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German Pages 152 [149] Year 2012
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VOM
PAUL KLEE
JAPONISMUS ZU ZEN
UND DER FERNE
Scheidegger & Spiess
OSTEN
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Ein wenig bekanntes, doch überaus faszinierendes Thema: Dieses Buch zeigt zum ersten Mal umfassend die vielfältigen Aspekte von Paul Klees Beschäftigung mit fernöstlicher Kunst. Zudem wird, gewissermassen als Kontrapunkt dazu, auch die Rezeption Paul Klees durch Künstlerinnen, Architekten und Comic-Zeichner in Japan eingehend dargestellt.
Printed in Germany
Zentrum Paul Klee . Bern
Museum für Ostasiatische Kunst Köln
ISBN 978-3-85881-373-2
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VOM JAPONISMUS ZU ZEN
PAUL KLEE UND DER FERNE OSTEN
Herausgegeben von
Konzept und Redaktion
Zentrum Paul Klee, Bern
Osamu Okuda
Museum für Ostasiatische Kunst, Köln
Marie Kakinuma
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Leihgeber
Wir danken den folgenden Institutionen und Sammlern für die grosszügige Überlassung von Leihgaben
Kunstmuseum Basel Leiko Ikemura, Studio Ikemura, Berlin Bernisches Historisches Museum
C. und D. Bürgi, Bern Aljoscha und Anne-Marie Klee-Co!!, Klee-Nachlassverwaltung, Bern Kunstmuseum Bern Neues Museum Biel Fondation Beyeler, Riehen/Basel Toyo Ito & Associates, Architects, Tokyo Tomio Öhashi, Tokyo Yuki Okumura, Tokyo Sasaki Struccural Consultants, Tokyo MISAKO & ROSEN, Tokyo Paul Klee Society Japan, Tokyo MAK - Österreichisches Museum für angewandte Kunst/Gegenwartskunst, Wien Museum Rietberg, Zürich
sowie privaten Leihgebern , die ungenannt bleiben möchten.
lnhal tsverzeichnis
Vorwort
9
PETER FISCHER I ADELE SCHLOMBS
Paul Klee und der Feme Osten
II
OSAMU OKUDA I MARIE KAKI NU MA
PAUL KLEES BESCHÄFTIGUNG MIT FERNÖSTLICHER KUNST
13
OSAMU OKUDA
Paul Klee und der «klassische» Japonismus Inspiration durch ostasiatische Tuschmalerei Klees bildnerische Umsetzung chinesischer Gedichte Arbeiten auf Japanpapier Kalligrafie Klee und (Zen-)Buddhismus
PAUL KLEES REZEPTION IM HEUTIGEN JAPAN
IOl
MARIE KAKINUMA
Paul Klees Rezeption im heurigen Japan
ro2
Töru Takemitsu: «AD MARGINEM» und «Wasser»
ro4
Shumarö Tanikawa: «tausendfache linien-wege» und «ein ungelöstes Lebensrätsel»
uo
Kazuya Takahashi: «Reduktion auf das Wesencliche» und «Ehrlichkeit zu sich selbst»
II6
Natsuki Ikezawa: «fl.iessendes Wasser in den Tiefenschichten» und «Kinderwelt»
120
Leiko Ikemura: «Katzenwelt» und «diesseitig und jenseitig»
122
Toyö Irö: «zwei Naturformen» und «emerging grid»
128
Yuki Okumura: «Anaromy Fiction» und «Der Bauchredner»
136
Verzeichnis der ausgestellten Werke
139
Zusätzlich abgebildete Werke
147
Ausgewählte Bibliografie
149
Standort- und Bildnachweis
150
Autoren
151
Wie viele Häuser-Verstecke bringt doch ein Maler vom Format eines Klee in einer einzigen Linie unter!
MAKOTO ÖOKA
Ich habe die Reproduktion (Publikation Bing) einer japanischen Zeichnung: ein einziger Glashalm. Welch ein Muster von Gewissenhaftigkeit!
VINCENT VAN GOGH
8
Vorwort
«dergleichen sollte man auch machen, nicht nachmachen.» Diese Ansicht äusserte Klee angeblich in seinen ersten Münchener Jahren, also 1906 oder '1907. Mit «dergleichen» meinte er das Abstrakte der japanischen Holzschnitte. Klee verfügte damals bereits über eine vertiefte Kenntnis der japanischen Kunst und nutzte beispielsweise Kompositionsprin zipien wie die Multiperspektive der ostasiatischen Landschaftsmalerei als ln spirationsq uelle für seine frü hen Landschaftsb il der. Klee gehörte zu jenen Künstlern, die der japanischen Kunst dank des Rückgriffs auf neu erschlossene originale Quellen ganz neue Impulse verdankten. Sie gingen weit über die Bildlichkeit des damaligen japonesken Modephänomens hinaus. Der Einfluss von Hokusai auf Klees frühes zeichnerisches Werk erwies sich dabei als besonders fruchtbar und half Klee «aus der Sackgasse des Ornaments», wie er seine Situation 1908 bezeichnete, hinaus zu finden. Die Beschäftigung mit der ostasiatischen Tuschmalerei und die Entdeckung der besonderen Eignung von Japanpapier führten Klee in der Weiterentwicklung sei ner Aqua relle in neue Gefilde; so haben wohl auch seine Schriftzeichenbilder der 1930er-Jahre viel mehr mit Kalligrafie (auch der chinesischen Ausprägung) zu tun als mit dem surreali stischen Topos der «ecriture automatique». Obwohl Pau l Klees Weitsicht im klassischen abendländischen Kulturverständnis grün dete, scheint sich sein künstlerisches Werk weit über die europäische Kunst hinaus zu orientieren. So steht die Auseinandersetzung mit dem ostasiatischen und im Besonderen mit dem japanischen Kulturkreis paradigmatisch für eine Haltung der Offenheit und Neugier. Zurzeit spricht man gerne von Weltkunst. Sie besetzt ein Spannu ngsfeld vom Kampf der Kulturen bis hin zu inter- und transkulturellen Theorien und Praktiken. Klees diesbezüg li che Haltung ist heute also aktueller denn je. Osamu Okuda, zusammen mit Marie Kakinuma Ko -Kurator und Ko -Autor der Ausste llung und des vorl iegenden Katalogs, erläutert erstmals umfänglich Klees Auseinanders.etzung mit der ostasiatischen Ku ltur und wei tet die Untersuchung formaler Analogien oder Bezugnahmen insofern aus, als er auch dem möglichen Niederschl ag östlicher Denkund Glaubenssysteme in Klees Werk nachspürt. Unser Erkenntnisinteresse liegt aber nicht ausschliesslich bei Klee als Rezipient. Sein Werk repräsentiert nicht das Ende eines Prozesses, sondern vielmehr den Angelpunkt. Einer Spiegelu ng gleich - bei Klee ist es durchaus statthaft, dafür einen Begriff aus der Harmonielehre zu verwenden: einem musi kalischen «Krebs» gleich - wird Klee zum Ausgang vie lfä ltiger Inspiration für nachfolgende
9
Künstlerinnen und Künstler in Japan. Marie Kakinuma zeigt dies anhand von sieben in unterschiedlichen Sparten tätigen Kun stschaffenden auf und bietet somit einen breit gefächerten Einblick in die Wirkungsgeschichte von Paul Klee im heutigen Japan. Ausstellung und Katalog entspringen der fruchtbaren Zusammenarbeit des Zentrums Paul Klee in Bern und des Mu seums für Ostasiatische Kunst in Köln. Im Namen der beiden Institutionen danken wir Osamu Okuda und Marie Kakinuma für ihre Forschu ngen und deren Vermittlung in der Ausstellung und in diesem Katalog. Verschiedene hervorragende Museen und Sammlungen haben unsere sehr spezifischen Leihwünsche erfüllt. Ihn en danken wir ebenso wie den beteiligten japanischen Künstlerinnen und Künstlern für ihr Interesse an unserem Projekt und die tatkräftige Unterstützung. Weiterer Dank gebührt dem Verlag Scheidegger & Spiess für die Reali sierung der Publikation und Hitomi Murai für · deren sorgfältige Gestaltung. Schliesslich danken wir allen an der Ausstellung und dem Katalog beteiligten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern unserer Institutionen in Bern und Köln. Ihn en, verehrte Leserinnen und Leser, wünschen wir auf dem «Krebsgang» durch die Kulturen eine anregende Lektüre und Betrachtung.
PETER FISCHER Direktor Zentrum Paul Klee
IO
ADELE SCHLOMBS Direktorin Museum für Ostasiatische Kunst
Paul Klee und der Ferne Osten
Bisher ist über die Auseinandersetzung Paul Klees mit fernöstlicher Kunst, die ihn während seines gesamten künstlerischen Schaffens inspirierte, wenig bekannt. In der neueren Forschung, die die Einfl üsse japanischer Kunst auf das Kunstschaffen des 19. und 20. Jahrhunderts in Deutschland untersucht, spielt Klee nur eine marginale Rolle. 1 Einen ersten Versuc h, Klees Schaffen im Kontext ostasiatischer Kunst zu betrachten, ste llte die Ausstel lu ng Paul Klee and East Asia im Jahr 2009 in Japan dar. 2 Die Ausstellung Vom Japonismus zu Zen. Paul Klee und der Feme Osten erweitert nun diesen Ansatz, indem sie die vielfältigen Aspekte von Klees Beschäftigung mit fernöstlicher Kunst zum ersten Mal umfassend darstellt. Über den Rahmen des engen, «klassisch en » Japonismus hinaus lässt sich die Bedeutung der Tuschmalerei und der Kalligrafie hin zum Zen-Buddhismus für Klees Schaffen nachvollziehen. Zudem wird gleichsam als Kontrapunkt dazu - in dieser Publikation erstmals auch der Klee -Rezeption in Japan ein besonderes Augenmerk gewidmet.
OSAMU OKUDA
MARIE KAKINUMA
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2
Vgl. Claudia Delank, Das imaginäre Japan in der Kunst. «Japanbilder» vom Jugendstil bis zum Bauhaus, München 1996, S. 199-200; dies., «Die Maler des ,Blauen Reiter,, die Rheinischen Expressionisten und Japan», in: Ausst.-Kat. Die Maler des «Blauen Reiter» und Japan, Schlossmuseum Murnau, 21.07. 06 .11.2011, S. 96-102, hier S. 99- 100; Myung -Seon Oh, Der Blaue Reiter und der Japonismus, Diss. , München 2006, S. 135-142. Vgl. Ausst. -Kat. Paul Klee and East Asia, Chiba City Museum of Art, 16.05.-21.06.2009; Sh izuoka Prefectural Museum of Art, 14.07.-30.08.2009; Yokosuka Museum of Art, 05.09.-18.10.2009. Angaben zum Katalog: Bei Klees Werken stehen nach dem Titel die Datierung sowie die Werk- und Sch lüsselnummern des CEuvrekataloges. Seit 1925 fügte er bei der Nummerierung seiner Werke versch lüsselte Nummern aus einer Kombination von Buchstaben und Zahlen auf dem Original hinzu.
II
Paul Klee und der «klassische» ] aponismus DER FERNE OSTEN
---" PAUL KLEE
Unter dem Begriff Japonismus versteht man heute allgemein das Interesse an japanischer Kultur und deren Einfluss auf die westliche Kunst Mitte des 19. Jahrhunderts bis nach der Jahrhundertwende. Die Öffnung des fernöstlichen Inselreichs 1854, aber auch die Teilnahme Japans an den Weltausstellungen in Paris , lösten zunächst in Frankreich eine grosse Begeisterung für die Kunst und das Kunstgewerbe dieses Landes aus. Insbesondere die Künstler des Impressionismus und Postimpressionismus sowie der Gruppe der Nabis setzten sich mit den Farbholzschnitten von Hokusai , Hiroshige, Utamaro u. a. auseinander. Dieser sogenannte klassische Japonismus erreichte rund 20 bis 30 Jahre später Deutschland, wo der Impuls, der von der Kunst Japans ausging, nicht so stark war wie zuvor in Frankreich. Friedrich Perzynski , einer der ersten Experten für asiatische Kunst in Deutschland , beschrieb 1903 die damalige Situation folgendermassen: «Der Japanismus 1 sei überwunden - wie oft ist dies gerade von deutschen Kunstschreibern in den letzten Jahren mit Genugthuung festgestellt worden. Und doch hat Deutschland am wenigsten Berechtigung, die japanische Mission nach Gutdünken als ein Kapitel zu überschlagen , das bereits der Geschichte angehört. Wenn wir verle itet werden , an den Werken unserer modernsten Kunst und unseres Kunstgewerbes den japanischen Einfluss zu übersehen , so liegt das daran, dass er sehr spät und aus zweiter Hand , also schon verarbeitet und verdünnt, zu uns gelangt ist. Von der Quelle selbst haben wir noch viel zu wenig abgeschöpft.» 2 Klee begann seine künstlerische Karriere zu einem Zeitpunkt, als die jungen Künstler in Deutschland, quasi auf Perzynskis Einschätzung reagierend , allmählich auf die japanische «Quelle selbst» aufmerksam wurden . Vor diesem Hintergrund schuf er zwischen 1900 und 1908 einige Werke, in denen die Einflüsse japanischer Farbholzschnitte (Ukiyo-e) sichtbar sin d. Ob ihm dabei tatsächlich ein original japanisches Werk als Vorbild diente, ist schwer nachweisbar; in seinen umfangreichen Tagebüchern und Briefen werden zumindest keine japanischen Künstler erwähnt. Trotzdem lässt sich die frühe Begegnung Klees mit fernöstlicher Kunst rekonstruieren: Auf seiner Italienreise besuchte er im April 1902 die «Jahresausstellung in der Galleria d'Arte Moderna» in Rom, in der neben den Arbeiten französischer Impressionisten und Aquarellen Auguste Rodins zahlreiche japanische Holzschnitte von Hokusai, Hiroshige oder Utamaro zu sehen waren .3 Zwei Jahre später besuchte Klee das Münchner Kupferstichkabinett, um die Arbeiten von Aubrey Beardsley zu studieren . Sein lapidarer Kommentar
14
darüber im Tagebu ch : «Der Stil japanisiert und gibt zu denken»4 ist aufschlussreich, da er beweist, dass Klee bereits Kenntnis über die japanische Kunst und den Japonismus besass. Dies ist insofern nicht verwunderlich, als gerade um 1900 in Deutsch land versch iedene reich illustrierte Bücher zu japanischer Kunst erschienen. 5 Im September 1906, frisch vermählt mit Lily Stumpf, zog Klee von Bern nach München. Der Klee -B iograf Erich Pfeiffer-Belli überliefert eine in unserem Kontext bemerkenswerte Anekdote aus dieser Zeit: «Im nobleren Vorderhaus wohnte Dr. jur. Emil Preetorius, der Graphiker und Ostasiensammler, der damals die ersten japanischen Holzsch nitte von hoher Qualität nach Hause brachte. Er erzählte dem Verfasser: ,Ab und zu kam aus dem Gartenhaus ein zierlicher junger Maler mit einem Spitzbart und schönen Augen, um bei mir die Sharakus und Harunobus zu betrachten . Das ,Abstrakte, - wie er es nannte - auf diesen sehr dekorativen und künstlerisch monumentalen Holzschnitten faszinierte ihn , und er meinte, ,dergleichen sollte man auch machen, nicht nachmachen .,» 6 Die Frage, ob es sich beim Begriff des «Abstrakte» um ein wörtliches Zitat handelt, lässt sich wohl indirekt durch folgende Passage aus Klees autobiografischem Text positiv beantworten: «1906 (Bern) Eine practisch bedeutsame Erl eichterung brachte mir die erstmalige Disciplin vor der Natur abstract zu gestalten (kleines Gartenbild und andere asiatisch gesehene Dinge).,/ Klee konnte ferner spätestens ab 1908 die umfangreiche Sammlung japanischer Holzschnitte des Verlegers Reinhard Piper besichtigen, der damals in der Nähe von Klees Wohnu ng lebte. Daru nter befanden sich auch die Hundert Ansichten des Berges Fuji von Hokusai .8 Pi per gründete 1904 den eigenen Verlag R. Pi per & Co, in dem von Julius Kurth 1910 die erste Sharaku-Monografie und ein Jahr darauf Der Japanische Holzschnitt. Ein Abriss seiner Geschichte erschienen. Klee besass die beiden Bücher und im zweiten gennanten Buch sind, wie wir sehen werden, die Werke Iris (S. 36) und eine Seite aus dem Hokusai Manga (S . 32) abgeb ildet, die Klee als Vorbilder für seine eigenen Arbeiten dienten.
Perzynski übernahm das Wort «Japa nismus» von Woldemar von Seidlitz , der 1899 den französischen 2
Begriff «Japonisme» germanisiert natte . Friedrich Perzynski, Der japanische Farbenholzschnitt. Seine Geschichte - sein Einfluss, Berlin 1903, S. 81.
3
Vgl. Paul Klee, Tagebücher 1898-1918, textkritische Neuedition, hrsg. von der Paul -Klee-Stiftung, Kunstmuseum Bern, bearb. von Wolfgang Kersten, Stuttgart und Teufen 1988, Nr. 397, S. 132; Vittorio Pica,
4
Paul Klee, Tagebücher 1898-1918, Nr. 578, 1904, S. 194.
«L.:esposizione di bianco e nero a Roma», in: Emporium, 16. Jg ., Juli 1902, S. 22-44. 5
Justus Brinckmann, Kunst und Handwerk in Japan, Berlin 1889; Japanischer Formenschatz, gesammelt von Siegfried Bing, Leipzig, 1888-1891; Woldemar von Seidlitz, Geschichte des japanischen Farbenholzschnitts, Dresden 1897; Friedrich Perzynski, Hokusai, Bielefeld und Berlin, 1904.
6
Erich Pfeiffer-Belli , Klee. Eine Bildbiographie, München 1964, S. 47.
7
Paul Klee, «Autobiographischer Text für Wilhelm Hausensteiri II », 1919, zit. nach: Paul Klee, Tagebücher 1898-1918, s. 513.
8
Vgl. Reinhard Piper, Mein Leben als Verleger. Vormittag - Nachmittag, München 1964, S. 207-208 .
15
..
Frühe Landschaftsbilder Paul K~es Im Spätsommer 1900 malte Klee als Auftragswerk eine Aarelandschaft auf einen fünfteili gen Wandschirm (S. 19). Die Maler des Impressionismus und Postimpressionismus benutzten den ostasiatischen Wandschirm vor allem als mobile Trennwand in grossräumigen Ateliers und schufen auch selber mehrteilige Kompositionen mit vertikaler Feldaufteilung. Um 1900 waren, unter dem Einfluss japanischer Kunst, zusammenfaltbare Wandschirme auch modische Requisiten für Jugendstildesigner. Klees Wandschirm ist ebenfalls beeinflusst von der neuen Stilrichtung des dekorativlyrischen Naturalismus eines Walter Leistikow oder Lud wig Dill. 1 Doch aus heutiger Sicht erscheint, wie Michael Baumgartner schreibt, «das Ensemble mit seinen gleichsam foto grafischen Perspektivwechseln und kontrastierenden Bewegu ngsrhythmen als höchst eigenwillige Komposition, die über die dekorativen Gestaltungsmuster des Jugendstils hinausweist [... ]» 2 In Klees Kompositionsweise der fünfteiligen Flusslandschaft erkannte Siegfried Wichmann als erster den Einfluss fernöstlicher Kunst: «Höhe bedeutet hier gleichzeitig Tiefe des Raumes, im Grunde Naturwiedergabe, die ostasiatischer Herkunft ist. Die Niedersicht gestattet den Einblick in die sich zwischen Hügeln windende Flusslandschaft und verm ittelt die Dinge gestaffelt im Landschaftsraum. »3 Einen vergleichbaren Landschaftsprospekt mit starker Aufsicht zeigt zum Beispiel das japanische sechsteilige Schirmpaar aus der frühen Edo-Zeit. Ansichten in und ausserha/b der Hauptstadt (S.
20
und
21).
Auffallend bei Klees Wandsc hirm ist die Diskontinuität der fünfteiligen Kompositions folge mit wechselnden Bli ckpunkten, aber auch die gestaffelte, hochformatige Raumdarstellung der einzelnen Fe lder. Eine Kombination der beiden Darstellungsweisen findet man etwa in Hokusais Landschaftsskizzen in seinem Manga (S. 18), in denen verschiedene Einzugsgebiete eines Flusses in unterschiedlichen Varianten und aus verschiedenen Perspektiven locker nebeneinandergesetzt werden. Klee malte 1906 erneut eine Aarelandschaft in Öl (S . 23) und bezog sich dabei auf den bekannten Holzschnitt von Hokusai Hodogaya aus der Serie 36 Ansichten des Berges
Fuji 4 (S.
22) .
Schon 20 Jahre zuvor hatte Paul Cezanne, inspiriert durch Hokusais Blatt, das
Gemälde Kastanienbäume im Jas de Bouffan (1885-1887), heute im Minneapolis Institute of Arts, geschaffen, in dem er den Berg Fuji durch den Mont Sainte-Victoire ersetzte. Die
16
bildparallele Baumreihe in Hokusais Lan dschaftsdarstellung strukturiert den Mittelgrund, der sich im Durchblick durch die Stämme in den fernen Hintergrund öffnet. Klee übernahm für seine Aarelandschaft das Kompositionssystem Hokusais und imitierte auch die ornamental wirkenden Baumkronen des Holzschnittes. Anders als Hoku sai verlieh er aber den grünen Ästen einen freien, luftigen Charakter. Ähnlich wie die bildparallele Baumreihe inspirierte das Gitterwerk, das für japanische Holzsc hnitte kompositorisch eine entscheidende Roll e spielt, Künstler wie Ed ouard Manet, Paul Gauguin oder Edouard Vuillard. Ein Verg leich zwischen dem Hinterglasbild belebter Platz vom Balcon aus, 1908, 62 (S. 25) mit Hiroshiges bekanntem Bl att Besucher des Tori-no-machi Marktes von Asakusa Tambo (S . 24) aus der Serie Hundert berühmte Ansichten von Edo zeigt, dass auch Klee versuchte, dieses Kompositionsprinzip zu nutzen. Die Struktur des Balkongitters schafft eine räumliche Zäsu r zwischen dem Vordergrund und dem entfernten Platz. Dam it löste sich Klee al lmählich vom akademischen System
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der Zentralperspektive und erfand eine neue, multiperspektivische und abstrakt-flächig .:,truRai;~' bildneri sche Räumlichkeit.
2 3 4
Vgl. Marcel Franciscono , «Paul Klee um die Jahrhundertwende», in: Ausst.-Kat. Paul Klee. Das Frühwerk 1883-1922, Städtische Galerie im Lenbachhaus, München, 12.12.1979- 02.03.1980, S. 34-62, hier S. 41. Zentrum Paul Klee (Hrsg.), Paul Klee. Leben und Werk, Ostfildern 2012, S. 36. Siegfried Wichmann, Japonismus. Ostasien - Europa. Begegnungen in der Kunst des 19. und 20. Jahrhunderts, Herrsching 1980, S. 157. Hodogaya ist in Friedrich Perzynskis Buch Der japanische Farbenholzschnitt (Berlin 1903) farbig abgebildet.
17
/
Katsushika Hokusai Minister Töru, 1833-1835 Katsushika Hokusai Hokusai Manga, Band 15, Japan, 1878
18
/
Paul Klee Ohne Titel (Aarelandschaft), 1900
Anonym , Kanö- Schule Ansichten in und ausserhalb der Hauptstadt, zweiteiliger Stellschirm, 17. Jh. 20
21
Katsushika Hokusai Hodogaya an der Tökaidö-Strasse, um 1831 22
Paul Klee Ohne Titel (Partie in der Elfenau), um 1906
23
Utagawa Hiroshige Besucher des Tori-no-machi Marktes von Asakusa Tambo, Japan , 1857
Paul Klee belebter Platz vom Balcon aus, 1908, 62
Von japanischen Holzschninen inspirierte Darstellungen von Fischen Im Jahr 1901 schuf Klee vier Fischbilder (S. 27 und 29), die zunächst sowohl stilistisch wie auch thematisch an die Illustrationen der damals beliebten Witzblätter wie Jugend oder Simplicissimus erinn ern. Der Fischdarstellung Klees am nächsten steht die Federzeichnung Fantastische Tier-Köpfe von Paul Bürck, die im gleichen Jahr im Buch zur ersten Ausstellung der Künstlerkolonie in Darmstadt abgebildet war (S . 27 o.). 1 Klee übernahm vermutlich die Idee der physiognomischen Darstellung von Bürcks Fischen, die ihrerseits wahrscheinlich auf ein Hokusai Manga zurückgehen (S. 28). Der japanische Meister ordnete die verschiedenen leicht vermenschlichten Fischarten im engen Raum der Papierfläche auf eine Weise an, dass sie kreisend im Wasser zu schwimmen sc heinen. Interessanterweise umzog Klee, ähnlich wie im Hokusai Manga (S. 28), jedes Blatt entlang den Ränd ern mit der Feder, um das Bildfeld zu definieren. Dies könnte ein Indiz dafür sein, dass er die japanische Quelle womöglich von Bürcks Illustration her kannte. Auffällig ist bei Klee ferner die raffinierte Behandlung der leeren Räume, in denen die Fische, wie in einer Momentaufnahme, in der Bewegung erstarren. Dazu schreibt Marcel Franciscono treffend: «Die kühne, dezentralisierte Gestaltung mit Formen, die gegen ausgedehnte Flächen leeren Papiers das Gleichgewicht halten, findet sich im deutschen Jugendstil nicht oft. Von der Komposition, wenn schon nicht vom Ausdruck her gehören sie daher weniger in den Münchner Lokalzusammenhang als zum Bereich des Qualitätsvollsten europäischer Formgestaltung. Neben Bonnards Lithografien , Klimts Plakat und Titelseite für