109 25 50MB
German Pages 379 [384] Year 1973
ECKHART SEIFERT
Paul Joseph Riegger (1705·1775)
Schriften zur Rechtsgeschichte Heft 5
Paul Joseph Riegger (1705-1775) Ein Beitrag zur theoretischen Grundlegung des josephinischen Staatskirchenrechts
Von
Dr. Eckhart Seifert
DUNCKER & HUMBLOT / ßERLIN
Alle Rechte vorbehalten & Humblot, Berlin 41 Gedruckt 1973 bei Buchdruckerei Alb. Sayffaerth, Berlin 61 Printed In Germany
© 1973 Duncker
ISBN 3428 02757 4 021
Vorwort Diese Arbeit entstand aus dem Gedanken, daß sich die Forschung bisher kaum mit den süddeutschen katholischen Vertretern der Naturrechtslehre im 18. Jahrhundert befaßt hat. So lag es nahe, sich dem Leben und Werk Paul Joseph Rieggers (1705 - 1775) zuzuwenden, dem Mann, der als Kirchenrechtslehrer zur Zeit Maria Theresias in Wien die Lehre vom Verhältnis von Kirche und Staat auf naturrechtlicher Grundlage theoretisch neu begründete und damit die Voraussetzung für die Praxis des Josephinismus schuf. In Paul Joseph Riegger vereinigen sich viele Aspekte: er war zeitlebens akademischer Lehrer, gestaltete die Geschichte und Reform der Universitäten Innsbruck und Wien im 18. Jahrhundert mit, nahm teil am Versuch, adelige Ritterakademien als Lehrstätten fruchtbar zu machen, war selbst Mitglied wissenschaftlicher Akademien. Seine Nebentätigkeiten als Gutachter der Innsbrucker Juristenfakultät, als Bücherzensor und als Hofrat der böhmisch-österreichischen Hofkanzlei in Wien runden das Bild seiner Persönlichkeit ab. Die Arbeit lag im Wintersemester 1971/72 dem Fachbereich Rechtswissenschaft der Universität Tübingen als Dissertation vor. Die Anregung zu ihr verdanke ich Herrn Prof. Dr. iur. Ferdinand Elsener. Er hat sie mit Rat und Tat in mancherlei Hinsicht gefördert, wie ich bei ihm überhaupt den Eros wissenschaftlichen Bemühens in all seinen Formen kennengelernt habe. Den gleichen aufrichtigen Dank bekenne ich Herrn Prof. Dr. iur. can. Johannes Neumann, dem derzeitigen Rektor der Eberhard-Karls-Universität zu Tübingen, der mir ein echter, stets hilfsbereiter und verständnisvoller Lehrer des Kirchenrechts war. Ihm verdanke ich die theologische Dimension meines Rechtsdenkens. Die Arbeit wäre in dieser Form nicht zustande gekommen ohne die Hilfe zahlreicher Archive. Sie ist von deren Auskunftsbereitschaft schlechthin abhängig. Mein besonderer Dank gilt den Herren des Landesregierungsarchivs Innsbruck, die meine ersten Gehversuche in einem Archiv mit stützenden Handreichungen begleiteten. Dies soll jedoch meinen Dank den übrigen Archiven gegenüber nicht mindern. Ich weiß mich zum Dank verpflichtet den Damen und Herren des Dompfarrarchivs Unser Lieben Frauen, des Stadtarchivs und des Universitätsarchivs in Freiburg im Breisgau; des Pfarrarchivs St. Jakob, des Museum
6
Vorwort
Ferdinandeum und des Universitätsarchivs in Innsbruck; des Badischen Generallandesarchivs in Karlsruhe; des Archivs der Accademia degli Agiati in Rovereto; des Dompfarrarchivs St. Stephan, des Allgemeinen Verwaltungsarchivs, des Haus-, Hof- und Staatsarchivs, des Hofkammerarchivs, des Stadtarchivs und des Universitätsarchivs in Wien. Herrn Prof. Dr. Otto Bachof danke ich für die Vermittlung der Drucklegung dieser Arbeit, Herrn Ministerialrat a. D. Dr. J. Broermann für die übernahme und die Betreuung in seinem Verlag. Die Korrektur des Manuskriptes und das Personenverzeichnis besorgte in treuer Mitarbeit Frau Heide John. Ihr sei ganz herzlich gedankt. Zu guter Letzt danke ich Fräulein Angela Heilmann für die Zeit und Mühe, die sie der Korrektur der Druckfahnen geopfert hat. Tübingen, im Juni 1972
Eckhart Seifert
Inhal tsverzeichnis Einleitung 13
I. Der J osephinismus 11. Paul Joseph Riegger ............................................
23
1. Hauptteil
Paul Joseph Riegger 1. Kapitel
Paul Joseph Rieggers Werdegang ..................................................... ,
31
II. Schulausbildung ................................................
I. Herkunft
32
111. Philosophiestudium
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..
34
IV. Juristische Ausbildung .... . ....... . ..... . .............. . ........
38
Studium ...... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. Examen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Praktische Tätigkeit .................. . ...................... , Lizentiat ................... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Rechtsstudium in Leiden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. Promotion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..
38 41 41 41 41 42
1. 2. 3. 4. 5. 6.
2. Kapitel
Paul J oseph Riegger in Innsbruck ......................................
44
11. Rieggers Berufung .................................... . . . ..... . .
I. Die Universität Innsbruck
46
111. Beginn der Lehrtätigkeit ................. . ......................
53
IV. Studienreform von 1734 ... .. .. .. .. . . . .. .. . .. . . . . . . .. . . .. .. .. .. ...
56
Reform der Lehrstühle .' .. ,.................................. Studiendauer .......................... 0.. • . • ... • . . • • • • . . . • • • • • • • • • • Kirchenrechtsfrage ... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. Diktierverbot ................................................ Bedenken und Vorschlag der Fakultät........................ Rieggers Verhältnis zur Reform. . . . . . . .. .. . . . . .. .... ... ... . ..
56 57 57 58 59 62
1. 2. 3. 4. 5. 6.
Inhaltsverzeichnis
8
V. Reform des Philosophiestudiums ......... . ............ .... . . ... .
63
1. Inhalt der Reform .................................... . .... . . .
63 66
2. Rieggers Haltung VI. Die Kanonistenfrage ....... . ................................... .
68
VII. Das juristische Studium nach 1735 ........... . ................. . . .
72
1. Lage des Jus publicum . . . . . ....... . .......... . . . ....... ... . . . .
Studienplan von 1740 ................... . . . . . .......... . .. . . . Händel in der Juristischen Fakultät ...... . ....... . .. . .. . .... . Generalgutachten von 1741 ........................ . .......... . Streit in der Juristischen Fakultät ........ . ........... . .... . . .
72 76 78 82 86
VIII. Universitätsreform von 1747/48 . ........................ . ....... .
89
2. 3. 4. 5.
1. Verwaltungsreform ................. .. .. . .................. . .
89 2. Studentenunruhen ................................. . ....... . 90 3. Universitätsreform ......................................... . 91 4. Rieggers Mitwir~ung und Abschluß der Reform ... ... ...... . . 94 IX. Rieggers Verhältnis zur Universität Innsbruck ........ .... .. . . . . 1. Verhältnis zu den Kollegen . . . . . . . . .... . .. . ................ . . . .
2. 3. 4. 5.
Ausübung des Rektorats ............................. . ....... . Ausübung des Dekanats ............. . ................... . ... . Amt des Bücherzensors .............. . ...................... . Rieggers Konsultentätigkeit ................................. . a) Konsultentätigkeit der Juristischen Fakultät .......... . . . .. . b) Einzelne Konsulten Rieggers ............................. . 6. Rieggers Schüler in Innsbruck ............................... .
96 96 97 98 99 100 100 104 107
X. Rieggers wissenschaftliches Werk in Innsbruck .................. 109 1. Dissertatio de ordine equestri teutonico ......... .. ........... 2. Systema Jurisprudentiae Naturalis . ................. . . . . . ... 3. Systeme der Reichsgeschichte ....... . .................... . ... 4. Dissertationen aus dem Staatsrecht ................... . ......
109 109 111 112
XI. Rieggers Familie ................................................ 112 XII. Rieggers Mitgliedschaft in wissenschaftlichen Akademien ..... . .. 114 1. Academia Taxiana .. .. .............. .. ...................... 114 2. Academia degli Agiati ............ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 119 3. Bayerische Akademie der Wissenschaften .................... 120
XIII. Rieggers Weggang aus Innsbruck ........................... . .... 1,22 XIV. Beurteilung von Rieggers Wirken in Innsbruck .. . ............... 123 3. Kapitel
Paul Joseph Riegger in Wien I. Tätigkeit an Adelsakademien .................................... 126 1. Savoyische Ritterakademie
..... . ... . . . .... .. .... . ...... . .. . . 126 a) Gründung der Akademie ... . ..... . ........................ 126
Inhaltsverzeichnis b) c) d) e) f)
Berufung Rieggers ........................................ Juristisches Studium und Rieggers Lehrtätigkeit .......... Vereinigung mit dem Theresianum ........................ Rieggers Studienreform ........................... . ...... Aufgabe der Lehrtätigkeit und Übernahme der Studienleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 2. Collegium Theresianum ..... ......... . . . .................... a) Gründung . .. ..... . ..... ... .... . .... . . . .. . .... .... ... . .... b) Studiengang . ........... . ............ . . . . . . . . . ...... ...... c) Reform der Anstaltsleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. d) Eintritt Rieggers ... ..... ........................... . ...... e) Vereinigung mit der Savoyischen Ritterakademie .. . . .. . ... H. Rieggers Wirken an der Universität Wien 1. Das juristische Studium
2. Die Reform von 1752/53 a) Verwaltungsreform ...................................... b) Reformvorschlag der Universität ... . . . ................... c) Durchführung der Reform ......................... . . . ... d) Berufung der Professoren. . . . .. . . . . . . .. ........ 3. Studienplan von 1753 . . ...... . ....... . ..... .... . . ....... .. 4. Instruktionen für die Professoren ............... . . . .......... 5. Studienverlauf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 6. Wertung der Reform ....... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 7. Rieggers Schüler in Wien . . ... .. ...... ...... 8. Niedergang des Studiums . ...... . . .. ........... . . . . ........ 9. Rieggers Emeritierung . . . . . .. . . ... . ....... . ....... ..... 10. Reform von 1774 . .............. . . . .... . ............ .. . . .... a) Verdrängung der Jesuiten ................................... b) Reform des juristischen Studiums ...................... . ... 11. Der Lehrbuchstreit ... .. . . . .. ..................... . .......... a) Das System des vorgeschriebenen Lehrbuchs ............. . b) Vorschrift der Rieggerschen Institutionen und der Rautenstrauchschen Thesen .. ................... . ................ c) Der Kampf um Rieggers Lehrbuch .................. . . .... d) Versuche Eybels ....................... . .................
9 127 128 130 130 132 134 134 135 137 137 139 139 139 142 142 143 144 145 149 151 153 158 161 165 166 167 167 170 174 174 175 177 181
IH. Rieggers Verhältnis zur Hofkanzlei ...... . . . ............. . ....... 184 1. Ernennung zum Hofrat und Einsatz ... ...... . .. . ...... . ...... 2. Einzelne Tätigkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. a) Gutachten wegen der Quinquennalsubsidien des ungarischen Klerus .................................................. b) Gutachten zur Pfarrumlegung in Ungarn .................. c) Gutachten zum Eigentumserwerb von Ordensgemeinschaften d) Gutachten zur Verminderung kirchlicher Feiertage ...... . ...
184 186 186 189 190 191
IV. Riegger als Bücherzensor .. .. ............. .. ..................... 193 V. Rieggers Stellung und Einfluß in Wien .... . ..................... 195 VI. Rieggers wissenschaftliches Werk in Wien .. . . .. .................. 200 1. Geschichtswerke
200 a) Historia Imperii .... . .... . ........ . ....................... 200 b) Delineatio Historiae Germaniae ... .. ......... . . . ........... 201
10
Inhaltsverzeichnis 2. Gesetzessammlungen .... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. a) Corpus iuris ecclesiastici academicum tripartiturn .......... b) Corpus iuris publici et ecclesiastici Germaniae .............. c) Corpus iuris ecclesiastici Austriaci ........................ d) Corpus iuris ecclesiastici Bohemici et Austriaci . . . . . . . . . . . . .. e) Specimen corporis iurisprudentiae ecclesiasticae regni Hungariae . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 3. Abhandlungen über die Kirchenrechtsquellensammlungen .... a) Exercitatio de collectionibus iuris ecclesiastici antiqui seu ante-Gratianei . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. b) Dissertatio de Decreto Gratiani ............................ c) Dissertatio de origine iuris ecclesiastici eiusque variis collectionibus harumque usu et auctoritate ...................... 4. Schriften zum Geltungsgrund des Kirchenrechts .............. a) Exercitatio de iuris ecclesiastici origine, natura et principiis b) Exercitatio de Scriptura Sacra ............................ c) Dissertatio de traditione .................................. d) Exercitatio de conciliis .................................... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. e) Gesamtausgaben 5. Dissertationen zu Einzelfragen .............................. .. a) Dissertatio de sensu sexti Canonis Nicaeni ................ b) Vom Rechte des Landesfürsten, die geistlichen Personen und Güter zu besteuern ........................................ c) Dissertatio de magia ...................................... d) Dissertatio de poenitentiis et poenis ecclesiasticis .......... 6. Institutiones iurisprudentiae ecclesiasticae .................... 7. Principia iuris ecclesiastici Germaniae ........................ 8. Elementa iuris ecclesiastici .................................. 9. Riegger als Herausgeber ........ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..
VII. Rieggers Adelserhebung
202 202 204 204 205 205 207 207 208 209 210 210 211 212 212 214 215 215 216 217 217 218 221 223 223 225
VIII. Rieggers Tod
226
1. Nachlaß .................................................... 226 2. Gedenkreden ................................................ 228
2. Hau p t teil
Das Verhältnis von Kirdle und Staat nam Paul Joseph Riegger 1. Kapitel
Begründung von Religion und Kirche I. Begründung in der Natur
231
1. Natürliche Religion ....................................... :.. 231 2. Natürliche Kirche ............................................ 234
11. Begründung in der Offenbarung ................................ 235 1. Notwendigkeit einer Offenbarungsreligion .................... 235 2. Christliche Offenbarung ...................................... 237 3. Christliche Kirche ............................................ 240
Inhaltsverzeichnis
11
2. Kapitel
Begründung des Staates
243
3. Kapitel
Das Verhältnis von Kirche und Staat I. Unterscheidung von Kirche und Staat ............................ 246
II. Trennung von Kirchen- und Staatsgewalt ........................ 247 III. Verhältnis von Kirchen- und Staatsgewalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 249 1. Gleichordnung beider Gewalten .............................. 249 2. Ablehnung einer dependentia directa des Staates von der Kirche 250
3. Ablehnung einer dependentia indirecta des Staates von der Kirche ...................................................... 252 4. Die Aufteilung der Zuordnungsbereiche ...................... 257 5. Die Durchsetzung der Gewalten .............................. 262 4. Kapitel
Die Ausformung des Verhältnisses von Kirche und Staat I.
des Staates in Kirchensachen
264
II. Einwirkungen des Staates in Kirchensachen
268
Mitwir~ungen
1. Generalklausei .............................................. 268 2. Allgemeine Einwirkungsrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 269 3. Besondere Eingriffsrechte ...... ';. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 272 a) Personenrecht ......... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 272 b) Vermögensrecht .......................................... 274 c) Verwaltungs- und Prozeßrecht ............................ 275 d) Strafrecht ................................................ 277 e) Toleranzgewährung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 278
III. Staatliches Recht mit Rückwirkungen auf kirchliche Belange ...... 279 1. Grundlegung des Problems .................................. 279 2. Einzelne Sachfragen ....................................... . .. 280 a) Gerichtszuständigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 280 b) Exemtion der Geistlichkeit ................................ 281 c) Benefizienverleihung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 283 d) Vertragsrecht ............................................ 283
e) f) g) h)
Vermögenszuweisung .................................... Testamentsrecht .......................................... Zehntrecht .............................................. Patronatsrecht ............................................ i) Asylrecht ................................................ k) Steuerfreiheit des Klerus .................................. 1) Eherecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. m) Strafrecht ................................................
284
284 285 287 287 289 290 294
12
Inhaltsverzeichnis 5. Kapitel
Rieggers System des Staatskirchenrechts I. Rieggers Argumentationsgrundlagen
............................ 298
1. Vernunft und Naturrecht .................................... 2. Offenbarung und göttliches Recht ............................ 3. Tradition und Kirchenväter .................................. 4. Das positive Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. a) Grundlegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. b) Kirchliches Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. c) Staatliches Recht .......................................... 5. Die Geschichte .............................................. 6. Weitere Hilfsmittel ..........................................
298 302 306 308 308 309 310 312 316
11. Die von Riegger benutzte Literatur .............................. 318 1. Rieggers Autoritäten
........................................ 318 2. Rieggers Verhältnis zur protestantischen Literatur ............ 324
111. Rieggers Methode
325
1. Die Grundlagen .............................................. 325
2. Anwendung in der Auseinandersetzung mit abweichenden Literaturansichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 327 3. Das formale System .......................................... 330 IV. Rieggers Lösungsmodelle ........................................ 333 1. Das lTnterscheidungssystem .................................. a) Die gegenseitige lTnabhängigkeit von Staat und Kirche. . . . .. b) Die Aufspaltung des Problems in seinen staatlichen und kirchlichen Bezug ................................ . . . . . . .. 2. Staatliche Eingriffstitel in Generalklauseln .................... a) Der Staat als defensor populi .............................. b) Der Staat als advocatus ecclesiae .......................... 3. Zugeständnisse an die Praxis ................................ a) Annahme von Privilegierungen ............................ b) Geltung kirchlicher Regelungen im Staatsbereich ............ c) Sonderstellung des Fürsten ................................
333 333 334 337 337 338 339 339 342 343
Schlußbemerkung
345
Abkürzungsverzeicbnis
351
Arcbivalien- zugleicb Siglenverzeicbnis ................................ 352 Verzeichnis der Werke Paul Joseph Rieggers .......................... 355 Literaturverzeichnis
.................................................. 358
Personenregister . ............... , ...................................... 374
Einleitung I. Der Josephinismus "Es wird niemandem einfallen, die Aufklärungszeit kanonisieren zu wollen; sie wirft, wie mehr oder weniger jede Epoche, ihre starken Schatten. Aber sie hat auch das Verdienst, auf vieles, was veraltet und der Besserung bedürftig war, hingewiesen und den Kampf dagegen aufgenommen zu haben; sie war das Durchgangsstadium zu einer neuen Zeit. Die Aufklärung hat ihr gerüttelt Maß von Fehlern; aber so abgrundtief schlecht, wie man sie gemacht hat, ist sie nicht gewesen." Mit diesem Schlußsatz seines Vortrags auf dem Internationalen Kongreß für historische Wissenschaften zu Berlin am 12. August 1908 1 leitete Sebastian Merkle eine neue Epoche der Forschung zur kirchlichen Aufklärung des 18. Jahrhunderts, besonders zum Josephinismus 2 ein. Die nach ihm einsetzenden Kontroversen zeigen, daß Merkles Anliegen, das ungünstige katholische Urteil über die Aufklärung einer neuen Prüfung zu unterziehen, notwendig und gerechtfertigt war. So wie die Aufklärung selbst von sich überzeugt war und sich gepriesen hatte, so war sie nie dem Tadel der katholischen Kirche entgangen. Der einseitige Vernunftglaube war der Kirche immer verdächtig, das entsprechende rationale Naturrecht stets ein Ärgernis 3 , die aufgeklärten Maßnahmen des Zeitalters ein Stein des Anstoßes. Zwei gegensätzliche Beurteilungen standen sich antagonistisch gegenüber und hielten sich die Waage. Dieses Gleichgewicht mußte sich zu dem Zeitpunkt ändern, da die Aufklärung sich selbst überlebte, ihr Gewicht verlor, die Kirche ihr lastendes Verdammungsurteil aber aufrecht erhielt und sogar die Möglichkeit bekam, es ungehindert von einem Gegengewicht monopolartig zu verkünden. 1 Der Vortrag wurde gedruckt : S. Merkle, Die katholische Beurteilung des Aufklärungszeitalters, 1909. Zitat : S. 78. Eine knappe Zusammenfassung der katholischen Bewertung der Aufklärung bietet G. Schwaiger, Die Aufklärung in katholischer Sicht, in: Concilium 3 (1967) 559 - 567. 2 Die bisher vollständigste Bibliographie zum Josephinismus findet sich bei F. Dörrer, Der Schriftverkehr zwischen dem päpstlichen Staatssekretariat und der Apostolischen Nuntiatur Wien in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts, in: Römische Historische Mitteilungen 4 (1960/61) 63 - 246, hier: 227 - 237. 3 Vgl. etwa die Darstellung der zeitgenössischen katholischen Opposition gegen das protestantische Naturrecht von K. Werner, Geschichte der katholischen Theologie seit dem Trienter Concil bis zur Gegenwart, 1866, S. 149 ff.
14
Einleitung
Ein erster Umschwung kündigte sich in der Publizistik um 1848/50 an. Als Beispiel mag das literarische Bemühen von Ignaz Beidtel stehen4 • Anlaß seiner Tätigkeit waren die Reformideen von 1848, die der katholischen Kirche eine größere Freiheit und damit die Möglichkeit gaben, ihre Bedürfnisse im Gegenstoß zum (Spät-)Josephinismus geltend zu machen 5 • So ist Beidtel in der Lage, sich gegen die alte österreichische staatliche Kirchenpolitik zu wenden. Bezeichnend ist, daß Beidtel, nachdem sein Werk in mehrfachen früheren Versuchen die staatliche Zensur nicht passiert hatte6 , sich nunmehr dies offen erklärend dem System der römischen Kirche unterordnen7 und schließen kann mit dem Satz: "Es ist gezeigt worden, daß das, was die Revolution im Punkte der Kirchenfreiheit der Katholiken proclamirt, gerade dasjenige ist, was die Kirche längst wünschte ...8." Mit der Kirchenfreiheit hat Beidtel den Gesichtspunkt genannt, der seither fast durchweg die Stellungnahmen im Prozeß der angeklagten Aufklärung beherrscht. Die Anwälte der Anklage werfen dem aufklärerischen Staat, insbesondere dem josephinischen Österreich vor, er habe die Kirche zu ihrem Schaden unterdrückt; die Verteidiger erwidern, die Kirche selbst habe sich der Aufklärung als Mittel zur Reform bedient, die Neuordnung ihres Verhältnisses zum Staate, auch und insbesondere zu Österreich, habe letztlich in ihrem kirchlichen Sinne gelegen und für die Kirche nutzbringende Früchte getragen. Zunächst freilich überwog die Anklage. Zu ihrem Hauptvertreter wurde Sebastian Brunner9 , der sich als liberaler Katholik fühlte, wobei er seinen Liberalismus dahin verstand, uneingeschränkt zugunsten der katholischen Kirche wirken zu können. Er bemüht sich, die Wertung Josephs H. als Liberalen umzustoßen lO und den Josephinismus als Unterdrückung der Kirche darzustellenl l • Als bedauerlich stellt er fest, daß auch große Teile der kirchlichen Amtsträger keinen Widerstand geleistet hätten, zu Josephs I!. Zeiten seien sogar alle willfährig gewesen l2 • Aber 4 I. Beidtel, Untersuchung über die kirchlichen Zustände in den Kaiserlich Österreichischen Staaten, die Art ihrer Entstehung und die in Ansehung dieser Zustände wünschenswerten Refonnen, 1849. DeTS., Das canonische Recht, betrachtet aus dem Standpunkte des Staatsrechts, der Politik, des allgemeinen Gesellschaftsrechts und der seit dem Jahre 1848 entstandenen Staatsverhältnisse, 1849. 5 I. Beidtel, Untersuchung ... S. 1. S I. Beidtel, Das canonische Recht ... S. V. 7 I. Beidtel, Das canonische Recht ... S. VIII. a I. Beidtel, Das canonische Recht ... S. 675. 9 S. Brunner, Die theologische Dienerschaft am Hofe Josephs II., 1868. Ders., Die Mysterien der Aufklärung in Oesterreich 1770 - 1800, 1869. Ders., Joseph II. als absoluter Beherrscher seiner Länder, 1892. Ders., Joseph II. als Kirchenrefonnator, 1893. 10 S. Brunner, Joseph II. als absoluter Beherrscher seiner Länder, S. 32. 11 S. Brunner, Joseph II. als absoluter Beherrscher seiner Länder, S. 62. U S. Brunner, Joseph II. als Kirchenrefonnator, S. 381 ff. Vgl. ferner ders., Die theologische Dienerschaft ... S. 315, 324.
I. Der J osephinismus
15
nicht nur, daß er die geringe Widerstandskraft der Vertreter der Kirche beklagt, Brunner findet ganz konkrete Urheber der Unterdrückung der Kirche, nämlich die Freimaurer13 • Er will zeigen, "wie das ganze Drama von den Logen in Scene gesetzt wurde"14. In Ernst Tomek findet er einen späten Nachfolger 15 • Brunners Vorwürfe richten sich dabei gegen benennbare und benannte Personen, besonders gegen Gerhard Van Swieten, Joseph von Sonnenfels und deren Umkreis 16 • Hat Brunner so den Streit um die Bewertung des Josephinismus personalisiert, so wendet sich Heinrich Brück, freilich ohne vom Personenhintergrund zu abstrahieren, einer generellen Beurteilung zu und findet die Wurzel allen staatskirchlichen übels der Aufklärung in ihrem verderblichen Rationalismus 17 • Ihm erwuchs ein freilich vorwiegend tagespolitisch ausgerichteter Gegner in atto Mejer. Hatte gerade das 1. Vatikanum den Stab über die episkopalistischen Ideen des 18. Jahrhunderts, die sich nicht nur zufällig mit der Aufklärung und dem Josephinismus verbündet hatten, gebrochen, so unternahm es Mejer, die Ehre des Febronianismus zu retten 18• Vor allem bejaht er auch die Trennung von Kirche und Staat, da er es für eine unwürdige Stellung des Staates hält, von katholischen Majoritäten in ultramontanistischem Sinne beherrscht zu werden 19 • Vielleicht war es gerade die AußenseitersteIlung Mejers als Protestanten und Staatsrechtler, welche die katholische Seite von einer Neuwertung der Aufklärung und ihrer Tendenzen sich zurückhalten ließ. Aus der folgenden Zeit ist vor allem Albert Jäger zu nennen, der entschieden die Kirchenfeindschaft der Aufklärung vertritt, dabei aber auch die historische Perspektive öffnet, den Zeitraum des Josephinismus in die Geschichte zurück erweitert20 • Schon vor ihm war allenthalben die Zeit Maria Theresias in die überlegungen einbezogen worden, doch Jäger zeigt, daß aufklärerisch-josephinische Ideen bereits unter 18 S. Brunner, Die Mysterien der Aufklärung ... passim. Ders., Joseph H. als absoluter Beherrscher seiner Länder ... S. 33 H., 37 ff. Ders., Joseph II. als Kirchenreformator, S. 406. 14 S. Brunner, Die Mysterien der Aufklärung ... S. IX. 15 E. Tomek, Kirchengeschichte Österreichs, 1959, Bd. III, S. 209. 18 S. Brunner, Die Mysterien der Aufklärung ... S. 54 ff. Ders., Joseph II. als absoluter Beherrscher seiner Länder, S. 45 f. 17 H. BTÜck, Die rationalistischen Bestrebungen in Deutschland, besonders in den drei rheinischen Erzbisthümern in der zweiten Hälfte des achtzehnten Jahrhunderts, 1865, S. 11 ff. 18 O. Mejer, Zur Geschichte der römisch-deutschen Frage, 21885. Ders., Febronius. Weihbischof Johann Nicolaus von Hontheim und sein Widerruf,
1880. 18 O. Mejer, Zur Geschichte der römisch-deutschen Frage, Bd. I, Vorwort S. VIIf.
20 A. Jäger, Das Eindringen des modernen kirchenfeindlichen Zeitgeistes in Österreich unter Karl VI. und Maria Theresia, in: ZKTh 2 (1878) 259 - 311;
417 - 472.
16
Einleitung
Karl VI. zum Durchbruch kamen. Jäger nennt etwa das Problem der praktischen Toleranz von Protestanten, die Einführung des Naturrechts an den Universitäten, aber auch die ersten größeren Reibereien der Staatsgewalt mit den Jesuiten21 • Von hier war es nicht mehr weit, jede Form des Staatskirchentums als J osephinismus zu bezeichnen und damit den Beginn josephinischer Ideen über Joseph I. (t 1711)22 bis zu Ferdinand I. (t 1564)23 oder gar bis zu Albrecht 11. (t 1439)24 zurückzuverlegen. Erst die jüngste Forschung hat dem Begriff des Josephinismus wieder engere historische Grenzen gezogen, und zwar hat FridoZin Dörrer die 60er Jahre des 18. Jahrhunderts als Beginn des Frühjosephinismus unter Maria Theresia vorgeschlagen25 . Dieser Vorschlag wurde von Ferdinand Maaß bestätigt, der die Einrichtung der "Giunta Economale" für die Lombardei durch Maria Theresia und Kaunitz im Jahre 1768 zum Stichereignis nimmt 26 . Seither ist unbestritten, daß Joseph H. vielfach an Maßnahmen Maria Theresias anknüpfen konnte. Der Zeitpunkt der 1760er Jahre ist in die allgemeinen Geschichtswerke eingegangen27 . Schienen so, von der peripheren Ausnahme Mejers abgesehen, die Reihen der Ankläger der Aufklärung im allgemeinen und des Josephinismus im besonderen fest geschlossen, so bahnte sich zu Beginn des 20. Jahrhunderts ein Wandel an. Zunächst stellte Adolf Rösch noch einmal sämtliche Anklagepunkte zusammen, und zwar unter einem wissenschaftsgeschichtlichen Gesichtspunkt 28 . Er verbleibt so auf einer etwas theoretischen Ebene. Zwei auf die josephinische Praxis bezogene Arbeiten stoßen an ihm vorbei und lassen aufhorchen. Fritz Geier bewertet die kirchlichen Reformen Josephs H. nicht mehr ausschließlich negativ29 . 21 A. Jäger, a.a.O., S. 262 ff., 268 ff., 270 ff. H. Kühnel, Staat und Kirche in den Jahren 1700 -1740, 1951, setzt ebenfalls den Anfang des 18. Jahrhunderts als Beginn der Aufklärung in Österreich an, doch ist sein Werk im übrigen unergiebig, da es vorzugsweise niederösterreichische Lokalgeschichte betreibt und so entgegen dem Titel keine grundlegenden allgemeinen Thesen aufstellt. 22 H. Benedikt, Der Josephinismus vor Joseph II., in: Österreich und Europa. Festgabe für Hugo Hantsch zum 70. Geburtstag, 1965, S. 183 - 201 (183). 23 H. Srbik, Die Beziehungen von Staat und Kirche in Oesterreich während des Mittelalters, 1904, S. 224. 24 J. Wodka, Kirche in österreich, 1959, S. 287 ff. 25 F. Dörrer, Römische Stimmen zum Frühjosephinismus, in: MIöG 63 (1955)
460 - 483 (465). 28 F. Maaß, Der Josephinismus, 1951 - 1961, Bd. I, S. XXI, 72 ff., 80 ff. Ihm folgt auch in diesem Datum H. Rieser, Der Geist des Josephinismus und sein Fortleben, 1963, S. 31. 27 E. Zöllner, Geschichte österreichs, 1961, S. 315 f., 321 f. H. Hantsch, Die Geschichte Österreichs, 21953, Bd. II, S. 229 ff. E. Tomek, Kirchengeschichte österreichs, Bd. III, S. 224 ff. 28 A. Rösch, Das Kirchenrecht im Zeitalter der Aufklärung, in: AfkKR 83 (1903) 446 - 482; 620 - 652; 84 (1904) 56 - 82; 244 - 262; 495 - 526; 85 (1905) 29 - 63. 29 F. Geier, Die Durchführung der kirchlichen Reformen Josephs II. im vorderösterreichischen Breisgau, 1905, passim.
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Den Fehdehandschuh hätte aber eigentlich die Wertung der josephinischen Bistums-, Pfarr- und Klosterregulierung von R. J. KuSej bedeuten müssen. Er urteilt: "In der Geschichte wird die kirchliche Verfassungsreform ein bleibendes Gedenkblatt für die Verdienste Josephs um die Kirche bilden30 ." Indessen bedurfte es noch der eingangs erwähnten aufsehenerregenden Rede und der Autorität Sebastian Merkles, um die Glut zu entfachen. Gegen ihn erhob sich Adol! Rösch, der nach wie vor an seiner Beurteilung, besser Verurteilung der Aufklärung im Anschluß an Sebastian Brunner und Heinrich BTÜck festhieUS 1 • Sehr viel gewichtiger war der Angriff Johann Baptist Sägmüllers, der Merkle auf seinem eigenen Feld zu schlagen versuchte 3!. Dem häufig mehr als heiß geführten Kampfe - nur die Spitze des Eisbergs, eben Merkle und Sägmüller, wurde hier dargestellt - setzte schließlich Sägmüller ein Ende, indem er auf die mangelhaften Voraussetzungen hinwies und den Beginn oder die Fortführung von Einzelarbeiten forderte 33 . Zu dieser Detailarbeit leistete er selbst noch einen Beitrag mit seinem Aufsatz "Das Naturrecht im offiziellen Kirchenrecht der Aufklärung"34. Er findet sich dabei jedoch nur in seiner Ablehnung des aufklärerischen Naturrechts bestätigt35 und hat seine Auffassung nicht mehr geändert38 • Eine unmittelbare Wirkung auf die Forschungstätigkeit hat Sägmüllers Aufforderung nicht gehabt. Dies geht wohl nicht zuletzt auf die widrigen Zeit- und Kriegsumstände zurück. Unabhängig von ihm kam es jedoch noch auf einem Nebenschauplatz zu einer Konfrontation. Hans von Voltelini hatte das deutsche protestantische Naturrecht zur Hauptgrundlage des Josephinismus erklärt31 . Er sah in Grotius, Pufendorf, Wolff und Thomasius die eigentlichen Begründer der josephinischen Ideenwelt. Mit guten Gründen bestritt dies Georgine Holzknecht, welche das Wesen des Josephinismus als konsequenten österreichischen Absolutismus nach deutsch-französischem Vorbild begriff38 und im übrigen den Ton auf den 30 J. R. Ku!e;, Joseph H. und die äußere Kirchenverfassung Innerösterreichs, 1908, S. 328. 31 A. Rösch, Ein neuer Historiker der Aufklärung, 1909. 32 Auf Merkles gedruckten Vortrag, Die katholische Beurteilung des Aufklärungszeitalters, 1909, reagiert J. B. Sägmüller, Wissenschaft und Glaube in der kirchlichen Aufklärung, 1910. Merkle erwidert mit Die kirchliche Aufklärung im katholischen Deutschland, 1910. Darauf repliziert Sägmüller mit Unwissenschaftlichkeit und Unglaube in der katholischen Aufklärung, 1911. aa J. B. Sägmüller, Unwissenschaftlichkeit und Unglaube ... Vorwort S. VI, S.108. u ThQ 94 (1912) 58 - 99. as J. B. Sägmüller, Das Naturrecht im offiziellen Kirchenrecht der Aufklärung, in: ThQ 94 (1912) 93 ff. ae J. B. Sägmüller, Lehrbuch des katholischen Kirchenrechts, 1914, Bd. I, S. 69 ff. 37 H. von Voltelini, Die naturrechtlichen Lehren und die Reformen des 18. Jahrhunderts, in: Historische Zeitschrift 105 (1910) 65 - 104 (70 ff.). 38 G. Holzknecht, Ursprung und Herkunft der Reformideen Kaiser Josefs 11. auf kirchlichem Gebiete, 1914, S. 1.
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Seifer~
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Einleitung
Gallikanismus legte, ohne aber weitere Wurzeln zu verkennensu • Die Kontroverse blieb unbeendigt, beide, von Voltelini wie Holzknecht, beharrten auf ihren Standpunkten40 • In der Tat ist die Frage nicht einfach nach einem Entweder-Oder zu entscheiden. Sie blieb in der Diskussion und fand ihre letzte Synthese bei Erich Zöllner, der zwei Wurzeln des Josephinismus, eben die mittelalterliche staatskirchliche, gallikanisch umgeformte Tradition und die neuen deutsch-protestantischen Aufklärungsideen, als gleichberechtigt anerkennt41 • Dabei verbindet er die Person Maria Theresias mit der mittelalterlichen Tradition, die Staatskanzler Kaunitzens mit den Ideen der Aufklärung. Diese Trennung der Person Maria Theresia und Kaunitz geht auf das vieles klärende Werk von Anton Ellemunter zurück42 • Er findet einen Gegensatz zwischen ihnen und unterscheidet deshalb einen kaiserlichen und einen ministeriellen Josephinismus 43 • Den kaiserlichen Josephinismus führt er auf die geschichtlich gewachsene Mitsprache des österreichischen Kaiserhauses in Kirchendingen, den ministeriellen auf die aufklärerischen Ideen von der Staatsallmacht zurück. Entsprechend habe die Reaktion Roms ausgesehen. Während der ministerielle Absolutismus stets streng abgelehnt worden sei, habe Rom den kaiserlichen durch Entgegenkommen entschärfen wollen. Nach dieser differenzierenden Klärung, welche die tragenden Ideen und die Handelnden auseinander, aber auch wieder in Beziehung setzte, schien eine umfassende Neubeurteilung der Aufklärung und des Josephinismus möglich geworden zu sein. Man durfte eine Beleuchtung des Problems erwarten, welche Licht und Schatten angemessen verteilte. In der Tat erfuhren nun Aufklärung und Josephinismus eine leidenschaftslose geistesgeschichtliche Einordnung. Eine maßvolle, vermittelnde Sehweise, die gerade von einem katholischen Standpunkt ausging, legte Andreas Posch dar". Das Werk "Vom Weg des Abendlandes" zeigt, daß eine im großen Ganzen positive Wertung des Josephinismus von katholischer Seite dann möglich ist, wenn man gewillt ist abzuao G. Holzknecht, a.a.O., S. 3. 40 Vgl. die Rezension von Voltelinis in: ZRGkan 36 (1915) 545 - 550; die Erwiderung Holzknechts in: ZRGkan 37 (1916) 487 - 490; und das Schlußwort 'Von Voltelinis in: ZRGkan 37 (1916) 491. U E. Zöllner, Bemerkungen zum Problem der Beziehungen zwischen Aufklärung und Joseftnismus, in: Österreich und Europa. Festgabe für Hugo Hantsch zum 70. Geburtstag, 1965, S. 203 - 219 (204). 42 A. Ellemunter, Antonio Eugenio Visconti und die Anfänge des Josephinismus, 1963. Angesprochen wurde sie jedoch bereits von O. Mejer, Zur Geschichte der römisch-deutschen Frage, Bd. I, S. 52, der Unterschiede in der Haltung Maria Theresias und Kaunitzens feststellt, ohne aber daraus Folgerungen abzuleiten. 43 A. Ellemunter, a.a.O., S. 179, 133 ff. 44 A. Posch, Vom Weg des Abendlandes, 1948, S. 164 ff., 170, 180.
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wägen. Ähnlich und noch umfassender werten die sich mit Aufklärung und Josephinismus befassenden Arbeiten von Fritz Valjavec 45• In ihnen findet sich ein abgewogenes Urteil, welches den weltanschaulichen Kompromißcharakter des J osephinismus verdeutlicht. Als philosophische Grundlage sieht Valjavec die frühe, nämlich theistische Aufklärung an48 , wonach sich Vernunftgläubigkeit und Festhalten an der Offenbarung nicht ausschließen. Er betont aber auch den starken Etatismus des Josephinismus und läßt ihn damit in seiner Gefährlichkeit für die Kirche aufleuchten47. Die starke Betonung der Staatsgebundenheit des Josephinismus bei Valjavec kam wohl nicht von ungefähr. An sich hätten Pasch und Valjavec eine gewisse Beruhigung ausstrahlen können, weil sie eben ein abgewogenes Urteil über den Josephinismus fällten. Beide hatten aber ihre Schwierigkeiten mit der Einordnung des Begründers einer nunmehr heraufziehenden literarischen Fehde, mit Eduard Winter. Dieser hatte wohl kaum ein abgewogenes Urteil über den Josephinismus gefällt, sondern ihn einseitig positiv als das Werk des österreichischen Reformkatholizismus des 18. Jahrhunderts bewertet48 • Er sieht in ihm den "Versuch einer grundlegenden Reform der römisch-katholischen Kirche im Sinne der Urkirche"49 und begrüßt ihn fast enthusiastisch. Entsprechend hält er den Kreis um Van Swieten für kaum überschätzbar. Die "Großen in Wien", die Sebastian Brunner als Freimaurer verketzert hatte, sind für Winter die Häupter einer glücklich in Gang gekommenen Reformbewegung 5o • Mit dieser Auffassung hatte schon Andreas Pasch seine Mühe gehabt, er hatte dann eine Position zwischen Winter und Brunner bezogen51 • Fritz Valjavec hatte mit seiner Betonung des staatskirchlichen Aspektes des Josephinismus bereits einen notwendigen Gegenakzent gesetzt, der eine eher ablehnende Haltung gegenüber Winter annehmen läßt. Seinen eigentlichen Gegner aber fand Eduard Winter in Ferdinand Maaß. Nach seinen Vorarbeiten über Kaunitz 52 , die den Beginn des Früh45 F. Valjavec, Der Josephinismus, 21945. Ders., Geschichte der abendländischen Aufklärung, 1961. Ders., Die Aufklärung, in: Historia Mundi, 1960, Bd. IX,
S.ll- 35. 48 F. Valjavec, Der Josephinismus, S. 10. 47 F. Valjavec, Der Josephinismus, S. 12. Ebenso in: Geschichte der abendländischen Aufklärung, S. 181. 48 E. Winter, Der Josefinismus und seine Geschichte, 1943, bes. S. 479 H. DeTs.,
Der Josefinismus. Die Geschichte des österreichischen Reformkatholizismus 1740 - 1848, 1962. Den., Josefinismus und Gegenwart, 1961. 40 E. WinteT, Der Josefinismus und seine Geschichte, Vorwort S. VII. 50 E. WinteT, Der Josefinismus und seine Geschichte, S. 32 ff. Der Josefinismus. Die Geschichte des österreichischen Reformkatholizismus, S. 34 ff. J osefinismus und Gegenwart, S. 5. 61 A. Pasch, Vom Weg des Abendlandes, S. 180. 5! F. Maaß. Vorbereitung und Anfänge des Josefinismus im amtlichen Schrift2·
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Einleitung
josephinismus endgültig in die Zeit Maria Theresias gelegt haben53, publizierte er in der fünfbändigen mit Einleitungen versehenen Quellen~lUsgabe "Der Josephinismus"54 ein aufsehenerregendes Werk, dessen zusammenfassende Einführungen an freilich entgegengesetzter Einseitigkeit den Ausführungen Winters durchaus gleichkommen. Maaß stellt den Josephinismus als staatliches Verwaltungssystem dar, in dessen Mittelpunkt Kaunitz stand55 • Dieses Verwaltungssystem und Kaunitz nicht zu kennen, warf er Winter vorso. Winter erwiderte, Maaß wolle in dogmatisch-apologetischer Methode Maria Theresia und Kaunitz den Prozeß machen und kehre eigentlich zu der bereits von Sebastian Merkle bekämpften Auffassung Sebastian Brunners zurück57 .
Maaßens Werk erfuhr aber auch anderweitige heftige Kritik. Stellvertretend sei Hans Erich Feine genannt, der zu Recht darauf abhebt, daß Maaß entsprechend einem streng kirchlichen Standpunkt des 20. Jahrhunderts urteile und Zensuren verhänge 58 • Feine neigt so eher zu Winter und Valjavec, doch anerkennt er eine gewisse Milderung von Maaßens Meinung im zweiten Bande des Quellenwerks, wenn sie die Substanz auch unberührt lasse59 . Auch Winter lehnte sich, seine Einseitigkeit etwas mildernd, an Valjavec anGO , im Grunde ist die Fehde jedoch wech5el des Staatskanzlers Fürsten von Kaunitz-Rittberg mit seinem bevollmächtigten Minister beim Governo generale der österreichischen Lombardei Karl Grafen von Firmian, 1763 - 1770, in: Mitteilungen des österreichischen Staatsarchivs, Bd. 1 (1948) S. 289 - 444. Ders., Die Stellungnahme des Fürsten Kaunitz zur staatlichen Festsetzung der Altersgrenzen für die Ablegung der Ordensgelübde in österreich im Jahre 1770/71, in: MIÖG 58 (1950) 656 - 667. Ders., Die österreichischen Jesuiten zwischen Josephinismus und Liberalismus, in: ZKTh 80 (1958) 66 - 100. 6S Hierzu schließlich F. Maaß, Der Frühjosephinismus, 1969. In diesem Werk beschreibt Maaß nach Art einer "chronique scandaleuse" josephinische Maßnahmen unter Maria Theresia. 54 F. Maaß, Der Josephinismus.Quellen zu seiner Geschichte in Österreich 1760 - 1850, Bd. I - V, 1951 - 1961. 55 In seiner Besprechung von Maaßens Werk stellt H. E. Feine treffend eine Ablösung des Kreises um Van Swieten durch den Kreis um Kaunitz fest, ZRGkan 68 (1951) 464 - 470 (465). Freilich ist hier auf Ellemunter hinzuweisen, der schon früher auf Kaunitz abhob. 58 F. Maaß, Besprechung von E. Winter, Der Josefinismus und seine Geschichte, in: ZKTh 71 (1949) 355 - 358 (356 f.). VgI. auch Maaßens Auseinandersetzung mit seinen Rezensenten, Der Josephinismus, Bd. 11, S. XXVII ff. 57 E. Winter, Besprechung von F. Maaß, Der Josephinismus, in: Deutsche Literaturzeitung 72 (1951) Sp. 417 - 419 (417) und 76 (1955) Sp. 45 - 46. VgI. ferner die Auseinandersetzung in: Der Josefinismus. Die Geschichte des österreichischen Reformkatholizismus, S. 358 ff. 58 H. E. Feine, Besprechung von F. Maaß, Der Josephinismus, Bd. I, in: ZRGkan 68 (1951) 464 - 470 (469). 59 H. E. Feine, Besprechung von F. Maaß, Der Josephinismus, Bd. 11, in: ZRGkan 71 (1954) 308 - 310 (310). 60 E. Winter, Der Josefinismus. Die Geschichte des österreichischen Reformkatholizismus, S. 357.
I. Der Josephinismus
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noch nicht ausgetragen, auch wenn Winter sich vom Kampfplatz zurückgezogen hatGI. Auf einem Nebenschauplatz hat Ferdinand Maaß einen weiteren Kampf geführt, der sich um die persönliche Religiosität Maria Theresias drehte. Diese war lange Zeit unangefochten. Den klarsten Ausdruck der Untadeligkeit und Frömmigkeit Maria Theresias fand Gotthold Dorschel62 • Nicht einmal der streitbare Jesuit Bernhard Duhr hatte allzu viele Vorwürfe gegen Maria Theresia erhoben6s • Eine gewisse Spaltung zwischen Maria Theresias persönlicher Haltung und ihrem Tun in Kirchendingen wurde jedoch im Laufe der Zeit unübersehbar. Eine Entschuldigung der Diskrepanz hatte wohl schon Anton Ellemunter zu geben versucht, indem er die Verantwortung für das Tun Kaunitz anlastete84 • Maaß stellte jedoch die Frömmigkeit Maria Theresias kurzerhand unter den Vorbehalt des Staatswohls85 • Damit rief er aber als Verteidiger Maria Theresias Friedrich Walter auf den Plan, der Maria Theresia auf der ganzen Linie in Schutz nahm66 • Maaß entgegnete jedoch, auf seinem Standpunkt beharrend, daß Maria Theresia sich der kirchlichen Autorität nicht verpflichtet gefühlt, ihr nicht gehorcht, sondern vielmehr sich überwiegend von Ministern, denn von Bischöfen habe beraten lassenG7. Immerhin ist ein gewisser Gegensatz zwischen Maria Theresias Kirchenpolitik und persönlicher Frömmigkeit ebenso in die Geschichtswerke eingegangen wie Maaßens allgemeine Stellungnahme zum JosephinismusG8. Seine Auffassung erhielt Schützenhilfe durch Friedrich Engel-JanosiG 9 • Die der Kirche gefährliche säkularisierende Tendenz, wie sie vergleichsweise wertfrei meist von der Seite des Staatsrechts festgestellt wird70 , fand Josef Felderer im Kirchenbegriff der FlugschrifGI Eine gute Besprechung der Werke von Winter, Valjavec und Maaß gibt R. Hauer, Le Josephisme, in: Critique 11 (1958) 622 - 639. G. Klingenstein, Staatsverwaltung und kirchliche Autorität im 18. Jahrhundert, 1970, S. 88 ff. (91) meint, daß weder Maaß noch Winter in ihrer Ausschließlichkeit der kom-
plexen historischen Vielfalt gerecht werden. S! G. Dorschel, Maria Theresias Staats- und Lebensauffassung, 1908, S. 19 ff., 36 ff., 165, passim. es B. Duhr, Die Kaiserin Maria Theresia und die Aufhebung des Jesuitenordens, in: Stimmen der Zeit 110 (1926) 207 - 221 (208 ff.). et A. ElZemunter, Antonio Eugenio Visconti und die Anfänge des Josephinismus, S. 122 ff., 133 ff., 137 ff. e5 F. Maaß, Der Josephinismus, Bd. I, S. 3 ff. ee F. Walter, Die religiöse Stellung Maria Theresias, in: ThpQ 105 (1957) 34 - 47 (34 ff., 46 f.). 81 F. Maaß, Maria Theresia und der Josephinismus, in: ZKTh 79 (1957) 201 - 213 (201 ff., 207, 213). es Vgl. etwa J. Wodka, Kirche in Österreich, S. 293 ff. eD F. Engel-Janosi, Neues Licht auf den Josephinismus, in: Wort und Wahrheit 12 (1957) 287 - 290. 70 Vgl. etwa U. Scheuner, Kirche und Staat in der neueren deutschen Entwicklung, in: ZevKR 7 (1959/60) 225 - 273 (235 f.).
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ten 'des Josephinismus bestätigt. Einen Reformkatholizismus konnte er in dieser Literaturgattung nicht erblicken71 • Konsequenter Gefolgsmann von Maaß aber wurde Herbert Rieser, der die negative Beurteilung des Josephinismus, seine Verurteilung verewigen zu können glaubt7!. Aber auch Eduard Winters Auffassung blieb nicht vereinzelt. Franz Sissulak hatte für das Gebiet der Pastoraltheologie schon bald nach Winters Auftreten das Wirken eines Reformkatholizismus angenommen und den Josephinismus nur als Anlaß zu dessen Durchbruch angesehen73 • Schließlich bewertete Franz Xa1)er Haimerl die Aufklärung, wie sie innerkirchlich hervortrat und wirksam wurde, grundsätzlich positiv7'. Insgesamt hatte in neuester Zeit jedoch Ferdinand Maaßens Auffassung ein gewisses publizistisches Übergewicht. Um so bedeutender ist, daß in Rudolf Reinhardt ein Kritiker auftrat, der einer auch positiven Wertung des Josephinismus zuneigt, jedoch nicht von Eduard Winter abhängt und damit vergleichsweise unvorbelastet ist75 • Reinhardt hatte schon Maria Theresia gegen Maaß in Schutz genommen und ihr auf dem Gebiet der Pfarr- und Diözesanorganisation bescheinigt, nicht ohne Zustimmung der kirchlichen Autorität vorgegangen zu sein78 • Er sieht auch den J osephinismus als eine geschichtliche Phase an, die letzten Endes der Kirche zum Nutzen gereicht, da sie in ihm eine weitere Trennung vom Staat erfährt, die eine Erweiterung ihrer Freiheit bedeutet77 • Reinhardt leugnet ein wellenartiges Auf und Ab in der gegenseitigen Abhängigkeit von Kirche und Staat. Er sieht vielmehr eine stetige sich im Laufe der Geschichte vollziehende Entwicklung zur Freiheit der Kirche, in die er allenfalls kurze unerhebliche Rückschläge einbauen wilF8. In diese These fügt er auch den Josephinismus ein, der die Entwicklung vorangetrieben habe 79 • Gleichgültig wie man zu dieser Auffassung von 71 J. Felderer, Der Kirchenbegriff in den Flugschriften des Joseflnischen Jahrzehnts, in: ZKTh 75 (1953) 257 - 330 (330). 72 H. Rieser, Der Geist des Josephinismus ... bes. Vorwort S. XI. 7' F. Sissulak, Das Christentum des Josephinismus, in: ZKTh 71 (1949) 54 - 89 (89). 74 F. X. Haimerl, Probleme der kirchlichen Aufklärung als Gegenwartsanliegen, in: MThZ 12 (1961) 39 - 51. 75 R. Reinhardt, Die Beziehungen von Hochstift und Diözese Konstanz zu Habsburg-österreich in der Neuzeit. Zugleich ein Beitrag zur archivalischen Erforschung des Problems "Kirche und Staat", 1966, bes. S.13 ff., 312. 78 R. Reinhardt, Zur Kirchenreform in Österreich unter Maria Theresia, in: ZKG 77 (1966) 105 - 119 (118). 77 R. Reinhardt, Die Beziehungen ... S. 15. 78 R. Reinhardt, Bemerkungen zum geschichtlichen Verhältnis von Kirche und Staat, in: Theologie im Wandel. Festschrift zum 150jährigen Bestehen der Katholisch-Theologischen Fakultät an der Universität Tübingen 1817 - 1967, 1967, S. 155 - ]78. Hier versucht Reinhardt einen historischen Längsschnitt, bes. S. 156 ff., 169 ff. 71 R. Reinhardt, Die Beziehungen ... S. 13. Ders., Bemerkungen ... S. 177 f.
11. Paul Joseph Riegger
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der stetigen kirchengünstigen Entwicklung im Verhältnis von Kirche und Staat stehen mag, bleibt die Erkenntnis, daß Sebastian Merkles Wunsch nach einer Neubeleuchtung des Josephinismus mit gerechter Licht- und Schattenverteilung nicht unfruchtbar geblieben ist.
n. Paul Joseph Riegger Auf die Palette der Thesen zum J osephinismus soll nun ein weiterer Farbtupfer gesetzt werden mit der Darstellung des Lebens und eines Werkausschnitts von Paul Joseph Riegger (1705 - 1775), dem Innsbrucker und Wiener Kirchenrechtslehrer zur Zeit Maria Theresias. Daß Riegger eine Bedeutung für den Josephinismus 1 wie für die Wissenschaftsgeschichte2 hat, wird mehrfach anerkannt. Durchweg wird Riegger der wissenschaftliche Begründer des J osephinismus genannt8 • Er heißt der "Wegbereiter des josephin. Staatskirchentums"4, er ist der "antesignano" des Josephinismus5 , er "prit une part importante aux reformes d'inspiration josephiste"8. Von daher war es zum Titel "Vater des Josephinismus" nicht fern 7 • Angesichts dieser Schlüsselstellung, die man Riegger je nach Standpunkt positiv oder negativ wertend zuerkennt, mag es verwundern, daß die eigentliche Kenntnis dieses Mannes vergleichsweise gering ist. Eine 1 In seiner Besprechung des Maaßschen Werkes sieht E. Winter die Darstellung des Josephinismus so lange als ungenügend an, als sie auf Maria Theresia und Kaunitz beschränkt wird und Untersuchungen über "Seilern, Bartenstein, Martini, Rieger (sie!), Van Swieten und Muratori fehlen". Deutsche Literaturzeitung 72 (1951) Sp. 417. ! N. Grass fordert im Anschluß an A. M. Stickler mehrmals eine monographische Untersuchung: Osterreichische Kanonistenschulen aus drei Jahrhunderten, in: ZRGkan 72 (1955) 290 - 411 (292 f.); Die Kirchenrechtslehrer der Universität Graz und ihre Bedeutung für die Erforschung des klassischen kanonischen Rechts, in: Studia Gratiana VIII (1962) 195 - 302 (200). 3 H. E. Feine, Kirchliche Rechtsgeschichte, 41964, Bd. I, S. 585. W. M. Plöchl, Geschichte des Kirchenrechts, 1969, Bd. V, S. 358. N. Grass, Die Kirchenrechtslehrer der Innsbrucker Universität von 1672 bis zur Gegenwart, in: Veröffentlichungen des Museum Ferdinandeum 31 (1951) 157 - 212 (169). Ders., Osterreichische Kanonistenschulen ... in: ZRGkan 72 (1955) 296. P. Muschard, Das Kirchenrecht bei den deutschen Benediktinern und Zisterziensern des 18. Jahrhunderts, in: Studien und Mitteilungen des Benediktinerordens 47 (1929) 477 - 596 (577). 4 U. Mosiek in: LThK Bd. VIII, Sp.1306. 5 Z. de San Mauro in: Encic10pedia Cattolica Tom. X, co!. 896. I R. Naz in: DDC Tom. VII, p. 687. 7 H. Hurter, Nomenc1ator Literarius theologiae eatholieae, 31913, Tom. V, co!. 212. Dies hält J. Mühlsteiger, Der Geist des josephinischen Eherechts, 1967, S. 21 Anm. 37, für einige Übertreibung. Immerhin geht er dabei aber im Text von der unrichtigen Meinung aus, daß Riegger im Eherecht ausschließlich febronianische Gedanken in abgewandelter Form wiedergebe.
Einleitung zeitgenössische Nachricht von ihm gibt es nicht8 • Als Quellen ansehen kann man eigentlich nur sein Adelsdiplom9 , die Leichenreden seiner Schüler Joseph Valentin EybePO und Joseph Wratislaw Monse 11 sowie zwei Schriften, die seinen Sohn J oseph Anton vor ungerechten Vorwürfen verteidigen sollen. Deren eine, die zwei schmale Bändchen umfassenden "Rieggeriana"12, wurde von Joseph Anton Riegger zur Selbstrechtfertigung zusammengestellt; die "Biographie der beiden Ritter von Riegger" stammt von Joseph Antons Prager Freund Joseph Wand er von GrÜnwald 13 • Schon von der Quellenabsicht her handelt es sich also um einigermaßen unsichere Wertungen. Aus diesen Quellen zeichnet Joseph FreiherT von Hormayr ein glühend josephinisches Bild eines bewundernswerten Aufklärers 14 ; seine Verehrung des Josephinismus und seine Kirchenfeindlichkeit dürften notorisch sein. Abgewogenere Darstellungen bringen Johann Georg Meusel in seinem Nekrolog16 und Christian Gottlieb JÖcher 18 • Nur kurz gestreift wird Riegger von Emil Friedberg 17 , später auch von Paul Hinschius 18 • Die erste größere Zusammenfassung schließlich findet sich bei Constant 8 Bei ehr. Weidlich,Zuverläßige Nachrichten von denen jetztlebenden Rechtsgelehrten, 1757 - 1761, Theile I - V, ist nur Rieggers ranghöherer Kollege, der Wiener Publizist Bocris, zu finden (Theil V, S. 176 ff.). Beim Erscheinen von ehr. Weidlich, Biographische Nachrichten von den jetztlebenden RechtsGelehrten in Teutschland, 1781 - 1785, Theile I - IV, nebst Nachträge, Zusätze und Verbesserungen ... , 1783, war Riegger schon tot, doch fällt bei der Nachricht von seinen Söhnen Joseph Anton (Theil H, S. 241 ff. und Nachträge ... S. 232 f.) und earl Emanuel (Theil HI, S. 258 ff.) auch einiges Licht auf den Vater. • AVAW Reichsadelsakt. AVAW Hofadelsakt. Abgedruckt in: J. A. Riegger, Rieggeriana,1792, Bd. I, S.l -7. 10 J. V. Eybel, Oratio funebris ad solennes exequias Pauli Josephi a Riegger, 1776. 11 J. W. Monse, Pli manes et eximia in rem litterariam merita Pauli Josephi a Riegger, 1776. 11 J. A. Riegger, Rieggeriana, Bd. I - H, 1792. 13 Erschienen 1797. Die Gewichtsverteilung (S. 1 -17 Paul Joseph, S. 18 - 66 Joseph Anton Riegger) zeigt, zu wessen Gunsten und zu welchem vorwiegenden Zweck die Schrift geschrieben wurde. 14 J. von Hormayr, Oesterreichischer Plutarch, oder Leben und Bildnisse aller Regenten und der berühmtesten Feldherren, Staatsmänner, Künstler und Gelehrten des oesterreichischen Kaiserstaates, 1808, Bd. XV, S. 120 ff. Ähnlich rühmt V. Gasser, Erstes biographisches Schriftsteller-Lexikon von Tirol, undatierte Handschrift im Museum Ferdinandeum zu Innsbruck (nach 1795), in Bd. IH, S. 147, Riegger eine große freisinnige literarische Tätigkeit nach, doch kam dieses Werk in der Diskussion nicht zum Tragen. 15 J. G. Meusel, Lexikon der vom Jahr 1750 bis 1800 verstorbenen teutschen Schriftsteller,18ll, Bd. XI, S. 327 f. 18 ehr. G. Jöcher, Allgemeines Gelehrten-Lexiko, 1819, Bd. VI, Sp. 2135 f. 17 E. Friedberg, Die Grenzen zwischen Staat und Kirche und die Garantien gegen deren Verletzung, 1872, S. 142 ff. 18 P. Hinschius, Allgemeine Darstelung der Verhältnisse von Staat und Kirche,1887, S. 206.
II. Paul Joseph Riegger
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von Wurzbach iO , auf dessen Darstellung alle folgenden aufbauen. Zu nennen sind Johann Friedrich von Schulte 20 und Ernst Landsberg!l. Eine von aufklärerischem Eifer abgelöste positive Würdigung findet Riegger vor allem durch Alfred von Arneth2 ! und in den wissenschaftshistorischen Untersuchungen von Nikolaus Grass23 • Im allgemeinen wird Riegger (wie sein Sohn Joseph Anton) jedoch auch in wissenschaftlicher Hinsicht nur als relative Spitze einer Wissenschaft gewertet, die an sich eine Verfallsperiode durchlebt 2'. Dieses Urteil ist aber durch eine entsprechende Einschätzung der Aufklärung und des Josephinismus als Niedergang überhaupt getrübt. In den Arbeiten zum Josephinismus wird Paul Joseph Riegger durchweg erwähnt und erhält eine Rolle zugeteilt, es sei, der jeweilige Autor will ausschließlich hochjosephinische Verhältnisse darstellen25 • So ist sich Ignaz Beidtel der Rolle Rieggers, "der indessen ... noch vorsichtig mit dem Ziehen von Folgerungen" ist, zwar wohl bewußt!', doch wendet er sich in der Darstellung Pehem und Rechberger ZU27 , offenbar, weil ihm hier Febronianismus und Gallikanismus in reinerer Kultur entgegenzutreten scheinen. Sebastian Brunner, der die Aufklärung entschieden verurteilte, beschäftigt sich nur in einer Bemerkung mit Riegger, in der er zugibt, daß Rieggers Staatskirchenrechtssystem etwas rücksichtsvoller als die übrigen josephinischen Anschauungen gewesen sei28 • Bei Heinrich BTÜck findet sich Riegger aber gleichberechtigt und -belastet 11 C. von Wurzbach, Biographisches Lexikon des Kaisertums österreich, 1874, Bd. XXVI, S. 129 ff. 10 J. F. von Schulte, Die Geschichte der Quellen und Literatur des Canonischen Rechts von Gratian bis auf die Gegenwart, 1880, Bd. III/1, S. 208 ff. DerB. in: ADB Bd. XXVIII, S. 551 ff. It E. Landsberg in: R. Stintzing, E. Landsberg, Geschichte der deutschen Rechtswissenschaft, 1898, Bd. III/1, Text S. 381 ff., Noten S. 246 ff. 12 A. von A rneth, Maria Theresia, Bd. IX, S. 184 ff. Ders.,. Die Wiener Universität unter Maria Theresia, 1879, S. 20 f. t3 Beispielsweise: N. Grass, Österreichische Kanonistenschulen ... in: ZRGkan 72 (1955) 296. Typisches Beispiel R. von Scherer, Handbuch des Kirchenrechts, 1886, Bd. I, S. 119 Anm. 18: "Dagegen stehen die Leistungen der Josephiner, mit einziger Ausnahme der beiden Riegger, weit zurück." ll5 A. Wolf, Die Aufhebung der Klöster in Innerösterreich 1782 - 1790, 1871, behandelt etwa nur Männer wie Kaunftz, BlÜJnegen, Kolowrat, J. R. Chotek, GebIer, Hrzan, Heinke, Kressel, Rautenstrauch, die noch unter Joseph H. wirkten. G. Holzknecht, Ursprung und Herkunft der Reformideen ... S. 37 ff., stellt das josephinische StaatskirChenrecht nach Eybel dar. E. Plassmann, Staatskirchenrechtliche Grundgedanken der deutschen. Kanonisten an der Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert, 1968, S. 9, nimmt Pehem zum Ausgangspunkt. Auch J. Mühlsteiger, Der Geist des josephinischen Eherechts, 1967, S. 21, erwähnt Riegger nur kurz. re I. Beidtel, Untersuchung ... S. 56. n I. Beidtel, Das canonische Recht ... S. 209 ff. 18 S. Brunner, Die theologische Dienerschaft ... S. 322.
I.
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Einleitung
in der Reihe derer, die ein verderbliches rationales Staatskirchenturn vertreten29 • Es wird deutlich, wie Riegger in den Sog der Josephinismusbeurteilung gerät, wie das Urteil von Hormayrs, der ihn als Aufklärer begrüßt hatte, zuungunsten Rieggers ausschlägt. Für Albert Jäger gilt: "Riegger war nun ganz der Mann für das neue Bedürfnis des Staates"30, wobei die Grundlage dieses Urteils, daß Riegger die Suprematie des Staates über die Kirche als Fundamentallehre hinstelle 31 , in dieser Form schlicht falsch ist. Während Adolf Rösch Riegger in eine ganze Reihe von Kirchenrechtslehrern hineinstellt3!, die er dann bunt mischt, um aus ihnen "die" aufklärerische Lehre vom Verhältnis zwischen Papst und Episkopat, zwischen Kirche und Staat herauszufiltern, zollt Johann Baptist Sägmüller Riegger trotz seiner Abneigung eine gewisse Achtung und nennt ihn einen "hervorragenden Kanonisten und Josephiner"3s. Danach wird es ruhig in der Literatur des Josephinismus um Riegger, wenn man davon absehen will, daß er immer wieder vor allem neben den Namen Martini, Sonnenfels und Eybel genannt wirds4 . Von den beiden Kontrahenten im modernen Streit um das Wesen des Josephinismus wird Paul Joseph Riegger gründlich verkannt. Eduard Winter nennt im Register seiner grundlegenden Arbeiten nur Joseph Anton35 , obwohl im Text mit einer Ausnahmes8 Paul Joseph gemeint ist. Mag dies als Versehen hingehen, da Riegger an den angeführten Stellen nicht angegriffen wird, so wiegt es erheblich schwerer, wenn er in der josephinismusfeindlichen Literatur unkritisch angefeindet wird. Als Beispiel mag die Behauptung dienen, Riegger sei zeitlebens ein Gegner der Jesuiten gewesen. Joseph von Hormayr hat dies lobend angedeutetS7, Johann Friedrich von Schulte neutral berichtetS8 • Doch schöpft gerade von Hormayr aus Schriften, die Rieggers Sohn verteidigen, der immerhin
z, H. Brück, Die rationalistischen Bestrebungen ... S. 14 f.
A. Jäger. Das Eindringen des modernen kirchenfeindlichen Zeitgeistes ... in: ZKTh 2 (1878) 419. 31 A. Jäger, a.a.O., S. 421. 3Z A. Rösch, Das Kirchenrecht im Zeitalter der Aufklärung, in: AfkKR 83 (1903) 447. 33 J. B. Sägmüller, Das Naturrecht im offiziellen Kirchenrecht der Aufklärung, in: ThQ 94 (1912) 61,70 ff. 34 F. Geier, Die Durchführung der kirchlichen Refonnen ... S. 2. E. Zöllner, Bemerkungen zum Problem der Beziehungen zwischen Aufklärung und Joseftnismus, S. 205. H. RieseT, Der Geist des Josephinismus ... S. 57. Vgl. ferner die oben in Anm. 3 -7 zitierte Literatur, schließlich das Commentarium Lovaniense, Tom. 1/1, Prolegomena von A. van Hove, 1945, p. 536, 550, 566. 15 E. WinteT, Der Joseftnismus und seine Geschichte, S. 495. Ders., Der Joseftnismus, S. 374. 38 E. Winter, Der Joseftnismus, S. 111, welche Stelle in dieser Arbeit neu hinzugekommen ist und den Regalistenprofessor in Prag meint. 31 J. von Hormayr, Oesterreichischer Plutarch ... Bd. XV, S. 121. 38 J. F. von Schulte, Die Geschichte der Quellen und Literatur. .. Bd. IIl/l, S.208. 30
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Freimaurer war und als Rektor der Universität Freiburg i. Br. bei der Aufhebung des Jesuitenordens dessen Vermögen zugunsten der Universität beschlagnahmte. Das wäre Grund genug gewesen, bei der übernahme des ins Negative gewendeten Hormayrschen Urteils in bezug auf den Vater Vorsicht walten zu lassen, wie etwa Zaccaria de San Mauro in seinem Enzyklopädieartikel über Paul Joseph Riegger eigens anmerkt, sein Sohn sei ein fanatischer Promotor des Josephinismus gewesenS9 • Doch ging die behauptete Jesuitengegnerschaft Paul Joseph Rieggers auch in ein allgemeines Geschichtswerk ein4o • Peinlich wirkt es aber, wenn Rieggers Jesuitenfeindschaft fast wider besseres Wissen behauptet wird, wie dies Andreas Falkner unternimmt41 • Vielleicht sollte man sich hier der Klage Rudolf Reinhardts erinnern, daß das herkömmliche Urteil über den Josephinismus noch immer über Gebühr von den Orden und deren Vertretern geprägt sei 4!. Neuestens hat nun Ferdinand Maaß einen eigenen Abschnitt seines "Frühjosephinismus" Paul Joseph Riegger gewidmetes. Ebensowenig wie sein Gegner Eduard Winter entgeht er der Gefahr, Riegger mit seinem Sohn zu verwechseln". Im übrigen tadelt Maaß Riegger, er sei Maria Theresias "Lieblingskanonist" gewesen; sie habe "dem besonders guten Canonisten" ihr volles Vertrauen geschenkt. Fast "hätte sich die Kaiserin in den Gunsterweisen für ihren Liebling ... selbst übertroffen"4s. Daß Maaß für Rieggers Innsbrucker Zeit eine "offen zur Schau Enciclopedia Cattolica, Tom. X, col. 896. K. und M. Uhlirz, Handbuch der Geschichte Österreich-Ungarns, 1930, Bd. III1, S. 365. 41 A. Falkner, Geschichte der Theologischen Fakultät der Universität Innsbruck 1740 -1773, 1969, S. 47 f. Hier berichtet Falkner, daß die Jesuiten zu Beginn von Rieggers Tätigkeit in Innsbruck 1733 bis kurz vor seinem Weggang 1748 volles Vertrauen zu Riegger gehabt hätten. Da Riegger aber später, was Falkner nicht nachweist, gegen die Jesuiten gearbeitet habe, sei er dennoch ein "alter Jesuitengegner". Falkner traut offenbar dem Urteil von Rieggers jesuitischen Zeitgenossen nicht! Für Falkner reicht auch aus, daß zeitlich kurz nach 3D
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dem Weggang Rieggers aus Innsbruck der Bischof von Brixen sich gegen die Staatsverwaltung durchsetzen konnte, um zu vermuten, Riegger sei die Seele der antiklerikalen Bestrebungen der Innsbrucker Laienprofessoren gewesen, deren Beweis er ebenfalls schuldig bleibt. Dabei wurde Riegger mit der angesprochenen Kanzleraffäre niemals, auch nicht von seinen Zeitgenossen in Verbindung gebracht. Freilich bezieht Falkner sein Wissen um Riegger vorwiegend aus dem verhängnisvollen Urteil von Hormayrs (vgl. das Zitat Falkners, a.a.O., S. 34), das er glaubt, nur ins Negative wenden zu müssen. CI R. Reinhardt, Die Beziehungen ... S. 13 f. 43 F. Maaß, Der Frühjosephinismus, S. 76 - 87. 44 F. Maaß, Der Frühjosephinismus, S. 86. Maaß zitiert die Hofratsernennung Joseph Antons, HHStAW StR Prot. Nr. 1329 vom 7. 6.1768. Paul Joseph wurde jedoch bereits 1764 ernannt, a.a.O., Nr. 1743 vom 26. 6. 1764. es F. Maaß, Der Frühjosephinismus, S. 86, 85, 87. Vielleicht hätten diese Feststellungen zur Vorsicht gegenüber der Einschätzung von Rieggers materieller Lage Anlaß geben können. Jedenfalls verzeichnet Maaß das Bild, wenn er nur von den 400 fl. Gehalt für die Lehrtätigkeit an den Adelsakademien spricht
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Einleitung
getragene Parteinahme für die sich schon bemerkbar machende Aufklärung", die ihm "die Gegnerschaft der Jesuiten zuziehen" mußte, annimmt48, entspricht dem geläufigen (Vor-)Urteil; daß er den im vorderösterreichischen Freiburg i. Br. geborenen Riegger als einen "rasch zu Ansehen und Ruhm gelangte(n) Ausländer" zu diskreditieren sucht47 , geht sehr weit. Nicht einmal daraus, daß es Riegger war, der den Druck von Heinkes "Gesetzmäßige(r) Vorschrift" für die Neugestaltung des Verhältnisses von Staat und Kirche in Österreich verhinderte, zieht Maaß einen für Riegger günstigen Schluß48. Angesichts dessen erscheint das Urteil des in der Lehre durchaus Maaß anhangenden Herbert Rieser, der "Riegger zu jenen, idealistischeren Aufklärern zählen dürfen (will), die es mit dem, was sie sich unter der Kirche Christi vorstellen, nicht schlecht meinen"48, bemerkenswert leidenschaftslos und vergleichsweise sachlich. Unabhängig von der Josephinismusforschung ist Riegger neuerdings ebenfalls in das Blickfeld getreten. Johannes Neumann sieht in seiner Untersuchung über "Die Kirche und die kirchliche Gewalt bei den deutschen Kirchenrechtslehrern vom Ende der Aufklärung bis zum Ersten Vatikanischen Konzil"so Riegger als Quelle und Ausgangspunkt eines neuen Kirchenverständnisses an51 und bezieht damit erstmals Rieggers Lehre von der natürliehen Religion und Kirche und