII,  – ) Logos ,  –  (GW III,  – )

/ – 

(GW II,  – )

 – 

(GW IX,  – )

 – 

Theologische Blätter ,  –  (GW XII,  – ) (GW XII,  – )

 –   –   –   –   – 

„Philosophie III. Philosophie und Religi-  –  on, grundsätzlich“ „Sozialismus“  –  „Religiöser Sozialismus“

7

 – 

Blätter für Religiösen Sozialismus ,  –  (GW XII,  – ) RGG², Bd. , Sp.  –  (GW V,  – ) A.a.O., Sp.  –  (GW VIII,  – ) A.a.O., Sp.  –  (GW IV,  – ) A.a.O., Sp.  –  (GW V,  – ) Neue Blätter für den Sozialismus ,  –  (GW II,  – ) A.a.O.,  –  (GW II,  – )

8

Gerhard Schreiber und Heiko Schulz

Titel

Abfassungsjahr – Erstveröffentlichung (ggf. GW/EW) Erscheinungsjahr

„Neue Formen christlicher Verkündigung.  –  Eine Betrachtung über Sinn und Grenzen evangelischer Katholizität“ „Kult und Form“  –  „Philosophie der Religion“ (SoSe ) [Vorlesungsmanuskript, Fragment] „Die innere Krisis des deutschen Idealismus in Schellings Philosophie“ (SoSe ) [Vorlesungsmanuskript, Fragment] „Der Begriff des Absoluten“ (SoSe ) [Disposition für ein Hauptseminar, Fragment] „Adolf von Harnack. Eine Würdigung anläßlich seines Todes“ [ungedruckte Handschrift] Brief an Helmuth Schreiner (. . ) „Natur und Geist im Protestantismus“ „Der Begriff der historischen Zeit“ „Die zwei Schichten des geschichtlichen Wahrheitsproblems“ „Religion und Wirklichkeit“ „Religion und Form (Sakramentales Denken als Grundlage der Gestaltung)“ „Der Protestantismus und die proletarische Situation“ „Die Geschichtsphilosophie des Religiösen Sozialismus“ „Das sozialpädagogische Problem und die Erschütterung der humanistischen Pädagogik“ „Systematische Entfaltung des philosophischen Fragens“ „Systematische Grundlegung der existentialgeschichtlichen Methode“ „Die Entwicklung der Philosophie von der Spätantike bis zur Renaissance“ (WiSe /) [Vorlesungsmanuskript, Nachschriften] „Der religiöse Mensch“ „Das Fragen und die Fragwürdigkeit. Gedanken zur theologischen Anthropologie“

Reclams Universum ,  –  (GW XIII,  – )

 – 

Die Form ,  –  (GW IX,  – ) EW XVIII,  – 

 – 

EW XVIII,  – 

 – 

EW XVIII,  – 

 – 

GW XII,  – 

 –  ca.  –   –   – 

EW V,  GW XIII,  –  EW XI,  –  EW XI,  – 

 –   – 

EW XI,  –  EW XI,  – 

 – 

EW XI,  – 

 – 

EW XI,  – 

 – 

EW XI,  – 

 – 

EW XI,  – 

 – 

EW XI,  – 

/ – 

EW XVIII,  – 

/ –  / – 

EW XI,  –  EW XVIII,  – 

Paul Tillich in Frankfurt (1929 – 1933)

Titel

9

Abfassungsjahr – Erstveröffentlichung (ggf. GW/EW) Erscheinungsjahr

Protestantisches Prinzip und proletari –  sche Situation „Sozialismus: II. Religiöser Sozialismus“  –  „Theonomie“ „Wissenschaft“

 –   – 

„Das Wasser“

 – 

„Mensch und Staat“

 – 

„Blut gegen Geist“ „Kunstpolitik“ „Die Einheit des Widerspruchs“ „Dämonen“ „Neue Schöpfung“ „Utopie“ „Drei Stadien“ „Menschliche Möglichkeiten“ „Das Fragen“ „Menschheit“

 –   –   –   –   –   –   –   –   –   – 

„Das Problem der Macht. Versuch einer  –  philosophischen Grundlegung“ „Kirche und humanistische Gesellschaft“  –  „Zum Problem des evangelischen Religi-  –  onsunterrichts“

„Zum Fall Eckert. Eine Stellungnahme“

 – 

„Die Doppelgestalt der Kirche“

 – 

„Fachhochschulen und Universität“

 – 

„Gutachten über die Arbeit von Dr. Wie-  –  sengrund: Die Konstruktion des Ästhetischen bei Kierkegaard“ „Protestantismus und Seelenführung“  –  „Die geistige Lage des Sozialismus“  – 

(GW VII,  – ) RGG², Bd. , Sp.  –  (GW II,  – ) A.a.O., Sp.  –  A.a.O., Sp.  –  (GW IV,  – ) Das Gottesjahr,  –  (GW XIII,  – ) Der Staat seid Ihr ,  (GW XIII,  – ) A.a.O.,  (EW XVIII,  – ) A.a.O.,  (GW XIII,  – ) A.a.O.,  (GW XIII,  – ) A.a.O.,  (EW XVIII,  – ) A.a.O.,  (GW XIII,  – ) A.a.O.,  (GW XIII,  – ) A.a.O.,  (GW XIII,  – ) A.a.O.,  (GW XIII,  – ) A.a.O.,  (EW XVIII,  – ) A.a.O.,  –  (GW XIII,  – ) Neue Blätter für den Sozialismus ,  –  (GW II,  – ) Neuwerk ,  –  (GW IX,  – ) Zeitschrift für den evangelischen Religionsunterricht an höheren Lehranstalten ,  –  (GW IX,  – ) Neue Blätter für den Sozialismus ,  –  (GW XIII,  – ) Neuwerk ,  –  (GW IX,  – ) Frankfurter Zeitung, Nr. ,  (GW XIII,  – ) EW XI,  – 

EW XI,  –  EW XI,  – 

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Gerhard Schreiber und Heiko Schulz

Titel

Abfassungsjahr – Erstveröffentlichung (ggf. GW/EW) Erscheinungsjahr

„Die Bedeutung der gegenwärtigen philosophischen Diskussion für die protestantische Theologie“ „Geschichte der Ethik“ (SoSe ) [Vorlesungsmanuskript] „Der Begriff der Phänomenologie und die phänomenologische Schule“ [Disposition für einen Vortrag] „Philosophische Prüfung und Universitätsreform. Vortrag vor der Philologischen Fachschaft der Universität Frankfurt a.M. im Juli “ „Autorität und Freiheit“ „Protestantismus und Humanismus (Das Problem der protestantischen Gestaltung in der Gegenwart)“ „Alltag und Feiertag“ „Die gegenwärtige Lage der Theologie“ „Der Geist des Sozialismus und der Kampf gegen ihn“ „Der Begriff der Lehre“ „Hegel“ (WiSe /) [Vorlesungsmanuskript] Hegel und Goethe. Zwei Gedenkreden „Zehn Thesen“

 – 

EW XI,  – 

 – 

EW XVIII,  – 

 – 

EW XVIII,  – 

 – 

EW XVIII,  – 

/ –  / – 

EW XI,  –  EW XI,  – 

/ –  / –  / – 

EW XI,  –  EW XI,  –  EW XI,  – 

/ –  / – 

EW XI,  –  EW VIII,  – 

 –   – 

(GW XII,  – ) Die Kirche und das Dritte Reich. Fragen und Forderungen deutscher Theologen, hg. von Leopold Klotz, Gotha,  –  (GW XIII,  – ) Neue Blätter für den Sozialismus ,  –  Bühnen-Blätter (Nationaltheater Mannheim) /, Nr. ,  –  (GW XII,  – ) Neue Blätter für den Sozialismus ,  –  (GW II,  – ) Eckart ,  – 

„Der Sozialismus und die geistige Lage der Gegenwart“ „Goethe und die Idee der Klassik“

 – 

„Protestantismus und politische Romantik“ „Beitrag zu einem Symposium: Haus Gottes. Stimmen über den Kultbau der Zukunft“ Selbstanzeige zu Die sozialistische Entscheidung Die sozialistische Entscheidung

 – 

 – 

 – 

 –   – 

Neue Blätter für den Sozialismus ,  –  (GW II,  – )

Paul Tillich in Frankfurt (1929 – 1933)

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Titel

Abfassungsjahr – Erstveröffentlichung (ggf. GW/EW) Erscheinungsjahr

„Christentum als Ideologie. Eine Stellungnahme zur Erklärung des Kabinetts v. Papen“ „Freiheit der Wissenschaft“ „Die Philosophie der deutschen Klassik“ (SoSe ) [Vorlesungsmanuskript] „Der deutsche Idealismus und das proletarische Schicksal“ „Geschichte und Wahrheit“ „Der Beitrag von Theologie und Philosophie zur Besinnung der Gegenwart“ „Christentum und Marxismus“ „Fragen der systematischen Philosophie“ (WiSe /) [Vorlesungsmanuskript] „Immanent – Transcendent (Transcendental)“ [Arbeitsprogramm] „Das Wohnen, der Raum und die Zeit“

 – 

GW XIII,  – 

 –   – 

GW XIII,  –  EW XVIII,  – 

 – 

EW XI,  – 

 –   – 

EW XI,  –  EW XI,  – 

/ –  / – 

EW XI,  –  EW XVIII,  – 

/ – 

EW XVIII,  – 

 –   – 

Die Form ,  –  (GW IX,  – ) EW XI,  – 

 – 

EW V,  – 

„Gemeinschaft als Ideologie und Wirklichkeit“ Brief an Karl Barth (. . )

Angesichts dieser enormen Produktivität Tillichs, die zugleich die große Spannweite seiner akademischen Interessen und Kompetenzen eindrücklich vor Augen führt, scheint die Vermutung durchaus berechtigt, dass aus der Produktion der Frankfurter Jahre für die Entwicklung der deutschen Philosophie und Theologie insgesamt erhebliche Folgen hätten erwachsen können, wenn dies durch die aus Tillichs erzwungener Emigration in die USA resultierende Zäsur nicht vereitelt worden wäre. Zumal im Bereich der Ontologie, der Philosophie der Geschichte und der Religionsphilosophie konnte bislang allerdings erst ein kleiner Teil der seinerzeit unveröffentlicht gebliebenen Texte ausgewertet werden, und zwar sowohl in werkgenetisch-interner wie rezeptionshistorisch- und systematisch-externer Hinsicht. Selbstverständlich wird dieses Desiderat auch durch die Beiträge des vorliegenden Bandes nicht in vollem Umfang behoben. Immerhin bieten diese einen ersten Schritt zur Auswertung der vielfältigen Impulse Tillichs für das zeitgenössische wie für das gegenwärtige philosophisch-theologische Denken. Dies spiegelt unter anderem die Abfolge der einzelnen Texte wider, die sich aus einer Unterteilung in fünf leitende Themenblöcke bzw. Abschnitte ergibt.

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Gerhard Schreiber und Heiko Schulz

Den zeit-, kultur- und universitätsgeschichtlichen Kontext der Frankfurter Jahre Tillichs decken zwei materialreiche Referate von Gesche Linde und Markus Wriedt ab, die als historische Einleitung in die Themenstellung des Bandes insgesamt betrachtet werden können. Im Unterschied dazu stehen ausgewählte Themenkomplexe, deren Erörterung für das Verständnis von Genese und Profil des Tillichschen Denkens ab den 1920er Jahren besonders aufschlussreich sind, im Zentrum des zweiten Abschnitts: Mythostheorie (Michael Moxter), Existenzphilosophie (Werner Schüßler), Technologie und moderne Naturwissenschaft (Yiftach Fehige), Metaphysik (Heiko Schulz) und Theologie (Peter Slater). Der dritte Abschnitt versammelt eine Reihe von Texten, die teils grundsätzlich, teils exemplarisch der werkgenetischen und rezeptionshistorischen Erschließung eines im Frankfurter Kontext besonders naheliegenden Themas gewidmet sind: Tillichs Verhältnis zur sog. Frankfurter Schule bzw. zu Theodor W. Adorno und Max Horkheimer im Besonderen (Christian Danz, Bryan Wagoner, Christopher Brittain). Vor dem Hintergrund der Universitätsgründung und ihrer engen Verflechtung mit der jüdischen Bürgerschaft einerseits, dem Wirken jüdischer Gelehrter in Frankfurt bis zur nationalsozialistischen Machtübernahme andererseits schien viertens ein Blick auf Tillichs Verhältnis zum Judentum im Allgemeinen sowie zu seinen Frankfurter jüdischen Kollegen im Besonderen nicht minder dringlich als die Frage nach seinem Verhältnis zu den Protagonisten der Kritischen Theorie. Exemplarisch, nämlich am Leitfaden der Beziehung Tillichs zu Martin Buber, wird dieser Themenkomplex von Christian Wiese erörtert, dessen Detailanalysen auch spätere Äußerungen Tillichs zu diesem Thema einbeziehen. Schließlich und fünftens lotet der Beitrag von Hans-Günter Heimbrock Möglichkeiten und Grenzen einer Aneignung der Tillichschen Ressourcen im Gegenwartskontext aus, und zwar mit Blick auf das systematisch- wie praktisch-theologisch exemplarische Problem einer ‚empirischen Theologie‘. Aus je unterschiedlicher Perspektive treten in allen Beiträgen des vorliegenden Bandes die Konturen des Tillichschen Denkens als einer im Frankfurt-gemäßen wie -überschreitenden Sinn von Theologie als ‚kritischer Theorie‘ deutlich hervor: d. h. einer Theorie und Vollzugsform theologischer Rationalität in kritischkonstruktiver Selbstabgrenzung von Philosophie, Soziologie und Religionswissenschaft, wie sie in den maßgeblichen Texten der 1920er und 1930er Jahre Gestalt gewinnt.

Gesche Linde

„daß Leute, die den Kapitalismus stützen, von uns als Vertreter des Protestantismus im echten Sinn nicht angesprochen werden können.“¹ Paul Tillich (1886 – 1965) und Erich Foerster (1865 – 1945) in Frankfurt am Main

1 Paul Tillich: Als Theologe an einer philosophischen Fakultät Die Berufung Paul Tillichs nach Frankfurt ging bekanntlich nicht auf einen Fakultätsbeschluss zurück, sondern war einer Entscheidung des preußischen Kultusministers Carl Heinrich Becker (1921; 1925 – 1930) geschuldet, der Tillich freundschaftlich verbunden war und dem, als er 1930 zurücktrat, Tillich seinerseits, gemeinsam mit Max Wertheimer (Tillichs Kodirektor am Philosophischen Seminar), anbieten sollte, ihn auf den Frankfurter Pädagogiklehrstuhl zu holen. Becker war 1928 mit seinem Vorstoß, Tillich in Berlin unterzubringen, am dortigen kirchlichen Widerstand gescheitert² und sah nun an der Frankfurter Universität – an der er möglicherweise auch deshalb Interesse nahm, weil er 1895 in Frankfurt sein Abitur abgelegt hatte³ – die Chance eröffnet, das lästige Kirchenproblem zu umgehen, handelte es sich doch um ein Philosophie-Ordinariat.⁴

 EW VI, .  Vgl. die ausgezeichnete „Historische Einleitung“ von Erdmann Sturm in EW XV, S. XXIII-LIX, hier S. XXV – XXVII.  Vgl. Max Flesch-Thebesius, Johann Wolfgang Goethe Universität, Frankfurt am Main. Überblick über ihre Entstehung, ihre Entwicklung und vorgesehenen Planungen (Frankfurt am Main: Waldemar Kramer, ), : „Becker hatte seine Jugend in Frankfurt verbracht, wo er das damalige Gymnasium in der Junghofstraße besuchte, und hatte daher besonderes Interesse für die Stadt.“ (Gemeint ist das Lessing-Gymnasium.) – Im Gemeindeblatt der Israelitischen Gemeinde Frankfurt am Main  (), Heft  (März), hieß es auf S.  unter der Rubrik ‚Jüdische Chronik‘: „Im Alter von  Jahren verstarb der frühere preußische Kultusminister Professor Dr. Karl Heinrich Becker, ein Schüler des alten Gymnasiums in Frankfurt, der noch vor kurzem sein warmes Interesse an Frankfurt durch Uebernahme des Vorsitzes der ‚Gesellschaft Altfrankfurter in der Welt‘ bekundet hat.“

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Gesche Linde

Die Philosophische Fakultät ihrerseits hatte nach dem unerwarteten Tod Max Schelers am 19. Mai 1928, des Nachfolgers Julius Ziehens auf dem PädagogikLehrstuhl, dessen Denomination für Scheler ausweislich des Vorlesungsverzeichnisses vom Sommer 1928 in ‚Philosophie und Soziologie‘ umgewidmet worden war,⁵ und der Emeritierung von Hans Cornelius, des Ordinarius für Systematische Philosophie, zum Oktober 1928 hin sich zunächst, nicht zuletzt auf Cornelius’ Anraten hin, als Scheler-Nachfolger Ernst Cassirer gewünscht.⁶ Nach dessen Absage hatte

 Siehe dazu Werner Schüßler, „‚Als protestantischer Theologe in philosophischem Material.‘ Paul Tillich, Frankfurt und die Philosophie“, in: Spurensuche. Lebens- und Denkwege Paul Tillichs, hg. von Ilona Nord und Yorick Spiegel (Münster, Hamburg und London: LIT,  / Tillich-Studien, Bd. ),  – , hier ; Sturm, „Historische Einleitung“ (wie Anm. ), XXIII. XXIX.  So jedenfalls Sturm, „Historische Einleitung“ (wie Anm. ), XXX – XXXI: „Am . November  teilte Minister Becker der Fakultät seine Absicht mit, auf den pädagogischen Lehrstuhl Max Scheler (Köln) zu berufen. Zum Ausgleich werde er den philosophischen Lehrstuhl mit einem Pädagogen besetzen.“ Allerdings hatte der Vorgang letzte Eindeutigkeit vermissen lassen. Die Philosophische Fakultät jedenfalls hatte es offenbar vorgezogen, die Einrichtung der SchelerProfessur nicht als Umwidmung der Pädagogikprofessur, sondern als Neuerrichtung eines zweiten Philosophie-Ordinariats zu verstehen. In der Tat hatte am . November , in Vertretung Carl Heinrich Beckers, Ministerialrat Hans Heinrich Lammers der Universität mitgeteilt (Universitätsarchiv Frankfurt am Main, Abt. , Nr. , Blatt ): „Es ist meine Absicht, in die Philosophische Fakultät noch einen Vertreter der Philosophie zu berufen. Ich ersuche, mir Vorschläge zu machen und sich dabei über den Professor Scheler in Köln zu äußern.“ Am . November hatte der Dekan Hans Naumann erwidert (Universitätsarchiv Frankfurt am Main, Abt. , Nr. , Blatt ; Abt. , Nr. ), „daß die Philosophische Fakultät den Entschluß des Herrn Ministers, eine zweite Philosophieprofessur neben der ersten und doch wohl auch neben der noch vakanten Pädagogischen Professur zu errichten, dankbar und mit außerordentlicher Freude begrüßt. Sie ist im Begriffe,Vorschläge für diese zweite Philosophieprofessur auszuarbeiten und wird dabei auch,wie gewünscht, über den Professor Scheler in Köln sich äußern.“ Im selben Sinne hatte Naumann am . Dezember ein weiteres Schreiben nach Berlin gesandt, in dem von dem „neuzubegründenden zweiten Lehrstuhl für Philosophie“ die Rede gewesen und als Besetzung Ernst Cassirer ins Spiel gebracht worden war (Universitätsarchiv Frankfurt am Main, Abt. , Nr. , Blatt ). Die Berufung Schelers schloss das Direktorat der beiden Seminare für Philosophie und Pädagogik ein (vgl. Universitätsarchiv Frankfurt am Main, Abt. , Nr. , Blatt ). – Für großzügige Unterstützung meiner Recherchen im Frankfurter Universitätsarchiv danke ich sehr herzlich dem Leiter Herrn Dr. Michael Maaser und dem freundlichen Archivpersonal.  In einem mutmaßlich an den Dekan Hans Naumann gerichteten Brief vom . Juni  hatte Cornelius als Scheler-Nachfolger zunächst Cassirer ins Gespräch gebracht, der seinerzeit seitens der Fakultät schon als Alternative zu Scheler gehandelt worden war, sodann Max Wertheimer, „den mir Scheler noch kurz vor seinem Tode als von ihm gewünscht für die Liste seiner Nachfolger genannt hat und der auch mir durchaus einwandfrei erscheint“ (Universitätsarchiv Frankfurt am Main, Abt. , Nr. k, Blatt ), und schließlich Ernst von Aster (ebd.): „Ausdrücklich möchte ich mich gegen Heimsoeth erklären, von dem ich weiss, dass ihn Scheler gerne in Vorschlag gebracht haben würde; ich kann diesem Vorschlag nicht zustimmen.“

„daß Leute, die den Kapitalismus stützen…

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die Berufungskommission⁷ eine ganze Reihe von Kandidaten für beide Vakanzen erwogen, darunter, und zwar offenkundig auf Initiative Beckers hin, auch Tillich (neben Ernst von Aster, Alfred Baeumler, Julius Ebbinghaus, Eberhard Grisebach, Heinz Heimsoeth, Karl Jaspers, Richard Kroner, Erich Rothacker, Julius Stenzel und Max Wertheimer). Doch nach den Stellungnahmen von Nicolai Hartmann (der für die Cornelius-Nachfolge Jaspers, Wertheimer und Kroner platzierte und dem Tillich zusammen mit Grisebach „am wenigsten“ einleuchten wollte, „trotz seiner frühen Berühmtheit, die mir etwas billiger Art zu sein scheint“⁸), Martin Heidegger (der als „einzig“⁹ möglichen Kandidaten für die Scheler-Nachfolge Karl Jaspers empfahl und für die Cornelius-Nachfolge eine abgestufte Liste Ebbinghaus-Baeumler-Rothacker vorschlug – der namentlich nicht genannte Tillich fiel offenbar unter die „übrigen Kandidaten“, von denen „ernsthaft überhaupt nicht zu reden“¹⁰ sei), Edmund Husserl (der offenbar wie auch Cornelius Grisebach und Tillich abgelehnt, sich jedoch über Rothacker und von Aster günstig geäußert hatte¹¹), Karl Joël (der für die Cornelius-Nachfolge Jaspers, Grisebach und, als einziger Gutachter, auch Tillich empfahl, denn dieser sei „als Religionsphilosoph wohl der eigenartigste und entwicklungsfähigste“¹²) und schließlich Hans Cornelius selbst (der von Grisebach und

 Ausweislich des Protokollbuchs der Fakultät zur . Sitzung vom . Juni  gehörten der Kommission als professorale Mitglieder an (Universitätsarchiv Frankfurt am Main, Abt. , Nr. k, Blatt ): die Altphilologen Karl Reinhardt und Walter Otto, der Historiker Matthias Gelzer, der Germanist Franz Schultz sowie der Dekan Walter Platzhoff, ein Historiker. Die Besetzung scheint sich im Laufe des Wintersemesters geändert zu haben.  Zitiert nach: Sturm, „Historische Einleitung“ (wie Anm. ), XXXI / Universitätsarchiv Frankfurt am Main, Abt. , Nr. , Blatt r. Ebd. (Sturm, „Historische Einleitung“, XXXI – XXXII / Universitätsarchiv Frankfurt am Main, Abt. , Nr. , Blatt r): „Beide [scil. Tillich und Grisebach] sind keine eigentlich wissenschaftlichen Forscher, arbeiten oft mit fragwürdigen, populär zu nennenden Mitteln, leiden an sehr überflüssigen, nicht aus der Sache gerechtfertigten Unklarheiten. Tillich ist außerdem wohl zu theologisch, um Philosoph genannt werden zu können.“ Für den zweiten Lehrstuhl schlug Hartmann Julius Stenzel, Alfred Baeumler und Julius Ebbinghaus vor (vgl. Universitätsarchiv Frankfurt am Main, Abt. , Nr. , Blatt v). In einem weiteren Gutachten vom . Oktober  (das erste datiert vom . August) nannte Hartmann Moritz Geiger aus Göttingen für den systematischen Lehrstuhl – „[m]it Jaspers und Wertheimer hält er den Vergleich ernstlich aus; Kroner, Tillich, Grisebach reichen m. E. nicht entfernt an ihn heran“ (Universitätsarchiv Frankfurt am Main, Abt. , Nr. , Blatt r) – sowie Heinz Heimsoeth aus Königsberg für den historischen Lehrstuhl (vgl. Universitätsarchiv Frankfurt am Main, Abt. , Nr. , Blatt r).  Universitätsarchiv Frankfurt am Main, Abt. , Nr. , Blatt r.  Ebd.  Vgl. Universitätsarchiv Frankfurt am Main, Abt. , Nr. , Blatt .  – .  Zitiert nach: Sturm, „Historische Einleitung“ (wie Anm. ), XXXII / Universitätsarchiv Frankfurt am Main, Abt. , Nr. , Blatt r. Für den zweiten Lehrstuhl listete Joël Erich Rot-

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Rothacker abriet und stattdessen von Aster und Horkheimer ins Gespräch brachte) waren am 16. und 19. Oktober 1928, als die Berufungskommission zusammentrat, am 20. Oktober, als der Fakultätsrat tagte, und am 22. Oktober, als der Dekan Walter Platzhoff einen entsprechenden Brief nach Berlin sandte, nur noch zwei der Kandidaten übriggeblieben, nämlich Jaspers aus Heidelberg und Wertheimer aus Berlin, nun allerdings ergänzt durch den Namen eines der Gutachter selbst, nämlich Heideggers.¹³ Diese drei hatte die Fakultät ohne Gewichtung, ungeachtet einer abweichenden Stellungnahme des nichtbeamteten außerordentlichen Professors Georg Burckhardt,¹⁴ jedoch vermutlich im vollen Bewusstsein dessen, dass der Minister Tillich wünschte, in Berlin für die Cornelius-Nachfolge vorgeschlagen.¹⁵ hacker, Julius Ebbinghaus und Alfred Baeumler (vgl. Universitätsarchiv Frankfurt am Main, Abt. , Nr. , Blatt v).  Vgl. Universitätsarchiv Frankfurt am Main, Abt. , Nr. , Blatt , . Zu dem gesamten Vorgang siehe Sturm, „Historische Einleitung“ (wie Anm. ), XXX – XXXVII, sowie Paul Kluke, Die Stiftungsuniversität Frankfurt am Main  –  (Frankfurt am Main:Waldemar Kramer, ),  f.  Burckhardt empfahl nachdrücklich Max Wertheimer.Von Heidegger riet er mit der Begründung ab, dessen Werk Sein und Zeit sei „der Gefahr einer abstrakt-begrifflichen Akrobatik und engakademisch-philosophischen Begriffsspensterei nicht entgangen“ (Universitätsarchiv Frankfurt am Main, Abt. , Nr. , Blatt r), leide unter „einer treibhausartig hochgetriebenen philosophischen Zunftsprache“ und „einer gar eigenbrötlerischen Terminologie“ und verführe dazu, „gelehrte Umständlichkeit oder scholastisch-begriffliche Routiniertheit mit gewissenhafter Gründlichkeit oder mit Wissenschaftlichkeit zu verwechseln, und spekulative Verstiegenheit für Tiefsinn zu halten“ (Universitätsarchiv Frankfurt am Main, Abt. , Nr. , Blatt ). Über Jaspers urteilte Burckhardt, dessen Werk Psychologie der Weltanschauungen gehöre „von kulturgeschichtsphilosophischer Warte aus betrachtet zu den Symptomen eines zeitlich bedingten – bei aller Betriebsamkeit doch noch weithin herrschenden – Verfallszustandes innerhalb der Philosophie“ (ebd.), und schlug statt Heidegger und Jaspers Kurt Hildebrandt (Berlin), Ernst Barthel (Köln) und Theodor Haering (Tübingen) vor (vgl. Universitätsarchiv Frankfurt am Main, Abt. , Nr. , Blatt ). Tillich wird nicht erwähnt.  Die Philosophische Fakultät unter dem Dekanat des Historikers Walter Platzhoff hatte am . Oktober  mit Zustimmung des Kuratoriums der Universität durch den Oberpräsidenten in Kassel dem preußischen Minister für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung Carl Heinrich Becker unter Verzicht „[a]uf die Herstellung einer Rangfolge“ (Universitätsarchiv Frankfurt am Main, Abt. , Nr. , Blatt r) drei Vorschläge für „Vertreter einer systematischen Philosophie“ (ebd.) zur Besetzung des Hans-Cornelius-Lehrstuhls übersandt, die allerdings zugleich auch als Nachfolger des soeben verstorbenen Scheler auftreten können und darum ebenso „philosophischgeschichtlich“ ausgerichtet sein sollten: . Martin Heidegger aus Freiburg im Breisgau, mit der Begründung, er habe sich in Marburg als von „überraschend starker Wirkung auf die Jugend“ (Universitätsarchiv Frankfurt am Main, Abt. , Nr. , Blatt v) gezeigt und „zuletzt ein Buch veröffentlicht, das wie keines in dieser Zeit revolutionierend ist“ (ebd.); dazu lege er „tiefen wissenschaftlichen Ernst“ und „Genauigkeit seiner Denkarbeit“ an den Tag und sei „wohl der eindringendste Interpret des Aristoteles in unserer Zeit“ (ebd.). . Karl Jaspers aus Heidelberg, ein

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Nachdem das Ministerium am 10. November alle drei Kandidaten abgelehnt hatte,¹⁶ mit der Begründung, dass Heidegger eben erst in Freiburg angetreten, Jaspers nach Bonn berufen worden und Wertheimer eher für eine Psychologieprofessur geeignet sei, war Dekan Platzhoff Mitte November 1928 eigens zu einer persönlichen Vorsprache bei Wolfgang Windelband, dem Universitäts-Rat des Ministers, nach Berlin gereist. Über das Ergebnis dieser Besprechung verrät das Protokollbuch der Fakultät nichts,¹⁷ doch das Protokoll der Kommissionssitzung vom 24. November 1928, in der Platzhoff berichtete, lässt erkennen, dass das Ministerium mindestens zwei Forderungen gestellt hatte: Zum einen sollte Wertheimer auf den Psychologielehrstuhl der vierten (der naturwissenschaftlichen) Fakultät berufen werden,¹⁸ bei gleichzeitiger Erhöhung der Bezüge und Aufwertung der Position „phänomenologischer Psychologe von außerordentlich hoher Intelligenz, großer Formkraft und glänzendem Vortrag“ (Universitätsarchiv Frankfurt am Main, Abt. , Nr. , Blatt r), der „zwar nicht die Weite und Wucht Schelers und nicht die Gelehrsamkeit Cassirers“, „aber gleichwohl die Intensität eines philosophisch von jeder Schulrichtung freien Denkens“ habe, „das die Kräfte der Zeit spürt und zu lenken versucht“ (ebd.). . Max Wertheimer aus Berlin, „vor allem bekannt als Führer der neuen Bewegung, die den Namen Gestaltstheorie trägt“ (ebd.), dessen Arbeiten, obwohl psychologischer Natur, „für die Klärung erkenntnistheoretischer Fragen von grundlegender Bedeutung sind“ (Universitätsarchiv Frankfurt am Main, Abt. , Nr. , r/v) und der „außerdem stark und mit interessanten Problemstellungen als Logiker hervorgetreten“ sowie „wie wenige durch Klarheit und Exaktheit des Denkens und der Formulierung ausgezeichnet“ (Universitätsarchiv Frankfurt am Main, Abt. , Nr. , Blatt v) sei.  Vgl. Universitätsarchiv Frankfurt am Main, Abt. , Nr. , Blatt r. – Das Protokollbuch der Fakultät enthält für die . Sitzung vom . November  folgende Notiz (Universitätsarchiv Frankfurt am Main, Abt. , Nr. K [Philosophische Fakultät, Protokollbuch II,  – ], Blatt ): „Professur für Philosophie: Der Dekan macht Mitteilung, dass die am ten Oktober eingereichte Vorschlagsliste vom Ministerium zurückgegeben worden ist. Der Dekan wird ermächtigt, in persönlicher Fühlungsnahme mit dem Ministerium auf die Notlage der Fakultät angesichts der vakanten Anglistik- und Philosophieprofessur hinzuweisen.“  Vgl. das Protokoll der . Sitzung vom . Dezember  (Universitätsarchiv Frankfurt am Main, Abt. , Nr. K, Blatt  – ).  Wertheimer war  für die Nachfolge des in der Naturwissenschaftlichen Fakultät angesiedelten Friedrich Schumann im Gespräch gewesen, den er bereits zu Beginn des Jahrhunderts in Berlin kennengelernt hatte (vgl. Abraham S. Luchins und Edith H. Luchins, „An Introduction to the Origins of Wertheimers [sic!] Gestalt Psychologie [sic!]“, Gestalt Theory  (),  – , hier ; vgl. ; ebenso Abraham S. Luchins und Edith H. Luchins, „Wertheimer in Frankfurt:  – “, Gestalt Theory  (),  – , hier ). Doch hatte man von einer Nominierung abgesehen, weil „seine vor allem der philosophischen Forschung zugewandte Persönlichkeit besser auf einem allgemein-philosophischen Lehrstuhl ausgenutzt wäre“ (Universitätsarchiv Frankfurt am Main, Abt. , Nr. , Blatt v): dies eine Beurteilung, die insofern nicht der Ironie entbehrt, als die Philosophische Fakultät ihrerseits Wertheimer eher für einen PsychologieLehrstuhl geeignet gehalten hätte. Auf den ersten Listenplatz hatte man gleichgewichtet den Frankfurter Adhémar Gelb und den Marburger Erich Rudolf Jaensch gesetzt, auf den zweiten David

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Gelbs; zum anderen sollte die Ziehen-Scheler-Professur mit einem Pädagogen besetzt werden. Die Kommission entschied sich, Wertheimer – der sich ursprünglich, 1912, noch an der Vorgängerinstitution der Frankfurter Universität, der Akademie für Sozial- und Handelswissenschaften, habilitiert hatte¹⁹ – für den Psychologielehrstuhl zu akzeptieren, hielt jedoch im Blick auf die Pädagogikprofessur fest, „daß Berufung eines Nur-Pädagogen nicht in Betracht gezogen werden könne“²⁰, und schlug für die Scheler-Nachfolge Stenzel, Nohl oder Hoffmann sowie für die Cornelius-Nachfolge Hartmann, Baeumler, Rothacker oder Heimsoeth vor. Am 1. Dezember tagte die Kommission ein weiteres Mal und nominierte gewichtet Hartmann, Baeumler, Rothacker sowie Nohl, Stenzel, Hoffmann. Dementsprechend verabschiedete der Fakultätsrat am 10. Dezember mit neun Ja-Stimmen, drei Enthaltungen und einer Gegenstimme eine neue Liste für den Cornelius-Lehrstuhl, diesmal gestuft, und platzierte darauf, dem Kommissionsvotum gemäß, Hartmann, Baeumler und Rothacker. Die Gegenstimme muss

Katz aus Rostock. Der Minister indessen ersuchte im November  „die Naturwissenschaftliche Fakultät“ durch den Kurator Kurt Riezler, „in der Frage der Besetzung des Lehrstuhls für Philosophie und Psychologie sich nach Fühlungnahme mit der Philosophischen Fakultät über Herrn Max Wertheimer zu äussern“ (ebd., Blatt ). Am . Dezember, als die Listen für die Philosophieund die Pädagogikprofessur bereits beschlossen waren (auf keiner der beiden erschienen Tillich oder Wertheimer), erwiderte der Dekan der Naturwissenschaftlichen Fakultät Franz Linke gegenüber dem Ministerium (Universitätsarchiv Frankfurt am Main, Abt. , Nr. , Blatt r/v): „Die Fakultät ist nach wie vor der Ueberzeugung, daß die Kraft des Herrn Wertheimer auf einem allgemein-philosophischen Lehrstuhl besser ausgenützt werden könnte und daß die in ihrer Liste vorgeschlagenen drei Herren für die zu besetzende Stelle geeigneter sind. Sie [scil. die Fakultät] würde die Berufung von Herrn Wertheimer auf den Lehrstuhl in der Naturwissenschaftlichen Fakultät nur dann ohne Besorgnis betrachten können, wenn der durch langjährige fruchtbare Arbeit, besonders von Schumann, Koehler, Wertheimer und Gelb geschaffene Aufbau in dem hiesigen psychologischen Forschungs- und Lehrbetrieb gesichert und gefördert würde. Die Fakultät hegt aber auf Grund genauer Kenntnis der Persönlichkeit Wertheimers Zweifel, ob er trotz all seiner Bedeutung für die experimentelle Forschung der geeignete Leiter eines großen Instituts ist; weder seine Neigungen noch seine Fähigkeiten scheinen ihr in dieser Richtung zu liegen. Im Falle der Berufung Wertheimers könnte die gewünschte Sicherung etwa dadurch erreicht werden, daß Herr Wertheimer von der Leitung des Psychologischen Instituts bis zu einem gewissen Grade befreit würde. Das Institut besitzt ja zur Zeit in dem ersten Assistenten, Herrn Gelb, einen Mann, der neben seiner hohen wissenschaftlichen Bedeutung für die Wahrnehmung der besonderen Institutsinteressen ausgezeichnet geeignet ist.“  Vgl. Universitätsarchiv Frankfurt am Main, Abt. , Nr. , Blatt . Am . September  habilitierte Wertheimer sich an die Berliner Friedrich-Wilhelms-Universität um (vgl. Universitätsarchiv Frankfurt am Main, Abt. , Nr. , Blatt r/v; Abt. , Nr. , Blatt ): acht Monate, nachdem Tillich (am . Januar) denselben Schritt unternommen hatte (vgl. Universitätsarchiv Frankfurt am Main, Abt. , Nr. , Blatt , ).  Universitätsarchiv Frankfurt am Main, Abt. , Nr. , Blatt v.

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Cornelius zugeordnet werden, der nach wie vor an den Fakultätsratssitzungen teilnahm, sich bereits bei der ersten Begutachtungsrunde gegen Rothacker ausgesprochen hatte und nun ein Sondervotum ankündigte.²¹ Ungeachtet dessen wurde diese Liste am 14. Dezember 1928 nach Berlin übermittelt, verbunden mit der Bitte, die Pädagogikprofessur („angesichts der wenig sicheren Prinzipien, auf denen die Pädagogik als eine Wissenschaft beruht“²²) nicht mit einem Pädagogen, sondern mit einem Philosophen bzw. einer Persönlichkeit „von allgemeinerer Bedeutung“²³ zu besetzen, namentlich (ganz wie von der Kommission vorgeschlagen) mit Nohl, Stenzel oder Hoffmann, und begleitet von der Bemerkung, man betrachte „die Trennung der beiden Listen als ein[en] Kompromiss und würde lieber die Namen beider Listen durchgehend nach ihrem Rang abstufen“²⁴. Zusätzlich schaltete sich der neue Kurator der Universität, Kurt Riezler, ein und schlug dem Ministerium am 20. Dezember Hartmann, ersatzweise Wertheimer,

 Philosophische Fakultät, Protokollbuch II,  – , . Sitzung vom . Dezember  (Universitätsarchiv Frankfurt am Main, Abt. , Nr. K, ): „Bericht des Dekans über seine Berliner Besprechung über die Besetzung der philosophischen Lehrstühle und über das Ergebnis der Beratungen der gemischten Kommission. Diese schlägt für den philosophischen Lehrstuhl vor: ) Nic. Hartmann, ) Bäumler, ) Rothacker[.] Die Liste wird mit  gegen  Stimme bei  Enthaltungen angenommen, Herr Cornelius meldet ein Separatvotum an. Die Vorschläge für den pädagogischen Lehrstuhl: ) Nohl, ) Stenzel, ) Hoffmann werden einstimmig angenommen.“ Das Separatvotum Cornelius’ vom Dezember  schlug Max Wertheimer, Ernst von Aster und Max Horkheimer vor (vgl. Universitätsarchiv Frankfurt am Main, Abt. , Nr. , Blatt v; ebenso Abt. , Nr. , Blatt v). Die beiden ersteren, damals noch zusammen mit Cassirer, hatte Cornelius bereits im Juni  universitätsintern ins Spiel gebracht; vgl. Universitätsarchiv Frankfurt am Main, Abt. , Nr. , Blatt r). Die beiden letzteren hatte er anlässlich der ersten Begutachtungsrunde der Fakultät im Sommer  empfohlen, sich dabei zugleich energisch gegen Grisebach und Rothacker sowie Stenzel ausgesprochen und zu Tillich Folgendes bemerkt (Universitätsarchiv Frankfurt am Main, Abt. , Nr. , Blatt ): „Über Tillich darf ich mich kurz fassen. Sein Hauptwerk, Über die Systematik der Wissenschaften, zeigt vor allem, dass der Verfasser von den Wissenschaften, deren Systematik er geben will, sehr unzureichende Kenntniss besitzt. Wer von Naturwissenschaften so wenig Ahnung hat, wie er, möge doch nicht versuchen eine Systematik derselben zu schreiben. Aber auch hiervon abgesehen bleibt das Buch wissenschaftlich auf einem sehr niedrigen Niveau. Es enthält – wenn man von Banalitäten aller Art absieht – kaum einen Satz, der nicht mit durchaus unklaren Begriffen arbeitete; auch an Neubildung von Begriffen ohne jede klar erkennbare Bedeutung lässt es der Verfasser nicht fehlen. Sätze wie etwa dieser (S. ): ‚das Seiende ist um so wirklicher, je mehr Denken in das Sein aufgenommen ist‘ mögen die philosophische Qualität des Verfassers zur Genüge charakterisiren. (Man möchte glauben, dass er die Wirklichkeit des Hungers noch nicht erfahren hat, in welchem doch wohl nicht allzuviel ‚Denken aufgenommen‘ ist[.]) Ich muss von dieser Kandidatur dringendst abraten.“  Universitätsarchiv Frankfurt am Main, Abt. , Nr. , Blatt r/v.  Universitätsarchiv Frankfurt am Main, Abt. , Nr. , Blatt r.  Universitätsarchiv Frankfurt am Main, Abt. , Nr. , Blatt r.

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sowie Stenzel oder aber (bei Berufung Wertheimers in die vierte Fakultät) Baeumler gemeinsam mit Stenzel vor.²⁵ Doch es sollte anders kommen. In Reaktion auf den Fakultätsvorschlag vom 14. Dezember erging am 26. Januar 1929 eine Aufforderung des Ministers an die Universität, sich explizit „noch […] über den ordentlichen Professor Dr. Tillich in Dresden“²⁶ zu äußern; und dementsprechend warnte der Dekan am 28. Januar den Fakultätsrat, man habe wegen der Philosophie-Liste „eine Rückfrage seitens des Ministeriums zu erwarten“²⁷. Unter dieser Prämisse trat am 1. Februar erneut die Berufungskommission zusammen. Anwesend waren der Dekan Platzhoff, der Historiker Matthias Gelzer, der Altphilologe Karl Reinhardt, der Geophysiker Franz Linke, zugleich Dekan der Naturwissenschaftlichen Fakultät,²⁸ der Direktor der Senckenberg-Stiftung Otto zur Strassen, der Mathematiker Max Dehn und der Psychologe Friedrich Schumann, dessen Nachfolge Wertheimer antreten sollte (der Kunsthistoriker Rudolf Kautzsch, der Physiker Richard Wachsmuth und Hans Cornelius waren entschuldigt). Das von Platzhoff geführte handschriftliche Sitzungsprotokoll vermerkt: Dekan verliest Ministerialerlass vom 26.1. betr. Tillich – Dresden. Der zur Äusserung aufgeforderte Herr [Adhémar] Gelb bezeichnete Tillich als glänzenden Redner und stark anregende Persönlichkeit, der auf Studierende in religiös-konzentrierter Hinsicht grosse Wirkung ausübe. Ein Philosoph im eigentlichen Sinne des Wortes sei er nicht, dagegen würde er eine wertvolle Ergänzung zu einem systematischen Philosophen bilden. […] Kommission beschliesst[,] der Phil. Fak. zu empfehlen: 1) Anfrage des Ministers für den Cornelius-Lehrstuhl zu verneinen, 2) zur Klärung der Situation möge Dekan persönlich in Berlin verhandeln. Über die Frage[,] ob Tillich gegebenenfalls für den zweiten philosophischen Lehrstuhl [gemeint war die SchelerNachfolge, G.L.] vorzuschlagen sei, wurde keine Einigung erzielt. Während die Vertreter der Phil. Fak. dazu geneigt waren, äusserten die Vertreter der Natwiss. Fak. [also offenbar Linke, zur Strassen, Dehn und Schumann, G.L.] Bedenken.²⁹

 Vgl. Sturm, „Historische Einleitung“ (wie Anm. ), XXXVI – XXXVII.  Universitätsarchiv Frankfurt am Main, Abt. , Nr. , Blatt ; die Nachricht trägt den Eingangsstempel der Philosophischen Fakultät vom . Januar.  Philosophische Fakultät, Protokollbuch II,  – , . Sitzung vom . Januar  (Universitätsarchiv Frankfurt am Main, Abt. , Nr. K, Blatt ). Zugleich informierte der Dekan über die bereits beschlossene Berufung Wertheimers (ebd.): „Mitteilung des Dekans betr. Philosophie-Professur: Wertheimer ausersehen für die . Fakultät; betr. Nachfolge Cornelius ist eine Rückfrage seitens des Ministeriums zu erwarten. H. Schultz fragt, ob gegebenenfalls H. Cornelius im SS. sich weiterhin vertreten würde. H. Cornelius behält sich eine Entscheidung vor; im übrigen ist zunächst die Rückfrage des Ministeriums abzuwarten. Über das Schicksal der pädagogischen Liste verlautet zunächst nichts.“  Nicht der Anglistik-Lehrbeauftragte und Studienrat Professor Kurt Lincke.  Universitätsarchiv Frankfurt am Main, Abt. , Nr. , Blatt r/v.

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Eine Woche später, am 4. Februar, nach einer weiteren Fakultätsratssitzung,³⁰ wandte Platzhoff sich schriftlich an das Ministerium, in dem nach wie vor ungebremsten Bestreben, Tillich für die Cornelius-Nachfolge zu verhindern, da er als Religionsphilosoph nicht für die Übernahme der einzigen vollphilosophischen Professur geeignet sei, aber immerhin mit dem Vorschlag, über ihn als Kandidaten für die ursprüngliche Pädagogikprofessur bzw. die Scheler-Nachfolge zumindest zu verhandeln:³¹ ein fadenscheiniges Angebot insofern, als man für die Pädago Das Protokollbuch der Fakultät vermerkt für die . Sitzung vom . Februar  (Universitätsarchiv Frankfurt am Main, Abt. , Nr. K [Philosophische Fakultät, Protokollbuch II,  – ], Blatt ), an der auch Cornelius teilnahm: „Dekan verliest Rückfrage des Ministeriums; der H. Minister ersuche die Fakultät um Äußerung betr. Tillich – Dresden. Die früheren Gutachten betr. dieses Herrn, welche die Fakultät einholte, lauteten negativ; die Commission hat sich entschieden, die Anfrage des Ministers verneinend zu beantworten; H. Tillich kann nicht als geeigneter Nachfolger des H. Cornelius angesehen werden. Zur Erörterung stand die Frage, ob H. Tillich für die te Professur f. Philosophie in Betracht zu ziehen wäre; die Commission hat in dieser Geschichte beschlossen, den Dekan umgehend zur persönlichen Besprechung nach Berlin zu entsenden. Die Fakultät schließt sich diesem Beschlusse der Commission an, der H. Dekan wird beauftragt, in Berlin H. Tillich als einzigen Vertreter d. Philosophie abzulehnen, ihn aber gegebenenfalls für die . (pädagogische) Professur bei Hinzuziehung mehrerer didaktischer Hilfskräfte in Vorschlag zu bringen. Eine entsprechende vorläufige schriftliche Antwort soll sofort dem Ministerium zugehen.“ Für Hilfe bei der Entzifferung danke ich sehr herzlich Frau Heide Linde, Neu Isenburg, sowie Frau Käte Koch und Herrn Dr. Diether Koch, Bremen. – Siehe auch das Schreiben des Dekans Walter Platzhoff an das Ministerium in Berlin vom selben . Februar  (Universitätsarchiv Frankfurt am Main, Abt. , Nr. , Blatt v): „Ueber die Frage, ob eine Besetzung des zweiten philosophischen Lehrstuhls mit Herrn Tillich möglich ist, wird nach Fakultätsbeschluß der Dekan mündlich im Ministerium verhandeln.“  Universitätsarchiv Frankfurt am Main, Abt. , Nr. , Blatt r/v; ebenso Abt. , Nr. , Blatt r/v (Schreiben des Dekans Walter Platzhoff an das Wissenschaftsministerium in Berlin vom . Februar , Durchschrift abgezeichnet von Kurt Riezler): „Wenn sie [scil. die Fakultät] schließlich sowohl in den Vorschlägen vom . Okt.  wie vom . Dez.  von seiner [scil. Herrn Prof. Tillichs] Nominierung Abstand nahm, so geschah es deshalb, weil nach ihrem Ermessen Tillich als Religionsphilosoph, nicht aber als Philosoph im eigentlichen Sinne des Wortes anzusprechen ist. Da die Fakultät nur einen rein philosophischen Lehrstuhl besitzt, muß dessen Inhaber vor allem die systematische Philosophie zu vertreten imstande sein, und gerade hierfür erscheint uns Tillich unbeschadet seiner Leistungen auf religionsphilosophischem Gebiete und unbeschadet der großen Anregungen, die nicht nur von seinen Schriften sondern, wie wir hören, von seiner ganzen Persönlichkeit ausgehen, als einziger Vertreter der Philosophie nicht geeignet.“ – Das Ordinariat für Pädagogik war ursprünglich von Wilhelm Merton gestiftet worden; ihr erster Inhaber war der  verstorbene Julius Ziehen gewesen, gebürtiger Frankfurter, der von  bis  das Frankfurter Wöhler-Realgymnasium geleitet und, nach einem beruflichen Abstecher nach Berlin,  als Schuldezernent in den Frankfurter Magistrat berufen worden war. Ziehen berichtet (Erinnerungen  – , hg. und eingel. von Hertha Ziehen (Frankfurt am Main: Waldemar Kramer, ), ): „Als die Universität im Herbst  eröffnet wurde, erhielt ich zunächst eine Honorarprofessur […]. Es war wohl einer der schönsten Tage meines Lebens, als ich

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gikprofessur ja bereits die Liste Nohl, Stenzel, Hoffmann beschlossen hatte³² und man unabhängig davon ohnedies schlimmstenfalls mit einer fortgesetzten Vakanz derselben rechnen musste.³³ Doch noch ehe der Dekan im Februar, wie vom Fakultätsrat beschlossen und in seinem Schreiben vom 4. Februar angekündigt, eine zweite Reise nach Berlin antrat, um erneut Verhandlungen zu führen, kam ihm der politisch versierte Kurt Riezler zuvor und regte im Ministerium per Schreiben vom 6. Februar an, Tillich jedes zweite Semester Pädagogik-Vorlesungen abhalten zu lassen, an der (ohnehin bereits beschlossenen) Berufung Wertheimers festzuhalten und die zweite Philosophie- (d. h. die Pädagogik‐)Professur nicht mit einem Pädagogen, sondern mit einem Philosophen zu besetzen oder sie zumindest noch offenzuhalten.³⁴ Angesichts dieses frischen Einvernehmens zwischen Universitätsspitze und Ministerium konnte Platzhoff in Berlin nichts mehr ausrichten. Das Protokoll der 281. Fakultätsratssitzung vom 18. Februar 1929 vermerkt denn auch nur knapp: „Der Herr Dekan berichtet über die ihm bei seiner persönlichen Rücksprache im Ministerium gegebene Zusage des Ministerialdirektors, wenigstens einen der philosophischen Lehrstühle zum Sommersemester zu besetzen.“³⁵ Dieses Minimalversprechen wurde in der Tat gehalten. Die Pädagogikprofessur (um deren

[…] von Wilhelm Merton ein Schreiben erhielt, in dem er mir anbot, zur Gründung einer pädagogischen Professur an der Frankfurter Universität eine Stiftung zu machen, falls ich mich zur Übernahme dieser Professur bereit erkläre. […] Ich blieb […] als nunmehr unbesoldeter Stadtrat in meiner bisherigen amtlichen Stellung und verband mit dieser die Führung des Ordinariates an der Hochschule, erhielt also eine Doppelstellung […].“ (:) „Die Salonfähigkeit der Pädagogik in den Kreisen der Hochschullehrer war eben im Grunde doch noch eine sehr zweifelhafte Angelegenheit.“ – Das von Julius Ziehen geleitete Pädagogische Seminar wurde nach dem Tod Ziehens zum Wintersemester / Franz Schultz übergeben. Das unter der Leitung von Hans Cornelius stehende ‚Seminar für Philosophie und Pädagogik‘ erhielt nach der Berufung Tillichs zum Wintersemester / den Namen ‚Philosophisches Seminar‘ und wurde Tillich und Wertheimer unterstellt; zugleich übernahm Tillich auch das Pädagogische Seminar, bis zum Wintersemester / Mennicke in dessen Leitung mit eintrat. Beide Seminare fielen nach der nationalsozialistischen Machtergreifung, wie unter anderem das Vorlesungsverzeichnis des Wintersemesters / zeigt, an Ernst Krieck, der, als Nachfolger Schelers, auf diese Weise auch die bis zum April  Carl Mennicke übertragene Aufgabe übernahm, die Pädagogik zu vertreten (siehe auch unten Anm. . ).  Dazu Sturm, „Historische Einleitung“ (wie Anm. ), XXXV: „Es fällt auf, dass sie [scil. die Fakultät] Tillich nicht nannte.“  Diese Vakanz hatte Minister Becker in der Tat bereits halb beschlossen, wie ein Notizzettel zeigt: „Pädagogische Professur zunächst nicht besetzen. […] Wenn ein Pädagoge unvermeidbar, dann Stenzel“ (zitiert nach: Sturm, „Historische Einleitung“ (wie Anm. ), XXXVII – XXXVIII).  Vgl. Sturm, „Historische Einleitung“ (wie Anm. ), XXXIX – XL.  Universitätsarchiv Frankfurt am Main, Abt. , Nr. K, Blatt  – .

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Befreiung von der pädagogischen Bindung zugunsten einer philosophischen Besetzung die Fakultät beim Ministerium als nächstes nochmals ersuchen wollte³⁶) blieb nach wie vor unbesetzt;³⁷ Wertheimer – ein alter Cornelius-Freund³⁸ – wechselte noch zum Sommersemester desselben Jahres von Berlin zurück nach Frankfurt (das Ernennungsschreiben datiert vom 28. März 1929;³⁹ in den gedruckten Vorlesungsverzeichnissen taucht sein Name ab Wintersemester 1929/30 als Professor für ‚Philosophie, insbes. Psychologie‘ auf); und mit Schreiben ebenfalls vom 28. März 1929 übersandte der Minister auch Tillich (über dessen „Berufung […] auf einen philosophischen Lehrstuhl in der Philosophischen Fakultät“ der Dekan bereits auf der Fakultätsratssitzung vom 25. Februar 1929 „Mitteilung“⁴⁰ gemacht hatte) die Ernennungsurkunde, verbunden „mit der Verpflichtung, die Philosophie und die Soziologie einschließlich Sozialpädagogik in Vorlesungen und Übungen zu vertreten. Zugleich ernenne ich Sie zum Direktor des Seminars für Philosophie, sowie zum Direktor des Pädagogischen Seminars der

 Philosophische Fakultät, Protokollbuch II,  – , . Sitzung vom . März  (Universitätsarchiv Frankfurt am Main, Abt. , Nr. K, Blatt ): „Die Fakultät beschliesst, dem Ministerium den Antrag zu unterbreiten, im Falle der Annahme der philosophischen Professur durch Herrn Tillich möge das zweite philosophische Ordinariat von der pädagogischen Bindung befreit werden.“ Vgl. auch das Schreiben des Dekans Platzhoff an das Ministerium für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung in Berlin vom . März  (Universitätsarchiv Frankfurt am Main, Abt. , Nr. , Blatt v): „Nachdem nun Herr Tillich den Ruf nach Frankfurt erhalten und angenommen hat, hält die Fakultät es für ihre Pflicht, dem Herrn Minister nochmals die Bitte vorzutragen, es möge der zweite Lehrstuhl mit einem Philosophen besetzt und die Professur von der pädagogischen Bindung befreit werden. Zu ihrer großen Freude konnte sie feststellen, daß auch Herr Tillich dieser ihrer Auffassung zustimmt. […] Herr Tillich beabsichtigt, wie er dem Dekan mitteilte, die Sozialpädagogik ausdrücklich in seine Lehrtätigkeit einzubeziehen und sie in Vorlesungen und Uebungen zu vertreten.“  Am . Mai  wandte sich Platzhoff abermals an das Ministerium, offenbar in Reaktion auf eine ministeriale Anfrage vom . April, und schlug für das zweite Ordinariat (die ehemalige Pädagogikprofessur) eine Zweierliste, bestehend aus Nicolai Hartmann und Martin Hartmann,vor. „Von der Nennung einer dritten Persönlichkeit nimmt die Fakultät Abstand, da eine solche gleichen Ranges zur Zeit nicht genannt werden kann“ (Universitätsarchiv Frankfurt am Main, Abt. , Nr. , Blatt v.).  Vgl. Hans Cornelius, „Leben und Lehre“, in: Die deutsche Philosophie der Gegenwart in Selbstdarstellungen, Bd. , hg. von Raymund Schmidt (Leipzig: Felix Meiner, ),  – , hier  (über seine Zeit in Frankfurt ab ): „Ich habe damals namentlich durch Max Wertheimer manche Förderung erfahren.“  Vgl. Universitätsarchiv Frankfurt am Main, Abt. , Nr. , Blatt ; Abt. , Nr. , Blatt .  Universitätsarchiv Frankfurt am Main, Abt. , Nr. K, Blatt .

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Universität Frankfurt a/M.“⁴¹ Damit hatte Tillich eine Professur inne, deren Denomination nun die Scheler- und die Cornelius-Nachfolge miteinander verschmolz (in der späteren Erinnerung der Beteiligten konnte Tillich fälschlicherweise als Nachfolger Schelers gelten,⁴² obwohl dies erst 1933 auf Ernst Krieck zutreffen sollte⁴³); und die Ankündigung seiner Lehrveranstaltungen trug diesem Zuschnitt Rechnung, indem sie teils in der Rubrik ‚Philosophisches Seminar‘, teils in der Rubrik ‚Philosophie und Pädagogik‘ (so bis zur Ankunft Mennickes 1930; ab  Universitätsarchiv Frankfurt am Main, Abt. , Nr. , Blatt ; Abt. , Nr. , Blatt . Das Schreiben ist abgedruckt in: EW V,  f. – Zum Direktor des Seminars für Philosophie war auch Wertheimer ernannt worden, vgl. Universitätsarchiv Frankfurt am Main, Abt. , Nr. , Blatt .  So der Dekan der Philosophischen Fakultät Franz Walter Müller in seiner Einführung zur universitären Gedächtnisfeier für Tillich am . Februar  (Universitätsarchiv Frankfurt am Main, Abt. , Nr. , Blatt ): „Als  der damals dreiundvierzigjährige auf den Lehrstuhl des allzufrüh verstorbenen Philosophen Max Scheler in Frankfurt berufen wurde […].“ Auch Hannah Tillich, Ich allein bin. Mein Leben, mit einem Nachwort von Esther Röhr, übers. von Sieglinde Denzel und Susanne Naumann (Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus Gerd Mohn, ), : „Es handelte sich um den Lehrstuhl, den der katholische Philosoph Max Scheler innegehabt hatte.“ (:) „Kurz darauf war Scheler gestorben, und Paulus wurde nun sein Lehrstuhl angetragen.“ – Richtig hingegen Wilhelm Pauck und Marion Pauck, Paul Tillich. Sein Leben und Denken, Bd. , Leben (Stuttgart und Frankfurt am Main: Evangelisches Verlagswerk und Otto Lembeck, ), : „Tillich sagte und schrieb immer, er sei in Frankfurt der Nachfolger von Scheler geworden, obwohl er genau genommen der Nachfolger von Cornelius war. Damit bezeichnete er sich als geistigen Nachfolger Schelers, was er im Hinblick auf Cornelius nicht sagen konnte. Tillich bestand darauf, mit Scheler das Interesse an Ethik, an den Fragen der Persönlichkeit, an Geschichte und Philosophie zu teilen, während er sich der von Cornelius repräsentierten kantischen Logik nicht so verbunden fühlte.“ In der Tat war Tillich, seinem Wissenschaftsverständnis entsprechend (das sich von demjenigen des Neukantianers Cornelius deutlich unterschied), weniger um präzise Begriffsarbeit als eher um Kreativität bemüht (vgl. seinen Brief an Richard Wegener vom . August , in: EW VI, ), zumal er, wie er in seinem Artikel zum Stichwort ‚Wissenschaft‘ im fünften Band der zweiten Auflage der RGG aus dem Jahre  ausführte, Philosophie, verstanden als radikales Fragen, nicht so sehr selbst als Wissenschaft, sondern vielmehr als deren Voraussetzung betrachtete. Der Sache nach jedenfalls wusste Tillich es sicherlich schon deshalb besser, weil die zwischen ihm und Wolfgang Windelband in Berlin geschlossene Vereinbarung vom . März  unter Nr.  ausdrücklich von dem „durch die Emeritierung von Professor Cornelius freigewordenen ordentlichen Lehrstuhl für Philosophie und Soziologie einschließlich Sozialpädagogik“ (Universitätsarchiv Frankfurt am Main, Abt. , Nr. , Blatt r; Abt. , Nr. , Blatt ) sprach.  Vgl. das Schreiben des Ministerialdirektors im Preußischen Ministerium für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung Georg Gerullis an Krieck vom . Juni  (Universitätsarchiv Frankfurt am Main, Abt. , Nr. , Blatt ): „Jndem ich Jhnen die darüber ausgefertigte Bestallung übersende, verleihe ich Jhnen in dieser Fakultät die durch das Ableben des Professors Scheler freigewordene planmäßige Professur mit der Verpflichtung, die Philosophie und die Pädagogik in Vorlesungen und Übungen zu vertreten. Zugleich ernenne ich Sie zum Direktor des Philosophischen Seminars und des Pädagogischen Seminars der Universität Frankfurt a.M.“

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Wintersemester 1931/32 wurde die Rubrik in ‚Philosophie‘ umbenannt, und ‚Pädagogik‘ erhielt eine eigene Sparte) angekündigt wurden. Der Eingriff des Ministers, der gegen den Willen der betroffenen Fakultäten nicht nur Tillich in der Philosophie, sondern auch Wertheimer in der Psychologie untergebracht hatte, ähnlich wie er kurze Zeit später Karl Mannheim für die Soziologie durchsetzen sollte,⁴⁴ musste im Falle Tillichs aus Frankfurter Sicht besonders heikel erscheinen, da Tillich allgemein als Theologe wahrgenommen wurde, die Frankfurter Universität jedoch seitens ihrer Stifter bewusst, in programmatischer Absicht,⁴⁵ als Universität ohne theologische Fakultäten angelegt gewesen war. Auch die Philosophische Fakultät selbst hatte von Beginn ihres Bestehens an sich geweigert, theologische Professuren unter ihrem Dach zuzulassen.⁴⁶ Dafür waren vor allem zwei Gründe maßgeblich gewesen: erstens das kirchliche Mitspracherecht bei der Besetzung solcher Professuren, das dem Selbstbestimmungsrecht der Fakultäten zuwiderlief,⁴⁷ zweitens die konfessionsgebundene Ausrichtung, die dem Stifterwillen widersprach, den Eindruck dogmatischer Voreingenommenheit erweckte, als solche mit Wissenschaftlichkeit

 Die Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliche Fakultät hatte sich für den Wiener Hans Kelsen eingesetzt und gegen Mannheim eingewandt, es handele sich um einen „Herrn, der die Soziologie auf Grund rein philosophischer Orientierung zu behandeln pflegt“ und darum „für die Fakultät von geringem Werte“ (Universitätsarchiv Frankfurt am Main, Abt. , Nr, , Blatt ) sei. „Professor Mannheim vertritt aber eine Richtung in der Philosophie“, so erneut der Dekan Josef Hellauer am . November  an das Becker-geführte Ministerium, „die für unsere Studierenden recht geringen Wert besitzt. Für unsere Studierenden wäre wertvoll ein nationalökonomisch oder juristisch orientierter Soziologe. Professor Mannheims Orientierung ist aber philosophisch. Dabei ist seine Ausdrucksweise für Personen, die nicht gut philosophisch vorgebildet sind, schwer verständlich“ (ebd., Blatt ).  Siehe dazu: Gesche Linde, „‚Diese Lehrstühle […] hätten Wissenschaft und nicht Glauben zu tradieren‘. Zur systematischen Diskussion um den universitären Ort der Theologien am historischen Beispiel der Universitätsgründung in Frankfurt am Main“, in: Theologie im Wissenschaftsdiskurs der säkularen Universität, hg. von Knut Wenzel (Freiburg i. Br.: Herder,  / Quaestiones disputatae), im Erscheinen begriffen.  Vgl. z. B. das Schreiben des Dekans Rudolf Kautzsch an den Oberbürgermeister Georg Voigt vom . Februar  (Universitätsarchiv Frankfurt am Main, Abt. , Nr. , Blatt ): „Da der Herr Minister vor kurzem ausdrücklich abgelehnt hat, innerhalb der Philosophischen Fakultät Lehrstühle für das Gebiet der Theologie einzurichten, sieht die Fakultät keine Möglichkeit […].“  Universitätsarchiv Frankfurt am Main, Abt. , Nr. , Blatt v (Äußerung des Dekans Friedrich Panzer vom . März  zum Schreiben des Limburger Generalvikars Höhler an den Frankfurter Oberbürgermeister Georg Voigt vom . März ): „Zudem würde […] für die Berufung derartiger Professoren ein Verfahren in Frage kommen, das dem bei der Berufung der übrigen Mitglieder der Fakultät üblichen und einzig möglichen aufs Schärfste widerspräche.“

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nicht zu vereinbaren schien⁴⁸ und, wie man fürchtete, störende Zwistigkeiten in Universität und Stadtgesellschaft begünstigen würde. „Ein derartiges Verfahren“, so hatte beispielsweise 1919 der Fakultätsdekan Friedrich Panzer – durchaus kein religionsfeindlich gesonnener Mensch – gegenüber dem Oberbürgermeister Georg Voigt anlässlich eines entsprechenden Vorstoßes des Limburger Bistums argumentiert, „müßte die unentbehrliche Einheitlichkeit und Geschlossenheit der Interessen innerhalb der Fakultät vollständig zerstören, sodaß ein befriedigendes und fruchtbares Arbeiten nicht mehr denkbar wäre.“⁴⁹ Ebenso hatte sich der Vorsitzende der von der Fakultät eingesetzten Kommission „zur Beratung der Einrichtung eines evangelisch-theologischen Unterrichts“ nur zwei Jahre später, 1921, geäußert: „Nun muss es aber die Philosophische Fakultät, solange sie ihrem Charakter treu bleiben will, entschieden ablehnen, einen konfessionell gerichteten Lehrbetrieb bei sich aufzunehmen.“⁵⁰ Als die Fakultät ebenfalls noch 1921, nach erneuter Intervention sowohl des Bistums Limburg als auch der jüdischen Gemeinde und unter finanzieller Beteiligungszusage der Frankfurter Landeskirche, dem Druck der gesamtuniversitären Interessen nachgab und theologische Lehraufträge insgesamt dreier Denominationen zuließ, unter anderem, um dem regionalen Bedürfnis nachzukommen, Studierenden die Möglichkeit einer Laufbahn als Lehrer für evangelischen Religionsunterricht zu eröffnen, geschah dies nur widerwillig. Man registrierte „peinlich“ berührt, dass der Marburger Rudolf Otto in einer brieflichen Nebenbemerkung an eines der Mitglieder der Philosophischen Fakultät in Frankfurt – nicht völlig zu Unrecht – „sein Erstaunen […] über die Beauftragung des Herrn Lic. [Hermann] Greiner“, ausgesprochen hatte, des Pfarrers der Sachsenhäuser Lu-

 Vgl. dazu Erich Foerster, Lebenserinnerungen ( bis ), nach seiner Handschrift von Mai und Juni  neu geschrieben und mit Ergänzungen versehen von seinem Enkel Erich Schulz-Du Bois (Preetz in Holstein: Selbstverlag, ), : „Auch mein nächster Freund [an der Philosophischen Fakultät, G.L.], Professor Matthias Gelzer, einer der treuesten Hörer meiner Predigten, war doch zweifelhaft, ob Kirchengeschichte eine von einem Theologen betriebene Wissenschaft sein könne.“  Universitätsarchiv Frankfurt am Main, Abt. , Nr. , Blatt v (Brief des Rektors Friedrich Panzer vom . März  an den Frankfurter Oberbürgermeister Georg Voigt, anlässlich eines Schreibens des Limburger Generalvikars Höhler vom . März ). Ebd.: „Die Philosophische Fakultät muß die beabsichtigte Errichtung theologischer Professuren innerhalb ihres Bereiches aufs Entschiedenste ablehnen.“  Universitätsarchiv Frankfurt am Main, Abt. , Nr. , Blatt  – , hier Blatt r (Schreiben des Vorsitzenden der Kommission zur Beratung der Einrichtung eines evangelisch-theologischen Unterrichts an Erich Foerster vom . Juli ). Siehe auch unten Anm. . . .

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kaskirche, zuständig für Systematische Theologie, „dessen wissenschaftliche Leistungen ihm [scil. Otto] völlig unbekannt seien“⁵¹; und man hielt explizit fest, daß sie [scil. die Fakultät] im allgemeinen Interesse der Universität die Erteilung theologischer Lehraufträge aufs Wärmste begrüßt, daß aber nach ihrer Auffassung theologische Vorlesungen auf dem Gebiete der verschiedenen Religionen und Konfessionen grundsätzlich von anderen Voraussetzungen ausgehen und andere Ziele verfolgen als die Vorlesungen der Philosophischen Fakultät, und daß daher die Abhaltung solcher Vorlesungen und Uebungen in der Philosophischen Fakultät nur als vorläufige Verwaltungsmaßnahme anzusehen ist.⁵²

Dass man auf eine entsprechende Außendarstellung akribisch achtete, geht daraus hervor, dass die Fakultät im November 1922 schriftlich gegenüber dem Ministerium für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung in Berlin darauf insistierte, die Lehraufträge seien öffentlich nicht so auszuweisen, „daß dabei der Ausdruck

 Universitätsarchiv Frankfurt am Main, Abt. , Nr. , Blatt r (Schreiben des Dekans Matthias Gelzer an das Ministerium für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung in Berlin vom . November ). Ebd.: „Zur Mitteilung über die Erteilung von Lehraufträgen an die Herren Schwarzlose und Greiner beehrt sich die Fakultät darauf aufmerksam zu machen, daß […] eine die beiden Herren betreffende Anfrage nie an die Fakultät gerichtet worden ist.“ – Zu den Publikationen Greiners bis  gehören das von ihm bearbeitete umfangreiche Kirchenbuch für evangelisch-protestantische Gemeinden. Unter besonderer Berücksichtigung der liturgischen Überlieferung in der Badischen Landeskirche (Leipzig: Deichert, ), einige kleinere Vorträge, Predigten und Aufsätze („Ein’ feste Burg ist unser Gott“. Predigt über Psalm , Vers , gehalten den . August  zu Frankfurt am Main (Frankfurt am Main: Englert & Schlosser, ); Zum Einfluß des Krieges auf Christentum und Kirche. Vortrag, gehalten auf der Vertreterversammlung des Allgemeinen Positiven Verbandes zu Eisenach  (Leipzig: Dörffling & Franke, ); Nun merke ich, dass der Herr seinem Gesalbten hilft! Kaisersgeburtstagspredigt über Psalm , –  (Frankfurt am Main: Ecklin, ); Luthers Auffassung vom Gottesdienst (Leipzig: Deichert,  / Reformationsschriften der Allgemeinen Evangelisch-Lutherischen Konferenz, Bd. ) und schließlich eine zweieinhalb Seiten Text umfassende Broschüre mit dem Titel Die Glocken der Lukaskirche sollen wieder läuten!, die  von der Frankfurter Lukasgemeinde herausgegeben wurde und einen Spendenaufruf enthält. Nach  folgten wenige weitere Texte, jeweils geringen Umfangs und kaum wissenschaftlicher Natur: Jesus Christus, unsere Rettung. Vortrag (Karlsruhe: Evangelischer Schriftenverein, ); Leide dich als ein guter Streiter Jesu Christi! Bibelworte, unsern Kriegern und ihren Angehörigen zur Erbauung und zum Trost dargereicht (Frankfurt am Main: Ecklin, ; die erste Auflage war bereits  erschienen, mit dem weniger militärisch klingenden Untertitel Bibelworte, Kranken und Leidenden zum Trost und zur Erbauung dargereicht). – Zu Greiners oben genannter Kriegspredigt von  siehe Michael Fischer, Religion, Nation, Krieg. Der Lutherchoral ‚Ein feste Burg ist unser Gott‘ zwischen Befreiungskriegen und Erstem Weltkrieg (Münster: Waxmann,  / Populäre Kultur und Musik, Bd. ), hier  – .  Universitätsarchiv Frankfurt am Main, Abt. , Nr. , Blatt r/v (Schreiben des Dekans Matthias Gelzer an das Ministerium für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung in Berlin vom . November ).

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‚im Einvernehmen mit der Philosophischen Fakultät der Universität Frankfurt a.M.‘“⁵³ falle, sondern „in der Form […], daß mitgeteilt würde, die betreffenden Herren hätten einen Auftrag zur Abhaltung theologischer Vorlesungen an der Universität erhalten“⁵⁴. Demselben Ziel diente das explizite Verbot, die theologischen Veranstaltungen am Schwarzen Brett der Philosophischen Fakultät anzukündigen: Stattdessen ließ man „ein besonderes Brett […] beantragen, an dem unter der Aufschrift ‚Theologische Vorlesungen‘ die Ankündigungen der betreffenden Herren erfolgen“⁵⁵ sollten. Auch die gedruckten Vorlesungsverzeichnisse wiesen die ‚Theologischen Vorlesungen‘, die ganz an das Ende der von der Philosophischen Fakultät angebotenen Veranstaltungen gerückt wurden, durch die verwendete Schrifttype als nicht eigentlich dazugehörig aus. Die von der Philosophischen Fakultät solchermaßen verfolgte Strategie, alles, was mit Theologie, Religion und insbesondere ‚Dogmatik‘ zu tun hätte, sich durch Auslagerung an einen eigenen institutionellen Ort vom Leibe zu halten, wurde durch die Berufung Tillichs also empfindlichst gestört. Dass man seitens der Fakultät auch nach dem Krieg Tillich nicht eigentlich als einen der Ihrigen zu akzeptieren bereit war, geht aus dem Umstand hervor, dass 1946, als Tillich (wie auch Carl Mennicke) aus politischen Gründen seitens der amerikanischen Besatzungsmacht für eine Rückkehr ins Gespräch gebracht wurde⁵⁶ und er sich

 Universitätsarchiv Frankfurt am Main, Abt. , Nr. , Blatt r (Schreiben des Dekans Matthias Gelzer an das Ministerium für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung in Berlin vom . November ).  Universitätsarchiv Frankfurt am Main, Abt. , Nr. , Blatt v (Schreiben des Dekans Matthias Gelzer an das Ministerium für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung in Berlin vom . November ).  Universitätsarchiv Frankfurt am Main, Abt. , Nr. , Blatt  (Mitteilung des Dekans Josef Horovitz an den Rektor vom . Mai ).  Am . März  teilte der Leiter der Defense Rebuttal Section des Nürnberger Office of U.S. Chief of Counsel Robert M.W. Kempner, vor der Machtergreifung Hitlers Justitiar der preußischen Polizei im Berliner Innenministerium, der nun die Anklagen für das Internationale Militärgericht vorzubereiten und Strategien für eine Widerlegung der Verteidigung zu entwickeln hatte, dem Frankfurter Rektor Georg Hohmann Folgendes mit (Universitätsarchiv Frankfurt am Main, Abt. , Nr. , Blatt ): „Ich höre […] aus den Staaten, dass auch der fruehere Professor der Universitaet Frankfurt/M. Dr. Paul Tillich unter Umstaenden bereit waere, wieder in Frankfurt a.M. zu lehren. Professor Tillich ist jetzt am Union Theological Seminar, New York, einer der groessten theologischen Fakultaeten in den U.S.A.“ Mit Mennicke, der inzwischen Leiter der Internationale School voor Wijsbegeerte (International School of Philosophy) im niederländischen Amersfoort geworden war, hatte Kempner sich offenbar sogar persönlich unterhalten (ebd.): „Professor Mennicke hat mir gegenueber zu erkennen gegeben, dass er bereit waere, wieder nach Frankfurt a.M. auf seinen Lehrstuhl zurueckzukehren, wenn er einen entsprechenden Ruf erhalten wuerde.“ Das Protokoll der Fakultätsratssitzung vom . Mai  vermerkt (Universitätsarchiv Frankfurt am Main,

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Abt. , Nr. K, Blatt  f.): „Prof. Ca Mennicke – Amsterdam beantragt, als Ordinarius d. Pädagogik nach Fr. berufen zu werden. Er war hier nur Honorarprofessor, so dass sich eine Wiedergutmachung nur auf eine Honorarprofessur erstrecken könnte.“ In der Zeitschrift Der Spiegel (1948/34) erwähnt Kempner, dass Tillich dem Nürnberger Wilhelmstraßen-Prozess beigewohnt habe („Nichts Menschliches ist mir fremd“, Der Spiegel 34/1948 [21. August 1948]: http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-44418769.html [Abfrage vom 27. Januar 2015]), an dem Kempner maßgeblich beteiligt war und der am 15. November 1947 begann, um sich weit in das Jahr 1949 hineinzuziehen (der Sohn des früheren Ministers und Tillich-Freunds Carl Heinrich Becker, Hellmut Becker, trat bei diesem Verfahren als Verteidiger Ernst von Weizsäckers auf). Tillich muss demzufolge während seines Deutschlandaufenthaltes von Mai bis September 1948 einen Abstecher nach Nürnberg unternommen haben. In der durch die Herausgeberinnen von EW V erstellten Zeittafel (312) wird ein solcher Besuch nicht erwähnt, doch in seinem Artikel „Besuch in Deutschland“ aus dem Jahr 1948 erwähnt Tillich Nürnberg als eine seiner Stationen (GW XIII, 364– 370, hier 364). Einen indirekten Hinweis auf den Nürnberg-Besuch Tillichs bietet die (undatierte) Predigt „Im Grabe geboren“ (in: Paul Tillich, Religiöse Reden (Berlin und New York: de Gruyter, 1987; Nachdr.von: In der Tiefe ist Wahrheit, 91985; Das Neue Sein, 61983; Das Ewige im Jetzt, 41986; alle Frankfurt: Evangelisches Verlagswerk), 154– 157, hier 154 f.): „Bei den Nürnberger Kriegsverbrecher-Prozessen erschien als Zeuge ein Mann, der eine Zeitlang in einem Grab eines jüdischen Friedhofes in Wilna gelebt hatte. Es war das einzige Versteck, wo er – und viele andere – leben konnten, nachdem sie der Gaskammer entronnen waren. Während dieser Zeit schrieb er Gedichte, und eines davon war die Beschreibung einer Geburt. In einem Grab, ganz in seiner Nähe, gebar eine junge Frau einen Sohn. Der 80jährige Totengräber, in ein Leichentuch gehüllt, half bei der Geburt. Als das neugeborene Kind seinen ersten Schrei ausstieß, betete der alte Mann: ‚Großer Gott, hast Du endlich den Messias zu uns gesandt? Denn wer anders als nur der Messias selbst könnte in einem Grab geboren werden?‘ Drei Tage später sah der Dichter, wie das Kind die Tränen seiner Mutter trank, weil sie ihm keine Milch geben konnte. Diese Geschichte, die alles übertrifft, was menschliche Einbildungskraft ersinnen könnte, ergreift nicht nur unser Gefühl, sondern hat auch eine große symbolische Kraft.“ Robert Kempner – offenbar nicht verwandt mit Paul Kempner (geboren am 30. Dezember 1889 in Berlin, gestorben am 12. April 1956 in New York), für dessen Beerdigung Tillich ein Gebet verfassen sollte – scheint Tillich im Zuge von Überwachungstätigkeiten für die amerikanischen Behörden kennengelernt zu haben. Das einflussreiche Council for a Democratic Germany, dem Tillich vorstand, zog (wie auch andere Organisationen deutscher Exilanten) die Aufmerksamkeit des FBI und des Office of Strategic Services auf sich, mit denen Kempner in Verbindung stand (sofern er nicht sogar selbst direkt für das FBI arbeitete).Vgl. dazu Alexander Stephan, Im Visier des FBI. Deutsche Exilschriftsteller in den Akten amerikanischer Geheimdienste (Berlin: Aufbau Taschenbuch Verlag, 1998), 192 f. Kempner selbst erwähnt in seinen Memoiren Tillich in folgendem Zusammenhang (Ankläger einer Epoche. Lebenserinnerungen, in Zusammenarbeit mit Jörg Friedrich (Frankfurt am Main und Berlin: Ullstein, 1986 / Ullstein-Buch, Bd. 33076), 151 f.): „[…] außerdem gab es doch eine ganze Anzahl Deutsche, die auf die [US-amerikanische] Regierung eingewirkt haben und mit ihr befreundet waren. Man stelle sich die ganzen Akademiker vor, die ganzen Wissenschaftler, durch die es schließlich zur Atombombe kam, Leute, die ständig mit dem Weißen Haus in Verbindung waren, die haben sich seit München geäußert. Ich hatte Hunderte von companions aller Fakultäten, ob das nun der religiöse Sozialist Paul Tillich war oder Albert Einstein.“

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tatsächlich anlässlich einer von Rudolf Bultmann erst für 1947 geplanten, dann auf 1948 verschobenen Vortragsreihe in Marburg⁵⁷ gegenüber dem Frankfurter Rektor Walter Hallstein auch für Frankfurt anbot,⁵⁸ man augenscheinlich nervös und nicht besonders freudig die Möglichkeit erwog, Tillich könne nach Frankfurt zurückkehren wollen und Anspruch auf seinen ehemaligen Lehrstuhl erheben,⁵⁹

 Vgl. EW V, . – Laut EW V, , machte Tillich am . Juni  für zwei Tage, am . Juni für einen Tag und am . Juli für sechs Tage in Frankfurt Station. Aus Universitätsarchiv Frankfurt am Main, Abt. , Nr. , Blatt , geht jedoch hervor, dass Tillich in Frankfurt eine auf den Mittwoch gelegte zweistündige Vorlesung über „Religion und menschliche Existenz“ hielt, die bereits am . Juni begann (das Datum, an dem die Vortragsreihe enden sollte, wird in den Akten nicht genannt). In den Protokollen der Fakultätsratssitzungen aus dieser Zeit (Universitätsarchiv Frankfurt am Main, Abt. , Nr. K) wird Tillich nicht erwähnt. Aus dem Protokoll der . Sitzung vom . Juni  geht allerdings hervor, dass Horkheimer, der an der Sitzung als Gast teilnahm, sich zu dieser Zeit in Frankfurt aufhielt.  Siehe das Schreiben des auf Hohmann folgenden Rektors Walter Hallstein an Tillich vom . Oktober  (Universitätsarchiv Frankfurt am Main, Abt. , Nr. , Blatt ): „Hochverehrter Herr Kollege! Mit aufrichtigem Dank begrüssen Universität und Philosophische Fakultät Ihre Bereitschaft, als Gastprofessor bei uns zu wirken. Ueber die Gründung der theologischen Fakultäten ist allerdings auch jetzt noch nichts entschieden; wir betreiben die Angelegenheit aber gerade in diesen Wochen mit grossem Nachdruck.“  Hohmann antwortete Kempner am . März  (Universitätsarchiv Frankfurt am Main, Abt. , Nr. , Blatt ): „Was Herrn Professor Tillich betrifft, so war er als Philosoph hier tätig. Inzwischen ist er in den Staaten zur Theologie übergegangen, aus der er ursprünglich wohl kam. Er ist ein interessanter, geistreicher Gelehrter und wir würden uns an und für sich gewiss freuen, wenn er zurückkommen würde. Nun haben wir bereits an das hessische Kultusministerium den Antrag gestellt, den Philosophen Professor Krüger zu berufen. Es wäre zu erwägen, dass Professor Tillich sich dazu äusserte, ob er als Philosoph oder als Theologe hier tätig zu sein wünscht. Eine eigentliche theologische Fakultät haben wir hier noch nicht, sind aber in den Vorarbeiten dazu. Nur der Gedanke an den Finanzminister hat uns bisher zurückgehalten, einen förmlichen Antrag zu stellen. Aber nachdem früher Professor Foerster eine Professur für Religionsgeschichte in Frankfurt hatte und inzwischen gestorben ist, könnte Herr Tillich[,] auch ohne dass eine theologische Fakultät schon vorhanden wäre, diesen Platz einnehmen. In diesem Sinne habe ich an Professor Tillich geschrieben und bitte Sie, auch diesen Brief weiterleiten zu wollen. Ich bin Ihnen jedenfalls für Ihre Hinweise ausserordentlich dankbar und bitte Sie, versichert zu sein, dass wir im Sinn der Wiedergutmachung alles zu tun bereit sind, was möglich ist.“ Am . März erwiderte Kempner (ebd., Blatt ), er habe sich „sofort mit den Professoren Mennicke und Tillich in Verbindung gesetzt. Ich danke Ihnen ausserordentlich fuer die prompte Erledigung meiner Anfrage.“ – Dass man sich der Möglichkeit von Rechtsansprüchen im Zusammenhang der Wiedergutmachung bewusst war, jedoch keinerlei aktives Interesse daran hegte, Tillich nach Frankfurt zurückzuholen, lässt der trockene Brief des (durchaus um eine Entnazifizierung der Universität, nämlich um Entlassung der vor dem . Mai  der NSDAP beigetretenen Lehrkräfte [vgl. Universitätsarchiv Frankfurt am Main, Abt. , Nr. K, Blatt ], bemühten) kommissarisch eingesetzten Frankfurter Oberbürgermeisters Kurt Blaum an das Wiesbadener Kultusministerium zwei Monate zuvor, vom . Januar , erkennen, der ohne Zweifel in Abstimmung mit der

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und dass man, nachdem man ihn zur Not (mehr schlecht denn recht) als Theologieprofessor unterzubringen bereit gewesen wäre, deutlich beruhigt reagierte,⁶⁰ Philosophischen Fakultät formuliert worden war und in dem die Besetzung des ehemaligen Tillich-Lehrstuhls in der Nachfolge Ferdinand Weinhandls durch Gerhard Krüger beantragt wurde (Universitätsarchiv Frankfurt am Main, Abt. , Nr. K, Blatt v; siehe auch unten Anm. . ): „Zu der Frage, ob auf den hier wieder zu besetzenden Lehrstuhl im Wiedergutmachungswege von einem früheren Lehrstuhlinhaber Anspruch erhoben werden könnte, berichte ich unter Bezugnahme auf Absatz II, Ziffer  (Weniger) meines Berichts vom . .  zur dortigen Tagebuch-Nr. / – F.B./er – zusammenfassend: Am . .  hatte die Philosophische Fakultät zwei Lehrstühle für Philosophie, die mit den ordentlichen Professoren Dr. Tillich und Dr. Horkheimer besetzt waren, während die Pädagogik von einem Honorarprofessor und einem nb. ao. Professor vertreten wurde. Professor Tillich las zugleich über Sozialpädagogik. Professor Horkheimer (Nichtarier) wurde am . .  auf Grund des §  des Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums aus dem Dienstverhältnis entlassen, Professor Tillich am . .  ebenfalls auf Grund des §  BGB. Professor Tillich begab sich im Anschluss an die Entlassung nach Amerika. Sein Auslandsaufenthalt war bis Ende  genehmigt. Bis dahin wurde ihm Ruhegehalt gezahlt. Seit Anfang  fehlt jede Nachricht von ihm. Professor Horkheimer hatte beim Ausscheiden einen Anspruch auf Ruhegehalt noch nicht erworben. Er begab sich nach der Dienstentlassung ebenfalls ins Ausland, und zwar zunächst nach Genf. Ueber sein weiteres Verbleiben fehlt jede Nachricht.“  Universitätsarchiv Frankfurt am Main, Abt. , Nr. , Blatt  (Brief des Dekans der Philosophischen Fakultät Paul Kirn an den Rektor Walter Hallstein vom . Mai ): „Das beigefügte Schreiben von Prof. Paul Tillich – New York rührt zwei Fragen an, die die Philosophische Fakultät sehr nahe berühren. Einmal die immer noch bestehende Vakanz des Philosophischen Lehrstuhls. Es ist nun eindeutig geklärt, daß Herr Tillich nicht daran denkt, als Professor der Philosophie hierher zurückzukehren. Andrerseits höre ich soeben, daß Herr Gerhard Krüger nicht, wie das Gerücht schon seit längerer Zeit behauptet, den Ruf nach Tübingen angenommen hat, vielmehr darauf wartet, daß ihm die Großhessische Regierung das entscheidende Angebot mache.“ Das im Brief Kirns erwähnte Schreiben Tillichs fehlt in den Frankfurter Unterlagen, aber am . Oktober wandte Hallstein sich an Tillich, um „[m]it aufrichtigem Dank […] Ihre Bereitschaft [zu begrüssen], als Gastprofessor bei uns zu wirken. […] Um Ihnen die richtigen zeitlichen Dispositionen zu ermöglichen, teile ich Ihnen mit, dass das Sommer-Semester  voraussichtlich früher als üblich beginnen wird (vielleicht Anfang April), weil wir aus Kohlenmangel wahrscheinlich genötigt sein werden, das Winter-Semester an Weihnachten zu schliessen. Immerhin wäre zu überlegen, ob es nicht auch sinnvoll ist, dass Sie von Mai an noch lesen, vielleicht dann mit etwas vermehrter Wochenstundenzahl“ (Universitätsarchiv Frankfurt am Main, Abt. , Nr. , Blatt ). Tillich antwortete am . November , dass er von Mai bis Juli  in Marburg Gastvorlesungen zu halten gedenke, die es ihm zwar erlauben würden, „während des Semesters auch gelegentlich nach Frankfurt/M. zu kommen“, die aber nur „eine verhältnismässig geringe Anzahl von öffentlichen Vorlesungen“ zuließen; abgesehen davon sei die Frage der Finanzierung und der Organisation noch nicht geklärt (Universitätsarchiv Frankfurt am Main, Abt. , Nr. , Blatt ). Dem Vorschlag Tillichs stimmte Hallstein mit Schreiben vom . Dezember zu und artikulierte die Hoffnung, „dass auch die finanziellen und organisatorischen Bedingungen, auf die Sie hinweisen, bald erfüllt sein werden“ (Universitätsarchiv Frankfurt am

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sobald man hörte, Tillich gedenke lediglich sich anlässlich seines ursprünglich für das Wintersemester 1947/48 geplanten Sabbaticals⁶¹ in Deutschland aufzuhalten. Nicht von ungefähr erinnerte man sich bei dieser Gelegenheit zugleich an die immer noch offene Frage der theologischen Fakultäten und regte an, die Sache voranzutreiben.⁶² Auch in dem Glückwunschschreiben, das der Dekan der Philosophischen Fakultät Alfred Rammelmeyer am 15. August 1961 Tillich zu dessen 75. Geburtstag sandte und für das Max Horkheimer sich als Ghostwriter betätigt hatte, wird Tillich als Theologe adressiert: „Daß Sie hierhergekommen sind, hat den Glanz der Tradition noch verstärkt. Durch Sie ist zu den philosophischen,

Main, Abt. , Nr. , Blatt r). Ähnlich reagierte auch der Dekan der Philosophischen Fakultät Paul Kirn eine Woche später, am . Dezember , indem er „der Freude Ausdruck“ gab, „die alle Mitglieder unserer Fakultät, von denen einige Sie noch aus persönlicher Zusammenarbeit kennen, hierüber empfinden“ [scil. nämlich darüber, „daß Sie bereit sind, neben der für Marburg übernommenen Verpflichtung, in der Zeit von Ende Mai bis Ende Juni auch mehrere öffentliche Vorlesungen hier in Frankfurt a.M. zu halten“] (Universitätsarchiv Frankfurt am Main, Abt. , Nr. , Blatt v). Am . Januar  gab Tillich mittels der beigefügten Kopie eines Briefes an Bultmann in Marburg dem Dekan Kirn zu verstehen, dass sich aufgrund der bereits angesprochenen Schwierigkeiten sein Kommen möglicherweise um ein Jahr verschieben werde (vgl. Universitätsarchiv Frankfurt am Main, Abt. , Nr. , Blatt ). Am . März teilte Tillich Kirn mit, ihm sei „[h]eute […] vom World Church Service mitgeteilt worden, dass man mir das Reisegeld nach Deutschland zur Verfuegung stellen will, ganz gleich ob ich in diesem oder naechsten Mai fahre. Die Entscheidung haengt zum Teil davon ab, ob Military and State Dpt. rechtzeitig die Einreiseerlaubnis geben werden. Dies ist sehr zweifelhaft, so dass ich eine Reise im Mai  fuer wahrscheinlicher halte“ (Universitätsarchiv Frankfurt am Main, Abt. , Nr. , Blatt ). Und so antwortete Dekan Kirn schließlich am . April  (Universitätsarchiv Frankfurt am Main, Abt. , Nr. , Blatt ): „Selbstverständlich sind Sie uns auch im Sommer  ein sehr willkommener Gast. Sicherlich werden wir bis dahin einen philosophischen Ordinarius haben, aber ein Bedürfnis nach Ergänzung wird bestehen.“  Vgl. EW V, ; auch Universitätsarchiv Frankfurt am Main, Abt. , Nr. , Blatt  (Brief Tillichs an den Rektor Walter Hallstein vom . November ).  Universitätsarchiv Frankfurt am Main, Abt. , Nr. , Blatt  (Brief des Dekans der Philosophischen Fakultät Paul Kirn an den Rektor Walter Hallstein vom . Mai ): „Sodann erinnert Herrn Tillichs Schreiben an die offen gebliebene Frage der Errichtung einer Evangelischtheologischen Fakultät. Soviel mir bekannt ist, ist seit dem vergangenen Wintersemester die Angelegenheit nicht von der Stelle gerückt. Ob etwa die Suspension des Herrn [Friedrich] Giese“ – eines Staats-,Völker- und Kirchenrechtsprofessors, der  an der neuen Kirchenverfassung der Frankfurter Landeskirche mitgearbeitet hatte (vgl. Foerster, Lebenserinnerungen [wie Anm. ],  f.; Hans Drüner, Im Schatten des Weltkrieges. Zehn Jahre Frankfurter Geschichte von  –  (Frankfurt am Main: R. Th. Hauser & Co, ), ) – „oder sonstige Ereignisse darauf einwirkten, weiß ich nicht. Der Philosophischen Fakultät läge viel daran, daß der Plan weiter verfolgt würde. Herr Kollege [Julius] Schwietering nimmt daran ein besonderes Interesse und dürfte geeignet sein, in dem Ausschuß für die Errichtung einer Evangelisch-theologischen Fakultät wertvolle Mitarbeit zu leisten.“ Siehe auch Anm. .

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naturwissenschaftlichen und ökonomischen Motiven das protestantisch-theologische Interesse getreten, bis dann der Sieg des nationalsozialistischen Götzendienstes jener Periode der Universität ein Ende gesetzt hat.“⁶³

2 Erich Foerster: Als Theologe am Historischen Seminar In ihrer prinzipiell abweisenden Haltung gegenüber jedweder Theologie betrachtete die Philosophische Fakultät sich durch denjenigen preußischen Kultusminister höchstselbst unterstützt, der die Gründung der Universität begleitet und gefördert hatte: den Juristen August von Trott zu Solz (1909 – 1917, gestorben 1938), einen Ehrendoktor der Frankfurter Philosophischen Fakultät, der, so jedenfalls nach Auskunft des Rektors Richard Wachsmuth, durch seine Beamten mündlich hatte ausrichten lassen, dass er „die Errichtung theologischer Lehr Universitätsarchiv Frankfurt am Main, Abt. , Nr. , Blatt . Tillich antwortete dem Dekan handschriftlich am . September  von East Hampton, New York, aus (Universitätsarchiv Frankfurt am Main, Abt. , Nr. , Blatt ): „In Frankfurt habe ich wohl die  glanzvollsten Jahre meines Lebens gehabt – ganz im Sinne Ihrer Schilderung. In Frankfurt erlebte ich die bisher größte Katastrophe meines Lebens, die erzwungene Emigration. Und dann hatte ich ein sehr merkwürdiges Erlebnis, als ich im Jahre  zum ersten Mal nach Deutschland zurückkehrte und nicht nur den Bomben-zerfetzten Dekans-Stuhl im alten Dekanatszimmer wiederfand, sondern auch mein Assistent von  wieder als Assisten[t] meines derzeitigen Nachfolgers vor der Tür des Kolleg-Saals stand.“ (Bei dem Nachfolger handelte es sich um Gadamer. Von den drei bekannten Tillich-Assistenten Gertie Siemsen, Harald Poelchau und Franz Steinrath scheiden die beiden ersteren aus biographischen Gründen aus; Steinrath hingegen taucht tatsächlich in den Vorlesungsverzeichnissen vom Sommersemester  bis zum Wintersemester / als Wissenschaftliche Hilfskraft am Philosophischen Seminar auf (für diesen Hinweis danke ich sehr herzlich Herrn Matthias Lorenz vom Universitätsarchiv Frankfurt am Main), bis er zum Sommersemester  von Norbert Altwicker abgelöst wurde. Im Frankfurter Adressbuch von , dem ersten nach Kriegsende, wird Steinrath nicht geführt, was den Schluss nahelegt, dass er nach Ende seiner Beschäftigung auch den Wohnort wechselte. Darüber hinaus war lediglich in Erfahrung zu bringen, dass Steinrath sich / beim Emergency Committee in Aid of Displaced Foreign Scholars der Vereinigten Staaten vergeblich um Hilfe zur Emigration bemühte und, dann vom Rang eines Gemeinen, sich im Januar  in amerikanischer Haft befand, dabei jedoch zu den ‚Friendly Prisoners of War‘ gezählt wurde und, in seiner Eigenschaft als Frankfurter Bibliotheksassistent, von dem Interdepartmental Committee for the Acquisition of Foreign Publications zu Schicksal und Verbleib der Frankfurter Bibliotheken und des Stadtarchivs vernommen wurde.) Dem Rektor hatte Tillich schon am . September  geantwortet, handschriftlich, doch knapper: „Es ist auch mein Wunsch, dass trotz meines Alters die Verbindung mit meiner geliebten Frankfurter Universität lebendig bleibt. Ich blicke auf die  Jahre an ihr als auf die Glanzzeit meines Lebens zurück“ (Universitätsarchiv Frankfurt am Main, Abt. , Nr. , Blatt ).

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stühle innerhalb der Philosophischen Fakultät nicht beabsichtigte“⁶⁴ und sogar „ausdrücklich abgelehnt“⁶⁵ hatte. In dieser mutmaßlichen Ablehnung hatte von Trott zu Solz sich anscheinend als durchaus gewissenhaft erwiesen, denn 1915 hatte er vorgeblich „Anstoß daran“ genommen, „daß in den amtlichen Personalverzeichnissen unserer Universität Herr Privatdozent Pfarrer D. Foerster als mit der Leitung der kirchengeschichtlichen Abteilung des historischen Seminars beauftragt bezeichnet sei“⁶⁶.  Universitätsarchiv Frankfurt am Main, Abt. , Nr. , Blatt  (Schreiben des Dekans Hans von Arnim an den Minister der geistlichen und Unterrichtsangelegenheiten Berlin, August von Trott zu Solz, vom . Juli ).  Universitätsarchiv Frankfurt am Main, Abt. , Nr. , Blatt  (Brief des Dekans der Philosophischen Fakultät Rudolf Kautzsch an den Oberbürgermeister Georg Voigt vom . Februar ): „Da der Herr Minister vor kurzem ausdrücklich abgelehnt hat, innerhalb der Philosophischen Fakultät Lehrstühle für das Gebiet der Theologie einzurichten, sieht die Fakultät keine Möglichkeit, auf den Wunsch einzugehen, der in dem Brief zum Ausdruck gebracht ist. Uebrigens würde die Fakultät auch abgesehen davon Bedenken tragen, in eine erneute Erörterung der Sache einzutreten, die in dieser doch reichlich ungewöhnlichen Form in Fluß gebracht werden soll.“ Der Brief, von dem die Rede ist, fehlt in der Akte; es ist aber davon auszugehen, dass es sich um ein Schreiben des Bischöflichen Ordinariats in Limburg gehandelt haben muss.  Universitätsarchiv Frankfurt am Main, Abt. , Nr. , Blatt  (Schreiben des Dekans Hans von Arnim an den Minister der geistlichen und Unterrichtsangelegenheiten Berlin, August von Trott zu Solz, vom . Juli ). Allerdings ist die Möglichkeit nicht auszuschließen, dass es sich bei dieser Mitteilung einer ‚Anstoßnahme‘ tatsächlich um eine Intrige des Rektors Richard Wachsmuth handelte, eines Physikers und erklärten Feindes aller Theologie, der sich dann einen möglichen Vorbehalt des Ministers zunutze gemacht hätte, um sich Foersters und dessen Seminars zu entledigen, und der, als dieser Plan nicht aufging, zumindest versucht hätte, eine Umbenennung, erst recht eine Institutsgründung, zu verhindern. Zwei Indizien weisen darauf hin: erstens ein Schreiben Foersters an den Dekan Hans von Arnim, in dem jener aus einem an ihn adressierten Schreiben des Ministers zitiert (Universitätsarchiv Frankfurt am Main, Abt. , Nr. , Blatt  (Brief Foersters an den Dekan von Arnim vom . Juli )): „Eu[er] Hochwürden erwidre ich auf die gefällige Zuschrift vom . Mai, daß der Rektor, Herr Professor Dr Wachsmuth, der kürzlich über Ihre Lehrtätigkeit eine Unterredung mit meinem Universitätsreferenten hatte, diesen in einigen Punkten missverstanden haben muß. Niemals habe ich daran gedacht, den Ihnen erteilten Lehrauftrag für Religionsgeschichte und Religionsphilosophie einzuschränken oder gar zurückzuziehen, da ich es nur mit Genugtuung begrüßen kann, wenn den Studierenden und Hörern der dortigen Universität die Möglichkeit geboten wird, durch Ihre Vorlesungen in den ausschlagenden Fragen weitere Anregung und Belehrung zu empfangen.“ Foerster fügt hinzu: „Es folgt der Wunsch, daß ich ihn gelegentlich persönlich aufsuchen möchte, um mit ihm über die Frage der theologischen Fakultät zu sprechen.“ Zweitens ein knappes, vom . Oktober  datierendes Schreiben Wachsmuths an den Dekan der Philosophischen Fakultät, da bereits Rudolf Kautzsch (Universitätsarchiv Frankfurt am Main, Abt. , Nr. , Blatt ), mit dem er „[d]er Philosophischen Fakultät […] mich [beehre] mitzuteilen, daß nach einem Schreiben des Herrn Konsistorialrat D. Foerster der Herr Minister, der ihn in Audienz empfangen hat, es nach wie vor ablehnt, religionswissenschaftliche Professuren innerhalb der Philosophischen Fakultät zu errichten. Für

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Der genannte Erich Foerster, geboren am 4. November 1865 in Greifswald, seit 1895 Pfarrer der Frankfurter deutschen reformierten Gemeinde, von seinem Freund und ehemaligen Lehrpfarrer Martin Rade in die Redaktion der Christlichen Welt geholt, war 1905 in Marburg mit dem ersten Band einer Arbeit zur Entstehung der Preußischen Landeskirche⁶⁷ promoviert worden und hatte sich im Sommersemester 1907 mit diesem Band⁶⁸ zugleich an der Vorgängerinstitution der Frankfurter Universität, der Akademie für Sozial- und Handelswissenschaften, habilitiert; im selben Jahr hatte er den zweiten Band seiner Arbeit fertiggestellt; und er hatte die Venia Legendi erhalten. Als Privatdozent war er an der Akademie für die Geschichte der christlichen Religion und Kirche zuständig gewesen und hatte 1911 dank einer kleinen Stiftung begonnen, innerhalb des Historischen Seminars eine kirchengeschichtliche Bibliothek aufzubauen. In diesem Zusammenhang war seine Lehrbeauftragung noch im selben Jahr verstetigt worden; und als der Lehrkörper der Akademie an die Universität übernommen wurde, befand sich auch seine Dozentur

das von Herrn Foerster geleitete Seminar hat er den Titel ‚Seminar für Geschichte der christlichen Religion‘ vorgeschrieben.“ Zumindest die letztere Mitteilung jedoch wird durch das Schreiben des Ministers an die Philosophische Fakultät vom . November nicht bestätigt, denn dieses genehmigte ausdrücklich die Errichtung eines „Seminar[s] für Religionsphilosophie und Religionsgeschichte“ „an Stelle der bisherigen kirchengeschichtlichen Bibliothek“ (Universitätsarchiv Frankfurt am Main, Abt. , Nr. , Blatt . ).  Erich Foerster, Die Entstehung der Preußischen Landeskirche unter der Regierung König Friedrich Wilhelms III., nach den Quellen erzählt. Ein Beitrag zur Geschichte der Kirchenbildung im deutschen Protestantismus, Bd.  –  (Tübingen: J.C.B. Mohr,  – ).Von Foerster selbst mit der Bemerkung kommentiert: „Mein bestes Buch“ (Lebenserinnerungen [wie Anm. ], ).  So jedenfalls muss wohl die Bemerkung in Foersters Lebenserinnerungen (wie Anm. ), , verstanden werden: „Als Habilitationsschrift konnte ich den ersten Band meines Buches einreichen.“ Ebenso Kluke, Stiftungsuniversität (wie Anm. ), . Allerdings ist  das Datum, zu dem der zweite Band des Werkes erschien. – Zu den genauen Daten siehe Foersters Schreiben vom . März , Universitätsarchiv Frankfurt am Main, Abt. , Nr. , Blatt r; vgl. auch Lebenserinnerungen, : „Die Venia legendi wurde mir durch Erlaß der Staatsregierung vom . August  und des Rektors vom . Oktober  erteilt. Meine Antrittsvorlesung am . Oktober behandelte die Beziehungen zwischen Kirchengeschichte und Wirtschaftsgeschichte in den ersten Jahrhunderten […].“ Ebenso das Schreiben des Dekans Hans von Arnim an Minister August Trott zu Solz vom . Juli  (Universitätsarchiv Frankfurt am Main, Abt. , Nr. , Blatt ): „Herr Pfarrer D. Foerster hat sich im Sommersemester  an der damaligen Akademie für Sozial- und Handelswissenschaften habilitiert und durch den genehmigenden Erlaß der Königl. Staatsregierung vom . August  die Erlaubnis erhalten, an der Akademie ‚für das Gebiet der Geschichte der christlichen Religion und Kirche‘ Vorlesungen zu halten, die er mit dem Wintersemester / begann.“ Die Bemerkung Foersters, er sei „habilitiert seit Oktober “ (Universitätsarchiv Frankfurt am Main, Abt. , Nr. , Blatt : handschriftlicher Brief Foersters an den Dekan Walter Otto vom . März ), muss wohl auf seine Antrittsvorlesung bezogen werden.

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darunter. Dass Foerster, obgleich Theologe,⁶⁹ von seinen Kollegen insgesamt geschätzt wurde (geschätzt nämlich als Historiker), geht nicht nur daraus hervor, dass er 1920, im Jahr seines 25-jährigen Predigerjubiläums in Frankfurt und seines 55. Geburtstags, den philosophischen Ehrendoktor der Fakultät erhielt, sondern auch daraus, dass dem erwähnten Vorbehalt des Ministers 1915 der damalige Fakultätsdekan Hans von Arnim entgegentrat, indem er eine andere, unverfänglichere Namensgebung vorschlug (allerdings ebenfalls die Gründung eines eigenen Instituts zur Ausbildung von Religionslehrern anregte)⁷⁰ und zugleich darum ersuchte, Foersters Position aufzuwerten.⁷¹ Mit Schreiben vom 26. November 1915 kam der Minister dieser Bitte tatsächlich nach und genehmigte, „daß in der Philosophischen

 Foerster, Lebenserinnerungen (wie Anm. ), : „Dagegen in der philosophischen Fakultät, der ich eingegliedert war, hat es immer Kollegen gegeben, die die Mitgliedschaft eines Theologen als einen Schönheitsfehler ansahen und kein Hehl daraus machten, daß sie, wenn ich einmal abgehen würde, einen Lehrauftrag für Kirchengeschichte nicht erneuern und das Seminar eingehen lassen würden.“  Universitätsarchiv Frankfurt am Main, Abt. , Nr. , Blatt  (Schreiben des Dekans Hans von Arnim an den Minister vom . Juli ): „[…] die Philosophische Fakultät [bittet] Eure Excellenz, Herrn Pfarrer Foerster die selbständige Leitung seines wissenschaftlichen Apparates nicht entziehen zu wollen. Sie würde es auf das Höchste bedauern, wenn ein in Leben und Wissenschaft so bewährter Mann wie Foerster in seiner bisherigen selbständigen, an das historische Seminar nur angelehnten Stellung beschränkt und ihm die Leitung einer Bücherei entzogen würde, deren Begründung an Akademie und Universität der persönlichen Uneigennützigkeit des Herrn Foerster zu verdanken ist. Hierbei glaubt die Fakultät, daß sowohl die Bedenken Eurer Excellenz gegen den Namen ‚kirchengeschichtliche Abteilung‘ des historischen Seminars vollauf beseitigt als ein dringendes sachliches Interesse unseres Lehrplans erfüllt werden könnte und würde, wenn die für Herrn Foerster gegründete Bücherei als ‚Institut für Ausbildung von Religionslehrern an hoeheren Schulen‘ bezeichnet und aufgefasst würde, dessen Leitung Herr Foerster zu übernehmen hätte.“ Blatt : „Die Fakultät beantragt sonach bei Eurer Excellenz, die für Herrn Foerster begründete und seither von ihm verwaltete Bücherei von dem historischen Seminar abzutrennen und als selbständiges ‚Institut für Ausbildung von Religionslehrern an höheren Schulen‘ der Leitung des Herrn Foerster zu unterstellen. Dabei würde auch der von Eurer Excellenz beanstandete Name ‚kirchengeschichtliche Abteilung des historischen Seminars‘ in Wegfall kommen. Um der Entscheidung Eurer Excellenz nicht vorzugreifen, hat die Fakultät mit Herrn Foerster die vorläufige Verabredung getroffen, daß in dem bereits zum Druck gegebenen Vorlesungsverzeichnis für das Wintersemester / seine Ankündigung von Uebungen in eine Ankündigung ‚religionsgeschichtlicher Uebungen‘ verwandelt werde.“  Universitätsarchiv Frankfurt am Main, Abt. , Nr. , Blatt : „Die hochangesehene Stellung des Herrn Foerster in seinem Pfarramt und in seiner Wissenschaft hat das Kollegium der Akademie bereits vor der Eröffnung der Universität zu der Bitte an Eure Excellenz veranlasst, Herrn Foerster durch die Verleihung des Titels eines ordentlichen Honorarprofessors aus der Reihe der Privatdozenten herauszuheben. Die kürzlich vollzogene Berufung des Herrn Foerster in das hiesige Konsistorium erscheint uns als eine dringliche Veranlassung, Eurer Excellenz den Wunsch nach Beförderung des Herrn Foerster nochmals auszusprechen.“

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Fakultät der dortigen Universität an Stelle der bisherigen kirchengeschichtlichen Bibliothek ein Seminar für Religionsphilosophie und Religionsgeschichte errichtet wird. Zugleich will ich die Leitung dieses Seminars dem inzwischen [scil. mit Schreiben vom 15. Oktober] zum ordentlichen Honorarprofessor in dieser Fakultät ernannten Konsistorialrat D. Förster hiermit übertragen.“⁷² In ähnlicher Weise fand das Kuratorium sich bereit, Foersters Bezüge aufzustocken, als dieser 1919 aus Berlin das Angebot erhielt, die Propstei von St. Petri und eine geistliche Ratsstelle im Evangelischen Oberkirchenrat (für das stattliche Jahresgehalt von 17.400 Reichsmark und freie Wohnung) zu übernehmen sowie seine Frankfurter Honorarprofessur an die Berliner Universität transferieren zu lassen.⁷³ Als 1921 schließlich die komplizierten Verhandlungen um die Einrichtung theologischer Lehraufträge an der Universität begannen, kam Foerster insofern eine Schlüsselstellung für den weiteren Gang der Dinge zu, als man seitens der Fakultät den geplanten jüdischen, den katholischen und die evangelischen Lehraufträge gerne zu einer institutionellen ‚Sondergruppe‘ zusammengefasst, diese ausgelagert und der zuverlässigen Leitung Foersters anvertraut hätte: ein Vorschlag, dem Foerster selbst sich jedoch entzog, weil er seine Veranstaltungen nicht mit den sogenannten ‚Weltanschauungs‘-Lehraufträgen in Verbindung gebracht wissen wollte, sondern „als echter Harnackschüler“⁷⁴ davon „überzeugt“ war, „daß – wie er [scil. Harnack] zu sagen

 Universitätsarchiv Frankfurt am Main, Abt. , Nr. , Blatt  (Schreiben des Ministers der geistlichen und Unterrichts-Angelegenheiten, August von Trott zu Solz, an die Philosophische Fakultät vom . November ). Vgl. auch Universitätsarchiv Frankfurt am Main, Abt. , Nr. , Blatt v; Foerster, Lebenserinnerungen (wie Anm. ), .  Vgl. Universitätsarchiv Frankfurt am Main, Abt. , Nr. , Blatt r/v; r/v.  Mit Harnack war Foerster ( – ) durch den Sohn seiner Patin Laura Delbrück, Hans Delbrück, in Berührung geraten, einem späteren Schwippschwager Harnacks. Vgl. Foerster, Lebenserinnerungen (wie Anm. ), : „Er [Hans] wurde später einer, der meine geschichtlichen und politischen Überzeugungen zu bilden half, und er baute mir später eine persönliche Brücke zu Adolf Harnack, dessen Schwager er wurde.“  f.: „Hätte mich also der Gegenstand meines Studiums in diesen Semestern nicht gefesselt, so hätte mich das soziale Niveau und die sittliche Haltung der Theologenschaft an der Universität geradezu abgestoßen; kurz, gegen Ende des zweiten Semesters erwog ich doch sehr ernstlich umzusatteln, ich wäre dann jedenfalls Historiker geworden. Da fiel mir ein Heft der Preußischen Jahrbücher in die Hände, in dem Adolf Lasson, ein Berliner Philosoph, […] Harnacks Dogmengeschichte Band  ausführlich besprach – eine vornehme, aber doch ablehnende Besprechung. Allein das, was nach Lassons Wiedergabe Inhalt und Tendenz jenes Buches ist, sagte mir so sehr zu, der Nachweis, daß das kirchliche Dogma keineswegs reine Entfaltung des Evangeliums sei, leuchtete mir so stark ein, daß ich sofort entschlossen war, mich bei diesem Manne in die Lehre zu geben, und alle Hebel in Bewegung setzte, um Ostern  nach Marburg zu gehen. […] Die ersten Stunden von Harnacks Vorlesung über alte Kirchengeschichte entschieden über meine Zukunft, daß ich Kirchenhistoriker und dazu eben Theologe werden müsse. Ich werde die Einleitung dieser Vorlesung nie vergessen: ‚Wozu studiert

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beliebte – ‚die Dogmatik das Malheur der Theologie sei‘“⁷⁵, und weil er seinem Selbstverständnis als historisch arbeitender Wissenschaftler gemäß seinen Platz in der Philosophischen Fakultät behalten wollte;⁷⁶ dementsprechend sollte es zu einer man Kirchengeschichte? Um die Vergangenheit los zu werden, um die Gegenwart zu verstehen, um sich zu begeistern.‘ […] Ich war die ersten Wochen berauscht, freute mich von einer Stunde zur andern, kam bald in persönlichen Kontakt mit dem damals ja noch jugendlichen und von keinerlei höfischem Glanze verwöhnten Dozenten, den einige Hörer nach der Vorlesung wohl bis an seine Wohnung begleiten durften.“  Foerster, Lebenserinnerungen (wie Anm. ), .  Am . Juli  wandte sich eine durch die Fakultät eingesetzte Kommission an Foerster mit dem Vorschlag, eine neue „Sondergruppe“ außerhalb der Fakultät für „einen konfessionell gerichteten Lehrbetrieb“ zu bilden, für die er „an die Spitze der gedachten Gruppe als eine Art von Dekan […] treten“ (Universitätsarchiv Frankfurt am Main, Abt. , Nr. , Blatt  f.) sollte. Dementsprechend wurde in einem (unadressierten) Entwurf des Dekans vom . Juli , in dem die Philosophische Fakultät, und zwar „mit Rücksicht auf die Interessen ihrer Studierenden“, „die Errichtung eines Instituts für Ausbildung evangelischer Religionslehrer an höheren, mittleren und Volksschulen“ beantragte, vorgeschlagen, „den ordentlichen Honorarprofessor Konsistorialrat Dr. Foerster“ „am liebsten zum Ordinarius der evangelischen Theologie“ zu ernennen und ihm die „Leitung des Instituts“ zu übertragen, daneben eine „Oberaufsicht durch einen Ausschuss der Fakultät, aus  evangelischen Ordinarien bestehend“ einzurichten und den Unterricht zu „verteilen auf  nebenamtliche dauernde Lehrkräfte, mit fester Remuneration unter Bestätigung des Herrn Ministers“, und berechtigt, „weitere geeignete Lehrkräfte II. Grades [„II. Grades“ ist mit Bleistift durchgestrichen; am Rand ist handschriftlich vermerkt „Pfr.“] ohne Gehalt zu Vorlesungen und Uebungen heranzuziehen.“ „Das bisherige Seminar für Geschichte der christlichen Religion geht in das Institut über.“ „Verfügbar sind z. Zt. M .– und die Vorlesungshonorare“ (Universitätsarchiv Frankfurt am Main, Abt. , Nr. , Blatt ). Hinzutreten sollten Zuschüsse der Religionsgemeinschaften (die evangelische Seite bewilligte im Januar  ein Zehntel dieses Betrages, nämlich „bis zu M .–“, siehe Universitätsarchiv Frankfurt am Main, Abt. , Nr. , Blatt ). Einen Tag später wandte der Philosophieprofessor Artur Schneider sich handschriftlich an den Dekan Walter Otto (Universitätsarchiv Frankfurt am Main, Abt. , Nr. , Blatt r/v), indem er darauf hinwies, dass „das Seminar jetzt als unserer Fakultät angehörig“ noch ein interkonfessionelles sei, auf das „infolgedessen entweder alle christl. Konfessionen oder keine speziell […] Anspruch hätte“, und, „um Schwierigkeiten, die sonst später entstehen könnten, vorzubeugen“, vorschlug, alsbald „die Konfessionalisierung des Seminars“ einzuleiten. Die Vorstellungen der Fakultät wurden jedoch offenkundig nicht verwirklicht. Aus einem Brief des Ministeriums in Gestalt des Geheimen Regierungsrats Wende an den Dekan Josef Horovitz vom 25. November 1921 (Universitätsarchiv Frankfurt am Main, Abt. 130, Nr. 9, Blatt 18 – 19) geht allerdings hervor, dass Horovitz den Vorschlag dem Ministerium tatsächlich unterbreitet hatte: „Für die Ausgestaltung des Herrn Konsistorialrat Prof. Dr. Förster erteilten Lehrauftrags hatten Sie dem Herrn Minister einen Vorschlag überreicht, dessen Abschrift Sie Ihrem gefälligen Schreiben vom 27. Oktober beifügten. Inzwischen hat, wie ich durch Herrn Ministerialdirektor Dr. Gerlach erfahre, Herr Prof. Dr. Förster seinerseits selbst einem Plan zugestimmt, der von der Durchführung der in den Vorschlägen der Fakultät vorgesehenen Vierteilung der in den Bereich seines Lehrauftrags fallenden Fächer zur Zeit noch absieht.“ Denn Foerster hatte das Vorhaben (von wem auch immer

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entwickelt) präferiert, „nur […] neben dem Herrn Prof. Förster erteilten Lehrauftrag noch einen anderen Lehrauftrag für ein näher abzugrenzendes Gebiet, als welches Enzyklopädie und neues Testament in Frage kommen könnte, zu vergeben. Für diese beiden Lehraufträge soll offenbar derselbe Betrag zur Verfügung bleiben, der vom Kuratorium in so erfreulich grosszügiger Weise für den katholischen und den jüdischen Lehrauftrag bereit gestellt worden ist. Ich darf wohl annehmen, dass Herr Prof. Dr. Förster in gleichem Sinne auch mit Ihnen Fühlung genommen hat und bitte, mir danach freundlichst zu bestätigen, dass ich diese Regelung unserer amtlichen Entscheidung zugrunde legen darf.“ Foerster hatte also offenbar seine Abteilung weiterhin unter dem Dach des Historischen Seminars halten, es der ‚Konfessionalisierung‘ entziehen wollen und sich dem Plan angeschlossen, drei stetige (d. h. unwiderrufliche) theologische Lehraufträge einzurichten, paritätisch nach Denominationen verteilt: Der jüdische sollte von dem charismatischen (vgl. Leo Löwenthal, Mitmachen wollte ich nie. Ein autobiographisches Gespräch mit Helmut Dubiel (Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1980 / edition suhrkamp, Bd. 1014), 19 – 20) Rabbiner Nehemiah Anton Nobel wahrgenommen werden, für den katholischen war der Münsteraner Privatdozent Johann Peter Steffes vorgesehen. Der Brief Wendes trägt an dessen Ende eine handschriftliche Notiz: „Herr Förster ist nicht in der Lage mehr Studenten als bisher deshalb zurück“ (es folgen zwei weitere unleserliche Wörter). In dieser Situation schlug Minister Otto Boelitz (selbst Pfarrerssohn und Theologe sowie Philosoph) zunächst einen zweiten, gesonderten Lehrauftrag „für die Vertretung der evangelischen Religion“ vor, dessen Vergütung „allerdings eine Kürzung um den bereits für Herrn Professor Foerster in den Etat eingestellten Betrag“ (Zentralarchiv der EKHN, Bestand 22/305, Blatt 18) erfahren sollte. Foerster, der von der Fakultät mit den Verhandlungen zwischen den beteiligten Parteien beauftragt wurde, teilte dem Konsistorium am 9. Dezember 1921 brieflich mit (Zentralarchiv der EKHN, Bestand 22/305, Blatt 18 – 21), die Fakultät habe die ministeriale Aufforderung zur Erstellung eines Namensvorschlags abgelehnt, „da ja auch die Wahl der Personen für den katholischen und jüdischen Weltanschauungsvertreter ohne sie erfolgt und ihr erst nachträglich lediglich mit der Frage vorgelegt ist, ob sie Bedenken dagegen erheben wolle, und da sie diesen Weltanschauungsvertretern aus prinzipiellen Gründen Aufnahme in die Fakultät nicht gewähren kann. Die Fakultät wird vielmehr antworten, dass sie an der Einrichtung solcher Weltanschauungslehrstühle ihrerseits gar kein Interesse habe, allerdings auch keinen Einspruch erheben wolle, und dass sie die Vereinbarung über die Personen dem Minister und den Religionsgemeinschaften überlasse und gegen die von diesen vorgeschlagenen Personen solange keine Einwände erheben werde, als dieselben den Ausweis einer wissenschaftlichen Bildung erbracht haben.“ Nachdem die Fakultät dergestalt ihre Distanziertheit zum Ausdruck hatte bringen lassen, ließ sie Foerster dem Konsistorium einen Alternativvorschlag unterbreiten, nämlich auf einen Weltanschauungslehrauftrag zu verzichten und stattdessen „eine Vermehrung wissenschaftlichen evangelisch-theologischen Unterrichts“ anzustreben, „wie es die Fakultät schon längst, unabhängig von den Eingaben der Kirche im Interesse ihrer Studierenden, angeregt hat, um denjenigen Studierenden, die eine Befähigung in der evangelischen Religionslehre für höhere Schulen suchen[,] die Möglichkeit einer Vorbereitung darauf an hiesiger Universität zu gewähren, und um womöglich auch denjenigen Frankfurter Söhnen, die das Studium evangelischer Theologie erwählen, einige Semester an hiesiger Universität zur Anrechnung zu bringen. Aus diesem Wunsch hat die Fakultät vorgeschlagen, den vom Kuratorium für den katholischen und jüdischen Weltanschauungsvertreter bewilligten Betrag, statt zur Berufung eines protestantischen Weltanschauungsvertreters, vielmehr dazu zu verwenden, neben dem Lehrauftrag für Herrn Professor Foerster möglichst drei weitere nebenamtliche Lehraufträge für Neues Testament, Systematik und Religionspädagogik zu

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Institutsgründung erst Jahre nach dem Krieg kommen. Auch 1945, kurz nach Kriegsende und dicht vor seinem Tod, scheint Foerster seitens der Stadtpolitik einer

erteilen. Die Fakultät hat dabei gehofft, dass ebenso wie der katholische Bischof zur Erlangung einer katholischen Weltanschauungsvertretung dem Minister Mittel zur Verfügung gestellt hat, auch die evangelische Kirche sich bereit finden würde[,] einen jährlichen Beitrag zur Remuneration der genannten Lehraufträge zu erteilen.“ Am Ende kam es tatsächlich zur Einrichtung zunächst dreier, dann vierer evangelisch-theologischer Lehraufträge an der Universität, allerdings widerruflicher, außerdem eines katholischen und eines jüdischen: all diese wohlgemerkt nicht unter dem Dach eines eigenen Instituts. Damit wurde ein Fakultätsbeschluss umgesetzt,von dem Horovitz am 9. Dezember 1921 (an demselben Tag, als Foerster sich an das Kuratorium gewandt hatte) Wende berichtet hatte (Universitätsarchiv Frankfurt am Main, Abt. 130, Nr. 9, Blatt 20): „Mit bestem Dank für das gefällige Schreiben vom 25. November verbinde ich die Mitteilung, daß die Fakultät gegen die Erteilung des Lehrauftrags für jüdische Religionswissenschaft an Herrn Rabbiner Dr. N. A. Nobel keine Bedenken hat. In einer Sitzung der Fakultät, an der auch Herr Konsistorialrat Professor Dr. Foerster teilgenommen hat und mit seiner Zustimmung hat die Fakultät beschlossen, an ihrem früheren Antrag auf Erteilung von vier Lehraufträgen festzuhalten. Die Fakultät sieht sich zu dieser Stellungnahme deshalb veranlaßt,weil sie als Fakultät ihr Interesse daran betonen möchte, daß Oberlehrern, die sich um die Facultas für evangelische Religion bewerben, die Möglichkeit geboten wird, sich in diesem Fach ausbilden und prüfen zu lassen.Wenn auch die Fakultät als solche kein Interesse an der Vertretung der evangelischen Weltanschauung an der Universität (wie sie für die katholische und jüdische Weltanschauung geschaffen werden soll) hat, so nimmt sie doch an, daß mit Erteilung der genannten Lehraufträge zugleich auch ein Interesse der evangelischen Kirche wahrgenommen wird.“ Am 24. April 1922 beauftragte Minister Boelitz Steffes „mit Vorlesungen aus dem Gebiet der katholischen Religionswissenschaft“, Wilhelm Bornemann, „bei der Philosophischen Fakultät der Universität Frankfurt am Main Vorlesungen aus dem Gebiet des Neuen Testaments zu halten“, „Herrn Studienrat Dr. Julius Richter am Woehler-Real-Gymnasium“, „Vorlesungen aus dem Gebiet der Religionspädagogik zu halten“; da Nobel inzwischen gestorben war, fasste man für den jüdischen Lehrauftrag nun Franz Rosenzweig ins Auge (Universitätsarchiv Frankfurt am Main, Abt. 130, Nr. 9, Blatt 32). Das Vorlesungsverzeichnis für das Wintersemester 1922/23 weist in der Rubrik ‚Theologische Vorlesungen‘ Steffes, Bornemann, Richter und überdies Foerster mit Veranstaltungen aus, das Verzeichnis für das Sommersemester 1923 Rosenzweig, Steffes, Bornemann, Richter, darüber hinaus Greiner sowie Foerster mit Veranstaltungen aus; das Verzeichnis für das Wintersemester 1923/24 Steffes, Bornemann, Richter, Greiner, Schwarzlose und Foerster (also vier evangelisch-theologische Lehraufträge abgesehen von dem Foersters), das Verzeichnis für das Sommersemester 1924 Bornemann, Greiner, Schwarzlose und Buber (Richter fehlt), das Verzeichnis für das Wintersemester 1924/25 Buber, Bornemann, Greiner, Schwarzlose und Richter, das Verzeichnis für das Sommersemester 1925 Steinbüchel (kath.), Bornemann, Greiner, Schwarzlose und Richter. Die Veranstaltungen Foersters waren also ab Sommersemester 1924 bleibend aus der Rubrik ‚Theologische Vorlesungen‘ entfernt worden. Und so durfte Foerster seine Abteilung für Geschichte der christlichen Religion, seinem Selbstverständnis als historisch arbeitender Wissenschaftler entsprechend, behalten.

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der Haupt-Ansprechpartner in Fragen einer möglichen theologischen Fakultät gewesen zu sein.⁷⁷ Bis 1929 jedenfalls, zu der Ankunft des um eine knappe Generation jüngeren Tillich also, blieb Foerster der einzige christliche Theologe mit einer permanenten Position an der Frankfurter Universität (als dritter Theologe kann Carl Mennicke gezählt werden, der am 26. November 1930 auf eine Ordentliche Honorarprofessur für Pädagogik berufen wurde⁷⁸). Beide, Tillich und Foerster, hatten (wie Mennicke auch⁷⁹) unter anderem bei Adolf von Harnack studiert und sich wieder von diesem entfernt: Foerster, weil Harnack ihm nicht gediegen und detailgenau genug arbeitete,⁸⁰ Tillich, da er die Welt seit Harnacks Zeiten gewandelt fand und er einen

 Foerster, Lebenserinnerungen (wie Anm. ),  (Tagebuchaufzeichnungen ): „Ein Brief von Beutler als Kulturdezernent des neuen Bürgermeisters regt an, die Errichtung von zwei (!) theologischen Fakultäten an der Universität schon jetzt vorzubereiten und Vorschläge zu überlegen. Scheint mir sehr verfrüht. Ich glaube überhaupt, daß Beutler das Regiment der amerikanischen Besatzung in zu günstigem Licht sieht.“ – Bei „Beutler“ handelt es sich um den Literaturhistoriker und langjährigen Leiter der Bibliothek des Freien Deutschen Hochstifts Ernst Beutler, zu dem Foerster guten Kontakt unterhielt (vgl. auch Foerster, Lebenserinnerungen [wie Anm. ], ). – Dass die Angelegenheit weiter schwelte, wird unter anderem daraus ersichtlich, dass noch  der damalige Rektor Horkheimer daran gedacht zu haben scheint, Professuren für evangelische und katholische Theologie von den Kirchen finanzieren zu lassen und in der Philosophischen Fakultät unterzubringen (vgl. Universitätsarchiv Frankfurt am Main, Abt. , Nr. , Blatt v).  Vgl. Universitätsarchiv Frankfurt am Main, Abt. , Nr. , Blatt  f.  Vgl. Carl Mennicke, Zeitgeschehen im Spiegel persönlichen Schicksals [Langfassung],  f., auch  (Typoskript: Deutsche Nationalbibliothek Frankfurt am Main, Deutsches Exilarchiv  – , EB / = Druckfassung (Zeitgeschehen im Spiegel persönlichen Schicksals. Ein Lebensbericht, hg. von Hildegard Feidel-Mertz (Weinheim: Deutscher Studien Verlag, )),  f., auch . Vgl. Kurzfassung des Typoskripts,  f.; auch .  Foerster, Lebenserinnerungen (wie Anm. ), : „Zu meiner großen Freude fand ich [scil. ] in Berlin Harnack wieder, der […] dorthin berufen war. Ich bin auch hier noch kurze Zeit der Senior seines Seminars gewesen. […] Er [scil. Julius Kaftan] trat mir menschlich näher als Harnack, der in Berlin auch sofort in so viele wissenschaftliche Unternehmungen, unter anderem in die Akademie der Wissenschaften, hineingezogen wurde, daß er einen so intimen Verkehr mit seinen Schülern wie in Marburg nicht fortsetzen konnte. In einem seelsorgerlichen Gespräch kann ich ihn mir als Gegenüber nicht vorstellen.“ –  (Rundbrief vom . November  anlässlich des . Geburtstages): „Dort [scil. in Marburg] traf ich Harnack, und nach wenigen Wochen war alles entschieden. Ich war nun Theologe und im besonderen Dogmengeschichtler mit ganzem Herzen. Der glänzende und blendende Einfluß Harnacks ist sodann durch den nahen Verkehr mit Kaftan als Lehrer und Berater vertieft worden; als Christ und als Charakter hat er einen Ehrenplatz in meiner Erinnerung, während mir der Berliner Harnack immer ferner und nach  nahezu völlig entfremdet wurde. Dazu kam, daß Harnack Sohms gewaltiges Buch, das mich aufs Tiefste beeindruckte, nach meinem Urteil einfach nicht verstand, seine religiöse und wissenschaftliche Bedeutung nicht würdigte, vielleicht nicht würdigen wollte, und daß, als ich selbst anfing, Kir-

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Begriff wie den des Dämonischen nicht preisgeben, sondern bezogen wissen wollte auf „Wirtschaftsformen, politische und rechtliche Einrichtungen, durch die die Gesellschaft zerspalten und ganzen Schichten ihr Lebenssinn genommen wird.“⁸¹ Beide hatten, trotz kritischer Distanz, inzwischen Anstöße von Karl Barth empfangen.⁸² Beide verfügten über Verbindungen zur Universität Marburg: chengeschichte zu lehren, Harnacks Darstellungskunst vor der bescheidenen, aber gehaltvollen Gediegenheit Karl Müllers verblich.“  Vgl. GW XII,  –  („Adolf von Harnack. Eine Würdigung anlässlich seines Todes“), hier .Vgl. auch GW VII,  –  („Was ist falsch in der ‚dialektischen‘ Theologie?“), hier : „[…] der Glaube an eine gegen göttliche und dämonische Herrschaft indifferente Sachlichkeit ist eine Illusion. Wir leben niemals nur in der ersten und zweiten Dimension unserer Existenz (dem gegebenen Stoff und der Form, die wir ihm geben); sondern wir leben immere [sic!] auch in der dritten Dimension (die göttliche Höhe und die dämonische Tiefe). Das gilt für all unser Handeln, auch das scheinbar profanste. Wer das nicht sieht und mit dem falschen Glauben an zweidimensionale Sachlichkeit den religiösen Kampf gegen seelische, soziale und geistige Dämonien ablehnt, leistet ihnen in Wahrheit Vorschub.“  GW VII, : „Als der Römerbrief-Kommentar erschienen war, schloß sich ein großer Kreis gleichaltriger Theologen der Richtung an, für die Barth die Bahn gebrochen hatte, einige in offener, einige, wie ich, in ‚unterirdischer‘ Arbeitsgemeinschaft. Im Laufe eines Jahrzehnts hat sich das völlig geändert. Als die supranaturalistische Wendung des Barthschen Denkens deutlich sichtbar wurde, mußte die ‚unterirdische‘ Arbeitsgemeinschaft von mir aufgegeben werden.“ – Foerster, Lebenserinnerungen (wie Anm. ),  f.: „[…] [ich] erkannte […], daß die einzige Schutzwehr gegen das Versinken in den absoluten Relativismus, das heißt in absolute Skepsis, in Karl Barths Theologie lag, das heißt, in deren Grundsätzen, auf die Barth dann leider einen wahren babylonischen Turm von Dogmen aufgebaut hat. […] Der christliche Glaube als absolutes Paradox, als ‚ganz Anderes‘, als Wunder, als Wirkung der Offenbarung, die wie eine Senkrechte auf die geschichtliche Linie aufstößt, aber in keiner Weise durch diese hervorgebracht oder bedingt ist […]: Dies erschien mir nicht nur als die zutreffendste Übersetzung der neutestamentlichen Botschaft in die gegenwärtige Welt, sondern auch als das rechte Wort für das heutige Geschlecht. – Ich habe von meiner kritischen Position nicht das Geringste preisgegeben und mich nicht von der modernen (historisch-kritischen) Theologie ‚bekehrt‘, ich bedaure, daß so viele Barthianer, und leider auch Barth selbst, der Versuchung unterlegen sind, eine neue Orthodoxie aufzurichten und wohl gar mit den häßlichen Methoden der Orthodoxie […].“ –  (): „Ich denke an die letzte Pfarrkonferenz, deren Niveau mich bedrückte, aber auch an die Säulen der B. K., charakterlich verehrungswürdig, aber eigentlich ohne jede Fühlung mit der Wissenschaft und sogar geneigt, diese als Ausgeburt des Unglaubens und der Aufklärung zu verdammen, zum Beispiel Jungfrauengeburt, leibliche Auferstehung,Wunder u.s.w.“ – Nach seinem Deutschlandaufenthalt  teilte Tillich diesen letzten Eindruck, wie sein Artikel „Besuch in Deutschland“ (wie Anm. ) sowie seine ausführliche Entgegnung auf einen Kommentar Martin Niemöllers zeigen. GW XIII, : „Sie [scil. die ‚Bekennende Kirche‘] verdammte voll und ganz die sogenannte neuprotestantische Periode von  bis . […] Die radikalen Formen der Bibelkritik werden abgelehnt und ihre Vertreter der Irrlehre bezichtigt und einem Lehrzuchtverfahren unterworfen. […] Die Verteidigung der historisch-kritischen Methode in der Theologie und des Gebrauchs philosophischer Begriffe speziell in der systematischen Theologie stoßen manchmal auf eine Verbindung

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Foerster, insofern er in Marburg promoviert worden war und sein alter Freund und Kollege von der Christlichen Welt, Martin Rade, dort eine Professur innehatte;⁸³ Tillich, weil er, zumal als ehemaliger Marburger, von Frankfurt aus dort diejenigen fachtheologischen Kontakte pflegen konnte, die ihm vor Ort fehlen mochten.⁸⁴ Und beide nahmen in Frankfurt eine eigentümliche Zwitterstellung ein: Foerster als Theologe und Historiker,⁸⁵ Tillich als Theologe und Philosoph. Aus dieser von Ignoranz und Fanatismus, die vor fünfzehn Jahren noch unbekannt war.“ EW V, : „Der Satz über Unwissenheit und Fanatismus bezieht sich auf jüngere Pfarrer und ältere Studenten, die historische Kritik nicht mehr kennen, sie dafür aber umso fanatischer ablehnen. […] Für mich ist dieser Punkt so entscheidend, weil es sich hier um die Frage der wissenschaftlichen Ehrlichkeit handelt, die es ablehnen muß, aus dogmatischen Gründen kritische Möglichkeiten in der geschichtlichen Forschung auszuschalten. Die Unterdrückung des methodischen Fragens führt notwendig zu Fanatismus; und Spuren dieses Fanatismus unterdrückter Fragen habe ich an manchen Stellen gefunden.“ „Besuch in Deutschland“, GW XIII, : „Sie [scil. die Nichttheologen, besonders die Naturwissenschaftler] werden zurückgestoßen durch den engen Dogmatismus und Konfessionalismus der protestantischen Kirche […].“ – EW V,  f.: „In Besprechungen mit diesen Nichttheologen ergab sich nun die Klage, daß die biblizistischsupranaturalistische Form der kirchlichen Predigt und Lehre ihnen den Zugang zur Kirche fast völlig versperrt – trotz ernstestem Bemühen. Sie beriefen sich zum Teil auf ihr wissenschaftliches Gewissen, das sie nicht ohne geistige Selbstzerstörung opfern könnten.“  Vgl. auch Foerster, Lebenserinnerungen (wie Anm. ), : „Zu Rades . Geburtstag fuhren Bornemann und ich nach Marburg […].“  So Pauck / Pauck, Paul Tillich (wie Anm. ), .  Zur Stellung Foersters in der Fakultät vgl. die Antwort des Dekans der Philosophischen Fakultät Hermann Lommel vom . Januar  auf eine Anfrage des Dekans der Philosophischen Fakultät Hamburg (Universitätsarchiv Frankfurt am Main, Abt. , Nr. , Blatt  – ): „Unsere Fakultät hält […] die Eingliederung theologischer Lehr- und Forschungstätigkeit in den eigenen Aufgabenkreis für unmöglich, da diese ihrem Wesen nach dogmatisch gebunden ist. Wenn dennoch bei uns einige Theologen wirken, so ist dabei zweierlei zu unterscheiden. . Herr Konsistorialrat Foerster gehört der Fakultät als Honorarprofessor an mit dem Lehrauftrag für Kirchengeschichte, die er als Historiker, nicht als Theologe zu vertreten bestrebt ist. Die von ihm geleitete Abteilung für Geschichte der christlichen Religion gehört dem Historischen Seminar an. Kirchengeschichte ist eines unserer Prüfungsfächer im philosophischen Doktorexamen, das jedoch, wenn es als Hauptfach gewählt wird, mittlere u. neuere Geschichte als Nebenfach erfordert. Herr Konsistorialrat Foerster wirkt beim Doktorexamen nach Bedarf als Referent und als Examinator mit. Ohne ständigen Sitz in der Fakultät wird er bei einschlägigen Fragen als Berater herangezogen. . Auf Anregung von Religionsgemeinschaften und nicht der Fakultät hat das Ministerium Lehraufträge für religiöse Weltanschauung der drei hauptsächlichen Bekenntnisse erteilt. Diese Vorlesungen haben also nicht – jedenfalls nicht ausnahmslos und notwendigerweise – den Charakter streng akademischer, wissenschaftlicher Vorträge. Die Fakultät hat der Ausgliederung dieser Vorträge nur deshalb zugestimmt, weil sich ein anderer Modus der Unterbringung in der Universität nicht finden ließ und betrachtet sie nicht als ihrem Lehrbetrieb eingegliedert. Aeußerlich sucht sie das z. B. dadurch kenntlich zu machen, daß sie die Ankündigung derselben auf ihrem Schwarzen Brett nicht gestattet; es ist ein gesondertes Schwarzes Brett für

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Perspektive entbehrt der Vorschlag, den 1946 der damalige Frankfurter Rektor Georg Hohmann sowohl dem seitens der Amerikaner für die Anklage vor dem Internationalen Militärgerichtshof in Nürnberg arbeitenden Abteilungsleiter Robert Kempner,⁸⁶ auf dessen Vorstoß hin, als auch Tillich selbst⁸⁷ unterbreiten sollte, nämlich Tillich als Nachfolger des 1945 verstorbenen Foerster zurückzuholen und dies am besten mit der Gründung einer theologischen Fakultät oder gleich zweier Fakultäten zu verbinden, nicht ganz einer gewissen – wenngleich unbeabsichtigten – Folgerichtigkeit.

3 Tillich und Foerster: Getrennte Kreise Angesichts all dieser sachlichen und biographischen Verbindungslinien liegt eine nicht unerhebliche Ironie in der Tatsache, dass es zwischen Tillich und Foerster zu keinerlei nennenswertem persönlichen Kontakt gekommen zu sein scheint, desgleichen nicht zwischen Tillich und den anderen, mit widerruflichen Lehraufträgen versehenen evangelischen Theologen an der Frankfurter Universität: obwohl doch Tillich von seinen Kollegen aus der Philosophie primär als Theologe betrachtet wurde und obwohl er sich selbst ausweislich einer späteren Bemerkung „als pro-

‚Theologische Vorlesungen‘ vorhanden. Die philosophische Fakultät hat es demgemäß auch nicht auf sich genommen, die Träger dieser Lehraufträge von sich aus in Vorschlag zu bringen. Sie werden von den Religionsgemeinschaften vorgeschlagen und vom Ministerium ernannt in der Regel nach vorheriger Anfrage bei der Fakultät, ob gegen die betreffende Ernennung Bedenken bestehen. Anläßlich der geplanten Abbaumaßnahmen hat die Fakultät zum Ausdruck gebracht, daß sie gegen etwaige Aufhebung dieser Lehraufträge keinen Einspruch erheben würde. Doch ist eine solche Streichung nicht geplant.“  Siehe oben Anm. . .  Universitätsarchiv Frankfurt am Main, Abt. , Nr. , Blatt  (Brief des Rektors Hohmann an Tillich vom . März ): „Sehr geehrter Herr Tillich! Der Senat der Universität Frankfurt am Main hat durch Herrn Kempner Ihren gegenwärtigen Wohnsitz in Erfahrung gebracht und mit Freude gehört, dass Sie eventuell bereit wären, wieder in Frankfurt zu lehren. Wir begrüssen dies und bitten Sie, uns über Ihre Absichten zu schreiben. Früher waren Sie hier als Philosoph tätig, und in den Staaten sind Sie an einer theologischen Fakultät Lehrer, ich weiss nicht, ob als Theologe oder als Philosoph. Hier liegt die Sache so, dass wir für den philosophischen Lehrstuhl Professor [Gerhard] Krüger (Münster) dem hessischen Kultusminister vorgeschlagen haben, während eine theologische Fakultät hier noch nicht besteht. Allerdings beabsichtigen wir theologische Fakultäten einzurichten und stehen in den Vorbereitungen hierzu. Früher war hier eine Professur für Religionsgeschichte, die Professor Foerster innehatte, der kürzlich gestorben ist. Ich bitte Sie, uns unter Berücksichtigung dieser Mitteilungen über Ihre Gedanken zu schreiben und Vorschläge zu machen.“

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testantischer Theologe“, wenngleich „in philosophischem Material“⁸⁸, fühlte, der „dem in jeder Diskussion deutlich Ausdruck gegeben“⁸⁹ habe. Jedenfalls ist dies der Schluss, der aus der auffälligen Tatsache gezogen werden muss, dass Tillich zu keiner Zeit in seinen Schriften, Briefen oder sonstigen Zeugnissen auf einen seiner Frankfurter Theologenkollegen Bezug nimmt und dass umgekehrt keiner der maßgeblichen Frankfurter Theologen Tillich in autobiographischen Berichten auch nur am Rande erwähnt: Erich Foerster nicht;Wilhelm Bornemann⁹⁰ nicht, als Senior des landeskirchlichen Predigerseminars Repräsentant der Frankfurter lutherischen Pfarrerschaft, ehemals ordentlicher Professor für Kirchengeschichte und Praktische Theologie an der Universität Basel, der bis 1931 den neutestamentlichen Lehrauftrag an der Frankfurter Universität versah⁹¹ und der 1908 zusammen mit Paul Tillichs Vater, „Superintendent Tillich“ „aus Berlin“⁹², einer kirchlichen Gesandtschaft nach England angehört hatte; und auch Johannes Kübel⁹³ nicht, der Pfarrer der Weiß EW VI,  (Brief an Eugen Rosenstock-Huessy, Februar/März ); vgl. auch Schüßler, „Als protestantischer Theologe“ (wie Anm. ), .  EW VI,  (Brief an Eugen Rosenstock-Huessy, Februar/März ). : „Sie schreiben von einem zweiten Wechsel zwischen Theologie und Philosophie, bei Ihnen und bei mir. Ich bin mir eines solchen Wechsels so wenig bewußt, wie es Thomas gewesen sein mag, als er nach den Aristoteles-Kommentaren und der Summa contra gentiles die Summa theologica schrieb. Und auch die Tatsache des mehrfachen, mindestens dreifachen Fakultätswechsels beweist keinen realen Wechsel.“ Vgl. auch Schüßler, „Als protestantischer Theologe“ (wie Anm. ), .  Wilhelm Bornemann, Heitere Bilder aus Leben und Zeit (Frankfurt am Main: H. L. Brönner, ).  Bei diesen Lehraufträgen handelte es sich um ‚widerrufliche‘. Das Protokollbuch der Fakultät vermerkt für die . Sitzung des Fakultätsrats vom . Juli  (Universitätsarchiv Frankfurt am Main, Abt. , Nr. K, Blatt ) unter anderem knapp „Antrag Bornemann abgelehnt“, ohne jedoch zu spezifizieren, um was für einen Antrag es sich handelte.  Wilhelm Bornemann, Die Friedensfahrt deutscher Kirchenmänner nach England. Skizzen zum Andenken und Nachdenken (Gießen: Alfred Töpelmann, ), .  Johannes Kübel, Erinnerungen. Mensch und Christ, Theologe, Pfarrer und Kirchenmann, hg. von Martha Frommer (Villingen-Schwenningen: Selbstverlag d. Hg., ). – Über Foerster berichtet Kübel, : „Erich Foerster war in der theologischen Grundhaltung eines Sinnes mit Bornemann, übertraf aber uns alle an Temperament, Geistigkeit und unerbittlicher Schärfe der Gedanken. Er war durch und durch Intellektualist, in der Sprache ausgeprägt ostelbisch, in der Diskussion oft, ihm selbst vielleicht gar nicht bewußt, von verletzender Schärfe, zudem ohne Sinn für Humor und genießendes Behagen. […] Trotz der Klarheit und Schlichtheit seiner Gedanken war er in seinen Predigten nicht immer leicht zu verstehen; er blieb auch in seinen Predigten der lehrende Professor, der er in seinem tiefsten Wesen immer war. Der unerbittliche Ernst verlieh seinen Predigten zwingende Kraft. An geistiger Bedeutung stand Foerster über allen Frankfurter Kollegen. Auch außerhalb der Kirche genoß er das größte Ansehen, an der Universität, in den führenden Kreisen der sozialen Fürsorge und der Volksbildung und im geselligen Verkehr. Mit ihm allein oder im kleinen Kreis entspann sich sofort eine wissenschaftliche Debatte; er konnte gar nicht anders, er vibrierte von Fragen und Gedanken und mußte sich äußern.“ – : „[…] dieser klare Denker gab

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frauenkirche, der wie Foerster (dieser von 1891 bis 1903⁹⁴) längere Zeit als Herausgeber der Chronik der Christlichen Welt tätig war. Den Lehrauftrag Bornemanns übernahm 1931 Wilhelm Lueken, ein Pfarrerkollege Foersters an der deutsch-reformierten Gemeinde; die weiteren evangelischtheologischen Lehrbeauftragten zu Tillichs Zeit waren Karl Schwarzlose, Pfarrer an der Katharinenkirche, der seit Wintersemester 1922/23 bis zu seinem Tod am 12. Juli 1929 für Vergleichende Konfessionskunde⁹⁵ zuständig war, sodann Julius Richter, Oberstudienrat am Wöhler-Realgymnasium, mit einem Lehrauftrag für Religionspädagogik, und schließlich Gerhard Lütgert, Pfarrer an der Lutherkirche im Nordend, für Systematische Theologie.⁹⁶ Lütgert hatte wie Tillich dem Wingolf angehört; zusich neuen Ideen und neuen Menschen sehr rasch hin und setzte mit seiner Besinnung manchmal zu spät ein. Unter dem unerbittlichen Zwang seiner Logik entstanden dann festgefügte Gebäude, denen das tragfähige Fundament fehlte. Auf mich wirkte der Übertritt des preußischen Monarchisten und Aristokraten im Herbst  zur demokratischen Partei und das später folgende Bekenntnis des liberalen Pfarrers zur Barthschen Theologie als wenig überlegt und deshalb voreilig. Aber es war ganz in Foersters Wahrhaftigkeit und in seiner Liebe zum Evangelium und zu Recht und Freiheit begründet, wenn er, schon längst emeritiert, wie die meisten Liberalen Frankfurts, in die Opposition ging und sich zunächst der Bruderschaft und  der Bekennenden Kirche anschloß. In ihrem Dienst hat er weiterhin regelmäßig gepredigt.“  Vgl. Foerster, Lebenserinnerungen (wie Anm. ), .  So Minister Otto Boelitz in seinem Beauftragungsschreiben vom . Oktober  (Universitätsarchiv Frankfurt am Main, Abt. , Nr. , Blatt ; Abt. , Nr. , Blatt ).  Zu den Lehrbeauftragten für theologische Vorlesungen gehörten außerdem Friedrich Andres (katholische Weltanschauung) und Martin Buber (jüdische Religionslehre und jüdische Ethik). Ab Sommersemester  tauchen Bubers Veranstaltungen im Rahmen der Philosophischen Fakultät unter der Unterüberschrift ‚Religionswissenschaft‘ auf, platziert zwischen ‚Philosophie und Pädagogik‘ und ‚Geschichte‘, zusammen mit einer Veranstaltung des Professors für Klassische Philologie Walter F. Otto. Diese deutliche Aufwertung der Tätigkeit Bubers durch Auslagerung seiner Dozentur aus dem marginalisierten theologischen Bereich und deren volle Integration in die Philosophische Fakultät war unter Otto angebahnt worden, der mit Unterstützung des Kurators Kurt Riezlers am . Juli  beim preußischen Wissenschaftsministerium den Antrag gestellt hatte, Buber „einen bezahlten Lehrauftrag für Religionswissenschaft zu verleihen und ihn gleichzeitig zum Honorarprofessor zu ernennen“ (Universitätsarchiv Frankfurt am Main, Abt. , Nr. , Blatt ). Die Begründung für diesen Antrag lautete: „Religionswissenschaftliche Vorlesungen und Uebungen in der Philosophischen Fakultät einzurichten, erscheint besonders wünschenswert, da unserer Universität die Theologische Fakultät fehlt, die anderwärts für Vorträge dieser Art zu sorgen pflegt. Zur Vertretung dieser Wissenschaft ist niemand geeigneter als Martin Buber“ (ebd.). Dem Antrag wurde seitens des preußischen Wissenschaftsministers Grimme zunächst nur halb entsprochen, indem Buber mit Schreiben des Ministerialrats Otto (K. Leisler) von Rottenburg vom . August  zum Honorarprofessor ernannt wurde. Aus einem Brief Bubers vom . November  an den Dekan der Philosophischen Fakultät Franz Schultz geht hervor, dass angesichts der unbefriedigenden Situation der Letztgenannte Buber vorgeschlagen hatte, „den Lehrauftrag schon zum Sommersemester aufzugeben“ (Universitätsarchiv Frankfurt am

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gleich war er der Bruder Wilhelm Lütgerts, der in Halle zunächst Neues Testament gelehrt, 1913 jedoch den Lehrstuhl für Systematische Theologie übernommen hatte und sich 1932 gegen Tillich in Berlin durchsetzen sollte. Wilhelm Lütgert war sowohl an Tillichs Lizentiatspromotion als auch an seiner Habilitation beteiligt gewesen: beide Male zwar kritisch, aber dennoch unterstützend.⁹⁷ Im Falle der theologischen Lehrbeauftragten wird sich die gegenseitige Sprachlosigkeit zunächst aus der Tatsache erklären, dass die Lehrveranstaltungen thematisch so gut wie keine Überschneidungen oder auch nur Affinitäten aufwiesen, ebenso wenig die Forschungsinteressen, soweit vorhanden, sodann aus dem persönlichen wie programmatischen Desinteresse Tillichs an organisiertem Kirchenleben, darin sicherlich unterstützt durch Hannah Tillich, aus dem Mangel an institutionell bedingten Begegnungen, wie sie sich durch Gremien oder gemeinsame Prüfungstätigkeiten hätten ergeben können, und überhaupt aus dem inferioren Status der Theologen. Im Falle Erich Foersters fällt die Erklärung weitaus schwerer. Denn obgleich Foerster als Ordentlicher Honorarprofessor zum Seminar für Geschichte gehörte, war er doch Angehöriger der Philosophischen Fakultät, jener Fakultät also, an die Tillich

Main, Abt. , Nr. , Blatt ) und so Druck auszuüben; Buber ging darauf ein. Angestoßen durch Schultz unternahm im Februar  Riezler nun einen weiteren Vorstoß in Berlin, unterrichtete den Minister, dass Buber „den Lehrauftrag für jüdische Religionswissenschaft und jüdische Ethik, die seiner wissenschaftlichen Einstellung und Haltung nicht entspricht, nunmehr niedergelegt habe“ (Universitätsarchiv Frankfurt am Main, Abt. , Nr. , Blatt r), und beantragte nochmals die Einrichtung eines (mit . RM dotierten) bezahlten Lehrauftrages für Religionswissenschaft. Tatsächlich beauftragte Adolf Grimme Buber am . Februar , an der Fakultät „die Religionswissenschaft in Vorlesungen und, soweit nötig, in Übungen zu vertreten. Den Ihnen erteilten Lehrauftrag für jüdische Religionswissenschaft und jüdische Ethik ziehe ich hiermit zurück“ (Universitätsarchiv Frankfurt am Main, Abt. , Nr. , Blatt r). Bis  blieb ausweislich der Vorlesungsverzeichnisse der theologische Lehrauftrag für jüdische Religionswissenschaft und jüdische Ethik vakant, bis er für ein Semester von Norbert Nahum Glatzer wahrgenommen wurde. Der  geborene Glatzer, der ab  in Frankfurt studiert und im Wintersemester / Tillichs ‚Geschichtsphilosophische Übungen‘ belegt hatte (dort hatte er „über ‚gnostische Geschichtsdeutung‘ […] referiert“ (Sturm, „Einleitung“ (wie Anm. ), LIX)), war  mit seiner Dissertation Untersuchungen zur Geschichtslehre der Tannaiten promoviert worden. Seinem eigenschriftlichen Lebenslauf zufolge übernahm Glatzer „ab Juli “ (Universitätsarchiv Frankfurt am Main, Abt. , Nr. , Blatt ), d. h. zum Wintersemester / (vgl. Kluke, Stiftungsuniversität [wie Anm. ], ; auch Universitätsarchiv Frankfurt am Main, Abt. , Nr. , Blatt . ) den Lehrauftrag „als Nachfolger von Professor Martin Buber. Ernennung auf Vorschlag der jüdischen Gemeinde“ (Universitätsarchiv Frankfurt am Main, Abt. , Nr. , Blatt ). Am . April  wurde er, wie andere (darunter Carl Mennicke), beurlaubt und emigrierte im selben Jahr mit seiner Familie nach Palästina,  nach England und  in die USA, wo er schließlich eine Professur an der Brandeis University erlangte.  Zu Wilhelm Lütgerts Beteiligung am Habilitationsverfahren siehe EW V,  – .

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berufen worden war. Foerster war wissenschaftlich ausgewiesen, zuletzt durch eine äußerst umfangreiche Arbeit zu Adalbert Falk,⁹⁸ einem der preußischen Kultusminister (1872– 1879) unter Bismarck, der unter anderem die Schulaufsicht der kirchlichen Zuständigkeit hatte entziehen lassen. Überdies befasste Foerster sich mit Autoren, die grundsätzlich auch Tillich interessierten: Augustin, Luther, Schleiermacher und Kierkegaard.⁹⁹ Und schließlich gehörte Foerster, obzwar Pfarrer, keineswegs zu jenen betriebsblinden Kirchenfunktionären, die der Selbsttäuschung über die im Schwinden begriffene öffentliche Bedeutung von Religion und Kirche unterlagen, sondern besaß eine ausgeprägte Sensibilität für die Herausforderungen, die dem Christentum zumal seit der Aufklärung gestellt waren.¹⁰⁰

 Erich Foerster, Adalbert Falk. Sein Leben und Wirken als preußischer Kultusminister, dargestellt auf Grund des Nachlasses unter Beihilfe des Generals d.i. Adalbert von Falk (Gotha: L. Klotz, ).  Foerster hielt: im Sommersemester  eine zweistündige Vorlesung zu Ursprüngen und Urkräften der modernen deutschen protestantischen Frömmigkeit und eine zweistündige Übung zu Augustin; im Wintersemester / eine einstündige Vorlesung zum deutschen Protestantismus im . Jahrhundert und eine einstündige Veranstaltung zur Kritischen Lektüre Kierkegaards; im Sommersemester  (nach dem Tod Schwarzloses) eine einstündige Vorlesung zur morgenländischen Kirche (Kirchengeschichte I) und eine einstündige Veranstaltung zur Lesung urchristlicher Texte zur Einführung in die alte Kirchengeschichte; im Wintersemester / eine einstündige Vorlesung zur Geschichte der abendländischen Kirche bis zu den Karolingern und eine zweistündige Veranstaltung zu ausgewählten Schriften Augustins; im Sommersemester  eine einstündige Vorlesung zur Geschichte des morgenländischen Christentums vom Nizänum ab und eine zweistündige Vorlesung zur Urgemeinde in Jerusalem; im Wintersemester / eine einstündige Vorlesung zur Geschichte des Verhältnisses von Staat und Kirche bis zur Reformation und eine zweistündige Vorlesung zu Luthers Schrift Von weltlicher Obrigkeit; im Sommersemester  eine einstündige Vorlesung zur Kirchengeschichte Deutschlands bis zum Beginn des Kampfes zwischen Kaiser und Papst und eine zweistündige Vorlesung zu Schleiermachers ethisch-politischen Theorien; im Sommersemester  eine einstündige Vorlesung zu Calvin und Calvinismus und eine zweistündige Vorlesung zu ausgewählten Schriften Calvins.  Vgl. z. B. Erich Foerster, Die christliche Religion im Urteil ihrer Gegner. Die kritische Bewegung gegen das Christentum in neuerer Zeit (Tübingen: J.C.B. Mohr (Paul Siebeck),  / Lebensfragen, Bd. ),  f.: „Das Christentum lebt heute in einer ihm zum Teil völlig entfremdeten, zum Teil abgeneigten Welt, die das Recht beansprucht und durchgesetzt hat, sich nicht mehr darum zu kümmern und Genüge für ihre religiösen oder religionsverwandten Bedürfnisse in neuen Formen zu suchen; in der auch jedes Empfinden für die Größe der christlichen Religion verloren gegangen oder abgestumpft ist oder höchstens noch in der Art fortbesteht, wie auch irgend ein anderes Gebilde alter Kultur um seines Alters oder seines Stimmungsgehaltes willen vorübergehende Teilnahme auf sich zieht.“ – : „Niemand kann sagen, ob dieser Zustand von Dauer sein wird, ob die christliche Religion sich darauf wird einrichten müssen, nur eine geistige Macht unter andern zu sein und eine nur begrenzte Zahl von Menschen zu bestimmen. Aber auch an denen, die den Zusammenhang mit dem ererbten Christentum nicht aufgegeben haben und nicht aufgeben wollen, ist die Kritik nicht spurlos vorübergegangen. Ihr Ergebnis ist eine außerordentliche Vereinfachung des Christentums in der Auffassung auch seiner Anhänger, eine viel strengere Un-

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Sicherlich wird, abgesehen vom Altersunterschied, eine Rolle gespielt haben, dass Tillich und Foerster, obwohl beide mit künstlerisch bzw. malerisch ausgebildeten Frauen verheiratet waren, sich in kulturellen Fragen sehr divergent verhielten.Während Tillich sich nicht nur in persönlicher Begeisterung, sondern auch aus programmatischem Interesse heraus den Kunstströmungen seiner Zeit zuwandte, vor allem dem Expressionismus, der in Frankfurt durch den Maler und Städel-Professor Max Beckmann repräsentiert war, scheint Foerster, der ansonsten die Zwischenkriegszeit durchaus zu schätzen wusste, eher von Unbehagen befallen worden zu sein, wenn er an zeitgenössische Kunst dachte: „[…] in der Literatur und auf der Bühne griff eine zügellose Frivolität um sich, vermischt mit einer narkotischen Mystik, und auch in mancher modernen Kunstausstellung konnte man das Gruseln und Schaudern lernen.“¹⁰¹ Dem entspricht, dass Foersters malerisch begabte Ehefrau ihr Talent nicht zuletzt auf das Kopieren von Bildern des Städelschen Kunstinstituts verwendet zu haben scheint (selbstverständlich „mit offizieller Genehmigung“¹⁰²): offenbar einer Kunstauffassung folgend, die weder bei Paul noch bei Hannah Tillich auf Wohlwollen gestoßen wäre. Während kein direkter Kontakt zwischen Foerster und Georg Swarzenski belegt ist, dem Ordentlichen Honorarprofessor und Leiter des Städel seit 1906, der dort eine terscheidung von Kern und Schale, Religion und Theologie, eine wachsende Vergleichgültigung überlieferter Lehren, die eine gänzlich andere geistige Gesamtlage voraussetzen, und ein mehr oder minder offenes, meist leider stillschweigendes Fahrenlassen ungeschichtlicher, den menschlich-irdischen Verlauf durch metaphysische Einwirkungen korrigierender Geschichtsdarstellungen, auch auf dem Gebiete des Urchristentums. Dieser Entwicklung hat sich keine einzige theologische Richtung entziehen können, so groß auch die Differenz über das Maß dessen ist, was – nicht mit modernem Geschmack, sondern mit gesicherten Erkenntnissen unverträglich oder vom Standpunkte der in der Reformation neu aufgebrochenen evangelischen Heilsauffassung unwesentlich oder nichtssagend ist. Diese Entwicklung würde noch viel deutlicher in die Erscheinung treten, wenn nicht die Kirchen ihr immer wieder einen höchst hinderlichen Widerstand entgegensetzten und, statt in diesem Prozeß einer Erneuerung der Lehre und der Andachtsformen die Führung zu übernehmen, sich vielmehr von Verzicht zu Verzicht drängen ließen und dadurch den Eindruck einer ununterbrochenen Reihe von Niederlagen erweckten.“  Foerster, Lebenserinnerungen (wie Anm. ), . – Hingegen über die Weimarer Republik ( f.): „Ein billig denkender Beurteiler müßte sich meiner Meinung nach viel mehr darüber wundern, wie schnell unser Volk doch alle diese Krankheits- und Verfallssymptome abgeschüttelt hat und wie schnell es doch wieder aus dem tiefsten Elend von  aufgestiegen ist. Es ging zwar langsam, behindert durch den furchtbaren Druck der unsinnigen Reparationsleistungen, aber doch sichtbar bergauf; einer der greifbarsten Beweise dafür war die Entwicklung der Sozialdemokratie zur staatlichen Verantwortlichkeit. Bei dieser Aufwärtsentwicklung war Stresemann der geschickte Führer, und wäre nicht die furchtbare europäische beziehungsweise Welt-Wirtschaftskrise gekommen, die uns eine rapid wachsende Arbeitslosigkeit brachte, so wäre es wohl auch ohne eine neue Revolution möglich gewesen, mit Deutschland auch Europa zu sanieren.“  Foerster, Lebenserinnerungen, .

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stattliche Sammlung expressionistischer Kunst aufbaute (dafür jedoch zwischen Swarzenski und Tillich sowie zwischen den Tillichs und dem Leiter der Städelschule Fritz Wichert¹⁰³), unterhielt Foerster zu Swarzenskis Vorvorgänger Heinrich von Weizsäcker, der gegen den Widerstand des Frankfurter Bürgertums versuchte, Impressionismus und Realismus zu fördern, und den Foerster noch von Berlin her kannte, durchaus gesellschaftliche Beziehungen.¹⁰⁴ Sodann scheinen Tillich und Foerster sich außerhalb der Universität, obwohl beide gleichermaßen hervorragend vernetzt waren, in erstaunlich separierten Milieus bewegt zu haben: Stellt man Listen derjenigen Personen zusammen,von denen belegt ist, dass Tillich und Foerster mit ihnen in engerem Kontakt standen, ergeben sich so gut wie keine Überschneidungen. Die einzige nennenswerte Ausnahme bildet der Mediävist Paul Kirn, der mit Foerster in privatem Kontakt stand,¹⁰⁵ dessen Briefe an Tillich 1946/47 in seiner Eigenschaft als Dekan der Philosophischen Fakultät jedoch über eine professionell-nichtssagende Freundlichkeit hinaus nichts von einer persönlicheren Beziehung zu diesem erkennen lassen. Weder für Tillich noch für Foerster ist eine Teilnahme am George-Kreis dokumentiert,¹⁰⁶ zu dem der Historiker Ernst Kantorowicz¹⁰⁷ gehörte, der Privatdozent für Germanistik Max Kommerell,¹⁰⁸ die Altphilologen Karl Reinhardt und

 Vgl. Pauck/Pauck, Paul Tillich (wie Anm. ), : „Einer seiner [scil. Tillichs] Freunde war Direktor der großen Kunstgalerie, des Städelschen Museums, das er häufig besuchte.“ – Hannah Tillich, Ich allein bin (wie Anm. ),  f.: „Fritz [Wichert], mit dem ich in Kampen ekstatische Freuden erlebt hatte, führte Paulus und mich durch sein Museum und erklärte uns seine Theorie der modernen Kunst. Die zerstörte Bildersprache, die dunklen Schemen, die schroffen Umrisse, die drohenden Wolken, die allgemeine Zersplitterung der Formen, die hektische Bewegung der Futuristen, die wüstengleiche Leere der Surrealisten – das alles waren seiner Ansicht nach prophetische Mahnmale des Kommenden: der Maler als Seher. Die Menge schien in diesen Bildern nur die Auflösung, die Zertrümmerung ihrer geordneten Welt zu erkennen und geiferte in sinnloser Wut gegen die ‚Entartung‘.“  Vgl. Foerster, Lebenserinnerungen (wie Anm. ), .  Siehe unten Anm. . – Zu Kirn, der sich in den Jahren ab  in deutlicher Distanz zur Nazi-Diktatur bewegte, vgl. Carsten Kretschmann, „Einsatz für Deutschland? Die Frankfurter Historiker Walter Platzhoff und Paul Kirn im ‚Dritten Reich‘“, in: Frankfurter Wissenschaftler zwischen  und , hg. von Jörn Kobes und Jan-Otmar Hesse (Göttingen: Wallstein Verlag,  / Schriftenreihe des Frankfurter Universitätsarchivs, Bd. ),  – , hier bes.  – .  Vgl. Notker Hammerstein, Die Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main, Bd. , Von der Stiftungsuniversität zur staatlichen Hochschule  –  (Göttingen: Wallstein,  []),  – .  Vgl.Wolfgang Schivelbusch, Intellektuellendämmerung. Zur Lage der Frankfurter Intelligenz in den zwanziger Jahren (Frankfurt am Main: Suhrkamp,  / suhrkamp taschenbuch, Bd. ), .  Vgl. Ernst Erich Noth, Erinnerungen eines Deutschen (Hamburg und Düsseldorf: Claassen, ), .

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Walter F. Otto, letzterer zugleich Schwiegervater Kommerells,¹⁰⁹ außerdem der Germanist Hans Naumann und schließlich, zumindest am Rande, der einflussreiche Kurator und Honorarprofessor für Philosophie Kurt Riezler¹¹⁰ – wenngleich Tillich mit Reinhardt,¹¹¹ Otto und Riezler¹¹² befreundet war und Kommerell kannte.¹¹³ Riezler seinerseits hatte eine eigene Diskussionsrunde initiiert, das ‚Weisheitsseminar‘, „ein zwangloses Seminar, das der zur Ironie neigende Kurt Riezler leitete. Tillich bezeichnete diese Runde als ‚klassisch heidnisch‘. […] Männer wie Karl Reinhardt oder der berühmte, einflußreiche Gräzist Walter Otto gehörten dazu, ferner der Physiker Madelung und der Jurist Hermann Heller. Auch Doktoranden nahmen häufig teil.“¹¹⁴ „Tillich verstand sich mehr oder weniger als

 Vgl. Schivelbusch, Intellektuellendämmerung (wie Anm. ), .  Vgl. a.a.O., .  Vgl. EW V,  (Bericht von Margot Hahl); außerdem Horkheimers Entwurf zum Gratulationsschreiben des Dekans Alfred Rammelmeyer an Tillich anlässlich dessen . Geburtstags, . August  (Universitätsarchiv Frankfurt am Main, Abt. , Nr. , Blatt  – , hier ): „Als Sie damals hierher kamen, war die Frankfurter Universität ein Ort, an dem die fortgeschrittensten Gedanken der Zeit durch hervorragende Denker vertreten waren. Adhémar Gelb, Karl Reinhardt, Kurt Riezler, Wertheimer, die Sie damals antrafen und mit denen Sie viele private und öffentliche Gespräche führten, leben nicht mehr, ebenso wie Ihr unvergessener Vorgänger Max Scheler.“ – Karl Reinhardt berichtet über das Sommersemester , nachdem sein aus Gewissensgründen vorgebrachtes Beurlaubungsgesuch von Minister Gerullis abgelehnt worden war (Karl Reinhardt, „Akademisches aus zwei Epochen“, in: Ders., Vermächtnis der Antike. Gesammelte Essays zur Philosophie und Geschichtsschreibung, hg. von Carl Becker (Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, ; unveränd. Nachdr. d. ., durchges. und erw. Aufl.),  – , hier ): „Wenige Tage darauf – begann ich mein Kolleg. Die von mir Festigkeit erwartet hatten, Kommerell und Tillich, wurden enttäuscht.“  Vgl. Hannah Tillich, Ich allein bin (wie Anm. ),  (über Frankfurt): „Auch die Gräzisten fanden sich bei uns ein – Kurt, der Kurator der Universität, Reinhardt und Walter Otto.“  Ebd.: „Ottos Schwiegersohn rief Paulus eines Abends, nach einem guten Essen und einer heißen politischen Diskussion, zu: ‚Wir werden uns auf den Barrikaden wiedersehen.‘“  Pauck / Pauck, Paul Tillich (wie Anm. ), . – D. Brett King und Michael Wertheimer, Max Wertheimer & Gestalt Theory (New Brunswick und London: Transaction Publishers, ), : „Wertheimer […] became a frequent and vigorous contributor to the university’s Weisheitsseminar or ‘wisdom seminar’ that attracted a large and diverse group of scholars who would debate a variety of critical social, political, and philosophical issues. During such sessions, he typically was part of a prominent and erudite panel of scholars including Tillich, Riezler, Horkheimer, Gelb, and Adorno, as well as the Greek philologists Karl Reinhardt and Walter Otto, the physicist Madelung, and the jurist Hermann Heller.“ Das ‚Weisheitsseminar‘ wird auch in folgender Erinnerung des Frankfurter Wertheimer-Assistenten Erwin Levy gemeint sein (Abraham S. Luchins und Edith H. Luchins, „Max Wertheimer in America:  – . Part I“, Gestalt Theory  (),  – , hier ): „[…] in Frankfurt [..] there was a very special seminar, involving the faculty, which in Europe was called the ‚Truth Seminar.‘ It largely dealt with discussions of famous problems in various fields of science, and with an evaluation of the methods used in dealing with them. In

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Randfigur in Riezlers Runde.“¹¹⁵ Nicht einmal am Rande hingegen gehörte Foerster zu diesem Kreis. Weder Tillich noch Foerster scheinen am ‚Freitagstisch‘ des einflussreichen Leiters der Frankfurter Zeitung Heinrich Simon, eines Enkels Leopold Sonnemanns, und seiner Frau im Haus Untermainkai 3 teilgenommen zu haben,¹¹⁶ obgleich zumindest Hannah Tillich mit Heinrich Simon bekannt gewesen zu sein scheint¹¹⁷ und einer der Gäste – zu denen Swarzenski, Fritz von Unruh, manchmal auch Max Beckmann gehörten¹¹⁸ – 1931 Tillich zu dessen Artikel in der Frankfurter Zeitung zur Frage einer Universitätsreform beglückwünschte: der Schriftsteller Rudolf G. Binding.¹¹⁹ Weder Tillich noch Foerster gehörten offenbar zur festen Runde des ‚Künstlertisches‘, den Lily und Georg von Schnitzler, letzterer Vorstandsmitglied bei den Farbwerken Höchst, jeden Mittwoch in der Westendstraße veranstalteten und der regelmäßig von Max Beckmann besucht wurde,¹²⁰ laut Hammerstein hin und wieder auch von dem Musiker Wiesengrund-Adorno.¹²¹ Anders als Foerster aber zählte Tillich offenbar zu den Stammgästen Gabrielle Oppenheims, die samstags von 12.30 bis 16 Uhr in ihrem Haus am Schaumainkai 55 ein regelmäßiges ‚Déjeuner‘ veranstaltete¹²² und damit, Frankfurt some of the participants were philosophers (Tillich, Riezler), sociologists (Mannheim, Horkheimer), and a great many students.“ – Vgl. auch Hammerstein, Stiftungsuniversität (wie Anm. ),  – . – Reinhardt berichtet über die Zeit nach  („Akademisches“ [wie Anm. ], , Anm. ): „Um die sogenannte ‚Riezler-Clique‘ zu zerschlagen, hatte man schon / Walter F. Otto nach Königsberg ‚berufen‘.“  Pauck/Pauck, Paul Tillich (wie Anm. ), .  Nach Schivelbusch, Intellektuellendämmerung (wie Anm. ), , wurde Simon „in den zwanziger Jahren der ‚König von Frankfurt‘ genannt“. – So auch Margarete Susman, Ich habe viele Leben gelebt. Erinnerungen (Stuttgart: Deutsche Verlags-Anstalt,  / Veröffentlichungen des Leo Baeck Instituts), : „Wenn man ihn [scil. Heinrich Simon] dann später öffentlich von der Bühne herunter den König von Frankfurt nannte, so war damit, was die Macht über Menschen und über die städtischen Verhältnisse betrifft, nicht zuviel gesagt. Ich habe das mehr als einmal erfahren, und sah, wie sich sein Charakter durch die Macht in einer mir zuweilen schmerzlichen Weise veränderte. Doch ist er mir immer ein treuer Freund geblieben. Er führte ein großes Haus, in dem ich oft eingeladen war. Die schönsten Stunden aber waren die, in denen er mir allein wunderbar auf seinem Flügel vorspielte; dann fielen alle Macht und all das Ungute, was ihr anhaftet, von ihm ab.“  Hannah Tillich, Ich allein bin (wie Anm. ), : „Ich hatte angefangen, Zeitung zu lesen, seit mir Hans Simons [sic!], der Eigentümer der Frankfurter Zeitung, auf meine Frage, wie ich mich politisch bilden könne, den Rat gegeben hatte: ‚Lesen Sie meine Zeitung.‘“  Vgl. Schivelbusch, Intellektuellendämmerung (wie Anm. ), . .  Vgl. EW V,  f.  Vgl. Schivelbusch, Intellektuellendämmerung (wie Anm. ), ..  Vgl. Hammerstein, Stiftungsuniversität (wie Anm. ),  (ohne Quellenbeleg).  Gabrielle, geborene Errera, war mit dem Mathematiker und Philosophen Dr. Paul - verheiratet (wohnhaft Reuterweg ), dem Sohn des Juwelengroßhändlers Moritz Nathan Oppenheim und

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seiner Frau Katharina, die eine Schülerin Clara Schumanns gewesen war. Für die genannte Samstagsrunde wurden, so Schivelbusch, Intellektuellendämmerung (wie Anm. ), , „zu hervorragendem Essen gewöhnlich zwei Dutzend Intellektuelle geladen […] [,] Leute, die zusammenpaßten, aber nicht zu sehr zusammenpaßten‘ (Gabriele Oppenheim-Errera). Geachtet wurde auf wechselnde Teilnehmer, jedoch gab es einen festen Stamm von Gästen, zu dem unter anderem Paul Tillich und Theodor Wiesengrund-Adorno und der Neurologe Kurt Goldstein gehörten. Die Unterhaltung war frei, stand jedoch oft unter einem Thema, etwa dem Bericht eines Teilnehmers von einer Konferenz, einer Reise, der Diskussion über ein neu erschienenes Buch etc.“ – Zu den Oppenheims vgl. Max Born, My Life. Recollections of a Nobel Laureate (New York: Charles Scribner’s Sons,  [dt. Übersetzung aus dem Manuskript ]), : „My chair, like many others, was a personal gift by a rich citizen, Herr Oppenheim who, if I remember rightly, dealt in precious stones and lived in a big, old-fashioned house in the Bockenheimer district. His wife was from Vienna and very musical, a good pianist, having been a pupil of Clara Schumann, but so exuberant in her musical enthusiasm that she had difficulties in finding partners to play with her on two pianos. I fell her victim and stood it quite a while, even enjoyed it, as she played well and acquainted me with many compositions which I did not know. The old Oppenheims were good people,very kind and hospitable; we were often invited to their box in the opera house. I saw many excellent performances in those two years in Frankfurt [scil.  – ]. The Oppenheims had a son, who was a business partner of his father, but addicted to philosophy; he wrote a book concerning which he involved me in many a tedious discussion. His wife Gabrielle, called Gaby, of the well-known Brussels family Errers [sic!], was a very pretty and coquettish blonde, who began a flirtation with every male who came within range of her flashing eyes. […] I do not know what has become of the young Oppenheims. But I have heard that the old people committed suicide under the Nazi régime.“ Auf Katharina und Moritz Oppenheim, die tatsächlich am . Juni  Suizid begingen (vgl. Joachim Carlos Martini, „Musik als Form geistigen Widerstandes. Jüdische Musikerinnen und Musiker  bis “, in: Jüdische Kultur in Frankfurt am Main von den Anfängen bis zur Gegenwart. Ein internationales Symposium der Johann-Wolfgang-Goethe-Universität Frankfurt am Main und des Franz Rosenzweig Research Center for German Jewish Literature and Cultural History Jerusalem, hg. Karl E. Grözinger (Wiesbaden: Harrassowitz,  / Jüdische Kultur, Bd. ),  – , hier  f.), beziehen sich sehr wahrscheinlich diese Zeilen Hannah Tillichs (Ich allein bin [wie Anm. ], ): „Ein befreundetes Paar wollte nicht ohne seine Eltern ausreisen, die jedoch Angst hatten, Frankfurt zu verlassen. Sie fühlten sich nicht imstande, in ihrem Alter noch ein neues Leben in der Fremde zu beginnen. Schließlich reiste das Paar ab – die Eltern hatten beide Selbstmord begangen.“ Der im Gemeindeblatt der Israelitischen Gemeinde Frankfurt am Main  (), Heft  (Juli),  veröffentlichte Nachruf lautete: „Am . Juni sind die Eheleute Moritz N. Oppenheim und Katharina geb. v. Kuffner aus dem Leben geschieden. Moritz Oppenheim entstammte einer Familie, die seit nahezu  Jahren im Frankfurter Juwelenhandel tätig ist, länger als  Jahre hatte er, zuletzt als Seniorchef, der weltbekannten Firma N. M. Oppenheim Nachf. angehört. Aber weder er noch seine Gattin hatten sich je auf Geschäftsinteressen beschränkt. Klug und feingebildet, wie sie waren, hatten sie sich die Pflege und Förderung von Wissenschaft und Kunst zur Lebensaufgabe gemacht. Die Universität Frankfurt verdankt ihnen den Lehrstuhl für theoretische Physik, die Sternwarte den großen Kugelrefraktor, der ihren Namen trägt, wie auch ein kleiner Planet zu Ehren von Moritz Oppenheim ‚Mauritius‘ genannt wurde. Die Förderung der Meereskunde und wertvolle Stiftungen für das Aquarium in Helgoland fanden ihre Anerkennung in seiner Ernennung zum Ehrenbürger der Insel.Von der Stadt Frankfurt wurde er an seinem . Geburtstag durch Verleihung der silbernen Ehrenplakette ausgezeichnet. Es verstand

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sich für Persönlichkeiten dieser Tradition von selbst, daß sie auch den Angelegenheiten der jüdischen Gemeinschaft und unserer Muttergemeinde sich aufs engste verbunden fühlten und stets bereit waren, für ihre Belange Opfer zu bringen; ein äußeres Zeichen dieser Verbundenheit ist ein wertvoller Vorhang für das Neujahrsfest in der Westend-Synagoge. Mögen die Seelen der im Leben und im Tod Vereinten den Frieden gefunden haben, der ihnen das Schicksal auf ihre alten Tage in dieser Welt versagt hatte.“ Wer mit der folgenden Notiz Hannah Tillichs (Ich allein bin [wie Anm. 42], 146) gemeint ist, konnte ich nicht ermitteln: „Als wir einem unserer Freunde Lebewohl sagten, schenkte er uns ein Glas Wein ein, dessen lieblicher Duft das Zimmer erfüllte. Er hatte ihn eigens für uns aufgespart, um unseren Abschied zu verschönen. Am Schluß brachten wir einen Toast aus: ‚Auf daß wir das Kommende überstehen!‘ In der folgenden Nacht beging unser Gastgeber Selbstmord.“ Das Gemeindeblatt der Israelitischen Gemeinde Frankfurt am Main 10 (1933) listet in seiner ‚Statistischen Übersicht‘ in Heft 9 (Mai), 228, für März 1933 einen männlichen Suizid auf, einen weiteren in Heft 10 (Juni), 260, für April 1933, keinen in Heft 11 (Juli), 296, für Mai 1933, jedoch drei in Heft 12 (August), 334, für Juni 1933 (darunter Moritz Oppenheim). Da Tillichs Frankfurt im Mai 1933 verließen, kommen nach diesen Angaben aus dem Kreis der Jüdischen Gemeinde für den fraglichen Zeitraum nur zwei Menschen in Frage (die tatsächliche Zahl mag höher gelegen haben). Die einzigen beiden mit Doktortitel, die das Gemeindeblatt unter den männlichen Sterbefällen (jeweils ohne Angabe der Todesursache) auflistet – dies selbstverständlich alles andere als ein sicheres Indiz –, sind der Praktische Arzt Dr. Heinrich Michel aus dem Sandweg 141, 37-jährig, verheiratet, amtliches Todesdatum 16. März 1933, und der verwitwete Justizrat Dr. Fritz Stephan Meyer (1849 – 15. April 1933) aus dem Reuterweg 79, Notar und Anwalt. Weitere männliche jüdische Todesfälle waren etwa: der 73-jährige Kohlenhändler Adolf Ullmann (24. Mai 1933), verheiratet; Max Ettinghausen (1853 – 22. April 1933), Kaufmann, aus Frankfurt-Höchst, Emmerich-Josef-Str. 39; sowie Kommerzienrat Eduard Beit von Speyer (1860 – 8. März 1933), Bankier, Mäzen und Bibliophiler, wohnhaft Forsthausstr. 62 (heute Kennedyallee 70), seit 1918 verwitwet, laut Sterbeurkunde (Standesamt Frankfurt am Main IV, Nr. 436/1933) verstorben „vormittags um sechs drei viertel Uhr“, Zeuge Kaufmann Adalbert Wiesel, Großer Kornmarkt 14 (gemeint ist der Bestattungsunternehmer Albert Wiesel, laut Frankfurter Adressbuch von 1933 wohnhaft im dritten Obergeschoss über dem im Erdgeschoss ansässigen Bestattungsunternehmen Berthold Wiesel, heute Kirchnerstr. 4, dessen Mitinhaber er war). Für keine dieser Personen ist eine Verbindung zu den Tillichs belegt. Während im Blick auf Eduard Beit von Speyer (der vom Milieu her insofern in Frage käme, als er an der Universität als Stifter engagiert gewesen war) sowie Fritz Stephan Meyer keine Hinweise auf einen Suizid vorliegen und in Bezug auf Max Ettinghausen mir nur der Eintrag im Sterberegister Frankfurt-Höchst, nicht aber die (detailliertere) Sterbefalls-Anzeige zugänglich war, vermerkt das Frankfurter Sterberegister für Heinrich Michel, er sei „tot aufg.“ worden, und die Sterbeurkunde (Standesamt Frankfurt am Main I, Nr. 371/1933) teilt mit, der Polizeipräsident habe angezeigt, dass Michel vormittags um „elf ein halb Uhr tot aufgefunden worden sei“ und „am 15. März 1933 nachmittags elf Uhr“ – d. h. um 23 Uhr –„zuletzt lebend gesehen“ worden sei. Diese letzte Bemerkung deutet bereits darauf hin, dass der Tod des 37-Jährigen Fragen aufwarf. In der Tat ist der Sterbefalls-Anzeige vom 17. März und der Leichenschaubescheinigung vom 18. März zu entnehmen, dass, obwohl der Todesfall als „Nicht aufgeklärt“ kategorisiert wurde, der verheiratete Michel (geboren am 14. November 1895 in Kreuznach) sich offenbar im Frankfurter Hotel ‚Bristol‘ am Bahnhofsplatz 6 eingemietet und dort, nachdem er um 23 oder 24 Uhr „zuletzt lebend gesehen“ worden sei (von wem, ist nicht vermerkt), Morphium zu sich genommen und sich sodann die Pulsadern geöffnet hatte. Der 15. März 1933 war ein Sonntag, ein Tag also, an dem durchaus eine

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„wenn man so sagen darf, den maßgeblichen Intellektuellensalon in Frankfurt hatte, wo sich alles traf, was einigermaßen den Füllfederhalter halten konnte. Dort wurde ich“, erinnerte später Wiesengrund-Adorno sich an den Frühsommer 1929, „Tillich vorgestellt.“¹²³ Und Tillich war, abermals anders als Foerster, Mitglied der Frankfurter Ortsgruppe der Kant-Gesellschaft, deren „große Zeit“, so Tillichs ehemaliger Doktorand, der Politikwissenschaftler Dolf Sternberger, in seinem Nachruf, „durch diese von ihm [scil. Tillich] angeregte fortdauernde, stets hochbewegte Diskussion gekennzeichnet [war].“¹²⁴ Während Tillich also, obwohl selbst ohne großartige finanzielle Mittel, in avantgardistischen Intellektuellenkreisen unterwegs war, die sich mit einem kunstinteressierten Großbürgertum vermischten,¹²⁵ begegnete Foerster dem Großbürgertum vermutlich vornehmlich in Gestalt Emma Mumms von Schwar-

Abendeinladung hätte stattfinden können. Zu Goldstein vgl. Hannah Tillich, Ich allein bin (wie Anm. 42), 134: „Er [scil. Tillich] freundete sich mit dem berühmten Neurologen Kurt Goldstein an […].“ – 174 (über New York): „Auch unsere alten Freunde aus Frankfurt waren angekommen, Kurt und Eva […].“  Dies in einer Sendung des Süddeutschen Rundfunks Stuttgart am . August , abgedruckt in Werk und Wirken Paul Tillichs. Ein Gedenkbuch. Mit der letzten Rede von Paul Tillich und Beiträgen von Theodor W. Adorno […] (Stuttgart: Evangelisches Verlagswerk, ), hier . Auch zitiert bei Schivelbusch, Intellektuellendämmerung (wie Anm. ), .  Dolf Sternberger, „Ein Nachruf für Paul Tillich“, Frankfurter Allgemeine Zeitung / (. . ),  (Universitätsarchiv Frankfurt am Main, Abt. , Nr. , Blatt ). – Vgl. auch Günter Wirth, „Die Kantgesellschaft – ein Forum geistiger Auseinandersetzung“, Berlinische Monatsschrift  (), Heft  (Juli),  – , hier .  Hannah Tillich, Ich allein bin (wie Anm. ), : „Und schließlich waren da natürlich noch die hübschen, gutversorgten Frauen wohlhabender Geschäftsleute, die sich von den Intellektuellen in ihre goldenen und brokatenen Abendmäntel helfen ließen und sie zu üppigen Dinners und intellektuell anspruchsvollen, aber nichtsdestoweniger köstlichen Mittagessen einluden. Bei den Mitgliedern der Fakultät hießen sie allgemein die ‚Crepe de Chine‘. Sie besuchten die Vorlesungen der verschiedenen Koryphäen und bemühten sich, nicht nur intelligent, sondern ebenso geistreich und verführerisch zu sein. […] Jede Woche fuhr eine Limousine mit Chauffeur für Paulus vor und brachte ihn später, nach einem Mittagessen oder einem gepflegten Nachmittagstee bei einer der bezaubernden Damen der Gesellschaft, wieder nach Hause – es war das gute Leben.“ – : „Wir [scil. Baron B. und Hannah Tillich] waren uns schon mehrmals freundschaftlich begegnet. Seine Frau war eine begeisterte Anhängerin der Nationalsozialisten. Er selbst besuchte uns später noch, unmittelbar vor unserer Abreise in die Staaten – eine in dieser Zeit ausgesprochen mutige Handlung. Der Baron war Eigentümer eines berühmten alten Bankhauses und sollte unter den Nationalsozialisten viel zu leiden haben. Paulus traf ihn  bei seinem ersten Deutschlandbesuch wieder.Vor dem Krieg waren wir oft in der prächtigen Villa der B.’s zu Gast gewesen. Sie waren wundervolle Gastgeber.“ (Gemeint sind Simon Moritz Henning August Freiherr von Bethmann,  – , und seine Frau Henriette Maximiliane Gräfin Schimmelpenninck,  – ).

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zenstein, wohl der „reichste[n] Frau Frankfurts seiner Zeit“¹²⁶, Witwe eines vermögenden Wein- und Champagnerhändlers, die offenbar zu Foersters Gemeindemitgliedern zählte und in der Villa Mumm in der Forsthausstraße (heute Kennedyallee) residierte. Gute Beziehungen unterhielt Foerster zu den höheren Ebenen der Stadtpolitik und -verwaltung, wie etwa dem Oberlandesgerichtspräsidenten Carl von Hagens (zugleich sein Taufpate,¹²⁷ der ihn nach Frankfurt geholt hatte), der Familie des einflussreichen Justizrats Dr. Henry Oswalt,¹²⁸ dem Geheimen Justizrat Dr. de Bary und dem Geheimen Kommerzienrat Dr. Leo Ludwig Gans,¹²⁹ den Mitgliedern der Familien Merton und de Neufville,¹³⁰ dem Leiter des Volksbildungshauses Dr. Wilhelm Epstein und dessen Frau Else,¹³¹ dem 1915 verstorbenen Oberbürgermeister Dr. Franz Adickes, für den er die Traueransprache im Römer hielt,¹³² auch zu weiteren prominenten Figuren der Stadtgesellschaft wie dem Arzt Dr. Max Flesch-Thebesius, der sich später zusammen mit seiner Frau (wie auch Foerster selbst) der Bekennenden Kirche anschließen sollte,¹³³ sodann zu bürgerlich gesonnenen Universitätskollegen wie dem Romanisten Heinrich Morf, dem Nationalökonomen Ludwig Pohle und dem Pädagogen Julius Ziehen,¹³⁴

 Foerster, Lebenserinnerungen (wie Anm. ), .  Vgl. a.a.O., . .  – .  Vgl. a.a.O., . . .  f.  f.  Vgl. a.a.O., .  Vgl. a.a.O., . . .  Wilhelm Epstein gab aus Altersgründen  die Geschäftsführung des Frankfurter Bundes für Volksbildung auf und musste ab  als Jude eine Reihe von Repressalien erdulden, bis er  starb. Seine Frau Else, geb. Beling, die  entlassen und später unter anderem im Konzentrationslager Ravensbrück inhaftiert wurde, jedoch überlebte, setzte sich ab  für den Wiederaufbau des Bundes ein. Siehe: Christine Zeuner, „Else Epstein und der Wiederaufbau des Frankfurter Bundes für Volksbildung nach “, in: Ein neuer Anfang. Politische Jugend- und Erwachsenenbildung in der westdeutschen Nachkriegsgesellschaft, hg. von Paul Ciupke und FranzJosef Jelich (Essen: Klartext,  / Geschichte und Erwachsenenbildung, Bd. ),  – . – Foerster, Lebenserinnerungen (wie Anm. ),  (August ): „Inmitten der großen Leere von Möbeln lieber Besuch von Prof. Kirn und Frau Else Epstein, die nun wieder in Frankfurt eine soziale Arbeit sucht und uns auch gute Nachrichten von Frau Rade bringt, die bei einem Studiendirektor in der Karolingerallee gut aufgenommen ist. Kirn las uns aus einem ausgezeichneten Vortrag für die Rotarier vor: ‚War der Aufstieg Deutschlands im . Jahrhundert nur eine Episode?‘ […] Am . Besuche: […] Frau Epstein […].“  Vgl. a.a.O., .  Vgl. a.a.O., ; auch Marlies Flesch-Thebesius, Hauptsache Schweigen. Leben unterm Hakenkreuz (Stuttgart: Radius-Verlag, ), .  Zu Morf und Pohle vgl. Foerster, Lebenserinnerungen (wie Anm. ), . ; zu Ziehen vgl. Erich Foerster, Deutscher Glaube. Rede zur Feier des . Januar  (Frankfurt am Main: Werner und Winter, ), .

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den Historikern Paul Kirn¹³⁵ und Matthias Gelzer,¹³⁶ dem Kunsthistoriker Rudolf Kautzsch und dem Germanisten Friedrich Panzer,¹³⁷ und schließlich zu seinen liberalen Kollegen von der Christlichen Welt, allen voran Martin Rade.¹³⁸ Dass man in Frankfurt sich in der Tat noch nicht einmal dann begegnen musste, wenn man zu ähnlichen akademischen Themen arbeitete, zeigt der Umstand, dass weder für Foerster noch für Tillich der Jesuitenpater Gustav Gundlach irgendeine Rolle gespielt zu haben scheint, der seit 1929 die Professur für Sozialphilosophie und Sozialethik an der Jesuitenhochschule St. Georgen innehatte.¹³⁹

 Vgl. Foerster, Lebenserinnerungen (wie Anm. ), . .  f.  Vgl. a.a.O., . . . . Gelzer scheint, abgesehen von der Familie, der letzte Besucher gewesen zu sein, den Foerster, zwei Tage vor seinem Tod im Stadtkrankenhaus Frankfurt-Höchst am . Oktober , noch empfing, vgl. a.a.O., .  Vgl. a.a.O., . – Rudolf Kautzsch war Sohn des Hebraisten Emil Kautzsch.  Vgl. a.a.O.,  f. . . . . .  Im zweiten Januarheft  der Zeitschrift Deutsches Volkstum kommentierte Wilhelm Stapel unter dem Titel „Pater Gundlach und Sonnemanns Hinterbliebene“ ( f.) abfällig einen Leitartikel der Frankfurter Zeitung vom . Januar, in dem der Katholizismus wie durch Gundlach, Franz Schürholz, Romano Guardini und den Jesuiten Peter Lippert vertreten als Hort der Liberalismen in einer Zeit gewürdigt worden sei, „in der überall der Liberalismus auf das äußerste bedrängt ist“ (). Stapel mokierte sich über „die alte Stammesmutter Sonnemann“, die „nun, auf ihre alten Tage leise frömmelnd, zum Pater Gundlach wandelt und bei der ‚vorausschauenden Klugheit‘ des Jesuitenordens Trost sucht“ (ebd.). Diese (widerliche) Polemik Stapels überrascht insofern nicht, als Gundlach, wie aus seinem Artikel „Antisemitismus“ im ersten Band des Lexikon für Theologie und Kirche () hervorgeht, gegen alle „Versuche einer ‚arisch-germanischen‘ Religion“ an dem „innern Zusammenhange“ des Christentums „mit der Religion des von Gott einst auserwählten jüd. Volkes“ () festhielt und „Ausnahmegesetze gegen jüd. Staatsbürger als Juden“ für „[a]usgeschlossen“ hielt, „u. zwar vom Standpunkt des modernen Rechtsstaates“ (ebd.). Zugleich räumte Gundlach ein, dass, obwohl er die „völkisch u. rassenpolitisch eingestellte Richtung“ des Antisemitismus für „unchristlich“ hielt, „weil es gegen die Nächstenliebe ist, Menschen allein wegen der Andersartigkeit ihres Volkstums, also nicht ihrer Taten, zu bekämpfen“, die „staatspolitisch orientierte[] Richtung des A.“ „erlaubt“ sei, „sobald sie tatsächlich-schädlichen Einfluß des jüd. Volksteils auf den Gebieten des Wirtschafts- u. Parteiwesens, des Theaters, Kinos u. der Presse, der Wissenschaft u. Kunst (liberal-libertinistische Tendenzen) mit sittl. u. recht. Mitteln bekämpft“ (ebd.). „Die Kirche hat von jeher die Juden gegenüber einem praktischen, aus falschem christl. Eifer od. aus Wirtschaftsneid stammenden A. geschützt. Anderseits hat sie Maßnahmen gegen unberechtigten u. schädl. Einfluß des wirtschaftenden u. geistigen Judentums angeregt u. unterstützt (christl. Einschlag des Genossenschaftswesens; kath. Presse). Die modernen, auf falschen Theorien vom Menschenwesen u. vom geschichtl. Geschehen ruhenden Systeme des A. muß die Kirche verwerfen, u. zwar immer mit Betonung der hervorragenden Rolle, die das Judentum als ‚auserwähltes Volk‘ in der göttlich-christl. Heilsordnung zu erfüllen hatte“ ().

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4 Das ‚Kränzchen‘ und das ‚Frankfurter Gespräch‘ Indessen gab es neben der Universität mindestens einen weiteren Ort, an dem Tillich und Foerster sich der Möglichkeit nach hätten begegnen können: das sogenannte ‚Kränzchen‘, einen Vortrags- und Diskussionskreis, privat organisiert, bei wechselnden Gastgebern (daher offenbar der Name), die jeweils für den Abendvortrag verantwortlich waren. In der Literatur wird hin und wieder suggeriert, das ‚Kränzchen‘ sei von Tillich organisiert worden¹⁴⁰ oder habe als Treffpunkt von Linksintellektuellen gedient.¹⁴¹ Tatsächlich jedoch scheinen zu Tillichs Zeit bereits mindestens drei ‚Kränzchen‘ fest etabliert gewesen zu sein. Das eine, das offenbar einmal im Monat zusammentrat, hatte Erich Foerster zum Winter 1898/99 zusammen mit Amalie Betty Merton (1869 – 1918) ins Leben gerufen, einer Nichte des herausragenden Mäzens und Stifters Wilhelm Merton (1848 – 1916), die mit dem Arzt und Stadtrat Carl Rudolf de Neufville (1867– 1937) verheiratet war. Beide, Foerster und Amalie Merton, hatten sich bei den bis dato üblichen Gesellschaften gelangweilt und waren um eine intellektuelle Verlebendigung bemüht gewesen (die Akademie der Sozial- und Handelswissenschaften wurde erst 1901 gegründet). Foerster, der nicht nur bis 1933, als dieses ‚Kränzchen‘ sich auflöste, nach eigener Auskunft stetig dabei war, sondern auch das (im Bombenhagel 1944 vernichtete) ‚Kränzchen‘-Buch mit den gehaltenen Vorträgen verwahrte, erinnert sich wie folgt: Allein die Krone unserer Frankfurter Geselligkeit wurde doch das ‚Kränzchen‘, bei einer kleinen Abendgesellschaft im Hause von Dr. Rudolf de Neufville – verheiratet mit Nelly¹⁴² Merton – zwischen der Wirtin und mir verabredet, um der Geselligkeit etwas geistigen Gehalt zu geben,und zum Winter 1898/99 ins Leben getreten. Wir planten, eine Reihe von Ehepaaren aus möglichst verschiedenen Berufen alle Monate bei einem einfachen Nachtessen – das heißt nach den damaligen Maßstäben ‚einfach‘ – zu einem Vortrage des Hausherrn zu vereinigen. Das ist in der schönsten Weise gelungen; das Kränzchen ist gewachsen; wenn alte Mitglieder durch Tod oder Wegzug von Frankfurt ausscheiden mußten, traten neue an ihre Stelle, – auch aus dem Lehr-

 So Rüdiger Graf, „Die Mentalisierung des Nirgendwo und die Transformation der Gesellschaft. Der theoretische Utopiediskurs in Deutschland  – “, in: Utopie und politische Herrschaft im Europa der Zwischenkriegszeit, hg. von Wolfgang Hardtwig (München: Oldenbourg,  / Schriften des Historischen Kollegs: Kolloquien, Bd. ),  – , hier .  So Thomas Jung, Die Seinsgebundenheit des Denkens. Karl Mannheim und seine Grundlegung einer Denksoziologie (Bielefeld: transcript, ), . – Außerdem Hammerstein, Stiftungsuniversität (wie Anm. ), : „Es institutionalisierte sich ein sogenanntes ‚Kränzchen‘, das in lockerem Turnus zusammenkam und mannigfache Verbindungen auch in die Stadt hinein pflegte.“  So das typographische Transkript der ursprünglich handschriftlichen Foersterschen Lebenserinnerungen (wie Anm. ) auf Seite  – tatsächlich wird es sich eben um die genannte Mely de Neufville, geborene Merton, gehandelt haben, auch ‚Melly‘ genannt.

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körper der Universität, – im Sommer verwandelten sich die Vortragsabende in Exkursionen, zum Beispiel auf die Ronneburg, nach Gelnhausen usw.; – die Beziehungen der Mitglieder untereinander wurden immer freundschaftlicher. Das Kränzchen ist unsere liebste Geselligkeit gewesen und hat uns von 1898 an allmonatlich vereinigt, bis es 1933 auseinanderbrach. Am 15. März habe ich den letzten Vortrag darin gehalten.¹⁴³

Zu den regelmäßigen Rednern des ‚Kränzchens‘ scheinen vorrangig Persönlichkeiten aus Universität und Stadtgesellschaft gehört zu haben wie etwa der nationalökonomisch beschlagene Stadtrat Henry Oswalt. Als Vorbild kommen das gleichnamige ‚Kränzchen‘ in Frage, das Theodor Mommsen und dessen Ehefrau in Berlin eingerichtet hatten und an dem Harnack, Foersters langjähriger Lehrer, regelmäßig teilgenommen hatte,¹⁴⁴ sowie das 1845 gegründete Frankfurter ‚Montagskränzchen‘, „in dem sich die demokratischen Politiker und Literaten Frankfurts vereinigt hatten“¹⁴⁵ und das zu Foersters Zeit wohl kaum noch existierte. Ein zweites ‚Kränzchen‘ hielt die Frankfurter Pfarrerschaft ab: „Bei Rades lernten wir mehr kirchliche Leute kennen, auch Kollegen – mich zog ein Kreis jüngerer, aktiver Pfarrer, das Pfarrkränzchen, in seine Mitte, das freilich alle 14 Tage nicht eigentlich zur Pflege von Geselligkeit zusammenkam, sondern um bei einer Tasse Tee die kirchliche Lage zu besprechen.“¹⁴⁶ An ein offenbar drittes ‚Kränzchen‘, das gezielt die Mitarbeiter der Christlichen Welt versammelt, alle zwei Wochen getagt und sich erst 1934 aufgelöst habe, erinnert sich Johannes Kübel.¹⁴⁷ Foerster schildert diesen Kreis so:

 Foerster, Lebenserinnerungen (wie Anm. ), . – Vgl. : „In den ersten Jahren unseres Frankfurter Lebens sind wir von den Familien, die den Stamm der Gemeinde bildeten, viel eingeladen worden und, da wir beide Geselligkeit liebten, auch viel ausgegangen. Zum Teil war das eine sehr üppige Geselligkeit mit überladenen Menues, viel guten Weinen und eleganten Toiletten – aber ohne viel Inhalt.“  Lothar Wickert, Theodor Mommsen, Bd. , Größe und Grenzen (Frankfurt am Main: Vittorio Klostermann, ), : „Wann es [scil. das ‚Kränzchen‘] begründet wurde, ist nicht überliefert; spätestens in den siebziger Jahren. Einige befreundete Familien, die den festen Stamm bildeten, kamen jede zweite Woche in einem der Häuser am Mittwoch zum Abendessen, später zum Mittagessen zusammen, der jeweilige Gastgeber hatte das Recht, noch andere Gäste aus seinem Freundeskreis dazuzubitten. […] Als Teilnehmer werden außer Mommsens unter anderem genannt die Ehepaare […] Harnack […].“ – Vgl. auch Stefan Rebenich, Theodor Mommsen. Eine Biographie (München: C.H. Beck, ), .  Hertha Ziehen, „Biographische Einleitung“, in: Julius Ziehen, Erinnerungen  – , hg. und eingel. von Hertha Ziehen (Frankfurt am Main: Waldemar Kramer, ),  – , hier .  Foerster, Lebenserinnerungen (wie Anm. ), .  Kübel, Erinnerungen (wie Anm. ),  f.: „Bei uns Liberalen herrschte das regere theologische Leben.Wir trafen uns alle vierzehn Tage zu Arbeitsgesprächen, die man damals ‚Kränzchen‘ nannte. Wir besaßen […] an den ‚Freunden der Christlichen Welt‘, die durch den ‚Verein für

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Ein […] auch von zahlreichen Männern besuchter Kreis war der der ‚Freunde der Christlichen Welt‘, wie sie sich derzeit in vielen deutschen Städten im Anschluß an das gleichnamige Blatt und an die alljährlichen Eisenacher Versammlungen zusammengeschlossen hatten. Ich hatte darin auch jahrelang die Leitung, aber längst nicht so wie in der Fürsorgevereinigung allein für die geistige Substanz aufzukommen, vielmehr wurde die allmonatlichen Versammlungen von einem jedes Jahr wachsenden Kreis sogenannter moderner Theologen getragen, die teils als Pfarrer, teils als Religionslehrer nach Frankfurt berufen waren. Der dem Lebensalter nach älteste war Wilhelm Bornemann, Altersgenosse von Rade, vor seiner Wahl nach Frankfurt als Pfarrer der Nikolai-Kirche Professor in Basel.Von anderen nenne ich vor allem Willi Veit, etwa 12 Jahre jünger als ich, als Pfarrer an St. Katharinen berufen, vorher in Manchester, er hatte unter uns die bei weitem größte Predigtgemeinde, und den jungen Oberlehrer Hermann Schuster, zweifellos der anregendste Debattierer unseres Kreises, der in seltener Weise Kritizismus mit religiöser Wärme und Innerlichkeit verband. Aus diesem Kreise ist dann noch ein weiteres Unternehmen heraus entstanden: Regelmäßige Vortragsreihen in großem, unkirchlichem Saal über religiöse Fragen, die sich an weiteste Kreise wandten. Das erste Mal haben wir das 1907 versucht, Bornemann, Veit, Schuster, ich, und es dann jedes Jahr bis in den Krieg hinein wiederholt. Zu diesen Vortragenden traten andere hinzu, zur Hellen, Kübel, Lueken. Die Vorträge waren ein voller Erfolg und erschienen jedesmal in Druck als ‚Vorträge moderner Theologen‘.¹⁴⁸

Dass Tillich Teilnehmer eines dieser drei ‚Kränzchen‘ gewesen wäre, ist meines Wissens nirgends aus Quellen belegt; die Kreise wären ihm wohl auch zu verbürgerlicht bzw. schlicht zu langweilig gewesen (und im Pfarrkränzchen hätte er ohnehin nichts verloren gehabt). Sofern die Literatur Tillich mit ‚dem‘ – oder jedenfalls einem – ‚Kränzchen‘ in Verbindung bringt,¹⁴⁹ scheint sie sich sowohl auf eine spätere Reminiszenz Adornos zu beziehen, derzufolge Tillich die Mitglieder des Instituts für Sozialforschung und andere Kollegen in geselliger Atmosphäre (häufig im Café Laumer an der Bockenheimer Landstraße) zu Diskussionen um

christliche Freiheit‘ abgelöst wurden, unsern Turniersaal. Wir traten seit dem Herbst  jedes Jahr mit einer Vortragsreihe vor die größere Öffentlichkeit. Die Reihe wurde  mit dem ‚Vermächtnis der Reformation‘ geschlossen und nach dem Krieg durch andere Aufgaben abgelöst. […] hier herrschte eine ungeheure Aufgeschlossenheit für alle Lebensfragen, hier dachte und arbeitete man in theologischen Dingen streng wissenschaftlich. […] Im Lauf der Jahre wurde das Kränzchen zu groß und verlor dadurch an Fruchtbarkeit und Anziehungskraft, hielt aber gleichwohl zusammen und schied auch  einige deutsch-christliche Kollegen aus.  zerbrach es daran, daß ein Teil unseres Kreises sein theologisches Sondergut für wertvoller hielt als den gemeinsamen Kampf für Wahrheit, Freiheit und Recht der Kirche.“  Foerster, Lebenserinnerungen (wie Anm. ), .  So etwa Schivelbusch, Intellektuellendämmerung (wie Anm. ), : „Kränzchen Interne Bezeichnung für die von Mitgliedern des Instituts für Sozialforschung regelmäßig abgehaltene Diskussionsrunde, an der auch Außenstehende teilnahmen, wie z. B. Karl Mannheim, Kurt Riezler, Kurt Goldstein, Carl Mennicke.“

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sich zu versammeln pflegte,¹⁵⁰ als auch auf das maschinenschriftliche Protokoll eines als „privat“¹⁵¹ ausgewiesenen Diskussionstreffens am 27. Juni 1931, das die Herausgeber von EW VI, Renate Albrecht und René Tautmann, als ‚Frankfurter Gespräch‘ bezeichnen und zu dem man sich offenbar in Tillichs neu bezogener Wohnung in der Vogelstraße 11¹⁵² zusammenfand. Schon aus dem zuletzt ge-

 Hammerstein berichtet (Stiftungsuniversität (wie Anm. ), ): „ urteilte Adorno über dieses ‚Kränzchen‘: ‚War etwas an den berühmten zwanziger Jahren, so ließ es in diesem Kreis sich erfahren. […]‘“ Das vorgetragene Zitat entnimmt Hammerstein Schivelbusch, Intellektuellendämmerung (wie Anm. ), . Das vollständige Votum Wiesengrund-Adornos ist abgedruckt in Werk und Wirken Tillichs (wie Anm. ),  f.; dort jedoch ist von einem ‚Kränzchen‘ nicht die Rede. Allerdings berichtet Adorno einige Seiten später (), dass Tillich in New York „wieder so eine Art von Kränzchen organisiert [hatte]. Das Wort ‚Kränzchen‘ klingt ein bißchen altväterisch, aber er brauchte es wohl selbst.“ „Es nahmen ebenso eine Reihe von uns Emigranten teil,wie auch einige seiner engsten amerikanischen Freunde und Schüler wie Reinhold Niebuhr, van Dusen und noch einige andere. Diese Diskussionen zählten zu den amerikanischen Erfahrungen, in denen sich die deutsche Tradition am ungebrochensten fortgesetzt hat. Zwei Arbeiten von mir, die über Kierkegaards Lehre von der Liebe und die über Spengler, verdanken unmittelbar diesem Kränzchen ihr Dasein. Ich trug sie dort als Referate vor. Es war für mich eine Quelle größter Anregung.“ „Das traf sich regelmäßig, ich glaube alle vierzehn Tage immer wechselnd in den Wohnungen der verschiedenen daran Beteiligten. Sie waren nur jeweils verpflichtet, in ordentlichen Quanten für Alkohol zu sorgen: denn wir haben alle mehr oder minder gern getrunken. Das trug zur angenehmen Atmosphäre bei.“ Der Kreis um Tillich in dessen Frankfurter Zeit – „der eigentlich seine Existenz, wie häufig solche Debattierkreise, ihm verdankte“ (so Wiesengrund-Adorno in Werk und Wirken Paul Tillichs [wie Anm. 123], 29) und zu dem Horkheimer, Mannheim, Pollock, Riezler, Mennicke und andere gehörten (vgl. ebd.) – etablierte sich offenbar als feste Institution 1931 mit der Berufung Löwes (vgl. die Herausgeberinnen Renate Albrecht und Margot Hahl in EW V [wie Anm. 41], 185). Das ‚Frankfurter Gespräch‘ 1931, an dem Löwe nicht teilnahm (berufen war Löwe erst zum Wintersemester; im Juni 1931 hielt er sich in den Vereinigten Staaten auf), scheint den Auftakt für diese Gruppe gebildet zu haben. Falls Tillich den Namen ‚Kränzchen‘ nicht erst für die New Yorker Treffen, sondern schon für die Frankfurter Zusammenkünfte verwendet haben sollte, dann liegt die Vermutung nicht ganz fern, dass er, indem er den Namen übernahm, seinen eigenen Kreis absichtlich als antibürgerliches Konkurrenzunternehmen auswies, das zwar hinreichende Ähnlichkeiten mit dem Foerster-Merton-‚Kränzchen‘ aufwies, um die Namensanleihe zu rechtfertigen, zugleich aber auch aussagekräftige Unterschiede: Es ging um ein männlich dominiertes Intellektuellentreffen, bei dem man sich als Avantgarde gefiel (und reichlich Alkohol zu sich nahm).  EW VI, .  Hannah Tillich, Ich allein bin (wie Anm. ), : „Nach einem kurzen Zwischenspiel in einer dunklen, altmodischen Stadtwohnung, deren schwere Holzdielen der wohlmeinende Superintendent, der später unser Freund wurde, hatte streichen lassen, damit die Zimmer heller wirkten, und deren barocke Stuckverzierungen unter hohem Kostenaufwand entfernt worden waren, um die Decke silbern anzumalen, zogen wir in eine moderne Wohnung mit Zentralheizung außerhalb von Frankfurt.“ – : „Nachbarn waren uns ein Greuel. […] in Frankfurt hatten wir ein von Nachbarn überquellendes Haus bewußt mit einem kleinen Häuschen in der Vorstadt vertauscht.“ Die erwähnte

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„Stadtwohnung“ befand sich in der Feldbergstr. , einem Haus, das der Universität gehörte und in das zum Einzug der Tillichs eine mit Koks betriebene Zentralheizung eingebaut wurde. Ein Gutachten aus dem Jahre  beschreibt die Wohnung wie folgt (Universitätsarchiv Frankfurt am Main, Abt. , Nr. , Blatt  – ): „Das Haus Feldbergstrasse  ist ein altes im Jahre  massiv und gut erbautes Wohnhaus. Seine Bauart dürfte zu seiner Zeit herrschaftlich gewesen sein, ist jedoch heute nur noch als gut bürgerlich anzusprechen. Wasser, elektrisches Licht, Gas, Kanalanschluss, sowie später eingebaute Zentralheizung, automatische Treppenhausbeleuchtung und elektrischer Türschliesser sind vorhanden. Die früher begehrte Westendlage ist jetzt durch Strassenbahn- und Omnibus-Verkehr im Wert herabgemindert. Das Haus besteht aus Keller, Erdgeschoss, drei Obergeschossen und ausgebautem Dachgeschoss. Die […] Wohnung […] im I. Obergeschoss […] besteht aus sechs Zimmer [sic!], Küche, Speisekammer, Abort, besonderem Badezimmer, abgeschlossenem Flur und einem strassenseitig und einem hofseitig gelegenen Balkon. Zubehör der Wohnung bildet eine Mädchenkammer und ein Lattenverschlag auf dem Trockenboden, sowie anteilige Benutzung von Waschküche und Trockenboden. Die Zimmer haben Parkettfussböden. Die Wände sind tapeziert, die Decken sind geweisst. Das Bad ist einfach ausgestattet. Die Wände sind Oelfarbe gestrichen und teilweise gekachelt, eine gusseiserne emaillierte Badewanne ist vorhanden, ebenso ein einfacher Waschtisch. Die Wassererwärmung geschieht durch einen in der Küche stehenden Gasautomat. In der Küche ist der Fussboden geplättet, die Wände sind Oelfarbe gestrichen, Wasserstein und einfacher Kohlenherd sind vorhanden. Neben der Küche ist eine geräumige Speisekammer. Im Flur und Speisekammer [sic!] sind kleine Wandschränke eingebaut.“ Die Wohnung der Tillichs, die von diesen offenbar zu Mitte Mai  bezogen wurde (ab dem . Mai galt der Mietvertrag, vgl. Universitätsarchiv Frankfurt am Main, Abt. , Nr. , Blatt ), lag (den Adressbüchern der Jahre  und  sowie den Unterlagen des Universitätsarchivs Frankfurt am Main (Abt. , Nr. , Blatt , , , , ) zufolge) im gutachterlich beschriebenen ersten Stock (im Erdgeschoss wohnte Professor Dr. Franz Schultz, der über die Jahre einen regen Beschwerdebriefwechsel mit dem Kuratorium führte, im vierten Stock der Geographie-Professor Dr. Walter Behrmann). Mit dem von Hannah Tillich erwähnten ‚Superintendenten‘ und späteren Freund kann nur Kurt Riezler gemeint sein, der als Kurator auch die universitäre Gebäudebewirtschaftung in seiner Zuständigkeit hatte. Die Wohnung war für Tillichs renoviert worden (Universitätsarchiv Frankfurt am Main, Abt. , Nr. , Blatt : „Erneuerung von Wandputz (Holzfachwerkwände mit unverdrahtetem Holzwerk), […] Erneuerung eines Teiles der Elektr.-Anlage (Kupferdraht u. Schalttafel) […], […] Schreinerarbeiten (lose Fussockel u. lose Vertäfelung)“). Die Stuckverkleidungen waren in der Tat entfernt worden (ebenso in den Wohnungen des zweiten und dritten Stocks); der Mieter des noch unsanierten Erdgeschosses, Professor Schultz, beklagte sich am . August  aus seinem Sommerdomizil in Murnau am Staffelsee, Pension Ludwigshöhe, gegenüber dem Universitätskuratorium darüber, dass „sich in meiner Wohnung, Feldbergstrasse , grosse Blöcke der an der Decke befindlichen Stuckverkleidung gelöst [haben] und […] herabgestürzt [sind]. Eines dieser Stücke ist am Tag nach meiner Abreise von Frankfurt auf den Platz niedergestürzt, an dem ich im Esszimmer zu sitzen pflege. Auch in den anderen Zimmern ist die Stuckverkleidung, wie sich herausgestellt hat, lose und droht herabzustürzen. Es ist das nicht weiter verwunderlich, da die Erschütterungen, denen das Haus durch die Omnibusse und Lastkraftwagen ausgesetzt ist, sehr gross sind. Auch haben die im Monat Juli vorgenommenen weitgehenden baulichen Veränderungen das überalterte Haus bis in seine Grundfesten erschüttert“ (Universitätsarchiv Frankfurt am Main, Abt. , Nr. , Blatt ). Des Weiteren war die Wohnung Tillichs mit einem „neuen Gasbadeofen mit Warmwasserbereitungsanlage“ (Universitätsarchiv Frankfurt am Main, Abt. , Nr. , Blatt ) ausgestattet worden. Zudem konnten Tillichs eine der Dachmansarden übernehmen, die zu

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diesem Anlass elektrifiziert wurden (vgl. Universitätsarchiv Frankfurt am Main, Abt. , Nr. , Blatt . ). – Dass Tillich übrigens auch für sein Dienstzimmer in der Universität auf stilvolle Ausstattung Wert legte, geht daraus hervor, dass er sogleich nach Antritt  unter anderem die „Beschaffung eines Schreibtisches, Fabrikat Stolzenberg, hell Eiche, der etwa RM ,– kosten wird“, beantragte (Universitätsarchiv Frankfurt am Main, Abt. N, Nr. , Blatt ), außerdem „Fenstervorhänge, mit der Bitte, mich vor der Anschaffung zu benachrichtigen, damit ich die Farbe aussuchen kann“, „eine Waschgelegenheit mit Spiegel, in der Platz ist für ein Waschbecken, sowie für eine Wasserflasche mit Trinkglas“, und „eine Chaiselongue“ (a.a.O., Blatt ). Zum 1. April 1931 kündigten Tillichs ihre Wohnung „aus finanziellen und gesundheitlichen Gründen“ (Universitätsarchiv Frankfurt am Main, Abt. 11, Nr. 16, Blatt 626), zogen aber bereits am 16. März aus (der neue Mieter stand im April bereits fest, auch wenn dieser die Wohnung erst zum 1. Juli bezog (vgl. Universitätsarchiv Frankfurt am Main, Abt. 11, Nr. 16, Blatt 134. 406)). Am 16. Januar 1931 hatte Tillich das Universitätskuratorium um einen monatlichen Mietnachlass von 70 RM gebeten, mit folgender Begründung: „1. Die Reduktion der Gehälter hat auf dem Wohnungsmarkt zu einer allgemeinen Flucht aus den grossen Wohnungen geführt und bewirkt, dass zahlreiche Sechszimmerwohnungen frei stehen. In jeder Strasse, besonders des Westens sind eine grosse Anzahl freier Wohnungen zu finden, deren Preise nach Aussage von Herrn Spediteur Delliehausen um 50 % und mehr gesunken sind. Die Miete von 270 M, die ich für meine in einer schlechten Strasse gelegene Wohnung zu zahlen habe, wird allgemein als zu hoch empfunden. 2. Die Qualität der Wohnung hat sich im letzten Jahr dadurch verschlechtert, dass durch den I.G.bau [sic; gemeint ist das Gebäude der I.G. Farben am heutigen Norbert-Wollheim-Platz, ehemals Grüneburgplatz)] ein starker Autoverkehr über den schon vorhandenen starken Verkehr hinaus sich entwickelt hat, sodass es fast unmöglich ist, in den vorderen Zimmern zu schlafen und auch die Arbeit erheblich gestört wird. Ich habe aus den mir von Herrn Delliehausen zugesandten Verzeichnissen freier Wohnungen gesehen, dass gerade die Feldbergstrasse einen besonders hohen Prozentsatz angebotener Wohnungen aufzuweisen hat. 3. Die bevorstehende Gehaltssenkung bedeutet eine Belastung, die der allgemeinen Forderung entsprechend durch Preissenkungen einigermaßen wett gemacht werden soll. Das wichtigste Objekt der Preissenkung ist die Miete“ (Universitätsarchiv Frankfurt am Main, Abt. 11, Nr. 16, Blatt 131– 132r.). Indessen war das Kuratorium dem Ersuchen Tillichs nur eingeschränkt nachgekommen; mit Schreiben vom 26. Januar hatte es einen Nachlass von 20 Mark bewilligt, so dass die Monatsmiete von 278,92 Mark auf 258,92 Mark gesunken war (vgl. Universitätsarchiv Frankfurt am Main, Abt. 11, Nr. 16, Blatt 132v). – 1944 wurde das Haus durch Bomben zerstört (vgl. Universitätsarchiv Frankfurt am Main, Abt. 11, Nr. 16, Blatt 366). Die danach bezogene Wohnung befand sich im Erdgeschoss der Vogelstraße 11 im Süden des Stadtteils Niederrad, einem Haus südlich der Galopprennbahn und in der Nähe des Stadtwalds, zwar mit ebenso viel Parteien wie in der Feldbergstr. 7, aber ohne die (offenbar unliebsame) Nachbarschaft von Universitätskollegen. Im ersten Stock der Vogelstr. 11 wohnte einer der beiden Vermieter, der Kaufmann O. Lauer (so ausweislich des Adressbuchs der Stadt Frankfurt am Main aus den Jahren 1932 und 1933); den zweiten Stock teilten sich der Kaufmann H. G. Höfner und die Witwe M. Mühl; im Dachgeschoss besaß Tillich sein Arbeitszimmer; vgl. Hannah Tillich, Ich allein bin (wie Anm. 42), 136: „Er hatte sein Arbeitszimmer weit weg von unserer Wohnung im Erdgeschoß, oben unter dem Dach im dritten Stock.“ In der Vogelstraße muss auch das Kostümfest stattgefunden haben, das die Tillichs im Frühjahr 1933, zu Fasching, ausrichteten,vgl. ebd., 143 f.: „Zur Zeit der Maskenbälle im Frühjahr beschlossen wir, selbst ein Kostümfest in unserer Wohnung in der Vorstadt zu veranstalten. Wir hatten nicht

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genug Geld für eine solche Feier, doch unsere großzügigen Freunde waren freudig bereit, uns unter die Arme zu greifen, und sandten die besten Weine (‚keine harten Getränke‘ war meine Bedingung gewesen), einen Butler, Essen, Gläser und was sonst noch nötig war. Unsere Aufgabe als Gastgeber bestand lediglich darin, das Erdgeschoß auszuräumen.Wir baten eine Freundin, die sich nebenbei mit Malerei beschäftigte, die Wände mit Papierbahnen auszukleiden, die sie mit Faschingsthemen und Gedichten über die einzelnen Gäste bemalt hatte. Die Musik kam wohl von einer Musiktruhe. […] unser Vermieter, der über uns wohnte, hatte seine Erlaubnis zu dem Ball gegeben – und alle, alle kamen. Es war der letzte Kostümball, an dem wir teilnehmen sollten.“ Zu dem Kostümfest vgl. auch Pauck/Pauck, Paul Tillich (wie Anm. 42), 130: „Einmal gaben sie im ersten Stock ihrer Wohnung ein Kostümfest. Auf der Einladung war zu lesen: ‚[…] Die Realdialektik oder ‚durch Spruch und Widerspruch zur Einheit‘. 27. Februar, abends 9 Uhr, bis 28. Februar, lange nach Sonnenaufgang.‘ Die Gäste waren gebeten worden, als ihr anderes Selbst zu erscheinen. Adorno kam als Napoleon, Riezler als Faschist im braunen Hemd.“ Schivelbusch, Intellektuellendämmerung (wie Anm. 107), 163, steuert die Bezeichnung eines der Räume bei: „Aphroditorium“ habe „ein Zimmer in der Wohnung von Hannah und Paul Tillich“ geheißen, „das für ein Kostümfest besonders verdunkelt worden war (Mitteilung von Gladys Meyer)“. (Die spätere, amerikanische Soziologin Meyer hatte in Frankfurt studiert.) Hammerstein, Stiftungsuniversität (wie Anm. 106), 68 f., kann der Versuchung nicht widerstehen, unter Verweis auf Schivelbusch aus dem Singular einen, allerdings unbelegten, Plural zu machen: „Solche Feste wurden übrigens auch in manchen Instituten der Universität […], insbesondere im Hause Tillichs, gefeiert. Hier hieß ein bei solchen Anlässen verdunkelt-schummeriger Raum ‚Aphroditorium‘.“ Die Ausstrahlungskraft, die der Lebensstil der Tillichs auf andere ausübte, wird durch die Erinnerungen Mennickes illustriert, Zeitgeschehen im Spiegel persönlichen Schicksals [Langfassung] (wie Anm. 79), 122 (Typoskript: Deutsche Nationalbibliothek Frankfurt am Main, Deutsches Exilarchiv 1933 – 1945, EB 99/12161) (= Druckfassung, 162): „[…] Frau Trude [vermochte] mir […] auf gewissen Wegen, die ich zu meinem eigenen Erstaunen zu wandeln begann, nicht zu folgen […]. Wenn ich historisch genau sein will, muß ich vermelden, daß Tillich es war, der mich dazu verführte anregte (er, der bei all seiner systematischen Geistigkeit so merkwürdig Impressionable, der den Rausch mondäner Geselligkeit genießen konnte wie ein Kind ein entzückendes Spiel). Wenn ich die Dinge im Zusammenhang meines Lebens betrachte, komme ich zu dem Urteil, daß ich nun nachzuholen begann, was ich in meinen jungen Jahren an rein vitalen Freuden versäumte. […] in meiner Studentenzeit, in den Kriegs- und ersten Nachkriegsjahren, [war ich] kaum zum Tanzen gekommen. Ich hatte mich sogar beinahe damit abgefunden, daß das nichts für mich sei und daß ich mit bescheidenerer Ausspannung (Plaudern bei Zigarre und Wein) vorlieb nehmen müsse. Aber als ich das erste Kostüm-Fest hinter mir hatte, wußte ich, daß das ein Irrtum sei. Und es ist seitdem in Berlin und Frankfurt wohl kein Winter vergangen, in dem ich nicht eine ganze Reihe von Nächten durchtanzt hätte. Tanzen – das ist jene vitale Sinnerfüllung des Lebens, für die man den Göttern doppelt und dreifach dankbar sein muß.“ – 123 (= Druckfassung, 163): „Ich habe, seit mir diese Erfahrung wurde, auch mit meinen Schülern oft Tanzfeste veranstaltet.Von da, daß mich alle ‚Carolus‘ nannten. Und es klang wie eine Losung, als ich im Jahre 1933, da wir vor unserem Weggang aus Deutschland mit Tillichs zusammen einige Wochen auf Rügen verbrachten, plötzlich aus dem Fenster eines Hauses, an dem wir vorbeiwanderten, der Ruf ‚Carolus‘ erschallte. Und es war meistens beim Tanzen, daß mich immer wieder neu die Liebe überfiel. […] es gab […] in meinem Leben auch immer wieder jene Liebe, die einen plötzlich zum Glühen bringt, von der man weiß, daß sie nicht bleiben wird und die doch da ist wie ein Geschenk, das man verwundert und freudig empfängt. […] ich habe es nie als sinnvoll empfinden können, mich gegen solche Er-

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nannten Umstand geht hervor, dass dieses Gespräch nicht im Rahmen der oben genannten ‚Kränzchen‘, auch nicht des Foerster-Merton-‚Kränzchens‘, stattgefunden haben kann. Zumal im Blick auf letzteres fallen noch weitere Unterschiede ins Auge. Das Foerster-Merton-‚Kränzchen‘ verband Geselligkeit mit Gelehrsamkeit in der Art und Weise, dass man Vorträgen lauschte, zugleich aber auch speiste, und dies alles unter maßgeblicher Beteiligung der Damenwelt; das ‚Frankfurter Gespräch‘ hingegen hatte, obwohl es auch dort „Abendbrot“¹⁵³ gab, Diskussions-, wenn nicht gar Streitcharakter,¹⁵⁴ und die einzige anwesende Frau war Dr. Dr. Lilly (auch: Lilli) Zarncke,¹⁵⁵ deren Habilitationspläne gerade dabei waren, von der

lebnisse zu sperren, und ich darf hoffen, daß die Frauen, mit denen ich sie hatte, genau so gut daran denken wie ich selbst. Man bezahlt den Schmerz der Trennung gerne für das eigentümliche Glück, das solche Begegnungen bedeuten.“  EW VI,  (Wortmeldung Martin Dibelius).  Im Exil zog später Carl Mennicke einen aufschlussreichen Vergleich zwischen der Frankfurter und der niederländischen Streitkultur („Wissenschaftlicher Geist und Academisches Leben in Holland und Deutschland“ (undatierter Vortrag / Typoskript), Blatt  (Deutsche Nationalbibliothek Frankfurt am Main, Deutsches Exilarchiv  – , Carl Mennicke, NL  = EB /)): „Und damit möchte ich auf eine Erscheinung hinweisen, die man, von Deutschland kommend, als ungemein positiv und wohltuend empfindet. Man kann hier wirklich diskutieren (Zeichen einer reichen demokratischen Kultur). Jeder kann hier sicher sein, seine Meinung ruhig, wie ihm die Sprache zur Verfügung steht, sagen zu können. Er weiß, daß er nicht unterbrochen, geschweige denn durch Lärm am Sprechen gehindert wird. Und selten wird man es erleben, daß jemand in der Debatte sich nicht ernst genommen findet. Daher ist es auch ausgeschlossen, daß ein studentisches Publikum durch Scharren oder Trampeln auf die Ausführungen des Dozenten reagiert. Man würde das als geradezu unsin[n]ig unakademisch empfinden, weil es doch unmöglich einen sachlich begründeten Beitrag zur Diskussion darstellen kann. Als die schwache Seite dieses Zustandes mutet einen an, daß das geistige Leben zu wenig leidenschaftlich ist. Man ist daran gewöhnt, gelten zu lassen. Man nimmt die Meinung des anderen zur Kenntnis und ist wenig dadurch beunruhigt, daß man selbst anderer Meinung ist. Man kämpft nicht eigentlich darum, den anderen davon zu überzeugen, daß die eigene Meinung die einzig richtige ist.“ – Demgegenüber müssen die Frankfurter Diskussionen sich lebhafter ausgenommen haben. Z. B. King und Wertheimer, Max Wertheimer (wie Anm. ), : „[…] Wertheimer quickly earned a reputation as a fierce and vigorous discussant, on occasion shouting at his colleagues as he challenged some polemic. He occasionally wrote letters of apology on the following day to those whom he believed he might have offended during the previous evening.“  Zarncke, geboren  in Hamburg, später (ab ) Dozentin an der Deutschen Hochschule für Politik in Berlin, an der seinerzeit auch Mennicke tätig gewesen war,Verfasserin etlicher Schriften zu theologischen, psychologischen und sozialfürsorgerischen bzw. pädagogischen Themen, wird von den Herausgebern von EW VI, Renate Albrecht und René Tautmann, zwar erwähnt (), nicht aber mit einer Aufnahme in die Liste der Teilnehmer ( f.) gewürdigt. Yorick Spiegel wiederum („Paul Tillich in Frankfurt ( – )“, in: Martin Buber – Erich Foerster – Paul Tillich. Evangelische Theologie und Religionsphilosophie an der Universität Frankfurt

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Heidelberger theologischen Fakultät aufgrund ihres Geschlechts blockiert zu werden.¹⁵⁶ Wichtiger jedoch ist, dass Tillich im Zusammenhang eines eigenen Diskussionsbeitrags zu erkennen gibt, dass es sich um das erste Treffen seiner Art

a.M.  bis , hg. von Dieter Stoodt (Frankfurt am Main et al.: Peter Lang, ),  – , hier ) schreibt ihren Namen falsch, indem er von „Lilly Zahrnke, damals noch Studentin in Marburg“, spricht, und unterschlägt, dass sie zu dieser Zeit bereits über zwei Doktortitel verfügte, einen Dr. phil. aus Hamburg () und einen Dr. theol. aus Jena (; diesen für eine verstreut in mehreren Teilen zwischen  und  publizierte Studie zu Luthers Eheverständnis). Vgl. Handbuch der deutschen Wissenschaft, Bd.  (Berlin: Fr. K. Koetschau, ),  (s.v. „Zarncke, Lilly“). Detaillierter Christa Schikorra, „Karriere und Täterschaft im Nationalsozialismus. Vordenkerinnen im sozialpolitischen Diskurs über ‚Asozialität‘“, in: Frauen als Täterinnen und Mittäterinnen im Nationalsozialismus. Gestaltungsspielräume und Handlungsmöglichkeiten. Beiträge zum . Tag der Frauen- und Geschlechterforschung an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, hg. von Viola Schubert-Lehnhardt und Sylvia Korch (Halle: Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, ),  – , hier . Hannelore Erhart datiert den Jenaer Doktortitel, offenbar irrtümlicherweise, auf das Jahr : „Die Theologin im Kontext von Universität und Kirche zur Zeit der Weimarer Republik und des Nationalsozialismus. Ein Beitrag zur theologischen Diskussion“, in: Theologische Fakultäten im Nationalsozialismus, hg. Leonore Siegele-Wenschkewitz und Carsten Nicolaisen (Göttingen:Vandenhoeck & Ruprecht,  / Arbeiten zur kirchlichen Zeitgeschichte. Reihe B, Bd. ),  – , hier  (Anm. ). Siehe dagegen Vera Christina Pabst, „… quia non habeo aptiora exempla.“ Eine Analyse von Martin Luthers Auseinandersetzung mit dem Mönchtum in seinen Predigten des ersten Jahres nach seiner Rückkehr von der Wartburg / (Hamburg: LIT,  / Rostocker Theologische Studien, Bd. ),  (Anm. ). – Ob es sich bei der Hamburger Dissertation um Zarnckes  in Leipzig bei M. Heinsius Nachfolger Eger & Sievers erschienene Arbeit Die Exercitia Spiritualia des Ignatius von Loyola in ihren geistesgeschichtlichen Zusammenhängen (Schriften des Vereins für Reformationsgeschichte, Bd. /) gehandelt hat, ist unklar; die Arbeit selber (bzw. das Vorwort) liefert keinen Hinweis darauf. Die  in Leipzig/Berlin bei B.G. Teubner veröffentlichte Studie Der Anteil des Kardinals Ugolino an der Ausbildung der drei Orden des Heiligen Franz (Beiträge zur Kulturgeschichte des Mittelalters und der Renaissance, Bd. ) entstand nach Auskunft ihrer Autorin „als Beantwortung einer von der Theologischen Fakultät der Universität Jena gestellten Preisaufgabe“, die „ des Preises für würdig befunden“ (ebd., VI) wurde. ( konvertierte Zarncke zum Katholizismus, siehe Schikorra, „Karriere und Täterschaft“, ).  So jedenfalls eine Datei auf den Webseiten der Universität Heidelberg, leider ohne Autorennamen, in der aus dem entsprechenden Fakultätsratssitzungsprotokoll zitiert wird: www.uniheidelberg.de/imperia/md/content/einrichtungen/frb/.pdf (Abfrage vom . Februar ). Auch hier wird erwähnt, dass Zarncke nach Heidelberg bereits zwei Doktortitel mitgebracht habe. – Aus der Korrespondenz Marianne Webers geht hervor, dass Zarncke im Herbst  (nach dem Tod Max Webers) zu deren Freundeskreis gehörte, zu diesem Zeitpunkt also bereits nach Heidelberg gewechselt sein muss. Die Freundin Marie Kaiser schreibt an Weber (Marianne Weber, Lebenserinnerungen (Hildesheim, Zürich und New York: Georg Olms Verlag, ), ): „Du hast wieder eine anmutige und kluge Tochter! Lilli Zarncke. Wie habe ich eine solche Bereicherung Deines Lebens für Dich ersehnt. Nun weiß ich Dich für den Winter warm umhegt. Du wirst mir von ihr erzählen […].“

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handele,¹⁵⁷ und dass er bemerkt, er sei von Heinrich Frick, dem Marburger Professor für allgemeine Religionswissenschaft, sowie Joseph H. Oldham, dem Ersten Generalsekretär des Internationalen Missionsrates, der vor allem in Ostafrika aktiv gewesen war, „zu diesem Gespräch“¹⁵⁸ ‚aufgefordert‘ worden. Tatsächlich stand das Treffen unter dem Thema: „Die säkulare Zivilisation und die (Missions‐)Aufgabe des Christentums.“¹⁵⁹ Initiatoren waren also zwei Nicht-Frankfurter, die sich an den Frankfurter Säkularitätsspezialisten Tillich gewandt hatten; und Tillich seinerseits hatte den Vorschlag akzeptiert, weil er, wie er erklärte, in dem Thema eine Verwandtschaft zu seinem eigenen theologischen Anliegen erkannte, das von der „doppelte[n] Begegnung mit dem Proletariat einerseits und der autonomen Kultur andererseits“¹⁶⁰ geprägt sei. Die Intention des Treffens sollte darin bestehen, eine von Frick zusammengestellte Gruppe von Theologen, bestehend aus dem Zürcher Systematiker Emil Brunner, dem Heidelberger Neutestamentler Martin Dibelius, dem Marburger Neutestamentler und Kirchengeschichtler Hans von Soden, den Tillich noch aus seiner Marburger Zeit kannte,¹⁶¹ und vermutlich Zarncke, mit den Frankfurter Repräsentanten einer pointiert atheologischen Weltanschauung bzw. marxistisch eingefärbten Gesellschaftstheorie sowie einer durch die aufblühende Soziologie geprägten Wissenschaft zusammenzubringen, die Tillich offenbar seit 1931 um sich versammelt hatte.¹⁶² Dass die Theologengruppe sich ein wenig wie auf einem zoologischen Erkundungsgang zwischen Käfigen voll exotischer Raubtiere gefühlt haben muss, geht aus dem Votum Hans von Sodens hervor, das zumindest aus heutiger Sicht nicht ganz der unfreiwilligen Komik entbehrt:  EW VI, : „[…] beschlossen wir, diesen Kreis zusammenzurufen, und ich möchte gleich etwas über die Struktur dieses Kreises sagen.“ – : „Und dann hoffe ich, daß wir dafür eine kleine Gegengabe geben können, Ihnen zeigen können,warum wir noch an der Grenze stehen, und nicht diesen Protestantismus verlassen, sondern aus tiefem Bewußtsein um die profane Situation heraus an diesem Protestantismus festhalten. Von der radikalen und offenen Aussage von beiden Seiten her ist viel zu erwarten.“  EW VI, .  EW VI, . – Vgl. auch Amalia Barboza, „Die verpassten Chancen einer Kooperation zwischen der ‚Frankfurter Schule‘ und Karl Mannheims Soziologischem Seminar“, in: Das Feld der Frankfurter Kultur- und Sozialwissenschaften vor , hg. von Richard Faber und Eva-Marie Ziege (Würzburg: Königshausen & Neumann, ),  – , hier  (Anm. ).  EW VI, .  Vgl. Hannah Tillich, Ich allein bin (wie Anm. ), : „Unter den Professoren hatten wir zwei Freunde – Professor v. S., dem gegenüber Paulus einmal erwähnte,wie gerne er nach Italien fahren würde, und der ihn daraufhin mit Geld und guten Ratschlägen versorgte, und Rudolf Otto. Beide Männer waren Kosmopoliten.“ – : „Mit dem Geld von Professor v. S. und dem Honorar für ein Buch von Paulus, das bei Ullstein veröffentlicht worden war, fuhren wir nach Italien.“  Siehe unten Anm. .

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„Zunächst möchte ich für diese Veranstaltung danken. Für unsereinen, der sich als Theologe mit dem modernen Menschen auseinandersetzt, ist es wichtig, diesen modernen Menschen einmal in concreto zu sehen und nicht bloß aus dem Nichtzur-Kirche-kommen, Nicht-Bibel-Lesen schließen zu müssen, wie der wohl ist.“¹⁶³ Seine eigene Position innerhalb jener inhomogenen Frankfurter Gruppe skizzierte Tillich als die eines Vermittlers – gewissermaßen eines Grenzgängers – zwischen drei Parteien: erstens der „an das griechische Denken“ anknüpfenden „interphilosophische[n]“¹⁶⁴ Partei, als deren einziger Repräsentant unter den Anwesenden der Frankfurter Kurator und Geschichtsphilosoph Kurt Riezler in Frage kommt (abgesehen vielleicht von Tillich selbst¹⁶⁵), zweitens der „von dem gemeinsamen Erlebnis der proletarischen Situation und dem Sozialismus“¹⁶⁶ ausgehenden Partei, repräsentiert durch Max Horkheimer, dessen Jugendfreund, Kollegen und Hausgenossen Friedrich Pollock, Theodor Wiesengrund-Adorno, Carl Mennicke, außerdem durch den Pfarrer Emil Blum, der dem Neuwerkkreis angehörte, im Rahmen seines Frankfurter Pädagogikstudiums Tillich kennengelernt hatte und der christlichen Kommune Habertshof bei Schlüchtern vorstand, sowie Hermann Schafft, einem Freund Tillichs aus Berliner und Hallenser Wingolf-Zeiten, der ebenfalls zum Habertshof gehörte, und drittens schließlich derjenigen Partei „die zunächst einmal zurückhaltend soziologisch die Situation analysiert“¹⁶⁷, recht einsam vertreten durch Karl Mannheim.¹⁶⁸

 EW VI, .  EW VI, .  Auch Tillich selbst hatte schon über griechische Philosophie gelesen, nämlich im Sommersemester , und vielleicht fühlte er sich insgeheim ebenso dieser Partei zugehörig, wie er sich der sozialistischen Fraktion zuordnete. – Wiesengrund-Adorno erinnerte sich (Werk und Wirken Paul Tillichs [wie Anm. ],  f.): „Als Tillich schon an seiner neuen Wirkungsstätte etabliert war, wollte ich ihn mir anhören. Es fiel mir nicht schwer, mich dabei recht unauffällig zu machen in dem großen, stark besetzten Hörsaal; ich setzte mich in die allerletzte Reihe. Die Vorlesung betraf griechische Philosophie. Ich weiß jetzt nicht mehr ganz genau, ob die betreffende Vorlesungsstunde den Eleaten galt oder Platon; jedenfalls ging es um Probleme, die mit ihrem Zusammenhang zu tun hatten. Am nächsten Tag […] nagelte [er] mich sofort fest, indem er mir bis ins Einzelne, aber wirklich bis in alle Details meine Reaktionen auf das, was er in seiner Vorlesung gesagt hatte, erzählte. Er hatte mich also in meiner letzten Reihe gewahrt und hatte von meinem Gesicht abgelesen, wo ich zustimmte, und wo ich anderer Ansicht war. Das reproduzierte er, und was ich nicht ausgesprochen hatte, führte sofort zu einer sehr intensiven Diskussion.“  EW VI, .  Ebd.  Siehe dazu Barboza, „Die verpassten Chancen“ (wie Anm. ). – Mannheim,WiesengrundAdorno, Horkheimer, Pollock und Mennicke gehörten (neben Löwe) zu dem Kreis, dessen Existenz sich der Initiative Tillichs verdankte (vgl. Wiesengrund-Adorno in Werk und Wirken Paul Tillichs [wie Anm. ], ), ob er nun damals schon den Namen ‚Kränzchen‘ trug oder nicht. – Hannah

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Frick sah angesichts der kulturellen Verunsicherung durch „Technik und Wissenschaft“¹⁶⁹ und der drohenden Zerstörung des Bürgertums und des Kleinkapitalismus als des angestammten protestantischen Milieus¹⁷⁰ drei Reaktionsmöglichkeiten seitens des Protestantismus, von denen er die ersten beiden sogleich verwarf: Abkehr von der Moderne einerseits und deren nachträgliche Sanktionierung andererseits. Stattdessen schwebte Frick (der nur zwei Jahre später der SS beitreten sollte), eine aktive und bewusste Bejahung des Säkularen vor, gespeist aus einem „protestantischen Willen zur Profanität“¹⁷¹, dessen Spezifikum darin bestehe, dass er sich als „Willen aus Gehorsam“¹⁷² gegenüber einem „Auftrag Gottes“¹⁷³ verstehe: und zu eben dieser Position erhoffte Frick sich nun einen Kommentar der Frankfurter. Tillich, der nach Frick das Wort ergriff, formulierte das Anliegen der Theologen behutsamer, offener und dialogbereiter, indem er sich zugleich von seinen Kollegen vorsichtig distanzierte: Wir, die wir der protestantischen Kirche mit Bewußtsein angehören, trotz der Position, in der wir stehen und die ein Stehen an der Grenze ist, möchte[n] hören[,] und zwar in absoluter Radikalität, ohne jede Hemmung[,] was die andern, die nicht so unmittelbar im Protestantismus stehen, […] daß die uns sagen, was sie auf dem Herzen haben in Bezug auf den Protestantismus. Wir wollen wissen, wie wir, die protestantische Kirche einschließlich derer, die an der Grenze stehen, im Bewußtsein, im geistigen und gesellschaftlichen Bewußtsein der gegenwärtigen Gesellschaft, säkularen Gesellschaft dastehen.¹⁷⁴

Die dann folgende Diskussion – die insgesamt als Experiment einer ‚Begegnung‘ betrachtet werden kann, ganz wie Tillich sie liebte – zeigt die Zurückhaltung, wenn nicht gar das Befremden sowohl der Angehörigen des Instituts für Sozialforschung als auch des Soziologen. Karl Mannheim wies den Gedanken eines möglichen Beitrags des Protestantismus zur Gestaltung der Gegenwart unverhohlen zurück, weil religiöse Gehalte „nur in traditioneller Sprache“¹⁷⁵ bzw. Form

Tillich, Ich allein bin (wie Anm. ),  (über die Frankfurter Zeit): „[…] Karl Mannheim und seine Frau Julia gehörten zu unseren Freunden […].“ – : „Zusammen mit Grimme, Adolf und Karl Mannheim waren wir nach Sils Maria gefahren.“  EW VI, .  So eine Wortmeldung von Martin Dibelius, EW VI, .  EW VI, .  Ebd.  Ebd. – Vgl. auch das Statement Martin Dibelius’, EW VI, : „[…] das Positive [scil. des Protestantismus] liegt eben gerade darin – und das unterscheidet ihn vom Katholizismus –, daß hier mit der Welt ganz ernst gemacht wird, ohne daß der Anspruch erhoben wird, eine heilige Welt innerhalb dieser Welt zu schaffen oder dagegenzusetzen.“  EW VI,  f.  EW VI, .

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gefasst werden könnten und jede vergangenheitsverhaftete Form den Blick auf die Gegenwart zwangsläufig verstelle. In einer späteren Wortmeldung wurde er deutlicher, wobei er sogar Tillichsches Vokabular anklingen ließ: „Wenn es einen Gott gibt und der mich wirklich etwas angehen soll, dann kann es im Sinn der Erfahrungsmodi nur ein persönlicher Gott sein. […] Ich kann mit diesem spiritualisierten Gott nichts anfangen.“¹⁷⁶ Zugleich aber machte Mannheim geltend, dass ein solches Erleben „nur ein[em] Mann aus dem Mittelalter“¹⁷⁷ möglich sei; in seiner heutigen Form artikuliere es sich als ein phänomenologisch exakt beschreibbares „Zurückgeworfensein auf meine Einsamkeit, auf den Quellpunkt in mir, der aus mir heraustritt, ekstatisch ist“¹⁷⁸. Trotz dieser Absage an Religion räumte der diesbezüglich offenbar sensible Mannheim zugleich bereitwillig ein, dass die Problematik der Industrialisierung und der Ökonomisierung unter anderem darin bestehe, dass der Reichtum an Arten der ‚Begegnung‘ zwischen Menschen, die „in der religiösen Welt unglaublich reichhaltig und registriert“¹⁷⁹ gewesen seien, dadurch drastisch verringert zu werden drohe, dass Begegnungen in – als solche berechenbare – ‚Reaktionen‘ verwandelt würden.¹⁸⁰ Etwas anders, jedoch ebenso ablehnend fiel die Antwort der marxistischen Fraktion aus. Der unbestechliche Horkheimer weigerte sich zunächst, die seitens der Theologen gestellten Ausgangsdiagnosen eines gegenwärtigen ‚Trümmerfeldes‘ und einer allgemeinen ‚Not‘ überhaupt zu akzeptieren, denn „der Kapitalismus ist kein Trümmerfeld, im Gegenteil, er schickt sich an, eine Welt einzurichten […], in eine neue Phase zu treten“¹⁸¹; und die ‚Not‘ sei kaum für alle Menschen dieselbe, denn es handele sich zunächst schlicht um eine ökonomische Not: „Die Menschen sind von viel realeren und brutaleren Dingen gequält, […] dies Leid, dies materielle, materialistische Leid der Menschen ist es zunächst, was mich quält heute“¹⁸². Zugleich hätten sich die psychologischen Bedürfnisse dahingehend gewandelt, dass „die Menschen für ganz andere Dinge heute sterben als für Protestantismus und Religion.“¹⁸³ Friedrich Pollock sekundierte, dass die Beschäftigung mit Religion ein Privileg sei, das ein gesichertes Einkommen voraussetze: Es handele sich um „eine Frage, die ein paar Menschen angeht, sechs oder sieben Prozent aller Erwerbstätigen, deren

       

EW VI, . EW VI, . Ebd. Ebd. Vgl. EW VI,  f. EW VI, . Ebd. EW VI, .

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Einkommen über dreitausend Mark beträgt. Die 63 Prozent, deren Einkommen unter 1200 Mark liegt, beschäftigen sich gar nicht damit“¹⁸⁴. In den allerärmsten Schichten wiederum speisten sich die religiösen Impulse „aus der Situation von Menschen […], die als bestes hoffen können, acht Stunden wieder eingestellt zu werden, etwas für sie Sinnloses zu tun, und das ist das Höchste, was sie sich denken können“¹⁸⁵: Ob eine solche Verzweiflung „befriedigt werden kann durch die Lehre des Protestantismus, da habe ich einige Zweifel.“¹⁸⁶ „Was tut sie [scil. die Religion] konkret? Alles, was gesagt wurde, sind zu Herzen gehende Dinge für Menschen, deren Mägen einigermaßen gefüllt sind.“¹⁸⁷ Dasselbe Argument hätte sich zwar mit Fug und Recht auch gegen die marxistische Theorie und die Soziologie bzw. gegen deren Vertreter selbst erheben lassen können, doch die Anwesenden schienen sich ihrem Selbstverständnis nach dadurch gerechtfertigt zu fühlen, dass sie, wie Mannheim es formulierte, als „Vorposten“¹⁸⁸ des Proletariats fungierten bzw. als Repräsentanten einer anzustrebenden höheren Entwicklungsstufe des Menschseins. Die beiden Zentralvorwürfe Pollocks aber lauteten, dass erstens den Theologen als solchen die gegenwärtige Situation gar nicht zugänglich sei, weil dazu „Ausflüge ins Soziologische nötig sind“¹⁸⁹, und dass zweitens das Bestreben, praktische karitative Hilfe einzurichten, „mir unter anderm vielleicht die gar nicht gewollte Funktion zu haben [scheint], die heutige Situation zu  EW VI, .  Ebd.  Ebd.  EW VI,  f.  So Karl Mannheim, EW VI,  f.: „Die  Prozent (die Worte Masse und Elite sind falsch), diese kleine Zahl, die schicksalhaft geworden ist aus einem soziologischen Prozeß, hat und kann sich legitimieren. Sie hat heute keine Legitimation,wenn sie sich nicht von den übrigen her versteht,wenn sie nicht weiß, daß sie ein repräsentatives Leben für andere lebt, – ob man das nun in der aristokratischen Form tut mit Kultiviertheit oder in der ‚Seelenvertiefung‘ – in dem Sinne, daß man diese Mußezeit statt zum Tanz ausnützt zum Erreichen anderer seelischer Schichten – das ist eine repräsentative Funktion, deren man sich nicht zu schämen braucht, in dem Bewußtsein, daß sich darin ein Menschentum formiert, in das alle,wenn sie höheres Einkommen haben, auch kommen können.Wenn man sich das so vorstellt, ist es klar, daß man nur ein Vorposten ist, der früher mit bestimmten Problemen fertig zu werden hat, die andere auch mal erreichen werden. Dieses soziale gute Gewissen kann ich mir leisten, wenn ich das andere ernsthaft mitmache. […] Man muß Mut zu seiner Situation haben, denn sie ist eine Vorpostensituation.“ – Ähnlich übrigens Tillich  über die Aufgabe der Beamtenschaft in seiner Rede vor der Verwaltungsakademie Dresden, „Die Bedeutung der Gesellschaftslage für das Geistesleben“, in: GW II,  – , hier : „Auch das Beamtentum ist eine solche Gesellschaft, die einst nicht war und vielleicht einst nicht mehr sein wird. Auch sie hat ihre besonderen Formen des Geistigen. Zugleich aber ist sie verantwortlich für alle. Und darum ist es ihre Aufgabe, über sich und ihre besonderen Formen hinauszublicken, die Fülle des Geistes und seiner Gestalten zu sehen, und den Einzelnen in seinen Anschauungen und seiner geistigen Haltung zu verstehen aus der Gesellschaftslage, der er entstammt.“  EW VI, .

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verwischen. Dadurch diskreditiert man die eigentlichen Motive, seien sie noch so anständig und christlich.“¹⁹⁰ Es entbehrt nicht der Ironie, dass ausgerechnet der Bürgerliche Foerster diesem Aufruf zur sozialpolitischen Zurückhaltung, wenngleich aus ganz anderen, nämlich theologischen, Gründen, vermutlich zugestimmt hätte, hatte er doch fünf Jahre zuvor in einer Universitätsansprache zum 55. Reichsgründungsjubiläum unter dem Titel „Deutscher Glaube“ darauf insistiert, „daß es […] einziger Beruf“ der „deutsche[n] evangelische[n] Kirche“ sei, „Verkündigerin des Evangeliums, Hüterin und Pflegerin des Glaubens zu sein, daß ihr aber nicht befohlen ist, alle Händel der Welt zu schlichten und alle Übel des Erdkreises zu heilen, daß ein solches Unterfangen einen überheblichen Optimismus voraussetzt, dem unsere nüchterne Sachlichkeit widerspricht […].“¹⁹¹ Noch radikaler schließlich argumentierte Wiesengrund-Adorno, der wie Horkheimer die Sicht auf die Profanität als auf ein ‚Trümmerfeld‘, das der Rettung durch das Religiöse bedürfe, zurückwies und gegen Tillichs Programm einer dialektisch-wechselseitigen Bezogenheit von Protestantismus und Profanität einwandte, dass „die Forderung der Entmythologisierung“ nicht mehr von der Seite der Religion aus erhoben zu werden habe, sondern bereits selbst „vollständig in die Profanität übergegangen ist“¹⁹², mit anderen Worten: dass die Religion sich durch den Vollzug ihrer eigenen Forderung überflüssig gemacht habe (dies ein Vorläufer der Gogartenschen Säkularisierungsthese). Ich könnte mir vorstellen, daß die Funktion des Protestantismus sich in diesem entscheidenden Moment tatsächlich geschichtlich zugleich erfüllt und erschöpft hat, daß diese Überführung des Gemeinten in die profanen Kategorien gelungen ist, daß die Forderung der Entmythologisierung vollständig in die Profanität übergegangen ist. Wenn das der Fall ist, könnte es möglich sein, daß die theologischen Kategorien selber, soweit sie noch verbleiben, nichts anderes sind als Hülsen, leere Hülsen, von vergangenen geschichtlichen Stadien dieses Entmythologisierungsprozesses, die heraufgeholt werden in Absichten, die ich nicht durchweg als gut bezeichnen kann.¹⁹³

 Ebd.  Foerster, Deutscher Glaube (wie Anm. ), . – ‚Sachlichkeit‘ konnte auch Tillich empfehlen, aber in ganz anderer Konnotation als Foerster, GW II,  („Klassenkampf und Religiöser Sozialismus“, zuerst ): „Sachlichkeit nimmt die Sache so, wie sie in sich ist, sie tut nichts hinzu, und sie nimmt nichts hinweg, sie bläht nicht auf, und sie vergewaltigt nicht. Sie ist Gehorsam gegen die innere Notwendigkeit dessen,was ist, aber sie sucht die innere Notwendigkeit in der letzten Schicht des Seins, für die sie nur den Namen hat: ‚Jenseits des Seins‘.“ In Anbetracht des Umstands, dass eine solche Suche für Tillich die genuine Angelegenheit des Glaubens ist, muss es als konsequent erscheinen, dass Tillich auch von ‚gläubiger Sachlichkeit‘ ( und ) spricht.  EW VI, .  Ebd.

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Die Begegnung endete im Zerwürfnis. Die hartnäckige Frage Horkheimers, die ins Herz des religiösen Sozialismus zielte,¹⁹⁴ nämlich ob der Mensch wirklich die Religion benötige, um „mit anderen an der Verbesserung der Welt“¹⁹⁵ zu arbeiten (Tillich hätte vielleicht formuliert: um ein sinnerfülltes Leben zu führen), und was der Mensch gewönne, wenn er diese Arbeit unter Verweis auf einen ‚Auftrag‘ durchführe, blieb unbeantwortet. Horkheimer konnte nicht ahnen (oder vielleicht ahnte er es doch), dass die Gedankenfigur vom göttlichen Auftrag zur Bejahung der Profanität, weit entfernt davon, ohne Konsequenzen zu bleiben, nur zwei Jahre später unheilvolle Wirkung unter den Deutschen Christen entfalten sollte. Wiesengrund-Adorno argwöhnte, der Protestantismus bleibe aufgrund seiner letztlich christologisch motivierten Unterscheidung von Welt und Himmelreich motivationalen Einschränkungen im Blick auf seine irdischen Eingriffsmöglichkeiten unterworfen. Der (einigermaßen zynisch klingenden) Befürchtung Fricks, der Mensch könne durch christliche Sozialpolitik sediert werden und, seiner Bestimmung zuwider, verlernen, Hoffnungen zu hegen, setzte Wiesengrund-Adorno die Weigerung entgegen, anthropologische Festlegungen essentialistischer Art zu treffen: „Der bloß rationale, atomisierte, sinnlose Mensch scheint wesentlich gebunden zu sein an die Bedingung des abstrakten wahren Kalküls, unter dem gerade das kapitalistische System steht, und über die Form, die das Wesen Mensch annehmen kann in einer richtig organisierten Gesellschaftsform, kann man nichts sagen.“¹⁹⁶ An dem vorvorletzten und dem vorletzten notierten Votum des Gesprächs fällt auf, dass die beiden Redner, Frick und in der Reaktion auf ihn WiesengrundAdorno, plötzlich statt zum ‚Ich‘ zum ‚Wir‘ greifen, das zuvor schon bei Tillich festzustellen ist,¹⁹⁷ dass also eine Frontenbildung eingetreten war, obschon geraume Zeit zuvor Frick durchaus nicht hatte „zugeben“ können, „daß die psychologische Situation des Gespräches so wäre, daß wir zwei Lager wären.“¹⁹⁸ Frick beendete seine vorletzte Einlassung mit dem Vorwurf: „Ihre ganze falsche Anthropologie haben Sie, weil Sie nicht an Gott glauben, würde ich sagen.“¹⁹⁹ Und

 Vgl. dazu Tillich in GW II,  („Klassenkampf und Religiöser Sozialismus“, zuerst ): „Die Kritik des religiösen Sozialismus arbeitet ja gerade darauf hin, das utopische Element des Sozialismus zu überwinden, nicht zugunsten eines resignierten Fortschrittsdenkens, sondern zugunsten einer Aufnahme der Linie nach oben in die Linie nach vorn. Der Sozialismus muß erkennen, daß in der Sphäre des Menschlichen Sinnerfüllung des Menschlichen nicht möglich ist. Sinnerfüllung ist nur gegeben als jeweiliges Hereinbrechen des Seins-Jenseits in das Widerspiel von Sein und Freiheit.“  EW VI, .  EW VI, .  Vgl. EW VI, .  EW VI, .  EW VI, .

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Wiesengrund-Adorno konterte: „Wir haben nichts von Gott gesagt, sondern von der Auffassung des Menschen.“²⁰⁰ Kurz darauf bricht das Protokoll ab. Tillichs Vermittlungsversuch war gescheitert.

5 Religiöser Sozialismus vs. sozialer Kapitalismus Obwohl (oder vielleicht gerade weil) Foerster an dem ‚Frankfurter Gespräch‘ nicht beteiligt war, ist dieses doch geeignet, die wohl grundsätzlichste Differenz zwischen Foerster und Tillich zu markieren. Sie bestand darin, dass Tillich bekanntlich den religiösen Sozialismus propagierte, während Foerster ein Modell empfahl, das er 1924 mit einem Ausdruck offenbar eigener Prägung ‚sozialen Kapitalismus‘ nannte und das ungefähr dem entspricht, was heute als ‚soziale Marktwirtschaft‘ bekannt ist. Mit wirtschaftsethischen Fragen hatte Foerster sich bereits seit geraumer Zeit beschäftigt; das konnte in einer (damals noch) reichen Handelsstadt wie Frankfurt vielleicht auch nicht ausbleiben, zumal der Brückenschlag von Foersters eigentlichem Thema aus, dem Verhältnis von Kirche und Staat, nahelag und Foerster überdies durch den Kontakt zu Martin Rade und im Rahmen seiner Tätigkeit für die Christliche Welt mit sozialen Fragen konfrontiert worden war. Doch „[d]er Versuchung, mich der damals von Friedrich Naumann, dem Vereinsgeistlichen für Innere Mission und Schwager Rades, hervorgerufenen Christlich-Sozialen Bewegung zu betätigen, mußte der Sohn eines alten preußischen Beamtenhauses widerstehen.“²⁰¹ Erst gegen Ende seines Lebens sollte Foerster, aufgrund seiner Erfahrungen kurz nach Kriegsende, von seiner bisherigen bürgerlichen Orientie-

 Ebd.  Foerster, Lebenserinnerungen (wie Anm. ), . – Siehe auch  f.: „Ich hatte mich einige Wochen zuvor [scil. ] durch Rade bestimmen lassen, der neugebildeten Demokratischen Partei beizutreten, – in der Meinung, daß sich einer drohenden Überflutung durch die sozialistische, immer mehr unter den Einfluß der Radikalen gelangende Arbeiterschaft eine bürgerliche, nämlich alle bürgerlichen Parteien, deren Programme ja durchweg veraltet waren, umfassende Partei entgegenstellen müsse, und daß dies eben die Demokratische sein solle. Die nächsten Monate brachten doppelte Enttäuschung. Die Demokratische Partei vermochte nicht, die bürgerlichen Parteien zu einen, vielmehr blieben diese alle nur unter anderen Namen bestehen, – und sie stellte sich nicht den Sozialisten entgegen, sondern nahm mit ihnen gemeinsam den Kampf gegen Rechts, das heißt, gegen eine damals gar nicht bestehende Reaktionsgefahr auf. Wie vorauszusehen, geriet sie damit ins Kielwasser der der [sic!] viel stärkeren sozialdemokratischen Partei. Ich fühlte mich bald sehr unbehaglich in ihren Reihen und bin auch schon im Herbst  wieder ausgetreten.“

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rung vorsichtig Abstand nehmen: „Sehr unangenehme, aber lehrreiche Erfahrungen haben wir in den Tagen der Wohnungssuche gemacht, welche Herzenshärtigkeit besitzende Leute haben und was für Listen und Schliche sie anwenden, um einer Belastung durch Untermieter zu entgehen, auch wenn sie Häuser oder Wohnungen mit überzähligen Zimmer[n] bewohnen. Ich bekomme immer mehr Lust, in Zukunft (soweit es eine solche überhaupt und für mich gibt) politisch nicht mehr in einer Partei der Besitzenden, sondern in einer von verständigen Arbeitern Mitglied zu werden.“²⁰² Wie auch immer: Grundlinien seiner späteren Schrift von 1924 sind bereits in einem Frankfurter Vortrag Foersters aus dem Jahre 1911 – zu dieser Zeit absolvierte Tillich sein Lehrvikariat im friedlichen Nauen – erkennbar. Zunächst zeichnet Foersters Ansatz aus, dass er die Armutspredigt Jesu als Herausforderung ernst nimmt, und zwar als Herausforderung an den einzelnen anstatt (dies im Unterschied zu Tillich) an die Gesellschaft insgesamt: Es ist unerträglich, sie [scil. die Worte Jesu] dahin abzuschwächen, als habe Jesus nur die innerliche Freiheit von Geld und Gut gemeint, als genüge man diesen Forderungen, wenn man zwar Äcker, Grundstücke, Häuser, Kapital hat, aber dabei behauptet, daß einem alle diese Dinge im Grunde gleichgültig und unwichtig seien. Als ob einer unter uns wäre, der dies beides mit innerer Wahrhaftigkeit vereinigen könnte. […] Nein, man kann diesen herben, mächtigen Worten Jesu nicht dadurch entrinnen, daß man sie entleert und umdeutet.²⁰³

Im zweiten Argumentationsschritt spricht Foerster im Sinne einer Bestandsaufnahme deutlich aus, dass „unsre Stellung zu Erwerb und Besitz, wie zu Recht, Staat und Familie, […] in der Tat eine andere geworden [ist], als die Jesu war“²⁰⁴. Im dritten Schritt schließlich entscheidet er die sich auf diese Weise ergebende ethische Option zwischen der neutestamentlichen Armutsforderung einerseits

 A.a.O., .  Erich Foerster, „Unsozial?“, in: Wilhelm Bornemann, Erich Foerster, Hermann Schuster und Willy Veit, Die Kirche im Gerichte ihrer Gegner. Vier Vorträge, gehalten in Frankfurt am Main (Frankfurt am Main: Moritz Diesterweg, ),  – , hier . – Vgl. Erich Foerster, „Christentum und Politik“, in: Wilhelm Bornemann, Erich Foerster, Hermann Schuster und Willy Veit, Darf die Religion Privatsache bleiben? (Frankfurt am Main: Moritz Diesterweg, ),  – , hier : „Es [scil. das Christentum] schenkt uns keine politischen Programme, aber es erzieht uns die politischen Persönlichkeiten. Politische Programme und Parteibildungen sind wie Blätter, die der Wind verweht, sie altern wie ein Kleid. Und auch an mangelhaften Programmen stirbt kein Volk. Aber ohne politische Persönlichkeiten, die bereit sind, ihr Ich für das Volk zu opfern, und [sich] ihrer Verantwortlichkeit vor Gott bewußt sind, müßte es zerfallen.“  Foerster, „Unsozial?“ (wie Anm. ), .

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und den Anforderungen des heutigen Wirtschaftslebens andererseits²⁰⁵ zugunsten der letzteren, und zwar mit Hilfe zweier theologisch wohlvertrauter Argumente, eines historischen und eines systematischen. Erstens: Die historische Voraussetzung, unter der die Armutspredigt Jesu gestanden habe, die Naherwartung Jesu nämlich, habe heute ihre Geltung eingebüßt, indem sie durch die „Schätzung und Wertung der Kulturbewegung und damit auch der wirtschaftlichen Tätigkeit in der Menschenwelt“²⁰⁶ abgelöst worden sei. Zweitens: Die christliche Freiheit erlaube die Gestaltung der Lebenswelt nach dem Urteil des eigenen Gewissens. Auf diese Weise nehmen Kultur und damit auch Wirtschaft für Foerster Mittelanstatt Zweckcharakter an: Sie sind Instrumente im Blick auf die – zumal vom Protestantismus angestrebte – Persönlichkeitsbildung des jeweils einzelnen. Da die Möglichkeit einer solchen Persönlichkeitsbildung wiederum von notwendigen Bedingungen abhängt, haben Kultur und Wirtschaft (bzw., wie man hinzufügen müsste, Recht) die Erfüllung dieser Bedingungen zu gewährleisten: erstens die Sicherung „einer wirtschaftlich erträglichen Existenz“²⁰⁷ für alle Menschen (dies unter Berufung auf Fichte, Schiller, Schleiermacher und Marx), zweitens die Wahrung der Menschenrechte als Freiheitsrechte des Individuums gegenüber dem Staat (dies unter Berufung auf amerikanische Autoren), drittens die Zugänglichkeit des „ganzen Reichtum[s] geistiger Bildung“ – zu dem Foerster auch den Reichtum der Religion zählt – für alle, unabhängig vom ökonomischen Status, anstatt nur für die „wenigen Begünstigten und Begüterten“²⁰⁸: „[…] wir halten die Gesellschaft für verpflichtet, die größten Schätze, die sie ererbt, die ihr die Einsamen und Einzelnen hinterlassen haben, nicht nur zu hüten, sondern auch allen Begehrenden zugänglich zu machen und Einrichtungen zu treffen, die der Lernbegierde, der künstlerischen Anlage und – ich kann es nicht anders sehen – auch dem religiösen Verlangen jedes ihrer Glieder Nahrung und Pflege zuführen.“²⁰⁹ In seiner späteren Schrift über den ‚Sozialen Kapitalismus‘ aus dem Jahre 1924, für die er Anregungen von dem ebenfalls zum ‚Kränzchen‘ gehörigen Henry Oswalt empfangen hatte,²¹⁰ vertritt Foerster offensiv die Auffassung, das einzige  A.a.O., : „Als ob nicht das moderne Wirtschaftsleben so anspruchsvoll wäre, daß niemand darin bestehen kann, der nicht ein gut Teil seiner Gedanken, seines Wollens, seiner Kraft und Zeit dafür einsetzte.“  A.a.O., .  A.a.O., .  A.a.O., .  Ebd.  Foerster, Lebenserinnerungen (wie Anm. ),  f.: „Ich habe auch sonst noch in diesen Jahren allerlei geschrieben und damit in die Entwicklung der Dinge einzugreifen versucht. So eine Schrift über ‚Sozialen Kapitalismus‘, eine Rechtfertigung dieses so vielgetadelten und von den Wenigsten verstandenen Wirtschaftssystems. […] Die erstere hatte ich ursprünglich dem Manne

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Wirtschaftssystem, das zumal die Erfüllung der ersten Voraussetzung zu gewährleisten in der Lage sei, bestehe im Kapitalismus: und zwar in einem solchen Kapitalismus, der erstens vollständig durchrationalisiert sei und der zweitens durch einen starken Staat so gelenkt werde, dass die erwirtschafteten Überschüsse der Allgemeinheit zugute kämen, anstatt in den Taschen einzelner zu verschwinden und dem privaten Genuss zugeführt zu werden. In dieser Position fließen offenkundig zwei Motive zusammen: zum einen ein ökonomisch-politisches, zum anderen ein ethisch-theologisches, nämlich der „Grundsatz[], daß die Ethik des Christentums eine Wirtschaftsordnung nicht verträgt, die den Schwachen dem Starken ausliefert“²¹¹. Die Option für den Kapitalismus selbst ist damit keine theologisch motivierte (dies widerspräche auch dem von Foerster betonten protestantischen Prinzip der Gewissensfreiheit²¹²), sondern sie ist, wie Foerster es gewidmet, dessen Schriften und Vorträgen (im Kränzchen) ich selbst Klarheit über die Grundlagen der Nationalökonomie verdanke, Geheimrat H. Oswalt.“  Foerster, „Unsozial?“ (wie Anm. ), . – Vgl. : „[…] soweit wir erkennen können und soweit sich die Menschennatur nicht im Grunde verändert, ist ein solcher sozialer Kapitalismus die vernünftigste Form der Wirtschaftsführung. Darunter ist aber, wie ich noch einmal stark unterstreiche, nicht nur ein von ethischen Ermahnungen geleiteter und mit allerhand sozialer Liebestätigkeit seine Blößen zudeckender Kapitalismus, sondern ein von der wirtschaftlichen Ratio völlig bezwungener Kapitalismus zu verstehen, dem durch die darüberstehende Staatsgewalt mittels neuer Rechtsordnungen auch die Möglichkeit beschränkt ist, die ihm heute noch anhaftet, den durch die Methode gewonnenen Ueberschuß des Arbeitsertrages anders als rationell, d. h. zum Besten der Nation, zu verwenden.“ –  f.: „Aber nur in einem starken Staat, unter den Händen einer allein von dem Gesamtinteresse der Nation bestimmten Zentralgewalt, ist die kapitalistische Wirtschaftsweise erträglich.“ –  f.: „Der starke Staat ist das unerläßlich notwendige Gegengewicht gegen die kapitalistische Wirtschaftsordnung.“ – : „Denn wir können den Kapitalismus nicht entbehren, er bietet uns aufs große und ganze gesehen nun einmal die Wirtschaftsweise, bei der allein der Kulturstand unsres Volkes auf seiner Höhe erhalten werden kann.“ – Vgl. auch : Staat als „Instrument des Interessensausgleichs“.  So lobte Foerster, „daß in England, sogar in der Staatskirche, in Holland, in der Schweiz, in Norwegen die Kirche tolerant genug ist, Pastoren auf ihrer Kanzel zu dulden, die der sozialdemokratischen Partei angehören“ („Unsozial?“ [wie Anm. ], ). – A.a.O., : „Wir Deutschen sind immer noch ein politisch junges und unerzogenes Volk, wir behandeln auf allen Seiten politische und sozialpolitische Meinungsunterschiede als Sünden, die auch die gesellschaftliche menschliche Beziehung zerstören; wir sind noch weit entfernt von jener wundervollen bürgerlichen Toleranz der Engländer, die sich wahrlich auf den politischen Kampf verstehen, aber innerhalb ihrer Kirchen und Gemeinden in dem schärfsten politischen Gegner nur den Menschen und Bruder sehen und es als unfair empfinden würden, in kirchlichen Fragen nach der politischen Farbe auch nur zu fragen.“ – Vgl. auch Foerster, Sozialer Kapitalismus, : „Die sozialistische Wirtschaftsordnung ließe sich genau ebenso von der Selbstsucht mißbrauchen wie die kapitalistische.Wenn dort der Mensch versucht ist, zuviel von dem allgemeinen Arbeitsertrage für sich zu rauben, so hier, zu wenig eigene Arbeit zum gemeinen Nutz beizusteuern. Das Instrument ändert nichts am ethischen Wert des Menschen, nur an seiner Leistungsfähigkeit. Der Zweifel muß in

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wohl betrachtet hätte, eine fachwissenschaftlich begründete, die damit allerdings zugleich beansprucht, sich auf ein quasi-naturhaft Vorgegebenes, auf eine anthropologisch-ökonomische Gesetzmäßigkeit nämlich, zu beziehen. Theologisch motiviert ist lediglich die Forderung, das ökonomisch als richtig, das heißt als effizient, Erkannte sodann im Sinne einer christlichen Ethik sozialverträglich auszugestalten, sowie das quasi-naturhaft Vorgegebene, nämlich das Erfordernis einer vernünftigen wirtschaftlichen Vorsorge zur Vermeidung von Not (sowohl der eigenen wie derjenigen anderer), als Ausdruck des göttlichen Schöpferwillens zu akzeptieren: ähnlich wie beispielsweise die Sexualität.²¹³ Auch ein noch so knapper Seitenblick auf Tillichs Schriften zum religiösen Sozialismus zeigt bereits, wie weit beide Autoren nicht nur im Blick auf die inhaltliche Entscheidung zwischen Sozialismus und Kapitalismus als solche voneinander entfernt sind, sondern auch schon im Blick auf die Begründungsfiguren bzw. den Ausgangspunkt der Argumentation. In der Frankfurter SozialpädagogikVorlesung Masse und Geist entwickelt Tillich seine Kapitalismuskritik von der Gedankenfigur der ‚Begegnung‘ aus, die er als Begegnung zwischen Person und Person und Begegnung zwischen Person und Sache differenziert: Beide Arten der

jedem besinnlichen Menschen vergehen in dem Feuer der Dankbarkeit dafür, daß wir von den Früchten der Bäume essen, die Väter und Ahnen gepflanzt und gehegt haben.Wir sind ja doch alle Rentenbezieher. Auch der Aermste ist es. Er lebt davon, daß sie kein vermeintliches Recht auf den vollen Arbeitsertrag geltend gemacht haben, daß sie sich einen Teil ihres Arbeitsertrages abgeköpft haben oder haben abköpfen lassen für uns.“  f.: „[…] der Kapitalismus […] ist […] mittlerweile zu einer Macht aufgestiegen, im Vergleich mit der seine Macht in der Vorkriegszeit wie ein Kinderspiel erscheint […]. […] In den Völkern Westeuropas aber, in den Vereinigten Staaten und vor allem auch in Deutschland steht er heute […] da […] als der Herr, vor dessen Machtanspruch alle andern Anliegen und Bedürfnisse ins Nichts zurücksinken und der die Millionen zur Unterwerfung unter sein Diktat zwingt. Er steht im Begriff, ihm längst entrissene Wirtschaftsgebiete wieder an sich zu reißen und die Fesseln der sozialpolitischen Gesetzgebung abzuschütteln. Heute fordert die Lage vielmehr, von den Gefahren zu reden, die dieser Hochsteigerung des Kapitalismus innewohnen, und nach Schranken zu suchen, die uns vor der Tyrannis des Mächtigen bewahren.“ : „Dieser Wechsel der Lage aber – zeigt er nicht zugleich an, daß es ein gleichbleibendes Urteil über den Kapitalismus, ein unbedingtes Ja oder Nein dazu gar nicht geben kann? Daß es für das sittliche Urteil ganz wesentlich darauf ankommt, in was für konkreten Situationen es gefordert wird? Das ist in der Tat meine Meinung. […] Die Frage, welches die sittlich gebotene Wirtschaftsform ist, ist sinnlos. Sie muß so gestellt werden, ob es Umstände gibt, die uns zur Pflicht machen, kapitalistisch zu wirtschaften, oder umgekehrt.“  Dementsprechend ist für Foerster Nationalökonomie die Wissenschaft von den „Gesetzen der wirtschaftlichen Betätigung“ (a.a.O., ), die, wenn man sich zu ihnen in „Widerspruch“ (ebd.) setzt, zum Schaden führen. – Vgl. a.a.O., : „Der Kapitalismus ist kein Ideal, Gott sei Dank nicht, denn Ideale sind von unten her, Gemächte von Menschen. Der Kapitalismus ist eine Not. Indem wir ihn auf uns nehmen, tun wir unsre Pflicht, beugen wir uns unter Gott. Unsre Losung darf nicht Abschaffung des Kapitalismus sein, sondern Sozialer Kapitalismus!“ Vgl. auch a.a.O.,  – .

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Begegnung, und eben darin besteht das ethische Kriterium, werden durch den Kapitalismus korrumpiert und ihrer Sinnmöglichkeiten beraubt.²¹⁴ Insbesondere gegen einen wie von Foerster betonten Zweckrationalismus hält Tillich fest, dass „das Verhältnis von Person und Sache“ faktisch nicht nur durch „den unendlichen rationalen Machtwillen in der Wirtschaft“²¹⁵ bestimmt sei, sondern auch von Faktoren wie Eros bzw. Genuss und Macht- bzw. Herrschaftswillen: In dem Maße, in dem das Ding zur Ware werde, verliere es seine „innere[] Mächtigkeit“ und seinen „kultischen Eroswert“²¹⁶ und werde „zum Objekt des subjektiven Eros und des subjektiven Machtwillens. Der bloße Genußwille und der unendliche Herrschaftswille bemächtigen sich der Dinge, die Waren geworden sind, und unterwirft [sic!] sie sich in einem Maße, das auch die Möglichkeit innerer Erosbeziehungen aufhebt, ins Unendliche.“²¹⁷ Auf dieser Grundlage trägt Tillich seine Technik- bzw. Maschinenkritik vor, verbunden mit der (letztlich reaktionären) Forderung, dass die Maschine zwar nicht zerstört werden solle (dies wäre ein Rückfall in die sakramentale Dämonie), doch dass ihr auf der Seite des Menschen, der mit ihr umgehe, eine lebendige Persönlichkeit entsprechen müsse, die sich zur Maschine in ein erotisches Verhältnis setze: „Es kann und muß einen Mythos der Technik geben und darum auch eine kultische Weihe der technischen Produktion, wie es

 GW II,  („Die Bedeutung der Gesellschaftslage für das Geistesleben“, ): „Mit der Entwicklung des Bürgertums entsteht der Begriff des absoluten, unverantwortlichen Privateigentums. Bürgerliches Denken stellt die Gesellschaft völlig auf den Einzelnen. Wie es die Natur in Atome zerlegt und sie dann einem Gesetz unterwirft, so löst es die Gesellschaft in Einzelne auf und unterwirft sie dann dem Rechtsgesetz des Staates, dem Naturgesetz der Wirtschaft. Sowohl die alte kultische Gemeinschaftsbindung wie auch die verantwortliche Lehnbindung hört auf. Die Gemeinschaft verliert ihren heiligen, sakralen Charakter. Sie wird profan, und der Einzelne, isoliert und unverantwortlich, wird zum Baustein der Gesellschaft. Damit sind die Voraussetzungen gegeben für die Entstehung des absoluten Privateigentums, das ins Unbegrenzte vermehrt werden kann, das beliebig verwendet und beliebig vertan werden darf. Es hat keine repräsentative Bedeutung mehr. […] Das ist der bürgerliche Eigentumsbegriff, der uns so selbstverständlich geworden ist. Sein religiöser Hintergrund ist die Aufhebung jeder religiösen Bindung, die Erhebung des Einzelnen auf den Thron.“ – GW II,  f. („Sozialismus“, ): „Der ‚klassenlosen Gesellschaft‘ von Marx geben wir die positive Wendung ‚sinnerfüllte Gesellschaft‘, d. h. eine solche, in der die Lebensmächtigkeit eines jeden Einzelnen und jeder Gruppe sich verwirklichen kann, und die selbst als Ganzes ihre Macht und ihren Sinn erfüllt, den nämlich, in all ihren Formen Hinweis zu sein auf den unbedingten, tragenden, nie direkt aussagbaren Lebenssinn. Auf dem Boden der kapitalistischen Klassenspaltung ist das nicht möglich. Die eine Klasse, das Proletariat, ist von ihrem Lebenssinn abgeschnitten […].“  GW II,  („Das Problem der Macht“, ).  GW II,  („Grundlinien des Religiösen Sozialismus“, ).  Ebd. – Ebd.: „Nicht das Eigentum ist verderblich, sondern dasjenige Eigentum, das nicht zum Eigentum im Sinne innerer Mächtigkeit und Erosbeziehung geworden ist.“

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beides im Handwerk gab.“²¹⁸ Demgegenüber ist der einzige Status, den Foerster der Maschine einzuräumen gewillt ist, der eines Mittels zur Lösung der Aufgabe des Wirtschaftens, d. h. der Befriedigung menschlicher „Bedürfnisse“²¹⁹, die als solche „von allem Fortschritt der Technik unabhängig [bleibt]“²²⁰. „Unsere kapitalistische Wirtschaftsweise gebraucht die Maschine, weil und soweit sie das geschickteste Mittel darstellt, ihr Ziel zu erreichen, und nicht umgekehrt, weil die Maschine erfunden ist, verfahren wir kapitalistisch.“²²¹ Damit unterscheidet Foerster sich nicht nur von Tillich, sondern auch von Theologen wie Heinrich Frick, der, wie dessen Gegenwartsdiagnose im ‚Frankfurter Gespräch‘ zu erkennen gibt, in der Maschine offenbar primär ein Mittel menschlicher Selbstvergötzung sah: „Es gibt keinen Gott auf dieser Welt außer dem Menschen und die Maschine ist sein Prophet.“²²² Der Dissens zwischen Foerster und Tillich wurzelte letztlich in der ethischen Bewertung dessen, was interessanterweise beide gleichermaßen eine „Abweichung“²²³ nannten, eine Abweichung nämlich der zeitgenössischen Verhältnisse von der neutestamentlichen Armutsforderung Jesu. Diese ethische Bewertung fällt bei Foerster zugunsten der Verhältnisse aus, die als historisch gewachsene ihr eigenes Recht haben, bei Tillich hingegen zugunsten des Neuen Testaments. Darüber hinaus bezieht der Dissens der beiden sich aber auch auf den Status der jeweils eigenen Theorie-Option: Sowohl für Tillich als auch für Foerster besteht die Bedeutung des Protestantismus offenbar darin, eine ‚Haltung‘ oder eine Einstellung einzunehmen, und weder für Tillich noch für Foerster schließt diese Haltung den Anschluss an eine individuelle Partei oder die Bejahung eines konkreten Programms ein.²²⁴ Aber während für Foerster keinerlei intrinsisch notwendiger Zusammenhang zwischen Protestantismus einerseits und Kapitalismus oder So-

 A.a.O., . – Zur politischen Einordnung Tillichs siehe Stefan Vogt, „Die Sozialistische Entscheidung: Paul Tillich und die sozialdemokratische Junge Rechte in der Weimarer Republik“, in: Internationales Jahrbuch für die Tillich-Forschung, Bd. , Religion und Politik, hg. Christian Danz, Werner Schüßler und Erdmann Sturm (Wien und Berlin: LIT, ),  – , hier : „Er [scil. Tillichs religiöser Sozialismus] schien eine Synthese von Sozialismus und politischem Irrationalismus zu ermöglichen und damit ein politisches Projekt, in dem die Ideen der Jugendbewegung und des romantischen Nationalismus innerhalb der Sozialdemokratie zur Wirkung gebracht werden konnten.“  Foerster, Sozialer Kapitalismus, . .  A.a.O., .  A.a.O., .  EW VI, .  Foerster, „Unsozial?“ (wie Anm. ), ; EW VI, .  GW II,  („Grundlinien des Religiösen Sozialismus“, ): „[…] innerpolitisch kann eine parteiliche Festlegung für ihn [scil. den religiösen Sozialismus] nicht in Betracht kommen.“

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zialismus andererseits besteht, weil die Haltung des Protestantismus die der freigestellten Wahl ist, hält Tillich Protestantismus und Kapitalismus für schlechterdings unvereinbar, weil aus dem prophetischen Geist des Protestantismus und zugleich des Neuen Testaments heraus der Kapitalismus, indem er das Proletariat der Möglichkeit eines sinnerfüllten Lebens beraubt und dabei beansprucht, ökonomisches Heil zu bringen, nur als ‚dämonisch‘, als lebenszerstörerisch, beurteilt werden kann: „Im Neuen Testament wird nichts über den Kapitalismus gesagt, aber in ihm sind Prinzipien enthalten, die das kapitalistische System unter dem prophetischen Aspekt eindeutig als dämonisch erscheinen lassen, so daß eine Entscheidung für das kapitalistische System eine für den ganzen Protestantismus schuldige Abweichung von der ihm immanenten Norm erscheinen läßt.“²²⁵ Es ist vielmehr der Sozialismus, in dem Tillich die einzig legitime Form eines sich unter den ökonomischen Bedingungen der Moderne transformierenden Protestantismus sieht: „[…] der religiöse Sozialismus [hat] die Aufgabe, die Sache ‚Religion‘ und die Sache ‚Sozialismus‘ in einer solchen Tiefe zu zeigen, daß ihre Einheit offenbar wird […].“²²⁶ – Freilich darf die theoretische Positionierung Tillichs nicht darüber hinwegtäuschen, dass Tillich in seiner Person alles andere als einen proletarischen Lebensstil oder proletarischen Umgang pflegte²²⁷ und nach der Machtergreifung nicht zögerte, seine finanziellen Ansprüche gegenüber dem Staat unter anderem mit der Notwendigkeit einer „standesgemäße[n] Erziehung“²²⁸ seiner Tochter zu begründen. Aus alldem ergibt sich zuletzt ein Dissens über die Aufgabe der Kirche. Entsprechend der erforderlichen Voraussetzungen für die Bildung der einzelnen Persönlichkeit, auf die der Protestantismus wesentlich abziele, muss nach Foer EW VI, .  GW II,  („Klassenkampf und Religiöser Sozialismus“, zuerst ).  Vgl. Hammerstein, Stiftungsuniversität (wie Anm. ), : „Gemeinsam war diesen und weiteren Mitwirkenden des Instituts, daß sie aus solchen Familien kamen, die keinerlei Verbindung zur älteren Arbeiterbewegung oder gar zu Arbeitern persönlich hatten, aber dennoch größte Hoffnungen auf den Marxismus setzten und von ihm eine Überwindung der dekadenten bürgerlichen Gesellschaft erwarteten.“ – : „Nicht zuletzt die Herkunft aus jüdischen Elternhäusern hatte sie alle – vielleicht nicht einmal sehr bewußt – sensibel für solche Erfahrungen einer Entfremdung, der Brüchigkeit zudem der bürgerlich scheinbar so geordneten Gesellschaft sein lassen. Sie hatten alle aber keine unmittelbare Anschauung oder auch nur direkte Kenntnisse konkreter, ökonomischer, gesellschaftlicher Verhältnisse oder deren Wissenschaften. Die Ausnahme bildete […] Pollock.“  Universitätsarchiv Frankfurt am Main, Abt. , Nr. , Blatt v. – r (Schreiben Tillichs an das Berliner Ministerium für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung vom . Juni  von New York aus): „Ich besitze keinerlei Vermögen, ebensowenig meine Frau. Wir sind ausschliesslich auf die mir bewilligte Pension angewiesen. Von ihr hätte ich zu bestreiten nicht nur die standesgemäße Erziehung meiner Tochter, sondern auch diejenigen Ausgaben, die notwendig sind, wenn ich meine grossen Arbeiten auf theologischem und philosophischem Gebiet zum Abschluss bringen will.“

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ster die Kirche, „wenn es ihr ernst ist mit dem Glauben, den sie bekennt, auf eine Steigerung der wirtschaftlichen Lage, der Menschenrechte und der Allgemeinbildung hinwirken“²²⁹, und zwar in der Funktion einer „Gesinnungsbildnerin“²³⁰ und Willensbildnerin (oder, wie wir heute sagen würden, als Meinungsmacherin) per „Rede, Schrift und Presse“²³¹, und auch dies nur in der Rolle einer Gesinnungsbildnerin unter anderen: nämlich „eine[r] Gesinnungsbildnerin des ihr anhängendes [sic!] Volksteiles“²³². Die naheliegende und ebenso für Tillich bestehende Frage, ob „die Kirche auch unmittelbar in die sozialen Kämpfe eingreifen solle“²³³, wird von dem Reformierten und Liberalen Foerster nachdrücklich verneint, und zwar unter Verweis (erstens) auf den protestantischen Kirchenbegriff bzw. die Kirchenverfassung sowie (zweitens) interessanterweise auf die ausdifferenzierte Gesellschaft: Wer von unserer Kirche verlangt, sie solle Führerin und Gesetzgeberin in der sozialen Bewegung sein, der müßte ihr zuerst alles das zurückgeben, worauf sie in der Reformation verzichtet hat und was anderen Ständen zugefallen ist. Er müßte ihr den Kirchenfürsten zurückgeben mit politischer Machtstellung, mit fürstlichen Rechten und Einkünften, er müßte ihr das Recht der Zensur geben und die Gewalt, unbotmäßige Einzelne und Richtungen verdammen zu können, er müßte dem Kirchenfürsten zur Seite stellen eine Kurie von Staatsmännern und Nationalökonomen, er müßte ihr die politische Gefolgschaft der Majorität des Volkes sichern.Wollen wir eine solche Kirche nicht, weil wir eingesehen haben, daß dieses System zur Knechtung der Geister und der Gewissen und zur Veräußerlichung des

 Foerster, „Unsozial?“ (wie Anm. ),  f.  A.a.O., . – : „Meines Bedünkens hängt unendlich viel davon ab, ob die soziale Reform vom christlichen Volke und gerade auch von den herrschenden Ständen als Gewissenssache empfunden wird. Denn so ungeheuer verwickelt und schwierig die technischen Fragen auf diesem Gebiete sind, der schwerste Widerstand erwächst der Reform sicherlich nicht aus der Technik, sondern aus dem Mangel an gutem Willen. Wo ein Wille ist, da ist auch ein Weg! Eben diesen Willen zu wecken, zu bilden, zu stärken, ist die Aufgabe der Kirche. […] Sie soll um Verständnis werben für diese größte Bewegung unserer Zeit, die Augen öffnen für die gewaltigen Aufgaben, die sie stellt.“  Ebd.  A.a.O.,  f.  A.a.O., . – Ebd.: „Bürgerliche Sozialreformer haben die evangelische Kirche wohl mit der katholischen verglichen und ihr deren größere Aktivität zum Exempel vorgehalten. Konservative haben von ihr die Bekämpfung der Sozialdemokratie verlangt, Sozialisten die Anerkennung ihres Programms. Auf diese Zumutungen möchte ich mit einem entschiedenen ‚Nein‘ antworten, und zwar aus dem einfachen Grunde, weil es eine Kirche, die dazu imstande und verpflichtet wäre, auf dem Boden des Protestantismus nicht gibt. Diese Forderung mag der Katholik an seine Kirche stellen, in der er die eigentliche christliche Organisation der Menschheit sieht, deren Beruf es ist, alles was christlich geboten ist, zu realisieren, und neben der Staat, Wissenschaft, politische Parteien usw. nur als dienstwillige Handlanger in Betracht kommen.“

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Christentums führt, so können wir auch von unserer Kirche nicht verlangen, daß sie unmittelbar soziale, politische und Volksbildungsarbeit tun solle.²³⁴

Die Lösung der sozialen Frage sei nicht etwa Aufgabe der Kirche, die „Neutralität […] gegenüber den sozialpolitischen Forderungen“²³⁵ walten zu lassen habe, sondern vielmehr die Aufgabe der „Regierung mit ihren Räten und Dienern“, der „Volksvertretungen“, der „wissenschaftlichen Führer und vor allem“ der „nächst Beteiligten: Arbeiter, Unternehmer usw.“²³⁶ Umgekehrt kritisiert Foerster Sozialismus und Sozialdemokratie nicht primär wegen deren Kirchenfeindschaft als solcher, sondern wegen deren Tendenz, keine funktionale Ausdifferenzierung von Religion bzw. Kirche einerseits und Gesellschaft bzw. Wirtschaft und Staat andererseits zuzulassen und auf dieser Basis auf dem Wege einer Verbesserung der ökonomischen Situation auf einen Religionsschwund hinzuarbeiten: Die christliche Religion ist die phantastische Widerspieglung der Nöte des gegenwärtigen gesellschaftlichen Zustandes. Kommt ein neuer wirtschaftlicher Zustand, so muß das ihr Absterben zur Folge haben. […] Bis dahin kann man Toleranz üben. […] Die Programme der [sozialdemokratischen] Partei […] begnügen [sich damit], die Stellung der Partei zu den religiösen Einrichtungen und Gemeinschaften im Gegenwartsstaat festzulegen mit der berühmten Forderung: Erklärung der Religion zur Privatsache! Aber darin hat die Kirche nicht falsch gesehen, daß sich hinter diesem Satze die Hoffnung auf ein Auslöschen der Kirche und der Religion […] verbarg […]. Nicht die Einzelforderungen […], wie Streichung aller staatlichen Zuwendungen an die Kirchen im Staatshaushalt oder Aufhebung des obligatorischen Religionsunterrichts in der Staatsschule, sind undiskutierbar für die Kirche. Es gibt genug religiöse Leute, die sich diese Forderungen aus religiösen Gründen aneignen. Aber die Tendenz, die dahinterliegt, zwingt der Kirche die Abwehr auf. Sie würde sich aufgeben, wenn sie nicht dawider kämpfte.²³⁷

Praktisch veranlagt, wie Foerster es als Pfarrer offenbar war, fügte er Beispiele für die Probleme an, die mit der Forderung eines direkten sozialen Engagements für die Kirche verbunden wären: Man überlege sich doch einmal, was dabei herauskommen würde, wenn der Pastor, wenn die einzelne Kirchgemeinde oder ein Konsistorium sich dieser Dinge bemächtigen würden! Bei näherem Zusehen spaltet sich ja die soziale Frage in eine Menge einzelner Fragen. Nehmen wir einmal eine besonders, die Wohnungsfrage. Soll nun die Kirche Gelder sammeln, um Gelände zu kaufen, Hyp[o]theken aufnehmen, Häuser bauen, Wohnungen vermieten und unter den Mietern Zucht und Ordnung halten? Oder soll sie Normalpreise für Ein-, Zwei-,

   

A.a.O.,  f. A.a.O., . A.a.O., . A.a.O.,  f.

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Dreizimmerwohnungen aufstellen und, die mehr als diese Taxe fordern, vom Abendmahl ausschließen und von der Kanzel vernehmen? Oder nehmen wir eine Lohnfrage. Soll die Kirche entscheiden: Dies und das ist der angemessene Lohn: wer weniger zahlt, ist ein Ausbeuter, wer mehr fordert, ein Aufrührer. […] Wir wissen, welche sittlichen Schäden neben den volkswirtschaftlichen der Alkoholismus heraufführt. Soll die Kirche Schnapsbrenner, Bierbrauer und Wirte in den Bann tun? Soll sie eigene kirchliche alkoholfreie Wirtschaften schaffen? Das kann nicht ihres Amtes sein, denn auch dazu gehören technische Kenntnisse, die Pfarrer und Kirchgemeinde von sich aus nicht besitzen.²³⁸

Mit anderen Worten: Foerster sah nicht zuletzt die Gefahr drohen, dass ein sozialpolitisches Engagement der Kirche Zwangsmaßnahmen zur Rechtsdurchsetzung nach sich ziehen könnte; Zwang aber lehnte er als unprotestantisch zeitlebens strikt ab: Gesinnungsbildung dürfe ausschließlich durch „Appell an Einsicht und Gewissen mit ausdrücklichem Ausschluß alles Zwanges“ geschehen: „non vi se[d] verbo!“²³⁹ Von dieser Position aus scheut Foerster allerdings vor Kritik an der Kirche nicht zurück. An der Aufgabe der Gewissensbildung im Blick auf die soziale Frage sei sie bislang gescheitert: „Wir stoßen, wenn wir die Geschichte unserer Zeit daraufhin durchnehmen, auf schwere Unterlassungssünden und Versäumnisse. Unterlassungen und Versäumnisse, – denn nicht sowohl antisoziale Handlungen haben wir zu buchen, als Verständnislosigkeit, Mangel an Teilnahme und Anpassung und schläfriges Gehenlassen.“²⁴⁰ Als der Historiker, der er ist, verfolgt Foerster die Ursachen dafür tief in das 19. Jahrhundert zurück, und er spart nicht an deutlichen Worten. Jene Ursachen sieht er in dem Verrat des theologischen Aufklärungserbes zugunsten einer unter dem Einfluss der Romantik erfolgten Anbiederung der Kirche „bei den konservativen und feudalen Mächten, beim Adel und bei Hofe“²⁴¹ und in ihrer Opposition zu der „gewaltige[n] Emanzipationsbewegung des deutschen Bürgertums“²⁴², sodann in ihrer Verkennung des „Recht[es] der Assoziation und Organisation der Arbeiter“²⁴³, das nur Wichern richtig erkannt habe, in ihrer Strategie der Beschwichtigung angesichts der sozialen Lage der Arbeiterklasse und in ihrer ersatzweisen Beschäftigung mit „Fragen der Weltanschauung, des Dogmas und der Kirchenverfassung“²⁴⁴. Die gesamte Lage fasste der zumal englanderfahrene Foerster in zwei Sätzen zu-

      

A.a.O., . A.a.O., . A.a.O., . A.a.O., . Ebd. A.a.O., . A.a.O., .

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sammen: „Das Verhältnis zwischen der Kirche und der deutschen Arbeiterbewegung […] trägt den Charakter der Versumpfung. […] In keinem andern Lande der Welt ist das Verhältnis zwischen Kirche und Sozialismus so verfahren wie in Deutschland.“²⁴⁵ An die Adresse der Gemeindeglieder gerichtet beklagte Foerster, dass „sich die Wahl von Gemeindevertretern und Synodalen so selten auf Glieder des Arbeiterstandes richtet“, dass „die Bemühungen, Angehörige der verschiedenen Gesellschaftsklassen auf kirchlichem Boden zu Aussprache und Geselligkeit zu vereinigen, so wenig Erfolg haben“ und dass „kirchliche Feste mit einem Aufwand begangen werden, der von vornherein den wenig Begüterten die Beteiligung unmöglich macht.“²⁴⁶ Während Foerster also zwischen Kirche und Gesellschaft sorgfältig unterschied, sah Tillich (ohne dass er sich je in die Niederungen konkreter Details begeben hätte) die Bedeutung des religiösen Sozialismus im Blick auf die Kirche gerade darin, dass er auf die Unterscheidung von Profanität und Sakralität verzichte, eine insgesamt theonome Gesellschaft anstrebe und eben so „ein[en] Weg protestantischer Verwirklichung“²⁴⁷ beschreite. Damit stelle der religiöse Sozialismus die institutionalisierte Kirche vor eine Entscheidungsfrage, nämlich ob sie „mit prophetischer Kraft der sozialen Dämonie unserer Zeit“ entgegentreten „oder ob sie, wie bisher einerseits sich der Opfer dieses Systems annehmen, andererseits unter dem Schein religiöser Neutralität das System als solches stützen möchte.“²⁴⁸ In dieser Situation stand aufgrund der strukturellen Analogie zwischen Sozialismus und Protestantismus die einzig konsequente Wahlmöglichkeit für Tillich fest: Der religiöse Sozialismus meint, daß die Kirche diese Lage des Proletariats verstehen muß und daß ihr daraus die Kraft erwachsen muß, gegen eine Gesellschaftsordnung zu kämpfen, die mit Notwendigkeit immer neuen Millionen den Sinn eines vollen Menschenlebens raubt. Eine solche Gesellschaftsordnung, meint der religiöse Sozialismus, ist dämonisch, es herrschen in ihr sinnwidrige, lebenszerstörende Mächte. Und die Religion hat die Aufgabe, in Nachfolge der Propheten die Dämonie solcher Verhältnisse zu enthüllen und sie dadurch überwinden zu helfen […].²⁴⁹

    

A.a.O., . A.a.O., . GW II,  („Klassenkampf und Religiöser Sozialismus“, zuerst ). A.a.O., f. GW II,  („Religiöser Sozialismus I“, ).

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6 Entlassung aus der Frankfurter Universität: Das Jahr 1933 Beinahe zeitgleich, im Jahre 1933, sollten Tillich und Foerster die Frankfurter Universität verlassen. Foerster, dessen ‚Kränzchen‘ schon im März 1933 zerbrochen war, gab zu Ende Juni, im Alter von 68 Jahren, sein Pfarramt auf, einerseits aus Alters- und Gesundheitsgründen, andererseits angetrieben durch den „Umsturz 1933/34, der mich aufs Schwerste erschütterte, weil ich vom ersten Tage an, als noch alle Welt stolzer Hoffnungen voll war, nur Unheil für Volk und Vaterland, vor allem aber für Freiheit und Recht, für Humanität und Kirche kommen sah“²⁵⁰. Es muss ihn, bei seiner Liebe zu wissenschaftlicher Betätigung, getroffen haben, als „[d]er neue, nationalsozialistische Unterrichtsminister“ Bernhard Rust „mit einem Federstrich alle Honorarprofessuren auf[hob], also auch die meinige, – ohne daß übrigens die Universität auch nur den Versuch gemacht hätte, dagegen vorstellig zu werden“ – Rektor war bis Ende April 1933 noch Wilhelm Gerloff, ab dem 1. Mai Ernst Krieck; Dekan war Erhard Lommatzsch –; „und als ich dessen ungeachtet den Versuch machte, eine größere Vorlesung (Reformationsgeschichte) zu halten, scheiterte dieser aus Mangel an Hörern, – der neue Minister hatte auch die Höchstzahl der Studenten stark herabgesetzt. Ich gab also meinen Plan auf; das von mir gegründete Seminar mit seiner Bibliothek blieb verwaist und hatte in den folgenden Jahren nur einen Benützer, nämlich mich.“²⁵¹ Noch im selben Jahr 1933, am 20. November, stellte Foerster einen Antrag zur Enthebung von seinem Lehrauftrag und von der Verwaltung des Seminars für Geschichte der christlichen Religion;²⁵² das Seminar wurde von Platzhoff übernommen, der 1934 den nach Heidelberg berufenen Krieck als Rektor ablöste. Bis einschließlich des Sommersemesters 1935 blieb Foerster allerdings noch mit Veranstaltungen angekündigt, unter der Rubrik „Abteilung für Kirchengeschichte“; ab Wintersemester 1935/36 jedoch fehlt nicht nur sein Name, sondern auch die Abteilung in den Vorlesungsverzeichnissen: Sie war stillschweigend aufgelöst worden. Die Kirchengeschichte vertrat künftig Pfarrer Dr. Alfred Adam von der Berkersheimer Michaelisgemeinde (später Professor an der Kirchlichen Hochschule Bethel), jedoch nicht mehr unter dem Dach des Historischen Seminars, sondern unter der Rubrik ‚Theologische Vorlesungen‘²⁵³. Am 12. Oktober 1945, kurz nach Kriegsende, nachdem  Foerster, Lebenserinnerungen (wie Anm. ), .  A.a.O., .  Vgl. Universitätsarchiv Frankfurt am Main, Abt. , Nr. , Blatt .  Vgl. dazu Universitätsarchiv Frankfurt am Main, Abt. , Nr. , Blatt r (Schreiben des Dekans Hans Jantzen an das Kuratorium vom . November , mit der Bitte, das Kuratorium

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er und seine Frau erst die Ausbombung aus ihrer Wohnung in der Bockenheimer Sophienstraße 56 und später die Vertreibung aus dem Haus ihrer jüngeren Tochter Lilli (eigentlich: Erika Ilse) in Frankfurt-Eschersheim hatten hinnehmen müssen, starb Foerster nach zwei Operationen im Krankenhaus Frankfurt-Höchst. Was Tillich betrifft, so enthält seine Personalakte keine Dokumente für den Zeitraum zwischen dem 26. Juli 1930 und dem 23. April 1933. Am 13. April 1933 verfügte das Ministerium Tillichs Beurlaubung aus dem Amt „mit sofortiger Wirkung“; am 24. April leitete der kommissarische Reichsminister Bernhard Rust diese Entlassung an Tillich weiter, wohnhaft in der Vogelstr. 11 in Frankfurt a.M., entsprechend auch an Horkheimer, wohnhaft in Kronberg im Taunus, Minnholzweg 3,²⁵⁴ an Karl Mannheim in der Westendstr. 103, an den Nationalökonomen Adolf Löwe in der Schumannstr. 4, an den Rechtswissenschaftler Hermann Heller im Kettenhofweg 139, SPD-Mitglied wie Tillich und dessen langjähriger Bekannter, und schließlich an das neue Kuratorium.²⁵⁵ Heller sollte im November 1933 (vermutlich an den Folgen einer aus dem Ersten Weltkrieg davongetragenen Herzmuskelentzündung) sterben, nachdem er gegenüber dem Dekan der Rechtswissenschaftlichen Fakultät, Franz Beyerle, am 5. Oktober 1933 von Madrid aus noch mit Gruß an diejenigen „Kollegen, die trotz der eingetretenen Ereignisse mir ein wohlwollendes Andenken bewahrt haben“, seinen „unerschütterliche[n] Glaube[n] an den Geist, der allein uns über das Tierreich erhebt und unsre menschliche

solle, da die Fakultät es „für dringend notwendig“ halte, „daß auch künftig an der Universität Vorlesungen über Kirchengeschichte und zwar in der Abteilung ‚Theologische Vorlesungen‘ gehalten werden“, „an die evangelische Landeskirche einen Antrag […] richten, sie möge eine geeignete Persönlichkeit mit der Abhaltung der genannten Vorlesungen beauftragen“) und Blatt  (Schreiben des Preußischen Ministers für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung an Pfarrer Dr. Adam vom . April , mit der Beauftragung, „vorbehaltlich jederzeitigen Widerrufs, vom Sommersemester  ab […] kirchengeschichtliche Übungen abzuhalten“).  Das Institut für Sozialforschung hatte einem Bericht der Frankfurter Zeitung vom Samstag, . März , zufolge (Abendblatt und Erstes Morgenblatt, Nr.  – , ) schon am Montag, . März, eine polizeiliche Durchsuchung über sich ergehen lassen müssen; die Räume waren versiegelt worden. Horkheimer hatte sich zu dieser Zeit in Genf aufgehalten, wo er beizeiten eine Zweigstelle des Instituts gegründet hatte, mit der Begründung, in Genf sei die Internationale Arbeitsorganisation angesiedelt.  Vgl. Universitätsarchiv Frankfurt am Main, Abt. , Nr. , Blatt ; Abt. , Nr. , Blatt . – Ebenfalls am . April verfügte Achelis telegraphisch aus Berlin, an das Kuratorium gerichtet, die sofortige Beurlaubung der „Professoren“ Gottfried Salomon-Delatour, Carl Mennicke, Max Wertheimer, Karl Strupp, Hans Weil, Karl Eman Pribram, Richard Koch, Norbert Nahum Glatzer, Martin Plessner, Martin Sommerfeld, Walter Fraenkel, Fritz Mayer, Ernst Kahn, Fritz Neumark, Ernst Cahn, Hugo Braun, Ludwig Wertheimer, Eugen Altschul (vgl.Universitätsarchiv Frankfurt am Main, Abt. , Nr. , Blatt ; Abt. , Nr. , Blatt ).

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Würde ausmacht“²⁵⁶, bekundet hatte; mit Horkheimer, Löwe, Mannheim und natürlich Wiesengrund-Adorno sollte Tillich bekanntlich engen Kontakt auch im Exil behalten.²⁵⁷ Noch am selben 24. April 1933²⁵⁸ ersuchte Tillich das Kuratorium um vorschussweise Auszahlung meiner mir für das Sommersemester 1933 zustehenden Kolleggeldgarantie. Zur Begründung möchte ich anführen: Infolge meiner Beurlaubung geht mir das regelmässig einkommende Kolleggeld verloren. Es ist mir infolgedessen unmöglich, im Laufe des Mai diejenigen Summen zu zahlen, zu denen ich im Hinblick auf die Kolleggeldeinnahmen regelmässig verpflichtet bin. Ebenso unmöglich ist es mir, die im Hinblick auf das eingehende Kolleggeld in den letzten Monaten vorgenommenen Anschaffungen be-

 Universitätsarchiv Frankfurt am Main, Abt. , Nr. , Blatt .  Hannah Tillich, Ich allein bin (wie Anm. ),  (in Bezug auf New York): „Auch unsere alten Freunde aus Frankfurt waren angekommen, […] Max [scil. Horkheimer] und Maidon […].“ –  (ebenfalls in Bezug auf New York): „Eines Tages schickte mir Paulus seinen Freund Adolf [Löwe], um unsere Haushaltsführung durchzugehen. Er war wohl der Ansicht, daß ich nicht gut genug mit Geld umgehen könne. Doch ich hatte mittlerweile eine harte Schule durchgemacht und konnte Adolf mein Haushaltsbuch unbesorgt vorlegen. Nachdem er es lange studiert hatte, meinte er zögernd, daß ich vielleicht etwas mehr für Essen ausgeben könnte. Paulus’ Auslagen für Wein waren in dieser Zeit vergleichsweise höher als die Beträge für Nahrungsmittel.“ – Als Löwes Tochter am . Oktober  Dankwart Rüstow, den Sohn Alexander Rüstows, heiratete, hielt Tillich die Trauansprache (Deutsche Nationalbibliothek Frankfurt am Main, Deutsches Exilarchiv  – , EB /k-D..). Als bekennender Sozialist hatte Adolf Löwe, ebenso wie Buber, Carl Mennicke und Tillich, nicht nur bereits am Heppenheimer Gespräch  teilgenommen (siehe dazu Yorick Spiegel, „Gespräche: Paul Tillich in Frankfurt“, in: Spurensuche: Lebens- und Denkwege Paul Tillichs, hg. von Ilona Nord und Yorick Spiegel (Münster, Hamburg und London: LIT,  / Tillich-Studien, Bd. ,),  – , hier bes.  – ; Kluke, Stiftungsuniversität (wie Anm. ), ; Hammerstein, Stiftungsuniversität (wie Anm. ),  f.), sondern war schon Mitglied des Berliner Kairos-Kreises gewesen, ebenso wie Alexander Rüstow. Zur Flucht der Familie Löwe aus Frankfurt am frühen Morgen des . April  (nach dem Boykott gegen jüdische Geschäfte und der Verhaftung Riezlers hinweg vom Podium seines Hörsaals am . April) und zu Rahel Löwe selbst siehe Rachel Aubrey zusammen mit Helga Marx, „Rachel Aubrey: ‚Wie kannst Du Dein Leben so riskieren …!?‘“, in: Emigrierte Sozialarbeit. Portraits vertriebener SozialarbeiterInnen, hg. von Joachim Wieler und Susanne Zeller (Freiburg im Breisgau: Lambertus,  / Darmstädter Beiträge zu Studium und Praxis, Bd. ),  – . (Diesen bibliographischen Hinweis verdanke ich: Friedrich Wilhelm Graf, „Eine unbekannte Traupredigt Paul Tillichs“, Zeitschrift für Neuere Theologiegeschichte  (),  – , hier , Anm. ).  Einen Tag früher, am . April, hatte Buber reagiert, indem er, aus Zürich schreibend, dem Dekan Erhard Lommatzsch mitgeteilt hatte, dass er, „[d]er von Ihnen geäusserten Anregung Folge gebend“, gedenke, „von der Abhaltung meiner Vorlesungen und Uebungen im Sommersemester  abzusehen“ (Universitätsarchiv Frankfurt am Main, Abt. , Nr. , Blatt ). Zusammen mit Buber wurden beurlaubt: Ernst Kantorowicz, Fritz Heinemann, Dr. Guido Schoenberger, Kustos des Historischen Museums, Dr. Theodor Wiesengrund und Hermann Lismann (vgl. Universitätsarchiv Frankfurt am Main, Abt. , Nr. , Blatt ). Am . Oktober wurde Buber seitens Berlins die Lehrbefugnis entzogen (vgl. Universitätsarchiv Frankfurt am Main, Abt. , Nr. , Blatt ).

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sonderer Art zu begleichen. Endlich bin ich infolge der Beurlaubung gezwungen, meine Wohnung zu kündigen, meinen Haushalt aufzulösen und einen Umzug vorzunehmen.²⁵⁹

 Universitätsarchiv Frankfurt am Main, Abt. , Nr. , Blatt r; Abt. , Nr. , Blatt . – Carl Mennicke berichtet über diese Monate, Zeitgeschehen im Spiegel persönlichen Schicksals [Langfassung] (wie Anm. ),  f. (Typoskript: Deutsche Nationalbibliothek Frankfurt am Main, Deutsches Exilarchiv  – , EB /) = Druckfassung, : „Nach dem . Januar [] blieb äußerlich zunächst noch alles beim alten. Die Vorlesungen an Universität und Institut nahmen ihren Fortgang […]. […] Indessen: gleich nach dem berüchtigten ‚Tag von Potsdam‘ war es dann aus. Man fühlte sich auf alle Weise isoliert und kaltgestellt. Und der Bescheid über die vorläufige Entlassung, der einen Ende März auf einer Ferienreise erreichte, brachte nur die Bestätigung dessen, was man seit Wochen erwartet hatte. Ich war auch vorher schon entschlossen, nicht ohne weiteres von meinem Platz zu weichen. Ich war bereit, das Wort von der Volksgemeinschaft ernster zu nehmen als die, die es im Munde führten. Ich habe es deshalb über mich gebracht, bei beiden Ministerien gegen meine Entlassung schriftlich Protest einzulegen. Mit der Berufung darauf, daß ich in meiner akademischen Lehrtätigkeit Erscheinungsformen und Probleme des Nationalsozialismus durchaus positiv gewürdigt habe und daß mein Wirken für die Realisierung wirklicher Gemeinschaft mich dazu qualifiziere, für den neuen Versuch meine Kräfte zur Verfügung zu stellen. Im Innersten wußte ich wohl, daß alles vergeblich sei. Und doch brachte ich es noch nicht fertig, deutsche Sprache, deutschen Geist und deutsche Seele, deutsches Denken und Dichten, deutsches Singen und Spielen aufzugeben. Ich meinte ernstlich sterben zu müssen, wenn ich gezwungen wäre, meine mühsam errungene Stellung in diesem so mit allen Fasern geliebten deutschen Kulturkreis aufzugeben.“ –  f. (= Druckfassung,  f.): „Aber eine schwere Traurigkeit sank immer tiefer in mich hinein. Und die hat mich auch nicht verlassen, als wir gegen den Juni hin mit Tillichs zusammen einen Monat in Saßnitz weilten. Tillichs, die, was Reisen betrifft, sehr unternehmend waren, hatten gleich nach dem ersten Mai diese Flucht aus der so widerlich gewordenen Frankfurter Atmosphäre beschlossen und waren vorausgegangen. Sie sandten dann so verlockende Schilderungen von dem Haus im Garten über dem Steilhang am Meer, daß wir schließlich alle Widerstände in uns besiegten und losfuhren. Hannah Tillich, die in freundschaftlichen Beziehungen zu dem Betriebsführer der Adlerwerke stand, brachte es zu wege, daß wir in einem neuen Wagen, der nach Berlin gefahren werden mußte, mitgenommen wurden. Das hat uns sehr belustigt und beschwingt, und wir kamen aufgeräumt auf Rügen an. Die Situation dort war denn auch so glücklich wie nur möglich. […] Trotz alledem wuchs die Bitternis in meinem Herzen. Und ich bin wahrhaftig damals allen Ernstes mit dem Gedanken umgegangen, mich aus dem Leben davonzuschleichen. Für Tillich stand es bereits fest, daß er nach Amerika gehen würde. Heimann war schon drüben und hatte es, wie aus seinen Briefen und Telegrammen deutlich wurde, offenbar leicht, für ihn die Wege zu ebnen. Der Gedanke, etwas Ähnliches für mich zu versuchen, kam augenscheinlich niemandem. Kein Wunder auch, denn ich hatte ja als Wissenschaftler keinen über die Grenzen Deutschlands hinausklingenden Ruf. Ich hatte mich müde und wund gearbeitet und keine Zeit gefunden, anständige Bücher zu schreiben. Und wenn das meine Freunde schon so empfanden, wie sollte ich hoffen können, das Interesse wildfremder Menschen zu erwecken, wenn ich auf eigene Faust ins Ausland ginge.“ Über die Zeit in Saßnitz vgl. auch Hannah Tillich, Ich allein bin (wie Anm. ), : „Wir mieteten ein kleines Haus in Saßnitz. Ich kochte selbst. […] Auch Karolus kam mit seiner neuen Frau. Paulus verführte sie, was Karolus ihm nie vergab.“ (Bei dem von Mennicke erwähnten Betriebsführer der Adlerwerke wird es sich um Erwin Kleyer gehandelt haben, Sohn des Firmengründers Heinrich Kleyer, der unter anderem

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Nur drei Tage später lehnte das Kuratorium ab. Am 6. Mai 1933 berief der neue Ministerialrat Johann Daniel Achelis von der NSDAP für die Tillich-Vertretung im Sommersemester 1933 Arnold Gehlen.²⁶⁰ Am Mittwoch, 10. Mai, musste Tillich, Autorennen fuhr und über den Hannah Tillich unter dem Vornamen ‚Erwin‘ berichtet, a.a.O., : „Nach einiger Zeit wandte ich mich dann einem gutaussehenden Riesen zu, den ich in Frankfurt kennengelernt hatte, meiner ‚Blut und Boden‘-Liebe. Erwin war Industrieller und hatte früher Autorennen gefahren. Er sprach mich aus seinem weißen Mercedes heraus an. […] Erwin war draufgängerisch und zärtlich. Er brauste mit Höchstgeschwindigkeit durch die schlafenden Städte und liebkoste mich, wenn wir auf gerader Strecke waren. Wir fuhren auf eisglatten Straßen und lachten, wenn wir eine Steigung nicht schafften und der Wagen zurückschlitterte. Und wir gingen zusammen auf die Jagd. Die Morgendämmerung fand uns fröstelnd auf einem Hochsitz,wo wir uns liebten, bis das Wild erschien.“ –  f.: „Er war einmal von Kommunisten zusammengeschlagen worden und sah die Nationalsozialisten jetzt als seine Beschützer an“).  So jedenfalls Achelis mit Schreiben an den Privatdozenten Gehlen vom . Mai ; die Denomination lautete wie zuvor bei Tillich „Philosophie und Soziologie (einschließlich Sozialpädagogik)“ (Universitätsarchiv Frankfurt am Main, Abt. , Nr. , Blatt ; auch Abt. , Nr. , Blatt ). Die bis dato vakante Ziehen-Scheler-Pädagogikprofessur besetzte von  bis  Ernst Krieck (‚Philosophie und Pädagogik‘). Danach wird die Situation undeutlich, nicht zuletzt deshalb, weil das Verhältnis der (zusätzlich eingerichteten) Horkheimer- zu der SchelerProfessur offenbar ungeklärt war. Die Philosophische Fakultät befürchtete unter den neuen Machthabern eine Reduktion der philosophischen Lehrstühle bzw. ihre eigene Auflösung, wenn nicht gar die der Universität insgesamt (vgl. Universitätsarchiv Frankfurt am Main, Abt. , Nr. , Blatt v; Abt. , Nr. , Blatt r. r. r; Hammerstein, Stiftungsuniversität (wie Anm. ),  – ; außerdem Reinhardt, „Akademisches“ (wie Anm. ), , der schildert, wie es dem neuen Kurator August Wisser gelang, durch persönliche Intervention die Schließung in letzter Minute abzuwenden). So versuchte sie alles, um ihre bisherigen zwei Professuren zu erhalten (in der Tillich- und der Horkheimer-Nachfolge bzw. in der – nicht damit identischen – Cornelius- und der Scheler-Nachfolge). In diesem Zusammenhang konnte sie erreichen, dass Gehlen zum Sommersemester  durch (den bereits im Zusammenhang der Cornelius-Nachfolge diskutierten und nun nach Frankfurt zwangsversetzten) Richard Kroner abgelöst wurde, der sich aber sogleich für ein Jahr beurlauben ließ (vgl. auch Universitätsarchiv Frankfurt am Main, Abt. , Nr. , Blatt ) und der bis einschließlich des folgenden Wintersemesters / durch den Marburger Privatdozenten Gerhard Krüger vertreten wurde. Ungefähr zur gleichen Zeit, nämlich , wurde der Scheler-Nachfolger Krieck nach Heidelberg berufen, so dass sowohl seine als auch die Horkheimer-Professur nun vakant waren. In eine dieser Lücken stieß nun Karl Bornhausen von der Theologischen Fakultät Breslau, der infolge dortiger Querelen per Ministerialerlass vom . Juli  zum . November  als Professor für Religionsphilosophie und Systematische Theologie nach Frankfurt versetzt wurde und von Minister Bernhard Rust beauftragt wurde, seine Lehrtätigkeit zum Wintersemester / aufzunehmen (vgl. Universitätsarchiv Frankfurt am Main, Abt. , Nr. , Blatt ) (die Vereidigung fand am . Oktober  statt; im Frankfurter Vorlesungsverzeichnis wird er allerdings erst zum Sommersemester  aufgeführt). Der Umstand, dass im Wintersemester / Gerhard Krüger noch die TillichGehlen-Kroner-Vertretung innehatte und zudem von Achelis beauftragt worden war, „die Professur für Philosophie vertretungsweise wahrzunehmen“ (Universitätsarchiv Frankfurt am Main,

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Abt. , Nr. K, Blatt ), spricht dafür, dass Bornhausen nicht für die Tillich-Professur, sondern entweder für die Scheler-Krieck- oder aber für die Horkheimer-Stelle vorgesehen war (wobei es sich um letzterer ja allerdings um eine Stiftungsprofessur gehandelt hatte). Ebenso ging der zuständige Kirchenrat im Berliner Kultusministerium, Eugen Mattiat, offenbar davon aus, dass Bornhausen jedenfalls nicht mit dem eigentlichen philosophischen Lehrstuhl betraut worden war, mit dem sich zugleich das Direktorat des Philosophischen Seminars zu verbinden pflegte, denn am . Dezember beauftragte er Gelzer mit der Wahrnehmung der „Direktorialgeschäfte“ vertretungshalber (Universitätsarchiv Frankfurt am Main, Abt. N, Nr. , Blatt ). Diese Rekonstruktion wird zusätzlich durch ein Schreiben des Rektors Platzhoff an Mattiat vom . September  bestätigt, aus dem hervorgeht, dass Hans Lipps (der letztlich die ehemalige Tillich-Professur besetzte, siehe unten) als der Ordinarius für Philosophie galt, neben dem der „zweite Lehrstuhl für Philosophie […] der Fakultät und Universität unbedingt erhalten bleiben [muss], da wir, wie Sie wissen, neben Prof. Lipps einen Philosophen benötigen, der die in Frankfurt traditionell gepflegte Pädagogik vertreten kann. […] Eine Besetzung des Lehrstuhls mit einem Pädagogen ist aber erst nach dem Ausscheiden von Prof. Bornhausen möglich“ (Universitätsarchiv Frankfurt am Main, Abt. , Nr. , Blatt  r/v). Damit hatte Platzhoff zu verstehen gegeben, dass man in Frankfurt gewillt war, Bornhausen als Scheler-Krieck-Nachfolger zu betrachten. Auch Karl Reinhardt („Akademisches“ [wie Anm. ], , Anm. ) bestätigt diese Lesart (sofern man davon ausgehen möchte, dass sich seine Sätze auf Bornhausen beziehen): „Der um dieselbe Zeit [scil. / ] nach Frankfurt berufene Pädagoge, in Wahrheit Propagandaredner, begann seine Tätigkeit mit einem Kolleg gegen den Humanismus.“ Dass man nicht beabsichtigte, Bornhausen formal als Tillich-Nachfolger zu akzeptieren, wird aus einem Brief Platzhoffs an das Kuratorium vom 4. Juni 1935 deutlich: „Prof. Bornhausen ist laut seiner Bestallung, die mir im vorigen Sommer durch Herrn Ministerialdirektor Vahlen auch noch mündlich ausdrücklich bestätigt worden ist, Professor für Religionsphilosophie und systematische Theologie, aber nicht für das Gesamtfach Philosophie. Dementsprechend ist er ja auch vom Herrn Minister nicht zum Direktor des Philosophischen Seminars ernannt worden, was nach meiner Meinung der Sachlage vollkommen entspricht“ (Universitätsarchiv Abt. 4, Nr. 1078, Blatt 29v). In dasselbe Horn stieß gegenüber dem Berliner Wissenschaftsministerium der Dekan Matthias Gelzer am 6. Dezember 1935, indem er Bornhausen vorwarf, er habe „sich als der [sic!] Nachfolger Tillichs“ betrachtet, „während aus seiner Bestallung eindeutig hervorging, daß er andere Fächer zu vertreten hatte und bloß die im Haushaltsplan für jenen Lehrstuhl vorgesehenen Mittel nun für seine Besoldung verwendet werden“ (Universitätsarchiv Frankfurt am Main, Abt. 134, Nr. 56, Blatt 8v/9r); das eigentlich philosophische Ordinariat und damit auch das Direktorat des Philosophischen Seminars (das ja Tillich ausgeübt hatte) sei erst zu besetzen. Ebenso stellte auch Platzhoff klar, dass Bornhausens Professur zwar „aus dem Fondus [sic!] des früheren Lehrstuhls Tillich bezahlt“ werde: „Prof. B. scheint aber nicht zu wissen, dass ganz allgemein, [sic!] erledigte Lehrstühle für andere Fächer und Zwecke benutzt werden können, ohne dass damit der neue Inhaber eines solchen Lehrstuhls der Nachfolger in der Lehrbestallung ist“ (Universitätsarchiv Frankfurt am Main, Abt. 4, Nr. 1078, Blatt 17r). Andererseits wird in einem früheren Brief des Dekans Hans Jantzen an das Berliner Ministerium vom 26. Juli 1934 Bornhausen als Nachfolger Tillichs bezeichnet, der „auf den durch die Entlassung Prof. Tillichs freigewordenen Lehrstuhl für Philosophie“ (Universitätsarchiv Frankfurt am Main, Abt. 134, Nr. 56, Blatt 2; Abt. 14, Nr. 133, Blatt 128) versetzt worden sei. Diese Behauptung kann allerdings auch lediglich der Denomination der Bornhausen-Professur geschuldet sein („Religionsphilosophie und Systematische Theologie“, Universitätsarchiv Frankfurt am Main, Abt. 134, Nr. 56, Blatt 2, Blatt 3; Abt. 14, Nr. 341, Blatt 176);

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denn aus demselben Schreiben Jantzens geht hervor, dass Bornhausen durchaus nicht als der Nachfolger Kroners betrachtet wurde (der seinerseits ja den Tillich-Vertreter Gehlen hatte ablösen sollen), sondern die „zweite planmäßige Professur für Philosophie“ erhalten hatte, während die erste (damit dürfte die Horkheimer-Professur gemeint sein) eben „durch Herrn Prof. Kroner von der Universität Kiel“ (Universitätsarchiv Frankfurt am Main, Abt. 134, Nr. 56, Blatt 2) besetzt war. In jedem Falle muss es die Philosophische Fakultät verdrossen haben, dass, nachdem ihr seinerzeit bereits Tillich aufgezwungen worden war, nun ein weiteres Mal eine philosophische Professur per politischem Eingriff mit einem Theologen besetzt wurde; und in der Tat verlieh Dekan Jantzen gegenüber Berlin dem Bedenken Ausdruck, „ob eine gründliche philosophische Durchbildung ihrer Studierenden durch hauptamtliche Vertreter des Faches in Zukunft noch möglich sein wird“ (Universitätsarchiv Frankfurt am Main, Abt. 134, Nr. 56, Blatt 2). Die Analogie der Vorgänge und der fachlichen Ausrichtung wird dazu beigetragen haben, dass im institutionellen Gedächtnis der Fakultät Bornhausen letztlich als Tillich-Nachfolger erscheinen konnte, zumal auch Bornhausen offenbar dieses Selbstverständnis fleißig pflegte (siehe oben): „Dabei war mir der philosophische Lehrstuhl des Professors Tillich zugewiesen, da ich aus dem Fundus dieses Lehrstuhls laut Bestallung bezahlt wurde“ (Universitätsarchiv Frankfurt am Main, Abt. 4, Nr. 1078, Blatt 9av). Das hielt ihn indessen nicht davon ab, wie Gelzer (ein Foerster-Freund) klagte, „Tillich als Kommunisten“ zu bezeichnen, „während dieser Mitglied der sozialdemokratischen Partei und keineswegs Materialist war“ (Universitätsarchiv Frankfurt am Main, Abt. 134, Nr. 56, Blatt 9r). Tatsächlich sah Bornhausen seine Frankfurter Bestimmung darin, „die durch den Kommunisten Tillich übel heruntergewirtschaftete Philosophie an der Universität Frankfurt durch eine nationalsozialistische Ethik und Weltanschauung zu ersetzen, eine schwere aber schöne Aufgabe“ (Universitätsarchiv Frankfurt am Main, Abt. 4, Nr. 1078, Blatt 9av). Anders als Tillich sorgte der Kriegsversehrte Bornhausen, nach eigener Auskunft seit dem 1. Juli 1932 NSDAP-Mitglied (vgl. Universitätsarchiv Frankfurt am Main, Abt. 4, Nr. 1078, Blatt 9br; Abt. 14, Nr. 341, Blatt 87), sogleich nach seiner Ankunft für Ärger. Zunächst dauerte es nicht lange, bis er jeden fachlichen Respekt seiner Kollegen verlor, wie aus seiner Personalakte deutlich hervorgeht. Reinhardt spottet („Akademisches“ [wie Anm. 111], 398, Anm. 13): „Das Wissen, ohne das sogar er nicht auskam, bezog er aus Kompendien, nach denen er auch prüfte, auch in Philosophie: um nicht sich und den Prüfling zu ‚verheddern‘.“ Darüber hinaus beschwerte die Dozentenschaft der Fakultät, vertreten durch PD Dr. Wilhelm Grebe, einen beurlaubten Studienrat, sich bereits am 18. Februar 1935 gegenüber dem (stellvertretenden) Rektor Platzhoff darüber, dass Bornhausens „Auftreten an der hiesigen Universität […] allgemein Befremden und Ärgernis hervorgerufen [hat]. So verstiess das Verhalten, das er bei seiner Ankunft im Philosophischen Seminar zeigte, gegen allen Brauch und alle Form. Mit dem stellvertretenden Leiter des Seminars“ – nämlich Grebe selbst, der dieses Amt seit Herbst 1933 versah (vgl. Universitätsarchiv Frankfurt am Main, Abt. 50N, Nr. 1523, Blatt 18r/v. 19r/v) – „suchte er, obgleich sich mit diesem in den gleichen Räumen aufhaltend, eine Begegnung zu vermeiden und einer Begrüssung aus dem Wege zu gehen. Obwohl er die Absicht hatte, die Leitung des Seminars zu übernehmen, hielt er es nicht für nötig, sich über die Verhältnisse des Seminars durch den stellvertretenden Leiter unterrichten zu lassen. Er nahm von diesem überhaupt keine Notiz und spielte sich als allein zuständig für die Leitung des Seminars auf sogar schon vor dem Zeitpunkt seiner Versetzung nach Frankfurt (1.11.34), in einer Zeit also, in der er ganz und gar nicht annehmen konnte, Direktor des Philosophischen Seminars zu sein. Er hat in das bis dahin harmonisch sich abspielende Leben im Philosophischen Seminar eine grosse Unruhe getragen. Alle Beteiligten – geschäftsführender Leiter und Assistenten – leben in Sorge, wegen irgendeiner Kleinigkeit in Konflikt mit Professor Bornhausen zu geraten. Es muss ferner

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darauf hingewiesen werden, dass Professor Bornhausen sich wenig bereit zeigt, die durch die offizielle Umreissung seines Lehrauftrags gegebene Rechtslage anzuerkennen: er ist ständig bestrebt, sich – auch den Studenten gegenüber – der klaren Rechtslage zum Trotz als Ordinarius für Philosophie auszugeben; die Dozentenschaft betrachtet ein solches Verhalten als eines Universitätsprofessors unwürdig.Was über seine unterrichtliche Tätigkeit bekannt geworden ist, spricht ebenfalls sehr zu seinen Ungunsten. Nach allem, was aus Studentenkreisen verlautet, darf angenommen werden, dass Prof. Bornhausen – im ganzen gesehen – von den Studenten vollkommen abgelehnt wird, und zwar sowohl wegen seines Wesens als auch wegen des Inhaltes seiner Vorlesungen. Die Dozentenschaft hält einen solchen Zustand auf die Dauer für untragbar. Die Dozentenschaft ist der Auffassung, dass dem Ansehen unserer Universität durch das Auftreten und die Tätigkeit Prof. Bornhausens in stärkstem Masse Abbruch getan wird“ (Universitätsarchiv Frankfurt am Main, Abt. 4, Nr. 1078, Blatt 1r/v). In der Tat hatte Bornhausen, unzufrieden mit der Denomination seiner Professur, schon am 6. August 1934 dem Dekan Jantzen mitgeteilt, der Minister habe ihm (offenbar mündlich) einen Lehrstuhl für Philosophie in Frankfurt angeboten; nachdem dieser „seine Ansicht geändert hat, werde ich im Lauf meiner Lehrtätigkeit in Frankfurt es einzurichten wissen, sowohl den mir innerhalb einer philosophischen Fakultät und seitens ihrer PhilosophieStudierenden [sic!] gestellten Aufgaben als auch dem ministeriellen Auftrag gerecht zu werden. Ich bin niemals bloss Theologe gewesen und habe in Breslau nicht bloss Theologen, sondern die gesamte nationalsozialistische Studentenschaft gewonnen, wie es noch beim Sonnenwendfest 1934 anlässlich meiner Rede zum Ausdruck kam“ (Universitätsarchiv Frankfurt am Main, Abt. 14, Nr. 341, Blatt 173). Und am 28. November 1934, kurz nach Amtsantritt also, hatte Bornhausen den Minister in Berlin gebeten, die „mir implicite zukommende SeminarDirektion [sic!] ausdrücklich“ zu übertragen (Universitätsarchiv Frankfurt am Main, Abt. 50N, Nr. 1523, Blatt 22); Kirchenrat Mattiat im Kultusministerium indessen hatte stattdessen am 18. Dezember 1934 Gelzer „vertretungshalber“ damit beauftragt, und zwar „bis zur Neubesetzung dieses Lehrstuhls“, nämlich des philosophischen (a.a.O., Blatt 26). Rektor Platzhoff verlor jedenfalls keine Zeit. Am 1. März 1935 wandte er sich mit einem vierseitigen Schreiben an Mattiat und bat ihn, „Herrn Bornhausen einen anderen, ihm entsprechenderen Wirkungskreis zu geben“ (Universitätsarchiv Frankfurt am Main, Abt. 4, Nr. 1078, Blatt 2bv). Bornhausen lese außerhalb seiner Bestallung, habe kaum Hörer, und „ein kollegiales Zusammenarbeiten mit ihm [ist] nur sehr schwer möglich. Der Friede, der bisher in unserer Philosophischen Fakultät herrschte, ist durch ihn erheblich gestört worden“ (Universitätsarchiv Frankfurt am Main, Abt. 4, Nr. 1078, Blatt 2av). Wie aus einem Beschwerdebrief des Dekans Gelzer an Rektor Platzhoff vom 24. Mai 1935 hervorgeht, hatte Bornhausen zudem versucht, „den Unterricht im philosophischen Seminar anzuordnen“ und für das Vorlesungsverzeichnis eine „Anordnung der Vorlesungen und Uebungen nach dem ‚RangDienstalter‘ der Dozenten“ (unter Anrechnung der Militärdienstzeit und der Kriegsjahre,vgl.Universitätsarchiv Frankfurt am Main, Abt. 14, Nr. 341, Blatt 28r; auch Abt. 4, Nr. 1078, Blatt 9br) anstatt „nach sachlichen Gesichtspunkten“ durchzusetzen (Universitätsarchiv Frankfurt am Main, Abt. 134, Nr. 56, Blatt 4r). Die Verhältnisse gestalteten sich so unerquicklich, dass Platzhoff am 13. Juli 1935 Mattiat mit einem erheblichen Zugeständnis vorschlug, Bornhausen auf die Bonner Professur für Religionsgeschichte und Religionsphilosophie zu versetzen, deren Inhaber Carl Clemen „die Altersgrenze erreichte. […] Wie ich Ihnen schon mündlich sagte, sind die Fakultät, der Herr Kurator und ich bereit, auf den Lehrstuhl als solchen zu verzichten. Auch der Herr Oberbürgermeister als Vorsitzender des Kuratoriums und der Leiter der Dozentenschaft haben mich wiederholt gebeten, für die Beseitigung der immer unleidlicher werdenden Verhältnisse einzutreten“ (Universitätsarchiv Frankfurt am Main, Abt. 4, Nr. 1078, Blatt 4; vgl. Blatt

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21). Am 7. Oktober legte Gelzer gegenüber Berlin nach: „In den beiden Semestern, während deren er [scil. Bornhausen] der Fakultät angehörte, hat sich sein Verhältnis zur Fakultät so unerquicklich gestaltet, daß wir uns genötigt sehen, den Herrn Minister zu bitten, es möge Herr Bornhausen baldmöglichst an eine andere Universität versetzt werden oder, falls das sich bis zum nächsten Semesterbeginn nicht durchführen läßt, für das kommende Semester beurlaubt werden. […] Herr Bornhausen, von einem maßlosen Geltungsbedürfnis erfüllt“, habe fälschlicherweise „von Anfang an“ behauptet, „als erster Ordinarius der allgemeinen Philosophie berufen zu sein, und als ihn der Dekan auf den Wortlaut seiner Versetzungsurkunde hinwies, erklärte er, es müsse sich um Verschreibung handeln. Obwohl der Herr Rektor durch Rückfrage feststellte, daß die Urkunde vollkommen in Ordnung ist, läßt er sich von seiner Einbildung nicht abbringen und glaubt Unrecht zu erdulden, wenn er durch die zuständigen Organe (Dekan, Rektor und Kuratorium) in die durch die Universitätsordnung bestimmten Schranken verwiesen wird.“ (In der Tat hatte Rektor Platzhoff Bornhausen bereits mit Schreiben vom 3. August 1934 entsprechend informiert; vgl. Universitätsarchiv Frankfurt am Main, Abt. 134, Nr. 56, Blatt 3.) „Seinem Unmut“, so Gelzer weiter, „pflegt er in Schriftstücken Ausdruck zu geben, aus deren Form und Inhalt wohl niemand einen ordentlichen Professor als Verfasser erraten würde. Es besteht hier der allgemeine Eindruck, daß er ein ausgesprochener Querulant ist, mit dem ein gedeihliches Zusammenarbeiten nicht mehr zu erhoffen ist“ (Universitätsarchiv Frankfurt am Main, Abt. 134, Nr. 56, Blatt 5r/v; Abt. 4, Nr. 1078, Blatt 6r/v; Abt. 14, Nr. 341, Blatt 40r/v). Unterstützt wurde Gelzer durch Platzhoff, der mit einem zweiten Schreiben ebenfalls vom 7. Oktober dieselbe Forderung erhob und offenbar eigens in dieser Angelegenheit nach Berlin reiste (vgl. den handschriftlichen Vermerk in Universitätsarchiv Frankfurt am Main, Abt. 14, Nr. 341, Blatt 40): „Als Theologe ist Professor Bornhausen in der Philosophischen Fakultät von Anfang an ein Fremdkörper gewesen. Er hat infolgedessen hier auch keinen grösseren und ihn befriedigenden Wirkungskreis finden können, was die in seinem Wesen begründeten Schwierigkeiten, die schon in Breslau zutage getreten sind, nur noch erhöhte. Mit dem Dekan der Philosophischen Fakultät bin ich der Meinung, dass ein kollegiales Zusammenarbeiten mit Professor Bornhausen nicht möglich ist“ (Universitätsarchiv Frankfurt am Main, Abt. 4, Nr. 1078, Blatt 7r/v u. 8r/v). In ähnlicher Weise sollte am 23. Juli 1947 Dekan Paul Kirn sich gegenüber dem Rektor Walter Hallstein rückblickend äußern: „Ueber die Tatsache, daß Bornhausen Psychopath war, haben wir kein ärztliches Gutachten, aber keiner, der sein Auftreten hier erlebte, konnte sie verkennen“ (Universitätsarchiv Frankfurt am Main, Abt. 134, Nr. 56, Blatt 16r/v). In den Zusammenhang des mehrfach attestierten Geltungsbedürfnisses Bornhausens gehört auch dessen mutmaßlicher Versuch, das Foerster-Erbe an sich zu ziehen und sich eine zusätzliche Lehrbeauftragung für Kirchengeschichte zu sichern: „Nach Mitteilung von Prof. Foerster an die Fakultät“, so teilte Platzhoff dem Kuratorium am 12. Juli 1935 mit, „sind jetzt gar keine Schüler mehr von ihm vorhanden. […] Gegen eine Erweiterung der Lehrbestallung von Prof. Bornhausen habe ich aber noch ein grundsätzliches Bedenken. Nach den Statuten unserer Universität ist die Theologie hier ausgeschlossen. Infolgedessen ist die Professur Bornhausen von Anfang an ein Fremdkörper in der Philosophischen Fakultät gewesen. Bei der sehr heiklen Lage, in der heute die theologischen Fakultäten sich befinden, befürchte ich für unsere gesamte Universität erhebliche Schwierigkeiten, wenn das theologische Element im Lehr- und Unterrichtsbetrieb noch weiter ausgedehnt würde, als wie es durch die bisherige Bestallung von Prof. Bornhausen der Fall ist“ (Universitätsarchiv Frankfurt am Main, Abt. 4, Nr. 1078, Blatt 36). Dem Drängen Platzhoffs und Gelzers kam Ministerialdirektor Theodor Vahlen nach, indem er per Schreiben vom 17. Oktober 1935 Bornhausen „mit sofortiger Wirkung aus Ihrer Stellung als ordentlicher Professor an der Universität Frankfurt/M.“ (Universitätsarchiv Frankfurt am Main, Abt. 134, Nr. 56, Blatt

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6; Abt. 14, Nr. 341, Blatt 41; Abt. 4, Nr. 1078, Blatt 38) beurlaubte. Doch scheint Bornhausen gute Kontakte in die Politik bzw. in die Partei hinein unterhalten zu haben, denn aus einem Schreiben Gelzers vom 6. Dezember 1935 an das Berliner Ministerium geht hervor, dass Bornhausen sich beim „Stellvertreter des Führers“, Rudolf Heß, beschwert hatte, und zwar sowohl über Gelzer persönlich (über den er sich bei Vahlen schon am 6. April beklagt hatte,vgl.Universitätsarchiv Frankfurt am Main, Abt. 14, Nr. 341, Blatt 28r) als auch über die Universität insgesamt, die ihn „als Nationalsozialist[en] […] schlechter Behandlung“ (Universitätsarchiv Frankfurt am Main, Abt. 134, Nr. 56, Blatt 9v) ausgesetzt habe. Die über dreiseitige „[a]uszugsweise Abschrift“ (Universitätsarchiv Frankfurt am Main, Abt. 4, Nr. 1078, Blatt 9ar) des Schreibens an Heß, das vom 26. Oktober 1935 datiert und erkennen lässt, wie sehr Bornhausen sich missachtet und gekränkt fühlte, endet mit der Bitte, ihn „gegen solche Gewalt“ (gemeint war die Beurlaubung) „zu schützen“ (Universitätsarchiv Frankfurt am Main, Abt. 4, Nr. 1078, Blatt 9bv). Die Bitte hatte Erfolg; Bornhausen blieb einstweilen. Schon zum Sommersemester 1935 hatte er ein eigens für ihn eingerichtetes Religionswissenschaftliches Institut erhalten (vgl. Universitätsarchiv Frankfurt am Main, Abt. 14, Nr. 341, Blatt 24), mit einer Abteilung ‚Sammlung Deutscher Volksglaube‘. Seine Lehre erstreckte sich künftig unter anderem auf Themen wie „Deutsche Volksreligion. Mit Lichtbildern“ (Universitätsarchiv Frankfurt am Main, Abt. 134, Nr. 56, Blatt 11; den Lichtbildapparat hatte er der Universität Breslau entwendet, was in einen zähen Streit um die Rückgabe mündete; vgl. Abt. 14, Nr. 341, Blatt 5, 7r/v, 11r/v, 14r, 16r, 17v, 88), „Nordischen Sonnenglauben“ (Universitätsarchiv Frankfurt am Main, Abt. 134, Nr. 56, Blatt 11) oder „Deutsche Sonnensymbolik“ (Universitätsarchiv Frankfurt am Main, Abt. 14, Nr. 341, Blatt 73). 1935/36 setzte Platzhoff seine Bemühungen in Berlin fort (vgl. Universitätsarchiv Frankfurt am Main, Abt. 14, Nr. 341, Blatt 49r/ v), indem er auf Mattiats Geheiß hin Rektor und Dekan in Breslau um Gutachten zu Bornhausens Charakter ersuchte (der Rektor bescheinigte Bornhausen „einen sehr stark egozentrisch gerichteten Typ“, der „entschieden an der Grenze des Pathologischen“ stehe und „eigentlich nicht mit dem normalen Maßstab geistig gemessen werden kann“, eine „kranke[], sich selbst maßlos übersteigende[] Persönlichkeit“, eine „außerordentlich sensible und nach Geltung verlangende“ Persönlichkeit, „eine sehr schwer umgängliche Natur […], die ihre ganze Umgebung stets nach ihrer persönlichen Vorstellung zu gestalten und jeden, der dabei hemmend im Wege steht, rücksichtslos zu beseitigen versucht“, Universitätsarchiv Frankfurt am Main, Abt. 4, Nr. 1078, Blatt 13r/v; der Dekan sprach von „Fanatismus“: „Er […] empfand und behandelte die geringste Abweichung von seinem Standpunkt […] als einen Angriff auf seine Person, den er durch Abbruch jeder persönlichen Beziehung bis zum Unterlassen des Grußes oder Versagen des Gegengrußes in der Universität und in der Öffentlichkeit beantwortete“, Blatt 14r). Zugleich konnte Platzhoff erreichen, dass die Mittel für die im Mai 1934 in die Frankfurter Rechtswissenschaftliche Fakultät strafversetzten Philosophen Edmund Husserl und Robert Hoeniger durch deren Rückversetzung frei und für die Emeritierung Bornhausens verwendet werden konnten (vgl. Universitätsarchiv Frankfurt am Main, Abt. 4, Nr. 1078, Blatt 20v. 40r). Doch erst mit Schreiben des Reichskanzlers Adolf Hitler vom 10. März 1937 wurde Bornhausen zu Ende des Monats endgültig entpflichtet, „da“, wie Minister Rust kühl mitteilte, „sich trotz eingehendster Bemühungen keine Möglichkeit ergeben hat, Ihnen anstelle der Frankfurter Professur eine andere Wirkungsstelle zu übertragen“ (Universitätsarchiv Frankfurt am Main, Abt. 134, Nr. 56, Blatt 13v; Abt. 4, Nr. 1078, Blatt 44v). Am 22. Juli 1940 starb Bornhausen, geboren in Frankfurt am 19. November 1882, 57jährig daselbst und wurde auf dem Hauptfriedhof bestattet. (Den entwendeten Lichtbildapparat hatte er noch am 5. Februar nach Breslau zurückgesandt,vgl. Universitätsarchiv Frankfurt am Main, Abt. 14, Nr. 341, Blatt 89.) Auf die andere philosophische Professur (mutmaßlich also die ehemalige Tillich-Stelle) wurde schließlich, nach einigem Hin und Her und offenbar auf Vorschlag Heideggers hin (vgl. Reinhardt,

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dessen Sozialistische Entscheidung auf den Index gesetzt worden war, mitansehen, wie der evangelische Studentenpfarrer Otto Fricke, zugleich Pfarrer an der Dreifaltigkeitskirche, sowie (mutmaßlich) der Direktor der Frankfurter Bibliotheken Richard Oehler, Honorarprofessor an der Philosophischen Fakultät, auf dem Römerberg abends um neun das theatralische Schauspiel einer Bücherverbrennung inszenierten.²⁶¹

„Akademisches“ [wie Anm. 111], 394– 395), zum Sommersemester 1936 Hans Lipps berufen (vgl. Universitätsarchiv Frankfurt am Main, Abt. 130, Nr. 15, Blatt 99), der aber schon zum Wintersemester 1935/36 im Frankfurter Vorlesungsverzeichnis aufgeführt wurde und von dem der Göttinger Germanist Friedrich Neumann am 15. Dezember 1934 Dekan Gelzer berichtet hatte, „[e]r war bisher Arzt in der SA und ist vor kurzem in die SS beordert worden“ (Universitätsarchiv Frankfurt am Main, Abt. 130, Nr. 15, Blatt 76v). Der Altphilologe Karl Reinhardt erinnert sich an Lipps so („Akademisches“ [wie Anm. 111], 391): „Der Göttinger Lipps erschien in Frankfurt, wo ihn niemand kannte, schwarz uniformiert. ([…] Ich ahnte nicht, daß er bald einer meiner nächsten Frankfurter Freunde werden würde […].) Schon wollte alles um ihn erschauern, als er die Unvorsichtigkeit beging, bei einem Besuch im philosophischen Seminar vor seinem Assistenten sich zu entschuldigen, daß er in dieser Maskerade komme. Der hatte nichts eiliger zu tun als ihn zu denunzieren. Es hat wenig gefehlt, so wäre uns unser Philosoph der Wirklichkeit, kaum daß wir ihn hatten, auch schon wieder verlorengegangen.“ (Bei wem es sich um den fraglichen Assistenten gehandelt hat, lässt sich nicht mehr sicher klären; das Vorlesungsverzeichnis listet als Hilfsassistenten die Studenten A. Battes und K. Brzoska auf; am ehesten dürfte aber Grebe gemeint gewesen sein, der bis zur Ankunft Lipps’ als Direktor vertretungshalber das Philosophische Seminar leitete.) Als Militärarzt starb Lipps 1941 in Russland „den Soldatentod“ (Universitätsarchiv Frankfurt am Main, Abt. 130, Nr. 15, Blatt 135). Die Vertretung Lipps’ übernahm im Wintersemester 1941/42 der Gießener Philosoph Otto Friedrich Bollnow, bevor zum Sommersemester 1942 Ferdinand Weinhandl die Professur erhielt, der als NSDAP-Mitglied in der NS-Dozentenschaft der Frankfurter Universität die Ämter ‚Wissenschaft‘ und ‚Schulung‘ versah. Nach Weinhandls Weggang übernahm die Vertretung Heinrich Weinstock, bis nach einem Intermezzo Gerhard Krügers, der zum Sommersemester 1946 hätte antreten sollen, sich jedoch für Tübingen entschied, Hans-Georg Gadamer zum Wintersemester 1947/48 berufen wurde.  Vgl. Hannah Tillich, Ich allein bin (wie Anm. ),  f.: „Die Bücherverbrennung wurde von einem jungen Geistlichen geleitet. […] [wir] verfolgten […] das Ereignis vom Fenster eines Hauses, das auf den berühmten alten Marktplatz blickte. Es hatten sich nur wenige Schaulustige eingefunden. Aber da stand der mit Büchern angefüllte Karren, da brannte das Feuer, und da war der junge Pfarrer, der die Bücher in die Flammen warf. Paulus wandte sich mit einem Fluch ab. Ich sah hin. Ich wollte diesen Anblick nie vergessen und verhärtete mein Herz auf immer gegen jedes wärmere Gefühl, das ich vielleicht noch einmal für ‚die Deutschen‘ aufbringen würde.“ Tillich selbst schilderte neun Jahre später das Ereignis weitaus dramatischer (EW III,  f.): „Wir standen am Fenster des ‚Römer‘, des alten Krönungshauses deutscher Kaiser. Auf dem mittelalterlichen Platz drängten sich die Massen, zurückgehalten von Braun- und Schwarzhemden. Ein Holzstoß war aufgeschichtet. Dann sahen wir Züge von Fackelträgern aus den engen Straßen hervorquellen, eine unendliche Reihe in studentischen und Partei-Uniformen. Das Licht der Fackeln flackerte durch die Dunkelheit und beleuchtete phantastisch die Giebel der Häuser. Ich dachte an Gemälde

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aus der Zeit der spanischen Inquisition. Am Ende holperte ein Karren, gezogen von zwei Ochsen, über den Platz, er war beladen mit den Büchern, die als Opfer ausgewählt waren. Hinter dem Karren schritt der Studentenpfarrer. Als man vor dem Scheiterhaufen angekommen war, stieg der Pfarrer auf den Karren und hielt die Verdammungsrede. Er warf das erste Buch auf den nun entzündeten Holzstoß. Hunderte von anderen Büchern folgten. Die Flammen züngelten hoch und beleuchteten das Traumbild, das doch Gegenwart war.“ – Im Stadt-Blatt der Frankfurter Zeitung vom . Mai stand auf der ersten Seite zu lesen: „Die Studentenschaft der Frankfurter Universität, Dozenten, Studenten, SA und SS, zog gestern abend unter Vorantritt einer SA-Kapelle zum Römerberg; auf einem von zwei Zugochsen gezogenen Mistwagen wurden die zu verbrennenden Bücher mitgefahren. Korporationen mit ihren Fahnen schlossen den Zug. Etwa  Menschen umsäumten den Römerberg, als sich gegen  Uhr der Zug unter den Klängen eines Trauermarsches näherte. Nachdem der Wagen vor dem Scheiterhaufen Halt gemacht hatte, bestieg ihn Universitätspfarrer Fricke und hielt eine Ansprache an die versammelten Studenten, in der er unter anderem sagte: So wie seiner Zeit Luther die Bannbulle verbrannte und deutsche Studenten auf der Wartburg die Symbole Metternichscher Reaktion den Flammen übergaben, so schicke sich heute die deutsche Studentenschaft an, durch diesen symbolischen Verbrennungsakt zu beweisen, daß sie den undeutschen Geist endgültig von den deutschen Hochschulen verbannt habe. Dieses Feuer sollte die deutsche Studentenschaft anspornen, für das Vaterland zu kämpfen, und wenn es sein müsse, das Leben hinzugeben. Mit einem ‚Heil‘ auf das deutsche Vaterland und den Volkskanzler Adolf Hitler schloß der Redner. – Nach dem Lied ‚Burschen heraus‘ führte der Hochschulgruppenführer Müller unter anderem aus: Wenn die Frankfurter Studentenschaft heute die Bücher marxistischer und jüdischer Schriftsteller den Flammen übergebe, so geschehe dies nicht aus einer negativen Einstellung heraus, um einen Spaß zu haben, sondern dieser Verbrennungsakt solle ein Symbol dafür sein, daß sich die junge Generation positiv zum Staat und zum deutschen Geist bekenne. Unter den Heil-Rufen der Menge wurden dann die Bücher den Flammen übergeben. Die Menge sang darauf das Horst-Wessel-Lied und brachte Heil-Rufe auf den Reichskanzler Adolf Hitler aus.“ – Von . Teilnehmern sprach auch der Frankfurter General-Anzeiger in seinem weitgehend gleichlautenden Artikel desselben Datums (Nr. , ); das Nazi-Organ Frankfurter Volksblatt erwähnte ‚überfüllte Straßen‘. In den Memoiren der Zeitzeugen hingegen ist die Bücherverbrennung zum allergrößten Teil schlicht unerwähnt geblieben; desgleichen wird im Senatsprotokoll vom . Mai nichts davon berichtet. Es dürfte sich bei den meisten Anwesenden um Parteimitglieder gehandelt haben; die Zahlen werden stark geschönt gewesen sein. Auch Karl Reinhardt, der Gräzist, bestätigt die nüchternere Version Hannah Tillichs („Akademisches“ [wie Anm. ], ): „Der Dozent und Professor für Bibliothekswissenschaft, als der berufene Walter dieses Amtes, hatte auf dem Römerberg, der Stätte der Kaiserkrönungen, inmitten eines organisierten, wenn auch mageren Volksauflaufes, die Literatur der Schmach und Schande dem Scheiterhaufen überantwortet.“ – Mit dem „Professor für Bibliothekswissenschaft“ muss entweder Richard Oehler gemeint sein, der Direktor der Städtischen und Universitäts-Bibliotheken Frankfurt, der zugleich eine Honorarprofessur für Bibliothekswissenschaft an der Universität innehatte, oder Joachim Kirchner, der Leiter der Rothschild-Bibliothek, der sich in Frankfurt für Zeitschriftenkunde habilitiert hatte und eine Privatdozentur für Bibliothekshilfswissenschaften ausübte. Reinhardts Beschreibung trifft am ehesten auf Oehler zu, zumal dieser die Verantwortung für die ‚Säuberungsaktion‘ getragen haben muss, die in den Tagen vor dem . Mai in den Bibliotheken wütete (vgl. dazu Hammerstein, Stiftungsuniversität [wie Anm. ], ). Auf Fricke – der sich 1934 der Bekennenden Kirche anschloss, der nach 1945 offenbar Beziehungen zu den amerikanischen Besatzern unterhielt und der auch den Kontakt zu dem längst sich im

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Ein knappes halbes Jahr später genehmigte Achelis mit Schreiben vom 9. September 1933 an Tillich, der sich zu dieser Zeit in Haus Seelust bei Herrn Wiethorn auf Spiekeroog aufhielt, seinen am 29. August gestellten Antrag auf Beurlaubung „für eine einjährige Vorlesungstätigkeit in New York“, jedoch „ohne Gehalt“²⁶². Die Universität reagierte am 14. September mit der Anweisung an die Universitätskasse, die Zahlungen an Tillich vom 1. Oktober 1933 an einzustellen, obwohl Tillich seine Tätigkeit in New York erst im Frühjahr 1934 aufnehmen sollte. Ob Tillich Einspruch erhob, geht aus den Frankfurter Akten nicht hervor. Es ist dies aber wahrscheinlich, denn am 30. September telegraphierte das Ministerium, immer noch in Gestalt Achelis’, an das Kuratorium, das Gehalt Tillichs „bis zur Entscheidung Beamtengesetz weiterzuzahlen“²⁶³. Zugleich jedoch, nur drei Tage früher, am 27. September 1933, hatte das Ministerium sich an das Kuratorium mit dem Ersuchen gewandt „um umgehenden ausführlichen Bericht über die politische Betätigung des ordentlichen Professors Dr. Paul Tillich, gegebenenfalls unter Beteiligung der Gauleitung der NSDAP“²⁶⁴. Am 4. Oktober antwortete der neue Kurator August Wisser, dass

Ruhestand befindlichen, aber noch immer einflussreichen Foerster suchte (vgl. Foerster, Lebenserinnerungen [wie Anm. 48], 92) – sollte Tillich 1948 anlässlich seines ersten Deutschlandbesuchs nach dem Krieg noch einmal treffen. Das Verhältnis blieb kühl, wenngleich Tillich in der ihm eigenen Freundlichkeit (oder Konfliktscheue) auf jegliche Vorwürfe verzichtet zu haben scheint. EW V, 316 (Brief an Niemöller, nicht datiert, vermutlich Januar 1949): „Ich sprach ferner mit meinem alten Bekannten Oberkirchenrat Fricke, der mir etwas in Aussicht stellte, aber nicht mehr darauf zurückkam. […] So nahm ich an, daß die Kirche in ihren leitenden Persönlichkeiten kein Interesse an meinem Kommen hatte. Ich wurde am Ende meines Aufenthaltes darin bestätigt durch zwei Unterhaltungen, die eine mit Fricke […]. Als ich von Fricke telephonisch Abschied nahm und etwas in der gesagten Richtung andeutete, antwortete er, daß mich die Kirche ‚an ihrer Grenze‘ gebrauchen könne.“ (Vgl. auch Wiesengrund-Adorno in Werk und Wirken Paul Tillichs [wie Anm. 123], 29 f.: „Wenn er [scil. Tillich] spürte, daß einer nicht dumm und nicht gemein war, hat er in ihm die radikal verschiedene Auffassung geehrt. Das ging so weit, daß in seinem Kreis auch Nationalsozialisten waren, sofern sie geistige Menschen waren, geduldet waren – nicht nur geduldet, sondern daß sie mit ihm frei reden konnten. Es war eine merkwürdige Erfahrung, jetzt vor ein paar Jahren, als er einmal in Frankfurt war: wir saßen im Restaurant Heidelberger bei der Universität zusammen, und es waren ein paar alte Schülerinnen von ihm dabei, von denen wir genau wußten, daß sie Nationalsozialisten gewesen waren, aber man hatte das Gefühl, daß ihre Fixierung an Paul Tillich stärker war als das ideologisch Trennende.“)  Universitätsarchiv Frankfurt am Main, Abt. , Nr. , Blatt r; Abt. , Nr. , Blatt . ; Abt. , Nr. , Blatt r. Vgl. auch Abt. , Nr. , Blatt v (Senatsprotokoll vom . November ).  Universitätsarchiv Frankfurt am Main, Abt. , Nr. , Blatt r.  Universitätsarchiv Frankfurt am Main, Abt. , Nr. , Blatt r.

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[u]eber die politische Betätigung des Professors Tillich […] weder der Parteileitung noch mir näheres bekannt [ist]. Ich habe mich deshalb an den Rektor Herrn Professor [Ernst] Krieck gewandt, welcher die in Anlage beigefügte schriftliche Aeusserung gegeben hat. Die Ansicht, dass Professor Tillich hauptsächlich für die jüdisch-marxistische Personalpolitik der hiesigen Universität verantwortlich sei, ist mir auch von anderer Dozentenseite bestätigt worden. Die von Professor Krieck überreichten drei Schriften Tillichs füge ich ebenfalls bei mit der Bitte um Rückgabe nach Gebrauch. In diesen Schriften sind die wesentlichsten Stellen mit Rotstift hervorgehoben.²⁶⁵

 Universitätsarchiv Frankfurt am Main, Abt. , Nr. , Blatt v. – Am Rand ist handschriftlich (mutmaßlich von Wisser) notiert, dass es sich bei den Schriften um Die Sozialistische Entscheidung gehandelt habe sowie um zwei Texte aus der von Wilhelm Stapel herausgegebenen Zeitschrift Deutsches Volkstum, Juni und Dezember , für die Krieck als Autor tätig war. Die beiden letzteren Texte stammen jedoch nicht von Tillich, sondern sind Artikel, in denen Tillich namentlich angegriffen wird, nämlich: Tomas Thomassen, „Der Prophet des ‚religiösen Sozialismus‘“, Deutsches Volkstum  (),  f., sowie Wilhelm Stapel, „Alles um Tillich“, Deutsches Volkstum  (),  – . Der Name „Thomassen“ ist ein von dem Herausgeber Stapel dem Verfasser beigelegtes Pseudonym, das Stapel erfunden habe „deshalb, weil der mächtige preußische Kultusminister [scil. Adolf Grimme] der Beschützer Tillichs ist“ (Stapel, „Alles um Tillich“, ).Wer sich hinter dem Pseudonym verbirgt, ist ungewiss, doch wird Krieck selbst, der als (nach Dortmund strafversetzter) Frankfurter die Verhältnisse vor Ort sehr gut kannte und der nach der Entlassung Tillichs flugs die beiden von Tillich geleiteten Seminare, das Pädagogische und das Philosophische, übernehmen sollte, als Kandidat rachehalber keineswegs auszuschließen sein. Mit dem zweiten Artikel reagierte Stapel auf einen (von ihm zitierten) Leserbrief der beiden evangelischen Theologen und Michaelsbrüder Karl Bernhard Ritter und Wilhelm Stählin, die gegen die Attacke auf Tillich protestiert hatten (Stählin sollte  Mitverfasser des bemerkenswerten Oldenburger Schuldbekenntnisses werden). – Dass Krieck indessen, nach den Massenentlassungen des Jahres , nicht nur Freunde unter den Angehörigen des Lehrkörpers hatte, lässt sein an diese adressiertes Schreiben vom . Januar  ahnen (Universitätsarchiv Frankfurt am Main, Abt. , Nr. , Blatt ): „Eine Reihe von Vorkommnissen, die sich in letzter Zeit schwer angehäuft haben, veranlaßt mich zu folgenden nachdrücklichsten Feststellungen. . Niemand hat das Recht[,] Mitteilungen, Sachverhaltsfeststellungen oder Anordnungen in meinem Namen weiterzugeben, der nicht von mir ausdrücklich dazu ermächtigt ist; . Niemand hat das Recht, seine eigenen Meinungsäußerungen, die ich zur Kenntnis genommen habe, als meine Meinungsäußerung weiterzugeben; . Niemand hat das Recht, meine Worte entstellt oder gar in ihr Gegenteil verbogen weiterzugeben. Es ist tief bedauerlich, daß ich genötigt bin, diese für eine Haltung in Ehre und Sauberkeit selbstverständlichen Voraussetzungen noch ausdrücklich machen zu müssen.“ – Reinhardt schildert seine Erinnerung an Krieck so („Akademisches“ [wie Anm. ], ): „An der Universität war der Herausgeber des Revolverblättchens ‚Volk im Werden‘, der Pädagoge Krieck, der Kopf der Volksschullehrerschaft, eine programmentwerfende Null, […] einstimmig bei sieben Enthaltungen (ein paar waren verreist) zum Rektor gewählt worden. Seine Photographie, in Großformat, mit Hakenkreuz und Eichenlaub geschmückt, stand in den Schaufenstern der Buchläden, die hergerichtet waren wie zu einer Goethehundertjahrfeier.“

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Die Stellungnahme des Rektors Krieck fehlt in den Frankfurter Akten; doch dass Krieck kein Freund Tillichs gewesen sein dürfte, kann schon deshalb als wahrscheinlich gelten, weil Tillich sich 1930 gegen die Berufung Kriecks auf den Pädagogiklehrstuhl²⁶⁶ gewandt und stattdessen sich sehr wahrscheinlich dafür

 Nach der Berufung Tillichs setzte die Fakultät ihre Bemühungen um die Besetzung des Pädagogiklehrstuhls (siehe oben Anm.  – ) fort und schlug durch den Dekan Walter F. Otto dem Ministerium, einer Aufforderung desselben vom . November  folgend, am . Februar  vor, dass angesichts der ‚unerfreulichen‘ „Art, wie zur Zeit Pädagogik in den meisten Fällen getrieben wird“, und der Unterbauung des „eigentliche[n], oft wertvolle[n] erziehungstechnische[n] Teil[s] […] durch eine mangelhafte eklektische und unselbständige Philosophie“ (Universitätsarchiv Frankfurt am Main, Abt. , Nr. , Blatt ) „[d]er ordentliche Lehrstuhl“ zwar „der Pädagogik vorbehalten bleiben, aber vorläufig nicht durch einen Ordinarius besetzt werden“ möge, sondern stattdessen „Persönlichkeiten gerufen werden“ sollten, „die in der modernen pädagogischen Bewegung eine führende Rolle spielen“ (ebd., Blatt ). „Für den Fall, daß das Ministerium eine etatsmäßige Besetzung vorzieht, hat die Fakultät eine Ordinariatsliste aufgestellt. […] Sie hat […] drei Gruppen aufgestellt, die sie gleich bewertet. Die erste Gruppe enthält Persönlichkeiten, die von der Psychologie herkommen und geeignet erscheinen, von ihr aus die Pädagogik neu zu begründen. Die zweite Gruppe enthält Persönlichkeiten, die aus der sozialpädagogischen oder kulturpolitischen Praxis kommen, sich aber gleichzeitig um theoretische Klärung der pädagogischen Probleme bemüht haben. Die dritte Gruppe enthält eine Persönlichkeit, die sich um die philosophisch-historische Begründung der Pädagogik verdient gemacht hat“ (ebd., Blatt ). Für die erste Gruppe nannte die Fakultät den Frankfurter außerordentlichen Professor für Psychologie Adhémar Gelb und den Basler Ordinarius Paul Häberlin, für die zweite Gruppe Mennicke und den Dresdner Honorarprofessor Robert Ulich, für die dritte Gruppe wieder einmal (siehe oben Anm. . . ) Julius Stenzel. Man darf davon ausgehen, dass beide Namen der zweiten Gruppe von Tillich ins Gespräch gebracht wurden und dass dieser an den lobenden Worten des Gutachtens insbesondere für Mennicke (dem gegenüber Ulich auf subtile Weise schlechter abschnitt) Anteil hatte: „Mennicke’s Arbeiten zeigen lebendigste Berührung mit allen pädagogischen Realitäten der Gegenwart. Sie sind klar, bestimmt, und zugleich erfüllt von der Problematik der Dinge, die jede voreilige Lösung verbietet. Die sozialpädagogischen Probleme stehen im Vordergrund, entsprechend der gegenwärtigen pädagogischen Situation. Die umfassende und erfolgreiche pädagogische Praxis Mennickes, die bei ihm immer Hand in Hand ging mit theoretischer Besinnung, beweist, daß er den Anforderungen des pädagogischen Unterrichts durchaus gewachsen ist. Die Fakultät glaubt, in ihm eine durchschlagskräftige, gegenwartsnahe Persönlichkeit zu gewinnen, von der erheblicher Einfluß auf die Studentenschaft, auch über den engen Kreis der Studierenden der Pädagogik hinaus, erwartet werden darf. Die Bedenken, die gegen die rein wissenschaftliche Seite seiner Arbeit von einigen Mitgliedern der Fakultät erhoben wurden, glaubt die Mehrheit der Fakultät im Zusammenhang mit ihrer grundsätzlichen Auffassung vom Wesen der Pädagogik zurückzustellen zu können“ (ebd., Blatt  – ). Mit einem Sonderschreiben ebenfalls vom 25. Februar kam die Fakultät der Aufforderung Minister Beckers nach – formal gleicht der gesamte Vorgang dem um die Berufung Tillichs –, „sich […] auch über Professor Krieck an der dortigen Pädagogischen Akademie zu äußern“ (ebd., Blatt 13), die allerdings nicht zur Universität gehörte und an der Krieck seit 1928 tätig war. (Karl Reinhardt kommentierte diesen Vorgang rückblickend so („Akademisches“, 389): „[…] vorübergehend –

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eingesetzt hatte, seinen Berliner Freund und SPD-Parteigenossen Carl Mennicke,²⁶⁷ Herausgeber und Redakteur der Blätter für religiösen Sozialismus,²⁶⁸ nach

nichts passiert bei Pädagogen leichter – [war] einmal der treffliche Kultusminister Becker“ auf ihn „hereingefallen“.) Die Stellungnahme der Fakultät fiel eindeutig aus: „Die Fakultät hält Prof. Krieck nicht für geeignet, die ordentliche Professur für Pädagogik zu übernehmen. Begründet ist die Ablehnung in der wissenschaftlichen Haltung Prof. Kriecks. Krieck sucht der Pädagogik eine philosophische Grundlegung zu geben. Dieses Bestreben ist fruchtbar, wenn es im Zusammenhang mit selbständigem philosophischen Denken geschieht. Es wird aber schädlich,wenn es dazu führt, daß Elemente verschiedener Philosophien zu einer Philosophie der Pädagogik zusammengefügt werden. Der Pädagoge braucht diese Reflexionen nicht, und der Philosoph lehnt sie als unselbständig ab. Soweit Krieck in der lebendigen pädagogischen Problematik der Gegenwart steht, sind seine Gedanken fruchtbar und zeigen hier und da einen Schwung, der es verständlich macht, daß sein Name in der Pädagogik Klang hat. Sobald aber die Gedanken mit einem philosophischen Gewand bekleidet werden, erstarren sie, werden schematisch und unfruchtbar. Dieses Mißverhältnis drückt sich in allen Krieck’schen Schriften aus. Sie sind originell in einer gewissen vorbegrifflichen Schicht, in der begrifflichen Durcharbeitung sind sie unoriginell und entfalten oft nur unselbständiges Bildungswissen. Das zeigt sich sowohl sprachlich, wie sachlich. Die Sprache ist unscharf, breit, voll von Begriffen und Anschauungen der Schultradition. Sachlich ist vieles richtig gesehen, aber meist in primitiver Weise begründet und dargestellt. Daraus erklärt sich, daß verhältnismäßig wenig Ergebnisse zutage treten, die praktisch weiterführen können. Unter diesen Umständen glaubt die Fakultät, es nicht verantworten zu können, Prof. Krieck zum Ordinarius für Pädagogik vorzuschlagen“ (ebd., Blatt 17– 18). Der Kurator, Kurt Riezler, trat in einem eigenen Schreiben vom 1. März 1930 ausdrücklich „der Stellungnahme der Fakultät gegen Herrn Krieck bei“ (ebd., Blatt 15r). Krieck sollte 1931 wegen der Verbreitung von NSDAP-Slogans nach Dortmund strafversetzt werden, jedoch 1932 wieder zurückkehren und am 21. April 1933 durch den Dekan Erhard Lommatzsch, im Einvernehmen mit dem neuen Kurator August Wisser, gegenüber dem Berliner Ministerium für den Pädagogiklehrstuhl vorgeschlagen werden: „Daß Krieck an der lebensvollen Gestaltung eines hohen nationalen Erziehungsideals bewußt und erfolgreich mitarbeitete, hat die Fakultät schon früher anerkannt. Wir kennen ihn seit langem als eine lautere Persönlichkeit und ebenso als einen in der Praxis bewährten Pädagogen. Seine jüngsten Schriften zur Kulturpolitik und nationalen Erziehungslehre lassen ihn als einen berufenen Vertreter seines Faches im neuen deutschen Staat erscheinen“ (ebd., Blatt 14). Im April 1933, demselben Monat, da Mennicke (am 24.) beurlaubt wurde (der endgültige Entzug der Lehrerlaubnis erfolgte am 12. März 1934, vgl. Universitätsarchiv Frankfurt am Main, Abt. 134, Nr. 366, Blatt 18, und Abt. 4, Nr. 1504, Blatt 8), trat Krieck die Pädagogik-Professur an (die Philosophische Fakultät beantragte mit Unterstützung des neuen Kurators Wisser ebenfalls am 24. auf telegraphischem Wege die Ernennung Kriecks; das Ernennungstelegramm des Ministers Gerullis datiert vom 25.; vgl. Universitätsarchiv Frankfurt am Main, Abt. 14, Nr. 34, Blatt 19 – 20). Nur zwei Tage später wurde Krieck zum Rektor gewählt und übernahm sein neues Amt zum 1. Mai (vgl. Hammerstein, Stiftungsuniversität [wie Anm. 106], 209).  Vgl. Hannah Tillich, Ich allein bin (wie Anm. ), : „[…] Karl Mennicke, der alte Freund aus dem Religiösen Sozialismus, kam ebenfalls in die Stadt […].“ – : „Ein anderer Freund war Karl Mennicke, den wir alle ‚Karolus‘ nannten. Er war Mitglied der sozialdemokratischen Partei, blieb

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nach der Machtergreifung in Deutschland und wurde in ein Konzentrationslager verschleppt. Nach seiner Freilassung lehrte er zunächst in Holland und kehrte dann nach dem Krieg nach Frankfurt zurück. Karl hatte ein ungeheuer mitreißendes Lachen.“ – Im Nachlass Mennickes findet sich der Entwurf für ein Glückwunschschreiben zu Tillichs -jährigem Geburtstag : „Lieber Paulus, ‚was mich nicht umbringt, macht mich stärker‘ – ist ein Wort, dessen Wahrheit sich in Ihrem nunmehr jährigen Leben mehr als einmal erfüllt hat. Da sich bei Ihnen mit solcher Kraft die Liebe paart, die nicht das ihre [sic!] sucht[,] sondern das, was des Geistes ist, wird die Stimme Ihres Lebenswerkes noch Zeugniskraft für viele Generationen haben. Möge Ihnen bis zum letzten Atemzuge die Möglichkeit bleiben, diese Stimme zu immer noch stärkerem und reinerem Klingen zu bringen, das wünscht Ihnen – u. Ihrer l. t. Frau – von ganzem Herzen Ihr dankbarer Mennicke“ (Deutsche Nationalbibliothek Frankfurt am Main, Deutsches Exilarchiv  – , Carl Mennicke, NL  = EB /). – Tillich wiederum hatte sich nicht nur  gegenüber der Philosophischen Fakultät für Mennickes Wiedereinsetzung als Honorarprofessor in Frankfurt eingesetzt (vgl. Universitätsarchiv Frankfurt am Main, Abt. , Nr. , Blatt r; auch Blatt v), sondern fand sich, vermutlich , auch bereit, das Vorwort zu Mennickes bis heute unveröffentlichtem, aus den Jahren  –  stammendem (so Mennickes dritte Frau Madeleine in ihrem Artikel „Zum Gedenken an Carl Mennicke“, Die Deutsche Berufs- und Fachschule. Monatsschrift für Wirtschaftspädagogik  (),  – , hier ) Nachkriegswerk Verwirklichung, Schicksal und Aufgabe unseres Jahrhunderts zu verfassen (Deutsche Nationalbibliothek Frankfurt am Main, Deutsches Exilarchiv  – , Carl Mennicke, NL  = EB /).  Carl Mennicke, Zeitgeschehen im Spiegel persönlichen Schicksals [Langfassung] (wie Anm. ),  (Typoskript: Deutsche Nationalbibliothek Frankfurt am Main, Deutsches Exilarchiv  – , EB /) = Druckfassung,  f.: „Denn der Kreis der ‚Blätter für religiösen Sozialismus‘[,] der, in seinem engsten Sinne, aus sechs Leuten bestand (deren Sekretär ich sozusagen war; wie ich denn auch für die Herausgabe und Schriftleitung der ‚Blätter‘ allein verantwortlich zeichnete), war keine auf Gedeih und Verderb zur Einheit verschworene Kampfgruppe, sondern eine Austauschgemeinschaft, in der jeder seinen eigenen Kopf behauptete. Wir haben gelegentlich im Scherz festgestellt, daß wir drei Juden und drei Heiden seien, auf welche Feststellung der Jude Eduard Heimann empfindlich reagierte, weil er sich durchaus als Christ fühlte. Wir andern, will sagen Paul Tillich, Alexander Rüstow, Arnold Wolfers und meine Wenigkeit sahen uns nicht in der Lage, diesen Anspruch zu erheben. Dabei erübrigt es sich fast zu sagen, daß Tillich unter uns der führende systematische Kopf war. Seine Konzeptionen waren es ja auch, die im geistigen Leben jener Jahre die tiefsten Spuren hinterlassen haben. Aber wie außer Heimann alle anderen, so habe auch ich selbst ihm immer kritisch gegenüber gestanden.“ (Vgl. Kurzfassung, ). – A.a.O., a (= Druckfassung,  f.): „Auf unsern über ganze Zeiten hin fast wöchentlich stattfindenden Ausspracheabenden, die meistens bis in die Nacht dauerten, hat immer nur die Sache gegolten und was jeder dazu beizubringen hatte. Ich wüßte mich keines einzigen Falles zu erinnern, in dem wir über dogmatische Zwirnsfäden gestolpert wären, so daß sie den Gegenstand der Diskussion gebildet hätten. Es war auch völlig selbstverständlich, daß jeder seine Sprache sprach und daß man bemüht blieb, unabhängig von der eigenen Ausdrucksweise das zu erfassen,was der andere eigentlich meinte. In diesem Sinne waren besonders die oft sehr lebhaften Gedankengefechte zwischen Rüstow und Tillich, die ausdrucksmäßig an fast entgegengesetzten Polen standen, geradezu vorbildlich. Rüstow, Freigeist durch und durch, dabei von einer blitzenden Intelligenz, war bei seinem vorbehaltlosen, fast zynischen Realismus einer der schonungslosesten Kritiker, die man sich denken kann. Und doch war er dem paradiesischen Urzustand der Primitiven in fast kindlicher Gläubigkeit ergeben. Er gründete seinen Glauben an die Möglichkeit einer gesellschaftlichen Erneuerung eigentlich auf die von ihm für

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Frankfurt zu holen. Mennicke, Direktor des Sozialpolitischen Seminars der Deutschen Hochschule für Politik in Berlin, an der auch der spätere Frankfurter Hermann Heller lehrte, war seitens der Fakultät für die Pädagogikprofessur (Ziehen- bzw. Schelernachfolge) vorgesehen gewesen;²⁶⁹ nachdem die Fakultät sich mit diesem Wunsch aber in Berlin nicht hatte durchsetzen können, wurde Mennicke noch 1930, am 26. November, zum Honorarprofessor für Pädagogik in der Philosophischen Fakultät ernannt,²⁷⁰ mit vergütetem Lehrauftrag, und übernahm, bei hauptamtlicher Tätigkeit am Berufspädagogischen Institut Frankfurt, im Februar 1931 neben Tillich das Ko-Direktorat des Frankfurter Pädagogischen Seminars:²⁷¹ dies alles, ohne promoviert zu sein – die Frankfurter Philosophische Fafundamental, also nicht für ‚zufällig‘ gehaltene ‚Geschichtstatsache‘, daß in den Anfängen der menschlichen Entwicklung eine vollkommene Gemeinschaft einmal wirklich bestand. Atheismus war für ihn eine Selbstverständlichkeit, an die er kein Gran Leidenschaft verschwendete. Den Katholizismus eines Forschers, dessen Forschungsresultate er aufs höchste schätzte und auf denen er bei eigenen Forschungen fußte, tat er einmal mit dem Ausdruck ‚partielles Irresein‘ ab. Tillich demgegenüber war durch ein tiefgründiges Studium der katholischen und protestantischen Theologie hindurchgegangen, und bei seinen Ausführungen, wenn sie auch immer das Niveau höchster philosophischer Abstraktion hielten, verleugnete er nie den protestantischen Theologen. Ja, er zeigte sich immer ausdrücklich auch an den Problemen der protestantischen Kirche interessiert. Und doch war zwischen diesen beiden so extrem verschiedenen Anschauungen eine Verständigungsmöglichkeit gegeben, weil von Gott nie als von einer Realität gesprochen wurde (als welche eine menschliche Kategorie ist [sic!]); man charakterisierte das religiöse Bewußtsein vielmehr durch die Richtung auf das Unbedingte, die in Rüstow erklärtermaßen ebenso lebendig war wie in uns anderen […].“  Vgl.Universitätsarchiv Frankfurt am Main, Abt. , Nr. , Blatt [b]. ; Abt. , Nr. , Blatt .  Universitätsarchiv Frankfurt am Main, Abt. , Nr. , Blatt ; vgl. Abt. , Nr. , Blatt . .  Vgl. Universitätsarchiv Frankfurt am Main, Abt. , Nr. , Blatt ; Abt. , Nr. , Blatt . – Carl Mennicke, Zeitgeschehen im Spiegel persönlichen Schicksals [Langfassung] (wie Anm. ),  (Typoskript: Deutsche Nationalbibliothek Frankfurt am Main, Deutsches Exilarchiv  – , EB /) (= Druckfassung, ): „Ich habe bereits angedeutet, daß das dritte Jahrzehnt dieses Jahrhunderts für mich mit der Berufung als Hochschullehrer seinen Abschluß fand. Man kann sich […] vorstellen, wie mich diese Wendung meines Geschicks beglückte. Berlin ließ mich zwar nicht gleich los. Ich bin das ganze Wintersemester hin und her gefahren, so zwar, daß ich in der Nacht von Dienstag auf Mittwoch nach Frankfurt fuhr und mich Sonnabend Mittag in Frankfurt auf die Bahn setzte, um abends wieder in Berlin zu sein. […] So atmete ich erst auf, als ich wirklich nach Frankfurt umziehen und mich für meine akademische Arbeit ernstlich einrichten konnte.“ –  (= Druckfassung, ): „Der pädagogische Lehrstuhl Julius Ziehens, des braven Frankfurter Stadtschulrates (für den er ausdrücklich gestiftet worden war) war jahrelang unbesetzt gewesen. Die philosophische Fakultät bestand aus Leuten (Tillich eingeschlossen), die der Pädagogik als eigenständiger Wissenschaft wenig Verständnis entgegenbrachten, die vielmehr der Meinung waren, man müsse sie durch Praktiker per Honorarprofessur an der Universität vertreten

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kultät verlieh Mennicke den Doktortitel erst am 29. Mai 1931,²⁷² nach seiner Antrittsvorlesung am 9. Mai 1931.²⁷³ Am 7. Oktober 1933 bestätigte das Ministerium gegenüber dem Universitätskuratorium seinen Erlass in Sachen Fortzahlung der Bezüge, bis Tillich im Frühjahr 1934 seine Tätigkeit in New York aufnähme.²⁷⁴ Doch sollte schließlich die Stellungnahme des Rektors Krieck, zusammen mit den Schriftgut Tillichs, das Ministerium überzeugen. Am 20. Dezember 1933 verfügte das Ministerium die Entlassung Tillichs aus dem Staatsdienst,²⁷⁵ unter Berufung auf § 4 Berufsbeamtengesetz,²⁷⁶ sowie die Einstellung der Zahlung seiner Dienstbezüge zu Ende März 1934²⁷⁷ – auch dies ein Hinweis darauf, dass Tillichs mutmaßliche Intervention im Herbst Erfolg gehabt hatte – und unterrichtete Tillich darüber mit Eingang der Kopie beim Kuratorium am 27. Dezember 1933.²⁷⁸ Der Einspruch Tillichs vom 20. Januar 1934, von New York aus, wurde am 15. Juni abgewiesen.²⁷⁹ Die Ruhegehaltsbezüge, für die das Ministerium am 26. Februar 1934 eine Höhe von jährlich 9.900 RM errechnet hatte,²⁸⁰ sollten laut Schreiben des Ministeriums an das Kuratorium vom 6. April der

lassen. So fand man die Kombination, mich zum Ordinarius am neubegründeten Berufspädagogischen Institut zu ernennen und mich den Ziehenschen Lehrstuhl als Honorarprofessor verwalten zu lassen, wobei ich gleichzeitig das Direktorat des pädagogischen Seminars der Universität übernahm. Das bedeutete nicht nur wieder eine ungeheure Arbeitslast (ich habe mitunter bis zu  Vorlesungen die Woche gehalten; am Institut arbeiteten drei Jahrgänge, die in Vorlesungen und Übungen gesondert behandelt werden mußten), es bedeutete aufs neue, und nun umso schmerzlicher fühlbar, einen schweren Druck auf meine wissenschaftliche Freiheit. Denn abgesehen von der Zeitbedrängnis bildeten die Studierenden des Berufspädagogischen Instituts (unter denen zwar auch Diplomingenieure waren, die sich aber zum großen Teil aus Menschen der beruflichen Praxis rekrutierten) gleichzeitig ein starkes Kontingent meiner Vorlesungen an der Universität.“  Vgl. Universitätsarchiv Frankfurt am Main, Abt. , Nr. , Blatt ; siehe auch Monika Bourmer, Berufliche Identität in der Sozialen Arbeit. Bildungstheoretische Interpretationen autobiographischer Quellen (Bad Heilbrunn: Julius Klinkhardt, ), . – Carl Mennicke, Zeitgeschehen im Spiegel persönlichen Schicksals [Langfassung] (wie Anm. ),  (Typoskript: Deutsche Nationalbibliothek Frankfurt am Main, Deutsches Exilarchiv  – , EB /) (= Druckfassung, ): „Ich bin denn auch erst nach meiner Berufung an die Frankfurter Universität von der dortigen philosophischen Fakultät promoviert worden.“ (Vgl. Kurzfassung, .)  Vgl. Universitätsarchiv Frankfurt am Main, Abt. , Nr. , Blatt .  Vgl. Universitätsarchiv Frankfurt am Main, Abt. , Nr. , Blatt r.  Vgl. Universitätsarchiv Frankfurt am Main, Abt. , Nr. , Blatt r; Abt. , Nr. , Blatt ; Abt. , Nr. , Blatt r.  Vgl. Universitätsarchiv Frankfurt am Main, Abt. , Nr. , Blatt r.  Vgl. Universitätsarchiv Frankfurt am Main, Abt. , Nr. , Blatt r/v.  Vgl. Universitätsarchiv Frankfurt am Main, Abt. , Nr. , Blatt r.  Vgl. Universitätsarchiv Frankfurt am Main, Abt. , Nr. , Blatt r.  Vgl. Universitätsarchiv Frankfurt am Main, Abt. , Nr. , Blatt r.

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selbstständigen Festsetzung durch das Kuratorium unterliegen,²⁸¹ wobei der Minister sich eingehende Berichterstattung „über die wirtschaftliche Lage des Professors“²⁸² auserbat und darauf hinwies, dass „das Recht auf den Bezug des Ruhegehalts [ruht], solange sich Tillich ohne meine Zustimmung außerhalb des deutschen Reiches aufhält.“²⁸³ Die einstweilen nur potentiellen Ruhegehaltsbezüge plus Kinderbeihilfe wurden von der Universitätskasse auf monatlich 347,61 RM ab dem 1. Mai 1934 festgelegt²⁸⁴ bzw. nach erneuter Prüfung auf 5.090,25 RM jährlich.²⁸⁵ Am 9. Mai 1934 genehmigte das Ministerium unter Achelis nachträglich den Aufenthalt Tillichs in New York,²⁸⁶ so dass der Auszahlung nun nichts mehr im Wege stand. Am 19. Juni versuchte Tillich von New York aus, durch einen Bericht über seine finanziellen Verhältnisse und Bitte um Anrechnung seiner Dienstzeiten in Dresden sowie als Geistlicher in Berlin seine Ruhegehaltsbezüge erhöhen zu lassen;²⁸⁷ in der Tat kam der neue Kultusminister Karl Theodor Vahlen am 1. September diesem Gesuch nach,²⁸⁸ und die Universitätskasse wurde durch das Kuratorium angewiesen, fortan monatlich 408,53 RM auszuzahlen;²⁸⁹ doch am 18. Oktober wurde Tillich mitgeteilt, dass die Gelder auf ein Inlandssperrkonto gezahlt würden, und auch dies nur noch bis zum 31. Dezember 1934, da der Aufenthalt von Ruhegehaltsempfängern im Ausland nicht gestattet sei.²⁹⁰ Von nun an war Tillich auf sein amerikanisches Einkommen angewiesen. Aus seinen deutschen Einkommenssteuererklärungen geht hervor, dass er 1934 2.700 Dollar einnahm, für 1935 mit 4.000 Dollar rechnete, jedoch nur 3.000 Dollar erhielt und 1936 4.400 Dollar bezog. Ab dem 1. April 1951 zahlte das Kuratorium Tillich als Wiedergutmachung rückwirkend Emeritenbezüge „nach einem Grundgehalt von 13.600,– DM jährlich“ und für die Zeit vom 1. April 1950 bis zum 31. März 1951 „eine Entschädigung in Höhe des Jahresbetrages der Emeritenbezüge“²⁹¹. 1967 scheint Hannah Tillich Witwengeld beantragt zu haben; ihr wurden monatlich 1.314,80

 Vgl. Universitätsarchiv Frankfurt am Main, Abt. , Nr. , Blatt r.  Vgl. Universitätsarchiv Frankfurt am Main, Abt. , Nr. , Blatt r. r.  Universitätsarchiv Frankfurt am Main, Abt. , Nr. , Blatt v. v.  Vgl. Universitätsarchiv Frankfurt am Main, Abt. , Nr. , Blatt v.  Vgl. Universitätsarchiv Frankfurt am Main, Abt. , Nr. , Blatt r.  Vgl. Universitätsarchiv Frankfurt am Main, Abt. , Nr. , Blatt r.  Vgl. Universitätsarchiv Frankfurt am Main, Abt. , Nr. , Blatt  – .  Vgl. Universitätsarchiv Frankfurt am Main, Abt. , Nr. , Blatt r.  Vgl. Universitätsarchiv Frankfurt am Main, Abt. , Nr. , Blatt v.  Vgl. Universitätsarchiv Frankfurt am Main, Abt. , Nr. , Blatt r.  Universitätsarchiv Frankfurt am Main, Abt. , Nr. , Blatt  (Brief des Universitätskuratoriums an den Rektor vom . Juli ).

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DM ab dem 1. Januar 1968 bewilligt, indem für Tillich eine ruhegehaltsfähige Dienstzeit von 36 Jahren anerkannt wurde.²⁹²

7 Differenzen und Gemeinsamkeiten In dem gegen Tillich gerichteten Vorwurf einer ‚jüdisch-marxistischen Personalpolitik‘ hallte das Echo der polemischen Artikel wider, die seit 1931 im Deutschen Volkstum ²⁹³ erschienen und sich sowohl gegen die Berufungspraxis der Frank-

 Vgl. Universitätsarchiv Frankfurt am Main, Abt. , Nr. , Blatt r.  Siehe Anm. . . – Die von W. Pauck und M. Pauck erhobene Behauptung, die seitdem in vielen Veröffentlichungen zum Thema zitiert wird, die Universität sei in zwei Artikeln der Frankfurter Zeitung vom . und vom . März  „heimtückisch angegriffen“ (Paul Tillich [wie Anm. ], ) worden, Tillich sei als „‚Verkörperung des Feindes‘ bezeichnet“ worden, und als „Beweis für seine ‚Unzuverlässigkeit‘“ seien „seine Verteidigung linksorientierter Studenten sowie seine projüdischen und prosozialistischen Äußerungen und Schriften“, einschließlich eines Satzes aus der Sozialistischen Entscheidung, „angeführt“ () worden, konnte ich nicht verifizieren, ebensowenig die (möglicherweise auf denselben Vorfall sich beziehende) Mitteilung von A. S. Luchins und E. H. Luchins, die Frankfurter Zeitung habe im Herbst  Tillich angegriffen, „who had spoken out in defense of a student who was a Leftist as well as Jewish“ (mutmaßlich Josef Dünner, siehe unten Anm. ), und habe ihn als „the embodiment of the enemy“ sowie Riezler als Kriminellen bezeichnet („Wertheimer in Frankfurt:  – “ [wie Anm. ], ). Die Frankfurter Zeitung, eine Gründung des Juden Leopold Sonnemann, war im Gegenteil offenbar bis weit in den April  hinein bestrebt, antisemitische Ausfälle als solche zu benennen und sich der allgemeinen Hetze zu verweigern. Das illustriert neben anderen Texten der lange Leitartikel vom . April (Zweites Morgenblatt, S. , abgedruckt in: Dokumente zur Geschichte der Frankfurter Juden  – , hg. von der Kommission zur Erforschung der Geschichte der Frankfurter Juden (Frankfurt am Main:Waldemar Kramer, ),  – ), in dem die reichsweiten Massenentlassungen an den Universitäten kommentiert wurden ( f.): „Wir haben es hier nur als Deutsche mit einer ‚Säuberungs-Aktion‘ zu tun, die zahlreiche Gelehrte und Künstler auf die Straße setzt, und mit der Frage, ob die Regierung für all diese Zwangsurlauber gleichwertigen Ersatz bereithält. […] Diese Männer, einst auf Grund von Fakultätsvorschlägen oder von verflossenen Regierungen berufen, werden zum großen Teil in materielle Not geraten, wenn die Entsetzung nicht geradezu die Zertrümmerung ihrer Existenz bedeutet. […] Man sehe sich die Listen der Beurlaubten an. […] Wir finden da […] Zierden der Hochschulen, Namen von europäischem Rang, Gelehrte, die das Ausland zu Gastvorlesungen berief, Lehrer, die für ihre Universität eine besondere Anziehung bedeuteten. Alle diese Männer haben gelehrt, geschrieben, geforscht, und wenn heute, in der Zeit einer Wissenschaft, die nicht mehr voraussetzungslos sein darf, auch das Wort F. Th.Vischers nicht mehr zutreffen wird: ‚Überall, wo geforscht wird, ist Gott‘, so sollte doch nicht so weit gegangen werden, daß man die Wissenschaft nur an die nationalen Belange knüpft. […] Wir glauben manchen der Gemaßregelten zu kennen, den dieses Verdikt bis ins tiefste Herz treffen wird. […] Es gilt uns heute nur, all den Beurlaubten, die, wie wir glauben wollen, ihrer Wissenschaft redlichen Willens gedient haben, zu danken, und ihnen die menschliche Anteil-

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furter Universität insgesamt als auch gegen einzelne Wissenschaftler, darunter Tillich,wandten. In der Tat hatte Tillich sich nicht nur für Horkheimer und Adorno, sondern, wenn nicht für Mannheim, so doch sicherlich für Mennicke, Heller und Löwe aktiv eingesetzt. Horkheimer verdankte Tillich sein Frankfurter Ordinariat,

nahme an ihrem Schicksal auszusprechen, die jedem gebührt, der für seine Gesinnung fällt oder ohne persönliche Schuld zum Opfer wird.“ Erst im Mai scheint die Gleichschaltung auf die Zeitung durchgeschlagen zu haben, wie unter anderem an dem Bericht über die Bücherverbrennung auf dem Römerberg zu erkennen ist (siehe oben Anm. ). Vermutlich liegt eine Verwechslung mit einem anderen Zeitungsorgan vor; zu denken wäre vor allem an das Frankfurter Volksblatt, dessen fragliche Nummern mir allerdings nicht zugänglich waren. Dass sich jedoch die antisemitische Polemik einer ‚verjudeten‘ Universität in der Tat tief in die Öffentlichkeit hineingefressen hatte, ist einem Brief Kurt Riezlers an Rektor Krieck vom . Januar  zu entnehmen (Dokumente zur Geschichte der Frankfurter Juden  – ,  f.): „Als ich heute  Uhr  Gruppenzimmer II meine Vorlesung beginnen wollte, begann eine Gruppe von  Studenten, von denen ein Teil in Zivil, ein Teil in SS-Uniform war, derartig zu scharren und mit den Schlüsseln zu klimpern, daß ich nicht beginnen konnte […]. Die erwähnte Studentengruppe kannte mich nicht einmal dem Ansehen nach und erkundigte sich, einander zuflüsternd, als ich den Hörsaal betrat, ob ich der richtige sei. Nachdem ich den Hörsaal verlassen hatte, erklärte der Anführer der Gruppe den anwesenden anderen Studenten, wer ich sei, nämlich der frühere Kurator der Universität: ‚Er ist verantwortlich für die Judenpolitik, er hat die ganzen Juden hierherberufen, Dr. Wertheimer, Tillich, Salomon usw., er ist auch derjenige, der  schuld daran war, daß Herr Krieck von der Universität entfernt wurde. […]‘ Ich beehre mich, zu beantragen, daß die Ruhestörer bestraft und endlich die grotesken Irrtümer, in denen sie infolge falscher Information über meine Person, Haltung, Aufgabe befangen sind, aufgeklärt werden. Zu solcher Aufklärung stehe ich zur Verfügung.“ (Zur ‚Entfernung‘ Kriecks  siehe oben Anm. .) Zu Hermann Heller hieß es im zweiten Januarheft 1933 des Deutschen Volkstum in einem von Wilhelm Stapel verfassten Kommentar „Zum Fall Cohn-Breslau“ (87– 89, hier 88): „Wir erinnern uns […] der fabelhaften Carrière des begabten jüdischen Staatsrechtlers Heller, den seinerzeit die mächtige Hand des sozialdemokratischen Professors und nachmaligen Kultusministers Radbruch emporgeleitete. Man kann auch da sagen: Hellers Verdienst! Warum aber machen andre Gelehrte mit nicht geringeren Leistungen nicht solche Carrièren? […] Herr Professor Heller hat sich vor dem Leipziger Staatsgerichtshof nicht nur als ein Gelehrter, sondern auch als ein kaum zu zügelnder Agitator für seine Regierung Braun-Severing-Grimme(‐Radbruch) entpuppt.“ – Heller wehrte sich von Graz aus am 22. März 1933 per Brief an die Schriftleitung (Universitätsarchiv Frankfurt am Main, Abt. 114, Nr. 64, Blatt 14): „1.) Es ist nicht wahr, daß meine Karriere als Staatsrechtslehrer eine fabelhafte war.Wahr ist vielmehr, daß ich im März 1920 als Privatdozent habilitiert wurde und erst im November 1928, also nach 17 Semestern zum außerordentlichen Professor ernannt wurde. 2.) Es ist nicht wahr, daß mich die mächtige Hand des sozialdemokratischen Professors und nachmaligen Kultusministers Radbruch emporleitete; wahr ist vielmehr, daß Radbruch niemals Kultusminister war und das Hauptreferat für meine Habilitation der Staatsrechtler Walter Jellinek hatte. 3.) Es ist nicht wahr, daß ich mit 23 Jahren Professor wurde, wie aus Ihrer mindestens zweideutigen Darstellung vermutet werden muß, wahr ist vielmehr, daß ich nach 4 1/4 jährigem Kriegsdienst und einer Tätigkeit von 17 Semestern als Privatdozent mit 37 Jahren, und zwar von einem nicht sozialdemokratischen Minister[,] zum außerordentlichen Professor ernannt wurde.“

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das beinahe an der Tatsache gescheitert wäre, dass Horkheimer sich in Frankfurt habilitiert hatte, und das die formale Voraussetzung dafür bildete, dass Horkheimer,wie schon vor Tillichs Ankunft geplant,²⁹⁴ zum Wintersemester 1930/31 das Direktorat des Instituts für Sozialforschung (bis 1932 offiziell in Stellvertretung) von dem schlaganfallgeschädigten Carl Grünberg übernehmen konnte;²⁹⁵ zugleich sorgte Tillich offenbar dafür, dass dieses (von Grimme 1930 neu eingerichtete²⁹⁶ und durch die Gesellschaft für Sozialforschung bzw. deren Mäzen Felix Weil als Stiftungsprofessur finanzierte) Ordinariat, anstatt in der Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Fakultät angesiedelt zu werden, der Philosophischen Fakultät zugesprochen wurde. Das eine Ergebnis dieses Schachzugs bestand darin,

 Vgl. Löwenthal, Mitmachen wollte ich nie (wie Anm. ), .  Werk und Wirken Paul Tillichs (wie Anm. ), : „Es hat sich darum gehandelt, daß ich das Direktorat des Instituts für Sozialforschung, das mit der Universität verbunden war, übernehmen sollte. Das war aber nur denkbar, wenn ich zugleich Ordinarius würde. Infolgedessen sollte das Ungewöhnliche geschehen, daß ich einen Ruf an die Universität erhielt, an der ich habilitiert war. Tillich ist dafür eingetreten. Er hat dahin gewirkt, daß ich diesen Ruf erhielt. Es war nicht leicht, denn, wie verständlich, wollte die Fakultät nicht von den Regeln abgehen. Eines Nachts gegen zwei Uhr erhielt ich einen Anruf von Tillich, der mir sagte, es ist so weit. So wurde ich Professor, und ich verdanke das Paul Tillich.“ – Tatsächlich hatte die Fakultät gegen die Berufung eingewandt, dass „[d]ie Professur, um die es sich handelt, […] eine Stiftungsprofessur [ist], und zwar der Art, daß der Vorschlag der Persönlichkeit nicht von der Fakultät ausgeht. Ein solches Verfahren gibt außerakademischen Stellen einen unzulässigen Einfluß auf die Berufung von Professoren und gefährdet die strenge Sachlichkeit der Auswahl […]. Die Fakultät kann ihre Befürchtung nicht verschweigen, daß mit der Ernennung Horkheimers ein gefährlicher Präzedenzfall gegeben ist. […] außer der Habilitationsschrift [liegt] keine Veröffentlichung vor[]. Die Fakultät kann sich darum auch im gegenwärtigen Augenblick kein deutliches Bild von dem Charakter und der Methode der Philosophie machen, die Horkheimer vertreten wird. […] Die Fakultät erkennt jedoch an, daß es sich um eine besondere Lage handelt; vor allem erscheint ihr die Verbindung des Instituts für Sozialforschung mit der Universität wichtig genug, um Bedenken ausnahmsweise zurückzustellen. – Das wird dadurch erleichtert, daß gegen die Person Horkheimers keine grundsätzlichen Bedenken bestehen. Seine große Begabung, sein umfassendes Wissen, seine erkenntnistheoretische Durchbildung, seine ungewöhnlichen pädagogischen Fähigkeiten sind unbestritten. Auch hat er einen großen Lehrerfolg“ (Universitätsarchiv Frankfurt am Main, Abt. , Nr. , Blatt r/v). Als Kompromiss schlug die Fakultät (unter Walter Otto) dem Ministerium vor, die Professur weder für Philosophie noch für Soziologie auszuloben, sondern für Sozialphilosophie, um „[d]urch diese Formulierung des Lehrauftrags […] auch die Außergewöhnlichkeit des Falles, um den es sich handelt, in der Oeffentlichkeit“ (Universitätsarchiv Frankfurt am Main, Abt. , Nr. , Blatt r) zu dokumentieren.  Siehe dazu Sturm, „Historische Einleitung“ (wie Anm. ), XLVIII – XLIX. In der Tat hatte Grimme der Philosophischen Fakultät am . Mai  knapp mitgeteilt (Universitätsarchiv Frankfurt am Main, Abt. , Nr. , Blatt ): „Es besteht die Möglichkeit, in der Philosophischen Fakultät der dortigen Universität ein planmäßiges Ordinariat für Philosophie und Soziologie zu errichten. Jch beabsichtige, diesen Lehrstuhl dem Privatdozenten Dr. Horkheimer zu übertragen[,] und ersuche die Fakultät, hierzu Stellung zu nehmen.“

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dass auf diese Weise nun auch die Systematische Philosophie im eigentlichen Sinne als vertreten gelten durfte: nämlich nicht durch Tillich, sondern durch Horkheimer,²⁹⁷ wenngleich die offizielle Denomination der Horkheimer-Professur ‚Sozialphilosophie‘ lautete²⁹⁸ und die Fakultät in ungebrochener Beharrlichkeit daran festhielt, dass mit der Berufung Horkheimers „die Frage der zweiten philosophischen Professur in der philosophischen Fakultät in keiner Weise berührt worden ist“²⁹⁹. Dennoch war auf diese Weise schließlich der Wunsch Hans Cornelius’ erfüllt worden, der seinerzeit als seinen Nachfolger vergeblich seinen Habilitanden Horkheimer ins Gespräch gebracht hatte.³⁰⁰ Das andere Ergebnis bestand darin, dass zum 1. Oktober 1931 als Nachfolger auf dem gleichfalls durch die Gesellschaft für Sozialforschung finanzierten und weiterhin in der Wirtschaftsund Sozialwissenschaftlichen Fakultät angesiedelten Grünberg-Lehrstuhl, nachdem zunächst der Heidelberger Emil Lederer den Ruf abgelehnt hatte, ein Freund Tillichs aus dem Berliner Kairos-Kreis berufen wurde: Adolf Löwe.³⁰¹ Wiesengrund-Adorno wiederum, dessen erste Habilitationsschrift (Der Begriff des Unbewußten in der transzendentalen Seelenlehre) von Cornelius 1928 abgelehnt worden war und der sich nun auf Tillich angewiesen sah, scheint von diesem bald nach dessen Ankunft in Frankfurt, im Frühsommer 1929, ein entsprechendes  Vgl. Kluke, Stiftungsuniversität (wie Anm. ), . Zuvor hatte die Fakultät mit Schreiben nach Berlin vom . Mai  sich darum bemüht, für die erhoffte zweite Philosophieprofessur neben Tillich Nikolai Hartmann oder Martin Heidegger zu gewinnen (vgl. Universitätsarchiv Frankfurt am Main, Abt. , Nr. K, Blatt ).  Vgl. Universitätsarchiv Frankfurt am Main, Abt. , Nr. , Blatt .  Universitätsarchiv Frankfurt am Main, Abt. , Nr. , Blatt .  Siehe oben Anm. . – Vgl. auch Sturm, „Historische Einleitung“ (wie Anm. ), XXXVI.  Vgl. Universitätsarchiv Frankfurt am Main, Abt. , Nr. , Blatt . – Hannah Tillich, Ich allein bin (wie Anm. ), : „Einer von Paulus’ jüdischen Freunden war Adolf. In der Zeit des Zusammenbruchs nach dem Ersten Weltkrieg war er ein hoher Beamter gewesen.“ (Gemeint sein muss Löwes Position am Institut für Weltwirtschaft in Kiel.) „Er war von kleiner Statur und besaß einen Witz von geradezu tödlicher Treffsicherheit. Es machte mich immer etwas verlegen, wenn ich auf der Straße neben ihm herging, weil ich so viel größer war als er. Adolf liebte es, Paulus anzugreifen, und schätzte ihn um so höher, weil er angesichts kritischer Bemerkungen nie seinen Kampfgeist verlor. Nach solchen Gesprächen kam Paulus immer völlig ausgelaugt nach Hause […].“ – : „[…] Adolf kam häufig aus Berlin“, d. h. nach Frankfurt. – Carl Mennicke, Zeitgeschehen im Spiegel persönlichen Schicksals [Langfassung] (wie Anm. ),  (Typoskript: Deutsche Nationalbibliothek Frankfurt am Main, Deutsches Exilarchiv  – , EB / ) = Druckfassung, , erinnert sich an Löwe so: „Löwe war von seiner amtlichen Stellung im Reichswirtschaftsministerium her jahrelang Mitarbeiter der Sozialisierungskommission und kannte bis in die feinsten Schliche hinein die Widerstände, die jeder noch so zahmen sozialistischen Initiative von kapitalistischer Seite bereitet wurden (und hat uns darüber immer wieder aufgeklärt; in Gemeinschaft mit Heimann auch immer wieder über die harten, ja verhehrenden [sic; Druckfassung : „verheerenden“] Gesetzmäßigkeiten des kapitalistischen Systems).“

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Angebot erhalten zu haben; am 16. Februar 1931 wurde er (nun mit einer neuen Arbeit: Kierkegaard. Konstruktion des Ästhetischen) zur Habilitation zugelassen. Ebenso ist davon auszugehen, dass Tillich an der Berufung seiner sozialistischen Freunde Carl Mennicke 1930 (Pädagogik) und Hermann Heller 1932 (Öffentliches Recht)³⁰² beteiligt war, zumal nach dem Rücktritt Beckers Adolf Grimme das Unterrichtsministerium übernommen hatte, der zu den Religiösen Sozialisten gehörte und mit dem Tillich auch privaten Kontakt pflegte.³⁰³ Ob Tillich sich für die Ende 1929 erfolgende Berufung Karl Mannheims, die ähnlich wie in seinem eigenen Fall durch die Fakultät keineswegs uneingeschränkt befürwortet worden war, einsetzte, muss ungewiss bleiben,³⁰⁴ ebenso, ob er bereits als Berliner Pri-

 Es handelte sich um ein neuerrichtetes Ordinariat für Öffentliches Recht. Heller wurde (zum Sommersemester ) berufen, obwohl die Fakultät auf den ersten Listenplatz Karl Strupp, auf den zweiten Carl Schmitt und auf den dritten Walter Jellinek gesetzt hatte.Während Einigkeit über Strupp bestand, der bereits in Frankfurt beschäftigt war, nämlich als nichtbeamteter außerordentlicher Professor, scheint Schmitt hochgradig umstritten gewesen zu sein. Ein Minderheitsvotum (PD Dr. Hans J. Wolff) hatte für Karl Strupp, Ernst von Hippel aus Königsberg und Gerhard Lassar aus Hamburg plädiert, ein weiteres Minderheitsvotum (Beyerle, Lewald) hatte im Fall einer Nichtverfügbarkeit Carl Schmitts auf a Hermann Heller, auf b Walter Jellinek gesetzt, ein drittes (de Boor, Sinzheimer) hatte in jedem Falle gegen Carl Schmitt Hermann Heller als den Zweitplatzierten genannt, ein viertes (Baumgarten) gegen Heller Carl Bilfinger. (Vgl. Universitätsarchiv Frankfurt am Main, Abt. , Nr. , Blatt  – .) Heller war nach der Gemengelage innerhalb der Fakultät also keineswegs der aussichtsreichste Kandidat, auch nicht für den zweiten Listenplatz. Beyerle als Dekan ließ an seiner Stellungnahme gegenüber dem Kurator vom . Februar  allerdings keinen Zweifel daran, dass Bilfinger als Kandidat nicht ernsthaft in Frage komme. „Der Unterschied der Meinungen besteht nur darin, ob Heller anstelle Carl Schmitts oder ersatzweise hinter diesem zu nennen ist“ (Universitätsarchiv Frankfurt am Main, Abt. , Nr. , Blatt v). Im Resultat konnten sowohl Strupp (für Öffentliches Recht, insbesondere Völkerrecht) als auch Heller (für Öffentliches Recht) berufen werden, da Eberhard Klausing (Deutsche Rechtsgeschichte, Deutsches Privatrecht, Bürgerliches Recht, Handelsrecht einschließlich Genossenschaftsrecht) zum Sommersemester nach Marburg und Eberhard Bruck (Römisches und Bürgerliches Recht) zum Wintersemester nach Bonn berufen worden waren.  Vgl. Hannah Tillich, Ich allein bin (wie Anm. ), : „Es muß im Herbst  angefangen haben. […] Zusammen mit Grimme, Adolf [Löwe] und Karl Mannheim waren wir nach Sils Maria gefahren.“  Meines Wissens ist nicht belegt, dass Tillich und Mannheim sich persönlich bereits aus Berlin kannten, wo Mannheim vor  für kurze Zeit studiert hatte (vgl. Universitätsarchiv Frankfurt am Main, Abt. , Nr. , Blatt r). Horst Bögeholz, ein Doktorand Trutz Rendtorffs, der  im Rahmen eines Dissertationsvorhabens um Einsicht in die Frankfurter Unterlagen nachsuchte, spricht in seinem Exposé allerdings davon, dass Tillich Mannheim „seit einem gegenseitigen Besuch ihrer Seminare in Dresden und Heidelberg [kannte], wo Mannheim zu der Zeit als Privatdozent tätig war“ (Universitätsarchiv Frankfurt am Main, Abt. , Nr. , Blatt ; vgl. auch Blatt ).

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vatdozent Kontakt zu Max Wertheimer aufgebaut hatte.³⁰⁵ In jedem Falle aber weisen die Vorlesungsverzeichnisse der Jahre 1930 bis 1933 gemeinsame Veranstaltungen Tillichs mit Horkheimer sowie mit Wiesengrund-Adorno aus. Gemeinsame Seminare hielt Tillich auch mit Riezler, der mit einer Jüdin verheiratet war, der einzigen Tochter Max Liebermanns, sowie mit dem außerordentlichen Professor für Philosophie und Psychologie Adhémar Gelb, der 1931 von Frankfurt nach Halle berufen wurde, und schließlich mit Max Wertheimer.³⁰⁶ Auf diese Weise nutzte Tillich nicht nur seine Verbindungen, um sich in Frankfurt gezielt mit alten Bekannten zu umgeben, sondern genoss darüber hinaus eine Gesellschaft, die er in dieser konzentrierten Form weder in Berlin oder Halle noch in Marburg oder Dresden kennengelernt hatte und auf die er sich mit seiner Begabung für Menschen und Milieus ganz einzulassen imstande zeigte: die Gesellschaft jüdischer, dabei weitgehend säkularisierter und zugleich mehrheitlich links ausgerichteter Intellektueller – also just das, was der Erlanger Paul Althaus, zugleich stellvertretend für andere Theologen, 1928 als die „ganz bestimmte zersetzte und zersetzende großstädtische Geistigkeit“ geschmäht hatte, „deren Träger nun einmal in erster Linie jüdisches Volkstum ist.“³⁰⁷ In diesen Zusammenhang gehört der Spitzname, der Tillich von seinen Frankfurter Kollegen verliehen wurde und den er sich, vermutlich mit einem gewissen Stolz, zu eigen machte:³⁰⁸ ‚Paulus‘³⁰⁹, nämlich ‚Paulus unter den Juden‘³¹⁰. Ein im Exilarchiv der

 Vgl. oben Anm. . – Zumindest ist ein solcher Kontakt nicht belegt; vielmehr scheint es so, als hätten Tillich und Wertheimer sich tatsächlich erst in Frankfurt kennengelernt. Siehe King und Wertheimer, Max Wertheimer (wie Anm. ),  (über Wertheimers Frankfurter Zeit): „One of his [scil.Wertheimer’s] earliest and closest acquaintances was the co-director of the Philosophical Seminar, Paul Tillich […]. […] In her tape-recorded interviews with Michael Wertheimer, Anni [Wertheimer] reported that during the summer of  Wertheimer and Tillich developed a close relationship, and would often stay up until one or two in the morning discussing philosophy and psychology.“ Zugleich kann allerdings nicht ausgeschlossen werden, dass beide bereits in Berlin über den gemeinsamen Freund Alexander Rüstow (dann wohl eher oberflächliche) Verbindung hatten (zu Wertheimer und Rüstow siehe Luchins/Luchins, „An Introduction to the Origins of Wertheimers [sic!] Gestalt Psychologie [sic!]“ (wie Anm. ), .  – ; ebenso Abraham S. Luchins und Edith H. Luchins, „Max Wertheimer: His life and work during  – “, Gestalt Theory  (),  – , hier ; sowie Abraham S. Luchins und Edith H. Luchins, „Max Wertheimer:  – “, Gestalt Theory  (),  – , hier . ).  Vgl. Hannah Tillich, Ich allein bin (wie Anm. ),  (über die Frankfurter Zeit): „[…] Max Wertheimer erörterte seine Gestalttheorie mit ihm [scil. Tillich] […].“  Paul Althaus, Kirche und Volkstum. Der völkische Wille im Lichte des Evangeliums (Gütersloh: C. Bertelsmann, ), .  Vgl. z. B. Universitätsarchiv Frankfurt am Main, Abt. , Nr. , Blatt  (Brief Tillichs an Horkheimer vom . Oktober ).

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Deutschen Nationalbibliothek lagernder kurzer handschriftlicher Brief Karl Mannheims aus dem Jahr 1940, der Tillich um Unterstützung für den Journalisten Rudolf Olden bittet, nimmt ironisch-freundschaftlich auf diese Eingemeindung Bezug: „Lieber Paulus, ich schreibe Euch diesmal[,] um Rudolf Olden einzuführen, der sich dem Staff der New School anschliesst. Als ich mir überlegte, wer ihm innerlich etwas bedeuten könnte und wem er vice versa wirklich was bedeuten könnte[,] dachte ich an Euch. In diesem Falle sind beide Parteien so wunderbar verjudet[,] dass sie sich sogar als Gojim etwas bedeuten müssen.“³¹¹

 Wiesengrund-Adorno in Werk und Wirken Paul Tillichs (wie Anm. ), : „So [scil. ‚Paulus‘] haben wir ja Tillich immer genannt.“ Vgl. auch z. B. Universitätsarchiv Frankfurt am Main, Abt. , Nr. , Blatt  (Brief Horkheimers an Tillich vom . Oktober ).  Schivelbusch, Intellektuellendämmerung (wie Anm. ), : „Paulus unter den Juden Scherzhafte Bezeichnung für Paul Tillich, geprägt von seinen jüdischen Freunden und Kollegen an der Universität und dem Institut für Sozialforschung.“ – Hannah Tillich, Ich allein bin (wie Anm. ), : „Von Paulus hieß es manchmal scherzhaft, er sei ‚Paulus unter den Juden‘. In der Tat waren die meisten seiner Freunde und auch die meisten Professoren jüdischer Herkunft. Wir hätten ihre bewegliche Intelligenz und ihre glasklare Urteilskraft schmerzlich vermißt, wenn es dieses jüdische Element in der Gesellschaft nicht gegeben hätte. Paulus wurde oft von ihnen in hitzige Diskussionen verwickelt.“ – Einen weiteren Aspekt thematisiert Friedrich Wilhelm Graf („‚Old harmony‘? Über einige Kontinuitätselemente in ‚Paulus‘ Tillichs Theologie der ‚Allversöhnung‘“, in: Ders., Der heilige Zeitgeist. Studien zur Ideengeschichte der protestantischen Theologie in der Weimarer Republik, (Tübingen: Mohr Siebeck, ),  – , hier ): „Gezielt erzeugte Tillich mit der Transformation seines Vornamens von ‚Paul‘ zu ‚Paulus‘ um sich eine religiöse Aura. Als wissenschaftlicher Autor und Intellektueller führte er den Namen ‚Paul‘.Von Freunden ließ er sich aber bewußt ‚Paulus‘ ansprechen, und seine privaten Briefe unterzeichnete er in großer krakeliger Handschrift sehr häufig mit einem ‚Dein Paulus‘ oder ‚Euer Paulus‘. So wurden Freunde und Schüler tendenziell zu Gliedern einer ‚Paulus‘-Personalgemeinde, in der Tillich durch religiöses Sehertum, großen Charme und emphatische Sensibilität ein Netzwerk dichter, zum Teil hoch emotionaler Beziehungen knüpfte.“ (Was die Latinisierung des Vornamens betrifft, bildete Tillich allerdings, erinnert man sich an Carl Mennicke, keinen Einzelfall.)  Der Brief befindet sich im Exilarchiv der Deutschen Nationalbibliothek (Deutsche Nationalbibliothek Frankfurt am Main, Deutsches Exilarchiv  – , EB /-B..a). Der Text lautet: „,The Park, London N.W. . / . Sept.  / Lieber Paulus, / ich schreibe Euch diesmal um Rudolf Olden einzuführen, der sich dem Staff der New School anschliesst. / Als ich mir überlegte, wer ihm innerlich etwas bedeuten könnte und wem er vice versa wirklich was bedeuten könnte dachte ich an Euch. In diesem Falle sind beide Parteien so wunderbar verjudet dass sie sich sogar als Gojim etwas bedeuten müssen. Ich möchte nur noch hinzufügen, dass Olden durch sehr schwere Dinge hindurchgegangen ist, ein bischen scheu vor der Möglichkeit steht ein neues Leben in Amerika zu beginnen und Ihr ihm sicher seelisch beistehen werdet. / Nicht allzulange vor dem Ausbruch des Krieges saß ich im Café Dome und habe Euer gedacht, setze einen Erinnerungsstein den Unbekannten Mädchen die wir zu viert bewundert haben. Wo ist das alles hingekommen. – Über uns? Ich kann nicht schreiben – es wäre zu viel zu sagen.Vielleicht erzählt Löwe einiges. / In alter unveränderbarer Freundschaft / Karl Mannheim / Julia schließt sich an.“

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Diesem persönlichen Umgang entspricht, dass Tillich für das Judentum eine genuine, sogar programmatische Hochschätzung entwickelte und dem in seinen Frankfurter Vorlesungen Ausdruck verlieh. Die Leistung des Judentums, zumal als eines landlosen Volks, sah Tillich darin, den prophetischen Geist wachzuhalten und „Protest gegen jede neu entstehende ursprungsmythische Bindung zu erheben, der Zeit, der unbedingten Forderung, dem Wozu zum Sieg zu verhelfen gegen den Raum, das bloße Sein und das Woher.“³¹² Dementsprechend lag für Tillich die The New School for Social Research in New York, zu deren Gründern 1919 John Dewey gehörte, nahm ab 1933 etliche Gelehrte auf, die Europa hatten verlassen müssen, und brachte sie an der eigens dafür eingerichteten Graduiertenschule unter. Aus Frankfurt fanden dort Max Wertheimer Zuflucht (der zusammen mit seiner Frau von einem Frankfurter Schöffengericht 1936 in Abwesenheit zu je einem Jahr Gefängnis und einer Geldstrafe von zusammen 40.000 Reichsmark verurteilt wurde, da das Ehepaar „mit RM. 20.000 über die Grenze geflüchtet“ sei (so das Frankfurter Volksblatt vom 3. März 1936: Universitätsarchiv Frankfurt am Main, Abt. 4, Nr. 1832, Blatt 9; Abt. 144, Nr. 427, Blatt 1; Abt. 14, Nr. 113, Blatt 9)), Albert Salomon und ab 1941 auch Adolf Löwe, der sich entschieden hatte, mit seiner Familie England zu verlassen. Mannheims wehmütige Assoziation Tillichs mit den zu viert bewunderten „Unbekannten Mädchen“ mag vielleicht vage durch den Umstand veranlasst gewesen sein, dass Olden zusammen mit Hugo Bettauer 1924 die Zeitschrift Er und Sie. Wochenschrift für Lebenskultur und Erotik ins Leben gerufen hatte, die allerdings nach kurzem wieder eingestellt werden musste. Mit dem „Café Dome“ wird das legendäre Café du Dôme in Paris am Boulevard du Montparnasse gemeint sein, ein Treffpunkt exilierter Intellektueller und Künstler. Hannah Tillich (Ich allein bin [wie Anm. 42], 167) berichtet über einen gemeinsamen Parisaufenthalt der Ehepaare Tillich und Mannheim, auf den sich Karl Mannheims Bemerkung vermutlich bezieht, Folgendes: „Paulus hatte nie mit Huren geschlafen. Einmal saßen wir zum Beispiel in einem Bordell in Paris zusammen und redeten einfach. Ein andermal zogen wir stundenlang mit Karl und Julia herum, auf der Suche nach einem anstößigen Etablissement, in dem bestimmte sexuelle Praktiken gezeigt wurden. Die Männer machten immer wieder einen Rückzieher, weil sie Angst hatten, in Schwierigkeiten zu geraten oder übers Ohr gehauen zu werden.“ 13 Tage nach dem Schreiben Mannheims an Tillich, am 18. September – an just demselben Tag, da Mannheim Olden brieflich versicherte, „es sehr bedauert“ zu haben, „Sie nicht mehr gesehen zu haben“, und „Ihnen beiden alles Gute für’s neue Leben“ wünschte (Deutsche Nationalbibliothek Frankfurt am Main, Deutsches Exilarchiv 1933– 1945, EB 2010/173k-D.01.0002) –, wurde das Schiff, auf dem Olden und seine Ehefrau die Überfahrt von Großbritannien nach Kanada angetreten hatten, um dort zu ihrer Tochter zu stoßen, von einem deutschen U-Boot versenkt: Beide kamen um.  GW II,  („Die sozialistische Entscheidung“, ). – Hannah Tillich, Ich allein bin (wie Anm. ), : „Später sagte er [scil. Paulus] einmal, die intellektuelle Unbestechlichkeit der Juden rühre daher, daß sie ein Volk ohne Land seien. Nach der Gründung des Staates Israel ging diese Bindungslosigkeit verloren – nun hatten sie eine Heimat zu schützen.“ – Vgl. auch eine Bemerkung Tillichs in seiner Einweihungsrede für das Potsdamer Haus des jüdischen (und sozialistischen) Ehepaars Fritz und Lilly (auch: Lily) Pincus : „Wir müssen wieder und wieder den Raum verlassen, der uns umfängt, um der Zeit, um der Zukunft willen – wie wir ihn verlassen mußten, als wir geboren wurden“ (zitiert nach: Erdmann Sturm, „‚Die Zugehörigkeit Paul Tillichs zum Judentum als feststehende Tatsache …‘. Über Paul Tillichs ‚Geist des Judentums‘ und eine

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Bedeutung des Alten Testaments in der exemplarischen Auseinandersetzung zwischen prophetischer Kritik und einem erstarrten, potentiell dämonischen National- und Territorialbewusstsein: „Darum und nur darum ist das Alte Testament Menschheitsbuch, weil das Besondere, Raum- und Bluts-Gebundene, Nationale als Bekämpftes in ihm vorkommt.“³¹³ Auch für Foerster bildete das Alte Testament ein Dokument der Auseinandersetzung: einer Auseinandersetzung nämlich, die er im Gefolge Ritschls und Barths, und letztlich nicht weit weg von Tillich, als Auseinandersetzung zwischen Religion – den „menschlichen Gottesvorstellungen, Erzählungen von Göttern, Mythen, erst recht Abbildungen Gottes und alle[n] ‚guten Werke[n] (Opfer, Kasteien)“ – und Glauben – als Gehorsam gegenüber der „Herablassung, Offenbarung, Selbstbezeugung Gottes“³¹⁴ – analysierte. Es verdient angesichts der historischen Umstände Erwähnung, dass Foerster das Alte Testament weder, wie die Deutschen Christen, aus dem christlichen Kanon ausgeschieden wissen wollte noch, wie in großen Teilen der lutherischen Tradition der Fall, es als Gesetzesbuch verunglimpfte, sondern dass er bestrebt war, die systematische und historische Verwandtschaft zwischen Juden- und Christentum zu unterstreichen. Anders als Tillich aber, der auf eine Evaluation des Judentums aus spezifisch christlicher Perspektive verzichten konnte, betrachtete Foerster das Judentum als Vorstufe zum Christentum, insofern die Auseinandersetzung zwischen Religion und Glaube erst mit Jesus zum Höhepunkt und zur Entscheidung geführt worden sei.³¹⁵ antisemitische Polemik ( – )“, in: Grenzgänge. Menschen und Schicksale zwischen jüdischer, christlicher und deutscher Identität. Festschrift für Diethard Aschoff, hg. von Folker Siegert (Münster, Hamburg und London: LIT,  / Münsteraner Judaistische Studien, Bd. ),  – , hier ). – Siehe auch Sturm, „‚Die Zugehörigkeit Paul Tillichs zum Judentum als feststehende Tatsache …‘“,  f.  GW II,  („Die sozialistische Entscheidung“, ).  Erich Foerster, Unterricht im Christentum für Erwachsene [/], hg. von Sabine Scharpff (Typoskript, undatiert),  () = Erich Foerster, „Unterricht im Christentum für Erwachsene“, in: Ders., Rechenschaft über den christlichen Glauben im Schatten des Dritten Reiches, hg. von Werner Zager (Kamen: Hartmut Spenner,  / Theologische Studien-Texte, Bd. ),  – , hier . (Die Druckfassung liest „Kasteiungen“ statt „Kasteien“.)  Foerster, Unterricht im Christentum (wie Anm. ),  f. ( f.) = Rechenschaft, : „Die Unterscheidung zwischen Religion und Glaube gilt ebenso von den Religionen, mit denen die Christen erst später in Berührung kamen, also auch von der germanischen. Solange die betreffende Religion lebendig und kräftig ist, und solange die christliche Botschaft geglaubt wird, muss der Unterschied von beiden Seiten empfunden werden. Dagegen gibt es auf dem Boden der israelitisch-jüdischen wie auf dem der heidnischen Religionen – wenn auch hier für uns kaum erkennbar, – [Rechenschaft, : „erkennbar –“] eine Vorstufe der Offenbarung, eine allmählig [Rechenschaft, : „allmählich“] zu Reinheit und Klarheit aufsteigende Botschaft, eine Kette von Vorbereitungen und Weissagungen auf die zukünftige vollkommene Offenbarung, verbunden mit

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Vermutlich ist es kein biographischer Zufall, dass, so wie Tillich mit Juden in Austausch stand (gleichgültig, ob diese selbst sich als Juden verstanden oder nicht), Foerster primär mit zum Christentum übergetretenen Juden Kontakt hatte, die, wie etwa die Oswalts, die Mertons oder Clara Gans, sich eher den reformierten als den lutherischen Gemeinden angeschlossen hatten: letzteres vermutlich aus naheliegenden Gründen. Als die deutsche reformierte Gemeinde beschloss, die langjährige Gemeindeschwester Elisabeth Neumann, eine getaufte Jüdin, zu entlassen, entfremdete Foerster sich seiner ehemaligen Gemeinde.³¹⁶ Von beiden, Tillich und Foerster, gilt jedenfalls, dass sie versuchten, sich einem oppressiven System zu entziehen, das Tillichs Weggefährte Carl Mennicke aus dem niederländischen Exil heraus so beschrieb: „das system der nationalsozialistischen gesinnungskontrolle hat keine lücken und kennt keine gnade. der druck von einschüchterung, denunziation, diffamierung und wirtschaftlicher knechtung ist so genau organisiert, dass auch der kleinste mann ihm nicht entgeht.“³¹⁷ Beide, Tillich und Foerster, zeigten dabei Zivilcourage: Tillich, indem er schroffer Polemik gegen die ‚Religion‘, und deshalb auch von deren Häuptern, den Priestern, gehasst und verfolgt, [Rechenschaft, : „:“] die Prophetie von Männern wie Mose, Amos, Jeremia, Johannes dem Täufer, alle untereinander eins in der Überzeugung, dass echter Gottesdienst nicht Opfer (Kultus), sondern Gehorsam verlangt. Das Alte Testament, eine Sammlung von Schriften sehr verschiedenen Alters und Wertes, ist das Buch, das uns den Kampf des Glaubens oder vollkommenen Gehorsams, den die Propheten fordern, mit der Religion, deren Bräuche und Feste sie bekämpfen und verspotten, und damit die Vorgeschichte der Offenbarung Gottes kennen lehrt. Darin liegt sein Wert, sein grosser [Rechenschaft, : „großer“], sorgsam zu hütender Wert für uns Christen,während die Erzählungen von der Geschichte des Volkes Israel und die Aufzeichnung der in ihm geltenden Gesetze für uns keine grössere [Rechenschaft, : „größere“] Bedeutung haben als die gleichartigen Berichte aus der ältesten Geschichte anderer Völker.“  Foerster, Lebenserinnerungen (wie Anm. ), : „Vollends entfremdete mich dem Presbyterium dessen Haltung gegenüber unserer lieben Gemeindeschwester Elisabeth Neumann. Sie stammte aus einem ursprünglich jüdischen Hause, war aber schon als Säugling getauft worden, auch waren die Eltern längst getauft, – ebenso der Onkel, der Professor der Kunstgeschichte Karl Neumann in Heidelberg; sie war nie von irgendwelchem jüdischen Einfluß berührt worden, aus innerster Neigung Schwester geworden […]. Es war nur eine Stimme in der ganzen Gemeinde, daß sie dies ihr Amt mustergültig geführt hatte, viele einzelne Gemeindemitglieder hatten ihr pflegerisches Geschick und ihre Sorgfalt selbst erfahren, – so auch ich selbst, – aber der plötzlich aufflammende und wie eine Feuersbrunst um sich greifende Antisemitismus mußte ein Opfer haben, und, was das Schlimmste war, das Presbyterium bot es freiwillig an und entsetzte Schwester Elisabeth ihres Amtes.“  Carl Mennicke, „Het duitsche nationalsocialisme aan Het werk“ (undatierter Vortrag / Typoskript, in Holland verfasst, sechs Seiten, hier : Deutsche Nationalbibliothek Frankfurt am Main, Deutsches Exilarchiv  – , Carl Mennicke, NL  = EB /). – Vgl. ders., Zeitgeschehen im Spiegel persönlichen Schicksals [Langfassung] (wie Anm. ),  (Typoskript: Deutsche Nationalbibliothek Frankfurt am Main, Deutsches Exilarchiv  – , EB /

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sich von den braunen Rotten, die von 1931 an bei einigen Gelegenheiten in die Räumlichkeiten der Universität einfielen, nicht einschüchtern ließ,³¹⁸ Foerster, ) = Druckfassung, : „Man konnte nicht anders, als der Art und Weise, wie die NSDAP sich Schritt für Schritt in den Besitz aller entscheidenden Machtpositionen setzte, (sei es auch eine höchst widerwillige) Bewunderung zu zollen. Hier war, spürte man, ein Aktionsprogramm vorhanden, dem keiner gewachsen war, weil es mit einer von niemandem für möglich gehaltenen Unverfrorenheit durchgesetzt wurde.“ (Vgl. Kurzfassung, .)  Karl Korn, Lange Lehrzeit. Ein deutsches Leben (Frankfurt am Main: Societäts-Verlag, ),  f.: „Ich erinnere mich an einen Abend im germanistischen Seminar. Es dürfte im Frühling  gewesen sein. Ahnungslos hatten wir in unseren Studierzellen gesessen; der Vorlesungsbetrieb war längst zu Ende; die Universität würde wie stets um . Uhr geschlossen werden. Als gegen dreiviertelzehn Uhr die Klingeln der Pedelle ertönten, wurden wir gewahr, daß der Haupteingang der Universität, die sich damals noch nicht mit dem Namen Goethes dekoriert hatte, von Hunderten braununiformierter Kerle umlagert war. Es setzte Pfiffe und Rufe von draußen ins Haus. Niemand wußte, was die ganz und gar ungewohnte späte Zusammenrottung für einen konkreten Zweck haben sollte. Hinter dem Ausgangsportal fand sich aus den verschiedenen Seminaren ein Trüppchen von an die achtzig Menschen zusammen, die eingeschüchtert zögerten, das Gebäude zu verlassen. Was würde uns erwarten, wenn wir ins Freie träten? Da kam wie von ungefähr der Philosoph Paul Tillich daher, der offenbar im philosophischen Seminar bis zu diesem Zeitpunkt gewesen war. Sein Erscheinen beruhigte sofort. Unter Tillichs unerschrockenem Vorantritt zog die Schar der Studierenden schweigend, die Gesichter der SA-Männer vermeidend, durch eine enge Gasse spalierbildender Uniformierter. Es war plötzlich totenstill. Das beherzte, inoffensiv schweigende Verlassen des Gebäudes mag die Prügelhorde so überrascht haben, daß sie im entscheidenden Augenblick untätig verharrte. […] Der Vorgang hat sich, solange ich an der Universität Frankfurt studiert und Prüfungen abgelegt habe, bis  nicht wiederholt.“ Siehe auch Joseph Dunner, Zu Protokoll gegeben. Mein Leben als Deutscher und Jude (München: Kurt Desch, 1971), 66: „Bis in die ersten Wochen des Jahres 1933 hinein war die Frankfurter Universität eine der wenigen Universitäten Deutschlands, in denen die Nazis sich blutige Köpfe holten, wenn sie den Versuch wagten, die Universitätstore zu besetzen oder innerhalb des Universitätsgebäudes Zusammenstöße mit linksgerichteten oder jüdischen Studenten hervorzurufen. Nur einmal gelang es uniformierten SA-Leuten, durch ein unbewachtes Seitentor der Universität zu schlüpfen und sich in dem sogenannten Ehrenhof zu versammeln, ohne daß ihnen unsere Selbstwehrformationen sofort entgegentreten konnten. Aus dem Hörsaal herausgerufen, mußte ich eine schnelle Entscheidung treffen. Flucht kam nicht in Frage – wenigstens nicht, solange wir die kleinste Chance hatten, uns zu verteidigen. Die Nazis hatten Gummischläuche, Fahrradketten, Schlagringe – einige trugen zweifellos Pistolen in der Tasche. Meine Leute waren unbewaffnet, und auf Hilfe von Arbeitern aus der Stadt konnte diesmal nicht gerechnet werden. Da fiel mein Blick auf die Professorenbüsten im zweiten Stockwerk der Universität. Einige Studenten bekamen den Auftrag, die Treppe, die vom Ehrenhof hinaufführte, zu halten, die anderen eilten mit mir nach oben. Nachdem die ersten Büsten samt den Sockeln, auf denen sie bisher geruht hatten, auf dem Ehrenhof zerplatzten und die verletzten SA-Leute brüllend aus dem Hof liefen, hatten wir Ruhe. Diese Ehrenhofschlacht hatte zwei Nachspiele. Das erste Nachspiel war eine Verhandlung vor dem Universitätssenat, der mir eine offizielle Rüge erteilte. Das war das mildeste Urteil, das meine Freunde im Senat, der Religionsphilosoph Paul Tillich und der Völkerrechtler [Karl] Strupp,

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dessen Assistent ich übrigens war, sowie mein offizieller Verteidiger, Herr [PD Dr. Fritz] von Hippel, erwartet hatten. Das zweite Nachspiel war eine Verhandlung vor dem Strafgericht, in der der Führer der nationalsozialistischen Studenten – er kam mit verbundenem Arm in die Verhandlung – sechs Monate Gefängnis mit Bewährungsfrist erhielt, während ich unter Zubilligung von Notwehr freigesprochen wurde.“ An das von Dunner (damals noch Dünner; geboren am 10. Mai 1908 in Fürth, aufgewachsen in Berlin) geschilderte Ereignis, das am 21. oder 22. Juni 1932 stattfand (die Ausschreitungen zogen sich offenbar über beide Tage hin), erinnerte sich die Frankfurter Studentin Marion Gräfin Dönhoff später so: „[…] die einzigen, die gegen diese braunen Studenten, die dort besonders ekelhaft waren, vorgingen, waren die Kommunisten, und so habe ich mich ein bißchen bei denen angesiedelt und Versammlungen mitgemacht, Flugblätter verteilt – und mit größtem Vergnügen zugesehen, wie die im Lichtsaal von oben Stühle auf die Braunen darunter schmissen.“ („Widersprüche aushalten, Spannungen leben. Gerd Bucerius und Theo Sommer sprachen mit Marion Gräfin Dönhoff über ihr Leben in zwei Welten“, DIE ZEIT 49/1984 (30. November 1984)). Die Gerichtsverhandlung vor dem Senat in außerordentlicher Sitzung, an der Tillich als Dekan teilnahm und bei der Dünner zusammen mit sieben Kommilitonen, darunter auch Nationalsozialisten, auf der Anklagebank saß, begann am Montag, den 25. Juli 1932, um neun Uhr morgens und dauerte, lediglich unterbrochen von zwei einstündigen Pausen für Mittag- und Abendessen, bis zum Morgen des 26. Juli „morgens 3 Uhr 15 Min.“ (Universitätsarchiv Frankfurt am Main, Abt. 8, Nr. 3, Blatt 717). Die lange Dauer war vor allem den ausgiebigen Vernehmungen der Zeugen (darunter 21 Studenten und zwei Studentinnen) sowie einer Ortsbesichtigung geschuldet. „[…] der Zeuge Ludwig Lazarus gibt auf wiederholten Vorbehalt schliesslich zu, dass er im Ehrenhof den Linksorganisationen das Kommando: zum Marsch nach dem Hauptportal gegeben habe. Graf Max zu Solms Rödelheim gibt an, dass vor dem Zusammenstoss Eulau-Althoff aus einer Gruppe uniformierter Nationalsozialisten heraus mit vernehmlicher Stimme gesagt worden sei: ‚Jetzt wollen wir sie mal ein bisschen provozieren.[‘] Wer dies gesagt habe, kann er nicht angeben. Der Zeuge [Eberhard] Schütz glaubt behaupten zu können, dass [Karl] Althoff so durch die Rote Studentengruppe gegangen sei, dass [Berthold] Eulau sich habe provoziert fühlen müssen. Die Zeugen [Ernst August] Schliebs, [Heinz] Ludwig und [Hans] Dombrowski bestätigen die Aussage des Zeugen Lazarus, dass dieser das Abmarschkommando zum Hauptportal im Ehrenhof gegeben habe. Während die Zeugen Dr. [Otto] Rixecker, Gerhard Schmidt, [Eckhard] Benda und Fräulein [Aletta] Madelung“ – mutmaßlich die Tochter des Rektors Erwin Madelung, eines Theoretischen Physikers – „Dünner als denjenigen bezeichnen, der das Kommando gegeben habe“ (a.a.O., Blatt 714). Das Urteil fiel milder aus, als der Ankläger Geheimrat Professor Joseph Heimberger, ein Strafrechtler, gefordert hatte. Zwar wurde der Nationalsozialist Althoff freigesprochen, doch nur zwei Studenten wurden der Universität verwiesen, und Dünner kam am glimpflichsten davon, indem er einen „einfache[n] Verweis“ (a.a.O., 717) erhielt, als unterschieden von einem ‚protokollierten Verweis‘. (Zu dem gesamten Vorfall siehe Michael Maaser, Universität und Studierende. Die studentische Beteiligung an der Universität Frankfurt von ihrer Gründung bis in die 1930er Jahre, Habilitationsschrift Goethe-Universität Frankfurt am Main, 2014, Typoskript Kap. 4.1.3, 217– 219.) In der Tat wurde Dünner am 1. November 1932 relegiert, jedoch mit regulärem Abgangszeugnis und ohne Vermerk (vgl. Universitätsarchiv Frankfurt am Main, Abt. 604, Nr. 46).

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indem er sich weigerte, in jenes Duckmäusertum zu verfallen, das sich immer weiter ausbreitete,³¹⁹ und nicht zuletzt 1942/43 in seinen Gemeindevorträgen in den Räumen des (mit einem Luftschutzkeller ausgestatteten) Bankhauses Metzler (in der Großen Gallusstraße 18) offenbar deutliche Worte fand.³²⁰ Als die Beken-

 Dieter Stoodt berichtet („Liberale Theologie zwischen Affirmation und Kritik. Erich Foerster ( – ) als Praktischer Theologe“, in: Ders. (Hg.), Martin Buber – Erich Foerster – Paul Tillich. Evangelische Theologie und Religionsphilosophie an der Universität Frankfurt a.M.  bis  (Frankfurt am Main et al.: Peter Lang, ),  – , hier ): „Die damalige Gemeindeschwester Elisabeth Neumann hat mir erzählt, Foerster sei in jenen Tagen in ein jüdisches Schuhgeschäft gegangen und habe Schuhe gekauft. An der Kasse habe er es sich verbeten, daß die eingeschüchterte Verkäuferin das Einwickelpapier herumdrehe, um den jüdischen Firmennamen unleserlich zu machen. Danach sei Foerster mit dem Karton in der Hand auf der Zeil auf und ab spaziert.“ – Als Kandidaten für diese Episode, die zeigt, dass Foerster sich durch den Aufruf zum Boykott von Geschäften in jüdischer Hand nicht beirren ließ, kommen auf und in Umgebung der Zeil (sicherlich neben möglichen weiteren Adressen) in Frage: die Frankfurter Filiale des in Köln ansässigen Schuhhauses A. M. Joseph am Rossmarkt , im Haus zum Goldenen Brunnen, dem ehemaligen Alterssitz der Mutter Goethes (siehe: Artur Joseph, Meines Vaters Haus. Ein Dokument, mit einer Vorrede von Heinrich Böll (Köln et al.: Kiepenheuer & Witsch,  []), . ), und die Schuhwarenhandlung J. & S. Nußbaum (vgl. Benno Nietzel, Handeln und Überleben. Jüdische Unternehmer aus Frankfurt am Main  –  (Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht,  / Kritische Studien zur Geschichtswissenschaft, Bd. ), ), Zeil . Der Schuhgroßhandel der Gebrüder Alfred und Adolf Frankenfelder (vgl. Nietzel, Handeln und Überleben, . .  f.) in der Hohenzollernstr. / (heute Düsseldorfer Straße) dürfte zu weit von der Zeil entfernt gelegen haben, ebenso die Filiale der Julius Speier A.G. (vgl. Nietzel, Handeln und Überleben,  f. . ) am Platz der Republik .  Vgl. Foerster, Lebenserinnerungen (wie Anm. ), : „[…] außerdem habe ich mehrmals ‚Unterricht im Christentum für Erwachsene‘ in Form eines - bis -stündigen Kursus gehalten.“ – Die Skripte des Kurses sind unter dem Titel wie in Anm.  angegeben veröffentlicht. Hier z. B. Unterricht im Christentum,  () = Rechenschaft, : „die Unvereinbarkeit eines Unterrichtes im Christentum mit einer Pädagogik zum Nationalsozialismus“. – Unterricht im Christentum,  () = Rechenschaft, : „Mit allem Ernst ist zu betonen, dass ein vom Evangelium von Christus gelöster Gottesglaube eben kein – wahrer – Gottesglaube sein kann. Wessen Antisemitismus also so weit [Rechenschaft, : „Antisemitismus so weit“] geht, dass er sich weigert, in Jesus den Christus anzuerkennen, weil er Jude war, der wird niemals über das dumpfe Gefühl hinauskommen, unter einer fremden Übermacht zu stehen, und [Rechenschaft, : „stehen und“] einem herzlosen Schicksal verfallen zu sein“. – Unterricht im Christentum,  () = Rechenschaft,  f.: „Jetzt wird klar geworden sein, dass das Pauluswort: [Rechenschaft, : „‚“] Keine ‚Obrigkeit‘, die nicht von Gott wäre [Rechenschaft, : „‘“], nicht eine bestimmte, konkrete Obrigkeit meint, sondern das Prinzip. Es ist ja jederzeit möglich, gerade deshalb einer konkreten, gegebenen Obrigkeit zu widersprechen, weil damit einer höheren Obrigkeit gehorcht wird. Keineswegs ist nach Paulus alle geschichtlich gewordene, tatsächliche Obrigkeit ‚von Gott verordnet‘ in dem Sinn: so, wie sie ist, [Rechenschaft, : „So wie sie ist, ist sie“] von Gott gewollt. Sondern sie ist ‚von Gott‘ […] einmal als Züchtigung, andermal [Rechenschaft, : „ein andermal“] als Stütze und Hilfe. Das Dasein der Obrigkeit und ihrer Gehorsamsforderung ist also für den Christen

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zweideutig und seine Bedeutung nur durch Erleuchtung von oben zu erkennen.“ – Unterricht im Christentum,  () = Rechenschaft,  f.: „Auch der Satan ist Träger einer solchen Gewalt (Luk. [Rechenschaft, : „Lk“] ,), die in der Finsternis ihren Sitz hat. Es sind gottfeindliche Mächte, die das Heilswerk Gottes stören und zerstören möchten und deren Entmächtigung sehnsüchtig von den Christen erwartet wird (. Kor. ,; Eph. ,; Kol. ,; . Petr. ,). Der Epheserbrief betont ihre Übermenschlichkeit, sie sind nicht ‚Fleisch und Blut‘, ihre Macht stammt vom Teufel, es sind furchtbare Feinde, die nur mit Gottes Hilfe zu besiegen sind (Eph. ,). Woran ist mit diesen Warnungen gedacht? […] an […] garstige Mächte, deren Ursprung wirklich im Dunkeln liegt, die nicht nur Einzelne, sondern ganze Völker und Zeitalter vergiften, wie ansteckende Krankheiten, und furchtbares Unheil anrichten, wie z. B. der Nationalismus, der Kapitalismus, der Sozialismus, der Rassismus, jeder [Rechenschaft, : „jeder von ihnen“] der dem Christen gesetzten Autorität feindlich, um mit einer andern [Rechenschaft, : „anderen“] Verkündigung vom höchsten Gut die Menschen vom [Rechenschaft, : „‚“] Trachten nach dem Reiche Gottes und seiner Gerechtigkeit [Rechenschaft, : „‘“] abzuwenden. Und von diesen ‚Exousien‘ gilt nun gewiß [Rechenschaft, : „gewiss“] nicht ‚Seid untertan‘, sondern ‚ergreifet [Rechenschaft, : „Ergreifet“] den Harnisch Gottes, auf dass ihr in solchen fährlichen Zeiten Widerstand tun und alles wohl ausrichten und das Feld behalten möget.‘“ [Rechenschaft, : „(Eph ,).“] – Unterricht im Christentum,  () = Rechenschaft, f.: „[…] der ‚Reichsbischof‘ Ludwig Müller [machte]  [Rechenschaft, : „“] den Versuch […], die Erlangung und Fortführung eines geistlichen Amtes in der deutschen evangelischen [Rechenschaft, : „Deutschen Evangelischen“] Kirche von der Leistung eines Gelübdes abhängig zu machen, das eine eigentlich unbegrenzte Verpflichtung zum Gehorsam gegen den Führer und den Reichsbischof enthielt. Der tapfere Protest gegen diesen Versuch, den neben der ‚Vorläufigen Kirchenleitung‘ der ‚Bekennenden Kirche‘ in den zerrütteten Landeskirchen die Kirchenregierungen der intakten Landeskirchen von Bayern und Württemberg erhoben, führte zum Verzicht auf diese unerhörte Forderung und zum Ersatz durch einen Staatsdiener- oder Beamteneid (der von den Geistlichen als Dieners [sic; Rechenschaft, : „Dienern“] einer ‚Korporation des öffentlichen Rechtes‘, die seit den Jahren der Inflation auch finanziell abhängig geworden war, mit einem Schein des Rechtes gefordert werden konnte). Ihn erklärte die Bekennende Kirche für unbedenklich, wenn auch überflüssig: ‚Der unter Anrufung Gottes dem Führer Adolf Hitler geleistete Eid gibt der Treu- und Gehorsamsverpflichtung den Ernst der Verantwortung vor Gott und damit ihre rechte Begründung. Er schliesst [Rechenschaft, : „schließt“] durch die Berufung auf Gott ein Tun aus, das wider das in der Hl. [Rechenschaft, : „Heiligen“] Schrift bezeugte Gebot Gottes wäre. Damit halten wir uns an das Wort des Herrn: ‚Gebet dem Kaiser usw.‘ und an die apostolische Auslegung: ‚Man muss Gott mehr gehorchen denn dem Menschen‘ und: ‚Jedermann sei untertan (…)‘ [Rechenschaft, : „an das Wort des Herrn ‚Gebet dem Kaiser (…)‘ und an die apostolische Auslegung: ‚Jedermann sei untertan (…)‘“]. Auch Karl Barth erklärte sich nun zu diesem Eide bereit, da feststehe, ‚dass die Verpflichtung auf den Führer Adolf Hitler für den evangelischen Christen nur einem grundsätzlich durch Gottes Gebot begrenzten Inhalt haben kann.‘ Allein, das war ein die Gewissen gerade noch freilassendes [sic; Rechenschaft, : „freilassender“] Kompromiss, keine grundsätzliche Lösung im Sinne des Neuen Testamentes.“ – Unterricht im Christentum,  () = Rechenschaft, : „Eine unheimliche Macht! Geschrieben ist das von Kapitalismus, es passt aber genau so gut auf andere -ismen, auf den Nationalismus, auf den Sozialismus und vor allem auf den Rassismus, den Glauben an die Rasse, die Blutreligion; es passt auf jede Weltanschauung, die sich anstelle der Religion setzen, den Menschen ein anderes höchstes Gut vorspiegeln will, wie der [Rechenschaft, : „will als den“] Frieden mit Gott. Auch diese Ersatzreligionen schreiten über das Menschliche

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nende Kirche es unterließ, auf die Synagogen- und Wohnhausbrandstiftungen 1938 zu reagieren, konnte Foerster nicht anders, als innerlich auf Distanz zu gehen.³²¹ Dass Foerster überdies im Laufe der Zeit dazu gelangte, Praktiken und Ausmaß der Judenvernichtung zumindest zu erahnen, darf als sicher angenommen werden: Sein Frankfurter Schwiegersohn Otto Schulz-Du Bois, ein (an der TH Darmstadt ausgebildeter, promovierter) Bauingenieur, der zum Krieg eingezogen worden war, berichtete während eines Heimaturlaubs 1942 einem befreundeten Ehepaar über die mündliche Aussage des SS-Kommandanten von Riga, derzufolge 25.000 Jüdinnen und Juden aus Riga bereits ermordet und weitere 25.000 zu Zwangsarbeit eingezogen worden seien; kurze Zeit danach sei Schulz-Du Bois auf

im Menschen hinweg und kennen nur einen Wertmaßstab. Die [Rechenschaft, : „So sind die“] Erhaltung der Rasse, letztlich die Hingebung des Einzelnen als Kämpfer für die Rasse, als Soldat, im anderen Gewande doch uralte Mächte, so besonders schwer erkennbar, weil dabei Kräfte und Ordnungen, die der Schöpfer in die Welt hineingelegt hat, vergottet werden.“ – Lebenserinnerungen (wie Anm. ), : „Nur mit großer Sorge kann man sehen, daß in der jüngsten Zeit die Frau nur noch als Gebärerin und Kleinkindmutter geschätzt wird, und daß die Kinder schon von ganz jungen Jahren an ihrem Einfluß geflissentlich entzogen, durch Verpflichtungen und Gelübde zur Anerkennung höherer Autoritäten als die von Gott gesetzten von Vater und Mutter geradezu gezwungen werden […].“  Foerster, Lebenserinnerungen (wie Anm. ),  f.: „Noch ein anderer Akt der Judenverfolgung hat mich persönlich empört. Wir hatten in den letzten Jahren oft Gelegenheit gehabt, uns bei Clara Gans erst in Königstein, dann in Falkenstein zu erholen. Ich hatte sie vor langen Jahren getauft, und sie war seitdem sehr anhänglich an mich und meine Frau und machte es sich jedesmal, wenn wir sie besuchten, zur besonderen Freude, uns etwas Gutes anzutun. Sie war im Übrigen von einer fast übertriebenen Zurückhaltung. Das schöne Haus in Falkenstein wurde nun  im Zuge der ganz Deutschland erfüllenden Synagogenbrände auch angesteckt und zum Teil vernichtet. Es blieb ihr nichts anderes übrig wie Deutschland zu verlassen und mit dem Rest ihres größtenteils ‚beschlagnahmten‘ Vermögens ins Ausland (in die Schweiz) zu gehen. Dieser Synagogenbrand mit allem, was darauf folgte, war es auch, der meinem Verhältnis zur ‚Bekennenden Kirche‘ einen Stoß gab.“ (Bei Clara Gans handelte es sich um eine Tochter des Industriellen Adolf Gans, Mitinhabers der Cassella-Farbwerke.) –  f.: „[…] das Schweigen der Bekennenden Kirche zur Judenverfolgung hat mich dann sehr beunruhigt. Ich weiß wohl, was die leitenden Männer dazu bewog; weiß, daß ein entschiedener, offener Protest wahrscheinlich zu einer Auflösung der Bekennenden Kirche geführt hatte; aber ich kam nicht darüber hinweg, ob diese Klugheit nicht Verleugnung war.“ Diese Sätze gehören zu dem  verfassten Manuskriptteil und sind Ausdruck nicht nur des sicheren Urteils Foersters, sondern auch seiner Integrität, denn wäre der Text in fremde Hände gelangt, hätten die Folgen unangenehm werden können. – Karl Reinhardt berichtet vom . November  („Akademisches“ [wie Anm. ], , Anm. ): „So stand ich am Spätnachmittag am Eingang der Festhalle, die heute wieder Frankfurts unschuldiger Stolz und fröhlicher Glanz ist, als die mit Juden beladenen Lastwagen einfuhren. Lastwagen auf Lastwagen, auf denen sie gedrängt standen, z.T. sich gegenseitig hielten, lauter Männer, fast alle in Mänteln, die Gesichter nicht zu entziffern, verschwanden hinter der Polizeisperre. Ein Unbekannter neben mir schrie auf einmal: ‚Das wird sich rächen!‘“

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Befehl seines Vorgesetzten Oberst Walter Bruns hin heimlich Zeuge einer Massenerschießung durch sechs SS-Männer geworden. Dabei muss es sich um das sogenannte Rumbuli-Massaker vom 30. November 1941 gehandelt haben. Seine Frau Lilli unterrichtete Schulz-Du Bois brieflich über das Schicksal seines diesbezüglichen Reports, den er für seinen Vorgesetzten angefertigt hatte (und der schließlich über Admiral Canaris bis zu Hitler selbst gelangte), über zwei oder drei weitere Massenhinrichtungen, sodann über die Konzentrationslager, die er gesehen hatte, über das Ghetto von Riga, über todgeweihte Frauen, über bettelnde Kinder an Drahtzäunen und über fünf frische Grabhügel in einem Kiefernwäldchen, denen ein ekelerregend-süßlicher Geruch entströmte.³²² Die Eltern seiner Frau dürften diese Erzählungen ebenfalls erreicht haben.

 Siehe Gerald Fleming, Hitler und die Endlösung. „Es ist des Führers Wunsch …“, Vorwort von Wolfgang Scheffler (Wiesbaden und München: Limes, ),  – .Vgl. auch Klaus W.Tofahrn, Das Dritte Reich und der Holocaust (Frankfurt am Main: Peter Lang, ),  f., hier Anm. . Bruns wurde am 8. April 1945 in Göttingen von den Briten verhaftet und nach Trent Park verbracht. Das Protokoll eines dort am 25. April 1945 abgehörten Gesprächs, in dem Bruns sich als Augenzeuge des Rumbuli-Massakers zu erkennen gibt, lautet (Sönke Neitzel, Abgehört. Deutsche Generäle in britischer Kriegsgefangenschaft 1942 – 1945, mit einem Geleitwort von Ian Kershaw (Berlin: List Taschenbuch, 2007), 304 f.): „Als ich davon hörte, dass am Freitag [scil. am 28. November 1941] die Juden erschossen werden sollten“ – tatsächlich war der Freitag offenbar der Tag, an dem Bruns davon erfuhr, nicht der geplante Tag der Erschießung, wie aus seiner späteren Aussage in den Nürnberger Prozessen 1948 hervorgeht (vgl. Fleming, Hitler und die Endlösung, 95 f.) – „ging ich zu dem 21jährigen Bürschchen und sagte, dass sie sich in meinem Dienstbereich sehr nutzbar gemacht hatten […]. […] Kurz und gut, alles Frauen, die nutzbar eingesetzt waren. Habe ich versucht, die zu retten. Habe zu diesem Bürschchen da, Altenmeyer (?), den Namen vergesse ich nicht, der kommt auf die Verbrecherliste, sage ich: ‚Hören Sie mal, das sind doch wertvolle Arbeitskräfte für uns!‘ […] Sagt er: ‚Ja, die müssen erschossen werden, ist Führer-Befehl!‘ Ich sage: ‚Führer-Befehl?‘ ‚Jawohl‘, und da zeigt er mir das. […] also kurz und gut, es gab dann mit dem Kerl da noch eine Auseinandersetzung, ich habe dann telephoniert mit dem General im Hauptquartier, mit Jakobs [scil. dem General der Pioniere Alfred Jacob] und mit Aberger (?) [scil. Oberst Erich Abberger] und mit einem Dr. Schultz [scil. Schulz-Du Bois], der da war beim General der Pioniere [scil. Jacob], wegen dieser Arbeitskräfte […].“ Das „21jährige[] Bürschchen“ Werner Altemeyer [sic!], geboren 1916, tatsächlich also 24 oder 25 Jahre alt, war Referent des Kommandierenden SS-Oberbürgermeisters von Riga; Bruns hat also vielleicht sogar von dessen Dienstzimmer aus mit seinem eigenen Vorgesetzten Jacob und mit Abberger in Angerburg (siehe unten) sowie mit Schulz-Du Bois telefoniert. (Ob Schulz-Du Bois und Jacob sich an diesem Freitag ebenfalls in Angerburg oder doch eher in Riga aufhielten, wird sich wohl nicht mehr klären lassen.) Weiter erinnerte sich Bruns (Neitzel, Abgehört, 305 f.): „Dann […] denke [ich] doch nicht, dass das so schnell geht. Jedenfalls, Sonntag morgens [scil. am 30. November 1941] höre ich, dass sie es schon machen. Das Ghetto ist aufgeräumt worden, da ist ihnen gesagt worden: ‚Ihr werdet umlagert [sic!], nehmt die wichtigsten Sachen noch mit.‘ Im übrigen war das eine Erlösung für die, denn wie sie im Ghetto behandelt wurden, das war ein Martyrium. Ich wollte es nicht glauben, da bin ich rausgefahren und habe mir den Laden angeguckt. […] also an jeder Grube sechs Ma-

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schinenpistolenschützen – die Gruben waren 24 m lang und ungefähr 3 m breit, mussten sich hinlegen wie die Sardinen in einer Büchse, Köpfe nach der Mitte. Oben sechs Maschinenpistolenschützen, die dann den Genickschuss beibrachten.Wie ich kam, war sie schon voll, da mussten die Lebenden also dann sich drauflegen, und dann kriegten sie den Schuss; damit nicht so viel Platz verlorenging, mussten sie sich schön schichten.Vorher wurden sie aber ausgeplündert an der einen Station – hier war der Waldrand, hier drin waren die drei Gruben an dem Sonntag, und hier war noch eine 11/12 km lange Schlange, und die rückte schrittchenweise – es war ein Anstehen auf den Tod. Wenn sie hier nun näher kamen, dann sahen sie, was drin vor sich ging. Ungefähr hier unten mussten sie ihre Schmucksachen und ihre Koffer abgeben. Das Gute kam in den Koffer und das andere auf einen Haufen. Das war zur Bekleidung von unserem notleidenden Volk – und dann, ein Stückchen weiter, mussten sie sich ausziehen und 500 m vor dem Wald vollkommen ausziehen, durften nur Hemd und Schlüpfer anbehalten. Das waren alles nur Frauen und kleine Kinder, so 2jährige. Dann diese zynischen Bemerkungen! Wenn ich noch gesehen hätte, dass diese Maschinenpistolenschützen, die wegen Überanstrengung alle Stunden abgelöst wurden, es widerwillig gemacht hätten! Nein, dreckige Bemerkungen: ‚Da kommt ja so eine jüdische Schönheit.‘ Das sehe ich noch vor meinem geistigen Auge. Ein hübsches Frauenzimmer in so einem feuerroten Hemd. Und von wegen Rassenreinheit: In Riga haben sie sie zuerst rumgevögelt und dann totgeschossen, dass sie nicht mehr reden konnten.“ (Vgl. auch Sönke Neitzel und Harald Welzer, Soldaten. Protokolle vom Kämpfen, Töten und Sterben (Frankfurt am Main: S. Fischer, 2011), 158; dort ist allerdings nur von einer „anderthalb Kilometer lange[n] Schlange“ die Rede.) Nachdem Bruns Augenzeuge geworden war, schob er – den als Ingenieur und Hauptmann der Reserve bei den Pionieren nicht involvierten – Schulz-Du Bois sowie einen weiteren Offizier absichtlich vor, indem er die beiden – ausreichend Zeit war zweifelsohne vorhanden – zum Ort des Geschehens schickte und sie anschließend beauftragte, einen entsprechenden (mutmaßlich genuin erschütterten) Bericht abzufassen, um diesen sodann weiterzuleiten: wohl in der vagen Hoffnung, die Massenerschießungen seien vom Oberkommando bzw. Hitler nicht gebilligt oder würden zumindest in Zukunft untersagt werden. Neitzel, Abgehört, 306 (Zitat Generalmajor Walter Bruns): „Dann habe ich zwei Offiziere rausgeschickt, von denen einer jetzt noch lebt“ – Schulz-Du Bois starb in der Nacht zum 15. Januar 1945 49-jährig an unerwartetem Herzversagen in seinem Frankfurter Haus in der Häberlinstr. 55, Eschersheim, nachdem sein jüngerer Sohn am 14. Januar zur Wehrmacht hatte einrücken müssen (vgl. Foerster, Lebenserinnerungen [wie Anm. 48], 85. 123 f.) –, „weil ich Zeugen haben wollte. Ich habe ihnen nicht gesagt, was los ist; ‚Gehen Sie zum Wald von Ski[r]otawa“ – dem Ort des Lagers – „raus, gucken Sie sich an, was da los ist, und machen sie [sic!] einen Bericht darüber.‘“ Dieser Bericht muss in den wesentlichen Details dasselbe enthalten haben, was auch Bruns mitangesehen hatte, denn nach der schriftlichen Aussage des Arztes Dr. Hans Holzamer (geboren 1895, wohnhaft in Frankfurt-Eschersheim, Nußzeil 84, mit seiner Praxis in der Zeil 111), eines Jugendfreundes von Schulz-Du Bois, erzählte ihm dieser während eines Fronturlaubs 1942, er habe, als er einmal per Auto Straßen und Brücken inspiziert habe, „unregelmäßiges, aber andauerndes Schießen“ (Fleming, Hitler und die Endlösung, 101) gehört (dass Schulz-Du Bois tatsächlich einem gezielten Befehl seines Vorgesetzten Bruns nachgekommen war, scheint er Holzamer verschwiegen zu haben). „Er fuhr in dieser Richtung, fand zuerst einen großen Kleiderhaufen, daran anschließend eine Schlange von Menschen, Frauen, Kinder und Greise in Unterkleidern. Der Kopf der Schlange endete in einem Wäldchen an einem Massengrab. Die Vordersten mußten hineinspringen und wurden durch einen Pistolenschuß in den Kopf getötet. Sechs SS-Männer waren mit diesem grausigen Geschäft befaßt. Die Opfer waren ganz ruhig und gefaßt. Man hörte keine Schreie, nur leises Schluchzen und Weinen

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und beruhigende Worte zu den Kindern. Mein Freund machte einen sachlichen Bericht und gab ihn als Dienstmeldung seinem Vorgesetzten“ (ebd.). Laut Abhörprotokoll erinnerte Bruns sich weiter (Neitzel, Abgehört, 306): „Dann habe ich zu dem Bericht noch ein Amtsschreiben dazugemacht, und habe ihn persönlich zu Jakobs [scil. Jacob] gebracht. Der sagte: ‚Hier liegen schon zwei Beschwerden von Pionierbataillonen aus der Ukraine vor.‘ […] Er sagte: ‚Wir wussten nicht recht, wie wir es dem Führer zu Gehör bringen sollten. Machen wir es auf dem Wege über Canaris.‘ Der hatte diese scheussliche Aufgabe, immer so die günstige Minute abzupassen und dem Führer so leise Andeutungen zu machen.“ Diese von Jacob vorgeschlagene Weiterleitung über Canaris scheint Bruns umgehend versucht zu haben, indem er sich am folgenden Montag, den 1. Dezember, persönlich an das Oberkommando des Heeres im ostpreußischen Angerburg wandte, ca. 350 Kilometer südsüdwestlich von Riga in Masuren gelegen. Nach der schriftlich festgehaltenen Erinnerung des schon erwähnten Erich Abberger, mit dem Bruns nach eigener Aussage am Freitag, den 28. November, ja bereits telefoniert zu haben scheint, sei Bruns „spätestens Anfang Dezember“ (Fleming, Hitler und die Endlösung, 93) persönlich bei ihm in Angerburg erschienen, habe „in einem außerordentlich erregten Zustand“ von dem Massenmord einschließlich des „rohe[n] Gelächter[s] der SD-Leute“ berichtet und verlangt, dass Canaris benachrichtigt würde, „damit der eingreife“ (ebd.). Er, Abberger, habe Bruns darauf hingewiesen, dass nicht Canaris, sondern Oberst Albert Radke unmittelbar zuständig sei und „daß […] eine Weitergabe seiner Meldung persönliche Gefahr für ihn bedeute. Bruns bestand aber auf Weiterleitung, die nach telefonischer Rücksprache mit Radke erfolgte“, so dass Abberger Bruns „in einen zufällig freien Raum [setzte], wo er einen Bericht verfaßte“ (a.a.O., 94). Bei diesem Bericht muss es sich tatsächlich – so ist wohl Abberger zu verstehen (ebd.: „Ich habe nie gewußt, daß das eine Meldung des Hauptmann Dr. Schulz-Du Bois war“) – um den von Schulz-Du Bois erstellten Text gehandelt haben, der nun über Radke wie geplant an Canaris und über diesen an Hitler gelangte. Dass Bruns sich an dem besagten Sonntag absichtlich an den Tatort begeben hatte, scheint er Abberger verschwiegen zu haben, denn ihm gegenüber sprach er lediglich davon, er habe „beim Reiten in Riga eine merkwürdige, ihm unerklärliche Schießerei und Schreierei“ (a.a.O., 93) gehört und sei hingeritten, so, als sei er zufällig dort hineingeraten; ebenso scheint er verheimlicht zu haben, dass er bewusst zwei Offiziere zu Zeugen gemacht hatte. Das wirft die Frage auf, ob er den Bericht von Schulz-Du Bois nicht vielleicht sogar als seinen eigenen ausgab; Holzamer jedoch gab an, dass sein Freund Schulz-Du Bois ebenfalls zum Oberkommando des Heeres beordert worden sei (a.a.O., 102), sicherlich, um befragt zu werden. Sollte also Schulz-Du Bois seinen Bericht namentlich unterzeichnet haben, wovon auszugehen ist, dann scheint Abberger zumindest Abstand davon genommen zu haben, den Text selbst zu lesen. Schulz-Du Bois jedenfalls schrieb an seine Frau in einem Brief, den diese im Januar 1942 erhielt, über den Verbleib seiner Meldung (a.a.O., 98): „Man hatte den Bericht, der immerhin auch für diese an allerhand Scheußlichkeiten gewöhnte Stelle ein Maximum in quantitativer Hinsicht und in der Gemeinheit der Liquidierungen dargestellt hatte, an die oberste Stelle für derartige Dinge, einem im Generalrang stehenden Offizier, dem obersten Abwehrbeauftragten [scil. Canaris] weitergegeben. Und zwar mit der Begründung, daß diese Dinge die Moral der Truppe, die derartiges sieht und hört, gefährden. Dieser, der beim Führer aus- und eingeht, sollte dem F. (= Führer) die Folgen und Scheußlichkeiten dieser Methoden noch einmal eindringlich dargestellt haben, worauf dieser gesagt haben soll: ‚Sie wollen wohl weich werden, mein Herr! Ich muß das tun, denn nach mir wird es doch kein anderer mehr tun!‘“ Diese Worte, ihm vermutlich von Bruns so wiedergegeben, müssen sich in das Gedächtnis Schulz-Du Bois’ eingegraben haben, denn er erzählte sie später auch Holzamer weiter (a.a.O., 102): „Nach meiner [scil. Holzamers] Erinnerung hat dann Admiral

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8 Und nun? Im direkten Vergleich, dies wäre meine abschließende These, können Tillich und Foerster als Vertreter zweier unterschiedlicher Paradigmen dafür gelten, wie evangelisch-theologisch auf jeweils integre Weise mit den Herausforderungen einer (zumindest damals noch) sich fortschreitend säkularisierenden Moderne, zumal in Gestalt einer Universität von programmatisch „untheologischen Charakters“³²³, wie es die Frankfurter Zeitung 1914 formuliert hatte, umgegangen wurde bzw. umgegangen werden kann. Foerster setzte offenkundig auf ein Separierungsmodell. So, wie er Wissenschaft und Weltanschauung, Staat und Kirche auseinanderdividierte, so, wie er sich wiederholt gegen eine kirchliche Einflussnahme auf die Besetzung theologischer Professuren aussprach,³²⁴ so hatte er schon 1911, als weder der Erste Weltkrieg noch das Ende des Kaiserreichs in Sichtweite gewesen waren, einen Gesetzesentwurf zur Trennung von Staat und Kirche vorgelegt, der vorsah, beide zu entflechten und dem Staat nur noch eine allgemeine Kulturpflegefunktion in Bezug auf die Religion zuzugestehen; und von den Landeskirchen hoffte er, sie

Canaris Hitler das Schriftstück vorgelesen. Hitler habe darauf zu Canaris gesagt: ‚Sie wollen wohl weich werden. Ich muß das tun. Nach mir tut es kein anderer.‘“ Das britische Bruns-Abhörprotokoll lautet weiter (Neitzel, Abgehört, 306): „Vierzehn Tage später […] sagte mir der Altenmeyer (?) triumphierend: ‚Hier ist eine Verfügung gekommen, dass derartige Massenerschiessungen in Zukunft nicht mehr stattfinden dürften. Das soll vorsichtiger gemacht werden.‘ Ich weiss aber jetzt aus meinen letzten Warnungen, dass ich seit der Zeit noch verschärft bespitzelt wurde. […] Ich habe in Göttingen jeden Tag auf meine Verhaftung gewartet.“ Bruns, der später „Mitwisser des Putschversuches vom 20. Juli 1944“ (a.a.O., 434) wurde, muss, wie auch Schulz-Du Bois, so stark unter dem Eindruck des Geschehenen gestanden haben, dass er nach Kriegsende offenbar anderen Generälen berichtete, „er hätte persönlich mit angesehen,wie 42000 Juden erschossen wurden. Er beschrieb das nun in der drastischsten, schrecklichsten Art und Weise“ (a.a.O., 369, Zitat General Heinrich Kirchheim).  Frankfurter Zeitung / (. November ), . Morgenblatt, S. .  Z. B. Foerster, Lebenserinnerungen (wie Anm. ), : „[…] auch Freunde konnten sich in Frankfurt dem Zug der Zeit nicht verschließen, der in Macht und Ansehen der Kirche, in ihrem lauten, imponierenden Auftreten in der Öffentlichkeit, in Umzügen, Massenversammlungen und dergleichen einen Sieg des Evangeliums sah. Auf dieser Linie lag dann auch der Kirchenvertrag vom . Mai , durch den die Evangelischen Kirchen (aber der Pluralis ließ sich doch nicht beseitigen) auch äußerlich an die Seite der katholischen Kirche traten, und an dem mir besonders anstößig der darin den Kirchenregierungen eingeräumte Einfluß auf die Besetzung der theologischen Professuren war, (der früher oder später zu einer Ausscheidung der theologischen Fakultäten aus der Universität führen mußte).“

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würden als Relikte vergangener Tage in Bälde untergehen.³²⁵ Dass Foerster bereit war, aus einem solchen Separierungsmodell auch persönliche Konsequenzen zu ziehen, kommt in seinen Selbstzeugnissen zum Ausdruck. So heißt es in einem Brief vom 7. November 1935, mit dem er der Philosophischen Fakultät für deren Glückwünsche zu seinem 70. Geburtstag dankte: „Ich habe dem Lehrkörper der Universität nahezu 30 Jahre lang angehört. Die eigentümliche Schwierigkeit meiner Stellung als Theologe an einer grundsätzlich säkularen Hochschule schloss die Verpflichtung zur Zurückhaltung von allen gemeinsamen Angelegenheiten der Universität in sich, soweit diese nicht selbst mich berief und beauftragte. […] Im Uebrigen habe ich meine Arbeit streng auf mein Fach mit dem Ziele des Unterrichtens künftiger ev. Religionslehrer beschränkt […].“³²⁶ Mit diesem Separierungsmodell verband sich bei Foerster ein auf den ersten Blick überraschendes Bekenntnis zu Pluralismus und Individualisierung. Zumal „die englische Arbeiterschaft“ lobte Foerster dafür, dass sie

 A.a.O.,  – : „[..] mein Urteil über diesen Krieg, daß er nämlich ein frevelhaftes Unternehmen war, steht von Anfang an fest, – ich erwarte von der Zukunft nichts als die Zerstörung aller Werte, die uns bis dahin das Leben teuer gemacht haben, – es sei denn, daß Gott aus dem Stumpf des deutschen Stammes noch einmal ein Reis hervorgehen und einen Schößling aus seiner Wurzel Frucht tragen läßt. […] Zunächst bin ich ganz fest davon überzeugt, daß die Zeit der ‚Kirchen‘, das heißt von Gebilden wie die Römisch-Katholische, die Preußische, Württembergische, Bayrische Landeskirche, die Schwedische Staatskirche, die Church of England und dergleichen endgültig vorbei ist. In einer gewiß nicht mehr fernen Zukunft wird es derartige Kirchen nicht mehr geben. Soweit sie Schöpfungen oder Einrichtungen von Staaten waren, wird sich das von selbst ergeben, je mehr entscheidend für Bestand und Gehalt staatlicher Institutionen Wille und Meinung des Volkes sein wird. Das Volk, das heißt der Staat,wird sie eines Tages fallen lassen als eine Sache, die keinem staatlichen Interesse dient und deren Pflege der privaten Initiative überlassen bleiben darf. Eine solche Abtrennung der Kirchen vom Staat kann schiedlich-friedlich erfolgen durch gesetzliche Akte, die von der großen Mehrheit des Volkes als recht und billig empfunden werden, oder revolutionär durch Enteignung und Raub. Wer es mit Kirche und Volk gut meint, sollte sich um den ersten Weg bemühen, – ich sage ausdrücklich: sowohl für die evangelischen wie für die Römische. Je länger er gemieden wird und je eigensinniger die Kirchen ihre staatlichen Privilegien behaupten und je ängstlicher die Staatsgewalten ihre Kirchenaufsichtsrechte festhalten, desto gewisser wird es einmal zu einem gewaltsamen Bruch kommen, der nicht nur die Kirchen zerbrechen, sondern – was viel schlimmer ist – die Gemeinden und deren Gottesdienst zerstören wird. Die Verwandlung der Kirchgemeinden in Vereine von Christen und der ‚Kirchen‘ in Verbände von Kirchgemeinden zum Zwecke, gute und gesunde Ordnungen und eine kräftige Kirchenleitung aufzubauen, wird das christliche Leben in unserem Volke nicht schädigen, sondern ganz neue Entfaltungsmöglichkeiten bieten. […] Mit den Kirchen wird dann auch das Kirchenrecht verschwinden und nur noch Gegenstand geschichtlicher Betrachtung sein […].“  Universitätsarchiv Frankfurt am Main, Abt. , Nr. , Blatt  (Dankesschreiben Foersters an die Philosophische Fakultät vom . November  für Glückwünsche zu seinem . Geburtstag).

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sich nicht mit der einfachen Lösung von der herrschenden Kirche begnügt, sondern an andere Kultusorganisationen Anschluß gesucht oder solche neu geschaffen [hat]. Der Sinn für das Lebenselement der Feier hat sich also dort nicht ersticken lassen, wenn er in der Kirche die ihm zusagende Befriedigung nicht mehr fand. Das englische Christentum verdankt dem die reiche Individualisierung, durch die allein das Christentum heute Volksreligion bleiben kann, denn es ist eine nahezu unlösbare Aufgabe, einen Ausdruck des Glaubens zu finden, der allen verschiedenen Strömungen innerhalb eines modernen, hochentwickelten Volkes gleicherweise zusagt.³²⁷

Von einer Pluralisierung der religiösen Landschaft, so Foersters Überzeugung, werde letztlich auch die Kirche profitieren, denn: sie [scil. die Kirche] ist Inhaberin eines Monopols der Religionspflege. Auf dem Gebiete des kirchlichen Lebens in Deutschland hat die ideale Konkurrenz so gut wie ganz gefehlt, die sich in England und Amerika, aber auch in Holland und der Schweiz, außerordentlich förderlich und fruchtbar erwiesen hat. Es ist ein Verhängnis unsrer religiösen Lage, daß Bedürfnisse, denen die großen Landeskirchen Verständnis und Entgegenkommen weigern, keinen andern Ausweg finden, als die vollständige Unkirchlichkeit, wenigstens so gut wie keinen.³²⁸ Bei uns gibt es nur die Wahl: kirchlich oder unkirchlich. Bei uns kompromittiert ein Fehler der Kirche nicht nur sie, sondern das Christentum selbst, dessen einzige Repräsentantin sie ist.³²⁹ […] gerade das Streben nach Uniformität des Kultus, der Lehre, der Einrichtung hat das Wachstum der evangelischen Kirche schwer geschädigt.³³⁰

 Foerster, Deutscher Glaube (wie Anm. ), .  Foerster, „Unsozial?“ (wie Anm. ), . – Ähnlich die Diagnose Carl Mennickes, Zeitgeschehen im Spiegel persönlichen Schicksals [Langfassung] (wie Anm. ),  f. (Typoskript: Deutsche Nationalbibliothek Frankfurt am Main, Deutsches Exilarchiv  – , EB / ) = Druckfassung, : „Ich […] möchte nur nicht die Bemerkung unterdrücken, daß wir Deutschen meiner Meinung nach eine denkbar unglückliche Geschichte gehabt haben, die unserer politischen Bildung im allgemeinen mehr hinderlich als förderlich gewesen ist. Zu unseren geschichtlichen Voraussetzungen gehört jedenfalls auch das Luthertum mit seiner engen Anlehnung an die Landesfürsten als summi episcopi und die damit gegebene staatlich-autoritäre Struktur der deutschen Kirchenverfassungen. M. E. eine der Hauptursachen für den geistigen Zerfall unserer Nation im Zeitalter der fortschreitenden Säkularisierung. Wer sich bei uns von der Kirche löst – unter dem Einfluß marxistischer, freidenkerischer, freigeistiger, naturwissenschaftlicher, literarischer, künstlerischer oder schließlich nationalsozialistischer ‚Propaganda‘ – der fällt ganz einfach ins Leere, weil freie geistige Gruppen, die ihn aufnehmen könnten, schlechterdings nicht vorhanden sind. Das ist in Ländern wie Holland und England (von Amerika ganz zu schweigen) völlig anders.“ (Vgl. Kurzfassung, .)  Foerster, „Unsozial?“ (wie Anm. ), .  Foerster, Lebenserinnerungen (wie Anm. ), .

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Überflüssig zu erwähnen, dass Tillich eine ganz andere Position einnahm: eine Position, die nicht auf Trennung, sondern im Gegenteil auf eine neue, höhere Synthese des potentiell Auseinanderdriftenden hinauslief, auf eine „Wiedervereinigung aus der Zerstreuung“³³¹, wie es in seiner Traupredigt für zwei Kinder alter Freunde, Rahel Löwe und Dankwart Rüstow, hieß, oder zumindest auf eine dynamische Korrelation: von Form und Gehalt, von Theologie und Philosophie, von Kulturtheologie und Kirchentheologie,³³² von Profanität und Sakralität,³³³ von ‚sakramental-geschichtsunbewußter‘ und ‚rational-geschichtskritischer Grundhaltung zur Gegenwart‘³³⁴ etc. Ebenso überflüssig zu erwähnen, dass Tillich auch in seiner Person eine solche dialektische Synthese geradezu verkörperte. Max Horkheimer traf diesen Punkt sehr genau, als er in seinem Entwurf für das Kondolenzschreiben an Hannah Tillich, den er am 1. November 1965 aus dem schweizerischen Montagnola bei Lugano dem Dekan der Philosophischen Fakultät Franz Walter Müller sandte und den dieser unverändert übernahm, äußerte:

 Deutsche Nationalbibliothek Frankfurt am Main, Deutsches Exilarchiv  – , EB / k-D.., : „Ihr, die Ihr in vielem von gleichen, in manchem von verschiedenen Traditionen kommt, […] vergesst nicht, dass nicht Reflexion die Unterschiede leugnet, sondern Liebe, die das Fremde versteht und sich mit ihm einigt, Zerstreuung überwindet. Doch was dieser Stunde ihr besonderes Gepräge gibt, ist eine andere, noch universalere Zerstreuung und Wiedervereinigung, die der beiden Geschlechter. […] Wiedervereinigung aus der Zerstreuung, das ist das grosse Ereignis in jeder vollkommenen Vereinigung der Geschlechter.“ – : „Aber die Macht der Zerstreuung ist immer gegenwaertig. Darum huetet die Wiedervereinigung, die Eure Ehe darstellt, mit Wachsamkeit[,] Klugheit und Staerke. […] Darum muss die Wiedervereinigung, die Ihr heute vollzieht, immer von Neuem vollzogen werden.“ –  f.: „Die Wiedervereinigung kann siegreich bleiben. […] weil die letzte Macht alles Lebens nicht Zerstreuung[,] sondern Wiedervereinigung, nicht Spaltung[,] sondern Liebe ist.“ – Der Text ist abgedruckt in: Graf, „Eine unbekannte Traupredigt“ (wie Anm. ). – Zum Synthesecharakter der Theologie Tillichs siehe auch Graf, „‚Old harmony‘?“ (wie Anm. ), : „Für Paul Tillich gewann die Versöhnungsfigur die Form einer alleserklärenden und -strukturierenden Wirklichkeitsmetapher, die er ubiquitär einsetzen konnte. Mit ihrer Hilfe versuchte Tillich[,] vielfältige divergierende Stränge umfassend auf einer höheren Ebene zu vereinen, ohne die jeweilige Eigenständigkeit der Elemente aufzugeben.“  MW VI,  –  („Über die Idee einer Theologie der Kultur“, ), hier .  GW II,  („Klassenkampf und Religiöser Sozialismus“, zuerst ): „[…] der religiöse Sozialismus, ohne sich konfessionell gebunden zu wissen, [ist] geboren aus protestantischem Geist […], aus einem Geist, der darauf verzichtet, neben die Wirklichkeit eine heilige Sphäre, ein sakramentales Gebiet zu stellen, in das er sich flüchtet, um zum Seins-Jenseits zu gelangen. Nimmt der religiöse Sozialismus diese Haltung ein, so tut er ein protestantisches Werk […].“  Vgl. GW II, .  („Grundlinien des religiösen Sozialismus“, ).

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Dass der Theologe das philosophische Lehramt verwalten konnte, entspricht seinem Begriff der Theologie. Sie war ihm kein Fach neben der säkularen Lehre von der Wahrheit, sondern eins mit der Bemühung um den Sinn des eigenen und fremden Lebens, um die Frage nach dem Verhältnis von Bestehendem und dem was anders ist. Zwischen Theorie und Praxis, Tun und Denken, Sonn- und Werktag hat er nie starr zu scheiden gewusst, wie es in der Gegenwart immer mehr üblich wird. Bei allem radikalen Modernismus war er schlechthin ein Christ; wie in die Einzelheiten seiner unkonformistischen Schriften strahlte sein Glaube an das Andere, der seit jener Zeit nur wenig sich gewandelt hat, auch in sein praktisches Leben aus.³³⁵

Zugleich ist auffällig, dass Tillich, der wie kein anderer Theologe seiner Zeit die Autonomie der Kultur respektierte, schätzte und propagierte, zwar empfehlen konnte, den Freidenkern den Status einer Körperschaft öffentlichen Rechts zu verleihen, jedoch eine eigenartige Begründung dafür angab, die mit einem Bekenntnis zum Pluralismus schlechterdings nichts zu tun hatte, sondern im Gegenteil der strategischen Hoffnung Ausdruck verlieh, die Freidenker würden auf diese Weise ihre Glaubwürdigkeit verlieren, infolgedessen das Proletariat nicht mehr länger bürgerlich unterwandern können und so als Konkurrenten der religiösen Sozialisten ausfallen: Ich würde es für einen ungeheuren Glücksfall für die ev. Kirche halten, wenn die Freidenker die Rechte einer öffentlichen Körperschaft erhielten. Es würde ihnen damit mit einem Schlage die stärkste agitatorische Waffe, die sie haben, entrissen werden, der Angriff auf die Verbindung von Staat und Kirche, von [sic!] staatlicher Zwangseinziehung der Kirchensteuern, von beamtenmäßiger Sicherung der Geistlichen und so fort. Da ihre Hauptstoßkraft z. Z. im Proletariat liegt, würde ich natürlich vom Standpunkt des religiösen Sozialismus aus einen solchen Vorgang aufs stärkste begrüßen. Es wäre nach meiner Meinung der beste Riegel vor dem Hereintragen bürgerlich-religiöser Flachheit in das Proletariat.³³⁶

Zu fragen wäre also, ob nicht zumal dem Begriff der Theonomie eine Tendenz zur Vereinheitlichung innewohnt, zur Einheitsgesellschaft,³³⁷ in der für kulturelle

 Universitätsarchiv Frankfurt am Main, Abt. , Nr. , Blatt  – . – Der Brief Müllers (Universitätsarchiv Frankfurt am Main, Abt. , Nr. , Blatt  – .  – ) ist als solcher abgedruckt in: EW V,  – .  EW V,  (Brief Tillichs an Helmuth Schreiner vom . Juli ).  So Tillich schon in seinem Vortrag von , „Über die Idee einer Theologie der Kultur“ (wie Anm. ), : „Solange noch in irgend einer Form neben der Wissenschaft ein Dogma, neben der Gesellschaft eine ‚Gemeinschaft‘, neben dem Staat eine Kirche steht, die bestimmte Sphären für sich in Anspruch nehmen, ist die Autonomie des Geisteslebens bedroht, ja aufgehoben. Denn es entsteht dadurch eine doppelte Wahrheit, eine doppelte Sittlichkeit, ein doppeltes Recht […]. Diese Doppelheit muß unter allen Umständen aufgehoben werden; sie ist unerträglich, sobald sie ins Bewußtsein tritt; denn sie zerstört das Bewußtsein.“ – Siehe auch : „in einer neuen Einheitskultur“. – GW II,  f. („Die sozialistische Entscheidung“, ): „Die Möglichkeit gesell-

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Ausdifferenzierungen nicht mehr so viel Raum bleibt, wie Tillich selbst dies suggeriert. Aus dieser Perspektive liegt über Tillichs verheißungsvoller Beschreibung des Sozialismus „als Verwirklichung einer sinnerfüllten Gesellschaft, von der kein einzelner und keine Gruppe ausgeschlossen ist“³³⁸, ein leichter Schatten der Bedrohlichkeit. Beide Modelle, darin scheint mir eine durchaus bedenkenswerte, wenn nicht sogar traurige Quintessenz zu liegen, weisen ihre eigenen, vielleicht unvermeidlichen Sollbruchstellen auf. Foerster trennte Glaube und Wissenschaft gegen Ende seines Lebens derart radikal, dass er die Überzeugung äußern konnte, Christentum und Moderne bzw. Aufklärung passten nicht zusammen;³³⁹ und doch scheint es, als habe er in seiner Person hartnäckig an beidem zugleich festhalten wollen.³⁴⁰ schaftlicher Macht ist darin begründet, daß ein einheitlicher Wille in der Gesellschaft geschaffen werden muß. Ein einheitlicher Wille aber kommt auf keine andere Weise zustande als durch eine tragende Gruppe oder von ihr herausgestellte Einzelpersönlichkeiten, die die Einheit zugleich repräsentieren und durchsetzen.“  GW II,  („Sozialismus“, ).  Foerster, Lebenserinnerungen (wie Anm. ),  f.: „[…] aber das alles kann mich nicht hindern, diese Barth’sche Theologie in ihrer Grundlage als eine Rückkehr zu den im . Jahrhundert vielfach verlassenen und verleugneten Wahrheiten der Reformation und als einen heilsamen Bruch mit der Aufklärung und all ihren Folgen zu betrachten.“ – Foerster, Unterricht im Christentum (wie Anm. ),  = Rechenschaft, : „Der christliche Gottesglaube hat mit Wissenschaft nichts zu tun, hat keinen Anspruch auf Anerkennung durch die Wissenschaft, ist für diese nichts anderes wie [Rechenschaft, : „als“] – ich gebrauche absichtlich einen starken Ausdruck – eine Idiosynkrasie, der Ausfluss eines eigensinnigen Subjektivismus.“ – Unterricht im Christentum,  = Rechenschaft, : „Allein, diese Einsicht in die wissenschaftliche Haltlosigkeit des christlichen Gottesglaubens braucht uns nicht einen Augenblick zu erschrecken, im Gegenteil, sie wirkt befreiend. Denn, wäre dieser Gottesglaube eine wissenschaftliche Erkenntnis oder Wahrheit, so müssten wir fürchten, dass er durch bessere wissenschaftliche Erkenntnis umgestossen [Rechenschaft, : „umgestoßen“] würde. Absolute, sturmfreie, unfassbare wissenschaftliche [Rechenschaft, : „unerschütterliche wissenschaftliche“] wissenschaftliche Wahrheit gibt es nicht. Nun aber sehen wir, dass der Glaube von dort her keine Erschütterung zu fürchten hat [… ].“  Vgl. Foerster, Lebenserinnerungen (wie Anm. ),  f.: „[…] ich [bin] auch davon überzeugt, daß innerhalb der christlichen Verkündigung immer klarer und fester unterschieden werden wird zwischen Wort Gottes und Mythus, und der seligmachende, von Christus verkündigte und durch ihn verbürgte Gottesglaube als Glaube an dies Wort – und nicht an den Mythus – erkannt wird. Der Mythus kann der Größe Jesu Christi, seiner Vertrauenswürdigkeit, dem, was die Alten seine Gottheit nannten, auch nicht das Geringste hinzufügen. Er wird durch alle Wunder, die als von ihm getan oder als an ihm geschehen berichtet sind, nicht ‚mein Herr‘, sondern er wird es durch seine Worte und durch die Treue, mit der er seinen Glauben bekannt hat, – und durch das Siegel Gottes, die Erscheinung des Auferstandenen, die dynamis theou, die zuerst die Jünger und zuletzt sogar den Paulus überwältigte, in dem Gekreuzigten den Sohn Gottes zu erkennen, und fort und fort über die erwählten Menschen diese Gewalt bewährt hat. – Ich will den Zwang zum Wunderglauben aus

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Eigenartigerweise fand Foersters Verdacht ein fernes Echo bei Adolf Löwe, der umgekehrt Tillich posthum vorwarf, mit seinem Vermittlungsversuch habe dieser in Kauf genommen, die Religion zu sehr zu ‚verdünnen‘: „Ich habe Tillich früher einmal mit Philo verglichen, der das Judentum mit der griechischen Kultur ‚versöhnen‘ wollte und daran gescheitert ist. Ebenso Tillich: er hat das Christentum mit der modernen Kultur versöhnen wollen, und daran muß jeder scheitern. Eines von beiden geht darüber zu Bruch. Nach meiner Meinung ist das Christentum von Tillich ‚verdünnt‘ worden.“³⁴¹ Horkheimer wiederum, der Tillichs Versuch, ein unbedingt Angehendes als Gegenstand von ‚Glauben‘ zu retten, offenbar mit Sympathie begegnete,³⁴² scheint sich im Gegenteil daran gestört zu haben, dies der Verkündigung des Christentums schwinden sehen, – nicht etwa den Wunderglauben bekämpfen, weil dieser Zwang den Glauben verfälscht. Und ich meine, daß die Freiheit den Wundererzählungen der Schrift gegenüber von ihr selbst gegründet ist. Schon die verschiedene Fassung des Gesprächs über das Zeichen des Jona bei Lukas und Matthäus zeigt uns, daß dem Einen die Predigt Jesu, dem Anderen das Wunder des leeren Grabes die Offenbarung war. Ich möchte nicht etwa sagen, daß die Letzteren einen minderen christlichen Glauben gehabt hätten als die Ersteren; nur, daß die Wundererzählung für die Einen nicht so viel bedeutete wie für die Anderen. […] Die Zukunft wird einer Verkündigung des Evangeliums von Christus gehören, die nichts fordert als den Gehorsam des Glaubens.“  Zitiert nach: EW V, . Der Text wird in der Einleitung als „Interview, zehn Jahre nach Tillichs Tod“ (), ausgewiesen, per Fußnote allerdings als „[b]riefliche Mitteilung an Renate Albrecht vom . . “ (), mit dem Fundort: „Derzeit im Privatbesitz von R. Albrecht, Düren, später im Deutsch. P.T.-Archiv“ ().  Vgl. Max Horkheimer, Gesammelte Schriften, Bd. , Nachgelassene Schriften  – . . Notizen, hg. von Gunzelin Schmid Noerr (Frankfurt am Main: Fischer Taschenbuch Verlag, ),  („Tillich (. Februar )“): „Er [scil. Tillich] drückt die Ratlosigkeit aus, in die wir versetzt sind. Er hat sich auf die letzte philosophisch mögliche Position zurückgezogen. Es genügt ihm schon, daß einer um die Wahrheit bemüht ist. Das gilt auch für den Atheisten. Denn indem er die Frage an den unerkennbaren Gott ernst nimmt (the ultimate concern), ist er bereits dem Christentum nah. Hier zeigt sich sein Gegensatz zu den Positivisten, für die die Bemühung um die Wahrheit oder Gott in dieselbe Kategorie fällt, wie die Liebe zur Musik oder die Liebe überhaupt: unverbindliche Privatangelegenheit. Wo der Aberglaube anfängt, ist schwer zu bestimmen. Jedenfalls hat Tillich den Glauben, daß Christus in den Himmel gefahren ist, für Aberglauben gehalten.Worum es bei Tillich geht, ist der Versuch, so etwas wie Religion zu retten. Aber er lehnt die Magie ab, das heißt neun Zehntel des christlichen Glaubens. Die Behauptung, daß das Sittengesetz seinem Gegenteil überlegen sei, ist Offenbarung, beruht auf Glauben. Hier setzt Tillich an. Das Irrationale will er retten. Die Ewigkeit ist da. Wenn ich das irdische Geschehen zu relativieren vermag, dann bin ich erlöst. In Chicago hat Tillich eine Predigt gehalten, in der er zeigt, wieviel Egoismus noch in der besten Tat liegt […].“ Vgl. auch  f. („Der kategorische Imperativ“): „Es gibt nicht den Appell an Vernunft oder etwas im autonomen Subjekt, auf Grund dessen erwiesen ist, daß die Nächstenliebe über die Nächstenfeindschaft gestellt werden muß. […] Nach Kant kann man nicht denken ohne die mit dem Sittengesetz unlöslich verbundenen Ideen. ‚Liebe deinen Nächsten wie dich selbst‘ (daraus haben die Pfaffen gemacht, daß man sich selbst lieben soll)

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womöglich mit interessiertem Seitenblick auf die Death-of-God-Theologie amerikanischer Tillich-Schüler,³⁴³ dass Tillich selbst das Christentum noch nicht genug heißt in der Kantschen Formulierung, daß man den Menschen nie als Mittel, sondern nur als Zweck ansehen soll. Aber das Gegenteil entspricht ebenso der Vernunft.“ –  f. („Die Funktion der Theologie heute“, Januar ): „Falls wir die Existenz eines Absoluten nicht voraussetzen dürfen, hat die Moral keine logische Basis. Die Forderung der Nächstenliebe ebenso wie alle anderen moralischen Gebote und Verbote beruhen auf einer letzten absoluten Instanz, auf die sie sich berufen können – dem Absoluten. Aber über dieses Absolute, das heißt Gott, können wir keinerlei Aussage machen. […] Wir können lediglich aussprechen: die Welt, das Leben sind nicht das Absolute. Daß es noch etwas anderes gäbe, ist ein logisches Postulat, auf das wir hinweisen, aber über dessen Inhalt wir keinerlei Aussagen machen können. Die Vorstellung, das Absolute möge das Gute sein, daß es noch etwas anderes gäbe als diese miserable Welt – all das entspringt einem menschlichen Bedürfnis, einer Sehnsucht, hat aber keine logische Verbindlichkeit.“ – Ähnlich Horkheimers mündliche Äußerungen in einem Interview des Süddeutschen Rundfunks Stuttgart am . August , abgedruckt in Werk und Wirken Paul Tillichs (wie Anm. ), hier : „Ich glaube, es gibt keine Philosophie, zu der ich ja sagen könnte, die nicht auch ein theologisches Moment in sich trägt, denn es geht ja darum, zu erkennen, inwiefern die Welt, in der wir leben, als ein Relatives zu interpretieren ist.“ – : „Die Ähnlichkeit zwischen dem Denken Tillichs und dem jüdischen Denken besteht vielleicht darin, daß auch die Juden Gott, das heißt das Absolute, nicht darzustellen oder abzubilden vermögen. Ja, es ist im Jüdischen üblich, selbst den Namen ‚Gott‘ nicht einfach auszuschreiben. Und Tillich dachte ähnlich. Seine Überzeugung war, daß man Gott nicht adäquat benennen kann. Daher das kritische Verhalten zur Realität, denn in diesem kritischen Verhalten, in dem wir das bezeichnen, was nicht sein soll, was Gott entgegen ist, erscheint das Absolute, das Andere, das Gute.“ – : „Wenn ich mich recht entsinne, habe ich das Christentum insofern immer bejaht, als es denjenigen als das Vorbild achtete, der sich ans Elend und an die Leidenden aus Liebe hingab. Insofern sagte ich Ja dazu. Die Frage, ob dieser Leidende ein Gott sei, habe ich wohl weniger bezweifelt als Tillich selber. Und ich glaube, wir haben uns gerade in dieser Haltung getroffen. Das Christentum, so meine ich, ist darin wirklich dem Buddhismus verwandter, als es scheint.“ – Vgl. auch Noth, Erinnerungen eines Deutschen (wie Anm. ), : „Nach über siebenunddreißig Jahren habe ich Max Horkheimer endlich wiedergesehen, und zwar in Paris, wo er im Goethe-Institut einen Vortrag über die Zukunftserwartungen der modernen Gesellschaft hielt.“ –  f.: „Auch sprach er, unter starker Betonung seiner längst erfolgten Abkehr von den marxistischen Ausgangspositionen der dreißiger Jahre, von einer – aus seinem Munde zunächst verblüffenden – ‚Sehnsucht nach dem Anderen‘, also von einer fast religiös-heilserwartungsvollen Transzendenz, das alles aber im Kleide einer nach wie vor vernunftsphilosophischen Terminologie.“  Hauptvertreter dieser Theologie waren die christlichen Theologen Gabriel Vahanian,William Hamilton und Thomas J. J. Altizer, die sich alle drei explizit auf Tillich bezogen, sowie Rabbi Richard L. Rubenstein, der Tillich an der Harvard Divinity School erlebt hatte. Richard L. Rubenstein, „Why I Have Written This Book“, in: Ders., Jihad and Genocide (Lanham, MD: Rowman & Littlefield, ),  – , hier : „My most memorable experience was Paul Johannes Tillich’s course on classical German philosophy. The son of a Lutheran pastor with a doctorate from the University of Breslau (now Wroclaw, Poland), Tillich served as a chaplain in the German army during the First World War. In the years immediately before Adolf Hitler’s coming to power, Tillich,

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‚verdünnt‘, dass er nämlich den Gottesgedanken noch nicht radikal genug verabschiedet habe: „Den Menschen ist er stets freundlich geblieben, in der Sache jedoch hat er keine Konzessionen gemacht. Wie andere unbestechliche Denker, erfährt seine Lehre auch heute von beiden Seiten über der Zustimmung auch Kritik, von den Totalitären der einen wie der anderen Richtung, ferner den orthodoxen Theologen, wie denen, die schon über ihn hinausgegangen sind und die Gottesidee in der christlichen Lehre eigentlich entbehrlich finden […].“³⁴⁴ Doch wie auch immer: In ihrer Gegensätzlichkeit repräsentieren beide zusammen, Tillich und Foerster, zwei jener aufregend provokanten Alternativen, von denen man sich heute wünschte, es gäbe ihrer mehr.

then a professor at the University of Frankfurt, expressed his strong opposition to National Socialism in speeches and lectures. As soon as the Nazis took over, they dismissed him and he joined the faculty of New York’s Union Theological Seminary. Tillich’s course did more to enlarge my understanding of European Christian culture than any other course I took at Harvard.“  Universitätsarchiv Frankfurt am Main, Abt. , Nr. , Blatt  (Max Horkheimer, Entwurf für das Kondolenzschreiben des Dekans Franz Walter Müller an Hannah Tillich vom . November ). – Vgl. auch Horkheimers Äußerung in einer Sendung des Süddeutschen Rundfunks Stuttgart am . August  (Werk und Wirken Paul Tillichs (wie Anm. ),  f.): „Ich möchte vor allem Eines nennen, was mich als Philosophen von ihm unterschied – aber nicht so unterschied, daß er nicht sowohl meine, wie ich seine Gesichtspunkte in gewisser Weise respektierte –, nämlich, daß wir von Gott und vom Jenseits nicht unmittelbar sprechen können. Er beharrte jedoch als Theologe darauf, daß das Jenseits die Gerechtigkeit bedeute. Eben dies habe ich stark bezweifelt. Ich kann seinen großen Optimismus nicht mitmachen, nur das Heimweh.“

Markus Wriedt

Theologie am Ende der ersten deutschen Demokratie Frankfurt am Main und Paul Tillich*

1 Einleitung: Deutschland und die Welt Die Erde befindet sich im Phanerozoikum, näherhin in der Ära Känozoikum, dem sogenannten Erdneuzeitalter, bestehend aus den Epochen Paläogen, Neogen und Quartär. ¹ Der Mensch bevölkert sie seit circa 2.000.000 Jahren und hatte sich vor 10.000 Jahren langsam an die Sesshaftigkeit sowie Ackerbau und Viehzucht gewöhnt. Die Geschichte des lateinischen Teils Westeuropas entwickelte sich mit kontinuierlicher Westdrift zunächst aus den mediterranen Gebieten des Ostmittelmeeres über Rom in die deutlich kälteren Gebiete Nordwesteuropas. Dabei entstanden und verfielen bedeutende Zentren wie Athen, Rom und Trier. Infolge des ambulanten Kaisertums in den Nachfolgestaaten des Römischen Reiches entstand allerdings keine weitere Großstadt nördlich der Alpen. Für lange Zeit stellte das föderative System des Alten Reiches bei allen Reformen und Veränderungen eine Konstante der politischen, aber auch der gesellschaftlichen und kulturellen Entwicklung dar. Mit seiner Doppelspitze aus Papst und Kaiser – in wechselseitiger Dominanzbemühung untrennbar miteinander verbunden, mit der lateinischen Sprache, der römischen Liturgie und der seit den Karolingern bis zur Goldenen Bulle von 1356 weiterentwickelten Verwaltungsstruktur repräsentierte das Reich im Mittelalter zwar keine Einheitskultur (Ernst Troeltsch),² wohl aber

* Für unschätzbare Hilfen bei der Endfassung danke ich Sabine Ackermann, Christine Neugeborn, – beide Frankfurt – und der stets zur Diskussion bereiten Kollegin, Frau PD. Dr. Gesche Linde, Darmstadt. Alle dennoch verbliebenen Unzulänglichkeiten sind allein mir anzulasten.  Zur weiteren Betrachtung der Erdzeitalter und der damit verbundenen Diskussion siehe den Überblick bei Wikipedia (http://de.wikipedia.org/wiki/Geologische_Zeitskala – zuletzt eingesehen am . . ) sowie Felix M. Gradstein, James G. Ogg, Mark Schmitz und Gabi Ogg (Hg.), The Geologic Time Scale  (München et al.: Elsevier, ).  Zur Problematisierung dieses Begriffes vgl. neben anderen Thomas Kaufmann, Dreißigjähriger Krieg und Westfälischer Friede. Kirchengeschichtliche Studien zur lutherischen Konfessionskultur (Tübingen: Mohr Siebeck, ),  mit Anm. .

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einen durch feste Regeln und Strukturen lose zusammengehaltenen Verbund.³ Erstaunlicherweise geht dieser nicht durch die Reformation oder die Wirren des Dreißigjährigen Krieges, sondern erst durch die Napoleonischen Kriege, den Reichsdeputationshauptschluss von 1803 und den Wiener Kongress von 1815 irreversibel zu Ende.⁴ Das „lange 19. Jahrhundert“⁵ ist von zahlreichen, teilweise miteinander konfligierenden Entwicklungen wie der Neuordnung nach 1815, dem Vormärz und der Restauration, der Revolution und ihrer Niederschlagung, dem DeutschDeutschen und später Deutsch-Französischen Krieg mit der Hegemonie Preußens und der Ausrufung des Wilhelminischen Kaiserreiches 1871 gekennzeichnet. Aus diesen widerstreitenden Entwicklungen erhob sich die bürgerliche Kultur des deutschen Kaiserreiches in der Spannung von restaurativer Bewahrung und gesellschaftlich-technischer Innovation.⁶ Die sich aus imperialistischen Großmachtvorstellungen, kolonialer Expansion in Asien und Afrika sowie dem Streit um die Vormacht in Europa seit langem abzeichnenden Konflikte brechen mit dem Ersten Weltkrieg 1914 in Form einer nie dagewesenen Vernichtungsschlacht aus.⁷ Als die Waffen 1918 endlich schweigen, ist Europa großflächig verwüstet und das gesellschaftliche Miteinander so grundlegend verändert, dass keine traditionelle Ordnung mehr greift. Das ist die Stunde der Revolutionen, die auch in Deutschland durch punktuelle Übernahme der politischen Radikalität des bolschewistischen Umsturzes in Russland zu einer grundstürzenden Neuordnung der Verhältnisse führten. 1918 wurde die erste deutsche Republik ausgerufen.⁸  Hans Boldt, Deutsche Verfassungsgeschichte, Bd. , Von den Anfängen bis zum Ende des älteren Reiches (München: DTV,  []).  Vgl. dazu den Überblick bei Heinz Duchhardt, Deutsche Verfassungsgeschichte  –  (Stuttgart et al.: Kohlhammer, ).  Vgl. dazu Jürgen Osterhammel, Die Verwandlung der Welt. Eine Geschichte des . Jahrhunderts (München: C.H. Beck, ).  Ausführlicher dazu Christopher Clark, Preußen. Aufstieg und Niedergang  – , übers. von Richard Barth (München: Deutsche Verlagsanstalt, ); Thomas Nipperdey, Deutsche Geschichte  – , Bd.  –  (München: C.H. Beck,  – ); Volker Ullrich, Die nervöse Großmacht  – . Aufstieg und Untergang des deutschen Kaiserreichs  –  (Frankfurt am Main: Fischer, ); Hans-Ulrich Wehler, Deutsche Gesellschaftsgeschichte, Bd.  –  (München: C.H. Beck,  – ); Heinrich August Winkler, Der lange Weg nach Westen, Bd.  –  (München: C. H. Beck, ).  Vgl. Christopher Clark, Die Schlafwandler. Wie Europa in den Ersten Weltkrieg zog, übers. von Norbert Juraschitz (München: Deutsche Verlagsanstalt,  []); Herfried Münkler, Der große Krieg. Die Welt  –  (Berlin: Rowohlt,  []).  Alexander Gallus (Hg.), Die vergessene Revolution von / (Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, ); Ulla Plener (Hg.), Die Novemberrevolution / in Deutschland. Für bür-

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1.1 Europa und Deutschland in den Zwanzigerjahren⁹ Deren Start stand unter einem denkbar ungünstigen Stern. Gerade wegen der grundstürzenden Umwertung zahlreicher Traditionen und Normen des althergebrachten Kaiserreiches wird dieses ideologisch als nationales Ideal überhöht: Neben den seit 1919 formal abgeschafften Ständen und hierbei insbesondere den adligen Privilegien sind es Militär und Kirche, die vormaligem Glanz und Ansehen nachtrauern, die junge Republik mit revisionistisch-restaurativem Argwohn be-

gerliche und sozialistische Demokratie. Allgemeine, regionale und biographische Aspekte (Berlin: Karl Dietz,  / Rosa-Luxemburg-Stiftung: Manuskripte ); Volker Ullrich, Die Revolution von / (München: C.H. Beck, ); Heinrich August Winkler, Von der Revolution zur Stabilisierung  –  (Bonn: J.H.W. Dietz Nachf.,  / Geschichte der Arbeiter und der Arbeiterbewegung in Deutschland seit dem Ende des . Jahrhunderts, Bd. ).  Eine erste, durchaus hilfreiche, freilich nicht erschöpfende Übersicht über die zahllosen Einzelaspekte der komplexen Geschichte der er Jahre in Deutschland und Europa bietet der Artikel „Weimarer Republik“ des Internet-Nachschlagewerkes Wikipedia: http://de.wikipedia.org/wiki/Weimarer_Republik (Zuletzt eingesehen . . ). Weitere Belege der nachfolgenden Abschnitte finden sich – soweit nicht anders angegeben – bei Eberhard Kolb und Dirk Schumann, Die Weimarer Republik (München: Oldenbourg, ); Hans-Christof Kraus, Versailles und die Folgen. Außenpolitik zwischen Revisionismus und Verständigung  –  (Berlin: be.bra Verlag, ); Detlef Lehnert, Die Weimarer Republik. Parteienstaat und Massengesellschaft (Stuttgart: Reclam, ) sowie Heinrich August Winkler, Weimar  – . Die Geschichte der ersten deutschen Demokratie (München: C.H. Beck, ). – NB: Für diese wie auch alle weiteren Hinweise auf die inzwischen längst zu akademischer Reputation gelangte Wissenssammlung sei grundsätzlich angemerkt, dass die mir bekannten und darum konsultierten Artikel der Enzyklopädie inzwischen von zahllosen Fachgelehrten und anerkannten Experten auf ein hohes akademisches Niveau gehoben wurden. Dennoch ist die Zitation der Artikel einer Open-SourceQuelle mit zahlreichen Risiken verbunden: Aufgrund der mangelnden Einsichtigkeit in die Urheberschaft der Artikel und ihre genrebedingten hohe Variabilität liefert der angegebene Link keinen Beleg, sondern nur den Hinweis auf eine zeitweilig – in der Regel durch das Zugriffsdatum referenzierte – verfügbare Übersicht, die mir bei der Abfassung des vorliegenden Aufsatzes Anregung und Hilfe waren. Dies etwa in dem Sinne, wie Karl Barth Otto Webers Einführenden Bericht in Karl Barths Kirchliche Dogmatik (Neukirchen-Vluyn: Neukirchener Verlag,  []) „als ‚Entwurf einer Landkarte‘ bezeichnet, als Hilfe zur Orientierung also…: ‚Man könnte sie wohl auch mit dem Dienst eines jener wohlgebauten, tapferen kleinen Schlepper vergleichen, die man in den großen Welthäfen die etwas überdimensionierten und schwerfälligen Überseedampfer ins offene Meer und von dort zum sicheren Port führen sieht‘“ (Zitat nach Hans-Joachim Kraus,Vorwort vom Mai , a.a.O.,). So wie im maritimen Bild niemand auf die Idee käme, den Schlepper mit dem Oceanliner zu identifizieren oder gar an dessen Stelle setzen zu wollen, sind auch die Anleihen, Parallelen und Ähnlichkeiten zwischen den konsultierten Internetartikeln und meinem Beitrag einer Evidenz des historischen Materials und der sich funktional wie material sich aufdrängenden Anordnung geschuldet und nicht als der schwierigen Urheberfrage wegen unautorisierte Kopie bzw. als Plagiat zu inkriminieren.

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lasten und deren weitere Entwicklung behindern. Zu den gesellschaftlichen Hemmnissen für den Aufbau einer Demokratie kommen wirtschaftliche Zwänge, hohe Reparationsleistungen und die Zerstörung der industriellen Infrastruktur, die dazu beitragen, dass die junge Republik kaum Möglichkeit zur Entwicklung erhält. Die rasche Folge von Krisen, Umsturzversuchen, Regierungen und Reichskanzlern führt zu einer von großer Unruhe und umfassend vorherrschender Unsicherheit geprägten Zeit, die ihre symbolische Nachwirkung in den Inflationen und der Weltwirtschaftskrise findet.¹⁰ Die damit verbundenen Umwälzungen betrafen die gesamte Welt. Das Kriegsgeschehen und seine Folgen hatten bis in die von den eigentlichen Konfliktherden weit entfernten Gebiete für nachhaltige Veränderungen gesorgt. Die USA, durch den späten Kriegseintritt auf der Seite der alliierten Siegermächte, vertraten gegenüber Europa grundsätzlich eine Politik der Isolation und suchten in Mittel- und Lateinamerika durch wirtschaftliche Bevormundung (Dollarimperialismus) ihre vorherrschende Stellung zu bewahren. Emanzipationsbemühungen der vormals kolonialisierten Nationen und unterdrückten Völker setzten sich zunächst in Lateinamerika, leicht verzögert dann auch in Afrika und Asien durch. Das Gewicht der Weltmächte begann sich zu verändern. Mit der Gründung des Völkerbundes suchten die nationalen Regierungen eine Art zentrales Entscheidungsgremium für internationale Fragen und Probleme zu schaffen. Er wurde am 10. Januar 1920 begründet, um den Frieden dauerhaft zu sichern. Allerdings bestand er nur zum 18. April 1946, also kurz nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges. Die UNO sollte ihn ersetzen. Faktisch scheiterte der Völkerbund an der letztlich halbherzigen Umsetzung der Friedenspläne. In eigentümlicher Analogie zu gegenwärtigen Entwicklungen waren die Ideale einer konsensualen Weltregierung letztlich nicht zu verwirklichen. In der Zeit der Weimarer Republik und des Nationalsozialismus waren die USA kein Mitglied des Gremiums. Auch gab es kein effektives Verfahren zur Verhinderung von Krieg und Gewalt. Eigeninteressen der Mitgliedsstaaten und strategisch motiviertes Taktieren lähmten das Gremium bei der Verhandlung zahlreicher Sicherheitskrisen wie dem Einfall Japans in die Mandschurei (1931) oder Italiens in Abessinien (1935/36) sowie in Bezug auf das aggressive Aufrüsten des nationalsozialistischen Deutschlands. Europaweit sah sich das demokratische Deutschland einer Allianz vormaliger Kriegsgegner gegenüber. Sie verlangten erhebliche Summen für den im Ersten  Einen informativen Überblick zur neueren Forschung bietet Nils Freytag, „Steckengeblieben – Vernachlässigt – Vergessen. Neuerscheinungen zur Revolution / (Rezension)“, sehepunkte  (), Nr. , in: http://www.sehepunkte.de///.html (zuletzt eingesehen am . . ). Zur mythologisierenden Aufbereitung siehe Herfried Münkler, Die Deutschen und ihre Mythen (Reinbek bei Hamburg,  []), bes.  – .

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Weltkrieg erlittenen Schaden als Kompensationen. Im Hintergrund der damit verbundenen Verhandlungen wurde zugleich die Frage um die Vorherrschaft in Europa untereinander ausgetragen. Sie wurden überdies durch undemokratische, diktatorische und faschistische Regierungen in Italien (Mussolini 1922 – Marsch auf Rom), Bulgarien (1923 – Offiziersputsch), der Türkei (Kemal Atatürk), Polen (General Pilsudski), Portugal (Militärputsch), Litauen (Smetona, Voldemaras), Jugoslawien (Staatsstreich König Alexanders) belastet. Russland befand sich zunächst im blutigen Bürgerkrieg und wurde danach seit 1920 von den minderheitlich-radikalen Bolschewisten unter Lenin regiert. Ihm folgte der nicht minder diktatorisch herrschende Stalin (Revolution von oben). Der Westen vermochte sich unter Führung der radikal kapitalistisch agierenden USA wirtschaftlich zu etablieren, freilich mit verheerenden sozialen Folgen. Streiks und Arbeiteraufstände waren die Folge, durch welche freilich auch der Aufbau sozialer Sicherungssysteme behindert wurde.¹¹

1.2 Frankfurt am Main in der ausgehenden Weimarer Republik Frankfurt hatte im Mittelalter faktisch den Rang einer freien Reichsstadt.Wiewohl zur Erzdiözese Mainz gehörig, war der Erzbischof in Frankfurt allein durch einen Propst vertreten. Zum Ansehen der Stadt trugen feierliche Königswahlen bei, die seit 1147 einem Gewohnheitsrecht folgend in der Stadt abgehalten wurden.¹² Die bis weit in die Neuzeit als internationaler Handelsplatz renommierte Stadt erlebte mit dem Ende des Deutschen Krieges in der Mitte des 19. Jahrhunderts eine empfindliche Niederlage.¹³ Das auf frühere dieser rechtlichen Privilegien stolze Bürgertum hatte sich neu zu organisieren und zu formieren.¹⁴

 Vgl. dazu Derek H. Aldcroft, Geschichte der Weltwirtschaft III im . Jahrhundert. Die zwanziger Jahre (München: DTV, ).  Vgl. etwa im Schwabenspiegel Nr. : Alse man den kiunig kiesen wil, daz sol man tuon ze Frankenfurt. Zitiert nach: Quellensammlung zur Geschichte der Deutschen Reichsverfassung in Mittelalter und Neuzeit, bearbeitet von Karl Zeumer (Tübingen: J.C.B. Mohr, ), .  Zur Frankfurter Geschichte siehe unter den älteren Werken Friedrich Bothe, Geschichte der Stadt Frankfurt am Main, Nachdruck der dritten Auflage von  (Frankfurt am Main: Wolfgang Weidlich,  []) sowie die Veröffentlichungen der Frankfurter Historischen Kommission, insbesondere: Frankfurter Historische Kommission (Hg.), Frankfurt am Main – Die Geschichte der Stadt in neun Beiträgen (Sigmaringen: Jan Thorbecke,  [] / Veröffentlichungen der Historischen Kommission der Stadt Frankfurt am Main, Bd. ); Lothar Gall (Hg.), FFM . Traditionen und Perspektiven einer Stadt (Sigmaringen: Jan Thorbecke, ); Peter Hoeres, „Vor ‚Mainhattan‘: Frankfurt am Main als amerikanische Stadt in der Weimarer Republik“, in: Mythos USA. ‚Amerikanisierung‘ in Deutschland seit , hg.von Frank Becker und Elke Reinhardt-Becker

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In der politischen Auseinandersetzung ging es – wie so häufig – um Geld. Infolge des sogenannten Teilungsrezesses in Berlin von 1969 entstanden gewaltige finanzielle Verluste für die städtischen Kassen. Dennoch gelang es den Bürgern und ihrer städtischen Verwaltung, trotz mannigfaltiger Einschränkungen der früheren Verwaltungshoheit sich wirtschaftlich und kulturell zu erholen. In der Folge des in Frankfurt geschlossenen Friedens nach dem Deutsch-Französischen Krieg konnte die geschundene Stadt diesmal für sich finanzielle Vorteile erwirken. Französische Reparationsleistungen nutze der Magistrat geschickt für Infrastrukturmaßnahmen zur Ausdehnung des Stadtgebietes. Außerdem wurden wichtige Kultur-Vorhaben in Angriff genommen. Dazu zählt das 1880 eröffnete Opernhaus.¹⁵ Früher schon waren der Zoologische Garten (1858)¹⁶ sowie der Palmengarten (1868),¹⁷ vorzugsweise mit privaten Geldern, für die Öffentlichkeit errichtet worden. Die wachsende Bevölkerung und die Herausforderungen des industriellen Zeitalters sowie der zunehmend prosperierenden Wirtschaft machten Infrastrukturmaßnahmen dringend erforderlich. Dazu gehörte zunächst einmal der technisch innovative Ausbau des Verkehrswesens. Nach der Erfindung der Dampfmaschine und dem Aufbau eines Eisenbahnnetzes im Reich, das mit einem (Frankfurt am Main und New York: Campus, ),  – ; Waldemar Kramer (Hg.), FrankfurtChronik (Frankfurt am Main: Waldemar Kramer, ). Einen informativen Überblick bietet auch der Artikel: http://de.wikipedia.org/wiki/Geschichte_von_Frankfurt_am_Main#Weimarer_Republik (zuletzt eingesehen am . . ).  Vgl. dazu Siegbert Wolf, Die Geschichte des Frankfurter Liberalismus während des Deutschen Kaiserreiches. Vom Ende der Freien Stadt Frankfurt am Main bis zum Ersten Weltkrieg ( – ) (Frankfurt am Main: Waldemar Kramer,  / Studien zur Frankfurter Geschichte, Bd. ).  Vgl. dazu Paul Bartholomäi, Das Frankfurter Museums-Orchester. Zwei Jahrhunderte Musik für Frankfurt (Frankfurt am Main et al.: C.F. Peters, ); Albert Richard Mohr, Das Frankfurter Opernhaus  –  (Frankfurt am Main: Waldemar Kramer, ). Exemplarisch für die in diesem Aufsatz berührten gesellschaftspolitischen Aspekte ist die Biographie der  nach Frankfurt am Main an die Oper gelangten Sängerin Magda Spiegel. Sie konnte bis zum Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums  in Frankfurt am Main auftreten und wurde schließlich  im Konzentrationslager Auschwitz ermordet, vgl. dazu Claudia Becker, Magda Spiegel. Biographie einer Frankfurter Opernsängerin  –  (Frankfurt am Main: Waldemar Kramer,  / Studien zur Frankfurter Geschichte, Bd. ).  Eine Geschichte dieser vor allem im . Jahrhundert nach dem Zweiten Weltkrieg internationale Anerkennung findende Einrichtung liegt m.W. nicht vor.  Vgl. http://de.wikipedia.org/wiki/Palmengarten_Frankfurt (zuletzt eingesehen am . . ) sowie dazu folgende Literatur: Sabine Börchers, Wo Frankfurts Bürger feiern. Das Gesellschaftshaus im Palmengarten (Frankfurt am Main: Societäts-Verlag, ); Beate Taudte-Repp, Der Palmengarten. Ein Führer durch Frankfurts grüne Oase (Frankfurt am Main: Societäts-Verlag,  []); August Siebert, Der Palmengarten zu Frankfurt a.M. (Frankfurt am Main: Verlagsbuchhandlung Paul Parey, ).

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prachtvollen Gebäude, dem damals größten Bahnhof Europas im August 1888 ein repräsentatives und das Selbstbewusstsein der Frankfurter Bürger widerspiegelndes Entre erhielt,¹⁸ galt das vordringliche Interesse dennoch der innerstädtischen Mobilität. Am 18. Februar 1884 konnte die erste Straßenbahntrasse der Frankfurt-Offenbacher Trambahn-Gesellschaft (FOTG) eröffnet werden. Sie führte von der Alten Brücke in Frankfurt am Main über Sachsenhausen weiter nach Osten zunächst bis zur Buchrainstraße in Oberrad. Bereits ab 10. April verkehrten dann regelmäßig Züge bis nach Offenbach.¹⁹ Neben der Mobilität wurde auch die Kommunikation technisch weiterentwickelt. Auf der technisch weiterentwickelten Basis des 1861 von dem Friedrichsdorfer Stadtrandbewohner Philipp Reis (1834– 1874) erfundenen Fernsprechgerätes konnte das erste städtische Telefonnetz im Dezember 1881 mit knapp 180 Teilnehmern seinen Betrieb aufnehmen.²⁰ Überhaupt spielten die weltweit gelungenen Weiterentwicklungen auf dem Gebiet der Elektrotechnik eine erhebliche Rolle für die weitere Entwicklung des Handelsstandortes Frankfurt am Main. Zunächst etablierten die Verantwortlichen eine internationale elektrotechnische Ausstellung. Aus diesem Anlass wurde 1891 auf dem Areal der vormaligen Westbahnhöfe die weltweit erste Fernübertragung von hochgespanntem Drehstrom erprobt. Aus 176 Kilometer Entfernung erzeugte das Wasserkraftwerk Lauffen am Neckar so viel Energie, dass damit ein spektakuläres Eingangsportal mit eintausend Glühlampen sowie ein künstlicher Wasserfall versorgt werden konnte.²¹ Wenn auch kein Weltwunder, so doch eine

  nahm dann der noch größere Hauptbahnhof in Leipzig seinen Betrieb auf. Vgl. zum Frankfurter Bahnhof: Bundesbahndirektion Frankfurt am Main (Hg.), Abfahrt , Ankunft .  Jahre Hauptbahnhof Frankfurt am Main (Darmstadt: HESTRA, ).  Vgl. http://de.wikipedia.org/wiki/Frankfurt-Offenbacher_Trambahn-Gesellschaft (zuletzt eingesehen am . . ). Weitere Informationen bei Horst Michelke und Claude Jeanmaire,  Jahre Frankfurter Strassenbahnen:  –  –  (Villigen bei Brugg/Schweiz: Verlag Eisenbahn,  / Archiv, Bd. ); Alexander Piesenecker, „Man fährt elektrisch! –  Jahre elektrische Straßenbahn in Frankfurt am Main und Offenbach“, Strassenbahn Magazin  (),  – .  Rolf Bernzen, Philipp Reis. Formen, Phasen und Motivationen der Auseinandersetzungen mit dem Telephon. Versuch einer Bestandsaufnahme (Berlin: ERS, ); ders., Das Telephon von Philipp Reis. Eine Apparategeschichte (Marburg: Rolf Bernzen, ). Vgl. für einen ersten Überblick auch http://de.wikipedia.org/wiki/Philipp_Reis (zuletzt eingesehen am . . ).  Vgl. dazu http://de.wikipedia.org/wiki/Internationale_Elektrotechnische_Ausstellung_ (zuletzt eingesehen am . . ) sowie Jürgen Stehen (Hg.), „Eine neue Zeit …!“ Die Internationale Elektrotechnische Ausstellung  (Frankfurt am Main: Eigenverlag des Historischen Museums, ); Horst A.Wessel (Hg.), Moderne Energie für eine neue Zeit (Berlin und Offenbach: VDE,  / Geschichte der Elektrotechnik, Bd. ); siehe vor allem den Katalog dieser epochemachenden Ausstellung: Alexander Askanasy (Hg.), Officieller Katalog der Internationalen Elektrotechnischen Ausstellung in Frankfurt am Main  (Berlin: Hasenstein & Vogler, ).

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wirkmächtige Repräsentation technisch innovativen und wirtschaftlich zukunftsorientierten Bürgerwillens. Die technischen Errungenschaften schufen im gesamten Reich, freilich auch in Frankfurt am Main, zahlreiche Arbeitsplätze und neue Erwerbszweige. Das ausgehende 19. Jahrhundert wird darum häufig als Gründerzeit bezeichnet. Das bezieht sich vor allem auf die Vielzahl innovativer Wirtschaftsunternehmungen, die in dieser Zeit von risikobereiten Kaufleuten und Ingenieuren begonnen wurden. Die verantwortliche Stadtverwaltung sah sich allerdings auch in der Pflicht, die Wohngebiete und Arbeitsregionen grundlegend neu zu ordnen. Aus den mittelalterlichen Bezirken Neu- (1333) und Altstadt (1180) wurde die Innenstadt als Einheit gebildet. Die rasch wachsende Bevölkerung fand hier allerdings nur noch selten eine Bleibe und zog darum in die Außenbezirke außerhalb der – inzwischen zerstörten – Wallanlagen. Ihnen schlossen sich etliche Innenstadtbewohner an. Das Straßennetz wurde mit Radialstraßen und dem Alleenring ausgebaut, um die immer weiter wachsenden Außenbezirke (Bahnhofsviertel, West-, Nord- und Ostend) untereinander zu verbinden. Der Hauptbahnhof sowie die neu eingemeindeten Stadtteile Bornheim (1877) und Bockenheim (1895) sollten intensiv angebunden werden. Weitere Gebiete (Galgenwarte, Gutleuthof) wurden planmäßig erschlossen und bilden bis heute die Stadtteile Gallus- und Gutleutviertel. Zur Jahrhundertwende 1900 folgten die Eingemeindungen von Seckbach, Ober- und Niederrad. Zehn Jahre später folgten Berkersheim, Bonames, Eckenheim, Eschersheim, Ginnheim, Hausen, Heddernheim, Niederursel, Praunheim, Preungesheim und Rödelheim.²² 1928 folgten noch die ehemalige Stadt Höchst am Main, Teile des aufgelösten Landkreises Höchst sowie die ehemals zum Landkreis Hanau gehörende Gemeinde Fechenheim. Frankfurt am Main wurde damit zur flächengrößten Stadt der Republik. Zwischen der Gründung des Deutschen Kaiserreiches (1871) und dem Beginn des Ersten Weltkrieges (1914) stieg die Einwohnerzahl Frankfurts von 90.000 auf fast 400.000. In diese Zeit florierender Wirtschaft und Kultur fielen die Errichtung bis heute gestaltgebender Stadtvillen, der Bau der Börse (1879), der Festhalle (1908), des Osthafens (1912) und die Gründung der Universität (1912).²³

 Aufgrund der starken Verluste durch die Bombardierungen im Zweiten Weltkrieg sind zusammenfassende Darstellungen nicht mehr möglich. Ältere Werke erlauben jedoch für den hier in den Fokus genommenen Zeitraum einige Einsichten: siehe etwa Ernst Georg Gerhard, Geschichte der Säkularisation in Frankfurt am Main (Paderborn: Schöningh, ); Julius Hülsen, Rudolf Jung und Carl Wolff, Die Baudenkmäler von Frankfurt am Main, Bd.  –  (Frankfurt am Main: Selbstverlag/Völcker,  – ).  Hierzu etwas detaillierter Bothe, Geschichte,  – .

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Frankfurt am Main litt wie alle größeren Städte im Reich bald nach dem ersten Kriegsjahr ab 1915 unter erheblichen Einschränkungen und Verknappungen. Neben Nahrungsmitteln wurden die den allgemeinen Lebensstandard garantierenden Infrastruktur- und Energieleistungen eingeschränkt. Der beginnende Bombenkrieg bedrohte nun nicht mehr allein die Frontlinien in der Ferne, sondern ganz konkret auch die Einwohner der Stadt. Die Stadtverwaltung sah sich im Ersten Weltkrieg vor große Probleme bei der Alltagsversorgung gestellt, die im Laufe der Jahre immer mehr zunahmen. Entsprechend fielen die revolutionären Parolen einiger aus Kiel in die Stadt entsandter Räte und Soldaten zunächst auf fruchtbaren Boden. Die doktrinären Meinungsträger konnten sich aufgrund radikaler Umsturzversuche und damit verbundener Unruhen nicht lange halten. Hinzu kam, dass nach Ende des Ersten Weltkrieges Frankfurt am Main, Darmstadt und Hanau 1919 bis 1920 kurzzeitig von französischen Truppen besetzt wurden. Der Triumph der Sieger und die damit verbundenen wirtschaftlichen Lasten führten zu mannigfaltigen Streitigkeiten und Konflikten. Das erschwerte die kulturelle und politische Erholung. Am 2. Oktober 1924 wurde Ludwig Landmann (DDP) zum Oberbürgermeister gewählt.²⁴ Er gilt als derjenige, der das Fundament für die Entwicklung der modernen Stadt Frankfurt gelegt hat. Aus dem intensiven Wachstum der Stadt durch Eingemeindungen ergaben sich dennoch weiterhin infrastrukturelle Probleme. Hinzu kamen gesellschaftliche Probleme infolge der Inflation, der Wirtschaftskrise und Elemente der fortschreitenden Verstädterung. Der Oberbürgermeister beauftragte Ernst May (1886– 1970), ein umfangreiches Städtebauprogramm zu leiten. Es sollte später unter dem Namen „Neues Frankfurt“ bekannt werden und das internationale Renommee der Frankfurter Stadtplanung begründen.²⁵ Landmann setzte die jahrzehntelangen Bemühungen um die Verkehrsinfrastruktur fort. So gründete er mit einigen Investoren 1926 den „Verein zum Bau einer Straße für den Kraftwagen-Schnellverkehr von Hamburg über Frankfurt a.M. nach Basel“ (HaFraBa e.V.) – eine der ersten Autobahnen nach italienischem Vorbild sollte so entstehen. Weiterhin entwickelte er mit den Fachbehörden ein Konzept, nach dem die Stadt zum Zentrum einer ganzen Region werden sollte.

 Dieter Rebentisch, Ludwig Landmann. Frankfurter Oberbürgermeister der Weimarer Republik (Wiesbaden: Steiner,  / Frankfurter historische Abhandlungen, Bd. ).  Zu Ernst May vgl. Christoph Mohr und Michael Müller, Funktionalität und Moderne. Das Neue Frankfurt und seine Bauten  –  (Köln: Edition Fricke, ); Heinrich Klotz (Hg.), Ernst May und das Neue Frankfurt  –  (Berlin: Ernst & Sohn, ); Susan R. Henderson, Building Culture. Ernst May and the New Frankfurt Initiative,  –  (Frankfurt am Main et al.: Peter Lang,  / Studies in modern European history, Bd. ).

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Die Gewerkschaftsbewegung hatte nicht zuletzt aufgrund der wirtschaftlichen Entwicklung in der Stadt in Frankfurt erheblichen Zulauf. Als sinnfälliger Ausdruck des gestiegenen gesellschaftlichen Selbstbewusstseins der noch vor wenigen Jahren geächteten Sozialisten und Sozialdemokraten entstand 1930 ein repräsentatives Verwaltungszentrum in einem Hochhaus mit neun Stockwerken und einer Traufhöhe von 31 Metern in der heutigen Wilhelm-Leuschner-Straße im Bahnhofsviertel.²⁶ 1931 wurde das I.G.-Farben-Haus des Architekten Hans Poelzig (1869 – 1936)²⁷ als weiterer architektonischer Höhepunkt eröffnet. Die I.G. Farbenindustrie AG war erst kurz zuvor in Frankfurt am Main gegründet worden und hatte sich mit dem Gebäude einen repräsentativen Firmensitz am Grüneburgpark im Westend zur Administration und Entwicklung der weltweiten Geschäfte mit chemischen Produkten geschaffen. Er symbolisierte – neben seiner Funktion als städtebauliche „Krone“ für das Westend – gleichermaßen Bestand wie Zukunftsvision.²⁸

1.3 Zur kulturellen Standortbestimmung der Zeit Während die sozialen Differenzen trotz aller rechtlichen Gleichberechtigung in der jungen Weimarer Republik gewaltig zunahmen, entfalteten einige Vertreter der privilegierten Klassen in den Großstädten eine hypertrophe Gesellschaftskultur, die sogenannten Goldenen Zwanzigerjahre.²⁹ Offenkundig blieben bei allen Krisen

 Zur Vorkriegszeit siehe Ralf Roth, Gewerkschaftskartell und Sozialpolitik in Frankfurt am Main. Arbeiterbewegung vor dem Ersten Weltkrieg zwischen Restauration und liberaler Erneuerung (Frankfurt am Main: Waldemar Kramer,  / Studien zur Frankfurter Geschichte, Bd. ); für die Zeit der Weimarer Republik siehe hingegen Helga Grebing, Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung. Ein Überblick (München: Nymphenburger Verlags-Handlung, ); Michael Schneider, „Höhen, Krisen und Tiefen. Die Gewerkschaften in der Weimarer Republik  bis “, in: Geschichte der deutschen Gewerkschaften. Von den Anfängen bis , hg. von Klaus Tenfelde und Ulrich Borsdorf (Köln: Bund, ),  – .  Matthias Schirren (Hg.), Hans Poelzig (Berlin: Ernst & Sohn, ); Wolfgang Pehnt und Matthias Schirren (Hg.), Hans Poelzig. Architekt, Lehrer, Künstler (München: DVA, ).  Siehe dazu Werner Meißner, Dieter Rebentisch und Wilfried Wang (Hg.), Der Poelzig-Bau. Vom I.G. Farben-Haus zur Goethe-Universität (Frankfurt am Main: Fischer, ); Walter Mühlhausen, „Der Poelzig-Bau in Frankfurt am Main: Von der Schaltzentrale industrieller Macht zum Sitz der amerikanischen Militärregierung“, in: Hessen. Geschichte und Politik, hg. von Bernd Heidenreich und Klaus Böhme (Stuttgart: Kohlhammer,  / Schriften zur politischen Landeskunde Hessens, Bd. ),  – ; Von der Grüneburg zum Campus Westend – Die Geschichte des IG Farben-Hauses, Begleitbuch zur Dauerausstellung im IG-Farben-Haus, hg. von der Johann Wolfgang Goethe-Universität (Frankfurt am Main: Präsidium der Johann Wolfgang Goethe-Universität, ).  Einen, freilich sehr stark auf Berlin fokussierten Beitrag bietet der entsprechende Artikel bei Wikipedia http://de.wikipedia.org/wiki/Goldene_Zwanziger (zuletzt eingesehen am .. ).

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genügend finanzielle Ressourcen übrig, um den urbanen Bürgerinnen und Bürgern ihr „kleines Glück“, Unternehmerinnen und Unternehmern so manchen wirtschaftlichen Erfolg, vor allem aber den Künstlerinnen und Künstlern sowie Kulturschaffenden einigen Freiraum zu bieten. Architektur, bildende Kunst, Malerei, Dichtung und neue Medien wie Radio und Kino ermöglichten entscheidende neue Entwicklungen, die freilich zu einem beträchtlichen Teil schon in früheren Jahren angelegt waren. Die Zwanzigerjahre, so fasst Hagen Schulze treffend zusammen, „sind von einer nie dagewesenen intellektuellen Fruchtbarkeit, genährt von dem nervösen, neurotischen Gefühl der Unsicherheit und Unbehaustheit, das nach dem Krieg das geistige wie das politische Leben durchzieht und die Menschen rastlos nach archimedischen Punkten suchen läßt, von denen aus die gesamte Gegenwart aus ihren Angeln zu heben ist.“³⁰ Dabei verliefen politische und kulturelle Entwicklungen in dieser Zeit nicht unverbunden zueinander.³¹ Eine Botschaft, sich den unteren gesellschaftlichen Schichten zuzuwenden und ihren Anliegen künstlerischen Ausdruck zu verleihen war etwa den Arbeiterdarstellungen von Otto Dix (1891– 1969) zu entnehmen. Zeitkritisch auch seine Portraits von Menschen am Rande der Gesellschaft und der Legalität, wie etwa Zuhältern und Prostituierten. Einen politischen Aufschrei stellte zweifellos Käthe Kollwitz’ (1867– 1945) graphisches Werk mit trauernden Müttern, hungernden Kindern sowie den Opfern von Krieg und kapitalistischer Ausbeutung dar. Quer dazu, freilich nicht ohne politische Gehalte entfaltete sich die unter dem 1923 von dem Mannheimer Museumsdirektor G. F. Hartlaub geprägten Begriff der Neuen Sachlichkeit zusammengefasste Kunstrichtung.³² Sie zeichnete sich durch großen Realismus als übergreifendes Motiv aus und suchte – möglicherweise in einer Gegenreaktion auf den Expressionismus der Vorkriegszeit – das objektiv Sichtbare und dessen visuell wahrzunehmendes Erscheinungsbild wieder in den Mittelpunkt der Darstellungen in Malerei, aber auch Musik,³³ Literatur³⁴ und anderen künstlerischen Ausdrucksformen zu rücken.

 Hagen Schulze, Weimar. Deutschland  –  (Berlin: Severin & Siedler,  / Die Deutschen und ihre Nation, Bd. ),  f.Überblicke bieten Walter Laqueur, Weimar. Die Kultur der Republik (Frankfurt am Main, Berlin und Wien: Ullstein, ) und Peter Gay, Die Republik der Außenseiter. Geist und Kultur in der Weimarer Zeit  –  (Frankfurt am Main: Fischer, ).  Vgl. hierzu Peter Hoeres, Die Kultur von Weimar. Durchbruch der Moderne (Berlin: Be.bra,  / Deutsche Geschichte im . Jahrhundert, Bd. ).  In Ermangelung einer konzisen Gesamtdarstellung sei verwiesen auf den Artikel http:// de.wikipedia.org/wiki/Neue_Sachlichkeit (zuletzt eingesehen am . . ), der auch weiterführende Literatur nennt.  Nils Grosch, Die Musik der neuen Sachlichkeit (Stuttgart: Metzler, ).

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Am 9. November 1918, dem Tag, an dem Philipp Scheidemann (1865 – 1939) vom Balkon des Reichstages aus die Republik – und das Ende des Kaiserreiches ausgerufen hatte, wurde noch am Abend mehr oder weniger am gleichen Ort ein „Rat der Intellektuellen“ gebildet. Er sollte die revolutionären Forderungen nach der Vergesellschaftung („Demokratisierung“) (groß‐)bürgerlicher Kulturgüter, wie etwa der Theater und einer in das Volk zu tragenden, weltverändernden politischen Kunst, sowie demokratischen Architektur umsetzen. In der Regel war damit die Verstaatlichung gemeint.³⁵ Neben der Kontinuität künstlerischer Strömungen entstanden in dieser Aufbruchphase avantgardistische Stilrichtungen wie Dadaismus, Futurismus, Konstruktivismus, Kubismus, Purismus, oder Verismus. Das städtische Publikum wurde in den ersten Jahren der Zwanziger durch die damit verbundenen Installationen und Kunstperformationen erheblich provoziert und die bisherige Kunstrezeption radikal in Frage gestellt. Auch wenn die damalige Kunst- und Intellektuellenszene kaum begrifflich zu fassen ist, lässt sich doch bei etlichen ihrer Vertreter und Repräsentanten das Motiv der Suche nach dem „vollkommen Neuen und der neuen Vollkommenheit“ erkennen. Sie formulierten, malten, entwickelten und installierten ihre jeweiligen und oft genug weit auseinanderliegenden Vorstellungen einer „Neuen Welt“ und eines „Neuen Menschen“. Unterschiede wurden freilich sofort sichtbar, wenn es um die Bewertung der neuen deutschen Demokratie ging. Ein tiefes Misstrauen gegen diese Regierungsform saß bei etlichen Künstlern tief. Der hereingebrochene Pluralismus auf der einen Seite und der vermeintliche oder tatsächliche Verlust einer idealisierten Vergangenheit waren in ihren Konsequenzen für viele Menschen schwer zu ertragen. Eine in ihrer Wirkmächtigkeit kaum zu überschätzende Bedeutung kommt der Einführung des Achtstundentags (Deutschland 1918) und ersten tariflichen Urlaubsregelungen zu. Sie wurden im Arbeitsrecht festgeschrieben und galten fortan als unverrückbare Norm. Zahlreiche Arbeitnehmer gewannen freie Zeit (Freizeit), die ansprechend und dem demokratischen Bildungsideal folgend zu gestalten war. Rasch hielt dafür ein neuer Wirtschaftszweig, die Unterhaltungsindustrie, ein breites Angebot bereit: Boxarenen, Kinopaläste, Rummelplätze, Tanzsäle, und Varietés, sowie spektakuläre Sportveranstaltungen wie das Sechstagerennen boten Abwechslung. Bibliotheken, Theater und Volkshochschulen kamen einem

 Sabina Becker, Neue Sachlichkeit, Bd.  –  (Bd. , Die Ästhetik der neusachlichen Literatur ( – ); Bd. , Quellen und Dokumente) (Köln et al.: Böhlau, ; Kurzfassung von ders., „Die literarische Moderne der zwanziger Jahre. Theorie und Ästhetik der Neuen Sachlichkeit“, Internationales Archiv für Sozialgeschichte der deutschen Literatur  (),  – .  Vgl. Rüdiger Graf, Die Zukunft der Weimarer Republik (München: Oldenbourg,  / Ordnungssysteme, Bd. ),  f.

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wachsenden, zunehmend ausdifferenzierten Bildungsbedürfnis entgegen. Größte Popularität erlangte dabei der Breiten- wie der Spitzen-Sport und dessen Organisationsform in Vereinen. Massentaugliche Medien wie Schallplatte, Film, Illustrierte und Radio trugen den bisher allein der gesellschaftlichen Oberschicht vorbehaltenen Kunstgenuss in alle gesellschaftlichen Schichten. Entgegen aller individuellen Ausdifferenzierung gab es allerdings auch verstärkt Bemühungen um eine Verbindung und Synthese der auseinanderstrebenden Lebens- und Kulturformen. Darum bemühte sich zum einen die „Neue Sachlichkeit“. Zum anderen wurde diese Tendenz in Kunstakademien, wie etwa dem Weimar-Dessauer Bauhaus, sichtbar.³⁶ Aus ihnen gingen entscheidende Anregungen für die Problemlösung und Bewältigung von Herausforderungen hervor, die sich aus den Massenwohnquartieren für die städtische Lebensform ergaben. Einige Architekten, vor allem Stadtplaner wie Ernst May (Frankfurt), Fritz Schumacher (Hamburg) und Martin Wagner (Berlin) setzten sich für einen Siedlungsbau mit einem ausgeglichenen Verhältnis von Bebauung und öffentlich zugänglichen Grünflächen ein.³⁷ Überall sollten neue Siedlungen mit insgesamt geringerem Geschossindex und umfangreich angelegten Naherholungszonen entstehen und so zur Behebung der nach dem Weltkrieg eingetretenen Wohnungsnot beitragen. Freilich schauten die Fachleute mit nicht geringer Bewunderung und zuweilen Neid nach Frankfurt und den dort entfalteten Möglichkeiten eines modernen und sozialen Wohnungsbaus.³⁸

 Für eine erste Übersicht siehe: http://de.wikipedia.org/wiki/Bauhaus (zuletzt eingesehen am . . ) sowie weiter Magdalena Droste, Bauhaus  – . Reform und Avantgarde (Köln: Taschen, ); Kirsten Baumann, Bauhaus Dessau. Architektur, Gestaltung, Idee (Berlin: Jovis, ).  Vgl. Gert Kähler, „Nicht nur Neues Bauen, Stadtbau, Wohnung, Architektur“, in: Ders. (Hg.), Geschichte des Wohnens, Bd. ,  – : Reform, Reaktion, Zerstörung (Stuttgart: Deutsche Verlags-Anstalt, ). Für Hamburg siehe das Werk von Fritz Schumacher; dazu jetzt Dieter Schädel (Hg.), Reform der Großstadtkultur. Das Lebenswerk Fritz Schumachers ( – ). Dokumentation zur gleichnamigen Ausstellung im Kunsthaus Hamburg (Hamburg: Sautter und Lackmann, ), für Berlin Martin Wagner; dazu Günther Schulz, „Von der Mietskaserne zum Neuen Bauen, Wohnungspolitik und Stadtplanung in Berlin während der zwanziger Jahre“, in: Peter Alter (Hg.), Im Banne der Metropolen: Berlin und London in den zwanziger Jahren (Göttingen: Vandenhoeck und Ruprecht, ),  – ; ders., „Wohnungspolitik in Deutschland und England  – . Generelle Linien und ausgewählte Beispiele“, in: Clemens Zimmermann (Hg.), Europäische Wohnungspolitik in vergleichender Perspektive  –  (Stuttgart: IRB Verlag, ),  – , sowie Akademie der Künste (in Berlin) (Hg.), Martin Wagner  – . Wohnungsbau und Weltstadtplanung. Die Rationalisierung des Glücks (Berlin: Akademie der Künste, ).  Vgl. etwa die Klage von Martin Wagner darüber, dass in Berlin im Vergleich zu Frankfurt kein sozialer Wohnungsbau möglich sei, bei Karl-Heinz Hüter, Architektur in Berlin  – 

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Mit fortschreitender Entwicklung der Unterhaltungstechnik kamen neue Medien auf: Seit Mitte der 1920er Jahre trat der Kinofilm seinen außergewöhnlichen Siegeszug an. Mit der Weiterentwicklung zum Tonfilm verloren etablierte künstlerische Konzepte der früheren Stummfilm-Jahre ihre Bedeutung. Wirtschaftlich und administrativ setzte wegen der für die neue Technik benötigten Investitionen ein intensiver Konzentrationsprozess und eine den Gesetzen ökonomischer Zweckrationalität gehorchende Beschränkung der künstlerischen Freiheit von Schauspielern und Regisseuren ein.³⁹ Ähnlich wie in der bildenden und darstellenden Kunst setzte sich die Richtung des Expressionismus auch in der Musik durch.⁴⁰ Einen musikgeschichtlichen Höhe- aber auch Wendepunkt stellte etwa die Uraufführung der Oper Wozzeck von Alban Berg (1885 – 1935) am 14. Dezember 1925 unter der Leitung von Erich Kleiber (1890 – 1956) in der Staatsoper Unter den Linden in Berlin dar. In diesen Jahren begann Arnold Schönberg (1874– 1951) mit seinen kompositorischen Experimenten und leitete eine Wende zur Zwölftonmusik ein.⁴¹ Andere Musiker wiederum wandten sich dem über Frankreich nach Deutschland eindringenden Genre des Jazz zu.⁴² Im Konzept der musikalischen Revue verbürgerlichten die avantgardistischen Tendenzen. Sie ließen die Bedrängnisse des Alltags für ein paar Stunden vergessen und boten prachtvolle Entfaltung von Freizügigkeit, scheinbar grenzenloser Ausstattung und berauschenden Wohlgefühls. Die Literaturgeschichte der Weimarer Republik setzte einerseits mit Autoren wie Gerhart Hauptmann, Heinrich Mann oder Stefan George die expressionistische Literatur der Vorkriegszeit fort. Daneben entwickelten sich innovative Literaturgattungen wie etwa die der Reportage (Egon Erwin Kisch, Joseph Roth) und des (Dresden: Verlag der Kunst, ), ; zitiert bei Antonia Freytag, Politische Intention und städtebauliche Entwicklung. Städtische Wohnungspolitik in der Weimarer Republik  –  dargestellt an den Beispielen Berlin, Frankfurt am Main und Köln,  (http://www.k-faktor.com/ files/wohnen.pdf – zuletzt eingesehen am . . ).  Vgl. dazu Wolfgang Jacobsen, Anton Kaes und Hans H. Prinzler (Hg.), Geschichte des deutschen Films (Stuttgart und Weimar: Metzler,  []; Werner Faulstich, Filmgeschichte (Paderborn: Fink, ), sowie die von diesen Erfahrungen geprägten Studien von Siegfried Kracauer, Von Caligari zu Hitler. Eine psychologische Geschichte des deutschen Films, übersetzt von Ruth Baumgarten und Karsten Witte (Frankfurt: Suhrkamp, ); ders. et al., Theorie des Films. Die Errettung der äußeren Wirklichkeit (Frankfurt: Suhrkamp, ).  Vgl. Theodor Wiesengrund Adorno, Philosophie der neuen Musik (Frankfurt: Europäische Verlagsanstalt,  []).  Eindrücklich beschrieben von Thomas Mann in seinem Roman Dr. Faustus.  Michael Jacobs, All that Jazz – Die Geschichte einer Musik (Stuttgart: Reclam,  []), sowie Ekkehard Jost, Sozialgeschichte des Jazz (erweiterte Neuausgabe, Frankfurt am Main: Zweitausendeins-Verlag,  []) und Joachim Ernst Berendt, Das Jazzbuch (Frankfurt am Main: Fischer, ).

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zeitaktuellen Romans (Lion Feuchtwanger, Arnold Zweig, Jakob Wassermann, Hans Fallada, Erich Maria Remarque), der die Gattung des Zeitromans aus dem späten 18. und frühen 19. Jahrhundert charakteristisch weiterentwickelt. Sie thematisierten gesellschaftliche Probleme der Gegenwart und setzten sich mit deren Ursachen auseinander. Daneben stellte die kritisch-spöttische „Gebrauchslyrik“ eines Erich Kästner oder Kurt Tucholsky eine eigene Gattung vorsichtiger, meist jedoch bürgerlich-argloser Gegenwartsbewältigung dar. Die modernisierte Drucktechnik (mechanisierte Bogen- und Tiefdruckverfahren) erlaubte hohe Auflagen. Im Gegensatz zum heute in der Wahrnehmung dieser Zeit vorherrschenden zeitkritischen, fortschrittsgläubigen Ansatz erlebten Texte antimodernen Zuschnitts eine um ein Vielfaches höhere Auflagenstärke: Neben nationalistischer Kriegsliteratur (Werner Beumelburg, Ernst Jünger) waren dies auch Bücher aus der Vorkriegszeit (Gustav Frenssen, Ludwig Ganghofer, Gustav Freytag). Sie verstärkten die Tendenz der Idealisierung der vergangenen und untergegangenen Zeit des ständisch organisierten Kaiserreiches. In gleicher Weise trugen die Beschreibung exotischer, unerreichbar ferner Schauplätze (Karl May) und das Sujet der Kriminalromane (Edgar Wallace) zur Welt- und Wirklichkeitsflucht bei. Sie sprachen ein großes Publikum an. Die höchsten Auflagen erzielte freilich Hedwig Courths-Mahler mit kitschig-romantischen Erzählungen und Liebesgeschichten. All diese Entwicklungen gingen auch an Frankfurt am Main nicht spurlos vorüber.⁴³ Das Bemühen um kulturelles Engagement einte dabei durchaus unterschiedliche soziale Schichten in der Suche nach einer gemeinsamen Identität und Zukunft. Sie schienen infolge der Erfahrungen des Ersten Weltkrieges zerstört zu sein. Mithilfe kultureller Aktionen und politischer Maßnahmen sollten Grundwerte vermittelt und Wahrnehmungen kollektiver Identität bewahrt, beeinflusst und gegenüber den neuen gesellschaftlichen und politischen Bedingungen kompatibilisiert werden. Im Gegenzug traten immer wieder divergierende politische Kulturen zu Tage, die den Zusammenhang von kollektiver Identität und politischer Allgemeinkultur durchaus unterschiedlich beeinflussten. Für Frankfurt am Main lässt sich dabei ein pluralistisch-fragmentierendes Kulturmodell rekonstruieren.⁴⁴ Das mag aus dem zwischen Berlin als Zentrum der Weimarer Republik und der nach Eigenständigkeit strebenden Frankfurter Kulturlandschaft herrschenden Misstrauen sowie einer hierauf gründenden, tiefsitzenden Kon Auf die spezifischen Entwicklungen in Frankfurt am Main im deutsch-französischen Vergleich verweist Klaus Becker, Stadtkultur und Gesellschaftspolitik. Frankfurt am Main und Lyon in der Zwischenkriegszeit  –  (Frankfurt am Main: Waldemar Kramer,  / Studien zur Frankfurter Geschichte, Bd. ).  Zum Folgenden Becker, Stadtkultur,  – .

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kurrenz resultieren. Der Bruch, der sich aus der Revolutionszeit und der kurzen französischen Besatzungsphase ergab, ist in seiner Bedeutung schwerlich zu überschätzen. Der radikalen Infragestellung des bisherigen Kulturbetriebes folgte eine nicht minder radikale Neuorientierung, die wenig Kontrolle durch zentrale Instanzen (das „Reich“ und Preußen) zulassen wollte. Entsprechend verstand und manifestierte sich Kulturpolitik als pluralistischer Prozess. Daraus mag sich die Tatsache erklären, dass es keine in sich geschlossene Kulturverwaltung in Frankfurt am Main gab. Vielmehr wurden je nach aktueller Problemlage ad hoc Gremien berufen, über die dann die Oberbürgermeister, insbesondere Ludwig Landmann, Einfluss auf das kulturelle Leben ihrer Stadt nahmen. Die seit 1920 bestehende „Deputation für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung“ diente hierbei als Schaltstelle der in verschiedenen Dezernaten getroffenen Entscheidungen und der zu deren Durchführung zu koordinierenden Maßnahmen. Die Aufsplitterung in hermetisch abgeschlossene politische Teilkulturen, welche für die gesamte Weimarer Republik beobachtet werden kann, führte in Frankfurt am Main dazu, dass deren Einbindung in den politischen Entscheidungsprozess zu Grabenkämpfen unterschiedlicher Repräsentanten der öffentlichen Meinungsbildung und einer fortschreitenden Fragmentierung der Gesellschaft beitrug. Das gilt besonders für soziale Prozesse des Erinnerns und Ehrens,⁴⁵ der Bildung, Freizeit und Kunst. Der Bereich des Bauens und Wohnens trägt, spätestens mit dem Stadtbaudirektor Ernst May, stark autokratische Züge und erweist sich darin als Beispiel und Modell einer hoch ambivalent einzuschätzenden politischen und gesellschaftlichen Entwicklung.⁴⁶ Erfolge kulturpoliti Vgl. dazu Christoph Cornelißen, „Was heißt Erinnerungskultur? Begriff – Methoden – Perspektiven“, Geschichte in Wissenschaft und Unterricht  (),  – ; ders., „Erinnerungskulturen, Version: .“, in: Docupedia-Zeitgeschichte, . . , URL: http://docupedia.de/zg/Erinne rungskulturen_Version_._Christoph_Corneli.C.Fen?oldid= Versionen: . (zuletzt eingesehen am . . ) sowie Astrid Erll, Kollektives Gedächtnis und Erinnerungskulturen. Eine Einführung (Stuttgart und Weimar: Metzler, ).  Zu dieser technokratisch-administrativen Variante der Dezisionismusrezeption fehlt es an historischen Studien. Gleichwohl lässt sich hier erkennen, wie sich im alltäglichen Entscheidungsprozess ein Klima des autoritativen Krisenmanagements wirkmächtig durchsetzt, das entweder auf bestehende intellektuelle Legitimation sich beziehen könnte oder aber nach einer solchen verlangt. Diese Interferenzen sind ebenfalls bisher nicht historisch aufgegriffen und in ihrer Bedeutung für aktuelle politische Leitbilder kritisch erörtert worden. Im abschließenden Teil des vorgelegten Beitrags wird darauf freilich zurückzukommen sein. An dieser Stelle sei für den ideengeschichtlichen Hintergrund verwiesen auf die in Anm.  genannte Literatur sowie Eckard Bolsinger, „Was ist Dezisionismus? Rekonstruktion eines autonomen Typs politischer Theorie“, PVS  (),  – , und Christian Graf von Krockow, Die Entscheidung. Eine Untersuchung über Ernst Jünger, Carl Schmitt, Martin Heidegger (Stuttgart: Enke, ). Dass sich diese Grundhaltung gut mit der vorherrschenden sozialdemokratischen Politik in der Weimarer Re-

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scher Maßnahmen waren dort am größten, wo nur eine begrenzte Gruppe an der Konzeption und ihrer öffentlichen Diskussion mitwirkte. Das galt eben in besonderem Maße für das Dezernat für Stadtplanung und -entwicklung unter May, der mit großer Machtfülle und immensen finanziellen Mitteln seine Pläne zur Durchsetzung bringen konnte.⁴⁷

1.4 Das intellektuelle Profil der Weimarer Zeit Ähnlich wie in der Politik, der gesellschaftlichen Entwicklung und der durch sie hervorgebrachten Kultur- und Lebensformen fällt es ausgesprochen schwer, ein gemeinsames intellektuelles Profil oder Signet der Zeit zu bestimmen. Zahlreiche Tendenzen kommen zusammen, kulminieren, differenzieren und synthetisieren in kaum konzis zu erfassender Weise.⁴⁸ Die großen Themenblöcke der philosophischen Arbeit werden mit Begriffen wie Lebensphilosophie (Henri Bergson, Maurice Blondel, Wilhelm Dilthey), Phänomenologie (Edmund Husserl, Max Scheler), Ontologie und Metaphysik (Nicolai Hartmann), verschiedenen Ausprägungen des Realismus, der Existenzphilosophie (Karl Jaspers, Martin Heidegger, Jean-Paul Sartre und Gabriel Marcel) sowie den amerikanischen Strömungen des Pragmatismus (William James) und den sich prominent daraus entwickelnden Gruppierungen der analytischen und Sprachphilosophie (Charles S. Peirce, John L. Austin) umschrieben. Freilich sind diese Labels allesamt wenig spezifisch oder aussagekräftig. Dennoch gab es in den Zwanzigerjahren – wie auch in anderen Zeiten – einige wichtige philosophische Schulen, die für das aktuelle Signet verantwortlich waren. Ihre Wirkungsgeschichte hatte ein abruptes Ende mit der faschistischen Gleichschaltung und konnte nach dem Zweiten Weltkrieg nur unter den Bedingungen einer grundsätzlichen Traumatisierung des akademischen Wissenschaftslebens fortgesetzt werden. Für die Entwicklung der wissenschaftlichen Theologie, insbesondere der protestantischen Glaubensreflexion, sind diese Tendenzen allesamt von größter

publik verbinden lässt und hier sowohl ihren Nährboden findet wie anderen politischen Kulturen zuarbeitet, zeigt eindrücklich Stefan Vogt, Nationaler Sozialismus und Soziale Demokratie. Die sozialdemokratische Junge Rechte  –  (Bonn: Dietz Nf., ).  Vgl. hierzu auch Andreas Hansert, Bürgerkultur und Kulturpolitik in Frankfurt am Main. Eine historisch-soziologische Rekonstruktion (Frankfurt am Main: Waldemar Kramer,  / Studien zur Frankfurter Geschichte, Bd. ),  – .  Vgl. Herbert Schnädelbach, Philosophie in Deutschland  –  (Frankfurt am Main: Suhrkamp,  / stw, Bd. ); Christian Tilitzki, Die deutsche Universitätsphilosophie in Weimar und im Dritten Reich (Berlin: Akademie, ).

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Bedeutung.⁴⁹ Im Rahmen des vorzulegenden holzschnittartigen Überblicks betont die neuere Theologie- und Dogmengeschichte die gravierende Zäsur des Ersten Weltkriegs und die sich in seinem Schatten neu konstituierende theologische Wissenschaft. In Lehr- und Handbüchern verbindet sich diese Zäsur vor allem mit dem Namen Karl Barth und den mit ihm gemeinsam die dialektische Theologie vorbereitenden Namen seiner Weggefährten Eduard Thurneysen, Emil Brunner, Friedrich Gogarten, Rudolf Bultmann und einigen anderen.⁵⁰ Bei näherem Hinsehen ist der Bruch nicht mit dem Erscheinen der zweiten Auflage von Barths Römerbriefkommentar 1922 oder in früheren theologischen Reflexionen der Kriegserfahrungen zu beobachten. Vielmehr erfährt das intellektuelle Leben im Nachkriegsdeutschland erstmalig unter den Bedingungen demokratischer Meinungsbildung einen Traditionsabbruch ungeheuren Ausmaßes. Die fraglose Akzeptanz der im System der Einheit von Thron und Altar als hilfund segensreich erfahrenen, theologisch sanktionierten, gleichsam sakralisierten patriarchalen Ordnung, aus der dann auch eine zunächst umfassende Kriegsbegeisterung und bedingungslose Unterstützung des weltweiten Mordens hervorging,⁵¹ ließ den deutschen Wissenschaftsbetrieb – und nicht nur den – zutiefst korrumpiert und orientierungslos zurück. Dass sich ehrenwerte Wissenschaftler, allein dem humanen Erkenntnisstreben verpflichtete Koryphäen der Akademien,

 Für die Rekonstruktion der wissenschaftlichen Entwicklung evangelischer Theologie nach wie vor unentbehrlich Emanuel Hirsch, Geschichte der neuern evangelischen Theologie im Zusammenhang mit den allgemeinen Bewegungen des europäischen Denkens, hg. von Albrecht Beutel, Bd.  –  (Waltrop: Hartmut Spenner, ); Jan Rohls, Protestantische Theologie der Neuzeit, Bd. , Das . Jahrhundert (Tübingen: Mohr Siebeck, ); Hermann Fischer, Protestantische Theologie im . Jahrhundert (Stuttgart: Kohlhammer, ) sowie Eckhard Lessing, Geschichte der deutschsprachigen evangelischen Theologie von Albrecht Ritschl bis zur Gegenwart, Bd.  –  (Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht,  – ).  Dieses Urteil entstand vor allem als Folge der sich in der NS-Zeit etablierenden Bruderratstradition, deren Vertreter nach dem Zweiten Weltkrieg maßgeblich und wegen ihres Widerstandes gegen das nationalsozialistische Gewaltregime weitestgehend kritik- und alternativlos zum Wiederaufbau beigetragen haben. Die Sicht der BK-dominierten Geschichtsschreibung beginnt erst langsam kritisch korrigiert zu werden. Eine hermeneutisch-reflektierte, vorbehaltlose Untersuchung steht allerdings bis heute aus. Vgl. dazu exemplarisch Karl Dienst, Politik und Religionskultur in Hessen und Nassau zwischen „Staatsumbruch“ () und „nationaler Revolution“ (). Ursachen und Folgen (Frankfurt am Main et al.: Peter Lang,  / Theion, Bd. ); ders., „Zerstörte“ oder „wahre“ Kirche. Eine geistliche oder kirchenpolitische Entscheidung (Frankfurt am Main et al.: Peter Lang,  / Theion, Bd. ); Lars Christian Heinemann, „,Barmen‘ zwischen Zeitgeschichte und Weltgeschichte. Kritisch-konstruktive Anmerkungen“, Jahrbuch der Hessischen Kirchengeschichtlichen Vereinigung  (/) [angekündigt für ].  Stefan Bruendel,  – Zeitenwende: Künstler, Dichter und Denker im Ersten Weltkrieg (München: F.A. Herbig, ).

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in den Dienst der Waffenproduktion und des millionenfachen Todes gestellt hatten, ließ sich einerseits nicht erklären, geschweige denn korrigieren. Andererseits war eine tiefergehende Reflexion des Geschehens unter den Bedingungen der alltäglichen Subsistenzsorge nicht möglich respektive wurde sie mehr oder weniger bewusst vermieden. Insofern lassen sich unterschiedliche Weisen beobachten, mit dem Zusammenbruch umzugehen. Während die Gruppe der dialektischen Theologen um Barth sich intensiv mit Vertretern des Religiösen Sozialismus⁵² wie Leonard Ragaz oder Hermann Kutter austauschte und eine Problemlösung eher am linken Rand des partei- und gesellschaftspolitischen Spektrums suchte, wandten sich zahlreiche noch vor dem Weltkrieg ausgebildete Wissenschaftler den vermeintlich oder tatsächlich nicht betroffenen Traditionen der Theologie zu und versuchten hier zu einer Rekultivierung früherer Qualität zu gelangen. Diese Richtung verband sich in starker Anlehnung an Karl Holl und der von ihm vertretenen Richtung der liberalen Theologie zu der sogenannten Lutherrenaissance (Emanuel Hirsch, Erich Vogelsang, Reinhold und Erich Seeberg et al.)⁵³ und der wiedererstarkten Erlanger Theologie (Paul Althaus, Werner Elert, Walther Sommerlath).⁵⁴ Dass von ihnen zahlreiche prominente Vertreter zu Unterstützern des Nationalsozialismus avancierten, wirft ein bezeichnendes Licht auf die Bemühungen um die theologische und kirchliche Tradition aus Zeiten des Alten Reiches.⁵⁵

 Während dieses Phänomen in den siebziger Jahren des letzten Jahrhunderts eine große Beachtung auch historiographisch fand, sind neuere Studien eher selten zu finden. Vgl. darum die älteren Anthologien und Stellungnahmen bei Renate Breipohl (Hg.), Dokumente zum religiösen Sozialismus in Deutschland (München: Kaiser, ); Wolfgang Deresch, Die Predigt und Agitation der religiösen Sozialisten, und ders., Der Glaube der religiösen Sozialisten. Ausgewählte Texte (Hamburg: Furche, ); Günter Ewald (Hg.), Religiöser Sozialismus (Stuttgart: Kohlhammer, ); Arnold Pfeiffer (Hg.), Religiöse Sozialisten. Dokumente der Weltrevolution (Freiburg im Breisgau: Walter Olten, ); Wolfgang Teichert (Hg.), Müssen Christen Sozialisten sein? (Hamburg: Lutherisches Verlagshaus, ).  Vgl. Heinrich Assel, Der andere Aufbruch. Die Lutherrenaissance – Ursprünge, Aporien und Wege: Karl Holl, Emanuel Hirsch, Rudolf Hermann ( – ) (Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht,  / FSÖTh, Bd. ).  Karlmann Beyschlag, Die Erlanger Theologie (Erlangen: Martin-Luther-Verlag,  / Einzelarbeiten aus der Kirchengeschichte Bayerns, Bd. ); Martin Hein, Lutherisches Bekenntnis und Erlanger Theologie im . Jahrhundert (Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus,  / Die Lutherische Kirche, Geschichte und Gestalten, Bd. ); Notger Slenczka, Studien zur Erlanger Theologie, Bd.  –  (Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht,  –  / FSÖTh, Bd.  – ).  Vgl. dazu die Kontroverse um Berndt Hamm, „Schuld und Verstrickung der Kirche. Vorüberlegungen zu einer Darstellung der Erlanger Theologie in der Zeit des Nationalsozialismus“, in: Kirche und Nationalsozialismus, hg.von Wolfgang Stegemann (Stuttgart et al.: Kohlhammer,  []),  – ; ders., „Werner Elert als Kriegstheologe. Zugleich ein Beitrag zur Diskussion

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Zwischen diesen kämpferisch agierenden und politisch hochaktiven „Randerscheinungen“ der öffentlichen Theologie fanden sich zahlreiche – weitaus weniger prominente, dennoch publikumswirksame – Theologen, die insgesamt der republikanischen Staatsform weniger zutrauten und sich vielmehr als „Rufer in der Wüste“, als Bewahrer des Evangeliums in Zeiten säkularer Bestreitung (Max Weber) und eines allgemeinen Niedergangs des Abendlandes sowie seiner Kultur (Oswald Spengler) verstanden. Neben Vertretern einer gemäßigt konservativen, liberalen, aber wenig demokratischen Position – exemplarisch vertreten durch den Frankfurter Paulskirchenpfarrer und Landtagsabgeordneten Karl Veidt (1879 – 1946)⁵⁶ oder den Wiesbadener Pfarrer und späteren Landesbischof von Hessen August Kortheuer (1868 – 1963)⁵⁷ – reüssierten restaurative Positionen aus der konservativen Volkskirchenbewegung, den unterschiedlichen Ausprägungen der Erweckungen, dem Sozialprotestantismus und dem breit aufgestellten diakonischen Engagement. Der Herausforderung, die neue politische Ordnung innovativ und kreativ in kirchliche Lebensformen umzusetzen, genügten nur die wenigsten Theologen aus der Weimarer Zeit.⁵⁸ Der Protestantismus erwies sich mithin als rückwärtsgewandt und trotz theologisch erlesener, akrobatischer Argumentationen nicht als Träger der republikanischen Staatsform.

‚Luthertum und Nationalsozialismus‘“, Kirchliche Zeitgeschichte  (),  – ; ders., „Hanns Rückert als Schüler Karl Holls. Das Paradigma einer theologischen Anfälligkeit für den Nationalsozialismus“, in: Evangelische Kirchenhistoriker im „Dritten Reich“, hg. von Thomas Kaufmann und Harry Oelke (Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus, ),  – ; ders., „Die andere Seite des Luthertums. Der bayerische Pfarrer Karl Steinbauer im Widerstand gegen den Nationalsozialismus“, Zeitschrift für Theologie und Kirche  (),  – ; ders. mit Harry Oelke und Gury Schneider-Ludorff (Hg.), Spielräume des Handelns und der Erinnerung. Die evangelisch-lutherische Kirche in Bayern und der Nationalsozialismus (Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, ), darin: „Landeskirchliche Normalität und exponierte Positionen in der Einstellung bayerischer Lutheraner zum Nationalsozialismus“,  – .  Vgl. dazu Werner Becher (Hg.), Karl Veidt. Paulskirchenpfarrer und Reichstagsabgeordneter (Darmstadt und Kassel: Verlag der Hessischen Kirchengeschichtlichen Vereinigung,  / QSHK, Bd. ).  Vgl. dazu Reiner Braun, August Kortheuer. Evangelischer Pfarrer und Landesbischof in Nassau  –  (Darmstadt und Kassel: Verlag der Hessischen Kirchengeschichtlichen Vereinigung,  / QSHK, Bd. ).  Vgl. Hans-Walter Krumwiede, Evangelische Kirche und Theologie in der Weimarer Republik (Neukirchen-Vluyn: Neukirchener,  / Grundtexte zur Kirchen- und Theologiegeschichte, Bd. ); Friedrich Wilhelm Graf, Der heilige Zeitgeist. Studien zur Ideengeschichte der protestantischen Theologie in der Weimarer Republik (Tübingen: Mohr Siebeck, ).

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Das Thema des Verhältnisses von Kirche und Kultur war überall offenbar und wurde vielfach durchaus prominent aufgegriffen.⁵⁹ Am Ende der Weimarer Republik wurde in kleineren Zirkeln und Kreisen über die Zukunft der demokratischen Staatsform, über Reformen und Auswege aus der gesamtgesellschaftlichen Krise diskutiert. Der Philosoph Karl Jaspers (1883 – 1969) schrieb eine kritische Bestandsaufnahme unter dem Titel „Die geistige Situation der Zeit“⁶⁰ und der Romanist Ernst Robert Curtius (1886 – 1956) verfasste eine Warnung unter dem Titel „Deutscher Geist in Gefahr“⁶¹. Theologen nahmen durchaus an diesen Diskussionen teil. Grundsätzlich waren sie allerdings weniger progressiv als die sich im Frankfurter Kreis um Paul Tillich und Adolf Löwe sammelnden Geister. Insofern waren sie sogar beständiger als die Teilnehmer des liberal-konservativen Riezler-Kreises, die – ausgehend von den offensichtlich prekären Erfahrungen zahlreicher jüngerer Kollegen – über soziale Verelendung, anerzogene geistige Enge, über Hierarchisierung und Unbeweglichkeit der gesellschaftlichen und inneruniversitären Verhältnisse sowie über deren Auswirkungen auf die junge deutsche Demokratie diskutierten. Die sichtbare Unfähigkeit der für sich das Hüten von Wahrheit und Moral in Anspruch nehmenden Institutionen – konfessionell ausdifferenzierte Kirche wie akademische Theologie –, die Fragen der Zeit seelsorgerlich, theoretisch und theologisch anzugehen, beschleunigte den gesellschaftlichen Fragmentierungsprozess. Ohne die einzelnen Unterschiede nivellieren zu wollen, lässt sich behaupten, dass eine starke Tendenz zur Bearbeitung systematischer Grundfragen erkennbar wurde. Diese Grundfragen umfassten im traditionellen Sinne fundamentaltheologische Probleme, zur Synthese geeignet erscheinende philosophische Modelle bis hin zu einer prinzipiellen Abwendung von genuin theologischer Arbeit. Existential- und Geschichtsphilosophie spielten eine unübersehbar wichtige Rolle, der Religionsbegriff wurde diskutiert und das Verhältnis von Theologie, Religion, Kirche und Kultur untersucht. Eine Reihe von „neuen“ Wissenschaften machte sich anheischig, eben diese Fragen methodisch wie theoretisch gesichert lösen zu können. Die Theologie empfand diese Konkurrenz

 Siehe dazu etwa im Werk Bultmanns einschlägige Passagen; vgl. ferner Konrad Hammann, Rudolf Bultmann. Eine Biographie (Tübingen: Mohr Siebeck,  []); zu Friedrich Gogarten etwa Matthias Kroeger, Friedrich Gogarten. Leben und Werk in zeitgeschichtlicher Perspektive (Stuttgart et al.: Kohlhammer, ); zu Paul Tillich siehe besonders Christian Danz und Werner Schüßler (Hg.), Paul Tillichs Theologie der Kultur. Aspekte – Probleme – Perspektiven (Berlin und Boston: Walter de Gruyter,  / Tillich-Studien, Bd. ).  Karl Jaspers, Die geistige Situation der Zeit (Berlin und Leipzig: Walter de Gruyter, ).  Robert Ernst Curtius, Deutscher Geist in Gefahr (Stuttgart und Berlin: DVA, ).

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häufig als Last und Bedrängnis, ob aus Sprachlosigkeit oder aus Schwerfälligkeit sei einmal dahingestellt. Einige Vertreter der evangelischen Theologie schienen den mit diesen Entwicklungen verbundenen Säkularisierungsschub durchaus positiv aufnehmen zu können. Aus dem 19. Jahrhundert waren dazu etwa bei Richard Rothe (1799 – 1867),⁶² Christoph Blumhardt d. J. (1842– 1919),⁶³ auch bei Albrecht Ritschl (1822– 1889)⁶⁴ oder in den sozial aktiven, pietistisch geprägten Bewegungen von Heinrich Wichern (1808 – 1881) bis Wilhelm Löhe (1808 – 1872) evangelische Ansätze zu finden.⁶⁵ Sie galt es jetzt unter den Bedingungen der Nachkriegszeit fruchtbar zu

 Konrad Exner, „Richard Rothe – Mitglied der Ersten Kammer des badischen Landtags“, Badische Heimat  (),  – ; Manfred Baumotte, „Friedrich Julius Stahls und Richard Rothes Version des ‚christlichen Staatesʻ“, in: Die Freiheit planen, hg. von Wolf-Dieter Marsch (Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, ),  – ; Falk Wagner, „Theologische Universalintegration – Richard Rothe  – “, in: Profile des neuzeitlichen Protestantismus, hg. von Friedrich Wilhelm Graf, Bd.  (Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus, ),  – ; Heike Krötke, Selbstbewußtsein und Spekulation. Eine Untersuchung der spekulativen Theologie Richard Rothes unter besonderer Berücksichtigung des Verhältnisses von Anthropologie und Theologie, hg. von Hans-Walter Schütte (Berlin und New York: Walter de Gruyter,  / Theologische Bibliothek Töpelmann, Bd. ).  Christian Buchholz, Christoph Friedrich Blumhardt – Reich Gottes in der Welt (Göppingen: Manuela Kinzel, ); Eduard Buess und Markus Mattmüller, Prophetischer Sozialismus. Blumhardt – Ragaz – Barth (Freiburg/Schweiz: Edition Exodus, ); Friedhelm Groth, „bebelund auch bibelfest“. Eschatologischer Universalismus und Engagement für den Sozialismus in der Reich-Gottes-Hoffnung des jüngeren Blumhardt. Eine Hoffnung und ihre Nachwirkungen (Stuttgart: Württembergische Landesbibliothek, ); Dieter Ising, Johann Christoph Blumhardt. Leben und Werk (Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, ); Klaus-Jürgen Meier, Christoph Blumhardt. Christ, Sozialist, Theologe (Bern et al.: Peter Lang,  / Basler und Berner Studien zur historischen und systematischen Theologie, Bd. ); Martin Stober, Christoph Friedrich Blumhardt d.J. zwischen Pietismus und Sozialismus (Gießen und Basel: Brunnen, ).  Vgl. Ulrich Barth, „Das gebrochene Verhältnis zur Reformation. Beobachtungen zum Protestantismusverständnis Albrecht Ritschls“, in: Transformationsprozesse des Protestantismus. Zur Selbstreflexion einer christlichen Konfession an der Jahrtausendwende. Falk Wagner ( – ) zu Ehren, hg.von Martin Berger und Michael Murrmann-Kahl (Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus, ),  – ; Matthias Neugebauer, Lotze und Ritschl. Reich-Gottes-Theologie zwischen nachidealistischer Philosophie und neuzeitlichem Positivismus (Frankfurt am Main et al.: Peter Lang,  / Beiträge zur rationalen Theologie, Bd. ).  Vgl. dazu Jochen Christoph Kaiser, Sozialer Protestantismus im . Jahrhundert. Beiträge zur Geschichte der Inneren Mission  bis  (München: Oldenbourg, ); ders. mit Martin Greschat (Hg.), Sozialer Protestantismus und Sozialstaat. Diakonie und Wohlfahrtspflege in Deutschland  –  (Stuttgart et al.: Kohlhammer, ); ders. mit Volker Herrmann und Theodor Strohm (Hg.), Bibliographie zur Geschichte der deutschen evangelischen Diakonie im . und . Jahrhundert (Stuttgart et al.: Kohlhammer, ); ders., Evangelische Kirche und sozialer Staat. Diakonie im . und . Jahrhundert, hg. von Volker Herrmann (Stuttgart: Kohlhammer, ).

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machen. Eine alles dominierende Kraft – meist wird hierfür in den üblichen Handbuchdarstellungen die dialektische Theologie in ihrem Gegensatz zur liberalen Theologie bemüht – ist in der häufig behaupteten trennscharfen Differenz nicht nachweisbar. Ein Grund liegt darin, dass der Begriff der liberalen Theologie denkbar ungeeignet ist, die vielfältigen, weder dem Lager der dialektischen Theologie noch dem der Lutherrenaissance zuzuordnenden Positionierungen unter einem allgemeingültigen Begriff zusammenzufassen.⁶⁶ Tillich reiht sich in seinem Wirken – besonders deutlich in der scharfen Gegenüberstellung von Theologie und Philosophie – keiner wirkmächtigen Gruppe zu, weil die geistesgeschichtliche Entwicklung sehr viel stärker von Einzelnen geprägt erscheint, um die sich in wechselnden Beziehungen Gleichgesinnte und Anhänger scharten. Tillich greift das in seinen Frankfurter Veranstaltungen unter dem Thema „Der Einzelne und die Macht“ auf.⁶⁷ Wie sich diese philosophische Positionierung zur grundsätzlichen Annäherung an den Sozialismus verhält, insbesondere die Frage, ob und in welchem Maße sich diese Annäherung in Frankfurt am Main beziehungsweise durch dessen Bürgerinnen und Bürger ergab, ist vorerst nicht zu beantworten. Wenden wir uns darum zunächst der Geschichte der Frankfurter Johann Wolfgang Goethe-Universität – der Name wurde erst 1932 anlässlich des hundertsten Todestages Goethes gewählt – zu.

 Vgl. dazu pars pro toto für eine in den letzten Jahren intensiv geführte Diskussion Hans-Joachim Birkner, „Liberale Theologie“, in: Kirchen und Liberalismus im . Jahrhundert, hg. von Martin Schmidt und Georg Schwaiger (Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht,  / Studien zur Theologie und Geistesgeschichte des neunzehnten Jahrhunderts, Bd. ),  – ; Friedrich Wilhelm Graf (Hg.), Troeltsch-Studien, Bd. , Liberale Theologie. Eine Ortsbestimmung (Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus, ); Hartmut Ruddies, Karl Barth und die Liberale Theologie. Fallstudien zu einem theologischen Epochenwechsel (Göttingen: Universität Göttingen, ); Matthias Wolfes, Protestantische Theologie und moderne Welt. Studien zur Geschichte der liberalen Theologie nach  (Berlin und New York: Walter de Gruyter,  / Theologische Bibliothek Töpelmann, Bd. ); Mark D. Chapman, Ernst Troeltsch and Liberal Theology. Religion and Cultural Synthesis in Wilhelmine Germany (Oxford: Oxford University Press, ); Jörg Lauster, „Liberale Theologie. Eine Ermunterung“, NZSTh  (),  – .  Hierzu Vorlesung im Wintersemester /: „Sein und Geschehen“; im Sommersemester : Vorlesung über „Die philosophischen Grundlagen der politischen Richtungen“ sowie ohne ausgesprochene Ankündigung in anderen Veranstaltungen. Vgl. dazu weiterhin die später erschienenen Schriften in GW XI.

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2 Die Bürger-Universität Frankfurt am Main Die Gründung der Universität in Frankfurt am Main erfolgte als letzte im Kaiserreich. Sie war – und blieb bis heute – die einzige Stiftungsuniversität der deutschen Geschichte. Initiiert durch das Bemühen, an einer Hochschule nach wissenschaftlich und zugleich anwendungsorientiert erörterten, praktikablen Lösungen für Probleme der Gegenwart zu suchen, geht die Diskussion über das dafür erforderliche bürgerschaftliche Engagement bis weit in die Anfangsjahre des Jahrhunderts und darüber hinaus zurück. Im Zusammenhang unserer Überlegungen ist dies weniger relevant als die Tatsache, dass von Beginn an liberale und innovative Wege in Forschung und Lehre experimentierfreudig beschritten wurden. Insbesondere enthielt das Fächerangebot nicht allein die traditionellen Disziplinen der Universitäten des 19. Jahrhunderts, sondern nahm sich bewusst jener Wissenschaftsbereiche an, welche Themen bearbeiten sollten, die sich aus den Herausforderungen der Moderne für Technik-, Natur-, Sozial- und Lebenswissenschaften ergaben. Dass dabei die Bedeutung der bis in die Frühe Neuzeit unangefochten als Leitwissenschaft geltenden, später als unaufgebbare Disziplin des orbis litterarum bewahrten Theologie bestritten wurde und das Fach nun im angebrochenen 20. Jahrhundert keine Berücksichtigung mehr im Fakultätenkanon fand, ist mehrfach und intensiv diskutiert worden. Die Gründe dafür sind vielfältig.⁶⁸ Die Stadt Frankfurt am Main und ihre Bürgerinnen und Bürger engagierten sich für die (spätestens) seit 1897 gehegten Pläne einer Universitätsgründung mit beträchtlichem privatem Vermögen. Vor dem Ersten Weltkrieg gab es laut Statistik 599 Millionäre in der wirtschaftsstarken vormaligen Reichsstadt.⁶⁹ Zugleich er-

 Paul Kluke, Die Stiftungsuniversität Frankfurt am Main  –  (Frankfurt am Main: Waldemar Kramer, ); Notker Hammerstein, Die Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main, Bd. , Von der Stiftungsuniversität zur staatlichen Hochschule  –  (Göttingen: Wallstein-Verlag, ). Beide Darstellungen liegen den darstellenden Passagen im Folgenden zu Grunde. – Vgl. zu den Gründen der Nichtberücksichtigung Kluke, Stiftungsuniversität,  – ,  – ; Karl Dienst, „Frankfurts Universität – ohne Theologie? Die Entwicklung der Evangelischen Theologie von den Anfängen bis zur Gegenwart“, in: Forschung Frankfurt  (),  – , und Gesche Linde, „‚Diese Lehrstühle […] hätten Wissenschaft und nicht Glauben zu tradieren‘. Zur systematischen Diskussion um den universitären Ort der Theologien am historischen Beispiel der Universitätsgründung in Frankfurt am Main“, in: Theologie im Wissenschaftsdiskurs der säkularen Universität, hg. von Knut Wenzel (Freiburg i. Br.: Herder,  / Quaestiones disputatae) [im Erscheinen begriffen].  Angabe nach Claudia Michels, „Nationale Hochgefühle“, Frankfurter Rundschau, . Juli  (http://www.fr-online.de/frankfurt/erster-weltkrieg-in-frankfurt-nationale-hochgefuehle,, .html – zuletzt eingesehen am . . ).

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brachte die bis 1811 marginalisierte und gettoisierte jüdische Gemeinde⁷⁰ finanzielle und ideelle Initiativleistungen in erheblichem Umfang. Der maßgeblich für die Umsetzung der ambitionierten Pläne Verantwortliche war zu diesem Zeitpunkt – naturgemäß nicht allein und neben anderen – Franz Adickes (1846 – 1915, Amtszeit von 1890 – 1912)⁷¹ in Verbindung mit Industriellen wie Wilhelm Merton (1848 – 1916).⁷² In außerordentlichem Maße verbanden sich die Bürgerinnen und Bürger der Stadt – ohne neue Schranken untereinander aufzurichten – und spendeten Vermögen für eine höhere Bildungsanstalt neben der 1906 gegründeten und seit 1910 am Nibelungenplatz ansässigen Königlichen Baugewerkschule (heute: Frankfurt University of Applied Sciences).⁷³ Mit Genehmigung Kaiser Wilhelms II. wurde auf Antrag des Großen Rates als universitärem Gründungsgremium nach längerer, höchst kontrovers gestalteter Beratungszeit am 10. Juni 1914 die Errichtung und Eröffnung der Universität in Frankfurt am Main verfügt. In dem dieser Verfügung zugrunde liegenden Stiftungsvertrag war bereits 1912 ausgehandelt worden, dass zahlreiche bestehende und erfolgreich tätige Einrichtungen der Stadt sowie private Sponsoren unter dem Dach der Universität zusammengefasst werden sollten. Mit der enormen Summe von 14 Millionen Mark, deren Gegenwert heute schwer zu beziffern, aber durchaus im Milliardenbereich zu vermuten ist, zählte die Universität in Frankfurt am Main neben Berlin zu den am besten ausgestatteten Einrichtungen der höheren Bildung innerhalb des Deutschen Reiches. Den Charakter der Gründung hatte Oberbürgermeister Adickes bereits 1911 in einem Bericht für einen Sonderausschuss der Frankfurter Stadtverordnetenversammlung notiert, in dem er zunächst darauf verwies, dass Frankfurt am Main in der wissenschaftlichen Ausrichtung den eingeschlagenen Weg einer auf alltagstaugliche Pragmatik ausgerichteten Forschung und innovativer Lehre und Wis-

 Vgl. Karl Erich Grözinger (Hg.), Jüdische Kultur in Frankfurt am Main von den Anfängen bis zur Gegenwart (Wiesbaden: Harrassowitz,  / Jüdische Kultur, Bd. ); Andrea Hopp, Jüdisches Bürgertum in Frankfurt am Main im . Jahrhundert (Stuttgart: Steiner,  / Frankfurter historische Abhandlungen, Bd. ).  Zu Franz Adickes jetzt Lothar Gall, Franz Adickes. Oberbürgermeister und Universitätsgründer (Frankfurt am Main: Societäts-Verlag, ), dort auch Verweise auf die ältere Literatur.  Hans Achinger, Wilhelm Merton in seiner Zeit (Frankfurt am Main: Waldemar Kramer, ); Wolfgang Klötzer (Hg.), Frankfurter Biographie. Personengeschichtliches Lexikon, Bd. , M-Z (Frankfurt am Main: Waldemar Kramer, ); Ralf Roth, Wilhelm Merton. Ein Weltbürger gründet eine Universität (Frankfurt am Main: Societäts-Verlag, ).  Vgl. Fachbereich  (Architektur, Bauingenieurwesen, Geomatik) (Hg.), FH FFM  Jahre Fb  (Frankfurt am Main: Fachbereich  der Fachhochschule Frankfurt am Main,  / Schriftenreihe des Fachbereichs Architektur, Bd. ),  – .

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senschaft konsequent fortsetzen wolle. Er nahm zudem den weit verbreiteten Wunsch auf, in Frankfurt am Main nicht eine Universität im hergebrachten Sinne, sondern eine sogenannte freie Universität zu begründen […]. Soweit damit gesagt sein soll, daß die neue Universität von allen abgestorbenen Resten alter Zeiten freibleiben und andrerseits neuen Anregungen zugänglich sein und neuen Bedürfnissen Befriedigung gewähren soll, wird man gern zustimmen, und die vorstehenden Ausführungen […] zeigen, wie lebhaft das Verständnis dafür ist, daß die neue Universität den Anforderungen der Gegenwart und des hiesigen gewerblichen und geistigen Lebens gerecht wird. Die Einrichtung neuer Institute und Seminare und die Begründung neuer Lehrstühle wird lediglich von den vorhandenen Mitteln abhängig sein⁷⁴.

In Frankfurt am Main entstand somit eine aus privaten Mitteln finanzierte Universität, die bürgerliches Selbstbewusstsein und eine sich den Herausforderungen der Gegenwart gegenüber offen verhaltende intellektuelle Grundhaltung repräsentierte. Ersteres dokumentierte sich signifikant in ihrer Verfassung, die neben dem Rektor und den Dekanen der fünf Fakultäten ein Kuratorium und einen „Großen Rat“ konstituierte, in dem Stifterfamilien sowie städtische Unternehmer und Politiker der Stadt zusammenwirken sollten. Der wenig später ausbrechende Erste Weltkrieg stellte eine äußerst ernste Krise dar. Eine ganze Generation junger Menschen verlor sinnlos ihr Leben und mit ihr auch Vertreter der Lehrenden und Forschenden. Neben den gravierenden personellen Verlusten wurden die finanziellen Fundamente der Universität durch Krieg und anschließende Wirtschaftskrise erheblich beschränkt. Als hätten es Bürgerinnen, Bürger und Universitätsangehörige geahnt, war die Kriegsbegeisterung erheblich moderater als in anderen Städten und auf dem Lande ausgefallen. Hinzu kam, dass 1915 zunächst Franz Adickes und ein Jahr später auch der wegbereitende Stifter Wilhelm Merton verstarben. Damit geriet die Universität trotz bleibend hoher Inskriptionszahlen und eines disziplinierten Lehrverhaltens der verbliebenen Professoren in schwierige Zeiten. Bedingt durch unglückliche Wahlentscheidungen für die Präsidentschaft konnte die Universität bereits 1917/18 keinen ausgeglichenen Haushalt vorlegen und erwog den Rückkauf der Bildungsstätte durch den preußischen Staat. Der damalige in der preußischen Hochschulverwaltung des Kultusministeriums zuständige Referent, Carl Heinrich Becker (1876 – 1933),⁷⁵ wies dieses Ansinnen unter Hinweis auf die in der Stif-

 Hammerstein, Geschichte, , zit. nach Wachsmuth, Gründung , .  Vgl. Kurt Düwell, „Carl Heinrich Becker“, in: Persönlichkeiten der Verwaltung. Biographien zur deutschen Verwaltungsgeschichte  – , hg. von Kurt G. A. Jeserich und Helmut Neuhaus (Stuttgart et al.: Kohlhammer, ),  – ; ders., „Staat und Wissenschaft in der Weimarer Epoche. Zur Kulturpolitik des Ministers C.H. Becker“, Historische Zeitschrift, Beiheft NF  (),

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tungsurkunde formulierte Unabhängigkeit der Universität zurück. Kurzfristig konnte durch ein höheres finanzielles Engagement der Stadt Frankfurt am Main der Zusammenbruch verhindert werden, aber die allgemeine Lage des Landes nach der Revolution und unter den Bedingungen französischer Besatzung sowie bedrückt von hohen Reparationsleistungen ließ eine längerfristige Planung nicht zu. In der unmittelbaren Folge der Geldentwertung 1923 stand auch die Universität in Frankfurt am Main wieder zuoberst auf der Liste möglicherweise zu schließender Bildungseinrichtungen. Der seit Oktober 1924 tätige Oberbürgermeister Ludwig Landmann nahm sich nachhaltig seiner Universität an und sorgte für neue finanzielle Beteiligungen und Stiftungen. Die Personalverzeichnisse der Universität Frankfurt am Main⁷⁶ lesen sich vor 1933 – wie es auf der Homepage der Universität vollmundig heißt – wie ein „Who is Who“ der deutschen Gelehrtenwelt.⁷⁷ Vor allem sind es Namen aus den Naturwissenschaften, die den Glanz der jungen Universität begründeten. Etwa die Nobelpreisträger Paul Ehrlich (Medizin), Max von Laue, Max Born und Otto Stern (Physik). Auch Vertreter der Geistes-,Wirtschafts- und Sozialwissenschaften wie Martin Buber, Adolf Löwe, Franz Oppenheimer, Karl Mannheim, Kurt Goldstein, Karl Herxheimer und Max Dehn gehören zum Personaltableau. Nicht eben geringer sind die später zu Prominenz und Ansehen gelangten Studierenden: in den Matrikelbüchern sind beispielsweise Carl Zuckmayer, Marion Gräfin von Dönhoff, Ludwig Erhard, Theodor Wiesengrund Adorno und andere prominente Namen verzeichnet. Sie alle vertraten mit hohem Engagement und durchaus innovativ die Grundintentionen der Gründergeneration. Dominiert wurden Lehre und Forschung vor allem durch die Sozial- und Wirtschaftswissenschaften, später kamen verstärkt die Rechts- und Naturwissenschaften hinzu. Ihnen gegenüber nahm sich die Philosophische Fakultät mit ihren zahlreichen Unterdisziplinen insgesamt beinahe wie eine Großbaustelle aus. Freilich sind auch hier insbesondere die Altertumswissenschaften und die neueren Philologien in dieser Zeit überregional bekannt. Die Gründung des geplanten Instituts für semitische Sprachen verzögerte sich unter Einfluss des Kriegsausbruches und des frühen Todes von Josef Horovitz

 – ; Peter Gostmann und Jens Koolwaay, „,Der Tag war da: so stand der Sternʻ. C. H. Becker und die Frankfurter Soziologie der Zwischenkriegszeit“, Zeitschrift für Ideengeschichte  () ,  – ; Guido Müller, Weltpolitische Bildung und akademische Reform. Carl Heinrich Beckers Wissenschafts- und Hochschulpolitik  –  (Köln et al.: Böhlau,  / Beiträge zur Geschichte der Kulturpolitik, Bd. ).  Jetzt leicht einzusehen unter http://publikationen.ub.uni-frankfurt.de/solrsearch/index/se arch/searchtype/coll-ection/id//start//rows//sortfield/year/sortorder/desc (zuletzt eingesehen am . . ).  http://www.uni-frankfurt.de//Geschichte? (zuletzt eingesehen am . . ).

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(1874– 1931), der als Gründungsprofessor vorgesehen war.⁷⁸ In dieser Zeit wird allerdings der reformierte Pfarrer und Privatdozent Erich Foerster (1865 – 1945) aktiv, der über Jahre hinweg Religions- und Kirchengeschichte lehrte. Die Verhältnisse der Universität erwiesen sich trotz aller Kriegs- und Ökonomiebeschränkungen insbesondere für den Austausch unter jüngeren Gelehrten als außergewöhnlich offen und produktiv. So teilte der aus Göttingen an den Main gekommene Professor der Rechtswissenschaft, Hans Otto de Boor, dem frisch graduierten Privatdozenten Ernst Hirsch (wahrscheinlich um 1930) seine Wahrnehmung mit: „In Frankfurt ist ein Privatdozent ein junger Kollege, in Göttingen ist er ein Nichts.“⁷⁹ Diese bemerkenswerte Atmosphäre sollte durch das Kriegsende und die endgültige Umwälzung des früheren Kaiserreiches gerade nicht zerstört werden, sondern setzte sich in Potenz fort. Der Frankfurter Historiker und frühere Leiter des Universitätsarchivs, Notker Hammerstein, summiert die Zeit nach 1918 als Phase einer zweiten Gründung, in der [die] Universität […] ihren eigentlichen Charakter [erhielt]. Jetzt erst nämlich, im neuen Freiheitsgefühl und der kulturellen Aufbruchstimmung der Weimarer Republik, konnten sich die zukunftsträchtigen Ideen der Universitätsgründer entfalten und aufblühen. Parallel zu den gerade in Frankfurt beachtlichen Experimenten auf dem Gebiet der Oper, des Schauspiels, der bildenden Kunst und Musik, zu der florierenden ,Caféhaus-Kulturʻ, fanden sich in der Universität herausragende Professoren, Gruppen extravaganter, experimentierfreudiger Köpfe zusammen, die der Frankfurter Hochschule ein höchst charakteristisches, einzigartiges Erscheinungsbild verliehen.⁸⁰

 Alexander Haridi, Das Paradigma der „islamischen Zivilisation“ – oder die Begründung der deutschen Islamwissenschaft durch Carl Heinrich Becker ( – ). Eine wissenschaftsgeschichtliche Untersuchung (Würzburg: Ergon, ); Giovanni Morrone, Incontro di civiltà. L’Islamwissenschaft di Carl Heinrich Becker (Neapel: Liguori, ).  Zit. nach Hammerstein, Geschichte, .  A.a.O.,  f.

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3 Institutionen und Personengruppen zwischen Universität und bürgerlicher Öffentlichkeit 3.1 Die Akademie der Arbeit⁸¹ Zu diesem einzigartigen Erscheinungsbild gehörten einige Institutionen, mit denen auch der im Mittelpunkt des Textes stehende Paul Tillich zusammenarbeiten sollte, darunter die „Akademie der Arbeit“ (AdA). Sie wurde am 3. März 1921 als „erste deutsche Hochschule für das Volk der Arbeit“ gegründet. Die Initiative zu ihrer Gründung ging aus von Hugo Sinzheimer, Ernst Pape, Theodor Thomas, Eugen Rosenstock-Huessy und anderen. Bereits drei Monate später nahm die Akademie der Arbeit unter Rosenstock-Huessy die Arbeit auf. Dozenten der Akademie waren neben anderen Erik Nölting, Franz Oppenheimer, Otto Kahn-Freund, Henri de Man und Ernst Fraenkel. „Die Aufgabe einer Arbeiter-Akademie soll darin bestehen, ihren Teilnehmern die nötige Berufsausbildung zu geben, ihnen aber auch darüber hinaus eine Allgemeinbildung zu vermitteln. […] Aus diesem Grund soll nicht nur die Sozialwissenschaft im weitesten Sinne, sondern auch Philosophie, Geschichte und Kunstlehre in den Vordergrund treten“, so die von „Sinzheimers Diktion“ geprägte Programmatik.⁸² Dabei müssten „im Mittelpunkt der Lehrtätigkeit […] die Lehren der allgemeinen Politik, der Wirtschaft, des Rechts, des Staates und der rechtlichen und politischen Beziehungen der Völker untereinander stehen […]. Systematische Schulung des selbständigen Denkens […] und die Zurückdrängung voreiliger Werturteile vor der klaren Erkenntnis der Zusammenhänge“⁸³ seien methodische Leitgedanken. Zielgruppe der Akademie waren Studierende, die nach einer handwerklich-betrieblichen Ausbildung ihre Kenntnisse durch Wissens- und Reflexions-Schwerpunkte in Sozialpolitik, Wirtschaft und Arbeitsrecht ausweiten wollten. Dadurch sollte die demokratische Mitwirkung der Beschäftigten in Staat, Gesellschaft und Unternehmen gefördert werden. Spezifisch für diese relativ eigenständige Form des gemeinsamen Arbeitens erscheint das Votum des Juristen Friedrich Giese (1882– 1958), der 1931 anlässlich des zehnjährigen Bestehens der Akademie summierte:

 Für eine erste Übersicht siehe http://de.wikipedia.org/wiki/Europ%C %Aische_Akademie_der_Arbeit (zuletzt eingesehen am . . ).  Otto Antrick, Die Akademie der Arbeit in der Universität Frankfurt a.M. (Darmstadt: Eduard Roether, ), , zit. nach Hammerstein, Geschichte, .  Ebd.

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Wenn es je zutrifft, daß der Lehrende auch von seinen Schülern sehr viel lernen kann, so bewahrheitet es sich für die Dozenten der Akademie der Arbeit. Selbst für modern gerichtete, d. h. nicht der scheuklappeneinseitig blickende Hochschullehrer hat nicht oft Gelegenheit, das Denken und Empfinden derjenigen Volkskreise kennenzulernen, denen die Hörerschaft der AdA entstammt. Eine Studentenschaft, mag sie heute noch so mannigfaltig zusammengesetzt sein, repräsentiert doch nur bestimmte Gruppen der Bevölkerung. Hier vermag die Hörerschaft der AdA dem aufmerksamen und empfänglichen Dozenten auch für die wissenschaftliche Behandlung neue Gebiete, Fragen und Methoden nahezubringen, besonders wenn er selbst eine freiere, mehr auf Konversation und Arbeitsgemeinschaft abgestellte Lehrmethode zu Grunde legt. Wer sich aber dieser kleinen Mühe unterzieht,wird reich belohnt werden durch eigene Belehrung und durch neuartige Anregungen, wie sie eine studentische Hörerschaft selten in solcher Intensität und in solcher Eigenart zu vermitteln vermag.⁸⁴

3.2 Das Institut für Sozialforschung⁸⁵ Aufgrund der späteren Ereignisse, die sich mit dem Begriff der „Frankfurter Schule“ verbanden,⁸⁶ war diese Einrichtung am Rande der Bürgeruniversität Frankfurts von besonderer Bedeutung und Prominenz. Ihre Gründer entstammten dem linksliberalen bis sozialistischen Milieu des städtischen Bürgertums,⁸⁷ darunter exponierte Vertreter der lokal verwurzelten Unternehmerschicht jüdischer und christlicher Religion. Im Kontext der wissenschaftlich offenen Atmosphäre der Universität kam Anfang der Zwanzigerjahre die Idee auf, die marxistischen Geschichts-, Gesellschafts-, Wirtschafts- und Zukunftstheorien kritisch zu durchleuchten und auf ihre Zukunftsfähigkeit hin zu überprüfen. 1922 formulierte Kurt Albert Gerlach (1886 – 1922), ein in Frankfurt am Main tätiger Wirtschaftswissenschaftler, die Gründungsidee für das „Institut für Sozialforschung“ (IfS) in seinem Memorandum wie folgt: In dem Institut werde mithilfe „gemeinsamer Arbeit der unterschiedlichsten, jedoch kompetenten Wissenschaftler an der Aufhellung verwickelter, die Zeit jedoch prägender Probleme gearbeitet […], was eigentlich eine Notwendigkeit“ darstelle, mithin im Kontext wissenschaftlicher

 Antrick, Die Akademie der Arbeit, , zit. nach Hammerstein, Geschichte,  f.  Siehe hierzu zunächst http://www.ifs.uni-frankfurt.de/institut/geschichte/ und http://de.wi kipedia.org/wiki/Institut_f%C %BCr_Sozialforschung (zuletzt eingesehen . . ) sowie Martin Jay, Dialektische Phantasie. Die Geschichte der Frankfurter Schule und das Institut für Sozialforschung  –  (Frankfurt a. M.: Fischer, ).  Dazu und des Weiteren Rolf Wiggershaus, Die Frankfurter Schule. Geschichte, Theoretische Entwicklung, Politische Bedeutung (München: DTV,  [] / dtv-Wissenschaft, Bd. ).  Vgl. dazu Wolfgang Schivelbusch, Intellektuellendämmerung. Zur Lage der Frankfurter Intelligenz in den zwanziger Jahren (Frankfurt am Main: Suhrkamp,  / Suhrkamp Taschenbuch, Bd. ).

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Redlichkeit sachlogisch grundlegend geboten sei. Das Institut für Sozialforschung fülle damit eine „noch bestehende Lücke“⁸⁸ innerhalb der wirtschafts- und sozialwissenschaftlichen Fakultät. Aufgrund seines frühen Todes konnte Gerlach keinen Einfluss mehr auf die weitere Geschichte des Instituts geltend machen und der Nationalökonom Felix Weil (1898 – 1975) übernahm 1924 die Leitung. Nach einigen Wirren konnte 1930 Max Horkheimer⁸⁹ zum neuen Direktor des Instituts ernannt werden. Bis zum Tode seines Vorgängers Carl Grünberg (1861– 1940) verblieb jener als Stellvertreter im Amt. Da er in der die Institutsgeschicke verantwortenden Fakultät keine venia legendi besaß, sondern als „Sozialphilosoph“ dem Institut zugeordnet war, wurde ihm durch die Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliche Fakultät Adolf Löwe (1893 – 1995, nach der Emigration Adolph Lowe)⁹⁰ an die Seite berufen. Unter Horkheimer verlagerte sich die Arbeit auf eine „Theorie der Gesellschaft“: „In gemeinsamer Anstrengung von Philosophen, Soziologen, Nationalökonomen, Psychologen, und Historikern sollte sowohl theoretisch, in ‚philosophischer Konstruktion‘, wie auch empirisch eine tragfähige [Gesellschaftslehre entwickelt werden, die für die Menschen] eine bessere Zukunft“ zu ermöglichen in der Lage sein könnte: eine „wissenschaftliche Theorie von der Gesellschaft“⁹¹. Dafür wurde im Jahr 1932 die Zeitschrift für Sozialforschung begründet und von Leo Löwenthal (1900 – 1993) herausgegeben.⁹² Diese großbürgerlich-liberalen, zugleich durchaus theoretischen Innovationen gegenüber offen eingestellte Grundhaltung gefiel sowohl der Universität als auch den Stiftern. Die linken Positionen der durchweg hellwachen, allem Modernen aufgeschlossenen, diskutierwütigen jungen Mitarbeiter und Freunde des Instituts belebten nachhaltig die allgemeine Glanzzeit Frankfurts während der Weimarer Republik. Wenn es damals auch noch keine ,Frankfurter Schule‘ gab und die wissenschaftliche Wirkung und Bedeutung dieser Gruppe eher

 Zit. nach Hammerstein, Geschichte, .  Vgl. dazu Rolf Wiggershaus, Max Horkheimer zur Einführung (Hamburg: Junius, ); ders., Max Horkheimer. Unternehmer in Sachen „Kritische Theorie“ (Frankfurt am Main: Fischer, ); ders., Max Horkheimer. Begründer der „Frankfurter Schule“ (Frankfurt am Main: Societäts-Verlag, ).  Claus-Dieter Krohn, Der Philosophische Ökonom. Zur intellektuellen Biographie Adolph Lowes (Marburg: Metropolis, ); Volker Caspari und Bertram Schefold, Franz Oppenheimer und Adolph Lowe. Zwei Wirtschaftswissenschaftler der Frankfurter Universität (Marburg: Metropolis, ).  Hammerstein, Geschichte, .  Ebd. Siehe außerdem Alfred Schmidt, Die Zeitschrift für Sozialforschung. Geschichte und gegenwärtige Bedeutung (München: Kösel, ); Gregor-Sönke Schneider, Keine Kritische Theorie ohne Leo Löwenthal. Die Zeitschrift für Sozialforschung ( – /), hg. von Alfred Schmidt und Michael Jeske, mit einem Vorwort von Peter-Erwin Jansen (Frankfurt am Main et al.: Peter Lang Verlag,  / Philosophie in Geschichte und Gegenwart Bd. ).

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gering zu veranschlagen war, so erregte ihre Existenz und zum Teil auch ihre Teilnahme an allgemein wissenschaftlichen Diskussionen die universitäre Szenerie nicht unerheblich.⁹³

Aufgrund der finanziellen Zuwendungen, auch intellektueller Einflussnahmen aus jüdischen Kreisen – etwa durch einen Zirkel um den Rabbiner Nehemia Anton Nobel,⁹⁴ zu denen auch Leo Löwenthal,⁹⁵ Erich Fromm,⁹⁶ Siegfried Kracauer⁹⁷ und Ernst Simon⁹⁸ gehörten – geriet das Institut in der sich aufheizenden antisemitischen Stimmung der späten Zwanzigerjahre in den diskriminierend behaupteten Geruch einer „jüdischen Wissenschaft“.Wenn auch ohne nachweisbare politische Wirkung, bestand der Einfluss beispielsweise von Rabbi Nobel darin, Menschen unterschiedlicher Geisteshaltung zusammenzubringen und anregende Diskussionen anzustiften: So gründeten Franz Neumann und Ernst Fraenkel gemeinsam eine Frankfurter sozialistische Studentengruppe; Frieda Reichmann, eine der ersten Psychoanalytikerinnen mit Praxis in Heidelberg, lernte im Umfeld Nobels ihren späteren Ehemann Erich Fromm kennen. Der Einfluss Löwenthals reichte so weit, dass er später Fromm und – gegen den Widerstand Horkheimers – auch Herbert Marcuse an das Frankfurter Institut für Sozialforschung vermittelte. Nach der Emeritierung von Hans Cornelius (1863 – 1947) wurde Paul Tillich im Wintersemester 1928/29 auf dessen philosophischen Lehrstuhl berufen (dazu weiter unten). Er nahm bald auch Kontakt zum sozialwissenschaftlichen Institut auf und kümmerte sich um den von Cornelius nicht (mehr) habilitierten Philosophen, Musiktheoretiker und Ästhetiker Theodor Wiesengrund, genannt Adorno.

 Hammerstein, Geschichte, .  Rachel Heuberger, Rabbiner Nehemias Anton Nobel. Die jüdische Renaissance in Frankfurt am Main (Frankfurt am Main: Societäts-Verlag,  / Schriftenreiche des Jüdischen Museums Frankfurt am Main, Bd. ).  Wolfgang Klötzer (Hg.), Frankfurter Biographie. Personengeschichtliches Lexikon, Bd. , A-L (Frankfurt am Main: Waldemar Kramer, ),  f.; Schneider, Keine Kritische Theorie ohne Leo Löwenthal.  Jürgen Hardeck, Erich Fromm. Leben und Werk (Darmstadt: Primus, ); Michael Kessler und Rainer Funk (Hg.), Erich Fromm und die Frankfurter Schule. Akten des internationalen, interdisziplinären Symposions, Stuttgart-Hohenheim, .. – . .  (Tübingen: Francke, ).  Frank Grunert und Dorothee Kimmich (Hg.), Denken durch die Dinge. Siegfried Kracauer im Kontext (München: Wilhelm Fink, ); Gertrud Koch, Siegfried Kracauer zur Einführung (Hamburg: Junius,  []); Helmut Stalder, Siegfried Kracauer. Das journalistische Werk in der „Frankfurter Zeitung“  –  (Würzburg: Königshausen & Neumann, ).  Jan Woppowa, „Simon, Ernst Akiba“, in: Neue Deutsche Biographie, Bd.  (Berlin: Duncker & Humblot, ),  f.

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Dieser zählte nach seiner Graduierung als Privatdozent der Philosophischen Fakultät bald zu den eifrigsten Diskutanten der informellen Gesprächsrunden im Institut und schlug so wiederum eine Brücke zur Philosophie. Die intellektuellen und zuweilen avantgardistischen Diskurse litten zunehmend unter fehlender Praxisnähe und Alltagserfahrung. Löwenthal formulierte aphoristisch: „Wir haben nicht die Praxis verlassen, sondern die Praxis hat uns verlassen […].“⁹⁹ Trotzdem avancierte das Institut bis in die frühen dreißiger Jahre innerhalb der Universität zum Diskussionsplatz nicht allein der marxistischen Theorien. Besonders wurden Möglichkeiten des gesellschaftlichen Wandels diskutiert: Gemeinsam oder auch im Gegensatz zur Soziologie und Nationalökonomie der religiösen Sozialisten, der Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Fakultät, der Geschichtsphilosophie, Ästhetik, der Allgemeinen Philosophie innerhalb der Philosophischen Fakultät erörterten die Mitglieder aktuelle akademische und politisch-soziale Fragen. Insgesamt kann wohl die wissenschaftliche Grundhaltung der Institutsmitglieder, trotz der vorwaltenden marxistischen Ausrichtung, als ,synkretistischʻ bzw. eklektisch bezeichnet werden.¹⁰⁰

3.3 Soireen: Orte der Verbindung von intellektueller Akademiearbeit und bürgerlichem Reformdiskurs Zugleich bildete sich zwischen Max Horkheimer, Friedrich Pollock (1894 – 1970),¹⁰¹ Kurt Riezler, Theodor Wiesengrund Adorno¹⁰² und Paul Tillich ein informeller Gesprächskreis mit einigen Mitgliedern der Philosophischen Fakultät, der häufig im Café Laumer in der Bockenheimer Landstraße diskutierte und nicht zuletzt darum den Beinamen „Kränzchen“ erhielt. Tillich trug in dieser Runde den Beinamen „Paulus unter den Juden“, den er in der Nachkriegskorrespondenz mit Horkheimer noch beibehielt.¹⁰³ Ihnen schlossen sich Adolf Löwe, Karl Mann-

 Leo Löwenthal, Mitmachen wollte ich nie. Ein autobiographisches Gespräch mit Helmut Dubiel (Frankfurt am Main: Suhrkamp,  / Edition Suhrkamp, Bd. ), , zit. nach Hammerstein, Geschichte, .  Hammerstein, Geschichte,  f., unter Berufung auf Löwenthal, Mitmachen, .  Rolf Wiggershaus, „Friedrich Pollock – der letzte Unbekannte der Frankfurter Schule“, Die Neue Gesellschaft. Frankfurter Hefte  (),  – ; Philipp Lenhard, „‚In den Marxschen Begriffen stimmt etwas nicht‘. Friedrich Pollock und der Anfang der Kritischen Theorie“, Sans Phrase. Zeitschrift für Ideologiekritik  (),  – .  Zu Adorno siehe Detlev Claussen, Theodor W. Adorno. Ein letztes Genie (Frankfurt am Main: Fischer, ); Lorenz Jäger, Adorno. Eine politische Biographie (München: DVA, ); Stefan Müller-Doohm, Adorno. Eine Biographie (Frankfurt am Main: Suhrkamp, ); Wolfram Schütte (Hg.), Adorno in Frankfurt (Frankfurt am Main: Suhrkamp, ).  Briefe in der Akte des Universitätsarchivs Frankfurt, Abt. , Nr. .

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heim¹⁰⁴ und Carl Mennicke¹⁰⁵ von der Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Fakultät an. Später kam auch der Soziologe Norbert Elias (1897– 1990)¹⁰⁶ hinzu. Adorno erinnert sich an diese Zusammenkünfte wie folgt: War etwas an den berühmten zwanziger Jahren daran, so ließ es in diesem Kreis sich erfahren. Wir sind oft wie die wilden Tiere übereinander hergefallen; man kann sich das kaum vorstellen, in einer Rückhaltlosigkeit, die auch vor den schärfsten Angriffen auf den andern: daß er ideologisch sei oder umgekehrt, daß er bodenlos dächte oder was immer das war, nicht Halt gemacht hat, aber ohne daß das der Freundschaft […] den leisesten Abtrag getan hätte.¹⁰⁷

Dies wird auch sichtbar in dem unvollständigen Protokoll eines „Frankfurter Gespräch[s]“, das am 27. Juni 1931 stattfand.¹⁰⁸ Darin wollten sich Theologen,

 Bálint Balla, Karl Mannheim (Hamburg: Reinhold Krämer, ); Michael Corsten, Karl Mannheims Kultursoziologie (Frankfurt am Main: Campus, ); Wilhelm Hofmann, Karl Mannheim zur Einführung (Hamburg: Junius, ).  Vgl. dazu Carl Mennicke, Zeitgeschehen im Spiegel persönlichen Schicksals. Ein Lebensbericht, hg. von Hildegard Feidel-Mertz (Weinheim: Deutscher Studienverlag, ).  Ralf Baumgart und Volker Eichener, Norbert Elias zur Einführung (Hamburg: Junius,  []); Karl-Siegbert Rehberg (Hg.), Norbert Elias und die Menschenwissenschaften. Studien zur Entstehung und Wirkungsgeschichte seines Werkes (Frankfurt am Main: Suhrkamp,  / stw, Bd. ); Hermann Korte, Über Norbert Elias. Das Werden eines Menschenwissenschaftlers (Opladen: Leske + Budrich, ).  Schivelbusch, Intellektuellendämmerung, , unter Berufung auf Theodor Wiesengrund Adorno. Vgl. Werk und Wirken Paul Tillichs. Ein Gedenkbuch. Mit der letzten Rede von Paul Tillich und Beiträgen von Theodor W. Adorno […] (Stuttgart: Evangelisches Verlagswerk, ), hier .  Vgl. EW VI,  – . Es wurde offenbar von Joseph Houldsworth Oldham ( – ), der selbst bei dem Gespräch dann nicht anwesend sein konnte, initiiert. Oldham spielte eine entscheidende Rolle in der sich etablierenden ökumenischen Bewegung und engagierte sich in besonderer Weise auf der Weltkirchenkonferenz in Oxford , vgl. Keith Clements, Faith on the Frontier. A Life of J. H. Oldham (Edinburgh: T & T Clark, ); Marjorie Reeves (Hg.), Christian Thinking and Social Order. Conviction Politics from the s to the Present Day (London: Cassell, ); Stefan Collini, Absent Minds. Intellectuals in Britain (Oxford: Oxford University Press, ) sowie den Eintrag „Christof Mauch“, in: Biographisch-Bibliographisches Kirchenlexikon, Bd.  (Hamm: Bautz, ), Sp.  – . Zwischen  und  gehörte er zu den Mitgliedern der Gruppe, die sich den sinnfälligen Namen „The Moot“ gegeben hatte. Es war eine christlich ausgerichtete Diskussionsgruppe, die sich insbesondere mit der Frage des Wiederaufbaus nach dem Krieg auseinandersetzte: So formulieren Phil Mullins und Struan Jacobs im Abstract ihres Artikels „T.S. Eliot’s Idea of the Clerisy, and its Discussion by Karl Mannheim and Michael Polanyi in the Context of J.H. Oldham’s Moot“, Journal of Classical Sociology  (),  – , hier : „More than anything else, the discussions of the Moot revolved around the topic of order and, more particularly, around the problem of how order might be restored in British society and culture in the context of a ‘world turned upside down’.“ An den üblicherweise über ein Wochenende tagenden Sitzungen mehrfach im Jahr nahmen auch John Baillie, Sir Fred Clarke, Thomas Stearns Eliot, Eric Fenn, Herbert Arthur Hodges, Eleonora Iredale, Karl Mannheim, Walter Moberly, John

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Philosophen und Sozialwissenschaftler über das Verhältnis von Theologie und Philosophie im Allgemeinen sowie über die Beziehung von Protestantismus und Profanität näher austauschen.¹⁰⁹ Aufseiten der Universitätstheologie nahmen daran Heinrich Frick (1893 – 1952, Professor für Religionswissenschaft in Marburg),¹¹⁰ Emil Brunner (1889 – 1966)¹¹¹, Martin Dibelius (1883 – 1947)¹¹² und Hans Freiherr von Soden (1881– 1945) teil.¹¹³ Weiterhin Emil Blum (1894 – 1978), der Begründer und Leiter der Heimvolkshochschule Habertshof bei Schlüchtern,¹¹⁴ sowie Hermann Schafft (1883 – 1959, Pfarrer und Mitbegründer einer christlich sozialistischen Jugendbewegung).¹¹⁵ Von Seiten der Philosophie und der Sozialwissenschaften kamen Max Horkheimer, Karl Mannheim, Carl Mennicke, Friedrich Pollock, Theodor Wiesengrund Adorno sowie Kurt Riezler hinzu. Leider bricht das Protokoll ab und ein Ende der Gespräche ist nicht zu erkennen.Yorick Spiegel, dem wir den Hinweis auf dieses Quellenstück verdanken, fasst pointiert und dem

Middleton Murry, Mary Oldham, Gilbert Shaw und Alec Vidler teil. Die Papiere der Vorbereitungen und Protokolle liegen gesammelt unter dem Titel The Moot Papers. Faith, Freedom and Society  – , hg. von Keith Clements (London: T & T Clark, ) vor.  Vgl. dazu Yorick Spiegel, „Tillich und Frankfurt“, in: Dieter Stoodt (Hg.), Martin Buber, Erich Foerster, Paul Tillich. Evangelische Theologie und Religionsphilosophie an der Universität Frankfurt a.M.  bis  (Frankfurt am Main et al.: Peter Lang, ),  – .  Anne Christine Nagel (Hg.), Die Philipps-Universität Marburg im Nationalsozialismus. Dokumente zu ihrer Geschichte (Stuttgart: Steiner, ); Eintrag „Heinrich Frick“, in: BiographischBibliographisches Kirchenlexikon, Bd.  (Hamm: Bautz, ), Sp. .  Dietmar Lütz, Der Weg zum Glauben. Emil Brunner und das unerledigte Kapitel protestantischer Dogmatik (Berlin: WDL, ); Frank Jehle, Emil Brunner. Theologe im . Jahrhundert (Zürich: TVZ, ).  Vgl. Stefan Geiser, Verantwortung und Schuld. Studien zu Martin Dibelius (Münster: LIT,  / Hamburger theologische Studien, Bd. ); Werner Georg Kümmel, „Dibelius, Martin“, in: Theologische Realenzyklopädie, Bd.  (Berlin und New York: Walter de Gruyter, ),  – .  Catalogus professorum academiae Marburgensis. Die akademischen Lehrer der PhilippsUniversität Marburg, Bd. , Von  bis , bearbeitet von Inge Auerbach (Marburg: N.G. Elwert, ),  f.; Alf Christophersen, „Soden, Hans Otto Arthur Maria Roderich Ulrich Freiherr von“, in: Neue Deutsche Biographie, Bd.  (Berlin: Duncker & Humblot, ),  f.  Vgl. Antje Vollmer, Die Neuwerkbewegung,  – . Ein Beitrag zur Geschichte der Jugendbewegung, des religiösen Sozialismus und der Arbeiterbildung (Berlin: FU Berlin, Fachbereich Philosophie und Sozialwissenschaften, ).  Zu Schafft vgl. Werner Kindt (Hg.), Hermann Schafft. Ein Lebenswerk (Kassel: Johannes Stauda, ). – Genannt wird auch Dr. Dr. Lilly Zarncke; vgl. Spiegel Tillich und Frankfurt,  der sie als Studierende aus Marburg charakterisiert. Der Beitrag „‚[…] daß Leute, die den Kapitalismus stützen, von uns als Vertreter des Protestantismus im echten Sinn nicht angesprochen werden können.‘ Paul Tillich ( – ) und Erich Foerster ( – ) in Frankfurt am Main“ von Gesche Linde im vorliegenden Band, korrigiert auf S.  f (Anm. ) diese Angaben und bietet umfassendere, historisch gesicherte Informationen.

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erkenntnisleitenden Interesse des Frankfurter Fachbereichs am Ende der 80er Jahre des letzten Jahrhunderts folgendermaßen zusammen: [Z]umindest in diesem Gespräch können die Ansätze täglich die Kluft zwischen Theologie und profanen Wissenschaften nicht überbrücken. Sein Prinzip eines kritischen Protestantismus fand weder in der Universitätstheologie noch in der evangelischen Kirche seiner Zeit die nötige Anerkennung […]. Den Profanwis[s]enschaftlern wiederum war nicht deutlich zu machen, was das Religiöse zur Veränderung der gesellschaftlichen Umwälzung beitragen könnte.¹¹⁶

Soireen fanden auch in den Häusern des etablierten Bürgertums, etwa bei Moritz Nathan Oppenheim (1848 – 1933),¹¹⁷ den Eheleuten Lilly (1889 – 1981) und Georg (1884 – 1962) von Schnitzler¹¹⁸ oder Wilhelm Backhaus¹¹⁹ statt. Während dort vor allem die musische Elite Deutschlands bereits seit mehreren Generationen verkehrte, sammelte der Sohn Oppenheims, der Chemiker und Philosoph Dr. Paul Oppenheim (1885 – 1977),¹²⁰ regelmäßig am Samstag zum Dejeuner zwischen 12.30 und 16.00 Uhr in seinem Haus am Schaumainkai 55 bis zu vierundzwanzig Teilnehmende in nicht immer konfliktfreier Runde. Zu dem regelmäßig anwesenden Kreis gehörten neben dem Neurologen Kurt Goldstein auch die Geisteswissenschaftler Paul Tillich und Theodor Wiesengrund Adorno. Die enge Verbindung von akademischer und bürgerlicher Elite dokumentiert kaum jemand besser als der jahrelang als „graue Eminenz“ und geheimes Machtzentrum betrachtete ehemalige Angehörige des Militärs sowie ranghohe Vertreter des diplomatischen Corps, Kurt Riezler (1882– 1955).¹²¹ Er übernahm 1927 auf Bitten des

 Spiegel, Tillich und Frankfurt, .  Vgl. Joseph Walk (Hg.), Kurzbiographien zur Geschichte der Juden  – , hg. vom Leo Baeck Institute, Jerusalem (München: Saur, ).  Legationsrat Julius Eduard von Schnitzler, seit  als Vizekonsul in Shanghai tätig. Am . September  erfolgte seine Erhebung in den preußischen Adelsstand. Er war verheiratet mit Margarethe von Schnitzler geb. Gillett. Traurige Berühmtheit erlangte der später in der DDR berühmt-berüchtigte Journalist Karl-Eduard von Schnitzler, aus dessen Autobiographie diese Angaben stammen: vgl. Karl-Eduard von Schnitzler, Meine Schlösser oder Wie ich mein Vaterland fand (Hamburg: Edition Nautilus, ).  Roger Hauert (Fotos) und Arnold H. Eichmann (Text), Wilhelm Backhaus (Genf: Kister, ).  Spiegel, Tillich und Frankfurt, .  Zu Biographie und besonders der schwierigen Einschätzung der Quellenlage siehe Wolfgang J. Mommsen, „Kurt Riezler, ein Intellektueller im Dienst Wilhelminischer Machtpolitik“, GWU  (),  – ; Bernd F. Schulte, Die Verfälschung der Riezler Tagebücher. Ein Beitrag zur Wissenschaftsgeschichte der iger und iger Jahre (Frankfurt am Main et al.: Peter Lang,  / Europäische Hochschulschriften Bd.  / Geschichte und ihre Hilfswissenschaften, Bd. ); Bernd Sösemann, „Die Tagebücher Kurt Riezlers. Untersuchungen zu ihrer Echtheit und Edition“, Historische Zeitschrift  (),  – ; Wayne C. Thompson, In the Eye of the Storm. Kurt Riezler and the Crises of Modern Germany (Iowa City: University of Iowa Press, ).

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Oberbürgermeisters Landmann den Senatorenposten, der durch den plötzlichen Tod des „Salonsozialisten“ Kurt Albert Gerlach im Jahr 1922 frei geworden war. Nach dem Ersten Weltkrieg quittierte er den Staatsdienst und pflegte in ehelicher Gemeinschaft mit seiner Frau Käthe, „einer Tochter Max Liebermanns, […] ein großes, offenes Haus“¹²² im Frankfurter Westend (Marienstraße 1). Dieses sollte „alsbald ein wichtiger Mittelpunkt der sich hier vielfältig überschneidenden Beziehungen zwischen Stadt, Universität, zwischen gesellschaftlichen, politischen, musischen und gelehrten Zirkeln werden.“¹²³ Als Vorsitzender des Kuratoriums der Universität und als Honorarprofessor der Philosophischen Fakultät unterhielt Riezler zahlreiche Beziehungen zu Intellektuellen der jungen Republik und sorgte für manche überraschende Personalentscheidung. Auf seine Initiative hin wurden Walter Friedrich Otto (1874– 1958),¹²⁴ Karl Reinhardt (1886– 1958),¹²⁵ Kurt Rheindorf (1897– 1977)¹²⁶ und Ernst Kantorowitz (1895– 1963)¹²⁷ nach Frankfurt am Main geholt. Als wegweisend erwiesen sich seine zahlreichen – leider aufgrund der sich rasch ändernden politischen Lage nicht mehr umgesetzten – Vorschläge: So regte er die Erweiterung der Universitäts-

 Sabine Ruh, Dr. Fritz Ernst Drevermann. Professor für Geologie und erfolgreicher Museumswissenschaftler (Frankfurt am Main: Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main, ), , mit Verweis auf SNG-Personalakte sowie SNG-Archiv .  Hammerstein, Geschichte, ; vgl. auch die Einschätzung dieses Kreises bei Kluke, Stiftungsuniversität,  f.  Hubert Cancik, „Otto, Walter Friedrich“, in: Neue Deutsche Biographie, Bd.  (Berlin: Duncker & Humblot, ),  f.; Michael Fuchs, „Walter F. Otto“, in: Biographisch-Bibliographisches Kirchenlexikon, Bd.  (Nordhausen: Bautz, ), Sp.  – ; Karl Reinhardt, „Walter F. Otto“, in: ders., Vermächtnis der Antike. Gesammelte Essays zur Philosophie und Geschichtsschreibung, hg. von Carl Becker (Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, ),  – ; Karl Kerényi, „Walter Friedrich Otto. Erinnerung und Rechenschaft“, Paideuma  (),  – ; Alessandro Stavru, „Eine Begegnung im Zeichen Hölderlins. Walter F. Otto und Martin Heidegger  bis “, Jahrbuch der deutschen Schillergesellschaft  (),  – .  Catalogus professorum academiae Marburgensis,  f.; Uvo Hölscher, „Karl Reinhardt ( – ). Karl Reinhard absconditus“, Eikasmós  (),  – ; Wolfhart Unte, „Reinhardt, Karl“, in: Neue Deutsche Biographie, Bd.  (Berlin: Duncker & Humblot ),  – .   habilitierter Historiker. Vgl. die Angaben bei Erdmann Sturm, in: EW XI, .  Robert L. Benson und Johannes Fried (Hg.), Ernst Kantorowicz. Erträge der Doppeltagung Institute for Advanced Study, Johann-Wolfgang-Goethe-Universität (Frankfurt und Stuttgart: Steiner, ); Alain Boureau, Kantorowicz. Geschichten eines Historikers (Stuttgart: Klett-Cotta, ); Eckhart Grünewald, Ernst Kantorowicz und Stefan George. Beiträge zur Biographie des Historikers bis zum Jahre  und seinem Jugendwerk „Kaiser Friedrich der Zweite“ (Wiesbaden: Steiner, ); Janus Gudian, Ernst Kantorowicz. Der „ganze Mensch“ und die Geschichtsschreibung (Frankfurt am Main: Societätsverlag, ); Ulrich Raulff, Kreis ohne Meister. Stefan Georges Nachleben (München: C.H. Beck, ),  – ,  – ,  – ,  – ,  – ; Jerzy Strzelczyk (Hg.), Ernst Kantorowicz ( – ). Soziales Milieu und wissenschaftliche Relevanz (Poznan: Instytut historii UAM,  []).

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bibliothek an. Dies war evident, weil aufgrund ihrer damals unzureichenden Bestände – offiziell – eine durch Riezler vermittelte Berufung des Romanisten Karl Vossler (1872– 1849) aus München nach Frankfurt am Main gescheitert war.¹²⁸ Außerdem schlug er die Einrichtung von Studienhäusern im nahegelegenen Odenwald im Sinne akademischer Klausuren vor. Mit solchen und anderen Überlegungen trug er nachhaltig zum liberalen und meinungsoffenen Ruf der Universität in Frankfurt am Main bei.Wenn er auch politisch in vielen Fragen konservativ eingestellt gewesen sein mag und dem George-Kreis durchaus zuneigte, was sich durch die Vermittlung von Hans Naumann (1886– 1951)¹²⁹ oder Max Kommerell (1902– 1944)¹³⁰ leicht nachweisen lässt, förderte er permanent andersdenkende Intellektuelle wie etwa den Rechtshistoriker und -germanisten Franz Beyerle (1885– 1977) aus Konstanz.¹³¹ Beyerle war Lehrstuhlnachfolger von Kurt Burchard (1864– 1933), der allerdings bereits 1929 emeritierte, aber aus der Ferne der Universität und dem Freundeskreis um Riezler eng verbunden blieb. Weitere prominente Mitglieder dieses Zirkels waren Fritz Drevermann (1875– 1932)¹³² und Franz Weidenreich (1873– 1948), die sich um eine Modernisierung des Faches Anthropologie und die Ausweitung der Senckenbergischen Sammlungen äußerst verdient machten.

3.4 Religiöse Sozialisten¹³³ Auch Paul Tillich selbst versammelte in seiner Stadtwohnung akademisch-intellektuelle Zirkel. Die Form der Treffen zeugt teilweise von dem Wunsch, dem Alltag  Zu Voßler vgl. Hans Ulrich Gumbrecht, Vom Leben und Sterben der großen Romanisten: Karl Vossler, Ernst Robert Curtius, Leo Spitzer, Erich Auerbach, Werner Krauss (München: Hanser, ), sowie http://de.wikipedia.org/wiki/Karl_Vossler (zuletzt eingesehen am . . ).  Friedrich Nemec, „Naumann, Hans“, in: Neue Deutsche Biographie, Bd.  (Berlin: Duncker & Humblot, ),  f., und Thomas Schirrmacher, „Der göttliche Volkstumsbegriff“ und der „Glaube an Deutschlands Größe und heilige Sendung“. Hans Naumann als Volkskundler und Germanist im Nationalsozialismus, Bd.  –  (Bonn: Verlag für Kultur und Wissenschaft, ).  Martin Glaubrecht, „Kommerell, Max“, in: Neue Deutsche Biographie, Bd.  (Berlin: Duncker & Humblot, ),  – ; Joachim W. Storck, „Max Kommerell.  – “, Marbacher Magazin  (),  – ; Walter Busch und Gerhart Pickerodt (Hg.), Max Kommerell. Leben. Werk. Aktualität (Göttingen: Wallstein, ); Christian Weber, Max Kommerell. Eine intellektuelle Biographie (Berlin und New York: Walter de Gruyter, ).  Florian G. Dürselen, Franz Beyerle ( – ). Leben, Ära und Werk eines Rechtshistorikers (Frankfurt am Main et al.: Peter Lang,  / Rechtshistorische Reihe, Bd. ); Axel Schützenmeister, Franz Beyerle – Leben und Werk (Leipzig: Leipziger Universitätsverlag, ).  Vgl. Ruh, Dr. Fritz Ernst Drevermann; Herta Schmidt, „Drevermann, Friedrich Ernst“, in: Neue Deutsche Biographie, Bd.  (Berlin: Duncker & Humblot, ),  f.  Vgl. auch die Angaben in Anm. .

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zu entfliehen und eine ganz andere Realität entstehen zu lassen: Der für ein Kostümfest eigens abgedunkelte Raum erhielt sinnigerweise die Bezeichnung „Aphroditorium“, ohne dass daraus weitere Schlüsse auf Sinn und Ziel der gemeinsamen Unternehmungen zu ziehen wären.¹³⁴ Neben Angehörigen der Universität und Vertretern des Bürgertums aus Frankfurt am Main fanden sich bei Tillich auch Kollegen und Gesinnungsgenossen aus früheren Jahren wieder. Insbesondere sind hier aus Berliner Zeit Adolf Löwe und Eduard Heimann (1889 – 1967)¹³⁵ zu nennen, die dem sogenannten Kairos-Kreis¹³⁶ um Günther Dehn (1882– 1970)¹³⁷ und Carl Mennicke (1887– 1958) angehörten, dem sich Tillich bald angeschlossen und dessen Publikationen Tillich in intellektuell einflussreicher Weise dominiert hatte. Am Kairos-Kreis der Berliner Zeit beteiligten sich weiterhin der Wirtschaftswissenschaftler und Regierungsreferent Alexander Rüstow (1885 – 1963),¹³⁸ der Staatswissenschaftler Arnold Wolfers (1892– 1968)¹³⁹ und der Jurist Karl Ludwig Schmidt (1891– 1956).¹⁴⁰

 Schivelbusch, Intellektuellendämmerung, .  Art. „Heimann, Eduard“, in: International Biographical Dictionary of Central European Emigrés  – , Bd. /, A-K. The Arts, Sciences, and Literature, hg. von Herbert A. Strauss und Werner Röder (München et al.: Saur, ), ; Ulrich Heyder, „Gesamtgesellschaftliches Denken im Werk Eduard Heimanns“, in: Wege zum Sozialen.  Jahre Soziologie in Hamburg, hg. von Rainer Waßner (Opladen: Leske + Budrich, ),  – ; Heinz-Dietrich Ortlieb, „Eduard Heimann. Sozialökonom, Sozialist und Christ – Ein Nachruf“, in: Eduard Heimann. Sozialismus im Wandel der modernen Gesellschaft. Aufsätze zur Theorie und Praxis des Sozialismus. Ein Erinnerungsband, hg. von Heinz-Dietrich Ortlieb (Berlin und Bonn-Bad Godesberg: J. H. W. Dietz Nachf., ),  – ; August Rathmann, „Eduard Heimann ( – ). Von Marx und seiner ,überwältigend großartigenʻ Lehre zum religiös-freiheitlichen Sozialismus“, in: Vor dem Vergessen bewahren. Lebenswege Weimarer Sozialdemokraten, hg. von Peter Lösche, Michael Scholing und Franz Walter (Berlin: Colloquium Verlag, ),  – ; Heinz Rieter, Art. „Heimann, Eduard“, in: Biographisches Handbuch der deutschsprachigen wirtschaftswissenschaftlichen Emigration nach , Bd. , Adler – Lehmann, hg.von Harald Hagemann und Claus-Dieter Krohn (München: Saur, ),  – .  Vgl. dazu Alf Christophersen, Kairos. Protestantische Zeitdeutungskämpfe in der Weimarer Republik (Tübingen: Mohr Siebeck,  / BHTh, Bd. ).  Rüdiger Weyer, „Günther Dehn“, in: Kirche – Staat – Gesellschaft in Autobiographien des Kirchenkampfes, hg. von dems., Nachwort von Martin Stöhr (Waltrop: Spenner, ),  – .  Joachim Starbatty, „Rüstow, Alexander“, in: Neue Deutsche Biographie, Bd.  (Berlin: Duncker & Humblot, ),  f.  Douglas T. Stuart und Stephen F. Szabo, Discord and Collaboration in a New Europe: Essays in Honor of Arnold Wolfers (Washington, D.C.: University Press of America, ).  Peter von der Osten-Sacken, „Text und Deutung des Zwiegesprächs zwischen Karl Ludwig Schmidt und Martin Buber im Jüdischen Lehrhaus in Stuttgart am . Januar “, in: Leben als Begegnung. Ein Jahrhundert Martin Buber ( – ), hg. vom Institut Kirche und Judentum (Berlin: Institut Kirche und Judentum, ),  – ; Philipp Vielhauer, „Karl Ludwig

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Im Gegensatz zu dem voranstehend erläuterten liberal-konservativen RiezlerKreis bot die Universitätsgemeinde somit den weitgehend links-liberal und nach eigenem Bekunden sozialistisch orientierten akademischen Intellektuellen durchaus Raum. Schon Wilhelm Merton hatte der Universität den Auftrag mitzugeben versucht, den für die moderne Gesellschaft so wichtigen Sektor der sozialen Fürsorge wissenschaftlich zu erschließen und eine theoretische Basis für praktische Hilfsmaßnahmen zu schaffen. Er hatte dafür bereits 1890 sein Institut für Gemeinwohl begründet, das nach 1918 für die Universität Bedeutung erlangte. Aus dieser Motivation wurde der Theologe, Wirtschaftswissenschaftler und Sozialpädagoge Christian Jasper Klumker (1868 – 1942)¹⁴¹ auf einen Lehrstuhl für „Armenwesen und Sozialfürsorge“ von der Akademie der Arbeit übernommen. Im Bereich der Pädagogik lehrte Julius Ziehen (1864– 1925),¹⁴² der ohnehin aus dem RiezlerKreis bekannte Altphilologe Karl Reinhardt (1886 – 1958) konnte 1923 nach Frankfurt am Main geholt werden. Leider starb Ziehen bereits 1925 sehr plötzlich und fand zunächst keinen Nachfolger – einerseits aufgrund der allgemeinen wirtschaftlichen Lage, andererseits aufgrund einer ungeklärten Fortsetzung der in den Anfängen noch sehr unklar und wenig systematisch präzisierten, pädagogischen Theorie.¹⁴³ Nachdem die verwickelten Berufungsverhandlungen mit Tillich im Frühjahr 1929 endlich zu einem versöhnlichen Ergebnis gefunden hatten, war mit dem aus Dresden gewonnenen Gelehrten zugleich auch ein Vertreter des sogenannten Berliner Kreises nach Frankfurt am Main gekommen. Ihm gehörten – wie bereits erwähnt – prominente Linksintellektuelle wie Heimann, Löwe, Rüstow, Dehn, Wolfers und Mennicke an. Zahlreiche Teilnehmer besaßen ein Parteibuch der Weimarer SPD und suchten nach einer neuen Ordnung im Zeichen des SozialisSchmidt“, in:  Jahre Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität zu Bonn  – . Bonner Gelehrte. Beiträge zur Geschichte der Wissenschaften in Bonn. Evangelische Theologie, hg. von der Universität Bonn (Bonn: Bovier, ),  – ; Ekkehard W. Stegemann, „Auf dem Weg zu einer biblischen Freundschaft. Das Zwiegespräch zwischen Martin Buber und Karl Ludwig Schmidt“, in: Das jüdisch-christliche Religionsgespräch, hg. von Heinz Kremers und Julius H. Schoeps (Sachsenheim et al.: Burg-Verl.  / Studien zur Geistesgeschichte, Bd. ),  – ; Andreas Mühling, Karl Ludwig Schmidt, „und Wissenschaft ist Leben“ (Berlin: EVA  / Arbeiten zur Kirchengeschichte, Bd. ).  Vgl. Biographisches Lexikon zur Geschichte der deutschen Sozialpolitik  bis , Bd. , Sozialpolitiker im Deutschen Kaiserreich  bis , bearbeitet von Dirk Hainbuch und Florian Tennstedt (Kassel: Kassel University Press, ),  f.; Franz Lerner, „Klumker, Christian Jasper“, in: Neue Deutsche Biographie, Bd.  (Berlin: Duncker & Humblot ),  f.; Marc Zirlewagen, „Christian Jasper Klumker“, in: Biographisch-Bibliographisches Kirchenlexikon, Bd.  (Nordhausen: Bautz, ), Sp.  – .  Hertha Ziehen (Hg.), Julius Ziehen. Erinnerungen  –  (Frankfurt am Main: Waldemar Kramer,  / Frankfurter Lebensbilder, Bd. ).  Vgl. Hammerstein, Geschichte, .

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mus. Wie Paul Tillich als „der Kopf“ verstand sich auch „das Herz“ des Kreises, Carl Mennicke, als „Religiöser Sozialist“. Unter ihrem Einfluss avancierte Frankfurt am Main neben Berlin bald zu einem Zentrum dieser Bewegung. Eine facettenreiche Gruppe von Freunden, Christen, Sozialisten, Konfessionsfreien und Liberalen fand hier zusammen. Dabei blieb diese intellektuelle Reformbewegung, die schon lange vor Tillichs Berufung nach Frankfurt am Main bestand, ein loser Zusammenschluss und äußerte sich in sehr unterschiedlichen Formen. Zu Pfingsten des Jahres 1928 fand in Heppenheim an der Bergstraße ein Treffen der Religiösen Sozialisten – angeregt durch Hendrik de Man,¹⁴⁴ August Rathmann,¹⁴⁵ Gustav Radbruch¹⁴⁶ und Hugo Sinzheimer¹⁴⁷ – statt. Sie sammelten Menschen um sich, die nach der Katastrophe des Krieges eine nachhaltige Neuordnung Deutschlands und der deutschen Gesellschaft diskutieren wollten. Sie sahen die dramatischen Folgen der Nachkriegszeit nach wie vor in drastischen Einschränkungen, der Inflation und der Weltwirtschaftskrise als akute Umsturzrisiken. Zu der Gruppe gehörten auch Mennicke und Wilhelm Sollmann (1881– 1951).¹⁴⁸ Sie entwarfen in

 Jacques Derrida, „Like the Sound of the Sea Deep within a Shell. Paul de Man’s War“, Critical Inquiry  (),  – ; Werner Krause, „Man, Hendrik de“, in: Neue Deutsche Biographie, Bd.  (Berlin: Duncker & Humblot, ),  – .  Vgl. dessen Autobiographie: August Rathmann, Ein Arbeiterleben. Erinnerungen an Weimar und danach (Wuppertal: Hammer, ).  Erik Wolf, Große Rechtsdenker der deutschen Geistesgeschichte (Tübingen: Mohr Siebeck,   []),  – ; Arthur Kaufmann, Gustav Radbruch. Rechtsdenker, Philosoph, Sozialdemokrat (München: Piper,  / Piper Porträt, Bd. ); Martin D. Klein, Demokratisches Denken bei Gustav Radbruch (Berlin: Berliner Wissenschafts-Verlag,  / Juristische Zeitgeschichte, Bd.  / Leben und Werk, Bd. ); Joachim Perels, „Sozialistische Rechtspolitik im Angesicht der Konterrevolution: Reichsjustizminister Gustav Radbruch“, Kritische Justiz  (),  – ; Hans-Peter Schneider: „Gustav Radbruch ( – ). Rechtsphilosoph zwischen Wissenschaft und Politik“, in: Streitbare Juristen. Eine andere Tradition, hg. von der Kritischen Justiz (Baden-Baden: Nomos, ),  – .  Keiji Kubo, Hugo Sinzheimer – Vater des deutschen Arbeitsrechts (Köln: Bund,  / Schriftenreihe der Otto-Brenner-Stiftung, Bd. ); Susanne Knorre, Soziale Selbstbestimmung und individuelle Verantwortung. Hugo Sinzheimer ( – ). Eine politische Biographie (Frankfurt am Main et al.: Peter Lang,  / Beiträge zur Politikwissenschaft, Bd. ); Sandro Blanke, Soziales Recht oder kollektive Privatautonomie? Hugo Sinzheimer im Kontext nach  (Tübingen: Mohr Siebeck,  / Beiträge zur Rechtsgeschichte des . Jahrhunderts, Bd. ).  Eugene Harold Kist, William Sollmann. The Emergence of a Socialdemocratic Leader, Ph.D. thesis, University of Pennsylvania, Philadelphia ; Franz Walter, „Wilhelm Sollmann ( – ). Der Parteireformer“, in: Vor dem Vergessen bewahren. Lebenswege Weimarer Sozialdemokraten, hg. von Peter Lösche, Michael Scholing und Franz Walter (Berlin: Colloquium-Verlag, ),  – ; Wilhelm Heinz Schröder, Sozialdemokratische Parlamentarier in den deutschen Reichs- und Landtagen  – . Biographien, Chronik und Wahldokumentation. Ein Handbuch

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Heppenheim eine Tagung, auf der die Ursachen, die zu einem europaweiten „Vertrauensschwund“ in die sozialistische Bewegung geführt haben könnten, erörtert und darüber hinaus Wege zur Überwindung der Durchsetzungskrise gesucht wurden. Beflügelnd auf die Diskussion hatten Tillichs kontrovers aufgenommenes Werk „Masse und Geist“ (1922)¹⁴⁹ sowie de Mans’ Zur Psychologie des Sozialismus (1925)¹⁵⁰ gewirkt. Im weiteren Verlauf der Konferenz wurde sichtbar, dass die um Tillich sich scharenden Gelehrten des Berliner Kreises in ihrer filigranen Theorie sowie ihren ethischen Konsequenzen sich deutlich von de Man (1885– 1953) einerseits und Martin Buber (1878– 1965) andererseits unterschieden.¹⁵¹ Die an dieser Klärung beteiligten Gelehrten fanden sich ab 1929 an der Philosophischen Fakultät in Frankfurt am Main erneut wieder. Zu Tillich und Buber gesellte sich Wertheimer, der eine grundlegende Arbeit im Bereich der Experimentalpsychologie unter dem Titel „Experimentelle Studien über das Sehen von Bewegung“ (1912)¹⁵² zur Gestalt-Theorie veröffentlicht hatte.¹⁵³ Er wurde auf einen naturwissenschaftlichen Lehrstuhl für Philosophie und Psychologie und zum Direktor des Psychologischen Instituts berufen. Zugleich wurde er zum dritten Direktor des Seminars für Philosophie neben Paul Tillich und Max Horkheimer (1895 – 1973) ernannt.¹⁵⁴ Während mit Adhémar Gelb (1887– 1936) bis 1931 ein pädagogischer Psychologe auch an der Philosophischen Fakultät tätig war,¹⁵⁵

(Düsseldorf: Droste, ), ; Alexander Christov, Wir sind die junge Garde des Proletariats! Arbeiterjugendbewegung im Kölner Raum  –  (Siegburg: Rheinlandia, ),  ff.  Paul Tillich, „Masse und Geist“ (), in: GW II,  – . Nebenbei sei auf die Widmung dieses Bandes für den  verstorbenen Carl Mennicke hingewiesen.  Hendrik de Man, Zur Psychologie des Sozialismus (Jena: E. Diederichs, ).  Zum Inhalt und Verlauf des Heppenheimer Gespräches sowie Tillichs Beitrag dazu siehe ausführlicher Yorick Spiegel, „Paul Tillich in Frankfurt ( – )“, in: Martin Buber – Erich Foerster – Paul Tillich. Evangelische Theologie und Religionsphilosophie an der Universität Frankfurt a.M.  bis , hg. von Dieter Stoodt (Frankfurt am Main et al.: Peter Lang, ),  – , hier  – .  Zeitschrift für Psychologie  (),  – .  D. Brett King und Michael Wertheimer, Max Wertheimer and Gestalt Theory (New Jersey: Transaction Publishers, );Viktor Sarris, Max Wertheimer in Frankfurt. Beginn und Aufbaukrise der Gestaltpsychologie (Lengerich et al.: Pabst, ); ders., „Reflexionen über den Gestaltpsychologen Max Wertheimer und sein Werk.Vergessenes und wieder Erinnertes“, in: Der Exodus aus Nazideutschland und die Folgen. Jüdische Wissenschaftler im Exil, hg. von Marianne Hassler (Tübingen: Attempto, ),  – .  Hammerstein, Geschichte,  f.  Rudolf Bergius, „Gelb, Adhémar Maximilian Maurice“, in: Neue Deutsche Biographie, Bd.  (Berlin: Duncker & Humblot, ),  f; Uwe Henrik Peters, Psychiatrie im Exil. Die Emigration der dynamischen Psychiatrie aus Deutschland  –  (Düsseldorf: Kupka, ); siehe auch Hammerstein, Geschichte,  f.

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wurde mit de Man ein Dozent der Akademie der Arbeit mit einem Lehrauftrag enger eingebunden. Ein weiterer Vertreter der Pädagogik, Hans Weil (1898 – 1972), konnte sich 1932 unter Vorsitz von Tillich und Mennicke gemeinsam mit Studiendirektor Heinrich Weinstock (1889 – 1960) habilitieren.¹⁵⁶ Außerdem nahm an den Diskussionen im pädagogischen und philosophischen Seminar gegen Ende der Zwanzigerjahre Heinz Marr (1876 – 1940) teil, der als Geschäftsführer des Frankfurter Sozialen Museums zu den Runden gestoßen war – auch dies eine Einrichtung, die sich der Initiative Mertons verdankt. Marr habilitierte sich 1929 mit einer Arbeit über Soziale Praxis und Arbeiterfrage. Er erwies sich als wichtiger Verbindungsmann zwischen dem Kreis der Religiösen Sozialisten um Tillich und den vergleichsweise konservativen, da dem Sozialismus als Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung prinzipiell skeptisch gegenüberstehenden Vertretern der Umgebung Mertons, die dessen Vorstellungen über die ältere Akademie der Sozial- und Handelswissenschaften sowie über das Institut für Gemeinwohl geprägt hatten. Dadurch erweiterte sich das Netzwerk zu Klumker und dessen sozialpädagogischen Interessen.¹⁵⁷ Mit der Berufung des Kultursoziologen Karl Mannheim (1893 – 1947) wurde ein weiterer Vertreter eines linksliberalen, ideologisch unabhängigen Denkens nach Frankfurt am Main geholt.¹⁵⁸ Die seit 1931 gemeinsam mit Löwe, Bergsträsser und dem Historiker Ulrich Noack (1899 – 1974) abgehaltenen Seminare zeugen von seiner hervorragenden Integration. Er brachte als Assistenten Norbert Elias (1897–

 Vgl. Karl Christoph Lingelbach, „Die Aufgabe der Erziehung in der weltweiten Strukturkrise des Kapitalismus. Zur Entwicklung eines interdisziplinär ansetzenden Konzepts sozialwissenschaftlicher Pädagogik durch Paul Tillich, Carl Meinecke und Hans Weil am Frankfurter Pädagogischen Universitätsseminar  – “, in: Erziehungswissenschaft und Pädagogik in Frankfurt – eine Geschichte in Portraits, hg. von Micha Brumlik und Benjamin Ortmeyer (Frankfurt am Main: Fachbereich Erziehungswissenschaften der Johann Wolfgang Goethe-Universität, ),  – .  Vgl. Hammerstein, Geschichte,  – .  Vgl. a.a.O.,  – . Ein knapper Überblick über Biographie und Werk des Hochschulgelehrten findet sich auch in Wikipedia http://de.wikipedia.org/wiki/Karl_Mannheim (zuletzt eingesehen am . . ) sowie bei Bálint Balla, Karl Mannheim (Hamburg: Reinhold Krämer, ), Michael Corsten, Karl Mannheims Kultursoziologie. Eine Einführung (Frankfurt am Main: Campus Verlag, ), Dirk Hoeges, Kontroverse am Abgrund. Ernst Robert Curtius und Karl Mannheim. Intellektuelle und „freischwebende Intelligenz“ in der Weimarer Republik (Frankfurt am Main: Fischer, ),Wilhelm Hofmann, Karl Mannheim zur Einführung (Hamburg: Junius, ), sowie Reinhard Laube, Karl Mannheim und die Krise des Historismus. Historismus als wissenssoziologischer Perspektivismus (Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, ).

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1990) mit. Mannheims Vorlesungen zogen zahlreiche Hörer an, was zu neidischen Blicken altgedienter Disziplinenvertreter führte.¹⁵⁹ Nach der Emeritierung Grünbergs wurde Mannheim im Jahre 1930 als Direktor des Instituts für Wirtschaftswissenschaften auf den Lehrstuhl für Wirtschaftliche Staatswissenschaften berufen. Sein klares demokratisch-republikanisches Profil, seine Verbindung mit dem Religiösen Sozialismus, seine anregenden, ökonomischen Theorien, nicht doktrinär-marxistisch, sondern einem humanen Sozialismus verpflichtet, ließen ihn als geeigneten Kandidaten erscheinen.¹⁶⁰ Auch er war bereits 1928 beim Treffen in Heppenheim dabei gewesen und gelangte so rasch in die Frankfurter Diskussionszirkel. Er vertrat gegenüber dem marxistischen Flügel des Instituts für Sozialforschung eine eigenständige, aus politisch-praktischer Tätigkeit erwachsene Wirtschaftswissenschaft, die zu strenger Analyse gesicherten, breiten Faktenmaterials verpflichtete und gegen die Mitglieder des Instituts polemisierte, weil diese so marxistisch gewesen seien, „daß sie sozusagen auf die konkreten Dinge gar nicht mehr eingehen zu müssen glaubten.“¹⁶¹ Dennoch war er dort und im Frankfurter „Kränzchen“ wie auch im Riezler-Kreis gern gesehen und hatte mit seinen Voten großes Gewicht. Mannheim betonte immer wieder, bei allen theoretischen Überlegungen die Realitäten nicht aus dem Blick zu verlieren. Er verwandte sich darum mit Vehemenz für die von Riezler aufgebrachte Idee eines akademischen Kulturzentrums in Frankfurt. Im Kreis um Tillich fand sich auch Gottfried Salomon-Delatour (1892– 1964), der 1921 als Privatdozent in Frankfurt am Main im Grenzgebiet zwischen Soziologie und politischer Ideengeschichte las. Das Monitum, wonach ein Lehrauftrag für Geschichtsphilosophie nur an der Philosophischen, nicht aber an der Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Fakultät erteilt werden könne, verhinderte für lange Zeit eine ordentliche Lehrtätigkeit und damit verbundene gesicherte Existenz. Aufgrund seiner deutsch-französischen Herkunft konnte Riezler ihn 1930 schließlich durch einen Lehrauftrag für französische Staats- und Gesellschaftskunde versorgen, der mit dem antisemitischen Berufsverbot ab 1933 ein jähes Ende fand.¹⁶²  „Soziologie ist diejenige Wissenschaft, die von denjenigen studiert wird, die für Philosophie zu dumm und für Geschichte zu faul sind“, zit. nach Hammerstein, Geschichte, . Zur Geschichte der Frankfurter Soziologie siehe jetzt Felicia Herrschaft und Klaus Lichtblau (Hg.), Soziologie in Frankfurt. Eine Zwischenbilanz (Wiesbaden: VS-Verlag für Sozialwissenschaften, ).  Würdigung nach Hammerstein, Geschichte,  f.  Zit. nach a.a.O., .  Vgl. weiterhin Dirk Kaesler, „Salomon-Delatour, Gottfried“, in: Neue Deutsche Biographie, Bd.  (Berlin: Duncker & Humblot, ),  f.; Christoph Henning, „Der übernationale Gedanke der geistigen Einheit: Gottfried Salomon(‐Delatour), der vergessene Soziologe der Verständigung“, in: Deutsch-Jüdische Wissenschaftsschicksale, hg.von Amalia Barboza und Christoph Henning (Bielefeld: Transcript, ),  – .

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Ludwig Bergsträsser (1883 – 1960)¹⁶³ hatte sich 1910 in Greifswald im Fach Geschichte habilitiert. Als Reichstagsabgeordneter der Demokratischen Partei ließ er sich nach Berlin umhabilitieren und dürfte dort noch Tillich kennengelernt haben. Ab 1921 in der Forschungsabteilung des Reichsarchives tätig,¹⁶⁴ wurde Bergsträsser nach Frankfurt am Main abgeordnet, um eine Geschichte des Parlaments in der Paulskirche zu schreiben. 1928 nach Frankfurt am Main umhabilitiert, gab er gemeinsam mit Mannheim, Löwe und Noack außerordentlich stark frequentierte Seminare zur politischen Ideengeschichte, in denen auch zeitaktuelle Fragen diskutiert wurden. Die große Sorge um den Fortgang der sich abzeichnenden Entwicklungen veranlasste im Januar 1933 eine letzte Sitzung des Herausgeber- und Redaktionskreises der Neuen Blätter für den Sozialismus, dem Sprachrohr der linksorientierten, progressiven Denker in der Republik, an der auch Tillich, Löwe, Sollmann, Rathmann und Rudolf Küstermeier ¹⁶⁵ teilnahmen. Rathmann meint sich erinnern zu können, dass auch Adam von Trott zu Solz (1909 – 1944)¹⁶⁶ als Gast dabei gewesen sei, der von politischen Diskussionen der Frankfurter Professoren berichtete, in denen revolutionäre, diktatorische Maßnahmen zur Rettung der Demokratie behandelt wurden. Am Abend sprach noch einmal Löwe auf einer von Tillich geleiteten Versammlung vor einer großen Anzahl von Hörenden und versuchte einen Weg aus der Krise aufzuweisen.¹⁶⁷ „Zu diesem Zeitpunkt vermochten freilich solche Appelle und Reden den Gang der Ereignisse nicht mehr zu beeinflussen. Sie machten allenfalls […] den Nationalsozialisten überdeutlich, daß

 Vgl. Stephanie Zibell, Politische Bildung und demokratische Verfassung. Ludwig Bergsträsser ( – ) (Bonn: J.H.W.Dietz Nachf.,  / Politik- und Gesellschaftsgeschichte, Bd. ); basiert auf ihrer Mainzer Habilitationsschrift von .  Stephanie Zibell, „Ludwig Bergsträsser und das deutsche Archivwesen“, Archivalische Zeitschrift  (),  – .  Geboren am . Februar  in Bielefeld und am . Dezember  in Tel Aviv verstorben. Er war ein engagierter Journalist und wurde früh zum Gegner der Nationalsozialisten. So gründete er  die Widerstandsgruppe Roter Stoßtrupp. Nach seiner Befreiung aus dem Konzentrationslager Bergen-Belsen  wurde er  erster Chefredakteur der Zeitung Die Welt und ab  der erste deutsche Korrespondent (für die DPA) in Israel, vgl. „Küstermeier, Rudolf“, in: Lexikon des Widerstandes  – , hg. von Peter Steinbach und Johannes Tuchel (München: C.H. Beck,  / Beck’sche Reihe, Bd. ),  f.  Marion Gräfin Dönhoff, Um der Ehre willen. Erinnerungen an die Freunde vom . Juli (Berlin: Siedler, ); Benigna von Krusenstjern, „daß es Sinn hat zu sterben – gelebt zu haben“. Adam von Trott zu Solz.  – . Biographie (Göttingen: Wallstein, ); Wolfgang von der Groeben, „Adam v. Trott zu Solz“, in: Corpsstudenten im Widerstand gegen Hitler, hg. von Sebastian Sigler (Berlin: Duncker & Humblot, ),  – .  Rathmann, Arbeiterleben, .

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diese Frankfurter Professoren zu ihren entschiedenen Gegner zählten.“¹⁶⁸ Entsprechend rasch griff die neue Staatsmacht zu. Mit Wirkung vom 13. April 1933 wurde Tillich gemeinsam mit Hermann Heller (1891– 1933), Horkheimer, Löwe und Mannheim vom Dienst suspendiert, mit Schreiben vom 9. September freigestellt und schlussendlich am 20. Dezember entlassen.¹⁶⁹

4 Paul Tillichs Berufung nach Frankfurt am Main Nach einigen Wirren, die aus der unterschiedlichen Orientierung der Philosophischen Fakultät, des Kuratoriums der Universität und des preußischen Ministeriums für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung resultierten, wurde mit Schreiben vom 28. März 1929 Tillich als ordentlicher Professor für Philosophie auf die Nachfolge des 1928 emeritierten Hans Cornelius berufen.¹⁷⁰ Als Lehrbereich wurde sein Lehrstuhl mit den Gebieten Philosophie, Soziologie und Sozialpädagogik angegeben. Zugleich berief ihn der zuständige Minister Carl Heinrich Becker als Direktor des Seminars für Philosophie sowie des Pädagogischen Seminars. Zudem hatte Tillich alle vier Semester einmal zweistündig zur Geschichte und Theorie der Bildungsideale zu lesen. Ob er diese Verpflichtungen wahrgenommen hat, lässt sich aus den erhaltenen Frankfurter Vorlesungsankündigungen nicht gut entnehmen, wohl aber konnte er im Wintersemester 1929/30 ein sozialpädagogisches Kolleg ankündigen. Für den auf das Berufungssemester folgenden Zeitraum bis einschließlich des Sommersemesters 1933 enthalten die Vorlesungsverzeichnisse der Universität Frankfurt am Main die nachstehend aufgeführten Veranstaltungen Paul Tillichs:¹⁷¹ Sommersemester 1929 nicht angegeben Wintersemester / Sein und Geschehen (Geschichtsphilosophie); Do. Fr.  – . Masse und Geist (Sozialpädagogik); Mi.  – . Geschichtsphilosophische Übungen; Mi.  – .

 Hammerstein, Geschichte, .  Universitätsarchiv Frankfurt am Main, Abt. , Nr. .  Zum Hintergrund der Berufung und der Rolle des mit Tillich durch diese Verhandlungen persönlich eng verbundenen preußischen Ministers Carl Heinrich Becker und seines Nachfolgers, des Religiösen Sozialisten Adolf Grimme, der ebenfalls mit Tillich befreundet war, siehe jetzt ausführlich die „Historische Einleitung“ von Erdmann Sturm in: EW XV, S. XXIII-LIX.  Vgl. http://publikationen.ub.uni-frankfurt.de/solrsearch/index/search/searchtype/collection/ id//start//rows//sortfield/year/sortorder/desc (zuletzt eingesehen am . . ).

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Sommersemester  Philosophie der Religion; Di. Do.  – . Schelling und die innere Krisis des deutschen Idealismus; Mi.  – . Seminar: Der Begriff des Absoluten; Mi.  – . Proseminar: Lektüre philosophischer Schriften; Mi.  –  (mit Horkheimer). Seminar; Di.  –  (mit Wertheimer, Riezler und Gelb). Wintersemester / Die Entwicklung der Philosophie von der Spätantike bis zur Renaissance; Do. Fr.  – . Die Sozialethik des Thomas von Aquino und die moderne katholische Sozialethik; Mi.  – . Proseminar: Lektüre von Locke; Mi.  –  (mit Horkheimer). Sommersemester  Geschichte der philosophischen Ethik; Do. Fr.  – . Die philosophischen Grundlagen der politischen Richtungen; Mi.  – . Proseminar: Lektüre eines philosophischen Schriftstellers; Mi.  –  (mit Horkheimer). Philosophisches Kolloquium; Do.  – ,  täg. (mit Riezler, Gelb und Wertheimer). Wintersemester / Hegel; Do. Fr.  – . Hegels Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften; Mi.  – . Proseminar: Lektüre ausgewählter Abschnitte aus Hegels Geschichtsphilosophie; Mi.  –  (mit Wiesengrund). Sommersemester  Die philosophischen Ideen in der deutschen Klassik von Lessing bis Novalis; Do. Fr.  – . Kants Kritik der Urteilskraft; Mi.  – . Proseminar: Lessing, Die Erziehung des Menschengeschlechts; Mi.  –  (mit Wiesengrund). Wintersemester / Grundfragen der systematischen Philosophie; Do. Fr.  – . Philosophisches Kolloquium über Grundfragen der systematischen Philosophie; n. Verabr. Besprechung philosophischer Begriffe; Mi.  – . Proseminar: Simmel, Hauptprobleme der Philosophie; Mi.  –  (mit Wiesengrund). Sommersemester  (angekündigt) Französische Philosophie des . und . Jahrhunderts; Do. Fr.  – . Philosophisches Kolloquium: Fragen der systematischen Philosophie; n. Verabr. Proseminar: Locke „Essay“; Mi.  –  (mit Wiesengrund). Seminar: Spinoza „Ethik“; Mi.  – .

Zu den Veranstaltungen des Sommersemesters 1933 sollte es nicht mehr kommen. Etliche Texte der vorausliegenden Semester sind im Rahmen der inzwischen umfangreich ergänzten Werkausgabe einsehbar. Tillich beschreibt in einer knappen autobiographischen Skizze seine Lehrtätigkeit in Frankfurt am Main als eine stete Gratwanderung, Grenzüberschreitungen eingeschlossen: „Frankfurt war die modernste und liberalste Universität, aber sie hatte keine theologische Fakultät. So ergab es sich, daß meine Vorlesungen sich auf der Grenze zwischen Theologie und Philosophie bewegten und daß ich versuchte, die Philosophie für

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die zahlreichen Studenten, die philosophische Vorlesungen hören mußten, existenzbezogen zu machen.“¹⁷² In seiner Antrittsvorlesung vom Juni 1929 zum Thema „Philosophie und Schicksal“¹⁷³ entwirft er programmatisch seinen Ansatz einer christlichen Geschichtsphilosophie. Sie plant er sodann im folgenden Semester weiter auszubauen: Im christlichen Schöpfungsgedanken fand Tillich das „Ja zur Existenz […]. Die Zeit siegt im Christentum über den Raum, die [durch den Schöpfungsgedanken] einmalige sinnerfüllte Richtung der Zeit über das kreisförmige, sich wiederholende Werden und Vergehen, das ‚gnädige‘ Schicksal, das Heil in Zeit und Geschichte bringt, siegt über das dämonisierte Schicksal“. Damit sei Philosophie „durch das christliche Schicksal bestimmte Philosophie“, könne jedoch nicht in toto als „sinnvoller Weltprozeß“ herhalten. Vielmehr erweise sich der unbedingte Sinn Gottes „jeder Verwirklichung unbedingt gegenüber“. Das entscheidende Ereignis der Seinsgeschichte ist nach Tillich der Sieg des Christentums. Nicht mehr Werden und Vergehen, sondern „sinnhafte Vorsehung und heilsgeschichtliches Ziel der Zeit“ bestimmen das Bewusstsein der lateinisch-westlichen Kultur.¹⁷⁴ In den kommenden Semestern drängt es Tillich zunächst zur Konkretion, das heißt zur Grundlegung einer Ethik, die er dann in seinen letzten Semestern im Sinne einer stärkeren systematischen Philosophie verfeinert. Der Weg führt ihn also über eine christliche Geschichtsphilosophie, über deren theoretische Handlungspragmatik hin zu einem systematischen Grundlagendiskurs, den er mit Hegel und den französischen Idealisten führt. Wichtig erscheint der Hinweis, dass Tillich bereits zu dieser Zeit seine Vorstellung einer Philosophie der Begegnung entfaltet.¹⁷⁵ Später bedauerte Tillich, dass er seine Vorstellungen einer sinnhaften Begegnung als Grundlegung einer Philosophie nicht ausgearbeitet, sondern nur „rudimentär“ vorbereitet habe. Sie stellt gleichsam das systematische Gegengewicht zu seinen ontologischen Spekulationen dar, für die er in den USA immer wieder kritisiert wurde. Zur Zeit seiner Berufung war er bereits in Deutschland als Vertreter des Berliner Kreises, mithin als linksliberaler unabhängiger Intellektueller profiliert. Zugleich entzündete sich trotz der liberalen Haltung der Frankfurter Philosophischen Fakultät Kritik an Tillich, der „als Religionsphilosoph nicht aber als Phi-

 GW XII,  f.  Paul Tillich, „Philosophie und Schicksal“ (), in: GW IV,  – .  A.a.O.,  f.; siehe Sturm, „Historische Einleitung“, in: EW XV, S. LI-LII.  Erdmann Sturm, „Vorwort“, in: EW XV, S.V: „Wir können beide Frankfurter Vorlesungen vom Wintersemester / als eine ,rudimentäre Ausarbeitung‘ einer Philosophie der Begegnung bezeichnen.“

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losoph im eigentlichen Sinne“¹⁷⁶ zu verstehen sei. Außerdem suchte man Kapital aus dieser Tatsache zu schlagen, indem man versuchte, die Berufung des – aus Sicht der Fakultät – mangelhaften, eklektischen und unselbständigen Philosophen und Vertreters des akademischen Dilettantismus, Ernst Krieck (1882– 1947),¹⁷⁷ auf den freigebliebenen pädagogischen Lehrstuhl zu verhindern. Dies erfolgte unter Hinweis auf die völlig ausreichenden Lehrangebote durch etliche der Fakultät assoziierte Wissenschaftler: „angesichts der wenig sicheren Prinzipien, auf denen die Pädagogik als eine Wissenschaft beruht“, sah man hier keinen weiteren Handlungsbedarf.¹⁷⁸ Der Kuratoriumsvorsitzende Kurt Riezler schlichtete diese Auseinandersetzungen und führte eine einvernehmliche Lösung herbei: Die Universität Frankfurt hat das vom Ministerium in bisher so dankeswerterweise unterstützte und geförderte Streben, nicht innerlich Totes zu wahren, sondern Lebendiges aufzubauen. Das Kuratorium bittet daher, nicht durch die Berufung eines Pädagogen ohne ausreichendes wissenschaftliches Fundament dieses Bestreben auf diesem wichtigen Gebiet durch eine Festlegung auf Jahrzehnte zurückzuwerfen.¹⁷⁹

Dank dieser Initiative konnten zunächst der aus diesen Gründen gegen Tillich votierende Cornelius ebenso wie die Befürworter einer pädagogischen Professur im Konsens geeint werden. Unter Horkheimers Federführung wurde darum der in Berlin tätige Direktor des Sozialpolitischen Seminars der Deutschen Hochschule für Politik, Carl Mennicke, der mit Tillich seit Jahren im Berliner Kreis verbunden war, als Honorarprofessor mit einem vergüteten Lehrauftrag nach Frankfurt am Main geholt. Tillich schien in dieser Zeit rasch an Zustimmung zu gewinnen: seine „gewinnende Persönlichkeit“ ließ ihn als Integrationsfigur der Philosophischen Fakultät auftreten. Rasch wurde er deren Dekan, in seinen vielfältigen Beziehungen innerhalb wie auch über die engen Grenzen der Universität hinaus zu einer an-

 A.a.O, XXXIX.  Ernst Krieck (NSDAP) wurde im April  Rektor der Johann Wolfgang von Goethe-Universität. Vgl. Hermann Giesecke, Hitlers Pädagogen. Theorie und Praxis nationalsozialistischer Erziehung (Weinheim und München: Juventa,  []); Ernst Hojer, Nationalsozialismus und Pädagogik. Umfeld und Entwicklung der Pädagogik Ernst Kriecks (Würzburg: Königshausen & Neumann, ); Karl Christoph Lingelbach, Erziehung und Erziehungstheorien im nationalsozialistischen Deutschland (Frankfurt am Main: dipa, ); Gerhard Müller, Ernst Krieck und die nationalsozialistische Wissenschaftsreform. Motive und Tendenzen einer Wissenschaftslehre und Hochschulreform im Dritten Reich (Weinheim und Basel: Beltz, ); Helmut Wojtun, Die politische Pädagogik von Ernst Krieck und ihre Würdigung durch die westdeutsche Pädagogik (Frankfurt am Main et al.: Peter Lang,  / Europäische Hochschulschriften, Bd.  / Pädagogik, Bd. ).  Universitätsarchiv Frankfurt am Main, Abt. , Nr. .  Berufungsakte zit. nach Hammerstein, Geschichte, . Die Akte war leider bis zum Abschluss dieses Manuskripts im Universitätsarchiv der Goethe-Universität nicht einzusehen.

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gesehenen Persönlichkeit des öffentlichen Lebens. Seine Verbindungen, die in der Reichshauptstadt noch im Berliner Kairos-Kreis der Religiösen Sozialisten bestens funktionierten, fanden in dem Kairos-Kreis, der bei Tillich in Frankfurt am Main tagte, einen neuen Netzwerksknoten und zahlreiche neue Beziehungen zu verschiedenen Gruppierungen des linksliberalen intellektuellen Austausches. Die Philosophische Fakultät der späten Zwanzigerjahre wird von Hammerstein folgendermaßen charakterisiert: Sehr unterschiedliche Charaktere lehrten in der philosophischen Fakultät. Nimmt man noch die […] Historiker [Georg] Küntzel und [Walter] Platzhoff hinzu, erscheint sie fast zweigeteilt: auf der einen Seite die genialisch-extrovertierten Gelehrten, auf der anderen Seite die qualifizierten, solid bürgerlichen Fachvertreter. Zwischen beiden gab es nicht allzu viele Beziehungen, wenngleich insgesamt ein freundliches Miteinander in der Fakultät vorherrschte.¹⁸⁰

Zu welcher Gruppe Hammerstein Tillich zählt, lässt sich nicht erkennen. Das mag auch daran liegen, dass eine derartige Kategorisierung die tiefergreifenden Unterschiede und je individuellen Positionierungen nur bedingt treffen. Ob man Tillich tatsächlich zu den „genialisch-extrovertierten Gelehrten“ oder den „qualifizierten, solid[e] bürgerlichen Fachvertreter[n]“ rechnen mag, sei dahingestellt. Beide Beschreibungen treffen zumindest auf einzelne Seiten des religiös-sozialistischen Intellektuellen zu.

5 Auf der Grenze – zum Profil der Wirksamkeit von Paul Tillich Paul Tillich vermag in der von großbürgerlicher Liberalität geprägten Stiftungsuniversität seine bereits in Berlin, Marburg und Dresden entwickelten Vorstellungen weiter zu formulieren und besonders im Sinne seines Verständnisses eines christlichen Sozialismus zu akzentuieren. Die Sensibilität für grundlegende gesellschaftliche Missstände entwickelte er nach eigenen Angaben im Krieg, an dem er noch als „Freiwilliger“ teilnahm, doch war er bereits während seiner Gemeindearbeit in Berlin-Moabit ab 1912 reichlich mit sozialen Fragen konfrontiert worden. Hierauf gründete er strukturwandelnden Handlungsbedarf. Seine soziale Empfindsamkeit orientierte er unter dem Einfluss sowohl des Kairos-Kreises als auch bei der Begegnung mit Gleichgesinnten sowie „Salonsozialisten“ in den Häusern des der Universität nahestehenden Bürgertums auf theoretischer Ebene weiter. Die prosperierende, unter den Folgen des wirtschaftlichen Wachstums  A.a.O., .

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auch leidende Stadtbevölkerung hatte er täglich vor Augen – oder hätte das zumindest haben können. In seinen Lebenserinnerungen ist darüber freilich wenig zu lesen. Vor allem mit den akademisch affiliierten Mitgliedern seines KairosKreises, Heimann, Löwe, Rüstow, Dehn,Wolfers und Mennicke, teilte er die Vision einer neuen Ordnung, die sich als konkrete Manifestation des Sozialismus entwickeln sollte. Darin beanspruchte Tillich einen Sozialismusbegriff und eine sozialistische Realität, die scharf geschieden sein sollten von den sich abzeichnenden Entwicklungen in Russland unter Stalin. Die Besonderheit Tillichs in diesem Umfeld erwuchs möglicherweise aus dem Dilemma, dass die meisten Religiösen Sozialisten zwar der Weimarer SPD angehörten – wie dies Karl Barth in seiner Tambacher Rede (1919) bereits empfohlen hatte¹⁸¹ –, aus der bürgerlich dominierten Kirche aber ausgetreten waren. Tillich akzentuierte ihnen gegenüber die christlichen Wurzeln seines Verständnisses eines humanen Sozialismus. Er erzeugte damit eine gesellschaftstheoretische, gleichsam über die realpolitische Aporie der Weimarer Republik hinwegweisende, diese eventuell sogar transzendierende intertextuelle Transformation der Reich-GottesMetapher des 19. Jahrhunderts, um die Metaerzählungen des Christentums und des Sozialismus effektvoll zusammenzuführen. In ihrer fruchtbaren Synthese liegt für Tillich die unbedingte Ehrfurcht vor dem Leben im dialektischen Gegensatz zur Katastrophe des Weltkrieges. Darin wurde auch das Erbe des Berliner Kreises wirksam. Dieser Religiöse Sozialismus hatte unterschiedliche Wurzeln, zu denen auch die Jugendbewegung gehörte. Der evangelischen Amtskirche ebenso ablehnend gegenüberstehend wie dem orthodoxen Marxismus, vereinigten sich in der Jugendbewegung einerseits verschiedene Strömungen aus der Weimarer SPD, andererseits der sozialen Entwicklung modernen Elends gegenüber sensible Vertreterinnen und Vertreter der jüngeren Generationen. Insbesondere die großstädtische Vermassung und ihre Folgen trugen hierzu bei. Bestärkt durch die Kriegserfahrung suchten diese Personen nach einer Synthese von urchristlicher Nächstenliebe und moderner Sozialpädagogik mit dem Ziel einer aktiven Mitwirkung der benachteiligten Klassen am Wiederaufbau gesellschaftspolitischer Strukturen und zugleich an der Verhinderung antidemokratischer Entwicklungen früherer Jahre. Erziehung als Voraussetzung besserer Selbsthilfemöglichkeiten in unterschiedlichsten Formen – Volkshochschulen, Landheimen, Arbeiterbildungsvereinen, Sozialarbeit, als tätige Hilfe also – menschlichere, nicht nur […] am Profit orientierte Ökonomie, bessere Einsicht in die seelischen Bedingungen des Menschen, die Verwirklichung der humanitären Ideale, wie sie die inzwischen

 Karl Barth, Der Christ in der Gesellschaft. Eine Tambacher Rede (Würzburg: Patmos, ), wiederabgedruckt in: Anfänge der dialektischen Theologie,Teil , Karl Barth – Heinrich Barth – Emil Brunner, hg. von Jürgen Moltmann (München: Chr. Kaiser Verlag, ),  – , hier .

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klassische deutsche Philosophie und Dichtung beschworen: das beschreibt […] die Vorstellungen und Absichten der untereinander sehr verschiedenen Gruppen.¹⁸²

Hier hatte Tillich seine geistig-religiöse Heimat gefunden und konnte diese in Frankfurt am Main verstetigen: Auf äußerst feinsinnige Weise verkörperte er die urbane Existenzkrise zwischen Geist und Geld. Seit 1919 hatte sich Tillich in öffentlichen Kundgaben mit dem Phänomen eines Religiösen Sozialismus auseinandergesetzt. Die bis 1933 erschienenen Texte sind im zweiten Band der Gesammelten Werke unter dem Titel Christentum und soziale Gestaltung. Frühe Schriften zum Religiösen Sozialismus von Renate Albrecht zusammengestellt und leicht zugänglich. Der Band ist im Jahre 1962 – also noch zu Lebzeiten Tillichs – erschienen und dem Freund aus dem Kairos-Kreis, Carl Mennicke, gewidmet. Von Anfang an ringt Tillich um ein zeitgemäßes Verständnis des Religiösen Sozialismus als historisch erklärbare Reaktion auf gegenwärtige Entwicklungen, die sich freilich ebenfalls historisch verstehen lassen: in der Analyse als konkrete Zeitansage und in der theoretischen Entwicklung von Zukunftskonzepten als ernstzunehmende Perspektive. Hierbei ist festzuhalten, dass es Tillich nicht um eine diagnoseorientierte Therapie oder Handlungsanweisung geht. Diese ergibt sich allererst aus den aktuellen Texten und ist kontextbezogen und situativ zu erarbeiten. In seinem ersten fundamentalen Artikel zur Verhältnisbestimmung von „Christentum und Sozialismus“ (1919)¹⁸³ legt er den Referenzrahmen seiner späteren, weitaus umfassenderen Studie vor: In der Folge von Reformation und Aufklärung sei das Geistesleben nicht (mehr) ohne Autonomie zu denken. Es habe sich in seiner Freiheit von irrationalen, transzendenten und immanenten Autoritäten emanzipiert. An die Stelle der Autorität sei die Autonomie getreten, an die Stelle der Willkür und des Zufalls die weltgestaltende Vernunft. Das Bewusstsein der Autonomie und der Glaube an die gestaltende Vernunft verbänden sich „zu einem einheitlichen Lebens- und Weltgefühl“¹⁸⁴. Der Kampf gegen Feudalismus, Kapitalismus, Nationalismus und Konfessionalismus sei der negative Ausdruck des unbedingten Menschheitsbewusstseins, das alle Schranken durchbreche und in jedem Menschen den Menschen wiederfinde. Soweit mit dem Sozialismus auf der Grundlage einer Einheitswirtschaft ein neues einheitliches Geistes- und Gesellschaftsleben geschaffen werden solle, müsse der Sozialismus die Autonomie zu Theonomie vertiefen, das heiße zu dem  Hammerstein, Geschichte, .  Paul Tillich, „Christentum und Sozialismus“, in: GW II,  – , erstmals erschienen in Das neue Deutschland  (),  – .  GW II, .

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freien unbedingten Erfassen des Unbedingten durch alle Dinge hindurch. Es komme darauf an, dass der Glaube als Erlebnis des Unbedingten allen weltgestaltenden Willen unterbaue und ihn von der Leere und Nichtigkeit einer bloßen Technisierung der Welt erlöse. Die Heiligung des gesamten Kulturlebens und der sozialistischen Bewegung insbesondere sei die Aufgabe des Christentums am Sozialismus. Das Christentum gebe dem Menschheitserlebnis des Sozialismus seinen eigentlichen Gehalt. Es fehle dem Sozialismus weithin dasjenige Gemeinschaftsgefühl, das die Einheit schaffe aus den letzten Tiefen des Menschlichen, da wo das Unbedingte sich in der Seele rege. Hier wird bereits deutlich, dass Tillich kein Verständnis des Sozialismus im „herkömmlichen“ Sinn als wirtschaftsorientierte Theorie gesellschaftlicher Praxis hat,¹⁸⁵ sondern den Begriff sehr viel weiter und umfassender verstanden wissen will. Ihm geht es weniger um konkrete materielle Errungenschaften oder ideelle Ausprägungen, ihm geht es um ein umfassendes, fundamentales Prinzip, das sich in hoher Affinität bis hin zur partiellen Analogie zum (protestantischen) Prinzip des Christentums befindet. Ein Jahr später betont er in einem neuen Aufsatz unter gleichem Titel,¹⁸⁶ Christentum und Sozialismus seien nicht vergleichbar. Beide seien zu sehr im Fluss, um verbindliche Aussagen zu machen. Deswegen seien vordergründige Analogien zu vermeiden. Ausgehend von der Idee der Immanenz entwickelt Tillich in anthropologischer Perspektive den Willen zur Gestaltung, der sich massenwirksam im reformatorischen Prinzip manifestiere. Dieses erläutert er später an anderer Stelle als Miteinander von rationaler und prophetischer Kritik, wobei die prophetische Kritik die Konkretion der rationalen meine: „In der prophetischen Kritik erhält die rationale ihre Tiefe und ihre Grenze, ihre Tiefe durch die Unbedingtheit des Anspruchs, ihre Grenze durch die Gnade.“¹⁸⁷ Die protestantische Kritik kämpfe nicht als Korrektiv oder bloße Alternative gegen die Werkheiligkeit, sondern für einen Glauben ohne Werke und damit um den unbedingten Ernst und die notwendige Überwindung der Kritik.¹⁸⁸ Wolle sie darin nicht ohnmächtig und

 Max Beer, Allgemeine Geschichte des Sozialismus und der sozialen Kämpfe, mit Ergänzungen von Hermann Duncker (Erlangen: Buchhandlung und Verlag Politladen,  [Nachdruck der . Auflage von ]); Thomas Meyer, Sozialismus (Wiesbaden: VS-Verlag für Sozialwissenschaften, ); Ralf Hoffrogge, Sozialismus und Arbeiterbewegung in Deutschland. Von den Anfängen bis  (Stuttgart: Schmetterling, ).  Paul Tillich, „Christentum und Sozialismus“, in: GW II,  – , erstmals erschienen in Freideutsche Jugend  (),  – .  Paul Tillich, „Der Protestantismus als kritisches und gestaltendes Prinzip“ (), in: GW VII,  – , hier  (im Original kursiviert).  A.a.O., .

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letztlich wirkungslos bleiben, müsse sie von der „Macht einer werdenden Gestalt“ getragen werden.¹⁸⁹ Weiter heißt es: „Rationale Kritik ist Kritik der werdenden an der vergehenden Gestalt. Dieses ist ihre Konkretheit und ihre Macht.“¹⁹⁰ Sein Engagement für den Religiösen Sozialismus will Tillich in diesem Sinne als protestantisches Anliegen verstanden wissen. Ohne dezidiert anti-katholische Spitze hebt er als Charakteristikum des zeitgemäßen Protestantismus die Überwindung von Weltverneinung und transzendentalem Rückzug hervor,¹⁹¹ aus der sich für ihn schließlich die Identität von Christentum und Sozialismus ergibt. Die Vorgehensweise der Nutzung eines das Politisch-Ökonomische vordergründig überwindenden Begriffsfeldes setzt Tillich in seinem Aufsatz von 1924, „Die religiöse und philosophische Weiterbildung des Sozialismus“¹⁹², fort und entwickelt eine zielsetzende Theorie, die aus der Sache heraus erwachse und darum für die Sache Bedeutung gewinnen könne. Sein Credo lautet: die normative, zielsetzende Wissenschaft komme aus der Wirklichkeit. Darum gelte es, die Seinsphilosophie des Sozialismus zu ergründen und ihre Weiterbildung zu betreiben. Tillich geht davon aus, dass der (vulgäre) Materialismus des Sozialismus nicht durch den Nachweis seiner theoretischen Widersinnigkeit zu überwinden sei, sondern nur durch eine Verkündigung vom Wesen der Natur, des Menschen und der Gesellschaft. Diese Verknüpfung könne von der eigenen Lebenswirklichkeit aus unmittelbar verstanden werden, weil sie ihr eigentlicher Ausdruck sei. Es sei Aufgabe der sozialistischen Philosophie, den Gestaltbegriff der Romantik und Reaktion, der konservativen wie der katholischen, zu entreißen und ihn mit der Kraft eines ehrlichen, aus der Lage geborenen Realismus als den ihr eigenen Begriff zu erfassen. Erst dadurch komme die Ontologie zu ihrer Tiefe. Sie sei Hindurchdringen zur Gestalt durch den Widersinn. Gleichermaßen sei mit der Geschichtsphilosophie des Sozialismus zu verfahren und im Substrat der Geschichte der selbsttranszendierende Charakter von Geschichtlichkeit zu entdecken. Vor diesem Hintergrund erweise sich Dialektik als historische Kategorie schlechthin. Im Moment des Erlebens, im Kairos, manifestiere sich Geschichtlichkeit als Forderung und Gabe und provoziere ethisch-religiöse Grundlinien. Danach habe die Masse schöpferisch zu werden, weil nur innerhalb der Masse die

 A.a.O., .  A.a.O., .  Vgl. a.a.O., : „Der katholische Heilige ist heilig abgesehen von seiner persönlich-sittlichen Vollendung. Er repräsentiert als Träger eines Bedeutungsgehaltes das Heilige, das ,Jenseits von Sein und Freiheitʻ. Der Protestant ist heilig, nicht weil er eine Gestalt der Gnade bedeutet, sondern weil er die Vergebung der Sünden empfängt. Er ist heilig in der Unheiligkeit.“  Paul Tillich, „Die religiöse und philosophische Weiterbildung des Sozialismus“, in: GW II,  – .

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Masse erlöst, sie zur Gemeinschaft gehalterfüllter Persönlichkeiten geführt werden könne. Nur wenn in dem Klassenkampf eine Schicht zum Träger der Idee der neuen Gesellschaft wird, könne der Klassenkampf über sich selbst hinausführen. Die Menschheit sei dazu bestimmt, Gestalt zu werden, denn „[d]ie gesamte Menschheit ist Offenbarerin des Sinngrundes und des Abgrundes, ist eins im Geiste und in Gott.“¹⁹³ Das Werden der Menschheitsgemeinschaft sei dabei in erster Linie eine Frage des Rechts, nicht der Sittlichkeit, obgleich das Recht selbst im Ethos wurzelt. Hier sieht Tillich das enge Verhältnis von Religion und Kultur konkret bestimmt. Im Rückblick von knapp dreißig Jahren schreibt Tillich in seinen autobiographischen Betrachtungen über sein ambivalentes Verhältnis zu Karl Marx – mithin auch zum auf ihn gründenden Marxismus. Dort heißt es, dass er seine Beziehung zu Marx stets dialektisch gesehen habe: Sie verband also das Ja und das Nein. Ja sagte ich zu den prophetischen, humanistischen und realistischen Elementen in Marxens leidenschaftlichem Stil und tiefem Denken, Nein zu den kalt rechnenden, materialistischen und von Ressentiment diktierten Elementen in seinen Analysen, Streitschriften und seiner Propaganda. Wenn man Marx für alles verantwortlich machen würde, was Stalin und sein System bewirkt haben, wäre ein unzweideutiges Nein gegenüber Marx die notwendige Konsequenz.Wenn man die Umwälzung der sozialen Lage in vielen Ländern, die fortschreitende Entwicklung eines betonten Selbstbewußtseins innerhalb der Arbeitermassen, das Erwachen des sozialen Gewissens in den Kirchen, die allgemeine Anwendung der ökonomisch-sozialen Analyse auf die Geistesgeschichte bedenkt – alles Dinge, die auf den Einfluß von Karl Marx zurückgehen –, dann muß dem Nein ein Ja entgegenstellt werden. Obwohl eine solche Auffassung heute inopportun und sogar gefährlich ist, kann ich sie nicht unterdrücken […]. Solange unser Denken autonom bleibt, muß unsere Beziehung zu den großen geschichtlichen Persönlichkeiten ein Ja und ein Nein sein. Das undialektische Nein ist ebenso primitiv und unproduktiv wie das undialektische Ja.¹⁹⁴

Diese Dialektik charakterisiert nun auch die umfassende Zeitanalyse und Zukunftsperspektive Tillichs Sozialistischer Entscheidung von 1933. Darin übernimmt Tillich die marxistische Geschichtsauffassung unter dem Stichwort des Klassenkampfes als Abfolge von gesellschaftlichen Zuständen von der agrarischen Tauschwirtschaft über den Feudalismus, die Durchsetzung des Bürgertums nach der Aufklärung und dessen schwindende Macht im Übergang zum Sozialismus, der schließlich in der klassenlosen Gesellschaft des Kommunismus sich vollende. Nicht minder entschieden artikuliert er seine Ablehnung einer Reduktion dieses

 A.a.O., .  Paul Tillich, „Autobiographische Betrachtungen“, in: GW XII,  – , hier  (Nachkriegsjahre).

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Deutungsmodells auf materialistische Faktoren und einen ökonomischen Zweckrationalismus. In seiner geistesgeschichtlichen Ortsbestimmung im Jahre 1962 unter dem Titel „Auf der Grenze“ gibt es einen Abschnitt – zehn ist seine Ordnungszahl –, in welchem sich Tillich als auf der Grenze zwischen Luthertum und Sozialismus stehend charakterisiert. Trotz mannigfaltiger Sympathie für die konkrete Gestalt der Soziallehren des Calvinismus sieht sich Tillich in seiner Substanz ganz und gar lutherisch geprägt: [D]as Bewußtsein um die ,Verfallenheitʻ der Existenz, die Ablehnung jeder sozialen Utopie einschließlich der Fortschrittsmetaphysik, das Wissen um den irrational-dämonischen Charakter des Lebens, die Hochschätzung des mystischen Elements der Religion, die Ablehnung puritanischer Gesetzlichkeit im individuellen und sozialen Leben. Und nicht nur mein religiös-theologisches, sondern auch mein wissenschaftlich-philosophisches Denken drückt die lutherische Substanz aus.¹⁹⁵

Als Grenzgänger zwischen den gesellschaftlich wirkmächtigen Weltdeutungen sieht Tillich mit dem „Problem der Utopie“ eine zentrale Herausforderung, die es zu bewältigen gelte: Die lutherische Lehre vom Menschen, auch in der naturalistischen Fassung der Lebensphilosophie, macht jede Utopie unmöglich. Das Normwidrige als Sünde, Begierde, Wille zur Macht, dunkler Drang oder wie immer die Namen dafür sein mögen, ist mit der Existenz von Mensch und Natur – nicht mit ihrem Wesen, ihrer schöpferischen Anlage – so verknüpft, daß die Verwirklichung des Normgemäßen, des Reiches der Gerechtigkeit und des Friedens innerhalb der Existenz ausgeschlossen ist. Das Reich Gottes kann nie eine diesseitige Größe werden, das Unbedingte nie in Raum und Zeit verwirklicht werden. Jede Utopie muß mit einer metaphysischen Enttäuschung endigen.¹⁹⁶

Daraus ergebe sich die Lehre vom Menschen als Thematik, die zumindest im deutschen Sozialismus unbefriedigend bedacht worden sei: „Es scheint mir, daß eine falsche Anthropologie besonders auf deutschem Boden dem Sozialismus jede Schlagkraft genommen hat. […] Andererseits glaube ich nicht, daß die lutherische Auffassung, vor allem in ihrer naturalistisch-dämonischen Umformung durch Lebensphilosophie und Faschismus, das letzte Wort über den Menschen zu sagen hat.“¹⁹⁷ Eine Zukunftsperspektive ergibt sich für Tillich aus dem prophetischen Wort, welches die grundlegende Verwandlung von Mensch und Natur vorausweist und „darin, obgleich es mit dem Wunder rechnet, realistischer als die Auffas-

 Paul Tillich, „Auf der Grenze“, in: GW XII,  – , hier .  A.a.O., .  A.a.O.,  (Luthertum und Sozialismus).

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sungen [ist], die die Natur unverwandelt lassen und allein den Menschen verwandeln wollen“¹⁹⁸. Tillich hatte in den Zwanzigerjahren für die Verhältnisbestimmung von Religion und sozialer Utopie den neutestamentlichen Begriff des Kairos (gr. καιρός) verwendet. In präziser Abgrenzung gegen pietistisch-fundamentalistische ReichGottes-Ideen, wie etwa bei Christoph Blumhardt (Vater 1805 – 1880 und Sohn 1842– 1919), Leonhard Ragaz (1868 – 1945) und anderen, betont Tillich, daß der Kampf um eine neue soziale Ordnung nicht zu einer Erfüllung im Sinne des Reiches Gottes führen kann, daß aber in einer bestimmten Zeit bestimmte Aufgaben gestellt sind, ein bestimmter Aspekt des Reiches Gottes sich zeigt als Forderung und Erwartung. Das Reich Gottes bleibt immer jenseitig; aber es erscheint als Gericht einer gegebenen und als Norm einer kommenden Gesellschaftsform. So kann die Entscheidung für den Sozialismus in einer bestimmten Periode Entscheidung für das Reich Gottes sein, obgleich auch die sozialistische Gesellschaftsordnung in unendlicher Distanz zum Reiche Gottes bleibt.¹⁹⁹

Eine besondere Bedeutung für Tillich erhält im Zusammenhang seiner Geschichtsanalysen der – möglicherweise auf Søren Kierkegaard zurückzuführende – Begriff des „Dämonischen“:²⁰⁰ Er beschreibt eine Macht im persönlichen und sozialen Leben, die zugleich schöpferisch und zerstörerisch ist. […] In ähnlicher Weise suchte der religiöse Sozialismus zu zeigen, daß Kapitalismus und Nationalismus dämonische Mächte sind, sofern sie zugleich tragend und zerstörend sind und ihren höchsten Werten Göttlichkeit zusprechen. Die Entwicklung des europäischen Nationalismus und seine religiöse Selbstinterpretation hat diese Diagnose voll bestätigt.²⁰¹

Auch andere Felder des Denkens Tillichs sind um den „Kristallisationspunkt“ des Religiösen Sozialismus gruppiert und zutiefst von ihm durchdrungen. Rückblickend charakterisiert Tillich seine Studien zum Verhältnis von Religion und Kultur, von heilig und profan, von Heteronomie und Autonomie sowie dem Versuch einer theonomen Geschichtsbetrachtung als Zentrum seiner Geschichtsphilosophie, als seine Suche nach der Mitte der Geschichte, die vom christlichen Standpunkt aus mit der Erscheinung Christi eins sei. Die vorher genannten Antagonismen könnten als in der Geschichte miteinander ringende Mächte verstanden werden, die im Verlauf immer wieder zur Synthese drängten, aber durch die  Ebd.  Ebd.  Vgl. Paul Tillich, „Das Dämonische. Ein Beitrag zur Sinndeutung der Geschichte“, in: GW VI,  – .  Tillich, „Auf der Grenze“, in: GW XII,  (Luthertum und Sozialismus).

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transzendente Kraft der Vollendung vorwärts getrieben würden. „Als ein solcher Ansatz zu einer neuen Theonomie“ will Tillich den Sozialismus in seiner Arbeit verstanden wissen. Darin sei der Sozialismus „mehr als eine Wirtschaftsordnung, er [sei] eine Gesamtordnung der Existenz, er [sei] die im gegenwärtigen Kairos geforderte und erwartete Form der Theonomie.“²⁰² Das ergäbe einen schönen Schlusssatz – wäre da nicht die Dynamik der Geschichte, angetrieben durch die transzendentale Kraft der Vollendung, die man freilich, Adorno folgend, mit dem Drang zum Antasten nicht verwechseln sollte.²⁰³ Kommen wir daher zu einer problemorientierten Zusammenfassung:

6 Zusammenfassung und Ausblick Paul Tillich hat sein intellektuelles Profil in der Frankfurter Zeit nicht signifikant verändert – wohl aber weiterentwickelt aufgrund der Begegnungen mit Menschen. Mit zahlreichen stand er allerdings schon früher in Beziehung. Durch engere Zusammenarbeit in den Frankfurter Universitätsinstitutionen wurden die Kontakte intensiviert. Darüber schweigen sich die Quellen nach bisheriger Kenntnis freilich aus. Das Frankfurter Bürgertum hatte auf die geistige Entwicklung Tillichs keinen signifikanten Einfluss. Wohl dienten einige der Universität nahestehende Kreise durchaus katalysatorisch der Präzisierung und Weiterentwicklung früher gehegter Ansichten. Wie die Einflussnahmen im Einzelnen wirkmächtig Effekte auf Tillich setzten, geht aus den Quellen – vornehmlich aus den autobiographischen Quellen – nicht explizit hervor. Das urbane Flair lässt sich von dem akademisch-universitären Flair Frankfurts nur sehr schwer trennscharf abgrenzen. Beide wurzeln in der intellektuellen Dynamik eines traditionell selbstständig denkenden und handelnden, wirtschaftlich prosperierenden Milieus. Sicherlich hatte Tillich bei Einladungen in die Häuser des Frankfurter Großbürgertums auf beeindruckende und intellektuell bemerkenswerte Zeitgenossen treffen können. Ob deren Einfluss allerdings irgendwo im Werk Tillichs signifikant hervortritt, lässt sich kaum nachweisen – ebenso nicht das Gegenteil. Insofern sich Tillich selbst zeit seines Lebens als individueller und unabhängiger Denker verstand, lässt sich auch eine zielgerichtete Lektüre anderer Positionen oder einflussreicher Werke kaum  A.a.O., .  Theodor Wiesengrund Adorno, Kierkegaard. Konstruktion des Ästhetischen (Frankfurt am Main: Suhrkamp,  [] / stw, Bd. ), ; Nachwort () zu seiner unter anderem von Paul Tillich mitbetreuten Habilitationsschrift, die zwischen / entstand und  in der Philosophischen Fakultät angenommen wurde.

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nachweisen. Dies gilt besonders für die insgesamt relativ kurze Zeit des Frankfurter Aufenthalts. Ohne Zweifel gehört Tillich in das Milieu großbürgerlicher, liberaler Intellektueller. Sie hatten an der Stiftungsuniversität der Stadt und dem ihr durch deren Gründungsgeschichte eigenen Klima liberaler, weltoffener modernitäts- und gegenwartsorientierter Forschung und Lehre ein ideales Arbeits- und Entwicklungsfeld gefunden. Tillich wusste sich in den bereits etablierten Kreisen der akademischen Stadtgesellschaft rasch zu integrieren und aufgrund seiner Persönlichkeit dort eine wichtige, freilich selten gestaltende Rolle zu spielen. Insgesamt brillierte er im intellektuell-liberalen Diskurs, ohne ideologische oder standesgemäße Ideologismen vorschnell zu übernehmen. Dennoch wird man ihm ein gewisses Standesbewusstsein nicht absprechen können – verbunden mit der Lust, an den gegenwartsaktuellen Debatten teilzunehmen. Daraus dürfte sich auch die Übernahme zeitgenössischer Trendbegriffe wie Mythos, Sozialismus, Kairos et al. erklären. Tillichs Bedeutung als Vorreiter einer sich später auf ihn berufenden Theologie der städtischen Moderne erweist sich vor dem Hintergrund der Analyse seiner Frankfurter Zeit als ein nicht zwingend unzutreffendes, aber intensiv ausgerichtetes und nachgebessertes Konstrukt der Retrospektive. Für die Nachwirkung seiner Aufenthalte in Berlin und Dresden wird man Gleiches feststellen. Seine hohe Wertschätzung verdankt Tillich insgesamt wesentlich mehr seinem persönlichen Schicksal als den intellektuell-wissenschaftlichen Anstößen, die er in den Zwanzigerjahren in Deutschland – gleichsam am Vorabend der faschistischen Gewaltdiktatur – auslöste. Ich möchte fragen, inwieweit sich Tillich in eine bisher nur schemenhaft herausgearbeitete Kontinuität von liberalem Großbürgertum mit dezisionistischer Handlungsorientierung einfügt, die sich nach dem Zusammenbruch des sogenannten Dritten Reiches 1945 aus den Trümmern der Kriegszeit sowie dem Riesengeist unserer älteren Brüder, wie Goethe einst formuliert hatte, erhob und auf die Geschicke der zweiten deutschen Demokratie einwirkte.²⁰⁴ Geadelt durch seine

 Zu den einschlägigen Quellenschriften gehören die Arbeiten von Carl Schmitt, Gesetz und Urteil. Eine Untersuchung zum Problem der Rechtspraxis (München: C.H. Beck,  []); und ders., Politische Theologie. Vier Kapitel zur Lehre von der Souveränität (München und Leipzig: Duncker & Humblot, ) sowie ders., Über die drei Arten des rechtswissenschaftlichen Denkens (Berlin: Hanseatische Verlagsanstalt, ). Siehe außerdem André Brodocz, „Die politische Theorie des Dezisionismus: Carl Schmitt“, in: Politische Theorien der Gegenwart I. Eine Einführung, hg. von dems. und Gary S. Schaal (Leverkusen: UTB/Barbara Budrich,  []),  – ; Jürgen Habermas, „Verwissenschaftlichte Politik und öffentliche Meinung ()“, in: Ders., Technik und Wissenschaft als ‚Ideologieʻ (Frankfurt am Main: Suhrkamp, ),  – ; Her-

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Widerständigkeit und die Emigration wurden die Grundlagen seiner später in den USA weiterentwickelten Theologie selten mit den Kontexten der für die Weimarer Zeit relevanten Zeitströmungen korreliert. Bei der Aufarbeitung der „Kirchenkampfgeschichte“ wurde in den letzten Jahren sichtbar, wie wenige Exponenten einer entschiedenen Mitgliedschaft bei den „Deutschen Christen“ oder in der Bekennenden Kirche quellennotorisch sind. Vielmehr ist eine große Gruppe von Menschen unentschieden – im Jargon der Zeit, der dem Lagerdenken zwischen Freund und Feind entspricht²⁰⁵ –, „neutral“. Eine andere Gruppe wechselt von anfänglicher Begeisterung für die nationalsozialistische Machtergreifung ab 1934 doch sehr rasch in die widerständigen Gruppen von Pfarrernotbund und Bekennender Kirche hinüber, ohne formelle Mitglieder zu werden, vor allem aber ohne Aufgabe ihrer früheren prinzipiellen Überzeugungen, die zum Nährboden des Nationalsozialismus haben werden können.²⁰⁶ Dazu zählt insbesondere das dezisionistische Denkgebäude der politischen Theologie eines Carl Schmitts (1888 – 1985). Nicht nur dieselben Menschen haben die Geschicke der Bundesrepublik Deutschland in einflussreichen Positionen – letztlich sakrosankt zumeist durch das persönliche Schicksal in Verfolgung, KZ-Haft und Emigration – mitgestaltet. Sondern auch die letztlich bruchlose Fortsetzung ihrer spezifischen Theorie- und Handlungskonzeptionen, die sich bereits in der Weimarer Republik als fatal herausgestellt hatten, erweist sich als Erblast der jungen Demokratie und der sich in ihr langsam etablierenden Kirchenstrukturen nach 1949. Männer wie Otto Dibelius, Martin Niemöller, Vertreter der bruderrätlichen Fraktion innerhalb der

mann Lübbe, „Dezisionismus – eine kompromittierte politische Theorie“, Schweizer Monatshefte  (),  – ; Romano Minwegen, „Gleichheit im Lichte der Rechtslogik – Eine Synthese zwischen Kognitivismus und Dezisionismus?“, Rechtstheorie. Zeitschrift für Logik und Juristische Methodenlehre, Rechtsinformatik, Kommunikationsforschung, Normen- und Handlungstheorie, Soziologie und Philosophie des Rechts  (),  – ; Micha H. Werner, Art. „Dezisionismus“, in: Lexikon der Ethik, hg. von Jean-Pierre Wils und Christoph Hübenthal (Paderborn: F. Schöningh, ),  – .  Auf die Semantik ideengeschichtlicher und zeitgebundener Abhängigkeiten bei Tillich kann im vorliegenden Aufsatz nur hingewiesen werden, da eine entsprechende Analyse den Rahmen der Herausgabevorgaben überschritten hätte.  Siehe dazu noch einmal die Literaturhinweise zu den Arbeiten von Hamm in Anm. . Exemplarisch neben Martin Niemöller weiterhin auch Ernst Ludwig Dietrich, kurzzeitig Landesbischof von Nassau und Hessen,vgl. Hermann Otto Geißler, Ernst Ludwig Dietrich ( – ). Ein liberaler Theologe in der Entscheidung. Evangelischer Pfarrer – Landesbischof – Religionshistoriker (Darmstadt: Hessische Kirchengeschichtliche Vereinigung,  / QSHK, Bd. ). Die Frage nach den rechtskonservativen Motivationen eines engagierten Widerstandes gegen Hitler erweist sich nach wie vor als Desiderat der neueren Geschichtsschreibung.

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Bekennenden Kirche, vor allem aber der radikalen „Dahlemiten“²⁰⁷ oder auch treue Anhänger Karl Barths²⁰⁸ besetzten rasch wichtige Positionen mit hoher Verantwortung. Die ihnen damit aufgebürdete Verantwortung für das dringend erforderliche rasche Handeln nahmen sie tatkräftig unter der obwaltenden Maxime wahr, dass souverän sei, wer über den Notstand verfüge.²⁰⁹ Die zumindest in der theologisch-kirchlichen Fortentwicklung weithin dominierende Barthianische Theologie tat ihr Übriges dazu, dass eine kritische Aufarbeitung der Anfangsgründe dieser Entwicklungen zunächst gar nicht, sodann mit radikaler Antithese und erst jetzt langsam in Angriff genommen wurde. Tillich gehörte wohl nicht zu diesen Kreisen. Dennoch mutet die inzwischen publik gewordene Note von Emanuel Hirsch aus heutiger Sicht irritierend an, in der jener als bekennender Nationalsozialist nicht nur die ideologische Nähe zu Tillich betont, sondern auch Wege zu beschreiten versucht, den von der Verfolgung bedrohten Freund aus Göttinger Tagen doch noch für die Hitler-Bewegung und das „neue deutsche Universitätssystem“ zu gewinnen. Die Notiz lässt erkennen, dass das Differenzkriterium Emigration und Widerstand die Ebene wirkmächtiger philosophischer und politischer Grundentscheidungen nicht berührt oder verändert.²¹⁰ Sowohl in der Sozialistischen Entscheidung lässt sich so manche Formulierung finden, die auf eine dezisionistische Affinität hinweist, als auch das von Tillich und anderen Mitarbeitern der Neuen Blätter für den Sozialismus im Januar 1933 öffentlich vorgetragene Programm revolutionärer, diktatorischer Maßnahmen zur Rettung der Demokratie weisen in diese Richtung.²¹¹ Sichtlich abgestoßen – einerseits von den fortschreitenden Depravationen des

 Vgl. zum Verständnis des kirchlichen Notrechts und seiner Begründung im Kontext der zweiten Bekenntnissynode von Berlin-Dahlem: Wilhelm Niemöller, Die zweite Bekenntnissynode der Deutschen Evangelischen Kirche zu Dahlem (Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht,  / AGK, Bd. ); Christian Luther, Das kirchliche Notrecht, seine Theorie und seine Anwendung im Kirchenkampf  –  (Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht,  / AGK, Bd. ).  Zum dezisionistischen Ansatz der Theologie Karl Barths siehe: Trutz Rendtorff (Hg.), Die Realisierung der Freiheit. Beiträge zur Kritik der Theologie Karl Barths (Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus Gerd Mohn, ).  Obwohl zumal meist reformierter Anschauung,war es doch durchaus möglich, diese Haltung mit genuin lutherischen Überzeugungen zu verbinden; vgl. dazu etwa den Theologen Karl Gerhard Steck, der zunächst am Frankfurter Predigerseminar der Bekennenden Kirche und später an der Goethe-Universität umfassend junge Theologen ausbildete; siehe Dieter Stoodt (Hg.), Karl-Gerhard Steck, Wolfgang Philipp, Adolf Allwohn, Hans-Werner Bartsch, Walter Dignath, Hans-P. Schmidt. Evangelische Theologie und Religionsphilosophie an der Universität Frankfurt a.M.  bis  (Frankfurt am Main et al.: Lang, ),  – .  Überliefert bei Christophersen, Kairos, .  Vgl. Rathmann, Arbeiterleben (siehe Anm. ).

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Sozialismus in Russland unter der diktatorischen Herrschaft Stalins, andererseits von der Dominanz der dialektischen Theologie unter unumstrittener Führerschaft Karl Barths – wurde nach konkreten Handlungsoptionen eines Ausweges gesucht. Dessen Fundament, der theologisch-politische Dezisionismus der politischen Theologie Carl Schmitts mit ihrem traditionsstabilisierenden, patriarchalen Kraftfeld und der personalen Machtkonzentration gegenüber einer gesellschaftlich organisierten Verwaltung, wurde nicht hinterfragt. Grund hierfür mag die hohe praktische Anschlussfähigkeit von Schmitts Theorie an Ideologien sowohl im „linken“ als auch im „rechten“ politischen Spektrum sein.²¹² Die kritische Analyse gesellschaftlicher Mechanismen machte sich nach dem Zweiten Weltkrieg in der Zeit des Wiederaufbaus unter weitgehend einseitigen und ideologieverdächtigen Prämissen die neu konstituierte „Frankfurter Schule“ zur Aufgabe. Insofern deren ältere Vertreter noch ganz von den positiv erfahrenen liberalen Entwicklungen der Weimarer Republik geprägt waren und ihre Schüler zunächst in einem radikal antifaschistischen Grundmuster erzogen, bedurfte es einer weiteren Generation von kritischen Geistern, die der neuen Demokratie nach 1949 mit Rat und konstruktiven Gegenentwürfen zur Seite stand. Diese Emanzipationsbewegung kulminierte in den letztlich frustrierenden Erfahrungen des intellektuellen Aufbruchs der 1960er Jahre. Sie wurde im Hinblick auf ihre Plausibilität durch aggressive und populistische Extrempositionen innerhalb der sogenannten Studentenrevolte zutiefst desavouiert. In den späten 1970er Jahren und sodann im ausgehenden 20. Jahrhundert führte die Frankfurter Schule der dritten und vierten Generation zu einer distanzierten und ideologiearmen, dadurch auf neue Weise kritischen Aufarbeitung der Weimarer Zeit und ihres Übergangs in das faschistische Hitler-Deutschland.²¹³ Diese zunächst dekonstruktivistische historiographische Arbeit wird teilweise erst jetzt möglich, da die Nebelschwaden historischer Verklärung, hagiographischer Konstruktion und in agonaler Bipolarität vorgetragener Würdigungen, wie sie in den zurückliegenden Jahrzehnten durch die Nachkriegsgesellschaft wehten, sich langsam verziehen und – zumal im Kontext nach dem Zusammenbruch des Ostblocks neu freiwerdender Quellen – den Blick auf ein differenziertes Bild erlauben. Vor diesem Hintergrund ist die Person und das Werk Paul Tillichs zu rekonstruieren und im Licht weiterführender theoretischer Einsichten zu würdigen.

 Für Formulierungshilfen bei dieser Passage danke ich noch einmal ausdrücklich Frau Sabine Ackermann, Frankfurt, deren fachliche Kompetenz an dieser Stelle die meine bei weitem übersteigt.  Wiggershaus, Die Frankfurter Schule, passim.

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Symbolischer Realismus Tillichs Mythostheorie im Horizont der zwanziger Jahre Der Begriff ‚Mythostheorie‘ könnte Erwartungen wecken, die zu hoch greifen. Denn zwar diskutiert Tillich in den zwanziger Jahren die Eigenart des Mythischen in anspruchsvollen theoretischen Kontexten; die Behauptung, dass seine Ausführungen sich zu einer ‚Theorie‘ vereinigen (ließen), erscheint aber dennoch überzogen. Allerdings lässt sich zur Verteidigung meines Untertitels anführen, dass es sich um eine Charakterisierung handelt, die Tillich in seinem RGG-Artikel von 1930: „Mythus und Mythologie. I. Begrifflich und religionspsychologisch“ vornimmt. Nachdem er die „metaphysische“ Mythostheorie Schellings und die „erkenntnistheoretische“ Mythostheorie Cassirers knapp präsentiert hat, notiert Tillich: „Den Gegensatz von metaphysischer und erkenntnistheoretischer Auffassung sucht zu überwinden die symbolisch-realistische Theorie des M[ythos], die vom Verfasser dieses Artikels namentlich in seiner Religionsphilosophie vertreten wird.“¹ Angekündigt ist wohl kaum eine eigenständige Mythentheorie oder auch nur eine Entfaltung bisher unbekannter inhaltlicher Überlegungen zum Mythos. Vielmehr liegt der Akzent auf einer eigenständigen Perspektive und der ihr entsprechenden Behandlungsart, nämlich der, die Tillich ‚symbolisch-realistisch‘ nennt. Was Tillich über den Mythos zu sagen hat, ist also abkünftig von seiner Symboltheorie. Auch das hat er mit Ernst Cassirer gemeinsam, der im zweiten Band seiner Philosophie der symbolischen Formen einleitend seinerseits eine markante Gegenüberstellung als Ausgangslage seiner Beschäftigung mit dem mythischen Denken wählt. Cassirer grenzt sich einerseits gegenüber der spekulativen Mythostheorie Schellings, andererseits gegenüber der empirischen bzw. – wie er steigernd sagt – der „rein empirische[n]“ Mythosforschung und „Mythenvergleichung“² ab. Mit letzterer sind Historismus, Religionsgeschichtliche Schule und Völkerpsychologie gemeint, wie sie vor dem Ersten Weltkrieg entwickelt wurden.³ Indem Cassirer zwischen Spekulation (bzw. Metaphysik) und Empirismus einen dritten, kritischen

 Paul Tillich, „Mythus und Mythologie“ (), in: MW IV,  – , hier  (ohne Kursivierung im Original).  Ernst Cassirer, Philosophie der symbolischen Formen. Zweiter Teil: Das mythische Denken (), in: Gesammelte Werke. Hamburger Ausgabe, hg. von Birgit Recki, Bd.  (Hamburg: Meiner, ), .  Bei Paul Ehrenreich, Heinrich Lessmann (Mitglied der Gesellschaft für vergleichende Mythologie), Wilhelm Wundt oder Max Müller.

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Weg eröffnen will, erneuert er – trotz seiner Wende zur Kulturphilosophie und Geisteswissenschaft – noch einmal eine klassische Konstellation kantischer Tradition.⁴ Tillich übernimmt in seinem Artikel diese Figur eines Dritten, das sich widersprechende Schulen übergreift und integriert. Er verweist aber Cassirers Vermittlungsversuch auf die Plätze und präsentiert seine eigene ‚Theorie‘ als diejenige Position, die die Wahrheitsmomente der antagonistischen Vorläufer aufnimmt und ihre jeweiligen Mängel vermeidet. Man sieht daran, dass die aktuelle Mythosdebatte für Tillich eine Möglichkeit darstellt, Profil und Programm seiner Religionsphilosophie zu schärfen, deren zentrales Stück die Symboltheorie (und spezifischer: Tillichs symbolischer Realismus) ist. Ob und wie es diesem Programm gelingt, sinntheoretische und realistische Intentionen zu vermitteln, ist m. E. eine offene Frage, die noch nicht dadurch gelöst ist, dass Tillich-Interpreten gleichsam lehramtlich bescheiden, hier liege überhaupt kein Problem vor. Ich lasse diese Frage freilich an dieser Stelle im Hintergrund und konzentriere mich zunächst auf das Phänomen des Mythischen, wie Tillich es in der letzten Phase der Weimarer Republik wahrnimmt und beschreibt. Das Jahr 1925 als Erscheinungsjahr von Cassirers berühmtem zweiten Band der Philosophie der symbolischen Formen, aber auch von Tillichs Religionsphilosophie mit ihrem Abschnitt zum Mythos, repräsentiert die wiederbelebte Frage nach der Eigenart des mythischen Denkens. Die frühen dreißiger Jahre, vor allem die Hegel-Vorlesung (1931/32) und Die sozialistische Entscheidung (1933), und also Schriften der Frankfurter Zeit, in der Tillich Adorno und Horkheimer den Weg an die Universität eröffnete, repräsentieren die politische Zuspitzung seiner Mythosdeutung. Tillichs Bearbeitung des Themas in diesem Zeitraum gilt es im Blick zu behalten, wenn man das Verhältnis von Theologie und Kritischer Theorie aufklären will.

1 Mythos und Entmythologisierung bei Tillich Signifikant ist die Überzeugung Tillichs, die Geschichte der menschlichen Kultur, der Wissenschaften oder auch nur der Aufklärung sei nicht durch einen solchen Fortschritt bestimmt, der sich als eine definitive Überwindung des Mythos oder als dessen endgültige Verabschiedung beschreiben ließe. Im Kontrast zu zwei (freilich erst später erschienenen) Buchtiteln gesagt: Für Tillich ist die Geschichte weder ein Weg Vom Mythos zum Logos noch eine kontinuierliche Selbstentfaltung des Denkens,

 Zu Kants eigener Konstellierung eines dritten Weges vgl. KdrV B  mit B  f und B XXXVf.; Immanuel Kant, Kritik der reinen Vernunft (), in: Kants gesammelte Schriften, hg. von der Königlich Preußischen Akademie der Wissenschaften, Bd.  (Berlin: Reimer, /), , , .

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die vom mythischen zum rationalen Denken führt.⁵ Er kennt keinen in der Vergangenheit überwundenen und also zu Ende gebrachten, sondern allenfalls einen gebrochenen Mythos, der seine ursprüngliche und unmittelbare Macht nicht mehr ausüben kann, aber dennoch aus dem Leben der Menschen nicht gänzlich verschwunden ist. Ein solcher Mythos bleibt im Status eines Hinter- und Untergrundphänomens. Ob es gelingt, die Macht des Mythos zu brechen oder ob diese nur verdrängt wurde, entscheidet über die Gefahren, die vom Mythischen ausgehen. Das aber heißt auch: Humane Rationalität kann sich gegen die Welt des Mythos nur nachhaltig behaupten, indem sie von dessen Inhalten, Anschauungen und Narrativen einen nicht-mythischen Gebrauch macht. Definitiv entlastet wird sie von ihm jedoch nie: „Eine wirklich unmythische Geisteslage gibt es nicht.“⁶ Eine Aufklärung, die diese Abgründigkeit leugnet, verstrickt sich in neue Mythen. Sie produziert ein mythisches Bild ihrer selbst bzw. der menschlichen Angelegenheiten, vor allem dann, wenn sie sich an eine Gesamtdeutung der Geschichte wagt.⁷ Wo sie vom Ganzen spricht, sei es von der Welt als einem totum, sei es von einem Organismus als eines ὅλον, dessen Teil sie selbst ist, bringt sie das Denken in die Verlegenheit, etwas anschauen zu wollen, was sich nicht auf Distanz bringen lässt und darum stricto sensu kein Gegenstand der Anschauung sein kann.⁸ Das Denken überschreitet mit solchen Totalitätsansprüchen Grenzen, an denen es das Unzugängliche, Unvertraute und Absolute durch Vertrautes (etwa durch Namen, Geschichten, Bilder) substituiert.⁹ Umso mehr sich Bedeutsamkeitsstiftung dem Zustand der Gesamtdeutung annähert, desto energischer müssen Vertrautes und Unvertrautes ineinander überführt, Bekanntes und Fremdes miteinander identifiziert werden. Rationales und Mythisches werden dabei gerade aufgrund derjenigen Operation ununterscheidbar, durch die der Mythos als das ganz Andere des Logos markiert und ausgegrenzt werden soll. Weil Tillich keine ratio, keinen λόγος kennt, die sich definitiv vom Mythos trennen ließen, kann es für ihn keine Überraschung sein, dass Aufklärung – mit

 Wilhelm Nestle, Vom Mythos zum Logos. Die Selbstentfaltung des griechischen Denkens von Homer bis auf die Sophistik und Sokrates (Stuttgart: Kröner, ) bzw. ders., Griechische Geistesgeschichte von Homer bis Lukian. In ihrer Entfaltung vom mythischen zum rationalen Denken dargestellt (Stuttgart: Kröner, ).  Tillich, „Mythus und Mythologie“, .  Vgl. ebd., : „Notwendig mythische Züge trägt die Gesamtdeutung der Geschichte.“  Vgl. Michael Moxter, Art. „Weltanschauung III/. Dogmatisch und Philosophisch“, in: TRE Bd.  (),  – .  Vgl. Hans Blumenberg, Arbeit am Mythos (Frankfurt am Main: Suhrkamp, ),  ff. mit .

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Adorno und Horkheimer gesprochen – „in Mythologie zurück[schlägt]“¹⁰. Bekanntlich geschieht dies den Autoren zufolge gerade dort, wo sich humane Rationalität zu einer instrumentellen Vernunft vereinseitigt, also eine ihrer an und für sich unverzichtbaren Leistungen (die der zweckrationalen Folgenkontrolle) zur einzigen Dimension der Vernunft sich aufspreizt und insofern aufs Ganze geht. Der These einer Unüberwindbarkeit des Mythischen entspricht die Art und Weise, in der Tillich das Verhältnis von Mythos und Religion und insbesondere die zentrale Spannung von priesterlichen und prophetischen Elementen der Religion bestimmt. Denn seine Auffassung, dem Mythos sei nur durch Brechung Macht zu nehmen, bewährt seine Religionsphilosophie am Gegeneinander von kultischem Bild, Opfer und Sakrament einerseits und kritischem Sinn für die Unbedingtheit Gottes andererseits. Wie Religion die Präsenz Gottes im Bild, im Ritual oder im Sakrament inszeniert und feiert, so muss sie zugleich Idolatrisierung vermeiden und daher jeder Verabsolutierung des Endlichen widersprechen. Prophetischprotestantische Kritik verschränkt sich also mit priesterlich-katholischen Kultinstitutionen und ist nur auf deren Boden genuin religiöse Kritik. Man könnte diesbezüglich auch von einer Inversion von Vergegenständlichung und Entgegenständlichung oder – mit Dietrich Zilleßen¹¹ – von Heiligung und Entheiligung, von Inkarnation und Exkarnation, sprechen. Das religiöse Bewusstsein bedarf der Verkörperung (Tillich würde sagen: des Materials, des Gegenstandes), um sich zu manifestieren, zugleich aber muss es auf Entgegenständlichung, auf Differenzbewusstsein bestehen. Ohne das eine könnte Religion nicht lebendig sein, ohne das andere bliebe sie Götzenverehrung: Die im M[ythos] enthaltene Vergegenständlichung des Göttlichen […] wird von der prophetischen Frömmigkeit bekämpft, von der mystischen überboten, von der philosophischen als unwürdig und widersinnig dargetan […] Aber so wenig die prophetischen Angriffe auf den Kultus den Kultus aufheben, wo wenig heben ihre Angriffe auf den M[ythos] den M[ythos] auf.¹²

Vielmehr entstehe eine Spannung, in der „[d]er M[ythos] […] überwunden, aber die mythische Substanz […] geblieben“ sei, ja unter Umständen eine „antimythische[] Religion“, in der sich die „mythischen Stoffe lebendig“ zeigen, „freilich in neuer  Max Horkheimer und Theodor W. Adorno, Dialektik der Aufklärung. Philosophische Fragmente, in: Theodor W. Adorno, Gesammelte Schriften, Bd. , hg. von Rolf Tiedemann (Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft, ),  – , hier .  Vgl. Dietrich Zilleßen, „Sicherung und Bedrohung des Körpers im Ritual. Spuren sakramentalen Handelns“, in: Magie. Katastrophenreligion und Kritik des Glaubens. Eine theologische und religionstheoretische Kontroverse um die Kraft des Wortes, hg. von Hans-Günter Heimbrock und Heinz Streib (Kampen: Kok Pharos, ),  – , hier  ff.  Tillich, „Mythus und Mythologie“, .

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Wendung“¹³. Eine solche neue Form der Religion beruht auf einer Wendung gegen sich selbst. Gerade deshalb muss zwischen Vergegenständlichung und Entgegenständlichung eine strikte Korrelation bestehen – Letzteres übrigens ein Begriff, dessen religionsphilosophische Einschlägigkeit sich Hermann Cohens Religion der Vernunft verdankt¹⁴ und den Tillich mit der Bemerkung seines Mythosartikels: „Zutreffend ist die Theorie der Korrelation“¹⁵ für den späteren eigenen Gebrauch vorbereitet. Von Cassirer aus betrachtet wäre es freilich naheliegender, statt von Korrelation von einer Dialektik zwischen Religion und Mythos (oder genauer von einer „Dialektik […] des mythisch-religiösen Bewußtseins“¹⁶) zu sprechen. Obwohl Cassirers Philosophie der symbolischen Formen in ihrem zweiten Band sich am deutlichsten an den Aufbau der Kritik der reinen Vernunft anlehnt, entfaltet die Dialektik, mit der er diesen Band schließt, keine kantische Logik des Scheins. Vielmehr folgt Cassirer deutlich einem Hegelschen Dialektikbegriff: Das Setzen des Zeichens, der Aufbau der mythischen Bilderwelt erfolgt zunächst in einer Unmittelbarkeit, bei der das Zeichen den Gegenstand direkt zu manifestieren scheint, weshalb das Bewusstsein von einer Indifferenz zwischen Zeichen und Sache ausgeht, um dann kraft prophetischer Negation in die Differenz getrieben zu werden. Die Nicht-Identität zweier Seiten zeigt sich, und aus dem damit entstandenen Gegensatz geht schließlich eine neue Gestalt hervor: Dem stetigen Aufbau der mythischen Bildwelt entspricht das stete Hinausdrängen über sie: Derart jedoch, daß beides, die Position wie die Negation, der Form des mythisch-religiösen Bewußtseins selbst angehören und sich in ihm zu einem einzigen unteilbaren Akt zusammenschließen. Der Prozeß der Vernichtung erweist sich, tiefer betrachtet, als ein Prozeß der Selbstbehauptung, wie der letztere sich nur kraft des ersteren vollziehen kann: Beide vereint fördern erst in ihrem ständigen Zusammenwirken das wahre Wesen und den wahren Gehalt der mythisch-religiösen Form zutage.¹⁷

Und weiter: „die Eigenart der religiösen ‚Form‘ bekundet sich in der veränderten Stellungnahme, die […] das Bewußtsein gegenüber der mythischen Bildwelt einnimmt […] Die Religion vollzieht den Schnitt, der dem Mythos als solchem fremd ist: Indem sie sich der sinnlichen Bilder und Zeichen bedient, weiß sie sie zugleich als solche“¹⁸. Der Zuwachs an Idealität, das ‚Hinausdrängen‘ in die Sphäre des

 Ebd.  Vgl. Hermann Cohen, Religion der Vernunft aus den Quellen des Judentums (Frankfurt am Main: Kauffmann,  []), ,  u. ö.  Tillich, „Mythus und Mythologie“, .  Cassirer, Philosophie der symbolischen Formen. Zweiter Teil, .  A.a.O., .  A.a.O.,  f.

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Bedeutsamen bzw. der Akt der Transzendierung vermitteln sich Cassirer zufolge über eine Reflexivität, die nicht im leeren Raum sich spiegelnder Selbstbezüglichkeit verbleibt, sondern die in der Auseinandersetzung mit dem jeweils Gegebenen sich vollzieht. Dem Aufbau der Bilderwelten entspricht so Differenzierung, Abbau und Negation. Diese Fokussierung auf Negation als Vehikel der Reflexivitätsgenerierung bildet den Punkt der größten Nähe zwischen Tillich und Cassirer. Sie macht erklärlich, warum beide vom Mythos unter der Perspektive einer internen Beziehung zwischen Mythischem und Religiösem handeln. Was Tillich angeht, so kann man dies an der Vorlesung, die er der Philosophie Hegels und insbesondere dessen sogenannten theologischen Jugendschriften widmet, am deutlichsten studieren. Tillich sieht den Ausgangspunkt der Fragestellung Hegels im Konflikt zwischen Rationalismus und biblischer Religion. Die Situation des jungen Hegel sei die eines Denkers, der eine Religion nach der Aufklärung sucht, die ein einseitig szientistisch-positivistisches Weltverhältnis, das allein an der Beherrschung der Natur, der Berechenbarkeit und der instrumentellen Vernunft orientiert ist, überwindet und einen anderen Umgang mit Mensch und Welt ermöglicht als den der Verdinglichung. Vor diesem Hintergrund sei das Wahrheitsmoment des Mythischen der Sinn für das Ungegenständliche an den Dingen, für Unberechenbares und Gestalthaftes (letztlich für einen Überschuss an Sinn).¹⁹ So offenkundig diese Schilderung keine bloß historische ist, sondern sich mit Tillichs systematischen Interessen verbindet, so unverkennbar aktualisiert die Hegel-Vorlesung seine Auffassung des Mythos politisch. Auf diese Weise präludiert er Grundmotive der Dialektik der Aufklärung Adornos und Horkheimers wie auch des Mythus vom Staat. Die Frankfurter Zeit ist insofern eine Zeit des Übergangs und einer Ungleichzeitigkeit: Was Adorno, Horkheimer und Cassirer auf je unterschiedliche Weise im US-amerikanischen Exil als Rückkehr des Mythos beschreiben, hat Tillich bereits im Wintersemester 1931/32 in erstaunlicher Klarheit im Blick. Freilich ist zu betonen, dass solche Weitsicht Tillich nicht daran hindert, den Mythosbegriff, dem allgemeinen Sprachgebrauch folgend, operational einzusetzen, wann immer es ihm um die Markierung eines logischen Monstrums oder irgendeiner anderen Art von Unsinn geht. So nennt seine Frankfurter Vorlesung zur „Geschichtsphilosophie“ den Deismus einen „abstrus-rationalistische[n] Mythos“²⁰, klagt sie: „Das ist ein schlechter Mythos“²¹ und meint damit: „Nichts ist

 Paul Tillich, „Vorlesung über Hegel“ (Frankfurt /), in: EW VIII, .  Paul Tillich, „Geschichtsphilosophie (Vorlesungsmanuskript)“, in EW XV,  – , hier .  A.a.O., .

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falscher als [das]“²². In der Hegel-Vorlesung wird diese Verwendung des Mythosbegriffs raffinierter, wenn Tillich in der Darstellung der Phänomenologie des Geistes das Scheitern einer vom Bewusstsein vorausgesetzten, hernach aber als unzulänglich durchschauten Gewissheit immer wieder unter die Formel bringt: der Mythos des Dings, der Kraft, der Objektivität löse sich auf oder kollabiere.²³ Auf derselben Linie liegt auch der Vorwurf, Hegel missachte die „Souveränität des unmythischen, monotheistischen Gottes“ zugunsten von Mythologie, leeren Projektionen und falschem Bewusstsein.²⁴ Dieser pejorative Gebrauch des Mythosbegriffs bildet ein Gegengewicht zu den religionstheoretischen Interessen, steht jedoch nicht isoliert neben diesen. Gerade Tillichs Interpretation der Phänomenologie des Geistes verdeutlicht das. Hegels Phänomenologie als eine „Wissenschaft von der Erfahrung des Bewußtseins“²⁵ führt ja eine Geschichte von Ent-Täuschungen vor, die dem Bewusstsein widerfahren, weil es seine eigenen Gehalte und Gestalten nicht hinreichend durchschaut. Stets hält es für unmittelbar gegeben, was in Wahrheit ein Resultat seiner eigenen Setzungen ist. Das Bewusstsein entwirft sich ein Gegenüber, das es noch nicht als Produkt seiner selbst durchschaut. Eben deshalb verfahre es ‚mythisch‘. In der Gestalt des Bewusstseins entsprechen sich Wahrheit und ursprüngliche (Selbst‐)Gewissheit noch nicht.²⁶ Tillich rekonstruiert die Logik der Phänomenologie also so, dass er seine „Deutung der ganzen Phänomenologie“ als eine präsentieren kann, die unter dem Leitgedanken einer „Entmythologisierung der Gegenstandswelt“²⁷ operiert. Es geht durchgängig um Enttäuschung eines falschen Bewusstseins, dessen Standpunkt zwar irrig, aber auch unvermeidbar ist, so dass Mythenbildung und Entmythologisierung gemeinsam das Vehikel seiner Selbst-Aufklärung bilden. ‚Entmythologisierung‘ war zum Zeitpunkt der Frankfurter Vorlesung noch kein Programmbegriff der neutestamentlichen Hermeneutik Bultmanns. Umso bemerkenswerter ist nicht nur dass, sondern auch wie Tillich den Begriff hier benutzt: als Titel für einen dialektischen Prozess, der immer wieder mit dem Mythos beginnt, um ihm gegenüber Distanz zu gewinnen. Weil die Gegenstände des Bewusstseins bzw. die Gestalten seiner Welt keine externe Objektivität, sondern Formen der Vermittlung seines eigenen Weltzugangs darstellen, vollzieht sich Entmythologisierung als eine veränderte Stellungnahme

     

A.a.O., . Vgl. Tillich, „Vorlesung über Hegel“,  mit . Vgl. a.a.O.,  mit . So ihr ursprünglich vorgesehener Titel. Vgl. Tillich, „Vorlesung über Hegel“,  mit . A.a.O., .

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des Bewusstseins – nicht nur zu etwas, sondern auch zu sich selbst. Die Bewegung des Denkens führt Gegenstände auf Prinzipien der Vergegenständlichung zurück, weshalb der Kantianer von kopernikanischer Wende oder Drehung sprechen kann. Hegel nannte solche kritische Philosophie eine „Zweite Stellung des Gedankens zur Objektivität“²⁸. Während die erste Stellung des Gedankens die Wirklichkeit als unmittelbar gegeben (hin‐)nimmt, führt die kritische Philosophie eine veränderte Stellungnahme herauf und zwar durch Reflexion. Es bedarf nach beiden Autoren der (irrlichternden) Vergegenständlichung, um im Ausgang von ihr die Rückführung in den Grund vollziehen zu können. Diese Aufstufung erklärt, warum diejenige Selbstbeschreibung der Aufklärung unzureichend bleibt, die suggeriert, „die menschliche Vernunft hätte sich eben allmählich aus dieser mythischen Weltanschauung herausentwickelt.“²⁹ Ein solcher kontinuierlicher Übergang vom Mythos zum Logos, eine langsame Entfaltung in der Erziehung des Menschengeschlechts, in der die Anfänge grob, die Resultate aber kultiviert und immer kultivierter sind, lässt Hegel – wie Tillich zurecht erkennt – nicht zu: „Die Weltgeschichte bewegt sich nicht nach dem Schema durch langsame, stufenweise Erziehung zur Vernunft, sondern sie bewegt sich durch Revolution im Geisterreich.“³⁰ Letztere besteht für Kant wie für Hegel (und für Tillich wie für Cassirer) in einer veränderten Stellungnahme zu sich, die Reflexion und einen kritischen Umgang mit den eigenen Darstellungsformen und Gehalten einschließt, nicht aber die Elimination des Mythos betreibt.

2 Von den ‚Götzen des Raumes‘ zur Negativität der Zeit: Das jüdische Bilderverbot als Totalitätskritik Betrachtet man die inhaltlichen Ausführungen von Tillichs Mythostheorie, so fällt die zentrale Stellung ihrer These von der Raumgebundenheit der mythischen Phantasie auf: „Der Raum ist das Entscheidende in der Sphäre des Mythischen.“³¹ Die ausführliche Begründung für diese Behauptung findet sich, so muss man wohl

 Vgl. Georg Wilhelm Friedrich Hegel, Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften im Grundrisse (), in: Werke, auf der Grundlage der Werke von  –  neu edierte Ausgabe, Redaktion Eva Moldenhauer und Karl Markus Michel, Bd.  (Frankfurt am Main: Suhrkamp, ),  ff.  Tillich, „Vorlesung über Hegel“, .  A.a.O.,  f.  A.a.O., .

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sagen, in Cassirers zweitem Band, in dem der Autor der Philosophie der symbolischen Formen die „Grundrichtung des mythischen Bewußtseins“ beschreibt, „gewissermaßen die Ur-Teilung, die sich in ihm zwischen dem Heiligen und Profanen, dem Geweihten und Ungeweihten vollzieht“³². Cassirer bezieht sie auf die Anschauungsform des Raumes, mit der das Bewusstsein im Aufbau seiner Welt immer zu tun hat. Im Unterschied zum homogenen Raum der Euklidischen Geometrie und zu dem ihr entsprechenden Raum der Newtonschen Physik sei für das mythische Bewusstsein freilich jede Raumstelle mit einem spezifischen Akzent versehen. Je nachdem wie fern oder nah diese zum privilegierten Ort steht (zum Tempelbezirk, der den Nabel der Welt bzw. die Weltachse repräsentiert), lädt sie sich mit Bedeutungen auf. Rechts und links, Nord und Süd, Ost und West haben signifikante Bedeutungen, stellen Heils- oder Unheils-Orte dar.³³ „Die Heiligung beginnt damit, daß aus dem Ganzen des Raumes ein bestimmtes Gebiet herausgelöst, von anderen Gebieten unterschieden und gewissermaßen religiös umfriedet und umhegt wird. Dieser Begriff der religiösen Heiligung, die sich zugleich als räumliche Abgrenzung darstellt, hat seinen sprachlichen Niederschlag im Ausdruck des templum erhalten. Denn templum (griechisch τέμενος) geht auf die Wurzel τεμ ‚schneiden‘ zurück; bedeutet also nichts anderes als das Ausgeschnittene, Begrenzte.“³⁴

Die formende Prägnanz im Weltaufbau lässt Modifikationen zu: Zunächst (im ersten unmittelbaren Zugriff) werden solche Grenzen starr gezogen, im Zuge sich bildender Erfahrung verflüssigen sie sich allmählich. Tillich knüpft an diese Ausführungen an und bescheinigt der mythischen Phantasie, also der Imagination als einer bild- und mythenproduktiven Macht, am Raum und am Boden zu haften und sich dem Gegebenen und Gewachsenen einund anzupassen. Verwurzelung in Schichten sedimentierter Bedeutungen sei wesentlich für die mythische Einbildungskraft: „Wo der Raum bedeutungslos wird […], da stirbt die mythenbildende Phantasie.“³⁵ Diese Charakterisierung des Mythischen steht mit Tillichs Hegelinterpretation in einem systematischen Verhältnis (a), und sie zeitigt Konsequenzen für die Frage, wie Tillich den christlichen Glauben, aber auch den Sozialismus in Stellung gegen den Nationalsozialismus bringt (b). a) Die Möglichkeit einer nachaufklärerischen Volksreligion entfaltet Hegel im Kontrast zu seiner Deutung des jüdischen Volkes bzw. des Judentums. In dieser

   

Cassirer, Philosophie der symbolischen Formen. Zweiter Teil, . Vgl. a.a.O., . A.a.O., . Tillich, „Vorlesung über Hegel“, .

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erhält Abraham als Stammvater eine Bedeutung wie sie in der jüngeren Vergangenheit bei E. Lévinas in der Unterscheidung zwischen Ontologie und Ethik, zwischen Identitätsprinzip als Rückkehr zu sich (Odysseus) und Weg zum Anderen (als Abschied ohne Wiederkehr) vorkommt, freilich mit gegenläufiger Wertung.³⁶ Denn Hegel interpretiert Abraham als Ausdrucksgestalt für das Prinzip der Reflexion, der Trennung und in ihrer Folge auch der inneren Zerrissenheit. Als Abraham sein Land verließ, habe er sich nicht nur von den Seinen gelöst, sondern auch von allen polytheistischen Bindungen und chthonischen Mächten. Den exklusiven Monotheismus, dem er folge, nennt Hegel „ent-setzlich“³⁷, weil zer-setzend, und beschreibt diesen als eine Einstellung, die sich feindselig gegen die eigene Weltbindung kehre. Hegel begründet dies mit Abrahams Nomadendasein und seiner Bereitschaft, die Geliebte und ihren Sohn Ismael zu verstoßen und Isaak zu töten. Im Verhältnis zu seinen Söhnen konkretisiere sich Abrahams Unfähigkeit zu lieben. Jede Bindung ans Normale, Selbstverständliche, ans Humane und Natürliche werde geopfert, worin sich der Geist des Judentums manifestiere, von dem sich abzustoßen und Versöhnung und Liebe in die Welt zu bringen über das zukünftige Schicksal des Christentums entscheide. Es ist bemerkenswert, wie Tillich diese Tonlage der theologischen Jugendschriften Hegels aufnimmt.³⁸ Einerseits mit einer Zuspitzung auf eine Strukturanalyse der Hegelschen Philosophie insgesamt. Was ihn am Text interessiert, ist der Blick auf die Antithesis, auf das Hervortreiben und Hervortreten von Negation und Negativität.³⁹ Hegels Sinn für den zersetzenden Charakter der Reflexion sei „aus der Logisierung des religiösen Princips des Judentums“⁴⁰ entsprungen, und die spätere Logik und nicht zuletzt auch die Religionsphilosophie Hegels seien die konsequente Fortsetzung. Nur in der Negation, nur im radikalen Schnitt mit der Unmittelbarkeit und ihren Beharrungskräften finde sich der Geist und zwar in der Wende gegen die Natur bzw. gegen sich selbst. Diese Bewegung sei notwendig, wenn auch noch nicht letztgültig. Sie könne durchaus überboten, nie aber könne auf sie verzichtet werden. Dieser Strukturdeutung zur Seite stellt Tillich andererseits die These eines durch das Judentum in die Welt gebrachten antitotalitären Charakters. Dieser verdeutliche sich gleichursprünglich an Abraham: „Die Ganzheit zu zerreißen ist

 Emmanuel Lévinas, Die Spur des Anderen. Untersuchungen zur Phänomenologie und Sozialphilosophie, übers. von Wolfgang Nikolaus Krewani (Freiburg et al.: Alber, ),  f.  Georg Wilhelm Friedrich Hegel, Der Geist des Christentums und sein Schicksal ( – ), in: Werke (siehe Anm. ), Bd. ,  – , hier  ff. u. .  Die primitivsten Antijudaismen des Hegelschen Textes lässt Tillich stillschweigend aus.  Insofern spreche ich in der Überschrift dieses Abschnittes von Negativität.  Tillich, „Vorlesung über Hegel“, .

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der Urakt, auf den die Entstehung des jüdischen Geistes zurückgeführt wird.“⁴¹ Der Sinn für das Anderssein Gottes, Nomadentum und Bilderverbot erscheinen mithin als Identitätsmerkmale eines Judentums, das sich von den Kanaanitern, aber auch von den Völkern, unter die es zerstreut werden wird, wesentlich unterscheidet. Die jüdische Religion wende sich gegen den Mythos und also auch gegen den Boden, auf dem er gedeiht, indem sie auf Wanderschaft, Exil und Diaspora setzt, und sie repräsentiere so das kritische Prinzip gegenüber jeder Kultur des Heidentums. „Prophetisches Denken und Kategorie der Totalität […] stehen in einem ursprünglichen Widerspruch bis auf den heutigen Tag […] Überall da, wo von der Totalität her gedacht wird,wo von einer vorgegebenen Ganzheit das Ganze der Beziehungen gedacht wird, ist eine Opposition dagegen die jüdischprophetische Grundkategorie der Entgegensetzung.“⁴² Dem problematischen Verhältnis Hegels zum Judentum stellt Tillich also eine Auffassung entgegen, welche die Selbstbehauptung der Vernunft gegenüber den Mächten des Mythos, gegenüber dem deutsch-nationalen und nationalsozialistischen Boden, wesentlich im Judentum fundiert sieht. Darum nennt er das Judentum in subversiver Rezeption dessen, was Hans Grimm in seinem 1926 erschienenen Roman prägte: ein „Volk ohne Raum“⁴³. Die Trennung von den eigenen Wurzeln, die Wendung gegen sich selbst, sei nicht nur ein Prinzip der Vernunft, sondern eines des Judentums. Das Christentum habe dieses Prinzip erst „in schweren Kämpfen“⁴⁴ zu seiner eigenen Grundlage gemacht. Einen Platz für das Syndrom Politischer Romantik oder eine bodenlose Beschwörung des Bodens lasse dieses daher nicht. Angesichts des Antisemitismus der Gegenwart, wie er als Theologie des Tannenbergbundes auftrete, stehe das Christentum „radikal und eindeutig auf [der] Seite des Judentums“⁴⁵. Der Bruch mit den archaischen Mythen der heidnischen Welt ist also ein Beitrag des Judentums zur Aufklärung, der sich in der Abwehr des ‚Mythos des Zwanzigsten Jahrhunderts‘ fortsetzt. Um ihm zu entsprechen, müsse das Christentum das Prinzip der Negativität und Zersetzung in sich aufnehmen. Adorno, der im Semester der Hegel-Vorlesung Tillichs ein Proseminar zu Hegels Geschichtsphilosophie mit bzw. im Auftrag Tillichs hielt, dürfte diese Behauptung bzw. diesen Interpretationsvorschlag wohl kaum verpasst haben. Geht man einmal davon aus, dass es sich bei dieser Pointe um einen von Tillich in

 A.a.O., .  A.a.O., .  Paul Tillich, „Die sozialistische Entscheidung“ (), in: MW III,  – , hier . Vgl. Tillich, „Vorlesung über Hegel“,  u. Hans Grimm, Volk ohne Raum (München: Langen, ).  Tillich, „Die sozialistische Entscheidung“, .  Ebd.

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Auseinandersetzung mit Hegel entwickelten Gedanken handelt und nicht um ein Plagiat, mit dem er Anleihen bei seinem Mitarbeiter aufnimmt, so sollte das Verhältnis beider Autoren historisch doch mehr Aufmerksamkeit verdienen als die in dieser Hinsicht um akademische Standards unbekümmerte Adorno-Biographie Müller-Doohms es will. Abgesehen davon, dass sie von Tillichs Büchern nur drei Titel kennt, bei denen es sich freilich gerade nicht um Bücher, sondern um Aufsätze handelt, beschränkt sie die Analyse des intellektuellen Verhältnisses beider auf zwei Sätze: „Zu Tillich gab es für Adorno, zumindest in Frankfurt, kaum eine Alternative. Über diesen Sachverhalt machte er sich keine Illusionen.“⁴⁶ Das kann nicht alles sein, was diesbezüglich zu sagen und zu fragen wäre. Zweifelsohne schweigen auch Horkheimer und Adorno in der Dialektik der Aufklärung beredt, wenn sie darlegen, „ein überzeugendes Christentum“ finde sich nur bei den „paradoxen Christen […] von Pascal über Lessing und Kierkegaard bis Barth“⁴⁷. Sie könnten diese Behauptung von Tillich übernommen haben, der wiederholt und gerade auch in der Frankfurter Hegel-Vorlesung Karl Barth als denjenigen Theologen würdigt, der den Geist des kritischen Prophetismus in der Gegenwart vertrete. Aber was Tillich angesichts der gewählten Beispiele überzeugenden Christentums bei Adorno/Horkheimer gedacht haben mag, möchte man nicht imaginieren müssen. Gewiss: Spätere Würdigungen und posthume Bezeugungen haben Tillich durchaus ernstgenommen und seiner Bedeutung Gerechtigkeit widerfahren lassen – was Alfred Schmidt in den neunziger Jahren noch in Erinnerung hielt, der gerne über die Bedeutung berichtete, die Adorno Tillich zuschrieb.⁴⁸ Jedoch lässt sich dem Eindruck einer Marginalisierung Tillichs seitens der Kritischen Theorie und ihrer Geschichtsschreibung vermutlich dadurch am besten begegnen, dass man Themen und Sachfragen identifiziert, die den Autoren gemeinsam sind. b) Das systematische Zentrum einer die (neu‐)heidnische Raumgebundenheit des mythischen Bewusstseins hinter sich lassenden Einstellung liegt Tillich zufolge in der jüdisch-christlichen Ausrichtung an der Zeit: „[I]m Christentum triumphiert […] die Zeit über den Raum“⁴⁹. Anders als die griechische πόλις sei die

 Stefan Müller-Doohm, Adorno. Eine Biographie (Frankfurt am Main: Suhrkamp, ), .  Adorno/Horkheimer, Dialektik der Aufklärung, .  Mündlich. Das Verhältnis Horkheimers zu Tillich hat Georg Neugebauer kürzlich neu und eindrucksvoll vermessen: „Paul Tillich und die Dialektik der Aufklärung“, in: Aufgeklärte Religion und ihre Probleme. Schleiermacher – Troeltsch – Tillich, hg. von Ulrich Barth et al. (Berlin und Boston: De Gruyter, ),  – .  Tillich, „Vorlesung über Hegel“, . Von Negativität der Zeit als einem Gegenprinzip des Mythos spreche ich natürlich in Anlehnung an Michael Theunissens Negative Theologie der Zeit (Frankfurt am Main: Suhrkamp, ).

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ἐκκλησία nicht raumgebunden, sondern begründe ihr „πολίτευμα […] in den Himmeln“⁵⁰ – womit hier nicht Weltgegenden gemeint sind, die man den Engeln und den Spatzen überlassen könnte, sondern jene Transzendenz, die Distanz zum gegenwärtig Bedrängenden eröffnet und mit ihr überhaupt erst Freiheit und Praxis. Entmythologisierung hat bei Tillich folglich immer auch eine politische Spitze. Eine Unterwerfung unter die Mächte des Bodens, des Seins oder der Herkunft verfehlt die Ausrichtung an der Zukunft, verweigert den Blick für die noch unabgegoltenen Möglichkeiten und begreift darum den unbedingten Sinn der Freiheit nicht. Stattdessen begünstigt sie die regressive Sehnsucht nach verlorenen Paradiesen, ein Totalitätsbegehren und eine Bindungslust, die sich aufs Gegebene richtet und keine „Verheißung für die Zukunft“⁵¹ kennt. Für seine Überzeugung, dass in der Orientierung an der Zukunft das Eigentümliche des Judentums besteht, hätte Tillich Hermann Cohen und Franz Rosenzweig in Anspruch nehmen können – und vielleicht auch müssen. Cohen interpretiert bekanntlich die Prophetie und vor allem die Idee des Messianischen als Transformation des Zeitbewusstseins: „Die Zeit wird Zukunft und nur Zukunft“⁵², so dass eine eigentümliche Zeiterfahrung aus dem kontrafaktischen Sinn der Hoffnung entspringe. Rosenzweig wiederum sieht (im Horizont der von Nohl 1907 ausgelösten und von ihm selbst beflügelten Hegelrenaissance) das jüdische Volk darin von allen anderen Völkern unterschieden, dass es keine „Wurzeln in die Nacht der […] Erde“ treibe und also von der Beständigkeit des Bodens nichts erwarte. Das auserwählte Volk gilt Rosenzweig als Volk der Völker, weil es seinen Willen zur Ewigkeit nicht „am Boden und an seiner Herrschaft“ gewinne: Adam zwar sei – dem Leibe nach – erdentsprossen (autochthon), der Adamah verwandt; Abraham aber sei wesentlich „zugewandert“⁵³. Erdmann Sturm hat in seiner Einleitung zur Edition der Hegel-Vorlesung Tillichs auf dessen im Januar 1932 gehaltenen Vortrag „Der junge Hegel und das Schicksal Deutschlands“ aufmerksam gemacht, in dem Tillich – im Kontrast zu seinem Freund Emanuel Hirsch⁵⁴ – dem mit der Hegelrezeption m. E.verbundenen Diskurs um Deutschlands Schicksal eine antinationalistische Wendung gibt:

 Tillich, „Vorlesung über Hegel“, .  A.a.O., .  Cohen, Religion der Vernunft, .  Franz Rosenzweig, Der Stern der Erlösung (Frankfurt am Main: Kaufmann, ),  f.  Vgl. Emanuel Hirsch, Deutschlands Schicksal. Staat, Volk und Menschheit im Lichte einer ethischen Geschichtsansicht (Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, ) sowie Andreas Holzbauer, Nation und Identität. Die politischen Theologien von Emanuel Hirsch, Friedrich Gogarten und Werner Elert aus postmoderner Perspektive (Tübingen: Mohr Siebeck,  / Dogmatik in der Moderne, Bd. ),  ff.

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„Vielleicht ist so viel Feindschaft unter uns gegen das Jüdische, weil wir es als eigenes ahnen und fürchten.“⁵⁵ Wer von Hegel gelernt habe, dass der Bruch der Unmittelbarkeit der Beginn der Freiheit ist, werde „in Einheit mit der prophetischen und christlichen Tradition vor den Götzen des Raumes nicht niederknien“ und „die wachsende Dämonie des Nationalismus in sich […] brechen“⁵⁶. Tillichs Rede vom gebrochenen Mythos gründet – das Zitat zeigt es – in einer Rezeption des Bilderverbotes (Kritik der Götzenverehrung), die dezidiert herrschaftskritisch und darum von Haus aus politisch ist. Tillich verwendet übrigens die Bruchmetapher anders als Hirsch.⁵⁷ Den Zusammenhang zwischen einer kritischen Theorie der Gesellschaft und einem aufgeklärten Judentum entfaltet Tillich im Jahr 1932 in Vortrag und in Vorlesung.

3 Ursprungsmythen Diese politische Dimension bestätigt auch die Rolle, die Mythosbegriff und -theorie in Tillichs Buch Die sozialistische Entscheidung von 1933 spielen, wird es doch in ihm zur wesentlichen Charakterisierung des Mythos, Ursprungsmythos zu sein, und d. h. an Ursprungsmächte zurückzubinden.⁵⁸ Aufgrund dieser Eigenart präge das Mythische die romantischen und konservativen Kräfte; wo dessen Macht gebrochen wird, sei dagegen für Liberalismus, Demokratie und Sozialismus Platz. Allerdings folge daraus weder, dass die politische Linke prinzipiell mythenfrei noch dass jede Orientierung an der Ursprungsfrage von Haus aus mythisch sei. An dieser Stelle zeigt sich eine Differenz zwischen Tillich und Adorno. Letzterer bekundet nämlich in seinen „Erinnerungen an Paul Tillich“ sein Unverständnis darüber, dass Tillich die Heideggerschen und nationalsozialistischen Ursprungstheoreme „nicht etwa radikal abgelehnt, sondern von Ursprungsmächten geredet“ habe, „als ob es so etwas wirklich gäbe.Wir sind gerade darüber heftig aneinander geraten, daß er in diesen Dingen das Ideologische nicht entfernt so heftig ablehnte, wie ich es gewünscht hätte.“⁵⁹ Adorno vermisst bei

 Paul Tillich, „Der junge Hegel und das Schicksal Deutschlands“ (), in: GW XII,  – , hier ; vgl. Erdmann Sturm, „Historische Einleitung“, in: EW VIII,  – , hier .  Tillich, „Der junge Hegel“, .  Auch Hirsch spricht häufig von Bruch, meint aber: Brechung des Willens durch Gehorsam gegenüber Gott; vgl. Holzbauer, Nation und Identität, , , ,  f.  Tillich, „Die sozialistische Entscheidung“, .  Max Horkheimer und Theodor W. Adorno, „Erinnerungen an Paul Tillich“, in: Werk und Wirken Paul Tillichs. Ein Gedenkbuch. Mit der letzten Rede von Paul Tillich und Beiträgen von Theodor W. Adorno […] (Stuttgart: Evangelisches Verlagswerk, ),  – , hier  f.

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Tillich die direkte Anprangerung der Unwahrheit, die von Abscheu bestimmte Ideologiemarkierung, die im Denken Heideggers nichts anderes als Verblendung am Werk sieht. Tillich kämpfe zwar auch energisch gegen das falsche Bewusstsein, aber aus anderen Motiven und mit anders strukturierten Gründen. Tillich lehne die Ursprungsmythen „wie eine Seinsweise des Seins, wie eine Möglichkeit“⁶⁰ ab, gegen die er sich faktisch entschieden hatte, aber eben nicht als eine a priori unmögliche Möglichkeit. Aufgrund des oben Dargelegten kann kein Zweifel bestehen, dass Adorno mit dieser Beobachtung recht hat. In den Eingangsüberlegungen von Die sozialistische Entscheidung legt Tillich auch explizit seine methodische Überzeugung dar, noch das falsche Bewusstsein partizipiere an der Wirklichkeit. Die schöpfungstheologisch einschlägige Überzeugung, dass der Mensch sich selbst und seine Welt vorfindet, dass er seine Freiheit nicht schlechterdings konstituiert, sondern abkünftig von seinem Ursprung als verdankte Freiheit erfährt, entfaltet Tillich sogar in expliziter Anknüpfung an Heideggers Kategorie der Geworfenheit.⁶¹ Entwurfcharakter und Möglichkeitssinn des Daseins könnten je nur im Ausgang von Faktizität, als geworfener Entwurf, realisiert werden. Die Frage nach dem Woher? befeuere zwar die mythische Imagination, sei aber selbst ein sachgemäßer Ausdruck der Frage des Menschen nach sich selbst. Kriterium jeder angemessenen Beschreibung der menschlichen Existenz ist für Tillich, dass die „Spannung zwischen Gesetztsein und Eigensein“⁶² erfasst wird. Adorno dagegen fordert eine kompromisslose Verabschiedung der Rede von der Geworfenheit wie er auch alles abzustreifen verlangt, worin sich ein positives Verhältnis zur Wirklichkeit oder eine Hinnahme des Bestehenden verbergen könnte. Adornos Figuren der Negativität nähren einen geradezu ursprungsmythischen Verdacht gegenüber jedem Ursprungsgedanken. Was er schöpfungstheologisch denkt, sucht Tillich anthropologisch zu begründen und zwar (wie mir scheint) in Anlehnung an (oder zumindest in faktischer Übereinstimmung mit) Plessner, nennt Tillich doch den Menschen „ein in sich gedoppeltes Wesen.“⁶³ Der  A.a.O., .  Vgl. Tillich, „Die sozialistische Entscheidung“, .  Ebd.  A.a.O., . Bei Plessner spezifiziert sich der die Dinge kennzeichnende „Doppelaspekt“ von Innen und Außen zum Gegeneinander von Abgehobenheit und Beziehung des Lebendigen und schließlich zum Doppelaspekt von Seele und Erlebnis: „Für das Tier ist der Satz richtig, dass es in Selbststellung ganz es selber ist […] Für den Menschen gilt dagegen das Gesetz der Exzentrizität, wonach […] der Mensch außerhalb seiner selbst [steht]“ (Helmuth Plessner, Die Stufen des Organischen und der Mensch. Einleitung in die philosophische Anthropologie (), in: Gesammelte Schriften, hg. von Günter Dux et al., Bd.  (Frankfurt am Main: Suhrkamp, ), ; vgl.  – ).Vgl. zu Plessner Ralf Meyer-Hansen, Apostaten der Natur. Die Differenzanthropologie Helmuth

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Mensch steht nicht in Identität, sondern in Differenz zu sich: als selbstbewusstes Sein ist er, was er ist, indem er darum weiß, in solchem Sein nicht aufzugehen und also aus der Massivität des Ansichseins vertrieben und auch noch anders zu sein. Dieser anthropologischen Struktur der Entzweiung müssen politische Ordnungen entsprechen, wenn sie die Ambivalenzen humanen Selbsterlebens und die Zweideutigkeiten menschlicher Angelegenheiten nicht unter die Botmäßigkeit einer Identitätsforderung bringen wollen. Das gilt vor allem auch dort, wo Ordnungen ihren Ursprungsbezug religiös, regional oder national entfalten. Werde dies missachtet, resultiere eine „Rückwendung zu den Ursprungsmächten“, zum „Boden“, zur „Blutsmythologie im Antisemitismus“⁶⁴, aber auch zu einem Kultus der sozialen Gruppe, dessen Kulminationspunkt in der weitverbreiteten „ursprungsmythische[n] Staatsidee“⁶⁵ liege. Wie die Dialektik der Aufklärung erkennt Tillich die Rückkehr des Mythos und wie Cassirer begreift er den Mythus vom Staat ⁶⁶ als Epizentrum von Erschütterungen der gesamten Kulturlandschaft. Anders als Cassirer nimmt Tillich jedoch die spezifische Kombination von technischer Form und mythischem Bewusstsein nicht in den Blick, und anders als Horkheimer und Adorno rechnet er nicht mit einem notwendigen Umschlag der Moderne. Es gibt also durchaus Unterschiede in Sichtweise und Tiefenschärfe dieser Autoren und ihrer Mythosdeutungen.Was die Frankfurter Verhältnisse angeht, wird man aber sagen dürfen, dass Tillich Perspektiven prägt und Themen setzt, die hernach variiert werden. In systematischer Perspektive erscheint mir Tillichs Strategie bemerkenswert, Reflexivität und Ambiguität in einer Phänomenologie des Bewusstseins zu kombinieren bzw. aufeinander zu beziehen. Tillich zufolge werden der Rekurs auf Herkunft, Ursprung oder Bindung bzw. die Wirklichkeitsrhetorik insgesamt immer dann ideologisch, wenn sie, die Zweideutigkeit des Humanen verkennend, versäumen, das Verhältnis zum Gegebenen durch Verantwortung für das Neue zu ergänzen und gegebenenfalls zu korrigieren. Die Wahrheit liegt nicht in dem, was schon wirklich ist, sondern in der Forderung, der sich der Mensch unbedingt ausgesetzt sieht. Folglich ist Religion als Sinn fürs Unbedingte Schärfung von Ambiguitätsbewusstsein und als solche die konsequente Brechung der mythischen Mächte. Die Rede vom Unbedingten befördert also nicht die Bindung an gegebene Ordnungen, sondern im Gegenteil Bewusstsein für deren Bedingtheit.

Plessners als Herausforderung für die theologische Rede vom Menschen (Tübingen: Mohr Siebeck,  / Religion in Philosophy and Theology, Bd. ),  u.  f.  Tillich, „Die sozialistische Entscheidung“, .  A.a.O., .  Vgl. Ernst Cassirer, Vom Mythus des Staates (Hamburg: Meiner,  []).

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Es dürfte nicht unerheblich sein, dass diese Pointe nicht mitvollziehen kann, wer auf dem Standpunkt eines prinzipiell unglücklichen Bewusstseins verharrt. Dieses lässt nur ‚Reflexionen aus dem beschädigten Leben‘⁶⁷, nur eine via negationis zu. So konsequent es ist, dass Adorno und Horkheimer Tillich an dieser Weichenstellung ein elementares Misstrauen entgegenbringen, so offensichtlich ermöglicht die weniger spektakuläre Selbstpositionierung eine überlegenere (reflektiertere) Perspektive.

4 Realität und Symbol Abschließend sei noch eine weitere Dimension in den Blick genommen: die imaginative Entfaltung des Mythos. Das Bewusstsein kann den notwendigen, für es unhintergehbaren Bezug aufs Ursprüngliche nur manifestieren, indem es eine Reihe von Gestalten, eine Folge von Bestimmungen, hervorbringt. Der Ursprung will sozusagen ‚angeschaut‘ werden. Für Tillichs Religionsphilosophie von 1925 ist dies einer der Gründe, warum sie den Mythos der theoretischen Einstellung zuordnet: dieser wolle etwas (näherhin: den Gehalt des Unbedingten) „anschaulich“ erfassen und zwar „ästhetisch“ und „logisch“ zugleich.⁶⁸ Auch die Marburger Dogmatik aus demselben Jahr verbindet in ihrem Dogmatikbegriff die Anschaulichkeit des Mythos mit der Begrifflichkeit der Metaphysik.⁶⁹ Wahres und Wirkliches werden im Mythos zum Ausdruck gebracht und zwar in sinnlicher, ästhetischer Form. An Cassirers Definition symbolischer Prägnanz erinnernd, spricht Tillichs Hegel-Vorlesung darum von Sinnhaftem in Sinnlichem. ⁷⁰ Freilich ist die systematische Inanspruchnahme des Ästhetischen als einer Macht der Darstellung von Ideen seit Kants Kritik der Urteilskraft⁷¹ im deutschen Idealismus so zentral, dass man in letzterer die gemeinsame Quelle für Tillich und Cassirer erkennen muss. Das sogenannte „Älteste Systemprogramm des deutschen Idealismus“ wird erst 1917 von Rosenzweig publiziert. Dass es direkter Auslöser des bei Tillich auch später selten fehlenden Hinweises auf die poetische Dimension des Mythos ist, wird man bestenfalls mutmaßen können, zumal sich

 Vgl. Theodor W. Adorno, Minima Moralia. Reflexionen aus dem beschädigten Leben (), in: Theodor W. Adorno, Gesammelte Schriften, Bd. , hg. von Rolf Tiedemann (Frankfurt am Main: Suhrkamp, ).  Paul Tillich, „Religionsphilosophie“ (), in: MW IV,  – , hier .  Vgl. Paul Tillich, „Dogmatik-Vorlesung“ (Dresden  – ), in: EW XIV, .  Vgl. Tillich, „Vorlesung über Hegel“.  Vgl. Immanuel Kant, Kritik der Urteilskraft (), in: Kants gesammelte Schriften (siehe Anm. ), Bd.  (Berlin: Reimer, /), Anm.  zu §  und §  (A  ff. u. A  ff.).

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Michael Moxter

dieser aus der Schellingrezeption Tillichs ohnehin ergibt. Die Ausrichtung auf Anschauung entfaltet die Wirklichkeit des mythischen Bewusstseins als Gang durch eine Mannigfaltigkeit von Ursprungsmächten. Der Ursprung zeigt seine Kraft (wenn man so reden darf) in der Serie der Götter und Dämonen, die über das Bewusstsein Herrschaft gewinnen. Schellings Philosophie des Mythos ist in dem Sinne des Wortes ‚realistisch‘, dass sie von der realen Macht zu handeln beansprucht, die über ein Bewusstsein hereinbricht, das noch nicht ahnt, dass es seine Gestalten selbst hervorbringt. Schelling zufolge bedarf es der Geschichte, genauer: der Erfahrung der Lösung von einem Gott, also des Übergangs von einem Gott zu einem anderen, von einem Gegenstand des Bewusstseins zu einem neuen, um ein Gottesbewusstsein zu bilden. Erst im Durchgang durch den Polytheismus wird darum auch der wahre Monotheismus möglich. Schellings berühmt-berüchtigter Urmonotheismus ist im Grunde ein Platzhalter für die methodische Entscheidung, bei einer Abstraktion anzufangen, um eine Kontrastfolie für die Beschreibung der Eigenart des sukzessiven Polytheismus zu gewinnen. Nicht das gleichzeitige Nebeneinander mehrerer Götter macht den Polytheismus aus, sondern der Prozess ihrer wechselseitigen Ablösung. Die Macht des Einen muss durch die Macht eines Anderen wirklich beendet, die Erfahrung des Endes kontinuiert werden, damit das Bewusstsein zu sich selbst finden kann. Unerschüttert bliebe der Gottesglaube Aberglauben. Vor diesem Hintergrund scheint mir Tillichs, den Mythosartikel der RGG einleitender, Satz: „Mythos ist Göttergeschichte. Das ist die Wortdefinition, die nicht verlassen werden darf“⁷² nicht unmittelbar auf Narrativität des Mythos, auf den Zusammenhang zum Epos und zur griechischen Dichtung, bezogen zu sein, sondern auf Theogonie hinaus zu wollen. Nur wenn das Bewusstsein die Erfahrung macht, dass derjenige Inhalt, der ihm der letzte und alles beherrschende war, dennoch seine Macht verliert und durch einen anderen abgelöst werden kann, entdeckt es seine eigene Wahrheit. Realistisch ist eine solche Mythentheorie, weil sie die Götter nicht als bloße Erfindungen, Idealisierungen und Projektionen abtut, sondern an der Dialektik von Setzung und Negation das reale procedere des Selbstbewusstseins erfasst. Symbolisch kann sie dagegen heißen, weil sie die mythischen Mächte aus der Erfahrung mit den Symbolen herleitet, die keine bloßen Zeichen sind, die ein Subjekt willkürlich setzen oder nach Belieben aus dem Verkehr ziehen könnte.⁷³ Dass das interpretierende Bewusstsein keine Macht über seine Symbole hat, sondern dass ihm selbst etwas widerfährt, wenn sich Symbole entleeren oder

 Tillich, „Mythus und Mythologie“, .  Paul Tillich, „Das religiöse Symbol“ (), in: MW IV,  – .

Symbolischer Realismus

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absterben, ist eine Schelling verdankte Pointe der Religionsphilosophie und Theologie Tillichs. Das Bewusstsein ist nicht Herr im eigenen Haus, sondern auf Symbole angewiesen, über die es keine Deutungshoheit besitzt, die es aber kritisch gebrauchen und in diesem Sinne aneignen kann. Misslingt dies, so gerät es unter die Räder mythischer Gewalten und beschwört religiös wie politisch Gewalt und Tod herauf. Partizipiert es aber am Prozess der Ablösung prima vista fester Formen durch neue, so erkennt es gerade an der Negation des Bestehenden, an der Abgründigkeit, die sich unter dem routiniert in Anspruch genommenen Boden eröffnet, eine Manifestation des göttlichen Geistes. Solch symbolischer Realismus gerät zu einem naiven Realismus, wenn der Schritt vom Sinn zum Sein im Rahmen einer Ontologie vollzogen wird, welcher für diese Negativität symbolischer bzw. sinntheoretischer Vermittlung blind bleibt. Gegen einen solchen Ausgang hilft nicht das bemühte Dementi des Problems, sondern allein die Arbeit der Rezeption. Thomas Mann notiert am 5. August 1934 in sein Tagebuch, es markiere den größten Sinn der Juden für die Wahrheit, dass ihr Hirn „unverkleistert vom Mythus“ sei, während sich am zeitgenössischen deutschen Gemüt „ein wahres Sich sielen […] in der mythischen Jauche“ zeige. Allerdings sei der traditionelle Versuch vergeblich, den reinen Logos gegen den Mythos in Stellung bringen zu wollen. Vielmehr müsse man, heißt es in einem Brief vom September 1941, „dem intellektuellen Faszismus den Mythos wegnehmen und ihn ins Humane umfunktionieren. Ich tue längst nichts anderes mehr.“⁷⁴ Solche Arbeit am Mythos kennt auch die kritische Theologie Tillichs. Weil sie mit der Wiederkehr des Mythos rechnet und das jüdische Bilderverbot und die kritische Orientierung am Möglichen als Kräfte begreift, die eine totalisierende Ganzheit des Politischen wirksam durchbrechen können, vereinigt sie Theoriemotive in sich, die zu solchen der Frankfurter Schule erst noch werden sollten.

 Brief Thomas Manns an Karl Kerényi vom . . ; zit. nach Blumenberg, Arbeit am Mythos, .

Werner Schüßler

Der Mensch und die Philosophie Zur existenzphilosophischen und anthropologischen Wende Paul Tillichs in seiner Frankfurter Zeit „Hier verläßt uns der Philosoph: er ist ein Feind aller Schicksalsschläge. […] Erst dann fangen wir zu leben an, wenn wir am Ende der Philosophie angelangt sind.“ ¹ Cioran, Lehre vom Zerfall „Die Schlange, welche sich nicht häuten kann, geht zugrunde. Ebenso die Geister, welche man verhindert, ihre Meinungen zu wechseln; sie hören auf, Geist zu sein.“ ² Friedrich Nietzsche, Morgenröte

Anlässlich der Berufung Paul Tillichs auf ein Ordinariat für Philosophie und Soziologie, einschließlich Sozialpädagogik, an die noch recht junge Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main im Jahre 1929 hat der FichteKenner Fritz Medicus (1876 – 1956), als Privatdozent Tillichs philosophischer Lehrer in Halle, inzwischen war er als Ordinarius in Zürich tätig,³ gemeint, „daß Tillich der ‚kommende Mann‘ in der Philosophie sei“ und dass diese Neubesetzung „für die Zukunft der Philosophie […] eine Verheißung“⁴ bedeute. Die geschichtliche Entwicklung – so wissen wir alle – hat diese Prophezeiung zunichte gemacht, denn nur vier Jahre später, am 13. April 1933, wurde Tillich infolge inkriminierter Äußerungen in seiner programmatischen Schrift Die sozialistische Entscheidung ⁵ sowie wegen seines Eintretens als Dekan der Philosophischen Fakultät für die Belange jüdischer Kommilitonen vom Amt suspendiert und ist – nicht zuletzt auch auf Anraten des Kollegen Max Horkheimers hin⁶ – Ende Oktober 1933 in die USA emigriert.⁷

 Émile Michel Cioran, „Lehre vom Zerfall“, in: Ders., Werke (Frankfurt a.M.: Suhrkamp, ),  – , hier .  Friedrich Nietzsche, Morgenröte. Gedanken über die moralischen Vorurteile, in: Ders., Werke in drei Bänden, hg. von Karl Schlechta (Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft, ), Bd. ,  (= . Buch, Nr. ).  Vgl. GW XII, .  GW XIII, . Urspr. erschienen unter dem Titel „Paul Tillich“, in: Neue Zürcher Zeitung, . März , Abendausgabe, Blatt , Nr.  (vgl. Corrigenda in GW XIV, ).  Vgl. GW II,  – .  Vgl. GW XIII, ; EW V, .

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Werner Schüßler

Hier hat Tillich zu Anfang nicht gerade eine steile Karriere gemacht. Einige Jahre nur als Lecturer für Philosophie an der Columbia University in New York (1933 – 1934) und für Theologie an dem gegenüberliegenden Union Theological Seminar (1933 – 1937) tätig, wurde er erst 1937 Associate Professor für Philosophical Theology am Union und drei Jahre später dort auch Full Professor.⁸ Damit war natürlich verbunden, dass er sich wieder in besonderer Weise der Theologie zuwandte und an seinen schon sehr früh gehegten Wunsch, „die Welt durch ein System des Denkens zu erobern“⁹, anknüpfte, was schließlich durch seine dreibändige Systematic Theology (1951, 1957, 1963) verwirklicht wurde. In seinen Jahren am Union bis zu seiner Emeritierung im Jahre 1955 und danach als University Professor an der Harvard University (1955 – 1962), bevor er die letzten drei Jahre seines Lebens noch an der Divinity School der University of Chicago lehrte, entwickelte er sich allmählich zu einem der profiliertesten Theologen der USA, der es mit seiner Schrift The Courage to Be (1952)¹⁰ auf die Bestsellerlisten schaffte und dessen Konterfei sogar das TIME-Magazin zierte.¹¹ In den USA ist Tillich vornehmlich bekannt geworden durch sein schon genanntes opus magnum, die dreibändige Systematic Theology, sowie durch einige kleinere Schriften wie Love, Power, and Justice (1954),¹² Biblical Religion and the Search for Ultimate Reality (1955),¹³ Dynamics of Faith (1957)¹⁴ und die schon erwähnte Schrift The Courage to Be. ¹⁵ Von daher ist es verständlich, wenn der späte Tillich in den USA vornehmlich als ein Theologe wahrgenommen wird, der der ontologischen Frage entscheidenden Raum gibt in seinem Denken, was auch schon an den Überschriften der fünf Teile der Systematic Theology deutlich wird: Vernunft und Offenbarung, Sein und Gott, Die Existenz und der Christus, Das

 Vgl. Werk und Wirken Paul Tillichs. Ein Gedenkbuch. Mit der letzten Rede von Paul Tillich und Beiträgen von Theodor W. Adorno […] (Stuttgart: Evangelisches Verlagswerk, ),  f.  Vgl. Renate Albrecht und Werner Schüßler, Paul Tillich – Sein Leben (Frankfurt am Main: Lang, ), .  Paul Tillich, „Der Absolutheitsanspruch des Christentums und die Weltreligionen: [Vortrag] Tübingen “, in: Paul Tillich, hg. von Jean-Marc Aveline (Marseille: Chemins de Dialogue, ),  – , hier ; vgl. Paul Tillich – Sein Werk, hg. von Renate Albrecht und Werner Schüßler (Düsseldorf: Patmos, ),  f.  Vgl. MW V,  –  / GW XI,  – .  TIME. The Weekly Newsmagazine, Bd. LXXIII, Nr. , . . .  Vgl. MW III,  –  / GW XI,  – .  Vgl. MW IV,  –  / GW V,  – .  Vgl. MW V,  –  / GW VIII,  – .  Siehe oben Anm. .

Der Mensch und die Philosophie

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Leben und der Geist, Die Geschichte und das Reich Gottes. Einer philosophischen Frage korreliert hier jeweils eine theologische Antwort.¹⁶ Demgegenüber bietet der deutsche Tillich ein ganz anderes Bild. Vom deutschen Idealismus herkommend – erste Arbeiten sind Fichte gewidmet¹⁷ –, ist er in seinen Anfängen einem transzendentalphilosophischen bzw. subjekttheoretischen Ansatz verpflichtet, wobei es allerdings nicht einfach ist, diesen historisch näher festzumachen; aber das geht einem mit nicht wenigen Konzepten Tillichs so. Dieser frühe Ansatz wird dann zu Beginn der zwanziger Jahre um eine sinntheoretische Perspektive ergänzt bzw. erweitert.¹⁸ Von daher erstaunt es nicht, wenn es innerhalb der deutschen Tillich-Forschung Tendenzen gibt, die auch den späten, amerikanischen Tillich von diesem frühen Ansatz her zu rekonstruieren versuchen. Und es wird auch verständlich, wenn die englisch- und zum Teil auch die französischsprachige Tillich-Forschung sich in der Regel auf den späten Tillich beziehen und den transzendentalphilosophischen bzw. sinntheoretischen Ansatz kaum zur Kenntnis nehmen. Was hat diese „Wende“ Tillichs veranlasst, eine Wende, die von manchen Vertretern des transzendentalphilosophischen Ansatzes nicht selten etwas heruntergespielt wird? Zuweilen wird auf die Begegnung mit dem amerikanischen Pragmatismus und damit verbunden auf die anders geartete philosophische Tradition im anglo-amerikanischen Bereich verwiesen; aber das wäre nur ein recht äußerlicher Grund. In Tillichs Denken liegen zwar keine grundsätzlichen Brüche vor, aber es finden sich doch Akzentverschiebungen bzw. neue Akzentuierungen. James Luther Adams hat mir gegenüber einmal geäußert, dass Tillich ein regelrecht assimilatives Talent besaß. „Wenn Tillich am Abend im Faculty Club war und man sich am Nebentisch über Whitehead unterhalten hätte“, so Adams, „dann wäre er in der Lage gewesen, am nächsten Tag einen Aufsatz über Whitehead zu schreiben.“ Diese Anekdote scheint zwar etwas überpointiert zu sein, sagt aber doch Entscheidendes über ihn aus. Er hat alles,was um ihn herum passierte, aufgenommen und verarbeitet,was den Tillich-Schüler und -Assistenten Theodor W. Adorno wohl auch dazu veranlasste, von Tillichs „fast grenzenloser Impressionabilität“ zu sprechen – er sei quasi „ein wandelndes System von Antennen“¹⁹ gewesen. Al-

 Vgl. ST I – III.  Vgl. EW IX,  –  (Seminararbeit zum Thema „Fichtes Religionsphilosophie in ihrem Verhältnis zum Johannesevangelium“ [Halle, ]); EW X,  –  (Breslauer Promotionsvortrag über „Die Freiheit als philosophisches Prinzip bei Fichte“); dazu: „Einleitung der Herausgeber“, in: Paul Tillich, Ausgewählte Texte, hg. von Christian Danz, Werner Schüßler und Erdmann Sturm (Berlin und New York: De Gruyter, ),  – , hier .  Vgl. „Einleitung der Herausgeber“, .  Interview mit Theodor W. Adorno, in: Werk und Wirken Paul Tillichs, .

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Werner Schüßler

lerdings war er weniger an einer exakten Interpretation interessiert, sondern er hat sich alles Neue – um ein Wort von Karl Jaspers aufzugreifen – „angeeignet“. Von daher haben wir Theologie- und Philosophiehistoriker natürlich unsere Probleme damit, Tillichs Position entsprechend einzuordnen. Um an das oben schon angesprochene Problem anzuknüpfen: Welche Form von Transzendentalphilosophie vertritt denn Tillich eigentlich? Eine Kantische, eine Fichtesche, eine neukantianische oder gar eine Husserlsche? Man wird in Tillichs Texten für alles Belege finden, und doch wird man ihm damit wohl kaum gerecht werden können. Denn es geht ihm immer um das Weiterdenken und den ganz eigenen Ansatz, nie um eine saubere historische Einordnung oder Interpretation. Haben die anderen Großen der Geistesgeschichte es denn anders gemacht? Zu Recht spricht man in diesem Zusammenhang von „produktiven Missverständnissen“, wobei wir nicht vergessen dürfen, dass diese es letztlich sind, die das Denken wirklich weiterbringen. In diesem Beitrag möchte ich Tillichs Frankfurter Zeit näher beleuchten und zeigen, dass diese den „missing link“ darstellt zwischen dem frühen und dem späten Tillich, war es doch in diesen Jahren das Aufkommen der sog. Existenzphilosophie und der Philosophischen Anthropologie, das Tillich nicht verborgen bleiben konnte. 1927 erscheint Heideggers Sein und Zeit, 1928 Schelers Stellung des Menschen im Kosmos und Plessners Stufen des Organischen und der Mensch, und 1932 kommt Jaspers’ dreibändige Philosophie ²⁰ heraus. Dass diese wichtigen Werke auf Tillich keinen Einfluss haben sollten, ist kaum vorstellbar. Die verdienstvolle Herausgabe postumer Vorlesungen und Texte Tillichs aus dieser Zeit durch Erdmann Sturm in den letzten Jahren macht dies auch mehr als deutlich und unterstreicht auch dessen Bedeutung als eigenständiger und origineller Philosoph, was bisher kaum wahrgenommen wurde. Doch bevor ich mich der inhaltlichen Seite zuwenden möchte, ist noch ein Blick auf die Umstände der Berufung Tillichs nach Frankfurt zu werfen.

1 Tillich und Frankfurt – keine Liebe auf den ersten Blick Es kann nicht deutlich genug gesagt werden: Tillich und Frankfurt – das war, von beiden Seiten aus gesehen, keine Liebe auf den ersten Blick. Und doch wurde Frankfurt für Tillich, und ich wage auch die Behauptung: ebenso Tillich für Frankfurt, zum Kairos. Denn wäre seine Biographie nach den eigenen Wünschen  Karl Jaspers, Philosophie, Bd.  –  (Bd. , Philosophische Weltorientierung; Bd. , Existenzerhellung; Bd. , Metaphysik) (Berlin: J. Springer,  []).

Der Mensch und die Philosophie

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verlaufen, das heißt, wäre er auf eine theologische Professur in Berlin berufen worden, so hätte sich Tillich wohl nicht in dem Maße der Philosophie zugewandt, wie er das in Frankfurt getan hat. Und auf der anderen Seite hätte wohl der Frankfurter Privatdozent Max Horkheimer ohne die Unterstützung von Tillich dort kaum einen Lehrstuhl erhalten;²¹ und wer weiß, wo sich Theodor W. Adorno habilitiert hätte. Dass Tillich in Frankfurt schon bald die Hörsäle füllen sollte, hätte wohl auch zu Anfang niemand geahnt.²² Auch Tillichs Karriere in Deutschland kann man nicht gerade als steil bezeichnen. Während des Krieges in Halle habilitiert, wobei die Habilitation auf viel Kritik stieß,²³ erfolgte im Januar 1919 die Umhabilitierung Tillichs an die Berliner Theologische Fakultät. Ab dem Wintersemester 1921 hatte er dort einen Lehrauftrag für „Geschichte der Religionsphilosophie“²⁴. Die Hoffnung auf ein dortiges „ausserétatmässiges Extraordinariat für Religionsphilosophie und Kulturethik“²⁵ – nachdem sich die Möglichkeit einer Umhabilitierung an die Marburger Fakultät eröffnete, verbunden mit einem vergüteten Lehrauftrag und dem Titel eines nichtbeamteten außerordentlichen Professors –, ließ sich nicht durchsetzen.²⁶ Anfang Mai 1924 nahm also Tillich an der Marburger Universität seine Arbeit auf, die seinerzeit von den Kollegen her sicherlich ihren Reiz hatte, lehrten doch dort u. a. Martin Heidegger,²⁷ Rudolf Otto und Rudolf Bultmann. Aber seine akademische Position, einem heutigen außerplanmäßigen Professor mit dotiertem Lehrauftrag vergleichbar, konnte ihn natürlich nicht befriedigen. Auf den Tag genau wurde Tillich nur ein Jahr später zum ordentlichen Professor für Religionswissenschaft an der „Allgemeinen Abteilung“ der Sächsischen Technischen Hochschule Dresden ernannt, die 1926 in „Kulturwissenschaftliche Abteilung“²⁸ umbenannt wurde. Damit fand zwar die unsichere wirtschaftliche Lage ein Ende, aber auch diese Position war für Tillich wenig attraktiv, handelte es sich bei dieser Professur doch nicht um Religionswissenschaft im profilierten

 Vgl. GW XIII, .  Vgl. EW XVIII, S. xlii.  Vgl. Albrecht / Schüßler (Hg.), Paul Tillich – Sein Werk,  f.  Erdmann Sturm, „Einleitung: Paul Tillich und die Seebergs“, in: Ders. (Hg.), „‚Vielleicht kommen wir nun doch zu einer gemeinsamen Arbeit in Berlin.‘ Paul Tillichs Briefe an Reinhold und Erich Seeberg ( – )“, in: Theology and Natural Science, hg. von Christian Danz et al. (Berlin und Boston: De Gruyter,  / International Yearbook for Tillich Research, Bd. ),  – , hier  – , Zitat .  Brief Tillichs an Reinhold Seeberg vom . . , in: A.a.O., .  Vgl. a.a.O., .  In dieser Zeit war der Einfluss Martin Heideggers auf Tillich wohl noch sehr gering und er lief mehr über die Studierenden (vgl. GW XII, ).  EW XV, S. xxiv (Anm. ).

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Werner Schüßler

Sinne, sondern es ging darum, in das Christentum einzuführen. Tillichs Vorlesungen, die sich mit systematischen, historischen und auch biblischen Themen beschäftigten,²⁹ richteten sich an Hörer aller Fakultäten; nur einige wenige kamen in seine Vorlesungen, weil sie Religion als Wahlfach für das Volksschullehrerexamen belegt hatten.³⁰ Zudem war Tillich hier der einzige Fachvertreter; das Fach „Theologie“ gab es an dieser Hochschule nicht. Tillichs tiefster Wunsch war es, als Professor an die Berliner Theologische Fakultät zurückzukehren, was seine Briefe an Erich Seeberg aus dem Jahre 1928 deutlich machen.³¹ Hierbei ging es um die Nachfolge von dessen Vater, Reinhold Seeberg, und Tillich machte sich große Hoffnungen auf diese Stelle. So heißt es in einem Brief vom 21. Juni 1928: „Die unerwartete Aussicht, an dem Ort meiner physischen, geistigen und seelischen Heimat in den entscheidenden produktiven Jahren meines Lebens wirken zu können, bedeutet ausserordentlich viel für mich.“³² Allerdings war die Berufungslage sehr kompliziert. Zwar war auch Tillich im Gespräch, aber „der Plan des Ministers [Becker], Tillich als Nachfolger von Reinhold Seeberg an die Berliner Theologische Fakultät zu bringen, scheiterte […] am Widerstand des Evangelischen Oberkirchrats“³³. Man hegte Bedenken in Bezug auf seine Kirchlichkeit; schließlich wurde Wilhelm Lütgert berufen.³⁴ Tillich „zog daraus den Schluss, dass für ihn eine Theologische Fakultät, jedenfalls in Alt-Preußen, nicht mehr in Frage komme und dass er sich in Zukunft ‚einseitig […] zwar nicht innerlich, wohl aber der Arbeitsrichtung nach‘ der Philosophie zuwenden müsse.“³⁵ In einem Brief an Erich Seeberg vom 6. Dezember 1928 bekennt er ganz offen, „dass nur noch ein Übergang in die Philosophische Fakultät übrig bleibt, wenn […] [er] Dresden überhaupt verlassen will“. Und er fügt hinzu: „Dass mein ‚Daimonion‘ unbedingt für die Theologie steht, wissen Sie ja. Ich würde mit demselben Bruch wie Tröltsch [sic!] zur Philosophie übergehen. Aber ich würde es tun, wenn es keinen andern Weg gäbe, in eine mir angemessenere Stellung zu kommen.“³⁶ Ganz in diesem Sinne war auch Minister Becker darum bemüht, für ihn – wie es in einem Brief heißt – „in den nächsten Zeiten […]

 Vgl. GW XIV,  f.  Vgl. EW XV, S. xxiv.  Vgl. Sturm, „Vielleicht kommen wir nun doch zu einer gemeinsamen Arbeit in Berlin“,  – .  Brief Tillichs an Erich Seeberg vom . . , in: A.a.O., .  Sturm, „Einleitung“, in: A.a.O., . Vgl. Brief Tillichs an Erich Seeberg vom . . , in: Ebd., .  Vgl. Sturm, „Einleitung“, in: A.a.O., .  A.a.O., . Vgl. Brief Tillichs an Erich Seeberg vom . . , in: A.a.O., .  A.a.O., .

Der Mensch und die Philosophie

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ein Arrangement zu finden, das ihm eine größere Wirksamkeit im Preußischen Bereich“³⁷ eröffnete. Auch der zwischenzeitliche Versuch des Ministers, Tillich 1928 in der Bonner Theologischen Fakultät unterzubringen, scheiterte;³⁸ ebenfalls eine mögliche Berufung an die Marburger Theologische Fakultät auf die Nachfolge von Rudolf Otto; hierfür gab wohl nicht zuletzt ein negatives Sondervotum Rudolf Bultmanns den Ausschlag, in dem dieser Tillich ein mangelndes Verhältnis zur dogmatischen Tradition und eine „Umdeutung der theologisch-dogmatischen Sätze in eine spekulative Religionsphilosophie“³⁹ vorwarf. Das angedeutete „Arrangement“ von Minister Becker bezog sich schließlich auf eine Professur für Philosophie in der Frankfurter philosophischen Fakultät, die durch das Ausscheiden von Hans Cornelius frei geworden war. Aber bis es dazu kommen sollte, mussten noch etliche Hindernisse und Unwägbarkeiten überwunden werden. Zur Vorgeschichte: 1925 wurde an der Frankfurter Universität ein Ordinariat für Pädagogik frei. Die Wiederbesetzung erwies sich aber als recht schwierig, woraufhin Minister Becker zum Sommersemester 1928 Max Scheler auf diesen Lehrstuhl berief, was mit einer Umwidmung dieser Stelle in eine Professur für Philosophie und Soziologie verbunden war.⁴⁰ Zum Ausgleich dafür sollte der auch bald frei werdende einzige philosophische Lehrstuhl mit einem Pädagogen besetzt werden. Scheler starb aber ganz überraschend kurz nach Aufnahme seiner Lehrtätigkeit am 19. Mai 1928. Da der Lehrstuhlinhaber für Philosophie, Hans Cornelius, auch zu Semesterbeginn emeritiert wurde, waren nun zwei philosophische Lehrstühle frei. Die Fakultät hätte gern Ernst Cassirer als Nachfolger Schelers gesehen, der aber ablehnte. Daraufhin wurden von der Fakultät für diesen Lehrstuhl vorgeschlagen: Alfred Baeumler, Julius Ebbinghaus, Erich Rothacker und Julius Stenzel. Für die Nachfolge Cornelius’ wurden vorgeschlagen: Eberhard Grisebach, Karl Jaspers, Richard Kroner, Paul Tillich und Max Wertheimer. Da es in der Kommission selbst keinen Philosophen gab, wurden für beide Listen als Gutachter bestellt: Nicolai Hartmann, Martin Heidegger, Edmund Husserl und Karl Joël.⁴¹

 Brief von Minister Carl Heinrich Becker an Wilhelm Sollmann vom . . , zit. nach Sturm, „Einleitung“, in: A.a.O., ; vgl. Brief Tillichs an Erich Seeberg vom . . , in: A.a.O., .  Vgl. EW XV, S. xxv.  Zit. nach EW XV, S. xxviii.  Zu den näheren Einzelheiten vgl. EW XV, S. xxxf.  Vgl. EW XV, S. xxxi.

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Werner Schüßler

Jaspers wurde von allen Außengutachtern favorisiert, Tillich dagegen von keinem.Während er für Hartmann u. a. zu theologisch war, meinte Heidegger, dass über Tillich „ernsthaft überhaupt nicht zu reden“⁴² sei. Auch Husserl lehnte Tillich klar ab; einzig Joël wertete ihn als entwicklungsfähigen Religionsphilosophen.⁴³ Vernichtend äußerte sich Hans Cornelius zu Tillich: Sein Hauptwerk, „Das System der Wissenschaften“ von 1923, zeige, dass er „von den Wissenschaften, deren Systematik er geben will, sehr unzureichende Kenntnis“ besitze. Das Buch stehe „wissenschaftlich auf einem sehr niedrigen Niveau“, enthalte „Banalitäten aller Art“ und „kaum einen Satz, der nicht mit durchaus unklaren Begriffen“⁴⁴ arbeite. Die Universität schlug dem Ministerium am 22. Oktober 1928 für die Nachfolge Cornelius’ schließlich folgende Liste vor: Martin Heidegger, Karl Jaspers, Max Wertheimer. Diese wurde aber aus verschiedenen Gründen vom Ministerium abgelehnt.⁴⁵ Eine neue Liste wurde eingereicht: Nicolai Hartmann, Alfred Baeumler und Erich Rothacker. Und für die Scheler-Nachfolge wurden vorgeschlagen: Herman Nohl, Julius Stenzel und Ernst Hoffmann. Das heißt also, dass Tillich auf keiner der beiden Listen stand.⁴⁶ Nachdem der Kurator der Universität, Kurt Riezler, gegenüber dem Ministerium noch eigene Ansichten über die Besetzung der beiden Lehrstühle geäußert hatte, nahm Minister Becker das Ganze selbst in die Hand und bat u. a. die Fakultät, „sich zusätzlich über Tillich zu äußern“⁴⁷. Diese würdigte zwar Tillich als Religionsphilosophen, hielt ihn aber nicht für geeignet, die systematische Philosophie in ihrer ganzen Breite zu vertreten.⁴⁸ Riezler sprach sich aber gegenüber dem Ministerium recht positiv für Tillich aus. „Damit“, so kommentiert Erdmann Sturm, „hatte der Kurator der Frankfurter Universität – gegen alle bisherigen Beschlüsse der philosophischen Fakultät und alle Fachgutachten – den Weg zur Berufung Tillichs auf den philosophischen Lehrstuhl frei gemacht. Er war damit dem Vorschlag Beckers entgegengekommen.“⁴⁹ Am 28. März 1929 wurde schließlich Tillich zum Ordinarius für Philosophie und Soziologie, einschließlich Sozialpädagogik, als Nachfolger von Hans Cornelius sowie zum Direktor des philosophischen und pädagogischen Seminars

 EW XV, S. xxxii.  Vgl. EW XV, S. xxxii.  Zit. nach Erdmann Sturm: EW XV, S. xxxiii.Vgl. dazu auch Paul Kluke, Die Stiftungsuniversität Frankfurt am Main  –  (Frankfurt am Main: Kramer, ),  f.  Vgl. EW XV, S. xxxiv.  Vgl. EW XV, S. xxxv.  Zit. nach EW XV, S. xxxviii.  Vgl. EW XV, S. xxxix.  EW XV, S. xl.

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ernannt.⁵⁰ Tillich hat also – genau genommen – nicht die Nachfolge Schelers angetreten, wie allgemein behauptet wird.⁵¹ In seiner Schrift über die Stiftungsuniversität Frankfurt am Main schreibt Paul Kluke dazu: „So bleibt es als bemerkenswertes Faktum, daß eine der bedeutendsten Gestalten, die dem Frankfurter Lehrkörper angehört haben, der Universität vom Ministerium oktroyiert worden ist, und daß die Fakultät zu ihrem Heil erst gezwungen werden mußte. Sie hat sich aber dann dem Zauber und der Kraft der hervorragenden Persönlichkeit Tillichs sehr schnell erschlossen, zumal auch dieser selbst sich sehr gut einzufügen wußte.“⁵² Die Möglichkeit, im Jahre 1931 von Frankfurt an die Theologische Fakultät Halle zu wechseln, lehnte Tillich mit der Begründung ab: „Es entspricht im Augenblick weder innerlich noch äußerlich meiner Situation, Frankfurt mit Halle zu vertauschen.“⁵³ Allerdings wäre er selbst ein Jahr später immer noch bereit gewesen, an die Berliner Theologische Fakultät zu wechseln, als es um die Nachfolge Titius’ ging.⁵⁴ Hierfür hätte er sogar etliche Zugeständnisse in Bezug auf sein Lehrgebiet (Religionsphilosophie und Religionswissenschaft statt Dogmatik im engeren Sinne) und sein Prüfungsrecht (allein für Philosophie) gemacht; ja er hätte sich sogar mit einer „ausserordentlichen etatsmässigen Professur“ zufrieden gegeben, wie er in einem Brief an Erich Seeberg vom 11. Dezember 1932 schreibt.⁵⁵ Doch wurden diese Überlegungen durch die nationalsozialistische Machtergreifung am 30. Januar 1933 zunichte gemacht.⁵⁶ Aber selbst, als es für Tillich in Frankfurt bereits schwierig wurde, dachte er immer noch über einen möglichen Wechsel nach Berlin nach – im Rahmen einer dortigen Habilitation für Religionsphilosophie.⁵⁷

 Vgl. ebd.  So selbst noch Hans-Günter Heimbrock, „Zum Geleit“, in: Ders. (Hg.), Evangelische Theologie und urbane Kultur (Leipzig: Evangelische Verlagsanstalt,  / Kleine Schriften des Fachbereichs Evangelische Theologie der Goethe-Universität Frankfurt am Main, Bd. ),  – , hier .  Kluke, Die Stiftungsuniversität Frankfurt am Main,  f.  Zit. nach Sturm, „Einleitung“, .  Vgl. ebd.Vgl. Briefe Tillichs an Erich Seeberg vom . .  sowie vom . .  (a.a.O.,  – ).  A.a.O., .  Vgl. Brief Tillichs an Erich Seeberg vom . . , in: A.a.O., : „Durch die neue Lage sind ja sowieso alle Voraussetzungen für eine Berufung nach Berlin hingefallen.“  Vgl. a.a.O., .

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2 Zur existenzphilosophischen und anthropologischen Wende Tillichs⁵⁸ Tillichs Frankfurter Antrittsvorlesung trägt den Titel „Philosophie und Schicksal“⁵⁹. Seine diesbezüglichen Ausführungen schließen sich an Gedanken an, die er erstmals in dem Beitrag „Kairos und Logos“⁶⁰ von 1926 entwickelt hat, wo er den Kairosbegriff für die erkenntnismetaphysische Frage fruchtbar macht. Nach Tillich ist weder das Sein noch die Erkenntnis bzw. die Wahrheit schicksalslos.⁶¹ Während die sog. Rationalisten – wie Descartes oder Leibniz – glaubten, dass die Vernunft kein Schicksal habe, ihre Prinzipien also unveränderlich seien,⁶² gab es immer auch eine andere Richtung, die mit Namen wie Duns Scotus, Martin Luther, Jakob Böhme und Friedrich Wilhelm Joseph Schelling verbunden ist: Hier wird die Zweideutigkeit des Seienden und der irrationale Wille, der jede statische Ideenwelt im Sinne Platons zerbricht, betont.⁶³ Tillich selbst steht dieser Richtung nahe, wenn er die Ideen weniger im Sinne statischer Möglichkeiten, sondern mehr als dynamische Kräfte versteht.⁶⁴ „Die“ Wahrheit ist nach Tillich transzendent, das heißt, sie steht jeder ihrer Verwirklichungen „unbedingt“⁶⁵ gegenüber. Aus diesem Grunde sieht Tillich die philosophische Aufgabe darin, Kairos und Logos zu vereinigen: Der Logos ist aufzunehmen in den Kairos, die Geltung in die Zeitenfülle, die Wahrheit in das Zeitschicksal. […] Es ist dem Wesen wesentlich, zur Existenz zu kommen, einzugehen in Zeit und Schicksal. […] Steht das Sein selbst im Schicksal, so entspricht es der Freiheit des Erkennens, auch im Schicksal zu stehen. Sein und Erkenntnis sind im Schicksal miteinander verflochten. Der unbeweglich-ewige Himmel der Wahrheit konnte nur erkannt werden durch schicksalsfreie Erkenntnis. Die Wahrheit dagegen, die im Schicksal steht, ist nur dem offen, der mit ihr im Schicksal steht, der selbst ein Element des Schicksals ist. Denn auch das Denken ist Sein.⁶⁶

 Das Gros der Publikationen Tillichs in der Frankfurter Zeit gilt zwar dem Religiösen Sozialismus und dem Protestantismus, nichtsdestotrotz gehören seine Arbeiten, die sich an existenzphilosophische und philosophisch-anthropologische Themen anschließen, zu den innovativsten dieser Jahre.  Vgl. MW I,  – .  Vgl. GW IV,  – .  Vgl. MW I, .  Vgl. MW I, .  Vgl. MW I,  f.  Vgl. MW I, ; GW IV,  f.  MW I, .  MW I,  f.

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Wenn auch Tillich hier noch nicht explizit auf Kategorien der Existenzphilosophie zurückgreift, so macht das Zitat doch deutlich, dass der Kairosbegriff, wie ihn Tillich hier verwendet, anschlussfähig ist an existenzphilosophische Überlegungen. Textgeschichtliche Beobachtungen zur Frankfurter Antrittsvorlesung, auf die ich an späterer Stelle zurückkommen werde, werden das bestätigen. Deutlicher wird die Anknüpfung an existenzphilosophische Kategorien in zwei seiner Beiträge für das Handwörterbuch für Theologie und Religionswissenschaft: Die Religion in Geschichte und Gegenwart aus dem Jahre 1930; der eine trägt den Titel „Philosophie. I. Begriff und Wesen“⁶⁷, der andere „Philosophie. III. Philosophie und Religion“⁶⁸. Im ersten Beitrag charakterisiert Tillich die Philosophie als „die Frage in der radikalen Form“⁶⁹. Und er begründet dies so: „Die Möglichkeit solcher Haltung ist im Wesen des Menschen begründet; denn der Mensch ist dadurch charakterisiert, daß er nicht gebunden ist an das, was ihm begegnet, sondern in jeder Beziehung zugleich über sie hinaus sein kann. Darum kann er ‚Welt‘ haben, d. h. er kann sich das Begegnende als Ganzheit gegenüberstellen.“⁷⁰ Hier knüpft Tillich an Schelers anthropologische Kategorie des Welt-Habens an, wie er diese in seiner Schrift Die Stellung des Menschen im Kosmos entwickelt hat.⁷¹ Nach einem kurzen Abriss zur Geschichte der Philosophie heißt es in diesem Beitrag dann im vierten Punkt: „Unter diesen Umständen ist eine neue schicksalhafte Wendung der Philosophie vorbereitet und vielleicht schon in den Anfängen vorhanden. Der Zusammenschluß von Lebensphilosophie und Phänomenologie und die geschichtsphilosophische Richtung, die dabei immer stärker hervortritt, weisen darauf hin […]. Man gibt ihr den Namen ‚existentielle Philosophie‘.“⁷² Nach Tillich ist diese wesentlich charakterisiert durch „die Einbeziehung des Erkennenden in die Erkenntnis“. Damit geht die Ablehnung einer sog. „wissenschaftlichen Philosophie“ einher, wie sie beispielsweise von Rationalisten wie Descartes und Leibniz, aber auch von Kant oder Husserl gefordert wurde.⁷³

 Vgl. GW IV,  – .  Vgl. GW V,  – . Daneben hat Tillich für dieses Handwörterbuch auch noch die Beiträge „Mythus und Mythologie. I. Begrifflich und religionspsychologisch“ (vgl. GW V,  – ) sowie „Offenbarung: V. A. Religionsphilosophisch“ (vgl. GW VIII,  – ) verfasst.  GW IV, .  GW IV, .  Vgl. Max Scheler, Die Stellung des Menschen im Kosmos (Bonn: Bouvier,  []), bes.  – .  GW IV,  f.  GW IV, .

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Tillich wendet sich in diesem Beitrag auch explizit gegen Kant, wenn es heißt: „Der Gedanke Kants, daß man erst das Instrument untersuchen müsse, ehe man es verwendet, gab der Erkenntnistheorie den Rang der fundamental-philosophischen Disziplin. Aber diese ihre Stellung läßt sich ebensowenig halten wie jener Gedanke von Kant. Jede Erkenntnislehre enthält eine grundsätzliche Antwort auf die Frage nach der Frage – als Hintergrund und uneingestandene Voraussetzung.“⁷⁴ Diese Ausführungen lassen eine gewisse Nähe zu der Position Nicolai Hartmanns erkennen, wie dieser sie in seiner Schrift Grundzüge einer Metaphysik der Erkenntnis von 1921 zum Ausdruck gebracht hat.⁷⁵ Der zweite Beitrag über „Philosophie und Religion“ knüpft an die im vorigen Artikel gegebene Bestimmung der Philosophie als „die Haltung des radikalen Fragens“⁷⁶ an. Auch hier spricht Tillich davon, dass es in der gegenwärtigen Philosophie darum gehe, „den Fragenden in die Frage ein[zu]beziehen“⁷⁷:

 GW IV, .  Vgl. Nicolai Hartmann, Grundzüge einer Metaphysik der Erkenntnis (Berlin: De Gruyter,  []). Hartmann vertritt hier die These, dass das Erkenntnisproblem weder ein psychologisches noch ein logisches, sondern im Grunde ein metaphysisches Problem sei. Im Gegenzug zu Kant will er zeigen, dass die Erkenntnistheorie oder Erkenntniskritik nicht die Grundlage aller Philosophie abgibt, sondern dass das Erkenntnisproblem als solches immer schon einen metaphysischen Einschlag hat. Die Erkenntnisphänomene haben zwar immer auch eine logische und psychologische Seite, doch geht ihr Wesen hierin nicht auf. Der Kantischen These: „Keine Metaphysik ohne Kritik“ stellt er so ihre „natürliche Antithese“ gegenüber: „Keine Kritik ohne Metaphysik.“ Erkenntnistheorie und Metaphysik bedingen also einander. – In seinen Harvard-Vorlesungen vom Herbst- und Frühjahrssemester / zum Thema „Religion and Culture“ (insgesamt handelt es sich hierbei um  Vorlesungen; dem  Seiten umfassenden Text in Form eines Typoskriptes, das im Deutschen Paul-Tillich-Archiv an der Universitätsbibliothek Marburg aufbewahrt wird, liegt eine Tonbandaufzeichnung von Peter H. John zugrunde; Renate Albrecht hat seinerzeit veranlasst, dass diese von Pfr. Jan Greso, Bratislava, übertragen wurde) bezieht sich Tillich dann auch explizit auf diese Schrift Hartmanns, und er qualifiziert dessen Einsicht hier geradezu als einen „Wendepunkt“ (vgl. Paul Tillich, „Religion and Culture“ (/), Lecture  [] (. . ), ). In diesem Zusammenhang berichtet er dann auch, dass er als junger Gymnasialschüler an der Berliner Universität den Vortrag eines bekannten Theologieprofessors gehört habe, der gesagt habe, dass, wie Platon der Philosoph der griechischen Orthodoxie und der anglikanischen Kirche sei und Aristoteles der Philosoph der römisch-katholischen, so sei Kant der Philosoph der protestantischen Kirche. (Es handelt sich hierbei um eine Rede von Julius Kaftan zum . Todestag Kants, die Kaftan am . Februar  an der Berliner Universität gehalten hat. Diese Rede ist erschienen unter dem Titel: Kant, der Philosoph des Protestantismus (Berlin: Reuther & Reichard, )). Und dann fügt Tillich wortwörtlich hinzu: „I was deeply impressed, but not convinced! And I am today less than ever!“ (Paul Tillich, „Religion and Culture“ (/), Lecture  [] (. . ), ).  GW V, .  GW V,  f.

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Sie will ‚existentiell‘ vorgehen. Der Hintergrund soll irgendwie in den Vordergrund hereingenommen werden. Das Wie ist noch ungeklärt. Sobald aber die Frage den Fragenden mit einschließt, stellt sie ihn in der gleichen Weise in die Grenzsituation wie die Religion. […] Jedenfalls kann kein Zweifel sein, daß eine solche Art des philosophischen Fragens nicht neben der Religion steht, sondern sie entweder aufhebt oder von ihr aufgenommen wird. Die weitere Entwicklung dieser Gedanken ist noch nicht zu übersehen. Sie sind entscheidend auch für die Lösung des Problems Religion und Philosophie.⁷⁸

In diesem Zusammenhang nennt Tillich auch ausdrücklich Heidegger.⁷⁹ Schaut man sich die „weitere Entwicklung“ an, die Tillich seinerzeit noch nicht überschauen konnte, so hat er mit seiner Einschätzung Recht behalten: Jaspers’ philosophischer Glaube will die Religion aufheben;⁸⁰ Tillichs eigener Ansatz nimmt die „existentielle Philosophie“ in das theologische Denken auf.⁸¹ In diesen Beiträgen für das Handwörterbuch Die Religion in Geschichte und Gegenwart schließt Tillich an Überlegungen an, die er in seiner Vorlesung über „Geschichtsphilosophie“⁸² vom Wintersemester 1929/30 erstmals vorgetragen hat, wo er eine Philosophie des Begegnens zu entwickeln sucht;⁸³ dieser Vorlesung scheint eine vertiefte Lektüre von Heideggers Sein und Zeit vorangegangen zu sein. Ausgehend vom Philosophiebegriff: „Philosophie als Wissen um das Seiende und seine Gebiete“⁸⁴, wobei sich Tillich auch hier explizit gegen den Begriff einer „wissenschaftlichen Philosophie“ wendet, da die Philosophie „das a priori der Wissenschaft“ sei, „nicht aber Wissenschaft ein Merkmal von Philosophie“⁸⁵, setzt er sich in dieser Vorlesung zu Anfang mit den verschiedenen Strömungen der Gegenwartsphilosophie auseinander, der Wertphilosophie, der Lebensphilosophie, der Phänomenologie sowie Troeltsch und Heidegger, um von hier aus seinen eigenen Philosophiebegriff zu präzisieren: „Philosophie gleich Herausarbeitung

 GW V, .  Vgl. ebd.  Vgl. dazu Werner Schüßler, Jaspers zur Einführung (Hamburg: Junius, ),  – .  Vgl. ST I – III.  Vgl. EW XV,  – .  Im Jahre  haben Charles W. Kegley und Robert W. Bretall die „Library of Living Theology“ mit einem ersten Band über „The Theology of Paul Tillich“ (New York: Macmillan) eröffnet. Am Ende des Bandes antwortet Tillich unter der Überschrift „Reply to interpretation and criticism“ (a.a.O.,  – ) auf die einzelnen, z.T. recht kritischen Beiträge bzw. angesprochenen Themen. Hier heißt es u. a.: „I cannot suppress some regret that world history combined with physical limitations have prevented me from developing a ‚philosophy of encounter‘ whose rudimentary elaboration was presented in a Frankfurt lecture course“ (a.a.O., ).  EW XV, .  EW XV, .

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der ursprünglichen Begegnungsarten und ihrer Charaktere.“⁸⁶ Das heißt, das Begegnen wird für Tillich „zum Ausgangspunkt des philosophischen Aufbaues“: „Sich verwirklichen heißt, über sich hinausgehen. Nennen wir das, was ein Begegnen ermöglicht durch Vorstoßen, Eindringen und dgl., Mächtigkeit, so können wir auch sagen: Die Mächtigkeit der Begegnung ist die Mächtigkeit des VorstoßenKönnens, ohne sich zu verlieren, ohne aufzuhören zu stehen, ohne die Gegründetheit aufzugeben.“⁸⁷ Nun gibt es aber verschiedene Stufen der Mächtigkeit und dementsprechend auch verschiedene Stufen der Begegnung: Im Bereich des Anorganischen hat das „Sich-Raum-Schaffen“ einen anderen Charakter als im Bereich des Vegetativen, Animalischen oder gar Menschlichen.⁸⁸ Analog verhält es sich mit dem „Sich-ZeitSchaffen“; entsprechend unterscheidet Tillich zwischen dem Erfüllungsraum und der Dauer-Zeit (Bereich des Anorganischen), dem Entfaltungsraum und der Wachstums-Zeit (Bereich des Vegetativen), dem Bewegungsraum und der Erinnerungs- und Erwartungszeit (Bereich des Animalischen) sowie dem Gestaltungsraum und der Entwicklungs- und Fortschritts-Zeit (Bereich des Technischen).⁸⁹ Begegnung „im grundsätzlichen, radikalen Sinn“ kommt aber nur dem Menschen zu; denn allein hier besitzt diese „den Charakter des Nicht-Gefangenseins, des Frei-Bleibens“⁹⁰. Diese Begegnungsform ist gebunden zum einen an das „Welt-Haben“, zum anderen an das „Sich-Haben“.⁹¹ Hier deutet sich schon Tillichs grundlegende Polarität aus der Systematischen Theologie ⁹² an, nämlich die von Welt und Selbst, wenn es heißt: „Welt-Haben ist die Vollendung des Sich-Habens. Wer Welt hat, hat sich ganz, denn er ist nicht gefangen in sich. Und umgekehrt:Wer sich ganz hat, hat eben damit Welt, ist nicht gefangen vom Nächsten. […] SichHaben ist Welt-Haben.“⁹³ Damit bekommen auch Raum und Zeit einen ganz neuen Charakter: „Sie werden zu Welt-Raum und Welt-Zeit.“⁹⁴ Die Philosophie der Begegnung mündet ein in eine „Sinnphilosophie“⁹⁵, denn „Welt haben heißt: etwas als möglich haben, nämlich als möglich-Begegnendes“⁹⁶. Und Sinn ist nach Tillich „das vorwegnehmende Herausgehen über sich auf etwas           

EW XV, . EW XV, . EW XV,  f. Vgl. EW XV,  – . EW XV, . Ebd. Vgl. ST I,  – . EW XV, . Ebd. EW XV, . EW XV, .

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Begegnendes“⁹⁷. Alle unsere Begegnungen sind nach diesem Verständnis letztlich „Sinn-Begegnungen“: Sinn ist somit nichts Gegebenes, das einem Ding anhaftet, „sondern Sinn ist das sich in der Sinn-Begegnung Verwirklichende. Und zwar in dem Wechselverhältnis von Forderung und Anerkennung.“⁹⁸ In seiner Philosophie der Begegnung macht Tillich die Wendung der Existenzphilosophie mit, die darin besteht, „daß es nicht ein Erkennen geben darf, das den Erkennenden selber ausschließt.“⁹⁹ Ein solches Erkennen nennt Tillich „Begegnungsart“.¹⁰⁰ Worum es ihm hier geht, ist die Entwicklung einer neuen Ontologie, die nicht mehr vom überkommenen Seinsbegriff ausgeht, denn damit wäre „die Statik des ewig Stillen“¹⁰¹ gegeben. Demgegenüber ist Tillich am Begriff des Neuen interessiert: „Vom Seinsbegriff aus, der für die griechische Philosophie maßgebend ist, ist das Neue abgeschnitten, denn das Sein ist, wenn es ist, ganz und ungeteilt.“¹⁰² Wo aber wird Neues gesetzt? Neues wird sinnhaft gesetzt in der Kultur, und der Mensch, der Neues sinnhaft setzt, ist für Tillich „der historische Mensch“. Folglich ist der Mensch „Träger der Geschichte, sofern er sinnhaft gestaltet oder sofern er Träger der Kultur ist.“¹⁰³ Diese Bestimmung reicht aber noch nicht aus. Denn Kultur hat es weder mit dem Allgemeinen noch mit dem einzelnen Du zu tun, sondern mit der „Gruppe“ oder mit dem Einzelnen, sofern er „Gruppenqualität“ hat. Denn „verständlich machen kann sich eine Forderung nur auf dem Boden der Gemeinsamkeit der Gruppe.“¹⁰⁴ Das bedeutet aber, dass alle Geschichte letztlich „Geschichte von Gruppen“¹⁰⁵ ist: „Sinn wird konstituiert durch Sinnforderung […]. Die Sinnforderung geht vom Du an das Ich und umgekehrt. Diejenige Gruppe muß also die konstitutive im Geschichtsprozeß sein, in der die Person als Person konstituiert ist. Diese Gemeinschaft aber nennen wir die rechtstragende Gemeinschaft oder den Staat.“¹⁰⁶ Damit wird der Machtbegriff virulent: „Jede Begegnung ist eine Be-

 EW XV, .  EW XV, . – Hier macht sich evtl. auch ein gewisser Einfluss von Martin Buber geltend, der von  –  als Honorarprofessor für Religionswissenschaft an der Frankfurter Universität tätig war. Vgl. dazu Willy Schottroff, „Martin Buber und Franz Rosenzweig“, in: Gott in Frankfurt? Theologische Spuren in einer Metropole, hg. von Matthias Benad (Frankfurt am Main: Athenäum, ),  – . Vgl. GW XII,  – .  EW XV, .  EW XV, .  EW XV, .  EW XV, .  EW XV, .  EW XV, .  EW XV, .  EW XV, .

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gegnung von Mächtigkeiten, und Mächtigkeit ist nicht anders wirklich als in der Begegnung.“¹⁰⁷ So versteht Tillich Geschichte „primär und fundamental [als] Geschichte von Machtverwirklichung.“¹⁰⁸ Tillich bezieht Macht aber „radikal“ auf Recht, „d. h. Macht konstituiert Recht, aber genauso: Recht konstituiert Macht“¹⁰⁹. Wenn Begriffe wie „Schuld und Begnadung“¹¹⁰, Kairos¹¹¹ oder „Mitte der Geschichte“¹¹² von Tillich in den Blick genommen werden, so wird deutlich, dass er letztlich doch immer auch „theo-logisch“ denkt. So haben wir nach Tillich Geschichte „nur in Form einer Mitte der Geschichte.“¹¹³ Aber hier endet dann auch die Vorlesung – genau dort, wo sie die Philosophie hin zur Theologie zu überschreiten droht. In einem Brief an Eugen Rosenstock-Huessy aus dem Jahre 1935 hat Tillich auch ausdrücklich betont, dass er sich in Frankfurt „als protestantischer Theologe in philosophischem Material gefühlt und dem in jeder Diskussion deutlich Ausdruck gegeben“¹¹⁴ habe. In dieser Vorlesung geht es Tillich weniger um die Aufnahme transzendentalphilosophischer oder phänomenologischer Aspekte, sondern vielmehr um lebens- und existenzphilosophische Ansätze, die er theologisch fruchtbar zu machen sucht.¹¹⁵ In diesem Zusammenhang setzt sich Tillich auch intensiv mit der Position von Scheler und Heidegger auseinander, indem er diese kritisch würdigt. Scheler lobt er für seinen Versuch, Phänomenologie und Lebensphilosophie verbunden zu haben, allerdings moniert er an ihm die „völlige Ausschaltung aller kantianischen Auffassung.“¹¹⁶ Bei Heidegger begrüßt er die „Wendung [zur] Existentialphilosophie“, wonach „es nicht ein Erkennen geben darf, das den Er-

 EW XV, .  EW XV, .  Ebd.  EW XV, .  Vgl. EW XV,  ff. Vgl. dazu neuerdings Werner Schüßler, „Kairos. Dimensionen eines zentralen Begriffs im philosophisch-theologischen Werk Paul Tillichs“, Trierer Theologische Zeitschrift  (),  – .  EW XV,  ff.  EW XV, .  EW VI, .  Wenn Friedrich Wilhelm Graf am Ende seiner Besprechung dieses Bandes in der Neuen Zürcher Zeitung vom . .  (Nr. , S. ) unter der Überschrift „Auf der Suche nach dem absoluten Sinngrund. Paul Tillichs irritierende Vorlesungen über Geschichtsphilosophie und Sozialpädagogik von /“ Tillich einen „Zeitgeist-Luftikus“ nennt und zu dem folgenden Schluss kommt: „Wer die Gottesstaatsprediger unserer Tage besser verstehen will, kann im Frankfurter Tillich einen ihrer christlichen Gesinnungsfreunde kennenlernen“, so wird in diesem Urteil ein recht seltsames Leseverhalten deutlich, das so nicht mehr nachvollziehbar ist und wohl nur als Resultat eigenartiger Vorurteile gegenüber Tillich zu deuten ist.  EW XV, .

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kennenden selber ausschließt“¹¹⁷: „Das ist, was als existential bezeichnet werden kann. Mit dieser Forderung der Existenz, des Existentiellen im Sinne des Miteinbezogenwerdens des Erkennenden, ist eine neue metaphysische Haltung angebahnt. Die alte Metaphysik wird zu einer Unmöglichkeit, wenn man diese Wendung wirklich innerlich mitgemacht hat.“¹¹⁸ Allerdings fehlen Tillich zufolge hier zwei Momente: zum einen das normative Element, wie es im Kantianismus vorliegt, zum anderen wird die Sinnfrage nicht genügend expliziert.¹¹⁹ Jedoch möchte Tillich schon anknüpfen „an die Situation in der Einheit von Lebensphilosophie und Phänomenologie, die die Möglichkeit einer neuen Ontologie gibt, zugleich aber die wirkliche Situation hinaustreibt über ein bloßes existentielles Auffassen des Einzelnen in seinem Verhältnis zur Welt, wie es bei Heidegger vorliegt.“¹²⁰ Dieser letzte Aspekt ist auch das Bindeglied zu seiner letzten Frankfurter Vorlesung vom Wintersemester 1932/33 über „Fragen der systematischen Philosophie“¹²¹. Nach einem kurzen Gang durch die Geschichte der Philosophie¹²² kommt Tillich auf die Gegenwart zu sprechen: „Unser Problem, das sich langsam aus der Fragesituation der bürgerlichen Periode herausarbeitet und Ausdruck einer neuen Fragerichtung sein kann, ist die Frage nach ‚unserer geschichtlichen Existenz‘.“¹²³ Hier knüpft Tillich explizit an Konzepte der gerade aufgekommenen Existenzphilosophie an, wenn er das existentielle Denken dem objektivierenden gegenüberstellt.¹²⁴ Letzteres sieht er im deutschen Idealismus als verwirklicht an: „Die Systemidee des deutschen Idealismus als einzig konsequent in der Geschichte der Philosophie. Ihre Voraussetzungen: die fixierte gegenständliche Welt. Die Identität des Bewußtseins mit ihr. Die Abgeschlossenheit des Processes. Dieses unmöglich bei existentiellem Denken, das wesensmäßig unabgeschlossen ist, da es im Zusammenhang mit dem Handeln steht, also die Wirklichkeit im Erkennen selbst verändert wird.“¹²⁵ Gegenüber der Vorlesung zur Geschichtsphilosophie fallen zwei Punkte auf, die für die weitere Entwicklung bedeutsam sind: Erstens bezieht sich Tillich jetzt nicht mehr nur auf Heidegger, sondern auch auf Jaspers, dessen dreibändige

        

EW XV, . Ebd. Vgl. ebd. EW XV, . Vgl. EW XVIII,  – . Vgl. EW XVIII,  – . EW XVIII, . Vgl. EW XVIII, . EW XVIII, .

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Philosophie ¹²⁶ gerade (1932) erschienen war. Er zitiert auch eine recht lange Passage von den ersten beiden Seiten des zweiten Bandes über „Existenzerhellung“¹²⁷. Allerdings sind seine entsprechenden Bemerkungen dazu mit einigen Missverständnissen behaftet;¹²⁸ als Jaspers-Kenner frage ich mich, inwieweit Tillich dieses Werk wirklich ernsthaft studiert hat.¹²⁹ Zweitens deutet vieles darauf hin, dass Tillich inzwischen auch die Schrift seines Frankfurter Kollegen, des Privatdozenten Fritz Heinemann, über Neue Wege der Philosophie: Geist – Leben – Existenz. Eine Einführung in die Philosophie der Gegenwart von 1929 rezipiert hat, wo auch ein erstes Mal der Begriff „Existenzphilosophie“¹³⁰ verwendet wird.¹³¹ Tillich spricht in seiner Vorlesung sowohl von „Existential-Philosophie“ als auch

 Siehe oben Anm. .  Karl Jaspers, Philosophie, Bd. , Existenzerhellung,  f.; vgl. EW XVIII, .  Tillich missversteht Jaspers, wenn er in Bezug auf dessen ersten Satz in der „Existenzerhellung“: „Nenne ich Welt den Inbegriff alles dessen, was mir durch Orientierung des Erkennens als ein zwingend für jedermann wißbarer Inhalt zugänglich werden kann […]“ meint, dass „mit dem Begriff ‚zwingend wißbarer Inhalt‘ eine Einschränkung gegeben [sei], die eine wirkliche Orientierung unmöglich macht; denn die Grenzen des zwingend für jedermann wißbaren Inhalts liegen in der Wissenschaft, die sich ausdrücklich von den Inhalten fernhält, der Mathematik“ (EW XVIII, ). Das heißt, er meint also, dass Jaspers’ Unterscheidung zwischen Weltorientierung und Existenzerhellung „im Grunde ein Zeichen einer auf das Ganze gesehen unexistentiellen Denkweise“ sei (EW XVIII, ), sie somit nur eine quantitative, aber keine qualitative sei (vgl. EW XVIII, ). Wenn Jaspers in Bezug auf die wissenschaftliche Erkenntnis von „zwingend gewisser Erkenntnis“ spricht, ist natürlich keine absolute Gewissheit im Sinne der Mathematik oder Logik gemeint, sondern immer nur eine hypothetische Gewissheit. Vgl. dazu Karl Jaspers, Philosophie, Bd. , Philosophische Weltorientierung, bes.  –  („Die Relativität des Zwingenden“). Hier unterscheidet Jaspers „drei Arten des Zwingenden“: in Bezug auf die Mathematik, den Bereich des Empirischen und die Kategorienlehre (ebd., ).Vgl. dazu Schüßler, Jaspers zur Einführung, bes.  – . Das heißt, Tillich scheint also den ersten Band von Jaspers’ Philosophie nicht richtig durchgearbeitet zu haben!  Von Tillich durchgestrichen: „Jaspers und ich haben von philosophischer und theologischer Seite unabhängig dafür [scil. in Bezug auf die Begriffe Tod und Schuld] den Begriff Grenzsituation gebraucht“ (EW XVIII, ). Auch das ist ein Hinweis darauf, dass Tillich Jaspers wohl erst  in den Blick genommen hat, hat dieser doch schon etliche Jahre zuvor, nämlich in seiner Psychologie der Weltanschauungen von , den Begriff der Grenzsituation entwickelt. Vgl. Karl Jaspers, Die Psychologie der Weltanschauungen (), Neuausgabe (München: Piper, ),  – .  Vgl. Fritz Heinemann, Neue Wege der Philosophie. Geist – Leben – Existenz. Eine Einführung in die Philosophie der Gegenwart (Leipzig: Quelle & Meyer, ), X.  Vgl. dazu Urs Thurnherr, „‚Existenzphilosophie‘ und ‚Existenzialismus‘ oder Kurze Geschichte ‚eines‘ Etiketts“, in: Lexikon Existenzialismus und Existenzphilosophie, hg. von dems. und Anton Hügli (Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft, ),  – , hier . Vgl. auch EW XVIII, S. xx u. xxvii (Anm. ).

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von „Existenz-Philosophie“, und er scheint beide Begriffe synonym zu gebrauchen,¹³² wobei er aber zumeist den ersteren Begriff verwendet.¹³³ Tillich greift das Anliegen der Existenzphilosophie auf, will gegenüber Heidegger und Jaspers dem Selbst aber das „Wir“ gegenüberstellen, das heißt, er will dieses Denken weiterführen „zur existentialgeschichtlichen Philosophie“¹³⁴: „Es ist also zu fordern, Existential-Philosophie als Philosophie des ‚Wir‘.“¹³⁵ Denn: „Das Selbst verliert seine Existenz, wenn es seine Wir-Existenz verliert. […] Es findet sich niemals in metaphysischer Einsamkeit, sondern immer in Macht-Einheiten umfassender Art, die den Charakter von Wir-Einheiten haben.“¹³⁶ Der letzte Gedanke erinnert in gewisser Weise an Jaspers’ Grenzsituation des Kampfes.¹³⁷ Ob er mit dieser Kritik aber auch Jaspers trifft, erscheint mir fraglich, spielt in dessen Denken doch der Begriff der existentiellen Kommunikation eine ganz entscheidende Rolle.¹³⁸ Allerdings lässt der Chiffern-Begriff von Jaspers es kaum zu, ein „Wir“ mit gemeinsamer Symbolik zu konstituieren, wie es Tillich fordert.¹³⁹ Im weiteren Verlauf der Vorlesung entwickelt Tillich dann seine eigene existentialgeschichtliche Philosophie,¹⁴⁰ die ich hier im Einzelnen nicht weiter entfalten kann. Nur so viel sei dazu noch angemerkt: In diesem Zusammenhang richtet sich Tillich entschieden gegen „die idealistische Hybris“ eines Fichte, Schelling, Hegel,¹⁴¹ kann es ihm zufolge doch keine voraussetzungslose Philosophie geben:¹⁴² „Wir vertreten also die Auffassung, daß ein breiter vorgegebener Besitz von Inhalten Voraussetzung jedes Fragens ist oder daß Frage und Antwort die Entfaltung eines Habens ist, das durch Spannungen, Unklarheiten, Widersprüche zu dieser Entfaltung getrieben [wird].“¹⁴³  Vgl. z. B. EW XVIII, , , , , .  Heinemanns Einordnung der Bewusstseinsphilosophie ( – ) (Neue Wege der Philosophie, IX) findet sich auch bei Tillich (EW XVIII, ).  EW XVIII, ; dazu Erdmann Sturm, „Paul Tillichs Heidegger-Rezeption“, in: Kulturwissenschaftliche Studien, Bd. , hg. von Hans-Jürgen Lachmann und Uta Kösser (Leipzig: Passage, ),  – , hier  f.  EW XVIII, .  EW XVIII,  f.  Vgl. dazu Schüßler, Jaspers zur Einführung,  – .  Vgl. Jaspers, Philosophie, Bd. , Existenzerhellung,  ff.  Vgl. dazu Werner Schüßler, „Chiffer als Sprache der Transzendenz. Ist Karl Jaspers ein ‚Negativer Theologie‘?“, in: Ders. (Hg.), Wie läßt sich über Gott sprechen? Von der negativen Theologie Plotins bis zum religiösen Sprachspiel Wittgensteins (Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft, ),  – .  Vgl. EW XVIII,  – .  EW XVIII, .  Vgl. EW XVIII, , .  EW XVIII,  f.

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3 Die weitere Entfaltung des neuen philosophischen Leitparadigmas Es ist bezeichnend, dass Tillich nach seiner Emigration in die USA an dieses neue philosophische Leitparadigma anknüpft. Seine ersten Vorlesungen am Union sind – neben der Religionsphilosophie – der Existenzphilosophie sowie der Philosophischen Anthropologie gewidmet.¹⁴⁴ Die „Einführung in die Existential-Philosophie“ ist allerdings mehr historischer Natur und setzt sich mit „Hegels Wesensphilosophie und Schellings Angriff auf sie“¹⁴⁵, dem „politischen Existenzverständnis der Junghegelianer“¹⁴⁶ sowie mit Kierkegaard¹⁴⁷ auseinander, wobei Tillich hier zum Teil ausgiebig die Quellen sprechen lässt. „Die Lehre vom Menschen ist der gegenwärtige Zugang zur Theologie“, heißt es in einer Vorlesung, die Tillich im April 1935 an der Yale Divinity School in New Haven gehalten hat, „weil sie die christliche Lehre verständlich macht als Antworten auf Fragen, die immer Fragen für den Menschen sind. Denn der Mensch ist eine Frage, bevor er Fragen stellt. Dass er fragt, ergibt sich aus seiner Existenz“¹⁴⁸. Mit diesen Sätzen leitet Tillich den Übergang von den anthropologischen Fragen zu den theologischen Antworten ein. Allerdings darf seine „Lehre vom Menschen“ auch als eine recht eigenständige Philosophische Anthropologie gelesen werden; und Tillich ist sich der Bedeutung seines Ansatzes auch sehr wohl bewusst, wenn er sich selbst in die Reihe: Jakob Johann von Uexküll – Kurt Goldstein – Adhémar Gelb – Max Scheler, einreiht, denen allen gemeinsam sei, die cartesianische

 Genauerhin handelt es sich um eine Vorlesung über „Religionsphilosophie“ (EW XVII,  – ), die Tillich / am „Union Theological Seminary“ in New York gehalten hat sowie eine weitere mit dem Titel „Einführung in die Existential-Philosophie“ (EW XVII,  – ), die er zur gleichen Zeit am „Department of Philosophy“ an der „Columbia University“ in New York gehalten hat. Weiter enthält der Band verschiedene Materialien zu einer Vorlesung über die Lehre vom Menschen (EW XVII,  – ), die Tillich ebenfalls in den Jahren / am „Union“ gehalten hat, seine  in Yale gehaltene Vorlesung zum selben Thema (EW XVII,  – ) sowie eine Abhandlung mit dem Titel „Der Mensch im Christentum und im Marxismus“ (EW XVII,  – ), die er im Dezember  im Auftrag der Forschungsabteilung des Weltrates der Kirchen in Genf zur Vorbereitung der ökumenischen Konferenz für Praktisches Christentum in Oxford () verfasst hat. Auch schon in den beiden folgenden Beiträgen hat Tillich Aspekte der modernen Philosophischen Anthropologie aufgenommen: „Das Wohnen, der Raum und die Zeit“ (): GW IX,  – ; „Der Mensch“ (/): EW XI,  – .  Vgl. EW XVII,  – .  Vgl. EW XVII,  – .  Vgl. EW XVII,  – .  EW XVII, .

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Trennung von Körper und Geist überwunden zu haben.¹⁴⁹ Bekanntlich kannte Tillich Goldstein¹⁵⁰ und Gelb¹⁵¹ noch von Frankfurt her. Zwei Aspekte möchte ich in diesem Zusammenhang herausgreifen, die ich für entscheidend halte und die eng miteinander verknüpft sind: zum einen Tillichs Ausführungen zum Begriff des „Sich-selbst-Habens“, mit dem er den besonderen Charakter des Menschen charakterisiert, „um jeglichen Bezug auf ein objektives Sein zu vermeiden“¹⁵², zum anderen den Begriff der Freiheit, der sich wie ein roter Faden durch alle Texte zur Philosophischen Anthropologie aus dieser Zeit hindurchzieht. Ich komme zum ersten Aspekt: „Sich-selbst-Haben heißt gleichzeitig Sich-selbst-Ändern, Bestimmtsein durch sich selbst, Bedrohtsein durch sich selbst usw.“¹⁵³ Und: Sich-selbst-Haben ist immer mehr als „Sich-bewusst-Haben, es beschreibt die Totalität der menschlichen Natur“¹⁵⁴, wobei das Sich-selbst-Haben, besser: das „Sich-selbst-ausdrücklich-Haben“¹⁵⁵, nach Tillich abzugrenzen ist vom „Sich-selbst-noch-nicht-Haben“ (Anorganisches) und vom „Sich-selbst-einfachHaben“ (Pflanzen und Tiere).¹⁵⁶ Zum zweiten Aspekt: Das Sich-selbst-Haben äußert sich wesentlich als Freiheit,¹⁵⁷ wobei sich diese vornehmlich im „Sich-Transzendieren“ dokumentiert.¹⁵⁸ In Bezug auf die Entscheidungsfreiheit macht Tillich immer wieder darauf aufmerksam, dass diese notwendig an Normen gekoppelt ist. Wählen wir diesen oder jenen Weg, verzichten wir in der Regel auf Freiheit und unterwerfen uns dem Zufall. Und wenn wir uns „gehen lassen“, unterwerfen wir uns den „Es-Mächten“¹⁵⁹. Der Ausdruck „Sich-selbst-Haben“ klingt auf den ersten Blick etwas sperrig, ja konstruiert. Aber was damit gewonnen ist, erklärt Tillich so: Dieser Ausdruck transzendiert „die Spaltung zwischen objektiv und subjektiv“¹⁶⁰. Das heißt, Tillich wendet sich zum einen gegen „jede objektivierende Metaphysik“, zum anderen

 Vgl. EW XVII, .  Vgl. GW XII,  – ; dazu Katja Bruns, Anthropologie zwischen Theologie und Naturwissenschaft bei Paul Tillich und Kurt Goldstein. Historische Grundlagen und systematische Perspektiven (Göttingen: Edition Ruprecht,  / Kontexte. Neue Beiträge zur historischen und systematischen Theologie, Bd. ).  Vgl. EW V,  f.  EW XVII, .  Ebd.  EW XVII, .  EW XVII, .  EW XVII,  f.  Vgl. EW XVII, .  EW XVII, .  EW XVII, .  EW XVII, .

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gegen eine reine Bewusstseinsphilosophie,¹⁶¹ und er sucht einen Punkt, der den Gegensatz zwischen Subjektivität und Objektivität überwindet, was seine Anthropologie auch mit derjenigen von Karl Jaspers verbindet.¹⁶² An dieser Stelle mache ich einen kleinen zeitlichen Sprung, komme aber in diesem Zusammenhang noch einmal auf die Frankfurter Antrittsvorlesung zurück. Im Jahre 1948 hat sich Tillich mit zwei Bänden einem breiten theologisch-kirchlichen Leserpublikum in den USA präsentiert, mit dem Predigtband The Shaking of the Foundations und der Aufsatzsammlung The Protestant Era. Der letzte Band enthält 18 seit 1922 veröffentlichte Aufsätze aus der deutschen und amerikanischen Zeit, die alle um das Thema „Protestantismus“ kreisen. Die deutschen Texte wurden von James Luther Adams ins Englische übersetzt. Der erste hier abgedruckte Text ist bezeichnenderweise die Frankfurter Antrittsvorlesung von 1929, was deren Bedeutung für das Selbstverständnis Tillichs unterstreicht.¹⁶³ Zwei Jahre später, also 1950, wurde dieser Band ins Deutsche rückübersetzt, und er erschien unter dem Titel Der Protestantismus. Prinzip und Wirklichkeit. ¹⁶⁴ Tillich erklärte sich auch mit der Aufnahme der Frankfurter Antrittsvorlesung in den vierten Band der Gesammelten Werke einverstanden;¹⁶⁵ allerdings wollte er hierfür den englischen Text als maßgeblich zugrunde gelegt haben.¹⁶⁶ Es ist aber zu beobachten, dass in dieser Version auch wiederum mannigfache Beziehungen zum ursprünglichen Wortlaut von 1929 gegeben sind. Von daher liegen also insgesamt vier Versionen der Frankfurter Antrittsvorlesung vor, die Gottfried Seebaß im 14. Band der Gesammelten Werke unter dem Titel „Betrachtungen zur Textgeschichte von ‚Philosophie und Schicksal‘“¹⁶⁷ synoptisch dargeboten hat. Dies wirft auch ein exemplarisches Licht auf die Probleme, mit denen eine mögliche „kritische Ausgabe“ der Werke Tillichs zu kämpfen hätte. Maßgeblich sind also der ursprüngliche Text von 1929 sowie die englische Übersetzung von 1948,¹⁶⁸ und hier fallen eine ganze Anzahl von Änderungen ins Auge.¹⁶⁹ Eine davon ist besonders bezeichnend, und sie unterstreicht die von mir

 EW XVII, .  Vgl. Jaspers, Philosophie, Bd. , Existenzerhellung,  ff.  Vgl. Paul Tillich, The Protestant Era (Chicago: The University of Chicago Press, ),  – .  Vgl. Paul Tillich, Der Protestantismus. Prinzip und Wirklichkeit (Stuttgart: Steingrüben, ),  – .  Vgl. GW IV,  – .  Vgl. GW XIV, .  Vgl. GW XIV,  – .  MW I bringt drei Versionen dieses Textes: den ursprünglichen Text von  ( – ), die englische Version von  ( – ) sowie die deutsche Version aus der Rückübersetzung der Protestantismusschrift von  ( – ).  Vgl. GW XIV,  – .

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vertretene These einer Wende: In der englischen Fassung wurde nämlich der Grundgedanke der deutschen Antrittsvorlesung, dass das Sein im Schicksal stehe, durchgängig abgeändert zu der Aussage, dass die Existenz im Schicksal stehe.¹⁷⁰ Ich bringe dazu zwei prägnante Beispiele. Im Text von 1929 heißt es: „Steht das Sein selbst im Schicksal, so entspricht es der Freiheit des Erkennens, auch im Schicksal zu stehen. Sein und Erkennen sind im Schicksal miteinander verflochten.“¹⁷¹ Der englische Text von 1948 lautet dagegen: „Since existence itself stands in fate, it is proper that philosophy should also stand in fate. Existence and knowledge both are subject to fate.“¹⁷² Oder (1929): „Denn auch das Denken ist Sein.“¹⁷³ Und (1948): „For thought is a part of existence.“¹⁷⁴ Wenn man bedenkt, dass der Begriff der Existenz innerhalb der Existenzphilosophie wesentlich als Freiheit zu interpretieren ist¹⁷⁵ und eine der drei ontologischen Polaritäten von Tillich diejenige von Freiheit und Schicksal ist,¹⁷⁶ so ist diese Änderung nicht nur der englischen Übersetzung geschuldet, sondern im qualifizierten Sinne zu deuten. Nur drei Jahre später hat Tillich im Sommersemester 1951 als Gastprofessor an der Freien Universität Berlin eine Vorlesung über „Ontologie“ gehalten,¹⁷⁷ die die ontologische Fundierung seiner dreibändigen Systematischen Theologie ¹⁷⁸ in aller Breite entfaltet. Hier ist es nicht mehr so sehr der Sinnbegriff, der nun im Mittelpunkt seines Interesses steht, sondern der Seinsbegriff, wobei der Sinnbegriff dadurch aber nicht verabschiedet wird, sondern weiterhin mitschwingt. Dass Tillich aber jetzt ohne Not auf den Seinsbegriff rekurrieren kann, liegt daran, dass er das Sein wesentlich in Polaritäten denkt,¹⁷⁹ betonen diese doch dessen dynamischen Charakter¹⁸⁰ – angefangen bei der grundlegenden Polarität von Selbst  Vgl. GW XIV, . Gottfried Seebaß schreibt in Bezug auf die Version in den Gesammelten Werken zu Recht: „Die Frage aber, wo in dem Aufsatz für ‚Sein‘ ‚Existenz‘ stehen kann, die von der englischen Übersetzung aufgeworfen ist, kann erst schlüssig beantwortet werden, wenn eine Untersuchung der entsprechenden Begriffe innerhalb der Entwicklung der Theologie von Paul Tillich vorliegt“ (GW XIV, ).  MW I, ; GW XIV,  (linke Spalte).  MW I, ; GW XIV,  (rechte Spalte).  MW I, ; GW XIV,  (linke Spalte).  MW I, ; GW XIV,  (rechte Spalte).  Vgl. Schüßler, Jaspers zur Einführung,  – .  Vgl. ST I,  – .  Vgl. EW XVI,  – .  Vgl. ST I,  – .  Vgl. ST I,  – .  Vgl. EW XVI, , wo Tillich in diesem Zusammenhang auf Alfred North Whitehead verweist, der mit dem Begriff der Relation versucht habe, den „Dingbegriff in der Natur“ zu vermeiden. Mit dem Begriff der Polarität verfolgt Tillich ein ähnliches Ziel.

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und Welt¹⁸¹ bis hin zu den bekannten drei weiteren Polaritäten: Individualisation und Partizipation, Dynamik und Form sowie Freiheit und Schicksal,¹⁸² die er aus der genannten Grundpolarität ableitet.¹⁸³ Vom Ansatz her weist das eine gewisse Ähnlichkeit zu Jaspers’ sog. Periechontologie (abgel. von griech. periéchon und lógos), der Lehre des Umgreifenden, auf, wie dieser sie seit Mitte der 1930er Jahre in verschiedenen Vorlesungen¹⁸⁴ eingeführt und 1947 in dem monumentalen Werk Von der Wahrheit ¹⁸⁵ breit dargeboten hat.¹⁸⁶ Mit der Selbst-Welt-Korrelation als Ausgangspunkt seiner neuen, konstruktiven Ontologie verbindet Tillich den Anspruch, die ungelösten Aporien sowohl der klassischen Metaphysik als auch der neuzeitlichen Transzendentalphilosophie

 Vgl. ST I,  – .  Tillich spricht von „ontologischen Polaritäten“, das heißt, er will also damit sagen, dass diese selbst im Bereich des Anorganischen zu finden sind. Besonders in Bezug auf die Polarität von Freiheit und Schicksal ist das aber nicht unproblematisch, denn diese scheint ja selbst den höheren Tieren zu ermangeln. Es sind zwei Aspekte, mit denen Tillich diesem möglichen Einwand entgegenzutreten versucht: Zum einen verweist er darauf, dass die Polarität von Freiheit und Schicksal nur analog auf die untermenschliche Natur angewandt werden könne (vgl. ST I,  f.), zum anderen kann er aufgrund seiner Dimensionalontologie sagen, dass „in jedem Seienden […] alle Dimensionen gegenwärtig“ sind, wenn auch z.T. nur potentiell, was er so zum Ausdruck bringt: „Als Gott das Atom schuf, schuf er den Menschen; als Gott den Menschen schuf, schuf er das Atom“ (EW XVI, ; vgl. GW IV, ). In gewisser Weise vertritt Tillich hier also eine „monistische“ Position, worauf er auch selbst aufmerksam macht, wobei es sich aber, wie er betont, nicht um einen Monismus à la Ernst Haeckel handele (vgl. EW XVI, ).Vielmehr glaubt Tillich, diese Form von Monismus schon bei Aristoteles verorten zu können, d. h. „die Lehre, in der der Mensch nicht aus Leib, Seele und Geist usw. besteht, sondern eine Einheit ist“ (ebd.). Mit einer solchen Aristoteles-Interpretation steht Tillich zwar nicht alleine da, und dessen „anima-forma-corporis-Lehre“ sucht ja auch stärker die Einheit des Menschen zu betonen, als das beim starken platonischen Dualismus der Fall ist, und doch scheint mir Tillich hier anderen Aussagen von Aristoteles kaum gerecht zu werden, so wenn es bei ihm vom nous poietikos, dem intellectus agens, heißt, dass dieser „durch die Tür (thyraten)“ hereinkomme (vgl. De generatione animalum II ,  b ; ;  b  f.) oder wenn er diesen – im Unterschied zu den anderen Seelenteilen – als abtrennbar, leidensunfähig, unvermischt, unsterblich und ewig bezeichnet (De anima III ). Das heißt, auch Aristoteles scheint somit einen schwachen Dualismus zu vertreten. Insgesamt glaube ich auch nicht, dass man an einem solchen vorbeikommt, will man dem Menschen wirklich gerecht werden. Auch Helmuth Plessner und Arnold Gehlen überwinden diesen in ihren anthropologischen Konzeptionen ja nicht, sondern thematisieren ihn nicht mehr, da sie diesen für unlösbar halten.  Vgl. dazu Crépin Magloire C. Acapovi, L’Être et l’Amour: Une étude de l’Ontologie de l’Amour chez Paul Tillich (Berlin: LIT,  / Tillich-Studien, Bd. ), bes.  – .  Vgl. Karl Jaspers, Vernunft und Existenz. Fünf Vorlesungen (München: Piper,  []); Existenzphilosophie. Drei Vorlesungen (Berlin: De Gruyter,  []).  Vgl. Karl Jaspers, Von der Wahrheit. Philosophische Logik. Erster Band (München: Piper,  []).  Vgl. dazu Schüßler, Jaspers zur Einführung,  – .

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hinter sich zu lassen.¹⁸⁷ Denn beginnt man mit der Welt der Objekte, dann ist es nach Tillich unmöglich, wieder zurückzukommen zum Subjekt.¹⁸⁸ Aus diesem Grunde haben Philosophen wie Descartes, Kant und in ganz besonderem Maße Fichte Tillich zufolge auch „eine Wendung zum Subjekt“ vollzogen – die sog. „transzendentale Wende“. Aber hier stellt sich nach Tillich ein ähnliches Problem ein, denn nun war es nicht mehr möglich, aus der Welt des Subjekts zurückzukehren zur Welt der Objekte.¹⁸⁹ Zu diesen gegenläufigen Versuchen sagt er ausdrücklich: „Es ist dem Idealismus nie gelungen, nachdem er das Objekt ausgeschaltet hat, vom Subjekt zu ihm zurückzufinden, wie es dem Realismus, Naturalismus und Materialismus nie gelungen ist, nachdem sie das Subjekt ausgeschaltet haben, vom Objekt her zurückzukehren.“¹⁹⁰ Nach Tillich müssen wir aus diesem Grunde an einer Stelle anfangen, die noch eine Schicht tiefer liegt als die Subjekt-Objekt-Spaltung. Und diesen Ausgangspunkt bildet für ihn die sog. Selbst-Welt-Korrelation, wobei der Begriff „Selbst“ nicht auf das cartesische Cogito reduziert werden darf, wenn man auch dessen Ausgangspunkt erkenntnistheoretisch akzeptieren muss. Doch ist nach Tillich über das Erkenntnistheoretische hinaus zu fragen, ob Sein nicht mehr ist als Bewusstsein. Das „Selbst“ will er in diesem Sinne als eine „umfassende Ganzheit“ verstanden wissen,¹⁹¹ die in verschiedenen Abstufungen auftritt, deren höchster Grad aber ohne Zweifel erst im Menschen erreicht wird, weshalb Tillich hier den Begriff „Ich-Selbst“ vorzieht.¹⁹² Im weiteren Verlauf dieser Vorlesung entfaltet Tillich dann eine recht eigenständige Ontologie, die – neben dem Ansatz von Heidegger und Jaspers – einen

 Tillichs Ontologie kann man nicht auf eine Ontologie der Vernunft reduzieren, denn das käme ja einem Rückfall in den transzendentalphilosophischen Ansatz gleich, den existenzphilosophisches Denken aber gerade hinter sich lassen möchte. Er macht in diesem Zusammenhang auch eigens darauf aufmerksam, dass die Erkenntnisprinzipien immer auch schon Seinsprinzipien sind (vgl. EW XVI, ; ST I, ), was allerdings ebenso wenig einen Rückfall in den seinsphilosophischen Ansatz bedeuten soll.  Vgl. EW XVI, .  Ebd. Ähnlich hat es Heinemann auch schon  in seiner Schrift Neue Wege der Philosophie, , in Bezug auf die Bewusstseinsphilosophie formuliert, die er mit der Zeit von  –  konnotiert: „Das Problem war: wie komme ich vom Bewußtsein zum Sein, vom Subjekt zum Objekt, vom Phänomen zum Gegenstand?“ Für die Existenzphilosophie ist es nicht nur logisch unmöglich, mit Descartes die Existenz materieller Objekte zu beweisen oder diese mit Berkeley zu widerlegen; vielmehr ist für sie „das Problem als solches […] sinnlos“ (Fritz Heinemann, Existenzphilosophie – lebendig oder tot? (Stuttgart: Kohlhammer, ), ).  EW XVI, .  EW XVI, .  EW XVI, .

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wichtigen Beitrag zur Frage darstellt, wie heute noch Metaphysik möglich ist, was aber bisher im Bereich der Philosophie so gut wie nicht rezipiert wurde.¹⁹³

4 Resümee Carl Heinz Ratschow hat gemeint, dass die Mitte von Tillichs weitgespanntem und situationsbezogenem philosophisch-theologischen Werk seine Person sei, „dieser Mann, der in all den vielen kleinen Facetten seiner Arbeiten hindurchscheint.“¹⁹⁴ Dass eine große Theologie oder Philosophie immer – wenn auch in unterschiedlichem Ausmaß – ein personales Gepräge trägt, trifft auf fast alle Denker zu; von daher ist Ratschows Hinweis wenig erhellend. Demgegenüber haben andere Interpreten nach einem einheitsstiftenden Strukturprinzip gesucht. Hier ist an erster Stelle Gunther Wenz zu nennen, der dieses in der Freiheitsfrage zu finden glaubt.¹⁹⁵ Allerdings unterscheidet Wenz – wie der Titel Subjekt und Sein seiner Tillich-Studie auch schon deutlich macht – zwischen der frühen Subjekt- und der späten Seinsphilosophie Tillichs. Und doch verdrängt nach Wenz weder die Frühzeit die Seinsthematik, noch bedeutet „die Prävalenz des Ontologischen“ in der Spätzeit „die Verabschiedung des Subjektivitätsproblems.“¹⁹⁶ Wenz gesteht in diesem Zusammenhang auch dem Einfluss des Existentialismus einen gewissen Raum zu, den er nicht nur für „ein Spezifikum der amerikanischen Zeit“¹⁹⁷ hält. Wenz’ Deutung ist sicherlich ein Schritt in die richtige Richtung, bedarf aber einer weiteren Differenzierung.

 Man kann Tillichs neue Ontologie mit Hermann Deuser auch als „Existenz-Ontologie“ bezeichnen (vgl. ders., „Gottes Poesie oder Anschauung des Unbedingten? Semiotische Religionstheorie bei C. S. Peirce und P. Tillich“, in: Das Symbol als Sprache der Religion, hg. von Christian Danz et al. (Wien und Berlin: LIT,  / Internationales Jahrbuch für die Tillich-Forschung, Bd. / ),  – , hier  – ), wenn damit gemeint sein soll, dass Tillich „kein einziges ontologisches Problem […] [behandelt], in dem nicht der Einfluss des Existentialismus zu spüren ist“ (EW XVI, ). Insgesamt ist hier Bollnow zuzustimmen, wenn dieser meint, „dass bei allen einzelnen Existenzphilosophen die ‚reine Existenzphilosophie‘ schon in Richtung auf eine jeweils verschiedene Metaphysik fortgebildet wurde“ (Otto Friedrich Bollnow, Existenzphilosophie (Stuttgart: Kohlhammer,  []), ).  Carl Heinz Ratschow, „Paul Tillich. Ein biographisches Bild seiner Gedanken“, in: TillichAuswahl, hg.von Manfred Baumotte, Bd.  (Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus Mohn, ),  – , hier .  Vgl. Gunther Wenz, Subjekt und Sein. Die Entwicklung der Theologie Paul Tillichs (München: Kaiser, ), .  A.a.O., .  A.a.O.,  f.

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Ähnlich wie Wenz sieht auch Christian Danz in seiner gewichtigen Studie zu Tillich dessen „einheitsstiftenden Grundgedanken“ im Begriff der endlichen Freiheit „als Bestimmtheit zur Selbstbestimmung“¹⁹⁸. Im Gegensatz zu Wenz sucht Danz aber selbst die späte Ontologie Tillichs aus der Perspektive seiner frühen Schriften zu rekonstruieren, die er im Sinne einer subjektivitätstheoretischen Transzendentalphilosophie deutet.¹⁹⁹ Damit wird die spätere Entwicklung Tillichs weniger im Sinne einer wirklichen Weiterentwicklung gedeutet, sondern vielmehr im Sinne einer Regression in Bezug auf den eindeutigen und klaren Standpunkt der Frühzeit. Ich glaube aber nicht, dass man damit Tillichs Denken gerecht werden kann. In einem jüngst erschienenen Beitrag zu Tillichs ontologischem Begriff der Macht scheint Danz nun auch von seiner strikten früheren Position etwas abzurücken, wenn er hier zwischen dem geistphilosophischen Ansatz der Frühzeit, dem anthropologisch-existenzphilosophischen der 1930er Jahre und dem lebensphilosophischen der Spätzeit unterscheidet.²⁰⁰ Dass auch beim späten Tillich Sätze zu finden sind, die transzendentalphilosophisch bzw. subjekttheoretisch interpretiert werden können, will ich ja gar nicht bestreiten. Aber es ist die Frage, ob diese auch notwendig so gedeutet werden müssen ²⁰¹ oder ob sie nicht auch von einem existenzphilosophischen Horizont her verständlich zu machen sind, der, wie ich zu zeigen versucht habe, meines Erachtens sachlich wesentlich näher liegt. Ich hatte schon die Frage aufgeworfen, welcher transzendentalphilosophische Ansatz bei Tillich im Hintergrund steht; diese Frage ist ja historisch kaum eindeutig zu klären. Und natürlich kann man auch Heidegger und Jaspers transzendentalphilosophisch interpretieren, doch ist diese Frage in der Heideggerund Jaspers-Forschung äußerst umstritten. Und es kommt hinzu, dass dieser Begriff dadurch jede Kontur zu verlieren scheint und kaum noch aussagekräftig

 Christian Danz, Religion als Freiheitsbewußtsein. Eine Studie zur Theologie als Theorie der Konstitutionsbedingungen individueller Subjektivität bei Paul Tillich (Berlin und New York: De Gruyter, ), .  Vgl. a.a.O., ; Christian Danz, „Zwischen Transzendentalphilosophie und Phänomenologie. Die methodischen Grundlagen der Religionstheorien bei Otto und Tillich“, in: Rudolf Otto. Theologie – Religionsphilosophie – Religionsgeschichte, hg. von Jörg Lauster et al. (Berlin und Boston: De Gruyter, ),  – , hier  f. Die jüngst erschienene Untersuchung von Stefan Dienstbeck, Transzendentale Strukturtheorie. Stadien der Systembildung Paul Tillichs (Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, ), liegt ganz auf dieser Linie.  Vgl. Christian Danz, „‚Sein […] ist Macht zu sein.‘ Beobachtungen zu Paul Tillichs ontologischem Begriff der Macht in Love, Power, and Justice“, in: Ders. et al. (Hg.), Love, Power, and Justice (Berlin und Boston: De Gruyter,  / International Yearbook for Tillich Research, Bd. ),  – , hier .  Vgl. dazu auch Deuser, „Gottes Poesie oder Anschauung des Unbedingten“, .

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Werner Schüßler

ist. Zudem sehe ich mit Jaspers das entscheidende Moment der Existenzphilosophie – „trotz ihrer Verschiedenheit in Gesinnung, Form und Gehalt“²⁰² – „negativ […] [im] Durchbruch durch die wissenschaftliche Philosophie und positiv […] [im] Ergreifen eines Ernstes, der allem bloßen Wissen abgeht“²⁰³, d. h. im Begriff der existentiellen Wahrheit.²⁰⁴ Eine einseitige transzendentalphilosophische Interpretation widerspricht meines Erachtens auch in eklatanter Weise Tillichs Selbstverständnis, heißt es doch schon in dessen Autobiographie Auf der Grenze von 1936 dazu: Zu einem neuen Verständnis des Verhältnisses von Philosophie und Theologie wurde ich durch das Aufkommen der sogenannten ‚Existentialphilosophie‘ in Deutschland geführt. […] Ich selbst war in dreifacher Weise zur Aufnahme dieser Philosophie vorbereitet. Einmal durch die genaue Kenntnis von Schellings Spätperiode, in der er im Kampf mit Hegels Wesensphilosophie einer Existentialphilosophie den Weg zu bahnen suchte. Zweitens durch eine, wenn auch begrenzte Kenntnis von Kierkegaard, dem eigentlichen Begründer der Existentialphilosophie, drittens durch meine Abhängigkeit von der Lebensphilosophie.²⁰⁵

Dass Tillich frühe Einsichten nie ganz über Bord geworfen hat, ist zugestanden; das heißt, es liegen bei ihm keine wirklichen Brüche vor. Aber ein wichtiger Begriff seines philosophisch-theologischen Denkens hat ohne Zweifel auch Bedeutung für sein eigenes Werk, nämlich der Begriff des Kairos.²⁰⁶ Und hier lautet die entscheidende Einsicht: „Nicht jedes ist zu jeder Zeit möglich, nicht jedes zu jeder Zeit wahr, nicht jedes in jedem Moment gefordert.“²⁰⁷ Das heißt, jeder Zeit kommt die Aufgabe zu, „den ewigen Sinn aller Zeit aus ihrem Leben und in ihren Worten neu zu schöpfen.“²⁰⁸  Karl Jaspers und Rudolf Bultmann, Die Frage der Entmythologisierung (München: Piper,  []), .  Ebd.  Vgl. dazu Schüßler, Jaspers zur Einführung,  – .  GW XII, ; vgl. a.a.O., .  Vgl. dazu Schüßler, „Kairos“,  – .  GW VI, .  GW VII, . In diesem Sinne konnte Tillich sogar das Aufkommen des Expressionismus im Sinne eines „Kairos“ deuten, da dieser ihm zufolge „the ultimate meaning of life“ wesentlich besser zum Ausdruck bringen konnte als die unmittelbar vorhergehenden Stilrichtungen in der Kunst (Paul Tillich, On Art and Architecture, hg. von John und Jane Dillenberger (New York: Crossroad, ), ). Russell Re Manning spricht darum in diesem Zusammenhang auch zu Recht vom Expressionismus als „the style of kairos“ („Tillich’s theology of Art“, in: Ders. (Hg.), The Cambridge Companion to Paul Tillich (Cambridge: Cambridge University Press, ),  – , hier ). Vgl. zur „Theologie der Kunst“ bei Tillich auch Werner Schüßler und Erdmann Sturm, Paul Tillich. Leben – Werk – Wirkung (Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft, ),  – ; Werner Schüßler, „Was uns unbedingt angeht.“ Studien zur Philosophie und Theologie Paul Tillichs (Berlin: LIT,  [] / Tillich-Studien, Bd. ),  – .

Der Mensch und die Philosophie

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In Bezug auf unsere Fragestellung heißt dies, dass sich durch Tillichs Begegnung mit dem Existentialismus und der Philosophischen Anthropologie, wie sie vornehmlich in der Frankfurter Zeit stattfand, ein neues philosophisches Leitparadigma anbahnte. Das lässt sich auch schön verdeutlichen an folgendem Beispiel: In seiner Frühzeit spricht Tillich von der „kritisch-intuitiven Methode“²⁰⁹, in seiner Spätzeit spricht er von der „intuitiv-critical method“²¹⁰. Diese Umstellung bedeutet sicherlich kein Versehen; ich erinnere nur an die Modifikationen in Bezug auf die englische Übersetzung von Tillichs Frankfurter Antrittsvorlesung. Auch Tillichs „Theologie der Heilung“, wie er sie Ende der 1950er/Anfang der 1960er Jahre unter dem Leitbild einer Philosophie des Lebens²¹¹ ausgebildet hat, wäre ohne diesen Paradigmenwechsel kaum denkbar.²¹² Und dass sich bedeutende Vertreter der sog. „existentiellen Psychotherapie“, wie z. B. der TillichSchüler und -Freund Rollo May, immer wieder auf den späten Tillich beziehen, spricht für sich.²¹³ Auf die Frage eines amerikanischen Studenten, ob er sich selbst mehr als Philosoph oder mehr als Theologe begreife, muss er auch einmal geantwortet haben, dass er sich als einen „interpreter of life“²¹⁴ verstehe. In Ansätzen ist diese

 EW XII,  (Vorlesung über Religionsphilosophie, ).  Vorlesung „Philosophy of Religion“ (), Lecture  (Tonbandaufzeichnung von Peter John; Transkript von Jean Richard).Vgl. dazu Jean Richard, „Tillich’s First and Last Lectures on Philosophy of Religion. Berlin  and Harvard “, in: Religion – Kultur – Gesellschaft. Der frühe Tillich im Spiegel neuer Texte ( – ), hg.von Christian Danz und Werner Schüßler (Wien und Berlin: LIT,  / Tillich-Studien, Bd. ),  – , bes.  – ; Werner Schüßler, „Abkehr von der Bewusstseinsphilosophie. Zur Kulturtheologie des späten Tillich“, in: Paul Tillichs Theologie der Kultur. Aspekte – Probleme – Perspektiven, hg.von Christian Danz und Werner Schüßler (Berlin und New York: De Gruyter,  / Tillich Research, Bd. ),  – , hier  (Anm. ).  Vgl. bes. ST III,  – ; EW XVI,  – .  Vgl. bes. GW VIII,  –  und IX,  – ; dazu Werner Schüßler, „‚Healing Power.‘ Zum Verhältnis von Heil und Heilen im Denken Paul Tillichs“, Trierer Theologische Zeitschrift  (),  – ; Karin Grau, „Healing Power“ – Ansätze zu einer Theologie der Heilung im Werk Paul Tillichs (Münster: LIT,  / Tillich-Studien, Bd. ), bes.  – .  In Rollo Mays Schriften ist der Einfluss Tillichs augenscheinlich (vgl. z. B. Freiheit und Schicksal. Anatomie eines Widerspruchs (Frankfurt am Main: Fischer,  [/]); Liebe und Wille (Köln: Ed. Humanist. Psychologie, ), The Cry for Myth (New York: Delta, )). Auch Irvin D. Yalom bezieht sich immer wieder auf Tillich (vgl. z. B. Liebe, Hoffnung, Psychotherapie (München: btb,  [/]),  u. ). Vgl. dazu Alexander Noyon und Thomas Heidenreich, Existentielle Perspektiven in Psychotherapie und Beratung (Weinheim und Basel: Beltz, ).  Peter John, „Tillich: The Words I Recorded, the Man I Knew“, Newsletter of the North American Paul Tillich Society / (),  – , hier .

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Werner Schüßler

Philosophie des Lebens²¹⁵ schon vorgeformt in seiner Frankfurter Vorlesung über Geschichtsphilosophie.²¹⁶ Wendet man Tillichs hier zum Ausdruck kommendes Verständnis von Leben auf seine eigene Denkentwicklung an, so wäre es geradezu paradox, ihm zu unterstellen, dass er in seinen späteren Jahren starr am transzendentalphilosophischen bzw. subjekttheoretischen Paradigma festgehalten hätte, käme das doch – um mit seinen eigenen Worten zu sprechen – „einer eingeschränkten, verfestigten und unbeweglichen Zentriertheit“²¹⁷ gleich, bei der man eigentlich nicht mehr von einer Bewegung des Lebens sprechen könnte, da dieses in einem solchen Fall nicht mehr angereichert würde durch neue Inhalte. Vielmehr käme ein solches Leben dem nahe, was Tillich in diesem Zusammenhang den „Tod der völligen Selbst-Identität“²¹⁸ nennt. Es kommt noch ein weiterer Aspekt hinzu. Tillich – so wissen wir – hat sich seit dem Ersten Weltkrieg intensiv mit der Kunst auseinandergesetzt²¹⁹ und in seinem

 Die Grundbewegung allen Lebens beschreibt Tillich wie folgt: „Das Leben ist ein Prozess, in dem eine doppelte Bewegung wie in allen Prozessen zu beobachten ist: die Bewegung zur Trennung von sich selbst und zum Bleiben in sich selbst. […] D.h. das Leben in all seinen Dimensionen geht über sich hinaus, trennt sich von sich selbst, läuft sozusagen von sich fort und bleibt gleichzeitig bei sich selber, und das heißt das Zurückkehren zu sich selber“ (EW XVI,  f.). In Bezug auf diese Grundbewegung allen Lebens sind somit drei Elemente zu unterscheiden: . die Selbst-Identität, . die Selbst-Veränderung sowie . die Rückkehr zu sich selbst (vgl. ST III, ; GW IV, ; GW IX, ).  Unter der Überschrift „Die im Begegnen erlebte ursprüngliche Spannung“ heißt es hier: „Leben ist Begegnungsmöglichkeit, weil Leben Spannung über sich hinaus ist. Wird der Lebensbegriff nicht biologisch eingeengt, so ist er nichts anderes als dieses Über-sich-Hinausstoßen auf der Basis des Bei-sich-Bleibens. Darin liegt ein Widerspruch zum Identitätsdenken. Das Übersich-Hinaussein ist vom Identitätsdenken aus ein Paradox. Aber eben dieses Paradox ist das Ursprünglichste; es ist uns unmittelbar gegeben im Spannungserlebnis. […] Unser Lebensproceß ist uns gegeben als solch ständiges Über-uns-hinaus-Gesetzt-Sein. Dieses ist die Mächtigkeit des Lebensprocesses, die sich in der Begegnung und Selbstbegegnung darstellt“ (EW XV, ). In Tillichs „Reply to interpretation and criticism“ zu dem von Charles W. Kegley und Robert W. Bretall herausgegebenen Band The Theology of Paul Tillich (New York: Macmillian, ) heißt es u. a.: „I cannot suppress some regret that world history combined with physical limitations have prevented me from developing a ‘philosophy of encounter’ whose rudimentary elaboration was presented in a Frankfurt lecture course“ (). Diese Überlegungen sind dann aber – wie gesagt – in modifizierter Weise in die entsprechenden Abschnitte zu einer Philosophie des Lebens der Systematischen Theologie eingeflossen (vgl. ST III,  – ).  ST III  (Korr. der Übers. von mir!).  Ebd. (Korr. der Übers. von mir!).  Vgl. dazu Werner Schüßler, „‚Das Ewige im Jetzt.‘ Zum Verhältnis von Kunst und Religion im Denken Paul Tillichs“, in: Love, Power, and Justice, hg. von Christian Danz et al. (Berlin und

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Spätwerk eine „Theologie der Kunst“ entwickelt,²²⁰ wobei für ihn der Expressionismus, den er allerdings nicht auf die kurze historische Stilepoche zu Beginn des 20. Jahrhunderts reduziert wissen will,²²¹ eine entscheidende Rolle spielt.²²² Von daher war er in gewisser Weise schon prädisponiert für das Aufkommen des Existentialismus, verstand er doch diesen im Sinne eines philosophischen Pendants zum Expressionismus in der bildenden Kunst. In seinem Vortrag über „Existentialist Aspects of Modern Art“ von 1955 macht er auch ausdrücklich auf diesen Zusammenhang aufmerksam,²²³ und er deutet hier den Existentialismus als „ein universales Element in allem Denken“²²⁴, also ähnlich weit, wie er auch den Expressionismus interpretiert.²²⁵ Insgesamt scheint mir Tillich Jaspers wesentlich näher zu stehen als Heidegger, und er kritisiert letzteren auch in einem entscheidenden Punkt in einer ähnlichen Weise wie Jaspers, dass Heidegger nämlich „in wissenschaftlicher Objektivität mit existentialer Analyse erkennen [will], was nur existentiell einen Sinn haben kann.“²²⁶ Um mich der Terminologie von Jaspers zu bedienen: „Existentialien vergegenständlichen, was nur in Signen Hinweis sein kann.“²²⁷ Hinzu kommen etliche sachliche Parallelen zwischen Jaspers und Tillich vornehmlich in Bezug auf die Frage nach dem Sein und das Sprechen über die Transzendenz.²²⁸ Allerdings greift Tillich – im Gegensatz zu Jaspers – auch auf einige Theoreme der klassischen Metaphysik zurück, die er aber auf seine ganz eigene Weise „reformuliert“, wie den Substanz- und den Partizipationsbegriff,²²⁹ die Lehre von der analogia entis ²³⁰ oder auch die sog. Transzendentalienlehre.²³¹

Boston: De Gruyter,  / International Yearbook for Tillich Research, Bd. ),  – , bes.  f.  Vgl. dazu Tillich, On Art and Architecture; Kunst und Gesellschaft. Drei Vorlesungen (), aus dem Englischen übersetzt, herausgegeben und mit einem Nachwort über die Bedeutung der Kunst für das Denken Paul Tillichs von Werner Schüßler (Münster: LIT,  / Tillich-Studien. Abteilung Beihefte, Bd. ).  Vgl. Schüßler, „Das Ewige im Jetzt“,  – .  Vgl. Tillich, Kunst und Gesellschaft, bes.  – .  Vgl. Tillich, On Art and Architecture,  ff.  A.a.O., .  Vgl. Schüßler, „Das Ewige im Jetzt“, .  Jaspers und Bultmann, Die Frage der Entmythologisierung,  f.  A.a.O., .  Vgl. Werner Schüßler, „Philosophischer und religiöser Glaube. Karl Jaspers im Gespräch mit Paul Tillich“, Theologische Zeitschrift  (),  – .  Vgl. a.a.O., .  Vgl. ebd.

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Werner Schüßler

Im Titel meines Beitrages, der sich an eine Vorlesung des etwas in Vergessenheit geratenen christlichen Existenzphilosophen Peter Wust (1884 – 1940) aus dem Wintersemester 1938/39 anlehnt,²³² kommt zum Ausdruck, dass die Philosophie ihrem tiefsten Wesen nach als „die eigentliche scientia humana“, ja sogar als „die scientia humanissima“²³³ gelten kann. Unter dieses Leitwort kann man auch das Philosophie- und Theologieverständnis Tillichs stellen, wie er es spätestens seit seiner Frankfurter Zeit ausgebildet hat. Und dieses lässt sich mit den ersten Sätzen aus dessen Religionsphilosophie-Vorlesung von 1934 so zusammenfassen: „Es gibt Antworten, für die es niemals Fragen gegeben hat. Denn nicht jede Frage in der Philosophie und in der Wissenschaft ist eine echte Frage. Echte Fragen entstehen in der Wirklichkeit, in der Nötigung zu handeln, in der Not des Lebens.“²³⁴ In diesem Sinne besteht für mich kein Zweifel daran, dass Tillich spätestens seit dem Aufkommen der Existenzphilosophie der transzendentalphilosophischen Fragestellung nur noch bedingt ein sachliches Interesse beigemessen hat. Übrigens hat Wust eine vergleichbare Wandlung durchgemacht wie Tillich, in diesem Fall vom Neukantianismus über die Anthropologie Schelers hin zu einer recht eigenständigen christlichen Existenzphilosophie, wie sie sich in seiner bekannten Schrift Ungewißheit und Wagnis von 1937 dokumentiert.²³⁵ In seinem frühen Hauptwerk über Die Auferstehung der Metaphysik von 1920 – der Titel avancierte geradezu zu einem Schlagwort in diesen Jahren – rühmt er auch, wie Tillich seinerzeit, Troeltsch und Simmel als die kommenden Denker.²³⁶ Dass Tillich zu seinen frühen Schriften inzwischen auch den inneren Zugang verloren zu haben scheint, geht aus den folgenden Sätzen aus einem Rundbrief vom September 1949 hervor: „Es werden jetzt verschiedene meiner englischen Arbeiten ins Deutsche übersetzt. Leider bin ich in dieser Beziehung nicht sehr hilfreich. Abgesehen von dem Zeitmangel wird es mir schwer, mich auf meine alten

 Der Begriff der Macht ist nach Tillich „der erste Begriff […], mit dem Sein als Sein charakterisiert werden muß“ (GW IX, ; vgl. GW XI, ). Vgl. dazu Schüßler, „Was uns unbedingt angeht“, .  Vgl. Peter Wust, „Der Mensch und die Philosophie“ (/), in: Ders., Gesammelte Werke, hg. von Wilhelm Vernekohl, Bd.  (Münster: Regensberg, ),  – .  Peter Wust, Ungewißheit und Wagnis, neu herausgegeben im Auftrag der Peter-Wust-Gesellschaft von Werner Schüßler und F. Werner Veauthier (Berlin: LIT,  [] / Edition Peter Wust. Schriftenreihe der Peter-Wust-Gesellschaft, Bd. ), .  EW XVII,  (Herv. von mir!).  Siehe oben Anm. .  Vgl. Peter Wust, Die Auferstehung der Metaphysik (), in: Ders., Gesammelte Werke, hg. von Wilhelm Vernekohl, Bd.  (Münster: Regensberg, ),  f.

Der Mensch und die Philosophie

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Sachen zu konzentrieren. Selbst wenn ich sie nicht schlecht finde, sind sie für mich wie ein Fremdkörper, ein Ding für sich selbst, nicht mehr Teil meines Lebens.“²³⁷ Hinzu kommt, dass Tillich an rein methodologischen Fragen – von seinem frühen System der Wissenschaften ²³⁸ von 1923 einmal abgesehen – nur wenig Interesse hatte. „Man soll frisch an die Sachen gehen und möglichst viel und gut sehen“, heißt es in der Vorlesung über „Fragen der systematischen Philosophie“ von 1932/33.²³⁹ Und in der Ontologie-Vorlesung von 1951 bemisst er den Wert einer Ontologie daran, wie groß ihr Erklärungspotential ist.²⁴⁰ Alles in allem scheint Tillich seinem eigenen Selbstverständnis nach mit dem neuen existenzphilosophischen und anthropologischen Leitparadigma, das er in seiner Frankfurter Zeit und auch noch danach nicht einfach unkritisch übernommen, sondern in seinem Sinne modifiziert und weiterentwickelt hat, nun ein wesentlich besseres Instrumentarium an der Hand gehabt zu haben, um sich den philosophischen und theologischen Problemen der Zeit zu stellen, als mit seinem frühen transzendentalphilosophischen Ansatz. In seiner schon genannten Vorlesung über „Religion and Culture“, die er im Herbst- und Frühjahrssemester 1955/56 an der Harvard University gehalten hat,²⁴¹ betont Tillich auch eindringlich, dass heute der Existentialismus – in einem sehr weit verstandenen Sinne²⁴² – als das entscheidende philosophische Paradigma zu begreifen und folglich auch von der Theologie zu gebrauchen ist.²⁴³ Mit Blick auf die Tiefenpsychologie geht Tillich sogar noch einen Schritt weiter, wenn er hier davon spricht, dass deren Einsichten klar gezeigt hätten, dass nicht nur die Haltung einer Psychologie und Ethik des Bewusstseins („morals of consciousness“), sondern ganz allgemein auch die Haltung einer Philosophie des Bewusstseins, die gemeinhin Idealismus genannt wird, falsch sei.²⁴⁴

 EW V,  (Herv. von mir!).  Vgl. GW I,  – .  EW XVIII, .  Vgl. EW XVI, .  Siehe oben Anm. .  Tillich versteht unter dem Begriff „Existentialismus“ nicht die atheistische Engführung à la Jean-Paul Sartre oder Albert Camus, sondern er versteht diesen Begriff in einem sehr weiten Sinne als „Gesichtspunkt“, „Protest“ und „Ausdruck“ (vgl. EW XVI,  – ).  Vgl. Tillich, „Religion and Culture“, Lecture  [] (. . ), .  Vgl. a.a.O., Lecture  [] (. . ), . Der Ausdruck „morals of consciousness“ ist nur schwerlich ins Deutsche zu übersetzen. Tillich wird hier aber ohne Zweifel an Kant gedacht haben. So wie die Tiefenpsychologie die Bewusstseinspsychologie als leitendes Paradigma abgelöst hat, so hat auch die Lebens- und Existenzphilosophie den Idealismus und Neukantianismus abgelöst.

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Werner Schüßler

Dabei ist Tillich aber nie den Gefahren eines einseitig existenzphilosophischen Standpunktes verfallen,²⁴⁵ will er diesen doch notwendig rückgebunden wissen an die Philosophische Anthropologie, und das heißt letztlich, an eine essentialistische Analyse.²⁴⁶ In diesem Sinne ist es seine tiefste Überzeugung, „daß die Frage nach dem, was die Existenz des Menschen ausmacht, nicht gestellt und nicht beantwortet werden kann, ohne daß man die Frage vorher gestellt und beantwortet hat, was das Wesen des Menschen ist.“²⁴⁷ Stellen wir zum Schluss noch einmal die von Ratschow aufgeworfene Frage nach der Mitte von Tillichs weitgespanntem und situationsbezogenem philosophisch-theologischen Werk.²⁴⁸ Inhaltlich kann man diese sehr wohl mit Wenz und Danz in der Freiheitsthematik sehen, aber ebenso theologisch im Rechtfertigungsprinzip und philosophisch in einem sehr weit gefassten Identitätsprinzip.²⁴⁹ Die Klammer der weitgespannten Themen von Tillichs Werk bildet aber ohne Zweifel die schon sehr früh, nämlich bereits 1919 entwickelte „Theologie der Kultur“²⁵⁰, derzufolge alles Gegenstand der Theologie werden kann – „aber nicht unter dem Gesichtspunkt [seiner] […] autonomen Form, sondern unter dem Gesichtspunkt [seiner] […] Fähigkeit, durch [seine] […] autonome Form etwas von letztem und unbedingtem Gewicht zu vermitteln.“²⁵¹ Dabei wechselt aber das philosophische Paradigma, dessen sich Tillich für die Entfaltung seiner „Theologie der Kultur“ bedient: In der Frühzeit ist das der transzendentalphilosophische oder subjekttheoretische Ansatz, der bald ergänzt

 Ähnlich hat sich übrigens auch Jaspers schon früh dagegen gewehrt, als reiner Existenzphilosoph klassifiziert zu werden. Werkgeschichtlich hat er dem dadurch gegenzusteuern versucht, dass er dem Begriff der Existenz den der Vernunft zur Seite gestellt hat, was dann zur Ausarbeitung seiner „Lehre des Umgreifenden“ geführt hat. Siehe oben Anm.  und .  Vgl. GW V,  – .  MW VI, . – Dass Tillich keine Probleme hat, anthropologische und existenzphilosophische Fragestellungen zusammenzudenken, verbindet ihn ebenfalls mit Peter Wust. Beschäftigt sich die Philosophische Anthropologie vornehmlich mit der Frage „Was ist der Mensch?“, so die Existenzphilosophie mit der Frage „Wie wird man Mensch?“.Vgl. dazu Peter Wust, „Weisheit und Heiligkeit (Wintersemester /)“, hg. von Werner Schüßler und Marc Röbel, in: Dies. (Hg.), „Die Unruhe des Menschenherzens.“ Einblicke in das Werk Peter Wusts (Berlin: LIT,  / Edition Peter Wust. Schriftenreihe der Peter-Wust-Gesellschaft, Bd. ),  – , hier .  Siehe oben Anm. .  Vgl. dazu Werner Schüßler, Paul Tillich (München: Beck,  / Beck’sche Reihe Denker, Bd. ),  – .  Vgl. GW IX  – .  Vgl. ST I, .

Der Mensch und die Philosophie

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wird um einen sinntheoretischen Aspekt,²⁵² in den 1930er Jahren – so hat sich gezeigt – wird dieser frühe Ansatz weitgehend durch einen existenzphilosophischen und anthropologischen Ansatz überlagert, der in eine recht eigenständige Ontologie²⁵³ einmündet und schließlich durch einen lebensphilosophischen Aspekt ergänzt wird.²⁵⁴ Von daher kommt der Frankfurter Zeit Tillichs geradezu eine Schlüsselrolle zu, nicht zuletzt auch im Hinblick auf sein opus magnum, die dreibändige Systematic Theology, werden doch in den 1930er Jahren die entscheidenden Weichen gestellt für die reife Theologie und Philosophie der Spätzeit. *** Anstelle eines Nachworts: Johann Wolfgang von Goethe am 24. April 1830 zu Kanzler Friedrich von Müller: „Ey, bin ich denn darum 80 Jahre alt geworden, dass ich immer dasselbe denken soll?“ ²⁵⁵

 Der sinntheoretische Aspekt wird besonders von Ulrich Barth favorisiert (vgl. z. B. ders., „Die sinntheoretischen Grundlagen des Religionsbegriffs. Problemgeschichtliche Hintergründe zum frühen Tillich“, in: Ders., Religion in der Moderne (Tübingen: Mohr Siebeck, ),  – ).  Siehe oben Anm. .  Siehe oben Anm. .  In: Kanzler [Friedrich] von Müller, Unterhaltungen mit Goethe, krit. Ausg. besorgt von Ernst Grumach (Weimar: Böhlau, ), .

Yiftach Fehige

More than Sand Castles: Paul Tillich, Christianity, and Science

In the March 16th issue of the year 1959 the Newsmagazine Time featured Paul Tillich. Before 1933, the reader learns, the early Tillich built sand castles— every summer. Then he “came to the U.S. […] and gave up building sand castles”, as he was too busy “erecting a towering structure of thought.”¹ There is an element of continuity, however, because the concepts that make up the tower are as “hard to grasp and hold as a handful of dry sand […]. [T]he edifice he has built with them is densely packed and neatly shaped against the erosion of intellectual wind and wave.”² Much of that wind and wave has originated from the impact of modern science, and already the early Tillich was aware of it. The very existence of Protestant theology was at risk as a result from the encounter with both philosophy and science, noted Tillich in 1931/32.³ The 1920s and 30s were the time of logical positivism whose most outspoken advocates aspired to model philosophical rationality on scientific rationality. As Tillich rightly noted in 1931, logical positivism was one of the many new philosophical movements that resulted from an opposition to Hegel’s idealism.⁴ The logical positivists were the most visible figures of the emerging new philosophical school of analytic philosophy. This school and that of phenomenology arose about the same time and became the two most influential streams of philosophical thinking in the 20th century. Advocates of each school in their early stages shared a passionate anti-metaphysical attitude emerging out of a concern about the growing gap between modern science and philosophy. The early Tillich was aware of the increasingly prevailing anti-metaphysical attitude in philosophical circles. He saw the implications for Protestant theology, even though he dismissed the attacks on metaphysics as philosophically misguided.⁵ Nevertheless the accomplishments of modern science have been impressive, and philosophy was well advised to reconsider some of its own fundamental as-

 “To be or not to be”, TIME. The Weekly Newsmagazine, vol. LXXIII, , No. , March , here .  Ibid.  See EW XI, .  See EW XI, .  See EW XI, .

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Yiftach Fehige

sumptions for its own sake. By and large, Tillich’s early work has little to offer that would support a similar move in Christian theology. Still, the little it does offer merits a discussion because it is still more than much of today’s Christian theology has to offer. To be more specific: what concerns me primarily in the following are the links in the work of the early Tillich—and not the later, in accordance with the task that the conference organizer⁶ has defined for us—to the field where I am at home first and foremost, namely that of Christianity and Science.⁷ Therefore I will enter into a discussion, as it were, with the early Tillich.⁸ My approach is not, however, exclusively a function of my own research interests.

1 Tillich’s Theology: An Obstacle? According to Robert J. Russell—founder of The Centre for Theology and the Natural Sciences at the Graduate Theological Union in Berkeley, California—it wasn’t until the dominance of Tillich and others subsided that the field of Christianity and Science could rise.⁹ I disagree with this claim.¹⁰ It might be true for  I would like to use this opportunity to express my gratitude to Heiko Schulz for an insightful conference on Tillich.  To my knowledge, the only discussion of Paul Tillich’s theology in its relationship to modern science provides John F. Haught, “Tillich in Dialogue with Natural Science”, in: Cambridge Companion to Paul Tillich, ed. Russell Re Manning (Cambridge: Cambridge University Press, ),  – . According to Haught, Tillich was an advocate of the independence model. Christianity and Science cannot be in conflict, accordingly, since they contribute independently of each other and irreducibly to one another to humanity’s pursuit of the truth. At the same time, Tillich’s method of correlation brings science as an important dimension of the existential dimension of today’s humanity in focus, and thereby enables a dialogue between Christianity and Science. The problem with Haught’s reading of Tillich is that it only scratches on the surface of a philosophical framework that I see at work already in the early Tillich. This framework, I will argue, enables Tillich to respond to the challenges that modern science pose for Christianity in a more complex way than Haught brings to light by juxtaposing the so-called “independence model” and “dialogue model” in focusing on different aspects of Tillich’s work.  I am indebted to the objections of Christian Danz to my reading of Tillich in this respect. I am not interested in a critical-historical commentary to Tillich. My approach is systematic. I will come back to this at a later point.  Robert J. Russell, “Preface”, in: Fifty Years in Science and Religion. Ian Barbour and His Legacy, ed. Robert J. Russell (Aldershot: Ashgate, ), xiii-xvi, here xiv.  I suspect Russell’s assessment reflects the impact of influential studies such as The Concept of Correlation. Paul Tillich and the Possibility of a Mediating Theology (Berlin and New York: Walter de Gruyter, ) by John P. Clayton, who argues that Tillich’s theology is committed to essentialism which disables a mutual relationship between Christianity and culture.

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the equally influential Karl Barth and his implausible rejection of natural theology.¹¹ Tillich’s work, however, seems to be more constructive than Barth’s in this respect, although I recognize that Tillich has little to offer in terms of substantial theological discussion of the ground breaking results of modern science that shaped the culture of his day, such as quantum physics and Einstein’s theory of relativity. Nevertheless, this didn’t make his work an obstacle to the rise of the field of Christianity and Science. On the contrary, Tillich’s work informed some of the most important contributors to the field, including Richard Swinburne and Ian Barbour. Swinburne has produced what some, such as Alvin Plantinga,¹² consider the most comprehensive system of natural theology in the history of Christianity. An important element of that system is the proof that God is logically possible, and the notion of God that he assumes is informed by Tillich’s theology. He explicitly uses Tillich’s term of God as the personal ground of being.¹³ Ian Barbour was the founder of the field of Science and Religion in the US and, in his autobiography, expresses his indebtedness to Tillich’s multifaceted relationalism.¹⁴ Obviously, Tillich’s theology or the dominance thereof was not an obstacle to the rise of the field of Christianity and Science.¹⁵

2 Tillich on Technology More importantly, in the 1920s and 1930s Tillich addressed a topic that is of significance in the field today. He discussed modern technology, and he did so in a way that a nuanced view of modern science comes to light, in tandem with suggestions as to how to bring Christianity and modern science into a meaningful conversation. A Christian theology is conducive to facilitate an interaction between Christianity and Science if it satisfies two requirements. First, it facilitates a critical reassessment of traditional Christian doctrines and thereby a revision of the meaning of central Christian concepts. Second, it allows points of contact between

 See John C. Polkinghorne, The Faith of a Physicist (Minneapolis: Fortress, ),  – .  See Alvin Plantinga, “Religion and Science”, The Stanford Encyclopedia of Philosophy (Spring  Edition), ed. Edward N. Zalta, http://plato.stanford.edu/archives/spr/entries/religion-science/ (Last access April , ).  See Richard Swinburne, The Coherence of Theism (Oxford: Clarendon Press,  []), .  See Ian Barbour, “A Personal Odyssey”, in: Russell (ed.), Fifty Years in Science and Religion, op. cit.,  – , here . Polkinghorne also recognizes the indebtedness of Barbour to Tillich. See Polkinghorne, The Faith of a Physicist, .  More reasons to support this claim can be found in Haught, “Tillich in Dialogue with Natural Science”.

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Christianity and Science, either formally or by content. The resulting interaction can be one of conflict or dialogue—to name only two forms of interaction of Christianity and Science in Western thought. Much of today’s Christian anthropology, for example, does not satisfy the two requirements. As J. Wentzel van Huyssteen rightly observed, theological notions of human nature are so abstract that it is impossible to relate them in a meaningful way to what the sciences have to say about human nature.¹⁶ The work of the early Tillich satisfies the two requirements, and thus enables a contact. That is to say that I wish to challenge the view Tillich simply advocated an independence model for Christianity and science.¹⁷ For example, Tillich noted in 1927 that the concepts of the tradition have mostly become “useless tools” (unbrauchbare Werkzeuge) which makes it inevitable to have them undergo a radical process of “remelting” (Umschmelzung).¹⁸ That is not to say that the early Tillich has a model for the relationship between Christianity and science to offer; nor that his early work is very rich in resources to develop such a model. It is also not the case, as noted earlier, that the early Tillich provides much in terms of insightful discussion of the science of his day. Here and there we find hints at psychoanalysis and quantum physics,¹⁹ and, as we are going to see, Charles Darwin’s theory of natural selection. Remarkable about the early Tillich is the absence of any reference to the groundbreaking theory of relativity that Einstein proposed in the period between 1905 and 1917—at least in the writings that I reviewed. Yet, he was interested in a theory of technology, and this interest is the primary concern in the following.

 See J. Wentzel van Huyssteen, “What Makes Us Human? The Interdisciplinary Challenge to Theological Anthropology and Christology”, Toronto Journal of Theology  (),  – .  I am indebted to Werner Schüßler whose objections to my reading of Tillich made me realize that I was not clear in an earlier draft of this paper. What I wish to argue for in the following is that I find the “independence model” insufficient to describe the early Tillich’s position on the relationship between Christianity and modern science/technology. I agree with John F. Haught that there is more in Tillich than support for the “independence model”, but disagree with him insofar as I consider a juxtaposition of an “independence model” and “dialogue-model” insufficient, as well, to capture the surplus in Tillich. That is not to say that the early Tillich has a full-fledged model to offer. On the contrary, Tillich’s nuanced reflections on technology are not developed enough to claim that he has any model to offer. However, those reflections have a spin towards a model, and this spin is more towards a “dialogue model” than an “independence model”.  See EW XI, .  See EW XI, , .

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2.1 “Theonomous Philosophy” In 1927, during his tenure at Dresden’s University of Applied Sciences, Tillich published a talk that he held on the occasion of the 99th anniversary of the founding of that university.²⁰ The relatively short paper is about the meaning of modern technology, and reflects a commitment to the philosophical school of phenomenology that was on the rise in Germany in the 1920s due to the impressive work of its founder, Edmund Husserl, and his students. An early culmination point in the development of this school was the publication of Martin Heidegger’s Being and Time—a monograph that anticipated some of the central themes of Heidegger’s own analysis of technology in his The Question Concerning Technology. ²¹ Noteworthy in this respect is that Tillich shares a Denkform (style of thought) with Heidegger.²² Tillich—who was in Marburg when Heidegger was there at the time when he began to work on his three volume Systematic Theology whose first volume did not appear until about 30 years later in 1951—names the Denkform in question as “theonomous philosophy”²³. The early Tillich learned from Heidegger’s self-proclaimed atheistic philosophy how to bridge theology and philosophy. Tillich’s paper on the meaning of modern technology shows this, or so I will argue.

2.2 Phenomenology, Technology, and Darwin Although the early Tillich is critical of the usefulness of a pure Husserlian phenomenology in the context of dogmatics,²⁴ he claims that a Wesensschau is required in the first place to determine the meaning of modern technology. Wesensschau in Husserlian phenomenology is an intuition of essences, and

 Paul Tillich, “Logos und Mythos der Technik”, Logos  (),  – . All of Tillich’s writings in German I will use in their German original, as I have decided to refrain from inquiries into possible English translations of them. This is probably no burden to the Tillich expert, but to the novices who don’t read German. My apologies for that.  Martin Heidegger, The Question Concerning Technology and Other Essays, trans. William Lovitt (New York: Harper & Row, ),  – .  See for a general discussion of the indebtedness of Tillich to Heidegger’s philosophy Thomas F. O’Meara, “Tillich and Heidegger: A Structural Relationship”, The Harvard Theological Review  (),  – .  Paul Tillich, The Interpretation of History (New York: Scribner’s, ), .  See EW XI, . Tillich argues that the use of phenomenology in Christian dogmatics may lead to miss the particularity of the Christ-event, and this because of the centrality of the Wesensschau in phenomenology.

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according to Tillich, the essence of technology is a means-end rationality. Wherever there are means and ends in relation to each other, there is technology, even in nature. Tillich is certainly wrong here, although I recognize the metaphysics of events and the philosophy of nature that come to light in this statement.²⁵ Of primary interest in the present context, however, is how he tries to overcome the gap between nature and technology. Commonly, technology is claimed to be contrary to nature. Nature suffers from technology, is subject to its intrusive use. Technology, especially modern technology, becomes primarily an ethical issue. Ethics is the way to control technology and to protect nature. Not so in Tillich’s paper. The appearances of teleology in organic nature are, argues Tillich, indications of the technical aspect of nature. Nature has its techniques to bring about life, biodiversity, and each organism’s life-cycle. It is here that Tillich refers to the work of Charles Darwin. From today’s perspective, his reference is puzzling, as we have become accustomed to think of Darwin’s theory of natural selection as dealing the death blow to a teleological understanding of nature.²⁶ That is why today’s Christianity struggles with Darwin, and rightly so. Since the 1940s there is not a single competent biologist […] who still believe[s] in any final causation of evolution or of the world as a whole […] it is no longer a reasonable view when one fully appreciates the variational nature of Darwinian evolution, which has no ultimate goal and which, so to speak, starts anew in every generation […] considering how often natural selection leads into fatal dead ends and considering how often during evolution its premium changes, resulting in an irregular zigzag movement of the evolutionary change.²⁷

In a nutshell, evolutionary biology doesn’t leave any room for teleological thinking. The randomness in nature that is characteristic of Darwinism makes it very difficult to reconcile the theological claim that humanity is created in the image of God with the idea that God did so by means of natural selection. Randomness and intentional divine acts are irreconcilable. Christian proponents of theistic Darwinism disagree and insist that evolution by natural selection does not imply atheism if cleansed of any naturalism, even though they concede that it

 See EW XI,  f.  It is probably more accurate to credit David Hume with that accomplishment. Ironically, after Hume published his powerful critique of teleological arguments, William Paley’s Natural Theology, which is basically a teleological proof for God’s existence, became the leading textbook for natural theology in th century England.  Ernst Mayr, What Makes Biology Unique? (Cambridge: Cambridge University Press, ),  and .

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requires a top-down approach to detect in nature the effects of divine intervention resulting in the origin of the human species. A top-down approach means that you have to know from divine revelation that there is a God who has not only the goodness and power to intervene in nature to bring about humanity, but actually did so. Then you see God at work in the history of life on earth—leaving aside as secondary the problem what to make of it philosophically.²⁸ This top-down approach is not Tillich’s. He prefers a bottom-up approach and cites Darwin’s theory of natural selection in support of his claim that nature is technological insofar as it has its own techniques, i. e. means to realize particular ends. Nature exhibits a means-ends rationality. Tillich’s use of Darwin in support of this claim is not necessarily the result of a misunderstanding of Darwin. Phenomenologically, it is undeniable that nature is teleological, as undeniable as the phenomenological fact that the sun and not the earth moves. Even more important, Tillich’s reflections on technology in the 1920s and 1930s are before the time of the so-called modern evolutionary synthesis that was concluded sometime in the 1940s. Population genetics and Darwinism were synthesized in that period, and henceforth the problems then surrounding Darwin’s theory of evolution were considered solved, including the problems as to why variety in the traits of a population occurs and how selected traits are passed on from one generation to the next. Simplifying a much more complex situation,²⁹ Darwin presupposed as fact variety in the traits of a population and had little to offer to explain inheritance. Tillich rejects substance dualism³⁰ and thus he can claim that nature gave rise to technologies by bringing about the brain and thus the mind. Tillich sees a gradual development from nature’s techniques to technologies, generally speaking. He still emphasizes that modern technologies are of a very distinct quality. In nature means and ends are in balance to sustain life. The relationship between means and ends is symmetrical. It is asymmetrical in modern technology. What matters are ends. They are realized by whatever means available. This is the essence of modern technology.

 See Nicholas Saunders, Divine Action and Modern Science (Cambridge: Cambridge University Press, ). Saunders rightly argues that theological claims about divine intervention by proponents of theistic evolutionary theory (and others) are either hopelessly vague or sheer unsupportable.  Mayr, What Makes Biology Unique?,  – , provides a non-technical account of the events surrounding the modern synthesis.  See EW XI, .

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2.3 A Taxonomy of Technologies Tillich distinguishes three types of modern technologies. The first respects and serves nature, as it is the case with some of the agricultural and medical technologies. These technologies follow the means-ends rationality of nature more closely than the others, although they still subordinate means to ends, as they are to aim for improvement and development with respect to the desired ends. Radio and cinema are among the technologies of Tillich’s second type. They objectify the human mind. The third type is intrusive technologies, a type most often associated with the so-called technological age. Accordingly, Tillich continues his discussion with an exclusive focus on this type of technology. Products of these technologies are contrary to nature, as they result from an aim to innovate, transform, and deform. The primacy of ends comes to the fore in these technologies, and is accompanied by a kind of rationality that has three characteristics: (1) The ends dictate every aspect of the technological process. (2) Laws of nature are observed unconditionally in the technological process to avoid failure of the technology. Modern technologies are, as it were, an objectification of nature’s lawful order. While the mind transcends nature with its technological products, nature still exercises its power over the mind insofar as the smallest deviance from a law of nature in the design of the technology will have serious consequences for its intended operation. (3) The technologies are subordinated to economic principles. Tillich distinguishes between the rationality that brings about such technologies and the rationality that is expressed in such technologies. The technological age and its products are the result of creative intuition. In other words, the instrumental rationality expressed in modern technologies is not its own product. An intuitive rationality brings about this instrumental rationality. This is not only an important observation insofar as a pluralistic theory of rationality is concerned. It also raises interesting questions about the diversity of scientific rationality, and the relationship between it and religion. I will first say something about the former, and then a bit more about the latter.

2.4 The Diverse Face of Scientific Rationality: Thought Experiments Tillich claims that “intuition” and the “perfect rationality” expressed in modern science’s technological dimension are not in contradiction. I agree with Tillich,

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and the use of thought experiments in science supports his claim.³¹ It will become clear in a moment why I discuss thought experiments in this context. Thought experiments are real experiments insofar as they are of evidential significance in science. They remain unexecuted outside of the imagination and are unreal in this respect. The most famous thought experiment is Galileo Galilei’s two-canon ball experiment.³² Assuming that Aristotle’s physics is committed to the view that the motion of an object is proportional to its weight, Galileo imagines a light and a heavy canon ball somehow attached to each other and reasons as follows: dropped from a tower, the compound should reach the ground faster than the heavy canon ball alone would be, because the lighter canon ball makes the compound of light and heavy canon ball heavier than the heavy canon ball alone; at the same time the compound should also be slower than the heavy one alone would be, because the lighter canon ball slows down the heavy canon ball. The contradiction provides evidential significance against Aristotelian physics. Even more, argues Galileo, the thought experiment helps us to see that all objects must fall at the same speed. A new law of motion was discovered. But, how on earth can this be? Part of the answer is the mind’s capability to intuit.³³ A particular intuition results from this capability. Such an intuition is a mental propositional attitude. Intuitions are acquired through causal interactions with the natural environment and the mind’s embeddedness in a social community. Intuitions are fallible, and yet of significant cognitive efficacy. Scientific creativity depends on them, as Tillich rightly notes regarding the technological dimension of modern science. Intuition matters also in Christian theology, including the use of thought experiments.³⁴ This brings me to the relationship between scientific and religious rationality.

 See James R. Brown and Yiftach Fehige, “Thought Experiments”, Stanford Encyclopedia of Philosophy (Fall  Edition), ed. Edward N. Zalta, http://plato.stanford.edu/archives/ fall/entries/thought-experiment/ (Last access April , ).  See James R. Brown, “Thought experiments since the Scientific Revolution”, International Studies in the Philosophy of Science  (),  – , here  f.  See Elke Brendel, “Intuition Pumps and the Proper Use of Thought Experiments”, Dialectica  (),  – .  See Yiftach Fehige, “Quantum Physics and Theology: John Polkinghorne on Thought Experiments”, Zygon  (),  – .

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2.5 The Meaning of New Technologies Tillich actually misses the opportunity to bring into focus Christianity’s contribution to the emergence of the instrumental rationality that he claims to be characteristic of the technological age. This is not a criticism external to Tillich’s discussion. He laments the fact that, at his time, there was no systematic theory of technology available, and touches on two aspects of such a theory to compensate for that lack. The first is an explanation for the rise of technology. The second concerns the relation of technology to science, art, and economics. I will attend to these aspects in turn.

2.5.1 The Rise of Modern Technology Tillich explains the rise of modern technology as a gradual development that follows basically three principles. The first is what I will call the complementarity principle. A complementarity to human organs explains those technologies that evolved in accordance with them. Most rudimentary forms of technology are extensions of human organs, argues Tillich. The second is the compositionality principle. Rudimentary forms compose higher forms of technology. Third there is the principle of proportionality. Some forms of technology serve static ends, such as the construction of houses. Others play an important role in more dynamic processes, such as harvesting. Depending on the relationship between humans and technology, technologies of this third type can be divided into tools and machines. Tools can be used manually, machines not, they require an operation. The latter are the culmination point in the development of the instrumental rationality that characterizes modern technology. Machines express the highest degree of independence from humanity. Even if we were to accept Tillich’s phenomenological and quasi bio-sociological account of the rise of modern technologies, it requires a historical supplement to be philosophically satisfactory. The biology of humanity has changed little in the last 2000 years. Thus, we cannot expect to find biological causes to explain sufficiently the rise of modern technology—disregarding the general philosophical shortcomings of biological explanations of changes in matters of human cognition, knowledge, and practice. This is not to say that Tillich had any kind of biologism in mind. On the contrary, he is quite explicit about his rejection of any kind of biologism. For example, Tillich insists that human nature

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does not determine history.³⁵ This is all the more reason to go beyond Tillich’s account of the rise of modern technology. What about the sociological component of Tillich’s theory? Western society underwent important changes in culture, especially—and most importantly in the present context—during the period between the 15 – 17th century enabling the rise of the rationality that characterizes modern science and its technologies. The reasons for these changes are, however, historical and not sociological. To be more precise, they are theological. What I have to say in this respect should not be misconceived as an imposition of ideas on the early Tillich. He did have an awareness of the implications of the Reformation for the rise of modern science and technology, or so it seems. For example, among the notes that Tillich recorded in preparation for a talk at a meeting of the local chapter in Hannover of the Kant Society on November 22, 1930, we find Tillich’s claim that the genuinely Christian component of the Reformation effected a break with the “mythological real” and the establishment of the “technical real”.³⁶ Tillich’s characterization of their differences and their antagonism is evocative of August Comte’s influential philosophy of history that claims three stages of development towards the scientific age: “(1) a theological stage, in which events are explained by divine action; (2) a metaphysical stage, in which events are explained by the influence of forces and essences; (3) a positive or scientific stage, in which knowledge is based on observation and empirical evidence.”³⁷ In Tillich we find the following criteria to distinguish between the “mythological real” and the “technical real”: on the one hand we have a unity of nonhuman nature and humanity, a naive metaphysical realism, a lack of systematicity, a particularism, and a religious conception of nature insofar as the religious dimension is origin, destiny, and inner unity of nature with the divine as a potentiality of nature. On the other hand we have the “technical real”, characterized by a means-ends rationality, systematic analysis and synthesis, objectification in the process of knowledge acquisition, a conception of nature as a unity of universal laws, an ideal of infinite progress, and the relegation of the religious dimension to the realm of the autonomous individual, the transcendent divine, the irrational, and the metaphysical. Overall, religion is relegated to the background. The “mythological real” and “technical real” are mutually contra-

 EW XI, ; and Paul Tillich, “Natural and Revealed Religion”, Christendom  (),  – , here:  f.  See EW XI,  – .  Margaret J. Osler, “Religion and the Changing Historiography of the Scientific Revolution”, in: Science and Religion. New Historical Perspectives, ed. Thomas Dixon, Geoffrey Cantor and Stephen Pumfrey (Cambridge: Cambridge University Press, ),  – , here .

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dictory, claims Tillich. The “technical real” explains the rise of theological antirealism. Religion becomes cognitively void in light of the “technical real”. In turn, religion brings itself in opposition to science and rejects scientism in the name of humanity. Christian Protestantism is conceived of as a compromise between theological anti-realism and scientism. That is to say that from a historical-eschatological point of view mythological components of religious belief are constantly to be identified in order to be overcome as historical contingencies and, at the same time, the absoluteness of the “technical real” is to be called into question.³⁸ According to Tillich, this is the only way we can bring into focus the meaning of history as an event. History’s meaning insofar as it is an event (Geschehen), and not just a development (Entwicklung) in time, is the realization of the meaning of being in form of culture and the eschaton, as well as being the result of acts of free will insofar as they are “being without being” (seinsfreies Sein)—which is Tillich’s way of characterizing agent causation.³⁹ What I want to bring out is the following: from Tillich’s perspective, we must say that Comte fails to distinguish between the event-character of history and the development-character of history in stipulating a universal historical law, according to which any cognitive development of humanity requires that, in Tillich’s terms, the “mythological real”, including theology and metaphysics, gives way to the “technical real” as the epistemological goal of human cognition—collectively and individually. Tillich, however, insists on a development of reason that reaches its highest level “when reason understands itself as reason”⁴⁰. Once reason reached that stage the meaning of history as event is within reach. This makes it impossible that metaphysics or natural theology could ever be overcome. For, metaphysics is on a spectrum of rational answers to questions about the universal behind the particular, i. e. the nature of that which keeps the particular together.⁴¹ There is mathematical, physical, structural, historical, etc., meaning to the particular. The metaphysical concerns the level where the question of the meaning of those meanings is posed. Once the question is posed we have the option to satisfy ourselves with an infinite regress, or a metaphysics that “intuits” a “presence” that sustains everything, i. e. provides meaning to all meanings. Its existential site is revelation and is expressed in religious

 See EW XI,  – .  See EW XI, . I am happy to concede to Christian Danz that Tillich most likely was not engaging in discussions about determinism/indeterminism and that the terminology I am using risks to commit a kind of anachronism. Yet, I wouldn’t know what else “being without being” means if not an affirmation of what I call agent-causation.  Tillich, “Natural and Revealed Religion”, .  See EW XI,  – .

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symbols. Christian theology’s place is in between, neither pure metaphysics nor pure symbolism with an openness to the eschaton—the ultimate. Another way of expressing the same kind of what I call foundational theology and others philosophy of religion is Tillich’s characterization of the crisis of natural theology as the crisis of Protestantism in his time.⁴² In response to this crisis, Tillich argues that the biblical testimony of the divine revelation received in the Christian faith makes use of a symbolic cosmos that is not originally Christian but is the product of the human mind. Therefore the view that Christian theology could do without reason is unacceptable: Without the preceding religious experience of mankind nobody could understand and receive the message of revelation. Since the tool of revelation is human language, and since language is meaningful only through the common experience which is incorporated in it, revelation is not possible without the preceding religious experience of mankind in past, present and future.⁴³

Christianity does not only have a place in history at a particular point in time. It also has a continuing context in form of the history of religion. At the same time, the symbolic cosmos out of which the biblical witness to the Christian revelation emerges is transformed. Christian theology cannot be reduced to a natural religion, and natural theology is only part of the whole picture and requires itself a historical assessment regarding its conditions of possibility. Tillich commits himself to a strong version of the hermeneutical circle. Understanding of God and nature is without an anchor, to speak metaphorically. Neither the Christian revelation nor the human mind provide an “anchor” for understanding. Instead, we can only go from historical moment to historical moment. Each of those moments is the meeting point of human experience and divine revelation which together make revelation with a capital “R” possible and comprehensible. Christian revelation, the revelation with the capital “R”, transcends the human mind, for two reasons. First, human nature does not determine history. Humanity produces history since the unique feature of humanity is free will, which Tillich believes is sufficient as a metaphysical fact to reject the idea that history could ever be determined by humanity’s essence, and to assert that the meaning of history transcends the continuing development of historical episodes in time. Consequently, there can be only one way of doing theology—“a theology which interprets human religious experience by revelation as criticism and transforma-

 Tillich, “Natural and Revealed Religion”, .  See ibid., .

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tion of human religious experience.”⁴⁴ Second, human nature is weakened by sin. It seems to me that the sinfulness of human nature is the explanation for why Tillich insists on the importance of free will in understanding history. From the metaphysical fact of agent causation we can reach the methodological prescription to begin with history as the product of human free will only by means of a naturalistic fallacy. This brings me to a problem that I see in the early Tillich’s approach to revelation. I think there is more promise for the project of natural theology that Tillich is willing to concede in light of his own views about history and theology.⁴⁵ My objection is that if we were to conceive of free will in terms of rationality, as it was recently proposed in light of serious challenges emerging from psychological⁴⁶ experiments to the traditional concept of free will in terms of agent causation,⁴⁷ then reason would be the legitimate starting point after all and Tillich’s rejection of traditional natural theology become extremely weak. This is a theology that argues for knowledge of God by reason without revelation, be it with a small or a capital “R”. Obviously, it is the sinfulness of human nature that does the heavy lifting in Tillich’s prioritization of history over reason. But, my point here is not to call into question Tillich’s project of finding a new way of doing theology. I am rather interested in the role that discussions of sin and thus Adam’s Fall played in the rise of modern science to supplement Tillich’s account of the emergence of modern technology. The problems that I see for Tillich’s project are of less importance in the present context. I should not conclude this section without indicating in Tillich’s words his fundamental difference to Comte—in addition to those obvious differences that result from the clash of a religion friendly and a religion rejecting attitude—regarding the distinction between the “mythological real” and the “technical real” insofar as the role of Christianity is concerned in mediating between the two:

 See ibid., .  Werner Schüßler’s objections (voiced during discussions at the conference) to Russell Re Manning’s reading of Tillich’s position on natural theology confirm my suspicion that Tillich’s position is ambivalent. Tillich followed a tradition among Protestant thinkers in accepting Kant’s rejection of natural theology. Yet, I don’t think he did so wholeheartedly.  Again, I am not imposing perspectives or discourses on Tillich. Tillich himself connects psychology and free will, and notes that psychology is in no position to study and understand the true nature of free will. See EW XI, . Maybe I would have agreed with Tillich in light of the psychology of his time but the psychology of today proves his belief doubtful.  See, for example, Peter Baumann, Die Autonomie der Person (Paderborn: Mentis, ), and Simon Blackburn, Think. A Compelling Introduction to Philosophy (Oxford: Oxford University Press, ), Chapter .

More than Sand Castles: Paul Tillich, Christianity, and Science

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Revelation…gives us the criterion for everything in acting and thinking, and there can be no other criterion above it or beside it…if somebody confesses the Almighty God, Creator of heaven and earth, he presupposes the mythological belief in transcendent powers and in the genesis of our world by these powers. But this mythological belief is not revelation for him by itself; it is effective only indirectly in his confession in so far as it is criticized as a belief in demons and transformed into the belief in God, who is really God.⁴⁸

2.5.2 Adam’s Fall and the Rise of Modern Science Important historiographic changes have marked the history of science in the last five decades. This is especially true with respect to the so-called scientific revolution. Historical evidence strongly suggests that, contrary to what Comte and others claimed, the rise of modern science did not occur in opposition to religion. Religion—mainly Western Christendom—played an important role in bringing about the foundations of modern science.⁴⁹ History of science supports Tillich’s view that our technological age owes its existence to a kind of rationality that differs from the one modern technologies express. In addition, historical evidence suggests that the biblical narrative of Adam’s Fall played an important role in facilitating those discussions at the heart of the development of modern science and technology. More precisely, a focus on the cognitive consequences of the Fall in this discussion resulted in a justification of the experimental method. The mind is so weakened due to the Fall that it must rely on experiments to acquire knowledge. Similarly, the human mind needs intrusive technologies to study nature because not only the human mind but all nature is extremely unruly, due to the Fall, when it comes to knowledge. At the same time, the enterprise of modern science and the employment of intrusive technologies were motivated by “a quest to restore prelapsarian knowledge”⁵⁰. In this sense I agree with the early Tillich’s claims that in humanity nature awoke to itself and that this metaphysical fact is the meaning of the Fall of Adam.⁵¹

 Tillich, “Natural and Revealed Religion”, .  See for the following Peter Harrison, The Fall of Man and the Foundations of Science (Cambridge: Cambridge University Press, ).  Ibid., .  See EW XI, .

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2.6 Technology as Divinization of Humanity in Eschatological Brackets With this historical background in place and in light of modern technology’s success and efficiency, it comes as little surprise that for Tillich, and many others, technology is not only among the most impressive pieces of evidence for the truth of modern science but also changed the face of science insofar as pure and applied sciences have become equals. Tillich argues that this is a break with the Greek tradition of the West. He rightly observes that the Greeks valued pure knowledge more than practical knowledge. Even more, Tillich speculates that we might be on the way to a new form of doing science that unites the pure and the applied sciences. In its power to control nature, modern technology realizes the biblical notion of submitting the earth to humanity as expressed in the first chapters of Genesis. Insofar as modern technology allows humanity to do so in a way unprecedented in history Tillich assigns humanity divine status in light of Psalm 8: 4– 5 which reads, what is man that you are mindful of him, the son of man that you care for him? You made him a little lower than a god and crowned him with glory and honor. Accordingly, modern technology has changed the face of human labor and existence. It even gives hope that one day all humanity will be one, again—transcending space and time. At the same time, the violence of instrumental rationality has effected in a negative way divinized human life insofar as humanity’s relationship to everything fundamentally changed. Things have lost their meaning except for the meaning assigned to them by the instrumental rationality that is characteristic of modern technology. Ultimately, this effects the meaning of human life which has been reduced to fulfilling the task of realizing those potentialities in the things that instrumental rationality has opened up. Still, that is no reason to condemn modern technology. Like everything else, modern technology has two sides, a positive and a negative. That is the trivial part of Tillich’s position. The non-trivial and innovative part is the early Tillich’s attempt to accomplish both to overcome “supranaturalism” and to save metaphysics for the sake of the truth of Christianity. Tillich warns us that we should be extremely cautious in assessing modern technology because he was critical of those voices at his time that promised liberation from the evil of modern technology. Such criticism comes to short, he claims, unless it is embedded in a metaphysics of the event, which is an important part of the foundation of any Christian theology of technology, according to the early Tillich.

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3 Conclusion While I appreciate Tillich’s nuanced position and its genuine potential for a constructive dialogue between Christianity and modern science respecting its technological products, I cannot but conclude with the observation that the early Tillich has only “basic ideas” (in the sense of Robert P. Scharlemann⁵²) of a Christian theology of technology to offer. I hope I succeeded in bringing those basic ideas to light in the preceding paragraphs, although I myself have doubts about the feasibility of a Christian theology of technology in light of the atrocities of the 20th century. I am inclined to follow rather Adorno’s “materialistic messianism” and not the Christian eschatological perspective of Tillich in dealing theologically with the new technologies. But I have to leave it at that cryptic confession.

 See Robert P. Scharlemann, Reflection and Doubt in the Thought of Paul Tillich (New Haven: Yale University Press, ) in which Scharlemann argues that Tillich’s work offers only “basic ideas” that require a constructive analysis that goes beyond Tillich’s work to become a coherent unity.

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Sein und Geschehen Tillichs Metaphysikverständnis der 1920er Jahre

1 Einleitung Als sich Ende 1928 Tillichs Hoffnungen auf eine Theologieprofessur in Berlin endgültig zerschlagen, konstatiert er in einem Brief an Erich Seeberg, „daß eine theologische Fakultät, zum mindesten in Alt-Preußen für mich nicht [mehr] in Frage kommt.“ Daraus, so erklärt er weiter, „scheint die Notwendigkeit […] zu folgen, […] zwar nicht innerlich, wohl aber der Arbeitsrichtung nach […] mich einseitig der Philosophie zuzuwenden.“¹ Vergegenwärtigt man sich die Hartnäckigkeit, Umsicht und Diplomatie, mit der Tillich zuvor einen Wechsel von Marburg an seine großstädtische Wunschuniversität zu befördern versucht hatte, dann erscheint der mit der zitierten Aussage avisierte disziplinäre Richtungswechsel beinahe wie eine Trotzreaktion. Immerhin, er nimmt präzise vorweg, was in der Folge tatsächlich geschieht: Tillich wechselt im April 1929 an die erst 15 Jahre zuvor gegründete Universität Frankfurt – und zwar als Ordinarius für Philosophie (in Verbindung mit Sozialpädagogik und Soziologie²) in der Nachfolge von Hans Cornelius.³ Wie die Veranstaltungsübersicht der kommenden vier Jahre bis zu seiner Amtsenthebung durch die nationalsozialistischen Machthaber bezeugt, nimmt Tillich diese Widmung durchaus ernst: Er liest über philosophische Einleitungsfragen, über Philosophie der Geschichte, Geschichte der Philosophie, Religionsphilosophie, Geschichte der Ethik, Sozialpädagogik, über Hegel, die deutsche Klassik etc.⁴ Dabei kann angesichts eines systematisch derart eigenständigen und nachgerade seismographisch sen-

 Hier zit. nach Renate Albrecht und Werner Schüßler, Paul Tillich. Sein Leben (Frankfurt am Main et al.: Peter Lang, ), .  Vgl. dazu Notker Hammerstein, Die Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main, Bd. , Von der Stiftungsuniversität zur staatlichen Hochschule.  –  (Neuwied und Frankfurt am Main: Metzner, ), .  Auch diese Berufung war mit Schwierigkeiten und Konflikten verbunden; vgl. Albrecht / Schüssler, Paul Tillich, .  Vgl. hierzu EW, vor allem die Bände VIII, XV und XVIII; zum historischen Kontext Erdmann Sturm, „Historische Einleitung“, in: EW XV, S. XXIII-LIX und ders., „Historische Einleitung“, in: EW XVIII, S. XIX – XLVIII.

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siblen Denkers wie Tillich kaum überraschen, dass sich in den Frankfurter Jahren nicht nur der stetige Ausbau bzw. die Verfestigung jener, auch für die Folgezeit als verbindlich erachteten Positionen zeigt, die bereits seit Beginn der 1920er Jahre skizziert, begründet und erprobt wurden, sondern dass es nicht zuletzt aufgrund des offenbar überaus anregenden intellektuellen Umfeldes der Frankfurter Professur⁵ zu Präzisierungen sowie zu spezifischen Korrekturen und Modifikationen des zuvor Erarbeiteten kommt. Das gilt auch und vor allem im Blick auf die Tillichsche ‚Lebensfrage‘ einer plausiblen, d. h. reziprok sachgemäßen Verhältnisbestimmung von Philosophie und Theologie – und hier im Besonderen das Problem der Metaphysik sowie deren binnen- wie transphilosophischer Funktion. Ich möchte im Folgenden zunächst und in hermeneutisch-werkgenetischer Hinsicht (= 2) dreierlei zeigen: erstens, dass sich in Tillichs Schriften spätestens um 1928 herum ein verändertes, de facto zunehmend restriktives Verständnis von Eigenart, Funktion und Leistungsfähigkeit der Metaphysik anzudeuten beginnt; zweitens, dass sich dessen Genese am plausibelsten und jedenfalls relativ zwanglos als Reflex einer seit den Marburger Tagen stetig zunehmenden, wenn auch eher widerwillig eingestandenen⁶ Beeinflussung durch die Philosophie Martin Heideggers (im Besonderen Sein und Zeit) erklären lässt; drittens und mit einem Seitenblick auf einschlägige Passagen der Systematischen Theologie, dass sich die genannte Tendenz zur Restriktion oder wenn man lieber will: zur metaphysischen Diät hier konsequent fortsetzt. In zugespitzter Form könnte man von einer doppelten Restriktionsbewegung sprechen, die sich von der Metaphysik der absoluten Idee über die Metaphysik der Geschichte und von dieser zur Metaphysik des endlichen Seins qua Existenz vermittelt und durchsetzt. Diese werkgenetische Leitthese verbinde ich abschließend und in systematischer Hinsicht (= 3) mit einer – zu Selbstklärungszwecken so pointiert wie möglich formulierten – Tillich-Kritik, die auf einige wenige, hier mehr oder minder rhapsodisch zusammengestellte Probleme in den Metaphysik-Konzeptionen der späteren wie der frühen 1920er Jahre abhebt.

 Vgl. Hammerstein, Die Johann Wolfgang Goethe-Universität,  – ;  – .  Vgl. GW VII, ; GW XIII, .

Sein und Geschehen

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2 Hermeneutisch-werkgenetische Beobachtungen 2.1 Zwischen Neukantianismus und Sinntheorie. Eigenart und Gegenstand der Metaphysik in Tillichs System der Wissenschaften (1923) 2.1.1 Die frühe Konzeption der Metaphysik im System der Wissenschaften von 1923 (im Folgenden = SdW) ist die maßgebliche Quelle für dessen einschlägige Auffassung.⁷ Zunächst: Ein System der Wissenschaften ist Thema und Aufgabe einer Wissenschaftslehre als „Wissenschaft von der Wissenschaft“⁸. Diese hat ihr Prinzip und ihren systematischen Ausgangspunkt im Begriff bzw. in der Struktur des Wissensaktes selbst. In jedem Akt des Wissens ist demnach ein Doppeltes enthalten, der Akt selbst, und das, worauf er sich richtet – anders gesagt: „das Meinen und das Gemeinte“⁹. Tillich identifiziert den Akt des Meinens als einen bewussten, d. h. als Denken, das Gemeinte i.S. dessen, worauf dieser sich richtet, als Sein, und sieht darin die beiden irreduziblen Grundelemente des Wissens. Beide Momente können analytisch voneinander unterschieden, aber sie können nicht voneinander getrennt werden: „Wir können […] das Denken gar nicht anders bestimmen, als daß wir es als den Akt definieren, der auf das Sein gerichtet ist, und wir können das Sein nicht anders definieren, als das vom Denken Gemeinte, das, worauf der Denkakt gerichtet ist. Es ist völlig unmöglich, über diese Wechselbestimmung der Urbegriffe hinauszukommen“¹⁰, mit der Konsequenz, dass beide Begriffe auch nicht an sich, sondern nur in und aus der Wechselbeziehung zu ihrem Gegenüber bestimmt bzw. ‚definiert‘ werden können. Nun kann das Denken allerdings nicht nur Sein – als etwas, das selber nicht Denken (wohl aber denkbar) ist – denken; sondern es kann auch sich selber denken: und zwar nicht nur als etwas, das im beschriebenen Sinne Sein denkt, sondern auch als etwas, das seinerseits ist, mithin selber zum Sein gehört und an ihm teilhat. Diese selbstreferentielle Denkbewegung bzw. deren mannigfache Ausdrucksformen fasst Tillich im Begriff Geist zusammen. Mithin ergeben sich drei Grundsätze der Wissenschaftslehre. Erstens: Das Sein ist Denkbestimmung (= der Satz des absoluten

 Mindestens zwei weitere Texte aus dem sachlichen und zeitlichen Umfeld der Abfassung des Systems der Wissenschaften sind im Kontext der metaphysischen Fragestellung einschlägig: zum einen „Das Unbedingte und die Geschichte“ von  (vgl. EW X,  – ), zum anderen „Mythos und Metaphysik“, ebenfalls  entstanden (vgl. a.a.O.,  – ).  GW I, .  GW I, .  Ebd.

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Denkens); zweitens: Das Sein ist Widerspruch des Denkens (= der Satz des absoluten Seins); drittens: Das Denken ist selbst Sein (= der Satz des Geistes).¹¹ Auf diesen drei Grundsätzen beruht zugleich die Einteilung des Systems der Wissenschaften in die sog. Denk- bzw. Ideal-, Seins- bzw. Real- und Geistes- bzw. Norm-Wissenschaften.¹² Erstere richten ihr Erkenntnisinteresse „auf das Denken, insofern es losgelöst ist von jedem bestimmten Inhalt, auf die allgemeinen Formen, denen sich jeder Inhalt fügen muß, weil sie eben die Formen des Denkens selbst sind“¹³: Hierher gehören vor allem Mathematik und Logik. Im Unterschied dazu gehen die Realwissenschaften vom Begriff des Seins als eines allem Denken gegenüber Vorgängigen, ja Fremden und Unauflöslichen aus, „das an sich, abgesehen von irgendwelchem Bewußtsein ‚ist‘, etwas, […], das es [scil. das Denken] einfach anerkennen muß“¹⁴ und als zugleich unendlich mannigfaltigen wie individuellen Gehalt in die Form(en) des Denkens zu überführen versucht. Tillich unterscheidet dabei die Gesetzeswissenschaften (wie z. B. Physik und Chemie) von den sog. Gestaltwissenschaften (wie z. B. Biologie und Psychologie) einerseits, den sog. Folgewissenschaften (wie z. B. Geschichtswissenschaft, Ethnographie oder Kulturgeschichte) andererseits. Die Geisteswissenschaften schließlich – und nur diese – sind genuine Normwissenschaften. Tillich begründet dies mit dem Hinweis, dass sich das Denken, wenn es „über sich selbst denkt, […] nicht bloß zuschaut, wie allem anderen Sein, sondern […] zugleich sich selbst bestimmt, kritisiert, Normen gibt.“¹⁵ Geisteswissenschaften sind folglich produktiv, „[i]n ihnen ist das Denken schöpferisch und gibt Gesetze“¹⁶; denn Geist, so Tillich, ist nichts anderes als „Selbstbestimmung des Denkens im Sein“¹⁷. Zu den geisteswissenschaftlichen Elementen bzw. Teildisziplinen gehören dann die Sinnprinzipienlehre oder Philosophie, die Sinnmateriallehre oder Geistesgeschichte sowie die Sinnnormenlehre oder Systematik. Demnach ergibt sich:

 Vgl. GW I,  f.  Vgl. GW I, , wo Tillich diese Trias auf die platonische Einteilung der Philosophie in Logik, Physik und Ethik zurückbezieht.  GW I,  (meine Hervorh.).  GW I, .  GW I, .  Ebd.  GW I,  (meine Hervorh.).

Sein und Geschehen

Denk- oder Idealwissenschaften BezugsDenken / Form / kategorien Allgemeines Gegenstände

Grundformen der Wissenschaft Seins- oder Realwissenschaften Sein / Gehalt / Individuelles

Reine Denkformen Gesetze, Gestalten, Folgen des Seins

TeilLogik, Mathematik Gesetzeswissenschaften (z. B. disziplinen Physik), Gestaltwissenschaften (z. B. Biologie), Folgewissenschaften (z. B. Geschichte)

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Geistes- oder Normwissenschaften Sinn / Einheit von Form und Gehalt / Einheit von Allgemeinem und Individuellem Theoretisch: Wissenschaft, Kunst, Metaphysik Praktisch: Recht, Gemeinschaft, Ethos Sinnprinzipienlehre oder Philosophie, Sinnmateriallehre oder Geistesgeschichte, Sinnnormenlehre oder Systematik

2.1.2 Im SdW erscheint, wie das Schema zeigt, der Abschnitt über die Metaphysik im übergeordneten dritten Teil; diese hat nach Tillich ihren Ort folglich innerhalb der Geisteswissenschaften, freilich i.S. ihres Gegenstandsbereichs. Die Metaphysik ist aus seiner Sicht nämlich streng genommen überhaupt keine Wissenschaft;¹⁸ sie stellt vielmehr eine eigene Form der Theorie, i.S. des „sinnerfüllende[n] Aufnehmen[s] der Wirklichkeit“ bzw. der „reine[n] Anschauung der Dinge“¹⁹ dar. Das gilt zwar einerseits auf je eigene Weise auch von Wissenschaft und Kunst, so dass zwischen diesen dreien zumindest in wissenschaftssystematischer Hinsicht kein Subordinations-, sondern ein Koordinations- oder Nebenordnungsverhältnis besteht. Andererseits werden aber Wissenschaft und Kunst von der genuin metaphysischen Theorieform fundiert und synthetisiert, wobei letztere sich umgekehrt der genuin wissenschaftlichen und künstlerischen Theorieressourcen bedient und bedienen muss.²⁰ Der Schlüssel zum Verständnis dieses Zusammenhangs ist der Sinnbegriff, mit dem für Tillich das letzte und oberste Ziel aller geistigen Vollzüge

 Vgl. EW X, .  GW I, .  Zu Tillichs Begründung der eigenwilligen These, dass auch die Kunst als Theorieform zu gelten hat, mithin auf (anschauende) Erkenntnis zielt, vgl. GW I,  – ; dazu Robert P. Scharlemann, „Ontologie. Zur Begriffsbestimmung bei Tillich in den zwanziger Jahren“, in: Gert Hummel (Hg.), The Problem of Ontology in the Philosophical Theology of Paul Tillich / Das Problem der Ontologie in der philosophischen Theologie Paul Tillichs (Berlin und New York: De Gruyter,  / Theologische Bibliothek Töpelmann, Bd. ),  – , hier  f.

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in den Blick kommt.²¹ Jeder geistige Akt ist demnach „ein Akt der Sinnerfüllung, d. h. ein Akt, in dem das nicht sinnlose, aber sinnunbestimmte und nach Sinnbestimmung drängende Wirkliche einen Sinn erhält.“²² Geistesfunktionen sind ipso facto Sinnfunktionen, Sinn und Wirklichkeit konvergieren.²³ Der Begriff Metaphysik steht in diesem Zusammenhang für eine sinnfunktionelle (Erkenntnis‐)Haltung: ²⁴ nämlich das bewusste Sich-Richten auf einen letzten, absoluten oder unbedingten Sinn. Dieser wird als solcher indirekt, d. h. als ein solcher intendiert, der in allen, sei es wissenschaftlichen oder ästhetischen Einzelakten immer schon latent wirksam und präsent ist. So gesehen ist jeder Wissenschaftler und jeder Künstler – ob er sich dessen bewusst ist und dem zustimmen würde oder nicht – faktisch Metaphysiker. Umgekehrt erscheint die Metaphysik als der bloße „Wille, das Unbedingte zu erfassen“²⁵ und unverkürzt zum Ausdruck zu bringen. Sie hat als solche die Aufgabe „zu zeigen, daß das Prius jeder einzelnen Sinnerfassung der unbedingte Sinn selbst, das Prius jeder Sinnform die Richtung auf die unbedingte Form, und das Prius jedes Sinngehaltes der unbedingte Gehalt ist.“²⁶ Erst von hier aus wird klar, weshalb alle Metaphysik auf Wissenschaft und Kunst einerseits angewiesen ist, diese jedoch andererseits fundiert: „Wissenschaft will die Dinge vom Denken, von der reinen Form her erfassen, ohne das Sein, den Gehalt zu verlieren“²⁷; sie richtet sich daher direkt und primär auf die individuellen Formen der Seinserfassung – und erst durch diese hindurch, also indirekt, auf das Unbedingte als Form. Kunst hingegen „will die Dinge vom Sein, vom reinen Gehalt her erfassen, ohne auf das Denken, die Form zu verzichten“²⁸; sie richtet sich daher direkt und primär auf den individuellen Gehalt – und erst durch diesen hindurch, also indirekt, auf das Unbedingte als Letztgehalt. Die Metaphysik hingegen sucht nach jenen Ausdrucksformen des Geistes, in denen sich beides, Form und Gehalt, zu ‚Gestalten‘²⁹ des absoluten – und d. h.: den Partikularsinn wissenschaftlicher

 Vgl. GW I, : „Was in den Denkwissenschaften das Gebilde, in den Seinswissenschaften die Gestalt ist, das ist in den Geisteswissenschaften der Sinnzusammenhang.“  EW X, .  Vgl. GW IX, : „Die Wirklichkeit […] einer Sache ist ihr eigener, sie tragender Sinn.“  Vgl. auch Tillichs Zurückführung von Philosophie und Theologie auf je spezifische (Grund‐) Haltungen: GW V,  f. Ferner GW X, ; EW XI, : Dort wird klar, dass die metaphysische Grundhaltung als eine auf das Unbedingte gerichtete zugleich religiöse Grundhaltung ist.  GW I, .  Ebd.  GW I, .  Ebd.  Zu Bedeutung und Funktion des Gestaltbegriffs vgl. z. B. GW I, , , ,  – : Hier wird der Begriff vornehmlich dem Geltungsbereich der Seinswissenschaften zugeordnet. Vgl. aber Hannelore Jahr, Theologie als Gestaltmetaphysik. Die Vermittlung von Gott und Welt im Frühwerk

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Sein und Geschehen

Geltung und ästhetischen Ausdrucks fundierenden – Sinnes als Manifestation des Unbedingten vereinigen. Nimmt man im Blick auf den Gesamtaufbau aller einzelnen „Sinngebiete“³⁰ die Äquivalente der praktischen Sphäre hinzu, ergibt sich folgendes Bild: Sinngebiete Theoretische Sphäre

Praktische Sphäre

Formbestimmt

Gehaltsbestimmt

Fundierend: Metaphysik Fundiert: Wissenschaft Fundierend: Sittlichkeit Fundiert: Recht

Fundierend: Metaphysik Fundiert: Kunst Fundierend: Sittlichkeit Fundiert: Gemeinschaft

Oder kürzer:

Theoretisch Praktisch

Form

Gehalt

[Sinn]

Wissenschaft Recht

Kunst Gemeinschaft

Metaphysik Ethik

Von besonderer Bedeutung ist vor dem Hintergrund des beschriebenen Fundierungsverhältnisses von Metaphysik, Kunst und Wissenschaft der erkenntnistheoretische Status metaphysischer Sätze. Laut Tillich ist das in und mit diesen Intendierte (= das Unbedingte) als solches kein möglicher Gegenstand wissenschaftlicher Erkenntnis; es stellt vielmehr ein zuhöchst und zuletzt ‚Gemeintes‘ dar, das als solches freilich niemals Gegebenes sein und stattdessen lediglich indirekt und durchaus zweideutig, nämlich „in den Formen des Bedingten“³¹ zum Ausdruck kommen kann. Recht verstanden sind daher alle metaphysischen Begriffe Symbole; als solche haben sie ‚Ausdrucks-‘ und keinen – jedenfalls keinen gegenständlich-wissenschaftlichen – ‚Geltungscharakter‘.³² Streng genommen

Paul Tillichs (Berlin und New York: De Gruyter,  / Theologische Bibliothek Töpelmann, Bd. ), und dies., „Der Begriff der ‚Gestalt‘ als Schlüssel zur Metaphysik im Frühwerk Paul Tillichs“, in: Hummel, The Problem of Ontology,  –  als Versuche, Tillichs Metaphysik, und zwar insgesamt, als ‚Gestaltmetaphysik‘ zu rekonstruieren.  GW I, .  GW I, .  Vgl. ebd.

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sind von daher genau drei Typen wahrer Aussagen denkbar: erstens wissenschaftliche, als Ausdruck von Form- oder Geltungswahrheit (= wahr ist alles, wenn auch nicht nur das Richtige); zweitens ästhetische, als Ausdruck von Gehalt- oder Ausdruckswahrheit (= wahr ist alles, wenn auch nicht nur das „Ausdrucksmächtige“³³); drittens metaphysische, als Ausdruck von geistiger oder Sinnwahrheit (= wahr ist alles, wenn auch nicht nur das unbedingt Sinnvolle).³⁴ Diese triadische Struktur flankiert der dreigliedrige Aufbau der Metaphysik: Als Seinsmetaphysik oder Ontologie hat diese die Aufgabe zu zeigen, „in welcher Weise das Sein als Ganzes, als universale Gestalt, ein Symbol für den unbedingten Sinn“³⁵ sein kann und de facto ist. Die Geschichtsmetaphysik soll hingegen „die Offenbarung des unbedingten Sinnes in einer Deutung des Sinnprozeßes [sic!] der Geschichte erschauen.“³⁶ Die „ideale Einheit der Sinnelemente“³⁷ schließlich, in der als solcher jeder denkbare Widerspruch zwischen Sinnintention und Sinnerfüllung in Sein und Geschichte überwunden und aufgehoben wäre, fungiert als das „höchste Symbol für das Unbedingte“³⁸ und bringt so das System der Metaphysik in Gestalt einer Metaphysik der absoluten Idee zum Abschluss. Daraus ergibt sich: Formen der Metaphysik qua Theorie des Unbedingten Seinsmetaphysik / Ontologie Geschichtsmetaphysik Metaphysik der absoluten Idee Zielt auf ‚die universale GeZielt auf den unbedingten Sinn Zielt auf den unbedingten Sinn stalt‘ des Seins als Symbol für in der Geschichte als einem als absolute Idee in der Einheit den unbedingten Sinn schöpferischen Geistprozess von Sein und Geschichte

2.2 Zwischen Fundamentalontologie und Eschatologie. Eigenart und Gegenstand der Metaphysik in Tillichs Vortrag „Metaphysik des Geschehens“ (1928) 2.2.1 Seit Ende der 1920er Jahre, d. h. kurz vor, aber auch und erst recht nach seinem Wechsel auf die philosophische Professur in Frankfurt hat Tillich das Thema Metaphysik in immer neuen, dabei vielfach fragmentarischen und theoretisch tastenden Versuchen und Anläufen behandelt. So entsteht z. B. zwischen 1929 und 1931

 GW I, .  Mit diesem letzteren Wahrheitstyp gehe ich über Tillichs explizite Vorgaben (vgl. GW I, ) hinaus, wobei ich seiner Auffassung in der Sache freilich zu entsprechen beanspruche.  GW I, .  Ebd.  GW I, .  Ebd.

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(der genaue Zeitpunkt ist unbekannt) ein knapper „Entwurf zu einem Lehrgang der Metaphysik“, bei dem es sich vermutlich um Vorarbeiten zu einer geplanten Publikation handelt.³⁹ Dieser Entwurf steht sachlich und zeitlich in unmittelbarer Nähe zu einer geplanten Vorlesung, die den Titel Metaphysik trägt,wobei freilich nur die relativ feingliedrige Konzeption zu deren „Einleitung und Gliederung“⁴⁰ ausgeführt ist.⁴¹ Diese Konzeption wiederum weist beziehungsreiche Parallelen zur Vorlesung Fragen der systematischen Philosophie auf, die Tillich im Wintersemester 1932/33 in Frankfurt gehalten hat.⁴² Schließlich hat sich Tillich in seinen publizierten Schriften der späteren 1920er Jahre immer wieder, teils kursorisch, teils im Detail, zu metaphysischen Fragen geäußert.⁴³ Nicht zufällig sind hierbei diejenigen Texte theoretisch besonders ergiebig, die geschichtsphilosophische bzw. -metaphysische Aspekte behandeln.⁴⁴ Dazu gehört neben der Frankfurter Vorlesung über Geschichtsphilosophie vom Wintersemester 1929/30 vor allem ein Vortrag mit dem Titel „Die Metaphysik des Geschehens“⁴⁵, der 1928 verfasst wurde, allerdings in weiten Teilen (nämlich abgesehen von Einleitung und Schluss) auf einem ein Jahr zuvor publizierten Text über „Eschatologie und Geschichte“ basiert.⁴⁶ Meine nachfolgende Paraphrase bezieht sich auf diesen Text, der programmatisch und im Detail Themen und Thesen der Frankfurter Vorlesung von 1929 vorwegnimmt und auf begrenztem Raum expliziert. 2.2.2 Metaphysik, so erklärt Tillich zu Beginn seiner Ausführungen, ist „Betrachtung des Seienden, sofern es im Unbedingten steht.“⁴⁷ An dieser Definition scheint mindestens zweierlei erläuterungsbedürftig, wobei sich beides auf die differentia specifica des zu Definierenden bezieht: erstens das Moment des Unbedingten, zweitens das Moment des ‚Stehens in‘. Laut Tillich weist das Unbedingte als solches einen – wenn man so will: paradoxen – Doppelcharakter bzw. eine intrinsische Zweideutigkeit auf, die ihrerseits aus der Ambivalenz resultiert,

 Vgl. EW XI,  – .  GW XI, .  Vgl. ebd.,  – .  Vgl. EW XVIII,  – .Was die angedeuteten Parallelen angeht, vgl. z. B. die in Abschnitt A. der Metaphysik-Konzeption unterschiedenen „fünf Epochen des metaphysischen Fragens im Abendland“ (GW XI, ) mit den fünf nahezu gleichlautenden Unterabschnitten in Teil I. „Philosophie“ der Vorlesung von / (EW XVIII, S. XI).  Vgl. z. B. GW IV,  f., ,  (); GW IV,  (); GW V,  (); GW X,  –  ().  Vgl. dazu bereits die beiden frühen Texte „Das Unbedingte und die Geschichte“ (EW X,  – ) sowie „Mythos und Metaphysik“ (EW X,  – ) – beide wurden vermutlich  verfasst.  Vgl. EW XI,  – .  Vgl. a.a.O., .  Ebd.

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dass das Unbedingte das Bedingte zugleich trägt und richtet, begründet und fordert.⁴⁸ Bedingt wird die Möglichkeit dieser Doppelheit dadurch, dass das Unbedingte zugleich im Bedingten gegenwärtig und wirksam, andererseits diesem gegenüber zugleich transzendent sein muss, um es bedingen zu können. Insofern, so Tillichs zweiter Schritt, ist jedes Unbedingte zugleich ein Transzendentes. ⁴⁹ Aber das Transzendente ist kein Ding und daher auch kein möglicher Gegenstand kategorialer bzw. dingkonstitutiver Erkenntnis. Es kann daher, wie Tillich im Rekurs auf Kant ausführt,⁵⁰ nicht an sich, sondern allenfalls indirekt und an einem anderen – eben dem endlichen Seienden, insofern es ‚in ihm (scil. dem Transzendenten) steht‘ – bestimmt werden. Aber Tillich geht noch einen Schritt weiter: Bedingt durch die formale Ambivalenz, in der das Unbedingte sich zum Bedingten verhält, steht Letzteres in einem dynamischen, d. h. intrinsisch labilen und seinerseits ambivalenten Bedingungsverhältnis zum Unbedingten qua Transzendenz – und zwar selbst dann, wenn man hier (wie Tillich vorschlägt) von einem Teilhabeverhältnis spricht.⁵¹ Darauf deutet die Verwendung des Ausdrucks ‚stehen in‘: Das Seiende ist ‚sistiert‘, gesetzt in ein individuelles, nach spatio-temporalen Bedingungen unendlich variierendes Verhältnis zur Ambivalenz des Unbedingten. Eben deshalb muss der Transzendenzbezug des Seienden in einer Definition der Metaphysik streng genommen in Verbalform ausgedrückt und auf diese Weise als dynamisierter vorgestellt werden: „Metaphysik ist Anschauung des Seienden in seinem Transcendieren.“⁵² Dieses Transzendieren i.S. des „Über-Sich-Hinausweisen[s]“⁵³ des Seienden erschließt sich jedoch als solches nur in einer besonderen Erkenntnishaltung oder geistigen Einstellung, die das erkennende Subjekt einnehmen, der gegenüber es sich aber auch „innerlich verschließen“⁵⁴ kann. Die Abhängigkeit der Wahrnehmung des inneren Transzendenzbezugs der Dinge von dieser Bereitschaft und Fähigkeit zum „Transcendieren unseres Geistes“⁵⁵ (Genitivus subiectivus), wodurch dieser i.S. Tillichs zugleich in den Bereich des Religiösen vorstößt, drückt

 Vgl. zu dieser Ambivalenz z. B. GW IX,  ff. (). Sie lässt sich in der Sache bis zu Luthers Dialektik von deus revelatus und deus absconditus, aber auch auf Rudolf Ottos These von der irreduziblen Zweideutigkeit (in der Erfahrung) des Heiligen als eines tremendum und fascinosum (vgl. Rudolf Otto, Das Heilige. Über das Irrationale in der Idee des Göttlichen und sein Verhältnis zum Rationalen (München: Beck, ) zurückführen.  Ob auch das Umgekehrte gilt, lässt Tillich offen.  Vgl. EW XI, .  Vgl. a.a.O., : Jedes Seiende „hat Teil am unbedingten Sein“.  A.a.O.,  (meine Hervorh.).  A.a.O., .  Ebd.  Ebd.

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das ‚sofern‘ in der o.g. Metaphysikdefinition aus: Metaphysik ist die Betrachtung des Seienden, sofern es als im Unbedingten stehend erfasst und beschrieben wird. Auf diese Weise aber wird „Metaphysik zu einer Haltung“⁵⁶ des erkennenden Subjektes, in der dieses – je bestimmt durch die kontingenten Koordinaten der eigenen geschichtlichen Situation – nach dem angemessenen Ausdruck für die Gegenwart des Unbedingten im Bedingten sucht. 2.2.3 Im Anschluss an diese prinzipientheoretischen Erwägungen führt Tillich eine für die weitere Argumentation maßgebliche Unterscheidung zweier Grundtypen von Metaphysik ein: ‚Metaphysik des Seins‘ und ‚Metaphysik des Geschehens‘. Beidem, Sein wie Geschehen, wird dabei auf je unterschiedliche Weise der bereits genannte und als essentiell vorausgesetzte Bezug auf ein Unbedingtes qua Transzendenz attestiert.⁵⁷ In dieser typologisch vergleichsweise schroffen Dichotomie deutet sich eine gewisse Vereinfachung und zugleich Radikalisierung gegenüber der spekulativen Triade von Seinsmetaphysik, Geschichtsmetaphysik und Metaphysik der absoluten Idee an, die Tillich noch wenige Jahre zuvor im SdW präferiert hatte. An die Stelle der Letzteren tritt im Text von 1928 ein Ausblick auf die genuin religiöse Fassung des ‚Letzten‘ qua Eschaton in der Doppelheit von Gericht und Reich Gottes.⁵⁸ Doch dazu später. Entscheidend ist im vorliegenden Zusammenhang zunächst der Ausgangspunkt bzw. die motivierende Initialzündung zur Propagierung der genannten Distinktion. Dieser Ausgangspunkt liegt m. E. auch und unter anderem, möglicherweise sogar primär in der Auseinandersetzung mit der Philosophie Heideggers, insbesondere mit dessen magnum opus Sein und Zeit, das im Frühjahr 1927 erschienen war und seinen Autor schlagartig auch über die Grenzen Deutschlands hinaus berühmt gemacht hatte. Tillich selbst hat verschiedentlich auf den starken, allerdings von Anfang an kritisch temperierten Eindruck hingewiesen, den Heideggers Denken schon seit den Marburger Tagen auf ihn ausgeübt hatte.⁵⁹ Im Vortrag von 1928 fungiert dieser Kontext allerdings – wie bei Tillich üblich – nur als

 Ebd. (meine Hervorh.).  Vgl. a.a.O.,  f.  Vgl. a.a.O., ; ferner a.a.O.,  (im Orig. kursiv): „Im Eschaton hat das Geschehen seinen transcendenten Ort.“  Vgl. z. B. GW VII, ; GW XII,  f.; GW XIII, . Zu einschlägigen strukturellen Parallelen zwischen Tillichs und Heideggers Denken vgl. Thomas O’Meara, „Tillich and Heidegger: A Structural Relationship“, Harvard Theological Review  (),  – . Die Nähe zwischen Tillich und (frühem) Heidegger – aus der Sicht des ersteren – kann man u. a. daran ablesen, dass Tillich in der fraglichen Zeit ein Verständnis von Theologie als „theonome[r] Philosophie“ (GW IV, ) () favorisiert und zugleich die Auffassung vertritt, dass man „trotz des betonten Atheismus Heideggers“ im Blick auf dessen Standpunkt „von einer ‚theonomen Philosophie‘“ (GW XII, ) sprechen müsse.

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stillschweigende Folie seiner eigenen Überlegungen. Immerhin lässt sich ein einziger Textbeleg anführen, der zumindest als versteckter Hinweis auf die einschlägige Auseinandersetzung gelesen werden kann. Tillich erklärt, sein Vortrag beabsichtige nur ein einziges, freilich „maßgebliches Problem der theologischen Ontologie […] zu behandeln: das Verhältnis des Seins zur Zeit.“⁶⁰ Diesbezüglich sieht er sich freilich genötigt, der Annahme vehement zu widersprechen, „die Ungesichertheit […] des Seienden“, speziell die des menschlichen Daseins, sei „eins mit seiner Zeitgebundenheit“⁶¹ qua Vergänglichkeit. Zwar sei die Zeit in der Tat „kein leerer Strom“, sondern eine „Daseinsform“, eine „Setzung[] des Lebens, in dem dieses sich selbst in seiner Existenz erfaßt.“⁶² Gleichwohl habe die zeitliche Existenz „an Macht und Ohnmacht des Seins“⁶³ teil, so dass der eigentliche Sinn der daseinsspezifischen Ungesichertheit oder „[m]angelnde[n] Seinserfüllung“⁶⁴ des Seienden durch dessen Temporalität nicht etwa notwendig, sondern nur zufällig bedingt werde. Eigenart und Grund dieser Ungesichertheit lassen sich aus der Sicht Tillichs im Gegenteil nur sinntheoretisch adäquat erfassen, und d. h. zugleich: aus geschehens- statt aus seinsmetaphysischer Perspektive. Vieles von dem, was Tillich hier und im weiteren Kontext seiner Überlegungen ausführt, erhält eine eigene Pointe, wenn man es als verstecktes, dabei letztlich theologisch motiviertes Zeugnis einer entschiedenen Selbstabgrenzung von Heideggers ‚atheistischem‘ Versuch liest, den Sinn von Sein immanent, d. h. ausschließlich vermittelt über die temporale Struktur des Daseins bzw. die Selbstauslegung dieses Daseins im Horizont jener Struktur zu erfassen.⁶⁵ Tillich begrüßt zwar einerseits Heideggers Destruktion der klassischen Metaphysik und Ontologie (unter anderem im Bereich der Zeittheorie), kritisiert aber, dass dessen Projekt einer Neubegründung der Seinsfrage selber einer Form von Seinsmetaphysik verhaftet bleibe, die als solche die genuin sinnmetaphysischen und in der Konsequenz eschatologisch-theologischen Implikationen im Transzendenzbezug des Daseins nicht in den Blick zu bekommen bzw. adäquat zu beschreiben vermag.

 EW XI, . Der Ausdruck ‚theologische Ontologie‘ ist hier allerdings ein Fremdkörper: Er entstammt dem ursprünglichen Text über Eschatologie und Geschichte und wird auch (nur) dort erläutert, vgl. GW VI,  f. Ich will nicht verschweigen, dass sich hier möglicherweise ein sachliches Problem bezüglich meiner Interpretation der entsprechenden Passage in GW XI andeutet. Ich beziehe diese wie gesagt auf Heidegger, doch scheint diese Referenz gemessen an GW VI,  zumindest insofern fragwürdig, als es hier (wenn nicht einzig und allein, so doch zumindest primär) um die Protologie als Form und Problem einer theologischen Ontologie geht.  EW XI, .  Ebd.  Ebd. (meine Hervorh.).  Ebd.  Vgl. Martin Heidegger, Sein und Zeit (Tübingen: Niemeyer, ), bes.  –  (§§  – ).

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2.2.4 Zwecks Veranschaulichung und Überprüfung meiner These führe ich im Folgenden nur die Hauptunterschiede zwischen beiden Metaphysiktypen aus der Sicht Tillichs an, und zwar in tabellarischer Form: Grundtypen der Metaphysik qua „Betrachtung des Seienden, sofern es im Unbedingten [Transzendenten] steht“ ()⁶⁶ Metaphysik des Seins = „Betrachtung des Seienden, sofern es als Seiendes im Transcendenten steht“ () Fasst Transzendenz als Sein, als „Erstes des Seins“ () oder als Ursprung des Seienden (, ) Die Seinsteilhabe des Seienden erscheint in der Zweideutigkeit von Ernsthaftigkeit und Ungesichertheit () [Behauptet die Wiederholbarkeit eines Geschehens als mit dessen Transzendenzbezug kompatibel] Geschichtliche Übergänge erscheinen als Prozess, Entwicklung, Entfaltung, kurz als „in sich geschlossene Bewegung“ () [Ist unabhängig vom Bezug auf den geschichtlichen Ort des Subjektes durchführbar] [Dogmatisches Äquivalent: Schöpfungslehre⁶⁷]

Metaphysik des Geschehens = „Betrachtung des Geschehens, sofern es [als Geschehen] im Transzendenten steht“ () Fasst Transzendenz als Sinn, als „Letztes der Sinnverwirklichung“ () oder als Ziel des Geschehens () Die Sinnteilhabe des Geschehens erscheint in der Zweideutigkeit von Erfüllung und Entscheidung () Behauptet die Einmaligkeit eines Geschehens als Implikat seines Transzendenzbezugs (, ) Geschichtliche Übergänge erscheinen als ‚echtes Geschehen‘ (,  f., ), d. h. als Durchbrechung ‚in sich geschlossener Bewegungen‘ durch unableitbar Neues () Ist nicht unabhängig vom Bezug auf den geschichtlichen Ort des Subjektes durchführbar () [Dogmatisches Äquivalent: Eschatologie⁶⁸]

Sämtliche Momente dieser Gegenüberstellung en détail zu erläutern würde zu weit führen. Entscheidend ist für das Verständnis der Tillichschen Position im vorliegenden Zusammenhang nur zweierlei: erstens der Begriff des Geschehens selbst, zweitens die Verhältnisbestimmung von Geschehen und Sinn. Zum Geschehen, so Tillichs zentrale These, „wird ein Vorgang, sofern in ihm ein Neues gesetzt wird“⁶⁹. Innerhalb einer Metaphysik des reinen Seins können demgegenüber zwar Vorgänge simpliciter bzw. die immanent von ihnen ableitbaren Formen (Prozess, Entwicklung, Entfaltung) erkannt und beschrieben werden; der Begriff des Geschehens muss in jeder derartigen Metaphysik aber als Fremdkörper, als unzulässige Inanspruchnahme

 Seitenzahlen (in Klammern) beziehen sich ausnahmslos auf EW XI,  – .  Vgl. GW VI, .  Vgl. a.a.O., .  EW XI, ; hier zit. nach MW VI,  (die Stelle in EW hat irrtümlich ‚in ihn ein Neues‘ statt ‚in ihm ein Neues‘).

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erscheinen: Denn „[e]chtes Geschehen ist mehr als Entfaltung, ist Durchbrechung der Entfaltungsmöglichkeit, ist Durchbrechung des Seinskreises.“⁷⁰ Eben dieses Sein des Neuen aber, und das ist, zweitens, für Tillich entscheidend, „[d]ieses Sein […], in dem das Sein über sich hinausstößt, ist der Sinn.“⁷¹ Erst und allein „[d]as Sein des Sinnes durchbricht den Seinskreis und setzt schlechthin Neues“; echtes Geschehen liegt mithin nur „da vor, wo in einem Vorgang Sinn verwirklicht wird.“⁷² Ähnlich zweideutig wie im Falle der Seinserfahrung oder -teilhabe (Stichwort Ernsthaftigkeit und Ungesichertheit) liegen allerdings die Dinge auch im Bereich der Erfahrung von Sinn: Etwas kann ein Geschehen nur dann mit Sinn erfüllen bzw. als sinnerfüllend erfahren werden – um dann in der Folge seinerseits die Möglichkeit zu bedingen, überhaupt von einem (echten) Geschehen zu sprechen –, wenn das sinnerfahrende Bewusstsein von diesem Etwas unterstellt, dass es aus Freiheit und d. h. hier: kraft einer Entscheidung zustande kommt bzw. gekommen ist. Umgekehrt kann eine Entscheidung nur dann als geschehenskonstitutiv gedacht werden, wenn unterstellt wird, dass sie sinnerfüllende Funktion hat bzw. aus eben diesem Grund vollzogen wurde: „Jede Entscheidung wählt zwischen Möglichkeiten der Sinnverwirklichung.“⁷³ Jenes ‚Letzte‘ also, auf das jedes (echte) Geschehen i.S. seiner sinnkonstitutiven Unbedingtheit und Transzendenz bezogen ist, hat und erscheint im Medium eine(r) irreduzible(n) Ambivalenz: es „ist Erfüllung und Entscheidung“⁷⁴.

2.3 Zwischen Strukturontologie und Existentialismus. Eigenart und Gegenstand der Metaphysik in Tillichs Systematischer Theologie (1951) 2.3.1 Ich schließe mit einer Skizze zum Metaphysikverständnis in Tillichs Hauptund Spätwerk, die als die letzte, von daher aber auch als die ultimative bzw. einzig kanonische Wortmeldung des Autors in dieser Sache zu gelten hat. Retrospektiv stellen sich vor diesem Hintergrund die einschlägigen Entwürfe der frühen und späteren Zwanzigerjahre als bloße Vorstufen, die Skizze(n) von 1928 ff. hingegen als Wendepunkt und Übergangsform eigener Art heraus. Bekanntlich stellt die klassische deutsche Schulphilosophie die Metaphysik als ontologia specialis samt deren Kernthemen Existenz Gottes, Unendlichkeit der     

EW XI,  (meine Hervorh.). Ebd. Ebd. A.a.O., . Ebd.

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Welt sowie Freiheit und Unsterblichkeit des Menschen der auf den Seinsbegriff als solchen fokussierten ontologia generalis und deren Fundamentaldistinktion von esse essentiae und esse existentiae als eine Form von Ontologie gegenüber. Im Unterschied dazu verwendet Tillich im Kontext der Systematischen Theologie beide Begriffe synonym,⁷⁵ plädiert freilich für den Verzicht auf den Gebrauch des Metaphysikbegriffs zwecks Vermeidung von Missverständnissen: Dieser habe die falsche, gleichwohl „unausrottbare Vorstellung“ einer „Verdoppelung dieser Welt durch einen transzendenten Seinsbereich“ – gleichsam einer „Welt hinter der Welt“⁷⁶ – hervorgebracht. Recht verstanden hat es die Ontologie jedoch überhaupt nicht mit einem speziellen Seienden oder Seinsbereich, sondern mit dem „Sein als Sein [being as being]“⁷⁷ bzw. dem „Sein-Selbst [being-itself]“⁷⁸ zu tun. In formaler bzw. funktionaler Vorzeichnung steht der Begriff Sein-Selbst für dasjenige, was in jedem Seienden als etwas gegenwärtig und wirksam ist, das Letzteres zu sein ermächtigt, so dass dieses umgekehrt durch (und nur durch) seine Partizipation an jenem wirklich, ein Bestimmtes und es selbst zu sein vermag. Das Sein-Selbst fungiert so verstanden als dasjenige, was „allem Seienden die Macht gibt, dem Nicht-Sein zu widerstehen [the power of resisting nonbeing]“⁷⁹. Und eben weil das Sein-Selbst hier von seiner seinsermächtigungs- als einer wirklichkeitskonstituierenden Funktion für das Seiende her gedacht wird, kann Tillich die Seinsfrage auch mit der Frage nach der „Wirklichkeit als solche[r] bzw. der Wirklichkeit als Ganzes [Reality as such, or reality as a whole]“⁸⁰ identifizieren. Weshalb und mit welchem Recht behauptet er aber, dass eine so verstandene Ontologie qua Seins- oder Wirklichkeitsanalyse zugleich und notwendig die Form der Struktur-Analyse, genauer der „Analyse jener Strukturen des Seins, die wir in jeder Begegnung mit der Wirklichkeit vorfinden“⁸¹, hat? Der Grund ist m. E. erkenntnistheoretischer Art. Dabei sind mit dem Begriff Struktur zunächst jene im zweiten Teil der Systematischen Theologie eingeführten „vier Schichten [levels] ontologischer Begriffe“⁸² gemeint, die die Grundlage aller weiteren, genuin philosophischen, dabei freilich durch die leitende theologische Fragestellung bestimmten und begrenzten Analyseabschnitte des Werkes bilden: erstens Selbst und Welt als Bezeichnung der ontologischen ‚Grundstruktur‘ des (endlichen, insbe-

       

Vgl. ST I,  / STE I,  und ST I,  / STE I, ; dazu Scharlemann, „Ontologie“, . ST I,  / STE I, . ST I,  / STE I, . Ebd. ST I,  / STE I, . ST I,  / STE I, . ST I,  / STE I,  (meine Hervorh.). ST I,  / STE I, .

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sondere menschlichen) Seienden; zweitens die diese Struktur konstituierenden ontologischen ‚Elemente‘ Individualisation / Partizipation, Dynamik / Form sowie Freiheit / Schicksal; drittens die gleichfalls polaren Begriffspaare Essenz / Existenz sowie Unendlichkeit / Endlichkeit als Möglichkeits- und Beschreibungsbedingungen des faktischen Daseins; schließlich und viertens die Begriffe Zeit, Raum, Kausalität und Substanz als den – theologisch relevanten – ‚kategorialen‘ Strukturen und „Grundformen des Denkens und [des endlichen] Seins“⁸³, d. h. als „Kategorie[n] der Endlichkeit [category of finitude]“⁸⁴. Mithin ergibt sich: Ontologische Grundbegriffe Bezogen auf die ontologische Grundstruktur des Seienden Bezogen auf die ontologischen Elemente des Seienden Bezogen auf die ontologischen Dimensionen des Seienden⁸⁵ Bezogen auf die kategorialen Grundbestimmungen des Seienden

Selbst / Welt Individualisation / Partizipation, Dynamik / Form, Freiheit / Schicksal Unendlichkeit / Endlichkeit, Essenz / Existenz Zeit, Raum, Kausalität, Substanz

2.3.2 Tillichs erkenntnistheoretische Begründung für die Notwendigkeit einer strukturanalytischen Umformung der ontologischen Grundfrage lässt sich vor diesem Hintergrund leicht erschließen: Alles Denken richtet sich auf Sein i.S. des Spezifizierens und Bestimmens. Nun hat sich aber bereits ex negativo gezeigt, dass „alles Besondere und Bestimmte [special and definite]“⁸⁶ von der Vorstellung des Seins-Selbst ferngehalten werden muss: Denn was das (bzw. die Erkenntnis des) Seiende(n) als eines Besonderen und Bestimmten allererst möglich macht, kann nicht selbst von der Seinsart des Besonderen bzw. Bestimmten und als solches erkennbar sein. Entweder also kann das Sein-Selbst überhaupt nicht gedacht werden; oder es ist nur negativ bzw. allenfalls rein tautologisch bestimmbar („Sein [ist] Sein [being is being]“⁸⁷); oder es besteht die Möglichkeit, das Sein zumindest auf indirekte Weise, nämlich auf dem Umweg über Begriffe auszusagen und dadurch zu bestimmen, die zwar „weniger universal [universal] als Sein sind, aber universaler als jeder andere […] Begriff, der eine Sphäre des Seienden [realm of

 ST I,  / STE I, ; zum Kontext ST I,  –  / STE I,  – .  ST I,  / STE I, .  Der Ausdruck ‚ontologische Dimensionen‘ stammt von mir; Tillich spricht eher unspezifisch von „Eigenschaft[en] des Seienden [quality of being]“ (ST I,  / STE I, ).  ST I,  / STE I, .  Ebd.

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beings] bezeichnet.“⁸⁸ Diese Bedingung erfüllen laut Tillich aber jene und streng genommen auch nur die o.g. Prinzipien und Kategorien, wobei diese eben die ontologische Struktur des Seienden beschreiben. Genauer: Sie beschreiben und bestimmen diese Struktur als eine dynamische, die als solche dem formalen Grundzug des Seins-Selbst als Seinsermächtigung (gegenüber der Bedrohung durch das Nichtsein) korrespondiert und die zudem bereits rein äußerlich an deren Form als polar entgegengesetzten Begriffspaaren sinnfällig wird. Auch in diesem Zusammenhang ist festzuhalten, dass die genannten Grundbegriffe der Ontologie Strukturbestimmungen des endlichen Seienden sind und als solche nur indirekt jenes Sein-Selbst bezeichnen, welches das Seiende vermittelt durch sie strukturiert und zum Sein ermächtigt. Dieser Befund hat zwei erkenntnistheoretisch weitreichende Konsequenzen: Zum einen sind unter dieser Voraussetzung zwar durchaus explizite, aber auch in diesem Fall ausschließlich indirekte, durch die genannten Strukturbestimmungen vermittelte Aussagen über die Eigenart des Seins-Selbst möglich.⁸⁹ Zum anderen müssen alle ontologischen bzw. metaphysischen Aussagen, die den Begriff des Seins-Selbst über diese Strukturbestimmungen hinaus zu bestimmen beanspruchen, entweder als unzulässig gelten oder Symbole genannt bzw. symbolisch interpretiert werden.⁹⁰

3 Kritisches Fazit Im Voranstehenden wurde gezeigt, dass Tillichs Metaphysikkonzeption eine seit den frühen 1920er Jahren feststellbare Veränderung, und zwar i.S. einer zunehmenden Vereinseitigung erfährt. Diese lässt sich unbeschadet der Tatsache, dass gewisse Grundimpulse und Basisüberzeugungen erhalten bleiben, als doppelte Zuspit-

 Ebd.  Vgl. STE I, , wo die ontologische Grundfrage wie folgt formuliert wird: „What is being itself? What is that which is not a special being […], but rather something which is always thought implicitly, and sometimes explicitly, if something is said to be?“ Die deutsche Übersetzung von ‚implicitly, and sometimes explicitly‘ mit „indirekt und manchmal direkt“ (ST I, ) ist nicht nur lexikalisch, sondern vor dem Hintergrund des oben Gesagten auch aus sachlichen Gründen falsch; denn alle Aussagen über das Sein-Selbst sind Tillich zufolge indirekter Art – in der Beschränkung entweder auf strukturelle oder auf symbolische Beschreibungen und Verweise. Sie beschreiben das Sein-Selbst nicht an und für sich, sondern an einem und vermittelt durch ein/en Anderen/s. Desungeachtet können sie natürlich sehr wohl explizit sein.  Vgl. EW X, : Der unbedingte oder absolute Sinn „kann nicht vergegenständlicht, nicht gesagt werden; er kann [scil. direkt] nur gemeint sein. Sagt man ihn, so muß man [indirekt sprechen, d. h.] Symbole verwenden.“

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zungsbewegung von einer Metaphysik der absoluten Idee über die Metaphysik der Geschichte hin zur Metaphysik des menschlich-endlichen Seins qua Existenz rekonstruieren. Die Stärken der jeweiligen Konzeption bzw. deren Tragweite in systematischer Hinsicht lasse ich hier beiseite; sie können erst dann valide taxiert werden, wenn deren Unklarheiten und/oder Schwächen markiert und behoben sind. Das ist aber m. E. bislang nicht der Fall, wie folgende – zugegeben rhapsodische – Markierung kritischer Punkte zeigt. Behauptet oder stillschweigend unterstellt wird hier wohlgemerkt nicht, dass diese Punkte den Schluss nahelegen, dass Tillichs Metaphysik (in welcher Ausprägung auch immer) nur mehr von historischem Interesse sein kann, weil sie Grundfehler aufweist, die als solche nicht behoben werden können; behauptet wird lediglich, dass ihr Schwächen anhaften, die jedenfalls bislang – und vor allem nicht: von Tillich selbst – behoben wurden. Exemplarische Kritikpunkte ergeben sich aus meiner Sicht vor allem im Hinblick auf Tillichs System von 1923 sowie den späteren Text zur Metaphysik des Geschehens. Zunächst vier teils epistemische, teils ontologische Einwände gegen zentrale Thesen aus dem System der Wissenschaften. Erstens behauptet Tillich – grundsätzlich zu Recht –, dass all das bzw. der Gehalt dessen als ‚Sein‘ bezeichnet werden kann, was in der Form des Denkens auftritt. Aber das Umgekehrte trifft nicht zu: Nicht alles formiert als ‚Denken‘, dessen Gehalt Sein ist; nicht jeder Seinsgehalt ist m.a.W. ein Gedachtes – es sei denn, man kann und muss (z. B.) Fühlen als Denkform explizieren, was bei Tillich offenbleibt. Dass dieser zweitens drei metaphysische Grundsätze aufstellt,⁹¹ ist vor dem Hintergrund der idealistischen Grundimprägnierung seines Denkens zwar naheliegend, aber an sich keineswegs zwingend und im vorliegenden Kontext auch nicht ohne Weiteres plausibel; der vierte Grundsatz (‚Das Sein ist Denken oder ist selbst von der Seinsart des Denkens‘) fehlt. Dass ferner Geist als Selbstbesinnung des Denkens zugleich Selbstbestimmung des Denkens und folglich intrinsisch normativ bestimmt ist, wird von Tillich zwar behauptet, aber nicht eigens gezeigt. Schließlich und viertens führt dieser zwar mit Recht ein expressivistisches Wahrheits- und/oder Rechtfertigungskriterium des religiösen Glaubens ein, nämlich die symbolische oder ‚Ausdruckswahrheit‘; er verkürzt deren Eigenart aber vorschnell und daher zu Unrecht ästhetisch, während sie de facto auch anders (z. B. ethisch) spezifiziert zu werden verlangt und erlaubt.⁹²

 Vgl. GW I, .  Vgl. dazu Heiko Schulz, „Conversion,Truth and Rationality“, in: Ingolf U. Dalferth und Michael Ch. Rodgers (Hg.), Conversion (Tübingen: Mohr Siebeck,  / Religion in Philosophy and Theology),  – , bes.  – .

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Fünf abschließende Einwände betreffen Tillichs Metaphysik des Geschehens. Erstens ist die zu Beginn des Textes⁹³ eingeführte Typologie semantisch schief. Zu erwarten wäre, dass das, was Tillich als Metaphysik des Geschehens bezeichnet, als eine Form (bzw.: eine Form) der Metaphysik simpliciter firmiert; diejenige Form, die ihr typologisch gegenübergestellt wird (= Metaphysik des Seins) ist jedoch de facto identisch bzw. koextensiv mit dem Begriff der Metaphysik simpliciter. Zweitens erklärt Tillich, dass das Transzendenzmoment eines Geschehens mit dessen Sinn koextensiv ist; diese Behauptung wird nicht eigens begründet und erscheint weder ontologisch noch phänomenologisch zwingend: Dass Sinn ein irreduzibles Transzendenzmoment enthält, mag angehen; aber das Umgekehrte trifft offenbar nicht zu. Das führt unmittelbar zu einem dritten Kritikpunkt. Tillichs These, dass die Möglichkeit echten Geschehens durch dessen Sinnbezug notwendig bedingt wird, impliziert unter anderem: Es gibt kein sinnloses Geschehen! Sinnwidriges ist entweder nicht geschehen oder nur scheinbar sinnwidrig. Entweder X ist sinnlos oder X geschieht – tertium non datur. Diese Unterstellung bleibt im Kontext von Tillichs theorieformativen Voraussetzungen völlig unausgewiesen – vermutlich ist sie an sich unausweisbar;⁹⁴ denn mag auch der Sinn als solcher ein dem Geschehen gegenüber grundsätzlich transzendenter und also an diesem nicht objektiv ablesbar sein, so ändert dies grundsätzlich nichts am assertorischen Charakter der entsprechenden Behauptung. Rein theoretisch besteht zwar, wie Tillich einräumt, „keine Notwendigkeit der Sinnverwirklichung“, der Geschehenssinn an sich „könnte sinnwidrig“⁹⁵ sein. Da aber Tillich zufolge ein Vorgang de facto nur im Ausgriff auf ein ‚Letztes‘, d. h. ein diesem gegenüber einerseits inhärentes, andererseits transzendentes Unbedingtes echtes Geschehen heißen und als solches erfahren werden kann; und da die Echtheit allen Geschehens mit dessen Sinnhaftigkeit koextensiv ist, muss jenes ‚Letzte‘, das den Transzendenzbezug jeden Geschehens verbürgt, selbst dann Ausdruck eines intrinsisch Sinnvollen sein, wenn in Rechnung gestellt wird, dass es bezogen auf das innerweltliche Geschehen als irreduzibel zweideutig erfahren wird und erfahren

 Vgl. EW XI, .  Dies bestätigt im Übrigen den Verdacht, dass die genuin theologischen Prämissen, die die ursprüngliche Fassung des von Tillich zu Vortragszwecken in einen vermeintlich rein philosophischen verwandelten Textes noch zu erkennen gaben, in der späteren Fassung zu deren eigenem Nachteil verschleiert wurden.  EW XI,  (meine Hervorh.).

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werden muss: nämlich als paradoxe Einheit von Erfüllung und Entscheidung (religiös: Gericht und Reich Gottes).⁹⁶ Viertens: „Das Ende jedes Geschehens ist sein Stehen im Letzten“⁹⁷; das besagt im Umkehrschluss: Sinnlose Geschehnisse – so sie denn möglich wären (s.o.) – hätten kein Ende oder könnten zumindest nicht als endlich bestimmt werden. M.a.W.: Alles Endliche ist sinnvoll (endet als Vollendetes) und nur Sinnvolles endet. Diese Behauptung enthält zwar philosophisch Richtiges; denn ohne Referenz auf ein ‚Letztes‘ kann das Ende einer Handlung und/oder eines Geschehens nicht bestimmt bzw. identifiziert werden. Dass dies Letzte aber de facto mit dem ‚Ziel‘ dessen koinzidiert, was endet – mit der Folge, dass auch das ‚Ende der Zeit‘ nicht nur kein zeitlicher, sondern ein die Zeit vielmehr eschatologisch vollendender Vorgang sei –, wird in Tillichs Überlegungen zwar unterstellt und vorausgesetzt, bleibt aber unausgewiesen.⁹⁸ Schließlich und fünftens usurpiert Tillich mit dem Sinnbegriff ein philosophisches Konstrukt des 19. Jahrhunderts für theologische Zwecke; denn Sinn ist – anders als (z. B. und vor allem) Trost – keine christliche Kategorie: Der christliche Glaube, als ein genuin eschatologischer, tröstet; aber er tröstet nicht dadurch, dass in seinem Medium als sinnvoll erscheint, was ohne ihn sinnlos bliebe. Mehr noch: Er kann nur trösten, wenn er sich jedes Sinnversprechen verbittet. Der Glaube – zumindest der christliche Glaube – verspricht seinem Adressaten nicht: ‚Alles, einiges oder dieses (= dein) Leiden hat einen Sinn.‘ Sondern: ‚Alles und somit auch dieses Leiden wird ein Ende haben – und es hat bereits jetzt ein Ende dadurch und insoweit, wie du zu glauben imstande bist, dass es ein Ende haben wird.‘⁹⁹

 Vgl. a.a.O., . Vgl. auch Jahr, „Der Begriff der ‚Gestalt‘“, : Das Gericht des ersten Weltkrieges (über die Dämonie des Nationalismus) erscheint bei Tillich zugleich als Gnade eines neuen Kairos!  EW XI,  (meine Hervorh.).  Es sei denn, man würde zeigen können, dass es zum Begriff des ‚Letzten‘ als eines Zielbestimmten (verallgemeinert: zum Begriff des Unbedingten an sich) gehört, dass die Realität dessen, worauf der Begriff verweist, objektiv unausweisbar ist. Man würde dann, gewissermaßen i.S. eines negativen ontologischen Beweises sagen: Aus dem Begriff der Sache folgt die Unmöglichkeit des Nachweises seiner Existenz – bzw. der Existenz (oder Realität) dessen, worauf er verweist.  Vgl. dazu Heiko Schulz, „Das entfallene Herz. Zur Dialektik der Anfechtung bei Søren Kierkegaard“, in: Ders., Aneignung und Reflexion, Bd. , Studien zur Theologie und Philosophie Søren Kierkegaards (Berlin und Boston: De Gruyter, ),  – , bes.  – .

Peter Slater

Tillich’s Critical Theology of Principled Human Being I was a student of Tillich’s at Harvard, inspired, like hundreds of others, by reading The Courage to Be. ¹ Not immediately admitted to his graduate seminars, we began in Paul Lehmann’s seminars on Karl Barth’s Church Dogmatics. By the time we got to Tillich, many were Barthians, unsure whether Tillich was really a Christian. (They knew James Luther Adams was not.) Tillich’s seminars met in his apartment to discuss our thesis projects with him.² My prior education was very British – linguistic analytic philosophy at McGill and Patristics under Henry Chadwick at Cambridge. Daunted by my classmates’ expertise on Luther and Calvin and facility in German, I retreated to Augustine on evil.³ During Tillich’s last year there, we asked him instead to review with us his own retrospective thoughts on topics famously discussed in his early works.⁴ In this paper, I draw primarily on the Tillichian corpus from the decade before his exile to the United States. As we all know, his last appointment in Germany, at Frankfurt, was in philosophy, not theology. He did give one course of lectures on systematic theology, but I have yet to find notes for these.⁵ From his essays on theological issues during the preceding decade, I judge that his method and approach to Christian doctrine did not change substantively.⁶ In

 Paul Tillich, The Courage to Be (New Haven: Yale University Press, ).  Hannah Tillich, From Time to Time (New York: Stein & Day, ),  wrote: “Paulus and I were both happy to be back in a university atmosphere. There theological terminology was no longer necessary. […] To feel natural again, without arrogance or inhibition, was the precious gift from Harvard to Paulus and me.”  On Augustine and Tillich see Peter Slater, “Tillich on the Fall and the Temptation of Goodness”, The Journal of Religion 65 (1985), 196 – 207.  For his comments on his method of correlation as “critical-dialectical” see Peter Slater, “Dynamic Religion, Formative Culture, and the Demonic in History”, Harvard Theological Review  (),  – , note .  See Wilhelm Pauck and Marion Pauck, Paul Tillich. His Life & Thought (San Francisco, CA: Harper & Row,  []),  f.  Robert Scharlemann, “Ontology in Tillich’s Dogmatics of ”, in: Études sur la Dogmatique () de Paul Tillich, ed. André Gounelle, Jean Richard and Robert P. Scharlemann (Québec: Les Éditions du Cerf, ),  –, argues that Tillich’s ontological, terminological usage changed.

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what follows, I rely especially on essays reprinted in The Protestant Era ⁷ and on The Socialist Decision, written while he was at Frankfurt.⁸ Few read the latter then, because it was among the books burned by the Nazis in 1933. ‘Decision’ in its title has existentialist connotations. That existence is prior to essence was presupposed in Barth’s articulations of “crisis theology,” which was a benchmark for many theologians in that generation. Tillich was regarded by most as a philosopher of religion. Unlike Barth and Brunner, Tillich felt a calling to Christian Apologetics, evident in his attention over the years to socialism, Gestalt psychology, existentialism, and finally the history of religions.⁹ Failure to address questions, arising from the current cultural situation in which we proclaim the Christian Kerygma, was one of his major complaints against Barth and the Barthians.¹⁰ The term ‘critical’ for Tillich reflected Kantian usage after Nietzsche, alert to ideological renderings of secular and religious schools of thought. The problem for philosophers, as Tillich presented it, was how to build on Kant’s first two critiques and improve on his third. He valued Schelling’s emphasis on and reconception of ontology, rejecting both Kant’s prioritizing of epistemology and Hegel’s absorption of the individual into the group, in the philosophy of history. Tillich regarded Schelling as the originator of the kind of existentialist thinking associated with Heidegger, his senior colleague in Marburg, who influenced many of the students attending his lectures.¹¹ Tillich stressed, from all Schelling’s periods, his existential dialectics and resistance to secularizing naturalism. The post-Kantian question for Tillich in Frankfurt and later was: what makes theologically and philosophically justifiable politics and social action possible? His answer was a dialectics of religion and culture attending to what concerns us ultimately or unconditionedly. From the German Classical Idealists’ many versions of dialectics, he derived his sense of the generative power of becoming what we might be, despite the threatening possibility of not being, due to our

 Paul Tillich, The Protestant Era, trans. James Luther Adams (Chicago: University of Chicago Press, ). Seven essays were first published during  – , including his Inaugural Lecture at Frankfurt, “Philosophy and Fate”,  – .  Paul Tillich, The Socialist Decision, trans. Franklin Sherman (New York: Harper & Row, ). John R. Stumme, “Introduction”, xxv, remarks that Tillich told James Luther Adams that he was most proud of that work. German text Die sozialistische Entscheidung in: GW II,  – .  STE III, : “the type of theological thinking presented in this system is more apologetic than kerygmatic.”  Paul Tillich, “What Is Wrong With the ‘Dialectic’ Theology?”, The Journal of Religion  (),  – , maintains that Barth’s theology was paradoxical, not dialectical.  See H. Tillich, From Time to Time,  f.

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participation in the dynamics of “Being as such”. A corollary of emphasis on dynamics was his insistence on the ambiguity of all historical events. Tillich considered it axiomatic that being is logically prior to non-being, not giving priority to Zen talk of ultimate emptiness.¹² The Being presupposed in our experience of all beings, and their prior source of meaningful life, is for Tillich absolutely personal or “transpersonal”. Here ‘Being’ connotes Geist, abstractly referred to as the “Unconditioned” (das Unbedingte), and religiously acknowledged as divine, not the sum total of material objects in the universe.¹³ (Tillich despaired of communicating to North American pragmatists and positivists the rich connotations of Geist assumed by the German Classical Idealists, on whom he lectured in the Harvard Philosophy Department.) Dialectical thinking for Tillich entails saying Yes and No to any one-sided dogmatic assertion, whether philosophical, theological or scientific. Yet it also embraces an apologetic “both-and” approach, affirming both transcendence and immanence.¹⁴ One way to get him to reconsider his position on any topic was to tell him that he was not being dialectical enough. This, of course, was his move against Barth. Tillich’s key concerning human imagination and our sense of self is the “might be/might not be” dynamics exemplified in our justification by grace through faith, which he construed as “the courage to be”¹⁵. An important feature of Schelling’s dialectics of “Being,” for Tillich’s interpretation of history, was the contention that “the demonic,” the destructive lure of non-being, is constitutive of divine being, not an alien rival power.¹⁶ Here he followed the Lutheran-Hebraic-biblical tradition, that temptation is part of the goodness of creation. Temptation challenges us to act historically, liable to make mistakes, yet deepening our faith and welcoming what is new, while honoring ancestral traditions. It is only destructive when we succumb to temptation.

 So Frederick J. Streng, “Three Religious Ontological Claims: ‘Being-Itself’, ‘Nothingness Within Somethingness’, and ‘The Field of Emptiness’”, in: Traditions in Contact and Change, IAHR XIVth Congress Proceedings, ed. Peter Slater and Donald Wiebe (Waterloo, ON: Canadian Corporation for Studies in Religion by Wilfrid Laurier University Press, ),  – .  Scharlemann, “Ontology”, , stresses that Tillich generally used unbedingt adverbially or adjectivally often modifying Sein or Wesen.  See, e. g., Tillich, The Protestant Era, Author’s Introduction, xiii-xiv.  See Tillich, The Courage to Be,  – .  Paul Tillich, The Interpretation of History, trans. Elsa L. Talmey (New York and London: Charles Scribner’s Sons, ), Part Two, “The Demonic”,  – . On Schelling see Paul Tillich, A History of Christian Thought, ed. Carl E. Braaten (New York: Simon & Schuster Touchstone, ),  – . Note also Marc Dumas, “Le divin et le démonique d’après la Dogmatique de ”, in: Études sur la Dogmatique () de Paul Tillich, op. cit.,  – .

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Tillich was thoroughly versed in Lutheran theology. His reflexes were informed by the conception of justification which he learned from Martin Kähler. Kähler drove home the distinction between the Jesus of history and the Christ of faith.¹⁷ Religious socialism, as articulated by Tillich and his friends, carries forward the prophetic strand of the Hebrew Bible, which inspired Luther and, in secular form, the young Marx. Its “religious” dimension adds the inspiration and normative constraints that follow from acknowledging our dependence for life on unconditioned Geist. Confidence in God’s grace, not any laws of nature, entails a doctrine of providence which generates confidence, however liberally and secularly articulated, that God’s Will shall prevail in history, even though our historic centre is the paradoxical Cross of the Christ. In The Socialist Decision, Tillich distinguished between principles, when used to characterize historic eras, and essences of things in the world. Platonic models for the latter are universal ideas or eternal forms, of which we see the appearances in nature. An example of the former is the prophetic principle from the Hebrew Bible enunciated for “the Protestant era” by Martin Luther. In such instances, principles denote the normative, culturally framed direction of an era, without covering universally or comprehensively everything that occurs. “The word principle is used to refer to the summarizing characterization of a political group.”¹⁸ Epochal principles supply tacit or explicit religious (dynamic, creative, critical, ultimately hopefully grounding) substance and direction to the formative culture of people in historic situations. “A concept is dynamic if it contains the possibility of making understandable new and unexpected realizations of a[n] historical origin.”¹⁹ In this sense Tillich referred to the Protestant Principle, the Bourgeois Principle and the Socialist Principle. To me this distinction between “principle” and “essence” is a suggestive way of approaching the conceptual presuppositions and intellectual dimension of “praxis.” The Socialist Decision is meant to persuade readers that religious socialism, not National Socialism or atheistic Marxism, is the realistic political philosophy most suited to the German situation, following the First World War.²⁰ Personal and political decisions are based on appeals to our origins and eschatological expectations, which are framed by our particular culture. All espouse views on the origins and ultimate future – the “Whence” and “Whither” – of human being in this world. But only statements drawing on the doctrine of justification  Paul Tillich, On the Boundary. An Autobiographical Sketch (New York: Charles Scribner’s Sons, ),  – . An earlier version of this text is in Tillich, The Interpretation of History, Part One.  Tillich, The Socialist Decision,  (his italics).  Ibd.  See also Paul Tillich, Political Expectation (New York: Harper & Row, ),  – ,  – .

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by grace through faith offer a viable understanding of how laws and human institutions can be made to serve everyone, not just the privileged, without becoming oppressive. They are both supportive of essential presuppositions and critical of inauthentic responses to our situation. Meaning and value in history are not solely human projections, as Feuerbach argued, but derive from human participation in the infinite source of critical affirmations and negations of current practices. Such participation is not a matter of logically inferring effects from natural and historical causes. It is part of making existential decisions about courses of action demanded by specific times and places. Ideally, our decisions should be guided by some adaptation of the Hebraic prophetic principle. The truth in conservative positions is that we do owe much to our origins, including in religion priestly conceptions of a sacramental universe. There is also truth in revolutionary thinking, stemming from the fact, insisted on by Kant and others, that we cannot logically derive an “ought” from an “is” or conclude that there is nothing new under the sun.²¹ The prophetic thrust in religion articulates expectations for a future not like the past, which motivate political movements, such as those stirring the working class to action after World War I. History is not cyclical. Against National Socialism and humanistic Marxism, correct political-economic thinking should acknowledge the “Whence” and “Whither” of the current situation, including prophetic and personalist conceptions rooted in Semitic religious traditions. (On Asian traditions, Tillich was not that well informed until late in life.) According to his circle, religious socialism was best suited to the times – their generation’s kairos – because it addressed the priorities embodied by “the proletariat”²². As we know, Tillich’s first serious contact with the working class was during his service as an army chaplain. Thereafter, he applauded the position of the young Marx and opposed the conservative Lutheran worldview of his father’s generation.²³ The “proletariat” included, for Tillich, not only working men and women, but people from the “upper” classes who identified with them. They helped to articulate grievances prompted by our demand for love and justice.²⁴ Often

 Tillich, The Socialist Decision,  – ,  – .  See, e. g., Tillich, The Protestant Era, “Kairos”,  – .  Pauck, Paul Tillich,  – . Tillich suffered during the war from what is now called “PostTraumatic Stress Disorder.”  See, e. g., Tillich, The Socialist Decision,  f., regarding intellectuals; : “The demand that separates from the ambiguous origin is the demand of justice”; : “The revolutionary group must be perceived by the people as the instrument of justice”; and : “radical democracy seeks to turn the state into a function of an abstract idea of justice. But only concrete justice

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they formulated negative judgments against the unjust pretensions of leaders of institutions, who arrogate quasi-divine infallibility to themselves, rather than advocating specific political programs. Against romantic nostalgia or utopianism, Tillich insisted on the importance of identifying God’s will in terms based on realistic assessments of the current situation.²⁵ Inhibited by the ambiguities in every historical situation, he avoided prescribing specific reforms.²⁶ Theology comes in, for Tillich, whenever we acknowledge the religious, as contrasted with the cultural, dimensions of our history.²⁷ “In the struggle against a demonized society and for a meaningful society, religious socialism discerns a necessary expression for the expectation of the kingdom of God. But it repudiates the identification of socialism with the kingdom of God just as it rejects religious indifference towards constructive tasks within this world.”²⁸ From Schelling, he had learned to think of religion as the dynamic “substance” of reality, construed in terms of Spiritual Presence.²⁹ Ontologically the reference is to Being itself or Being as such, always construed as the active initiating power in reality, encompassing changing cultural contexts. The corollary is that “culture” supplies the temporal “forms” through which we express meaning and value.

and a concrete form of economic life express reality. In them, the dominant productive forces of a society at a given time come to expression” (all his italics).  On this topic Paul Tillich, The Religious Situation, trans. H. Richard Niebuhr (Cleveland, OH: World Publishing Company, ) was the text which first introduced him to most theologians in America.  Tillich, The Socialist Decision, “Foreword”, xxxiv: “This presentation stays as far away as possible from the tactical questions involved in the opposition between Social Democracy and Communism.”  On the ambiguities of Tillich’s usage regarding ‘religion’ and ‘theology’ see Robert P. Scharlemann, “Tillich’s Method of Correlation: Two Proposed Revisions”, The Journal of Religion  (),  – .  Tillich, Political Expectation,  (his italics).  Paul Tillich, Mysticism and Guilt-Consciousness in Schelling’s Philosophical Development, trans. Victor Nuovo (Lewisburg, PA: Bucknell University Press, ),  – , here : “God, in his highest dignity, is the universal substance [Wesen] of all things; but this universal is […] as it were, borne by God as individual substance […] called selfhood […] the principle of love […] also wrath […].” Note also, e. g., Tillich, The Protestant Era, : The “most precise statement of theonomy” is: “Religion is the substance of culture and culture the form of religion.” Note later Paul Tillich, What Is Religion?, trans. James Luther Adams (New York: Harper & Row, ) on Substanz and Gehalt, Inhalt, Haltung, , , and Paul Tillich, Theology of Culture, ed. Robert C. Kimball (New York: Oxford University Press, ), : “Religion as ultimate concern is the meaning-giving substance of culture, and culture is the totality of forms in which the basic concern of religion expresses itself. In abbreviation: religion is the substance of culture, culture is the form of religion.”

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Tillich had difficulty translating his pivotal concept into English. For him the German Geist denoted both the unconditioned, eternal ground of meaningful existence and the critical “import” (Gehalt) of particular cultural expressions of spirited human being.³⁰ Whereas in English ‘substance’, in modern times, may suggest especially the reality of material things, the word ‘import’ flags the relational power of distinctive configurations of ideas, which make events significant for us. “Substance” is a more dynamic and much less abstract term than English readers may realize. “Being as Such” or substance in this sense is not a case of language going on holiday, as some Wittgensteinians maintained. An important implication of Tillich’s dialectical dynamism is that cultural forms are not eternal, as Platonists assume, or fixed by nature (e. g. sexual orientations). They are shaped by changing social situations, as in Germany during the 1920s and 1930s, and they are constantly being modified. That means that the political and economic structures assumed to be universally valid by modern capitalists could, and should, be subject to reformation, just as Luther on religious grounds reformed Catholic church order. This is the ontological basis for deconstruction and reconstruction of both ideologies and public institutions. Modern capitalism was and is, on Tillich’s reckoning, “demonic”. What invalidates the modern bourgeois principle of secular autonomy is unwarranted liberal confidence in the immanent, ultimate harmony of the natural order, including economics.³¹ The old liberal assumptions concerning “civilizational” progress are not supported by “the facts,” especially the barbarity of modern warfare and the exploitation of displaced industrial workers.³² Against “the Bourgeois Principle” we must reiterate the prophetic or Protestant Principle.³³ Luther’s paradox, that we are simultaneously saints and sinners, is reflected in the observation that, in religious culture, “Protestantism is the attitude of protest against form”, while the “the power of creating form”³⁴ in historical cultures is a God-given/graced prerequisite to human being, reminding us of our calling.

 Paul Tillich, On Art and Architecture, ed. John Dillenberger and Jane Dillenberger (New York: Crossroad, ),  (note  by Dillenberger), regarding translating Gehalt. Essays  –  were written before .  Tillich, The Socialist Decision,  f.  For a critique of Kant’s Enlightenment anthropology’s racist ideological consequences and James Cone’s use of Tillich’s dialectical theology in response, see J. Kameron Carter, Race. A Theological Account (New York: Oxford University Press, ),  – ,  –  on “the Euthanasia of Judaism: Whiteness Come of Age”, and  –  on Tillich.  See Ronald Stone on Tillich’s “Weimar years”, in “The Religious Situation and Resistance in ”, in: Religion in the New Millennium. Theology in the Spirit of Paul Tillich, ed. Raymond F. Bulman and Frederick Parella (Macon, GA: Mercer University Press, ),  – , esp.  – .  Tillich, The Protestant Era, .

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What abstractly seems contradictory is actually combined in the vital structures of human and corporate persons and biological organisms. Tillich’s term for such structures was Gestalt, adapted from neurology and Gestalt psychology, which draws attention to our unconscious depths.³⁵ In religion, he considered the paradigmatic “Gestalt of grace” to be preaching the Word of God, as among worshipping Lutherans. Good preachers use different human words to communicate to each new generation, using everyday idioms, the import of God’s saving historic acts, culminating in Jesus’ death on the cross.³⁶ (In those days, Tillich routinely condemned Catholic sacramentalism, without qualification, for undialectically attributing infinite validity to finite forms of faith and practice.)³⁷ What all this meant for theology, Tillich argued, was that, while we need doctrines of God, creation, sin, incarnation, redemption, sanctification, church order and providence, to monitor the content of Christian preaching, theological doctrines are not set in stone.³⁸ Following Troeltsch, Tillich insisted that doctrinal statements are not timeless truths. They must be constantly reconstrued to address the challenges of changing situations. Most especially, they must interpret the dynamics of new cultural constructions of what life is all about, in terms which connect with coming generations unversed in traditional statements of faith. During his Frankfurt

 See Pauck, Paul Tillich,  f, regarding Kurt Goldstein and Adhémar Gelb as his sources on Gestalt. They were together in Davos in  and warmly endorsed his appointment to Frankfurt; two Jewish friends in Berlin, Adolph Löwe and Eduard Heimann, later at Frankfurt and in New York, especially educated Tillich on economics (see  f.).  Tillich, The Socialist Decision,  on the Cross vs. political romanticism. Note Political Expectation,  – , on Scripture and contemporaneity. Walter Leibrecht, “The Life and Mind of Paul Tillich”, in: Religion and Culture. Essays in Honor of Paul Tillich, ed. Walter Leibrecht (New York: Harper & Brothers, ), : “When Paul Tillich preaches a sermon […] the audience is spellbound […]. One finds in Tillich’s sermons both sharp diagnosis of human existence and a vision of the holy […]. Both […] make ‘ultimate concern’ the only possible way […] to express the divine.” Also Pauck,  – , on preaching as a new responsibility at Union Theological Seminary. Of those sermons, see, e. g., Paul Tillich, The New Being (New York: Charles Scribner’s Sons, ),  on the example of the woman anointing Jesus, “the Cross […] is the fulfillment of all wisdom within the plan of salvation. In the self-surrendering love of the Cross, reason and ecstasy, moral obedience and sacred waste are united. May we have the abundance of heart to waste ourselves as our reasonable service!”  Tillich, Theology of Culture, , acknowledges his new appreciation in America for “Catholic substance” (influenced by his Canadian Anglo-Catholic doctoral student at Union, Eugene Fairweather, my late colleague).  Paul Tillich, Dogmatik. Marburger Vorlesung von , ed. Werner Schüßler (Düsseldorf: Patmos Verlag, ),  – , discusses revelation and the historical, scientific, systematic and practical character of Dogmatics;  refers to Art (Kunst) and Justice (Recht).

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years and immediately before, most of Tillich’s conversation partners were not theologians. Among them he was more concerned to fend off stereotypes of theology as supranaturalistic dogmatizing than to rehabilitate theological language for seminarians, as he would later have to do in America. In any case, what he called for is critical, not dogmatic, yet systematic, theology, using fresh language to articulate the faith communicated to us by revelatory portraits of “Jesus as the Christ.” Each generation is challenged to break through cultural stereotypes, when responding to the revelation of “the Unconditioned” in our conditioned contexts. Tillich’s main sources for fresh theological language were the ontological nuances introduced by German Classical Idealists and Heideggerian existentialism correlated with Gestalt psychology.³⁹ What marked Tillich as a theologian, not only as a philosopher, was his affirmation of the primacy of faith in response to divine revelation, when realizing religious truth. Against both dialectical idealists and dialectical materialists, he advocated “self-transcending” or “belief-ful realism” (gläubiger Realismus).⁴⁰ It is based on breakthroughs by the Holy Spirit into our circumscribed, unliberated senses of self devoid of any reference to God. Revelatory breakthroughs received in faith give us the courage to be ourselves, participating with others in making history (Geschichte). According to him, biblical texts are not directly revealed, as Muslims assert of the Qur’an.⁴¹ Biblical texts are human records of divine revelation requiring reinterpretation for different contexts. Theologically, revelation is part of the doctrine of grace. Trusting in revelatory breakthroughs is necessary because our finite perceptions are not only ambiguous but fallible. Unchallenged, they can be construed to conform to bourgeois assumptions about secular autonomy, keyed to a vocabulary of natural causes and empirically verifiable effects, in a way that leaves a power vacuum in our will to remedy social defects. Unscrupulous totalitarian leaders in church and state are all too ready to fill such a vacuum in reforming motivation. In the idiom of what Tillich later called his “method of correlation,” each cultural setting poses an existential question for theologians not met by reiterating orthodox answers to earlier questions. For instance, whether Jesus as Messiah was or is divine or human, answered at Chalcedon by invoking contemporary conceptions of “natures” and “persons,” must be restated to address

 Leibrecht (ed.), Religion and Culture,  –  gives a very helpful, comprehensive bibliography, including translations, for each year from  to , compiled by Peter H. John.  Tillich, The Socialist Decision, xxxvi. On this locution, the translator refers us to H. Richard Niebuhr’s Preface to Tillich, The Religious Situation,  – .  On this see Lamin O. Sanneh, Translating the Message. The Missionary Impact on Culture (Maryknoll, NY: Orbis, ), .

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modern anxiety over making the wrong vocational choices. The post-Kantian focus was on whether such choices are really ours. The challenge was not to define ‘persons’, but to avoid both the heteronomy of hierarchical church-state pronouncements, during the heyday of Christendom, and the autonomy demanded by materialistic freethinkers, especially during the Age of Enlightenment. In this situation, theologians must articulate Christology in a way that shows how Christian dogmatic prescriptions are “theonomous,” not heteronomous. Here it helps to refer to religious principles rather than laws. Besides introducing his concept of theonomy, Tillich’s preferred locution was to declare Jesus as the Christ to be “the New Being,” in a Schellingian sense of ‘being’, who momentarily but dynamically overcomes the “split” between “essence” and “existence.”⁴² The “split” in history follows from how we human beings, from Adam and Eve on, imperfectly realize our “finite freedom.” Christian realism, as Reinhold Niebuhr stressed, includes a strong doctrine of original sin, not biologically, as Augustine assumed, but due to social conditioning.⁴³ Critical theological ontology for Tillich followed from his conception of the “self-transcending realism” promoted by theonomous culture. With this locution he underlined that his was not an idealist ontology. “Self-transcending realism”, he wrote, “is a universal attitude toward reality. It is neither a merely theoretical view of the world nor a practical discipline for life”⁴⁴. It appeals to the depths of true wisdom lying “underneath the cleavage between theory and practice. Nor is it a special religion or a special philosophy. But it is a basic attitude to every realm of life, expressing itself in the shaping of every realm.”⁴⁵ Unrealistic self-transcendence inspired by faith is idealistic. Realism without allowing any self-transcendence – e. g. that of positivism, pragmatism and British empiricism – he called “self-limiting realism”. (Tillich tended to dismiss all falsificationminded linguistic analysts as positivists.) The qualifying adjectives are significant. When the focus is on calculating consequences and objective experience, we get “technological realism”⁴⁶. Challenging this is the continuing cultural influence of medieval “mystical realism”,

 See STE II,  f.,  f.,  f.,  et passim.  Tillich, The Protestant Era, : “Protestantism must witness to the ‘New Being’ through which alone it is able to say its word in power […].” See Eric Gregory, Politics & the Order of Love. An Augustinian Ethic Of Democratic Citizenship (Chicago: University of Chicago Press, ) defending Niebuhrian-Tillichian realism regarding love and justice against Hannah Arendt and other critics.  Tillich, The Protestant Era, .  Ibid.  Ibid., .

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construed in terms of the “depth dimension” discerned by psychologies of “the unconscious”, rather than through talk of heaven “above” or eternity. Both mystics and technocrats tend to abstract from temporal transformations undergone during the course of history, which are in the forefront of “historical realism”. “For historical realism the really real appears in the structures created by the historical process.”⁴⁷ When theologizing during the 1920s and 1930s Tillich was already using three critical concepts: those of symbols, kairos, and justice. As contrasted with arbitrary signs, in his usage, cultural symbols “participate” in the reality which they symbolize. We cannot create such symbols at will. They arise in historic situations. Since Philo and the author of the Fourth Gospel, the Word in our words has been a central symbol in Christian discourse.⁴⁸ His conception of symbolic meaning has been severely criticized, on Wittgensteinian grounds, by George Lindbeck.⁴⁹ But, to my mind, Lindbeck underrates Tillich’s post-Kantian linking of religion and art, when answering the question: what makes possible critical discourse on topics not properly covered by the natural sciences and deontological ethics? How we explicate religious truth, according to Tillich, is best done, postKant, by learning from aesthetics, rather than physics or ethics. For him, true religious meaning is most akin to that of expressionist art, which shatters supposedly realistic portrayals of natural objects, in order to direct viewers’ attention to the meaning and critical evaluation of what is visually portrayed. A favorite example from the 1920s was Eduard Munch’s “The Scream”. Later Tillich declared that Picasso’s “Guernica” was “the most Protestant picture’’ of the twentieth century.⁵⁰ It drives home the horror of war, not any clear path to peace. It makes a political, not just an aesthetic statement. It is prophetic. Prophetic religion drives home the idolatrous, demonic corruption of sacral kingship in the exercise of political authority, which results in the loss of homeland and destruction of the people as one people.⁵¹  Ibid., .  On central symbols see Peter Slater, The Dynamics of Religion (London: SCM, ),  – . Henry Chadwick commented during a tutorial that he “could smell Philo in the Fourth Gospel.”  George A. Lindbeck, The Nature of Doctrine. Religion and Theology in a Post-Liberal Age, (Philadelphia: Westminster, ),  – , , , , regarding Tillich and Wilfred Cantwell Smith, both essentialists on this score, trained in Classics to define nouns etymologically.  Tillich, On Art and Architecture, , ,  and  regarding Guernica.  On kingship as a prophetic initiative, with a Bakhtinian analysis of the different voices heard in the biblical text, see Barbara Green, How Are the Mighty Fallen? A Dialogical Study of King Saul in I Samuel, (London: Sheffield University Press & Continuum, ). Tillich would endorse her opposition, on , to bifurcating spiritual and intellectual concerns.

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In Tillich’s idiom, we apprehend religious reality in and through the canonical biblical portraits of “Jesus as the Christ” in a way similar to how we look through stained glass windows. We may note details of specific images in the windows from different periods, such as Aryan pictures of blond, blue-eyed baby Jesuses. But what is theologically significant is our admission that the source of light and life is not in the glass. It is seen through the glass. In Johannine terms, creation is not generated or constrained by the flesh of this world. It is of God and with God, from the outset. The stained glass enables us to see the light shining, but is not its source. There is both transcendent and immanent historic content in such perceptions. Correct descriptions of the transcendent grounding of what is really perceived can only be expressed symbolically. They are not to be taken literally.⁵² Unpacking the biblical term kairos was Tillich’s way of linking biblical portraits of Jesus as the Christ with the political crisis pervading German culture following World War I. In his inaugural lecture at Frankfurt, on “Philosophy and Fateful Destiny” (Schicksal), he reviewed the history of philosophical quests for truth to show that “[f]rom physics on up to the normative cultural sciences there is a gradation, the logos standing at the one end and the kairos at the other.”⁵³ In a 1922 article on “Kairos” for Die Tat, he used this term to identify our sense of a demand for present action, based on awareness of the unconditional roots of meaningful history, urging us to make “kairos […] a general principle of history […] relevant to the present.”⁵⁴ He also argued, against Emanuel Hirsch, that, whereas support for Hitler was idolatrous, religious socialism is not, because it is more true to the symbolism of God’s coming Kingdom in the 1930s.⁵⁵ What differentiates “kairoi” from neutrally registered chronological intervals in space-time is their import for the maybe/maybe not existential decisions, re-

 See the critique by Lewis S. Ford, “The Three Strands of Tillich’s Theory of Religious Symbols”, The Journal of Religion  (),  –  and Tillich’s reply,  – .  Tillich, The Protestant Era, . See  regarding logos and kairos, and  regarding kairos as general principle.  Ibid., .  So Robert Scharlemann, “Demons, Idols, and the Symbol of Symbols”, in: Religion et Culture, ed. Michel Despland, Jean-Claude Petit and Jean Richard (Québec: Les Presses de l’Université Laval, ),  – ,  regarding Gehalt and non-utopian symbolism,  –  regarding Hirsch’s accusation of idolatry and the demonic, referring to Tillich, On the Boundary, : “at a particular time particular tasks are demanded of us, as one particular aspect of the Kingdom of God becomes a demand and an expectation for us.” Note similarly Tillich, The Interpretation of History, . Scharlemann alludes here to Paul Tillich, “Die Theologie des Kairos und die gegenwärtige geistige Lage. Offener Brief an Emanuel Hirsch”, Theologische Blätter  (), cols.  – .

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quired during different historic periods, regarding fulfillment of the goal of realizing God-given expectations for our future together. The paradigm is from the early apostolic Christians. Linking “the absolute” to historical relativities entailed for Tillich a theonomous account of each cultural moment. “Every kairos is […] implicitly the universal kairos and an actualization of the unique kairos, the appearance of the Christ. But no kairos brings the fulfillment” of the Christ Event “in time.”⁵⁶ In The Socialist Decision, Tillich contrasted Christian realism with the romantic ideologies of both conservative idealists and Marxist materialists, who traded on mythic ideas of origins and endings, tacitly hoping for miracles to produce desired results. When these failed to occur, totalitarians took control of both fascist and Marxist movements, justifying dictatorial actions as necessary in economically dire circumstances.⁵⁷ Although both conservative and revolutionary romantics traded on a residue of biblical faith in divine providence, guaranteeing that realizing both the “is” and the “ought” of everyday life is part of the ultimate order of things, they relegated religion to the status of private preferences among dwindling numbers of traditional theists.⁵⁸ Since the capitalist rationale included remnants of ruling class assumptions about authority and privileged status for élites, it co-opted many conservative Christians. Although Tillich referred to “the Bourgeois Principle” and “the Socialist Principle”, he did not define or describe these clearly, stressing rather their ambiguities. In practice, he argued, advocates of “the Socialist Principle” shared some aspects of bourgeois thinking, while opposing bourgeois values. Socialism, on his reading of history, was a dialectical combination of “prophetic” substance, demanding justice, and autonomous rational forms (the bourgeois legacy), pointing towards the realization of a not wholly calculable future. On other occasions, Tillich used ‘principles’ less precisely, not tied to specific eras, for instance declaring love to be the general principle of justice, then enunciating its “mediating” principles, such as the adequacy of form to content, equality before the law, and solidarity (in fraternity/comradeship).⁵⁹ Expectations for such a future governed by such principles appealed to younger members of the current generation, on whom, especially, Tillich pressed the call to be realistic. (In mid-

 Tillich, The Protestant Era, .  Tillich, The Socialist Decision,  and  regarding beliefs in the end looking “forward to a miracle of nature that transforms human nature as well as nonhuman […].”  Ibid., . For a contemporary essay on the American context see Russell T. McCutcheon, Religion and the Domestication of Dissent (London: Equinox, ), e. g.,  regarding privacy and the rhetoric of faith.  Paul Tillich, Love, Power, and Justice (Oxford: Oxford University Press, ),  – .

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dle age, Tillich placed himself between his father’s conservative older generation and his students’ radical younger generation.)⁶⁰ In his accounts of “the Socialist Principle”, Tillich dialectically combined both symbols and concepts. They express the tensions between appeals to both transcendence and immanence, mythology and scientific experimentation, “vertical” and “horizontal” extrapolations of temporal processes, erotic drives towards fulfilling goals and rational analyses of means towards ends, the inescapable demands of our common destiny and uncoerced individual decisions, concerning the promise of our future together. “The classless society” was a transcendent symbol becoming an historical objective. He described proletarian socialism as the Hebraic prophetic movement implanted in the secular soil of bourgeois rationality. The “essence of socialism”, he declared, is the tension between anti-idolatrous prophetic consciousness and rationalizing modernism.⁶¹ Consistently referring to “New Being” was Tillich’s way of combating “Protestant personalism” and the privatization of faith.⁶² Although he juggled symbols and concepts, his philosophical gift was for conceptual analysis. Theologizing for him was intentionally a second-order exercise in critical judgment, not meant to prescribe tactics or endorse party platforms.⁶³ Late in the day, he did join a political party. But, as his wartime sermons at Union Theological Seminary and Voice of America broadcasts to Germany illustrate,⁶⁴ his practical forte was eliciting decisions by individuals. Our call is to “accept our unacceptability”, not propose solutions to political problems.⁶⁵ In America during the McCarthy era, his voice was barely heard by most of the political establishment.⁶⁶ In Tillich’s 1925 Dogmatik, the title of Part II, A:I, on salvation history, is “Die Offenbarungsgeschichte als Kampf gegen das Dämonische.” One major challenge

 Tillich, The Socialist Decision, xxxiii.  Ibid.,  – , esp.  f.  Tillich, The Protestant Era, : “We must recognize the inadequacy of ‘Protestant Personalism’ […].”  Ibid., : “By far the greatest danger for the religious-socialist movement seems to me to be where ‘religion’ is used as a matter of strategy. Here the bourgeois element which socialism drags along with it is in a fateful way encouraged.” That “impedes” the kairos.  Paul Tillich, Against the Third Reich, ed. Ronald H. Stone and Lon Weaver, trans. Lon Weaver (Louisvillle, KY: Westminster John Knox, ), Tillich’s wartime radio broadcasts from America.  Paul Tillich, The Shaking of the Foundations (New York: Charles Scribner’s Sons, ),  –  (“You Are Accepted”), and The New Being (New York: Charles Scribner’s Sons, ).  Pauck, Paul Tillich, , on joining the Social Democratic Party, and  on dinner with the Roosevelts and being blacklisted by the U.S. Army in . A decade later, however, he was the subject of the cover story for TIME. The Weekly Newsmagazine, March , , vol. LXXIII, No. .

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for modern biblical exegetes is due to the fact that, in apostolic thinking, the war that finally matters is portrayed as being more in heaven than on earth.⁶⁷ Where on earth is heaven now? Existential demythologizing, as exemplified by both Bultmann and Tillich, tended to reinforce the privatizing of faithful concerns, ironically, in Tillich’s case, despite his publications on political theology. As later use of the kairos idea in South Africa showed, rejecting liberal optimism regarding guaranteed cultural progress does not warrant failing to make any progress on specific fronts during our lifetimes, however partial or ambiguous the results. As a galvanizing slogan, “Participate in the New Being!” is hardly on a par with “Aux armes, les citoyens!” or “Black is beautiful!” As noted earlier, for Tillich, “the symbol of symbols” was the Cross.⁶⁸ To him it communicated Jesus “sacrificing” his humanity in the course of realizing the divine-demonic power of Spiritual Presence in history. “Its power lies elsewhere. It is the power whose symbol has in the past been the cross, for in the cross humanity experienced the boundary-situation as never before and never after. In this power – indeed, in this impotence and poverty – the Protestant church will stand so long as it is aware of the meaning of its own existence.”⁶⁹ How does this differ fundamentally, in politics, from awaiting miracles? Regarding politics, Tillich’s assessments of the biblical portrait of Jesus’ healing ministry, as symbolically participating in the coming Kingdom, raises the question: in what ways does God empower us here and now to act as those from whom the demons are being cast out? Granted that God is not to be thought of as a being among other beings, initially, at least, in biblical portrayals, Jesus in history appears on the public stage as one finite agent among others, the leader of a politically sensitive movement. His was a “paradoxical messiahship”⁷⁰. May there not be a more robust mandate for action, in the conception of dynamic being transforming history, than Tillich allowed, including a mandate to advocate practical political agendas in particular contexts, as Bon-

 Tillich was familiar with Bultmann but not with the work of the next generation, see, e. g., on this subject James M. Robinson, The Problem of History in Mark (London: SCM,  / Studies in Biblical Theology, vol. ). Robinson shows how for Mark the war with the demonic is simultaneously on two stages, the earthly and the heavenly.  So Scharlemann, “Demons, Idols, and the Symbol of Symbols”, in: Religion et Culture. Colloque Centenaire Paul Tillich, ed. Michel Despland, Jean-Claude Petit and Jean Richard (Laval, Québec: Les Presses de L’Universite Laval, ),  – .  Tillich, The Protestant Era, .  So Jürgen Moltmann, e. g., in: The Crucified God. The Cross of Christ as the Foundation and Criticism of Christian Theology (London: SCM, ), trans. R.A. Wilson and John Bowden,  f.: “Jesus’ gospel of the kingdom […] paradoxically promises the kingdom to the unrighteous as a gift of grace, and leaves the supposedly righteous outside it.”

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hoeffer finally concluded? As the rejection of miraculous solutions implies, Tillich’s turn to aesthetics to unpack questions of meaning does not exempt us from also drawing on findings in the natural sciences and secular ethics, in support of religious calls to social action and critical theologizing. With the benefit of hindsight, we are able to compare the Christological presuppositions of Tillich’s essays on religious socialism with the next generation’s advocacy of liberation theology. Influenced by Gandhi and Martin Luther King Jr. (who wrote a thesis on Tillich), Moltmann and others derived from Jesus’ proclamation of the Coming Kingdom a much stronger mandate to become “a voice for the voiceless” on current social issues, than we hear from Tillich.⁷¹ They acted on the conviction that the Coming Kingdom, proclaimed by Jesus, includes exercising now a political “option for the poor”.⁷² Whereas Tillich was inhibited by the ever-present danger of idolatry in our fallible responses to demands for absolute justice, Gandhi, knowing that political actions have unintended side effects, used recognition of our finitude, as well as the divine grounding of all truth, as a reason for enlisting the masses in opposition to injustices in any social system.⁷³ He won over many opponents by personally acknowledging their humanity, while campaigning against the inhumanity built into the programs which they administered. Believing that the consequences of his mistakes should fall on himself, as much as, if not more than, on others made him less inhibited than Tillich, when invoking religious authority in support of non-violent resistance to authoritarian regimes.⁷⁴ However, on resisting Hitler, he was less persuasive.⁷⁵ Tillich’s expulsion from Frankfurt was Germany’s loss and America’s gain. It deepened his understanding of living “on the boundary”, making him even more

 Note José Miguez Bonino, “Rereading Tillich in Latin America: From Religious Socialism to the Exile”, in: Religion in the New Millennium, op. cit.,  – .  See, e. g., John W. de Gruchy, The Church Struggle in South Africa (Grand Rapids, MI: Wm. B Eerdmans, ), : “In serving the interests of the kingdom through a ministry of suffering love, the church is called to identify with the powerless.”  Joan V. Bondurant, Conquest of Violence. The Gandhian Philosophy of Conflict (Berkeley and Los Angeles: University of California Press,  []) maps the strategies but plays down the religious dimension. Besides Tolstoy, Gandhi owed his pacifist reading of Jesus’ “Sermon on the Mount” to C.F. Andrews. On their relationship see Gandhi and Charlie, ed. David McI. Gracie (Cambridge, MA: Cowley, ).  Mohandas K. Gandhi, An Autobiography. The Story of My Experiments With Truth (Boston, MA: Beacon Hill, ) for insights into personal lessons from the public examples of non-violent co-operation and resistance, e. g., see , , , , , , , , ,  – , .  Judith M. Brown, Gandhi. Prisoner of Hope (New Haven and London: Yale University Press, ),  – .

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dependent on others, than before, for having any political impact. His concept of “creative justice” anticipated Archbishop Tutu’s conception of “restorative justice”.⁷⁶ It draws on the dynamics of justification, not allowing retributive justice to define our future, and reconceiving distributive justice to enfranchise all. But Tillich’s reading of the somewhat individualistic, Lutheran doctrine of justification made existential decision key to true religion. Later, he linked affirmation of the Protestant Principle with greater appreciation for the continuity of “Catholic substance” in Christianity. I am unsure how that use of ‘substance’ fits with his earlier dialectics of dynamics and form in religion.⁷⁷ In this paper, we have considered how Tillich, during his German period, addressed the question: what makes possible theologically justifiable religiously motivated political thought and action? His writings in the years immediately preceding, and during, his appointment at Frankfurt exemplify his conviction that the job of critical theology is to articulate philosophically and religiously realistic judgments on human actions and ways of life, both individual and communal. Philosophically, this includes relating findings from the arts and sciences, regarding finite existence, to wisdom concerning the infinite source of meaning and value, for Christians definitively made known by biblical portraits of Jesus as the New Being. Religiously this generates judgments concerning the consistency of our priorities, as exhibited in our praxis and articulated in our statements of principles. Tillich’s answers direct us to critical, not traditionally dogmatic, theology, with emphasis on the prophetic strand of biblical theology. His injunction to would-be theologians at Harvard and elsewhere was to be systematic when correlating questions and answers pertaining to all our doctrines of God, Christ, and the world. What he directed us to consider theologically are, not metaphysical abstractions, but principles pertinent to dialectically acting in specific times and places in the S/spirit which enlivens all human being. In the end, religious thinking raises the question: how do our ultimate priorities influence our penultimate concerns? Theology critiques our answers, both religious and secular.

 Tillich, Political Expectation, , refers to “creative justice” but does not unpack the idea, as he did in Love, Power, and Justice.  Langdon Gilkey, Gilkey on Tillich (New York: Crossroad, ),  – , on Tillich’s early political writings, argues that he was developing a category of “sacramental consecration”, which would use an appeal to origins to inspire leaders of specific groups (racial, gendered, economic) to participate in liberation movements.

Christian Danz

Geschichte und Utopie Geschichtsphilosophie bei Paul Tillich und Max Horkheimer Im Sommer des Jahres 1942 übermittelte Paul Tillich seinem ehemaligen Frankfurter Kollegen Max Horkheimer Bemerkungen zu dessen Beitrag „Vernunft und Selbsterhaltung“ für die Benjamin-Gedächtnisschrift,¹ der eine Art Keimzelle für die zwei Jahre später erschienene Dialektik der Aufklärung darstellt.² Bei aller Zustimmung zu den zeitdiagnostischen Aspekten des Aufsatzes unterzieht Tillich die geschichtsphilosophische Grundthese Horkheimers, „[a]m Ende des Fortschritts der sich selbst aufhebenden Vernunft bleibt ihr nicht mehr übrig, als der Rückfall in Barbarei oder der Anfang der Geschichte“³, einer prinzipiellen Kritik. Tillich schreibt: Woher kommt der Glaube, daß der Universalmechanismus in den Anfang der Geschichte umschlagen kann? Ist das nicht Wunderglaube erster Ordnung? Wenn aber nicht, wie ist eine solche Wendung vorbereitet? Wo sind die noch nicht desintegrierten oder schon wieder integrierten Kräfte, die einen solchen Umschwung tragen können? Ja,woher kommt die Kraft, die eine solche Vision wie die im Aufsatz gegebene möglich macht? Muß man nicht dazu irgendwie außerhalb stehen? Muß nicht auch die Vernunft, die ihre eigene Zerstörung beschreibt, irgendwo unzerstörbar sein, um das zu können?⁴

Horkheimer antwortete seinerseits am 12. August 1942 auf das Schreiben seines Frankfurter Kollegen sowie die darin vorgetragene Kritik. Gegenüber dem Einwand, seine Geschichtsphilosophie sei Wunderglaube und vor allem Tillichs Behauptung eines Restes,⁵ der die Selbstzerstörung der Vernunft überdauere,  Max Horkheimer, „Vernunft und Selbsterhaltung“, in: Walter Benjamin zum Gedächtnis, hektographiertes Typoskript ([New York, Los Angeles]: Institut für Sozialforschung, ),  – . Im Folgenden zitiert nach der Ausgabe: Max Horkheimer, Vernunft und Selbsterhaltung (Frankfurt am Main: Fischer, ).  Paul Tillich, „Bemerkungen zu ‚Vernunft und Selbsterhaltung‘“, in: „Paul Tillich und Max Horkheimer im Dialog. Drei bisher unveröffentlichte Texte (/)“, hg. von Erdmann Sturm, ZNThG  (),  – , hier  –  (wiederabgedruckt in: Max Horkheimer, Gesammelte Schriften, Bd. , Briefwechsel  – , hg. von Gunzelin Schmid Noerr (Frankfurt am Main: Fischer, ),  – , hier ).  Horkheimer, Vernunft und Selbsterhaltung, .  Tillich, „Bemerkungen zu ‚Vernunft und Selbsterhaltung‘“, .  Vgl. a.a.O.,  f.: „Es ist ein altes Problem, auf das ich damit komme. Die Propheten kannten es als Problem des ‚Rests‘, der sich in allen Katastrophen erhöht und auf den der Anfang – die Propheten nannten es Ziel – der Geschichte sich bauen wird. […] Wenn aber solche Gruppen da

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Christian Danz

macht der Philosoph geltend, diese Überzeugung sei eine „Vergegenständlichung“, welche „mit einer Selbstpreisgabe der Theorie an die ins Unheil verstrickte Praxis identisch“⁶ sei. Die briefliche Kontroverse zwischen Tillich und Horkheimer über „Vernunft und Selbsterhaltung“ vom Sommer 1942 lässt nicht nur die spezifische Weise der Zusammenarbeit der deutschen Emigranten im nordamerikanischen Exil erkennen,⁷ sie dokumentiert auch die Fortsetzung der „Arbeitsgemeinschaft“⁸ der ehemaligen Frankfurter Kollegen in den USA sowie die Einbindung Tillichs in die gedankliche Genese der Dialektik der Aufklärung. ⁹ Zugleich lässt der Briefwechsel aber auch die unüberbrückbaren Differenzen in den geschichtsphilosophischen Konzeptionen und vor allem in der Bestimmung des Verhältnisses von Theorie und Praxis bei Tillich und Horkheimer erkennen. Einen solchen Gegensatz von religiöser Sinndeutung der Geschichte auf der einen und Kritik an jeder Unterstellung eines geschichtlichen Sinnes auf der anderen Seite lassen indes bereits deren Texte aus den frühen 1930er Jahren erkennen. Dieser Differenzen ungeachtet, verband beide eine intensive Arbeitsgemeinschaft in dem Frankfurter Wissenschaftsfeld, wie nicht nur die von Tillich organisierten „Kränzchen“ erkennen lassen, in denen man – wie Adorno im Rückblick bemerkte – „wie die wilden Tiere übereinander hergefallen“¹⁰ sei. sein müssen, die die Zukunft tragen, dann muß die Gesamtstruktur so sein, daß sie die Entstehung solcher Gruppen ermöglicht, d. h. nicht völlig desintegriert. Oder wie ich es gern ausdrücke: Der priesterliche Geist in all seiner Korruption muß doch noch so viel stillen Einfluß haben, daß er den prophetischen Protest gegen seine Verderbnis möglich macht.“  Max Horkheimer an Paul Tillich am . August , in: Sturm (Hg.), „Paul Tillich und Max Horkheimer im Dialog“,  – , hier  (wiederabgedruckt in: Schmid Noerr (Hg.), Briefwechsel  – ,  – , hier ).  Vgl. hierzu Eva-Maria Ziege, Antisemitismus und Gesellschaftstheorie. Die Frankfurter Schule im amerikanischen Exil (Frankfurt am Main: Suhrkamp, ),  – .  Brief Paul Tillichs an Max Horkheimer vom . März , zit. bei Georg Neugebauer, „Paul Tillich und die Dialektik der Aufklärung“, in: Aufgeklärte Religion und ihre Probleme. Schleiermacher – Troeltsch – Tillich, hg. von Ulrich Barth et al. (Berlin und Boston: De Gruyter, ),  – , hier  (Anm. ).  Vgl. hierzu Neugebauer, „Paul Tillich und die Dialektik der Aufklärung“,  – .  Theodor W. Adorno, „Erinnerungen an Paul Tillich“, in: Werk und Wirken Paul Tillichs. Ein Gedenkbuch. Mit der letzten Rede von Paul Tillich und Beiträgen von Theodor W. Adorno […] (Stuttgart: Evangelisches Verlagswerk, ), . Vgl. nur das „Frankfurter Gespräch“ über die Aufgabe des Protestantismus in der säkularen Zivilisation vom . Juni , in: EW VI,  –  (wiederabgedruckt in: Max Horkheimer, Gesammelte Schriften, Bd. , Nachgelassene Schriften  – , hg. von Gunzelin Schmid Noerr (Frankfurt am Main: Fischer, ),  – ).Vgl. hierzu Manfred Bauschulte und Volkhard Krech, „Saulus-Situationen. Zum Verhältnis von Kritischer Theorie und Religiösem Sozialismus“, in: Richard Faber und Eva-Maria Ziege (Hg.), Das Feld

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In der einschlägigen Forschung wurden hingegen die Differenzen gegenüber der Arbeitsgemeinschaft stärker gewichtet und dadurch die Stellung Tillichs im Entstehungskontext des Frankfurter Instituts für Sozialwissenschaft marginalisiert.¹¹ Gleichwohl hatte der zum Sommersemester 1929 auf die Frankfurter Professur für Philosophie und Soziologie einschließlich Sozialpädagogik berufene Tillich einen maßgeblichen Anteil an der Berufung Horkheimers auf den Lehrstuhl für Sozialwissenschaft und der damit verbundenen Übernahme der Leitung des Instituts für Sozialwissenschaft.¹² Theodor Wiesengrund war bekanntlich Tillichs Assistent. Der Frankfurter Ordinarius ermöglichte ihm die Habilitation und setzte sich für die Publikation seiner Kierkegaard-Studie im renommierten Verlag Mohr Siebeck ein.¹³ Horkheimer und Tillich schließlich führten in Frankfurt nicht nur gemeinsame Lehrveranstaltungen durch, sie arbeiteten sich, wenn auch auf unterschiedliche Weise, an demselben Problemhorizont ab, der Krise der modernen Gesellschaft infolge des okzidentalen Rationalisierungsprozesses.¹⁴ Das erfolgt bei beiden in Form einer Geschichtsphilosophie, in welcher der Begriff der Utopie eine zentrale Stellung innehat. In der Ausarbeitung ihrer geschichtsphilosophischen Überlegungen rezipieren beide den Marxismus, Tillich in Form des religiösen Sozialismus und Horkheimer in seiner kritischen Theorie. Vor diesem Hintergrund unterziehen sie die

der Frankfurter Kultur- und Sozialwissenschaft vor  (Würzburg: Königshauen & Neumann, ),  – , bes.  – .  Vgl. Richard Faber und Eva-Maria Ziege, „Vorwort“, in: A.a.O.,  – , hier ; Richard Faber, „Das Frankfurter Feld. Versuch eines Überblicks“, in: A.a.O.,  – .  Vgl. hierzu auch den Brief Max Horkheimers an Renate Albrecht vom . Oktober , in: GW XIII,  f. Vgl. Rolf Wiggershaus, Die Frankfurter Schule. Geschichte, theoretische Entwicklung, politische Bedeutung (München und Wien: Hanser, ),  – ; Erdmann Sturm, „Historische Einleitung“, in: EW XV, S. XXIII-LIX, bes. S. XLVIIIf.  Vgl. Wilhelm Pauck und Marion Pauck, Paul Tillich. Sein Leben und Denken, Bd. , Leben (Stuttgart und Frankfurt am Main: Evangelisches Verlagswerk, ),  – . Zu Tillichs Rolle bei der Publikation von Adornos Studie Kierkegaard. Konstruktion des Ästhetischen () im Verlag Mohr Siebeck vgl. die Briefe von Oskar Siebeck an Paul Tillich vom . November  und . Januar , in: Alf Christophersen und Friedrich Wilhelm Graf (Hg.), „‚Beweise einer unsichtbaren Beziehung‘. Die Korrespondenz zwischen Paul Tillich und dem Tübinger Verlag J.C.B. Mohr (Paul Siebeck)“, in: Jesus of Nazareth and the New Being in History, hg. von Christian Danz et al. (Berlin und Boston: De Gruyter  / International Yearbook for Tillich Research, Bd. ),  – , hier  –  u.  f.  Vgl. hierzu Norbert Bolz, Auszug aus der entzauberten Welt. Philosophischer Extremismus zwischen den Weltkriegen (München: Fink, ); Friedrich Wilhelm Graf, „Annihilatio historiae? Theologische Geschichtsdiskurse in der Weimarer Republik“, in: Jahrbuch des Historischen Kollegs , hg. von Lothar Gall (München: Oldenbourg, ),  – ; ders., Der heilige Zeitgeist. Studien zur Ideengeschichte der protestantischen Theologie der Weimarer Republik (Tübingen: Mohr Siebeck, ).

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bürgerliche Gesellschaft, deren metaphysische Überzeugung eines Harmonieglaubens sowie die mit der kapitalistischen Wirtschaftsweise verbundene Verdinglichung des Menschen einer radikalen Kritik. Mit der Frankfurter Arbeitsgemeinschaft von Tillich und Horkheimer ist das Thema meiner nachfolgenden Überlegungen benannt. Deren philosophische Konzeptionen erfahren Ende der 1920er und Anfang der 1930er Jahre einen Umbruch, der sich anhand ihrer Geschichtsphilosophien rekonstruieren lässt. Einzusetzen ist mit Tillichs Geschichtsphilosophie der Frankfurter Jahre. Sodann ist Horkheimers Konzeption in den Blick zu nehmen. Abschließen möchte ich mit ein paar Bemerkungen zum Verhältnis von kritischer Theologie und kritischer Theorie.

1 Der Geist der Utopie, oder: Tillichs Frankfurter Deutung der Geschichte Im sozialistischen Prinzip findet sich ein Ja zu der Voraussetzung der politischen Romantik, der Macht des Ursprungs, ein Ja zu der Voraussetzung des bürgerlichen Prinzips, der Brechung der Ursprungsbindung durch die unbedingte Forderung, ein Nein zu dem metaphysischen Kern des bürgerlichen Prinzips, dem Harmonieglauben. […] Zusammengefaßt werden sollen die drei Momente in dem Begriff der Erwartung, der dadurch aus einem Begriff im engeren Sinne zu einem Symbol wird.¹⁵

Erwartung, so Tillich in seiner 1932 erschienenen Schrift Die sozialistische Entscheidung, sei die Haltung, welche den religiösen Sozialismus gegenüber der politischen Romanik und der bürgerlichen Gesellschaft auszeichnet. Erwartung ist auch die grundlegende Kategorie seiner Frankfurter Geschichtsphilosophie. In ihr verknüpft er,wie die Schrift von 1932 erkennen lässt, die Geschichtsphilosophie mit einer sozialphilosophischen Konzeption.¹⁶ Geschichtsphilosophische Überlegungen stehen in der Tat im Fokus der Frankfurter Jahre Tillichs.¹⁷ Bereits in seinem zweiten Semester las er über „Sein und Geschehen (Geschichtsphiloso-

 Paul Tillich, „Die sozialistische Entscheidung“, in: MW III,  – , hier .  Vgl. Paul Tillich, „Die Bedeutung der gegenwärtigen philosophischen Diskussion für die protestantische Theologie“, in: EW XI,  – , hier : „Denn die Realität der Gesellschaft ist die Geschichte.“  Zu Tillichs Frankfurter Projekt einer Metaphysik der Geschichte vgl. auch den Brief Paul Tillichs an Fritz Medicus vom . Juli , in: Friedrich Wilhelm Graf und Alf Christophersen (Hg.), „Die Korrespondenz zwischen Fritz Medicus und Paul Tillich“, ZNThG  (),  – , hier . Zu diesem nicht realisierten Publikationsprojekt vgl. auch den Briefwechsel zwischen Tillich und dem Verlag Mohr Siebeck in: Christophersen/Graf (Hg.), „‚Beweise einer unsichtbaren Beziehung‘“, ,  – ,  f.,  – .

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phie)“. Und noch seine letzte Frankfurter Vorlesung über „Fragen der systematischen Philosophie“ vom Wintersemester 1932/33 widmet sich ausführlichen geschichtsphilosophischen Reflexionen.¹⁸ Allerdings hat Tillich in seiner Frankfurter Zeit seine bisherige Konzeption einer Umformung unterzogen. Die Ankündigung der Vorlesung vom Wintersemester 1929/30 mit dem Titel „Sein und Geschehen“ lässt diese Umorientierung gegenüber der sinn- und geistphilosophischen Fassung der Geschichtsphilosophie der frühen 1920er Jahre erkennen. Die Anthropologie wird nun zur methodischen Grundlage einer theonomen Philosophie, die zugleich Theologie sein soll.¹⁹ Die Eigenart der Frankfurter Geschichtsphilosophie Tillichs besteht darin, dass diese als „Selbstverständnis des geschichtlich handelnden Menschen“²⁰ verstanden wird. Sie wird als Darstellung der intentionalen Struktur des Geschichtsbewusstseins ausgearbeitet, welche Tillich Erwartung bzw. Geist der Utopie nennt. Die methodischen Aufbauelemente des Geschichtsbewusstseins sind zunächst kurz zu benennen, und sodann ist der Begriff der Utopie als Strukturmoment des Selbstverständnisses des geschichtlich handelnden Menschen zu erörtern. Die von Tillich in Frankfurt vorgenommene anthropologische Vertiefung seiner sinntheoretischen Geistphilosophie schlägt sich bereits im methodischen Zugang nieder. Die Geschichtsphilosophie wird als Begegnungsanalyse konzipiert. In der Begegnung mit anderem und mit sich selbst, welche als ein „Vorstoßen […] aufgrund eines Stehen-Bleibens“ verstanden wird, begegnen wir „uns selbst als gespannt über uns hinaus.“²¹ Im Ausgang von dieser Fassung des Lebens unterscheidet Tillich verschiedene Stufen der Spannung, denen jeweils unterschiedliche Weisen von Raum und Zeit als Begegnungsqualitäten entsprechen.Während auf den Stufen des physikalischen Raumes, des Entfaltungs-, Bewegungs- und Gestaltungsraumes die Begegnung unter der Dominanz des Raumes steht, wird in der historischen Zeit, dem eigentlichen Thema der Vorlesung, der Raum durchbro-

 Vgl. Paul Tillich, „Fragen der systematischen Philosophie“, in: EW XVIII,  – .  Vgl. Tillich, „Die Bedeutung der gegenwärtigen philosophischen Diskussion“, in: EW XI, : „Theologie ist theonome Philosophie, d. h. radikales Fragen auf dem Boden einer konkreten Voraussetzung, die als maßgebliche Situation betrachtet wird.“  EW XI, .  EW XV, . Ähnlich wie Martin Heidegger in Sein und Zeit geht es Tillich um eine Analyse des Geschichtsbewusstseins welches einen erkenntnistheoretischen Ausgangspunkt unterläuft. Im Unterschied zu Heidegger sollen die existenzialen Strukturen des menschlichen Selbstverständnisses als geschichtlich gesellschaftlich bedingt verstanden werden. Vgl. Tillich, „Die Bedeutung der gegenwärtigen philosophischen Diskussion“, in: EW XI,  f.

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chen.²² In Letzterer erfasst sich das Selbst als solches in der Selbstbegegnung, „in der das Lebendig-Gespannte sich von sich losreißt, eben damit aber auch von jedem anderen Begegnenden sich losreißt und auf das immer Übernächste oder die Welt zugeht. Welthaben ist die Vollendung des Sich-Habens.“²³ In der Dimension der historischen Zeit konstituiert sich das Selbst als Sinnbewusstsein – bzw. mit dem Terminus technicus der frühen 1920er Jahre formuliert – als Geist, so dass es zum Übergang vom Sein zum Geschehen kommt.²⁴ In den Begriff ‚historische Zeit‘ hat Tillich grundlegende Aspekte seiner frühen sinntheoretischen Geistphilosophie aufgenommen und weitergeführt. Ja, man muss sagen, jene tritt geradezu an die Stelle des vormaligen Geistbegriffes aus dem System der Wissenschaften und der Religionsphilosophie. Zunächst ist die historische Zeit Ausdruck der Erfassung der Sinndimension in seinen beiden Momenten der Forderung und der Anerkennung.²⁵ Für sie ist eine reflexive Struktur konstitutiv. Sodann eignet dieser Form der Begegnungszeit eine intentionale Struktur. Sie ist gerichtete Zeit oder Richtungszeit, und sie besitzt einen „Auf-Zu-Charakter“. „Das AufZu-Gehen ist das Merkmal schlechthin. Das heißt: Das Auf-Zu ist nie als Gegebenes da, es bleibt das, worauf zugegangen wird.“²⁶ Dem Richtungscharakter der historischen Zeit korrespondiert schließlich drittens eine Erwartungshaltung, der wiederum eine bestimmte Auffassung der Zeit entspricht, die Erwartungszeit. Sie ist ausgerichtet auf Sinnerfüllung.²⁷ Aus den genannten drei Merkmalen resultiert die sinntheoretische Grundstruktur von Tillichs Frankfurter Geschichtsphilosophie, ihr Begriff des Neuen,²⁸ ihre eschatologische Ausrichtung sowie die Bestimmung des Geistes der Utopie als eines konstitutiven Bestandteils eines reflexiven Geschichtsbewusstseins. Die Geschichtsphilosophie – das dürfte deutlich geworden

 Tillich beschreibt die historische Zeit als Vorstoß über den Tod hinaus. Vgl. Tillich, „Geschichtsphilosophie“, in: EW XV, : „Die durch den Vorstoß über den Tod hinaus auf Begegnung mit dem erfüllten Sinn entstehende Zeit ist die historische Zeit.“  A.a.O., .  Vgl. a.a.O., : „Die Sinnforderung ist unabweisbar. Sie ist identisch mit dem radikalen Trennen von uns selbst, mit dem radikalen Uns-Gegenüber-Haben. Mit beiden ist die Tendenz gegeben, sich eine Zeit zu schaffen, die der Spannungsgrenze überlegen ist.“  Vgl. a.a.O., : „Sinn ist nichts Gegebenes, das jedem Ding anhaftet, sondern Sinn ist das sich in der Sinn-Begegnung Verwirklichende. Und zwar in dem Wechselverhältnis von Forderung und Anerkennung.“ Vgl. hierzu den ganzen Abschnitt „Sinn und Zeit“, a.a.O.,  – .  Tillich, „Geschichtsphilosophie“, in: EW XV, .  A.a.O.,  f.  Zu Tillichs Begriff des ‚Neuen‘ vgl. Christian Danz, „‚Es wäre dem Geist des Protestantismus angemessen, wenn er eine Philosophie des Neuen schaffen würde.‘ Überlegungen zum Verständnis des Neuen bei Paul Tillich“, in: Hartmut von Sass (Hg.), Wahrhaft Neues. Zu einer Grundfigur christlichen Glaubens (Leipzig: Evangelische Verlagsanstalt, ),  – .

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sein – beschreibt keine empirische oder gegenständliche Geschichte, also kein Sein, sie ist die Darstellung eines selbstreflexiven Sinnbewusstseins.²⁹ Die historische Zeit entsteht in dem Übergang vom Sein zum Geschehen, und ihr Gegenstand ist das Geschehen, das Ereignis von Reflexivität im menschlichen Selbstverhältnis.³⁰ In Letzterem verknüpft Tillich unter dem Titel der historischen Zeit die Konstitution eines reflexiven Geschichtsbewusstseins, die geschichtliche Sinnerfüllung, mit deren Ausrichtung auf vollständige Sinnerfüllung. Erst die historische Zeit reißt alle Zeit in die Richtung auf das überzeitliche Auf-Zu. Erst hier hat das Sich-Zeit-Schaffen seinen vollen Inhalt bekommen. Zeit ist eindeutig gerichtetes, inhaltlich bestimmtes Vorstoßen auf etwas zu, das als erfüllter Sinn über den Tod hinaustreibt. […] Wir schaffen uns Zeit, indem wir vorstoßen auf das Überzeitliche, Sinnerfüllende, das der Tod schafft, weil es über ihn hinaus ist.³¹

Mit der Rekonstruktion der sinntheoretischen Aufbauelemente der historischen Zeit sind bereits die Grundstrukturen des Geistes der Utopie benannt. Allerdings sind diese und damit der Begriff der Geschichte noch nicht vollständig expliziert. Die Konstitution der historischen Zeit in der Selbstbegegnung, also der Übergang vom Sein zum Geschehen, ist nämlich stets eingebunden in eine inhaltlich bestimmte Kultur, deren Träger „die uns begegnende übergreifende menschliche Gruppe“³² ist. Die inhaltliche Bestimmtheit der Geschichtsdeutung ist sozio-kulturell vermittelt, so dass Gruppen die Träger der Geschichte sind. „Geschichte entsteht dadurch, daß die Gruppe ihre Zukunft setzt, genau gesprochen, daß die einzelnen, die einen konkreten Gruppencharakter haben, sich über ihren Tod hinaus im Sinne des Gruppencharakters Zeit schaffen oder, was das Gleiche ist, Neues setzen.“³³ Erst mit dem geschichtlichen Handeln von Gruppen ist die Dimension erreicht, wo der Geist der

 Vgl. Tillich, „Geschichtsphilosophie“, in: EW XV, : „Unser Sein ist unser Uns-Zeit-Schaffen. […] [S]o ist der Mensch als das Sich-historische-Zeit-schaffende Begegnende nichts, abgesehen von diesem Sich-historische Zeit-Schaffen. […] Weil, wenn man eins nur sagte, dieses zu einem metaphysischen Ding an sich würde, sei es die historische Zeit, sei es der Mensch. Aber dieses ist ja der Sinn aller Begegnungsanalyse, daß solche An-sichs ausgeschieden werden.“  Vgl. ebd., : „Geschehen heißt immer: Sich ereignen in der Richtung, in der überhaupt nur etwas geschehen kann, in der Richtung der historischen Zeit.“ Vgl. hierzu auch Paul Tillich, „Die Metaphysik des Geschehens“ (), in: EW XI,  – ; ders., „Eschatologie und Geschichte“, in: GW VI,  – .  EW XV, .  EW XV, . Vgl. hierzu auch Tillich, „Fragen der systematischen Philosophie“, in: EW XVIII,  – .  EW XV,  f.

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Utopie seinen systematischen Ort hat.³⁴ Ihn versteht Tillich mit Ernst Bloch³⁵ als eine reflexive Erwartungshaltung und unterscheidet ihn von einem Verständnis der Utopie als Verwirklichung des Auf-Zu-Charakters in der Geschichte.³⁶ Mit ‚Geist der Utopie‘ beschreibt Tillich die intentionale Erwartungsstruktur der historischen Zeit als Ausrichtung der geschichtlichen Sinnerfüllung auf deren vollständige eschatologische Erfüllung. „Das im utopischen Denken enthaltene Prinzip wird bejaht, das Hinausgehen auf einen Nichtort als Ziel des politischen und wirtschaftlichen Handelns und demgemäß als Ziel der Verwirklichung. Aber nicht so, wie bei den wirklichen Utopisten, als ein doch gewollter Ort, der doch irgendwie zur Verwirklichung kommen könnte.“³⁷ In dem Begriff des ‚Geistes der Utopie‘ verbindet Tillich die Geschichte mit ihrer Ausrichtung auf ihre transzendente Erfüllung. In der konkreten geschichtlichen Sinnerfüllung konstituiert sich die historische Zeit als Ausrichtung auf ihre eschatologische Erfüllung.³⁸ Dadurch erhält das Eschaton eine Doppelbestimmung. Es ist „Erfüllung und Entscheidung“³⁹. Die systematische Funktion dieser Konzeption besteht darin, die Notwendigkeit und bleibende eschatologische Bedeutung des konkreten geschichtlichen Handelns mit dessen Vorläufigkeit bzw. Überschreitbarkeit zu verbinden.⁴⁰ Der Begriff ‚Geist der Utopie‘ hat den Status einer geschichtsphilosophischen Deutungskategorie. Tillich beschreibt mit ihr

 Vgl. EW XV, : „Das Vorwegnehmen der Zukunft durch die Gruppe: der ‚Geist der Utopie‘ als maßgebend für Geschichtsbewußtsein und geschichtliches Handeln.“ Das Vorlesungsmanuskript Tillichs zur . Doppelstunde, in der er den Begriff der Utopie erörtert, ist nicht ausgeführt.  Vgl. Ernst Bloch, Geist der Utopie. Bearbeitete Neuauflage der zweiten Fassung von  (Frankfurt am Main: Suhrkamp,  / Ernst Bloch, Werkausgabe, Bd. ).Vgl. hierzu Bolz, Auszug aus der entzauberten Welt,  – .  Vgl. EW XV, : „Die wirkliche Utopie hat also den Charakter, daß [sie] aus dem ou topos, der dem Überzeitlichen, Endzeitlichen entsprechen würde, nun einen Raum schaffen will.“ Vgl. auch Paul Tillich, „Mensch und Staat. Acht Leitartikel aus der Zeitschrift ‚Der Staat seid ihr‘“, in: GW XIII,  – , bes.  f.; ders., „Ideologie und Utopie. Zum gleichnamigen Buch von Karl Mannheim“, in: GW XII,  – .  EW XV, .  EW XV, .  Tillich, „Eschatologie und Geschichte“, in: GW VI, .  Die Eschatologie wird also nicht als Auflösung von Konkretheit und Bestimmtheit des geschichtlichen Handelns verstanden. Vgl. ebd.: „Durch diese Betrachtung bekommt das kulturelle Tun unbedingtes Gewicht, die Geschichte unbedingten Sinn.“ Vgl. auch ders., „Geschichtsphilosophie“, in: EW XV,  –  (b. Mensch und Kultur), bes. : „Kultur ist wesensmäßig eschatologisch.“ Vgl. Christian Danz, „Das Reich Gottes als Ziel der Geschichte. Eschatologie als Geschichtsreflexion bei Paul Tillich“, in: Le peurs, la mort, l’espérance. Autor de Paul Tillich. Actes du XVIIe colloque international Paul Tillich. Fribourg (Suisse) , hg.von Lucie Kaennel und Bernard Reymond (Münster: LIT,  / Tillich Studien, Bd. ),  – .

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den religiösen Sozialismus als Träger eines geschichtlichen Handelns, welcher die Entfremdung und Verdinglichung der entzauberten bürgerlichen Gesellschaft zu überwinden in der Lage sein soll.⁴¹

2 Vom Traum der Utopie, oder: Horkheimers materialistische Geschichtsphilosophie Im Jahre 1930 veröffentlichte Max Horkheimer seine Schrift Anfänge der bürgerlichen Geschichtsphilosophie, in der, wie es im Vorwort heißt, „einige traditionelle Anschauungen, die für das Verständnis der geschichtsphilosophischen Problemlage in der Gegenwart bedeutungsvoll erscheinen“⁴², erörtert werden sollen. Der geschichtsphilosophische Debattenkontext, in dem sich der Frankfurter Privatdozent mit seiner Untersuchung positionieren möchte, besteht in den Kontroversen über Ideologie und Utopie, wie sie unter anderem durch die 1929 erschienene Studie von Karl Mannheim angestoßen wurde, und die auch den problemgeschichtlichen Hintergrund von Tillichs Vorlesung über Geschichtsphilosophie bilden.⁴³ Zu den beiden Stichworten bemerkt Horkheimer: „Bewirkt die Ideologie den Schein, so ist dagegen Utopie der Traum von der ‚wahren‘ und gerechten Lebensordnung. Sie spielt dem Sinne nach in jede philosophische Beurteilung der menschlichen Gesellschaft mit hinein. Ideologie und Utopie wollen als Haltungen gesellschaftlicher Gruppen aus der gesamtgesellschaftlichen Wirklichkeit begriffen sein.“⁴⁴ Horkheimer hatte seit 1928 an seiner geschichtsphilosophischen Studie gearbeitet, und sie markiert das Resultat einer in diese Zeit fallenden Umorientierung seines Denkens von einer kritischen Transzendentalphilosophie Kantischer Provenienz zu einer materialistischen Gesellschaftstheorie.⁴⁵ Seine beiden Gra-

 Vgl. Tillich, „Die sozialistische Entscheidung“, in: MW III,  – .  Max Horkheimer, „Anfänge der bürgerlichen Geschichtsphilosophie“, in: ders., Gesammelte Schriften, Bd. , Philosophische Frühschriften  – , hg. von Gunzelin Schmid Noerr (Frankfurt am Main: Fischer,  []),  – , hier .  Mit Karl Mannheims Schrift Ideologie und Utopie hat sich Horkheimer in seinem  erschienenen Aufsatz „Ein neuer Ideologiebegriff?“ ausführlich auseinandergesetzt. Vgl. Max Horkheimer, „Ein neuer Ideologiebegriff?“, in: Ders., Philosophische Frühschriften  –  (siehe Anm. ),  – . Vgl. auch Tillich, „Ideologie und Utopie“, in: GW XII,  – .  Horkheimer, „Anfänge“,  f.  Vgl. Olaf Asbach, Von der Erkenntniskritik zur Kritischen Theorie der Gesellschaft. Eine Untersuchung zur Vor- und Entstehungsgeschichte der Kritischen Theorie Max Horkheimers ( – ) (Opladen: Verlag für Sozialwissenschaften, ); Frank Hartmann, Max Horkheimers

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duierungsarbeiten widmete der Cornelius-Schüler und Schopenhauer-Leser der Kritik der Urteilskraft Immanuel Kants.⁴⁶ In beiden Arbeiten rückt das Verhältnis von mechanistischem Verstandesdenken und teleologischem Organismusbegriff in den Fokus der Aufmerksamkeit, ein Thema, welches unter gewandelten systematischen Voraussetzungen in den geschichtsphilosophischen Schriften sowie den programmatischen Texten um 1930 aufgenommen wird. Nach seiner Habilitation 1925 in Frankfurt ersetzte Horkheimer sukzessiv die kritische Transzendentalphilosophie durch eine materialistische Gesellschaftstheorie.⁴⁷ Die metaphysikkritischen Bestandteile der Kantischen Philosophie hat er in seinem Materialismus indes beibehalten und radikalisiert,⁴⁸ wohl aber das „Ich denke“ der Transzendentalphilosophie durch eine materialistische Unterbau-Theorie ersetzt und es als Ensemble der gesellschaftlichen Verhältnisse reformuliert. Die angedeutete Umstellung der theoretischen Grundlagen seines Denkens blieb nicht ohne Folgen für die Geschichtsphilosophie. Der idealistische Gedanke einer Geschichte der Vernunft wird durch den der gesellschaftlichen Entwicklung ersetzt.⁴⁹ Letztere wird zusehends skeptischer gegenüber der Unterstellung eines Sinnes im geschichtlichen Geschehen. Die erste geschichtsphilosophische Durchführung der neuen Konzeption liegt in der 1930 erschienenen Schrift Anfänge der bürgerlichen Geschichtsschreibung vor.

materialistischer Skeptizismus. Frühe Motive der Kritischen Theorie (Frankfurt am Main und New York: Campus, ).  Max Horkheimer, „Zur Antinomie der teleologischen Urteilskraft“, in: Ders., Philosophische Frühschriften  –  (siehe Anm. ),  – ; Ders., „Über Kants Kritik der Urteilskraft als Bindeglied zwischen theoretischer und praktischer Philosophie“, in: A.a.O.,  – . Zur KantRezeption Horkheimers vgl. Ulrich Thiele, Verwaltete Freiheit. Die normativen Prämissen in Horkheimers Kantkritik (Frankfurt am Main und New York: Campus, ); Christian Danz, Juliette und die Retorsion der Moral. Horkheimer, Adorno und Paulus über die Dialektik der Kantischen Autonomieethik (im Druck).  Vgl. Asbach, Von der Erkenntniskritik zur Kritischen Theorie der Gesellschaft,  – .  Vgl. hierzu Birgit Recki, „Die Metaphysik der Kritik. Zum Verhältnis von Metaphysik und Erfahrung bei Max Horkheimer und Theodor W. Adorno“, Neue Hefte für Philosophie / (),  – .  Vgl. Max Horkheimer, „Hegel und das Problem der Metaphysik“, in: Ders., Philosophische Frühschriften  –  (siehe Anm. ),  – , hier : „Mit der Metaphysik ist die Geschichtsphilosophie insoweit unhaltbar geworden, als sie die Tatsachen des geschichtlichen Lebens für den Ausdruck eines wenn auch ‚dialektischen’ geistigen Prozesses nimmt. […] Die empirische Ansicht hingegen, daß die geschichtlichen Tatsachen das Ergebnis verschiedenartigster Konstellationen sind, verhindert zwar keineswegs, sie unter möglichst wenig Begriffe zu befassen und bei der Darstellung aus diesen zu entwickeln, aber sie widerspricht sowohl dem Glauben, die Tatsachen würden durch eine unabhängige geistige Kraft geschaffen, als auch der Unterordnung der wissenschaftlichen Arbeit unter das Ziel, dieses Wesen zu erkennen.“

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Im Anschluss an die Studien zur Genese der modernen Welt von Max Weber und Ernst Troeltsch versteht der Frankfurter Privatdozent die bürgerliche Gesellschaft als Resultat der Auflösung der mittelalterlichen Einheitskultur. Für jene ist eine neue „Wirtschaftsweise“⁵⁰ konstitutiv, die ihren Ausdruck in dem Überbau der Gesellschaft findet. Anhand der frühneuzeitlichen Denker Machiavelli, Hobbes, Thomas Morus, Campanella und Vico rekonstruiert Horkheimer die Anfänge desjenigen Denkens, dessen Ausläufer noch seine eigene Gegenwart bestimmen – das bürgerliche Denken.⁵¹ Es sind vor allem zwei Aspekte, welche den ‚Geist‘ der bürgerlichen Gesellschaft charakterisieren und deren Bedeutung durch die Rekonstruktion von deren Anfängen erhellt werden sollen: die Ideologie und die Utopie. Den frühneuzeitlichen Modernisierungsprozess deutet Horkheimer mit Weber als Rationalisierung und Reflexivwerden des Weltbildes. Die metaphysisch und kosmologisch stabilisierte Ordnung des Mittelalters wird in der bürgerlichen Gesellschaft durch den Gedanken von unveränderlichen Naturgesetzen ersetzt.⁵² Das bürgerliche Denken, die Überzeugung von einem allgemeinen Wesen des Menschen, die moderne Staatslehre sowie die Unterstellung einer Harmonie im Geschichtsverlauf artikulieren diesen Gedanken ebenso wie die Moral. Sie werden indes von den frühbürgerlichen Denkern nicht als Ausdruck der gesellschaftlichen Verhältnisse verstanden und dadurch nicht als geschichtlich wandelbar.⁵³ Das Ausblenden der gesellschaftlichen Bedingtheit des Überbaus sowie dessen Behauptung als unveränderliche ewige Wahrheit charakterisieren diesen als Ideologie.⁵⁴ Die historische Bedingtheit von geistigen Gehalten ist allerdings nicht

 Horkheimer, „Anfänge“, .  Vgl. a.a.O., : „Den hier behandelten geschichtsphilosophischen Problemen ist nicht allein die gegenwärtige Bedeutung gemeinsam, sondern sie sind in der frühen Form, in der hier von ihnen die Rede ist, aus der gleichen Situation erwachsen: nämlich der sich befestigenden, von den Fesseln des Feudalsystems sich befreienden bürgerlichen Gesellschaft.“  Vgl. a.a.O., : „In der Renaissance wurde der Grund zur Naturwissenschaft der neueren Zeit gelegt. Es ist der Sinn dieser Wissenschaft, mit Hilfe systematisch angestellter Erfahrung Regelmäßigkeiten im Naturlauf festzustellen, um mittels ihrer Kenntnis bestimmte Wirkungen nach Wunsch herbeiführen oder verhindern zu können, mit anderen Worten: um die Natur in möglichst großem Umkreis zu beherrschen.“  Vgl. a.a.O., : „Der Mangel der Geschichtsbetrachtung Machiavellis liegt darin, daß er diese eigene Art ,zu denken und zu fühlen‘ nur von geschichtlich unwandelbaren Naturfaktoren und in keiner Weise von den gesellschaftlichen Veränderungen, die sich im Verlauf der Geschichte vollziehen, abhängig sein läßt.“  Vgl. a.a.O., : „Aber anstatt die Ideologie in ihrer Abhängigkeit von der Gesellschaft zu begreifen, hat man sich mit der Psychologie des Individuums begnügt, so daß schließlich als Inhalt und Zweck der mittelalterlichen Religiosität psychologische Bestimmungen der bürgerlichen Welt wie Privatinteresse, Geschicklichkeit, Erwerbstrieb, Übervorteilung und Gewinn erschienen.“ Zum Ideologiebegriff Horkheimers vgl. auch Thiele, Verwaltete Freiheit,  – .

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schon als solche Ideologie. Eine derartige Ausweitung des Ideologiebegriffs, wie sie Mannheim in einer wissenssoziologischen Perspektive vorgeschlagen hat, würde die kritische Funktion dieses Begriffs eliminieren. Ideologie meint vielmehr allein solche geschichtlich bedingten geistigen Gehalte, die „als ewige Vernunft hypostasiert“⁵⁵ werden. Der dialektische Schein der Ideologie besteht somit darin, dass gesellschaftlich und damit geschichtlich bedingte Gehalte mit der metaphysischen oder religiösen Aura des Unbedingten und Unveränderlichen umkleidet werden.⁵⁶ Erst dadurch werden sie zu einem Schein, der in Gegensatz zur gesellschaftlichen Entwicklung tritt. Vor dem Hintergrund seines dialektischen Ideologiebegriffs erörtert Horkheimer im dritten Kapitel seiner Schrift über die Anfänge der bürgerlichen Geschichtsphilosophie den Begriff der Utopie. Die „großen Utopien der Renaissance“ seien „der Ausdruck der verzweifelten Schichten, welche die Unkosten des Übergangs zwischen zwei Wirtschaftsformen zu tragen hatten.“⁵⁷ Ebenso wie die Ideologie ist die Utopie geistiger Ausdruck der gesellschaftlichen Verhältnisse. Diese ist ein Reflex auf die in der frühen Neuzeit einsetzende kapitalistische Wirtschaftsweise, insbesondere die Eigentumsverhältnisse. Webers protestantischer Ethik setzt Horkheimer die katholische Religion von Thomas Morus und Campanella entgegen. Deren Religion führt nicht zum Geist des Kapitalismus, der „Entfesselung der Einzelkräfte und der neuen Konkurrenzwirtschaft“, vielmehr ist die an „der mittelalterlichen Idee von der geeinten Christenheit“⁵⁸ orientierte Religion der beiden Utopisten „das Gefäß, das die Forderung der Gerechtigkeit im Angesicht des realen Elends unverfälscht bewahrte; sie wollten die heilige Gemeinschaft auf Erden verwirklichen, welche die Gesetze der freien Konkurrenz durch die Gebote Christi zu ersetzen hätte.“⁵⁹ Die utopische Sehnsucht nach einer

 Horkheimer, „Anfänge“, .  Vgl. Max Horkheimer, „Bemerkungen über Wissenschaft und Krise“, in: Ders., Gesammelte Schriften, Bd. , Schriften  – , hg. von Alfred Schmidt (Frankfurt am Main: Fischer,  []),  – , hier  f.: „Alle Verhaltensweisen der Menschen, welche die wahre Natur der auf Gegensätze aufgebauten Gesellschaft verhüllen, sind ideologisch, und die Feststellung, daß philosophische, moralische, religiöse Glaubensakte, wissenschaftliche Theorien, Rechtssätze, kulturelle Institutionen diese Funktion ausüben, betrifft keineswegs den Charakter ihrer Urheber, sondern die objektive Rolle, die jene Akte in der Gesellschaft spielen. An sich richtige Ansichten, theoretische und ästhetische Werke von unbestreitbar hoher Qualität können in bestimmten Zusammenhängen ideologisch wirken, und manche Illusionen sind dagegen keine Ideologie.“ So ist die Moral der Ausdruck der bürgerlichen Gesellschaft, aber während deren Dauer keine bloße Ideologie. Vgl. Horkheimer, „Materialismus und Moral“, in: A.a.O.,  – , hier .  Horkheimer, „Anfänge“, .  A.a.O., .  A.a.O., .

Geschichte und Utopie

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vollendeten Gesellschaft ohne Privateigentum sei kein Schein, wie die Ideologie, wohl aber ein Traum. Horkheimers Deutung der Utopien der frühen Neuzeit und ihrer geschichtsphilosophischen Funktion zielt auf deren ungeschichtlichen Charakter, den sie mit der Ideologie gemein haben. Die utopischen „Wunschländer“ liegen „im Gegensatz zu den modernen sozialistischen Entwürfen von Zukunftsgesellschaften“ nicht in der Zukunft, „sondern nur in räumlicher Entfernung von dem Aufenthaltsort der Autoren.“⁶⁰ Die Utopie steht unter der Dominanz des Raumes und nicht der der Zeit.⁶¹ Darin manifestiert sich deren Abstraktion von ihren geschichtlich-gesellschaftlichen Bedingtheiten.⁶² In den utopischen Konzeptionen werden ähnlich wie in Hobbes’ Theorie des Staatsvertrags ein freies Subjekt sowie eine „absolute[] Allgemeinvernunft“⁶³ als Grundlage unterstellt. Die Änderung des bestehenden Elends soll folglich durch bloße Einsicht und einen guten Willen erreicht werden. Dem utopischen Denken der bürgerlichen Gesellschaft bis hin zu Kant eignet eine Dialektik, die sie in Ideologie umschlagen lässt. Indem die Utopie die Zeit „überspringt“ und darin von ihrer eigenen gesellschaftlichen Bedingtheit abstrahiert, enthalten ihre Visionen einer vollendeten Gesellschaft ohne Privateigentum ein retardierendes Moment. In ihrer frühneuzeitlichen Form, die auf eine Aufhebung des Privateigentums drängt, hemmt sie die gesellschaftliche Entwicklung. „Darum erscheinen im Vergleich zu Morus und Campanella Machiavelli und Hobbes als fortschrittlich“⁶⁴. Deshalb ist die Utopie ein Traum. Sie vergisst ihre eigene geschichtliche Bedingtheit und Wandelbarkeit und verwechselt die Änderung der Gesellschaft mit einem bloßen Gesinnungswandel. Von diesem Dilemma ist auch noch die Kantische Ethik betroffen, die darin ein „getreuer Spiegel“⁶⁵ der bürgerlichen Gesellschaft ist. Das utopische Denken muss folglich materialistisch transformiert und darin vom idealistischen Kopf auf seine gesellschaftlichen Füße gestellt werden. Das ist die Aufgabe der kritischen bzw., wie sie Horkheimer um 1930 noch nennt, der materialistischen Theorie. Sie sei nämlich, wie er in seinem programmatischen Aufsatz „Materialismus und Moral“ von 1933 ausführt, selbst der Ausdruck der geschichtlich sich wandelnden Wirklichkeit und ihrer Beschreibungen. „Die materialistische Theorie […] ist keine Geschichtsmetaphysik, sondern das sich verändernde Bild der Welt, wie es im Zusammenhang mit dem praktischen Be-

     

A.a.O., . Vgl. a.a.O., : „Die Utopie überspringt die Zeit.“ Vgl. ebd. A.a.O., . A.a.O., . Horkheimer, „Materialismus und Moral“, . Vgl. auch ders., „Anfänge“, .

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mühen um ihre Verbesserung sich entwickelt.“⁶⁶ In diesem Sinne ist die materialistische Theorie der Gesellschaft ein reflexives Geschichtsbewusstsein und hierin selbst schon Praxis. In ihrer Perspektive und ihrem Wissen um die Wandelbarkeit der Gesellschaft wird sichtbar, dass die Utopie einerseits Ausdruck und Reflex des wirklichen Elends der Gesellschaft ist und andererseits „die Darstellung dessen, was sein soll.“⁶⁷ Das Ziel des gesellschaftlichen Wandels, für die Utopie ein Traumbild, resultiert aus der Not der jeweiligen Gegenwart. Für eine materialistische Theorie bleibt allerdings die vollkommene Gesellschaft reine Negativität gegenüber dem Bestehenden. Das Bild der besseren Gesellschaft ist selbst geschichtlich wandelbar und vermag aufgrund seiner kritischen Negativität nicht zur Sinndeutung der auf der Schlachtbank der Geschichte dargebrachten Opfer funktionalisiert zu werden. Die Theorie „gewährt dem politisch Handelnden noch nicht einmal den Trost, daß er notwendig zum Ziel kommen müsse“⁶⁸. Herbeiführen lässt sich ein gesellschaftlicher Wandel allein durch die Veränderung der Gesellschaft durch das Proletariat. Es repräsentiert in der materialistischen Theorie Horkheimers um 1930 noch die Avantgarde, welche das allgemeine und das besondere Interesse vermittelt und dadurch den Mechanismus der entzauberten bürgerlichen Gesellschaft in einen planvollen und zweckhaften Organismus transformiert.

3 Kritische Theologie und kritische Theorie In dem Vortragsmanuskript „Die Bedeutung der gegenwärtigen philosophischen Diskussion für die protestantische Theologie“, welches vermutlich Ende 1931 entstanden ist, deutet Tillich das Denken seines Frankfurter Kollegen Horkheimer als Positivismus.⁶⁹ Für diesen hingegen ist das Denken seines religiös-sozialisti-

 Horkheimer, „Materialismus und Moral“, .  Horkheimer, „Anfänge“, . Vgl. auch a.a.O., : „Wenn in den Utopien dies übersehen ist [scil. dass Konkurrenz etc. eine Bedingung der gesellschaftlichen Entwicklung ist], so formuliert sie doch das Endziel, so daß jede politische Unternehmung an ihm gemessen werden kann.“  Horkheimer, „Materialismus und Moral“, .  Vgl. Tillich, „Die Bedeutung der gegenwärtigen philosophischen Diskussion“, in: EW XI,  f. Zu einer positivistischen Deutung der frühen Sozialphilosophie Horkheimers vgl. Michiel Korthals, „Die kritische Gesellschaftstheorie des frühen Horkheimer. Mißverständnisse über das Verhältnis von Horkheimer, Lukács und dem Positivismus“, Zeitschrift für Soziologie  (),  – . Kritisch zu dieser Deutung von Korthals: Asbach, Von der Erkenntniskritik zur Kritischen Theorie der Gesellschaft,  – .

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schen Kollegen Idealismus.⁷⁰ Gegensätzlicher, wie die beiden Protagonisten selbst, kann man deren unterschiedliche Positionen um 1930 kaum beschreiben. Tillich arbeitet seine Geschichtsphilosophie in Frankfurt auf einer sinntheoretischen Grundlage aus. Die historische Zeit ist der Ausdruck des geschichtlich handelnden Menschen. Für die reflexive Struktur des Sinnbewusstseins, die Ausrichtung der konkreten, geschichtlichen Sinnerfüllung auf das Eschaton steht der Begriff des Geistes der Utopie. Sinn liegt indes in dieser Konstruktion der Geschichte nicht als metaphysische oder kosmologische Substanz vor, sondern er ist rückgebunden an das geschichtliche Handeln des konkreten Menschen. In Tillichs Frankfurter Geschichtsphilosophie tritt der Begriff des Geistes zurück und wird durch die historische Zeit auf einer anthropologischen Grundlage ersetzt. Dies dürfte freilich weniger der Arbeitsgemeinschaft mit Horkheimer geschuldet sein als dem problemgeschichtlichen Hintergrund der Debattenlagen am Ende der 1920er Jahre sowie dem Bemühen Tillichs, seine sinntheoretische Geistphilosophie auf eine breitere Grundlage zu stellen. Horkheimers Kritik an seinem Frankfurter Kollegen, der religiöse Sozialismus sei Idealismus, richtet sich auch auf die anthropologische Fundierung der Geschichtsphilosophie. Seine Idealismuskritik bezieht sich auf sämtliche Konzeptionen, welche gesellschaftlich bedingte geistige Gehalte hypostasieren und dem geschichtlichen Wandel entheben.Vor diesem Hintergrund deutet der Frankfurter Sozialphilosoph die sich in den 1920er Jahren etablierende philosophische Anthropologie als Fortsetzung des Idealismus mit anderen Mitteln.⁷¹ Die unterschiedlichen systematischen Grundlegungen der Geschichtsphilosophien von Tillich und Horkheimer um 1930, Sinndeutung der Geschichte einerseits und materialistische Gesellschaftstheorie andererseits, sollten allerdings nicht darüber hinwegtäuschen, dass beider Konzeptionen ein hohes Maß an Gemeinsamkeiten aufweisen. Die Geschichtsphilosophie verstehen beide als Ausdruck des geschichtlich handelnden und gesellschaftlich eingebundenen Menschen. Sie wird zur Darstellung eines reflexiven Geschichtsbewusstseins umformuliert, welches um die Wandelbarkeit und Geschichtlichkeit der Wirklichkeit und ihrer Darstellungen weiß. In Tillichs Metaphysik der Geschichte werden ebenso wie in Horkheimers materialistischer Geschichtsphilosophie alle fixen und dem geschichtlichen Wandel enthobenen Größen aufgelöst. Sinn gebe

 Vgl. Max Horkheimer, „Materialismus und Metaphysik“, in: Ders., Gesammelte Schriften, Bd. , Schriften  – , hg.von Alfred Schmidt (Frankfurt am Main: Suhrkamp,  []),  – , hier .  Vgl. hierzu vor allem Max Horkheimer, „Bemerkungen zur philosophischen Anthropologie“, in: A.a.O.,  – . Diese Kritik findet sich schon in Horkheimers Schriften der frühen er Jahre. Vgl. nur ders., „Anfänge“, .

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es, wie Horkheimer formuliert, nur so viel in der Welt, „als die Menschen in ihr verwirklichen.“⁷² So verwundert es auch nicht, dass beide das utopische Denken mit dem Argument kritisieren, es sei raumgebundenes Denken. Der Frankfurter Sozialphilosoph versteht die Utopie als einen über seine gesellschaftliche Bedingtheit aufzuklärenden Ausdruck des Elends der bürgerlichen Gesellschaft und transformiert sie im Horizont seiner materialistischen Theorie in das Bewusstsein um die Wandelbarkeit der gesellschaftlichen Wirklichkeit und ihrer Zukunftsbilder. In Tillichs Frankfurter Geschichtsphilosophie wird die Utopie im Sinne einer zu verwirklichenden idealen Gesellschaft ebenso der Kritik unterzogen und die Ausrichtung auf die Zukunft in die reflexive Struktur des sozial eingebundenen Geschichtsbewusstseins transformiert. Den Exodus aus der entzauberten Welt der bürgerlichen Gesellschaft verbinden in den frühen 1930er Jahren Tillich und Horkheimer mit dem Proletariat als geschichtliche Trägergruppe. Es ist diejenige Avantgarde, die zu einer Überwindung der Krise der bürgerlichen Gesellschaft in der Lage ist. Allerdings wurde Horkheimer in den späten 1930er und 1940er Jahren zunehmend skeptischer im Hinblick auf geschichtliche Träger der kritischen Theorie. Dadurch erst treten Theorie und Praxis in einen Gegensatz. Das wird nicht nur an der eingangs erwähnten Kontroverse über „Vernunft und Selbsterhaltung“ ersichtlich, sondern auch an anderen einschlägigen Debatten über das Verhältnis von Theorie und Praxis, welches die ehemaligen Frankfurter im Exil führten.⁷³ Es wäre indes verfehlt, den späteren Entwicklungsstand der kritischen Theorie in die frühen Frankfurter Jahre zurückzuprojizieren. Um 1930 sind, wie wir gesehen haben, sowohl die Konzeptionen von Tillich als auch die von Horkheimer noch im Fluss. Auf diese untergründigen Gemeinsamkeiten der beiden Frankfurter Kollegen hat Horkheimer noch in seinem Schreiben vom 12. August 1942 hingewiesen. „Wenn ich jetzt die letzten Sätze der ‚Bemerkungen‘ wieder lese, so finde ich, daß sie trotz der Widersprüche dem eben Ausgesprochenen nicht so fern sind. Diese Identität zur Klarheit zu erheben, halte ich für eine der wichtigsten Aufgaben, deretwegen ich hier bin.“⁷⁴

 Horkheimer, „Anfänge“, .  Vgl. nur Max Horkheimer, „Adolph Löwe, Friedrich Pollock, Paul Tillich. Diskussion über Theorie und Praxis (. Januar )“, in: Sturm (Hg.), „Paul Tillich und Max Horkheimer im Dialog“ (siehe Anm. ),  – , hier  – .  Brief Max Horkheimers an Paul Tillich vom . August , in: A.a.O.,  f.

Bryan Wagoner

Religious Socialism as Critical Theory

Tillich and the Institute in Frankfurt

1 Introduction In Paul Tillich’s articulation of religious socialism in the late 1920s and early 1930s, enhanced by his distinction between rational and prophetic criticism, one can discern the majority of themes around which later ‘critical theory’, particularly that advocated by Max Horkheimer and his Frankfurt associates, would congeal. What might it mean if we accept that a philosopher of religion like Tillich anticipated key aspects of the ‘Frankfurt School’s’¹ social critique several years earlier, and without jettisoning the transcendent dimension of ‘ultimacy’? Although the normative force in Tillich’s critical social theory clearly derives from a metaphysical source quite distinct from Horkheimer and his allies, Tillich’s theonomous religious socialism presciently engages and offers an important complementary analog to the materialistic critical social theory advocated by the Institut für Sozialforschung (Institute for Social Research) nearly a decade before Horkheimer published his seminal essay² on the subject. This essay commences by briefly examining extant models of interpretation concerning the interactions among Paul Tillich and members of the Frankfurt School, with a particular focus on Max Horkheimer and Theodor Adorno. This is followed by a historical account explicating several substantial yet littleknown personal and contextual connections shared among these thinkers. It then examines Tillich’s distinct understanding of religious socialism before making an explicit comparison with critical social theory as articulated by Horkheimer and others in the Institute. This comparison discloses important similarities and hints at constructive possibilities for theology and critical theory by placing these two models in sustained conversation. In 1929, Paul Tillich, a Protestant theologian and philosopher, was called to fill the chair of philosophy and sociology at the young University of Frankfurt,  The term ‘Frankfurt School’ is itself misleading. It refers to members, affiliates and associates of the ‘Institute for Social Research’ / Institut für Sozialforschung in Frankfurt which began in . The term ‘Frankfurt School’ was not used until after the Institute’s return to Germany in .  Max Horkheimer, “Traditional and Critical Theory”, in: Critical Theory. Selected Essays, trans. Matthew J. O’Connell et al. (New York: Continuum, ),  – .

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where Horkheimer was a younger colleague and Adorno initially an advisee, later an assistant to Tillich. It was during these years that the most regular direct contact, intellectual collaboration and personal camaraderie³ among Tillich, Horkheimer, and Adorno took place, under the growing specter of National Socialism. All three were exiled for their anti-Nazi viewpoints (and the Jewish heritage shared by Adorno and Horkheimer), ultimately to New York, where they continued to be in close personal conversation. In addition to the important contextual, historical, and personal connections and overlaps, there are a number of conceptual similarities shared among Adorno, Horkheimer, and Tillich. Each dedicated much of his life’s work seeking to unmask injustices and articulate an emancipatory social critique. The similar diagnoses of modernity shared by religious socialism and critical theory begin with a common assessment of the effects of institutional rationality, bureaucratization, and disenchantment. These concerns shared among Adorno, Horkheimer, and Tillich can be seen through three primary loci, drawn from their common engagement with Hegel, Marx, Weber, and Lukács: modern alienation (or estrangement), domination inscribed through instrumental reason, and social reification. These similar diagnoses were seen through a common lens of emancipation as a primary individual and social goal; critical reason is thematized as a central hope for humanity in the face of fascistic barbarism. This crucial common nexus of presuppositions orients much of these thinkers’ writings, and it demonstrates their shared focus on the capacities, and ultimately, limitations, of reason as emancipatory. To that end, the majority of this essay will unpack emancipatory rationality in religious socialism and in critical theory and will offer a critical comparison, revealing more consonance than dissonance. Through this comparison, I argue that the projects of critical social theory and religious socialism are parallel and potentially complementary emancipatory solutions to threats against human subjectivity and flourishing, both in the 1930s and today.

 Wilhelm and Marion Pauck note that Paul and Hannah Tillich were consummate entertainers, hosting elaborate parties, including a memorably ‘dialectical costume party’ to which Adorno came dressed as Napoleon and Kurt Riezler as a fascist brown shirt. Wilhelm Pauck and Marion Pauck, Paul Tillich. His Life & Thought, vol. , Life (New York: Harper & Row, ), ; original invitation in Harvard Paul Tillich Archive.

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2 Typologies for Understanding the Relationship Between Tillich and the Institute The limited extant scholarship engaging Tillich’s critical social philosophy in the context of, or in conversation with, the critical theory tradition of the Institute, has come primarily from theologians rather than critical theorists or intellectual historians. Until very recently, nearly all of the scholars who have noted connections have narrowly focused on the question of any definitively traceable ‘mutual influence’ between Tillich and the Institute theorists.⁴ Minimal attention has been given to significant points of historical and intellectual confluence between Tillich and individual Frankfurt theorists,⁵ especially Adorno and Horkheimer, and to specific issues of common importance arising from their frequent dialogues and salons. This essay begins a pursuit of this overlooked ‘intellectual matrix’⁶, engaging in a work of intellectual history intersecting with contemporary questions of philosophical and political import. Tillich, Horkheimer, and Adorno almost never directly refer to one another in their published writings, which calls into serious question any supposition of demonstrable mutual influence. Nevertheless, there are numerous compelling reasons to suggest that Tillich’s thought can and should be illumined in light of the personal relationships, overlapping scholarly orientations, interests, concerns, and goals shared with Horkheimer and Adorno – and vice-versa. One key orienting argument made here vis-à-vis much of the extant Tillich and Frankfurt School scholarship is that these historical and personal connections, while significant, do not amount to evidence of traceable ‘mutual influence’, much less interdependence. Instead, I argue that the similarities and differences among these three thinkers are best approached contextually and through thematic textual ‘dialogue’. Seeking to avoid the trap of ‘influence’, I propose, identify and begin to pursue a comparative critical analysis of Tillich and the Institute through an examination of four synthetic and comparative themes: emancipatory rationality,

 For example James Champion, Guyton B. Hammond, Terrence O’Keeffe, and Ronald H. Stone.  The most obvious sources for understanding the relation between these figures would seem to be the numerous essays by Adorno, Horkheimer, and other members of the Frankfurt School, written about Tillich and his friendships with and influence on them after Tillich’s death; these are collected in various Festschriften. Of more assistance are the key biographies of Tillich by Wilhelm and Marion Pauck, and by Renate Albrecht.  The phrase ‘intellectual matrix’ includes both Tillich and the Frankfurt School members and affiliates.

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philosophical anthropology, metaphysics and religion. The ongoing direct personal and professional contact and friendships shared among these thinkers, along with their common intellectual milieu and social goals warrants this endeavor and vivifies such comparative analysis as a point of reference for dialogue between critical theory, theology, and public philosophy. Through a juxtaposition of Tillich’s religious socialism and the critical theory developed by his colleagues and friends in the Institute, the focus here is primarily on the first comparative theme identified: emancipatory rationality. Despite important differences in methodology and some key assumptions, there are remarkable consonances between the types of critical social theory developed by Tillich and by members of the Institute. When their works from the 1920s and 1930s are read in conversation with one another – since we know these writings were formed amidst such personal conversations – generative insights into each scholar’s thought become increasingly clear in some cases, while increasingly complex though productive in others. Close textual engagement incrementally reveals a unique consonance which cannot be dismissed as mere coincidental timing, i. e. the idea that the historical overlaps between the three thinkers, while superficially interesting, amounts to nothing more than friendly respect for colleagues working in completely separate fields with incommensurable presuppositions and methods. The dynamic political-social assumptions and defiant critical-prophetic social conscience exemplified by all three thinkers functioned as a theoretical buffer against the destabilizing forces of ‘unreason’ and encroaching political romanticism of National Socialism.

3 The ‘Institute for Social Research’ and Paul Tillich Founded officially in 1923 in conjunction with the young University of Frankfurt by an initial donation from Hermann and Felix Weil,⁷ the Institut für Sozialforschung was led by Carl Grünberg from 1923 – 1929. Martin Jay notes that the selection of Grünberg – an established Marxist⁸ scholar – brought “the first avowed

 Zoltán Tar claims that Hermann Weil had tried to found such an institute as early as . Zoltán Tar, “Introduction”, in: Foundations of the Frankfurt School of Social Research, ed. Judith Marcus and Zoltán Tar (New Brunswick: Transaction Books, ), .  Carl Grünberg was well-known for his socialist research work dating back to , editing the Archiv für die Geschichte des Sozialismus und der Arbeiterbewegung in Vienna.

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Marxist to hold a chair at a German university.”⁹ The initial endowment and yearly income provided by the Hermann Weil’s endowment allowed the Institute and its members relative independence.¹⁰ Since it was loosely tied to the University of Frankfurt, the substantial endowment also allowed a crucial degree of independence and mobility. Horkheimer was able to move the Institute with relative ease from Frankfurt to Geneva in 1933, then to New York in 1935 through an arrangement with Columbia University, and finally back to Frankfurt in 1950. Friedrich Pollock, a close friend of Horkheimer, had been affiliated with and active in the Institute throughout the 1920s.¹¹ Horkheimer was in Frankfurt as a student of Hans Cornelius at the time. Horkheimer and his younger colleague, Theodor Wiesengrund Adorno, had both studied with Cornelius, having met in one of Cornelius’ seminars on Husserl in 1922.¹² Horkheimer studied with and wrote both his dissertation and his Habilitation (both on aspects of Kant’s thought) under Cornelius and then served as the latter’s assistant. Cornelius had hoped Horkheimer would replace him as chair of philosophy,¹³ but the Prussian Minister of Education, Carl Becker,¹⁴ nominated Tillich. With the approval of Kurt Riezler, the Curator of the University, Tillich was appointed chair of the philosophical faculty and Professor of Philosophy and Sociology in Frankfurt on March 1, 1929.¹⁵ Tillich remained a professor in Frankfurt until April 1933¹⁶ when he was among the first twelve scholars dismissed as “[e]nemies of the state”¹⁷.

 Martin Jay, The Dialectical Imagination. A History of the Frankfurt School and the Institute of Social Research,  –  (Berkeley: University of California Press,  []), .  Hermann Weil’s initial endowment and subsequent gifts to the Institute allowed “the creation and maintenance of an institution whose financial independence proved a great advantage” (ibid., ).  David Held, Introduction to Critical Theory. Horkheimer to Habermas (Berkeley: University of California Press, ), .  Jay, The Dialectical Imagination, . Although Adorno had also studied with Cornelius, it was Cornelius who rejected Adorno’s first Habilitation, discussed further below.  Rolf Wiggershaus, The Frankfurt School. Its History, Theories, and Political Significance, trans. by Michael Robertson (Cambridge: MIT Press,  []), .  Becker encouraged Tillich’s move from Berlin to Marburg in , and Becker may have had some influence in Tillich’s transfer from Marburg to his new position as a professor of humanities and religious studies at the Dresden Institute of Technology in , see Pauck / Pauck, Paul Tillich, , .  Ibid., ; also  (note ). Tillich’s appointment seems to have been a compromise.  As Erdmann Sturm notes, Tillich had already discussed returning to the theology faculty in Berlin in November , see his “Historische Einleitung”, in: EW XVIII, p. XIX.  Pauck / Pauck, Paul Tillich, . Tillich was the only non-Jewish faculty member fired at that time.

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Having been trained as a philosophical theologian, Tillich may have initially seemed a curious choice for a university chair in philosophy, and some, including Cornelius, disapproved.¹⁸ On the other hand, Tillich’s training was quite broad and both his dissertation and Habilitation engaged the philosophical tradition of German Idealism and explored multiple dimensions of the thought of Friedrich Schelling. For Tillich, philosophy and theology were always understood as mutually informing and reinforcing; he saw himself ‘on the boundary’ between these two disciplines. It was in part the unique breadth of Tillich’s background and interests which allowed him to thrive in his new position. Cornelius’ reservations notwithstanding, most colleagues, including scholars in other disciplines such as economics, sociology, linguistics, and psychology welcomed Tillich in Frankfurt. Max Horkheimer was appointed Director of the Institute in October 1930, following Grünberg. This appointment was somewhat unexpected as Horkheimer was not centrally engaged with, or among the ‘inner circle’ of the Institute, and he had not published widely.¹⁹ In fact, according to Rolf Wiggershaus, Horkheimer had “no hope of attaining a professorship in the normal way”²⁰. His friend Friedrich Pollock was Horkheimer’s greatest advocate, but scholars including Martin Jay note that it was “with the support of Tillich and other members of the philosophy department, [that] a new chair of ‘social philosophy’ was established for Horkheimer”²¹. Furthermore, since Horkheimer had received his doctorate and Habilitation at Frankfurt, an exception had to be made for him to receive a professorship. Tillich was instrumental in securing this exemption, as Horkheimer himself recalled.²² Tillich co-taught with Horkheimer in 1930 and 1931.²³ Although Tillich and Adorno co-taught several courses, Horkheimer and Adorno never taught together in Frankfurt; a seminar on Hobbes’ constitutional theory was planned for 1933, but never happened.²⁴

 Werner Schüßler, “Als protestantischer Theologe in philosophischem Material”, in: Spurensuche. Lebens- und Denkwege Paul Tillichs, ed. Ilona Nord and Yorick Spiegel (Münster et al.: LIT,  / Tillich-Studien, vol. ), . See also Wiggershaus, The Frankfurt School, , and Pauck / Pauck, Paul Tillich, .  Wiggershaus, The Frankfurt School, . Pollock was the more likely choice, and “Horkheimer, who until then had taken almost no part in the Institute, probably succeeded in becoming a candidate mainly because Pollock was prepared to withdraw in favour of his friend” (ibid.).  Ibid.  Jay, Dialectical Imagination, .  Ibid., . See Horkheimer’s personal recollections in Max Horkheimer, Gesammelte Schriften, vol. , Vorträge und Aufzeichnungen  – , ed. Gunzelin Schmid Noerr (Frankfurt am Main: S. Fischer, ), . See also Wiggershaus, The Frankfurt School,  f.  Wiggershaus, The Frankfurt School, .  Ibid.

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4 The Intellectual Matrix in Frankfurt: Tillich, Horkheimer and Adorno Frankfurt in the early 1930s has correctly been described as the epicenter of the German left, but it was largely an island surrounded by turbulent waters. During the brief period in the waning years of the Weimar Republic and as the specter of Nazism grew, a unique ‘intellectual matrix’ was forged across the university and related institutes in Frankfurt,²⁵ beginning with Tillich’s appointment as chair of the philosophy faculty in 1929, and Horkheimer’s appointment as Director of the Institute in 1930. This exceptional group included – in addition to Tillich and Horkheimer – Herbert Marcuse, Friedrich Pollock, Leo Löwenthal, Adolf Löwe, Carl Mennicke, Eduard Heimann, and in a more peripheral sense, Karl Mannheim, Walter Benjamin, Gershom Scholem, Hendrik de Man, and Erich Fromm, among others.²⁶ Much of the most fascinating research, teaching, collaboration and conversation among these thinkers took place during this tenuous interim, during which many intellectuals in Frankfurt – and throughout Germany – minimized the threat posed by the Nazis until it was too late.²⁷ Tillich’s personal and professional life overlapped with those of many Frankfurt School members and affiliates in Frankfurt from 1929 – 33, and again in New York during the darkest years of the Third Reich. Many of these scholars regularly participated in intellectual ‘salons’ in Frankfurt, and they continued their animated discussions and debates after relocation to New York City. Upon his return from studying music with Alban Berg in Vienna, Adorno rejoined the ‘matrix’ in Frankfurt. Adorno did not officially join the Institute or immigrate to New York until 1938, having first spent three years in Switzerland and England. Having had his first Habilitation rejected by Hans Cornelius, Adorno asked Tillich to supervise his second Habilitation, a study of Kierkegaard’s aesthetics.²⁸ With Horkheimer as a second examiner, Adorno’s Habilitation was approved. Tillich supported Adorno’s thesis, and despite intellectual differences and disagree-

 Notably the ‘Institute of Psychoanalysis’ was also founded in . See Wiggershaus, The Frankfurt School,  and Jay, Dialectical Imagination, .  Wiggershaus, The Frankfurt School, .  Tillich’s  “Zehn Thesen” is the most notable exception, see Paul Tillich, “Zehn Thesen,” in: MW III,  f.  Wiggershaus claims that “Tillich’s arrival [in Frankfurt] was the opportunity for Adorno to bring the theologically inspired materialism of his friends [Benjamin, above all] to bear, not just on music, but on philosophy as well, and to make the academic world accessible to it” (The Frankfurt School, ).

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ment with the conclusions, he hired Adorno as his assistant. With an approved Habilitation and Tillich’s support, Adorno was able to assume an academic post at the university. As Adorno remarked shortly after Tillich’s death, this support gave Adorno an official position allowing him mobility and options for emigration; in fact, Adorno – who was culturally Jewish – claims that through this support, Tillich saved his life. Attaining the position of Privatdozent at Frankfurt helped Adorno secure some stability, which enabled him to leave Nazi Germany.²⁹ Adorno assisted Tillich unofficially with seminars prior to his Promotion ³⁰ and thereafter assisted and co-taught courses with Tillich, including seminars on Hegel, Lessing, and one on Simmel.³¹ Adorno also wrote a brief piece for the Neue Blätter für den Sozialismus, of which Tillich and Heimann were co-editors, in 1931.³² While it is true that the relationship between Tillich and Adorno was quite complex, the dismissal of Tillich characteristic of many Adorno scholars risks overlooking a vital figure in Adorno’s life and intellectual development. In his published work after Tillich’s death, including public lectures, Adorno regarded this relationship with more significance than many scholars seem willing to acknowledge, perhaps attempting to downplay any possible significance a Protestant theologian could have played in Adorno’s life, whether personal or professional. Soon after Tillich’s death in 1965, Adorno began his November 9th lecture paying homage to Tillich. Describing Tillich not only as a friend, but as “one of the most extraordinary people I have ever met in my life”³³, Adorno declared his indebtedness to Tillich personally, professionally and pedagogically. While many Adorno scholars have dismissed, or perhaps have deliberately overlooked these comments as hyperbole, Adorno continues: I owe [Tillich] the most profound debt of gratitude […]. It is a debt such as I owe to few others. Had he not exerted himself on my behalf, something he did despite the differences in our respective theoretical points of view […] it is very questionable whether I would be able to speak to you today; it is even questionable whether I would have survived.³⁴

 Adorno remained in Germany until , when he went to England to work as an “advanced student” at Oxford. Letters between Adorno and Horkheimer, and letters of Tillich reveal a deeply dissatisfied Adorno prior to his invitation to New York in .  Theodor W. Adorno, Lectures on Negative Dialectics, trans. Rodney Livingstone, ed. Rolf Tiedemann (Cambridge: Polity Press, ), .  Wiggershaus, The Frankfurt School, .  T. W.-A. [Theodor W. Adorno], “Was lieben Sie eigentlich an Ihrem Mann?”, Neue Blätter für den Sozialismus  (), no. ,  – .  Adorno, Lectures on Negative Dialectics, .  Ibid., .

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Horkheimer expressed a very similar sentiment, crediting Tillich with going well above and beyond the call of duty in aiding not only himself, but many other Frankfurt colleagues as well by providing contacts and helping friends – many of them Jewish – find work allowing them to emigrate from Nazi Germany. In a 1966 memorial event for Tillich, Horkheimer suggested that Tillich had perhaps saved his life,³⁵ much like Adorno had done. Going further, Adorno concluded his comments following Tillich’s death recorded in Lectures in Negative Dialectics: “You may take my word for it that not only are there very few people who have meant so much to me but that I attribute an influence to them that far surpasses anything that is contained in their writings.”³⁶ With all due respect to Leo Löwenthal and Adolf Löwe’s reminisces recorded by Terrence O’Keeffe,³⁷ which seek to deny any influence among Tillich and members of the Frankfurt School, it behooves interpreters to focus carefully on Adorno’s own language, while simultaneously avoiding eisegesis. Claims of traceable mutual intellectual influence are clearly too far reaching – these authors almost never cite one another in their respective writings. Nevertheless, there remains a profound level of connection between these thinkers – both personally and professionally – that had an important effect on each. I argue that this connection is better understood through the dialogical common themes articulated above: emancipatory rationality, philosophical anthropology, metaphysics and religion. To that end, the remainder of the essay will unpack emancipatory rationality in religious socialism and in critical theory and will offer a comparison, revealing more connections than differences.

5 Tillich’s Religious Socialism as Social Critique In Tillich’s prescient and prophetic work, The Socialist Decision, published in early 1933 and banned and burned almost immediately thereafter, Tillich argues that if “political romanticism and, with it, militant nationalism proves victorious,

 Max Horkheimer, “Letzte Spur von Theologie – Paul Tillichs Vermächtnis”, in: Werk und Wirken Paul Tillichs. Ein Gedenkbuch. Mit der letzten Rede von Paul Tillich und Beiträgen von Theodor W. Adorno […] (Stuttgart: Evangelisches Verlagswerk, ),  – , here  f.  Adorno, Lectures on Negative Dialectics, . Although Adorno uses the word ‘influence’, I submit that he means this in an overarching sense, not limited to or by a specific intellectual interdependence with Tillich.  Terrence O’Keeffe, “Paul Tillich and the Frankfurt School”, Theonomy and Autonomy. Studies in Paul Tillich’s Engagement with Modern Culture, ed. John L. Carey (Macon, GA: Mercer University Press, ),  – .

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a self-annihilating struggle of the European peoples is inevitable. The salvation of European society from a return to barbarism lies in the hands of socialism.”³⁸ In order to demonstrate the deep resonances with ‘critical theory’ as developed by Horkheimer and others in the Institute, I will explore Tillich’s religious socialism through the lens of social and cultural critique. In the early 1920s in Berlin, discussions of Tillich’s concept of kairos – or the fullness of time – led to the formation of an interdisciplinary group known as the ‘Kairos Circle’³⁹, a group sympathetic to religious socialism which formed around Tillich and Mennicke. Two Jewish economists, later colleagues in Frankfurt, were also core members of the Kairos Circle – Eduard Heimann and Adolf Löwe. The Kairos Circle saw reformed theologian Karl Barth’s distancing of himself from religious socialism as an attempt to escape from the challenges facing church and world through an emphasis on the utter transcendence of God.⁴⁰ Tillich and others emphasized the immanence of the transcendent with the concept of prophetic expectation, rooted in the social and religious protests of the Hebrew prophets. The Kairos Circle saw themselves and their understanding of religious socialism to be reclaiming the prophetic strain of the Hebrew prophets in contemporary society through a nuanced engagement with socialism as an ideal.⁴¹ Like Horkheimer and others in the Institute, Tillich clearly saw limits to Marxism and the excesses of the Soviet experiment; all sought a mediating option, rooted in critique of abuses of power and oriented toward emancipatory ends. He argues that although “[s]ocialism depends neither upon a specific economic theory nor upon the realization of one specific form of economy”⁴², his preferred ‘religious socialism’ “stands fundamentally on the ground of Marx’s analysis of capitalistic culture.”⁴³ It is primarily Marx’s social analysis, rather than economic

 Paul Tillich, The Socialist Decision, trans. Franklin Sherman (New York: Harper & Row, ), .  Kairos is the Greek term for and philosophical concept meaning “right time” or “fullness of time”, describing the sense many had of the great opportunity and challenge following Germany’s defeat in World War I.  This should not be overstated since Barth was centrally involved in the Barmen Declaration, a  treatise written on behalf of German Protestants against the National Socialist government. This document is far more theological then political; Tillich’s “Zehn Thesen” () has a different orientation.  Pauck / Pauck, Paul Tillich,  f.  Paul Tillich, “Religious Socialism”, in: Political Expectation, trans. William B. Green, Victor Nuovo and James L. Adams (New York: Harper & Row, ),  – , here .  Ibid., . Tillich further notes: “The agreement of religious socialism with Marx’s sociological analysis of capitalism does not as a matter of course imply its assent to his economic theory” (ibid., ).

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prescriptions, that interests Tillich and lies in the purview of religious socialism. While Tillich was clear that “[r]eligious socialism is not ‘Marxism,’ neither political Marxism in the sense of communism nor ‘scientific’ Marxism in the sense of economic doctrines”⁴⁴, Marx’s anthropological presuppositions and his philosophy of history were particularly appealing to Tillich and other religious socialists.⁴⁵ Equally important, Marx’s philosophy helped Tillich introduce questions of structural oppression and alienation into traditional Christian theological reflection on sin.⁴⁶ In a 1930 essay, Tillich identified four types of religious socialism: first, the ‘legalistic’, deriving from “the Christian commandment of love”; second, the ‘romantic’, emphasizing “that the religious principle is not confined to a specifically religious sphere”; third, the ‘practical-political’, which attempts to align and harmonize Christian and socialist ideas and praxis; and fourth, the ‘dialectical or dynamic’, Tillich’s preferred form, which “seeks to resolve the static opposition of the concepts of religion and socialism by demonstrating their dialectical relationship.”⁴⁷ For Tillich, ‘religious socialism’ could never legitimately be affiliated with any particular political party or even one religious tradition. Pushing beyond theory, Tillich often referred to religious socialism as a “movement”⁴⁸ of something cultural which transcended, while including the political. It was also “a manifestation of Christian humanism”⁴⁹, as Tillich argued in 1930. Nevertheless, he insisted that religious socialism had supporters across the religious spectrum, including Catholics and Jews, like his friends Heimann and Löwe. Others who allied themselves with religious socialism were not personally religious at all, and Tillich claims some were “extremely suspicious of traditional theology or philosophy”⁵⁰, yet were welcomed into the movement. Uniting the different strands of religious socialism was “a political faith” and “a political

 Tillich, “Author’s Introduction” to The Protestant Era, ed. and trans. James Luther Adams (London: Nisbet & Co., ), IX – XXIX, here XVIII.  Tillich writes in the ‘Author’s Introduction’ to Protestant Era: “We have found in it an understanding of human nature and history which is much nearer to the classical Christian doctrine of man with its empirical pessimism and its eschatological hope than is the picture of man in idealistic theology” (ibid., XVIII).  He suggests that religious socialists “realized more than most Christian theologians ever did that there are social structures that unavoidably frustrate any spiritual appeal to the people subjected to them” (ibid.).  Tillich, “Religious Socialism”,  f.  Paul Tillich, “Man and Society in Religious Socialism” (), in: MW III,  – , here .  Tillich, “Religious Socialism”, . In Tillich’s essay “Marx and the Prophetic Tradition”, cited below, humanism is identified with the original intentions of Marxism and rooted in Jewish prophecy.  Tillich, “Man and Society in Religious Socialism”,  f.

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will”⁵¹ to re-connect the original impetus of socialism’s emancipatory drive to its ‘depth dimension.’ Shortly after Hitler came to power in January 1933, Tillich’s book The Socialist Decision, which powerfully challenged fascist ideology and denounced anti-Semitism, was banned and burned. In this important work, which unfortunately did not reach its audience, Tillich suggested that the ‘political romanticism’ exemplified equally by National Socialism and communism could possibly be held in check, in part by prophetism and rational-critical principles of enlightenment,⁵² opening space for potential glimmers of emancipatory potential. Socialism was not merely a political ideology for Tillich; it was a religious (prophetic) and cultural duty in the pursuit of justice and equality. It sought to revivify socialism’s transformative intent, without reverting to utopic thinking. Tillich writes: “Religious socialism is the attempt to bring into awareness the element of faith at work in socialism, to reveal socialism’s inner conflict, and to lead it to a solution that has symbolic power.”⁵³ The greatest flaw of socialism in its materialistic forms, according to Tillich, was the proclivity to ignore the ‘unconditioned’, the spiritual dimension of human experience. Acknowledging the role of Christoph Blumhardt⁵⁴ in his own formulation of a ‘prophetic-dialectical’ religious socialism, Tillich articulated the common ground which he believed was at least potentially accessible between religion and socialism. Unlike others who saw socialism as a threat to Christianity, to be engaged only to be contained, Tillich understood it as an opportunity and a wake-up call to Christian complacency. He writes: “The decisive idea of religious socialism is that religion does not have to do with a specific religious sphere but with God’s dealing with the world, and that it is therefore possible that God’s activity may be more clearly seen in a profane, even anti-Christian, phenomenon like socialism than in the explicitly religious sphere of the church.”⁵⁵ This insight for Tillich suggests the possibility of a greater alliance between religion and socialism. From his collaborative work with the diverse Kairos  Ibid., . The three convictions of the “political faith” of religious socialism were: () the conviction of the end of an age and the beginning of a new age marked by wars; () the coming age would involve “a new collectivism, based on social planning” (ibid., ) and () that the coming age required some religious foundation.  See Tillich, Socialist Decision,  f.  Ibid., .  German theologian Christoph Blumhardt ( – ) was instrumental in the Christian Socialist movement in Germany and Switzerland. His political action resulted in his removal from his pastorate and he was influential on Tillich, as well as Karl Barth, Hermann Kutter and Leonhard Ragaz, among others.  Tillich, “Religious Socialism”, .

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Circle in Berlin and through important insights from Blumhardt, Tillich came to realize “that God may speak for a time more powerfully through a nonreligious, and even anti-Christian, movement, such as early social democracy, than through the Christian churches.”⁵⁶ Tillich’s conception of socialism as a potentially revelatory moment and opportunity for the church to reconsider its priorities was not widely shared by other Christian thinkers.⁵⁷ While the German churches were largely mired in romanticism, easily falling prey to fascist romanticism, Tillich saw most forms of socialism similarly bound by materialism, which undermined the emancipatory and transformative potential of the human subject and collective action. On the negative side, Tillich’s social critique discerns at least four limitations or structural challenges to emancipatory reason vis-à-vis the human subject: sin, finitude, estrangement and the ‘demonic’.⁵⁸ Unlike Marx – and similar to early formulations of critical theory – Tillich’s religious socialism denied any “universally human characteristic”⁵⁹. On the positive side, Tillich acknowledged the importance of the critique of social and class structures, adding a vitally important distinction between two distinct types of critique: ‘rational critique’ and ‘prophetic critique’. Rational critique and prophetic critique, while analytically distinct, are inseparable for Tillich;⁶⁰ one without the other reinforces, rather than challenging, the status quo. Together, rational and prophetic critique had the potential to effect emancipation and transformation, without reverting to utopic thinking or an overly-immanent eschatology. Rational criticism remains vital, exemplified by the enlightenment philosophical tradition of dialectic and self-critique. In prophetic critique, on the other hand, knowledge “as such is brought into question

 Paul Tillich, “The Formative Power of Protestantism”, in: The Protestant Era, op. cit.,  – , here . Similarly, in his  essay “Religious Socialism,” Tillich writes: “In the struggle against a demonized society and for a meaningful society, religious socialism discerns a necessary expression for the expectation of the kingdom of God. But it repudiates the identification of socialism with the kingdom of God just as it rejects religious indifference towards constructive tasks within this world” (Tillich, “Religious Socialism”, ; emphasis in original).  In a text from the early s, Tillich notes that “the spirit of prophecy has found a powerful, though religiously inadequate expression in Marxism, this spirit of prophecy having practically died out of the Christian churches” (Paul Tillich, “Marx and the Prophetic Tradition”, in: MW III,  – , here ). The text was likely written in , but the first published version appeared in . See “Zur Textgeschichte”, in: Ibid.,  f.  These themes are diffuse throughout Tillich’s early writings found in Political Expectation, Protestant Era, Socialist Decision, etc.  Tillich, “Religious Socialism”, .  Paul Tillich, “Protestantism as a Critical and Creative Principle”, in: Political Expectation, op. cit.,  – , here .

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– and perhaps justified – by what is beyond all human knowledge, by what is ‘higher than all reason’”⁶¹, that source of normative ‘ultimacy’ upon which criticism must be grounded for Tillich. In an important sense, this echoes Horkheimer’s later distinction between ‘traditional’ and ‘critical’ theory. For Tillich, rational criticism demands prophetic criticism to supplement its inherent weaknesses and limitations;⁶² similarly, critical theory supplements (if not eclipses) traditional theory for Horkheimer, in his seminal 1937 essay.⁶³ Prophetic criticism does not belong to a separate theological sphere, but is inextricably linked to and grounded in public, rational criticism for Tillich. The theological cannot thrive without the rational, or vice-versa. At the heart of Tillich’s critical social theory seen in religious socialism is what he terms the ‘Protestant principle’. Like prophetic critique, the ‘Protestant principle’ arises from Judaism and its critical source is rooted in the protest against injustice and suffering permeating the critique found in the Hebrew prophets. Here, Tillich is not so much referring to Protestantism as a historical branch of Christianity, but rather to the spirit of ‘protest’ which compels all humans to seek justice.⁶⁴ Tillich considers Jewish prophecy the first and best historical example of the ‘Protestant principle’. In a 1931 essay, Tillich offers perhaps his most thorough explication of the ‘Protestant principle’ as a foundational principle of social and theological critique: The Protestant principle […] contains the divine and human protest against any absolute claim made for a relative reality, even if this claim is made by a Protestant church. The Protestant principle is the judge of every religious and cultural reality, including the religion and culture which calls itself ‘Protestant.’ The Protestant principle…is the theological expression of the true relation between the unconditional and the conditioned or, religiously speaking, between God and man. As such, it is concerned with what theology calls ‘faith’, namely, the state of mind in which we are grasped by the power of something unconditional which manifests itself to us as the ground and judge of our existence.⁶⁵

 Ibid., .  Gary Simpson, Critical Social Theory. Prophetic Reason, Civil Society, and Christian Imagination (Minneapolis: Fortress Press, ), , writes: “Rational criticism’s disciplined concreteness contests the temptation of prophetic criticism to become abstract.”  Horkheimer, “Traditional and Critical Theory”.  The ‘Protestant principle’ is the essence of all prophetic religion, according to Tillich, and as such, it exemplifies the central prophetic message in Judaism, although it must also be understood in terms of Tillich’s Lutheran doctrine of justification. It reflects the eternal spirit of prophetic justice, and Tillich sometimes referred to it as the capacity to distinguish between the Absolute and the finite.  Paul Tillich, “The Protestant Principle and the Proletarian Situation”, in: The Protestant Era, op. cit.,  – , here  (emphasis added).

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That which points beyond itself to the infinite ground of being serves as a point of critique against any attempt to reify or otherwise elevate that which is finite. Tillich continues, relating the ‘Protestant principle’ to religious socialism’s analysis of the contemporary socio-political situation: The Protestant principle is […] the guardian against the attempts of the finite and conditioned to usurp the place of the unconditional in thinking and acting. It is the prophetic judgment against religious pride, ecclesiastical arrogance, and secular self-sufficiency and their destructive consequences. The Protestant principle in this sense is not strange to the situation of the proletariat in modern society.⁶⁶

At the intersection of rational and prophetic critique, resisting the cold calculus of utility, the ‘Protestant principle’ is the beating heart of social critique for Tillich. Religious socialism, as a manifestation of ‘Christian humanism’, sought to dialectically overcome the perceived contradictions between reason and faith, and between socialism and religion, in much the same manner that critical theory sought to overcome the irrationality and barbarism of modernity. Indeed, as Tillich notes, “it can be shown that in the humanist tradition itself exist rationally transformed elements of prophecy.”⁶⁷ This rational transformation of prophetic longing for justice as a form of resistance to social alienation, domination, and reification is precisely where critical social theory begins, and where consonances with Tillichian religious socialism begin to emerge most clearly.

6 Critical Theory and the Frankfurt Institute of Social Research Critical theory as popularized by Horkheimer and his colleagues in the Frankfurt Institute of Social Research in the 1930s, much like the prophetic principle animating rational criticism in Tillich’s religious socialism, seeks to engage the intellectual trajectory of Hegel and Marx along with the critiques of Nietzsche and Freud. Here there is no Cartesian split; the knower is constituted and transformed through the act of knowing. ‘Critical theory’ is a dialectical process of constant critique and encounter through which both subject and object are transformed; it importantly does not assume or accept any Hegelian Aufhebung. Horkheimer and his associates further assumed that in the modern (western) world,

 Ibid. (emphasis added).  Tillich, “Marx and the Prophetic Tradition”, .

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there is no ‘nature’ independent of human labor – everything bears the marks of human transformation, if not reification. Four themes drawn from the legacy of German Idealism orient early critical theory: determinate negation, the dialectic of insight and faith (or insight and enlightenment), intersubjective recognition leading to self-consciousness, and finally an ongoing dialectical attempt to heal enlightenment divisions without any telos, in distinction from Marx and Hegel.⁶⁸ The stated goal of the Institute’s critical theory under Horkheimer’s leadership was to engage in multi-disciplinary research and reflection, analyzing the complex and ongoing relationship between humanity and history, and between nature and society. Further, critical theory is “dominated at every turn by a concern for reasonable conditions of life”⁶⁹, according to Horkheimer. Any adequate philosophy capable of addressing the challenges of modernity must be critically aware of social realities, contexts, and consequences, and further have as a goal the amelioration of and ultimate emancipation from oppressive conditions. The normative impulses animating early critical theory align with Tillich’s prophetic critique well here. Some of the central concerns and tenets of ‘critical theory’ identified by Horkheimer’s seminal 1937 essay “Traditional and Critical Theory” include: (1) a multiand inter-disciplinary approach to the challenges facing reason from social domination and oppression within modernity, (2) a self-critical awareness of historicity and situatedness, (3) a dialectically based process of engagement through which subject and object are both affected, (4) a negative critique of the status quo which does not require a positive metaphysic, (5) a rejection of utility and productivity as understood in the present order, (6) a philosophy of history influenced not only by Hegel and Marx but also by Nietzsche and Freud as well, and (7) an epistemologically rich and conceptually strong critique with normative force and emancipatory goals, striving for freedom and justice. Each of these themes can be seen, permeating not only the work of Horkheimer, Adorno, and the majority of the members of the Institute, but significantly, also animating Tillich’s religious socialism through prophetic critique and the ‘Protestant principle’. In an important review of Marcuse’s Reason and Revolution for the Institute’s journal in 1941, Tillich wrote: “Even a critical social theory cannot avoid an ‘ul-

 These are summary conclusions based on Hegel as read by Adorno and Horkheimer, and the work of Jay M. Bernstein and Peter Singer. See Jay M. Bernstein, “Negative Dialectic as Fate: Adorno and Hegel”, in: The Cambridge Companion to Adorno, ed. Tom Huhn (Cambridge: Cambridge University Press, ),  – , and Peter Singer, Hegel (New York: Oxford University Press, ). I have explored this in depth elsewhere.  Horkheimer, “Traditional and Critical Theory”, .

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timate’ in which its criticism is rooted because reason itself is rooted therein.”⁷⁰ Critical theory requires a source, a normative orientation, to ground its critique. Concerning Tillich’s review, Gary Simpson writes, “[w]ithout basis in an ‘ultimate,’ rational criticism runs into a wall […]. Only an ultimate ground can empower critical revolutionaries beyond critical fatigue.”⁷¹ This crucial question concerning a normative source for social critique illustrates a key point of disagreement and productive tension with critical theory. Another important similarity during the 1930s can be seen in Horkheimer’s extended dispute with the so-called ‘Vienna School’ of logical positivism. Horkheimer’s evolving position came to argue that formalized logic, exemplary of Carnap’s logical empiricism as Horkheimer understood it, ended up fetishizing the trivial instead of advancing knowledge. For Horkheimer, as Martin Jay puts it, “[p]ositivism of all kinds was ultimately the abdication of reflection. The result was the absolutizing of ‘facts’ and the reification of the existing order.”⁷² Worst of all “in Horkheimer’s eyes was the positivists’ pretension to have disentangled facts from values.”⁷³ Horkheimer accused logical positivists of being a-historical and a-social, and by limiting themselves to the observation and categorization of facts, they forfeited their ability to effectively critique manifestations of instrumental rationality in society.⁷⁴ Horkheimer utilized Nietzsche in his scathing critique and vehement rejection of any claims or presumption of ‘disinterested objectivity’ or social scientific value-neutrality.⁷⁵ In a 1936 letter to Adorno, Horkheimer even began to worry that logical positivism led to irrationalism and potentially even barbarism.⁷⁶ Here again, one sees basic similarities with Tillich’s insistence upon a ground of prophetic critique and a demand for ‘ultimacy’ as a foundation for critique. Horkheimer argued that without a crucial normative and critical source and function, reason merely reflects instrumentality and cannot affect transformation, much less emancipation. This demand for liberative justice and constant critique of the status quo further links early critical theory to religious socialism. In his fragmentary work  Paul Tillich, Review of “Marcuse, Herbert, Reason and Revolution. Hegel and the Rise of Social Theory”, Studies in Philosophy and Social Science  (),  – , here .  Simpson, Critical Social Theory, .  Jay, Dialectical Imagination, .  Ibid.  See Max Horkheimer, “The Latest Attack on Metaphysics”, in: Critical Theory, op. cit.,  – , here ,  et passim.  See, e. g., Wiggershaus, The Frankfurt School, .  Letter from Horkheimer to Adorno (October , ), see Max Horkheimer, Gesammelte Schriften, vol. , Briefwechsel  – , ed. Gunzelin Schmid Noerr (Frankfurt am Main: S. Fischer, ),  f.

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from the early 1930s, Dawn and Decline, Horkheimer argues that religion retains a vital ingredient of any emancipatory critical theory: hope, in the demand for future justice.⁷⁷ Horkheimer writes: “In its symbols, religion places an apparatus at the disposal of tortured men through which they express their suffering and their hope. This is one of [religion’s] most important functions.”⁷⁸ Horkheimer became even more explicit about this transcendent dimension later in his life,⁷⁹ but in the 1930s and 1940s, he increasingly despaired about any possibilities for emancipation via reason and philosophy. In his 1936 review of Theodor Haecker’s book Der Christ und die Geschichte,⁸⁰ Horkheimer noted an interesting parallel and distinction between the pursuit of the just and the good in critical theory and in religion. According to Horkheimer: All these wishes for eternity and for the onset of universal justice and goodness are shared by materialist [i. e. early critical theory] and religious thinkers, in contrast to the impassivity of the positivist attitude. But if the latter is assuaged by the thought that desires will be fulfilled anyway, then the former are permeated by a feeling of the boundless forsakenness of humanity, which is the only true answer to an impossible hope.⁸¹

In his collaborative work with Adorno, one sees a similar distinction and concern. While all three thinkers started from a premise of seeking social transformation and emancipatory praxis, Adorno and Horkheimer ultimately came to despair of any individual or collective emancipation by the 1940s. Adorno, Horkheimer and Tillich each clearly reject Soviet-style communism, but they agree with György Lukács and others that the quest for emancipation seems – ironically yet inevitably – to lead to new modes of domination and oppression. Tillich particularly concurs with Lukács that modern bourgeois society ends up reifying the human being, choking life from, rather than emancipating the human spirit, as socialism intended to do,⁸² though for Tillich, this is neither final nor hope-

 Max Horkheimer, Dawn and Decline: Notes  –  and  – , trans. Michael Shaw (New York: Seabury Press, ), . See also Jay, Dialectical Imagination, .  Horkheimer, Dawn and Decline, .  See, for example, Horkheimer’s  “Foreword” to Jay’s Dialectical Imagination. Horkheimer writes: “The hope that earthly horror does not possess the last word is, to be sure, a non-scientific wish” (XXVI).  Theodor Haecker, Der Christ und die Geschichte (Leipzig: Hegner, ).  I have used the English translation of Horkheimer’s review by Kenneth Baynes and John McCole in Jürgen Habermas, “Remarks on the Development of Horkheimer’s Work”, in: On Max Horkheimer: New Perspectives, ed. Seyla Benhabib et al. (Cambridge: MIT Press, ), .  Marx and Weber had not anticipated the full extent of modern bureaucratic and ultimately instrumentalized reason, according to G. Lukács. See Yvonne Sherratt, Adorno’s Positive Dialectic (New York: Cambridge University Press, ),  f.

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less. By the 1940s, both Horkheimer and Adorno came to understand the promise of enlightenment⁸³ (as a historical movement in philosophy and as an originary process of human development and sociality) to be self-negating, as reason becomes co-opted and falls into the service of bureaucracy and fascism. In Dialectic of Enlightenment, there is limited hope remaining in the bleak philosophy of history proffered. The central thesis of this collaborative work in the 1940s was that whatever seeks to uncover and expose myth, becomes itself a myth. ⁸⁴ Enlightenment rationality functions as an explanatory (and thereby demythologizing) principle for everything else, but could not explain, justify, or even critique itself. In fact, Dialectic of Enlightenment argues that enlightenment and reason have become cancerous.⁸⁵ The abandonment of the planned sequel, Rettung der Aufklärung, which was intended to provide a “positive theory of dialectics” which would seek to outline a “rescue of the enlightenment”, as Horkheimer put it,⁸⁶ demonstrates their increasing despair concerning the emancipatory capacities of critical reason. Tillich is in essential agreement with critical theorists that the ‘paradox of enlightenment’ lies in the fact that the promise of emancipatory enlightenment – namely liberation from suffering and anxiety and domination over external reality – is incapable of coming to fruition and maturation. Yet a critical theory of society relies on a normative ‘depth dimension’ for Tillich, and the glaring absence of or refusal to engage the challenge of metaphysical moorings characteristic of critical theory in the 1940s is deeply problematic from a Tillichian perspective.

 Enlightenment, for Adorno and Horkheimer (particularly in Dialectic of Enlightenment) refers both to a human process of development and to a historical movement in the th Century. They typically capitalize the historical movement, which they see as a manifestation of the process of enlightenment which is co-terminus with human society.  Max Horkheimer and Theodor W. Adorno, Dialectic of Enlightenment. Philosophical Fragments, ed. Gunzelin Schmid Noerr, trans. Edmund Jephcott (Stanford: Stanford University Press, ), XVIII.  The text opens with the authors’ claim that the earth is “radiant with triumphant calamity [Unheil].” Horkheimer / Adorno, Dialectic of Enlightenment, . The language of disease, drawn from Hegel, is used more explicitly in Horkheimer’s Eclipse of Reason.  Tillich, Löwe, and Horkheimer letters, August ; Max Horkheimer, Gesammelte Schriften, vol. , Briefwechsel  – , ed. Gunzelin Schmid Noerr (Frankfurt am Main: S. Fischer, ),  (note ), , also  f.; referenced in James Schmidt, “Language, Mythology and Enlightenment: Historical Notes on Horkheimer and Adorno’s Dialectic of Enlightenment”, Social Research  (),  – , here  (note ).

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Bryan Wagoner

7 Conclusion This essay has argued that – despite some significant differences – the ideas of Adorno, Horkheimer, and Tillich intersect, align, and are interwoven within a shared personal and intellectual context and an unyielding, prophetic demand for justice. Based upon their analysis of the Marxian-Weberian-Lukácsian diagnoses of alienation, domination, and reification, Adorno, Horkheimer, and Tillich are initially in general agreement, seeking a common emancipatory goal through critique of all forms of injustice. While their respective prognoses share key commonalities, the early Adorno and Horkheimer advocate determinate negation leading to autonomy in secular social critique, while Tillich advocates an Aufhebung leading to theonomy in the guise of religious socialism. Emancipatory social critique, like socialism, is not inherently secular, as Tillich tirelessly argues. In fact, this essay has suggested that critical social theory can and should be challenged to refine some of its core assumptions and values through dialogue with theology; Jürgen Habermas and others in the more recent critical theory tradition have realized this. As a form of critical social theory, religious socialism articulated a means and system of critique which could, ideally, distinguish between religion as a vehicle of the capitalist system and religion as a vehicle of longing for emancipation. As such, religious socialism can be understood at least as a parallel quest to early critical theory, but I suggest that the two frameworks are better understood as complementary in a true dialectical sense; when placed in conversation, the two perspectives can challenge and refine one another. Tillich’s religious socialism offers an instructive complement to and challenge for, constructive engagement with critical theory, at least historically, but at least possibly in contemporary and future conversations as well. In conclusion, critical theory and social emancipation can be both secular and religious, in a nuanced sense of each term. In one sense, while many things have changed, the central social issues which Adorno, Horkheimer and Tillich understood as pressing problems have not fundamentally changed. The central concerns for critique of the status quo, the quest for imperfect justice, the cessation of suffering, the memory and hope for redemption of past injustices and suffering, etc., remain as relevant today as they were in a very different context in the 1930s. The unrelenting demand that injustice not be given the last word is the common origin and goal of the critique seen in the sometimes disparate works of Adorno, Horkheimer and Tillich. It is in this deceptively simple shared insight and orientation toward emancipation, I maintain, that one can discern the essence of any viable critical social theory, whether past, present, or future.

Christopher Craig Brittain

Adorno’s Debt to Paul Tillich? On Parataxical Theology* A few weeks after Paul Tillich’s death in October 1965, Theodor W. Adorno stood before his class at the outset of a new series of lectures and paid tribute to his former postdoctoral supervisor. He says of Tillich, I owe him the most profound debt of gratitude for having approved of my Habilitation thesis in 1931 […]. It is a debt such as I owe to few others. Had he not exerted himself on my behalf, something he did despite the differences in our respective theoretical points of view […] it is very questionable whether I would be able to speak to you today; it is even questionable whether I would have survived.¹

Adorno suggests that Tillich’s support not only saved his academic career, but also his life. This is because his salvaged academic credentials were what enabled him to gain a position as an “advanced” researcher at Oxford University and secure an exit visa to leave Germany in 1934, which enabled the Jewish philosopher to escape the snare of Hitler’s “Final Solution”. This bond between Adorno and Tillich, which was forged at Goethe University in Frankfurt am Main during the 1930s, has gradually been recognized among scholars studying the Frankfurt School; however, such scholarship generally presumes that the “debt” Adorno says he owes to Tillich has nothing to do with his own intellectual formation, but only refers to a sense of gratitude and personal fondness. Many assume that Adorno’s reference to “differences in our respective theoretical points of view” signals decisively that his thought has little in common with that of Tillich. This chapter re-examines this assumption. It argues that considerable resonance is found between the thought of Adorno and Tillich, despite their mutually acknowledged differences. The discussion begins with an examination of some of the more prominent scholarly considerations of the relationship between Tillich and Adorno. This demonstrates how such accounts focus on the early writing of the two authors, principally during the early 1930s, and that those who

* An earlier version of this paper was published in Retrieving the Radical Tillich. His Legacy and Contemporary Importance, ed. Russell Re Manning (Basingstoke: Palgrave Macmillan, 2015). I am grateful to the editor and publisher for permission to reprint it here.  Theodor W. Adorno, Lectures on Negative Dialectics, trans. Rodney Livingstone, ed. Rolf Tiedemann (Cambridge: Polity Press, ), .

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Christopher Craig Brittain

defend the idea that a “mutual influence” existed between Tillich and Adorno generally focus on their shared roots in Marxian thought, or on their common interest in the Hebrew Bible’s tradition of “prophetic criticism”. Although one should acknowledge that, for much of their careers, there is little evidence that Tillich and Adorno engaged directly with each other’s work, the discussion highlights the fact that there is some indication that this began to change near the end of their lives. As Adorno was writing Negative Dialectics, a series of letters between he and Tillich demonstrates that they had begun exchanging texts with each other, and that this led Adorno to consult volume three of Tillich’s Systematic Theology as a resource. Although what Adorno drew from this text can only be speculated upon, some clues are suggested in the exchange in two letters with Tillich over one of Adorno’s essay: “Parataxis: On Hölderlin’s Late Poetry”². Tillich’s death cut short this intriguing discussion over the possible “parataxical” nature of theology, but this chapter shows that this concept shares some provocative resonances with Tillich’s concept of theonomy.

1 Tillich and Adorno? The debate over “mutual influence” The significance of Paul Tillich’s relationship with members of the Institute for Social Research in Frankfurt during the 1930s is frequently downplayed, if not completely disregarded. Yet Tillich played an instrumental role in enabling some of the principal scholars of the “Frankfurt School” to establish themselves in recognized academic posts. In 1929, Tillich was appointed Professor of Philosophy and Sociology at the University of Frankfurt, replacing the Kantian logician Hans Cornelius. He soon made two decisive contributions to what would become known as the “Frankfurt School”. He met Max Horkheimer (then a Privatdozent) and Theodor W. Adorno (a former doctoral student of Cornelius) while teaching seminars jointly with each of them (on Locke with Horkheimer, and on Hegel with Adorno).³ Tillich’s support played a crucial role in securing Horkheimer his appointment to a new chair in Social Philosophy in 1930.⁴ In Adorno’s case, Tillich’s sponsorship was even more important, since the former’s academ-

 See note .  GW IV, .  Rolf Wiggershaus, The Frankfurt School. Its History, Theories, and Political Significance, trans. Michael Robertson (Cambridge: MIT Press, ), .

Adorno’s Debt to Paul Tillich?

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ic career was in limbo after Hans Cornelius, his former doctoral supervisor, had rejected his second dissertation (Habilitationsschrift). Adorno was captivated by Tillich immediately upon his arrival. He recalls how Tillich’s sensitivity and powers of observation made it seem as though he was equipped with “permanently live antennae.”⁵ The significant role that Tillich played in Adorno’s life is brought into view by anecdotes like the one that recalls how Adorno, upon arriving in New York City for the first time in 1937, was in Tillich’s Manhattan apartment two hours later.⁶ The tribute that Adorno pays to Tillich after his death (referred to above) highlights again that a significant bond continued to exist between them. Scholarly accounts are divided over how to evaluate the relationship between Tillich and the members of the Institute for Social Research. Those seeking to establish a close link or “mutual influence” between Tillich the Christian theologian, and Adorno the atheist philosopher, have generally focused on their shared investment in Marxian socialism.⁷ Ronald Stone develops this line of interpretation to defend his view that Tillich should be understood as a “radical political theologian”⁸. Highlighting Tillich’s early essays on “Religious Socialism”, Stone argues that Tillich’s social thought can only be understood if “placed within the social context of the institute [of social research].”⁹ In response to this interpretation, Terrence O’Keeffe contests the view that one can identify a “mutual influence” between Tillich and Adorno. He argues that, despite their shared interest in Marxian social theory, Tillich and the members of the Frankfurt School were in “almost total ignorance of each other’s writings at the scholarly level.”¹⁰ Moreover, O’Keeffe suggests that Tillich’s project was intent on defending the dependency of socialist politics on religion, while Adorno and the other critical theorists had little interest in such matters. O’Keeffe makes the latter point in

 Wilhelm Pauck and Marion Pauck, Paul Tillich. His Life & Thought, vol. , Life (New York: Harper & Row, ), . See Theodor W. Adorno, “Erinnerungen an Paul Tillich”, in: Werk und Wirken Paul Tillichs. Ein Gedenkbuch. Mit der letzten Rede von Paul Tillich und Beiträgen von Theodor W. Adorno […] (Stuttgart: Evangelisches Verlagswerk, ),  – .  Pauck / Pauck, Paul Tillich, .  John W. Murphy, “Paul Tillich and Western Marxism”, American Journal of Theology and Philosophy  (),  – .  Ronald H. Stone, “Tillich: Radical Political Theologian”, Religion in Life  (),  – , here .  Ronald H. Stone, “Tillich’s Use of Marx and Freud in the Social Context of the Frankfurt School”, Union Seminary Quarterly Review  (), .  Terrence O’Keeffe, “Paul Tillich and the Frankfurt School”, Theonomy and Autonomy. Studies in Paul Tillich’s Engagement with Modern Culture, ed. John L. Carey (Macon, GA: Mercer University Press, ),  – , here .

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opposition to Martin Jay’s suggestion that, “one might argue that the strong ethical tone of Critical Theory was a product of the incorporation of the values likely to be espoused in a close-knit Jewish home.”¹¹ In his own interjection into the debate, Guy Hammond offers a helpful correction to O’Keeffe’s dismissal of the Jewish background of most members of the Frankfurt School, noting that the writing of both Adorno and Horkheimer display ongoing interest in religion. Hammond suggests that, “[t]hough it remained true that Tillich was more influenced by the tradition of Christian theology than were the others by Jewish thought, the influence of the ‘prophetic’ tradition upon all of them was considerable.”¹² Furthermore, Hammond argues that there is considerable overlap between the critique of modernity that is developed by both Adorno and Tillich, since both highlight the limits of Enlightenment rationality and warn of the threat of civilization’s decline into barbarism. The difference between Tillich and the Frankfurt School, according to Hammond, is that “Tillich affirmed redemption; Horkheimer and Adorno cannot.”¹³ James Champion makes a similar case for a mutually influential dialogue between Tillich and the Frankfurt School on the basis of their shared interest in what he calls “Prophetic Criticism”. Thus, rather than focusing on the nature of their differing accounts of Marxism, like Hammond, Champion argues that what was of principal concern to Tillich and the members of the Institute was “their common movement beyond rational criticism of culture and society to engage in prophetic critique.”¹⁴ According to this interpretation, Tillich and Adorno mutually influenced each other’s work in the way each drew from the prophetic tradition in the Hebrew Bible to resource their socialist politics and their critique of logical positivism. As Champion describes it, this deployment of the Jewish tradition often remained unacknowledged in the early work of the Frankfurt School, and it remained “a modern, thoroughly secularized version of the Jewish prophetic principle”¹⁵, but it nevertheless represented a significant overlap of interest and approach between their intellectual positions and that of Tillich. Gary Simpson advances Champion’s “mutual-influence” thesis along similar lines. Simpson emphasizes Tillich’s and Adorno’s shared investment in the biblical

 Martin Jay, The Dialectical Imagination (Boston: Little Brown, ), .  Guy B. Hammond, “Tillich and the Frankfurt Debates about Patriarchy and the Family”, Theonomy and Autonomy, op. cit.,  – , here .  Ibid., .  James Champion, “Tillich and the Frankfurt School: Parallels and Differences in Prophetic Criticism”, Soundings  (),  – , here .  Ibid., .

Adorno’s Debt to Paul Tillich?

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prophetic tradition as a resource for criticism, but he challenges Champion’s suggestion that prophetic critique is somehow beyond rational criticism. As Champion presents it, in the thought of Adorno and Horkheimer, the prophetic remains hidden and covert, while it is overtly described and developed in Tillich’s work.¹⁶ The problem, as Simpson understands it, is that Champion presumes that prophetic criticism is totalizing by its very nature, which is to say he assumes that prophetism “entails a total consignment of reason to the status of power”¹⁷. Simpson defends Tillich against such an interpretation, arguing that Tillich’s theological version of prophetic criticism does not jettison rational criticism. Simpson’s appreciative reading of Tillich’s political theology is developed by contrasting it against limitations perceived in the thought of Adorno and the other critical theorists. Simpson highlights in particular some critical remarks Tillich offers in a review of Herbert Marcuse’s work, particularly the former’s insistence that, “[e]ven a critical social theory cannot avoid an ‘ultimate’ in which its criticism is rooted because reason itself is rooted therein.”¹⁸ According to Simpson, Tillich’s theology captures some of the best insights developed in the thought of Adorno and the Frankfurt School (their analyses of the Enlightenment and of logical positivism), while avoiding the limitations that many critics identify in the tradition of critical theory: a lack of any clear ground upon which they articulate their emancipatory criticism. Bryan Wagoner argues that debates over the extent of any mutual influence between Tillich and Adorno are “moot”, for there is insufficient engagement between each other’s published writing to permit any firm conclusions.¹⁹ Like Simpson, however, Wagoner suggests that both Tillich and Adorno offer similar interpretations of “diseased modernity”, and that Adorno’s critical theory and Tillich’s religious socialism represent two complementary theories of emancipation. Moreover, Wagoner highlights their common interest in the prophetic tradition. Following Simpson, he also argues that Tillich’s theology is more alert to the need for a foundational ground for emancipatory critique than is the critical theory of the Frankfurt School. According to Wagoner, Adorno’s reticence over

 Gary M. Simpson, Critical Social Theory. Prophetic Reason, Civil Society, and Christian Imagination (Minneapolis: Fortress Press, ), .  Ibid., .  Ibid., . These remarks are found in Paul Tillich’s Review of “Marcuse, Herbert, Reason and Revolution. Hegel and the Rise of Social Theory”, Studies in Philosophy and Social Science  (),  – .  Bryan Lee Wagoner, The Subject of Emancipation: Critique, Reason and Religion in the Thought of Theodor W. Adorno, Max Horkheimer and Paul Tillich (unpublished PhD dissertation, Harvard University, ), .

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articulating any normative grounds for engaged political action leaves critical theory without an adequately theorized subject, and threatens to leave philosophy in despair.²⁰ In contrast to this limitation in Adorno’s thought, Wagoner suggests that Tillich’s position develops the view that only a critical social theory “fully aware of its ‘depth dimension’ and an ‘ultimate’ as its source and norm could overcome the oppression characteristic of modernity.”²¹ From Adorno’s perspective, however, any such demand for normative foundations is based only on wishful thinking. He argues that philosophy, “does not contain answers to everything; it reacts to the world, which is faulty to the core.”²² In this sense, Adorno’s critical theory is grounded only on a protest against what ought not to be. Thus his approach to the biblical prophetic tradition is distinct from Tillich’s own, which includes a concern with the source of this prophetic stance. Adorno himself, therefore, would reject the premises that these interpreters of Tillich draw upon to distinguish the latter’s position from his own.

2 Late Interaction: on Parataxical Theology Wagoner’s suggestion that the “mutual influence” interpretation of the relationship between Tillich and Adorno is “moot” is based on the impression he shares with O’Keeffe, which is that both were largely ignorant of each other’s writing. With only a few exceptions, for much of their careers, this appears to be the case. Two points should be considered, however, which limit the assumption that this fact permits the conclusion that the two thinkers do not significantly influence each other. First, there remains some anecdotal evidence that Adorno in particular found Tillich’s work helpful for the formulation of his own thought. For example, Rolf Wiggershaus notes, somewhat obscurely, that “Tillich’s arrival was the opportunity for Adorno to bring the theologically inspired materialism of his friends [chiefly Walter Benjamin, but also Ernst Bloch and Arnold Schönberg] to bear, not just on music, but on philosophy as well, and to make the academic world accessible to it.”²³ Although Wiggershaus does not elaborate on this point, he signals here that, for Adorno, Tillich’s thought did not merely represent a cu-

 See ibid., .  Ibid., .  Theodor W. Adorno, Negative Dialectics, trans. E.B. Ashton (New York: Continuum,  []), .  Wiggershaus, The Frankfurt School, .

Adorno’s Debt to Paul Tillich?

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rious but largely unhelpful approach to philosophy and politics that he had little interest in engaging with. Moreover, Rolf Tiedemann has reported that Adorno asked for a copy of Tillich’s third volume of Systematic Theology while he was writing the last section of Negative Dialectics. ²⁴ This alone provides some reason to think that there may well have been more awareness between Tillich and Adorno of each other’s writings than is generally presumed. There is little direct evidence that Tillich and Adorno read each other’s work regularly after their mutual departure from Frankfurt in 1934. Wagoner analyses Adorno’s unpublished criticism of Tillich’s essay, “Man and Society in Religious Socialism”, but he notes that nowhere else does Adorno directly engage other works by Tillich.²⁵ There is some indication, however, that this began to change near the end of Tillich’s life. In three letters preserved in the Adorno Archiv from 1964 and 1965, Tillich and Adorno exchange comments on each other’s work, and ask for copies of specific books they are interested in.²⁶ Tillich mentions being aware of Adorno’s Hegel: Three Studies, while Adorno reports that he has read Tillich’s Courage to Be. Whether this is a new development in their relationship or not remains unclear, but a conversation begins in these letters regarding Adorno’s interpretation of Hölderlin and Tillich’s third volume of Systematic Theology. When this dialogue is cut short by Tillich’s death on 22 October 1965, Adorno writes to Tillich’s widow, Hannah (on October 25 and December 16), asking desperately whether Tillich had read the most recent work he had sent him, and, if so, whether he had offered any opinions about it before he died. This suggests that Adorno valued these discussions, and thought them significant for the ongoing development of his own work. One of these letters in particular offers some substantive indication of the nature of this mutual engagement. In an undated correspondence to Adorno (likely sometime in August or September 1964),²⁷ Tillich mentions that he has read the for-

 Theodor W. Adorno, Lectures on Metaphysics. Concept and Problems, ed. Rolf Tiedemann, trans. Edmund Jephcott (Stanford, CA: Stanford University Press, ), .  Paul Tillich, “Man and Society in Religious Socialism” (), in: MW III,  – , here . Adorno’s criticism is published in Theodor W. Adorno, “Contra Paulum”, in: Theodor W. Adorno and Max Horkheimer, Briefwechsel  – , vol. ,  – , ed. Christoph Gödde and Henri Lonitz (Frankfurt: Suhrkamp, ),  – . For an English translation, see Waggoner, Subject of Emancipation,  – .  Theodor W. Adorno Archiv, Frankfurt am Main (also available at the Walter Benjamin Archiv, Berlin): Letter from Paul Tillich to Adorno (undated, likely September ); Letter from Adorno to Paul Tillich (October , ); Letter from Paul Tillich to Adorno (November , ). Quotations from these letters are my own translation.  It is difficult to establish the precise dates of these letters. Rolf Tiedemann identifies  as the year the first letter was sent to Theodor W. Adorno, Metaphysics. Concepts and Problems, trans.

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mer’s essay entitled “Parataxis”.²⁸ Although he admits that he may not have “not understood everything”, he reports that the essay reminds him of “our old debates”²⁹. Tillich highlights in particular the following sentence from the essay, “The relation of his [Hölderlin’s] poetry to theology is the relation to an ideal; the poetry is not a surrogate for theology.”³⁰ Tillich then asks: “Is that also true for a theology that seeks to be ‘parataxical’?” He adds that, in his own reading of Hölderlin, “everything is theology”. This curious reference to parataxical theology will be revisited below, but to assist in explicating the concept, it is helpful first to consider the wider context in which this remark is made. Tillich’s letter concludes by querying Adorno’s view of recent developments in Christian theology, particularly the re-emergence of the concept of the “Word of God”. Tillich asks, “What do you think about the new phrase in theology which – following Heidegger and Bultmann’s philosophy of language – replaces all ontology with the ‘word of God’? I ask, What is it? No one answers. With Heidegger they let language be as the ‘house of being’, but without any ‘being’ in the house!”³¹ Adorno responds directly to this question in a letter on October 9, 1964: The word-of-God theology in the sense you refer to, which, by the way, has been prepared by Heidegger since his ‘turning point’, I reject no less than you do. The mystical conception of language of which it is so reminiscent has meaning only in the context of a positive theology. Otherwise the philosophy of language becomes something like a fetishism of language. What is the word of God supposed to mean without God? No, that won’t do, and not only will it finally lead to a resurrection of the liberal-secular moralization of theology,

Edmund Jephcott, ed. Rolf Tiedemann (Stanford, CA: Stanford University Press, ),  (note ). However, he suggests the letter was sent in October  in Theodor W. Adorno, Can One Live after Auschwitz? A Philosophical Reader, trans. Rodney Livingstone, ed. Rolf Tiedemann (Stanford, CA: Stanford University Press, ), pp.  f. While this discrepancy leaves the question of dating unresolved, my notes from the archive identify  as the dates (the first letter is undated, but filed at the archive prior to the first two). Moreover, the third letter, dated  November, clearly must follow the previous two, since Tillich replies to Adorno’s request for a copy of STE III, and Tillich responds to Adorno’s mention of his essay “Why still Philosophy” (see note  below). This letter cannot be from , since Tillich died in October of that year.  Theodor W. Adorno, “Parataxis: On Hölderlin’s Late Poetry”, Notes to Literature, vol. , trans. Shierry Weber Nicholsen (New York: Columbia University Press, ),  – .  Letter from Paul Tillich to Adorno (undated, likely September ), Theodor W. Adorno Archiv, Frankfurt am Main (also available at the Walter Benjamin Archiv, Berlin).  Adorno, “Parataxis: On Hölderlin’s Late Poetry”, . In the letter, “Nur als zum Ideal verhält seine Dichtung sich zur Theologie, surrogiert sie nicht”. Theodor W. Adorno, “Parataxis. Zur späten Lyrik Hölderlins”, in his Gesammelte Schriften, vol. , Noten zur Literatur, ed. by Rolf Tiedemann (Frankfurt: Suhrkamp, ),  – , here .  Theodor W. Adorno Archiv, Paul Tillich to Adorno. Partially quoted in: Adorno, Metaphysics,  (italics in original).

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but these theologians will make common cause with the logical positivists, for whom language has a very similar function, namely to replace the subject.³²

These remarks show not only that Adorno and Tillich discussed theological issues with each other, but more significantly, that they shared some similar basic inclinations. Both question the theory of language behind the concept of the “Word of God” as employed by Karl Barth, for the way in which they perceive it as being deployed as an alternative to ontology and metaphysics, and they question more recent deployments of the concept for the way in which they think it effaces human history and subjectivity. Tillich had engaged critically with Barth since early in his career. He notes with appreciation that Barth’s emphasis on a clear distinction between divine revelation and human culture helped to rescue Protestantism in the face of Nazi ideology. Yet Tillich also denies that Barth’s theology can be described as properly “dialectical”. Instead, in his view, Barth’s early work is merely “paradoxical”, while his mature work is “supernaturalistic”. Tillich summarizes the difference between Barth and himself as follows: “Barth starts from above, from the trinity, from the revelation which is given, and then proceeds to man. […] Whereas […] I start with man, not deriving the divine answer from man, but starting with the question which is present in man and to which the divine revelation comes as the answer.”³³ Like Tillich, Adorno occasionally contrasts his understanding of theology to that of Barth. He considers the “Wholly Other” God described in Barth’s Epistle to the Romans as a concept that “effectively demonizes the absolute” and “turns God into an abyss.”³⁴ At the same time, like Tillich, Adorno also appreciates the extent to which Barth’s theology at least intends to distinguish the truth it seeks after from contemporary norms and presuppositions. As Adorno writes, “[t]he theology of crisis […] detected the fateful intertwinement of metaphysics and culture”, even though he concludes that the theological protest it presented is “abstract[]” and “impotent[]”³⁵. Elsewhere, Adorno associates Barth’s thought with limitations similar to those he finds in Kierkegaard’s work, namely, the insistence “with great feeling

 Theodor W. Adorno Archiv, Adorno to Paul Tillich (October , ). Quoted in: Adorno, Metaphysics, .  Paul Tillich, Perspectives on th and th Century Protestant Theology, ed. Carl E. Braaten (London: SCM Press, ), .  Adorno, Metaphysics, .  Ibid.

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on placing the categories of theology in extreme opposition to knowledge” and the emphasis on “paradoxical concepts of faith.”³⁶ This exchange demonstrates that some shared presuppositions regarding the nature of theology existed between Adorno and Tillich. But what Tillich is primarily picking up on in Adorno’s “Parataxis” essay is his criticism of Heidegger, since the first half of the article is largely devoted to challenging Heidegger’s reading of Hölderlin.³⁷ Before turning to this essay itself, it is instructive to first briefly summarize another essay that Adorno urges Tillich to read in his letter of October 9, which he thinks will help the theologian to understand his concept of parataxis. In “Why Still Philosophy”, Adorno argues that, after Auschwitz, “Philosophy has to protect itself from the chatter of culture and the abracadabra of worldviews. […] Yet a philosophy forswearing all of that must in the end be irreconcilably at odds with the dominant consciousness. Nothing else raises it above the suspicion of apologetics.”³⁸ He adds that such a stance requires a less systematic and more humble approach to making philosophical claims; “[a]fter everything, the only responsible philosophy is one that no longer imagines it had the Absolute at its command; indeed philosophy must forbid the thought of it in order not to betray that thought, and at the same time it must not bargain away anything of the emphatic concept of truth.”³⁹ Setting out this basic approach, Adorno turns to a criticism of Heidegger’s post-war writing, suggesting that the aversion to ontology in the latter’s thought ends up making philosophical speculation the object of its attack.⁴⁰ The result of Heidegger’s emphasis on truth as appearance (in the sense of having been received in occidental history) is such that “philology becomes a philosophical au-

 Theodor W. Adorno, Kant’s Critique of Pure Reason, ed. Rolf Tiedemann, trans. Rodney Livingstone (Stanford, CA: Stanford University Press, ), .  Adorno first delivered the paper to the Hölderlin Society in . It caused considerable controversy, and led Heidegger himself to withdraw his membership from the society. See Robert Ian Savage, Hölderlin After the Catastrophe. Heidegger, Adorno, Brecht (Rochester, NY: Camden, ), .  Theodor W. Adorno, “Why still Philosophy”, in: Critical Models. Interventions and Catchwords, trans. Henry W. Pickford (New York: Columbia University Press, ), .  Ibid., .  This account must leave aside consideration of debates over the relationship between Adorno’s thought and that of Heidegger, and the extent to which the former’s polemical writing against the latter masks significant similarities in their philosophies. See Iain Macdonald and Krzysztof Ziarek (ed.), Adorno and Heidegger. Philosophical Questions (Stanford, CA: Stanford University Press, ).

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thority.”⁴¹ By presenting Being as “pure self-presentation to passive consciousness” in an immediate fashion, Heidegger’s later thought suggests an immediacy of knowledge, such that “thinking loses its element of independence”. In other words, as the quote above warns, Heidegger “bargains away” any “emphatic concept of truth.”⁴² By way of contrast, Adorno describes philosophy’s ongoing relevance in terms of its critical stance. Through critical self-reflexivity, and by challenging the dominant assumptions and conventions of contemporary life, philosophy might “provide a refuge for freedom.”⁴³ This requires a form of dialectical reflection that focuses on uncovering how what initially appears to be immediate is mediated. Adorno writes, “[a] thinking that approaches its objects openly, rigorously, and on the basis of progressive knowledge, is also free towards objects in the sense that it refuses to have rules prescribed to it by organized knowledge. […] [It] rends the veil with which society conceals them, and perceives them anew.”⁴⁴ This perspective informs the complex analysis that Adorno employs in his “Parataxis” essay. The term “parataxis” refers to a literary form in which short statements are linked by coordinating rather than subordinating conjunctions. The technique is often deployed in poetry, when different fragmentary statements or images are placed beside each other, while leaving the connection between them open to the reader to interpret. Adorno’s article focuses on how Hölderlin employs this technique. Adorno challenges metaphysical interpretations of Hölderlin’s late hymns, initially in reaction to the way in which such readings were adopted by National Socialist ideology. Adorno focuses his criticism on what he calls philological approaches to the poems, which claim to uncover the poet’s true intentions, but fail to acknowledge their own hidden philosophical commitments. He argues that Heidegger’s reading reduces poetry to the making of assertions, which reduces the utopian elements of Hölderlin’s vision to, as David Krell suggests, “something alltoo familiar.”⁴⁵ According to Adorno, this domestication of these poems allows Heidegger to keep his own presuppositions in place.⁴⁶

 Adorno, “Why Still Philosophy”, .  Ibid. Brief consideration of Adorno’s emphatic concept of truth will be offered below. For further discussion of this concept, see Deborah Cook (ed.), Theodor Adorno. Key Concepts (Stocksfield: Acumen, ).  Adorno, “Why Still Philosophy”, .  Ibid., .  David Farrell Krell, “Twelve Anacoluthic Theses on Adorno’s ‘Parataxis: On Hölderlin’s Late Poetry”, in: Language Without Soil. Adorno and Late Philosophical Modernity, ed. Gerhard Richter (New York: Fordham University Press, ),  – , here .

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To counter this tendency, Adorno highlights the difference between naming and meaning. This distinction, he argues, is brought into view by the way Hölderlin’s poems highlight and name concrete persons and places, rather than simply employing them as symbols. Moreover, according to Adorno, the very form of the poetry enforces an estrangement from immediate comprehension or affirmation. As such, the form of Hölderlin’s poetry enacts a certain kind of “hiatus” of meaning. It interrupts claims to immediate and direct comprehension. It is at this point that Adorno employs the term “parataxis” to describe the way in which this poetry gives little regard to grammatical ordering, with the result that every word and phrase is given equal weight: “Set free, language appears paratactically disordered when judged in terms of subjective intention.”⁴⁷ In Adorno’s reading, this dimension of Hölderlin’s work resists the drive to control and master interpretation, thus inviting a utopian opening up of thought and experience. When Hölderlin writes, for example, “[n]ames are as the morning breeze / Ever since Christ. Become dreams”, Adorno suggests that the poet is distancing himself from subjective expression, while opening up to the reader possible correspondences and resonance.⁴⁸ He notes that, according to the poet, the “word [purpose (Zweck)] names the complicity between the logic of an ordering and manipulating consciousness and the practical, which […] in Hölderlin’s line, is from now on no longer reconcilable with the holy”. In such a way, “the poetic movement unsettles the category of meaning”, and reveals the way in which the poet “attempted to rescue language from conformity”⁴⁹. Jay Bernstein suggests that Adorno is interested in paratactic orderings because of how they “aim to present or express their objects, and in that way to let the objects be present to thought without implying that the meaning of the object reductively derives from though about it, from a theory which would explain all.”⁵⁰ This understanding informs Adorno’s reference to Hölderlin’s “theology”. He relates this idea to what he understands to be the poet’s “intentionless language”, something he compares to Samuel Beckett’s attempt to articulate sentences “empty of meaning”.⁵¹

 Heidegger lectured on Hölderlin’s late work in the summer of . See, for example, Martin Heidegger, Gesamtausgabe, vol. , Erläuterungen zu Hölderlins Dichtung ( – ), ed. Friedrich-Wilhelm von Herrmann (Frankfurt am Main: Vittorio Klostermann, ).  Adorno, “Parataxis: On Hölderlin’s Late Poetry”, .  Ibid., .  Ibid.,  f.  Jay M. Bernstein, Adorno. Disenchantment and Ethics (Cambridge: Cambridge University Press, ), .  Adorno, “Parataxis: On Hölderlin’s Late Poetry”, .

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In his letter to Adorno, Tillich appears both intrigued by this deployment of the concept of theology, but also concerned. The essay leads him to ask whether Adorno thinks theology itself can be parataxical, and whether Hölderlin’s poetry might be thoroughly theological for the way in which it raises the question of the meaning of life and points towards answers through the deployment of symbols that call for interpretation. In this regard, he recommends Adorno read the third volume of his Systematic Theology, particularly for the way it treats the doctrine of eschatology. Adorno responds to Tillich’s letter with enthusiasm and appreciation, and urges him to send him a copy of the recommended volume. He adds that he considers the question that Tillich has asked of him to be philosophically and theologically significant, and notes that “[w]e are in accord that the borders between theology and philosophy are more to do with the bourgeois scientific division of labor than with any division between immanence and transcendence.”⁵² Tillich clearly understands Adorno’s reflection in these articles to be eschatological in nature. As he writes in his Systematic Theology, for him, “[e]schatology deals with the relation of the temporal to the eternal”⁵³. In order to discuss this dimension of the ultimate meaning of life, he continues, one must make reference to a tradition of some kind, to some form of symbolic cultural form, since by necessity all attempts to describe an experience relies on such forms in order to be expressed. Tillich emphasizes the concept of freedom in particular as a form of self-transcendence requiring such symbolization.⁵⁴ Although a full discussion of Tillich’s eschatology is not possible here, highlighting a few elements of this dimension of his thought does bring into view how some of Adorno’s primary concerns resonate with Tillich’s basic approach and motivations. To describe the relationship between history and the eternal, and between the immanent and the transcendent, Tillich employs the term “theonomy”. Theonomy refers to the “self-transcendence of culture”⁵⁵. It describes a phenomenon distinct from heteronomy (whether rationalistic or political), as well as from autonomy, which can be defeated or might collide with the autonomy of others. For a “theonomous” or “Spirit-directed” culture “turns humanistic indefiniteness about the ‘where-to’ into a direction that transcends every particular human aim.”⁵⁶ For Tillich, all things might be so “consecrated”, although the theono-

    

Letter of Adorno to Tillich, October , . STE III, . Ibid.,  f. Ibid., . Ibid., .

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mous is always experienced as something fragmentary due to ongoing estrangement within human history.⁵⁷ One observes at this point some resonance between Tillich’s description of theonomous language as “fragmentarily liberated from the bondage to the subject-object scheme”⁵⁸, and Adorno’s description of parataxis. It resists being reduced to subjective control. When Tillich employs the symbol of the “Word of God”, therefore, it is clearly distinct from the understanding of that same concept by those criticized by himself and Adorno in their letters. For Tillich, the “Word of God” takes the form of “the Spirit-determined human word”. It is not limited to a single revelatory event, or bound to a single tradition. Rather than describing an object that is somehow in opposition to the subject, “it witnesses to the sublimity of life beyond subject and object” and “gives voice to what transcends”⁵⁹ this structure. Granted, Tillich remains committed to systematicity in theology in a way that Adorno’s resistance to systems challenges, so theonomy and parataxis cannot simply be equated. Moreover, despite Tiedemann’s recollection that Adorno consulted this material while writing the last section of Negative Dialectics, it is impossible to identify conclusively what precisely he draws from Tillich’s thought. Adorno does not engage Tillich’s work directly in the text. Any discussion of the influence of Adorno’s reading of Systematic Theology in his section entitled “Meditations on Metaphysics” can thus only be speculative. That said, a reader of Tillich’s volume will note some common emphases, not least the aforementioned concern with giving voice to what transcends the domination of the object by the subject. Negative Dialectics develops the concern to shun philosophical systems that is found in Adorno’s previous work, and focuses on an approach to philosophy that “is obliged ruthlessly to criticize itself.”⁶⁰ The complex text resists brief summary, but it is safe to suggest that a central concern of the argument is to defend and preserve an awareness of the “non-identity” of the object of rational thought. According to Adorno, what thought seeks to name, classify, and fit into a coherent system eludes the controlling grasp of the thinking subject, but this problem is generally suppressed by the thinking subject’s drive to categorize the object of thought into a coherent system.

   

See ibid. Ibid., . Ibid,  f. Adorno, Negative Dialectics, .

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The final section of the book reflects on the possibility of metaphysics after Auschwitz. Adorno notes that such events have paralyzed “[o]ur metaphysical faculty”⁶¹, so that anything seeming to evoke a clear transcendent meaning from the immanence of human suffering is impossible. But he is not content to abandon metaphysics, for such resignation ideologically affirms the very negativity that drove the processes of the Final Solution. Adorno suggests that a philosophy that imprisons itself in immanence (he is thinking of Kant here) “brutally condemns the mind […] [to] imprisonment in self-preservation”⁶². In other words, such a stance reaffirms the dominating self-referentiality of “identity thinking”, thus fuelling the same domination of the object by the subject that encourages historical violence and the oppression of other human beings. It is such considerations that lead Adorno to explore the possible recovery of a sense of “metaphysical experience”. This is resourced, he suggests, by attending to “the negation of the finite which finiteness requires.”⁶³ As was the case in Tillich’s writing on eschatology, one of the places Adorno focuses on as illuminating experiences that transcend present social conditions is the concept of freedom. He writes, “[a]s soon as the mind calls its chains by name […] it grows independent here and now. It begins to anticipate, and what it anticipates is freedom”⁶⁴. To be clear, this is not the same argument as that of Tillich. Adorno’s thought is not invested in a concept resembling an “ultimate concern”, nor does he think that the relationship between subject and object can be fully reconciled. Nevertheless, convinced of the irrationality of the status quo (for what could be “rational” about genocide or societies that erode themselves by continuously oppressing their citizens), Adorno concludes, “[w]hat is must be changeable if it is not to be all.”⁶⁵ While Tillich affirms the eventual redemption of “old being” (present life) through its transformation into the New Being, symbolized by concepts like the resurrection and the Kingdom of God,⁶⁶ Adorno limits any possible grasp of transcendence to brief fleeting glimpses of non-identity that emerge out of the criticism of existing “damaged life”. Wagoner argues that this distinction is due to the fact that Adorno emphasizes emphatic concepts like freedom to preserve the autonomy of non-identity, while Tillich focuses on a theonomy, which is alert to

     

Ibid., . Ibid., . Ibid., . Ibid., . Ibid., . STE III, .

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the ground of the possibility of freedom.⁶⁷ The lack of foundation for Adorno’s emancipatory critique is indeed a significant problem (which has received considerable critical attention),⁶⁸ but Adorno’s aversion to offering such a grounding is based on his view that no such foundation is possible. Moreover, as Wagoner also notes, Adorno might well ask Tillich how one can know that one’s own ultimate concern is not simply another myth created by the self-confident subject.⁶⁹ The debate over possible grounds for emancipatory criticism is, however, beyond the scope of the discussion in this chapter. What is noteworthy here is how Tillich’s treatment of eschatology in his Systematic Theology resonates with Adorno’s account of metaphysical experience and the concept of theology. Tillich argues that all eschatological symbolism suggests that, “[p]ast and future meet in the present, and both are included in the eternal ‘now.’ But they are not swallowed up by the present”⁷⁰. He continues by suggesting that it is the task of theology to analyze this reality, to explore how it is that “the eschaton becomes a matter of present experience without losing its futuristic dimension”⁷¹. Adorno’s desire to break open the ideological hold over present experience, through attention to the past sufferings of the object, as well as to yet unrealized future possibilities, follows this basic pattern described by Tillich. Moreover, for Adorno, just as Hölderlin’s parataxical poetry seeks to rescue language from conformity to existing conventions, the metaphysical experience that theology tries to articulate is one which seeks to uncover the possibility of human freedom and illuminate alternatives to present suffering caused by the oppressive domination of existing social conditions. In this sense, his critical philosophy can be described as having an eschatological interest. It is clear that Adorno’s version of theology is a weaker, more constrained, understanding than that of Tillich. Adorno describes theology in terms of brief glimpses of interruption in the syntax of Hölderlin’s poetry, but Tillich understands the whole of the poet’s vision as potentially theological. While Adorno thinks that anyone who “nail[s] down transcendence” is guilty of “a betrayal of transcendence”, he also suggests that the denial of the possibility of redemption renders the concept of “the human spirit”⁷² illusory, and with it, concepts of freedom, justice, love. Tillich might argue that this position implies an appreci-

 Wagoner, The Subject of Emancipation, .  For a prominent articulation of such criticism, see: Jürgen Habermas, Philosophical Discourse of Modernity, trans. Frederick G. Lawrence (Cambridge, MA: MIT Press, ),  – .  Wagoner, The Subject of Emancipation, .  STE III, .  Ibid., .  Adorno, Negative Dialectics, .

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ation of what he means by “ultimate concern”. For Adorno, however, such a conclusion is a step too far. Evoking the Jewish ban on images of the divine (Bilderverbot), he argues that it is only by maintaining a consistently negative stance towards the limitations of present social life (a “negative dialectics”) that one can avoid the tempting propensity towards identity thinking. For him, naming something as divine is to claim possession of it; locating the source of transcendence is to domesticate it. He concludes, this “is why one who believes in God cannot believe in God”⁷³. For Adorno, the divine is not something that can be possessed, identified, relied upon, or expected. There is thus a sense in which Adorno’s parataxical theology is more radical than Tillich’s, given how the former refuses to rest his theological vision within the foundational system of the Christian tradition. His ban on images stops short of the promise that ultimately lies behind Tillich’s affirmation of Christian symbols. He is unable to conclude that the possibility of transcending the immanent is ultimately grounded in the theonomous promise that human action is “Spiritled”. Nevertheless, the basic approach Adorno takes towards the hidden possibilities immanently contained in human history, and his emphasis on the fragmentary nature of theology and its grasp of the transcendent, share obvious affinities to Tillich’s theological project. One might describe Adorno as sharing a similar theological approach to human society and culture, while resisting Tillich’s own sense that Christian theology is able to symbolize and describe these phenomena.⁷⁴ This final step, in Adorno’s view, risks imposing order on what can only remain elusive. Metaphorically speaking, there is a sense in which Tillich’s theonomy restores the structure of grammar to what otherwise remains for Adorno the parataxis of broken human experience. In that sense, Adorno thinks that even the radicality of Tillich’s theology still intends to rescue theology. It is that intent, according to Adorno, which risks rendering theology a tool of the controlling subject. For this reason, he insists that, to defend the concept of God, one must deny God. Critical thought, according to Adorno, “will have to cease being apologetic and pointing to something one can hold onto and never lose”⁷⁵. Granted, Tillich’s commitment to critical self-reflexivity, and the challenge his understanding of theonomy poses to individual autonomy, approximate Adorno’s position (indeed, one continues to wonder how influential Tillich was in shaping Adorno’s thought). But, in the end, it is Tillich’s ongoing

 Ibid., .  Elsewhere I suggest that Adorno inverts Tillich’s notion of correlation, see Christopher Craig Brittain, Adorno and Theology (London: T&T Clark, ),  – .  Adorno, Metaphysics, .

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commitment to a degree of apologetics (minimal though it might be) that marks a significant difference between their respective approaches. Despite the significant theological differences between Tillich and Adorno, this chapter has demonstrated that both thinkers also share much in common. As the discussion of the debates over the “mutual influence” theory of the relationship between Adorno and Tillich illustrate, both men drew from similar sources to develop their individual positions. Moreover, it is clear that these mutual interests were not only present during their shared period at the University of Frankfurt, and there is even evidence that their engagement with one another’s work began to be even more direct shortly before Tillich’s death. Although this interaction was cut short, one can discern some intriguing similarities between Adorno’s approach to theology and that of Tillich. Both thinkers define their understanding of theology in opposition to Karl Barth and to later appropriations of Heidegger, as well as all forms of theological and philosophical positivism. Both explore the interconnection between transcendence and immanence, and seek to disrupt the dominance of the thinking subject over the object of theology. That Adorno’s parataxical approach to theology is not prepared to advance to the point of Tillich’s apologetic affirmation of theonomy is not a sign that the two colleagues had little in common. Rather, both are clearly of one mind regarding the limitations of the concept of transcendence that is associated with traditional understandings of theism. God is not an object for either Tillich or Adorno. But whereas Tillich argues that God is indeed the ground of being, Adorno invokes a radical version of the Bilderverbot, as if to invert Heidegger’s famous line⁷⁶ and claim, “[o]nly the denial of God can save us now” (because only such a denial makes possible the experience of God). While this inversion is a theological vision that goes beyond what Tillich thought appropriate or advisable, it is also one that owes much to Tillich’s radical theology.

 Martin Heidegger, “Only a God Can Save us Now. An Interview with Martin Heidegger”, trans. David Schendler, Graduate Faculty Philosophy Journal  (),  – .

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Spuren des Dialogs mit Martin Buber in Paul Tillichs Reflexionen über Judentum und „Judenfrage“ 1 Vorausblende – Tillichs Nachruf auf Martin Buber 1965 Ob Martin Buber unter den Zuhörern saß, als Paul Tillich im Juni 1929 in Frankfurt seine akademische Antrittsvorlesung über „Philosophie und Schicksal“ hielt, ist nicht überliefert, aber doch sehr wahrscheinlich. Sicher ist allerdings, dass der protestantische Theologe in den kurzen Jahren seiner Wirksamkeit an der jungen Frankfurter Universität in dem jüdischen Gelehrten einen Kollegen hatte, mit dem ihn philosophisch wie theologisch Vieles verband. Buber hatte zu diesem Zeitpunkt bereits seit fünf Jahren als Dozent für „jüdische Religionswissenschaften und Ethik“ gewirkt – der erste jüdische Gelehrte in Deutschland überhaupt seit dem Entstehen der Wissenschaft des Judentums im 19. Jahrhundert, der an einer deutschen Universität offiziell dieses Fach vertrat.¹ Ein Jahr später wurde er zum Honorarprofessor für Religionswissenschaft an der Philosophischen Fakultät ernannt und verlegte den Schwerpunkt seiner Lehre nunmehr auf Themen, die auch Tillich nahe lagen, darunter die Mystik als geschichtliche Erscheinung oder Probleme der Religionssoziologie. Jüdische Themen thematisierte er fortan vor allem außerhalb der Universität, in Vorträgen, in seiner Arbeit mit Franz Rosenzweig an der „Verdeutschung der Schrift“, aber auch in den öffentlichen Debatten, in die er in den Jahren vor der Nazi-Zeit hineingezogen wurde. In welchem Maße Buber und Tillich in den wenigen Jahren, bevor sie gleich zu Beginn des Jahres 1933 Opfer der antisemitischen und politischen Ausgrenzung wurden und ihre Professuren verloren, miteinander über das Zeitgeschehen und auch über religiöse und philosophische Themen im Gespräch standen, ist nicht genau zu rekonstruieren. Sie bewegten sich jedoch in ähnlichen intellektuellen Kreisen und befassten sich zu dieser Zeit mit Themen, die

 Vgl. Martin Buber, „Nur ein Lehrauftrag. Zur Geschichte der jüdischen Religionswissenschaft an der deutschen Universität“, in: Ders., Das Reich Gottes und der Menschen. Studien über das Verhältnis der christlichen Theologie zum Judentum (München: Chr. Kaiser, ),  – . Zur Wirksamkeit Bubers und Tillichs an der Frankfurter Universität vgl. Dieter Stoodt (Hg.), Martin Buber – Erich Förster – Paul Tillich. Evangelische Theologie und Religionsphilosophie an der Universität Frankfurt a.M.  bis  (Frankfurt am Main et al.: Lang, ).

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sie auch nach der dramatischen existentiellen wie intellektuellen Zäsur, die Verfolgung, Emigration und die Konfrontation mit den Geschehnissen in Europa vor 1945 für beide bedeutete, weiter beschäftigten und miteinander verbanden. Ein Zeugnis ihrer Begegnung in Frankfurt findet sich im Nachlass Martin Bubers im Archiv der Jewish National Library in Jerusalem: ein fragmentarischer Auszug – teils Typoskript, teils in Bubers Handschrift überliefert – eines Frankfurter Rundfunkgesprächs aus dem Jahre 1932 über „Religion und Gemeinschaft“ zwischen Buber, Tillich und dem Gießener katholischen Moraltheologen und Sozialethiker Theodor Steinbüchel. Aus den Aufzeichnungen, die fast ausschließlich die Stimme Bubers wiedergeben, ist ersichtlich, dass es in dem Gespräch um unterschiedliche Aspekte – menschlicher, sozialer, staatlicher – Gemeinschaft ging, um das Verhältnis des Profanen zum Sakralen, insbesondere der Religion zur Gesellschaft. In seiner Eröffnung des Rundfunkdialogs entfaltete Buber die Sicht des Judentums auf diese Fragen und akzentuierte dabei die Untrennbarkeit von menschlicher Gemeinschaft und Begegnung mit dem Göttlichen. Die innere Entwicklung des Judentums von der Prophetie bis zum Chassidismus zeige, dass Religion, sofern sie nicht bloß eine Ansammlung menschlicher Gefühle und Vorstellungen sei, sondern „Leben im Angesicht Gottes“, vollkommen unverträglich sei mit einem Zustand, in dem „nicht nur Raum und Zeit des Menschen, sondern auch seine Substanz selber“ aufgeteilt sei zwischen „Erhebungen, in denen man sich der Macht des Himmels präsentiert“, und dem Leben des Alltags, der genau dieser Macht entzogen sei. „Das auf den Ursinn Gerichtetsein“ gewinne erst dadurch an Wirklichkeit, „daß es sich in der Vollständigkeit der gelebten privaten und öffentlichen Existenz auswirken will und nichts ihm grundsätzlich Entzogenes duldet.“ Eine „behütete heilige Vergesellschaftung“ gehe dieser Ausrichtung auf das Göttliche ebenso gegen den Sinn wie „eine preisgegebene unheilige“. In der Zeit zwischen Schöpfung und Erlösung, so Buber in seinen kurzen Bemerkungen, sei die Menschheit auf Gemeinschaft angelegt, von Gott dazu geschaffen, dass sie „sich zu seinem Reich, d. h. zur Gemeinschaft ihrer Wesen in der Gemeinschaft mit ihm vollende“. Die messianische Vollendung könne daher nicht ohne die Mitwirkung des Menschlichen – auch in seiner ganzen Profanität – geschehen, so wie auch das Leben in der Welt mit all seinen Gegensätzen und Konflikten nicht anders als „in dem gemeinsamen Blick auf das Kommende“ verstanden werden könne. Zu diesem Bewusstsein zu erziehen, sei die Aufgabe der Religionen, schlussfolgerte Buber, nicht ohne darauf hinzuweisen, dass dies einzig und allein in der Pluralität differenter Traditionen geschehen könne, in Unterscheidung und Zusammenwirken. Die abschließende Passage seiner Eröffnung spricht dabei einen Aspekt an, der, wie in diesem Essay gezeigt werden soll, eine gemeinsame Grundlage für das lebenslange Gespräch zwischen dem jüdischen und dem protestantischen Gelehrten werden sollte:

Spuren des Dialogs mit Martin Buber

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Ich sage eben: der Religionen. Auch wir, auch unsere Bekenntnisse sind getrennt.Wir sind in verschiedene Pflicht genommen und haben ihre Verschiedenheit auszuhalten. Aber da wo wir stehen, an diesen unseren Standorten, stehen wir in der gemeinsamen Erwartung: daß Gott, der uns in die Exile der Konfessionen geschickt hat, uns daraus befreie in das Eine Reich. Und wir alle Menschen der Religion zusammen stehen in einer gemeinsamen Erwartung mit aller heimlichen namenlosen Gläubigkeit der Profanität: daß Gott die Weltmauer zwischen Religion und Profanität niederlege in die Eine Gemeinschaft mit Ihm.²

Die gemeinsamen Jahre in Frankfurt bedeuteten für Paul Tillich und Martin Buber eine kurze Phase einer intellektuellen Weggemeinschaft und persönlichen Freundschaft, die bis ins gemeinsame Todesjahr 1965 währte. Das eindrucksvollste Dokument ihrer menschlichen und geistigen Beziehung, die Krieg,Völkermord und ihr jeweiliges Emigrationsschicksal überdauerte, ist die kurze Gedenkrede, in der Tillich 1965 – wenige Monate vor seinem eigenen Tod – seinen am 13. Juni des Jahres verstorbenen Freund würdigte. Ihre Freundschaft war, so erinnerte er, von einem über vierzigjährigen, wenn auch vielfach unterbrochenen Dialog bestimmt, der auf der Grundlage je eigenständiger religiöser Erfahrungen geführt wurde und sowohl philosophische als auch theologische Fragen betraf. Die gemeinsame Zeit an der Frankfurter Universität spielt in diesen Erinnerungen keine unmittelbare Rolle,wohl aber eine Begegnung auf einer Konferenz der Religiösen Sozialisten im Jahre 1924, auf der Tillich theologische, philosophische und soziologische Reflexionen über das Verhältnis von Kirche und Arbeiterbewegung vortrug und dabei traditionelle religiöse Begriffe, einschließlich des Gottesbegriffs, um der anwesenden „religiösen Humanisten“ willen vermied. Nach seinem Vortrag sei Martin Buber aufgestanden und habe mit großer Leidenschaft die Auffassung vertreten, es gebe „einige urtümliche Wörter“ wie etwa „Gott“, die man sprachlich nicht ersetzen könne, und Tillich fügte hinzu: „Er hatte recht, und ich beherzigte seine Lehre. Ich glaube nicht, daß Wendungen wie ‚letzte Wirklichkeit‘ oder ‚was uns unbedingt angeht‘, die in meinen systematischen Schriften häufig auftauchen, in den drei Bänden meiner Predigten vorkommen. Und ich bin überzeugt, daß mich nur die Einsicht, die ich Martin Buber verdanke, überhaupt befähigte zu predigen.“³

 Rundfunk-Dreigespräch zwischen Martin Buber, Paul Tillich und Theodor Steinbüchel über „Religion und Gemeinschaft“. Frankfurter Rundfunk  [Einleitung Bubers und Auszüge des Gesprächs im Martin Buber Archive, Jewish National Library (JNUL), Arc.Ms.Var.  –  f, Abt. B.].  Paul Tillich, „Martin Buber. Eine Würdigung anlässlich seines Todes“, in: GW XII,  – , hier  f. Zu Tillichs religiösem Sozialismus vgl. u. a. Matthias Kroeger, „Paul Tillich als Religiöser Sozialist“, in: Paul Tillich. Studien zu einer Theologie der Moderne, hg. von Hermann Fischer (Frankfurt am Main: Athenäum, ),  – ; Erdmann Sturm, „Tillichs religiöser Sozialismus im Rahmen seines theologischen und philosophischen Denkens“, in: Internationales Jahrbuch für

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Hinter Bubers Kritik, so Tillich rückblickend, habe ein tieferes Problem gelegen, über das sie sich in New York als Emigranten – „beide Flüchtlinge aus dem Hitler-Deutschland“⁴ – während der Hitlerzeit ausgetauscht hätten, in den bedeutendsten, unvergesslichsten Gesprächen, die er je geführt habe. Es ging in diesen Begegnungen um Feinheiten eines der Elemente des Denkens Bubers, die Tillich in den 1920er Jahren offenbar am tiefsten geprägt und herausgefordert hatten – die Frage der angemessenen Deutung des Verhältnisses der Ich-Du-Begegnung im Gegensatz zur Ich-Es-Beziehung in Bubers Dialogphilosophie. Er – Tillich – habe damals in Frage gestellt, dass man von einem „reinen Ich“ in Beziehung zu einem „reinen Du“ sprechen könne, und geltend gemacht, man müsse mit Blick auf die Beziehung zwischen Mensch und Mensch – im Gegensatz und Unterschied zu jener zwischen Mensch und Gott – die besonderen, gegensätzlichen Eigenschaften der einander Begegnenden in Begriffe fassen, also mit Grenzen der Ich-Du-Beziehung rechnen. Er habe sich aber von Buber davon überzeugen lassen, was nach eigener Aussage zur Leitvorstellung seiner ethischen Schriften geworden sei: „die Einsicht, daß das Sittengesetz und seine unbedingte Gültigkeit mit der Forderung zusammenfallen, daß ich jede Person als Person, jedes ‚Du‘ als ‚Du‘ anerkenne und daß auch ich in gleicher Weise anerkannt werde.“⁵ An späterer Stelle dieses Aufsatzes wird noch deutlicher werden, dass dies Tillich als ein zentraler Beitrag jüdischer Dialogphilosophie für das interreligiöse Gespräch zwischen Judentum und Christentum erschien. In der persönlichen Begegnung erlebte Tillich Buber als Verkörperung des Ideals der Ich-Du-Beziehung, auch im Verhältnis zu Gott, und deshalb als universalen Denker, der mit allen, einschließlich Gott-Zweiflern und Gott-Leugnern, das Gespräch zu führen vermochte, gerade weil er in seinem ganzen Sein „von der Erfahrung der göttlichen Gegenwart durchdrungen“, ja gleichsam „Gott-besessen“ gewesen sei. „Gott konnte in seiner Gegenwart niemals zu einem ‚Objekt‘ werden. Die Gewißheit Gottes ging stets der Gewißheit seiner selbst und seiner Welt voraus. Für ihn war Gott nicht ein Gegenstand des Zweifels, sondern die Voraussetzung selbst für den Zweifel.“⁶ Es folgen Worte voller Bewunderung, über Bubers „prophetische Sprachgewalt“⁷, über seine einzigartige Verbindung von chassidischer Mystik und Prophetie, die starren Legalismus und Moralismus ebenso vermieden habe wie Flucht vor den Forderungen des Hier und Jetzt, über seinen in

die Tillich-Forschung, Bd. , Religion und Politik, hg. von Christian Danz, Werner Schüßler und Erdmann Sturm (Wien und Münster: LIT, ),  – .  Tillich, „Martin Buber“, .  Ebd.  Ebd.  A.a.O., .

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der Begegnung des Menschen mit Gott verwurzelten Existentialismus, seinen freien Umgang mit den Gegebenheiten der säkularen Welt sowie seine Freiheit von Ritualismus, Dogma und institutioneller Religion: Buber war offen gegenüber den Werken der Kultur sowohl der Vergangenheit wie auch der Gegenwart, in der Philosophie und in den Künsten, im sozialen wie auch im politischen Bereich. Für ihn war Gott gegenwärtig und sichtbar im Ganzen der Natur und der Geschichte. Dieses Offensein für das Profane – ich war damit stets im Namen des protestantischen Prinzips, wie ich es nannte, einverstanden – nahm etwas mit Nachdrücklichkeit voraus, was sich in der jüngsten Phase der protestantischen Theologie ereignete: Freiheit von jeder konkreten Religion, einschließlich ihrer religiösen Institutionen, im Namen dessen, worauf die die Religion hinweist. Diese Einstellung ist einer der Gründe für Bubers weitreichenden Einfluß auf die nicht-kirchliche Welt und besonders auf die jüngere Generation, für welche die überlieferten Formen und Verkündigungen der Kirchen und Synagogen kaum noch etwas zu sagen haben. Er wußte, daß wir nicht willkürlich neue Symbole schaffen können, aber er wußte auch, daß wir die alten nicht mehr so verwenden können, als ob sich in der Geschichte nichts verändert hätte.⁸

Aufschlussreich ist, dass Tillich im Zusammenhang seiner Überlegungen über Bubers Denken und sein eigenes Verständnis des Protestantismus betonte, sie hätten zwar den „jüdisch-christlichen Gegensatz“ nicht übersehen, ihn aber niemals direkt zur Sprache gebracht, da dies nicht ihr existentielles Interesse gewesen sei: Ihre Gespräche seien überhaupt keine jüdisch-christlichen Dialoge gewesen, sondern „solche über das Verhältnis zwischen Gott, Mensch und Natur“, Gespräche „zwischen einem Juden und einem Protestanten, die beide die Grenzen des Judentums und des Protestantismus überschritten hatten, während sie doch jeder für sich Jude und Protestant blieben“ – Ausdruck eines „konkrete[n] Universalismus“, bei dem es sich um die einzig legitime Gestalt des Universalismus handele.⁹ Tillich nahm Buber demnach so wahr, wie er sich selbst verstand: als Grenzgänger zwischen Theologie und Philosophie, Religion und Kultur, der auch die Grenzen der eigenen religiösen Tradition zu überschreiten vermochte, ohne seine feste Verwurzelung darin preiszugeben. Und so gewiss es ihm in der Begegnung mit Buber nach eigener Aussage nicht darum gegangen war, religiöse Gemeinsamkeiten und Differenzen auszuloten, so sehr wird doch aus all seinen Schriften, in denen er sich explizit auf das Judentum bezieht, deutlich, in welchem Maße er von seinem jüdischen Gesprächspartner seit den 1920er Jahren die Inspiration bezogen hatte, sein Verständnis des protestantischen Christentums, aber auch seine Deutung der historischen und politischen Erfahrung seiner Zeit, wie

 A.a.O., .  A.a.O., .

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kaum ein Theologe seiner Zeit im Angesicht des Judentums zur Sprache zu bringen – und vieles, was er von Buber gelernt hatte, bot ihm das Instrumentarium dazu. Was also von der Freundschaft und dem Dialog mit Buber fand Eingang in Tillichs Bild des Judentums, in seine Interpretation der jüdischen Erfahrung im 20. Jahrhundert, in seine theologische Verhältnisbestimmung zwischen Judentum und Christentum? Worin sah er die Bedeutung Bubers für den Protestantismus? Eine Analyse der relevanten Essays des Theologen, gelesen im Licht einiger zentraler Perspektiven des Denkens Bubers, vermag wichtige Affinitäten zutage zu fördern, die sich der intellektuellen Begegnung noch vor den Zeiten von Emigration, Krieg und Völkermord verdankten und nach 1945 – zumindest von Tillich – namhaft gemacht werden: die Zentralität der Hebräischen Bibel, insbesondere des Prophetischen, die Dialogphilosophie, die Deutung der Spannung von Mystik und Ethik und das Beharren auf der jüdischen Signatur des Christentums, deren Preisgabe zugleich ein Verlust des Christlichen wäre. Die folgenden Überlegungen verstehen sich als Versuch, ausgewählte Texte Tillichs, in denen er sich explizit mit der Thematik des Judentums befasste, auf Spuren des Denkens Bubers – z.T. auch anderer jüdischer Denker seiner Zeit – zu untersuchen und auf diese Weise die beiden Intellektuellen über das Bekannte hinaus miteinander ins Gespräch zu bringen. Nicht intendiert ist in diesem Kontext eine systematische Analyse der Bezüge der Theologie Tillichs auch zu anderen jüdischen Gelehrten oder der jüdischen Tillich-Rezeption im 20. Jahrhundert.¹⁰

 Vgl. dazu u. a. Alexander Even-Chen, „Faith and the Courage to Be: Heschel and Tillich“, in: Interaction between Judaism and Christianity in History, Religion, Art and Literature, hg. von Marcel Poorthuis, Joshua Schwartz und Joseph Turner (Leiden: Brill,  / Jewish and Christian Perspectives, Bd. ),  – ; Martin Fricke, „Tillich und Rosenzweig. ‚Korrelation‘ als Grundfigur neuen Religionsdenkens“, in: Faith, Truth, and Reason. New Perspectives on Franz Rosenzweig’s „Star of Redemption“, hg. von Yehoyada Amir,Yossi Turner und Martin Brasser (Freiburg i.Br.: Karl Alber, ),  – ; Friedrich Wilhelm Graf, „‚meine innere Zugehörigkeit zum Judentum‘. Ernst Cassirer erläutert Paul Tillich seine komplexe deutsch-jüdische Identität (. . )“, Münchner Beiträge zur jüdischen Geschichte und Kultur  (), Heft ,  – . Speziell zum Verhältnis Tillichs zu Buber vgl. Anne Marie Rejnen, „Paul Tillich et Martin Buber. Entente et malentendus“, Etudes Théologiques et Religieuses  (),  – .

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2 Tillichs Reflexionen über Judentum und Antisemitismus vor und während der Emigration Am 10. März 1939 veröffentlichte Martin Buber – wenige Monate nach der erzwungenen Emigration nach Palästina – in der Jüdischen Welt-Rundschau seinen berühmt gewordenen Artikel über „Das Ende der deutsch-jüdischen Symbiose“. Der Philosoph, der sich über Jahrzehnte hinweg intensiv auf das Gespräch mit der nichtjüdischen deutschen Kultur eingelassen hatte, verkündete darin seinen Abschied von dem seinem Empfinden nach in der europäisch-jüdischen Geschichte seit dem Ende des spanischen Judentums 1492 einzigartigen, fruchtbaren „Zusammenwirken deutschen und jüdischen Geistes“ in Gesellschaft, Wissenschaft und Kultur. Zugleich mahnte er, die deutsch-jüdischen Emigranten sollten die Überreste und das Vermächtnis dieser Symbiose – jenes „edle deutsche Seelenelement“, das die Peiniger der deutschen Juden verleugneten und erstickten – in der neu entstehenden Kultur Palästinas bewahren. Er selbst, so Buber, habe „im geistigen Umgang mit bedeutenden Deutschen immer wieder erlebt, wie unvermutet Gemeinsames aus der Tiefe aufbrach und zu Wort und Zeichen zwischen uns wurde.“¹¹ Im Kontext dieser Reflexionen über das durch den Nationalsozialismus herbeigeführte Ende der – als Teil jüdischer Galuth-Geschichte – fragilen und doch einzigartig fruchtbaren Aufeinander-Bezogenheit der deutschen und jüdischen Kultur seit der Aufklärung begegnet eine der ganz wenigen unmittelbaren Bezugnahmen Bubers auf Tillich, während Tillich – wie zu zeigen sein wird – in seinem Werk das Denken seines acht Jahre älteren Freundes weit ausführlicher und intensiver würdigte.¹² Was Buber in dieser historischen Situation aus Martin Buber, „Das Ende der deutsch-jüdischen Symbiose“, Jüdische Weltrundschau  (), Nr. , .  In dieser Asymmetrie, die sich in der Quellenlage widerspiegelt, kommt, wie David Novak mit Recht betont, ein etwas einseitiges Lehrer-Schüler-Verhältnis zum Ausdruck: „Buber the teacher and Tillich the student“. Novak erzählt in seinem Essay über „Buber and Tillich“, er habe durch Zeugen von folgender Episode erfahren, die sich nach einem Vortrag Bubers am Union Theological Seminary  zugetragen habe: „At the end of the lecture, Buber indicated that he would entertain questions from the audience. From the back of the crowded lecture hall, Paul Tillich arose and quite respectfully […] addressed a rather complicated question to Buber. According to my reliable informant, Buber looked up from his text and said, ‘Ah, Paulus, its you.’ Then he walked down the aisle and stood directly in front of Tillich, who was considerably taller than he, raised his finger up at Tillich’s startled face and said: ‘Paulus, Paulus, you asked me the same question in Germany thirty years ago. Don’t you remember what I answered you then?“; vgl. David Novak, „Buber and Tillich“, Journal of Ecumenical Studies  (),  – , hier  f. Novak betont,

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sagte, ist jedoch für eine Interpretation der persönlichen wie intellektuellen Beziehung der beiden Denker hoch bedeutsam, führt es doch mitten ins Zentrum dessen,was sie seit den 1920er Jahren verband und was Grundlage ihres Gesprächs bis zu ihrem Tod im Jahre 1965 bleiben sollte. Zugleich verweist die kurze Passage auf eine wichtige Episode ihrer gemeinsamen Zeit an der Frankfurter Universität und bringt eine Deutung der historischen wie theologischen Dimension des Endes der Zerstörung der von beiden als „Symbiose“ verstandenen Begegnung von jüdischen und nichtjüdischen Deutschen vor der Nazi-Zeit zur Sprache, die für Tillichs spätere Deutung des Verhältnisses von Judentum und Christentum entscheidend werden sollte: Ich will hier nicht davon sprechen, welche Mächte und Unmächte die Katastrophe herbeigeführt haben, die wie keine andere vor ihr das Bild der Zerreißung eines organischen Zusammenhangs bietet. Sie bedeutet eine tiefere Zerreißung im Deutschtum selbst, als sich heute ahnen läßt. Ein Jahr vor dem ‚Umbruch‘ hat ein deutscher Denker [Paul Tillich, C.W.] in seiner Gedenkrede auf Hegel auf die drohende Gefahr hingedeutet. ‚Das jüdische Prinzip‘, sagte er und verstand darunter das prophetische Prinzip des Geistes, ‚ist unser eigenes Schicksal geworden und eine ‚secessio judaica‘ wäre eine Trennung von uns selbst.‘ Heute ist die Kontinuität des geistigen Werdens im Deutschtum abgeschnitten. Wenn sie einst wieder erneut wird, wird sie mit Notwendigkeit an jene Werte, die die Symbiose trugen, und an jene Werke, die aus ihr hervorgingen, anknüpfen. Aber die Symbiose selbst ist zu Ende und kann nicht wiederkommen.¹³

Bubers andeutende Bemerkungen zu Tillichs Nachdenken über das „jüdische Prinzip“ in seinem Verhältnis zum „Deutschtum“ bezogen sich unter Anderem auf dessen 1932 in Frankfurt gehaltenen Vortrag „Der junge Hegel und das Schicksal Deutschlands“, der aus seiner Hegelvorlesung aus dem Wintersemester 1931/32 erwachsen war. Angesichts der „Drohung des politischen, des wirtschaftlichen und des geistigen Untergangs“¹⁴ Deutschlands kurz vor dem Ende der Weimarer Republik unternahm er es anlässlich des 100-jährigen Todestages Hegels, dessen theologische Jugendschriften auf Antworten mit Blick auf die Krisen der Zeit zu

es sei Buber gewesen, der Tillich erinnert habe, nicht von den hebräischen Wurzeln des Christentums abzuweichen (), und konstatiert, offenbar sei Buber deutlich weniger von Tillich beeinflusst. Sein Essay unternimmt den interessanten Versuch, Bubers Dialogphilosophie kritisch von Tillich her zu lesen.  Buber, „Das Ende der deutsch-jüdischen Symbiose“, . Der Hinweis auf die „secessio judaica“ bezieht sich auf die Thesen des religiös-völkischen Schriftstellers Hans Blüher zur Fremdheit jüdischer und deutscher Kultur in seinem Buch Secessio Judaica. Philosophische Grundlegung der historischen Situation des Judentums und der antisemitischen Bewegung (Berlin: Der Weisse Ritter Verlag, ).  Paul Tillich, „Der junge Hegel und das Schicksal Deutschlands“, in: GW XII,  – , hier .

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befragen, unter anderem auch hinsichtlich des aufbrandenden Nationalismus und des Antisemitismus. Aus der Lektüre ergibt sich, dass Tillich in diesem Text, der Buber offenbar beeindruckt hatte, in Auseinandersetzung mit Hegels sog. „Abrahams-Fragmenten“ und der dort entfalteten Interpretation der Herausrufung des Stammvaters Israels aus seiner heimatlichen „Bodengebundenheit“ als Verkörperung des „jüdischen Prinzips“¹⁵ wesentliche Aspekte seiner geschichtstheologischen Deutung der Rolle des Judentums in der Weltgeschichte und seiner Bedeutung für das Christentum formulierte, die er in den folgenden Jahren und Jahrzehnten weiter ausdifferenzieren und auf die zeitgeschichtlichen Umwälzungen vor und nach der Shoah beziehen sollte. Es sei „das ungeheure Schicksal des Judentums, die Raumgebundenheit der menschlichen Völker, ihres dämonischen Polytheismus gebrochen zu haben durch das, was Hegel das Prinzip der Entgegensetzung nennt.“¹⁶ Das Christentum habe sich in schweren Kämpfen zu diesem Prinzip bekannt und „als Fortsetzung und Erfüllung der jüdischen Prophetie und Gemeinde“ verstanden, auch wenn die christlichen Völker immer wieder „einem raumgebundenen Polytheismus“ und somit dem Heidentum verfallen seien, das sich durch das Gegenteil von „Entgegensetzung“ auszeichne: Streben nach Unmittelbarkeit, Einheit, Totalität – etwas, vor dem auch das Judentum nicht gefeit sei. Doch „Raumgebundenheit“, Unmittelbarkeit, Heidentum seien „nicht die Wahrheit menschlichen Seins“, der Mensch könne nicht hinter „die jüdisch-prophetische Brechung der Unmittelbarkeit“¹⁷ zurück. Den Bezug zur politischen Situation im Schatten des nach der Macht greifenden Nationalsozialismus stellte Tillich her, indem er auch die Geschichte der Deutschen, eines Volkes der umkämpften und späten nationalen Einheit, als „Volk der Entgegensetzungen“ mit einem dem Judentum parallelen Schicksal deutete. Gerade aus dieser Parallelität erklärte sich Tillich auch die herrschende Feindschaft „gegen das Jüdische, weil wir es als eigenes ahnen und fürchten.“¹⁸ Anstatt durch überhöhten Nationalismus gegen das deutsche Schicksal anzurennen und die Erinnerung an das „jüdische Prinzip“ durch Antisemitismus zu bannen, so Tillichs Mahnung, gelte es anzuerkennen, die Deutschen seien „durch Judentum und Christentum zeitgebundenes Volk geworden“¹⁹, so dass ein Zerreißen der geistigen Bande zwischen Deutschen und Juden zwangsläufig das innere Wesen deutscher Identität antasten müsse. Die politische Konsequenz am Ende der Rede war unüberhörbar:

    

Vgl. a.a.O.,  ff. A.a.O.,  f. A.a.O., . A.a.O., . A.a.O., .

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Diejenigen Gruppen aber, die den Schmerz der Entzweiung tragen, die wissen, daß das Prinzip der Entgegensetzung nicht aufgehoben werden kann, sondern menschliches Sein überhaupt erst möglich macht, die in Einheit mit der prophetischen und christlichen Tradition vor den Götzen des Raumes nicht niederknien, erfüllen die Forderung, die heute an Deutschland gestellt ist: die wachsende Dämonie des Nationalismus in sich zu brechen – auf seinem Raum, in Verbundenheit mit ihm, in Ehrfurcht vor seinen schaffenden Kräften, doch frei zu sein von dem Raum, frei zu sein für die Zeit, das heißt, für die einheitliche auf das Menschheitsziel gerichtete Geschichte. Wer die Entzweiung des Schicksals trägt, kann Schicksal versöhnen, deutsches Schicksal und durch deutsches – Weltschicksal.²⁰

Wie andere Vertreter des Religiösen Sozialismus, etwa Leonhard Ragaz,²¹ hatte sich Tillich bereits in den 1920er Jahren für die Situation des Judentums in seiner Gegenwart interessiert, nicht nur – wie ansonsten in der zeitgenössischen protestantischen Theologie vielfach üblich – für das Judentum der Antike. Betrachtete die Mehrzahl seiner Kollegen das Judentum als eine vom Christentum überholte religiöse Tradition, deren historischer Fortexistenz etwas Fremdartiges, Relikthaftes eignete, so reflektierte Tillich etwa 1926 in seinen Überlegungen über „die religiöse Lage der Gegenwart“ über „das Judentum als religiöse Wirklichkeit“ und konstatierte in diesem Zusammenhang eine „typologische Verwandtschaft“ des humanistisch gebildeten liberalen Judentums mit dem modernen Protestantismus und der bürgerlichen Gesellschaft, insbesondere mit Blick auf das Verhältnis von Religion und Sittlichkeit.²² Dabei fällt gerade im Vergleich zum kulturprotestantischen Diskurs über das „Wesen“ von Judentum und Christentum, dem zufolge das nachbiblische Judentum eine „tote“, vollkommen obsolete religionsgeschichtliche Erscheinung darstellte, die aufgrund ihrer Neigung zum Partikularismus sowie zur „Gesetzlichkeit“ keinen legitimen Platz in der modernen Gesellschaft beanspruchen konnte,²³ ein besonderes Merkmal auf: Aus Tillichs Sicht war es gerade die „Hochstellung des Gesetzes“ und des religiös begründeten innerweltlichen Handelns, welche die jüdische Teilhabe an der europäischen Gesellschaft und Kultur begründete und zugleich rechtfertigte, von einem positiven geschichtlichen Einfluss des Judentums in  A.a.O., .  Vgl. Leonhard Ragaz, Judentum und Christentum. Ein Wort zur Verständigung (Erlenbach-Zürich: Rotapfel-Verlag, ); Israel, Judentum, Christentum (Zürich: Religiös-soziale Vereinigung der Schweiz, ); zu Ragaz vgl. Willy Schottroff, „Die israelitischen Propheten in der Sicht von Martin Buber und Leonhard Ragaz“, in: Ders., Das Reich Gottes und der Menschen (siehe Anm. ),  – ; Frank Biebinger, „Religiöse Sozialisten vor dem Holocaust an den Juden. Ein fragmentarisches Modell von Kairos-Theologie? Dargestellt am Beispiel von Leonhard Ragaz und Paul Tillich“, Kirche und Israel  (),  – .  Paul Tillich, „Die religiöse Lage der Gegenwart“, in: GW X,  – , hier  f.  Vgl. dazu Christian Wiese, Wissenschaft des Judentums und protestantische Theologie im wilhelminischen Deutschland. Ein Schrei ins Leere? (Tübingen: Mohr Siebeck, ), bes. Kap. .

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der Moderne zu reden. Selbst dort, wo das religiös-liberale Judentum im Zuge der bürgerlichen Integration die Intensität traditioneller Bindungen preisgegeben habe, wirke noch „der Geist der alten Prophetie“ nach und habe – gerade bei den jüdischen Gestalten der sozialistischen Bewegung von Karl Marx bis Gustav Landauer und noch im Kampf jüdischer Revolutionäre gegen die bürgerliche Gesellschaft – „wahrhaft prophetischen Ausdruck“ gefunden. Das orthodoxe Judentum erschien ihm hingegen als traditionalistische Kraft, die zwar „wertvollste religiöse Kräfte“ in sich berge, allerdings unter dem „Panzer des jüdischen Ritualismus“, so dass sie für die Gegenwart nicht von unmittelbarer Bedeutung sei. Das Gleiche gelte vom „Ostjudentum“, das „ein Reservoir echter und starker religiöser Tradition“ biete, westlichem Denken jedoch wenig zugänglich sei. Besonders würdigte Tillich den jüdischen Nationalismus – zumindest dort, wo er, wie in seiner kulturzionistischen Ausprägung, „die Sehnsucht des in alle Völker zerstreuten und doch religiös geeinten Judentums nach einem religiös-nationalen Zentrum“ zum Ausdruck bringe. Dagegen warnte er vor der Preisgabe des religiösen Elements im Zionismus, da ein rein profaner politischer Nationalismus unweigerlich „die universale, messianische, völkervereinigende Sendung des Judentums“²⁴ gefährden müsse. Tillich betonte in diesen Passagen erstmals die besondere Bedeutung Martin Bubers, mit dessen Denken er seit Beginn der 1920er Jahre zunehmend vertraut war: Bubers Vertiefung des Zionismus durch eine chassidische Mystik, die fest mit „dem prophetischen Element der Endhoffnung verbunden“²⁵ sei, begründete aus seiner Sicht die Attraktivität dieser Gestalt jüdischen Denkens für den Protestantismus. Spätestens seit dieser Zeit nahm Tillich, verstärkt durch die persönliche Verbindung mit Buber in Frankfurt, „schicksalsmäßig“, wie er nach dem Krieg in einem – noch eingehend zu analysierenden – Berliner Vortrag aus dem Jahre 1953 schrieb, an den politischen und theologischen Fragen zur Situation des Judentums in Deutschland teil.²⁶ Und in der Tat finden sich in Tillichs Schriften eindrucksvolle Zeugnisse seiner existentiellen Auseinandersetzung mit dem Antisemitismus der Nazis und dem Verfolgungsschicksal der Juden, auf deren Grundelemente kurz hinzuweisen ist, bevor ausführlicher seine theologische und politische Schlussfolgerungen nach der Shoah zur Sprache kommen. Tillichs Entlassung durch die Frankfurter Universität im Frühjahr 1933 und seine Emigration noch im November desselben Jahres hingen damit zusammen, dass er sich im Vorfeld der nationalsozialistischen „Machtergreifung“ in jeder

 Tillich, „Die religiöse Lage der Gegenwart“, .  A.a.O., .  Paul Tillich, „Die Judenfrage – Ein christliches und ein deutsches Problem“, in: GW III,  – , hier .

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Hinsicht politisch exponiert hatte. In seinen 1932 veröffentlichten „Zehn Thesen“ hatte er sich mit großer Entschiedenheit gegen eine theologische Rechtfertigung der Blut- und Rassenideologie der Nazis gewandt und sie als Verrat der prophetischen Grundlage des Christentums gebrandmarkt.²⁷ In seinem Anfang 1933 erschienenen Buch Die sozialistische Entscheidung, das sofort eingestampft wurde, spitzte er die Ideen aus dem Hegel-Vortrag mit Blick auf die einsetzende Judenverfolgung zu, indem er das Judentum – als „Volk ohne Raum“²⁸ – zur Verkörperung des notwendigen prophetischen Protests gegen die neuheidnische politische Romantik machte und in einer von der Mehrzahl der protestantischen Theologen fundamental abweichenden Solidarität aussprach, das Christentum gehöre „seinem Prinzip nach in diesem Gegensatz radikal und eindeutig auf die Seite des Judentums“. Jedes Schwanken in dieser Frage sei ein „Abfall von sich selbst“ und müsse zwangsläufig zum Selbstverlust führen. Dem Ansinnen völkisch-antisemitischer Theologen, das Alte Testament als Dokument einer fremden Nationalität aus dem christlichen Kanon zu beseitigen, trat Tillich entgegen, indem er es als „Menschheitsbuch“ in Anspruch nahm, da es alles „Besondere, Raum- und Blutsgebundene, Nationale“ bekämpfe, auch das Judentum selbst, sofern es dem Heidnisch-Nationalen verfalle. Auch gestand er zu, es sei die „Tragik“ des Judentums, dass es dem Antisemitismus scheinbar Anlass zur Abwehr biete, weil es bisweilen über die prophetische „Umformung“ des Ursprungsmythos hinausgehe und ihn durch negative Kritik „auflöse“ (ein gewisser Anklang an Vorwürfe des Kosmopolitisch-Heimatlosen) – doch könne das damit verbundene „jüdische Problem“ allein durch die entschlossene Bejahung der prophetischen Kritik am Heidnischen des Nationalismus gelöst werden, während alles Andere den „Rückfall in die Barbarei und Dämonie einer nur raumgebundenen Existenz“²⁹ bedeute. War Tillich im amerikanischen Exil zunächst die Möglichkeit genommen, öffentlich für die verfolgten Juden einzutreten, so nahm er spätestens seit 1938 wieder verstärkt zum Rassenantisemitismus Stellung. In seinen Thesen zur politischen und geistigen Aufgabe der deutschen Emigration im Juni des Jahres in-

 Paul Tillich, „Die Kirche und das Dritte Reich. Zehn Thesen“, in: Die Kirche und das dritte Reich. Fragen und Forderungen deutscher Theologen, hg. von Leopold Lotz (Gotha: Klotz, ),  – .  Paul Tillich, „Die sozialistische Entscheidung“, in: GW II,  – , hier .  A.a.O., . Zu den Anfeindungen, den Tillich aufgrund seiner politischen Interventionen ausgesetzt war, vgl. Erdmann Sturm, „‚Die Zugehörigkeit Paul Tillichs zum Judentum als feststehende Tatsache…‘. Über Paul Tillichs ‚Geist des Judentums‘ und eine antisemitische Polemik ( – )“, in: Grenzgänge. Menschen und Schicksale zwischen jüdischer, christlicher und deutscher Identität. Festschrift für Diethard Aschhoff, hg. von Folker Siegert (Münster: LIT,  / Münsteraner Judaistische Studien, Bd. ),  – .

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terpretierte er den Antisemitismus als völkisch-nationalistische Revolte gegen den im Judentum verwurzelten „prophetisch-kritischen Geist“, der sowohl der bürgerlichen Demokratie als auch der sozialistischen Bewegung zugrunde liege und der seinen Ausdruck in der während der „humanistisch-demokratischen Periode des Bürgertums“³⁰ gewährten und nun zurückgenommenen Emanzipation der Juden gefunden habe. Wesentlich deutlicher, was die Implikationen des Antisemitismus für das Christentum betraf, wurde er zehn Tage nach dem Novemberpogrom, in einer Rede anlässlich einer Demonstration gegen Hitlers Judenverfolgung in New York. Das Bemühen der Nazis, „das Judentum auszurotten“, sei „seinem tiefsten Sinn nach auch auf die Vernichtung des Christentums gerichtet“³¹ und komme einer Zerstörung des deutschen Geistes und der deutschen Seele gleich. Jenseits primitiver Rasseninstinkte und politischen Kalküls sei in Deutschland „ein dämonischer Kampf entbrannt gegen den Gott Abrahams und der Propheten“, der zugleich der Gott Jesu und des Paulus, Augustins und Luthers sei, der Gott Abrahams, in dessen Namen alle Völker der Erde gesegnet seien, der Gott des Christus, der Gott der Rechtfertigung und Wahrheit, Barmherzigkeit und Demut. Hellsichtig wie wenige zeitgenössische christliche Theologen trat Tillich in dieser Rede für eine menschliche und religiöse Solidarität mit dem verfolgten Judentum ein und beschwor seine Hörer, den Triumph der „Götter von Blut und Boden, von Rasse und Nation“³², die im Grunde Dämonen seien, nicht zuzulassen, sondern sich gemeinsam gegen die Mächte zu entscheiden, „die Christen und Juden gleichermaßen ins Martyrium führen.“³³ Jüdische wie christliche Freunde rief er in diesem Zusammenhang auf, gemeinsam auf dem Boden der prophetischen Religion zu stehen, die Judentum, Christentum und Humanismus verbinde und aus diesem Geist heraus „Widerstand gegen Antisemitismus, gegen antichristlichen und antihumanistischen Geist“³⁴ zu leisten. In den politischen Reden an seine deutschen Freunde während des Zweiten Weltkriegs über die „Stimme Amerikas“, in denen er unermüdlich die deutsche Schuld und das Schicksal der Juden in Europa ansprach, formulierte er die theologische Einsicht, die er aus der Gefährdung des Christentums durch die antichristlichen Implikationen des völkischen Denkens und die Ideologie der „Deutschen Christen“ zog, auch im positiven Sinne einer programmatischen

 Paul Tillich, „Die politische und geistige Aufgabe der deutschen Emigration. Thesen zur Standortbestimmung der deutschen Emigration vom Juni “, in: GW XIII,  – , hier .  Paul Tillich, „Die Bedeutung des Antisemitismus. Rede anläßlich einer Protestversammlung gegen Hitlers Judenverfolgung in New York am . . “, in: GW XIII,  – , hier .  A.a.O., .  A.a.O., .  A.a.O., .

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Anerkennung der prinzipiellen Solidarität zwischen Judentum und Christentum, die selbst gemäßigte protestantische Theologen seiner Zeit mehr oder weniger dezidiert zu bestreiten pflegten. Mehr noch – entgegen den offenen oder verdeckten „Entjudungsstrategien“ zahlreicher prominenter christlicher Theologen³⁵ – akzentuierte Tillich in großer Klarheit, was jüdische Denker wie Hermann Cohen, Leo Baeck, Martin Buber und Franz Rosenzweig seit Jahrzehnten – ohne Widerhall – als Herausforderung, Zumutung und Dialogangebot an ihre christlichen Zeitgenossen formuliert hatten: die historisch wie theologisch prinzipiell jüdische Signatur des christlichen Glaubens. Man wird nicht fehlgehen, in der folgenden Stellungnahme aus Tillichs Rede „Die Jüdische Frage“ vom 31. März 1942 auch die Stimme Bubers zu hören, der seit dem Ersten Weltkrieg immer wieder, auch in öffentlichen Lehrvorträgen im Freien Jüdischen Lehrhaus in Frankfurt vor 1933, das Element des Jüdischen im Christentum als Maßstab seiner Wahrheit betont hatte. In diesem historischen Augenblick wollte Tillich vornehmlich zu protestantischen Christen reden, wie er hervorhob, also zu Menschen, die an der Tatsache nicht vorbei können, daß ihre Religion im Schoße der jüdischen Geschichte vorbereitet ist, daß der, in dem sie die Gegenwart Gottes in der Welt anschauen, von jüdischer Abstammung war, daß das Alte Testament auch für die Christen Bibel ist, daß die Tat der Reformatoren im Geiste und Namen des Juden Paulus geschehen ist, daß seit zweitausend Jahren Juden und Christen aus den gleichen Geboten des Gesetzes und den gleichen Verheißungen der Propheten und den gleichen Gebetsworten der Psalmen religiöse Kraft ziehen. Wir können es aufgeben, Christen sein zu wollen, aber solange wir Christen bleiben wollen, können wir es nicht aufgeben, aus den gleichen religiösen Wurzeln zu leben, aus denen der religiöse Jude lebt.³⁶

Neben der menschlichen Katastrophe des Völkermordes, der sich in Europa vollzog, betonte Tillich die weltgeschichtliche religiöse Dimension des Geschehens, von der nicht weniger als der Sinn des geschichtlichen Daseins der christlichen Gemeinschaft abhänge, weil mit der Vernichtung oder dem Überleben des jüdischen Volkes etwas Entscheidendes auf dem Spiel stehe – „die Frage unseres eigenen Seins und Nichtseins als Christen und Menschen“³⁷: Die Juden sind das Volk der Geschichte; sie haben ihren Raum verloren, und sie leben doch; sie sind von den raumgebundenen Völkern verfolgt worden, aber sie haben alle überlebt, weil sie

 Vgl. Leonore Siegele-Wenschkewitz (Hg.), Christlicher Antijudaismus und Antisemitismus. Theologische und kirchliche Programme Deutscher Christen (Frankfurt am Main: Haag + Herchen Verlag,  / Arnoldshainer Texte, Bd. ); Susannah Heschel, The Aryan Jesus. Christian Theologians and the Bible in Nazi Germany (Princeton: Princeton University Press, ).  Paul Tillich, „Die jüdische Frage“, in: EW III,  – , hier .  A.a.O., .

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dem Gott dienen, der der Herr der Zeit ist, der Geschichte schafft und lenkt und zum Ziel bringt. Sie sind zur Zeit verfolgt wie nie zuvor, aber sie werden überleben, weil sie eine Berufung haben, ohne die die Berufung des Menschengeschlechtes nicht erfüllbar ist: sie sind berufen zu zeugen für den Gott der Gerechtigkeit und für die Einheit aller Menschen und für den Gott, der allein Gott ist, jenseits der Götter der Völker, jenseits aller nationalen Werte und Ideale.³⁸

Vieles kommt hier zur Sprache, was im Kontext protestantischer Theologie vor der Shoah einzigartig ist, in vielem ein Echo auf Bubers Denken: die Anerkennung des ungekündigten Bundes Gottes mit seinem Volk Israel, die Bejahung einer weltgeschichtlichen religiösen Sendung und Funktion des Judentums im Exil, insbesondere mit Blick auf den prophetischen Kampf gegen die dämonische Seite des Nationalismus und für Menschlichkeit und Gerechtigkeit. Das deutsche Volk sei schuldig geworden am jüdischen Volk und habe den Sinn seiner eigenen und der Menschheitsgeschichte verfehlt, indem es paradoxerweise, wie Tillich in einer nicht unproblematischen geschichtstheologischen Reflexion betont, den Mächten verfallen sei, die für Israels Exilschicksal verantwortlich sei: Was ist geschehen? Das deutsche Volk hat das angenommen, was von den jüdischen Propheten aufs schärfste bekämpft worden ist: den jüdischen Nationalismus, das, was der Berufung des Judentums im Judentum widerstrebte, das, um dessentwillen sie von Gott verworfen und einem tragischen Schicksal überlassen sind: das ist nun ein deutscher Glaube geworden und – wie sollte es anders sein – deutscher Fluch! Und das Große im Judentum, die prophetische Botschaft, deren ganze Schärfe gegen das jüdische wie gegen jedes andere nationale Selbstvertrauen gerichtet ist, hat man verworfen und bekämpft! In ihrem Kampf gegen das Judentum sind die Kämpfer zu Narren geworden: sie suchen zu zerstören, was groß und göttlich und einmalig im Judentum ist, und sie äffen nach,was klein und menschlich und gewöhnlich im Judentum ist. Sie nennen jüdischen Geist, was das Schlechteste in ihrem eigenen Geist ist, und suchen auf diese Weise sich selbst und anderen zu verhüllen, daß sie das Beste in sich, im deutschen Volk und im Menschen überhaupt zerstören wollen.³⁹

Tillich hatte, wie gezeigt, die geschichtstheologischen Prämissen über die Rolle des jüdischen Volkes in der Menschheitsgeschichte bereits vor 1933 in ihren Grundzügen entworfen, und wir werden sehen, dass er sie nach der Shoah noch einmal in elaborierterer Fassung entfaltete und zum Zionismus und Staat Israel in Beziehung setzte.⁴⁰ 1942 stand für Tillich die beschwörende Botschaft im Raum, dass sich an der „jüdischen Frage“ das Schicksal des Christentums entschied, denn selbst „wenn alle Juden von der Erde verschwunden wären“, bliebe „die

 A.a.O.,  f.  A.a.O.,  f.  Ronald Stone, „The Zionism of Paul Tillich and Reinhold Niebuhr“, Christian Jewish Relations  /  (),  – .

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jüdische Frage“ „als die christliche Frage, als die Frage nach der Stätte, die der prophetische Geist und der Geist Jesu auf Erden hat und haben soll, und als die menschliche Frage, als die Frage, ob der Mensch gebunden bleiben soll an seinen begrenzten Raum, an Blut und Nation.“⁴¹ Die Verfolgung des jüdischen Volkes sei daher – jenseits des menschlichen Elends der Opfer, der Scham aller Deutschen und des Fluchs, der auf sie zurückfallen werde – Ausdruck der „Feindschaft gegen den Geist, gegen die Menschenwürde, gegen Gott.“⁴² Bei diesem eindrucksvollen, leidenschaftlichen Text mit seiner Erschütterung über den Vernichtungswillen der Nazis, seiner Anklage gegen die Schuldverstrickung der Deutschen und seiner eindringlichen Mahnung an die Kirchen, aus ihrem Schweigen aufzuwachen und einer gleichermaßen unmenschlichen wie widergöttlichen Politik zu widerstehen, handelt es sich zudem auch um ein in vielerlei Hinsicht einzigartiges theologisches Dokument: Das gilt insbesondere für die ausdrückliche Bejahung der Existenzberechtigung des Judentums – nicht als Wurzel und Vorstufe, sondern als in seiner gegenwärtigen Gestalt unverzichtbare Verkörperung des prophetischen Widerspruchs gegen ideologische Verirrungen in der Menschheitsgeschichte sowie als Maßstab für die Bewahrheitung des dem Christentum eingeschriebenen Jüdischen.

3 Tillichs Vorträge über die „Judenfrage“ als „christliches und deutsches Problem“ Im Folgenden sollen die Grundlinien von Tillichs Nachdenken aus den 1930er und 1940er Jahren über das Judentum, die Bedeutung des „jüdischen Prinzips“ in der Geschichte und die Verbrechen des nationalsozialistischen Deutschland am jüdischen Volk auf der Grundlage eines Vorlesungszyklus weiterverfolgt und systematisch aufgeschlüsselt werden, die er 1953 – unter dem Titel „Die Judenfrage. Ein christliches und ein deutsches Problem“ – an der Hochschule für Politik in Berlin hielt. In diesem mit Blick auf seine Deutung der Zukunftsperspektiven des Verhältnisses des Christentums – besonders in Deutschland – zum Judentum in der Zeit nach dem Völkermord zentralen Text griff Tillich auf die vor 1933 entwickelten Kategorien zurück, beleuchtete sie jedoch angesichts der Shoah und seiner eigenen Begegnung mit jüdischen Intellektuellen neu und konfrontierte seine deutsche Zuhörerschaft mit Überlegungen, die – trotz mancher aus heutiger Sicht problematischer Aspekte – im protestantischen Diskurs der unmittelbaren Nachkriegszeit  Paul Tillich, „Die jüdische Frage (. . )“, in: EW III,  – , hier .  Ebd.

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unerhört waren und auf Erkenntnisse vorauswiesen, die sich vielfach erst Jahrzehnte später im Kontext des christlich-jüdischen Dialogs und einer verstärkten Auseinandersetzung mit den katastrophalen politischen Folgen der Geschichte des christlichen Antisemitismus durchsetzen sollten. Den Begriff der „Judenfrage“, dessen unterschiedliche Dimensionen Tillich in seinen Vorträgen auszuloten versuchte, verwendete er dabei unkritisch, aber nicht im antisemitischen Sinne, d. h. als Insinuierung eines durch die jüdische Gemeinschaft selbst verursachten gesellschaftlichen Problems, sondern als in Anführungszeichen zu setzende Frage nach der soziologischen Funktion der jüdischen Minorität in der Diaspora sowie nach ihrer religiösen Funktion „als einer sakramentalen Gemeinschaft“⁴³. Alle verwendeten Begriffe – „Jude“, „christlich“, „deutsch“ – seien vieldeutig, ersterer je nachdem, ob man ihn religiös oder im Sinne einer „jüdischen Rasse“ bestimme (deren Existenz Tillich bestritt), letzterer insbesondere mit Blick auf sein Verhältnis zum Jüdischen: Lag im „deutschen Charakter“ etwas, was das Judentum grundsätzlich zu einem „deutschen Problem“ machte, oder war die nationalsozialistische Politik eine einmalige „Katastrophe in der deutschen Geschichte“?⁴⁴ Diese schwierigen Fragen waren, so Tillich, nicht in distanzierter Analyse zu beantworten, sondern beschäftigten ihn auf zutiefst existenzielle Weise: Als christlicher Theologe habe ich seit Jahrzehnten an der jüdisch-christlichen Diskussion teilgenommen und die ganze Last der Probleme erlebt, die heute, wie im Beginn der christlichen Ära, das theologische Denken bewegen. Ich spreche nicht von den vielen Torheiten, die in diesen Debatten vorkommen, sondern von den Fragen, die den Menschen als Menschen unbedingt angehen und um die ich mit meinen jüdischen Gesprächspartnern gerungen habe. Ein weiterer Grund für meine existentielle Teilnahme an den Problemen meines Themas ist, daß ich von Geburt Deutscher bin und durch Emigration im Jahre des Unheils 1933 auf der Seite der Gegner all dessen stand, was seit diesem Jahr in Deutschland geschehen ist, vor allem alles dessen, was von deutscher Seite den Juden Europas angetan worden ist. Ein dritter Grund meiner existentiellen Teilnahme ist, daß seit vielen Jahren Juden zu meinen intimsten Freunden gehören. In solcher Situation ist das Sprechen über ein Thema wie dieses schwer. Aber es wird dadurch noch schwerer, daß ja auch die Hörer existentiell teilnehmen. Es sind Juden und Deutsche in diesem Raum, und das deutsche Problem tritt vom ersten Augenblick an in seiner ganzen Radikalität in das Bewußtsein von jemand, der zu Deutschen über das Thema ‚Deutschtum und Judentum‘ sprechen muß.⁴⁵

Nicht zufällig kommt Tillich nach diesen persönlichen Bemerkungen, welche die „Judenfrage“ in erster Linie als „Deutschenfrage“ identifiziert, unmittelbar auf die Schuldfrage zu sprechen, die ihn bereits vor Ende des Zweiten Weltkriegs intensiv

 Tillich, „Die Judenfrage“,  f.  A.a.O., .  A.a.O., .

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beschäftigt hatte. Eines der Leitmotive seiner politischen Reden im Exil, so ist hier nur anzudeuten, liegt im Beharren auf der Spannung zwischen dem Eingeständnis unsühnbarer Schuld des gesamten deutschen Volkes und der Hoffnung auf etwas trotz allem Unverlierbares – auf das „wahre Deutschland“, das ebenfalls unter Verfolgung leide. Die Aussicht sei tröstlich, so hatte er seinen jüdischen Freunden 1938 zugerufen, dass letztlich nicht die Verfolgten, sondern die Verfolger geistige und seelische Zerstörung erleben würden, doch er rief sie auch dazu auf, sich nicht der Bitterkeit und Rachsucht zu überlassen, sondern wahrzunehmen, dass es in Deutschland und im deutschen Exil Kräfte gebe, die mit dem jüdischen Volk solidarisch seien.⁴⁶ In einer Rede zum Goethe-Tag am 18. Mai 1942 hatte er sowohl die Auffassung, der Geist des Nationalismus sei Ausdruck des deutschen Geistes und daher „das ganze deutsche Volk schuldig an dem Verbrennen der Bücher und dem Weltenbrand“, als auch das Urteil bestritten, das deutsche Volk sei „das erste Opfer eines ihm fremden Geistes geworden“⁴⁷. Stattdessen hatte er seiner Hoffnung auf die Wiedergeburt des „wahren“⁴⁸ deutschen Geistes in einer europäischen Nachkriegsordnung Ausdruck verliehen. In einer Auseinandersetzung mit einem jüdischen Emigranten, dem Schriftsteller Emil Ludwig, war er 1942 sogar so weit gegangen, dessen Identifikation Hitlers mit dem ganzen deutschen Volk mit der Methode antisemitischer Kollektivurteile zu vergleichen.⁴⁹ In seinem Vortrag von 1953 akzentuierte Tillich – aus einer Perspektive nach der Shoah und aus persönlicher Erschütterung über die Dimension der nationalsozialistischen Verbrechen – anders als in früheren Zeugnissen. Zwar lehnte er auch jetzt, acht Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg, die Vorstellung einer Kollektivschuld ab, da der Völkermord nicht allen Deutschen angelastet werden könne, sondern „die Schuld begrenzter Gruppen und einzelner“ gewesen sei, doch sprach er nun auch persönlich von einer Mitschuld im Sinne mangelnder Übernahme von Verantwortung nicht allein auf Seiten der Täter: „Warum? Weil wir in den Jahren, die die Herrschaft derer, die diese Verbrechen ausgeübt haben,vorbereiteten, nicht stark genug waren, sie zu verhindern, nicht opferwillig genug, selbst wenn wir protestierten und dadurch Emigranten oder Opfer wurden.“⁵⁰ Es war die Schuld aller Deutschen, einschließlich der ins Exil Getriebenen, dass sie, obwohl sie seit Mitte der 1920er Jahre das scheinbar unwiderstehlich Kommende gesehen hatten, nicht stark und opferwillig genug gewesen waren, den Kräften der Unmensch-

 Tillich, „Die Bedeutung des Antisemitismus“,  f.  Paul Tillich, „Läuterndes Feuer. Rede zum Goethe-Tag am . . “, in: GW III,  – , hier .  A.a.O., .  Paul Tillich, „Was soll mit Deutschland geschehen?“, in: GW XIII,  – , hier .  Tillich, „Die Judenfrage“, .

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lichkeit zu widerstehen.⁵¹ Dazu sei bei vielen die Schuld des Nicht-Wissen-Wollens getreten, die sich durch jenes verhängnisvolle Verdrängen und Nicht-ErinnernWollen nach dem Völkermord fortsetze, das jede Möglichkeit der Wiederanknüpfung zwischen Deutschen und Juden verhindere, eine „[w]iedervereinende Gerechtigkeit“, denn letztere sei nur durch „Anerkennung des Unrechts und Ausstoßung seiner Ursachen“⁵² denkbar. Vergleicht man Tillichs Überlegungen mit Bubers Rede, die dieser im gleichen Jahr – 1953 – anlässlich der Entgegennahme des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels in Frankfurt am Main hielt, so stößt man trotz der unterschiedlichen persönlichen Voraussetzungen auf z.T. sehr ähnliche Akzente. Sprach Tillich als nichtjüdischer deutscher Emigrant, der sich den geistigen Wurzeln des Völkermords der Nazis stellen wollte, so hielt Buber seine Rede als „überlebende[r] Erzjude[]“, der den ihm angetragenen Preis – wie den Goethe-Preis der Stadt Hamburg wenige Jahre zuvor – annahm, um den Deutschen die Hand zu reichen und sein „solidarisches Bekenntnis zum gemeinsamen – auch Deutschen und Juden gemeinsamen – Kampf gegen das Widermenschliche“⁵³ auszusprechen. Die vielen Deutschen, die sich unmittelbar an einem präzedenzlos grausamen Völkermord beteiligt hätten, seien so sehr in eine seinem Vorstellungsvermögen unzugängliche „Sphäre der monströsen Unmenschlichkeit versetzt“, dass es vermessen wäre, hier vergeben zu wollen. Jene aber, die gewusst hätten, dass das Ungeheure geschah, und sich nicht aufgelehnt hätten, oder jene, die nicht um die Verbrechen hätten wissen wollen, könne sein „der Schwäche des Menschen kundiges Herz“⁵⁴ nicht verdammen; jenen aber, die Widerstand geleistet hätten bis in den Tod, gelte seine Liebe und Ehrfurcht – und es sei das Gedenken an sie, so Buber, das es ihm ermögliche, über die Kluft der jüngsten Vergangenheit hinweg zu den Deutschen über das zu sprechen, was ihm am dringlichsten erschien in der Zeit des Kalten Krieges – die Sprache des Dialogs, des „echten Gesprächs“, als Bedingung der Überwindung von Krieg und Gewalt. Der Definition dessen, was für Buber ein „echtes Gespräch“ war, hätte Tillich zweifellos zugestimmt: Ein Gespräch, „in dem jeder der Partner den andern, auch wo er in einem Gegensatz zu ihm steht, als diesen existenten andern wahrnimmt, bejaht und bestätigt; nur so

 Ebd.  A.a.O., .  Martin Buber, „Das echte Gespräch und die Möglichkeit des Friedens“, in: Börsenverein des Deutschen Buchhandels (Hg.), Friedenspreis des deutschen Buchhandels ,  (http:// www.friedenspreis-des-deutschen-buchhandels.de/sixcms/media.php//_buber.pdf – zuletzt eingesehen am . . ).  A.a.O., .

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kann der Gegensatz zwar gewiß nicht aus der Welt geschafft, aber menschlich ausgetragen und der Überwindung zugeführt werden.“⁵⁵ Um die Voraussetzungen für ein solches Gespräch zwischen Deutschen und Juden wie zwischen Christen und Juden zu schaffen, bedurfte es nach Tillichs Überzeugung unvermeidlich der schmerzhaften und rückhaltlosen Konfrontation mit den Ursachen des Völkermords, d. h. der Überwindung von Antijudaismus und Rassenantisemitismus, zweier Phänomene, die es aus seiner Sicht notwendigerweise historisch zu unterscheiden und doch in ihrem Zusammenwirken zu begreifen galt.⁵⁶ Was den christlichen Antijudaismus betrifft, eine „ständige tragische Schuld der christlichen Kirche“⁵⁷, wie Tillich urteilt, so lässt der Text im Grunde trotz seines kursorischen Charakters und obgleich er sicher nicht an die Differenzierungen der heutigen Antisemitismusforschung heranreicht, nicht an Deutlichkeit zu wünschen übrig. Hatte Tillich bereits während des Krieges die jüdische Identität Jesu als Grundlage der unlösbaren Verbindung zwischen Judentum und Christentum beschrieben, so betonte er nun, das Bewusstsein der neutestamentlichen Urgemeinde, nicht auf die Aufhebung, sondern die Fortsetzung der jüdischen Tradition, wenn auch „auf universaler Grundlage“, ausgerichtet zu sein, sei ebenso wenig antijudaistisch wie das Denken des Paulus, der – „trotz seines radikalen Bruches mit dem Judentum“⁵⁸ – bereit gewesen wäre, „das Heil seiner Seele für die Rettung des jüdischen Volkes herzugeben.“⁵⁹ Die im Römerbrief entfaltete paulinische Theologie der Treue Gottes zu seinem Bund mit Israel deutete er als die einzig sachgemäße christliche Antwort auf die „Judenfrage“: Paulus verkörpere zugleich „das Nein und das Ja des Christentums zum Judentum in der christlichen Welt“ und werde daher von antijüdisch gesinnten Christen als „zu jüdisch“ beurteilt, „während von jüdischer Seite niemand mehr als er bekämpft wurde und noch bekämpft wird.“⁶⁰ In der These des „radikalen Bruchs“ blieb der protestantische Theologe der neutestamentlichen Forschung seiner Zeit verhaftet und stimmte zugleich mit einem wichtigen Strang der jüdischen Paulusinterpretation des 19. und frühen 20. Jahrhunderts bis hin zu Bubers Zwei Glaubensweisen aus dem Jahre 1950 überein, die den Apostel – in spiegelbildlicher Aufnahme der protestantischen Deutung – für den Prozess der Ent-

     

A.a.O., . Tillich, „Die Judenfrage“,  f. A.a.O., . A.a.O., . A.a.O., . Ebd.

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fremdung zwischen Judentum und Christentum verantwortlich machte.⁶¹ Antijüdische Züge finden sich jedoch seiner Auffassung nach erst im Johannesevangelium, in Folge der Begegnung des Christentums mit der heidnischen Welt. Von dort aus ziehe sich durch die Geschichte eine Feindseligkeit, sichtbar etwa in den mittelalterlichen Separationsgesetzen, die vor allem auf der Angst vor jüdischem Einfluss herrührten.⁶² Durchbrochen worden sei dies allenfalls durch fragile Augenblicke der Besinnung wie in den Bekehrungshoffnungen des frühen Luther, die aber unerfüllt geblieben seien und seine zornigen Ausbrüche gegen die „Verstocktheit des jüdischen Volkes“ motiviert hätten, „woraus dann der christliche Antijudaismus auch in den Kirchen der Reformation Fuß faßte“⁶³ und eine Theologie prägte, die in der Moderne mit zu den Wurzeln antisemitischen Denkens zu zählen sei. Erst der Nationalsozialismus habe den Kirchen vor Augen geführt, dass das Christentum durch die eigene Distanzierung vom Jüdischen radikal in seinem Fundament bedroht und dass es „der Geist des prophetischen Judentums“ sei, der allein die Kirche davor bewahren könne, „in eine nationale Religion, und d. h. ins Heidentum, zurückzusinken.“⁶⁴ Mit Blick auf die irrationalen Feindbilder des politischen Antisemitismus forderte Tillich von den Deutschen, über Schuldbekenntnisse hinaus ausdrücklich Verantwortung für die verhängnisvolle unhistorische Typisierung und Verzerrung des Bildes von Juden und Judentum in der deutschen Gesellschaft zu übernehmen und eine wirksame Gegentradition zu entwickeln. Ohne ein „Reinigungsopfer“, d. h. ohne eine kollektive Analyse dessen, was unbewusst hinter der antisemitischen Mentalität des deutschen Volkes in der Zeit vor und nach 1933 gestanden habe,⁶⁵ würde das typisierte Bild ansonsten selbst dann noch weiterwirken, „wenn

 Vgl. dazu Stefan Meißner, Die Heimholung des Ketzers. Studien zur jüdischen Auseinandersetzung mit Paulus (Tübingen: J.C.B. Mohr (Paul Siebeck),  / WUNT, Reihe , Bd. ); zu Buber vgl. bes.  – .  Tillich, „Die Judenfrage“, . Vergleiche man die mittelalterlichen Gesetze und die Ghettoisierung der jüdischen Minderheit mit den Nürnberger Rassegesetzen, so finde man zahlreiche Parallelen, doch richte sich die Begründung der kirchlichen Maßnahmen immer auf den angeblichen Fluch, den die Juden durch die Kreuzigung Jesu auf sich und ihre Nachkommen geladen hätten: „Das ist reinster Antijudaismus, aber es ist nicht Antisemitismus“ (ebd.). Zur Problematisierung einer solchen klaren Trennung von Antijudaismus und Antisemitismus durch die interdisziplinäre Antisemitismusforschung vgl. Christian Wiese und Doron Kiesel, „Zur politischen Dimension des Theologischen: Kontinuität und Diskontinuität von christlichem Antijudaismus und politischem Antisemitismus“, in: Religion und Politik. Analysen, Kontroversen, Fragen, hg. von Doron Kiesel und Ronald Lutz (Frankfurt am Main: Campus, ),  – .  Tillich, „Die Judenfrage“, .  A.a.O., .  A.a.O., .

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kein einziger Jude mehr im Erfahrungsbereich der Deutschen lebte, ja, es würde bleiben, wenn alle Juden vom Erdboden verschwänden.“⁶⁶ Auch Philosemitismus – häufig eine Umkehrung der Verunglimpfung ins übersteigert Positive – oder rationale Aufklärung seien kein Mittel, helfen könne allein der Versuch, den Zwang zur Typisierung des als „fremd“ Empfundenen zu durchbrechen. Zweifellos, so Tillich, liege mit der Existenz des Jüdischen in den europäischen Gesellschaften etwas Fremdes vor, doch anstatt das Judentum als etwas „willkommenes Fremdes“ wahrzunehmen, hätten die Deutschen es als „unwillkommenes Fremdes“⁶⁷ empfunden. Das Fremde sei immer dann unwillkommen, wenn es eine Gesellschaft „aus der Selbstverständlichkeit ihrer Selbstbejahung“ herausreiße und vor allem dann, wenn dieses Selbstgefühl zu schwach ausgeprägt sei, um Fremdes zu integrieren, das dann ein Gefühl der Angst hervorrufe: „Für das deutsche Unterbewußtsein ist ‚der Jude‘ zu nahe, um als Fremder willkommen geheißen zu werden, und nicht nah genug, um als Eigener erlebt zu werden.“⁶⁸ Antisemitismus sei daher auch Folge dieser Paradoxie von Nähe und Ferne, ein irrationaler Wahn, aus dem Erschrecken vor dem Spiegel geboren, den die jüdische Gemeinschaft den Deutschen vorgehalten habe: „Der Deutsche weiß, daß der Spiegel die Wahrheit sagt, aber er kann das Bild nicht ertragen, und darum reagiert er gegen den, der es ihm vorhält.“⁶⁹ Getreu seinen Überlegungen aus den Frankfurter Vorträgen von 1932/33 ging Tillich auch 1953 von einer tiefen deutsch-jüdischen kulturellen Nähe aus – eine Annahme, in der er sich durch viele seiner jüdischen Freunde im Exil, die sich selbst nach der Katastrophe des europäischen Judentums mit der deutschen Kultur identifizierten, bestätigt sah. Die Wirkung von Figuren wie Moses Mendelssohn, Rachel Varnhagen, Heinrich Heine über Karl Marx bis zu Hermann Cohen und der schöpferische Beitrag der deutschen Juden seit dem Zeitalter der bürgerlichen Gleichberechtigung sei ohne die Annahme einer Kulturaffinität nicht zu erklären,⁷⁰ und so reflektierte er über unterschiedliche Elemente einer Strukturähnlichkeit, die „zu stärkster Anziehung und schärfster Abstoßung“⁷¹ zwischen dem deutschen und dem jüdischen Wesen geführt habe. Hochproblematisch sind in diesem Kontext Tillichs Hinweise auf die „seelische Zerrissenheit“, die beide

 A.a.O., .  A.a.O., . Auffällig ist die Parallelität zu Bubers Begriff des „positiv Fremden“ in seinen Reflexionen über die deutsch-jüdische Symbiose; vgl. Buber, „Das Ende der deutsch-jüdischen Symbiose“, .  Tillich, „Die Judenfrage“, .  Ebd.  A.a.O.,  f.  A.a.O., .

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Völker teilten und die z.T. „in einer Mischung von Selbsthaß und Selbstüberschätzung“⁷² zum Ausdruck komme. Mindestens ebenso verfehlt erscheint aus heutiger Perspektive die Parallelisierung eines „falschen Berufungsbewußtseins“ von Juden und Deutschen: Im Falle der Deutschen diagnostiziert Tillich ein fehlendes richtiges Berufungsbewusstsein, an dessen Stelle die „Häßlichkeit und Brutalität“ des machtpolitischen Nationalismus des Wilhelminischen Kaiserreichs und das rassische Selbstbewusstsein des Nationalsozialismus getreten sei, im Falle des religiös begründeten jüdischen Erwählungsbewusstseins eine mögliche Fehlentwicklung, sofern es sich dem Maßstab der prophetischen Kritik entziehe und „in einen Nationalismus ohne Selbstkritik“⁷³ übergehe. Nicht zuletzt führt er als Analogie an, es habe seit jeher ein Gegensatz zwischen der deutschen Kulturelite und der „ungeformten Masse“ bestanden und auch das jüdische Volk sei nicht immer „dem absoluten Ideal der prophetischen Verkündigung“⁷⁴ gefolgt. Interessanter als diese mehr als befremdlichen Thesen erscheint – mit Blick auf ein Grundelement Tillich’schen Denkens – das Argument, beide Völker hätten in ihrer Geschichte jeweils einmal eine „prophetisch-reformatorische Bewegung“ erlebt – die Juden bei den klassischen Propheten, die Deutschen mit Martin Luther und der Reformation. In beiden Fällen sei „ein Unbedingtes als Gericht und Forderung in die Relativitäten und Zweideutigkeiten der nationalen Selbstverwirklichung“ eingebrochen, bei den Juden mit der Folge diasporischer Existenz als „Volk der Zeit“ statt des Raumes, bei den Deutschen mit der Folge der Ungesichertheit der Nation und des „weltgeschichtliche[n] Zuspätkommen[s] der räumlichen Selbstverwirklichung“⁷⁵. Während die These von der Affinität von jüdischer Prophetie und Protestantismus Anklänge an Hermann Cohens Überlegungen über Deutschtum und Judentum (1915) sowie seiner Lutherdeutung wäh-

 A.a.O., . „Selbstverständlich versuchen wir so stark wie möglich, es uns selbst zu verheimlichen, aber jeder Deutsche, der viel mit Juden, insonderheit liberalen Juden, umgegangen ist, und jeder Ausländer, der Deutsche objektiv zu betrachten imstande ist, wird jene seltsame und widerspruchsvolle Mischung finden. Sie ist in beiden Fällen sowohl Schicksal wie Charakter“ (ebd.). Als jüdisches Beispiel verweist Tillich auf Karl Marx’ Schrift Zur Judenfrage aus dem Jahre  (a.a.O., ). Eine Parallele zu Tendenzen der Selbstverneinung der Deutschen erblickt er in der Neigung christlicher Theologen jüdischer Herkunft, deren Kritik am Judentum oft in hohem Maße fanatisch sei, weil sie „etwas in sich unterdrücken“ (a.a.O., ) müssten.  A.a.O., . Hier könnte es sich um ein Echo auf Bubers zahlreiche nationalismuskritische Essays aus der Zeit nach der Staatsgründung Israels handeln; vgl. etwa Martin Buber, „Der Geist Israels und die Welt von heute“, in: Ders., Der Jude und sein Judentum. Gesammelte Aufsätze und Reden (Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft,  []),  – .  Tillich, „Die Judenfrage“,  f.  A.a.O., .

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rend des Ersten Weltkriegs aufweist,⁷⁶ scheint Tillichs Zuspitzung, in beiden Völkern werde „das Raumproblem als metaphysisches Problem“ empfunden, „als Problem der letzten Sinndeutung der nationalen Existenz“⁷⁷, eine in Auseinandersetzung mit Hegel formulierte eigenständige Konstruktion des protestantischen Denkers zu sein. Die eigentliche Zielrichtung des gesamten Argumentationsgangs besteht jedoch in der Diagnose, die wichtigste Ursache des deutschen Antisemitismus habe letztlich in einem Problem bestanden, das es theologisch zu reflektieren gelte: „Denn der Spiegel, den das Judentum dem Deutschen vorhält, kommt aus der prophetischen Tradition und hat darum eine besondere Bedeutung und eine besondere Vollmacht.“⁷⁸ Das „jüdische Problem“ war aus Tillichs Sicht letztlich nur von seiner religiösen Dimension her zu verstehen, die darin bestehe, dass mit „der Geschichte des jüdischen Volkes etwas Einmaliges und Einzigartiges“⁷⁹ und somit etwas theologisch wie philosophisch Zentrales vorliege. Seine Argumentation, die für sein Verständnis des Judentums entscheidend ist, soll hier kurz nachgezeichnet werden. Grundlage seiner Darlegungen über das Verhältnis von Judentum und Christentum sowie jenes beider zum „Deutschtum“ ist die These von der Polarität zweier Elemente des Heiligen als eines Merkmals der gesamten Religionsgeschichte. Gemeinsam, in dieser Polarität, konstituieren das „sakramental-priesterliche“ Element, in dem das Heilige gegenwärtig wird, und das „prophetischsoziale“ Element, welches die göttliche Forderung zum Maßstab macht, religiöse Wahrheit; für sich alleine, losgelöst von der Polarität,verkommen sie entweder zur Magie oder zum reinen Gesetz.⁸⁰ Verkörpert die römisch-katholische Kirche die  Vgl. Hermann Cohen, „Deutschtum und Judentum“ (), in: Jüdische Schriften, hg. von Bruno Strauß, Bd.  (Berlin: Schwetschke, ),  – ; zu Cohens Lutherdeutung vgl. Christian Wiese, „Überwinder des Mittelalters? Ahnherr des Nationalsozialismus? Zur Vielstimmigkeit und Tragik der jüdischen Lutherrezeption im wilhelminischen Deutschland und in der Weimarer Republik“, in: Lutherinszenierung und Reformationserinnerung, hg. von Stefan Laube und Karl-Heinz Fix (Leipzig: Evangelische Verlags-Anstalt,  / Schriften der Stiftung LutherGedenkstätten in Sachsen-Anhalt, Bd. ),  – , bes.  – .  Tillich, „Die Judenfrage“, .  A.a.O., .  A.a.O., .  Vgl. a.a.O.,  f. Das Motiv und die Interpretation der Polarität des Sakramentalen und Prophetischen erinnert teilweise an Konzepte, die Leo Baeck in den er Jahren geltend gemacht hatte, einerseits in polemischer Wendung gegen das Christentum, vor allem jedoch in der konstruktiven Interpretation der innerjüdischen Polarität; vgl. Leo Baeck, „Romantische Religion“ (), in: Ders., Aus drei Jahrtausenden. Wissenschaftliche Untersuchungen und Abhandlungen zur Geschichte des jüdischen Glaubens (Tübingen: J.C.B. Mohr, ),  – ; ders., „Geheimnis und Gebot“ (), in: Werke, hg. von Albert H. Friedlander, Bd. , Wege im Judentum. Aufsätze und Reden (Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus, ),  – .

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vollendete Form des sakramentalen Typus der Religion, ohne das Element der Forderung ganz auszublenden, so findet sich der entgegengesetzte Pol in der biblischen Prophetie, konkret in der Rolle der prophetischen Kritik an der Verabsolutierung des Sakramentalen sowie an der sozialen Indifferenz ritueller Frömmigkeit.⁸¹ Auch hier geht es jedoch nicht um ein abstraktes moralisches Gesetz, sondern um die Forderung „auf Grund des Bundes, den Gott mit dem Volk geschlossen hat, oder auf Grund des Geschehens, auf dem die Kirche ruht.“⁸² Einen besonderen Akzent legt Tillich in diesem Zusammenhang auf das Verhältnis der beiden Pole zu den Kategorien von Raum und Zeit. Das Sakramentale zeichnet sich durch jene Raumgebundenheit aus, die vor allem für den Polytheismus charakteristisch ist, mitsamt den Konflikten zwischen Göttern, die jeweils einen universalen Anspruch erheben, und die die Neigung aller Völker und Gruppen begründet, „den eigenen Raum im Namen des Heiligen absolut zu setzen und allen anderen Räumen entgegenzustellen“⁸³, vielfach um den Preis der Unterdrückung anderer Völker und Rassen. In der Sphäre des Prophetischen hingegen, das zu allen Zeiten gegen die Auswüchse des Sakramentalen zu kämpfen hat, wird die Raumgebundenheit durchbrochen, symbolisch vorweggenommen in Abraham, der herausgerufen wird aus seinen sozialen, kulturellen und religiösen Bindungen, „herausgerufen aus dem Raum in die Zeit.“⁸⁴ Das bedeutet nicht, dass die Kategorie des Raumes vollständig verneint wird: „Er soll ja in ein Land gehen, das Gott ihm zeigen will. Aber dieser Raum der Zukunft wird unbestimmt gelassen. Es ist ein Raum, der durch den Modus der Zukunft bestimmt ist, und Zukunft ist der Modus der Zeit, ihr entscheidender Modus.“⁸⁵ Die religiöse und historische Erfahrung des Volkes Israel,vom Exodus über die fortwährenden Exile bis hin zu den vielfachen Vertreibungen aus dem prekären „Gastraum“ der Diaspora, konstituiert „den Übergang des jüdischen Volkes aus der Raumgebundenheit zu dem Verhaftetsein an die Zeit“⁸⁶. Daraus aber ergibt sich die einzigartige Rolle des Judentums, sichtbar bereits in der Zeit der Römer, als sein zeitgebundener Monotheismus als Angriff auf den Pantheon der raumgebundenen Götter gedeutet wurde. Als in biblischer Zeit aus dem jüdischen Nationalgott der Gott des erwählten Volkes Israel wurde, erfassten die Propheten sein Wesen als das des universalen Gottes der Gerechtigkeit, vor dessen unbedingter Forderung nach Heiligkeit auch keine Berufung auf Auserwähltheit und Priesterkult bewahren

     

Tillich, „Die Judenfrage“,  f. A.a.O., . A.a.O., . Ebd. Ebd. A.a.O., .

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könne.⁸⁷ Aus der Perspektive dieser Deutung ergibt sich eine geschichtstheologische Zuschreibung, mit der Tillich die bleibende Bedeutung des Judentums für alle Zeit begründet, als Voraussetzung des Christentums, aber auch neben und im Gegenüber zu ihm: Die Geschichte des Judentums ist ein ständiger Konflikt zwischen der Macht des Raumes, dem alles, was Dasein hat, unterworfen ist, und der Forderung der Zeit, die aus den Sicherungen des Raumes herausreißt. Auf der einen Seite steht die Bundesschließung, die Erwählung Israels, die Gabe des Gesetzes, die Zusammengehörigkeit von Gott und Volk. Auf der anderen Seite steht der Bruch des Bundes durch Israel, der Schnitt zwischen Gott und dem Volk, das Gericht und die Verwerfung. Aber die Verwerfung hebt die Erwählung nicht auf. Es ist immer ein Rest da, der dem Gott der Zeit gehorsam bleibt und die Funktion des Judentums, das Volk der Zeit zu sein, weiterführt. Darum bleibt das Judentum für alle Zeiten ein Stachel im Fleisch aller Raumvergottung, aller Nationalismen und Imperialismen.⁸⁸

Das Christentum gehört Tillich zufolge mit in diese Geschichte des Judentums hinein und führte sie in einer anderen Gestalt des Universalismus fort, etwa indem es „die Raumgebundenheit des Jüdischen durchbrach und Erwählte aus allen Völkern sammelte.“⁸⁹ Zugleich entging das Christentum den Kräften des Sakramentalen nicht, insofern es Christus zum „Ursakrament“ machte und sich in der Spannung zwischen „Schon“ und „Noch nicht“, zwischen erfüllter und erhoffter Messianität bewegt.⁹⁰ Dazu kommt, dass im christlichen Staatskirchentum das Sakramentale fast vollständig an die Stelle des Prophetischen getreten sei, ohne jedoch die Gegenkräfte in der Geschichte des christlichen Europa verdrängen zu können: In der Reformation sei das „prophetische Prinzip“, das Judentum und Christentum verbinde, „die Verneinung jedes Anspruchs eines Endlichen, durch sakramentale Weihe an die Stelle Gottes zu treten“, ebenso sichtbar geworden wie in der Sphäre des Kulturellen, im „Kampf der Aufklärung gegen die Tyrannei der Kirchen“⁹¹, in der bürgerlichen Revolution des 18. Jahrhunderts und in den bürgerlich-sozialen Revolutionen des 19. und 20. Jahrhunderts. Die Erkenntnis, die sich in all diesen Bewegungen widerspiegelt, bedurfte jedoch, wie Tillich nach den Ereignissen der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts noch entschiedener urteilte als in seinen Texten aus den 1930er Jahren, der stetigen Erinnerung durch das Judentum, und zwar „in aller absehbarer Geschichte“: „Es ist seine Funktion, den Geist des Prophetismus wachzuhalten, sich selbst gegenüber, gegenüber den nationalen Gruppen und gegenüber den christli-

    

A.a.O.,  f. A.a.O., . A.a.O., . Vgl. ebd. A.a.O., .

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chen Kirchen, wenn sie der Bindung an den Raum verfallen. Die Juden sind und müssen das Volk der Zeit bleiben.“⁹² Tillichs geschichtstheologisches Insistieren auf der jüdischen Rolle als „Volk der Zeit“ hatte unmittelbare Folgen für seine Einschätzung der zeitgenössischen politischen Fragen nach dem Zionismus, dem Staat Israel und dem Judentum in der Diaspora nach der Shoah. War das Exil nicht ein geschichtlicher Zufall, sondern Notwendigkeit, eine Tatsache, die „das Wesen des Juden selbst“ und die gottgewollte Rolle des jüdischen Volkes ausdrückte, so waren im Grunde zwei Entwicklungen als Fehlwege zu deuten: die „Assimilation“ ebenso wie ein Zionismus, der mit der Schaffung eines jüdischen Staates auch das Ende der Diaspora verkünde. Die „Assimilation“, d. h. die vollständige soziale und kulturelle Identifizierung mit dem „fremden Raum“ und Preisgabe des „Volk-Elements“, in Europa am Vernichtungswillen der Nazis gescheitert, in Amerika dagegen ein Faktum, das den „Verlust der religiösen Sonderung“ und ein vollständiges „Versinken in der christlichen Kultur“⁹³ nach sich zu ziehen drohe, erschien ihm als fataler Verlust der wichtigsten Menschheitsfunktion des jüdischen Volkes. Der politische Zionismus und die Staatsgründung Israels dagegen begründeten nicht allein scharfe Konflikte zwischen unterschiedlichen Kräften des Judentums innerhalb der zahlenmäßig nach wie vor überlegenen Diaspora sowie innerhalb der neuen Nation, sondern brächten für das jüdische Volk zudem das Risiko mit sich, ein Volk wie alle anderen Völker zu werden, seine über Jahrhunderte im Exil bewahrte spezifische „seelische Struktur“ zu verlieren, sofern es nicht gelinge, einen säkularen, aber gleichwohl „theokratischen“ Staat zu organisieren, der Gottes Wille zur Basis seiner politischen und gesellschaftlichen Gestaltung zu machen versuche. Die bisherige Entwicklung Israels lasse jedoch daran zweifeln, dass es möglich sei, „einen modernen Nationalstaat auf theokratischer Grundlage aufzubauen.“⁹⁴ Dass das erwählte Volk Gottes dazu berufen sei, „Volk der Zeit (Volk ohne eigenen Raum) zu sein“, bedeute nicht, dass man von „den Durchschnittsjuden in aller Welt“ verlangen dürfe, an der Diasporaexistenz festzuhalten, schon gar nicht aus nichtjüdischer Perspektive. Dennoch lautete die entscheidende Frage aus Tillichs Sicht, ob der eigene Raum, den Israel nun für sich gefunden habe, „zu neuen Verkörperungen des prophetischen Geistes“ führen könne oder ob der moderne Nationalismus mitsamt den Gefahren der „Raumgebundenheit“ triumphieren und Israel zu einem Volk machen werde, „das nur noch ‚Volk‘ ist“⁹⁵.

   

A.a.O.,  (Hervorhebung im Original). A.a.O.,  f. A.a.O.,  f. A.a.O.,  f.

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Es ist unklar, welche Rolle genau Tillichs Wissen um Bubers Zionismus bei diesen Reflexionen spielte, doch man wird davon ausgehen dürfen, dass er mit dessen Interpretation des jüdischen Nationalismus ebenso vertraut war wie mit seiner zwiespältigen Haltung zum Staat Israel nach 1948. Der Unterschied zwischen beiden besteht darin, dass Buber in allen seinen politischen Stellungnahmen seit der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg gerade keine Geschichtstheologie vertrat, die eine Fortdauer der Diasporaexistenz des Judentums begründete. Im Gegenteil, seine Kritik der Situation des jüdischen Volkes in der Diaspora zielte gerade auf den Aufbau einer jüdischen Volksgemeinschaft in Palästina, mit der das „Wurzelloswerden“ der jüdischen Religion rückgängig gemacht werden sollte. Der jüdische Nationalismus, so Buber 1921 in einer programmatischen Rede, sei „der Nationalismus eines schollenlosen Volkes, eines Volkes, das sein Land verlor und diesen fundamentalen Mangel […] nun in entscheidender Stunde beheben will: es will sein heilig-natürliches Leben zurückgewinnen.“⁹⁶ Was hingegen das Prophetische als kritische Richtschnur für den ethischen Charakter eines nicht-chauvinistischen jüdischen Nationalismus betrifft, der zum Vorbild für das vom Ersten Weltkrieg zerrissene Europa werden sollte, sowie mit Blick auf die Schärfe der Warnung vor einer Volksvergötzung waren die Perspektiven Bubers und Tillichs sehr ähnlich. Seit dem Ende der 1950er Jahre waren bei Tillich bezüglich des Staates Israel übrigens neue Akzente zu vernehmen. Bei einem christlich-jüdischen Kolloquium über „Israels Wiedergeburt im Mittleren Osten“ in Chicago am 21. Januar 1959 bekräftigte und entfaltete er zunächst seine theologisch-politische Überzeugung, der Sinn der Existenz des Volkes Israel liege nicht in einer eigenständigen geschichtlichen Existenz – ein Echo von Franz Rosenzweigs Diktum von der „Erdfremdheit“ und permanenten Exilhaftigkeit jüdischer Existenz.⁹⁷ In Anknüpfung an biblische Traditionen – die Berufung Abrahams, den Exodus, die Überlieferung von Exil und „Verbannungen in fremde Räume“, die Tempelzerstörungen – formulierte er als seine theologische Grundüberzeugung, das Schicksal des jüdi-

 Martin Buber, „Nationalismus. Rede in Karlsbach anlässlich des XII. Zionisten-Kongresses“, in: Ein Land und zwei Völker. Zur jüdisch-arabischen Frage, hg. von Paul R. Mendes-Flohr (Frankfurt am Main: Jüdischer Verlag, ),  – , hier .  Vgl. Franz Rosenzweig, „Geist und Epochen der jüdischen Geschichte“ (), in: Der Mensch und sein Werk. Gesammelte Schriften, Bd. , Zweistromland. Kleinere Schriften zu Glauben und Denken, hg. von Reinhold Mayer und Annemarie Mayer (Dordrecht: Springer,  []),  – , hier . Auch Rosenzweig greift auf die Geschichte von der Berufung Abrahams zurück, um das Exil als Wesen jüdischer Geschichte darzustellen; er verbindet diese Deutung jedoch, anders als Tillich, mit der Idee der Ewigkeit des jüdischen Lebens jenseits der historischen Zeit: Israel verkörpert den „Kampf des höheren Lebens gegen das Versinken in die Bedingtheiten des Bodens und der Zeit“ (ebd.)

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schen Volkes habe stets darin bestanden, „aus seinem gegebenen Lebensraum herausgerufen zu werden“⁹⁸, ohne dass die Vorstellung eines eigenen Raums und die symbolische Bedeutung des Berges Zion jemals ganz verschwunden wäre. Israel im Exil verkörpere den prophetischen Angriff gegen „[d]ie Verbindung von Boden, Opfer, Gott und der Ausschaltung der Gerechtigkeit“, die Vorstellung der Propheten von der Geschichte als dem Ort der „Verwirklichung des Reiches Gottes“, getragen vom erwählten Volk. Die von den Propheten beklagte Verletzung des Bundes durch das Volk Israel markiere demnach religionsgeschichtlich einen Wendepunkt, „eines der größten Ereignisse der Religionsgeschichte“, den „Sieg der Zeit über den Raum“, die Schaffung eines Volkes ohne eigenständige historische Existenz: „Sein Schicksal scheint erfüllt. Judentum, das Volk der Zeit ohne Raum, Judentum, eine Warnung für die Christen vor der heiligen Ungerechtigkeit religiösen Nationalismus und religiösen Sakramentalismus!“⁹⁹ Die christlichen Völker hätten jedoch diese Warnung missachtet und jene, die ihnen den Spiegel vorhielten, mit höchster Brutalität behandelt, so dass die Ungeheuerlichkeit der Geschehnisse des 20. Jahrhunderts die Menschheit nunmehr „unausweichlich vor das Problem des Raumes für das jüdische Volk“¹⁰⁰ stelle. Anfänglich hätten gerade die Begegnungen mit jüdischen Gesprächspartnern, deren Denken ihm als Schutzwall für all jene gegolten habe, welche die Neigung verspürten, den fundamentalen prophetischen Widerspruch gegen die Lockungen des Nationalismus zu überhören, starke Zweifel an der Legitimität des Umdenkens in dieser zentralen Frage genährt.¹⁰¹ Doch sei er nach zahllosen Gesprächen zu dem Schluss gekommen, die Juden könnten nicht in ihrer Gesamtheit dem Schicksal unterworfen werden, Verkörperung der Raumlosigkeit und Gerechtigkeit zu sein, ohne den Schutz geschichtlicher Existenz zu genießen. Vielmehr habe er eingesehen, dass sein „Versuch, Vorsehung spielen“ und das jüdische Volk in seiner Gesamtheit geschichtstheologisch auf eine prophetische Rolle festlegen zu wollen, „eine Art metaphysisches Unrecht“ gewesen sei. Israel – nicht als das „verheißene Land“, sondern als staatliches Gebilde, mitsamt allen Elementen geschichtlicher Existenz, einschließlich der damit verbundenen Machtstrukturen und Ungerechtigkeiten – sei mit Recht nach der Shoah politische Realität geworden, dürfe aber nicht mit der Bestimmung des „Volkes der Zeit“ gleichgesetzt werden. Vielmehr gelte es zu hoffen, dass es in Israel wie in der Diaspora auch in Zukunft Juden geben werde, die für das prophetische Prinzip der Gerechtigkeit einstünden und  Paul Tillich, „Meine veränderte Stellung zum Zionismus“ (), in: GW XIII,  – , hier .  A.a.O.,  f.  A.a.O., .  Vgl. a.a.O.,  f.

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die Hoffnung repräsentierten, „daß das Reich Gottes sich in der Geschichte und zugleich im übergeschichtlichen Sinne verwirklicht.“¹⁰² 1963, in seinem lesenswerten Bericht von einer Israelreise, auf der er ein letztes Mal mit Buber zusammentraf und die ihn tief beeindruckte,¹⁰³ schilderte Tillich ein aus seiner Sicht einzigartiges Gemeinwesen, dessen Existenzrecht sich religiös aus einer – der Vernunft unzugänglichen – Verbindung von Volk und Land kraft göttlicher Verheißung, aus säkularer Sicht hingegen aus seiner Funktion als nationale Zufluchtsstätte für Juden aus aller Welt rechtfertigen lasse. Er halte Israel nicht für eine Theokratie, sondern für einen „echten Staat“, der sich allerdings auf eine über Jahrtausende verschwundene und nun erst wiederbelebte nationalreligiöse Tradition stütze und insofern durch eine Spannung geprägt sei, die sowohl zum Reichtum als auch zur Gefährdung dieses Staates beitrage.¹⁰⁴ Als Beobachter äußerte Tillich große Bewunderung für den Aufbau des Landes, die Pionierarbeit der Kibbuzim sowie die Kraft und Entschlossenheit der jungen Generation, deren Haltung gegenüber der religiösen Tradition ihm allerdings völlig unklar sei. Als Religionsphilosoph könne er jedoch der Frage nicht ausweichen, was die Gründung des Staates Israel für die Religion und die Weltgeschichte bedeute, und seine Antwort weist z.T. erstaunliche Parallelen zu den Ideen Bubers auf. Israel, so Tillichs Antwort, sei eine politische Realität und ein „machtvolles religiöses Symbol“, ein kleiner Staat unter den Staaten des Nahen Ostens, „eine Mischung von verwirklichter und unerfüllter Hoffnung.“¹⁰⁵ Die Hoffnung könne verspielt werden, durch vollständige Säkularisierung und den Verlust des Jüdischen, durch ideologische Entwicklungen, die der Gerechtigkeit zuwiderliefen, oder durch eine „Orientalisierung“, die es dem westlichen Judentum unmöglich mache, sich mit der Kultur des jungen Staates zu identifizieren. „In all diesen Fällen wäre allein der Boden das Symbol der Hoffnung für das jüdische Volk, wie er es vor 2000 Jahren war. Und der Versuch, durch die Gründung eines

 A.a.O.,  f.  Paul Tillich, „Eindrücke von einer Israelreise“, in: GW XIII,  – . Tillich war von der israelischen Regierung eingeladen worden, hatte zuvor Ägypten besucht, aus historischen Gründen, wie er schrieb, „denn der Auszug aus Ägypten ist das entscheidende Ereignis für die jüdische Deutung der Geschichte“ (a.a.O., ); ein Visum für Jordanien und somit für den Ostteil Jerusalems blieb ihm dagegen verwehrt. In Israel war Tillich vor allem von der Landschaft, den von ihr heraufgeschworenen biblischen Bezügen und von den Spuren der schöpferischen und gewaltsamen Weltgeschichte in diesem Land fasziniert. Eine Rolle spielte auch der Besuch der Stätten der neutestamentlichen Geschichte, aus dem Tillich jedoch die theologische Schlussfolgerung zog, die geographische und historische Kenntnis dieser Orte sei völlig unerheblich „für den Glauben und die Beurteilung des religiösen Sinnes und der Gewalt des Geschehens selbst“ (a.a.O., ).  Vgl. a.a.O., .  A.a.O., .

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eigenen Staates ein Symbol der Hoffnung zu schaffen, wäre zum Scheitern verurteilt.“¹⁰⁶ Ein solches Hoffnungssymbol – wie zweideutig und fragmentarisch auch immer – könne dieser Staat jedoch dann sein, wenn Israel der Forderung genüge, „daß es in jeder Hinsicht dem prophetischen Geist des Judentums verpflichtet bleibt, wenn auch die Wirklichkeit unendlich hinter der Erfüllung zurückbleibt.“¹⁰⁷ Doch kehren wir nach diesem Exkurs zu Tillichs Vorträgen über die „Judenfrage“ zurück, deren letzter Teil den Konsequenzen seiner historischen, geschichtsphilosophischen und theologischen Reflexionen für die zukünftige Beziehung zwischen Christentum und Judentum gewidmet ist. An erster Stelle steht die Forderung, das Christentum müsse „das Alte Testament als einen integrierenden Bestandteil der christlichen Bibel und die Religion des Alten Testaments als einen integrierenden Bestandteil der christlichen Existenz“¹⁰⁸ nicht allein hinnehmen, sondern ausdrücklich bejahen. Auf dem Hintergrund der Erfahrung der Debatten über die Kanonizität des Alten Testaments, welche die protestantische Theologie vor und während der Zeit des Nationalsozialismus erschüttert hatten, erinnerte Tillich an die seit den gnostisch-synkretistischen Angriffen der Spätantike immer wieder auftauchende Versuchung, das Christentum von seinen historischen Wurzeln abzuschneiden und „Jesus in einen Kultgott neben anderen oder einen nationalen Führer und Propheten zu verwandeln“¹⁰⁹. Zerbreche die Kontinuität des Neuen Testaments zur Hebräischen Bibel, die „den Gott der Zeit, der Schöpfung, der Gerechtigkeit, der Erlösung, den Gott des prophetischen Urteilens und Verheißens“ repräsentiere, ohne den sich „die christliche Gemeinde in eine heidnische Sekte mystisch-okkulter Art“¹¹⁰ verkehren müsse, so habe das Christentum seine Wahrheit verspielt. Zudem wäre noch eine weitere Dimension der christlichen Botschaft verloren, die in den religiös-sozialen Bewegungen der Zeit vor dem Nationalsozialismus sichtbar geworden sei: Im Gegensatz zur vorrangig individuellen Frömmigkeit des Neuen Testaments spreche die prophetische Botschaft der Hebräischen Bibel „von Völkern, sozialen Schichten, politischen Formen“¹¹¹, d. h. von der aktiven, verantwortlichen Weltgestaltung, ohne die sich das Christentum in mystische Weltflucht verliere.

     

Ebd. A.a.O., . Tillich, „Die Judenfrage“, . A.a.O., . A.a.O., . Ebd.

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Die zweite Forderung, der sich das Christentum Tillich zufolge zu stellen hatte, war „die Bekämpfung seines eigenen Antijudaismus.“¹¹² Ohne bereits konkrete Kategorien zur Verfügung zu stellen, die Jahrzehnte später das Bekenntnis zur Mitschuld der Kirchen an der Shoah und ein theologisches Programm der „EntAntijudaisierung“ des Christentums begründeten,¹¹³ erkannte er an, dass der Antijudaismus nicht nur mit zu den Wurzeln des Rassenantisemitismus gehöre, sondern auch zum Versagen der christlichen Kirchen angesichts der nationalsozialistischen Judenverfolgung beigetragen habe. Zu spät hätten die christlichen Kirchen aufgrund ihrer antijüdischen Tradition begriffen, „daß ein Angriff auf das Judentum als Judentum auch ein Angriff auf das Christentum“¹¹⁴ sei. Zu den Aufgaben der Kirchen gehöre es daher, grundlegende und tiefverwurzelte Elemente der religiösen Judenfeindschaft, etwa die absurde Behauptung der kollektiven jüdischen Schuld an der Kreuzigung Jesu, die Juden zu unheimlichen Fremden gemacht habe, endgültig zu überwinden.¹¹⁵ Sie müssten sich zudem dessen bewusst werden, dass der Antijudaismus bis in das Neue Testament zurückreiche, etwa in die johanneische symbolische Typisierung der Juden als Verkörperung einer Form von Frömmigkeit, die auch im Christentum wiederkehre. Anstatt diese „antijudaistische Kritik“ ausschließlich gegen das Judentum zu richten, hätten die Kirchen sie als kritischen Maßstab für ihre eigene religiöse Existenz begreifen müssen: „Und wenn die Kirche gegen sich selbst antijudaistische Kritik übt, dann kann ihr Antijudaismus nicht in Antisemitismus ausarten.“¹¹⁶ Nicht zuletzt betonte Tillich, spätere theologische Debatten vorwegnehmend, ein Kriterium der Distanzierung des Christentums vom Antijudaismus sei die Haltung gegenüber der Judenmission. Persönlich schien ihm 1953 eine aktive Missionstätigkeit mit Blick auf gläubige Juden „psychologisch und soziologisch unmöglich“, während er eine „aufnehmende Judenmission“, bei der Christen in Fällen, „wo dem jüdischen Menschen seine existentiellen Grenzen sichtbar geworden sind“, auf die christlichen Symbole als Antwort auf „die inneren Konflikte des Judentums“¹¹⁷ hinwiesen, als legitim betrachtete. Wenige Jahre später, in dem erwähnten Vortrag im Kontext eines christlich-jüdischen Kolloquiums in Chicago, forderte er wesentlich entschiedener, die missionarische Perspektive zugunsten

 A.a.O., .  Vgl. etwa Ekkehard W. Stegemann, „Die Befreiung der Theologie vom Antijudaismus als wissenschaftliche Aufgabe“, Judaica  (),  – .  Tillich, „Die Judenfrage“, .  Vgl. a.a.O.,  f.  A.a.O., .  A.a.O., .

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eines offenen Dialogs und wechselseitigen Zeugnisses zwischen Judentum und Christentum aufzugeben: Statt Mission sollte man, wie ich selbst erfahren habe und empfehlen würde, einen ständigen jüdisch-christlichen Dialog führen, so wie ich es mit einem jüdischen Freund 30 Jahre lang getan habe und wie es zwischen uns weitergehen wird, solange wir leben und uns begegnen können. Unser Dialog drehte sich vor allem um eine in jeder menschlichen und religiösen Beziehung bedeutsame Sache, nämlich um die Aussage des Christentums, daß Jesus der Christus sei, was vom Judentum bestritten wird. Diese Behauptung ist seit 2000 Jahren Gegenstand des jüdisch-christlichen Dialogs. Und wenn ich auf meine eigenen Erfahrungen blicke, bin ich der Auffassung, daß dieser Dialog jeden Christen veranlassen sollte, die Aussage, daß Christus der Messias sei,von aller Vergötzung fernzuhalten.Wenn man Jesus als den Christus anerkennt und nicht gleichzeitig jedes Abgleiten in irgendeine Art von Götzendienst ausschließt, etwa, indem man ihn auf eine Ebene mit Gott oder als einen zweiten Gott gegen Gott stellt, so sollte man sich die jüdische Kritik zu eigen machen und die eigenen Aussagen und Frömmigkeitsformen kritisch bedenken. Auf der anderen Seite könnte der Dialog jeden Juden, der an ihm teilnimmt, mahnen, die Substanz seiner Tradition nicht zu vergessen anstatt sich in bloße Aufklärung, sei sie moralistisch oder mechanistisch-rituell, zu verlieren. Aus diesen Gründen, diesem wechselseitigen Geben und Nehmen, glaube ich, sollte der Dialog, solange es ein Christentum geben wird, niemals abreißen.¹¹⁸

Der Akzent auf der bleibenden Verwiesenheit auf das Judentum als lebendiges, kritisches Gegenüber christlichen Selbstverständnisses begegnet bereits in Tillichs Vorlesungen von 1953 – in seiner dritten Forderung, das Christentum müsse das Judentum „als Repräsentanten der prophetischen Kritik an sich selbst“¹¹⁹ verstehen. Die paulinische Deutung,wonach erst die Fülle der Heiden die Botschaft des Evangeliums angenommen haben müsse, „ehe auch Israel in diese universale Einheit eingehen kann“, interpretiert er als theologische Begründung nicht allein der Legitimität, sondern auch der Heilsnotwendigkeit des Judentums als einer vom Christentum differenten Tradition, und zwar als Warnung gegen die „Paganisierung des Christentums“, die angesichts des Charakters des modernen Nationalismus noch dringlicher geworden sei: „Es gehört zur Funktion des Judentums, dem Christentum den Spiegel seines eigenen Rückfalls ins Heidnische vorzuhalten.“¹²⁰ Die damit ausgesprochene Anerkennung der Gegenwartsbedeutung des Judentums, die allerdings dessen Fortexistenz vor allem an die ihm zugeschriebene Verkörperung des Prophetischen als eines kritischen Maßstabs für das Christentum

 Tillich, „Meine veränderte Stellung zum Zionismus“, . Der Hinweis auf die -jährige Freundschaft mit seinem jüdischen Gesprächspartner dürfte sich zweifelsohne auf Martin Buber beziehen.  Tillich, „Die Judenfrage“, .  Ebd.

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bindet, statt das Eigenrecht der jüdischen Geschichte, religiösen Tradition und Kultur in den Vordergrund zu stellen, bedeutete für Tillich allerdings nicht die Aufhebung des Trennenden – im Gegenteil: Der Gegensatz zwischen dem entschiedenen „Glaube[n] des Christentums, daß Jesus der Christus ist“, und der ebenso grundsätzlichen „Frage des Judentums, wie jemand ‚Christus‘ sein kann, der nicht die Funktion des Christus erfüllt hat, die Wirklichkeit zu verwandeln und eine neue Wirklichkeit herbeizuführen“, ist absolut und bezeichnet den „tiefsten Punkt der Auseinandersetzung zwischen Judentum und Christentum.“¹²¹ Dieser fundamentale Unterschied zwischen der christlichen Hinwendung zum gekommenen Christus und der in ihm angebrochenen Erlösung sowie der jüdischen Hinwendung zum erwarteten Messias in der unerlösten Welt schließt jedoch, so Tillichs Überzeugung, konvergierende Linien inmitten dieses absoluten Gegensatzes nicht aus. Greifbar seien sie in der Tatsache, dass auch die jüdische Tradition mit dem Bund Gottes mit seinem Volk Israel etwas Gekommenes kenne, während das Christentum etwas Zukünftiges besitze, was es mit dem Symbol des zweiten Kommens des Christus erhoffe. Über diese angedeuteten Konvergenzlinien hinaus lasse sich nicht mehr theologisch argumentieren, sondern nur noch predigen: Der Inhalt einer solchen Predigt wäre, den Christen zu sagen: Das einzige Argument, was Ihr gegen das jüdische Argument habt, ist zu zeigen, daß durch das Kommen des Christus wirklich eine neue Realität erschienen ist, fragmentarisch zwar und vieldeutig und doch fähig, Konflikte der menschlichen Existenz zu überwinden. Die christliche Antwort ist keine argumentierende Antwort. Sie ist eine aufweisende Antwort. Sie ist eine Antwort des Seins. Vielleicht ist die Hoffnung nicht unberechtigt, daß aus dem christlichen Sein die Kraft hervorgehen wird, die die Dämonie des Antisemitismus zerbricht und eine neue Gemeinschaft zwischen Christentum und Judentum nicht nur im deutschen Volk, sondern in allen Völkern herstellt.¹²²

 A.a.O.,  f.Vgl. a.a.O., : „In einem Gespräch sagte mir ein jüdischer Freund [vermutlich Adolph Lowe, C.W.], daß er unmöglich jemanden den Christus nennen könnte, der die Wirklichkeit nicht verändert habe. Als historische Realität sei das zwanzigste Jahrhundert nicht vollkommener als das erste. Die Weltgeschichte als solche gebe kein Argument für die Anerkennung Jesu als des Christus. Und wie könne man, sagte er, jemanden den Christus nennen, dessen Werk gescheitert sei? Solche Gespräche enthüllen den Kampf zwischen Raum und Zeit, der sowohl ein Kampf zwischen Judentum und Christentum als auch ein Konflikt innerhalb des Judentums und des Christentums ist.“  A.a.O., .

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4 Affinitäten zu Elementen der zeitgenössischen jüdischen Religionsphilosophie In ihrer Kürze und Prägnanz spiegeln die wesentlichen Aspekte der Verhältnisbestimmung von Judentum und Christentum bei Tillich zentrale Argumente wider, die jüdische Gelehrte des frühen 20. Jahrhunderts in ihren Herausforderungen an die christliche – namentlich die protestantische – Theologie ihrer Zeit zur Sprache gebracht hatten. An dieser Stelle seien im Wesentlichen drei Aspekte genannt, die auch in Bubers Werk eine entscheidende Rolle spielen: die Frage nach der Relevanz der Hebräischen Bibel, die Herausforderung an ein seinen jüdischen Wurzeln entfremdetes Christentum und die Bestimmung des Religionsdialogs als wechselseitige Achtung von Differenz. Die klarste Übereinstimmung zwischen Tillich und der jüdischen Religionsphilosophie wird dort sichtbar, wo letztere Anfang des 20. Jahrhunderts – im größeren Kontext der Auseinandersetzung mit der protestantischen alttestamentlichen Wissenschaft – über die Rolle der Hebräischen Bibel für das jüdischchristliche Verhältnis und über die theologisch-kulturellen Folgen eines christlichen Neo-Marcionitismus nachdachte. Tillich dürfte dabei vor allem mit den Stellungnahmen vertraut gewesen sein, die Franz Rosenzweig und Martin Buber im Zuge ihrer Arbeit an der ‚Verdeutschung der Schrift‘ mit Blick auf diese Problematik veröffentlicht hatten,¹²³ und einige seiner eigenen Perspektiven scheinen davon nicht unbeeinflusst. Zwei Leitmotive bestimmten das Denken der beiden jüdischen Gelehrten: einerseits der Hinweis auf eine besondere und einzigartige Affinität des Judentums zur Hebräischen Bibel und andererseits das ausgeprägte Bewusstsein der Einzigartigkeit des biblischen Textes als eines religiös-kulturellen Besitzes von Juden und Christen, der die Zugehörigkeit der jüdischen Minderheit zur europäischen – und insbesondere zur deutschen – Kultur begründete. Letzteren Aspekt hatte vor allem Rosenzweig immer wieder angesprochen, am prägnantesten in seinem kurz vor seinem Tod verfassten programmatischen Essay „Weltgeschichtliche Bedeutung der Bibel“ (1929). In seiner Interpretation des unterschiedlichen Schicksals

 Vgl. dazu Christian Wiese, „‚Also werden wir missionieren‘: Die ‚Verdeutschung der Schrift‘ und die protestantische Theologie“, in:  Jahre Martin Buber Bibel. Beiträge des Internationalen Symposiums der Hochschule für jüdische Studien Heidelberg und der Martin Buber-Gesellschaft, hg. von Daniel Krochmalnik und Hans-Joachim Werner (Berlin: LIT,  / Altes Testament und Moderne, Bd. ),  – .

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der Schrift in der Geschichte von Judentum und Christentum legte er den Akzent ganz auf ihre Wirkung in der christlichen Welt, in der „die jüdische Bibel zwar die stets gegenwärtige Grundlage, aber doch nur ‚Altes Testament‘ war.“¹²⁴ Zu den „unmittelbaren Wirkungen“ der jüdischen Bibel in der christlichen Weltgestaltung zählte Rosenzweig zufolge der mehr oder weniger bewusste „Rückgriff auf die prophetiegeborene Gesetzlichkeit des AT“¹²⁵. Das Neue Testament habe eine christliche Kirche, Staatlichkeit, Gesellschaft oder Wirtschaftsordnung aus sich heraus kaum zu begründen vermocht. Im Gegensatz dazu „bot die aus der ganzen Breite eines Volkslebens und in der ganzen Breite einer Nationalliteratur erwachsende jüdische Bibel mit ihrer selbst noch in der scheidenden und ausscheidenden prophetischen Polemik lebendigen tiefen Schöpfungsgläubigkeit tragfähigen Grund für ein Bauen in und an der Welt.“¹²⁶ Wichtiger noch sei die mittelbare Wirkung der jüdischen Bibel „durch das NT hindurch“, das zwar „im Gegensatz zu der Bibel des Judentums“ entstanden sei, sich jedoch gleichwohl der Bindung an das Jüdische im Christentum verdanke. Denn die Rückkehr des auf die „erfüllte Zeit“ ausgerichteten christlichen Erlöstheitsglaubens „in die noch bestehende Schöpfung“ sei nur dadurch möglich geworden, dass die christliche Kirche – gegen die Versuchung der antiken Gnosis – an der Identität des Schöpfergottes mit dem Gott Jesu Christi festgehalten habe: Nichts geringeres als der Zusammenhang mit der geschaffenen Welt steht für das Christentum in dieser theologischen Gleichsetzung, die es im trinitarischen Dogma vollzog, wie in der andern des ‚Worts‘, das ‚Gott war‘, mit dem davidischen Messias, auf dem Spiel. Es ist kein Zufall, daß eben in dem Kampf um diese Gleichsetzungen, in dem Kampf gegen Marcions ‚fremden Gott‘ – fremd: nämlich dem alten Bunde, – die Kirche sich ihren neutestamentlichen Kanon schuf, als ein ebenfalls dreigeteiltes Gegenstück zum alttestamentlichen, den er jedoch nicht verdrängen, sondern ergänzen und überhöhen sollte. Was das Christentum in den beiden Jahrtausenden seitdem an Kulturkraft, an Kraft also, sich in die Welt und dadurch die Welt in sich einzuleben, entfaltet hat, verdankt es diesem seinem Kampf um sein AT.¹²⁷

Mit dieser historischen Reflexion hielt Rosenzweig den Kräften innerhalb der zeitgenössischen protestantischen Theologie, die das Christentum von seinen Wurzeln in der Hebräischen Bibel und im frühen Judentum zu lösen bestrebt waren, implizit den Spiegel vor. Bei der Verhältnisbestimmung von Christentum

 Franz Rosenzweig, „Weltgeschichtliche Bedeutung der Bibel“, in: Der Mensch und sein Werk. Gesammelte Schriften, Teil , Zweistromland. Kleinere Schriften zu Glauben und Denken (Dordrecht: Springer, ),  – , hier .  A.a.O., .  Ebd.  A.a.O.,  f.

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und jüdischer Bibel ging es dabei nicht allein um historische Einflüsse und Berührungen: Was aus Rosenzweigs Sicht für das Christentum auf dem Spiel stand, war die religiös-kulturelle Signatur des Christentums überhaupt, seine Fähigkeit, „überhaupt eine Synthese mit der Welt einzugehen“. Europa verdanke seine geistige Vormacht genau dieser Fähigkeit, selbst wenn die Spannung, die in dieser Bindung an die jüdische Bibel liege, vom Christentum immer wieder als „quälend“ empfunden worden sei, als „etwas, dem man eigentlich entrinnen müßte“¹²⁸. Die Warnung, die sich anschließt, ist unüberhörbar: Die „immer wieder versuchte Flucht aus der Enge und Fremdheit des AT in philosophische Weite oder in völkische Nähe wäre, wenn sie je voll gelänge, das Ende des Christentums. Und damit denn freilich auch das Ende des weltgeschichtlichen Wegs der Bibel, auch der jüdischen.“¹²⁹ Das Christentum zerstörte sich selbst, wenn es sich des ihm innewohnenden Jüdischen entledigte, aber auch das Judentum verlöre auf diese Weise die universale kulturelle Bedeutung, die ihm das Christentum verliehen habe. Beide Religionen bleiben demnach in ihrer Rezeption der jüdischen Bibel unwiderruflich aufeinander angewiesen, und Rosenzweig scheint die zeitgenössische protestantische Theologie implizit zu beschwören, diese Schicksalsgemeinschaft nicht preiszugeben. Buber, der die protestantische Distanzierung von der Hebräischen Bibel, wie sie etwa Adolf von Harnack in seinem 1921 veröffentlichten Buch Marcion. Das Evangelium vom fremden Gott zur Sprache gebracht hatte, verfolgte die Tendenzen der Zeit ebenfalls mit Sorge. In einem 1928 gehaltenen Vortrag zu Thema „Der Glaube des Judentums“ legte er dar, die Neigung zur Selbstbefreiung vom Jüdischen habe dem Christentum von Anfang an innegewohnt, als das „Alte Testament“ im Bewusstsein der Kirche zum „Prolog des Neuen“ zusammenschrumpfte. Ein Sieg der Neigung, Schöpfergott und Erlösergott auseinanderzureißen und das „Alte Testament“ zum jüdischen, widergöttlichen Buch zu erklären, hätte verhängnisvolle Folgen: „die Trennung zweier Bücher und die Entheiligung des einen für die Christenheit: der Mensch wäre von seinem Ursprung losgeschnitten, die Welt verlöre ihre Schöpfungsgeschichte und damit ihren Schöpfungscharakter“¹³⁰. Sein 1938 – unmittelbar nach der Emigration nach Palästina – verfasster, aber erst viel später veröffentlichter Essay „Warum und wie wir die Schrift übersetzten“ verrät, in welchem Maße Buber sich der Ernsthaftigkeit und Radikalität der christlichen Infragestellung der Relevanz der Hebräischen Bibel bewusst war. Er charakterisierte darin die „Verdeutschung“ der Schrift als Gegenprojekt gegen alle  A.a.O., .  Ebd.  Martin Buber, „Der Glaube des Judentums“, in: Der Jude und sein Judentum,  – , hier  f.

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Versuche einer „Germanisierung des Christentums“ und den Versuch, das Christentum von der ständigen Konfrontation mit der Forderung des gebietenden Gottes zu befreien. Der Nationalismus habe diese Tendenz zu ihrem Höhepunkt geführt: „Um zu einer, von keinem bösen Gewissen mehr gestörten völkischen Selbständigkeit zu gelangen, die kein anderes Gesetz als das der eigenen Macht und Herrlichkeit kennt, musste man sich diesen Stachel, das ‚Alte Testament‘, aus dem Fleische reissen.“¹³¹ Neun Jahre später, nach der Erfahrung von Verfolgung, Krieg und Völkermord, gewannen Bubers Reflexionen eine weitere eindringliche, für das zeitgenössische Christentum herausfordernde Note. In seinem Essay „Der Geist Israels und die Welt von heute“ (1947), einer tiefgründigen Meditation über das Ziel der Schöpfung Gottes, die „nicht zu einer gegenseitigen Vernichtung der Nationen verdammt“, sondern zum „Bau des großen Friedens“ bestimmt sei, und über die Betrauung des jüdischen Volkes mit der Vollendung dieses Ziels, findet sich ein eindrucksvoller Passus über den Ursprung des christlichen Judenhasses. Den tiefen, unbewussten Grund dieses Hasses erkennt Buber in der geschichtlichen Tatsache, daß in den Kreis dieser Völker ein Volk eintrat und sich darin zerstreute, das Träger einer in einem Buch aufgezeichneten himmlischen Betrauung war, und daß dieses Buch den Völkern heilig wurde, als sie das Christentum annahmen. Es ist einzig in der Menschengeschichte, einzig und unheimlich: der Himmel stellt eine besondere Forderung an die Erde, und diese Forderung ist in einem Buch bewahrt, und dieses Buch ist das Erbe eines Volkes, das unter diese Völker zerstreut ist, mitsamt diesem seinem heiligen Buch, das auch ihnen allen heilig ist. Die Forderung schwebt über allen Völkern, eine allumfassende Forderung, die Gott an sie stellt. Und die Völker weigern sich, ihr genugzutun.Wohl wünschen sie, den Gott zu behalten, den sie empfangen haben, aber zugleich verwerfen sie seine Forderung.¹³²

Die Wurzel des Judenhasses, mitsamt seinen mörderischen Folgen im 20. Jahrhundert, so lassen sich diese Ausführungen deuten, liegt darin, dass „dieses unselige jüdische Volk“ in seiner Exilsexistenz der Bestreitung der Forderung der Tora grundsätzlich widersprochen habe, dass es trotz der christlichen Verwerfungstheologie fortbestanden habe – „und das Buch war in seiner Hand, und auch vom Scheiterhaufen her waren die Worte des Buches zu hören.“¹³³ Marcion, so Buber, verkörpere die immer neu zum Hass verführende Rebellion des Christentums gegen seine jüdischen Ursprünge und gegen die Forderung Gottes. Das Echo dieser Rebellion sei nicht bloß bei den völkischen und deutsch-christlichen

 Martin Buber, „Warum und wie wir die Schrift übersetzten“, in: Martin Buber Werkausgabe, Bd. , Schriften zur Bibelübersetzung, hg. von Ran HaCohen (Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus, ),  – , hier .  A.a.O., .  Martin Buber, „Der Geist Israels und die Welt von heute“, .

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Theologien, sondern selbst noch bei jenen protestantischen Theologen zu finden gewesen, die keine Antisemiten gewesen seien, sondern Repräsentanten eines emanzipatorischen Liberalismus, die aber dennoch die Schriften der Hebräischen Bibel, mit Ausnahme von Propheten und Psalmen, für ein für das Christentum schädliches Element gehalten hätten. Die zerstörerische politische Wirkung dieser Haltung während der Nazi-Zeit beschrieb Buber in der folgenden Passage: Harnack starb 1930; drei Jahre danach war sein Gedanke, der Gedanke Marcions, in Handlung umgesetzt, nicht mit Mitteln des Geistes, sondern mit denen der Gewalt und des Terrors. Der Staat, dessen Bürger Harnack gewesen war, stellte die Kirchen vor die Wahl, entweder den Geist Israels gänzlich auszuschalten und damit allem Einfluß auf die Geschäfte dieser Welt, die des Staates und der Gesellschaft, zu entsagen oder mitsamt dem Judentum liquidiert zu werden.¹³⁴

Bubers Deutung der tieferen Ursachen des Judenhasses und der Mitverantwortung der christlichen Theologie für die Zerstörung des europäischen Judentums findet ihre Ergänzung darin, dass er auch das jüdische Volk in die Verantwortung rief: Nur indem das jüdische Volk in seinem „eigenen Umkreis“, d. h. in der neuen Heimstätte in Palästina, an der „Verwirklichung“ von Gottes Forderung arbeite, werde es berechtigt sein, „den Geist Israels gegen den offenen oder versteckten Marcionismus der Völker zu setzen: gegen den Dualismus der erlösten Seele in einer der Unerlöstheit preisgegebenen körperlichen Welt das Leben der Verantwortung im Dienste der Einheit.“¹³⁵ Nur kurz zu erwähnen ist, dass Tillich bei seinem Nachdenken über das jüdische „Nein“ zum Christentum und über die Rolle des Judentums als kritischen Maßstab mit Blick auf die Neigung zur Preisgabe des Jüdischen in den christlichen Kirchen, trotz seines Akzents auf der Identifizierung des Heidnischen mit der Raumvergötzung, die Tradition der jüdischen Christentumskritik der Wissenschaft des Judentums im 19. und frühen 20. Jahrhundert vor Augen gehabt haben dürfte. Neben Abraham Geiger und Leo Baeck, die, indem sie Jesus als pharisäischen Juden deuteten, dem Christentum ein Dialogangebot machten und es zugleich kritisch an seinem Ursprung im Judentum als der ursprünglichen, reinen prophetischen Religion des „ethischen Monotheismus“ maßen,¹³⁶ war es vor allem

 A.a.O., .  A.a.O., .  Vgl. Susannah Heschel, Der jüdische Jesus und das Christentum. Abraham Geigers Herausforderung an die christliche Theologie, übers.von Christian Wiese (Berlin: Jüdische Verlags-Anstalt, ); Christian Wiese, „Ein unerhörtes Gesprächsangebot. Leo Baeck, die Wissenschaft des Judentums und das Judentumsbild des liberalen Protestantismus“, in: Leo Baeck  – .

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Martin Buber, der für diese spannungsreiche Mischung aus Anerkennung und Herausforderung stand.¹³⁷ Die auch von Tillich betonte unaufhebbare Differenz zwischen Judentum und Christentum hatte er etwa in seinen drei Prager Reden über das Judentum vor dem Ersten Weltkrieg – in den Jahren 1909 – 1911 – polemisch zur Sprache gebracht, indem er die religiöse Ursprünglichkeit und Wahrheit für das Judentum in Anspruch nahm: Was an den Anfängen des Christentums nicht eklektisch, was daran schöpferisch war, das war ganz und gar nichts anderes als Judentum. Es war jüdisches Land, in dem diese Geistesrevolution entbrannte; es waren uralte jüdische Lebensgemeinschaften, aus deren Schoße sie erwacht war; es waren jüdische Männer, die sie ins Land trugen; die, zu denen sie sprachen, waren – wie immer wieder verkündet wird – das jüdische Volk und kein anderes; und was sie verkündeten, war nichts anderes als die Erneuerung der Religiosität der Tat im Judentum. Erst im synkretistischen Christentum des Abendlandes ist der dem Okzidentalen vertraute Glaube zur Hauptsache geworden; im Mittelpunkt des Urchristentums steht die Tat. […] Und können wir nicht denen, die uns neuerdings eine ‚Fühlungnahme‘ mit dem Christentum anempfehlen, antworten: Was am Christentum schöpferisch ist, ist nicht Christentum, sondern Judentum, und damit brauchen wir nicht Fühlung zu nehmen, brauchen es nur in uns zu erkennen und in Besitz zu nehmen, den wir tragen es unverlierbar in uns; was aber am Christentum nicht Judentum ist, das ist unschöpferisch, aus tausend Riten und Dogmen gemischt, und damit – das sagen wir als Juden und als Menschen – wollen wir nicht Fühlung nehmen. Freilich dürfen wir dies nur antworten, wenn wir den abergläubischen Schrecken, den wir vor der nazarenischen Bewegung hegen, überwinden und sie dahin einstellen, wohin sie gehört: in die Geistesgeschichte des Judentums.¹³⁸

Der junge Buber bediente sich also einer kämpferischen Sprache, deren psychologische Funktion vor einem jüdischen Publikum im Prozess des Ringens um eine eigene Identität offensichtlich ist. Er redete vom „abergläubischen Schrecken“ vor dem Christentum, da er sich der herrschenden Angst von Minderheitskulturen in Mehrheitsgesellschaften bewusst war. Er reduzierte das Christentum auf die „nazarenische Bewegung“, auf einen unschöpferischen, weil angeblich synkretistischen Mix aus „tausend Riten und Dogmen“ und verwies es in seinen Ursprüngen „in die Geistesgeschichte des Judentums“, um seiner geschichtlichen Übermächtigkeit etwas entgegenzusetzen. Positiv gesprochen, stellte er das Christentum damit in die Geistesgeschichte des Judentums hinein und sprach ihm

Aus dem Stamme von Rabbinern, hg.von Georg Heuberger und Fritz Backhaus (Frankfurt am Main: Jüdischer Verlag im Suhrkamp Verlag, ),  – .  Vgl. Karl-Josef Kuschel, Martin Buber – seine Herausforderung an das Christentum (Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus, ).  Martin Buber, „Die Erneuerung des Judentums“, in: Der Jude und sein Judentum,  – , hier  – .

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auf diese Weise Legitimität, Wahrheit und eine historische Sendung zu. Letztere besteht allerdings vor allem darin, jüdische Ideen und Werte in der nichtjüdischen Welt zu verbreiten, wenn auch so, dass es auch das Judentum auf diese Weise an das ihm Ureigene erinnere. Das Dogmatische am Christentum erscheint als unschöpferisch und unjüdisch – Maßstab für sein eigentliches, wahres Wesen, zu dem es zurückfinden muss, will es schöpferisch sein, ist das ihm in Jesus von Nazareth eingeschriebene Jüdische. Diese für viele jüdische Religionsphilosophen in Deutschland vor der Shoah charakteristische Denkfigur ist Ausdruck einer Haltung, die man vielleicht als „inklusiven Überlegenheitsanspruch“ bezeichnen könnte: Dem Christentum wird eine – vom Judentum unabhängige – eigenständige Wahrheit bestritten, zugleich wird dies jedoch in seinem polemischen Charakter begrenzt durch die ausdrückliche Anerkennung und Bejahung einer – wenn auch vom Jüdischen abgeleiteten – Wahrheit. Diese theologische Infragestellung, die Buber später in seinen Zwei Glaubensweisen (1950) weiter ausdifferenzierte und mit der Dialogphilosophie von Ich und Du verband, indem er dem Judentum eine Ich-Du-Beziehung zum Göttlichen in Gestalt der emuna (des Vertrauens), dem Christentum aber eine Ich-Es-Beziehung auf der Grundlage der pistis (des Für-Wahr-Haltens) zuschrieb, ist jedoch nur ein Aspekt seiner In-Beziehung-Setzung zum Christentum. In anderen Kontexten, etwa in dem berühmten „Zwiegespräch“ mit dem Neutestamentler Karl Ludwig Schmidt in Stuttgart im Januar 1933, von dem Tillich sicher Kenntnis nahm, konnte Buber wesentlich unpolemischer, dialogischer reden. Als Antwort auf die These des christlichen Theologen von der Messianität Jesu kennzeichnete Buber, ähnlich wie Tillich in seinen Vorlesungen von 1953, die zentrale, unüberbrückbare Differenz zwischen Judentum und Christentum als den Gegensatz zwischen dem christlichen Glauben an das Gekommensein des Messias und dem jüdischen Bewusstsein der Unerlöstheit der Welt. Allerdings gebe es einen anderen Weg als den, die Messiasfrage zum ausschließlichen Gradmesser der Wahrheit beider Religionen zu machen. Das Judentum, so der jüdische Gelehrte, vermag das Christentum in seiner Wahrheit anzuerkennen, ohne die Differenz zu verschweigen. Die theologische Grundlage dafür fand er in der Einsicht, dass die Grenzen der Gotteserkenntnis es jeder historischen Religion verwehren, sich als Ausdruck der „endgültigen Offenbarung Gottes“, als unüberbietbare Wahrheit in einem absoluten Sinne zu verstehen: Vielmehr sei „Gott […] jeder seiner Manifestationen schlechthin überlegen“. Und was auf dieses Argument folgt, ist ein in der Dichte der Sprache eindrucksvoller Versuch,Wesen und Grenzen eines religiösen Dialogs zwischen Judentum und Christentum auszuloten: Das Juden und Christen Verbindende […] ist ihr gemeinsames Wissen um eine Einzigkeit [‚Israel‘, C.W.], und von da aus können wir auch diesem im Tiefsten Trennenden gegenüber-

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treten; jedes echte Heiligtum kann das Geheimnis eines anderen echten Heiligtums anerkennen. Das Geheimnis des anderen ist innen in ihm und kann nicht von außen her wahrgenommen werden. Kein Mensch außerhalb von Israel weiß um das Geheimnis Israels. Und kein Mensch außerhalb der Christenheit weiß um das Geheimnis der Christenheit. Aber nichtwissend können sie einander im Geheimnis anerkennen. Wie es möglich ist, daß es die Geheimnisse nebeneinander gibt, das ist Gottes Geheimnis.Wie es möglich ist, daß es eine Welt gibt als Haus, in dem diese Geheimnisse wohnen, ist Gottes Sache, denn die Welt ist ein Haus Gottes. Nicht indem wir uns jeder um seine Glaubenswirklichkeit drücken, nicht indem wir trotz der Verschiedenheit ein Miteinander erschleichen wollen, wohl aber indem wir unter Anerkennung der Grundverschiedenheit in rückhaltlosem Vertrauen einander mitteilen, was wir wissen von der Einheit dieses Hauses, von dem wir hoffen, daß wir uns einst ohne Scheidewände umgeben fühlen werden von seiner Einheit, dienen wir getrennt und doch miteinander, bis wir einst vereint werden in dem einen gemeinsamen Dienst, bis wir alle werden, wie es in dem jüdischen Gebet am Fest des Neuen Jahres heißt: ‚ein einziger Bund, um Seinen Willen zu tun‘.¹³⁹

Buber fasst zwar am Schluss der Passage die Aufhebung der Verschiedenheit am Ende der Zeiten ins Auge, aber vorerst bleibt es unabsehbar bei der Differenz. Und insoweit gilt es, die unaufhebbaren Unterschiede auszuhalten. Das Bild vom bleibenden Nebeneinander von Kirche und Israel im Gegenüber zu Gott ist eine theologische Schlüsselkategorie, die es Buber ermöglichte, ein Dialogmodell zu entwerfen, das sich durch die Verbindung zweier entscheidender Elemente auszeichnete: erstens die tiefe Gewissheit der Gültigkeit des eigenen Glaubensgeheimnisses und zweitens die Achtung vor der Wahrheit des fremden, dem eigenen widersprechenden Glaubensgeheimnisses – beide sind „echtes Heiligtum“, beide sind mit der Dignität des Gottesgeheimnisses ausgestattet, beide stehen unter dem Vorbehalt zukünftiger Bewahrheitung, die den menschlichen Gesprächspartnern im Dialog unverfügbar bleibt. Tatsächlich liegt eine gewisse Strukturanalogie zwischen dem Denken Tillichs und jenem Bubers in der Konzeption dessen vor, wie im religiösen Dialog zwischen Juden und Christen mit der Differenz im Glauben umgegangen werden soll. So gewiss Bubers Verhältnisbestimmung von Judentum und Christentum nicht von den apologetischen Motiven frei war, mit dem die deutschsprachige jüdische Religionsphilosophie im 19. und frühen 20. Jahrhundert auf die politisch hochbrisante Bestreitung der Existenzberechtigung des Judentums reagierte, so sehr lässt sich spätestens seit den 1920er Jahren in seinen Reflexionen über das Dialogische im Verhältnis zwischen Gott und Mensch wie im Zwischenmenschlichen ein gegenläufiges, kontrapunktisches Motiv vernehmen, das die polemischen

 Martin Buber, „Kirche, Staat, Volk, Judentum. Aus dem Zwiegespräch mit Karl Ludwig Schmidt“, in: Der Jude und sein Judentum,  – , hier .

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Motive begrenzt und in eine andere Gesamtmelodie überführt. Er war zu dieser Zeit in das spannende Projekt einer interreligiösen Kulturzeitschrift involviert, die er zwischen 1926 und 1930 über einige Jahre hinweg gemeinsam mit dem katholischen Theologen Joseph Wittig und dem protestantischen Mediziner Viktor von Weizsäcker herausgab. Der Titel – Die Kreatur – sollte die Verbundenheit der geschöpflichen Welt trotz und in ihrer Vielfalt hervorheben. Im Geleitwort hieß es: Religionhafte Sonderungen, aus denen es keine andere Befreiung gibt als die messianische, haben die Not und die Zucht von Exilen. Sie sind uns nicht Imaginationen,wolkige verrückbare Gestaltungen, sondern sinnvoll beständige Wahrheitssphären, die nicht eher als in der Wirklichkeit des Reiches aufschmelzen dürfen. Erlaubt aber und an diesem Tag der Geschichte geboten ist das Gespräch: der grüßende Zuruf hinüber und herüber, das Sich-einander-Auftun in der Strenge und Klarheit des eignen Beschlossenseins, die Unterredung über die gemeinsame Sorge um die Kreatur. Es gibt ein Zusammengehen ohne Zusammenkommen. Es gibt ein Zusammenwirken ohne Zusammenleben. Es gibt eine Einung der Gebete ohne Einung der Beter. Parallelen, die sich in der Unendlichkeit schneiden, gehen einander nichts an; aber Intentionen, die sich am Ziel begegnen werden, haben ihr namenloses Bündnis an der von ihren Wahrheiten aus verschiedenen, aber von der Wirklichkeit der Erfüllung aus gemeinsamen Richtung. Wir dürfen nicht vorwegnehmen, aber wir sollen bereiten.¹⁴⁰

Religiöse Pluralität und religiöse Differenz – die „religionhaften Sonderungen“ – sind Buber zufolge sinnvolle, unvermeidliche und von Menschen unaufhebbare Sphären der Wahrheit. In ihrer Exilhaftigkeit, dem Fragmentarischen, zeichnen sie sich durch zwei Eigenschaften aus: die radikale Vorläufigkeit der Erkenntnis und des jeweiligen Wahrheitsanspruchs, d. h. durch das Noch-Nicht und die Ferne der Vollendung, und die nicht selten konfliktreiche Fremde gegenüber anderen Traditionen und Wahrheitsansprüchen. Das Motiv nicht allein der Pluralität, der Differenz, sondern des notwendigen Getrenntseins in der Unterschiedenheit, ist bei Buber unüberhörbar, wird aber begrenzt vom Motiv des gemeinsamen Ursprungs und der Aufhebung der getrennten „Exile“ in einer – wenn auch im Gespräch nicht vorwegzunehmenden – messianischen Zukunft. Religiöser Dialog ist unter dieser Voraussetzung in zweifacher Gestalt möglich und notwendig: erstens als Wahrnehmung der gemeinsamen Verantwortung für das Humanum und zweitens als Gespräch über die Differenz, das, um dialogisch zu sein, zwei Pole besitzen muss – auf der einen Seite die wechselseitige Offenheit, das „Sicheinander Auftun“, auf der anderen Seite „die Strenge und Klarheit des eigenen Beschlossenseins“, das Bewusstsein der Bindung an das Eigene. Wie kaum ein anderer jüdischer Denker des 20. Jahrhunderts hat Buber diese Figur der Polarität

 Die Kreatur  (),  f., hier .

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von Verwurzelung in der eigenen und achtungsvoller Offenheit für die fremde Tradition hervorgehoben. Die theologische Voraussetzung dieser Figur entfaltete Buber 1929 in seinem bemerkenswerten Essay „Zwiesprache“. Dass Menschen verschiedenen Glaubens einander begegnen und wechselseitig in ihrer Differenz zu bejahen vermögen, liegt, so argumentiert er dort, im Fragmentarischen des göttlichen Wortes in der Sphäre der Geschichte begründet. Deshalb grenzte sich Buber scharf von Gesprächshaltungen ab, die darauf zielen, „der Wahrheit zum Sieg zu verhelfen“, so als ließe sich über Gottes Wort verfügen. „[I]ch […] glaube das nicht, sondern das Wort Gottes fährt vor meinen Augen nieder wie ein fallender Stern, von dessen Feuer der Meteorstein zeugen wird, ohne es mir aufleuchten zu machen, und ich selber kann nur das Licht bezeugen, nicht aber den Stein hervorholen und sagen: Das ist es.“¹⁴¹ Der Mensch der Moderne lebe in einer weitgehend offenbarungslosen Zeit, einer Zeit des Harrens, in der es „ein eindeutig kennbares und vertretbares Gotteswort“ nicht gebe, sondern in dem sich die überlieferten Worte „in unserem menschlichen Einanderzugewandtsein“ ausdeuteten. Buber hoffte, nun sei eine „Zeit echter Religionsgespräche“ angebrochen, im Gegensatz zu den dialogisch verkleideten Monologen der Vergangenheit, „nicht jener so benannten Scheingespräche, wo keiner seinen Partner in Wirklichkeit schaute und anrief, sondern echter Zwiesprache, von Gewißheit zu Gewißheit, aber auch von aufgeschloßner Person zu aufgeschloßner Person. Dann erst wird sich die echte Gemeinschaft weisen, nicht die eines angeblich in allen Religionen aufgefundenen gleichen Glaubensinhalts, sondern die der Situation, der Bangnis und der Erwartung.“¹⁴² Bubers „Dialogik“ wäre daher missverstanden, wollte man sie im Sinne einer „Gleich-Gültigkeit“ aller Religionen deuten. Woran ihm lag, war die Doppelperspektive von bleibender Verschiedenheit bei gleichzeitiger dialogischer Verwiesenheit aufeinander: Der Glaube des Judentums und der Glaube des Christentums sind, so endet sein Buch Zwei Glaubensweisen, „wesensverschieden, jeder seinem menschlichen Wurzelgrund gemäß, und werden wohl wesensverschieden bleiben, bis das Menschengeschlecht aus den Exilen der ‚Religionen‘ in das Königtum Gottes eingesammelt wird“, sie hätten einander jedoch bis dahin „Ungesagtes zu sagen und eine heute kaum erst vorstellbare Hilfe einander zu leisten.“¹⁴³ In Tillichs Nachdenken über das Verhältnis des Christentums zu anderen Religionen und den Charakter des interreligiösen Dialogs begegnen von der  Martin Buber, „Zwiesprache“, in:Werke, Bd. , Schriften zur Philosophie (München: Kösel und Heidelberg: Schneider, ),  – , hier .  A.a.O., .  Martin Buber, Zwei Glaubensweisen, mit einem Nachwort von David Flusser (Gerlingen: Lambert Schneider,  []), .

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Struktur her vergleichbare Überlegungen. Die wesentlichen Grundsätze formulierte er u. a. in seinem Essay über „Das Christentum und die Begegnung der Weltreligionen“ (1964). Dazu gehört zunächst eine Form des recht verstandenen Absolutheitsanspruchs, die sich im religiösen Gespräch in dreierlei Gestalt zu bewähren hat. Die erste Voraussetzung besteht darin, dass „beide Partner der Religion des anderen nicht ihren Wert absprechen, sondern sie als Religion gelten lassen, die letztlich auf Offenbarungserfahrung beruht“ – das entspricht Bubers Achtung vor dem Geheimnis des echten anderen Heiligtums; zweitens müssen beide Gesprächspartner ihren religiösen Standpunkt „mit Überzeugung vertreten können“ – Bubers „Strenge und Klarheit des eigenen Beschlossenseins“; und drittens müssen die Partner der Kritik zugänglich sein – Bubers „Sich-einanderAuftun“.¹⁴⁴ Wie bei Buber läuft Tillichs Konzept auf das einer „dialektische[n] Einheit von wechselseitiger Ablehnung und Anerkennung“¹⁴⁵ hinaus, in der Raum besteht für eine Verknüpfung der eigenen religiösen Gewissheit mit einer reflektierten Würdigung der Tradition des Gesprächspartners sowie der Bereitschaft zur kritischen Selbstreflexion im Licht der Begegnung mit dem Anderen.

5 „Jüdische Einflüsse auf die christliche Theologie unserer Zeit“¹⁴⁶: Tillichs Deutung Bubers und des christlich-jüdischen Gesprächs Welche Bedeutung Tillich Martin Buber und insgesamt der zeitgenössischen jüdischen Theologie und jüdischen Religionsphilosophie zuschrieb, soll abschließend anhand einer systematisierenden Zusammenschau zweier Texte sichtbar werden, die er noch vor den Vorlesungen über die „Judenfrage“ verfasst hatte: seinem Essay „Martin Bubers dreifacher Beitrag zum Protestantismus“¹⁴⁷ aus dem Jahre 1948 und dem programmatischen Vortrag „Jüdische Einflüsse auf die

 Paul Tillich, „Das Christentum und die Begegnung der Religionen“, in: GW V, – , hier .  A.a.O., . Vgl. u. a. Christian Danz, „Erkundung des Eigenen im Lichte des Fremden. Paul Tillichs Beitrag zur religionstheologischen Debatte der Gegenwart“, in: Internationales Jahrbuch für die Tillich-Forschung, Bd. , Religionstheologie und interreligiöser Dialog, hg. von Christian Danz, Werner Schüßler und Erdmann Sturm (Wien und Münster: LIT, ),  – .  Siehe Anm. .  Paul Tillich, „Martin Bubers dreifacher Beitrag zum Protestantismus“, in: GW VII,  – .

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christliche Theologie unserer Zeit“¹⁴⁸, den er 1952 – als „Milton Steinberg Lecture in Jewish Theology“ in der Park Avenue Synagogue in New York hielt. Festzuhalten ist zunächst, dass Tillich auf dem Hintergrund seiner dialogischen Beziehung zu jüdischen Gelehrten wie Buber zutiefst von der Sinnhaftigkeit und Notwendigkeit eines Gesprächs zwischen protestantischem und jüdischem Denken überzeugt war und es sich bewusst zur Aufgabe machen wollte, „diejenigen Elemente im religiösen Denken herauszuarbeiten, in denen sich das Judentum als ständiges Korrektiv der christlichen und besonders der protestantischen Theologie“¹⁴⁹ erweise. Das betraf zunächst überhaupt den Beitrag der exegetischen und historischen Disziplinen der Wissenschaft des Judentums, deren Stimme die protestantische Theologie zu ihrem Schaden gewöhnlich ignoriert hatte. Eine Zusammenarbeit auf dem Gebiet der Interpretation der Hebräischen Bibel sei sowohl für jüdische als auch für protestantische Gelehrte fruchtbar, da sich die stärkere und unmittelbarere jüdische Vertrautheit mit den Texttraditionen und die unabhängigere, stärker religionswissenschaftlich orientierte Perspektive sehr gut ergänzen könnten. Jüdische Theologie mit ihrer Kenntnis der rabbinischen Tradition habe zudem „sehr viel zum Verständnis der jüdischen Umwelt“¹⁵⁰ des Frühchristentums beigetragen. Ihr komme jedoch noch eine weit wichtigere Funktion für das Verständnis des Neuen Testaments zu, insofern sie „die jüdische Seite des Bildes“ erhelle, „das tragische Element im Konflikt zwischen Jesus und den Juden.“¹⁵¹ Ein historisches Problem der protestantischen Theologie, für das jüdische Forschung Orientierung bieten könne, sei nicht zuletzt das Verhältnis von Mystik und biblischer Religion. Tillich verweist in diesem Zusammenhang auf die unterschiedlichen Perspektiven Gershom Scholems und Martin Bubers zur Kabbala und zum Chassidismus, die allerdings beide bestätigten, dass prophetische und mystische Religion einander nicht ausschlössen und die zum Rationalismus neigende protestantische Theologie ihre Skepsis gegenüber der Mystik revidieren müsse.¹⁵² Entscheidender waren aus Tillichs Sicht jedoch Elemente der neueren jüdischen Religionsphilosophie, namentlich des Denkens Bubers, das für seine eigene Kritik an der zeitgenössischen protestantischen Theologie enorme Bedeutung gewonnen hatte. Dass Bubers Werk diese Rolle spielen müsse, stand für Tillich fraglos fest – „eine Überzeugung“, wie er betonte, „die mit meiner eigenen theologischen Schau zusammenhängt und von dem starken Einfluß abhängt, den

 Paul Tillich, „Jüdische Einflüsse auf die christliche Theologie unserer Zeit“, in: GW VIII,  – .  Tillich, „Jüdische Einflüsse“, .  A.a.O., .  Ebd.  Vgl. a.a.O.,  f.

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Buber direkt und mehr noch indirekt auf mein Denken gehabt hat.“¹⁵³ Alle drei Aspekte, die er in seinem Essay über den befreundeten Philosophen entfaltete, hingen mit dem für seine wie Bubers Theologie so bedeutsamen Element des Prophetischen zusammen. An erster Stelle nannte er Bubers existentialistische Interpretation der prophetischen Religion in seinem Ich und Du (1923), die durch Karl Barth und Emil Brunner auch in der protestantischen Theologie Einfluss gewonnen habe.¹⁵⁴ Existentialistisch sei eine Religionsphilosophie dann, wenn sie beides zur Geltung bringe: „das Einbezogensein des ganzen Menschen in die religiöse Situation und die Unmöglichkeit, Gott außerhalb dieser Situation zu erfassen.“¹⁵⁵ Indem Buber verdeutlicht habe, dass sich das „Ich“ allein in der Begegnung mit einem „Du“ und dessen Bejahung als „Du“ konstituiere und dass es keinen anderen Weg gebe, einem „Du“ zu begegnen und es zu bejahen, „als daß man dem ‚ewigen Du‘ im endlichen Du begegnet und es bejaht“¹⁵⁶, habe er sämtliche herrschenden Strömungen der protestantischen Theologie in ihrem Kern herausgefordert. Das gelte in besonderer Weise für den Kulturprotestantismus, der den Gott der Bibel der „Es-Welt“ der modernen technischen Zivilisation angepasst und durch allgemeine wissenschaftlich-rationale Methoden verdinglicht habe, namentlich durch eine historische Forschung, die erst das Fundament für den Glauben schaffen, und eine Theologie, die „die sittliche Persönlichkeit über die Natur in uns und außer uns erheben“¹⁵⁷ wolle. Bubers Dialogphilosophie wird für Tillich demnach zum gültigen Einspruch gegen jegliche Objektivierung durch eine liberale Theologie (im Protestantismus wie im Judentum), die ihn zum moralischen Ideal oder zum philosophischen Begriff mache, statt geltend zu machen, dass „[d]er Gott der Propheten und der Reformatoren“¹⁵⁸ allein in der persönlichen, existentiellen Ich-Du-Beziehung zu erfahren sei. Zugleich entlarve Bubers Dialogphilosophie auch jegliche Orthodoxie als ungangbaren Weg, da überhaupt jeder Versuch, sich das „ewige Du“ über „Moral, Dogma oder Kultus“

 Tillich, „Martin Bubers dreifacher Beitrag“, . Zu Bubers und Tillichs Weg im Kontext der protestantischen Theologie und Religionswissenschaft in der Weimarer Zeit vgl. Marc A. Krell, „Fashioning a Neutral Zone: Jewish and Protestant Socialists Challenge Religionswissenschaft in Weimar Germany“, in: Modern Judaism and Historical Consciousness. Identities – Encounters – Perspectives, hg. von Andreas Gotzmann und Christian Wiese (Leiden: Brill, ),  – .  Vgl. Tillich, „Jüdische Einflüsse“, .  Tillich, „Martin Bubers dreifacher Beitrag“, .  Ebd.  A.a.O., .  Tillich, „Jüdische Einflüsse“, . Gott sei in der liberalen Theologie zum ethischen Prinzip und Symbol für das Gute im Menschen geworden. „Der Ruf des Existentialismus brachte den prophetischen Geist zur Geltung auf dem verdorrten Boden einer solchen moralischen, sich als aufgeklärt ausgebenden Religion“ (a.a.O., ).

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verfügbar zu machen, das „Du“ zum „Es“ mache und seiner Göttlichkeit beraube.¹⁵⁹ Der orthodoxe Protestantismus in Amerika etwa verstehe Offenbarung als verfügbares Vermächtnis Gottes, durch die Schrift verbürgt, in dogmatische Begriffe zu fassen und im Ritus erlebbar: „Gegen eine solche Auffassung richtete sich der ganze Zorn der Propheten, und die existentialistische Theologie eines Martin Buber gibt uns neue Waffen gegen sie an die Hand.“¹⁶⁰ Die stärkste Faszination für Tillich ging jedoch offenbar von Bubers Wiederentdeckung der Mystik als eines Elements der prophetischen Religion aus, mit welcher der Philosoph die religiöse Atmosphäre des frühen 20. Jahrhunderts zutiefst geprägt habe. Für die größte Leistung hielt Tillich es, dass es dem Kenner der jüdischen wie nichtjüdischen Mystik und Übersetzer chassidischer Spiritualität in die westliche Kultur gelungen sei, die im liberalen Judentum wie im Kulturprotestantismus herrschende Abneigung gegen das Mystische zu überwinden und auf diese Weise der modernen Religion etwas Unveräußerliches zurückzugeben: „das Mystische als Prinzip, nämlich die unmittelbare Gegenwart des Göttlichen und die Möglichkeit der Vereinigung mit ihm“¹⁶¹. Insbesondere Bubers theoretische Interpretation des Chassidismus, mit der Tillich offenkundig aus der gemeinsamen Frankfurter Zeit vertraut war, habe dazu beigetragen, eine wertvolle Form der Mystik sichtbar zu machen, die nicht auf Weltflucht, Verschmelzung mit dem Göttlichen und ethische Gleichgültigkeit hinauslaufe, sondern die „Heiligung der Welt“, die Verantwortung des Menschen für das Geschöpfliche und das Transzendente, das messianische Tun in Vorbereitung auf das zukünftige Gottesreich – alles Aspekte, die Buber seinerzeit auch im gemeinsamen Frankfurter Rundfunkgespräch hervorgehoben hatte.¹⁶² Tillichs Bereitschaft, in der Begegnung mit der jüdischen Religionsphilosophie das Judentum als Korrektiv von größter Bedeutung für die protestantische Theologie anzuerkennen, ist für diese frühe Zeit zweifellos höchst außergewöhnlich. Das gilt zum Beispiel für die Forderung, das Christentum müsse das

 Tillich, „Martin Bubers dreifacher Beitrag“,  f.  Tillich, „Jüdische Einflüsse“, .  Tillich, „Martin Bubers dreifacher Beitrag“, .  A.a.O.,  f.Vgl. etwa Martin Buber, „Die jüdische Mystik“ (), in Werke, Bd. : Schriften zum Chassidismus (München und Heidelberg: Lambert Schneider, ),  – ; ders., „Der Chassidismus und der abendländische Mensch“ (), in: A.a.O.,  – ; aus manchen Formulierungen wird auch deutlich, dass Tillich Abraham J. Heschels Werk Gott sucht den Menschen () kannte; vgl.Tillich, „Martin Bubers dreifacher Beitrag“, : „Denn nicht nur für den Menschen selbst, auf für Gott ist das Wirken des Menschen in der Welt voll Bedeutung, da der Mensch auch für das Schicksal Gottes verantwortlich ist, insofern Gott in der Welt ist. Der Mensch ist dazu berufen, die zerbrochene Einheit in sich selbst und in der Welt wiederherzustellen; Gott wartet auf ihn, und die Antwort auf des Menschen Wirken ist göttliche Gnade.“

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starke Gewicht des Ethischen im Judentum würdigen und entgegen der traditionellen paulinisch-lutherischen Kritik am „Gesetzesdenken“ anerkennen, dass Gesetze nicht zwangsläufig zu Legalismus führten und dass die Tora für fromme Juden „nichts Bedrückendes, sondern etwas Befreiendes“¹⁶³ sei. Mit der starken christlichen Begrenzung des Messianischen sei das soziale Element, die revolutionäre Forderung nach Gerechtigkeit in den Hintergrund getreten,vielfach mit der fatalen Folge der bedingungslosen Anpassung der Kirchen an die Autorität des Staates. Die protestantische Kirche nach der Shoah sei daher gezwungen gewesen, ihre Sozialethik völlig neu zu überdenken: Hier sei es nun weniger die jüdische Theologie gewesen, derer man bedurft habe, sondern vor allem die Wahrnehmung der jüdischen Existenz selbst und des Versagens der Kirchen: „Das Judentum zeigte den christlichen Kirchen, daß sie ein Prinzip ständiger prophetischer Selbstkritik nötig haben – einer Kritik, die in ihnen selbst wirksam ist und sich auch gegen Volk und Staat richtet.“¹⁶⁴ Dafür aber reiche nicht einfach die prophetische Botschaft des Alten Testaments, vielmehr gelte es zu erinnern, dass die für das frühe 20. Jahrhundert so bedeutsame Bewegung des Religiösen Sozialismus ohne den prophetisch-kritischen Geist des zeitgenössischen Judentums undenkbar gewesen wäre. Tillichs Urteil lautet daher: „Das Erwachen des prophetischen Geistes in den protestantischen Kirchen ist die wichtigste Frucht der Aufnahme jüdischer Elemente in die protestantische Theologie unserer Zeit.“¹⁶⁵ Der Essay von 1948 endet daher nicht zufällig mit einer Hommage an Martin Buber als eines Freundes und Ratgebers des Religiösen Sozialismus, der noch einmal auf die gemeinsame Weggenossenschaft in der Weimarer Republik und an der Frankfurter Universität zurückverweist. Auch wenn der jüdische Denker selbst kein aktives Mitglied der Bewegung gewesen sei, hätten seine prophetische Mystikdeutung, sein Dialogdenken und sein messianischer Begriff von Gemeinschaft der kleinen Bewegung orientierende Kraft geboten. Aufgrund seiner „IchDu“-Philosophie habe Buber die einzig angemessene Haltung gegenüber dem Marxismus gefunden: eine Bejahung der Marxschen Gesellschaftskritik, seiner Lehre von der Selbstentfremdung und Verdinglichung des Menschen unter den Wirtschaftsbedingungen des Kapitalismus, zugleich aber eine Ablehnung des antireligiösen Affekts des Marxismus und der Idee der Herrschaft des Proletariats, die menschliches Leben auf die „Ich-Es“-Welt reduziere. Das Buber’sche Gegenmodell aber sei die „Gemeinschaft“, das Konzept, das beide – Tillich und Buber – aus dem utopischen Sozialismus Gustav Landauers übernommen und über das sie

 Tillich, „Jüdische Einflüsse“, ; vgl.  f.  A.a.O., .  A.a.O., .

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seinerzeit in Frankfurt diskutiert hatten, „die lebendige Einheit einer Gruppe von Menschen“, die eine gemeinsame geistige Basis haben und in einer „Ich-Du“Beziehung stehen, die zu messianischem Handeln berufen sind.¹⁶⁶ Von den zahlreichen offenkundigen und eher verborgenen Spuren des Denkens Bubers in der Theologie und Philosophie Tillichs hob letzterer selbst in den beiden Texten jene besonders hervor, die ihm so kurz nach der Erfahrung von Exil, ohnmächtigem Zeugnis eines präzedenzlosen Völkermords und dem Versagen der Kirchen besonders am Herzen lagen und die ihm in der Nachkriegszeit theologisch wie politisch am wichtigsten erschienen: die drei in Buber untrennbar miteinander verbundenen Herausforderungen seines prophetischen Denkens, die zeigten, „daß die wechselseitige Beziehung und das Gespräch, eben die ‚Ich-Du‘-Begegnung von Judentum und Christentum, noch nicht zu Ende gekommen sind und niemals zu einem Ende kommen sollten.“¹⁶⁷ Und 1952 fügt er – in der New Yorker Synagoge – hinzu, über Buber hinaus und mit Blick auf jüdisches Denken überhaupt: Es ist nicht meine Aufgabe und würde auch zu weit führen, wenn ich noch die andere Seite des Bildes, den zweifellos vorhandenen christlichen Einfluß auf die jüdische Theologie aufzeigen würde. Aber es würde mir für heute genügen, wenn mir in diesem kurzen Überblick der Nachweis gelungen sein sollte, daß heute in der Begegnung zwischen jüdischem und christlichem Geist etwas vor sich geht, das nie wieder erlebt wurde, seit sich die Wege unserer beiden Religionen im ersten und zweiten Jahrhundert trennten. Heute besteht eine neue Situation: Jüdisches Denken kann von protestantischer Theologie aufgenommen werden. Als protestantischer Theologe bin ich glücklich für die Gaben, die wir stets empfangen haben.¹⁶⁸

 Tillich, „Martin Bubers dreifacher Beitrag“, . Kritik übt Tillich daran, dass diese „spiritualistische Auslegung des Religiösen Sozialismus“, die den Staat und die politische Macht den „Dämonen“ der reinen „Ich-Es“-Welt überlasse, unterschätze, dass auch dieser Bereich vom „IchDu“ durchdrungen werden könne. Das gelte auch für Bubers Zurückhaltung gegenüber der zionistischen Bewegung, so Tillich , im Jahr der Staatsgründung Israels, er betrachte den Zionismus lediglich als messianischen Versuch, eine Gemeinschaft zu stützen. „Die Geschichte scheint jedoch zu beweisen, daß eine Gemeinschaft ohne die schützende Hülle des Staates nicht bestehen kann“ (a.a.O., ).  Ebd.  Tillich, „Jüdische Einflüsse“, .

Hans-Günter Heimbrock

Empirische Theologie mit Tillich? 1 Eine unmögliche Frage

Im Spektrum der Beiträge zum vorliegenden Band taucht nun auch ein praktischtheologischer auf. Paul Tillich war bekanntermaßen kein Praktischer Theologe. Es gibt von Tillich m.W. auch keine eigenständigen Texte zur Praktischen Theologie, was gute Gründe hat. Ich möchte in diesem Text gleichwohl der Frage nachgehen, was Tillich zu dem seit einigen Jahren international in der Praktischen Theologie aufblühenden Forschungsfeld, nämlich dem der Empirischen Theologie, beitragen könnte. Deren Grundanliegen könnte man in einer vorläufigen Formel so beschreiben: „Empirische Theologie ist ein theologischer Forschungsansatz, der Erkenntnis gelebter Religion im methodisch gesicherten Rückgriff auf Erfahrung zu erlangen versucht.“¹ Dass dies nicht nur ein praktisch-theologisches, sondern auch ein systematisch-theologisches und ein fundamentaltheologisches Problemfeld darstellt, und dass ich mich auch deshalb getraue, Tillich heranzuziehen, sei aber doch schon jetzt notiert. Gleich zu Beginn muss ich aber das Fragezeichen im Titel aufnehmen. 1975 erschien in einem der Ergänzungs- und Nachlassbände zu Tillichs Gesammelten Werken der Beitrag zum Thema „Das Problem der theologischen Methode“². Auf der ersten Seite dieses Textes formuliert Tillich: Es taugt nichts, wenn eine Wissenschaft eine Methode aus einem anderen Wissensgebiet übernimmt, weil sie sich auf diesem Gebiet als erfolgreich erwiesen hat. So scheint mir, daß die Betonung der sogenannten empirischen Methode in der Theologie nicht auf wirklichen Bedürfnissen der Theologie beruht, sondern der Theologie durch den Druck eines methodologischen Imperialismus aufgezwungen worden ist, den das Modell der Naturwissenschaft ausübt. Die Unterwerfung der Theologie unter ein ihr fremdes Modell hat zu einer ungebührlichen Ausweitung des Begriffs ‚empirisch‘ geführt und zu mangelnder Differenzierung zwischen den verschiedenen Bedeutungen des Begriffs der Erfahrung in der Theologie.³

Wenn man das zur Kenntnis nimmt, zu meiner Themafrage „Empirische Theologie mit Tillich?“ also gewissermaßen schon im Entree eine Absage Tillichs auf der

 Astrid Dinter, Hans-Günter Heimbrock, Kerstin Söderblom (Hg.), Einführung in die Empirische Theologie. Gelebte Religion erforschen (Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, ), .  Paul Tillich, „Das Problem der theologischen Methode“ (), in: EW IV,  – .  A.a.O., .

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ganzen Linie erfährt, dann muss man fragen, ob es darüber hinaus dann eigentlich noch etwas zu sagen gäbe. Und zur Verstärkung solcher Reserve wird man vielleicht zusätzlich süffisant auf den Umstand verweisen, dass die Tagungsüberschrift der Frankfurter Konferenz verspricht, dass „Paul Tillich in Frankfurt (1929 – 1933)“ bedacht werden soll, dass aber auch das englischsprachige Original des soeben genannten Beitrags Tillich „The Problem of Theological Method“⁴ nicht aus diesem Zeitraum 1929 – 1933 stammt, sondern aus Tillichs US-amerikanischer Zeit, vom Januar 1947 datiert, ein Text, der seinerseits auf einen 1946 bei einem Symposium mündlich präsentierten Beitrag zurückgeht. Tillich kannte sehr wohl das Unternehmen einer „Empirischen Theologie“ aus den USA, setzte dies auch in seiner Systematischen Theologie von der Erfahrungstheologie nach Schleiermacher und auch der Erlanger Schule ab. Das war eine Illusion, wie Franks System klar beweist. Das Ereignis, auf das sich die Christenheit gründet (er nannte es ‚Jesus von Nazareth‘) ist nicht aus der Erfahrung abgeleitet, es ist gegeben in der Geschichte. Erfahrung ist nicht die Quelle, aus der die Inhalte der systematischen Theologie genommen werden können, sondern das Medium, durch das sie existentiell empfangen werden. Eine andere Form von Erfahrungstheologie, die dieser Kritik nicht ausgesetzt ist, kommt aus dem amerikanischen Christentum. Sie unterscheidet sich von der kontinentalen Erfahrungstheologie durch ihre Verbindung mit dem philosophischen Empirismus und Pragmatismus. Sie versucht, eine ‚empirische Theologie‘ auf der Basis reiner Erfahrung im Sinne der philosophischen Empiristen zu schaffen.⁵

Aber dieser Richtung möglicher Entfaltung des Empirischen Zugs der Theologie ist Tillich, soweit ich sehe, nicht weiter nachgegangen. Der Begriff „empirisch“ hat bei Tillich generell keine gute Presse, zumal in der häufig gebrauchten Wendung als „Empirismus“. Ähnlich kritisch wie im eingangs zitierten Text äußert er sich im Methodenteil von Band 1 der Systematischen Theologie. Dort beginnt der Abschnitt zur Profilierung seiner Korrelationsmethode mit dem Satz: „Es gibt Beweise genug, daß die Versuche nicht zum Ziel führen, die die Theologie als empirischinduktive oder als metaphysisch-deduktive Wissenschaft oder als Kombination aus beidem entwerfen wollen.“⁶

 Paul Tillich, „The Problem of Theological Method“, Journal of Religion  (),  – .  ST I, .  A.a.O., . Dem Duktus dieser Bestimmung von „empirisch“ wären zahlreiche weitere Belege zuzuordnen. Ich nenne exemplarisch diesen: In Tillichs Beitrag zu Bubers Bedeutung für die protestantische Theologie heißt es: „Die protestantische Apologetik z. B. suchte den Beweis zu erbringen, daß inmitten der Ganzheit aller Dinge Raum sei für ein göttliches Wesen, dem Personhaftigkeit und eine aktive wechselseitige Beziehung zur Welt zuerkannt werden müsse: Die ‚empirische Theologie‘ suchte zu beweisen, daß dieses Wesen durch allgemeine wissenschaftliche

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Ähnlich lautete es bei Tillich schon 1940 im Vortrag zu „Philosophie und Theologie“: „Man kann es dem Menschen nicht verwehren, die menschlichste Frage zu stellen; kein Diktator kann das tun, selbst wenn er im Gewand des bescheidenen Positivismus oder Empirismus erscheint. Der Mensch ist mehr als ein Registrierapparat für sogenannte Fakten und ihre wechselseitigen Abhängigkeiten.“⁷ Es ist also nicht zu leugnen: Tillich lehnte „empirische Theologie“ ab, jedenfalls das, was zu seinen Lebzeiten darunter firmierte bzw. das, was er darunter verstehen musste. Wenn er also deutlich abweisend war, wie kann man dann Tillich heute in Anspruch nehmen für Empirische Theologie – und führt uns das werkgeschichtlich zurück hinter die US-amerikanische Zeit, in die Frankfurter Jahre? Ich behaupte: Ja, und dabei zeigen sich nun Fragestellungen von fundamentaltheologischer Bedeutung.

2 Ansätze Empirischer Theologie und offene Fragen Um den eigenen Reflexionskontext und auch meine Bezugnahme auf Tillich einigermaßen plausibel zu machen, muss ich jetzt einen Moment von Tillich absehen und einige Bemerkungen zum gegenwärtigen Ansatz Empirischer Theologie machen. In einem sehr gerafften und typisierend zugespitzten Überblick kann man fünf verschiedene Bewegungen identifizieren, die – unabhängig von Tillich – unter dem Label „Empirische Theologie“ rangieren. Die ersten Ansätze zu einer explizit „Empirische Theologie“ genannten Bemühung datieren vom Beginn des 20. Jahrhunderts, wo man etwa zeitgleich in den USA und in Europa von „Empirischer Theologie“ zu sprechen begann. Der eine Ursprung liegt in der frühen Chicago-Schule der 1920er Jahre mit D. Macintosh als einem ihrer profilierten Köpfe. In seiner Studie Theology as an Empirical Science ⁸ entfaltete er auf der Basis englischer empiristischer Tradition ein Konzept von Theologie, das wesentlich an der Analyse religiöser Erfahrung des Menschen auf der Straße orientiert war. Der andere Ursprung liegt in Dorpat (Tartu), Estland. Unter dem Begriff einer „Empirischen Theologie“ formulierte der baltische Theologe Werner Gruehn 1936

Forschungsmethoden erreichbar sei“ (Paul Tillich, „Martin Bubers dreifacher Beitrag zum Protestantismus“ (), in: GW VII, ).  Tillich, „Philosophie und Theologie“ (), in: GW V, .  Douglas Clyde Macintosh, Theology as an Empirical Science (New York: Macmillan, ).

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emphatisch eine Theologie im Kontakt mit dem „lebendigen Leben“⁹. Er konzipierte „Empirische Theologie“ im Pathos der Lebensnähe als experimentell operierende „Tatsachenforschung“ und gab damit der damals im Entstehen begriffenen jungen Disziplin der Religionspsychologie wichtige Impulse. Ein dritter Zugang: Nahezu völlig übersehen blieb in der deutschsprachigen Diskussion um empirische Orientierung der Theologie ein bereits in den 60er Jahren des letzten Jahrhunderts breiter ausgebauter Ansatz im Rahmen der Zweiten Chicago School.¹⁰ Ich nenne dazu hier nur den systematisch-theologischen Kopf und Protagonisten dieser Bewegung, Bernhard Meland.¹¹ Im Rückgriff zunächst auf Schleiermacher, vor allem dann aber William James und Edmund Husserl entwickelte Meland ein Konzept zur Rekonstruktion des christlichen Glaubens. Seit den 1990er Jahren gibt es schließlich in Europa Beiträge zur Neukonzipierung einer „Empirischen Theologie“. Mit klarer Ausrichtung auf die Praktische Theologie hat der niederländische Theologe Johannes van der Ven in seinem Programm der „Empirischen Theologie“¹² konsequent den erfahrungswissenschaftlichen Ansatz bis in die Methodenentwicklung verfolgt. Unter der Leitformel eines „intradisziplinären“ Ansatzes hat van der Ven wie wenige andere Theologen mit präzisen, qualitativ und quantitativ orientierten sozialwissenschaftlichen Methoden konkrete religiöse Verhaltensweisen untersucht. Hans-Georg Ziebertz hat die Impulse seines Lehrers van der Ven aufgenommen und ausgebaut.¹³ Zu verweisen ist in diesem Zusammenhang auch auf das in England von Leslie Francis und seinem Forschungsteam breit ausgebaute Pendant zur Van-der-VenSchule Empirischer Theologie.¹⁴  Werner Gruehn, „Empirische Theologie (Zur Einführung)“, Archiv für Religionspsychologie und Seelenführung  (), XII.  Vgl. dazu den alle theologischen Disziplinen umfassenden Band The Future of Empirical Theology, hg. von Bernhard E. Meland (Chicago: The University of Chicago Press, ).  Vgl. Bernhard E. Meland, Faith and Culture (New York: Oxford University Press, ); ders., Fallible Forms and Symbols. Discourses on Method for a Theology of Culture (Philadelphia: Fortress Press, ); vgl. zum Ansatz Melands Hans-Günter Heimbrock, „Reconstructing Lived Religion“, in: Religion: Immediate Experience and the Mediacy of Research. Interdisciplinary Studies in Objectives, Concepts and Methodology of Empirical Research in Religion, hg. von dems. und Christopher P. Scholtz (Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht,  / Research on Contemporary Religion, Bd. ),  – ; vgl. The Constructive Theology of Bernard Meland. Postliberal Empirical Realism, hg. von Tyron Inbody (Atlanta: Scholars Press, ).  Johannes A. van der Ven, Entwurf einer empirischen Theologie (Kampen: Kok,  / Theologie & empirie, Bd. ).  Hans-Georg Ziebertz (Hg.), Praktische Theologie – empirisch. Methoden, Ergebnisse und Nutzen (Münster: LIT,  / Empirische Theologie, Bd. ).  Vgl. zur Übersicht über die zahlreichen Forschungsprojekte Leslie J. Francis, „Comparative Empirical Research in Religion: Conceptual and Operational Challenges within Empirical Theo-

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Mit einem anderen Grundverständnis von Empirie auf dem Hintergrund eines anderen philosophischen und theologischen Zugangs zur „Wirklichkeit“ arbeitet das fünfte hier zu nennende Konzept Empirischer Theologie gelebter Religion, an dem ich selbst in den letzten zehn Jahren intensiv gearbeitet habe. Auch dieser Ansatz nimmt extensiv auf empirische Sozialforschung Bezug. Ich verweise auf den Programm-Band Einführung in die Empirische Theologie,¹⁵ in dem wir versucht haben, die methodische Erschließungskraft einer empirisch-sozialwissenschaftlich und auch kulturwissenschaftlich informierten Theologie im Einzelnen zu belegen. Die Programmatik dieses Ansatzes kann man so umschreiben: Praktische Theologie, aber auch die Religionswissenschaft, die Religionssoziologie und andere beteiligte Wissenschaften finden ihren Gegenstand, die religiöse Praxis, nicht einfach vor, sondern sie müssen ihn allererst zum Thema machen. Wenn sich also die Frage immer wieder neu stellt, was denn die Religion sei und wie man sie finden kann, dann ist das kein redundanter Exzess, sondern sachgemäßer Ausdruck der prinzipiell unabschließbaren Arbeit an einem empirisch gehaltvollen Begriff der Religion…In einem engen Zusammenhang mit der Diskussion des Religionsverständnisses stehen auch die Überlegungen zum Erfahrungsbegriff. Lässt sich Erfahrung objektivieren und in welchem Verhältnis stehen objektivierbare und gelebte Erfahrung?¹⁶

Soweit ein geraffter Überblick über Etappen und Modelle Empirischer Theologie. Aus den hier nur verkürzt skizzierten Entwicklungssträngen dieses Forschungsfeldes zeigt sich ein deutlich nachweisbares Interesse an Empirie innerhalb der Theologie, wobei im Einzelnen in recht unterschiedlicher Weise auf die beiden Leitbegriffe Erfahrung und Empirie zurückgegriffen wird. Die jüngeren Ansätze Empirischer Theologie, wie ich sie aus der zeitgenössischen Diskussion in Europa genannt habe, stehen alle in Verbindung mit einer mehr oder weniger extensiven Bezugnahme auf empirische Sozialforschung, deren methodische Zugänge zur empirischen Analyse von Religion, deren Forschungslogik und deren Forschungsergebnisse. Die einen bejahen dies emphatisch, andere reklamieren von den Standards exakter empirischer Forschung eine notwendige Distanz zwischen religiösen Vollzügen und deren wissenschaftlicher Rekonstruktion, wieder andere verweisen unter Bezug auf erkenntnistheoretische Argumente auf die Gebrochenheit eines jeden Zugangs zur „Realität“. logy“, in: Ders., Mandy Robbins und Jeff Astley (Hg.), Empirical Theology in Texts and Tables. Qualitative, Quantitative and Comparative Perspectives (Leiden: Brill, ),  – .  Vgl. dazu ausführlich Dinter, Heimbrock, Söderblom (Hg.), Einführung in die Empirische Theologie (siehe Anm. ).  Birgit Weyel, Hans-Günter Heimbrock, Wilhelm Gräb, „Vorwort“, in: Dies. (Hg.), Praktische Theologie und empirische Religionsforschung (Leipzig: Evangelische Verlagsanstalt,  / Veröffentlichungen der Wissenschaftlichen Gesellschaft für Theologie, Bd. ), .

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Strittig sind in gegenwärtigen Debatten um eine Empirische Theologie oder eine empirisch orientierte Theologie trotz oder unbeschadet der genannten Grundanliegen wichtige Punkte, die Gegenstand, Reichweite und Logik der Forschung betreffen. Gestritten wird intern um Antworten auf mindestens drei Fragen: – Erstens um die Frage, ob man sich dabei auf Religion zu beziehen habe, näherhin, welche begriffliche Grundbestimmung und welches Methodenarsenal hier hilfreich seien. Dass dies materialiter nicht länger auf innerkirchliche Phänomene beschränkt bleiben kann, dass ein materialer Religionsbegriff überhaupt nicht tauglich sei, sondern nach Lage der Phänomene wie der Theoriebildung in Sachen Religion auch Phänomene außerhalb institutionalisierter Religion einbeziehen muss, ist unstrittig. Ob aber Religion allein als „Sinnraum“ zureichend bestimmt ist,¹⁷ zudem mit einer transzendentaltheologischen Begründungsfigur, das wird nicht von allen mit gleicher Vehemenz bejaht. – Zweitens um die Grundintention und das Erkenntnisinteresse des Unternehmens. Bereits die Leitformel einer „Kulturhermeneutik“ als weiter dimensioniertem Horizont wird allerdings schon unterschiedlich ausgelegt. Das betrifft nicht nur die Ahnengalerie des Kulturbegriffs, sondern vor allem die Zielsetzung der Kulturhermeneutik. Für eine sich auf die Kultur beziehende Theologie steht in Frage, wie weit der Horizont von Religion und Kultur gespannt werden muss, in gleicher Weise um die Frage, wie sich bei solcher empiriebezogenen Kulturanalyse kritische Interpretation kultureller Symbolik und kritische Gestaltung von religiöser Praxis zueinander verhalten. – Und drittens um die Frage, ob man eigentlich nicht besser und schlichter von Empirischer Religionsforschung in der Theologie sprechen solle, statt von einer „Empirischen Theologie“. Strittig ist nun gegenwärtig innerhalb der Praktischen Theologie wie im interdisziplinären Diskurs mit empirischen Sozialwissenschaften, wie das Verhältnis empirischer Sozialforschung zur Theologie in Sachen Religion zu bestimmen sei. Sachlich läuft das auf die Frage hinaus, mit welchem Begriff von Erfahrung eine im weitesten Sinne an Empirie interessierte Theologie arbeitet und wie die Bezugnahme von Theologie auf empirische Forschung zu einer angemessenen Verhältnisbestimmung von Erfahrung und Normativität kommt.

 Wilhelm Gräb, „Religion und die Bildung ihrer Theorie – Reflexionsperspektiven“, in: Religion in der modernen Lebenswelt. Erscheinungsformen und Reflexionsperspektiven, hg von Birgit Weyel und Wilhelm Gräb (Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, ), .

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Die theologische Bezugnahme auf empirische Forschung folgt für viele dem Grundmodell einer Arbeitsteilung, nach der empirische Sozialwissenschaften für die methodisch valide Erhebung verlässlicher „Daten“ zuständig sind. Die Theologie als solche hätte dazu nichts beizutragen; sie beginnt da, so diese Ansicht, wo das Geschäft der Interpretation im theologischen Denkrahmen einsetzt. Ein solches Modell verfolgt noch keine Empirische Theologie, sondern wäre eher als empirische Religionsforschung mit theologischem Nachwort einzustufen. Diese Debatte um Theologizität Empirischer Theologie ist gerade erst in Gang gekommen.¹⁸ Und dabei gibt es gegenwärtig eine Reihe unterschiedlicher Optionen. Die einen, wie jüngst Claudia Schulz, votieren dafür, Empirische Forschung als Praktische Theologie zu betrachten, also beide Disziplinen ohne Weiteres zu identifizieren.¹⁹ So kann man sich das Problem auch vom Halse schaffen. Einen methodologisch sehr viel gründlicher ausgearbeiteten Vorschlag hat Wilhelm Gräb gemacht, der in zahlreichen Arbeiten dafür plädiert, dass sich „Praktische Theologie […] an empirischer (Religions‐)Forschung beteiligt“²⁰. Empirische Theologie als Hermeneutik gelebter Religion, so seine Empfehlung, muss sich dem methodischen Vorgehen empirischer Religionsforschung anschließen. Ich habe mehrfach die Frage gestellt, ob und inwieweit das mit der Rezeption der Sozialforschung faktisch praktizierte Modell einer Arbeitsteilung, nach der die Theologie da anfange, wo die Empirie aufgehört hat Daten zu sammeln, theologisch sachlich angemessen ist und wie weit sie trägt.²¹ Je intensiver moderne Methoden empirischer Sozialwissenschaften in die Praktische Theologie aufgenommen wurden, umso mehr wurde die kritische Frage nach dem theologischen Proprium dieser Forschung gestellt. Steht Praktische Theologie bei aller Kopie von Kommunikationstheorie, Lerntheorie, Psychologie, Institutionenlehre usw. so nicht in der Gefahr, bloße Sozialwissenschaft im Kontext von Kirche zu werden? Wie verhalten sich empirische und theologische Erkenntnis der Wirklichkeit zueinander? Wie verhalten sich Voraussetzungslosigkeit von wissenschaftlicher Reflexion, Wirklichkeitskritik und das theologische Interesse des Glaubens zu-

 Rainer Bucher, „Über Stärken und Grenzen der ‚Empirischen Theologie‘“, Theologische Quartalschrift  (),  – .  Claudia Schulz, Empirische Forschung als Praktische Theologie (Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, ).  Wilhelm Gräb, „Praktische Theologie als empirisch gehaltvolle Deutung gelebter Religion“, in: Praktische Theologie und empirische Religionsforschung (siehe Anm. ),  – , hier .  R. Bucher hat in gleicher Richtung Fragen an den Ansatz von van der Ven gestellt.

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einander?²² Diese Fragen werden nicht nur in der Praktischen Theologie, sondern seit langem auch in der Systematischen Theologie diskutiert. Ich erinnere an Eilert Herms’ frühen Versuch zur methodologischen Bestimmung von Theologie als Erfahrungswissenschaft, wo er die These vertrat: „Theologie konstituiert sich im Ganzen als eine Erfahrungswissenschaft; was bedeutet, daß jeder ihrer Erkenntnisgänge sich im Zusammenwirken eines praktisch-experimentellen und eines systematisch-konzeptuellen Erkenntnisaktes vollzieht.“²³ Ich erinnere an das Projekt der Fachgruppe Systematische Theologie der Wissenschaftlichen Gesellschaft 2009 zum Thema „Theologie und empirische Wissenschaften“.²⁴

3 Beobachtungen zu Tillichs Einschätzung von Soziologie, Psychologie und Sozialtheorie Gehen wir im Lichte des systematischen Interesses nun wieder um 80 Jahre zurück, zu Tillichs Denken vor der Emigration und auch in den 1940er Jahren. Es muss konstatiert werden, dass wir dort generell, wenn überhaupt, dann eine kritisch-abweisende Einschätzung des Verhältnisses von empirischer und theologischer Erkenntnis finden, Ausnahmen bestätigen die Regel.²⁵ Tillichs Einschätzungen empirischer Sozialforschung finden sich in aller Regel nur beiläufig, das war nicht sein Thema. Entsprechende Randbemerkungen werden im Kontext einer Gegenüberstellung von Theologie und klassischer moderner Naturwissenschaft verortet, in deren methodischen Zugriff Tillich zunächst auch Soziologie und Psychologie verortete. Seine mehrfach wiederholte Kritik läuft in dem Sinne auf eine Kritik an der Verobjektivierung des Menschen hinaus.

 Yorick Spiegel, „Praktische Theologie als empirische Theologie“, in: Praktische Theologie heute, hg. von Ferdinand Klostermann und Rolf Zerfaß (München: Kaiser und Mainz: Grünewald, ),  – .  Eilert Herms, Theologie – eine Erfahrungswissenschaft (München: Kaiser, ), .  Matthias Petzoldt (Hg.), Theologie im Gespräch mit empirischen Wissenschaften (Leipzig: Evangelische Verlagsanstalt, ).  Eine solche Ausnahme findet sich etwa in Tillichs ursprünglich englisch abgefasstem Aufsatz „Die Frage nach der Zukunft der Religion“ (/), wo es heißt: „Einblicke in die Tiefenschicht des Menschen durch die Tiefenpsychologie und Soziologie – mehr noch als durch die Theologie – haben gezeigt, daß der Mensch ein Kampfplatz uneindeutiger, unbewußter Mächte ist – individueller wie kollektiver – und daß sein bewußtes Verhalten abhängig ist von universellen Strukturen des Bösen und des Guten“ (GW V, ).

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Nach der klassischen Newtonschen Mechanik ist die Natur eine Totalität völlig determinierter Körper, die sich nach quantitativ meßbaren Gesetzen bewegen. Bei einem solchen Weltbild ist eine ‚Ich-Du‘-Beziehung zu einem Naturgegenstand unmöglich, da der Mensch die Natur für seine eigenen Zwecke dienstbar macht. Hier macht man auch Gott zu einem ‚Grenzbegriff‘, d. h., man drängt ihn an die äußersten Grenzen der Natur,von wo er unfähig wird, in sie einzugreifen. In zunehmendem Maße wandte die wissenschaftliche Psychologie und Soziologie die gleichen Prinzipien auf Mensch und Gesellschaft an. Der Einzelne wurde der großen Maschinerie von Produktion und Konsumtion unterworfen und selbst zu einer Maschine, die unter dem Gesetz des Reiz-Reaktionsmechanismus steht. Die ‚Ich-Du‘-Beziehung blieb dem Gefühl und dem subjektiven Empfinden überlassen.²⁶

Ausnahmen bestätigen nicht nur die Regel. Denn es wäre voreilig, solche eher flächlich gesammelten Statements für das Ganze zu nehmen. Der auch uns geläufige Begriff „Erfahrungswissenschaften“ für den gerade angesprochenen Typus von sozialwissenschaftlichen Disziplinen kommt nämlich bei Tillich an sehr prominenter Stelle vor, im ersten prägnanten Einleitungssatz zum ersten Text seiner Kulturtheologie von 1919: „In den Erfahrungswissenschaften ist der Standpunkt etwas, das überwunden werden muß.“²⁷ Dagegen wird dann systematisch der andere Typ der Kulturwissenschaften gesetzt, in welchem die Standpunkthaftigkeit gerade das erste Kennzeichen bildet. Und in diese Gruppe der standpunktbezogenen Wissenschaften kann Tillich dann ohne Weiteres Theologie, wie sie ihm vorschwebt, einordnen. Auf das Thema solcher Kulturtheologie ist noch zurückzukommen. Dieser Befund mahnt Differenzierung an, weist auch chronologisch zurück. Deshalb lohnt der genauere Einblick und also der Rück-Blick auf Tillich in Frankfurt. Allerdings muss man dabei etwas weiter ausholen. Tillich wurde, nachdem sich die Berufung an die Berliner Fakultät infolge ausbleibender Bestätigung von Seiten der Kirche erledigt hatte, am 24. April 1929 an der damals jungen Frankfurter Universität in das Amt eines Ordentlichen Professors für Philosophie und Soziologie einschließlich Sozialpädagogik (Nachfolge Cornelius) berufen.²⁸ Sein Wirkungskreis hier war formal also weder im engeren noch im weiteren Sinne theologisch, weder hatte er Systematische Theologie zu lehren noch war sein Lehrstuhl in einer theologischen Fakultät angesiedelt, noch war die Universität im Ganzen von theologischen Traditionen

 Tillich, „Martin Bubers dreifacher Beitrag zum Protestantismus“, in: GW VII, .  Paul Tillich, „Über die Idee einer Theologie der Kultur“ (), in: GW IX,  – , hier .  Zu den Hintergründen vgl. Werner Schüßler, „Als protestantischer Theologe in philosophischem Material. Paul Tillich, Frankfurt und die Philosophie“, in: Spurensuche. Lebens- und Denkwege Paul Tillichs, hg. von Ilona Nord und Yorick Spiegel (Münster et al.: LIT,  / TillichStudien, Bd. ),  – .

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bestimmt. Ähnlich wie 1925 im Falle der Berufung an die TU Dresden ging Tillich ein solches bürgerlich-urbanes Setting seiner akademischen Tätigkeit aber mit Verve an. In der Rückschau schrieb er 1935 an den Freund Eugen RosenstockHuessy: „Demgegenüber habe ich mich […] in Frankfurt, wo es keine theologische Fakultät gab, was von allen Fakultäten als sinnwidrig empfunden wurde, als protestantischer Theologe in philosophischem Material gefühlt und dem in jeder Diskussion deutlich Ausdruck gegeben.“²⁹ Bereits aus den bisher ausgewerteten Quellen ist der klare Eindruck zu gewinnen, dass Tillich große Erwartungen an sein Wirken als Theologe in einer urbanen Kultur und in einer nicht-theologisch bestimmten akademischen Diskurssituation hatte. Als ein Mensch, der Geselligkeit und lebhaften persönlichen Austausch schätzte, fand Tillich in Frankfurt eine Fülle neuer Anknüpfungspunkte. Er betrieb Philosophie und Theologie mit einem imponierend breiten interdisziplinären Horizont. Frankfurt hatte auch damals außerhalb der nicht vorhandenen Theologie Einiges zu bieten: Unter seinen Kollegen waren der Soziologe Karl Mannheim, der Ökonom Adolf Löwe, der Sozialpädagoge Carl Mennicke, der Historiker Ernst Kantorowicz, der Altphilologe Kurt Riezler (zugleich Kanzler der Universität), der von Tillich häufig erwähnte Neuropsychologe Kurt Goldstein, der Psychologe Adhémar Gelb und viele andere. Und Tillich wurde neben seiner üblichen Lehrtätigkeit bald ein sehr aktiver Gesprächspartner in einer Reihe informeller und auch formeller interdisziplinärer Arbeitszusammenhänge in der Stadt und in der Region. Das reicht vom berühmten „Kränzchen“ im Café Laumer über die „Heppenheimer Gespräche“ bis hin zum 1923 gegründeten Institut für Sozialforschung. Tillich war mit daran beteiligt, Max Horkheimer 1930 auf eine Stiftungsprofessur für Sozialphilosophie und in die Leitung dieses Instituts zu hieven. Dessen junger Kollege Theodor Adorno, damals noch Theodor Wiesengrund, habilitierte unter Tillichs Begleitung 1931. Schaut man auf diese zum guten Teil großbürgerlich intellektuellen interdisziplinären Netzwerke, an denen zeitweise dann auch Theologen aus Heidelberg und Marburg beteiligt waren (Emil Brunner, Hans von Soden u. a.), so stehen thematisch zwei Problemkreise im Vordergrund der Verhandlungen:³⁰ – die Bewegung des religiösen Sozialismus im Kontext der zeitgenössischen politischen Situation und – das Verhältnis von Protestantismus und Profanität.

 EW VI,  (meine Hervorhebung).  Ich beziehe mich dabei zunächst auf die Darstellung bei Yorick Spiegel, „Gespräche. Paul Tillich in Frankfurt“, in: Spurensuche (siehe Anm. ),  – .

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Das kann und will ich hier im Einzelnen nicht darstellen und diskutieren. Relevant und interessant ist gleichwohl die Frage, wie in den Debatten Fragen empirischer Forschung berührt wurden bzw. mit welchen Elementen und Problemstellungen soziologischer und psychologischer Theoriebildung Tillich in seiner Frankfurter Zeit in Berührung geriet. Tillichs Interesse für soziologische Theorie, soziologische und sozialpsychologische Problemstellungen wurde maßgeblich mit beeinflusst durch Kontakte mit dem Institut für Sozialforschung und dessen Mitarbeitern (Max Horkheimer, Friedrich Pollock, Leo Löwenthal, Erich Fromm, Herbert Marcuse u. a.).³¹ Dieses Institut war – entstanden als universitätsunabhängige Stiftung – vom Nationalökonomen Felix Weil als Stätte zur Erforschung von Theorie und Geschichte des Sozialismus und der Arbeiterbewegung begründet worden. Auch soweit Tillich das Gespräch mit Sozialwissenschaftlern und Psychologen führte, ging es um gesellschaftstheoretische, erkenntnistheoretische und kulturtheologische Fragen, kaum oder ganz am Rande um Fragen der empirischen Forschung, gar nicht um Fragen der Schulpsychologie. Gut belegt ist insbesondere das Gespräch aus dem Jahre 1931, an dem Vertreter der Bewegung des religiösen Sozialismus, Vertreter des Instituts sowie Mitstreiter der „Dialektischen Theologie“ teilnahmen. Inhaltlich ging es um das Verhältnis von Protestantismus und Profanität.³² Tillich stritt mit Horkheimer über dessen Grundthese auf Basis der Kritischen Theorie, dass in der Gesellschaft der Gegenwart für Religion nur im Rahmen von Ideologiekritik Platz sei. Tillich beteiligte sich heftig an diesem Disput und vertrat auf der Basis seines Konzeptes eines „gläubigen Realismus“ eine ganz andere Position zum Verhältnis von Protestantismus und säkularer Kultur. Tillich führte z.T. heftige Kontroversen mit den Vertretern der sich in dieser Zeit formierenden Kritischen Theorie. Aber er teilte das sozialtheoretische Grundinteresse an der Erarbeitung einer politisch und sozialphilosophisch begründeten und engagierten Gesellschaftsdiagnose. (Unter anderem deshalb setzte er sich zusammen mit Horkheimer beim Preußischen Kultusministerium für Soziologie ein.³³) Dieses

 Vgl. dazu den Beitrag von Bryan Wagoner, „Religious Socialism as Critical Theory. Tillich and the Institute in Frankfurt“, in diesem Band.  Vgl. EW VI,  ff.; vgl. die Darstellung bei Richard Faber und Eva-Maria Ziege (Hg.), Das Feld der Frankfurter Kultur- und Sozialwissenschaften vor  (Würzburg: Königshausen & Neumann, ),  – .  Vgl. das Schreiben von Paul Tillich und Max Horkheimer an das Preußische Kultusministerium vom . . . Den Hinweis auf dieses Schreiben entnehme ich Roman Köster, Die Wissenschaft der Außenseiter. Die Krise der Nationalökonomie in der Weimarer Republik (Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht,  / Kritische Studien zur Geschichtswissenschaft, Bd. ), .

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Grundinteresse hat Horkheimer im Vorwort des 1. Bandes der ab 1932 erscheinenden Zeitschrift für Sozialforschung programmatisch so beschrieben: Die Untersuchungen auf den verschiedensten Sachgebieten und Abstraktionsebenen […] werden durch die Absicht zusammengehalten, daß sie die Theorie der gegenwärtigen Gesellschaft als ganzer fördern sollen. Dieses vereinigende Prinzip, nach dem die Einzeluntersuchungen bei unbedingter empirischer Strenge doch im Hinblick auf ein theoretisches Zentralproblem zu führen sind, unterscheidet die Sozialforschung, der die Zeitschrift dienen möchte, ebenso von bloßer Tatsachenbeschreibung wie von empiriefremder Konstruktion. Es erstrebt Erkenntnis des gesamtgesellschaftlichen Verlaufs und setzt daher voraus, daß unter der chaotischen Oberfläche der Ereignisse eine dem Begriff zugängliche Struktur wirkender Mächte zu erkennen sei.³⁴

Die Beschäftigung Tillichs mit Sozialwissenschaften in dieser Frankfurter Zeit ist, soweit mir bekannt, bislang noch nicht gründlicher aufgearbeitet.³⁵ Das Gleiche gilt für Tillichs inhaltliche Kontakte zu Psychologen und Gestalttheoretikern wie Max Wertheimer und Kurt Goldstein.³⁶ Auch hier findet sich eine gegenüber der „modernen Psychologie“ nicht in toto abschätzige Haltung. Er differenziert zwischen Schulpsychologie, Psychoanalyse und der damals gerade in Frankfurt blühenden Gestaltpsychologie sehr wohl. „Die moderne Psychologie (Köhler, Wertheimer, Spranger) hat erkannt, daß kein einziger seelischer Vorgang losgelöst von der ganzen seelischen Gestalt gedacht werden kann, sondern daß in jedem Moment des inneren Erlebens das Ganze gegenwärtig ist, und daß die Seele auch die Wirklichkeiten nicht als einzelne Momente, sondern als Ganzheiten aufnimmt.“³⁷ Man kann gleichwohl behaupten, dass Tillich in der frühen Zeit vor

 Max Horkheimer, „Vorwort“, Zeitschrift für Sozialforschung  (), I – IV, hier I.  Immerhin sind inzwischen wichtige Vorträge und Texte ediert, vgl. dazu EW XI. Ediert sind mittlerweile zumindest Tillichs Vorlesungsmanuskripte von  zu „Geschichtsphilosophie und Sozialpädagogik“ (Wintersemester /), GW XV. Vgl. ferner Manfred Bauschulte und Volkhard Krech, „Saulus-Situationen. Zum Verhältnis von Kritischer Theorie und Religiösem Sozialismus“, in: Faber / Ziege (Hg.), Das Feld der Frankfurter Kultur- und Sozialwissenschaft vor  (siehe Anm. ),  – , hier  ff.  Vgl. dazu aus der Rückschau Paul Tillich, „The Significance of Kurt Goldstein for Philosophy of Religion“, Journal of Individual Psychology  (),  – ; wiederabgedruckt in: Paul Tillich und Perry LeFevre, The Meaning of Health. Essays in Existentialism, Psychoanalysis, and Religion (Chicago: Exploration Press, ),  – ; vgl. ferner Katja Bruns, „Von der Freiheit des Organismus. Theologie und Naturwissenschaften im Dialog zwischen Paul Tillich und Kurt Goldstein“, in: Tillich Preview, hg. Karin Grau et al. (Münster: LIT, ),  – ; dies., Anthropologie zwischen Theologie und Naturwissenschaft bei Paul Tillich und Kurt Goldstein. Historische Grundlagen und systematische Perspektiven (Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, ).  Paul Tillich, Die religiöse Lage der Gegenwart (), in: GW X,  f. Vgl. zu Tillichs Gestaltrezeption Hans-Günter Heimbrock, „Gestalten der Praxis – Praxis gestalten. Praktische Theologie

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allem aus der Inspiration von empirischer Forschung in Verbindung mit Kulturkritik, kulturpsychologischer Psychoanalyse und der Philosophie des jungen Marx³⁸ schöpfte. Diese Epoche unterscheidet sich deshalb thematisch wohl deutlich von dem, was Tillich in seiner Schaffensphase nach der Emigration in die USA dann an Dialogen insbesondere mit Vertretern der Humanistischen Psychologie und einer eher individualistisch orientierten Psychoanalyse entwickelte. Die Grenzlinie verlief also für Tillich nicht einfach entlang grober disziplinärer Einteilungen (Theologie und spekulative Philosophie contra empirische Sozialwissenschaften), sondern eher politisch engagiertes strukturelles Begreifen des gesellschaftlichen wie auch des psychischen Prozesses contra interessenlose abstrakte „Tatsachenbeschreibung“ im Sinne Horkheimers. Und diese Allianz eines weiterreichenden Gesamtinteresses war nicht erst in Frankfurt entstanden, sondern sie ist im Programm von Tillichs Kulturtheorie bereits in der Berliner Zeit deutlich notiert. Schon in der Vorlesung „Das Christentum und die Gesellschaftsprobleme der Gegenwart“ hieß es entsprechend: „Aber dieser synthetischen Aufgabe hat eine analytische voranzugehen. Gemeinsam mit der soziologischen und psychologischen Analyse und doch von einer ganz anderen Seite her hat die theologische die gesamten Gegebenheiten des kulturellen Lebens, die vergangenen und gegenwärtigen, auf ihren religiösen Gehalt zu prüfen.“³⁹

4 Zwei kulturtheologische Problemkreise 4.1 Kultur und Religion im Horizont der Profanität Für solche Verhältnisbestimmungen sind nun insbesondere zwei Themen hervorzuheben, denen Tillich sich in den 20er Jahren in den genannten Gesprächskontexten widmete und die mir auch für eine theologische Grundlegung Empirischer Theologie bis heute relevant zu sein scheinen, nämlich seine theologische

nach Paul Tillich“, in: Paul Tillichs Theologie der Kultur. Aspekte – Probleme – Perspektiven, hg.von Christian Danz und Werner Schüßler (Berlin und Boston: De Gruyter,  / Tillich-Studien, Bd. ),  – .  So ist belegt, dass Tillich u. a. am Vortrag Horkheimers  zum Thema „Geschichte und Psychologie“ teilnahm, wo jener das Programm einer psychologischen Forschung im Kontext einer politischen Geschichtstheorie entwickelte, vgl. Max Horkheimer, „Geschichte und Psychologie“, Zeitschrift für Sozialforschung  (),  – ; vgl. ferner Mary Ann Stenger und Ronald H. Stone (Hg.), Dialogues of Paul Tillich (Macon: Mercer University Press, ).  Paul Tillich, „Das Christentum und die Gesellschaftsprobleme der Gegenwart“ (), in: EW XII,  – , hier .

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Bestimmung von Religion im Rahmen einer Kulturanalyse sowie sein Erfahrungsverständnis. Dass in der Gegenwart theologisch ausgearbeitete Modelle empirischer Theologie bzw. theologisch orientierter empirischer Religionsforschung immer auch auf Kulturhermeneutik zurückgreifen, ist oben bereits notiert worden. In Tillichs kulturtheologischer Initialzündung von 1919, im Text „Über die Idee einer Theologie der Kultur“⁴⁰, stellte er die bekannte Grundthese auf: „[D]er tragende Gehalt der Kultur ist die Religion, und die notwendige Form der Religion ist die Kultur.“⁴¹ In „Der Protestantismus als kritisches und gestaltendes Prinzip“ von 1929 entwickelt er seine Position zu einer kritisch-kulturbezogenen Praxis von Kirche auf der Folie einer kultur- und religionshistorischen Gesamtschau am Leitfaden seines Gestaltdenkens. Es geht um die Ausdrucksformen der „Gestalten der Gnade“ allerdings nach dem Ende einer segmental gedachten „religiösen Kultur“. Tillich Lösungsansatz im Vortrag „Protestantische Gestaltung“ von 1929 liegt in der weiteren Bestimmung zeitgenössischer Kultur unter dem Begriff der „protestantischen Profanität“.⁴² Der Protestantismus drängt mit seinem Weltbezug zur Profanität, was eine Tendenz zur Selbstauflösung einschließlich aller bisher als sakral geltenden Formen beinhaltet. Damit wird einer segmentalen Scheidung durch gegenstandsbezogene Abgrenzung zwischen religiösen und profanen Gestalten dem Sinn der Rede von einer sogenannten „religiösen Kultur“ widersprochen. Zur Abwehr der Selbstauflösung ist die Theologie genötigt, sich, mit Tillich gesprochen, der „religiösen Substanz der Kultur“ zu befassen. Denn: „Die Formen der religiösen Kultur, in denen die Gestalt der Gnade lebt, sind Formen, in denen die Profanität den Charakter des transzendenten Bedeutens, die Vorwegnahme des Jenseits von Sein und Freiheit, annimmt. Diese Formen bleiben demgemäß in strenger Korrelation zur Profanität. Sie schaffen kein Sondergebiet, keine religiöse Sphäre, die gegenständlich abgegrenzt wäre, kein sanctum oder sanctissimum gegenüber dem profanum.“⁴³ Das kulturtheologische Interesse Tillichs unter der Formel „Protestantische Gestaltung“ zielt auf eine Verhältnissetzung von Theologie, Glaube und Wirklichkeit als eine intellektuelle wie ethisch-politische Praxis. Die Phänomene, die aus der kritischen Perspektive des „Protestantischen Prinzips“ beachtet werden, decken dabei eben nicht nur die innerkirchliche sakrale Sphäre ab, sondern dazu zählen bei Tillich Erscheinungen einer als autonom wahrgenommenen Kultur: ästhetische Phänomene  Tillich, „Über die Idee einer Theologie der Kultur“ (siehe Anm. ).  Paul Tillich, „Kirche und Kultur“ (), in: GW IX,  – , hier .  Paul Tillich, „Protestantische Gestaltung“ (), in: GW VII,  – .  Paul Tillich, „Der Protestantismus als kritisches und gestaltendes Prinzip“ (), in: GW VII,  – , hier f.

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(vor allem expressionistische Kunst), seit früher Zeit aber auch gesellschaftlich-politische Phänomene. Gesamtintention solcher theologischen Kulturanalyse ist bei Tillich die Hinwendung zur Wirklichkeit, zum „wahrhaft Wirklichen“. Dieser Begriff wie auch der der Realität werden immer wieder bemüht, es geht um Realität in anschaulich wahrnehmbarer Zuwendung, gleichwohl nicht um „objektive Realität“⁴⁴. Denn dagegen gilt der Vorbehalt: „Aber die Tiefe, die dynamische Struktur einer geschichtlichen Situation kann nicht durch eine pure Beschreibung so vieler Fakten als möglich verstanden werden.“⁴⁵ Tillichs Theologie der Kultur stellt die Reflexionsaufgabe „gegenwartserhellende[r] Kulturdiagnostik“⁴⁶, nämlich durch die Phänomene der weitgehend säkularisierten Kultur der Jetztzeit zu einer „religiösen Erkenntnis“ zu gelangen, die Tillich in der Verbindung von „religiös-mythische[n]“ mit „religiös-empirischen“⁴⁷ Begriffen sucht. Diese Aufgabe anzugehen, erfordert aber einen weiten Horizont: „Die Profanität ist nicht irreligiös oder atheistisch […], sondern sie drückt ihre latente Religion nicht in religiösen Formen aus.“⁴⁸ In der jüngeren theologischen und praktisch-theologischen Kulturhermeneutik beruft man sich gern auf Tillich. Weitgehender Konsens besteht, wie oben notiert, in der Ausweitung des Analysebereichs über explizite religiöse Phänomene hinaus. Wenig verwundern mag der Umstand, dass das Methodenarsenal gegenwärtiger Empirischer Theologie sich trotz aller äquivoken Begriffe (Realität und Wirklichkeit; religiös-empirisch) doch beträchtlich von Tillichs Kulturanalyse unterscheidet. Wer sich heute in dieser Sache auf Tillich berufen möchte, der wird jedoch das Grundinteresse seiner Kulturtheologie – wenn auch unter gewandelten historischen Konstellationen – nicht außer Acht lassen dürfen. Tillich war nicht an affirmativer Deskription interessiert, verfolgte das Grundinteresse einer kritischen Kulturanalyse, wozu ihm in der Sozialtheorie wie auch in der psychologischen Theorie ganz bestimmte Partner hilfreich erschienen. Und er nahm für seine theologische Kulturhermeneutik den Impuls des frühen Marx und der religiösen Sozialisten auf, alle Kulturdiagnose stets in Richtung auf Orientierung zu entwickelnder Gestaltung zu

 A.a.O., .  A.a.O., .  Michael Moxter, „Aus Bildern lernen? Tillichs Denkweg zwischen Theologie und Ästhetik“, in: Evangelische Theologie und urbane Kultur. Tillich-Lectures Frankfurt  – , hg. von HansGünter Heimbrock (Leipzig: Evangelische Verlagsanstalt,  / Kleine Schriften des Fachbereichs Evangelische Theologie der Goethe-Universität Frankfurt am Main, Bd. ),  – , hier , wo dies an der Analogie zwischen Tillichs Reflexion auf Bilderfahrung und seiner Interpretation der Rechtfertigungslehre verdeutlicht wird.  Tillich, „Protestantische Gestaltung“, .  A.a.O., .

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betreiben. Kultur in seiner Theorie meinte stets das Ineinander deskriptiver und normativer Elemente. Insoweit wäre für ihn die Abkoppelung von der Datensammlung von Handlungsreflexion auf einen theologischen Nonsens hinausgelaufen.

4.2 Zugang zur Erfahrung Der wissenschaftliche Zugang zu menschlicher Erfahrung betrifft offensichtlich den Nerv einer jeden Empirischen Theologie. Als zweites Problemfeld führe ich deshalb den Erfahrungsbezug von Tillichs Theologie an, dieser sei hier zumindest kurz beleuchtet. Tillichs eingangs genannte Abweisung der empirischen Methode zielt bei ihm auf eine ganz bestimmte methodische Dimensionierung von Theologie gerade im Erfahrungsbezug. Im Methodenaufsatz verwahrte sich Tillich gegen Empirie in seinem Verständnis, argumentierte dabei auch wissenschaftslogisch gegen die Dekretierung einer Einheitsmethode. Aber weder sollte der irreführende Begriff der Erfahrung auf sie alle angewandt werden, noch sollte ein methodologischer Monismus geduldet werden, der sowohl die Chemie wie die Religion einschließt. Jede Wirklichkeit verlangt zu ihrem Verständnis eine bestimmte Methode, und dieser sollte man folgen; die Wirklichkeit bietet sich uns auf verschiedene Weisen dar, und unser Erkenntnisvermögen sollte für diese auch verschiedene Methoden finden.⁴⁹

Wie notiert schlug Tillich 1946 dann den Begriff der Begegnung als konzeptuellen Schlüssel vor. Die erkenntnistheoretische und -theologische Konzeption zu adäquatem Umgang mit Wirklichkeit entfaltete Tillich allerdings nicht erst 1946, sondern von früher Zeit ab, spätestens mit seinem System der Wissenschaften von 1923. Tillichs Kulturtheologie ist in methodologischer Hinsicht vom ersten Programmtext an auch wissenschaftssystematisch angelegt. Deshalb profiliert er „nicht-empirische“ Kulturwissenschaften, und unter diesen auch Theologie, gegen „Erfahrungswissenschaften“⁵⁰. Gleichwohl bedeutet das für Tillich eben keineswegs, Theologie sachlich und begrifflich ohne Erfahrungsbezug zu denken. Trotz aller schillernden Verwendung des Begriffs „Erfahrung“ gerade in theologischen und philosophischen Traditionen hält er fest an einer Grundbeschreibung von Theologie, die um bestimmte Erfahrung zentriert ist. Theologie der Kultur wurzelt von Tillichs ersten ausgearbeiteten Texten an bekanntlich in einer als Unbedingt-

 Tillich, „Das Problem der theologischen Methode“, .  Vgl. Tillich, „Über die Idee einer Theologie der Kultur“, : „In den Erfahrungswissenschaften ist der Standpunkt etwas, das überwunden werden muß.“

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heitserfahrung gedachten Religion, der spannungsreichen Erfahrung von radikalem Nein und Ja: Religion ist Erfahrung des Unbedingten und das heißt [!] Erfahrung schlechthinniger Realität auf Grund der Erfahrung schlechthinniger Nichtigkeit; es wird erfahren die Nichtigkeit des Seienden, die Nichtigkeit der Werte, die Nichtigkeit persönlichen Lebens; wo diese Erfahrung zum absoluten, radikalen Nein geführt hat, da schlägt sie um in eine ebenso absolute Erfahrung der Realität, in ein radikales Ja.⁵¹

Zum erfahrungsbezogenen Ansatz der Kulturtheologie zählt in Verbindung damit ein zweites Moment. Es geht Tillich primär nicht um Inhaltlichkeit religiöser Erfahrung am Leitfaden religiöser Symbolbestände oder theologischer Lehren. Von Bedeutung ist für ihn vor allem die spezifische Qualität der Erfahrung. Genannt ist das schon in der Programmschrift 1919 mit dem Begriff des „Erlebens“.⁵² M. Moxter hat die Eigenart und den theologischen Bezug solchen Erlebens am prägnanten Beispiel ästhetischen Erlebens, an Tillichs retrospektiver Umschreibung des Bilderlebens von Botticellis Venus in einem Heimaturlaub von der Front entfaltet.⁵³ Bilanzierend kann man sagen: Tillich votierte seinerzeit vehement gegen den Hegemonieanspruch eines empiristischen Erfahrungsbegriffs, um einen bestimmten anderen Erfahrungsbegriff zu rehabilitieren. Das tat er im Methodenaufsatz von 1946 mit den Worten: […] noch sollte ein methodologischer Monismus geduldet werden, der sowohl die Chemie wie die Religion einschließt. Jede Wirklichkeit verlangt zu ihrem Verständnis eine bestimmte Methode, und dieser sollte man folgen; die Wirklichkeit bietet sich uns auf verschiedene Weisen dar, und unser Erkenntnisvermögen sollte für diese auch verschiedene Methoden finden. Eine einzige Methode auf alles anzuwenden verschließt uns den Zugang zu vielem und begrenzt das Bild, das wir von der Wirklichkeit gewinnen. Eine Welt, die wir uns nach dem Modell der klassischen Mechanik, der Hegelschen Dialektik oder den Statistiken der Verhaltensforschung bilden, ist keine erkenntnismäßige Erfüllung der Potentialitäten der Wirklichkeit.⁵⁴

Dagegen will Tillich als Voraussetzung von Theologie eine Qualität von Erfahrung stark machen, für die er den Begriff der „Begegnung“ letztlich sogar als angemessener hält als denjenigen der Erfahrung. „Voraussetzung der Theologie ist, daß es eine besondere Begegnung mit der Wirklichkeit – oder eine besondere Art, wie sich die Wirklichkeit uns aufdrängt – gibt, die man gewöhnlich als ‚religiös‘ bezeichnet.“⁵⁵

    

A.a.O., . Vgl. a.a.O., . Vgl. Moxter, „Aus Bildern lernen?“,  ff. Tillich, „Das Problem der theologischen Methode“, . Ebd. Vgl. auch Tillichs Anmerkung zum Begriff der Begegnung.

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Liest man auf dieser Folie die gegenwärtige Debatte zwischen Theologie und Sozialwissenschaften um einen für Empirische Religionsforschung angemessenen Erfahrungsbegriff, so ließe sich mit Tillich ein klares Votum ableiten. Nimmt man für Empirische Theologie eine methodologische Orientierung an objektivierter Erfahrung auf, wie sie weithin in den Sozialwissenschaften gilt, dann bedient man sich sozialwissenschaftlich anerkannter Standards von Wissenschaftlichkeit. Man muss aber nach dem Preis fragen, den diese methodologische Grundentscheidung kostet, mit Tillich fragen, ob ein solcher Erfahrungsbegriff der Struktur dessen gerecht wird,was im Zusammenhang mit Religion als Erfahrung zu bezeichnen ist. Religiöse Erfahrung bzw. das, was sie konstituiert, kann kaum zureichend als „objektivierte Erfahrung“ begriffen werden, welche vom Forscher abstrahierte objektivierbare Daten für Hypothesenbildung zum Erwerb probabilistischen Wissens liefert. Hier bietet sich auf der Linie des Erlebens-Begriffs, den Tillich in der Tradition von Phänomenologie und Lebensphilosophie stark macht, der Begriff der gelebten Erfahrung als Alternative an.⁵⁶ Denn dieser berücksichtigt in anderer Weise das erlebende Subjekt, das, was Tillich als „Standpunktbezug“ für Kulturwissenschaften stark zu machen suchte.

5 Schluss Wie ich eingangs notiert habe, kann man Tillich nur in kruder Simplifizierung zu einem Vorläufer oder frühen Vertreter Empirischer Theologie umdeuten. Allerdings kann eine nähere Betrachtung Tillichs zeigen, dass sein Werk – gerade in aller Reserve gegenüber einem bestimmten Verständnis empirischer Zugänge – Voraussetzungen und theologische Intentionen einer gegenwärtigen Empirischen Theologie zu formulieren möglich macht. Wer sich auf die Suche nach einer theologischen Bestimmung von Kultur als Grundanliegen empirischer Kulturhermeneutik macht, wer nach theoretischen Alternativen gegenüber einem Begriff objektivierbarer Erfahrung sucht, dem ist Tillich zu empfehlen. Allerdings votierte Tillich so gerade im Interesse des Erfahrungsbezugs von Theologie. Den spezifisch theologischen Zugang zur Erfahrung sah er allerdings durch empirisch-methodische Ideale seiner Zeit gefährdet. Auf diesen kritischen Vorbehalt ist im Blick auf Differenzierungsbedarf am Erfahrungsbegriff zurückzukommen. Mit dem Thema wird also nicht nur ein Spezialproblem der Praktischen Theologie verhandelt, sondern gleichzeitig eine Problemstellung theolo-

 Vgl. dazu ausführlich Hans-Günter Heimbrock, „Rekonstruktion gelebter Erfahrung als Aufgabe Empirischer Theologie,“ in: Petzoldt (Hg.), Theologie im Gespräch (siehe Anm. ),  – .

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gischer Enzyklopädie. „Der Religion als lebendiger Erfahrung geht es nicht um ihre eigene Zukunft, sondern um ihren Inhalt (und um unser Verhältnis zu ihm); und dieser Inhalt ist das Ewige.“⁵⁷ Es muss heute darum gehen, den Wirklichkeitszugewinn wie auch den wirklichkeitskritischen Impuls in der Theologie gerade dadurch zur Geltung zu bringen, dass die theologische Forschung nicht nur immer wieder auf relevante Phänomene rekurriert, sondern sich der Mühe eines reflektierten Rückgriffs auf Empirie und den Begriff von Erfahrung unterzieht. Theologie bringt mit dem Gegenstand „Gelebte Religion“ und seinem begrifflich-methodischen Fundament „Gelebte Erfahrung“ keine separate Methode einer „religiösen“ Erfahrungswissenschaft ein, sondern sie plädiert als hermeneutischer Partner im interdisziplinären Diskurs von wissenschaftlichen Zugängen zur Erfahrung dafür, den Zusammenhang von Wissenschaft und vorwissenschaftlicher, lebensweltbezogener Erfahrung mit in den Ansatz einer theologischen Erschließung von Praxis aufzunehmen. Theologie muss und kann weder andere Erfahrungswissenschaften überbieten, noch darf sie sich von Erfahrungen abkoppeln.

 Tillich, „Die Frage nach der Zukunft der Religion“, .

Abkürzungsverzeichnis Die Werke Paul Tillichs werden unter Verwendung folgender Abkürzungen (jeweils mit Band- und Seitenangabe) zitiert: Gesammelte Werke, hg. von Renate Albrecht, Bd. 1– 14 (Stuttgart: Evangelisches Verlagswerk, 1959 – 1975) (= GW): Bd. 1: Frühe Hauptwerke (21959 [1959]). Bd. 2: Christentum und soziale Gestaltung. Frühe Schriften zum religiösen Sozialismus (1962). Bd. 3: Das religiöse Fundament des moralischen Handelns. Schriften zur Ethik und zum Menschenbild (1965). Bd. 4: Philosophie und Schicksal. Schriften zur Erkenntnistheorie und Existenzphilosophie (1961). Bd. 5: Die Frage nach dem Unbedingten. Schriften zur Religionsphilosophie (1964). Bd. 6: Der Widerstreit von Raum und Zeit. Schriften zur Geschichtsphilosophie (1963). Bd. 7: Der Protestantismus als Kritik und Gestaltung. Schriften zur Theologie I (1962). Bd. 8: Offenbarung und Glaube. Schriften zur Theologie II (1970). Bd. 9: Die religiöse Substanz der Kultur. Schriften zur Theologie der Kultur (1967). Bd. 10: Die religiöse Deutung der Gegenwart. Schriften zur Zeitkritik (1968). Bd. 11: Sein und Sinn. Zwei Schriften zur Ontologie (1969). Bd. 12: Begegnungen. Paul Tillich über sich selbst und andere (21980 [1971]). Bd. 13: Impressionen und Reflexionen. Ein Lebensbild in Aufsätzen, Reden und Stellungnahmen (1972). Bd. 14: Register, Bibliographie und Textgeschichte zu den Gesammelten Werken von Paul Tillich (1975); 2. neubearb. und erw. Aufl. unter dem Titel: Schlüssel zum Werk von Paul Tillich. Textgeschichte und Bibliographie sowie Register zu den Gesammelten Werken, hg. von Renate Albrecht und Werner Schüßler (Berlin und New York: Walter de Gruyter, 1990). Ergänzungs- und Nachlaßbände zu den Gesammelten Werken von Paul Tillich, bisher Bd. 1– 13 (Stuttgart: Evangelisches Verlagswerk; Berlin und New York/ Boston: Walter de Gruyter, 1971 ff.) (= EW): Bd. 1: Vorlesungen über die Geschichte des christlichen Denkens, Teil 1, Urchristentum bis Nachreformation, hg. und übers. von Ingeborg C. Henel (1971).

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Bd. 2:

Bd. 3:

Bd. 4: Bd. 5: Bd. 6:

Bd. 7: Bd. 8: Bd. 9: Bd. 10: Bd. 11: Bd. 12: Bd. 13: Bd. 14: Bd. 15:

Bd. 16: Bd. 17: Bd. 18:

Abkürzungsverzeichnis

Vorlesungen über die Geschichte des christlichen Denkens, Teil 2, Aspekte des Protestantismus im 19. und 20. Jahrhundert, hg. und übers. von Ingeborg C. Henel (1972). An meine deutschen Freunde. Die politischen Reden Paul Tillichs während des Zweiten Weltkriegs über die „Stimme Amerikas“, mit einer Einleitung von Karin Schäfer-Kretzler (1973). Korrelationen. Die Antworten der Religion auf Fragen der Zeit, hg. und übers. von Ingeborg C. Henel (1975). Ein Lebensbild in Dokumenten. Briefe, Tagebuch-Auszüge, Berichte, hg.von Renate Albrecht und Margot Hahl (1980). Briefwechsel und Streitschriften. Theologische, philosophische und politische Stellungnahmen und Gespräche, hg. von Renate Albrecht und René Tautmann (1983). Frühe Predigten (1909 – 1918), hg. und mit einer historischen Einleitung versehen von Erdmann Sturm (1994). Vorlesung über Hegel (Frankfurt 1931/32), hg. und mit einer historischen Einleitung versehen von Erdmann Sturm (1995). Frühe Werke, hg. von Gert Hummel und Doris Lax (1998). Religion, Kultur, Gesellschaft. Unveröffentlichte Texte aus der deutschen Zeit (1908 – 1933), Teil 1, hg. von Erdmann Sturm (1999). Religion, Kultur, Gesellschaft. Unveröffentlichte Texte aus der deutschen Zeit (1908 – 1933), Teil 2, hg. von Erdmann Sturm (1999). Berliner Vorlesungen I (1919 – 1920), hg. und mit einer historischen Einleitung versehen von Erdmann Sturm (2001). Berliner Vorlesungen II (1920 – 1924), hg. und mit einer historischen Einleitung versehen von Erdmann Sturm (2003). Dogmatik-Vorlesung (Dresden 1925 – 1927), hg. und mit einer historischen Einleitung versehen von Werner Schüßler und Erdmann Sturm (2005). Vorlesungen über Geschichtsphilosophie und Sozialpädagogik (Frankfurt am Main 1929/30), hg. und mit einer historischen Einleitung versehen von Erdmann Sturm (2007). Berliner Vorlesungen III (1951 – 1958), hg. und mit einer historischen Einleitung versehen von Erdmann Sturm (2009). Frühe Vorlesungen im Exil (1934 – 1935), hg., übers. und mit einer historischen Einleitung versehen von Erdmann Sturm (2012). Frankfurter Vorlesungen (1930 – 1933), hg. und mit einer historischen Einleitung versehen von Erdmann Sturm (2013).

Abkürzungsverzeichnis

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Main Works / Hauptwerke, hg. von Carl Heinz Ratschow, Bd. 1– 6 (Stuttgart: Evangelisches Verlagswerk; Berlin und New York: Walter de Gruyter, 1987– 1998) (= MW): Bd. 1: Philosophical Writings / Philosophische Schriften, hg. von Gunther Wenz (1989). Bd. 2: Writings in the Philosophy of Culture / Kulturphilosophische Schriften, hg. von Michael Palmer (1990). Bd. 3: Writings in Social Philosophy and Ethics / Sozialphilosophische und ethische Schriften, hg. von Erdmann Sturm (1998). Bd. 4: Writings in the Philosophy of Religion / Religionsphilosophische Schriften, hg. von John Clayton (1987). Bd. 5: Writings on Religion / Religiöse Schriften, hg. von Robert P. Scharlemann (1988). Bd. 6: Theological Writings / Theologische Schriften, hg. von Gert Hummel (1992). Systematische Theologie, Bd. 1– 3 (Stuttgart: Evangelisches Verlagswerk; Berlin und New York: Walter de Gruyter, 1955 ff.) (= ST). Systematic Theology, Bd. 1– 3 (Chicago, Ill.: University of Chicago Press, 1951 ff.) (= STE).

Autorenverzeichnis Christopher Brittain, King’s College Quadrangle, University of Aberdeen, 50 – 52 College Bounds, Aberdeen AB24 3DS, United Kingdom. Christian Danz, Universität Wien, Evangelisch-Theologische Fakultät, Institut für Systematische Theologie und Religionswissenschaft, Schenkenstraße 8 – 10, A1010 Wien. Yiftach Fehige, IHPST, Victoria College, University of Toronto, 91 Charles Street West, Toronto, Ontario M5S 1K7, Canada. Hans-Günter Heimbrock, Goethe-Universität Frankfurt, Fachbereich Evangelische Theologie, Norbert-Wollheim-Platz 1, D‐60629 Frankfurt. Gesche Linde, Technische Universität Darmstadt, Institut für Theologie und Sozialethik, Dolivostr. 15, D‐64293 Darmstadt. Michael Moxter, Universität Hamburg, Fachbereich Evangelische Theologie, Sedanstr. 19, D-20146 Hamburg. Gerhard Schreiber, Goethe-Universität Frankfurt, Fachbereich Evangelische Theologie, Norbert-Wollheim-Platz 1, D‐60629 Frankfurt. Heiko Schulz, Goethe-Universität Frankfurt, Fachbereich Evangelische Theologie, Norbert-Wollheim-Platz 1, D‐60629 Frankfurt. Werner Schüßler, Lehrstuhl für Philosophie II, Theologische Fakultät Trier, Universitätsring 19, D‐54296 Trier. Peter Slater, Trinity College, 6 Hoskin Avenue, Toronto, Ontario M5S 1H8, Canada. Bryan Wagoner, Davis & Elkins College, Department of Religion and Philosophy, 100 Campus Drive, Elkins, WV, 26241 USA. Christian Wiese, Goethe-Universität Frankfurt, Fachbereich Evangelische Theologie, Norbert-Wollheim-Platz 1, D‐60629 Frankfurt.

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Autorenverzeichnis

Markus Wriedt, Goethe-Universität Frankfurt, Fachbereich Evangelische Theologie, Norbert-Wollheim-Platz 1, D‐60629 Frankfurt.

Namensregister Abraham 204, 207, 369, 373, 385, 388 Acapovi, Crépin Magloire C. 238 Achelis, Johann Daniel 87, 90, 98, 105 Achinger, Hans 157 Ackermann, Sabine 133, 194 Adam, Alfred 86 Adam 207, 264 f., 298 Adams, James Luther 217, 236, 289 f., 294, 332 f. Adickes, Franz 56, 157 f. Adorno, Theodor W. 2, 5, 12, 51 – 53, 55, 60 f., 64, 68, 72 – 74, 88, 98, 107, 109, 111 f., 146, 159, 164 – 168, 190, 196, 198, 200, 205 f., 208 – 211, 216 f., 219, 267, 308 f., 316, 323 – 325, 327 – 331, 338 – 360, 420 Albrecht, Renate 6, 61, 65, 130, 184, 216, 219, 226, 269, 309, 325, 431 f. Aldcroft, Derek H. 137 Alter, Peter 1, 13, 33, 48, 53, 86, 115, 145 Althaus, Paul 111, 151 Altizer, Thomas J. J. 131 Altschul, Eugen 87 Altwicker, Norbert 33 Amir, Yehoyada 366 Andres, Friedrich 46 Andrews, C.F. 304 Antrick, Otto 161 f. Arendt, Hannah 298 Aristotle 259 Arnim, Hans von 34 – 36 Asbach, Olaf 315 f., 320 Askanasy, Alexander 139 Assel, Heinrich 151 Aster, Ernst von 14 – 16, 19 Astley, Jeff 415 Atatürk, Kemal 137 Auerbach, Inge 167, 170 Augustin / Augustine 7, 48, 289, 298, 373 Austin, John L. 149 Aveline, Jean-Marc 216 Backhaus, Fritz 400 Backhaus, Wilhelm 168

Baeck, Leo 52, 168, 374, 384, 399 Baeumler, Alfred 15 f., 18, 20, 221 f. Baillie, John 166 Balla, Bálint 166, 175 Barbour, Ian 252 f. Barboza, Amalia 67 f., 176 Barth, Karl 11, 42, 119, 135, 150, 155, 183, 193 f., 206, 253, 289, 332, 334, 351, 360, 407 Barth, Richard 134 Barth, Ulrich 154, 206, 249, 308 Barthel, Ernst 16 Bartholomäi, Paul 138 Bary, August de 56 Baumann, Kirsten 145 Baumann, Peter 264 Baumgart, Ralf 166 Baumgarten, Ruth 110, 146 Baumotte, Manfred 154, 240 Bauschulte, Manfred 308, 422 Baynes, Kenneth 340 Becher, Werner 152 Becker, Carl Heinrich 1, 13 f., 16, 29, 158 – 160, 178, 221 Becker, Claudia 138 Becker, Frank 137 Becker, Hellmut 29 Becker, Sabina 144 Beckmann, Max 3, 49, 52 Beer, Max 185 Benad, Matthias 229 Benhabib, Seyla 340 Benjamin, Walter 307, 329, 348 – 350 Benson, Robert L. 169 Berendt, Joachim Ernst 146 Berg, Alban 146, 177, 329, 389 Berger, Martin 154 Bergius, Rudolf 174 Bergson, Henri 149 Bergsträsser, Ludwig 175, 177 Bernstein, Jay M. 338, 354 Bernzen, Rolf 139 Bethmann, Simon Moritz Henning August Freiherr von 55

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Namensregister

Bettauer, Hugo 113 Beumelburg, Werner 147 Beutel, Albrecht 150 Beyerle, Franz 87, 110, 170 Beyschlag, Karlmann 151 Biebinger, Frank 370 Bilfinger, Carl 110 Binding, Rudolf G. 52 Birkner, Hans-Joachim 155 Bismarck 48 Blackburn, Simon 264 Blanke, Sandro 173 Blaum, Kurt 30 Bloch, Ernst 314, 348 Blondel, Maurice 149 Blüher, Hans 368 Blum, Emil 68, 167 Blumenberg, Hans 197, 213 Blumhardt d. Ä., Christoph 189 Blumhardt d. J., Christoph 154, 189, 334 f. Boelitz, Otto 39 f., 46 Bögeholz, Horst 110 Böhme, Jakob 224 Böhme, Klaus 142 Boldt, Hans 134 Böll, Heinrich 118 Bollnow, Otto Friedrich 96, 240 Bolz, Norbert 309, 314 Bondurant, Joan V. 304 Bonhoeffer, Dietrich 304 Bonino, José Miguez 304 Boor, Hans Otto de 110, 160 Börchers, Sabine 138 Born, Max 53, 159 Bornemann, Wilhelm 40, 43, 45 f., 60, 75 Bornhausen, Karl 90 – 95 Bothe, Friedrich 137, 140 Boureau, Alain 169 Bourmer, Monika 104 Bowden, John 303 Braaten, Carl E. 291, 351 Brasser, Martin 366 Braun, Hugo 87 Braun, Reiner 152 Breipohl, Renate 151 Brendel, Elke 259 Bretall, Robert W. 2, 227, 244

Brittain, Christopher 12, 343, 359 Brodocz, André 191 Brown, James R. 259 Brown, Judith M. 304 Bruck, Eberhard 110 Bruendel, Stefan 150 Brumlik, Micha 175 Brunner, Emil 67, 150, 167, 183, 290, 407, 420 Bruns, Katja 235, 422 Bruns, Walter 121 – 124 Buber, Martin 2, 12, 40, 46 f., 65, 88, 118, 159, 167, 171 f., 174, 229, 361 – 371, 374 f., 379 – 383, 388, 390, 393, 395, 397 – 410, 412 f., 419 Bucher, Rainer 417 Buchholz, Christian 154 Buess, Eduard 154 Bulman, Raymond F. 295 Bultmann, Rudolf 30, 32, 150, 153, 201, 219, 221, 242, 245, 303, 350 Burchard, Kurt 170 Burckhardt, Georg 16 Busch, Walter 170 Cahn, Ernst 87 Calvin, Jean 48, 289 Campanella 317 – 319 Camus, Albert 247 Cancik, Hubert 169 Cantor, Geoffrey 261 Carey, John L. 331, 345 Carnap, Rudolf 339 Carter, J. Kameron 295 Caspari, Volker 163 Cassirer, Ernst 14, 17, 19, 195 f., 199 f., 202 f., 210 f., 221, 366 Chadwick, Henry 289, 299 Champion, James 325, 346 f. Chapman, Mark D. 155 Christophersen, Alf 167, 171, 193, 309 f. Cioran, Émile Michel 215 Ciupke, Paul 56 Clark, Christopher 134, 166 f., 359 Clarke, Sir Fred 166 Claussen, Detlev 165 Clayton, John P. 252, 433

Namensregister

Clemen, Carl 93, 145 Clements, Keith 166 f. Cohen, Hermann 199, 207, 374, 382 – 384 Collini, Stefan 166 Comte, August 261 f., 264 f. Cook, Deborah 353 Cornelißen, Christoph 148 Cornelius, Hans 1, 14 – 16, 18 – 24, 90, 109, 164, 178, 181, 221 f., 269, 316, 327 – 329, 344 f., 419 Corsten, Michael 166, 175 Courths-Mahler, Hedwig 147 Curtius, Ernst Robert 153, 170, 175 Dalferth, Ingolf U. 286 Danz, Christian 12, 80, 153, 217, 219, 240 f., 243 f., 248, 252, 262, 307, 309, 312, 314, 316, 364, 405, 423 Darwin, Charles 254 – 257 Dehn, Günther 171 f., 183 Dehn, Max 20, 159 Delbrück, Hans 37 Delbrück, Laura 37 Denzel, Sieglinde 24 Deresch, Wolfgang 151 Derrida, Jacques 173 Descartes, René 224 f., 239 Despland, Michel 300, 303 Deuser, Hermann 240 f. Dewey, John 113 Dibelius, Martin 65, 67, 69, 167, 192 Dienst, Karl 46, 135, 150 f., 156, 168, 178, 399, 402 Dienstbeck, Stefan 241 Dillenberger, Jane 242, 295 Dillenberger, John 295 Dilthey, Wilhelm 149 Dinter, Astrid 411, 415 Dix, Otto 143 Dixon, Thomas 261 Döhnert, Albrecht VII Dönhoff, Marion Gräfin von 159 Drevermann, Fritz 169 f. Droste, Magdalena 145, 174 Drüner, Hans 32 Duchhardt, Heinz 134 Dumas, Marc 291

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Dünner, Josef 106, 117 Dunner, Joseph 116 f. Dürselen, Florian G. 170 Düwell, Kurt 158 Dux, Günter 209 Ebbinghaus, Julius 15 f., 221 Ehrenreich, Paul 195 Ehrlich, Paul 159 Eichener, Volker 166 Eichmann, Arnold H. 168 Einstein, Albert 29, 253 f. Elert, Werner 151, 207 Elias, Norbert 166, 175 Eliot, Thomas Stearns 166 Epstein, Else 56 Epstein, Wilhelm 56 Erhard, Ludwig 159 Erhart, Hannelore 66 Ettinghausen, Max 54 Eve 298 Even-Chen, Alexander 366 Ewald, Günter 151 Faber, Richard 67, 308 f., 421 f. Falk, Adalbert 48, 154 Fallada, Hans 147 Faulstich, Werner 146 Fehige, Yiftach 12, 251, 259 Feidel-Mertz, Hildegard 41, 166 Fenn, Eric 166 Feuchtwanger, Lion 147 Fichte, Johann Gottlieb 76, 215, 217, 233, 239 Fischer, Hermann 150, 363 Fischer, Michael 27 Fix, Heinz 384 Fleming, Gerald 121 – 123 Flesch-Thebesius, Marlies 56 Flesch-Thebesius, Max 13, 56 Flusser, David 404 Foerster, Erich 26, 30, 34 – 46, 48 – 50, 56 f., 59 – 61, 65, 72, 74 – 80, 82, 86, 92, 94, 98, 114 f., 118, 120, 122, 124 – 126, 129, 160, 167, 174 Foerster, Erika Ilse 87 Ford, Lewis S. 300

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Namensregister

Fraenkel, Ernst 161, 164 Fraenkel, Walter 87 Francis, Leslie 414 Frankenfelder, Adolf 118 Frankenfelder, Alfred 118 Frenssen, Gustav 147 Freud, Sigmund 14, 23, 32, 41, 44, 50, 64, 120, 337 f., 345 Freytag, Antonia 146 Freytag, Gustav 147 Freytag, Nils 136 Frick, Heinrich 67, 69, 73, 80, 97 f., 141, 167 Fricke, Martin 366 Fricke, Otto 96 Fried, Johannes 54, 93, 119, 133, 136, 169 Friedlander, Albert H. 384 Friedrich, Jörg 18, 29, 32, 35, 96, 154, 169 f., 172, 249 Fromm, Erich 164, 329, 421 Frommer, Martha 45 Fuchs, Michael 169 Funk, Rainer 164 Gadamer, Hans-Georg 33, 96 Galilei, Galileo 259 Gall, Lothar 137, 157, 309 Gallus, Alexander 134, 140 Gandhi, Mahatma 304 Gandhi, Mohandas K. 304 Ganghofer, Ludwig 147 Gans, Clara 115, 120 Gans, Leo Ludwig 56 Gay, Peter 143 Gehlen, Arnold 90, 92, 238 Geiger, Abraham 15, 399 Geiser, Stefan 167 Geißler, Hermann Otto 192 Gelb, Adhémar 4, 17 f., 20, 51, 100, 111, 174, 179, 234 f., 296, 420 Gelzer, Matthias 15, 20, 26 – 28, 57, 91 – 96 Gerhard, Ernst Georg 1, 44, 117, 140, 193 Gerlach, Kurt Albert 38, 162 f., 169 Gerloff, Wilhelm 86 Gerullis, Georg 24, 51, 101 Giese, Friedrich 32, 161 Giesecke, Hermann 181 Gilkey, Langdon 305

Glatzer, Norbert Nahum 47, 87 Glaubrecht, Martin 170 Goethe, Johann Wolfgang von 10, 191, 249 Gogarten, Friedrich 150, 153, 207 Goldstein, Kurt 53, 55, 60, 159, 168, 234 f., 296, 420, 422 Gostmann, Peter 159 Gotzmann, Andreas 407 Gounelle, André 289 Gräb, Wilhelm 415 – 417 Gracie, David McI. 304 Gradstein, Felix M. 133 Graf, Friedrich Wilhelm 88, 112, 127, 152, 154 f., 230, 309 f., 366 Graf, Rüdiger 58, 144 Gräfin Dönhoff, Marion 117, 177 Grau, Karin 243, 422 Grebing, Helga 142 Green, Barbara 299, 332 Gregory, Eric 298 Greiner, Hermann 26 f., 40 Greschat, Martin 154 Greso, Jan 226 Grimm, Hans 46, 69, 108, 110, 205 Grimme, Adolf 47, 99, 110, 178 Grisebach, Eberhard, 15, 19, 221 Groeben, Wolfgang von der 177 Grosch, Nils 143 Groth, Friedhelm 154 Grözinger, Karl Erich 53, 157 Gruchy, John W. de 304 Gruehn, Werner 413 f. Grumach, Ernst 249 Grünberg, Carl 108 f., 163, 176, 326, 328 Grunert, Frank 164 Grünewald, Eckhart 169, 418 Guardini, Romano 57 Gudian, Janus 169 Gumbrecht, Hans Ulrich 170 Gundlach, Gustav 57 Häberlin, Paul 100 Habermas, Jürgen 191, 327, 340, 342, 358 HaCohen, Ran 398 Haecker, Theodor 340 Haering, Theodor 16 Hagemann, Harald 171

Namensregister

Hagens, Carl von 56 Hahl, Margot 3, 51, 61, 432 Hainbuch, Dirk 172 Hamilton, William 131 Hamm, Berndt 151, 166 f., 173, 192 Hammann, Konrad 153 Hammerstein, Notker 50, 52, 58, 61, 64, 81, 88, 90, 97, 101, 156, 158, 160 – 165, 169, 172, 174 – 176, 178, 181 f., 184, 269 f. Hammond, Guy 325, 346 Hardeck, Jürgen 164 Hardtwig, Wolfgang 58 Haridi, Alexander 160 Harnack, Adolf von 8, 37, 41 f., 59, 397, 399 Harrison, Peter 265 Hartlaub, G. F. 143 Hartmann, Frank 315 Hartmann, Martin 23 Hartmann, Nicolai 15, 18 f., 23, 109, 149, 221 f., 226 Hassler, Marianne 174 Hauert, Roger 168 Haught, John F. 252 – 254 Hax, Karl 1 Hegel, Georg Wilhelm Friedrich 4, 10, 179 f., 196, 200 – 208, 211, 233 f., 242, 251, 269, 290, 316, 324, 330, 337 – 339, 341, 344, 347, 349, 368 f., 372, 384, 432 Heidegger, Martin 15 – 17, 95, 109, 148 f., 169, 209, 218 f., 221 f., 227, 230 f., 233, 239, 241, 245, 255, 270, 279 f., 290, 311, 350, 352 – 354, 360 Heidenreich, Bernd 142 Heidenreich, Thomas 243 Heimann, Eduard 89, 102, 109, 171 f., 183, 296, 329 f., 332 f. Heimberger, Joseph 117 Heimbrock, Hans-Günter 12, 198, 223, 411, 414 f., 422, 425, 428 Heimsoeth, Heinz 14 f., 18 Hein, Martin 151 Heine, Heinrich 382 Heinemann, Fritz 88, 232, 239 Heinemann, Lars Christian 150 Held, David 327 Heller, Hermann 51, 87, 103, 107, 110, 178 Henderson, Susan R. 141

441

Henning, Christoph 176 Herms, Eilert 418 Herrmann, Friedrich-Wilhelm von 354 Herrmann, Volker 154 Herrschaft, Felicia 176 Herxheimer, Karl 159 Heschel, Abraham J. 408 Heschel, Susannah 374, 399 Hesse, Jan-Otmar 50, 142, 150, 152, 192 Heuberger, Georg 400 Heuberger, Rachel 164 Heyder, Ulrich 171 Hildebrandt, Kurt 16 Hippel, Ernst von 110, 117 Hirsch, Emanuel 150 f., 193, 207 f., 300 Hirsch, Ernst 160 Hitler, Adolf 28, 95, 97, 119, 121 – 124, 131, 146, 177, 181, 192 – 194, 300, 304, 334, 343, 364, 373, 378 Hobbes, Thomas 317, 319, 328 Hodges, Herbert Arthur 166 Hoeges, Dirk 175 Hoeniger, Robert 95 Hoeres, Peter 137, 143 Hoffmann, Ernst 18 f., 22, 222 Hoffrogge, Ralf 185 Hofmann, Wilhelm 166, 175 Höfner, H. G. 63 Hohmann, Georg 28, 30, 44 Hojer, Ernst 181 Hölderlin, Friedrich 169, 344, 349 f., 352 – 355, 358 Holl, Karl 151 f. Hölscher, Uvo 169 Holzbauer, Andreas 207 f. Hopp, Andrea 157 Horkheimer, Max 1, 4, 12, 16, 19, 30 – 32, 41, 51 f., 61, 68, 70, 72 f., 87 f., 90 – 92, 107 – 109, 111 f., 127, 130 – 132, 163 – 165, 167, 174, 178 f., 181, 196, 198, 200, 206, 208, 210 f., 215, 219, 307 – 310, 315 – 322, 344, 346 f., 349, 420 – 423 Hornung, Annabelle VII Horovitz, Josef 28, 38, 40, 159 Hübenthal, Christoph 192 Hügli, Anton 232 Huhn, Tom 338

442

Namensregister

Hülsen, Julius 72, 140 Husserl, Edmund 15, 95, 149, 221 f., 225, 255, 327, 414 Hüter, Karl-Heinz 145 Huyssteen, J. Wentzel van 254 Inbody, Tyron 414 Iredale, Eleonora 166 Ising, Dieter 154 Jacobs, Michael 146 Jacobs, Struan 166 Jacobsen, Wolfgang 146 Jaensch, Erich Rudolf 17 Jahr, Hannelore 274 James, William 149, 295, 332, 414 Jansen, Peter-Erwin 163 Jaspers, Karl 15 – 17, 149, 153, 218, 221 f., 227, 231 – 233, 236 – 239, 241 f., 245, 248 Jay, Martin 162, 326 – 329, 339 f., 346, 354 Jeanmaire, Claude 139 Jehle, Frank 167 Jelich, Franz-Josef 56 Jellinek, Walter 107, 110 Jephcott, Edmund 341, 349 f. Jeserich, Kurt G. A. 158 Jeske, Michael 163 Jesus von Nazareth 401, 412 Joël, Karl 15, 221 f. John, Peter H. 6, 226, 242 f., 259, 297, 433 Jost, Ekkehard 146 Jung, Rudolf 140 Jung, Thomas 58 Jünger, Ernst 129, 147 f. Kaennel, Lucie 314 Kaes, Anton 146 Kaesler, Dirk 176 Kaftan, Julius 41, 226 Kähler, Gert 145 Kähler, Martin 292 Kahn, Ernst 87 Kahn-Freund, Otto 161 Kaiser, Jochen Christoph Kaiser, Marie 66

154

Kant, Immanuel 4, 6, 55, 130, 179, 196, 202, 211, 225 f., 239, 247, 261, 264, 278, 290, 293, 295, 299, 316, 319, 327, 352, 357 Kantorowicz, Ernst 50, 88, 169, 420 Kästner, Erich 147 Katz, David 18 Kaufmann, Arthur 173 Kaufmann, Thomas 133, 152 Kautzsch, Emil 57 Kautzsch, Rudolf 20, 25, 34, 57 Kegley, Charles W. 2, 227, 244 Kelsen, Hans 25 Kempner, Paul 29 Kempner, Robert M. W. 28 – 30, 44 Kerényi, Karl 169, 213 Kershaw, Ian 121 Kessler, Michael 164 Kierkegaard, Søren 9, 48, 61, 110, 189 f., 206, 234, 242, 288, 309, 329, 351 Kiesel, Doron 381 Kimball, Robert C. 294 Kimmich, Dorothee 164 Kindt, Werner 167 King, D. Brett 51, 65, 111, 174, 299 King Jr., Martin Luther 304 Kirchheim, Heinrich 124 Kirchner, Joachim 97 Kirn, Paul 31 f., 50, 56 f., 94 Kisch, Egon Erwin 146 Kist, Eugene Harold 168, 173 Klausing, Eberhard 110 Kleiber, Erich 146 Klein, Martin D. 173, 223, 425 Klotz, Heinrich 10, 48, 141, 372 Klötzer, Wolfgang 157, 164 Kluke, Paul 1, 16, 35, 47, 88, 109, 156, 169, 222 f. Klumker, Christian Jasper 172, 175 Knorre, Susanne 173 Kobes, Jörn 50 Koch, Diether 21 Koch, Gertrud 164 Koch, Käte 21 Koch, Richard 87 Kolb, Eberhard 135 Kollwitz, Käthe 143

Namensregister

Kommerell, Max 50 f., 170 Koolwaay, Jens 159 Korch, Sylvia 66 Korn, Karl 116 Korte, Hermann 166 Korthals, Michiel 320 Kortheuer, August 152 Kösser, Uta 233 Köster, Roman 421 Kracauer, Siegfried 146, 164 Kramer, Waldemar 1, 13, 16, 21, 59, 106, 138, 142, 147, 149, 156 f., 164, 172, 222 Kraus, Hans-Christof 135, 170 Krause, Werner 173 Krech, Volkhard 308, 422 Krell, David Farrell 353 Krell, Marc A. 407 Kremers, Heinz 172 Kretschmann, Carsten 50 Krieck, Ernst 22, 24, 86, 90 f., 99 – 101, 104, 107, 181 Krochmalnik, Daniel 395 Kroeger, Matthias 153, 363 Krohn, Claus-Dieter 163, 171 Kroner, Richard 15, 90, 92, 221 Krüger, Gerhard 30 f., 44, 90, 96 Krumwiede, Hans-Walter 152 Krusenstjern, Benigna von 177 Kübel, Johannes 45, 59 f. Kubo, Keiji 173 Kümmel, Werner Georg 167 Kuschel, Karl-Josef 400 Küstermeier, Rudolf 177 Kutter, Hermann 151, 334 Lachmann, Hans-Jürgen 233 Lammers, Hans Heinrich 14 Landauer, Gustav 371, 409 Landmann, Ludwig 141, 148, 159, 169 Laqueur, Walter 143 Lassar, Gerhard 110 Laube, Reinhard 175 Laube, Stefan 384 Laue, Max von 159 Lauer, O. 63 Lauster, Jörg 155, 241 Lawrence, Frederick G. 358

443

LeFevre, Perry 422 Lehmann, Paul 171, 289 Lehnert, Detlef 135 Leibniz, Gottfried Wilhelm 224 f. Leibrecht, Walter 296 f. Lerner, Franz 172 Lessing, Eckhard 4, 7, 13, 150, 179, 206, 330 Lessmann, Heinrich 195 Lévinas, Emmanuel 204 Lewald, Hans 110 Lichtblau, Klaus 176 Liebermann, Max 111, 169 Lincke, Kurt 20 Lindbeck, George 299 Linde, Gesche 2, 12 f., 25, 133, 156, 167 Linde, Heide 21 Lingelbach, Karl Christoph 175, 181 Linke, Franz 18, 20, 208 Lippert, Peter 57 Lipps, Hans 91, 96 Lismann, Hermann 88 Livingstone, Rodney 330, 343, 350, 352 Löhe, Wilhelm 154 Lommatzsch, Erhard 86, 88, 101 Lorenz, Matthias 33, 165 Lösche, Peter 171, 173 Löwe, Adolf / Lowe, Adolph 61, 68, 87 f., 107, 109 f., 112 f., 130, 153, 159, 163, 165, 171, 177 f., 183, 296, 322, 329, 331 – 333, 341, 394, 420 Löwe, Rahel 88, 127 Löwenthal, Leo 39, 108, 163 – 165, 329, 331, 421 Lübbe, Hermann 192 Luchins, Abraham S. 17, 51, 111 Luchins, Edith H. 17, 51, 111 Lueken, Wilhelm 46, 60 Lukács, György 320, 324, 340 Lütgert, Gerhard 46 Lütgert, Wilhelm 47, 220 Luther, Christian 193 Luther, Martin 48, 97, 224, 278, 289, 292, 295, 373, 381, 383 Lütz, Dietmar 167 Lutz, Ronald 381

444

Namensregister

Maaser, Michael 3, 14, 117 Macdonald, Iain 352 Machiavelli, Niccolò 317, 319 Macintosh, Douglas Clyde 413 Man, Hendrik de 173 f., 329 Mann, Thomas 146, 213 Mannheim, Karl 10, 25, 52, 58, 60 f., 67 – 71, 87 f., 107, 110, 112 f., 143, 159, 166 f., 175 – 178, 314 f., 318, 420 Manning, Russell Re 242, 252, 264, 343 Marcel, Gabriel 149 Marcus, Judith 326, 338 f., 347 Marcuse, Herbert 164, 329, 347, 421 Marr, Heinz 175 Martini, Joachim Carlos 53 Marx, Helga 88 Marx, Karl 76, 79, 171, 187, 292 f., 324, 332 f., 335, 337 f., 340, 345, 371, 382 f., 423, 425 Mattmüller, Markus 154 May, Ernst 141, 145, 148 May, Karl 147 May, Rollo 243 Mayer, Annemarie 388 Mayer, Fritz 87 Mayer, Reinhold 388 Mayr, Ernst 256 f. McCarthy 302 McCole, John 340 McCutcheon, Russell T. 301 Medicus, Fritz 2, 215, 310 Meier, Klaus-Jürgen 154 Meißner, Stefan 381 Meißner, Werner 142 Meland, Bernhard E. 414 Mendelssohn, Moses 382 Mendes-Flohr, Paul R. 388 Mennicke, Carl 22, 24, 28 – 30, 41, 47, 60 f., 64 f., 68, 87 – 89, 100 – 104, 107, 109 f., 112, 115, 126, 166 f., 171 – 175, 181, 183 f., 329, 332, 420 Merton, Amalie Betty 58 Merton, Wilhelm 21 f., 58, 157 f., 172 Meyer, Fritz Stephan 54 Meyer, Gladys 64 Meyer, Thomas 185 Meyer-Hansen, Ralf 209

Michel, Heinrich 54 Michel, Karl Markus 202 Michelke, Horst 139 Michels, Claudia 156 Minwegen, Romano 192 Moberly, Walter 166 Mohr, Albert Richard 138 Mohr, Christoph 141 Moldenhauer, Eva 202 Moltmann, Jürgen 183, 303 f. Mommsen, Theodor 59 Mommsen, Wolfgang J. 168 Morf, Heinrich 56 Morrone, Giovanni 160 Morus, Thomas 317 – 319 Moxter, Michael 12, 195, 197, 425, 427 Mühl, M. 63 Mühlhausen, Walter 142 Mühling, Andreas 172 Müller, Kanzler Friedrich von 249 Müller, Franz Walter 24, 127, 132 Müller, Gerhard 181 Müller, Max 195 Müller, Michael 141 Müller-Doohm, Stefan 165, 206 Mullins, Phil 166 Munch, Eduard 299 Münkler, Herfried 134, 136 Murphy, John W. 345 Murrmann-Kahl, Michael 154 Murry, John Middleton 167 Napoleon I. 64, 324 Naumann, Friedrich 74 Naumann, Hans 14, 51, 170 Naumann, Susanne 24 Neitzel, Sönke 121 – 124 Nemec, Friedrich 170 Nestle, Wilhelm 197 Neufville, Carl Rudolf de 56, 58 Neugebauer, Georg 206, 308 Neugebauer, Matthias 154 Neugeborn, Christine 133 Neuhaus, Helmut 158 Neumann, Elisabeth 67, 96, 115, 118, 164, 181, 309, 421 Neumark, Fritz 87

Namensregister

Nicolaisen, Carsten 66 Niebuhr, H. Richard 61, 294, 297 f., 375 Niemöller, Martin 42, 192 Niemöller, Wilhelm 193 Nietzel, Benno 118 Nietzsche, Friedrich 215, 290, 337 – 339 Nipperdey, Thomas 134 Noack, Ulrich 175, 177 Nobel, Nehemiah Anton 39 f., 53, 164 Nölting, Erik 161 Nord, Ilona 14, 88, 140, 203, 328, 419 Noth, Ernst Erich 50, 131 Novak, David 367 Noyon, Alexander 243 Nuovo, Victor 294, 332 O’Connell, Matthew J. 323 Oehler, Richard 96 f. Oelke, Harry 152 Ogg, Gabi 133 Ogg, James G. 133 O’Keeffe, Terrence 325, 331, 345 f., 348 Olden, Rudolf 112 f. Oldham, Joseph Houldsworth 67, 166 Oldham, Mary 167 O’Meara, Thomas 255, 279 Oppenheim, Gabrielle 52 f. Oppenheim, Katharina 168 Oppenheim, Moritz Nathan 52 – 54, 168 Oppenheim, Paul 168 Oppenheimer, Franz 159, 161, 163 Ortlieb, Heinz-Dietrich 171 Ortmeyer, Benjamin 175 Osler, Margaret J. 261 Osten-Sacken, Peter von der 171 Osterhammel, Jürgen 134 Oswalt, Henry 56, 59, 76 f., 115 Otto, Rudolf 26, 67, 219, 221, 241, 278 Otto, Walter Friedrich 46, 51 f., 100, 169 Paley, William 256 Panzer, Friedrich 25 f., 57, 371 Pape, Ernst 11, 161 Parella, Frederick 295 Pauck, Marion 24, 43, 50 – 52, 64, 106, 289, 293, 296, 302, 309, 324 f., 327 f., 332, 345

445

Pauck, Wilhelm 24, 43, 50 – 52, 64, 106, 289, 293, 296, 302, 309, 324 f., 327 f., 332, 345 Pehnt, Wolfgang 142 Peirce, Charles S. 149, 240 Perels, Joachim 173 Peters, Uwe Henrik 138, 174 Petit, Jean-Claude 300, 303 Petzoldt, Matthias 418, 428 Pfeiffer, Arnold 151 Picasso, Pablo 299 Pickerodt, Gerhart 170 Piesenecker, Alexander 139 Pincus, Fritz 113 Pincus, Lilly 113 Plantinga, Alvin 253 Platon 68, 224, 226 Platzhoff, Walter 15 – 17, 20 – 23, 50, 86, 91 – 95, 182 Plener, Ulla 134 Plessner, Helmuth 209 f., 238 Plessner, Martin 87 Poelchau, Harald 33 Poelzig, Hans 142 Pohle, Ludwig 56 Polkinghorne, John C. 253, 259 Pollock, Friedrich 61, 68, 70 f., 81, 165, 167, 322, 327 – 329, 421 Poorthuis, Marcel 366 Pribram, Karl Eman 87 Prinzler, Hans H. 146 Pumfrey, Stephen 261 Radbruch, Gustav 107, 173 Rade, Martin 35, 43, 56 f., 59 f., 74 Ragaz, Leonhard 151, 154, 189, 334, 370 Rammelmeyer, Alfred 1, 32, 51 Rathmann, August 171, 173, 177, 193 Ratschow, Carl Heinz 240, 248, 433 Raulff, Ulrich 169 Raupp, Mirjam VII Rebenich, Stefan 59 Rebentisch, Dieter 141 f. Recki, Birgit 195, 316 Reeves, Marjorie 166 Rehberg, Siegbert 166

446

Namensregister

Reinhardt, Karl 15, 20, 50 – 52, 90 – 92, 95 – 97, 99 f., 120, 169, 172 Reinhardt-Becker, Elke 137 Reis, Philipp 22, 32, 53, 89, 125, 139 Rejnen, Anne Marie 366 Remarque, Erich Maria 147 Rendtorff, Trutz 110, 193 Reymond, Bernard 314 Rheindorf, Kurt 169 Richard, Jean 243, 289, 300, 303 Richter, Gerhard 40, 46, 353 Rieter, Heinz 171 Riezler, Kurt 1, 4, 18 f., 21 f., 46 f., 51 f., 60 – 62, 64, 68, 88, 101, 106 f., 111, 153, 165, 167 – 170, 172, 176, 179, 181, 222, 324, 327, 420 Ritschl, Albrecht 114, 150, 154 Ritter, Karl Bernhard 99, 368 Robbins, Mandy 415 Röbel, Marc 248 Robertson, Michael 327, 344 Robinson, James M. 303 Röder, Werner 171 Rodgers, Michael Ch. 286 Rohls, Jan 150 Röhr, Esther 24 Roosevelt, Theodore 302 Rosenstock-Huessy, Eugen 2, 45, 161, 230, 420 Rosenzweig, Franz 40, 53, 207, 211, 229, 361, 366, 374, 388, 395 – 397 Roth, Joseph 146 Roth, Ralf 142, 157 Rothacker, Erich 15 f., 18 f., 221 f. Rothe, Richard 154 Rubenstein, Richard L. 131 Ruddies, Hartmut 155 Ruh, Sabine 116, 169 f. Russell, Robert J. 252 f. Rüstow, Alexander 88, 102, 111, 171 Rüstow, Dankwart 88, 127 Salomon, Albert 107, 113 Salomon-Delatour, Gottfried Sarris, Viktor 174 Sartre, Jean-Paul 149, 247 Sass, Hartmut von 312

87, 176

Saunders, Nicholas 257 Savage, Robert Ian 352 Schädel, Dieter 145 Schafft, Hermann 68, 167 Scharlemann, Robert 267, 273, 283, 289, 291, 294, 300, 303, 433 Scharpff, Sabine 114 Schefold, Bertram 163 Scheidemann, Philipp 144 Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph 3, 8, 179, 195, 212 f., 224, 233 f., 242, 290 f., 294, 328 Schendler, David 360 Schikorra, Christa 66 Schiller, Friedrich von 76 Schimmelpenninck, Henriette Maximiliane Gräfin 55 Schindler, Jeanette VII Schirren, Matthias 142 Schirrmacher, Thomas 170 Schivelbusch, Wolfgang 50 – 53, 55, 60 f., 64, 112, 162, 166, 171 Schlechta, Karl 215 Schleiermacher, Friedrich 48, 76, 206, 308, 412, 414 Schmid Noerr, Gunzelin 130, 307 f., 315, 328, 339, 341 Schmidt, Alfred 163, 206, 318, 321 Schmidt, James 341 Schmidt, Karl Ludwig 171 f., 401 f. Schmidt, Raymund 23 Schmitt, Carl 110, 148, 191 f., 194 Schmitz, Mark 133 Schneider, Artur 38 Schneider, Gregor-Sönke 163 f. Schneider, Hans-Peter 173 Schneider, Michael 142 Schneider-Ludorff, Gury 152 Schnitzler, Georg von 52, 168 Schnitzler, Julius Eduard von 168 Schnitzler, Karl-Eduard von 168 Schnitzler, Lily von 52, 168 Schoenberger, Guido 88 Schoeps, Julius H. 172 Scholem, Gershom 329, 406 Scholing, Michael 171, 173 Scholtz, Christopher P. 414

Namensregister

Schönberg, Arnold 146, 348 Schopenhauer, Arthur 316 Schottroff, Willy 229, 370 Schreiner, Helmuth 8, 128 Schröder, Wilhelm Heinz 173 Schubert-Lehnhardt, Viola 66 Schulte, Bernd F. 168 Schultz, Franz 15, 20, 22, 46 f., 62, 121 Schulz, Claudia 417 Schulz, Günther 145 Schulz, Heiko 12, 252, 269, 286, 288 Schulz-Du Bois, Erich 26 Schulz-Du Bois, Otto 120 – 124 Schulze, Hagen 143 Schumacher, Fritz 145 Schumann, Clara 53 Schumann, Dirk 135 Schumann, Friedrich 17, 20 Schürholz, Franz 57 Schüßler, Werner 5 f., 12, 14, 45, 80, 153, 215 – 217, 219, 227, 230, 232 f., 237 f., 242 – 246, 248, 254, 264, 269, 296, 328, 364, 405, 419, 423 Schuster, Hermann 60, 75, 291 Schütte, Wolfram 154, 165 Schützenmeister, Axel 170 Schwartz, Joshua 366 Schwarzenstein, Emma Mumms von 56 Schwarzlose, Karl 27, 40, 46, 48 Schwietering, Julius 32 Scotus, Duns 224 Seebaß, Gottfried 236 f. Seeberg, Erich 151, 219 – 221, 223, 269 Seeberg, Reinhold 219 f. Shaw, Gilbert 167 Shaw, Michael 340 Sherman, Franklin 290, 332 Sherratt, Yvonne 340 Siebeck, Oskar 309 Siebert, August 138 Siegele-Wenschkewitz, Leonore 66, 374 Siegert, Folker 114, 372 Siemsen, Gertie 33 Sigler, Sebastian 177 Simmel, Georg 4, 179, 246, 330 Simon, Ernst 164 Simon, Heinrich 52

447

Simpson, Gary 336, 339, 346 f. Singer, Peter 338 Sinzheimer, Hugo 110, 161, 173 Slater, Peter 12, 289, 291, 299 Slenczka, Notger 151 Smith, Wilfred Cantwell 299 Soden, Hans von 67, 167, 420 Söderblom, Nathan 411, 415 Sollmann, Wilhelm 173, 177, 221 Sommerfeld, Martin 87 Sommerlath, Walther 151 Sonnemann, Leopold 52, 57, 106 Sösemann, Bernd 168 Spengler, Oswald 61, 152 Speyer, Eduard Beit von 54 Spiegel, Magda 138 Spiegel, Yorick 14, 29, 41, 64 – 65, 88 f., 102 – 104, 109, 115, 126, 166 – 168, 174, 243, 319, 328, 382, 384, 389, 393, 396, 418 – 420 Stählin, Wilhelm 99 Stalder, Helmut 164 Stapel, Wilhelm 57, 99, 107 Starbatty, Joachim 171 Stavru, Alessandro 169 Steck, Karl Gerhard 193 Steffes, Johann Peter 39 f. Stegemann, Ekkehard W. 172, 392 Stegemann, Wolfgang 151 Stehen, Jürgen 69, 139, 277, 288, 311 Steinbach, Peter 177 Steinbüchel, Theodor 40, 362 f. Steinrath, Franz 33 Stenger, Mary Ann 423 Stenzel, Julius 15, 18 – 20, 22, 100, 221 f. Stephan, Alexander 29 Stern, Otto 135, 159, 207, 404 Sternberger, Dolf 55 Stober, Martin 154 Stone, Ronald H. 295, 302, 325, 345, 375, 423 Stoodt, Dieter 66, 118, 167, 174, 193, 361 Storck, Joachim W. 170 Strauß, Bruno 384 Strauss, Herbert A. 171 Streib, Heinz 198 Streng, Frederick J. 275, 291, 403, 405, 422

448

Namensregister

Strohm, Theodor 154 Strupp, Karl 87, 110, 116 Strzelczyk, Jerzy 169 Stuart, Douglas T. 171 Stumme, John R. 290 Sturm, Erdmann 1, 3, 13 – 16, 20, 22, 47, 80, 108 f., 113 f., 169, 178, 180, 207 f., 217 – 223, 233, 242, 269, 307 – 309, 322, 327, 363 f., 372, 405, 432 f. Susman, Margarete 52 Swarzenski, Georg 49 f., 52 Swinburne, Richard 253 Szabo, Stephen F. 171 Talmey, Elsa L. 291 Tar, Zoltán 326 Taudte-Repp, Beate 138 Tautmann, René 61, 65, 432 Teichert, Wolfgang 151 Tennstedt, Florian 172 Theunissen, Michael 206 Thiele, Ulrich 316 f. Thomas, Theodor 4, 45, 161, 179, 255 Thomassen, Tomas 99 Thompson, Wayne C. 168 Thurneysen, Eduard 150 Thurnherr, Urs 232 Tiedemann, Rolf 198, 211, 330, 343, 349 f., 352, 356 Tillich, Hannah 3, 24, 47, 49 – 55, 61 – 64, 67 f., 88 – 90, 96 f., 101, 105, 109 – 113, 127, 132, 289, 298, 324, 349 Titius 223 Tofahrn, Klaus W. 121 Tolstoy, Leo 304 Troeltsch, Ernst 133, 155, 206, 227, 246, 296, 308, 317 Trott zu Solz, August von 33 – 35, 37, 177 Tuchel, Johannes 177 Tucholsky, Kurt 147 Turner, Joseph 366 Turner, Yossi 366 Tutu (Archbishop) 305 Uexküll, Jakob Johann von Ulich, Robert 100 Ullmann, Adolf 54

234

Ullrich, Volker 134 f. Unruh, Fritz von 52, 92, 136, 141, 248 Unte, Wolfhart 169 Vahanian, Gabriel 131 Vahlen, Karl Theodor 91, 94 f., 105 Varnhagen, Rachel 382 Veidt, Karl 152 Veit, Willy 60, 75 Ven, Johannes van der 414, 417 Vernekohl, Wilhelm 246 Vidler, Alec 167 Vielhauer, Philipp 171 Vogelsang, Erich 151 Voigt, Georg 25 f., 34 Vollmer, Antje 167 Vossler, Karl 170 Wachsmuth, Richard 20, 33 f., 158 Wagner, Martin 145, 154 Wagoner, Bryan 12, 323, 347 – 349, 357 f., 421 Walk, Joseph 168 Wallace, Edgar 147 Walter, Franz 173 Wang, Wilfried 142 Waßner, Rainer 171 Wassermann, Jakob 147 Weaver, Lon 302 Weber, Christian 170 Weber, Marianne 66 Weber, Max 66, 152, 317 Weber, Otto 135 Weber Nicholsen, Shierry 350 Wegener, Richard 24 Wehler, Hans-Ulrich 134 Weidenreich, Franz 170 Weil, Felix 108, 163, 326, 421 Weil, Hans 87, 175 Weil, Hermann 326 f. Weinhandl, Ferdinand 31, 96 Weinstock, Heinrich 96, 175 Weizsäcker, Ernst von 29 Weizsäcker, Heinrich von 50 Weizsäcker, Viktor von 403 Wenz, Gunther 240 f., 248, 433 Wenzel, Knut 2, 25, 156

Namensregister

Werner, Hans-Joachim 395 Wertheimer, Ludwig 87 Wertheimer, Max 4, 13 – 20, 22 – 25, 51, 65, 87, 106 f., 111, 113, 174, 179, 221 f., 422 Wertheimer, Michael 51, 111, 174 Wessel, Horst A. 97, 139 Weyel, Birgit 415 f. Weyer, Rüdiger 171 Whitehead, Alfred North 217, 237 Wichern, Heinrich 84, 154 Wichert, Fritz 50 Wiebe, Donald 291 Wieler, Joachim 88 Wiese, Christian 12, 361, 370, 381, 384, 395, 399, 407 Wiesel, Adalbert 54 Wiethorn, H. 98 Wiggershaus, Rolf 162 f., 165, 194, 309, 327 – 330, 339, 344, 348 Wils, Jean-Pierre 192 Wilson, R.A. 303 Windelband, Wolfgang 17, 24 Winkler, Heinrich August 134 f. Wirth, Günter 55 Wisser, August 90, 98 f., 101 Witte, Karsten 146 Wittgenstein, Ludwig 233 Wittig, Joseph 403 Wojtun, Helmut 181

Wolf, Erik 173 Wolf, Siegbert 138 Wolfers, Arnold 102, 171 f., 183 Wolfes, Matthias 155 Wolff, Carl 140 Wolff, Hans J. 110 Woppowa, Jan 164 Wriedt, Markus 12, 133 Wundt, Wilhelm 195 Wust, Peter 246, 248 Zager, Werner 114 Zalta, Edward N. 253, 259 Zarncke, Lilly 65 – 67, 167 Zeller, Susanne 88 Zeumer, Karl 137 Zeuner, Christine 56 Ziarek, Krzysztof 352 Zibell, Stephanie 177 Ziebertz, Hans-Georg 414 Ziege, Eva-Maria 67, 308 f., 421 f. Ziehen, Hertha 21, 59, 172 Ziehen, Julius 14, 21 f., 56, 59, 103, 172 Zilleßen, Dietrich 198 Zirlewagen, Marc 172 Zuckmayer, Carl 159 zur Strassen, Otto 20 Zweig, Arnold 147

449

Sachregister Anthropologie/anthropology 8, 73, 154, 170, 188, 209, 218, 234 – 236, 243, 246, 248, 254, 295, 311, 321, 326, 331, 422 Antisemitismus 57, 115, 118, 205, 210, 308, 367, 369, 371 – 374, 377 f., 380 – 382, 384, 392, 394 Arbeiterklasse/working class 84, 293 Arbeitsrecht 144, 161, 173 Ästhetik/aesthetics 144, 164 f., 299, 304, 329, 425 Auferstehung/resurrection 42, 246, 350, 357 Aufklärung/Enlightenment 42, 48, 107, 129, 184, 187, 196 – 198, 200 – 202, 205 f., 210, 295, 298, 307 f., 334 f., 338, 341, 346 f., 367, 382, 386, 393 Autonomie/autonomy 128, 184, 189, 264, 295, 297 f., 331, 342, 345 f., 355, 357, 359 Avantgarde 61, 145, 320, 322

Dadaismus 144 Dämonische, das/the demonic 42, 114, 188 f., 289, 291, 300, 302 f., 369 Darwinism 256 f. deconstruction 295 Dialektik/dialectics 186 f., 198 – 200, 206, 210, 212, 278, 288, 290 f., 305, 307 f., 316, 319, 330 f., 341, 343 f., 348 f., 356, 358 f., 427 – existential dialectics 290 Diaspora 205, 377, 385, 387 – 389 Dichtung/poetry 143, 184, 212, 344, 350, 353 – 355, 358 Dogmatik 28, 38, 135, 167, 207, 211, 223, 296, 302, 432 Dualismus/dualism 238, 257, 399 Dynamik 190, 216, 238, 284, 291, 296, 299, 305 – dialectical dynamism 295

Bekennende Kirche 42, 46, 56, 97, 119 f., 192 f. Bibel/Bible 68, 292, 344, 346, 366, 374, 391, 395 – 397, 399, 406 f. biodiversity 256 Biologie/biology 256 f., 260, 272 f. – evolutionary biology (siehe auch Evolution) 256

Emanzipation/emancipation 84, 136, 194, 324, 335, 338 – 340, 342, 347, 349, 358, 373 – social emancipation 342 Empirie 414 – 417, 426, 429 Empirismus/empiricism 195, 298, 339, 412 f. Endlichkeit/finitude 284, 304, 335 Entmythologisierung 72, 196, 201, 207, 242, 245 Epistemologie/epistemology 290 Erfahrung 2, 33, 44, 61, 64, 74 f., 81, 98, 146 f., 153, 194, 201, 203, 212, 278, 282, 316 f., 364 – 366, 385, 391, 393, 398, 410 – 412, 415 f., 426 – 429 – religiöse Erfahrung 363, 413, 427 f. Erfahrungswissenschaft 418 f., 426, 429 Erkenntnistheorie 226, 431 Erster Weltkrieg/First World War/ World War I. 27, 87, 109, 124, 131, 134, 137 f., 140 – 142, 147, 150, 156, 158, 169, 195, 244, 288, 292 f., 300, 332, 374, 384, 388, 400

Calvinismus 48, 188 Chalcedon 297 Chassidismus 362, 406, 408 Chicago School 414 Christ/Christian 41, 45, 73, 102, 114 f., 118 f., 125, 128, 132, 148 f., 151, 166, 171 – 173, 183, 192, 206, 289 – 292, 305, 333 – 337, 340, 345, 347, 359, 366, 373 – 375, 380, 389, 392 – 395, 401 f. Christendom 261, 265, 298 Christologie/Christology 7, 254, 298 Christus/Christ 27, 75, 114, 118, 129 f., 216, 255, 292, 296 – 298, 300, 305, 309, 354, 373 f., 386, 391, 393 f. Cross 292, 296, 303

452

Sachregister

Eschatologie/eschatology 7, 276 f., 280 f., 313 f., 335, 355, 357 f. Eschaton 262 f., 279, 314, 321, 358 Ethik/ethics 4, 10, 24, 46 f., 77 f., 92, 179 f., 192, 204, 247, 256, 269, 272, 275, 299, 318 f., 354, 361, 366, 431, 433 – deontological ethics 299 – secular ethics 304 Ethos 187, 273 Evolution 256 f. Ewigkeit/eternity 130, 207, 299, 340, 388 Exil/exile 65, 88, 115, 174, 200, 205, 289, 304, 308, 322, 363, 372, 375, 378, 382, 385, 387 – 389, 403 f., 410, 432 Existentialismus/existentialism 240, 243, 245, 247, 282, 290, 297, 365, 407, 422 Existenz/existence 30, 42, 61, 68, 76, 106, 131, 164, 176, 180, 188, 190, 209, 216, 224, 231 – 234, 237 – 240, 248, 251, 256, 265 f., 270, 280, 282, 284, 286, 288, 290, 295 f., 298, 303, 305, 336, 362, 372, 377, 382 – 384, 388 f., 391 f., 394, 409 Expressionismus/expressionist art 49, 143, 146, 242, 245, 299 Faschismus/fascism 188, 341 Frankfurter Schule/Frankfurt School 12, 67, 162 – 165, 194, 213, 308 f., 323, 325 – 331, 339, 343 – 348 Freiheit/freedom 6, 10 f., 46, 60, 73, 75 f., 86, 104, 130, 146, 154, 167, 184, 193, 207 – 209, 217, 224, 235, 237 f., 241, 243, 282 – 284, 298, 316 f., 338, 353, 355, 357 f., 365, 422, 424 Futurismus 144 Gehalt/import/substance 17, 22, 27, 38, 58 f., 69, 75, 87, 98, 104, 118, 125, 127, 130, 143, 185, 199, 201 f., 211, 226, 234, 237, 242, 247, 257, 272 – 277, 286, 292, 294 – 296, 300 f., 305, 317 f., 321, 325, 399, 423 f. Geist 3, 8 – 10, 65, 71, 78, 81 f., 87, 89, 97, 102, 113, 127, 143, 153, 159, 174, 178, 184, 187, 201, 204 – 206, 213, 215, 217, 232, 235, 238, 271 – 274, 278, 286,

291 f., 295, 308, 312, 317 f., 321, 367 f., 371 – 376, 378, 381, 383, 386 – 388, 391, 398 f., 407, 409 f. – Geist der Utopie 310 – 314, 321 – Geistesgeschichte 155, 172 f., 187, 197, 218, 272 f., 400 – Geistesleben 71, 79, 128, 184 – Geistesrevolution 400 – Geistphilosophie 311 f., 321 Gerechtigkeit/justice 119, 132, 188, 206, 216, 241, 244, 293, 296, 298 f., 301, 304 f., 318, 334, 336 – 340, 342, 358, 375, 379, 385, 389 – 391, 409 Geschichte/history 3 f., 6 f., 10 f., 21, 24, 29, 32, 35, 38, 40, 43, 46 – 48, 53, 56, 84, 86, 106 f., 115, 126, 133 – 135, 137 – 143, 145 – 151, 154 – 156, 158 – 165, 167 – 169, 172, 174 – 181, 184 – 186, 189 f., 196 f., 201, 212, 217, 219, 225, 227, 229 – 232, 244, 253, 255, 257, 261 – 266, 269 – 271, 273, 276 f., 280, 286, 289, 291 – 294, 297 – 303, 307 – 310, 313 f., 316 f., 320 f., 325 – 327, 333, 338, 340, 344, 351 f., 355 f., 359, 361, 365 – 367, 369 f., 374 – 377, 381, 383 f., 386, 388 – 390, 394, 396, 403 f., 410, 412, 421, 423, 431 f. Gesellschaft/society 9, 13, 42, 55, 58, 69, 71, 75 f., 79, 81 – 83, 85, 108 f., 111 f., 128 f., 131, 139, 143, 148, 161 – 163, 165 – 167, 171 – 173, 183, 186 f., 195, 208, 243, 245 f., 248, 261, 294, 302, 309 f., 315 – 320, 322, 332 f., 335 – 341, 346 f., 349, 352 f., 359, 362, 367, 370 f., 381 f., 395 f., 399, 415, 418 f., 421 f., 432 social analysis 332 Gesetz/law 31, 78 f., 115, 138, 146, 191, 209, 259, 261 f., 272 f., 293, 298, 301, 318, 370, 374, 381, 384 – 386, 398, 409, 419 Glaube/faith 2, 19, 25, 41 f., 56, 61, 72 f., 82, 102, 106, 114 f., 119, 121, 126, 128 – 131, 151, 156, 166 f., 170, 184 f., 188, 198, 203, 216, 227, 238, 241, 245, 253, 263, 286, 288, 291 – 293, 296 – 298, 301 f., 307, 312, 316, 333 f., 336 – 338, 352, 363, 366, 374 f., 384, 388, 390, 393,

Sachregister

396 f., 400 – 402, 404, 407, 414, 417, 424, 431 Glaubenslehre/doctrine 253, 289, 292, 296 – 299, 305, 333, 336, 355 Gleichheit/equality 192, 301, 334 Gnade/grace 115, 185 f., 288, 291 – 293, 296 f., 303, 408, 424 Gnosis 396 Gott/God 10, 27, 29, 57, 69 f., 73 – 75, 78, 80, 103, 106, 114 f., 118 – 120, 125, 129 – 132, 154, 180, 183, 187, 189, 198, 201, 205, 208, 212, 216, 229, 233, 238, 240 f., 253, 256 f., 263 – 266, 274, 282, 292, 294 – 297, 300 f., 303, 305, 332, 334 – 336, 350 f., 359 f., 362 – 365, 373 – 376, 380, 385 – 387, 389, 391, 393 f., 396 – 399, 401 f., 404, 407 f., 419 Götzendienst/idolatry 33, 300, 304, 393 Gründerzeit 140 Holy Spirit 297 Heteronomie 189 Humanismus/humanism 373

10, 91, 333, 337,

Idealismus/idealism 3, 8, 11, 179, 211, 217, 231, 239, 247, 251, 321, 328, 338 Immanenz/immanence 185, 291, 302, 332, 355, 357, 360 Impressionismus 50 Individualisation 238, 284 Industrialisierung 70 intuition 255, 258 f. irrationality 337, 357 Judentum/Judaism 12, 57, 113 f., 130, 171, 199, 203 – 205, 207 f., 295, 336, 361 f., 364 – 377, 380 – 397, 399 – 402, 404, 406 – 410 Kairos 171, 186, 189 – 191, 193, 218, 224, 230, 242, 288, 293, 299 – 303, 332 – Kairosbegriff 224 f. – Kairos-Kreis/Kairos Circle 88, 109, 171, 182 – 184, 332, 335 – Kairos-Theologie 370 Kalter Krieg 379

453

Kapitalismus/capitalism 13, 70, 77 – 81, 119, 167, 175, 184, 189, 318, 332, 409 – Kapitalismuskritik 78 – modern capitalism 295 – Sozialer Kapitalismus 74, 76 – 78, 80 Kerygma 290 Kirche/church 9 f., 27, 32, 35, 39, 41, 43, 45, 48 f., 57, 60, 66, 68 f., 72, 74 f., 77, 81 – 86, 98, 103, 111, 119, 124 – 126, 128, 135, 150 – 153, 155, 171, 183, 187, 226, 234, 289, 296 – 298, 304, 332, 334 f., 363, 365, 370, 372, 376, 380 f., 385 – 387, 392, 396 f., 399, 402, 409 f., 417, 419, 424 – Evangelische Kirche/Protestant church 40, 82, 124, 126, 152, 154, 168, 193, 303, 336 – Katholische Kirche/Catholic church 124, 295, 384 Kirchengeschichte 26, 35 – 38, 42 f., 45, 48, 86 f., 94, 151, 160, 172 Klassik/Classics 4, 10 f., 179, 269, 299 Kommunismus/communism 187, 294, 333 f., 340 Konfession 27, 38, 154, 363 Konstruktivismus 144 Koran/Qur’an 297 Kritik/critique/criticism 4, 6, 43, 48, 73, 84, 102, 118, 132, 150, 179 f., 185 f., 193, 196, 198 f., 208, 211, 219, 226 f., 233, 244, 256, 260, 263, 266, 270, 290, 295, 300, 303, 305, 307 f., 310, 316, 321 f., 332, 335 – 339, 341 f., 346 f., 349, 352 f., 357 f., 364, 372, 383, 388, 392 f., 405 f., 409 f., 412, 418, 431 – emancipatory critique 347, 358 – prophetische Kritik/prophetic criticism 114, 185, 323, 336, 344, 346 f., 372, 383, 385, 393 – rationale Kritik/rational criticism/critique 186, 335 – 337, 339, 346 f. Kubismus 144 Kultur/culture 12, 27, 48, 53, 65, 67, 76, 127 f., 130, 132, 134, 138, 140 f., 143, 147, 149, 152 f., 157, 166, 170, 180, 187, 189, 196, 205, 223, 226, 229, 243, 247 f., 252 f., 261 f., 289 f., 292, 294 –

454

Sachregister

298, 300, 303, 309, 313 f., 331 f., 336, 345 f., 351 f., 355, 359, 365 – 368, 370, 382, 387, 390, 394 f., 408, 414, 416, 419 – 426, 428, 431 – 433 – Kulturethik 219 – Kulturhermeneutik 416, 424 f., 428 – Kulturkritik (siehe auch Kritik) 423 – Kulturtheologie 127, 243, 419, 425 – 427 – Kulturwissenschaft 419, 426, 428 – religiöse Kultur 295, 424 Kunst/art 1, 16, 23 f., 27 f., 49 f., 53, 57, 81, 87, 143 f., 146, 148, 160, 178, 242, 244 f., 260, 273 – 275, 296, 299, 425 Liberation theology 304 Liebe/love 19, 46, 56, 61, 64, 86, 90, 102, 112, 115, 127, 130 f., 204, 216, 218, 241, 243 f., 270, 293 f., 296, 298, 301, 304 f., 330, 333, 358, 379 linguistics 328 Logos 7, 196 f., 202, 213, 224, 255, 300 Lutherrenaissance 151, 155 Magie 130, 198, 384 Marktwirtschaft (siehe Soziale Marktwirtschaft) Marxismus/marxism 11, 81, 183, 187, 234, 292 f., 309, 332 f., 335, 345 f., 409 Materialismus/materialism 186, 239, 316, 318 – 321, 329, 335, 348 Menschenrechte 76, 82 Menschheit/humanity 9, 82, 187, 207, 252, 256 f., 260 – 263, 265 f., 303 f., 324, 338, 340, 362, 389 Messianität/messiahship 303, 386, 401 Metaphysik/metaphysics 7, 12, 149, 195, 211, 218, 226, 231, 235, 238, 240, 245 f., 251, 256, 262 f., 266, 270 f., 273 – 282, 286 f., 310, 316, 321, 326, 331, 339, 349 – 351, 356 f., 359 – Metaphysik des Geschehens 276 f., 279, 281, 286 f., 313 methodology 326 Modernismus/modernism 128, 302 Moral/morals 123, 131, 153, 247, 296, 316 – 320, 407 Muslim 297

Mystik/mysticism 49, 294, 361, 364, 366, 371, 406, 408 Mythologie/mythology 7, 195, 197 – 199, 201, 212, 225, 302, 341 Nationalismus/nationalism 80, 119, 184, 189, 208, 288, 331, 369 – 372, 375, 378, 383, 387 – 389, 393, 398 Nationalsozialismus/National Socialism 50, 53, 66, 89, 97, 116, 118, 132, 136, 151 f., 167, 170, 181, 192, 203, 290, 292 f., 324, 326, 329 – 331, 334, 351, 361, 367 – 369, 371 – 374, 376, 379, 381, 383 f., 387, 391, 399 Natur/nature 7 f., 17, 27, 79, 95, 156, 186, 188 f., 200, 204, 209, 234 f., 237 f., 254, 256 – 258, 260 – 266, 292, 295, 297, 299, 301, 317 f., 333, 338, 344, 346 f., 349, 352, 355, 359, 365, 407, 419 – Naturgesetz/law of nature 79, 258, 317 – Naturwissenschaft/Natural Science 12, 19, 159, 219, 235, 252 f., 299, 304, 317, 411, 418, 422 Naturalismus/naturalism 239, 256, 290 Naturgesetz/Law of nature 258, 292 Neo-Marcionitismus 395 Neue Sachlichkeit 143 – 145 Neukantianismus 246 f., 271 neurology 296 nostalgia 294 Offenbarung/revelation 7, 42, 114 f., 130, 216, 225, 262 – 265, 276, 296 f., 351, 401, 408, 431 – Divine revelation 257, 263, 297, 351 Ontologie/ontology 11, 149, 186, 204, 213, 229, 231, 237 – 241, 247, 249, 273, 275 f., 280, 283, 285, 289 – 291, 298, 350 – 352, 431 Optimismus/optimism 72, 132, 303 Pädagogik 8, 14, 19, 21 f., 24 f., 29, 31, 41, 46, 90 f., 100 f., 103, 110, 118, 172, 175, 181, 221 Parataxis 344, 350, 352 – 354, 356, 359

Sachregister

Partei/political party 39, 46, 63, 68, 74 f., 77, 80, 82 f., 92, 95 f., 101, 112, 151, 177, 302, 333 Partizipation 238, 283 f. Patristics 289 Periechontologie 238 Phänomenologie/phenomenology 10, 149, 201, 204, 210, 225, 227, 230 f., 241, 251, 255, 428 Philosophie/philosophy 1 – 8, 11 – 14, 16 – 18, 20 – 25, 28, 31, 44 – 46, 51, 53, 68, 90 – 94, 100 f., 108 f., 111, 127, 131, 146, 149, 154 f., 161, 163, 165, 167, 169, 174, 176, 178 – 180, 184, 186, 192, 195 f., 199 f., 202 – 204, 210, 212, 215 f., 218 – 234, 236 f., 239 f., 242 – 244, 246 f., 249, 251, 253, 255 f., 259, 263 f., 269 f., 272 – 274, 277, 279, 286, 288 – 291, 298, 300, 304, 309, 311 – 313, 316, 323, 325 – 329, 333, 338 – 341, 344 f., 347 – 350, 352 f., 355 – 358, 360 f., 365, 404, 409 f., 413, 419 f., 422 f., 431, 433 – Analytische Philosophie/analytic philosophy 251, 289 – atheistic philosophy 255 – Dialogphilosophie 364, 366, 368, 401, 407 – Geistphilosophie (siehe Geist) – Geschichtsphilosophie/philosophy of history 3 f., 6, 8, 153, 165, 176, 178 – 180, 186, 189, 200, 205, 227, 230 f., 244, 261, 277, 290, 307, 309 – 316, 318, 321 f., 333, 338, 341, 422, 431 f. – Lebensphilosophie 149, 188, 225, 227, 230 f., 242, 428 – political philosophy 292 – Religionsphilosophie 6, 11, 34 f., 37, 65, 90 f., 93, 118, 167, 174, 193, 195 f., 198, 204, 211, 213, 217, 219, 221, 223, 234, 241, 243, 246, 269, 312, 361, 395, 402, 405 – 408, 431 – Schulphilosophie 282 – Sozialphilosophie/social philosophy 57, 108 f., 320, 325, 328, 344, 420 – Sprachphilosophie 149 – Theonome Philosophie/theonomous philosophy 255, 279, 311

455

– Transzendentalphilosophie 218, 238, 241, 315 f. Physik/physics 20, 51, 53, 159, 203, 259, 272 f., 299 f. Pluralisierung 126 Polarität 228, 237 f., 384, 403 Politik/politics 59, 65, 75, 80, 95, 103, 136, 142, 148 – 150, 158, 161, 166, 173, 177, 181, 191, 290, 298, 303, 345 f., 349, 364, 376 f., 381 – Sozialpolitik 73, 142, 161, 172 – political movement 293 Positivismus/positivism 154, 298, 320, 413 – Logischer Positivismus/logical positivism 251, 339, 346 f. – philosophical positivism 360 Pragmatismus/pragmatism 149, 217, 298, 412 preacher 296 Prinzip/principle 6, 118, 168, 185, 204 f., 217, 236, 258, 260, 271, 292, 294 f., 300 f., 305, 314, 334 – 336, 341, 368 – 370, 372, 376, 386, 389, 407 – 409, 422, 424 – Bürgerliches Prinzip 310 – prophetic principle 292 f., 337, 346 – Protestantisches Prinzip/Protestant principle 9, 77, 292, 295, 305, 336 – 338, 365, 424 – Religious principle 298, 333 – Sozialistisches Prinzip/socialist principle 292, 301 f., 310 Profanität 69, 72 f., 85, 127, 167, 362 f., 420 f., 423 – 425 Proletariat 67, 71, 79, 81, 85, 128, 174, 293, 320, 322, 337, 409 Prophetie/prophecy 115, 207, 333, 335 – 337, 362, 364, 369, 371, 383, 385 Protestantismus/protestantism 6, 8 – 10, 13, 35, 48, 67, 69 – 73, 76, 80 – 82, 85, 152, 154, 167 f., 185 f., 224, 226, 236, 262 f., 295, 298, 308, 312, 335 f., 351, 365 f., 370 f., 383, 399, 405, 407 f., 413, 419 – 421, 424, 431 f. Psychoanalyse/psychoanalysis 254, 329, 422 f.

456

Sachregister

Psychologie/psychology 16 – 18, 23, 25, 100, 111, 174, 232, 243, 247, 264, 272, 290, 296 f., 299, 317, 328, 417 – 419, 422 f. – Gestaltpsychologie 174, 422 – Religionspsychologie 414 – Schulpsychologie 421 f. Purismus 144 quantum physics

253 f., 259

Rationalismus 200, 406 Rationalisten 224 f. Rationalität/rationality 12, 197 f., 256 – 259, 261, 264 f., 286, 324, 341, 346 – bourgeois rationality 302 – emancipatory rationality 324 – 326, 331 – instrumental rationality 258, 260, 266, 339 – intuitive rationality 258 – philosophical rationality 251 – scientific rationality 251, 258 Realismus/realism 50, 102, 143, 149, 186, 213, 239, 261 f., 297 f., 301, 414 – Gläubiger Realismus 7, 297, 421 – Historischer Realismus 299 – mystical realism 298 – Symbolischer Realismus 195 f., 213 – technological realism 298 Rechtfertigung/justification 76, 265, 291 f., 305, 336, 372 f. Rechtswissenschaft 160 Reform/reform 82, 133, 145, 153, 159, 294 Reformation 48 f., 60, 82, 129, 134, 154, 184, 261, 295, 381, 383, 386 Reich Gottes/kingdom of God 119, 154, 188 f., 217, 279, 288, 294, 300, 314, 335, 357, 361, 370, 389 f. Rekonstruktion 91, 148 – 150, 295, 313, 317, 414 f., 428 Religion/religion 3, 6 – 8, 27 f., 30, 35, 38 – 40, 43, 48 f., 57, 70 – 73, 75 f., 80 f., 83, 85 f., 114 f., 119, 124, 130, 153, 155, 160, 162, 179, 187 – 189, 198 – 200, 205 – 207, 210, 220, 225 – 227, 240 f., 243 f., 247, 249, 252 f., 258, 261 – 265, 286, 289 – 291, 293 – 305, 308, 318, 323, 326, 331,

333 f., 336 f., 340, 342, 345 – 347, 362 – 366, 370, 373 f., 381, 384 f., 388, 390 f., 397, 399, 401, 404 – 408, 410 – 412, 414 – 418, 421 – 429, 432 f. – biblische Religion/biblical religion 200, 216, 406 – natural religion 263 – Empirische Religionsforschung 415 – 417, 424, 428 – Religionsgeschichte/history of religion 30, 34 f., 37, 44, 93, 241, 384, 389 – Religionssoziologie 361, 415 – Religionswissenschaft 2, 12, 40, 46 f., 167, 219, 223, 225, 229, 361, 407, 415 – Allgemeine Religionswissenschaft 67 Religionsgeschichte 263, 290 Romantik/romanticism 10, 84, 186, 205, 296, 310, 326, 331, 334 f., 372 Sakramentale, das 384 – 386 Sakramentalismus/sacramentalism 296, 389 Säkularisierung 126, 390 Schicksal/destiny 6, 11, 20, 33, 41, 54, 64, 89, 102 – 104, 107, 109, 114 f., 118, 121, 126, 166, 180, 191 f., 204, 207 f., 224, 236 – 238, 243, 261, 284, 300, 302, 361, 368 – 370, 372 f., 375, 383, 388 f., 395, 408, 431 Schöpfung/creation 9, 125, 291, 296, 300, 327, 362, 391, 396, 398 Seinsart 284, 286 Seinsbegriff 229, 237, 283 Seinsbereich 283 Sein-Selbst 283 – 285 Seinserfahrung 282 Seinserfassung 274 Seinsermächtigung 283, 285 Seinsfrage 280, 283 Seinsgehalt 286 Seinsgeschichte 180 Seinsmetaphysik 276, 279 f. Seinsphilosophie 186, 240 Seinsthematik 240 Seinswissenschaft 274 Shoah 369, 371, 375 f., 378, 387, 389, 392, 401, 409

Sachregister

Sinn

5 f., 8, 12 – 14, 20 f., 30, 33, 39, 45, 70 f., 75, 78 f., 85, 102, 109, 118 f., 126, 128, 135, 153, 158, 161, 167, 170 f., 177, 180 – 182, 185 f., 189, 198, 200, 204 f., 207, 210, 212 f., 220, 223 f., 228 f., 231 f., 237, 239, 241 f., 245 – 248, 271, 273 – 276, 280 – 282, 285, 287 f., 308, 310 – 317, 320 – 322, 362, 373 – 375, 377 f., 388, 390, 401, 404, 412, 416, 418 f., 423 f., 431 – Sinnbegriff 237, 273, 288 – Sinnerfüllung 64, 73, 274, 276, 312 – 314, 321 – Sinnintention 276 – Sinntheorie 271 Solidarität/solidarity 301, 372 – 374 Sozialforschung 60, 69, 87, 108 f., 112, 162 – 164, 176, 307, 323, 326, 415 – 418, 420 – 423 Sozialismus/socialism 7, 9 f., 68, 73, 78 – 81, 83, 85, 119, 129, 149, 154 f., 171, 173 – 177, 182 – 191, 193 f., 203, 208, 290, 294, 301 f., 326, 330, 332 – 335, 337, 340, 342, 345, 409, 421 – proletarian socialism 302 – Religiöser Sozialismus/religious socialism 7 – 9, 72 – 74, 78 – 81, 85, 99, 101 f., 127 f., 151, 167, 176, 183 f., 186, 189, 224, 292 – 294, 300, 304, 308 – 310, 315, 321, 323 f., 326, 331 – 339, 342, 345, 347, 349, 363, 370, 409 f., 420 – 422, 431 Sozialkritik/social critique 323 f., 331, 335, 337, 339, 342 – Soziale Marktwirtschaft 74 Sozialpädagogik 1, 3, 6, 23 f., 31, 78, 90, 178, 183, 215, 222, 230, 269, 309, 419, 422, 432 Sozialtheorie/social theory 323 f., 326, 336 – 339, 342, 345, 347 f., 418, 425 Sozialwissenschaft 67, 159, 161, 167, 176, 185, 309, 315, 416 f., 421 – 423, 428 Soziologie/sociology 1, 12, 14, 23 – 25, 67, 71, 90, 108, 159, 165 f., 171, 176, 178, 192, 215, 221 f., 269, 309, 320, 323, 327 f., 344, 418 f., 421 – Religionssoziologie (siehe Religion)

457

Spirit 295, 305, 335 f., 340, 355 f., 358 f. Subjektivität/subjectivity 236, 241, 324, 351 Sünde/sin 77, 186, 188, 264, 296, 333, 335 – original sin 298 supranaturalism 266 Symbol/symbol 7, 97, 211 – 213, 240, 263, 275 f., 285, 299 f., 302 f., 310, 340, 354 – 356, 359, 365, 390 – 392, 394, 407, 414 Symbolismus/symbolism 263, 300 – eschatological symbolism 358 System/system 4 f., 57, 82, 85, 115, 133, 150, 187, 216 f., 222, 247, 253, 271 f., 276, 286, 290, 304, 312, 342, 356, 359, 412, 426 – Kapitalistisches System 73, 81, 109 Technik 6, 69, 79 f., 82, 146, 156, 191, 255 Technologie/technology 12, 253 – 258, 260 f., 264 – 267, 327 teleology 256 Theismus/theism 253, 360 Theokratie 390 Theologie/theology 2, 4 – 6, 10 – 12, 25, 28, 30, 33 f., 38 f., 41 f., 45 f., 49, 57, 65, 94, 103, 112, 118, 127 – 129, 131, 133, 150 – 156, 167 f., 172, 174, 179, 191 – 193, 196, 205 f., 210, 213, 216, 218 – 220, 223, 225, 227, 230, 233 – 235, 237, 240 – 245, 247 – 249, 251 – 255, 259, 262 – 264, 266 f., 270, 273 f., 279, 286, 288 – 290, 294 – 297, 299 f., 303, 305, 309 – 311, 320, 323, 326 – 328, 331, 333, 336, 342, 344 f., 347, 350 – 352, 354 – 356, 358 – 361, 363, 365 f., 370, 375, 380 f., 391 f., 395 – 397, 405 – 420, 422 – 429, 431 – Christliche Theologie/Christian theology 252 f., 259, 263, 266 f., 303, 346, 350, 359, 361, 399, 405 f. – Dialektische Theologie/dialectical theology 150, 155, 183, 194, 295, 421 – Empirische Theologie 12, 411 – 418, 423 – 426, 428 – Kirchentheologie 127 – Kritische Theologie/critical theology 5, 213, 289, 305, 310, 320 – Kulturtheologie 127, 243, 419, 425 – 427 – Lutheran theology 292

458

Sachregister

– Natural theology 253, 256, 262 – 264 – Parataxical theology 343, 348, 350, 359 – Politische Theologie/political theology 191 f., 194, 207, 303, 347 – Praktische Theologie 45, 411, 414 – 418, 422, 428 – Systematische Theologie/Systematic Theology 27, 42, 46 f., 90 f., 154, 216, 228, 235, 237, 244, 249, 255, 270, 282 f., 289, 344, 349, 355 f., 358, 412, 418 f., 433 – Wissenschaftliche Theologie 149 Theonomie/theonoym 9, 128, 184, 190, 294, 298, 331, 342, 344 – 346, 355 – 357, 359 f. Theorie/theory 12, 17, 48, 50 f., 57, 80, 111, 128, 144, 146, 148, 163, 171 f., 174, 176, 178, 181, 185 f., 191 – 196, 199, 208, 241, 253 f., 256 – 258, 260 f., 273, 276, 298, 300, 308, 316, 318 – 320, 322, 327 f., 332 f., 336, 341, 344, 347, 351, 354, 360, 416, 421 f., 425 f. – Geschichtstheorie 423 – Gesellschaftstheorie/theory of society 67, 308, 315 f., 320 f., 341 – Kritische Theorie/critical theory 12, 163 – 165, 196, 206, 208, 308 – 310, 315 f., 320, 322 – 327, 331 f., 335 – 342, 346 – 348, 421 f. – Marxistische Theorie 71, 165 – Materialistische Theorie 319 f., 322 – Sinntheorie (siehe Sinn) – Zukunftstheorie 162 Tora 398, 409 Tradition/tradition 32, 54, 61, 114, 127, 135, 137, 151, 173, 196, 208, 217, 221, 254, 264, 266, 291, 293, 325, 328, 333, 335, 337, 342, 344, 346 – 348, 355 f., 359, 362, 365, 370 f., 380, 384, 388, 390, 392 – 394, 399, 403 – 406, 413, 419, 426, 428 Transzendenz/transcendence 131, 207, 233, 245, 278 f., 281 f., 291, 298, 302, 332, 355, 357 – 360

Unbedingte, das 103, 184 f., 188, 211, 240 f., 271, 274 – 279, 288, 291, 295, 297, 318, 427 the Unconditioned 297 Ungerechtigkeit 304, 324, 336, 342, 389 Universum/universe 8, 291, 293 Utopie/utopia 9, 58, 188 f., 300, 307, 309, 311, 314 f., 317 – 320, 322, 353 f. utopianism 294 Verdinglichung/reification 200, 310, 315, 324, 337 – 339, 342, 409 Verismus 144 Versuchung/temptation 42, 64, 74, 289, 291, 336, 391, 396 Vorsehung/providence 180, 292, 296, 301, 389 Wahrheit/truth 11, 29, 42, 51, 60, 91, 102, 128 – 130, 153, 201, 210, 212 f., 224, 238, 242, 252, 266, 286, 293, 296, 300, 304, 317, 351 – 353, 366, 369, 373 f., 382, 391, 400 – 404 – Religiöse Wahrheit/religious truth 297, 299, 384 Weimarer Republik 49, 66, 80, 112, 135 – 137, 141 f., 144, 146 – 149, 152 f., 160, 163, 171, 175, 183, 192, 194, 196, 309, 368, 384, 409, 421 Wirtschaft/economics 25, 57, 76, 78 f., 83 f., 108 f., 138, 140, 159, 161 – 163, 165 f., 175 f., 260, 295 f., 328 – Wirtschaftswissenschaft 159, 176 Wissenschaft/science 1 f., 4, 9, 11, 16, 19, 23 – 28, 36, 41 f., 46, 51, 53, 57, 66 f., 69, 78, 81 f., 87, 96, 103, 106, 124, 128 f., 148, 150, 153, 156 – 159, 162, 164, 168, 170 – 173, 176, 178 f., 181, 186, 191, 196, 201 f., 222, 227, 232, 246 f., 251 – 255, 257 – 262, 264 – 267, 271 – 275, 286, 300, 305, 312, 317 f., 339, 347, 361, 367, 370, 395, 399, 406, 411 – 413, 415, 418 f., 421, 426, 429 – Wissenschaftslehre 181, 271 Wort Gottes/Word of God 129, 296, 350 f., 356, 404

Sachregister

Wunder/miracle 301, 303 Zensur

82

42, 49, 89, 129 f., 188,

459

Zionismus 371, 375, 387 – 389, 393, 410 Zwangsarbeit 120 Zweiter Weltkrieg 136, 138, 140, 149 f., 194, 373, 377 f., 432