Paul Rohrbach: Ein konservativer Publizist und Kritiker der Weimarer Republik 9783111331423, 9783794025169


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German Pages 270 [272] Year 1972

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Inhaltsverzeichnis
Abkürzungen
Einleitung
1. Biographie, Vorbemerkung
2. Die Publizistik
3. Möglichkeiten der deutschen Außenpolitik
4. Innenpolitik
5. Zusammenfassung
Quellen- und Literaturverzeichnis
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Paul Rohrbach: Ein konservativer Publizist und Kritiker der Weimarer Republik
 9783111331423, 9783794025169

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EZH

Dortmunder Beiträge zur Zeitungsforschung, Band 16 Herausgeber: Kurt Koszyk Institut für Zeitungsforschung der Stadt Dortmund

Horst Bieber

Paul Rohrbach Ein konservativer Publizist und Kritiker der Weimarer Republik

EZH1972 Verlag Dokumentation, München-Pullach • Berlin

© 1972 by Verlag Dokumentation Saur KG, München-Pullach und Berlin Gesamtherstellung: Anton Hain KG, Meisenheim/Glan Printed in West Germany ISBN 3-7940-2516-4

Inhaltsverzeichnis

1. 1.1 1.2 1.3 1.3.1 1.3.2 1.4 1.5 1.6 1.7 1.8 1.9 1.10

Einleitung Biographie, Vorbemerkung Nachkriegsjahre (1918-1923) Die Blütezeit der Weimarer Republik (1924-1927) Die Deutsche Demokratische Partei 1919-1924 Kritik und Austritt Deutsche Akademie und Kulturpolitik (1927-1930) Die großen Reisen (1931-1934) Die Konservative Volkspartei ( 1 9 3 0 / 3 1 ) Innenpolitik im Jahre 1932 In den ehemaligen Kolonien ( 1 9 3 3 / 3 4 ) Unter der nationalsozialistischen Herrschaft (1935-1939) Zweiter Weltkrieg und Nachkriegszeit (1939-1956)

9 17 18 30 34 34 51 66 74 77 91 103 108 114

2. 2.1 2.1.1 2.1.2 2.1.3 2.2 2.2.1 2.2.2 2.3 2.3.1 2.3.2 2.3.3 2.3.4 2.3.5 2.4 2.4.1 2.4.2 2.4.3 2.4.4 2.5 2.5.1 2.5.2

Die Publizistik Die Jahre 1918-1921 Revolution und Friedensschluß Die Pariser Friedensverhandlungen Völkerbund und Reparationen Auf der Suche nach Bundesgenossen In Südamerika „Moralische Offensive" in den USA Die Jahre 1924-1927 Reparationsfrage und Londoner Konferenz Der Völkerbund und die Konferenz von Locarno Der Berliner Vertrag Der Eintritt in den Völkerbund Thoiry Die Jahre 1928-1932 Das Reparationsproblem (1924-1928) Die Pariser Sachverständigenkonferenz und der Neue Plan Das Ende des Young-Planes Das Ende der Reparationen Die Jahre 1933-1935 Hitler und der Nationalsozialismus Außenpolitik im Dritten Reich

118 118 118 126 131 141 141 143 149 149 153 165 167 172 177 177 180 193 196 199 199 205 5

3. 3.1 3.2

Möglichkeiten der deutschen Außenpolitik Der Primat der Außenpolitik Die Sozialreform

216 221 224

4. 4.1 4.2 4.3 4.4 4.5

Innenpolitik Monarchie oder Republik „Parteiismus" Demokratie und öffentliche Meinung Eliten und Bevölkerung „Weltmachtstreben" und „deutsches Wesen"

231 231 233 236 242 247

5.

Zusammenfassung

250

Anmerkungen, Literaturverzeichnis

252

6

Abkürzungen BA DA DDG DDP DNVP DP DVP GWU HZ LaK PAdAA PrivNachlRb

Bundesarchiv Deutsche Akademie (München) Der Deutsche Gedanke. Zeitschrift . . . hrsg. von Paul Rohrbach Deutsche Demokratische Partei Deutschnationale Volkspartei Deutsche Politik. Wochenschrift Deutsche Volkspartei Geschichte und Wissenschaft und Unterricht Historische Zeitschrift Leitartikel-Korrespondenz Politisches Archiv des Auswärtigen Amtes (Bonn) Privater Nachlaß Rohrbach. Der größere Teil des Nachlasses von Paul Rohrbach befindet sich in den Händen seines Sohnes, Dr. Justus Rohrbach. Er wird zur Unterscheidung von einem kleineren, im Bundesarchiv aufbewahrten Teil als Privater Nachlaß bezeichnet.

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Einleitung Die vorliegende Arbeit unternimmt den Versuch, die Publizistik eines Mannes darzustellen, der bei Kriegsausbruch 1914 zu den profiliertesten deutschen Journalisten zählte und weithin als Wortführer eines liberalen Imperialismus galt. 1 ) Nach 1918 wurde es stiller um Paul Rohrbach; seine „große Zeit" lag zweifellos vor dem Krieg und in den ersten Nachkriegsjahren 2 ); dem Kreise der wirklich bedeutenden Publizisten gehörte er während der Weimarer Republik nicht mehr an. 3 ) Bei der für die Schwierigkeiten der Republik so bedeutungsvollen Kontinuität politischer Vorstellungen über die Schwelle des 9. November hinweg war jedoch nicht anzunehmen, daß er über Nacht Namen und Einfluß verloren haben sollte. Tatsächlich spricht eine ungewöhnlich große Zahl von Artikeln, die ihn als einen der produktivsten Publizisten der Republik ausweisen, für die Annahme, daß seine Anschauungen zumindest noch „gefragt" waren, wenn ihm auch die großen Blätter in Berlin, Frankfurt, Köln, München und Leipzig verschlossen blieben und er stattdessen in kleineren und mittleren Zeitungen schrieb, deren etwas abfällige Bezeichnung „Provinzpresse" leicht dazu führt, ihre Rolle im Prozeß der politischen Meinungsbildung zu unterschätzen. Eine Analyse der politischen Vorstellungen Rohrbachs ergab ein eindrucksvolles Zeugnis für das ungebrochene Weiterleben nationaler Anschauungen, die er in mehreren tausend Zeitungs- und Zeitschriften-Artikeln vortrug. Ferner läßt sich an ihm beispielhaft die Widersprüchlichkeit und soziale Motivation der Ideen nachweisen, die von bestimmten Gruppen der bürgerlichen Rechten vertreten wurden, die sich als „konservativ" - im weitesten Sinne - bezeichneten. Angeblich „Vernunftrepublikaner", waren sie in Wirklichkeit ausgesprochene Antidemokraten, hinter deren „Ja-Aber" zur Republik eindeutige, jedoch nie direkt zugegebene Gruppeninteressen standen. 4 )

1) Eine ausführliche politische Biographie Rohrbachs für die Jahre 1890 bis 1918: Walter Mogk, Paul Rohrbach und das „größere Deutschland". Ethischer Imperialismus im Wilhelminischen Deutschland. München 1972. 2 Vgl. dazu auch H. Thimme, Weltkrieg ohne Waffen. Die Propaganda der Westmächte gegen Deutschland, ihre Wirkung und ihre Abwehr. Stuttgart/Berlin 1932, S. 235 ff. 3) Insoweit ist Buchwalds Urteil (M. Buchwald, Das Kulturbild Amerikas im Spiegel deutscher Zeitungen und Zeitschriften. Phü. Diss. Masch. Kiel 1964, S. 190), Rohrbach habe zu den prominentesten Publizisten der Republik gehört, etwas schmeichelhaft. 4) In den Untersuchungen K. Sontheimers (Antidemokratisches Denken in der Weimarer Republik. München 1962) und K. v. Klemperers (Konservative Bewegungen zwischen Kaiserreich und Nationalsozialismus. München/Wien o.J. (um 1962) wird Rohrbach nicht erwähnt.

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Bei der Darstellung dieser Auffassung läßt sich auch ein Phänomen demonstrieren, das einer detaillierten Untersuchung große Schwierigkeiten entgegensetzt: jene eigentümlich neutrale Stellung der Provinzpresse gegenüber der Republik, die sich am besten mit dem Wort „distanziert" umschreiben läßt. Für ihre kühle und unfreundliche Haltung ist Rohrbach repräsentativ, wenn auch mehr in der grundsätzlichen Einstellung als in Einzelheiten. Überhaupt fällt es schwer, die bedeutenderen Kommentatoren in der Republik - Paul Heinrich Cleemann, Otto Bleck, Eduard von Ungern-Sternberg, Fritz Sehulte-Ewerth, Graf Ernst Reventlow, Wilhelm Hack, Paul Ostwald, Richard Bahr, Werner Frhr. von Rheinbaben 5 ), Arnold Rechberg 6 ), Paul Lensch 7 ) - untereinander oder mit Rohrbach zu vergleichen: Stolz auf ihre (oft nur vermeintliche) Originalität, verfochten sie nachdrücklich ihre eigene Meinung, die sie betont gegen andere abhoben. Den weltpolitischen Horizont teilte Rohrbach mit Otto Hoetzsch, einem ebenfalls politischpublizistischen Einzelgänger 8 ), der aber präziser und realistischer urteilte und nicht zuletzt deshalb ein Gegner Rohrbachs war. 9 ) Zum Standort der Weimarer Provinzpresse 10 ), die nur wenig erforscht ist 1 und gegenüber der Berliner Presse und den großen Blättern in Köln und Frankfurt, ge-

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Erheiternd wirkt allerdings, wenn v. Rheinbaben in seinen Memoiren (Viermal Deutschland. Berlin 1954, S. 198 f.) von dem Wahn der Deutschen spricht, über Außenpolitik reden zu können. Seine „Erinnerungen" (Kaiser, Kanzler, Präsidenten. Mainz 1968) unterwerfen ihn demselben Urteil. Rechberg teilt mit Rohrbach die Unmenge der Veröffentlichungen - was nicht unbedingt zum Ertrag einer Arbeit beitragen muß: E. V. Vietsch, Arnold Rechberg und das Problem der politischen Ost-West-Orientierung Deutschlands nach dem 1. Weltkrieg. Als Manuskript gedruckt. Koblenz 1958, Vorwort. Lensch und Rohrbach berühren sich streckenweise in ihrer sozialpolitischen Argumentation, obwohl ihr Werdegang grundverschieden war. Lensch wurde 1908 als radikaler Sozialdemokrat Chefredakteur der Leipziger Volkszeitung, bekam durch den Kultusminister Haenisch eine Honorarprofessur in Berlin, geriet auf die „Abwege des Neumarxismus" (A. Gleichen in „Deutsche Politik", H. 35 vom 27.8.1921, S. 825) und übernahm 1922 die Chefredaktion der Deutschen Allgemeinen Zeitung. Nach Ausschluß aus der Sozialdemokratie bekämpfte er seine alte fortei, schied aber nach Stinnes Tod aus der Deutschen Allgemeinen Zeitung aus. - Zeitungswissenschaft. Monatsschrift für internat. Zeitungsforschung. 1. Jg. 1926, Nr. 12, S. 192-93. Hoetzsch verließ die „Kreuzzeitung" im Oktober 1924, weil er für die Annahme des Dawes-Plans plädiert hatte (U. Döser, Das bolschewistische Rußland in der deutschen Rechtspresse 1918-1925. Berlin (FU), Phil. Diss. 1961, S. 100). Fr. T. Epstein, Otto Hoetzsch als außenpolitischer Kommentator während des Ersten Weltkriegs in: Rußland-Studien. Gedenkschrift für Otto Hoetzsch. Stuttgart 1957, S. 9 ff, besonders S. 16 und 18. Zur Weimarer Presse allgemein vgl. G. Schwarz, Theodor Wolff und das „Berliner Tageblatt", Tübingen 1968, S. 1 ff. Mit wenigen Ausnahmen wie etwa K. Koszyk, Zwischen Kaiserreich und Diktatur. Die sozialdemokratische Presse von 1914 bis 1933. Heidelberg 1958.

legentlich auch in München und Leipzig, zu sehr vernachlässigt w i r d 1 2 ) , müssen einige Vorbemerkungen gemacht werden. Einmal sollte ihr politischer Einfluß nicht unterschätzt werden. Selbst heute üben die Tageszeitungen immer noch die breiteste Wirkung aus, „und zwar nicht nur die großen überregionalen Zeitungen . . . , sondern gerade auch die kleineren Blätter". 1 3 ) Das galt in verstärktem Maße für die zwanziger Jahre; erst in der zweiten Hälfte der Republik kam im Rundfunk ein ernsthafter Konkurrent auf, dessen Möglichkeiten durchaus e r k a n n t 1 4 ) , aber erst von den Nationalsozialisten energisch ausgenutzt wurden. Zum anderen muß die weit verbreitete Auffassung korrigiert werden, daß die Provinzzeitungen „provinziell" waren, also der Reichspolitik nur wenig Aufmerksamkeit schenkten, sofern sie nicht ausgesprochene Parteiblätter waren. Das Gegenteil ist richtig. Die Reichspolitik nahm traditionell einen sehr großen R a u m ein; den Kriterien zu ihrer Beurteilung haftete allerdings ein „Kirchturms-Blickwinkel" an. Eine dritte Korrektur gilt ihrem Beitrag zum Untergang der Republik. Unmittelbar nach 1945 stand das Bild der Weimarer Presse unter dem Eindruck der Zerstörung durch die Nationalsozialisten. Gezielte Einzeluntersuchungen zeichneten aber bald andere Farbtöne, und heute ist die Behauptung von dem Versagen der liberal-demokratischen Presse, von ihrer verhängnisvollen politischen Indifferenz und ihrer an Ignoranz grenzenden Sorglosigkeit fast ein Topos geworden. Sicher hat sie dadurch erheblich zum Untergang der Republik beigetragen, wenn auch ihr Anteil differenzierter beurteilt werden m u ß : Als Ausdruck der öffentlichen Meinung und zugleich auf sie einwirkendes Medium kann die Presse weder mit der öffentlichen Meinung gleichgesetzt noch von ihr behauptet werden, daß sie unbegrenzt öffentliche Meinung machen kann. Schwarz urteilt sogar entschieden: „In

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Das gilt für fast alle Arbeiten zur Presse jener Jahre: Buchwald (a.a.O.), Döser (a.a.O.), S. Gnichwitz (Die Presse der bürgerlichen Rechten in der Aera Brüning. Münster, Phil. Diss. Masch. 1956), E. W. Lunke (Die deutsche Presse im eigenen Urteil 1918 bis 1933. München, Phil. Diss. Masch. 1952), E. Pfeifer (Das Hitlerbild im Spiegel einiger konservativer Zeitungen in den Jahren 1929-1933. Heidelberg, Phil. Diss. 1966), H. Pleyer (Politische Werbung in der Weimarer Republik. Münster, Phil. Diss. 1959), M. Zahn (Öffentliche Meinung und Presse während der Kanzlerschaft v. Papens. Münster, Phil. Diss.Masch. 1953), G. Zwoch (Die Erfüllungs- und Verständigungspolitik der Weimarer Republik und die deutsche öffentliche Meinung. Kiel, Phil. Diss. Masch. 1951). An regional und thematisch beschränkten Arbeiten sind noch zu nennen: P. Bauer (Die Organisation der amtlichen Pressepolitik in der Weimarer Zeit. Berlin, Phil. Diss. 1962), G. Kunstmann (Die Presse im eigenen Urteil (1919-1933). München, Phil. Diss. Masch. 1946), K. Piepenstock (Die Münchener Tagespresse 1918-1933. München, Phil. Diss. Masch. 1955), H. Starkulla (Organisation und Technik der Pressepolitik des Staatsmannes Gustav Stresemann (1923-1929). München, Phil. Diss. Masch. 1951) und H. Mudrich (Die Berliner Tagespresse der Weimarer Republik und das politische Zeitstück. Berlin (FU), Phil.Diss. Masch. 1955).

13) 14)

R. Kühnl, Das dritte Reich in der Presse der Bundesrepublik. Frankfurt/M 1966, S. 7. Vgl. dazu H. Bausch, Der Rundfunk im politischen Kräftespiel der Weimarer Republik 1923-1933. Tübingen 1956.

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dem Wirkungsdreieck Meinung - Staat - Presse ist trotz ihres gewaltigen Bedeutungsanstiegs in der modernen Massengesellschaft die Presse das schwächste Glied und in hohem Maße von den beiden anderen Faktoren abhängig." 1 5 ) Diese Aussage m u ß im Blick auf die Weimarer Provinzpresse modifiziert werden. Ihrer Aufgabe, zur Ausbildung eines besonnenen und jenseits aller Ressentiments r e a l i s t i s c h e n Urteils beizutragen, ist sie weniger aus Unfähigkeit oder Abhängigkeit als aus mangelnder Bereitschaft n i c h t nachgekommen. Ihre angebliche Neutralität 1 6 ) entpuppt sich beim näheren Hinsehen als kühle Distanz zur Republik, deren Schwächen sie mit bürgerlich-nationalen Vorurteilen hochmütig-reserviert belächelte, zum Teil karikierte und bestenfalls ohne Kommentar sorgfältig registrierte. Kaum ein Blatt der bürgerlichen Rechten war bedingungslos zur Verteidigung der bestehenden demokratischen Ordnung bereit 1 7 ); ihre weltanschaulichen Grundlagen enthielten kein Argument, das etwa einer formal korrekt erlangten Kanzlerschaft Hitlers widersprochen h ä t t e . 1 8 ) Auf der anderen Seite wäre es falsch, in dieser „Distanz" nur eine frei gefällte Entscheidung der Verleger und Redakteure zu sehen, obwohl die-meisten ihre wesentlichen Eindrücke im Kaiserreich gewonnen hatten und so rasch weder umlernen konnten noch wollten. Zu einem guten Teil war sie eine Folge der stürmischen Kriegs- und Nachkriegsjahre. 19 ) Gegenüber der Vorkriegszeit hatte sich die Tageszeitung stark verändert. Sie war aktueller und kürzer geworden; der Trend zur reinen Nachricht war lange vorherrschend. Der langatmige Leitartikel alten Stils verschwand; an seine Stelle trat die politisch scharf akzentuierte Glosse. Kriegsjahre und Inflation hatten den meisten Blättern schwere finanzielle Schläge versetzt. 2 0 ) Wenn die deutsche Presse wieder aufblühte 2 1 ), so waien doch die meisten Blätter weder wirtschaftlich noch geistig 'lebensfähig': 2 2 ) Von den 1933 noch mehr als 3.000 Zeitungen waren über 80% in Privatbesitz;") 1928 erschienen die meisten in Städten von 4.000 bis 28.000 Einwohnern. 2 4 )

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Schwarz, a.a.O., S. 5. Ca. die Hälfte der deutschen Presse bezeichnete sich als „parteilos" - Zahn, a.a.O.,S.18. Gnichwitz, a.a.O., S. 165. ebda, S. 213 Vgl. dazu den Beitrag von E. Dovifat in: Zehn Jahre Deutsche Geschichte 1918-1928. Berlin 1928, S. 501 ff. 20) Dovifat, a.a.O. Zum komplizierten Zusammenhang von Aufwand und Gewinn vgl. H. Merkens, Das Rentabilitätsgesetz der Zeitung und seine Bedeutung für den publizistischen Kampf. Dresden 1940. 21) Genaue Zahlen sind nicht greifbar. P. de Mendelssohn (Zeitungsstadt Berlin. Berlin 1959, S. 305) gibt für 1928 die Zahl von 3356 bzw. 3241 Blättern. Für 1932 bringt Zahn (a. a.O., S. 17, Anm. 2) unterschiedliche Ergebnisse, nach denen es 4703 bzw. 4647 bzw. 3483 bzw. 3227 Zeitungen gab. Die beste Angabe dürfte 4315 Zeitungen einschließlich der Nebenausgaben sein. 22) W. Hagemann, Grundzüge der Publizistik. Münster 1947, S. 184. 23) Ders., Publizistik im Dritten Reich. Hamburg 1948, & 34-40. 24) Dovifat, a.a.O., S. 504.

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Angesichts ihrer prekären Situation war es - mit Blick auf die lebenswichtigen und meist bürgerlichen Anzeigenkunden sowie auf die politisch viel stärker als früher differenzierte Leserschaft - ein Gebot des Uberlebens, e i n d e u t i g e Stellungnahmen zu umgehen, die Anzeigenkunden oder Leser verprellen konnten. Dennoch bleiben diese Zeitungen finanziell kurzatmig; ihre Schwäche machte sie anfällig für die Praktiken Hugenbergs zur Meinungs-Beeinflussung durch Materndienste, Korrespondenzen, Übernahme wichtiger Nachrichtenbüros und -dienste sowie direkte finanzielle Einflußnahme mit Hilfe seiner verschiedenen Banken und Gesellschaften 2 5 ) sowie andere Konzentrationsbewegungen. 2 6 ) Ein weiteres trat hinzu. Trotz der überragenden Bedeutung Berlins als Pressezent r u m 2 7 ) war Berlin nicht Deutschland. Die Provinzpresse bemühte sich, soweit ihr das finanziell möglich war, um Selbständigkeit und Originalität. Die Berliner Zeitungen waren entweder ausgesprochene Parteiorgane oder standen - aufgrund persönlicher wie finanzieller Bindungen - doch unverkennbar einer Partei nahe, so daß sie stets in die Parteidifferenzen verwickelt waren. Genau die gegenteilige Haltung nahm die neutrale Provinzpresse ein, die dem „Parteigezänk" ein „wahrhaftes Staatsbewußtsein" entgegensetzte. Diese Attitüde - es gehört zu den erheiternden Momenten beim Studium der sonst wenig unterhaltsamen Provinzpresse festzustellen, in welcher Weise den Berliner Blättern und damit auch Berlin Zensuren in politischem Anstand und Betragen erteilt wurden - förderte jene Distanz zur Republik und erlaubte gleichzeitig, konservative, ja reaktionäre Vorstellungen unter dem Deckmantel der „Sorge um den Staat" vorzutragen. War auf diesem Wege „Selbständigkeit" zu verwirklichen, so war das Bedürfnis nach Originalität schwerer zu erfüllen. Ihm kam eine „erschreckend ansteigende Zahl" verschiedenartigster Korrespondenzen entgegen. 28 )Gleichzeitig wuchs die Einsicht, „daß die Vorherrschaft der Fixigkeit mit den Aufgaben einer wirklichen Publizistik unvereinbar i s t ; . . . sie (die Presse) wird sich wieder stärker bewußt, daß sie dem Publikum nicht bloß dienen, sondern es auch fuhren und belehren soll." 2 9 ) Zusammengefaßt suchten Provinzblätter nach erschwinglichen, allgemein national eingestellten, aber partei-politisch neutralen, originellen und 'pädagogischen' Artikeln. In diese „Marktlücke" stieß Rohrbach mit seiner Leitartikel-Korrespondenz" vor 3 0 ) - und zwar mit so beachtlichem Erfolg, daß er für diese Sparte als repräsentativ gelten darf. 25) 26)

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Dazu de Mendelssohn, a.a.O., S. 275 ff; Dösei, a.a.O., S. 18; Gnichwitz, a.a.O., S. 24/ 25. Den größten Konzern brachte August Huck, der „General-Anzeiger-König" zusammen (de Mendelssohn, a.a.O., S. 169 f.) Alle Huck-Blätter haben einmal Rohrbachs Leitartikel-Korrespondenz bezogen. In Berlin erschienen zur Blütezeit 147 (oder nach einer anderen Zählung 114) Tageszeitungen - de Mendelssohn, a.a.O., S. 305. O. Groth, Die Zeitung. Ein System der Zeitungskunde (Journalistik). Bd. 1-4. Mannheim u.a. 1928-30; I, 448/49. ebda, I. 433. Diese ins Positive gewendete Formulierung beschrieb die Abkehr von der tendenzfreien Nachricht zur kommentierenden Berichterstattung. s.u.S.

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Seine angebliche Neutralität hat Rohrbach immer wieder unterstrichen. In einer der ersten Nummern seiner Zeitschrift „Der Deutsche G e d a n k e " hat er sie programmatisch zusammengefaßt: Da fast die ganze Welt Demokratie und Republik für die höchsten politischen Güter halte, könne Deutschland unmöglich eine Politik gegen den Strom der allgemeinen Uberzeugung treiben. „Nichts ist zur Zeit praktisch gleichgültiger für uns, als die Frage, ob dies Urteil richtig ist. Unter dem Gesichtspunkt des Ewigen betrachtet, wird zuletzt die Idee des an sich Wahren siegen. Für die Politik der gegebenen Ziele und der gegebenen Epoche ist aber die Meinung der Menschen von den Dingen fast so wichtig wie die Dinge selbst." 3 1 ) Ebenso stark betonte er das zweite Element der „Führung und Belehrung". In seinem Nachruf auf den Anglisten Wilhelm Dibelius zitierte er aus dessen EnglandBuch den Satz, der preußische Schulmeister habe den Krieg von 1866 gewonnen, den Weltkrieg aber verloren; „denn die politischen Eigenschaften, die zu einem Weltvolk nötig sind, hat er dem Geschlecht nach 1870 nicht einpflanzen können." Dieses Wort sei ein Vermächtnis, über das es sich nachzudenken lohne. 3 2 ) Deutschland sei so eng mit den Zuständen aller Völker verbunden, daß jedes Ereignis in der Welt auf Deutschland zurückwirke. Kein verantwortungsbewußter Deutscher könne mehr die abwehrend-geringschätzige Frage stellen: „Was geht das Deutschland an? " 3 3 ) Rohrbach sah in der Verstrickung in weltpolitische Bezüge geradezu das Signum seiner Zeit; 3 4 ) wer Politik machen wolle, müsse den „rechten P u n k t " erkennen können, an dem es anzusetzen gelte. 3 5 ) Mit seinen eigenen Worten: „Das Höchste, worum ein Mensch bitten kann, in dem der Wille lebt, der Zukunft seines Volkes zu dienen, ist, daß er fähig werde, in der Politik zukünftige Dinge so zu sehen, als ob sie schon Gegenwart w ä r e n . " 3 6 ) Immer wieder beklagte er, daß dem sonst so hochbegabten deutschen V o l k e 3 7 ) gerade die Eigenschaft „politischen Verstandes" 3 8 ) und der „vision", jener in Kür-

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Der Deutsche Gedanke Nr. 4 vom 17.12.1924, S. 5/6. Wiesbadener Zeitung Nr. 46 vom 15.2.1931. Münchener Zeitung Nr. 212 vom 3.8.1931. Siegener Zeitung Nr. 31 vom 6.2.1931. Nürnberger Zeitung Nr. 32 vom 7./8.2.1931. Wiesbadener Zeitung Nr. 116 vom 27.4.1932. „Fünfzig Jahre Weltreisender": Chemnitzer Tageblatt Nr. 176 vom 28.6.1944 Schlesische Zeitung Nr. 176 vom 28.6.1944 Westdeutscher Beobachter Nr. 177 vom 29.6.1944 Deutsche Zeitung in den Niederlanden Nr. 25 vom 29.6.1944. Münchener Zeitung Nr. 177 vom 27.4.1934. Berliner Börsen-Zeitung Nr. 461 vom 2.10.1935. „Politischer Verstand heißt soviel wie politischer Wirklichkeitssinn. Das ist etwas anderes als sogenannter Realismus, zumal wenn Realismus soviel heißen soll wie Nichtachtung der Ideen als bewegender Kräfte." Der deutsche Gedanke, Neubearb. 1920.S.125.

ze nicht zu übersetzenden Eigenart englischer Politiker 3 9 ), m a n g e l e : 4 0 ) aus der Luft gegriffene Behauptungen zur Untermauerung des eigenen politischen Führungsanspruches. Nicht minder deutlich ist ein dritter Zug. Er weigerte sich zwar strikt, andere als moralische Mittel - was immer darunter zu verstehen war - für die deutsche Nachkriegspolitik in Betracht zu ziehen, plädierte aber nachdrücklich für eine Weltmachtrolle Deutschlands, die mit solchen Mitteln durchaus zu erzielen s e i . 4 1 ) Seine Artikel appelliertenbei aller vernunftmäßigen Beweisführung letzten Endes an nationale Sehnsüchte und Hoffnungen und bewegten sich damit auf der Grenze zwischen politischer Träumerei und widerwillig anerkannter Realität. Auch der„Berlin-Feindseligkeit"zollte er seinen Tribut: Er gab dem immer, aber in der Weimarer Republik besonders stark vorhandenen Hang des politisch Unbedarften zu Kritik, Nörgelei und Besserwisserei Nahrung, wenn er behauptete, alles Große und Bedeutende sei einfach 4 2 ), nur der Politiker - gemeint war der verachtete Berufspolitiker des Parlaments - lasse sich von oberflächlichon Schwierigkeiten verwirren. 43 ) Historisch geschulte Betrachtungsweise gebe die Mittel an die Hand, die wichtigsten Veränderungen der Lage rechtzeitig zu erkennen 4 4 ) und einen festen sowie zugleich richtigen Standpunkt einzunehmen. 4 5 ) Zwar könne man Politik nicht ohne Detailkenntnisse betreiben 4 6 ) - aber die ließen sich bei gutem Willen erlernen. 4 7 ) Mit solchen Kenntnissen, Wissen um die Mentalität des politischen

39) „ . . . die Schau, in der sich Wissen um die Welt, um die politische Willensbildung der Nationen und die Möglichkeiten, sie in den Dienst des eignen nationalen Aufstiegs zu stellen, miteinander (zu) verbinden." Westermanns Monatshefte, 81. Jg. H. 966 (Februar 1937), S. 498. 40) Heuss hat ihm zum 70. Geburtstag bestätigt, sein Beruf liege auf dem Gebiet einer „Volkspädagogik großen Stils" (Die Hilfe. Nr. 14, 1939, S. 330), schränkte dies Urteil aber später ein. Th. Heuss, Erinnerungen 1905-1933. Tübingen 1963, S. 32. 41) Deutschlands Zukunft in: Deutschlands Zukunft im Urteil führender Männer. Hrsg. von Kl. Löffler. Halle 1921, S. 124. 42) Leitartikel-Korrespondenz Nr. 52, 1932. 43) Der Deutsche Gedanke Nr. 13 vom 2.4.1925, S. 393. 44) Revaler Bote Nr. 79 vom 7.4.1930 Saarbriicker Zeitung Nr. 130 vom 13.5.1930. 45) Dabei berief er sich betont auf seinen 'Lehrer' Ranke. Vgl. R. Vierhaus, Rankes Verständnis der 'neuesten Geschichte', untersucht auf Grund neuer Quellen in: Aich. f. Kulturgeschichte 39, 1957, bes. S. 89. 46) Leitartikel-Korrespondenz Nr. 14, 1925. 47) Damit näherte er sich jener von Oncken 1921 kritisierten Auffassung: „Mehr als andere Völker neigen die Deutschen dazu, die Politik, wenn sie über ihr Wesen und ihre Aufgaben nachdenken, als eine Wissenschaft zu bezeichnen. Indem die Politik manchmal mit dem Worte Staatslehre gleichgesetzt wird, soll angedeutet werden, daß es sich um einen Komplex von Dingen handle, die man als lehrbar und lernbar betrachtet." Politik als Kunst in: Nation und Geschichte. Reden und Aufsätze 1919-1935. Berlin 1935, S. 361. 15

Gegenüber und seiner nationalen I d e o l o g i e , 4 8 ) sei Politik eine relativ einfache Angelegenheit: „Wer lange genug die große Politik beobachtet hat, der ist geneigt, in der Regel die einfachsten Lösungen für die richtigsten zu halten, auch wenn sie das Gegenteil von geistreich s i n d " . 4 9 ) Bei aller K r i t i k 5 0 ) fühlte sich Rohrbach - und mit ihm die Mehrheit der selbständigen Publizisten - aber nicht als Fürsprecher breiter Schichten, die er im Gegenteil tief verachtete und aufgrund ihrer„politischen Charakterschwäche "als Gefahr für jede deutsche Weltmachtpolitik d i f f a m i e r t e . 5 1 ) Was er an den Regierungen mit aller Schärfe geißelte - das „vollkommen außenpolitische Unerzogensein" 5 2 ); die Unfähigkeit, eigenes Recht vor d e m des Gegners zu b e h a u p t e n ; 5 3 ) den Mangel eines nationalen Gefühls; 5 4 ) das Fehlen jeder politisch-psychologischen K e n n t n i s s e 5 5 ) -, das sah er auch in der breiten Masse und hier durch vier weitere Faktoren in seiner Schädlichkeit quasi potenziert: die geographische Mittellage in Europa, die religiöse Spaltung, die Schärfe der sozialen Gegensätze und die „Vorherrschaft des Materialismus". 5 6 ) Rohrbach ging so weit, dem Volk die Fähigkeit zu innen- und außenpolitischer Souveränität a b z u s p r e c h e n 5 7 ) , weil es zwar eine bodenlose Unwissenh e i t 5 8 ) , aber nicht genug Ethos besitze, um politisch erzogen z u werden: „Politische Erziehung ist Willensbildung." 5 9 ) Der Widerspruch zwischen der behaupteten 'nationalpädagogischen' Grundhaltung und der unverhohlenen Verachtung für die breite Masse zeigt am deutlichsten die 48) 49) 50) 51) 52) 53) 54)

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56) 57) 58) 59)

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Über nationale Ideologien hat sich Rohibach sehr oft geäußert. Die beste Zusammenfassung findet sich in: Zeitwende 10. Jg. 1934, T. 1, S. 193 ff. Vgl. auch: Der getreue Eckart. 10. Jg. 1933, H. 9, S. 665 ff. Karlsruher Tagblatt Nr. 133 vom 20.3.1925. Die er vehement als gerechtfertigt und notwendig verteidigte - Nürnberger Zeitung Nr. 291 vom 11.12.1929. Eine zusammenfassende Darstellung seiner Klagen gab er in „Die Auswärtige Lage" - Die Neue Zeit/The New Times, 8. Jg. 1927, Nr. 35, S. 3 ff. Heidelberger Tageblatt Nr. 1 vom 3.1.1927. Deutsche Politik H. 33 vom 13.8.1920, S. 198 Heidelberger Tageblatt Nr. 197 vom 24.8.1929 und Nr. 95 vom 23.4.1932. Nürnberger Zeitung Nr. 39 vom 15./16.2.1930. „Jammer und Zorn könnten einen vaterlandsliebenden Menschen im Affekt packen darüber, daß er in Deutschland leben muß." Der Deutsche Gedanke Nr. 21 vom 5.8.1925, S. 903. Anlaß zu diesem Ausbruch war der Fall Gumbel; vgl. dazu W. Hellpach, Wirken in Wirren. Lebenserinnerungen. Bd 1.2. Hamburg 1948/49, dort n, 171 ff. Deutsche Politik H. 12/13 vom 26.3.1920, S. 366 Kieler Zeitung Nr. 296 vom 29.6.1925 Westliche Post (St. Louis/USA) vom 12.8.1931. Rohrbach an Th. Heuss vom 11.3.1951 - Heuss-Archiv, Stuttgart. Deutsche Politik H. 17 vom 23.4.1920, S. 484. Leitartikel-Korrespondenz Nr. 9, 1926 - es fehle dem deutschen Untertan an „civil responsibility" - „Verantwortlichkeit des einzelnen in nationalpolitischen Dingen". Der Deutsche Gedanke Nr. 12 vom 25.3.1925, S. 374. Nürnberger Zeitung Nr. 272 vom 19.11.1927. Münstersche Anzeigen Nr. 259 vom 23.5.1919.

politische Zielsetzung jener Gruppe unabhängiger Journalisten auf, deren Absichten an Rohrbach demonstriert werden. Sie schrieben zwar für eine breite, von ihnen verachtete Masse, aber nicht, um sie zu belehren, sondern um ihr gegenüber, die in der Demokratie die (Mehrheits-) Entscheidung fällte, den eigenen Führungsanspruch zu dokumentieren. Als ihr wirkliches Publikum empfanden sie jene schmale Schicht, der sie selbst angehörten (oder zumindest anzugehören glaubten) und deren Bedeutung für das Nationalleben vor dem Weltkrieg Friedrich Meinecke herausgestellt hatte: das national denkende Bildungsbürgertum, das unverhältnismäßig tiefe Einflüsse auf die öffentliche Meinung ausübte 6 0 ), jene geistig und politisch rege Schicht, die sich „unbefangen und gutgläubig als den Kern und die Essenz der gesamten Nation ansieht" 6 1 ), weil die von ihr ausgehenden Impulse das Nationalleben stärker bewegen als die im ganzen träge Masse, so daß sie stets versucht ist, sich mit der Nation selbst zu identifizieren. 6 2 ) Die Republik hat das demokratische Grundrecht der freien Meinungsäußerung geradezu ängstlich gewahrt und ihren publizistischen Feinden größte Bewegungsfreiheit gelassen. 6 3 ) Aber neben den aggressiven Blättern der Rechten und Linken darf die Bedeutung jener vorgeblich neutralen Provinzpresse nicht übersehen werden, die unmerklich den Boden der Republik unterminiert hat. Stellvertretend für sie soll die politische Publizistik Rohrbachs dargestellt werden.

1. Biographie, Vorbemerkung Paul Rohrbach hat mit seinem Buch „Um des Teufels Handschrift. Zwei Menschenalter erlebter Weltgeschichte" 1 ) eine Autobiographie verfaßt, die an Detailreichtum kaum Wünsche offenläßt, aber weder den Ansprüchen einer Biographie noch seinen eigenen Intentionen genügt, nämlich ein Buch zu schreiben, „in dem ich auf Grund meiner eigenen Erlebnisse und Erfahrungen darlege, durch welche bei gutem Willen und hinreichender Einsicht vermeidbare Umstände die gegenwärtige Weltlage im allgemeinen und die Lage Deutschlands im besonderen entstanden ist."»)

60) 61) 62) 63) 1)

2)

Dazu Rohrbach in: Dresdner Anzeiger Nr. 156 vom 2.4.1925; Wiesbadener Zeitung Nr. 340 vom 12.12.1930. Fr. Meincke, Weltbürgertum und Nationalstaat. Hrsg. v. H. Herzfeld. München 1962 (Werke, Bd 5) S. 18. ebda, S. 28. P. J. Fliess, Substantive right and political stability: The freedom of the press in the Weimarer Republic, in: Zs. f. d. gesamt. Staatswiss. I l l (1955). S. 5 4 3 ff. Hamburg: H. Dulk-Verlag 1953. Im folgenden zitiert als: Handschrift. Der Titel bezieht sich auf ein Wort des amerikanischen Diplomaten George F. Kennan: „Truly, this was a peace which had the tragedies of the future written into it as by the devil's own hand." American Diplomacy 1900-1950. 4th impr. Chicago 1952, S. 69. Rohrbach an den H. Dulk-Verl. vom 6.4.1953 - PrivNachlRb.

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Diese programmatische Behauptung - „guter Wille" und „hinreichende Einsicht" kann er nicht belegen. Die Memoiren tragen weder zur Erhellung der politischen Geschichte noch zur Aufklärung seiner eigenen politischen und publizistischen Tätigkeit bei. Vergleicht man sie mit der nicht für die Veröffentlichung bestimmten, etwa fünf Jahre früher entstandenen Familiengeschichte 3 ), dann zeigt sich deutlich, daß bewußt alles Zeitkritische ausgelassen worden ist. Geblieben ist „viel belangloses Beiwerk" und eine Sammlung von Zitaten, „in denen Freunde des Verfassers diesem seine Vortrefflichkeit als Publizist und Pädagoge bestätigen." 4 ) Nach den Memoiren zu urteilen, haben Reisen zu den Auslandsdeutschen, in die Kolonien und politische „Bildungsreisen" sowie Kolonial- und Minderheitenfragen die größte Rolle in Rohrbachs Tätigkeit während der Weimarer Republik gespielt. Seine nicht minder bedeutende politisch-publizistische Arbeit hat er völlig ausgeklammert, selbst Anklänge daran vermieden. Es ist ein Rechtfertigungsbuch 5 ), das für Daten und Einzelheiten nützlich, zur Aufhellung seines Wirkens aber unbrauchbar ist.

1.1

Nachkriegsjahre ( 1 9 1 8 - 1 9 2 3 )

Paul Rohrbach wurde am 29. Juni 1869 in Irgen, einem kurländischen Domänengut, geboren. Nach dem Abitur 1886 am Gymnasium in Mitau begann er mit dem Geschichtsstudium in Dorpat, das er nach sechs Semestern beendete. Im Oktober 1890 kam er nach Berlin, um dort zu promovieren. Entscheidend für sein weiteres Leben wurden die Begegnungen mit dem Historiker Delbrück, dem Theologen von Harnack und dem Geographen von Richthofen. In der Berliner Zeit schloß er sich Friedrich Naumann an. Im Herbst 1891 wurde Rohrbach mit einer Arbeit über die alexandrinischen Patriarchen zum Dr. phil. promoviert. Seine Neigung zur Theologie wurde durch Harnack und Naumann verstärkt, so daß er ein Studium der Theologie anschloß, das er im Juli 1898 mit der Lizenziatenprüfung in Straßburg beendete. Da ihm die Habilitation in Geschichte und Theologie versagt blieb, wandte er sich der Publizistik zu. Durch ein „im Grunde Äußerliches", seine russischen Sprachkenntnisse, 1 ) wurde er auf Rußland verwiesen und erwarb sich schnell den Ruf eines Osteuropa-Sachverständigen. Die Beschäftigung mit der russischen

3) 4) 5)

1)

18

855 Seiten, maschinenschriftlich. In 4 Exemplaren - eines für jedes Kind - vorhanden. Im folgenden zitiert als: Familiengeschichte. Helmut Lindemann in: Stuttgarter Zeitung vom 22.5.1954. Das hat wohl am deutlichsten Rohrbachs Duzfreund Ernst Jäckh in seiner fast beleidigend kurzen Besprechung durchblicken lassen - Staats-Herold (New York) vom 14.4. 1954. Familiengeschichte, S. 53.

Politik sowie einige noch im theologischen Interesse unternommene Fahrten in den Nahen Osten lenkten seinen Blick auf die Türkei. Das dort herrschende Kräftespiel Englands und Rußlands führte ihn folgerichtig auf die „Weltpolitik". Arbeiten über die Siedlungsmöglichkeiten im Zweistromland brachten ihm den Namen eines Siedlungs-Fachmannes ein. Im Jahre 1903 ging er als kaiserlicher AnsiedlungsKommissar nach Deutsch-Südwestafrika. Auseinandersetzungen mit der Kolonialverwaltung - die Wahl zwischen „Amt und Meinung" 2 ) - bewogen ihn, den Staatsdienst zu verlassen. Zu den publizistischen Arbeitsgebieten Rußland, Naher Osten (Bagdad-Bahn) traten nun auch verstärkt Kolonialfragen. Große Weltreisen in den Jahren 1907 bis 1913 schlössen sich an. Vor Kriegsausbruch 1914 zählte Rohrbach zu den kenntnisreichsten und bekanntesten deutschen Publizisten. Mit Recht konnte er schreiben, daß die Monate vor d e m August-1914 den H ö h e p u n k t seines Lebens darstellten. 3 ) Getragen von dem „mächtige(n) Pulsschlag des deutschen L e b e n s " 4 ) h o f f t e er, obwohl er die Schatten am politischen Horizont sah, auf einen friedlichen Aufstieg Deutschlands zur „Weltmacht". Die Revolutionsmonate erlebte Rohrbach in Berlin. Zusammen mit Ernst Jäckh und Philipp Stein gab er die Wochenschrift „Deutsche P o l i t i k " 5 ) heraus, die bei Kriegsende zu den bekanntesten deutschen Periodika zählte. Ursprünglich vertrat sie, ohne einer Partei nahezustehen, einen gemäßigt liberalen und betont nationalen Standpunkt; ihr Programmziel hieß „Weltmacht Deutschland". Während des Krieges verschärfte sie ihre Kritik, die sich hauptsächlich gegen folgende Fehler der Reichsleitung bzw. der ihr nahestehenden Kreise richtete: fehlende innere Reformen - z.B. beim preußischen Wahlrecht -, so daß nicht alle Volksschichten für die nationale Idee gewonnen wurden; Obrigkeitsdenken, das wertvolle Privatinitiativen erstickte; verhängnisvolles Säbelrasseln, das Deutschlands Nachbarn zu Gegnern werden ließ und schließlich zum „Überfall" vom August 1914 führte; fehlendes außenpolitisches Augenmaß, das sich in wilden Annektionsplänen äußerte; und endlich das „militaristische Denken", das nicht habe einsehen wollen, daß „Weltmacht" nicht nur durch Kriegsschiffe und Divisionen zu erreichen sei, sondern auch einen „ideenpolitischen" Hintergrund haben müsse, einen „Deutschen Gedanken" 6 ), der Deutschlands Weltmachtanspruch im Wettbewerb mit den nationalen Ideologien der anderen Weltmächte hätte legitimieren müssen.

2) 3) 4)

5) 6)

Weltpolitisches Wanderbuch. 1897-1915. Königstein/Taunus 1916, S. 75. Handschrift, S. 175. ebda, S. 176. Zu seinen außenpolitischen Vorstellungen vgl. W. Maibaum, Das publizistische Schaffen Paul R o h r b a c h s vor Ausbruch des Ersten Weltkriegs. Marburg, Phil. Diss. Masch. 1955. Im folgenden zitiert als: DP. R e d a k t e u r war Th. Heuss. Eine, freilich mißglückte, Darstellung jenes ideenpolitischen Hintergrunds bot Rohrbach mit seinem „Bestseller" „Der Deutsche Gedanke in der Welt." Leipzig/Düsseldorf 1912. Der Verf. h o f f t , bald eine Interpretation des Buches vorzulegen.

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R o h r b a c h war nicht bereit, nach der Niederlage seine W e l t m a c h t - T r ä u m e aufzugeben. Da das Kaiserreich sie nicht verwirklichen k o n n t e , setzte er seine Hoffnungen a u f die R e p u b l i k . Gelinge es ihr - so seine A r g u m e n t a t i o n , die später im einzelnen dargelegt wird - ein w a h r h a f t nationales und zugleich soziales P r o g r a m m beispielhaft zu verwirklichen, werde Deutschland rasch seine innere Stärke wiedergewinnen und im Kreise der rivalisierenden nationalen Ideologien die Führungsposition übern e h m e n . Er h o f f t e , d a ß die ö f f e n t l i c h e Meinung der Welt die S i e g e r m ä c h t e dann zwingen werde, die Souveränitätsbeschränkungen aus dem Versailler Vertrag abzubauen. T r o t z der E l o q u e n z , m i t der es vorgetragen wurde, war dieses außenpolitis c h e K o n z e p t w e n i g ü b e r z e u g e n d . D a g e r a d e die A u ß e n p o l i t i k z u m E r f o l g der „Deutschen P o l i t i k " entscheidend beigetragen h a t t e , 7 ) verlor das B l a t t nach 1 9 1 8 rasch an B e d e u t u n g . 8 ) Die J a h r e 1 9 1 9 und 1 9 2 0 waren dem V e r s u c h gewidmet, sein politisches K o n z e p t publizistisch und praktisch durchzusetzen. E r trat, nach langem Z ö g e r n 9 ) , auf Anraten seines F r e u n d e s und M e n t o r s F r i e d r i c h N a u m a n n der D D P b e i 1 0 ) , weil er h o f f t e , sie könne sich zu der großen nationalen und sozialen Partei in seinem Sinne e n t w i c k e l n . 1 1 ) O b w o h l die D D P g e l e g e n t l i c h , zu Z e i t e n a l l g e m e i n e r n a t i o n a l e r E m p ö r u n g 1 2 ) , bereit schien, auf ihn zu hören, blieb er doch isoliert. Seine Vorstellungen waren zu naiv, j a politikfremd, als daß eine Partei sie ernsthaft hätte akzeptieren können. Auch publizistisch m u ß t e er eine Niederlage nach der anderen hinnehmen. Sein inn e n p o l i t i s c h e s P r o g r a m m wurde v e r l a c h t ; seine a u ß e n p o l i t i s c h e n B e h a u p t u n g e n erwiesen sich als Aufforderung zum nationalen S e l b s t m o r d . In seinem Haß auf den Versailler V e r t r a g und dessen F o l g e n h a t t e er sich M i t t e 1 9 2 1 so in eine Gegnerschaft zur Außenpolitik der R e p u b l i k hineingeschrieben, daß sein anfängliches Bekenntnis zur Republik unglaubwürdig geworden war. Es war zuletzt in der Tat weniger ein u n b e d i n g t e s J a zur R e p u b l i k als ein i m m e r n o c h e i n d e u t i g e s Nein zur Restauration. Es lag nahe, sich ein neues publizistisches Arbeitsgebiet zu suchen, da für Deutschland eine selbständige, freie A u ß e n p o l i t i k a u f J a h r e hinaus nur ein Wunschtraum bleiben mußte. Zu dieser Entscheidung trugen persönliche Erfahrungen bei. R o h i b a c h h a t t e 1 9 2 0 z u m ersten Mal n a c h d e m K r i e g e w i e d e r Auslandsreisen untern e h m e n k ö n n e n ; im F r ü h j a h r f u h r er in privaten A n g e l e g e n h e i t e n n a c h S c h w e d e n 1 3 ) und im Herbst nach England, w o er mit dem Politiker und oppositionellen 7) 8) 9) 10) 11) 12) 13)

20

Heuss, Erinnerungen, S. 300. Vgl. dazu S. 50.140. Familiengeschichte, S. 256 Die Hilfe. Nr. 20/1920, S. 293. Bremer Nachrichten Nr. 173 vom 24.6.1926 Kieler Zeitung Nr. 289 vom 24.6.1926. DPH. 2 vom 10.1.1919, S. 41/42. Vgl. dazu S. 45 ff. Nya Sveridge (Stockholm), Augustheft 1920.

Publizisten Morel zusammentraf. 1 4 ) Dann schloß sich noch eine kurze Reise nach Finnland a n . 1 5 ) Auf allen drei Reisen wurde er von der antideutschen Stimmung tief beeindruckt, die in England verständlich sein mochte, ihn in Schweden aber erschrecken ließ. Selbst in Finnland wollte er deutschfeindliche Gefühle bemerkt h a b e n . 1 6 ) Diese Erfahrung beeinflußte seine Publizistik während der Weimarer Republik nachhaltig: es galt, mit allen Mitteln dieser Stimmung entgegenzuwirken. Rohrbach prägte dafür den Ausdruck „moralische Offensive": der Welt zu verdeutlichen, daß Deutschland weder die Schuld am Ausbruch des Krieges trage bis an sein Lebensende war er von der Alleinunschuld Deutschlands am Kriegsausbruch 1914 überzeugt -, noch die Grausamkeiten begangen habe, die man ihm vorwarf, noch von jenem preußisch-junkerhaften Ungeist regiert werde, der die Welt bisher glauben ließ, Deutschland sei undemokratisch, unsozial und militaristisch. Eine solche Aktion ließ sich gut mit seinem Wunsch verbinden, auf dem Gebiet des Auslanddeutschtums ein „neues Feld gedanklicher und praktischer Tätigk e i t " 1 7 ) zu finden. Die Wahl lag nahe; die ganze nationale Publizistik entdeckte nach der Niederlage wieder das „lebendige Gefühl der Zusammengehörigkeit" zwischen Heimat und Auslanddeutschen. 1 8 ) Dieses Zusammengehörigkeits-Gefühl müßte sich für eine „moralische Offensive" benutzen lassen, weil - wie Rohrbach folgerte - hier die Interessen des Reiches und der Auslanddeutschen zusammenfielen. Während des Jahres 1920 bereitete er die erste der großen Reisen vor, die ihn zwischen 1921 und 1924 dreimal nach Amerika führten. Die erste, im Juni 1921 angetretene, galt dem Deutschtum in Süd- und Nordamerika. Aber mit der Wahl Südamerika hatte er wenig Glück. Da dort . j e n e s Bindestrich-Amerikanertum", die starken und dauernden kulturellen Bindungen an Deutschland bei politisch loyaler Haltung gegenüber dem Gastland, im Gegensatz zu Nordamerika, voll ausgebildet war, stieß er zwar auf lebhaftes Interesse, aber auch auf genau dieselben innerpolitischen Auseinandersetzungen, um derentwillen er Deutschland verlassen

14)

1873-1924. Morel trug wesentlich zur Aufdeckung der Kongo-Greuel bei (1904), gab durch seine Bücher über englische Regierungspraktiken den Anstoß zur Gründung der „Union of Democratic Control". Vor 1914 Führer der englischen Pazifisten, nach 1918 Mitglied der Labour Party; trat für gerechte Behandlung Deutschlands ein und gegen die Behauptung von der Alleinschuld. Vgl. L. Brentano, Der Weltkrieg und E.D.Morel. Ein Beitr. z. engl. Vorgeschichte d. Krieges. München 1921. 15) D P H . 49 vom 3.12.1920, S. 643 ff. 16) Zu dieser Zeit eine erstaunliche Behauptung - vgl. D. Aspelmeier, Deutschland und Finnland während der beiden Weltkriege, Hamburg 1967. Rohrbach hatte in Anerkennung seiner publizistischen Tätigkeit für ein freies Finnland im Juni 1918 das Finnische Freiheitskreuz III. Klasse verliehen b e k o m m e n - nach einer frdl. Mitteilung der Suomen Valkoisen Ruusunja Suomen Leijonan Ritarikunnat Kanslia in Helsinki vom 18.12.1967. 17) Handschrift, S. 244. 18) Wilhelm Scheffen, Der Deutsche im Ausland, in: Zehn Jahre Deutsche Republik. Ein Handbuch für republik. Politik. Hrsg. von A. Erkelenz. Berlin 1928, S. 526.

21

h a t t e . 1 9 ) In S ü d a m e r i k a traf er z u d e m - b e s o n d e r s in B u e n o s A i r e s 2 0 ) - a u f s t a r k e l e b e n d i g e m o n a r c h i s c h e G e f ü h l e . D i e Frage „ M o n a r c h i e o d e r R e p u b l i k ? " s t a n d im V o r d e r g r u n d d e s I n t e r e s s e s . R o h r b a c h trat als „ V e r n u n f t - R e p u b l i k a n e r " a u f , der w e d e r die E x i s t e n z 2 1 ) n o c h d a s W a c h s e n m o n a r c h i s c h e r S t r ö m u n g e n l e u g n e t e 2 2 ) , ja sogar b e h a u p t e t e , g e f ü h l s m ä ß i g s c h e i n e i h m die M o n a r c h i e besser auf die d e u t s c h e A r t „ z u g e s c h n i t t e n " als d i e R e p u b l i k , d e r a b e r a u s i n n e n - w i e a u ß e n p o l i t i s c h e n Gründen schon den G e d a n k e n eines U m s t u r z e s scharf verurteilte.24) D i e s e H a l t u n g m i ß f i e l d e n m e i s t e n S ü d a m e r i k a - D e u t s c h e n , die ihn m e h r f a c h zu prov o z i e r e n s u c h t e n , 2 S ) w ä h r e n d d i e w e n i g e n r e p u b l i k t r e u e n B l ä t t e r s e i n e b e t o n t rat i o n a l e A r g u m e n t a t i o n k r i t i s c h k o m m e n t i e r t e n u n d ihn zu R e c h t als „ H e r z e n s m o n a r c h i s t e n " d i f f a m i e r t e n , sein „ V e r n u n f t - R e p u b l i k a n e r t u m " aber g e f l i s s e n t l i c h unterschlugen.26)

19)

20)

21) 22) 23) 24) 25)

26)

->•>

P. E. Schramm, Deutschland, Nord- und Südamerika im 19. Jahrhundert. Hansische Geschichtsblätter 81, 1 9 6 3 , S. 109 f f , Zitat S. 116. T r o t z einer zumeist u n f r e u n d l i c h e n Umgebung k o n n t e von einer gröberen inneren Geschlossenheit der Auslandsdeutschen keine Rede sein - vgl. Fritz Wertheimer, A u s l a n d s d e u t s c h t u m und Deutschtumspolitik. Volk u n d Reich der D e u t s c h e n . Vorlesungen, gehalten in der Deutschen Vereinigung für Staatswissenschaftliche Fortbildung. Hrsg. v o n B. Harms. Bd 3, Berlin 1 9 2 9 . S . 2 1 6 / 217. Dazu auch: F. Wertheimer, V o n deutschen Parteien und Parteiführern im Ausland. Berlin 1927. In Buenos Aires gab es ein demokratisch-republikanisches Schweizerdeutschtum (Handw ö r t e r b u c h des Grenz- u n d A u s l a n d d e u t s c h t u m s , Bd 1, Breslau 1933-35, S. 130), das aber in der Minderzahl war. Die Mehrheit der d e u t s c h e n Kolonie stand der Weimarer Republik „ablehnend u n d verständnislos gegenüber". - Fr. T. Epstein, Argentinien und das deutsche Heer,in: Geschichtliche Kräfte und Entscheidungen. Festschrift O. Becker, hrsg. von M. Göhring und A. Scharff. Wiesbaden 1954, S. 286 ff, Zitat S. 293. Deutsche Post (Sao Leopoldo/Brasilien) Nr. 5 5 4 3 vom 30.8.1921. Deutsche La Plata-Zeitung (Buenos Aires) Nr. 222 vom 22.9.1921. Argentinisches Tageblatt (Buenos Aires) vom 29.9.1921. Vgl. dazu S. 142 f. 231 f. Der Auslanddeutsche Nr. 22 (November 1921). Vgl. auch Handschrift, S. 248. Der spektakulärste Fall ereignete sich in B l u m e n a u (Santa C a t h a r i n a / B r a s i l i e n ) - B l u m e n a u e r Zeitung Nr. 61 vom 8 . 8 . 1 9 2 1 (auch im Nachl. R b , BA 3 5 3 , Bl. 104): Vor- u n d Nachgeschichtc in den N u m m e r n 6 0 ( 4 . 8 . 1 9 2 1 ) 6 2 ( 1 1 . 8 . 1 9 2 1 ) und 6 3 ( 1 5 . 8 . 1 9 2 1 ) desselben Blattes. Nicht zuletzt auf Betreiben des linksbürgerlichen „Argentinischen Tageblatts", das im Gegensatz zur streng konservativen La Plata-Zeitung Rohrbachs Reise kritisch verfolgte. Zur Auslandspresse: H a n d w ö r t e r b u c h d. Grenz- u. Auslanddeutschtums. Bd. 1, S. 140/ 141.

Besonders unglücklich verlief sein Besuch in Chile. Das dort lebende Deutschtum, selbstbewußt aufgrund seiner starken wirtschaftlichen Stellung, hatte tiefe monarchische Gefühle bewahrt, die ihren Ausdruck noch Mitte 1921 in Protesten über den Wechsel der Reichsfarben fanden. 2 7 ) Anders als in Brasilien 28 ) und Argentinien 2 9 ) vertrauten die Childedeutschen geschlossen „auf eine deutsche Wiedererhebung" und bekräftigen ihren „Wille(n) zur Mitarbeit an der Erneuerung." 3 0 ) Sie applaudierten Rohrbachs Bekenntnis zur nationalen Größe. 3 1 ) Der Streit entzündete sich an dem Flaggenwechsel, den Rohrbach zwar persönlich bedauerte, aber als unbedingt notwendige Konzession an die Sozialdemokratie verteidigte. 3 2 ) Die alldeutschen Kreise um die „Deutsche Zeitung für Chile" sahen darin einen unüberbrückbaren Widerspruch zu seinen nationalen Anschauungen. Wie könne man Monarchist sein - und das sei er doch nach eigenen Bekenntnis! - und gleichzeitig mit „kühler Vernünftelei" diese „Herzenssache" aller Auslanddeutschen abhandeln. So werde die „Einheitsfront" der Deutschen im Ausland „auf der Basis der Bekämpfung der Schuldlüge" nie Zustandekommen. 3 3 ) Andere empörte Zuhörer verwiesen darauf, daß dieser „Monarchist klarsten Wassers" 3 4 ) Mitglied der DDP sei, man folglich von ihm demokratische Bekenntnisse hätte erwarten dürfen, die er aber im Laufe seiner Südamerikareise wohl über Bord geworfen habe, um sein Reisegeld bei den monarchistischen Auslanddeutschen zu verdienen. „Ich lasse Leute, die von heute auf morgen ihre Farbe wechseln, nicht gelten; zum Farbewechseln braucht der anständige Politiker längere Zeit als zur Reise durch Südamerika." 3 5 ) Rohrbach war über diese Beschuldigungen, mit denen seine abweichende Auffassung beantwortet wurde, mehr erschrocken als empört. Es besteht kein Zweifel, daß er auf der ganzen Südamerikareise dieselben Ansichten vertreten hat, jede innenpolitische Stellungnahme vermied und sich nachdrücklich um eine außenpolitische Einheitsfront - unbeschadet monarchistischer oder republikanischer Überzeugungen - bemühte. 3 6 ) Zweifel an der Möglichkeit, sie zu realisieren, waren ihm schon in Brasilien gekommen. In Chile verdichteten sie sich zur Gewißheit, als er sah, wie die „Deutsche Zeitung für Chile" seine Person zum Vorwand nahm, mit dem gemäßigten „DeutschChilenischen Bund", der ein vernünftiges Programm der engeren Zusammenarbeit von Chiledeutschen und Chilenen vertrat und Rohrbachs Vortragsreise organisiert hatte, in Ton und Forderungen maßlos abzurechnen. 3 7 ) 27) 28) 29) 30) 31) 32) 33) 34) 35) 36) 37)

Lateinamerika Nr. 21 (A), September 1921, S. 6 3 1 . Handwörterbuch B d l . S . 522. ebda. Bd 1, S. 130. ebda, Bd 2, S. 27. Deutsche Zeitung Tür Chile Nr. 3 1 5 3 vom 9 . 1 1 . 1 9 2 1 u n d Nr. 3 1 5 4 vom 1 0 . 1 1 . 1 9 2 1 . Deutsche Zeitung für Chile Nr. 3 1 5 6 v o m 1 2 . 1 1 . 1 9 2 1 . ebda. Leserbrief ebda, S. 2. Diese Beleidigung muíste der Einsender dann zurücknehmen - Deutsche Zeitung tur Chile Nr. 3 1 5 7 vom 1 4 . 1 1 . 1 9 2 1 . Dazu R o h r b a c h in der l a m i l i e n g e s c h i c h t e , S. 294. Vgl. dazu S. 143. Der Auslanddeutsche Nr. 6 (März 1922). Deutsche Zeitung für Chile Nr. 3 1 5 8 vom 1 5 . 1 1 . 1 9 2 1 Kopien des Briefwechsels im PrivNachIRb.

23

Da seine Reise eine ungewöhnliche Publizität genoß, schlugen die Wellen der Auseinandersetzung bis in die deutsche Presse. Dort hatte man bereits registriert, daß er schon vor seiner A n k u n f t „Gegenstand von Zustimmungen und Ablehnungen" gewesen war. Gemäßigtere Blätter - wie das Organ des Deutschen Ausland-Instituts in Stuttgart - verwarfen die „alldeutsche Praxis, öffentliche, zum größten Teil von Nichtdeutschen besuchte Versammlungen zum Tummelplatz ihrer deutschnationalen-politischen Leidenschaften" zu m a c h e n . 3 8 ) Der rechte Flügel der Auslanddeutschen aber erwartete in dem Autor des „Deutschen Gedanken in der Welt" einen glühenden Nationalisten. Schon Rohrbachs Eintritt in die DDP schien diesen Konservativen verdächtig und seine Mäßigung Ausdruck einer „allgemeinen Entartung des deutschen politischen Lebens." 3 9 ) Ihr aggressiver Widerstand bewog Rohrbach zu vorsichtigeren Formulierungen, die an Glaubwürdigkeit verloren. So konnte das 1923 erscheinende „Politische Handwört e r b u c h " 4 0 ) ihn als Konservativen zeichnen, der nach der Revolution der Demokratie „nähertrat", aber durch die „energische Front monarchisch gesinnter deutscher Kreise Argentiniens und des übrigen Südamerikas gegen seine demokratischen Verkündigungen" zum früheren Standpunkt zurückkehrte. 4 1 ) Diese Bemerkung war falsch. Es ging Rohrbach primär um ein national starkes, in der Weltpolitik mitredendes Deutschland, dessen Staatsform eine untergeordnete Rolle spielte. 1921 erschien ihm aber eine Restauration weder möglich 4 2 ) noch, nach den Fehlern der Monarchie, wünschenswert. 43 ) Zweifellos war er von den starken monarchischen Gefühlen der Südamerika-Deutschen beeindruckt - aber negativ. Auf der Suche nach Möglichkeiten, seine „moralische Offensive" zu verwirklichen, wäre ihm ein gut informiertes, zur Mitarbeit bereites Auslanddeutschtum hoch willkommen gewesen. Die republikfeindlichen, alldeutschen Gefühle der lautstarken Mehrheit schieden diesen Weg aus. Daraus erwuchsen erste Zweif el, ob das Lippenbekenntnis zur „Zusammengehörigkeit" und die übliche Praxis der Deutschtumsarbeit - Unterstützung und finanzielle Zuwendungen - fiir das demokratische Deutschland nicht vielmehr schädlich seien. Außerdem läßt die Schilderung der Memoiren 4 4 ) erkennen, daß er vom geistigen

38) 39) 40) 41) 42) 43) 44)

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Lateinamerika Nr. 18 (A), Juni 1921, S. 536. Hamburger Nachrichten Nr. 127 vom 16.3.1922. Unter redaktioneller Mitwirkung von Kurt Jagow hrsg. von Paul Herre. Bd 1.2. Leipzig 1923 (betont überparteilich;konservativ) B d 2 , S. 493. Vgl. S. 232. Vgl. S. 233. Handschrift, S. 244-269; auch in: Weltwandern in der Weltenwende, München/Berlin 1934, S. 156-167.

Niveau der Auslanddeutschen wenig angetan war 4 S ) und die völlige Einschmelzung in die Gesellschaft der Gastländer vorhersah. Damit akzentuierte sich für ihn die „moralische Offensive" als eine von der Heimat aus zu betreibende Aktion. Daß sie möglich war, erschien ihm durch die Reaktion der südamerikanischen Presse bewiesen; 46 ) daß sie nötig war, bewies ihm die antideutsche Stimmung der USA, die er nach seiner Südamerika- und Mexikoreise besuchte. Den Nordamerikanern hatte er sich allerdings mehr als ungeschickt empfohlen: im Mai 1920 brachte die angesehene Bostoner Zeitschrift „The Atlantic Monthly" einen Artikel von ihm „German Reflections" 4 7 ), in dem Rohrbach Deutschland während und nach dem Kriege schilderte und die USA für viele Mißstände verantwortlich machte, da der „Wortbruch" des Präsidenten Wilson die eigentliche Ursache fiir die meisten inneren und äußeren Schwierigkeiten Deutschlands sei. Diese mehr naiven als boshaften Anklagen lösten eine Flut empörter Kommentare aus. 4 «) Als ein Komitee um die rechtsstehende deutsch-amerikanische Zeitschrift „Issues of To-Day" die New Yorker Town-Hall für einen Rohrbach-Vortrag zu mieten versuchte, erklärte die liberale „League of Political Education" nach vierzehntägigem Schweigen kurz, es sei „nicht ratsam", die Halle für diesen Zweck zur Verfügung zu stellen. 49 ) Rohrbach sprach dann in einer anderen Halle und sein - wenn man der Rezension trauen will - an sich harmloser und betont zurückhaltender Vortrag 5 0 ) wurde zu einer politischen Kundgebung der Amerika-Deutschen, die von den New Yorker Blättern mit unwilliger Schärfe vermerkt wurde. Während seines ersten Besuches in den USA war Rohrbach aufgefordert worden, für eine weitere Vortragsreise in die Staaten zu kommen. Im Dezember 1922 brach er auf, stellte sich aber in Abänderung seines Programmes in den Dienst des Central Relief Committees, einer deutsch-amerikanischen Hilfsorganisation, für die er bis zum Mai 1923 eine Vortragsreise quer durch die USA durchführte. 5 1 )

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46) 47) 48) 49) 50) 51)

Solche scharfen und sachlich nicht immer zutreffenden Urteile erklären sich aus Kohibachs baltischer Herkunft; das Baltentum war stolz auf seine kulturelle Höhe und Unabhängigkeit. Vgl. dazu auch die Autobiographie Reinhold Seebergs in: Deutscher Aufstieg. Bilder aus der Vergangenheit und Gegenwart der rechtsstehenden Parteien. Hrsg. v. H. v. Arnim u. G. v. Below. Berlin/Leipzig 1925, S. 415. Vgl. dazu D. Kelly, Die Herrschaft der Wenigen, Bremen 1963, S. 77/78. Vol. 125, p. 688-699. Juniheft 1920, p. 864. Issues of To-Day (New York), Nr. 23 vom 18.3.1922, p. 545. ebda Nr. 24 vom 25.3.1922, p. 561. Das Central Relief Committee sammelte für Lebensmittel und Kinderspeisung in Deutschland - vgl. die Zeitschrift der Organisation: Das Hilfswerk. Zur Förderung der Liebestätigkeit fiir hungernde und darbende Menschen in Deutschland und Deutsch-Österreich. (New York). Ursprünglich war Rohrbach auf Einladung der Steuben-Gesellschaft und der „Staatszeitung" nach Amerika gekommen - Deutsches Konsulat St. Louis an die Deutsche Botschaft Washington vom 2.1.1923 - PAdAA, Akten der Deutschen Botschaft Washington, Nr. 470/1.

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Auf dieser Reise kam er erstmals wieder in Berührung mit der „großen Politik", als er versuchte, seine Vorstellungen von moralischer Offensive in die Tat umzusetzen. Die USA schienen die besten Voraussetzungen zu bieten; die Distanzierung vom Versailler Vertrag und dem Völkerbund deuteten scheinbar auf eine wachsende Unzufriedenheit mit den europäischen Verhältnissen. 52 ) Dennoch war es ein Irrtum anzunehmen, Ende 1922 hätte sich bereits eine wenn auch nicht freundliche, so doch wohlwollend neutrale Stimmung gegenüber Deutschland ausgebildet. 53 ) Sie sollte erst 1923 in bescheidenem Umfange aufkommen. 5 4 ) Deutscher Botschafter in den Vereinigten Staaten war seit März 1922 Otto Wiedfeldt, ein ehemaliger Krupp-Direktor, den Rohrbach aus den letzten Kriegsjahren kannte, als sich beide Männer für das Schicksal der Ukraine interessierten. Wiedfeldt war angeblich ganz betont als „Mann der Wirtschaft" nach Washington geschickt worden, um neue wirtschaftliche Verbindungen anzuknüpfen. Obwohl „deutschnationaler Überzeugung" und mit der „Arroganz rheinischer Industrieller" 55 ) begabt, verbanden ihn erstaunlich gute Beziehungen mit Ebert, aber ebenso schlechte mit Stresemann. 1923 war dann sein Name im Gespräch bei den Plänen eines sogenannten Direktoriums Seeckt-Ebert-Wiedfeldt 56 ), das die Regierung Stresemann ablösen sollte. Auch im Zusammenhang mit einem neuen Reichskanzler wurde sein Name genannt. 5 7 ) Er verscherzte seine Aussichten auf eine politische Karriere durch sein schlechtes Verhältnis zu Stresemann und seine Eigenmächtigkeit bei Wilsons Tod.ss)

52)

Zum Amerikabild des Nachkriegsdeutschlands vgl. P. Berg, Deutschland und Amerika 1918-1929. Über das deutsche Amerikabild der zwanziger Jahre. Lübeck/Hamburg 1963 (Historische Studien H. 385). 53) Vgl. dazu auch D. Br. Gescher, Die Vereinigten Staaten von Nordamerika und die Reparationen 1920-1924. Bonn 1956 (Bonner Historische Forschungen. Bd. 7). 54) R. Cl. Lang, Die Meinung in den USA über Deutschland im Jahr des Ruhrkampfes und des Hitlerputsches, in: Saeculum 17, 1966, S. 402 ff. Lang konstatiert aufgrund seiner Untersuchung der amerikanischen Presse, daß im amerikanischen Deutschlandbild erst Ende 1923 ein deutlicher Stimmungswandel zugunsten Deutschlands spürbar wurde (S. 415). 55) So R. Gottwald, Die deutsch-amerikanischen Beziehungen in der Ära Stresemann. Berlin 1965 (Studien z. europ. Geschichte aus d. Fr. Meinecke-Institut der FU Berlin. Bd6), S. 13. Diese Charakterisierung hat Gottwald offensichtlich kritiklos von F. Hirsch übernommen - Stresemann, Ballin und die Vereinigten Staaten, in: VjhfZG 3, 1955, S.20ff. Gegen diese „schiefen und gehässigen" Urteile wendet sich E. Schröder, Über Otto Wiedfeldt, in: Das Münster am Hellweg (Mitteilungsblätter für die Erhaltung des Essener Münsters), Nr. 9/10, 1962, S. 137-156 und: Wiedfeldt und die Seeckt-Ebertschen Direktoriumspläne des Jh. 1923, in: ebda Nr. 11, 1966, S 129-141. 56) Hirsch, a.a.O., S. 29.33. Vgl. auch Stresemann, Vermächtnis. Bd 1, S. 195.197. Schröder dagegen - MaH Nr. 11, 1966 - verwehrt sich gegen solche Pläne von Wiedfeldts Seite aus. 57) Schröder, a.a.O., Nr. 11, S. 137. 58) Stresemann, Vermächtnis, Bd 1, S. 290-93.

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Für Rohrbach bedeutungsvoll wurde nun die Tatsache, daß auch Wiedfeldt schon 1923 Kritik am versagenden Parlamentarismus übte und zu einer vom Parlament losgelösten Führerdemokratie neigte. 5 9 ) Im Zusammenhang damit suchte er nach neuen politischen Wegen und schenkte der „Propaganda" in den USA große Aufmerksamkeit. Die Übereinstimmung in vielen Fragen der politischen Öffentlichkeitsarbeit und Wiedfeldts Verbindungen zu Seeckt und Ebert schienen für Rohrbach die Möglichkeit politischer Einflußnahme zu e r ö f f n e n . 6 0 ) Doch seine Hoffnungen trogen. Wie der weit skeptischere 6 1 ) und realistischere 6 2 ) Botschafter vorhergesagt hatte, scheiterte er mit seiner „moralischen Offensive" an der allgemeinen Propaganda-Müdigkeit der Nordamerikaner. 6 3 ) Die durch den Botschafter vermittelten Kontakte zu E b e r t 6 4 ) und dem Auswärtigen Amt blieben Episode. Für Rohrbachs weitere Tätigkeit erwies sich ein anderer Zwischenfall als folgenreicher: sein Zusammenstoß mit dem Leiter des Deutschen Ausland-Instituts, (DAI), Konsul Dr. Wanner. Im Oktober 1922 hatte Rohrbach bei einem Vortrag in Stuttgart mit dem DAI vereinbart, auf seiner nächsten - zweiten - Amerikareise für das Institut Material zu sammeln und zu werben. Wanner fuhr dann noch vor Rohrbach in die Staaten, um dort für sein Institut Geld zu sammeln. Die Wege beider Männer kreuzten sich häufig. Wanners arrogantes Auftreten - von den Deutschamerikanern, aber auch der amerikanischen Presse kritisiert 65 ) - schadete Rohrbachs eigener Sammeltätigkeit 66 ). Er hielt mit seiner Kritik nicht zurück. Der Leiter des DAI setzte sich mit zuerst hämischen, dann ehrenrührigen Behauptungen Uber Rohrbachs Ehrlichkeit zur Wehr. 6 7 ) Der Bruch war nicht zu verhindern; erst nach dem zweiten Weltkrieg söhnten sich beide Männer wieder aus. Unglücklich war, daß Rohrbach als Folge dieser Auseinandersetzung, die durch Ernst Jaeckh bis ins Auswärtige Amt getragen worden war, von der Mitarbeit an 59) 60)

61) 62) 63) 64) 65) 66) 67)

Stresemann, Reden und Schriften. Politik - Geschichte - Literatur 1897-1926. Bd 2, Dresden 1926, S. 58 f. Rohrbach hat nach 1924, wie gelegentliche Bemerkungen verraten, mit Secckt in Verbindunggestanden. Uber Art und Umfang dieser Kontakte konnte nichts eruiert werden; im Nachlaß Seeckt sind keine Briefe Rohrbachs mehr erhalten. Zu Seeckt vgl. E. Kessel, Seeckts politisches ftogramm vor 1923, in: Spiegel der Geschichte (BraubachFestschrift). Hrsg. v. K. Repgen und St. Skalweit. Münster 1964, S. 887 ff. Gottwald, a.a.O., S. 13.15. ebda, S. 19-21. ebda, S. 14. Vgl. dazu S. 145 ff. Handschrift, S. 271. Wiedfeldt an Rohrbach vom 24.1.1923, PAdAA, Akten d. Deutschen Botschaft Washington, Nr. 470/1. Rohrbach an Wiedfeldt vom 13.1.1923 - ebda.Rohrbach an das DAJ vom 11.3.1923BA Koblenz, R 57/126. Der Briefwechsel liegt im BA unter der Signatur R 57/126. Uber den Zank unter den Deutschamerikanern vgl. das Schreiben des deutschen Generalkonsulats Chicago an die Botschaft vom 2.1.1923 - PAdAA, a.a.O.

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der Organisation des Auslanddeutschtums ausgeschlossen blieb, die nach Zielsetzung und Arbeitsweise seinen Intentionen wohl am meisten entsprach. Ohne Rückhalt an einer Organisation aber mußte jede Deutschtumsarbeit Stückwerk bleiben - erst recht, wenn zugleich politische Absichten verfolgt wurden. Zusammengefaßt läßt sich sagen, daß auch die zweite Amerikareise mit einem Mißerfolg endete. Es gelang ihm nicht, seine „moralische Offensive" in die Tat umzusetzen, noch, deutsche Stellen nachhaltig dafür zu interessieren. Trotzdem entschloß er sich zu einer dritten Amerikareise, immer noch im Rahmen der Deutschlandhilfe, diesmal speziell für die „Wirtschaftshilfe der Deutschen Studentenschaft" in Dresden. Für deren Zwecke sammelte er auf einer Vortragsreise - sie dauerte von Anfang Februar bis Mitte Mai 1924 - insgesamt 65.000 Dollar. 68 ) Er gibt selbst zu, daß dieses Ergebnis durch die Stabilisierung der Mark, die dem Dollar die abnorme Kaufkraft nahm, gemindert wurde. 6 9 ) Da die Rentenmark schon im November 1923 eingeführt wurde, darf man wieder verschiedene Reisemotive annehmen: Reiselust, Geldnot - noch waren die Aussichten für einen freischaffenden Journalisten nicht günstig - und das Studium seiner Söhne, durch das er mit Fragen der akademischen Jugend näher in Berührung kam. In Rohrbachs Augen bot die Entwicklung der Studentenschaft ein unerfreuliches Bild. Unmittelbar nach Kriegsende schien das Gros der Studenten pazifistischen, revolutionären und idealistisch-bolschewistischen Zielen anzuhängen. Schon ein Jahr später kamen aus ihren Reihen „antisemitische, nationalistische, antirevolutionäre Einsprüche".™) Die Mehrheit der Studenten verharrte in „feindseliger Verachtung der Neuen Republik" und trauerte den verlorenen Privilegien nach. 7 1 ) Der Korpsstudent feierte seine Wiederkehr, 72 ) und selbst über die sich zur Republik bekennende demokratische Jugend wurde geklagt, daß sie „in politischen Fragen sehr weit links stehe, jedoch in nationalen Fragen auf dem rechten Flügel zu finden sei." 7 3 )

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Familiengeschichte, S 420. Eigens tür diese Reise verfaßte Rohrbach „The German Workstudent. In association with German workstudents and professors and with the 'Wirtschaftshilfe der deutschen Studentenschaft' at Dresden described by Paul Rohrbach'. Dresden 1924. Handschrift, S. 275. So E. Troeltsch schon am 19.12.1919 in „Die Welle von rechts" - Spektatorbriefe, Aufsätze über die deutsche Revolution und die Weltpolitik 1918/22. Hrsg. v. H. Baron. Unveränd. Nachdr. d. Ausg. Tübingen 1924, Aalen 1966, S. 90/91. So der damalige Student Carl Zuckmayer, Als wär's ein Stück von mir. Erinnerungen. Frankfurt/M. 1966, S. 274. 280/81. H. Pross, Vor und nach Hitler. Zur deutschen Sozialpathologie. Olten/Freiburg 1962, S. 66 ff. So Else Lüders auf dem demokratischen Frauentag, Juli 1919 in Berlin - nach: Hamburger Fremdenblatt Nr. 363 vom 19.7.1919.

Auch Meinecke bedauerte, daß die Mehrheit der Akademischen Jugend im Rechtslager stände - „sie gibt sich damit, wie ich glaube, schweren politischen Irrtümern hin."7«) Rohrbach hat die beiden extremen Positionen verworfen und versucht, die Studentenschaft in eine Mittelposition - so wie er sie verstand - zurückzuführen. 7 5 ) Er klagte über ihre Radikalität, ihren Mangel an politischer Flexibilität und Mäßigung, ihren Verlust an historischem B e w u ß t s e i n . 7 6 ) Dabei war er sich darüber klar, d a ß der Durchschnittsstudent als Angehöriger einer „sozial-sinkenden S c h i c h t " o h n e ein „starkes und bewußtes Stück materieller Selbstverleugnung" 7 7 ) sein Studium nicht zu Ende bringen konnte, so daß viele radikale Äußerungen einfach Ausdruck zunehmender Not waren. Aus für ihn sehr realen Beweggründen fühlte er sich veranlaßt, hier helfend einzugreifen - nicht aus innerer Anteilnahme an der Studentenschaft oder gar der Jugendbewegung, der er völlig ablehnend und verständnislos gegenüberstand. 7 8 ) „In jeder kultivierten modernen Volksgemeinschaft gibt es eine Schicht, auf deren innere und äußere Gesundheit besonders viel ankommt, wenn das Volk blühen soll. Diese Schicht ist der gebildete Mittelstand." Wenn überhaupt dem drohenden Kulturverfall gesteuert werden, wenn überhaupt Hoffnung auf Wiederaufrichtung möglich sein solle, dann nur durch Hilfe an der Stelle, „wo Deutschland heute am tiefsten verwundet erscheint", am gebildeten Mittelstand. 7 «) Mit der dritten Amerikareise ließ R o h r b a c h z u m ersten Mal sein politisches Interesse an jener sozialen Schicht erkennen, für die er sich in den nächsten Jahren immer stärker engagieren sollte, den „gebildeten Mittelstand". Seinem Bildungsbegriffso) n a c h war es logisch, Einfluß auf die akademisch gebildete Jugend zu nehmen, da für ihn eine derartige Ausbildung erst den Zutritt zu diesem „Stand" e r ö f f n e t e . Allerdings wurde er in seinen H o f f n u n g e n rasch e n t t ä u s c h t . Unmittelbar nach seiner Rückkehr aus den Staaten n a h m er an der 5. Tagung des Deutschen Schutzbundes in Graz teil u n d schrieb ärgerlich:

74) „Republik, Bürgertum und Jugend". Vortrag, gehalten im demokratischen Studentenbund zu Berlin am 16.1.1925, in: Der Deutsche Gedanke. 2. Jg. 192S, Nr. 5, S. 143. Vgl. auch Fr. Meinecke, Politische Schriften und Reden. Hrsg. v. G. Kotowski (Werke, Bd 2), Darmstadt 1958, S. 338 ff. 75) DP H 18 vom 30.4.1920, S. 515 ff. 76) DP H. 39 vom 24.9.1920, S. 387 ff. 77) DP H. 25 vom 18.6.1920, S. 766. 78) Deutschland - Tod oder Leben? München 1930, S. 151. 79) Der Deutsche Gedanke. 2. Jg. 1925, Nr. 22, S. 1013. 80) Vgl. dazu S. 244 ff.

„Nicht ganz befriedigend war nur das Betragen eines Teiles der deutschen Studenten . . . Es fehlte an T a k t gegenüber dem Geist und der Überlieferung des Ortes im S t i f t A d m o n t , es fehlte an der notwendigsten Rücksicht gegen die Frauen und das Alter u n d es fehlte dann in Graz auch leider an Interesse für die V e r h a n d l u n g e n . " 8 1 ) Dieser ersten, vereinzelten Ä u ß e r u n g seines U n m u t s folgte rasch eine generelle Ablehnung der S t u d e n t e n s c h a f t . Der Werkstudent erwies sich, wie R o h r b a c h m e i n t e , nicht als der e r h o f f t e neue T y p u s des „ S t u d e n t e n als Staatsbürger", genauso wenig wie der Kriegsstudent. D u r c h materielle N o t zur stärksten K o n z e n t r a t i o n auf ein Examen gezwungen, entstand der reine F a c h s t u d e n t , der sich zu R o h r b a c h s Ä rger und Besorgnis noch weiter vom „eigentlichen Bildungsideal der 'Universitas Litterarum'" entfernte.82) Der politischen Implikation dieser Entwicklung wurde er sich nicht b e w u ß t . Wenn die j u n g e n A k a d e m i k e r nach seinem Urteil nicht in den „gebildeten M i t t e l s t a n d " h i n e i n w u c h s e n , d a n n verurteilte er diese G r u p p e z u m Aussterben mangels Nachwuchses. Einer solchen schmalen Schicht zur politischen Vorherrschaft zu verhelfen, hieß genau das zu tun, was er entschieden leugnete: nicht das Wohl des ganzen Volkes, sondern die spezifischen Interessen einer sozialen G r u p p e im Auge zu h a b e n . Daß Rohrbach diesen Schluß nicht zog, erstaunt um so mehr, als er die S y m p t o m e der sich auseinander entwickelnden „Gebildeten" immer wieder beschrieb. Es bildeten sich, in seinen Worten, „zwei V ö l k e r " : 8 3 ) Während die alte Generation in allen nationalen Fragen den Vergleichsmaßstab der Vorkriegszeit besaß, fehlte der nachrückenden Generation die Anschauung mit ihrem nachhaltigen, durch keine Erziehung oder Lehre zu ersetzenden Einfluß. Die Terminologie beider „Völker" entfernte sich immer weiter voneinander. Dem politischen Publizisten Rohrbach schien die E n t f r e m d u n g eine unheilvolle Entwicklung, m a c h t e sie d o c h die j e d e n Maßstabes b e r a u b t e J u g e n d z u m O p f e r der unsinnigsten nationalistischen P r o p a g a n d a ! 8 4 )

1.2

Die Blütezeit der Weimarer Republik (1924-1927)

Die dritte Amerikareise beendete eine Periode des Suchens nach neuen Wirkungsmöglichkeiten. O b w o h l er auch weiterhin Minderheiten- und AuslanddeutschtumFragen viel Zeit und Aufmerksamkeit schenkte - anteilmäßig ist fast die Hälfte aller Publikationen der Jahre 1924 bis 1933 diesen Themen gewidmet -, waren die Erfahrungen der drei Reisen nicht dazu angetan, ihn auf dieses Arbeitsgebiet festzulegen. Genau genommen hatte es sich ja nicht um 'Bildungsreisen' gehandelt; es waren Ansätze, „Politik auf eigene F a u s t " zu betreiben: Uber die Einwirkungsmöglichkeiten

81) 82) 83) 84)

30

Heidelberger Tageblatt Nr. 141 vom 18.6.1924. Deutsche Einheit. Nr. 7 vom 14.2.1925, S. 145/46. Pfälzische Rundschau Nr. 3 1 9 vom 21.11.1929. Neue Wiesbadener Zeitung Nr. 318 vom 21.1 1.1929.

normaler Journalistik hinaus versuchte er, außenpolitischen E i n f l u ß zu n e h m e n . Die a b l e h n e n d e Haltung offizieller deutscher Stellen u n d a u c h seine eigenen Mißerfolge k o n n t e n ihn davon n i c h t abbringen, s o n d e r n f ü h r t e n vielmehr zu einer V e r h ä r t u n g seiner A u f f a s s u n g e n : D e u t s c h l a n d m u ß t e eine „ m o r a l i s c h e O f f e n s i v e " f ü h r e n ; die amtliche A u ß e n p o l i t i k h a t t e sich unfähig erwiesen, diese Notwendigkeit einzusehen u n d . sofern dies vereinzelt geschehen war, sie d u r c h z u f ü h r e n . Z u m anderen erwuchs aus d e n E r f a h r u n g e n der drei Reisen die sich bald z u r G e w i ß h e i t verfestigende Ann a h m e , daß auf d e m Wege der Öffentlichkeitsarbeit oder - wie er es nannte - „Propag a n d a " Deutschland außenpolitische Bewegungsfreiheit wiedergewinnen könne. R o h r b a c h w a n d t e sich nach 1 9 2 3 w i e d e r stärker seinem alten H a u p t a r b e i t s g e b i e t , der A u ß e n p o l i t i k , zu. Die wirtschaftlich wie politisch beruhigte Lage erlaubte es ihm, größere publizistische Arbeiten z u beginnen, z u m a l a u c h das dreijährige Schweigen zur deutschen Politik, das ihm die Amerikareisen auferlegt h a t t e n , die Öffentlichkeit seine f r ü h e r e O p p o s i t i o n vergessen ließ. So k o n n t e er j e t z t relativ u n b e s c h w e r t publizieren. Anstelle der mittlerweile erloschenen Z e i t s c h r i f t „ D e u t s c h e P o l i t i k " gelang es i h m , die F i n a n z i e r u n g einer n e u e n , ursprünglich für das A u s l a n d d e u t s c h t u m g e d a c h t e n Z e i t s c h r i f t s i c h e r z u s t e l l e n , 1 ) die er n a c h seinem g r o ß e n B u c h e r f o l g „ D e r D e u t s c h e G e d a n k e " n a n n t e 2 ) . T r o t z hoffnungsvoller A n l ä u f e geriet sie häufiger in finanzielle Schwierigkeiten, da sie kein innerdeutsches P u b l i k u m f a n d . Ihre gemäßigt konservativen R e s ü m e e s der Innen- u n d A u ß e n p o l i t i k , für A u s l a n d d e u t s c h e ausgewählt u n d geschrieben, k o n n t e n in Deutschland nicht überzeugen: Sie waren n o t g e d r u n g e n ina k t u e l l u n d von e i n e m S t a n d p u n k t b e t r a c h t e t , der im R e i c h e k a u m interessierte. 1 9 2 7 stellte R o h r b a c h n a c h einer f i n a n z i e l l e n Z w a n g s p a u s e , die Z e i t s c h r i f t a u f innerdeutsche Voraussetzungen u m ; aber neun M o n a t e später m u ß t e sie ihr Erscheinen einstellen. Ein J a h r später h ä t t e sie als neukonservatives Organ eine Z u k u n f t gehabt. A u f d e n R a t seines F r e u n d e s A x e l S c h m i d t 4 ) b e g a n n R o h r b a c h im S p ä t s o m m e r 1924 mit der Herausgabe einer „ L e i t a r t i k e l - K o r r e s p o n d e n z " , einein wöchentlich an

1) 2) 3) 4)

Rohrbach an K. Trostel aus New York vom 9.5.1924 - PAdAA, Akten der Deutschen Botschaft Washington, Nr. 470/1. Zeitschrift für auswärtige Politik, Wirtschaft und Auslanddeutschtum. Hrsg. von Paul Rohrbach.Berlin u.a. 1924 ff. Im folgenden zitiert als DDG. Ein zeitgenössisches Urteil: H. Hüttig, Die politischen Zeitschriften der Nachkriegszeit in Deutschland. Von der ersten Milderung der Pressezensur bis zum Locarnovertrag. Leipzig, Phil. Diss. 1928, S. 32.35. Zu Axel Schmidt, dem langjährigen Freund Rohrbachs, vgl. Handschrift, S. 196. Familiengeschichte, S. 448. Ukraine in Vergangenheit und Gegenwart. 1. Jg. 1952, Nr. 4, S. 37-40. A. Schmidt war Balte und hatte seine Heimat wegen seiner demokratischen Anschauungen verlassen; in Deutschland arbeitete er publizistisch etwa auf der Linie Rohrbachs; dank seiner Sprachkenntnisse als Fachmann für Osteuropa-Politik. Rohrbach hatte Schmidt in der „Zentralstelle für Auslandsdienst" während des Krieges kennengelernt. Schmidt kam 1940 bei einem Autounfall ums Leben. 31

Zeitungen im Abonnement verschickten Leitartikel zu meist außenpolitischen Fragen. 5 ) Diese Korrespondenz erlebte 22 Jahrgänge und endete erst im März/April 1945 in den Wirren des zusammenbrechenden Postverkehrs. 6 ) Zusammen mit der „Außenpolitischen Halbmonatsschau", die er speziell für das „Heidelberger Tageblatt" schrieb 7 ), und die von 1924 regelmäßig bis 1934, dann sporadisch unter wechselnden Titeln bis 1936 erschien, ist sie die wichtigste Quelle für seine Vorstellungen zur Außenpolitik. Durch Zufall ergänzen sich beide Serien; das „Heidelberger Tageblatt" blieb ein der DDP bzw. Staatspartei nahestehendes Organ, und sein Hauptschriftleiter Dr. Otto Pfeffer, der mit Rohrbach befreundet war, hielt ihn noch als Leitartikler, als er sich längst von der DDP weiter nach rechts orientiert hatte. 8 ) Da die Leitartikel-Korrespondenz an Blätter aller Schattierungen vom rechten Flügel der DDP bis zur Mitte der DNVP ging, unterließ Rohrbach darin jede innenpolitische Äußerung; der parteipolitisch bekannte Standpunkt des Tageblatts erlaubte es ihm dagegen, zu manchen Vorgängen auch einen innenpolitischen Kommentar zu geben. Zu diesen beiden Serien traten dann Zeitungs- und Zeitschriftenartikel in größerer Zahl. 9 ) Ein Versuch, selbst verlegerisch tätig zu werden, endete durch fremdes Verschulden 1928 mit einem Mißerfolg. 1 0 ) Zu der lebhaften schriftstellerischen Tätigkeit kam eine umfangreiche Vortragsarbeit sowie aktive Teilnahme an Organisationen des Auslanddeutschtums, politischer Fortbildung - auch republikanischer Einrichtungen 1 1 ) -, Minderheiten-, Auswanderungs- und Kolonialfragen. Neben dieser Arbeit fand er noch Zeit zu mehreren Reisen in das europäische Ausland: in die Balkanländer und in die Tschechoslowakei (1925), nach Spanien und Frankreich (1926/27) und in die baltischen Länder (1929 und wieder 1930). Rohrbach hatte sich erstaunlich schnell wieder in die G r u p p e der bekannteren Journalisten „hineingeschrieben". Von 1923 bis 1925 bestanden enge Kontakte zum Reichspräsidenten - er traf mehrfach mit Ebert zusammen -, zum Auswärtigen Amt und zur Presseabteilung der Reichsregierung. In der DDP und DVP wurde der konservative, „weltläufige" Publizist Rohrbach von vielen geschätzt. Enge Kontakte besaß er mit dem Reichswehrministerium; er kannte Seeckt und Gessler persönlich 5) 6) 7) 8)

9) 10) 11)

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Fast vollständig erhalten im PrivNachlRb. Im folgenden zitiert als LaK. Im „General-Anzeiger der Stadt Wuppertal" erschien die letzte LaK am Tage des Einmarsches der Amerikaner. Heidelberger Tageblatt Nr. 49 vom 27.2.1932. Handschrift, S. 294. Pfeffer schrieb das Gegenstück „Innenpolitische Halbmonatsschau". Sie verdienten eine Untersuchung, weil sie - neben einer ungewöhnlichen Fülle innenpolitischer Details die Wandlung eines überzeugten Liberalen zum resignierenden Republik-Kritiker nachweisen. Die Bibliographie u m f a ß t für die Jahre 1918 bis 1956 r u n d 6 5 0 0 Nummern und ist nicht entfernt vollständig. „Auslanddeutschtum im Unterricht", hrsg. v. Paul Rohrbach und Herbert Rudolph. Eine zweite Reihe trug sich, wenn auch ohne großen Erfolg: „Taschenbücher des Auswanderers", hrsg. v. Paul Rohrbach und Hans Zache. Der Heimatdienst. 7. Jg. 1927, Nr. 13 (1. Juliheft), S. 205-207.

gut, war wohl auch in die geheime deutsche Rüstung in der Sowjetunion verwickelt und verfügte dank seiner Freundschaft zu Hjalmar Schacht über enge Verbindungen zur Wirtschaft und Industrie. Auf der anderen Seite betrachteten die republikanischen und demokratischen Publizisten den Wiederaufstieg Rohrbachs, der aus seinen konservativen und nationalen Anschauungen keinen Hehl machte, mit einigem Mißtrauen. 1 2 ) Dennoch entfernte er sich in diesen Jahren immer stärker von den demokratischrepublikanischen Grundüberzeugungen. Die Gründe lassen sich hier nur anreißen, sie werden später detailliert dargestellt. Das Hauptmotiv war immer noch seine Überzeugung von der Notwendigkeit einer „moralischen Offensive", die trotz seiner zahlreichen - aber psychologisch selten geschickten - Vorstöße keine deutsche Regierung in Angriff nehmen wollte. Das zweite Motiv war das Scheitern seiner national-sozialen Vorstellungen. Obwohl von einer geradezu erschreckenden Blindheit gegenüber innenpolitischen Konstellationen bzw. Entwicklungen, sah sogar er ein, daß sein soziales Programm nicht zu verwirklichen war. Hatte es ursprünglich alle sozialen Gruppen erfassen sollen, so verengte es sich jetzt auf den „gebildeten Mittelstand" - also seine eigene soziale Schicht. Desto stärker trat in seiner Publizistik das nationale Motiv hervor. Die Kehrseite dieses verzehrenden Wunsches nach Weltmachtgeltung Deutschlands 13 ) hieß erbitterter Kampf gegen Pazifismus, „nationale Würdelosigkeit", Internationalismus, Abrüstung, Paneuropa. Diesen Bestrebungen stellte er betont das „Recht" Deutschlands auf nationale Größe entgegen: also auf Widerruf der „Schuldlüge", Rückkehr der nach 1918 verlorenen Gebiete, Rückgabe der Kolonien und Demütigung des „Erbfeindes Frankreich". Daß Rohrbach auf der Grundlage dieser Überzeugungen nicht schon früher der deutschen Außenpolitik opponierte, lag einzig an Stresemanns Erfolgen in den Jahren 1924 bis 1927 - genauer: von der zweiten Londoner Konferenz bis zum Gespräch von Thoiry. Dagegen läßt sich seine wachsende Opposition an seinen Auseinandersetzungen mit der DDP verfolgen. Sein Austritt 1926 markiert das Ende seiner zuletzt halbherzigen Bemühungen, innerhalb einer Partei seine politischen Vorstellungen zu verwirklichen.

12)

13)

Ein Beispiel: Ludwig Andresen, Der sterbende Parlamentarismus - Diktatur oder Selbstregierung, Kating bei Tönning 1926 und Leonard Nelson, Demokratie und Führerschaft, 3. Aufl. Berlin 1932, S. 78. Zu Nelson vgl. K. Koszyk, Zwischen Kaiserreich und Diktatur, S. 176/77. Vgl. dazu Klaus Wernecke, Der Wille zur Weltgeltung. Außenpolitik u. Öffentlichkeit im Kaiserreich am Vorabend des Ersten Weltkrieges. 2. Aufl. Düsseldorf 1970, der viele Kollegen Rohrbachs erwähnt.

33

1.3 1.3.1

Die Deutsche Demokratische Partei 1919-1924

R o h r b a c h s t a n d d e r n e u g e g r ü n d e t e n D D P v o n A n f a n g an s k e p t i s c h g e g e n ü b e r , w a s sich z u m Teil a u s d e r G r ü n d u n g s g e s c h i c h t e e r k l ä r e n l ä ß t . 1 ) S c h o n gegen K r i e g s e n d e w u r d e die F o r d e r u n g n a c h einer F u s i o n d e r b e i d e n liberalen P a r t e i e n e r h o b e n . Bevor e s z u d e f i n i t i v e n A b m a c h u n g e n k a m , e r s c h i e n im „ B e r l i n e r T a g e b l a t t " e i n A u f r u f z u r G r ü n d u n g e i n e r n e u e n r e p u b l i k a n i s c h e n P a r t e i , die w e d e r in d e m a n g e d e u t e t e n P r o g r a m m n o c h in i h r e m N a m e n d a s W o r t „ l i b e r a l " b e n u t z t e . 2 ) D i e N e u g r ü n d u n g f a n d r a s c h Z u l a u f ; a b e r o h n e O r g a n i s a t i o n , d i e bei d e n R e v o l u t i o n s w i r r e n im R e i c h n i c h t a u f g e b a u t w e r d e n k o n n t e , m u ß t e sie e n t w e d e r a u f Berlin b e s c h r ä n k t b l e i b e n o d e r m i t einer b e s t e h e n d e n Partei f u s i o n i e r e n . D a z u b o t sich, n a c h P e r s o n e n u n d P r o g r a m m e n , die Fortschrittliche Volkspartei an, der auch R o h r b a c h n a h e s t a n d . 3 ) A u s ihren R e i h e n w u r d e n a b e r b e r e i t s V e r h a n d l u n g e n mit d e n N a t i o n a l l i b e r a l e n geführt.'») Die M e h r h e i t d e r F o r t s c h r i t t l e r s t i m m t e j e d o c h für die F u s i o n m i t d e n n e u e n Linksd e m o k r a t e n ; aus diesen beiden G r u p p e n u n d N a t i o n a l l i b e r a l e n des linken Flügels s e t z t e sich d i e D e u t s c h e D e m o k r a t i s c h e P a r t e i z u s a m m e n , d i e a m 2 0 . N o v e m b e r 1 9 1 8 o f f i z i e l l g e g r ü n d e t w u r d e 5 ) . Der G r o ß t e i l d e r N a t i o n a l l i b e r a l e n blieb ausgeschlossen. Z w e i f e l l o s w ä r e es für die n e u e Partei eine k a u m zu tragende Belastung gewesen, „ w e n n im Wege e i n e s r e i n e n K o m p r o m i s s e s ihr a u c h P e r s o n e n wie B a c n i e i s t e r . F u h r m a n n , L o h m a n n , F r i e d b e r g u n d S t r e s e m a n n als b i s h e r n o c h v o r h a n d e n e F ü h r e r d e r nationalliberalen Partei m i t ü b e r n o m m e n w ä r e n . " 6 ) T r o t z d e m blieben die H o f f n u n gen auf eine Fusion w a c h ; b e s o n d e r s die Jungliberalen v e r s u c h t e n , e i n e n K o m p r o m i ß zu erreichen. D a n a c h sollte die „ G r u p p e d e s Berliner T a g e b l a t t s " von der F ü h r u n g der S a m m e l p a r t e i e b e n s o A b s t a n d n e h m e n wie die alten Führer der Nationalliberalen b z w . D e u t s c h e n V o l k s p a r t e i . 7 ) Die Jungliberalen m a c h t e n allerdings eine stärkere B e t o n u n g des nationalen G e d a n k e n s u n d größere Distanz nach links zur Vorausset-

1)

2) 3) 4) 5) 6) 7)

34

Da eine ausreichende Darstellung der DDP bisher fehlt, wird auf Wolfgang Hartenstein, Die Anfange der Deutschen Volkspartei 1918-1920. Düsseldorf 1962 (Beiträge zur Geschichte des Parlamentarismus und der politischen Parteien. Bd 22) verwiesen; ferner auf den Aufsatz von Friedrich T h i m m e , Die Neubildung der politischen Parteien, in: DP H. 4 9 vom 6 . 1 2 . 1 9 t 8 , S. 1 5 4 8 ff. und G. Schwarz, T h e o d o r Wolff, S. 79 ff. Berliner Tageblatt Nr. 587 vom 16.11.1918. Mit Hartenstein - a.a.O., S. 11 ff. - soll diese Gruppe „Linksdemokraten" genannt werden. Rohrbach an Friedrich Naumann vom 2.8.1910. DZA Potsdam, 90 Na 3 Friedrich Naumann, Nr. 127, p. 16 Riicks. Hartenstein, a.a.O., S. 17-19. Berliner Tageblatt Nr. 595 vom 21.11.1918. Frankfurter Zeitung Nr. 323 vom 21.11.1918. Kölnische Zeitung Nr. 1098 vom 27.11.1918.

zung 8 ), und voller Freude, aber voreilig, wurde am 4. Dezember 1918 der Verzicht Stresemanns und „Die Einigung aller Liberalen" gemeldet. 9 ) Schon aus Gründen der Organisation und des Apparates traten in der neuen Partei die alten Fortschrittler in den Vordergrund, so daß nicht ganz zu Unrecht die DDP als Nachfolgerin der Fortschrittlichen Volkspartei bezeichnet wurde. Genau genommen war es aber doch eine neue Partei, bestehend aus linken Nationalliberalen, Fortschrittlern und Linksdemokraten, die besonders „den internationalistisch-pazifistischen Kreisen des 'Berliner Tageblatts' und der 'Frankfurter Zeitung' "nahestanden und sich bemühten, „den größeren, nationalistisch gesinnten Flügel (der Nationalliberalen) und seine Führer Stresemann und Friedberg von sich fernzuhalten."10) Rohrbach und die Linksdemokraten betrachteten sich gegenseitig mit erheblichem Mißtrauen. Für Rohrbach völlig unverzeihlich war der „Pazifismus" der Linksdemokraten. Ein zweites trat hinzu. Der Versuch einer bürgerlichen Einheitspartei war im Ansatz gescheitert; die anfangs stark restaurativen Tendenzen der sich neu bildenden Deutschen Volkspartei grenzten beide Parteien deutlich voneinander ab und bestätigten diejenigen, die von Anfang an die Gegensätze innerhalb des Bürgertums für zu groß gehalten hatten, um sie zu überbrücken und einer Sammlungspartei Aussicht auf Dauer zu verleihen. 1 1 ) Dem Anschein nach aber scheiterte der Einigungsversuch an den radikalen Forderungen der Linksdemokraten, die schon 1919 entscheidend an Einfluß verloren. Die Verluste bei den Reichstagswahlen 1920 und die sich darin abzeichnende Tendenz schien dem gemäßigt-rechten Flügel Recht zu geben, der die Fusion mit einer von ihrem annektionistischen rechten Flügel befreiten nationalliberalen Partei bevorzugt hätte. 1 2 ) Sprachrohr der fusionsfeindlichen Linksdemokraten waren die beiden großen Zeitungen gewesen, das „Berliner Tageblatt", das seine besondere Abneigung auf Stresemann konzentrierte 1 3 ), und die „Frankfurter Zeitung", die mit ihrer pauschalen Ablehnung der Nationalliberalen große Teile des Bürgertums und vor allem der bürgerlichen Presse, darunter die bedeutende „Kölnische Zeitung", in das Lager der DVP t r i e b . 1 4 ) Die Presse der DDP war für R o h r b a c h ein dritter P u n k t der Kritik. Unglücklicherweise galten das „Berliner Tageblatt" u n d die „ F r a n k f u r t e r Z e i t u n g " weithin nicht nur als d i e Parteiorgane, sondern auch als Exponenten einer kosmopolitischen, internationalistisch-pazifistischen (und jüdischen!) Richtung, denen 8) ebda Nr. 1105 vom 29.11.1918. 9) ebda Nr. 1120 vom 5.12.1918. 10) Thimme, a.a.O., S. 1550. 11) ebda. Ferner Schwarz, a.a.O., S. 95/96 12) Zur Gründung vgl. S. Neumann, Die Parteien der Weimarer Republik. 2. Aufl. Stuttgart 1965, S. 48 ff. 13) E. Jäckh, Der goldene Pflug. Lebensernte eines Weltbürgers, Stuttgart 1954, S. 463. 14) Kölnische Zeitung Nr. 1159 vom 19.12.1918.

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j e d e s Nationalgefühl abgehe, so d a ß von rechter Seite ihre N a m e n als S c h i m p f w ö r ter b e n u t z t w e r d e n k o n n t e n . 1 5 ) E r s c h w e r e n d k a m h i n z u , d a ß b e i d e B l ä t t e r als V e r t r e t e r d e s l i n k e n Flügels eine d u r c h a u s selbständige R i c h t u n g v e r f o l g t e n , die nicht immer mit d e m G e n e r a l k u r s der Partei übereinstimmte. Die Klagen über mangelnde Z u s a m m e n a r b e i t rissen n i c h t a b . 1 6 ) Parteimitglieder b e s c h w e r t e n sich, daß das „Berliner T a g e b l a t t " als „ M o n i t e u r " d e r Partei e r s c h e i n e 1 7 ) , u n d d a ß die D D P k u r z als „ T a g e b l a t t p a r t e i " b e z e i c h n e t w e r d e . 1 8 ) A n d e r e Kreise sahen in T h e o d o r Wolff - übrigens völlig zu U n r e c h t - g e r a d e z u d e n Begründer der D D P . 1 9 ) R o h r b a c h v e r f o l g t e voller G r i m m d e n e n d l o s e n S t r e i t der D D P m i t ihrer Presse. T h e o d o r Wolff v e r f o c h t seine eigene Linie, erst recht, als er aus dem Hauptvorstand der Partei ausgetreten w a r . 2 0 ) Er war m ä c h t i g genug, die Partei an ihm nicht genehm e n Ä u ß e r u n g e n i n n e r h a l b Berlins zu h i n d e r n . 2 1 ) Das z w e i t e O r g a n d e r D D P in der H a u p t s t a d t , die „Vossische Z e i t u n g " , war wegen ihrer plötzlichen S c h w e n k u n gen g e f ü r c h t e t - Koch-Weser b e z e i c h n e t e sie in seinem T a g e b u c h als „ b o s h a f t " 2 2 ) - u n d m e h r berüchtigt als b e r ü h m t für ihr „ H i n t e r h e r h i n k e n 2 3 ) . Die Provinzpresse war die D o m ä n e einzelner P a r t e i g r ö ß e n u n d d e m e n t s p r e c h e n d unzuverlässig, was den G e s a m t k u r s der Partei a n g i n g . 2 4 ) Dabei h e r r s c h t e n zwischen einzelnen Zeitungen P r i v a t f e h d e n 2 5 ) ; einig waren sie sich n u r in ihrem R e c h t , die Partei u n d Parteileitung h e m m u n g s l o s zu k r i t i s i e r e n . 2 6 ) Das ging so w e i t , d a ß die Reichsparteileit u n g in i h r e m J a h r e s b e r i c h t für 1 9 2 6 , d e m w o h l k r i s e n r e i c h s t e n J a h r d e r P a r t e i , d e n „Berliner P r e s s e o r g a n e n " bescheinigen m u ß t e , mit viel Mühe „ d a s n i c h t beid e n R i c h t u n g e n G e m e i n s a m e , s o n d e r n v i e l m e h r das T r e n n e n d e h e r a u s g e a r b e i t e t zu h a b e n . " 2 7 ) Die Partei k o n n t e es n i c h t w a g e n , einen t r e n n e n d e n S c h n i t t zu T h e o d o r Wolff zu vollziehen, der i m m e r m ä c h t i g genug blieb, eigene Vorstellungen gegen die Partei-

15)

Alldeutsche Blätter. 29 Jg. 1919, Nr. 11, S. 85. Dietr. Schäfcr, Mein Leben, Berlin/ Leipzig 1926, S. 188. Auch aus der Partei kamen kritische Stimmen: Bericht über die Verhandlungen des 1. Parteitages der Deutschen Demokratischen Partei, abgehalten in Berlin vom 19. bis 22. Juli 1919. Hrsg. von der Reichsgeschäftsstelle der D.D.P. o.O., o.J. (Berlin 1919), S. 132. Vgl. W. Nicolai, Nachrichtendienst, Presse und Volksstimmung im Weltkrieg. Berlin 1920, bes. S. 171. 16) BA Koblenz, R 45 III/15, fol. 90. 17) ebda, fol. 22. Schwarz (a.a.O., S. 156) betont dagegen, daß das Berliner Tageblatt nie ein Organ der DDP gewesen sei. 18) ebda, fol. 28. 19) J. Fischart, (d.i.: E. Dombrowski), Das alte und das neue System, Berlin 1919, S. 46 20) Sitzung des Geschäftsführenden Ausschusses am 25.4.1919 - R 45 III/9, fol. 98. 21) In welchem Ausmaße beschreibt E. Koch-Weser in seinen Tagebüchern - BA Koblenz. 22) Nachl. Koch, BA Koblenz 30, pag. 3. 23) Das Demokratische Deutschland. Nr. 22 vom 2.6.1923, S. 498. 24) Nachl. Koch, BA Koblenz 34, pag. 267. 25) Frankfurter Zeitung Nr. 913 vom 8.12.1926. 26) ebda, Nr. 428 vom 11.6.1926. 27) BA Koblenz R 45 III/6, fol. 308. Ebenso R 45 HI/20, fol. 62.

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leitung d u r c h z u s e t z e n . 2 8 ) Nicht anders stand es mit der „ F r a n k f u r t e r Z e i t u n g " . Das Gerücht, in ihrer Redaktion überwögen Sozialdemokraten, hielt sich hartnäkkig; ihre Auseinandersetzungen mit der Parteileitung verliefen etwas vornehmer, aber nicht minder deutlich. 2 9 ) Sie erhielten eine besondere Note durch die Existenz einer von links und rechts gleichermaßen abgelehnten radikal-republikanischen Richtung, der auch von Parteimitgliedern heftig b e k ä m p f t e n „ F r a n k f u r t e r E c k e " 3 0 ) , der die „ F r a n k f u r t e r " jederzeit ihre Spalten zur Verfügung s t e l l t e . 3 1 ) Auf die Presseverhältnisse der DDP wurde ausführlicher eingegangen, weil sie für den Publizisten Rohrbach von Bedeutung waren. Zu seinem Schaden bestand zwischen ihm u n d d e m Tageblatt eine o f f e n e Fehde. Wolff h a t t e ihn zwar w ä h r e n d des Krieges von den Alldeutschen unterschieden, ihn aber doch wegen seiner Osteuropa-Vorstellungen - Schwächung Rußlands durch Zerlegen der „Apfelsine in ihre Segmente" (Ukraine, Baltikum, Georgien usw.) - als Gegner eines Rechts- und Verständigungsfriedens bezeichnet. 3 2 ) Rohrbach revanchierte sich mit der Behauptung, Deutschland verdanke seine Niederlage ebensosehr Wolff und d e m Tageblatt wie Reventlow und der Deutschen Tageszeitung. 3 3 ) Seine relativ guten Beziehungen zur „Täglichen Rundschau", 3 4 ) dem „Blatt der Bornierten, Gestrigen, Monarchisten und unpblitischen T r ä u m e r " 3 s ) verschärften die Gegensätze. Mit der „ F r a n k f u r ter Zeitung" hatte während des Krieges soweit politische Übereinstimmung bestand e n 3 6 ) , daß man sich nach dem November 1918 gegenseitig ignorierte. Erst 1926 lassen Äußerungen Rohrbachs erkennen, daß die Gegensätze o f f e n ausgebrochen w a r e n . 3 7 ) Von den bedeutenderen Parteiblättern der Provinz - Hamburger Fremdenblatt, Bremer Nachrichten, Neues Stuttgarter Tageblatt - wurde er unterschiedlich behandelt; aber die Ablehnung überwog. 28) So verhinderte er den Ankauf des Büros Hobohm, den die Parteileitung befürwortet hatte, mit dem Hinweis, die dort geleistete Arbeit trage „positiven nationalen" Charakter und sei nur „verkappter Chauvinismus" - Nachl. Delbrück, BA Koblenz 43, fol. 391. Das ging auch gegen Rohrbach, der in diesem Büro mitgearbeitet hatte, das während des Krieges Unterlagen über die verderbliche Wirkung der alldeutschen Propaganda im Weltkrieg sammelte: Nachl. H. Delbrück, BA Koblenz 43. Alldeutsche Blätter, 29. Jg. 1919, Nr. 38, S. 321. Auch Koch klagte über Wolff - Nachl. Koch, Nr. 34, pag. 21. Für den Einfluß innerhalb der Fraktion: Schreiben Eduard Hamms an Otto Gessler, abgedruckt in dessen Buch „Reichswehrpolitik in der Weimarer Zeit". Stuttgart 1958, S. 5 0 1 . In anderem Zusammenhang: S. 390. 29) Das Demokratische Deutschland. Nr. 46 vom 17.11.1921, S. 1014 ff und Nr. 48 vom 1.12.1921, S. 1074 ff. 30) Gessler, a.a.O., S. 82.410. 31) Frankfurter Zeitung Nr. 13 vom 6.1.1919. Alldeutsche Blätter, 37. Jg. 1927, Nr. 23, S. 195. 32) Berliner Tageblatt Nr. 407 vom 11.8.1918. 33) DP H. 51 vom 20.12.1918, S. 1606. DP H. 1 vom 1.1.1921, S. 4. 34) Rohrbach an Rechberg vom 15.10.1919 - Nachl. Rechberg, BA 83. Dietr. Schäfer, Mein Leben, S. 180. 35) Troeltsch, Spektator-Briefe, S. 82. 36) Nachl. Delbrück, BA 43, fol. 84. 37) Karlsruher Tagblatt Nr. 250 vom 1.8.1926. 37

Diese Verhältnisse machen verständlich, daß er sich keineswegs zur DDP hingezogen fühlte, zumal im Aktionsausschuß sein Gegner T h e o d o r Wolff s a ß . 3 8 ) A u c h das offiziöse Programm, das Max Weber e n t w i c k e l t e 3 9 ) - der dann doch nicht als Kandidat aufgestellt w u r d e 4 0 ) - dürfte ihm k a u m gefallen haben. Spätere Bemerkungen lassen erkennen, daß er an der ersten Versammlung der DDP in Berlin teilgenommen hat, die in einem offenen Skandal endete, als H. v. Gerlach, damals Unterstaatssekretär, offene Parteigrenzen nach links forderte und polnische Ansprüche auf deutsches Gebiet verteidigte 4 1 ): für R o h r b a c h die denkbar schlechteste Einladung. Seine ersten publizistischen „Versuchsballons", die Partei auf die „Ziele von 1 8 4 8 " festzulegen, stießen auf keine Gegenliebe. 4 2 ) So nahm es nicht Wunder, daß er der Neugründung überaus kritisch gegenübers t a n d . 4 3 ) Dennoch brachte er der DDP von allen Parteien die größte Hoffnung entgegen. Er warnte zwar vor dem „ F e r m e n t der D e k o m p o s i t i o n " , das sich aus d e m Gegensatz National-internationalistisch/pazifistisch innerhalb einer Partei ergebe, setzte sich aber gerade deshalb fiir einen Wahlerfolg der D D P ein, weil er zu einer Neutralisierung des „pazifistischen Gegenelements" führen werde, das er also recht schwach einschätzte. Dann, so folgerte er, werde die Partei die stärkste Anziehungskraft in dem ganzen Raum zwischen Sozialdemokratie und der reaktionären Rechten entfalten und „den stärksten positiven Einfluß auf die deutsche Z u k u n f t ausüben" k ö n n e n . 4 4 ) Den für die DDP günstigen Wahlausgang kommentierte er mit Befriedigung, 4 5 ) ebenso das wirtschaftliche und sozialpolitische Programm der P a r t e i . 4 6 ) Wenn er trotzdem der Partei noch fernblieb, so lag es an zwei P u n k t e n , mit denen er sich nicht abfinden wollte: dem „doktrinären Bekenntnis zur Republik", das er als ahistorisch 38) Kölnische Zeitung Nr. 1080 vom 21.11.1918. 39) Fünf Artikel „Die deutsche Staatsform" in der Kölnischen Zeitung vom 22.11. bis 5. 12.1918. 40) Webers Brief an die Kölnische Zeitung Nr. 12 vom 5.1.1919. 41) Kölnische Zeitung Nr. 1111 vom 2.12.1918. Die Affaire Gerlach ist typisch für die Spaltung innerhalb der Partei. Auf der Sitzung des Geschäftsführenden Ausschusses am 28. 6.1919 wird unter Punkt 5 abgehandelt: „Gegenüber den Klagen und Beschwerden, die über die politische Haltung des Herrn von Gerlach einlaufen, stellt sich der Geschäftsführende Ausschuß auf den Standpunkt, daß die Partei nach dem Statut keine Handhabe hat, Gerlach auszuschließen, daß es überhaupt am besten ist, die Tätigkeit dieses Herrn nach Möglichkeit zu ignorieren . . . " R 45 III/9, fol. 121. Nur ignorierten die Rechtsparteien und ihre Presse von Gerlach nicht! Ganz ähnlich entschlossen, eine Entscheidung zu umgehen: Sitzung des Vorstandes der DDP am 11.3.1920, Punkt 8 - R 45 III/16, fol. 20. Rohrbach, der Gerlach privat gut kannte, nahm ihn nicht ganz ernst und bezeichnete ihn als „etwas zu abhängig von der eignen Neigung zu gelungenen Paradoxien" - Familiengeschichte, S. 169 42) DPH. 46 vom 15.11.1918, S. 1445. 43) DPH. 49 vom 6.12.1918, S. 1539. 44) DPH. 2 vom 10.1.1919, S. 41/42. 45) DPH. 5 vom 31.1.1919, S. 141/42. 46) Das Demokratische Deutschland. H. 21 vom 3.5.1919, S. 504.

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und unrealistisch verwarf 4 7 ), und dem „mangelnden Bekenntnis zum nationalen Gedanken: Für die Demokratie ist es das Gefährlichste, was sie tun kann, das nationale Prinzip zu vernachlässigen. Die Völker denken nicht daran.es aufzugeben." 4 8 ) Diese Vorwürfe richteten sich gegen die Linksdemokraten und wurden von vielen alten Fortschrittlern wohlwollend aufgenommen. In den Kreisen der Linksliberalen hatte es tatsächlich vor dem Kriege kaum überzeugte Republikaner gegeben; eher herrschte ein gemäßigter Vernunftsmonarchismus vor. 4 9 ) Der republikanische „Doktrinarismus" schien Rohrbach und vielen Gesinnungsverwandten eine belastende Mitgift der Linksdemokraten zu sein, den es abzuwehren gelte, um die Partei auch für Herzensmonarchisten und Vernunftsrepublikaner offenzuhalten. Ebenfalls mehr wahltaktischer als prinzipieller Natur war der Vorwurf mangelhaften Nationalgefühls. Er legte allerdings den Finger auf eine offene Wunde: das nie geklärte Verhältnis der DDP zu den radikalen Pazifisten in ihren Reihen, das von den Rechtsparteien unentwegt und erfolgreich genutzt wurde, der DDP unnationale Gesinnung zu unterstellen Erst nach der Entscheidung der DDP zur Unterzeichnung des Friedensvertrages 50 ) trat Rohrbach der Partei bei. 5 1 ) Er glossierte es später mit den Worten: „Was nicht zur Organisation wird, hat keinen W e r t . " 5 2 ) Diese Bemerkung verschleierte seine wahren Absichten, nämlich mit Naumanns Hilfe zu versuchen, seine nationalen und sozialen Vorstellungen in der Partei durchzusetzen. Dem lag allerdings eine groteske Fehleinschätzung der Naumannschen Position in der Partei zugrunde: Rohrbachs Mentor konnte die inneren Spannungen verdecken, aber nicht zugunsten einer Richtung abbauen. S 3 ) Naumann war der kleinste gemeinsame Nenner, auf den sich die widerstrebenden Fraktionen einigen konnten. Ihre Machtkämpfe brachen nach seinem Tod offen aus; sein Nachfolger, der Hamburger Senator Carl Petersen, mußte schon auf der Gedächtnisfeier für Naumann dessen Geist der Versöhnung beschwören. 5 4 ) Auch Petersen war eine „Verlegenheitslösung" 5 5 ), in seiner persönlichen

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Wie übrigens auch sein - zu dieser Zeit noch - Gesinnungsgenosse Friedr. Meinecke. Vgl. W. Hofer, Geschichte zwischen Philosophie und Politik. Studien zur Problematik des modernen Geschichtsdenkens. Basel 1956 (Philosoph. Forschungen. N. F. Bd 6), S.80/

48) 49)

Das Demokratische Deutschland, H. 19 vom 19.4.1919, S. 436. ebda, H. 12 vom 24.3.1923, S. 276. Vgl. auch Friedrich Payer, Von Bethmann Hollwcg bis Ebert. Erinnerungen und Bilder. Frankfurt/M. 1923, S. 170. Dazu Conrad Haußmann, Schlaglichter. Reichstagsbriefe und Aufzeichnungen. Frankfurt/M. 1924, S. 279.285. Rohrbachs Glückwunsch: Die Hilfe. Nr. 26, 1919, S. 324. Familiengeschichte, S. 256. Die Hilfe. Nr. 20, 1920, S. 293. Hamburger Fremdenblatt Nr. 369 vom 23.7.1919. Vgl. auch Kochs selbstbewußten Kommentar: Nachl. Koch, BA Koblenz 16, pag. 243. Hamburger Fremdenblatt Nr. 508 vom 6.10.1919. Die Hilfe, Nr. 41, 1919, S. 563-65. Frankfurter Zeitung Nr. 800-801 vom 8.11.1933 zum Tode Petersens.

81.

50) 51) 52) 53) 54) 55)

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Auffassung zwar weiter rechts angesiedelt 5 6 ), aber weder fähig noch willens, eine entschiedene Führungsrolle zu spielen. S 7 ) Das ganze Dilemma einer Partei, deren Mitglieder sich nur auf wenige gemeinsame Ideen einschwören lassen, wurde auf dem 2. außerordentlichen Parteitag im Dezember 1919 in Leipzig deutlich. Es galt, ein verbindliches Programm aufzustellen. In einem langen Brief an Petersen, den er zugleich in seiner Zeitschrift veröffentlichte, 5 8 ) versuchte Rohrbach, seine Zielvorstellungen durchzusetzen. In der Einleitung forderte er für die Partei ein „fortreißendes Ziel", das, wie er glaubte, nur in der nationalen Wiederherstellung Deutschlands liegen könne. Zwar räumte er ein: „Der grundsätzliche Vorrang aller menschheitlichen Ziele vor den nationalen steht als sittliche Forderung f e s t " , 5 9 ) setzte aber sofort hinzu, diese Ziele könnten nur über den nationalen „Aufschwung" eines jeden einzelnen Volkes verwirklicht werden. Daraus folge, daß die Partei primär das nationale Prinzip betonen müsse; das bedinge also, die internationalistischen und pazifistischen Elemente abzustoßen. In zweiter Linie müsse sich die Partei sozial ausrichten. Damit sei auch der Standpunkt umrißen: Das Bekenntnis zum Nationalen scheide sie von der Sozialdemokratie, das Bekenntnis zum sozialen Gedanken vom klassengebundenen Denken der Rechten. „Wer aber nicht das positive und verbindliche Bekenntnis zum Primat des nationalen Gedankens abzulegen w ü n s c h t . . . gehört nicht in die Partei hine i n " 6 0 ) und: „Wehe der Demokratie, die in sozialer Beziehung die Hand an den Pflug legen will, und dann zurückschaut nach den Fleischtöpfen einer alten Wirtschaftsordnung und alter Klassenvorzüge. Das zu tun, überlassen wir unseren Feinden, und die werden ihr Gericht davon haben." 6 1 ) Die Argumentation war in sich verlogen. „Menschheitliche Ziele" - die zu definieren Rohrbach sorgsam vermied - über den nationalen „Aufschwung" erreichen zu wollen, hieß nichts anderes, als dem Nationalstaatsdenken eine ungerechtfertigte sittliche Würde verleihen zu wollen. Richtig war, wie auch Meinecke und Troeltsch urteilten, daß die Lebensberechtigung der Republik von der Lösung der sozialen Frage abhing. 6 2 ) Aber außer dem Lippenbekenntnis zur sozialen Veränderung nannte Rohrbach keine Einzelheiten, ja, entwertete sein Bekenntnis anschließend sofort wieder durch seine Forderung, sich bedingungslos dem national-sozialen Gedanken 56) 57) 58) 59) 60) 61) 62)

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Dazu Hamburger Fremdenblatt Nr. 332 vom 3.7.1919. Eine treffende Charakteristik bietet Eugen Fischer-Baling, Der Untersuchungsausschuß für die Schuldfragen des Ersten Weltkrieges, in: Aus Geschichte und Politik. Festschrift zum 70. Geburtstag von Ludwig Bergsträsser. Düsseldorf 1954, S. 121. DP H. 51 vom 19.12.1919, S. 771 ff. ebda, S. 771. ebda, S. 772. ebda, S. 773. Meinecke definierte später einmal die Republik als das „große Ventil für den Klassenkampf zwischen Arbeiterschaft und Bürgertum, es ist die Staatsform des sozialen Friedens zwischen ihnen." DDG Nr. 5 vom 4.2.1925, S. 140.

zu verschreiben: Denn „es gibt keinen sicheren Weg, Deutschland wieder führend in der Welt zu machen, als daß wir die Sache des sozialen Fortschrittes der Menschheit zur Sache des deutschen Volkes machen." 6 3 ) Damit war die Innenpolitik wieder vollständig zu einer Funktion der Außenpolitik degradiert. Rohrbachs Programmentwurf schloß mit der obligaten Aufforderung, eine „moralische Offensive" gegen die Kriegsschuldlüge zu führen. Petersen legte diesen Brief sofort zu den Akten. Rückblickend läßt sich urteilen, daß es besser gewesen wäre, diese in der Partei doch nicht vereinzelten Gedanken nach gründlicher Diskussion ausdrücklich zu verwerfen. So zeigte der Parteitag in allen Fragen zu „national" und „sozial" eine zwar verständliche, aber der Programmfindung nicht dienliche Uberempfindlichkeit. Auch von einer Initiative in der Schuldfrage war keine Rede. 64 ) Als Ergebnis wurde ein Programm verabschiedet, das schon von Parteitagsrednern als phrasenhaft und „blumig" bezeichnet wurde und in den Fehler verfiel, zu glauben, man könne durch lauter Verneinungen etwas Positives aussagen. 65 ) Zwei weitere, in Leipzig ebenfalls sichtbar werdenden Tendenzen beobachtete Rohrbach voller Mißmut: die Abkehr der „Gebildeten" 66 ) von der Partei und die offenkundige Vernachlässigung der Außenpolitik 67 ). Zwar widersprach die Parteipresse sofort dem Argument, eine außenpolitische Diskussion erübrige sich, weil Deutschland zur Zeit keine auswärtige Politik treiben könne 6 8 ), aber die außenpolitische Theorie blieb auch weiterhin ein Stiefkind der sonst so diskussionsfreudigen DDP. 6 ') Es beweist Rohrbachs fehlendes Augenmaß für alle Fragen der Innen- und Parteipolitik, daß er nach Leipzig sofort resignierte, weil es ihm im ersten Anlauf nicht geglückt war, die Partei zu seinen Ansichten zu bekehren. Die bis dahin nur lockeren Verbindungen - er hatte vor demokratischen Vereinen häufiger Vorträge gehalten, die er später zusammengefaßt als Broschüre vorlegte, 70 ) und cm Herbstkursus 1919 der Staatsbürgerschule als Dozent gewirkt 71 ) - drohten völlig abzureißen. Vor der Reichstagswahl 1920 schrieb er auf die Frage, warum er sich zur DDP bekenne: „Weil mir einstweilen nur auf dem Boden der Demokratie die Vereinigung eines bedingungslos nationalen und eines entschlossenen sozialen Standpunkts möglich erscheint. Davon, ob die Deutsche Demokratische Partei diese Vereinigung praktisch verwirklicht, wird ihre Entwicklung abhängen." 7 2 ) 63) 64) 65) 66) 67) 68) 69) 70) 71) 72)

a.a.O., S. 774. Bericht Uber die Verhandlungen des 2. außerordentlichen Parteitages der Deutschen Demokratischen Partei, abgehalten in Leipzig vom 13.-15.12.1919. Berlin 1920. ebda, S. 137. ebda, S. 38. ebda, S. 32. Das Demokratische Deutschland, Nr. 54 vom 21.12.1919, S. 1246. ebda, Nr. 38 vom 26.9.1920, S. 614. Monarchie, Republik u. politische Parteien in Deutschland. Das Demokratische Deutschland Nr. 37 vom 24.8.1919, S. 860. Heidelberger Tageblatt Nr. 114 vom 19.5.1920.

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Seine Distanzierung hatte auch persönliche Gründe. Ein Wahlkreis der DDP hatte ihn gefragt, ob er für den Reichstag kandidieren wolle. Er hatte zugestimmt; aber nach dem Kapp-Putsch zog die Parteiorganisation ihr Angebot zurück - nach Rohrbachs Meinung, „weil sie fürchteten, ich würde der mißtrauisch gewordenen Wählerschaft doch als 'national' zu kompromittiert erscheinen. Ich kann das wohl begreifen." 7 3 ) Sein Angebot an den Parteivorstand, für die DDP zu kandidieren, wurde höflich-deutlich zurückgewiesen 74 ), und er quittierte diese Absage mit einer beißenden Kritik an der Partei, deren mangelndes Nationalgefühl und „verlogenes" Bekenntnis zum sozialen Gedanken er heftig angriff. 7 5 ) Er schloß mit den Worten, es würde ihn nicht wundern, wenn die Partei bei den bevorstehenden Wahlen dafür eine Quittung erhielte. Der für die DDP schlechte Ausgang der Wahlen gab den mehr rechts orientierten Kräften Auftrieb. Der Kulturausschuß der DDP hatte in einem Rundschreiben aufgefordert, „uns mit Hilfe der großen Vertreter des deutschen Kulturlebens zu neuer Innerlichkeit und echter Größe durchzuringen." 7 6 ) Unter den daraufhin gebetenen Rednern befand sich auch Rohrbach, der so Gelegenheit hatte, seine Ideen in Parteikreisen vorzutragen. Sie waren zwar noch weithin die alten geblieben - „nationaler Aufschwung" und „Lösung der sozialen Frage" hatten sich aber in einem Punkt entschieden ausgeweitet. Im Dezember 1919 veröffentlichte er in der „Deutschen Politik" einen bemerkenswerten Artikel des Schweden Hermann Harriss Aall mit dem Titel „Die letzte K a m p f w a f f e " . 7 7 ) Der Verfasser betonte, daß die Entente mit ihren beiden Argumenten: „Selbstbestimmungsrecht der Völker" und „Ersatz der Macht durch das Recht" bei Kriegsausbruch die Meinung der Welt für sich gewonnen habe, ohne aber ihre Thesen selbst befolgen zu wollen. Den Widerspruch zwischen Verkündung und Tat habe sie bis jetzt durch Propaganda verdecken können. Deutschland müsse nun dafür sorgen, „daß das Recht sich als ein selbständiger politischer Faktor geltend mache." Wer sich der Macht beugen müsse, solle das der Welt immer wieder verdeutlichen, um seinem Unterdrücker das „Schandmal der Gewalt" aufzudrücken. Jeder Unterdrückte müsse unablässig ein gerechtes Urteil über seine Handlungen verlangen; denn wer sich nachgebend dem Unrecht beuge, verletze die Rechtsidee und werde mitschuldig. „Der Schwache muß sich auf die Macht des Rechts anstatt auf das Recht der Macht stützen. Daher ist der Sieg des Rechts zum Amte des Schwachen, nicht des Starken geworden. Und daher sündigt der Schwache, der die Forderung auf sein Recht aufgibt, gegen seine welthistorische A u f g a b e . " 7 8 ) 73) 74) 75) 76) 77) 78)

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DP H. 18 vom 30.4.1920, S. 519. Vgl. Handschrift, S. 243/44. DP H. 22 vom 28.5.1920, S. 650. Der Demokrat Nr. 7 vom 2.12.1920, S. 116. D P R 5 0 v o m 12.12.1919, S. 753 ff. ebda, S. 754.

Deutschland könne sich nur durch dauernde Betonung des Rechtsstandpunktes aus seiner augenblicklichen Lage befreien. Dazu ständen ihm zwei Wege offen: entweder die Alliierten zu zwingen, die Kriegsschuldfrage vor ein neutrales Schiedsgericht zu bringen, oder die Kriegsgegner soweit in die Enge zu treiben, daß diese offen zugeben müßten, sie wollten keine gerechte Entscheidung, mit anderen Worten: sie wollten sich nicht dem „Recht" beugen. Das eigene Recht auf die Forderung, alle Staaten müßten sich dem Recht beugen und nicht nur den Schein des Rechts für sich in Anspruch nehmen, sei Deutschlands letzte Kampfwaffe. Die Gedankengänge dieses Artikels ergänzten Rohrbachs eigene Vorstellungen. Auch Aall ging von der Alleinunschuld Deutschlands am Weltkrieg aus, die Rohrbach mit seiner „moralischen Offensive" propagieren wollte. Darüber hinaus führte der Schwede mit dem - bewußt unscharf gehaltenen - Begriff des Rechts genau die sittliche Überhöhung ein, auf die Rohrbach auch in seinen national-sozialen Anschauungen so großen Wert legte. Zudem enthielt Aalls Rechtsbegriff ein aktives, offensives, ja aggressives Element, das nicht nur Schwäche in Stärke verkehren sollte 79 ), sondern zugleich geeignet schien, die Position der Siegermächte zu erschüttern. Und er implizierte auch jene sittlich-geistige „Welt-Vormachtstellung", die Rohrbach so brennend wünschte und bislang mit seinem national-sozialen Programm erreichen wollte, um sie dann in eine machtstaatliche Vorrangstellung zu transformieren. Ein letzter, aber sehr wichtiger Gesichtspunkt trat hinzu: Aalls Ideen gingen von der Machtlosigkeit Deutschlands aus, ja, machten sie geradezu zur Voraussetzung. Wenn das ethisch gerechtfertigte „Recht" zur Basis zwischenstaatlicher Beziehungen gemacht wurde, verlor die militärische Potenz der Siegermächte ihren Wert - oder mußte, falls sie aktiv oder als Drohung eingesetzt wurde - eben „ungerecht" sein. Rohrbach hat diesen Gedankengang nicht sofort und völlig aufgegriffen. Noch vertraute er auf sein „national-soziales" Programm; aber je deutlicher seine sozialen Vorstellungen als reaktionär, unreif oder schlicht albern erkannt wurden, desto stärker griff er auf das ominöse „Recht" zurück, das er dann in seiner Bedeutung ausweitete. Aalls Artikel könnte als exemplarische Verirrung eines ausländischen, in der Wolle gefärbten Alldeutschen abgetan werden, wenn er nicht ein Element ansprechen würde, das sowohl für Rohrbach wie für die ganze Presse große Bedeutung gewonnen hatte: die „öffentliche Meinung." Ohne die Prämisse einer „Macht der öffentlichen Meinung" wäre Aalls Gedankengang völlig unsinnig. Gerade die „Öffentlichkeit", für die Alt-Liberalen sowieso ein gewichtiger politischer Faktor, wurde nach dem Kriege lebhaft diskutiert. Der amerikanische Präsident Wilson leitete die Debatte mit seiner Forderung nach einem Wandel der Politik, nach öffentlichen Konferenzen, nach Durchsichtigkeit in den internationalen Beziehungen ein. Ob von der Schuld oder Unschuld Deutschlands überzeugt - sehr vielen schienen Geheimdiplomatie, Kabinettspolitik und Intrigen Schuld an der Katastrophe zu tragen.

79)

Es ist die klassische Fesselung der Mächtigen durch das Recht, wie sie Kallikles in Piatons „Gorgias" darlegt.

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Der Wunsch nach Öffentlichkeit war auch in Deutschland so stark, daß ihre Gegner - wohl auch zu Recht - beschuldigt wurden, etwas verbergen zu wollen. „Öffentlichkeit" erhielt untei diesen Umständen einen politisch brisanten Wert, und es lag im Interesse der Journalisten, diesen Tatbestand zu erhalten und zu fördern. Speziell Rohrbach sah in Aalls Definition des Rechts samt seinen Implikationen für den Begriff „Öffentlichkeit" bzw. „öffentliche Meinung" eine politische Aktionsmöglichkeit, die sich allerdings mit der Berufsdiplomatie hart stieß: ein Effekt, den er sicherlich mit einkalkulierte. Seiner Verachtung für die „Berufspolitiker" hatte er oft genug Ausdruck gegeben. Aalls Rechtsbegriff und seine „moralische Offensive" ergaben eine Rechtfertigung für eine „Politik der Journalisten" ohne oder sogar gegen die amtliche Diplomatie. Rohrbach schickte Aalls Artikel mit einem Brief, in dem er um einen Empfang bat, an den damaligen SPD-Außenminister Müller, über dessen politische Fähigkeiten er allerdings schon vielbeachtete abschätzige Bemerkungen veröffentlicht hatte. 8 0 ) Müller antwortete im Januar 1920. 81 ) Sehr bestimmt wies er den Vorwurf zurück, die Schuldfrage - deren Bedeutung er ebenfalls sehr hoch einschätzte - werde aus Parteirücksichten von der SPD nicht behandelt. Die Gedankengänge Aalls seien ihm bekannt; aber alle Bemühungen um eine objektive Diskussion der deutschen Kriegsschuld würden dadurch erschwert, „daß heute noch soviele Deutsche die österreichische und deutsche Mitschuld leugnen". Man könne vernünftigerweise nicht abstreiten, „daß Deutschland schwere Mitschuld trifft." Jede objektive Untersuchung werde Vorgänge enthüllen, die wahrlich keine Ruhmesblätter deutscher Politik und Friedfertigkeit darstellten. Dennoch bejahe er eine vorurteilslose wissenschaftliche Debatte, zu der Berlin allerdings nicht den Anstoß geben könne, da sonst die Glaubwürdigkeit des Unternehmens gefährdet sei. Müller schloß mit einer Mahnung, die deutlich an Rohrbachs Adresse gerichtet war: „Eine bessere Atmosphäre können wir vor allem für die internationale Erörterung der Schuldfrage auch nur dann schaffen, wenn wir im Ausland den Eindruck erwecken, daß wir keinerlei Absichten haben, dort, wo eine wirkliche Schuld unseres ancien regime vorliegt, sie zu leugnen, sondern daß wir aus innerster Überzeugung heraus nur der Wahrheit dienen wollen." Damit hatte Müller gerade die Absicht verworfen, die Rohrbach mit seiner „moralischen Offensive" verfolgte. Er antwortete mit beleidigenden Unterstellungen. 82 ) Die Sache Deutschlands werde eben doch, wie Müllers Brief beweise, nach ParteiGesichtspunkten betrieben. Die SPD möge sich hüten; „denn es ist ausgeschlossen, daß die Regierung, welch eine auswärtige Politik sie auch immer verfolgen möge, Erfolg hat, wenn sie fortdauernd einem Mangel an Vertrauen bei den gebildeten bürgerlichen Schichten begegnet." Diesem Pauschal-Urteil über die Interessen der 80) 81) 82)

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DP H. 4 0 vom 3.10.1919, S. 417. Schreiben an Rohrbach vom 14.1.1920 - PrivNachlRb. Rohrbach an Müller vom 27.1.1920 - PrivNachlRb. Vgl. dazu Handschrift, S. 233/34.

Bürgerlichen und der Pauschal-Beleidigung, daß sich die Gebildeten wohl nicht der SPD anschließen würden, fügte er eine massive Warnung an: „Deren Schwergewicht (gemeint sind die gebildeten Bürgerlichen) ist auf die Dauer doch größer, als daß es ohne entscheidenden Nachteil unberücksichtigt bleiben könnte." Er schloß, daß er aus Gründen, „die ich für streng objektiv und wissenschaftlich halte . . . " , in der entscheidenden Frage, ob Deutschland den Krieg gewollt habe oder nicht, anderer Meinung sei als Müller. Er scheute sich nicht, die unsachlichen und aggressiven Abschnitte seines Briefes in der „Deutschen Politik" zu veröffentlichen. 8 3 ) Damit war der Kontakt zum Auswärtigen Amt vorläufig unterbrochen; es blieb eine gegenseitige persönliche Abneigung, die sich bei Rohrbach noch 1929 und 1930 heftig Luft machte. 8 4 ) Durch die Initiative des Kulturausschusses der DDP 8 5 ) fand er nun Gelegenheit, seine Anschauungen vor Parteikreisen vorzutragen. Anfang 1921, als er die soziale Komponente seines national-sozialen Programmes bereits weitgehend preisgegeben hatte, erschien in der partei-offiziösen „Hilfe" ein Artikel von i h m 8 6 ) , der die DDP aufforderte, an Stelle der versagenden Regierung eine „demokratische Außenpolitik" zu beginnen. Es liege jetzt genug Material vor, „um ein demokratisches Programm für eine deutsche auswärtige Politik mit moralischen Druckmitteln aufzustellen" - eine Aufgabe, die sicher auch die Jugend wieder stärker in die Partei führen werd e . 8 7 ) Der nach den Reichstagswahlen 1920 stärker gewordene rechte Flügel lud Rohrbach ein, seine Ideen im „Demokratischen Klub" Berlin vorzutragen. Das „Berliner Tageblatt" äußerte sich sofort abschätzig über das ganze Projekt und speziell über Rohrbach, dessen Person wohl keinerlei Garantie für einen Erfolg b i e t e . 8 8 ) Rohrbach schlug mit der belegten Behauptung zurück, zu Kriegsbeginn habe das Tageblatt genau die Ideen vertreten, die es jetzt ihm als Vorwurf anlaste. 8 9 ) Der wahre Streitgrund lag tiefer, nämlich in der unterschiedlichen Auffassung, wie die Kriegsschuldfrage aufzurollen sei. Theodor Wolff wollte alles auf den Nachweis konzentrieren, „daß es auch in den Ententeländern Schuldige g a b " 9 0 ) , folglich je-

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DP H. 17 vom 23.4.1920, S. 485. Siegener Zeitung Nr. 94 vom 23.4.1929. Deutsche La Plata-Zeitung Nr. 136 vom 18.5.1929. Wiesbadener Zeitung Nr. 41 vom 10.2.1930. Müller genoß auch bei den Rechtsparteien Achtung - Heidelberger Tageblatt Nr. 6 8 vom 21.3.1931 - und Gessler hielt ihn sogar tür den - nächst Ebert - mit weitem Abstand Tahigsten Kopf der SPD - Reichswehrpolitik, S. 376. Die o f f e n b a r Schacht angeregt hatte. Rohrbach an Schacht vom 25.3.1924 - Nachl. Schacht. Nr. 1, 1921, S. 6/7. ebda, S. 7. Berliner Tageblatt Nr. 4 8 vom 29.1.1921, S. 7, Die Hilfe, Nr. 5, 1921, S. 67-69. ebda, S. 68.

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de Kampagne in direkten Angriffen auf bestimmte Entente-Politiker bestehen müsse. „Diese Methode der Offensive erscheint mir nicht nur als die allein wirksame . . . sondern sie bleibt für mich auch die einzig mögliche, da ich die Defensive, die Verteidigung der deutschen Politik von 1914, für sachlich falsch und für taktisch aussichtslos h a l t e . " 9 1 ) Rohrbach wehrte sich gegen diese Auffassung, die von vornherein eine deutsche Mitschuld zugab, mit allen Mitteln. Man müsse den Begriff „Schuld" durch die eindeutigere Frage ersetzen: „Wer hat den Krieg gewollt? " In diesem Falle werde sich aber ganz klar Deutschlands Absicht erweisen: Es habe den Krieg n i c h t gewollt, 92 ), es sei allein unschuldig. Es spricht für die Bandbreite der Anschauungen - u n d wohl auch für die innere Schwäche der Partei -, daß die DDP Rohrbach mit seiner Auffassung und seinen Vorstellungen für Schulungskurse über „moralische Offensiv-Politik" einsetzte. 9 3 ) Am 26. Februar 1921 wurde er als Gast zur Vorstandssitzung der DDP eingeladen, wo er ein Programm vortrug, durch planmäßige Öffentlichkeitsarbeit im In- und Ausland zur Klärung der Kriegsschuldfrage beizutragen. 9 4 ) Damit solle die Wiederherstellung des Rechts, der Vernunft und der Menschlichkeit in der Welt vorangetrieben werden. Logischerweise führe der einzige Weg zu diesen Menschheitszielen über die Wiederherstellung Deutschlands, deren erster Schritt im Widerruf der Schuldlüge bestehe: ein Vorhaben, das zudem die Werbekraft der DDP nur erhöhen könne. 9 «) Nicht alle Vorstandsmitglieder ließen sich überzeugen: „Man müsse auch berücksichtigen, daß der Name Rohrbach schon an sich der Öffentlichkeit gegenüber die Sache schädigen werde. Die Partei als solche könne unter diesen Umständen die Aktion nicht unternehmen", sondern höchstens heimlich unterstützen. 9 6 ) Aber die Gegenmeinung siegte; der Vorstand war bereit, das nötige Geld aufzubringen, und hieß einen Tag später das Projekt gut - allerdings erst nach langer Diskussion. Daß im Anschluß daran ein Ausschuß für auswärtige Politik gegründet wurde, darf als Sieg des „Rohrbach-Flügels" gewertet w e r d e n . 9 7 )

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Th. Wolff an B. Schwertfeger vom 4.2.1921 - Nachl. Schwertfeger, BA Koblenz 182 Die Hilfe. Nr. 5, 1921, S. 68. Wolffs Auffassung blieb offiziell unwidersprochen; der Reichsfrauenausschuß der DDP stellte sich sogar prononciert hinter Wolff und das „Berliner Tageblatt" - Rundschreiben Nr. 106 vom 10.2.1922 - BA R 45 111/45. - Ebenso der Historiker Wilhelm Mommsen, damals Privatdozent in Göttingen, der sich über die Zersplitterung des Kampfes und die vielen Einzelgänger beklagte und als bedeutenden Vorkämpfer u.a. Theodor Wolff und als bedeutendste Tageszeitung das „Berliner Tageblatt" bezeichnete - Heidelberger Tageblatt Nr. 105 vom 6.5.1926. 93) Rohrbach an B. Schwertfeger vom 16./17.2.1921 - NachL Schwertfcger, BA Koblenz 182. 94) R 4 5 III/17, fol. 2. 95) ebda, fol. 111. 96) ebda, fol. 12. 97)

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Protokoll der Vorstandssitzung der DDP am 27.2.1921 - R 45 111/17, fol. 19.20.

Seine Stellung festigte sich durch den Verlauf der Londoner Konferenz 9 8 ); zwei Wochen später faßte der Vorstand den Entschluß zur A b ä n d e r u n g des Programms: „Es erscheint j e t z t notwendig, daß die Partei in aller Ö f f e n t l i c h k e i t erklärt, daß sie die Klärung der Schuldfrage sich zur Aufgabe macht. Das persönliche Heraustreten Dr. R o h r b a c h s erscheint n u n m e h r auch zweckmäßig, zumal er die Agitation nicht allein betreiben s o l l . . . " " ) Im Zeichen dieses „Tauwetters" wurde R o h r b a c h am 12. März 1921 auf Vorschlag von A. Erkelenz als Mitglied des Parteiausschusses z u g e w ä h l t . 1 0 0 ) Doch der Entschluß der DDP, seine Arbeit zu unterstützen, blieb eine jener nationalen Aufwallungen, die den Kurs der Partei nicht nachhaltig beeinflußten. Hauptgrund war die Londoner Konferenz, auf der Deutschlands Reparationen festgelegt wurden. Es gab - bis auf wenige Blätter ganz links und einige hämisch-schadenfrohe Zeitungen ganz rechts - einen einstimmigen Schrei nationaler Empörung. Da sich zudem der englische Premierminister Lloyd Georges unverständlicherweise während der K o n f e r e n z auf den Kriegsschuldartikel 231 des Versailler Vertrages b e r u f e n h a t t e , 1 0 1 ) „blühte Rohrbachs Weizen" noch einmal auf, wie Theodor Wolff bemerkte. Die Aktion war darauf abgestellt, den Kriegswillen der Feinde vor 1914 aufzuzeigen und nachzuweisen, daß sie im Juli 1914 bewußt den „Mechanismus der Entente" genutzt hätten, um den Krieg herbeizuführen. Berlin habe den Krieg nicht gewollt; dafür zeuge die Empfehlung an Wien, den Grey-Lichnowsky'schen Konferenz-Vorschlag v o m 29. Juli zu akzeptieren. 1 0 2 ) Deutschland habe sich taktische und diplomatische Fehler zuschulden k o m m e n lassen, die aber nie sein Hauptziel, den absoluten Friedenswillen, hätten überdecken oder verfalschen k ö n n e n . 1 0 3 ) Dagegen seien die maßgeblichen Kreise in Paris und Petersburg zum Krieg entschlossen gewesen - als der Zar die Mobilisierung einstellen wollte, sei er ja von seinen Generälen betrogen w o r d e n 1 0 4 ) - während London bereit war, einen Krieg zu riskieren: Der englische Premier Grey habe versäumt, den Zaren zur Annahme des dritten Vermittlungsvorschlages so unter Druck zu setzen, wie es Berlin in Wien getan h a b e . 1 0 5 ) Alle Aktionen Bethmann Hollwegs, so undurchsichtig sie auch im Ein-

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21. Februar bis 14. März 1921. David Felix, Walther Rathenau and the Weimar Republic. The Politics of Reparations, Baltimore/London 1971, p. 8-24. Sitzung des Vorstandes der DDP am 14.3.1921 - R 45 III/17, fol. 26. R 45 III/ll, fol. 3.15.55. Documents on British Foreign Policy 1919-1939, 1st Ser., Vol. 15, p. 258-65. Das Zeugnis der 13 Tage, Hamburg o.J. (1919), S. 56 ff. Die Propaganda stützte sich vornehmlich auf seine Bücher „Die Beweise für die Verantwortlichkeit der Entente am Weltkrieg", Stuttgart 1921 und „Das Zeugnis der 13 Tage". Aus der Arbeit heraus entstand „Die Verantwortlichkeit am Weltkriege". Leipzig 1921 (Schriften der deutschen demokratischen Partei in Sachsen). DP H. 17 vom 23.4.1921, S. 388 ff. Deutschland unter den Weltvölkern, 5. Aufl. 1921, S. 257 ff. 47

zelnen sein mochten, hätten einzig der Erhaltung des Friedens gedient. 106 ) Deutschlands „Friedenspolitik" sei für alle kritischen Phasen der Juli-Krise ebenso belegbar - übrigens auch für die Jahre vor dem Krieg - wie der feste französisch-russische Kriegswille. 107) Das Propaganda-Unternehmen - von der Presse gebührend gewürdigt - stieß aber in den DDP-Ortsvorständen bald auf Widerstand, die die Anlage der Aktion kritisierten und Rohrbach mangelnde Fühlung mit den demokratischen Landesorganisationen vorwarfen. Besonders laute Beschwerden kamen aus der „Frankfurter Ecke" 1 0 8 ), die sich der Meinung der „Frankfurter Zeitung" angeschlossen hatte, nach der Deutschland „Schweigen und Warten" sollte. 109 ) Auch auf der Regierungsseite betrachtete man Rohrbachs Aktion mit wenig Sympathie. B.v. Bülow schrieb Ende Februar 1921 an B. Schwertfeger, er habe mit dem deutschen Außenminister Simons über die Schuldfrage gesprochen: „Taktisch müssen wir, nach Simons Auffassung, der ich völlig beipflichte, ganz darauf verzichten, unsere Unschuld zu beweisen, wie dies Rohrbach und Reventlow immer wieder versuchen. Dagegen müssen wir unsere ganze Energie daran verwenden, die Schuld der anderen nachzuweisen - was ja auch sehr viel leichter ist." 1 1 0 ) Nach der Annahme des Londoner Ultimatums verlor die Aktion an Interesse. Während Rohrbachs erster Amerika-Reise wurde sie von Werner Mahrholz 111 ) mit einigem Erfolg weitergeführt. Rohrbach hatte geplant, nach seiner Rückkehr wieder daran teilzunehmen, 1 1 2 ) mußte aber feststellen, daß die DDP dem Unternehmen jetzt kritischer gegenüberstand. Schuld daran trugen auch die Zwischenfälle auf der Südamerika-Reise. Erich Koch-Weser forderte ihn bald nach der Heimkehr auf, seine

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Vgl. dagegen die Darstellung von I. Geiss, Julikrise und Kriegsausbruch 1914. Bd 1.2. Hannover 1963-64, die Bethmanns Haltung völlig anders bewertet. Zu Bethmann Hollweg vgl. K. D. Erdmann, Zur Beurteilung Bethmann Hollwegs, in: GWU 15, 1964, S. 525 ff. Zur „Kriegsbereitschaft" des Kanzlers bes. S. 535 ff. So in einer Erklärung, die Rohrbach, Delbrück und Graf Montgelas am 15.9.1924 abgaben - Schulthess' Europäischer Geschichtskalender, N.F. 40. Jg. 1924, S. 79. Die These von der Alleinunschuld Deutschlands wurde kurz vor dem Zweiten Weltkrieg in eine „endgültige Form" gebracht - A. v. Wegerer, Der Ausbruch des Weltkrieges. Bd 1.2. Hamburg 1939. Sitzung des Vorstandes der DDP am 27.4.1921 - R 45 HI/17, fol. 39. Rohrbach hatte im März 1921 an der Frankfurter Universität einen Ferienkurs über moralische und offensive Außenpolitik veranstaltet, der mit 150 Teilnehmern einen sehr guten Zulauf hatte - DP H. 13 vom 26.3.1921, S. 291. Frankfurter Zeitung Nr. 43 vom 17.1.1919. Nachl. Schwertfeger, BA Koblenz 182. Dr. Werner Mahrholz (1889-1930), Schriftsteller, seit 1924 Redakteur der „Vossischen Zeitung", Mitglied der DDP seit der Gründung. Kurzer Lebensabriß in seinem Buch „Deutsche Literatur der Gegenwart. Probleme - Ergebnisse - Gestalten". Berlin 1930, S. 518 ff. Rohrbach an Carl Petersen vom 8.9.1922 - Priv.Nachl. Rohrbach.

u m s t r i t t e n e n Ä u ß e r u n g e n über M o n a r c h i e und R e p u b l i k der Partei zu e r l ä u t e r n . R o h r b a c h a n t w o r t e t e kurz, es gebe für ihn weder eine monarchische n o c h republikanische Weltanschauung; politische Z w e c k m ä ß i g k e i t lege es nahe, „für D e u t s c h land die D e m o k r a t i e als politisches Piedestal zu w ä h l e n . " 1 1 3 ) Diese A n t w o r t war für die D D P u n a n n e h m b a r . A u f der einzigen Sitzung des Parteiausschusses 1 9 2 2 , an der R o h r b a c h nachweislich t e i l n a h m , 1 1 4 ) kam die Propaganda-Aktion nicht zur Sprache.Zwischen seinerzweiten und dritten Amerika-Reise nahm er noch an zwei Sitzungen des Parteiausschusses teil, o h n e auf eine Neubelebung zu d r i n g e n . 1 1 S ) Damit war er in zwei wichtigen P u n k t e n seiner politischen V o r s t e l l u n g e n - soziale „Umgestaltung" und „moralische O f f e n s i v e " - von der Partei zurückgewiesen worden. A u c h m i t seiner Forderung nach verstärkter außenpolitischer Aktivität der D D P drang er nicht durch. A u f d e m Parteitag 1 9 2 2 in Elberfeld k o n n t e er als R e d n e r seine A b s i c h t e n darlegen. E r wurde - laut P r o t o k o l l - m i t „ l e b h a f t e m B e i f a l l " b e g r ü ß t 1 1 6 ) und begann seine R e d e m i t einer scharfen A t t a c k e a u f die bei allen Auslanddeutschen in „sehr geringer A c h t u n g stehenden R e g i e r u n g " und die S o z i a l d e m o k r a t i e . Wann werde die Partei endlich einsehen, daß sie ein großes Ziel h a b e , „ d a s positiv verfolgt werden k a n n . Dieses Ziel h e i ß t die Wiederherstellung der A c h t u n g vor D e u t s c h l a n d im A u s l a n d e . " 1 1 7 ) Und das h e i ß e : eine m o r a l i s c h e Offensive gegen die Kriegsschuldlüge; denn mit der Kriegsschuldlüge stehe und falle der ganze Versailler V e r t r a g , und die S e h n s u c h t n a c h einer „ s o l c h e n P o l i t i k d e s Erfolgs, und zwar m i t moralischen M i t t e l n , " sei d o c h m i t Händen zu greifen. Nur die D D P sei zu einer solchen Politik b e r u f e n , u m den Wählern, „die wir gewinnen w o l l e n , das B r o t zu g e b e n , n a c h d e m sie verlangen . . . Wir müssen deshalb diese Führung (der moralischen Offensive) übernehmen, dann wird auch der demokratische G e d a n k e wieder seine Werbekraft gewinnen. Die deutsche Bevölkerung hungert nach einer Politik der moralischen Wiederherstellung D e u t s c h l a n d s . " 1 1 8 ) Die recht summarischen Äußerungen lassen n i c h t e r k e n n e n , daß er hier n i c h t nur seiner Lieblingsidee der „moralischen O f f e n s i v e " das Wort redete, sondern auf eine Belebung der Außenpolitik drängte. Zwar müsse die Partei in der Kriegsschuld-Aktion eine Führungsrolle ü b e r n e h m e n , u m d e m d e m o k r a t i s c h e n G e d a n k e n W e r b e k r a f t zu verleihen - ein „grundlegendes strategisches, keineswegs ein b l o ß taktisches Erf o r d e r n i s " 1 1 9 ) -, in der Hauptsache gehe es aber um die Einsicht, daß die „sträfliche 113) 114) 115) 116) 117) 118) 119)

Familiengeschichte, S. 448. Die Formulierung war nicht ungeschickt, denn Koch hatte in der Nationalversammlung am 2.7.1919 ähnliche Gedanken vertreten - Hamburger Fremdenblatt Nr. 332 vom 3.7.1919. 28. Mai 1922 - R 45 I I I / l l , fol. 169. 23. September 1923 und 27. Januar 1924 - R 4 5 III/12, fol. 4 0 und 71. Bericht über die Verhandlungen des 4. ordentlichen Parteitages der Deutschen Demokratischen Partei. Abgehalten in Elberfeld am 9. und 10. Oktober 1922. Berlin o.J., S. 33. ebda. ebda, S. 34. Nach Schulthess' Europäischer Geschichtskalender (N.F. 38. Jg 1922, S. 129) hatte Rohrbach eine internationale Aussprache über die Schuldfrage gefordert, „wobei man aber stets im Auge halten müsse, daß das Ausland antisozialistisch denke." Rohrbach an Petersen vom 8.9.1922.

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Vernachlässigung" der Außenpolitik dazu geführt habe, „daß, w e n n wir m o r g e n Reichstagswahlen hätten, die Partei nicht mehr als zwischen ein und zwei Dutzend Mandate bekäme", wie er Mitte 1922 b e m e r k t e . 1 2 0 ) Außenpolitik könne aber gegenwärtig nur „demokratische Außenpolitik" sein, „d.h. eine Politik nicht zwischen den Regierungen, sondern zwischen den Völkern." Und dazu sei von allen deutschen Parteien nur die DDP b e r u f e n . 1 2 1 ) Das Schlagwort von der „demokratischen Außenpolitik" gehörte in jenen Kontext der „ Ö f f e n t l i c h k e i t " oder „Stilwandel der Außenpolitik", der als Forderung speziell von den Journalisten o f t erhoben, aber selten mit konkreten Inhalten angereichert wurde. Denn gerade die Publizisten glaubten zu wissen, daß sich die Beteiligung der Öffentlichkeit nur durch die Publizistik verwirklichen lasse, daß die Presse das legitime Organ der öffentlichen Meinung s e i : 1 2 2 ) ein Weg, ihre persönliche Meinung durch die Behauptung aufzuwerten, Sprachrohr der Öffentlichkeit zu sein. In einem Punkte hatte R o h r b a c h allerdings Recht: Die DDP durfte nicht von sich behaupten, ein außenpolitisches Konzept zu besitzen 1 2 3 ) oder außenpolitische Köpfe in ihren Reihen zu h a b e n . 1 2 4 ) Der einzige überzeugende Politiker, R a t h e n a u , stand der Partei so kritisch gegenüber wie sie i h m 1 2 5 ) und erreichte nie die Führungsposition in der DDP, die er zur Verwirklichung seiner außenpolitischen Vorstellungen benötigt h ä t t e . 1 2 6 ) Auf der anderen Seite war Rohrbach kaum ein geeigneter Ersatz; sein Insistieren auf der moralischen Offensive wirkte auf die Partei schon leicht lächerlich. Theodor Heuss, zur Zeit der ersten Amerika-Reise Rohrbachs mit der undankbaren Aufgabe betraut, den Untergang der „Deutschen Politik" aufzuhalten, h a t t e schon im O k t o b e r 1921 in einem Kopfartikel ganz klar festgestellt: „Die deutsche Täuschung lag u n d liegt im Glauben an die Kraft moralischer Worte. Diese k ö n n e n in der inneren Politik eine formierende Wucht haben, weil sie irgendwie von den Menschen gleichen Bluts verstanden werden. Sie verhallen in der Welt, da man, auch moralisch, viele Sprachen u n d Dialekte spricht."12'')

120) ebda. Ähnlich später in seinem Schreiben an Schacht vom 25.3.1924. 121) Zum Begriff demokratische Außenpolitik vgl. auch E. Krippendorff, Ist Außenpolitik Außenpolitik? in PVS 4, 1963, S. 253/54. 122) Das ist die Hauptthese des in diesen Jahren begonnenen Werkes von O. Groth. Er lieferte die theoretische Rechtfertigung für die das Publikum „fuhrende" Publizistik. 123) Das wurde spätestens bei der Behandlung des Londoner Ultimatums 1921 deutlich - vgl. dazu E. Laubach, Die Politik der Kabinette Wirth 1921/22. Lübeck/Hamburg 1968, S. 19. 124) Dazu das bissige Urteil des konservativen Berufsdiplomaten Friedrich Rosen (Aus einem diplomatischen Wanderleben, Bd 3/4, Wiesbaden 1959, S. 310/11). 125) W. Rathenau, Ein preußischer Europäer. Briefe. Eingel. u. hrsg. v. M. v. Eynern, Berlin 1955, S. 341. 126) Schreiben Rathenaus an den DDP-Bezirksverband Wiesbaden vom 18.7.1921 - a.a.O., S. 398. 127) DPH. 43 vom 22.10.1921, S. 1011. 50

Diese Sätze waren eindeutig gegen Rohrbach gerichtet. Heuss - über die Ansichten des DDP-Vorstandes gut informiert - hat in den wenigen Monaten ihres weiteren Bestehens die „Deutsche Politik" noch stärker von der Rohrbach-Linie abgesetzt; die offenkundig angestrebte Umformung in ein DDP-Organ gelang aber nicht mehr. Nach dem Erlöschen der „Deutschen Politik" gab es aber für Rohrbach bis Mitte 1924 außerhalb der DDP kaum eine publizistische Plattform. Seine große Hoffnung, bei der „Deutschen Allgemeinen Zeitung" als Kommentator oder ständiger außenpolitischer Mitarbeiter unterzukommen, 128 ) zerschlug sich Mitte 1922; seine Haßliebe galt seit der Zeit dem Chefredakteur Fritz Klein i 2 9 ) und dem DAZ-Leitartikler Paul Lensch.

1.3.2

Kritik und Austritt

Gut ein Jahr nach dem Elberfelder Parteitag sah Rohrbach noch einmal eine Möglichkeit, den Parteikurs zu ändern. Carl Petersen wurde am 9. Januar 1924 vom Hamburger Senat zum 1. Bürgermeister gewählt; traditionsgemäß legte er alle Parteiämter nieder. Den Vorsitz der DDP übernahm Erich Koch-Weser. Rohrbach schickte ihm sofort einen Zeitungs-Artikel zu, der einen seiner Vorträge in Argentinien rezensierte. 1 ) In ihm differenzierte Rohrbach noch einmal die unterschiedlichen Auffassungen des Begriffes „Kriegsschuld", unter dem die Entente die aktive Herbeiführung des Weltkrieges verstehe, die deutsche Öffentlichkeit aber meist die fehlerhaft-fahrlässige Politik des Kaiserreiches, die es zum Kriegsausbruch kommen ließ. Fahrlässigkeit oder Aktivität - das sei die eigentliche Alternative: nicht der alldeutsche Versuch, alle Schuld den Feinden zuzuschieben, und nicht der linke-pazifistische Versuch, alle Schuld dem militaristischen Kaisertum anzulasten. Beide Richtungen schöpften nur Wasser auf die Mühlen des feindlichen Mißtrauens. Deutschlands Volk und Regierung müssen sich heute von der Vergangenheit absetzen. „Hier lassen sich moralische Eroberungen machen. Gewinnt die deutsche Republik das Vertrauen des Auslandes durch den Geist, der sie beseelt, so wird sich leichter Uber die Schuldfrage reden lassen." Koch bedankte sich höflich, betonte die Notwendigkeit, solchen Ideen in der DDP Raum zu geben, und blieb ansonsten völlig unverbindlich. 2 ) Von einer Initiative in der Schuldfrage war fortan keine Rede mehr, zum Teil durch die außenpolitische Lage bedingt. Die Reichsregierung widerrief, um die DNVP zur Mitarbeit an den

128) Deutsche Allgemeine Zeitung Nr. 13 vom 8.1.1922; Nr. 25 vom 15.1.1922; Nr. 201 vom 30.4.1922; Nr. 211 vom 7.5.1922. 129) Zu Klein: E. Pfeiffer, Das Hitlerbild, S. 9. 1) Argentinisches Tageblatt vom 29.9.1921. 2) Koch-Weser an Rohrbach vom 5.8.1924 - PrivNachlRb.

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verfassungsändernden Dawes-Gesetzen zu bewegen, das S c h u l d b e k e n n t n i s von Versailles, unterließ aber eine d i p l o m a t i s c h e Notifizierung. R o h r b a c h und die „ F r a n k f u r t e r Z e i t u n g " hielten diesen, a u s i n n e n p o l i t i s c h e n G r ü n d e n e r f o l g t e n S c h r i t t für i n o p p o r t u n . 3 ) Er v e r ö f f e n t l i c h t e z u s a m m e n m i t Delbrück u n d Graf Montgelas eine E r k l ä r u n g , „ d a ß die E r z w i n g u n g d e r Diskussion d u r c h R e g i e r u n g s e r k l ä r u n g e n ihnen nicht der richtige Weg scheine, u m in der Weltmeinung der Wahrheit z u m Siege zu v e r h e l f e n . " Eine a m t l i c h e N o t i f i z i e r u n g k ä m e erst bei e i n e m A n t r a g a u f A u f n a h m e in d e n V ö l k e r b u n d in F r a g e . 4 ) Auf der a n d e r e n Seite k a m es im Verlauf der Diskussion u m das Ergebnis d e r Lond o n e r K o n f e r e n z v o n 1 9 2 4 zu A u s e i n a n d e r s e t z u n g e n i n n e r h a l b der D D P , d i e die B e d e u t u n g der S c h u l d f r a g e in den H i n t e r g r u n d drängten. Eines der H a u p t z i e l e , das m i t A n t i - K r i e g s s c h u l d a k t i o n e n e r r e i c h t w e r d e n sollte, die R ü c k k e h r in d i e intern a t i o n a l e Politik als g l e i c h b e r e c h t i g t e r o d e r d o c h a n n ä h e r n d souveräner P a r t n e r , war in L o n d o n erlangt w o r d e n . A u c h R o h r b a c h h a t t e sich, wie die Delbrück-Montg e l a s - E r k l ä r u n g b e w e i s t , dieser E i n s i c h t n i c h t v e r s c h l o s s e n . Wichtiger w a r , d a ß D i f f e r e n z e n innerhalb d e r D D P a u f b r a c h e n , die sich m i t d e r generellen Ausricht u n g d e r Partei b e s c h ä f t i g t e n . Für R o h r b a c h interessant war ein m a r g i n a l e r Ges i c h t s p u n k t : die Stellung z u m P a z i f i s m u s , die s c h o n h ä u f i g e r d i s k u t i e r t 5 ) , aber nie e n t s c h i e d e n w o r d e n war. Sie g e w a n n S p r e n g k r a f t d u r c h die Frage, wie sich die P a r t e i n a c h L o n d o n o r i e n t i e r e n s o l l e . 6 ) Nach A n n a h m e der Dawes-Gesetze in Reichstag scheiterte der Versuch, d i e D N V P in die Regierung a u f z u n e h m e n , an der Weigerung der DDP. Zwei Tage nach der daraufhin erfolgten Reichstagsaullösung traten, für die Parteileitung völlig überraschend, drei p r o m i n e n t e Reichstagsmitglieder u n d zwei Angehörige des Preussischen Landtages 7 ) aus der DDP aus. Die A u s t r e t e n d e n warfen Koch-Weser vor, unter seiner Lei-

3) 4) 5) 6)

7)

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Frankfurter Zeitung Nr. 658 vom 2.9.1924. Das Deutsche Reich von 1918 bis heute. Hrsg. von Cuno Horkenbach. Berlin 1930, S. 199. Das Demokratische Deutschland H. 41 vom 14.10.1922, S. 972; ebda H. 44 vom 4.11. 1922, S. 1041-43. Vgl. dazu Michael Stürmer, Koalition und Opposition in der Weimaier Republik 19241928, Düsseldorf 1967. Ferner der Aufruf von fünf unten erwähnten Dissidenten der DDP in: Kölnische Zeitung Nr. 765 vom 29.10.1924. Schiffer, Keinath, Gerland sowie Dominicus und Grund. Zu Schiffer: Gessler, Reichswehrpolitik, S. 385. Deutsche Allgemeine Zeitung Nr. 498/99 vom 23.10.1924. Pfälzische Rundschau Nr. 238 vom 23.10.1924. Anderthalb Jahre später erklärte dann die Parteileitung ihre Ablehnung der „Liberalen Vereinigung" (vgl. dazu K.-H. Beeck, Die Gründung der Deutschen Staatspartei im Jahre 1930 im Zusammenhang der Neuordnungsversuche des Liberalismus, Köln, Phil. Diss. Masch. 1955, S. 14 ff.) mit dem Hinweis auf deren Führer Gerland und Schiller, daß diese „in schwerer Zeit unter sehr häßlichen Umständen die Partei verließen und sie zu schädigen versuchten." Der Demokrat, Nr. 4 vom 18.2.1926, S. 74/75.

t u n g 8 ) h a b e die Partei einen Linksruck g e t a n u n d ein „ u n w ü r d i g e s A n l e h n u n g s b e d ü r f n i s " n a c h links gezeigt. Z u r Zeit w e r d e die Partei v o m P a z i f i s m u s b e h e r r s c h t : ein V o r w u r f , auf den Koch n u r sehr g e w u n d e n a n t w o r t e t e . 9 ) Die R e a k t i o n Gerlands, eines g u t e n B e k a n n t e n R o h r b a c h s , fiel sehr scharf aus. U n t e r K o c h s F ü h r u n g h a b e die DDP die Position der Mitte verloren u n d treibe führungslos dahin. Die „ S y n t h e se zwischen rechts u n d l i n k s " zu f i n d e n sei K o c h nicht gelungen: „ D a f ü r stand Ihr H e r z z u sehr l i n k s ! " 1 0 ) In d e m j e t z t a n h e b e n d e n Disput m i s c h t e n sich prinzipielle u n d p e r s ö n l i c h e Motive zu e i n e m u n e n t w i r r b a r e n G a n z e n . E i n m a l war K o c h s Pers ö n l i c h k e i t u m s t r i t t e n , selbst bei P a r t e i m i t g l i e d e r n , die seinen K u r s u n t e r s t ü t z t e n . Der ihm kritisch gegenüberstehende R o h r b a c h - F r e u n d Gessler beschrieb sein Selbstv e r t r a u e n m i t der B e m e r k u n g , K o c h g l a u b e e r n s t h a f t , die Q u a d r a t u r d e s Kreises lösen zu k ö n n e n . 1 1 ) Der Parteichef war ein a u s g e s p r o c h e n politischer K o p f , wendig u n d reaktionsschnell, aber i m m e r in G e f a h r , sich m i t seinen „spitzigen F o r m u lierungen" u n n ö t i g Feinde zu s c h a f f e n . K o c h d u l d e t e auch, sehr z u m Mißfallen der mächtigen Landesverbände, daß die Berliner „ C l i q u e n w i r t s c h a f t " 1 2 ) z u n a h m , jener, wie es H e r m a n n D i e t r i c h f o r m u l i e r t e , „ B e r l i n e r Klüngel m i t seinen u n n a t i o n a l e n S p r ü c h e n . " 1 3 ) Die organisatorische Arbeit vertraute er Dietrich an, dessen Verhältnis zur P a r t e i l e i t u n g t r o t z gleichbleibend aktiver M i t a r b e i t i m m e r s c h l e c h t e r wurd e . 1 4 ) Der Verzicht auf organisatorische Kleinarbeit ließ K o c h häutig d e n K o n t a k t z u r F r a k t i o n verlieren, über d e r e n Schwerfälligkeit er d a n n klagte. Koch-Weser geh ö r t e zu d e n politisch unglücklichen C h a r a k t e r e n , die t r o t z ihrer K o n s e q u e n z d e n Eindruck von Sprunghaftigkeit vermitteln. Z u d e n K l a g e n über die P e r s o n K o c h s gesellten sich B e d e n k e n über d e n K u r s d e r P a r t e i , speziell über ihr V e r h ä l t n i s z u r S P D . I S ) N a c h d e n D e z e m b e r w a h l e n 1 9 2 4 k o n n t e sich die DDP nicht entschließen, die SPD in der O p p o s i t i o n allein zu lassen. N e u m a n n b e m e r k t zwar zu dieser H a l t u n g , d a ß viel m i ß v e r s t a n d e n e r N a u m a n n dabei mitgespielt h a b e , ' & ) aber N a u m a n n h a t t e schon 1 9 1 9 festgestellt, d a ß die D D P in einer nichtsozialistischen Koalition z u m Untergang verurteilt sei, so daß die Gren-

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Koch-Weser war am 5.4.1924 auf dem Weimarer Parteitag offiziell zu Petersens Nachfolger gewählt worden. Zu den Umständen der Wahl: Bericht Uber die Verhandlungen des 5. ordentlichen Parteitages der Deutschen Demokratischen Partei. Abgehalten in Weimar am 5. und 6. April 1924. Berlin O.J., bes. S. 8. Bremer Nachrichten Nr. 296 vom 24.10.1924 Berliner Börsen-Courier Nr. 500 vom 23.10.1924. Bremer Nachrichten Nr. 300vom 20.10.1924. Reichswehrpolitik, S. 365. A. v. Saldern, Hermann Dietrich. Ein Staatsmann der Weimarer Republik. Boppard/Rh 1966 (Schriften des Bundesarchivs. 13.) S. 38. ebda, S. 37. Hermann Dietrich, in: Begegnungen mit Theodor Heuss. Hrsg. von H. Bott und H.Leins. Tübingen 1954, S. 76. Vgl. auch die Arbeit v. Saldems, & 37-41. Hier tat sich besonders das „Hamburger Fremdenblatt" hervor, das als Vertreter der hanseatischen Demokraten schon sehr früh für eine rechte Sammlungspolitik plädierte. S. Neumann, Die Parteien der Weimarer Republik, S. 51. 53

ze politischer Zusammenarbeit nicht zwischen DDP und der damaligen Mehrheitssozialdemokratie liege, sondern weiter rechts. 1 7 ) Koch nahm die Aufgabe, Brücke zwischen Sozialdemokratie und Bürgertum zu sein, wieder ernst. So verteidigte er die Haltung der Partei im Flaggen streit 1 8 ) mit dem Argument, es wäre eine schlechte Politik gewesen, Zentrum und DVP wieder zu den Deutschnationalen hin abzudrängen, „was die notwendige Folge einer Zurückziehung der demokratischen Minister gewesen wäre." 1 8 3 ) Aber diese Brückenschlags-Position mißfiel dem rechten Flügel, der gegenüber der Parteiführung Petersens einen deutlichen Linksruck unter Koch erkennen wollte 1 9 ) und dem Parteiführer vorwarf, diese Haltung nicht eindeutig zu vertreten, „Mangel an Mut und Verantwortungsgefühl" zu zeigen. 2 0 ) Auf der anderen Seite übersahen Kochs Kritiker geflissentlich, daß er lavieren mußte, um die widerstrebenden Richtungen zusammenzuhalten. In der Frage des Pazifismus erklärte Koch im November 1924 auf einer Parteiversammlung unter lebhaftem Beifall, es gebe grundsätzlich zwei Spielarten des Pazifismus. 2 0 3 ) Die eine nähme alle Demütigungen in Kauf, nur um ihr Ziel „nie wieder Krieg" zu erreichen. „Wenn Pazifismus (diese) Würdelosigkeit bedeutet, dann bin ich überzeugt, gibt es bei uns keinen einzigen Pazifisten." Die andere Art bemühe sich, durch friedliche Diskussion die Grundlagen eines Weltfriedens zu schaffen, der auf der Gleichberechtigung aller Völker basiere, und in diesem Sinne seien sie alle Pazifisten. 2 1 ) Das war rhetorisch geschickt, umging aber das anstehende Problem, nämlich, wie sich die Partei gegenüber den Pazifisten in ihren Reihen verhalten solle. Ja, Koch dehnte den Begriff „Pazifismus" bis zur Unkenntlichkeit weiter aus. In der Kriegsschuldfrage, die er anschließend behandelte, wollte er weniger Wert auf Resolutionen legen als vielmehr darauf, „daß man die Beweise für die Schuld der anderen im Kriege sammelt und ihnen vorhält. Und diese Arbeit haben unsere Leute geleistet, die man mit dem Schimpfwort eines Pazifisten bedenkt, nämlich General Graf Montgelas, Graf Harry Kessler, Rohrbach und viele andere . . . " 2 2 ) Der Versuch, Rohrbach und Kessler durch ein gemeinsames Lob zusammenzuspannen und als Pazifisten Koch'scher Prägung auszugeben, war zu durchsichtig, um Erfolg zu haben. Aber es war ein Schulbeispiel für Kochs Manier, die Gegensätze herab17) Die Hilfe, Nr. 5, 1919, S. 53. 18) Dazu Stürmer, a.a.O., S. 148 ff. Koch hatte in Weimar gegen Schwarz-Rot-Gold gestimmt • Haußmann, Schlaglichter, S. 287/88 - was ihm die innerparteiliche Opposition jetzt vorhielt. 18a) Rundschreiben Nr. 12 vom 19.5.1926 - R 45 111/34, fol. 69. 19) Pfälzische Rundschau Nr. 160 vom 15.6.1926. 20) Hamburger Fremdenblatt Nr. 167a vom 19.6.1926. 20a) R 45 III/4, fol. 7 f. 21) ebda, fol. 7. Diese Auffassung wurde später zur offiziösen, aber nie offiziellen ParteiLinie ausgebaut - vgl. Fr. E. Traumann, Die Deutsche Demokratische Partei und der radikale Pazifismus in: Die Hilfe, Nr. 21, 1927, S. 524-27. 22) ebda, fol. 7.

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zuspielen. Er ging in seiner Absicherung nach allen Seiten noch einen Schritt weiter und erklärte, er sei reiner Vernunftdemokrat, der keine prinzipiellen Einwände gegen die Monarchie k e n n e . 2 3 ) Mit solchen Reden k o n n t e er aber das Problem der Pazifisten in der Partei nicht aus der Welt s c h a f f e n ; 2 4 ) der rechte Flügel ließ sich dadurch nicht besänftigen. Rohrbach erteilte der Parteileitung sogar eine ungewöhnlich scharfe Absage: „Wir k ö n n e n keinen Pazifismus und keine Freundschaftsanbietungen brauchen, bei denen stillschweigend oder ausdrücklich unser nationales Recht auf ein gesundes, lebendiges, staatlich geeintes Dasein in Frage gestellt i s t . " 2 5 ) Trotzdem bemühte sich die Parteiführung immer wieder, einen Gegensatz zu überdekken. Rohrbach wurde noch für den März 1925 als einer der „Nichtparlamentarier.die als Redner zur Verfügung stehen", für eine demokratische Werbe woche angeboten. 2 6 ) Noch Mitte Februar 1925 erschien in der parteioffiziösen „Hilfe" ein RohrbachArtikel unter dem Titel „Erziehung zum deutschen Volke", in dem er das eindeutige Bekenntnis z u m großdeutschen Nationalstaat f o r d e r t e : „Die Demokratie ist die einzige unter den deutschen Parteien, die in dieser Beziehung eine unzweideutige Tradition hat. Mögen die Heutigen sich derer wert zeigen, die den gesamtdeutschen Gedanken einst als die ersten e r h o b e n ! " 2 7 ) Doch in Wahrheit war es kein Kampf gegen den Pazifismus, sondern für eine stärkere nationale Orientierung. Am 10. Februar 1925 hielt Rohrbach im Demokratischen Klub Berlin einen Vortrag über die Stellung der Demokratie z u m Pazifismus und zur gegenwärtigen Außenpolitik. 2 8 ) Aus der sich anschließenden Debatte schälten sich mehrere Grundgedanken heraus, die er zu einem Brief an alle Mitglieder des Parteiausschußes verarbeitete. 2 9 ) Kern seiner Ausführungen war: Trennung der DDP von der „Deutschen Friedensgesellschaft", ihrem Vorsitzenden H. v. Gerlach und ihrem geschäftsführenden Vorsitzenden Ludwig Q u i d d e 3 0 ) sowie Abbruch aller Beziehungen zu der pazifistischen Wochenzeitschrift „Die Menschheit" von Friedrich Wilhelm Förster. Anders ließe sich „der Vorwurf, daß die Partei mangelhafte nationale Gesinnung in ihren Reihen duldet, nicht e n t k r ä f t e n . " 3 1 ) Die Begründung berührte einen heiklen Punkt: die schrumpfende Wählerschaft der DDP. Heute, so ar-

23) 24) 25) 26) 27) 28) 29)

ebda, Rückseite. Der Demokrat Nr. 20 vom 15.10.1925, S. 449/50. ebda Nr. 24 vom 17.12.1925.S.541. DDG Nr. 4 vom 17.12.1924, S. 5. Rundbrief vom 6.1.1925 - R 45 111/33, fol. 11. Nr. 4, 1925, S. 80. Berlin hatte Frankreich tags zuvor einen Sicherheitspakt angeboten. R 45 III/33, fol. 27-34 NachL Dietrich, BA Koblenz 74, fol. 190-97. 30) Quidde wurde nur im Januar 1919 in die Nationalversammlung gewählt; die Rechtspresse apostrophierte ihn aber mit Vorliebe als Exponenten der DDP. Uber seine Tätigkeit klagten einzelne Landesverbände schon 1919 - Hamburger Fremdenblatt Nr. 534 vom 20.10.1919. 31) R 45 HI/33, fol. 30. 55

gumentierte Rohrbach, würde nur jene schmale „selbständige Mittelschicht" DDP wählen, die einerseits nicht zur SPD, aus Ressentiment gegen ihre typischen Vertreter aber auch nicht zur DVP oder DNVP gehen wolle. „Diese Schicht ist keineswegs zu verachten, aber sie ist nach beiden Seiten begrenzt und weder geistig noch materiell besonders produktiv." 3 2 ) Von links und vom Zentrum her sei kein Wählerzuwachs zu erwarten, also müsse die Partei nach rechts vorstoßen. Seit 1919 habe die DDP viele Wähler nach rechts abgegeben, zum Teil sicher aus äußeren Gründen, aber zum größten Teil, „weil ihr nationales Bedürfnis auf der demokratischen Seite nicht genügend befriedigt wurde." Bei aller Unklarheit der nationalen Sehnsüchte: „Diejenigen Parteien, die vor allem erklären, ihre ganze Kraft an dies Ziel zu verwenden, m ü s s e n dabei den Vorzug vor denen erhalten, deren Eifer geringer zu sein scheint." 3 3 ) Die Trennungslinie zum Pazifismus sei also lebenswichtig! Auch in der Frage des ausdrücklichen Bekenntnisses zum republikanischen Gedanken müsse die Partei umkehren: damit stoße sie alle Wähler ab, die im Herzen monarchisch gesonnen, sich aber aus Vernunft für die Republik erklärten. „Darüber hinaus sollte man keine Bekenntnisse verlangen. Tut man es doch, so halte ich das für einen gefährlichen und zwecklosen Doktrinarismus, von dem die Werbekraft der Partei nur Schaden h a t . " 3 4 ) Die DDP habe den großen Vorteil, ohne Rücksicht auf partikulare oder soziale Bindungen den deutschen Volksgedanken propagieren zu können. Unter Anwendung demokratischer Methoden - d.h. bei Angleichung an die Denkweise der übrigen Weltvölker - werde ein sie stärkender Erfolg nicht ausbleiben! Dieser Brief - eine der wenigen innenpolitischen Aussagen Rohrbachs - verriet selten deutlich seine Absichten. Einmal war es vollkommen falsch, der Wählerschaft der DDP jede soziale Interessenlage abzusprechen - Rohrbach räumte sie ja selbst eingangs seines Schreibens ein. Aber die schmale „selbständige Mittelschicht", die nach der Inflation sicherlich zu Anfang 1925 noch recht schwach war, gefiel ihm, der sich als Fürsprecher des „gebildeten Mittelstandes" fühlte, überhaupt nicht. Denn dieser gebildete Mittelstand, im Durchschnitt ebenso national gesonnen wie er, wählte DVP oder DNVP. In den Wählerkreis dieser Parteien wollte er vorstoßen und forderte dazu, das republikanische Bekenntnis aufzugeben. Man darf unterstellen 3 5 ), daß er damit nicht den Gedanken einer Restauration betreiben wollte, aber doch bereit war, dahin zielende Wünsche oder Sehnsüchte in der DDP zu sammeln - was ihm wiederum nur möglich schien, wenn die sozialen Interessen dieser heterogenen Gruppen nicht mit einem Parteiprogramm kollidierten.

32) 33) 34) 35)

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ebda, fol. ebda, fol. ebda, fol. Vgl. dazu

30/31. 31. 32. S. 24.

Der Brief ließ ein zweites, zeittypisches, aus dem Kaiserreich überkommenen Mißverständnis erkennen: den Abscheu vor der Partei als Interessenvertretung. Davon sollte sich die DDP lösen, um die große, nur nationale Partei zu werden, deren einzige tragende Basis der nationale, hier großdeutsche Gedanke sein sollte. Abgesehen von dem anachronistischen Verständnis des Begriffes „Partei" ließen seine Ausführungen eine entscheidende Einengung seiner politischen Vorstellungen erkennen: Vereinfacht dargestellt hatte er aus seinem ursprünglich national-sozialen Programm die soziale Komponente vollkommen getilgt. Der Parteiausschuß setzte sich mit Rohrbachs Anträgen auseinander. 3 6 ) Nicht allen Mitgliedern war die Tragweite seiner Ideen klar 3 ''), aber Koch hatte sie durchschaut und ließ sich dazu hinreißen, sie zu ironisieren. Die Debatte mit dem rechten Parteiflügel war heftig, zeigte aber auch, daß niemand eine grundlegende Klärung herbeiführen wollte, weil die Sprengkraft eines solchen Schrittes doch zu vielen klar war. Als Quidde erklärte, die Deutsche Friedensgesellschaft werde alle Verbindungen mit der „Menschheit" lösen, 3 8 ) zog sich der Ausschuß auf zwei Resolutionen zurück, mit denen sich Rohrbach einverstanden erklärte. Zum Komplex „Pazifismus" hieß es: „Mit der Richtung des Pazifismus, wie sie in der Zeitschrift „Die Menschheit" zu Worte kommt, mit den Ansichten des Herrn Prof. Förster und seiner Freunde hat die Deutsche Demokratische Partei keinerlei Verbindungen. Die Partei lehnt diese Anschauungen entschieden ab. Sie tritt ein für internationale Abrüstungen und Ausbau des Internationalen Rechts mit dem Ziel der Anerkennung des freien Selbstbestimmungsrechts der Völker einschließlich seiner Konsequenzen für den Versailler Vertrag." 3 9 ) Quidde und Förster waren in der Partei immer stark umstritten, und ihre Gegner differenzierten selten so, wie es nötig gewesen wäre. 4 0 ) Quidde war bei aller Überzeugung kein blinder Fanatiker; 4 ') er wußte um die Fragwürdigkeit aller pazifistischen Bemühungen, und Gessler überliefert die sicher zutreffende Bemerkung Quiddes, er decke in der Friedensbewegung manches, was an der Grenze der Verantwor-

36) 37) 38) 39) 40)

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Sitzung des Parteiausschusses am 1.3.1925 - R 45,111/12, fol. 125-151. ebda, fol. 161. ebda, fol. 138. Der Demokrat Nr. 5 vom 5.3.1925, S. 124. „Aber Quidde hat für sich selbst sowohl dem religiösen Pazifismus, wie er in Deutschland von Friedrich Wilhelm Förster vertreten wurde, als auch dem Pazifismus des utopischen Sozialismus, deren Vertreter nach 1918 in der deutschen Friedensbewegung zahlenmäßig dominierten, absolut ablehnend gegenübergestanden." U.-Fr. Taube, Ludwig Quidde. Ein Beitrag zur Geschichte des demokratischen Gedankens in Deutschland. Kallmünz 1963, S. 122. Taubes Arbeit reicht leider nur bis 1918; die obigen Auseinandersetzungen erwähnt er nur beiläufig - S. 78, Anm. 34. Vgl. seine Erklärung in der Nationalversammlung am 12.5.1919 oder seinen offenen Brief „an Wilson" - Die Hilfe. Nr. 22, 1919, S. 269-70. Ferner seine Artikel in der Frankfurter Zeitung Nr. 370 vom 20.5. und Nr. 371 vom 21.5.1919, die Rohrbach nachweisbar kannte. Für seine Ablehnung jeder Separationswünsche: Saarbrücker Zeitung Nr. 120 vom 17.5.1924.

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tungsmöglichkeit liege: träte er jedoch zurück, fürchte er noch weit Schlimmeres. 42 ) Quidde war Realist - sein Biograph spricht von einem „skeptische(n) Optimismus" 43 ) und seine Rede auf dem Breslauer Parteitag 1925 zeugte von Mäßigung u n d Einsicht. 4 4 ) Rohrbach hätte mit Quidde in vielen Punkten übereinstimmen müssen 4 5 ); aber sein Vorurteil gegenüber allen pazifistischen Bewegungen hinderte ihn an einer sachlichen Prüfung. Dennoch war er von Quiddes Aufrichtigkeit soweit überzeugt, daß er ihn, bei allen sachlichen Differenzen, nie persönlich angriff. Anders stand es mit Friedrich Wilhelm Förster und seiner Zeitschrift „Die Menschheit". Rohrbach bezeichnete ihren Inhalt als „Predigt des Verrats und der nationalen S c h a n d e " 4 6 ) - was nicht viel besagte -, konnte Förster aber Falschmeldungen und tendenziöse Nachrichten nachweisen, die darauf abgestellt waren, Mißtrauen gegen die deutsche Politik hervorzurufen. 4 7 ) Später beschuldigte er Förster einmal des „nationale(n) Irreseins" 4 8 ) und französischer Handlangerdienste im Sinne des Separatismus: 4 9 ) Solche Äußerungen waren Ausfluß jenes ,,Dunstkreis(es) der Vorurteile und Ressentiments", der Förster u m g a b . 5 0 ) Es war ein „klassische(r) Fall des Weiterlebens eines nationalistischen R u f m o r d e s " 5 1 ) , zu dem Förster aber durch seine Art, sich zur Wehr zu setzen, erheblich beigetragen h a t . S 2 ) Rohrbach gab sich mit der Entscheidung des Parteiausschusses auf die Dauer nicht zufrieden. Zu Ostern 1925 erschien seine Broschüre „Briefe über Demokratie und Pazifismus an ihre staatsmännischen Gegner und F r e u n d e " 5 3 ) , die seine Vorwürfe noch einmal bündelte: das „unsinnige" Bekenntnis zur Republik, mangelnde moralische Offensiv-Bereitschaft, Verzicht auf die Schaffung einer öffentlichen nationalen Meinung in Deutschland, mangelndes Bekenntnis zum großdeutschen Nationalstaat, Pazifismus als würdeloser und feiger Verzicht auf nationale, d.h. sittliche (!) Rechte; fehlende Betonung des Primats der auswärtigen Politik und mangelhafte Anwendung des demokratischen Prinzips als politische Beeinflußungsmethode nach innen und außen. Die Broschüre fand in der Parteipresse nur ein geringes und dann unfreundliches Echo. Daß er damit den eigentlich trennenden Schritt von der DDP weg schon ge42) 43) 44) 45) 46) 47)

Reichswehrpolitik, S. 408. Taube, a.a.O., S. 130. R 45 III/5, fol. 155-57. Beispiele dafür bei Taube, S. 123/24 oder 128 ff. LaK Nr. 7 vom 18.2.1925. Dabei bezog er sich auf die drei Ausgaben Nr. 1, 1924, S. 7 ff: Nr. 1, 1925, S. 1 und Nr. 2, 1925, S. 7/8. 4 8 ) Düsseldorfer Nachrichten Nr. 406 vom 13.8.1927. 4 9 ) DDG 1927, 1. Septemberheft, S. 198. 50) H. Lutz, Deutscher Krieg und Weltgewissen. Friedrich Wilhelm Försters politische Publizistik und die Zensurstelle des Bayerischen Kriegsministeriums (1915-1918), in: Zs.f. bayer. Landesgeschichte 25, 1962, S. 470 ff. Zitate: S. 471. 51) ebda, S. 496 ff. 52) Vgl. auch Försters Biographie, Erlebte Weltgeschichte, Köln 1953, S. 225 ff. 53) Dresden, 1926.

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tan hatte, wurde auf der Rechten eher erkannt als in der Partei. Wilhelm Stapel widmete ihr eine ausführliche Rezension, 5 4 ) in der er schrieb: „ R o h r b a c h ist nicht D e m o k r a t im Parteisinn. Er ist D e m o k r a t , weil er aus dem (auch von uns vertretenen) Rankeschen Gedanken vom Primat der Außenpolitik heraus die Angleichung an die unter den herrschenden Völkern geltende Demokratie für zweckmäßig h ä l t " . Stapel präparierte auch den Kerngedanken, die Umwandlung der DDP in eine rein und nur nationale Partei, deutlich heraus, und schloß mit der richtigen Voraussage: „Wir glauben nach unseren Erfahrungen nicht, daß Rohrbach in der demokratischen Partei mit seinen Anschauungen durchdringt, dort herrschen andere Interessen und I d e o l o g i e n . " 5 5 ) Im August 1925 w u r d e auf der D o r t m u n d e r Versammlung der „Deutschen Friedensgesellschaft" ein Führer des rheinischen Separatismus,Oehmen, als Mitglied rehabilitiert. Quidde als neugewählter Vorsitzender widersprach, gab aber schließlich nach. Außerdem deckte er mit seiner Unterschrift eine Eingabe an den Reichstag mit der Aufforderung, den Reichswehretat zugunsten sozialer Maßnahmen drastisch zu kürzen mit dem Ziel, die Reichswehr völlig abzuschaffen. 5 6 ) Rohrbach forderte den Breslauer Parteitag auf, aus diesem Vorfall die Konsequenzen zu ziehen. Der Parteitag befaßte sich nicht mit diesem Antrag; er wurde im Januar 1926 vor den Parteiausschuß gebracht. Koch-Weser bestand darauf , ihn nicht sofort zu entscheiden, sondern zu verschieben. 5 7 ) Im Mai schob der Vorstand die Entscheidung e r n e u t vor sich her und übergab die Angelegenheit d e m Revisionsa u s s c h u ß 5 8 ) , der am 5. J u n i wiederum eine klare Entscheidung umging. Er anerkannte, daß Quidde die Beschlüsse mißbilligt hatte, und äußerte die Annahme, „Quidde werde im Wiederholungsfalle die Konsequenzen z i e h e n . " 5 9 ) Bevor sich der Vorstand mit dem Entscheid befassen k o n n t e , h a t t e R o h r b a c h aus Anlaß des Volksentscheids zur Fürstenenteignung seinen Austritt e r k l ä r t . 6 0 ) Zu den unglücklichsten innerpolitischen Vorgängen der Republik gehört der Streit um die Entschädigung der abgedankten Fürstenhäuser. Um der sehr unterschiedli-

54) Deutsches Volkstum. 1925, Bd. 2. 55) ebda, S. 716. Zu Stapel, mit dem Rohrbach 1930/31 engere Verbindung aufnahm, H. Keßler, Wilhelm Stapel als politischer Publizist. Ein Beitr. z. Gesch. d. konservativen Nationalismus zwischen den beiden Weltkriegen. Nürnberg 1967. 56) DDG Nr. 12 vom 25.6.1926, S. 714. 57) Vorstandssitzung vom 23.1.1926 - R 45 III/20, fol. 4. 58) ebda, fol. .7. 59) DDG Nr. 12 vom 25.6.1926, S. 714. 60) Daß aber in der Öffentlichkeit der Zusammenhang zwischen Rohrbachs Kampf gegen Quidde und seinem Austritt bekannt war, zeigt der hämische Kommentar im „Völkischen Beobachter" - Zum Austritt Rohrbachs aus der Demokratischen Partei (Nr. 143 vom 25.6.1926). 59

chen Behandlung der Ansprüche in den einzelnen Ländern vorzubeugen, brachten die Koalitionsparteien Anfang Februar 1926 ein Initiativgesetz im Rechtsausschuli des Reichstages ein. Als Antwort zwangen die Kommunisten die SPD, aus wahltaktischen Gründen einem Volksbegehren zur entschädigungslosen Enteignung der Fürstenhäuser zuzustimmen, das vom 4. bis 17. März 1926 zwölfeinhalb Millionen Eintragungen erzielte. Im Reichstag scheiterte das Gesetz, wie zu erwarten gewesen war; unglücklicherweise konnten sich die Regierungsparteien nicht auf den Kompromiß einigen, der schon am 16. April ausgehandelt worden war und dem Preussen als Hauptbetroffener am 24. April zugestimmt hatte. So hing alles vom Ausgang des Volksentscheids ab, der auf den 20. Juni angesetzt war. Die Lage der DDP war mehr als unglücklich. Einerseits mochte sie die SPD nicht im Stiche lassen - das lag im Sinne der von Koch verfolgten Politik andererseits widersprach die Enteignung rechtsstaatlichen Grundsätzen und dem Buchstaben der Verfassung. Interne Verhandlungen mit der SPD brachten kein Ergebnis. 6 1 ) Die DDP selbst war in dieser Frage gespalten. In diese Periode innerer Auseinandersetzungen fiel der Streit um die Flaggenverordnung. Im Dezember 1925 war Koch-Weser mit der Regierungsbildung beauftragt worden, die am Widerstand der SPD scheiterte, während Zentrum und DVP bereit waren, auf der Basis der von Koch aufgestellten Richtlinien eine große Koalition zu bilden. Ein Versuch gleicher Art schlug im Januar 1926 fehl; SPD und DVP konnten sich nicht einigen. 6 2 ) Daraufhin bildete Luther seine zweite Kabinettsliste mit KochWeser als Innenminister. Dagegen erhob die DVP Einspruch mit der Begründung, Koch sei ein zu prononcierter Demokrat und zu unitarisch gesinnt. Mit nur einer Stimme Mehrheit 6 3 ) hatte damals die demokratische Fraktion der Ersetzung Kochs durch Külz zugestimmt: Zeichen einer tiefgehenden Uneinigkeit, die durch keinerlei Beschwichtigungsversuche überdeckt werden konnten. 6 4 ) Koch-Weser reagierte gereizt, zumal er sich vom rechten Parteiflügel vorrechnen lassen mußte, daß seine Anlehnung nach links offenbar in der SPD auf wenig Gegenliebe gestoßen sei. Külz 6 S ) operierte in der Folgezeit sehr ungeschickt 6 6 ) und sah sich in die unglückliche Lage gebracht, die Flaggenverordnung vom 5. Mai 1926 billigen zu müssen. Die Empörung eines großen Teils der demokratischen Presse schlug hohe Wellen. Bei der Behandlung der Flaggenverordnung im Reichstag kam es dann zu der grotesken Situation, daß der erste - sozialdemokratische - Mißbilli-

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Vertrauliche Denkschrift „Die F ü r s t e n a b f i n d u n g " - R 45 111/34, fol. 7-21. Zu den strittigen Punkten zählte auch die Fürstenabfindung. Nachl. Koch, BA Koblenz 34, pag. 13. Deutsche Einheit Nr. 5 vom 3 0 . 1 . 1 9 2 6 , S. 102. Ein „fahrlässiger Optimist", wie ihn Heuss genannt haben soll - Gessler, Reichswehrpolitik, S. 390. Nachl. Koch, BA Koblenz 34, pag. 167.

gungsantrag abgelehnt, der zweite - demokratische - dagegen angenommen wurde. Den Zeitgenossen war klar, daß dieser Sturz Luthers von einem „Geschoß" KochWesers verursacht worden w a r 6 7 ) , der den Reichskanzler offenbar verdächtigte, seine - Kochs - Kanzlerschaft hintertrieben zu haben. Über die wahren Motive können nur Vermutungen angestellt werden - den Beobachtern mußte es aber scheinen, als ob Koch zwei Dinge zugleich versucht habe: die SPD in dieser Frage nicht allein zu lassen und ihr gleichzeitig zu demonstrieren, daß sie auf die DDP angewiesen war. Das konnte nach Lage der Dinge nur ein Beweis für die erneute und entschiedene Linksorientierung der DDP sein 6 8 ) - und so faßte es auch Rohrbach auf.69) Die Auseinandersetzungen um Flaggenstreit und Fürstenabfindung summierten sich: auch Koch geriet jetzt in Panik und glaubte eine Zeitlang, die Spaltung der Partei sei unvermeidbar. 7 0 ) So ging er in der Frage der Fürstenenteignung mit aller Entschiedenheit den Mittelweg: er verzichtete, für den Abstimmungstag eine parteioffizielle Empfehlung herauszugeben. Eine restlose Entschädigung sei ebenso ein Unrecht wie eine völlige Enteignung: „Bei dieser durch eine unglückliche Fragestellung verwirrten Sachlage lehnt es die Partei ab, eine Parole auszugeben. Sie muß es jedem Einzelnen ihrer Wähler überlassen, sich nach gewissenhafter Prüfung zu entscheid e n . " 7 1 ) Das Unbehagen über diese Zwangslage war in der DDP weitverbreitet 7 2 ), die meisten der bekannteren Mitglieder drückten sich aber vor einer klaren Stellungnahme. Einer der wenigen, der sich klar gegen die Enteignung aussprach und die Partei vor einer Freigabe der Entscheidung warnte, war Rohrbachs Freund Hjalmar Schacht. 7 3 ) Schacht war eines der prominentesten Parteimitglieder, Mitglied des Hauptvorstandes 7 4 ) und über seine wirkliche Bedeutung innerhalb der Partei hinaus in den Augen der Öffentlichkeit Exponent der großen Wirtschaft. Als er von der Entscheidung erfuhr, die Abstimmung freizugeben, erklärte er Koch seinen Austritt 7 5 ), verzichtete aber darauf, ihn publik zu machen, um der Partei in diesem kritischen Moment nicht zu schaden. 7 6 ) 67) 68) 69) 70) 71) 72) 73) 74) 75) 76)

Gessler, Reichswehrpolitik, S. 349.366.383. Der Wutschrei auf der Rechten - Leipziger Neueste Nachrichten Nr. 131 vom 13.5.1926. Den der Parteivorstand nicht widerlegen konnte: Rundschreiben Nr. 12 vom 19.5.1926 - R 45 HI/34, fol. 69. Der Demokrat Nr. 10 vom 20.5.1926, S. 206-09. Rohrbach an Schacht vom 21.6.1926 - Nachl. Schacht. Dazu Stürmer, Koalition - Opposition, S. 148 ff und S. 155 ff. Nachl. Koch, BA Koblenz 34, pag. 41/42.233.249. Rundschreiben vom 21.5.1926 - R 45 III/34, fol. 76 Der Demokrat Nr. 11 vom 3.6.1926, S. 232/33. Kieler Zeitung Nr. 281 vom 19.6.1926. Hamburger Fremdenblatt Nr. 167a vom 19.6.1926. Vorstandssitzung vom 20.5.1926 - R 45 HI/20, fol. 24 DDG Nr. 24 vom 26.5.1926, S. 578. Der Demokrat Nr. 24 vom 17.12.1925, S. 541. Nachl. Koch, BA Koblenz 34, pag. 231. Der Demokrat Nr. 12 vom 17.6.1926, S. 247/48.

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Aber die innerparteiliche Opposition durchkreuzte die Absicht und veröffentlichte Schachts Austritt 7 7 ) - ein von der Rechtspresse schadenfroh vermerkter Schritt 7 »), der eine tiefgehende, von der Parteileitung selbst zugegebene negative Wirkung ausü b t e . 7 9 ) Die Rechtspresse interpretierte auch die Tatsache richtig, daß es sich hier um eine Aktion des „Hamburger Fremdenblatts" und der im Ganzen weiter rechtsstehenden hanseatischen Demokratie handelte 8 0 ); sie vermutete ebenso zu Recht, daß hier der Wunsch mitgespielt hatte, Koch zu schaden. Einen Tag nach dieser journalistischen Sensation erschien im selben Blatt 8 1 ) eine von Hans Delbrück,Georg Gothein, Johannes Junck, Friedrich Meinecke, Graf Max Montgelas, Paul Rohrbach und Hermann Schlüpmann unterzeichnete „Erklärung", die den Volksentscheid als „krasse Vergewaltigung des Rechts und des Eigentums" ablehnte, die aus „taktischen Gründen" ausgegebene Weisung des Parteivorstandes bedauerte und die „entschiedenste F o r m " der Ablehnung durch „Nichtbeteiligung an der Abstimmung" von allen Parteifreunden f o r d e r t e . 8 2 ) Diese Erklärung wurde aufmerksam registriert, aber meistens ablehnend kommentiert. 8 3 ) Aus Frankfurt kam ein Hieb gegen Delbrück und Rohrbach. Mit offenkundigem Hohn nannte die „Frankfurter Zeitung" 8 4 ) die Unterzeichner „Verirrte Demokraten", die mit ihrer Erklärung eine „Parole unterstützen, die vielfach zur Vergewaltigung der Gewissensfreiheit ihrer Nebenmenschen führen m u ß . " Bis zum Tag vor dem Volksentscheid wartete Rohrbach vergeblich auf eine Antwort des Parteivorstandes. Dann erklärte er in einem langen Brief an Koch seinen Austritt aus der DDP. 8 5 ) Er führte noch einmal alle Differenzen an: die „Deutsche Friedensgesellschaft", die Tätigkeit Quiddes, den Volksentscheid über die Fürstenenteignung mit seinen negativen Auswirkungen auf das Ausland 8 6 ) sowie die mangelnde innen- und vor allem außenpolitische Aktivität. Er schloß: 77)

Hamburger Fremdenblatt Nr. 163a vom 15.6.1926. Kieler Zeitung Nr. 273 vom 15.6.1926. 78) Pfälzische Rundschau Nr. 160 vom 15.6.1926. 79) „Die Deutsche Demokratische Partei im Berichtsjahr 1926. Jahresbericht der Reichsparteileitung" - R 45 III/6, fol. 306-20. „Schlimmer als das Sichauseinanderreden wirkte damals ein ganz bestimmter Vorfall, nämlich der Austritt des Rcichsbankpräsidenten Schacht. Er hat im ganzen Jahr in seiner ungünstigen Wirkung auf die Parteiorganisation nur eine Parallele, nämlich in dem Austritt Theodor Wolfis anläßlich des Schmutzund Schundgesetzes." - fol. 308. 80) Dazu Koch, BA Koblenz 34, pag. 249-51. Berliner Tageblatt Nr. 282 vom 17.6.1926, S. 5. 81) Hamburger Fremdenblatt Nr. 164 vom 16.6.1926. Kieler Zeitung Nr. 277 vom 17.6.1926. Heidelberger Tageblatt Nr. 138 vom 17.6.1926. DDG Nr. 11 vom 16.6.1926, S. 642. 82) Das war tatsächlich der sicherste Weg, den Entscheid zu sabotieren - eine Taktik, diedas Fremdenblatt schon länger verfolgte. 83) Deutsche Einheit Nr. 26 vom 26.6.1926, S. 602. 84) Nr. 451 vom 20.6.1926. 85) Schreiben vom 19.6.1926-DDG Nr. 12 vom 25.6.1926, S. 713-17. 86) Handschrift, S. 283.

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„Meine Uberzeugung, daß jedes politisch gereifte, von Stimmungen und Interessen unabhängige Urteil auf die Dauer außerstande sein wird, andere als demokratische Wege für unsere Politik zu finden - ich meine dabei stets die auswärtige als den primären und bewegenden Faktor - wird durch meine Trennung von der Partei nicht erschüttert." 8 7 ) Der Brief war eine einzige Kritik an der Parteileitung 8 8 ) und wurde auch so aufgefaßt. Die parteioffizielle Erwiderung warf ihm - allerdings zu Unrecht - vor, er habe in der Frage Quidde nicht abwarten wollen. Erst der letzte Satz berührte die eigentlichen Differenzen: „Es ist nicht recht verständlich, daß Rohrbach glauben kann, er könne sich auf Außenpolitik beschränken und sich den Bemühungen, das ganze deutsche Volk national zusammenzuführen, entziehen." 8 9 ) Indirekt antwortete Rohrbach darauf in einem Leitartikel des „Heidelberger Tageblatts" 9 0 ), in dem er noch einmal seine Motive aufzählte und hervorhob, die Partei habe mit ihrer Entscheidung die Praxis entschädigungsloser Enteignung deutscher Staatsbürger im Ausland gerechtfertigt; denn auch die Fürsten seien deutsche Staatsbürger. Außerdem aber habe die Partei freigestellt, „ ü b e r h a u p t für die Fortnahme von unzweifelhaft vorhandenem Eigentum zu stimmen . . . Hier handelt es sich u m ein Prinzip unserer s t a a t l i c h e n O r d n u n g , und es gibt Wege, dieses Prinzip zu wahren, ohne ungerechtfertigte Ansprüche der Fürsten zu erfüllen. Die Parteileitung hat gegenüber einer - unzweifelhaft vorhandenen - taktischen Notlage ein fundamentales Rechtsprinzip geopfert." Das letzte Argument war unbestreitbar richtig und wurde, wie die Leserbriefspalten der Parteipresse beweisen, von vielen aufgegriffen. Eine Sabotage der Abstimmung hätte auch im Sinne Kochs der SPD eine Brücke gebaut, die sich so in die Minderheit gedrängt sah, weil sie sich mit dem Scheitern des Volksentscheids identifizieren mußte. Auch Koch war klar, daß die Sozialdemokratie durch die kommunistische Initiative in eine Zwangslage geraten war; ein klarer Entscheid der koalitionswilligen Mittelparteien, die Abstimmung zu sabotieren, hätte der SPD gegenüber ihren enteignungswilligen Mitgliedern das Alibi verschafft, sich auf eine parlamentarische Regelung zurückzuziehen. So aber hatte die DDP-Parteileitung ihren rechten Flügel vergrämt und zugleich die Sozialdemokratie allein gelassen, was ihre Bereitschaft zur Opposition verstärkte. 9 1 )

87) 88) 89) 90)

Nur diesen Schluß brachte dann das Berliner Tageblatt - Nr. 293 vom 24.6.1926, S. 7. Heidelberger Tageblatt Nr. 144 vom 24.6.1926. Bremer Nachrichten Nr. 173 vom 24.6.1926. Nr. 147 vom 28.6.1926.

91)

VgL dazu Alfred Kastning, Die deutsche Sozialdemokratie zwischen Koalition und Opposition 1919-1923, Paderborn 1970, S. 153 ff.

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Zweifellos hat der Austritt R o h r b a c h s nicht das Aufsehen erregt, das Schachts Schritt h e r v o r r i e f . 9 2 ) R o h r b a c h war viel zu sehr der „ E i n s p ä n n e r par e x c e l l e n c e " 9 3 ) und nicht bedeutend genug, um in der Öffentlichkeit als E x p o n e n t der DDP zu g e l t e n . 9 4 ) Aber einmal war das öffentliche Interesse durch zahlreiche Austritte auch prominenter DDP-Mitglieder stärker als üblich a u f die Partei g e r i c h t e t . Z u m anderen galt er als national gesinnter Publizist und, soweit man überhaupt von seiner Parteimitgliedschaft w u ß t e , als V e r t r e t e r des r e c h t e n Flügels. Die A u s t r i t t e der „ V e r t r e t e r " der Wirtschaft und des rechten Flügels - S c h a c h t und R o h r b a c h - m u ß t e n den Eindruck einer von schweren Parteikrisen b e g l e i t e t e n n e u e n L i n k s o r i e n t i e r u n g verstärken. T r o t z Pazifismus-Streit und hürstenenteignung lagen a b e r die wahren Gründe für seinen Austritt in der wachsenden Enttäuschung, daß er keine seiner Vorstellungen innerhalb der Partei h a t t e d u r c h s e t z e n k ö n n e n . Die D D P verstand sich w e d e r zu seinem national-sozialen Programm, n o c h vollständig zu seiner moralischen Offensive, n o c h zu seinem Propagandafeldzug für das „ R e c h t " . S i e war auch n i c h t bereit - als er die soziale K o m p o n e n t e seines ursprünglichen P r o g r a m m s aufgegeben hatte -, der U m f o r m u n g in eine rein nationale Partei z u z u s t i m m e n . Und nur in der Hoffnung, die Partei a u f diese (verschiedenen) Kurse festzulegen, hatte er sich der DDP a n g e s c h l o s s e n 9 5 ) ; denn sie - so schrieb er 1 9 2 0 - „scheint mir vorläufig die einzige (Partei) zu sein, die imstande ist, sich zur Partei der deutschen Zukunft zu e n t w i c k e l n .*'96) Bis etwa Ende 1 9 2 3 war seine Hoffnung, den Parteikurs zu ändern, wenigstens nicht gänzlich unrealistisch, j a , R o h r b a c h rechnete sich einige Chancen aus, weil die DDP nach der E r m o r d u n g R a t h e n a u s außer d e m - sich aber z u r ü c k h a l t e n d e n - G r a f e n Bernstorff über keinen ausgesprochenen außenpolitischen K o p f mehr verfügte. Koch dagegen brachte klar umrissene Vorstellungen zur Außenpolitik m i t 9 7 ) , die grundsätzlich auf eine Unterstützung der Stresemannschen Linie hinausliefen: für den Völkerbund; gegen eine West- oder O s t o p t i o n ; Versöhnung mit Frankreich und Bescheidung bei allen außenpolitischen Schritten. Lange nach R o h r b a c h s Parteiaustritt formulierte er zwei Passagen, die klingen, als seien sie eigens gegen R o h r b a c h gericht e t : 1. Der G e d a n k e , F r a n k r e i c h von England und A m e r i k a zu t r e n n e n und dann zu dritt eine Politik gegen Paris zu treiben, „hat in den letzten zehn Jahren immer

92) 93) 94)

95) 96) 97)

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R 4 5 III/6, fol. 308. Wie ihn Max Warburg einmal nannte - Nachl. Delbrück, BA Koblenz 4 3 , fol. 113. Insofern ist die Karikatur des „Kladderadatsch" vom 11.7.1926 etwas schmeichelhaft: Ein deutscher Michel blinzelt auf eine schwach brennende und stark qualmende Kerze. Zwei dicke Wachsströme mit den Namen Rohrbach und Schacht laufen herunter. Kommentar: Die demokratische Paiteikerze. „Sehr hell hat sie ja nie gebrannt, aber nun scheint sie ganz ausgehen zu wollen!" D P H . 51 vom 1 9 . 1 2 . 1 9 1 9 , S. 773. D P H . 1 8 v o m 3 0 . 4 . 1 9 2 0 , S. 5 1 8 / 1 9 . Eine knappe Zusammenfassung brachte sein Vortrag in der Deutschen Vereinigung für Staatswissenschaftliche Fortbildung - Koch-Weser, Deutschlands Außenpolitik in der Nachkriegszeit, in: Volk und Reich der Deutschen. Bd 3, Berlin 1 9 2 9 , S. 162 ff.

wieder die deutschen Gemüter bestochen. Aber die Rechnung ist ohne die anderen gemacht." 9 ^) 2. Nicht die Revision der Schuldfrage sei der Anfang der Völkerverständigung! „Denn die Schuldfrage bildet nicht die Basis des Versailler Vertrages, sondern seine Basis war unsere Niederlage. Die Schuldfrage b e d e u t e t nur einen Vorw a n d . " 9 9 ) Damit aber zerstörte K o c h zwei tragende Pfeiler der R o h r b a c h s c h e n außenpolitischen Vorstellungen. Die Einsicht über die Unvereinbarkeit seiner Vorstellungen mit der offiziellen Parteilinie dürfte, neben der vermuteten Linksorientierung, bestimmender gewesen sein als Pazifismus und Fürstenenteignung. Ob eine frühzeitige Rechtsorientierung die Partei vor dem Schicksal, langsam aufgerieben zu werden, h ä t t e bewahren k ö n n e n , ist mehr als u n w a h r s c h e i n l i c h . 1 0 0 ) Die DDP hat 1930 das Experiment einer Rechtswendung durch die Verschmelzung mit dem Jungdeutschen Orden zur Staatspartei versucht - eine schlecht vorbereitete Aktion, v o m Parteivolk als überhastet u n d sinnlos apostrophierte „Revolution von o b e n , " als neuer „einsamer Entschluß Kochs" verdammt. Die Partei zerbrach über dieser Vereinigung, weil Koch die innerparteiliche Opposition, speziell gegen die Person M a h r a u n s , 1 0 1 ) unterschätzt u n d die inneren Widersprüche von Partei und Bund zu spät erkannt h a t t e . 1 0 2 ) Zwar erweckte der Führungswechsel in der DVP, w o Dingeldey den mehr rechtsgerichteten Scholz a b l ö s t e 1 0 3 ) , n o c h einmal kurzlebige Fusionshoffnungen. Aber der Zerfall der Partei war nicht mehr aufzuhalten. Er wäre auch durch eine frühere Rechtswendung und ein entschiedeneres Eintreten für eine Ausweitung der demokratischen und sozialen Gesetzgebung nicht zu vermeiden gewesen, weil die damit anzusprechende Schicht zu schmal war. Eine andere Frage ist, o b die DDP so schnell zerfallen m u ß t e . O h n e Zweifel haben ihre unzureichende Organisation, ihr unklares Programm, der Mangel an politisch zugkräftigen Führern und der Grad innerer Auseinandersetzungen viel dazu beigetragen, Wähler u n d Mitglieder abzustoßen. Selbst wenn diese Eigenarten als Preis für die „intellektuelle" Partei unvermeidlich waren, so hätten doch auf der anderen Seite ein demokratisches V e r a n t w o r t u n g s b e w u ß t s e i n 1 0 4 ) und ein größerer R e a l i s m u s 1 0 s ) diesen Prozeß steuern müssen. Insoweit kann Rohrbachs K r i t i k eine Berechtigung nicht abgesprochen werden. Das erklärt auch, warum er bis 1926

98) ebda, S. 183. 99) ebda, S. 204. 100) Vgl. Alfred Milatz, Wähler und Wahlen in der Weimarer Republik. Bonn 1965 (Schriftenreihe der Bundeszentrale für politische Bildung. H. 66) S. 92.101. Zum Problem der Mittefunktion vgl. auch R. Vierhaus, Die politische Mitte in der Weimarer Republik, GWU 15, 1964, S. 133 ff. 101) Deutsche Einheit, 7. Jg 1925, Nr. 49, S. 1372-73. 102) Vgl. dazu auch Beeck, a.a.O., S. 94 ff. 103) Heidelberger Tageblatt Nr. 270 vom 19.11.1930. 104) An dem es vielen Demokraten mangelte; vgl. etwa die überaus scharfe Beurteilung Kerrs, des Theaterkritikers des „Berliner Tageblatts" bei H. Mudrich, Die Berliner Tagespresse der Weimarer Republik und das politische Zeitstück, S. 196. 105) Ein Vorwurf, den G. Schwarz auch Theodor Wolff machen muß - a.a.O., S. 284 ff.

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- und nicht nur vom rechten Parteiflügel - immer wieder Unterstützung fand, wenn auch seine Z i e l s e t z u n g allgemein als das abgelehnt wurde, was sie war: nämlich unrealistisch. Der Glaube, durch ein gleichberechtigt soziales und nationales Programm links und rechts versöhnen zu können, verkannte die Macht der gegenseitigen Ressentiments und politisch-sozialen Interessen. Mit wachsender Einsicht in diese Tatsache neigte Rohrbach zu einer die Parteien überwindenden Staatsform. Dieser Weg führte ihn nach vier Jahren zu einer neuen Bindung in der Konservativen Volkspartei.

1.4 Deutsche Akademie und Kulturpolitik (1927-1930) Zwischen 1926 und 1930 mußte Rohrbach auch seine Hoffnungen begraben, bei staatlichen oder offiziellen Stellen Unterstützung für seine moralische OffensivPolitik zu finden. So abstrus und - nach ihrem nationalen Gehalt - kontrovers zur Regierungslinie seine Vorstellungen auch waren, so hatten sie ihn doch bis dahin an die Republik gebunden, deren außenpolitische Aktionsfreiheit zu fördern ja das Hauptziel seiner Aktion war. Die „Deutsche Akademie" schien ihm noch einmal eine Realisierungs-Möglichkeit zu bieten - zwar nicht mehr ganz konform mit der Regierung, aber doch noch im „Bannkreis" des parlamentarischen Systems. Das glücklose Ende seiner Mitarbeit an der Münchener Organisation hob die letzte Fessel auf, die ihn gegen Ende der 20er Jahre noch an die Republik gebunden hatte. Am 5. Mai 1925 wurde nach zweijähriger Vorbereitungsarbeit die „Akademie zur wissenschaftlichen Erforschung und zur Pflege des Deutschtums. Deutsche Akademie." 1 ) in der Münchner Universität mit einem Festakt begründet. Beeinflußt von den Methoden und Erfolgen französischer und englischer Kulturpropaganda setzte sie sich zum Ziel, zur Erhaltung des Deutschtums in aller Welt beizutragen und gleichzeitig für die deutsche Kultur zu werben. Betont überparteilich, streng wissenschaftlich und ohne Bindung an staatliche Zwecke beabsichtigte sie von Anfang an, mehr als eine der vielen Deutschtums-Organisationen zu sein. Ihrer Anlage und Organisation nach hatte sie als Ziel im Auge, geistiges Kristallisationszentrum und damit später einmal Mittelpunkt der Deutschtums-Arbeit zu werden. 2 ) Rohrbach hatte der Akademie, deren Konkurrenzstellung zum Deutschen Ausland-Institut ihm wohl nicht verborgen geblieben sein dürfte, einen sehr freundlichen Artikel gewidmet: 3 ) es ist allerdings fraglich, ob er die bayerisch-partikularistischen Nebenabsichten der Gründung sofort durchschaute.

1) 2) 3)

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Im folgenden zitiert als DA. Ihre Akten liegen unter der Signatur R 51 im Bundesarchiv Koblenz. Rohrbach an Schacht vom 5.10.1928 - Nachl. Schacht. DDG Nr. 16 vom 29.5.1925, S. 582 ff.

Die DA bestand aus einer wissenschaftlichen Abteilung - ihr Vorsitzender war im Mai 1925 der Historiker H. Oncken, mit dem Rohrbach in loser Verbindung stand - und einer Praktischen Abteilung, die von dem Geopolitiker K. Haushofer geleitet wurde. Präsident der Akademie war einer der Initiatoren des Unternehmens, der katholische Theologe G. Pfeilschilter. 4 ) Neben den beiden Abteilungen und einem großen und kleinen Rat existierte als eigentlicher Mittelpunkt der 100köpfige Senat, der am Gründungstag einen repräsentativen Querschnitt aus Kultur, Politik und Wirtschaft versammelte. 5 ) Die Regsamkeit Onckens bewirkte bald, daß die Praktische Abteilung ins Hintertreffen geriet, obwohl die Gleichwertigkeit der Arbeit beider Abteilungen immer wieder betont wurde. Die Einseitigkeit war nicht zuletzt eine Folge des chronischen Geldmangels; die DA lebte von Spenden und hatte bis 1929, viereinhalb Jahre nach Gründung, insgesamt erst etwas über eine halbe Million Reichsmark ausgegeben. Dagegen verschafften die Arbeiten der in vier Sektionen unterteilten Wissenschaftlichen Abteilung dem Unternehmen bald einen guten Ruf. 6 ) Die Position Onckens wuchs durch die Tatsache,daß er seit dem Beginn an demProjekt beteiligt war und am längsten in seiner Stellung verblieb. Die Praktische Abteilung wechselte dagegen häufig ihre Leiter; bereits im März 1927 legte ihr dritter Präsident, Staatssekretär Frhr. von Welser, sein Amt nieder. Zudem ergaben sich für ihre Tätigkeit zahlreiche Schwierigkeiten aus den Differenzen mit älteren Deutschtumsorganisationen. Sie mußten mühsam ausgehandelt werden 7 ); Versuche, unter Federführung der DA alle Organisationen zusammenzufassen 73 ), scheiterten, wie zu erwarten war. 7 b ) Ebenfalls im März 1927 kündigte der Präsident Pfeilschifter an, er werde bei der nächsten Hauptversammlung der DA im Oktober 1927 wegen Krankheit sein Amt abgeben.

4) Geboren 18 7 0, Kirchenhistoriker; seit 1917 Ordinarius in München. Vgl. auch Fr. Meinecke, Straßburg-Freiburg-Berlin 1901-1919, Stuttgart 1949, S. 82. 5) u.a. K. Adenauer, A. Bier, W. Cuno, G. Dehio, A. Dopsch, C. Dulsberg, A. v. Harnack, Fürst Hatzfeld, G. Hauptmann, E. Husserl. G. Kerschensteiner, Lettow-Vorbeck, M. Liebermann, E. Marx, Fr. Meinecke, E. Meyer, M. Planck, F. Sauerbruch, K.J. Kardinal Schulte, (Erzbischof von Köln), M. Sering, Fr. v. Siemens, W. Simons, A. Stegerwald, R. Strauss, A. v. Tirpitz. 6) Sie betreute u.a. die Ranke-Gesamtausgabe (P. Joachimsen), die Friedrich-List-Ausgabe (Fr. Lenz), die C.M.v. Weber-Gesamtausgabe (H.J.Moser) und die Jean-Paul-Gesamtausgabe ( E Berend). 7) Mitteilungen d e r . . . DA, Jg 1925/26, S. 226-28. Mitteilungen Nr. 11, März 1927, S. 420. Auch: G. Schreiber, Zwischen Demokratie und Diktatur, Münster/W. 1949, S. 20. 7a) Th. Heuss an Rohrbach vom 15.8.1929 - Heuss-Archiv, Stuttgart. Rohrbach an Gouverneur a.D. Schnee vom 10.1.1928 - Schnee-Archiv, Berlin. Bl. 233. 7b) Mitteilungen, Jg 1930, S. 64.

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So lag es nahe, einen „starken*Mann" an die Spitze zu stellen, und die zweite ordentliche Hauptversammlung wählte den Münchener Ordinarius für Innere Medizin, Friedrich von Müller - in Fachkreisen wegen seiner Fähigkeiten, aber auch wegen seines Auftretens „Friedrich der Große" genannt - zum Präsidenten der Akademie. 8 ) Im Mai 1927 hatte Oncken, der seinen Posten behielt, an Rohrbach geschrieben, ob er bereit sei, die Präsidentschaft der Praktischen Abteilung zu übernehmen. Die Initiative ging von Oncken aus; denn Rohrbachs Kontakte zur DA waren bis dahin nur lose. Für sein Buch „Deutschtum in N o t " hatte er die DA um einen Zuschuß gebeten 9 ), der auch bewilligt wurde. Das Werk wurde in den „Mitteilungen" der DA lobend besprochen. 1 0 ) Außerdem hatte er einmal vor Freunden der Akademie einen Vortrag gehalten; 1 1 ) er wurde ferner als Preisrichter für einen Wettbewerb „Das Recht der nationalen Minderheiten" vorgeschlagen 12 ) und bestätigt. 1 3 ) Rohrbach sagte auf die Anfrage Onckens hin zu. Ohne Zweifel hoffte er, innerhalb der DA seine „moralische Offensive" zu verwirklichen. Denn dem im Titel ausgedrückten Ziel „Pflege des Deutschtums" stand er nach seinen Erfahrungen auf den Amerika-Reisen sehr skeptisch gegenüber. Ihm schienen die deutschen Minderheiten dazu verurteilt, sich kulturell an die Gastvölker zu assimilieren, so daß alle finanziellen Aufwendungen für ihre kulturelle Selbständigkeit überflüssig sein mußten. Auf der anderen Seite beging er wohl einen folgenschweren Irrtum, wenn er annahm, die Akademie werde seine moralische Offensive o h n e die Auslanddeutschen - und nur so schien sie ihm realisierbar - finanzieren und unterstützen. Es gab aber noch einen sehr persönlichen Grund für Rohrbach, dem Angebot Onckens zu folgen. Oncken und Pfeilschifter setzten sich beim bayerischen Ministerpräsidenten Held dafür ein, Rohrbach einen Lehrauftrag an der Münchner Universität zu besorgen. 1 4 ) Die langersehnte Universitätslaufbahn schien damit noch einmal in greifbare Nähe gerückt. Aber seine Mitarbeit an der DA stand unter einem ungünstigen Stern. Anders als seine Vorgänger war v. Müller gewillt, die Zügel fest in die Hand zu n e h m e n 1 5 ) und seine eigenen, fest umrissenen Vorstellungen durchzuführen. Gegenüber dem langjährigen Mitarbeiter Oncken war ihm das nicht möglich; aber im Falle Rohrbach setzte er seinen Willen durch. Rohrbach wurde nur für zwei Jahre zum Geschäftsführenden Präsidialmitglied ernannt 1 6 ), obwohl der Briefwechsel mit Oncken im-

8) 9) 10) 11) 12) 13) 14) 15) 16)

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Dazu Rohrbach: Handschrift, S. 288. Sitzung des Kleinen Rats vom 10.2.1927, Pkt. 5 - R 51, 1177. J g l 9 2 7 , S . 370-73. Mitteilungen 1925/26, S. 152. Sitzung vom 12.5.1927 - R 51, 1177. Mitteilungen, Jg 1927, S. 469.548. Rohrbach an Oncken vom 15.6.1927 - Nachl. Oncken, Staatsarchiv Oldenburg, 27114, Bl. 13. Er beschreibt seine Tätigkeit in seinen „Lebenserinnerungen" (München 1951, S. 24147) allerdings recht tendenziös. Mitteilungen, Jg 1927, S. 743/44.

mer von der Stellung eines gleichberechtigten Präsidenten der Praktischen Abteilung ausgegangen war. Zudem wurde ihm ein sehr großer Aufgabenkreis bei vergleichsweise mäßiger Bezahlung zugewiesen 1 7 ). Außerdem erhielt er die Auflage, in seinen publizistischen Arbeiten auch den „Anschein eines Zusammenhanges" mit der DA zu vermeiden. 1 8 ) Die Zusammenarbeit der beiden selbstbewußten Männer gestaltete sich von Anfang an sehr schwierig. Von Müller wehrte Rohrbachs Drängen nach einer vollen Präsidentenstellung 1928 a b 1 9 ) , konnte aber seine eigenen Reformwünsche noch nicht durchsetzen, da Oncken mangels eines geeigneten Nachfolgers im Amt blieb 2 0 ), obwohl seine satzungsmäßige dreijährige Amtszeit abgelaufen war und er einen Ruf nach Berlin angenommen hatte. 1929 wurden Rohrbachs Ansprüche 2 1 ) wiederum nicht erfüllt; für Oncken wurde als Präsident der Wissenschaftlichen Abteilung dessen Münchner Nachfolger, der Historiker A. O. Meyer gewählt, der sich zwar zu Rohrbachs Ansichten bekannte 2 2 ), dem gegenüber v. Müller aber seine Reformpläne durchsetzen konnte. Sie liefen auf eine außerordentliche Stärkung seiner eigenen Position hinaus. 2 3 ) Zudem kollidierte Rohrbach mit den Sonderwünschen des eintlußreichen Berliner Freundeskreises, der seine Alibi-Funktion - nämlich die DA vor dem Vorwurf zu bewahren, bayerisch-partikularistisch zu sein - kräftig ausnutzte. 2 4 ) Er wollte an Rohrbachs Stelle den Präsidenten des Deutschen Schutzbundes, Karl C. von Loesch, setzen, 2 ®) wogegen sich v. Müller sträubte. Als Kompromiß wurde auf der 4. Hauptversammlung im Oktober 1929 in Jena ausgehandelt, Rohrbach nur auf ein Jahr anstelle der satzungsmäßigen drei Jahre zu w ä h l e n . 2 6 ) Die mit dieser Regelung verbundenen Satzungsänderungen wurden im November 1929 vom Kleinen Rat der DA gutgeheißen und damit rechtskräftig. 2 7 ) Der Eklat kam sehr rasch, im April 1930, als sich Rohrbach eigenmächtig in die Aufgabenbereiche seiner Mitarbeiter einmischte. 2 8 ) Diese erhoben nun ihrerseits 17) Nachl. Oncken, 271-14, Bi. 4 18) ebda, Bl. 10-12. 19) ebda, Bl. 6.7. 20) Mitteilungen, Jg 1928, S. 1074. 21) Rohrbach an Oncken vom 8.6.1929 - Nachl. Oncken, 271-14, Bl. 26. 22) Mitteilungen, Jg 1929, S. 314/15. 23) ebda, S. 320.440. Noch zur 7. Hauptversammlung im Oktober 1932 schrieb die Münchener Zeitung - Nr. 284/85 vom 15./16.10.1932, S. 1 - daß gerade die offene Aussprache und der organisatorische Aus- und Umbau in Jena 1929 „einen glücklichen Wendep u n k t " brachten. Seit die Referenten „mehr Bewegungsfreiheiten erhielten, pulsiert frisches Leben". 24) Mitteilungen, Jg 1929, S. 319. v. Müller, Lebenserinnerungen, S. 242. Rohrbach in: Münchner Zeitung Nr. 324/25 vom 23./24.11.1929 und Kölnische Volkszeitung Nr. 3 vom 2.1.1930. 25) Rohrbach an seinen Sohn Justus vom 6.11.1929 - PrivNachlRb. 26) Rohrbach an v. Müller vom 18.11.1930 - PrivNachlRb. 27) Mitteilungen, Jg 1929, S. 440. 28) Brief vom 8.4.1930 aus Danzig - R 51, 1177.

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Klagen und Vorwürfe: Bei einer Finanzbesprechung in Anwesenheit des bayerischen Ministerpräsidenten Held beschuldigten sie Rohrbach, oft durch übertriebene finanzielle Forderungen mühsam angebahnte Kontakte zu zerstören, durch mangelhaftes Organisationstalent und häufige Abwesenheit unnütze Mehrarbeit in der Zentrale zu schaffen und, statt Gelder zu besorgen, nur Kosten für Reisen zu verursachen. 2 9 ) Es entstand aus dieser berechtigten Kritik ein unerquicklicher Streit, der vordergründig die Finanzlage der DA b e t r a f , 3 0 ) in Wirklichkeit aber auf seine Ausschaltung hinauslief. Die Differenzen wurden über den Herausgeber der „Süddeutschen Monatshefte", Prof. Cossmann 3 1 ). in d ' e Öffentlichkeit getragen. Cossmann sprach sich gegen Rohrbachs Ansichten aus 3 2 ) und gab dabei Äußerungen preis, die ihm Rohrbach nach Zusage vertraulicher Behandlung mitgeteilt hatte. 3 3 ) Da er die Vorwürfe seiner Mitarbeiter nicht entkräften konnte, 3 4 ) sah er sich bald völlig isoliert. Seine Vorschläge zur Behebung der Finanzmisere, die in seinen Aufgabenbereich fiel, wurden nicht einmal mehr diskutiert. 3 5 ) Kurz vor der entscheidenden Hauptversammlung im Oktober 1930, auf der sein Vertrag verlängert werden mußte, bekam v. Müller Kenntnis von sehr abfälligen Äußerungen Rohrbachs über seine - v. Müllers - Sachkenntnis und Tätigkeit und erklärte ihm offen, er werde sich einer Vertragsverlängerung widersetzen. Rohrbach gab daraufhin in einem Brief vom 12. Oktober 1930 dem Senat bekannt, daß er freiwillig ausscheide. Die Würdigung seiner Arbeit in den „Mitteilungen" 3 6 ) ließ trotz des bei solchen Gelegenheiten üblichen Tones die Schärfe der Gegensätze erkennen, wie denn später v. Müller offen zugab, er habe ihn zum Austritt gezwungen, weil er ihm nicht das Maß an Selbständigkeit zubilligen wollte, das ihm Oncken und Pfeilschifter zugesagt h a t t e n . 3 7 ) Die ganze Affäre hinterließ einen unangenehmen Eindruck, und v. Müller gab sich keine Mühe, ihn zu zerstreuen oder die Differenzen ernsthaft zu beseitigen. 3 8 ) Nach Rohrbachs Eindruck war dieses Zwielicht auch schuld, daß die Frage eines Lehrauftrages an der Münchner Universität immer noch nicht entschieden w a r . 3 9 ) Die persönlichen Querelen - an denen Rohrbachs Unfähigkeit zu systematischer Schreibtischarbeit, seine Unrast und seine Ungeduld in hohem Maße mitverantwort29) 30) 31) 32) 33) 34) 35) 36) 37) 38) 39)

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Finanzbesprechung vom 11.4.1930 und Rohrbachs „Bemerkungen" vom 29.4.1930 - R 51, 1177. „Zur Werbung von Mitteln für die Deutsche Akademie" und Rohrbachs Brief an v.Müller vom 24.6.1930- PrivNachlRb. Rohrbach an A.O. Meyer vom 15.8.1930. Nachl. Meyer, ÜB Göttingen, Handschriftenabteilung, Bl. 1. Süddeutsche Monatshefte, 28. Jg 1931, H. 4. Rohrbach an Meyer vom 15.8.1930. „Bemerkungen" vom 29.4.1930, Pkt. 6 und 7. Rohrbach an Meyer vom 23.9.30, Bl. 3/1. Jg 1930, S. 374/75. v. Müller an Rohrbach vom 9.11.1930 - PrivNachlRb. v. Müller an Rohrbach vom 22.5.1931 - PrivNachlRb. Rohrbach an Meyer vom 11.1.1931 - Bl. 7.

lieh waren - sind ohne die sachlichen Differenzen nicht zu verstehen. Das Ausscheiden aus der DA beendete jene außenpolitische Aktivität, die bisher mit dem Ausdruck „moralische Offensive" umschrieben worden ist und die sich nach den Erfahrungen der Amerika-Reisen zu einer Auffassung gewandelt hatte, die den Namen „politische Kulturpiopaganda" verdient. Deswegen ist die Akademietätigkeit mehr als eine Episode. 4 0 ) Einen bitteren Beigeschmack erhielt sein Ausscheiden dadurch, daß sich die DA bald darauf entschloß, in der Frage der Kulturpropaganda Wege zu gehen, die den von ihm vorgeschlagenen ähnelten: 4 1 ) so durch stärkere Förderung von Deutschkursen für Ausländer, aber auch durch größere Betonung der Kulturpolitik als vorrangige Aufgabe. 4 2 ) Die Hauptschwierigkeit zwischen v. Müller und Rohrbach lag in der unterschiedlichen Auffassung über Ziele und Aufgaben der DA. Von Müller schrieb dazu: „Wegen des Programms hatte ich mich schon bei einer Berliner Versammlung dahin ausgesprochen; die Deutsche Akademie sollte fern von jeder p o l i t i s c h e n Zielrichtung nur der Pflege der geistigen Beziehungen im In- und Ausland dienen und sich von allen Schritten fernhalten, welche einer politischen Propaganda gleichen." 43 ) Als Hauptaufgabe betrachtete er die Versorgung ausländischer Bibliotheken und Universitäten mit deutscher Literatur und die Vertiefung schon bestehender Kontakte, vornehmlich auf wissenschaftlicher Basis. Rohrbach wünschte dagegen, die Akademie zum Mittelpunkt der nichtamtlichen Kulturpropaganda zu machen, also neue Kontakte zu knüpfen: durch Filme, Ausstellungen, Vorträge, Reisen und Einladungen sollten breite Schichten des Auslandes angesprochen werden, vor allem solche, die aus beruflichen und wirtschaftlichen Gründen Verbindungen zu Deutschland suchten: Ärzte, Techniker, Geschäftsleute. Eine dahin zielende Anregung, Gelehrte und Geschäftsleute aus den Balkanländern einzuladen, um neue kulturelle und wirtschaftliche Fäden zu spinnen, wurde einmal verwirklicht. 4 4 ) Dagegen wurden andere Projekte Rohrbachs abgelehnt - sein Versuch, „eine Übersicht über die gesamte Kultur- und Bildungslage des Auslanddeutschtums" zu gewinnen 4 5 ) fand ebensowenig Anklang 46 ) wie sein Plan, eine „enge Kulturfühlung zwischen Deutschland und dem nichtdeutschen Ausland" herzustellen. 47 ) Zwei40) 41) 42) 43) 44) 45) 46) 47)

Handschrift, S. 286 ff. Richard Fehn: „Kulturpropaganda der Völker untereinander". Bayerischer Rundfunk, 3.2.1932,19.35-20.00 Uhr. Das Manuskript war eine aktualisierte Denkschrift Rohrbachs. Fehn, „Deutsche Kulturwerbung - Ein Gebot der Stunde." Bayerischer Rundfunk, 5.2. 1932, 18.55-19.15 Uhr. Lebenserinnerungen, S. 243. R 51, 1176, Bl. 0212854. Nürnberger Zeitung Nr. 140 vom 16.6.1928. Mitteilungen, Jg 1927, S. 748. Mitarbeitersitzung vom 7.11.1927, Pkt. 11 - Sitzung des Kleinen Rats vom 15.12.1927, Pkt. 2 0 - R 5 1 , 1177. Mitteüungen, Jg 1928, S. 871.

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feilos waren beide Projekte ehrgeizig und auf lange Zeit angelegt, andererseits für eine gezielte „kulturelle Hilfe" unumgänglich. Insoweit hatte Rohrbach Recht, wenn er in Denkschriften 4 8 ) ein systematisches Vorgehen, beginnend mit einer Katalogisierung des Vorhandenen, vorschlug und sich über v. Müllers Zögern beklagte«) Aber seine Pläne zeigten, daß er in vielen Punkten andere Absichten verfolgte. Man müsse, so argumentierte er öfters, einmal den Ortsgruppen (die DA besaß in vielen Städten Freundes- und Förderkreise) etwas in die Hand geben, mit dem sie werben könnten, zum anderen ein Programm entwickeln, das den Hauptgeldgeber der DA, die Wirtschaft, interessieren k ö n n e . s o ) Noch deutlicher formulierte er in einer Denkschrift „Vorschläge für die Arbeit der Deutschen Akademie" 5 1 ), die DA müsse Kulturpolitik, -Werbung und -propaganda betreiben und sich zum Mittelpunkt der nichtamtlichen Tätigkeit auf diesen Gebieten entwickeln. Das widersprach dem Grundsatz „Pflege des Deutschtums" nun in jeder Beziehung! Rohrbach ging noch einen Schritt weiter: die Ortsgruppenarbeit als das finanzielle Fundament solle zurücktreten 5 2 ); dafür müsse die Industrie und Wirtschaft mit erfolgversprechenden und förderungswürdigen Plänen als Geldgeber gewonnen werden. Er sah zwischen „Kulturpolitik" und gewinnbringenden Programmen für die Wirtschaft keinen Widerspruch; die Begriffe „Kultur" und „Zivilisation" waren bei ihm sowieso fast identisch. Der Grundgedanke war einfach: Wenn durch kulturpolitische Aktivitäten Ausländer dazu gebracht wurden, deutsche Waren, Erfindungen und Einrichtungen kennenzulernen und zu kaufen - was sich nach Rohrbachs Meinung am besten durch ein Studium bzw. eine Ausbildung in Deutschland bewerkstelligen ließ dann mußte auch die Industrie Interessen an einer Förderung haben. Die von ihr zur Verfügung gestellten Mittel ließen sich darüberhinaus zu einer Kulturpolitik verwenden. Allerdings war Rohrbach, wie die nachfolgend dargestellten Ideen beweisen, kaum der geeignete Mann, den Grund zu einer erfolgreichen Kulturpolitik in diesem Sinne zu legen. Nach den Enttäuschungen seiner Amerikareisen hatte er lange Zeit deutsche Auslandschulen für das beste Mittel gehalten, Verbindungen mit fremden Völkern herzustellen 5 3 ), zumal diese Kontakte absolut freiwillig zustande k a m e n . 5 4 ) Aber er sah ein, daß damit immer nur schmale Schichten angesprochen werden konnten. Nach Ausklang der Wirtschaftskrise im Gefolge des Weltkrieges glaubte er, Deutschland sei dank seines „nationalen Arbeitswillens" und seiner „technisch-wissenschaft48) 49) 50) 51) 52) 53) 54)

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Dazu Rohrbach an Oncken vom 23.11.1928 - Nachl. Oncken, 271-14, Bl. 23. Rohrbach an Oncken vom 27.11.1928 - ebda, Bl. 21/22. Rohrbach an Oncken vom 28.1.1929 - ebda, Bl. 19. Nur noch im PrivNachlRb. Rohrbach an v. MüUer vom 24.6.1930 - PrivNachlRb. Deutsche La Plata-Zeitung Nr. 304 vom 24.12.1924, S. 11. „Deutsche Auslandsschulgedanken", in: Aus deutscher Bildungsarbeit im Auslande. Erlebnisse u n d Erfahrungen in Selbstzeugnissen aus aller Welt. Hrsg. von Fr. Schmidt und O. Boelitz. Bd 1. Langensalza 1927, S. 5.

liehen Erfindungskraft" 5 5 ) geeignet, den weniger hoch entwickelten Völkern das wirtschaftlich-industrielle „Know-how" zu vermitteln. Hier biete sich speziell der Balkan an - „logisches Ergebnis" seiner geographischen Lage, eben Mitteleuropa! Dazu seien die „besondere Eignung des deutschen Wesens" für den Verkehr mit den meisten dieser Völker 5 6 ) und die vielen noch vorhandenen Anknüpfungspunkte 5 7 ) in Rechnung zu stellen. Schließlich gehörten die Balkanländer und das verkehrstechnisch so günstig gelegene Deutschland zu den Verlierern des Weltkrieges: dank der überall verstandenen deutschen Sprache und der überall tief verwurzelten deutschen Kultur seien sie dazu prädestiniert, einen Block gegen die Weltkriegssieger unter deutscher Führung zu bilden. 5 8 ) Die Balkanvölker müßten sich nur bewußt werden, „welch großen Teil ihres geistigen Besitzes und ihrer Wohlfahrt" sie Deutschland verdankten 5 9 ), ja, daß ihr Kulturbesitz „durchaus als Ableger der deutschen Kultur bezeichnet werden k a n n . " 6 0 ) Diese naiv-kulturchauvinistische Auffassung verband sich mit der nie angezweifelten Überzeugung, ganz „Mitteleuropa" warte auf eine politische Aktivität Berlins. Obwohl solche unrealistischen Behauptungen auch im Kreise der DA, in Wirtschaftskreisen - hier aus verständlichen geschäftlichen Interessen - und streckenweise sogar im Auswärtigen Amt propagiert w u r d e n 6 1 ) , was Rohrbach mit Befriedigung zur Kenntnis nahm, 6 2 ) konnten sie sich vernünftigerweise nicht durchsetzen. Zwar war es richtig, auf die Gefahr einer Isolierung Deutschlands und die Notwendigkeit kultureller Kontakte hinzuweisen; 6 2 3 ) zwar konnte Rohrbach zur praktischen Seite manchen vernünftigen Vorschlag beisteuern, der auf die Lage der minder hoch entwickelten Völker Rücksicht n a h m . 6 3 ) Aber das kaum verhohlene nationale Eigeninteresse, die dürftig kaschierte Verachtung für die umworbenen Völker und der stets greifbare Wunsch, vorrangig eine Klientel zu schaffen, mußten jeden Versuch einer solchen Propaganda scheitern lassen. Rohrbachs Blindheit ist umso erstaunlicher, als er selbst betonte, man bringe den Deutschen Respekt, aber keine Sym55)

56) 57) 58) 59) 60) 61) 62)

62a) 63)

„Deutsche Grenzfragen. (Im Zusammenhang mit der deutschen Außenpolitik)." Vorträge, gehalten auf den staatspolitischen Schulungswochen der R(eichszentrale) f(ür) H(eimatdienst) in Allenstein und Maulbronn, Juli und August 1927. Als Manuskript gedruckt. o.O., o.J. (1927), S. 2. ebda, S. 10. Mitteilungen, Jg 1928, S. 880. Karlsruher Tagblatt Nr. 168 vom 18.6.1928. Mitteilungen, Jg 1929, S. 62. „Deutschland und die kulturelle Erschließung des Ostens", in: Deutschland. Jahrbuch für das deutsche Volk (Leipzig). Hrsg. v. W. Külz. 3. Jg. 1929, S. 116. Deutsche Rundschau, August 1929. Neue Wiesbadener Zeitung Nr. 328 vom 1.12.1929. „Auslandfühlung", in: Heimat und Welt. Beiträge zur Kulturpolitik, Auslandkunde und Deutschtumforschung. Leipzig o.J. (1929), S. 21. (Deutsche Kultur in der Welt. 11. Jg. 1929, Sonderheft 16.) Wiesbadener Zeitung Nr. 69 vom 10.3.1930. Ernte. Halbmonatsschrift für Politik und Allgemeines. 11. Jg. 1930, H. 2, S. 2. Der getreue Eckart. 8. Jg. 1931, H. 8, S. 664.

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p a t h i e n e n t g e g e n 6 4 ) wie d e n a n d e r e n V ö l k e r n , m i t d e n e n D e u t s c h l a n d a u f d e m Feld d e r K u l t u r p r o p a g a n d a k o n k u r r i e r e n k ö n n e 6 5 ) u n d a u c h m ü s s e . 6 6 ) Andererseits läßt sich deutlich greifen, daß er sich vor die Alternative gestellt glaubte, e n t w e d e r nur eine der vielen k o n s e r v a t i v - k o n s e r v i e r e n d e n D e u t s c h t u m s o r g a n i sationen a u f z u b a u e n - an deren Wert er zu Recht zweifelte - oder die ohnehin knappen Mittel für eine f r u c h t b r i n g e n d e , vor allem politisch w i r k s a m e Arbeit a u f z u w e n den, die das A u s l a n d d e u t s c h t u m zwar nicht abschrieb, aber n u r n a c h Maßgabe seiner B r a u c h b a r k e i t für eine d e u t s c h e K u l t u r p o l i t i k e i n b e z o g . D e n n allgemein ging die T e n d e n z d a h i n - wie d e r Brasilianer Mello F r a n c o im V ö l k e r b u n d a m 9. Dez e m b e r 1 9 2 5 e b e n s o o f f e n h e r z i g wie p o l i t i s c h u n k l u g a u s d r ü c k t e - m i t H i l f e d e r M i n d e r h e i t e n s c h u t z v e r t r ä g e 6 7 ) eine langsame und s c h o n e n d e Angleichung der Mind e r h e i t an d a s G a s t v o l k zu b e w i r k e n . 6 8 ) Die E m p ö r u n g w a r g r o ß , u n d R o h r b a c h b e z e i c h n e t e eine ähnliche B e m e r k u n g d e s G r i e c h e n Politis im V ö l k e r b u n d als „ u n gerügt gebliebene U n v e r s c h ä m t h e i t " 6 9 ) , aber a u c h er v e r s c h l o ß sich n i c h t der Erk e n n t n i s , d a ß allein m i t E r h a l t u n g d e s A u s l a n d d e u t s c h t u m s k e i n e Politik zu m a chen s e i , 7 0 ) ja, im Z e i c h e n w a c h s e n d e n Nationalismus* bei d e n G a s t v ö l k e r n sogar z u s ä t z l i c h e W i d e r s t ä n d e gegen D e u t s c h l a n d p r o v o z i e r t w e r d e n m ü ß t e n . V e r w u n derlich u n d für die Einseitigkeit seiner A n s c h a u u n g e n b e z e i c h n e n d war die Tatsache, d a ß er die F o l g e n seiner „ K u l t u r p r o p a g a n d a " dagegen n i c h t einsehen wollte.

1.5 Die großen Reisen (1931-1934) T r o t z aller u n e r f r e u l i c h e n U m s t ä n d e d e r M i t a r b e i t u n d d e s A u s s c h e i d e n s aus d e r DA stellten die M ü n c h n e r J a h r e 1 9 2 8 - 1 9 3 0 einen neuen H ö h e p u n k t in R o h r b a c h s Leben dar. Anstelle der mittlerweile eingegangenen Z e i t s c h r i f t „ D e r Deutsche Ged a n k e " f a n d er eine n e u e W i r k u n g s m ö g l i c h k e i t im M ü n c h n e r R u n d f u n k , die bis 1 9 3 3 d a u e r t e . 1 ) Als a u ß e n p o l i t i s c h e r K o m m e n t a t o r h a t t e er eine eigene, im A b -

64) 65) 66) 67)

Die Räder, 7. Jg. 1926, Nr. 23 S. 676. Ernte. 12. Jg. 1931, H. 5, S. 15. Ostasiatische Rundschau. 13. Jg. 1932, Nr. 2, S. 37. Vgl. Ii. Vicfhaus, Die Minderheitenfrage und die Entstehung der Minderheitenschutzverträge auf der Pariser Friedenskonferenz 1919. Würzburg 1960 (Marburger Ostforschungen Bd 11). 68) H. Kraus, Das Recht der Minderheiten. Berlin 1927, S. 226 ff. Ein Kommentar, sicher im Sinne Rohrbachs, von Axel Schmidt in: DDG Nr. 6 vom 23.3.1926, S. 354 f f . 69) Banater Deutsche Zeitung Nr. 145 vom 3.7.1928. 70) Vgl. auch S. 24 f. 1) Auch an diesem Punkt läßt sich eine typische Akzentsetzung der Memoiren verdeutlichen: nach ihnen hat Rohrbach einmal eine Reihe „Eine Viertelstunde Weltgeschichte" im Rundfunk gehabt - Handschrift, S. 302. Rohrbach war immerhin ein so prominenter Mitarbeiter, daß ihm der Rundfunk zum 60. Geburtstag eine laudatio, verfaßt von Axel Schmidt, brachte: „Dr. Paul Rohrbach zum 60. Geburtstag". Bayerischer Rundfur.k, 2.7.1929, 17.45-18.00 Uhr.

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stand von circa drei Wochen gesendete Reihe von jeweils 25 Minuten Sendedauer, anfangs unter dem Titel „Hörbericht: Ausland", später als „Was geht im Ausland vor? " Dazu kamen noch Geschichtsserien: 24 Vorträge über „Deutsche Volksgeschichte" und 25 Vorträge „Europäische Völkergeschichte." 2 ) Bis 1933 wurden auch regelmäßig Vorträge von seinen Reisen gesendet. Nach dem Ausscheiden aus der Akademie - die Entscheidung über einen Lehrauftrag war immer noch nicht gefallen - bereitete er eine neue Weltreise vor. Die Motive sind wieder vielschichtig: Seine Reiselust; die in den Memoiren bekundete Absicht, persönliche Erfahrungen für ein Buch „Politische Weltkunde" zu sammeln 3 ), das als eine Art Habilitationsersatz dienen sollte, aber auch die von ihm offen zugegebene merkwürdige Situation, eher Geld für Reisen ins Ausland auftreiben zu können als seinen Lebensstandard in Deutschland zu halten. 4 ) Doch diese Gründe können nicht recht überzeugen; besonders, was seine Behauptung angeht, er habe neue Eindrücke sammeln wollen. Rohrbach reiste mit sehr starken Vorurteilen und ließ sich nur selten durch den Augenschein zu einer anderen Meinung bekehren. 5 ) Vor jeder Reise eignete er sich umfassende Detailkenntnisse aus der Literatur, aber auch entsprechende Überzeugungen an. Zwar war er jederzeit bereit, Neues kennenzulernen und bei seiner Arbeit zu berücksichtigen. Bis ins hohe Alter bewahrte er sich eine gewisse naive Neugierde, die sich aber mit Vordergründigem, ja Oberflächlichem zufriedengab. 6 ) So sammelte er Material, aber er verarbeitete es nicht; er bemerkte und verwertete Aspekte, keine Strukturen. In seinem Nachlaß gibt es eine Postkarte, die ihn vor den römischen Bauten Ankaras zeigt. Die Unterschrift lautet: „Geh durch die Welt und sprich mit jedem" - und diesen Spruch des Persers Firdusi wählte er als Uberschrift für einen Artikel, in dem er die Gründe zu seiner Weltreise darlegte. 7 ) Aber das Hauptmotiv lag tiefer. Wie schon 1920/21 sah er sich nach dem Scheitern seiner politischen Vorstellungen gezwungen, ein neues publizistisches Arbeitsgebiet zu suchen. Er entschied sich für die Geopolitik, 8 ) um, wie er schrieb, „der Verarmung unserer außenpolitischen Vorstellungswelt entgegenzuwirken". Denn das größte Übel der deutschen öffentlichen Meinung sei und bleibe die äußerst mangelhafte Auslandskenntnis. Zur Auslandskenntnis brauche es in erster Linie das „ernsthafteste S t u d i u m " der öffentlichen Meinung im Ausland. 2) 3) 4) 5)

Alle Manuskripte im PrivNachlRb. Handschrift, S. 302/03. R o h r b a c h an A.O. Meyer aus Damaskus vom 2 9 . 9 . 1 9 3 2 - Nachl. Meyer, Bl. 9 / 1 . Vgl. seinen Artikel „Amerikanische Städte" in: Preußische Jahrbücher, Bd. 201, 1925, S. 1 ff. 6) Etwas boshaft, aber treffend: Hcuss, Erinnerungen, S. 33. 7) Bochumer Anzeiger Nr. 188 vom 13.8.1931. 8) Rohrbach hatte in München den Geopolitiker Karl Haushofer kennengelernt, von dem er anfangs fasziniert war, dem er aber schon ein Jahr später vorwarf, die Wissenschaft „Geopolitik" mit dem nationalsozialistischen „Volk ohne Raum" zu verwechseln. (Rohrbach an Schacht vom 30.9.1932 - Nachl. Schacht).

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„Schon lange vor dem Kriege habe ich für meinen Teil es für einen der wichtigsten Bestandteile deutscher politischer Bildung gehalten, die bewegenden Kräfte in der öffentlichen Meinung des Auslands, so wie sich dies eigentümliche Organ, vielfach abweichend von dem, was bei uns öffentliche Meinung ist, entwickelt hat, zu erkennen und die daraus kommenden politischen Wirkungen abzuschätzen." 9 ) So gesehen hatte sich Rohrbach nicht für die Geopolitik im wissenschaftlichen Sinne entschieden. Viel mehr als an den geographischen, wirtschaftlichen und geopolitischen Aspekten zeigte er sich an der „öffentlichen Meinung" des Auslandes interessiert - vor dem Hintergrund der in Deutschland weit verbreiteten Irrmeinung, die öffentliche Meinung der anderen sei ein monolithischer Block; in Deutschland dagegen gebe es nur „Parteimeinungen." 1 0 ) Die angekündigte Reise begann Mitte Juli 1931 in Bremerhaven und führte über Kanada, die Vereinigten Staaten, Hawaii, die Philippinen, Japan, China, Indonesien und Indien in 192 Tagen rund um die W e l t . " ) Bedeutsam wurde für ihn die amerikanische Reaktion auf den am 9. August 1931 mißglückten Volksentscheid zur Auflösung des Preußischen Landtags. Die amerikanische Presse registrierte das Ereignis mit Extrablättern und Schlagzeilen wie „Deutschland vor dem Umsturz bewahrt!" „Keine Gefahr mehr für den europäischen Frieden!" 1 2 ) Rohrbach schrieb sehr nachdenklich nach Hause, wenn er daheim gewesen wäre, hätte er dem Sozialdemokraten-Regime in Preußen auch den Sturz gewünscht. „Aber in Amerika habe ich eingesehen, daß es außenpolitisch eine ungeheure Erschwerung der Lage für uns bedeutet hätte . . . " 1 3 ) Der Münchener Zeitung berichtete er: „Es ist ganz merkwürdig, wie fest sich dies Mißtrauen hier gesetzt hatte, und wie groß jetzt die Befriedigung darüber ist, daß die Regierung (im Reich!) sich behauptet hat: Der Reichskanzler Brüning ist hier einstimmig 'Deutschlands bester M a n n ! ' " 1 4 ) Das stereotype „How about Hitler" und die Sorge der Amerikaner, bei einer Regierungsübernahme der Nationalsozialisten ihr gesamtes Kapital in Deutschland zu verlieren 1 s ) , stimmten ihn bedenklich. Das überaus große Interesse des Auslandes an den innerdeutschen Zuständen, 1 6 ) die amerikanische Zurückhaltung nach den Reichstagswahlen 1930,bedingt durch die unsicher gewordene politische Zukunft 1 7 ), auch der in Amerika übel vermerkte Antisemitismus 1 8 ) und nicht zuletzt das auf 9) 10) 11) 12) 13) 14) 15) 16) 17) 18)

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Bochumer Anzeiger, a.a.O. Erich Koch-Weser, Und dennoch aufwärts, Berlin 1933, S. 53. Grazer Tagespost vom 15.3.1932. Gießener Anzeiger Nr. 225 vom 26.9.1931. So in einem Brief vom 15.8.1931 - Familiengeschichte, S. 482. Nr. 271 vom 2.10.1931. Grazer Tagespost, a.a.O. Kölnische Zeitung Nr. 87 vom 13.2.1932. Heidelberger Tageblatt Nr. 186 vom 13.8.1931. ebda Nr. 199 vom 28.8.1931.

dem Spiel stehende Kapital an Vertrauen und Achtung besonders im Fernen O s t e n 1 9 ) bewogen Rohrbach, sich politisch zu engagieren: Er, der bisher Hitler als politischen Faktor wenig ernst g e n o m m e n 2 0 ) und Brüning weniger als Person denn als Repräsentanten des Präsidialsystems unterstützt h a t t e , begann n u n die Gefährlichkeit Hitlers und die Bedeutung Brünings herauszustellen. Die Überzeugung, der Kanzler müsse im Interesse der deutschen Außenpolitik mit allen Mitteln gehalten werden, war das Hauptergebnis dieser politischen Studienreise. Im Herbst 1932 f ü h r t e dann eine kleinere Reise in die Länder des Nahen Ostens, die er auf der Weltreise nicht besucht hatte, aber in seiner „Politischen Weltkunde" behandeln wollte. In die Jahre 1930 bis 1932 fällt auch die letzte innenpolitische Aktivität, die Rohrbach noch einmal in eine Partei, die Konservative Volkspartei, führte.

Die Konservative Volkspartei ( 1 9 3 0 / 3 1 ) Rohrbachs Entwicklung zu den Volkskonservativen 1 ) war folgerichtig. Der DDP war er beigetreten, um sie zur national-sozialen Partei umzuformen; die soziale Komponente gab er spätestens 1922 auf. Der dann folgende Versuch, die DDP zur großen „nationalen Partei" zu machen, war anachronistisch und scheiterte völlig. Andere Parteien rechts von den Demokraten schienen ihm dazu ebenso untauglich. Die DVP war in seinen Augen zu ausgesprochen Vertreterin großindustrieller Interessen. Zudem kritisierte er je länger, desto entschiedener die Stresemannsche Außenpolitik. 2 ) Mit der DNVP konnte er sich noch weniger befreunden: Ihre grundsätzliche Opposition 3 ) und der schlechte Eindruck, den sie im Ausland hervorrief, disqualifizierten sie für eine Außenpolitik mit „moralischen Mitteln". Z u d e m h a t t e sich, wie Gurian schrieb, gezeigt, daß die DNVP die in Bewegung geratene und „nach rechts a b w a n d e r n d e " Menge nicht auffangen k o n n t e , weil sie „ m i t der bestehen-

19) Der Auslanddeutsche, Nr. 9/10, 1932, S. 220/21. 20) So noch kurz vor seiner Abreise in einem Interview im „Corriere Padano" (Ferrara) Nr. 81 vom 4.4.1931 - BA Koblenz 353, Bl. 109. 1) E. Jonas, Die Volkskonservativen 1928-1933. Düsseldorf 1965 (Beiträge zur Geschichte des Parlamentarismus und der politischen Parteien. Bd 30). 2) Rohrbachs Nachruf auf Stresemann: Heidelberger Tageblatt Nr. 281 vom 30.11.1929. 3) Für die es schon vor Hugenberg sprechende und im Ausland beachtete Belege gab: so konnte der seinerzeit sehr einflußreiche Abgeordnete Gok in Dresden sagen: „Vor allem wollen wir uns niemals innerlich mit dieser Republik abfinden, die das Erzeugnis eines Verbrechens ist, der Revolution, deren Vater der Frevel, deren Mutter die Dummheit ist. Wir sind kaiserlich und wollen kaiserlich bleiben . . . " Deutsche Zeitung Nr. 120 vom 25.3.1926.

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den Ordnung, wenn auch nicht politisch, so doch wirtschaftlich und gesellschaftlich" verbunden war. 4 ) Nun hatte Hitler mit seinem extremen Nationalismus eine Massenbewegung aufgezogen, die esjedem Konservatismus schwierig, wenn nicht unmöglich machte, noch das nationale (Werbe-) Moment aufzugreifen. 5 ) Eine sich bildende (neu-) konservative Partei - deren Gründung bei der umfangreichen Diskussion nur eine Frage der Zeit war 6 ) - mußte über Hugenberg hinaus zu einem „echten", also notwendigerweise elitären Konservatismus vorstoßen; jedenfalls war es ihr nicht möglich, sich auf die Massen zu berufen. 7 ) Damit befand sich der Neukonservatismus, wie Jonas urteilt, in der Schwierigkeit, den preußisch-deutschen Konservatismus „innerhalb einer neuen, bewußt staatsbejahenden und die staatliche Verantwortung mittragenden, wahrhaft 'konservativen' neuen R e c h t e n " sammeln zu wollen, andererseits aber mehr Gewicht auf Ordnung und Regierungsautorität als Reform zu legen, so daß unter den waltenden Umständen eine antiparlamentarische Note unvermeidbar war: „Auf der einen Seite steht seine nicht wegzuleugnende Frontstellung gegen die bestehende (parlamentarische) Verfassung, auf der anderen Seite seine Ablehnung aller Experimente und dilettierenden Oppositionsversuche a u ß e r h a l b dieser Verfassung, deren Einmündung in Radikalismus und eine plebiszitär kaschierte Parteiomnipotenz er frühzeitig fürchtete und erahnte." 8 ) In der Lücke zwischen „staatsbejahend" und „elitär" sah Rohrbach seine Wirkungsmöglichkeit angesiedelt: Wenn überhaupt Einfluß auf die Massen, dann nur durch (konservativ-nationale) Beeinflussung der öffentlichen Meinung. Und zu dieser Aufgabe schien ihm einzig das Bildungsbürgertum berufen, 9 ) das in der neukonservativen Diskussion führend hervortrat.

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Walter Gerhart (d.i. W. Gurian), Um des Reiches Zukunft. Nationale Wiedergeburt oder politische Reaktion? Freiburg 1932, S. 90. Wie überhaupt in der neukonservativen Bewegung die Tendenz spürbar war, zu einem preußischen Konservatismus zurückzukehren, der die relativ junge Gleichsetzung von konservativ und national (vgl. dazu Th. Schieder, Das Deutsche Kaiserreich von 1871 als Nationalstaat, Köln/Opladen 1961, S. 12 ff.) rückgängig machen wollte, ohne aber sich durchsetzen zu können. K. v. Klemperer, Konservative Bewegungen zwischen Kaiserreich und Nationalsozialismus. München/Wien o.J. (1961). Gerhart, a.a.O., S. 87. Jonas, a.a.O., S. 11. Vgl. dazu auch E. J. Jungs Definition: „Denn die Demokratie ist nicht die Frucht einer breiten Volksbildung, sondern das Ergebnis einer gesellschaftlichen Schichtung, die es der traditionserfüllten Oberschicht erlaubt, mit der Zustimmung der Massen und in deren Namen zu regieren." Deutschland und die konservative Revolution, in: Deutsche über Deutschland. Die Stimme des unbekannten Politikers. München 1932, S. 372.

Zu diesen rationalen traten irrationale Beweggründe. Die Art des neukonservativen Argumentierens 1 0 ) - die Ersetzung des „falschen logozentrischen" durch das „richtige biozentrische" P r i n z i p " ) - entzog jeden neukonservativen Gedanken einer vernünftigen Diskussion. 1 2 ) Den nicht zu entkräftenden Argumenten real denkender Politiker setzten die Neukonservativen die unbeweisbare Behauptung einer gänzlich anderen, deutschen und antiwestlichen Politik-Grundlage entgegen 1 3 ) - und trugen so zur Machtergreifung Hitlers entscheidend bei, da diese ohne das „geistige Klima einer verbreiteten antidemokratischen G e s i n n u n g " 1 4 ) nicht möglich gewesen wäre. Der von ihnen angestrebte „Staat über den Parteien" war aber bei allen interessenbedingten Hintergründen doch auch ein Reflex des sich selbst zerstörenden Parlamentarismus und der sich auflösenden Mitte. 1 5 ) Auf dem Boden gerade dieses Gedankens trafen sich die Neukonservativen und die Volkskonservativen. Trotz vieler Berührungspunkte kann Rohrbach nicht vollständig dem Kreis der „konservativen Revolution" 1 6 ) zugerechnet werden. Während die konservativen Revolutionäre ihren Demokratie-Begriff benutzten, ihr „draußen bleiben" zu rechtfertigen, wünschte Rohrbach den seinigen zu praktizieren. Ähnliches gilt von der sozialen Frage. 1 7 ) Entscheidend war aber die Frage der Staatsbejahung und Mitarbeit, denen sich die Neukonservativen entzogen, 1 8 ) während Rohrbach sich der einzigen Gruppe anschloß, die Verantwortung mittragen wollte. Ein weiterer Unterschied lag in der unterschiedlichen Auffassung von den Gründen der gegenwärtigen Mißstände, die Rohrbach sehr viel stärker auf gesellschaftliche Fehlentwicklungen des Bismarck-Reiches zurückführte, denen die Revolution nur die Tür geöffnet habe. 1 9 ) 10)

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Sontheimer bemerkt zu Recht, es gehöre zu den Eigentümlichkeiten neukonservativen Argumentierens, sich rationalen Argumenten guten Gewissens zu entziehen, „weil sie ja nicht mehr auf dem Boden einer 'bloßen Verstandeskultur'" ständen. Der Tatkieis, in: VjhfZG 7, 1959, S. 237. Jung, a.a.O., S. 374. Vgl. dazu die Besprechung der drei Werke von Sontheimer, Schwierskott und Klemperervon O.H. v.d. Gablentz, in: P V S 4 , 1963, S. 305 ff. „Konservative Revolution nennen wir die Wiederinachtsetzung all jener elementaren Gesetze und Werte, ohne welche der Mensch den Zusammenhang mit der Natur und mit Gott verliert und keine wahre Ordnung aufbauen kann. An Stelle der Gleichheit tritt die innere Wertigkeit, an Stelle der sozialen Gesinnung der gerechte Einbau in die gestufte Gesellschaft, an Stelle der mechanischen Wahl das organische Führerwachstum, an Stelle bürokratischen Zwangs die innere Verantwortung echter Selbstverwaltung, an Stelle des Massenglücks das Recht der Volkspersönlichkeit." Jung, a.a.O., S. 380. K. Sontheimer, Antidemokratisches Denken in der Weimarer Republik, S. 18. R. Vierhaus, in: GWU 15, 1964, S. 144. Dieser an sich unglückliche, von A. Möhler (Die konservative Revolution in Deutschland 1918-1932. Grundriß ihrer Weltanschauung. Stuttgart 1950) wieder in die Diskussion gebrachte Begriff soll verwendet werden, um die opponierenden Neukonservativen von den verantwortungsbereiten Volkskonservativen zu unterscheiden. In der sozialen Frage liegt auch einer der Hauptgründe für die Trennung der Volkskonservativen von der DNVP - Klemperer, Konservative Bewegungen, S. 87. Ausgenommen vielleicht Jung - v. d. Gablentz, a.a.O., S. 308 - und noch Zehrer. Deutschland - Tod oder Leben? S. VIII.

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Bei aller Kritik an der Gegenwart verlor er die Fehler der Vergangenheit nicht aus dem Auge. Eine letzte Frage wäre, ob seine Annäherung an die Volkskonservativen 'zeitgemäß' war. Sie läßt sich nur beantworten, wenn man seine Erwartungen mitberücksichtigt. Folgt man der Definition von Epstein über die drei Typen des Konservatismus - Reaktionär, Verteidiger des 'status quo' und Reformkonservativer 2 0 ) -, so vertrat Rohrbach nach eigener Auffassung einen Reformkonservatismus. Gerade zu Beginn der 30er Jahre taucht in seinen Reden und Briefen immer häufiger das Burke-Wort auf: „Ein Staat, dem es an Mitteln zu einer Veränderung fehlt, entbehrt die Mittel zu seiner Erhaltung." 2 1 ) Veränderung - das konnte in diesen Jahren nur Lösung der sozialen Frage heißen, die für Rohrbach wie für viele andere Publizisten und Politiker erst nach Lösung der nationalen Frage - „Abschüttelung der Reparationen" und Ende der Souveränitäts-Beschränkungen - möglich schien; die „Mittel" dazu boten entweder eine neue reformkonservative Partei ausreichender Stärke oder eine reformkonservative, antiparlamentarische Staatsführung. Rohrbach ist anfangs den Weg der Partei gegangen. Nach dem Scheitern der Volkskonservativen verstand er sich als publizistischer Verteidiger der Brüningschen Politik - nicht nur, weil er Brünings Primat der Außenpolitik rückhaltlos bejahte, sondern weil auch er wie der Reichskanzler fest davon überzeugt war, daß erst nach Ende der Versailler Bestimmungen und der Reparationen eine wirtschaftlich und sozial erfolgreiche Reformpolitik möglich sein werde. Wie weit er Brünings Absicht e n 2 2 ) durchschaute und sich mit ihnen identifizierte, bleibt mangels Aussagen offen. Das gilt aber für viele nationale Publizisten, denen der Reichskanzler die Hoffnung auf eine irgendwie beschaffene Änderung gab. Wohin sie führen werde, wenn Brüning erst einmal die Voraussetzungen geschaffen haben würde - darüber hatte, bei der verschlossenen, ja zugeknöpften Haltung des Kanzlers, jeder Publizist seine eigene Meinung. Eine reformkonservative Partei war in Deutschland nach dem 1. Weltkrieg nicht entstanden. Es gab gerade im Bildungsbürgertum engagierte Vertreter solcher Ideen wie etwa Friedrich Meinecke, der sich den Konservativen anschloß, w e i l das Ti-

20) 21)

K. Epstein, The Genesis of German Conseivatism, Princeton, N. J. 1966, passim. Edmund Burke, Betrachtungen über die Französische Revolution, Frankfurt/M. 1967, S. 53. Vgl. dazu: Bernard Willms.Die politischen Ideen von Hobbes bis Ho Tschi Minh, Stuttgart u.a. 1971, S. 99 ff. 22) Die Diskussion um Brüning (Memoiren 1918-1934, Stuttgart 1970) dauert noch an. Eine kritische Zusammenfassung bringt Karl Dietrich Bracher in VjhfZG 19, 1971,, S. 113 ff. Rohrbach hatte Brüning 1926 kennengelernt, war ihm aber wegen seines gespannten Verhältnisses zu Schacht (vgl. Memoiren, S. 116.129 u. passim) lange reserviertgegenübergestanden. Erst mit der Haushaltskrise 1929 änderte Rohrbach seine Meinung.

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voli-Programm von 1892 die Sozialreform versprochen h a t t e . 2 3 ) Deren Ausbleiben bewog ihn in den letzten Vorkriegsjahren, sich der Naumannschen Richtung a n z u n ä h e r n . 2 4 ) Nach dem Kriege ging er zur DDP, ebenfalls mit Vorbehalten als „Vernunftrepublikaner" 2 5 ). Es lag aber nicht nur an den Zeitumständen, daß diese anfangs nationalen und sozialen D e m o k r a t e n 2 6 ) scheiterten. Zweifellos behinderte die Ausbildung zweier Blöcke, daß die - wie v. d. Gablentz sie nennt - „Vernünftigen" mit ihrer „Synthese einer konservativen Demokratie" - „auf der einen Seite konservative Sozialreformer, auf der anderen Seite nüchterne nationale Dem o k r a t e n " - nicht d u r c h d r a n g e n . 2 7 ) Entscheidend war auch nicht, daß die nationalen Demokraten im Kreuzfeuer der R e c h t e n bei zumeist schweigender Ablehnung der Linken s t a n d e n . 2 8 ) In Wirklichkeit waren sie zur Erfolglosigkeit verurteilt, weil bei ihnen eine antidemokratische G r u n d s t i m m u n g immer dann durchschimmerte, wenn der Parlamentarismus in systemimmanente Schwierigkeiten geriet oder Entscheidungen fällte, die ihren Intentionen zuwiderliefen. Beispielhaft dafür sind die Ausführungen Meineckes in einem Vortrag vor dem demokratischen Studentenbund in Berlin am 16. Januar 1925. R o h r b a c h h a t t e den Vortrag organisiert und die Rede in seiner Zeitschrift vollständig a b g e d r u c k t . 2 9 ) Anfangs bekannte sich Meinecke zur konservativ-republikanischen P a r t e i , 3 ° ) die innerhalb der endgültig anerkannten Republik alle wirklich mit ihr vereinbaren Werte und Traditionen pflegen sollte und demokratisch im Sinne einer Beteiligung aller Volksschichten unter gleichem Recht sein sollte: „Liberale, demokratisch empfindende Aristokraten der Geburt, die könnten wir g e b r a u c h e n . " 3 1 ) Das parlamentarische System bleibe eine „unvermeidliche Ü b e r g a n g s f o r m " ; 3 2 ) vorherrschend sei das „Bedürfnis nach starker Vertrauensdiktatur", für das, fern aller cäsaristischen oder Mussolinischen Experimente, eine dem deutschen Rechtsempfinden entsprechende F o r m zu finden s e i . 3 3 ) Der Schluß h o b das Eingangs-Bekenntnis auf u n d 23)

24) 25) 26) 27) 28)

29) 30) 31) 32) 33)

Meinecke und Rohrbach haben in vielen Punkten übereingestimmt. Vgl. dazu Meineckes Bemerkungen zum „Deutschen Gedanken" (Politische Schriften und Reden,S.63.86/87); ferner den Aufruf zur preußischen Wahlrechtsreform (Preußische Jahrbücher Bd 196, 1917, S. 156) und den gemeinsamen Aufruf zur Fürstenenteignung. (S. 62 dieser Arbeit). Zur Sozialreform: Erlebtes 1862- 1901. Leipzig 1941, S. 206/07. Politische Schriften und Reden, S. 61 ff. Vgl. dazu W. Besson, Friedrich Meinecke und die Weimarer Republik. VjhfZG 7, 1959, S. 113 ff. und G. Schmidt, Deutscher Historismus und der Übergang zur parlamentarischen Demokratie. Lübeck/Hamburg 1964, S. 115 ff. Vgl. dazu H.-H. Krill, Die Rankerenaissance, Berlin 1962, S. 226 ff. v. d. Gablentz, a.a.O., S. 311. Typisch sind dafür etwa die Tiraden des „Deutschen Volkstums" (1925, Bd 1, S. 407) anläßlich der Präsidentenwahl gegen H. Delbrück, Fr. Meinecke, O. Baumgarten (Kieler Protestant. Theologe), M. Rade (Marburger Protestant. Theologe) - alles ProfessorenPolitiker, mit denen Rohrbach zu dieser Zeit noch in Verbindung stand. Republik, Bürgertum und Jugend. DDG Nr. 5 vom 4.2.1925, S. 134 ff. ebda, S. 134. ebda, S. 141. ebda, S. 142. ebda, S. 143.

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reduzierte das demokratische Prinzip auf die altliberale Forderung nach einer unabhängigen Rechtsprechung. Es braucht kaum erwähnt zu werden, daß auch das soziale Programm - sowohl der Nationaldemokraten 34 ) wie auch der Volkskonservativen 35 ) - zwar Auswüchse beseitigen wollte, aber im Grundsatz auf die Zementierung einer ständisch gegliederten und in ihren unteren Rängen immobilen Gesellschaft abzielte. Das Burke-Wort, an sich zutreffend für den reflektierten Konservatismus, 36 ) wurde benutzt, um Systemkorrekturen zu begründen, die eine Systemreform vermeiden sollte. Es ist schwer einzusehen, wie eine solche reformkonservative Partei ausgerechnet in den turbulenten Zeiten der Wirtschaftskrise entstehen sollte, selbst wenn man in Rechnung stellt, daß gerade das sich anbahnende Chaos dem Gedanken einer nationalen Sammlung, den auch Rohrbach propagierte, eine gewisse Dringlichkeit verleihen mochte. Die „Volkskonservativen" haben publizistisch größere Resonanz besessen als politisch. Die Ideologie des nationalen Besitz- und Bildungsbürgertums, die in der Provinzpresse vorherrschend war, geriet in diesen Jahren in schwere Bedrängnis. Im Bereich des Nationalen wurde sie von den nationalsozialistischen Parolen „rechts überholt"; das Besitz-Prinzip, durch die erste Inflation sowieso fragwürdig geworden, erhielt in der Wirtschaftskrise einen zweiten Stoß: alles Vorbereitungen für die dann von Hitler endgültig durchgeführte Zerschlagung der konservativ-bürgerlichen Gesellschaft. Relativ unangefochten hielt sich das nationale Bildungs-Bürgertum. Aus seinen Kreisen kam der lauteste Ruf nach nationaler Sammlung, Aulgabe des Pluralismus und „Zusammenrücken". In den Leitartikeln und Kommentaren der Provinzpresse zeichnete sich eine Form geschlossener nationaler „öffentlicher Meinung" ab, die zwar objektiv machtlos war, aber einem in den Kategorien seiner Zeit und Schicht befangenen Publizisten wie Rohrbach doch subjektiv die Berechtigung gab, an eine nationale Sammlung qua einheitlicher öffentlicher Meinung zu glauben. Nicht zufällig erreichte seine Leitartikel-Korrespondenz in den Jahren 1931/32 die größte Verbreitung und - nach den Leserbriefen zu urteilen die größte Zustimmung.

34) Als feste Gruppe oder Partei sind die Nationaldemokiaten schwer faßbar; publizistisch haben sie einen großen Einfluß ausgeübt - vgl. etwa den Historiker Otto Becker (Deutschlands Zusammenbruch und Auferstehung. T. 1.2. in 1. Bd. 2., verm. Angl. Berlin 1922), dessen Thesen und Formulierungen bis gegen Ende der 20er Jahre durch die Provinzpresse geisterten. Den konservativen Becker zeichnete im Vergleich zu seinen zurückhaltenderen Kollegen Meinecke und Troeltsch Realismus, politische Einsicht und pragmatische Entschlossenheit aus, die Republik als Faktum anzuerkennen und sie, statt dem Vergangenen nachzujammern, nach den eigenen Vorstellungen umzubauen. Keßler. (Stapel, S. 58) weist auf die Verwandtschaft Beckers zu Rohrbach hin, übersieht aber, daß sich Rohrbach schnell von dieser Ausgangsposition entfernte. 35) Volkskonseivative Stimmen, 2. Jg. 1931, Nr. 7, S. 1/2 das freilich mehr als dürftig war, aber gerade wegen des Interpretations-Spielraumes viele Konservative anzog - ebda, 2. Jg. 1931, Nr. 13, S. 5. 36) Willms, a.a.O., S. 105 f.

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Am 1. Februar 1930 erschien in den „Volkskonservativen Stimmen" 3 7 ) ein Aufruf der Volkskonservativen Vereinigung, der von 450 Mitgründern, darunter auch Rohrbach, unterzeichnet war. Das wenig profilierte Gründungsprogramm betonte als Hauptpunkt den Kampf um die 'Freiheit': „Nur eine das Ganze sehende Führung mit dem Mut zur Wahrheit kann die Kräfte zusammenhalten und sammeln, die dem Freiheitskampf opferwillig dienen wollen." Aus der Kritik am Parlamentarismus formulierte es als Ansatzpunkt die Erneuerung des Parteiwesens: politisches Handeln sollte unter die unbedingte Verantwortung des Gewissens gestellt werden, ohne Bindung durch Mehrheitsbeschlüsse oder Fraktionszwang. Vorrangig sei, „die unwiederbringlichen Werte unseres Volkes zu wahren und im Staate zur Wirkung zu bringen." Deshalb gelte es, für den Schutz der Familie und die Bewahrung der Kindesseele zu wirken und „Arbeit für den im Heimatboden verwurzelten und ihm verbundenen Menschen" zu leisten. Freie Entfaltung organisch gewachsener Kräfte, Ausschaltung mechanischer Zwangsordnung in Gesetzgebung, Verwaltung und Wirtschaft, Uberwindung sozialer Klassen von oben und unten her, Eigentum als Verpflichtung zum Dienst am Ganzen, Selbstverwaltung, Beschränkung der Staatsgewalt und dadurch Stärkung seiner Autorität sowie Bemühen um einen wehrhaften Staat - das waren die Hauptpunkte des im Grunde nichtssagenden Programmes, das mit den Sätzen schloß: „Für ihn (den so auszurichtenden Staat) arbeiten wir auf Grundlage der geltenden Verfassung, für deren Fortentwicklung in christlich-konservativem Geist wir uns einsetzen werden. Diese Aufgabe fordert in entscheidender Stunde alle Menschen, die aus konservativer Haltung verpflichtet sind, der Erneuerung von Staat und Volk mit besonderer Hingabe zu dienen." Mittlerweile waren anläßlich des Streites um das Young-Begehren mehrere deutschnationale Abgeordnete um Treviranus ausgeschieden. Im Juli 1930 erfolgte eine neue Sezession unter Graf Westarp. Beide Gruppen schlössen sich am 23./24. Juli 1930 als „Konservative Volkspartei" zusammen. 3 8 ) Rohrbach hat den Zusammenschluß der Volkskonservativen Vereinigung mit der Westarp-Gruppe mißtrauisch beobachtet, da er Westarp die Wandlung vom Saulus zum Paulus des konservativen Gedankens nie geglaubt hat. 3 9 ) Dieses Mißtrauen trat aber zurück, weil sich die Volkskonservativen zur Unterstützung des Kabinetts Brünings bereitfanden, so daß sich der Weg zu einer positiven nationalen Außenpolitik öffnen schien. 40 ) In diesem Sinne hat Rohrbach 1930 in der Pfalz Werbevorträge für die Volkskonservativen gehalten. 4 1 )

37) 1. Jg. 1930, Nr. 1. 38) Jonas, a.a.O., S. 47 ff und 71 ff. 39) DDG 1927, 1. Augustheft, S. 99. 40) „Deutsche auswärtige Politik", in: Deutsches Volkstum, 1930 II, S. 663 ff. 41) Rohrbach an A.O. Meyer aus Kaiserslautern vom 12.9.1930 - NachL Meyer, Bl. 2/1

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Leider existiert nur ein Beleg für seine volkskonservativen A n s c h a u u n g e n , die Rezension eines V o r t r a g e s „ D e u t s c h e r V o l k s g e d a n k e und d e u t s c h e auswärtige Polit i k " am 15. D e z e m b e r 1 9 3 0 in H e i d e l b e r g . 4 2 ) Darin ging er b e t o n t v o m V o l k s t u m als e i n e m l e t z t l i c h irrationalen B e g r i f f aus, der sich in seiner h ö c h s t e n S t u f e zur „ a b s o l u t e n S c h i c k s a l s g e m e i n s c h a f t " aller v e r d i c h t e t e . Diese G e m e i n s c h a f t strebe naturgemäß nach Z u s a m m e n f a s s u n g in e i n e m N a t i o n a l s t a a t ; A u f g a b e auswärtiger Politik sei dann die A b w e h r j e d e n S c h a d e n s , der den C h a r a k t e r dieser Z u s a m m e n fassung aller Individuen einer Schicksalsgemeinschaft verfälschen könne. Dazu brauche es aber eine „tragende nationale I d e o l o g i e " , ein „Gefühl der nationalen Schicksalsgemeinschaft a u c h in d e m Unglück, das der K r i e g über u n s g e b r a c h t h a t . " E r führte s o f o r t Beispiele für dieses „ G e f ü h l " a n : „Weder die A r b e i t e r s c h a f t n o c h die F e s t b e s o l d e t e n dürfen verlangen, daß es ihnen ein für alle Mal besser gehen solle als den anderen Teilen des V o l k e s . " 4 3 ) Ist erst einmal eine geschlossene ö f f e n t l i c h e Meinung erreicht, müsse man den englischen und französischen Ideologien die deutsche Parole entgegensetzen, daß „die Sache des deutschen V o l k e s dieselbe ist, wie die Sache aller unterdrückten V ö l k e r . " Berlin müsse seine Politik nach dem berühmten Wort Mazzinis ausrichten: Die einzige wahrhafte R e a l i t ä t ist das I d e a l ! 4 4 ) Ein solches Ideal h a t t e R o h r b a c h aber n i c h t vortragen k ö n n e n . A u f einen Nenner g e b r a c h t war der V o r t r a g ein P l ä d o y e r für ein „ Z u s a m m e n r ü c k e n " , für O p f e r b e reitschaft zur Stützung der Briiningschen Ziele, die der von R o h r b a c h schon 1 9 2 7 lobend e r w ä h n t e damalige D N V P - A b g e o r d n e t e v. L i n d e i n e r - W i l d a u 4 S ) im Reichstag verteidigte: die Volkskonservativen würden die Regierung Brüning so lange stützen, „als sie sich ihrer großen A u f g a b e der Sanierung der ö f f e n t l i c h e n F i n a n z e n , der Rettung der deutschen Wirtschaft und der Befreiung von fremdem Drucke bewußt bleibt und von diesem Wege auch um das Ziel parlamentarischer Mehrheitsbildungen nicht a b w e i c h t . " 4 6 ) 42) 43)

44)

45) 46)

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Heidelberger Tageblatt Nr. 293 vom 16.12.1930, S. 5. Auch: Volkskonseivative Stimmen, 2. Jg. 1931, Nr. 1, S. 4. In den Volkskonservativen Stimmen ist dieser Abschnitt bemerkenswerterweise in folgende Worte gefaßt: „Erst wenn alle Deutsche, Arbeiter wie Beamte, eingesehen haben, dafi der verlorene Krieg uns zu einer Schicksalsgemeinschaft zusammenschließt, daß wir alle in einem Boot sitzen, wird diese Geschlossenheit das Ausland zur Vorsicht mahnen und zum Nachgeben zwingen." Der Gegensatz Arbeiter-Beamte und Volk ist damit deutlich geglättet! Aus den Volkskonservativen Stimmen geht hervor, daß Rohrbach anfangs über das Verhältnis von Ideologie und Außenpolitik gesprochen hatte. Das deutsche „bin Platz an der Sonne" sei keine von den Weltmächten akzeptierte zugkräftige und ideelle Devise gewesen. Eine eindrucksvolle Außenpolitik verlange aber eine eindrucksvolle Ideologie. Zwar besäße - fuhr Rohrbach fort - Deutschland die Gabe der immer wiederkehrenden Jugend, doch mache die Entwicklung der Geburtenziffer einen dicken Strich durch alle zukünftige Außenpolitik. Ein Volk mit abnehmender Zahl könne auf die Dauer keine Außenpolitik treiben. Deutsche La Plata-Zeitung Nr. 214 vom 13.9.1927. Zitiert nach Jonas, a.a.O., S. 95.

Mit diesen Worten waren auch Rohrbachs Motive umschrieben. Das bedeutendste Zeugnis für seine „neukonservativ"-christliche Einstellung war jedoch sein Buch „Deutschland - Tod oder Leben? " Darin versuchte er zum ersten und letzten Mal, eine Gesamtbilanz der deutschen Politik zu ziehen. Das Buch erfuhr während der Jahre 1928 bis 1930 wiederholte Umänderungen, „jedes Mal mit einer entschiedeneren Wendung wenn nicht zum Pessimismus, so doch zu einer verstärkten Betonung des Ernstes unserer Lage." 4 7 ) Über allem politischen Handeln stand, wie er behauptete, die Zensur: Unzulänglich unter dem Blickpunkt der Suprematie des Volksgedankens. Für Deutschland handele es sich im Augenblick wirklich um Tod oder Leben: wörtlich, weil das deutsche Volk, biologisch gesehen, im Aussterben begriffen sei, 4 8 ) und bildlich, weil ein totaler „ A u s v e r k a u f an Glauben und Vertrauen im politischen Betrieb stattfinde. Im Einzelnen werden diese Klagen ausführlich begründet, wobei Rohrbach manche treffende Bemerkung zu den Symptomen macht, aber zu einer Deutung der Ursachen nicht vorstoßen kann. Das erste Kapitel „Hypothek des Todes" schildert seine eugenischen Befürchtungen: sinkenden Geburtenzahlen gehen eine nationale Vermassung und ein progressiv zunehmendes Aussterben der Intelligenz parallel. 4 9 ) Im zweiten Kapitel referiert er die deutsche „Unterbilanz des nationalen Selbstgefühls",so) die nach seiner Auffassung ihre Wurzeln in der unheilvollen Zersplitterung nach dem und durch den Dreißigjährigen Krieg h a t . 5 1 ) Das heutige Bild des deutschen Charakters sei nicht nur vom Weltkrieg bestimmt; 5 2 ) die Minderwertigkeit, „die wir sehen", stamme nicht erst aus der Gegenwart. 5 3 ) Es fehle eben ein „wurzelhaft echtes deutsches Nationalgefühl", 5 4 ) ein Gefühl für die schmachvolle Lage Deutschlands: 5 5 ) In Deutschland habe sich die zur Führung berufene Schicht nationalen Bildungsbürgertums nie herausgebildet, so daß eine gute auswärtige Politik nicht möglich sei. 56 )Große Schuld daran trügen Bismarck 57 ) sowie der durch ihn verursachte Mangel an „Ideen" 47) 48) 49) 50) 51) 52) 53) 54)

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München o.J. (1930), S. VII. Eine „Kurzfassung" der Hauptgedanken: Handschrift, S. 295 ff. Vgl. dazu S. 243 S. 3-35. S. 4 4 ff. S. 4 9 / 5 0 . Diese These ist noch heute beliebt - vgl. G. A. Rein, Der Deutsche und die Politik, Göttingen 1970, passim. S. 51 f. S. 53. S. 58. In diesem Zusammenhang fallen sehr harte Worte gegen das Judentum, das als Ferment der Dekomposition ausgeschaltet werden müsse. Die Grenzen seines Verständnisses weist er mit dem Satz auf, Rathenau habe keine Verbindung zum „einfach deutsch empfindenden Angehörigen des Volkes besitzen können: Hierzu fehlte ihm die Urkraft der im nationalen Gefühl wurzelnden Persönlichkeit." S. 60. S. 62. S. 65/66. S. 66/67.

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in der Politik S 8 ) und der großen Staatsmänner 5 9 ) - der nötige „Weltinstinkt" habe im Deutschen Reich nicht entstehen k ö n n e n . 6 0 ) An diesem Mißstand hat die Republik nichts geändert, aber auch nichts zu ändern versucht. 6 1 ) Ihr schuldhaftes Versagen liege in der Entbindung des Einzelnen von dem Gefühl der Verantwortlichkeit für das Ganze: Hier m u ß die Reform einsetzen! 6 2 ) Das dritte Kapitel behandelt die damit eng zusammenhängende Unterbilanz der „nationalen Disziplin". 6 3 ) Durch sie entartete das Parteiensystem zu einem „lebensgefährlichen U n f u g " 6 4 ) , verschärft durch den deutschen Hang zum „Parteiismus", die konfessionelle Spaltung und die deutsche „Naturveranlagung zur Vereinzelung". 6 5 ) Aus diesem Grunde muß der Parlamentarismus für eine Karenzzeit suspendiert werden, allerdings: „Man kann ebenso gut den Buddhismus als deutsches Heilmittel propagieren, wie den Faszismus." 6 6 ) Weiterhin gelte es, „unser öffentliches soziales Fürsorgewesen" zu reformieren. 6 7 ) An sich gut gemeint, führe es doch zu „tiefgehender Auflösung der moralischen Disziplin im V o l k " ; 6 8 ) d a s Ideal sei der Sozialrentner geworden; die Arbeitslosenfürsorge verleite zur Faulheit und Drückebergerei mit ihren schädlichen - vor allem sexuellen - Folgen! Das vierte Kapitel betitelt sich „Verlorene Bindungen". 6 9 ) Trotz aller Maßlosigkeiten spürt man Rohrbachs Ernst, der gerade in der angeblichen Bindungslosigkeit eine Hauptwurzel des deutschen 'Elends' sah. Dieser Ernst verbietet es gerade, in der folgenden Kette von Behauptungen ein taktisches Manöver zu sehen: Nur wenige Menschen besitzen eine „autonome Sittlichkeit", die sie befähigt, sittliche oder moralische oder ethische Bindungen - die Termini werden k u n t e r b u n t durcheinander gebraucht - einzugehen. Der Großteil eines Volkes fügt sich einer angenommenen Sittlichkeit, die in dem Moment abfällt, wo sich die „Klammern des Kulturaufbaus im Staat" lösen. 7 0 ) Die Technik habe zuviele Menschen in maß-

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S. 66-71. S. 71/72. S. 75. Vgl. dazu S. S. 79/80. S. 83 ff. Wirklich nationale Disziplin wollte Rohrbach nur bei den Engländern erkennen - Karlsruher Tagblatt Nr. 3 vom 4.1.1927; Banater Deutsche Zeitung Nr. 190 vom 24.8.1926. S. 85. S. 85/86. Vgl. auch Einleitung S. S. 92. S. 94. Unter „ R e f o r m " verstand er freilich „ A b b a u " - Rohrbach an Schacht vom 4.1. 1931 - Nachl. Schacht S. 98. S. 105 ff. Vgl. dazu die etwa zur gleichen Zeit entstandenen Rundfunkserien,, Deutsche Volksgeschichte" (bes. 21/129), „Europäische Völkergeschichte" (bes. 5/30) und „Eine Viertelstunde Weltgeschichte" (bes. 27a/137). Ferner: Westermanns Monatshefte. 80. Jg. H. 957 (Mai 1936), S. 224. S. 106.

gebliche Stellungen heraufgeholt, die kulturunfähig waren: 7 1 ) ein Prozeß nicht nur der gegenwärtigen, sondern schon der letzten Generationen. 72 ) Wenn auch der alte Staat „kein voller Ausdruck moralischer Kultur" gewesen sei, 73 ) so sei doch das Bekenntnis zum Staat und zur Nation das herrschende öffentliche Bekenntnis gewesen. 74 ) Diese Bindung habe sich zum Schaden des Reichs und des Volkes aufgelöst. Rohrbach gewann aus den bisherigen Ausführungen zwei Leitbegriffe: „Subjektivität" und „Auflösung", 7 S) für die er im weiteren völlig unsystematisch 'Belege' beibringt. Wichtig war, daß er mit ihnen den demokratischen Gedanken als ein „Importgut aus dem Westen" diskreditieren zu können glaubte. 76 ) Ganz unter diesen beiden Leitbegriffen steht das fünfte Kapitel „Zwei Völker", 77 ) in dem Rohrbach bewegt die 'Verkümmerung' der Jugend schildert, wobei er aber zugesteht, daß ein älteres Geschlecht, „das ihm (dem Jugendlichen) imponierte", 78 ) eben doch fehle! Wenn es jedoch gelinge, die Jugendbewegung mit dem Volks- und Staatsgedanken zu erfüllen, könnte sie zum Ausgangspunkt fiir einen neuen Adel werden: „Menschen mit einem verantwortlichen deutschen Lebensgefühl neuer Art." 7 9 ) Völlig deplaciert wirkt das 6. Kapitel „Auswärtige Politik". 8 0 ) Es bringt noch einmal konzentriert seine Vorstellungen zur Außenpolitik und betont die Notwendigkeit einer deutschen Kulturpolitik. Nach allen Klagen versucht Rohrbach im 8. und letzten Kapitel vergeblich, einen deutschen Weg zu beschreiben: 8 1 ) vergeblich hauptsächlich, weil er meinte, auf den vorangegangenen Seiten die Ursachen beschrieben zu haben. 8 2 ) Seine Abänderungs-Wünsche bleiben an der Oberfläche: Erweiterung der Rechte des Reichs-

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S. 109. Ihr Kennzeichen sei die mangelnde Ehrfurcht: „Wer keine Ehrfurcht hat, ist seinem Wesen nach Materialist, unvornehm, seelischer Prolet oder seelische Null. . . " S. 110. VgL dazu seine Darstellung des Prototyps eines antimaterialistischen Gebildeten, Hamilkar von Fölkersahm in: Geistige Arbeit. NF der Minerva-Zeitschrift. 3. Jg. 1936, Nr.21, S. 12. S. 112/13. S. 113. Vgl. dagegen noch seine Behauptung im „Deutschen Gedanken" (1912), S.23. „Heute sind die Begriffe der Nation und des Staates, und damit auch der Begriff der Kultur, praktisch so gut wie verschlungen vom materialistischen Subjektivismus.. . ", a.a.O., S. 113. S. 113. S. 12S. „Für die westlichen Demokratien ist der Gedanke, daß der Staat Macht ist, und daß es zur inneren Natur der Macht gehört, ihre Unabhängigkeit zu behaupten, etwas ganz Selbstverständliches. Der deutschen Demokratie aber fehlt diese innere Bindung, und daran erkennt man, daß hier ein Prinzip auf einen falschen Boden verpflanzt ist..." S. 126. S. 139 ff. S. 144. S. 163. S. 170 ff. S. 233 ff. S. 234/35.

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Präsidenten, Ablösung der einmal „eingesetzten oder berufenen" Regierung nur durch den Reichspräsidenten, Beschränkung des Parlaments auf Billigung oder Ablehnung von Gesetzesvorlagen, Wahlrechtsreform analog dem englischen Muster mit dem Ziel, das Vielpartiensystem zu beseitigen und klare Mehrheiten zu schaff e n . 8 3 ) Den Föderalismus der deutschen Verfassung will er allerdings erhalten wissen: „Die Vorstellung, daß er ohnehin zersetzende, alles Unvornehme, Pietätlose und Mechanisierende in sich begreifende Einfluß Berlins noch größer werden s o l l . . . kann auf jeden Menschen . . . nur erschreckend wirken." 8 4 ) Neben die Verfassungs- muß die Sozialreform treten. Das Heer der Arbeitslosen würde am besten durch ein Arbeitsdienstjahr verringert; die dafür benötigten Mittel könnten durch eine Verkürzung der „Tributrate" aufgebracht werden. 8 5 ) Zu dem Ende der 20er Jahre so wichtigen Problem der Sozialreform weiß Rohrbach nur einige kaum ernst zu nehmende Gedanken beizusteuern: Man müsse den Verbrauch ausländischer Nahrungs- und Genußmittel einschränken. 8 6 ) Ferner müsse die „Rationalisierung" des Verbrauchs vorangetrieben werden: „Der ausgeklügelten Produktionsorganisation steht ein völlig desorganisierter Verbrauch gegenüber. Die Kluft ¿wischen den beiden Faktoren des Wirtschaftslebens ist heute so groß, daß sie verkleinert werden m u ß . " 8 7 ) „Wie" - das verschwieg er. Weiterhin forderte er Hilfe für die Landwirtschaf t - sein besonderer Zorn galt bezeichnenderweise der schleppenden Osthilfe -, Umstellung der Sozialpolitik vom Individuum auf die Familie und, zwar verklausuliert, aber doch deutlich, Beendigung der Frauenemanzipation: die Frau hat in erster Linie Mutter zu sein! 8 8 ) Auch Rohrbach konnte nicht ausführen, wie aus diesem eindeutig antidemokratischen Programm auf lange Sicht Besserung der geschilderten Mißstände eintreten könne. Wie die meisten Neukonservativen sah er sich gezwungen, auf einen „neuen Geist" zu hoffen. Wenn überhaupt, gebe es nur ein Mittel wirklicher nationaler Rettung: „Das ist die seelische Umstellung auf den doppelten Imperativ weltanschaulicher und nationaler V e r a n t w o r t l i c h k e i t . . . Nur der kann nationale Verantwortlichkeit fühlen, der an sein Volkstum als eine lebendige, alle Volksangehörigen umfassende Kraft glaubt, und wer sein Volk liebt." 8 9 ) 83)

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„ D a s heutige d e u t s c h e Wahlrecht will 'gerecht' sein. Dabei überträgt es aber, instinktlos wie das deutsche politische Denken nun einmal ist, in dem bekannten Dcnkgemisch von Idealismus u n d politischem Spießbürgertum den Begriff der gewöhnlichen bürgerlichen Gerechtigkeit auf das Staatsleben, wo es nicht auf die Gerechtigkeit im Formalsinn a n k o m m t , s o n d e r n auf die politische Brauchbarkeit für nationale Sicherung und nationalen F o r t s c h r i t t . " S. 2 3 7 . S. 2 4 1 . S. 244. S. 2 4 7 / 4 8 . S. 248. S. 2S3. Noch deutlicher in: D e u t s c h e s V o l k s t u m , 1931 I, S. 205. S. 2 5 4 .

Nur aus der Hingabebereitschaft erwachse der neue Adel der Verantwortlichkeit; noch höher aber stehe der Glaube an ein Jenseits: „Die höchste sittliche Kraft kann ein Mensch, er mag sonst noch so wertvoll sein, nur aus einer jenseitigen, d.h. religiös orientierten Weltanschauung ziehen."90) Dies abschließende konservativ-christliche Bekenntnis druckten die „Volkskonservativen Stimmen" als Auszug a b . 9 1 ) Der Rezensent lobte den Rohrbachschen Realismus, der „im Grunde konservativ" sei, und schloß sich nachdrücklich seiner Frage nach der einzigen Rettungsmöglichkeit und seiner Antwort an: Es bleibe das Werden eines neuen Geistes, die Entstehung eines neuen Adels von Menschen mit einem verantwortlichen deutschen Lebensgefühl neuer Art. In der Absicht, der Sammlung und Einheit dieser Menschen vorzuarbeiten, „fühlen wir uns mit ihm verwandt." Die Rezension ließ eine gewisse Distanz erkennen, die auch angebracht schien. Rohrbach strebte mit seinen „Beweisen" für die deutsche Unfähigkeit, erfolgreiche Innen* und Außenpolitik nach westlichen demokratischen-parlamentarischen Mustern zu treiben, eindeutig die Etablierung des nationalen Bildungsbürgertums als entscheidenden Machtfaktor an und argumentierte dazu durchaus antidemokratisch und unsozial. Aber grundsätzlich gingen seine Absichten weiter als die der Volkskonservativen. Seine Maßnahmen sollten jene nationale Geschlossenheit herbeifuhren, mit der allein die Hauptgründe der gegenwärtigen Misere, die Belastungen aus dem Versailler Vertrag, beseitigt werden konnten. „Politik ist Druck und Gegendruck; wir aber sind jetzt nichts weiter, als Objekt für den unsere Leistung fordernden Druck anderer. Soll der Druck leichter werden, so muß unsere Macht wachsen. E i n h e i t , wirkliche E i n h e i t , ist schon ein Stück Macht, selbst bei Unbewaffneten." 9 2 ) Die Uberzeugung, erst nach der Revision könne eine Besserung eintreten, teilten mit Rohrbach viele ernstzunehmende Politiker. 9 3 ) Seine Forderung nach „Zusammenrücken" - sie enthielt auf dem sozialen Sektor weit radikalere Forderungen als das offizielle volkskonservative Programm - wollte zwar die Vorherrschaft des nationalen Bildungsbürgertums sichern, das aber gerade dadurch auf breitere Schichten einwirken, den nationalen Konsensus auf breiter Basis hervorbringen und n a c h der Revision die Sozialreform ermöglichen sollte. In seiner Vorstellung war die Führungselite stets auf Werbung abgestellt, um möglichst viele zu ihren Gedanken zu bekehren, wenn ihm auch im Augenblick eine geistige und reale Diktatur unumgänglich schien, um die schlimmsten „Auswüchse" des deutschen parlamentarischen und sozialen Systems zu beseitigen und eine (Zwangs-) Phase der Besinnung und

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S. 256. 2. Jg. 1931, Nr. 13, S. 5 (Beibl.). a.a.O., S. 246. Vgl. dazu W. Link, Die amerikanische Stabilisierungspolitik in Deutschland 1921-1932, Düsseldorf 1970, S. 4 8 9 ff.

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Heilung einzuleiten. Die Volkskonservativen verzichteten dagegen schon im Ansatz auf die Errichtung einer Massenpartei oder Massenbewegung, innerhalb deren sie die Führungselite stellen würden; ihnen genügte es, in den augenblicklichen Wirren ihre Machtposition zu festigen. Primär waren sie - trotz aller Betonung des nationalen Wohles, das allein ihnen am Herzen liege - eine Interessenpartei für eine äußerst schmale Schicht mit spezifischen sozialen Wünschen und ganz im Sinne ihrer preußischen Mitgift erst konservativ und dann national. Überspitzt formuliert ging Rohrbach von der genau entgegengesetzten Position aus: erst national, dann konservativ. Am 15. August hatte er das Vorwort für „Deutschland - Tod oder Leben? " geschrieben; am 14. September 1930 erlitten die Volkskonservativen eine vernichtende Wahlniederlage. 94 ) Daß Rohrbach mit der selbstgenügsamen Haltung der Volkskonservativen nicht zufrieden war, bewies seine Kritik des Parteiprogrammes, die im Mai 1931 erschien. 95 ) Man müsse, so argumentierte er, nicht die mehr oder minder abstrahierten Grundsätze der Partei ausdrücken, sondern Antworten für die Massen auf sie bewegende Fragen finden: „Hitlers großer politischer Erfolg beruht nicht zuletzt darauf, daß seine Thesen auf die Fragestellung von Millionen von Deutschen im Augenblick passen wie ein Schlüssel ins Schloß - womit nicht gesagt sein soll, daß dieses Schloß und dieser Schlüssel diejenigen sind, die wir brauchen." Ein Programm solle weder vollständig sein noch bereits Überzeugte bekehren wollen, sondern konkrete Einzelsätze formulieren, die in das „Zentrum der politischen Diskussion treffen . . . Ein Programm soll keine Konkordienformel sein." Dieser 'Schlüssel-Schloß-Funktion'für breite Massen wollten die Volkskonservativen freilich nicht nachkommen. Noch in zwei weiteren Punkten distanzierte sich Rohrbach von ihren Anschauungen. Er bezeichnete unverblümt das Besitzbürgertum und „gewisse, vorwiegend machtpolitisch interessierte Elemente in unserer Großwirtschaft" als unnational und unsozial und spielte damit auf die sozialen Interessen der zu den Volkskonservativen stoßenden Wähler und Mitglieder an. Diese Entwicklung zur Partei war der dritte Punkt zur Kritik. Das Kernstück eines jeden volkskonservativen Programms müsse die eindeutige Kriegserklärung an den „neudeutschen" Parlamentarismus sein, der die Feigheit und Flucht vor der Verantwortung züchte. Dem verantwortungslosen Parlamentarismus müßten die Giftzähne gezogen werden, denn „erst wenn wir wieder verantwortliche Männer haben, die unabhängig sind vom Parteibuch, vom Koalitionsschacher und von der deutschen parlamentarischen Hintertreppenluft, kann anständig regiert werden, kann sich der Mut zu einer festen auswärtigen Politik sammeln, kann die Initiative zur Rettung aus dem Versorgungsstaat, in dem wir jetzt seelisch und leiblich am Ertrinken sind, ergriffen werden." 94) 95)

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Nur vier Volkskonservative zogen in den Reichstag ein. Volkskonservative Stimmen, 2. Jg. 1931, Nr. 18, S. 3.

Diese Sätze verrieten allerdings eine groteske Blindheit für das Arbeitslosenproblem und die wirtschaftlichen Zusammenhänge. Ungeschminkt zielte Rohrbach darauf ab, die politische und wirtschaftliche Zwangslage zur Etablierung seiner Schicht auszunutzen, deren Interessen in kaum kaschierter Anmaßung mit dem Staat identifiziert wurden. Den damit angekündigten Bruch mit den Volkskonservativen vollzog er endgültig nach dem Volksbegehren für die Auflösung des Preußischen Landtags. Die Partei hatte sich für die Auflösung ausgesprochen, um mit der Ersetzung einer veralterten Koalition den Umbau des Reiches, die „Reform an Haupt und Gliedern" einzuleiten. Aus außenpolitischen Erwägungen war Rohrbach nicht bereit, das Scheitern des Begehrens zu bedauern. Die Trennung von der Partei vollzog sich ohne Aufsehen.

1.7 Innenpolitik im Jahre 1932 Im Kontext der politischen Aktivitäten Rohrbachs war die „Konservative Volkspartei" nur eine Episode, die ihm aber die Einsicht bescherte, daß es für seine innenpolitischen Vorstellungen keine Partei gab. Er wollte ferner erkannt haben, daß nur Brüning die alles entscheidende Revision des Versailler Vertrages durchsetzen könne, weil er allein das Vertrauen des Auslandes genieße, 1 ) während das Präsidialsystem insgesamt dort als undemokratisch betrachtet wurde. Zu dieser Erkenntnis trug maßgeblich die Weltreise 1931/32 bei. Schon von unterwegs hatte er begonnen, die Bedeutung Brünings für die deutsche Außen- und Revisionspolitik herauszustellen. 2 ) Es sei - wie er in einem Beitrag im Bayerischen Rundfunk sagte • einzig Verdienst des Reichskanzlers, wenn die Welt jetzt anfange, Deutschlands Nöte zu berücksichtigen.3) Als Rohrbach Ende Januar 1932 nach Deutschland zurückkehrte, stand als wichtigstes innenpolitisches Ereignis die Reichspräsidentenwahl bevor. Brüning konnte nur im Amt bleiben, wenn Hindenburg wiedergewählt wurde: Dieser Schluß bewog Rohrbach, sich vehement und mit einem für ihn ungewöhnlichem Engagement in den Wahlkampf zu stürzen. Der gute Zweck heiligte in seinen Augen sogar eine kleine Korrektur der Wahrheit: Unter dem „Aufruf der Hindenburg-Wähler von 1925" 4 ) war auch Rohrbachs Name zu finden, obwohl er 1925, wie sein Lehrer H. Delbrücks), für Marx gestimmt hatte.

1) Heidelberger Tageblatt Nr. 186 vom 13.8.1931. 2) ebda, Nr. 190 vom 18.8.1931. Münchener Zeitung Nr. 241 vom 2.9.1931. 3) „Deutschland in fremden Augen". 19.2.1932, 18.55-19.15 Uhr. Ferner: Wiesbadener Zeitung Nr. 67 vom 7.3.1932. 4) Volkskonservative Stimmen, 3. Jg. 1932, Nr. 8, S. 1-4. 5) H. Delbrück, Vor und nach dem Weltkrieg, Berlin 1926, S. 450.

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Seine Propaganda für Hindenburg und Brüning riet bei seinen Freunden einiges Kopfschütteln hervor. 6 ) Im Gegensatz zu den meisten Konservativen hatte er den Feldmarschall nämlich lange Zeit mit erheblichem Mißtrauen betrachtet. Er attestierte ihm 1919 einen zwar „großen, reinen, aber unpolitischen Sinn", der von gewissenlosen Königsmachern dazu benutzt werde, die Restauration voranzutreiben. Ein solcher Schritt bedeute aber Bürgerkrieg und vor allem Ausschaltung der Arbeiterschaft und der Sozialdemokratie aus der Regierung - ein Gedanke, mit dem kein Deutscher, „der Anspruch auf politische Besonnenheit und Gewissenhaftigkeit macht", auch nur von ferne spielen dürfe! 7 ) Sein Mißtrauen gegen die hinter Hindenburg vermuteten Drahtzieher blieb bestehen. S o setzte er sich bei der Reichspräsidentenwahl 1 9 2 5 im zweiten Wahlgang für Marx ein, da dessen Sieg zugleich ein Sieg der republikanischen Front gegen die Monarchie und Republikverleugnung sein würde. 8 ) Seine Enttäuschung über die Wahl Hindenburgs war groß, weil er ungünstige Reaktionen des Auslands befürchtete. 9 ) Obwohl er zugestand, daß Hindenburgs Eid auf die Verfassung ein „Felsen" sei, der Feldmarschall also zu einem Umsturz nicht die Hand bieten werde 1 0 ), war er noch immer nicht davon überzeugt, daß die Gefahr einer Restauration gebannt s e i . 1 1 ) Erst zwei Jahre nach Hindenburgs Wahl konnte er sich für dessen Tannenberg-Rede erwärmen; 1 2 ) halb besorgt, halb schadenfroh verfolgte er die erregten Kommentare der französischen Presse. 13 )Zum 80. Geburtstag des Präsidenten schrieb er einen achtungsvollen, aber durchaus zurückhaltenden Würdigungs-Artikel. 14 ) Das Volksbegehren gegen den Young-Plan zerstreute dann sein Mißtrauen. Der § 4 der Erstfassung schied Hindenburg von der Rechten und zeigte, daß ein Umsturz von rechts, wenn überhaupt, gegen Hindenburg, aber nicht durch ihn kommen würd e . 1 5 ) Diese Erkenntnis bewog ihn, sich 1 9 3 0 - noch im Rahmen der Konservativen Volkspartei - für eine Ausweitung der Rechten des Reichspräsidenten einzusetzen. Nach der Weltreise erfolgte eine Akzentverschiebung: Nicht mehr Hindenburg

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Schacht an Rohrbach vom 1.2.1932 - Nachl. Schacht. DP H. 11 vom 1 2 . 3 . 1 9 2 0 , S. 3 4 8 / 4 9 . Anlaß war das berühmte Interview des amerikanischen Korrespondenten v. Wiegand mit dem Obersten Bauer im „New York American" vom 7 . 1 2 . 1 9 1 9 . Dazu W. Hubatsch, Hindenburg und der Staat, Göttingen 1966, S. 56.61. Protokoll über die Sitzung des Parteiausschusses der DDP am 5 . 4 . 1 9 2 5 - R 4 5 HI/12, fol. 169. Heidelberger Tageblatt Nr. 108 vom 9 . 5 . 1 9 2 5 . DDG Nr. 15 vom 5 . 5 . 1 9 2 5 , S. 5 1 4 . Rohrbach an Schacht vom 4 . 7 . 1 9 2 9 - PrivNachlRb. Ein Teil des Briefes ist in der Handschrift, S. 295 ff, abgedruckt. Ferner aus der Rückschau: Handschrift, S. 363/64. Deutsche La Plata-Zeitung Nr. 244 vom 18.10.1927. ebda, Nr. 248 vom 22.10.1927 DDG 1927, 1. Oktoberheft, S. 291. Die andere, nicht minder wichtige Bedeutung des Volksbegehrens - daß Hitler damit politisch salonfähig wurde - erkannte Rohrbach nicht.

alleine - von dem er wie viele Deutsche glaubte, er sei der letzte Damm gegen die braune Flut -, sondern Hindenburg und Brüning stellten „Deutschlands moralische Kreditposten" im Ausland dar. 16 ) Das allgemeine Weltinteresse richtete sich jetzt auf Deutschland in der Erkenntnis, daß die Weltpolitik untrennbar mit dessen innenpolitischer Entwicklung verbunden sei. In diesem Zusammenhang solle niemand übersehen, daß Hindenburg ein „Faktor von größter Bedeutung" sei, die „Verkörperung alles dessen, was in Deutschland vornehm, tapfer, selbstverleugnend und zuverlässig ist." 1 7 ) Diesen gegen Hitler gerichteten Zeilen schloß Rohrbach eine Mahnung an alle nationalsozialistischen Wähler an: „Wenn die Deutschen Hindenburg nicht wiederwählen, wo er selbst dochdas Opfer bringt, sich in seinem Patriarchenalter noch einmal zur Verfügung zu stellen, dann - so wäre das allgemeine Weltempfinden - zeigen sie damit, daß sie Narren sind; dann wissen sie überhaupt nicht mehr, wie ein vornehmes Volk denkt, und dann beweisen sie uns selbst, wie schwer es ist, mit ihnen auf der Grundlage eines vernünftigen, vornehmen und normalen Gemeingefühls zusammenzukommen." 18 ) Knapp zwei Wochen später verschärfte er diese Sichtweise und betonte, daß Hindenburgs Wiederwahl fast mehr ein Ereignis der äußeren als der inneren Politik sei. 19 ) Das war gut gemeint, verkannte aber den allgemeinen Überdruß breiterer Massen an der Verstrickung in die Politik anderer Staaten, an internationaler Wirtschaft, „Weltwirtschaftskrise und Völkerbund, den Hitler für seine Propaganda so genial ausnutzte. Mehr noch: sah man von dem stark aufgetragenen Appell an das Sentiment gegenüber der Person Hindenburgs ab, blieb nur eine Mahnung übrig, die Auswirkungen der Wahl auf die Außenpolitik nicht zu übersehen: und diese waren eher an die Person Brünings geknüpft. Um so härter traf es ihn, daß Hindenburg nach seiner Wiederwahl Brüning am 30. Mai entließ. Über die damit angeblich bezweckte „Nationale Konzentration" höhnte er, Hindenburgs Vorgehen schlage aller politischen Vernunft ins Gesicht. Außerdem läge ihm ein groteskes Mißverständnis zugrunde: Wenn das Ausland dem Reiche neuerdings Vertrauen entgegenbringe, dann waren Hindenburg und Brüning, „nicht einer oder der andere, sondern beide zusammen" gemeint. 20 ) Nicht Hindenburg, sondern Brüning sei vom Ausland als der „persönliche Exponent der Ansprüche" akzeptiert worden, „mit denen Deutschland seit dem vorigen Sommer in der internationalen Politik auftrat." 2 1 ) Mit der Entlassung Brünings habe Deutschland jede außenpolitische Möglichkeit freiwillig aus der Hand gegeben! 22 ) 16) 17) 18) 19) 20) 21) 22)

Gießener Anzeiger Nr. 4 3 vom 20.2.1932. Kölnische Zeitung Nr. 87 vom 13.2.1932. Diesen Absatz brachte die Kölnische Zeitung einen Monat später, auffallig placiert und hervorgehoben, als offiziellen Wahlaufruf - Nr. 140 vom 11.3.1932, Titelseite. Wiesbadener Zeitung Nr. 59 vom 28.2.1932. ebda, Nr. 153 vom 6.6.1932. Heidelberger Tageblatt Nr. 129 vom 6.6.1932. So Rohrbach in einem Brief vom 1.6.1932 an Brüning.

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Hindenburgs Schritt rief wieder die alten Befürchtungen wach. Er wußte, daß die „Abhalfterung" des Reichswehrministers Groener anläßlich des SA-Verbots ein Schlag gegen Brüning war, dem Hindenburg unmittelbar nach seiner Wahl die kalte Schulter gezeigt hatte. Wenn er auch geneigt war, den Rücktritt Groeners als eine Ungeschicklichkeit des Ministers zu betrachten, 2 3 ) so war er doch darüber informiert, daß der „Mann im Hintergrund" Schleicher hieß, dessen enge Beziehungen zu den Nationalsozialisten für ihn eine feststehende Tatsache war. Nahm man dazu noch die Einflüsterungen der Nachbarn Hindenburgs, von denen er besonders Oldenburg-Januschau einen großen Einfluß zuschrieb, dann schienen seine Befürchtungen gerechtfertigt, daß sich Hindenburg zum Vertreter rechtsrevolutionärer Gruppen gemacht hatte. Kurz vor Brünings Sturz war er noch überzeugt, Schleicher und Genossen würden nicht wagen, bei einer Rücktrittsdrohung des Kanzlers offen die Verantwortung zu übernehmen. 24 ) So erklärt sich auch, daß er Papen anfangs überhaupt nicht ernst nahm und nur als Platzhalter für kommende Entscheidungen ansah. 2 5 ) Die Entlassung Brünings und die Wahl Papens mußten das Zentrum brüskieren, das bei jeder Koalitionsbildung die entscheidende Rolle spielte. Wenn man in Kauf nahm, die wichtigste Partei so vor den Kopf zu stoßen, dann konnte der Rechtsumsturz nicht mehr fern sein. Aus diesen Gründen wandte sich Rohrbach nach dem Mai 1932 entschieden gegen das Präsidialsystem, da alle seine Verfechter - wie Jonas zu den Volkskonservativen anmerkt - mit Brünings Sturz „politisch vor dem Nichts" standen. 26 ) Die Frage war jetzt, wie die drohende Machtübernahme durch die Nationalsozialisten verhindert werden konnte. Am 4. Juni 1932 wurde der Reichstag aufgelöst. In den auf Ende Juli angesetzten Wahlen mußte sich zeigen, was sich hinter der Parole von der „nationalen Konzentration" verbarg. Etwa einen Monat vor der Wahl erschien in der „Kölnischen Volkszeitung", dem Hauptorgan des rheinischen Zentrums, ein Aufruf Rohrbachs mit dem Titel „Protestanten, Nichtkatholiken, wählt Zentrum!" 2 7 ) Dieser Schritt war logisch. Für die Wahl kamen als ausschlaggebend nur noch die vier großen Parteien KPD, SPD, Zentrum und NSDAP in Frage.") Die beiden Links-

23) Gegen den Vorwurf, er habe Schleicher zu sehr vertraut und damit seinen Sturz selbst herbeigeführt, hat sich Gröner ja sofort heftig gewehrt; er behauptete, sich über die möglichen Folgen des SA-Verbotes klar gewesen zu sein - Brief an Richard Bahr vom 22.6. 1932 - WaG, H. 3/4, 1954, S. 244. 24) Anlage vom 23.5. (1932) zu einem Schreiben an A.O. Meyer - Nachl. Meyer, Beil. 1. 25) Heidelberger Tageblatt Nr. 129 vom 6.6.1932. 26) a.a.O., S. 122. 27) Nr. 176 vom 26.6.1932, S. 3. Darauf entgegnete die „Deutsch-Evangelische Korrespondenz" u.a.: „Der Nationalsozialismus ist heute noch gärender Most. Hat nicht gerade der deutsche Protestantismus hier die große Aufgabe, der Erzieher, nein, noch mehr, das Gewissen dieser Bewegung zu sein? . . . " Zitiert nach Heidelberger Tageblatt Nr. 175 vom 29.7.1932. 28) Die DNVP schloß er seltsamerweise aus; die Gründe dafür lassen sich nicht ermitteln; möglicherweise liegen sie in dem Ausgang der Länderwahlen vom 24. April.

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Parteien schieden für Rohrbach aus; von Listenverbindungen der kleinen Parteien hielt er nichts: „mir scheint das Richtige zu sein, wenn man seine Stimme diesmal direkt dorthin legt, wo sie eine unmittelbare Stärkung der Partei bedeutet, die der tatsächliche Gegenspieler des Nationalsozialismus auf bürgerlicher Grundlage ist, das ist das Zentrum." Eine rein nationalsozialistische Regierung sei für Deutschland unmöglich, auch wenn man manche Ideen im Nationalsozialismus gutheißen möge. Ebensowenig dürfe aber der Nationalsozialismus aus der Verantwortung für die „organische Weiterentwicklung" der Dinge herausbleiben. In der Auseinandersetzung „zwischen dem nationalsozialistischen und dem nichtnationalsozialistischen bürgerlichen Deutschland" dürfe es weder zu einer braunen Diktatur kommen noch dürfe Hitler Gelegenheit geboten werden, bloße lärmende Opposition zu bleiben. Ihn zu zähmen brauche es einen starken politischen Gegenspielers, der nach Lage der Dinge nur das Zentrum sein könne. „Je stärker aber das Zentrum ist, desto bestimmter kann man annehmen, daß Spiel und Gegenspiel von den besonneneren Kräften gelenkt werden." Rohrbach verkannte die weltanschaulichen Gegensätze nicht, glaubte aber, sie im Augenblick den politischen Erfordernissen unterordnen zu müssen. Die Koalition von Zentrum und NSDAP 2 9 ) sollte Brüning als Reichskanzler oder zumindest als unabhängigen Außenminister aufstellen, um die begonnene Außen- und Revisionspolitik fortzusetzen. In seiner Argumentation lag ein gewisser Widerspruch. Einerseits befürchtete er einen Rechtsumsturz mit oder durch Hindenbuig, andererseits schien er darauf zu vertrauen, daß der Reichspräsident gemäß der Verfassung einen Reichskanzler Brüning, der über die notwendige parlamentarische Mehrheit verfügte und damit vom Präsidenten weitgehend unabhängig geworden war, berufen würde. Nicht minder gegensätzlich war seine Beurteilung der Nationalsozialisten. Immer wieder stellte er ihren Willen zur totalen Machtübernahme heraus und nahm doch gleichzeitigan, daß sich Hitler in einer bürgerlichen Koalition „zähmen" ließe. Der Ausgang der Wahl bestürzte ihn. Das Zentrum konnte sich zwar behaupten, aber an eine Koalition in seinem Sinne war nicht zu denken. Mit größter Spannung erwartete er daher die Zusammenkunft Hitlers mit Hindenburg, da dem Führer der nunmehr stärksten Fraktion das Kanzleramt angeboten werden mußte. Das Treffen verlief für Hitler äußerst blamabel. Er scheiterte an seinen maßlosen Forderungen, die das Büro des Reichspräsidenten propagandistisch geschickt sofort veröffentlichte. Jubelnd verkündigte Rohrbach, daß Hindenburg Hitlers Forderung, die Stellung einzunehmen, „die Mussolini nach dem Marsch auf Rom besessen habe", 29) Was er in seinen Memoiren - Handschrift, S. 344/45 - verschweigt, so daß der Eindruck entsteht, als habe ein Zentrumssieg die Regierungsbeteiligung der NSDAP überhaupt verhindern sollen.

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mit den Worten ablehnte: „Das kann ich mit meinem Gewissen und meiner Pflicht gegen das Vaterland nicht vereinbaren." 3 0 ) Für ihn hatten sich damit die Fronten erneut geklärt. Hindenburg hatte sich in aller Entschiedenheit gegen Hitler ausgesprochen; obwohl er Brüning wegen des SA-Verbots entlassen h a b e , 3 1 ) sei er doch nicht bereit, der NSDAP die Regierungsgewalt anzuvertrauen. Dieser „Widerspruch" verblüffte den innenpolitisch wenig informierten Rohrbach, aber er zeichnete ihm wenigstens die Linie vor, die es einzuhalten galt: Unterstützung Papens, der offensichtlich das Vertrauen Hindenburgs genoß, gegen die Ansprüche Hitlers. So begann er recht unvermittelt, die außenpolitische Zukunft Papens aussichtsreicher darzustellen - eine Haltung, die man nur als Zweckoptimismus bezeichnen kann. Denn mochte er innenpolitisch naiv sein, so war er doch außenpolitisch erfahren genug, um den Schaden zu übersehen, den das Auftreten der deutschen Delegation in Lausanne bewirkt hatte. 3 2 ) Auch das deutliche Lob, das er - gestützt auf einen „Times"Artikelvom 4. November 1932 -dem Papen-Plan einer Reflation 3 3 ) spendete, täuschte nicht über sein Unbehagen hinweg. 3 4 ) Papen war und blieb ein Ersatz für Brüning, und nur die Ungunst der Lage erforderte, den schlechteren Mann zu unterstützen.") Mittlerweile hatten NSDAP und Zentrum Kontakte aufgenommen; 3 6 ) beide Parteien waren sich, wenn auch aus verschiedenen Motiven, darüber einig, daß der von Papen in Münster am 28. August bekanntgegebene Plan, unter großen sozialen Opfern ca. 1,75 Millionen Arbeitslose wieder in die Wirtschaft einzugliedern und diese durch zahlreiche Maßnahmen anzukurbeln, im Zeichen leicht ansteigender Konjunktur überflüssig sei. 3 7 ) So fanden sich die beiden Parteien im Kampf gegen die Notverordnung vom 4./5. September 1932 Seite an Seite; 3 8 ) sie besaßen eine zwar knappe, aber arbeitsfähige Mehrheit im Parlament. 3 9 ) Das war eigentlich die Konstellation, für die Rohrbach im Juni noch eingetreten war. Aber inzwischen hatte

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Herr Reichskanzler von Papen - Losen Sie auf! München 1932, S. 6. In dieser nicht falschen, aber einseitigen Ansicht wurde Rohrbach noch durch den Brief Brünings vom 15.6.1953 bestärkt - Handschrift, S. 343/44. Heidelberger Tageblatt Nr. 176 vom 30.7.1932. Siegener Zeitung Nr. 197 vom 23.8.1932. Reflation = kontrollierte Inflation. Wiesbadener Zeitung Nr. 316 vom 17.11.1932. Vgl. Handschrift, S. 362/63. Rohrbachs Äußerungen beweisen, daß selbst Papen-Kritiker in der Regierung des Herrenreiters nicht etwas prinzipiell Neues sahen, sondern eher einen „Betriebsunfall" des Präsidialsystems, zu dem man nach personellen Änderungen zurückkehren könne. A. Bullock, Hitler, Düsseldorf 1961, S. 223. Ob Rohrbach die wirkliche Bedeutung dieses Planes, die Durchbrechung der tariflich gesicherten Löhne, erkannt hat, ist fraglich. Dazu Brüning, Memoiren, S. 628/29 - ein Musterbeispiel für seine Art, Zufälle, persönliche Intrigen oder Irrtümer in erster Linie für politische Entscheidungen verantwortlich zu machen. 305 von 608 Sitzen.

er die dritte radikale Stellungsänderung vorgenommen. Anlaß war der Mord von Potempa. 4 °) Fünf SA-Leute hatten in der Nähe von Beuthen einen Kommunisten polnischer Herkunft auf viehische Art umgebracht; im August 1932 wurden sie nach den verschärften Strafgesetzen, die einen Tag vor ihrer Tat in Kraft getreten waren, rechtskräftig zum Tode verurteilt. Hitler sah sich aus parteiinternen Auseinandersetzungen heraus gezwungen, in einem Telegramm vom 23. August 1932 seine unverbrüchliche Solidarität mit den Tätern zu erklären. 41 ) Rohrbachs Erregung war ungeheuer; weniger die ja nicht vereinzelte Tat als das offene Bekenntnis zum Unrecht entsetzte ihn. Nach dem Hitler-Telegramm und der daraufhin einsetzenden Verherrlichung der Mörder im „Völkischen Beobachter" war für ihn eine Grenze überschritten, hinter der Hitler und die Nationalsozialisten keinen Anspruch mehr erheben konnten, ernsthafte Faktoren des politischen Lebens zu sein. „Jetzt handelt es sich für mich nur noch um die Rettung der sittlichen Staatsidee," schrieb er. 4 2 ) Hitler hatte mit seinem Telegramm die für Rohrbach maßgebende Idee des Staates, die Herrschaft des Rechts, eindeutig abgelehnt und sich grundsätzlich und offen gegen den Rechtsstaat bekannt. 4 3 ) Ausgerechnet in diesen Tagen wurden Verhandlungen zwischen NSDAP und Zentrum kolportiert. 4 4 ) Für Rohrbach war es unverständlich, daß sich ein Mann wie Brüning jetzt noch mit Hitler an einen Tisch setzen konnte. In einem langen offenen Brief mahnte er ihn eindringlich, die Folgen seiner Verhandlungen mit Hitler zu bedenken. 4 5 ) Er setze alles, was er als Kanzler erreicht habe, jetzt wieder aufs Spiel und beweise der Welt, daß auch er politischen Mord gutheiße. Brünings Entscheidung sei nämlich für die Welt die Entscheidung Deutschlands; nur ihm würde die Welt eine schroffe Verurteilung Hitlers glauben. Dann ging Rohrbach mit dem Nationalsozialismus ins Gericht. Durchaus bereit, die positiven und idealen Kräfte des „Hitlerismus" anzuerkennen, müsse er doch konstatieren, daß dem „Führer" die Partei aus der Hand geglitten sei. Unsaubere Elemente beherrschten den Apparat und müßten nach einer Wahlniederlage, die die Partei zur Besinnung kommen lassen würde, ausgemerzt werden. Jede augenblickliche Verhandlung störe diesen Säuberungsprozeß und belasse die Parteiführung weiter in ihrem Irrtum über die Grundeinstellung des deutschen Volkes: nämlich das elementare Rechtsgefühl und die innere Würde, die die Exzesse der Nationalsozialisten ablehnten. Ohne auf die Kanzlerschaft Brünings und ihr Ende einzugehen: 40) 41) 42) 43)

P. Kluke, Der Fall Potempa, in: VjhfZG 5,1957, S. 279 ff. Bullock, Hitler, S. 220. Rohrbach an A.O. Meyer vom 29.9.1932 - NachL Meyer, Bl. 4/5. Eine ähnliche Bedeutung legt Bracher - Die Auflösung der Weimarer Republik. 3. Aufl. 1960, S. 620 - dem Zwischenfall zu. Auch er bezeichnet das Telegramm als bewußt riskierte „Selbstenthüllung seiner (Hitlers) Legalitätsideologie", vor der aber die autoritären Träger des Staates zurückwichen. Damit verspielten sie eine psychologische Chance. Genau so argumentierte Rohrbach! 44) Dazu Brüning, Memoiren, S. 622-26. 45) Reichskanzler von Papen, S. 14-17.

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Brüning sei der Exponent der für Deutschland zu erringenden außenpolitischen Stellung in den Augen der Welt. Darum müsse er sich eindeutig entscheiden: für Hindenburg und den Rechtsstaat oder für Hitler und den Unrechtsstaat. Brüning wurde durch die Veröffentlichung des Briefes überrascht; seine schnelle Antwort zeigt, daß ihm diese Mahnung nicht gleichgültig war. 46 ) Er sei,wie er schrieb, von vielen Seiten gebeten worden, eine Aussprache mit den Nationalsozialisten nicht abzulehnen. Die Bitten „patriotisch denkender Männer" hätten ihn zu einer Kontaktaufnahme veranlaßt, die der „Möglichkeit zur Bildung einer verfassungsmäßigen Regierung" gegolten habe, in erster Linie, um „die Autorität des Herren Reichspräsidenten zu festigen und das Betreten eines nichtverfassungsmäßigen Weges abzuwenden." Dazu fühle er sich allen Wählern Hindenburgs gegenüber verpflichtet. Rohrbach möge glauben, daß keine Erbitterung sein Handeln bestimme, sondern nur die „Sorge um das Vaterland. In der Verurteilung der Beuthener Vorgänge stimme er mit Dr. Rohrbach völlig überein. Im übrigen lägen die Verhandlungen selbst bei den Persönlichkeiten der Zentrumspartei, die ausschließlich für solche Verhandlungen vom Parteivorstand ernannt würden." 4 7 ) Die Argumentation Brünings war recht geschickt, betonte seine augenblickliche Einflußlosigkeit innerhalb der Partei, deren Beschlüssen er sich beugen müsse, und umging jede klare Stellungnahme. Der Zentrumspolitiker setzte den Akzent auf die sicherlich wünschenswerte Beendigung des Präsidialsystems mit allen seinen Schwächen und Unsicherheiten. Das erfordere, selbst nach Potempa mit den Nationalsozialisten zu verhandeln, wie es ja auch die Regierung getan habe. Erst danach habe er sich zu Verhandlungen entschlossen! Der Briefwechsel fand viel Beachtung, wurde aber allgemein ablehnend kommentiert: „Der Artikel Rohrbachs beweist, wie wenig diesem Manne das Wesen des Zentrums bekannt ist. Er hätte sich sonst seinen Aufruf vor den Wahlen ebenso erspart, wie jetzt den offenen Brief an Dr. Brüning." 48 ) Rohrbachs offenem Brief lagen in der Tat mehrere Fehlurteile zugrunde. Einmal überschätzte er offenbar Brünings Stellung innerhalb des Zentrums. 4 9 )Zum 46) 47)

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Heidelberger Tageblatt Nr. 205 vom 2.9.1932. Frankfurter Zeitung Nr. 653 vom 1.9.1932. Eine etwas andere Version bringt die Kölnische Zeitung Nr. 481 vom 3.9.1932. Darin heißt es u.a.: „Er bedaure, schreibt Brü-> ning, daß Dr. Rohrbach seinen Brief „auf Grund von falschen Nachrichten" veröffentlicht habe . . . Wenn Sie trotzdem Bedenken äußern, daß ich eine Aussprache mit Führern der Nationalsozialistischen Partei gemacht habe, so werden Sie inzwischen aus der Zeitung entnommen haben, daß auch die Reichsregierung nach diesen Äußerungen des Herrn Hitler es nicht ablehnt, mit ihm zu verhandeln . . . " Bemerkenswerterweise ist die Antwort Brünings auch bei Schacht, 76 Jahre meines Lebens, S. 354/55, abgedruckt - nach dem Motto: Was Brüning recht war, mußte Schacht billig sein. Hamburgischer Correspondent Nr. 408 vom 31.8.1932, ein Blatt vom rechten Flügel der DVP. Zu diesem allgemeinen Fehlurteil: R.R. Beer, Heinrich Brüning, Berlin 1931, passim.

anderen konnte er sich als Publizist den moralischen Rigorismus leisten, n a c h Potempa jeden Kontakt mit den Nationalsozialisten abzulehnen, wie er zwischen 1930 und 1932, wenn auch in loser Form, zwischen Brüning und der NSDAP bestanden hatte. 5 0 ) Das Zentrum mußte dagegen versuchen, einen modus vivendi mit den Nationalsozialisten zu finden, sobald feststand, daß die den meisten Mitgliedern sympathistsche Lösung des Problems, ein Verbot der Partei, nicht möglich war. Brüning behauptet in seinen Memoiren, daß er sich seinerzeit Uber die wahren Absichten Hitlers stets im Klaren war; Zeitgenossen beurteilten das anders: Der Glaube an die „positiven Elemente" in der NSDAP war doch weitverbreitet, 5 1 ) auch Rohrbach war ihm, wie sein Brief an Brüning bewies, erlegen. Zum dritten setzte Rohrbach einen für den Moment weniger bedeutenden Akzent: Er mahnte Brüning, die unabsehbaren Folgen für die deutsche auswärtige Politik zu bedenken, die aus einer Aufnahme Hitlers in die Regierung nach dem Telegramm entstehen könnten. Offensichtlich hat er geglaubt, dieser außenpolitische Gesichtspunkt müsse fiir Brüning der einzig entscheidende sein; 52 ) mit Befremden wollte er jetzt feststellen, daß auch Brüning, der Exponent des Präsidialsystems, ein Parteipolitiker zu sein schien, der die Belange seiner Partei über die Forderung der auswärtigen Politik stellte. So war sein Antwortbrief voller Resignation. „Ich danke Ihnen für Ihre Antwort. Sie ist mir wertvoll, aber sie bringt mir nicht die Klärung, die für mich entscheidend ist: Wo stehen Sie in dem Kampf, der seit Beuthen um unseren christlich-nationalen Staat ausgekämpft wird? Stehen Sie bei der jetzigen Regierung, die d i e s e n Staat nach dem Willen des Reichspräsidenten verteidigt, oder wollen Sie wirklich die Kanzlerschaft Hitlers, der d i e s e n Staat nach dem Willen seiner Partei angreift? " Wie könne das Zentrum nach Beuthen noch an eine Koalition mit der NSDAP denken? Das Parteigetriebe der letzten 14 Tage wirke wie ein Anschauungsunterricht für den verwerflichen Satz vom Zweck, der die Mittel heilige. Das Zentrum wolle doch einsehen, daß es im Augenblick Hindenburg und Papen die „Verteidigung der christlichen Gesittung" in Deutschland erschwere. 53 ) Das ganze Schreiben ließ erkennen, wie wenig Rohrbach die innenpolitische Konstellation des Sommers 1932 durchschaute. Es war naiv, dem Zentrum zuzumuten, Papen zu stützen, das „Kabinett der Barone" als letztes Bollwerk der christlichen Staatsgesittung zu bezeich-

50) J. Becker, Brüning, Prälat Kaas u. d. Problem einer Regierungsbeteiligung der NSDAP 1930-1932, in: HZ 196, 1963, S. 74 ff. 51) Ob Brüning zu sehr auf die „positiven Elemente" um Strasser vertraut hat, um entschlossen den Kampf gegen die NSDAP aufzunehmen, ist eine nicht zu entscheidende Frage. Zumindest in der Sozialdemokratie wurden solche Gedanken laut - vgl. die von Theodor Wolff (Der Marsch durch zwei Jahrzehnte. Amsterdam 1936, S. 362) mitgeteilte Äußerung Otto Brauns. 52) Dazu: W. Conze, Die Regierung Brüning, in: Staat, Wirtschaft und Politik in der Weimarer Republik. Festschrift für H. Brüning. Hrsg. v. F.A. Hermens und Th. Schieder. Berlin 1967, S. 241, und K.D. Bracher, in: VjhfZG 19, 1971, S. 118. 53) Reichskanzler von Papen, S. 18 f.

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nen und gleichzeitig zu ignorieren, wie viel diese intriganten Rechtskreise zur verworrenen Situation im August 1932 beigetragen hatten. Aber wenn er nach Beuthen die „Zähmungs"-Koalition mit den Nationalsozialisten in der bestehenden Form rigoros ablehnte, dann gab es theoretisch nur zwei Möglichkeiten, mit Hitler fertig zu werden: eine Spaltung der NSDAP in der Hoffnung, daß die besonneren Teile - etwa um Strasser - sich zu einer Koalition bereitfänden oder eine Art „Staatsstreich". Beide Auswege hielt er für gefährlich, den zweiten aber für bedrohlicher, da er notgedrungen die Reichswehr und damit Schleicher ins Spiel bringen würde, dem er tief mißtraute. 5 4 ) Rohrbach hatte nach der dritten Enttäuschung innerhalb eines Jahres beabsichtigt, der Innenpolitik den Rücken zu kehren. Aber in dieser Zeit besuchte ihn Kurt Hahn, der ehemalige Mitarbeiter des Prinzen Max von Baden, und veranlaßte ihn, noch einmal mit einer Mahnung an die Öffentlichkeit zu gehen: „Wenn Hans Delbrück noch lebte, so müßte er es tun, da er nicht mehr am Leben ist, so sind Sie jetzt der einzige Mann, der seine Stimme erheben m u ß . " 5 5 ) Teils gedrängt, teils aus eigener Uberzeugung formulierte Rohrbach einen Weg, der ihm aus dem Dilemma des Herbstes 1932 herauszuführen schien. Es galt, Papen zu stützen, um den Nationalsozialismus zu schwächen: das war das einzige vernünftigerweise anzustrebende Ziel; denn über Papens Bedeutung gab er sich keinen Illusionen hin. 5 6 ) So faßte er alle Schreiben des Sommers 1932 zu einer Broschüre zusammen, der er den programmatischen Titel gab: „Herr Reichskanzler von Papen - Lösen Sie a u f ! " 5 7 ) Der Kernpunkt seiner Ausführungen 5 8 ) läßt sich in wenigen Worten zusammenfassen: Nötig ist „eine Offensivschlacht des deutschen Gewissens." Der Reichstag muß aufgelöst werden, damit Neuwahlen mit einer „bestimmten sittlichen Fragestellung an das deutsche Volk" abgehalten werden: Will es den Unrechtsstaat Hitlers oder den christlich-nationalen Reichsstaat wählen! Der „gläubige(n) Idealismus der Millionen" müsse vor der unvermeidlichen „ f u r c h t b a r e n Enttäuschung" bewahrt werden, die sich breitmachen werde, „wenn die Nationalsozialistische Partei, so wie sie ist. zur Macht käme!" Noch sei die Gelegenheit günstig: „Es hat sich gezeigt, daß ein Teil der nationalsozialistischen Anhängerschaft über das Bekenntnis ihrer Führung zu Beuthen erschrocken ist. Die Führer werden sichtlich nervös. Ich glaube, ich sage nicht zuviel, wenn ich die Überzeugung ausspreche: Wir stehen vor einem Dammbruch! . . . " 54) 55) 56) 57)

Rohrbach an Schacht vom 30.9.1932 - Nachl. Schacht. Familiengeschichte, S. 555. Rohrbach an A.O. Meyer vom 29.9.1932. Ihren Zweck drückte Rohrbach im Vorwort präzise aus: „Ich hätte auch jetzt zu dem Machtkampf im Innern geschwiegen (als vornehmlich außenpolitischer Journalist),wenn ich nicht davon überzeugt wäre, daß von seinem Ausgang unsere ganze nationale Zukunft abhängt. Es geht nicht nur um den deutschen Staat, es geht um das Deutschtum und den deutschen Gedanken in der W e l t . . . "

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Die wiederum in Form eines offenen Briefes abgefaßt sind. Er ist auf den 8 . 9 . 1 9 3 2 datiert.

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Papen bedankte sich für den Brief, 5 9 ) aber zu einer Auflösung des Reichstags und einer Neuwahl im Sinne Rohrbachs kam es nicht. 6 0 ) Wie unsicher Rohrbach in seinen innenpolitischen Ansichten geworden war, zeigt der vierte Teil der Broschüre mit dem Titel „Ist Papen der Mann", der unter seinem Namen lief, aber von Kurt Hahn stammte. 6 1 ) Da er ihn mit seinem Namen deckte, darf man annehmen, daß er Hahns Argumenten mehr oder minder zustimmte. 6 2 ) Danach ist Papens Aufgabe doppelt: erstens die Sammlung der nationalen Bewegung zur Revision durchzuführen, zweitens den Bürgerkrieg zu verhindern „nicht nur als Christ, sondern auch als Frontsoldat, der im Ernstfall keine von Zwietracht und Bitternis zerrissene Heimatfront brauchen k a n n . " 6 3 ) Papen unternehme es zur Zeit, den in der Verfassung selbst angelegten Widerstreit zwischen den Vollmachten des Parlaments und den Vollmachten des „volksgewählten Präsidenten" zu lösen, „der in der Praxis zu einem Kampf zwischen Parteien und Volk geworden ist." Diesen Konflikt löse er zugunsten des Volkes, „dessen Willen durch das Listenwahlrecht verfälscht w i r d . " 6 4 ) Hitler und Papen haben beide Fehler begangen: Hitler hätte kurz vor Brünings Sturz marschieren müssen, als die verhaßte Preußenkoalition noch bestand. Papen habe eine falsche Wahlparole ausgegeben; er und Schleicher „haben sich überschätzt in ihrer taktischen Macht über die Nazis, sie haben sich unterschätzt in ihrer moralischen Macht über die Nation." 6 S ) Bei den Preußenwahlen sei der Zuwachs der NSDAP nicht aus Zustimmung zu Hitlers Politik gekommen, sondern aus der Abneigung gegen das System: „Nach den Wahlen hat Papen das Wahlresultat mißdeutet und garnicht die Bewegung gespürt, die sich mit wachsender Stärke hinter der Regierung zusammenfand . . . " 6 6 ) Diese Bewegung könne jetzt nur noch in einer großen überparteilichen und staatsbejahenden Sammelbewegung aufgefangen werden. Hier liege die geschichtliche Aufgabe des Stahlhelms (!): eine „Präsidialpartei" zu werden und den Willen des Volkes unverfälscht auszudrücken: die Stärkung der Reichspräsidentenmacht gegen den Parteistaat von heute und den von den Nazis angestrebten Parteistaat von morgen.

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Handschrift, S. 347. Vielmehr kam es zu der Farce des M i ß t r a u e n s v o t u m s im Reichstag am 1 2 . 9 . 1 9 3 2 ; die Formulierung der Auflöseorder, es bestehe Gefahr, dali das Haus die Notverordnungen aufhebe - also von seinem R e c h t G e b r a u c h mache - war so unglücklich wie möglich gewählt. Der folgende Wahlkampf w u r d e nicht für den christlichen Rechtsstaat, sondern gegen den autoritären Kurs des Reichspräsidenten g e f ü h r t ! Familiengeschichte, S / 5 5 5 . Rohrbach an Schacht vom 3 0 . 9 . 1 9 3 2 - Nachl. Schacht. Reichskanzler von Papen, S. 27. ebda. ebda, S. 28. ebda, S. 29.

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„Wer sagt, daß die Basis zu schmal ist, der ist Taktiker, d.h. scharfsichtig für das Heute und blind für das Morgen." 6 7 ) Der letzte Satz zeigte, wie wenig Hahn und Rohrbach selbst von einem Erfolg überzeugt waren. Rohrbach hat nach dieser Broschüre keine Stellung mehr zur Innenpolitik genommen, obwohl er auf seiner Nahost-Reise die Vorgänge in Berlin aufmerksam verfolgte. Selbst die Novemberwahlen 1932, in denen die NSDAP hohe Verluste hinnehmen mußte, brachten ihn nicht von seiner Überzeugung ab, daß der Sturz Brünings der Anfang vom Ende gewesen sei. 6 8 ) Daß Hitler zur Macht kommen konnte, blieb für ihn ein beunruhigendes Phänomen. In seinen Memoiren glaubte er, den Hauptgrund mit folgenden Worten umschreiben zu können: „Es gab eben in Deutschland - ich muß sagen, im Unterschiede zu England keine durch eine lange Erziehung geformte und gebildete führende Schicht mit einem einheitlichen, feststehenden Urteil über das, was man politisch duldet und nicht duldet, was man geschehen läßt und was man nicht geschehen lassen d a r f ! " 6 9 ) Mit anderen Worten: Seine eigene Schicht war zu schmal geblieben. Die nicht erkannte Ironie liegt darin, daß gerade jenes nationale Bildungsbürgertum durch seinen Kampf gegen die Weimarer Republik die Grundsteine für ein antidemokratisches Denken legte, der Hitlers Erfolg ermöglichte. Ohne Zweifel verabscheuten sie Hitler, aber sie lehnten auch den letzten regulär gewählten Reichskanzler Müller ab. Zwischen Müller und Hitler fühlten sie sich als Repräsentanten einer politisch zu kurz gekommenen Bevölkerungsschicht, die keine für die parlamentarische Demokratie tauglichen Hilfsmaßnahmen vorschlagen konnten, als die Krise des Weimarer Staates - zu einem großen Teil ohne sein Verschulden - hereinbrach. Ihre Reformvorschläge hatten, wenn sie überhaupt wirksam sein sollten, eine Systemänderung zur Voraussetzung. Sie wollten auch nicht einsehen, daß der Verfassungsbruch bereits mit Brüning begonnen hatte. Ihr Verantwortungsbewußtsein, ihr innenpolitisches Kalkulationsvermögen und ihre Uberzeugungsfähigkeit entsprachen nicht im geringsten den Ansprüchen, die sie als Vertreter des nicht zum Zuge gekommenen Bürgertums stellten. Zu Ostersonntag 1933 veröffentlichte das Berliner Tageblatt 7 0 ) eine Umfrage unter dem Titel „Mitarbeit am neuen Staat." 7 1 ) Darin schrieb Rohrbach:

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ebda, S. 31. In Wirklichkeit hatte sich der Stahlhelm nach den Wahlen vom Frühjahr 1932 betont aus der Politik zurückgezogen - V. Berghahn, Der Stahlhelm. Düsseldorf 1966, S. 219 ff. Handschrift, S. 345. ebda, S. 348. „Bis zu einem gewissen Grade sprach auch das populäre Empfinden auf den nationalsozialistischen Antisemitismus an, 7umal der größte Schmutz jener Nachkriegsjahre tatsächlich jüdischen Ursprungs war . . . " Familiengeschichte, S. 557. Nr. 177 vom 16.4.1933. Vgl. dazu auch: M. Boveri, Wir lügen alle, Ölten/Freiburg 1965, S. 87.

„Ein sehr großer Teil des Bürgertums hat schon durch die letzte Reichstagswahl und ihre Folgewirkungen den neuen Staat bejaht, und es arbeitet eine wachsende Zahl 'bürgerlicher' Kräfte in ihm in Formen mit, wie sie der gegenwärtige Übergangszustand bedingt. Ich kann mich also nur an das Wort des Reichskanzlers halten: 'Wir wollen alle wirklich lebendigen Kräfte des Volkes als die tragenden Faktoren der deutschen Zukunft erfassen, wir wollen uns redlich bemühen, diejenigen zusammenzufügen, die eines guten Willens sind.'..." Das war der Versuch, dem „neuen Staat" gegenüber genau die bürgerlichen Vorbehalte geltend zu machen, die jene Publizisten, die sich als Fürsprecher des nationalen Bildungsbürgertums empfanden, gegenüber dem Weimarer Staat vorgetragen hatten. Und auch der Versuch, sich erneut eine gewisse privilegierte Stellung zu reservieren, fehlte nicht: Wenn, wie Rohrbach fortfuhr, das „Nationale" selbstverständlich geworden sei, dürfe jeder auf umso stärkeren Auftrieb seiner Arbeit hoffen, je unmittelbarer er dem deutschen Gedanken gedient habe! „So viel ich auch schon für Deutschland gearbeitet habe, so denke ich nun es noch umso freudiger und fruchtbarer zu tun, je selbstverständlicher im neuen Staat die nationale Dynamik geworden ist." 1.8 In den ehemaligen Kolonien (1933/34) Kurze Zeit nach der Nahost-Reise brach Rohrbach Ende April 1933 zu einer seit längerem vorbereiteten Afrika-Reise auf, die hauptsächlich den alten deutschen Kolonien galt. Über die Gründe schweigt er sich in seinen Memoiren aus; doch schien nach seinem politischen Engagement ein Ortswechsel angebracht, 1 ) der nicht zuletzt von dem Zwang bestimmt war, wieder ein neues publizistisches Arbeitsgebiet zu suchen. Es gab aus seiner Sicht plausible Gründe, den Komplex „Kolonialpolitik" aufzugreifen: einmal seine langjährigen Erfahrungen und Beziehungen in allen Kolonialfragen und zum anderen das - wie er bemerkt haben wollte - gesteigerte deutsche Interesse an der Kolonialpolitik.2) Der Passus in der Junibotschaft des amerikanischen Präsidenten Hoover, die USA hätten absichtlich weder an den deutschen Reparationen noch an der Aufteilung der Kolonien partizipiert, wurde von vielen Publizisten als „Zurück zu den 14 Punkten" interpretiert, deren 5. Punkt ja

1)

In München begannen die Schikanen unmittelbar nach der Machtübernahme: ein auf den 2.2.1933, 20.40-21.00 Uhr angesetzter Rundfunkvortrag „Fernöstliche Ideen über Deutschland" wurde zuerst auf den 1.3., dann auf den 8.3.1933 verschoben und schließlich nicht mehr gesendet. Seine letzte außenpolitische Sendung hielt Rohrbach am 3.4. 1933 „Was geht im Ausland vor? ", in der er sich kritisch mit den Reaktionen des Auslands auf Hitler auseinandersetzte. Aufgrund der dabei „hintenherum" geübten Kritik wurden weitere Sendungen von ihm unterbunden. 2) Wiesbadener Zeitung Nr. 183 vom 6.7.1932.

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eine unparteiische Schlichtung der deutschen Kolonialansprüche versprach. 3 ) Denkbar wäre auch, daß er bei der unentschiedenen Haltung der Nationalsozialisten 4 ) einer kolonialen Verzichtsbereitschaft entgegenarbeiten wollte. 5 ) Rohrbach behauptete später gelegentlich, er habe zwischen 1930 und 1932 an einer geheimen Konferenz teilgenommen, die auf Initiative des belgischen Königs zustande gekommen sei und ernsthaft den Plan verfolgt habe, um Deutsch-Kamerun als Kernland im Tausch für alle anderen deutschen Ansprüche eine Großkolonie zu schaffen. 6 ) Daß eine solche Konferenz stattgefunden hat, ist möglich, obwohl sich dafür kein Beleg finden ließ; daß sie die ihr von Rohrbach beigelegte Bedeutung hatte, ist gänzlich ausgeschlossen. Die erste Reise begann im April in Genua und endete im November 1933 in Hamburg. Auf ihr klärte sich auch Rohrbachs Stellung zum Nationalsozialismus. Als Publizist mußte er sich mit den neuen Machthabern arrangieren oder er blieb in der bisherigen Opposition - was günstigenfalls das Ende seiner journalistischen Tätigkeit bedeutete. Die Entscheidung fiel ihm nicht leicht, da es einige positive Anzeichen gab: die Begeisterung seines Freundes Hjalmar Schacht, 7 ) die Anerkennung seiner bisherigen Tätigkeit durch das kolonialpolitische Amt der Partei 8 ) und Hitlers Reichstagsrede vom 17. Mai 1933, die ihn vorübergehend daran denken ließ, doch der NSDAP beizutreten. Aber die Bedenken überwogen, „ob das Ganze schließlich ein glückliches, heilvolles Ende nehmen wird." 9 ) Seine Befürchtungen, Hitlers Machtübernahme könne sofortige außenpolitische Rückwirkungen haben, wurden sehr schnell in Südwestafrika bestätigt, in derjenigen Kolonie, die ihm am meisten ans Herz gewachsen war. Die politischen Verhältnisse in Südwest hatten sich unerfreulich entwickelt; Gegenstand der Auseinandersetzungen war die staatsrechtliche Stellung der deutschen Siedler. 10 ) Das Londoner Abkommen von 1923 und das südafrikanische Einbürgerungsgesetz von 1924 verliehen allen nicht widersprechenden deutschen Siedlern die südafrikanische (britische) Staatsbürgerschaft, setzten aber für später kommen-

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A. Dix, Weltkrise und Kolonialpolitik, Berlin 1932, S. 9/10. Heidelberger Tageblatt Nr. 188 vom 13.8.1932. Gießener Anzeiger Nr. 129 vom 6.6.1933. Familiengeschichte, S. 6 8 5 . Auch in: Die Hilfe. Nr. 4, 1937, S. 5 1 , und in: Deutschlands koloniale Forderung (3. Aufl. 1941), S. 176. „Schacht. . . war ganz in seinem (Hitlers) Bann: Man könnte diesen Mann nur lieben!" Familiengeschichte, S. 557. Brief des Reichsstatthalters von Bayern und Leiters des Kolonialpolitischen Amts der Partei, General Ritter von Epp, vom 2 5 . 4 . 1 9 3 3 - PrivNachlRb. Siehe auch: Familiengeschichte, S. 576. ebda, S. 598. Dazu vgl. H. Stuebel, Die Entwicklung des Nationalsozialismus in Südwestafrika, in: VjhfZG 1, 1953, S. 170 ff. und - aus NS-Sicht - H.E. Blumhagen, Die Doppelstaatlichkeit der Deutschen im Mandatsgebiet Südwestafrika und ihre völkerrechtlichen Auswirkungen. Halle/Wittenberg, Rechts- u. Staatswiss. Diss. 1939.

de - auch rückkehrende - Siedler eine fünfjährige Wartefrist fest. Das relativ harmonische Verhältnis zwischen den Volksgruppen verschlechterte sich rasch - einmal wegen der politischen Aktivitäten der Deutschen, zum anderen wegen der erklärten Absicht der Union, Südwest als fünfte Provinz anzugliedern. Die Deutschen fühlten sich, obwohl die wirtschaftlich tragende Volksgruppe, mehrfach benachteiligt, zumal die Mandatsverwaltung nichts unterließ, das burische Element auch auf Kosten des deutschen Elements zu stärken. 1 1 ) Von deutscher Seite wurde daraufhin Obstruktion betrieben und die Erweiterung der Befugnisse des Landesrates verweigert. 1 2 ) Aber die Weltwirtschaftskrise und zwei Dürrejahre brachten eine Annäherung, die zum Kapstädter Abkommen führte, 1 3 ) das Deutsch als dritte Landessprache einführte und Erleichterungen bei der Naturalisierung zugestand, wofür die Deutschen zusicherten, die Befugnisse des Landesrates zu erweitern. Das Abkommen wurde aber nicht durchgeführt, da die Wühlarbeiten auf beiden Seiten nicht abrissen. Daran trug einmal die starre, im Kaiserreich wurzelnde und unentwegt an Schwarz-Weiß-Rot festhaltende Tradition der Deutschen Schuld, aber auch in erheblichem Maße das schnelle und harte Durchsetzen der NSDAP, deren Aktivität bald den Unwillen der nichtdeutschen Volksgruppen erregte. Vor diesem Hintergrund versteht sich Rohrbachs Klage über die verpaßte Gelegenheit: 1 4 ) „Nun wurden die Afrikaner in Südwest von der Sorge gepackt, ihre künstliche Mehrheit könne bei zukünftigen Wahlen in Frage gestellt werden. Sie haben daher die Umwandlung Deutschlands in den neuen nationalen Staat und die natürliche Anteilnahme, die das südwester Deutschtum daran nahm, als einen Vorwand benutzt, um die Deutschen der Illoyalität zu bezichtigen, die vorjährigen Kapstädter Abmachungen zu brechen und die den Deutschen zugesagten Rechte jetzt nachträglich zu verweigern . . . " 1 S ) So wie in diesem Artikel war Rohrbach zwischen Lob und Tadel für das „neue Deutschland" hin- und hergerissen; ja, in Südwestafrika trug er sich ernsthaft mit dem Gedanken, nicht mehr zurückzukehren. Durch Zufall kam einmal das Gespräch auf die unbesetzte Stelle des zweiten Pfarrers in Windhuk, und anfangs mehr scherzhaft, dann ernsthaft überlegte er, diese Stelle a n z u n e h m e n . 1 6 ) Er gab sich keinen Illusionen darüber hin, daß seine Wirkungsmöglichkeiten im Dritten Reich äußerst gering, immer unsicher und, was gerade die Kolonialfrage betraf, von sehr zweifelhaftem Wert sein würden - abgesehen davon, daß ein Mann seiner Anschauungen nie persona grata sein konnte. 11)

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So durch Ansiedlung von 2000 Angolaburen - Blumhagen, S. 57: das Experiment mißlang unter großen, von der Kolonie zu tragenden Kosten völlig. Rohrbach hatte die Ansiedlung e m p ö r t „Stimmviehimport" genannt - Auslandswarte. Jg. 1929, Nr. 15/16, S. 240. Blumhagen, S. 58. Vom 8. April 1932, Stuebel, S. 171. Gießener Anzeiger Nr. 199 vom 26.8.1933. Siegener Zeitung Nr. 201 vom 29.8.1933. Handschrift, S. 384. Familiengeschichte, S. 621/22.

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Zwei Erfahrungen bewirkten diesen plötzlichen Pessimismus. Rohrbachs alter Bekannter aus Südwest, Albert Voigts, ein guter Freund des südafrikanischen Ministers Pirow, erzählte ihm, Pirow sei bei Hitler gewesen und dieser habe ihm - Pirow erklärt, er verzichte zwar nicht auf die Kolonien, wolle aber e r s t die innerdeutsche Aufbauarbeit beendet, für Deutschland eine neue internationale Stellung erobert und den Korridor zurückgewonnen haben. Resignierend setzte Rohrbach hinzu: „Also nicht gerade Neues, aber doch endlich eine klare Bestätigung, wie Hitler in der Kolonialfrage denkt." 1 7 ) Allerdings ist es unwahrscheinlich, daß eine solche Bemerkung Hitlers selbst gegenüber dem bekanntermaßen deutschfreundlichen 18 ) Pirow gefallen ist. Zwar mochte in Südwestafrika das burische Element immer dominierender werden, 1 9 ) aber die Union gehörte immer noch zum Commonwealth und Johannesburg etwa war - was auch Rohrbach eingestand - eine Hochburg des „Jingotums". 2 0 ) Vor diesem Hintergrund erscheint eine solche Äußerung, die das Verhältnis zu England 1933 empfindlich belasten mußte, kaum glaublich. 21 )Rohrbach mochte Gründe haben, an dieser Festlegung Hitlers nicht zu zweifeln. Einmal lebte in Südwest der Gedanke an eine Rückkehr weiter 2 2 ) und verstärkte sich nach 1933 23) Ferner stand Rohrbach mit Schacht in enger Verbindung, der die Kolonialfrage immer wieder ins Spiel brachte und anscheinend oder scheinbar eine Zeitlang glaubte, Hitler durch koloniale Restauration von der Ostpolitik ablenken zu können. 2 4 ) Nicht zuletzt dürfte ein Wunschdenken mitgespielt haben, gab eine solche Festlegung seiner Arbeit doch in gewissem Ausmaße Sinn und Hoffnung. Die zweite desillusionierende Erfahrung über das, was auf ihn in Deutschland wartete, machte er bei einem Vortrag in Usakos (SWA). Von offizieller Seite darauf hingewiesen, daß die Union keine nationalistischen Parolen wünsche, antwortete Rohrbach auf die Frage, ob Südwest bald wieder deutsch würde, ausweichend. Eine „Hakenkreuzotter" 2 ^) namens Senta Dingelreiter, 26 ) von den Franzosen wegen 17) 18)

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Familiengeschichte, S. 629/30. Das bezeugt seine Rede vor der Mannschaft des Kreuzers "Emden am 4.1.1935. Oswald Pirow, damals Verteidigungsminister der Union, sagte, daß in der Zeit steigender farbiger Flut ein aktives Deutschland ein unerläßlicher Faktor sei, und drückte die Hoffnung aus, Deutschland bald wieder als koloniale Macht zu sehen - Wolfe W. Schmokel, Dream of Empire. German Colonialism 1919-1945. New Häven/London 1964, S. 71. Auch: Joachim H. Schultze, Deutsche Siedlung. Raumordnung und Siedlungswesen im Reich und in den Kolonien. Stuttgart 1937, S. 149/50. Auch Stuebel - a.a.O., S. 174 - betont die deutschfreundliche Haltung Pirows (und Hertzogs). Heidelberger Tageblatt Nr. 198 vom 26.8.1933, S. 13. Ostdeutsche Morgenpost Nr. 249 vom 10.9.1933. Zu Hitlers anfänglicher Haltung in der Kolonialfrage: Klaus Hildebrand, Vom Reich zum Weltreich, München 1969, S. 248 ff. Zu Hitlers Werbung in England: H.-A. Jacobsen, Nationalsozialistische Außenpolitik 1933-38, Frankfurt/Berlin 1968, S. 765-800 passim. Stuebel, a.a.O., S. 172. Berliner Börsenzeitung Nr. 75 vom 15.2.1938. Schmokel, Dream of Empire, p. 95-101. Handschrift, S. 384. Dazu: Afrika-Nachrichten, 15. Jg. 1934, Nr. 1, S. 3.

NS-Propaganda aus Kamerun ausgewiesen, denunzierte Rohrbach nach diesem Vortrag in Berlin, ohne auf seine Zwangslage Rücksicht zu nehmen. Er sollte daraufhin noch beträchtliche Schwierigkeiten bekommen. Es gab eine Reihe weiterer zermürbender Zusammenstöße mit engstirnigen NS-Fanatikern, aber auch Freundschaftsbeweise von alten deutschen Siedlern, die Rohrbach schätzten und das neue Regime und seine Vertreter ablehnten. Ihr Wohlwollen veranlafite ihn, noch einmal daran zu denken, Deutschland für immer den Rücken zu kehren und seine Farm in Südwest, die er noch aus der Vorkriegszeit besaß, zu bewirtschaften. 27 ) Damit wollte er in diesem „immer noch deutschen Land" 2 8 ) seinen Beitrag zur Erhaltung des hier siedelnden „wertvollenStücks überseeischen Deutschtums" leisten - unabhängig davon, ob das Land je wieder deutsche Kolonie werden würde. 29 ) Noch offenherziger zeigte er seine Meinung, wenn er die ehemaligen Kolonien als Refugien konservativer Gesinnung anpries, in denen noch „Persönlichkeit" preußischen Schlages zähle, 3 0 ) und die schon einmal, „als es in Deutschland für Männer alter Gesinnung besonders traurig aussah", letzterAusweg tatkräftig-aufrechter Konservativer gewesen seien. 31 ) So ließ er einen Hamburger mit fünf Kindern auf die Frage, warum er ausgewandert sei, antworten: 32 ) „Habe ich denn in Deutschland noch irgendeine Aussicht, meinen Kindern zu wirklichem Lebensspielraum zu verhelfen? Hier in Afrika kann ich es,hier ist Land, hier können sie noch volle Menschen werden!" Das war seine Antwort. Wir blickten uns in die Augen: 'Volk ohne Raum' stand unsichtbar zwischen uns auf dem Tisch aus Urwaldholz geschrieben... " 3 3 ) Trotz mancher Zweifel entschloß sich Rohrbach nicht zur Übersiedlung in die Kolonien. Zuviel sprach dagegen - sein Alter, die wirtschaftlichen Verhältnisse und die Einsicht, mit einem solchen Schritt seine Stellung als Publizist unwiederbringlich aufzugeben. Während die Berichte von der Reise 1933 noch ein vorsichtiges Maß an Opposition ausdrückten, waren die Artikel von der Kamerunfahrt 1934 völlig neutral. Im Vordergrund stand die Bedeutung auch der unter Mandatsherrschaft stehenden Kolo-

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Ostdeutsche Morgenpost Nr. 263 vom 24.9.1933. Kieler Neueste Nachrichten Nr. 211 vom 9.9.1933. Aus einem Rundfunk-Vortrag: „Fahrt nach Farm Rohrbach." Geschrieben am 8.8.33 - PrivNachlRb. Ostdeutsche Morgenpost Nr. 152 vom 4.6.1933. Gießener Anzeiger Nr. 253 vom 28.10.1933. ebda, Nr. 265 vom 11.l t.1933. Kieler Neueste Nachrichten Nr. 268 vom 15.11.1933. Wie vorsichtig Rohrbach schon geworden war, zeigt folgende kleine Episode: die zitierten Worte legte er einem Manne in den Mund, „der sich eben mit seiner Gattin und seinen fünf Kindern . . . niedergelassen hatte."; das „eben" ist nachträglich von Hand gestrichen* LaK Nr. 42 vom 7.11.1933.

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nien für die deutsche Wirtschaft. 3 4 ) Zwar versäumte er nicht, die angebliche Anhänglichkeit der einheimischen Bevölkerung an Deutschland 3 *) und die deutschen Kolonialleistungen - im Gegensatz zum Engagement der Mandatsträger 3 6 ) - herauszustellen. 3 7 ) Aber den Schluß, schon deswegen auf Rückgabe zu drängen, zog er nicht einmal in A n d e u t u n g e n . 3 8 ) .

1.9 Unter der nationalsozialistischen Herrschaft (1935-1939) Wenn auch eine Übersiedlung nach Afrika ernsthaft nicht in Frage kam, so sind doch die Erfahrungen und kurzlebigen Hoffnungen der beiden Afrika-Fahrten unerläßlich für die Beurteilung des neuen Abschnitts in Rohrbachs Arbeit, welcher der Erhaltung des kolonialen Gedankens gewidmet war. Er focht dabei - bildlich ausgedrückt - aus der Defensive, nicht gegen den schlechten Willen des Auslands, 1 ) sondern gegen die Gleichgültigkeit der neuen Machthaber in Deutschland. Bei seinen Interessen blieb ihm aber außer der Kolonialfrage kein anderes Hauptarbeitsgebiet: Innen- und Außenpolitik unterstanden der „Sprachregelung", ebenso die Probleme der Minderheiten und des Auslanddeutschtums. 2 ) Einzig die Kolonialfrage und ein gewisser historisch-politischer Bereich, der sich nicht direkt mit Deutschland befaßte, blieben - cum grano salis - der freien Diskussion überlassen. Auf diese Gebiete verlagerte sich Rohrbachs Hauptarbeit. Durch zahlreiche Artikel und Vorträge sowie mehrere selbständige Veröffentlichungen eroberte er sich eine beachtliche Position als Kolonialfachmann, ohne dem Regime dabei mehr als notwendig die üblichen Reverenzen zu erweisen. 3 ) Seine eigenwilligen außenpolitischen Vorstellun-

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2) 3)

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Münchener Zeitung Nr. 110 vom 20.4.1934. ebda, Nr. 114 vom 24.4.1934 Kasseler Neueste Nachrichten Nr. 116 vom 22.5.1934. Kölnische Zeitung, Beilage vom 24.4.1934. Heidelberger Tageblatt Nr. 71 vom 24.3.1934. Berliner Börsen-Zeitung Nr. 191 vom 25.4.1934. Zeitwende, 10. Jg. 1934, T. 2, S. 10-20. Wirtschaftsdienst. 19. Jg. 1934, H. 24, S. 811-15. Obwohl auch dem einige, sehr beachtete, Artikel und Aufsätze gewidmet waren: so seine Diskussion mit Lord Lugard in der „Berliner Börsen-Zeitung" (Nr. 75 vom 14.2.36). Auch in: BA Koblenz 353, Bl. 110.111. Der Artikel „Rechtliches und Moralisches zur Kolonialfrage" (in: Berliner Monatshefte. 14. Jg. 1936, S. 212-215) fand ein ungewöhnlich lebhaftes Echo. Familiengeschichte, S. 742. Besonders die drei Bücher „Deutsch-Afrika - Ende oder Anfang? Briefe an einen jungen Deutschen" (Ratsdam 1935), „Deutschlands koloniale Forderungen" (Hamburg 1935. 4. Aufl. 1941) und „Afrika heute und morgen. Grundlinien europäischer Kolonialpolitik in Afrika" (Berlin 1939) wurden stark beachtet. Zu dem Buch „Deutschlands koloniale Forderungen" brachte sogar der „Völkische Beobachter" eine lobende und anerkennende Kritik - Nr. 356 vom 21.12.1936.

gen konnte er noch bis zum Abessinien-Krieg, dem Bruch der Stresa-Front und der deutsch-italienischen Annäherung einigermaßen frei vortragen. Dann mußte auch er, der Italien zutiefst verachtete und vor allem R o m nie Südtirol vergessen hatte, sich dem offiziellen Kurs anpassen. Dabei hatte er in den ersten Jahren mit dem Mißtrauen der Nationalsozialisten zu kämpfen, die sein Eintreten gegen Hitler - das „Fühlersurrogat", wie er ihn 1930 voller Verachtung genannt hatte 4 ) - nicht vergessen hatten, s ) und ihm zahlreiche Schwierigkeiten bereiteten. 6 ) Besonders hart traf ihn, daß die seit 1927 offene Frage eines Lehrauftrages an der Universität München jetzt entschieden wurde. Verschiedene Seiten hatten Zweifel an seiner wissenschaftlichen Qualifikation für das Fach Politische Auslandskunde geäußert 7 )und eine Habilitation verlangt, die ihm 1934 nun offiziell aus Altersgründen, in Wahrheit wohl aus politischen Motiven verweigert wurde. 8 ) Diese Entscheidung gab den Ausschlag für den Umzug nach Berlin, w o Rohrbach von 1935 bis 1944 relativ zurückgezogen lebte. Er schied aus den meisten gleichgeschalteten Organisationen aus und lehnte in den ersten Jahren jede Mitarbeit in ihnen rigoros ab. Rein äußerlich änderte das neue Regime vorerst nichts an seinem Lebensstil: er konnte ungehindert reisen und nutzte diese Möglichkeit nach Kräften aus. Noch im Herbst 1934 war er einer Einladung nach Großbritannien gefolgt 9 ) und versuchte in seinen Reiseartikeln aus Schottland, Wales und England, die Notwendigkeit eines engen deutschenglischen Zusammengehens zu propagieren, 10 ) selbst wenn sie von deutscher Seite mit „Rücksichtnahme" auf gewisse englische Eigenarten erkauft werden müsse. 11 ) Weitere Reisen schloßen sich an: 1935 eine lange Mittelmeer-Kreuzfahrt, 1936 und 1937 Reisen durch Frankreich. Es besteht kein Zweifel, daß der konservative Rohrbach dem nationalsozialistischen System ablehnend gegenüberstand. Aber der nationale Publizist Rohrbach konnte sich nicht der Tatsache verschließen, daß Hitler manches erreichte - oder zufiel -, was der Weimarer Republik versagt blieb. Zwei an sich periphere Ereignisse dieser Jahre hinterließen einen besonders tiefen Eindruck: die Olympiade 1936 und das internationale E c h o ' 2 ) sowie die „Internationale Ausstellung für Kunst und Technik im Leben der Gegenwart", die im Mai 1937 in Paris eröffnet wurde. 1 3 ) In Frank-

4) 5) 6) 7) 8)

9) 10) 11) 12) 13)

Deutschland - Tod oder Leben, S. 165/66. Reichs- und Preußischer Minister für Ernährung und Landwirtschaft, Walter Darrl an Rohibach vom 31.10.1935 - B A Koblenz 353, Bl. 112/13. LaK Nr. 15 vom 24.4.1934. Rohrbach an A.O. Meyer v o m 29.9.1932 - Nachl. Meyer, Bl. 9/1-2. Rohrbach hat stets den Geopolitiker und späteren Präsidenten der D A , Haushofer, verdächtigt, diese Entscheidung herbeigeführt zu haben. Haushofer behandelte Rohrbach fortan mit „Samthandschuhen" - vgl. Petermanns Geographische Mitteilungen, 84. Jg. 1938, S. 376. Handschrift, S. 401. Preußische Jahrbücher, Bd 239/1935, S. 44.48.111. ebda, S. 124. Handschrift, S. 412. Handschrift, S. 412-14.

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reich hatte sich - so Rohrbach - gerade der „materielle und moralische BanJcrott des Blumschen Sozialexperiments" gezeigt 14 ) und damit die „Unfähigkeit" der demokratischen Republik zu tiefgreifenden und notwendigen Reformen erwie sen. Daß auch das demokratisch-parlamentarische Vorbild Frankreich in den Strudel linksund rechtsextremer Auseinandersetzungen gerissen werden konnte, beeindruckte ihn tief. In seinen spärlichen Kommentaren zum Spanischen Bürgerkrieg zeigte sich, daß bei ihm die Uberzeugung wuchs, Europa steuere auf eine Epoche der Diktaturen und totalitären Regime zu. Zwar zollte er dieser Entwicklung keinen Beifall,14») aber sie trug dazu bei, seine Vorbehalte gegenüber dem Dritten Reich zu verringern. Ob der sozialkonservative Rohrbach erkannt hat, in welchem Maße der Nationalsozialismus überkommene Sozialformen und -bindungen auflöste, ist bei seiner innenpolitischen Abstinenz nicht zu entscheiden, aber höchst unwahrscheinlich. Daß dieser Prozeß aber aufgrund staatlichen Zwanges „reibungslos" und „effektiv" verlief, 15 ) dürfte nach seinen Erfahrungen in Frankreich zum Abbau seines Widerstrebens erheblich beigetragen haben. Der Frankreich-Besuch 1937 bedeutete aber auch in außenpolitischer Hinsicht einen gewissen Wendepunkt. Rohrbachs Publizistik 1933/34 hatte unter dem Eindruck einer gefährlichen Isolierung Deutschlands gestanden, 16 ) die ihm erst mit dem Abschluß des deutsch-englischen Flottenabkommens durchbrochen schien. In den unterschiedlichen Reaktionen Englands und Frankreichs auf Wiedereinführung der Wehrpflicht und Rheinlandbesetzung glaubte er eine grundsätzliche Differenz in der Deutschlandpolitik der beiden Westmächte zu entdecken: Mehr Wohlwollen auf englischer, Furcht und Ubergang zur alten „Einkreisungspolitik" auf französischer Seite. 1 7 ) In der Beurteilung dieser historisch schon einmal durchgespielten Situation fühlte sich Rohrbach sicher und zugleich beunruhigt: Es konnte der Anfang zu einer neuen Isolierung sein.

14) Die Hilfe, Nr. 14, 1937, S. 302. 14a) Deutsche Allgemeine Zeitung Nr. 9/10 vom 7.1.1933. Das ist der Hauptzug des Buches „Der Gottesgedanke in der Welt. Eine Antwort auf die Frage: Ist die Menschheit lebensfähig? " (Berlin 1937), in dem Rohrbach durch schroffe Überzeichnung seines Standpunktes „Gottesdienst ist aktive (und daher individuelle) Nächstenliebe" egalitäre Tendenzen der neuen Machthaber abzuwehren suchte. Die meisten Kritiker haben den mehr politischen als theologischen Charakter des Werkes verkannt, das sich entschieden gegen die „Deutschen Christen", nordischen Götterglauben und die, wie Rohrbach formulierte, „unangenehme Tatsache", daß Jesus Jude war, wandte. A. Faure in: Die Hilfe. Nr. 13, 1937, S. 278 ff.; Willy Beer in: Berliner Tageblatt Nr. 182 vom 18.4.1937; E. Dennert in: Leben und Weltanschauung. H. 8,1937, S. 141 ff. Zu nationalsozialistischen Umdeutungsversuchen: Erzgebirgischer Volksfreund Nr. 71 vom 21.3.1937. 15) Dazu Rohrbach in: Westermanns Monatshefte, 82. Jg. H. 973 (September 1937), S. 9. 16) s.S. 201 ff. 17) Würzburger General-Anzeiger Nr. 153 vom 6.7., Nr. 155 vom 8.7. und Nr. 156 vom 9.7.1937.

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Als nun Hitler im Laufe des Jahres 1937 - erstmals in der Reichstagsrede vom 30. Januar 18 ) - zu Rohrbachs Überraschung und Freude 19 ) die Ansprüche auf das deutsche Kolonialreich bekräftigte 20 ), stellte sich für ihn die Frage nach dem 'Stellenwert' einer Rückgabe in der gesamten Außenpolitik. Natürlich hätte er einem friedlichen Wiedererwerb der Kolonien oder einzelner Teile zugestimmt. Aber trotz gewisser Zeichen von Entgegenkommen auf der anderen Seite, die er zu erkennen meinte und in ihrer Bedeutung fraglos überschätzte, war er von einer reibungslosen Restitution keineswegs überzeugt, ließ aber gleichzeitig keinen Zweifel, daß eine Verschlechterung des deutsch-westlichen Verhältnisse in dieser Situation durch eine Rückgabe der Kolonien nicht aufgewogen werde. Andererseits sah er keinen Grund, an Hitlers „kolonialen Bekenntnissen" von 1937 zu zweifeln: Im Lichte der angeblichen Bemerkung gegenüber Pirow konnten sie nur heißen, daß Hitler die innere Aufbauarbeit für abgeschlossen hielt, eine Revision der Ostgrenze vertagt oder aufgegeben hatte und nun den letzten Teil seines außenpolitischen Programmes in Angriff nahm. Trotz seines überzeugten Eintretens für die koloniale Sache war Rohrbach nicht mehr so wie vor zehn Jahren von der Bedeutung kolonialer Gebiete überzeugt und neigte dazu, sie als Tauschobjekt in den politischen Handel um Ausgleich und Arrangement in Europa einzubringen. Unter diesen Auspizien beschloß er, zusammen mit seinem Sohn Justus, der im Statistischen Reichsamt das Kolonialreferat übernommen hatte, eine Studienfahrt in die zur Debatte stehenden Gebiete zu unternehmen: Britisch-Nigeria, Französisch-Äquatorialafrika, Belgisch-Kongo, Ostafrika und Ruanda-Urundi. Er bekam vom französischen Botschafter Francois-Poncet ein sehr schmeichelhaftes Empfehlungsschreiben 21 ) für das französische Kolonialgebiet: bester Beweis für Frankreichs Bemühen, guten Willen zu beweisen, gab doch die Teilnahme eines Beamten des Statistischen Reichsamtes sowie die Unterstützung durch die Notgemeinschaft der Deutschen Wissenschaft der ganzen Reise einen offiziösen Anstrich. Nur so kann das Entge-

18)

M. Domaius, Hitler. Reden und Proklamationen 1932-1945. Bd 1 (1932-1938), Würzburg 1962, S. 672/73. 19) Die Hilfe. Nr. 4, 1937, S. 49.51. 20) So auf dem Nürnberger Parteitag 1937 - Domarus, a.a.O., S. 716 - und beim traditionellen Erntedankfest auf dem Bückeberg bei Hameln - Völkischer Beobachter Nr. 277 vom 4.10.1937. 21) „Le professeur Paul Rohrbach, écrivain allemand connu et spécialiste des questions coloniales, depuis de longues années, a toujours eu, dans l'exposé de ses thèses, une attitude parfaitement loyale a l'égard de la France. Son âge, son caractère, sa compétence le recommandent aux égards bienveillants de nos autorités . . . " (Gez.) François-Poncet. Berlin, den 14.2.1938 - PrivNachlRb.

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genkommen Fran?ois-Poncets erklärt werden; denn er selbst schätzte Rohrbach gar nicht. 2 2 ) Mitte Februar 1938 begann die Reise in Marseille; sie dauerte bis Mitte August. Eine lange und detailreiche Schilderung findet sich in den Memoiren; 2 3 ) der sachliche Ertrag fand seinen Niederschlag in den „Vierteljahrsheften zur Statistik des Deutschen R e i c h s " 2 4 ) sowie in dem gemeinsam von Rohrbach und seinem Sohn verfaßten Buch „Afrika heute und morgen". 2 5 ) Die Reiseartikel ließen gegenüber früheren Arbeiten einen unüberhörbaren Ton der Mäßigung erkennen: uneingeschränktes Lob für die französische Afrika-Forschung 2 6 ) und volle Anerkennung französischer Leistungen auf allen Gebieten kolonialer Arbeit. 2 7 ) Erstmals bemühte sich Rohrbach expressis verbis, die in Deutschland weit verbreitete Legende von der französischen Kolonisations-Unfähigkeit zu zerstören. 2 8 ) Kritischer äußerte er sich gegenüber der englischen Leistung, speziell in den Mandatsgebieten; 2 9 ) ablehnend stand er den belgischen Kolonialpraktiken gegenüber 3 0 ) und geradezu gehässig verurteilte er das südafrikanische Vorgehen - aber hier war sein Blick seit je durch das Problem Südwest g e t r ü b t . 3 1 ) Mit Blick auf optimistische deutsche Stimmen stellte er jetzt nachdrücklich fest, es erfordere unumgängliche, langdauernde und kostspielige Vorarbeiten, bis aus den Kolonien ein materieller Gewinn zu ziehen sei. 3 2 ) Uberhaupt dürfe, so wehrte er ab, Schwarzafrika nicht mit europäischen, geschweige denn deutsch-rassistischen, Maßstäben gemessen werden; es sei eine Welt eigener Gesetzmäßigkeit, die zu beherrschen oder zu besitzen ebenso gut Gewinn wie Belastung bringen k ö n n e . 3 3 )

22)

François-Poncet: Der Bundespräsident. Zu seinem 70. Geburtstag. Rheinischer Merkur Nr. 5 vom 29.1.1954, S. 6. Dazu ein Schreiben von François-Poncet an Rohrbach vom tO.3.1954 - BA Koblenz, Kleiner Erwerb 353, Bl. 1 - „Des ouvrages que vous avez écrits autrefois et que j'ai lu à l'époque, avec beaucoup d'intérêt, j'ai gardé d'impression,plus ou moins bien compris, ils pouvaient encourager des tendances, dont c'exageration ne serait pas sans danger Allerdings scheint sich Rohrbach seinerzeit gründlich getäuscht zu haben: die in den Memoiren mitgeteilte Unterhaltung mit dem Botschafter - Handschrift, S. 417 - dürfte weniger ein Vertrauensbruch des Botschafters gewesen sein als vielmehr eine versteckte Mahnung, unter den gegebenen Umständen nicht zu große Hoffnungen zu hegen.

23) 24) 25) 26) 27)

Handschrift, S. 418-46. 48. Jg. 1939, H. 3, S. 115-35. Berlin 1939; 2. AuH. 1941. Kölnische Zeitung Nr. 215/16 vom 1.5.1938. Würzburger General-Anzeiger Nr. 118 vom 16.5.1938. Berliner Lokal-Anzeiger Nr. 159 vom 3.7.1938. Würzburger General-Anzeiger Nr. 202 vom 31.8.1938. ebda. Berliner Lokal-Anzeiger Nr. 171 vom 17.7.1938. ebda, Nr. 235 vom 30.9.1938. ebda, Nr. 159 vom 3.7.1938. Die Umschau (Frankf./M.), H. 47, 1938, S. 1074/75.

28) 29) 30) 31) 32) 33)

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Alle Hottnungen auf ein mögliches koloniales Arrangement hatten sich aber bei seiner Rückkehr schon zerschlagen. Er erlebte die politischen Spannungen, die dann zum Münchener Abkommen führten. Trotzdem stellten die Monate nach München bis zur Besetzung der Tschechoslowakei im März 1939 einen neuen, wenn auch vergleichsweise bescheidenen, Höhepunkt seiner Tätigkeit dar. Die Anerkennung, die er als Fachmann für koloniale Fragen genoß, fand ihren Ausdruck in einer unerwarteten Einladung zum Internationalen Kongreß für tropische Landwirtschaft in Tripolis im März 1939.34) Da Rohrbachs Publizistik nur bis zum Jahre 1935 verfolgt wurde, muß kurz auf seine weitere Haltung zum Nationalsozialismus eingegangen werden. So wenig ihm die innenpolitische Szenerie gefiel, die ihm das wahre Nationalbewußtsein zu pervertieren schien, so sehr war er von den außenpolitischen Erfolgen Hitlers beeindruckt: „Wehrhoheit", Rheinlandbesetzung, Rückkehr der Saar, Anschluß Österreichs, Ende der Reparationen und jenes unmeßbare Bewußtsein, im Kreise der Großmächte wieder ein gewichtiges Wort mitzusprechen. In der Familiengeschichte steht der bemerkenswerte Satz, daß nach München 1938 alles darauf angekommen wäre, die Welt von der Saturiertheit Deutschlands zu überzeugen. 35 ) Bis zu diesem Zeitpunkt hatte er sich, trotz massiver Bedenken gegen den „inneren wie äußeren Hitlerismus", 36 ) aus 'nationalen' Gründen mit dem Regime abgefunden. Dazu trug nicht wenig bei, daß er im Windschatten seines kolonialen Arbeitsgebietes - erst recht, als Hitler aus taktischen Gründen die Kolonialfrage wieder ins internationale Spiel brachte - ohne Pressionen und mit Erfolg schreiben konnte. Zweifellos zählten ihn die Nationalsozialisten nicht zu ihren Bewunderern; aber die Provinzpresse konnte ihn unter die nationalen Vorläufer einreihen und ihn als „ungehörten Propheten" der 'Systemzeit' zum geistigen Wegbereiter des Dritten Reiches aufwerten. 3 7 ) Die treffendste Einstufung fand eine Provinzzeitung, als sie zu seinem 70. Geburtstag schrieb: „Seine Schriften zählen noch heute, obwohl zumeist einer anderen Zeit verbunden, zum klassischen politischen Gut des deutschen Volkes." 3 8 ) Sein Alter, die Achtung auch der jüngeren nationalsozialistischen Kollegen und seine internationalen Beziehungen sicherten ihm eine ehrenhafte Position auf dem publizistischen Altenteil.

34) Handschrift, S. 456-60. Familiengeschichte, S. 754. 35) S. 744. 36) Handschrift, S. 412. 37) Königsberger Allgemeine Zeitung Nr. 179 vom 17.4.1938. Dazu Rohrbach: „Ich lasdas gern . . . ". Handschrift, S. 467. 38) Der Neue Tag/Ruhrwacht (Oberhausen) Nr. 180 vom 4.7.1939.

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1.10 Zweiter Weltkrieg und Nachkriegszeit (1939-1956) Der unerwartet schnelle Sieg über Polen und der „Sitzkrieg" im Westen verführten auch Rohrbach, noch einmal Hoffnung zu schöpfen: mit unangebrachter Befriedigung registrierte er den Zusammenbruch des Staates, den er seit dem Ersten Weltkrieg auf das heftigste bekämpft hatte. 1 ) Erst die Umsiedlung der Balten und die damit offenkundig werdende Preisgabe dieser Gebiete - an einen (späteren) Rußlandkrieg glaubte er, der aus den Jahren 1914 bis 1918 das Trauma des Zweifronten-Krieges zurückbehalten hatte, nicht einen Augenblick - wurde für ihn der Anlaß, endgültig mit der Hitlerschen Außenpolitik zu brechen. Die Übersiedlung der Deutschbalten in den nichtdeutschen Weichseldistrikt, die Art ihrer Behandlung und die sich darin ausdrückende Geringschätzung empörten ihn; seine Versuche, dem Ausdruck zu geben, fielen der Zensur zum Opfer. 2 ) Im Oktober 1939 fuhr er ins Baltikum, um von seiner Heimat Abschied zu nehmen, die, „von Grund auf deutsch", 3 ) jetzt dem Kommunismus überantwortet wurde. Beschwörend mahnte er Esten und Letten - wobei der wirkliche Adressat natürlich Berlin hieß -, den geschichtlichen Zusammenhang zwischen Erhaltung ihres Volkstums, russischem Vordringen und deutscher Kolonisation anzuerkennen. 4 ) Die deutsche Wirtschaft verwies er nachdrücklich auf die wirtschaftlichen Erfolge und Bodenschätze Lettlands, 5 ) die Rußland nicht überlassen werden dürften, und erst recht nicht, wenn damit das konstituierende deutsche Element in jenen Staaten vernichtet würde. 6 ) Nicht weniger schwer traf ihn die Aufgabe Finnlands, das in seinen Vorstellungen von der „Zerlegung der russischen Apfelsine" 7 ) stets eine große Rolle gespielt hatte. 8 ) Nun fuhr er nach Helsinki, um von einem freien Finnland Abschied zu nehmen. Das

1) 2)

Die Hilfe, Nr. 18, 1939, S. 402-04. Handschrift, S. 466/67. Vgl. auch H. v. Rimscha, Zur Frage der Umsiedlung, in: Baltische Hefte, 4. Jg. 1957/58, S. 2 ff. Ferner: H. v. Rimscha und W. Lenz, in: Jahrbuch des baltischen Deutschtums (Hamburg) 11, Bd. 1964, S. 72 ff und 80 ff. 3) Kölnische Zeitung Nr. 574 vom 12.11.1939. 4) Kölnische Zeitung, a.a.O. Der Hinweis auf diese Zusammenhänge findet sich bei Rohrbach seit Ende des ersten Weltkrieges - Der Kunstwart und Kulturwart. 32. Jg. 1919, Nr. 20, S. 53 ff. und sozusagen als Abschluß: Krakauer Zeitung Nr. 101 vom 23.4.43. Rohrbach betonte, erst durch die von protestantischen deutschen Geistlichen g:schaffene estnische und lettische Schriftsprache seien diese Völker zum Nationalbewußtsein erwacht 5) Kölnische Zeitung Nr. 582 vom 16.11.1939. 6) Deutsche Allgemeine Zeitung Nr. 531 vom 7.11.1939. 7) Rohrbach hatte während des Krieges die Abtrennung der russischen Randstaaten - Finnland, Estland, Lettland, Litauen, Polen, Ukraine, Georgien, Armenien - zur dauernden Schwächung Rußlands propagiert und dafür das Bild der Apfelsine benutzt: nach Entfernen der moskowitischen Zwangsherrschaft, der Schale, zerfallt das Gebiet ii seine natürlichen 'Segmente'. Vgl. dazu: H.C. Meyer, Rohrbach and his Osteuropa, ii: Russian Review 2, 1943/43, p. 60 ff. 8) Handschrift, S. 466.

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Land stand schon im Zeichen des bevorstehenden Krieges gegen die Sowjetunion, 9 ) und fast verzweifelt versuchte er, Deutschland auf den Wert dieses Bundesgenossen aufmerksam zu machen: ein „Land im Aufschwung", mit „unverbrauchten Kräften", ganz sicher mindestens teilweise germanischer Rasse»") und nordischer Götterwelt! 11 ) Das ausbleibende Echo ernüchterte Rohrbach vollends; seit dem Spätherbst 1939 ist in seinen Artikeln eine wachsende Opposition gegen Hitlers Politik zu erkennen. Er besaß genug wirtschaftliche und geopolitische Kenntnisse, um die „Lebensraum"Thesen als Unsinn zu durchschauen, und gab dieser Ansicht auch mit der nötigen Vorsicht Ausdruck. Die nächste Gelegenheit bot sich Ende 1939, als er zu einer Balkan-Studienfahrt 12 ) aufbrach. Nach dem deutsch-rumänischen Wirtschaftsabkommen vom 23. März 1939, der Angliederung der Tschechoslowakei und Polens und dem „Anschluß" Österreichs sah er noch einmal das Projekt „Mitteleuropa" in greifbare Nähe gerückt. 13 ) Aber jetzt verwarf er es entschieden, wenn es mit einem deutschen militärischen Primat verbunden sein sollte: Mitteleuropa könne nur bei absolut friedlichen und gleichberechtigten Beziehungen zwischen Deutschland und den Balkan-Ländern entstehen. 1 4 ) Geradezu hartnäckig hob er den „festen Willen" der „ganzen Balkanbevölkerung" hervor, auf „alle Fälle" aus dem Kriege herauszubleiben. 15 ) Aber gleichzeitig rege sich zweifellos allerorten, speziell in Jugoslawien, der Wunsch nach verbesserten und engeren Beziehungen zu Deutschland. 1 6 ) Berlin solle es bei der Ausnutzung dieser günstigen Stimmungen bewenden lassen! Jeder Versuch einer Hegemonie müsse den nationalstolzen (!) Balkan empfindlich verletzen und zu gefährlichen Reaktionen veranlassen. 17 ) Rohrbachs Artikel aus der Zeit vom Kriegsausbruch bis zum Frühling 1940 enthalten mehr offene und versteckte Kritik an der nationalsozialistischen Außenpolitik als sämtliche Arbeiten der Jahre vorher. Die ungewohnte Deutlichkeit brachte ihm sofort Schwierigkeiten mit der Zensur. Seine „Leitartikel-Korrespondenz" zog sich vollends auf unverfängliche historische und geographische Betrachtungen zurück. 18 )

9) 10) 11) 12) 13) 14) 15) 16) 17) 18)

Kölnische Zeitung Nr. 560/61 vom 5.11.1939; vgl. Aspelmeier, a.a.O., S. 83 ff. Deutsche Allgemeine Zeitung Nr. 531 vom 7.11.1939. Kölnische Zeitung Nr. 573 vom 11.11.1939. Ob diese Reise wirklich offiziösen Charakters war - Handschrift S. 468 - muß füglich bezweifelt werden. Näheres in dem Buch: „Balkan-Türkei, eine Schicksalszone Europas". Hamburg, 1940. Nürnberger Zeitung Nr. 234 vom 6.10.1939. Kölnische Zeitung Nr. 652 vom 24.12.1939; Deutsche Allgemeine Zeitung Nr. 6 vom 3.1.1940. Revalsche Zeitung Nr. 294 vom 21.12.1939. Deutsche Allgemeine Zeitung Nr. 618 vom 27.12.1939. Tagespost (Graz) vom 3.1.1940. Eine Art Begründung in: Nürnberger Zeitung Nr. 137 vom 12.6.1940; Düsseldorfer Nachrichten Nr. 609 vom 8.12.1943.

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Daneben beteiligte er sich an den Kolonialplänen der ersten Kriegsjahre. Als Präsident des „Verbandes ausländischer Pressevertreter" bekleidete er ein mehr dekoratives als bedeutendes A m t , das ihm einmal K o n t a k t e zu offiziellen Stellen und zum anderen Einblick in die „Feind"-Presse verschaffte. Bedeutungsvoll war noch die Mitarbeit an den „Europäischen Korrespondenzen", die vom Auswärtigen Amt und vom Propaganda-Ministerium zur Beeinflussung der ausländischen Presse herausgegeben wurden. In die Jahre 1940 - 1943 fielen noch größere Reisen innerhalb des von deutschen Truppen besetzten Europa, zumeist im Dienst der Truppenbet r e u u n g . 2 0 ) Die dort gehaltenen Vorträge beschränkten sich, soweit das an Hand zufällig gefundener Rezensionen festzustellen war, auf historische und unpolitische Themen. Auch seine übrigen Artikel befleißigten sich zwar des üblichen Tones - etwa gegenüber Churchill oder Roosevelt -, sprachen aber wenig vom deutschen Endsieg und enthielten sich jeder Bemerkung zur Überlegenheit der germanischen Rasse. Völlig ausgeklammert blieb das jüdische Problem; wenn Rohrbach die Juden erwähnen m u ß t e - etwa im Z u s a m m e n h a n g mit der englischen Nahost-Politik u n d dem Palästina-Mandat -, so geschah das mit durchaus anerkennenden Worten für die geschichtlichen Leistungen des jüdischen Volkes. Seit Beginn des Rußlandfeldzuges wurde er überwacht; Mitte 1943 wurden ihm Reden im Dienste der T r u p p e n b e t r e u u n g wegen politischer Unzuverlässigkeit untersagt. Seit Sommer 1943 verschwindet allmählich sein Name aus den Zeitungen. Im September 1944 brannte bei einem Bombenangriff seine Berliner Wohnung aus - dabei ging auch der größte Teil des Nachlasses verloren - und Rohrbach mußte nach Langenburg u m z i e h e n , 2 1 ) wo sein Sohn Justus im teilweise ausgelagerten Statistischen Reichsamt arbeitete. Ab April 1945 konnte die „Leitartikel-Korrespondenz" nicht mehr verschickt werden. Das bedeutete das Ende seiner publizistischen Tätigkeit. Von 1945 bis zu seinem Tode am 20. Juli 1956 lebte er im Langenburger „Exil". Als Publizist ist er nicht mehr hervorgetreten. Zwar gelang es ihm, mit den auslanddeutschen Zeitungen wieder K o n t a k t a u f z u n e h m e n , aber in der Bundesrepublik veröffentlichte er nur noch selten. 2 2 ) Die nach 1945 geschriebenen Bücher verkauften sich alle schlecht. Er starb 1956 als Vergessener - trotz der vielen ihn ehrenden Nachrufe, die aber alle, soweit sie sich Uber die üblichen Floskeln hinaus ernsthaft an einer Würdigung seiner Person u n d Arbeit versuchten, von alten Freunden u n d

19) Mit einer 11 teiligen Serie „Afrika gestern und heute" in der „Magdeburgischen Zeitung" von August bis Oktober 1940. 20) Handschrift, S. 480/81. 21) Handschrift, S. 486. 22) Nur in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung" kam er noch zu Wort (Nr. 167 iom 21. 7.1951, Nr. 235 vom 9.10.1951, Nr. 49 vom 27.2.1952, Nr. 56 vom 7.3.1953 Nr. 81 vom 6.4.1954).

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Mitarbeitern stammten und mehr den christlich-sozialen Ausgangspunkt der Naumann-Zeit hervorhoben als seine antidemokratisch-konservativen Arbeiten während der Weimarer Republik. Der Titel seiner Memoiren „Um des Teufels Handschrift" zeigt, daß er selbst Versailles, also die Jahre 1918/19, als Höhe- und Kulminationspunkt seines Lebens empfunden hat. Von diesem Zeitpunkt ab verringerte sich die Bedeutung seines Namens und seiner Arbeit langsam, aber stetig. 23 )

23)

Sein Freund Kurt Hahn setzte den Höhepunkt des Rohrbachschen Wirkens in das Jahr 1912 - Gerabronner Zeitung (Hohenloher Tageblatt) Nr. 169 vom 24.7.1956.

117

2.

Die Publizistik

Rohrbachs Publizistik in der Weimarer Republik weist vier Abschnitte auf, die zeitlich mit der politischen Konstellation korrespondieren. Die erste Phase reicht von der Novemberrevolution bis Mitte 1921. Sie ist durch eine wachsende Opposition gegen die Außenpolitik der Republik gekennzeichnet. Der zweite Abschnitt umfaßt die Jahre 1921 bis etwa Mitte 1924. Trotz immer noch massiver Kritik läßt sich eine zunehmende Besinnung und Anerkennung der realen Verhältnisse erkennen. In der dritten Phase kommentiert Rohrbach die hoffnungsvollsten Jahre der Weimarer Republik (1924-1927). Der letzte Abschnitt weist, parallel zur Stagnation der europäischen Politik nach Thoiry und zu den wachsenden Finanz- und Reparationsschwierigkeiten, eine deutliche Abkehr von der Stresemannschen Politik auf. Ein weiteres Kapitel soll die Reaktion Rohrbachs auf Hitlers Außenpolitik zeigen.

2.1

Die Jahre 1918 -1921

2.1.1 Revolution und Friedensschluß Wieviele nationale Publizisten hatte Rohrbach bis in den Spätsommer 1918 auf einen ehrenvollen Verständigungsfrieden gehofft, der - gewisse territoriale Konzessionen wie Elsaß-Lothringen eingerechnet - doch die Vorkriegsgrenzen und die Weltmachtstellung Deutschlands erhalten würde. Auch für ihn kam die militärisch-politische Entwicklung in den letzten Kriegsmonaten völlig überraschend. Innerhalb weniger Wochen stellten sich die bislang auf der Rechten bespöttelten und verworfenen Vorschläge des amerikanischen Präsidenten Wilson als einzige Hoffnung Deutschlands heraus. 1 ) Halben Herzens griff Rohrbach die Vorstellungen Wilsons auf, den er zwar nicht für den politischen Kopf hielt, ein solches Programm des „echten Friedens" durchzufechten;*) aber ein Völkerbund schien ihm jetzt doch ein „Gebot nüchternster Realpolitik".^) Den erschöpften Kriegsländern konnte er kollektive Sicherheit und 1) Vgl. dazu K. Herrmann, Der Zusammenbruch 1918 in der deutschen Tagespresse. Politische Ziele, Reaktion auf die Ereignisse und die Versuche der Meinungsbildung in der deutschen Tagespresse während der Zeit vom 23. September bis 11. November 1918. Münster, Phil. Diss. 1958. Ferner: Klaus Schwabe, Deutsche Revolution und WilsonFriede, Düsseldorf 1971, S. 88 ff. 2) DPH. 45 vom 8.11.1918, S. 1415 f. 3) ebda, S. 1417.

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eine Basis gemeinsamer Wiederaufbauarbeit bieten, so daß auch Deutschland in ihm auf eine gleichberechtigte Rolle hoffen konnte. Ja, mehr noch: da Rohrbach nicht glaubte, daß sich im Völkerwirrwarr „Mitteleuropas" der Grundsatz „Ein Volk Ein Staat" - den seiner Auffassung nach Wilson verfolgte - verwirklichen lassen würde, andererseits eine konsequente Minderheitenpolitik die finanziellen und moralischen Kräfte der neuen, im Entstehen begriffenen Staaten übersteigen werde, bedürfe es der lenkenden deutschen Vormacht, damit nicht die Hypothek des Nationalitätenhasses den Völkerbund überschatte. „In diesen Tagen, die so schwer für Deutschland sind, mag es gestattet sein, unsere Blicke auf neue, große Ziele hinzulenken, die die neue Zeit des Völkerbunds uns gesteckt hat, und die Deutschland in seinem eigensten Interesse und zu Gunsten des Bundes der Völker zu lösen haben wird." 4 ) Tatsächlich hoffte Rohrbach noch in den Tagen der Revolution, das deutsche Reich könne auf diese Weise sogar eine führende Rolle in der Nachkriegspolitik spielen. Solche Wunschvorstellungen waren ein Reflex der psychologischen Unfähigkeit,die Niederlage samt ihren Folgen anzuerkennen. 5 ) Daran änderte vorerst auch die Revolution nichts; überraschend schnell verwarf er mit der Monarchie auch die Vorstellung einer spezifischen deutschen Verfassung und Entwicklung. Das Kaiserreich war eben nur, wie er jetzt rückschauend urteilte, solange lebensfähig, wie es „gleichzeitig den Fortschritt des deutschen politischen Wesens zu einer höheren Lebensform vollbrachte." 6 ) Dem bürgerlichen Rohrbach schienen unmittelbar nach dem 9. November alle Möglichkeiten offenzustehen: Wiederanknüpfung an 1848; Führungsrolle des Bürgertums im sozialen wie politischen Bereich, großdeutsche Lösung, „mitteleuropäische Vormacht" im Rahmen des Völkerbundes. Erst die Waffenstillstands-Bedingungen Ende November rißen ihn unsanft aus diesen Träumen: 7 ) „Völkerbund und Gerechtigkeit sind Phrasen, nichts weiter", denen jetzt noch anzuhängen einen gefahrlichen Mangel an nationalem Bewußtsein verrate. 8 ) Mit den außenpolitischen Hoffnungen brachen aber auch alle seine innenpolitischen Wünsche zusammen. Die Macht war nicht in bürgerliche Hände gelangt, sondern wurde - mehr schlecht als recht, wie er erregt vortrug - von der linken Sozialdemokratie ausgeübt, die im Augenblick ihre völlige Unfähigkeit beweise, die Würde Deutschlands zu bewahren, wenn sie nicht mit einem „flammenden Protest gegen

4) 5)

6) 7) 8)

ebda, S. 1420. Vgl. dazu die Studie des SPD-Ministers Adolf Köster, Konnten wir im Herbst 1918 weiterkämpfen, Berlin o.J. (1921), die indirekt aufzeigt, welche phantastischen Vorstellungen kursierten und diskutiert wurden. Von Köster stammt das treffende Bonmot, andere Völker würden nach einer militärischen Niederlage ihre Feldherren zur Verantwortung ziehen; in Deutschland verurteilten die Generäle das Volk. DP H. 46 vom 15.11.1918, S. 1444. D P H . 4 8 vom 29.11.1918, S. 1509. ebda, S. 1510.

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die Schande" emporfahre und sich gegen das Unrecht, den „Wortbruch" des Präsidenten Wilson, mit allen Kräften wehre. 9 ) Der Sozialdemokratie galt in den nächsten Wochen seine ganze Aufmerksamkeit und Gehässigkeit. Sie mußte für eine kommende bürgerliche Regierung mit allen Mitteln diffamiert werden. Dazu boten sich die nun gerade nicht von der Sozialdemokratie verschuldeten außenpolitischen Schwierigkeiten an: Berlins Zögern, den von Österreich vorgetragenen Anschlußgedanken aufzugreifen,i°) die Besetzung Posens durch die Polen, die Bedrohung Oberschlesiens, die Lage der deutschen Truppe in der Ukraine, die „Preisgabe" von Riga und der Dünalinie • mit einem Wort: die ganze „Katastrophe im Osten." 1 1 ) Eindeutig beschuldigte er die SPD, die Verantwortung für die gegenwärtige Lage zu tragen: Denn die von ihr vorangetriebene Revolution habe mit der Selbstauflösung des Heeres den Weg eines verzweifelten letzten und höchstwahrscheinlich erfolgreichen Widerstandes versperrt. 1 2 ) Auf der anderen Seite scheute er nicht den Versuch, die verhaßte Sozialdemokratie vor das Vehikel seiner innenpolitischen Reformvorstellungen zu spannen. 1 3 ) Mit besonderem Eifer verfolgte er den Plan, die gewachsenen Ländergrenzen zugunsten einer Neugliederung in Reichskreise einzureißen, wobei der neunte Kreis Deutschösterreich „außer den zum schlesischen, obersächsischen und bayerischen Kreis gehörigen böhmischen Randlandschaften" umfassen sollte. Getroffen werden mußte vor allem Preußen und das „preußische Wesen." 14 ) Nach der Abwehr der Kommunisten in Berlin beruhigte sich Rohrbach zusehends; 15 ) die „beängstigend großen" Analogien zur russischen Revolution schienen ihm damit „wenigstens an einer wichtigen Stelle durchbrochen." 1 6 ) Auch der Ausgang der Wahlen zur Nationalversammlung trug zu weiterer Mäßigung bei. Die befürchtete sozialistische Mehrheit war nicht zustandegekommen; eine Koalition der Mitte mochte den „Heilungsprozeß" des deutschen Volkes beginnen, 17 ) zu dem vor allem die Jugend berufen sei, die sich jetzt in einem Bund auf Grundlage des Führerprinzips und Gehorsams finden müsse. Die Begründung enthält - neben unverkennbaren Zeichen der Parteienfeindschaft - im Kern alle Rohrbachschen Gedanken über Innen- und Außenpolitik.

9) 10)

11) 12) 13) 14) 15) 16) 17)

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ebda, S. 1511. DP H. 49 vom 6.12.1918, S. 1541/42. Gegenüber Solf bestand noch aus der Vorkriegszeit eine Abneigung, als dieser Rohrbach 1912 zur Beruhigung kritischer Stimmen zu einer Reise in das neu erworbene Kamerun-Gebiet veranlaßte, dann aber nicht wagte, ihn gegen die Anfeindung der kolonialen Behörden in Schutz zu nehmen. Gerlach, Von Rechts nach Links, Zürich 1937, S. 205/206. Vgl. K. R. Stadtler, The birth of the Austrian Republic 1918-1921, Leyden 1966. DP H. 2 vom 10.1.1919, S. 39; Die Hilfe, Nr. 2, 1919, S. 20/21. ebda, Nr. 6 , 1 9 1 9 , S. 69. D P H . 49 vom 6.12.1918, S. 1542. Die Hilfe, Nr. 49, 1918, S. 585. ebda, Nr. 3 , 1 9 1 9 , S. 27. ebda, Nr. 4, 1919, S. 43. D P H . 5 vom 31.1.1919, S. 145.

„Beeinflussung der öffentlichen Angelegenheiten, Erziehung des nationalen Urteils, Kontrolle der Parteien und Institutionen, Eindruck auf das Ausland sind nur möglich, wenn eine große Gemeinschaft, ein Bund mit wirksamen Organen und Achtung gebietender Stärke, sich erhebt." 1 8 ) Mit der Ernennung des neuen Außenministers Brockdorff-Rantzau 1 9 )und dem Friedensprogramm der Reichsregierung vom 17. Januar 1919 konnte Rohrbach die bis dahin stagnierende, weil völlig ungewisse außenpolitische Diskussion wieder aufnehmen. Gänzlich aussichtslos schien ihm eine passiv-abwartende Haltung zu sein. Aktiv konnte Berlin aber nach seiner Auffassung nur mit Hilfe der „Propaganda" vorgehen. Dazu galt es zwei Wege zu beschreiten: einmal mußte Deutschland seine gesamte Innen- und Außenpolitik unter eine zündende „Idee" stellen, um der Welt zu beweisen, „daß gerade jetzt ein entscheidender Fortschritt in der Entwicklung der menschlichen Verhältnisse von uns ausgehen und der Welt geschenkt werden wird." 2 0 ) Zum anderen war die Kriegsschuldlüge zu widerlegen und der moralisierenden Anmaßung der Alliierten der Boden zu entziehen, Richter über Deutschland zu spielen. 21 ) Dieses völlig unrealistische Programm basierte auf seiner Überzeugung, in der feindlichen Koalition gebe es einen Riß: Die USA wünschten ihre erworbene „enorme Stellung" durch die internationale Friedensorganisation des Völkerbundes zu sichern, 22 ) während England eine endgültige Ausschaltung des deutschen Handels und Frankreich eine politisch-militärische - unter Umständen auch territoriale - Sicherung gegen Deutschlands größeres Potential anstrebten. Diese Interessenlagen schienen Rohrbach unvereinbar. Aufgabe der deutschen Politik mußte also sein, Wilson zu unterstützen und ihm Material an die Hand zu geben, das die Schuld am Kriegsausbruch, 23 ) die Skrupellosigkeit, 24 ) die Heuchelei und die geschichtlich schon immer erwiesene Brutalität und Rücksichtslosigkeit der amerikanischen Alliierten in Europa nachwies.") Daß sich Berlin nicht zu solchen Aktionen bereitfand, die wohl eher eine Verfestigung als eine Entzweiung der gegnerischen Koalition bewirkt hätten, veranlaßten ihn zu regelrechten Zornausbrüchen, in denen er mit Verbalinjurien nicht sparte. 2 6 ) Sie steigerten sich ange18) ebda. Rohrbach an Schacht vom 2.1.1919 - Nachl. Schacht. 19) D P H . 4 v o m 24.1.1919, S. 99 ff. 20) Die Hilfe, Nr. 4, 1919, S. 43. 21) DPH. 4 vom 24.1.1919, S. 99/100. 22) DieHilfe, Nr. 5, 1919, S. 56. 23) DP H. 7 vom 14.2.1919, S. 195. 24) „In Bloemfontein ragt heute das Denkmal der 26 000, der Obelisk mit den Bronzefiguren der leidenden Mutter mit ihrem verschmachtenden Kind - und England hat die Stirn, uns wegen der Zerstörungen in Frankreich, wegen Geiseln usw., die wir genommen haben sollen, vor dem Richterstuhl der Moral und des Völkerrechts zu belangen." Die Hilfe. Nr. 6, 1919, S. 70. 25) Die Hilfe. Nr. 7, 1919, S. 76-78. „Wer treibt satanische Politik? " DP H. 10 vom 7.3.1919, S. 291 ff. „Alliierte und assoziierte Politik." DP H. 12 vom 21.3.1919, S. 355 ff. „Völkerbund und Rechtsfriede." DP H. 12 vom 21.3.1919. 26) Die Hilfe, Nr. 7, 1919, S. 78.

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sichts der deutschen Bereitschaft, von vornherein mit Verzichten - etwa in der Kolonialfrage 27 ) - zu rechnen und die Friedensverhandlungen nicht mit einem Katalog maximaler Forderungen zu eröffnen, der allein - so Rohrbach - Spielraum für nicht lebenswichtige Konzessionen ließ. Bringt man seine verschiedenen, nicht immer widerspruchsfreien Einzeläußerungen auf einen Nenner, so hatte das deutsche Reich keinen Krieg verloren, sondern war einzig gezwungen, an einer Konferenz auf der Basis der 14 Punkte Wilsons teilzunehmen. Dort hänge es nur vom deutschen Verhandlungsgeschick ab, welche Position es nach Konferenz-Ende einnehmen werde. Seine Formel dafür hieß: Rechtsfriede und Völkerbund gemäß den 14 Punkten - oder Abbruch der Verhandlungen. Die innenpolitische Absicht solcher Katastrophenpolitik folgte auf dem Fuße: für ein solches Programm müsse man alle Verfechter eines (alldeutschen) Machtfriedens und alle die ausschließen, die sich von vornherein dem Diktat der Alliierten beugen wollten. 28 ) Führungsanspruch sei nur denen zuzubilligen, die während des Krieges stets für einen Rechtsfrieden eingetreten seien: „Der Führer der Freunde des Rechts in solchem Sinne ist in Deutschland der Prinz Max von Baden." 29 ) Auf der anderen Seite behauptete er mehrfach, kein wie immer geartetes deutsches Angebot könne die Alliierten befriedigen, die „gar nicht verhandeln, sondern nichts als uns die Knochen brechen wollen." 3 0 ) Somit mußten die deutschen Maximalforderungen mit einem unbeugsamen Vernichtungswillen der Gegenseite zusammentreffen. Rohrbach leugnete, daß daraus eine Katastrophe erwachsen müsse. Einmal seien die schon auf Deutschland lastenden Verpflichtungen zu einem Großteil nur mit der Nachgiebigkeit Berlins in der Frage des Rechtsstandpunktes zu begründen, 31 ) und zum anderen gebe es Hinweise, daß deutsche Festigkeit die Alliierten zum Einlenken bewege. 32 ) Im gleichen Artikel „Alliierte und assoziierte Poli-

27)

Die Hilfe, Nr. 8, 1919, S. 93/94. In der Kolonialfrage hat sich Rohrbach besonders stark engagiert, da er von der Reichsregierung aufgefordert worden war (so Rohrbach in dem Brief an Schacht vom 2.1.1919), an den beiden offiziellen Antworten des Reichskolonialministeriums auf das englische Blaubuch „Report on the natives of South-West Africa and their treatment by G e r m a n " und das „Journal officiel" vom 18.11.1918 und 5.1.1919 mitzuarbeiten. Vgl. dazu H. Schnee, Die koloniale Schuldlüge, 3. Aufl. München 1927. 28) DP H. 9 vom 28.2.1919, S. 259. Vgl. dazu Schwabe, a.a.O., S. 346 ff. 29) D P H . 9 v o m 28.2.1919, S. 260. 30) D P H . 1 0 v o m 7.3.1919, S. 297 31) „Wenn Wilson je die Absicht gehabt hat, nach seinen früheren Worten und der von ihm versprochenen Garantie der 14 Punkte zu handeln, und dann von seinen Versprechungen so wenig wahr geworden ist, so wird der Mangel an Festigkeit und Würde, mit dem wir in Spa und Trier auftraten, kaum viel weniger Schuld daran haben, als die Sehnsucht . . . Clemenceaus nach der Zerstückelung Deutschlands." DP H. 12 vom 21.3.19, S. 358. Mit Trier ist das Finanzabkommen vom 13.12.1918 gemeint. (Text bei H.Ronde, Von Versailles bis Lausanne, Stuttgart, Köln 1950, S. 14 f.). Dazu Schwabe, a.a.O., S. 354/55. 32) D P H . 12 vom 21.3.1919, S. 355. Rohrbach bezog sich dabei auf das am 14.3.1919 in Brüssel abgeschlossene „Abkommen über die Lebensmittelversorgung Deutschlands".

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tik" referierte er ebenfalls eine durch Reuters verbreitete und viel beachtete Rede des amerikanischen Staatssekretärs Lansing vom 11. März, in der die Notwendigkeit einer deutschen Lebensmittelversorgung anerkannt wurde, um „der Anarchie und dem häßlichen Despotismus des roten Terrors Widerstand zu leisten." Ein Erfolg des Kommunismus in Deutschland beraube die Gewinner ihres Sieges: Deutschland müsse lebensfähig bleiben, um für seine 'Übeltaten' zu zahlen, und eine kräftige Regierung erhalten, um Frieden zu schließen und seinen Verpflichtungen nachzukommen. Zu diesem - wenn auch negativ motivierten - alliierten Interesse an einer Erhaltung Deutschlands und der amerikanisch-anglofranzösischen Interessenkollision fand Rohrbach noch einen dritten Grund, der Berlin bei den bevorstehenden Verhandlungen eine kräftige Sprache erlaube: die westliche Sorge vor dem Bolschewismus,33) dem „aktivsten Feind des Friedens", dessen Schicksal sich daran entscheide, ob ihm in Deutschland der Durchbruch gelinge. 34 ) Ohne moralische und großzügige materielle Hilfe seitens der Entente, „unter Zurückstellung jeglichen gewaltpolitischen Empfindens und Strebens", sei aber Deutschland - und damit ganz Westeuropa wie später auch die USA - nicht vor der bolschewistischen Katastrophe zu retten. 3 S ) Obwohl sich Eduard Stadtler, Leiter des Berliner „Generalsekretariats zum Studium des Bolschewismus" und engagiertester Verfechter dieser Politik, häufig kritisch mit Rohrbach auseinandergesetzt hatte, 3 6 ) fand das zugleich naive wie erpresserische Programm 37 ) Rohrbachs Zustimmung, 38 ) der es als den „wertvollstein) Beitrag zu einer positiven deutschen Friedenspolitik" bezeichnete. 3 9 ) In einem Leitartikel „Der Weg zum Weltfrieden? " 4 0 ) stellte er sich dezidiert hinter Stadtlers Auffassung. Er bekannte sich ebenfalls zur Definition, daß der Bolschewismus das Sichtbarwerden des automatischen „anarchischen Zersetzungsvorganges" im Gefolge der moralischen und materiellen Zerrüttung durch den Krieg sei, und folglich in dem geschwächtesten Lande ausgebrochen sei. „Ebensowenig wunderbar erscheint es, daß der Geist und die Tendenzen des Bolschewismus an die radikal-kommunistische Schule, bei der sie eine starke Wesensverwandtschaft zu erblicken glaubten, anknüpften, um eine Verkündungsformel für die Propaganda zu haben." 4 1 )

33) 34) 35) 36) 37) 38) 39) 40) 41)

ebda, S. 356. Eduard Stadtler, Der einzige Weg zum Weltfrieden, 2. Aufl. Berlin 1919, S. 25. ebda, S. 55. ebda, S. 39. Auch Stadtler drohte mit einer „revolutionären Verzweiflungspolitik" - S. 55. E. Stadtler, Als Antibolschewist 1918/19, Düsseldorf o.J. (1935), S. 118. ebda, S. 145. DP H. 17 vom 25.4.1919, S. 515 ff. ebda, S. 516.

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Nur mit Deutschlands Hilfe könne die bolschewistische Katastrophe abgewendet werden! Wolle die Entente darauf nicht eingehen, „so soll Deutschland seine Ohnmacht erklären und dadurch die Entente zur Besinnung rufen." 4 2 ) Dieser Artikel verriet nicht nur, wie wenig Rohrbach (und mit ihm viele Bürgerliche) den Bolschewismus und die russische Revolution durchschauten. Er zeigte ebenfalls ein in Anbetracht der Umstände anmaßendes Bekenntnis zu einer deutschen Führungsrolle: Denn da grundsätzlich kein Kriegsteilnehmer-Land vor dem Bolschewismus gefeit war, dieser aber erst durch den von der Entente herbeigeführten Weltkrieg hatte entstehen können, war Deutschland jetzt berufen, die westliche Welt vor den Folgen ihres eigenen Tuns zu bewahren. Ende März, Anfang April 1919 hatte sich Rohrbach dann auf die Behauptung festgelegt, daß Deutschland in der Bollwerks-Funktion gen Osten, in dem Interessenantagonismus der Alliierten und den ihnen gemeinsamen Reparationsforderungen nicht nur eine Uberlebensgarantie, sondern zugleich eine Plattform für eine eigene, auch gegen die Alliierten gerichtete Außenpolitik besitze. Als Ergebnis eines fünfmonatigen Suchens nach einer Generallinie enthüllte diese Uberzeugung eine phantastisch anmutende Blindheit gegenüber den politischen Realitäten. Verfolgt man aber den Kontext dieser Artikel, zeigt sich eine zweite Interessenlinie, nämlich der Aufbau einer „publizistischen Schützengrabenlinie". Trotz mancher Gemeinsamkeiten wehrte Rohrbach die „nationale Opposition" ab, die deutsche Mißerfolge - an denen sie ja nicht schuldlos war - pauschal mit dem „System" der Republik erklärte. Andererseits widerstrebte es ihm, die republikanische Außenpolitik zu verteidigen, an deren Erfolg er trotz der Rezepte, die er ihr bot, zweifelte. So nahm er die Mittelposition ein: er bejahte die Republik und attackierte die „Parteipolitiker", 43 ) die - und hier führte er unter Berufung auf den „Primat der Außenpolitik" seine eigenen sozialen Gruppeninteressen ein - durch Führer ersetzt werden müßten, Männer mit der Fähigkeit, „eine Politik des absoluten sittlichen und nationalen Mutes zu treiben." 4 4 ) Das Bekenntnis zur Republik wurde ihm übrigens bis weit in die 20er Jahre hinein geglaubt. So hat er bis Ende 1927 4 S ) eine Vortrags- und Lehrtätigkeit in der offiziellen politischen Bildungsstelle der Republik, in der Reichszentrale für Heimatdienst, ausgeübt. 46 ) Auch in Zeiten schärfster Opposition zur deutschen Außen42) 43) 44) 45) 46)

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ebda, S. 520. Wie sich solche Auffassungen mit Rohrbachs DDP-Mitgliedschaft vereinbaren lasse, verwunderte selbst Stadtler (Als Antibolschewist, S. 160). Die Hilfe, Nr. 13, 1919, S. 160 und Nr. 14, 1919, S. 165. DP H. 13 vom 28.3.1919, S. 392. Ein Grund für die Beendigung seiner Tätigkeit dürfte in seinem Überwechseln zur DA liegen, die in Berlin offenbar auf Widerstand stieß - vgl. G. Schreiber, Zwischen Demokratie und Diktatur, S. 20. Vgl. „Der Heimatdienst", 7. Jg. 1927, Nr. 13 (1. Julih.), S. 205.207: „Die Vortragstätigkeit der R.f.H. im Winterhalbjahr 1926/27" und den gedruckten Vortrag „Deutsche Grenzfragen (Im Zusammenhang mit der deutschen Außenpolitik)". Vorträge gehalten auf den staatspolitischen Schulungswochen der RfH in AUenstein und Maulbronn, Juli und August 1927. o.O., o.J. Vgl. J.K. Richter, Die Reichszentrale für Heimatdienst. Berlin 1963.

politik hielt er in der überparteilichen und republikbejahenden „Deutschen Hochschule für Politik" 4 7 ) Vorträge. 48 ) Daß hierin eine gewisse Diskrepanz lag, bezeugt ein gehässiger Kommentar der „nationalen Opposition", 4 ») in dem der Studienleiter Th. Heuss wegen seiner Schriftleitung der „Deutschen Politik" angegriffen wurde: Zeitschrift und Hochschule wurden offensichtlich als unvereinbare Gegensätze empfunden. 5 0 ) Ferner muß in Rechnung gestellt werden, daß in dem halben Jahr nach der Revolution ein publizistischer Feldzug aller gegen alle entbrannte, in dem auch Rohrbach nicht ungeschoren blieb und der ihn zu logisch nicht immer erklärbaren Behauptungen zwang. Im Vordergrund standen dabei seine Vorstellungen einer selbständigen Ukraine, 5 1 ) die sich als offenkundig irrig herausgestellt hatten. Diese Tatsache konnte er auch durch massive Vorwürfe gegen die dirigistischen Eingriffe der deutschen Verwaltung in der Ukraine 5 2 ) und gegen die doppelzüngige Einstellung Berlins nicht entkräften, das stets den Eindruck wachgehalten habe, man würde Kiew bedenkenlos einer deutsch-russischen Annäherung opfern. 5 3 ) In der Ukraine „trotzdem für Gegenwart und Zukunft Möglichkeiten fruchtbarer Bearbeitung und großer Erträge" zu sehen, 5 4 ) blieb eine reine Verlegenheitsbehauptung. Sehr heftig wurde von verschiedenen Seiten auch seine Rußland-Publizistik aus den Kriegsjahren angegriffen, die er nun ebenfalls verteidigen mußte. Als „Schulbeispiel" politischer Blindheit interpretierte er den Frieden von Brest-Litowsk. 5 5 ) Schon vor dem Friedensschluß habe man versäumt, die Randvölker Rußlands zu

47) Vgl. dazu die kommentarlose Wiedergabe der Eröffnungsreden in der Deutschen Allgemeinen Zeitung Nr. 526 vom 25.10.1920. 48) Im Vorlesungsverzeichnis für das WS 1920/21 war ein zweistündiger Vortrag Rohrbachs „Geographische Grundlagen der Weltpolitik" angekündigt (1. Abt. Politik, Nr. 10). 49) Die demokratisch-pazifistische Hochschule für Politik in der Täglichen Rundschau vom 20. (? ) 11.1920. Zeitungsausschnitt im PAdAA, Büro RAM, Nr. 33, Bd 1 (Akten betr. Deutsche Hochschule für Politik). 50) Was der Verf. freilich mit der „Vetternwirtschaft und Futterkrippenpolitik der Demokraten" (=DDP) erklärte. 51) H.C. Meyer, Germans in the Ukraine, 1918, in: The American Slavic and East European Review 9, 1950, p. 105 ff. Die Angriffe auf Rohrbach eröffnete: „Polen. Wochenschrift für polnische Interessen." (Wen), 4. Jg. 1918, Nr. 206, S. 204. 52) Ukrainische Korrespondenz, 5. Jg. 1918, Nr. 18/19, S. 4. 53) Der Kunstwart und Kulturwart. 32 Jg. 1919, Nr. 14, S. 64 ff. Ferner: Die Ukraine, 1. Jg. 1919, H. 4, S. 77 ff. 54) Die Ukraine. Monatsschrift für deutsch-ukrainische Volks-, Wirtschafts- und Kulturpolitik (Hamburg), 1. Jg. 1918, H. 1, S. 3. Die Exil-Ukrainer haben ihn in dankbarer Erinnerung behalten - vgl. D.J. Doroschenko, Die Ukraine u.d. Reich, Leipzig 1942, passim;Gr. Prokoptschuk, Deutsch-Ukrainische Gesellschaft 1918-1963. Festschrift,München 1963. Die Ukrainische Freie Universität in München verlieh ihm 1949 den Ehrendoktor; im September 1952 wurde er Ehrenpräsident der Deutsch-Ukrainischen Gesellschaft. 55) Der Kunstwart und Kulturwart. 32. Jg. 1919, Nr. 13, S. 14 ff. Dazu W. Baumgart, Deutsche Ostpolitik 1918, München 1966.

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befreien, weil man sich nicht zu einer aufrichtigen und freiheitlichen Politik verstehen konnte, die freilich deutsche Zugeständnisse erfordert hätte. Abgesehen von der irrtümlichen (!) Annahme, Lenin, Trotzki und Genossen wollten wirklich Frieden schließen,bliebe Berlin zu seinem Schaden die Einsicht verschlossen, „daß alles darauf ankam, den Schein (!) des Gewaltfriedens zu vermeiden und Deutschland in Brest-Litowsk soweit wie möglich nur als Mandatar der ihre Freiheit verlangenden Randvölker gegen das Moskowitertum handeln zu lassen." S 6 ) Ähnliche Fehler konstatierte er in der Behandlung der baltischen Frage. S7 ) Auch hier hätte man Esten und Letten die Selbständigkeit verschaffen müssen - wobei ein echter, auch von deutschbaltischer Seite mit Zugeständnissen erhandelter Ausgleich zwischen den Volksgruppen Voraussetzung gewesen wäre um dann aus dem ganzen Baltikum einen großen Freistaat zu bilden, der als „deutsche Kulturprovinz" im „abendländisch-europäischen Kulturzusammenhang" verbleiben könne. 5 8 ) Daß er damit, wenn auch mit anderen Begründungen, genau die hegemoniale Politik verteidigte, mit der das Deutsche Reich im Osten gescheitert war, ging ihm nicht auf.

2.1.2 Die Pariser Friedensverhandlungen Rohrbach hat bis zu seinem Tod 1 ) die Literatur zu den Pariser Friedensverhandlungen aufmerksam verfolgt 2 ) und seinerseits versucht, auf den Widerspruch zwischen dem sogenannten Lyoner Funkspruch des Obersten House vom 19. Oktober 1918, 3 ) der eine für Deutschland günstige Auslegung der 14 Punkte enthielt,und dem Friedensvertrag hinzuweisen. Seine Kommentare zu den Verhandlungen beweisen aber, daß ihm nicht an einer sachlichen Darstellung, sondern an dem

56) ebda, S. 15. 57) Der Kunstwart und Kulturwart, 32. Jg. 1919, Nr. 20, S. 53 ff. 58) ebda, S. 55. 1) Das Buch von Paul Mantoux, Les délibérations du Conseil des Quatres, T. 1.2. Paris 1955, hat er nicht mehr kennengelernt. 2) So kannte er, wie aus seinen Vorträgen zu entnehmen, das seltene, nur in einem Exemplar in Deutschland vorhandene „My Diary at the Conference of Paris" von David Hunter Miller (Privatabdruck, Bd 1-21), Wilhelm Zieglers „Versailles, die Geschichte eines mißglückten Friedens" (Hamburg 1933) und das Buch von Dietrich Sandberger, Die englische Politik bei den Pariser Friedensverhandlungen 1919, Stuttgart 1938 (Beitr. z. Gesch. d. nachbismarckischen Zeit und d. Weltkrieges, H. 39), das den von Rohrbach oft behaupteten Widerspruch zwischen den 14 Punkten Wilsons und dem schon als Verhandlungsgrundlage dienenden Kommentar des Obersten House - Intimate Papers of Colonel House, VoL 4, London 1928, p. 192 ff. - herausarbeitete. 3) Erstmals veröffentlicht in: Stimmen der Vernunft (Bern) vom 26.6.1919.

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Beweis für seine These gelegen war, dort werde um einen Rechts- oder Gewaltfrieden gerungen, wobei die deutsche Haltung den Ausschlag gebe. Denn Wilson - an sich ein Mann voller Idealismus, aber ohne politisches Augenmaß - sei den Politikern aus Beruf und Leidenschaft, Clemenceau und Lloyd George, in keiner Weise gewachsen; Berlin müsse ihm das Rückgrat gegen die anglofranzösischen Ansprüche stärken. Dieses sachlich zwar ebenfalls utopische, aber wenigstens im Denkansatz logische Programm durchkreuzte er selbst mit seinem blinden Zorn auf alle Urheber des Artikels 231, den er wie die meisten deutschen Publizisten nicht als Festlegung einer „geschäftlichen Verantwortung", 4 ) sondern als historische Tatsachenbehauptung und damit moralische Verdammung auffaßte. Die Uberzeugung, ein solcher Frieden dürfe nicht unterzeichnet werden, reichte bis weit nach links. 5 ) Scheidemann gab der Entrüstung mit der Formel von der Hand, die verdorren solle, zündenden, aber politisch unklugen Ausdruck. Aber wenn Rohrbach forderte, den Artikel 231 und den „darauf fußenden" Friedensvertrag pauschal abzulehnen und nicht nur jene Teile herauszulösen, die angeblich Frankreichs Wunsch nach endgültiger Schwächung Deutschlands entsprungen waren, 6 ) dann mußte er eine andere Taktik vorschlagen, die geeignet schien, einen Keil zwischen die Alliierten zu treiben. Er hatte keine anzubieten; die wieder hervorgeholte Aufforderung, durch deutsche Gegenpropaganda der alliierten „Ruchlosigkeiten" jeder „richterlichen Anmaßung" den Boden zu entziehen, 7 ) war politischer Wahnsinn und der erste Schritt hin zu einer Katastrophenpolitik, der er sich immer stärker verschrieb. Ab Mai 1919 konnte er nur noch vor den Folgen einer Unterzeichnung warnen. Dieser „Schandfleck einer feigen Unterwerfung" sei nicht abzuwischen; er werde wie ein Gifttropfen im Blute des deutschen Volkes weiterleben und die Kraft späterer Geschlechter lähmen. 8 ) Rohrbach schlug allen Ernstes vor, den Feinden die Verwaltung Deutschlands zu übergeben, die Regierung aufzulösen und sich quasi als Ententeprovinz verwalten zu lassen: Die „Nemesis" der Geschichte werde den Wortbruch und Betrug an Deutschland schneller als erwartet rächen. 9 ) Einen an4)

5)

6) 7) 8) 9)

„The causing", wie es H. Holbom umschreibt (Diplomats and Diplomacy in the Early Weimar Republic, in: The Diplomats 1919-1939, Princeton 1953, p. 123 ff., Zitat p. 142) und dazu bemerkt: „Article 231 . . . was not intended to be a war guilt clause." Daß es Gegensätze zwischen den USA und der Entente gab, belegt das ausführliche Buch von Schwabe. Allerdings waren sie im ersten Halbjahr 1919 in Deutschland nur gerüchtweise bekannt; selbst die vorsichtigen und abwägenden Blätter „Frankfurter Zeitung" und „Berliner Tageblatt" saßen den unsinnigsten Falschmeldungen auf. So schrieb Haußmann an seinen Sohn: „Aber der Friede, den sie zu bieten wagen, ist reine Gewalt, und sie wollen von uns die Unterschrift, um sagen zu können, es sei Vereinbarung. Ich aber will lieber der Gewalt offen das Wort lassen. Die Vergewaltigung soll nackt erfolgen . . . Denn die Gefahr der Annahme ohne Weigerung aufs äußerste ist materiell ebenso schwer und politisch-moralisch noch viel größer und vernichtend e r . . . " (Schlaglichter, S. 279). DP H. 14 vom 4.4.1919, S. 419 ff. DP H. 16 vom 18.4.1919, S. 483 ff. DP H. 19 vom 9.5.1919, S. 579. DP H. 21 vom 23.5.1919, S. 643.

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deren Ausweg könne es angesichts der englischen 10 ) und französischen 11 ) Absichten nicht geben. Unermüdlich wies er daraufhin, daß die Verweigerung der Unterschrift den einzig gangbaren Weg darstelle, von dem freilich niemand sagen könne, wohin er führe. Aber jetzt müsse man eben auf die „großen Urkräfte des Lebens" zurückgreifen: Mut, Instinkt, Glaube. 1 2 ) „Entweder kommen wir durch, oder es geht auf die Klippen; fürchten wir uns aber vor dem Entschluß, sinken wir auf jeden Fall - und mit Schande." 1 3 ) Trotz der markigen Worte wußte Rohrbach viel zu genau, daß es keinen Ausweg gab, und gelegentlich gestand er das sogar ein. 1 4 ) Die Unaufrichtigkeit seiner Argumentation bestand in der klar erkennbaren Absicht, die außenpolitische Zwangslage zur Diffamierung der SPD zu benutzen. Diejenigen Kräfte nämlich, die die Revolution „gemacht" haben, seien für den Friedensvertrag verantwortlich, den man Deutschland jetzt zumute. 1 5 ) Als die Nationalversammlung am 12. Mai ihr einmütiges „Unannehmbar" beschloß, überließ der außenpolitische Kopf Rohrbach die Kommentierung der ersten Friedensbedingungen bezeichnenderweise Th. Heuss und befaßte sich mit dem in dieser Lage durchaus zweitrangigen Staatsgerichtshof zur Feststellung der Schuldigen am Zusammenbruch. Dieser sei - so der durch nichts belegte Schluß seines Artikels - ein parteipolitisches Racheinstrument, von dem er sagen müsse, daß man „eine gleich untaugliche Einrichtung für einen gleich überflüssigen Zweck hätte . . . schwer ersinnen können." 1 6 ) Die Sozialdemokratie solle in diesem Augenblick lieber daran denken, daß es Verschuldungen gebe, die nie wieder gutzumachen seien, wenn sie auch gesühnt werden könnten. „Bis zu einem gewissen Grade gilt das für die deutsche Revolution. Eine Sühne, wenigstens eine teilweise, ist möglich, wenn wir gegenüber dem Friedensvertrag, der uns zugemutet wird, jetzt tapfer durchhalten." 17 ) Und knapp einen Monat später schrieb er, an die Adresse der Regierungsparteien gerichtet: „Einer solchen Regierung (die den Vertrag unterzeichnet), aber wäre kein Deutscher mehr Gehorsam in dem Sinne schuldig, daß er ihre Entscheidung als für sich selbst und die Nation moralisch bindend anerkennt. Was Feiglinge, Verräter und schuftige Intriganten unterzeichnen mögen, das bindet in Gegenwart und Zukunft kein Volk, und der moralische Galgen für sie wäre schon gerichtet. Vielleicht eines Tages auch der hölzerne." 1 8 ) 10) Dazu DP H. 22 vom 30.5.1919, S. 679. 11 ) Für sie erfand er das Wort von den „Vingt millions de t r o p " - DP H. 22 vom 30.5.1919, S. 675 ff. Vgl. dazu: E. Meier, in: Publizistik 3, 1958, S. 145 ff. 12) Die Hilfe, Nr. 23, 1919, S. 276. 13) ebda. Noch schärfer: DP H. 23 vom 6.6.1919, S. 709. 14) DP H. 23 vom 6.6.1919, S. 710. 15) DP H. 21 vom 23.5.1919, S. 643. 16) DP H. 20 vom 16.5.1919, S. 614. 17) DPH. 21 vom 23.5.1919, S. 643/44. 18) DP H. 25 vom 20.6.1919, S. 774.

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Nach der deutschen Note vom 23. Juni 1919, die eine vorbehaltlose Unterzeichnung ankündigte, brachte Rohrbach eine Serie von Schimpf- und Hetzartikeln zu Papier, die sogar die Drohung mit dem Galgen noch übertrafen. Das „Bekenntnis zur K n e c h t s c h a f t " 1 9 ) sei nur durch das alte deutsche Erzübel der Uneinigkeit erzwungen worden: „Das ist für den praktischen Politikerdas Furchtbarste an der Besiegelung unserer nationalen Katastrophe durch die U n t e r s c h r i f t . . . (daß sie) nicht nötig gewesen wäre." Das Bild eines entschlossenen Deutschlands - so rief er dem Zentrum und der SPD zu - wäre imstande gewesen, die „Satanisten" drüben zurückzuscheuchen. 2 0 ) Aber Einigkeit gegenüber der guten, mutigen und klaren Politik des Grafen Brockdorff-Rantzau war wohl unmöglich; sie wurde ja auch unter der „eifrigen und planmäßigen Führung des Ministers Erzberger" hintertrieb e n . 2 1 ) Gegen Erzberger richtete er den ganzen Zorn der ersten Stunde; 2 2 ) an der nationalistischen Hetze gegen den Zentrumspolitiker war er, obwohl er dies dunkle Kapitel später unterdrücken wollte, auf verhängnisvolle Weise beteiligt. Während die Parlamentarier um die Annahme der Verfassung rangen, zog Rohrbach noch einmal ein Fazit der letzten neun Monate. An sich, so beteuerte er heuchlerisch, sei eine zur Wiederaufrüstung und damit zu Revanche-Ideen führende Entwicklung nicht wünschenswert. Aber sie werde fast automatisch folgen, wenn nicht eine tiefgreifende und vor allem rasche Revision der Versailler Ergebnisse erfolge. „Die Saat des neuen Krieges ist dann sicher, und eine andere Erziehung als die zur Revanche wird es in keinem deutschen Hause geben können." 2 3 ) Das war sein Kontrapunkt zur Weimarer Verfassung! Rohrbach stand mit seiner Taktik im Umkreis der bürgerlich-nationalen Presse nicht allein. Die Forderung, diesen „Schandvertrag" nicht zu unterschreiben,gehörte dort zu den täglichen Pflichtaufgaben. Dreierlei wurde dabei sorgfältig ausgespart: eine Analyse dessen, was Deutschland in diesem Falle zu erwarten hatte; eine Bestandsaufnahme der Möglichkeiten, sich gegen die Repressalien zur Wehr zu setzen; und eine unparteiische Darstellung der Umstände, die zu dieser deutschen Zwangslage geführt hatten. In allen drei Punkten war die Pressepolitik der Regierung und der sie tragenden Parteien ungeschickt. Die oppositionelle Presse konnte merkwürdig unangefochten den Eindruck erwecken, als bestehe eine uneingeschränkte außenpolitische Entscheidungsfreiheit, als habe die Republik nicht den Bankrott des Kaiserreichs zu liquidieren. Obwohl die Zwangslage der Regierung offensichtlich war - die einmütige deutsche Empörung mochte als Druckmittel auf die Pariser Konferenzteilnehmer wirken - wäre gerade angesichts der „rechten" Pressetaktik eine frühere, entschiedenere Haltung besser gewesen, nämlich klarzustellen, daß es keinen Ausweg als die Unterzeichnung gab. Die DDP hat versucht, sich vor den Konsequen-

19) 20) 21) 22) 23)

Die Hilfe. Nr. 26, 1919, S. 323. DPH. 26 vom 27.6.1919, S. 806. DPH. 27 vom 4.7.1919, S. 3/4. DPH. 3 2 v o m 8.8.1919, S. 166. DP H. 30 vom 25.7.1919, S. 99.

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zen dieser Einsicht zu drücken. Regierungsaustritt und Wiedereintritt am 3. Oktober 1919 waren eine Farce und erweckten Zweifel an ihrem demokratischen Verantwortungsbewußtsein. 24 ) Die Kritik an Versailles erzwang aber weitere Stellungnahmen. Man konnte die Republik für den Versailler Vertrag verantwortlich machen und mit dem zweiten auch das erste ablehnen. Das war die Haltung der entschieden restaurativen Rechtsopposition. Man konnte Versailles als die selbstverschuldete Katastrophe des Kaiserreichs darstellen, die aufzufangen die bittere Startbedingung der Republik gewesen sei, wie es die Linkspresse tat. Man konnte aber auch behaupten, Versailles sei „in gewissem Sinne" unvermeidlich gewesen, aber die republikbejahenden Parteien hätten zuwenig getan, vor der Unterschrift die nationalen Interessen Deutschlands zu verfechten und nach der Unterzeichnung die Revision des Vertrags zu betreiben. Dies wurde die Haltung der von uns als distanziert bezeichneten Provinzpresse, die bereits ab 1919 deutlich zu erkennen ist, sich aber nicht voll ausbildete, weil wirtschaftliche Schwierigkeiten und Inflation breite Breschen in den deutschen Blätterwald schlugen. Erst nach der Konsolidierung schlug sie voll durch. Diese Auffassung legte der Republik sozusagen als Bewährungsprobe die Liquidierung des Versailler Vertrags auf. Das war - gemessen an demokratisch-parlamentarischen Spielregeln - „unfair", weil die Protagonisten dieser These sehr wohl die Schwierigkeiten der Revision kannten. Wichtiger, weil folgenreicher war das dabei mitschwingende Urteil, erst danach habe sich die Republik im Sinne der Staatsräson würdig bewiesen. Die Chance, die man ihr einräumen wollte, bedeutete so schließlich nichts anderes als das Verlangen an die Republik, Kriterien des Kaiserreiches zu genügen. Rohrbach ist ein typischer Vertreter dieser Haltung. Schon 1919 verstieg er sich zu der Behauptung, dem deutschen Volk mangele es im Gegensatz zu den anderen Nationen an nationaler Gesinnung. Damit fehle eine wichtige Voraussetzung für die parlamentarische Demokratie: das gegenseitige Vertrauen politischer Gegner, auch die andere Seite habe nur das 'Wohl des Ganzen' im Auge. 2 5 ) Daß er damit postulierte, nur die nationale Seite verfüge über den rechten Begriff vom Wohl des Ganzen und nur ihr Begriff sei richtig, blieb ihm wie den meisten „distanzierten" Publizisten nicht verborgen. Erstaunlich bleibt dagegen, daß sich die republikanischen Parteien weitgehend dieser Bewährungsprobe unterwerfen ließen: Ihre Presse versuchte in den kritischen Jahren 1919 bis 1923, die „rechten" Vorwürfe zu widerlegen statt eigene, republik- gemäße Maßstäbe aufzustellen und zu verteidigen. Sie focht aus der Defensive statt die im Prozeß der öffentlichen Meinungsbildung so wichtige Offensive zu übernehmen.

24) Das hat als erstes Blatt die „Frankfurter Zeitung" erkannt, die nach dem Oktober 1919 allmählich von der Partei abrückte. Vgl. Frankfurter Zeitung Nr. 331 vom 6.5.1921. 25) DP H. 29 vom 23.5.1919, S. 64.

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2.1.3 Völkerbund und Reparationen Da sich die zu Kriegsende an den Völkerbund geknüpften hochgespannten Erwartungen nicht erfüllt hatten, schloß sich Rohrbach den Worten des Prinzen Max von Baden an: Für seine Generation sei der Völkerbund t o t ! 1 ) Ein Bund im Zusammenhang mit den alliierten Absichten könne nur der Galgen sein, „um die deutsche Zukunft daran zu henken." 2 ) Daß Wilson trotz der angeblichen Diskrepanz zu seinen ersten Vorstellungen auf der Verwirklichung bestand, wollte Rohrbach nicht verwundern, flössen doch hier nach seiner Auffassung ideelle Motive und amerikanische Vorteile aufs günstigste z u s a m m e n . 3 ) So warnte er mit einigem Recht, man dürfe von einem deutschen Beitritt - selbst wenn Frankreich ihn zulasse 4 ) - keine direkten Erleichterungen erhoffen. Die moralische Isolierung Deutschlands werde auch im Völkerbunde andauern. Eigentlich lag es nahe, bei seiner These von der „moralischen Offensive" eine Bereitschaft zum Beitritt zu erwarten, um innerhalb des Bundes der 'Verfemung' entgegenzuwirken. Aber daran hinderte ihn nicht nur sein Grundsatz „Alles oder Nichts", sondern auch sein Politik-Verständnis: Die Genfer Tagungen waren für ihn „Possen", die zur moralischen Bemäntelung der ansonsten unveränderten Machtpolitik dienten. 5 ) Merkwürdig bleibt allerdings, warum er bis in die Mitte der 20er Jahre nie gefragt hat, welche Gründe die Nationen zu diesem 'Theaterspiel' veranlaßten. Die im Völkerbund zum Ausdruck kommende Macht der öffentlichen Meinung erkannte er ebenso wenig wie die damit gebotenen Möglichkeiten. Immerhin ließ er sich stets eine Hintertür offen: Deutschland habe in d i e s e m Bunde nichts zu suchen; 6 ) erst nach einer grundlegenden Änderung der Bundesstruktur, die den französischen Verzicht auf Hegemonie bedeuten müsse, sei an einen Beitritt zu denken. Wesentlich engagierter zeigte er sich bei der Behandlung der Reparationsfrage. 7 ) Im 'Vorfrieden', der Lansing-Note vom 5. November 1918, war nur von Wiederherstellung die Rede gewesen; der Friedensvertrag sah praktisch einen Ersatz der alliierten Kriegskosten vor. Erste Munition für den allgemeinen Kampf gegen diese Ausweitung lieferte der englische Wirtschaftstheoretiker John M. Keynes, dessen Buch „Die wirtschaftlichen Folgen des Friedensvertrages" 8 ) Rohrbach ausführlich besprach. Er überspitzte dabei Keynes' These, daß die Abgliederung größerer Ge-

1) 2) 3) 4) 5) 6) 7) 8)

DPH. 9 vom 28.2.1919, S. 263. DP H. 14 vom 4.4.1919, S. 422. Die Hilfe, Nr. 5, 1919, S. 56. DPH. 33 vom 15.8.1919, S. 195 ff. DPH. 1 vom 1.1.1921, S. 3. ebda, S. 4. Eine alle Aspekte bündelnde Arbeit über die Reparationen steht noch aus; außer Ronde, Schwabe, Link und Felix wurde für die Brüning-Zeit W.J. Heibich, Die Reparationen in der Ära Brüning, Berlin 1962, herangezogen. Deutsch München/Leipzig 1920 - DP H. 6 vom 6.2.1920, S. 172 ff.

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biete u n d die Belastung d u r c h e i n e n K r i e g s k o s t e n - E r s a t z die d e u t s c h e V o l k s w i r t s c h a f t l ä h m e n w e r d e . In R o h r b a c h s D i k t i o n h i e ß das, d a ß R a c h e u n d H a b g i e r - G e bietsverluste u n d Reparationen - unvereinbare Widerspruche darstellten. Für viel w i c h t i g e r e r a c h t e t e e r d e n p o l i t i s c h e n A s p e k t d e r 1 9 2 0 b e g i n n e n d e n Rep a r a t i o n s - K o n f e r e n z e n . Die d a r a n g e k n ü p f t e n S p e k u l a t i o n e n k a m e n gleich bei d e r K o m m e n t i e r u n g der K o n f e r e n z von San R e m o (April 1 9 2 0 ) z u m A u s d r u c k . Im R u h r g e b i e t h a t t e sich a u s d e m G e n e r a l s t r e i k a n l ä ß l i c h d e s K a p p - P u t s c h e s e i n e r o t e A r m e e gebildet, zu deren B e k ä m p f u n g R e i c h s w e h r eingesetzt w u r d e . F r a n k r e i c h n a h m die V e r l e t z u n g d e r n e u t r a l e n r e c h t s r h e i n i s c h e n Z o n e z u m A n l a ß , d a s G e b i e t u m F r a n k f u r t u n d D a r m s t a d t als S a n k t i o n z u b e s e t z e n , w o g e g e n E n g l a n d a m 8. April 1 9 2 0 p r o t e s t i e r t e . R o h r b a c h s p r a c h dieser A k t i o n j e d e D e u t s c h f r e u n d l i c h k e i t a b . Sie sei a u s rein e g o i s t i s c h e n G r ü n d e n e r f o l g t , u m F r a n k r e i c h z u d ä m p f e n u n d z u d e m ü t i g e n , d a m i t L o n d o n s e i n e A s i e n - , s p e z i e l l s e i n e N a h o s t - P o l i t i k volle n d e n k ö n n e . 9 ) Die a u f g e t r e t e n e V e r s t i m m u n g s o l l e in S a n R e m o b e i g e l e g t w e r d e n : teils a u f K o s t e n D e u t s c h l a n d s . 1 0 ) teils d u r c h I n t e r e s s e n k o m p e n s a t i o n i m Nah e n O s t e n . 1 1 ) In S a n R e m o w e r d e also, w i e e r v o r a u s s a g t e , d e r a l t e e n g l i s c h - f r a n z ö s i s c h e G e g e n s a t z d e u t l i c h zu T a g e t r e t e n . D e n n in V e r f o l g s e i n e r k l a s s i s c h e n „ b a l a n c e - o f - p o w e r - P o l i t i k " m ü ß t e L o n d o n sich e i g e n t l i c h g e g e n d i e e u r o p ä i s c h e H e g e m o n i a l - M a c h t . F r a n k r e i c h , w e n d e n . Die d a n a c h logische e n g l i s c h - d e u t s c h e Koalition s c h e i t e r t e n a c h R o h r b a c h s A n s i c h t an den n o c h b e s t e h e n d e n p s y c h o l o g i s c h e n H e m m n i s s e n u n d d a r a n , d a ß E n g l a n d in u n b e g r e i f l i c h e r V e r b l e n d u n g F r a n k r e i c h so s t a r k w e r d e n ließ, d a ß es i h m m i l i t ä r i s c h a u s g e l i e f e r t w a r u n d v o n Paris s o g a r in den Kolonien, seinem Lebensnerv, e r n s t h a f t b e d r o h t w u r d e . 1 2 ) Energische Emanz i p a t i o n s - A k t i o n e n v e r b o t e n sich also v o r e r s t . A u s dieser K o n s t e l l a t i o n g l a u b t e R o h r b a c h auf die k ü n f t i g e R e p a r a t i o n s - E n t w i c k l u n g s c h l i e ß e n zu k ö n n e n : w ä h r e n d F r a n k r e i c h a u f völlige Z e r s t ö r u n g D e u t s c h l a n d s a u s g i n g , m u ß t e E n g l a n d d e n k ü n f t i g e n P a r t n e r lebensfähig halten. Diese klare F r o n t s t e l l u n g w u r d e d a d u r c h k o m p l i z i e r t , d a ß E n g l a n d a u c h a u f d e u t s c h e Z a h l u n g e n a n g e w i e s e n w a r , u m sich w i r t s c h a f t l i c h , dann militärisch und schließlich politisch von d e r französischen B e v o r m u n d u n g lösen zu k ö n n e n . N a c h R o h r b a c h s A u f f a s s u n g t r a f es sich für L o n d o n g l ü c k l i c h , d a ß F r a n k r e i c h m e h r a u f S i c h e r h e i t in E u r o p a d e n n a u f V e r g r ö ß e r u n g s e i n e s k o l o n i a len B e s i t z e s b e d a c h t sei. D a r a u f z i e l e n d e W ü n s c h e w ü r d e L o n d o n i m m e r m i t K o n z e s s i o n e n in d e r B e h a n d l u n g D e u t s c h l a n d s a b w e h r e n k ö n n e n , w o b e i e s im englis c h e n I n t e r e s s e liege, d i e s e m e h r a u f d e n f i n a n z i e l l e n - v o r ü b e r g e h e n d e n - B e r e i c h d e n n auf territoriale Ä n d e r u n g e n , also d a u e r n d e S c h w ä c h u n g , a b z u l e n k e n . Er zog d a r a u s d e n S c h l u ß , d a ß D e u t s c h l a n d in a l l e n S a n k t i o n s - u n d S t r a f f r a g e n m i t d e m G e g e n s a t z , in allen F i n a n z f r a g e n m i t d e r E i n m ü t i g k e i t d e r A l l i i e r t e n z u r e c h n e n

9) 10) 11) 12) 132

DP H. 16 vom 16.4.1920, S. 449. DP H. 17 vom 23.4.1920, S. 481. ebda, S. 483. Die Woche, 24. Jg. 1922, Nr. 38, S. 891/92.

habe, wobei es sich empfehle, England zu unterstützen. 1 2 3 ) Aus eben dieser Schlußfolgerung heraus glaubte er aber nicht, daß es in „Finanzfragen" zu echten Verhandlungen mit Deutschland kommen werde, sondern daß man stets nach den „weltpolitischen Hintergründen" solcher Reparations-Konferenzen suchen müsse. 1 3 ) Weitergehende Hoffnungen auf eine europäische Gesundung, wie sie etwa vor der Konferenz von Spa (Juli 1920) propagiert wurden, wies er mit der polemischen Frage nach den Gründen eines solchen Optimismus z u r ü c k . 1 4 ) Was in Versailles nicht gelungen war, mochte bei den Reparationsverhandlungen glücken: durch energischen Widerstand die gegnerische Front aufzubrechen. Sostellte Rohrbach, gestützt auf Keynes, eine Rechnung über die „vernünftigerweise" zu leistenden deutschen Zahlungen auf. Belgien habe 500 Millionen Pfund zu erhalten, womit die deutschen Requisitionen, aber auch die belgischen Kriegskosten gedeckt wären. 1 5 ) Frankreichs Ansprüche bezifferte er auf 16 Milliarden Goldmark. 16 ) England würde rund 11 Milliarden, die übrigen Alliierten und Assoziierten rund 5 Milliarden entschädigungspflichtiger Verluste nachweisen können. Damit hätte Deutschland etwa 42 Milliarden zu zahlen, und einer deutschen Regierung , „die ihrer Aufgabe gewachsen ist", sollte es nicht schwerfallen, mit diesem Zahlen und Faktenmaterial „einen eindrucksvollen Feldzug in diesem Sinne zu f ü h r e n . " 1 7 ) Dieser Seitenhieb galt der Sozialdemokratie, die mit Hermann Müller im Mai 1920 noch den Reichskanzler stellte, der bis zum 12. April das Äußere verwaltet hatte. Dann übernahm Adolf Köster das Auswärtige Amt, und Rohrbach stieß den heuchlerischen Seufzer aus: „Man braucht nicht daran zu verzweifeln, daß wir wieder eine gute Leitung unserer auswärtigen Politik bekommen können . . . Herr Müller war Parteisekretär und ist jetzt Reichskanzler; Herr Dr. Köster war Journalist und zuletzt Staatskommissar von Schleswig-Holstein." 18 ) Die eigentliche Infamie, die von den konservativen Blättern Berlins beifällig zitiert wurde, lag in dem anschließenden Gedankengang. Die SPD beanspruche als stärkste Partei, den Außenminister zu stellen. Aber dieses Amt dürfe nicht nach parteipolitischen, sondern nur nach nationalen Gesichtspunkten besetzt werden. „Denn eine auswärtige Politik, die nicht von der entscheidenden Mehrheit der Nation als eine n a t i o n a l e Politik anerkannt wird, ist von vornherein zur Erfolglosigkeit verdammt", und sei es nur, weil ihr der Nachwuchs fehle, wenn sie „vom Mißtrauen oder der pessimistischen Gleichgültigkeit des größten Teils unserer nationalen Bildungsschicht verfolgt sein wird." 12a) Eine Taktik, die auch Rathenau verfolgte und die o f f e n b a r berechtigt war - vgl. Felix, & 105 ff. 13) DP H. 18 vom 30.4.1920, S. 513. 14) DP H. 20 vom 14.5.1920, S. 580. 15) Die er Belgien wegen des „ U n r e c h t s " der deutschen Invasion ersetzen wollte! 16) Dagegen h a b e der R e f e r e n t der französischen Budgetkommission Dubois 52 Milliarden, der Wiederaufbauminister L o u c h c u r 6 0 Milliarden und der Finanzminister Klotz sogar 107 Milliarden errechnet. 17) a.a.O., S. 5 8 3 . 18) DP H. 17 vom 2 3 . 4 . 1 9 2 0 , S. 4 8 4 .

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Doch mit diesem Boykott-Aufruf verfing er sich in selbst gelegten Schlingen. Nachdem er noch einmal mit deutlicher Frontstellung gegen die SPD davor gewarnt hatte, „Spa als Quelle der deutschen Gesundung mit voreiligen Erwartungen zu bekränzen" 1 9 ) - und die Verschiebung des Konferenz-Termines deute ja auf harte interalliierte Auseinandersetzungen zu Ungunsten Deutschlands 2 0 ) -, erlitt die Weimarer Koalition in den Reichstagswahlen vom 6. Juni 1920 eine Niederlage. Nach langen Verhandlungen wurde ein bürgerliches Minderheits-Kabinett gebildet, das nun den von Rohrbach nie bezweifelten Fehlschlag der Konferenz zu tragen hatte. Zwar versuchte er mehrfach, USPD und SPD nachträglich für diese „Weichenstellung" verantwortlich zu machen, 2 1 ) aber dies enthob ihn nicht der Entscheidung, ob er die bürgerliche Regierung schonen oder ebenfalls angreifen sollte. Er zögerte 14 Tage, hielt sich bei dem Wort des Staatssekretärs Albert auf, Spa sei ein neues Versailles gewesen 2 2 ) und kritisierte die Berichterstattung der deutschen Presse, speziell der „Vossischen Zeitung". 2 3 ) Erst nach drei Wochen hatte er sich entschlossen. Mit einer entschiedenen Wendung gegen die Regierung und alle „Illusions-Optimisten" warf er den amtlichen Stellen vor, Spa sei keineswegs richtig vorbereitet gewesen. Man habe versäumt, „enge Fühlung zwischen der deutschen und der englischen Arbeiterschaft" herzustellen, um in einer Aufklärungs-Aktion drei wichtige, der Weltöffentlichkeit weithin unbekannte Tatsachen richtig zu stellen: die wirtschaftliche Lage Deutschlands, den unlösbaren Zusammenhang zwischen deutscher und europäischer Gesundung und die alliierte Verantwortlichkeit für den Krieg! 2 4 ) Auf den Gang der Verhandlungen ging er nicht ein! So verschwieg er auch, daß Spa sich weniger mit Fragen der Reparationen als der Abrüstung befaßt hatte; er unterschlug ebenfalls, daß das Reparationsproblem auf einen späteren Zeitpunkt vertagt worden war und daß diese geplante, aber nicht zustande gekommene Konferenz von Genf die wesentlich günstigeren deutschen Vorstellungen zur Grundlage nehmen wollte. In Spa war außer der nicht völlig geklärten Frage deutscher Kohlenlieferungen im wesentlichen nur über die deutsche Abrüstung definitiv entschieden worden - eine Tatsache, die er genau erkannte. Daß die Alliierten auf dem ersten Treffen mit der deutschen Regierung nach Versailles Reparationen in den Vordergrund schoben, aber Abrüstungsfragen wirklich behandelten, faszinierte und bestärkte ihn gleichzeitig in seiner These: Frankreich, dem augenblicklich weit stärkeren Entente-Partner, war mehr an deutscher Schwäche als an deutschen Zahlungen gelegen. So kritisierte er unvermittelt die Haltung Berlins in dem russisch-pol-

19) 20) 21) 22) 23) 24)

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DP DP DP DP DP DP

H. H. H. H. H. H.

21 26 27 29 30 32

vom vom vom vom vom vom

21.5.1920, S. 610. 25.6.1920, S. 769. 2.7.1920, S. 3.9. 16.7.1920, S. 65. 23.7.1920, S. 97. 6.8.1920, S. 163.

nischen Krieg; die deutsche Neutralität sei zwar an sich richtig, es fehle aber ein regierungsoffizieller Hinweis auf den „absolut antidemokratischen Charakter des bolschewistischen Regimes". Berlin müsse Moskau dazu bewegen, eine wirklich freie Abstimmung aller Minderheiten darüber zuzulassen, ob sie weiterhin im Verband der Sowjetunion verbleiben wollten. „Das wäre gute, kluge und ehrliche Politik, und zugleich eine Politik, mit der Deutschland wieder ein Stück moralischer Führung in der Welt an sich nähme."") Hinter dieser Argumentation verbargen sich zwei Vorstellungs-Komplexe. Einmal der - schon zu Beginn des Weltkrieges - widerlegte Gedanke, Deutschland sei berufen, den kleineren Nationen bei der Ausprägung ihrer Individualität gegenüber den Großmächten beizustehen. 2 6 ) Zum anderen gedachte er mit seiner Forderung nach aktiver Ostpolitik,27) die er zu heftigen Angriffen auf die „tatenlose Reichsregierung" b e n u t z t e , 2 8 ) den Verfechtern einer nach Osten orientierten Außenpolitik das Wasser abzugraben. Denn die im polnisch-russischen Krieg sichtbar gewordene Schwäche der Sowjetunion 2 9 ) bewies nach seiner Ansicht, daß solche Ostspekulationen auf Sand gebaut waren. Rohrbachs Vorstellung zielte auf Zerstörung Rußlands, um die deutsche Politik umso eindeutiger auf eine Westorientierung festzulegen, und zwar auf das Bündnis mit England. War erst einmal Rußland zerstört und der Kranz der russischen Randstaaten durch Abkommen mit Deutschland verbunden, dann war Polen neutralisiert, der französische Partner im Osten in Schach gehalten und der Rücken frei zur Revision - mit England gegen Frankreich. Die Wirklichkeit sprach gegen solche Träume. So sah sich Rohrbach zu der Behauptung gezwungen, mit der gegenwärtigen englischen Parlamentsmehrheit und Regierung sei eine Revision sicherlich ausgeschlossen; 30 ) aber es bilde sich eine Opposition Empire-bewußter Politiker heraus, die - wenn auch keineswegs aus Deutschfreundlichkeit - um den „moralischen Kredit" Britanniens besorgt sei, ohne den das Reich nicht zusammengehalten werden könne. Auf diese k o m m e n d e Regierung müsse Berlin bauen und alle Worte und Taten daraufhin prüfen, „ob sie geeignet sind, den zu erwartenden Umschwung in England mit zu f ö r d e r n . " 3 1 ) Außer diesem Programm, das eine gefährliche Einmischung in die englische Innenpolitik im-

25) 26)

ebda, S. 166. Ludwig Dehio, Deutschland und die Weltpolitik im 20. Jahrhundert, München 1955, S. 71 ff., bes. S. 87/88. 27) DP H. 35 vom 27.8.1920, S. 259 ff. 28) DP H. 33 vom 13.8.1920, S. 198. 29) Rohrbach hatte die militätische Stärke der Sowjetunion nie hoch veranschlagt (Heidelberger Tageblatt Nr. 48 vom 26.2.1920) und sah sich darin durch die polnischen Gegenschläge bestätigt (Heidelberger Tageblatt Nr. 197 vom 26.8.1920), meinte aber auch, Polen sei schwächer als es den Anschein habe - DP H. 36 vom 3.9.1920, S. 291 ff. 30) DP H. 35 vom 27.8.1920, S. 259. 31) ebda, S. 260.

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plizierte, hatte Rohrbach in der zweiten Jahreshälfte 1920 keinen Ausweg anzubieten. Er bereitete sich offensichtlich auf eine Katastrophen-Politik größten Ausmaßes vor. Bei gelegentlichen Hoffnungsschimmern - so etwa anläßlich der Brüsseler Tagung der Völkerbund-Finanzkommission vom 14. September bis 8. Oktob e r 3 2 ) - dämpfte er energisch. „Für absehbare (und das heißt für recht lange) Zeit" habe Deutschland nichts Gutes zu e r w a r t e n . 3 3 ) „Frankreichs Z i e l " 3 4 ) heiße immer noch: Zerstörung Deutschlands - wie dürfe man da von Verhandlungen etwas Positives erhoffen? 3 S )-Als die Dezemberkonferenz von Brüssel für Deutschland unerwartet gute Bedingungen erkennen ließ, 3 6 ) war er sofort mit der Behauptung zu Stelle, Paris sammele jetzt nur „moralisches Kapital", um im entscheidenden! Moment Unterstützung für seine Vergewaltigungs-Politik zu f i n d e n . 3 7 ) Aber hinter diesem Pessimismus stand weniger Einsicht als Absicht: „Es scheint auch kaum ein anderes Mittel zu geben, bei uns im Innern die moralisch-politischen Voraussetzungen für den Wiederaufstieg zu schaffen, als daß es den Franzosen glückt, den Zwangsfrieden zu einer 'restlosen' Zwangserziehung für unser Volk zu machen. Im besetzten Gebiet ist schon einiger Erfolg zu spüren. Das genügt aber n i c h t . " 3 8 ) An diesem Gedanken hielt er die folgenden Monate fest: Nationale Sammlung auf der Basis des Hasses gegen den „Erbfeind". Seine düsteren Prognosen 3 9 ) wurden durch die Pariser Konferenz vom 24. - 29. Januar 1921 bestätigt. Ohne Hinzuziehung Deutschlands wurde eine Summe von 226 Milliarden Goldmark, zahlbar in 42 Jahresraten, neben anderen Belastungen festgesetzt 4 0 ) und in ultimativer Form präsentiert. Verglichen mit dem empörten Nein der deutschen Presse nahm sich Rohrbachs Kommentar sehr kühl aus: Man habe wohl kaum einen Grund, besonders unglücklich zu tun - ganz im Gegenteil könne die Krise, die jetzt komme, verbunden mit einer „scharfen, schweren und akuten Steigerung der nationalen Not", Deutschland endlich zur Gesundung führen. „Wir müssen nur die Zähne zusammenbeißen und w o l l e n . " 4 I ) Jetzt sei noch einmal die im Juni 1919 verspielte Chan-

32) DPH. 40 vom 1.10.1920, S. 418. 33) DPH. 44 vom 29.10.1920, S. 523. 34) So der Titel des Aufsatzes, der in der französischen Presse lebhaft diskutiert wurde. 35) ebda, S. 527. 36) Vgl. Ronde, a.a.O., S. 41. 37) DPH. 2 vom 7.1.1921. 38) DPH. 44 vom 29.10.1920, S. 523. 39) In denen der durch den Sturz des Kabinetts Leygucs und das erste (Nachkriegs-) Kabinett Briand, dem er in Erinnerung an Kriegszeiten sofort „ehrlose und törichte" Motive wie unehrenhafte und unehrliche Argumente unterschob, bestätigt wurde - DP H.5 vom 29.1.1921, S. 104. 40) Für 42 Jahre eine Abgabe von 12% der deutschen Ausfuhr, auf etwa 1,5-2 Milliarden Goldmark berechnet. Die Zahlen und "Fristen verstießen in mehreren Punkten gegen den Versailler Vertrag, was von Rohrbach stark betont wurde. 4 1 ) D P H . 7 vom 11.2.1921, S. 147.

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ce geboten - Weigerung um jeden Preis. Natürlich werde Frankreich marschieren und Deutschland ruinieren. Aber wo nichts sei, könne dann auch Paris nichts mehr holen, und damit habe sich das Problem der Reparationsforderungen von selbst erledigt. 42 ) Rohrbach ließ keinen Zweifel, daß er eine Zeit größter Not erwartete. Aber wenn durch die Phase der Katastrophe eine innenpolitische Einheitsfront Zustandekommen sollte, so wünschte er doch nicht, daß sie der Republik nutzen sollte. Im Februar 1921 hielt der Außenminister Simons - von Rohrbach mehr skeptisch als wohlwollend begrüßt 43 ) - in Stuttgart eine vielbeachtete Rede, in der er u.a. sagte, kein Politiker und keine Partei könne es wagen, ein 42jähriges Fron- und Sklavendasein für das deutsche Volk zu akzeptieren. Rohrbach fertigte den Minister recht kühl ab: Zwar treffe zu, was Simons gesagt habe; man könne auf der bevorstehenden Londoner Konferenz nicht mit einem alliierten Entgegenkommen rechnen. Denn letztlich sei die Haltung der Gegenseite von der Überzeugung einer Alleinschuld Deutschlands am Weltkrieg bestimmt. „Diesen Kampf um die Wahrheit durchzufechten wird uns nicht erspart bleiben." 4 4 ) Alles andere sei unnütze Spiegelfechterei - genau das, was die Republik bis jetzt immer betrieben habe. Bezeichnenderweise unterdrückte er den Passus der Rede, in dem Simons erklärt hatte, Deutschland werde eher ungerechtfertigte Diktate annehmen als Verpflichtungen unterzeichnen, die es beim besten Willen nicht erfüllen könne. 4 5 ) Sein Artikel ließ erkennen, daß er an deutsche Weigerung weder glaubte noch sie wirklich wünschte. Das erste hätte für seinen Realismus gesprochen; aber das zweite zeigte seine wahre Absicht: kein „nationales Zusammenrücken" unter republikanischen Vorzeichen, sondern Diskreditierung der die Republik tragenden Parteien und Errichtung einer „nationalen Front" ohne die Weimarer Parteien. Rohrbach vermied allerdings in diesen Wochen, den letzten Schritt zu tun und die Überwindung der parlamentarischen Demokratie durch seine Front oder seinen nach dem Führerprinzip organisierten Bund 4 6 ) zu propagieren. In den Jahren 1929/30 gestand er ein, daß drei Gründe für diese Zurückhaltung maßgeblich waren: 1. Prinz Max von Baden versagte sich diesen Plänen - er sollte jener „Führer" werden. 2. Die Gefolgschaft war zu klein. 3. Rohrbach gelang es nicht, Parlamentarier und Funktionäre der Rechtsparteien für seine Pläne zu gewinnen. 4 7 ) Die Londoner Konferenz 48 ) war Höhe- und Endpunkt seiner Kritik um jeden Preis. Der englische Premier Lloyd George hatte in einer Rede vom 3. März 1921 diedeut-

42) 43) 44) 45) 46) 47) 48)

ebda, S. 151. DPH. 37 vom 10.9.1920,S. 330. D P H . 9 v o m 26.2.1921, S. 198. Ronde, a.a.O., S. 43. s.S. 120 f. Rohrbach an Schacht vom 4.1.1931 - Nachl. Schacht. 1. - 7.3.1921. Kurzer und zahlenreicher Überblick bei Horkenbach, S. 123/24, Ronde S. 43/44 und 50-52 sowie Felix, p. 8 ff.

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sehen Gegenvorschläge ultimativ zurückgewiesen und den Artikel 231 des Versailler Vertrages zur Grundlage aller deutschen Zahlungen erklärt. Voller Triumph konnte Rohrbach jetzt auf die Bedeutung der versäumten „moralischen Offensive" hinweisen. 49 ) Eine Woche später rechnete er auch mit Simons endgültig ab. An die Kritik anknüpfend, die sich der Außenminister im Reichstag gefallen lassen mußte, erklärte er voller Hohn, Simons sei ja in London bei seinem Nein verblieben, „nachdem er - vergeblich - so weit in seinen Anerbietungen gegangen war, daß uns nachträglich beinahe ein Schreck bei dem Gedanken faßt, die Feinde hätten sich damit als befriedigt erklären können und wir wären dann gebunden gewesen, das Angebot einzulösen." 50 ) Es habe nie Aussicht bestanden, „mit den Feinden ein Abkommen zu schließen, bei dem Deutschlands Lebensfähigkeit erhalten blieb." s l ) Die Hoffnung auf soviel Vernunft sei der Kardinalfehler der deutschen Politik gewesen. Rohrbachs publizistische Stärke lag in der untrennbaren Mischung von Richtigem und Tendenziösem. Richtig war, daß die deutsche Delegation in London psychologisch ungeschickt taktierte, als sie auf die bombastische Zahl von 226 Milliarden ein Angebot von rund 30 Milliarden folgen ließ. Sachlich war es nicht falsch: der Jetztwert der auf 42 Annuitäten verteilten alliierten Forderung machte, bei der zugestandenen Rückdiskontierung von 8 Prozent, etwa 53 Milliarden aus. Diese Zahl nahm die deutsche Seite als Endsumme, zog davon die mit rund 20 Milliarden berechneten Sachlieferungen 52 ) ab und wollte die verbleibenden rund 30 Milliarden möglichst schnell tilgen, zunächst durch eine internationale Anleihe von 8 Milliarden und dann durch jährliche Zahlungen von einer Milliarde Goldmark, auf die weitere Sachlieferungen angerechnet werden sollten. Das Vorgehen der Deutschen in London ließ nun den Eindruck entstehen, Deutschland biete auf 226 ganze 30 Milliarden an, für die, wie sich gerade die Londoner „Times" erboste, das Ausland erst einmal das Geld geben mußte. Anstatt nun diesen psychologischen Fehler anzuprangern, aber das ausgewogene deutsche Programm zu verteidigen, warf Rohrbach alles in einen Topf: Sein zweiter Vorwurf, bei dem er sich der Zustimmung des größten Teils seiner Leserschaft sicher sein konnte,richtete sich gegen die Art, wie Simons der Feststellung Lloyd Georges' entgegengetreten war, Deutschlands alleinige Verantwortung für den Weltkrieg stehe aufgrund des Versailler Vertrags fest. S 3 ) Simons habe bedeutend weniger gesagt als er konn49) 50) 51) 52)

53)

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DP H. 11 vom 12.3.1921, S. 242 ff. DP H. 12 vom 19.3.1921, S. 267. ebda, S. 268. Auch in der Bewertung der Lieferungen gingen die deutsche und alliierte Meinung weit auseinander. So hatte Deutschland nach seiner Berechnung bis zum 31.8.1924 für 14,9 Milliarden Sachleistungen erbracht, die die Alliierten nur mit 6,5 Milliarden bewerteten. Die Differenz zwischen der deutschen und der alliierten Berechnung aller Leistungen bis zu diesem Termin betrug 16 797,7 Millionen GM - nach Ronde, S. 110/111. DP H. 12 vom 19.3.1921, S. 269.

te, und auf jeden Fall weniger als er sollte. Warum - fragte Rohrbach provozierend griff er nicht an, als feststand, daß mit Schonung und Diplomatie nichts zu gewinnen war? S 4 ) Im Kontext des bis jetzt zu Recht kritisierten Verhaltens der deutschen Delegation gewann diese Frage auf den ersten Blick eine Berechtigung - und genau dahin wünschte Rohrbach seine Leser zu führen. Daß eine „harte" Haltung die Tür zu weiteren Verhandlungen zuschlagen und auch eine harte Reaktion der Gegenseite provozieren konnte, unterschlug er geflissentlich. Jedem kritischen Leser war natürlich klar, wohin seine Vorstellungen fuhren mußten - aber an diese Leser wendete er sich eben nicht. Er, ein total unsentimentaler und rationaler Schreiber, weckte bewußt Emotionen und schlug damit der eigenen Behauptung ins Gesicht, als „weitläufiger" und kenntnisreicher Kommentator zur kritischen Urteilsfindung des Publikums beizutragen. Auch die folgenden Artikel waren Stimmungsmache im übelsten Sinne des Wort e s . " ) Als die deutsche Regierung um einen amerikanischen Schiedsspruch nachsuchte, stimmte Rohrbach zu - weil hier doch ein Ansatzpunkt für die „moralische Offensive" geboten werde. 56 ) Das streng diplomatische Vorgehen Berlins fand dann seine heftige Kritik, 57 ) und nach der Zurückweisung der beiden deutschen Vermittlungsersuchen und der Demission des Kabinetts Fehrenbach höhnte er offen: „Wir fürchten, es bleibt kaum noch ein Zweifel, daß Herr Dr. Simons wirklich in der Vorstellung nach London gegangen ist, es könnte deutsche Zugeständnisse geben, die beides vereinigten: Möglichkeit der Leistung seitens Deutschlands und Möglichkeit zur Befriedigung für die Entente." 5 8 ) Seine wahren Absichten zeigten sich unverhüllt in seiner Bemerkung zu dem deutschen Angebot, die alliierten Schulden an die USA zu übernehmen: „Herr Dr. Simons hat durch ein verzweifeltes, aber in der Sache nicht tadelnswertes Mittel versucht, die amerikanische Intervention herbeizufuhren. Unzulässig waren bei seinem Schritt die Worte 'im Namen des deutschen Volkes' . . . "59) „Nach der Unterschrift" 6 0 ) zog er noch einmal ein Fazit der Lage. Es habe sich immer klarer herausgestellt, daß der Hauptfehler im Sommer 1919 begangen worden sei: „Es wird heute wohl nicht mehr viel politisch zurechnungsfähige Leute in Deutschland geben, die behaupten, die Unterschrift unter den Frieden von Versailles sei das richtige gewesen." 6 1 ) Der Hauptgrund, der uns zur Unterschrift unter

54) 55) 56) 57) 58) 59) 60) 61)

ebda, S. 271. DP H. 13 vom DP H. 17 vom DP H. 18 vom DP H. 19 vom ebda, S. 438. DP H. 21 vom ebda, S. 483.

26.3.1921, S. 291. 23.4.1921, S. 390. 30.4.1921, S. 409/10. 7.5.1921, S. 435. 21.5.1921.

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das Londoner Ultimatum zwang, lag jedoch in der „Gegnerschaft der öffentlichen Meinung der ganzen Welt." In der mangelnden Sympathie für Deutschland zeige sich der zweite Fehler: die fehlende moralische Offensive gegen die Schuldlüge, so daß das Londoner Ultimatum nur die „unvermeidliche Frucht unseres Nichtstuns" darstelle. 6 2 ) Die Unterschrift in London habe nichts geändert: Briand konnte bei der Diskussion der Londoner Verhandlungen sein Vertrauensvotum in der Kammer nur durch die Feststellung bekommen, auch nach London besitze Frankreich bei einer Verletzung dieses doch unmöglich zu erfüllenden Abkommens volle Handlungsfreiheit. 6 3 ) Seit dem November 1918 habe die Republik nichts für die Verbesserung der deutschen Lage getan, aber sich immer zwingen lassen, alle Belastungen der Zukunft auch noch durch Unterschrift zu besiegeln! Den grundlegenden Fehler, der diesem 'publizistischen Harakiri' 6 4 ) zugrunde lag, hat Rohrbach bei einer Neuherausgabe seines Erfolgstitels „Deutschland unter den Weltvölkern" 6 5 ) formuliert. Ziel des Buches war es, durch Verarbeitung aller erreichbaren Unterlagen zur Vorkriegsgeschichte die Kriegsschuldlüge zu zerstören und die Revision einzuleiten: „ Erst dahinter gibt es wieder eine deutsche Zuk u n f t . " 6 6 ) Hier zeigt sich in aller Schärfe die unheilvolle Wirkung des Artikels 231, der Rohrbach - und mit ihm viele Publizisten - hinderte, den eigentlichen Grund der Notlage, die deutsche Niederlage, anzuerkennen. Vor der „ S c h m a c h " einer von den Alliierten nicht beabsichtigten moralischen Verurteilung 6 7 ) verblaßten die Tatsachen zu unwichtigen Schemen. Es entsprach der Gedankenwelt eines im Grunde politikfernen Moralisten,anzunehmen, Grundlage des Versailler Vertrages sei die moralische Schuldsprechung; es entsprach ferner der Naivität jener Moralisten, von ihrem Widerruf die Beseitigung der angeblich darauf fußenden Belastungen zu erwarten. Es verriet zudem eine geradezu groteske Blindheit, diesen Gedankengang öffentlich zu propagieren und dann von den Kriegsgegnern zu erwarten, daß sie auf dieses Spiel eingehen würden. Diese Blindheit gegenüber der Realität war auch die Voraussetzung des Rohrbachschen außenpolitischen Programmes, das unbeschadet aller Zick-Zack-Linien die deutsch-englische Verständigung anstrebte. 6 8 ) Aus der Zurückweisung der englischen Angebote in den Jahren 1899 bis 1901 erklärte er die zum Weltkrieg füh62) 63) 64) 65) 66) 67)

ebda, S. 486. D P H . 23 vom 4.6.1921, S. 532. Vgl. auch Heuss, Erinnerungen, S. 300. 5. A u a Stuttgart 1921. So im Vorwort, S. 5. Vgl. Fr. Dickmann, Die Kriegsschuldfrage auf der Friedenskonferenz von Paris 1919, HZ 197, 1963, S. 1 ff. 68) Auch Zimmermann - Deutsche Außenpolitik in der Ära der Weimarer Republik, Göttingen u.a. 1958, S. 77 - urteilt, daß das deutsch-englische Verhältnis „die Dominante" der deutschen Nachkriegspolitik war, obschon die Annäherung an England in der Rückschau als ein Wagnis oder eine Rechnung mit unbekannten Größen bezeichnet werden muß; „denn die Lage, in die Großbritannien durch den Sieg versetzt worden war, wurde weder diesseits noch jenseits des Kanals richtig verstanden."

140

rende europäische G e s c h i c h t e ; 6 9 ) nach Beseitigung der deutschen maritimen Bedroh u n g Englands wollte er keinen H i n d e r u n g s g r u n d für die n u n a k u t e Allianz erkennen. In u n g e b r o c h e n e r K o n t i n u i t ä t seiner Vorstellungen aus der letzten Vorkriegszeit v e r w a r f er e n t s c h i e d e n die d e u t s c h e O s t o r i e n t i e r u n g 7 0 ) u n d k o n s t r u i e r t e erneute Bedrohungen Englands durch Frankreichs „europäische H e g e m o n i e " und die k o m m u n i s t i s c h e P r o p a g a n d a in I n d i e n . 7 1 ) Wider alle V e r n u n f t h o f f t e er bis zur L o n d o n e r K o n f e r e n z auf ein englisches Z e i c h e n . Erst dann gestand er sich ein, d a ß D e u t s c h l a n d auf J a h r e h i n a u s m i t innen- u n d a u ß e n p o l i t i s c h e n SouveränitätsBeschränkungen rechnen müsse - wenn es nicht gelang, Bundesgenossen gegen „Versailles" zu finden.

2.2

Auf der Suche nach Bundesgenossen

2.2.1

In

Südamerika

Die V e r b i t t e r u n g über die v e r l o r e n e W e l t m a c h t s t e l l u n g b e s t i m m t e d e n T e n o r seiner V o r t r ä g e u n d Artikel in A m e r i k a : 1 ) „ D e r F r i e d e n von Versailles ä u ß e r t die üblen W i r k u n g e n , die j e d e r b e s o n n e n e M e n s c h vorausgesehen h a t , v o m K a p Horn bis zu d e n Kanarischen S e e n . " 2 ) U n b e d e n k l i c h f ü h r t e er alle Schwierigkeiten, die sich aus d e r U m s t e l l u n g v o n der Kriegs- z u r F r i e d e n s w i r t s c h a f t e r g a b e n , a u f d e n Vertrag z u r ü c k . Sein G e d a n k e war, Berlin a u f eine S a m m l u n g d e r d u r c h d e n Krieg geschädigten Länder Südamerikas zu verweisen - stets begleitet von d e m schadenf r o h - h ä m i s c h e n , a b e r sachlich n i c h t völlig a b w e g i g e n H i n w e i s , d a ß D e u t s c h l a n d z u r E r f ü l l u n g seiner R e p a r a t i o n s v e r p f l i c h t u n g e n o h n e h i n i i i n d 7 0 P r o z e n t d e s W e l t m a r k t e s - g e m e s s e n an V o r k r i e g s m a ß s t ä b e n - e r o b e r n m ü s s e . 3 ) Einen Wandel ließen seine Ä u ß e r u n g e n z u r I n n e n p o l i t i k e r k e n n e n , w e n n auch bei d e m geringen journalistischen Niveau der meisten Blätter - die Zeitungen in Buenos Aires ausgenommen 1 ») - bei der Bewertung seiner Aussagen Vorsicht geboten scheint.

69)

Und zwar so „vollständig", „wie das, abgesehen von der Frage des persönlichen Elements in der Politik, die zur Geschichte wird, überhaupt möglich ist." DP H. 46 vom 12.11.1920, S. 578. 70) D P H . 47 vom 19.11.1920, S. 595 ff. 71) Vgl. S. 155 f. 159. 1) In Deutschland erschienen sie in der „Deutschen Allgemeinen Zeitung", „Kölnischen Zeitung" und im „Heidelberger Tageblatt", ferner in der Illustrierten „Über Land und Meer" (64. Jg. 1921-22, Nr. 17.20.29.34). 2) Heidelberger Tageblatt Nr. 83 vom 7.4.1922. 3) Deutsche La Plata-Zeitung Nr. 239 vom 12.10.1921. 4) Dafür waren dort die Fronten zwischen Monarchisten und Republikanern besonders starr ausgebildet - G. Henle, Weggenossen des Jahrhunderts, Stuttgart 1968, S. 25. 141

Dennoch stimmen sie in mehreren Punkten überein: Rohrbach gab sich zurückhaltend, wollte eine gewisse Verbesserung der „inneren Lage" Deutschlands erkennen und verbreitete einen gedämpften (Zweck-) Optimismus. 5 ) Alle Zeitungen erkannten seine ruhige, jeden „engherzigen Parteistandpunkt" vermeidende Vortragsweise an. 6 ) Diese Beurteilung traf aus der Sicht der überwiegend konservativen Blätter zu. Tatsächlich aber setzte er seine - um Nuancen gemäßigtere - Diffamierung der Linksparteien fort. Nach seiner These kam der Novemberrevolution eine „einzigartige Bedeutung" zu, weil sie die „erste Umwälzung sei, die ausgesprochenermaßen sozialpolitischen Charakter trage und neben einer Änderung der Staatsform auch die Heraufführung neuer gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Zustände bezweckt habe.'"?) Von den Ereignissen überrascht, hätten die sozialistischen Führer allerdings versagt und damit ihre Pläne für absehbare Zeit preisgegeben. Einzelerfolge seien zwar errungen worden; 8 ) im großen und ganzen hätte sich aber das alte Sozialgefüge wieder eingependelt. Im Zeichen dieser Beruhigung mehrten sich die Anzeichen, daß der deutsche Arbeiter wieder ein „positiveres", nicht mehr allein auf Angebot und Nachfrage basierendes Verhältnis zu seiner Arbeit gewinne. Dieser Aspekt und die Hoffnung, daß die auf Deutschland lastenden Verpflichtungen alle dem „nationalen Gefühl heute noch entfremdeten Teile der deutschen Arbeiterschaft" zur Besinnung bringen werde, ließen erwarten, daß die „innerpolitische nationale Einheitsfront in einigen Jahren hergestellt werden könne." 9 ) Mit dieser Einheitsfront besäße Deutschland wieder die Möglichkeit außenpolitischer Aktivität. Allerdings wollte Rohrbach zwei Einschränkungen machen, die er aber - ganz im Sinne der nationalen Sammlungspolitik - nicht aus möglichen innerdeutschen Entwicklungen, sondern aus den wirtschaftlichen Folgen der Reparationen herleitete: der Lebensstandard des Arbeiters und die Existenz des Mittelstandes müßten erhalten werden. Sollte die Einsicht der Entente, der Deutschland völlig ausgeliefert sei, nicht ausreichen - und Rohrbach erwartete die Zahlungseinstellung des Reiches spätestens 1922/23 - dann werde die Arbeiterschaft nach links abwandern und im Mittelstand „fraglos" ein Anwachsen der monarchischen Stimmung folgen.'0) In diesem Zusammenhang kam er auf die Frage „Monarchie oder Republik" zu sprechen, die er nur im Rahmen der Gesamtentwicklung behandelt sehen wollte, „Formaldemokratie" und Verherrlichung der Monarchie lehnte er gleichermaßen ab. Ungeachtet persönlicher Einstellung gelte es, vor dem düsteren Hintergrund der wirtschaftlichen Entwicklung die Republik zu erhalten und den Bürgerkrieg 5) 6) 7) 8) 9) 10)

142

Deutsche Post (Sao Leopoldo, Brasilien) Nr. 5539 vom 25.8.1921. Blumenauer Zeitung Nr. 60 vom 4.8.1921. Deutsche La Plata-Zeitung Nr. 233 vom 5.10.1921. Deutsche Post Nr. 5543 vom 30.8.1921. Deutsche La Plata-Zeitung Nr. 244 vom 18.10.1921. ebda, Nr. 233 vom 5.10.1921.

zu vermeiden, der bei einem Restaurationsversuch unvermeidlich ausbrechen werde. Den Monarchisten hielt er vor, daß die Republik zwar an sich nichts positiveres sei, daß aber die „moralischen Eroberungen" des Kaiserreiches minimal gewesen seien und das System durch den Krieg alles Ansehen verloren habe. Da abei; wie ausgeführt, die innerpolitische Entwicklung weitgehend eine Funktion der Außenpolitik sein werde, spreche angesichts der republikanischen Staatsformen der Alliierten alles für eine Beibehaltung der Republik. 1 1 ) Denn ob Gesinnungsmonarchist oder -republikaner: alle Wünsche hätten vor der Aufgabe zurückzutreten, durch Zerstörung der Kriegsschuldlüge den Versailler Vertrag abzubauen, um Deutschlands Wiederaufstieg zu ermöglichen. Jeder innerpolitische Streit tue dieser „bitteren Notwendigkeit" schlimmsten Abbruch. Aufs Ganze gesehen war Rohrbach mehr an den außenpolitischen Aspekten des von ihm skizzierten Zustandes interessiert. Aber er bemühte sich, die noch nicht überwundenen inneren Gegensätze hervorzuheben, die sich zur Zeit in einem labilen Gleichgewicht neutralisierten. Jede Störung, ja schon massive Zweifel an der Haltbarkeit der gegenwärtigen Zustände mochten eine Krise auslösen, die nur durch die Besinnung auf die außenpolitische Hauptaufgabe, die moralische Offensive und die Revision, vermieden werden konnte. Auf dem für ihn .jungfräulichen" publizistischen Feld Südamerika fand Rohrbach Gelegenheit, von seiner bisherigen Haltung in einem wichtigen Punkt abzurücken; von der unbedingten Kritik an der Republik. Ober sie nach gelungener Revision noch gutheißen werde, ließ er nicht durchblicken.

2.2.2

,,Moralische Offensive" in den USA

Während der ersten Amerika-Reise war es Rohrbach gelungen, mit rechtsgerichteten deutsch-amerikanischen Publizisten Beziehungen anzuknüpfen. Er folgte ihrem Wunsch, für eine weitere Vortragsreise in die Staaten zu kommen; das Auswärtige Amt lehnte aus diesem Grund ein Empfehlungsschreiben ab und forderte die Konsulate auf, umgehend Bericht über seine Tätigkeit zu erstatten. 1 )Vorerst schienen die Befürchtungen grundlos; Rohrbach äußerte sich bei seiner Ankunft in New York recht allgemein Uber die deutsche Notlage, weigerte sich aber, „politische Fragen zu diskutieren" - er wolle „hier lediglich wirtschaftliche Fragen besprechen". 2 ) Noch am Ankunftstag traf er mit Botschafter Wiedfeldt zusammen,

11) Argentinisches Tageblatt vom 28.9.1921. 1) Auswärtiges Amt an die Deutsche Botschaft Washington vom 4.12.1922 - PAdAA, Akten der Deutschen Botschaft Washington Nr. 470/1: Dr. Paul Rohrbach 1922-1931 - im folgenden zit. als Akte Rohrbach. Erstaunlicherweise wurde Rohrbach wenig später aufgefordert, dem neugegründeten Kulturbeirat des Auswärtigen Amtes beizutreten - Rohrbach an das Auswärtige Amt vom 15.1.1923-a.a.O. 2) New Yorker Staats-Zeitung vom 15.12.1922.

143

der ihn bat, „sich politisch möglichst zurückhaltend zu ä u ß e r n " und auf keinen Fall „Propaganda" zu betreiben. 3 ) Wiedfeldt gab zu, daß das „Feld der Aufklärung in den Vereinigten Staaten noch ein ungeheuer großes"sei, wehrte sich aber dagegen, die Zurückhaltung der USA in der Reparations- und Ruhrfrage auf mangelnde Beeinflussung der öffentlichen Meinung zurückzuführen. Außer sachlicher, im Ton zurückhaltender Information und - gelegentlicher - Richtigstellung krasser Falschmeldungen ließe sich wenig tun; dennoch kämen schon Klagen über deutsche Propaganda. 4 ) Ähnlich äußerte sich der Botschafter gegenüber R o h r b a c h . s ) Er lehnte eine Einflußnahme nicht grundsätzlich ab, meinte aber, sie müsse in Deutschland erfolg e n 6 ) und die amerikanischen Korrespondenten erreichen. Rohrbach spürte das von amtlicher deutscher Seite berechtigte - Mißtrauen, 7 ) war aber trotzdem gewillt, die „Offensive" in dem Land aufzunehmen, das nach seiner Auffassungjetzt für die weitere politische Entwicklung Europas entscheidend war. Daß er die Warnungen Wiedfeldts in den Wind schlug, lag in seinem Amerika-Bild begründet. Aus einem übertriebenen Nationalstolz heraus, der deutliche kulturchauvinistische Züge trug, 8 ) verachtete er im Grunde die Nordamerikaner, die er als oberflächlich, amoralisch, ungeistig und unpolitisch einschätzte. 9 ) Den amerikanischen „way of life" verurteilte er mit den engstirnigen Moralanschauungen des vorigen Jahrhunderts. Gewisse positive Eigenschaften wie Beweglichkeit, Erfindungsreichtum und Zähigkeit billigte er dem Amerikaner z u , 1 0 ) konnte und wollte ihn aber nicht als politisch mündigen Bürger a n e r k e n n e n . " ) Er zeichnete bewußt ein Zerrbild Amerikas 1 2 ) und scheute dabei vor Verfälschungen nicht zurück. 1 3 ) Auf der anderen Seite wußte er, daß ohne amerikanisches Eingreifen die europäische Lage nicht zu Gunsten Deutschlands verändert werden konnte. Unfähig, die andersgeartete Mentalität der Amerikaner ernst zu nehmen, 1 4 ) meinte er, sie mit einer Propagan3) 4) 5) 6) 7) 8) 9) 10) 11) 12) 13) 14)

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Wiedfeldt (Bericht K Nr. 1230 vom 2 8 . 1 2 . 1 9 2 2 ) an das AA - PAdAA, Vereinigte Staaten von Amerika, Pol 26, Bd 3. Bericht K Nr. 2 6 9 v o m 1 5 . 3 . 1 9 2 3 - P A d A A , P 16, Vereinigte S t a a t e n v o n A m e r i k a , Bd 2, Bl. 0 1 4 - 0 1 6 . Wiedfeldt an Rohrbach vom 23.2.1923. Durchschlag als Anlage zum Bericht K Nr. 176 vom 2 6 . 2 . 1 9 2 3 - PAdAA, Vereinigte Staaten von Nordamerika, Pol 26, Bd 3. Das war auch R o h r b a c h s Meinung - Schreiben an Wiedfeldt aus Los Angeles vom 9.2. 1923 (PAdAA, A k t e R o h r b a c h ) . Dafür gibt es sprechende Zeugnisse - vgl. den Bericht des New Yorker Generalkonsuls Lang vom 2 . 1 . 1 9 2 3 - P A d A A , Vereinigte Staaten von Nordamerika, Pol 26, Bd 3. Die „New York Times" (vom 29.7.1923) sammelte die 'schönsten Blüten' zu einem Artikel. Dazu sein Buch „Amerika und wir", Berlin 1926. Kölnische Zeitung Nr. 6 2 9 vom 9 . 9 . 1 9 2 3 . Buchwalds BeurteUung (a.a.O., S. 5 9 . 1 0 4 ) ist n o c h recht s c h m e i c h e l h a f t ausgefallen. Deutsche Allgemeine Z e i t u n g Nr. 201 v o m 9 . 9 . 1 9 2 3 . Kölnische Z e i t u n g Nr. 6 4 7 a v o m 1 6 . 9 . 1 9 2 3 . Buchwald (a.a.O., S. 133) bringt ein besonders sprechendes Beispiel. Magdeburgische Zeitung Nr. 275 v o m 1.6.1924.

da-Aklion überfahren zu können. Denn: „Der Amerikaner ist an sich wenig widerstandsfähig gegen Propaganda, und die amerikanische Frau ist es am wenigsten", und wer die Amerikanerin überzeuge, habe gewonnenes Spiel. 1 5 ) Dieses Moment der Geringschätzung gerade gegenüber der wichtigsten, weil am leichtesten ansprechbaren Schicht der liberalen Intelligenz 1 6 ) mußte die deutsche Diplomatie um jeden Preis vermeiden. Rohrbach scheiterte auf der ganzen Linie. Vorträge vor deutschamerikanischen Kreisen riefen kaum Widerhall, Vorträge vor rein amerikanischem Publikum meist ein unfreundliches Echo hervor. Nur in kleineren Kreisen, die durch wirtschaftliche Interessen mit Deutschland verbunden waren, konnte er positive Wirkungen erzielen. 1 7 ) Einen Achtungserfolg errang er mit der Einladung zu einem Vortrag über Deutschlands Wirtschaftslage auf der Jahrestagung der „American Academy of Political and Social Science* im Mai 1923 in Philadelphia. 1 8 ) Wiedfeldt bemerkte dazu, man dürfe diese Tagungen nicht überbewerten; „aber sie sind von Interesse, weil ihr Verlauf meist symptomatisch ist für die politische Stimmung, welche in diesen amerikanischen Kreisen h e r r s c h t . " 1 9 ) Also konzentrierte sich Rohrbach rasch auf amerikanische Wirtschaftskreise. 2 0 ) Die vor 1914 negative deutsche Handelsbilanz - so führte er aus - sei durch Erträge des Auslandskapitals und der Seeschiffahrt zu einer leicht positiven Zahlungsbilanz umgewandelt worden. Versailles nahm nun Deutschland ein Zehntel seines Gebietes, darunter zwei agrarisch wertvolle Provinzen. Ohne Einfuhr von Kunstdünger und Viehfutter könne das Reich heute nur knapp zwei Drittel seines Vorkriegsergebnisses erwirtschaften. Ferner gingen zwei Drittel der Eisenerz- und ein Drittel der Kohlenvorräte verloren; bei abgesunkener Förderung müsse Berlin heute Kohlen importieren, um seinen Verpflichtungen aus dem Friedensvertrag nachzukommen. Die deutsche Industrie sei durch den Krieg schwer angeschlagen und erzeuge kaum 6 0 Prozent des Vorkriegsstandes, so daß trotz aller persönlichen Einschränkungen - die aus psychologischen wie physischen Gründen nicht weiter getrieben werden könnten - das Außenhandelsdefizit noch 1,5 bis 2 Milliarden betrage. Die einzige Alternative sei Hilfe des Auslandes oder die Notenpresse. Die

15) 16)

Kölnische Zeitung Nr. 629 vom 9.9.1923. Vgl. E. Lindemann, Versailles-Deutschland im Spiegel der liberalen Intelligenz der Vereinigten Staaten von Amerika. Heidelberg, Phil. Diss. Masch. 1952. 17) Telegramm Wiedfeldts vom 5.3.1923 - PAdAA, a.a.O. 18) Bericht des New Yorker Generalkonsulats J 6 2 3 / 4 8 vom 17.5.1923. - PAdAA, a.a.O. Vgl. Handschrift, S. 273. 19) Bericht K Nr. 528 vom 23.5.1923 - PAdAA, a.a.O. 20) Eine verkürzte Wiedergabe bietet der Artikel aus der „New York Times" vom 1.1.1923, der im folgenden zitiert wird. Dieser war ursprünglich ein Privatbrief Rohrbachs an Sir Edgar Speyer, den dieser übersetzte und an die „ T i m e s " schickte. Später erweiterte Rohrbach ihn um einen zweiten Teil zu einer Broschüre: Letter from Dr. Paul Rohrbach Ph. D. Th. Lie., Member of the Sociological Council of the Foreign Office, Berlin; Former Professor of the Commercial University to Sir Edgar Speyer, New York.

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Zahlungsbilanz könne überhaupt nur ausgeglichen werden, wenn Deutschland zukünftig genügend Lebensmittel, Kohle und Erz „within the borders of its own country" finde. Bei weiterem Import von Vieh, Viehfutter und Kunstdünger zur Sanierung des kriegsgeschädigten Landwirtschaft und bei weiterer Einschränkung könne vielleicht in Jahren eine gewisse Autarkie erreicht werden. Natürlich werde auch die deutsche Bevölkerung ihren Teil zur Meisterung der Krise beitragen, z.B. die Arbeitszeit wieder verlängern. „This last step, too, is indispensable and the German workmen, who still passionately cling to the eight-hour day as the chief gain from the revolution will be ready to work longer hours when they see that there is a serious scheme on foot supporting from outside of generally helping Germany . . . " Die deutschen Verhältnisse könnten weder sozialistisch im Sinne des Wortes genannt werden, noch tendierten sie dahin. Der Wunsch nach Kohle und Erz überwiege alles andere; verständlich, wenn man bedenke, daß auch in diesem Winter wieder Tausende von Kindern, Kranken und Alten an Unterernährung und Kälte sterben würden! Auf die Mentalität des wirtschaftlich halbgebildeten Durchschnitts-Amerikaners war dieser Vortrag hervorragend zugeschnitten. Er deutete Opferbereitschaft und Arbeitswillen an, enthielt einen kräftigen Schuß Sentimentalität, zollte dem amerikanischen Antisozialismus Tribut und bot ein vereinfachtes Bild der Wirtschaft, das sich auf die Formel bringen ließ: „Ohne Brennstoff läuft der beste Motor nicht." Gegen weitergehende Beachtung sprach die - wirtschaftlich zudem irrig begründete - Revisionsforderung; ferner konnte die hier dargestellte Primitiv-Autarkie der amerikanischen Exportindustrie wohl kaum Anreiz bieten, sich für Deutschland einzusetzen. Allerdings fand Rohrbach neben Kritik unbestreitbar auch Zustimmung, 21 ) aus der er bestimmte Schlüsse zog. 2 2 ) Er empfahl nun eine Propaganda-Aktion, die zwar äußerlich durch seine eigenen Erfahrungen modifiziert schien, 2 3 ) im Prinzip aber doch auf eine „moralische Offensive" hinauslief, die auf zwei Wegen erfolgen sollte. Einmal mußte die amerikanische Wirtschaft mit zuverlässigen Zahlen versorgt und über die politischen Implikationen der

21)

Deutsches Generalkonsulat San Francisco an die Deutsche Botschaft vom 27.2.1923 - PAdAA, Akte Rohrbach. 22) Dieser Bericht „Zwei amerikanische Fragen. 1. Die deutsch-amerikanische Hilfe für Deutschland. 2. Eine amerikanische Aufklärungsfrage" wurde durch Jaeckh, Ebert und v. Rosenberg übermittelt - PAdAA, Vereinigte Staaten von Amerika, Pol 26, Bd 3. 23) Dazu auch: Rohrbach an v. Rosenberg vom 10.7.1923 - PAdAA, Akte Rohrbach.

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deutschen Finanzen und Wirtschaft informiert werden. 24 ) Zum anderen müsse Berlin regierungsamtlich Propaganda treiben: Nur so gelange aufklärendes Material in die amerikanische Presse; was den Charakter einer „Volksbewegung" trage, könne in den Staaten auf Interesse rechnen. 25 ) Die richtigen Leute - Reichspräsident, Kanzler und Außenminister - müßten „zur richtigen Zeit am richtigen Ort die richtigen Worte sprechen!" 26 ) Das nichtssagende Programm ist vor dem Hintergrund der französischen Ruhrbesetzung zu sehen. Rohrbach glaubte 1923 fest, Washingtons Passivität sei einzig auf mangelnde deutsche Propaganda zurückzuführen. In einem Resumee27)schrieb er dem Außenminister v. Rosenberg, er habe aus „sicherer Quelle" erfahren, Präsident Hoover wolle erst helfend eingreifen, wenn die Not in Deutschland sichtbar zunähme: „Einstweilen habe er diese Überzeugung noch nicht." 28 ) Er - Rohrbach - könne zudem bestätigen, daß das amerikanische Urteil über Deutschland immer noch sehr „durchschnittlich" sei; 29 ) man betrachte hier die Deutschen keineswegs als seinesgleichen, glaube vielmehr, das Reich „stelle sich tot", um den Folgen des „vereitelten Verbrechens gegen die Menschheit" zu entgehen - ein Argument, mit dem die französische Propaganda konsequent und wirksam arbeite. 30 ) Von deutscher Seite fehle es an Regie, so daß allgemein der Eindruck entstehen konnte, es sei schon nicht so schlimm und verlohne keine Aufregung. 31 ) Gegen solche Stim-

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Diesen Teil der Aufgabe wollte Rohrbach selbst Ubernehmen. Er ließ eine politische Skizze drucken: „Schlüssel der Zeit. Materialien zur Weltlage" (Königstein/Taunus: Langewiesche o.J. (1923). Ihr folgten ab Mitte 1923 Informationshefte im Taschenformat „Reports from Germany" mit jeweils 24-36 Seiten. Ihre Finanzierung bleibt dunkel; zum Teil unterstützte das Auswärtige Amt das Unternehmen. Nach Rohrbach (Familiengeschichte, S. 442) haben die amerikanischen Empfänger das Geld gegeben; keiner der angesprochenen Amerikaner, denen für die freundliche Überlassung des Materials gedankt sei, kann sich an eine Bezahlung erinnern. Von den Reports sind wahrscheinlich nur 6 Stück erschienen. Rohrbach an v. Rosenberg - a.a.O., S. 9. Handschrift, S. 271. Schreiben Rohrbachs vom 20.7.1923 - PAdAA, P 16, Vereinigte Staaten von Amerika, Bd 2, pag. 137-144. pag. 137. pag.138. Nach Rohrbach war die öffentliche Meinung der USA von drei Dingen überzeugt: 1. Mafigebend sind in Deutschland die grofiiindustrieUen Magnaten. Die Regierung hat ihre Wünsche auszuführen; einen eigenen Willen besitzt sie nicht. 2. Der Sturz der Mark ist manipuliert worden. 3. Einen deutschen Volkswillen, mit dem gerechnet werden müsse, gibt es nicht! pag 139. pag.140. Die Franzosen wissen sehr genau, was sie tun, wenn sie konsequent den passiven Widerstand als nicht aus dem Willen der Bevölkerung stammend, sondern als bloße Befolgung eines Regierungsbefehls darstellen. Das ist auch ganz überwiegend die Meinung in Amerika. pag.143.

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mung müsse nun endlich eine deutsche Aktion einsetzen - das alles liege im Bereich des Möglichen und bedürfe nur der „richtig leitenden Initiative." 3 2 ) Wie verärgert Rohrbach darauf reagierte, daß man seinen Vorschlägen keine Beachtung schenkte, bewies er wenig später. Er schickte eine Kopie des obigen Briefes an Stresemann und schrieb, daß er aufgrund zweier Besprechungen mit Ebert und einer mit v. S c h u b e r t 3 3 ) seine Erfahrungen schriftlich niedergelegt habe. „Da die in meinem Schreiben behandelten Fragen auch heute, einen Monat später, noch dieselbe Bedeutung haben und meines Erachtens auch noch in derselben Weise mit Nutzen behandelt werden k ö n n e n , so überwinde ich meine Abneigung gegen persönliches Hervortreten und mein Vorurteil betreffs der durchschnittlichen Nutzlosigkeit derartiger, auf 'bloße Sachkunde' gegründeter Korrespondenzen und überreiche den Brief zu evtl. Kenntnisnahme . . , " 3 4 ) Wenn sich Amerika eines Tages für Europa interessieren werde - so behauptete er wütend - dann bestimmt nicht aufgrund der deutschen Methoden zur Meinungsbeeinflussung, sondern nur wegen der Sorge, das europäische Chaos könne negativ auf England zurückwirken und der englisch-französische Gegensatz an Bedeutung „die in Amerika als ziemlich gleichgültig empfundenen deutschen-französischen Beziehungen mehr und m e h r " überschatten! 3 5 ) Die negativen Erfahrungen der drei Jahre von Mitte 1921 bis Mitte 1924 konnten Rohrbach nicht von seiner Uberzeugung abbringen, daß im Primat der nationalen Außenpolitik der Schlüssel zur Wiederaufrichtung Deutschlands liege. 36 ) Dennoch hatte sich in einem wichtigen Punkt eine Änderung ergeben, die sich im größten Teil der Provinzpresse widerspiegelte, nämlich die Einsicht, daß die außenpolitische Isolation durch eine deutsche Trutz- und Kraftaktion nicht zu durchbrechen war. Wirtschaftskrise, passiver Widerstand, Inflation und linke wie rechte Putschversuche - jene in abgemildeter Form nachgeholte „Katastrophenpolitik", wie er sie in den Jahren 1919/20 propagiert hatte - hatten sich selbst widerlegt. Die nationalen Publizisten bequemten sich zu der Einsicht, daß der Abbau der Versailler Beschränkungen - zumindest vorerst - nur mit den Siegermächten, nicht gegen sie durchge32) 33) 34)

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pag.144. Ministerialdirektor im AA, Leiter der Abteilung III; später Staatssekretär und Botschafter in R o m . Schreiben R o h r b a c h s vom 1 8 . 8 . 1 9 2 3 - PAdAA, P 16, Vereinigte Staaten von Amerika, Bd 2, pag.173. Nicht weniger taktlos zeigte er sich Ende des Jahres, als er dem Reichskanzlei Marx schreibt, er h a b e e r f a h r e n , die Regierung wolle sich in einem Appell an das Ausland wenden. Sein Freund Morel billige diese Absicht und werde bestimmt bei der Abfassung behilflich sein, damit die N o t e im englischsprechenden R a u m auch wirke! - R o h r b a c h an Marx vom 1 5 . 1 2 . 1 9 2 3 - P A d A A , England, Pol 26, Bd 1. So der Inhalt eines u n d a t i e r t e n Artikels „ A m e r i k a und die europäische Lage" in einer nicht näher zu b e s t i m m e n d e n Zeitschrift „ E c h o " . V o r h a n d e n in: P A d A A , P 16, Vereinigte Staaten v. Amerika, Bd 2, pag 130-33. Zitat S. 107 = pag.132. New Y o r k e r Staats-Zeitung v o m 1 5 . 1 2 . 1 9 2 2 . In der R ü c k s c h a u : Westliche Post (St. Louis) v o m 1 2 . 8 . 1 9 3 1 .

setzt werden konnte. Dies bereitete psychologisch-publizistisch den Boden für die Außenpolitik Stresemanns vor, die zwar von der „distanzierten" Provinzpresse nicht völlig akzeptiert, aber doch als möglicher Weg zu den ansonsten unveränderten Zielen beurteilt wurde.

2.3

Die Jahre 1924 - 1927

2.3.1

Reparationsfrage und Londoner

Konferenz

Die lang erwartete Wende kam im Herbst 1923. Die deutsche Inflation hatte ihren Höhepunkt erreicht; das Sinken des Franc-Kurses und eine sich abzeichnende allgemeine Wirtschaftskrise drängten zu einer vernünftigen Regelung des Reparationsproblems. Die USA schlugen im Oktober eine Reparationskonferenz vor, an der sie sich beteiligen wollten. Die Reparationskommission stimmte Ende November 1923 der Bildung zweier Sachverständigen-Ausschüsse z u . 1 ) Noch vor dem Sturz der Regierung Stresemann hatte Rohrbach ein negatives Fazit der Lage gezogen, 2 ) die er von drei Faktoren bestimmt sah: Frankreichs Wunsch nach Zerstörung Deutschlands, Englands Unfähigkeit, sich zu widersetzen, und Amerikas Desinteresse an einem Eingreifen, 3 ) das von Paris psychologisch geschickt und wirkungsvoll genährt werde. 4 ) Trotzdem hatten die USA den langersehnten Schritt getan, der, wie Rohrbach vermutete, vornehmlich aus Gründen wirtschaftlicher Vernunft erfolgt sei. Daher verstärkte er seine im Juli 1923 angelaufene Propaganda-Aktion in den Staaten, 5 ) die nun auch das Interesse des Auswärtigen Amtes f a n d . 6 ) Nach dem amerikanischen Schritt behandelte er vorwiegend wirtschaftliche Themen, 7 ) und da er noch immer glaubte, man könne einen

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7)

Ronde, a.a.O., S. 105. Vgl. Link, a.a.O., S. 201 ff. Allgemeine Zeitung (SWA) Nr. 140 vom 24.11.1923. Kölnische Zeitung Nr. 445 vom 28.6.1923. Allgemeine Zeitung, a.a.O. Die „Reports vom Germany". Zum größten Heft unter dem Titel „Der Dorn im Fleische Europas" (Frankreich) hatte das Auswärtige Amt 1000 M gegeben; von jeder Nummer gingen etwa 800 Stück an 300 deutschamerikanische Adressen mit der Bitte um Weitergabe. Rohrbach an Wiedfeldt aus Philadelphia, 28.2.1924 - PAdAA, Akte Rohrbach. Auch Wiedfeldt war von den Heften angetan: „Ihre kleinen Hefte, 'Reports from Germany' haben mir gefallen, die kleineren noch besser als das dicke . . . Wiedfeldt an Rohrbach vom 3.3.1924 a.a.O. So enthielt z.B. das Heft Nr. 6 vom März 1924 einen Beitrag Rohrbachs „Europa and the English Change of Government" (S. 1-4, in dem er hoffte, die neue Labourregierung werde im eigenen Handelsintcresse der französischen Deutschlandpolitik entgegentreten), von Dr. Brauns (Arbeitminister) „Self-help in Germany" und von Elly HeussKnapp „The Distress and Relief of the Middle Classes."

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Keil zwischen Paris und London treiben, beeilte er sich hinzuzufügen, allein Frankreichs Deutschland-Politik sei ja für Englands wirtschaftliche Schwierigkeiten verantwortlich. 8 ) Glücklicherweise habe aber England durch intensive Luftrüstung gegenüber Frankreich politischen Spielraum gewonnen! 9 ) Dem deutschen Publikum hielt er vor Augen, daß im Augenblick alles vermieden werden müsse, was das neuerwachte Interesse Washingtons abkühlen könne. 1 0 ) Der Dawes-Plan - der seine Korrekturen schon in sich trage • sei nämlich nicht das Ergebnis eines Stimmungsumschwunges! Aber ohne amerikanisches Eingreifen bestehe keine Hoffnung auf Besserung der Lage, „und mit der amerikanischen Psychologie rechnen, heißt in diesem Fall, den Amerikaner, der etwas Bedeutendes für uns getan zu haben glaubt, nicht vor den Kopf stoßen." 1 1 ) Über die Einzelheiten des am 9. April 1924 vorgelegten Sachverständigen-Gutachtens 1 2 ) schwieg er sich aus, meinte aber, es sei im Großen und Ganzen akzeptabel. 1 3 ) Wichtiger schien ihm die sich darin abzeichnende Linie der großen Politik. Der Bericht sei vielsagend und auslegungsfähig; 14 ) als entscheidend betrachtete er, ob sich bei den kommenden Verhandlungen ein englisch-amerikanisches Übergewicht ergeben werde, das fiir Deutschland günstige Bedingungen erwarten lasse, oder ein französisches mit entsprechend ungünstigen Aussichten. Allein davon solle man die Entscheidung abhängig machen. 1 5 ) Die ersten Äußerungen ließen eine verklausulierte Zustimmung erkennen: der Dawes-Plan war der Preis für das lebenswichtige Interesse Washingtons an Europa! 1 6 ) Aber auch die Enttäuschung war unverkennbar. 17 ) Bei seiner Vorstellung von den fließenden Grenzen zwischen Politik und Wirtschaft in den USA hatte er angenommen, ein von den Staaten inspiriertes Abkommen werde den Abbau aller Zahlungen einleiten, um der Wirtschaft unbegrenzte Handlungsfreiheit zu geben. Stattdessen billigte Washington einen Plan, der zwar gewisse französische Aspirationen beseitigte, aber nun auch amerikanische Interessen in den Vordergrund rückte, die von deutschen Zahlungen eine Erstattung der interalliierten Schulden erwarteten, aber eine Koppelung beider Sachbereiche aus taktischen Gründen ablehnten. Immerhin gaben die USA ihre Zurückhaltung auf, und Rohrbach empfahl eine passive Haltung, die Wohlwollende ermuntern und Übelwollende abschrecken sollte. Auf der anderen Seite glaubte er, ein Aufbrechen des französisch-englichen Konfliktes zu erkennen. In Frank-

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Nachrichten (Portland/USA) vom 10.4.1924. California Democrat Nr. 15 vom 13.4.1924. Saarbrücker Zeitung Nr. 142 vom 10.6.1924 Düsseldorfer Nachrichten Nr. 147 vom 20.3.1924. Heidelberger Tageblatt Nr. 127 vom 31.5.1924. Texte: Die Sachverständigen-Gutachten . . . Im Auftr. d. Ausw. Amtes, Berlin 1924. Rohrbach an Wiedfeldt aus Baltimore vom 29.4.1924 - PAdAA, Akte Rohrbach. Saarbrücker Zeitung Nr. 139 vom 6.6.1924. ebda. Allgemeine Zeitung (SWA) Nr. 90 vom 28.7.1924. Kölnische Zeitung Nr. 407 vom 11.6.1924.

reich hatte Poincaré im Mai 1924 eine Wahlniederlage erlitten; aber sein Nachfolger Herriot konnte dennoch kaum seine Regierung mit großen außenpolitischen Zugeständnissen beginnen.'») in England war Baldwin im Frühjahr 1924 mit seinem Versuch gescheitert, das Arbeitslosen-Problem durch Schutzzölle zu lösen. Premierminister MacDonald stand vor derselben Frage, zu deren Lösung er - nach Rohibach - die französische „Vorherrschaft" an Rhein und Ruhr beseitigen mußte. 1 9 ) An diesem Antagonismus werde sich die europäische Politik orientieren. 20 ) Rohrbach sah auch, daß London eher zu Kompromissen als zu einer grundsätzlichen Auseinandersetzung bereit war, 2 1 ) glaubte aber fälschlicherweise, Englands unschlüssige, zwischen Vermittlung und Rückzug vom Kontinent schwankende Haltung sei Folge der militärisch-politisch-wirtschaftlichen Schwäche gegenüber Frankreich. Damit habe auch Berlin keine Möglichkeit, Widerstand gegen finanzielle Forderungen zu leisten - bei denen London und Paris seiner Meinung nach ja konform gingen -, sondern müsse sich darauf beschränken, in allen „politischen Fragen" hart zu bleiben. 22 ) Zwar wäre der Plan zu einem späteren Zeitpunkt sicherlich günstiger ausgefallen; aber eine Ablehnung hätte Deutschland in ein wirtschaftliches, England in ein politisches Chaos gestürzt und den Isolationismus der USA erneut heraufbeschworen; 2 3 ) „Diesen Umschlag hervorzurufen, wäre das Törichtste und Verhängnisvollste, was Deutschland tun könnte." 2 4 ) Der Verlauf des ersten Teils der Londoner K o n f e r e n z " ) bestätigte ihm alle Befürchtungen. Nach langwierigen Verhandlungen wurde der Repko die Möglichkeit eingeräumt, Sanktionen zu fordern. Rohrbach empörte sich über diese englische „Nachgiebigkeit", 2 ^) da der Fortfall des Besetzungsrechtes einer der wesentlichen erhofften politischen Gewinne war. Andererseits dürfe man, so klagte er jetzt, den deutschen Schuldan teil nicht unterdrücken: Bislang habe sich Berlin so aufgeführt, daß der Eindruck „Nach einigen Pressionen unterschreiben die Deutschen alles"

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Siegener Zeitung Nr. 160 von-. 10.7.1924. LaK 1 , 1 9 2 4 . Siegener Zeitung, a.a.O. Eine große Rolle nahm in Rohrbachs Überlegungen der sog. Dariac-Report ein. Dariac, Vorsitzender des Finanzausschusses der französischen Kammer, hatte nach einer Besichtigungsreise in einem geheimen Memorandum praktisch die völlige Eingliederung der deutschen Wirtschaft gefordert. Dieser Bericht wurde am 2.11.1922 und 5.3.1923 im „Manchester Guardian" veröffentlicht. Vgl. Zimmermann, Außenpolitik, S. 135, Fußnote. Düsseldorfer Nachrichten Nr. 357 vom 16.7.1924. Siegener Zeitung Nr. 167 vom 18.7.1924. Der Terminus vom „Isolationismus der USA" war derzeit weitverbreitet; Link weist nach, daß davon seit 1921 keine Rede mehr sein konnte. Vgl. dazu auch die Link-Rezension von Andreas Hillgruber in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung" Nr. 131 vom 9.6.1971. Allgemeine Zeitung (SWA) Nr. 90 vom 28.7.1924. Vom 16.7. bis 2.8.1924. Deutschland nahm daran nicht teil, sondern wurde erst zum zweiten TeU (5.8. - 30.8.1924) eingeladen. Dazu Link, S. 283 ff. Saarbrücker Zeitung Nr. 185 vom 24.7.1924.

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zu Recht bestelle. Diese Überzeugung müsse die Reichsregierang jetzt widerlegen. 2 7 ) In Wirklichkeit hatte er vorschnell geurteilt. Bis zum 31. Juli wurde von englischer und amerikanischer Seite um ein Sanktionsrecht gestritten. Rohrbachs Spott „Die Amerikaner sind Frankreich gegenüber englischer geworden als der englische Premier" verrieten Ignoranz 2 8 ) und eine unangebrachte Überheblichkeit. 2 9 ) Trotzdem empfahl er eine Annahme des Dawes-Planes in der Hoffnung, für die „ohnehin unvermeidbaren" wirtschaftlichen Zugestandnisse eine „gewisse politische Bewegungsfreiheit" wiederzugewinnen. 3 0 ) Mit dieser Formel schien er auf den Stresemannschen Kurs eingeschwenkt zu sein. Obwohl er in den nächsten Monaten tatsächlich seine harten Forderungen allmählich preisgab, lag dem ein gefährliches Mißverständnis zugrunde: Rohrbach unterschätzte, wie die meisten nationalen Publizisten, die Bedeutung der „nur wirtschaftlichen" Verpflichtungen und überschätzte die deutsche Leistungsfähigkeit. Er übersah zugleich, daß ein deutscher Vertragsbruch in der immer noch angespannten Atmosphäre einen schwerwiegenden Rückschlag provozieren mußte. Wie wenig er den wirtschaftlich-finanziellen Hintergrund beachtete, zeigte seine Prognose für den zweiten Teil der Londoner Konferenz. Ein Scheitern sei jetzt unmöglich; Frankreich und Belgien brauchten Geld, England Aktionsfreiheit und die USA nach ihrem Engagement einen Prestigeerfolg. 3 1 ) Gerade deswegen könne und müsse jetzt die deutsche Delegation von den Finanz- auf die politischen Fragen (Räumung von Rhein und Ruhr) überlenken. 3 2 ) Und als die Konferenz an der französischen Weigerung zu scheitern drohte, das Ruhrgebiet sofort zu räumen, forderte Rohrbach offen den Abbruch: Die Schuld daran werde den unbelehrbaren Franzosen zufall e n ! 3 3 ) Marx und Stresemann handelten dagegen einen Kompromiß aus, der eine baldige Räumung sicherstellte. 3 4 ) Rohrbachs Kommentar war ein einziger Wutausbruch! Wieder habe Berlin nicht den Mut zum Nein gefunden; dem winzigen materiellen Gewinn gegenüber sei Skepsis angebracht; moralisch sei alles verloren. 3 5 ) Alle Erleichterungen hingen von der loyalen Vertragserfüllung der Gegenseite ab und könnten schon deswegen nicht als Fortschritt bezeichnet werden(!) 3 6 ) Insgesamt müßten die wenigen, „von gewissen deutschen Kreisen hochgelobte(n)" Ergebnisse doch wohl beträchtlich korrigiert werden. 3 7 ) 27) 28) 29) 30) 31) 32) 33) 34) 35) 36) 37)

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Siegcner Zeitung Nr. 172 vom 24.7.1924. Saarbrücker Zeitung Nr. 192 vom 31.7.1924. LaK4, 1924. Saarbrückcr Zeitung Nr. 199 vom 7.8.1924. Charles Dawes war Kandidat für den Posten des amerikanischen Vizepräsidenten. Saarbrücker Zeitung, a.a.O. Heidelberger Tageblatt Nr. 190 vom 16.8.1924. Vgl. dazu das Amtliche Deutsche Weißbuch über die gesamten Verhandlungen der Londoner Konferenz. Berlin 1925. „Ohne Herriots persönliche Ehre in Zweifel zu ziehen, kann man doch nur sagen: Die französische Unterschrift als solche bedeutet wenig!" Heidelberger Tageblatt, a.a.O. LaK 8, 1924. LaK 7, 1924.

Will man seine Aussagen vor und nach der Konferenz auf einen Nenner bringen, bleibt nur die Erklärung, daß er auf eine englisch-amerikanisch-deutsche Koalition gegen Frankreich gehofft hatte - mit anderen Worten, daß London die deutsche Gleichberechtigung bringen werde. Obwohl der Schock der Fehlprognose heilsam war - Rohrbach lernte die Reparationsfrage als eigenständiges politisches Problem zu würdigen -, wollte er nicht gänzlich auf seine Theorie verzichten. London war für Frankreich doch das Ende jener Formel „Le Boche payera t o u t ! " 3 8 ) In einem größeren Rahmen stellte er die Konferenz als Ergebnis eines englischfranzösischen Konfliktes dar,3') wobei London mit amerikanischer RUckendekkung Frankreich zurückdrängte, damit eine Vertrauenskrise in Paris auslöste, als der französische Sparer die Rückzahlung seiner Kriegsanleihe verloren gehen sah, 4 0 ) und mit dem danach sinkenden Franc ein Mittel in die Hand bekam, Frankreich auf einen vernünftigen Kurs zu zwingen: eine deutsche Aktivität hatte es in dieser Frage und auf dieser Konferenz nicht gegeben! 4 !)

2.3.2

Der Völkerbund und die Konferenz von Locarno

Es dauerte noch fast ein Jahr, bis sich Rohrbach anläßlich der Locarno-Konferenz ausdrücklich für Stresemanns Politik erklärte. Seine schwankende Haltung wird bei dem nächsten, nach London akut werdenden Problemkreis deutlich: dem deutschen Beitritt zum Völkerbund. Grundsätzlich hielt er an seiner früheren Auffassung fest: Genf war die moralisch aufgeputzte Version reiner Machtpolitik; 1 ) für Deutschland waren weder die „moralischen Vorbedingungen" erfüllt noch die Zeit reif, bei diesem Theater mitzuwirken. 2 ) Der Bund war so sehr Garant des Versailler Systems, daß ein deutscher Beitritt mit der freiwilligen Anerkennung der im Versailler Vertrag verankerten Satzung ausgeschlossen sein m u ß t e . 3 ) Ein Beitritt ohne offizielle Zurückweisung der Kriegsschuldlüge, 4 ) ohne Wiedergutmachung des Unrechts in Oberschlesien und Eupen-Malmedy, ohne Rückgabe der Kolonien 5 ) war in Rohrbachs Augen unmöglich. Außerdem sei es doch so, „daß nicht wir den Völkerbund brauchen, sondern er uns. Dem eifrigsten Verfechter des Beitritts würde es schwer fallen, große Vorteile anzugeben, die wir haben sollten, wenn wir uns jetzt meldeten, und noch schwerer, die Nachteile zu zeigen, die uns entständen, wenn wir noch draußen bleiben." 6 ) 38) 39) 40) 41) 1) 2) 3) 4) 5) 6)

Deutsche La Plata-Zeitung Nr. 302 vom 2 4 . 1 2 . 1 9 2 5 . Die Räder, 7. Jg. 1926, Nr. 4, S. 87/88. Saarbrücker Zeitung Nr. 74 vom 16.3.1925. Die Räder, a.a.O., S. 88. Heidelberger Tageblatt Nr. 215 vom 15.9.1924. LaK 9, 1924. Bremer Nachrichten Nr. 2 5 3 vom 11.9.1924. Kieler Zeitung Nr. 4 2 8 vom 11.9.1924. LaK 12, 1924. Siegener Zeitung Nr. 220 vom 18.9.1924.

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Grundlegender Fehler dieser „Sabotage"-Aktion war die Annahme, England sei auf Deutschland angewiesen. Zwar hatte MacDonald am 4. September bei der Abrüstungsdebatte erklärt, ein deutscher Beitritt sei wünschenswert; aber daraus ein englisches Bedürfnis nach einem deutschen Eintritt zu folgern, entbehrte jeder Grundlage - wenn man nicht wie Rohrbach überzeugt war, daß die Londoner Konferenz eine antifranzösische Aktion war und England in geradlinigem Weiterverfolgen dieser Politik nun auch Deutschlands Hilfe langfristig benötigte. Unter diesem Aspekt hieß er ohne Begeisterung den deutschen Entschluß vom 23. September gut, um einen Beitritt nachzusuchen, verlangte aber „vernünftige Bedingungen" Neutralisierung im Falle kriegerischer Auseinandersetzungen und Sitz im Völkerbundrat. 7 ) Der Völkerbund selbst erschien ihm als „beinahe lächerlich" 8 ), und zwecklos, 9 ) unentschlossen und nicht in der Lage, sich bei klarem Sachverhalt auf die Seite des unbestreitbaren Rechts zu stellen. 10) Sinnvoll war der Beitritt nur, wenn damit das deutsch-englische Bündnis näheriückte; und da konnte es nicht schaden, maximale Vorbedingungen zu stellen, um zu sehen, welchen Preis London zu zahlen bereit war! Inzwischen hatte sich die Entwicklung verlangsamt; am 10. Januar 1925 mußte der Auswärtige Ausschuß des Reichstags feststellen, daß Frankreich in der Räumung der Kölner Zone vertragliche Rechte Deutschlands gebrochen und damit die in London begonnene Verständigungspolitik aufs schwerste gefährdet habe. 1 1 ) Nach diesem 'Beweis* unverändert gebliebener französischer Gesinnung versuchte sich Rohrbach an einer Analyse, die, ohne ihn zu nennen, mit Blick auf den Völkerbund geschrieben war. 1 2 ) Vorweg leugnete er jede Möglichkeit einer deutsch-französischen Aussöhnung: einmal wegen der den Franzosen im Blut liegenden Eroberungssucht 13 ) und zum anderen wegen ihrer ständigen Sorge vor den „20 Millionen zuviel Deutschen." Dies sei die wirkliche Konstante des deutsch-französischen Verhältnisses, 14 ) und da

7) Heidelberger Tageblatt Nr. 226 vom 27.9.1924. Vgl. dazu Jürgen Spenz, Die diplomatische Vorgeschichte des Beitritts Deutschlands zum Völkerbund 1924-1926. Göttingen 1966. 8) DDG Nr. 1 vom 8.1.1925, S. 32 - So Rohrbachs Attribut der Ratstagung in Rom. 9) „Italien, das vor nicht allzu langer Zeit mit der Besetzung von Korfu dem Völkerbund ins Gesicht schlug, war auch kein Platz, um Völkerbundslorbeeren zu ernten. Von Englanderhielt man die kurze und grobe Mitteilung, Ägypten und Irland gingen den Völkerbund nichts an . . . " Heidelberger Tageblatt Nr. 298 vom 20.12.1924. 10) Bremer Nachrichten Nr. 37 vom 6.2.1925. Heidelberger Tageblatt Nr. 14 vom 17.1.1925 DDG Nr. 3 vom 22.1.1925, S. 97. 11) Darauf hatte Rohrbach schon vor dem 10. Januar hingewiesen; der Verstoß sei um so bedeutsamer, „weil hinter der Räumung Kölns die Räumung des Ruhrgebiets steht, und weil wir nach der jetzt gemachten Erfahrung mit dem einen Vertrag so gut betrogen werden können wie mit dem anderen." Karlsruher Tageblatt Nr. 15 vom 10.1.25. 12) „'Deutscher Gedanke* und deutsche Politik". DDG Nr. 2 vom 15.1.1925, S. 83 ff. 13) ebda, S. 83. 14) ebda, S. 84/85. Deutsche La Plata-Zeitung Nr. 56 vom 8.3.1925.

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Deutschland nicht darauf verzichten könne, seine nationalen Kräfte bald wieder „frei zu entfalten", sah er keine Möglichkeit einer Versöhnung und hielt .jede Politik, die trotzdem praktisch mit solchen Voraussetzungen rechnet, nicht allein für falsch, sondern für dauernd gefährlich im deutschen Interesse." 15 ) Mehr Aussichten biete das deutsch-englische Verhältnis. Weit entfernt, am deutschen Schicksal Anteil zu nehmen, müsse England doch französische Schritte abwehren, die eine Schwächung seiner Stellung bedeuten könnten. Daraus rühre eine gewisse Unterstützung Deutschlands, aber mehr noch Englands verständliche Forderung nach allgemeiner • sprich: französischer - Abrüstung. Denn damit würden auch umfangreiche Gelder für die Belebung der Weltwirtschaft frei. „An diesem Punkt fallen . . . die amerikanischen und englischen Interessen zusammen, und daher darf man früher oder später ein erzwungenes, aber entscheidendes Nachgeben Frankreichs erwarten." 17 ) Die Alternative einer engen Anlehnung an Rußland verwarf er entschieden - daran zu glauben, brauche „weitgehende Sachunkenntnis."18) Gründe für Londons Interesse am deutschen Völkerbundsbeitritt fand er auch in der englischen Sorge vor der bolschewistischen Agitation in Indien, die London zum Aufbau eines cordon sanitaire veranlasse. 19 ) Nach alledem liege auf der Hand, daß England jetzt den ersten Schritt tun müsse! Diese - gegenüber der Reichsregierung nicht einmal unfreundlich gehaltenen • Artikel verrieten die ganze Hypertrophie des nationalen Publizisten Rohrbach. Noch vor zwei Jahren hatte er bewegt über die völlige Macht- und Bedeutungslosigkeit Deutschlands geklagt. Kaum war mit London eine geringfügige Erleichterung der Lasten und Besserung des Klimas eingetreten, meinten diese nationalen Publizisten, das Reich sei in der Weltpolitik schon wieder ein so gewichtiger Faktor, daß eine Siegermacht sich um Deutschland 711 bemühen habe. Nicht ein Wort verlor Rohrbach darüber, was Deutschland denn eigentlich den Engländern bieten könne! Es fehlte ihm und seinen Kollegen nicht nur an Bescheidung, sondern an den simpelsten Maßstäben des Augenmaßes. Wo sich Stresemann mit vorsichtigen Schritten um Durchbrechung des Walles von Mißtrauen und Ablehnung bemühte, warfen ihm die Kommentatoren bereits Feigheit, Zögern und Nachgiebigkeit vor - und das, wie man für die gemäßigteren unterstellen darf, durchaus nicht in der Absicht, seinem Kurs zu opponieren, sondern ihn darin zu bestärken. Die Publizisten waren der amtlichen Außenpolitik stets um Meilen voraus; solange diese nachkam, blieb es bei kritischer Zustimmung; sobald sie steckenblieb, schlug die Stimmung in Feindschaft um. Für Stresemann war die Umarmung dieser ungeduldigen Bun-

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ebda, ebda. ebda, ebda, ebda

S. 84. Deutsche La Plata-Zeitung Nr. 57 vom 10.3.1925. S. 85. S. 86. Vgl. auch DDG Nr. 6 vom 11.2.1925, S. 214/15.

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desgenossen eine größere Belastung als unverhohlene Feindschaft publizistischer Gegner. Rohrbachs Verärgerung über die Berliner „Zaghaftigkeit" zeigte sich sofort bei dem deutschen Angebot eines Sicherheitspaktes an Frankreich. Kurz zuvor hatte er die französische Rheinlandpolitik scharf angegriffen 2 0 ) und die Pariser Bedingung, vor der Räumung einen Sicherheitspakt zu schließen, als „Unverschämtheit" und Verstoß gegen den Versailler Vertrag gebrandmarkt. 2 1 ) So billigte er die Rede Luthers in Köln am 9. Februar 1925 nicht, obwohl auch der Reichskanzler eine Koppelung von Pakt und Räumung zurückwies. 2 2 ) Denn für ihn war die französische Absicht, sich ein dauerndes Mitsprache-Recht im Rheinland zu sichern, eine erwiesene Tatsache; 2 3 ) in Frankreichs kühler Reaktion auf die Rede Luthers wollte er zugleich erkennen, daß Paris nur an Verträgen interessiert sei, die auch seine östlichen Vasallen umfaßten und damit ganz Versailles bestätigten. 2 4 ) Aber nach der ersten voreiligen Ablehnung 2 5 ) sah er dann doch ein, daß das deutsche Angebot den französischen Wünschen zuvorkam und Paris in die ungünstige Rolle des Nein-Sagers drängte. Aber auch diese Zustimmung beruhte auf einem Mißverständnis. Stresemann wählte den Zeitpunkt für das Paktangebot, um einer erneuten Blockbildung der Alliierten in der Sicherheitsfrage zuvorzukommen und zugleich einen Keil zwischen Frankreich und seine östlichen Vasallen zu treiben. 2 6 ) Rohrbach meinte dagegen, die Triebfeder der europäischen Politik sei im Augenblick der englisch-französische Gegensatz 2 7 ) und Stresemanns Schritt ziele auf eine Abspaltung Englands von Frankreich - und dieser Politik wollte er gerne zustimmen. Allerdings warnte er vor Englands Haltung: Dort lobe man zwar den freiwilligen Verzicht auf Elsaß-Lothringen, 2 8 ) glaube aber, nach dieser Kostprobe der Verzichtbereitschaft Deutschland ohne Zugeständnisse in den Völkerbund bringen zu k ö n n e n ! 2 9 ) Diese Aussicht beunruhigte ihn so sehr, daß er einen Katalog „unverzichtbarer" Vorbedingungen erstellte: Ratssitz und Aufnahmemodalität, die eine erneute Anerkennung Versailles' umgehe; 3 0 ) Forderung nach Verwirklichung des

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Bremer Nachrichten Nr. 37 vom 6 . 2 . 1 9 2 5 . LaK 7, 1925. Heidelberger Tageblatt Nr. 38 vom 14.2.1925. DDG Nr. 7 vom 18.2.1925, S. 227 ff. DDG Nr. 9 vom 4.3.1925, S. 277 ff. DDG Nr. 10 vom 11.3.1925, S. 342. Kieler Zeitung Nr. 124 vom 14.3.1925. Vgl. dazu P. S. Wandycz, France and her Eastern Allics 1919 - 1925. Minneapolis 1962. Saarbrücker Zeitung Nr. 72 vom 14.3.1925. Heidelberger Tageblatt Nr. 6 2 vom 1 4 . 3 . 1 9 2 5 . In seiner Zeitschrift beklagte er o f f e n herziger, daß man mit dem Paktangebot das Selbstbestimmungsrecht für Elsaß-Lothringen „verletzt und aufgegeben" habe - DDG Nr. 10 vom 11.3.1925, S. 3 4 0 / 4 1 . Heidelberger Tageblatt, a.a.O., ebenso in „ E i n t r i t t in d e n V ö l k e r b u n d " . DDG Nr. 11 vom 1 8 . 3 . 1 9 2 5 , S. 3 5 5 ff. Saarbrücker Zeitung Nr. 72 vom 1 4 . 3 . 1 9 2 5 . Kieler Zeitung Nr. 124 vom 14.3.1925.

„echten" Selbstbestimmungsrechtes der Völker - in diesem Falle gleichbedeutend mit dem 'Anschluß'; 3 1 ) Bereitschaft zur Härte auf deutscher S e i t e 3 2 ) und völlige Offenheit: London müsse die wahre deutsche Stimmung über einen Beitritt kennenlernen, um seine Politik danach auszurichten. 3 3 ) Die A n t w o r t n o t e des Völkerbundrates auf das deutsche Memorandum begrüßte Berlins Schritt, lehnte aber einen Vorbehalt bezüglich Artikel 16 der Satzung ab. 3 4 ) Durch den Tod Eberts am 28. Februar und den Wahlkampf, an dem sich Rohrbach beteiligte, 3 5 ) trat die Außenpolitik zeitweise zurück; nur gelegentlich warnte er vor Hast und Überstürzung. 3 6 ) Der fünfmonatige Notenwechsel bis zum Zusammentritt der Juristenkonferenz am 31. August bot in seinen Augen eine willkommene Pause, um die Völkerbundseuphorie abzukühlen. Seit einem Jahr bitte man Deutschland „dringend" um seinen Beitritt; jetzt heiße es Geduld, die Zeit arbeite für die deutsche Politik! 3 7 ) Diese optimistische Einschätzung erhielt einen schweren Stoß durch einen Genfer Beschluß, daß bei Minderheits-Klagen „verwandte S t a a t e n " keinen Sitz in der Untersuchungskommision haben d ü r f e n 3 8 ) - bei der Vielzahl deutscher Minderheit eine Brüskierung, 39 ) die - so Rohrbach - einen deutschenBeitritt eigentlich unmöglich mache! 4 0 ) Tatsächlich hatte der Notenwechsel, dessen abtastende und vorfühlende Natur er dank seiner Unkenntnis diplomatischen Vorgehens gründlich verkannte, eine erneute Versteifung seiner Haltung herbeigeführt. Der Minderheitenbeschluß des Völkerbundrates, das französische Bemühen, seine Position im Rheinland zu bewahren 4 1 ) und die Pariser Weigerung, die von Stresemann am 22. und 23. Juli vor-

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Saarbrücker Zeitung Nr. 102 vom 15.4.1925. Kieler Zeitung Nr. 173 vom 15.4.1925. Allgemeine Zeitung (SWA) Nr. 56 vom 11.5.1925. Dresdner Anzeiger Nr. 156 vom 2.4.1925. Karlsruher Tageblatt Nr. 255 vom 5.6.1925. Art. 16 regelte das gemeinsame Vorgehen gegen einen Agressor und enthielt u.a. eine Klausel, die das Durchmarschrecht für vom Völkerbund genehmigte Truppenaktionen festlegte. Wenn er auch, wie übrigens weite Kreise der Partei, für den DDP-Kandidaten Hellpach wenig Sympathie besaß und ihn noch Jahre später betont mit Spott verfolgte (vgl. Deutsches Volkstum, 1931 I, S. 201). Auch Hellpach hatte aus seiner Ablehnung des Naumann-Kreises wenig Hehl gemacht. (W. Hellpach, Wirken in Wirren. I, 396 ff). Kieler Zeitung Nr. 262 vom 9.6.1925. DDG Nr. 13 vom 2.4.1925, S. 390 ff. Bote aus dem Riesengebirge Nr. 108 vom 9.5.1925. Saarbrücker Zeitung Nr. 208 vom 2.8.1925. Karlsruher Tagblatt Nr. 359 vom 6.8.1925. Allgemeine Zeitung (SWA) Nr. 103 vom 29.8.1925. Ebenso: „Verhinderung des Minderheitenschutzes". DDG Nr. 20 vom 22.7.1925, S. 840 ff. Rohrbach spielte diesen Beschluß künstlich hoch; er mußte zugeben, daß er in Deutschland kaum beachtet worden war - DDG Nr. 21 vom 5.8.1925, S. 903. Kinc Räumung des Rheinlandcs nach einem Sicherheitspakt „wird man logischerweisc für selbstverständlich halten" (Heidelberger Tageblatt Nr. 177 vom 1.8.1925).

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getragenen deutschen Vorbehalte zur Sicherheitsfrage anzuerkennen 42 ) - alle Einzeltatsachen schienen ihm zusammengenommen einen Beitritt wenig wünschenswert zu machen. 43 ) Wichtiger sei doch, wie er Stresemann vorhielt, v o r dem Eintritt eine starke Position zu erringen. Denn wie schwache Mächte im Völkerbund behandelt würden, demonstriere täglich das überhebliche Polen mit seiner Minderheitenpolitik, 44 ) bewiesen aber auch die Siegermächte England und Frankreichmit ihrer „großen Schiebung" um Mossul, die Türkei und den Irak. 4S ) Mit anderen Worten: jetzt auf keinen Fall freiwillig Bindungen eingehen, zu denen uns niemand zwingen könne! 4 6 ) Die Koppelung zwischen Sicherheitspakt und Eintritt in den Völkerbund sei ein nach Lage der Dinge wenig erstrebenswertes Junktim. 4 7 ) Voller Zweifel, ob die deutsche Außenpolitik den richtigen Weg eingeschlagen habe, notierte er dann zur offiziellen Einladung nach Genf vier Minimalforderungen : 1. Abänderung des Artikels 16; 2. Räumung der Kölner Zone; 3. Änderung der Rheinlandbesatzung; und 4. Sitz in der Minderheitenkommision. 48 ) Was die - in dieser Hinsicht einseitig ausgewählten - Belege nicht erkennen lassen, war der blindwütige Haß, mit dem Rohrbach immer noch den Völkerbund als Garanten des Versailler Systems verfolgte. Vor diesem Hintergrund zeigen ein Vergleich seiner zuletzt erhobenen Minimalvoraussetzungen mit seiner früheren Forderung nach totaler Revision das Maß seiner Besinnung und seine Bereitschaft, der Stresemannschen Politik trotz schwerer Bedenken zuzustimmen. Den Sicherheitspakt wollte er mittlerweile gutheißen - hauptsächlich, weil er glaubte, die Verhandlungen würden zu einer totalen Durchbrechung des Versailler Systems tühren aber der Beitritt zum Völkerbund als Preis für die deutsch-englische Koalition schien ihm einfach noch zu groß. 4 9 ) Er wartete noch immer auf das Zeichen aus London!

42) Heidelberger Tageblatt Nr. 200 vom 29.8.1925. „Denn in der Sanktion:- und Durchmarschfrage können nur pazifistische Wortemacher, denen die einseitige Entwaffnung Deutschlands genügt, oder sonst Narren, bei den Franzosen etwas anderes voraussetzen als das Gegenteil von gutem Willen." DDG Nr. 21 vom 5.8.1921, S. 905. 43) Karlsruher Tagblatt Nr. 407 vom 4.9.1925. 44) Deutsche La Plata-Zeitung Nr. 241 vom 14.10.1925. 45) Kieler Zeitung Nr. 429 vom 15.9.1925. 46) Allgemeine Zeitung (SWA) Nr. 121 vom 10.10.1925. 47) Heidelberger Tageblatt Nr. 212 vom 12.9.1925. 48) ebda, Nr. 224 vom 26.9.1925. 49) ebda, Nr. 200 vom 29.8.1925.

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Die Konferenz von Locamo Noch in den beiden letzten Leitartikel-Korrespondenzen vor der Konferenz von Locamo hatte Rohrbach seine Befürchtungen in den schwärzesten Farben ausgemalt.1) Kurz vor Konferenz-Beginn kam der russische Außenkommissar Tschitscherin zur Unterzeichnung eines Handelsvertrages nach Berlin. Am 3. Oktober erschien in der „Deutschen Allgemeinen Zeitung" ein Aufsehen erregendes Interview, in dem Tschitscherin Deutschland unverhüllt vor einem Völkerbund-Eintritt warnte. Einmal täusche sich Berlin über die möglichen Vorteile, und zum anderen müsse Rußland, das sich nie diesem Bunde anschließen werde, einen solchen Schritt als Beitritt Deutschlands zu der Front der Weltmächte gegen die erwachenden Völker Asiens und deren Freunde auslegen! Damit schien endlich Rohrbachs Theorie von offizieller Seite bestätigt: der von England gewünschte Beitritt war eine weitere Phase der englisch-russischen Auseinandersetzungen. Der Deutlichkeit der russischen Warnung wollte er entnehmen, „daß eine Aktion Englands im großen Stil gegen Moskau bevorsteht." Einerseits müsse der Bolschewismus aggressiv vorgehen; denn mit der Preisgabe des Weltrevolutions-Prinzips verliere er sogar in Rußland seine Daseinsberechtigung. Andererseits seien ihm die europäischen Länder unerreichbar. Also wendet er sich nach Asien und stößt Jiier auf die Vormacht Englands. Dazwischen steht Deutschland, von beiden Seiten umworben.2) Natürlich erkannte Rohrbach die historische 'Parallele'zur Jahrhundertwende; aber wie damals Holstein meinte er, Berlin müsse sich Handlungsfreiheit bewahren, damit uns London nicht nach erfolgreicher Ausnutzung mit leeren Händen nach Hause schicke, während Moskau überhaupt kein wirtschaftliches oder politisches Äquivalent zu bieten habe. So forderte er am Eröffnungstage der Konferenz kurzerhand, alle „Nebensächlichkeiten" wie Sicherheitspakt, Völkerbundsbeitritt o.ä. beiseite zu lassen und über die Nichtigen' Dinge zu sprechen: Ostgrenze, Österreich, Rheinlandbesetzung und Kolonialfrage - mit anderen Worten: Über die Revision des Versailler Vertragest) Paris schrieb er ins Stammbuch: „Der Friede von Versailles ist moralisch tot," 4 ) und die deutsche Delegation sollte nach seinem Wunsch endlich einmal mit der Gegenseite Fraktur reden.s) Denn: „Was dort (in Locarno) vor sich geht, ist nicht nur der Kampf Deutschlands um ein oder zwei Schritte Raum für den Beginn der Wiederaufrichtung, sondern es ist in noch höherem Maße der Kampf der anderen um Deutschland."*)

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Nr. 36 vom 16.9. und Nr. 37 vom 24.9.1925. Karlsruher Tagblatt Nr. 469 vom 10.10.1925. DDG Nr. 25 vom 5.10.1925, S. 1158. ebda, S. 1165. ebda, S. 1154. Karlsruher Tagblatt Nr. 480.vom 16.10.1925.

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In Loeariio kreuzten sich nach seiner Auffassung zwei Konfliktlinien; die englischrussische und die deutsch-französische. London und Paris fanden sich in dem gemeinsamen Interesse an einem vorbehaltlosen Eintritt Deutschlands, wobei England den Artikel 16 für seine antirussischen, Frankreich Tür seine propolnischen Pläne benötigte - letzteres zu ersehen aus seinem Bemühen, einen Sicherheitspakt für die deutsche Ostgrenze zu erreichen. 7 ) Beiden Wünschen stand die deutsche Rußland-Politik - Handelsvertrag und Kreditgewährung 8 ) - diametral gegenüber. Die Entente-Staaten versteiften sich nun auf den Artikel 16 - aber der war Bestandteil des deutschen Völkerbundsbeitritts, den Berlin vom Gelingen des Sicherheitspaktes abhängig gemacht hatte und wozu, wie Rohrbach jetzt voller Anerkennung für Stresemann bemerkte, beide Staaten ihre Zustimmung gegeben hatten. „Die beiden Hauptobjekte der Verhandlungen sind aber formell gar nicht die Westgrenze und das Rheinland, sondern der Eintritt Deutschlands in den Völkerbund und die Frage der deutschen Ostgrenze." Und wenn die Entente-Länder auf Artikel 16 spekulierten, dann müßten sie sich der Einsicht beugen: Entweder hat der Sicherheitspakt soviel Wert wie 1 5 0 0 0 0 französische Soldaten auf dem linken Rheinufer - oder „es ist überhaupt lächerlich, ihn zu schließen. Vor dieser Logik gibt es keinen Ausweg." 9 ) Nun hatte Berlin nach Rohrbach die englische Rußlandpolitik im voraus durchkreuzt. London war daraufhin auf die Seite Frankreichs getreten, das verständlicherweise stärker an der Sicherheit seines polnischen Vasallen interessiert war. Aber an der deutschen Weigerung, Bindungen an der Ostgrenze einzugehen, drohte die Konferenz zu scheitern, und Paris gab erst auf scharfen Londoner Druck hin n a c h . 1 0 ) Das deutsch-englische Bündnis war vorerst gescheitert, aber Rohrbach gab sich gelassen. Schon der Druck Londons auf Paris beweise das englische Interesse; immerhin sei das von Moskau bedrohte Indien eine Lebensfrage Londons: „Wenn man Großes von uns will, so muß man bereit sein, mit uns über diese (grossen) Dinge zu s p r e c h e n . " 1 1 ) So war das Ergebnis von Locarno nur ein „Pakt der

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Kieler Zeitung Nr. 482 vom 15.10.1925. Über beides konnte sich Rohrbach maßlos erregen: „Wenn man alle Phraseologie beiseite läßt, so haben wir den Russen die 'Erlaubnis', daß wir nach Locarno gehen durften, mit einer Anleihe von 100 Millionen Mark und einem Handelsvertrag bezahlt, den jedermann, der auch nur die geringste Übung im Lesen vorbereitender offiziöser Verlautbarungen hat, im voraus nicht anders als schlecht diagnostizieren kann . . . Die ganze Operation ist ohne Rückversicherung beim Staat undenkbar, und damit hätten die Russen in Deutschland genau das erreicht, worüber in England die Regierung Ramsay MacDonald hinweggefegt wurde, als sie es bewilligen wollte, nämlich die Kombination: Handelsvertrag - Bezugskredit - Regierungsgarantie." Heidelberger Tageblatt Nr. 236 vom 10.10.1925. 9) DDG Nr. 26 vom 20.10.1925, S. 1222. 10) Weil die Bank von England - so Rohrbach - zur großen Empörung Caillaux' an einem Tage 23 Millionen Francs auf den Markt warf - Heidelberger Tageblatt Nr. 248 vom 24.10.1925. 11) DDG Nr. 26 vom 20.10.1925, S. 1228.

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Fragezeichen". Die Hoffnung, nach dem Pakt werde ein „neuer Geist" in den europäischen Beziehungen vorwalten, rief seinen Spott hervor, wie er überhaupt in den Glückwünschen des Auslands nur den Versuch sah, Deutschland die Uberzeugung von einem großen Sieg für sich und den Weltfrieden zu suggerieren. 1 2 ) In diesen unwirschen Kritiken zeigte sich, daß Rohrbach von Stresemanns Haltung irritiert war. Sollte der Außenminister wirklich nur den Sicherheitspakt u n d den Völkerbundseintritt angestrebt haben? H a t t e er nicht b e m e r k t , d a ß Frankreich nur auf englischen Druck in der Frage einer Ostgrenze-Garantie nachgegeben hatte und daß London also offensichtlich etwas bestimmtes von Deutschland erwarte? | 3 ) Er wurde aus seinen Zweifeln rasch erlöst. Ende O k t o b e r 1925 b e m e r k t e Chamberlain auf einer Pressekonferenz zur Frage eines Kolonialmandats für Deutschland, nur bei Übernahme aller Völkerbundspflichten k ö n n t e n Mitglieder alle Völkerbundsrechte beanspruchen. Das k o n n t e sich doch nur auf Artikel 16 beziehen, und damit h o b sich für Rohrbach ein „Stück von dem Schleier", der über den bislang nicht bekannt gewordenen Verhandlungen in Locarno l a g . 1 4 ) Die gleiche Linie erkannte er in einem Artikel der „Financial N e w s " , 1 5 ) die Österreich vor Krediten an Rußland warnte: Sei die Summe groß genug, würde Moskau die Rückzahlung verweigern u n d Wien mit d e m Geld a u c h das V e r t r a u e n verlieren, das m a n langsam in seine wirtschaftlichen Verhältnisse zu setzen b e g i n n e . 1 6 ) Statt „Wien" wollte Rohrbach „Berlin" lesen; damit dürfte sich, wie er feststellte, Chamberlains Erklärung nicht nur auf die Mandatsfrage, sondern a u c h auf alle anderen Fragen beziehen, „ w o englische Unterstützung in größerem Stil für uns in Frage k o m m t . " Da es ohne eine direkte oder indirekte englische Hilfe für Deutschland keine nennenswerten Erfolge geben konnte, wollte er über die „Wichtigkeit der Sache" kein weiteres Wort verlieren. 1 7 ) In Summa: hinter Locarno u n d der wohl nur als Testfall gedachten Mandatsfrage 1 ®) tauchte das lang ersehnte deutsch-englische Bündnis auf! Dieses und nicht der Locarno-Vertrag schien ihm die entscheidende Alternative, „vor die wir gestellt sind und die wir zu überdenken h a b e n . " 1 9 ) Denn jetzt konnte er eine vollständige Interpretation des Konferenz-Verlaufes geben: London benötigte Deutschland im Völkerbund u n d wurde durch die deutsche Weigerung gegenüberd'en französischen Ostpakt-Wünschen gezwungen zu beweisen, was ihm 12) 13) 14) 15)

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Heidelberger Tageblatt Nr. 248 vom 24.10.1925. Allgemeine Zeitung (SWA) Nr. 139 vom 21.11.1925. Texte der verschiedenen Abkommen bei Fr. Berber, Locarno. Eine Dokumentensammlung. Berlin 1925. Hamburger Anzeiger Nr. 255 vom 31.10.1925. Das maßgebende finanzpolitische Organ Englands, „daß den Standpunkt der City und der Bank von England wiederzugeben pflegt und das in diesem Falle sich fraglos im Einverständnis mit den politisch maßgeblichen Stellen ä u ß e r t . . . " Karlsruher Tagblatt Nr. 506 vom 31.10.1925. Hamburger Anzeiger, a.a.O. Heidelberger Tageblatt Nr. 260 vom 7.11.1925. Karlsruher Tagblatt Nr. 506 vom 31.10.1925. Hamburger Anzeiger, a.a.O.

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der deutsche Beitritt wert war: eine, wenn auch nur temporäre, Wendung gegen Frankreich. Angesichts dieser „eindeutigen" Haltung Londons revidierte Rohrbach auch seine bisherige Ansicht, Deutschland müsse sich „Handlungsfreiheit" bewahren. 2 0 ) „Die treibende Kraft und der maßgebende Faktor in Locarno war England. Frankreich, das noch vor kurzem fast als ein Diktator auf dem europäischen Festland dastand und der englischen Politik erfolgreiche Widerstände entgegensetzte, erleidet gegenwärtig durch die schnell wachsende finanzielle Krisis einen Kräfteverfall, der ihm eine gegen die englischen Bedürfnisse gerichtete aktive Politik mehr und mehr unmöglich m a c h t . . . England, auf der einen Seite durch den Bolschewismus auf das gefährlichste bedroht, ist auf der anderen in der Lage, den stärksten Einfluß in der internationalen Politik auszuüben, zumal, da es gegenüber Frankreich an den Amerikanern Bundesgenossen hat, deren Interessen ebenso sehr in der Richtung eines Druckes auf Frankreich und einer Entlastung Deutschlands liegt, wie gegenwärtig das englische." 21 ) Wichtiger als Locarno sei die Frage, ob wir uns mit London in ein Gespräch über Rußland einlassen sollten. 22 ) Auch im Ausland fand Rohrbach seine Ansicht bestätigt, daß über Locarno hinaus die deutsche Position an Einfluß gewonnen habe, 23 ) daß man jetzt an ein wiederaufsteigendes Deutschland glaube 2 4 ) und Locarno als Eingeständnis der Großmächte interpretiere, Deutschland könne nicht länger aus ihrem Kreise ausgeschlossen bleiben.2®) Das war ein Stück außenpolitischer Handlungsfreiheit ; 2 6 ) gerade in der Minderheitenfrage richtig eingesetzt, ließe sich jetzt eine Klientel schaffen, 27 ) die in Genf ein Gegengewicht zu der französischen Übermacht darstelle. Speziell in der Presse derjenigen Länder, mit deren Minderheitenpolitik man nicht zufrieden sein könne, 2 8 ) zeige sich, „daß man fortan mit einer aktiven und den Völkerbundsmächten eine gewisse Rücksicht aufnötigenden deutschen Politik rechnet." 2 9 ) Die Aussichten, die sich hier angeblich eröffneten,3°) veranlaßten Rohrbach, den Entschluß der DNVP, Locarno die Zustimmung zu versagen, entschieden zu kritisieren. In der grundsätzlichen Frage, „ob der Abbau des Versailler Friedens auf 20) 21) 22) 23) 24) 25) 26) 27) 28) 29) 30)

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DDG Nr. 27 vom 5.11.1925, S. 1286. ebda, S. 1289. „Den Charakter dieser Lage zu verkennen, wäre im höchsten Grade unstaatsmännisch." a.a.O., S. 1290. Heidelberger Tageblatt Nr 260 vom 7.11.1925. Deutsche La Plata-Zeitung Nr. 283 vom 2.12.1925. Kieler Zeitung Nr. 522 vom 7.11.1925. Hamburger Anzeiger Nr. 260 vom 6.11.1925. Allgemeine Zeitung (SWA) Nr. 146 vom 7.12.1925. Saarbrücker Zeitung Nr. 308 vom 10.11.1925. Hamburger Anzeiger, a.a.O. DDG Nr. 28 vom 20.11.1925, S. 1349 ff.

dem bisherigen allmählichen Wege oder auf dem der ständigen Proteste und höher gespannten Forderungen erfolgen soll", schlug er sich auf Stresemanns Seite. 3 1 ) Sofort mußte er sich von der rechten Presse, die ihn als Abtrünnigen behandelte, Kritik an seiner These von der deutsch-englischen Annäherung via Locarno gefallen lassen. Unbeirrt verteidigte er seine Auffassung, daß in Locarno die Revision „praktisch" begonnen 32 ) und der erste Schritt „fort von Versailles und zurück zur europäischen Vernunft" getan worden sei. 3 3 ) Wenig später wollte er einen weiteren Beweis für seine These entdecken, daß Frankreich nur auf Druck hin nachgegeben habe. Der englische Druck war nur die Peitsche; das Zuckerbrot hielten die USA in der Hand, die an dem Tag, an dem der Termin für die Räumung der Kölner Zone bekannt wurde, günstigere Bedingungen für Verhandlungen Uber die französisch-amerikanischen Schulden zubilligten. 34 ) Ordneten sich nicht alle Mosaiksteinchen zum Bild eines anglo-amerikanischen Druckes auf ein unwilliges, 35 ) noch in der Mentalität von Versailles befangenes Frankreich, 3 ^) das in Locarno zum ersten Mal, und zwar unter Englands Führung, gedemütigt wurde? 3 7 ) Den größten Eindruck machte auf Rohrbach die Kritik seines Lehrers Hans Delbrück, der einen Vergleich mit der Lage von 1899-1901 ablehnte. Delbrück gestand zwar eine äußere Ähnlichkeit der Situation zu, bezweifelte aber die von seinem Schüler aufgestellte These, England wolle Rußland wegen der bolschewistischen Agitation in Asien mittels eines großen Wirtschaftsboykotts stürzen, in den auch Deutschland einbezogen werden sollte, in allen Punkten. Er plädierte für eine selbständige Politik ohne entschiedene Anlehnung an England. 3 8 ) Das Vorgehen des Kabinetts Luther, Locarno mit guten Beziehungen zu Moskau zu verbinden, schien ihm die gebotene Linie. 3 ') Gerade die letzte Behauptung verfehlte ihren Eindruck nicht, wenn Rohrbach auch im Großen und Ganzen an seiner These festhalten wollte. 4 0 ) Da die oft zitierten „Rückwirkungen" des Locarno-Vertrages ausblieben, die „Gesinnung" in Frankreich die alte geblieben schien, 41 ) stellte sich ihm die Frage, wie lange London bereit war, jenen Druck auf Frankreich auszuüben. Und nach allem, was er im Völ-

31) Heidelberger Tageblatt Nr. 272 vom 21.11.1925. 32) ebda Nr. 284 vom 5.12.1925. 33) Allgemeine Zeitung (SWA) Nr. 149 vom 14.12.1925. Saarbrücker Zeitung Nr. 312 vom 14.11.1925. 34) LaK44, 1925. 35) Deutsche La Plata-Zeitung Nr. 302 vom 24.12.1925. 36) Karlsruher Tagblatt Nr. 550 vom 26.11.1925. 37) Allgemeine Zeitung (SWA) Nr. 155 vom 28.12.1925. Hamburger Anzeiger Nr. 279 vom 30.11.1925. 38) DDG Nr. 29 vom 5.12.1925, S. 1414 ff. 39) ebda, S. 1415. 40) ebda, S. 1420. 41) Revaler Bote Nr. 279 vom 7.12.1925.

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kerbunds-„Treiben" zu entdecken meinte, war diese Phase schon im Dezember 1925 b e e n d e t . 4 2 ) War Locarno also nur eine Episode? Für Rohrbach blieb die Konferenz immer der Beweis, daß seine Thesen vom französischen-englischen Antagonismus, von der notwendig antirussischen Politik Londons und der daraus resultierenden Bewegungsfreiheit Deutschlands richtig waren. 4 J ) Stresemann hatte in seinen Augen die große Chance der deutsch-englischen Verständigung heraufgeführt, aber die Möglichkeiten entweder nicht erkannt oder seiner falschen Frankreich-Politik geopfert. Den in Locarno selbst getroffenen Vereinbarungen stand Rohrbach von Anfang an skeptisch gegenüber. 4 4 ) Als im März 1926 die Aufnahme in den Völkerbund am brasilianischen V e t o scheiterte, bezeichnete er den „Geist von Locarno" schon kurz als „Phrase". 4 S ) Als Berlin die Locarno-Signatarstaaten von dem bevorstehenden Abschluß eines deutsch-russischen Vertrages informierte, 4 6 ) sprach die ausländische Presse von einem „Rückversicherungsvertrag". 4 7 ) Zwar wehrte Rohrbach diese Interpretation mit dem Hinweis auf Stresemanns Rede vom 19. April ab: Man sei in Locarno übereingekommen, daß der Völkerbund eben kein Kreuzzugs-Instrument gegen Rußland sei! Aber in der Kommentierung der Londoner „Times", Deutschland habe sich in Locarno der westlichen Orientierung angeschlossen und sei nur durch den fatalen Gang der Ereignisse in Genf wieder an Moskaus Seite gebracht worden 4 8 ) - der Rohrbach zustimmen wollte 4 9 ) -, sah er doch Londons Desinteresse an einem weiteren deutsch-englischen Dialog über Rußland. 5 0 ) Damit mußte jede hilfreiche englische Unterstützung entfallen. 5 1 ) Zehn Monate später glaubte er im Besuch des französischen Präsidenten Doumergue in London (Mai 1927) die Neuorientierung Londons zu erkennen. Nach der Enttäuschung über Berlins Zögern wende es sich wieder seinem Entente-Partner z u , 5 2 ) so daß man heute den Geist von Locarno (und Thoiry) als Episode bezeichnen könne - wenn auch nicht mit absoluter Gewißheit, 5 3 ) so doch mit großer Wahrscheinlichkeit. 5 4 ) Allerdings fand Rohrbach es bezeichnend, daß gerade englische Zeitungen die zunehmende Unzufriedenheit

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Bremer Nachrichten Nr. 351 vom 19.12.1925. Saarbriicker Zeitung Nr. 347 vom 19.12.1925. Politische Weltkunde für den Deutschen, S. 86/87. Banater Deutsche Zeitung Nr. 55 vom 9.3.1926. Karlsruher Tagblatt Nr. 139 vom 10.4.1926. Des Berliner Vertrages vom 24.4.1926. Karlsruher Tagblatt Nr. 154 vom 25.4.1926. Bremer Nachrichten Nr. 112 vom 23.4.1926. Allgemeine Zeitung (SWA) Nr. 67 vom 5.6.1926. Banater Deutsche Zeitung Nr. 186 vom 19.8.1926. Karlsruher Tagblatt Nr. 269 vom 20.8.1926. Deutsche La Plata-Zeitung Nr. 140 vom 17.6.1926. Banater Deutsche Zeitung Nr. 114 vom 24.5.1927. Karlsruher Tagblatt Nr. 139 vom 21.5.1927.

der deutschen Rechts- und Mittelparteien sorgsam registrierten. 55 ) Er vermutete, daß hier Stresemann auf den gebotenen Umwegen seinem Unwillen Luft mache 5 6 ) und warnte allen Ernstes, auf die Enttäuschung „mit einer deutsch-russischen Promenade Arm in Arm unter den Linden zu reagieren." 57 ) Immerhin sei England über die wachsende Mißstimmung in Deutschland beunruhigt 5 8 ) und befürchte aus einer Verletzung des Locarno-Vertrages durch Frankreich gefährliche Folgen. Rohrbach unterstrich diesen Gedanken: Legten es die Franzosen darauf an, den Deutschen zu beweisen, daß das „Opfer" in Locarno vergeblich gewesen sei? 5 9 ) Paris solle sich nicht über die Tragweite der deutschen Zugeständnisse täuschen! 6 0 )Nur drei Jahre später urteilte er schon abschätzig, Locarno sei doch nur der freiwillige Verzicht auf Elsaß-Lothringen gewesen; dafür habe man Deutschland „mit einer 'großen' Geste, die mehr versprach, als sie halten sollte und gehalten hat, sozusagen wieder in die Gemeinschaft der Nationen aufgenommen." 6 1 ) Stresemanns Politik in und nach Locarno sei ein Irrweg gewesen; der Gedanke, durch „fortgesetztes Entgegenkommen" im Westen einen „wirklichen Ruhezustand" zu schaffen, habe sich selbst widerlegt. 6 2 )

2.3.3

Der Berliner Vertrag

In die Phase erster Zweifel an der generellen außenpolitischen Ausrichtung Deutschlands fiel der Berliner Vertrag. Rohrbach hat ihn mehr spöttisch als ernsthaft kommentiert, da er noch zu dieser Zeit an der Lebensfähigkeit Sowjetrußlands zweifelte. 1 ) So warnte er, als sich Anfang 1925 die Neuorientierung der deutschen Außenpolitik abzeichnete, wieder entschieden vor der Orientierung; 2 ) schon die Andeutung müsse zu einer verderblichen Intensivierung der englisch-französischen Zusammenarbeit führen. 3 ) Die in Rapallo angebahnte Zusammenarbeit beurteilte er ins-

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Rohrbach verkannte die Tendenz der Artikel; so sorgte sich die hier zitierte „Westminster Gazette" nicht um die deutsche Verbitterung, sondern um die deutsche 'Maßlosigkeit'. (Artikel vom 19.7.1927) Karlsruher Tagblatt Nr. 159 vom 11.6.1927. Banater Deutsche Zeitung Nr. 129 vom 14.6.1927. Düsseldorfer Nachrichten Nr. 393 vom 6.8.1927. Karlsruher Tagblatt Nr. 250 vom 10.9.1927. Banater Deutsche Zeitung Nr. 203 vom 11.9.1927. Karlsruher Tagblatt Nr. 333 vom 1.12.1928. Dabei sei die hübscheste Geste noch die Ausschmückung des Saales, in dem die Verträge unterzeichnet wurden, mit dem Bilde Lord Castleweagh's gewesen, „der 1818 die Räumung Frankreichs durch die damaligen Verbündeten veranlaßt hatte." Banater Deutsche Zeitung Nr. 275 vom 5.12.1928. Heidelberger Tageblatt Nr. 281 vom 30.11.1929. Süddeutsche Monatshefte, 21. Jg. 1924, H. 4, S. 181. DDG Nr. 6 vom 11.2.1925, S. 213. ebda, S. 215.

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gesamt als Fehler, 4 ) wenn damit auch eine Einkreisung Deutschlands in der Reparationsfrage verhindert wurde. 5 ) Da er Rußland nie als politisch-militärisch ernst zu nehmenden Faktor betrachtete, 6 ) wies er selbst in Zeiten größter deutsch-französischer Spannungen eine Zusammenarbeit mit Moskau weit von sich. 7 ) Auf der anderen Seite meinte er stets, ein deutscher Wink, man könne zwischen Ost und West wählen, müsse London aus seiner Reserve locken. Als 1928 in den Memoiren des ehemaligen englischen Botschafters in Berlin, Lord d'Abernon, Rapallo als ein Produkt verletzter Rathenau'scher Eitelkeit dargestellt wurde, lächelte Rohrbach über die offenkundige Absicht, den Leser dahin zu fuhren, daß ein „überwiegend persönliches Motiv" des deutschen Außenministers eine deutsch-russische Annäherung veranlaßt habe. 8 ) Er verstand d'Abernons Darstellung als erneute Warnung an das Foreign Office, Deutschland nicht wieder in die Arme Rußlands zu treiben.9) Vertragliche Bindungen, wie sie im Juni 1930 zustande kamen, lehnte er scharf und eindeutig ab. 1 0 ) Ordnet man alle seine Aussagen, dann zeigt sich, daß er den Wink mit der russisch-deutschen Koalition als legitim und opportun auffaßte, die vertragliche Bindung dagegen verwarf. Ihm entging, daß damit eine Unaufrichtigkeit in die deutsche Außenpolitik kommen mußte, die eines Tages eine englischrussische Annäherung provozieren konnte. Zwischen Tschitscherins spektakulärem Interview und dem Berliner Vertrag lag das Scheitern des deutschen Völkerbund-Beitritts im März 1926. Dies ließ Rohrbach den Wink mit der Berliner Ost-Orientierung angebracht erscheinen;!i) Berlin beweise so, daß es eben nicht bedingungslos der westlichen Orientierung beigetreten sei.i 2 ) Sehr befriedigt nahm er die französischen Einwände gegen den Vertrag zur Kenntnis und forderte Stresemann auf, ihnen bedingungslos zu widerstehen. 1 3 ) Deutschland dokumentiere nur seine Handlungsfreiheit und zeige den Franzosen, daß man auch anders k ö n n e ! 1 4 ) In Wirklichkeit war er davon Uberzeugt, 4

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Karlsruher Tagblatt Nr. 56 vom 26.2.1927. Heidelberger Tageblatt Nr. 139 vom 18.6.1927. LaK Nr. 37, 1928. „Dr. Rohrbach scouted the idea of an alliance between Bolsheviki Russia and Germany. The two nations and the two peoples, he commented, have nothing in common, opposed ideals and ideas, and a lock of idendity of purpose." San Francisco Examiner vom 12.1.1923. Deutsche La Plata-Zeitung Nr. 327 vom 28.12.1928. Vgl. Th. Schieder, Die Entstehungsgeschichte des Rapallo-Vertrags, HZ 204, 1967, S. 545 ff. Karlsruher Tagblatt Nr. 339 vom 7.12.1928. Revalcr Bote Nr. 138 vom 23.6.1930. „Es (Rußland) hat immer kräftig mit dem deutschen Kalbe gepflügt und sich, wo es konnte, 'Unter den Linden' in der Gesellschaft Deutschlands gezeigt. Rücksicht auf die deutschen Interessen und die deutschen Gefühle hat es dabei nie genommen." Wiesbadener Zeitung Nr. 167 vom 21.6.1930. Heidelberger Tageblatt Nr. 95 vom 24.4.1926. Bremer Nachrichten Nr. 112 vom 23.4.1926. „Wir können dazu nur sagen, daß sich die deutsche Politik nach wie vor kaltblütig auf den Standpunkt zurückziehen kann: Der Völkerbund braucht Deutschland notwendiger als Deutschland den Völkerbund." Heidelberger Tageblatt Nr. 107 vom 8.5.1926. DDG Nr. 9 vom 10.5.1926, S. 517 ff.

daß der Berliner Vertrag „ein Dokument von wenig aufregendem Charakter" sei,' 5 ) eher ein Wink als ein wirklich bindendes Abkommen, vorteilhaft nur, weil Frankreich jetzt die Folgen seiner Intrige in Genf spüre und sehe, wie sein Vasall Polen in die Zange genommen werden könne! Nur wenig später urteilte Rohrbach offen -und das wirft ein bezeichnendes Licht auf seine Vorstellungen von Vertragstreue -, man könne den Vertrag jederzeit beiseitelegen 16 ) und gegen die Verständigung mit England eintauschen. 17 )

2.3.4

Der Eintritt in den Völkerbund

Ein in vieler Hinsicht entscheidendes Ereignis war das Scheitern der deutschen Aufnahme in den Völkerbund im März 1926. Dieser Zwischenfall bestätigte ihm viele seiner Befürchtungen, die er angesichts der französischen Verzögerungstaktiken in der Frage der Rheinlandräumung vorzutragen begann. 1 ) Er glaubte nämlich aufgrund publizistischer Äußerungen 2 ) in den USA einen Gesinnungswandel Washingtons zu erkennen: Bisher sei der Bund, „servant instead of master", „rein eine Genossenschaft der Sieger zur gegenseitigen Garantie ihrer Beutestücke" gewesen; mit Deutschlands Eintritt dürfe man auf eine Belebung der Bundestätigkeit im Sinne des Gründers hoffen. 3 ) Wenn das, wie Rohrbach nicht bezweifelte, die amtliche amerikanische Ansicht darstelle, 4 ) dann bestand immerhin die Möglichkeit, durch Reformen den USA einen Beitritt wünschenswert zu machen - eine Aussicht, über deren Bedeutung man kein Wort zu verlieren brauche und die offenbar auch Paris klar sei! s ) Völlig überrascht wurde er aber von den polnischen, spanischen und brasilianischen Ansprüchen auf ständige Ratssitze. Sofort vermutete er Frankreich als Drahtzieher.6) Und woanders als in Locarno sei diesesDoppelspiel eingefädelt worden? Zwar habe die englische Öffentlichkeit auf diese „Roßtäuscher-Politik" unwillig reagiert; Londons Fähigkeit zum Umfallen im entscheidenden Moment sei jedoch bekannt. 15) ebda, S. 518. 16) Banater Deutsche Zeitung Nr. 186 vom 19.8.1926. 17) Noch Ende des Jahres schrieb er: „Die Wahrheit aber scheint uns zu sein, daß England die einzige Macht ist, durch die Deutschland wirklich wertvolle Zugeständnisse erhalten kann." Karlsruher Tagblatt Nr. 3 vom 4.1.1927. 1) DDG Nr. 2 vom 25.1.1926, S. 66. DDG Nr. 3 vom 9.2.1926, S. 131. 2) Rohrbach bezog sich auf den Publizisten Frank H. Simonds; beide Männer scheinen sich gekannt und auch geschätzt zu haben: vgl. Kieler Zeitung Nr. 296 vom 29.6.1925. Wiesbadener Zeitung Nr. 16 vom 16.1.1933. Siegener Zeitung Nr. 5 vom 6.1.1933. 3) Karlsruher Tagblatt Nr. 53 vom 2.2.1926. Über die Hoffnungen, die man an den deutscher Eintritt knüpfte, vgl. Spenz, Diplomatische Vorgeschichte, S. 173. 4) Allgemeine Zeitung (SWA) Nr. 22 vom 20.1.1926. 5) Heidelberger Tageblatt Nr. 27 vom 2.2.1926. 6) ebda Nr. 37 vom 13.2.1926.

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„Auf jeden Fall aber ist der französische Plan ein Beweis dafür, daß Frankreich weit davon entfernt ist, den Geist von Locarno ebenso zu verstehen, wie uns fortdauernd zugeredet wird, daß wir ihn verstehen sollten." 7 ) Damit war nun genau „Das Erwartete!" 8 ) eingetroffen. Frankreichs Haltung schien Rohrbach nur konsequent; aber wie war Englands Position zu erklären? Die folgende Interpretation zeigt deutlich, wie leicht die nationalen „weltläufigen" Journalisten verführt waren, von einem Extrem in das andere zu fallen: entweder stellte sich ihnen Außenpolitik als ein simples Verhältnis von Druck und Gegendruck dar oder sie verfingen sich selbst in einem Netz von Beziehungen, Querverbindungen und vermuteten Abhängigkeiten, das sich nach ihrer Anschauung über die ganze Welt erstreckte und die verschiedenartigsten Beweggründe miteinander verknüpfte. Die meisten dachten nicht daran - und dabei spielte mangelnde Sachkenntnis eine nicht unbedeutende Rolle - das Nächstliegende aufzugreifen: die politischen Ambitionen Spaniens, Polens und Brasiliens. Diese paßten nicht in das Bild der Weltmacht-Konstellation, das sie aus der Geschichte kannten, und sie vertrugen sich nicht mit der festen Uberzeugung, die die nationalen Publizisten von der - gerade wiedererrungenen - Weltmachtstellung Deutschlands hegten: wie konnten solche Klein- oder bestenfalls Mittelmächte wagen, gegen das Deutsche Reich aufzutreten? Rohrbach bot eine recht ideenreiche Erklärung. Schon Anfang 1926 hatte er die zunehmende italienische „Brutalität" in Südtirol notiert 9 ) und vermutet, daß sich Mussolini dabei der Zustimmung der Westmächte sicher sein müsse. Die einzig logische Erklärung sah er in einer italienisch-englischen Vereinbarung für den Fall kriegerischer Verwicklungen um Mossul. 1 0 ) Englische Aktivitäten vermutete er auch hinter dem Stocken der tschechisch-russischen Verhandlungen über eine diplomatische Anerkennung Moskaus. Offenkundig - so Rohrbach - verlangte nun Paris als Preis für diese englischen Aktionen Ratssitze für Spanien, Brasilien und Polen. „Für England ist dies Verlangen nicht gerade bequem",! 1 ) meinte Rohrbach, aber London werde seiner Nahost-, vor allem aber seiner Rußlandpolitik wegen notgedrungen nachgeben. 1 2 ) Dieses Dilemma zeige nun den deutschen Weg auf. Es lag auf der Hand, daß England lieber Deutschland allein im Völkerbundsrat sehen würde, 13 ) aber nachgeben müsse, wenn Deutschland selbst nicht fest bliebe! Warschaus Drohung mit seinem Austritt, falls seine Ansprüche nicht befriedigt würden, sei doch reiner Bluff! 1 4 ) Aber nur wenig später wurde bekannt, 7) 8) 9) 10) 11) 12)

Karlsruher Tagblatt Nr. 97 vom 27.2.1926. So der Titel seines Aufsatzes in: DDG Nr. 4 vom 24.2.1926, S. 197 ff. Banater Deutsche Zeitung Nr. 9 vom 13.1.1926. LaK 5, 1926. Heidelberger Tageblatt Nr. 37 vom 13.2.1926. DDG Nr. 4 vom 24.2.1926, S. 198. „Diese Vorgänge sind wieder eine Lehre in dem hier stets vertretenen Sinn, daß die europäische Politik unmöglich einen stabilen Charakter annehmen kann, solange zwischen England und Rußland das jetzige Verhältnis besteht." ebda, S. 198. 13) Banater Deutsche Zeitung Nr. 55 vom 9.3.1926. 14) Karlsruher Tagblatt Nr. 108 vom 9.3.1926.

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daß Frankreich auf der Locarno-Konferenz in der Frage des Ostpaktes nachgegeben hatte, weil England seine Unterstützung des polnischen Anspruches auf einen (ständigen) Ratssitz zugesagt hatte. Fassungslos bewunderte Rohrbach die „schauspielerische Geschicklichkeit" des englischen Außenministers Chamberlains; 15 ) aber völlig verwirrt war er, als durch die Presse ging, daß London ernsthaft den spanischen Anspruch auf einen (ständigen) Ratssitz förderte. In dieser verworrenen Situation war eine völlig neue Analyse nötig. Rohrbach behalf sich mit der Behauptung, daß England in Wahrheit den polnischen Anspruch unterstütze, daß diese Verpflichtung aber auf eine persönliche Initiative Chamberlains zurückgehe, die nun von der englischen Öffentlichkeit, in Erinnerung an Greys Haltung bei den Anfängen der Entente, heftig kritisiert werde. i 6 ) Der brasilianische Einspruch müsse nur als „Theaterdonner" einer Macht gewertet werden, die von London und Paris vorgeschickt sei, um Zeit zur Klärung der überaus verfahrenen Situation zu gewinnen. Wieder einmal war Rohrbachs Interpretation halb richtig, halb falsch. Heute steht fest, daß Briand den brasilianischen Anspruch nicht unterstützte, daß er ihm aber sehr gelegen kam, um aus seinen „polnischen Nöten"herauszufinden. Rio erhielt dagegen Rückendeckung von Italien, das anscheinend von der Sorge um seine Südtirol-Politik bewogen wurde, Deutschlands Eintritt zu sabotieren. 1 7 ) Auf diese Möglichkeit kam Rohrbach nicht, weil er im Völkerbund nur die Auseinandersetzungen der Großmächte sehen wollte, zu denen er Italien auf keinen Fall zählte. Für seine These fand er einen anderen Beweis in den französisch-türkischen Gesprächen vom Februar 1926. Bis dahin verlief die strategisch wichtige Bagdad-Bahn zwischen Adana und Mossul an zwei Stellen durch syrisches Gebiet; die Franzosen, seit 1920 als Mandatsmacht in Syrien, konnten also türkische Truppentransporte in Richtung Mossul unterbinden. Andererseits erreichten sie durch geringfügige territoriale Zugeständnisse, daß praktisch die ganze Bahn durch türkisches Gebiet verlief,» 8 ) was England in seinen Auseinandersetzungen um das wichtige ölgebiet Mossul entscheidend schwächen m u ß t e . ' 9 ) Voller Eifer sammelte Rohrbach englische Pressestimmen, die gegen die französisch-türkischen Vereinbarungen mit dem Hinweis auf den Mandatscharakter Syriens protestierten; 2 0 ) denn vor diesem Hintergrund ordnete sich vorläufig der Kampf um Deutschlands Eintritt fugenlos in das Spiel der „Großen Politik" ein.

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Heidelberger Tageblatt Nr. 49 vom 27.2.1926. DDG Nr. 5 vom 8.3.1926, S. 262 ff. Heidelberger Tageblatt Nr. 61 vom 13.3.1926. Spenz, Diplomatische Vorgeschichte, S. 145-48. Bis auf den damals in der deutschen Presse berühmten „Entenschnabel zum Tigris". Tatsachlich wurde der Streit um das Wilajet Mossul am 6.6.1926 zugunsten Englands entschieden; es fiel an das britische Mandat Irak. Heidelberger Tageblatt Nr. 61 vom 13.3.1926.

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Zu seiner Bestürzung scheiterte der deutsche Beitritt tatsächlich am brasilianischen Veto. Noch kurz vor Konferenz-Ende hatte er wütend Chamberlain und die „Kümmelblättchen-Diplomatie des Völkerbunds" beschimpft; 2 ») nach der ergebnislosen Sitzung versteifte er sich darauf, nur die englisch-französische Intrige zur Erzwingung eines polnischen Ratssitzes haben den Eintritt scheitern lassen. „Die Methode . . . war zum Greifen deutlich. Man rührte den Schlamm gründlich auf, wozu Spanien und Brasilien gut genug waren, und ließ dann den polnischen Fisch in den Teich. Unklar ist zur Zeit nur, ob Brasilien, nachdem es einmal gerufen war, sich bloß nicht hat zurückpfeifen lassen, oder ob eine andere große Intrige dahinter steckt." 2 2 ) Kein Wunder, daß man die tieferen Zusammenhänge jener zehn Genfer Tage nicht untersuchen wollte. 2 3 ) Und noch einmal lag Rohrbach nicht gänzlich falsch: bei einem entschiedenen englisch-französischen Druck hätte Brasilien höchstwahrscheinlich nachgegeben. Erstaunlich war, daß seine Wertschätzung Stresemanns durch das März-Fiasko stieg. Die Koppelung von Locarno und Sicherheitspakt • zuerst als Unvorsichtigkeit getadelt - schuf Deutschland eine Position, die schon vor der Aufnahme tief in das Gefüge des deutschfeindlichen Blockes in Genf eingriff: ein „Meisterstück", das sich in der Einladung an Berlin manifestierte, an der Reform des Völkerbundsrates „mitzuwirken, ohne Mitglied zu sein." 2 4 ) Ebenso bewundernswert schien ihm Stresemanns Durchkreuzung der 'beliebten' englisch-französischen Taktik, lockende Visionen zu entwerfen, die dann am deutschen Nein scheiterten. 25 ) Wenn Rohrbach nach dem März 1926 langsam zu seiner alten Haltung in allen Völkerbundsfragen zurückkehrte, so lastete er die Verantwortung doch nicht der deutschen Politik an. 2 6 ) Der März 1926 bewies ihm nur endgültig, daß sich an der französischen Politik nichts Grundsätzliches geändert h a t t e , 2 ' ) daß sich vielmehr

21) „An dem moralischen Urteil über die Vorgänge vor und in Genf ist nichts mehr zu ändern. Man hat versucht, uns zu betrügen und zu überrumpeln. Wir haben uns zur Wehr gesetzt und erreicht, daß der Kampf von den Gegnern abgebrochen werden mußte . . . Die parfümierte Wolke hat sich verzogen, und was darunter gelegen hat, das riecht so schlecht, wie Unehrlichkeit und Schiebung stets riechen. Deutschland hat seinen Vorgeschmack vom Völkerbund weg!" Siebenbürgisch-Deutsches Tageblatt Nr. 15821 vom 24.3.1926. 22) DDG Nr. 6 vom 23.3.1926, S. 329/30. 23) Heidelberger Tageblatt Nr. 75 vom 30.3.1926. 24) Karlsruher Tagblatt Nr. 139 vom 10.4.1926. 25) „Nach dieser Methode wurde gearbeitet, und es war kein Zeichen geringer diplomatischer Geschicklichkeit, daß die deutschen Vertreter in Genf es fertigbrachten, ihr mit einigem Erfolg entgegenzutreten. Allerdings war der Preis dafür das tschechisch-polnische Tauschkompromiß." Allgemeine Zeitung (SWA) Nr. 55 vom 8.5.1926. 26) Heidelberger Tageblatt Nr. 83 vom 10.4.1926. 27) DDG Nr. 16 vom 26.8.1926, S. 965 ff.

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Frankreichs Politik verhärtete. Als im Juli 1926 Poincaré wegen der noch nicht gemeisterten Franc-Krise Herriot ablöste, beseitigte dieser Regierungswechsel alle Zweifel. 2 8 ) Überall erkannte er den wiederauflebenden „Poincarismus", 2 9 ) den immer noch „stärksten psychologischen Faktor in der französischen Politik." 3 0 ) Eben dieser nationalistische Kurs, 3 1 ) den er nach der relativ deutschfreundlichen Locarno-Phase als französische Angst vor der eigenen Kühnheit interpretierte, ließ ihn an der Aufrichtigkeit der Begeisterung zweifeln, mit der Deutschland im Herbst 1926 in den Bund aufgenommen wurde. Speziell Briands versöhnliche Rede schien ihm ein Gipfel heuchlerischer Verstellung, 32 ) und mit Nachdruck verwies er auf anderslautende Stimmen im „Temps", dem „Pariser Organ Briands", 33 ) die nach Rohrbachs Rezension die vorbehaltslose Anerkennung des Versailler Vertragswerkes forderten: Darauf könne die „wahre Versöhnung" folgen, und wenn wir dann das Rheinland geräumt sehen möchten, so müßten wir trotz „Locamo, trotz Genf und trotz der ausgebreiteten Arme des Herrn Briand" dafür eben kräftig zahlen. Gerade die französische Finanzkrise schien ihm der Schlüssel zu der „Genfer Komödie" zu sein: Frankreich müsse jetzt stabilisieren und benötige dazu einen grossen Auslandskredit sowie einen Wirtschaftsvertrag, der seine Industrie abschirme, bis die Umstellung von der augenblicklich vorteilhaften Lage, die sich aus dem Dumping-Effekt der fortschreitenden Inflation auf dem Weltmarkt ergebe, zu normalen Verhältnissen gelungen sei. Rohrbach meinte in zeittypischer Überschätzung der deutschen Möglichkeiten, nur Berlin könne einen solchen Vertrag bieten und die nötigen Stabilisierungs-Gelder aufbringen, die Paris natürlich lieber als Loskaufgelder für die Rheinlandräumung denn als deutsche Kredite erhalten möchte. 31 *) Briand mußte also Deutschland zu Zahlungen bewegen, was ohne politische Konzessionen ausgeschlossen war, und gleichzeitig seinen nationalistischen Kritikern versichern, auch nach dem September 1926 bleibe Deutschland durch Versailles gebunden: 3 5 ) Das war die wahre französische Linie! 3 6 ) Auch in England glaubte er die Einsicht in die Zusammenhänge zu erkennen: der dort plötzlich auftretende Mißmut über die drohende Ausschaltung aus dem europäischen Gespräch sei nur eine Umschreibung der eigenen Wirtschaftssorgen 3 ') und der Befürchtung, Paris und Berlin könnten weitgehende Wirtschafts- und Handelsverträge abschließen. Mit seinem Mißtrauen stand er nicht allein. Bis weit in die Mitte der deutschen Parteien wurde mit einigem Recht daran gezweifelt, daß Poincaré allen Aspekten 28) 29) 30) 31) 32) 33) 34) 35) 36) 37)

Karlsruher Tagblatt Nr. 269 vom 20.8.1926. Banater Deutsche Zeitung Nr. 203 vom 8.9.1926. Karlsruher Tagblatt Nr. 286 vom 6.9.1926. Heidelberger Tageblatt Nr. 211 vom 11.9.1926. Karlsruher Tagblatt Nr. 299 vom 19.9.1926. Banater Deutsche Zeitung Nr. 214 vom 22.9.1926. Karlsruher Tagblatt Nr. 305 vom 25.9.1926. Banater Deutsche Zeitung Nr. 220 vom 29.9.1926. Heidelberger Tageblatt Nr. 223 vom 25.9.1926. Allgemeine Zeitung (SWA) Nr. 130 vom 30.10.1926.

171

der Genfer Rede seines Außenministers vorbehaltlos zustimmte. Da Rohrbach fest an eine Solidarität der französischen Gesinnung gegenüber Deutschland glaubte, m u ß t e er Briands Auftreten in Genf konsequenterweise naiv oder heuchlerisch nennen - oder, und dieser Gedanke trat bald in den Vordergrund, als durchtrieben: Briands Rede war gar nicht an die deutsche Adresse gerichtet. Vorerst aber nahm er Stresemann gegen die Kritik der Rechten in Schutz: 3 8 ) Nicht, daß mit dem Eintritt trotz aller tönenden Reden die deutsche Souveränität, das höchste Ziel aller Politik, schon erreicht sei. 3 9 ) Aber mit dem Eintritt wurde die moralische Verfemung endgültig beendet und ein wichtiger Schritt auf dem Wege zum Wiederaufstieg g e t a n ! 4 0 )

2.3.5

Thoiry

Alle seine Annahmen fand Rohrbach in dem Gespräch von Toiry und mehr noch in den politischen Parallel-Ereignissen bestätigt. Weit davon entfernt, Thoiry als romantischen Nachklang oder Improvisation zu beurteilen, vermutete er im Gegenteil weitreichende Verabredungen. Die bemerkenswerteste Folge des Gesprächs schien ihm das Treffen Chamberlains mit Mussolini. 1 ) Ein solcher Schritt könne nicht nur durch wirtschaftliche Absprachen in Thoiry herbeigeführt sein, die Rohrbach aufgrund voreiliger Pressemeldungen als Hauptgesprächsthema vermutete. Zwar sei der französische Wunsch nach Kommerzialisierung der deutschen Eisenbahn-Obligationen aufgrund der Notwendigkeit, größere Summen zur Stabilisierung zu erhalten, an sich logisch; aber er müsse angesichts der amerikanischen Haltung als aussichtslos bezeichnet werden. 2 ) Ohne den Markt der USA lasse sich eine solche Transaktion nicht durchführen; außerdem rufe Thoiry in den USA den Eindruck einer europäischen Front hervor, die eine Einmischung der Vereinigten Staaten verhindern solle. 3 ) Zweifellos sei die amerikanische Stimmung zugunsten Deutschlands umgeschlagen, 4 ) so daß dort profranzösische Aktionen, die dazu noch den Charakter einer Vorleistung trügen, völlig ausgeschlossen sei-

38) 39) 40) 1)

2) 3) 4)

172

DDG Nr. 18 vom 30.9.1926, S. 1093. Wie er offensichtlich unter Anspielung auf Strescmanns „Gambrinus-Rede" formulierte. a.a.O., S. 1095. „Ks ist noch nicht lange her, seit der englische Außenminister mit jener vielbeachteten und unnachahmlichen Handbewegung im Parlament die Zumutung eines intimen Einverständnisses mit dem Fas2istenhäuptling abwies." Heidelberger Tageblatt Nr. 23 J vom 9.10.1926. Banater Deutsche Zeitung Nr. 237 vom 19.10.1926. DDG Nr. 19 vom 15.10.1926, S. 1156 ff. Heidelberger Tageblatt Nr. 247 vom 23.10.1926.

en! 5 ) Ohne die Ratifizierung des französisch-amerikanischen Schuldenabkommens war für Paris weder direkte noch indirekte Hilfe aus Washington zu erwarten.6) Rohrbach war zu klug, sich über Poincarés Dilemma - finanzielle Hilfe erst nach drückenden Zahlungsverpflichtungen gegenüber den USA - zu freuen. Denn der entschiedene, gegen Thoiry gerichtete 'Feldzug' Poincarés ließ ihn befürchten, daß dieser einen Weg zur Stabilisierung ohne deutsche Hilfe sah. 7 ) Rohrbach kritisierte die entschiedene amerikanische Absage an alle Kommerzialisierungs-Pläne. Sie mußte Frankreich den Entschluß, auf jede Hilfe und damit Einwirkungsmöglichkeit von außen zu verzichten, erleichtern. 8 ) Warum aber hatte sich Poincaré in die ungünstige Lage bringen lassen, daß sein Außenminister in Genf versöhnliche Zukunftsbilder malte, die er mit unsinnigen 9 ) und harten Aktionen durchkreuzte? 1 0 ) Eine solche politische „Panne" traute Rohrbach den Franzosen nicht zu. Selbst wenn jetzt die „Thoirysten" mit Hilfe von Verleumdungen einen Rückzug anträten, 1 1 ) so sei doch die vernünftigste Erklärung, Thoiry und Poincarés „Sabotage" als einen innerpolitischen Kampf zu werten, in dem Briand unterlag. Rohrbach sah sich bestätigt durch die Tatsache, daß Poincaré die Stabilisierung des Franc ohne nennenswerte ausländische Unterstützung gelang. Er bezweifelte aber selbst, daß Thoiry so völlig ausgedeutet sei, obwohl er nie die These aufgab, daß die französische Wirtschafts- und Finanzlage ein Hauptgrund für das Gespräch gewesen sei, in dem Briand - mit allerdings durchaus unehrlichen Versprechungen - versucht habe, eine große Summe aus Deutschland herauszulocken: ein Beweis, daß Frankreich aufgrund seiner schlechten Finanzlage in die Defensive geraten war. 1 2 ) Aber das finanzielle Motiv erschien dem Außenpolitiker Rohrbach nicht ausreichend. In dem Besuch des französischen Präsidenten in L o n d o n Mitte 1927 glaubte er die erneute Entente zu e r k e n n e n . 1 3 ) Jetzt „erfüllte" sich seine Voraussage, daß 5) 6)

7) 8) 9)

10) 11)

12) 13)

Karlsruher Tageblatt Nr. 326 vom 16.10.1926. Heidelberger Tageblatt Nr. 259 vom 6.11.1926. Rohrbach bezog sich auf das am 29.4. 1926 in Washington unterzeichnete Mellon-Bérenger-Abkommen, das aber wegen der Franc-Aufwertung nicht ratifiziert wurde. Vgl. Zimmermann, Außenpolitik, S. 317, Anm. 5. Karlsruher Tagblatt Nr. 3 vom 3.1.1927. „Thoiry? - Abwarten!" DDG Nr. 20 vom 28.10.1926, S. 1220 ff. „Der französische Bourgeois ist so ahnungslos in strategischen Dingen, daß man es ruhig wagen kann, das Gespenst (des deutschen Militarismus) mit den gröbsten Pinselstrichen zu malen." Allgemeine Zeitung (SWA) Nr. 145 vom 4.12.1926. Rohrbach vermutete, daß Poincaré mit solchen Droh- und Schreckensbildern seine eigene Position gerade in der bevorstehenden Stabilisierungs-Krise festigen wollte. Banater Deutsche Zeitung Nr. 249 vom 3.11.1926. „Von dem Augenblick an, wo wir uns in Deutschland überzeugen sollten, daß Frankreich nicht den ernsten Willen hat, sei es auch gegen vernünftige deutsche Gegenleistungen, das Rheinland zu räumen, ist es besser, wir machen einen Schlußstrich unter das ganze Gerede und überlassen es den Franzosen, wann sie wieder - wie Briand in Genf sich durch ihre eigenen Nöte dazu getrieben fühlen, davon anzufangen." DDG Nr. 20 vom 28.10.1926, S. 1221. Heidelberger Tageblatt Nr. 271 vom 20.11.1926. Karlsruher Tagblatt Nr. 139 vom 21.5.1927.

173

jedes Nichtoptieren zwischen Ost und West zu erneuten englisch-französischen Bindungen führen müsse, denen Locamo und Thoiry schon zum Opfer gefallen s e i e n . 14) Ob angesichts dieser Situation die deutsche Neutralität noch wünschenswert sei, wollte Rohrbach nun bezweifeln; 1 5 ) mit dem „nahe bevorstehenden" englisch-russischen Konflikt war die Politik der durch London, Locamo und Thoiry gebotenen Möglichkeiten beendet! 1 6 ) Schon seine erste außenpolitische Analyse nach Thoiry kündigte die Wendung gegen Stresemann an. Faktisch nahm, so meinte er, Deutschland die beste Position ein, als England uns im Völkerbund brauchte und Frankreich zu schwach war zu widersprechen. Vorbereitet war die Lage durch das etwa seit 1923 datierende Interesse an einer wirtschaftlichen Beruhigung des Kontinents. Ergebnis dieses Interesses war London und dann folgerichtig Locamo. Die speziellen gegen Rußland gerichteten Pläne Londons durchkreuzte Deutschland mit dem Berliner Vertrag, aber das sich daraufhin verschlechternde deutsch-englische Verhältnis wurde aufgewogen durch die Verbesserung der deutschen Position gegenüber Frankreich. Dieses schien wegen seiner finanziellen Schwierigkeiten darauf angewiesen, die finanzielle Hilfe Berlins mit Zugeständnissen im Rheinland zu bezahlen (Thoiry). Die Situation änderte sich grundlegend, als es Poincaré gelang, den Franc aus eigener Kraft zu stabilisieren. Genf und Thoiry waren also nur noch „ein außenpolitisches Spiegelbild der Fieberkurve des Franken." Der Patient sei nun gesund und weise die Medizin zurück, nach derer vorher die Hand ausstreckte. Jetzt konnte Poincaré es sich leisten, Briand quasi in die Ecke zu stellen. 1 7 ) Mit zunehmenden Abstand bemühte sich Rohrbach außerdem, Thoiry in seine These vom französisch-englischen Antagonismus einzuordnen. Mußte Thoiry nicht eher als ein Versuch des durchtriebenen Briands aufgefaßt werden, auf England Druck auszuüben? „Jedenfalls war es auffallend, daß England durch zwei Minister, Chamberlain und Churchill, unmittelbar nach Thoiry Fühlung mit Italien suchte. Italien war und ist der einzige überhaupt in Betracht kommende Gegner Frankreichs in Europa." 1 8 ) Wenig später baute Rohrbach diesen Gedanken weiter aus. MacDonald holte Deutschland als Gegengewicht zu Frankreich in den Völkerbund, und weil Briand erkannte, daß eine französische Weigerung die Weltöffentlichkeit gegen Paris erregt hätte, verzichtete er darauf und trieb den Teufel durch Beelzebub aus. Wahrhaft genial spielte er durch Genf, noch mehr durch das Halbdunkel um Thoiry,

14) 15) 16) 17) 18)

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„Der Frontwechsel in der Weltpolitik". Banater Deutsche Zeitung Nr. 114 vom 24.5. 1927. Heidelberger Tageblatt Nr. 72 vom 26.3.1927. Westfälische Zeitung (Bielefeld) Nr. 5 vom 7.1.1927. Nürnberger Zeitung Nr. 154 vom 5.7.1927. Heidelberger Tageblatt Nr. 80 vom 6.4.1929.

den Engländern das Bild einer weitreichenden deutsch-französischen Verständigung vor. Der dabei anklingende Gedanke eines umfassenden Wirtschaftspaktes mit antienglischer Spitze genügte, um London umschwenken zu lassen: die Entente lebte wieder auf! 1 9 ) Somit erwies sich Thoiiy als Bluff und war, wie Rohrbach ab Februar/März 1927 urteilte, nicht Ausgangspunkt, sondern Endpunkt jener hoffnungsvollen Periode der deutschen Politik, die mit London 1924 begann, in Locarno plötzlich sichtbar wurde und in dem Berliner Vertrag verschenkt wurde. Zur Beurteilung seiner Publizistik in den Jahren 1924 bis Mitte 19272°) müssen seine drei Grundthesen vom englisch-russischen Gegensatz, vom englisch-französischen Antagonismus und dem angloamerikanischen gemeinsamen Wirtschaftsinteresse betrachtet werden, wobei sich sofort zeigt, daß Rohrbach zwar Symptome entdeckte, die von ihnen angezeigte Krankheit aber falsch diagnostiziert hat. Es traf zu, daß die gespannten englisch-russischen Beziehungen London im Jahre 1924 befurchten ließen, Berlin könne sich für eine östliche Orientierung entscheiden, weil Moskau die mit Rapallo begonnenen wirtschaftlichen Beziehungen auf politischem Gebiet auszubauen bestrebt war. Dem begegnete England durch die Aufnahme Deutschlands in den Völkerbund. Immerhin war Rohrbachs These vom Aufbau einer antirussischen Front Westeuropas nicht ganz aus der Luft gegriffen, da die russische Politik dieser Jahre unter dem Eindruck einer solchen Aktion stand und sie publizistisch-propagandistisch bekämpfte. 21 ) Die Annahme eines bevorstehenden Krieges entbehrte jeder Grundlage. Richtig war ebenfalls, daß die Ziele der englischen und französischen Politik auseinandergingen, aber ihre Differenzen trugen keinen feindseligen Charakter. Frankreichs außenpolitische Hauptsorge war seine Sicherheit, aber die USA blieben dem Völkerbund fern und London und Washington ratifizierten die Garantieverträge nicht. Nach der Preisgabe militärischer Sanktionsmöglichkeiten im Zusammenhang mit der Reparationsfrage, wie sie Frankreich auf der Londoner Konferenz zugestand, scheiterte die Ratifizierung des Genfer Protokolls vom 2. Oktober 1924 am Widerspruch der englischen Dominions, den England als Folge einer durch den Weltkrieg veränderten Lage berücksichtigen mußte. Andererseits konnte es sich den französischen Befürchtungen, daß Deutschland durch den wirtschaftlichen und industriellen Wiederaufbau rasch zu einem ernsthaften Machtfaktor werden müsse, nicht verschließen. Eigenes Interesse, Wunsch nach europäischer Stabilität und Rücksichtnahme auf den ehemaligen Ententepartner führten nach Locarno und Genf, so daß im Ganzen die Erneuerung der Entente weit eher möglich schien als

19) LaK29, 1929. 20) Zu diesem Zeitraum vgl. Zimmermann, Außenpolitik, S. 217-335. Zu England auch: K. D. Erdmann, Wandlungen des britischen Reichsbewußtseins vom 19. zum 20. Jahrhundert. Saeculum 2, 1951, S. 595 ff. 21) Vgl. dazu H. Grieser, Die Sowjetpresse über Deutschland in Europa 1922-1932, Stuttgart 1970, S. 85 ff, S. 178 ff und S. 240 ff.

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ein offen ausgetragener Gegensatz. Einen solchen in Rechnung zu stellen, verkannte die durch den Weltkrieg veränderte Lage Großbritaniens, der Dominions und der Situation in den kolonialen Gebieten Afrikas und Asiens, in denen ja nach Khartum nicht Frankreich, sondern Deutschland die englischen Interessen zu stören drohte. Zutreffend war seine Beobachtung der schon auf der Washingtoner Flottenkonferenz angebahnten anglisch-amerikanischen Verständigung; 213 ) es traf auch zu, daß Frankreich von der Nachkriegskrise später und schwächer betroffen wurde als England. Die nach London führende Entwicklung wurde aber nicht gegen Frankreichs Willen erzwungen, sondern war Folge der auch in Paris wachsenden Einsicht, daß die Reparationszahlungen nicht mit territorialen Sanktionsdrohungen gesichert werden k o n n t e . 2 2 ) In dieser Frage bestand vor dem Hintergrund der interalliierten Schulden sogar ein englisch-französisches Einvernehmen, das im Sinne Rohrbachs bestenfalls durch Englands ausserkontinentale Interesse abgeschwächt bzw. modifiziert wurde. Richtig war seine Beobachtung vom angloamerikanischen Interesse an einer Wirtschaftsbelebung. 2 3 ) Hierin ein Motiv für massiven Druck auf Paris zu sehen, war völlig irreal. Alle drei Thesen Rohrbachs waren also falsch, zumindest fragwürdig, und beruhten auf einer überbewertenden Fehlinterpretation einzelner Anzeichen. Selbst die fundamentale Basis-These vom schlechten französischen Willen gegenüber Deutschland hätte Rohrbach zumindest zeitweise modifizieren müssen, wie er ja anfangs selbst zugab, daß mit Herriot das Ende des harten, nationalistischen, „poincaristischen" Kurses gekommen war. Völlig in der Uberzeugung vom „Primat der Aussenpolitik" befangen verkannte er aber, daß Herriot mit ähnlichen psychologischen Schwierigkeiten zu kämpfen hatte wie Stresemann. Trotz falscher Grundthesen und trotz der Verkennung des Stresemannschen Leitmotivs hieß Rohrbach dessen Politik anfangs gut. Damit stand er nicht allein, sondern seine Motive gelten für viele „nationale" Publizisten mit durchaus anderen Grundanschauungen, so daß man ihn - mit den gebotenen Vorbehalten - als repräsentativ bezeichnen darf. London und der Dawes-Plan waren in ihren Augen der unvermeidliche Preis für die Beseitigung der territorialen Sanktionsdrohungen und die wirtschaftliche Belebung. Locarno erbrachte die Beruhigung Frankreichs und damit außenpolitische Aktionsfreiheit im Westen; der Berliner Vertrag erfüllte diese Aufgabe im Osten. 2 4 ) Der Eintritt in den Völkerbund mit dem deutschen Rats22) 23)

24)

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Das hatte auch Rohrbach zugeben müssen - Deutsche Süd-California-Zeitung (Sari Diego) vom 20.4.1923 - aber in seinen deutschen Artikeln stets geleugnet. Wenn auch seine Bewertung des amerikanischen Wunsches nach Waren- und Kapitalexport als verkappter Imperialismus in die Irre ging. Die Monroe-Doktrin w a j ihm immer eine „verschämte Abart" des europäischen Imperialismus - DDG Nr. 2 vom 25.1.1926, S. 70. Es fallt auf, daß Rohrbach zwar immer wieder die Möglichkeit des englisch-deutschen Bündnisses ins Gespräch brachte, selbst aber nie expressis verbis forderte. Die Furcht, als der schwächere Teil einem starken Bündnispartner ausgeliefert zu sein, hatte in Deutschland eine bis auf Bismarck zurückgehende Tradition.

sitz beendete die moralische Verfemung, dokumentierte - so meinten sie - die offensichtlich anerkannte Großmachtstellung und erschloß Deutschland auch die letzte, bisher verschlossene Plattform politischen Wirkens. Entscheidend wurde allerdings, wie nach der Kette politischer Erfolge der Kurs in der Phase der dann offenkundigen Stagnation ausgerichtet werden sollte. Und hier zeigte sich, daß die nationalen und distanzierten Publizisten nur bedingt und nur so lange, wie er schnelle Erfolge aufzuweisen hatte, Stresemanns Weg gegangen waren. Denn ab Mitte 1927 bewies das akut werdende Reparationsproblem, daß die Hauptlast des verlorenen Krieges noch ausgestanden werden mußte.

2.4

Die Jahre 1928 - 1932

2.4.1

Das Reparationsproblem

(1924-1928)1)

Rohrbach hatte den Dawes-Plan trotz Kritik an politischen Einzelfragen insgesamt gutgeheißen,2) aber von Anfang an die Bedeutung der Transfer-Klausel in ungewöhnlichem Maße hervorgehoben 3 ) und jeden Versuch der Empfängerländer, sie zu umgehen oder außer Kraft zu setzen, zum Prüfstein für deren Vertragsloyalität hochgespielt. 4 ) Die Entwicklung der deutschen Wirtschaft und Finanzen 5 )betrachtete er wie viele Deutsche mit unberechtigtem Optimismus und vertrat noch Anfang 1927 die Ansicht, Deutschland habe seinen Aufschwung nur seiner „Regenerationskraft" zu verdanken. 6 ) Er erkannte den einseitigen Kapitalfluß, meinte aber, das sich daraus ergebende Interesse der USA an Ruhe, Frieden und weiterer wirtschaftlicher Expansion bzw. Möglichkeit zur Kapitalanlage wiege als außenpoliti-

1)

2) 3) 4) 5) 6)

Die folgende Darstellung wird erschwert, da bis jetzt eine Arbeit fehlt, die das überaus komplizierte Geflecht von Steuern, Kapitalbedarf, Expansion, Reparationen und Innenpolitik darstellt. Die Aussagen Schachts und Luthers sind nur mit Vorbehalt aufzunehmen; die Zahlenangaben bei Ronde differieren mit offiziösen und offiziellen Pressemeldungen. Einen recht guten Überblick über die deutsche Finanzentwicklung gibt H.Dieckmann in ihrer Arbeit über Johannes Popitz, Berlin 1960, S. 4 2 ff., der von 1925-29 Staatssekretär im Reichsfinanzministerium war. Die Arbeit von Link läßt erkennen, daß die deutsche Öffentlichkeit über das ganze Problem kaum informiert wurde und wohl auch - wegen der komplizierten Materie, aber auch den deutschen Absichten - kaum informiert werden konnte. Heidelberger Tageblatt Nr. 205 vom 3.9.1924. ebda Nr. 274 vom 22.11.1924. DDG Nr. 1 vom 4.12.1924, S. 33. Dazu Ronde, S. 124-26. Deutsche La Plata-Zeitung Nr. 70 vom 25.3.1927.

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scher Faktor gewisse Bedenken gegen die Anleihepraxis a u f ) Innenpolitisch schlug er sich auf die Seite eines kompromißlosen Wirtschaftsliberialismus.8) Das Erwachen kam Mitte 1927. In seinem Halbjahresbericht vom 10. Juni 1927 hatte der Reparationsagent Parker Gilbert auf eine innere deutsche Uberentwicklung hingewiesen und einen Ausgleich der Außenhandels-Bilanz gefordert. Während Rohrbach, ohne die Berechtigung der Mahnungen abstreiten zu können, 9 ) insgesamt doch unwillig und ablehnend reagierte, 10 ) begann die Reichsregierung, vorsichtige Bedenken gegen den Dawes-Plan vorzubringen. Seit dem 1. September 1926, dem dritten Dawes-Jahr, war der Bartransfer, also der reine Devisenkauf gestattet. Gegen diese für den Empfänger vorteilhafteste Form wurde eingewendet, daß sie, bei einer passiven Zahlungs- und Handelsbilanz wie der deutschen, die „nachteiligste Ubertragungsform" darstelle. Allein von hier aus sei ein Uberdenken des ganzen Dawes-Planes angebracht. 1 1 ) Rohrbachs Reaktion war nicht eindeutig. Einerseits bezeichnete er jede Stimme von der Unerfüllbarkeit des Planes als „Ungeschicklichkeit", bestärke sie doch die Franzosen in ihrer „Faustpfand-Theorie" des Rheinlandes 12 ) und provoziere weitere Eingriffe in die deutsche Souveränität. 13 ) Das Hauptargument müsse vielmehr lauten: auf die Dauer keine Zahlungen ohne Exportüberschüsse von mehr als zwei Milliarden per annum; 1 4 ) dies - und auf keinen Fall die passive Handelsbilanz 15 ) müsse in den Vordergrund gestellt werden. Solche Uberschüsse seien aber unmöglich zu erwirtschaften, folglich stehe der „unvermeidbare und unfreiwillige Zusammenbruch" des Dawes-Planes bevor! 16 ) In der Tat ging der Dawes-Plan von deutschen Außenhandels-Überschüssen aus. 1 '') Aber das Dilemma war offenkundig: Stellte Berlin die Reparationszahlungen ein und gab damit zu, daß es keine Devisen, mithin keine Uberschüsse erwirtschaften konnte, stand zu befürchten, daß das Ausland seine Anleihen zurückrief. Rohrbach wußte nur zu gut, daß diese Gelder nicht nur zu Strukturverbesserung und zum Ausbau der Industrie angelegt waren. Er wußte auch, daß kurzfristige Gelder in langfristigen Projekten steckten, bei Abruf also gefährliche Verwirrung hervorrufen mußten. Freilich - Kritik an dem Hauptschuldigen dieser Fehlentwicklung, der Reichsbank, lag ihm zu dieser Zeit noch fern. 1 8 ) 7) 8) 9) 10) 11) 12) 13) 14) 15) 16) 17) 18)

178

ebda Nr. 75 vom 31.3.1925. Sächsische Industrie, 22. Jg. 1926, S. 422 ff. DDG 1927, 1. Augustnummer, S. 100. Dazu Link, S. 411 ff. DDG 1927, 2. Augustnummer, S. 148. Der Heimatdienst, 7. Jg. 1927, Nr. 11, S. 177. Heidelberger Tageblatt Nr. 175 vom 30.7.1927. Deutsche La Plata-Zeitung Nr. 191 vom 17.8.1927. Banater Deutsche Zeitung Nr. 170 vom 2.8.1927. Düsseldorfer Nachrichten Nr. 378 vom 29.7.1927. ebda. Ronde, S. 115/16. Rohrbach an Schacht vom 5.10.1928 - Nachl. Schacht.

Der auf die Dauer unhaltbare Schwebezustand drängte zu einer endgültigen Regelung, mit der man auch weitgehende politische Zugeständnisse hoffte erkaufen zu können. 1 9 ) Im Oktober 1927 warnte Parker Gilbert erneut. 2 0 ) Es sprach für Rohrbachs Überheblichkeit, wenn er darin nur den Neid der Gläubigerländer auf den deutschen Lebensstandard sehen wollte 2 1 ) oder Gilberts Schritte als Folge des amerikanischen Wahlkampfes diffamierte. 22 ) Aber Berlin beherzigte die Mahnungen. Für Rohrbach kam dieser Hinweis auf die sich anbahnende Zahlungskrise zu früh; 2 3 ) völlig einseitig meinte er, der Reparationsagent habe nur die nahe bevorstehende Transfer-Krise24) erkannt und versucht abzuwenden. 2 5 ) Ein Ausgleich der Handelsbilanz lag nun auch im deutschen Interesse 26 ); die nationalen Publizisten wünschten aber nicht, die damit erzielten Uberschüsse als Reparationen abgeschöpft zu sehen. 2 ?) Der Reparations-Jahresbericht für 1927 schien Rohrbach darauf angelegt, die Wogen der Diskussion zu glätten, dafür aber die Debatte um die Schlußsumme einzuhandeln. Das Ausland - speziell Frankreich, das auf 132 Milliarden Goldmark beharrte, - reagierte ungehalten 2 8 ) und Rohrbach stieß sofort nach: je später die Verhandlungen über die Schlußsumme begännen, desto günstiger würde das Ergebnis sein. 2 ') Aus der Sicht der anderen Seite bestätigte Gilbert diese Auffassung: die Transferschutzklausel sei die alliierte Sicherung gegen die Torheit der deutschen Finanzpolitik. Sie lähme jede Bereitschaft zu unumgänglichen Reformen 3 0 ) und - so las es Rohrbach - verführe die Deutschen, die Reparationen zu sabotieren. 31 ) Angesichts dieser augenscheinlich so überragenden

19) Pfälzische Rundschau Nr. 99 vom 10.4.1927. 20) Unter anderem monierte er: versäumte Verwaltungsreform, Kriegsschädenschlußgesetz, das sehr aufwendige Schulgesetz und die Erhöhung der Beamtengehälter, die Rohrbach emphatisch als „eine Frage des deutschen Kulturbesitzes schlechthin" verteidigte. Karlsruher Tagblatt Nr. 299 vom 29.10.1927. 21) Düsseldorfer Nachrichten Nr. 549 vom 29.10.1927. 22) Heidelberger Tageblatt Nr. 270 vom 28.10.1927. Karlsruher Tagblatt Nr. 313 vom 12.11.1927. 23) Deutsche La Plata-Zeitung Nr. 290 vom 10.12.1927. 24) Deutschland zahlte in deutscher Währung die Summen auf das Reparationskonto; konnte der Agent dafür keine Devisen kaufen und erreichten die Konten eine bestimmte Höhe, so traten Moratorien für die Aufbringung ein. 25) Hier irrte Rohrbach; der Anteil der Devisen an den Übertragungen stieg auch weiterhin - Ronde, S. 147. 26) So war im Monatsdurchschnitt 1925-1929 die Handelsbilanz mit 92 Millionen RM passiv - nach dem sog. Beneduce-Bericht in: Documents on British Foreign Policy, 19191939. 2nd series, Vol. 1-4, London 1946-1950, Vol. 2, p. 497. 27) DDG 1927, 2. Dezembernummer, S. 530/31. 28) Heidelberger Tageblatt Nr. 305 vom 31.12.1927. 29) Deutsche La Plata-Zeitung Nr. 23 vom 27.1.1928. 30) So stellte es ein Anonymus in Rohrbachs Zeitschrift dar („Gesamttribut". DDG 5. Jg. Nr. 1 (Januar 1928) S. 7 ff.), mit dessen Ansichten sich Rohrbach sicher identifizierte. 31) Rohrbach an Schacht vom 5.10.1928.

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Bedeutung der Transfer-Klausel wollte er schon den Gedanken an ihre Preisgabe verboten wissen! 3 2 ) Aber die wachsende Verschuldung Deutschlands 3 3 ) und der nach Gilberts Mahnungen langsamer fließende Anleihestrom erzwangen die Zustimmung Berlins zu einer neuen Sachverständigen-Konferenz. Rohrbach kritisierte die deutsche Bereitschaft aus vier Gründen: 1. Eine Schlußsumme festzusetzen heiße bei dem Grundgedanken des Dawes-Planes und unter den heutigen Weltwirtschafts-Bedingungen nur. die S u m m e zu bestimmen, die uns Amerika leihen müsse. 3 4 ) 2. Die Transferschutz-Klausel aufzugeben bedeute, den Hals in eine „zum Wurf bereite Schlinge" zu stecken. 3 5 ) 3.Trotz der 4 8 Milliarden Goldmark, auf die er die deutschen Zahlungen bis zum 31. August 1928 b e z i f f e r t e , 3 6 ) würden die Empfänger keine wesentlich geringeren deutschen Zahlungen akzeptieren - also beiße die Schlange sich in den Schwanz: eine kleine Zahlungserleichterung nutze Deutschland nichts; eine große werde Frankreich nicht zulassen. 3 7 ) 4. Es zeige sich keine politische Konstellation, die Frankreich veranlassen könnte, auf den deutschen Standpunkt einzugehen. 3 8 )

2.4.2 Die Pariser Sachverständigenkonferenz

und der Neue Plan

Auf der Tagung des Völkerbundrates in Lugano vom 9. bis 15. Dezember 1928 sicherten sich Stresemann, Chamberlain und Briand eine verstärkte Zusammenarbeit zur Erledigung der letzten, aus d e m Kriege herrührenden Schwierigkeiten z u . 1 ) Rohrbach zweifelte, daß trotz eindeutiger Aussagen im Reichstag die hiermit festgesetzte Sachverständigen-Konferenz tatsächlich politisch unabhängig s e i 2 ) und

32) 33)

34) 35) 36) 37) 38) 1) 2)

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Karlsruher Tagblatt Nr. 4 9 vom 18.2.1928. Deutsche La Plata-Zeitung Nr. 65 vom 17.3.1928. Am 3 1 . 3 . 1 9 2 8 betrug die deutsche Verschuldung 14598,6 Millionen RM ( D o c u m e n t s o n British Foreign Policy, II, 5 1 1 ) ; das Maß der Verschuldung n a h m zwar 1 9 2 9 erstmals ab (K. Kadzik, England und Deutschland 1930-1932. Berlin (FU) Phil. Diss.1959, S. 69), aber für 1930 wurden noch 15,8 Milliarden RM Auslandsschulden geschätzt (Doc u m e n t s o n British Foreign Policy, II, 4 8 7 ) , und am 2 9 . 2 . 1 9 3 2 b e z i f f e r t e die Anmeldestelle für Auslandsschulden in Berlin die d e u t s c h e n V e r b i n d l i c h k e i t e n mit 10 153 Millionen kurzfristigen und 10 4 7 0 Millionen langfristigen Geldes (Germania Nr. 2 4 2 vom 3 1 . 8 . 1 9 3 2 ) . Heidelberger Tageblatt Nr. 222 vom 2 2 . 9 . 1 9 2 8 . Gießener Anzeiger Nr. 254 vom 2 7 . 1 0 . 1 9 2 8 . Deutsche La Plata-Zeitung Nr. 286 v o m 1 6 . 1 1 . 1 9 2 8 . Heidelberger Tageblatt Nr. 2 4 6 v o m 2 0 . 1 0 . 1 9 2 8 . Karlsruher Tagblatt Nr. 333 v o m 1 . 1 2 . 1 9 2 8 . LaK 5 0 , 1928. Heidelberger Tageblatt Nr. 2 8 2 vom 1 . 1 2 . 1 9 2 8 .

Berlin ihr gegenüber noch die „Freiheit der E n t s c h l i e ß u n g " b e s i t z e . 3 ) Zwar zeige Washington eine gewisse Bereitschaft, auf den deutschen Standpunkt einzugehen: 4 ) aber die amerikanische Parole „business, not politics" beweise doch auch, daß man dort die amerikanischen Gelder in Deutschland und deren Rückzahlung sehr genau im Auge behalte 5 ) - Berlin also Gefahr laufe, nur den Regen mit der Traufe zu vertauschen! Auf keinen Fall dürfe Deutschland die Transferklausel preisgeben - nichts wäre „leichtfertiger und v e r a n t w o r t u n g s l o s e r . " 6 ) Auch als Poincaré nach langem Widerstreben die Unabhängigkeit der Sachverständigen-Konferenz z u g e s t a n d , 7 ) kam R o h r b a c h immer wieder auf die Transfer-Klausel als dem Kernstück j e d e r künftigen Abmachung z u r ü c k . 8 ) Was immer in Paris und Washington an Kompensationsgeschäften angedeutet werde - z.B. Kommerzialisierung der deutschen Reparationen gegen die R h e i n l a n d r ä u m u n g 9 ) - : nichts sei gefährlicher als d e r „ d e u t s c h e Illusionismus", durch „ u n v e r a n t w o r t l i c h hohe Zugeständnisse" die „ V e r s t ä n d i g u n g " mit Frankreich erkaufen zu k ö n n e n . 1 0 ) Die deutsche Außenpolitik werde „ n u r so weit und nur d o r t " langsam vorgehen k ö n n e n , w o die Wirtschaft Tatsachen geschaffen habe, „auf deren G r u n d ein politisches Handeln möglich w i r d . " 1 1 ) Schnelle Erfolge auf Kosten großer finanzieller Opfer zerstörten das in Wirklichkeit einzige gesicherte Ergebnis der Jahre 1924 bis 1927: die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Industrie und die relative Stabilität von Wirtschaft und F i n a n z e n . 1 2 ) Wolle man beides erhalten, sei eine Einigung mit den Reparationsempfängern von vornherein ausgeschlossen!' 3 ) Rohrbachs Argumente werden auch heute noch vorgebracht, wobei übersehen wird, daß ihre Verfechter sich des Werts der Transfer-Klausel wohl b e w u ß t waren: Mit ihr k o n n t e n und w u r d e n ja auch die Reparationen s a b o t i e r t 1 4 ) u n d zwar so ungeschickt, daß die Alliierten darauf stoßen m u ß t e n . Die L o n d o n e r K o n f e r e n z 1924 hatte der Wirtschaft und den deutschen Finanzen eine Erholungspause sichern wollen, aber den guten Willen Berlins o f f e n b a r überschätzt. Von deutscher Seite wur-

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Vgl. dazu R o n d e , S. 150/51. Karlsruher Tagblatt Nr. 357 v o m 2 7 . 1 2 . 1 9 2 8 . Gießener Anzeiger Nr. 283 vom 1.12.1928, 4 . Bl. Heidelberger Tageblatt Nr. 2 7 0 vom 1 7 . 1 1 . 1 9 2 8 . Allerdings unter Vorbehalten, die Rohrbach an einem positiven Ausgang der Konferenz zweifeln ließen - Heidelberger Tageblatt Nr. 304 vom 29.12.1928. LaK 52, 1928. Heidelberger Tageblatt Nr. l O v o m 12.1.1929. Siegener Zeitung Nr. 6 vom 8.1.1929. Heidelberger Tageblatt Nr. 34 vom 9 . 2 . 1 9 2 9 . Siegener Zeitung Nr. 50 vom 28.2.1929. Banater Deutsche Zeitung Nr. 5 6 vom 9 . 3 . 1 9 2 9 . Heidelberger Tageblatt Nr. 4 6 vom 23.2.1929. Vgl. dazu Link, S. 3 9 6 ff., dessen U n t e r s u c h u n g nachweist, d a ß R o h r b a c h m i t seiner Taktik d u r c h a u s auf Regierungskurs lag. Nur selten w u r d e das d e u t s c h e Ziel so o f f e n herzig formuliert wie von Schacht im J u n i 1928: „Ich will nicht z a h l e n " (Link, S.433).

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de dagegen vorgebracht - was logisch war, aber auf der anderen Seite als provozierend empfunden wurde die ersten wirklich ernsten Schwierigkeiten unter dem Schutz der Transfer-Klausel abzuwarten. Sie aufzugeben kam einer Priorität der Reparationen gleich; wurde die deutsche Devisendecke dann dünner, war mit Panik-Reaktionen der Geldgeber zu rechnen - und diese hätten Deutschland nun wirklich getroffen. 1 5 ) Die Geduld der Alliierten wurde aber überstrapaziert, wenn auf dem deutschen publizistischen Markt zusätzlich noch Konzessionen für das deutsche „Ja" zu einer neuen Reparations-Konferenz gehandelt wurden: Rheinlandräumung, Ende aller Souveränitätsbeschränkungen und Amerikas Unterstützung für die deutschen Absichten. 16 ) Hieran anknüpfend trug Rohrbach seinen Teil zur Vergiftung der Atmosphäre bei: Stresemann wolle durch das forcierte Erkaufen der Rheinlandräumung nur das Scheitern seiner Außenpolitik überdecken! 1 7 ) Seine Linie war, ohne sich Rechenschaft über die möglichen Folgen abzulegen, auf einen Abbruch der Verhandlungen zu hoffen, worin er durch den schleppenden Gang der Pariser Tagung bestätigt wurde. Er lobte Schachts Weigerung, vor einer objektiven Prüfung des deutschen Leistungsvermögens verbindliche Angebote zu machen, i8) „klagte" über versuchte „Vertragsbrüche" seitens der Entente, 1 ') „verurteilte" die Ablehnung der Gegenseite, auf die Passivität der deutschen Handelsbilanz Rücksicht zu nehmen, und bereitete sich offensichtlich vergnügt und erleichtert auf den negativen Ausgang oder gar Abbruch der Tagung vor. 2 0 ) Die Krise kam unvermutet im April 1929. Die Alliierten überreichten eine - wahrscheinlich nicht miteinander abgesprochene - Aufstellung ihrer Einzelwünsche; 21 ) reduzierten dann ihre Forderungen geringfügig 22 ) und verlangten eine bedingungslose Aufgabe der Transferklausel. Erst durch den festen Widerstand des KonferenzVorsitzenden, des Amerikaners Owen Young, wurden sie bewogen, den Zahlungs-

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Brüning hat später die gegensätzliche Interessenlage von Reparationen und privaten Geldern zum Kernstück seiner Revisionspolitik gemacht. Dabei ging man von der Tatsache aus, daß die USA zu den Haupt-Anleihegebern gehörten. (Der Layton-Wiggin-Bericht kam zu dem Ergebnis, daß ca. 37% der fremden Gelder aus den USA, ca. 20% aus England und nur knapp 7% aus Frankreich kamen - Documents of British Foreign Policy, II, 488). Heidelberger Tageblatt Nr. 58 vom 9.3.1929. ebda. Heidelberger Tageblatt Nr. 70 vom 23.3.1929: die lt. Versailler Vertrag in 30 Jahren aufzubringenden Reparationen sollten mit den 59 Jahren der interalliierten Zahlungsabkommen gekoppelt werden. Heidelberger Tageblatt Nr. 80 vom 6.4.1929. Die addiert 2,6 Milliarden bei 59 Jahren Laufzeit und 2,9 Milliarden bei 37 Jahren Laufzeit (Dawes-Plan) ergaben. Die Annuitäten sollten mit 1,8 Milliarden beginnen und im 11. Jahr 2,45 Milliarden erreichen und ab dem 37. Jahr langsam sinken bis auf 913 Millionen im 57. Jahr. Die Durchschnitts-Annuität würde 2,2 Milliarden betragen; die Transferklausel sollte gänzlich fortfallen.

plan stufenweise vom Ultimatum zur Diskussionsgrundlage und schließlich zum „Beitrag" herunterzuspielen. Schacht legte dagegen ein Memorandum vor, das Annuitäten von 1,65 Milliarden bei nur 450 Millionen ungeschützter Zahlungen vorsah und wirtschaftliche Erleichterungen zur Voraussetzung machte. Andernfalls könne Deutschland überhaupt keine ungeschützten Zahlungen zugestehen. Rohrbach reagierte unter Hinweis auf die Passivität der deutschen Handelsbilanz offenkundig entsetzt 2 3 ) und trat die Flucht nach vorn an: es sei an der Zeit, die Zahlungsverpflichtung Deutschland einmal grundsätzlich zu überprüfen. 2 4 ) Auf der anderen Seite bezweifelte er jetzt ebenfalls, daß Deutschland ohne weiteres zum Dawes-Plan zurückkehren könne, um die Unmöglichkeit weiterer Reparationszahlungen unter dessen Schutz nachzuweisen. 25 ) Der Beweis dafür kam allerdings von anderer Seite. Der Reparationsagent hatte schon in den ersten Monaten des Jahres 1929 die Überweisungen stark einschränken müssen; aufgrund der verringerten Zahlungen, der bekannt gewordenen Auseinandersetzungen in Paris und einer französischen Pressekampagne, die Schacht vorwarf, er ruiniere die Mark, um den DawesPlan zu sabotieren, begann eine Kapitalflucht aus Deutschland. 26 ) Bereits am 24. April mußte das Transfer-Komitee zusammentreten, um sich mit dem gefährlichen Abfluß der Gold- und Devisenbestände der Reichsbank zu befassen. Der Deckungssatz der Reichsmark wurde zeitweise unterschritten; durch Diskonterhöhung und englische Hilfe konnte der Markkurs gehalten werden. Diese Vorgänge und die angespannte Haushaltslage 27 ) des Reiches machten es zu einer gebieterischen Forderung, jede weitere Kapitalflucht zu vermeiden. Die praktisch schon festgefahrene Konferenz wurde am 19. April durch den Tod eines Konferenzmitgliedes unterbrochen; Schacht fuhr während der dreitägigen Pause nach Berlin, wo in Beratungen mit dem Kabinett die Formel ausgehandelt wurde, das Memorandum des Reichsbankpräsidenten trage keinen Ultimatum-Charakter, sondern sei „Erörterungsgrundlage", so daß von deutscher Seite einer Fortsetzung der Konferenz nichts im Wege stehe. Für Rohrbach hatte diese Entwicklung zwei Seiten. Einmal schienen seine Warnungen, nicht schon jetzt eine Konferenz aufzunehmen, vollauf bestätigt. Aberermuß-

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Heidelberger Tageblatt Nr. 92 vom 20.4.1929. Deutsche La Plata-Zeitung Nr. 136 vom 18.5.1929. Heidelberger Tageblatt a.a.O. Nach Luther, dem nachmaligen Reichsbankpräsidenten (H. Luther, Vor dem Abgrund 1930-1933. Berlin o.J., S. 109), sollen rund 700 Millionen abgezogen worden sein. 27) Die Arbeitslosenziffer betrug am 15.2.1929 schon 2,3 Millionen; Anfang April gelang es, ein 380 Millionen-Defizit des Etats zu decken; aber die Krise im Herbst 1929 mit Rückgang der Steuerbeträge und Anwachsen der Arbeitslosen riß neue Lücken, so daß am 31.3.1930 ein neues Defizit von 1284 Millionen zu verzeichnen war. (Luther, a.a.O. S. 100). Die Auslandsverschuldung war am 31.3.1929 auf 18 159,2 Millionen angewachsen (Documents of British Foreign Policy, II, 511).

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te sich auch entscheiden, wem er die Schuld an dem sich abzeichnenden Fiasko zumessen wollte. Er entschied sich für die Reichsregierung: Schachts Hinweise auf der Konferenz - die direkt zur Krise führten - seien berechtigt g e w e s e n ; 2 8 ) Paris reagiere so wütend, weil Schacht trotz massiver Angriffe nicht „umgefallen" sei.so daß die Franzosen jetzt ihre ganze Hoffnung auf die deutschen „Politiker" setzten. Und da „politische Regiekunst" schon immer die „schwächste von den mancherlei schwachen Seiten unserer D i p l o m a t i e " gewesen sei, könne leider nicht ausgeschlossen werden, daß politische Ängstlichkeit und Unvernunft jetzt zugestehe, was wirtschaftlicher Sachverstand v e r b i e t e . 2 9 ) Aber mit allen seinen Beschwörungen „hart" zu bleiben und wieder einmal auf die bevorstehende englisch-französische Auseinandersetzung zu warten,die sich schon in der englischen Innenpolitik a b z e i c h n e , 3 0 ) war er auf dem falschen Weg. Die deutsche Delegation nahm, und etwas anderes blieb ihr bei der katastrophalen Kassenlage des Reichs auch nicht übrig, den vom Vorsitzenden Young ausgearbeiteten Kompromißvorschlag a n . 3 1 ) Für den Schacht-Apologeten R o h r b a c h 3 2 ) blieb nur noch der Ausweg, die in den Plan a u f g e n o m m e n e n Vorbehalte „hochzujubeln" und sie vollständig d e m K o n t o des Reichsbankpräsidenten g u t z u s c h r e i b e n : 3 3 ) einmal die Abschaffung der alliierten Pfänder, Kontrollen und Belastungen des deutschen Exports, zum anderen die Transferschutz- und Revisions-Vorbehalte: „Die erste Vorbehaltgruppe ist wichtig, die zweite ist e n t s c h e i d e n d . " 3 4 )

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Die Verhandlungsweise bedeute einen glatten Bruch des Genfer Sechsmächtebeschlusses vom September 1928 - Deutsche La Plata-Zeitung Nr. 141 vom 23.5.1929. Schacht hatte in seinem Memorandum (das die „Vossische Zeitung" - aufgrund einer gezielten Indiskretion? - am 23.4. veröffentlichte) eine eigene koloniale Rohstoffbasis gefordert, auf den Verlust der landwirtschaftlich wertvollen Gebiete an Polen hingewiesen und die wirtschaftliche Schädigung der Abtrennung Ostpreußens hervorgehoben. Darauf sei sofort ein „Regen von Drohungen und Beschimpfungen" und der Angriff auf die deutsche Mark erfolgt. (Siegener Zeitung Nr. 103 vom 3.5.1929). „Der ebenso plötzlich zusammengebrochene wie unternommene französische Angriff auf die deutsche Währung als Antwort auf die Weigerung des Reichsbankpräsidenten, unverantwortliche Zugeständnisse zu machen, hat wieder einmal die wirkliche Gesinnung enthüllt, die in Frankreich gegen uns besteht." Banater Deutsche Zeitung Nr. 102 vom 7.5.1929. Heidelberger Tageblatt Nr. 104 vom 4.5.1929. Siegener Zeitung Nr. 103 vom 3.5.1929. Dazu Ronde, S. 153 ff. Siegener Zeitung Nr. 139 vom 17.6.1929: ein „Realpolitiker", der sich bewußt sei, „daß hinter den Realitäten die Imponderabilien liegen." Noch am 27. Mai hatte er in einem Vortrag in Reval erklärt: „Dr. Rohrbach meint, daß auf Grund seiner Informationen die deutsche Delegation diesmal bei ihrem Standpunkt bleiben und nicht nachgeben würde, denn sie könnte dies tatsächlich nicht tun. Wenn die Pariser Konferenz ohne Resultat auseinandergehen würde, träte der Dawes-Plan wieder automatisch in Kraft. Das würde aber nur einen Aufschub bedeuten." Revaler Bote Nr. 118 vom 28.5.1929. LaK20, 1929.

Im Mai hielt eine weitere Krise die Konferenz auf. Das deutsche DelegationsMitglied Vogler h a t t e nach Gesprächen mit deutschen Industriellen die Uberzeugung gewonnen, der Plan sei untragbar. Er trat zurück, und Schacht war gezwungen, allein die Verantwortung für die Unterzeichnung zu t r a g e n . 3 5 ) Rohrbach hat nie versucht, dem Neuen Plan positive Seiten abzugewinnen. Besonders heftig kritisierte er, daß die im Dawes-Plan verankerte Bestimmung, die deutschen Zahlungen sollten aus Exportüberschüssen erzielt werden, nun fortgefallen sei: „Deutschland hat zu zahlen, woher und mit welchen Mitteln, ist seine Sache!" Selbst bei forcierter Verbesserung der Handelsbilanz, 3 6 ) weiteren Auslandsanleihen, fortgesetztem Ausverkauf von Sachwerten und Immobilien - „Damit würde Deutschland endgültig zu einer Kolonie des Auslandes" - sowie A b s t o ß aller Ersparnisse, verbunden mit einer rigorosen A b s c h ö p f u n g des Vermögenszuwachses, m u ß t e die Erfüllung des Vertrages z w e i f e l h a f t bleiben: „ A u f die Dauer k a n n so allerdings nicht gewirtschaftet w e r d e n . " 3 7 ) „Versucht man aber alle die Einschränkungen und Zwangssparmaßnahmen - ohne weitgehende freiwillige Mitarbeit des gesamten Volkes sind sie gar nicht zu verwirklichen - die zur Bilanzverbesserung und zur Ersparnisvermehrung nötig sein werden, so m u ß man dem W o r t . . . beipflichten: Jetzt erst k o m m t Deutschlands eiserne Z e i t ! " 3 8 ) Die Kardinalfrage blieb, ob die deutsche Delegation einen solchen Plan unterzeichnen mußte. Rohrbach behauptete „ N e i n " - allerdings hätten „gewisse Regierungseinflüsse" ihre feste Position u n t e r g r a b e n . 3 9 ) Ende 1929 veröffentlichte Schacht sein Memorandum gegen die Verfälschung des Young-Plans, 4 0 ) das Berlin in sechs Punkten wesentliche Veränderungen des Neuen Plans vorwarf. Die Presse der Mittel* und Linksparteien reagierte spöttisch 4 1 ) oder erregt, 4 2 ) und Rohrbach sah sich noch einmal zur Verteidigung seines Freundes gezwungen. Die Fähigkeit, auch in „drückender Lage eine feste u n d würdige Position zu b e h a u p t e n " , gehöre für das

35) Was Rohrbach, wie er später eingestand, doch beunruhigte - Pfälzische Rundschau Nr. 339 vom 11.12.1929. 36) Die aber bei den Prohibitivzöllen der anderen doch wohl nur durch Importsenkung zu erzielen sei. (Deutsche La Plata-Zeitung Nr. 178 vom 30.6.1929). Damit traf Rohrbach das Richtige, wie der Beneduce-Bericht vom 23.12.1931 erkennen ließ - Documents of British Foreign Policy, II, 497. 37) Siegener Zeitung Nr. 135 vom 12.6.1929. 38) Revaler Bote Nr. 131 vom 12.6.1929. 39) Banater Deutsche Zeitung Nr. 127 vom 9.6.1929. 40) Zimmermann, Außenpolitik, S. 372. Welchen Eindruck Schachts Anklagen machten, beweist die Tatsache, daß sich die Regierung zu einer offiziellen Gegendokumentation veranlaßt sah: „Die Entstehung des Youngplans, dargestellt vom Reichsarchiv 19311933." (Boppard/Rh. 1970. Schriften des Bundesarchivs. 15.) 41 ) Siegener Zeitung Nr. 291 vom 12.12.1929. 42) Berliner Tageblatt Nr. 576 vom 6.12.1929 und Nr. 577 vom 7.12.1929. 185

machtlose Deutschland zu den Hauptmitteln seiner Politik. Und in diesem Sinne war Paris ein voller Erfolg Schachts: Denn Hauptverhandlungspunkt war ja gar nicht die Höhe der deutschen Annuitäten, sondern die Höhe des „ungeschützten Tributanteils" und der „Einbau einer Revisionsklausel." 43 ) Um diese Klausel wurde ge rungen, bis auch Poincaré eingesehen habe, daß die Deutschen abreisen würden, wenn er nicht nachgebe. 44 ) Schacht sei eben nicht jener „Erfullungsnarkose" gewisser deutscher Zeitungen verfallen, 45 ) sondern habe erkannt, daß mit der Schuldlüge von Versailles alle deutschen Zahlungen ständen oder fielen. 4 6 ) Auch mit seinem jüngsten Memorandum habe er, wie die englische Reaktion beweise, durchaus Recht! 47 ) Nur müsse man, wie Rohrbach etwas später in einer Rezension von Schachts „Das Ende der Reparationen" schrieb, einsehen, daß mit dem „Vorwärts", dem „Berliner Tageblatt" und „gesinnungsverwandten Blättern" im Rücken niemand die Gegenseite zu vernünftigen Bedingungen hätte bewegen können. 4 8 ) „Was der deutschen Politik seit Jahr und Tag gefehlt h a t . . . ist der Mut, den Gegner rücksichtslos vor die letzten Konsequenzen der von ihm gegen Deutschland gehegten Gesinnung und der aus ihr fließenden Handlungen zu stellen. Die deutschen Politiker und Diplomaten scheinen immer in dem Gefühl befangen zu sein, als müßten sie sich gewissermaßen in die ganze übrige Diplomatengesellschaft einordnen, in ihr mitspielen, auf die dort gebräuchliche Tonart eingehen, Schroffheiten und peinliche Momente vermeiden. Diese Einstellung ist grundsätzlich falsch. Den Vertretern eines Landes wie Deutschland geziemt Kühle und Kürze, und vor allen Dingen eine Tonart, die den Gegnern zeigt, daß Deutschland durch die ganze Camouflage der Formen hindurchsieht bis auf den Kern der Dinge, und dieser Kern heißt „Verweigerung wirklicher Gleichberechtigung",heißt „Vergewaltigung und Ausplünderung."49)

43) Pfälzische Rundschau Nr. 339 vom 11.12.1929. 44) Nürnberger Zeitung Nr. 291 vom 11.12.1929. 45) Siegener Zeitung Nr. 159 vom 10.7.1929. Deutsche La Plata-Zeitung Nr. 185 vom 7.7.1929. 46) Revaler Bote Nr. 158 vom 15.7.1929. 47) „In England gibt man sich den Anschein, sie (die Denkschrift) für rein innerdeutsch zu halten. Man versteht aber sehr gut, was sie außerdem nach außen bezweckt, und erklärt sie in dieser Beziehung für taktlos, 'Taktlos' ist für den Engländer alles, was ihm unbequem i s t " Heidelberger Tageblatt Nr. 293 vom 14.12.1929. Zu fast gleichlautenden Ergebnissen kommt Kadzik, S. 31. 48) Deutsches Volkstum, 1931 II, S. 523. Schon unmittelbar nach den Verhandlungen: „Damit in Zusammenhang stand eine andere Äußerung Dr. Schachts, deren Sinn der war: die Strategie eines passiven Widerstandes in der Frage der Tributregelung kam für uns nicht in Betracht, weil dazu innere Disziplin in nationalen Fragen gehört, wie sie Engländer und Franzosen besitzen, und wie auch ihre gesamte Presse dies während der Verhandlungen bewiesen hat; nicht Disziplinlosigkeit wie bei uns." Heidelberger Tageblatt Nr. 151 vom 2.7.1929. 49) Deutsches Volkstum, a.a.O., S. 525. 186

Der Young-Plan war für die nationalen, „distanzierten" Publizisten in mehr als einer Hinsicht ein Wendepunkt. Alle Hoffnungen auf Gleichberechtigung im europäischen Staatenkonzert und auf ein rasches Ende der Kriegsfolgen waren jäh enttäuscht worden. Für viele schien mit Paris die Sinnlosigkeit der Stresemannschen Außenpolitik erwiesen; die Erfolge der Jahre 1924 bis 1927 waren vergessen angesichts der finanziellen und wirtschaftlichen Belastungen, die friedlich auf dem Verhandlungswege zu beseitigen nun keine Aussicht mehr bestand. Nach Paris, stärker noch nach den Haager Konferenzen, tauchte in der Provinzpresse der Begriff des „Zusammenrückens" auf. Der Gedanke einer Revision verlor an Boden; jetzt sprachman von „Abschütteln", von „einseitigen Maßnahmen". Die Überzeugung von der „eisernen Zeit", die das Reich nun durchzustehen habe, war weitverbreitet und wurde durch Schwarzmalerei bekräftigt: Die republikanischen Parteien hatten in Paris - nach der deutschen Provinzpresse zu urteilen - eine schwere Niederlage einstecken müssen. Selbst Rohrbach, immer geneigt, außenpolitische Vorgänge vorschnell und Uberoptimistisch als Hoffnungsschimmer zu interpretieren, zweifelte nun an der „deutschen Zukunft". Bisher hatte er aus den - nie eingetretenen • englisch-französischen Spannungen stets eine Erleichterung für Deutschland erwartet. Nun faßte er sie eher als „Streit um die Beute" auf. Der daraus erwachsende Pessimismus führte ihn noch einmal zu einer innenpolitischen Aktivität, die nun offen die Überwindung oder Zerstörung der Republik in Kauf nahm. Ein erstes Anzeichen war der unverkennbar gehässige Ton seiner Kommentare zur Berliner Politik. Trotz des Wahlsieges der englischen Labourpartei glaubte er nicht an einen positiven Ausgang der kommenden Reparations-Konferenz, s o ) da ihm Premierminister MacDonald wenig Widerstandskraft gegen „äußere Einflüsterungen" zu besitzen schien. 5 1 ) Berlin müsse jetzt dem „narkotischen Pazifismus" 5 2 ) und der Bereitschaft entsagen, immer wieder Bedingungen hinzunehmen, aus denen eine „tiefgehende national-sittliche Schwächung" f o l g e . " a ) Für die nunmehr letzte Chance, „hart zu bleiben" - wie o f t habe Berlin sie schon vertan! 5 3 ) - gebe es einen Grund: London und Paris feilschten heftig um den Konferenzort. S 4 ) Die Parallele lag für Rohrbach auf der Hand: 1925 rief MacDonald Deutschland in den Völkerbund, und Briand legte seine Gegenminen in Gestalt von Genf und Thoiry. Jetzt lockerte London erneut die Bande zu Paris, und Briand drohte prompt mit der „Chimä-

5 0) Heidelberger Tageblatt Nr. 127 vom 5.6.1929. 51) Nürnberger Zeitung Nr. 143 vom 21.6.1929. 52) „Die Erfüllungspredigt im pazifistischen Sinn bedeutet die Aufforderung sich willig in das größte Unrecht zu fügen, das je einem Kulturvolk angetan worden ist. Der Friede Europas kann damit nicht erkauft werden, daß Deutschland sich einfach in die gewaltsame Verkümmerung seines Lebensraumes fügt, weU die Andern es so wollen." ebda. 52a) Siegener Zeitung Nr. 159 vom 10.7.1929 53) Revaler Bote Nr. 158 vom 15.7.1929. 54) Heidelberger Tageblatt Nr. 161 vom 13.7.1929.

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re" Paneuropa, 5 5 ) das England und Rußland als halb-außereuropäische Mächte ausschloß. 5 6 ) Briands Zug schien zu glücken: die Engländer verzichteten auf London als Konferenz-Ort und gestanden eine „Feststellungs- und Vergleichskommission" im Rheinland z u ; 5 7 ) Briand schuf sich - nach Rohrbach - durch geschickte Regie eine günstige Ausgangsposition: er konnte die Ratifizierung des französisch-amerikanischen Schuldenabkommens in der Kammer nur mit der Zusage erreichen, die Rheinlandräumung werde allein gegen gewichtige deutsche Zugeständnisse erfolgen, so daß er mit „gebundenen Händen" auf die Konferenz ging. 5 8 ) Auf der anderen Seite mußte Poincaré aus Krankheitsgründen demissionieren, und der englische Schatzkanzler erhob Einwände gegen den Verteilungsschlüssel der deutschen Zahlungen, was, wie Rohrbach halb erfreut, halb besorgt feststellte, an den Grundfesten des Planes rüttelte. Es sei verständlich, daß angesichts der englischen Wirtschaftsschwierigkeiten 59 ) Snowdon sich weigerte, England zu Gunsten Frankreichs zu belasten. 6 0 ) Nach allem Vorgeplänkel war also mit einer langen Konferenz-Dauer zu rechnen, 6 1 ) was nicht unbedingt günstig schien. Denn es war nach Rohrbach vorauszusehen, daß sich England einer französisch-belgisch-italienischen Einheitsfront gegenüber sehen und, zu schwach sich durchzusetzen, gegen gewisse finanzielle Zugeständnisse sich mit seinen Partnern auf Kosten Deutschlands einigen werd e . 6 2 ) Wenn überhaupt, so k o n n t e diese Einheitsfront nur durch unnachgiebige deutsche Festigkeit aufgesprengt w e r d e n . 6 3 ) Ähnliche, vor der Vermischung von „Ehre und Geld" warnende Stimmen in England sollte Deutschland propagandistisch unterstützen. 6 4 ) Als dann MacDonald während der Haager Konferenz seinen Amerikabesuch ankündigte, meinte Rohrbach, die Fronten hätten sich geklärt: endlich lockere England seine Bindung an Frankreich und nähere sich den Staaten. Damit sei aber die Konferenz eine „Angelegenheit zweiter Ordnung" geworden, die 55) 56)

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R.N. Coudenhove-Kalergi, Paneuropa, Wien/Leipzig 1926. LaK Nr. 29, 1929. Daß Briand heuchelte, bezweifelte Rohrbach keinen Moment. Vgl. K.D. Erdmann, Der Europaplan Briands im Licht der englischen Akten. GWU 1, 1950, S. 16 ff. und W. Hagemann, Die Europaidee bei Briand und Coudenhove Kalergi. Ein Vergleich, in: Aus Geschichte und Politik, S. 153 ff. Ferner: W. Lipgens, Europäische Einigungsidee 1923-1930 . . . , HZ 203, 1966, S. 46 ff. und 316 ff. Siegener Zeitung Nr. 175 vom 29.7.1929. Heidelberger Tageblatt Nr. 173 vom 27.7.1929. Zur Zeit der Konferenz streikten die Textilarbeiter wegen der von den Arbeitgebern geforderten Lohnkürzung von einem Achtel - Banater Deutsche Zeitung Nr. 178 vom 9.8.1929. „Snowden ist von allen Labour-Ministern am schärfsten gegen Frankreich eingestellt, und im Unterschied zu Henderson und auch Mac Donald hat er den Franzosen gegenüber noch nicht klein beigegeben." Karlsruher Tagblatt Nr. 213 vom 3.8.1929. Siegener Zeitung Nr. 181 vom 5.8.1929. Wobei Frankreich besonders auf der „Schikane- und Schnüffel-Kommission" bestehen werde (Heidelberger Tageblatt Nr. 185 vom 10.8.1929) und die Räumung des Rheinlandes von der bedingungslosen Annahme des Youngplanes und zusätzlicher Vergünstigungen abhängig machen werde (Pfalzische Rundschau Nr. 215 vom 9.8.1929). Banater Deutsche Zeitung Nr. 182 vom 14.8.1929. Siegener Zeitung Nr. 187 vom 12.8.1929.

nur dazu diene, die englische Unabhängigkeit zu beweisen: ein Bemühen,das Deutschland mit allen Kräften fördern solle! 6 5 ) Aber mit seinen Prognosen hatte Rohrbach nur zur Hälfte das Richtige getroffen. Tatsächlich verteidigte Snowdon in Aufsehen erregender Weise 6 6 ) den englischen Anspruch auf höhere Anteile, und die englische Ankündigung eines bedingungslosen Truppenabzugs Ende 1930 erzwang auch den Verzicht auf eine Teilmobilisierung der deutschen A n n u i t ä t e n , wie sie Briand zur Vorbedingung der Rheinlandräumung machen wollte. Ansonsten ließen die scharfen Auseinandersetzungen aber in keiner Weise erkennen, daß L o n d o n zu einer Wendung gegen Paris bereit sei! Trotz schadenfroher Seitenhiebe auf F r a n k r e i c h 6 7 ) und die englisch-französischen A u s e i n a n d e r s e t z u n g e n 6 8 ) m u ß t e R o h r b a c h sehr bald zugeben, daß Deutschland wieder aus dem Gespräch ausgeschaltet sei: „Deutschland sitzt still, wartet, bis sich die Gegner auf seinem Rücken vertragen. - Bald sagt man zu ihm: Wo alles O p f e r bringt, m u ß t auch du noch weiter opfern, bald verlangt man von ihm zu seiner ganzen Last n o c h eine 'generöse G e s t e ' ! " 6 9 ) Zweifellos werde sich Stresemann diesen Umarmungen nicht entziehen, da er seinem Freunde Briand das Schicksal ersparen m ö c h t e , als politisch toter Mann die Konferenz verlassen zu m ü s s e n . 7 0 ) Tatsächlich u n t e r n a h m der deutsche Außenminister am 20. August einen Schritt, der nach Ü b e r n a h m e weiterer finanzieller Verpflichtungen am 29. August eine Einigung einleitete, so daß zwei Tage später das Schlußprotokoll unterzeichnet werden konnte. Das mit V e r n u n f t nicht mehr zu erklärende Wutgeheul auf der Rechten übersah allerdings geflissentlich, daß jede weitere Verzögerung Zahlungen nach dem Dawes-Plan bedeutete, und daß Berlin bei der angespannten Kassenlage auf die Erleichterungen, die der Neue Plan brachte, nicht verzichten k o n n t e . 7 1 ) Darüber hinaus konnte Stresemann den französischen Versuch einer indirekten Kontrolle des Rheinlandes abwehren. Rohrbach kritisierte weniger Stresemann als England. Voller Hohn karikierte er die englisch-französische „ E h e " als „Pantoffelregiment" des französischen Partners 7 2 ) und drückte seine Verachtung für Snowden a u s 7 3 ) , der sich als „kleiner Geist" entpuppt h a b e , 7 4 ) so daß trotz aller Wahlversprechen die englisch-französische Ein65) Revaler Bote Nr. 188 vom 19.8.1929. 66) W. Zechlin, Pressechef bei Ebert, Hindenburg und Kopf. Hannover 1956, S. 82; vgl. auch Zimmermann, Außenpolitik, S. 378. 67) Neue Wiesbadener Zeitung Nr. 228 vom 22.8.1929. 68) Revaler Bote Nr. 194 vom 26.8.1929. 69) Karlsruher Tagblatt Nr. 235 vom 25.8.1929. 70) Heidelberger Tageblatt Nr. 197 vom 24.8.1929. 71) Heibich, Reparationen, S. 30.34. 72) Neue Wiesbadener Zeitung Nr. 237 vom 31.8.1929. 73) ebda - die rasche Kehrtwendung störte ihn dabei offenbar nicht. 74) Pfälzische Rundschau Nr. 237 vom 31.8.1929. Siegener Zeitung Nr. 206 vom 3.9.1929.

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heitsfront unter dem Titel „Im Westen nichts Neues!" fröhliche Wiederauferstehung feiere. 7 5 ) Die englische Presse sei wohlerzogen genug, die politische Niederlage zu verschweigen und den „schmutzigen finanziellen Erfolg" zu bejubeln. 7 6 ) Der erstaunlich rüde Ton, mit dem Rohrbach die erste Haager Konferenz kommentiert hatte, legte sich sehr schnell. Zwar habe Deutschlands mangelnde Festigkeit 77 ) - die er eher Curtius als Stresemann anlastete 78 ) - wiederum die Emanzipation Englands von der französischen Vorherrschaft verhindert. 79 ) Aber aus der Reise des englischen Premiers in die USA schloß er zu Recht auf den unveränderten englischen Willen, Washington stärker an Europa zu interessieren. Zu diesem Kurswechsel brauche MacDonald nach einem ungeschriebenen Gesetz Rückhalt in der öffentlichen Meinung Englands, 80 ) den ihm Snowden in Haag verschaffte - die Geringfügigkeit des dort errungenen Sieges tat seinem Ansehen dank der „nationalen Disziplin" der britischen Presse keinen Abbruch. 81 ) Kam aber Washington wieder ins Spiel - und nach Rohrbach richtete sich Paris auf diesen Fall ein 8 2 ) - dann gab es wieder, wie schon 1923, einen Hoffnungsschimmer! In diese Zeit eines neuen, wenn auch gedämpften Optimismus fiel das deutsch-polnische Liquidationsabkommen. Da war also das verhaßte „Ost-Locarno", durch nichts gerechtfertigt, mit neuen finanziellen Lasten verbunden 83 ) und in voller Verkehrung, wie Rohrbach schimpfte, der zwar kostspieligen und erfolglosen, aber wenigstens konsequenten Politik Stresemanns: „Nachgiebigkeit im Westen, Festigkeit im Osten!" 8 4 ) Das Liquidations-Abkommen und die erste Haager Konferenz waren für Rohrbach Wendepunkte: Er schlug sich, ohne freilich dem hysterischen Geschrei auf der Rechten Beifall zu zollen, endgültig auf die Seite der entschiedenen Republikgegner und -kritiker. 85 ) Fest davon überzeugt, daß Deutschland damit die wirklich letzte Ge-

75) Revaler Bote Nr. 201 vom 3.9.1929. 76) Nürnberger Zeitung Nr. 204 vom 31.8./1.9.1929. 77) „Diesen Eindruck (der unnachgiebigen Entschlossenheit) aber hatten sie im Haag von Anfang an nicht, vielmehr machte das deutsche Verhalten den anderen Eindruck, daß die Deutschen sich davor fürchteten, ohne Abschluß nach Hause zu gehen . . . Das war der Fehler im Ansatz unserer auswärtigen Politik in dem Augenblick, wo die wirkliche Frucht von Locarno gepflückt werden sollte." Pfälzische Rundschau Nr. 339 vom 11. 12.1929. 78) Heidelberger Tageblatt vom 30.11.1929. 79) Der getreue Eckart, 7. Jg. 2. Novemberheft, S. 148. 80) Neue Wiesbadener Zeitung Nr. 259 vom 22.9.1929. 81) Banater Deutsche Zeitung Nr. 218 vom 26.9.1929. 82) Siegener Zeitung Nr. 227 vom 27.9.1929. Neue Wiesbadener Zeitung Nr. 299 vom 1.11.1929. 83) ebda Nr. 332 vom 5.12.1929. 84) Pfälzische Rundschau Nr. 342 vom 14.12.1929. Zum „Ostlocarno" vgl. Chr. Höltje, Die Weimarer Republik und das Ostlocarno-Problem 1919-1934. Würzburg 1958. 85) LaK2, 1930.

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legenheit zur „Abschüttelung" der Reparationen versäumt h a b e , 8 6 ) malte er jetzt düstere innenpolitische Bilder: 8 7 ) jetzt müsse der Arbeiter einsehen lernen, daß man nicht einen Krieg verlieren und anschließend zwei Stunden pro Tag weniger arbeiten können. 8 8 ) Und gerade eine sozial-demokratische Regierung habe mit der Schiedsregelung des Neuen Plans 8 9 ) Deutschland im voraus einem Verfahren unterworfen, durch das wir „nicht nur materiell" in die „schlimmste Lage" kommen werden! 9 0 ) Rohrbach verschwieg, daß Frankreichs Bemühungen um Sanktionsmöglichkeiten unter dem Eindruck eines wachsenden deutschen Rechtsextremismus erfolgten, von dem sich seine Artikel nur graduell unterschieden. Der Young-Plan war ihm weitgehend unverständlich geblieben; 91 ) sein Vertrauen zur Schachtschen Interpretation erhielt allerdings einen schweren Stoß, als sein Freund offen in das rechtsextreme Lager übertrat. Nicht minder nachdenklich stimmte ihn Hindenburgs maßvolles Verhalten. 9 2 ) Fast ein halbes Jahr beobachtete er kommentarlos die Brüningsche Reparationsund Finanzpolitik. Sie bekam in seinen Augen nur dann einen Sinn, wenn sie nicht bewußt deflationär war, 9 3 ) sondern mit Hilfe der Krise die Unerfiillbarkeit der Reparationen beweisen und sie dadurch beseitigen wollte. Nach dem Desaster im Frühjahr 1929 hatte ihn der Vorsatz des Kanzlers, auf jeden Fall geordnete Finanzen - auch zur außenpolitischen Absicherung - zu schaffen, 9 4 ) schon für Brünings Kurs eingenommen. Wenn jetzt wirklich emsthaft der wohl noch einzig mögliche Versuch unternommen wurde, die Reparationen zu beenden, dann wollte Rohrbach die „eiserne Zeit" in Kauf nehmen. Der ganze Kontext des „trans-demokratischen Staatsbegriffs" Brünings 95 ) machte ihm die Entscheidung noch leichter, 9 6 ) so sehr, daß er dann sogar vor übereilten Schritten warnte 9 7 ) und stattdessen aufforderte,

86) Banater Deutsche Zeitung Nr. 16 vom 2.1.1930. 87) Karlsruher Tagblatt Nr. 26 vom 26.1.1930. Ende Oktober 1929 waren die Kurse der New Yorker Börse zusammengebrochen; erste Auswirkungen waren auch in Deutschland unmittelbar zu spüren, obwohl der europäische „Krach" noch eineinhalb Jahre auf sich warten lieft. Luther, Vor dem Abgrund S. 98 f. 88) Heidelberger Tageblatt Nr. 21 vom 25.1.1930. 89) Bei einer deutschen Zahlungsunfähigkeit sollte ein Prüfungsausschuß tagen. Für den Fall, daß sich Berlin mit seinen Ergebnissen nicht einverstanden erklärte, war die Anrufung des Haager Gerichtshofes vorgesehen. Der weitere Weg war nicht eindeutig fixiert; Schacht und mit ihm Rohrbach vertraten die Auffassung, daß dann Frankreich die Freiheit zu Sanktionen zurückgewonnen habe. 90) Nürnberger Zeitung Nr. 39 vom 15./16.2.1930. 91) VgL auch H. J. Lucas, Hindenburg als Reichspräsident, Bonn 1959, S. 53. 92) Lucas, S. 57. 93) Dazu Brüning: Ein Brief, Deutsche Rundschau, Juli 1947, S. 5 und Conze in der Brüning-Festschrift, S. 241. 94) Brüning, Memoiren, S. 118 ff und 138 ff. 95) K. D. Bracher, in: VjhfZG 19,1971, S. 116. 96) Wiesbadener Zeitung Nr. 219 vom 12.8.1930. 97) ebda Nr. 313 vom 14.11.1930.

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a b z u w a r t e n , bis d e r G e d a n k e einer allein vernünftigen Regelung, nämlich d e r Streic h u n g aller i n t e r n a t i o n a l e n Z a h l u n g e n , sich d u r c h g e s e t z t h a b e . 9 8 ) Bis d a h i n gelte es, im I n n e r n einig zu sein - d a s w a r an die Parteien g e r i c h t e t " ) -, sich d u r c h d i e „ n a t i o n a l e S c h i k s a l s g e m e i n s c h a f t " aller Klassen vor d e m „ a l l m ä h l i c h e n V e r k o m m e n " zu r e t t e n 1 0 0 ) u n d a u f d e n „wirklichen Frieden in E u r o p a " , die Revision des Versailler Vertrages, h i n z u a r b e i t e n . 1 0 1 ) Mit dieser H a l t u n g h a t t e R o h r b a c h sein kurzes Gastspiel auf der e x t r e m e n publizistischen R e c h t e n b e e n d e t , o h n e d a m i t freilich seine antirepublikanische G e s i n n u n g zu ä n d e r n . Er war viel zu e r f a h r e n , u m nicht die Unsinnigkeit der dort d i s k u t i e r t e n Pläne zu d u r c h s c h a u e n , u n d b a u t e lieber auf ein o f f e n e s F a k t u m : Die V e r h a n d l u n g s t a k t i k der Alliierten in Paris, die Z e i t r ä u m e u n d S u m m e n d e r d e u t s c h e n A n n u i t ä ten verwiesen auf deren Wunsch, die Reparationen mit den interalliierten Schuldenzahlungen zu v e r b i n d e n . Die amerikanische Weigerung, das S o n d e r a b k o m m e n vom 7 . 6 . 1 9 2 9 zu u n t e r z e i c h n e n , 1 0 2 ) war als eine klare Absage Washingtons interpretiert w o r d e n , einen derartigen Z u s a m m e n h a n g a n z u e r k e n n e n . 1 0 3 ) De f a c t o b e s t a n d diese K o p p e l u n g aber für D e u t s c h l a n d , da der Young-Plan Erleichterungen nur für den Fall eines S c h u l d e n n a c h l a s s e s d u r c h die Vereinigten S t a a t e n vorsah. Bis E n d e des J a h r e s 1 9 3 0 ä u ß e r t e sich R o h r b a c h i m m e r o p t i m i s t i s c h e r über die Möglichkeit eines a m e r i k a n i s c h e n E i n l e n k e n s . 1 0 4 ) A b e r G e d u l d war n i c h t seine S t ä r k e . K a u m war es bei d e n S e p t e m b e r w a h l e n 1 9 3 0 z u m nationalsozialistischen E r d r u t s c h gek o m m e n , g l a u b t e er, m a n k ö n n e die o f f e n k u n d i g e Angst des A u s l a n d e s als Hebel z u r Revision b e n u t z e n ! 1 0 5 ) Seine S p e k u l a t i o n e n w u r d e n von der finanziellen Entw i c k l u n g ü b e r h o l t . Z w a r zeigte die H a n d e l s b i l a n z infolge d r a s t i s c h e r I m p o r t s e n k u n g e n erstmals U b e r s c h ü s s e , 1 0 6 ) aber der finanzielle G e w i n n wurde d u r c h die Kapitalabzüge als R e a k t i o n a u f den nationalsozialistischen Wahlsieg w i e d e r aufgez e h r t . 1 0 7 ) Die n o c h w a c h s e n d e V e r s c h u l d u n g 1 0 8 ) und die k a u m ü b e r w u n d e n e Kap i t a l f l u c h t - K r i s e ü b e r z e u g t e n a u c h ihn von d e r U n m ö g l i c h k e i t eigener d e u t s c h e r S c h r i t t e z u r Revision d e r Z a h l u n g s v e r p f l i c h t u n g e n . 98) Karlsruher Tagblatt Nr. 315 vom 14.11.1930. 99) Siegener Zeitung Nr. 291 vom 12.12.1930. 100) ebda Nr. 1 vom 2.1.1931. 101) Regensburger Anzeiger Nr. 353 vom 24-/25.12.1930. Vgl. dazu: W. Conze, in: HZ 199, 1964, S. 529 ff. 102) Dieses Abkommen sah vor, daß jeder amerikanische Nachlaß in den ersten 37 Jahren zu zwei Dritteln an Deutschland weitergegeben werden sollte, in den letzten 22 Jahren dagegen zu 100%. Ronde, S. 156. 103) Ronde, S. 155 ff. 104) Wiesbadener Zeitung Nr. 348 vom 20.12.1930. 105) Heidelberger Tageblatt Nr. 219 vom 20.9.1930 und Nr. 231 vom 4.10.1930. 106) Nach Heibich (a.a.O., S. 46) betrug er für 1930 insgesamt 1642 Millionen, nach dem Benduce-Bericht (Documents of British Foreign Policy, II, 497) 1544 Mill. RM. 107) Vom 14. bis 26.9.1930 verlor die Reichsbank 420 Millionen RM an Devisen. Trotz Diskonterhöhung hörte die Abzugsbewegung erst im März 1931 auf; die deutschen Verluste betrugen mehr als eine Milliarde. - Heibich, S. 63. 108) Die am 31.3.1930 schon 21 318,5 Millionen RM betrug und bis zum 31.3.1931 auf 24 078,9 Millionen stieg - Documents on British Foreign Policy, II, 511.

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2.4.3

Das Ende des

Young-Planes

Obwohl die Krise in den USA schon 1930 hereingebrochen war, konnte Rohrbach erst im Februar 1931 Stimmen führender Wissenschaftler 1 ) und Industrieller 2 )registrieren, die für einen Schuldennachlaß plädierten; der „Mann auf der Straße" glaubte dagegen immer n o c h an das, wie er sich ausdrückte, „allein seligmachende Prinzip" der Rückzahlungen. 3 ) Immerhin hatte ein Stimmungsumschwung eingesetzt, und Rohrbach mahnte zur G e d u l d , 4 ) meinte aber, mit dem Beweis der Unerfullbarkeit allein sei es nicht getan; 5 ) der Young-Plan erlaube sogar, aufgrund alliierter Vertragsbrüchigkeit 6 ) weitere Zahlungen zu verweigern. Die Argumentation verriet allerdings eine gefährliche Ignoranz. Sicher würden dann, wie er zugab, die ca. 11 Milliarden kurzfristigen Anleihen gekündigt werden. In diesem Falle müßten wir unsere Verpflichtungen anerkennen, aber gleichzeitig sagen, daß erst einmal die Gegenseite ihren Verpflichtungen n a c h k o m m e n müsse, u m uns zahlungsfähig z u machen! Rohrbach erlebte nicht viel später Anschauungsunterricht über die Folgen eines umfangreichen Kapitalrückzuges. A u f die Ankündigung einer deutschösterreichischen Z o l l u n i o n 8 ) hin z o g Frankreich überstürzt Kredite zurück; die Österreichische Kreditanstalt 9 ) brach am 12. Mai 1931 zusammen und leitete mit

1) Wiesbadener Zeitung Nr. 49 vom 18.2.1931. 2) Siegener Zeitung Nr. 46 vom 24.2.1931. 3) Heidelberger Tageblatt Nr. 44 vom 21.2.1931. Dazu Kadzik, a.a.O., S. 84/85. 4) Berlin soll nicht für Erleichterungen, „die an sich schon unterwegs sind", voreilig Opfer bringen: „Der Youngplan vom Sommer 1929 sollte uns doch eine Lehre sein." Wiesbadener Zeitung Nr. 52 vom 21.2.1931. 5) Auch Brüning mußte zu dieser Stimmung Konzessionen machen; vgl. Heibich, S. 22/23. 6) „Die Vorbedingungen des Youngplans sind in Ziffer 168 und noch an anderen Stellen, teils wörtlich, teils inhaltlich dahin definiert, daß das sogenannte Reparationsproblem nicht etwa einseitig von Deutschland zu lösen sei, sondern es verlange die 'Zusammenarbeit aller Beteiligten'; ferner hänge Deutschlands Zahlungsfähigkeit von seinen Zukunftsmöglichkeiten ab, und sein Transfer von der Ausdehnung seines Exports; endlich müßten alle Beteiligten gemeinsam die Möglichkeit suchen, 'die Deutschland in den Stand setzen, die vorgesehenen Verpflichtungen zu erfüllen." Wiesbadener Zeitung Nr. 80 vom 21.3.1931. Vgl. dazu Ronde, S. 158. 7) Siegener Zeitung Nr. 71 vom 25.3.1931. 8) Die Rohrbach begeistert begrüßte und als ersten Schritt zum Mitteleuropa der Wirtschaftsvernunft bezeichnete, während er gleichzeitig davor warnte, diese Abmachungen „mit dem staatspolitischen Problem des großdeutschen Nationalstaates zu belasten". (Wiesbadener Zeitung Nr. 88 vom 29.3.1931.) Nachdem er selbst das Stichwort 'Mitteleuropa' in die Debatte geworfen hatte, erregte er sich über gleichlautende Befürchtungen in Frankreich und Italien. Zum Unionsprojekt vgl. O. Hauser, Der Plan einer deutsch-österreichischen Zollunion von 1931 und die europäische Föderation. HZ 179, 1955, S. 45 ff. 9) Die zwangsweise die durch leichtsinnige Geschäftsführung ruinierte Bodenkreditanstalt hatte übernehmen müssen.

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ihrer Zahlungseinstellung das große Bankensterben ein. In Deutschland begann es mit dem Zusammenbruch der Frankfurter Allgemeinen Versicherungsgesellschaft, der am 18.6. die sog. Nordwolle 1 0 ) folgte, die die Norddeutsche Kreditbank mit sich zog. i 1 ) Knapp einen Monat später war dann die Danatbank zur Zahlungseinstellung gezwungen; am 14. Juli 1931 mußte ein allgemeiner Feiertag eingelegt werden. 1 2 ) Brüning gelang es, mit Notverordnungen und Staatshilfe weitere Folgen abzuwehren; aber die Unmöglichkeit eines abrupten und einseitigen Widerstands war dadurch schlagend bewiesen worden. 1 3 ) Und das umso mehr, als einem unbefangenen Beobachter klar werden mußte, wie sehr politische Schritte diesen Run ausgelöst hatten: die Bankenkrise in Österreich entstand aufgrund des Zollunionsprojektes; die Kapitalabzüge in Deutschland hingen eng mit Moratoriums- und Revisionsgerüchten zusammen, die vor der Begegnung in Chequers 13a ) zirkulierten; die Panik der deutschen Einleger war zum guten Teil auf den „Tribut-Aufruf der Reichsregierung vom 5./6. Juni und die Befürchtungen eines Sturzes Brünings wegen der Juni-Krise um die Reichstagseinberufung zurückzuführen. 14 ) Unberührt von diesen finanziellen Fragen hatte Rohrbach die Politik der ersten Jahreshälfte 1931 kommentiert. In der Einladung nach Chequers hatte er eine Initiative der amerikanischen Hochfinanz vermutet, die - jetzt angeblich im Gegensatz zu Hoover - auf eine Schuldenstreichung dränge, während Hoover über eine allgemeine Abrüstung die nötigen Mittel zur Bekämpfung der Weltwirtschaftskrise freisetzen wolle. Dieser Ausweg müsse erst durch die starre Haltung Frankreichs als aussichtslos erwiesen sein, bevor Hoover einer Schuldenstreichung zustimmen werde.15) Den USA und England sollte in Chequers verdeutlicht werden, daß in Deutschland mit den Erfüllungsmöglichkeiten auch der Erfiillungswille geschwunden sei! 16 ) Mit solchen Bemerkungen wollte Rohrbach dem Reichskanzler keineswegs in den Rükken fallen. So bemerkte er zu der Zollunionsfrage: 17 )

10) Norddeutsche Wollkämmerei in Bremen. 11) Auch bei dieser Bank läßt sich grobe Fahrlässigkeit in der Kreditpolitik feststellen; der Zusammenbruch war vermeidbar. 12) Die Kreditabzüge hatten Ende Mai begonnen, steigerten sich in der zweiten luniwoche zur Panik und konnten erst Ende Juli aufgefangen werden. In knapp sieben Wochen wurden ca. 3 Milliarden abgezogen; die Reichsbank verlor vom 23.S. bis zum 13.7. an Devisen 1707 Millionen; der Deckungssatz der Reichsmark, gesetzlich auf 40% festgelegt, sank auf 22% (Heibich, S. 64). 13) Insgesamt verlor Deutschland vom 14.9.1930 bis zum 7.7.1931 zwischen 3 und 4 Milliarden RM, was dem Doppelten einer Jahresannuität entsprach; auf dem Höhepunkt der Krise waren es fast 100 Millionen pro Tag (Kadzik, S. 95). 13a) Dazu Brüning, Memoiren, S. 278 ff. 14) Auch Heibich meinte (S. 66), daß der Run eher aus Versehen ausgelöst worden war. 15) Wiesbadener Zeitung Nr. 130 vom 12.5.1931. 16) Heidelberger Tageblatt Nr. 124 vom 30.5.1931. 17) Vgl. dazu die allerdings dem Zeitgeist huldigende Dissertation von O. Wedel, Der deutschösterreichische Zollunionsplan im Spiegel der reichsdeutschen Presse. Heidelberg, Phil. Diss. 1937.

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„Es geht nicht, der Nation immer neue materielle und seelische Belastungen aufzuladen, wenn man nicht gleichzeitig nachdrücklich Aktionen unternimmt, um die auswärtige Lage moralisch und materiell zu erleichtem." 1 8 ) Nur mit solchen Schritten veranlasse man die Nation, sich geschlossen hinter die Regierung zu stellen.' 9 ) Deutlich zeigte sich diese Differenz in den Auffassungen bei der Beurteilung des Treffens von Chequers, wo es Brüning gerade durch Sachlichkeit gelang, seine Partner von der Notwendigkeit entlastender Schritte zu überzeugen, während Rohrbach ernsthaft meinte, Deutschland solle seine Zahlungen einstellen; 20 ) England und Frankreich würden dann ihre Schuldenzahlungen an die USA verweigern, was Washington als unzulässige Koppelung von Schulden und Reparationen ablehnen werde. Die USA würden Weiterzahlung oder Abrüstung fordern, „und dies wäre dann der Moment, wo England und Amerika sich zu einem gemeinsamen Druck auf Frankreich vereinigen können." 2 1 ) Sicherlich gehe Berlin damit ein großes Wagnis £in; aber bei dem allgemeinen amerikanischen Wunsch nach Sanierung durch Abrüstung riskiere Deutschland nicht mehr als durch eine weiterdauernde innerdeutsche Krise. Ein solcher Schritt zwinge die Gegenseite, Stellung zu beziehen. „Frankreich wird sich dann als das große Hindernis von der Welt offenbaren. Solange wir aber zahlen, spielen wir das Spiel, indem wir ihm den eigentlichen amerikanischen Druck ersparen. Wenn Chequers eine Etappe auf dem Wege dorthin war, so ist es gut; wo nicht, so müssen wir seinen Wert skeptisch beurteilen." 2 2 ) Aber Rohrbach verkannte Brünings Regie: nach der Notverordnung vom 5. Juni, mit der nach allgemeiner Überzeugung die Grenze des Ertragbaren erreicht schien, konnte Hindenburg den amerikanischen Präsidenten um Hilfe bitten; Deutschland hatte seinen guten Willen ausreichend bewiesen. Daraufhin verkündete Hoover, für Rohrbach völlig überraschend, am 20. Juni ein einjähriges Moratorium aller internationalen Zahlungen, dem alle Länder bis auf Frankreich sofort zustimmten. Paris bestand auf Weiterzahlung des ungeschützten Teils der deutschen Annuitäten. Erst am 7. Juli konnte eine Einigung erzielt werden; 23 ) aber die Verzögerung hatte für Deutschland schlimme Auswirkungen: in der Zwischenzeit wurden überhastet Kredite zurückgerufen; die Hausse, mit der die Börsen dasHoovermoratorium beantwortet hatten, flaute ab; manche Notierungen sanken unter den Ausgangswert. 24 ) Rohrbach griff überraschenderweise Brüning wegen seines Vorgehens scharf an. Nicht nur, daß man die wachsende Verbitterung als außenpolitischen Faktor nicht 18) Wiesbadener Zeitung Nr. 147 vom 31.5.1931. 19) Wiesbadener Zeitung Nr. 166 vom 20.6.1931. 20) Womit er seine eigene Behauptung widerlegte, dann sei mit gefährlichen französischen Sanktionsschritten zu rechnen. 21) Heidelberger Tageblatt Nr. 135 vom 13.6.1931. 22) Wiesbadener Zeitung Nr. 158 vom 12.6.1931. 23) Deutschland zahlte den auf Frankreich entfallenden Teil der Annunitäten bei der BIZ ein, und diese gab ihn sofort als kommerzielle Anleihe an Deutschland zurück. 24) Kadzik, S. 95.

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e i n g e s e t z t h a b e - viel s c h l i m m e r sei, d a ß die R e g i e r u n g bei ihren A k t i o n e n n i c h t die „ T u c h f ü h l u n g " m i t d e m V o l k e besessen h a b e . 2 5 ) Der H a u p t f e h l e r lag in d e r falschen Einstellung: a n s t a t t sich auf die ö f f e n t l i c h e M e i n u n g zu stützen, d i e endlich geschlossen w a r , 2 6 ) die endlich den Z u s a m m e n h a n g von T r i b u t z a h l u n g e n u n d Elend einsah, ging m a n über sie h i n w e g ! 2 7 ) Es bleibt d u n k e l , was R o h r b a c h eigentlich gewünscht h a t : eine einseitige d e u t s c h e Zahlungseinstellung o d e r n u r eine p r o p a g a n d i s t i s c h e A u s n u t z u n g der allgemeinen V e r b i t t e r u n g o d e r e i n e - a u c h diese M ö g l i c h k e i t d e u t e t e er an - i n n e n p o l i t i s c h e S a m m l u n g s a k t i o n . Er h a t sich über die weitere E n t w i c k l u n g des R e p a r a t i o n s p r o b l e m s 2 8 ) nicht m e h r g e ä u ß e r t , da er Mitte des J a h r e s eine Studienreise a n t r a t . 2 9 ) So läßt sich a u c h k e i n e V e r m u t u n g d a r ü b e r anstellen, w e l c h e n Weg er einschlagen w o l l t e b z w . ü b e r h a u p t vorschlagen k o n n t e . O f f e n b a r w ü n s c h t e er a b e r , Washingt o n z u e i n e r n a c h d r ü c k l i c h e n E r k l ä r u n g zu v e r a n l a s s e n , d a ß es sich für d i e d e u t sche Krise w e i t e r h i n v e r a n t w o r t l i c h f ü h l e . 3 0 )

2.4.4

Das Ende der

Fast n o c h wichtiger sche F o l g e w i r k u n g . Hoover-Moratorium fried d e m a s k i e r t . 2 ) dern geschäftlicher

25)

26) 27) 28) 29)

30)

1) 2) 3)

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Reparationen

als die finanzielle E r l e i c h t e r u n g schien R o h r b a c h eine politiD e n n m i t seinen ' f a d e n s c h e i n i g e n A r g u m e n t e n ' 1 ) gegen das h a b e sich Paris in den USA endlich als der europäische StörenDa d e r Hoover-Plan n i c h t einer g r o ß m ü t i g e n S t i m m u n g , sonE i n s i c h t e n t s p r u n g e n s e i , 3 ) h a b e m a n F r a n k r e i c h d e n Rück-

Wiesbadener Zeitung Nr. -173 vom 27.6.1931. Dort setzte er hinzu: „Man soll uns nicht so verstehen, als ob wir Kritik um der Kritik willen treiben wollen. Wir sind am Rande des Abgrundes gewesen, und eine hilfreiche Hand hat uns gerade noch zuriickgerissen Alle diejenigen, die uns geholfen haben, diese Hand herbeizurufen, verdienen unseren Dank, unsere eigene Regierung nicht zum wenigsten . . .". Heidelberger Tageblatt Nr. 147 vom 27.6.1931. Westliche Post (St. Louis/USA) vom 12.8.1931. Vgl. dazu Ronde, S. 161 ff. und Heibich, bes. S. 26-42. Auf der er allerdings in den USA Material für die amerikanische Einstellung gegenüber Deutschland sammeln wollte (Schreiben Rohrbachs vom 30.6.1931 an die Deutsche Botschaft Washington - PAdAA, Akte Rohrbach). Er ist aber nicht mehr auf die Vorgänge des Juni 1931 zurückgekommen. Typisch für die in dieser Hinsicht völlig unergiebigen Memoiren: Handschrift, S. 295. Wiesbadener Zeitung 170 vom 3.7.1931. Hier irrte Rohrbach: Hoover mußte sich aus verschiedenen Gründen der französischen Auffassung beugen, die Reparationsfrage sei ein innereuropäisches, speziell deutsch-französisches Problem. - Ronde, S. 162/63. Wiesbadener Zeitung Nr. 187 vom 11.7.1931. Siegener Zeitung Nr. 159 vom 10.7.1931. Heidelberger Tageblatt Nr. 159 vom 11.7.1931.

schlag, den sein Sträuben verursachte, sehr verübelt. Jetzt lasse sich der französische Willen, Deutschland auf ewig niederzuhalten, ohne Mühe überzeugend demonstrieren, 4 ) wobei man an der amerikanischen Sorge um das festliegende Kapital in Deutschland einen wertvollen Bundesgenossen besitze. 5 ) Obwohl Rohrbach meinte, das Hoover-Moratorium bedeute „auf irgendeine A r t " das Ende aller Reparationen, 6 ) wollte er zwei amerikanische Einsichten noch höher veranschlagen: „Es ist eines der wichtigsten Ergebnisse der amerikanischen Wirtschaftsdepression, daß die frühere Vorstellung, Amerika könne vom Aussehen der Dinge in Europa unberührt bleiben, allmählich aus allen klügeren Köpfen verschwindet. Man begreift die Verbundenheit - und man stößt auf Frankreich als das europäische Hindernis. Dies ist ein wichtiger Schritt zur Isolierung der französischen Politik, die doch eigentlich Vorbedingung dafür ist, daß in Europa die unvernünftigsten Hindernisse gegen die Wiederkehr erträglicher Zugeständnisse fallen." 7 ) Washington wolle nicht mehr so, wie Paris wolle - das sei der politische Hauptgewinn des Hoover-Moratoriums! 8 ) Während seiner Weltreise nahm Rohrbach nur selten Stellung zum Reparationsproblem. 9 ) Erst nach seiner Rückkehr 1932griff er die Frage wieder auf. Mit Blick auf die kommende Konferenz von Lausanne betonte er noch einmal die amerikanische Verärgerung über die französische Sabotage am Hoover-Plan 1 0 ) und meinte als Ergebnis seiner Weltreise feststellen zu dürfen, daß die ganze Welt auf Deutschland schaue und eine unmißverständliche Verweigerung aller weiteren „Tributzahlungen" erwarte; man wisse jetzt, daß Deutschlands Gesundung die Vorbedingung für die Gesundung der Welt sei! 1 1 ) Da er andererseits konstatierte, daß Washington weniger denn je mit einer Schuldenstreichung einverstanden sei, 1 2 ) bleibt offen, wie er sich den Fortgang dachte. Als „einzig möglichen" Ausweg aus der Krise bezeichnete er jedoch die Streichung aller internationalen Zahlungen aus Kriegsverpflichtungen. Komme es nicht bald zu dieser Lösung, dann stehe das Ende der gegenwärtigen Wirtschaftsordnung bevor. 1 3 )

4) 5) 6) 7) 8) 9)

10) 11) 12) 13)

Wiesbadener Zeitung Nr. 199 vom 23.7.1931. Siegener Zeitung Nr. 165 vom 17.7.1931. Heidelberger Tageblatt a.a.O. Deutsch-Chinesische Nachrichten (Tientsin/China) Nr. 284 vom 6.9.1931, S. 5. Gießener Anzeiger Nr. 201 vom 29.8.1931. Ebda Nr. 225 vom 26.9.1931. Tagespost (Graz) Nr. 286 vom 17.10.1931. Tagespost (Graz) Nr. 333 vom 3.12.1931. Rohrbach sympatisierte übrigens mit den Japanern und ihrer China-Politik - bei seiner dauernden Forderung nach dem Selbstbestimmungsrecht der Völker eine merkwürdige Inkonsequenz - Revalsche Zeitung Nr. 273 vom 28.11.1931. Wiesbadener Zeitung Nr. 51 vom 20.3. und Nr. 116 vom 27.4.1932. Heidelberger Tageblatt Nr. 73 vom 29.3.1932. Wiesbadener Zeitung Nr. 59 vom 28.2.1832. Dazu Link, S. 525 ff. Wiesbadener Zeitung Nr. 137 vom 20.5.1932.

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Wie die meisten Deutschen erwartete Rohrbach von der Lausanner Konferenz das Ende aller Reparationen. 1 4 ) Aber seine Zuversicht erhielt durch die Entlassung Brünings einen schweren Stoß - nicht nur, daß die Franzosen jetzt einen Vorwand hätten, die Konferenz über den Termin des 1. Juli hinauszuschieben! 15 ) Mit Brüning sei der Exponent einer vernünftigen, klaren, ehrlichen und vertrauenerwekkenden deutschen Außenpolitik abgetreten - Eigenschaften, die man der neuen Regierung kaum zusprechen könne! 1 6 ) Sein Zorn verriet sich auch in der schulmeisterhaften Weise, mit der er der deutschen Delegation seine Verhaltensmaßregeln mitgab. In erster Linie wollte er trotz Anzeichen gewandelter amerikanischer Haltung eine Koppelung von Schulden und Reparationen vermieden sehen, 17 ) da sonst mit einer folgenreichen Verstimmung Washingtons zu rechnen sei. 1 8 ) Die Konferenz begann mit einer englisch-französischen Auseinandersetzung über die Verhandlungsthemen; Paris befürwortete eine Ausdehnung auf allgemeine wirtschaftliche Fragen, über die eigentlich auf einer bevorstehenden Wirtschaftskonferenz gesprochen werden sollte, zu der sich die USA unter der Bedingung angesagt hatten, daß dort weder Zollfragen noch das Schuldenproblem verhandelt würden. Dem französischen Ansinnen jetzt nachzugeben hieß Washington verärgern, was eine Regelung der Schulden und damit auch - nach französischer Interpretation der Reparationen verzögern mußte. 1 9 ) Noch deutlicher kam die französische Absicht in dem Protest gegen das Sieben-Punkte-Memorandum Deutschlands zum Ausdruck: Paris wollte nur drei Punkte konzidieren: Anerkennung einer augenblicklichen deutschen Zahlungsunfähigkeit, Uberprüfung des Youg-Planes und Gewährung eines weiteren Moratoriums. Rohrbach lehnte diese Auffassung rundweg ab und meinte, in dem deutschen Memorandum hätten drei wichtige Aussagen gefehlt: die Feststellung, daß die Gegenseite den Young-Plan verletzt habe;der Hinweis, daß Deutschland alle Reparationen nach der Lansing-Note vom 5.11.1918 längst bezahlt habe; und drittens eine Zurückweisung des Artikels 231. 2 0 ) Seiner Meinung nach konnte Berlin sogar unbesehen auf Rückgabe der Kolonien - notfalls

14) Heidelberger Tageblatt Nr. 117 vom 21.5.1932. 15) „Wenn sie das tun, werden sie sich darauf berufen können, daß die neue deutsche Regierung erklärter Mafien ja nur die Brücke von einem verflossenen bekannten zu einem kommenden unbekannten Zustande Deutschlands sein soll, und daß niemand weiß, welche deutschen Ziele im nächsten Herbst etwa zur Aufstellung kommen werden." Wiesbadener Zeitung Nr. 153 vom 6.6.1932. Am 1. Juli 1932 lief das Hoover-Moratorium ab; bis dahin mußte eine neue Regelung gefunden sein. 16) Nur dem neuen Außenminister v. Neurath dürfe man zutrauen, daß er den Konferenzteilnehmern gewachsen sei! - Heidelberger Tageblatt Nr. 129 vom 6.6.1932. Zu Papens nachträglicher Verurteilung vgl. Handschrift, S. 362/63. Auch Zahn, a.a.O., S. 75, urteilte, daß noch kein Reichskanzler so ausgesprochen unfreundlich empfangen worden sei wie v. Papen. 17) Wiesbadener Zeitung Nr. 167 vom 20.6.1932. 18) Siegener Zeitung Nr. 142 vom 20.6.1932. 19) Heidelberger Tageblatt Nr. 140 vom 18.6.1932. 20) Wiesbadener Zeitung Nr. 17 3 vom 26.6.193 2.

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gegen geringe Restzahlungen 21 ) -, Widerruf der Kriegsschuldlüge 22 ) und Einstellung aller Reparationen bestehen; denn über das reine Reparationsproblem hinaus habe Lausanne endlich auch die „moralische Krise" aller Friedensdiktate erbracht. Bei dieser Einstellung verwundert es nicht, daß er den Beschlüssen der Lausanner Konferenz mit heftiger Kritik begegnete. „Düpiert oder nicht? " überschrieb er seinen Kommentar: „Sonderbare Dinge geschehen. Die Tinte der Unterschriften unter dem Pakt von Lausanne ist kaum trocken geworden, so werden Nachträge bekannt, durch die wir in Zweifel geraten, was der Pakt eigentlich wert ist." 2 3 ) Anlaß war die Tatsache, daß die Koppelung von Schulden und Reparationen zwar aus dem Vertrag herausgenommen, aber in einem Rahmen-Abkommen wieder untergebracht worden war, und daß Deutschland doch noch eine Schlußsumme zugestanden hatte. 2 4 ) Noch fragwürdiger wurde ihm der Pakt angesichts der Erklärung Herriots, Frankreich könne erst dann ratifizieren, wenn die amerikanisch-französische Schuldenfrage geklärt sei. 2 5 ) Alles in allem sei, so urteilte er, Lausanne höchstens eine Etappe auf dem Wege, aber nicht die endgültige Regelung. 2 ^) De facto war aber das Ende der Reparationen gekommen. Auch Rohrbach ließ sich davon überzeugen, zumal er im amerikanischen Präsidentenschafts-Wahlkampf Ansätze einer Neuregelung erkannte. Der sog. Hoover-Plan sah Streichung aller internationalen Zahlungen vor, 2 7 ) um eine Belebung der Wirtschaft herbeizuführen, und Rohrbach schrieb dazu gedämpft-optimistisch: „Wir glauben, daß endlich ein Grund vorhanden ist, auf einen Ausweg aus der allgemeinen Krisenlage zu h o f f e n . " 2 8 ) 2.5

Die Jahre 1933- 1935

2.5.1

Hitler und der Nationalsozialismus

Rohrbachs Äußerungen über Hitler und den Nationalsozialismus sind dünn gesät. Erst nach der Reaktion des Auslandes auf den nationalsozialistischen Wahlerfolg im September 1930 befaßte er sich häufiger mit den Wirkungen, die von der „Bewegung" auf die Außenpolitik ausstrahlten. Daß sich um ihre Fahnen ein großer 21) Ebda Nr. 183 vom 6.7.1932. 22) LaK27, 1932. 23) Wiesbadener Zeitung Nr. 193 vom 16.7.1932. 24) Die, wie Rohrbach vorläufig verschwieg, ja erst unter Umständen 1935 fällig wurde LaK Nr. 28 vom 13.7.1932. 25) Die dann trotz amerikanischen Protestes durch eine einseitige Zahlungseinstellung Frankreichs geregelt wurde. 26) So sah es zumindest Rohrbach - Siegener Zeitung Nr. 197 vom 23.8.1932. 28) Wiesbadener Zeitung Nr. 228 vom 20.8.1932.

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Teil des deutschen nationalen Idealismus gesammelt habe, bekräftigte er noch gegen Ende des Zweiten Weltkrieges in seiner Familiengeschichte. 1 ) Aber wie die meisten Neukonservativen nahm er Hitler als politischen Faktor nicht ernst; 2 ) er glaubte selbst nach dem September 1930, in ihm nur eine vorübergehende Erscheinung zu sehen, ein „Führersurrogat", 3 ) eine quantité négligeable, die mit Besserung der Wirtschaftslage verschwinden werde. Bis dahin boten sich die nationalsozialistischen Erfolge als Druckmittel der deutschen Außenpolitik an. 4 ) Auf diesen Gedanken wurde er durch eine Äußerung Lord Rothermeres 5 ) verwiesen, der in der „Daily Mail" die Prophezeiung gewagt hatte, die Z u k u n f t Deutschlands liege in den Händen Hitlers; ein neues Deutschland erhebe sich, und folglich sei es klug, nicht länger auf den durch Versailles festgelegten Beschränkungen Deutschlands unnachgiebig zu beharren! Rohrbach setzte hinzu: „Man kann die Sätze, in denen sich die Auffassung des Engländers über den Sinn der deutschen Wahl äußert, nur mit dem Gefühl lesen: Ja, wäre es doch so!"6) Erst die Weltreise 1931/32 bewirkte eine Änderung seiner Einstellung, und im Jahre 1932 kämpfte Rohrbach gegen eine Kanzlerschaft Hitlers, dessen politische Fähigkeiten er freilich noch immer unterschätzte. 7 ) Die Ernennung Hitlers zum Kanzler kam für ihn nicht mehr überraschend. Seine Reaktion war vorläufig Schweigen; die erste Leitartikel-Korrespondenz nach dem 30. Januar befaßte sich demonstrativ mit der englisch-japanischen Vereinbarung über die Mandschurei und Tibet. 8 ) Eine Woche später nahm er Berichte der „Times" über die Abkehr Südafrikas vom Goldstandard zum Anlaß, mit offener Spitze gegen das Regime zu schreiben: „Gegen die Prophetie vom antikapitalistischen Umbruch der Wirtschaft erhebt sich urplötzlich eine Gegenprophezeiung. Sie k o m m t aus dem Goldland Südafrika, und ihr Mund ist die alte und vorsichtige Londoner Times!" 9 )

1) 2) 3) 4)

5)

6) 7) 8) 9)

200

Familiengeschichte, S. 557. Familiengeschichte, S. 463. Vgl. auch das schon erwähnte Interview im „Corriere Padano" - BA Koblenz 353, Bl. 109 Deutschland - Tod oder Leben? S. 165/66. An diesem Punkt unterschied er sich von den Auffassungen Schachts, der auf die Umfrage der „Deutschen Allgemeinen Zeitung" „Was halten Sie von einer Regierungsbeteiligung Hitlers? " (Nr. 599/600 vom 25.12.1930) geantwortet hatte, ein Regierengegen die Sozialdemokratie sei ebenso wenig möglich wie gegen die Nationalsozialisten. In einem Bericht vom 24.9.1930 aus München. Rohrbach zählte die Daily Mail zu den bedeutendsten Blättern Großbritaniens (Saarbrücker Zeitung Nr. 267 vom 14.10.1924), deren Grundtenor deutschfeindlich sei. (Siegener Zeitung Nr. 239 vom 10.10.1924). Heidelberger Tageblatt Nr. 231 vom 4.10.1930. Schreiben vom 20.9.1932 - PrivNachlRb. Wiesbadener Zeitung Nr. 37 vom 6.2.1933. Siegener Zeitung Nr. 37 vom 13.12.1933.

Aufgabe des Goldstandards bedeute e r h ö h t e n Anreiz zur Goldausbeutung, und wenn die Golddecke für die Weltwirtschaft auf diesem natürlichen Wege wieder „länger und breiter" werde, dürfe man in der Tat auf einen Sieg über die Weltkrise hoffen, ohne zu „sozialistischen" Methoden greifen zu müssen. Danach schwieg er für mehr als einen M o n a t ; weder Reichstagbrand n o c h Märzwahlen n o c h der Tag von Potsdam bewogen ihn zu einer Ä u ß e r u n g . Zwei Tage später, am 23. März, wurde im Reichstag das Ermächtigungsgesetz verhandelt. Rohrbach b e f a ß t e sich ausführlich mit Hitlers Eröffnungsrede u n d verwies auf die angeblich günstige A u f n a h m e im Ausland - „Die Rede hat in außenpolitischer Hinsicht in den verantwortlichen Regionen des Auslandes nicht irritiert, sondern ber u h i g t " -, m u ß t e aber zugestehen, d a ß die antisemitischen Ausschreitungen der letzten Zeit Abscheu und Feindschaft hervorgerufen hatte. Beschwörend m a h n t e er, um der außenpolitischen Lage willen Wiederholungen solcher Aktionen zu verm e i d e n . 1 0 ) Gegen Nationalismus und Rassenwahn versuchte er eine deutsche Ideologie der Arbeit zu s e t z e n ; 1 i ) persönlich zog er es allerdings vor, Deutschland für einige Zeit den Rücken zu kehren. Wie weit er sich ernsthaft eine Aktivierung des kolonialen Gedankens von den neuen Machthabern e r h o f f t e , steht d a h i n . 1 2 ) Seine eigentlichen G e d a n k e n u n d Befürchtungen drücken sich in den folgenden Sätzen aus, in denen er besorgt zu einer weiteren Ausschließung Deutschlands von kolonialer Arbeit meinte: „Die Benachteiligung für uns, die daraus käme, ist gar nicht abzuschätzen. Sie wäre untragbar sowohl wegen des materiellen S c h a d e n s . . . als auch wegen der moralischen Einbuße, die wir d a d u r c h erlitten, daß andere ihre Arbeit an der Kultivierung und Sanierung eines unvorstellbar großen Stücks Welt t u n , wir aber als Zaungäste d a b e i s t e h e n . " 1 3 ) Die Sorge vor einer moralischen Isolierung Deutschlands nach der Machtübernahme wurde zum Leitmotiv seiner außenpolitischen Kommentare und seiner vorsichtig verklausulierten innenpolitischen Kritik. So schrieb er zu Hindenburgs T o d , mit ihm sei ein „großes Aktivum deutscher A u ß e n p o l i t i k " dahingegangen, u n d

10) Heidelberger Tageblatt Nr. 84 vom 8.4.1933, S. 13. 11) „Wir können zu all den Völkern, die noch emporkommen wollen, sprechen: Kommt zu uns, lernt arbeiten und steigt auf! Sittliche Kultur haben heißt: Arbeit tun um der Arbeit willen, arbeiten, wie das deutsche Volk arbeitet. Das zu sagen, ist keine Überheblichkeit Deutsche Arbeitskultur in Forschung, Wirtschaft, Erziehung und auf allen anderen Gebieten des Lebens ist nicht bloß reale Leistung, sondern sie hat darüber hinaus etwas Schöpferisches in sich, das aus dem deutschen Geiste kommt. An diesem Stück unseres Wesens mag in der Tat einmal die Welt genesen." Wiesbadener Zeitung Nr. 120 vom 3.5.1933. 12) Der Versuch, den aggressiven Nationalismus durch Ablenkung auf koloniale Tätigkeit zu entschärfen, wurde ja schon in dem bereits zitierten Artikel „Mitarbeit am neuen Staat" deutlich - Berliner Tageblatt Nr. 177 vom 16.4.1933. 13) Gießener Anzeiger Nr. 129 vom 6.6.1933.

201

nicht ohne Grund habe Hitler fast zur gleichen Zeit Friedensbeteuerungen ausgesprochen, die guter Wille eigentlich nicht überhören könne. „Aber wo ist dieser gute Wille vorhanden? Wenn man nur nach den augenblicklichen äußeren Kennzeichen geht, so mag es aussehen, als ob das Wort von der Isolierung Deutschlands genug Grund hätte."i*) Und das war auch seine Überzeugung. 15 ) Selbst seine Bemerkung, Hitler bilde keine Ausnahme, in allen Erdteilen sei eine Bewegung zu konstatieren, die unter dem Sammelbegriff der endlich in Gang kommenden 'Liquidierung des Weltkriegs' und seiner Folgen verstanden werden k ö n n e , k o n n t e nicht über sein Unbehagen hinwegtäuschen. Auf der anderen Seite erhoffte er sich anscheinend vom Nationalsozialismus sehr direkte und schnelle Verbesserungen. Zu diesem Zweck spielte er, nicht übermäßig geschickt, auf der nationalen Tonleiter. Deutsche Pflanzer vom Kilimandscharo mußten, da sie auf den Verkaufs-Vorschuß angewiesen waren, ihren Kaffee vollständig nach London verkaufen: „Erst Uber London kommt er nach Deutschland, so daß der englische Zwischenhändler seinen Verdienst vorwegnimmt. (Könne hier nicht eine deutsche Ankäufer-Gesellschaft einspringen? ) Sollte es im neuen Deutschland nicht möglich sein, den Landsleuten in Afrika diese Hilfe zu leisten? " i ? ) Ein anderes leidiges Problem war die Schulbildung der Kolonistenkinder. Durch die Dürre waren besonders in Südwest viele Eltern nicht mehr in der Lage, das nötige Schuldgeld aufzubringen, und Rohrbach schrieb: „Hier muß die Heimat helfen. Ich wiederhole: Nicht sie 'soll' oder, sie 'sollte', sondern sie muß! Wozu haben wir ein national wiedergeborenes Deutschland? " • » ) Uberhaupt dürfe nicht länger eine durchgreifende Hilfsleistung der Heimat ausbleiben. Das wäre nichts anderes als eine schuldhafte Vernachlässigung einer nationalen Pflicht. „Will man zu Hause die Verantwortung dafür tragen, daß, wenn der Augenblick der Rücknahme unserer alten Schutzgebiete gekommen ist, wir ein Ruinenfeld kolonialen Deutschtums vor uns sehen, anstatt einer seelisch u n d wirtschaftlich gesund erhaltenen deutschen Bevölkerung? Ich meine, diese Frage im neuen Deutschland zu stellen, heißt auch, sie zu beantworten."! 9 )

14) 15) 16) 17) 18)

Heidelberger Tageblatt Nr. 186 vom 11.8.1934. Siebenbürgisch-Deutsches Tageblatt Nr. 18215 vom 20.12.1933. Revalsche Zeitung Nr. 2 vom 3.1.1934. Deutsche La Plata-Zeitung Nr. 89 vom 30.6.1933. Siegener Zeitung Nr. 237 vom 10.10.1933. Die deutsche Schule im Auslande (Wolfsbüttel). 25. Jg. 1933, S. 375. 19) Siebenbürgisch-Deutsches Tageblatt Nr. 18162 vom 27.10.1933.

202

Solche Sätze waren Ausfluß eines optimistischen Versuches, „Volk ohne Raum" in „Volk ohne Kolonien" zu übersetzen. 20 ) Nach einer Fahrt durch das englische Kenya faßte er seinen Eindruck zusammen: „Volk mit R a u m . . . Und wo bleiben wir Deutsche? . . . Volk mit Raum Volk ohne Raum, soll das auf ewig bleiben? " 2 ' ) Ein Versuch, Rohrbachs Stellung zum Nationalsozialismus eindeutig zu bestimmen, stößt vornehmlich auf zwei Schwierigkeiten: einmal die Beschränkung der publizistischen Meinungsäußerung. Zum anderen befand er sich in dem Dilemma, die deutsche Politik, der er selbst nur reserviert gegenüberstand, gegen die ablehnende Haltung der Westmächte verteidigen zu müssen. Tatsächlich wurde in den ersten Monaten nach der Machtübernahme im Ausland viel Unsinniges Uber Deutschland geschrieben, von dem sich der national gesinnte Rohrbach herausgefordert fühlte. Diese Haltung muß bei der Beurteilung der folgenden Vorträge berücksichtigt werden. Der erste befaßte sich mit der allgemeinen Weltlage. 22 ) Rohrbach hob drei Punkte besonders hervor: der englische Wunsch nach Emanzipation von der französischen Bevormundung, Italiens Haß gegen Frankreich, das ihm die nordafrikanischen Siedlungsgebiete verschließe, und der deutsche Zorn auf den „Hauptträger von Versailles" vereine die drei Länder auf einer gemeinsamen Plattform: So lasse sich eine konvergierende Linie erkennen, die sich in Frankreich träfe. Gewisse andere Linien aus den USA, Japan und Rußland liefen - „wenn auch vielleicht vorläufig nur punktiert" • ebenfalls in Frankreich zusammen. Sie unterlägen zwar temporären Einwirkungen - „wie augenblicklich durch die nationale Bewegung" (in Deutschland) würden letzten Endes aber zu einem „Entwurf des Interessenausgleichs der anderen gegen den eigentlichen Bedrücker führen." Das war die bekannte Idee einer europäischen Koalition unter der Führung Englands gegen die hegemoniale Kontinentalmacht Frankreich. Es war aber gleichzeitig ein Bekenntnis zur europäischen Partnerschaft - das Wort „Krieg" fiel in diesem Zusammenhang nicht - und ein deutliches Bemühen, Deutschland einen Platz innerhalb des Staatenkonzerts zuzuweisen. Diesem Gedanken opferte er auch die Ernsthaftigkeit seiner Ausfuhrungen; denn die englischen Reaktionen nur als temporäre Erscheinungen zu bezeichnen, widersprach jedem Augenschein. Deutschland räumte er das Verdienst ein, mit der „nationalen Erhebung" die Fronten Europas in Bewegung gebracht zu haben; in England sei endlich die Krise des „nationalen Unabhängigkeitswillens" ausgebrochen, der sich von der französischen Vormundschaft frei machen wolle. 23 )

20) 21) 22) 23)

Kieler Neueste Nachrichten Nr. 286 vom 15.11.1933. Siebenbürgisch-Deutsches Tageblatt Nr. 18054 vom 22.6.1933. „Dr. Rohrbach über die Weltlage". Allgemeine Zeitung (SWA) Nr. 116 vom 15.8.1933. Revalsche Zeitung Nr. 2 vom 3.1.1934.

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Bemerkenswerter waren seine Ausführungen zur inneren Lage. 2 4 ) Nach kurzen Bemerkungen über seine kriegerische Tätigkeit während des Herero-Aufstandes - die Konzession an den Frontkämpfer-Mythos war nicht zu überhören - versuchte er dann, die Wurzeln des Nationalsozialismus darzustellen. Bis zur Pariser Sachverständigen-Konferenz und der Weltwirtschaftskrise habe Deutschland relativ auskömmlich gelebt; besonders die Arbeiterklasse, deren „marxistischen Führern" erst vor dem Gespenst der Arbeitslosigkeit aufgedämmert sei, „daß sie nicht allein waren, sondern daß das ganze deutsche Volk auf Gedeih und Verderb in einem Boot säße, und daß auch die 'Arbeiterklasse', nicht nur die von ihr als 'Kapitalisten' bezeichnete übrige Bevölkerung die Rechnung mitbezahlen müsse." Die 'Futterkrippen- und Kuhhandelspolitik' der alten Parteien, die allen nationalen Fragen weit aus dem Wege gingen, habe den Wunsch nach einer radikalen Änderung, besonders bei der Jugend, bewirkt. Aus dieser Wurzel entsprang der Nationalsozialismus, der nach Rohrbach als leitende Gedanken vertrat: 1. die „völlige Einschmelzung" der Parteien, 2. Kampf gegen die Arbeitslosigkeit, 3. Lösung der Jugendfrage - „Diesem Punkt legte der Redner, der sich als Freund der nationalsozialistischen Bewegung, aber nicht als Mitglied der Partei erklärte, den Punkt 1 und 2 gegenüber mindere Bedeutung b e i " 2 5 ) 4. die Gleichschaltung, die Rohrbach im politisch-administrativen Bereich guthieß, aber in der Wirtschaft „im Hinblick auf die unermeßlichen Schäden, die der Wirtschaft und unseren auswärtigen Beziehungen durch unfähige Wirtschaftsführer entstehen könnten", entschieden verwarf! Als 'Losung' bezeichnete er die Bildung eines geschlossenen, durch die Ehre gemeinsamer Arbeit geeinten Volks von Brüdern. Vollständige Eingliederung der Arbeitslosen werde „im Zeitalter der Maschine" nicht gelingen; der wahrscheinliche Rest von 2 Millionen müsse siedeln, ein bestimmter Teil werde auch wieder, wie vor dem Kriege, im Ausland Werte schaffen. Aussenpolitisch kämen alle Verhältnisse in Bewegung, sobald Deutschland durch eine wirkliche Wehrmacht wieder Bündniswert besäße. „Alles dies aber könne nicht von heute auf morgen geschehen. Bis dahin gelte es, die Ruhe zu bewahren." Der Vortrag war - abgesehen von der vollständigen Verzerrung des innenpolitischen Bildes der Weimarer Republik - eine optimistische und von Unverständnis zeugende Auslegung der nationalsozialistischen Ziele. Selbst wenn man die Zurückhaltung, die sich Rohrbach auferlegen mußte, und die wohl überwiegend nationalsozialistische Einstellung seiner Zuhörer berücksichtigt, dann beweist die Auswahl doch, wie wenig er den Charakter des Regimes durchschaute. 24) 25)

204

„Vortrag des Herrn Dr. Paul R o h r b a c h " . Allgemeine Zeitung (SWA) Nr. 147 v o m 20.9.1933. Infolge der Bevölkerungsstruktur trug der Nationalsozialismus in SWA kaum antisemitische Züge (vgL Stübel, a.a.O., S. 175). Daraus erklärt sich vielleicht die eigentümliche Interpretation des nationalsozialistischen Antisemitismus.

2.5.2

Außenpolitik

im Dritten

Reich1)

Mochte das innenpolitische Programm der Nationalsozialisten wenig Gutes versprechen, so entsprach die außenpolitische Linie in vielen Punkten Rohrbachs Ansichten: entschiedener Antikommunismus, Suche nach Lebensraum im Osten und politische Koalition mit England und I t a l i e n . 2 ) Aber n o c h Ende 1 9 3 2 h a t t e er geschrieben, daß Deutschland in einer Periode ohne „große Persönlichkeit" lebe, so daß die Hauptaufgabe, die nationale Sammlung aller Deutschen, noch weit von ihrer Verwirklichung entfernt s e i . 3 ) Diese Bemerkung u m f a ß t e auch Hitler. Rohrbachs Sorge war umso größer, als er das kommende Jahr 1933 von wirtschaftlichen wie politischen Krisen b e s t i m m t sah, deren Meisterung er Schleicher k a u m u n d Hitler überhaupt nicht zutraute. Hauptmerkmal schien Amerikas Interesse an der ErHaltung des europäischen status q u o zu s e i n , 4 ) m o c h t e n auch die französisch-amerikanischen Auseinandersetzungen und die Schuldenbezahlungen einen Ansatzpunkt bieten, die Fronten a u f z u l o c k e r n . 5 ) Grundsätzlich aber, schrieb er n o c h vor der Machtübernahme, müsse man das neu erwachte amerikanische Interesse an Europa mit Vorsicht betrachten; die Absichten - Sanktionierung der Zustände zur politischen Beruhigung und wirtschaftlichen Gesundung - würden sich für Deutschland nur negativ auswirken k ö n n e n ; 6 ) Washington sei zu o f f e n k u n d i g auf die „Zementierung Europas" b e d a c h t . 7 )

1) Dazu Jacobsen, Hildebrand und K. D. Bracher, Hitler und die europ. Politik, in: Deutschland zwischen Demokratie und Diktatur, Bern u.a. 1964, S. 181 ff. 2) Die Frage nach „Kontinuität oder Bruch der deutschen Außenpolitik" (vgl. dazu: A. Hillgruber, Kontinuität und Diskontinuität in der deutschen Außenpolitik von Bismarck bis Hitler, Düsseldorf 1969) hat sich Rohrbach nie gestellt. Aber seine Publizistik zeigt, daß er eine Kontinuität über 1933 hinaus sah, daß er also mit den Vor-WeltkriegsKategorien von „Gleichgewicht oder Hegemonie" (L. Dehio, Krefeld 1948) Hitlers Aussenpolitik bewertete. Da aber seine Auffassung von Rankes Staatskonzert der „Großen Mächte" (zu Rankes Aufsatz vgl. H. v. Caemmerer, Rankes Große Mächte und die Geschichtsschreibung des 18. Jahrhunderts, in: Studien und Versuche. Festschrift für Max Lenz, S. 265 ff) in zeittypischer Fehlinterpretation „Gleichgewicht" mit militärisch erzwungener Neutralisierung gleichsetzte (Übersee, 7. Jg. 1926, Nr. 4, S. 4; Alpenländische Monatshefte (Graz), 4. Jg. 1926/27, S. 39; Die Woche, 24. Jg. 1922, Nr. 38, S.892) wollte er mit Hitlers Aufrüstung etwas quantitativ Neues in der europäischen Politik erkennen. Rohrbach folgte in der Beurteilung der Frage Gleichgewicht und Hegemonie bedingungslos seinem Lehrer H. Delbrück (DP. H. 32 vom 8.8.1919, S. 163; ferner:Delbrück als Prophet, in: Am Webstuhl der Zeit, Berlin 1928, S. 56-62). Vgl. auch Fr. Dickmann, Hitlers außenpolitische Zielsetzung vor 1933, in: Spiegel der Geschichte, a.a.O., S. 915 ff. 3) LaK 52, 1932. 4) Siegener Zeitung Nr. 5 vom 6.1.1933. 5) Heidelberger Tageblatt Nr. 12 vom 14.1.1933. 6) Wiesbadener Zeitung Nr. 21 vom 21.1.1933. 7) Westfälische Zeitung (Bielefeld) Nr. 12 vom 14.1.1933.

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Zur Machtübernahme schwieg sich Rohrbach aus! Am 2. Februar 1933 begann die zweite internationale Abrüstungskonferenz, die schnell durch Frankreichs Unnachgiebigkeit stecken blieb. Rohrbachs Kommentar klang jetzt merklich entschiedener; er sprach vom „Genfer Strohdreschen", dem Berlin eine „autonome Entscheidung" über die Wiederbewaffnung entgegensetzen werde. 8 ) Gleichzeitig betonte er überraschend die Möglichkeit eines deutsch-französischen Zusammengehens. Der Glaube an die ewige Dauer der Versailler Verträge schwinde in Frankreich zusehends; 9 ) immer mehr Stimmen rückten von Polen ab - nach dem Motto: Wenn Sicherheit nicht gegen, dann vielleicht mit Deutschland. 10 ) Ganz im Sinne der nationalsozialistischen Terminologie verstärkte er seinen Hinweis mit der Bemerkung, nur eine Generation der Kriegsteilnehmer werde eine deutsch-französische Entspannung verwirklichen können, 1 1 ) wie überhaupt die kleinen Völker Europas sich nur mit und parallel zu Deutschlands Wiederaufleben durchsetzen könnten. 12) Unverkennbar waren diese Vorstöße von zwei Sorgen bestimmt: der Furcht vor einer außenpolitischen Isolierung und der Befürchtung, Hitler könne zu kräftigeren Mitteln greifen. Recht plump versuchte Rohrbach, Deutschland auf den Weg der Bündnisse bzw. Koalitionen und der friedlichen Auseinandersetzungen zu weisen. Auch seine Betonung des deutschen Friedenswillens zeigte, daß er anderslautende Stimmen im Ausland registrieren mußte. So empfahl er zwar immer noch, Genf in der Abrüstungsfrage vor ein fait accompli zu stellen, 13 ) ließ aber durchblicken, daß er Deutschlands außenpolitische Lage als gefährdet ansah, daß ein offener Bruch mit dem Genfer System Sanktionen hervorrufen konnte, die nicht einmal militärischer Natur zu sein brauchten, sondern schon durch eine ,»moralische Blockade" unermeßlichen Schaden anrichten könnten. Das französisch-russische Gespräch über einen Nichtangriffspakt schien ihm der Anfang einer Isolierungspolitik gegenüber Deutschland zu sein. 14 ) In dieser Hinsicht müsse allein die erneute antideutsche Einheitsfront in Genf bedenklich stimmen. 15 ) Die Konsequenz hieß Reform der bestehenden Organisationen und Revision innerhalb des Systems schon bestehender Bindungen. So erklärte sich auch Rohrbachs schnelle Zustimmung zu den Vorschlägen Mussolinis, der einen Viererpakt als Lösung der stagnierenden europäischen Politik in die Debatte brachte. Er versprach Befreiung von den hindernden Formen des Völkerbundes und sicherte gleichzeitig Zusammenarbeit zwi-

8) Heidelberger Tageblatt Nr. 36 vom 11.2.1933. 9) Wilhelmshavener Kurier vom 11.2.1933 (Beilage). Noch pointierter: Essener Allgemeine Zeitung Nr. 288 vom 24.10.1933. 10) Wiesbadener Zeitung Nr. 55 vom 24.2.1933. 11) Heidelberger Tageblatt Nr. 51 vom 1.3.1933, S. 8. 12) LaK9,1933. 13) Wiesbadener Zeitung Nr. 69 vom 10.3.1933. 14) Heidelberger Tageblatt Nr. 60 vom 11.3.1933. Deutsches Volksblatt (Novisad) Nr. 4036 vom 26.4.1933. 15) Siegener Zeitung Nr. 62 vom 14.3.1933. Essener Allgemeine Zeitung Nr. 75 vom 16.3.1933.

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sehen Deutschland, England, Frankreich und Italien. Aber in seiner Erleichterung über die positive Wendung überbewertete Rohrbach den Paktvorschlag. Das Motiv des Mussolinischen Schritts schien ihm zweifelsfrei: einmal sollte Frankreich aus dem Völkerbund herausgelöst werden, in dem es dank seiner Klientel immernoch jeden Schritt zur Revision verhindern konnte - ein Vorteil, den der Viererbund beseitigte. „Natürlich merken die Franzosen diese Absicht und sind verstimmt." Schon deswegen müsse vor eilfertigem Optimismus gewarnt werden. Zum anderen aber - und das machte in Rohrbachs Augen den Hauptwert des Paktes aus - ließ dieser die neue Frontstellung in der englisch-italienisch-deutschen Koalition erkennen. 16 ) Mochten auch Englands Schritte von der Sorge um die Ausbildung zweier feindlicher Machtblöcke um Deutschland und Frankreich bestimmt sein die 'Angstpause' war beendet: das nach der Machtübernahme in Bewegung geratene Europa schloß sich mit, nicht gegen Deutschland zusammen. 1 7 ) Das Motiv der italienischen Initiative wollte Rohrbach vorerst nicht untersuchen; sie war durch Englands Antwort glänzend gerechtfertigt. Sogar die konstitutionelle Schwäche Italiens, die Unmöglichkeit einer antibritischen Politik Roms, wirkte sich jetzt positiv aus. Rohrbach bemerkte befriedigt: „Italien ist, wie Deutschland, in der günstigsten Lage, daß es nur seine Sache zu führen braucht, um zugleich damit der Befreiung Europas zu dienen." 18 ) Nach einer französischen Pressemeldung beabsichtigte der Pakt eine weitgehende Revision der Friedensverträge: Verzicht auf Bündnisse, ..da diese dem Frieden mehr Gefahren als Nutzen brächten", Rüstungsgleichberechtigung, Korrektur der deutschen Ostgrenze, Kolonialrevision und Vergrößerung Ungarns. 1 9 ) Rohrbach kommentierte, schon Pkt. 1 lasse an der „Klaue den Löwen, d.h. den wirklichen Staatsmann" erkennen. 20 ) Gerade die weitgesteckten Ziele stimmten ihn aber bedenklich: Es sei ausgeschlossen, daß Frankreich darauf eingehen werde. Damit aber erhob sich die Frage, was Mussolini wirklich beabsichtigt habe: Sollte Deutschland wie in Locarno und Genf 1926 durch vielversprechende, aber sachlich ergebnislose Bindungen politisch gefesselt werden? Mitte April 1933 mußte Rohrbach einsehen, daß seine optimistischen Erwartungen nicht berechtigt erschienen, zumal das Auslandsecho auf Hilters zweite Rede am 23.3.1933,21) auf die Kommunistenverfolgungen und den Boykott jüdischer Geschäfte ausgesprochen unfreundlich war. Rückwirkungen auf den Viererpakt schienen unvermeidlich, 22 ) und die Debatte des englischen Unterhauses am 13. April 16) Wiesbadener Zeitung Nr. 84 vom 2S.3.1933. 17) Heidelberger Tageblatt Nr. 72 vom 25.3.1933. 18) Wiesbadener Zeitung Nr. 90 vom 31.3.1933. Siebenbürgisch-Deutsches Tageblatt Nr. 17996 vom 8.4.1933. 19) Nürnberger Zeitung Nr. 88 vom 13./14.4.1933. 20) „Aber es ist nicht unsere wie Mussolinis Stärke, daß wir, indem wir für uns fechten, zugleich für die Gerechtigkeit fechten? " Wiesbadener Zeitung Nr. 103 vom 13.4.1933. 21) Die Antwortrede auf Web' Ankündigung, die Sozialdemokratie werde dem Ermächtigungsgesetz nicht zustimmen. 22) Heidelberger Tageblatt Nr. 84 vom 8.4.1933.

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ließ erkennen, daß der deutschfreundliche Teil der englischen öffentlichen Meinung in die Defensive gedrängt w a r . 2 3 ) Somit m u ß t e der italienische Vorschlag hinfällig werden, und das hieß: „ E n d e der Tauwetter-Periode." Rohrbachs Reaktion war überraschend, aber doch konsequent. Betont propagierte er jetzt als den 'Deutschen Gedanken der Gegenwart' eine Ideologie nationaler Arbeit, 2 4 ) verknüpfte ihn mit der Arbeitslosigkeit in Deutschland - eine deutliche Mahnung an die Nationalsozialisten, ihre Versprechen einzulösen - und wendete sie sofort wieder in den außenpolitischen Bereich. Er zeigte sich überzeugt, daß nach dem Zusammenbruch 1929-1932 das „System des gegenseitigen Welt-Güteraustausches der Epoche von 1914" unwiderruflich beendet sei. Das Volumen des Welthandels werde für absehbare Zeit unter dem Vorkriegsstand bleiben. 2 S ) Nur eine Durchbrechung schien möglich: die wirtschaftliche Erschließung der Kolonialgebiete. 2 6 ) Ob er wirklich glaubte, Afrika könne vollen Ersatz für das Minus des Welthandels bieten, muß bezweifelt werden. Vorrangig betonte er auch nicht das wirtschaftliche Motiv kolonialer Tätigkeit, 2 7 ) sondern die Möglichkeit, von der Enge, „in die wir heute gepreßt sind", befreit zu w e r d e n . 2 8 ) Zwar müsse ein nationaler Wille zur Kolonialrevision entzündet w e r d e n , 2 9 ) aber wichtiger als der wirtschaftliche Effekt schien ihm die Möglichkeit, die Kolonialfrage als Hebel zur allgemeinen Revision zu benutzen. Von allen Versailler Bestimmungen berühre die

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Heidelberger Tageblatt Nr. 94 vom 22.4.1933, S. 13. Die kritischen Bemerkungen hörten Mitte des Jahres auf, als sich das Heidelberger Tageblatt über Repressalien beklagen mußte (Nr. 130 vom 7.6.1933), denen bald die zwangsweise Veräußerung des Blattes folgte. Wiesbadener Zeitung Nr. 120 vom 3.5.1933. „Was heißt denn deutsches Wesen? Es heißt: Arbeit als Gewissenspflicht, Arbeit tun um der Arbeit willen. Lehrt die Welt daran glauben, und ihr werdet damit die Welt erobern! Lehrt die Völker auf Deutschland sehen, wenn sie den sittlichen Adel nationaler Arbeit lernen wollen. Das ist die deutsche Ideologie, das ist deutscher volksethischer Universalismus. Das ist der deutsche Gedanke in der Welt". Der getreue Eckart. 10. Jg. H. 9 (Juni 1933), S. 667. „Diese jetzt herrschende Meinung geht bekanntlich so weit, daß vom Zeitalter der industriellen Expansion . . . als von einer abgeschlossenen Epoche gesprochen wird." La Plata-Zeitung Nr. 81 vom 22.6.1933. Deutsche Allgemeine Zeitung Nr. 159 vom 4.4.1935. Deutsche Warte. Beilage zur Allgemeinen Zeitung (SWA) Nr. 83/84 vom 7./8.7.1933. Deutsche La Plata-Zeitung Nr. 74 vom 15.6.1933. Gießener Anzeiger Nr. 129 vom 15.6.1933. „Nur einen solchen werden die jetzigen Nutznießer des uns entfremdeten kolonialen Gutes zu respektieren sich veranlaßt fühlen." Wiesbadener Zeitung Nr. 145 vom 19.5. 1933.

Kolonialfrage die Lebensinteressen der Sieger am wenigsten. 30 ) Unter diesem Aspekt berichtete Rohrbach aus den Kolonien, wies auf die Treue der Eingeborenen h i n 3 » ) und registrierte englische Stimmen, die für die Rückgabe Deutsch-Ostafrikas plädierten. Wirtschaftliche und verkehrstechnische Entwicklungen ließen diesen britischen Siedlern den weiteren Besitz Ostafrikas überflüssig scheinen ;32) die negrophile Eingeborenenpolitik beweise zudem, daß London an der Erhaltung des Mandats als Siedlungsgebiet für Weiße wenig l i e g e . 3 3 ) England besitze genügend koloniales Gebiet mit einem für europäische Siedler tauglichen Klima und sei überhaupt, was Kolonialpolitik angehen, „müde g e w a d e n " . 3 4 ) „ U n d w o bleiben wir Deutsche? " 3 S ) Die Briten wünschten nur noch, die Früchte ihrer ehemaligen Anstrengungen zu genießen - darin aber würden sie durch eine Rückgabe der deutschen Kolonien ganz und gar nicht gestört ! 3 ^ ) Konnten sie deshalb nicht einem .jungen Deutschland" den dringend benötigten Handelsspielraum geben? 3 7 ) Das Werben um englisches Verständnis 3 8 ) für die deutsche Lage verstärkte Rohrbach durch ein Motiv, das zwar nicht neu war, aber in der jetzigen Situation sowohl ein Angebot wie eine versteckte Drohung enthielt. Er bezog sich auf jenes 'Hauptergebnis' des Weltkrieges, daß England vom militärischen wie politischen Standpunkt aus kerne Insel mehr sei, eine Tatsache, die bis in die „Fundamente der Weltpolitik" hinabwirke, ohne daß sie allen Politikern einsichtig s e i . 3 ' ) Weder die Engländer noch die Mitglieder des Commonwealth hätten die Zeichen der Zeit begriffen,^o) aber daran führe schließlich kein Weg v o r b e i ! 4 1 )

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Rohrbach geriet hier in einen gewissen Widerspruch; auf der einen Seite behauptete er, eine Rückgabe würde Deutschland wirtschaftlich helfen; auf der anderen, eine Preisgabe die jetzigen Besitzer nicht schädigen. Hamburger Fremdenblatt Nr. 279 vom 8.10.1935. Hamburger Fremdenblatt Nr. 42 A vom 12.2.1937. Frankfurter Zeitung Nr. 125 vom 9.3.1937. Kölnische Zeitung Nr. 24/25 vom 15.1.1938. Münchener Zeitung Nr. 114 vom 24.4.1934. „Übrigens gibt es auch noch ganz andere Interessenten fur das nationale Deutschland, nämlich die Eingeborenen. Unter ihnen geht die Frage um: Wird Hitler kommen und uns wieder deutsch machen? Buchstäblich so . . . " Rostocker Anzeiger Nr. 134 vom 11.6.1933. Weichsel-Zeitung Nr. 148 vom 27.6.1933. Münchener Zeitung Nr. 182 vom 4.7.1933. Berliner Börsen-Zeitung Nr. 191 vom 25.4.1934. Siebenbürgisch-Deutsches Tageblatt Nr. 18054 vom 22.6.1933. Gießener Anzeiger Nr. 157 vom 8.7.1933. Siegener Zeitung Nr. 186 vom 11.8.1933. Münchener Zeitung Nr. 291/92 vom 21./22.10.1933. Gießener Anzeiger Nr. 193 vom 19.9.1933. Siegener Zeitung Nr. 195 vom 22.8.1933. Ostdeutsche Morgenpost Nr. 249 vom 10.9.1933.

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Mit seiner Argumentation schlug Rohrbach eine nicht ungefährliche Richtung ein. Wenn er von militärischer Bedrohung Englands sprach, meinte er französische Waffen; es erschien ihm heuchlerisch bzw. unmöglich, daß die Engländer an eine deutsche Gefahr glauben sollten. Er überlegte aber nicht, wie eine deutsche Aufrüstung unter Hitler auf England wirken mußte. Recht naiv verstand er seine Artikel als Warnung vor Frankreich und als Angebot, den politischen und später vielleicht auch militärischen Festlandsdegen Englands zu spielen. Aber die Stimmung in Südafrika und die englischen Zeitungen 4 2 ) belehrten ihn, daß England eher an eine engere Bindung an Frankreich dachte, denn an einen Bruch. Daran änderte auch der am 15. Juli 1933 unterzeichnete Viererpakt nichts! Mitte des Jahres mußte sich Rohrbach eingestehen, daß die außenpolitische Isolierung in ihren Grundzügen erkennbar war! Seine Enttäuschung äußerte sich sofort in schärferen Tönen gegenüber England^) und gleichzeitig in einer Umdeutung der möglichen deutsch-englischen Koalition. Trug sie bisher vornehmlich Züge einer politischen Vereinbarung, so erhielt sie jetzt eine betont militärische Komponente; wenn Deutschland erst einmal „wehrpolitisch genügend erstarkt sein wird, um fiir England und Italien eine wertvolle und notwendige Hilfe zur Beseitigung des französischen Drucks auf die Entschließungsfreiheit der englischen Politik und auf den notwendigen Lebensspielraum des italienischen Volks zu sein," dann werde sich auch die Koalition ermöglichen lassen! 44 ) Damit hatte er jedoch das Prinzip einer unbedingt friedlichen Auseinandersetzung weitgehend preisgegeben; zugleich gestand er sich jetzt ein, daß eine deutsche Aufrüstung in englischen Augen als Feindseligkeit betrachtet werden konnte. Um diese Gefahr zu vermeiden, war auf jeden Fall der Kontakt nach London aufrechtzuerhalten, notfalls mit politischen Opfern zu erkaufen. Somit rückte die Revision in weite Ferne, 4 5 ) und es war sehr fraglich, ob sich bis dahin der Gleichklang in den politischen Zielen der beiden Koalitionsländer, England und Italien, erhalten ließ! Charakteristisches Merkmal der englischen Politik schien Rohrbach die Sorge um die Wirtschaft zu sein. 46 ) Folglich konnte sie wenig Interesse an die deutschen Belange wenden,4"?) was er nach dem 30. Januar geradezu als Vorteil empfand. Denn bei der Diskussion des Vierer-Paktvorschlages im englischen Unterhaus wollte er zu seinem Erschrecken erkennen, daß es immer noch „starke Gefuhlsfaden" gab, 42) 43) 44) 45) 46) 47)

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Heidelberger Tageblatt Nr. 282 vom 2.12.1933. Beobachter im Iser- und Riesengebirge Nr. 213 vom 12.9.1933. Kieler Neueste Nachrichten Nr. 211 vom 9.9.1933. Kieler Neueste Nachrichten Nr. 268 vom 15.11.1933. Gießener Anzeiger Nr. 241 vom 14.10.1933. Siebenbürgisch-Deutsches Tageblatt Nr. 18162 vom 27.10.1933. Gießener Anzeiger Nr. 253 vom 28.10.1933. Siegener Zeitung Nr. 5 vom 6.1.1933. Wiesbadener Zeitung Nr. 55 vom 24.2.1933.

„an denen Frankreich imstande ist, Menschen ohne eigenes Urteil seinen Weg zu führen". 4 ») Freilich - selbst wenn Frankreich den von Mussolini entfachten „Revisionssturm" abschlagen könne, werde die Revision kommen, und England möge bedenken, welche Verantwortung jetzt auf ihm ruhe. Denn Mussolinis Behauptung, das Schicksal des Völkerbundes sei besiegelt, wenn ihm die friedliche Revision nicht gelinge, treffe völlig zu. 4 ') England war also die entscheidende Macht, die es zu gewinnen galt, über deren Stimmung aber keine Zweifel bestehen konnte: sie richtete sich gegen Deutschland. 50 ) Nach seiner Rückkehr aus Afrika im November 1933 mußte Rohrbach einsehen, daß seine schlimmsten Befürchtungen Wirklichkeit geworden waren. Er hielt immer noch an seinem Prinzip fest, England umzustimmen und ihm die grundsätzlich friedliche, vornehmlich innenpolitisch orientierte nationalsozialistische Ideologie mit einer Propaganda-Aktion zu verdeutlichen. 51 ) Aber die Gelegenheit für eine solche Sympathie-Werbung war - selbst in seiner Sicht - Ende 1933 nicht mehr gegeben. Ganz im Gegenteil muß er ernstlich Aktionen der Entente befurchtet haben: Jahrelang hatte er für einen Austritt Deutschlands aus dem Völkerbund plädiert; jetzt erwähnte er weder den japanischen noch den deutschen Austritt - angesichts seiner eigenen prekären Situation das größtmögliche Maß an Opposition. Dagegen verwies er mit der gebotenen Vorsicht auf die zu Ungunsten Deutschlands veränderte weltpolitische Situation. 52 ) So wird verständlich, daß er Hitlers Bemühungen, zu zweiseitigen Gesprächen und Abmachungen zu kommen, eifrig begrüßte, 5 3 ) boten sie doch die einzige Möglichkeit, nach Verlassen des Völkerbundes der Selbstisolierung zu entgehen. 54 ) Daß Hitlers Angebote auf die Durchbrechung des kollektiven Systems hinzielten, erkannte Rohrbach wohl - ebenso aber die Gefahr, die in einer Verweigerung solcher Abmachungen lag. Nach seiner Meinung standen die Chancen insofern nicht schlecht, als der deutsche Völkerbundaustritt den Aktionen Berlins den nötigen Nachdruck verliehen habe. 55 ) Aber er ließ sich

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Siegener Zeitung Nr. 77 vom 31.3.1933. Siebenbürgisch-Deutsches Tageblatt Nr. 17996 vom 8.4.1933. Wiesbadener Zeitung Nr. 103 vom 13.4.1933. LaK Nr. 15, 1933. Heidelberger Tageblatt Nr. 94 vom 22.4.1933. „Eine solche Ideologie hat uns bisher g e f e h l t . . . Daß Parteien von Übel sind, wird die übrige Welt schwer begreifen; denn sie hat das alte deutsche Parteielend nicht an sich selber kennengelernt. Daß aber ein Volk das tiefste Übel unserer Zeit, die Klassenscheidung . . . durch die prinzipielle Adelung jeder Arbeit als solcher überwinden will, könnte schon eine werbende Ideologie für die Welt abgeben. Man muß eine einleuchtende nationale Ideologie haben, wenn man von der Welt begriffen werden will." Würzburger General-Anzeiger Nr. 271 vom 24.11.1933. Siebenbürgisch-Deutsches Tageblatt Nr. 18193 vom 2.12.1933. Würzburger General-Anzeiger Nr. 277 vom 1.12.1933. Siebenbürgisch-Deutsches Tageblatt Nr. 18197 vom 7.12.1933. Siegener Zeitung Nr. 281 vom 1.12.1933. LaK 46, 1933.

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von seiner Frankreich-Feindschaft hinreißen, wenn er sich über das f ranzösische Dilemma mokierte, entweder die Aussprache zu verweigern oder ein neues „Versailles an Forderungen" vorbringen zu müssen. Die kaum verhüllte Genugtuung hatte ihren Grund wiederum in einer Fehleinschätzung der englisch-französischen Meinungsverschiedenheiten anläßlich des deutschen Völkerbundsaustritts. Rohrbach glaubte, durch eine Politik der Diffamierung Frankreichs und Umwerbung Englands einen Keil zwischen beide Länder treiben zu können. Groteske Züge bekam dieser grundlegende Irrtum aber, wenn er Hitlers Vorgehen als „moralische Offensive" bezeichnete: „Unsere 'direkte Methode' hat für den Engländer noch einen etwas fremdartigen Ton, weil in ihr das Moralische nicht nur dekorativ, sondern wesenh a f t aufklingt. Aber damit ist auch im Verkehr der Völker untereinander ein Moment positiver schöpferischer Stärke gegeben. Sollte die Methode darum letzten Endes nicht auch klüger sein als der klügste französische Fuchsbrief?"56) Schließlich habe die 'direkte Methode' endlich die stagnierende europäische Politik in Bewegung gebracht, 5 7 ) aber Rohrbach erkannte schnell, daß Hitlers Vorgehen kein Erfolg beschieden war. Schon Ende Dezember 1933 war er zu seiner alten Linie - Kontakt zu England um jeden P r e i s 5 8 ) - zurückgekehrt u n d schrieb, zweifellos werde 1934 das Jahr großer weltpolitischer Entscheidungen werden. 5 9 ) Zu seinem Erstaunen fielen die grundlegenden Entscheidungen 1934 noch nicht; das Tempo des Isolierungsprozesses schien sich sogar zu verlangsamen, weil, wie er zu erkennen glaubte, zwar das kollektive System zerbrochen sei, sich aber noch nicht in neuen Formationen wieder gefunden habe. Es ist verständlich, daß ersieh nach dem Schrecken über Deutschlands außenpolitische Lage Ende 1933 gerne dieser Selbsttäuschung hingab, die ihren Hauptgrund in der Abrüstungsfrage hatte. England und Italien hatten im Januar 1934 je ein Memorandum zur Abrüstungsfrage vorgelegt, die Rohrbach beide als nicht ausreichend verwarf: Man setze zwar Vertrauen in Deutschland, 6 0 ) verweigere aber immer noch das Prinzip der Gleichberechtigung. Auf dieser Basis könne man nicht verhandeln, 6 1 ) zumal gerade ir Frankreich Generalstab und Rüstungsindustrie ein offenes Bündnis eingegangen s e i e n 6 2 ) und die Abrüstungskonferenz als einziges Ergebnis neue englische und italienische Rüstungspläne hervorgebracht h a b e . 6 3 ) Die politischen Fronten nah-

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212

Ebda. Siebenbürgisch-Deutsches Tageblatt Nr. 18215 vom 30.12.1933. Heidelberger Tageblatt Nr. 296 vom 19.12.1933. Sicgener Zeitung Nr. 1 vom 2.1.1934. Revalsche Zeitung Nr. 31 vom 7.2.1934. Heidelberger Tageblatt Nr. 35 vom 10.2.1934. LaK Nr. 5, 1934. Heidelberger Tageblatt Nr. 115 vom 19.5.1934. Deutsche Zeitung/Diario Allemao Nr. 149 vom 28.6.1934.

men einen für Deutschland im allgemeinen ungünstigen Verlauf. Italien erhob zwar noch im Januar die Forderung nach Völkerbundsreform und militärischer Gleichberechtigung aller Staaten,64) ließ aber nach der Ermordung Dollfuß' keinen Zweifel an seiner deutschfeindlichen Einstellung. 65 ) England begann aufzurüsten; 6 6 ) Frankreich verweigerte die direkte Aussprache und intensivierte die russisch-französischen Gespräche. 67 ) Rohrbach beobachtete die Aktivität des französischen Aussenministers Barthou, des Vorkämpfers eines europäischen Paktsystems, mit besonderer Sorge; seine Ermordung im Oktober 1934 6 8 ) nahm er mit Erleichterung zur Kenntnis. 6 9 ) Trotz allem glaubte er, die letzte Entscheidung über die endgültige Gruppierung Europas sei noch nicht gefallen. 7 0 ) Nach der Rückkehr der Saar Anfang 1935 mit ihren - so Rohrbach - positiven Auswirkungen auf die öffentliche Meinung der Welt 7 1 ) meinte er, eine Formierung nach Bündnissen ließe sich überhaupt vermeiden. Dementsprechend zwiespältig reagierte er auf die deutsche Erklärung vom 16. März 1935 über die Wiedereinführung der Wehrpflicht. Sein erster Artikel nach diesem Datum hieß" 'Wehrpflicht' in Paraguay", und behandelte den Streit um den Gran Chaco zwischen Bolivien und Paraguay, der mittlerweilen in fünf Jahren Zehntausende Opfer gefordert und „unendliches Völkerbundpapier" hervorgebracht hatte. Paraguay hatte schon einmal mit Brasilien, Argentinien und Uruguay Krieg um den Chaco geführt; vor diesem Hintergrund verstehen sich die folgenden Sätze: „Was Wehrwille bei einem Volk bedeutet, das kann man in Parguay erleben . . . 1865 schätzte man die Bevölkerung von Paraguay auf über eine Million, sieben Jahre später war nur der sechste Teil davon übriggeblieben, darunter nicht mehr als 28 000 Männer. Die anderen hatte der Krieg gefressen. Vorher ergaben sich die Paraguayer n i c h t . . . (war das nur eine geopolitische Notwendigkeit? ) . . . Nein, nicht nur das, sondern auch der Behauptungswille eines kleinen Volkes, dem die Wehrpflicht bis zum letzten Mann ein ungeschriebenes Gesetz i s t ! " 7 2 )

64) 65)

66)

67) 68) 69) 70) 71) 72)

Siebenbürgisch-Deutsches Tageblatt Nr. 18225 vom 13.1.1934. Rohrbach bemerkte recht hilflos, Mussolinis Österreich-Politik sei der Versuch, Wien aus dem französischen Einfluß herauszulösen: „ Es ist nicht notwendig anzunehmen, daß er (Mussolini) in Österreich eine gegen Deutschland gerichtete Politik betreibt." Siegencr Zeitung Nr. 23 vom 27.1.1934. „England befindet sich überhaupt in einer geistigen Krise. Die junge Generation hat das Gefühl, daß die Alten die Karre verfahren haben, daß England nicht mehr das ist, was es früher war . . . Wonach sie verlangt, das sind Ideen und Führer." Heidelberger Tageblatt Nr. 2 vom 3.1.1934. Revalsche Zeitung Nr. 118 vom 29.5.1934. Zusammen mit König Alexander von Jugoslawien in Marseille. Siegener Zeitung Nr. 245 vom 19.10.1934. Würzburger General-Anzeiger Nr. 5 vom 7.1.1935. Heidelberger Tageblatt Nr. 16 vom 19.1.1935. Siegener Zeitung Nr. 72 vom 26.3.1935.

213

Die Zweideutigkeit eines solchen Artikels war nicht zu Ubersehen; die Reduktion eines Volkes um fünf Sechstel als Folge allgemeiner Wehrpflicht war weder ein vernünftiges noch erstrebenswertes Ziel. An sich befürwortete Rohrbach eine Wiederaufrüstung, fürchtete aber gleichzeitig Sanktionsschritte von alliierter Seite und hatte gehofft, nach der außenpolitisch ungünstigen Entwicklung der Jahre 1933/34 durch Stillhalten einen Zusammenschluß der Gegner zu verhindern. Einen Monat später - unmittelbare Sanktionen waren ausgeblieben - gestand er seine Ängste mit der Bemerkung ein, die großen und kleinen Völker hätten den „Atem angehalten", „in der Erwartung der Wirkungen, die der deutsche Schritt auf die Weltlage ausüben wird". 7 3 ) Immer wieder beteuerte er den deutschen Friedenswillen; der sicherste Weg, den europäischen Frieden zu gefährden, sei die Konstellation eines wehrlosen Deutschlands, eines militärisch abhängigen Englands und eines in „Sicherheits-Hysterie" überbewaffneten Frankreichs. 74 ) Deutschlands „Wiederwehrhaftmachung" garantiere den europäischen Frieden; London scheine das einzusehen, Rom und Paris dagegen gebärdeten sich aufgeregt. „Für uns in Deutschland kommt es darauf an, fest hinter der absoluten Ehrlichkeit des Führers zu stehen. Über seinen Entschluß steht Huttens Wort: 'Ich hab's gewagt mit Sinnen!' und die Sache des deutschen Volkes ist es nun, ihm die Sicherheit zu geben, daß er der ganzen Erregung, die jetzt gegen uns geschürt wird, auch ruhig den zweiten Teil des alten Ritterspruches entgegenrufen kann: 'Und trage des auch keine Reu'!" 7 ®) Gerade der stilistische Mißgriff verriet Rohrbachs wahre Besorgnis, die noch deutlicher in seinem erleichterten Kommentar zu den „deklamatorischen Ergüssen" und dem „Zensurenschreiben" der Stresa-Front zu vernehmen war. 7 6 ) Es läßt sich schwer abschätzen, wie er zu diesem Zeitpunkt wirklich die Hitlersche Außenpolitik beurteilte. Allem Anschein nach erstaunte ihn Hitlers „Glück" anläßlich Völkerbundsaustritt, Putsch in Österreich und Wiederbewaffnung. Auf der Minus-Seite standen der deutsch-polnische Nichtangriffspakt, die italienisch-französische Verständigung vom Januar 1935 und das einem Bündnis abgeneigte, seiner Presse nach feindselig eingestellte England. Über Rußlands Völkerbundsbeitritt hatte er sich zwar mokiert, aber es scheint ausgeschlossen, daß gerade ihm, der nur in weltpolitischen Horizonten denken konnte, die damit verbundene Kräfteverschiebung entgangen sein sollte, zumal sie durch die amerikanische diplomatische Anerkennung Rußlands bekräftigt wurde. Immerhin, deutete er an, war es trotz einiger Ansätze noch nicht zu einer moralischen oder politischen Blockade Deutschlands gekommen, hauptsächlich dank der mäßigenden Zurückhaltung Englands.

73) Heidelberger Tageblatt Nr. 71 vom 25.3.1935. 74) Deutsche Zeitung/Diario Allemao Nr. 97 vom 26.4.1935. 75) Heidelberger Tageblatt, a.a.O. 76) LaKNr. 22, 1935.

214

In diese aufs Ganze gesehen trübe außenpolitische Situation platzte die Nachricht von dem deutsch-englischen Flottenpakt. Für Rohrbach erfüllte sich damit ein seit 1918 gehegter Wunschtraum: die Lösung Englands aus dem kollektiven System des Völkerbundes und der direkte Kontakt zwischen der zur Führung Europas berufenen Macht und ihrem kontinentalen Partner.77) Es nimmt nicht Wunder, daß der Flottenpakt ihn schlagartig für die nationalsozialistische Außenpolitik gewann. Aber diese Begeisterung fand ein jähes Ende beim Ausbruch der Abessinien-Krise 78 ) im September 1935. In Wirklichkeit ließen trotz der Sanktionsbestimmungen des Völkerbundes England und Frankreich Mussolini freie Hand in Abessinien, während Rohrbach aus heute nicht mehr zu rekonstruierenden Gründen fest davon überzeugt war, Italien handele gegen den Willen Englands; eine kleine - wie er andeutete, im Grunde nur großsprecherische - Macht unternahm es, dem mächtigen Albion zu trotzen, das aus Furcht vor der italienischen Luftwaffe nicht wage, seine Seemacht gegen den Aggressor einzusetzen. Damit verschoben sich, wie er meinte, die strategischen Schwerpunkte im Mittelmeer und, da das Mittelmeer die Verkehrsseele des britischen Imperiums sei, auch die Schwerpunkte der englischen Macht. So gesehen schwächte Roms Vorgehen Englands Macht und Ansehen. Nichts konnte Rohrbach nach der im Rottenpakt sich abzeichnenden Verständigung ungelegener kommen; und ausgerechnet in diesem Moment, als Deutschland berufen schien, den „Schiedsrichter Europas" 79 ) zu spielen, näherte sich Hitler Italien. Damit zerschlugen sich alle politischen Hoffnungen; die Situation, daß England wegen eines Rüstungs-Rückstandes einer Mittelmacht nachgeben mußte, werde sich nicht wiederholen. Rohrbach sah sich in den folgenden Jahren häufiger veranlaßt, auf die englische Eigenart hinzuweisen, in Friedenszeiten alles „schluren" zu lassen, aber in der Verteidigung unerwartete Kräfte und Zähigkeit zu entwickeln. 80 ) Diese Eigenart mochte Teilerfolge wie den italienischen erlauben; aber England war jetzt zu unsanft aufgeweckt worden; eine Wiederholung sei ausgeschlossen! Ende 1935 schwinden aus seinen Artikeln alle Bemerkungen, die man zur Not als Kritik deuten könnte, so daß eine Darstellung seines politischen Urteils unmöglich wird. Andererseits läßt sich aus dem Ausbleiben versteckter Opposition wohl nicht eine unbedingte Zustimmung herauslesen. Die Preisgabe der scheinbar bevorstehenden deutsch-englischen Verständigung zugunsten der Annäherung ausgerechnet an Italien widersprach allen Überzeugungen Rohrbachs.

77) Heidelberger Tageblatt Nr. 149 vom 29.6.1935. 78) „Warum Krieg in Abessinien? " Westermanns Monatshefte 159. Bd. H. 949 (September 1935), S. 65-68. 79) Würzburger General-Anzeiger Nr. 217 vom 20.9.1935. Zum deutschen Engagement in Abessinien vgl. M. Funke, Sanktionen und Kanonen, Düsseldorf 1970. 80) Die Hilfe, Nr. 10, 1937, S. 197 ff.

215

3.

Möglichkeiten der deutschen Außenpolitik

Eine zusammenfassende Kritik der Rohrbachschen Publizistik in den Jahren 1918 bis 1935 entgeht kaum der Versuchung, die große Zahl von Irrtümern, Fehleinschätzung und -prognosen zum Ausgangspunkt zu nehmen. Freilich besagt das wenig über seinen Einfluß, nicht einmal über seine Bedeutung. Aber die Wurzel aller Fehler belegt zugleich seine Grundeinstellung: Er wollte der Weimarer Republik zudiktieren, eine Großmacht- oder Weltmachtrolle zu spielen, für die sie realiter nicht die geringsten Voraussetzungen besaß - es sei denn die Erinnerung an die Vorkriegszeit! Wie sehr Rohrbach von diesem Wunsch besessen war, beweisen seine heftigen Reaktionen auf alle Vorgänge, die zu einer Schmälerung dieses Anspruchs „auf den Platz an der Sonne" führten - Versailles, die Reparationsfrage, das Aufrüstungsverbot: Seine Aufforderung zu einseitigen deutschen Aktionen lief auf eine Art staatlichen Selbstmords hinaus. Freilich bleibt die Frage, wie ernst es ihm mit jenem Wunsch nach deutscher Festigkeit" tatsächlich war. Denn kaum unternahm Hitler solche Schritte, wußte er eindringlich vor der Gefahr der Einkreisung oder möglicher Sanktionen des Auslandes zu warnen. Der Schluß liegt nahe, daß er solche Schritte von der republikanischen Staatsführung nie wirklich erwartet hat und das Ausbleiben solcher Aktionen nur als Vorwand zu ungehemmter Kritik nahm, die in Wirklichkeit andere Ziele verfolgte. Der Verdacht, daß hier die Außenpolitik zur Durchsetzung innerpolitischer Ziele herhalten mußte, verdichtet sich, wenn man nach den Bestandteilen seiner Kritik fragt. Kritik gehört zum täglichen Brot des Journalismus - sofern er nicht Hof-Berichterstattung ausübt - und stellt, neben dem freien Zugang zur Information, im demokratischen Kräftespiel eine unverzichtbare Korrektur-Größe gegen einseitige Argumentation - sei es aus wie immer verstandener „Staatsräson" oder sozialen Sonderinteressen - dar. Allerdings wird diese Kritik nur solange den Anspruch auf Beachtung erheben können, wie sie die Realitäten berücksichtigt, selbst wenn ihr Ziel die Überwindung eben dieser Realitäten ist. Von dieser Voraussetzung aus verdient Rohrbachs Kritik an der deutschen Außenpolitik kaum den Anspruch ernsthaft - daß sie ernst genommen wurde, steht auf einem anderen Blatt und sagt mehr über das Publikum als über den einzelnen Publizisten aus, wenn auch insgesamt damit ein negatives Urteil über die ganze Publizistik gesprochen wird. Wenn wirklich „Weltmachtstellung" das Ziel war, dann galt es doch zumindest, die nötigen und möglichen Mittel dafür publizistisch zu prüfen und bereitzustellen. Erstaunlicherweise hat Rohrbach die ganzen Jahre hindurch die „Mittel" geprüft 216

sei e s W a f f e n , 1 ) A u f r ü s t u n g , 2 ) militärische S t ä r k e , 3 ) militärische B ü n d n i s s e , 4 ) m i l i t ä r i s c h e A k t i o n e n , 5 ) p o l i t i s c h e B ü n d n i s s e , 6 ) rasch w e c h s e l n d e B ü n d n i s s e - e i n „ G e g e n e i n a n d e r - A u s s p i e l e n " , 7 ) G e l d , » ) w i r t s c h a f t l i c h e B ü n d n i s s e , 9 ) Handelsverträge,10) Kapitalexport,>>) Export von technischem K n o w - h o w , 1 2 ) „Entwicklungs"-hilfe,13) Geheimdiplomatie,14) Kulturpolitik15) - und a l l e

verworfen,

weil sie e n t w e d e r n i c h t zur V e r f u g u n g s t a n d e n o d e r er - d u r c h a u s realistisch - z u d e m richtigen S c h l u ß k a m , d a ß ihre A n w e n d u n g m e h r S c h a d e n als N u t z e n bewirk e n werde. A u f der anderen S e i t e w u ß t e er, t r o t z seiner L i e b l i n g s - W o r t s c h ö p f u n g „ m o r a l i s c h e O f f e n s i v e " , sehr w o h l , d a ß P o l i t i k e i n „ S p i e l v o n D r u c k u n d G e g e n -

1)

2) 3)

4) 5)

6) 7)

8) 9) 10)

11) 12) 13) 14)

15)

Siegener Zeitung Nr. 291 vom 11.12.1924. Rohrbach hat nie zusammenhängend die Möglichkeiten deutscher Außenpolitik diskutiert, sondern nur bei aktuellen Anlässen Stellung zu bestimmten Aspekten bezogen. Im folgenden werden nur die eindeutigsten Aussagen zum betreffenden Aspekt belegt. Schwäbischer Merkur Nr. 96 vom 27.4.1930. D P H . 30 vom 25.7.1919, S. 102. DDG Nr. 18 vom 30.9.1926, S. 1093. Gegen das Übergreifen der Militärs in die Politik wehrte er sich sehr entschieden: DDG Nr. 14 vom 2 2 . 7 . 1 9 2 6 , S. 8 4 1 u n d DP H. 16 vom 18.4.1919, S. 4 8 7 . Düsseldorfer Nachrichten Nr. 164 vom 3 1 . 3 . 1 9 2 7 . Wiesbadener Zeitung Nr. 121 vom 3.5.1931. Banater Deutsche Zeitung Nr. 233 vom 1 6 . 1 0 . 1 9 2 8 . Rohrbach als „militärfromm bis dahinaus" zu bezeichnen (H. v. Gerlach, Von Rechts nach Links, S. 206) ging völlig in die Irre. DDG Nr. 13 vom 2.4.1925, S. 392. Karlsruher Tageblatt Nr. 339 vom 7.12.1928. Deutsche La Plata-Zeitung Nr. 83 vom 9.4.1927. D P H . 15 vom 9.4.1921, S. 339. Die Ukraine, 1. Jg. 1919, H. 4, S. 77. Revaler Bote Nr. 30 vom 6.2.1930. Siegener Zeitung Nr. 28 vom 3.2.1931. Wiesbadener Zeitung Nr. 69 vom 10.3.1930. Siegener Zeitung Nr. 50 vom 28.2.1929. Banater Deutsche Zeitung Nr. 56 vom 9.3.1929. Ingenieur-Zeitung. Das Blatt der deutschen Techniker in der Tschechoslowakei. 6. Jg. 1926, Nr. 20, S. 270. Heidelberger Tageblatt Nr. 298 vom 20.12.1924. Karlsruher Tagblatt Nr. 301 vom 31.10.1930. Heidelberger Tageblatt Nr. 250 vom 25.10.1924. Ernte (Hannover), 11. Jg. 1930, H. 2, S. 2. Der Getreue Eckart, 8. Jg. 1931, H. 8, S. 664. D P H . 4 vom 24.1.1919, S. 100. Heidelberger Tageblatt Nr. 10 vom 12.1.1929. Die Neue Zeit/The New Times, 8. Jg. 1926, Nr. 2, S. 12. Deutsche Bildungsarbeit im Ausland nach dem ersten und zweiten Weltkrieg . . . Braunschweig 1956, S. 11. Zu diesem Problem: Fr. Thierfelder, einer der Referenten zu Rohrbachs DA-Zeit, in: Deutsche Allgemeine Zeitung Nr. 4 4 9 / 4 5 0 vom 25.9.1932. 217

druck" ist,16) in dem Mitleid, 1 7 ) Wahrheit, Ehrlichkeit und Treue keinen oder nur sehr geringen Stellenwert besitzen. 18 ) Und trotzdem behauptete er, die „höchste Sittlichkeit (sei) in der Politik auch zugleich die höchste Klugheit"; 19 ) es gelte, den „Primat der Moral im politischen Leben" 2 0 ) zu verwirklichen! Denn schließlich sei eine Politik erwiesenermaßen umso klüger und besser, je ehrlicher 21 ) und offener sie sei. 2 2 ) Diesen unpolitischen Rigorismus begründete Rohrbach mit einem Wort des Grafen Brockdorff-Rantzau, die sittlichen Kräfte aller Länder strebten nach einem Neuaufbau der zwischenstaatlichen Beziehungen auf sittlicher Grundlage. 23 ) Dem müsse Deutschland an allererster Stelle genügen. Nur dann könne es sich in der Alltagspolitik Vertrauen auf die „Stärke seiner moralischen Position" leisten, 24 ) von der aus Berlin immer wieder Situationen herbeiführen müsse, die alle „Wortführer und Nutznießer der Friedensdiktate in solche moralischen Zwangslagen hinein(zu)drücken, daß sie dem Bekenntnis zur Unterdrückung des Rechts und der Wohlfahrt von halb Europa nicht mehr ausweichen können." 2 5 ) Die „Wunde des Unrechts" offenhalten, 2 6 ) bis Europa gelernt habe, „im eigenen Interesse", im Interesse der Glaubwürdigkeit... „ohne die auch die halben und ganzen Verbrecher der Entente nicht reagieren können, den Schaden dadurch wiedergutzumachen, daß sie uns Gerechtigkeit widerfahren lassen" 27 ) - das mußte oberstes Gebot aller Aussenpolitik nach 1918 sein. 28 ) Deutschland stehe glücklicherweise nicht alleine; 2 ') die Augen aller durch den Weltkrieg geschädigten, in ihren Rechten verletzten, betrogenen, getäuschten und entehrten Staaten seien in der festen Hoffnung auf die

16) 17) 18) 19) 20) 21) 22)

23) 24) 25) 26) 27) 28)

29)

218

Pfälzische Rundschau Nr. 339 vom 11.12.1929. DP H. 27 vom 4.7.1919, S. 3. DP H. 2 vom 10.1.1919, S. 39. DP H. 16 vom 18.4.1919, S. 487. DDG 1927, 2. Septemberheft, S. 249. DDG Nr. 19 vom 10.7.1925, S. 778. Heidelberger Tageblatt Nr. 10 vom 12.1.1929. Zu „Stilwandel der Außenpolitik" vgl. Zimmermann, a.a.O., S. 11 f. Saarbrücker Zeitung Nr. 137 vom 20.5.1925. Ostland, Vom geistigen Leben der Auslanddeutschen, 1. Jg. 1926, H. 5, S. 195. Kampfbund-Nachrichten. Mitteilungen des Deutschen Kampfbundes gegen die Schuldlüge (München), Mai 1928, S. 1-4. DPH. 4 vom 24.1.1919, S. 99. Heidelberger Tageblatt Nr. 56 vom 7.3.1931. Wiesbadener Zeitung Nr. 130 vom 12.5.1931. DDG Nr. 19 vom 15.10.1926, S. 1159/60. Rohrbach an Schacht vom 2.1.1919 - Nachl. Schacht. „Das deutsche Volk hat soviel gelitten, als es niemanden in der Welt gab, dessen Interesse ihn an unsere Seite stellten, daß wir es getrost darauf ankommen lassen können, durch Ausharren und Beständigkeit immer mehr Völker und Regierungen dahin zu bringen, daß sie dem Recht einen Weg lassen, um nicht selber Schaden zu nehmen." DDG Nr. 17 vom 12.6.1925, S. 650. DDG Nr. 21 vom 5.8.1925, S. 905/06.

deutsche Politik gerichtet, daß sie den Impuls zur Revision auslösen werde, 3 0 ) ohne die der Frieden in der Welt nicht zu bauen sei. 31 ) Damit hat sich scheinbar ein Kreis geschlossen: Das um seiner moralischen Führungsposition willen absolut integer agierende Deutschland begibt sich aller außenpolitischen Möglichkeiten. Rohrbach durchbricht den Zirkel durch Einführung eines neuen Moments, der Propaganda, der Einwirkung auf die öffentliche Meinung der Welt. Nun kann sich in der Tat „keine Politik auf längere Sicht gegen den Willen einer organisierten und artikulierten öffentlichen Meinung halten." 3 2 ) Aber selbst wenn man davon absieht, daß Rohrbachs Prämisse - Deutschland sei in Versailles, speziell durch den Artikel 231, schweres Unrecht geschehen - schon damals fragwürdig war: Wie wollte er jene prodeutsche öffentliche Weltmeinung schaffen? Es gibt, zusammenhanglos verstreut, einige Hinweise auf diese „moralische Offensive": Sie müsse von Volk zu Volk geschehen, 33 ) an die breite Masse appelieren 34 ) und den Kontakt zu ihr suchen; 3 5 ) nicht die Regierung, sondern die Opposition sei anzusprechen 3 6 ) - das gelte speziell für England 37 ) - und jedem einzelnen Engländer, Franzosen und Amerikaner müsse verdeutlicht werden, daß er von seiner Regierung während des ersten Weltkrieges systematisch getäuscht worden sei, um in ihm „Haß, Wut, Rache und Gier gegen Deutschland zu entzünden." 3 8 ) Parallel zu diesen Aktivitäten müssen die deutsche Bevölkerung und die Regierung zu einer entschlossenen Haltung finden, die Zielstrebigkeit, 3 ') Würde und Entschlossenheit 40 ) sowie Selbstgefühl 41 ) zeige, um den Gegner zu beeindrucken und ihn an die (möglichen) Konsequenzen seines Tuns zu erinnern. Deutschland könne sich nur auf sein „gutes Recht" berufen: 4 2 ) „Das ist wenig für eine ängstliche, viel für eine fe-

30) 31) 32) 33) 34) 35) 36) 37)

38) 39) 40) 41) 42)

Wiesbadener Zeitung Nr. 78 vom 18.3.1932. DPH. 47 vom 21.11.1919, S. 6 « . E. KrippendorfT, Ist Außenpolitik Außenpolitik, PVS 4, 1963, S. 253. DP H. 7 vom 11.2.1921, S. 147. DP H. 9 vom 26.2.1921, S. 198. Ebda H. 10 vom 5.3.1921, S. 225. DP H. 35 vom 27.8.1920, S. 260. Die Hoffnung auf England teilte Rohibach mit der ganzen deutschen Außenpolitik; vgl. Zimmermann, Außenpolitik, S 77. Daß sich das Schwergewicht der englischen Politik in das Commonwealth verlagert hatte, England dadurch neue Abhängigkeiten auf sich nahm, die seine Europapolitik so weit bestimmten, daß diese zwiespältig, widersprüchlich und schwankend wurde - P.A. Reynolds, British Foreign Policy in the InterWar-Years. London 1954 -, erkannte Rohrbach nicht. DP H. 10 vom 5.3.1921, S. 225. Hamburger Anzeiger Nr. 260 vom 6.11.1925. ebda Nr. 279 vom 30.11.1925. Heidelberger Tageblatt Nr. 9 vom 11.1.1930. Wiesbadener Zeitung Nr. 69 vom 10.3.1930. DP H. 14 vom 4.4.1919, S. 420.

219

ste Politik." 4 3 ) Denn allein diese Haltung, eine „von kräftigem Schwung getragene Wiederherstellungspolitik auf dem Wege moralischer Offensive" sei so zündend und fortreißend, daß sie die „Besten unseres Volkes" über alle Partei in teressen hinweg einigen könne. 4 4 ) „Politische Verbrechen, wie der Mord an Rathenau, würden kaum vorkommen können, wenn das Verhalten der Regierung es niemanden ermöglichte, vom Boden des 'nationalen' Empfindens aus gegen sie zu agitieren." 4 S ) Angesichts des sich ausweitenden Feldes zwischenstaatlicher Beziehungen 4 6 ) war die Annahme, man könne mit 'Propaganda' Außenpolitik betreiben, naiv, ja grotesk. Erst recht trifft dies auf Rohrbachs Methode zu, die mit ihren pausenlosen Angriffe auf die „politischen Verbrecher" im Entente-Lager 4 7 ) wohl kaum zum Entstehen eines politisch günstigen Klimas beitragen konnte! Dennoch beharrte er auf seiner Behauptung, daß allein sein Weg möglich, 4 8 ) richtig 4 9 ) und erfolgversprechend sei! 5 0 ) Die Beispiele aus der außenpolitischen Publizistik zeigen, daß er sich von dieser Überzeugung nie abbringen ließ. Bei seinen Versicherungen pflegte er aber wichtige Voraussetzungen zu unterschlagen. „Moralische Offensive" vor dem Hintergrund deutscher Entschlossenheit, die darin gestellten Forderungen zu verwirklichen, stellte nur einen Teil der Propaganda dar, die „Korrektur des Unrechts". Erst der zweite Teil enthüllte seine innenpolitisch-sozialen Interessen: Deutschland müsse durch innere Reformen für die Welt (wieder) ein Vorbild werden, moralischen Kredit erwerben, soviel Attraktivität und Überzeugungskraft gewinnen, daß die öffentliche Meinung der Welt dies Vorbild sozialer, humaner und politischer Gerechtigkeit einfach nicht länger unterdrücken könne. Hier stellt sich die Frage, ob Rohrbach die innere Reform nur als Mittel der Außenpolitik wünschte - das entspräche der primitiven Auffassung vom Primat der Außenpolitik - oder nur von der Außenpolitik her - und das hieß in diesem Falle von dem „Nachweis" her, daß es kein anderes außenpolitisches Aktionsmittel gab - seine soziale Reform rechtfertigen wollte: eine Technik, die Czempiel bereits in der Diskussion um den Primat der Außenpolitik vor dem ersten Weltkrieg entdeckt hat.

43) 44) 45) 46) 47) 48) 49) 50)

220

Heidelberger Tageblatt Nr. 234 vom 6.10.1928. Die Hilfe, Nr. 1, 1921, S. 7. Die Christliche Welt, Nr. 40/41, 1922, Sp. 771/72. Osram-Nachrichten, 4. Jg. 1922, Sonderbeilage vom 1. November. Die Propyläen. Beilage der „Münchener Zeitung", 27. Jg. 1930, Lfg. 42, S. 329-30. Daraufweist Fr. Münch nachdrücklich hin. Auswärtige Politik, in: Staat und Politik. Hrsg. von E. Fraenkel und K. D. Bracher, Frankfurt/M 1957. S. 35. DP H. 32 vom 6.8.1920, S. 165. Die Neue Zeit - The New Times, 8. Jg. 1926, Nr. 2, S. 11. Wiesbadener Zeitung Nr. 78 vom 18.3.1932. Die Neue Zeit - The New Times, 8. Jg. 1926, Nr. 1, S. 5.

Einen eindeutigen Beleg für die zweite Annahme gibt es nicht. Dank Rohrbachs Unlust zu systematischer Darstellung, einem eingestandenen philosophischen Unvermögen 5 1 ) und der bewußten Beschränkung auf die Außenpolitik 5 2 ) hat er sich nie direkt über die Abhängigkeiten von Innen- und Außenpolitik ausgelassen. Es fehlt jede Besinnung über das Verhältnis von Staat und Sittlichkeit, von Macht und Kultur, von staatlichem Zwang als unausweichlicher Folge seiner Ordnungsfunktion und individueller Freiheit. Aber gerade die Unbefangenheit, mit der er dem Staat sittliche Aufgaben übertrug, ja sittliche Höherentwicklung allein im Rahmen nationaler Staaten für möglich hielt, deutet d a r a u f h i n , daß auch er dem Kreise des neuidealistischen Denkens zuzurechnen ist, das W. Hofer für Meinecke 5 3 ) und H.-H. Krill für Lenz und Mareks nachgewiesen haben. 5 4 )

3.1

Der Primat der Außenpolitik >)

Auf den ersten Blick scheint Rohrbach ein unermüdlicher Vorkämpfer des Primats der Außenpolitik gewesen zu sein: Diese „große Regel der Weltgeschichte" 2 ) die „in wenigen Worten genial zusammengefaßt, ebensoviel enthält wie ein ganzes System der politischen Vernunft" 3 ) werde zum Schaden Deutschlands weder beacht e t 4 ) noch in ihrer ganzen Tragweite begriffen. 5 ) Denn Innenpolitik behandele doch nur die „Einrichtung" des Staates; Außenpolitik sichere dagegen seinen Bestand, so daß man einen Primat der Innenpolitik „naturgemäß" nur bei kleinen und schwachen Völkern vorfinde, deren Sicherheit nichts mit ihrer Stärke zu tun habe - ein Zustand, der bei großen Nationen „nur zu Zeiten des innern Verfalls und Niederganges" anzutreffen sei! 6 ) Die letzte Bemerkung war unverkennbar eine Spitze gegen die Republik, wie Rohrbach überhaupt den Primat der Außenpolitik stets mit einer Diffamierung der in dieser Hinsicht ungebildeten, ängstlichen, törichten, untauglichen, republikanischen

51) 52) 53) 54) 1)

2) 3) 4) 5) 6)

Rohrbach an Onckcn vom 19.2.1929 - Nachl. Oncken, 271-14, Bl. 15. Reichskanzler von Papen, Vorwort. Geschichtsschreibung und Weltanschauung, München 1950. Die Rankerenaissance. Aulicr dem Aufsatz von Krippendorff vgl. dazu E.-O. Czimpiel, Der Primat der auswärtigen Politik, in: PVS 4, 1963, S. 266 ff; ferner H. Rothfels, Vom Primat der Außenpolitik, in: Außenpolitik 1, 1950, S. 274 ff und den gleichbetitelten Beitrag von H. Heffter, in: HZ 171, 1951, S. 1 ff. DP H. 23 vom 4.6.1920, S. 675; Kieler Zeitung Nr. 559 vom 28.11.1924. Bremer Nachrichten Nr. 27 vom 27.1.1925. Heidelberger Tageblatt Nr. 258 vom 5.11.1927. DDG Nr. 4 vom 17.12.1924, S. 3. Siegener Zeitung Nr. 291 vom 11.12.1924.

221

Parteipolitiker verband. 7 ) Nicht minder deutlich trat die zweite Absicht bei der Berufung auf den Primat zu Tage: gegen das Ruhebedürfnis der Völker, 8 ) die aussenpolitische Gleichgültigkeit des Kleinbürgers 9 ) und sein Vertrauen auf die von selbst und irgendwie zum Guten führende Entwicklung!") die Zwangslage des Staates zu setzen, sich im dauernden Wechsel,1 •) in immer wieder neuen Konstellationen 12) stets aufs Neue Entscheidungen s t e l l e n ^ ) und sich darin behaupten zu müssen. 14 ) Für jeden Staat 1 5 ) - so behauptete er apodiktisch - müsse die „Beherrschung der inneren Politik durch die auswärtigen Notwendigkeiten" im Vordergrund stehen; 1 ^) denn im dauernden Wechsel der Verhältnisse könne seine Existenz nie endgültig gesichert sein. Alle großen Demokratien - so Rohrbach - zeichneten sich durch die Beherzigung dieser Weisheit aus; taten sie es nicht, gingen sie daran zugrunde! 1 ') Freilich hat Rohrbach den Primat der Außenpolitik immer nur dann - im Sinne Czempiels 1 8 )- als „Existenznotwendigkeit" begründet, wenn er befürchtete, ein Primat der Innenpolitik im demokratisch-parlamentarischen Sinne könne Platz greifen. Er war allerdings auch dann nie bereit, den Primat der Außenpolitik samt innenpolitischen Implikationen so bedingungslos wie etwa Lenz 1 ') oder Mareks 20 ) zu verfechten: weniger aus prinzipiellen Gründen denn historisch-politischer Erfahrung. Im Namen des Primats war der spezifische deutsche Konstitutionalismus als Funktion der bedrohten Mittellage verfochten worden. 2 1 ) Nun bewies der Krieg,

7) DP H. 27 vom 4.7.1919, S. 6. DP H. 42 vom 17.10.1919, S. 486. Karlsruher Tagblatt Nr. 315 vom 14.11.1930. Heidelberger Tageblatt Nr. 68 vom 21.3.1931. 8) DP H.1 vom 1.1.1921, S. 5. 9) Saarbrücker Zeitung Nr. 130 vom 13.5.1930. Revaler Bote Nr. 79 vom 7.4.1930. 10) Übersee, 7. Jg. 1926, Nr. 5, S. 8. 11) DP H. 39 vom 24.9.1920, S. 388. 12) Übersee, 6. Jg. 1925, Nr. 11, S. 1. 13) DDG Nr. 10 vom 11.3.1925, S. 340. 14) Heidelberger Tageblatt Nr. 68 vom 21.3.1931. 15) Nur eine einzige Ausnahme wollte Rohrbach zulassen: die Vereinigten Staaten dank ihrer geographischen Lage. Deutsche La Plata-Zeitung Nr. 290 vom 10.12.1927. 16) So in seinem programmatischen Leitwort zur ersten Nummer seiner neuen ZeitschriftDDG Nr. 1 vom 4.12.1924, S. 3. 17) Die Hilfe, Nr. 1, 1921, S. 7. 18) a.a.O., S. 268. 19) Krill, Rankerenaissance, S. 175. 20) Ebda, S. 132, Voraussetzung dafür, eine solche Machtpolitik als Konsequenz der geschichtlichen Entwicklung hinzustellen, war die Überzeugung von der vollzogenen Synthese von Macht und Geist (Hofer, Geschichtsschreibung und Weltanschauung, S. 29). Vgl. auch Th. Schieder, Das Deutsche Kaiserreich von 1871 als Nationalstaat, Köln/Opladen 1961, S. 69/70. 21) H. Rothfels, Gesellschaftsform und auswärtige Politik, Laupheim o.J., S. 7.

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daß die Formel von Seeley „Der Grad der Freiheit innerhalb eines Staates wird immer umgekehrt proportional sein dem Grad des Druckes, der auf seinen Grenzen lastet" 2 2 ) falsch war: Sicherheit im militärischen Sinne war in jeder Staatsform zu erreichen, und in den demokratischen Verfassungen in mancher Beziehung noch besser. Oncken 23 ) und Meinecke,24) beide keine überzeugten Demokraten, haben dies zugegeben. Gerade in der Zeit der Belastungsprobe erwies sich die deutsche Konzeption als falsch. Mit Rohrbachs Worten: Die innere Politik müsse sich den äußeren Gegebenheiten anpassen, um die Existenz des Staates zu gewährleisten. Das bedeute aber nicht, „daß die innere Politik gegenüber der äußeren etwas Unterwertiges sei, und daß sie nur als Mittel zu den 'höheren Zwecken' der auswärtigen Politik benutzt und bewertet werden solle. Er (Ranke) hat selbst einmal in klassischer Ausdrucksweise die Gegenformel zu dem Satz vom Primat der auswärtigen Politik aufgestellt: 'Das Ansehen eines Staates wird immer dem Grade entsprechen, auf welchem die innere Entwicklung seiner Kräfte steht!" 2 5 ) Innenpolitik ist also doppelpolig: einmal reagens - an außenpolitischen Notwendigkeiten orientiert - und ein andermal agens - durch den in ihr tätigen Grad der Entwicklung auf die Außenpolitik wirkend. Mit seinen Worten formulierte Rohrbach die Wechselwirkung wie folgt: „Der erste Satz (daß es oberstes Gesetz sei, die inneren Verhältnisse zu dem Zwecke der Behauptung einzurichten) ist biologisch gedacht; er bedeutet: Die politische Organisation der inneren Kräfte muß nach dem Lebensgebot der äußeren orientiert sein. Der zweite ist sittlicher Natur: Je stärker innere, d.h. menschheitliche Kräfte im Leben eines Staates oder Volkes zum Ausdruck kommen, desto größer wird sein moralisches Ansehen unter den übrigen Nationen der Welt sein. Ansehen, in diesem Sinne verstanden, ist ein realer politischer Faktor." 2 *) 22) Zitiert nach Rothfels, Außenpolitik, S. 276. 23) „Auch der höchste auf die Grenzen eines Staates ausgeübte Druck nötigt wohl zu einem intensiven Anpassen des inneren Aufbaues an die schweren Bedingungen im Wettbewerb, aber ein solcher Staat kann damit sehr wohl eine breite Verteilung der Verantwortlichkeiten, eine demokratische Mitwirkung der dafür reif gewordenen Massen verbinden. Er wird sogar in Lagen kommen, wo er diese tiefere Begründung seines Daseins nicht nur suchen kann, sondern suchen muß, wenn anders er ein starker Staat im höchsten Sinne bleiben will." H. Oncken, Über die Zusammenhänge zwischen äußeren und inneren Politik. Leipzig/Dresden 1919 (Vorträge der Gehe-Stiftung, Bd. 9, H. 4), S. 137. Rohrbach hat dieses Buch gekannt und vieles daraus übernommen - vgl. DP H. 23 vom 4.6.1920, S. 675 ff. 24) Deutscher Wille (Kunstwart) 43. Jg. 1919,1. Februarheft, S. 62. Vgl. dazu E. Kehr, Englandhaß und Weltpolitik, Zs.f. Politik 17, 1927/28, S. 500 ff und die sich anschließende (S. 527 ff) Erwiderung A. Grabowskys, die Rohrbach häufiger zitiert hat. 25) DP H. 23 vom 4.6.1920, S. 675. 26) Deutschlands Zukunft, in: Deutschlands Zunkunft im Urteil führender Männer, S. 124/ 25. Dieser Beitrag ist eine flüchtige Überarbeitung und Erweiterung des zweiten Teils eines Aufsatzes: „Unsere ideenpolitische Zukunft". DP H. 8. vom 20.2.1920.

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Die komplizierte und bei Rohrbach durchaus nicht widerspruchsfrei vorgeführte Beweisführung diente einzig dem Zweck, die „politische Organisation der inneren Kräfte" nach allen Richtungen hin zu begründen und gegen Einsprüche abzusichern. Aus dem Primat der Außenpolitik war somit der Anspruch auf eine bestimmte Sozialreform ab- und hergeleitet, die - wie Rohrbach stets behauptete - auch den Erfordernissen der Außenpolitik gerecht werde: Stärke, Eintracht und Ansehen zu verschaffen.

3.2

Die Sozialreform

Rohrbach hat fest umrissene Vorstellungen davon besessen, wie die für seine eigene soziale Schicht vorteilhaften Komponenten jenes „sozialen Umbaus" am Ende aussehen müßten; weniger deutliche Ansichten von dem Gesamtkonzept und nachgerade lächerlich unausgereifte Vorstellungen von dem Weg hin zu jenem Umbau. Er hat alle Aspekte nur einmal, in den Jahren 1919 bis 1921, relativ geschlossen vorgetragen, aber nach der vernichtenden Kritik auf einen zweiten Versuch verzichtet und stattdessen nur einzelne Teilgedanken weiter ausgebaut. Der Kerngedanke, durch die Sozialreform die Sozialrevolution aufzufangen, blieb dabei unverändert. Ihn zu kaschieren, holte Rohrbach weit aus: Jede Nation müsse sittliche Fortschritte nicht nur für sich selber, sondern für die ganze Welt erarbeiten: „Nach diesem Grundsatz also, glauben wir, und nach keinem anderen, geschieht die dauernde Auslese unter allem Volkstum, das dazu gelangt, ein Stück Menschheitsfortschritt zu verwirklichen, indem es der Welt etwas vom Inhalt seiner nationalen Idee gibt." 1 ) Deutschlands Bestimmung sei es, eine Provinz im Reiche der sittlichen Freiheit zu sein; 2 ) aber wie ein Volk nur durch seinen Beitrag zum Menschheitsfortschritt erhöht wird, so gibt es andererseits „keinen Weg zu menschheitlichen Höhen, außer über den nationalen Aufschwung!" 3 ) Je größer nun dieser Beitrag eines Volkes ausfalle, desto größer sei freilich auch das Recht auf die Verkündigung seines nationalen Gedankens in der Welt. 4 ) Allerdings müsse dieser Beitrag geeignet sein, die „Strömungen" der neuen Epoche, die im 19. Jahrhundert begonnen habe, 5 ) zu meistern: den nationalen, demokratischen und sozialen Gedanken. 6 ) Nationalismus und Demokratie bedingen den modernen Nationalstaat westlicher Prägung, 7 ) der aber nur vorübergehend den Anspruch erheben durfte, die soziale Frage gelöst zu haben! Gerade sie sei heute die „Menschheitsfrage" schlechthin 8 ) und habe die Bedeutung gewonnen, die „früher das demokratische Prinzip für uns h a t t e . " 9 ) 1) 2) 3) 4) 5) 6) 7) 8) 9)

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Der deutsche Gedanke, Neubearbeitung 1920, S. 5. DP H. 19 vom 9 . 5 . 1 9 1 9 , S. 581. DP H 51 vom 19.12.1919, S. 771. Übersee. 6. Jg. 1925, Nr. 11, S. 1. Nämlich die „Menschwerdung der Masse" - Deutsches Leben, Wiesbaden 1948, S. 211. DDG Nr. 4 vom 17.12.1924, S. 6. Das demokratische Deutschland, 1. Jg. 1919, Nr. 19, S. 4 3 6 . DP H. 8 vom 2 0 . 1 . 1 9 2 0 , S. 235. DP H. 28 vom 11.7.1919, S. 4 0 / 4 1 .

Auch im Kaiserreich war diese Frage nicht gelöst worden: die Sozialgesetzgebung Bismarcks trug zu deutlich den Charakter des Zugeständnisses, band also den Arbeiter nicht wirklich an den Staat. 1 0 ) Aber der Kern der sozialen Frage war ja gar nicht, wie Rohrbach urteilte, eine materielle Besserstellung oder größere soziale Sicherung, sondetn die Aufgabe, die „Entseelung" des Arbeiters rückgängig zu machen, ihn von der rein mechanischen Tätigkeit zu befreien und ihm ein neues, positives Verhältnis zu seiner Arbeit zu verschaffen! 11 ) „Jeder Mensch ist als absoluter Selbstzweck zu betrachten" und nicht, wie es der „Industrialismus" tat, als „bloßes Mittel zu ihm fremden Zwecken." Hier helfen keine organisatorischen Mittel, hier braucht es eine „Revolutionierung der Gesinnung." 12 ) Die damit zu gewinnende „soziale Gerechtigkeit" 1 3 ) ist zugleich eine patriotisch-nationale Tat, weil sie verhindert, daß ein Volk wegen immer tiefer gehender sozialer Unterschiede im Bürgerkrieg auseinanderfällt. 14 ) Und sie ist zugleich eine religiöse Tat, die Erfüllung des christlichen Gebots der tätigen Nächstenliebe, 15 ) dem vergangene Generationen vielleicht mit einigem Recht noch ausweichen konnten, 1 6 ) das aber heute verwirklicht werden muß. 1 7 ) Es ist bezeichnend, daß Rohrbach die soziale Reform aus dem christlichen, historischen und nationalen Bereich begründete - wobei er, ebenfalls bemerkenswert, zwar die religiöse Verpflichtung betonte, 1 8 ) aber den Kirchen das Recht auf Ver-

10) Der deutsche Gedanke (1912), S. 152. DP H. 46 vom 14.11.1919, S. 614. DP H. 11 vom 12.3.1920, S. 331. 11) Deutschlands Zukunft, a.a.O., S. 134/35. 12) ebda und noch pointierter: DP H. 11 vom 12.3.1920, S. 329 ff. 13) Deutschlands Zukunft, S. 134. „Soziale Gerechtigkeit" wild unter Berufung auf Naumann mit aller Schärfe gegen „sozialistische Gerechtigkeit" abgegrenzt, und zwar in einem Maße, daß sich Heuss später zu einer Verteidigung Naumanns gezwungen sah: „Von den Nationalsozialen zu den Nationalsozialisten", in: Der Staat seid ihr, 1. Jg. 1931, Nr. 1, S. 8. 14) Am Webstuhl der Zeit, S. 56. 15) Die Christliche Welt, Nr. 1, 1921, S. 26. 16) Deutschlands Zukunft, a.a.O., S. 134. 17) Die theologisch-historische Begründung gab er mit dem Buch „Gottes Herrschaft auf Erden" (Königstein/Taunus 1921), das eine Art Auftragsarbeit seines Verlegers Langewiesche war (K.R. Langewiesche, Fünfzig Jahre Verlagsarbeit, Königstein 1952, S.13), völlig mißlang (Familiengeschichte, S. 262) und von der Kritik erbarmungslos zerrissen wurde (vgl. H. Ehrenberg in der „Christlichen Welt", Nr. 49, 1921, Sp. 896). Die mehr politisch-soziologische Begründung gab Rohrbach in seinem Vortrag: „Das soziale Evangelium im neuen Deutschland" auf der 28. Tagung des Evangelisch-Sozialen Kongresses in Berlin am 23./24.6.1920, in: Die Verhandlungen des 27. und 28. EvangelischSozialen Kongresses, Göttingen 1921, S. 59-73. 18) DPH. 26 vom 25.5.1920, S. 775.

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wirklichung absprach. 1 9 ) Rein soziale Argumente - wie das Recht auf menschenwürdige Bezahlung und Arbeitsplätze, Beteiligung am Mehrwert, Gleichberechtigung - wurden sorgfältig umgangen und nur gelegentlich, dann aber entschieden, b e k ä m p f t . 2 0 ) Soziale Reformen müssen nach Rohrbach „in erster Linie der Niederwerfung des Materialismus und der Erhebung des sozial-ethischen Prinzips" dien e n . 2 1 ) Daraus folge, daß „das Bürgertum ohne Furcht vor den Folgerungen" den sozialen Gedanken aufgreifen könne und mit den richtigen sozial-ethischen Prinzipien zu füllen h a b e . 2 2 ) Die Bedingungen schienen Rohrbach nach 1918 günstig. Die Kriegswirtschaft habe eine Gewöhnung an dirigistische Eingriffe gebracht, 2 3 ) die Sozialdemokratie habe nach der Umwälzung den revolutionären Gedanken preisgegeben 2 4 ) und damit anerkannt, daß „auch in der alten Wirtschafts- und Weltordnung . . . nach der ökonomischen wie nach der ethischen Seite hin unzerstörbare K r ä f t e " stecken. Jetzt mußte nur die Synthese gefunden werden, 2 S ) die ja gerade in Deutschland am weitesten theoretisch durchdacht w a r , 2 6 ) so daß alles dafür spreche, daß es die Aufgabe der „gereiften Kräfte mit langer Erfahrung" aus dem Lager der deutschen bürgerlichen Intelligenz sei, den „fruchtbaren Ausgleich" zwischen Sozialismus u n d Kapitalismus zu finden, „dadurch neue Kraftquellen für uns zu schaffen und die übrigen Völker (zu) nötigen, uns zu folgen." 2 7 ) Die eventuell erschreckenden Bürger tröstete Rohrbach mit dem Hinweis, die soziale Umgestaltung liefere sie nicht einer antibürgerlichen Ideologie aus. 2 8 ) Welches Maß an Sozialisierung nötig sei, um den „inneren Friedensschluß aller Volksklassen miteinander" zu bewirken, sei einzig eine Frage der Zweckmäßigkeit und werde nach praktischen Grundsätzen entschieden! 2 9 ) Allerdings müsse eins klar sein: rein wohlfahrtsstaatliche Maßnahmen, reine Befriedigung nur der materiellen Bedürfnisse der Arbeiterschaft genügten nicht; die soziale Umgestaltung sei daran auszurichten, wie weit sie tauge, „Deutschland aus der Proletarisierung wieder emporzubringen," 3 0 ) also Entgeistigung und Mecha19)

20) 21) 22) 23) 24) 25) 26) 27) 28) 29) 30)

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ebda, S. 774; ferner DP H. 1 vom 3.1.1919, S. 7. Rohrbach spricht zwar von Kirchen, meint aber doch überwiegend die protestantische. Vgl. zu diesem Problem G. Mehnert, Evangelische Kirche und Politik 1917-1919. Die politischen Strömungen im deutschen Protestantismus von der Julikrise 1917 bis zum Herbst 1919. Düsseldorf 1959 (Beitr. z. Gesch. d. Parlamentarismus u.d.polit. Parteien, Bd 16), S. 93 ff. Zum überwiegend konservativen Protestantismus in der WR vgl. auch Karl Holl in VjhfZG 17, 1969, S. 254 ff., bes. S. 261/62. D P H . 46 vom 14.11.1919, S. 614. Deutschlands Zukunft, a.a.O., S. 135. D P H . 28 vom 11.7.1919, S. 43. DP H. 2 vom 10.1.1919, S. 35/36. D P H . 5 vom 31.1.1919, S. 143. Das demokratische Deutschland, 1. Jg. 1919, Nr. 19, S. 437. DP H. 19 vom 9.5.1919, S. 584. D P H . 5 vom 31.1.1919, S. 145. D P H . 48 vom 29.11.1918, S. 1511. D P H . 5 vom 31.1.1919, S. 143. D P H . 28 vom 11.7.1919, S. 41.

nisierung des Industriearbeiters wieder rückgängig zu machen und jenem Zustand ein Ende zu setzen, daß er wie ein „lebendiges Werkzeug" beliebig ersetzt, gekauft und ausgetauscht werden könne. 3 1 ) Gelingt dies Werk, wird niemand mehr wagen, „fortan den deutschen Gedanken in der Welt beiseite zu drucken." 32 ) Keine Arbeiterschaft werde sich zur Unterdrückung eines Landes hergeben, das ihre Rechte in größerem Maße anerkenne als der eigene Staat; 3 3 ) eine innere Aufweichung der feindlichen Front folge zwangsläufig! 34 ) Deutschland müsse nur die „Führung in der sozialwirtschaftlichen und sozial-ethischen Umwandlung der Welt gewinnen." 35 ) Neben den außenpolitischen Visionen nehmen sich Rohrbachs konkrete Vorschläge zur Reform mehr als dürftig aus. An erster Stelle propagierte er die Gleichberechtigung von Arbeitgeber und Arbeitnehmer, die nicht mehr als „recht und billig" sei, 3 6 ) wobei er allerdings verschwieg, worin sie bestehen solle! Durch die Sicherung gegen willkürliche Entlassung und durch die Teilnahme an der Regelung der Produktion wie des Produktionsprozesses werde der Arbeiter ein neues, von Verantwortungsbewußtsein bestimmtes Verhältnis zu seinem Werk gewinnen. Der vollständigen Sozialisierung sind aber durch die „menschliche Natur" und äußere Tatsachen Grenzen gesetzt. 3 ?) Bis zu dieser Grenze hin werde sie allerdings vorangetrieben werden müssen, um durch Teilnahme und Mitverantwortung des Arbeiters den Wert der Persönlichkeit zu heben. 3 8 ) Das schließe eine bürokratische,nichtindividuelle Schematisierung von vornherein aus! Der natürliche „Trieb nach Entfaltung des persönlichen Führens, Könnens und Genießens, auch im idealen Sinne", kann aus dem Wirtschaftsleben und der sozialen Organisation nicht ausgeschaltet werden. „Wer arbeitet, der muß wissen wofür; ein materielles und ideelles Eigenziel muß ihm vor Augen stehen. Unternehmer und Unternehmergewinne aus der Wirtschaft auszuschalten geht nicht." 3 9 ) Führung und Initiative bleiben Bestandteile der Welt- und Nationalwirtschaft, die sich so wenig wie der Mensch bürokratisieren läßt. Gewinn und Entgelt als Antrieb zur Arbeit bzw. höherer Leistung bleiben konstruktive Größen; aber alle in den Produktionsprozeß eingespannten Kräfte müssen dazu freien Zugang haben. „Geburt in einer benachteiligten Klasse darf es nicht mehr geben." 4 0 ) Gleichheit der Chan-

31) 32) 33) 34) 35) 36) 37) 38) 39) 40)

DP H. 11 vom 12.3.1920, S. 329. DP H. 19 vom 9.5.1919, S. 584. DP H. 22 vom 28.5.1920, S. 649. DP H. 28 vom 11.7.1919, S. 40. Die Hilfe, Nr. 13, 1919, S. 160. DPH. 48 vom 29.11.1918, S. 1511. DPH. 28 vom 11.7.1919, S. 41. Das Soziale Evangelium, a.a.O., S. 72. DP H. 48 vom 11.7.1919, S. 41. Deutschlands Zukunft, a.a.O., S. 135/36.

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cen u n d des G e w i n n s j e nach individueller Leistung u n d Begabung: V e r w i r k l i c h u n g von L e b e n . Freiheit u n d d e m S t r e b e n n a c h G l ü c k in individueller A u s p r ä g u n g gelten als G r u n d z ü g e . 4 1 ) „Bei j e d e r menschlichen Arbeil mulS es möglich sein, Persönlichkeit u n d Werk m i t e i n a n d e r zu v e r b i n d e n , selbst w e n n die M e h r h e i t d e r A r b e i t e n d e n kein B e d ü r f n i s e m p f i n d e n sollte, ü b e r das m e c h a n i s c h e V e r s t ä n d n i s der Tätigkeit h i n a u s z u g e l a n g e n . A u f d a s P r i n z i p k o m m t es a n ; d e r M e n s c h d a r f n i e z u m Werkzeug schlechthin w e r d e n . " 4 2 ) U n t e r dem Aspekt der Beteiligung aller Menschen an R e c h t e n u n d Pflichten e m p f ä n g t a u c h d e r Begriff des E i g e n t u m s e i n e n e u e B e d e u t u n g ; „ E i g e n t u m " erhält d e n Char a k t e r e i n e s n u r a n v e r t r a u t e n L e i h g u t e s , d a s so v e r w a l t e t w e r d e n mulS. d a ß es d e r g a n z e n G e s e l l s c h a f t z u g u t e k o m m t . 4 3 ) Ein m o r a l i s c h e s R e c h t . „ K a p i t a l ins Unbeg r e n z t e z u h ä u f e n , es u n b e g r e n z t zu v e r e r b e n , in s e l b s t t ä t i g w i r k e n d e M a c h t über M e n g e n von M i t m e n s c h e n zu v e r w a n d e l n " 4 4 ) sei e b e n s o w e n i g a n z u e r k e n n e n wie ein a n g e b l i c h m o r a l i s c h b e g r ü n d e t e r A n s p r u c h , „ d e n G r u n d u n d B o d e n , a u f d e n die g a n z e V o l k s g e m e i n s c h a f t A n s p r u c h h a t , z u f e s t g e h a l t e n e m , d u r c h f r e m d e Arbeit im Wert v e r m e h r t e n . Millionen v o n d e r eigenen S c h o l l e a u s s c h l i e ß e n d e m m o n o p o l i s t i s c h e n E i g e n t u m zu m a c h e n . " u n d die Zeit stehe bevor, in der „ B o d e n s k l a v e r e i " e b e n s o u n m ö g l i c h sei wie . . M e n s c h e n s k l a v e r e i " . 4 5 ) J e d e m , b e s o n d e r s d e m F a b r i k a r b e i t e r , müsse soviel B o d e n zugewiesen w e r d e n , d a ß er mit Hilfe seiner Familie n e b e n der L o h n a r b e i t e i n e n Teil seiner N a h r u n g s m i t t e l a n b a u e n k a n n . .. Nichts m a c h t den M e n s c h e n s o g e s u n d . wie die feste B e z i e h u n g z u m B o d e n , k ö r p e r l i c h u n d geistig. Z u m a l f ü r d e n d e u t s c h e n M e n s c h e n gilt d a s . " 4 6 ) Die „ g e s u n d m a c h e n d e W i r k u n g " d e r A r b e i t auf der eigenen Scholle sei n o c h h ö h e r zu veranschlagen als der finanzielle N u t z e f f e k t . „ E i g e n e s H e i m u n d eigener G r u n d

41) 42) 43) 44) 45)

46)

228

DP H. I I v o m 1 2 . 3 . 1 9 2 0 , S. 3 3 0 . DP H. 8 v o m 2 0 . 2 . 1 9 2 0 , S. 2 3 4 . Das Soziale Kvangelium, a.a.O., S. 70. Der d e u t s c h e G e d a n k e ( 1 9 2 0 ) . S. 1 7 8 / 7 9 . e b d a . S. 1 7 9 . Hier v e r w e n d e t R o h r b a c h e i n d e u t i g G e d a n k e n A. D a m a s c h k e s u n d seine U n t e r s c h e i d u n g z w i s c h e n den v o n N a t u r aus m o n o p o l i s i e r t e n Gütern u n d d e r w i r t s c h a f t lichen F r e i h e i t auf a n d e r e n G e b i e t e n . N i c h t u n b e e i n f l u ß t ist er v o n D a m a s c h k e s „ M a m m o n i s n m s " , d e r sich zu U n r e c h t o f t d e n N a m e n l i b e r a l b e i l e g e . ( A . D a m a s c h k e , D i e Bodenreform. Grundsätzliches und Geschichtliches zur Erkenntnis und Überwindung d e r sozialen N o t . 18. d u r c h g e s . A u f l . J e n a 1 9 2 0 , S. 19). Auf D a m a s c h k e s q u a s i w i s s e n s c h a f t l i c h e A n g a b e n s t ü t z t e sich R o h r b a c h b e i d e r S c h i l d e r u n g d e r s o z i a l e n u n d hygienischen f olgen d e r Industrialisierung, der M i e t s k a s e r n e n , der F r a u e n a r b e i t e t c . Damaschkes G l a u b e n s b e k e n n t n i s h ä t t e a u c h R o h r b a c h unterschreiben k ö n n e n : , Der Mensch ist ein W e s e n , in d e m sich S o z i a l e s u n d I n d i v i d u e l l e s v e r e i n i g e n . D a r u m a u c h w e r d e n die Z u s t ä n d e m e n s c h l i c h e n Z u s a m m e n s e i n s n i c h t e i n s e i t i g sozialistisch u n d n i c h t e i n seitig individuell, s o n d e r n sie w e r d e n g r u n d s ä t z l i c h sozial-individuell a u f g e b a u t w e r d e n m ü s s e n . " a.a.O., S. 5 6 . DP H. 8 v o m 2 0 . 2 . 1 9 2 0 , S. 2 3 5 .

b r i n g e n g e s u n d e n S i n n u n d a u f r e c h t e M e n s c h e n " 4 7 ) s o w i e W i d e r s t a n d s k r a f t gegen die „ u n g e s u n d e n S e n s a t i o n e n e n t w u r z e l t e n L e b e n s " , b e s o n d e r s in d e r G r o ß s t a d t . K r ä f t e der G e n e s u n g k o m m e n aus der Seele des Volkes u n d d e m V o l k s b o d e n . „ M a n m u ß n u r die Seelen u n d d e n B o d e n frei m a c h e n . G e s c h i e h t d a s bei u n s , so w i r d die Welt m o r a l i s c h u n s e r sein u n d die Fesseln d e s G e w a l t f r i e d e n s werden von u n s abfallen, wie m o r s c h g e w o r d e n e S t r i c k e . " 4 8 ) K r a f t a u s d e r e i g e n e n S c h o l l e - d i e s e r A u s d r u c k f ä l l t z w a r n i c h t , u m r e i ß t a b e r präzise R o h r b a c h s M e i n u n g . E r n s t h a f t f o r d e r t e e r i n d u s t r i e l l e D e z e n t r a l i s i e r u n g u n d A u f l o c k e r u n g d e r B a l l u n g s g e b i e t e d u r c h s t r u k t u r e l l e V e r ä n d e r u n g e n in d e r E n e r g i e e r z e u g u n g u n d d e m V e r k e h r s n e t z u n d s e t z t e naiv h i n z u , a u c h h i e r müsse ein ethis c h e r Wille v o r h e r r s c h e n , d e r p r i m ä r a u f d a s M e n s c h l i c h e u n d G u t e , d a n n e r s t a u t V o r t e i l u n d N u t z e n a c h t e . „ W a s n ü t z l i c h u n d v o r t e i l h a f t ist, k o m m t d a n a c h v o n selber."49) N u n w a r e n R o h r b a c h s I d e e n a l l e s a n d e r e als o r i g i n e l l u n d in d e r P h i l o s o p h i e ber e i t s v o r b e r e i t e t . 5 0 ) V e r g l e i c h t m a n sie a b e r m i t d e n V o r s t e l l u n g e n z . B . M a t t h i a s Erzbergers u n d hält dessen detaillierte A n g a b e n 5 1 ) gegen R o h r b a c h s unverbindlic h e M i s c h u n g a u s K l e i n s i e d l u n g s p l ä n e n u n d M i t b e s t i m m u n g , d a n n ist d e m V o r w u r f vieler s e i n e r L e s e r z u z u s t i m m e n : er e r s c h ö p f t e sich in P h r a s e n . 5 2 ) D a b e i s t a m m e n s e i n e G e d a n k e n n i c h t n u r a u s j e n e n W i n t e r m o n a t e n 1 9 1 8 / 1 9 , „ i n d e n e n die R e v o l u t i o n als d i e V e r h e i ß u n g e i n e s N e u b e g i n n s b e g r ü ß t w u r d e " . 5 3 ) s o n d e r n sind F r u c h t e i n e r z w a n z i g j ä h r i g e n B e s c h ä f t i g u n g m i t d e r s o z i a l e n F r a g e . Wer freilich R o h r b a c h s E n t s c h u l d i g u n g e n a k z e p t i e r t e , es h a n d e l e sich b e i d e r s o z i a l e n U m g e s t a l t u n g u m e i n e A u f g a b e Für M e n s c h e n a l t e r , 5 4 ) d i e k a u m e n d g ü l t i g e A u s s a g e n e r l a u b e 5 5 ) u n d s c h l i e ß l i c h w o h l n i c h t m e h r als e i n e „ k ü h n e H o f f n u n g " 5 6 ) sei, v e r k a n n t e die h a n d f e s t e n I n t e r e s s e n , d i e sich d a h i n t e r v e r b a r g e n . W e n n R o h r b a c h d e n R e c h t s p a r t e i e n v o r w a r f , i h n e n sei ein e h r l i c h e r V e r s u c h sozialer G e r e c h t i g k e i t n i c h t z u z u t r a u e n . 5 7 ) g l e i c h z e i t i g d i e T a k t i k d e r D D P g u t h i e ß , sich e n t s c h i e d e n v o n d e r S P D a b z u g r e n z e n 5 8 ) u n d s t a t t d e s s e n d i e s o z i a l e U m g e s t a l t u n g u n t e r b ü r g e r l i c h e n A u s p i z i e n erw a r t e t e , 5 9 ) s o w a r d a s n i c h t s als A u g e n w i s c h e r e i . 47)

ebda. Auf seinen Vortragsreisen pflegte Rohrbach häufiger „mit Rührung" (eine Standardlloskel der Rezensenten) von seiner Kindheit auf dem Lande zu sprechen, wo ihm allerdings die Schattenseiten der Landwirtschaft erspart blieben. 4 8 ) DP H. 4 6 vom 19.11.1919, S. 615. 4 9 ) DP H. 8 vom 20.2.1920. S. 236. 50) lUwa im neukantianischen Sozialismus (H. Lübbe, Politische Philosophie in Deutschland, Basel/Stuttgart 1963, S. 85). 51) Kl. Iipstein, Matthias Krzbcrger und das Dilemma der deutschen Demokratie, Berlin u.a. 1962, S. 417-22. 52) DP H. 22 vom 28.5.1920, S. 649. 5 3 ) W. Bussmann, in: HZ 1 9 0 / 1 9 6 0 , S. 5 6 f. 5 4 ) DP H. 18 vom 30.4.1920, S. 519. 5 5 ) Die Hilfe, Nr. 1, 1919, S. 4 3 . 5 6 ) ebda. Vgl. auch: Der deutsche G e d a n k e (191 2), S. 1 21 f. 5 7 ) S. S. 4 0 . 5 8 ) F r a n k f u r t e r Zeitung Nr. 24 vom 10.1.1919. 5 9 ) DP H. 5 vom 31.1.1919, S. 142/43.

229

Rohrbach verschwieg nämlich vier wichtige angestrebte Ziele. Einmal band das „Stück Boden" den Arbeiter an einen festen Platz, wirkte also gerade der Mobilität der Industriearbeiterschaft entgegen - von der Zumutung abgesehen, daß die Kräfte der ganzen Familie zur Existenzsicherung eingespannt werden sollten. Zweitens beseitigte das „positive Verhältnis" des Arbeiters zu seiner Tätigkeit einen wichtigen Grund, den Arbeitsplatz zu wechseln: die Unzufriedenheit mit der Bezahlung und der Tätigkeit. Drittens wurde ein stationäres Potential an Arbeitskräften angestrebt, die zwar nun ein gewisses Mitspracherecht erhielten, aber gerade dadurch von der sozialistischen Forderung nach Eigentum an den Produktionsmitteln abgebracht werden sollten. Viertens war die „Individualisierung" des Arbeiters eine wichtige Voraussetzung, ihm jene „deutsche Kultur" nahezubringen, 60 ) als deren einzig rechtmäßige Verwalter sich die nationalen Bildungsbürger verstanden, die erkannt hatten, daß der Einbruch in das heraufkommende Proletariat zur Entscheidungsfrage des bürgerlichen Liberalismus geworden war. 61 ) Wenn sie die „durchschnittlich idealere Gesinnung" der „besitzlosen Intelligenz" geradezu als Voraussetzung eines echten sozialen Handelns nahmen, 62 ) so verkannten sie gerne, daß sie ihre Maßstäbe einer Mehrheit aufzwingen wollten, die damit fester an ihr Staats- und Gesellschaftsideal gebunden werden sollte. Denn schließlich zeigte Rohrbach in aller Deutlichkeit, daß die konstituierenden Elemente des Kapitalismus und Wirtschaftsliberalismus erhalten bleiben sollten; das neue „positive Verhältnis" ließ sich nach seinen Intentionen auch mit „Liebe zur Arbeit" übersetzen, aus der in erster Linie der Arbeitgeber Vorteil zog. Die wahre Belohnung sah er in der Fähigkeit zur passiven Teilhabe an der „Bildung", 63 ) deren Verwaltung seiner eigenen Klasse vorbehalten blieb.

60) 61) 62) 63)

230

Vgl. dazu S. 245 ff. Th. Schieder, Die Krise des bürgerlichen Liberalismus, in: Staat u. Gesellschaft im Wandel unserer Zeit, 2. Aufl. Darmstadt 1970, S. 58 ff. G. Schmoller, Über einige Grundfragen des Rechts und der Volkswirtschaft, Jena 1875, S. 115. Rohrbach an Schacht vom 2.1.1919- Nachl. Schacht.

4.

Innenpolitik

4.1

Monarchie oder Republik?

Vor dem Hintergrund sozialer Gruppeninteressen entlarvt sich Rohrbachs außenpolitische Publizistik mit ihrer ständigen Kritik an der Republik als der kontinuierliche Versuch, sie quasi sturmreif zu schießen für seinen sozialen Umbau, der primär die Vorherrschaft seiner eigenen Sozialgruppe bringen sollte. Dies Unternehmen zwang ihn zur Diffamierung aller Gruppen und Institutionen, die diesem Unternehmen entgegenstanden: in erster Linie die republikanischen Parteien, in zweiter Linie die restaurativen Kräfte. Rohrbach war weder Herzensmonarchist noch -republikaner, glaubte aber lange Zeit, die politische Entwicklung werde wieder in die Monarchie einmünden,') weil diesem dem deutschen Volk „angemessener" sei. 2 ) So lehnte er eine Gleichsetzung von Demokratie und Republik ausdrücklich ab - es gebe eine gewisse „Verwandtschaft", aber „keineswegs die Gleichbedeutung". 3 ) Monarchie oder Republik sei einzig eine Frage politischer, vornehmlich außenpolitischer Zweckmäßigkeit, 4 ) bei der schließlich auch die „Unfähigkeit" des deutschen Parlamentarismus in Rechnung zu stellen sei. 5 ) Prinzipiell könne weder dem demokratischen noch dem aristokratischen noch dem monarchischen Prinzip eine Überlegenheit zugestanden werden. 6 ) Allerdings: 100 tüchtige Männer ohne Führer leisteten weniger als 100 Mittelmäßige mit einem tüchtigen Anführer. Die Masse bleibe - unbeschadet der Qualität ihrer Einzelglieder - stets unvernünftig, und da die Demokratie die Masse ins Spiel bringe, müsse sie sich gefallen lassen, diesem „Erfahrungssatz" unterworfen zu werden. 7 ) Entscheidend sei immer, wie weit sich Führer profilieren und durchsetzen könnten! 8 ) Im gleichen Atemzug prangerte er aber die Fehler der Monarchie a n : 9 ) das Festhalten am Dreiklassen-Wahlrecht in Preußen, 10 ) die mangelhafte Demokratisierung

1) Rohrbach an Rechberg („Tägliche Rundschau") vom 15.10.1919 - BA Koblenz, Nachl. Rechberg 83. 2) DPH. 49 vom 6.12.1918, S. 1539. 3) Briefe über Demokratie . . . Dresden o.J. (1925), S. 6. 4) S. S. 14.143. 5) Entwurf eines Briefes an den Kronprinzen Ruprecht von Bayern vom 11.9.1918 -Nachl. Rohrbach BA 353, fol. 87.88. 6) Die Hüfe, Nr. 47, 1918, S. 558. 7) Monarchie, Republik und politische Parteien in Deutschland, Stuttgart 1920, S. 5. 8) Das demokratische Deutschland, 1. Jg. 1919, Nr. 19, S. 433. 9) Düsseldorfer Nachrichten Nr. 621 vom 6.12.1918. So schon vor dem Kriege: Die Tat, 5. Jg. 1913, H. 6. 10) Gegen das Rohrbach während des Krieges agitierte - vgl. Preußische Jahrbücher 196, 1917, S. 156.

231

und Liberalisierung vor 1 9 1 4 ' • ) und ihren „Militarismus" - jene Denkweise, „die da glaubt, mit Gewalt und äußeren Zwangsmitteln den staatlichen, sozialen und nationalen Verhältnissen ihre Entwicklung vorschreiben zu können." 1 2 ) Wilhelm II. war als typischer Vertreter solchen Denkens den Anforderungen seiner Zeit nicht im geringsten gewachsen: I 3 ) nicht, daß er moralische Schuld auf sich geladen habe, aber eine „politische oder, vom Standpunkt der Nachwelt aus gesprochen, eine historische Schuld." 1 4 ) Im entscheidenden Moment hat zwar nicht die Monarchie, aber der Monarch versagt, 1 S ) als er sich in den Strudel der Revolution ziehen l i e ß . 1 6 ) Freilich - so belehrte er sofort die überzeugten Demokraten - nicht das System habe bankrott gemacht, sondern die Persönlichkeiten, die versäumten, die Demokratisierung während des Krieges voranzutreiben; 1 7 ) wäre das geschehen, „wäre trotz der Demokratisierung die Monarchie statt mit einer vernichtenden Einbuße mit einem kräftigen Zuwachs an Ansehen aus dem Feuer des Weltkrieges hervorgegangen."'«) Rohrbachs Absicht war deutlich: die Republikaner davon zu überzeugen, daß sie nicht den Vorzügen ihres Systems den Sieg verdankten, sondern den Fehlern der Monarchie, und zugleich den Monarchisten zu verdeutlichen, daß gerade wegen ihrer Fehler die Restauration einer nicht weitgehend ge- und veränderten Monarchie aussichtslos sei. Sollten sie eine Restauration versuchen - und Rohrbach hat diese Möglichkeit ernsthaft b e f ü r c h t e t 1 9 ) - dann habe weder Wilhelm noch der Kronprinz Aussicht auf Erfolg. 2 0 ) (Er bot kurioserweise zwei andere Kandidaten an: Max von Baden oder Rupprecht von Bayern - freilich nur im Ausland. 2 1 )) Gleich mit wem und wie: die Folge müsse Bürgerkrieg s e i n 2 2 ) und dann gelte das Wort: „Es gibt einen Grad von Gedankenlosigkeit in der Politik, der über Dummheit oder Frivolität hinaus zum Verbrechen an der Nation w i r d . " 2 3 ) Denn wäge man alle Fehler der Monarchie unvoreingenommen ab, dann bleibe doch nur der Schluß, daß sie jetzt zu Recht im selbstgeschaufelten Grab liege. 2 4 )

11) 12) 13) 14) 15) 16) 17) 18) 19) 20) 21) 22) 23) 24)

232

DPH. 49 vom 6.12.1918, S. 1539. Düsseldorfer Nachrichten, a.a.O. Die Hilfe Nr. 11, 1919, S. 126. DPH. 49 vom 6.12.1918, S. 1540. Monarchie, Republik und politische Parteien, S. 19. Briefe ü b e r . . . , S. 6. DPH. 20 vom 16.5.1919, S. 620. Diese Angriffe auf die Kreise der OHL und der Vaterlandspartei hat man Rohibach übel vermerkt. Vgl. etwa D. Schäfer, Mein Leben, S. 151.168.180.200.217. Das demokratische Deutschland, a.a.O., S. 434. D P H . 34 vom 22.8.1919, S. 227/28. Die Hilfe, Nr. 47, 1918, S. 558. Atlantic Monthly, Mai 1920, p. 695. Monarchie, Republik und politische Parteien, S. 26. DP H. 12/13 vom 26.3.1920, S. 367. Argentinisches Tageblatt vom 29.9.1921.

Sein u n m i t t e l b a r n a c h Kriegsende e i n s e t z e n d e r K a m p f gegen die M o n a r c h i e - die er aus psychologischen Gründen m e h r s c h o n t e als den Monarchen - z e i g t . d a ß R o h r bach die restaurativ-konservative R e c h t e fürchtete. Allerdings f ü h r t e ihn diese Überlegung n u r mit V o r b e h a l t e n in das republikanische L a g e r , 2 5 ) das er verteidigte, weil es im Augenblick seinen Zielen besser zu dienen s c h i e n . 2 6 ) Den D e m o k r a t e n hielt er u n e n t w e g t vor, d a ß ihre Idee t r o t z aller republikanischen G e w a n d u n g nur fruchtb a r w e r d e n k ö n n e in d e r V e r b i n d u n g m i t d e m F ü h r e r g e d a n k e n . 2 7 ) P a r t e i e n gar d ü r f t e n sich n u r als Unterstützungs-Apparate für die charismatischen Führer versteh e n . 2 8 ) O b u n d wie ein solcher F ü h r e r an die S p i t z e gelangte, interessierte R o h r bach n u r s e k u n d ä r . 2 9 ) Den G r u n d für seine Z u r ü c k h a l t u n g n a n n t e er schon 1 9 1 8 : es gab in Deutschland keine einzige „ F ü h r e r g e s t a l t " ; 3 0 ) einzig Friedrich N a u m a n n h ä t t e dieses A m t bekleiden k ö n n e n . 3 1 ) Nach seinem f r ü h e n T o d e war kein Anwärter in S i c h t ; 3 2 ) die Parteiführer d e r R e p u b l i k u n t e r s c h i e d e n sich in p u n c t o Führergeist nicht im geringsten von d e n Gestalten der V o r k r i e g s z e i t . 3 3 ) K o m p r i m i e r t zus a m m e n g e s t e l l t - w a s R o h r b a c h freilich i m m e r v e r m i e d - w a r seine T a k t i k r e c h t d u r c h s i c h t i g : d e r D e m o k r a t i e die F ä h i g k e i t a b z u s p r e c h e n , o h n e „ F ü h r e r " auszuk o m m e n ; zugleich aber die Existenz einer Führergestalt zu leugnen u n d so den Weg für die d r i t t e Lösung v o r z u b e r e i t e n : die „ a r i s t o k r a t i s c h e " , die Führungsrolle seiner eigenen Schicht!

4.2

„Parteiismus"

R o h r b a c h w e h r t e sich i m m e r gegen d e n V o r w u r f , sein D e m o k r a t i e - F ü h r e r - M o d e l l sei im G r u n d e u n d e m o k r a t i s c h , weil es die M i t w i r k u n g d e r Menge an p o l i t i s c h e n E n t s c h e i d u n g e n a u f e i n e n einzigen A k t r e d u z i e r e : die A k k l a m a t i o n d e s charismatischen Führers. Er setzte dagegen die B e h a u p t u n g , in der Unterstützung der ö f f e n t lichen M e i n u n g für A k t i o n e n d e s F ü h r e r s k ö n n e sich ein h ö h e r e s M a ß an Z u s t i m m u n g versammeln als in der E i n s t i m m i g k e i t des P a r l a m e n t s . Da die Masse sowieso n u r d e n k e n u n d h a n d e l n k ö n n e , was ihre A n f ü h r e r sie d e n k e n u n d h a n d e l n lassen, stünde e i n e r solchen V e r f a s s u n g kein prinzipieller E i n w a n d e n t g e g e n . D e n n erst die

25) 26) 27) 28) 29) 30) 31) 32) 33)

Die Hilfe, Nr. 47, 1918, S. 559. DP H. 46 vom 15.11.1918, S. 1445. DP H. 49 vom 6.12.1918, S. 1539. Rohrbachs „Führer"-Vorstellungcn gehen auf Max Weber zurück, dessen Beitrag „Diedrei reinen Typen der legitimen Herrschaft" in den Preußischen Jahrbüchern (187, 1922, S. 1-12) er gut kannte und häufiger zitierte. Münsterische Anzeigen Nr. 259 vom 23.5.1919. DP H. 8 vom 21.2.1919, S. 230. DP H. 49 vom 6.12.1918, S. 1540. Monarchie, Republik und politische Parteien, S. 5. Nur gelegentlich brachte Rohrbach den Prinzen Max von Baden ins Gespräch. Familiengeschichte, S. 250. Die Hilfe, Nr. 49, 1918, S. 586.

233

Masse verleihe dem Führer Schwung und seinen Handlungen Nachdruck, so daß er schon aus egoistischen Motiven immer Rücksicht auf die Masse nehmen müsse. „Führer ohne Massen sind ebenso zweifelhafte Größen wie Massen ohne F ü h r e r . " 1 ) Das parlamentarische Parteiwesen bilde dagegen einen Hemmschuh für die Entwicklung nationalen Willens 2 ) und trenne durch die dazwischengestellte Organisation den Führer von der Masse, seiner eigentlichen Kraftquelle. Rohrbachs Mitarbeit in der DDP und später in der Konservativen Volkspartei beweist aber, daß seine Parteienfeindschaft keine ideologischen oder prinzipiellen Gründe hatte, sondern einzig von der Überlegung bestimmt war, wieweit sie seinen Vorstellungen entgegenkamen oder hinderlich waren. Er bekämpfte sie, als sich herausgestellt hatte, daß sie seinen Absichten nicht folgen wollten. Denn im Grunde hatte Rohrbach nichts gegen eine Vermittlungsgröße zwischen Regierenden und Regierten einzuwenden, solange sie seinen Intentionen entsprach, nicht institutionalisiert und dennoch manipulierbar war, folglich den Manipulator jeder direkten Verantwortlichkeit enthob. Diesen Gedanken gab er aber erst ab 1 9 2 7 / 2 8 offen zu erkennen. Die Jahre vorher operierte er mit der Unterstellung, das größte deutsche Übel sei die Eigenart, alle Dinge mit äußerster Gründlichkeit zu tun, sich also auch so in die Parteipolitik zu stürzen, daß darüber das „Gefühl einer alle Volksgenossen verbindenden Gemeinschaft" verloren gehe. 3 ) Zu lange als Untertan behandelt, habe sich der Deutsche angewöhnt, in Klassenschemata zu denken, diese auf die Parteipolitik zu übertragen und so einen „verzehrenden, alle nationalen Kräfte lähmenden K a m p f zu führen. 4 ) Diesem Zwang, immer auf jemanden herabblicken zu müssen, leiste das deutsche Parteiwesen Vorschub 5 ) und entarte so zum „Parteiismus", 6 ) der den politischen Organismus bis zum Grund spalte. 7 ) Angesichts dieser konstitutionellen Charakterschwäche gewinne eine Partei ihre Daseinsberechtigung eben nur, wenn sie dazu beitrage, Führer oder Staatsmänner an die Spitze des Staates zu bringen. Rohrbachs Attribute für den Staatsmann oder Führer zeichnen allerdings einen ausgeprägten Nicht-Parteipolitiker. Der Führer besitzt die Fähigkeit, „für das Vaterland eine Politik des absoluten sittlichen und nationalen Mutes zu t r e i b e n , " 8 ) und verbindet dies mit der Autorität des „großen moralischen Charakters", 9 ) die sich primär in der Befähigung erweist, Ideenkräfte zu wecken und zu b e n u t z e n . 1 0 )

1) 2) 3) 4) 5) 6) 7) 8) 9) 10)

234

Argentinisches Tageblatt vom 2 9 . 8 . 1 9 2 1 . Banater Deutsche Zeitung Nr. 9 vom 1 3 . 1 . 1 9 2 6 . DDG Nr. 2 vom 4 . 1 2 . 1 9 2 4 , S. 4 . DDG Nr. 5 vom 4 . 2 . 1 9 2 5 , S. 132. Ebda, S 133. DDG Nr. 3 vom 9 . 2 . 1 9 2 6 , S. 134 ff. Heidelberger Tageblatt Nr. 57 vom 8 . 3 . 1 9 3 0 . DP H. 13 vom 2 8 . 3 . 1 9 1 9 , S. 3 9 2 DP H. 32 vom 8 . 8 . 1 9 1 9 , S. 167. DP H. 5 0 vom 1 2 . 1 2 . 1 9 1 9 , S. 742.

Der - qualitativ etwas geringer eingeschätzte - Staatsmann verfugt immerhin noch über die Begabung, durch das „moralische Element konstruktive politische Wirkungen" zustande zu bringen. 11 ) Beiden wollte Rohrbach aber nur Größe und politisches Gewicht zusprechen, weil sie unabhängig, autonom und allein ihrem Gewissen verantwortlich handeln: Eigenarten, die - schloß man die Menge und die nicht existenten Führer bzw. Staatsmänner aus - nur in einer quasi aristokratisch gestalteten Regierungsform 12 ) durchdringen konnten! Diese Aristokratie war für ihn das nationale Bildungsbürgertum, die Schicht, der er sich selber zuzählte. 13 ) In dieser Schicht sammeln sich - so Rohrbach - die von unten aufsteigenden Kräfte, bewähren sich und steigen nach oben zur Führung auf; in dieser Schicht ist jederzeit die Hauptmasse der moralischen Kraft und der nationalen Intelligenz versammelt, ohne die kein Volk auf die Dauer lebensfähig ist. 1 4 ) Damit erhebt sich freilich sofort die Frage, wie dies Bildungsbürgertum bestimmend auf die Politik einwirken kann, wenn es sich nicht in einer Partei sammelt. Rohrbach glaubte - und diese Uberzeugung lag aufgrund seines Berufes nahe - den Schlüssel gefunden zu haben: in der Einwirkung auf die öffentliche Meinung. So sehr Politik „ein aus vielen wirkenden Kräften zusammengesetztes schließendes Gewebe" sei, so gelte doch der Satz, „daß Politik machen bis zu einem gewissen Grade soviel heißt wie öffentliche Meinung machen." 15 ) Militär, Handel, Diplomatie, Wirtschaft mochten wirkungsvolle Einzelkomponenten der aktiven Politik sein; aber das Ziel, „fiir das sie eingesetzt werden, wird schließlich von der öffentlichen Meinung der Nation bestimmt. Wer die öffentliche Meinung lenken kann, beherrscht so auch die Politik." 16 ) Mit dieser rigorosen Vereinfachung war Innen- und Außenpolitik auf dasselbe Prinzip zurückgeführt: Überzeugung nach innen, Werbung nach außen.

11) DDG Nr. 18 vom 30.9.1926, £ 1095. 12) Das aristokratische Element in Rohrbachs Denken haben gerade enge Mitarbeiter gut erkannt: M. Wenck in: Das demokratische Deutschland. 1. Jg 1919, Nr. 19, S. 438. 13) DP H. 17 vom 23.4.1920, S. 486. 14) DDG Nr. 22 vom 20.8.1925, S. 1013. Familiengeschichte, S. 542. 15) Kölnische Zeitung Nr. 87 vom 13.2.1932. LaK 24, 1926. Revaler Bote Nr. 188 vom 20.8.1928. 16) Rohrbach an Schacht vom 30.9.1932. DDG Nr. 19 vom 10.7.1925, S. 776.

235

4.3

Demokratie und öffentliche Meinung

T r o t z der z e n t r a l e n S t e l l u n g , die die „ ö f f e n t l i c h e M e i n u n g " - s o w o h l d e r Welt wie i n n e r h a l b D e u t s c h l a n d s - in R o h r b a c h s p o l i t i s c h e n V o r s t e l l u n g e n e i n n i m m t , h a t er sich nie e i n g e h e n d u n d z u s a m m e n h ä n g e n d ü b e r sie g e ä u ß e r t : 1 ) v e r w u n d e r l i c h bei e i n e m J o u r n a l i s t e n , für den „ ö f f e n t l i c h e M e i n u n g " ein wichtiges Teilstück aus dem K o n t e x t seiner t ä g l i c h e n A r b e i t d a r s t e l l t e . W e n n ihn e i n e B e w e i s f ü h r u n g z w a n g , ö f f e n t l i c h e M e i n u n g zu d e f i n i e r e n , g r i f f e r s t e t s a u f R a n k e s E i n l e i t u n g z u m zweiten Buch der R ö m i s c h e n P ä p s t e z u r ü c k . 2 ) Nach R a n k e hat die ö f f e n t l i c h e Meinung von d e n „ B e d ü r f n i s s e n , den Mängeln in d e r Regel ein Bild", w e n n ihr a u c h das Bew u ß t s e i n fehle, wie eine S i t u a t i o n z u ä n d e r n sei! O n c k e n h a t t e d a n n d e n für R o h r b a c h e n t s c h e i d e n d e n Z u s a t z f o r m u l i e r t : bei allen F r a g e n n a t i o n a l e r E x i s t e n z u n d E h r e d ü r f e m a n v o n der ö f f e n t l i c h e n M e i n u n g e i n e s s t a r k e n V o l k e s e r w a r t e n , , , d a ß sie o h n e Besinnen das Richtige t r i f f t " ; 3 ) freilich b e d ü r f e sie in d e r auswärtigen Politik d e r L e i t u n g d u r c h d e n S t a a t s m a n n „ o d e r a u c h d u r c h e i n e e r n s t e , h i s t o r i s c h g e b i l d e t e P u b l i z i s t i k : für b e i d e liegt h i e r eine A u f g a b e , die n i e m a l s a u ß e r A c h t gelassen w e r d e n d a r f . " 4 ) Den z w e i t e n Teil des O n c k e n s c h e n S a t z e s b e t r a c h t e t e R o h r bach als die L e g i t i m a t i o n seiner eigenen A r b e i t ; an der v o r a n g e h e n d e n B e h a u p t u n g z w e i f e l t e er j e d o c h : „ E s ist ja gerade das Merkwürdige u n d Einmalige an d e m d e u t schen V o l k , d a ß es in n a t i o n a l e n F r a g e n k e i n e M e i n u n g b e s i t z t , die u n b e s e h e n das Richtige t r i f f t . . . ( A b e r ) w a s die ö f f e n t l i c h e M e i n u n g a n b e l a n g t , so sind wir gänzlich u n t e r e n t w i c k e l t . E s n i m m t n i c h t W u n d e r , d a ß wir b i s h e r k e i n e v e r n ü n f t i g e Außenpolitik machen k o n n t e n . " s ) R o h r b a c h g l a u b t e a u c h an die M a c h t d e r ö f f e n t l i c h e n M e i n u n g 6 ) u n d des „allgem e i n e n B e w u ß t s e i n s " ; 7 ) e r w ä r e a u c h bereit g e w e s e n . D e m o k r a t i e als H e r r s c h a f t d e r ö f f e n t l i c h e n M e i n u n g z u d e f i n i e r e n 8 ) - w e n n es im N a c h k r i e g s d e u t s c h l a n d die „ r i c h t i g e " M e i n u n g gegeben h ä t t e . Was „ r i c h t i g " war, wollte freilich er vom nationalen S t a n d p u n k t aus b e u r t e i l e n .

1)

2) 3) 4) 5) 6) 7) 8)

236

In den J a h r e n 1 9 2 7 - 1 9 3 2 ist R o h r b a c l i h ä u f i g zu V o r t r ä g e n in Süd- und Südwestdeutschl a n d g e w e s e n . In 8 5 R c z e n z i o n c n ü b e r 5 1 V o r t r ä g e , d i e sich g e n e r e l l u m d a s T h e m a „ D e m o k r a t i e u n d ö f f e n t l i c h e M e i n u n g " d r e h t e n , l ä ß t sich p a r a d o x e r w e i s e nicht ein einziges w ö r t l i c h e s Z i t a t R o h r b a c h s f i n d e n : d a s m e h r als m a n g e l h a f t e Niveau d e r R e z e n sionen erlaubt keine Ü b e r n a h m e der dort gefällten Urteile. SW 3 7 , S. 8 7 / 8 8 . Politik, G e s c h i c h t s s c h r e i b u n g u n d Ö f f e n t l i c h e M e i n u n g , in: H i s t o r i s c h - p o l i t i s c h e A u f sätze u n d R e d e n . Bd. 1, M ü n c h e n / B e r l i n 1 9 1 4 , S. 2 4 1 . fcbda. Der O n c k e n - S a t z w u r d e in d e r W R e r s t a u n l i c h o f t z i t i e r t . R o h r b a c h an S c h a c h t v o m 5 . 1 0 . 1 9 2 8 . Dazu K. F r a e n k e l , Ö f f e n t l i c h e M e i n u n g u n d i n t e r n a t i o n a l e P o l i t i k , T ü b i n g e n 1 9 6 2 , S. 29 ff. I'. Lasallc, Ü b e r V e r f a s s u n g s w e s e n . Berlin 1 8 6 2 . L. I ' r a e n k e l , D e u t s c h l a n d u n d d i e w e s t l i c h e n D e m o k r a t i e n , 3. A u f l . S t u t t g a r t 1 9 6 8 , S. 1 4 1 .

Die entscheidende Erfahrung, die für seine politische Arbeit in der Weimarer Republik grundlegend war, brachte der Weltkrieg: Öffentliche Meinung war, wie er am Beispiel des feindlichen Auslandes sehen wollte, „ m a c h b a r " , m a n i p u l i e r b a r ? ) zwar nicht beliebig schnell noch beliebig w a n d e l b a r 1 0 ) - es sei ja der große Fehler der Alldeutschen gewesen, frivolerweise die Volksstimmung immer n u r als Sache der Regie betrachtet zu h a b e n 1 1 ) -, aber in geduldiger Arbeit doch auf ein bestimmtes Ziel zu fixieren! In einer Demokratie entsteht ö f f e n t l i c h e Meinung dadurch, daß eine oder mehrere Eliten - der Terminus im wertfreien Sinne verwendet - Auffassungen ausbilden, welche die „ausdrückliche oder stillschweigende Billigung einer unbestimmt großen und unorganisierten Masse der Bevölkerung" finden.12) Wenn die Masse nicht in der Lage ist, solche Konzeptionen a u f z u s t e l l e n , 1 3 ) dann hängt alles davon ab, von welchen Motiven sich die Eliten in ihrem Meinungsbildungsprozeß leiten lassen. „Wir haben gesagt, daß eine Nation mit ihrem Fühlen und Wollen auf ein nationales Ziel eingestellt sein m u ß . Was ist in diesem Falle die 'Nation'? Keineswegs nur die führende Oberklasse, sondern die Vereinigung von Masse und Führung. Es m u ß aber eine Oberschicht dasein, die unter sich über den Vorrang der nationalen Idee vor jedem Klassen-, Partei- oder Gruppenideal einig ist u n d in nationalen Fragen das ö f f e n t l i c h e Urteil b e s t i m m t . Diese Vorbedingung ist notwendig dafür, daß ein kräftiges, dauerhaftes, nationales Selbstgefühl sich bildet. Erst m u ß es in einer führenden Klasse vorhanden sein;dann kann es sich von d o r t , m i t d e m G e d e i h e n der n a t i o n a l e n Angelegenheiten als solcher, auch weiter nach u n t e n fortpflanzen und alle Volksschichten erfüllen. Nur so k o m m t es auch dazu, daß eine lebendige, vom Begriff der Verantwortlichkeit u n d vom gesunden politischen Instinkt erfüllte ö f f e n t l i c h e Meinung sich bildet. O h n e sie gibt es keinen auf die D a u e r lebens- u n d leistungsfähigen politischen Körper. Bei uns in Deutschland ist aber keine national geschlossene ö f f e n t l i c h e Meinung v o r h a n d e n , weil die Schicht, von der sie normalerweise erzeugt werden sollte, der Einheitlichkeit u n d d a m i t des geschlossenen Selbstgefühls u n d des A n s p r u c h s auf V e r a n t w o r t l i c h k e i t erm a n g e l t . " 14) 9) 10) 11)

12) 13) 14)

Dazu: H. Thimme, Weltkrieg ohne Waffen. Außer den entsprechenden Abschnitten von Mogks Arbeit auch Kl. Epstein, Matthias Erzberger, S. 116 ff. Düsseldorfer Nachrichten Nr. 5 4 9 vom 2 9 . 1 0 . 1 9 2 7 . So ä u ß e r t e sich H. v. Liebig, Vorstandsmitglied des A l l d e u t s c h e n V e r b a n d e s , in: Die Politik B e t h m a n n Hollwegs, Berlin 1 9 1 5 , S. 92. R o h r b a c h s Entgegnung: Die Alldeutschen, Berlin 1919, S. 4 6 . E. Fraenkel, Ö f f e n t l i c h e Meinung und internationale Politik, S. 16. E. K a u f m a n n , Zur Problematik des Volkswillens, in: Gesammelte Schriften, Bd. 3, Göttingen 1960, S. 281. Deutschland - Tod oder Leben? S. 6 5 / 6 6 . Diese in keiner Weise originellen neukonservativen G e d a n k e n waren bei R o h r b a c h vornehmlich außenpolitisch motiviert. Vgl. dazu auch Fr. Mariaux, Nationale Außenpolitik, Oldenburg 1932 (Schriften an die Nation, 10), bes. S. 25 ff. Rohrbach hat den neukonservativen Mariaux wegen dessen Auslandskenntnis sehr geschätzt - Heidelberger Tageblatt Nr. 6 3 vom 15.3.1932, S. 8.

237

Diese meinungsbildende Schicht konnte nach Rohrbachs Auffassung nur das nationale Bildungsbürgertum sein, das - angeblich fern von allen sozialen Partikularinteressen - soweit saturiert sei, daß es „Verantwortung" übernehmen könne - primär Verantwortung für die Erhaltung der Kultur und sekundär, weil Kultur nur im Bereiche der einzelnen Staaten entstehe und weiterwachse, für die Erhaltung des nationalen Staates. Diese Schicht habe in Deutschland nicht entstehen können, weil bei der Entstehung der politischen Parteien und dem Bau des Reiches die soziale Frage das Volk schon zu tief gespalten habe und die verfehlte politische Struktur des Bismarck-Reiches den Bildungsbürgern weder politischen Einfluß noch Bewegungsfreiheit noch Bewährungsmöglichkeiten einräumte - ihre nationale Gesinnung konnte sich nur in der unglücklichen Symbiose mit bedingungsloser, ja kriecherischer Anerkennung der monarchischen Verfassung beweisen. Aber nach 1918 sei die Chance geboten, gegen den zwar auch meinungsbildenden, aber verderblichen Einfluß des Parlaments, der Interessengruppen und derjenigen „Eliten", die nicht mehr primär am Staatswohl orientiert seien und eher „emotions" als öffentliche Meinung hervorriefen, die „richtige" nationale öffentliche Meinung zu setzen.is) Rohrbach konnte nicht übersehen, daß im Bildungsbürgertum sowohl alldeutsche wie pazifistische Strömungen zum Ausdruck kamen, die er beide für schädlich hielt. Den Alldeutschen warf er vor, mit ihren verantwortungslosen Trutzund Kriegsreden das Ausland gegen das Reich aufgebracht zu habeni 6 ) und während des Krieges mit ihrem starren Festhalten an einem Siegfrieden samt „territorialer Abrundungen" 1 7 ) dem erschöpften Volk die Meinung suggeriert zu haben, man könne schon Frieden schließen, „aber die da oben wollen n i c h t . " ' 8 ) So brachen die alten innerpolitischen Spannungen wieder auf, 1 9 ) denen die konservativalldeutschen Kräfte mit der Formel begegneten: „Gewinnen wir den Krieg, sparen wir die innere Reform." 2 0 ) Ihre Gesinnung und ihr Einfluß vereitelten von Anfang an einen vernünftigen Verzichtfrieden, so daß Deutschland das Elend bis zur Neige auskosten mußte. 2 1 ) Die Pazifisten trügen Schuld, weil sie 1918 die „trügerische Fahne der Hoffnung" aufgezogen, 22 ) damit den Kampfwillen des Heeres untergraben 2 3 ) und Deutschland vollends dem Vernichtungswillen der Alliierten überantwortet hätten. 2 4 ) Pa15) Kölnische Zeitung Nr. 629 vom 9.9.1923. Düsseldorfer Nachrichten Nr. 173 vom 3.4.1924. Heidelberger Tageblatt Nr. 109 vom 9.5.1924. 16) Diesem Beweis diente das Buch „ Die Alldeutschen". 17) Denen Rohrbach freilich lange Zeit auch nicht abgeneigt war - Rheinisch-Westfälische Zeitung (Essen) Nr. 668 vom 27.8.1915. 18) Monarchie, Republik und politische Parteien, S. 23. 19) Atlantic Monthly, Mai 1920, p. 688 f. 20) DP H. 46 vom 15.11.1918, S. 1443. 21) DP H. 32 vom 8.8.1919, S. 164. 22) DPH. 51 vom 20.12.1918, S. 1607. 23) Die Hilfe, Nr. 48, 1918, S. 572. 24) Die HUfe, Nr. 50, 1918. S. 600.

238

zifisten und Alldeutsche haben die nationale Bewährungsprobe nicht bestanden und sind von der weiteren Einflußnahme auf das deutsche Geschick auszuschließen. Beide Parteien reagierten übrigens allergisch auf diese Angriffe und bestätigten, was Rohrbachs langjähriger Freund Siegfried von Vegesack im Nachruf in die Worte faßte: „Den Nationalen war er zu demokratisch, den Demokraten zu national." 25 ) Die Pazifisten bezeichneten ihn als „Realpolitiker" und „Raubpolitiker", 26 ) als „Eisenfresser und Gewaltapostel" - dem General Bernhardi ebenbürtig27) - und als „Präventivkriegsapostel".28) Die Alldeutschen zählten Rohrbach zu den Schuldigen an der Niederlage, die dem deutschen Volk vorredeten, „Weltbürgertum sei wichtiger und mehr wert als stahlharter Stolz auf völkische Eigenart"29), und durch ihre Angriffe auf die Alldeutschen den Feinden stets die Munition in die Hand gaben, sie der Kriegshetze zu zeihen. 30 ) Die letzte Behauptung war völlig aus der Luft gegriffen; für die Entente-Publizistik war Rohrbach ein Pan-Germanist reinsten Wassers. 31 ) Nicht minder besorgt beobachtete Rohrbach die Anziehungskraft der Sozialdemokratie auf die Massen und die • wenn auch schmale - Schicht der liberalen Intelligenz, die sich für soziale Reformen einsetzte. Unverkennbar an ihre Adresse gerichtet, stellte er die Revolution mit ihren militärisch-politischen Auswirkungen als Folge zielbewußten Handelns der Sozialdemokratie hin, 32 ) die der kämpfenden Truppe den „Dolch in den Rücken" gestoßen habe 3 3 ) und den Fundus an „momenta25) 26) 27) 28) 29) 30) 31 )

Baltische Briefe (Hamburg) Nr. 8/9 (94/95), August/September 1956, S. 10. Völker-Friede (Leipzig) 19. Jg. 1919, H. 6, S. 41/42. Alfred Fried, Mein Kriegstagebuch, Bd. 1, Zürich 1918, S. 270/71. Ebda, Bd. 4, Zürich 1920, S. 269/70. Alldeutsche Blätter, 29. Jg. 1919, Nr. 11, S. 84/85. Ebda, S. 85; ferner 29. Jg. 1919, Nr. 38, S. 321. L'Europe nouvelle Nr. 5 vom 30.1.1921. R.D'O. Butler, The roots of National Socialism 1783-1933. London 1941, S. 199, sieht in Rohrbach einen direkten Vorläufer des Nationalsozialismus. Nur wenige englische Stimmen - wie etwa „Nation" (Oktober 1916) - unterschieden zwischen Rohrbach und den Alldeutschen. Auf französischer Seite begegnete man Rohrbach mit unverhohlener Gehässigkeit, wobei man sich nicht scheute, Aussagen direkt zu verfalschen. Etwa: „Journal Officiel de la République Française" vom 8.11.1918 - die deutsche amtliche Richtigstellung in „Deutsche und französische Eingeborenenbehandlung". Berlin 1919, S. 8/9. Ferner: eine Besprechung des Rohrbach-Buches „Der Gottesgedanke in der Welt" durch M. Muret: „La religiosité allemande. Du vieux Dieu des Hohenzollern au nouveau Dieu raciste". Journal des Débats vom 15.6.1938. Das wohl treffendste Urteil über Rohrbach: H. C. Meyer, Mitteleuropa in German Thought and Action, The Hague 1955, S. 99.235.236. 32) DP H. 12 vom 21.3.1919, S. 357. DP H. 14 vom 4.4.1919, S. 422. DP H. 21 vom 23. 5.1919, S. 643, wobei er Leute wie Noske oder Winnig ausklammerte - Die Hilfe, Nr. 4, 1919, S. 4 3 - obwohl er Noske nie verzieh, daß die Alliierten ihn als Hauptzeugeri gegen Deutschlands koloniale Befähigung zitieren konnten (vgl. die Mantelnote vom 16. 6.1919, T. IV, P k t 1). 33) DP H. 32 vom 8.8.1919, S. 166.

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ner Dankbarkeit", „relativ gutem Willen" und „beispielloser Loyalität" der Beamtenschaft, den man ihr trotz allem e n t g e g e n b r a c h t e , 3 4 ) sinn- und zwecklos verschleuderte. 3 5 ) Die Sozialdemokratie habe den Grundstein dafür gelegt, daß - obwohl Deutschland das „unfreieste Land unter den Kulturstaaten" sei - „wir als Volk diese Unfreiheit kaum noch alseine S c h m a c h e m p f i n d e n . " 3 ^ ) „Diese H a l t u n g scheint mir auf die Dauer gesehen ein fast noch größeres Verbrechen am deutschen Volk zu sein als die Schuld an der Revolution, vor der sich die Sozis gerne drücken möchten,die ihnen aber bis an ihr ja gar nicht mehr so fernes Ende anhaften w i r d . " 3 7 ) Damit war der Kreis des zur Meinungsbildung berufenen Bildungsbürgertums abgegrenzt: weder Pazifisten, noch Sozialdemokraten, noch Alldeutsche im weitesten Sinne durften daran teilnehmen. „ D u fragst, was ich will. Außenpolitisch ist das klar: die Revision des Versailler Vertrags samt allen Folgen. Aber was haben wir dazu in der Hand? Gegen den schlechten Willen der Feinde - nichts! Nur unser Recht, und das können wir nur durchsetzen, wenn wir der Welt zeigen: wir haben unseren Anspruch nicht aufgegeben. Was der braune Schreier predigt, ist nationaler Selbstmord. Brüning war a u f dem richtigen Weg. Nur wenn wir die Unsinnigkeit und Unerfüllbarkeit des Versailler Vertrages beweisen, und zwar so, daß alle Welt sagen muß: Die Deutschen haben das Menschenmögliche versucht,dann werden Recht und Vernunft siegen. Aber dazu, darin stimme ich Dir zu,müssen der unnationale Reichstag und das Parteigezänk überwunden w e r d e n . " 3 8 ) Deutschland kann nur, wie R o h r b a c h fortfuhr, seine Stellung in der Welt wieder erobern, wenn „unsere sozialen, sittlichen, geistigen und kulturellen Verhältnisse der Welt ein Vorbild werden in dem Sinne, daß wir erneut ein Stück Menschheitsfortschritt verwirklichen." „ A b e r ich sehe keine Partei und keinen Parteiführer, der dazu in der Lage wäre . . . Was wir brauchen, ist eine Sammlung aller Männer, die Deutschland lieben . . . Wir müssen Vorbild werden. Die soziale R e f o r m ist unvermeidlich . . . Wir haben j a beide einmal angenommen, daß die Demokraten (die DDP) es schaffen könnten, aber sie sind auch in ihrem Interessenklüngel erstickt wie wohl j e d e Partei über ihren kleinlichen Interessen den nationalsozialen Gedanken vergessen muß. J e t z t hilft nur noch - und das sage ich bereits seit zehn Jahren - daß die wahrhaft national empfindenden Männer zusammenfinden."

34) 35) 36) 37) 38)

240

DP H. 2 vom Ebda, S. 3 6 . Heidelberger Rohrbach an Rohrbach an

1 0 . 1 . 1 9 1 9 , S. 3 5 / 3 6 . Tageblatt Nr. 5 8 vom 9 . 3 . 1 9 2 9 . Schacht vom 4 . 1 . 1 9 3 1 . Schacht vom 3 0 . 9 . 1 9 3 2 , Bl. 4 .

Wenn alle Kräfte, die Einfluß auf die öffentliche Meinung haben, immer wieder sagen würden: Gesundung erwächst nur aus dem wahrhaft nationalen und sozialen Gedanken, 3 9 ) „dann wird sich diese Auffassung durchsetzen." „Die Masse scheint bereit, langsam auf uns zu hören. Denn wohin haben es die Parteipolitiker gebracht: Millionen Arbeitslose, politische Morde, ein Ausverkauf von Treu und Glauben und ein Knechtsdasein auf 52 Jahre." 4 0 ) In der Publizistik der Jahre 1927 bis 1932 bildete Rohrbachs Versuch, eine „gemäßigt reformkonservative" nationale Mitte zu bilden, keine Ausnahme. Ihre Grundüberzeugung, daß die parlamentarische Republik eines Korrektivs bedürfe, wuchs, je mehr die Republik gegen Ende der 20er Jahre in wirtschaftliche und innerpolitische Schwierigkeiten geriet. Aus der Diskussion um die zweckmäßigste Form - Bund, Partei, Bewegung - hat sich Rohrbach herausgehalten. Er baute, was sich seit 1918 kontinuierlich verfolgen läßt, auf eine publizistische Sammlung der „Mitte". Die vorgeführten Belege aus der Außen- und Innenpolitik zeigen aber mit aller Klarheit, daß diese nationale öffentliche Meinung der Mitte gegen die Republik gerichtet war - außenpolitisch, weil als einzig mögliches und anerkanntes Ziel die sofortige Wiederherstellung der deutschen Großmachtstellung proklamiert und jede Regierung an dieser utopischen Forderung gemessen und abqualifiziert wurde; innenpolitisch, weil die „ R e f o r m " auf Uberwindung des parlamentarischen Systems hinauslief, den „Staat über den P a r t e i e n " 4 ' ) verlangte und zur Machtübernahme des nationalen Bildungsbürgertums aufrief. Dies sollte sich nun der parlamentarischen Kontrolle und Verantwortung entziehen und stattdessen eine Art Diktatur der öffentlichen Meinung errichten, die weitgehend von den Kommunikations-Medien bestimmt wurde. Rohrbachs Gedanken zur Sozialreform hatten sich in der Republik nur punktuell geändert. Erwünschte 1931 wie 1921 die Zementierung einer ständisch gegliederten Gesellschaft, in der allein die oberen Ränge Bewegungsfreiheit und politischen Einfluß genießen sollten. „Die Leute sollen gut verdienen, aber besser arbeiten. Man muß ihnen etwas geben, für das es sich lohnt zu arbeiten, ein Stück Besitz oder etwas Land. Sie müssen in ihrer Arbeit eine Befriedigung finden und die Möglichkeit haben, für ihr Alter oder für Krankheit vorzusorgen. Das ist die Aufgabe des Staats, nicht, ihre mangelnde Voraussicht und Faulheit durch alle möglichen Versicherungen . . . zu belohnen. Und schließlich müssen sie einsehen lernen, daß jeder an seinem Platz seine Pflicht zu tun hat, der Arbeiter, der Angestellte, der Landwirt, der Soldat und der Gelehrte." 4 2 )

39) 40) 41)

42)

So schon in dem Schreiben an Schacht vom 21.6.1926. Schreiben vom 30.9.1932, Bl. 5. Eine „ideologisierte Wunschvorstellung des 'nationalen' Bürgertums . . . das . . . durch die Identifizierung ihres politischen Willens mit dem 'Staate' den Puralismus der Parteien und Klassen hinter sich lassen zu können glaubte". R. Vierhaus, GWU 15, 1964, S. 144. Rohrbach an Schacht vom 30.9.1932, Bl. 5/6.

241

4.4

Eliten und Bevölkerung

Konnte man in den Jahren 1918 bis 1921 Rohrbach zugute halten, daß er bei seinen Umgestaltungsplänen wenigstens indirekt eine Besserstellung des Arbeiters beabsichtigte - der soziale Ausgleich wäre dann die eine Komponente, der dem ganzen Volk auferlegte Kampf gegen die Schuldlüge die andere Komponente der innenpolitischen Versöhnung 1 ) - s o traten ab 1927/28 Auffassungen hervor, die nicht nur Rohrbachs wachsende Enttäuschung und eine zunehmende Ungeduld beweisen. Immer deutlicher manifestierte sich ein Kulturpessimismus, ein Krisenbewußtsein 2 ) - mit Rohrbachs Worten: Eine „Krise des Lebensgefühls" 3 ) -, dem er immer entschiedener elitäre Vorstellungen entgegensetzte, die bewußt auf die Zerstörung der fundamentalen Demokratie-Voraussetzung hinausliefen: die Aufhebung des Satzes von der Gleichheit der Staatsbürger. Personifiziert ließen sich die beiden Pole dieser Überzeugung mit Spengler und Darwin bezeichnen. 1919 hatte Rohrbach Spenglers These vom Untergang des Abendlandes mit der naiven Bemerkung zurückgewiesen, damit wäre ja die Emporentwicklung der Menschheit in Frage gestellt; 4 ) knapp zehn Jahre später sah er sich gezwungen, eine solche Möglichkeit - nun nicht aus geschichtstheoretischen oder -spekulativen, sondern aus quasi-darwinistischen Gründen - zuzugestehen. 5 ) Damit nahm er nur an einer Bewegung teil, die auf der ganzen publizistischen Rechten zu verzeichnen ist. Sie neigte aus pseudowissenschaftlichen Gründen dazu, die Menge immer stärker als einen grundsätzlich minderwertigen und für die nationale Politik prinzipiell schädlichen Faktor auszuschalten. Rohrbach hat sich in dieser Frage schwankender und unentschiedener verhalten als die nachfolgende Zusammenstellung vermuten läßt. Wie die meisten Publizisten hatte er den Eintritt Deutschlands in die Weltpolitik als direkte Folge der Bevölkerungsvermehrung erklärt 6 ) - eine weitverbreitete Auffassung, nach der „Größe und natürliches Wachstum der Bevölkerung . . . doch die wichtigste natürliche Grundlage für Macht und Geltung eines Volkes im Rate der Völker darstellt", 7 ) ja, daß im Wachstum der Bevölkerung die Triebfeder allen geistigen und materiellen Fortschritts liegt. 8 ) Gedanklich ist es dasselbe Prinzip des

1) Die Christliche Welt, Nr. 40/41,1922, Sp. 771/72. 2) Heidelberger Tageblatt Nr. 164 vom 17.7.1926. ebda Nr. 57 vom 8.3.1930. 3) Der getreue Eckart, 12. Jg. 1934/35, S. 338. Weltwandem in der Weltwende, München 1934, S. 303-05. 4) DP H. 8 vom 21.2.1919, S. 227 ff. 5) Deutschland - Tod oder Leben? S. 34. 6) Der deutsche Gedanke (1920), S. 49. 7) Fr. Burgdörfer, Volk ohne Jugend, 3. vertn. Aufl. Heidelberg u.a. 1935, S. 141/42. 8) Ders., Völker am Abgrund. München 1936, S. 9. Burgdörfer war Direktor beim Statistischen Reichsamt; auf die von ihm kommentierten Angaben seiner Dienststelle stützte sich hauptsächlich die demographisch-politische Literatur der späten zwanziger und der dreißiger Jahre.

242

Druckes, der, von außen kommend, zur nationalen Stärkung und zum Ausgreifen in die Welt führt, von innen herrührend die Aktivierung aller Anlagen bewirkt. So lehnte Rohrbach Geburtenbeschränkungen rigoros ab. 9 ) Da er andererseits behauptete, ein Volk ohne Raum sei ein sterbendes Volk, 1 0 ) darf man annehmen, daß er hier das Recht des Stärkeren auch in territorialer Hinsicht verfocht - was zu seinen Forderungen nach Recht und Wahrheit in der Politik einen allerdings unüberbrückbaren Gegensatz bedeutete. Dieser Widerspruch wird etwas abgeschwächt durch Rohrbachs immer wieder warnend vorgetragenen Hinweis, die Geburtenzahl in Deutschland sinke in einem Maße stetig ab, 1 1 ) daß die Frage nach der Überlebensfähigkeit auf lange Sicht „durchaus ernsthaft genommen" werden müsse. 12 ) In Deutschland lag Ende der 20er Jahre die Geburtenziffer bereits unter der Sterbeziffer; 1 3 ) eine Überalterung mit all ihren schädlichen sozialen Folgen stand bevor 1 4 ) - und aus einem Volk mit „sinkendem Lebenswillen" könne natürlich kerne „starke nationale Politik aus kräftiger Wurzel" erwachsen. 1 5) Eine besonders verderbliche Wirkung übten dabei die noch wachsenden Großstädte aus: die Geburtenzahlen sinken parallel zum Anstieg der Einwohnerzahlen. Die Städte vergrößerten sich - so Rohrbach - durch Landflucht und zehrten quasi den Geburtenüberschuß des Landes auf. 1 6 ) Über den Prozeß der sinkenden Bevölkerungszahlen ist nun eine zweite, in seinen Augen weit folgenreichere Entwicklung gelagert: das Aussterben der Intelligenz. Bei dieser Behauptung stützte er sich auf die statistisch eindeutige Tatsache, daß die Zahl der Kinder pro Ehe umgekehrt proportional dem sozialen Status ist. 1 7 ) Dieser wiederum ist direkt proportional dem Intelligenzgrad: „Wir können unmöglich verkennen, daß zwischen sozialer Lage und geistiger Begabung, wenn auch keineswegs in jedem einzelnen Fall, so doch unzweifelhaft im großen Durchschnitt, eine bestimmte Bindung besteht." 1 8 ) Das heißt, daß die Intelligenz durch Geburtenbeschränkung ausstirbt, und zwar nicht nur die bereits in höhere soziale Positionen aufgestiegene, sondern auch die von un-

9) 10) 11) 12) 13) 14) 15) 16) 17) 18)

Siegen« Zeitung Nr. 235 vom 7.10.1929. Pfälzische Rundschau Nr. 273 vom 6.10.1929. Die Christliche Welt, Nr. 13, 1928, Sp. 623. Die Hüfe, Nr. 16, 1937, S. 350. Neue Wiesbadener Zeitung Nr. 280 vom 13.10.1929. Vgl. H. Schubneil, Der Trend der Bevölkerungsentwicklung in Deutschland. Hamburg 1964 (Dt. Akad. f. Bevölkerungswiss. an d. Univ. Hamburg. Akad. Veröff., R.A, Nr. 7) Siegener Zeitung Nr. 235 vom 7.10.1929. Pfälzische Rundschau Nr. 36 vom 6.2.1929. Deutsche La Plata-Zeitung Nr. 168 vom 19.7.1928. Dabei bezog sich Rohrbach auf H.W. Siemens, Vererbungslehre, Rassenhygiene und Bevölkerungspolitik. 3. Aufl., München 1928 - Westfälische Zeitung (Bielefeld) Nr. 60 vom 10.3.1928. Lusers Monatshefte, 6. Jg. 1928, H. 1, S. 59.

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len herauf nachwachsende Intelligenz, die sich den sozialen Gepflogenheiten ihrer neuen Umgebung anpaßt. Zudem hat die Verstädterung ein solches Ausmaß erreicht, daß sich einerseits zwischen S t a d t u n d Land ein soziales Gefälle ausgebildet h a t ; andererseits haben sich Kultur und Zivilisation soweit urbanisiert, daß jeder Aufsteigende notgedrungen in die Stadt ziehen m u ß . „ D a s Verhängnis für unsere Z u k u n f t liegt in d e m Z u s a m m e n t r e f f e n dieser drei Vorgänge: Wachstum der Masse durch die Bildung der G r o ß s t a d t ; Entmischung der Masse durch den Aufstieg der Tüchtigen; Aussterben der Emp o r g e k o m m e n e n d u r c h das Z w e i k i n d e r s y s t e m . Was d a n a c h u n t e n zurückbleibt, ist Erbmasse des U n t e r m e n s c h e n , " denn das Maß an noch \ o r h a n d e n e r , s c h l u m m e r n d e r Intelligenz ist begrenzt, erbgebunden und nicht beliebig r e p r o d u z i e r b a r . 1 9 ) Die Umwelt k ö n n e niemals Begabung hervorbringen, sondern sie nur fördern oder h i n d e r n ! 2 0 ) Diese Erbmasse des Untermenschen war für Rohrbach kein hypothetischer Fall der Z u k u n f t , sondern eine T a t s a c h e der G e g e n w a r t , eine Beschreibung derjenigen sozialen S c h i c h t e n Deutschlands, die den Aufstieg n i c h t g e s c h a f f t h a t t e n ! Interessanterweise hat Rohrbach nie „Intelligenz" oder „sozialen S t a t u s " definiert und sich nie die Frage vorgelegt, o b es nicht eine Begrenzung durch das Milieu des Elternhauses, die Tradition oder einfach die allgemeinen wirtschaftlichen Z u s t ä n de gebe. Offenbar wünschte er sozialen Status nicht an E i n k o m m e n oder Besitz zu m e s s e n , 2 1 ) sondern an dem Maß individueller Bildung und Ausbildung: Volksschüler, Mittelschüler, Gymnasiast u n d A k a d e m i k e r besäßen in dieser Reihenfolge jeweils einen höheren sozialen Rang, der ihnen freilich nur dann uneingeschränkt zugerechnet werden kann, wenn sie ihren Beitrag zur „ K u l t u r " l e i s t e n . 2 2 ) Und Kultur ist im Gegensatz zur geringer eingeschätzten „ Z i v i l i s a t i o n " 2 3 ) für den Historiker Rohrbach das Erbe der Vergangenheit. „ K u l t u r s c h ö p f e n d " und „gebildet" will er nur den nennen, der mit der Erhaltung des Erbes beschäftigt ist oder es sich angeeignet hat. Daraus ergeben sich zwei bedeutsame Verengungen: erstens fällt die ganze technisch-naturwissenschaftliche K o m p o n e n t e als Wertmaßstab für ihn aus u n d zweitens der ganze Kreis der in der Gegenwart kulturschöpferischen K r ä f t e : Künstler, Philosophen, Theologen. Er mißt die kulturelle und damit geistige Bedeutung eines Menschen einseitig an dessen Beherrschung der historischen Kultur - grob vereinfacht: am humanistischen Bildungsideal. Das vielleicht t r e f f e n d s t e Zeugnis dafür ist seine dauernde Klage über den bevorstehenden Untergang der Kultur mangels geeigneter Kulturträger - daß es einmal an Naturwissenschaftlern oder Technikern fehlen k ö n n t e , liegt ihm fern!

19) 20) 21) 22) 23)

244

Die Christliche Welt, Nr. 13, 1928, Sp. 6 2 5 . Die Propyläen, 26. Jg. 1929, Lfg. 30, S. 235. DDG 1927, 1. S e p t e m b e r h e f t , S. 2 3 0 / 3 1 . DDG Nr. 8 vom 2 5 . 5 . 1 9 2 5 , S. 244. Handschrift, S. 4 8 0 / 8 1 .

Noch wichtiger ist die zweite Folgerung: „Die Weltkultur in Ehren, aber es gibt nur einen Weg, auf d e m die V ö l k e r sie b e r e i c h e r n k ö n n e n , u n d der f ü h r t über die von innen heraus k e i m e n d e E n t w i c k l u n g jeder nationalen, kulturellen E i g e n a r t . " 2 4 )Die w a h r h a f t Intelligenten u n d sozial T o n a n g e b e n d e n sind also die zwangsläufig national d e n k e n d e n Bildungsbürger. U n d z w a r sind sie es a b s o l u t u n d u n a n g e f o c h t e n , weil es für sie keine K o n k u r r e n z m e h r gibt. Für diese B e h a u p t u n g f ü h r t e R o h r b a c h einen b e m e r k e n s w e r t e n historischen „ B e w e i s " an H a n d der beiden großen Auswanderungsschübe aus D e u t s c h l a n d . Die m i t t e l a l t e r l i c h e n A u s w a n d e r e r bildeten in ihrer n e u e n H e i m a t ein vollständiges V o l k s t u m m i t r e i c h e r sozialer G l i e d e r u n g a u s -Siebenbürgen, Zips, Baltikum -, das sich durch h o h e s kulturelles Niveau und Selbstbewußtsein auszeichnete. Der zweite S c h u b dagegen - D o n a u s c h w a b e n , Wolgadeutsche, Süd- u n d N o r d a m e r i k a d e u t s c h e ( w o b e i R o h r b a c h die 1848er a u s k l a m m e r t e ) blieb auf einer sozial niedrigen S t u f e s t e h e n : „ E r b b i o l o g i s c h b e t r a c h t e t , s t e c k t e also in d e n d e u t s c h e n A u s w a n d e r e r n des Mittelalters eine g r ö ß e r e Mannigfaltigkeit d e r B e g a b u n g e n (wegen d e r geringeren B e v ö l k e r u n g s d i f f e r e n z i e r u n g im M i t t e l a l t e r ) als in d e n A u s w a n d e r e r n des 18. u n d 19. J a h r h u n d e r t s , die sich, v o n b e s t i m m t e n A u s n a h m e n abgeseh e n , ganz überwiegend aus einer sozialen S c h i c h t r e k r u t i e r t e n , die im L a u f e der J a h r h u n d e r t e s c h o n e i n e n g r o ß e n Teil ihrer B e g a b u n g n a c h o b e n abgegeben h a t t e . " 2 S ) Der E n t m i s c h u n g s p r o z e ß gewinne S p r e n g k r a f t d u r c h den sozialen F o r t s c h r i t t : V o r der industriellen Revolution starben gerade sozial schwache Menschen durch A r m u t u n d K r a n k h e i t früher, w ä h r e n d die h ö h e r e n S c h i c h t e n eben d a n k ihrer Wohlhabenheit eine größere Zahl Kinder aufziehen k o n n t e n . Die Intelligenz erhielt sich d u r c h eigenen N a c h w u c h s u n d die Masse hielt g e r a d e ihre Z a h l . N a c h d e r Industrialisier u n g setzte d u r c h verbesserte Medizin u n d Hygiene ein rasches Wachstum der Massen ein, w ä h r e n d gleichzeitig die Intelligenz d u r c h G e b u r t e n b e s c h r ä n k u n g Selbstm o r d v e r ü b t e . D a auf d e r a n d e r e n Seite für die I n d u s t r i e i m m e r m e h r Intelligenz nötig war, w u r d e sie in steigendem Maße aus der Masse h e r a u f g e h o l t . I m m e r schneller p a ß t e sie sich d e n sozialen G e p f l o g e n h e i t e n ihrer U m g e b u n g an u n d s t a r b dam i t i m m e r schneller aus. Die geistige A u s l a u g u n g stieg parallel z u m W a c h s t u m der Masse!26) „Was übrigbleibt, sind Menschen, die, g e f ü h r t , i m m e r n o c h zur Erhaltung von V o l k s k r a f t u n d V o l k s k u l t u r t a u g e n , für sich allein a b e r n i c h t m e h r befähigt sind, eine moralische K u l t u r zu erzeugen o d e r eine, die v o n e i n e m verflossenen F ü h r e r t u m erzeugt w u r d e , weiter zu e r h a l t e n . O h n e F ü h r u n g sind sie der U n t e r m e n s c h , u n d d e r U n t e r m e n s c h in d i e s e m S i n n e ist d a s E n d e u n s e r e r K u l t u r . Wir versagen u n s d e n V e r s u c h , v o n dieser u n s e r e r These eine u n m i t telbare N u t z a n w e n d u n g auf das zweifellose Sinken u n s e r e r moralischen u n d ästhetischen Kultur zu m a c h e n . " 2 7 ) 24) 25) 26) 27)

Karlsruher Tagblatt Nr. 320 vom 10.10.1926. Archiv für Rassen- und GeseUschaftsbiologie, 22. Bd. 1930, H. 4, S. 408. Die Christliche Welt, a.a.O., Sp. 626. Die Propyläen, a.a.O., S. 235. DDG 1927, 1. Septembemummer, S. 225-30

-y d r

Die heute aufgestiegene Intelligenz muß also ihre Führungsaufgaben wahrnehmen, da die Masse aufgrund des Entmischungsprozesses bereits das Stadium oder mindestens unmittelbare Vorstadium des „Untermenschentums" erreicht hat und zur Selbstführung und -Verwaltung unfähig geworden ist. 2 8 ) Freilich - so argumentiert Rohrbach weiter - muß auch die Intelligenz, also das nationale Bildungsbürgertum, Fehlentwicklungen in den eigenen Reihen bekämpfen: die zu geringe Kinderzahl, 29 ) die Sucht nach einem materiell bequemen Leben ohne die „Last" aufzuziehender Kinder 3 0 ) sowie schließlich und endlich die Flucht vor der Verantwortung, dem drohenden „Tag des Untermenschen" entgegenwirken zu müssen. 31 ) In dem üblen und unentschuldbaren Machwerk „Der Tag des Untermenschen" 3 2 ) trug Rohrbach seine Grundübeizeugung vor: intelligente Menschen müssen Opfer bringen, für Nachwuchs sorgen und den Damm gegen den Untermenschen errichten. 3 3 ) Das hieß praktisch: die Demokratie beseitigen, die der Masse, dem Untermenschen, die Entscheidungen überläßt. Denn der Untermensch wird immer den Kandidaten wählen, dem er sich durch innere Verwandtschaft verbunden fühlt. Während der Staat dringend die Besten an der Spitze benötigt, bringt die Demokratie gerade die Schlechtesten nach oben: „Wird der Untermensch einen Bewerber nach seiner Tüchtigkeit beurteilen? Nein, nicht nach seiner Tüchtigkeit, sondern nach seiner Bereitschaft und Eignung, ihm, dem Untermenschen, zu dienen. Dann ist es methodisch gleich, ob ich Staatslenker werde, ob ich ein Theaterstück auf die Bühne bringen, ob ich mit Kaugummi ein Geschäft machen will: zuerst muß ich dazu die Masse bewegen, sie auf mich aufmerksam machen, sie dazu bringen, daß sie nach meiner Politik oder nach meinem Schauspiel oder nach meinem Kaugummi verlangt." 34 ) Und dieses Verlangen wird durch eine möglichst grelle, aufregende, brutale, lärmende Reklame erzielt - denn das sind die Wellenlängen, auf denen die Masse empfängt3® > und siegen wird der, der sich am besten auf die Massenseele einstellen kann. Vor ihrem Thron wird das Gute stets dem schmutzigen Spektakel unterliegen - allerdings: „Wir sind heute noch nicht ganz so w e i t . . . " 3 6 ) 28) Heidelberger Tageblatt Nr. 291 vom 13.12.1930, S. 24. 29) Lusers Monatshefte, a.a.O., S. 62/63. 30) Revaler Bote Nr. 118 vom 28.5.1929. 31) Mitteilungen, Jg. 1928, S. 879/80. 32) Berlin 1928. 33) Winkclried. Halbmonatsschrift für deutsche Erneuerung, 7. Jg. 1929, Flg 9/10, S. 132. lobte das Buch als einen der „großen deutschen Romane", erkannte aber nicht, daß Rohrbach in den „Völkischen" besonders prägnante Vertreter des „Untermenschen" sah. 34) DDG 1927, 1. Septembernummer, S. 233. 35) Auf die Verwandtschaft zu Hitlers Argumenten braucht nicht hingewiesen zu werden. 36) DDG, a.a.O., S. 234. Die Verwandtschaft zu E. Jungs „Herrschaft der Minderwertigen" ist offensichtlich. Vgl. dazu Rohrbachs Besprechung in: Deutsches Volkstum, 1931, I. S. 202 f.

246

Zu Beginn der Weimarer Republik hatte Rohrbach mit seinen national-sozialen Thesen links und rechts Abfuhren hinnehmen müssen. Sein neuerlicher Kampf für die Vormachtstellung des Bildungsbürgertums bei gleichzeitiger Diffamierung der „Masse" fand dagegen ein positives Echo - freilich nicht zu seiner ungetrübten Freude. Denn entgegen seinen eigenen Argumenten behielt er stets einen Rest Hoffnung, auch die Masse - und sei es nur in ihren „höheren Rängen" - durch Vereinzelung, Individualisierung und materielle Besserstellung von seinen Thesen überzeugen, sie zum nationalen Bildungsgedanken in den Grenzen ihrer vorhandenen Intelligenz bekehren zu können. Ein gewaltsam erzwungenes Bekenntnis zum Nationalen-Völkischen, wie es der Nationalsozialismus praktizierte, der damit für Rohrbach den nationalen Gedanken als unverzichtbares Pendant zu Individualismus und Bildung pervertierte, lehnte er dagegen schroff ab. 3 7 ) Auf der anderen Seite konnte er nie sagen, warum sich die so geschmähte Masse dem Führungsanspruch der Intelligenz beugen sollte. Die Behauptung, erst der „neue Staat" werde Versailles revidieren und damit die große Sozialreform schaffen, konnte nicht überzeugen, weil die verkündete soziale Umgestaltung mit ihren ständischen Elementen den Hauptbetroffenen kaum gefallen konnte.

4.5

„Weltmachtstreben" und „deutsches Wesen"

Auf seinen Vortragsreisen mußte sich Rohrbach häufig der kritischen Frage stellen, worin denn nun die Werbekraft seiner sozialen Umgestaltung auf das Ausland liegen sollte, war sie doch - gemessen an den sozialen Verhältnissen der Kriegsgegner • fortschrittlich weder im humanen noch im rechtlichen noch im sozialen Bereich. Seine Antwort enthielt zwei Komponenten: einmal stünden alle Kulturnationen vor den gleichen Phänomenen und suchten nach einer Lösung, die ihnen Deutschland vorleben könnte. Interessanter und entlarvender war der zweite Strang von Überlegungen. Intelligenz, so hatte er immer behauptet, entsteht durch Blutmischung! Hier liege die Bedeutung der indogermanischen Wanderungen, die er nun in einem bezeichnenden Sprung mit den Wanderungen germanischer - und das hieß: deutscher - Stämme gleichsetzte. Die einwandernden Germanen schufen durch Verbindung mit der einheimischen Bevölkerung eine Hochkultur, i ) die unterging, als die Intelligenz durch Kinderlosigkeit - durch eine „biologische Gegenauslese" • ausstarb. 2 ) An sich, so versicherte Rohrbach, gibt es keine höher- oder minderwerti-

37) Deutsche Allgemeine Zeitung Nr. 9/10 vom 7.1.1933. 1) Europ. Völkergesch., 3/17. ebda, 22/133. 2) Die Propyläen, 26. Jg. 1929, Lfg. 30, S. 234.

247

gen Rassen; erst Rassenmischungen bringen Kultur und Kulturfortschritt;- 5 ) reine Rassen seien kulturell steril. 4 ) Aber schaue man sich um, so seien alle heute maßgeblichen Kulturen der Welt von Völkern geschaffen worden, die zur Kulturschöpfung und Staatenbildung durch die Einwanderung der Indogermanen - nach Rohrbach germanisch-deutscher Völker - g e k o m m e n seien. Das Wort vom „deutschen Kulturdünger" sei eine bittere Wahrheit. 5 ) Überall, in England, Frankreich, Andalusien, Lombardei, habe sich die staatenbildende Schöpferkraft der Germanen bewährt - nur im eigenen Lande n i c h t . 6 ) Diese Schöpferkraft ist jedoch nicht verloren; denn die Germanen kennen die Fähigkeit, aus sich selbst heraus Regenerationsprozesse einzuleiten. Mit dieser „ H o f f n u n g " stand R o h r b a c h nicht allein; wie er e n t d e c k t e der völkische Konservatismus bei G o e t h e , Schiller, Fichte, Lagarde 'Zeugnisse' und 'Beweise' für die Richtigkeit solchen Wunschdenkens. Rohrbach zitierte vornehmlich Goethes Wort: „Ja, das deutsche Volk verspricht eine Zukunft, hat eine Z u k u n f t . Das Schicksal der Deutschen ist, mit Napoleon zu reden, noch nicht erfüllt," und Schillers Gedichtfragment „Der Tag des Deutschen" oder „Deutsche G r ö ß e " . 7 ) Von den modernen Denkern kannte er nur Troeltsch: „(Er) hat in einer wenig bekannten kleinen Arbeit über die geschichtlichen Elemente der deutschen Kultur die feine und große Bemerkung gemacht,daß das deutsche Volk, im Unterschied zu andern Völkern, eine wiederholte Jugend gehabt h a t . . . " 8 ) Diese staatenschöpterische Kraft ist einzig den Deutschen vorbehalten und m u ß sich nun in der erneuten Krise des morsch gewordenen Europa bewähren. Insoweit wird am deutschen Wesen noch einmal die Welt genesen! 9 ) Rohrbach untermauerte seinen „Beweis" für den deutschen Führungsanspruch noch mit einer anderen Argumentationskette. Wie schon beschrieben, wollte er die geistige Bedeutung eines Individuums an dessen Beitrag zur Kultur messen. Diese Bewertung übertrug er nun auf die Völker und stieß auf die von seinem S t a n d p u n k t aus gesehen richtige Tatsache, daß es Völker mit h o h e r u n d niedriger Kulturleistung gibt - wobei er freilich die Umweltfaktoren sorgfältig ausklammerte. Da die Kultur eines Volkes direkt proportional den in ihm enthaltenen Maß an genetisch fixierter Intelligenz ist, zog er den Schluß, daß es höher- und minderwertige Rassen gibt.

3) 4) 5) 6) 7)

Armeniertum-Ariertum, Potsdam 1934, S. 42. DDG Nr. 30 vom 20.12.1925, S. 1533. Zeitwende, 11. Jg. 1935, H. 6, S. 359. Dt. Volksgesch., 4/20. Johannes Lepsiuszum Gedächtnis, Potsdam 1926, S. 23/24. Das Fragment ist unter dem Titel „Deutsche Größe" von B. Suphan, Weimar 1902, herausgegeben worden. (Säkularausgabe, Bd. 2, S. 386.) 8) Düsseldorfer Nachrichten Nr. 417 vom 19.8.1927. 9) Rohrbach an Schacht vom 4.1.1931. 248

„Wer überhaupt den Unterschied von höheren und niederen Rassen im Sinne einer dauernden Naturveranlagung anerkennt, der ersetzt damit schon den antiken, bis in die Zeit der Aufklärung und der modernen Demokratie fortgepflanzten Menschheitsbegriff durch einen neuen. Mensch ist dann eben nicht Mensch, und es gibt dann auch kein einheitliches 'menschliches' Ziel und keine schlechthin 'menschliche' Entwicklung. Vielmehr gibt es verschiedene und verschiedenwertige Linien des menschlichen Geschlechts, von denen die einen bestimmt sind, die Entwicklung der Kultur zu führen, und andere dazu, geführt und bevormundet zu werden, und noch andere - unterzugehen." 10) Abgesehen von der geschichtlich falschen Behauptung im obigen Zitat - mit diesen Überlegungen entlarvte Rohrbach alle seine politischen Vorstellungen vom Primat der Außenpolitik, der sozialen Umgestaltung, der Vorherrschaft des nationalen Bildungsbürgertums als das nach dem Weltkrieg zwar in der Form, aber in den Zielen unveränderte Streben nach Weltmacht und Welthegemonie. 1 1 ) Wirklich ernst zu nehmen war an diesem Kultur- und Rassenchauvinismus nur der Beifall, den Rohrbach fand, wenn er sich auch - aus Einsicht ? - darauf beschränkte, diese Ideen nur in kleinem Kreise vorzutragen. In seiner vorwiegend der Außenpolitik gewidmeten Publizistik traten sie nicht so deutlich hervor, bildeten aber stets das „Unterfutter" für die drei großen Komplexe, mit denen er Politik machen wollte: „moralische Offensive", Kulturpolitik und „soziale Umgestaltung".

10) DDG 1927,1. Septembernummer, S. 236/37. 11) Vgl. dazu L. Dehio, Versailles nach 35 Jahren, in: Deutschland und die Weltpolitik, S. 107 ff. bes. 120/21. 249

5.

Zusammenfassung

Die in extenso vorgeführte außenpolitische Publizistik und der Uberblick über die innenpolitischen Ansichten beweisen, daß Rohrbach immer zwei Ziele verfolgte: Rückgewinnung der deutschen Weltmachtstellung und innenpolitische Führung durch das Bildungsbürgertum. Beide Ziele waren fest miteinander verknüpft; in der Außenpolitik blieb jedoch die größere Kontinuität gewahrt. Klug genug, Deutschlands Machtlosigkeit einzusehen, setzte Rohrbach konsequent auf die Werbung,die Propaganda. Den Primat der Außenpolitik nutzte er dabei doppelt: einmal zur Diffamierung der Republik, die ihm angeblich zu wenig gerecht wurde; zum anderen, um die Notwendigkeit seiner sozialen Umgestaltung als des einzig vorhandenen außenpolitischen Wirkungsmittels zu beweisen. Wenn er dabei behauptete, „daß unsere auswärtige Politik letzten Endes von einer einzigen großen Idee getragen ist: dem freien Selbstbestimmungsrecht der Völker," 1 ) so war das in jeder Beziehung heuchlerisch. In der Innenpolitik zeigte er weniger Konsequenz. Fest entschlossen, die im Kaiserreich versäumte Sozialreform 2 ) unter bürgerlichen Auspizien und nur unter bürgerlicher Führung 3 ) zu erzwingen - dieses soziale Eigeninteresse verbarg er unter dem intensiv verwendeten, aber gerade deswegen vollständig unscharfen Begriff „moralische A u f g a b e " 4 ) - scheiterte er schon im Ansatz an zwei grundlegenden Fehlern. „Sozial" konnte und wollte er nur im Kontext von „national" sehen: Die soziale Reform sollte das nationale Bewußtsein heben und die Bindung des Arbeiters an den Staat verstärken; die nationale Verantwortlichkeit sollte die soziale Reform als unumgänglich akzeptieren und vorantreiben. Aber die Ziele der Reform mochten vor 1914 zumindest teilweise progressiven Charakter besitzen - nach 1918 waren sie reaktionär. Sie waren zudem - und das war der zweite Fehler - anachronistisch, weil sie die soziale und technisch-wirtschaftliche Entwicklung verkannten. Das Deutsche Reich war kein Agrarstaat mehr, sondern ein hochindustrialisiertes Land - freUich noch mit Resten von agrarisch-feudalen Sozialstrukturen -, dessen wirtschaftlich-technischen Zwängen Rohrbachs Sozialvorstellungen in keiner Weise genügen konnten. Hier wird das intellektuelle Unbehagen eines Mannes sichtbar, der dem industriellen Wachstum zwar zugestand, erst die Voraussetzungen für die Weltmachtstellung Deutschlands geschaffen zu haben,s) dem es aber fremd blieb und der es mit einem Rückgriff auf vor- oder bestenfalls frühindustrielle Prinzipien zu überwinden trachtete.

1) 2) 3) 4) 5)

250

DDG Nr. 4 vom 17.12.1924, S. 5. Der deutsche Gedanke (1912), S. 36 ff. und 87 ff. DP H. 28 vom 11.7.1919, S. 43. DP H. 46 vom 15.11.1918, S. 1445. Revaler Bote Nr. 236 vom 15.10.1928. Der deutsche Gedanke (1912), S. 72 ff.

Mehr noch beweist die Außenpolitik, daß Rohrbach ein Opfer der Historie wurde. Denn als Hauptgrund für seine vielen Fehlurteile springt der dauernde Rückgriff auf historische Konstellationen und Erfahrungen wie auf die scheinbar durch die Geschichte erwiesene Stoßrichtung aller Aktionen ins Auge, die Staaten zur Verbesserung ihrer Machtstellung unternehmen. Dieser gleichsam erstarrte Historismus wollte der Geschichte zwar keine detaillierte Regeln entnehmen, ließ sich aber durch die Ähnlichkeiten mit verflossenen Situationen zu Folgerungen für die Gegenwart verführen, die letztlich doch auf die Übernahme historischer 'Rezepte' hinausliefen. Aber gerade diese Fixierung auf das historische Moment betrachtete Rohrbach als das entscheidende Moment der Bildung 6 ) - freilich mit einer zeittypischen Einschränkung: Rankes „dauerndes Umschreiben" der Historie 7 ) wurde verdrängt von der Uberzeugung, daß die der Geschichte zugrunde liegenden Größen ein für allemal erkannt und auf ein einziges Grundprinzip zu reduzieren waren: das Streben nach Macht. Diesem Prinzip unterwarfen die „distanzierten" Publizisten die machtlose Republik von Weimar. Sie zerstörten sie oder duldeten ihre Zerstörung, weil sie diesem Anspruch nicht genügen konnte.

6) Weltwandern in der Weitwende, S. 297-99. 7) SW 53/54, S. 569. Vgl. auch R. Vierhaus, in: HZ 183, 1957, S. 543 ff.

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Quellen- u n d Literaturverzeichnis I.

Quellen

1.

Ungedruckte Quellen in öffentlichen Archiven

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2.

Ungedruckte Quellen aus dem privaten Nachlaß P. Rohrbachs 1. Leitartikel-Korrespondenz 2. Manuskripte zu Rundfunkvorträgen über 2.1. Deutsche Volksgeschichte (24 Stück) 2. Europäische Völkergeschichte (25 Stück) 3. Eine Viertelstunde Weltgeschichte (31 Stück) 4. Weltreise 1931/32 (23 Stück) 5. Reisen nach Nahost, Afrika und die Weltreise 1931/32 (14 Stück)

252

(Die Manuskripte wurden vom Verf. paginiert: die Zahl vor dem Bruchstrich gibt die Nummer des Vortrages an, die hintere Zahl die laufend durchgezählte Seite) 3. Familiengeschichte. Maschinenschriftlich 4. Geschichte der Menschheit. Maschinenschriftliches Manuskript einer Neubearbeitung 1956 5. Verschiedenes. Darunter befindet sich: Privatbriefe von und an Rohrbach Briefwechsel mit seinen Verlegern Projekte, Arbeiten und Unternehmungen nach 1945 Zeitungsausschnitte mit Artikeln von Rohrbach oder Besprechungen Kohrbachscher Bücher Nachrufe Aus dem Nachlaß (des mittlerwcisc verstorbenen Rcichsbankpräsidcntcn a.D.) Hjalmar Schacht 7 Briefe Rohrbachs an Schacht aus den Jahren 1919 bis 1932 und I Brief Schachts an Rohrbach vom 1.2.1932.

3.

Gedruckte Quellen. Selbständige Veröffentlichungen bzw. Beiträge zu selbständigen Veröffentlichungen von Paul Rohrbach.

Der deutsche Gedanke in der Welt Düsseldorf/Leipzig o. J. (1912) 2. Aufl. Königstein/Taunus 1913 3. Aufl. ebda 1914 Neubearbeitung 1920. Königstein/Taunus 1920 Neubearbeitung 1940. ebda 1940. 2. Aufl. ebda 1941 3. Aufl. ebda 1942 Bericht Dr. Rohrbachs über seine Reise nach Kiew. Streng vertraulich. Als Manuskript gedruckt Berlin-Schöneberg 1918 (Deutsch-ukrainische Gesellschaft. 1918. Nr. 4). Die alldeutsche Gefahr Berlin 1918 (Der Tag des Deutschen. H. 10). Politische Erziehung Stuttgart 1919 (Das neue Geschlecht. 3). Armenien. Beiträge zur armenischen Landes- und Volkskunde. Hrsg. von - auf Veranlassung der deutsch-armenischen Gesellschaft Stuttgart 1919. Woher es kam Stuttgart 1919. Die Alldeutschen. Von - und Martin Hobohm Berlin 1919 (Chauvinismus und Weltkrieg. Bd. 2). Das Zeugnis der dreizehn Tage Hamburg o. J. (1919).

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4.

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Geistige Arbeit. (NF der Minverva-Zeitschrift) Der getreue Eckart (Wien) Der Heimatdienst Die HUfe Issues of To-Day (New York) Ingenieur-Zeitschrift (Teplitz) Der Kunstwart und Kulturwart Lateinamerika.

Ausg. A: Mitteilungen über Argentinien, Uruguay, Paraguay Ausg. C: Mitteilungen über Mexiko, Mittelamerika, Westindien.

Lausitzer Heimat Lusers Monatshefte (Wien) Die Menschheit Mitteilungen der Akademie zur wissenschaftlichen Erforschung und zur Pflege des Deutschtums. Deutsche Akademie. Die Neue Zeit - The New Times (New Ulm, Minn./USA). Der Oberschlesier Der Orient Osram-Nachrichten Ostasiatische Rundschau Ostland. Vom geistigen Leben der Auslanddeutschen. Österreichische Rundschau. Petermanns Geographische Mitteilungen Polen. Wochenschrift für polnische Interessen (Wien) Polnische Blätter Preußische Jahrbücher Die Propyläen (Beilage zur ..Münchener Zeitung"). Die Räder. Zeitschrift der Technischen Nothilfe Sächsische Industrie. Süddeutsche Monatshefte Der Staat seid ihr. Über Land und Meer Ubersee. Zeitschrift des Hauptverbandes Deutscher Seevereine im Ausland Die Ukraine. Monatsschrift Ukraine in Vergangenheit und Gegenwart. Vierteljahresschrift Die Umschau. Vierteljahreshefte zur Statistik des Deutschen Reichs Völker-Friede. Zeitschrift der Deutschen Friedensgesellschaft Volkskonservative Stimmen. Weltwirtschaft Westermanns Monatshefte Winkelried. Zeitschrift für deutsche Erneuerung Wirtschaftsdicnst. Weltwirtschaftliche Nachrichten Die Woche. Zeitschrift für Geopolitik Zeitschrift für Politik Zeitwende. Monatsschrift.

258

5.

Tageszeitungen

Allgemeine Zeitung für die Interessen aller Stände Magdeburger Zeitung Magdeburgische Zeitung (Windhuk, Südwestafrika) Der Mitteldeutsche (Magdeburg) Argentinisches Tageblatt (Buenos Aires) Münchener Zeitung Banater Deutsche Zeitung (Temesvar) Münsterische Anzeigen Beobachter im Iser- und Riesengebirge Berliner Börsen-Zeitung Neckar-Chronik Berliner Tageblatt Neue Deutsche Zeitung (Porto Alegre) Bochumer Anzeiger Neue Wiesbadener Zeitung Nürnberger Zeitung Bote aus dem Riesengebirge (Hirschberg) Bremer Nachrichten Ostdeutsche Morgenpost (Beuthen) Bukarester Post Pfalzische Rundschau (Ludwigshafen) Deutsch-Chinesische Nachrichten (Tientsin) Regensburger Anzeiger Deutsche Allgemeine Zeitung Revaler Bote Deutsche La Plata-Zeitung (Buenos Aires) Revalsche Zeitung Deutsche Zeitung - Diario Allemao (Sao Paulo) Rheinisch-Westfälische Zeitung (Essen) Deutsche Zeitung in den Niederlanden Rostocker Anzeiger Deutsches Volksblatt (Novisad) Dresdner Anzeiger Saarbriicker Zeitung Düsseldorfer Nachrichten Salzburger Volksblatt Essener Allgemeine Zeitung Siebenbürgisch-Deutsches Tageblatt (Hermannstadt) Frankfurter Allgemeine Zeitung Frankfurter Zeitung General-Anzeiger der Stadt Wuppertal Germania Gießener Anzeiger Hamburger Anzeiger Hamburger Fremdenblatt Hannoverscher Anzeiger Heidelberger Tageblatt Karlsruher Tagblatt Kasseler Neueste Nachrichten Kieler Neueste Nachrichten Kieler Zeitung Kölnische Volkszeitung Kölnische Zeitung Königsberger Allgemeine Zeitung

Siegener Zeitung Sonntagspost und Milwaukee-Zeitung Schwäbischer Merkur (Stuttgart) Staats-Herold (New York) Stuttgarter Zeitung Tagespost (Graz) Völkischer Beobachter Weichsel-Zeitung (Marienwerder) Weser-Zeitung (Bremen) Westfälische Zeitung (Bielefeld) Wiesbadener Zeitung Würzburger General-Anzeiger

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Publizistik-Historische Beiträge Herausgegeben von Dr. Heinz-Dietrich Fischer, Bochum Band

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Deutsche Publizisten des 15. bis 20. Jahrhunderts Herausgegeben von Dr. Heinz-Dietrich Fischer 1971. 4 1 9 Seiten. Linson D M 4 8 . - . I S B N 3-7940-3601-8 Dieser A n t h o l o g i e b a n d enthält neben einer einführenden A b h a n d l u n g über die Bedeutung der Persönlichkeit in der Publizistik 3 8 Porträts deutscher Publizisten aus mehreren Jahrhunderten. Die Publizisten-Porträts stammen im wesentlichen aus drei verschiedenen Quellen: 1. Originalbeiträge, die auf die besonderen Bedürfnisse dieses Bandes abgestimmt sind; 2. v o m Herausgeber zusammengestellte Auszüge aus publizierten oder unveröffentlichten Dissertationen; 3. Beiträge aus wissenschaftlichen Fachzeitschriften oder Büchern. Band 2

Deutsche Zeitungen des 17. bis 20. Jahrhunderts Herausgegeben von Dr. Heinz-Dietrich Fischer 1971. Etwa 4 3 0 Seiten. Linson etwa D M 4 8 , - . I S B N 3-7940-3602-6 Dieses B u c h bietet in F o r m monographischer Abhandlungen z u m ersten Male einen detaillierten historisch-deskriptiven Überblick über 2 5 maßgebliche deutsche Zeitungen, welche von den verschiedensten geistes-und sozialwissenschaftlichen Disziplinen als permanentes Auskunftsobjekt für mancherlei Fragestellungen konsultiert zu werden pflegen. V o n jeder dargestellten Zeitung werden die wesentlichen Daten und Fakten aus der Verlags-, Redaktions- und Inhaltsgeschichte in chronologischer A n o r d n u n g dargeboten und in einen Kausalzusammenhang gestellt. Verlag Dokumentation 8023 München - Pullach, Jaiserstraße 13 Tel.: (0811) 7930914, Telex: 5212067 säur

Dortmunder Beiträge zur Zeitungsforschung Hrsgb. von Kurt Koszyk Band 1 Behrbalk, Erhard Die Westfälische Zeitung 1848-1883 1958. 179 S. kart. D M 16,-. I S B N 3-7940-2501-6 Band 2

Koszyk Kurt Das „Dampfboot" und der Rhedaer Kreis Die erste politische Zeitung Westfalens. 1958. 9 0 S. kart. D M 12,-. I S B N 3 7940-2502-4 Band 3 Lindemann, Margot Pressefrühdrucke als Spiegel französischer Geschichte. Bibliographie der Frankreich-Sammlung des Instituts für Zeitungsforschung der Stadt Dortmund. 1959. kart. D M 12,-. I S B N 3-7940-2503-2 Band 4 D'Ester, Karl Die Zeitungswissenschaft im Dienste der deutsch-französischen Beziehungen, Heinz-O. Sieburg Die Politik Richelieus und Renaudots „Gazette", Heinrich Hofmeier Der Zahnarzt Georges Fattet in der Karikatur von 1848 1959. kart. DM 12,-. I S B N 3-7940-2504-0 Band 5 Sandgathe, Günter Der „Westfälische Anzeiger" und die politischen Strömungen seiner Zeit 1798-1809 1960. 214 S. kart. D M 2 0 , - . I S B N 3-7940-2505-9 Band 6 Hess, Ulrich Louis Viereck und seine Münchner Blätter für Arbeiter 1882-1889 Lindemann, Margot Der Münchner Pressbandit 1961. kart. D M 16,-. I S B N 3-7940-2506-7 Band 7 Grosskopf, Rudolf Die Zeitungsverlagsgesellschaft Nordwestdeutschland GmbH 1922-1940 Beispiel einer Konzentration in der deutschen Provinzpresse. 1963. kart. D M 24,-. I S B N 3-7940-2507-5 Band 8 Märthesheimer, Peter Publizistik und gewerkschaftliche Aktion Das Bild der IG Metall in westdeutschen Zeitungen. 1964. kart. D M 12,I S B N 3-7940-2508-3 Band 9 Stein, Elisabeth „Der Freimüthige an der Haar" als Organ des politischen Katholizismus 1849-1850 1965. kart. D M 16,-. I S B N 3 7940-2509-1 Band 10 Klutentreter, Wilhelm Die „Rheinische Zeitung" von 1842/43 1966. 2 Bände, kart. D M 2 8 , - . I S B N 3-7940-2510-5 Band 11 Grote, Bernd Der deutsche Michel Ein Beitrag zur Publizistischen Bedeutung der Nationalfiguren. 1967. kart. D M 12,-. I S B N 3-7940-2511-3 Band 12 Scholand, Hildegard Presse und Beamtenpolitik Eine Inhaltsanalyse. 1968. kart. D M 16,-. I S B N 3-7940-2512-1 Band 13 Kothenschulte, Uwe Hermann Löns als Journalist 1968. 184 S. brosch. D M 2 0 , - . I S B N 3-7940-2513 X Band 14 Fischer, Heinz-Dietrich Publizistik in Suburbia Strukturen und Funktionen amerikanischer Vorortzeitungen. 1971. 204 S. mit 8 Tafeln, brosch. D M 28,-. I S B N 3-7940-2514-8 Band 15 Schütze, Peter Die Entwicklungsgeschichte lokaler Wechselseiten im deutschen Pressewesen bis 1945 1971. 178 S. brosch. D M 2 4 , - . I S B N 3-7940-2515-6

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