Pathos, Ausdruck und Bewegung: Zur Ästhetik des Weimarer Klassizismus 1796-1806 9783110907124, 9783110182378

The innovative study examines the art theory of Weimarian Classicism, which was also of meaningful importance for the li

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German Pages 443 [508] Year 2005

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Table of contents :
EINLEITUNG
KAPITEL I - ARCHÄOLOGIE: ALOYS LUDWIG HIRT
I. „Das neueste, was im artistischen Fach in Italien vorgeht". Hirt als Mitarbeiter von Schillers Hören
II. „Bestimmte Individualität": Hirts Versuch über das Kunstschöne
1. Konvention und Innovation
2. ,Charakteristik'. Europäischer Kontext und mögliche Quellen des Begriffs bei Hirt
3. Empirische Erweiterungen des Klassizismus
III. Die „Gewalt des physischen Antstrengens und des körperlichen Leidens": Hirts Laokoon
1. Laokoon versus Apollo
2. Rekurs als Strukturprinzip – Anschauung als Methode
3. Entgrenzung von Form, Bewegung und Ausdruck
4. „Ein näherer Blik über die alten Monumente": Hirts Museum gewaltsamer Darstellungen
5. „Größtentheils in Ruhe"? Leidenschaftlich Gebildete Einzelfiguren
IV. Ansichtssache: Hirts Nachtrag über Laokoon
V. Jenseits der „neuesten Ästhetiker": Hirts produktive Empirie
KAPITEL II - KUNSTTHEORIE: DIE WEIMARISCHEN KUNSTFREUNDE
I. Epische, dramatische und tragische Gegenstände: Weimar – Jena – Florenz 1796/97
1. Schiller und das Charakteristische der griechischen Poesie und Kunst
2. Goethe und Meyer über tragische Gegenstände
3. „Nach unserer jetzigen Überzeugung": Goethes Laokoon-Aufsatz als Antwort auf Hirt
II. Über Laokoon (1797/98)
1. Allgemeine Kunstbedingungen
2. Die Laokoongruppe als „Muster" der Kunst
3. Fokus: Stellung und Ausdruck der Laokoonfigur
4. Totale: Stellung und Ausdruck „sämtlicher Teile des ganzen Werkes"
5. Die Laokoongruppe als Tragödie
6. Prekäre Balancen
III. Vorarbeiten zu den Propyläen
1. „Zu bearbeitende Materie"
2. „Tragische Darstellungen"
3. Antikes Pathos, frühklassizistische Ästhetik und zeitgenössisches Kunstwollen
IV. Über die Gegenstände der bildenden Kunst
1. Grundlagen und Grundsätze: „Von den Gegenständen überhaupt"
2. Abwertung historischer zugunsten symbolischer Darstellungen
3. Vorteilhafte tragische Gegenstände
4. Widerstrebende tragische Gegenstände
5. Grenzen der Gegenstandslehre: Die künstlerische Form
V. Rafaels Werke besonders im Vatikan
1. „Nichts Großes, nichts Gewaltiges" – Raffaels vorrömische Werke
2. „Heftige Leidenschaften sind in diesem Werk nicht gebildet." – Die Stanza della Segnatura
3. „Ernster, größer, kühner und gewaltiger" – Die Stanza di Eliodoro
4. „Der Styl ist groß", der „Ausdruck ist sehr stark" — Die Stanza dell'Incendio
5. „Unruhe und Getümmel" – Invention und Komposition in der Sala di Costantino
6. „Wie ein anderer Proteus" – Ausdruck und Wirkung in der Malerei Raffaels
VI. Niobe mit ihren Kindern
1. Der „fabelhafte" Gegenstand
2. Antike Darstellungen und moderne Rezeptionen
3. Beschreibung
4. Distanzierung durch Inszenierung: Aufstellung/ Komposition
5. Deus absconditus: Apollo und Diana
6. Desillusionierung als Beschreibungsstrategie
VII. Der Sammler und die Seinigen
1. Schönheit versus Charakteristik
2. Anmut und Zierde versus Schrecken und Tod
3. Ornament und Verbrechen
4. Alte Tragödie und bildende Kunst
5. Grenzen und Gefahren
6. Synthese der „Enunciationen"
VIII. Weimarer Preisaufgaben
1. Zwischen Einfalt und Barbarei: Paradoxien der Homer-Rezeption
2. „Gefälliges" und „Pathetisches"
3. „Die Preisaufgabe fürs Jahr 1800"
4. Künstler auf Abwegen: Die „neue Energie unter David"
5. Der Wille zum Pathos: Außerordentlich eingesandte Stücke
IX. „Edle Einfah, stille Größe"? - Goethes Polygnot-Aufsatz im Kontext der Weimarer Kunstausstellung von 1803
1. Die „Eroberung Trojas" nach einem antiken Vasengemälde auf der Kunstausstellung von 1803
2. Die Kopie nach einem antiken Vasengemälde mit der „Ermordung und Flucht der Familie des Priamus" im Besitz der Weimarer Kunstsammlungen
3. Tischbeins Nachzeichnung eines Vasengemäldes mit der „Zerstörung der Familie Priamo" für Anna Amalia
4. Original und Kopie: Klassizistische Antikenrezeption
5. Ein Königsmord im Weimarer Theater
KAPITEL III – KUNSTKRITIK: CARL LUDWIG FERNOW
I. Meyers Entwurf einer Kunstgeschichte des achtzehnten Jahrhunderts
II. Fernows Monographien über Asmus Jakob Carstens und Antonio Canova
1. Leben des Künstlers Asmus Jakob Carstens
2. Über den Bildhauer Canova und dessen Werke
III. Am Ende: Carstens' Laokoon
AUSBLICK
ANHANG
Literaturverzeichnis
Register
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Pathos, Ausdruck und Bewegung: Zur Ästhetik des Weimarer Klassizismus 1796-1806
 9783110907124, 9783110182378

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Martin Dönike Pathos, Ausdruck und Bewegung

Quellen und Forschungen zur Literatur- und Kulturgeschichte Begründet als

Quellen und Forschungen zur Sprach- und Kulturgeschichte der germanischen Völker von

Bernhard Ten Brink und Wilhelm Scherer

Herausgegeben von

Ernst Osterkamp und Werner Röcke

34 (268)

W G DE

Walter de Gruyter · Berlin · New York

Pathos, Ausdruck und Bewegung Zur Ästhetik des Weimarer Klassizismus 1796—1806

von

Martin Dönike

W DE G Walter de Gruyter · Berlin · New York

Gedruckt mit Hilfe der Geschwister Boehringer Ingelheim Stiftung für Geisteswissenschaften in Ingelheim am Rhein.

© Gedruckt auf säurefreiem Papier, das die US-ANSI-Norm über Haltbarkeit erfüllt.

ISBN 3-11-018237-8 ISSN 0946-9419 Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar. © Copyright 2005 by Walter de Gruyter GmbH & Co. KG, D-10785 Berlin Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Printed in Germany Einbandgestaltung: Sigurd Wendland, Berlin

>Schlagt ihn tot, schlagt ihn tot! Lorbeern her! Blut! Blut!< [...] das ist noch keine Poesie. Goethe, Gespräche, 6. Januar 1825

Vorbemerkung

Die vorliegende Arbeit wurde unter dem Titel Die Nachahmung des Gewaltsamen" — Pathos, Ausdruck und Bewegung als Darstellungsproblem in der Kunsttheorie des Weimarer Klassizismus 1796-1806 im Sommersemester 2002 von der Philosophischen Fakultät II der Humboldt-Universität zu Berlin als Dissertation angenommen. Für die Veröffentlichung wurde sie geringfügig überarbeitet und gekürzt; den Satz besorgte Bernd Klöckener. Mein Dank gilt dem DFG-Graduiertenkolleg .Codierung von Gewalt im medialen Wandel' (Berlin) sowie der Stiftung Weimarer Klassik, die das Projekt mit einem Promotionsstipendium und einem Forschungsstipendium vor Ort in Weimar gefördert haben. Durch ihre großzügige Erlaubnis, die kunsthistorischen Fragestellungen an der Bibliotheca Hertziana (Rom) zu verfolgen, haben sowohl die ehemaligen Direktoren Prof. Dr. Christoph Luitpold Frommel und Prof. Dr. Matthias Winner wie auch die amtierenden Direktorinnen Prof. Dr. Sybille EbertSchifferer und Prof. Dr. Elisabeth Kieven maßgeblich zum Gelingen der Arbeit beigetragen. Zu Dank verpflichtet bin ich darüber hinaus den Bibliothekarinnen und Bibliothekaren der Herzogin-Anna-Amalia-Bibliothek, Margarete Oppel vom GoetheNationalmuseum sowie Dr. Hermann Λίildenberger von den Kunstsammlungen zu Weimar. Den Berliner Doktorandenkolloquien von Prof. Dr. Ernst Osterkamp sowie von Prof. Dr. Horst Bredekamp danke ich für wertvolle Anregungen, desgleichen Prof. Dr. Andreas Beyer für die Übernahme des Zweitgutachtens. In besonderem Maß aber bin ich meinem Doktorvater Ernst Osterkamp verbunden, der die Arbeit auf vielfältige Weise unterstützt und gefördert hat - ihm ist es zu verdanken, wenn die folgenden Untersuchungen eine gewisse Einheit in der Mannigfaltigkeit erkennen lassen. Ohne die Hilfe zahlreicher Freunde, ohne Ulrike Tarnow, besonders aber ohne den Rückhalt meiner Eltern wäre diese Arbeit nicht entstanden. Ihnen ist sie gewidmet. Rom, im Oktober 2004

Martin Dönike

Inhalt EINLEITUNG

1

KAPITEL I - ARCHÄOLOGIE: ALOYS LUDWIG HIRT

12

I. „Das neueste, was im artistischen Fach in Italien vorgeht". Hirt als Mitarbeiter von Schillers Hören

15

II. „Bestimmte Individualität": Hirts Versuch über das Kunstschöne

18

1. Konvention und Innovation

20

2. Charakteristik'. Europäischer Kontext und mögliche Quellen des Begriffs bei Hirt

22

3. Empirische Erweiterungen des Klassizismus

28

III. Die „Gewalt des physischen Antstrengens und des körperlichen Leidens": Hirts Laokoon

29

1. Laokoon

32

versus Apollo

2. Rekurs als Strukturprinzip - Anschauung als Methode

37

3. Entgrenzung von Form, Bewegung und Ausdruck

46

4. „Ein näherer Blik über die alten Monumente": Hirts Museum gewaltsamer Darstellungen

49

Niobe mit ihren Kindern (52) - Apollo und Marsyas (53) - Paetus und Arria (54) - Medea und Kreusa (54) - Meleager und Althaia (55) - Orest, Aigisthos und Klytemnästra (58) - Archemoros und Hypsipyle (59) - Der Farnesische Stier (60) - Achill und Penthesilea (61) - Hektor und Andromache (62) - Ajax und Kassandra (63) - Der T o d des Phamos (65) Exkurs: „Ein schreckliches Schauspiel des Krieges" (67) - Trajan und die Dacier

(71)

5. „Größtenteils in Ruhe"? Leidenschaftlich Gebildete Einzelfiguren

72

IV. Ansichtssache: Hirts Nachtrag über Laokoon

77

V. Jenseits der „neuesten Ästhetiker": Hirts produktive Empirie

81

χ

Inhalt

KAPITEL II - KUNSTTHEORIE: DIE WEIMARISCHEN KUNSTFREUNDE

85

I. Epische, dramatische und tragische Gegenstände: Weimar - Jena - Florenz 1796/97

85

1. Schiller und das Charakteristische der griechischen Poesie und Kunst

86

2. Goethe und Meyer über tragische Gegenstände

90

3. „Nach unserer jetzigen Uberzeugung": Goethes Laokoon-Aufsatz als Antwort auf Hirt II. Über Laokoon

95

(1797/98)

97

1. Allgemeine Kunstbedingungen

97

2. Die Laokoongruppe als „Muster" der Kunst

98

3. Fokus: Stellung und Ausdruck der Laokoonfigur

102

4. Totale: Stellung und Ausdruck „sämtlicher Teile des ganzen Werkes"

104

5. Die Laokoongruppe als Tragödie

105

6. Prekäre Balancen

109

Das Problem des „Anschaulichen" ( 1 1 0 ) - Abstraktion und Autopsie ( 1 1 1 ) — Ausgrenzungen und Selektionen (112) - Streben oder Sterben: Danneckers ,Milon von Kroton* und die Arme des Laokoon

(114)

III. Vorarbeiten zu den Propyläen

117

1. „Zu bearbeitende Materie"

120

2. „Tragische Darstellungen"

121

Herkules Oet[a]eus ( 1 2 2 ) - Philoctet (123) - Ajax ( 1 2 5 ) - Marsyas ( 1 2 7 ) Hyppolithus expavescens ( 1 2 8 )

3. Antikes Pathos, frühklassizistische Ästhetik und zeitgenössisches Kunstwollen

130

IV. Über die Gegenstände der bildenden Kunst

132

1. Grundlagen und Grundsätze: „Von den Gegenständen überhaupt"

134

2. Abwertung historischer zugunsten symbolischer Darstellungen.... 136 3. Vorteilhafte tragische Gegenstände

„Rein menschliche Darstellungen" ( 1 3 8 ) - „Historische Darstellungen"

(140)

138

Inhalt

4. Widerstrebende tragische Gegenstände

XI

143

Empörung vs. Rührung: Der .Farnesische Stier' (144) - Gegenstand vs. Ausdruck: Orest und Pylades (145) - Charakterbild vs. Historienbild: Die .Mediceische Vase' (148)

5. Grenzen der Gegenstandslehre: Die künstlerische Form V. Rafaels Werke besonders im Vatikan

148 151

1. „Nichts Großes, nichts Gewaltiges" Raffaels vorrömische Werke

155

2. „Heftige Leidenschaften sind in diesem Werk nicht gebildet." Die Stanza della Segnatura

157

3. „Ernster, größer, kühner und gewaltiger" Die Stanza di Eliodoro

159

Die Vertreibung des Heliodor (160) - Die Begegnung Papst Leo I. mit Attila (163)

4. „Der Styl ist groß", der „Ausdruck ist sehr stark" Die Stanza dell'Incendio

165

Die Schlacht von Ostia (165) - Der Borgobrand als gemalte Tragödie (166)

5. „Unruhe und Getümmel" Invention und Komposition in der Sala di Costantino

168

Invention (171) - Komposition (172) - Klassische Kompositionsweise: Raffaels ,Bethlehemitischer Kindermord' (175) - ,Un-Klassische' Kompositionsweise: .Konstantinsschlacht' (177)

6. „Wie ein anderer Proteus" Ausdruck und Wirkung in der Malerei Raffaels

177

Wahrheit und Wahrscheinlichkeit (179) - Ästhetische Legitimation des gesteigerten Ausdrucks (182)

VI. Niobe mit ihren Kindern

184

1. Der „fabelhafte" Gegenstand

189

2. Antike Darstellungen und moderne Rezeptionen

190

3. Beschreibung

192

Mutter und Kind (194) - Gegen die „gemeinen realistischen Forderungen von mehr Ausdruck" (196) - Die Niobiden „als Kunstwerk betrachtet" (198) Originale und Kopien (201)

4. Distanzierung durch Inszenierung: Aufstellung / Komposition

203

5. Deus absconditus: Apollo und Diana

206

6. Desillusionierung als Beschreibungsstrategie

207

XII

Inhalt

VII. Der Sammler und die Seinigen

211

1. Schönheit versus Charakteristik

215

2. Anmut und Zierde versus Schrecken und Tod

219

3. Ornament und Verbrechen

225

4. Alte Tragödie und bildende Kunst

229

5. Grenzen und Gefahren

233

6. Synthese der „Enunciationen"

235

VIII. Weimarer Preisaufgaben

236

1. Zwischen Einfalt und Barbarei: Paradoxien der Homer-Rezeption

238

2. „Gefälliges" und „Pathetisches"

241

3. „Die Preisaufgabe fürs Jahr 1800"

244

Das Heroische und Pathetische in Extremform: Die Rhesus-Aufgabe (245) Einsendungen (249) - Beurteilung (252)

4. Künstler auf Abwegen: Die „neue Energie unter David"

269

Der Kampf Achills mit den Flüssen (271) - Deutsch-französische Konkurrenzmodelle (273)

5. Der Wille zum Pathos: Außerordentlich eingesandte Stücke IX. „Edle Einfalt, stille Größe"? - Goethes Polygnot-Aufsatz im Kontext der Weimarer Kunstausstellung von 1803

274 279

1. Die „Eroberung Trojas" nach einem antiken Vasengemälde auf der Kunstausstellung von 1803

282

2. Die Kopie nach einem antiken Vasengemälde mit der „Ermordung und Flucht der Familie des Priamus" im Besitz der Weimarer Kunstsammlungen

284

3. Tischbeins Nachzeichnung eines Vasengemäldes mit der „Zerstörung der Familie Priamo" für Anna Amalia

286

4. Original und Kopie: Klassizistische Antikenrezeption

288

5. Ein Königsmord im Weimarer Theater

290

Inhalt

XIII

KAPITEL III - KUNSTKRITIK: CARL LUDWIG FERNOW,

293

I. Meyers Entwurf einer Kunstgeschichte des achtzehnten Jahrhunderts

294

„Großheit": Füssli und Michelangelo (297) - Innigkeit: Carstens und Raffael (299) - Gefälligkeit: Canova und die schöne Antike (300) - Theatralität: David und Poussin (302) - Bestandsaufnahme: Die bildenden Künste am Ende des 18. Jahrhunderts (304) - Zukunftsperpektive: Ausdruck, Charakter und die Nötigung zum Kolossalen (307)

II. Fernows Monographien über Asmus Jakob Carstens und Antonio Canova 1. Leben des Künstlers Asmus Jakob Carstens

314 316

Eine „gewisse wilde Grösse": Carstens' Kopenhagener Zeit ( 3 1 7 ) - D e r „grosse und kraftvolle Stil dieser kühnerfundenen Werke": Carstens' Bewunderung der Fresken Giulio Romanos in Mantua (319) - Das Frühwerk als Jugendsünde (321) - Rom: Zwischen Raffael und Michelangelo (324) - Wandel oder Kontinuität: Carstens als Raffael redivivus (326) - Das Problem des Ausdrucks (328) - Carstens und die „neuere französische Schule" (330) Schlachten und Kämpfe (331) - „Goldenes Zeitalter" oder „homerische Schlachten"? (336)

2. Uber den Bildhauer Canova und dessen Werke

340

Eine „kolossale Gemeinheit": Herakles und Lichas (345) - „Grobe Fleischmassen": Kreugas und Damoxenos (349) - Ein „im Wesentlichen misrathenes Werk": Perseus mit dem Haupt der Medusa (352) - Ein „grausamer Gegenstand": Theseus und der Kentaur (357) - „Ohne eine Spur des guten Stils der Antike": Die Ermordung des Priam durch den Neoptolem (362) - „...cosa direbbero questi censori?": Doppelte Fronten (367)

III. Am Ende: Carstens' Laokoon

370

AUSBLICK

375

ANHANG

385

Literaturverzeichnis

387

Register

419

Abbildungen Abbildungsnachweis

Einleitung Warum muß denn immer Alles dem Winkelmann nachgebetet werden? Da hat er sich, Gott weiß in welcher Begeisterung, vor die Ν ίο be hingestellt, und hat in ihren Zügen eine Menge Dinge gelesen, von welchen nicht ein Wort darin steht; von Schmer^ vollends keine Sylbe, auch nicht von dem erhabensten. August von Kot^ebue, Erinnerungen von einer Reise aus Liefland nach Rom und Neapel (1805) Mit seinem 1764 erschienenen Hauptwerk, der Geschichte

der Kunst des

Alterthums,

wollte Johann Joachim Winckelmann nicht allein eine Kunstgeschichte vorlegen. Wie er seine Leser in der Vorrede wissen läßt, stellt das Werk zugleich den „Versuch eines Lehrgebäudes" dar.1 Dieser „Versuch" sollte in der Folge bekanntlich größten Einfluß auf den sich damals gerade etablierenden Neoklassizismus gewinnen, der, als „goüt grec" oder „true style", von Rom bis Kopenhagen, von Paris bis Sankt Petersburg für Jahrzehnte zum führenden Stil in Kunst und Ästhetik wurde. 2 Als die „vornehmste Absicht", das heißt den Hauptgegenstand seines Werkes, bezeichnet Winckelmann die im umfangreichen vierten Kapitel behandelte „Kunst der Griechen". Dabei unterscheidet er vier historisch aufeinanderfolgende

1 Winckelmann, GK Dresden, S. IX. 2 Zur Unterscheidung des Klassizismus der Zeit um 1800 von klassizistischen Strömungen früherer Epochen hat sich der in Anglistik, Romanistik und Kunstgeschichte übliche Begriff .Neoklassizismus' auch in der Germanistik durchgesetzt. Daß es sich beim Neoklassizismus um ein europäisches Phänomen handelt, in dessen Rahmen sich die Weimarer Klassik unschwer einordnen läßt, wird dabei gerade aus kunstgeschichtlicher Perspektive deutlich. Vgl. dazu etwa Honour, Neo-Classicism und Irwin, Neoclassicism oder den Beitrag von Busch im Historischen Wöterbuch der Rhetorik, Bd. 4 (1998), Sp. 1070-1081 (mit der dezidierten Unterscheidung zwischen .Klassizismus' und .Neoklassizismus"). Für die Literaturwissenschaft fruchtbar gemacht hat diese Perspektive u. a. Miller, Europäischer Philhellenismus.

2

Einleitung

Stile: den älteren, den hohen, den schönen und den Stil der Nachahmer. 3 Als Grundsatz des „hohen Styls", den er mit Künsdern wie Phidias, Polyklet, Skopas und Myron verbindet, nennt er das Bestreben, „das Gesicht und den Stand der Götter und Helden rein von Empfindlichkeit, und entfernt von inneren E m p ö rungen, in einem Gleichgewicht des Gefühls, und mit einer friedlichen immer gleichen Seele" darzustellen. 4 Dieses unverkennbar stoizistisch inspirierte Ideal sucht Winckelmann unmittelbar im Anschluß mit einem Zitat zu erläutern, das er Piatons Politeia entnimmt: Dieser Ausdruck einer bedeutenden und redenden Stille der Seele aber erfordert einen hohen Verstand: „Denn die Nachahmung des Gewaltsamen kann, wie Plato sagt, auf verschiedene Weise geschehen; aber ein stilles weises Wesen kann weder leicht nachgeahmet, noch das nachgeahmte leicht begriffen werden "3 Die Ubersetzung, die Winckelmann hier vorlegt, ist einigermaßen eigenwillig. In der Politeia steht das Zitat im Zusammenhang mit Piatons Kritik an den Dichtern, die, so sein Vorwurf, mit ihrer Kunst nicht die guten, sondern nur die schlechten Regungen der Seele bestärkten und gute Naturen verdürben. Das von Winckelmann mit „Gewaltsames" übersetzte W o r t lautet im Original ,,τό άγανακτητικόν" und bedeutet eigentlich das .Unwillige', .Erregbare', .Empfindliche' oder .Reizbare'. Präziser ist daher Schleiermachers Übertragung der fraglichen Stelle: „Für dieses Unwillige n u n gibt es gar viele und mancherlei Nachbildungen; die vernünftige und ruhige Gemütsfassung aber, welche ziemlich sich selbst gleichbleibt, diese ist weder leicht nachzubilden, noch auch die Nachbildung leicht zu verstehen, [...]."6 W e n n Winckelmann das griechische aganaktetikön als „das Gewaltsame" übersetzt, kann also nicht die Bedeutung gemeint sein, die der Terminus heute besitzt: Statt .gewaltsam' im Sinne von .gewalttätig' (entsprechend dem lat. violentus) scheint er den Begriff vielmehr im Sinne des lateinischen vehemens zu verwenden, also heftig, leidenschaftlich, stürmisch, ungestüm, energisch, stark, gewaltig. 7 Gestützt wird diese Vermutung durch einen Blick in die einschlägigen

3 GK Dresden, S. 127. 4 Ebd., S. 229. 5 GK Dresden, S. 229f. Winckelmann nennt in der Fußnote falschlich „Plato Politico p. 127 1. 43 ed. Bas. 1534" als Quelle (= Der Staatsmann, 286a). Dabei handelt es sich wohl um einen durch den zuständigen Korrektor verursachten Druckfehler — ein Problem, das Winckelmann verfolgt zu haben scheint. Vgl. seinen Brief an Walther, 7. Juli 1756 (Briefe, Bd. 1, S. 228): „Ist es denn nicht möglich, in Ixipzig eine kleine Schrift ohne grobe Fehler zu drucken? Zu was vor einer Art von Bestien soll man einen Corrector zählen, der [...] anstatt Transfiguration, Kransfig. lieset?" 6 Piaton, Werke, Bd. 4 , S. 825, 604e (Der Staat X). 7 Zur Unterscheidung von „violentus" und „vehemens" siehe Grimms Deutsches Wörterbuch, Bd. 4 (1911), s. v. „gewaltsam", Sp. 5199. - Weitere Verwendung des Wortes „gewaltsam" bei Winckelmann u.a. in GK Dresden, S. 109f. („Von der Kunst unter

Einleitung

3

Wörterbücher des 18. Jahrhunderts. So heißt es beispielsweise in Adelungs Wörterbuch von 1775, „gewaltsam" stehe „in der edlen Schreibart [...] auch zuweilen für heftig, mit Anwendung aller Kräfte".8 Auf der Grundlage dieser philologischen Überlegungen ist Winckelmanns oben zitiertes Diktum also folgendermaßen zu verstehen: Ungemein schwieriger als die Darstellung seelisch wie auch körperlich heftig bewegter Figuren und Szenen ist gerade ihre Darstellung in Ruhe und „Stille". Ganz in diesem Sinne hatte er bereits in den Gedancken über die Nachahmung von 1755 als das „allgemeine vorzügliche Kennzeichen der griechischen Meisterstücke [...] eine edle Einfalt, und eine stille Größe, sowohl in der Stellung als im Ausdrucke" bezeichnet.9 Wenn im folgenden von der .Nachahmung des Gewaltsamen' die Rede ist, geht es folglich nicht primär um das Gewalttätige, Brutale, Aggressive, kurz: Mord- und Totschlag als moralisches Problem.10 Auch die vermeintlich „inhumanen" Grundlagen der Klassik nachzuweisen, eine Anti-Klassik aufzuspüren oder gar eine neue „Klassik-Legende" zu enthüllen, ist nicht das Ziel." Im Zentrum des Interesses soll vielmehr das Leidenschaftlich-Pathetische, das körperlich wie auch seelisch heftig Bewegte stehen, mit anderen Worten: das .Gewaltsame' als ästhetisches Problem. Dabei versteht es sich von selbst, daß die darstellerische Entfaltung des Leidenschaftlich-Pathetischen in der Kunst sich bevorzugt mit Szenen manifester Gewalt verbindet. Insofern läßt sich mit der Winckelmannschen Prägung beides erfassen: Einerseits das Problem der Darstellung des Pathetischen und Leidenschaftlichen im Rahmen einer Ästhetik der ,expression des passions', andererseits das Problem der Darstellung von realer Gewalt, die sich im gesteigerten Affekt und im physischen Schmerz, also in Physiognomie und Gestik des Körpers manifestiert.

8 9

10 11

den Hetruriern"), KS, S. 44 (Gedanken über die Nachahmung) und S. 158 (Von der Grazie in den Werken der Kunst). Adelung, Versuch eines vollständigen grammatisch-kritischcn Wörterbuchs, Bd. 2 (1775), s. v. „Gewaltsam", Sp. 649. KS, S. 43. - Zum Ideal der Schönheit und „Stille" bei Winckelmann siehe Kreuzer, Studien zu Winckelmanns Ästhetik, S. 67-74, mit dem Hinweis auf die verwandten Begriffe der „Einheit", „Unteilbarkeit", „Einfachheit" etc. Zu Begriff und Konzept der „Einfalt" siehe Stammler, „Edle Einfalt", sowie Brandt, „..ist endlich eine edle Einfalt, und eine stille Größe". Siehe dazu etwa die Beiträge in dem von Rolf Grimminger herausgegebenen Sammelband: Kunst - Macht - Gewalt. Der ästhetische Ort der Aggressivität. Siehe die Versuche von Schmalzriedt, Inhumane Klassik; Gutjahr/Segeberg (Hg.), Klassik und Anti-Klassik; Grimm/Hermand (Hg.), Die Klassik-Legende. Vgl. auch Jorgensen, Zum Bild der unklassischen Antike; Weisinger, The Classical Facade sowie den Abschnitt „Klassisches und Unklassisches" in Sichtermann, Kulturgeschichte der klassischen Archäologie, S. 166-183.

4

Einleitung

Als Synonyme für den Begriff des .Gewaltsamen' wurden schon von den Zeitgenossen Winckelmanns die Termini .Pathos', .Ausdruck' und .Bewegung' gebraucht. Während der Begriff des .Pathos' in erster Linie die Affekte der Seele bezeichnet, zielt .Bewegung' vor allem auf Physiognomie und Gestik des Körpers. Beide Komponenten, die psychische und die physische, werden von Winckelmann im Begriff des .Ausdrucks' zusammengeführt, den er reichlich umständlich als die „Nachahmung des wirkenden und leidenden Zustandes unserer Seele, und unsers Körpers, und der Leidenschaften so wohl, als der Handlungen"12 definiert und wie folgt erläutert: Das Wort Ausdruck kann in weitläuftigen Verstände die Action mit in sich begreifen, in engeren Verstände aber scheinet die Bedeutung desselben auf dasjenige, was durch Minen und Gebährden des Gesichts bezeichnet wird, eingeschrenket, und Action oder Handlung, wodurch der Ausdruck erhalten wird, beziehet sich mehr auf dasjenige, was durch Bewegung der Glieder und des ganzen Körpers geschiehet. 13

Zu Recht ist darauf hingewiesen worden, daß Winckelmanns Eintreten gegen die ,Nachahmung des Gewaltsamen' und sein Plädoyer für eine ,edle Einfalt und stille Größe' den Bruch mit einer jahrhundertealten Tradition bedeutet: „Ever since the early Quattrocento and up to the late Baroque, from Leone Battista Alberti to Bernini, the high regard for dramatic expression, for the convincing manifestation of the passions, was the central category of art criticism."14 Mit dem Bezug auf Piaton und die griechische Kunst ist Winckelmanns Ideal der „Stille" unverkennbar gegen die Kunst seiner Zeit gerichtet, die ihm noch immer von den Meistern der Barockkunst, in der Bildhauerei Bernini, in der Malerei etwa Charles Le Brun, beeinflußt schien.'3 Die gleiche kritische Haltung gegenüber der zeitgenössischen, insbesondere französischen Kunst läßt sich auch bei Lessing konstatieren, dem zufolge die Kunst „in der neuern Zeiten ungleich weitere Grenzen erhalten" hätte.16 Während bei den modernen Künsdern irrtümlicherweise „Wahrheit und Ausdruck" als „erstes Gesetz" gälten, sei „bei den Alten die Schönheit das höchste Gesetz der bildenden Künste gewesen", dem sich „alles andere", so auch der Ausdruck, hätte unterordnen müssen: 12 G K Dresden, S. 167. — Zum Begriff des .Pathos' vgl. den Artikel von Meyer-Kalkus im Historischen Wörterbuch der Philosophie, Bd. 7 (1989), Sp. 193-199. 13 Anmerkungen über die Geschichte der Kunst, S. 58. - Zum Begriff des .Ausdrucks' vgl. den Eintrag von Gumbrecht in: Ästhetische Grundbegriffe, Bd. 1 (2000), S. 416431. 14 Barasch, Modern Theories of Art, S. 116 und 120. Vgl. auch ders., Der Ausdruck in der italienischen Kunsttheorie. 15 Dies gilt insbesondere auch für Winckelmanns Laokoondeutung, bei der er die barocke Deutung der Gruppe als theatrum doloris in ihr genaues Gegenteil verkehrt. Vgl. dazu Rees, Ethos und Pathos, S. 164. Zu Winckelmanns Kritik an Bernini und Le Brun siehe G K Dresden, S. 144 und 171f. 16 Lessing, Werke, Bd. 5.2, S. 31 (Laokoon).

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Es gibt Leidenschaften und Grade von Leidenschaften, die sich in dem Gesicht durch die häßlichsten Verzerrungen äußern, und den ganzen Körper in so gewaltsame Stellungen setzen, daß alle die schönen Linien, die ihn in einem ruhigem Stande umschreiben, verloren gehen. Dieser enthielten sich also die alten Künstler entweder ganz und gar, oder setzten sie auf geringere Grade herunter, in welchen sie eines Maßes von Schönheit fähig sind. 17

Von Urteilen wie diesen leitet sich das auch heute noch immer wieder anzutreffende Klischee von der Ausdrucksarmut und Leidenschaftslosigkeit einer die Antike nachahmenden neoklassizistischen Kunst und Ästhetik her. Doch ist Winckelmanns und Lessings Klassizismus keinesfalls so „still" und „schön", wie es auf den ersten Blick scheinen mag. Bekanntlich haben beide ihre Thesen zur Ausdrucksdämpfung an der Laokoongruppe (Abb. 1) entwickelt, also ausgerechnet jener Skulptur, die unter den damals gefeierten Meisterwerken der antiken Kunst als die vielleicht am wenigsten ruhige gelten muß. 18 Ihre Charakterisierung der Laokoonfigur als ruhig, still und schön verdankt sich einem eminenten Deutungswillen, der das Widerständige ausblendet oder ästhetisch sublimiert, ohne es jedoch gänzlich auslöschen zu können. Das antagonistische Verhältnis von Ruhe und Ausdruck findet sich in dem Bild der Meeresstille gespiegelt, mit dem Winckelmann die ,edle Einfalt und stille Größe' der „Griechischen Meisterstücke" wiederholt beschrieben hat: „So wie die Tiefe des Meers allezeit ruhig bleibt, die Oberfläche mag noch so wüten, eben so zeiget der Ausdruck in den Figuren der Griechen bey allen Leidenschaften eine grosse und gesetzte Seele." 19 Neoklassizistische „Stille", so macht dieser Vergleich deutlich, sollte keinesfalls mit Leidenschaftslosigkeit gleichgesetzt werden, sondern ist ein extrem spannungsgeladenes Konzept, das auf dem zu bändigenden Antagonismus einander widerstrebender Kräfte beruht. Zwar kam es im Gefolge der Lehren Winckelmanns und Lessings tatsächlich zu einer Mäßigung der Leidenschaftsdarstellungen in bildender Kunst wie auch Literatur.20 Als Problem war die .Nachahmung des Gewaltsamen' damit freilich 17 Ebd., S. 26. Vgl. auch ebd. S. 28f.: „Mit dem Grade des Affccts verstärken sich auch die ihm entsprechenden Züge des Gesichts; der höchste Grad hat die allerentschiedensten Züge, und nichts ist der Kunst leichter, als dies auszudrücken."

18 Winckelmann, KS, S. 43f. (Gedanken über die Nachahmung) und GK Dresden, S. 170 und 348f.; Lessing, Werke, Bd. 5.2, S. 11-206. - Zum sog. ,Laokoonparadox' siehe u.a. Butler, The Tyranny of Greece, S. 47; Richter, Laocoon's Body, S. 11; Potts, l,eben und Tod des griechischen Ideals, S. 20; Ueding, Von der Rhetorik zur Ästhetik, S. 146f.; Atherton, „Edle Einfalt und stille Größe", S. 8f. und 20; Mülder-Bach, Sichtbarkeit und Lesbarkeit, S. 467f.

19 KS, S. 43 (Gedanken über die Nachahmung. Vgl. auch ebd., S. 159 (Von der Grazie), S. 171 (.Beschreibung des Torso) und G K Dresden, S. 152f. (die Metapher hier interessanterweise invertiert). Daß Winckelmann „sein Meer immer und ewig im Munde" habe, bemerkte schon Heinse, Aufzeichnungen, Bd. 1, S. 277. 20 Siehe dazu etwa Kirchner, L'expression des passions, S. 341-361.

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keineswegs erledigt. Ganz im Gegenteil: Am Ende des 18. Jahrhunderts zeigte sich mehr und mehr, daß das theoretisch Abgelehnte nur verdrängt worden war und sich nun mit gesteigerter Dringlichkeit aufs Neue präsentierte. Dabei hatte schon Winckelmann selbst zu bedenken gegeben, daß die theoretische wie auch praktische Beschränkung auf die „reine Schönheit" dem „Wesentlichen der Kunst" nicht gerecht werde: Da aber [...] die Leidenschaften die Winde sind, die in dem Meere des Lebens unser Schiff treiben, mit welchem der Dichter seegelt, und der Künstler sich erhebet, so kann die reine Schönheit allein nicht der einzige Vorwurf unserer Betrachtung seyn, sondern wir müssen dieselbe auch in den Stand der Handlung und Leidenschaft setzen, welches wir in der Kunst in dem Worte Ausdruck begreifen. 21

An mindestens zwei Fronten, so läßt sich die Entwicklung verallgemeinernd zusammenfassen, geriet der Frühklassizismus Winckelmanns und Lessings spätestens seit Beginn der 1780er Jahren unter Druck: Zum einen stellte sich ihre Auffassung des Griechentums für eine neue, kritische Generation zumindest teilweise als eine literarische Utopie heraus, die bei genauerer Betrachtung mit den überlieferten antiken Kunstwerken nicht zu vereinbaren war.22 Ebenfalls in diesen Jahren zeichnete sich zum anderen ein allgemeiner Geschmackswandel ab, der das Interesse und die Aufmerksamkeit der „Künsder und Kenner" vom lange bewunderten späthellenistischen Stil des augusteischen Rom auf den vergleichsweise .archaischeren' Stil der griechischen Klassik lenken sollte. „Man konnte überhaupt bemerken", so schreibt Johann Heinrich Meyer rückblickend in seinem 1805 erschienenen Entwurf einer Kunstgeschichte des achtzehnten Jahrhunderts, daß besonders bei den Künsdern das Große, Kräftige, zugleich aber auch das Naive immer mehr galt; daher kam es denn, daß einige Antiken, z. B. Antinous von Belvedere, Apollino, Venus, die Ringer, etc. welche vormals als kanonische Muster angesehen wurden, an ihrem Ruhm einbüßten, hingegen die Kolossen auf Monte Cavallo, die Ludovisische Juno, überhaupt alle Werke von großem und hohem Styl mehr geachtet, ja von manchen unbedingt als die vortrefflichsten aller Kunstwerke verehrt wurden. 23

21 GK Dresden, S. 151. 22 Als einer der prominentesten Kritiker wäre hier Wilhelm Heinse zu nennen, dessen Einwände gegen die Lehre Winckelmanns und Lessings gleichwohl zu den bedeutendsten Zeugnissen des europäischen Neoklassizismus gehören. Vgl. etwa seine Kritik an Winckelmanns Definition der Schönheit im Sinne von „Stille": „Und das sind Grillen, daß die Stille der Schönheit wie dem Meere der eigentlichste Zustand ist, u daß die schönsten Menschen von stillem gesittetem Wesen zu seyn pflegen. Das Meer im Sturm ist schöner, als in der Stille, und Alkibiades und Phryne u Lais, die schönsten Menschen unter den Griechen waren warlich nicht von stillem gesitteten Wesen." (Heinse, Aufzeichnungen, Bd. 1, S. 277) 23 MA 6.2, S. 336. Wenn Meyer hier von „großem und hohem Styl" der antiken Kunst spricht, so ist diese Bezeichnung mit derjenigen Winckelmanns, wie dieser sie mehr als vierzig Jahre zuvor entwickelt hatte, nicht identisch, da sich unter dem Eindruck der mittlerweile in Italien und Griechenland neuentdeckten Werke die Periodisierung der

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Unvermeidlich geriet der Ausdruckswille zahlreicher Künsder folglich in Konflikt mit den theoretischen Forderungen nach Schönheit beziehungsweise ,edler Einfalt und stiller Größe'. Nicht zu vergessen ist dabei, daß die mit dem Jahr 1789 angebrochene .revolutionäre' Epoche eine Zeit gesteigerter Gewalterfahrungen war: Angesichts der terreur in Frankreich und der nach und nach ganz Europa überziehenden Revolutionskriege ließ sich die von Winckelmann und Lessing geforderte Reduzierung der Leidenschaftsdarstellung nicht mehr ohne \'erlust an künsderischer Substanz fortführen. Die Forschung zur ,Weimar Klassik' stand lange Zeit im Zeichen des miß- bzw. unverstandenen Topos der ,edlen Einfalt und stillen Größe'. Erst seit Mitte der sechziger Jahre des 20. Jahrhunderts, besonders aber seit den neunziger Jahren entstanden Untersuchungen, die diese monolithisch-einseitige Perspektive aufzubrechen versuchen und statt der Harmonie und Ruhe nun eher die Spannungen und Brüche, statt der .apollinischen Heiterkeit' eher das .Dionysische' in den Werken der .klassischen' Periode in den Blick nehmen.24 Diesem Ansatz folgen auch die jüngeren Forschungen zur ,klassischen' Kunsttheorie, indem sie auf das immer wieder Zwiespältige, zum Teil sogar Abgründige der ästhetischen Entwürfe Goethes, Schillers, Herders und Moritz' hinweisen.23 Deutlich wurde dabei zum einen, daß die Fragestellungen und Probleme der .Weimarer Klassik' nur in dem größeren Kontext des europäischen Neoklassizismus (mit seiner zentralen Referenzfigur Winckelmann) verstanden werden können.26 Deutlich wurde zum anderen aber auch, daß Literatur, Kunst und Ästhetik des .Klassizismus' gerade nicht durch ein „Zusichkommen und feierliche[s] Insichruhen" charakterisiert sind, sondern daß ihren besten Werken „Ausweitungen und Grenzüberschreitungen" stets inhärent sind.27 An diese Überlegungen anschließend folgt die vorliegende Arbeit der These, daß die Verschiebungen und Grenzerweiterungen der .klassischen' Weimarer Kunsttheorie nur aus ihrem engem Zusammenhang mit den antiken Kunstgeschichte merklich verschoben hatte. Vgl. dazu Schneider, Klassizismus und Romantik, S. 106. 24 Vgl. Rosenblum, Transformations, bes. S. 10-15; Pfotenhauer, Um 1800, S. 1-4; Osterkamp, „Heftigkeit im Reden und Richten", S. 14-17 (zur grundsätzlich engen Beziehung des klassizistischen Schönheitskonzepts zum Thema der Gewalt). 25 Siehe etwa Osterkamp, Im Buchstabenbilde, bes. S. 185-223 (zu Goethes „Erweiterung der Grenzen des Klassischen" in seiner Bearbeitung von Philostrats Eikones)·, Pfotenhauer, Würdige Anmut (zu Schiller als Beurteiler und Philosoph der bildenden Kunst); Schneider, Die schwierige Sprache des Schönen, bes. S. 244-267 (zum Zusammenhang von Bildung und Zerstörung bei Moritz); Krüger-Fürhoff, Der Versehrte Körper (u. a. zu Winckelmanns Beschreibung des Torso von Belvedere, Herders 'Plastik und Moritz'

Signatur des Schöneti). 26 Vgl. etwa Voßkamp (Hg.), Klassik im Vergleich; Potts, Flesh and the Ideal. 27 Pfotenhauer, Vorbilder, S. 46f. und S. 59.

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Entwicklungen auf den Gebieten der zeitgenössischen Kunst und Archäologie zu verstehen sind. Als ein Ergebnis kann hier vorweggenommen werden, daß die Weimarischen Kunstfreunde Goethe, Meyer und Schiller auf die oben skizzierte Krise des Klassizismus reagiert haben, indem sie versuchten, die sowohl von Winckelmann als auch von Lessing abgelehnte ,Nachahmung des Gewaltsamen' wieder in die Kunsttheorie zu integrieren. Entsprechend den für den Neoklassizismus relevanten Diskursen der Altertumskunde/Archäologie, der Kunsttheorie sowie der auf die zeitgenössische Kunstpraxis bezogenen Kunstkritik ist die vorliegende Arbeit in drei Teile gegliedert, von denen sich der erste mit den gegen die Lehren Winckelmann und Lessing argumentierenden Hori«-Aufsätzen Aloys Hirts, der zweite mit den in den Propyläen erschienenen Schriften der Weimarischen Kunstfreunde, der dritte schließlich mit den Künsdermonographien Carl Ludwig Fernows beschäftigt. Dem ehemaligen römischen Cicerone und nachmaligen Professor für Archäologie an der Berliner Universität Aloys Hirt kommt das Verdienst zu, auf der Grundlage einer immensen Denkmälerkenntnis auf die Aporien der überkommenen Ästhetik hingewiesen und damit den entscheidenden Anstoß zu der längst überfällig gewordenen Reform des Klassizismus gegeben zu haben. Spätestens mit Hirts im Jahre 1797 — das heißt mehr als dreißig Jahre nach Lessing — erschienenen Laokoon-Aufsatz ließ sich die Präsenz von expressivem Pathos, ungemilderter Ausdrucks- und Bewegungsdarstellung in der antiken Kunst nicht mehr leugnen (Kapitel I). Entgegen seiner Intention scheint die Bedeutung Hirts für die Weimarischen Kunstfreunde indes weniger in seiner Lehre von der „Charakteristik als Hauptgrundsatz der bildenden Künste bei den Alten" gelegen zu haben, als vielmehr in dem von ihm ausgebreiteten Material, also den zahlreichen im Blick des Archäologen versammelten Beispielen, „worin die Alten jede Art von Ausdruk und Bewegung ohne Milderung bildeten".28 Wie Kapitel II zeigt, hatten Goethe, Meyer und Schiller noch vor Erscheinen der Hören-Aufsätze Hirts die sachfremde Restriktivität der Kunstlehre Winckelmanns und Lessings bemerkt. Während Meyer in Italien auf das Problem der „tragischen Gegenstände" stieß, entwickelten Goethe und Schiller vor dem Hintergrund ihrer in Jena und Weimar geführten Diskussionen über „epische und dramatische Dichtung" eine besondere Sensibilität für das Problem der Nachahmung des Gewaltsamen', wobei der Tragödientheorie des Aristoteles eine herausragende Bedeutung zukam. Doch verfolgten sie dabei nicht nur persönliche, auf die eigene Dichtungspraxis abzielende Interessen. Angesichts der unübersehbaren Krise, in welche die Kunst um 1800 geraten war,29 mußten die Weimarischen Kunstfreunde allein schon deshalb an einer Entgrenzung des Klassischen inter28 Hirt, Laokoon, S. 16 und 23f. 29 Siehe hierzu grundlegend Busch, Das sentimentalische Bild.

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essiert sein, um das von ihnen vertretene Kunstkonzept für die zeitgenössischen Künsder ästhetisch attraktiv und anschlußfähig zu machen. Das Ergebnis dieses Bestrebens stellen die Aufsätze und Abhandlungen dar, die in der von Goethe zwischen 1798 und 1800 herausgegebenen Kunstzeitschrift Propyläen erschienen. Fünf von ihnen werden im zweiten Kapitel einer näheren Analyse unterzogen: Neben Goethes direkt auf Hirt replizierendem Aufsatz Über Laokoon handelt es sich dabei um Meyers Abhandlungen Über die Gegenstände der bildenden Kunst, Kafaels Werke besonders im Vatikan und Niobe mit ihren Kindern sowie die kleine Schrift Der Sammler und die Seinigen, in der Goethe sich in Form eines fiktiven Briefwechsels mit den Thesen Hirts auseinandersetzt. Den Abschluß des zweiten Kapitels bildet eine Untersuchung der zwischen 1799 und 1805 ausgeschriebenen Weimarer Preisaufgaben sowie der alljährlichen Kunstausstellungen im Hinblick auf die Bedeutung, die Goethe, Meyer und Schiller dem ,Gewaltsamen' in diesem Zusammenhang einräumten. Besondere Beachtung findet dabei eine im Jahre 1803 ausgestellte Kopie einer antiken Vasenzeichnung, deren ,gewaltsame' Darstellung der „Ermordung und Flucht der Familie des Priamos" Goethes berühmten Aufsatz über Polygnots Gemälde in der Lesche sp Delphi maßgeblich beeinflußt haben dürfte. Wie im Zuge der Arbeit deutlich wird, ist das Verhältnis der Weimarischen Kunstfreunde zur .Nachahmung des Gewaltsamen' weitaus komplexer, als dies immer wieder dargestellt wurde. Betrachtet man die Äußerungen Goethes, Meyers und Schillers genauer, so wird erkennbar, daß das .Gewaltsame' nicht etwa ein Hemmnis, sondern genau genommen sogar der Motor ist, der die Theoriebildung des Weimarer Klassizismus antreibt. Nicht das .Schöne', sondern das .Gewaltsame' stellte die eigentliche Herausforderung für die klassizistische Kunsttheorie dar, die neue Antworten auf die alte Frage nach der Vermittelbarkeit von Schönheit und Ausdruck zu finden hatte. Insofern sie das Widerstrebende zu integrieren versucht, wird die Theorie einerseits komplexer, erweitert andererseits zugleich aber auch ihre Grenzen und legitimiert damit ein weitaus breiteres Spektrum der Ausdrucksdarstellung als zuvor. Daß die klassizistische Kunsttheorie trotz aller Zugeständnisse an Hirt und den Ausdruckswillen der zeitgenössischen Maler und Bildhauer der Kunstpraxis nicht wirklich gerecht zu werden vermochte, belegen die beiden 1806 erschienenen Monographien Carl Ludwig Fernows über Asmus Jakob Carstens und Antonio Canova, die im Zentrum von Kapitel III stehen. Sie sind als antithetische Parallelbiographien entworfen, in deren Mittelpunkt als tertium comparationis wiederum die .Nachahmung des Gewaltsamen' rückt. Obgleich beide Künsder gleichermaßen ein unübersehbares Interesse am .Gewaltsamen' zeigen, vermag Fernow mit dem Tatbestand nur umzugehen, indem er ihn abschwächt und ausblendet oder aber vehement kritisiert. Im Falle von Carstens scheut Fernow sich nicht, Bildschöp-

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fungen zu unterschlagen, die sich seinem Konstrukt eines auf beruhigte, idealische Schönheit ausgerichteten Kunstwollens nicht fügen. Künstler wie Canova oder Jacques-Louis David (für Fernow Canovas Pendant auf dem Gebiet der Malerei) erscheinen dagegen als negativer Widerpart zu Carstens. Ihre vermeintlichen Verstöße gegen die Regeln der Kunst werden akribisch aufge2ählt und ausgebreitet, um die Defizienz ihrer .gewaltsamen' Schöpfungen zu erweisen: „Wir finden [...] nicht", so heißt es in Fernows Abhandlung Uber den Zwek, das Gebiet und die Grannen der dramatischen Malerei, dass die älteren grossen Maler, und der gröste unter ihnen Rafael, den Zwek der Malerei in Darstellung gewaltsamer Handlungen, und in heftigen Rührungen gesetzt haben. Sie wählten lieber, wo sie freie Wahl hatten, ruhigtätige Handlungen und durch einen gemässigten Affekt belebte Momente, und stehen diese durch den wahrsten, angemessensten Ausdruk dar. 30

Dabei findet sich ausgerechnet im CEuvre des Malers Carstens eine Zeichnung, die sämtliche theoretische Maximen seines Biographen ad absurdum fuhrt. Mit der Darstellung eines sterbend zu Boden sinkenden Laokoon (Abb. 62) zeigt er letztlich genau das, was Hirt ungefähr zur gleichen Zeit in den Hören beschrieben, Fernow jedoch stets verurteilt hat: „das höchste und lezte Anstrengen sich convulsivisch windender Kräfte [...] - ein Athemloses Bäumen der Brust, und Einzwängen des Unterleibes - das Erstiken und der Tod folgt plözlich."31 Der gewählte Zeitraum der Untersuchung umfaßt die Jahre zwischen 1796 und 1806, ein Dezennium also, das auf politischer Ebene durch den Beginn von Napoleons Italienfeldzug auf der einen und durch das formale Ende des Heiligen Römischen Reiches deutscher Nation auf der anderen Seite eingefaßt wird. Zwischen diesen Daten liegt die Besetzung Roms durch französische Truppen, die Gefangennahme Papst Pius VI. sowie der Abtransport der berühmtesten, seit Jahrhunderten in Italien befindlichen Antiken (darunter der Yjxokoon und der ΛροΙΙο von Belvedere) nach Paris. All dies sind Ereignisse, die als reale Gewalterfahrungen den Hintergrund der ästhetischen Diskussion über die ,Nachahmung des Gewaltsamen' bilden, hier aber nur dann erwähnt werden, sofern sie zum Verständnis der kunsttheoretischen Argumentation unverzichtbar sind. Daß es tatsächlich einen Zusammenhang von realer und künsderischer .Gewaltsamkeit' gibt, hat Meyer in seiner Geschichte der Kunst (um 1811) betont: Allmählich hatten sich in Frankreich die Ideen von politischer Freiheit, von Patriotismus und Römergeist verbreitet, und je näher die Zeit der Revolution heranrückte, je gewaltsamem Charakter nahm alles an; so auch die Kunst, welcher darum das Süßliche,

30 Fernow, Über den Zwek, das Gebiet und die Gränzen der dramatischen Malerei, S. 100. 31 Hirt, Laokoon, S. 10.

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Fade, was bisher gegolten, nicht weiter passen konnte. [...] Auch ging von der zarten Schönheit der Formen weniger auf sie [die Franzosen, M. D.| über, weil solche dem gewaltsam Kriegrischen der Gegenstände, die gewöhnlich aus der römischen Geschichte gewählt wurden, nicht entsprach, [...].32

Jenseits solcher Engfuhrungen ist es das Ziel der vorliegenden, sich in erster Linie auf kunsttheoretische Fragestellungen konzentrierenden Arbeit, hinter dem Bild eines vermeintlich statischen, in idealischer Schönheit und Stille gleichsam versteinerten Klassizismus eine weitaus dynamischere Ästhetik erkennbar werden zu lassen, für die die Darstellung von Pathos, Ausdruck und Bewegung keineswegs ein Tabu, sondern notwendiges Ingrediens der Kunst ist. Konsequent weitergedacht erlaubt diese Erweiterung der Perspektive, selbst solche vermeintlichen Außenseiter wie etwa Johann Heinrich Füssli und Francisco de Goya oder — um zwei Beispiele aus der Literatur zu nennen — Heinrich von Kleist und Friedrich Hölderlin als Künsder zu begreifen, die innerhalb des Neoklassizismus zwar extreme, gleichwohl aber klassizistische Positionen einnehmen.33 Unter den zahlreichen Kunstwerken, die im folgenden wie Leitmotive immer wieder begegnen werden, ist neben der Niobe, dem Farnesischen Stier, Raffaels Kindermord und der Konstantinsschlacht vor allem die sogenannte Viven^io-Hydria (Abb. 17) hervorzuheben, die in allen drei Kapiteln - bei Hirt und Tischbein, bei Goethe und den Brüdern Riepenhausen sowie bei Fernow und Canova — eine besondere Rolle spielt. Eine Klammer des Ganzen bildet schließlich der Laokoon, der als Skulptur (Abb. 1) und als Zeichnung (Abb. 62) am Anfang und am Ende der Arbeit steht.

32 Meyer, Geschichte der Kunst, S. 308. 33 Zu Goya und seiner Adaption des Torso von Belvedere im Rahmen der Desastres de la guerra siehe Janzing, Die Geburt des Partisanen, bes. S. 58-60; zu Füssli: Bungarten, Füsslis Lectures on Painting.

Kapitel I Archäologie: Aloys Ludwig Hirt Als Schiller im Januar 1795 mit den Höre«, dem ersten, lediglich von Goethes Propyläen gefolgten Journal der ,Weimarer Klassik', an die Öffentlichkeit trat, schickte er den Beiträgen des Eröffnungsheftes eine Ankündigung voraus. Die von ihm und einer „achtungswürdigen Gesellschaft" (darunter Fichte, Herder, Goethe, die Brüder Humboldt, Johann Heinrich Meyer und August Wilhelm Schlegel) verfolgten Absichten und Grundsätze werden darin wie folgt formuliert: Zu einer Zeit, wo das nahe Geräusch des Kriegs das Vaterland ängstiget, wo der Kampf der politischen Meinungen und Interessen diesen Krieg beinahe in jedem Zirkel erneuert und nur allzuoft Musen und Grazien daraus verscheucht, wo weder in den Gesprächen noch in den Schriften des Tages vor diesem allverfolgenden Dämon der Staatskritik Rettung ist, möchte es ebenso gewagt als verdienstlich sein, den so sehr zerstreuten Leser zu einer Unterhaltung von ganz entgegengesetzter Art einzuladen. In der Tat scheinen die Zeitumstände einer Schrift wenig Glück zu versprechen, die sich über das Lieblingsthema des Tages ein strenges Stillschweigen auferlegen und ihren Ruhm darin suchen wird, durch etwas anders zu gefallen, als wodurch jetzt alles gefällt. Aber je mehr das beschränkte Interesse der Gegenwart die Gemüter in Spannung setzt, einengt und unterjocht, desto dringender wird das Bedürfnis, durch ein allgemeines und höheres Interesse an dem, was rein menschlich und über allen Einfluß der Zeiten erhaben ist, sie wieder in Freiheit zu setzen und die politisch geteilte Welt unter der Fahne der Wahrheit und Schönheit wieder zu vereinigen. 1

Schillers programmatische Absage an das „Lieblingsthema des Tages" und sein Plädoyer fur das „rein menschliche" beziehen sich unverkennbar auf die Französische Revolution und den gegen das revolutionäre Frankreich geführten Koalitionskrieg, die beide in der deutschen Öffentlichkeit leidenschaftlich diskutiert wurden. Für die Hören hingegen soll Neutralität, ja mehr noch, „ein strenges Stillschweigen" über das aktuelle Geschehen, das heißt den , jetzigen Weltlauf' und die „nächsten Erwartungen der Menschheit", gelten. Die bewußte Abkehr von der durch Krieg, Streit, Kritik, Leidenschaft und Unruhe gekennzeichneten Gegenwart ist dabei keineswegs als politischer Eskapismus zu verstehen. Vielmehr ist es Schillers dezidierte Absicht, die „politisch geteilte Welt unter der Fahne der Wahr-

1 Dies und die folgenden Zitate: Friedrich Schiller, Ankündigung (NA 22, S. 106). Zu Schillers How/-Projekt siehe zusammenfassend Gross, Ästhetik und Öffentlichkeit, S. 177ff. und 306ff.

Archäologie: Aloys Ludwig Hirt

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heit und Schönheit", also mit Hilfe der Kunst beziehungsweise Ästhetik, „wieder zu vereinigen." 2 Es ist somit nur konsequent, wenn er kurz darauf ankündigt, daß die Hören inmitten des gegenwärtigen „politischen Tumult[s]" „für Musen und Charitinnen einen engen vertraulichen Zirkel schließen [sollen], aus welchem alles verbannt sein wird, was mit einem unreinen Parteigeist gestempelt ist." Das von Schiller in der Ankündigung entworfene Gegenbild rekurriert auf ein aus der Antike stammendes und aus der Kunstgeschichte hinlänglich bekanntes Motiv, den Kreis der um den Gott Apollon gescharten Musen beziehungsweise der drei von den Römern als Grazien bezeichneten Charitinnen. 3 Sie sollen einen reinen, ungestörten Genuß ermöglichen, den Ton einer „heitern und leidenschaftfreien Unterhaltung" gewährleisten und dem Leser darüber hinaus eine „fröhliche Zerstreuung" gewähren. „Spielend" und „ernsthaft", wie ihr Gebaren, soll die Zeitschrift das überparteiliche Ziel, „wahre Humanität zu befördern", verfolgen und die Inhalte in einer an die Bildung der weiblichen Göttinnen erinnernden „reizenden, wenigstens einfachen, Hülle" vermitteln. „Regiert" werden soll die Zeitschrift von drei den Musen verwandten Göttinnen. Die „schwesterlichen Hören Eunomin, Dike und Irene" gehen als Töchter der Themis und des Zeus aus der Konjunktion von Gesetz und Macht hervor, in denen der Grieche, laut Schiller, die „welterhaltende Ordnung, aus der alles Gute fließt," verehrt hätte. Ihre Namen, im Text der Ankündigung übersetzt als „Wohlanständigkeit und Ordnung, Gerechtigkeit und Friede", sind dabei vor allem als ethische Imperative zu verstehen, die in ihrer Gegenbildlichkeit zu den aktuellen „Zeitbegebenheiten" wiederum programmatisch für das Anliegen der Zeitschrift stehen. Gemäß dem traditionellen Gedanken der Korrespondenz von Ethik und Ästhetik entsprechen die mit ihnen personifizierten sittlichen Tugenden aber auch einer Reihe von ästhetischen Grundsätzen, die Schiller innerhalb der Hören zu verwirklichen gedenkt: Ebenmaß und harmonische Vollendung, schöne Ausgewogenheit, leidenschaftslose Stille und Ruhe sind die zugehörigen Äquivalente, die sich bereits in den kunsttheoretischen Schriften Johann Joachim Winckelmanns und Gotthold Ephraim Lessings finden. 4 Schillers Hören sind somit mehr als bloße Tugendschwestern. Ganz in diesem Sinne merkt auch das für die damalige Zeit maßgebliche mythologische Nachschlagewerk, Benjamin Hederichs Gründliches Mythologisches Lexicon,

2 So schon Thomas Mann in seinem Versuch über Schiller (1955). In: Gesammelte Werke, Bd. 9, S. 8 7 0 - 9 5 1 , hier S. 947f. 3 Erinnert sei hier nur an Raffaels berühmtes Parnaß-]'tesko in der Stanza della Segnatura des Vatikan v o n 1 5 0 9 / 1 1 und Anton Raphael Mengs damals mindestens ebenso bekanntes Deckengemälde des Parnaß in der Villa Albani von 1 7 6 1 . 4 Zum Einfluß Winckelmanns auf Schiller siehe Hatfield, Schiller, Winckelmann and the Myth o f Greece; Uhlig, Schiller und Winckelmann.

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Archäologie: Aloys Ludwig Hirt

an, daß die Gestalten der Eunomia, Dirke und Irene zwar in erster Linie die „Früchte der Gerechtigkeit" abbildeten, „ώρα" aber „nicht allein eine gewisse Zeit, sondern auch die Schönheit" heiße, weshalb die Hören denn auch zur „Ausschmückung aller Sachen" gebraucht worden seien.3 Die von Schiller als Namensgeberinnen seiner Zeitschrift gewählten Göttinnen stehen also auch für den im Rückgriff auf die Mythologie und Kunst der Antike konzipierten ästhetischen Begriff der Schönheit. Anschaulich gefaßt wird dieser in dem bereits oben erwähnten Bild des „engen vertraulichen Zirkel[s]", den die Hören „für Musen und Charitinnen" schließen sollen. Daß die Hören von den politischen Geschehnissen nicht unbehelligt bleiben würden, versteht sich angesichts des von Schiller erwähnten „politischen Tumults" beinahe von selbst. Aufgrund der Vorstöße von französischen Truppen nach Süddeutschland kam es schon im Sommer 1796 zur Unterbrechung und Verzögerung in der Auslieferung der Zeitschrift, die fortan ihre Leser zum Teil erst nach mehrmonatiger Verspätung erreichte.6 Offenbar ebenso unvermeidlich war der Konflikt mit den Kritikern der Honen, der die Zeitschrift ihrem programmatischen Namen zum Trotz in eine „wahre Ecclesia militans" (Schiller) verwandelte und schließlich zu dem berühmt-berüchtigten Xenien-Streit der Jahre 1795/96 führte.7 Zur gleichen Zeit sollte der von Schiller im Geiste der Eunomia, Dike und Irene inaugurierte Musenkreis aber auch in den Hören selbst, das heißt gleichsam von innen her, unter Druck geraten. Innerhalb einer kurzen Zeitspanne erschienen im dritten und zugleich letzten Jahrgang der Zeitschrift drei Beiträge des bereits in der Ankündigung als Mitarbeiter angeführten Archäologen und Kunsthistorikers Aloys Hirt, in denen dieser den Prinzipien der ,edlen Einfalt und stillen Größe' respektive ,Schönheit' offensiv entgegen trat. Als wichtigstes Argument dient ihm der Verweis auf die Zeugnisse gerade der antiken Kunst. Seine Beispiele, die die Darstellung von Krieg, Leidenschaft, Mord und Wahnsinn in den antiken Werken belegen, sprengen dabei nicht nur die von Winckelmann und Lessing gezogenen ästhetischen Grenzen: Zugleich wird mit ihnen das in der Ankündigung von Schiller Abgewehrte letztlich nun doch zum Gegenstand der —

5 Aus diesem Grund seien die Hören „auch ihrer schönen liebenswürdigen Wirkung wegen also [...] genannt worden" (Hederich, Gründliches mythologisches Lexikon, Sp. 1291 f.). Zu damals bekannten bildlichen Darstellungen der Hören siehe beispielsweise die von Winckelmann in seinen Monumenti Antichi Inediti (1767) abgebildeten Werke (MAI, Bd. 2, Nummer 47 und 48). Vgl. auch die Beschreibung der „Horae" in der 1776 erschienenen Wiener Ausgabe seiner Geschichte der Kirnst (GK Wien, S. 307f.). 6 Siehe Schillers Brief an Cotta vom 15. August 1796 (NA 28, Nr. 225, S. 284) sowie Raabe, „Die Hören", S. 14. 7 Schiller an Goethe, 1. November 1795 (MA 8.1, Nr. 117, S. 122). Zum Xenien-Streit vgl. Reed, Ecclesia militans.

Hirt als Mitarbeiter von Schillers

Hören

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ästhetischen - Diskussion. Mit anderen Worten: Unter den Augen der drei schwesterlichen Hören hielten nunmehr auch die bislang ausgeschlossenen Furien und Erynnien Einzug in den Kreis der „heitern und leidenschaftsfreien" Musen und Charitinnen.

I. „Das neueste, was im artistischen Fach in Italien vorgeht": Hirt als Mitarbeiter von Schillers Honen Es war Goethe, der Schiller den ihm noch aus Rom bekannten Aloys Hirt als Mitarbeiter der Hören vorgeschlagen und zugleich versprochen hatte, sich um Beiträge zu bemühen, in denen dieser „das neueste, was im artistischen Fach in Italien vorgeht [...] communicieren" sollte. 8 Hirt war auf diesem Gebiet kein Neuling: Unter dem Titel „Briefe aus Rom" hatte er schon in den Jahren 1785/86 die Leser von Wielands Teutschem Merkur über neue Werke der damals in Rom lebenden Künstler Angelika Kauffmann, Albrecht Dies und Jacques Louis David informiert. 9 Zwei Jahre später hatte er ebenda als erster Tischbeins später so berühmt gewordenes Gemälde Goethe in der Campagna di Roma beschrieben 10 und 1789 in der von ihm zusammen mit Karl Philipp Moritz herausgegebenen Zeitschrift Italien und Deutschland über den kurz zuvor verstorbenen David-Schüler GermainJean Drouais berichtet." Da diese sporadische Kunstschriftstellerei ihn nicht ernähren konnte, war Hirt darauf angewiesen, seinen eigentlichen Lebensunterhalt als Fremdenführer zu verdienen. Bereits 1782, im Alter von 23 Jahren, nach Rom gekommen, gelang es dem Autodidakten relativ schnell, sich als Cicerone neben Johann Friedrich Reiffenstein (1719 — 1793) zu etablieren und seit ungefähr 1784/85 immer mehr namhafte Reisende durch die Stadt und ihre Umgebung zu fuhren. Hirts jeweils einmonatiger „Kursus" fand in der Zeit zwischen Oktober und Ostern statt und dauerte täglich fünf Stunden. Die Sommermonate, in denen Rom wegen der großen Hitze von den meisten Reisenden gemieden wurde, nutzte

8 Schiller an Goethe, 29. September 1 7 9 4 (ΜΛ 8.1, Nr. 12, S. 26). Vgl. auch Schüler an Cotta, 2. Oktober 1 7 9 4 (NA 27, Nr. 45, S. 60). Durchaus möglich ist, daß Hirt „ohne Wissen und Wollen unter die Gesellschaft der Mitarbeiter zu den Hören gesetzt worden" ist, wie er in Rom nach Meyers Auskunft v o m 24. April 1 7 9 6 wiederholt behauptet haben soll. Siehe G M B 1, Nr. 72, S. 228f. 9 Hirt, Briefe aus Rom. Diese Aufsätze hatte jedoch nicht Goethe, sondern Merck an Wieland vermittelt. Siehe Wielands Briefwechsel, Bd. 9 / 1 , Nr. 9 5 (Merck an Wicland, vor 5. Dezember 1785) und Nr. 96 (Wicland an Merck, 5. Dezember 1785), S. lOOf. 10 Hirt, Auszüge aus Briefen von Rom, S. 270f. Siehe dazu Vf., „Diese hier beygelcgte Nachrichten sind mix von 11. Hirt mitgetheilt worden". 11 Hirt, Leben eines jungen Mahlers. Zu diesem wie auch den übrigen Beiträgen Hirts zu der Zeitschrift siehe Zimmer, Anmerkungen, bes. S. 1 2 2 - 1 2 9 .

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Archäologie: Aloys Ludwig Hirt

Hirt außer für Exkursionen vor allem für seine eigenen Studien, aus denen die oben genannten Aufsätze hervorgingen.12 Auch Goethe selbst hatte die Dienste Hirts, den er bereits kurz nach seiner Ankunft in Rom wahrscheinlich durch Tischbein kennengelernt hatte, in Anspruch genommen und sich von ihm durch die römischen Altertümer führen lassen.13 Als ,,trockne[n], treue[n] fleißige[n] Deutsche[n], der schon recht schöne historische Kenntniße von Rom und von der Kunst hat u[nd] seinen Geschmack im Umgange mit Verständigen bildet", bezeichnete er ihn in einem Brief an Wieland vom 17. November 1786, dessen Absicht es war, Hirt als festen Mitarbeiter des Merkur zu etablieren.14 Auch wenn Wieland damals ablehnte, gibt das von Goethe skizzierte potentielle Aufgabengebiet Hirts nicht nur einen anschaulichen Eindruck von dessen spezifischen Kenntnissen und Fähigkeiten, sondern kann zugleich als Anhaltspunkt dafür dienen, welche Art von Aufsätzen und Artikeln Schiller vorschwebten, als er Hirt auf die Liste der Mitarbeiter der Hören setzte. Hirt könne, so schlug Goethe Wieland vor, 1.) Supplemente zum Fache des Alterthums liefern. V o n neuen Kntdeckungen, neuen, beßern Erklärungen, Restaurationen, Veränderungen mit alten Kunstwercken, wenn sie auswärts verkauft oder sonst transportirt werden. 2. Zum Nutzen der Fremden die als Kunstliebhaber Rom besuchen, manches mittheilen. 3. V o m Kunsthandel u was man an Originalen, Abgüßcn, Copien, andern Nachbildungen haben kann, was, und um welchen Preis. 4. Von Akademien, Museis, Gallerien, Kabinetten u kleineren Kunstsammlungen. 5. V o n Wercken lebender Künstler die theils in Rom seßhaft sind theils, sich daselbst eine Zeitlang aufhalten, in allen Theilen der Kunst. 6. Von Kunstjournalen u. andern S c h a f f t e n die Kunst betreffend mit einem langen ppp. Auch über neuere Italienische) Litt[cratur| überhaupt. 1 3

Von den sechs beziehungsweise sieben hier angeführten Punkten kamen für die Hören natürlich nur diejenigen in Frage, die versprachen, von einem allgemeineren Interesse zu sein. Schiller dürfte vor allem auf Nachrichten über neu erschienene ästhetische und literarische Schriften sowie, angeregt durch Goethe, auf Berichte über neu entstandene Werke in Italien lebender Künsder gehofft haben. Vorerst jedoch wurde er enttäuscht: Nicht nur dauerte es über ein Jahr, bis Hirt auf wiederholtes Drängen Goethes seinen ersten, Reise von Grottaferrata nach dem Fuänischen See und Monte Cassino betitelten Aufsatz einschickte. Der Text dieser Goethe zu-

1 2 Siehe Neuer Nekrolog der Deutschen 15 (1837). Vgl. Vogel, Aus Goethes Römischen Tagen, S. 244f. 13 So Maler Müller in einem Brief an llcinse v o m 17. April 1 7 8 7 (zit. nach: Müller, Briefwechsel, Teil 1, Nr. 98, S. 119). Mit weder für ihn noch seinen Adressaten ungewöhnlichen Worten fügt Maler Müller hinzu, daß es ihm „immer wenn ich den starcken G ö t h e unter den Scheelen Schmachtlappen so herum marschieren sah", geschienen habe, „als erblickt ich den Achilles unter den Vozen v o n Sciros". 14 Wielands Briefwechsel, Bd. 9/1, Nr. 232, S.195f. 15 Iibd., S. 196.

Hirt als Mitarbeiter von Schillers Hören

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folge „weitläufig und ungeschickt geschrieben [en]" antiquarischen Abhandlung erwies sich von einer solchen „schrecklichen Schwere", daß Schiller verlauten ließ, man müsse diesem Aufsatz etwas „entgegensetzen", „wodurch der Zweyte Jahrgang der Hören brillant beschloßen würde." 16 Trotz dieses Mißerfolgs bekam Hirt eine zweite Chance, die er denn auch weitaus besser zu nutzen wußte. Bereits in dem das Manuskript seiner Reise nach Grottaferrata

begleitenden Brief an Goethe vom 12. April 1796 hatte er diesen

wissen lassen, daß er noch eine ganze Reihe von Arbeiten zur Veröffentlichung bereitliegen habe: Ich habe so manches vorgearbeitet, und entworfen, daß ich gerne einen Ausweg in's Publikum damit finden möchte. Diese meine Arbeiten enthalten: Erklärungen theils bekannter, theils unbekannter Monumente; Zusammenstellungen, und Resultate über Kunstwerke, Kunstepochen, Kunststudium und Kunsttheorie: vorzüglich Bemerkungen auf meinen verschiednen kleinen Kunstreisen: Kunsturtheile über neue und ältere Werke: Biographien von Künstlern, als Trippel, Hecker, Moore etc. auch älterer als den Marcus Agrippa etc. 17 Daß aus dieser umfangreichen Liste gerade eine kunsttheoretische Arbeit für die Hören ausgewählt wurde, geht allem Anschein nach auf das Betreiben Schillers zurück. Dieser war mit Hirt mittlerweile auch persönlich zusammengetroffen: Aufgrund der kriegerischen Ereignisse in Italien — die im Norden des Landes siegreichen Truppen Napoleons näherten sich scheinbar unaufhaltsam dem Kirchenstaat - hatte Hirt Rom im Mai 1796 verlassen und war im Sommer desselben Jahres in Deutschland eingetroffen, wo er schon kurz darauf zum ordentlichen Mitglied der Königlichen Akademie der Wissenschaften in Berlin ernannt wurde. 18 Als er Ende Juni 1797 Weimar besuchte, traf er dort nicht nur mit Goethe 16 Hirt hatte das Manuskript am 12. April 1796 an Goethe geschickt; aufgrund der von Goethe und Schiller beanstandeten Mängel erschien der der Herzogin Anna-Amalia gewidmete Aufsatz jedoch erst im elften und zwölften Stück des zweiten Jahrgangs (1796) der Hören, das heißt im Dezember 1796 und Januar 1797. Für die zitierten Beanstandungen siehe Goethe an Meyer, 20. Mai 1796 (GMB 1, Nr. 75, S. 243) und Schiller an Goethe, 25. Oktober 1796 (MA 8.1, Nr. 235, S. 261f.). 17 Hirt an Goethe, 12. April 1796 (GSA 28/13, Blatt 160f. = RA 2, Nr. 167). Zu dem aus Tirol stammenden Gemmenschneidcr Christian Friedrich Hecker (f 1795 in Rom) und dem englischen Landschaftsmaler James Moore (f 1792 in Rom) vgl. Meyers Entwurf einer Kunstgeschichte des achtzehnten Jahrhunderts (MA 6.2, S. 311 und 328). Bei dem zuletzt Genannten dürfte es sich wohl nicht um den bei Thiemc-Becker erwähnten Architekten Marco Agrippa (in Mailand erwähnt 1567) handeln, sondern vielmehr um den römischen Staatsmann, Feld- und Bauherrn Marcus Vipsanianus Agrippa (64/63 v. Chr.-12 v. Chr.), den Hirt in seinen 1791 in italienischer Sprache publizierten Osserva^ioni istorico-architettoniche sopra il Panteon, S. 3-19 als „edificatore" des römischen Pantheon identifizieren sollte. 18 Siehe den Brief Friedrich Wilhelms II. an Hirt, 26. Oktober 1796 (abgedruckt in: Zur Vorgeschichte der Berliner Museen, S. 71). Vgl. hierzu [Kat.| „Die Kunst hat nie ein Mensch allein besessen", S. 77ff., insbes. S. 86f.

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Archäologie: Aloys Ludwig Hirt

zusammen, sondern lernte während einer Visite in Jena auch Schiller kennen, mit dem er sich allem Anschein nach angeregt über seine Studien unterhielt.19 Offenbar noch vor seiner Rückreise nach Berlin übergab er Schiller ein Manuskript, das unter dem Titel Versuch über das Kunstschöne das Mitte September 1797 ausgelieferte siebte Stück der Hören eröffnete. Es war dieser Aufsatz, der den Auftakt zu der oben erwähnten Reihe von Beiträgen bildete, mit denen Hirt der Begrenzung des Klassischen auf die Prinzipien der ,edlen Einfalt und stillen Größe' beziehungsweise .Schönheit' entgegentrat und in deren Folge sich das alte, seit den Zeiten Winckelmanns und Lessings virulent gebliebene Problem der ,Nachahmung des Gewaltsamen' mit neuer Dringlichkeit stellen sollte.

II. „Bestimmte Individualität": Hirts Versuch über das Kunstschöne Hirts Versuch über das Kunstschöne steht in einer langen Tradition von Abhandlungen, die die Frage nach dem Wesen des Schönen beziehungsweise der Kunst stellen. Ein Blick auf die in Johann Georg Sulzers Allgemeiner Theorie der Schönen Künste (neue vermehrte zweite Auflage 1792—94) angeführte Literatur zeigt, welches Ausmaß das diesbezügliche Schrifttum insbesondere in der zweiten Hälfte des achtzehnten Jahrhunderts erreicht hatte: So erwähnt allein die im Anschluß an den Artikel „Aesthetik" abgedruckte Literaturliste auf neunzehn Spalten mehr als fünfzig einschlägige Schriften, zu denen allerdings noch die unter den Verweisartikeln „Schön" respektive „Schönheit" (ebenfalls neunzehn Spalten), „Geschmack" (sechzehn Spalten) und „Künste; schöne Künste" (immerhin noch etwas mehr als vier Spalten) genannten Werke hinzuaddiert werden müssen. Zugleich wird aber auch deutlich, daß die ästhetische Diskussion seit den 1760er Jahren, als die einflußreichen Schriften Winckelmanns, Mengs und Lessings erschienen waren, keine wirklich neuen Impulse mehr erhalten hatte. Zwar lag Kants Kritik der Urteilskraft bereits seit 1790 vor, doch sollte ihre breitere Rezeption erst in den Jahren nach 1800 einsetzen.20 19 Zu Hirts Besuch in Weimar und Jena siehe unten, S. 85-96. 20 Kants Kritik der Urteilskraft wird bei Sulzer unter dem Artikel „Ästhetik" (Bd. 1, S. 56-59) eingehend besprochen. - Daß Hirt von Kants Philosophie zumindest Kenntnis genommen hat, läßt sich aus seiner Anwesenheit bei den von Fernow im Jahre 1796 gehaltenen ästhetischen Vorlesungen schließen, von der Friedrich Distelbarth in einem Brief vom 15. Februar 1796 an Johann Heinrich Dannecker berichtet: „[...] für jezo muß ich Ihnen nur noch von dem Collegio das Ferno über die Estetik ließt sagen, daß dieser ganz vortrefflich ist, so daß 4 bis 5 von den Teutschen Künstlern ausgenommen alle es hören, sogar Hirth und andere Gelehrte kommen auch dahin, [...]." (Zitiert nach: Kröger, Distclbarths Briefe an Dannecker, S. 63)

Hirts Versuch über das Kunst schöne

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Ganz in diesem Sinne weist Hirt in dem einleitenden Abschnitt seines Versuchs auf die große Anzahl ästhetischer Schriften hin, die in den Jahrzehnten zuvor erschienen seien, was jedoch, wie er zumindest impliziert, keinen Ausweis für deren Qualität darstelle: Vielleicht war nie ein Zeitalter, wo der menschliche Geist mehr beschäftiget war, jede Art von Kenntnissen auf ursprüngliche und allgemeine Grundsätze zurückzuführen, wie das unsrige. Sowohl das Schönc überhaupt, als dessen nähere Anwendung auf diejenigen Künste und Wissenschaften, welche die Alten unter den artes ingenuae et liberales begriffen, und die Neuem mit dem Namen der schönen Künste und Wissenschaften belegt haben, ist ein Lieblingsstudium für den Virtuosen, wie für den schöncn Geist, für den Künstler, wie für den Philosophen geworden. Wenn man den Werth der Schriften dieser Klasse nach ihrer Menge beurtheilen sollte, so müßte man vermuthen, daß diese Materie schon mehr als erschöpft wäre. 21

Hirt reflektiert hier auf eine für seine Generation spezifische Erfahrung. Wie er selbst, sahen sich auch seine Altersgenossen Goethe (geb. 1749), Moritz (geb. 1756), Schiller (wie Hirt geb. 1759) und Fernow (geb. 1763) mit der in zahlreichen Schriften niedergelegten Hinterlassenschaft einer überaus produktiven Vorgängergeneration konfrontiert, der es sich schon im Interesse der Ausbildung einer eigenen intellektuellen Identität zu widersetzen galt. Was für Goethe und Schiller hinsichtlich der Lyrik beziehungsweise Dramatik geltend gemacht worden ist - der gelungene Versuch der produktiven Emanzipation von den überkommenen literarischen Vorbildern der Jahrhundertmitte - läßt sich in gleicher Weise auch hinsichtlich des von Moritz, Fernow und Hirt bearbeiteten Gebiets der Ästhetik und Kunsttheorie konstatieren: Alle drei kamen nicht umhin, sich mit den zu ihrer Zeit immer noch als kanonisch geltenden Schriften Winckelmanns, Mengs' und Lessings auseinanderzusetzen, nur um sich dann um so vehementer von ihnen abzusetzen.22 Erst vor diesem Hintergrund wird verständlich, warum Hirt in seinem Versuch über das Kunstschöne beteuert, daß es ihm keinesfalls darum gehe, die große Anzahl 21 Hirt, Versuch über das Kunstschöne, S. 1. Vgl. auch die Einschätzung Hirts in seiner letzten, 1833 in Berlin erschienenen Publikation zur Geschichte der bildenden Künste bei den Alte/r. „Wenn aber die Liebe zum Altcrthum und die Forschung in grösserm Maasse [sie!] zugenommen hat, so ist auch nie ein Zeitalter eifriger und glücklicher gewesen, als das unserige (die letzten fünfzig Jahre), mit Aufsuchen und Mehrung des Materials, und mit Anlegung grosser Sammlungen, um die Forscher zu begünstigen." (S. VI.) 22 Die Klassizität der Winckelmannschen Schriften hatte der Göttinger Altertumswissenschaftler Christian Gottlob Heyne bereits 1778 konstatiert, diese Einschätzung aber zugleich mit der Notwendigkeit ihrer Kritik verbunden (Heyne, Lobschrift auf Winkelmann, S. 24f.). Vgl. auch die Einschätzung Goethes in seiner Italienischen Reise, 13. Januar 1787 (MA 15, S. 191; zugrunde liegt der Brief an Herder gleichen Datums, WA IV, Bd. 8, S. 134f.): „Wieviel tat Winckelmann nicht, und wieviel ließ er uns zu wünschen übrig! [...] Ixbtc er noch, und er könnte noch frisch und gesund sein, so wäre er der erste, der uns eine Umarbeitung seines Werkes gäbe."

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Archäologie: Aloys Ludwig Hirt

der bereits existierenden ästhetischen Schriften um eine weitere zu vermehren. Auch wolle er keinen „kritischen Blik über die bekanntesten Schriften dieser Klasse [...] werfen".23 Seine Absicht sei es vielmehr, „eine kritische Geschichte der schönen Künste zu geben", womit offensichtlich, ähnlich wie dies Kant in der Vorrede zu seiner Kritik der reinen Vernunft formulierte, nicht eine „Kritik der Bücher und Systeme", sondern der schönen Künste „überhaupt" gemeint ist.24 Hirt geht sogar so weit, die Arbeiten seiner Vorgänger als seinem Vorhaben hinderlich zu bezeichnen: Er habe „Ursache zu glauben", daß mein Unternehmen, und die Weise dasselbe anzusehen, vielleicht einen leichtern Eingang und eine bessere Aufnahme finden dürfte, wenn nicht selbst Männer, welche in manchen andern Rücksichten die I Iochachtung der Nachwelt, wie der Zeitgenossen verdienen, über die nehmlichcn oder ähnliche Gegenstände geschrieben hätten. 25

Dem aufmerksamen Leser dürfte nicht entgangen sein, daß er damit auf Winckelmann und Lessing anspielte, deren Namen er hier — sei es aus Respekt, sei es aus Berechnung — noch verschweigt, im folgenden Laokoon-Aufsatz jedoch ausdrücklich nennen sollte. Anstatt selbst das „Labyrinth"20 theoretischen Schrifttums in der Auseinandersetzung mit diesen Autoren mehren zu wollen, nimmt Hirt einen grundsätzlich anderen Ausgangspunkt: Er setzt auf den ästhetischen Befund der Kunstwerke, um damit „sowohl den Begriff des Schönen überhaupt, als die Grundsäze [sie!] der schönen Künste" auf den Boden der Anschauung zurückzufuhren.

1. Konvention und Innovation Entbunden von der Verpflichtung, sich mit den bereits existierenden Theorien auseinanderzusetzen, kann Hirt es sich erlauben, „von dieser Materie nur so viel [zu] berühren", als er es für seine Absicht und im Interesse der Verständlichkeit seiner Abhandlung für „nöthig" hält. Zugleich gibt ihm die in einem willkürlichen Befreiungsschlag geschaffene tabula rasa die Möglichkeit, selbst scheinbar voraussetzungslos zu argumentieren, das heißt kunsttheoretisch gleichsam bei Null anzufangen. Es ist deshalb nur konsequent, wenn Hirts Untersuchung mit der Bestimmung einer „Allgemeinen Idee von dem Ursprung der schönen Künste" ansetzt, sich daraufhin den „Drei Quellen unserer angenehmen Empfindung" zuwendet und dann lange Seiten dem ,,Etirnologische[n] Begriff des Wortes Schön" widmet.27 Der Zweck dieser Abschnitte ist es, die Kunsttheorie und ihre 23 24 25 26 27

Hirt, Versuch über das Kunstschöne, S. 1. Vgl. Kant, Gesammelte Schriften, 1. Abt., Bd. 4, S. 9. Hirt, Versuch über das Kunstschöne, S. 2. Ebd., S. 2f. Ebd., S. 2-23.

Hirts Versuch über das Kunstschöne

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Begrifflichkeit von Grund auf neu zu entwickeln. Was Hirt dann aber im einzelnen vorträgt, ist über weite Strecken keineswegs so originell, wie man nach seiner Ankündigung vermuten sollte: Die Feststellung, daß die schönen Künste ihre Entstehung dem „Bedürfnis" zu verdanken hätten, war in den 1790er Jahren ebenso konventionell wie die Behauptung, daß es vorzüglich die Griechen waren, „unter denen sich nach und nach der Sinn für das Kunstschöne bis zur höchsten Vollkommenheit" entwickelt habe. Gleiches gilt für die als Quelle aller angenehmen Empfindungen bezeichnete Trias des Wahren, Guten und Schönen, die Dichotomie von Kunstschönem und Naturschönem sowie die Unterteilung der schönen Künste in „die Musik, die Tanzkunst, die Geberde- Miene- und Schauspielkunst, die Rede- und Dichtkunst; die Mahlerey, Sculptur und Baukunst".28 Hirt schließt sich hier an geläufige Bestimmungen an, die „man" geglaubt habe treffen zu können, und bleibt in diesem Sinne der Tradition verhaftet. Ebensowenig originell, ja mitunter trivial muten seine Gedanken zur Etymologie des Begriffes „schön", zum „Sprachgebrauch" des Wortes und seiner „vielbedeutende[n] Ideenbezeichnung" an. Die simplifizierende (und zudem irrige) Erklärung, daß „schön" von „scheinen" herkomme, hat bereits den Spott August Wilhelm Schlegels auf sich gezogen, dessen Urteil im Falle Hirts, wie noch zu sehen sein wird, allerdings nicht gerade als objektiv gelten kann.29 Wirklich innovativ wird Hirts Versuch über das Kunstschöne erst in seinem letzten, zur „Allgemeine [n] Erklärung des Schönen" ansetzenden Teil, der nacheinander die „Verschiedenheit des Kunstschönen von dem Naturschönen" und das „Schöne in der bildenden Kunst" erläutert, um dann in der Bestimmung der „Charakteristik als Hauptgrundsaz des Kunstschönen" zu gipfeln: „Unter Charakteristik verstehe ich nemlich jene bestimmte Individualität, wodurch sich Formen, Bewegung und Geberde, Miene und Ausdruk — Lokalfarbe, Licht und Schatten, Helldunkel und Haltung — unterscheiden, und zwar so, wie der vorgelegte Gegenstand es verlanget."30 Das hier noch relativ abstrakt formulierte Konzept der ,Charakteristik' wurde von Hirt erst in den beiden folgenden HorenAufsätzen mit Beispielen aus der antiken Kunst anschaulich untermauert. Bevor

28 Ebd., S. 4 und 14. 29 Ebd., S. 5ff. Schlegels Spott findet sich im Athenäum (Bd. II, 2 [1799], S. 331 f.): „Nachdem Hr. Hofrath Hirt durch seinen Versuch über das Kunstschöne [...] die Welt aus der Verworrenheit der bisherigen Theorien gerettet, in dem man nun klar einsieht, wie schön von scheinen herkömmt, und daß ,alle unsre angenehmen Empfindungen entweder das Wahre, das Gute oder das Schöne zum Grunde haben' (wenn man bei einer Vorlesung des Hrn. Hirt einschläft, aus welcher der drey Quellen mag diese angenehme Empfindung wohl herfließen?): so wird er eine vollständige Geschichte der bildenden Künste bey den Alten geben, worin er zeigen wird, daß die Charakteristik der Hauptgrundsatz derselben gewesen sey." 30 Hirt, Versuch über das Kunstschöne, S. 34f.

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Archäologie: Aloys Ludwig Hirt

die Untersuchung sich diesen Beispielen als der materiellen Grundlage von Hirts Kunsttheorie zuwendet, soll zunächst dieser Begriff im Kontext der zeitgenössischen ästhetischen Diskussion kurz betrachtet werden.

2.,Charakteristik'. Europäischer Kontext und mögliche Quellen des Begriffs bei Hirt Schon vor mehr als fünfzig Jahren hat Oskar Walzel darauf hingewiesen, daß der Ausdruck charakteristisch' in der ästhetischen Diskussion der Zeit kein „ungefährlicher" war: Wie das Wort .Charakter' sei um 1800 auch .charakteristisch' ein „schwankender Begriff' gewesen, der je nach Zusammenhang und Intention das Typische oder das Einmalige, den Gattungscharakter oder den persönlichen Charakter bezeichnen konnte.31 Sein etwas abfälliger Hinweis auf den entsprechenden Artikel in Sulzers Allgemeiner Theorie der schönen Künste, der bezeuge, „wie wenig das Zeitalter fähig war, das Entscheidende angesichts der Frage nach charakteristischer oder nichtcharakteristischer Kunst zu treffen", kann indes auch als Fingerzeig auf eine der möglichen Quellen von Hirts Konzept der ,Charakteristik' gelesen werden.32 Ahnlich wie Hirt definierte bereits Sulzer „Charakter" als „[d]as Eigenthümliche oder Unterscheidende in einer Sache, wodurch sie sich von andern auszeichnet" und erblickte in der „genaue [n] Bemerkung des Charakteristischen" wenn schon nicht den „Hauptgrundsatz", so doch ,,ein[en] Haupttheil der Kunst."33 Daß Hirt mit diesen Gedanken vertraut war, läßt sich zumindest indirekt aus Goethes Italienischer Reise schließen, wo dieser nicht ohne einen Anflug von Überheblichkeit davon berichtet, daß Sulzers Werk in Rom noch am Ende der 1780er Jahre gleichsam zum Lektürekanon der künsderisch interessierten Deutschen gehörte.34 Sulzers Theorie war somit aller Wahrscheinlichkeit ein Referenzpunkt für Hirts Konzept der .Charakteristik', doch dürfte der Einfluß anderer europäischer Kunsttheoretiker weitaus bedeutender gewesen sein.

31 Oskar Walzel, Romantisches, S. 44. Zur Doppeldeutigkeit der Begriffe „Charakter" und „charakteristisch" vgl. auch die Einträge in: Reallexikon der deutschen Literaturwissenschaft, Bd. 1, s. v. „Charakter" (S. 297-299) und Goethe-Wörterbuch, Bd. 2, Sp. 980-986 und Sp. 988-990. 32 Walzel, Romantisches, S. 44. 33 Sulzer, Allgemeine Theorie der schönen Künste, Bd. 1, S. 453f. - Der Artikel „Charakter" findet sich sowohl in der ersten Ausgabe von Sulzers Werk (Leipzig 1771/74) als auch in der 1786/87 erschienenen Neuauflage. 34 MA 15, S. 162 (Fraskati, den 15. November 1786). Noch 1798 sollte Goethe Schüler um die Übersendung von „Sulzers Wörterbuch" bitten, um sich „nach den hergebrachten Vorstellungsarten um[zu]sehen" (MA 8.1, Nr. 542, S. 647).

I Iirts Versuch über das Kunstschöne

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Frankreich und Tingland Bereits zu Anfang des achtzehnten Jahrhunderts hatte Roger de Piles in seinem Cours de peinture parprincipes (1708) den „caracteres" einen eigenen Abschnitt gewidmet, in dem er auf die Notwendigkeit hinwies, Dinge und Lebewesen nicht formal abstrakt, sondern gemäß ihrer jeweiligen Individualität darzustellen.33 Seit ungefähr der Mitte des Jahrhunderts, verstärkt jedoch seit den 1770er Jahren hatte sich „caractere" zudem zu einem der zentralen Begriffe der französischen sowie, parallel dazu, der englischen Architekturtheorie entwickelt.36 Hirt, dessen Interesse neben der Malerei und Skulptur insbesondere der Baukunst galt und der in Rom mit Architekten wie Friedrich Wilhelm von Erdmannsdorf und Friedrich Weinbrenner verkehrte,37 dürften insbesondere die entsprechenden Ausführungen der französischen Theoretiker Jacques-Fra^ois Blondel, Germain Boffrand und Quatremere de Quincy nicht unbekannt gewesen sein.38 Kennzeichnend für sie ist die Auffassung des Charakters als einer besonderen, auf dem Prinzip der Angemessenheit (decorum) beruhenden ästhetischen Qualität, die sich dem Betrachter intellektuell oder emotional mitteilt. Der eigentümliche Zweck eines Gebäudes, das heißt die durch seinen Bewohner vorgegebene Nutzfunktion, soll demzufolge in seiner charakteristischen Form erkennbar sein. In diesem Sinne ist beispielsweise dem Haus eines hohen Militärs ein „caractere martial" angemessen, „indique par des corps rectüignes, par des pleins egaux aux vides, & par une ordonnance qui, puisee dans l'ordre Dorique, rappelle au spectateur la valeur du Heros qui doit l'habiter."39 35 de Piles, Cours de peinture par principes, S. 94. 36 Zur Entwicklung und Rolle des „Charakters" in der englischen Architekturtheorie siehe Archer, Character in English Architectural Design, der 'l'homas Whatleys 1 7 7 0 zuerst erschienenen Observations on Modern Gardening als das zentrale Referenzwerk nennt und dabei die Eigenständigkeit der englischen Begriffsbildung betont. 37 An architekturhistorischen Arbeiten I Iirts aus seiner römischen Zeit sind u. a. zu nen-

nen: Historisch-architektonische Osserva^oni

istorico-architettoniche

Beobachtungen über die christlichen Kirchen (1789) sowie seine sopra ilPanteon

(1791). In späteren Jahren sollte sich die

Baukunst sogar zu einem seiner I lauptgebiete entwickeln, dem er zwei größere Werke

widmete (Baukunst nach den Grundsätzen der Alten, Berlin 1809; Die Geschichte der Baukunst bei den Alten, Berlin 1821 - 1 8 2 7 ) . 38 Vgl. Schönwälder, Ideal und Charakter, S. 1 1 9 - 1 2 1 . - A u f seine Auseinandersetzung mit der zeitgenössischen europäischen Kunsttheoric und -produktion kommt I lirt re-

trospektiv in seinen Kunstbemerkungen auf einer Reise über Wittenberg und Aleissen nach Dresden und Prag (1830) zu sprechen, w o er S. 1 9 6 mit Bezug auf seine römischen Lehrjahre schreibt: „Ich ging überall in die Schule. Unbefangen war mein Umgang mit dem Italiener, wie mit dem Franzosen, und mit dem Engländer, wie mit dem Deutschen: und so mit dem Mahler und dem Bildhauer, wie mit dem Architekten." 39 Blondel, Cours d'Architecture, Bd. 2 (1771), S. 237. Dagegen gehöre zu einer „demeure du Prelat" die „ordre Ioniquc" und zu einer „demeure d'un premier Magistrat" die „ordonnance Composite" (ebd.).

Archäologie: Aloys Ludwig Hirt

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Wenn nun Hirt behauptet, daß die Vollkommenheit der antiken Kunst gerade darin bestehe, daß die Künstler in ihren Werken „jede Bewegung, jede Leidenschaft, jede Form [...] individuell für jeden Charakter" dargestellt hätten,40 so entspricht dies durchaus der Uberzeugung Blondels, der Architekt müsse „assigner ä chaque batiment le caractere qui lui est propre."41 Deutschland und Italien Doch nicht nur in Frankreich, sondern auch in Deutschland und Italien42 waren während der 1770er und 80er Jahre die Begriffe .Charakter' beziehungsweise .Charakteristik' mit Bezug auf die bildenden Künste diskutiert worden.43 Nach Aussagen seiner Biographen soll sich Hirt bereits während seiner Wiener Studienzeit (1779—82) mit Johann Caspar Lavaters Physiognomischen Fragmenten auseinandergesetzt haben, die auf der Grundannahme beruhen, daß die Seele und der Charakter eines Menschen für den aufmerksamen Beobachter an äußeren Merkmalen seines Körpers ablesbar seien.44 Den Künsdern empfahl Lavater deshalb, die verschiedenen von ihnen darzustellenden Gegenstände keinesfalls zu idealisieren, sondern ihren individuellen „Charakter" auf das genaueste nachzuahmen: Es giebt, sag' ich mit Zuversicht, kein Abstraktum, und soll keines geben; keines in der Natur, keines in der Kunst. [...] Wer einen Menschen mahlt, oder bildet, der mache einen Mann oder ein Weib - und zwar von bestimmten Charakter, so schön er wolle, nur daß man genau seine Individualität kenne, und seine Meinung und Bestimmung wisse 45

Während die Auseinandersetzung mit Lavater auf die Lektüre seiner Schriften beschränkt blieb, ist Hirt mit anderen Vertretern einer mit Konzepten von .Charakteristik' operierenden Kunstauffassung auch persönlich in Kontakt getreten. Als Cicerone hat er nicht nur Goethe, sondern auf dessen Vermittlung auch 40 Hirt, Laokoon, S. 29. Wie die französischen Architekturtheoretiker stellt Hirt darüber hinaus die individualisierende Charakterisierung in den Dienst der Verständlichkeit: „Wer nachahmt, muß so nachahmen, daß er verstanden werde - und dieß leztere kann nur geschehen, wenn er die Züge der Natur getreu, ja individuell auffasset, und sein Werk oder seine Handlung übersezet." 41 Blondel, Cours d'Architecture, Bd. 1 (1771), S. 374. 42 Zur Rezeption des Begriffes in Italien siehe Milizia, Dell'Arte di vedere, S. 58-60 sowie D'Angelo, Tra bello ideale e caratteristico (zum 1765 erschienenen Saggio sopra la Bellevga des italienischen Ästhetikers Giuseppe Spalletti). 43 Zur Verwendung des Begriffes „Charakter" in der deutschen Architekturtheorie und -kritik siehe Philipp, Um 1800, S. 80-83; Bisky, Poesie der Baukunst, S. lOOff. 44 Zu Hirts Lavater-Lektüre siehe Neuer Nekrolog der Deutschen 15 (1837), S. 675. 45 Lavater, Einige physiognomische Bemerkungen für Zeichner und Mahler, S. 165. Es ist übrigens genau dieses Zitat, das Schadow in seiner berühmten Entgegnung auf Goethes Einschätzung der Berliner Kunstschule (Propyläen, S. 1065) anführt. Siehe Schadow, Ueber einige, in den Propyläen abgedruckte Sätze, die Ausübung der Kunst in Berlin betreffend, S. 498.

Hirts

Versuch über das Kunstschöne

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Johann Gottfried Herder durch Rom geführt. Während der erste, Goethe, als junger Mann in seinem Aufsatz Von deutscher Baukunst (1772/73) die „charakteristische Kunst" im Sinne eines nationalen Stils als „die einzige wahre" gerühmt, von dieser forcierten Position aber schon bald Abstand genommen hatte,46 war Herder 1778 mit seiner Plastik betitelten Abhandlung an die Öffentlichkeit getreten, in der er unter anderem — ähnlich wie Lavater und später Hirt — behauptete, daß die Griechen die Schönheit nie abstrakt, sondern immer „konkret", das heißt „individuell bedeutend" gebildet hätten.47 Anregungen und Kritik dürfte Hirt zudem von dem nachmaligen Professor der Theorie der schönen Künste in Berlin, Karl Philipp Moritz, erhalten haben, der während seines römischen Aufenthalts ihm gegenüber in der Via Babuino wohnte und mit dem gemeinsam er die Zeitschrift Italien und Deutschland herausgab.48 In dessen 1792/93 erschienenen Reisen eines Deutschen in Italien finden sich Überlegungen, die mit den von Hirt erst fünf Jahre später veröffentlichten Gedanken im Ansatz übereinstimmen, sich im entscheidenden Punkt aber kritisch von diesen unterscheiden. Unter der Überschrift „Apollo in Belvedere" heißt es dort: Man kann frcilich sagen: was für ein erstaunlicher Unterschied findet in der bildenden Kunst der Alten zwischen einem Silen und einem Apollo statt; und doch sind beide schön, ein jeder in seiner Art. Ein Faun oder Silen kann in seinem Charakter eben so übereinstimmend sein, wie ein Apollo in dem seinigen. - W e r aber den Apoll gebildet hat, den wird doch wohl ein jeder für einen größern Künstler halten, als denjenigen, welcher nur einen vollkommenen Faun zu bilden fähig war. 4 9

Zwar akzeptiert Moritz hier die Prämisse, daß, wie es kurz darauf heißt, „ein jedes Ding in seiner Art vollkommen" und damit „schön" sei. Doch hält er an der — mit Hirt gesprochen — „objektivischen" Grundlage der Schönheit fest, wenn er argumentiert, „daß die Arten selber sich wieder untergeordnet sind, und die eine mehr Vollkommenheiten in sich faßt, als eine andere."30 — Ob nun ursprünglich Hirt von Moritz oder Moritz von Hirt auf den „erstaunlichen" Umstand relativer Schönheit („jeder in seiner Art") aufmerksam gemacht wurde, läßt sich nicht 46 MA 1.2, S. 421. Siehe dazu den Artikel „Charakteristische Kunst" im Goethe-IIandbuch, Bd. 4 / 1 , S. 1 6 0 - 1 6 3 ; Wolf, Streitbare Ästhetik, S. 242-254. 47 Herder, Plastik S. 67. Vgl. hierzu Borbein, Klassische Archäologie in Berlin, S. 108f. und Stemmrich, Das Charakteristische in der Malerei, S. 4 8 f f . Die offensichtliche Nähe der in Herders Plastik formulierten Auffassung zu den Argumenten, die 1 lirt fast genau zwanzig Jahre später in den Hören vortragen sollte, hat indes nicht verhindern können, daß Herder seinen Cicerone noch in Rom als „Phantasten" bezeichnen sollte. Siehe dazu unten, S. 31. 48 Siehe dazu Noack, Aus Goethes römischem Kreise, S. 181. 49 Moritz, Werke, Bd. 2, S. 769. 50 Ebd., S. 770; Hirt, Versuch über das Kunstschöne, S. 30f.

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mehr klären. Deutlich dürfte jedoch geworden sein, daß der Begriff der .Charakteristik' beziehungsweise des ,Charakteristischen' um 1800 in ganz unterschiedlichen Diskursen auftaucht: Neben der Ästhetik, der Architekturtheorie und der Physiognomik ließen sich hier ferner die Bereiche der Biographik, der Gartenund Landschaftstheorie, der Musik- und Dramentheorie sowie der Anthropologie anfuhren.31 „iMmmel"gegen Riegel": Hirt und die Brüder Schlegel Auch wenn sich die Herkunft des Begriffs wohl nicht letztgültig rekonstruieren läßt, so läßt sich zumindest konstatieren, daß Hirt seine Idee des .Charakteristischen' unabhängig von Friedrich Schlegel entwickelt hat, der 1797 mit seinem Aufsatz Über das Studium der Griechischen Poesie an die Öffentlichkeit trat. In dieser großen Abhandlung gebraucht Schlegel den Begriff des .Charakteristischen' bekanntlich zur Unterscheidung der modernen von der griechischen Poesie. Während er in letzterer Objektivität und Schönheit verwirklicht sieht, ist für ihn die „ganze Masse der modernen Poesie" durch das „totale Übergewicht des Charakteristischen, Individuellen und Interessanten" gekennzeichnet.32 Insofern Schlegel das Charakteristische' als spezifisches Kennzeichen einer im wesentlichen als defizitär verstandenen Moderne, nicht jedoch als Qualitätsmerkmal der bildenden Künste auch und vor allem der Antike versteht, ist sein Konzept mit demjenigen Hirts nicht vergleichbar. In dieser — keineswegs vorsätzlichen — Opposition Hirts gegen Schlegel mag denn auch einer der Gründe dafür liegen, warum einerseits Schiller für die Aufnahme von Hirts Aufsätzen in die Hören plädierte und warum andererseits die Brüder Schlegel so heftig gegen dessen Verwendung des Begriffes .Charakteristik' polemisierten. Denn Schiller war, wie nicht zuletzt eine ganze Reihe von Xenien belegt, gegenüber der von Schlegel vertretenen Auffassung der Moderne äußerst kritisch eingestellt.33 In demselben Brief, in dem er Goethe

51 Vgl. dazu u. a. den Artikel „Carattere" in: Enciclopedia Universale dell'Arte, Bd. 3, Sp. 1 1 0 - 1 2 6 (hier bes. die Abschnitte von Jan Bialostocki, Sp. 1 1 3 - 1 1 9 ) ; das Stichwort „Charakter/charakterisch" in: Ästhetische Grundbegriffe. Bd. 1 (2000), S. 772-794 (von Thomas Bremer) sowie jetzt auch Tausch, Das vermessene Charakteristische, bes. S. 73-79. - Zu Humboldts Gebrauch des Begriffs Charakteristik im Kontext seines Plans einer vergleichenden Anthropologie siehe Oesterle, Kulturelle Identität und Klassizismus, bes. S. 3 1 8 f f . 52 Friedrich Schlegel, Über das Studium der Griechischen Poesie [ 1 7 9 5 - 1 7 9 7 ] S. 73, 79 und 81. - Auszüge aus dem bereits 1795 niedergeschriebenen Studiums-Auhttz waren im sechsten Stück der Zeitschrift Deutschland von 1796 erschienen, das Buch wurde im Januar 1797 ausgeliefert. Siehe dazu die Einleitung von Ernst Behler in: Friedrich Schlegel, Studien des Klassischen Altertums, S. CLXVIff. 53 Es handelt sich dabei im einzelnen um die Xenien Neueste Behauptung („Völlig charakterlos ist die Poesie der Modernen, / Denn sie verstehen bloß charakteristisch zu sein."),

Hirts Versuch über das Kunstschöne

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wissen läßt, daß er den „Hirtischen Aufsatz [...] recht gern in den Hören [hätte]", bemerkt er mit deutlicher Anspielung auf Schlegel: Es wäre, dcucht mir, jetzt gerade der rechte Moment, daß die griechischen Kunstwerke von Seiten des Charakteristischen belcuchtct und durchgegangen würden, denn allgemein herrscht noch immer der Winckelmannische und Lcßingische Begriff, und unsre allerneuesten Ästhetiker, sowohl über Poesie als Plastik, lassen sichs recht sauer werden, daß Schöne der Griechen von allem Charakteristischen zu befreien und dieses zum Merkzeichen der Modernen zu machcn. 34 Offenbar war es also Schillers Absicht gewesen, Hirt gegen Schlegel ins Feld zu fuhren. 33 Der damit vorprogrammierte Konflikt gewann an Brisanz durch die Tatsache, daß Schlegel ursprünglich selbst eine Abhandlung für die Hören hatte verfassen wollen. 36 Erst vor diesem Hintergrund wird das aggressive Bild verständlich, dessen Friedrich Schlegel sich mit Bezug auf Hirt in einem Brief an seinen Bruder bedient: Auf die Nachricht, daß August Wilhelm vorhabe, im Athenäum

gegen Hirts Hören-Aufsätze

zu polemisieren, läßt Friedrich den Bruder

wissen, daß es „prächtig" sei, „daß Du Hirt über die Nase hauen willst, denn so ein Lümmel muß nicht von der Kunst mitreden wollen dürfen." 37 Durch die Invektiven, die dieser Ermunterung zum Gebrauch verbaler Gewalt folgten, hat sich der angegriffene „Lümmel" indes keineswegs einschüchtern lassen. Seine öffentliche Antwort an die von ihm brieflich einmal als „Hegel" bezeichneten „Herrn Schlegel" folgte auf dem Fuß und zeigt, daß auch Hirt selbst die „polemische Schreibart" nicht scheute. 38

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Griechische und moderne Tragödie, Entgegengesetzte Wirkung, Die höchste Harmonie, Aufgelößtes Rätsel und Gefährliche Nachfolge (NA 1, S. 349). Schiller an Goethe, 7. Juli 1797 (MA 8.1, Nr. 342, S. 371 f.). Siehe dazu unten, S. 80-90. - Über die „Unverschämtheit" des „Laffe|n|" Friedrich Schlegel hatte sich Schiller schon am 16. Mai 1797 gegenüber Goethe beschwert (MA 8.1, Nr. 315, S. 349). Vgl. auch die diesbezüglichen Briefe Schillers an A. W. Schlegel vom 31. Mai und 1. Juni desselben Jahres (NA 29, Nr. 83 und 84, S. 80f). Diese angekündigte Abhandlung „vom Verhältnis der Griechischen Bildung zur modernen" wuchs sich zum späteren Studiurn-AukaV/, aus und wurde offenbar aufgrund der Länge des Textes von Schlegel selbst zurückgezogen. Siehe Behlers Hinleitung zu: Friedrich Schlegel, Studien des Klassischen Altertums, S. CLXlf. Friedrich Schlegel an August Wilhelm Schlegel, 13. April 1798 (Kritische FriedrichSchlegel-Ausgabe, 3. Abt., Bd. 24, Nr. 61, S. 120). Hirt reagierte auf das gegen ihn gerichtete Athenäums-Fragment mit seinem Aufsatz Ueber die Charakteristik, als Hauptgrundsatζ der bildenden Künste bei den Alten (1798). Die zitierte Stelle findet sich in einem Brief Hirts an Rode [?], 17. August 1799 (Staatsbibliothek Berlin/Autographen-Sammlung, acc. Ms. 1942.80). Mit Bezug auf Goethe und Fernow heißt es dort: „Mir ist sehr lieb, mit solchen zwey Männern und nicht mit Flegeln wie die Herrn Schlegcl sind, zu thun zu haben; [...]."

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Archäologie: Aloys Ludwig Hirt

3. Empirische Erweiterungen des Klassizismus Die germanistische wie auch die kunstwissenschaftliche Forschung hat sich gerade in den letzten Jahren wiederholt mit Hirts Prinzip des .Charakteristischen' auseinandergesetzt. Sie ist dabei zu Ergebnissen gelangt, die in ihrer Differenziertheit weit über die lange Zeit übliche Einschätzung Hirts als eines eher zweitrangigen Kopfes hinausgehen.39 So ist unter anderem dargelegt worden, daß Hirts ästhetische Kategorie des ,Charakteristischen' weder „im Sinne einer unmittelbaren Wiedergabe der Wirklichkeit als Erbe des Sturm und Drang" noch „gleichsam als Vorwegnahme der Romantik" interpretiert werden kann, sondern vielmehr „Ausdruck einer rationalistischen Kunstauffassung ist, die in der Ästhetik der Popularphilosophie und im Klassizismus [...] ihre Wurzeln hat."60 Trotz seiner Fundamentalkritik am Winckelmannschen Klassizismus läßt sich sein Anliegen keinesfalls als ,antiklassizistisch' rubrizieren, sondern muß als ein Versuch begriffen werden, sowohl der Ausdrucksqualität antiker Kunstwerke als auch, was bislang zumeist übersehen wurde, dem Ausdrucksbedürfnis moderner klassizistischer Künstler gerecht zu werden. Während die bisherige Forschung sich allerdings fast ausschließlich auf die theoretische Seite der Hirtschen Ho««-Aufsätze konzentriert hat, soll der Blick im folgenden vor allem auf die Kunstwerke gerichtet werden, die Hirt insbesondere in seinen beiden Laokoon-Aufsätzen als Belege für seine These der „Charakteristik als Hauptgrundsatz der bildenden Künste" herangezogen hat. Es geht also darum, die bislang vorherrschende Perspektive umzukehren und statt der ausgearbeiteten Theorie das künstlerische Material zu untersuchen, von dem die ursprüngliche Irritation ausgegangen ist. Auch wenn Hirt vor allem in seinem Versuch über das Kunstschöne als Ästhetiker erscheinen will,61 so ist doch offensichtlich, daß seine Stärken nicht auf theoretischem, sondern vielmehr auf antiquarisch-archäologi59 Von prägendem Einfluß auf die ältere Literatur sind vor allem die Arbeiten Friedrich Denks gewesen, in denen er die These vertritt, daß Hirt geistesgeschichdich dem Sturm und Drang zuzurechnen sei (Denk, Das Kunstschöne und Charakteristische, S. 50ff.; ders., Aloys Hirt. Ein deutscher Kunsthistoriker der Goethezeit; ders., Ein Streit um Gehalt und Gestalt des Kunstwerks in der deutschen Klassik). An neuerer Literatur zu nennen ist vor allem: Stemmrich, Das Charakteristische in der Malerei, S. 59-79; Schönwälder, Ideal und Charakter, S. 143-154; Costazza, Das „Charakteristische" ist das „Idealische"; ders., Das „Charakteristische" als ästhetische Kategorie (dort auch eine kritische Zusammenstellung der älteren Literatur) sowie neuerdings Tausch, Das vermessene Charakteristische. 60 Costazza, Das „Charakteristische" als ästhetische Kategorie, S. 64f. und 67. Dagegen beharren Stemmrich, S. 67 und Schönwälder, S. 154 und passim auf einem dem Hirtschen Konzept immanenten Naturalismus. 61 Vgl. Hirt, Ueber die Charakteristik, S. 437.

Hirts

Laokoon

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schem Gebiet liegen. Letzteres war ihm als ehemaligem römischen Cicerone wie wenigen anderen vertraut. So hat ihn nicht nur Hegel in seinen Vorlesungen über die Ästhetik als einen der „größten wahrhaften Kunstkenner unserer Zeit" bezeichnet, sondern auch der 1840 gestorbene Archäologe Karl Otfried Müller ihn einen der „vorzüglichsten Archäologen unter den Lebenden" genannt.62 Ganz in diesem Sinne lobt auch Goethe Hirts „reiche, beynahe vollständige Empirie" sowie die „große Masse von Erfahrung, die ihm zu Gebote steht", beklagt sich zugleich aber über seine „Verstandesdeductionen", die er „nicht als das ultimum, bey Hervorbringung und Beurtheilung der Kunstwerke," gelten lassen wolle.63 Betrachtet man die Reaktionen auf die Honen-Aufsätze Hirts genauer, so ist es nicht so sehr seine Theorie, sondern vor allem das von ihm mit großer Kennerschaft ausgewählte und ausgebreitete Material — die irritierenden Darstellungen von zürnenden Göttern, wahnsinnigen Helden und leidenden Menschen — das Anhänger der antiken Kunst verstört und der Asthetikdiskussion des Klassizismus neue Impulse verliehen hat.

III. Die „Gewalt des physischen Anstrengens und des körperlichen Leidens": Hirts Laokoon Als „gleichsam de[n] nähere [n] praktische [n] Beleg von den im ersten Aufsatze aufgestellten Ideen" hat Hirt den im Februar 1798 erschienenen Aufsatz über Laokoon bezeichnet.64 Die darin gegebene „neue Erklärung" der Laokoongruppe habe, so Hirt, dabei „blos als Einleitung" gedient, während es der eigentliche „Endzweck" des Aufsatzes gewesen sei, „den richtigen Gesichtspunkt aufzustellen, unter welchem das gesammte Alterthum in seinen uns hinterlassenen Kunstmonumenten vor unsern Augen erscheinet." Der Nachtrag über Laokoon wieder-

6 2 Siehe Hegel, Vorlesungen über die Ästhetik, Bd. 1, S. 33 und Müller, Kleine deutsche Schriften, Bd. 2, S. 326. Diesem Urteil schließt sich auch die moderne Archäologie an. Vgl. die Einschätzung von Parlasca (Antikenbegeisterung, S. 4 1 ) , daß „manche der zahlreichen Schriften aus seiner [i. e. Hirts, M. D.] Feder zu den beachtlichsten Fachbeiträgen der Zeit" gehören. 63 G o e t h e an Schiller, 5. Juli 1797 (ΜΛ 8.1, Nr. 3 4 1 , S. 370f.) und Goethe an Meyer, 14. Juli 1 7 9 7 ( G M B 2, Nr. 1 1 7 , S. 6f.). Vgl. Goethe an Schüler, 1. Juli 1 7 9 7 (MA 8.1, Nr. 339, S. 367-369) und Schiller an Goethe, 4. Juli 1 7 9 7 (MA 8.1, Nr. 340, S. 369f.). 64 I Iirt, Uebcr die Charakteristik, S. 440. Den Text des späteren L^o^ao//-Aufsatzes hatte Hirt bereits am 15. Juli 1 7 9 7 an der Berliner Akademie der Wissenschaften vorgetra-

gen. Siehe den Hintrag in den Registres de l'Academie Royale des Sciences et Beiles Lettres de Berlin v o m 15. Juni 1 7 9 7 (Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften, Archiv, Signatur I-IV, 33, Blatt 265). Denks irrtümliche Datierung der Vorlesung in das Jahr 1 7 9 5 muß damit korrigiert werden.

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um sei als eine „Beantwortung" von Goethes in der Zwischenzeit entworfenem Laokoon-Aufsatz entstanden, der ihm kurz nach seiner Niederschrift von Böttiger zugespielt worden war.63 In dieser Perspektive erscheinen beide Schriften als bloße Supplemente zu dem Versuch über das Kunstschöne. Ihre Funktion wäre demzufolge darauf beschränkt gewesen, der These von der Charakteristik als dem Hauptgrundsatz des Kunstschönen „Halt zu geben".66 Diese von Hirt vorgeschlagene Lesart stimmt jedoch nicht unbedingt mit dem überein, was die beiden Texte selbst nahelegen. Zwar münden beide unverkennbar in eine Apologie der Charakteristik, doch sind die zahlreichen von Hirt angeführten „Kunstmonumente" keinesfalls von sekundärer Bedeutung, sondern erweisen sich im Gegenteil als Grundlage und Ausgangspunkt seiner im Versuch über das Kunstschöne angestellten theoretischen Überlegungen. Auch wenn die beiden Laokoon-Aufsätze im Nachhinein publiziert wurden, legen erst sie den sehr konkreten, dinglichen Sachhintergrund von Hirts Konzept der ,Charakteristik' offen, der im theoretisch argumentierenden Versuch über das Kunstschöne ausgeklammert geblieben war. Zumindest der erste 'Laokoon-Aufsatz läßt sich bis in die 1780er Jahre, und das heißt in die Zeit vor der Entstehung des Versuchs über das Kunstschöne, zurückverfolgen.67 In einem auf den 7. März 1789 datierten Brief an seine Frau Karoline berichtet Herder davon, daß „Hirt sich von Tage zu Tage mehr als einen Phantasten" zeige und nennt als Grund für seinen Unmut eine „Abhandlung über den Laokoon", die Hirt aller Wahrscheinlichkeit nach im Kreis der sich gerade in Rom aufhaltenden Herzogin Anna Amalia vorgetragen hatte:

65 Goethe hatte seinen Laokoon-Aufsatz am 19. Juli 1797 an Böttiger gesandt (siehe W A IV, 12, Nr. 3607, S. 197), wofür sich dieser am 20. Juli bedankte (unpublizierter Brief im G S Α Weimar, Sign. 28/18, vgl. RA 2, Nr. 898). - Kurz daraufist Böttiger mit Hirt in Berlin zusammengetroffen. Siehe Böttiger, Reise nach Wörlitz, S. 97 und den Brief Böttigers an Goethe vom 1. September 1797 (ebenfalls unpubliziert, G S A Sign. 28/19; RA 2, Nr. 956), in dem Böttiger berichtet, daß Hirt ihm „noch vieles über seine Charakterhypothese beim Laokoon vordemonstriert [habe], da ich ihm etwas von dem sagte, was ich durch Ihre Güte, darüber gelesen hatte." 66 So die Formulierung Hirts in einem Brief an Böttiger vom 31. Oktober 1797 (abgedruckt bei Denk, Das Kunstschöne und Charakteristische, S. 117f.). 67 Siehe den oben zitierten Brief Hirts an Böttiger vom 31. Oktober 1797, in dem er behauptet, daß er den Versuch „vor 6 Jahren" geschrieben habe. In der Vorrede zu seiner 1833 erschienenen Geschichte der bildenden Künste bei den Alten datiert Hirt seine HorenAufsätze indes in die 1780er Jahre: „Ich schrieb [...] zwey Aufsätze noch in den achtziger Jahren, die aber unter dem Namen Laokoon, und über das Kunstschöne, erst zehn Jahre später in den Hören von 1797 gedruckt erschienen." (S. VIII) - Selbst wenn diese mit einem Abstand von mehr als vierzig Jahren niedergeschriebene Aussage zutreffen sollte, so belegt auch sie, daß der (an erster Stelle genannte!) Laokoon-Aufsatz keinesfalls ein bloßes Supplement zum Versuch darstellt.

Hirts Laokoon

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Er hat neulich eine Abhandlung über den Laokoon vorgelesen, darinn er mit solcher stolzen Keckheit auf Winckelmann u. Leßing losgeht, u. überhaupt die ganze Kunst so grobsinnig behandelt, daß er mein Innres ganz von sich entfernt hat. Er ist ein Kohlstrunk u. wird ein Kohlstrunk bleiben.68

Hirt selbst schildert das Unverständnis, auf das seine „Bemerkungen über den Laokoon" stießen, in einem fast genau einen Monat später geschriebenen Brief an Goethe. Diesem läßt sich nicht nur entnehmen, daß die Entwürfe zu der von Herder kritisierten Abhandlung wenigstens bis in die Jahre von Goethes eigener italienischen Reise, also die Jahre 1 7 8 6 - 8 8 zurückreichen, sondern auch, daß die Entwicklung des Konzepts der .Charakteristik' eng an das konkrete Beispiel der Laokoongruppe gebunden war: Ich habe meine Bemerkungen über den Laokoon geschrieben, wovon wenn ich mich recht besinne, ich Ihnen schon in Ihrem Hierseyn sagte. Allein sie wollen nicht gefallen, und besonders Herdern nicht. Ich finde mich damit in keiner kleinen Verlegenheit. Die erste Question betrift den Moment der Vorstellung; Meine Meinung ist der lessingschen entgegen, daß ich nicht einen g e m i l d e r t e n , sondern den h ö c h s t e n Ausdruck wahrnehme. Zweytens: daß nicht die stille Ruhe, der gemilderte Ausdruck und überhaupt diese Art von Schönheit, das erste Grundgesez der bildenden Künste sey, sondern Bedeutung, Karakteristik, Wahrheit. - Meine Sache ist allerdings sehr Choquant besonders wider Lessing, Winkelmann und die kritischen Wälder von Herder selbst; aber da ich nichts anderes that, als die häufigen Monumente nebeneinander stellen, und den Gesichtspunkt anzeigen, unter welchem alle Werke der Alten zusammenlaufen, so weiß ich nicht, was ich machen soll. 6 '

Dieser Blick auf die Genese von Hirts Gedanken läßt seine Neuinterpretation der Laokoongruppe als generativen Kern des bereits während seines römischen Aufenthalts entwickelten Konzepts der Charakteristik' hervortreten. Wenn jedoch sowohl Herder als auch Hirt selbst die Kritik an Winckelmann und Lessing als das eigentliche Skandalon der Abhandlung hervorheben, so wird deutlich, daß Hirts Entscheidung, eine „Abhandlung über den Laokoon" zu schreiben, ihren Grund nicht allein darin hat, daß sich die .Charakteristik' an dieser Skulptur besonders anschaulich demonstrieren ließe. Insofern das unbestrittene „Meisterstück" griechischer Kunst bereits Winckelmann und Lessing als Paradigma ihrer ästhetischen Überlegungen gedient hatte, werden Hirts „Bemerkungen" als bewußte Provokation verständlich, die sich mit dem Laokoon gleichsam des Herzstücks der Kunsdehre seiner beiden Vorgänger bemächtigt, um es in einer bis dahin unerhörten Neuinterpretation gegen diese zu wenden. Auch wenn es paradox anmuten mag: Gerade weil es Hirt um eine exemplarische Neuinterpretation

68 Herder an Karoline, 7. März 1789 (Briefe, Bd. 9, Nr. 65, S. 501) Laut Schulz, Schillers Hören, S. 133 hat Hirt den Laokoon-Aufsatz am 2. März 1789 bei der Herzogin Anna Amalia vorgelesen. 69 Hirt an Goethe, 4. April 1789 (Zur Nachgeschichte der italienischen Reise, Nr. 67, S. 162f.).

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der Laokoongruppe geht, die von der reinen Anschauung ausgehen soll, handelt es sich bei seinem Aufsatz zugleich notwendig um einen extrem voraussetzungsreichen Text, der stets vor dem Hintergrund der damals kanonischen Schriften Winckelmanns und Lessings gelesen werden muß.

1. Laokoon versus Apollo Unvermittelt und auf den ersten Blick vielleicht überraschend setzt Hirts Laokoon betitelter Aufsatz nicht mit der Betrachtung dieser Skulptur, sondern mit der des Apollo von Belvedere ein, dem Hirt - so will es die rhetorische Fiktion - im Moment der Beschreibung zunächst gegenübertritt (Abb. 2): Ich nähere mich dem Apollo: die hohe Gestalt erfüllt meine Seele: Es ist das schönste Bild, das sich die menschliche Phantasie schuf, und das in menschliche Gestalt gekleidet ward. Schlankheit, Bewegung, Hoheit des Ausdrukes sind im gleichen Grade harmonisch zum Bild des fernhintreffenden Gottes. Ich trete vorwärts, rükwärts, auf diese, auf jene Seite des Bildes: mein Auge irret von dem Ganzen zu den Theilen und von den Theilen zum Ganzen - und immer stehet die hohe tadellose Gestalt vor mir. — Noch einmal trete ich auf die Seite des rechten Profils - und meine Seele genießt die Fülle eines reinen unvermischtcn Fintzükens.70

Präsens und Ich-Form vermitteln den Eindruck einer Spontaneität der Wahrnehmung, die zugleich die Unmittelbarkeit des Anschauens, Fühlens, Denkens und Darstellens suggeriert.71 Der Apollo erscheint dem sich nähernden, vor- und zurück-, nach links und rechts tretenden Betrachter als ein materialisiertes Ideal, das menschliche und göttliche Züge harmonisch in sich vereint und dessen Teile sich in jeder Perspektive zu einer mannigfaltigen Einheit, einer „tadellosefn] Gestalt" fügen, von der keinerlei den ästhetischen Genuß störende Irritationen ausgehen. Daß der Apollo „immer das höchste, schönste Bild menschlicher Phantasie" bleibe, ist für Hirt damit unbestritten.72 Doch warum stellt Hirt seiner Analyse des Laokoon, die doch eigentliches Thema ist, diese kurze Beschreibung seiner Begegnung mit dem Apoll voran? Obwohl rhetorisch inszeniert, spielt sich die oben zitierte Szene vor dem Hintergrund der realen topographischen Situation ab, wie sie sich Ende des 18. Jahrhunderts in dem von Bramante entworfenen Cortile delle Statue des vatikanischen Belvedere präsentierte.73 Der Apollo war (damals wie heute) in einer Nische der

70 Hirt, Laokoon, S. 1. 71 Zur Inszenierung der Hirtschcn Beschreibung und ihrer das eigene Rezeptionsvcrhalten analysierenden Subjektbezogenheit vgl. Schönwälder, Ideal und Charakter, S. 147ff. 72 Hirt, Laokoon, S. 2. 73 Vgl. den Kupferstich von Vincenzo Fcoli, abgebildet in Haskell/Penny, Taste and the Antique, S. 70.

Hirts Laokoon

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südöstlichen Ecke des Statuenhofes untergebracht, womit er sich nur wenige Schritte von der in der Mitte der Südwand plazierten Laokoongruppe entfernt befand. Zwar hatte bereits Winckelmann, wie zahlreiche Antiquare vor ihm, den Apollo und den Laokoon als die beiden vielleicht berühmtesten erhaltenen antiken Skulpturen miteinander verglichen.74 Indem jedoch Hirt seinen Vergleich des Apoll mit dem Laokoon durch die reale physische Nähe der beiden Werke motiviert, bleibt er im Gegensatz zu Winckelmann schon von der Dramaturgie des Argumentationsgangs her den anschaulichen Tatsachen verhaftet. Zugleich entwirft er ein Situationsbild, das seine Kennerschaft durch intime, in konkreten Raumangaben vermittelte Nähe zu den Kunstwerken illustriert (vgl. Abb. 1): Ich gehe vier Schritte weiter: welcher Kontrast stellet sich meinen Augen dar? ein Alter, und zwei Knaben im Todeskampf mit zwei der gräßlichsten Ungeheuer der Natur, die sie eng zusammen umschlungen halten. - Laokoon hauchet in der Mitte seiner sterbenden Söhne die Seele aus. - Mein Bild [i. e. Blick, M. D.] schauert, wie dort die Trojaner, von dem Hilflosen zurük: meine Brust verenget sich. - Was will der Künstler, daß er eine solche Szene in Marmor hauet? je wahrer die Nachahmung, desto schauervoller wird der Eindruk seyn; und ohne Wahrheit, was ist das Werk des Künstlers?75

In diesen Worten offenbart sich der scheinbar absichtslose ,Umweg' über den Apoll von Belvedere als Kunstgriff mit klarem Zweck: Hirt wendet zu Beginn seiner Analyse ein kontrastives Verfahren an, um den „Eindruk", den der Laokoon hervorruft, desto kräftiger herauszuarbeiten. Das Verfahren der Kontrastierung funktioniert dabei auf zwei Ebenen, indem es sowohl auf die dargestellten Gegenständen (Apollo respektive Laokoon), als auch auf die entsprechend jeweils unterschiedlichen Reaktionen des Betrachters angewandt wird: Auf der einen Seite die „hohe tadellose Gestalt" des „fernhintreffenden Gottes" Apollo, die in ihrer Schönheit und Harmonie beim Betrachter eine „Fülle eines reinen und unvermischten Entzükens" hervorruft; auf der anderen Seite der schreckliche „Todeskampf dreier Figuren, die ihn voller Beklemmung zurückschau(d)ern läßt. „Erfüllt" der Anblick des Apollo seine Seele, so „verenget" sich seine Brust im Angesicht des Laokoon. Hilflos ist nicht nur der Laokoon, sondern auch der seinen Todeskampf Betrachtende. Vom Genuß der kontemplativen Versenkung in eine zum schönen Ideal beruhigte künsderische Darstellung wie beim Apollo kann hier keine Rede mehr sein. Mit der Frage „Was will der Künstler, daß er eine solche Szene in Marmor hauet?" bringt Hirt das resultierende Dilemma auf den Punkt. Da der Künsder Hirt zufolge auf die „Wahrheit" der Darstellung verpflichtet ist, bleibt ihm gar 74 Siehe Winckelmann, GK Dresden, S. 154, S. 163 und seine Erinnerung über die Betrachtung der Werke der Kunst (KS, S. 150). - Zum Statuenhof des Belvedere siehe die Beiträge in Winner/Andreae, II Cortile delle Statue; zum Vergleich von Apollo und Laokoon vgl. Rees, Ethos und Pathos. 75 Hirt, Laokoon, S. 2.

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Archäologie: Aloys Ludwig Hirt

nichts anderes übrig, als das von ihm gewählte Sujet (sei es nun schön oder häßlich, grausam oder gefällig) so getreu wie möglich, und das heißt: ohne jegliche der „Wahrheit" abträgliche Veränderungen nachzuahmen.70 Wie das Beispiel des Laokoon zeigt, bedeutet dies aber, daß mit der ästhetischen Qualität eines Kunstwerks der von diesem ausgelöste „schauervolle Eindruk" keinesfalls ab-, sondern tatsächlich sogar zunimmt. Hirt läßt so keinen Zweifel daran, daß die resultierende Aporie allein durch falsche Prämissen entsteht: Die Lösung liegt in seiner im Versuch über das Kunstschöne ebenfalls mit Hinweis auf den Laokoon formulierten Überzeugung, daß „nicht das Kunstwerk das schönste" sei, „welches den schönsten Gegenstand behandelt, sondern dasjenige, welches die meiste Kenntniß, die vollste Empfindung, den umfassendsten Genius und die größte Geschicklichkeit in der Ausfuhrung verräth."77 Insofern die Laokoongruppe der Forderung nach „Wahrheit" entspricht, in all ihrer Drastik zugleich aber die „größte Geschicklichkeit in der Ausführung" offenbart, gewinnt sie den Status eines Meisterstücks. Hirt macht auf die Tatsache aufmerksam, daß die eine solch schauererregende Szene darstellende Laokoongruppe sowohl in der Antike „als das Aleisterwerk der gesammten Kunst" gegolten habe, als auch von der modernen Welt „mit eben dem günstigen Urtheil belegt" werde.78 Seiner Argumentation zufolge tut die grausame Dramatik des Sujets der „Vorzüglichkeit des Kunstwerkes" keinen Abbruch. Vielmehr hat das „Vortreffliche" der Laokoongruppe, dieses „ersten Ideals der Kunst", seinen Grund gerade in der Kühnheit der Unternehmung, eine Bewegung und einen Ausdruk von einem menschlichen Körper zu bilden, welche die tieffsten Kenntnisse des Körperbaues, und das innigste Bekanntseyn mit jeder Leidenschaft der menschlichen Seele voraussezen[.] 79

Mit „Bewegung und Ausdruk" fallen bereits an dieser Stelle zwei für Hirts spätere Argumentation zentrale Schlüsselbegriffe, mit denen er auf das Problem der künsderischen Repräsentation der Leidenschaften verweist. Im Rückgriff auf ethisch-ästhetische beziehungsweise medientheoretische Argumente hatten sowohl Winckelmann als auch Lessing hinsichtlich der bildenden Künste eine Mäßigung des Ausdrucks zugunsten der Schönheit der Darstellung gefordert.80 Hirt 76 Hirt, Versuch über das Kunstschönc, S. 36 und Laokoon, S. 23f. 77 Hirt, Versuch über das Kunstschöne, S. 30. 78 Hirt, Laokoon, S. 2. Als Gewährsleute können hierbei u. a. der von Hirt zitierte Plinius (.Historia Natura/ia, Buch 36) sowie das Urteil Winckelmanns in seinen Gedanken über die Nachahmung (1755) gelten. 79 Hirt, Laokoon, S. 3. 80 Siehe Winckelmann, Gedanken über die Nachahmung (KS, S. 43f.) und seine Geschichte der Kunst (GK Dresden, S. 167f.) bzw. Lessings Laokoon-Aufsatz (Werke und Briefe, Bd. 5.2, S. 26ff.). Zum Problem des Ausdrucks bezogen auf die Laokoongruppe vgl. Preiss, Die wissenschaftliche Beschäftigung mit der Laokoongruppe, S. 141 ff.

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setzt genau hier ein: Der Rhetorik leidenschaftlich bewegter Körper und Seelen, das heißt der künsderischen Repräsentation von Schmerz, Leid, Zorn, Wut und Trauer, sind die zentralen Abschnitte seines haokoon-Aufsatzes gewidmet, der sich damit unterderhand zu einem Katalog antiker Gewaltdarstellungen formiert, auf den an gegebener Stelle ausführlich einzugehen sein wird.81 Die Vergleichung des Apoll von Belvedere mit dem Laokoon ist an dieser Stelle jedoch noch ebensowenig an ihr Ende gekommen wie diejenige Hirts mit Lessing und Winckelmann. Letzterer hatte die Mustergültigkeit der griechischen Kunstwerke auf die politische Freiheit zur Zeit ihrer Entstehung zurückgeführt, und auch für Hirt fungiert die Kunst als Gradmesser der Gesellschaft.82 Anders als Winckelmann, der die Statue des Apollo als das „höchste Ideal der Kunst unter allen Werken des Alterthums, welche der Zerstörung derselben entgangen sind"81 preist, liegt Hirts Präferenz jedoch bei der Laokoongruppe, die er als die Blüte der menschlichen Kultur darstellt: Die Kunst ist die Blume einer langsam kultivierten Pflanze: sie ist das Schooßkind der gesammten Weisheit einer Nation, und ein Werk, wie Loakoon [sie!), die höchste Stufe der Humanität. S o wie die Natur das Daseyn eines allwcisen Schöpfers ankündiget; eben so würde Laokoon allein den beredendsten Beweis von dem ehemaligen Daseyn einer Nation abgeben, die jede Revolution des menschlichen Schiksals sowohl im l e i den, als im G e n u ß durchlaufen hat. 84

Während Hirt die Gruppe des Laokoon und seiner beiden Söhne als das anschauliche Zeugnis antiker Weisheit, gottgleicher Schöpferkraft und umfassender Humanität („sowohl im Leiden, als im Genuß") begreift und sie im folgenden als das „Produkt der Überlegung und des kalkulierenden Verstandes" bezeichnet, erblickt er im Apollo das Ergebnis eines lediglich kurzen „Aufflammen[s] hoher Begeisterung", das heißt eine von Weisheit und Verstand unbeleckte „Geburt der Phantasie"83, deren Gehalt sich — anders als beim Laokoon — in einer bloß genußvollen Schönheit erschöpft. Im Hintergrund der hier aufgestellten Dichotomie von kalkulierendem Verstand und hoher Begeisterung beziehungsweise Phantasie steht wiederum Winckelmann, dessen Grundannahmen Hirt zwar übernimmt, ohne aber seinem Urteil zu folgen. Hatte Winckelmann in seiner Geschichte der Kunst des Alterthums geschrieben, daß der Laokoon zwar „ein viel gelehrteres Werk als Apollo" sei, der Apollo dafür 81 Siehe unten, S. 4 9 f f . 8 2 Vgl. etwa Winckelmann, G K Dresden, S. 130: „In Absicht der Verfassung und Regierung v o n Griechenland ist die I'reyheit die vornehmste Ursache des Vorzugs der Kunst." Vgl. dazu Haskell, Die Geschichte und ihre Bilder, S. 2 3 7 f f . 83 Winckelmann, G K Dresden, S. 392. 8 4 Hirt, Laokoon, S. 3. 85 Ebd., S. 4.

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aufgrund des „erhabenem Geiste[s]" und der „zärtlichem Seele" seines Meisters jedoch „das Erhabene [habe], welches im Laocoon nicht statt fand",86 endet Hirts Vergleich der beiden Werke mit dem gegenteiligen Urteil, daß die „Phantasie des geistvollen Barbaren vielleicht im Stande [sei,] zur Hoheit des Apollo zu steigen", daß „aber der Ausdruk Laokoon's nur das Werk des kultivirten Verstandes seyn [könne]."87 Nicht ohne Sinn für das Spektakuläre seiner Schlußfolgerung wird der in sich ruhende Apollo für Hirt somit zu einem Zeugnis geistvoller Barbarei, der gegen seinen gewaltsamen Tod kämpfende Laokoon jedoch zum herausragenden Dokument der Kultiviertheit des menschlichen Verstandes.88 An diesen Höhepunkt seines Vergleichs zwischen Apollo und Laokoon angelangt, bricht Hirt seine Ausführungen mit einem ebenso plötzlichen wie bewußt inszenierten Einspruch gegen die unwissenschaftliche „Begeisterung" ab, zu der er sich — gegen seine eigentliche Absicht und Aufgabe - habe hinreißen lassen: Aber ich verirre mich: ich soll untersuchen, und die Phantasie führt mich fort in das Gebiet der Begeisterung. Meine Absicht soll weder eine Parallele zwischen diesen beiden Meisterstüken der alten Kunst, noch eine Lobrede auf ihre Vortrefflichkeit seyn. Mein Endzwek soll bloß seyn, einige Beobachtungen über das leztere Meisterstük, den Laokoon hier vorzutragen. 89

Nur auf den ersten Blick handelt es sich bei diesem Einwurf um eine selbstkritische Wendung. Tatsächlich hat Hirt hier immer noch und wieder Winckelmann im Blick, dem seine Kritiker schon früh eine übermäßige Begeisterung vorgeworfen hatten. So ließ der an der Universität Göttingen lehrende Altertumswissenschafder Christian Gottlob Heyne in seiner 1779 erschienenen Prüfung einiger Nachrichten und Behauptungen vom Laocoon im Belvedere vorsichtig, aber doch deutlich genug über die Winckelmannsche Lzo^oo/z-Beschreibung verlauten: Wir haben die vortrefflichste Beschreibung des laocoon von unserm Winkelmann, welche nur die Begeisterung eingeben konnte, und die wiederum ihrer Seits Begeisterung mitzutheilen dienen kann, [...]; allein, einen deutlichen Begriff und Vorstellung von der Gruppe zu geben, ist sie nicht entworfen: und man muß diese Figur schon genau kennen und überdacht haben, ehe jene Beschreibung ihre rechte Wirkung thun kann; sonst ist man in der Gefahr, in welche vor wenigen Jahren so viele unsrer Landsleute zu gerathen pflegten, daß man sich, wie der Ritter von Mancha, in eine Entzückung

86 Winckelmann, GK Dresden, S. 154. Die Gelehrtheit der Laokoongruppe ist in der Literatur immer wieder betont worden. Siehe dazu Preiss, Die wissenschaftliche Beschäftigung mit der Laokoongruppe, S. 154. 87 Hirt, Laokoon, S. 4. 88 Dieser Wandel in der Wertschätzung des Apollo zeichnet sich bereits bei Anton Raphael Mengs ab, der 1779, also kurz vor seinem Tod, in einem Brief an Angelo P'abroni behauptet hatte, daß der Apollo von Belvedere eine römische Kopie sei (Opere di Antonio Raffaello Mengs, Bd. 2, S. 8f. und 22). Vgl. hierzu auch Haskell/Penny, Taste and the Antique, S. 150 und Schönwälder, Ideal und Charakter, S. 148. 89 Hirt, Laokoon, S. 4.

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und Begeisterung hineinarbeitet, wozu nichts weiter fehlt, als nur — ein wirklicher, oder doch ein bestimmter Gegenstand. 90

Indem Hirt seiner eigenen Begeisterung Einhalt gebietet und sich zur Raison wissenschaftlicher Nüchternheit ruft, versucht er nicht nur, der von Heyne beschworenen Donquichotterie zu entgehen, sondern demonstriert zugleich auch seine Absicht, über das bloße Entweder-Oder von Kunst und Wissenschaft hinauszugelangen. Sein Text soll belegen, daß er beides kann und ist: ein begeisterungsfähiger Kunstkenner und ein der Sachlichkeit verpflichteter Altertumswissenschaftler, der - wie er im Folgenden zeigen will - auf einen reichen Fundus von spezifischen Kenntnissen zurückgreifen kann. Zwischen der begeisterten Schwärmerei eines Winckelmann und der antiquarisch-philologischen Gelehrsamkeit eines Lessing versucht Hirt einen eigenen, sozusagen .dritten Weg' zu gehen, der trotz seiner Ankündigung, lediglich „einige Beobachtungen" über den haokoon vortragen zu wollen, im Sinne eines pars pro toto doch auf die gesamte antike Kunst und die von ihr abhängige Ästhetik zielt.91

2. Rekurs als Strukturprinzip — Anschauung als Methode Auch wenn, um hier noch einmal zu rekapitulieren, die einleitenden Passagen von Hirts Laokoo/i-Aufsatz den Anschein erwecken wollen, als ob sie vor Ort, das heißt in direkter Auseinandersetzung mit den beiden im Belvederehof befindlichen Skulpturen entstanden seien, zeigt ihre nähere Betrachtung, daß die Originalität des Zugangs, die Unmittelbarkeit der Anschauung und die Unbefangenheit des Urteils reine Suggestion sind. Immer wieder rekurriert Hirt auf Überlegungen seiner Vorgänger, deren Problemstellungen seinen eigenen Text auch dann noch strukturieren, wenn sie — wie im Falle der von Winckelmann und Lessing verurteilten Darstellung eines übermäßigen Ausdrucks — von ihm gänzlich anders gewertet werden. Gerade in der Negation beweist sich Hirts Abhängigkeit von den diskursiven Vorgaben der zeitgenössischen Ästhetik und Wissenschaft. Es handelt sich dabei um eine für den ganzen Aufsatz konstitutive Textstruktur: So sehr Hirt bemüht ist, sich von Winckelmann und Lessing zu distanzieren, so unüber-

90 Heyne, Prüfung einiger Nachrichten und Behauptungen vom Laocoon im Belvedere, S. 18. Zur zeitgenössischen Kritik an Winckelmanns Begeisterung vgl. Zeller, Winckelmanns Beschreibung, S. 144-146. 91 Daß dieser Weg ein anderer sein sollte, als der, den Heyne fast zwanzig Jahre zuvor gewiesen hatte, ergibt sich aus der Tatsache, daß Heyne bei aller Kritik an Winckelmann doch auf dessen Geschichte der Kunst sowie auf Lessings Laokoon-Aufentz aufbaut. Vgl. hierzu Preiss, Die wissenschaftliche Beschäftigung mit der Laokoongruppe, S. 96 und passim, S. 163 ff. und S. 175ff.

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sehbar ist der beständige Rekurs auf die Schriften seiner beiden prominenten Vorgänger. Am offensichtlichsten ist dies vielleicht bei den von ihm zur Unterstützung seiner These angeführten Kunstwerken, die sich fast alle bereits in Winckelmanns Geschichte der Kunst des Alterthums (1764) beziehungsweise seinen Monumenti Antichi Inediti (1767) publiziert finden.92 So sehr Hirt auch auf die eigene Anschauung insistiert, die ihm ermöglichen soll, sich voraussetzungslos, gleichsam naiv den überlieferten Kunstwerken zu nähern — sein Text ist im Sinne einer gesteigerten Reflexivität hochgradig ,sentimentalisch'. Hirts genuine Leistung wird dadurch nicht geschmälert. Vielmehr läßt sich in dieser Hinsicht auch auf intertextueller Ebene zeigen, was Costazza philosophiegeschichtlich nachzuweisen versucht hat: Nämlich, daß die von Hirt im „Streit über Laokoon"93 und den „Hauptgrundsatz der bildenden Künste bei den Alten" vertretene Position keinesfalls als antiklassizistisch bezeichnet werden kann.94 Ganz im Gegenteil läßt sich mit guten Gründen argumentieren, daß Hirts Ho/w-Aufsätze auf einer durch und durch klassizistisch-akademischen Kunstauffassung beruhen,93 die er anhand einer neuen Betrachtung des Materials reformieren, aber nicht grundsätzlich in Frage stellen will. Mit dem Laokoon setzt Hirts Korrektur an jenem Objekt an, an dem Winckelmann und Lessing ihre Gedanken „über das Wesen der Kunst überhaupt" und „das Benehmen und die Grundsätze der alten Kunst in's besondere" vornehmlich entwickelt hatten. Indem er ihre „Meinungen über die Statue Laokoon's" untersucht, kommen damit notwendig auch die „daher geleiteten Forderungen und Grundsätze" auf den Prüfstand. Seiner eigenen Analyse schickt Hirt die grundsätzliche Kritik voraus, daß Winckelmann die Kunstwerke nicht objektiv, Lessing sie hingegen nicht aus eigener Anschauung beurteilt hätte — woraus sich unmittelbar die Möglichkeit ergibt, daß beide sich „selbst in ihren Beobachtungen, und daher in ihren ersten Grundsätzen" geirrt hätten. Wenn es Hirt gelingt, am Exempel des Laokoon nachzuweisen, daß ihre Beobachtungen tatsächlich falsch sind, so fallen mit den entsprechenden Deduktionen auch die jeweiligen Grundsätze — bis letzten Endes die ganze Theorie hinfällig geworden ist. Anders gesagt: Mit dem Laokoon soll das Paradigma der Kunstlehre(n) Winckelmanns und Lessings inspiziert und kritisiert werden, um von hier aus deren gesamtes Lehrgebäude in Frage stellen zu können.

92 Siehe dazu unten, S. 50. 93 So formuliert Hirt selbst, Laokoon, S. 7. Zum „Laokoon-Streit" allgemein siehe Kultermann, Geschichte der Kunstgeschichte, S. 76ff. 94 Siehe oben S. 28. 95 Vgl. hierzu auch Busch, Das sentimentalische Bild, S. 166.

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Hirt kommt, das ist hier noch einmal zu betonen, als Cicerone und ausgewiesener Antikenkenner aus der Schule der Anschauung. Die ebenso umfassende wie genaue Denkmälerkenntnis ist seine große Stärke. Dennoch läßt seine Laokoonbeschreibung sich keineswegs auf Empirie reduzieren; sie ist weder rein objektiv noch, wie zu zeigen sein wird, in naiver Weise einem neuen, physiologisch-naturwissenschaftlichem Beschreibungsparadigma verpflichtet. 96 Um Winckelmann und Lessing zu widerlegen, muß Hirt sich auf ihr eigenes Gebiet, die Ästhetik begeben, um sie dort zu schlagen. Pointiert formuliert: Um sich von ihnen zu lösen, muß er sich auf sie beziehen — schon, um nicht als bloßer, unintellektueller Fremdenführer abgetan zu werden. So ergibt sich eine Ambivalenz seines Textes zwischen streng visueller Befundsanalyse und komplexer, diskursiver Rhetorizität. Daß Hirt seine Gegner Satz für Satz widerlegen muß, gibt Anlaß, seinem Verfahren in eben dieser Weise kritisch-analytisch auf die Spur zu kommen. En detail: Der „Moment des höchsten Grades von Ausdruck " Mit dem „Ausdruk Laokoon's, und de[m] - aus diesem allein erkennbaren - Moment, welchen die drei Künstler zu ihrer Darstellung wählten" 97 , wendet sich Hirt gleich zu Beginn seiner eigentlichen Untersuchung zwei Begriffen zu, die im Zentrum der Auseinandersetzung Lessings und Winckelmanns gestanden hatten: In deutlicher Abgrenzung von den Gedanken über die Nachahmung des letzteren hatte Lessing die Mäßigung des Ausdrucks nicht ethisch (als „edle Einfalt und stille Größe"), sondern medientheoretisch interpretiert und den Moment der Darstellung nicht als Höhepunkt der Handlung (als „heftigstes Leiden"), sondern als denjenigen kurz zuvor bestimmt. 98 Bei aller Kritik, die Lessing gegenüber Winckelmann äußert, erkennt Hirt jedoch in beider Argumentationen eine prinzipielle Übereinstimmung: 99 Beide hätten auf dem Gesicht des Laokoon den Ausdruck des Seufzens wahrgenommen und beide seien sich darin einig gewesen, daß

96 Dagegen Mülder Bach, Sichtbarkeit und Lesbarkeit, S. 470ff. 97 Hirt, Laokoon, S. 6. 98 Winckelmann, Gedanken über die Nachahmung, in: KS, S. 43 und Ixssing, Werke und Briefe, Bd. 5.2, S. 17ff., 22ff., 31 ff. {Laokoon). 99 In seinem Laokoon Aufsatz hatte bereits Lessing (Werke und Briefe, Bd. 5.2, S. 18) auf die prinzipielle Übereinstimmung hingewiesen: „Die Bemerkung, welchc hier zum Cirunde liegt, daß der Schmcrz sich in dem Gesichte des Laokoon mit derjenigen Wut nicht zeige, welchc man bei der Heftigkeit desselben vermuten sollte, ist vollkommen richtig. Auch das ist unstreitig, daß eben hierin, wo ein Halbkcnncr den Künstler unter der Natur geblieben zu sein, das wahre Pathetische des Schmerzes nicht erreicht zu haben, urteilen dürfte; daß, sage ich, eben hierin die Weisheit desselben ganz besonders hervorleuchtet. / Nur in dem Grunde, welchen Herr Winkclmann dieser Weisheit gibt, in der Allgemeinheit der Regel, die er aus diesem Grunde herleitet, wage ich es, anderer Meinung zu sein."

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die antiken Schöpfer der Laokoongruppe den Moment des bei Vergil erwähnten Schreiens vermieden, das heißt die Darstellung des übermäßigen Ausdrucks in der Skulptur gedämpft hätten. Während jedoch Winckelmann zugunsten des Seufzens mit dem Hinweis auf die „edle Einfalt und stille Größe" als dem „vorzüglichsten Kennzeichen" der griechischen Kunst argumentiert und Lessing gegen das Schreien die Schönheit als das „höchste Gesez der bildenden Künste bei den Griechen" ins Feld geführt hatte100, stellt Hirt die gewohnte Opposition von .Seufzen oder Schreien' selbst in Frage: Wie aber - wenn der Ausdruck Laokoon's weder ein Seufzen, noch Schreien wäre? wenn der Künstler dabei weder Reflexion auf die stille Größe, noch auf die - den Ausdruk mildernde — Schönheit genommen, sondern vielmehr den Moment des höchsten Grades von Ausdruk zu seiner Wahl gemacht hätte? 101

Mit der Frage, was wäre, wenn der Künstler des Laokoon den „Moment des höchsten Grades von Ausdruk" dargestellt hätte, wendet sich Hirt in provokativer Weise gegen die Grundannahmen seiner beiden Vorgänger. In dem „Streit über Laokoon" kann Hirt zufolge allein das „richtige Anschauen" eine Entscheidung herbeiführen.102 Dieses beruht für ihn auf „anhaltende[r] Uebung und fortgesezte[m] Vergleichen der Kunstwerke unter sich und mit der Natur" — Qualifikationen, die er im Gegensatz zu Lessing aufgrund seiner Tätigkeit als Cicerone wie auch seiner „vieljährige[n] Erfahrung im fortdauernden Umgange mit Künstlern und Kunstfreunden" für sich selbst beanspruchen kann. Darüber hinaus aber sei es notwendig, anders als der allzu enthusiastische Winckelmann, „die Gegenstände der Kunst mit unbefangenem Gemüthe anzuschauen und zu beurtheilen." „Richtiges Anschauen" gründet für Hirt mithin nicht nur in der Empirie, sondern zugleich auch in der unvoreingenommenen Sachlichkeit des Betrachters, steht also mit anderen Worten im doppelten Sinne unter der Prämisse der Objektivität. a) Physiognomie Doch auch Hirts vermeintlich objektive Beschreibung der Laokoongruppe zielt auf rhetorische Überzeugung im Sinne des persuadere. Seine Argumentation ist um die der „Milderung" entgegengesetzten Begriffe der „Anstrengung" und „Empörung" zentriert. Neben Gedanken- und Stilfiguren der Steigerung beziehungsweise Übersteigerung vermitteln vor allem gedrängte antithetische und hyperbolische Formulierungen ein agonales Bild des Laokoon, bei dessen Beschreibung Hirt

100 Hirt, Laokoon, S. 6f. Hirt zitiert in diesem Zusammenhang die einschlägigen Stellen aus Winckelmanns Gedanken über die Nachahmung (KS, S. 43) und Lessings Laokoon (Werke und Briefe, Bd. 5.2, S. 29). 101 Hirt, Laokoon, S. 7. 102 Dieses und die folgenden Zitate: Hirt, Laokoon, S. 7f.

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sich konsequent an der Vorstellung des ,,Widerstreben[s]" und ,,Ringen[s]", des „Sträubenfs], ,,Zusammenpressen[s]" „Zukenfs]" etc. orientiert: Man sehe nur das Sträuben der Haare und des Bartes, die tiefzurükgezogenen Augapfel, das fürchterliche Zusammenpressen der Stirne, das Zukcn in den Nasenmuskeln und Wangen: Kein Schmerz, kein Widerstreben, kein Entsezen kann den Ausdruk schreklicher mahlen: Laokoon schreiet nicht, weil er nicht mehr schreien kann. Der Streit mit den Ungeheuern beginnt nicht, er endet: kein Seufzen erpreßt sich aus der Brust, es ist der erstikende Schmerz, der die Lippen des Mundes umzieht, und der lezte Lebenshauch scheinet darauf fortzuschweben. 1 0 3

Mit dem deiktischen, auf das Gesicht des Laokoon hinweisenden „Man sehe nur", das den Leser gleichsam zum Augenzeugen des Beschriebenen macht, beginnt Hirt den im wahrsten Sinne des Wortes revolutionären Versuch, sein Publikum davon zu überzeugen, daß im Laokoon der „Moment des höchsten Grades von Ausdruk" dargestellt ist. Dies gilt es anschaulich, das heißt evident zu machen: Erzeugung von Evidenz im Sinne der unmittelbaren Gewißheit des anschaulich (Ein)Gesehenen ist der eigentliche Zweck seiner Beschreibung. 104 Mithin kann es Hirt nicht darum gehen, die Skulptur nüchtern-distanziert wiederzugeben, sondern sein Bestreben geht dahin, die Figur des Laokoon sinnlich präsent zu machen und sein Schicksal - der gewaltsame Tod durch zwei von den Göttern gesandte Schlangen — unmittelbar vor die Augen des Lesers zu stellen. Bereits in der traditionellen Rhetorik galt die Form der vergegenwärtigenden beziehungsweise verlebendigenden Beschreibung als eines der zentralen Mittel, emdentia (Anschaulichkeit) als Inbegriff höchster Uberzeugungskraft zu erzielen.103 Von den diversen zu diesem Zweck zur Verfügung stehenden sprachlichen Rütteln setzt Hirt neben dem durchgängigen Gebrauch des Präsens vor allem das Verfahren der Detaillierung des Gesamtgegenstandes durch die Aufzählung der ihn konstituierenden Einzelheiten ein: Scheinbar paradox, zerlegt Hirt die Gestalt des Laokoon zunächst in ihre Komponenten (Kopf, Leib und Extremitäten) und diese Komponenten selbst wiederum in ihre Bestandteile, um diese am Ende seiner Schilderung wieder zu einem anschaulichen Ganzen zusammenzusetzen. Die quasi physiognomische Beschreibung des Kopfes und des Gesichts des Laokoon unterteilt Hirt, wie die oben zitierte Passage zeigt, in die Beschreibung der Haare und des Barts, der Augen, der Stirn, der Nase, der Wangen und des Mundes. Die durch die Fülle an Details erreichte Konkretheit der Darstellung läßt den Leser scheinbar selbst in das Antlitz des leidenden Laokoon blicken. Die bereits durch dieses Verfahren der Detaillierung bewirkte Affekterregung auf seifen 103 Hirt, Laokoon, S. 8f. 104 Hierzu und zum folgenden vgl. den Artikel „Evidentia, Evidenz" im Historischen Wörterbuch der Rhetorik, Bd. 3 (1996), Sp. 33ff., bes. Sp. 3 9 f f . 1 0 5 Zur evidentia als affektischer Figur siehe lüusberg, Handbuch der literarischen Rhetorik, §§ 81 Off.

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des Lesers wird darüber hinaus durch den Einsatz amplifizierender Stilfiguren gesteigert. Die Veranschaulichung der Agonie des Laokoon bedient sich teils der Häufung (das Sträuben, das Zusammenpressen, das Zuken), teils der ,Pathosformel' der negativierenden Anapher („Kein Schmerz, kein Widerstreben, kein Entsetzen...").106 Die lakonische Behauptung, daß der Laokoon nicht schreie, weil er nicht mehr schreien könne, findet ihre nicht nur syntaktische Parallele in der ebenso bündigen Erklärung, daß der Streit mit den beiden Schlangen nicht beginne, sondern ende. Die durch die kurzen, dicht aufeinanderfolgenden Satzglieder bewirkte Rhythmisierung des Textes, die Atemlosigkeit seiner Sprache, entspricht dabei durchaus der Atemlosigkeit seines Gegenstands, dem nach der Auffassung Hirts weder seufzenden noch schreienden, sondern erstickenden Laokoon. b) Pathognomic und Anatomie Den von ihm beschriebenen schrecklichen Ausdruck des Schmerzes, Widerstrebens und Entsetzens findet Hirt jedoch nicht nur in der Physiognomie des Laokoon, sondern „in allen Gliedern", das heißt der Pathognomic seines ganzen Körpers wieder, den er nunmehr gesondert ins Auge faßt: Das Krampfartige, die höchste Spannung, die wüthendsten Zukungen zeigen sich in allen Gliedern. Der Kampf hat die äusersten Kräfte des Elenden erschöpft: nicht der Biß der Schlange tödtet ihn langsam, mächtiger schon als das Gift wirkte das Entsezen, das kraftlose Widerstreben, der Anblick seiner ohne Rettung verlornen Kinder. 107

Wie schon zuvor bedient sich Hirt des Mittels der Häufung synonymer Wörter und Formulierungen, die alle den Gedanken der Agonie und des Schmerzes variieren, wobei in diesem Fall die intensivierende Wirkung dreier die Maßlosigkeit des Leidens bezeichnenden Superlative („höchste", wüthendsten", „aus [s]ersten") hinzukommt. Das bislang lediglich generell konstatierte körperliche Leid des Laokoon versucht Hirt wiederum mit Hilfe des Verfahrens der Detaillierung zu konkretisieren, wobei er sich zunächst den nicht direkt sichtbaren Vorgängen im Körperinneren zuwendet: Das Geblüt, welches mit voller Empörung gegen die äusern Theile dringt, und alle Gefässe schwellen machet, stoket den Umlauf, und verhindert das Einathmen der Luft: die Lunge, durch die Häufung und gedrängte Circulation des Blutes wird immer gedehnter; das äzende Gift von dem Bisse der Schlange hilft die heftige Gährung beschleunigen; eine erstikende Pressung betäubt das Gehirn, und ein Schlagfluß scheinet den Tod plözlich zu bewirken. 108

106 Zur Wiederholung als ,Pathosformel' siehe Lausberg, Handbuch der literarischen Rhetorik, § 612. 107 Hirt, Laokoon, S. 9. 108 Ebd.

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Gleich einem Anatomen 109 schließt Hirt aus dem stockenden Blutkreislauf, der sich infolgedessen aufblähenden Lunge und des damit von der Sauerstoffzufuhr abgeschnürten Gehirns auf einen akuten Schlaganfall als Todesursache des Laokoon. Die inneren Vorgänge des Schwellens und Stockens, Drängens und Dehnens finden ihr anschauliches Korrelat dabei in den auch äußerlich wahrnehmbaren Konvulsionen des Leibes, die Hirt an Vorder- und Rückseite wie auch den Extremitäten der Figur verfolgt: Hingesunken auf die Ära, versucht er noch die lezten Kräfte; die I'üsse stammen sich gegen den Würfel: er windet sich von dem Gefühl der vergifteten Zähne in die linke Hüfte abwärts: das Brustfell wird durch das höchst mögliche Einziehen des Unterleibes, wodurch selbst die Schaamtheile hervortreten auf s äuserste nach unten gezwängt, und so hebt sich die Brust convulsivisch. Die Muskeln, welche den Rippenkasten deken, treten nicht nur vor, sondern formieren durch die höchste Spannung ekigte Klumpen: der Rüken zeiget sich in der nämlichen Convulsion; die Schulterblätter ziehen sich höchst gewaltsam ein; und die Muskeln zu beiden Seiten des Rükgrathes gegen die Hüften liegen durch das gewaltsame Einziehen des Bauches sehr stark vor. In den Schenkeln, Beinen, in dem erhaltenen Arme zeigt sich diese äuserste Spannung nicht minder.""

In aller ihrer Detailliertheit wird die Beschreibung des Gegeneinander der einzelnen Körperteile von einer ebenso antithetischen wie hyperbolischen Gedankenfigur strukturiert, die auf die Veranschaulichung „letzter", „höchster" beziehungsweise „äusserster" Anspannung zielt. Hinsinken und Stemmen, Einziehen und Hervortreten, Nach-Unten-Gezwängtwerden und Heben kennzeichnen die von Hirt gleich zweimal als „gewaltsam" bezeichneten körperlichen Reaktionen des verzweifelt gegen den Tod kämpfenden Laokoon. ή Pathologie Daß der Tod dem Laokoon nicht bevorsteht, sondern er vielmehr genau in dem Moment seines Eintretens dargestellt ist, der Künsder mithin „den Moment des höchsten Grades von Ausdruk" gewählt habe, ist die Grundthese Hirts, von der er ausgegangen war und zu der er am Ende seiner Beschreibung wieder zurückkehrt. In einer sowohl die einzelnen (physiognomischen, pathognomischen und anatomischen) Beobachtungen als auch die einzelnen Körperteile des Laokoon zu einer „ganzen Figur" zusammenfassenden conclusio fuhrt Hirt seine gegen Winckelmann und Lessing gerichtete Argumentation zu ihrem Schluß und gleichzeitigem Höhepunkt: Alles in der ganzen Figur verkündet einen Moment der Darstellung, aber nicht einen gemilderten, nicht ein Seufzen, nicht ein Schreicn, nicht einen hilfflehcndcn Blik zu

109 Erinnert sei daran, daß sich „Anatomie" von dem griechischen Wort für „aufschneiden" (des Körpers) herleitet. 110 Hirt, Laokoon, S. 9f.

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den Göttern — sondern das höchste und lezte Anstrengen sich convulsivisch windender Kräfte, ein schon betäubtes Gehirn, einen Mund, den der erstikendc Schmerz umzieht und bleichet - ein Athemloses Bäumen der Brust, und Einzwängen des Unterleibes - das Erstiken und der Tod folgt plötzlich. - 1 1 1

Es ist ein Satz, dessen lange, kumulierende Periode den Laokoon wieder als Ganzes präsentiert: Gehirn, Mund, Brust und Unterleib bilden zusammen eine durch konvulsivische Kräfte verbundene körperliche Entität, die auf der Schwelle zwischen Leben und Tod paralysiert zu sein scheint. Hirt argumentiert in erster Linie nicht diskursiv, sondern versucht auf dem Wege der Veranschaulichung die Phantasie seiner Leser so weit anzuregen, daß sie den von ihm beschriebenen Laokoon vor sich zu sehen glauben. Wie schon erwähnt, trägt dabei nicht zuletzt auch der durchgängige Gebrauch des Präsens zur Vergegenwärtigung und Verlebendigung der Marmorskulptur bei. Besonders eindringlich wirkt Hirts Beschreibung indes erst dadurch, daß es ihm gelingt, eine Kongruenz von Darstellungsgegenstand, dem sich in Krämpfen windenden Laokoon, und Darstellungsstil, den ebenso gedrängten wie spannungsvollen Perioden, herzustellen. Rhetorik der Selbstevidenζ Diese scheinbare Selbstevidenz seiner Beschreibung ist es denn auch, die dazu fuhrt, daß der Leser der Darstellung Hirts wenigstens spontan den Vorzug vor denjenigen Winckelmanns und Lessings geben mag. In ihrer Anschaulichkeit erscheint seine „Schilderung" des Laokoon so einleuchtend, so evident, daß sich jede Frage nach ihrer „Richtigkeit" eigentlich erübrigt. Wenn Hirt sich dann aber doch mit einem ganzen Katalog von Fragen an den Leser wendet, so ist klar, daß diese Fragen bloß rhetorischer Natur sind. Im Vertrauen auf die Evidenz seiner Beschreibung, die fur jedermann durch „eigenes Anschauen" verifizierbar sei, überläßt es Hirt dem Leser, die entsprechenden Antworten zu geben und damit das Urteil in dem „Streit über Laokoon" zu sprechen: Nach dieser Hinweisung und Schilderung, von deren Richtigkeit sich jeder durch eigenes Anschaucn überzeugen kann, frage ich nun: wo ist hier die Milderung des Ausdrukes? wer sollte hier nur ein ängstliches und beklemmtes Seufzen erbliken? Wer kann sich die Gewalt des physischen Anstrengens und des körperlichen Leidens stärker denken? wer hat je gewaltsamere Zukungen in dem ganzen Muskelnspiel des menschlichen Baues wahrgenommen? wo ist ein Glied in Ruhe? und wie ist eine wüthendere Entstellung in allen Gesichtszügen - das Sträuben der Haare und des Bartes dazu genommen - möglich? - ein jeder sehe, erforsche sein Gefühl, und urteile. 112

Unverkennbar ist, daß die Fülle der samt und sonders zu verneinenden Fragen den Leser von der Unwahrscheinlichkeit, ja - wie Hirt glauben machen will — objektiven Falschheit der Laokoondeutungen Winckelmanns und Lessings über111 Ebd., S. 10. 112 Ebd.

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zeugen soll. Ebenso unverkennbar aber macht der letzte Satz dieses Passus deutlich, daß fürt mit seiner gesamten Argumentation weniger auf den Verstand, sondern vor allem auf das „Gefühl" seiner Leser zielt, das von ihm zur objektiven Urteilsinstanz erklärt wird. Der Appell an den Leser, zu sehen, sein Gefühl zu erforschen und auf dieser Grundlage über die Beschreibungen des Laokoon zu urteilen, ist jedoch nur innerhalb der von Hirt aufgebauten Fiktion einer unmittelbaren Augenzeugenschaft sinnvoll. Tatsächlich gibt es in Hirts „Schilderung" nichts zu sehen; dafür aber eine Menge im Sinne des movere extrem aufgeladener Beschreibungsrhetorik zu lesen, die letztlich auf die emotionale Überwältigung des zum Richter bestellten Intellekts zielt. Daß ein unvoreingenommenes Urteil somit unmöglich ist, dürfte offensichtlich sein. Mit dem Appell an das Gefühl seiner Leser aber tritt die Diskrepanz zwischen dem von Hirt selbst vor Beginn seiner Beschreibung angemeldeten Anspruch auf Objektivität und der faktischen Rhetorizität seines Textes nur um so deutlicher vor Augen. Selbst die von ihm so souverän vorgetragene, scheinbar rein deskriptive medizinische Argumentation hinsichtlich des im Laokooη dargestellten Moments, erweist sich vor diesem Hintergrund als ein rhetorisches Stilmittel, das den Anschein der objektiven Meßbarkeit der beschriebenen Phänomene suggerieren soll. Es ist das zeitgenössische Ansehen, in dem Medizin und Physiognomik als rationale Wissenschaften standen, das Hirt für seine Zwecke in Anspruch nimmt. Doch auch, wenn die Affektivität der Beschreibung solchermaßen wissenschaftlich-objektiv verbrämt wird, dient dies wiederum der Manipulation im Sinne der prinzipiellen Absicht, die Laokooninterpretationen Winckelmanns und Lessings als falsch zu erweisen. Der Laokoon selbst tritt dabei zumindest teilweise in den Hintergrund. Bei aller Anschauungsemphase ist die Anschauungslosigkeit der Hirtschen Beschreibung streckenweise frappierend. Keineswegs steht die Laokoongruppe selbst vor den Augen des Lesers, sondern ihr Bild wird von Hirt unter Aufbietung eines ganzen Arsenals rhetorischer Mittel sprachlich evoziert. Daß diese Evokation des Laokoon sich nicht allein aus der Anschauung, sondern gerade auch aus der Antithese gegen die Prinzipien der ,edlen Einfalt und stillen Größe' beziehungsweise der .Schönheit' speist, dürfte deutlich geworden sein. Und dennoch: Gerade die Analyse des sprachlichen und rhetorischen Aufwands, den Hirt betreibt, offenbart, wie wenig dieser vorstellbar oder motiviert wäre ohne die ursprüngliche Irritation durch das Kunstwerk selbst. Gerade an der hochgefahrenen Rhetorik der gegeneinander in Stellung gebrachten Texte ermißt sich das energetische Potential, das die Entdeckung des Gewaltsamen im Laokoon entfaltet hatte. Hirt selbst mag in seiner Argumentation den Boden strikt überprüfbarer Anschauung bisweilen verlassen: Den Anstoß zu solcher Emphase liefern das GewaltsamBewegte sowie das Häßlich-Schmerzverzerrte selbst, das er im Bildwerk sehen, in den Texten seiner Vorgänger aber nicht wiederfinden konnte.

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3. Entgrenzung von Form, Bewegung und Ausdruck Hirts provokante Laokoonbeschreibung, in der er als Hauptcharakteristika dieser Figur den höchsten Ausdruck und die angestrengteste Bewegung heraushebt, steht nicht isoliert da. Sie ist - gleichsam als Exemplum - in einen größeren Argumentationszusammenhang eingebettet, in dem sie als Hauptargument gegen die von Winckelmann und Lessing für die gesamte Kunst der Antike aufgestellte Kunstregel dienen soll. Hatten letztere den im Laokoon dargestellten „gemilderten" Ausdruck zum Beleg ihrer These von der ,edlen Einfalt und stillen Größe' beziehungsweise der ,Schönheit' als Grundsatz der bildenden Künste bei den Griechen herangezogen, so stellt Hirt mit seiner Beschreibung des Ausdrucks nicht nur die Ausgangsbeobachtung, sondern auch die Schlußfolgerung in Frage: Wenn aber auf solche Weise die drei Künstler Laokoon's den Ausdruk — aus Furcht der Schönheit zu schaden — nicht herabstimmten, sondern vielmehr den Moment der höchsten Anstrengung, welche dem mechanischen Baue des menschlichen Körpers möglich ist, wählten: [...] sollte es nicht auch mit den Folgerungen ein anderes Bewandtniß haben, welche man aus dem gemilderten Ausdruke, aus dem Seufzen hat ziehen wollen? 113

Es ist bezeichnend, daß Hirt auch diese — für ihn offensichtlich nur zu bejahende — Frage unbeantwortet läßt. Ja, er gibt sich seiner Sache so sicher, daß er den Gedanken, die von Winckelmann und Lessing festgesetzten „Grundsäze der schönen Künste" im folgenden „weidäufig und methodisch zu bestreiten" für entbehrlich erklärt. Anstelle einer solchen methodischen Kritik wolle er, wie er ankündigt, „bloß noch einige nicht unerhebliche Anmerkungen gegen die Meinung dieser beiden Archäologen beifugen."114 Beiläufig formuliert, leitet diese Ankündigung zu dem zweiten, über die exemplarische Deutung des Laokoon hinausgehenden Anliegen des Aufsatzes über: Auch wenn es nicht zu leugnen sei, so Hirt, daß die von Winckelmann und Lessing aufgestellten Grundsätze „einen Schein des Wahren für sich" hätten, so würde „ein näherer Blik über die alten Monumente uns Beispiele genug anbieten", die zeigen könnten, daß „das Hauptprincip der alten Kunst ein ganz anderes war." llD Schien Hirts Aufsatz anfänglich allein der Widerlegung der von Winckelmann und Lessing vorgetragenen Laokoondeutungen zu dienen, so wird von ihm an dieser Stelle erstmals offen ausgesprochen, worum es ihm letztlich geht: Es ist die Ablösung der für die Interpretation der antiken Kunstwerke bislang als fundamental geltenden Regeln der ,Schönheit' respektive der ,edlen Einfalt und stillen Größe' durch das Prinzip „Karakteristik", das sich „in allen Werken der Alten 113 Hirt, Laokoon, S . I I . 114 Ebd. 115 Ebd., S. l l f .

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ohne Ausnahme, sowohl in Ruhe, als Bewegung und Ausdruk" zeige und dem sich alle anderen Kunstgesetze unterzuordnen hätten.116 Deutlich objektbezogener als im Versuch über das Kunstschöne entwickelt Hirt sein Konzept der „Karakteristik" in zwei Richtungen: einerseits in Bezug auf die an sich bewegungslose Form, andererseits hinsichtlich des diese Form animierenden Doppelgespanns von Bewegung und Ausdruck.117 Form Mit dem Hinweis auf das breite, das Schöne ebenso wie das Ungestalte, Häßliche und Unedle umfassende Spektrum der von den antiken Künstlern dargestellten Gestalten versucht Hirt zunächst darzulegen, daß die „Kunst der Alten unter allen möglichen Formen" erscheine und dabei keinem anderen Gesetz als der „Karakteristik" gefolgt sei, „wodurch nämlich jede individuelle Form zum Ganzen sich zwekmäßig verband."118 Das Gesagte gilt ihm zufolge nicht nur für solch offensichtlich schöne Gestalten wie den Apoll, Merkur, Venus, Diana oder den „schönen Alcibiades", sondern auch für den „ungestalten Vulkan und Pan", den „hornhäutigen Triton und den glazköpfigen, schwammfleischigten, behaarten Silen", die schlangenhaarigen Gorgonen und Furien, die „gefiederten Beine der Syrenen und die Pferdegestalt der Centaurinen", den „häßlichen Socrates", den „alten blinden Homer" und den „ungestalteten Aesop", die „strippichten" Haare und den schmutzigen Bart der Barbaren sowie das „entstellte Alter" der Menschen überhaupt.119 Um sich die Provokation klar zu machen, die dieser die Götter-, Heroen- und Menschenwelt umfassende Katalog häßlicher Formen für die Zeitgenossen darstellte, mag der Hinweis auf Herders bereits erwähnte Schrift P/astik genügen. Zwar rechtfertigt auch dieser die Darstellung von „Silenen, Faunen, Satyrs", deren „Schwänzchen", „Bockfuß" und „Hörnchen" den Alten - anders als den Neuern — nicht „ekel" waren, „wenn das Bild nur da stand, wohin es gehörte." Im Gegensatz zu Hirt besteht Herder seinerseits aber darauf, daß die griechischen Künsder „Häßlichkeit der Formen" doch vermieden hätten, und zwar dort, wie er nachdrücklich betont, „wo sie vermieden werden muß, in Menschlichen zumal Göttlichen Körpern."120 1 1 6 Ebd., S. 12. 1 1 7 Zu den sowohl seelisch als auch körperlich zu verstehenden Begriffen Ausdruck' und .Bewegung' siehe die entsprechenden Einträge bei Sulzer, Allgemeine Theorie der schönen Künste, Bd. 1 (1792), S. 2 5 6 - 2 7 5 und S. 384-86. Vgl. hierzu auch Mason, Schönheit, Ausdruck und Charakter. 1 1 8 Hirt, Laokoon, S. 13. 1 1 9 Ebd., S. 12f. 1 2 0 Herder, Plastik, S. 41 f. - Vgl. dagegen Mengs' Praktischen Unterricht in der Malerei, in: Hinterlassene Schriften, Bd. 2, S. 60, w o es unter dem Paragraphen XI („Von der Grazie in der Composition") heißt: „Es gibt z. B. nicht Hässlicheres unter den menschli-

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Bewegung und Ausdruck Nachdem Hirt es — auf der Basis des Befundes an antiken Kunstwerken — für erwiesen ansieht, daß ihre jeweilige Form allein durch das Prinzip der „Karakteristik" bestimmt ist, wendet er sich im folgenden dem zweiten Aspekt, der Bewegung und dem Ausdruck, zu. Damit ist notwendig ein Wechsel der die Beobachtung und Beschreibung bestimmenden Leitdifferenz verbunden: Während sich der Blick auf die künstlerischen Formen, wie gesehen, endang der Achse schön/häßlich strukturiert, organisiert sich der Bereich des Ausdrucks und der Bewegung nach dem Oppositionspaar leidenschaftlich/still beziehungsweise gewaltsam/ruhig. λίύ der Dichotomisierung des Kunstwerks in einen Form- und einen die Bewegung einschließenden Ausdrucksaspekt bewegt sich Hirt auf traditionellem ästhetischen Terrain. Schon Winckelmann hatte in seiner Geschichte der Kunst des Alterthums von der Notwendigkeit gesprochen, beide Aspekte bei der Betrachtung der Kunstwerke zu scheiden.121 Doch war er weit entfernt davon gewesen, den von ihm als die „Nachahmung des wirkenden und leidenden Zustandes unserer Seele, und unsers Körpers, und der Leidenschaften sowohl, als der Handlung" verstandenen Ausdruck gleichberechtigt neben die Schönheit zu stellen. Vielmehr sei der Ausdruck in der Antike der Schönheit „gleichsam zugewäget" worden, weshalb diese als die „Zunge an der Waage des Ausdrucks" und als die vornehmste Absicht der alten Künsder gelten könne, „wie das Cimbal in einer Music, welches alle andere Instrumente, die jenes zu übertäuben scheinen, regieret." 122 Unverkennbar ist, daß Winckelmann trotz der Akzeptanz der leidenschaftlichen Darstellungen den schönen Formen und dem gemäßigten Ausdruck, also der Stille, den Vorzug gibt. So heißt es in der Wiener Ausgabe der Geschichte der Kunst, daß im Unterricht mit der „Lehre von den schönen Formen die Beobachtung des Wohlstandes in Gebehrden und im Handeln verbunden werden [solle], weil hierin ein Theil der Gratie bestehe." 123 Konsequenterweise gilt ihm denn auch die Grazie, verstanden als Schönheit in Bewegung, als das hervorragende Kennzeichen des schönen Stils.124 chen Figuren, als Satyren, Faune, Centauren und Tritonen; aber dennoch kann man ihnen Schönheit und Grazie geben, indem man das Eigenthümliche ihrer Naturen studirt. Bei einem Centaur kann man die Stärke und Muskelkraft eines Pferdes zeigen, bei einem Satyr die Trockenheit der Ziegennatur sichtbar machen; ein Triton ist mit gewisser Leichtigkeit und Feinheit der Haut zu malen u. s. w." 121 Siehe Winckelmann, G K Dresden, S. 151. Vgl. dazu Brandt, „... ist endlich eine edle Einfalt, und eine stille Größe", S. 49f. 122 Winckelmann, G K Dresden, S. 167f. Vgl. auch die genauer spezifizierende Definition des Ausdrucks in G K Wien, S. 316f. 123 Winckelmann, G K Wien, S. 316. 124 Zur Grazie bei Winckelmann siehe Pommier, Der Begriff der Grazie; zum ästhetischen Konzept der Grazie bzw. des Reizes als .Schönheit in Bewegung' siehe Lessings

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Anders dagegen Hirt: Vor dem Hintergrund seiner Prämisse, daß die „Kunst der Alten unter allen möglichen Formen" erscheine, ordnen sich Bewegung und Ausdruck keinesfalls der Schönheit unter, ganz im Gegenteil: Wenn aber die Kunst der Alten unter allen möglichen Formen erscheint ist vielleicht weniger Bedeutung und Wahrheit in Bewegung und Ausdruk, als die Natur der vorgestellten Szenen es erfordern möchte? — Gewiß nicht! Auch in Bewegung und Ausdruk waren die Alten eben so genau, als in der Karakteristik der Formen. Jede Figur hat die Bewegung, welche ihr in den gegebenen Umständen zukommt; jede hat den Ausdruk, welchen die vorgeschriebene Handlung oder Ixidenschaft erfordert - ohne jene gemilderten Grenzen, wie jene Kunstrichter geglaubt haben - dies gilt sowohl von Göttern, als I leiden und Menschen. 125

Deutlich wird aus diesen Worten, daß Hirt jegliches Bestreben, einen Gegenstand oder eine Handlung zu verschönem, als Abweichung von der Wahrheit versteht. Maßstab des ästhetischen Urteils über ein Kunstwerk kann ihm zufolge nur die Angemessenheit {decorum/ aptum), das heißt die genaue Ubereinstimmung von vorgegebenem Thema und künstlerischer Darstellung sein, wobei die Bewegving mit der Handlung und der Ausdruck mit den Leidenschaften korreliert ist. Anders als bei Winckelmann und Lessing ist das decorum bei Hirt jedoch nicht auf den Bereich des Schönen, im Sinne des Maßvollen und Schicklichen, eingegrenzt, sondern orientiert sich allein an dem darzustellenden Sujet, sei dieses nun schön oder häßlich beziehungsweise - wie im folgenden zu sehen — leidenschaftlichbewegt oder gemäßigt-ruhig. 4. „Ein näherer Blik über die alten Monumente": Hirts Museum gewaltsamer Darstellungen Es ist wiederum der Hinweis auf die Empirie der überlieferten antiken Kunstwerke, mit dem Hirt seine am Laokoon entwickelte kontroverse These zu belegen versucht. Auf die Darstellung insbesondere des Ausdrucks zugespitzt, faßt er sie noch einmal pointiert zusammen: Aber da wir vom Ausdruck reden, können wir von einem andern Beispiele anheben, als von Laokoon selbst mit seinen zwei Kindern? Ich glaube gezeigt zu haben, daß die Meister in dem Vater den angestrengtesten Grad des Ausdruks darstellten: von den beiden Söhnen ist der ältere am wenigsten leidend, nur festgehalten von den Schlangen schreiet er zum Vater um Hilfe empor: dem jüngern hingegen sezet eben eine der Schlangen ihre Vergiftungs-Zähne in die rechte Seite ein: und krampfartig zusammengezogen haucht er gleichsam im nämlichcn Moment mit dem Vater das Leben aus. 126 Laokoon (Werke und Briefe, Bd. 5.2, S. 155); zu Leasings Vorläufern Lomazzo, Spence, Webb, Hagedorn und Home siehe Howard, „Reiz ist Schönheit in Bewegung". Zur „Schönheit der Bewegung im 18. Jahrhundert" allgemein siehe Knab, Ästhetik der Anmut, bes. S. 153ff. 125 Hirt, Laokoon, S. 13. 126 I'bd., S. 13f.

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Was auf dieses nochmals aufgerufene Tableau der drei in höchster Qual verbundenen Figuren folgt, ist nun nicht etwa nur ein weiteres Beispiel, sondern ein ganzer Katalog v o n insgesamt einundzwanzig Kunstwerken, „worin", so Hirt, „die Alten jede A r t von Ausdruk und Bewegung ohne Milderung bildeten". 127 A n die Detaillierung und dramatisierende Synthese am Beispiel des Laokoon

schließt

sich damit eine Objektivierung durch Ausweitung des Anschauungsmaterials an. Die einzelnen Objekte werden jeweils kurz benannt und beschrieben. Die mit Fußnoten versehene Liste mutet dabei wie das Inventar eines Museums gewaltsamer Darstellungen' an, deren Auswahl durchaus den Bildtafeln ähnelt, die Aby Warburg mehr als einhundert Jahre später für seinen Bilderadas

Mnemosyne128

zusammenstellen sollte: Und wer erinnert sich nicht sogleich an die unglükliche Familie der Niobe? Wie kann Schreken und Tod entsezlicher wüten, sowohl in der berühmten Gruppe zu Florenz, als in zwei Basreliefs, diese Mythe vorstellend. — Schrekbar zu sehen ist der so oft vorgestellte an die Arme aufgehangene Marsyas, dessen Glieder durch die Schwere des Körpers so gezogen sind, daß ihm das Erstiken zusezet, und daher den Mund zum Schreien vergeblich zu öfnen strebet. — Herrschet nicht Verzweiflung in der Bewegung und auf dem Gesichte des Kriegers, dessen entleibte Frau eben todt zu seinen Füssen hinstürzt, in der Gruppe, die unter dem Namen Paetus und Arria bekannt in der Villa Ludovisi. - Sehen wir nicht eine sich convulsivisch windende Glauce, von den Aepfeln der Medea vergiftet, und den unglücklichen Vater, der sich bei deren Anblik die Haare zerrauft? — Althea, den Brand über das Feuer haltend, erscheint von der Furie ergriffen, indem sich ihr Sohn Meleager vom innern Feuer langsam verzehrt: verzweiflungsvoll entleibt sich dann die unglükliche Mutter selbst an seinem Grabe. - Die Furien mit Fakeln und Schlangen bewaffnet, ergreifen den Orestes bei dem Morde seiner Mutter und des Aegisthus. - Die Schlange weidet sich schreklich an den Gliedern des Kindes Archemories, indem die Amme Hypsipyle mit zerstreuten Haaren von dem Anblik zurükschaudert. — In der berühmten Gruppe, unter dem Namen il tauro farnese bekannt, binden Zethus und Amphion, die sich sträubenden [sie!] Dirce an den Hörnern eines wilden Stieres fest. - Achilles schleift die Königin Penthesilla [sic!] bey den Haaren. — Andromache stürzt sich verzweifelnd auf den Leichnam Hector's, Cassandra und andere Trojanerinnen zerraufen sich die Haare. — Dort reißt Ajax Cassandra bei den Haaren vom Altare der Minerva. - Hier erscheint die ganze Schrekenszene, wo Priam mit seiner Familie am Altar seiner Hausgötter das Opfer des racheglühenden Neoptolemus wird. 129 Mit dem Themenkreis der von Homer und Vergil geschilderten Niedermetzelung eines ganzen Königshauses scheint Hirt in einem gewissen Sinne an den Höhepunkt seiner Beispielreihe gelangt zu sein. Statt jedoch seine Aufzählung mit 127 Ebd., S. 16. 128 Siehe Warburg, Der Bilderatlas Mnemosyne, hier insbesondere die den antiken Vorprägungen gewidmeten Tafeln 5 (u. a. Niobiden, Medea, Meleager), 6 (Ajax und Kassandra, Laokoon) und 7 (Siegerpathos: Konstantinsbogen, Trajanischer Fries, Trajanssäule), sowie die Tafeln 41 (Vernichtungspathos: u. a. Medea und Polyxena), 41a (Leidenspathos: Tod des Laokoon) und 72ff. (zum Kindermord). 129 Hirt, Laokoon, S. 14-16.

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dieser eindrucksvollen „Schrekenszene" zu beenden, erweitert er den bislang bloß additiven Katalog um eine Reihe weiterer Werke, die er nunmehr allerdings in eine systematische Ordnung bringt: Ermordungen und Schlachten sind häufig. Auf dem Triumphbogen Konstantias reitet Trajan mit gezükter Lanze über die flehenden Dacier weg; Soldaten zeigen ihm die abgeschlagenen Köpfe überwundener Feinde. - Das Flehen, die Trostlosigkeit, der kämpfende Muth mit starker Anstrengung kommen zu oft vor, daß es keiner weitern Beispiele bedarf. Auch das Schreien ist gebildet worden, wie wir schon von dem ältern Sohne Laokoon's bemerkten: das nämliche erscheint noch deutlicher in einer Gruppe, wo ein Triton eine sich sträubende Nymphe entfuhrt. - Als eine mehr komische Szene führe ich hier noch die zweimal existierende Gruppe an, wo ein Satyr einem Faun einen Dorn aus dem Fusse zieht. 130

Stammen die Sujets der im ersten Teil angeführten Werke alle (mit Ausnahme der damals sogenannten Paetus und ^-4mt?-Gruppe) aus der griechischen Götter- und Heldenwelt, so führt Hirt im zweiten Teil Darstellungen aus der römischen Geschichte sowie aus dem Bereich der Mischwesen an, womit beinahe das gesamte Spektrum antiker Gestalten und Sujets repräsentiert ist. Dabei mag zunächst einmal die bloße Masse der aufgezählten Beispiele beeindrucken. Das Erstaunliche an diesem Katalog leidenschaftlich-bewegter Darstellungen ist jedoch, daß alle von Hirt genannten Werke sich in öffentlichen Museen oder privaten Sammlungen befanden und zum größten Teil sogar schon publiziert waren. Zur Unterstützung seiner provokanten Thesen mußte Hirt also gar nicht auf neue, unbekannte oder bislang unberücksichtigt gebliebene Kunstwerke zurückgreifen, sondern konnte sich der einschlägig bekannten Sammlungen und Publikationen, darunter Winckelmanns Geschichte der Kunst (Ausgaben Dresden 1764, Wien 1776, Rom 1783), seine Monumenti Antichi Inediti (1767) sowie Lessings Laokoon (1766), bedienen. Erinnert sei in diesem Zusammenhang an den bereits zitierten Brief Hirts an Goethe vom 4. April 1789, in dem er berichtet, daß seine im Laokoon-Aufsatz vertretene Position „allerdings sehr Choquant besonders wider Lessing, Winkelmann und die kritischen Wälder von Herder selbst" sei.131 Die gleichsam als Entschuldigung angefügte Erklärung („aber da ich nichts anderes that, als die häufigen Monumente nebeneinander zu stellen, und den Gesichtspunkt anzeigen, unter welchem alle Werke der Alten zusammenlaufen, so weiß ich nicht, was ich machen soll") klingt dabei naiver als sie ist. Seine Worte lassen sich vielmehr als Anspielung auf seine Vorgehensweise oder, wenn man so will: seine vergleichende Methode lesen, die ja in der Tat in dem Nebeneinanderstellen der allgemein bekannten Kunstwerke besteht. Daß das .Nebeneinander' von in Wirklichkeit auf verschiedene Sammlungen verstreuten Antiken, deren Provenienz in einem Fußnotenapparat eigens 130 Ebd., S. 16. 131 Hirt an Goethe, 4. April 1789 (Zur Nachgeschichte der italienischen Reise, S. 163).

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vermerkt wird, dabei nur virtuell, das heißt im Sinne eines musee imaginatre vorzustellen ist, bedarf wohl keiner weiteren Erklärung. Daß der überwiegende Teil dieser Werke sich tatsächlich schon bei Winckelmann und Lessing behandelt findet, andere Beispiele dagegen gerade in Weimar auf ein besonderes Interesse gestoßen sein dürften, mag ein genauerer Blick auf den oben zitierten Katalog verdeutlichen. Niobe mit ihren Kindern Hatte Hirt sich in seinem Aufsatz bislang ausschließlich mit dem Apollo von Belvedere und dem Laokoon beschäftigt, so nennt er mit der „berühmten", bis 1769 in der römischen Villa Medici und von da an in Florenz aufgestellten Niobidengruppe (Abb. 3) ein weiteres der von Winckelmann zu den hervorragenden Meisterstücken der Antike gezählten Kunstwerke.132 Dem Mythos zufolge hatte Niobe sich über die Göttin Leto (lat. Latona) gestellt, da diese nur zwei, sie dagegen zwölf, nach anderen Berichten vierzehn oder gar dreißig Kinder ihr eigen nennen konnte. Zur Strafe für diese Demütigung ihrer Mutter rächten sich Apollon und Artemis/Diana an der Nachkommenschaft der Niobe. Unter den antiken Schriftstellern schildert Ovid den Untergang der Niobiden im sechsten Buch seiner Metamorphosen am ausführlichsten:133 Bei ihm werden die Söhne von den tödlichen Pfeilen auf dem Reitplatz überrascht, wo sie auf das grausamste niedergemetzelt werden. Amphion, Niobes Gatte, legt daraufhin selbst Hand an sich. Von den sieben Töchtern töten Apollo und Diana zunächst nur sechs und verschonen die jüngste, die zu ihrer Mutter geflohen ist. Als kurz darauf auch diese, trotz allen Flehens, von den Pfeilen getroffen wird, muß Niobe erkennen, daß die Götter ihre gesamte Familie ausgelöscht haben und sie allein zurückbleibt. Von Schmerz überwältigt, versteinert sie zum Marmorbild, dem der Sage zufolge als einzig menschliche Regung auf ewig Tränen der Trauer entströmen.134 In seiner Geschichte der Kunst hatte Winckelmann die Figuren der Niobe und ihrer Kinder dem hohen Stil der griechischen Kunst zugeordnet und zusammen mit dem haokoon als eines der „schönsten Werke des Alterthums" bezeichnet.135 Die Tatsache, daß die Töchter der ΑHobe in einer „unbeschreiblichen Angst, mit übertäubter und erstarreter Empfindung [...], wenn der gegenwärtige Tod der Seele 132 Zur Florentiner Niobidengruppe siehe Geominy, Die Florentiner Niobiden; Haskell/ Penny, Taste and the Antique, S. 274ff. Abb. 3 zeigt einen Stich aus Fran?ois Perriers Segmenta nobilium von 1638, der alle damals bekannten Figuren der Gruppe in einem Bild vereint. Zur Niobidengruppe vgl. auch unten, S. 184-210. 133 Ovid, Metamorphosen, Buch VI, Vers 218-312. 134 Ebd., Vers 297-312. Vgl. Homers Was, XXIV, Vers 602-617, wo die Zahl der Kinder der Niobe mit zwölf angegeben wird. 135 Winckelmann, G K Dresden, S. 170 und 226. Vgl. G K Wien, S. 3 2 6 , 4 7 4 und 656-659.

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alles Vermögen zu denken nimmt" dargestellt sind, ist dabei in Winckelmanns Augen der Schönheit dieses „Bild [es] der Todesfurcht" keinesfalls hinderlich. Im Gegenteil: Todesfurcht und Schönheit bedingen einander, indem die Angst die seelische und körperliche Bewegung im Sinne der von ihm idealisierten Stille erstarren läßt: Ein solcher Zustand, w o Empfindung und Ueberlegung aufhöret, und welcher der Gleichgültigkeit ähnlich ist, verändert keine Züge der Gestalt und der Bildung, und der große Künstler konnte hier die höchste Schönheit bilden, so wie er sie gebildet hat: denn Niobe und ihre Töchter sind und bleiben die höchsten Ideen derselben. 1 3 6

Ahnliches wurde damals hinsichtlich der beiden von Hirt ebenfalls erwähnten Reliefs (Abb. 4 und 5) behauptet, deren eines von Winckelmann bereits in seinen Monumenti Antichi Inediti (1767) und deren anderes von Angelo Fabroni in seiner Dissertasione sulle statue appartenenti alia favola di Niobe (1779) sowie von Ennio Quirino Visconti im vierten Band seines Museo Pio-Clementino (1788) besprochen und abgebildet worden war.137 Bewundert wurde dabei vor allem die künstlerisch und ästhetisch gelungene Darstellung der Leidenschaften. Während jedoch beispielsweise Visconti die Verbindung von „bellezza", „veritä" und „espressione" ganz im Sinne Winckelmanns herausstreicht,138 wird schon in Hirts knapper Beschreibung deutlich, wie bei ihm in allen drei künstlerischen Umsetzungen dieser „Mythe" die „Gleichgültigkeit" dem brachialen Wüten von „Schreken und Tod" weichen muß. Apollo und Marsyas Schrecken, terror, ist ihm zufolge auch der beherrschende Eindruck in den zahlreichen Darstellungen des „an die Arme aufgehangene[n] Marsyas", dem Apollo zur Strafe dafür, daß er ihn zu einem musikalischen Wettstreit herausgefordert hatte, die Haut bei lebendigem Leibe abziehen läßt.139 Die Tatsache, daß dieser trotz größter Schmerzen nicht schreiend dargestellt ist, führt Hirt, wie schon beim

136 Winckelmann, G K Dresden, S. 170. 137 Winckelmann, MAI, S. 1 1 9 f , Nr. 89 (das damals in der Villa Borghese befindliche Relief heute in Venedig; siehe: Rilievi greci e romani del Muso Archeologico di Vener a , Kat-Nr. 42, S. 134-142); Fabroni, Dissertazione, S. 22ff., Taf. XVIII und X I X ; Visconti, Museo Pio-Clementio, Bd. 4 (1788), S. 33ff., Taf. XVII. Auch Meyer sollte in seinem Niobiden-Aufsatz auf die beiden Reliefdarstellungen zu sprechen kommen. Siehe dazu unten, S. 1 9 1 . Zu den heute erhaltenen Niobidensarkophagen siehe K o c h / Sichtermann, Römische Sarkophage Nr. 30, S. 169. 138 Visconti, Museo Pio-Clementino, Bd. 4 (1788), S. 36. 139 Zum Motiv des Marsyas in der antiken und modernen Kunstgeschichte siehe Hofmann, Marsyas und Apoll; Wünsche, Marsyas in der antiken Kunst (mit dem Hinweis auf die der späthellenistisch-römischen Kunst nicht fremde „ gewisse Greuelästhetik") sowie Fehl, Über das Schreckliche.

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Laokoon, nicht auf ästhetische oder gar ethische Gründe, sondern auf den durch Marsyas eigenes Körpergewicht bewirkten nahen Erstickungstod zurück, der ihn den Mund vergeblich zu ö f f n e n versuchen lasse. Die berühmte Figur in den Florentiner Offizien (Abb. 6) sowie die Abbildung der entsprechenden Szene in Winckelmanns Monumenti Antichi Inediti hatten die Schindung des Marsyas derart bekannt gemacht, daß Hirts Deutung einer „so o f t vorgestellte[n]" Szene für den Leser den Anschein der Evidenz bekommen mußte. 140 Paetus und Arria Dies betrifft auch die schon aus der Geschichte der Kunst bekannte, sogenannte Paetus und Arria-Gruppe

(Abb. 7). Sie stellt, wie schon Hirt bemerkt, einen galli-

schen (d. h. keltischen) Krieger dar, der zuerst seine Frau getötet hat, u m sich als nächstes selbst zu „endeiben" und so der Gefangenschaft zu entgehen. 141 Ihr Hinstürzen evoziert in Hirts Kurzbeschreibung einen gleichermaßen heftigen wie unkontrollierten Bewegungsimpuls, den kein lebendiger Wille mehr lenkt: Ist es im Falle der Frau so gerade die tragische Absenz von vitalem Ausdruck, an der die G r u p p e als Paar sich zugleich aufzulösen droht, wird der Mann, auf dessen „Gesicht" sich Hirt konzentriert, desto mehr zum Träger stärkster Expression. Die Bewegung des Mannes ist, wie die Kenner wußten, nichts anderes als das zum Stoß in den eigenen Leib hochgereckte Schwert: „ E b e n todt" stürzt die Frau; dem entschlossen geführten Stich wird der Sturz auch des Mannes folgen. Medea und Kreusa Die beiden von Hirt zunächst genannten Medeasarkophage aus der Villa Borghese und dem Palazzo Lancelotti gehören zu einer G r u p p e von etwa sechzehn erhaltenen römischen Sarkophagen dieses Typs. In vier aufeinanderfolgenden Szenen zeigen sie die Überreichung der Brautgeschenke an Kreusa (Glauke),

140 Zu dem berühmten ,Roten Marsyas' in den Florentiner Uffizien (dem der sogenannten ,Weiße Marsyas' an die Seite zu stellen ist) siehe Haskell/Penny, Taste and the Antique, S. 262f., Nr. 59. Bei dem von Winckelmann angeführten Beispiel handelt es sich um einen das Urteil des Midas darstellenden Sarkophag aus der Villa Borghese. Siehe Winckelmann, MAI, S. 49f., Nr. 42; vgl. auch Visconti, Museo Pio-Clementino, Bd. 5 (1796), S. 4ff. und Taf. 4 (II supplizio di Marsia). Zu Marsyas als „tragischem Gegenstand" bei Goethe siehe unten, S. 127f. 141 Winckelmann, Anmerkungen über die Geschichte der Kunst, S. 114f. und GK Wien, S. 797-801 (mit der Identifikation der beiden Figuren als Canache, Tochter des Königs Aeolus, und einem seiner Trabanten). Zur Identifikation der beiden Figuren siehe Haskell/Penny, S. 282ff., Nr. 68; zur Ikonographie der Gallier/Kelten im allgemeinen und zur Deutung der Gallier-Gruppe Ludovisi im besonderen siehe Hölscher, Die Geschlagenen und Ausgelieferten, S. 120-123.

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ihren Tod durch das von Medea vergiftete Kleid sowie Medea selbst vor und nach dem Mord an ihren eigenen Kindern, mit deren Leichen sie auf einem von geflügelten Schlangen gezogenen Wagen schließlich davonfährt (Abb. 8).142 Nachdem bereits Bartoli/Bellori (1693) und Montfaucon (1719) das Exemplar in der Sammlung Borghese publiziert, es dabei jedoch fälschlicherweise als „Raub der Proserpina" bezeichnet hatten, identifizierte Winckelmann es korrekt als Medeasarkophag, bildete in seinen Monumenti Antichi Inediti stattdessen jedoch die bislang unbekannte Replik aus dem Hofe des Palazzo Lancelotti ab.143 Während Winckelmann die abgebildete Geschichte in ihrer Gänze beschreibt und dabei in den Kontext der „Thaten des Jason" einordnet, konzentriert sich Hirt allein auf die in der Mitte dargestellte Szene, wo eine „sich convulsivisch windende Glauce, von den Aepfeln der Medea vergiftet", nebst dem „unglücklichen Vater, der sich bei deren Anblik die Haare zerrauft" zu sehen ist. Krampfhaftes Winden und Aufbäumen in rasendem Schmerz und verzweifeltes Haareraufen sollen hier die These von der ungemilderten Expressivität antiker Kunst illustrieren.144 Meleager und Althaia Schmerz und Raserei sind auch das Thema römischer Meleager- und Orestessarkophage, auf denen die Mutter den Sohn beziehungsweise der Sohn die Mutter und deren Liebhaber tötet und daraufhin dem Wahnsinn verfällt. Hirts erstes Beispiel findet sich auf zwei Sarkophagtypen, von denen der eine auf der Vorderseite 142 Siehe hierzu allgemein Simon, Die Typen der Medeadarstellung in der antiken Kunst, S. 203-227 (mit Tafeln V-VIII) sowie den Tagungsband Meriee et la violence. Zu den römischen Medeasarkophagen im besonderen siehe Koch/Sichtermann, Römische Sarkophage, Nr. 25, S. 159f. Das fragliche, ehemals in der Westfassade der Villa eingemauerte Exemplar aus der Sammlung Borghese befindet sich seit 1808 im Besitz des Pariser Louvre (Ma 283). Siehe Baratte/Metzger, Catalogue des sarcophages, Nr. 34, S. 92-94. 143 Winckelmann, MAI, S. 121 f., Nr. 90 und 91 sowie GK Wien, S. 328 (mit Hinweis auf MAI). Vgl. Montfaucon, Antiquite expliquee, Bd. 1 (1719), S. 79, Taf. 40 und Bartoli/ Bellori, Admiranda Romanorum (1693), Taf. 55 (= Ceres, „in hortis Burghesiis"). Eine Darstellung der Medea von der Hand eines unbekannten antiken Malers erwähnt auch Lessing in seinem l^okoon (Werke und Briefe, Bd. 5.2, S. 34). 144 Bereits Winckelmann hatte auf die äußerst expressive Darstellung hingewiesen (MAI, S. 122): „La donna rappresentata eccesivamente smaniosa ed in agitazione violenta, e Glauce tormentata dagli atrocissimi dolori cht le cagionö le veste awelenata; e la persona attempata che sta dietro a Glauce in abito talare, per additarne la sua dignitä reale, e Creonte di lei padre, ligli stende la sinistra mano alia figliuola, c con la destra e in atto di strapparsi la chioma." Vgl. auch Goethes Kritik an diesem Sujet im 1811/12 niedergeschriebenen 9. Buch seiner Autobiographie Dichtung und Wahrheit (MA 16, S. 393), wo er von seinem Bcsuch in dem für Marie Antoinette errichteten Straßburger „Lusthaus" berichtet, in dessen zentralem Saal Wandteppiche ausgestellt waren, die die „Gcschichte von Jason, Medea und Creusa" darstellten.

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rechts die Tötung der Thestiaden durch Meleager, links die Verbrennung des schicksalhaften Holzscheits durch seine von der Furie ergriffene Mutter Althaia und in der Mitte den sterbenden Meleager auf einer Kline darstellt (ein Exemplar Museo Capitolino, ein zweites ehemals Villa Borghese, heute Louvre, Abb. 9). Dagegen zeigt der andere auf dem Deckel unter anderem den Selbstmord Althaias am Grab ihres Sohnes (ehemals Villa Pamphilj, heute Palazzo Doria-Pamphilj, Abb. 10).14d Zwar hatte Winckelmann zu Lebzeiten keinen der drei fraglichen Sarkophage publiziert, doch findet sich in den postumen Ausgaben seiner Geschichte der Kunst (1776/1783) der Hinweis auf das Exemplar aus der Sammlung Borghese.146 Wichtiger scheint in diesem Fall jedoch der Umstand, daß sich Lessing in seinem haokoon ebenfalls mit den von Hirt erwähnten Furien auseinandergesetzt hatte. Vor dem Hintergrund seiner These, daß „bei den Alten die Schönheit das höchste Gesetz der bildenden Künste gewesen sei" und die „alten Künstler" in ihren Werken deshalb Leidenschaften wie Wut und Verzweiflung, Zorn und Jammer vermieden oder gemildert hätten, behauptete Lessing kategorisch, daß die antike Kunst „nie eine Furie gebildet" habe: „Man gehe alle die Kunstwerke durch, deren Plinius und Pausanias und andere gedenken; man übersehe die noch itzt vorhandenen alten Statuen, Basreliefs, Gemälde: und man wird nirgends eine Furie finden."147 Lessing wandte sich dabei insbesondere gegen den Oxforder Gelehrten Joseph Spence, der im sechzehnten Dialog seines Polymetis (1741) zu recht festgestellt hatte, daß die in der antiken Kunst eher selten dargestellten Furien fester Bestandteil der Meleagergeschichte seien, weshalb sie auf Basreliefs „öfters die Althäa aufmuntern und antreiben, den unglücklichen Brand, von welchem das Leben ihres Sohnes abhing, dem Feuer zu übergeben."148 Zum Beleg verwies Spence auf ein

145 Koch, Die Mythologischen Sarkophage, 6. Teil, Nr. 116, S. 120f., Taf. 103b (Exemplar Paris, Louvre, ehemals Sammlung Borghese), Nr. 120, S. 122f., Taf. 96c (Kxcmplar Rom, Museo Capitolino) und Nr. 8, S. 87f., Taf. 10 und 83 (Exemplar heute Rom, Palazzo Doria Pamphilj). Zu dem heute im Louvre befindlichen Sarkophag, der ehemals als Piedestal für die Statue eines liegenden Bacchus diente, siehe auch Baratte/Metzger, Catalogue des sarcophages, Nr. 47, S. 97ff. und Kalveram, Die Antikensammlung des Kardinals Scipione Borghese, Nr. 50, S. 186f. 146 Winckelmann, G K Wien, S. 499 („Von den Begräbnisurnen, welche beynahe alle aus späteren Zeiten sind") und l ; cas dreibändige italienische Ausgabe der Geschichte der Kunst von 1783 (im folgenden zitiert als G K Rom), hier Bd. 2, S. 132. Vgl. auch Visconti, Sculture del Palazzo della Villa Borghese, Bd. 1 (1796), Stanza III, Nr. 12. Zwar bildet Winckclmann schon in seinen Monumenti Antichi Inediti zwei Meleager-Rcliefs ab, doch stellen sie ihm zufolge nicht die von Hirt beschriebene Szene, sondern den Kampf Meleagcrs gegen die Brüder der Althaia und seine Ileimtragung dar (MAI, S. 116ff.,Nr. 87 und 88). 147 Lessing, Werke und Briefe, Bd. 5.2, S. 26, Anm. 8. 148 Ebd., S. 27. Vgl. den Originaltext in Spence, Polymetis, S. 272.

Hirts Laokoon

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von Bartoli und Bellori in den Admtranda Rßmanorum Antiquitatum publiziertes Relief aus der Sammlung della Valle, das vom Typ her nun wiederum dem von Hirt erwähnten entspricht.149 Anders als seine Vorgänger glaubte Lessing jedoch in den beiden neben Althaia stehenden Figuren keineswegs Wut und Verzweiflung verkörpernde Furien, sondern schlicht und einfach „Mägde der Althäa" zu erkennen, „welche das Feuer anzünden und unterhalten mußten."' 30 — Es ist die These von dem Primat der Schönheit und die damit verbundene Ablehnung von Leidenschaften, „die sich in dem Gesichte durch die häßlichsten Verzerrungen äußern, und den ganzen Körper in so gewaltsame Stellungen setzten, daß all die schönen Linien, die ihn in einem ruhigem Stande umschrieben, verloren gehen"' 3 ', die Lessing diese schon etwas kurios anmutende Deutung suchen und finden ließ. Bekanntlich hatte schon Goethe in seinen Ephemerides (1770) an dieser Stelle des Lessingschen Textes eingehakt. Zwar gibt er Lessing recht, „daß nicht Furien, sondern Mägde mit Tädis bei der Althäa" stünden, doch behauptet er, nicht erkennen zu können, daß die Darstellung von „Wut und Verzweiflung" in den antiken Kunstwerken prinzipiell vermieden worden sei. Vielmehr, so der junge Goethe mit Hinweis auf den hier interessierenden Sarkophag, hätten die antiken Künsder vermocht, auch Verzerrungen ,schön' darzustellen: ,,L.[essing] bekennt selbst, es sei heftiger Schmer.ζ und wer es ansieht, wird gern mit mir einig sein daß es würkliche Verzerrung ist. Sollt man wohl W u t und Verzweifelung stärker ausdrücken können. [...] Die alten, wie ich anders w o zu beweisen gesucht habe, scheuten nicht so sehr das häßliche als das falsche, und verstunden auch die schröcklichsten Verzerrungen, in schönen Gesichtern, zur Schönheit zu machen."' 3 2

Indem nun Hirt die Spence'schen Furien wie selbstverständlich wieder einführt und damit gleichsam rehabilitiert, radikalisiert und systematisiert er zugleich die verhaltene Kritik Goethes und weist — zwar verdeckt, für die antiquarisch gebildeten Zeitgenossen jedoch wohl unmißverständlich - auf die nicht nur den Blick verfälschende, sondern auch die archäologische Deutung behindernden Folgen des von Lessing absolut gesetzten Schönheitsprinzips. 149 Bartoli/Bellori, Admiranda Romanorum, Taf. 69 („in aedibus D. D. da Valle"). Vgl. auch den von Lessing kritisch angeführten Montfaucon, Antiquite expliquee, Bd. 1, S. 162. 150 Lessing, Werke und Briefe, Bd. 5.2, S. 27 (Laokoori). 151 Ebd., S. 26. 152 MA 1.2, S. 525. Vgl. hierzu Goethes Darstellung seines Besuchs des Mannheimer Antikensaals im August 1771 in Dichtung und Wahrheit (MA 16, S. 535-537), der u. U. den Hintergrund für die oben zitierten Überlegungen abgibt, insofern Goethe hier möglicherweise Eindrücke seines vorigen Besuchs im Jahre 1769 einfließen läßt. Die Niederschrift des 11. Buches erfolgte allerdings erst 1 8 1 2 / 1 3 . Zur Laokoondeutung des jungen Goethe siehe Meyer-Kalkus, Schreit Laokoon?, S. 99f. 153 Vgl. hierzu den Einwand A. W. Schlegels bezüglich der Darstellung von Medusenköpfen (Athenäum I, 2 [1798], S. 262) und die Antwort Hirts in seiner Replik Ueber die

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Archäologie: Aloys Ludwig Hirt

Orest, Aigisthos

und

Klytemnästra

Furien sind auch auf dem nächsten von Hirt angeführten Beispiel, einem in zwei nahezu identischen Exemplaren überlieferten Orestsarkophag, erkennbar. Grundsätzlich lassen sich die auf Sarkophagen dargestellten Szenen aus der Orestie wiederum in zwei Gruppen teilen, von der die eine die Ermordung des Aigisthos und der Klytemnästra, die andere hingegen Szenen aus der Iphigeniesage, wie die Erkennung der beiden Geschwister, umfaßt.' 34 War Goethe mit seiner „verteufelt human[en]" Iphigenie (1779/86) dem Vorbild des Euripides und damit dem zuletzt genannten Traditionsstrang g e f o l g t , s o gehören die von Hirt für seinen I^aokoonAufsatz gewählten Reliefs zu der ersten Gruppe. Deren den Ereignissen auf Tauris vorausgehendes Sujet wird ausführlich in der Orestie des Aischylos geschildert. Das aber bedeutet, daß die beiden von Hirt angeführten Beispiele nicht nur ein weiteres Mal die Bildung von Furien auf Werken der antiken Kunst belegen, sondern darüber hinaus auf den gewalttätigen Ursprung der bei Goethe so versöhnlich endenden Geschichte hinweisen.136 Winckelmann hatte in seinen Monumenti Antichi Inediti nicht nur das eine, in den 1760er Jahren noch im Palazzo Barberini befindliche, nach seinem Tod jedoch in das neu eröffnete Museo Pio-Clementino transferierte Exemplar publik gemacht, sondern an gleicher Stelle auch auf das zweite, ebenfalls von Hirt erwähnte Exemplar im Palazzo Giustiniani hingewiesen (Abb. II). 157 Seine Identifikation der Szene als „La Morte d'Agamemnone" war schon bald korrigiert und

154 155 156

157

Charakteristik, S. 449f. - Dagegen hat Karl August Böttiger die Auffassung Lessings, daß die „alten Künstler nie eine Furie gebildet" hätten, in einer besonderen Publikation (Die Furienmaske im Trauerspiele und auf den Bildwerken der alten Griechen, Weimar 1801) verteidigt und dabei u. a. auch auf Goethe hingewiesen, der in seiner Iphigenie (3. Aufzug, 1. Auftritt) „die Zuschauer diese Rachegöttinnen nur aus der Ferne hören [lasse] und, indem er das Schauderhafteste andeutet, nur das, was innerhalb der Gränzen des Gefallens stehen kann, [ausspreche!" (S. 93). - Zu Hirts Kritik an Böttigers Verteidigung Lessings siehe seinen Brief an diesen vom 27. Februar 1801 (abgedruckt bei Denk, Das Kunstschöne und das Charakteristische, S. 123-127). Koch/Sichtermann, Römische Sarkophage, S. 170f. Das von Hirt erwähnte Exemplar aus dem Museo Vio-Clementino ebd., Nr. 33, Abb. 192. Siehe Goethe an Schiller, 19. Januar 1802, Nr. 836, S. 874. Für die Uraufführung der Iphigenie hätte Schiller die Furien bekanntlich gern auf der Bühne gesehen. Siehe seinen Brief an Goethe vom 22. Januar 1802 (MA 8.1, Nr. 839, S. 878): „Orest selbst ist das Bedenklichste im Ganzen; ohne Furien ist kein Orest, und jetzt da die Ursache seines Zustands nicht in die Sinne fällt, da sie bloß im Gemüt ist, so ist sein Zustand eine zu lange und zu einförmige Qual ohne Gegenstand; [•··]•" Winckelmann, M/M, S. 193-197, Abb. 148. Vgl. auch GK Wien, S. 328 sowie Galleria Giustinana, Parte Seconda (um 1631 j, Nr. 130; Bartoli/Bellori, Admiranda Romanorum, Taf. 52 („in aedibus Iustinianis", mit Hinweis auf das Exemplar im Palazzo Barbe-

Hirts Laokoon

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korrekt durch ,11 Panicidio d'Oreste' ersetzt worden.' 0 8 Das Relief zeigt im Zentrum die Bluttat des Orest, der seine Mutter Klytemnästra und deren zweiten Gemahl Aigisthos aus Rache für den Mord an seinem Vater Agamemnon getötet hat: Λίίί entblößtem Leib und verdrehten Extremitäten ist der vom Thron gestürzte Aigisthos kopfüber zu Boden gesunken, neben ihm liegt die erstochene Klytemnästra mit entblößter Brust, Kopf und Leib erschlafft. Orest selbst ist zweimal dargestellt. Während sich zur linken Seite seine alte Amme voller Entsetzen von der Szene abwendet, nahen von rechts bereits zwei Furien, die dem hier breitbeinig über dem Leichnam seiner Mutter stehenden Orest eine Fackel und eine Schlange entgegenstrecken. Vergeblich versucht dieser mit zur Seite gewendetem Kopf und schützend erhobenem Schwert, den drohenden Wahnsinn abzuwehren.' 59 Archemoros und Hypsipyle Die Schlange als Attribut der Furien stellt die Verbindung zu dem von Hirt an nächster Stelle genannten Relief aus dem Palazzo Spada (Abb. 12) her. Winckelmann hatte es fälschlicherweise als Darstellung des den Drachen tötenden Cadmus identifiziert, tatsächlich aber zeigt es — wie bereits der Herausgeber der italienischen Ausgabe der Geschichte der Kunst, Carlo Fea, bemerkt hatte — die aus dem thebanischen Sagenkreis stammende Geschichte des Königssohns Opheltes und seiner Pflegerin Hypsipyle: 160 Während Hypsipyle die sieben auf dem Weg nach Theben befindlichen Helden zu einer Quelle führte, hatte eine Schlange den unbewacht auf dem Boden liegenden Opheltes ergriffen und, noch bevor die Helden die Schlange töten konnten, erwürgt. Als böses Omen für den Ausgang des Zuges gegen Theben gewertet, wurde dem toten Opheltes der Name Archemoros (Anfänger oder Vorläufer im Schicksal) gegeben. Hirt interessiert an diesem Beispiel neben dem grausamen Tod des Kindes vor allem die leidenschaftliche Reak158 Visconti, Museo Pio-Clementino, Bd. 5 (1796), S. 42f., tav. XXII verweist auf die Korrektur Winckelmanns durch den Historiker Arnold Heeren (Commentatio in opus antiquum caelotum Musei Pio-CJementim [1786]) und den Numismatiker Joseph Hilarius Eckhel (uis Davids „Schwur der Horatier". 23 Meyer an Goethe, Mitte Oktober 1796 (GMB 1, Nr. 98, S. 371). 24 Ebd.

Kpische, dramatische und tragische Gegenstände

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terweise entlehnt er hier einen Begriff aus der Literaturtheorie — ist, natürlich, der Laokoon·. Die tragischen Gegenstände leiden eine Ausnahme. Man kann oder könnte sagen: das I-eiden des Laokoons wird und kann nicht ganz durch den Sinn des Auges begriffen werden, es hat ja der Künstler selbst in dem Ausdruck der Gesichter das Angstgeschrey der Söhne, die Todesnoth, das Seufzen und Ächzen in alle Figuren gelegt. Ich werde aber sagen, daß alle weisen Künstler zwar rühren, aber nicht Entsetzen erregen wollen und daß es gut für die Kunst ist, wenn dergleichen Gegenstände einen Theil der Wahrscheinlichkeit einbüßen. 23

„Tragische Gegenstände" wie die Laokoongruppe stellen für Meyer eine Ausnahme von der Regel dar, weil ihre vollständige Visualisierung beim Betrachter keine angenehmen, sondern abschreckende Gefühle hervorriefe. Da dies, so die hier nur beiläufig ausgesprochene Voraussetzung, nicht im Interesse der Künsder liegen könne, müsse es ihnen erlaubt sein, in bestimmten Fällen von dem Gebot einer möglichst realistischen Darstellung des Gegenstandes abzuweichen, um auf diese Weise auch mit abstoßenden Stoffen Gefallen zu erregen. Konkret heißt dies: Hätten die Schöpfer des Laokoon die Leiden des Priesters in allen Einzelheiten realistisch dargestellt, würde die Skulptur beim Betrachter bloßes „Entsetzen" auslösen. Tatsächlich handelt es sich bei dem Laokoon aber um eines der am meisten bewunderten Kunstwerke der Antike, das der von Hirt angegriffenen communis opinio zufolge allenfalls Rührung, keinesfalls jedoch Grausen empfinden läßt. Daß das Abweichen von dem Prinzip der „Wahrscheinlichkeit" eine notwendige Eigenschaft von Kunstwerken ist, die tragische Ereignisse oder Handlungen zum Gegenstand haben, versucht Meyer mit dem Hinweis auf den grundlegenden Unterschied zwischen der Wahrnehmung solcher Ereignisse in der Realität und ihrer ästhetisch gelungenen, das heißt angenehmen Darstellung in der Kunst zu belegen.26 Zu diesem Zweck fuhrt er eine Reihe von „Scenen" an, die in der „Natur" als grausam und ungerecht, in der künsderisch bearbeiteten Darstellung aber als „erhaben" wahrgenommen würden. Seine Argumentation bedient sich dabei einer Art Verfremdungstechnik, mit der er die aus der Kunstgeschichte allgemein bekannten Stoffe des Laokoon (Abb. 1), des Farnesischen Stiers (Abb. 13), der Niobidengruppe (Abb. 3 bzw. 32-39) und des unter anderem von Raffael dargestellten Bethlehemitischen Kindermords (Abb. 20) in drastischen Worten zunächst als reale Ereignisse beschreibt, um sie dann in ihrer künsderischen Umsetzung ästhetisch um so gelungener erscheinen zu lassen: Gesetzt, es wäre in der Natur zu sehen, wie ein edler Mann mit zwey Söhnen von Schlangen erwürgt und gefressen wird oder wie eine Frau einem wilden Stier an die Horner gebunden und von ihm geschleift wird oder wie eine schöne Mutter mit einem

25 Ebd.

26 Vgl. Goethes Aufsatz Über Wahrheit und Wahrscheinlichkeit der Kunstwerke (ΜΛ 4.2, S. 8995), der im 1. Stück der Propyläen erscheinen sollte.

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Kunsttheorie: Die Weimarischen Kunstfreunde Dutzend schöner Söhne und Töchter mit Pfeilen erschossen wird oder wenn die Kinder einer Stadt insgesammt ermordet werden sollten: den, sage ich, möchte ich wohl sehen, der zum Zeitvertreib zusehen wollte. Und gleichwohl haben diese Scenen von Grausamkeit, von Unrecht den Stoff zu erhabenen Kunstwerken gegeben, die uns gefallen, nicht darum, weil sie die Sache mit der höchsten Illusion darstellen, sondern weil sie solche nur zum Theil darstellen und sich Kunst mit Natur, Wahrheit und Täuschung, Scherz und Ernst in denselben paaren. 27

Ohne auf Einzelheiten des Meyerschen Arguments an dieser Stelle näher einzugehen, 28 läßt sich bereits diesen vorläufigen Überlegungen zu den Gegenständen der bildenden Kunst Folgendes entnehmen: Nicht erst Hirt, sondern auch schon der Goethefreund Meyer sah die Schwierigkeit, Kunstwerke von solch zentraler Bedeutung wie den Laokoon, den Farnesischen Stier oder die Niobidengruppe mit den Vorgaben der zeitgenössischen, das ästhetische deketare einfordernden Kunsttheorie in Einklang zu bringen. Um die genannten Werke nicht aus dem Kreis der darstellbaren Gegenstände ausschließen zu müssen, sieht Meyer sich gezwungen, eine Ausnahme von der allgemein gültigen Regel einzuräumen, daß ein Kunstwerk seinen Gegenstand restlos versinnlichen solle. Allein auf diese Weise wird es ihm möglich, die an sich problematischen „tragischen Gegenstände" in das kunsttheoretische Regelsystem zu integrieren, ohne dieses selbst aufgeben zu müssen. Während Hirt mit Blick auf dieselben Kunstwerke die zeitgenössische Kunsttheorie generell in Frage stellt, zeigt Meyer sich bestrebt, an deren Vorgaben festzuhalten. Dies gelingt ihm aber nur um den Preis der Abweichung von der Wahrheit beziehungsweise „Wahrscheinlichkeit" der Darstellung und unter Aufbietung eines forcierten Deutungswillens, der die angeführten „tragischen Gegenstände" ob ihrer kanonischen Bedeutung und Prominenz legitimieren will und muß. D a ß seine Reduktion der haokoongruppe, des Farnesischen Stiers, der Niobiden und des Bethlehemitischen Kindermords auf die ihnen zugrundeliegenden Stoffe in ihrer Drastik den entsprechenden Beschreibungen bei Hirt äußerst nahe kommt, mag man — sicherlich entgegen Meyers Intention — als Hinweis auf den prekären Status der von ihm vorgeschlagenen Ausnahmeregelung auffassen, einer Regelung, deren Paradoxien im folgenden immer wieder zu beobachten und zu verfolgen sein werden.

27 Ebd., S. 371 f. Wie sich demselben Brief entnehmen läßt, hatte Meyer sich in den Tagen und Wochen zuvor eingehend mit der in Florenz befindlichen Niobidengruppe beschäftigt. Die dabei angefertigten Notizen gingen später in seinen Propyläenaufsatz Niobe mit ihren Kindern ein. Siehe dazu unten, S. 184-210. 28 Siehe dazu unten, S. 132ff. - Auf die „Ideen über das Darstellbare und Darzustellende" kamen Goethe und Meyer übrigens kurz vor dem Eintreffen Hirts in Weimar wieder zu sprechen. Siehe Meyer an Goethe, 13. Mai 1797 (GMB 1, Nr. I l l , S. 443) und Goethe an Meyer, 6. Juni 1797 (GMB 1, Nr. 113, S. 451).

lipische, dramatische und tragische Gegenstände

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3. „Nach unserer jetzigen Überzeugung" Goethes Laokoon-Aufsatz als Antwort auf Hirt Im oben zitierten Brief vom 7. Juli hatte Schiller davon gesprochen, daß nun der rechte Moment sei, sowohl die griechischen Kunstwerke als auch die griechischen Epen und Tragödien, „von Seiten des Charakteristischen" zu betrachten, weshalb er Hirts Laokoon-Aufsatz gern in die Höreη einrücken würde. In seinem Antwortbrief gestand Goethe zwar zu, daß dieser Aufsatz das „große Verdienst" habe, „daß er das charakteristische so lebhaft einschärft, und bey seiner Erscheinung die Sache mit Gewalt zur Sprache bringen muß." 29 Darüber hinaus jedoch wollte er sich dem Beifall Schillers nicht so rückhaltlos anschließen, wie dieser das vielleicht erwartet hatte. Schon in seinem vorangegangenen Brief, dem der fragliche Aufsatz beilag, hatte er bemerkt, daß Hirt zwar „vielfach recht" habe, im Ganzen jedoch zu kurz greife, da er nicht einsehe, „daß Lessings, Winkelmanns und seine, ja noch mehrerer Enunciationen zusammen, erst die Kunst begrenzen." 30 Anerkennend setzte er allerdings hinzu: Indessen ist es recht gut wie er aufs charakteristische und pathetische auch in den bildenden Künsten dringt. Ich habe bei dieser Gelegenheit mich eines Aufsatzes erinnert, den ich v o r mehrern Jahren schrieb, und habe, da ich ihn nicht finden konnte, das Material dessen ich noch wohl eingedenk bin, nach meiner (und ich darf wohl sagen unserer) jetzigen Überzeugung zusammengestellt. Vielleicht kann ich es Sonnabend überschicken. Der Hirtische Aufsatz ist eine gute Vorbereitung dazu, da er die neuste Veranlassung gegeben hat. Vielleicht gibt dieses, besonders wenn Meyer mit seinen Schätzen zurückkommt, Anlaß zu mehrerem, |...].31

Deutlich wird aus diesen Sätzen, daß Goethe mit Hirts These von der Charakteristik als dem eigentlichen Grundsatz der bildenden Künste nicht übereinstimmt, die Relevanz des „charakteristische[n] und pathetische[n]" in der antiken Kunst aber durchaus akzeptiert und sogar bekräftigt. Den von ihm hier erstmals erwähnten, als Reaktion auf Hirt entstandenen Aufsatz Ueber Laokoon kennzeichnet also beides: Kritik an der Einseitigkeit des von Hirt aufgestellten Prinzips der Charakteristik, gleichzeitig aber Zustimmung zu seinen Beobachtungen hinsichtlich der Ausdrucksqualität antiker Kunstwerke. Mit anderen Worten: Goethe konzediert die charakteristische „Wahrheit" und das Pathos der antiken Kunstwerke, will es

29 Goethe an Schiller, 8. Juli 1797 (MA 8.1, Nr. 344, S. 374). 30 G o e t h e an Schüler, 5. Juli 1 7 9 7 (MA 8.1, Nr. 3 4 1 , S. 370f.). Siehe dazu auch S. 235f. - Kine Synthese der von Winckelmann, Lessing und Hirt vertretenen prinzipien der „Idealität", „Schönheit" und „Karakteristik" sollte auch Fernow in 1 8 0 6 erschienenen Aufsatz Über das Kunstschöne (Römische Studien, Bd. 1, S. vorschlagen. Siehe dazu unten, S. 331-336. 31 MA 8.1, Nr. 3 4 1 , S. 370.

unten, Kunstseinem 429ff.)

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Kunsttheorie: Die Weimarischen Kunstfreunde

aber keinesfalls absolut setzen und gegen das herkömmliche, mit den Namen Winckelmann und Lessing verbundene Schönheitsprinzip ausspielen. Wenn er in diesem Zusammenhang schreibt, daß er das Material zu seinem Aufsatz nicht allein nach seiner, sondern nach „unserer jetzigen Meinung" zusammengestellt habe, so umfaßt das von ihm besonders hervorgehobene „uns" neben Goethe nicht nur den am Pathos der Tragödie interessierten Schiller, sondern darüber hinaus auch den mit „tragischen Gegenständen" der bildenden Kunst beschäftigten Meyer, dem er den Laokoon-Auk&tz wenige Tage darauf mit der folgenden Erklärung nach Florenz übersandte: [Hirt] communicierte uns einen kleinen Aufsatz über Laokoon, den Sie vielleicht schon früher kennen und der das Verdienst hat, daß er den Kunstwerken auch das Charakteristische und Leidenschaftliche als Stoff zuschreibt, welches durch den Mißverstand des Begriffs von Schönheit und göttlicher Ruhe allzu sehr verdrängt worden war. Schillern hatte von dieser Seite gedachter Aufsatz besonders gefallen, indem er selbst jetzt über die Tragödie denkt und arbeitet, wo eben diese Punctc zur Sprache kommen. Um mich nun eben hierüber am freysten und vollständigsten zu erklären und zu weiteren Gesprächen Gelegenheit zu geben, so wie auch besonders in Rücksicht unserer nächsten gemeinschaftlichen Arbeiten, schrieb ich die Blätter, die ich Ihnen nun zur Prüfung übcrschicke. 32

Im Sinne aller drei als eines „Zirkeljs] von Freunden [der Kunst]"33 also wollte Goethe seine Aufzeichnungen entworfen haben und verstanden wissen. Beiden schlug er vor, die Untersuchung auf „die vornehmsten Statuen des Alterthums und andere Kunstwerke" auszudehnen, wobei er Schiller gegenüber nicht zu betonen versäumte, daß man dabei ,,dem[,] der im Felde der Tragödie arbeitet sehr erwünscht entgegen kommen würde." Bei aller Kritik an dem als Dogmatiker bezeichneten Hirt machen Goethes Briefe an Schiller und Meyer deutlich, daß es ihm mit seinem Aufsatz nicht so sehr darum ging, Hirt systematisch zu widerlegen, sondern daß er vielmehr beabsichtigte, dessen Thesen zu versachlichen und in modifizierter Form für die Diskussion des Weimarer Freundeskreises fruchtbar zu machen.

32 Goethe an Meyer, 14. Juli 1797 (GMB 2, Nr. 117, S. 7). Mit der Bitte, „Methode" und „Sinn" seiner Argumentation zu prüfen, hatte Goethe den Aufsatz bereits am 8. Juli an Schiller geschickt (siehe Μ A 8.1, Nr. 344, S. 374). Schillers zustimmende Antwort datiert vom 10. Juli (siehe MA 8.1, Nr. 345, S. 374), diejenige Meyers, der die „eigentliche Darstellung des Kunstwerks" beurteilen sollte, vom 26. Juli (GMB 2, Nr. 120, S. 14-19). 33 Goethe an Meyer, 14. Juü 1797 (GMB 2, Nr. 117, S. 7).

Über Laokoon (1797/98)

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II. Über Laokoon (1797/98) Goethes im Juli 1797 niedergeschriebener, mit geringfügigen Überarbeitungen jedoch erst im Oktober 1798 im ersten Heft der Propyläen veröffentlichter Aufsatz Ueber Laokoon gilt als eines der zentralen Dokumente der Ästhetik des Weimarer Klassizismus und ist nicht zuletzt aus diesem Grund von der Forschung wiederholt analysiert und aus unterschiedlichen Perspektiven ausführlich interpretiert worden. 34 Hier soll Goethes Text indes allein als Antwort auf die von Hirt in seinem Laokoon-Auis&Xz vorgetragenen Thesen untersucht werden. Besonderes Augenmerk wird dabei der Frage gelten, inwieweit die von Goethe in den Monaten zuvor gemeinsam mit Schiller und Meyer angestellten Überlegungen zum Problem der tragischen beziehungsweise pathetischen Gegenstände Eingang gefunden haben. Die Tatsache, daß weder Hirt noch seine Abhandlung im LaokoonAufsatz erwähnt werden, widerspricht diesem Anliegen keinesfalls: Sie steht im Einklang mit der Strategie Goethes, alles Zufällige als „nicht wesentlich" aus der Betrachtung auszuschließen. Daß Hirts Argumentation gleichwohl die Grundlage für das Verständnis des Laokoon-Aufsatzes darstellt, soll im folgenden deutlich werden.

1. Allgemeine Kunstbedingungen Grundsätzlich läßt sich an Goethes Aufsatz die Strategie verfolgen, daß er die Hirtschen Ausführungen zu Naturwahrheit, individueller Charakteristik und leidenschaftlichem Pathos der antiken Skulptur zunächst, zumindest auf stofflicher Ebene, keineswegs zurückweist, sondern sie statt dessen in die eigene Argumentation integriert.,D Wie er jedoch bereits in der einleitenden Passage seines Aufsatzes deutlich macht, reicht weder (a) die anatomisch korrekte Wiedergabe des menschlichen Körpers „in seinen Teilen, Maßen, innern und äußern Zwecken, Formen und Bewegungen im allgemeinen", noch (b) die differenzierende und damit individualisierende Repräsentation eines besonderen ,,Charakter[s]", sei er nun (c) in „Ruhe oder Bewegung", zum Verständnis eines so „trefflichen" Kunst-

34 Boehlich, Goethes Propyläen, S. 55-60; Keller, Goethe und das l.aokoon-Problem, Althaus, Laokoon, S. 80-98; Osterkamp, Im Buchstabenbilde, S. 113-116; ders: Nachwort (zu Goethes Ober Laokoon (1798)]; Richter, The lind of Laocoön; ders., Laocoon's Body, S. 163-189; Cometa, Die Tragödie des Laokoon; Miilder-Bach, Sichtbarkeit und I-esbarkeit. 35 Vgl. Meyer-Kalkus, Schreit Laokoon?, S. 102.

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Kunsttheorie: Die Wcimarischen Kunstfreunde

werks wie des Laokoon aus.36 Goethe zufolge können die drei genannten Eigenschaften lediglich als notwendige, keinesfalls jedoch als hinreichende Voraussetzung „hoher" oder „vollkommener" Kunstwerke gelten. Diese sind dadurch gekennzeichnet, daß bei ihnen der bloße Stoff aus der beschränkten Wirklichkeit künstlerisch in eine ideale Welt der Anmut und Schönheit überfuhrt worden ist.37 Dazu aber ist es vonnöten, den jeweiligen Gegenstand sinnlichen und geistigen Kunstgesetzen zu unterwerfen. Versteht Goethe unter den „sinnlichen Kunstgesetzen" die Regeln der „Ordnung, Faßlichkeit, Symmetrie, Gegenstellung etc.", kurz: der Komposition, wodurch ein jeder Gegenstand „für das Auge schön, das heißt anmutig wird", so verweist er mit dem „Gesetz der geistigen Schönheit" auf die Motivierung des Gegenstands durch den Künsder. Während sich „sinnliche Schönheit" - als ein visuelles Phänomen - der gelungenen Komposition verdankt, entsteht die an sich unsichtbare „geistige Schönheit" durch das von Goethe nicht weiter erläuterte „Maß", „welchem der [...] gebildete \iensch alles, sogar die Extreme, zu unterwerfen weiß." Zu den auch von Hirt beschriebenen Eigenschaften eines Kunstwerks („Lebendige, hochorganisierte Naturen", „Charaktere", „In Ruhe oder Bewegung") treten bei Goethe also die Kriterien des „Ideals", der „Anmut" und der „Schönheit"; Kriterien, die die spezifisch künsderische (Uber)Formung des darzustellenden Gegenstandes erfordern.38 Vollkommene Kunstwerke wie der Laokoon zeichnen sich demnach dadurch aus, daß sie alle genannten Eigenschaften in sich vereinen, während diese in weniger vollkommenen Kunstwerken nur einzeln anzutreffen sind.

2. Die Laokoongruppe als „Aluster" der Kunst Die Vereinnahmungsstrategie, die Goethe in seiner Auseinandersetzung mit den Positionen Hirts verfolgt, dessen Argumente er entschärft, indem er sie seinem eigenen Konzept als Grundlage amalgamiert, läßt sich im Einzelnen an seiner Interpretation des Laokoon aufweisen. Die vorausgeschickten allgemeinen Kriterien auf das Einzelwerk, die Laokoongruppe (Abb. 1), übertragend, erklärt Goethe: Man wird mir den Beweis erlassen, daß sie Kenntnis des menschlichen Körpers, daß sie das charakteristische an demselben, so wie Ausdruck und Leidenschaft zeige. Wie hoch und ideal der Gegenstand gefaßt sei, wird sich aus dem folgenden ergeben; daß man das Werk schön nennen müsse, wird wohl niemand bezweifeln, welchcr das Maß erkennt, womit das Extrem eines physischen und geistigen Leidens hier dargestellt ist.35

36 Über Laokoon, ΜΛ 4.2, S. 73f.

37 Vgl. seine Einleitung zu den Propyläen, ΜΛ 6.2, S. 17. 38 Zu Goethes Verständnis und Gebrauch des Begriffes „Anmut", der von demjenigen Schillers deutlich unterschieden ist, siehe auch unten, S. 224f. 39 ΜΛ 4.2, S. 77.

Über Laokoon (1797/98)

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Hirts polemisch vorgetragene .Entdeckung', sein wortreiches Insistieren auf der anatomischen Richtigkeit, mit der die körperlichen Reaktionen des Laokoon auf den Angriff durch die Schlangen dargestellt seien, sein Hinweis auf die individuelle Charakteristik der Figur und die Expressivität der an ihr ablesbaren Leidenschaften, wird von Goethe schlichtweg zur Selbstverständlichkeit erklärt. Damit akzeptiert er, daß Kunstwerke wie der Laokoon sehr wohl leidenschaftlich-bewegt als auch ausdrucksvoll sein können und dürfen. Die den künsderischen Ausdruckswillen einschränkende Lehre Winckelmanns und Lessings von der Einfalt und Gemessenheit der antiken Kunst ist damit stillschweigend außer Kraft gesetzt. Tatsächlich, so wird sich zeigen, ist fur Goethe sogar der „ganze Marmor in Bewegung."40 Als ebenso selbstverständlich stellt er im gleichen Zug aber auch die von Hirt in dieser Form angezweifelte Schönheit der Gruppe dar, die sich der maßvollen Darstellung des extremen Leidens sowie der anmutigen Komposition des Werkes als Ganzem verdanke: Jedes Kunstwerk muß sich als ein solches anzeigen, und das kann es nur durch das, was wir sinnliche Schönheit oder Anmut nennen. Die Alten, weit entfernt von dem modernen Wahne, daß ein Kunstwerk dem Scheine nach wieder ein Naturwerk werden müsse, bezeichneten ihre Kunstwerke als solche, durch gewählte Ordnung der Teile, sie erleichtertem dem Auge die Einsicht in die Verhältnisse durch Symmetrie, und so ward ein verwickeltes Werk faßlich. Durch eben diese Symmetrie und durch Gegenstellungen wurden in leisen Abweichungen die höchsten Kontraste möglich. Die Sorgfalt der Künsder, mannigfaltige Massen gegen einander zu stellen, besonders die Extremitäten der Körper bei Gruppen gegen einander in eine regelmäßige Lage zu bringen, war äußerst überlegt und glücklich, so daß ein jedes Kunstwerk, wenn man auch von dem Inhalt abstrahiert, wenn man in der Entfernung auch nur die allgemeinsten Umrisse sieht, noch immer dem Auge als ein Zierrat erscheint.

Goethe läßt keinen Zweifel daran, daß für ihn „sinnliche Schönheit oder Anmut" notwendig zu einem Kunstwerk dazugehören, ja beide das Kunstwerk als solches erst von den Werken der Natur unterscheiden, deren Komplexität die menschliche Auffassungsgabe übersteige. Das Gesagte gilt, wie betont wird, für ,,[j]edes Kunstwerk", um so mehr aber für die Laokoongruppe als dem Muster eines vollkommenen Kunstwerks. Das Knäuel der Schlangen und der Extremitäten des Vaters und seiner beiden Söhne erscheint nicht verworren, sondern als wohlgeordneter „Zierrat". Es sind die Ordnung und die Symmetrie, die das eigentlich Unfaßbare, das grausame Schicksal dreier Menschen, „faßlich" machen. Für Goethe steht fest, daß die Gruppe des Laokoons, neben allen übrigen anerkannten Verdiensten, zugleich ein Muster sei von Symmetrie und Mannigfaltigkeit, von Ruhe und Bewegung, von Gegensätzen und Stufengängen, die sich zusammen, teils sinnlich teils geistig, dem Be40 MA 4.2, S. 81. Siehe auch ebd., S. 78, wo von der „bewegten herrlichen Gruppe des Laokoons" die Rede ist. Dies ist übrigens auch der entscheidende Unterschied zu Lessing, der die Darstellung eines transitorischen Moments in der bildenden Kunst kategorisch ausschließt. 41 M A 4 . 2 , S . 77.

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Kunsttheoric: Die Weimarischen Kunstfreunde schauer darbieten, bei dem hohen Pathos der Vorstellung eine angenehme Empfindung erregen, und den Sturm der l eiden und Leidenschaft durch Anmut und Schönheit mildern. 42

Die an sich realistische und charakteristische Darstellung des leidenden Laokoon wird demzufolge also durch eine künsderisch ausgewogene Formgebung und Komposition ästhetisch integriert. Pathos und Anmut schließen für Goethe einander nicht aus.43 Das Ergebnis ist ein Kunstwerk, das sich gerade durch seine künsderische Stilisierung von einem Naturwerk unterscheidet. Dies ist aber nur die eine Seite der Medaille: Zu der sinnlichen tritt eine geistige Schönheit, das heißt die Idealität, mit welcher der pathetische Gegenstand im Laokoon aufgefaßt beziehungsweise motiviert ist. Der Hauptteil des Laokoon-Aulsatzes ist deshalb der Frage gewidmet „wie hoch und ideal der Gegenstand gefaßt sei"; die Antwort darauf soll sich, wie es bei Goethe heißt, „aus dem folgenden ergeben".44 Von der künstlerischen Form richtet Goethe damit den Blick auf das Problem des pathetischen beziehungsweise tragischen Gegenstands, dessen Erfindung bereits Schiller als „Cardo rei" bezeichnet43 und Meyer mit Hinweis auf den Laokoon erläutert hatte. Goethe scheint klar gewesen zu sein, daß die angesichts des zugrundeliegenden pathetischen Stoffs paradox anmutende Behauptung, die Laokoongruppe sei schön und anmutig, seine Leser nicht unmittelbar überzeugen würde. Denn unberührt von der künstlerischen Form bliebe die Skulptur immer noch der Gegenstand, den Hirt und — wenn auch mit gänzlich anderer Intention - Meyer beschrieben hatten: „ein Alter, und zwei Knaben im Todeskampf mit zwei der gräßlichsten Ungeheuer der Natur, die sie eng zusammen umschlungen halten", respektive ein „edler Mann mit zwey Söhnen", der „von Schlangen erwürgt und gefressen wird."46 Diese Auffassung des Gegenstands aber steht mit der von Goethe als Bedingung eines hohen Kunstwerks geforderten Idealität in Widerspruch, die sich durch ,Aiaß, Grenze, Realität und Würde"47 auszeichnet. Ein sich im Todeskampf windender, ja von Schlangen erwürgter Laokoon liegt jenseits der Grenze des ästhetisch Erträglichen, er ist ebenso maß- wie auch würdelos. Von allem „entblößt", was „nicht wesentlich ist", stellt sich die antike Laokoongruppe für Goethe dagegen als eine „tragische Idylle" dar: So ist auch bei dieser Gruppe, Laokoon ein bloßer Name; von seiner Priesterschaft, von seinem trojanisch-nationellen, von allem poetischen und mythologischen Beiwesen ha-

42 ΜΛ 4.2, S. 77f. Vgl. unten, S. 219-225. 43 Vgl. Meyer-Kalkus, Schreit Laokoon?, S. 104f. Zu der Goethes Werk durchziehenden „Strategie der darstellerischen Integration" von Gewalt siehe Osterkamp, Gewalt in Goethes Faust, bes. S. 301. 44 ΜΛ 4.2, S. 77. 45 Schiller an Goethe, 4. April 1797 (MA 8.1, Nr. 293, S. 321). 46 Hirt, Laokoon, S. 2; Meyer an Goethe, Mitte Oktober 1796 (GMB 1, Nr. 98, S. 371 f.). 47 MA 4.2, S. 74.

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ben ihn die Künstler entkleidet, er ist nichts von allem, wozu ihn die I ; abel macht, es ist ein Vater mit zwei Söhnen, in Gefahr, zwei gefahrlichen 'l'ieren unterzuliegen. Sollte ich diese Gruppe, wenn mir keine weitere Deutung derselben bekannt wäre, erklären; so würde ich sie eine tragische Idylle nennen. Ein Vater schlief neben seinen beiden Söhnen, sie wurden von Schlangen umwunden und streben nun crwachend, sich aus dem lebendigen Netze loszureißen. 48 Mit dem Hinweis, daß an sich grausame Szenen als Kunstwerke gleichwohl akzeptabel sein könnten, hatte Meyer in seinem oben zitierten Brief an Goethe einen prinzipiellen Unterschied zwischen d e m Erlebnis eines Ereignisses in der Realität und dessen Darstellung in der Skulptur, kurz: zwischen Natur und Kunst, behauptet. Werke wie die Laokoongruppe gefielen „nicht darum, weil sie die Sache mit der höchsten Illusion darstellen, sondern weil sie solche nur zum Theil darstellen und sich Kunst mit Natur, Wahrheit und Täuschung, Scherz und Ernst in denselben paaren.""19 Ganz in diesem Sinne präpariert G o e t h e den in der Laokoongruppe zur Darstellung k o m m e n d e n Gegenstand heraus und betont dabei den hochgradig artifiziellen Charakter der künstlerischen Invention: Der Zustand der drei Figuren ist mit der höchsten Weisheit stufenweise dargestellt, der älteste Sohn ist nur an den lixtremitäten verstrickt, der zweite öfters umwunden, besonders ist ihm die rechte Brust zusammengeschnürt, durch die Bewegung des rechten Arms sucht er sich Luft zu machen, mit der linken drängt er sanft den Kopf der Schlange zurück, um sie abzuhalten, daß sie nicht noch einen Ring um die Brust ziehe, sie ist im Begriff unter der Hand wegzuschlüpfen, keineswegs aber beißt sie. Der Vater hingegen will sich und die Kinder von diesen Umstrickungen mit Gewalt befreien, er preßt die andere Schlange, und diese, gereizt, beißt ihn in die Hüfte. 3 " D a s unterschiedliche Erscheinungsbild der drei Einzelfiguren wird somit als Ergebnis einer bewußten Entscheidung der Kiinsder erkennbar, das nicht mit der bloßen Imitation der Natur erklärbar ist: Eine wohldurchdachte Stufenfolge fuhrt v o n dem nur einfach verstrickten älteren über den schon mehrfach umwundenen jüngeren Sohn des Laokoon zu diesem selbst, der sich und seine Kinder gefesselt sieht und zudem v o n einer der beiden Schlangen gebissen wird. Behauptet Hirt, daß die andere Schlange auch dem jüngeren Sohn „ihre Vergiftungs-Zähne in die rechte Seite ein [setze]" 3 ', so besteht Goethe gerade auf dem Gegenteil: „keineswegs aber beißt sie."' Kurz: D i e Darstellung des Leidens bildet in ihrer Abstufung nicht die Realität ab, sondern folgt dem ästhetischen Gesetz der variatio.

48 49 50 51

ΜΛ 4.2, S. 78-80. Meyer an Goethe, Mitte Oktober 1796 (GMB 1, Nr. 98, S. 371 f.). MA4.2.S. 81. Hirt, Laokoon, S. 14. - Daß auch diese Schlange beiße, hatten bereits vor Hirt der italienische Renaissancedichter Sadoleto sowie Wilhelm Heinse in seinem Ariünghello (S. 223) behauptet. Vgl. auch Goethes Selbstanzeige der Propyläen, in der er auf Sadoletos Behauptung zu sprechen kommt und dekretiert: „Hiervon sieht man nichts in der Gruppe! und doch ist es in Zeichnungen und Kupferstiche und andre Nachahmungen übergegangen." (ΜΛ 6.2, S. 134)

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3. Fokus: Stellung und Ausdruck der Laokoonfigur Außerordentlich weise haben die Künsder Goethe zufolge insbesondere bei der Darstellung der Figur des Vaters gehandelt. Während Hirt in seinem Aufsatz den Todeskampf des Laokoon detailliert beschreibt und dabei die Stellung des Sterbenden als realistisch hervorhebt, verweist Goethe auch hier auf die Künstlichkeit der Figur und erklärt die eigentümliche Stellung und Bewegung der Glieder aus dem Biß der Schlange als dem „eigentlichen Lebenspunct des Dargestellten": Die Schlangc bringt dem unglücklichen Manne eine Wunde an dem Teile bei, wo der Mensch gegen jeden Reiz sehr empfindlich ist, wo sogar ein geringer Kitzel jene Bewegung hervorbringt, welche wir hier durch die Wunde bewirkt sehen: der Körper flieht auf die entgegengesetzte Seite, der Leib zieht sich ein, die Schulter drängt sich herunter, die Brust tritt hervor, der Kopf senkt sich nach der berührten Seite; da sich nun noch in den Füßen, die gefesselt, und in den Armen, die ringend sind, der Uberrest der vorhergehenden Situation oder Handlung zeigt, so entsteht ein Zusammenwirken von Streben und Fliehen, von Wirken und Leiden, von Anstrengen und Nachgeben, die vielleicht unter keiner andern Bedingung möglich wäre. Man verliert sich in Frstaunen über die Weisheit der Künstler, wenn man versucht, den Biß an einer andern Stelle anzubringen, die ganze Gebärde würde verändert sein, und auf keine Weise ist sie schicklicher denklich. 32

Ähnlich wie Hirt, der beim Laokoon einen Schlagfluß diagnostiziert, bedient sich auch Goethe physiologischer Argumente zur Erklärung der Stellung der Skulptur. Argumentativ gehen Medizin und Kunst eine eigentümliche Verbindung ein, doch läßt die am Ende der zitierten Passage erwähnte Kategorie der Schicklichkeit keinen Zweifel daran, daß Goethe die Laokoonskulptur letzten Endes nach ästhetischen Kriterien beurteilt sehen will und die naturgetreue (und damit kunsdose) Darstellung eines bewegten Gegenstandes als unschicklich ausschließt.33 Zwar ist die körperliche Reaktion des Laokoon anatomisch wie auch physiologisch korrekt wiedergegeben, ihre sinnliche Erscheinung erweist sich bei genauerer Betrachtung aber als ästhetisch choreographiert. Aus dem physischen Todesbiß kann somit ein künsderischer „Lebenspunct" werden. Ähnliches wie für die Stellung gilt auch für den Ausdruck des Laokoon, den Goethe als den körperlichen Spiegel des ,,geistige[n] Leidenfs]" der Hauptfigur versteht.34 Zwar stimmt er mit Hirt darin überein, daß „mit dem sinnlichen auch das geistige Leiden hier auf der höchsten Stufe dargestellt sei", doch widerspricht

52 ΜΛ 4.2, S. 82. Vgl. Hirt, Laokoon, S. 9f. Zum Biß als dem „eigentlichen Lebenspunct der Darstellung" siehe Goethe an Meyer, 14. Juli 1797 (GMB 2, Nr. 117, S. 6); hierzu Osterkamp, Im Buchstabenbilde, S. 113-116. 53 Vgl. Mülder-Bach, Sichtbarkeit und Lesbarkeit, S. 475. 54 MA 4.2, S. 82f.

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er mit Nachdruck der von diesem aufgestellten Behauptung, daß die Künsder im Laokoon den Moment seines Todes gebildet hätten: Angst, Furcht, Schrecken, väterliche Neigung scheinen auch mir sich durch diese Adern zu bewegen, in dieser Brust aufzusteigen, auf dieser Stirn sich zu furchen, nur trage man die Wirkung, die das Kunstwerk auf uns macht, nicht zu lebhaft auf das Werk selbst über, besonders sehe man keine Wirkung des Gifts, bei einem Körper, den erst im Augenblicke die Zähne der Schlange ergreifen, man sehe keinen Todeskampf bei einem herrlichcn, strebenden, gesunden, kaum verwundeten Körper."

Goethe erkennt an dem Körper des Laokoon nicht den Ausdruck eines Sterbenden, sondern den eines Strebenden. Tatsächlich wird diese Auffassung durch die bis ins 20. Jahrhundert gültige Rekonstruktion des Laokoon mit ausgestrecktem rechten Arm nahegelegt, die sich durch die Auffindung des originalen angewinkelten Arms allerdings als falsch herausstellte.36 Die gegensätzliche Beschreibung Hirts, die irritierenderweise der heutigen Gestalt des Laokoon viel eher entspricht als derjenigen des 18. Jahrhunderts, stellt Goethe als Ergebnis einer unzulässigen Projektion subjektiver Empfindungen des Betrachters auf das Objekt der Betrachtung dar, das seiner Meinung nach nahezu unversehrt und — psychisch wie auch physisch - aktiv ist.37 Ihm zufolge zeichnet sich die Laokoonskulptur gerade dadurch aus, daß in ihr „Streben und Leiden in Einem Augenblick vereinigt" sind.38 Sie sei der „herrlichste Gegenstand für die bildende Kunst", insofern der „höchste pathetische Ausdruck", den die bildende Kunst darstellen könne, „auf dem Übergange eines Zustandes in den anderen" schwebe.39 Der Laokoon ist den Schlangen also weder überlegen, noch wird er von diesen überwunden. Der dargestellte Moment ist ein vorübergehender, zusammengesetzt aus zwei gegensätzlichen Handlungen (Streben und Leiden), die im Augenblick des höchsten Pathos gleichsam eingefroren oder versteinert sind. Der Moment, in dem die Schlange ihre Zähne in den Körper des Laokoon senkt, ist mithin ebensowenig zufällig wie die Stelle, an dem dieser gebissen wird: Beides, Zeitpunkt und Ort des Bisses, ist von den Künsdem bewußt im Hinblick auf die pathetische wie auch ästhetische Wirkung der Skulptur gewählt worden.

55 MA 4.2, S. 83. Vgl. Hirt, Laokoon, S. 8-10. 56 Siehe hierzu unten, S. 114f. 57 Die Kritik Goethes trifft nicht nur Hirt, sondern auch Winckelmann, dessen Interpretation des Laokoon als einem Bild der ,edlen Einfalt und stillen Größe' ebenfalls kunstfremde Prämissen auf das Werk überträgt. Vgl. Mülder-Bach, Sichtbarkeit und Lesbarkeit, S. 472. Den gleichen Einwand sollte Meyer in seinem Niobiden-Aufsatz vorbringen. Siehe unten, S. 196-198. 58 MA 4.2, S. 83. Goethe gebraucht hierfür den Begriff der „doppelten Handlung". 59 Zu Goethes Temporalisierung des Pathos siehe Meyer-Kalkus, Schreit Laokoon?, S. 103 f.

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4. Totale: Stellung und Ausdruck „sämtlicher Teile des ganzen Werkes" Konsequenterweise organisieren die im Hinblick auf Stellung und Ausdruck des Laokoon beschriebenen „Verhältnisse, Abstufungen und Gegensätze" nicht nur die Hauptfigur, sondern Gegenstand, Handlung und Moment „sämtlicher Teile des ganzen Werkes"60: Für Goethe ist der „gewählte Gegenstand einer der glücklichsten, die sich denken lassen", insofern die von ihm als Würgeschlangen („serpentes constrictores") verstandenen Schlangen „nicht als Massen oder Gewalten, sondern als ausgeteilte Kräfte wirken". In ästhetischer Hinsicht ist damit gleich zweierlei gewährleistet: Zum einen bringen die Schlangen den von ihnen umwundenen Menschen keine entsetzlichen, abstoßenden Verletzungen bei, wie dies Giftschlangen, noch viel mehr aber Raubtiere mit ihren Zähnen und Krallen tun würden.61 Zum anderen aber dient die durch fast schon grazile Umwindungen bewirkte Lähmung der drei Figuren als quasi-natürliche Motivation der künstlichen „Ruhe und Einheit", die, so Goethe, bei aller Bewegung über das ganze Werk verbreitet sei.62 Das todbringende Wesen der beiden Schlangen ist somit in ihrer wohlkalkulierten ästhetischen Wirkung aufgehoben. Gleiches gilt, natürlich mit umgekehrten Vorzeichen, für den Laokoon und seine beiden Söhne: Auch ihr eigentlich grausames Leiden wird Goethe zufolge allein durch die künstlerische Behandlung erträglich. Alle drei Figuren sind nach Zustand und Handlung vielfältig aufeinander bezogen, wodurch sie ein in sich differenziertes, nach außen jedoch geschlossenes Kunstwerk bilden, das den Moment des „höchsten Interesse[s]" zur Darstellung bringt.63 Dieser Moment liegt dann vor, „wenn der eine Körper durch die Umwindung wehrlos gemacht ist, wenn der andere zwar wehrhaft, aber verletzt ist, und dem dritten eine Hoffnung zur Flucht übrig bleibt." Den ersten Zustand findet Goethe im jüngeren Sohn, den zweiten im Vater und den dritten im älteren Sohn verkörpert. Ist der dieser ephemeren Figurenkonstellation unmittelbar vorausgehende Moment „für die Kunst unbedeutend", so ist allein schon der Gedanke an die „nächstfolgenden und fernem Momente" für Goethe „unerträglich", „ekelhaft" oder „grausam", denn: 60 MA 4.2, S. 83. 61 Wie Goethe Meyer wissen läßt, hatte Böttiger ihm eine „Note" hinsichtlich der „zusammenschnürenden Schlangen" („serpentes constrictores") zukommen lassen, die er schon vor der Lektüre von Goethes Aufsatz niedergeschrieben hatte, und die Goethes „Hypothese über Laokoon sehr günstig" sei. Siehe Goethe an Meyer, 21. Juli 1797 (GMB 2, Nr. 119, S. 14) mit Bezug auf Goethe an Böttiger, 19. Juli 1797 (WA IV, Bd. 12, Nr. 3607, S. 197). 62 Μ Λ 4.2, S. 84. I-'ür Goethe ist es also nicht ein unsichtbar im Innern des Körpers wirkendes Gift, das die Lähmung bewirkt, sondern allein die äußerlich erkennbaren Umwindungen der serpentes constrictores. 63 Siehe MA 4.2, S. 85.

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Der jüngste Sohn wird entweder von der umwindenden Schlange erstickt, oder, wenn er sie reizen sollte, in seinem völlig hülflosen Zustande, noch gebissen. Beide Fälle sind unerträglich, weil sie ein letztes sind, das nicht dargestellt werden soll. Was den Vater betrifft, so wird er entweder von der Schlange noch an andern Teilen gebissen, wodurch die ganze Lage seines Körpers sich verändern muß, und die ersten Bisse für den Zuschauer entweder verloren gehen, oder wenn sie angezeigt werden sollten, ekelhaft sein würden; oder die Schlange kann auch sich umwenden, und den ältesten Sohn anfallen, dieser wird alsdann auf sich selbst zurückgeführt, die Begebenheit verliert ihren Teilnehmer, der letzte Schein von Hoffnung ist aus der Gruppe verschwunden, es ist keine tragische, es ist eine grausame Vorstellung. Der Vater, der jetzt in seiner Größe und in seinem Leiden auf sich ruht, müßte sich gegen den Sohn wenden, er würde teilnehmende Nebenfigur. 64 Ohne dies explizit zu machen, wenden sich diese Sätze ein weiteres Mal, nun jedoch aus der Perspektive des Moments, gegen Hirts Beschreibung des Laokoo/i als einer sterbenden Figur, eines „Letzten" also, das Goethe ebensowenig dargestellt sehen will wie den Tod des jüngeren oder den unheildrohenden Angriff einer der beiden Schlangen auf den älteren Sohn. Mit den Formulierungen „Zuschauer", „Begebenheit", „tragische Vorstellung" und „Nebenfigur", denen sich bereits zuvor gebrauchte Ausdrücke wie „Rolle", „Handlung" und „Ubergang" (im Sinne von Peripetie) an die Seite stellen lassen, fuhrt Goethe hier zudem scheinbar beiläufig Begriffe ein, die aus der Tragödientheorie stammen. Die Katastrophe hingegen, auch sie ein „Letztes" (und zwar im doppelten Sinne des Wortes), bleibt bezeichnenderweise ausgespart.

5. Die Laokoongruppe als Tragödie Es ist dies der Punkt, an dem die von Meyer angestellten Überlegungen zu den tragischen Gegenständen der bildenden Kunst sich mit Goethes und Schillers Diskussion über das Wesen epischer und dramatischer Dichtung überschneiden, in deren Rahmen sie sich unter anderem mit der Poetik des Aristoteles auseinandergesetzt hatten. In der von beiden konsultierten Ausgabe dieses Werkes aus dem Jahre 1753 hatte Michael Conrad Curtius die berühmte Tragödiendefinition des Aristoteles mit folgenden Worten übersetzt: Das Trauerspiel ist nämlich die Nachahmung einer ernsthaften, vollständigen, und eine Größe habenden Handlung, durch einen mit fremdem Schmucke versehenen Ausdruck, dessen sämtliche Theile aber besonders wirken: welche ferner, nicht durch die Erzählung des Dichters, sondern (durch Vorstellung der Handlung selbst) uns, vermittelst des Schreckens und Mitlcidens von den Fehlern der vorgestellten Leidenschaften reiniget.63

64 MA 4.2, S. 85f. (Hervorhebungen von mir, M. D). 65 Aristoteles' Dichtkunst (1753), S. 11 f.

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Die neuzeitliche Diskussion um die Deutung und Übersetzung der beiden Begriffe eleos (Jammer) und phöbos (Schauder), die Aristoteles zufolge eine Katharsis (Reinigung) des Zuschauers bewirken, ist in der Forschungsliteratur wiederholt dargelegt worden.66 Während Lessing das Begriffspaar mit „Mitleid" (misericordia) und „Furcht" (metus) wiedergibt, übersetzt Curtius phöbos noch mit dem viel affektgeladeneren Begriff des „Schreckens" (terror). Abgesehen von den durch solche Übersetzungsvarianten bedingten unterschiedlichen Katharsisdeutungen, denen Goethe noch 1827 eine eigene folgen lassen sollte, dürfte die oben zitierte Passage jedoch deutlich machen, daß die von Goethe im Laokoo»-Aufsatz entwickelte Auffassung über die Skulptur der aristotelischen Tragödiendefinition durchaus ähnelt: Wie bei der Tragödie handelt es sich auch bei dem Goetheschen Laokoon um die Nachahmung einer ernsthaften und vollständigen, das heißt in sich abgeschlossenen Handlung von einer bestimmten Größe, die als künstlerisches Ganzes bis in ihre Einzelteile geformt und aus sich selbst heraus, das heißt ohne Kenntnis der dichterischen Fabel, verständlich ist. Die Ähnlichkeit dieser Auffassung mit dem Tragödienverständnis des Aristoteles dürfte kaum zufällig sein, läßt sich deren Einfluß doch bis in die Wortwahl verfolgen: So sieht Goethe die drei von den modernen Übersetzern der Poetik vorgeschlagenen tragischen Affekte, das heißt „Furcht, Schrecken und Mideiden", in der Laokoonskulptur „in den gehörigsten Abstufungen dargestellt und erregt." Insofern die bildende Kunst bei der Darstellung pathetischer Gegenstände prinzipiell eher an dem Moment des Schreckens, dagegen die Poesie, das heißt hier: das Drama, an solchen interessiert sei, die Furcht und Mitleid erregen, stellt die alle drei Wirkungen in sich vereinigende Laokoongruppe tatsächlich eine Synthese von Skulptur und Drama dar — eine Vorstellung, die nicht nur Lessing vehement abgelehnt hätte. Goethes Bereitschaft, die auch für ihn ansonsten unantastbare Grenze zwischen Poesie und bildender Kunst zu verwischen, unterstreicht nochmals die besondere Qualität pathetischer Gegenstände, denen Goethe, wie Xleyer, offenbar nur mit Hilfe von Ausnahmeregelungen beizukommen glaubt: Bei der G r u p p e des Laokoons erregt das Leiden des Vaters Schrecken und zwar im höchsten Grad, an ihm hat die Bildhauerkunst ihr höchstes getan; allein teils um den Zirkel aller menschlichen Eimpfindungen zu durchlaufen, teils um den heftigen Kindruck des Schreckens zu mildern, erregt sie Mitleiden für den Zustand des jüngern Sohns, und Furcht für den altern, indem sie für diesen auch noch Hoffnung übrig läßt. So brachten die Künstler, durch Mannigfaltigkeit, ein gewisses Gleichgewicht in ihre Arbeit, milderten und erhöhten Wirkung durch Wirkungen, und vollendeten sowohl ein geistiges als ein sinnliches Ganze. 6 7

66 Siehe hierzu Fuhrmann, Die Rezeption der aristotelischen Tragödienpoetik in Deutschland. 67 ΜΛ 4.2, S. 86. Die Tatsache, daß Goethe in seiner dem Ltfo^oow-Aufsatz angefügten Bemerkung „über das Verhältnis des Gegenstands zur Poesie" (S. 140) die epische von

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Goethe versucht, der irritierenden expressiven Leidenschaftlichkeit in der Darstellung der Laokoongruppe dadurch zu begegnen, daß er sie in eine historisch bewährte Gattung, die Tragödie, einbindet, die sich an und durch den künstlerischen Umgang mit dem Schrecklichen, Grausamen und Erschütternden, kurz: dem Tragischen herausgebildet hat. 68 Zwar ist im Laokoon ein „Leiden" dargestellt, das beim Betrachter „Schrecken" auslöst, doch wird dieser Schrecken durch die in den beiden Söhnen verkörperten tragischen Affekte des Mitleids und der Furcht flankiert und damit zugleich, im Sinne einer Milderung, modifiziert. Furcht, Schrecken und Mitleid — Goethe zufolge die drei einzigen Gefühle, die ein Mensch bei eigenen und fremden Leiden empfinden kann — sind somit auf die drei Figuren der Komposition verteilt und lassen die Gruppe in ihrer Totalität als .Einheit in der Mannigfaltigkeit' erscheinen. Diese sinnliche wie auch geistige Geschlossenheit der Gruppe wird allein von der Figur des älteren Sohns, dem eine „Hoffnung zur Flucht übrig bleibt", transzendiert. Insofern dieser Jüngling zugleich „Beobachter, Zeuge und Teilnehmer" 69 der dargestellten Handlung ist, fungiert er als eine Art Scharnier, das den Blick auf den Laokoon verdoppelt und damit als Identifikationsfigur für den Betrachter dienen kann. 70 Der Betrachter ist damit, um die schon beinahe sprichwörtlich gewordene Formulierung Wolfgang Kemps aufzunehmen, im Bild. 71 Das für den Jüngling in Anspruch genommene .Prinzip der Hoffnung' bedeutet dabei für den Betrachter eine vor allem affektive Entlastung, die es ihm ermöglicht, sich von der schrecklichen Szene auch emotional zu distanzieren. Bei allem Schrecken über das Leiden des Laokoon, bei allem Mitleid und bei aller Furcht für das Schicksal der beiden Söhne mag sein Anblick für den Betrachter zwar beklemmend wirken, keinesfalls aber ist er niederschmetternd. 72 Beschreibt Hirt, wie sein Blick angesichts des gemeinsam mit seinen Söhnen sterbenden Laokoon „zurückschauert" und seine eigene Brust sich verengt, so kann sich der Betrachter bei Goethe in der Sicherheit des Bewußtseins wiegen, daß er Zuschauer keines realen, sondern eines künsderisch inszenierten Ereignisses — einer tragischen ,Vorstellung' im doppelten Sinne des Wortes — ist.73

der bildhauerischen Behandlung klar geschieden wissen möchte, ändert nichts daran, daß er im Aufsatz Tragödie und Skulptur selbst miteinander in Beziehung setzt und damit stillschweigend eine Ausnahmeregelung einführt. 68 69 70 71 72

Vgl. Ρ ρ π , „Künste des Affekts", S. 134f. MA 4.2, S. 84. So schon Cometa, Die Tragödie des Laokoon, S. 160. Siehe Kemp, Der Betrachter ist im Bild. Andererseits wirkt der Anblick des Laokoon aber auch nicht mehr erhebend wie noch bei Schiller. 73 F lirt, Laokoon, S. 2. Vgl. dazu unten, S. 229-233. - Schon Heinse hatte die Marmorgruppc im Ardinghello (S. 225) als ein „Naturtrauerspiel" bezeichnet. - Zu Goethes Interpretation des Laokoon als visuellem bzw. skulpturalem Drama vgl. Richter, Laocoon's Body, S. 182-185 und Mülder-Bach, Sichtbarkeit und Lesbarkeit, S. 474-477.

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Unausgesprochen steht hinter Goethes Projektion der aristotelischen Tragödientheorie auf die Laokoongruppe also die Absicht, die poetische Katharsislehre auch für den Bereich der bildenden Künste fruchtbar zu machen. Ganz ähnlich sollte August Wilhelm Schlegel in seinen Wiener Vorlesungen über dramatische Kunst und Literatur von 1809 bildende Kunst und Poesie miteinander in Beziehung setzen, um - nun umgekehrt - das Wesen des Tragischen respektive der Tragödie aus der antiken Plastik zu erklären: „vor der Gruppe der Niobe oder des Laokoon lernen wir eigentlich die Tragödien des Sophokles verstehen."74 Diese „Vergleichung" liegt Schlegel zufolge um so näher, als bekannt sei, „daß sowohl Aeschylus als Sophokles eine Niobe, der letzte auch einen Laokoon gedichtet" hätten.73 Es ist somit kein Zufall, wenn seine mit Blick auf das Wesen der antiken Tragödie verfertigte Beschreibung des in der Laokoongruppe dargestellten Geschehens derjenigen Goethes ähnelt: „Im Laokoon", so erklärt Schlegel seinen Zuhörern, sind die leidenden Anstrengungen des Körpers, und die widerstrebenden der Seele in wunderwürdigem Gleichgewicht vertheilt. Die hülfeflehenden Kinder, nur zarte Gegenstände des Mitleids, nicht der Bewunderung, lenken unsern Blick auf den Vater zurück, der den seinigen vergeblich zu den Göttern zu wenden scheint. Die umwindenden Schlangen stellen uns das unentfliehbare Verhängniß vor, das die Handelnden oft so furchtbar mit einander verstrickt. Und dennoch geht das schöne Ebenmaß, der gefällige Schwung der Umrisse nicht über dem gewaltsamen Ringen verloren; die auch sinnlich entsetzliche Darstellung ist noch mit Schonung behandelt, und ein lindernder I Iauch der Anmuth über das Ganze ausgegossen.76

Goethe dagegen greift in seinem Laokoon-Aufsatz auf die antike Tragödientheorie zurück, um auf die von Hirt aufgeworfene Problematik der tragischen Gegenstände und ihrer Darstellbarkeit eine Antwort geben zu können. Diese Vorgehensweise ermöglicht es ihm zuzugestehen, daß das in der Figur des Vaters dargestellte Leiden tatsächlich, wie Hirt behauptet hatte, in höchstem Grade schrecklich ist, und dabei gleichzeitig an der harmonischen Schönheit der Gruppe festzuhalten, die trotz des „hohen Pathos der Vorstellung" beim Betrachter eine „angenehme Empfindung" errege. Das sich hier abzeichnende eigentümliche Verständnis der Katharsis scheint auf Goethes Nachlese Aristoteles' Voetik von 1827 vorauszuweisen, in der er den Begriff nicht mit Reinigung, sondern mit „Ausgleichung" der beiden Affekte Mitleid und Furcht übersetzen sollte.77 Die Vorstellung einer „aus-

74 Schlegel, Sämtliche Werke, Bd. 5, S. 46 (= 3. Vorlesung). Die Vorlesungen wurden 1809 gehalten und erstmals zwischen 1809 und 1812 publiziert. 75 Ebd., S. 85f. (= 5. Vorlesung). Schlegel zufolge ist das „homerische Epos in der Poesie was die halberhobene Arbeit in der Sculptur, die Tragödie was die freistehende Gruppe." 76 Ebd., S. 86. Dabei ist Schlegel gleichermaßen dem „unsterblichen Winckelmann" verpflichtet, dessen Diktum, daß die Schönheit bei den Alten „die Zunge an der Waage des Ausdrucks" gewesen sei, er als „unübertrefflich" zitiert (S. 85). 77 Μ Λ 13.1, S. 340-343 (der Text erschien zuerst in der Zeitschrift Über Kunst und Alterthum). Siehe dazu u. a. Müller, Goethes Dramentheorie, bes. S. 208. Vgl. auch Goethe

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söhnende[n] Abrundung", wie Aristoteles sie laut Goethe vom Drama gefordert hatte, steht bereits hinter seinem Verständnis der Laokoongruppe im Sinne eines (abgeschlossenen Kunstwerks. Hier wie da werden die erregten Affekte ausgeglichen, das heißt in ein Gleichgewicht gebracht, das das jeweilige Werk bei aller Bewegtheit als ein in sich vollendetes Kunstprodukt erscheinen läßt.

6. Prekäre Balancen Deutlich dürfte sein, daß Goethes Verständnis des tragischen Kunstwerks selbst ausponderiert ist: Eine Balance besteht nicht nur zwischen den beim Betrachter ausgelösten Affekten, sondern auch zwischen den unterschiedlichen Leidenszuständen, in denen sich die einzelnen Figuren befinden, und den gegenläufigen Handlungen, mit denen sie jeweils auf den Angriff der Schlangen reagieren. Im Gegensatz zu Lessing akzeptiert Goethe das gewaltsame Pathos der Laokoongruppe, ohne es — wie Winckelmann — in ein ethisches Exempel,edler Einfalt und stiller Größe' umzudeuten, aber auch ohne es — wie Hirt - als natürlichen oder wahren Ausdruck eines übermenschlichen und damit tödlichen Leidens zu begreifen. Anders als seine Vorgänger betont Goethe den artifiziellen Charakter der Gruppe sowohl in formaler als auch in inhaltlicher Hinsicht. Als „treffliches Kunstwerk", das seinen Gegenstand erschöpft und alle Kunstbedingungen glücklich erfüllt, ist die Laokoongruppe somit ein Muster für die künsderische Behandlung pathetischer Gegenstände in der bildenden Kunst. Sie lehre, daß, wenn der Meister sein Schönheitsgefuhl ruhigen und einfachen Gegenständen einflößen kann, sich doch eigentlich dasselbe in seiner höchsten Energie und Würde zeige, wenn es bei Bildung mannigfaltiger Charaktere seine Kraft beweist, und die leidenschaftlichen Ausbrüche der menschlichen Natur, in der Kunstnachahmung, zu mäßigen und zu bändigen versteht. 78

Goethes Laokoon-Aufsatz kann zweifelsohne als wohldurchdachte Antwort auf Hirts realistisch-naturalistische Beschreibung dieser Skulptur und die daraus abgeleiteten Thesen gelten. Bei aller Bewunderung für diesen höchst kunstvoll arrangierten Text sollte jedoch nicht übersehen werden, daß Goethe mit Ausblendungen und Abstraktionen operiert, die seine mit dem Anspruch auf Mustergültigkeit vorgetragene Deutung der Laokoongruppe überhaupt erst möglich machen. Die Balance von pathetischem Gegenstand und seiner künsderischen Behandlung erweist sich bei genauerer Betrachtung daher als äußerst prekär.

an Zelter, 29. März 1827 (MA 20.1, S. 987): „Die Vollendung des Kunstwerks in sich selbst ist die ewige unerläßliche Forderung! Aristoteles, der das Vollkommenste vor sich hatte, soll an den Effekt gedacht haben! welch ein Jammer!" 78 MA 4.2, S. 86f.

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a) Das Problem des Anschaulichen In der Tat dürfte das Verschweigen von Hirts Abhandlung wie auch das Nichteingehen auf die einschlägige Kunstdiskussion des 18. Jahrhunderts Teil einer bewußten Strategie sein, die darauf abzielt, die Kunstbetrachtung auf das unmittelbar Anschauliche, Sinnlich-Gegebene einzugrenzen.79 Es läßt sich jedoch zeigen, daß Goethes Interpretation zu einem nicht geringen Teil auf Prämissen beruht, die jenseits des unmittelbar Anschaulichen liegen beziehungsweise solchen, die er - qua Zirkelschluß - in das Kunstwerk hineinträgt, wo sie dann erst anschaulich werden. Wie gesehen gehören zu diesen Prämissen unter anderem das Gesetz der geistigen, sogar die Extreme unterwerfenden Schönheit sowie die prinzipielle Forderung nach der notwendigen Übertragung eines jeden Stoffes in die ideale Welt des Maßes, der Grenze, der Realität und Würde. Beide „Kunstbedingungen" sieht Goethe im Laokoon „glücklich" erfüllt, doch sind sie aus dem Anschaulichen ebensowenig abzuleiten wie das Diktum, daß das „Letzte" in der bildenden Kunst nicht dargestellt werden solle. An keiner Stelle seines Aufsatzes kommt Goethe seinem Vorgänger Lessing näher, der die Darstellung äußerster Affekte in der bildenden Kunst mit medientheoretischen Argumenten zurückgewiesen hatte. Goethe hingegen scheint eine geradezu körperliche Aversion gegen die Darstellung des „Letzten" — des qualvollen Sterbens und des Todes - empfunden zu haben.80 Es darf in diesem Zusammenhang nicht vergessen werden, daß Goethe, als er seinen Aufsatz niederschrieb, die Laokoongruppe nicht unmittelbar vor Augen hatte: Seine Besuche im Mannheimer Antikensaal lagen fast dreißig, sein Aufenthalt in Rom fast zehn Jahre zurück. Aber auch die verfügbaren „Zeichnungen und Kupferstiche und andre Nachahmungen" waren, wie er selbst zugesteht, zu ungenau, um sie einer Deutung des Werks aus dem Anschaulichen zugrunde zu legen.81 Dies gilt auch für das dem Aufsatz in den Propyläen beigegebene Kupfer, das „einen Umriß der Gruppe des Laokoon vorfstellt], weil nicht leicht jemand sich der sehr verwickelten Anordnung derselben, worauf doch so viel, bei jedem Worte das man darüber äußert, ankommt, deutlich erinnern möchte."82 Das von Goethe in der Einleitung zu den Propyläen formulierte Diktum, daß man von Kunstwerken eigentlich „nur in Gegenwart derselben" sprechen sollte,83 wird 79 Das betonen Sprengel in BdK 3, S. 619 und Osterkamp in seinem Nachwort zum

Laokoon- Aufsatz.

80 Zu Goethes eigentümlichem Verhältnis zum Tod siehe Rehm, Der Todesgedanke in der deutschen Dichtung, S. 328-348; Koch, Goethes Stellung zu Tod und Unsterblichkeit, bes. S. 218ff.

81 MA 6.2, S. 134 {Selbständige der Propyläen).

82 MA 6.2, S. 27 (Über die beigefügten Kupfer); eine Abbildung der Umrißzeichnung in MA 4.2, S. 79.

83 MA 6.2, S. 22 (Einleitung in die Propyläen).

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auch und gerade von diesem Kupferstich bestätigt, der auf einer wohl nach einem Abguß entstandenen Zeichnung basiert und damit eine Reproduktion dritten Grades darstellt: Trotz der durch Binnenzeichnung angedeuteten Plastizität wirken die mit einem starken Kontur gefaßten und vor einen leeren Hintergrund gesetzten Figuren eigenartig flach und abstrakt, kommen gerade dadurch aber Goethes Argumentation entgegen: Wo Hirt eine sterbende Kreatur sieht, nimmt Goethes abstrahierender Blick ein Ornament wahr. Es ist nicht zu leugnen, daß Goethe vielleicht besser als irgendeiner seiner Vorgänger die ästhetischen Qualitäten der Laokoongruppe benannt hat. Die symmetrisch ausgewogene Komposition, der artifizielle, das heißt auf künsderischen Entscheidungen beruhende Charakter der drei Figuren sowie ihre bewußt gestalteten vielfältigen Beziehungen untereinander, können und dürfen bei der Auseinandersetzung mit der Skulptur nicht außer acht gelasssen werden. Im Gegensatz dazu ist seine aus diesen differenzierten Beobachtungen abgeleitete Deutung der Laokoongruppe aber keinesfalls evident. Daß die Erfüllung der Kunstgesetze „bei dem hohen Pathos der Vorstellung eine angenehme Empfindung" errege, mag für denjenigen Betrachter zutreffen, der seinen Blick allein auf die künsderische Form des Gegenstandes richtet und von der dargestellten Handlung so weit abstrahiert, daß er tatsächlich den „Sturm der Leiden und Leidenschaften durch Anmut und Schönheit" gemildert sieht. Dasselbe gilt auch für Goethes Behauptung, daß der Mythos respektive die Fabel bei der Deutung des Laokoon keine Rolle spiele, weil die Gruppe in sich bedeutend sei, das heißt sich selbst ausspreche. Scheint diese Behauptung zunächst bloß der Forderung nach Kunstautonomie zu entspringen, so läßt sie sich andererseits auch als Versuch verstehen, den schrecklichen Gehalt des Mythos aus der Kunstproduktion und -rezeption von vornherein auszugrenzen. b) Abstraktion und Autopsie Dieser Versuch, dem Problem der tragischen Gegenstände insbesondere durch die Asthetisierung der Form zu begegnen, führt beinahe zwangsläufig zu Deutungen, die - wie die Formel „tragische Idylle" — mitunter ans Makabre grenzen.84 Wenn Goethe behauptet, daß die Laokoongruppe als ein „Zierrat" erscheine, dessen symmetrisch künstliche Zusammensetzung den Augen anmutig und „gefällig" sei und beim Betrachter eine „angenehme Empfindung" errege, so wirkt dies ebenso unangemessen wie die formal durchaus zutreffende Bemerkung, daß das „\littel der Lähmung" über die bewegte Gruppe „eine gewisse Ruhe und 84 Die spannungsreiche, weil cigcntlich Konträres zusammenführende Formel von der „tragischen Idylle", die die Laokoongruppe Goethe zufolge darstellt, mag in ihrer paradox wirkenden Konstruktion etwas von der Forciertheit des Ansinnens, das Kunstwerk v o n der zugrundeliegenden Fabel zu trennen, vermitteln.

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Einheit" verbreite. 83 Beides, Ästhetisierung wie auch Abstraktion, soll die Einfühlung des Betrachters in die vorgestellte tragische Szene verhindern und ihm die emotionale und intellektuelle Distanzierung ermöglichen. 86 Indem Goethe das jeweilige Werk einer abstrakten künstlerischen Logik unterwirft, läuft er indes Gefahr, das ^Anschauliche' bis zur Unkenntlichkeit zu entstellen. Mit anderen Worten: Während Goethe vorgibt, eine gemäßigte und gebändigte „tragische Idylle" zu sehen, dürfte ein der Laokoongruppe unvorbereitet entgegentretender Betrachter tatsächlich weniger von der ästhetischen Bewältigung als vielmehr von der Grausamkeit der dargestellten Szene beeindruckt, ja überwältigt sein, auf die Hirt so nachdrücklich hingewiesen hatte. In diesem Sinne ist denn auch der von Hirt in seinem auf Goethe antwortenden Nachtrag über Laokoon erhobene Einwand zu verstehen, daß die These vom „Biß als Hauptmotif der so hochpathetischen Lage Laokoons" ihm „zu gesucht" erscheine und er die Goethesche Argumentation insgesamt nicht nachvollziehen könne, weil sie seiner „Anschauung" widerspreche. 87 Während für Hirt der jüngere Sohn offensichtlich gebissen wird, darf dieselbe Figur bei Goethe schon allein deshalb nicht gebissen werden, weil dieser Biß der „weisen" Verteilung des Leidens auf die drei Einzelfiguren widerspräche. Keine der beiden Auffassungen ist für den Leser sinnlich evident, doch dürfte deutlich sein, daß das ,rein Anschauliche' für Goethe letzten Endes ästhetischen Gesetzmäßigkeiten untergeordnet bleibt. c) Ausgrenzungen und Selektionen Wie selektiv die im Lao^oew-Aufsatz propagierte Ästhetik ist, zeigt darüber hinaus die Tatsache, daß Goethe allein auf die Laokoongruppe, nicht jedoch auf die zahlreichen Kunstwerke eingeht, die Hirt als zusätzliche Beispiele pathetischer Darstellungen auflistet. 88 Zwar behauptet Goethe, daß die von ihm zugrunde gelegten „Kunstbedingungen" sich alle aus dem Laokoon entwickeln ließen und dieses „hohe" Kunstwerk somit stellvertretend für die „ganze Kunst" stehen könne. Unverkennbar indessen ist, daß die damit eingeführte Unterscheidung zwischen „niederen" und „hohen" Kunstwerken sowie die gleichzeitige Einschränkung letzterer 85 MA 4.2, S. 81 und 84. Zu der „schwerlich überzeugenden Argumentation" siehe Trevelyan, Goethe und die Griechen, S. 247. Vgl. Winckelmanns Beschreibung der Niobidengruppe, derzufolge die „Töchter der Niobe, auf welche Diana ihre tödtlichen Pfeile richtet, in dieser unbeschreiblichen Angst, mit übertäubter und erstarreter Empfindung vorgestellet [sind], wenn der gegenwärtige Tod der Seele alles Vermögen zu denken nimmt" (GK Dresden, S. 170, Hervorhebung von mir, M. D.]. Zu dieser Denkfigur siehe auch unten, S. 225-229. 86 Zu den „Abstraktion[en], die Goethe dem Leser und potentiellen Betrachter zumutet", vgl. Mülder-Bach, Sichtbarkeit und Lesbarkeit, S. 473 und 476. 87 Hirt, Laokoon, S. 23 f. 88 Ebd., S. 14-16.

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auf die Darstellung allein menschlicher Körper ihm ermöglicht, eine große Anzahl der von Hirt ins Feld geführten Werke von vornherein aus seiner Untersuchung auszugrenzen. Neben Darstellungen beispielsweise aus der Tierwelt betrifft dies unter anderem die von Hirt in seinem Versuch über das Kunstschöne angeführten „Tritonen, Kentauren, Giganten, Sirenen, Sphinxen etc."89 Stillschweigend ausgeschlossen bleiben auch sämtliche Werke en relief, die Goethe in einem Brief an Schiller mit Blick auf den Nachtrag über Laokoon als „subordinierte Kunstwerke" bezeichnen sollte - nicht ohne jedoch unter vier Augen einzugestehen, daß diese „schon allenfalls etwas weiter gehen dürfen" als Werke „auf der höchsten Stufe".9" Statt auf die von Hirt genannten Werke einzugehen, erfindet Goethe mit der „Euridice" und einem von Schlangen umwundenen „schlafenden jungen Herkules" zwei ideelle Sujets, behauptet ansonsten aber, daß neben der Laokoongruppe nur wenige pathetische Darstellungen der antiken Skulptur überliefert seien, worunter er die Familie der Niobe und die Gruppe des Farnesischen Stiers zählt.91 Beide Werke führt auch Hirt an. Von dem zur Schindung an einen Baum gefesselten Marsyas hingegen, der hochpathetischen Paetus und Arria-Gruppe und dem Sterbenden Gallier ist bei Goethe keine Rede; ganz zu schweigen von den Reliefdarstellungen der sich in Schmerzen windenden Glauke, der von den Furien ergriffenen Althea, des muttermordenden Orest und der anderen von Hirt erwähnten Figuren. So überzeugend seine Deutung der Laokoonskulptur letztlich sein mag — Goethe muß diese wie auch zahlreiche andere antike Werke aus dem Bereich der Hochkunst ausschließen, damit die von ihm am Beispiel der Laokoongruppe entworfene Ästhetik überhaupt funktionieren kann. Das Gleiche gilt für die meisten Werke der nachantiken beziehungsweise zeitgenössischen Kunst, auf die Goethe zu Ende seines Aufsatzes zu sprechen kommt. Insofern sie einen Exzeß der Leidenschaften inszenieren, müssen auch diese aus dem Bereich der „hohen" oder „vortrefflichen" Kunst ausgeschlossen werden, um die prekäre Balance der Goetheschen Ästhetik nicht zu gefährden.

89 Siehe Hirt, Vcrsuch über das Kunstschöne, S. 33. 9 0 Goethe an Schiller, 17. Januar 1 7 9 8 (ΜΛ 8.1, Nr. 408, S. 496). Iis ist dies derselbe Brief, mit dem Goethe Schiller den „Nachtrag v o n Freund Hirt über seinen Laokoon" übersendet. Die „Familie der Niobe" gilt ihm dabei als Beispiel für ein Kunstwerk „auf der höchsten Stufe", „das aber freilich seiner [i. c. Hirts] Hipothese nicht günstig" sei. 91 MA 4.2, S. 87. In der ursprünglichen Fassung v o n Goethes Liw^oow-Aufsatz scheint die Niobe dagegen noch nicht erwähnt gewesen zu sein. Vgl. Meyers Brief an Goethe v o m 26. Juli 1 7 9 7 ( G M B 2, Nr. 120, S. 16), in dem er anregt, auch die Niobe zu berücksichtigen. In demselben Brief (S. 16f.) bestätigt Meyer Goethe nachträglich, daß in Florenz ein „junger Herkules" vorhanden sei, „zwar nicht ruhend, sondern wie er die Schlangen mit seinen Händen erwürgt. Der Künstler dieses Werkes", so Meyer, könne „neben dem Urheber des Laokoon seinen Platz einnehmen." liine Abbildung dieser Skulptur bei Mansuelli, Galleria degli Uffizi. Lc Sculture, Bd. 1, S. 96, Nr. 63 mit Fig. 60.

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d) Streben oder Sterben: Oanneckers J\iilon von Kroton' und die Arme des Laokoon Wie gesehen, sind die antiken Gruppen des Laokoon, der Familie der Niobe und des Farnesischen Stiers für Goethe Muster der Darstellung pathetischer Gegenstände, an denen sich auch moderne Künstler zu orientieren haben. „Gewöhnlich" hätten diese sich allerdings „bei der Wahl solcher Gegenstände vergriffen": Wenn Milo, mit beiden Händen in einer Baumspalte gefangen, von einem ] .öwen angefallen wird, so wird die Kunst sich vergebens bemühen, daraus ein Werk zu bilden, das eine reine Teilnahme erregen könnte. F.in doppelter Schmerz, eine vergebliche Anstrengung, ein hülfloser Zustand, ein gewisser Untergang können nur Abscheu erregen, wenn sie nicht ganz kalt lassen.92

An Künstlern, die dieses Thema gestaltet haben, sind unter anderen Pierre Puget (1682), Eüenne-Maurice Falconet (1754), Jacques-Edme Dumont (1768), Alexander Trippel (1784) sowie, nicht zuletzt, Johann Heinrich Dannecker genannt worden, auf dessen Gipsmodell aus dem Jahre 1777 Goethe aller Wahrscheinlichkeit nach anspielt.93 Goethe kritisiert den Gegenstand, weil er rein negativ aufgefaßt sei („doppelter Schmerz", „vergebliche Anstrengung", „hülfloser Zustand" etc.), keinen Raum für Hoffnung lasse und damit — anders als die Laokoongruppe — bloß abstoßend wirke. Dabei hat Dannecker seinen Milon, den er als Wettbewerbsbeitrag an der auch von Schiller besuchten Stuttgarter Militärakademie einreichte, ganz offensichtlich nach dem Vorbild gerade des Laokoon gestaltet.94 Nicht nur der Kopf und das bärtige Gesicht des mit geöffnetem Mund nach oben blickenden Milon, auch sein muskulöser Körper, die gewölbte Brust, der eingezogene Bauch sowie die Stellung der Beine sind der antiken Figur des Priesters nachempfunden, während der ihn von hinten anfallende Löwe nur etwas unterhalb der Stelle beißt, an der die Schlange beim Laokoon zum Biß ansetzt. Für Danneckers Milon besteht tatsächlich keine Hoffnung. Der Versuch, seine Hände aus der Baumspalte zu befreien, ist vergeblich, eine Wendung gegen den Löwen gar nicht erst möglich. Wenn Goethe diesen Gegenstand ablehnt und dagegen die Laokoongruppe setzt, weil der Untergang der Figuren hier noch offen sei, so ist nochmals daran zu erinnern, daß der Eindruck des sich kraftvoll gegen die Schlange wehrenden Laokoon vor allem auf der Stellung seines schräg nach oben ausgestreckten rechten Armes beruht, den Montorsoli im Jahre 1532 ergänzt hatte. Folgt man dieser Auffassung des Laokoon, so hätte Dannecker nicht nur den falschen Gegenstand ge92 MA 4.2, S. 87. 93 Siehe MA 4.2, S. 986. Zwei Exemplare von Trippeis wohl 1784 in Rom entstandener Milon-Darstellung befanden sich seit 1786 bzw. 1788 im Besitz des Malers und Idyllendichters Salomon Gessncr in Zürich bzw. der Berliner Akademie. Allerdings ist Trippeis stoischer Milon mit nur einer Hand im Baumstamm gefangen. Siehe [Kat.| Alexander Trippel, Nr. 14, S. 94-97. 94 Eine Abbildung des Gipsmodells in [Kat.] J. H. Dannecker, Bd. 1, S. 109.

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wählt, sondern zudem auch noch sein Vorbild mißverstanden. Interessanterweise war es aber ausgerechnet Dannecker, der bei der Betrachtung der mitderweile nach Paris transportierten Laokoonskulptur im Jahre 1806 bemerkte, daß nicht seine Interpretation, sondern die „Restoration" des rechten Arms „verfehlt" sei: Λ η dem Kopf vom Laocoon bemerkt man an den Haaren, rechts, vieles abgebrochen / und gegen dem Oberhaupt zu siehet man gut daß etwaß mehr Marmor weggebrochen / ist, als die Spizen der Haaren Partien ausmachen dürften. Ich glaube daß das / linde der Schlange, oder ein Theil derselben daran befestiget war, und damit / durch ihre Kraft den Kopf links drüktc, und die rechte I land solche loszumachen / suchte. Dadurch entsteht freilich eine grose Veränderung in der ganzen Gruppe, / ich glaube aber, daß sich dieselbe durch die Veränderung dieses Arms besser / schließen und der Ausdruk gewin[n]en muß. Der rechte Vorarm in Stucco / hält die Schlange mit Gewalt ab, sich näher wenden zu können; und meiner / Meynung da Laocoon überwunden ist, wäre, mit Kraft die Schlange vom / Haupt hinweg ziehen zu wollen.

Die Richtigkeit von Danneckers auch im Medium der Zeichnung 9 ' entwickelter These, daß der rechte Arm des 'Laokoon ursprünglich angewinkelt statt ausgestreckt gewesen sein müsse, wurde durch die 1957 erfolgte Anfügung des vermutlich originalen Arms an die Skulptur bestätigt. Das aber bedeutet, wie schon Dannecker ganz richtig sah, daß der Laokoon kein strebender, sondern ein „überwundener" Held ist, der den Kampf gegen die Schlangen bereits verloren hat. 96 Auch bei ihm findet sich folglich „ein doppelter Schmerz, eine vergebliche Anstrengung, ein hülfloser Zustand, ein gewisser Untergang", kurz: all das, was Goethe an Danneckers Milon sowie auch an Hirts Deutung des Laokoon kritisiert hatte. Aus heutiger Sicht hätte der Künstler Dannecker zumindest, was den dargestellten Moment angeht, den Laokoon besser verstanden als Goethe. Andererseits ist Goethes Deutung des Schlangenbisses als „Lebenspunct" der Darstellung keinesfalls überholt, sondern wirkt in der von Dannecker vorgeschlagenen und heute allgemein anerkannten Rekonstruktion der Gruppe erst recht überzeugend. Gerade das Problem der Arme des Laokoon und ihrer bedeutungsrelevanten Rekonstruktion macht somit deutlich, auf welch spekulativen Prämissen Goethes Ästhetik des tragischen Kunstwerks tatsächlich gegründet ist. Wenn Goethe in seinem Aufsatz wiederholt von der maßvollen Schönheit des tragischen Kunstwerks spricht, bedeutet dies keinesfalls, daß damit auch das Kunstwerk selbst leidenschaftslos wäre. Um sein Schönheitsgefühl einem pathetischen Gegenstand wie dem Laokoon einzuflößen, muß der Künstler, wie Goethe in der bereits oben zitierten Passage schreibt, den „leidenschaftlichen Ausbrüchen der menschlichen Natur" die bändigende „Kraft" oder „Energie" der ihm zur Verfügung stehenden Kunstmittel entgegensetzen: 95 Eine Abbildung der Zeichnung in [Kat.| Johann 1 Ieinrich Dannecker, Bd. 2, S. 148. 96 Siehe hierzu I-aschke, Die Arme des laokoon, bes. S. 183ff. - Zu Asmus Jakob Carstens' Darstellung eines ebenfalls bereits überwundenen I .aokoon siehe unten, S. 370-374.

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Kunsttheorie: Die Weimarischen Kunstfreunde Es [das Kunstwerk der Laokoongruppe, M. D.j lehrt uns: daß, wenn der Meister sein Schönheitsgefühl ruhigen und einfachen Gegenständen einflößen kann, sich doch eigentlich dasselbe in seiner höchsten linergie und Würde zeige, wenn es bei Bildung mannigfaltiger Charaktere seine Kraft beweist, und die leidenschaftlichen Ausbrüche der menschlichen Natur, in der Kunstnachahmung, zu mäßigen und zu bändigen versteht 9 7

Dem forcierten Pathos des Gegenstandes entspricht der forcierte Kunstcharakter seiner Darstellung. Mäßigung und Bändigung sind Vorgänge, die dem Gegenstand seine leidenschaftliche Energie nicht entziehen, sondern diesem zusät2liche - jedoch sozusagen gegenteilig gepolte — künstlerische Energie zuführen. Insofern ist es nur konsequent, wenn Goethe — im Gegensatz zu Winckelmann und Lessing — betont, daß die Laokoongruppe voller „Bewegung" sei.9S Wie der Laokoon und seine Söhne sahen sich auch die in Marmor arbeitenden Künstler mit Kräften konfrontiert, die sie, anders als der trojanische Priester, zu bändigen verstanden. Hierin, und nicht etwa in der Erhebung über sein Leid, liegt die Größe des Laokoon als Kunstwerk. Goethe gibt damit zu verstehen, daß die Darstellung pathetischer Gegenstände die eigentlich bewunderungswürdige Leistung ist, da sich bei diesen das Schönheitsgefühl — anders als bei ruhigen und einfachen Gegenständen — „in seiner höchsten Energie und Würde" beweisen könne. Einfache, in sich ruhende Figuren mögen zwar die „ersten, liebsten Gegenstände der Bildhauerkunst" sein, geradezu zwangsläufig aber wird der Künstler früher oder später zum „leidenschaftlich bedeutenden" voranschreiten, um an diesem (im Sinne einer difficulte vaineue) die Möglichkeiten des Mediums und die eigenen Fähigkeiten auszuloten.99 Neben der „bewegten herrlichen Gruppe des Laokoon" nennt Goethe als Beispiele hierfür „Niobe mit ihren Kindern, verfolgt von Apoll und Diana", den Dornausijeher, die florentinische Ringergruppe sowie zwei „Gruppen von Faunen und Nymphen in Dresden". Genauere Beschreibungen der Niobe sowie der Gruppe des Farnesischen Stiers kündigt Goethe zu Ende seines Aufsatzes an, da sie „unter die wenigen pathetischen Darstellungen, welche uns von alter Kunst übriggeblieben sind", gehören.100 Der ambitionierte, fortgeschrittene Künstler wird sein 97 ΜΛ 4.2, S. 86f. Zu Goethes Bewußtsein der ästhetischen Wirksamkeit des in Kunstwerken gebundenen „energetischen Ausdruckspotentials" im Sinne Aby Warburgs, siehe das liinleitungskapitel in Buschendorf, Goethes mythische Denkform, S. 9-65, bes. S. 53ff. 98 MA 4.2, S. 78 und 81. Zu Goethes Abweichung von der Semiotik Lessings, die der bildenden Kunst die Fähigkeit, Zeit sichtbar zu machen, abspricht, siehe Mülder-Bach, Sichtbarkeit und Lesbarkeit, S. 474f. 99 So schon zu Anfang des Aufsatzes, siehe MA 4.2, S. 78. 100 MA 4.2, S. 78 und 87. Vgl. hierzu den bei Boyer, Le Monde des Arts en Italic, S. 144 zitierten Brief Canovas an Quatremere de Quincy vom 29. November 1806, der als bewegte und pathetische Werke der Antike ebenfalls den Laokoon, die Florentiner Ringergruppe, den Farnesischeti Stier und einen der Dresdner Gruppe vergleichbaren „Faun mit dem Hermaphroditen" erwähnt. Siehe dazu unten, S. 367f.

Vorarbeiten zu den Propyläen

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Können also vor allem an pathetischen Gegenständen demonstrieren. Das aber bedeutet, daß die wahre künstlerische und kunsttheoretische Herausforderung nicht nur für Hirt, sondern auch für Goethe letzten Endes in der .Nachahmung des Gewaltsamen' liegt.101

III. Vorarbeiten zu den Propyläen Am 30. Juli 1797 brach Goethe endlich zu der lange geplanten, zuletzt jedoch immer wieder aufgeschobenen Reise nach Italien auf, die aufgrund der kriegerischen Ereignisse in Oberitalien bekanntlich bereits in der Schweiz enden sollte.102 Auf seinem Weg, der ihn über Frankfurt nach Stuttgart und Tübingen führte, traf Goethe nicht nur mit Hölderlin, sondern auch mit dem Verleger Cotta zusammen, mit dem er die Möglichkeit einer künftigen Zusammenarbeit erwog. Gleichzeitig entstanden mehrere Aufzeichnungen über diverse künsderische Themen und Gegenstände. Darunter befinden sich eine Notiz Ober Heinrich Füeslis Arbeiten, ein Dialog Über das Natürliche in den Kunstwerken, Anmerkungen Zur Erinnerung des Städelschen Kabinetts, ein kurzer Text über die Vorteile, die ein junger Maler haben könnte, der sich querst bei einem Bildhauer in die Lehre gäbe sowie ein Schema über das Studium der bildenden Künste.m Überblickt man Goethes damalige Tagebuchaufzeichnungen und Briefe, so waren es vor allem ästhetische Fragen, die ihn während dieser Zeit beschäftigten. In Stuttgart, wo er Ende August eintraf und die Bekanntschaft mehrerer Künsder machte, verbrachte er nach eigener Aussage „Tage, wie ich sie in Rom lebte", doch fand er zugleich seine erst kurz zuvor im Laokoon-Aufsatz geäußerten (Vor)Urteile über die zeitgenössische Kunst bestätigt.104 Kurz nach seinem Besuch im Atelier Danneckers, bei dem er unter anderem die Kolossalstatue eines „Hectors der den Paris schilt", eine liegende „Sappho" sowie diverse Porträtköpfe sah, schrieb Goethe an Schiller: 101 Auf diese Hierarchisierung der Darstellungsaufgaben ist Goethe in der späten Aufzeichnung Reizmittel der bildenden Kunst (1827?) zurückgekommen, hier jedoch mit Blick v. a. auf die „Bewegung" (ΜΛ 18.2, S. 232). Siehe dazu unten, S. 383f. 102 Zu Goethes dritter Italienreise siehe oben, Anmerkung 16.

103 Zu nennen sind darüber hinaus: Rezension einer Anzahl französischer satirischer Kupferstiche und Kunst und Handwerk. Bei dem Dialog Uber das Natürliche in den Kunstwerken handelt es sich um den späteren Aufsatz Über Wahrheit und Wahrscheinlichkeit der Kunstwerke. Alle genannten Texte sind abgedruckt in MA 4.2, S. 89-125. 104 Siehe Goethe an Schiller, 30./31. August und 4. September 1797 (MA 8.1, Nr. 361, S. 403-409). Zu den Künstlern, die Goethe in Stuttgart traf, gehörten u. a. die Bildhauer Johann Heinrich Dannecker, Antonio Isopi und Philipp Jakob Scheffauer, der Historien- und Porträtmaler Philipp Friedrich Hetsch sowie der Kupferstecher Johann Gotthard Müller.

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Ich sah noch kleine Modelle bey ihm, recht artig gedacht und angegeben, nur leidet er daran, woran wir modernen alle leiden: an der Wahl des Gegenstands. Diese Materie, die wir bisher so oft, und zuletzt wieder bey Gelegenheit der Abhandlung über Laokoon besprochen haben, erscheint mir immer in ihrer höhern Wichtigkeit. Wann werden wir armen Künstler dieser letzten Zeiten uns zu diesem I Iauptbegriff erheben können.105

Ob unter den erwähnten ,,kleine[n] Modelle[n]" auch Danneckers die Laokoonfigur adaptierender Milon von Kroton war, läßt sich nicht nachweisen. Die Tatsache, daß Goethe in diesem Zusammenhang den L^ö^öö«-Aufsatz noch einmal eigens erwähnt, legt die Vermutung jedoch nahe. Einen Tag später kam er auf dasselbe Thema nochmals zu sprechen, wobei er die Frage des Gegenstands wiederum als ein Problem der Moderne darstellte: „Ich kann Ihnen nicht sagen", so läßt er Schiller wissen, „wie sehr mich jetzt, besonders um der Bildhauer willen, die Mißgriffe im Gegenstand beunruhigen, denn diese Künsder büßen offenbar den Fehler und den Unbegriff der Zeit am schwersten." Zugleich signalisierte er: „Sobald ich mit Meyern zusammenkomme und seine Überlegungen, die er mir angekündigt hat, nutzen kann, so will ich mich gleich daran machen und wenigstens die Hauptmomente zusammenschreiben." 106 Mit Meyer traf Goethe am 20. September in Zürich zusammen, von wo aus er ihn nach Stäfa in das Haus seiner Familie begleitete. Erst hier wurde die endgültige Entscheidung getroffen, nicht nach Italien weiterzureisen, wie es eigentlich geplant gewesen war: Französische Truppen hielten sich noch immer in Oberitalien auf und machten die Passage nach wie vor unsicher, ja lebensgefährlich. Die Hoffnung Goethes, noch einmal den großen Kunstwerken Italiens gegenübertreten zu können, war damit ebenso gescheitert wie das gemeinsame Projekt des großen Italienbuches, dem die Reise hatte dienen sollen. An die Stelle der erhofften Autopsie traten die von Aleyer nach dem Rubrikenschema verfertigten Beschreibungen sowie die Betrachtung von Kopien berühmter Kunstwerke, die er im Auftrag Goethes in Italien angefertigt hatte. Goethe und Meyer blieben einen Monat in Stäfa, bevor sie dem in Italien „weit und breit gewaltigen Buonaparte" den Rücken kehrten und sich wieder Richtung Weimar wandten. 107 Beide nutzten diese Zeit, indem sie sich über die ästhetischen Fragen der letzten Monate, das Problem der tragischen Gegenstände (Laokoon,

Niobe, Farnesischer

Stier etc.) u n d das T h e m a der G e g e n s t a n d s w a h l über-

haupt, austauschten.108 Während dieser Zeit scheint auch der Plan entstanden zu 105 Ebd., S. 404. 106 Kbd., S. 407. Bei dem angekündigten Text handelt es sich um Goethes Notizen LIber die Gegenstände der bildenden Kunst (MA 4.2, S. 121-124), die die Grundlage für Meyers gleichnamigen Propyläen-,\ufsatz bildete. Siehe dazu unten, S. 132ff. 107 Goethe an Böttiger, 25. Oktober 1797 (WA IV, 12, Nr. 3670, S. 343). 108 Siehe die Briefe Goethes an Schiller vom 17. und 25. Oktober (MA 8.1, Nr. 369, S. 436f. und Nr. 371, S. 442). Vgl. auch die Tag- und Jahreshefte 1797 (MA 14, S. 55).

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sein, statt des Italienwerks eine Sammlung kunsttheoretischer Aufsätze, die späteren Propyläen, zusammenzustellen. 1,19 In den auf seine Rückkehr nach Weimar im November 1797 folgenden Wochen ist von diesem Vorhaben zunächst jedoch nicht mehr die Rede. Anfang Dezember läßt Goethe den immer noch intensiv mit dem Wallenstein beschäftigten Schiller wissen, daß er selbst seit seiner Rückkehr „kaum zu Stimmung [habe] gelangen können, auch nur einen erträglichen Brief zu diktieren." 11 " Mehr oder weniger lusdos wandte Goethe sich diversen Projekten zu, darunter dem Faust („Helena im Mittelalter"), der Tell-Sage, dem Plan eines zwischen Ilias und Odyssee situierten Epos (dem „herrlich tragischen Stoff' der Achilleis), der Farbenlehre sowie dem alten Problem des Verhältnisses von epischer und dramatischer Dichtung, das er nun in Aufsatzform brachte. An dem allgemeinen Zustand der Unlust sollte sich nichts ändern, bis ihm Mitte Januar von Böttiger Hirts Nachtrag über Laokoon zugespielt wurde." 1 Den Vorschlag Schillers, den Goetheschen Aufsatz über Laokoon gemeinsam mit dem Hirtschen Text zu publizieren, lehnte Goethe ab. Hirt hingegen ließ er wissen, daß er - „sobald [er] Zeit gewinne" - seine eigene „Deduction" ebenfalls drucken lassen wolle.112 Die Hören kamen dafür nicht mehr in Frage, denn mitderweile hatte Schiller das „Todesurteil der drei Göttinnen Eunomia, Dice und Irene förmlich unterschrieben". 113 In der folgenden Zeit rückten kunsttheoretische und -historische Fragestellungen wieder in das Zentrum von Goethes Interesse und Tätigkeit: Anfang Alärz — französische Truppen hatten kurz zuvor Rom besetzt — unterrichtet er Schiller davon, daß er über seinen und Meyers „Rückzug" nun, „nach den neuesten Begebenheiten in Italien und in der Schweitz", vollkommen „getröstet" sei und kündigt zugleich die Publikation dessen, „was wir gesammelt" haben, an." 4 Die weiteren Stationen sind hinlänglich bekannt: Schon Ende März bot Schiller — wohl im Auftrag Goethes — seinem Verleger Cotta ein „gemeinschaftliches Werk" Goethes und Meyers „über ihre Kunsterfahrungen" an, das diese „in

109 Noch aus Zürich schrieb Goethe an Böttiger (25. Oktober 1797, W A IV, 12, Nr. 3670, S. 344f.), daß es seine und Meyers Absicht sei, „ein paar allgemein lesbare Oktavbände zusammenzustellen und im dritten Bande als Noten und Beilagen nachzubringen, was vielleicht nur ein spezielleres Interesse haben kann." 1 1 0 Goethe an Schiller, 2. Dezember 1 7 9 7 (ΜΛ 8.1, Nr. 383, S. 458). 1 1 1 Siehe Goethe an Schiller, 6. Januar und 17. Januar 1 7 9 8 (MA 8.1, Nr. 402, S. 487 bzw. MA 8.1, Nr. 408, S. 496). 1 1 2 Schiller an Goethe, 19. Januar 1 7 9 8 (MA 8.1, Nr. 409, S. 501) und Goethe an Hirt, 1. Februar 1 7 9 8 (WA IV, 18, Nr. 3729a, S. 78). Vgl. das Konzept v o m 30. Januar (WA IV, 13, Nr. 3725, S. 46). 1 1 3 Siehe Schiller an Goethe, 26. Januar 1 7 9 8 (MA 8.1, Nr. 4 1 3 , S. 505). Das letzte Heft der Höre» erschien indes erst im Juni desselben Jahres. 1 1 4 Goethe an Schiller, 3. März 1 7 9 8 (MA 8.1, Nr. 542, S. 542f.). Die Besetzung Roms durch die Franzosen erfolgte am 15. Februar 1798.

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einer Suite von kleinen Bändchen" herauszugeben gedachten. Sollte dieses Werk zunächst noch „Der Künstler" heißen (so der Vorschlag Schillers), so setzte sich schließlich Goethe mit dem auf den antiken Gebäudetyp des Eingangstors anspielenden Titel „Propyläen" durch.110 Doch nicht nur der Titel, auch die Form des Werkes änderte sich: Aus der geplanten „Suite von kleinen Bändchen" wurde eine „periodische Schrift", die als Publikationsorgan der Weimarer Klassik an die Stelle der Honen trat.116 Im Oktober 1798 erschien das erste der insgesamt sechs Hefte umfassenden Propyläen, deren programmatischer Titel der Einleitung zufolge sowohl die „Vorhalle" oder den „Eingang" zur Kunst bezeichnen als auch zur Erinnerung dafür stehen sollte, „daß wir uns so wenig als möglich vom klassischen Boden entfernen".117 1. „Zu bearbeitende Materie" Goethes Tag- und Jahresheften zufolge waren er und Meyer im Frühjahr und Sommer des Jahres 1798 in erster Linie damit beschäftigt, „das erste Stück der Propyläen, welches teils vorbereitet teils geschrieben wurde, lebhafter weiter zu fördern."118 Während Goethe sich vor allem der Einleitung zu den Propyläen widmete, arbeitete Meyer seine in Italien und der Schweiz entwickelten Gedanken zu den Gegenständen der bildenden Kunst, den „etrurischen Werken", Raffaels Malerei und der Florentiner Niobidengruppe aus. Von Ende September stammen mehrere die Propyläen betreffende Schemata Goethes, von denen vor allem eines, überschrieben mit den Worten „Zu bearbeitende Materie", für das Problem der ,Nachahmung des Gewaltsamen' von Interesse ist. Dieses umfangreiche Schema umfaßt insgesamt zehn Unterpunkte, mit denen Goethe das ursprünglich geplante oder mögliche Themenspektrum der Propyläen — von der Antike bis zur Moderne, von der Kunst- bis zur Naturwissenschaft, von der Künstlerbiographie bis zur Kunstgeographie - umreißt. Ein genauerer Blick auf die einzelnen Stichworte macht deutlich, daß Goethe mit seinem Propyläen-Projekt weniger gegen die gerade formierende romantische Kunstauffassung opponieren wollte als vielmehr

115 Siehe Schiller an Cotta, 29. Mai 1798 (NA 29, Nr. 237, S. 240), Goethe an Schüler, 28. Juni 1798 (ΜΛ 8.1, Nr. 476, S. 587) und Schiller an Goethe, 28. Juni 1798 (MA 8.1, Nr. 477, S. 588). 116 Zur Vorgeschichte der Propyläen vgl. neben den einschlägigen Kommentaren der Werkausgaben insbesondere: Gross, Ästhetik und Öffentlichkeit, S. 191 ff. 117 MA 6.2, S. 9. Zum Programm und den einzelnen Aufsätzen der Zeitschrift siehe Boehlich, Goethes Propyläen, den entsprechenden Artikel von Dirk Kemper im GoetheHandbuch, Bd. 3 (1997), S. 578-593 sowie Venuti, „L'eterna menzogna". 1 1 8 MA 14, S. 58. Bereits am 27. Mai hatte Goethe an Cotta eine Liste von Arbeiten geschickt, „die theils fertig, theils, mehr oder weniger, in kurzer Zeit zu redigieren und auszuarbeiten sind (abgedruckt in Propyläen, S. 1106-1108 sowie in MA 6.2, S. 947f.).

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versuchte, ein auch für moderne Künstler akzeptables klassizistisches Kunstkonzept zu entwerfen. Von besonderer Bedeutung war dabei die einerseits von Hirt angesprochene und andererseits von Goethe gemeinsam mit Meyer und Schiller diskutierte Problematik der tragisch-pathetischen Gegenstände und ihrer künstlerischen Darstellung.

2. „Tragische Darstellungen" Gleich unter der ersten Rubrik der „zu bearbeitenden Materie" finden sich unter der Überschrift „Antike Kunstwerke" die einschlägigen, sowohl von Hirt als auch von Meyer angeführten tragisch-pathetischen Gruppen des „Laokoon", der „Niobe und ihrer Kinder" und des „Farnesischen Stiers". Ergänzt werden diese drei Einzelwerke durch die „Etrurischen Monumente", über die Meyer Goethe bereits im Jahre 1796 aus Florenz berichtet hatte. Nochmals aufgeführt sind die drei zuerst genannten Werke in der Rubrik der ,»Allgemeine(n) Kunstbetrachtungen", in der sich ebenfalls der Eintrag „Über Gegenstände der bildenden Kunst" findet. Die Laokoongruppe, die Familie der Niobe und die Gruppe des Farnesischen Stiers sind hier unter der Überschrift „Tragische Darstellungen" verzeichnet. Ihnen schließt sich eine ganze Reihe vergleichbarer Sujets an, die ebenfalls aus der antiken Kunst beziehungsweise Literatur stammen und gemeinsam so etwas wie eine stichpunktartige Zusammenfassung von Goethes bisheriger Beschäftigung mit dem Problem der künstlerischen ,Nachahmung des Gewaltsamen' darstellen. Aufschlußreich ist, daß diese Liste — im Gegensatz zu den übrigen, seinem Schreiber Geist diktierten Eintragungen — von Goethes eigener Hand stammt. Offensichtlich als Ergänzung zu dem Punkt „Über Gegenstände der bildenden Kunst" gedacht, ist sie dem von Geist bereits niedergeschriebenen Text nachträglich eingefugt worden. Goethe muß also die „tragischen Darstellungen" für ein wichtiges Desiderat gehalten haben, das er in den Propyläen behandelt sehen wollte. Die komplette Aufstellung lautet wie folgt: Tragische Darstellungen Laokoon Niobe Dirze Herkules üeteus Philoctet. Ajax. Marsyas. Hyppolithus expavescens" 9

119 MA 6.2, S. 965. - Eine weitere, allerdings auf antiker Vorlage basierende Aufstellung von Darstellungen „Hochheroischcn, tragischen Inhalts", die „meist auf Tod und Ver-

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Während die Darstellungen Laokoons, Niobes und Dirces (so der Name der an die Hörner des wilden Stiers gebundenen Gattin des Königs Lykos) bekannt sind und ihre Sujets zudem schon von Meyer als „tragische Gegenstände" bezeichnet worden waren,120 klingen die fünf folgenden Einträge weniger vertraut und sollen deshalb hinsichtlich ihres tragischen Gehalts und ihrer Bedeutung im Rahmen der antiquarischen und künstlerischen Kultur des 18. Jahrhunderts kurz erläutert werden. Herkules Oet[a]eus Bei dem von Goethe mit seinem lateinischen Beinamen bezeichneten „Herkules Oet[a]eus" handelt es sich um die aus den Tragödien des Sophokles, Euripides und Seneca bekannte Heldenfigur, die sich auf dem Berg Oeta verbrennen ließ, um den rasenden Schmerzen ein Ende zu machen, die ihm das vergiftete Nessusgewand bereitete.121 Dem Mythos zufolge wurde der durch das Feuer von seiner Pein erlöste Herkules in den Olymp aufgenommen und mit Hebe vermählt, die ihm den Trank der Unsterblichkeit reichte. Als Herkules Oetaeus hatte Winckelmann den Torso von Belvedere interpretiert, dessen Körper er allerdings als bereits verklärt, also jenseits allen menschlichen Leidens, beschreibt: „Es ist nicht mehr der Körper, welcher annoch wider Ungeheuer und Friedensstörer zu streiten hat; es ist derjenige, der auf dem Berge Oetas von den Schlacken der Menschheit gereiniget worden, die sich von dem Ursprünge der Aehnlichkeit des Vaters der Götter abgesondert."122 Anders als bei Winckelmann ist hier, bei Goethe, ganz offensichtlich der noch leidende Held auf dem von Philoktet entzündeten Scheiterhaufen gemeint, wie er beispielsweise auf antiken Vasen und Reliefs, aber auch von neuzeitlichen Malern wie Annibale Carracci oder Guido Reni dargestellt wurde.12:1

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derben heldenmütiger Männer und Frauen [zielen]", gibt Goethe zwanzig Jahre später in seinem Aufsatz über Philostrats Gemälde. Dort finden sich die Namen Hippolyts und Phädras, Ajax' und Philoktets wieder (MA 11.2, S. 452f.), Herkules dagegen ist ein eigener Abschnitt gewidmet (ebd., S. 454). Siehe oben, S. 93f. (Brief Meyers an Goethe von Mitte Oktober 1796 [GMB 1, Nr. 98, S. 371]). Sophokles, Die Trachinierinnen, Vers 1191-1278; ders., Philoktet, Vers 1407-51; Euripides, Herakles, Vers 915ff; Seneca, Hercules Oetaeus. Vgl. Ovid, Metamorphosen, Buch IX, Vers 239-273 und Hyginus, Fabulae 36. Wie bereits erwähnt hatte Schiller im April 1797 die Trachinierinnen des Sophokles „mit besonders großem Wohlgefallen" gelesen. Siehe Schüler an Goethe, 4. April 1797 (MA 8.1, Nr. 293, S. 321). Winckelmann, Beschreibung des Torso im Belvedere zu Rom [1759]. In: KS, S. 172. Vgl. G K Dresden, S. 368f. Zu Winckelmanns Beschreibung des Torso siehe Osterkamp, Johann Joachim Winckelmanns Beschreibung der Statuen im Belvedere, S. 446-451. Zu den antiken Darstellungen des Herkules auf dem Scheiterhaufen siehe LI MC] V/1, s. v. „Herakles", Nr. 2909-2921. Annibale Carraccis Fresko „Tod des Herkules" von

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In etwa zeitgleich mit Goethes Schema entwarf Antonio Canova die Kolossalgruppe Herakles und Uchas (1795-1815), die den vor Schmerzen rasenden Helden zeigt, wie er den ihm hoffnungslos unterlegenen Überbringer des Nessushemdes an Fußgelenk und Schopf gepackt hält, um ihn im nächsten Augenblick an einen Felsen zu schleudern (Abb. 56). Beide Protagonisten sind im Moment des höchsten Leids wie versteinert festgehalten; die Erlösung durch das Feuer des Scheiterhaufens bleibt für Herakles unerreichbar. Auch wenn die Skulptur aufgrund der napoleonischen Kriege erst im Jahre 1815 fertiggestellt werden konnte, läßt sich der entsprechende Entwurf Canovas bis in die Jahre 1795/96 zurückverfolgen. Durch Hirt, demzufolge „Bernini nie nichts schlimmers" gemacht habe, ist Goethe bereits 1796 über dieses Werk unterrichtet worden, doch ist fraglich, ob er es bei der Niederschrift seiner Liste „tragischer Gegenstände" tatsächlich im Sinn gehabt hat.124 Ausdrücklich erwähnen sollte Goethe Herakles und Uchas erst im Jahre 1827, doch ist Canova neben Füßli, Carstens, Trippel und David einer der wenigen Künstler, der in Goethes Aufstellung „zu bearbeitender Materie" genannt wird. 123 Philoctet Sicher nicht zufällig lautet deshalb der auf „Herkules" folgende Eintrag in Goethes Liste „Philoctet", womit allerdings nicht die Figur in der Funktion des Herakles-Helfers als vielmehr der Protagonist der gleichnamigen Tragödie des Sophokles gemeint sein dürfte, in dessen Zentrum Philoktets eigenes tragisches Schicksal steht. Gegenstand des Stücks ist die bekannte Geschichte des von einer Schlange gebissenen Helden, der wegen seiner übelriechenden Wunde von den Griechen auf dem Weg nach Troja ausgesetzt wird. Ort der Verbannung ist die Insel Lemnos, wo Philoktet schreckliche Qualen leidet. Da einem Seherspruch zu1595—97 befindet sich im Camerino des Palazzo Farnese (Rom), Guido Rcnis ursprünglich für Mantua gemalte Darstellung desselben Themas von 1 6 1 7 befindet sich heute im Pariser Louvre. Von Johann Friedrich Reichardt stammt zudem eine Oper „Herkules' Tod" (mit einem Libretto nach Sophokles), die 1 8 0 2 in Berlin uraufgeführt wurde. 124 Hirt an Goethe, 12. April 1796 (GSA 28/13, Blatt 1 6 0 - 1 6 1 ) , hier S. 161 recto und verso: „Canova hat kürzlich sein neuestes Werk in Gips öffentlich ausgestellt. 1 lercules, der den I.ycas in die See schleudert, ist das Sujet. Ks ist zwey Palm größer, als der Farnesische Hercules. F'.s findet eine große Anzahl Bewunderer, aber wenig Beurteiler: nach meiner Meinung ist es die abscheulichste Karikatur in jeder Rücksicht, und in jedem Theile: Bernini hat nie nichts schlimmers gemacht." 125 Siehe die Liste „Uber einzelne Maler und sonstige Künsder" in MA 6.2, S. 966. Hin Aufsatz über Canova findet sich weder in den Propyläen noch in späteren Schriften Goethes. Krwähnt wird er jedoch in Meyers Entwurf einer Kunstgeschichte des 18. Jahrhunderts (1805) sowie in Goethes .Aufzeichnung über Reizmittel in der bildenden Kunst (ΜΛ 18.2, S. 232f.). Siehe dazu unten, S. 295, 3 0 0 - 3 0 2 sowie S. 383f.

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folge der in seinem Besitz befindliche Bogen des Herakles für die Eroberung Trojas jedoch notwendig ist, werden Odysseus und Neoptolemos zurück nach Lemnos geschickt, um Philoktet den Bogen abzunehmen. In seinem Laokoon-Aufsatz hatte Lessing Winckelmanns Bemerkung, daß Laokoon „wie des Sophokles Philoktet" leide, zum Ausgangspunkt seiner Unterscheidung von Literatur und bildender Kunst gemacht. Gleichzeitig hatte er zu zeigen versucht, daß der Philoktet des Sophokles trotz der Darstellung des höchsten Ausdrucks „eines von den Meisterstücken der Bühne" sei.126 Neben dem „winselnden Philoktet" nennt er den „schreienden Herkules" aus Sophokles' Trachinierinnen als zweites Beispiel für die Darstellung des höchsten Pathos in der antiken Literatur, um von hier aus auf die Behandlungsart der verlorenen Laokoon-Tragödie des Sophokles zu schließen.127 Beide Stücke, den Philoktet und die Trachinierinnen, erwähnt auch Schiller in seinem oben zitierten Brief an Goethe von Anfang April 1797, zu dem Zeitpunkt also, als beide sich über die Besonderheiten von epischer und dramatischer Dichtung auseinanderzusetzen begannen.128 In der bildenden Kunst läßt sich zur gleichen Zeit ein Interesse für das tragische Sujet nicht nur des leidenden Herkules, sondern auch des Philoktet beobachten: Bereits aus den 1770er Jahren stammen zwei berühmte Gemälde des Philoktet, das eine von der Hand des Engländers James Barry, das andere von Nicolai Abraham Abilgaard, dem späteren Lehrer Asmus Jacob Carstens'.129 In beiden Fällen stehen das Leiden und die Einsamkeit des verlassenen Helden im Zentrum: Während Abilgaard einen völlig nackten Philoktet zeigt, dessen Körper (selbst eine Adaption des Belvedere-Torso) verkrampft und dessen Mund geöffnet ist, stellt Barry seinen bekleideten Philoktet still und mit zum Himmel gerichteten Blick dar. Gleichwohl deutlich zu erkennen sind die von seiner schwärenden Wunde verschmutzten Binden. Für die 1780er Jahre ist sogar von einer „veritable mode iconographique" der tragischen Figur des Philoktet gesprochen worden, deren Ausläufer bis weit in die 1790er Jahre und darüber hinaus reichen.130 Das vielleicht bekannteste Beispiel hierfür ist das Gemälde des seit 1784 in Rom lebenden David-Schülers JeanGermaine Drouais, dessen Vollendung durch den frühen Tod des Malers (1788)

1 2 6 Lessing, Werke und Briefe, Bd. 5.2, S. 37ff. {Laokoon). 1 2 7 Ebd., S. 21. Zwar ließen sich aus den Nachrichten antiker Grammatiker keine Schlüsse ziehen, doch sei er „versichert", so Lessing, daß Sophokles „den Laokoon nicht stoischer als den Philoktet und Herkules, wird geschildert haben." Zum „leidenden Herkules" vgl. auch ebd., S. 30. 128 Siehe oben, S. 85f. 129 Vgl. Mandel, Philoctctes, S. 135f. mit Taf. 7 und 8. 1 3 0 Michel, Drouais, S. 16; Mandel, Philoctetes, S. 134ff. V o n einem Philoktet des französischen Bildhauers Dupaty berichtet August Wilhelm Schlegel noch 1 8 0 5 in seinen Arti-

stischen und literarischen Nachrichten aus Rom, Sp. 1008. Siehe dazu unten, S. 312.

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verhindert wurde. 1 ·" In der Haltung des von Goethe zu den bewegten Figuren der Antike gezählten Dornaussgehers stellt Drouais seinen Philoktet als Leidenden dar, der sich durch Kühlung mit Hilfe einer Vogelschwinge eine Linderung seiner Schmerzen zu verschaffen sucht. 132 Seine himmelwärts gerichteten Augen erinnern dabei nicht von ungefähr an den „himmelnden Blick" des LaokoonP3 Goethe, der das Atelier des gerade erst verstorbenen Künstlers im Februar 1788 besucht hatte, kannte das „schön gedachte Bild, das in der Ausführung viel Verdienste hat", aus eigener Anschauung und mag sich hier darauf bezogen haben; zudem hatte es Hirt in seiner Lebensbeschreibung des Alalers, erschienen 1789 in der Zeitschrift Italien und Deutschland, für erwähnenswert gehalten. 134 Ajax Im selben Brief, in dem Schiller den Philoktet und die Trachinierinnen des Sophokles erwähnt, nennt er auch dessen Aias-Ttagödie. Deren Protagonist, lateinisch „Ajax", erscheint als sechster Eintrag auf Goethes Liste tragischer Darstellungen. Damit ist der Mythos des von Odysseus um die Waffen des Achill geprellten achäischen Helden aufgerufen, der eine Schafherde, die er im Wahn für die griechischen Feldherren hält, niedermetzelt und sich, nachdem er seinen Irrtum erkennt, aus Scham selbst tötet. 133 Wiederum sind es Winckelmann und Lessing, die Ajax in die neuere ästhetische Diskussion eingeführt hatten. Als eines der berühmtesten Gemälde der Antike nennen beide den rasenden Ajax des griechischen Malers Timomachus, dessen Vorliebe für „Vorwürfe des äußersten Affekts" Lessing zufolge bekannt gewesen sei.1Vl Aufschlußreich ist der Kontext, in dem Winckelmann Ajax erwähnt: Es ist der Abschnitt „Von dem Ausdrucke in

131 Heute Chartres, Musee des Beaux-Arts. Zur Interpretation des Bildes vor dem Hintergrund der kontroversen Deutungen des Philoktet durch Winckelmann und I .essing, siehe Michel, Drouais, S. 1 5 - 1 9 (mit Abb.) und Crow, Emulation, S. 7 4 - 8 1 , bes. S. 80. 1 3 2 Zu Goethes Klassifizierung des Dornausziehers als einer bewegten Figur siehe oben, S. 116. 133 Zur Geschichte dieses Bildmotivs siehe I Icnnig/Weber, „Der himmelnde Blick", bes. S. 30-33. 1 3 4 Siehe ΜΛ 15, S. 610. Vgl. den Brief des Malers Friedrich Bur)' an Goethe, 5. September 1 7 8 8 (GSA 2 8 / 1 0 4 1 ; RA 1, Nr. 295) und Hirt, Leben eines jungen Mahlers, S. 18f. 135 Schiller an Goethe, 4. April 1797 (ΜΛ 8.1, Nr. 293, S. 321 f.), siehe oben S. 85f. - Ende 1 7 9 7 berichtet Goethe, daß auch er Sophokles (wahrscheinlich den Aias und den Philoktet) gelesen habe, ein Umstand, der im engen Zusammenhang mit seinem Aufsatz Uber epische und dramatische Dichtung wie auch seinem Achilleis-Vrd)cV.t, das den „herrlich tragischen S t o f f ' des Tod des Achills behandeln sollte, zu stehen scheint. Siehe Goethe an Schiller, 23. Dezember 1 7 9 7 (ΜΛ 8.1, Nr.394, S. 470). 1 3 6 Winckelmann, G K Dresden, S. 170f. und Lessing, Werke und Briefe, Bd. 5.2, S. 33f.

(Laokoon).

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Figuren aus der Heldenzeit", als deren prominenteste Beispiele er — man vergleiche Goethes Liste - den Laokoon, die Niobe und den Philoktet nennt.137 Unter Berufung auf Philostrat behaupten beide, Winckelmann und Lessing, daß Timomachus den Ajax gerade nicht in dem Moment gezeigt habe, „wie er unter den Herden wütet, und Rinder und Böcke für Menschen fesselt und mordet." Vielmehr habe er ihn dargestellt, „wie er nach diesen wahnwitzigen Heldentaten ermattet da sitzt, und den Anschlag fasset, sich selbst umzubringen."138 Genau diesen Moment hatte Anfang der 1790er Jahre auch Asmus Jakob Carstens für seine aquarellierte Zeichnung des Schwermütigen Ajax mit Tekmessa (Abb. 21) gewählt, die sicherlich zu den wichtigsten Zeugnissen der Kunst des deutschen Klassizismus zählt. Carstens zeigt weder den Wahn noch den Selbstmord des Ajax. Das Gewalttätige der Handlung ist gleichsam in das Innere des schwermütigen Helden gekehrt. Dessen Körper ist nach dem Muster des antiken Torso von Belvedere gebildet, welcher heute tatsächlich als Darstellung des sinnenden Aias - und nicht, wie Winckelmann behauptet hatte, des verklärten Herakles — interpretiert wird.139 Die Tatsache, daß Goethe diese Zeichnung Carstens' im Jahre 1804 für die Weimarer Kunstsammlungen ankaufen sollte, läßt sich als Hinweis darauf deuten, daß sein Interesse an tragischen Darstellungen auch in den folgenden Jahren anhielt und mitunter sogar seine Sammlertätigkeit bestimmte.14" Aller Wahrscheinlichkeit nach dürfte mit „Ajax" also der telamonische Aias (so benannt nach seinem Vater Telamon, dem König von Salamis) gemeint sein, den Sophokles dramatisiert, Timomachus und Carstens dargestellt sowie Winckelmann und Lessing beschrieben haben. Nicht vergessen werden darf dabei jedoch, daß in der unspezifischen Nennung des bloßen Namens „Ajax" neben dem telamonischen auch die Figur des weniger prominenten lokrischen Ajax (Sohn des Lokrerkönigs Oileus) gemeint sein könnte, des Schänders der Kassandra also, über dessen antike Ikonographie Hirt, Böttiger und Meyer berichtet hatten.141 Beide „Alanten" sollte Goethe in seinem Aufsatz über Polygnots Gemälde in der lösche ψ Delphi (1804) erwähnen, das „hochtragisch [e]" Ende des Lokriers zudem in Philostrats Gemälden (1818) schildern und dabei den Gegenstand als einen der „höchsten" bezeichnen, „welche die Kunst sich aneignen" dürfe.142 Auch wenn diese Aufsätze erst Jahre später erscheinen sollten, so sei daran erinnert, daß der 137 Winckelmann, GK Dresden, S. 169-171. Als weiteres Werk des Timomachus nennt er ein Bild der ihre Kinder tötenden Medea. 138 Lessing, Werke und Briefe, Bd. 5.2, S. 34 (Laokoon, Hervorhebung von mir, M. D.). Vgl. Winckelmann, GK Dresden, S. 171. 139 Siehe Wünsche, Der Torso, S. 66-92. 140 Siehe dazu [Kat.] Asmus Jakob Carstens, S. 134, Kat.-Nr. 72. Zu Carstens siehe unten, S. 299f. und 316-340. 141 Siehe oben, S. 63 f. 142 Siehe ΜΛ 6.2, S. 512, 522, 532 ( P o l y g n o t ) und MA 11.2, S. 460f. {Philostrat).

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Eintrag „Gemälde des Philostratus" bereits in Goethes Schema der „zu bearbeitenden Gegenstände" vom September 1798 auftaucht. 143 Das Sujet des lokrischen Ajax, seine Freveltat sowie sein Untergang durch die gegen ihn erzürnten Götter (Odyssee IV, 499f£), sollte ebenfalls von klassizistischen Künstlern aufgegriffen werden: Aus dem Jahre 1806 stammt ein Gemälde Johann Heinrich Tischbeins, das den bis auf seinen Helm unbekleideten Helden zeigt, wie er die hilflose Kassandra vom Altar der Pallas reißt (Abb. 22), aus dem Jahre 1822 ein Bild des CanovaProteges Francisco Hayez', das den prahlerischen Lokrier inmitten der von Athena und Poseidon gegen ihn aufgebrachten Meeresfluten darstellt, die sein eigenes tragisches Ende herbeiführen.' 44 Vergleicht man die Bilder, so erscheinen Tischbeins und Hayez' äußerst bewegte, heroische Darstellungen des lokrischen Aias als unvereinbare Gegenstücke zu Carstens' telamonischen Aias als prototypischem passiven, handlungsgehemmten Helden. 143 Angesichts der Namensidentität der beiden Protagonisten, bilden sie jedoch zwei Seiten einer Medaille, deren eine — klassizistische — Aufschrift „Ajax" lautet. Marsyas Dagegen verweist „Marsyas", Nummer sieben der Liste, unmißverständlich auf den flötespielenden Satyr, der dem Mythos zufolge von Apollo im musikalischen Wettkampf besiegt und dem zur Strafe die Haut bei lebendigem Leibe abgezogen wurde. Wenn Marsyas in Goethes Zusammenstellung tragischer Repräsentationen verzeichnet ist, dürfte dies wohl nicht zuletzt daran liegen, daß Hirt die antike Skulptur des Marsyas, eine an den Armen aufgehängte Figur mit schmerzverzerrtem Gesicht, in seinem Laokoon-Aufsatz als Beispiel für die ungemilderte Ausdrucksdarstellung der Antike erwähnt hatte. Marsyas findet sich darüber hinaus aber auch im unmittelbaren Kontext von Goethes eigener Auseinandersetzung mit der Laokoongruppe. Am 18. Juli 1797, also nur wenige Tage nach der Niederschrift seines Laokoon-Aufsatzes, hatte Goethe von Böttiger dessen Abhandlung über Die Erfindung der Flöte und die Bestrafung des Marsyas erhalten, die soeben im zweiten Stück des von Wieland herausgegebenen Attischen Museum erschienen war. 146

143 MA 6.2, S. 967 (unter der Überschrift „Über Bücher"). 1 4 4 Zu Tischbeins bereits 1 8 0 2 entworfenem Aias und Kassandra, siehe: [Kat.| Das I lomcrZimmcr, Nr. 5, S. 59f.; zu Hayez' in Privatbesitz befindlichem Bild Ajace Oi/eo naufrago s'aggrappa ad uno scoglio imprecando gli Dei, siehe Mazzocca, Francesco Hayez, S. 153f., Kat.-Nr. 6 0 (mit Abb.). 1 4 5 Zur Handlungslosigkeit von Carstens' Ajax siehe Busch, Das scntimentalische Bild, S. 156f.; vgl. l ausch, Sentimcntalische Antike, S. 47ff. 146 Siehe Böttiger an Goethe, 18. Juli 1797 (GSA Weimar, Sigle 2 8 / 1 8 ; RA 2, Nr. 894), Goethe an Böttiger, 19. Juli 1797 (WA IV, 12, S. 197). Goethe bedankte sich umgehend für den „übersendeten Marsyas", den er „sogleich mit vielem Vergnügen gelesen habe." Zugleich ließ er Böttiger wissen, daß er sich, „bey annähernden Arbeiten" über

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Laokoon- und Marsyasmythos gehörten für Goethe in diesem Sinne - als tragische Gegenstände - zusammen. Doch auch noch von anderer Seite dürfte die Marsyas-Thematik an Goethe herangetragen worden sein: Meyer kommt in den Propyläen gleich zweimal auf die „Strafe des Marsyas" zu sprechen, die sich an der Decke der von Raffael und seinen Schülern ausgemalten Stanza della Segnatura (Rom, Vatikan) befindet und die er während seines unmittelbar vorausgehenden Aufenthalts in Rom eingehend studiert hatte.147 In beiden Texten, im Aufsatz Über die Gegenstände der bildenden Kunst ebenso wie in der Abhandlung über Rafaels Werke besonders im Vatikan, sollte Meyer die Darstellung als notwendig mißlungen verurteilen, da schon das Sujet an sich kein „tauglicher Gegenstand" für die Kunst sei.148 Die Schindung des Marsyas erscheint somit als ein ebenso prominentes wie schwieriges Thema der alten und neuen Kunstgeschichte. Hyppolithus expavescens Goethes achter und letzter Eintrag schließlich, „Hyppolithus expavescens", greift offenbar eine Formulierung auf, die sich im 35. Buch von Plinius' Naturalis Historiae findet. Plinius berichtet hier von einem Bild des Malers Antiphilos, das den Hippolytus darstellte, „der vor einem freigelassenen Stier erschrickt" („Hippolytum tauro emisso expavescentem").149 Zugrunde liegt die Geschichte von Phaidra und Hippolytos, wie sie unter anderem Euripides und Seneca überliefert haben: Von Hippolytos zurückgewiesen, verleumdet Phaidra den Stiefsohn bei ihrem Gatten Theseus, der wiederum Poseidon um Unterstützung bei der Bestrafung des vermeintlichen Frevlers bittet. Als Hippolytos mit seinem Wagen am Meeresstrand entlangfährt, läßt Poseidon einen wilden Stier aus den Wellen steigen, worauf die Pferde des Jünglings scheuen. „Zurückschreckend" stürzt Hippolytos aus dem Wagen und wird von seinen eigenen Pferden zu Tode geschleift.130 Auf seiner Sizilien-Reise im Frühjahr 1787 hatte Goethe im Dom von Agrigent den berühmten Hippolytossarkophag gesehen, den Riedesel in seiner Reise-

seine „künftige Mitwirkung" freuen würde. Als Gegengabe legte er seinen „Versuch über den Laokoon" bei, nicht zuletzt auch in der Hoffnung, daß dem profunden Altertumskenner „noch etwas zu Gunsten der aufgestellten Idee ein[falle]." — Der Aufsatz Böttigers ist nachgedruckt in: C. A. Böttiger's kleine Schriften archäologischen und antiquarischen Inhalts, Bd. 1 (1837), S. 3-60. 147 148 149 150

Fine Abbildung u. a. bei Wind, Pagan Mysteries, fig. 2. Propyläen, S. 166 und S. 252. Siehe dazu unten, Anm. 1 4 9 und S. 157f. Plinius, Naturalis Historiae, Bd. 35, § 114. Neben den Tragödien des liuripides und des Seneca vgl. auch den von Goethe und Schiller im Dezember 1 7 9 7 und nochmals im August 1 7 9 8 konsultierten Hyginus, Abschnitt 47 (Hippolytus): „itaque cum Hippolytus cquis iunetis ueheretur, repente e mari taurus apparuit, cuius mugitu equi expaucfacti Hippolytum distraxerunt uitaque priuarunt."

Vorarbeiten zu den Propyläen

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beschreibung aus dem Jahre 1771 als „eines der herrlichsten, und vielleicht das schönste Basrelief [...], welches in Marmor aus dem Altertum bis in unsere Zeiten erhalten worden", bezeichnet.' 31 In der Italienischen Reise erwähnt Goethe allein die Vorderseite des Sarkophags, auf der Hippolytos mit der Amme der Phaidra im Kreise seiner Jagdgesellen dargestellt ist. „Hier", so Goethe, „war die Hauptabsicht, schöne Jünglinge darzustellen, deswegen auch die Alte, ganz klein und zwergenhaft, als ein Nebenwerk, das nicht stören soll, dazwischen gebildet ist."' 32 Was Goethe — anders als sein literarischer Reiseführer Riedesel — im Rückblick der Italienischen Reise allerdings verschweigt, ist die Tatsache, daß die linke Schmalseite des Sarkophags in dramatischer Zuspitzung den Hippolytos expavescens zeigt: Vom Wagen gestürzt liegt der Jüngling bereits am Boden, zwischen den scheuenden Pferden ist noch der Kopf des wilden Stieres zu erkennen, Hippolytos' schreckliches Ende steht unmittelbar bevor (Abb. 23). Auch wenn Goethe die Reliefdarstellung nicht eigens erwähnt, ist davon auszugehen, daß sie ihm bekannt war, da der Sarkophag auf allen vier Seiten frei zugänglich und die fragliche Szene zudem von Riedesel beschrieben worden war. 133 Goethes Erinnerung an den tragischen Gegenstand des Hippolytos expavescens dürfte indes nicht nur durch Hirt, sondern auch durch Schiller aufgefrischt worden sein, der sich in den Jahren 1797/98 wiederholt mit der Htppofy/os-Ttagödit des Euripides beschäftigt hatte.I:>4 Sein Interesse an dem Sujet war bekanntlich so groß, daß er im Jahre 1804 eine deutsche Bearbeitung von Racines Pbedre für die Weimarer Bühne vorlegen sollte, in der die Schilderung des Wagensturzes und der Schleifung Hippolytos' breiten Raum einnimmt. 133 Gut vorstellbar ist, daß Schiller während der Sommermonate des Jahres 1798 mit Goethe auch den Gegenstand des Hippolytos expavescens diskutierte, den dieser dann in seine Liste „tragischer Darstellungen" aufnahm. 151 Riedesel, Reise durch Sizilien, S. 31. Die vier Seiten des attischen Sarkophags (3. Jh. v o r oder 2. Jh. nach Chr.) zeigen: Antrag der A m m e (Vorderseite), die liebeskranke Phaidra (rechte Schmalseite), Tod des Hippolytos (linke Schmalseite), Hippolytos auf der Jagd (Rückseite). Siehe: Die antiken Sarkophagrelicfs, Bd. III/2, S. 1 7 8 - 1 8 1 mit Abb. Nr. 152a-c. Vgl. Winckelmann, MAI, S. 137. - Nur die rechte Schmalseite des Sarkophags ist auf Salomon Geßners Titelvignette zu Ricdesels Reisebeschreibung abgebildet. 152 MA 15, S. 336. 153 Sein Schweigen ist eher dadurch zu erklären, daß bereits Riedescl die Vorder- und die rechte Schmalseite des Sarkophags den beiden anderen Seiten vorgezogen hatte. Siehe Riedesel, Reise durch Sizilien S. 31: „Die vierte und, en Face betrachtet, linke Nebenseite ist von gleichem Styl, wie die hintere Seite in niedriger und wenig erhobener Arbeit ausgeführt, und stellet einen von der Quadriga gefallenen Menschen auf der Erde liegend vor; [...]." Zur Beeinflussung Goethes durch Riedesels Urteile (und damit durch die Ästhetik Winckelmanns) siehe Osterkamp, Johann Hermann von Riedesel. 154 Siehe Schillcr an Goethe, 21. März 1 7 9 8 (MA 8.1, Nr. 446, S. 552). 1 5 5 N A 15/2, S. 377-381 (5. Aufzug, 6. Auftritt).

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Kunsttheorie: Die Weimarischen Kunstfreunde

3. Antikes Pathos, frühklassizistische Ästhetik und zeitgenössisches Kunstwollen Überblickt man die von Goethe zusammengestellte Liste noch einmal, so wird deutlich, daß die darin genannten Namen nicht allein aus der antiken Literatur, hier insbesondere der griechischen Tragödie, sondern auch aus der bildenden Kunst bekannt sind. Es ist dies ein Umstand, dem insbesondere die allgemein gehaltene Formulierung „tragische Darstellungen" Rechnung trägt, in der der bereits im Laokoon-Aufsatz anklingende Gedanke einer strukturellen Analogie der beiden Bereiche seine begriffliche Verdichtung findet. Wie gezeigt, lassen sich mehr oder weniger alle von Goethe aufgelisteten „tragischen Darstellungen" bereits bei Winckelmann und Lessing finden. Die Tatsache, daß Goethe sie hier im Vorfeld der Propyläen als „zu bearbeitende Gegenstände" erneut zusammenstellt, zeigt jedoch, daß die Antworten, die beide mehr als dreißig Jahre zuvor auf die Frage nach dem Verhältnis von Schönheit und Pathos gegeben hatten, von Goethe nicht mehr akzeptiert wurden: Weder entsprach die in ihren Schriften zum Ausdruck kommende Auffassung von der schönen und ruhigen griechischen Kunst und Kultur dem Befund der überlieferten Werke, noch ließ sich die hinter ihren Urteilen stehende Kunstauffassung mit dem Schaffen und ,Kunstwollen' der zeitgenössischen Künsder in Einklang bringen. Winckelmanns und Lessings Ansichten, wie Antikenrezeption und .Nachahmung des Gewaltsamen' zu vereinbaren seien, waren offensichtlich überholt. Das grundlegende Problem aber war geblieben und hatte sich, wie Goethe während seines fast zweijährigen Aufenthalts in Rom erleben konnte, mit der Zeit sogar noch verschärft. Zu den Künstlern, mit denen Goethe während dieser Zeit in Kontakt trat, gehörten nicht nur deutsche Maler und Bildhauer wie Tischbein, Schütz, Bury und Trippel, an deren Tätigkeiten und Vorhaben er schon allein aus persönlicher Nähe Anteil nahm. Wie seine Aufzeichnungen in der Italienischen Reise zeigen, bekam er damals auch die Werke italienischer, englischer sowie vor allem französischer Künsder (wie beispielsweise von Drouais, Gagneraux und Desmarais) zu sehen, deren von David beeinflußte Kunst ihn nachhaltig beeindruckte.156 Aus der Vorbereitungsphase der Propyläen stammt ein Schema „über römisches Künsderleben", in dem die Leistungen und Möglichkeiten der verschiedenen nationalen Schulen gegeneinander abgewogen werden: „Die neue Energie unter David" lautet darin der vielleicht auffälligste Stichpunkt, mit dem Goethe auf die aktuelle französische Kunst, ihre Dynamik und Intensität sowie das ihr immanente Pathos anspielt.157 156 Siehe z. B. MA 15 S. 474 (Bericht August 1787). Zu Goethes Verhältnis zur französischen Kunst siehe Löhneysen, Goethe und die französische Kunst; Osterkamp, Goethe e l'art frangais. 157 MA 6.2, S. 973. Dazu Mildenberger, Die neue Energie unter David. Siehe dazu auch unten, S. 269f.

Vorarbeiten zu den

Propyläen

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Demnach kommen mehrere Faktoren in Goethes Aufstellung „tragischer Darstellungen" zum Tragen. Neben seiner Kenntnis und intensiven Auseinandersetzung mit Werken der bildenden Kunst und Kunstliteratur ist mindestens ebensosehr sein dichterisches Interesse von Bedeutung gewesen: So vor allem seine Überlegungen zum Unterschied zwischen epischer und dramatischer Dichtung wie auch sein damals aktueller Plan, ein Epos mit dem Titel „Achilleis" zu schreiben, in dessen Zentrum mit dem Tod des Achill ein „herrlich tragischer Stoff stehen sollte.'38 Ohne Frage hatten ihn darüber hinaus die in den Hören erschienenen Aufsätze Hirts und die mit Meyer und Schiller geführten Diskussionen beeinflußt und für das besondere Problem der tragischen Gegenstände und ihrer künsderischen Behandlung sensibilisiert. Solchermaßen vorbereitet, stellte Goethe im September 1798 seine Liste „tragischer Darstellungen" zusammen, die das Problem der künsderischen Darstellung von Ausdruck, Leidenschaft und Bewegung am Beispiel antiker tragischer Figuren zu fassen sucht. Auch wenn in den Propyläen schließlich nur zwei der in der Liste erwähnten Werke (Laokoon und Niobe) in Einzelaufsätzen abgehandelt werden sollten, so bedeutet das nicht, daß die „tragischen Darstellungen" keinen Eingang in die Zeitschrift gefunden hätten. Immer wieder kommen in den Propyläen tragische Sujets, aber auch pathetische Formen zur Sprache, wobei sich die Texte und Argumentationszusammenhänge, in denen dies geschieht, keinesfalls als marginal abtun lassen. Am Beispiel mehrerer Beiträge, die allesamt zwischen Oktober 1798 und November 1800 veröffentlicht wurden und damit den gesamten Erscheinungszeitraum der Propyläen abdecken, soll im folgenden gezeigt werden, daß das Problem der Vereinbarkeit von klassizistischer Kunst und expressivem Pathos in den Propyläen auch jenseits des Laokoon-Aufsatzes eine bedeutende Rolle spielt. Bei den ausgewählten Texten, die aus der Feder sowohl Goethes und Meyers als auch Schülers stammen, handelt es sich im einzelnen um die Aufsätze Über die Gegenstände der bildenden Kunst (1. und 2. Heft, von Meyer), Rafaels Werke besonders im Vatikan (1., 2. und 6. Heft, von Meyer), Niobe mit ihren Kindern (3., mit Nachtrag im 4. Heft, von λ ^ ε τ ) sowie Goethes „kleines Familiengemälde in Briefen" mit dem Titel Der Sammler und die Seinigen (4. Heft). Abgeschlossen wird diese Auswahl durch eine genauere Betrachtung der im Zusammenhang mit den Weimarer Preisaufgaben entstandenen Texte. Neben Goethes Aufgabenstellungen und Meyers Beurteilungen verdienen hier nicht zuletzt auch das anonym erschienene Schreiben An den Herausgeber der Propyläen (6. Heft), Schillers einziger eigenständiger Beitrag zu Goethes Kunstzeitschrift, sowie eine 1803 ausgestellte Zeichnung der „Eroberung Trojas" besondere Aufmerksamkeit.

158 Goethe an Schiller, 23. Dezember 1 7 9 7 (ΜΛ 8.1, Nr. 394, S. 472).

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Kunsttheorie: Die Weimarischen Kunstfreunde

IV. Über die Gegenstände der bildenden Kunst Johann Heinrich Meyers Aufsatz Uber die Gegenstände der bildenden Kunst erschien im ersten und zweiten Heft der Propyläen und schließt sowohl systematisch als auch inhaltlich an Goethes unmittelbar vorangehende Abhandlung Über Laokoon an. Die Ursprünge von Meyers Aufsatz lassen sich bis in das Jahr 1796 zurückverfolgen, als Goethe den damals noch in Italien weilenden Freund aufforderte, aus der Perspektive des Künstlers und Kunsthistorikers Material zur Frage der „Wahl des Gegenstandes bey Kunstwerken" zu sammeln.'39 Meyers damalige, im Antwortbrief geäußerte Hypothese lautete, daß eine Handlung sich desto mehr für die bildkünstlerische Darstellung eigne, „je vollständiger" sie sich „durch den Sinn des Gesichts begreifen" lasse.160 Vor diesem Hintergrund unterteilte er die potentiellen Sujets in geeignete Gegenstände, die ihren Gehalt „rein und vollständig ausdrücken" könnten, und ungeeignete Gegenstände, bei denen es vielmehr auf „geäußerte Gesinnungen, auf Sentenzen und dergleichen ankömmt", die sich nicht sinnlich darstellen ließen. Als Muster in der Wahl der Gegenstände, so Meyer, könnten im allgemeinen die „Alten" gelten, doch hatte er erkennen müssen, daß die von ihm aufgestellte Regel nicht für alle Kunstwerke gelte. Meyer sah sich mit dem Problem konfrontiert, daß einige der berühmtesten Kunstwerke der Antike — so der Laokoon, so die Gruppe der Niobe und des Farnesischen Stiers — „Scenen von Grausamkeit, von Unrecht" darstellten, deren restlose Versinnlichung beim Betrachter unweigerlich Entsetzen erregen müßte. Dies war aber offensichtlich nicht der Fall, ganz im Gegenteil wurden die genannten Skulpturen als Meisterwerke gefeiert. Meyers aus diesen Erwägungen gezogene Konsequenz ist ebenso einfach wie bezeichnend: Nicht die Regel ist falsch, sondern die „tragischen Gegenstände leiden eine Ausnahme" von der Regel Da es niemals die Absicht „weiser Künstler" gewesen sei, Entsetzen zu erregen, sondern allenfalls zu rühren, sei es, so argumentiert Aleyer im Oktober 1796, „gut für die Kunst, wenn dergleichen Gegenstände einen Theil der Wahrscheinlichkeit einbüßen." Mit anderen Worten: Statt die ihnen zugrundeliegenden Handlungen in quasi illusionistischer Weise zu vergegenwärtigen, müßten tragische Kunstwerke wie der Laokoon, sollen sie den Betrachter nicht abstoßen, notwendig von dem Gebot der Wahrscheinlichkeit abweichen, das heißt den jeweiligen Stoff für die künstlerische Behandlung bearbeiten. Hohes Pathos verlangt einen ebenso hohen Grad an Abstraktion. Wie dies im einzelnen vor sich gehen soll, ließ Meyer in seinem damaligen Brief an Goethe

159 Goethe an Meyer, 15. September 1796 (GMB 1, Nr. 93, S. 336). Vgl. oben, S. 9Iff. 160 Dieses und die folgenden Zitate siehe Meyer an Goethe, Mitte Oktober 1796 (GMB 1, Nr. 98, S. 369-372).

Über die Gegenstände der bildenden Kunst

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allerdings offen und beschränkte sich auf den allgemeinen Hinweis, daß in Werken wie dem Laokoon, der Niobidengruppe, dem Farnesischen Stier und dem Bethlehemitischen Kindermord „Kunst mit Natur, Wahrheit und Täuschung, Scherz und Ernst" gepaart seien. Eine genauere Erörterung dieses Problems behielt er sich ausdrücklich für einen späteren Zeitpunkt vor. Dieser Zeitpunkt war das Jahr 1798, der Ort die Zeitschrift Propyläen. Bei der Niederschrift seines Aufsatzes Über die Gegenstände der bildenden Kunst im Winter 1797/98 war Meyer nicht mehr auf sich allein gestellt, sondern konnte auf einen kurzen Text Goethes zurückgreifen, den dieser während ihres gemeinsamen Aufenthalts in Stäfa am 13. Oktober 1797 entworfen hatte.161 Wie seinem Brief an Schiller vom 17. Oktober zu entnehmen ist, sind in diesen Text nicht nur die Überlegungen Meyers, sondern auch Gedanken Schillers eingeflossen, die dieser schon zuvor brieflich geäußert hatte.162 Goethe hatte seine ebenfalls Über die Gegenstände der bildenden Kunst überschriebenen Aufzeichnungen in der Folgezeit nicht weiter ausgearbeitet, doch hat er wiederholt korrigierend und ergänzend in den für die Propyläen bestimmten Text Meyers eingegriffen, während Schillers Beitrag sich auf Randbemerkungen zu Meyers Manuskript beschränkt, die jedoch nicht in die Druckfassung eingegangen sind. In seiner endgültigen Fassung kann der Aufsatz, den Goethe gegenüber Cotta als „wichtige und fundamentale Abhandlung" bezeichnete, folglich als gemeinsame Äußerung Meyers und Goethes gelten.16' Für die damaligen Leser bestand hinsichtlich der Autorschaft allerdings keine Frage: Da der Aufsatz ohne Angabe des Yerfassernamens erschien, wurde er geradezu selbstverständlich als Produkt des Herausgebers, das heißt Goethes, gelesen. Nur so wird verständlich, daß selbst jemand, der dem Weimarer Kreis so nahestand wie Wilhelm von Humboldt, Goethe für den Verfasser des Aufsatzes halten konnte und seine kritischen Rückfragen direkt an diesen richtete, worauf Goethe im Namen beider antwortete.164

161 Goethes Aufsatz ist abgedruckt in MA 4.2, S. 1 2 1 - 1 2 4 . Siehe dazu Goethes Brief an Schiller v o m 14. Oktober 1 7 9 7 (MA 8.1, Nr. 369, S. 433) mit Bezug auf Schillers Brief vom 15. September (MA 8.1, Nr. 364, S. 418f.). 1 6 2 Siehe Goethe an Schiller, 17. Oktober 1 7 9 7 (MA 8.1, Nr. 369, S. 436). Ursprünglich hatte Goethe gehofft, daß Schiller sich von seiner Seite aus mit den Gegenständen der Poesie auseinandersetzen würde, was dieser jedoch nicht getan hat. Zu Schillers kritischer Haltung gegenüber der Gegenstandsbestimmung und -hierarchisierung siehe den Kommentar in FA 18, S. 1237 f. 163 Eine Auswahl der Anmerkungen und Korrekturen ist abgedruckt in MA 6.2, S. 990999. Weitere Beispiele in BA 19, S. 168f. und FA 18, S. 1240. 1 6 4 Humboldt an Goethe, 18. März 1 7 9 9 (GHB, Nr. 30, S. 65f.) und Goethe an Humboldt, 26. Mai 1 7 9 9 (ebd., Nr. 31, S. 77f.).

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Kunsttheorie: Die Weimarischen Kunstfreunde

1. Grundlagen und Grundsätze: „Von den Gegenständen überhaupt" Meyers Aufsatz beginnt mit einer Einschränkung. Gleich zu Anfang steht der Hinweis, daß es sich bei der anstehenden Betrachtung über die Gegenstände der bildenden Kunst bloß um den Teilaspekt eines viel größeren Themas handelt, der Frage nämlich, was zu beachten sei, wenn der „bildende Künstler ein Werk hervorzubringen gedenke".165 Anstatt dieses Thema in seiner Gänze zu untersuchen, was notwendig die Berücksichtigung der künstlerischen Behandlung der Gegenstände einschlösse, will Meyer sich „nicht im allgemeinen auf[halten], welches an einem andern Orte seinen Platz finden wird", sondern sich zunächst darauf beschränken, „unsern Kunstgenossen nach bester Einsicht und Uberzeugung, einigen Rat" hinsichtlich der Wahl des Gegenstands zu geben. Damit sind zugleich Perspektive und Adressatenkreis des wie ein Lehrbuch strukturierten Aufsatzes genannt: Es sind die „Kunstgenossen", die Künstler also, für die der ausgebildete Maler Meyer schreibt und denen er eine pragmatische Hilfestellung bei der Ausübung ihrer praktischen Arbeit leisten möchte. Als „Gegenstand" oder Stoff definiert Meyer den Kern, der übrigbleibt, wenn man von Kunstwerken all das abzieht, „was ihnen durch Form und Farben, durch geistige und mechanische Behandlung geliehen wird". Anstatt sich mit Fragen der Behandlung, rhetorisch gesprochen: der elocutio, zu befassen, setzt Meyer somit eine Stufe tiefer bei der Wahl der zu behandelnden Gegenstände, der inventio an, da für den Künsder „sowohl der Fortgang seiner Arbeit als das Glück seines vollendeten Werks von derselben abhängt." Die Bedeutung der künstlerischen Form ist Meyer also durchaus bewußt, doch sieht er sie durch den Gegenstand bedingt. Mit anderen Worten: Ein Maler oder Bildhauer mag künstlerisch noch so begabt sein, er ist doch von der Qualität seines Gegenstands, von dessen Eignung oder Nichteignung zu künsderischer Bearbeitung, abhängig: „Ein guter und vorteilhafter Gegenstand", so Meyer, hebt und trägt den Genius, befördert, gibt Mut und Kräfte das Angefangne mit Lust zu vollenden, hingegen legt der schlechte oder widerstrebende Gegenstand immerfort neue Hindernisse in den Weg, ermüdet und schlägt nieder; es wird weder der Künstler seines Werkes froh, noch der Beschauer desselben vollkommen befriedigt werden können.1"12

Mit ihren Anmerkungen zu Behandlung und Wirkungsabsicht der beiden zur Auswahl gestellten Sujets zeugt die von Meyer mit konkreten Lektüreanweisungen versehene Aufgabenstellung von einem klaren Bewußtsein für die Problematik insbesondere des zuletzt genannten Sujets, des im doppelten Wortsinne äußerst gewaltsamen Tod des Rhesus. Meyer umreißt hier nicht nur den Inhalt und das Personal der darzustellenden Szene, sondern gibt darüber hinaus Hinweise zu der erforderlichen Anordnung, Beleuchtung etc. derselben. Erforderlich sind diese Kunstmittel im Falle des Rhesus, weil es hier darum geht, Verwegenheit, Kraft, Kühnheit und Vorsicht zweier in Aktion befindlicher Helden, statt, wie beim Hektar, bloß „Gefühl und Innigkeit" zweier voneinander Abschied nehmender Eheleute darzustellen. Mit anderen Worten: Während der erste Gegenstand auf Herz und Gemüt, das heißt auf innere Bewegung abzielt, ist der zweite Gegenstand vor allem durch äußere Bewegung(en) gekennzeichnet, die formal gebändigt werden müssen. Erforderlich ist der ausführliche Hinweis Aleyers auf die anzuwendenden Kunstmittel aber auch, weil es sich bei dem Tod des Rhesus um einen durch und durch prekären Gegenstand handelt. Denn auch wenn Meyer Odysseus und Diomedes als „Helden" bezeichnet, so hat ihre Tat rein gar nichts Heldenhaftes an sich:343 In das Lager der Trojaner geschickt, um herauszufinden, wo die einzelnen Abteilungen des gegnerischen Heeres liegen, geschieht die Ermordung des thrakischen Königs und seiner Soldaten nicht in offener Feldschlacht, ist keine Notwehr oder Selbstverteidigung, sondern ist allein durch den Ehrgeiz respektive das materielle Interesse der beiden Griechen an den Rossen und Rüstungen des Rhesus motiviert. Ahnlich wie im Fall Apollos und Dianas, die ohne Erbarmen die schuld- und wehrlosen Kinder der Niobe töten, wird die „Rechtmäßigkeit" ihrer Tat zudem durch den Umstand in Frage gestellt, daß sie an schlafenden, also gleichfalls vollends wehrlosen Opfern verübt wird. Das Heroische und Pathetische in Extremform: Die Rhesus-Aufgabe Uber die Frage, warum Meyer ausgerechnet diesen Gegenstand ausgewählt hat, läßt sich nur spekulieren. Unverkennbar ist, daß Hektors Abschied und Der Tod des Rhesus als komplementäre Aufgaben konzipiert sind, die der künstlerischen Nei542 Propyläen, S. 879f. 543 Von den zweifelhaften Heldentaten des Diomedes berichtet auch Hederich, Gründliches Mythologisches Lexikon, s. v. „Diomedes", Sp. 930-938, bes. Sp. 932. In Dantes Divina Comeiüa (Inferno 26, Vers 55-63) brennen Odysseus und Diomedes gemeinsam im achten Höllenkreis für ihre Taten als falsche Ratgeber (Täuschung des Achill auf Skyros, List des Trojanischen Pferdes, Raub des Palladion).

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Kunsttheorie: Die Weimarischen Kunstfreunde

gung der Maler und Bildhauer zum Sentimentalen beziehungsweise zum Heroisch-Pathetischen entgegenkommen sollten. Meyers Ziel war es also gewesen, zwei idealtypische Gegenstände zu finden, die das „Gefällige" und das „Pathetische" sozusagen in extremis verkörperten. Nichts anderes besagt sein Hinweis, daß beide Aufgaben „jede für sich als ein Aeußerstes gelten" könnten. Als Alternativen hatte Meyer anfänglich noch „Priamus, der den Achill um Hektors Leichnam bittet", „Thetis, welche die Waffen bringt" und „Achill, [der] den Hektor schleift" — allesamt heroisch-pathetische Sujets — erwogen, sich dann aber doch für den Riesas entschieden.344 Uber die Gründe, die ihn dazu bewogen hatten, schweigt λ ^ ε Γ sich aus. Offenbar forderte ein so sentimentales Sujet wie der Abschied des Hektor ein so gewaltsames Sujet wie den Tod des Rhesus geradezu heraus. Zu bedenken ist darüber hinaus auch, daß die „innige" Hektor-Aufgabe als Gegenstand eine zeichnerische Darstellung (im Sinne der klassizistischen Ideenkunst) begünstigte, während es bei der eher expressiven Rhesus-Aufgabe, einem Nachtstück mit einer komplexen Figurenkonstellation, vor allem auf „mahlerische Wirkung" ankam. Möglicherweise also hat Meyer sich auch aus dem bewußten Willen zum Malerischen für die Rhesus-Aufgabe entschieden. Eher unwahrscheinlich ist hingegen der Gedanke, daß es Meyer gar nicht aufgefallen sei, welch prekären Gegenstand er hier vorgeschlagen hatte.343 Meyers Gegenstandsaufsatz, seine Besprechungen der Konstantinschlacht im Vatikan sowie der Niobidengruppe in Florenz belegen ebenso wie der umsichtig formulierte Ausschreibungstext selbst, daß er sich der künstlerischen Probleme im Zusammenhang mit der Darstellung tragischer und pathetischer Gegenstände durchaus bewußt war. Meyer war nicht so naiv, den problematischen Charakter des Rhesus-Sujets zu verkennen. Naiv kann allenfalls seine Entscheidung genannt werden, diesen schwierigen und hochkomplexen Gegenstand trotzdem zu einem Thema der Weimarer Preisaufgaben zu machen und damit, wie sich herausstellen sollte, die teilnehmenden Künstler eindeutig zu überfordern.346 Eng verbunden mit der Frage, warum Meyer den Tod des Rhesus für die Preisaufgaben ausgewählt hat, ist die Frage, ob er diesen Gegenstand für die visuelle Darstellung selbst erfunden hat oder auf andere kunstgeschichtliche Vorbilder zu-

5 4 4 Meyer an Goethe, [28. November 1799] ( G M B 2, Nr. 207, S. 121). Vgl. die entsprechenden Abschnitte in der llias: 24. Gesang, Vers 485ff. (Priamos und Achill), 19. G e sang, Vers 1-27 (Thetis mit den W a f f e n des Achül), 22. Gesang, Vers 395-403 (Achill

schleift Hektor). Eine Zeichnung Priamos bittet Achill um den Leichnam Hektors von der Iiand Meyers befindet sich noch heute in den Kunstsammlungen zu Weimar. Siehe [Kat-1 Wiedergeburt griechischer Götter, Nr. 111.24, S. 102f. 545 So Pfotenhauer, Würdige Anmut, S. 163. Vgl. auch den Kommentar in B d K 3, S. 821 f. 546 Daß die Entscheidung für die beiden Preisaufgaben durch die „ N o t w e n d i g k e i t " diktiert gewesen sei, gesteht Meyer in einem Brief an Goethe v o m 27. November 1 7 9 9 ( G M B 2, Nr. 205, S. 119).

Weimarer Preisaufgaben

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rückgreifen konnte. Dabei ist bezeichnend, daß es — im Gegensatz zum Abschied Hektors von Andromache — fiir die Darstellung der Rhesus-Episode in der bildenden Kunst keine Tradition gab. Wirft man einen Blick auf die 1757 erschienenen Tableaux tires de l'lliade des Comte de Caylus, so fällt auf, daß schon hier die Abschiedszene zwischen Hektor und Andromache den Künsdern zur Darstellung empfohlen wird, die Ermordung des Rhesus dagegen fehlt.347 Genaugenommen zählt Caylus die Rhesus-Episode sogar zu den „details" des zehnten Gesangs, die, weil sie in der Nacht stattfinden, von der Malerei überhaupt nicht dargestellt werden könnten, ohne daß die Künsder sich dabei „lächerlich" machten: 1 ,es details de ce Livre sont de la plus grande beaute quant ä la vivacite des descriptions; tnais ils se passent dans la nuit. II scroit ridicule d'cntreprendre de les rendre par la Pcinture; eile ne peut exprimer que ce qu'elle voit: de plus, ces faits no sont point assez importans, quant ä Taction du Poeme, pour les eclairer. 348

Caylus' Behauptung, daß der Raub der Pferde des Rhesus gemeinsam mit anderen Episoden des zehnten Gesangs für den Fortgang der Handlung von nicht allzu großer Bedeutung sei, mag dahingestellt bleiben. Tatsache aber ist, daß sich, soweit sich sehen läßt, bis in die 1790er Jahre hinein kein bildender Künsder dieses spezifischen Sujets angenommen hatte. Meyer selbst schrieb im November 1799 an Goethe, daß dieser Gegenstand seines Wissens „noch nie" behandelt worden sei.349 Daß sich eine Darstellung Odysseus' und Diomedes' bereits in John Flaxmans erstmals 1793 erschienenen Illustrationen zur llias findet, wird von Meyer hier unterschlagen. Allerdings zeigt Flaxmans Umrißstich die beiden griechischen Helden nicht bei der eigentlichen Tat, sondern in dem Moment, als sie mit den geraubten Pferden des Rhesus wieder im Lager der Griechen eintreffen.33"

547 Caylus, Tableaux tires, S. 51, Bild 7. 548 Caylus, Tableaux tires, S. 65. Caylus entnimmt dem zehnten Gesang nur ein Bild, das Agamemnon und Menelaos im Zelt des ersteren zeigt. Vgl. hierzu Giuliani, Bilder nach Homer, S. 65f. 549 Meyer an Goethe, 28. November 1799 (GMΒ 2, Nr. 207, S. 121). - Weder Winckelmann noch Lessing erwähnen die Rhesus-Geschichte; Hederich, Gründliches I^exikon hingegen nennt drei Gemmen aus Lippcrts Oactytiothec mit Darstellungen der Szene; Hölderlin feiert die Tat der beiden Griechen in dem allerdings zu Ix-bzeitcn unedierten Brief An Kallias (Sämtliche Werke, Bd. IV/1, S. 218f.). Die Beschreibung eines fiktiven, den Untergang Trojas mitsamt der Rhesos-Szene darstellenden Gemäldes im JunoTempel zu Karthago findet sich in Yergils Aeneis, 1. Buch, Vers 469-471: „Nahe dabei erkennt er [Aeneas, Μ. D.| weinend die '/cite des Rhesus, / Schimmernd wie Schnee; im ersten Schlaf noch lagen sie, als des / Tydeus Sohn sie mit Mord überfiel und grausigem Blutbad." 550 The Iliad of Homer, engraved by Τ. Piroli from the Compositions of John Flaxman, Rome 1793, Tafel 19: „Diomed & Ulysses, Returning with the spoils of Rhesus". Unter der Tafel ist in einigen F'.ditionen der Vers 636 aus dem 10. Gesang der llias zitiert: „Scarce had he spoke, when lo! the chiefs appear."

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Kunsttheorie: Die Weimarischen Kunstfreunde

Bekanntlich ist Goethe die Kupfer Flaxmans parallel zu den Vorbereitungen der ersten Preisaufgabe durchgegangen und hat in seiner Ende März 1799 diktierten Aufstellung der von Flaxman behandelten „Gegenstände aus der Ilias" unter anderem dessen „Diomed und Ulyß mit Rhesus Pferden" erwähnt.351 Auch wenn dieser Gegenstand unglücklicherweise nicht zu denen gehört, die Goethe — im Gegensatz zu den meisten übrigen Darstellungen - kommentiert hat, belegt bereits seine bloße Erwähnung, daß zumindest Goethe Flaxmans Darstellung gekannt hat. An Meyer schrieb Goethe aus Jena, daß er „recht sehr gewünscht" hätte, die Sammlung Flaxmanscher Stiche mit ihm „durchzugehen".3'2 Seine Bemerkungen Uber die Flaxmannischen Werke und Kompositionen dürfte er aber sicherlich mit Meyer diskutiert haben. Die Vermutung liegt also nahe, daß die Preisaufgabe des Jahres 1800 wenn schon nicht ihren Ursprung, so doch ihre spezifische Ausformung in der Auseinandersetzung mit den J/wj-Illustrationen Flaxmans gefunden hat.553 Die Tatsache, daß Goethe die Zeichnung Flaxmans nicht kommentiert hat, läßt vermuten, daß er entweder mit der künsderischen Lösung oder mit dem Gegenstand selbst nicht zufrieden war oder beides ihn gleichgültig ließ. Da, wie es in seinem haokoon-Aufsatz heißt, die bildende Kunst, „sobald sie einen pathetischen Gegenstand" wähle, immer denjenigen Moment ergreifen müsse, der „Schrecken erweckt", mußte Goethe der von Flaxman dargestellte Augenblick belanglos erscheinen.334 ,,[I]m heroischen" hielt er Flaxman ohnehin für „meistenteils schwach."333 Zudem dürfte der Gegenstand, so wie dieser ihn dargestellt hatte, für Goethe nicht die Bedingung erfüllt haben, aus sich selbst heraus verständlich zu sein. Anders als Flaxman hat Meyer denn auch den Gegenstand für die Weimarer Preisaufgaben so gefaßt, daß er den darzustellenden Moment auf die Ereignisse im Trojanischen Lager selbst vorverlegte. Die Künsder sollten auf diese Weise angeleitet werden, den Tod des Rhesus und den Raub seiner Pferde zum „Gipfel des vorgestellten Augenblicks"336 zu machen und damit ein im Sinne der Weimarer Gegenstandslehre tadelloses Kunstwerk zu schaffen. Die Aporie, in der sie sich und die Künstler mit dieser Vorgabe hineinmanövrierten, wurde Goethe und Meyer erst deutlich, als die angeforderten Zeichnungen im Juli und August 1800 eintrafen: Je

551 MA 6.2, S. 148, Nr. 15 (|Über Flaxmans Kompositionen:] Gegenstände aus der Ilias). 552 Goethe an Meyer, 1. April 1799 (GMB 2, Nr. 172, S. 85). 553 Bei Flaxman finden sich auch schon die folgenden von den Weimarischen Kunstfreunden vorgeschlagenen Gegenstände aus I lomer: Helena von Aphrodite dem Paris zugeführt (Ilias Nr. 5); Achills Kampf mit den Flüssen bzw. Achill in und mit den Flüssen kämpfend (Ilias Nr. 29); Odysseus und Polyphem bzw. Ulyß dem Kyklopcn einschenkend {Odyssee Nr. 11). Siehe MA 6.2, S. 145-150. 554 MA 4.2, S. 86 (ÜberLaokoon). 555 MA 6.2, S. 145 (Über die Flaxmannischen Werke). 556 MA 4.2, S. 85 (ÜberLaokoon).

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konkreter und anschaulicher der Gegenstand, die nächtliche Ermordung des schlafenden Rhesus und seiner Soldaten, dargestellt wurde, desto deutlicher trat das Schändliche der Handlung vor Augen. " 7 Einsendungen Im Gegensatz zu der „geringen Anzahl eingesendeter Stücke" des Vorjahres nahmen an der Preisaufgabe des Jahres 1800 achtzehn Künsder (darunter mit Johann Christian Ruhl nur ein Bildhauer) teil, die insgesamt achtundzwanzig Arbeiten einreichten. Hektars Abschied wurde neunzehnmal, der Tod des Rhesus neunmal behandelt. Erhalten geblieben sind lediglich vier Bearbeitungen der Hektor-Szene sowie zwei Darstellungen der Rhesus-Episode.338 Von den Malern, die sich für die Behandlung der Rhesus-Episode entschieden, gingen der Carstens-Schüler Ferdinand Hartmann und Joseph Hoffmann in ihren Arbeiten beigelegten Briefen auf das gewählte Thema näher ein.339 Trotz ihrer Bescheidenheitstopik dokumentieren diese an Goethe gerichteten Schreiben nicht nur die persönlichen Interessen und Vorlieben zweier um Anerkennung buhlender Künsder, sondern sie gewähren auch einen Blick auf den Status des Heroischen und Pathetischen im künstlerischen Denken der Zeit um 1800. Hartmann, einer der beiden Preisträger des vorigen Jahres, ließ Goethe wissen, daß er, „da die beiden aufgegebenen Gegenstände so verschieden in ihrem Charakter als glücklich für die bildliche Darstellung" seien, sowohl Hektars Abschied als auch den Tod des Rhesus behandelt habe. Im Hinblick auf die erste, Hektars Abschied darstellende Zeichnung merkt er an, daß er diese in bewußtem Kontrast zu der zweiten entworfen und komponiert habe: Ich wählte, besonders um mich im Gegensätze mit der Zeichnung der beiden I leiden, die das trojanische Lager überfallen, auch in einer sanften und rührenden Vorstellung, w o mehr Kmpfindung als Funbildungskraft erfordert wird, zu versuchen, den naiven

557 A u f dieses moralische Problem kommen Meyer wie auch Schiller in ihren Beiträgen zu sprechen. Siehe dazu unten, S. 2 1 2 und S. 212. 558 Die Bearbeitungen der I Iektor-Aufgabe stammen von Johann August Nahl (Weimar, Kunstsammlungen), Heinrich Kolbe (dto.), Ferdinand Hartmann (verschollen?, laut Scheidig ehemals in der Dessauer Gemäldegalerie) und Veit Hans Friedrich Schnorr von Carolsfeld ( 1 7 6 4 — 1 8 4 1 ; Leipzig, Museum der bildenden Künste), dem Vater des später berühmten Malers und Zeichners Julius Schnorr von Carolsfeld (1794 — 1872). Von den beiden Rhesus-Zeichnungen stammt die eine von Joseph 1 Ioffmann (Weimar, Kunstsammlungen), die andere wiederum von Schnorr von Carolsfeld (Leipzig, Museum der bildenden Künste). Wohl angeregt durch die Preisaufgabe v o n 1 8 0 0 schufen sowohl Friedrich Tieck als auch Philipp Otto Runge je eine bzw. zwei Rhesus-Zeichnungen, die sie allerdings nicht nach Weimar schickten. Siehe dazu Maaz, Friedrich Tieck. Briefwechsel mit Goethe, S. 53 mit Abb. 23 und Traeger, Philipp O t t o Runge, S. 29f. und 289f., Nr. 128 und 129. 559 Alle überlieferten Briefe abgedruckt bei Scheidig, Goethes Preisaufgaben, S. 68-88.

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Kunsttheorie: Die Weimarischcn Kunstfreunde Moment, w o Hektor die A r m e nach dem Astianax ausstreckt, der durch des Vaters Rüstung crschreckt, sich schreiend an den Busen der A m m e schmiegt. 360

Ganz im Sinne von Meyers Ausschreibungstext interpretiert Hartmann also die erste Aufgabe als eine „sanfte und rührende Vorstellung", die zweite mit ihrer Darstellung des nächtlichen Uberfalls als deren Gegensatz. Naiver „Empfindung" steht hier abstrakte „Einbildungskraft", dem Streben nach „Simplizität" inhaltliche wie auch formale Komplexität gegenüber: „Um einen sanften, rührenden Eindruck, den diese Szene machen soll, nicht durch Nebensachen zu stören", so Hartmann, „befliss ich mich der möglichsten Simplizität in der Darstellung und so sanfter Kontraste, als es mir immer möglich war."361 Während der erste Gegenstand ihm offensichtlich keine größeren Schwierigkeiten bereitet zu haben scheint, kann dies vom zweiten Gegenstand nicht behauptet werden. In aller Deutlichkeit bezeichnet Hartmann den Tod des Rhesus als „eine der schwersten Aufgaben in dem Homer" und fährt fort: Überhaupt ist die Darstellung heroischer Gegenstände aus der grauen Vorwelt noch ein ziemlich unbearbeitetes Feld für die bildende Kunst, die größten Künstler sind oft an dieser Klippe gescheitert, und ich glaube auch, dass die Bearbeitung dieser Gegenstände den höchsten Schwung der Phantasie erfordern. Schon die Charaktere und Gestalten der Helden so wie sie uns Homer schildert, bildlich vorzustellen, verlangt die tiefste Kenntnis der menschlichen Natur neben einem lebhaften Gefühl fürs G r o ß e und Schöne, um alles Individuelle, was uns die Idee für Schwäche, Ungeschick oder Hinfälligkeit geben könnte, zu verbannen und die reine Gattung mit aller ihrer K r a f t und ihren Fähigkeiten vorzustellen. A n den Kolossen auf dem Quirinal in Rom haben wir freilich vollkommene Muster für Darstellungen dieser Art, aber wer vermag sie schon nachzubilden? 3 6 2

Auch wenn Hartmanns Ausführungen vornehmlich der Entschuldigung seiner eigenen, heute leider verschollenen Zeichnung dienen sollen, die, wie er zugibt, wenig gelungen sei, so sind die von ihm angeführten Argumente doch bemerkenswert. Hartmann hält nicht nur den Tod des Rhesus, sondern grundsätzlich alle heroischen Gegenstände aus der Antike für schwierig. Dies liegt ihm zufolge zunächst einmal daran, daß sie in der Kunstgeschichte eher selten bearbeitet worden seien und die modernen Künstler sich somit an keinen oder nur wenigen großen Meistern und vorbildlichen Lösungen orientieren könnten.363 Gegen diese pauschale Einschätzung Hartmanns ließen sich mehrere künstlerische Bearbeitungen heroischer Gegenstände aus dem Homer anführen (so zum Beispiel Giulio

5 6 0 Ferdinand Hartmann an Goethe, 19. Aug. 1 8 0 0 (zit. nach Scheidig, Goethes Preisaufgaben, S. 75; vgl. ebd., Abb. 5). 561 Fbd., S. 76. 5 6 2 Ebd. 563 Mit Blick auf das Rhesus-Thema spricht auch Veit Hans Schnorr v o n Carolsfeld davon, daß es „das erste dieser Art" sei (Schnorr von Carolsfeld an Goethe, 19. August 1800, zit. nach Scheidig, Goethes Preisaufgaben, S. 86).

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Romanos Fresken in der Sola di Ttvia in Mantua), doch trifft sein Argument zumindest auf das Rhesus-Sujet zu, das tatsächlich, den erhaltenen Zeugnissen nach zu urteilen, selbst in der Antike äußerst selten behandelt worden ist.3'14 Das grundsätzliche Problem sieht jedoch auch Hartmann in der Schwierigkeit, die wenig ehrenhafte Handlung mit einer heroisch-idealischen Darstellungsintention in Einklang zu bringen. Wenn Hartmann die beiden antiken Rossebändiger (Abb. 42) als „vollkommene Muster für Darstellungen dieser Art" nennt, ruft er damit das klassische Muster für die Darstellung heroischer Helden auf; 363 seine Zweifel an der Nachahmbarkeit dieses Musters unterstreichen aber nochmals die besondere Schwierigkeit der künstlerischen Behandlung heroischer Gegenstände. So muß er denn Goethe gegenüber auch eingestehen, daß er „schon oft versucht" habe, „Gegenstände aus dem heroischen Zeitalter vorzustellen", dabei aber erkannt habe, „dass hierzu meine Kräfte zu schwach sind." Das gelte auch und insbesondere für die eingereichte R^mr-Zeichnung: Auch bei dieser Vorstellung des Ulyss und Diomed gab ich mir alle Mühe, meinen Figuren G r ö ß e und Heldengeist einzuhauchen, um neben der Unordnung, dem Gewirre von Gegenständen dem Bilde Ruhe und Hinheit zu geben und durch große Massen und Effekte einen starken Hindruck zu bewirken: aber leider gelang es mir auch diesmal nicht, meine Zeichnung meinem Ideal nahe zu bringen. 3 6 6

Daß die Behandlung heroischer Sujets zwar schwierig, zugleich aber eine, wenn nicht gar die Herausforderung für das Talent und die Fertigkeiten eines Künsders ist, scheint nicht nur die Überzeugung Hartmanns, sondern auch diejenige des Malers Joseph Hoffmann gewesen zu sein, der mit seiner Zeichnung (Abb. 43) den Vorzug vor allen anderen Bearbeitungen des Rhesus-Sujets erhalten sollte. An Goethe schrieb er, daß er nach Lektüre der llias diejenige unter den beiden „Vorstellungen" gewählt habe, „die mir für's Erhabene der Kunst am vorteilhaftesten schien: da, wo Diomed sinnend, ob er was Kühneres unternehmen, von Ullys gewarnt und Pallas zur Heimkehr ermahnet wird.' 0 6 7 Hoffmann deutet die RhesusAufgabe mithin als Aufforderung, das „Erhabene" zu bilden und stellt es damit in

564 Siehe LIMC V1II/1, s.v. „Rhesos", S. 1 0 4 4 - 1 0 4 6 : „[...] depictions of the murder of Rh(esos] are rare, known only in paintings and surviving in but four certain examples, three vases and one miniature. N o representation survives that was made in Greece." Vgl. auch ebd. die F,inträge zu Odysseus, Diomcdes und Dolon. 565 Zu den Rossebändigern siehe [Kat ] Castores; Haskell/Pennv, Taste and the Antique, S. 1 3 6 - 1 4 1 . 566 Zit. nach Scheidig, Goethes Preisaufgaben, S. 76f. - Als Inspirationsquellen für die Darstellung besagter Gegenstände aus dem heroischen Zeitalter nennt Hartmann neben Homer die Dichtungen Pindars sowie die Heldcnbeschreibungcn Philostrats in

den Eikones. 567 Joseph Hoffmann an Goethe, 10. August 1 8 0 0 (zit. nach Scheidig, Goethes Preisaufgaben, S. 83).

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den Kontext des Sublimen. 368 Im Gegensatz zu seinem Kollegen Hartmann, der bei der Darstellung heroischer Gegenstände „Schwäche, Ungeschick und Hinfälligkeit" vermieden sehen will, erblickt Hoffmann die Hauptgefahr in der Tendenz zum Theatralischen, das heißt zur dramatisierenden Übertreibung: Ich suchte so viel mir möglich in dem Geschmacke eines Caraccio zu arbeiten, um nicht in jenen Fehler, der sogar einigen Akademien ganz eigentümlich wird, und theatralische Vorstellungen liefert, zu verfallen, und bemühte mich in dem Charakter des Diomed Nachdenken, Mut und Ehrfurcht für [sie!] der ihm erscheinenden Göttin auszudrücken.369

Während der Carstens-Schüler Hartmann sich Mühe gibt, seinen Figuren „Größe und Heldengeist" einzuhauchen, ist es Hoffmann vor allem um ruhiges „Nachdenken, Mut und Ehrfurcht" seines Protagonisten zu tun. Was beide trotz dieser Unterschiede eint, ist die Uberzeugung, daß die Behandlung heroisch-pathetischer Gegenstände eine besondere künsderische Herausforderung darstellt, bei der die schwierige Balance zwischen dem „Gewirre von Gegenständen" auf der einen Seite und der „Ruhe und Einheit" auf der anderen, zwischen der übertriebenen, „theatralischen Vorstellung" und der vom Gegenstand geforderten (und damit angemessenen) „starken Wirkung" zu bewerkstelligen ist. Als Vorbilder für die Darstellung heroisch-pathetischer Sujets nennen sie die antiken Rossebändiger auf dem Quirinal beziehungsweise den „Geschmack" der Malerei Annibale Carraccis, der schon Bellori als ein neuer Raffael galt - zwei der damaligen Auffassung nach ,klassische' Muster also, die sich für sie allerdings als unerreichbar herausstellen sollten: Hartmann, dessen Entwurf Meyer lobenswert fand, im Detail aber „nicht billigen" konnte, erhielt keine Auszeichnung, Hoffmann, dessen Zeichnung Goethe und λίεγεΓ mehr an Rubens denn an Carracci denken ließ, mit einem Drittel der Preissumme nur den zweiten Platz. 570 Beurteilung Wie schon im Vorjahr fiel die eigentliche Beurteilung der ausgestellten Werke Johann Heinrich Meyer zu. Allerdings stand seine Rezension nicht allein da. Flankiert wurde sie von Beiträgen Goethes und Schillers, die, wie zu zeigen sein wird, mit dem Text Meyers aufs engste verknüpft sind. Gemeinsam erschienen sie im sechsten Heft der Propyläen unter der Uberschrift „Die Preisaufgabe betreffend".

568 Als ein Muster des Erhabenen wird die gesamte Utas schon von Pseudo-Longinos in seiner Schrift Vom Erhabenen (Kap. 9, S. 43-49) dargestellt. 569 Zit. nach Scheidig, Goethes Preisaufgaben, S. 83. 570 Als ,,neue[n] Rubens" bezeichnet Meyer Hoffmann in einem Brief an Goethe vom 15. September 1800 (GMB 2, Nr. 213, S. 126). Den Namen Rubens' hatte Hoffmann selbst in seinem Brief an Goethe erwähnt und dabei mit dem Epitheton „unsterblich" versehen. Siehe Scheidig, Goethes Preisaufgaben, S. 83 und unten, S. 261.

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Der gesamte, ungefähr siebzig Seiten umfassende Abschnitt unterteilt sich dabei in die folgenden fünf Rubriken: 1.) „Preiserteilung 1800" [Goethe], 2.) „Rezension der eingegangenen Stücke" [Meyer], 3.) „An den Herausgeber der Propyläen" [Schiller], 4.) „Die neue Preisaufgabe auf 1801" [Goethe], 5.) „Flüchtige Übersicht über die Kunst in Deutschland" [ebenfalls Goethe]. Mitte September 1800, die zweite Weimarer Kunstausstellung war gerade geschlossen worden, hatte Goethe bei Schiller angefragt, ob dieser unter Umständen „collegialiter mit Meyern, etwas für die Anzeige des Ausgestellten tun" könnte. 371 Schillers Reaktion war zurückhaltend. Statt, wie vorgeschlagen, gemeinsam mit Meyer an der Rezension zu arbeiten, bot er an, einen selbstständigen Beitrag zu verfassen, dem er die Form eines fiktiven Briefes zu geben gedachte: Wegen der Kritik der ausgestellten Gemälde kann ich Ihnen nichts anders bestimmt zusagen als den Brief, den ich für mich allein und auf meine Weise darüber aufsetzen will. Ich komme ganz aus meinem Vorteil, wenn ich meine Ideen über diese Werke mit Meiers und Ihrem zusammen zu schmelzen suche. Auch ist dasjenige, was ich durch diese Absonderung meiner Absicht von der Ihrigen erreiche, nicht ohne Nutzen für das Publikum der Propyläen oder vielmehr für unsre Absicht mit demselben. Übrigens werde ich Meiern bei seinem Aufsatz darüber meinen Rat gern erteilen. 372 Aus Schillers nur allzu deutlichem Sträuben, auf Goethes Vorschlag einzugehen, ist in der Forschung wiederholt der Schluß gezogen worden, daß ihm die „triviale Urteilsweise" Meyers beziehungsweise seine „Art und Weise, die Künsder zu richten und zu mustern" unangenehm, ja „unerträglich" gewesen sei.373 Tatsächlich lassen sich weder in dem zitierten Brief noch in anderen diesbezüglichen Äußerungen aus dem Weimarer Kreis Belege für einen Vorbehalt Schillers gegenüber Meyers kunstkritischen Urteilen finden.374 Wenn Schiller davon spricht, daß er „aus seinem Vorteil" käme, wenn er versuchen wollte, seine Überlegungen und 571 Goethe an Schüler, 12. September 1800 (MA 8.1, Nr. 766, S. 812). 572 Schiller an Goethe, 13. September 1800 (MA 8.1, Nr. 767, S. 813). 573 Siehe die Kommentare in ΜΛ 6.2, S. 1088f. und 1;A 18, S. 1298. Vgl. auch Scheidig, Goethes Preisaufgaben, S. 91 f. 574 Dies gilt auch für den immer wieder, so auch in FA 18, S. 1298, angeführten Brief an Goethe vom 5. September 1800, in dem Schiller davon berichtet, daß zur gleichen Zeit, in der Meyer „unsre deutschen Künstler richtet und mustert", diese „rcciproce über ihn her|fallcn| und sich über seine Arbeiten aushalten]" (MA 8.1, Nr. 165, S. 811). Angespielt ist hiermit nämlich auf die Kritik an der Zeichnung, die Meyer als Vorlage für das Titelkupfer (Der Handschuh, gestochen von Amadeus Wenzel Böhm) der ersten Auflage von Schillers Gedichten entworfen hatte und deren Urheber Schiller hier gegen die leipziger Bemängelungen verteidigt: „So schreibt mir Crusius mein Verleger aus Leipzig, daß die Zeichnung vor meinen Gedichten den 1 x-ipzigern gar sehr mißfalle, daß sie viel zu unbestimmt und ohne Ausdruck sei, und bittet mich deswegen, in künftigen Fällen einen andern Künstler vorzuschlagen. Nun möchte ich wissen, wo dem Herrn Schnorr das Bestimmte u. Ausdrucksvolle sitzt." Meyer hat sich über Schillers Beitrag übrigens lobend geäußert, siehe seinen Brief an Goethe vom 1. Oktober 1800 (GMB 2, Nr. 218, S. 131).

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Einschätzungen mit denjenigen Meyers und Goethes zu vereinigen, so ist dies keine Kritik an Meyer, sondern ein offenes Eingeständnis der eigenen Inkompetenz in Fragen der konkreten Beurteilung von Kunstwerken. Schiller hat dies noch einmal betont, als er Ende September Goethe sein fingiertes Schreiben An den Herausgeber der Propyläen übersandte: „Ich wünschte sehr, daß Ihnen dadurch etwas an eigener Arbeit erspart sein möchte, aber ich hoffe es kaum; ich war hier nicht auf meinem Felde und worauf es hier eigentlich ankommt, die Proprietät der Sache, ist von mir nicht zu erwarten."373 Im Bewußtsein der eigenen Grenzen fühlte Schiller sich allein für das „Poetische und allgemein Philosophische" eines Kunstwerks, nicht aber für das spezifisch „Künsderische" an ihm (das heißt Zeichnung, Komposition, Beleuchtung etc.) zuständig. Diese Aufgabe überließ er deshalb nur allzu gerne Meyer.376 a) Goethes Einleitung „Preiserteilung 1800" Goethes Reaktion auf Schillers Schreiben war äußerst positiv. Mit dem übersandten Beitrag kristallisierte sich für ihn das Konzept einer argumentativ aufeinander aufbauenden Folge von Einleitung, Rezension und Sendschreiben heraus, eines „Dreiklangs", den er jedoch als Einklang im Sinne der klassizistischen Lehre von der Einheit in der Mannigfaltigkeit verstanden wissen wollte: Eben wollte ich meine Depesche schließen, als zu meiner größten Freude Ihr Aufsatz anlangt. Ich habe ihn geschwind gelesen und finde ihn so schön, gut und zweckmäßig, als Sie es selbst nicht wissen. Iis fiel mir dabei ein: daß jede Partei in Venedig zwei Advokaten von verschiednem Charakter beim Plaidieren der Prozesse aufstellt, einen der den Vortrag macht und einen anderen der konkludiert. Aus unserem Dreiklang soll diesmal etwas recht artiges entstehen. Meine Peroration, die Sie mir zum Teil weggenommen haben, will ich nun zu der Einleitung schlagen und was mir ja noch übrigbliebe zu der Preisaufgabe aufs folgende Jahr, wo sich auch noch mancherlei sagen läßt. Doch das wird sich alles erst finden wenn ich Meyers Rezension habe, auf die ich morgen hoffe. Die Einheit in der Verschiedenheit der drei 1 one wird sich recht gut ausnehmen. 377

Ein Blick in das sechste Heft der Propyläen zeigt, daß Goethe seine „die Preisaufgabe betreffend[e]" Einleitung, anders als seine Ankündigung vermuten lassen könnte, relativ knapp gehalten hat. Nur am Rande äußert er sich über die beiden Aufgaben und ihre Preisträger, Hoffmann und Nahl, und widmet das Gros seiner Ausführungen statt dessen dem „Unternehmen" der Weimarer Preisaufgaben

575 Schiller an Goethe, 29. September 1800 (MA 8.1, Nr. 774, S. 821). 576 Siehe dazu auch den Brief Schillers an Goethe vom 1. Oktober 1800 (MA 8.1, Nr. 776, S. 824f.). 577 Goethe an Schiller, 30. September 1800 (MA 8.1, Nr. 775, S. 822). Der Kommentar der Frankfurter Ausgabe hingegen sieht in diesen Worten Goethes den Dissens lediglich auf eine „versöhnliche pluralistische Formel" gebracht (siehe FA 18, S. 1298).

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überhaupt, ihren Ursprüngen, ihren unmittelbaren Zielen, weiterführenden Absichten und Hoffnungen.378 Hält man den entsprechenden als Paralipomenon überlieferten Entwurf Goethes daneben, so läßt sich zumindest erahnen, was er ursprünglich zu sagen beabsichtigt hatte, bevor er Schillers und Meyers Beiträge in Händen hielt. Im Zentrum seiner Ausführungen sollten offensichtlich Überlegungen zur Wahl des Gegenstandes (Hektor oder Rhesus) sowie den möglichen Momenten der Darstellung und den mit ihnen verbundenen Motiven stehen. Mit Blick auf die größere Anzahl von Bearbeitungen des Hektor-Sujets bemerkt Goethe in seinen Notizen, daß es zwar vorauszusehen gewesen sei, daß die Künstler „sich mehr an das gefühlvolle und Anmutige halten würde[n]", betont zugleich aber, daß man darüber erfreut gewesen sei, „auch den Mut zum Starken und zu solchen Unternehmungen gefunden zu haben wo der Geist sich rüsten muß dem Erhabenen zu begegnen."379 Während bei „Hector" prinzipiell drei Momente (des letzten Zusammentreffens, des letzten Zusammenseins, des Scheidens) mit verschiedenen Motiven (sentimental, rein naiv, naiv heroisch, naiv symbolisch etc.) möglich seien, habe „Rhesus nur Einen Moment in welchem alle Motive zusammentreffen". Gegenüber den Einsendungen der anderen Künsder zeichne sich Hoffmanns Bearbeitung des Rhesus-Sujets dadurch aus, gerade diesen einen Moment gefaßt und sich bei der Ausführung nahezu aller notwendigen Motive bedient zu haben (vgl. Abb. 43): Rhesus von Hoffmann erschöpft das ganze Sujet. Ein toter König bei seinen W a f f e n und Wagen erschlagen hingestreckte Krieger. Ihre Stellungen zeigen daß sie nicht, sich verteidigend, gefallen sind. Die Pferde werden weggeführt. Diomed zögert am Wagen, Minerva erscheint und endigt die I landlung. Entschiedne Nachtszene Meeresstrand und Lager in der Fern abwärts. 08 "

Goethe hat, wie gesagt, diese Überlegungen zu den eingesandten Stücken nicht ausgearbeitet, sondern sich auf das Allgemeine des „Instituts" der Preisaufgaben beschränkt, als dessen „schönsten Zweck" er in seinen Notizen die Absicht bezeichnet, „auf die richtige Behandlungsweise eines Sujets aufmerksam zu machen."381 578 Preiserteilung

1800 (ΜΛ 6.2, S. 422-430).

579 Paralipomemn. Die Preisaujgabe betr.[effend] (ΜΛ 6.2, S. 1 0 9 1 - 1 0 9 6 , hier S. 1093); vermutlich zwischen dem 22. September und 3. Oktober 1800 entstanden. Notwendig zur Bearbeitung der beiden Aufgaben sind Goethe zufolge „ K r a f t und Knergie" bzw. „Zartheit und Lieblichkeit" (ebd.). 580 Ebd., S. 1093. In den „übrigen Stücken" hingegen fehle „eins oder das andere Motiv", weshalb Goethe die „übrigen konkurrierenden Künstler" ersuchen wollte, „das Sujet nochmals zu überdenken." 581 Ebd.

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Weitaus ergiebiger für die Frage nach dem kritischen Umgang mit der .Nachahmung des Gewaltsamen' sind denn auch Meyers ausfuhrliche Rezension der eingegangenen Stücke und Schillers Schreiben An den Herausgeber der Propyläen, die beide, wie alle Beiträge der Propyläen, ohne namentliche Kennzeichnung auf Goethes Text folgten. b) Meyers „Rezension der eingegangenen Stücke" Hinsichtlich der Ordnung, in der die eingegangenen Arbeiten besprochen werden sollten, war von Goethe entschieden worden, in stufenweise absteigender Reihenfolge zunächst die Rhesus-Darstellungen und erst dann, in einem zweiten Schritt, in umgekehrter, also aufsteigender Reihenfolge, die lange Reihe der Bearbeitungen des Hektor-Sujets zu rezensieren.382 Von diesen beiden gegenläufigen Linien, deren „Anfang und Ende" mit Hoffmanns Tod des Rhesus und Nahls Abschied des Hektar somit die „Gipfel unserer diesjährigen Ausstellung neben einander" (Goethe) zeigten, sollen im folgenden vor allem die Rezensionen der Rhesus-Darstellungen interessieren: Zum einen, weil bei ihnen das Problem der .Nachahmung des Gewaltsamen' viel offensichtlicher ist als bei den Hektor-Bearbeitungen, zum anderen aber auch, weil die Einsendungen zur Rhesus-Aufgabe in der Forschung bislang weitgehend vergessen, bewußt übergangen oder gar offen verurteilt wurden.583 Dies soll nicht heißen, daß das Heroische und Pathetische bei der Hektor-Aufgabe von keinerlei Bedeutung wäre. Ganz im Gegenteil: Während Meyer in seiner Rezension immer wieder den „Heldencharakter" Hektors und das „edle Heroische" beschwört, das von der Darstellung gefordert sei, hebt Schiller in seinem Beitrag neben dem „Heroischen" nachdrücklich auch das „Pathetische der Situation" hervor, das im Abschied des „Kriegers und Helden" angelegt, mit Ausnahme Nahls von den Künstlern jedoch kaum in angemessener Weise bewältigt worden sei.384 Bereits in seinem Ausschreibungstext der Preisaufgabe von 1800 hatte Meyer die Wahl der „günstigsten Momente der Darstellung" sowie, damit eng zusammenhängend, das „Studium der Motive" als den „Punct" bezeichnet, „wo unser Ur-

582 MA 6.2, S. 429. 583 Exemplarisch sei hier das Urteil Pfeiffer-Bellis, Goethes Kunstmeyer, S. 59, zitiert: „Uns dünkten heute ,Hektors Abschied' und Achill in Skyros' von Professor Nahl aus Kassel maßvoll und antikisch erfreulich, ,Der Tod des Rhesos' und Achill und die Flußgötter' von Hartmann [sie!] dagegen eine üble Verbindung von Bombast und Schulmeisterei; [...]." Bezeichnend ist, daß von den beiden erhaltenen Einsendungen weder Hoffmanns noch Schnorr von Carolsfelds Zeichnung in den einschlägigen Ausstellungen der letzten Jahre („Goethe und die Kunst", Frankfurt a. M./Weimar 1994 und „Im Blickfeld der Goethezeit" , Weimar/Nürnberg 1997/98) gezeigt wurde. 584 Propyläen, S. 1 0 1 9 , 1 0 2 2 , 1 0 2 9 und passim, NA 20, S. 303ff. Zum aktuellen Zeitbezug des Sujets siehe Kaulbach, Abschied, Krieg und Trauer, S. 214-218.

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theil über die Arbeiten anheben" müsse. 5 " 5 Für die „mahlerische Darstellung" des Rhesus-Sujet stellt Meyer in seiner Rezension die Regel auf, daß der Moment, „wenn die That bereits vollbracht ist, die erscheinende Minerva wegzueilen befiehlt, ihr Glanz die Scene erhellt und dem Beschauer gleichsam was geschehn offenbar macht ohnstreitig [...] der geschickteste [ist]." 586 Diesen Moment sieht er in den Arbeiten Hoffmanns (Nr. 1; vgl. Abb. 43), Hartmanns (Nr. 2), Friedeis (Nr. 6), Waagens (Nr. 7) und Valentinis (Nr. 9) dargestellt, dessen „Skitze" offenbar allein wegen mangelhafter „kunstmäßiger" Behandlung den letzten Platz belegt. Den anderen, das heißt weniger geschickten, weil „frühern" Moment, „wenn Diomed noch mit Morden beschäftigt ist, Ulysses die Pferde hält und sie wegfuhren will" 387 , findet Meyer dagegen bei Kolbe (Nr. 3), Karsch (Nr. 4) und dem Publikumsliebling Schnorr von Carolsfeld (Nr. 5, vgl. Abb. 44) umgesetzt, einer Gruppe von Arbeiten, der sich die Zeichnung Kämmerers (Nr. 8) zuordnen läßt, dessen Diomedes „den Mord an den Traziern noch nicht vollbracht zu haben [scheint]". 588 Die von Meyer zunächst bloß behauptete bessere Eignung des Moments unmittelbar nach statt während der eigentlichen Tat versucht er am Beispiel der von ihm ausführlich beschriebenen Zeichnungen Hoffmanns und Hartmanns auf der einen und Kolbes auf der anderen Seite plausibel zu machen. Wenn man diese drei Einsendungen (von denen nur diejenige Hoffmanns überliefert ist) zusammenhalte, so Meyer, werde man „bald einsehen, daß jene Künstler [gemeint sind Hoffmann und Hartmann, M. D.] den Gegenstand in einem höhern poetischen Sinn und glücklicher aufgefaßt" hätten als Kolbe, der die Tat selbst zeigt und dessen Zeichnung Meyer wie folgt beschreibt: [...] Rhesus fliegt), verkürzt, in der Rüstung, schlafend, vor seinem Wagen; Diomed steht neben ihm und hebt eben das kurze Schwerdt auf, um ihm den tödlichen Stoß beyzubringen; näher gegen den Vordergrund links, liegen nackt, in einer Gruppe, getödtetc Trazier, weiter zurück eine andere dergleiche Gruppe. Auf der rechten Seite, im Vordergrund steht Ulyß zwischen zwey Pferden, die er hält, von denen das eine sich bäumt, das andere ruhig fortschreitet. Der Grund zeigt die Stadt Troja, auf der 1 löhe liegend. Die Beleuchtung geschieht von der linken Seite, wie vom Tageslicht, und ist sehr energisch, so daß Schlagschatten entstehen. 389

Ohne es explizit in diese Worte zu fassen, attestiert Meyer Kolbes nicht allein durch die Beleuchtung „energisch" erscheinender Zeichnung einen eher gemeinen denn hohen, eher prosaischen denn poetischen Sinn, der dem aus Homers Heldendichtung stammenden erhabenen Gegenstand nicht angemessen sei. Mit anderen, 585 Propyläen, S. 880. Dieser Gedanke wird auch von Schiller in seinem Schreiben An

Herausgeber der Propyläen aufgegriffen (NA 20, S. 298). 586 587 588 589

Propyläen, S. 1007. Fbd. Propyläen, S. 1013. Propyläen, S. 1 0 0 7 f.

den

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von Meyer vorgeblich dem Publikum abgelauschten Worten, die jedoch sicherHch nicht von ungefähr an das von ihm bereits im Gegenstandsaufsatz diskutierte Problem der künsderischen Darstellung ungerechter beziehungsweise für Heldenfiguren unschicklicher Handlungen erinnern: „Wir hörten jemanden, mit feinem Gefühl für Recht und Schicklichkeit bemerken: man könne dem Diomed nicht gut darum seyn, daß er einen so ruhig Schlafenden morde."390 Dem naheliegenden Einwand, daß der ungerechte und unschickliche Gegenstand doch von der Utas vorgegeben sei, begegnet Meyer mit dem Lessingschen Argument, daß der für das Ohr arbeitende epische Dichter, also Homer, bei der Darstellung grausamer, gewalttätiger und abstoßender Szenen prinzipiell viel größere Lizenzen habe als der für das Auge arbeitende Maler oder Bildhauer: Man lernt daraus wie ungemein sorgfaltig der bildende Künstler sichs angelegen seyn lassen muß, das Gefühl zu schonen, indem er, durch das Auge, den zartesten und reizbarsten aller Sinne, zum Menschen zu sprechen hat. Der epische Dichter, der durch seine Erzählung blos die Imagination beschäftigt, wird seines Orts viel seltner eine Bemerkung dieser Art zu fürchten haben. 391

Meyers Rekurs auf Lessings Bestimmung der „Grenzen der Malerei und Poesie" ist konventionell und dürfte spätestens seit flirts Einlassungen wenn schon nicht überholt, so zumindest doch fragwürdiger gewesen sein, als es hier den Anschein haben mag. Erinnert sei jedoch daran, daß im sorgfältig aufeinander abgestimmten Konzert der drei Stimmen die Diskussion grundsätzlicher theoretischer Probleme nicht Aleyers, sondern Schillers Aufgabe war. Um einschätzen zu können, worin die spezifische Leistung von Meyers Rezensionen liegt, soll im folgenden ein Blick auf seine Besprechung der KhesusZeichnung Hoffmanns geworfen werden, der er unter sämtlichen eingegangenen Bearbeitungen dieses Themas den ersten Platz zuspricht. In exemplarischer Weise lassen sich an dieser Rezension die Vorstellungen Meyers hinsichtlich des richtigen, das heißt des künsderisch angemessenen Umgangs mit heroisch-pathetischen Sujets herausarbeiten. Ausgangspunkt ist seine Beschreibung der Zeichnung, die er deren eigentlicher Beurteilung vorausschickt (vgl. Abb. 43): Diomed steht in der Mitte des Bildes, mit der Hand hält er den Wagen des Rhesus gefaßt, den er, nach dem Dichter mitnehmen wollte; ihm zu Füßen, am Wagen, liegt der erschlagene Rhesus, schön verkürzt; neben ihm der mit einer K r o n e gezierte Helm. Pallas erscheint dem Helden und gebietet ihm den Rückzug. Unwillig zaudert er ihr zu gehorchen. Die Göttin, leicht auf Wolken einherschreitend, nimmt die linke Seite des Bildes ein, sie ist zierlich drappirt und überhaupt eine gefallige Gestalt. Ihr gegenüber, auf der andern Seite des Bildes, hält Ulysses vier weiße Pferde, die v o n der Erscheinung scheu sich bäumen, und mit dem rüstigen, gewandten Helden eine ungemein mahlerische G r u p p e ausmachen. Im Vordergrund liegt ein Haufe erschlagener Thrazier, die, wie der Dichter sagt, von Ulysses bey Seite geschleppt worden, in diesem Sinne ver-

5 9 0 Propyläen, S. 1008. 591 Ebd.

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ständig geordnet nur durch Reflex beleuchtet; einem einzigen wird das Haupt, die Arme und ein überliegendes Gewand vom Licht, welches aus den Wolken um die Pallas herkommt, bcstreift, und macht, auf eine sehr künstliche Weise, den Uebergang von dieser großen Schattenparthie, zu dem beleuchteten Raum, wo die handelnden Hauptfiguren des Bildes stehen. Etwas weiterhin liegt die sichtbare I Ialbfigur eines Erschlagenen, ganz vom Lichte getroffen, bey welcher der Künstler ohngefahr ebendenselben Zweck beabsichtigt und erreicht hat. Auf der Seite des Ulysses und der Pferde öffnet sich das Bild, man sieht, über der weiten Ebene, das Gestade des Meeres, das griechische Lager und die Schiffe. 392 Unverkennbar ist, daß Aleyer sich bei dieser wie auch bei allen anderen Beschreibungen mehr oder weniger eng an das Rubrikenschema Goethes hält, demzufolge ein Kunstwerk nach den Kategorien Erfindung, Anordnung, Ausdruck, Zeichnung, Pinselführung, Kolorit, Beleuchtung, Licht und Schatten/Massen und Draperie zu betrachten ist.393 In diesem Sinne weist λίεγεΓ bei Hoffmann auf die „verständigte]" Anordnung der Figuren und Motive im Bild hin, fuhrt die „künstliche" Beleuchtung der nächtlichen Szene auf die die Gestalt der Minerva umgebende Wolke zurück und macht zugleich auf die zweckmäßige Verteilung von Licht und Schatten im Bild aufmerksam. Kurz darauf würdigt er auch den Ausdruck der Figuren, der Hoffmann „recht gut" gelungen sei, das Kostüm seiner Helden, bei dem er sich „gewissermaßen musterhaft" an den „Buchstaben des Poeten" gehalten habe sowie die Zeichnung überhaupt, die „zwar ausführlich, doch nicht mit ängstlichem Fleiß, geistreich und mit geübter Hand gemacht" sei.394 Eine funktionale Analyse der von Hoffmann eingesetzten künsderischen Mittel, die neben der Verteilung von Licht und Schatten auch das in einer Tusch- und Kreidezeichnung selbstverständlich nur hypothetische Kolorit berücksichtigt, folgt in einem zweiten Schritt: Sein Bild ist, als ein Ganzes, ungemein wohlgefällig, die Gruppe der weißen Pferde würde, wenn die Farbe dazu käme, das I lauptlicht, oder, um uns genauer auszudrücken, die zuerst in die Augen fallende Parthie seyn. Pallas mit den leichten Wolken, die sie umgeben, wäre, der Energie nach, das zweyte Licht, hingegen eine größere ruhigere Parthie. Diomcd steht in der Mitte verbindend, seine glänzende Rüstung zieht das Auge an; eigentlich hat er, als Hauptfigur, das hellste glänzendste Licht, aber in geringerer Masse als die andern. Eine gleiche Abstufung ist auch mit den Schatten beobachtet, die Masse im Vordergrund ist sehr stark, doch wird sie, von dem Helldunkel der 1-eichen, angenehm unterbrochen, und balanzirt so den dunkeln, nur schwach, wie vom Mondenlicht und dem anbrechenden Morgen, erhellten Hintergrund. Der Wagen des Rhesus bildet, als dritte Schattenparthie, gleichsam den Uebergang zu diesen beyden und ist, im Mittel der Scene, die Figuren zu heben, wohl angebracht. 395

592 Propyläen, S. 1001 f. 593 Vgl. Goethes Darlegung der Beurteilungskriterien am Ende seiner Nachricht an Künstler und Prtisaufgabe von 1799, MA 6.2, S. 415. 594 Propyläen, S. 1004. 595 Propyläen, S. 1003f.

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Meyer erklärt den „wohlgefälligen]" Eindruck von Hoffmanns dramatischem Nachtstück als das Ergebnis einer wohlausgewogenen Lichtregie, durch welche die problematische Hauptfigur des Bildes, Diomedes, im Zentrum des Bildes kompositorisch zugleich hervorgehoben und eingebunden wird. Er identifiziert zwei Achsen, die das Bild von einander entgegengesetzten Seiten aus diagonal durchschneiden. Während die eine Achse den Blick von vorne rechts nach hinten links fuhrt und dabei die internen Lichtquellen des Bildes (von der Gruppe der weißen Pferde zu Pallas auf den Wolken) miteinander verbindet, sind entlang der zweiten, von vorne links nach hinten rechts verlaufenden Achse die dunkleren Partien des Bildes, die Schatten oder Massen (von dem „Helldunkel der Leichen" im Vordergrund zum Nachthimmel des Hintergrunds) angeordnet. In der Figur des Diomedes und dem Wagen des Rhesus macht Meyer zwei an der Schwelle zwischen Licht und Schatten positionierte Bildgegenstände aus, die nicht nur im Kreuzungspunkt der beiden gegenläufigen Achsen stehen, sondern darüber hinaus - als Vermittlungsinstanzen — dem Ubergang zwischen den hellen und den weniger hellen beziehungsweise den dunklen und den weniger dunklen Partien des Bildes dienen. Die dem Bild immanenten Kontraste zwischen Licht und Schatten, Bewegung und Ruhe, Leben und Tod, Gott und Held, Mensch und Tier werden somit kompositionell zugleich akzentuiert wie auch ausgeglichen. In Meyers Augen gelingt es Hoffmann den prekären Gegenstand in seiner Zeichnung auf „wohlgefälligfe]" Weise darzustellen: ,,[S]chön verkürzt" liegt der im Schlaf getötete Rhesus zu Füssen seines Mörders, „verständig geordnet" die Leichen seiner Soldaten im Bildvordergrund. Das Spannungsgeladene, Dramatische, ja Explosive der Situation wird weder von Hoffmann noch von Meyer ausgegrenzt oder unterschlagen, sondern „auf eine sehr künstliche Weise" formal gebändigt, ganz so wie die Pferde des Rhesus, die Odysseus in der Pose eines Rossebändigers in Zaum hält. Man kann Meyers „akribische Rekonstruktion der formalen Harmonie in Hoffmanns Werk" durchaus als konventionell betrachten; darin einen „formalistisch entleerten Klassizismus" zu sehen und zu folgern, daß er das „Unselbstverständliche und Problematische der ganzen Situation" umgangen habe, dürfte ihm jedoch nicht gerecht werden.396 Zu bedenken ist zum einen, daß Hoffmanns Bild selbst auf eine — im Sinne der klassisch-akademischen Kunstlehre — äußerst konventionelle Weise komponiert ist, die in Meyer wohl gerade deshalb einen wohlwollenden Interpreten fand.397 Die Konventionalität von Meyers Rezension bildet so gesehen die genaue Entsprechung zu der Konventionalität von Hoffmanns

596 So Pfotenhaucr, Würdige Anmut, S. 165f. 597 Zur „Theorie des klassischen Bildes" siehe Busch, Das sentimentalische Bild, S. 19-24 sowie S. 144-146 mit einer exemplarischen Analyse der klassischen Bildsprache am Beispiel von Poussins Tod des Germanicus (1627). Vgl. auch Marin, Die klassische Darstellung.

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Zeichnung, deren formale Harmonie Meyer ja nicht einfach behauptet, sondern Schritt für Schritt nachvollzieht, also nicht konstruiert, sondern bloß re-konstruiert. Meyers Stärke lag nicht auf dem Gebiet der philosophischen Ästhetik, sondern vielmehr auf dem der — akademischen — Kunstkritik und Kunstgeschichtsschreibung. Das wußten auch Goethe und Schiller, die sich deshalb mit ihm auf die oben beschriebene Arbeitsteilung einigten. Gerade die kunsthistorischen Anmerkungen, die er zu Hoffmanns Bild macht, zeigen indes, wie wenig naiv seine formalen Analysen tatsächlich sind. Hatte Hoffmann in seinem Brief an Goethe behauptet, daß er versucht habe, in dem „Geschmacke eines Caraccio" zu arbeiten, so stellt Meyer ihn in die Tradition Rubens' und damit nicht der italienischen oder „römischen", sondern der „niederländischen Schule". 3 ' 8 Den Unterschied zwischen beiden sieht Meyer darin, daß die Anhänger der niederländischen Schule „hauptsächlich durch den Totaleindruck ihrer Werke zu reizen" suchten: Sie bewirkten das Gefällige fürs Auge vermittelst eines klugen Gegensätze der Figuren und Gruppen, durch ein verständiges Steigern der Licht- und Schattenparthien und durch den Contrast der Farben, die Harmonie dieser letztern aber meistentheils durch das künstliche Mittel des Tons. Sie strebten ferner nach dem lebendigen und Bewegten in der Darstellung überhaupt und ihre Forderungen an Kunst gingen, wie es scheint, nur selten auf etwas noch höheres als die Nachahmung der Natur, unter obigen Bedingungen. 59 '

Dagegen hätten die „in beständigem Anschauen der plastischen Werke griechischer Kunst" lebenden Italiener „einen weit ernstem Zweck" gehabt: [S]ie bemühten sich hauptsächlich um Richtigkeit der Zeichnung, Schönheit und 1.1cganz der Formen; auch ist ihr Ausdruck meistentheils würdiger und gemäßigter, kurz, ihre Absicht ging dahin eine edlere Natur darzustellen, wozu sie sich der vorhandenen Natur mit Wahl bedienten. Manche vernachlässigten vielleicht zu sehr das Colorit und andere Theile der Kunst, welche das Auge reizen und befriedigen. w)0

Vor diesem Hintergrund betrachtet, erscheint die Rezension Meyers weitaus komplexer, als dies zunächst den Anschein haben mag. Was Meyer hier freilegt, ist die prinzipiell barocke Tendenz der Zeichnung Hoffmanns, der mit den Mitteln des Gegensatzes, der Steigerung und des Kontraste auf einen „Totaleindruck" hinarbeitet. Sicherlich dürfte Hoffmanns Lösung nicht dem hohen Ideal der Weimarer entsprochen haben; dafür spricht schon allein die Tatsache, daß Hoffmann nur ein Drittel statt der Hälfte des Preises zugesprochen bekam. Meyer gibt deutlich zu erkennen, daß er die am Muster der antiken Plastik orientierte Malerei der

598 Vgl. oben, Anm. 570. 599 Propyläen, S. 1002. Zum künstlerischen Gebrauch des „Tons" in der niederländischen Malerschule siehe Meyers „Geschichte des Kolorits seit Wiederherstellung der Kunst" in Goethes Farbenlehre (MA 10, S. 717). 600 Propyläen, S. 1002f.

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„römischen Schule", also Raffaels und seiner Nachfolger, bevorzugt. Die am barocken Klassizismus eines Rubens geschulte Kunst Hoffmanns verwirft er aber trotzdem nicht, sondern weiß ihre Qualitäten — neben der dramatischen Lichtregie und der „mahlerischen Wirkung" auch und vor allem die Darstellung des „Lebendigen und Bewegten" — zu würdigen. Genau genommen hat Schiller hinsichtlich der formalen Gestaltung der eingesandten Rhesus-Bilder nichts beizutragen, was über das bereits von Meyer Gesagte hinausginge, sondern er folgt ihm ohne Vorbehalt, teilweise sogar wörtlich.601 Anders steht es mit der zugrundeliegenden theoretischen Frage nach der Darstellungswürdigkeit moralisch verwerflicher Handlungen. Daß Meyer das Heikle des Rhesus-Sujets zwar bewußt gewesen ist, zeigt sein bereits oben zitierter Kommentar zu der Zeichnung Kolbes, demzufolge man „dem Diomed nicht gut darum seyn [könne], daß er einen so ruhig Schlafenden morde." Die Lessingsche Lehre, die Meyer aus dieser Bemerkung zieht, dürfte Schiller als Antwort allerdings nicht befriedigt haben. Es ist denn auch kein Zufall, daß seine innovativen Überlegungen genau an diesem Punkt ansetzen. c) Schillers Schreiben „An den Herausgeber der Propyläen " Ähnlich wie Meyer in seinem Ausschreibungstext der Aufgabe von 1800, demzufolge man in diesem Jahr erstmals zwei Aufgaben gewählt habe, die den „eigen thümlichen Neigungen" und Talenten der Künstler entgegenkommen sollten, betrachtet auch Schiller den Abschied des Hektor und den Tod des Rhesus als alternative Optionen, führt die Zweiteilung der Aufgabe jedoch nicht auf die künstlerische Praxis, sondern auf eine prinzipielle Dichotomie der Kunst selbst zurück: Obgleich die Kunst unzertrennlich und eins ist, und beide, Phantasie und Empfindung zu ihrer Hervorbringung tätig sein müssen, so gib es doch Kunstwerke der Phantasie und Kunstwerke der Empfindung, je nachdem sie sich einem dieser beiden ästhetischen Pole vorzugsweise nähern; zu einer v o n beiden Klassen aber muß jedes künstliche und poetische Werk sich bekennen, oder es hat gar keinen Kunstgehalt. 6112

Schon hier, ganz zu Anfang seines Schreibens, ist deutlich, daß Schiller, im Gegensatz zu Meyer, in erster Linie an der „Kunst" und erst danach an den „Kunstwerken" interessiert ist. Ihm geht es weniger um das Visuelle, als um Geist und Gedankengehalt eines Kunstwerks, also dasjenige, was er als seinen „Vorteil" betrachtet haben dürfte. Die Bilder, von deren Betrachtung er, so die Fiktion des Briefes, gerade zurückgekommen ist, gewähren ihm „ein ganz eignes Interesse des

601 So z. B. wenn er davon spricht, daß Rhesus „in schön verkürzter Lage hingestreckt" vor dem Rad seines Wagens liege (NA 20, S. 301). Daß es sich dabei um ein Zitat Meyers handelt, hat schon Pfotenhauer, Würdige Anmut, S. 168, bemerkt. 6 0 2 N A 20, S. 297f.

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Verstandes, wovon freilich derjenige keinen Begriff hat, der sich den Eindrücken künstlerischer Werke nur gedankenlos hingibt."603 Aus dieser Perspektive ist die ästhetische Qualität der ausgestellten Arbeiten nebensächlich, ja uninteressant und für die theoretische Erkenntnis mitunter sogar eher hinderlich: „Eine gleich große Anzahl wirklicher Meisterstücke, aber von verschiedenem Inhalt, würde uns unstreitig einen höhern Kunstgenuß, aber vielleicht keinen so reichen Begriff von der Kunst verschafft haben, als diese vielseitige Behandlung" wenigstens ihm gegeben habe, so Schiller.604 Auf der Grundlage seiner zunächst rein begrifflich entwickelten Erklärung der Kunstproduktion aus der Tätigkeit der Phantasie beziehungsweise der Empfindung interpretiert Schiller den Abschied des Hektar als Gegenstand für ein Kunstwerk der Empfindung, den Tod des Rhesus hingegen als Gegenstand für ein Kunstwerk der Phantasie: „Hektors Abschied qualifizierte sich zu einem naiven und seelenvollen Empfindungsgemälde; der Raub der Pferde des Rhesus, ein Nachtstück, war zu einem kühnen, kraftvollen Phantasiegebilde geeignet."603 Wie schon bei Meyers Rezension, so sollen auch hier in erster Linie die Ausführungen zum Rhesus-Sujet interessieren, bei dem laut Schiller die „natürliche Wahrheit", das heißt das poetisch nicht überhöhte „gemein Wirkliche" als Gefahr drohte/'"6 Insofern die Gegenstände durch die Aufgabenstellung vorgegeben waren, lag, so Schiller, die Herausforderung der Künsder in der Erfindung der Momente der Handlung und der Motive. Den Gegenstand der Rhesus-Aufgabe skizziert er wie folgt: Zwei Helden, dem Begriffe gemäß, den wir uns von Diomed und Ulysses bilden, zeigen sich in der Finsternis der Nacht in dem trojanischen Lager, w o thrazischc Krieger mit ihrem König schlafend liegen. Indem Diomed die Schlafenden erwürgt, bemächtigt sich Ulyß der schönen weißen Pferde des Königs. Sie müssen eilen, um nicht überfallen zu werden, und Diomed verläßt ungern den Schauplatz. 607

603 Ebd., S. 298. Vgl. etwa seine Besprechung der Zeichnungen von Kolbe und Karsch, ebd., S. 300: „Aber der Gedanke erhebt sich nicht über das Gemeine, das Bild spricht bloß zu dem Auge, ohne die Imagination anzuregen, und die geschickte fleißige Ausführung kann den fehlenden Geist nicht ersetzen." 604 Ebd. 605 Ebd. 6 0 6 Die Zitate N A 20, S. 302. Für eine Analyse seiner Besprechung von „Hektors Abschied", bei dem ganz im Gegenteil der „sentimentalischc Hang der Nation und des Zeitalters" zu befürchten war, sei auf den grundlegenden Aufsatz von Dieter Borchmeyer (1), B., Hektors Abschied) verwiesen. Borchmeyer zufolge ergeben sich für Schiller aus dem rührenden Charakter der Abschiedsszene zwei grundsätzliche Probleme (S. 284): „wie wird vermieden, daß die Darstellung des Rührenden ein sentimentales Gepräge erhält, und wie ist die Affekthaltigkeit, in Schillers Terminologie ausgedrückt: das Pathetische des dargestellten Moments mit dem heroischen Charakter der Personen in Übereinstimmung zu bringen?" 607 N A 20, S. 298.

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Die hier nach Maßgabe des homerischen Textes beschriebene Szene umfaßt in der Was insgesamt fünfundvierzig Verse und erstreckt sich von der Ankunft der beiden griechischen Helden im Lager der Trojaner über die Ermordung des Rhesus und seiner Soldaten durch Diomedes und den gleichzeitigen Raub seiner Rosse durch Odysseus bis zum zögernden Rückzug der beiden Protagonisten vom Ort des Geschehens. Schiller zufolge standen dem Künsder zwei Momente zur Auswahl, die sich in den eingesendeten Arbeiten auch tatsächlich wiederfanden. Er konnte entweder den „Augenblick des wirklichen Ermordens" oder den „Augenblick nach der Tat und unmittelbar vor dem Abzüge" darstellen. Die zumindest prinzipiell mögliche DarsteUung des Augenblicks vor der Tat dagegen zieht er, wohl aus Mangel an Prägnanz, nicht in Betracht. Von den beiden genannten Momenten ist der zweite nach Schillers Auffassung der für den Künsder vorteilhaftere, denn: Blieb er bei dem ersten Momente stehen, so war das Bild nicht nur an Gehalt ärmer, es konnte auch einen widrigen Kindruck auf das Gefühl machen; die nächtliche Frmordung schlafender Menschen hat etwas Schändliches für einen I leiden. Der König, welcher ermordet wird, wurde dadurch zur Hauptperson, unser Mitleid wurde interessiert, und das Bild bekam einen pathetischen Charakter, den es durchaus nicht haben sollte. 608

Hatte Meyer in seiner Rezension lediglich bemerkt, daß man „dem Diomed nicht gut darum seyn [könne], daß er einen so ruhig Schlafenden morde", so differenziert Schiller die Einwände und konkretisiert sie zugleich: Das Unbehagen gegenüber der „nächtlichen Ermordung schlafender Menschen" ist zunächst ein grundsätzliches, es wird aber dadurch noch verschärft, daß es sich bei dem Mörder um einen Helden handelt oder handeln soll. Hätte Diomedes den Rhesus und seine Soldaten in offener Feldschlacht ermordet, so könnte seine Tat, bei aller Grausamkeit, doch als heroisch gelten; so aber, aus dem Hinterhalt verübt, steht sie in offensichtlichem Konflikt mit seinem Heldencharakter. Daß dieser Konflikt bereits im Homerischen Epos besteht, dürfte Schiller bewußt gewesen sein, wird von ihm hier jedoch nicht thematisiert. Hat die „nächtliche Ermordung schlafender Menschen" somit „etwas Schändliches" für den Täter, so werden auf der anderen Seite die Opfer durch sie unweigerlich aufgewertet. „Widrig" (im Sinne von „widerlich", „widerwärtig", „abstoßend") ist nicht nur der Eindruck, den der schändlich handelnde Diomedes auf das Gefühl macht, „widrig" (im Sinne von „gegensätzlich", „widersprechend") ist auch das Gefühl des „Mitleid [s]", das die Figur des Rhesus entgegen der Intention des homerischen Textes auf sich zieht. Daß Schiller hier von dem „pathetischen Charakter" spricht, den das Bild „durchaus nicht haben sollte", mag auf den ersten Blick verwirren, da doch das

608 ΝΛ 20, S. 298. Schiller spielt hier offenbar auf die Arbeiten Schnorr von Carolsfelds, Kolbes und Karschs an. Vgl. oben, S. 212.

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Pathetische gemeinsam mit dem Heroischen zu den konstitutiven Elementen des Rhesus-Sujets gehört. Der Argumentationszusammenhang läßt indes keinen Zweifel daran, daß Schiller hier nicht — wie beispielsweise im Aufsatz Ueber das Pathetische (1793/1801) — den pathetisch-erhabenen Charakter des Bildes meint, sondern vielmehr seinen Mitleid erregenden, also eigentlich sym-pathetischen Charakter meint. Der Gegenstand ist, mit anderen Worten, pathetisch-erhaben, und Schiller warnt gerade davor, ihn in sein Gegenteil umzuwandeln. Die Gefahr besteht somit darin, daß die Helden als grausame Mörder, ihre Gegner dagegen als wehrlose Opfer erscheinen, die das Mitleid des Betrachters erregen. Es ist die gleiche Vertauschung der Rollen, der gleiche „falsche Sinn", den Meyer bereits in seinem Gegenstandsaufsatz kritisiert hatte, wo er mit Blick auf die Gruppe des Farnesischen Stiers zu bedenken gab, daß die „Fabel von der Bestrafung der Dirze" ein widerstrebender Gegenstand sei, weil die Rechtmäßigkeit der von Zethos und Amphion verübten Rache nicht „anschaulich und deutlich" zu machen sei. Die Konsequenz, die Meyer hieraus zog, trifft, mutatis mutandis, auch auf die Darstellung der „wirklichen" Ermordung des Rhesus zu: „und wenn man dieses nicht sehen konnte," — gemeint ist die „Rechtmäßigkeit" der Handlung, die im Falle von Odysseus und Diomedes ohnehin mehr als fraglich ist — „so ist die Szene brutal und grausam, erschreckt und empört, alsdann sind Zethus und Amphion nicht mehr Helden, sondern Mörder, und ihre Gestalt, der hohe schöne Charakter, welchen die Kunst ihnen gegeben, steht mit der Handlung in Widerspruch." 609 Aus der Beobachtung, daß auch Odysseus und Diomedes eher als Mörder und Räuber denn als Helden zu erscheinen drohen, folgt für Schiller jedoch nicht, daß es sich auch beim Tod des Rhesus um einen für die künstlerische Behandlung prinzipiell ungeeigneten Gegenstand handelt. Für ihn liegt die Lösung dieses Dilemmas in der Wahl des Moments. Es ist nicht der Gegenstand per se, der ungeeignet ist, sondern es kommt darauf an (und hierin mag man eine - aus der Not geborene — Modifikation der Gegenstandslehre Goethes und Meyers sehen), ihn anders, das heißt vorteilhafter zu fassen. Diese Möglichkeit bietet Schiller zufolge der zeitlich nach dem „Augenblick des wirklichen Ermordens" liegende Moment: Wählte hingegen der Künstler den Augenblick nach der Tat, wo beide Helden auf ihre Entfernung denken, so kam ein ganz anderer Geist in das Gemälde. Das Gefühlempörende wurde mit Schatten bedeckt, die Ermordeten waren nur als Masse noch übrig, ohne daß ein einzelner aus denselben einen Anspruch an unsere Teilnahme machte; wir schauen nicht unmittelbar an, sondern erfahren nur durch einen Schluß, daß sie im Schlaf ermordet worden, und was die I Iauptsache ist, Ulyß und Diomed sind dann die eigentlichen I leiden des Bildes: es ist ihre Kühnheit, die uns interessiert, ihr glückliches Entkommen, was uns beschäftiget.610

609 MA 6.2, S. 59 (Ober die Gegenstände der bildenden 610 NA 20, S. 298f.

Kunst).

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Der Augenblick unmittelbar nach der Tat hat gegenüber dem früheren Moment den Vorteil, daß er beim Betrachter den Eindruck der Empörung über den nächtlichen Mord wie auch das Gefühl des Mideids über das grausame Schicksal der Opfer gar nicht erst aufkommen läßt. Im Zentrum des Interesses steht nicht mehr der getötete Rhesus, vielmehr wird der Blick auf Odysseus und Diomedes gelenkt, deren Tat angesichts der dunkel-bedrohlichen „Masse" der von ihnen bereits getöteten Gegner kühn statt hinterhältig, bewundernswert statt empörend erscheint. Anders als zuvor gilt die Aufmerksamkeit des Betrachters zudem eher dem „glücklichefn] Entkommen" der beiden Griechen als der „wirkliche[n]" Ermordung des Rhesus und seiner Soldaten. Während Odysseus und Diomedes „eilen [müssen], um nicht überfallen"611, das heißt selbst getötet zu werden, ist es für die Thraker zu spät: Sie sind bereits tot. Wenn überhaupt, dann dürften die im feindlichen Lager auf sich allein gestellten Griechen das Mitleiden oder die „Teilnahme" des Betrachters erregen, nicht (mehr) jedoch ihre thrakischen Opfer. Ist der unangemessen „pathetische", weil Mitleid und Empörung über das Schicksal der Opfer erregende Charakter des Bildes durch die Wahl des späteren Moments gebannt, so reicht dies Schiller zufolge noch nicht aus, um Odysseus und Diomedes als Helden und ihre „gemeine" Tat als legitim und heldenhaft erscheinen zu lassen. Dazu bedarf es eines weiteren, von Schiller bis dahin noch nicht eingeführten Motivs: Aber auch so wird dem Bilde noch immer ein wesentlicher Teil der sinnlichen Bedeutsamkeit und der Würde abgehen. Ulyß und Diomed werden immer nur als zwei nächtliche Mörder und Räuber erscheinen; die Handlung wird also, auch wenn sie ihr Empörendes verliert, wenigstens gemein und gleichgültig für uns sein. Etwas muß geschehen, um die I leiden, um ihre Tat empor zu heben; dies geschieht durch die G egenwart und den Anteil einer Göttin. Der Künstler durfte diese nicht weit suchen; auch im Homer erscheint die Pallas und treibt beide I leiden zu eilen/'12

Es ist ein alter Theatertrick, der Kunstgriff des deus, genauer: der dea ex machina, dessen der Dramatiker Schiller sich an dieser Stelle seiner Argumentation bedient und den er zugleich als Lösung für das bildkünstlerische Problem vorschlägt. Dadurch, daß Pallas Athene als den Griechen gewogene Zeugin die Szene betritt, wird die Tat der beiden Helden nachträglich „emporfgehoben]", soll heißen: zu einer erhabenen und damit wirklich heroischen Tat gemacht. Ihre bloße Präsenz genügt, um das Geschehen nachträglich mit der Aura des Göttlichen zu versehen. Doch erschöpft sich ihre Funktion nicht allein im Legitimatorischen: Indem sie gestisch über die dargestellte Handlung hinausweist und als künstliche Lichtquelle dient, erfüllt die Figur der Göttin zugleich auch formale Zwecke:

611 Ebd., S. 298. 612 Ebd., S. 299.

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Durch Einführung der Göttin wird, für den Gedanken, noch dieses gewonnen, daß die nächtliche Tat einen Zeugen hat, daß durch ihre Geste die Notwendigkeit der Flucht sinnlich klar wird, und für die Ausführung des Bildes entsteht der große Gewinn, daß die nächtliche Szene mit einem göttlichen Licht kann erleuchtet werden. 6 1 3

Die Gestalt der Pallas Athene leistet für Schiller somit zweierlei: Als kompositorisches Element trägt sie zur „sinnlichen Bedeutsamkeit" des Bildes bei, als göttliche Instanz verleiht sie durch ihre Präsenz dem Bild genau die „Würde", die durch die „gemeine" Tat des Diomedes ernsthaft in Frage gestellt wird. Zu Recht ist darauf hingewiesen worden, daß Schiller das Prekäre des RhesusSujets zum eigentlichen Gegenstand seiner Überlegungen macht. 614 Das Leid und das Pathos der Opfer, die Grausamkeit und die Rücksichtslosigkeit der Täter werden nicht geleugnet, sondern in ihrer ganzen Problematik zunächst einmal explizit gemacht, um sie dann, in einem zweiten Schritt, in ein Bildkonzept einfließen zu lassen, dessen besondere Qualität in seiner Vielschichtigkeit und Dynamik, in dem Neben- und Ineinander von Pathetischem und Heroischem liegt. Mit seiner grundsätzlichen Betrachtung zu den „geistigen" beziehungsweise „gedanklichen" Voraussetzungen, die die Möglichkeiten und Grenzen einer jeden künstlerischen Behandlung des Rhesus-Sujets bestimmen, geht Schiller in der Tat weit über Meyers Rpension der eingegangenen Stücke hinaus. Um so deutlicher erscheint dagegen seine Abhängigkeit von dem künstlerischen Urteil Meyers: So macht auch Schiller, wie Meyer, ,,[d]rei Punkte" auf Hoffmanns Bild aus, die das Auge des Betrachters besonders anziehen: (1) die „hellglänzende und rasch bewegte Gruppe" des Odysseus mit den vier Pferden des Rhesus, die sich „schön" gegen die „ruhige dunkle Masse leblos liegender Körper im Vordergrund und die stilliegende Ferne des Hintergrunds" absetzt; (2) die „geistreich" in die Mitte gesetzte ruhige Figur des Diomedes, dem zu Füßen, „in schön verkürzter Lage hingestreckt", der Leichnam des Rhesus liegt, und die gemeinsam die ,,rasch[e]" Bewegung der Gruppe im Vorder-

6 1 3 Kbd. W e n n Pfotenhauer, Würdige Anmut, S. 167f. behauptet, daß Pallas Athene die „Bildvorlage [...] nur um einzelne gedankliche Elemente, um deiktische Verdeutlichung und konkret-sinnliche Qualitäten" bereichere, so blendet diese rein formale Interpretation der Göttin ihre inhaltlich-legitimatorischc Funktion zu Unrecht aus. Zwar ist es tatsächlich nicht der (im übrigen gar nicht ausgesprochene) „mythische Befehl der Göttin, grausam zu sein und zu morden", der „den Bildgedanken entlastet und die Plausibilität der Heldendarstellung gewährleistet", doch läßt Schillers Text keinen Zweifel daran, daß genau dies „durch die Gegenwart und den Anteil einer Göttin" geschieht: Fs ist die bloße Präsenz der Göttin, die die grausame Tat gedanklich „empor" hebt. Die durch ihre Figur bewirkten formalen Konkretionen kommen als zusätzlicher Gewinn „noch" hinzu. Insofern nun aber die unter rein menschlichen Gesichtspunkten nur schwer zu rechtfertigende Tat ihre Legitimation durch eine übermenschliche Instanz erfahrt, argumentiert auch Schiller letzten Endes weiterhin im I lorizont des Mythos. 6 1 4 Pfotenhauer, Würdige Anmut, S. 163 und BdK 3, S. 819.

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grund ausbalancieren; sowie (3) die im Hintergrund des Bildes erscheinende Figur der Minerva, deren „Wolkenumgebung" die „ganze Mordszene mit einem geheimnisvollen Vorhange ein[faßt]", zugleich aber den Blick nach rechts zum griechischen Lager erweitert. Zum Gesamteindruck heißt es: „Alle Partien des Bildes schmelzen in einer angenehmen Harmonie von Licht und Schatten und Reflexen ineinander."610 — Dasselbe, allerdings viel genauer und ausfuhrlicher am Objekt dargestellt, kann man in Meyers Rezension lesen, und es dürfte kein Zweifel daran bestehen, daß Schiller für diesen Teil seines Schreibens von den Gesprächen mit Goethe und Meyer profitiert hat, die im Vorfeld der Preisverleihung stattfanden. Gleiches dürfte umgekehrt aber auch für Meyer gelten, dem Schiller, via Goethe, seinen Rat bei der Abfassung der Rezension anbot/'16 Statt den einen Text gegen den anderen auszuspielen, spricht also vieles dafür, die in den Propyläen unter der Überschrift „Die Preisaufgabe betreffend" erschienenen Aufsätze in ihrer Gesamtheit als eine Gemeinschaftsarbeit Meyers, Schillers und Goethes zu betrachten, die letzterer in seiner Funktion als Herausgeber redigiert und nach Rücksprache mit seinen Kollegen aufeinander abgestimmt hat.617 Meyers Rezension der eingegangenen Stücke ist ohne Schillers theoretisch reflektierendes Schreiben An den Herausgeber der Propyläen ebenso unvollständig wie umgekehrt. Erst zusammen und ergänzt um die von Goethe beigesteuerten Texte ergeben Rezension und Reflexion ein Ganzes. Wenn der von Goethe imaginierte „Dreiklang" der Stimmen letztlich doch unausgewogen erscheint, so liegt dies nicht an Meyer, sondern an Goethe selbst, der Schillers Anregung, noch „etwas allgemeines und wenn Sie wollen ssjentifisches, über das eigentlich künstlerische zu sagen", in seinen Beiträgen nicht wirklich nachgekommen ist.618 Doch wie dem auch sei: Festzuhalten ist, daß man den weit mehr als ein Drittel des Propyläenheftes umfassenden Aufsätzen zur Preisaufgabe des Jahres 1800 wohl am ehesten gerecht wird, wenn man sie als ein Gemeinschaftswerk betrachtet und sie damit als das wahrnimmt, als was sie in der Öffentlichkeit auch erscheinen sollten: als konzertierte Äußerung der Weimarischen Kunstfreunde.

615 Ν Λ 20, S. 301 f. 616 Zu Schillers Angebot, „Meiern bei seinem Aufsatz [...] meinen Rat gern [zu] erteilen", siehe Schiller an Goethe, 13. September 1800 (MA 8.1, Nr. 767, S. 813). Auf Anregung Goethes kamen Meyer und Schiller mit ihm am 21. September in Jena zusammen, um über die Preiserteilung zu verhandeln (siehe Goethe an Schiller, 16. September 1800, MA 8.1, Nr. 768, S. 814 und G T 11,1, S. 384). Das Schreibend« den Herausgeber der Propyläen übersandte Schiller am 29. September, Meyer seine Rezension am 1. Oktober. 617 Zur Abstimmung der einzelnen Beiträge untereinander siehe den Brief Meyers an Goethe vom 1. Oktober 1800 (GMB 2, Nr. 218, S. 131) sowie Schillers Brief vom 29. September 1800 (MA 8.1, Nr. 774, S. 821). 618 Schiller an Goethe, 1. Oktober 1800 (MA 8.1, Nr. 776, S. 824).

Weimarer Preisaufgaben

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4. Künstler auf Abwegen: Die „neue Energie unter David" Mehr als zuvor stellt sich vor diesem Hintergrund aber die Frage, welche Absichten) die Weimarer mit der Ausschreibung heroisch-pathetischer Sujets wie dem Tod des Rhesus verfolgten. Wie gesehen, hatte man auf das enttäuschende Ergebnis der ersten Preisaufgabe von 1799 dergestalt reagiert, daß man den Künstlern zwei Gegenstände, einen „gefälligen" und einen „pathetischen" zur Auswahl stellte. Bei der Erweiterung des Gegenstandsbereichs über das bloß „Gefällige" hinaus handelte es sich also um den Versuch, auf die unterschiedlichen Neigungen der Künsder, und hier vor allem auf die Vorliebe einiger für heroisch-pathetische Gegenstände, einzugehen. Diese Vorliebe dürfte vor allem auf den Einfluß zurückzufuhren sein, den die Malerei des französischen Neoklassizismus ausübte. Gemälde wie Davids Schwur der Horatier (1784) oder seine Sabinerinnen (1799), daneben aber auch Werke wie Drouais' Marius in Minturnae (1786) oder Guerins Rückkehr des Marcus Sextus (1799) machten in ganz Europa Furore und beeindruckten insbesondere die jüngeren deutschen Künstler, die nicht selten nach Paris gingen, um dort als Schüler in das Atelier Davids einzutreten.619 Auch wenn er die Alalerei des französischen Neoklassizismus mit mehr oder weniger kritischen Augen betrachtete, weil sie ihm zu theatralisch, zu pathetisch und im Ganzen zu „römisch" erschien, war Goethe sich durchaus bewußt, welche Anziehungskraft von der „neuen Energie unter David" ausging.620 Wollte er die jungen deutschen Künsder für sein Projekt eines an der Kunst der griechischen Antike orientierten Klassizismus gewinnen, so durfte er ihre Interessen und Neigungen nicht ignorieren, sondern mußte versuchen ihnen, mit den Worten Meyers, „entgegen zu kommen".621 6 1 9 Siehe dazu Bccker, Paris und die deutsche Malerei, S. 12-17. Xu den deutschen Schülern Davids zählten u. a. Friedrich l'ieck, Gottlieb Schick und Konrad I Icinrich Schweickle. Zur Anziehungskraft der Kunst Davids auf deutsche Künstler siehe auch unten, S. 278. — Fine Zeichnung nach Guerins Bild nebst einer Beurteilung, beide von der Hand Tiecks, legte Wilhelm von 1 Iumboldt einem Brief an Goethe v o m 18. August 1 8 0 0 bei (GJb 31 (1910), S. 54-58). Die Zeichnung befindet sich noch heute im Besitz des Weimarer Goethe-Nationalmuseums. 6 2 0 So die Formulierung in Goethes während der Vorarbeiten zu den Propyläen entstandenen Aufzeichnung „Über römisches Künstlerlcbcn" (MA 6.2, S. 973). Goethes Interesse an der französischen Kunstszene belegen u. a. einige in Manuskriptform überlieferte „Notizen, französische Malerei betreffend", die er wahrscheinlich im Jahre 1 8 0 0 niedergeschrieben hat (abgedruckt bei Femmcl, Goethes Grafiksammlung. Die Franzosen, S. 263-265). Fincn ausführlichen Bericht über die zeitgenössischen französischen Künstler erhielt Goethe mit einem Brief des Malers Heinrich Kolbe v o m 10. Januar 1 8 0 2 (abgedruckt bei Scheidig, Goethes Preisaufgaben, S. 271-277). 621 A u f den von David begründeten französischen Neoklassizismus als Hintergrund für die Konzeption und den Anspruch der Weimarer Preisaufgaben hat auch Grimm, Die

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Es versteht sich von selbst, daß die Weimarischen Kunstfreunde mit ihren Ausschreibungen ein didaktisches Anliegen verbanden. Schließlich sollte es nicht darum gehen, das Muster Davids blind nachzuahmen, sondern die Künstler sollten dazu angeregt werden, den großen Vorbildern der Antike und der Hochrenaissance zu folgen. Die Funktion des pathetischen französischen Klassizismus war damit die eines Gegengewichts zum allzu sentimentalen Klassizismus deutscher Provenienz. Das französische Beispiel sollte dazu dienen, den eigenen, weniger avancierten Klassizismus zu vervollkommnen und damit über das für sich genommen ebenfalls defiziente Muster der Franzosen hinauszugehen.622 Die Weimarer Preisaufgaben sollten damit zweierlei leisten: Mit den vorgegebenen Sujets sollten den Künsdern Exempel „gefälliger" und „pathetischer" Gegenstände vorgeführt werden, die die Gefahr vermieden, in das eine oder andere Extrem, ins „Schwache" oder „Gewaltsame", zu fallen. Mit der jährlichen Rezension der eingegangenen Stücke sollte auf der anderen Seite die künstlerische Behandlung der Gegenstände kritisch beurteilt und, wenn nötig, mit korrigierenden Hinweisen versehen werden. In diesem Sinne notierte Goethe mit Blick auf Hoffmanns Tod des Rhesus: „Dies wäre eigentlich der schönste Zweck unseres Instituts, auf die richtige Behandlungsweise eines Sujets aufmerksam zu machen."623 Der gleichen Intention, das heißt dem Vergleich und der Korrektur, sollten wohl auch die Homer-Illustrationen der beiden Franzosen Charles Moreau und Charles Vernet dienen, die Goethe gemeinsam mit den Preiszeichnungen auf der Kunstausstellung von 1800 präsentierte.624

Weimarer Preisaufgaben, S. 21 Iff. nachdrücklich hingewiesen. Allerdings geht er davon aus, daß die Weimarer allein solche G egenstände ausgeschrieben hätten, die ihren „in der Auseinandersetzung mit dem französischen Neoklassizismus Davids entwickelten Idealen des Unpathetischen, Natürlichen und Naiven" entsprachen. 6 2 2 Diese Intention hat eine interessante Parallele in Wilhelm von Humboldts zur gleichen Zeit im Hinblick auf Poesie und Theater entwickelter Überzeugung, daß, wie Günter Oesterle herausgearbeitet hat, „die Kenntnis der französischen Variante des Klassizismus für die Kunstproduktion in Deutschland sinnvoll, ja notwendig ist." Siehe dazu Oesterle, Kulturelle Identität und Klassizismus, S. 316£, 3 2 0 und 346. Die Vermutung

liegt nahe, daß Humboldts Aufsatz Ueber die gegenwärtige französische tragische Bühne (Propyläen, S. 778-821), den dieser im August 1799 an Goethe geschickt hatte, somit nicht nur dessen Übersetzung von Voltaires Mahomet und seine "Natürliche Tochter (so Oesterle, S. 344-348), sondern auch das Projekt der Weimarer Preisaufgaben beeinflußt hat. 623 ΜΛ 6.2, S. 1093f. (Hervorhebung von mir, M. D.). 6 2 4 Siehe Scheidig, Goethes Preisaufgaben, S. 9 0 und Goethes Brief an den Berliner Verleger La Garde vom 31. Juli 1 8 0 0 (WA IV, 15, Nr. 4276, S. 94): „Ich wünschte gar sehr, diese französische A r t neben dem zu sehen, was uns unsere Landsleute als Preiszeichnungen übersenden werden."

Weimarer Preisaufgaben

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Der Kampf Achills mit den Flüssen Daß das Gesagte nicht nut für die Preisaufgabe des Jahres 1800 gilt, mag ein kurzer Blick auf die Aufgabe des folgenden Jahres verdeutlichen. Für das Jahr 1801 wurden mit Achill auf Skyros und dem Kampf Achills mit den Flüssen wiederum zwei Sujets ausgeschrieben, von denen das erste, wie Goethe bemerkte, „dem Abschied des Hektor sehr ähnlich" sei, nur daß „hier alles leidenschaftlicher, bewegter und ganz realistisch" erscheine.623 Hinsichtlich des zweiten Sujets, das die mit dem ,Tod des Rhesus' begonnene Linie heroisch-pathetischer Gegenstände fortführte, gab Goethe den Künsdern den Wink, daß man eher „den Helden, der ungeheuem Naturkräften widersteht, als den, der ihnen zu unterliegen fürchtet, gebildet" sehen wolle.626 Das Heroische sollte dem Pathetischen das Gleichgewicht halten und dadurch verhindern, daß der Gegenstand in einer Weise aufgefaßt und dargestellt würde, deren Wirkung auf den Betrachter mideiderregend oder gar niederschmetternd wäre. Präziser im Sinne der Aufgabenstellung erschien ihm deshalb die Formulierung „Achill in Gefahr, von den erzürnten Flüssen überwältigt zu werden".627 Das Spannungsvolle, Dynamische, Bewegte des Sujets stand denn auch im Zentrum der meisten Einsendungen zu diesem Thema. Philipp Otto Runge zum Beispiel teilte seinem Bruder Daniel mit, daß er einen ersten Entwurf hatte verwerfen müssen, weil er ihm zu ruhig geraten war: „Die erste Idee war schwankend und, als ich sie zur Ausführung bringen wollte, nicht gewaltsam genug."628 Wie die schließlich eingesandte Zeichnung (Abb. 45) belegt, konnte er dieses λ ί β ^ ο beheben. Auch für Ferdinand Hartmann war das Gewaltsame des Sujets der Ausgangspunkt seiner Bilderfindung. So schreibt er in dem an Goethe gerichteten Brief, den er seinem Ölbild beilegte: Meine Idee war vorzüglich die, den Mut und die Kühnheit des Helden der Gewalt des Elementes entgegen zu stellen. Ich bildete daher den Achilles, von dem Xanthus und Simois umgeben, von denen sich der eine aus dem Strudel erhebt und ihn um die Lenden fasst, um ihn unterzutauchen, und der andere ungeheure mit Leichen erfüllte Wogen gegen ihn wälzt. Indem Achill mit dem einen kämpft, sucht er sich vor der Gewalt der auf ihn losstürmenden Wogen mit seinem Schild zu schützen. 629

625 626 627 628

MA 6.2, S. 432. Ebd. Ebd. Zitiert nach Träger, Philipp Otto Runge, S. 311. Der Brief datiert vom 7. August 1801. Zu den Zeichnungen siehe [Kat.] Runge in seiner Zeit, S. 97, Nr. 46-49 sowie [Kat.] Goethe und die Kunst, S. 334-336, Nr. 208-210. 629 Hartmann an Goethe, 19. September 1801 (zitiert nach Scheidig, Goethes Preisaufgaben, S. 167).

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Wenn, wie sich herausstellen sollte, keiner der acht Künstler, die sich für Achill im Kampf mit den Flüssen entschieden hatten, den Ansprüchen Goethes und Meyers genügen konnte, und der Preis statt dessen zwei Malern zugesprochen wurde, die Achill auf Skyros dargestellt hatten, so lag der Grund dafür keinesfalls im Pathos der Darstellung, sondern in der zumeist verfehlten Auffassung des Gegenstandes: „Die meisten Künstler, welche sich auf Darstellung dieses Gegenstands eingelassen, irrten darin", so Meyer, „dass die Flussgötter von Achillen angefallen, ja gar besiegt werden, anstatt daß er von ihnen bedrängt erscheinen sollte."630 Zu diesen Künsdern zählte er auch Runge, bei dem er ein „ernstes Studium des Altertums und der Natur im Sinne der Alten" vermißte, andererseits aber nicht umhin konnte, seiner Zeichnung „Lebhaftigkeit des Ausdrucks und der Bewegung" zu attestieren.631 Daß es tatsächlich nicht die .Nachahmung des Gewaltsamen' war, die die Kritik der Weimarischen Kunstfreunde auf sich zog, zeigt Meyers Beurteilung der Federzeichnung, die der Bildhauer Friedrich Tieck, seit 1798 Schüler und Mitarbeiter Davids in Paris, eingereicht hatte (Abb. 46).632 Zwar bemängelte er auch bei ihm Anordnung und Zeichnung, hinsichtlich des Ausdrucks aber heißt es voller Anerkennung: „Wir bemerkten inzwischen nicht ohne Vergnügen, das Gewaltige, Heroische der Formen, und einen durch die Antiken genährten Geist. Man erkennt, besonders in der Figur des Achilles, deutlich, daß unser Künsder die Kolossen auf dem Quirinal gesehen und studiert hat."633

630 MA 6.2, S. 467. 631 Ebd. Für Runge markierte dieser Mißerfolg bekanntlich die Abkehr von der klassizistischen Historienmalerei. 632 Mit einer heute verschollenen Reliefdarstellung des Priamos vor Achill hatte Tieck im Herbst 1800 in der Bildhauerklasse der Pariser Ecole des Beaux-Arts einen zweiten Preis gewonnen (der erste Preis wurde nicht vergeben). Siehe dazu Maaz, Christian Friedrich Tieck. Leben und Werk, S. 26 und Kat. Nr. 26 (mit der Abb. eines Nachstichs); zu Tiecks Achill im Kampf mit den Flüssen vgl. [Kat.] Der Sammler und die Seinigen, Nr. 67, S. 214-216. - Von der in Tiecks Skizzen erkennbaren Neigung zum „Gewaltigen und Kühnen" spricht übrigens auch August Wilhelm Schlegel in einer Besprechung seiner Arbeiten aus dem Jahre 1802: „Wie in seinen Porträten das Sanfte und Gefallige vorwaltet und keine Größe willkürlich erzwungen wird, die alsdann unfehlbar in das Harte und Herbe ausartet: so offenbart sich in den Skizzen hingegen die Neigung des Künstlers zum Gewaltigen und Kühnen: die Zeichnung ist von derben Formen, der Ausdruck überall entschieden und eigenthümlich und die Gruppierung selbst möchte ich fest und kernicht nennen." (Schlegel, Arbeiten des Bildhauers Friedrich Tieck, Sp. 148). 633 MA 6.2, S. 470. Zu den Rossebändigern als Mustern heroischer Heldentypen siehe oben, S. 251.

Weimarer Preisaufgaben

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Deutsch-französische Konkurren^modelle Die hier am Beispiel der Preisaufgaben von 1800 und 1801 angestellten Überlegungen zur Legitimität der .Nachahmung des Gewaltsamen' im Kontext der Weimarer Preisaufgaben ließen sich unschwer durch eine Analyse der Aufgaben der folgenden Jahre (Die Befreiung der Andromeda durch Perseus [1802], Odysseus und Poiyphem [1803], Die Menschen, vom Element des Wassers bedroht [1804] und Die Taten des Herkules [1805]) ergänzen. Sie alle können belegen, daß die Darstellung des Heroischen und Pathetischen, des Leidenschaftlichen und Bewegten nicht nur theoretisch, sondern auch praktisch ein integraler Bestandteil des von Weimar aus geförderten Klassizismus war. Hatte das Problem der tragischen Gegenstände die Weimarischen Kunstfreunde bereits im Vorfeld der Propyläen beschäftigt, und waren in der Zeitschrift selbst mit dem Laokoon, der Niobidengruppe und den Werken Raffaels kanonische Muster für die Darstellung heroischer und pathetischer Gegenstände vorgestellt worden, so mußte Goethe und Meyer spätestens bei der Vorbereitung der Preisaufgaben deutlich werden, daß ihren Bestrebungen in der Figur Jacques-Louis Davids ein Konkurrent erwachsen war, von dessen Vorliebe für dramatische Inszenierungen die Künstler der jungen Generation begeistert waren.634 Ging es bei der Ausschreibung heroisch-pathetischer Sujets somit zunächst einmal darum, den Anhängern Davids „entgegen zu kommen" und sie auf diesem Weg zur Teilnahme an den Weimarer Preisaufgaben anzuregen, so war es die weitergehende Absicht, sie auf den „klassischen Boden" zurückzuführen. Das hieß jedoch nicht, die von David bevorzugten „historisch-pathetischen Gegenstände" durch „stille, innige, welche das Gemüth sanft bewegen, erheitern, erfreuen", zu ersetzen.633 Um die Künstler überhaupt zu interessieren, mußte man ihnen eine gleichwertige Alternative zu den Mustern des französischen Neoklassizismus im allgemeinen sowie den Aufgabenstellungen des alljährlichen Concour de Prix de Rome im besonderen anbieten.636 Wie gesehen, glaubten die Weimarischen Kunstfreunde, diese Alternative in den Epen Homers gefunden zu haben, die schon Piaton mit 634 Es ist sicherlich kein Zufall, wenn die Vorliebe der Franzosen für das Leidenschaftliche und Theatralische im Zentrum eines von Wilhelm von Humboldt verfaßten Aufsatzes Ueber die gegenwärtige französische tragische Bühne steht, den Goethe ins fünfte Heft der Propyläen (S. 778-821) einrückte, das heißt in dasselbe Heft, in dem erstmals neben einem „gefälligen" (Hektor und Andromache) auch ein „pathetischer" Gegenstand (Rhesus) ausgeschrieben wurde. 635 So die Opposition, die Meyer in seiner Einleitung zu Caroline Humboldts Beschreibung Versöhnung der Römer und Sabiner. Gemähide von David (Propyläen, S. 829-834; Meyers Zitat S. 829f.) hinsichtlich der von David gewählten Gegenstände formuliert. 636 Man vergleiche etwa die in Paris im gleichen Zeitraum 1799 bis 1805 gestellten Aufgaben (Grunchec, Les Concours des Prix de Rome, Bd. 2, S. 17-34). An dem Concours des Jahres 1801 (Adieux d'Hector et d'Andromaque/Achille recevant les ambassadeurs

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Kunsttheorie: Die Weimarischen Kunstfreunde

der Tragödie verglichen hatte.637 Am Beispiel der „Kunst der Alten", die selbst aus Homer geschöpft hatten, sollten die modernen Künstler dazu angeleitet werden, nicht nur sentimentale und gefällige, sondern auch heroische und pathetische Gegenstände in einer angemesseneren, das heißt zwar leidenschaftlich-bewegten, aber weniger „heftigen" Weise als die Franzosen darzustellen, sich also an den Mustern der griechischen statt der römischen Kunst, eher an Homer statt an Livius, eher an Raffael statt an David zu orientieren. 5. Der Wille zum Pathos: Außerordentlich eingesandte Stücke Für die Annahme, daß es der Klassizismus der „neueren französischen Malerschule" war, der spätestens seit 1800 die Aufgabenstellung der Weimarischen Kunstfreunde in einem durchaus positiven, also nicht allein antithetischen Sinne beeinflußt hat, spricht neben den von Goethe und Meyer zur Bearbeitung vorgeschlagenen heroisch-pathetischen Gegenständen auch eine ganze Reihe der Jahr für Jahr unaufgefordert eingesandten Arbeiten. Interessant sind diese gemeinsam mit den Preiszeichnungen, jedoch außer Konkurrenz ausgestellten Werke, insofern sie von den Einsendern selbstgewählte Themen behandeln und damit einen Einblick in die künsderischen Vorlieben und Interessen ihrer .Urheber' ermöglichen. Neben Zeichnungen und Gemälden, die „gefällige" und „anmutige" Gegenstände darstellen, finden sich unter den „ausserordentlich eingeschickten Stücken" mehrere Arbeiten, die sich in Gegenstandswahl und -behandlung am Vorbild der Malerei Davids beziehungsweise ähnlich pathetischer' Bilder anderer Meister orientierten. Exemplarisch seien hier die folgenden Werke genannt: Der Tod der Lucntia (1801)638, Neoptolemus tötet Priamus (1801)639, Achill schreckt den Hector von der laiche des Patroklus zurück (1802),640 Virginias, dem man seine Tochter entreissen will (1802),

d'Agamemnon) hatten sowohl Tieck als auch Schick teilgenommen, siehe ebd., Bd. 2, S. 24 und Becker, Paris und die deutsche Malerei, S. 51 f. 637 Politeia, 595b. Im 24. Kapitel seiner Poetik vergleicht auch Aristoteles die Homerischen Epen mit der Tragödie, unterscheidet dabei jedoch die „pathetische" Utas von der „ethischen" Odyssee. 638 Zeichnung von Robert Langer (1783 — 1846). Ausgestellt 1801; siehe Weimarische Kunst-

ausstellung vom Jahne 1801 und Preisaufgaben vom Jahre 1802 (ALZ, Extrabeilage zum 1. Januar 1802; die Beurteilung auch abgedruckt in MA 6.2, S. 481-484). 639 Zeichnung von Friedrich Tieck (1776 — 1851). Ausgestellt 1801; das heute verschollene Blatt wurde nachgereicht und erscheint nicht im Ausstellungsverzeichnis, wird aber in einem Brief von A. W. Schlegel erwähnt, der es in Weimar ausgestellt sah. Siehe Maaz, Friedrich Tieck. Briefwechsel mit Goethe, S. 62f. Zum Sujet siehe auch unten, S. 362ff.

Weimarer Preisaufgaben Cicero, der Nachricht

von der Verschwörung

Coriolan nimmt Abschied

von seiner Familie

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des Catilina erhält (1802) 641 , (1803) 642 ,

Cato von Utica, im Begriff sich selbst ψ entleiben (1803) W 3 , Der Bethlehemitische

Kindermord

Der Raub der Proserpina

(1803, Kopie nach Guido Rem) 644 ,

(1804) Λ45 ,

Die Sintflut (1804, Kopie nach Nicolas Poussin) 646 , Der Tod des Sokrates

(1805)/'47

Meyers Beurteilungen dieser außer Konkurrenz ausgestellten Werke schwankt zwischen der Anerkennung für die Auseinandersetzung mit der selbstgestellten Aufgabe und der Kritik an dem Bestreben einiger Künsder, die „auffallende Wirkung, wodurch sich die Producte der neuern französischen Schule auszeichnen", nachzuahmen. 648 So moniert er beispielsweise an Henschels Tod des Sokrates

die unan-

640 Ölbild von Ludwig Gottlieb Karl Nauwerk (1772-1838), ausgestellt 1802; siehe: Weimarische Kunstausstellung vom Jahre 1802 und Preisaufgaben für das Jahr 1803 (Al// 1803, Extrabeilage zum 1. Januar, S. VI). 641 Zwei Zeichnungen von Robert Langer, ausgestellt 1802; siehe ebd., S. VII. 642 „Oelgemälde, grau in grau" von Robert langer, ausgestellt 1803; siehe Weimarische Kunstausstellung vom Jahre 1803 und Preisaufgabe für das Jahr 1804 (J AI -Ζ 1804, Extrabeilage zum 1. Januar, S. VI, Nr. 7). 643 Zeichnung von Robert Langer, ausgestellt 1803; siehe ebd., Nr. 10. Ein Entwurf zu dieser Zeichnung von Langer war bereits im Jahr zuvor ausgestellt worden (siehe: ALZ 1803, Extrabeilage zum I.Januar, S. VII). Hierbei dürfte es sich um das heute im Besitz des Goethe-Nationalmuseums Weimar befindliche Blatt handeln, das Schuchardt (I, S. 274, Nr. 0424) als Darstellung eines „Römers auf dem Ruhebett sitzend" identifiziert hat. Siehe Schuchardt, Goethe's Kunstsammlungen, Bd. 1, S. 274, Nr. 424. - Das Sujet „Mort de Caton d'Utiquc" war übrigens die Aufgabe des Pariser „Concour de Prix de Rome" des Jahres 1797 gewesen. Siehe Grunchec, 1 X'S Concours des Prix de Rome, Bd. 1, S. 64-67. 644 Ölbild von Ferdinand Jagemann (1780-1820), ausgestellt 1803; siehe ebd., S. VII, Nr. 12. 645 Ölbild von Karl Christian Kehrer (1755-1833), ausgestellt 1804; siehe Weimarische Kunstausstellung vom Jahre 1804 und Preisangabe für das Jahr 1805 (|ALZ 1805, Extrabeilage zum 1. Quartal, S. VI). 646 Kolorierte Zeichnung von einem ansonsten unbekannten Dilettanten namens Kiebele, ausgestellt 1804; siehe ebd., S. VII. 647 Zeichnung von E.W. Henschel, ausgestellt 1805; siehe Siebente Weimarische Kunstausstellung vom Jahre 1805 QAI.Z 1806, Extrabeilage zum 1. Quartal, S. VI, Nr. 1). Eine von Schuchardt (I, S. 274, Nr. 425) Langer zugeschriebene Zeichnung des Sokrates-Themas befindet sich noch heute im Besitz des Goethe-Nationalmuseums. - Zu diesem vor allem in Frankreich beliebten Sujet siehe Oberreuther-Kronabel, Der Philosoph und sein Tod. 648 Weimarische Kunstausstellung vom Jahre 1803 und Preisaufgabe für das Jahr 1804 () ALZ 1804, Extrabeilage zum 1. Januar, S. VI ad Langers Coriolan). Zu Goethes und Meyers Verhältnis zur französischen Kunst siehe Löhneysen, Goethe und die französische Kunst; Osterkamp, Goethe et l'art francais; Grimm, Weimarer Preisaufgaben, S. 212ff.

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Kunsttheorie: Die Weimarischen Kunstfreunde

gemessene, lediglich auf den Effekt zielende Dramatik der dargestellten Szene, die er insbesondere an den „übertriebenen gewaltsamen Gebärden" der um den sterbenden Philosophen versammelten Figuren festmacht: Dass der Künstler belebten «Ausdruck in die Gesichter gelegt, die Figuren überhaupt mit Kraft, mit Rundung und Deutlichkeit dargestellt habe, mag niemand leugnen. [...) Tadelhaft aber sind die übertriebenen gewaltsamen Gebärden der sämmtlichen Figuren, bey ganz gewöhnlichen Motiven, und zwar um so mehr, weil Unruhe und Getümmel gerade das Gegenteil von dem ist, was der Gegenstand fodert.6""

Ähnlich äußert sich Meyer über drei 1805 ausgestellte Handzeichnungen Tiecks, dessen Gestalten „mehr Derbes als Zartes, weniger Schönheit und Anmuth als Kräftiges und Würdiges haben", und der deshalb „selten das Naive glücklich erhaschten], nicht immer gewaltsam Angestrengtes in den Stellungen vermeiden" könne.650 Dagegen zeigte er sich von den Arbeiten, die Robert Langer einsandte, durchweg beeindruckt. Langer, Sohn des Düsseldorfer Akademiedirektors Peter Langer, hatte seine künstlerische Ausbildung zunächst bei seinem Vater erhalten, war 1799 jedoch nach Paris gereist und hatte dort bei David studiert/'31 Die Besprechung von Langers Tod der Lucretia (Verbleib unbekannt) nimmt insgesamt vier Spalten der Ausstellungsschrift von 1801 ein.652 Meyer rühmt das von Langer eingesandte Blatt als „ein schönes Produkt seiner Kunst", dessen „erstejr] allgemeine[r] Eindruck" kundigen Betrachtern „Poussins Geist und Arbeiten ins Gedächtnis" zurückrufe.633 Die Zeichnung habe „viel wissenschaftliches Verdienst", der Ausdruck sei „geistreich und kräftig", die Anlage der Gewänder „sorgfältig", „durchaus von gutem Geschmack" und „sehr treu der Natur nachgebildet", die Beleuchtung in jeder Hinsicht zufriedenstellend. Auch wenn Meyer manche „Fehler" bemerkt, die er auch „in den Werken der berühmtesten lebenden Künstler" wahrgenommen habe (so zum Beispiel den allzu großen Detailreichtum der Figuren und Gewänder oder den seiner Meinung nach übertrieben „gewaltsamen" Ausdruck der „im 649 Siebente Weimarische Kunstausstellung vom Jahre 1805 (JALZ 1806, Extrabeilage zum 1. Quarta], S. VI). Vgl. dazu Scheidig, Goethes Preisaufgaben, S. 463-465 mit dem Begleitschreiben Henschels.

650 Siebente Weimarische Kunstausstellung vom Jahre 1805 (JALZ 1806, Extrabeilage zum 1. Quartal, S. VI). Meyer bezieht sich hier auf zwei Zeichnungen Christian Friedrich 'I'iecks

(1776 — 1851), von denen die eine Elektro, am Grabe ihres Vaters, von Orest und Pylades beobachtet, die andere Paris, welchem Venus die Helena zuführt darstellt. Darüber hinaus wurde eine weitere Zeichnung von 'l'ieck mit dem Sujet Die heilige Maria Magdalena ausgestellt. 651 Thicme-Becker, Allgemeines Künstlerlexikon, Bd. 22 (1928), S. 338. Langers Vater war übrigens auch der Lehrer von I Ioffmann und Kolbe gewesen. Der positive Einfluß auf

seine Schüler wird von Goethe in seiner Flüchtigen Uebersicht über die Kunst in Deutschland (Propyläen, S. 1063-1067, hier 1064) lobend hervorgehoben.

652 MA 6.2, S. 481 {„Tod der Lucretia", von Herrn Langer, Sohn, aus Düsseldorf5. 653 Dies und die folgenden Zitate MA 6.2, S. 482f.

Weimarer Preisaufgaben

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heftigsten Schmerz" schreienden Mädchen), so läßt er keinen Zweifel daran, daß Langers Werk den Weimarischen Kunstfreunden „wahrhaftes Vergnügen gemacht" habe, und dies nicht zuletzt, weil es „zu den schönsten Hoffnungen" Anlaß gebe. Kritisch äußert er sich allein zum „Gegenstand" des gelobten Werkes, der sich nicht selbst ausspreche und deshalb für die bildende Kunst nicht vorteilhaft sei. In einer für die Zeitgenossen unmißverständlichen Anspielung auf die hochpathetische Malerei des französischen Neoklassizismus heißt es erklärend: Was demungeachtet seit ein PaarJahrzehnden so manchen zur Wahl und Bearbeitung dieses Gegenstandes veranlaßt zu haben scheint, ist das Pathetische, daß 1 -eidenschaften in der mächtigsten Bewegung, Blut und Tod vorzustellen sind. Ferner bieten sich bedeutende Charaktere, v o n kräftigen, abgehärteten, männlichen Naturen, im Gegensatz mit zarten, duldenden Weibern an. Die Beleuchtung wird kräftig, selbst etwas düster gefodert, daß, wenn es in der Kunst nur auf Gegensätze, auf malerischen Effekt ankäme, allerdings wenig einzuwenden wäre. Allein das Selbstständige der bildenden Kunst und die daraus entspringende F'oderung, daß ein Kunstwerk in sich selbst w o möglich abgeschlossen sein sollte, ist höher, und deren Erfüllung wünschenswerter/' 54

Gegen den bloßen Effekt setzt Meyer die Autonomie des in sich abgeschlossenen Kunstwerks. Daß die ästhetische Verurteilung des schon von Livius in den Kontext der Vertreibung der Könige aus Rom gestellten Gegenstands auch eine politische Dimension hat, braucht hier nicht eigens ausgeführt zu werden. Wenn Meyer von „Leidenschaften in der mächtigsten Bewegung", von „Blut und Tod" der letzten „Paar Jahrzehnden" spricht, so ist der Zusammenhang mit den Ereignissen der Französischen Revolution und der auf sie folgenden Kriege unverkennbar. Meyers Ablehnung des Tods der Tucretia ist somit auch als Ablehnung einer Kunst zu verstehen, die, wie der französische Revolutionsklassizismus, historische Ereignisse im Medium der Malerei und Skulptur politisch aktualisiert. Ausgangsund Zielpunkt seiner in den Propyläen vorgetragenen Kritik ist jedoch die künstlerische Praxis, nicht die politische Realität. Auch an der von Langer im folgenden Jahr eingereichten, wiederum einen Gegenstand aus der römischen Geschichte behandelnden Virginius- Zeichnung beanstandet Meyer den ungünstigen, weil sinnlich nicht zu präsentierenden Gegenstand, rühmt dafür andererseits aber die Bewegung und Dramatik der dargestellten Szene: Viel Bewegung in den Figuren, Gcschmack in Formen, Falten, dem einfach angegebenen Hintergrund, Anordnung nach Regeln, viel Effect, durch breite Massen, von Licht und Schatten bewirkt, machen dieses Stück schätzbar und fodern die Achtung aller Kunstfreunde für des Künstlers Anlage und Geschicklichkeit/' 3 ''

6 5 4 Ebd., S. 484.

655 Weimansche Kunstausstellung vom Jahre 1802 und Preisaufgaben für das Jahr 1803 (ALZ 1803, Extrabeilage zum 1. Januar, S. VII). Es handelt sich hierbei um die Geschichte der Virginia, die ihren Vater Virginius bittet sie zu töten.

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Kunsttheoric: Die Weimarischen Kunstfreunde

Gerade angesichts des widerstrebenden Gegenstandes fuhren „viel Bewegung" und „viel Effekt" zu Hochachtung für das künstlerische Vermögen Langers, und es ist in diesem Zusammenhang auffällig, daß ausgerechnet eine „gewisse Steifigkeit", die Meyer wiederum auf Langers Vorbild, Nicolas Poussin, zurückfuhrt, den Tadel auf sich zieht.636 Das Gesagte gilt ebenso für Langers Cicero von 1802 („äusserst bewegt", „viel Contrast in den Stellungen"), seinen Cato von 1803 („der Mann ist in leidenschaftlich bewegter Betrachtung", „die Scene ist düster, die Wirkung gewaltig, das Licht geschickt vertheilt") und seinen Coriolan aus demselben Jahr - ein Bild, an dem Meyer zufolge das Streben ablesbar ist, „den Geschmack des Nie. Poussin mit der auffallenden Wirkung, wodurch sich die Producte der neuern französischen Schule auszeichnen, zu verbinden." 637 Das Beispiel Langers wie auch der zuvor erwähnten Einsendungen macht deutlich, daß nicht wenige der an den Weimarer Preisausstellungen teilnehmenden Künstler einem heroisch-pathetischen Klassizismus anhingen, der neben David auch solche Altmeister wie Poussin und Guercino zu seinen Vorbildern zählte. Sowohl die Preiszeichnungen Tiecks, Kolbes, Nahls, Hümmels und Lombachs als auch die unaufgefordert eingesandten Arbeiten Langers, Henschels und Jagemanns, der in Paris den Bethlehemitischen Kindermord Renis kopiert hatte, belegen den Einfluß, den die „neuere französische Malerschule" auf die deutschen Künstler ausübte. 638 D a ß nicht nur die Künsder, sondern auch das Publikum von dramatischen Darstellungen besonders angezogen wurde, legt die von Meyer und Schiller gemachte Beobachtung nahe, daß während der Ausstellung von 1800 ausgerechnet Schnorr von Carolsfelds R/ww-Zeichnung, die Diomed im Akt des λίοτάεηβ zeigt (vgl. Abb. 44), „bei vielen Zuschauern die Palme davon trug". 639 Es ist dieses Interesse an einer heroischen und pathetischen Kunst, mit der sich die Weimarischen Kunstfreunde sowohl auf selten der Künstler als auch auf seiten des Publikums konfrontiert sahen.

656 Ebd. 657 ALZ 1803, Extrabeilage zum 1. Januar, S. VII (Cicero und Cato); JALZ 1804, Extrabeilage zum 1. Januar, S. VI (Coriolan). 658 Zu der Anziehungskraft, die Paris und David auf junge Künstler ausübten, siehe Goethes „Vorerinnerung" zur Kunstausstellung von 1801 (MA 6.2, S. 441) und Mildenberger, Die neue Energie unter David, S. 291 mit dem Hinweis auf Goethes Briefkonzept an Herzog Carl August vom 28. September 1802 zum Paris-Aufenthalt Jagemanns (WA IV, Bd. 16, Nr. 4563, S. 121). 659 NA 20, S. 299 und Propyläen, S. 1010. Wenn Schillcr den Grund hierfür in der „Wirkung des Gefalligen" sieht, so scheint er bewußt zu unterschlagen, daß es gerade das Pathetische der in aller Deutlichkeit dargestellten Gewalttat gewesen sein dürfte, das das Publikum anzog.

Goethes Polygnot-Aufsatz

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IX. „Edle Einfalt, stille Größe"? - Goethes Polygnot-Aufsatz im Kontext der Weimarer Kunstausstellung von 1803 Unter den „ausserordentlich" eingesandten und außer Konkurrenz ausgestellten Arbeiten befanden sich im Jahre 1803 auch zwölf Blätter in ,,Flaxmannische[r] Manier", die die Brüder Friedrich und Christian Riepenhausen nach Pausanias' Beschreibung einiger Gemälde des griechischen Malers Polygnot angefertigt hatten.660 In der in zehn Büchern erschienenen Periegesis (ca. 160 bis 175 n. Chr.) berichtet Pausanias von seinen ausgedehnten Reisen durch Griechenland, die ihn unter anderem nach Delphi führten. Dort waren damals noch die mittlerweile zerstörten Bilder zu sehen, die der griechische Maler Polygnot zwischen ca. 480 und 440 v. Chr. für die Versammlungshalle {lösche) der Knidier geschaffen hatte. Wie man annimmt, waren alle vier Wände des ungefähr zehn mal neunzehn Meter messenden Gebäudes mit Malereien bedeckt, die sich laut Pausanias in zwei zusammengehörige Szenenfolgen gliederten, von denen die eine die Zerstörung Trojas (Iliupersis), die andere Odysseus' Besuch in der Unterwelt (Nekyia) darstellte.661 Während die Nekyia im elften Buch von Homers Odyssee geschildert wird, handelt es sich bei der Iliupersis um ein Ereignis, von dem ein nicht-homerisches Epos gleichen Namens berichtete, das einst Teil des Epischen Zyklus war, heute aber verloren ist. Den überlieferten Kurz-Inhaltsangaben zufolge setzte die zwischen llias und Odyssee angesiedelte Iliupersis mit der Beratung der Trojaner über das Hölzerne Pferd ein und endete mit der Abfahrt der siegreichen Achaier aus dem von ihnen zerstörten Troja. Zur Handlung der Iliupersis gehörten weiterhin die Laokoon-Geschichte und die (später von Vergil ausgearbeitete) Flucht des Aeneas, der Kampf in den Straßen Trojas und der Brand der eroberten Stadt, die Opferung der trojanischen Königstochter Polyxena am Grab des Achilles und die Tötung von Hektors Sohn Astyanax durch Neoptolemos.662 Auch wenn in der

6 6 0 Siehe den bei Scheidig, Goethes Preisaufgaben, S. 3 7 2 abgedruckten Brief der Bruder Riepenhausen an Goethe vom 5. September 1803. Nach Beendigung der fünften Wcimarischen Kunstausstellung sandte Goethe die Zeichnungen am 21. November 1803 an die beiden Brüder zurück (siehe W A IV, Bd. 18, Nr. 4758a, S. 89f.). / u m ganzen Komplex siehe Deneke, Die Brüder Riepenhausen, S. 1 2 - 2 2 und 28-34; Börsch-Supan, Zwei Raffaele aus Göttingen, S. 2 1 7 - 2 1 9 . 661 Pausanias, Reisen in Griechenland, Bd. 3, S. 2 6 6 - 2 8 2 = Buch X, 25.2-27.3 {Iliupersis) und Buch X , 2 8 . 1 - 3 1 . 1 2 {Nekyia). 6 6 2 Einen ausführlicheren Überblick gibt Joachim Latacz, s.v. „Iliupersis". In: Der neue Pauly, Bd. 5, Sp. 937f. - Goethe hatte sich mit diesen Ereignissen während seiner Arbeiten an der Achilleis intensiv auseinandergesetzt. Siehe dazu Schwinge, Goethe und die Poesie der Griechen, S. 51-57.

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Kunsttheorie: Die Weimarischen Kunstfreunde

Lesche zu Delphi nicht alle der in der Iliupersis geschilderten Szenen zu sehen waren, so ändert dies nichts an der Tatsache, daß Polygnot in seinem Gemälde der Zerstörung Trojas einige der gewalttätigsten, grausamsten und schrecklichsten Ereignisse der homerischen Welt dargestellt hatte, deren Beschreibung durch Pausanias nun, mehr als zweitausend Jahre später, den Brüdern Riepenhausen als Ausgangspunkt ihrer Zeichnungen diente. Obwohl sich von den zwölf Bleistiftzeichnungen, die die Riepenhausen nach Weimar schickten, allem Anschein nach keine einzige erhalten hat, läßt sich die von ihnen dargestellte Szenenfolge im Rückgriff auf das Programm der Weimarischen Kunstausstellung vom Jahre 1803 rekonstruieren.663 Diesem zufolge hatten die beiden Brüder zunächst nur einen „Theil der Gemähide Polygnots in der Lesche zu Delphi", nämlich die Iliupersis, also die Eroberung oder Zerstörung Trojas, behandelt. In überarbeiteter Form sowie um zwei Blätter ergänzt wurden die Zeichnungen 1805 in Göttingen gemeinsam mit einem von Christian Friedrich Schlosser verfaßten Erläuterungsband publiziert; der zweite, dem Besuch des Odysseus in der Unterwelt gewidmete Teil sollte dagegen erst 1826 in Rom erscheinen.664 Goethe war von den bei ihm im September 1803 eingegangenen Umrißzeichnungen der Brüder Riepenhausen derart begeistert, daß er sich umgehend selbst mit Pausanias' Beschreibung von Polygnots Gemälden zu beschäftigen begann. Zeitweilig erwog er sogar, den Weimarischen Preisaufgaben „eine ganz neue Wendung" zu geben, indem er die bislang zugrunde gelegten Epen Homers durch die Bildbeschreibungen des „Pausanias und Plinius, besonders auch der Philostrate" ergänzen oder gar ersetzen wollte.663 Zwar kam dieser Gedanke nicht zur Ausfüh663 Siehe Weimarische Kunstausstellung vom Jahre 1803 und Preisaufgabe jiir das Jahr 1804 (JALZ 1804, Extrabeilage zum 1. Januar 1804; S. VII, Nr. 15) sowie die Beilage zum Brief Goethes an die Brüder Riepenhausen vom 21. November 1803 (MA 6.2, S. 1119-1121). 664 Vier Zeichnungen, die offenbar als Vorlage für den Druck von 1805 dienten, befinden sich heute im Städtischen Museum Göttingen; siehe dazu Schröter, Die Maler Franz und Johannes Riepenhausen, S. 213-289, hier S. 223, Anmerkung 34. Allerdings lassen sich von diesen Zeichnungen nur bedingt Rückschlüsse auf die 1803 in Weimar ausgestellten Blätter ziehen, da diese, laut Vorrede des beigegebenen Erläuterungsbandes, für die Publikation gänzlich überarbeitet worden waren. Ahnliches gilt für die im Düsseldorfer Goethe-Museum befindlichen Zeichnungen (Album mit zwanzig Blättern Umrißzeichnungen, Inv. Nr. NW 81/1956), die sich zwar auf Polygnots Gemälde beziehen, jedoch durchweg Szenen aus der Nekyia darstellen. Offensichtlich also stehen die Düsseldorfer Zeichnungen im Zusammenhang der Publikation des zweiten Teils von Polygnots Gemälden, mit dem sich die Riepenhausen seit ihrer Ankunft in Rom (August/September 1805) beschäftigten, der jedoch erst 1826 und dann noch einmal, gemeinsam mit dem überarbeiteten ersten Band, 1829 in Rom erschien. - Zur Publikationsgeschichte der beiden Bände siehe [Kat.] Zwischen Antike, Klassizismus und Romantik, S. 45-48. 665 Siehe Goethe an Schiller, 2. Dezember 1803 (MA 8.1, Nr. 938, S. 953) und MA 6.2, S. 536 (Polygnots Gemälde in der lösche sw Delphi). Erst 1818 erschien Goethes Aufsatz über Philostrats Gemälde.

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rung, doch schlug sich Goethes Auseinandersetzung mit den Riepenhausischen Zeichnungen schon bald in zwei gedruckten Publikationen nieder Für die Ausstellung entwarf er ein Faltblatt, auf dessen Vorderseite die einschlägigen PausaniasStellen in deutscher Ubersetzung zusammengestellt waren und auf dessen Rückseite ein Schema mit der „Wahrscheinliche [n] Zusammenstellung der Gruppen des Gemähides in der Lesche zu Delphi, von Polygnot" abgebildet war. Zwei Monate später folgte ein umfangreicher Aufsatz über Polygnots Gemälde in der Lesche Delphi, der als Einschub in das Programm der Weimarischen Kunstausstellung vom Jahre 1803 erschien.666 Im Zentrum dieses Aufsatzes, in dem Goethe nur noch am Rande, in einer Art Vorwort sowie einem „Nachtrag", auf die Riepenhausischen Zeichnungen zu sprechen kommt, steht Pausanias' Beschreibung der Gemälde Polygnots, die Goethe nun selbst auf der Grundlage von Pausanias' Text zu rekonstruieren versucht. In einer detaillierten Analyse hat Emst Osterkamp nachweisen können, wie es Goethe im Rahmen seiner Rekonstruktion der Polygnotschen Gemälde gelingt, das von Pausanias beschriebene Werk „aus seiner irritierenden frühklassischen Fremdheit und — gemessen an der Norm - künsderischen Unzulänglichkeit in die vertraute Harmonie des klassizistischen Kunstkonzepts" zu überführen.667 Deutlich ist dabei Goethes Abhängigkeit von den Mustern, die ihm aus der griechischrömischen Sarkophagplastik, der Gemmenkunst sowie vor allem der antiken Vasenmalerei geläufig waren, und die seinem klassizistischen Geschmack eher entgegenkamen als die frühklassische Kunst Polygnots. Seine Rekonstruktion des den Untergang Trojas darstellenden Gemäldes ist mithin von dem Bestreben gekennzeichnet, das von Pausanias geschilderte „Nebeneinander unterschiedlicher Schreckensszenen, das den Schrecken strukturell zu keinem Ende kommen läßt, in das Nacheinander eines Geschehens [...] mit Anfang und Schluß" zu verwandeln, das heißt das Bild der Zerstörung im Zeichen des harmonischen Ausgleichs neu zu ordnen. Schrecken und Gewalt werden aus dem Bild der Iliupersis nicht ausgegrenzt, aber doch an seine Ränder verdrängt und damit dem (Über)Leben untergeordnet, das Goethe in der von ihm im Zentrum des Bildes positionierten Figur der Laodike, der verschonten Tochter des Königs Phamos, verkörpert sieht.668 Zumindest literarisch waren damit Tod und Zerstörung gebannt und dadurch Goethes Vision von der schönen, alles Schreckliche harmonisch auflösenden antiken Kunst gewahrt. Goethes Versuch, diesen Gedanken auch visuell, das heißt mit Hilfe eines Bildes, sinnfällig zu machen, sollte sich dagegen, wie im folgenden zu zeigen sein wird, als durchaus problematisch erweisen und damit zugleich den prekären Status seiner literarischen Rekonstruktion nochmals unterstreichen.

666 MA 6.2, S. 509-536. 667 Osterkamp, Im Buchstabenbildc, S. 142-184, hier S. 183. 668 Kbd., S. 167-170.

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1. Die „Eroberung Trojas" nach einem antiken Vasengemälde auf der Kunstausstellung von 1803 Um seinen Lesern einen Anhaltspunkt dafür zu geben, wie man sich die frühklassische Kunst Polygnots vorzustellen habe, die zu einer Zeit entstand, „wo die Plastik sich schon beinahe völlig ausgebildet hatte, die Malerei aber ihr nur mühsam nacheiferte", weist Goethe in seinem Aufsatz ausdrücklich auf das Muster der Vasenmalerei und hier insbesondere die „des älteren Styls" hin, die seit Ende des 18. Jahrhunderts in Kunst (Flaxmans Umrißzeichnungen) und Altertumswissenschaft (Hamiltons umfangreiche Vasenpublikationen) groß in Mode gekommen war.669 In diesem Sinne heißt es schon in den Vorarbeiten zu seinem Aufsatz: Den Kunstwerken jener Zeit fehlte alles was ein Gemälde in sich selbst abschließt, zur Hinheit macht. Perspektive, Helldunkel, Haltung, Kolorit, Gruppierung. Iis fallt schwer sich in eine Kpoche zu versetzen, wo das was bei uns gemein ist unbekannt war und Kunstwerken doch ein großes Verdienst zugestanden werden muß. Vasengemälde bringen uns zunächst auf den Standpunkt wir begreifen wie ein bloßer Umriß wie eine einfarbige Gestalt auf entgegengesetztem Grunde an sich erfreuen, entzücken könne/'7"

Goethe versucht somit durch Analogieschluß die bereits von Winckelmann beklagte fehlende Anschauung griechischer Malerei so gut es geht wettzumachen: „Sehen wir eine rote Figur auf schwarzem Grunde: so können wir uns von der Monochromatischen Behandlung einen recht guten Begriff machen. Ist die Gestalt genau umrissen und der Inhalt nur mit wenigen Strichen bezeichnet: so darf sie sich nur vom Grund ablösen, um mit einer Art von Wirklichkeit hervorzutreten."671 Wie nun der „Nachtrag" zu Goethes Aufsatz belegt, war auf der Weimarischen Kunstausstellung von 1803 neben den Riepenhausischen Blättern tatsächlich die Kopie eines antiken Vasengemäldes präsentiert worden, das der „Vergleichung" mit der „polygnotischen Behandlung" dienen sollte. Diese Nachzeichnung einer, laut Meyer, „vor wenig Jahren bey Nola ausgegrabenen großen Vase in gebranter Erde"672 stellte ebenfalls die „Eroberung von Troja" dar, aus stilistischen Gründen wurde ihr Vorbild von Goethe und Meyer jedoch in die Zeit nach Polygnot datiert: Wir hatten eine Zeichnung des Vasengemäldes neben den ricpcnhausischen Blättern aufgestellt. 1 Iicr ist nichts, das mit der polygnotischen, von uns oben entwickelten, DarsteUungsweisc übereinstimmte; alles scheint mehr ins Kurze zusammengezogen. 669 MA 6.2, S. 521 f. 670 MA 6.2, S. 1118f. (Paraßpomem). Vgl. ebd.: „Durch die Vasen kommen wir zu einer /Anschauung." 671 MA 6.2, S. 524. 672 Unpublizierte „Anmerkungen zu Polygnots Gemählden in der Lesche" von Meyer (GSA 25/Χ1ΛΊ, 1, 6a); vgl. dazu Nahler, Goethes Aufsatz über Polygnot, S. 98f.

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Taten und Handlungen werden, mit voller Wirklichkeit, neben einander aufgezählt; woraus sich, wie uns dünkt, ohne die übrigen, von Geschmack, von Anordnung, u.s.w. hergenommenen Gründe in Anschlag zu bringen, schon mit großer Wahrscheinlichkeit auf eine jüngere Entstehung schließen läßt. 673

Präsentiert neben den modernen Rekonstruktionen der frühklassischen Malerei Polygnots, sollte das allem Anschein nach später entstandene Vasengemälde den Besuchern die klassische und damit maßgebliche Lösung der gleichen Darstellungsaufgabe vor Augen stellen. Weiterhin läßt sich Goethes „Nachtrag" entnehmen, daß der Maler Johann Heinrich Wilhelm Tischbein einen Nachstich dieses Vasengemäldes bereits veranlaßt hatte oder eine solche Reproduktion von ihm zum damaligen Zeitpunkt zumindest geplant war: Wir wünschen, diese Abbildung gedachten Vasengemäldes künftig der riepenhausischen Arbeit beigefügt zu sehen. Denn obgleich, so viel wir wissen, Herr Tischbein solches bereits in Kupfer stechen lassen, so ist es doch immer noch viel zu wenig bekannt. 674

Geht man aufgrund dieses Hinweises die im Jahre 1803 greifbaren Kupferstichwerke Tischbeins durch, so wird man allerdings weder in seiner für William Hamilton gestochenen Collection of engravings from ancient vases of Greek workmanship (1791 — 95 und 1803 Ρ]), noch in den bis dahin erschienenen sechs Heften seines Homer nach Antiken gezeichnet (Göttingen 1801 ff.) auf eine Abbildung der lliupersis stoßen.673 Zwar hat Tischbein tatsächlich eine Vasenzeichnung des fraglichen Themas publiziert, doch erschien die Reproduktion der berühmten, in seiner Autobiographie ausfuhrlich beschriebenen Vivent^o-Hydria (Abb. 17) erst 1823 als zweifarbige Lithographie im letzten Heft seines Homer-Werks.676 Publikationsdatum wie auch Reproduktionstechnik sprechen somit dagegen, daß Goethe auf dieses von ihm als Kupferstich bezeichnete Blatt aus den 1820er Jahren angespielt hat. Allerdings weiß man, daß Tischbein sämtliche Vorlagen zum Homer-Werk bereits in Italien gesammelt und 1799 bei seiner Flucht aus Neapel mitgenommen hat. Auch wenn Tischbein die „Eroberung von Troja" erst 1823 im relativ neuen Me673 MA 6.2, S. 536. Vgl. hierzu wie auch zum folgenden Verf., Jenseits ,edler Einfalt und stiller Größe'. 674 MA 6.2, S. 536 (Nachtrag). 675 Wann genau der extrem rare vierte Band der Collection erschien (jeweils ein Exemplar in der UB Tübingen und der Württembergischen Landesbibliothek Stuttgart) ist unklar, da er ohne Titelblatt gedruckt wurde. Siehe dazu [Kat.] J. H. Tischbein, Goethes Maler und Freund, S. 220 und Grubert, J. H. W. Tischbein: „Homer nach Antiken gezeichnet", S. 204, Anm. 15. Eine deutsche Ausgabe des Werkes erschien in Weimar zwischen 1797 und 1800; ergänzt wurde sie durch die von Böttiger herausgegebenen Textbände der Griechischen Vasengemälde (Weimar/Magdeburg 1797 — 1800), in deren letzten Heft die Vivewqo-Hydria lediglich erwähnt wird. 676 Homer nach Antiken gezeichnet, Heft IX (1823), S. 25-41, Taf. V und VI ( eine Abbildung der beiden Tafeln bei Mildenberger, Hektor wirft Paris seine Weichlichkeit vor, S. 41). Zu Vorarbeiten und Publikationsgeschichte siehe Grubert, Tischbein „Homer nach Antiken gezeichnet", S. 7-37.

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dium der Lithographie drucken lassen sollte, kann deshalb als sicher gelten, daß sich eine bereits fertige Kupferplatte oder eine noch ungestochene Zeichnung nach der Vivenv^o-l lydria in seinem Gepäck befand, als er im Jahre 1799 in Göttingen eintraf, um dort seinen Homer nach Antiken gezeichnet herauszugeben/'77 Von hier, aus Göttingen, dürfte Goethe denn auch Nachricht über die von Tischbein zur Veröffentlichung vorgesehenen Zeichnungen erhalten haben. Wer ihm die Information zuspielte, daß die in Weimar ausgestellte „Eroberung Trojas" bereits in Kupfer gestochen sei, läßt sich nicht mehr rekonstruieren; durchaus wahrscheinlich ist, daß es die Brüder Riepenhausen selbst waren, die damals in Göttingen lebten, von Tischbein Zeichenunterricht erhielten und deren Vater als Stecher an dem Homer-Werk Tischbeins mitarbeitete.678

2. Die Kopie nach einem antiken Vasengemälde mit der „Ermordung und Flucht der Familie des Priamus" im Besitz der Weimarer Kunstsammlungen Wenn nun aber einerseits das 1803 in Weimar gezeigte Vasengemälde von Goethe mit Tischbein in Verbindung gebracht wird, andererseits die einzige wohl schon damals in Tischbeins Besitz befindliche Darstellung der „Eroberung Trojas" von der Vivewgo-Hydria stammt, so drängt sich die Frage auf, ob die auf der Weimarischen Kunstausstellung neben den Blättern der Riepenhausen ausgestellte Zeichnung nicht ebenfalls die Vivendi ο -Hydna abbildete, also genau die Vase, die Hirt einige Jahre zuvor gegen die Lehren Winckelmanns und Lessings ins Feld geführt hatte.679 Für diese Identifikation spräche nicht zuletzt der bereits oben zitierte Hinweis Meyers, daß die der Zeichnung zugrunde liegende Vase „groß", „aus gebranter Erde hergestellt" und (wie die Viven^to-Hydria) „vor wenig Jahren bey Nola ausgegraben" worden sei.680

677 Karl August Böttiger berichtete 1800 im Neuen Teutschen Merkur; daß Tischbein sich 1799 mit „einem kleinen, doch ausgesuchten Theile seiner Kunstschätze, worunter sich auch sämmtliche Kupferplatten zu seinem großen Werke über die zweite I Iamiltonische Vasensammlung in vier Foliobänden, und zu seinem Homer in Bildern befanden", eingeschifft habe (Neuer Teutscher Merkur, 9. Stück (September 1800), S. 61-76, hier S. 67). 678 Zur Beteiligung Ernst Riepenhausens am Homer-Werk und dem Einfluß Tischbeins auf die beiden Brüder siehe |Kat.] Zwischen Antike, Klassizismus und Romantik, S. 44f. 679 Siehe oben, S. 65-67. 680 Meyer, Anmerkungen zu Polygnots Gemählden in der Lesche (GSA 25/XLVI, 6a). Daß die ausgestellte Zeichnung die Vivewgo-Hjdria abbildete, haben schon die Herausgeber der Weimarer Ausgabe angenommen, da im Registerband (WA, Bd. 55, S. 97) unter „Neapel: Museo Reale Borbonico: Vivenzio-Vase" auf die oben zitierte Textstelle des Goetheschen „Nachtrags" zu Pofygnots Gemälden verwiesen wird (WA I, Bd. 48, S. 119f. = MA 6.2, S. 536).

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Im Depot der Kunstsammlungen zu Weimar befindet sich noch heute eine zweifarbige Tuschezeichnung, die eindeutig auf das Vorbild der Viverttgo-Hydria zurückgeht (Abb. 47). Lange Zeit Tischbein zugeschrieben, gilt sie heute immerhin noch als Werk aus seinem Umkreis. 681 Daß sie unabhängig von der 1823 erschienenen Lithographie entstanden sein muß, legen die unterschiedlichen Maße sowie Abweichungen in diversen Details nahe: Während die Weimarer Zeichnung ohne den rahmenden Palmettenfries noch immer ca. 24x122,5 cm mißt, messen die beiden Blätter der Lithographie zusammengesetzt nur ca. 24,5x95 cm. Bei ungefähr gleicher Höhe ist die Weimarer Zeichnung also fast 30 cm länger. Über die Provenienz dieser bislang kaum beachteten Zeichnung ist nur so viel bekannt, daß sie bis 1923 in der Landesbücherei Weimar verwahrt wurde, sodann lange Zeit im Schloß zu sehen war und schließlich ins Depot wanderte. Wann und von woher sie in die Landesbücherei gelangte, ist unklar; Material, Technik und Erhaltungszustand widersprechen einer Datierung in die Zeit um 1800 jedoch nicht. Zu fragen wäre dann aber, wie eine Zeichnung nach der im Besitz des Marchese Vivenzio befindlichen und erst 1823 publizierten Vase bereits 1803 in Weimar vorgelegen haben könnte. 682 Zwar dürfte Tischbein, wie gesagt, schon damals im Besitz einer Zeichnung nach der Vwen~to-Hydrta gewesen sein; daß er Goethe diese Zeichnung (oder eine Kopie danach) für die Ausstellung zur Verfügung gestellt hätte, ist jedoch eher unwahrscheinlich, da beide den Kontakt im Jahre 1789 abgebrochen hatten und erst 1805/06 wieder aufnehmen sollten. 683 Denkbar wäre darüber hinaus, daß Christian Gotdob Heyne oder die Brüder Riepenhausen, deren Vater ja am Homer-Werk beteiligt war, als Vermittler fungierten. Goethe war im Juni 1801 nach Göttingen gereist und hatte dort „im Vorbeygehen" unter anderem auch Heyne besucht, der ihm „Köpfe Homerischer Helden von Tischbein in großem 681 Inv. Nr. G 1241. Bei dem querformatigen auf einen Hol/rahmen gespannten Bild handelt es sich um eine aus drei Blättern zusammengesetzte und sodann gefirnißte Tuschezeichnung auf Papier, die von einem Palmettenfrics gerahmt wird. Während der Hintergrund schwarz gehalten ist, sind Figuren und Gegenstände (wie für die Vasenmalerei dieses Typs üblich) in roter Farbe wiedergegeben. Im alten Bestandskatalog der Kunstsammlungen wird die Zeichnung als „Krmordung und Flucht der Familie des Priamus. Kopie nach antikem Vasengemälde" geführt, wobei die „Kopie von" J o hann Heinrich Wilhelm Tischbein stammen soll. Bis in die 1990er Jahre hinein wurde das Bild im Schloß ausgestellt, dann jedoch abgenommen und ins Depot überführt. Hermann Mildcnberger zufolge stammt die Zeichnung nicht v o n Tischbein, dürfte aber durchaus seinem Umkreis zuzuordnen sein. Siehe dazu neuerdings Mildcnberger, I Iektor hält Paris seine Weichlichkeit vor, S. 40-42. 6 8 2 Tatsächlich scheint die 1 8 2 3 in Tischbeins Homer-Werk erschienene Lithographie die erste vollständig gedruckte Abbildung der Vase gewesen zu sein. 683 Der erste überlieferte Brief Tischbeins an Goethe stammt vom 9. Oktober 1805, Goethes Antwort vom 24. Februar 1806. Siehe Oettingen, Goethe und Fischbein, S. 6 - 1 0

und die Tag- und Jahres-} lefie 1806 (ΜΛ 14, S. 167-169).

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Maßstabe ausgeführt" zeigte.684 Indes gibt es keinen Hinweis darauf, daß Goethe damals eine Zeichnung der Vivenigo-Hydria erhalten hätte oder sie ihm später nach Weimar übersandt worden wäre. Als Mittelsmann in Betracht zu ziehen wäre schließlich der mit Heyne und den Riepenhausen in Kontakt stehende Carl August Böttiger. Doch auch wenn er in seinen Griechischen Vasengemälden (1797-1800) einen Brief Tischbeins sowie einen Bericht Gernings über die Viven^o-Hydria veröffentlicht hatte, so hat er eine Tischbeinsche Zeichnung der Vase in seinen Briefen an Goethe nie erwähnt. 683

3. Tischbeins Nachzeichnung eines Vasengemäldes mit der „Zerstörung der Familie Priamo" für Anna Amalia (1794/96) Wahrscheinlich dürften alle Überlegungen, die die Weimarer Zeichnung nach Göttingen als dem Yerlagsort des Homerwerkes zurückzuverfolgen versuchen, in einer Sackgasse enden. Die einzig plausible Erklärung für die Herkunft der Zeichnung liegt denn auch viel näher: Noch aus Neapel hatte Tischbein bereits im Dezember 1794 der Weimarer Herzogin Anna Amalia von der Entdeckung der Vivensjo-Hydria berichtet und die auf der Vase dargestellte „Zerstörung der Familie Priamo" mit den folgenden Worten beschrieben: Der alte König sitzt auf einem Altar mit den Füssen, so dass er die Erde nicht berührt, auf den Knien liegt ein ermordeter junger Sohn ganz mit Blut bedeckt. Kopf und Arme und Beine hängen schlaff hernieder. Pyrrhus, ganz bcharnischt, läuft auf den Alten los, fasst ihn bei den Schultern und mit dem Schwert haut er ihn in den Kopf, der Alte hält mit einer Hand die Augen zu, mit der andern eine Wunde, die er schon in den Kopf bekommen hat, über dem ihm das Blut herunter läuft. Sein Scheitel ist ganz ohne Haare, auch nur wenige im Bart. Zu seinen Füssen liegt ein anderer Sohn todt hingestreckt im Harnisch, mit dem Gesicht gegen die Erde gekehrt. Hierneben ist ein junger griechischer Held auf die Erde gestossen, er ist auf den Knien und vertheidigt sich mit dem Schwert gegen eine sehr schöne weibliche Person, die eine majestätische Figur hat und auf ihn zuschlägt mit einem Holz, das etwas ähnliches mit einem Joch hat. Hierneben sitzt die Hecabe an die Erde gekaurt in einer bejammernswürdigen Stellung und flehet mit aufgehobenen Händen zwei I leiden an. Die Arme sind doch so, dass die Ellenbogen nicht weit von ihren Knien erhoben sind. Der jüngste von diesen Griechen ist im Fortgehen und streckt den Arm aus, als thät er sie nicht achten, aber der Α eitere, welcher Ulis ist, fasst sie bei ihren mageren I landen und hebt sie auf, hierneben sitzet noch eine kleine weibliche Figur, die weinet. Dann ist ein Palmbaum neben dem Altar, auf welchem Priamo sitzet, unter dem stehet das Bild der Pallas und auf dem Fussgestell sitzet eine weibliche Figur, die die Hände und den Kopf in dem Schoss 684 Siehe Tag- und Jahres-Hefte 1801 (MA 14, S. 70) und den Tagcbucheintrag vom 9. Juni 1801 (WA III, Bd. 3, S. 20). Zu Goethes Briefwechsel mit den Riepenhausen siehe Scheidig, Goethes Preisaufgaben, S. 371-376. 685 Siehe oben, S. 65-67, und Böttiger an Goethe, 10. Oktober 1803 (WA IV, 16, 481 [R|), in dem dieser davon berichtet, daß er durch I leyne von den Riepenhausen gebeten worden sei, einen Kommentar zu ihren Zeichnungen nach Pausanias zu schreiben.

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liegen hat und weint, neben ihr über sitzet eine mit zerstreuten Haaren, die auch weinet. Um die Statue der Pallas hat sich die Cassandra mit einem Arm geklammert, sie liegt auf den Knien, mit dem Leib und Kopf hinterwärts gekehret, indem sie Ajax bei ihren Haaren gefasst hält, um sie von hier los zu reissen. Den einen Arm streckt sie aus gegen eine ]-eiche, welche ihr zur Seite liegt, als wollte sie sagen: Sohn, nun höre auf zu morden. Dann kommet lineas, der umfasst seinen alten Vater und trägt ihn unter dem Arm fort und der kleine Ascan in einen Mantel gehüllt, läuft neben her. 686 Drei Monate später kündigte er ihr brieflich an, ihr außer der Zeichnung eines geschnittenen Steins, auf dem das Aufeinandertreffen von Dolon, Odysseus und Diomedes dargestellt war, auch eine Zeichnung von der „Vase des Vivenzio" zu schicken, „wo die Geschichte der Zerstörung der Familie vom Priamo aufgezeichnet ist."687 Allerdings verging mehr als ein Jahr, bis Tischbein die besagte Zeichnung tatsächlich nach Weimar senden sollte. In der Uberzeugung, daß das schon einige Monate zuvor auf den Weg gebrachte Präsent mittlerweile angelangt sei, schrieb er am 8. November 1796 an Anna Amalia: Ich weiss wirklich nicht, mit was ich mich entschuldigen soll, dass die Zeichnung von der Vase, wo die Vorstellung darauf gezeichnet ist, wie Priamo und seine Familie zerstört wird, nicht eher gekommen ist und doch war sie schon seit langer Zeit gemacht, aber die wahre Ursache ist, ich hatte keine gute Gelegenheit, sie zu schicken, ohne dass sie brauchte zusammen gelegt zu werden, weil sie sehr lang ist, und dann würde sie verdorben sein. Aber jetzt glaube ich, dass liw. Durchlaucht die Zeichnung schon erhalten haben oder gewiss in Kurzem erhalten werden. Ich gab selbige an einen Kaiserlichen Ixgationsecretair, der von hier nach Wien reiste mit, um sie bei seiner Ankunft sogleich an Kw. Durchlaucht zu schicken, das muss nunmehr schon geschehen sein, weil schon einige Monate verflossen sind. Die Zeichnung ist genau mit Farben, wie die Vase selbst. 688 Folgt man den in diesem Brief gegebenen Informationen, so ist davon auszugehen, daß sich spätestens seit 1797 eine „sehr lang[e]" Zeichnung der Vivensjo-

686 Tischbein an Anna Amalia, 16. Dezember 1794. Zitiert nach: Aus Tischbein's Leben und Briefwechsel, S. 60f. Tischbeins Identifikation des auf Priamos einschlagenden Kriegers als Pyrrhus statt Neoptolemos geht auf Vergil und dessen Schilderung der „Eroberung Trojas" im zweiten Buch der Aeneis zurück; als Neoptolemos erscheint er in Tischbeins Autobiographie wie auch im neunten I left seines Homer nach Antiken gezeichnet (siehe dazu den Exkurs oben, S. 67-71). — Daß es sich bei der von Tischbein hier erwähnten Vase tatsächlich um die l'iven^io-Hydria handelt, wird durch die Nennung des Fundortes („Nola"), des Finders („Vivenzio") sowie durch die akribische Beschreibung selbst bestätigt. Den I,ese- bzw. Druckfchlcr „Viccnzio" (statt „Vivenzio") hat von Alten in einem Nachtrag selbst korrigiert. 687 'Tischbein an Anna Amalia, 17. März 1795 (ebd.,S. 64). Daß'Tischbein schon bald nach Entdeckung der Vase „eine sehr genaue und deutliche Bleystiftzeichnung" derselben erhalten habe, berichtet Schorn, der den Fund allerdings auf 1798 datiert. Siehe Homer nach Antiken gezeichnet, Heft IX (1823), S. 25. Der von Tischbein in seinem Brief ebenfalls erwähnte geschnittene Stein ist im dritten I left seines Homer nach Antiken gezeichnet abgebildet. 688 Ebd., S. 65.

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Kunsttheorie: Die Weimarischcn Kunstfreunde

Hydria in Weimar befand, die „genau mit Farben wie die Vase selbst", also in schwarz und rot, gehalten war. Goethe und Meyer mußten bei der Vorbereitung der Weimarischen Kunstausstellung von 1803 also gar nicht lange nach einem die „Eroberung von Troja" darstellenden Vasengemälde suchen, da ein solches schon seit Jahren im Besitz der Anna Amalia war. Der Umstand, daß Tischbein die Zeichnung übersandte, ist dabei nicht notwendig als Indiz für die Eigenhändigkeit der Arbeit zu deuten. Durchaus möglich ist, daß er das repräsentative Werk nur in seinen Grundzügen anlegte und dann von seinen Schülern an der Neapolitaner Kunstakademie ausarbeiten ließ.689 Wie dem auch sei: Die von Tischbein gemachten Angaben zu Größe und Farbgebung des von ihm übersandten Vasengemäldes stimmen mit der in den Weimarer Kunstsammlungen deponierten Zeichnung überein und lassen vermuten, daß es sich um ein und dasselbe Werk handelt. Denkbar ist, daß die Zeichnung spätestens nach dem Tod Anna Amalias (1807) gemeinsam mit anderen Kunstwerken aus ihrem Besitz zunächst in die Obhut der Herzoglichen Bibliothek, der nachmaligen Landesbücherei gelangte, aus der die Kunstsammlungen sie laut Bestandskartei wiederum im Jahre 1923 erhielten/'9" Wenn die heute im Besitz der Kunstsammlungen befindliche Darstellung der Vivenyo-Hydria aber tatsächlich bereits seit 1796/97 in Weimar gewesen sein sollte, so ist es nicht nur möglich, sondern mehr als wahrscheinlich, daß dieses Werk die gesuchte Zeichnung der „Eroberung von Troja" ist, die Goethe und Meyer nach eigener Aussage im Jahre 1803 neben den Riepenhausischen Rekonstruktionen der Polygnotschen Iliupersis ausgestellt haben.

4. Original und Kopie: Klassizistische Antikenrezeption Vergleicht man die Weimarer Zeichnung (Abb. 47) mit der auf ca. 4 9 0 - 4 8 0 v. Chr. datierten Originalvase des Kleophradesmaler (Abb. 17), so ist der klassizistische Zug der modernen Nachzeichnung unverkennbar. Dieser zeigt sich nicht nur in der gegenüber dem Original abweichenden Wiedergabe mancher Details, sondern auch und vor allem in der geänderten Disposition der dargestellten Szene: Das auf der Schulter der Vase zusammengedrängte, tumultartig verdichtete Geschehen erscheint auf der abgerollten Zeichnung weiter auseinandergezogen mit 689 Daß Tischbein die „vorzüglichsten" der von ihm gesammelten homerischen Darstellungen „thcils selbst abgezeichnet, theils unter seinen Augen zeichnen, und dann auch stechen lassen" habe, berichtet Karl August Böttiger in einem „Wilhelm Tischbein" überschriebenen Beitrag im Neuen Teutleben Merkur (wie Anm. 677), S. 67f. 690 Zum Schicksal der Sammlungen Anna Amalias, die durch ein Dekret Carl Augusts vom 10. April 1807 in die Weimarer Bibliothek eingingen, siehe Steierwald, Zentrum des Weimarer Musenhofes, S. 94f. Vgl. auch Goethe an Voigt, 10. Januar 1811 (WA IV, 22, Nr. 6092, S. 5f.) und Goethe an Meyer, 7. Mai 1814 (GMB 2, Nr. 396, S. 339-341).

G o e t h e s I'olygnot-Aufsatz

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relativ viel Raum zwischen und über den Figuren, wodurch sich der - wohl beabsichtigte — Effekt einer Beruhigung und Ent-Spannung ergibt. Dadurch, daß die Nachzeichnung das Vasenbild in abgerollter Form präsentiert, tritt die „Eroberung von Troja", abweichend vom zyklischen Vorbild, als eine Szene mit klarem Anfangs- und Endpunkt vor die Augen des Betrachters. Solchermaßen fokussiert erscheint die Ermordung des Priamos im Zentrum des Bildes, unmittelbar neben ihr folgen Kampfszenen zwischen Griechen und Trojanerinnen, darunter die Aiasund-Kassandra-Szene zur linken Seite der Hauptgruppe. An den Rändern der Zeichnung schließen der mit seinem Vater und seinem Sohn fliehende Aeneas (links) beziehungsweise die von den Griechen aus der trojanischen Sklaverei befreite Aithra (rechts) das Geschehen ab. An den äußersten Enden positioniert, scheinen diese hoffnungsvollen Szenen auf eine friedlichere Zukunft vorauszuweisen und damit den Betrachter vom schrecklichen Eindruck des zentralen Ereignisses zu entlasten/'91 Strukturell entspricht die klassizistische Nachzeichnung des frühklassischen Vasengemäldes damit dem Beschreibungsverfahren von Goethes Aufsatz über Pofygnots Gemälde in der Lescbe ψ Delphi, der ja ebenfalls bestrebt ist, das unstrukturierte Neben- und Übereinander der von Pausanias geschilderten früh-klassischen Szenen in ein klassisch-klassizistisch geordnetes Nacheinander zu verwandeln. Der einzige Unterschied besteht in der Disposition der jeweiligen Szenen: Während Goethes Beschreibung die verschonte Laodike „ruhig" inmitten der über, unter und neben ihr dargestellten „Gewalttätigkeiten" erscheinen läßt, sind Rettung und Überleben in der Nachzeichnung des Vasengemäldes an die Ränder verlegt. Doch ob nun im Zentrum oder an der Peripherie: In beiden Fällen triumphiert das Leben über den Tod. 692 Neben den Blättern der Brüder Riepenhausen ausgestellt, sollte das antike Vasengemälde die große Leistung der klassischen griechischen Kunst vor Augen führen, selbst die tragischsten und schrecklichsten Ereignisse in sinnlich ausgewogener und damit angenehmer Form darzustellen. Indes hatte Goethe kein klassisches Kunstwerk, sondern eine klassizistische Wiedergabe eines tatsächlich frühklassischen Vasengemäldes ausgestellt. Die Originalvase, die Tischbein (und nach ihm wohl auch Hirt) in Nola gesehen hatten (Abb. 17), bildet dasselbe Geschehen mit exakt denselben Figuren in einer archaischer und damit weniger geglättet anmutenden Formensprache ab. Durch die dichte Abfolge der Figuren erscheint die Szenerie viel turbulenter und aufgeregter als in der Nachzeichnung, wo jeder einzelnen Figur oder Figurengruppe ein eigener Bildraum zugewiesen ist. Besonders

691 Die Identifikation der Figuren nach Mangold, Kassandra in Athen, S. 47f., 71 f., 106f. 6 9 2 Dies scheint auch die allgemein anerkannte Auffassung der modernen Archäologie / u sein, die damit, bewußt oder unbewußt, die Hermeneutik der Weimarer Klassik weiterführt. Siehe beispielsweise Kraiker, D i e Malerei der Griechen, S. 60f.; S i m o n , Die Griechischen Vasen, S. 106; Mangold, Kassandra in Athen, S. 127.

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anschaulich wird dies an der Aenas-und-Anchises-Gruppe, die auf der Nachzeichnung deutlich von der Figur des Aias getrennt ist, auf der Vase selbst jedoch sowohl von dessen Schwertscheide als auch von der Leiche des unter ihm liegenden Gefallenen angeschnitten wird.691 Erscheinen sie in der Nachzeichnung als bereits glücklich Gerettete, so sind sie Gewalt und Tod auf der Vase noch nicht entkommen. Mehr noch: Während Aeneas, Anchises und der kleine Askanius auf der Nachzeichnung über deren linken Rand hinaus sozusagen ins Freie fliehen, fuhrt sie ihr Weg auf dem in sich geschlossenen Vasenfries wieder direkt in Zerstörung und Untergang hinein. Dieser Deutung könnte entgegengehalten werden, daß der auf der Hydria senkrecht angebrachte Henkel das Bild zwischen der Aeneas- und der Aithra-Gruppe teilt und somit Anfang und Ende des Frieses markiert. Zudem berichtet ja auch der Mythos von der geglückten Flucht des Aeneas. Nimmt man jedoch, in historischer Perspektive, Goethes und Meyers Gegenstandslehre ernst, nach der eine Handlung aus sich selbst heraus, das heißt ohne Rekurs auf ein literarisches oder historisches Vorwissen verständlich sein sollte, so muß man anerkennen, daß der rein visuelle Befund den Eindruck eines kreisförmig geschlossenen Ablaufs, aus dem es keinen Ausweg gibt, nahelegt: Zwischen den beiden Ansatzpunkten des Henkels läuft der Fries ohne Unterbrechung weiter, so daß sich die Schilde des Aeneas auf der einen und des bartlosen Kriegers auf der anderen Seite bis auf wenige Millimeter annähern. Ein Schritt weiter, und der vor den Eroberern fliehende Trojaner stößt auf den mit einer Lanze bewaffneten Griechen.694

5. Ein Königsmord im Weimarer Theater Mit dem im „Nachtrag" erwähnten Vasengemäldes wollte Goethe also eine seiner Meinung nach klassische griechische Bearbeitung der Eroberung Trojas neben den Blättern der Brüder Riepenhausen präsentieren, die in ,,Flaxmannische[r] Manier" die Iliupersis des Polygnot zeichnerisch wiederherzustellen versucht hatten. Doch sollte das Vasengemälde nicht nur dem Vergleich mit den Riepenhausi693 Gleiches gilt für die Figuren des mit seinem Schwert auf Priamos einschlagenden Neoptolemos und der mit einer Mörserkeule gegen den vor ihr knienden Krieger ausholenden Trojancrin (Andromeda?): Während sich ihre W a f f e n auf der Vase kreuzen, wodurch der Lindruck eines tumultartigen Geschehens entsteht, in dem jeder gegen jeden kämpft, sind beide Figuren auf der Nachzeichnung so weit voneinander entfernt, daß sie und ihre jeweiligen Gegner als voneinander unabhängige Gruppen wahrgenommen werden. 6 9 4 Siehe die Abbildungen 4 4 und 59 bei Mangold, Kassandra in Athen, S. 71 und 107. Daß der Vascnmaler den Henkel nicht als eine Art Riegel begriffen hat, zeigt der Umstand, daß er den Helmbusch des Aeneas auch auf dem Henkel weitergeführt hat, dieser also selbst Teil des fiktionalen Bildraums ist.

Goethes Polygnot-Aufsatz

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sehen Zeichnungen, sondern auch mit der von Goethe selbst literarisch rekonstruierten „Polygnotischen Behandlung" dienen.693 Was er den Besuchern der Kunstausstellung von 1803 jedoch in den Räumen des Weimarer Theaters zeigte, war die klassizistische Nachahmung eines frühklassischen Musters, die den gleichen ästhetischen Idealen wie seine eigene literarisch-poetische Neuschöpfung der Polygnotschen Gemälde verpflichtet war, ja diese sogar allem Anschein nach maßgeblich beeinflußt hat. Hätten Goethe und Meyer eine originalgetreue Reproduktion des Vasenfrieses zur Hand gehabt, so ist zu vermuten, daß sie diese nicht ausgestellt hätten: Zu gedrängt, zu unruhig, zu altertümlich und vor allem wohl zu deutlich in der Darstellung grausamer Details dürfte ihnen die lliupersis des Kleophradesmalers erschienen sein. Und dies obwohl - oder gerade weil — sie in den gleichen Jahren wie Polygnots Gemälde in der Lesche zu Delphi entstand.696 Die Präsentation des authentischen Vasengemäldes mit seinen Bildern tragischen Untergangs und heroischer Zerstörung hätte Goethes literarische Rekonstruktion der Polygnotschen Kunst letztlich ihrer eigenen Konstruiertheit überfuhrt. Bei allen Vorbehalten gegenüber dem entschärften, weil harmonisierten Charakter der ausgestellten Nachzeichnung sollte jedoch nicht übersehen werden, daß diese noch immer eine der gewalttätigsten Szenen abbildet, die von der Kunst der Antike überliefert ist. Es ist, daran sei noch einmal erinnert, dasselbe Vasengemälde, das Hirt in seinem haokoon-Aufsatz als Beweis gegen Winckelmanns Lehre von der ,edlen Einfalt und stillen Größe' wie auch gegen Lessings Lehre von der .Schönheit' der in der antiken Kunst behandelten Gegenstände angeführt hatte. Die Tatsache, daß Goethe und Meyer die „Schrekenszene, wo Priam mit seiner Familie am Altar seiner Hausgötter das Opfer des racheglühenden Neoptolemus wird" (Hirt), als ein Muster griechischen Geschmacks und Könnens präsentierten, mag noch einmal zeigen, wie wenig der Weimarer Klassizismus dem überkommenen Klischee der ,edlen Einfalt und stillen Größe' entspricht. Bei allem Streben nach klassizistischer Beruhigung und Harmonisierung ist auch auf der Nachzeichnung nach wie vor der grausame Untergang des trojanischen Königshauses dargestellt: Verrenkt und blutüberströmt liegt der tote Astyanax auf dem Schoß seines Großvaters Priamos, der sich vergeblich mit bloßen Händen vor den Schwertschlägen des Neoptolemos zu schützen sucht. Vor Priamos, zu seinen Füssen, liegt 695 Siehe das Zitat oben, S. 283. 696 Daß Goethe und Meyer sich auch später nicht mit dem Gedanken anfreunden konnten, daß es sich bei er Viven^io-Hydria um ein frühklassisches Werk handeln könnte, zeigt eine 1826 in der Zeitschrift Ueber Kunst und Alterthum (FA 22, S. 217-219) erschienene Rezension des neunten Heftes von Tischbeins Homer nach Antiken gezeichnet, in der Meyer der von Schorn im Begleittext aufgestellten Behauptung widerspricht, daß die Zeichnung der Vivenzio-Vase von „äginetischer Schule und Styl" sei. Hiervon, so Meyer auch im Namen Goethes, „haben wir nicht das Geringste wahrnehmen können."

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ein bereits getöteter trojanischer Krieger, bei dem es sich aller Wahrscheinlichkeit nach um seinen Sohn Polites handelt, der den Vater verteidigen wollte. Zur Linken, das heißt im Rücken des Priamos, bemächtigt sich Aias der fast gänzlich entblößten Königstochter Kassandra, um sich im nächsten Moment an ihr zu vergehen. Als Tischbein drei Jahre später eine aquarellierte Kopie „nach einem Bild in der Manir von Wauwermann" an Goethe schickte, auf der eine der „Eroberung Trojas" durchaus vergleichbare Szene „aus der Spanischen Revolucion in den Niederlanden" zu sehen war, 697 reagierte dieser bezeichnenderweise genau entgegengesetzt: Eine greuliche Kriegsszene, erschlagene beraubte Männer, trostlose Weiber und Kinder, im Hintergrunde ein Kloster in vollen Flammen, im Vordergrund mißhandelte Mönche; [...] ein Bild welches im Schränkchen müßte aufbewahrt werden.®8 Hier wie da eine „greuliche Kriegsszene", „Gewalttätigkeiten gegen Überwundene", Religions frevel und „gehäufte Tote". Doch während Goethe Tischbeins Nachzeichnung des griechischen Vasengemäldes in aller Öffentlichkeit als vorbildliche Lösung präsentierte, wollte er seine Kopie des modernen niederländischen Bildes in ein „Schränkchen" verbannt wissen: Gegen das „greuliche" Sujet an sich hatte er offenbar nichts einzuwenden. Ästhetisch erträglich erschien ihm die .Nachahmung des Gewaltsamen' jedoch nur in vermeintlich klassisch-antiker, tatsächlich aber klassizistisch-moderner Form. 699 697 Tischbein an Goethe, 24. Mai und 10. September 1806 (zit. nach (Dettingen, Goethe und Tischbein, Nr. 6 und 7, S. 15). Gemeint ist wohl der niederländische Maler Philips Wouwerman (1619 — 1668), der für seine Pferde-, Jagd- und Schlachtenbilder berühmt ist. Die auf der Zeichnung dargestellten „Haubt Gräuel" beschreibt Tischbein wie folgt: „Eine Kirche stehet im Brandt, wovon der türm schon eingestürz [sie!] ist. / Das Kloster stehet in flamen. / Die Mühle, wo die erste Zubereidung für der Menschen Nahrung geschied, werdt verbrandt. / Die Wohnungen stehen in flamen. / Der alte Vatter, welcher sein Haus und familige schitzen wolte, liegt erschlagen, sein Hundt, der treue gehilfe, daneben. / Der junge Gatte ist gedöttet, der räuber durchwült die Hoßentasche. / Seine Frau weint über der leiche des Vatters, der rohe Krieger treibt sie mit faust schlage ins Gesicht davon ab. Erlaub der tochter nicht über den entseelten Vatter zu weinen. / Das erschrochne Kindt hält sie in ihre Arme geschlossen. Das Bett worauf sie gezeicht, geruht, führen die Reiber fort. Die Geistliche werden mit Schweine [sie!] aus dem Kloster geführt, der ehrwürdige Standt beschimpft, gebunden wie Übelthäter, ihr modestes Gleidt entrissen und entblößt müssen sie den schimpf ertragen, mit einer schwartzen Pfannekuchen Pfanne geprelt zu werden. / Die Meßgewänder, das Allerheiligste, die Hostige, der Kelch, der Christus selbst ligt an der Erde und werdt mit füßen getreden." 698 MA 14, S. 168(Τ^- undJahres-Hefte 1806). 699 Erinnert sei daran, daß Goethe und Meyer bereits 1801 eine die .Ermordung des Priamos durch Neoptolemos' darstellende, seitdem jedoch verschollene Zeichnung von der Hand Friedrich Tiecks ausgestellt hatten, die dieser unaufgefordert eingesandt hatte. Siehe dazu oben, S. 274.

Kapitel III Kunstkritik: Carl Ludwig Fernow Nachdem Goethe die Zeitschrift Propyläen bereits im Herbst 1800 eingestellt hatte, war 1805, im Todesjahr Schillers, zugleich auch das Ende der Weimarer Preisaufgaben gekommen. Der Versuch, einer Erneuerung der Kunst nach dem Vorbild der Antike den Weg zu bahnen, war damit allem Anschein nach gescheitert. Resigniert schrieb Goethe in einem Rückblick auf die letzte, im November 1805 geschlossene Kunstausstellung: „Das Entgegengesetzte von unsern Wünschen und Bestrebungen tut sich hervor, bedeutende Männer wirken auf eine der Menge behagliche Weise; ihre Lehre und Beispiel schmeichelt den meisten; die Weimarischen Kunstfreunde, da sie Schiller verlassen hat, sehen einer großen Einsamkeit entgegen."1 Der Umstand, daß bei der letzten Preisaufgabe ausgerechnet Caspar David Friedrich ein halber Preis für zwei Landschaftszeichnungen (Wallfahrt bei Sonnenuntergang und Herbstabend am See) zuerkannt worden war, die dieser statt der eigentlich geforderten Darstellungen aus dem „Leben des Herkules" eingereicht hatte, ist immer wieder als ein gewissermaßen symbolisches Ereignis gedeutet worden: Kunsthistorisch überholt sei der hoffnungslos veraltete Klassizismus von der modernen romantischen Kunst verdrängt und schließlich abgelöst worden. In der Tat ist nicht zu leugnen, daß der Weimarer Klassizismus mit dem Ende der Preisaufgaben in eine Phase der Historisierung tritt und daß Goethe sich für die nächsten zehn Jahre fast gänzlich von der Kunstschriftstellerei zurückziehen sollte.2 Man ginge jedoch fehl, wollte man hieraus auf eine allgemeine Krise, ja das Ende neoklassizistischer Kunst schließen. Nicht zu übersehen ist, daß der Neoklassizismus auch und gerade in den Jahrzehnten nach 1800 (weiterlebt, ja mit Künstlern wie Canova, David, Thorvaldsen, Rauch, Tieck, Schinkel und Ingres erst in diesen Jahren seinen produktiven wie auch rezeptiven Höhepunkt erreicht. „Neoclassicism", so hat David Irwin aus einer die deutsche Unterscheidung zwischen Klassik und Romantik souverän ignorierenden internationalen Perspektive geschrieben, 1 BA 19, S. 456 (Letzte Kunstausstellung 1805). Siehe da/u Osterkamp, Antikes, in doloribus pinxit. 2 Zur Muscalisierung und Philologisierung des Klassizismus ab ca. 1805 siehe Osterkamp, „Aus dem Gesichtspunkt reiner Menschlichkeit", S. 321 f.

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„held sway for roughly eighty years, with medieval and exotic alternative styles either scarcely gaining a hold or being absorbed into the classical idiom. [...] Only after 1830 was its leading position seriously undermined."3 Vor diesem Hintergrund soll im folgenden exemplarisch danach gefragt werden, welche Rolle die ,Nachahmung des Gewaltsamen' in der Kunst des reifen europäischen Neoklassizismus spielt und wie sich die deutsche Kunstkritik zu ihr verhalten hat. Im Zentrum werden dabei die beiden großen Monographien über den deutschen Maler Asmus Jakob Carstens (1753-1798) und den italienischen Bildhauer Antonio Canova (1757-1822) stehen, die der mitderweile zu den Weimarer Kunstfreunden hinzugestoßene Carl Ludwig Femow im Jahre 1806 veröffentlicht hat. Bevor sich die Untersuchung jedoch dem Werk dieser beiden Künstler im Spiegel der Fernowschen Schriften zuwenden kann, gilt es zunächst einmal, den (kunst)historischen Hintergrund der damaligen Beurteilungsmaßstäbe zu rekonstruieren.

I. Meyers Entwurf einer Kunstgeschichte des achtzehnten Jahrhunderts Nach dem Scheitern des Versuchs, zunächst mit den Propyläen, dann mit den Preisaufgaben Einfluß auf die aktuelle Kunstentwicklung zu nehmen, zog Goethe es wie gesagt vor, sich für längere Zeit nicht mehr zu Angelegenheiten der zeitgenössischen bildenden Kunst zu äußern. Die Tatsache, daß Goethe sich zu den auf seiner Liste ,,[z]u bearbeitender Materie" (MA 6.2, S. 966) genannten Künstlern (Füssli, Carstens, Trippel, Canova, David) nicht öffentlich geäußert hat, bedeutet keinesfalls, daß er sie und ihre Werke nicht wahrgenommen hätte. So hatte er sich bereits auf seiner Reise in die Schweiz, die eigentlich eine Reise nach Italien werden sollte, einige Bemerkungen notiert, die sich kritisch mit „Heinrich Füesli's Arbeiten" auseinandersetzen (MA 4.2, S. 89). Auch wenn der für die Propyläen geplante Aufsatz nie fertiggestellt wurde, so lassen sich kritische Anspielungen auf Füssli nicht nur in Goethes Entwurf Über die Gegenstände der bildenden Kunst (1797), sondern auch im Sammler und die Seinigen (1799) ausmachen. Im Mai 1800 sah er einige Kupferstiche nach Füssli und bezeichnete den Künstler als einen „genialen Manieristen", der „sich selbst parodire" (Gl' II I, S. 360); spätestens 1803 dürfte er Füsslis Lectures on Painting (1801) gelesen haben, vertraute deren Rezension jedoch Meyer an, der Füssli zwar an mehreren Stellen widersprach, im großen und ganzen aber offenbar von dem klassizistischen Tenor der Lectures überrascht war. Goethe selbst beschränkte sich auf eine Kritik der deutschen Ubersetzung und schloß mit dem Wunsch, daß schon bald eine verbesserte zweite Auflage des Textes herauskommen würde,

3 Irwin, Neoclassicism, S. 4. Irwin unterscheidet dabei zwei Phasen des Neoklassizismus „Early Development" (1750 bis ca. 1790) und „Maturity" (1790 bis ca. 1830) - , an die sich eine dritte Phase des Nachlebens bis in die heutige Gegenwart hinein anschließt.

Meyers Entwurf einer Kunstgeschichte ties achtzehnten

Jahrhunderts

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„damit unsere teutschen Künstler und Kunstfreunde durch nichts abgehalten würden, ein so schätzbares Werk zu genießen und zu nutzen!" (MA 6.2, S. 564; Hervorhebung von mir, M. D.). Während die Erinnerung an den bereits 1793 verstorbenen Trippel in Weimar allem Anschein nach lediglich durch seine beiden in der Herzoglichen Bibliothek aufgestellten Büsten Goethes und Herders wachgehalten wurde, ist das Wirken Canovas, des damals sicherlich bedeutendsten neoklassizistischen Bildhauers, Goethes Aufmerksamkeit nicht entgangen. Zwar wird der Name Canova in seinen römischen Aufzeichnungen lediglich auf zwei Merkzetteln erwähnt und in der Italienischen Reise sogar völlig verschwiegen. Die Tatsache, daß Goethe ihn 1798 in die Liste der für die Propyläen „Zu bearbeitende[n] Materie" aufnahm, zeigt jedoch, daß er zumindest einige seiner Werke gekannt haben muß. Daß er Canova trotz der kritischen Urteile, die ihn aus Rom erreichten, für einen der hervorragendsten Bildhauer seiner Zeit gehalten hat, legt ein Brief aus dem Jahre 1804 nahe: Auf Anfrage riet er dem Diplomaten Christoph Wilhelm von Diede, durch den „fürtrefflichen Canova nach vorhandenen Bildern" eine Büste seiner in Padua begrabenen Ehefrau, der auch in der Italienischen Reise erwähnten Luise Diede, anfertigen zu lassen. Als Grund für seine Empfehlung gab er an, daß auf diese Weise „ein unschätzbares Geschenk für die Mitlebenden, so wie" — nicht zuletzt — „für die Nachwelt entstehen" würde (Goethe an Christoph Wilhelm von Diede zu Fürstenstein, 19. Juli 1804 (Konzept) [WA IV, Bd. 17, Nr. 4930, S. 1621). Auch in David, auf den er die „neue Energie" der gerade um 1800 so erfolgreichen französischen Schule zurückführte, hat Goethe den seine Konkurrenten weit überragenden Künstler erkannt (MA 6.2, S. 973). 1799 hatte er bei Wilhelm von Humboldt, der sich damals in Paris aufhielt, angefragt, ob dieser eine Möglichkeit sehe, David als Illustrator für die von Friedrich August Wolf geplante Homer-Ausgabe zu gewinnen. Humboldts Bemühungen, die ihn auch zu dem David-Schüler Frangois Gerard (1770-1837) führten, hatten zwar keinen Erfolg (siehe Goethe an Humboldt, 26. Mai 1799 [GHB, Nr. 31, S. 78] und Humboldt an Goethe, 18. August 1799 [ebd., Nr. 32, S. 80-86J). Als ein Ergebnis seiner „Erkundigungen" lassen sich jedoch die beiden Aufsätze über Davids „Versöhnung der Römer und Sabiner" und Gerards „Der hülflose Blinde" verbuchen, die Humboldt nach Weimar sandte und die Goethe im vorletzten Heft der Propyläen veröffentlichte (Propyläen, S. 829-836). Dem von Caroline von Humboldt verfaßten Aufsatz über David gingen einige einleitende Sätze Meyers über die „Eigenschaften der Kunst dieses Künstlers" voran, in denen er unter anderem bemerkte, daß David „vorzüglich historisch-pathetische Gegenstände zu lieben" scheine, und seine Formen „alle derb und kräftig" seien, ja sich mitunter „selbst dem Gewaltigen und Großen" annäherten (Propyläen, S. 829f.). Durchaus möglich ist schließlich, daß Goethe zu eben dieser Zeit ebenfalls von Humboldt zumindest eine der beiden David-Zeichnungen (bzw. aus seinem Umkreis?) erhalten hat, die sich bis heute im Besitz des Goethe-Nationalmuseums befinden, und von denen die eine Hebe und Ganymed, die andere jedoch eine Variation von Davids Brutus-Gemälde (Die Uktoren bringen Brutus die Leichname seiner beiden Söhne, 1789) zeigt (siehe Femmcl, Goethes Grafiksammlung. Die Franzosen, S. 55f ).

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Im Rahmen des 1805 erschienenen, retrospektiv angelegten Werkes über Winckelmann und sein Jahrhundert, das direkt an die bisherigen Projekte der Weimarischen Kunstfreunde anschloß,4 zugleich aber die Historisierung und Philologisierung des Frühklassizismus einleitete, verfaßte Goethe lediglich einige biographische Skisgen igt einer Schilderung Winkelmanns. Die Aufgabe, ein umfassendes Resümee der Kunstgeschichte des zurückliegenden Jahrhunderts zu ziehen, überließ er Meyer. Plaziert direkt im Anschluß an siebenundzwanzig bis dahin unedierte Briefe Winckelmanns an seinen „Landsmann, Schulfreund und Hausgenossen" Hieronymus Dietrich Berendis, stellt Meyers Entwurf einer Kunstgeschichte des achtzehnten Jahrhunderts den umfangreichsten Beitrag des Sammelwerkes dar, zu dem neben Goethe und Meyer auch Friedrich August Wolf, Carl Ludwig Fernow und Wilhelm von Humboldt beitrugen. In der Einleitung zu seinem von der Forschung bislang vernachlässigten Text betont Meyer, daß er sich bewußt dafür entschieden habe, nur denjenigen Zeitabschnitt darzustellen, der „unserer Zeit und unserem Interesse am nächsten liegt." Indes dürfe man nicht „eine allgemeine Erzählung von den Schicksalen und Werken der Kunst in allen Ländern" erwarten; sein Ziel sei einzig und allein gewesen, „den Lesern nur das Beste bekannt [zu] machen, was in Italien und vornehmlich Rom, als dem Mittelpunkt und Sammelplatz der besten Künstler aller Nationen", entstanden sei.3 Diese Fokussierung ist programmatisch zu verstehen: Im Rückblick auf das 18. Jahrhundert wird noch einmal Rom, die einstige Heimstätte Winckelmanns, Raffaels und der berühmtesten Antiken, zur legitimen Hauptstadt der Künste erklärt, während Paris, die durch den Kunstraub und den Erfolg der David-Schule zum neuen Rom gewordene Hauptstadt der Franzosen, mit Schweigen übergangen wird.6 Meyers Überblick über die Kunstentwicklung der Epoche zwischen 1700 und 1800 führt fast zweihundert Künsder an, die als Maler, Bildhauer, Kupferstecher, Stein- und Stempelschneider in Rom lebten und arbeiteten. Hinzu kommen die Namen von etwa zwanzig Kunstliteraten und Ästhetikern, die in diesem Zeitraum mit ihren Schriften theoretischen Einfluß auf die Kunstentwicklung nahmen. Allein für das letzte Viertel des 18. Jahrhunderts nennt Meyer mehr als einhundert in Rom wirkende Künsder. Neben zahlreichen heute mehr oder weniger verges4 Siehe Goethes Vorrede (ΜΛ 6.2, S. 196f.), in der er betont, daß Winckelmann und sein Jahrhundert „unmittelbar" an die „übrigen Arbeiten" der Weimarischen Kunstfreunde (Propyläen, Ausstellungsprogramme, Beiträge in der Jenaischen Literaturzeitung und Cellini) anschließe. 5 MA 6.2, S. 202. Zur römischen Kunstgeschichte des 18. Jahrhunderts siehe u. a. [Kat.] II Settecento a Roma, bes. S. 17-39; [Kat ] Painting in Italy in the Eighteenth Century; [Kat.] Art in Rome in the Eighteenth Century; [Kat.] Aequa potestas. 6 Siehe dazu Oesterle, Paris - das moderne Rom, bes. S. 382ff.; dies., Der „neue Kunstkörper", S. 58ff.

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senen Namen finden sich darunter auch diejenigen Füsslis, Carstens', Trippeis, Canovas und Davids, also just der Künsder, deren Behandlung Goethe eigentlich für die Propyläen vorgesehen hatte. Während Meyer sich für Informationen über die Zeit vor 1775 zumeist auf ältere Kunst- und Künsdergeschichten verlassen mußte, konnte er im Hinblick auf das letzte Viertel des 18. Jahrhunderts sowohl auf die eigene Erfahrung (Meyer hatte sich von 1784—90 und dann noch einmal von 1795-97 in Italien aufgehalten) als auch auf ein von Aloys Hirt wohl in den Jahren 1786/87 für Goethe aufgesetztes „Verzeichniß der bekanntesten jetzt lebenden Künstler in Rom" zurückgreifen.7 Zu Meyers Quellen dürfte darüber hinaus auch Carl Ludwig Fernow gehört haben, der bis zu seiner Übersiedlung nach Weimar (1803) fast ein Jahrzehnt in Rom gelebt und sich in mehreren Aufsätzen als hervorragender Kenner der römischen Kunstszene empfohlen hatte.8 Als Fixpunkte für Meyers Beurteilung der zeitgenössischen Kunstpraxis fungieren dabei neben der Antike vor allem vier Maler: Michelangelo, Raffael, Nicolas Poussin und Anton Raphael Mengs. „Großheit": Füssli und Michelangelo Füssli, mit dem Meyer die Periode zwischen 1775 und 1800 beginnen läßt, hatte sich von 1770 bis 1778 in Rom aufgehalten und dort einen dramatisch-heroischen Stil entwickelt, der bestimmend für sein Werk werden sollte.9 Von Meyer wird er als der talentierteste unter den „neuem Bekennem des Michel Angelo" bezeichnet, derjenigen Künsder also, die sich der allgemeinen, ihm zufolge in den 1750er Jahren beginnenden Tendenz zum Studium Raffaels und der Antiken widersetzten, um sich statt dessen allein an den Werken des in den Augen des 18. Jahrhunderts gewaltsamen Künsders par excellence zu schulen.10 Charakteristisch für die

7 Das achtzehn Blatt umfassende und ganz ähnlich wie Meyers Entwurf konzipierte Manuskript Hirts, das mit Randbemerkungen Meyers versehen ist, befindet sich heute im Weimarer Goethe-und-Schiller-Archiv (Nachlaß Meyer, GSA 64/111,1). Kine kommentierte Transkription des gesamten Verzeichnisses haben Tausch/Johannsen angefertigt. 8 Siehe etwa seinen im Neuen Teutschen Merkur von 1798 veröffentlichten Aufsatz Über den gegenwärtigen Zustand der Kunst in Rom oder seine Kxnstnachrichten und neueste Literatur von Rom aus dem Jahre 1803 sowie den Abschnitt über den „Zustand der bildenden Künste" in seinem 1802 erschienenen Sitten- und Kulturgemälde von Ram, S. 210-285. Fernows besonderen Kenntnissen zollte Meyer Anerkennung, indem er die von ihm verfaßte „Bemerkung eines Freundes" als Hxkurs in seinen eigenen Entwurf aufnahm (ΜΛ 6.2, S. 230-235). 9 Siehe dazu Pressly, The Fuseli Circle in Rome, S. v-xii, bes. S. ix. 10 MA 6.2, S. 286. Zum Einfluß der Kunst Michelangelos auf Füssli siehe Schiff, Johann Heinrich Füssli und Michelangelo; ders., Johann Heinrich Füssli, Bd. 1, S. 78 und (zu seinen Kopien nach Michelangelo) S. 479-481, 511, 558f. Vgl. auch Füsslis dritte vor der Royal Academy gehaltene Lecture über „Invention", in der von Meyer rezensierten

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„Nachahmer des Michel Angelo" im Sinne Meyers ist, daß sie „anstatt der wirklichen echten Großheit seines Stils bloß seine Manier aufgreifend", fast immer „ins Übertriebene" fielen. So sei es auch Füssli bei allem künstlerischen Verdienst weder gelungen, die „gewaltigen großen Formen seines Vorbildes" zu erreichen, noch „das Schreckliche, wenn es auch in der Kunst könnte gestattet werden", in angemessener Weise darzustellen.11 Künstler wie Füssli und der von Meyer ebenfalls zu den Michelangelo-Anhängern gezählte Friedrich, genannt Maler Müller erscheinen in dieser Perspektive als eigentümlich anachronistische Figuren, die nicht bereit sind, die von Winckelmann, Mengs, Caylus und Hamilton seit der λ ί ΐ η ε des 18. Jahrhunderts eingeleitete Wendung zum besseren Geschmack mitzuvollziehen.12 Dabei ist es keineswegs so, daß Meyer die Kunst Michelangelos an sich als „übertrieben" ablehnte, wie dies etwa Francesco Milizia in seiner auf Sulzer und Mengs aufbauenden Schrift Oell'Arte di vedere nelle Belle Arti del Disegno (1781) getan hatte.13 Meyer erkennt die überragende Bedeutung Michelangelos durchaus an, sieht die Gefahr aber gerade darin, daß seine Werke für junge beziehungsweise weniger geniale Künstler eigentlich unnachahmbar seien und sie, wie den „geistreichen Manieristen"14 Füssli, geradezu notwendig in die Sackgasse der „Manier" führen müßten: Niemand kann die Kunst des Michel Angelo höher schätzen, mehr verehren, als wir tun, aber durch das Beispiel aller, seiner frühern sowohl als spätem Nachahmcr läßt sich unwiderleglich dartun, daß eine nicht gemäßigte Vorliebe für seine Werke, ein ausschließliches Studium derselben junge Künstler zur Manier verlockt und die reine Ausbildung ihres Talents hindert. Michel Angelo imponiert ihnen durch seine großen Formen, durch die Richtigkeit seiner Zeichnung, durch Kraft und Geist; aber bei alle dem ist er doch einförmig, und seine Kunst weist den Schüler, der ihr folgen will, nicht auf die Natur hin, sondern von derselben ab. Wer nicht mit Michel Angelos eigentümlichen Sinn, ja, wir möchten hinzu setzen, auch mit seiner Kunst und Wissenschaft ausgerüstet, ihn nachahmen will, verfallt aus dem Großen gar leicht ins riesenhaft Ungeheuere. Die Kühnheit der Stellungen artet in Verdrehungen und der Ausdruck ins Verzerrte aus. 13

Meyer kritisiert, wie man sieht, weniger das Große, ja zum Teil Ungeheuerliche als vielmehr das Einförmige der Kunst Michelangelos, das in den Werken seiner

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Übersetzung der „Vorlesungen über die Kunst" (1803), S. 157-255, bes. S. 178-189 und 194-207 (über Michelangelo als „epischen Maler"). MA 6.2, S. 286f. Vgl. auch Meyer, Geschichte der Kunst, S. 302. Zu Müllers Bewunderung Michelangelos siehe u. a. sein 1797 in den Hören erschienenes Schreiben über die Ankündigung des Herrn Fernow, S. 25-27. Milizia, Dell'Arte di vedere, S. 8f. und 16f. Zur Kritik an Michelangelo in Deutschland siehe Oberholzer, Das Michclangelo-Bild in der deutschen Literatur, S. 13-39; von Einem, Michelangelo, S. 9-11 sowie - insbesondere zum Wandel des Michelangelo-Bildes am Ende des 18. Jahrhunderts - Beyer, „... was ein Mensch vermag ...", S. 55-59. MA 6.2, S. 286. Vgl. Goethes bereits oben zitierte Einschätzung Füsslis als „genialen Manieristen", der „sich selbst parodire" (GT II, 1 (2. Mai 1800), S. 360). MA 6.2, S. 288.

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Nachahmer zu verdrehten und gewaltsamen Stellungen, zu übertriebenem und verzerrtem Ausdruck „ausartet". Ganz ähnlich heißt es schon bei Winckelmann, daß derselbe „Weg", der Michelangelo „wie in unwegsame Orter und zu steilen Klippen brachte", Bernini „in Sümpfe und Lachen" verfuhrt habe.16 Vor allem unter dem Aspekt der Ausbildung junger Künsder hält Meyer deshalb das Studium der Antiken oder Raffaels für weitaus ratsamer, da sich bei ihnen einerseits die Schönheit der Formen, andererseits das Charakteristische und Ausdrucksvolle in all seiner Mannigfaltigkeit musterhaft vorgebildet fänden.17 Innigkeit: Carstens und Raffael Zu den „Nachahmern des Michel Angelo" müßte genau genommen auch Asmus Jakob Carstens gerechnet werden, der laut Meyer „denkendste" und „strebendste von allen, welche zu seiner Zeit in Rom der Kunst oblagen."18 Anfänglich von „Michel Angelos Kraft und Großheit vor allem anderen mächtig angezogen", habe Carstens „nach einem almähligen Ubergang" jedoch Raffael statt Michelangelo zu seinem alleinigen Vorbild gewählt: „In den letzten Arbeiten", so Meyer, webe deshalb „durchgehende ein inniges zartes Fühlen, eine lebendige Seele, auf einige ließe sich das Kunstwort der Italiäner fatto con l'anima schicklich anwenden". 19 Ob Raffaels Zartgefühl tatsächlich, wie hier behauptet, die michelangeleske Größe aus dem Werk Carstens' verdrängt hat, ist eine Frage, die einer näheren Betrachtung wert ist, insofern sie die Stilmerkmale eines wegweisenden Malers des deutschen Klassizismus betrifft. Hierauf wird im Zusammenhang mit Femows CarstensMonographie zurückzukommen sein, auf deren baldiges Erscheinen Meyer selbst hinweist.20 Hier genügt es festzuhalten, daß Meyer in seiner Kunstgeschichte des achtzehnten Jahrhunderts den Einfluß, den die Kunst Raffaels auf Carstens ausgeübt habe, allein auf den „Geschmack der Falten" und die „Wahl der Motive", nicht aber auf die Formen und den Ausdruck bezieht, die beiden Komponenten also, die immer wieder mit Michelangelo in Verbindung gebracht werden.21 Im Hinblick auf 16 G K Dresden, S. 144. Das Spektrum von Winckelmanns Urteilen über Michelangelo reicht von der Bezeichnung als „Phidias neuerer Zeiten" und ,,gröste[r] nach den Grie-

chen" (Gedanken über die Nachahmung [1755], KS, S. 50) bis zu der Einschätzung, daß

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„Michael Angelo die Brücke zu dem verderbten Geschmacke auch in der Bildhauerey angeleget und gebauet" habe (.Anmerkungen über die Geschichte der Kunst des Alterthums [1767], nach: KS, S. 157). MA 6.2, S. 288f. Zum Begriff des ,Charakteristischen' bei Meyer siehe unten, S. 307ff. Ebd., S. 307. Ebd., S. 307. Ebd., S. 335. Ebd., S. 307. In Meyers um 1811 entstandenen Geschichte der Kunst wird im Zusammenhang mit Carstens der Einfluß Raffaels überhaupt nicht erwähnt. Carstens figuriert hier lediglich als „einer der talentvollsten, welche sich den Michelangelo nachzuahmen bemühten." Siehe Meyer, Geschichte der Kunst, S. 302.

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die von Carstens behandelten Sujets betont Meyer denn auch, daß „ernsthafte pathetische Gegenstände" dem „Ernst seiner Natur, seines Strebens" eigentlich angemessener gewesen seien, als die „gefälligen", „neuen oder doch selten bearbeiteten", an denen er sich immer wieder, und zudem häufig erfolglos, versuchte.22 Ist Carstens somit zumindest von seiner .natürlichen' Disposition her eindeutig zu den „neuern Bekennern des Michel Angelo" zu zählen, so rechnet ihm Meyer andererseits an, daß er sich „besser als viele andere, welche unter dem Panier des Michel Angelo, die Schwierigkeiten der Kunst überwinden wollten, vor auffallend verdrehten und widernatürlichen Stellungen in Acht genommen" habe.23 „Carstens", so sollte Meyer in seiner späteren Geschichte der Kunst pointiert formulieren, „hat sich mehr als Füssli in Schranken gehalten".24 Gefälligkeit: Canova und die schöne Antike Ähnlich wie bei Carstens sieht λ ^ β Γ auch bei Trippel, dem bis zu seinem Tode „gefährlichsten Nebenbuhler"23 Canovas, den eigentlich strengen, derben Charakter des Künsders im Konflikt mit den von ihm dargestellten gefälligen Figuren: „Trippeln, dessen sittlicher Charakter ernst, derb und kurz geschlossen war, gelangen, da er viel anatomische Kenntnisse besaß, Figuren von kräftig ausgesprochenem Charakter und Handlungen am besten; dessen ungeachtet hat er, der immer allgemeiner werdenden Forderung des Naiven und Gefälligen nachgebend, meist zarte jugendliche Gestalten gebildet."26 Mit der immer „allgemeiner werdenden Forderung des Naiven und Gefälligen" dürfte Meyer zunächst einmal den in den Augen der Weimarischen Kunstfreunde allzu seichten und oberflächlichen Geschmack des nationalen wie auch internationalen Publikums gemeint haben, über den sich auch schon Schiller in seinen Schreiben an den Herausgeber der Propyläen abfällig geäußert hatte.27 In einem viel konkreteren Sinne spielt Meyer wohl auf 22 MA 6.2, S. 308. Die Bedeutung von Meyers hier auf den ersten Blick mißverständlicher Formulierung („Der Ernst seiner Natur, seines Strebens verlangte [...] doch %um wenigsten ernsthafte pathetische Gegenstände; [·•·]•", Herv. von mir, M. D.) hat Goethe in seiner Paraphrase dieses Satzes, erschienen im ersten Heft der Weimarischen Pinakothek, klargestellt. Dort heißt es unmißverständlich: „Der Ernst seiner Natur, seines Bestrebens, verlangte pathetische, ernste Gegenstände, [...]." (MA 13.2, S. 31). 23 MA 6.2, S. 307f. 24 Meyer, Geschichte der Kunst, S. 302. 25 So das Urteil Fernows in seinem Sitten- und Kulturgemälde von Rom, S. 278f. sowie in seiner Monographie Über den Bildhauer Canova, S. 18f. Schon Hirt hatte in seinem „Verzeichniß der bekanntesten jetzdebenden Künsder in Rom" geschrieben, daß Canova mit Trippel um den Vorzug streite. Zur Konkurrenz der beiden Künstler siehe auch [Kat.] Alexander Trippel, S. 12; Maaz, Alexander Trippel zwischen Freiheit und Amt, S. 14. 26 MA 6.2, S. 324. 27 NA 20, S. 299.

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die Kunst Canovas an, dessen Werke vor allem in Deutschland unter dem Verdikt des Gefalligen, Reizenden und Sentimentalen standen. So hatte beispielsweise Fernow in seinem Sitten- und Kulturgemälde von Rom (1802) geschrieben, daß Canovas „Geschmack und Manier mehr zum Gefälligen und Reizenden" neige, „welches oft an schlaffe Mürbheit gränzt, als zu kraftvoller Größe und reiner Formschönheit, die eigentlich das Wesen der Skulptur ausmacht."28 Als eines der prominentesten Beispiele hierfür nannte er Canovas Gruppe Amor und Psyche (heute Paris, Louvre), in der „das Weiche bis zur Schlaffheit, und der Reiz der Materie bis zum Widerlichen getrieben" sei, wodurch sie sich nicht dem Muster der Antike, sondern Berninis berühmt-berüchtigter Darstellung Apollo und Daphne annähere.29 Obwohl Meyers Urteil über die ihm bekannten Werke Canovas weniger scharf als dasjenige Femows ausfällt, und er Komposition, Formen und Behandlung der Amor und Psyche-Gruppe sogar als „gefällig", „elegant" und „bewundernswert" zu loben weiß,30 ist seine Meinung über Canova als Künstler im großen und ganzen ebenfalls kritisch. Was Meyer Canova zum Vorwurf macht, ist gerade nicht seine Modernität, die ihn aus heutiger Sicht als einen Begründer der modernen Skulptur erscheinen läßt,31 sondern seine ästhetische Rückständigkeit, die ihn gewissermaßen zu einem Zeitgenossen des bereits 1779 gestorbenen Anton Raphael Mengs' mache: Canova kann recht füglich mit Mengs zusammen gestellt werden; sein gleichgeartetes Talent hatte im Plastischen ohngefähr die Stufe erstiegen, auf welcher wir Mengs als Maler gesehen haben. Beide strebten nach der Schönheit in den Formen, durch Nachahmung der Antiken, und beide haben auch ihren Vorsatz in einzelnen Teilen und Gliedern gar oft erreicht, hingegen niemals zur Einheit des Ganzen gelangen mögen. Beide führten ihre Werke mit großer Sorgfalt aus, ordneten auch wohl einzelne Gruppen gut an, glänzen aber selten durch die Erfindung. 32

Wie zu sehen sein wird, sollte Carl Ludwig Fernow die von Meyer vorgeschlagene Parallele zwischen Canova und Mengs in seine Monographie Über den Bildhauer Canova und dessen Werke übernehmen, sie ausbauen und auf das „Unvermögen" der beiden Künstler „für das Bestimmte, Strenge der Form und für ernste kraft-

28 Fernow, Sitten- und Kulturgemälde von Rom, S. 265f. 29 Ebd., S. 266. Zu Meyers Einschätzung des „Erznaturalisten" Bernini, „der auf edle Formen selten geachtet" habe, vgl. MA 6.2, S. 224. 30 MA 6.2, S. 324f. 31 So die These von Lichts großer Canova-Monographie. Zu der von Goethe bzw. Meyer verkannten „ ,moderne[n]' Dimension" insbesondere der Grabmäler Canovas siehe auch Busch, Das sentimentalische Bild, S. 210-235. 32 MA 6.2, S. 325. Vgl. ebd., S. 340f. und Meyer, Geschichte der Kunst, S. 301 f. Zu Meyers Charakterisierung von Mengs siehe MA 6.2, S. S. 272-278, bes. S. 273f. und 284 (zu Mengs' Schriften).

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Kunstkritik: Carl Ludwig Fernow

volle, heroische und pathetische Gegenstände" pointieren.33 Hiervon ist bei Meyer noch nicht die Rede. Im Zentrum seiner Kritik steht zunächst einmal Canovas mangelnde Fähigkeit, in seinen Werken zu einer „Einheit des Ganzen" zu gelangen. So heißt es im Hinblick auf sein für St. Peter geschaffenes Grabmal Papst Clemens XIII., daß die „einzelnejn] Teile und Glieder der Figuren" zwar durchaus „schöne Formen" hätten, der „Zusammenhang der Teile unter sich, die Ubereinstimmung des Ganzen" aber fehle.34 Wenn Meyer das besondere Talent Canovas für die Darstellung schöner, aus der Nachahmung der Antike gewonnener Formen hervorhebt, so klingt in diesem Lob gleichwohl das Verdikt Fernows schon an, daß diese Begabung genaugenommen eine Beschränkung sei. Theatralität: David und Poussin In seinen im Vorfeld der Propyläen entstandenen Notizen „Uber römisches Künsderleben" hatte Goethe als eine der Eigenheiten der französischen Kunst den sich von Poussin herschreibenden „alte[n] Sinn der Franzosen nach dem Ernsthaften" bemerkt und von hier eine Linie zu David gezogen, der die französische Schule aus ihrer zwischenzeitlichen „Abweichung [...] ins Manierierte und Leere" gerettet habe.33 Auch für Meyer ist die „Verbesserung des Geschmacks" in Frankreich vor allem auf die „neue Energie unter David" (Goethe) zurückzuführen: [Sjeitdcm er aufgetreten, ist die galante und fade Manier der Vanloo und Boucher ziemlich verschwunden, man nimmt nun allgemein in den Produkten französischer Künstler mehr Ernst, Wissenschaft, auch fleißigere Ausführung, die ein Streben nach Form anzeigt, wahr.36

Die genannten Verdienste der „neuern französischen Schule" (Ernst, Wissenschaft, Streben nach Form), die David in den Augen der Weimarer als einen Antipoden des sentimentalen und weichlichen Canova erscheinen lassen mußten, werden Meyer zufolge allerdings durch künstlerische Schwächen beeinträchtigt, die er als typisch für den französischen Nationalcharakter interpretiert. Schon bei Poussin bemerkt er eine besondere Neigung zum „Heroischen" und „Idealen", die an das Unvermögen gekoppelt sei, „das Naive, das menschlich zum Menschlichen Dringende" darzustellen.37 Sein Kolorit, so heißt es in Meyers Geschichte der 33 Fernow, Über den Bildhauer Canova, S. 238f. Siehe dazu unten, S. 341 f. Möglich ist natürlich auch, daß der Vergleich Canovas mit Mengs ursprünglich von Fernow selbst stammt. 34 MA 6.2, S. 325. 35 MA6.2,S. 973. 36 MA 6.2, S. 300. 37 Ebd., S. 210. So errege beispielsweise Poussins Gemälde des Bethlehemitischen Kindermordes „weniger Rührung als Schauder über die Unmenschlichkeit des Soldaten, welcher dem schwachen Säugling auf den Hals tritt und noch mit dem Degen über ihn ausholt."

Meyers Entwurf einer Kumtgeschichte des achtzehnten

Jahrhunderts

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Kunst über Poussin, „ist selten sehr löblich", der „Ausdruck seiner Figuren ist zuweilen bloße Maske, zuweilen zur Karikatur übertrieben." 18 Exakt dieselben Defizite - Unnatürlichkeit und Übertreibung - erkennt Meyer in den Werken der Künsder der „neuern französischen Schule" wieder, zu denen er neben David auch seinen Schüler Drouais sowie die Romstipendiaten Desmarais und Gauffier zählt: Bei dem fast durchgängigen Mangel am Gemütlichen gelingen ihnen angestrengte Bewegungen und stark muskulierte Körper gewöhnlich besser als schöne zarte Gestalten, die eines reinen Natursinns bedürfen und sich noch überdem weniger mit dem grellen Kontrast von übertriebenen Licht- und Schatten-Partien vertragen, welche fast alle Maler dieser Schule [...] in ihren Werken anbringen.·19 Bei dem Vorwurf, den französischen Künstlern mangele es an „Gemütlichkeit" sowie einem „reinen Natursinn", handelt es sich bekanntlich um ein seit der Mitte des 18. Jahrhunderts immer wieder bemühtes nationales Stereotyp, das die deutsche Innerlichkeit und Aufrichtigkeit der französischen Oberflächlichkeit und Rhetorik entgegensetzt und im Vorwurf der Effekthascherei, Scharlatanerie und Theatralität kulminiert. 40 Theatralität ist es denn auch, was Meyer trotz aller Bewunderung für die Meisterschaft der Zeichnung, des Kolorits, der Anordnung und des Faltenwurfs an Davids damals bekanntestem Gemälde, dem 1785 in Rom vollendeten Schwur der Horatier (heute Paris, Louvre), kritisiert: Auch in der Anlage des Ganzen, im Gedanken überhaupt, in den Gebärden, welche die Handlung aussprechen, schlich sich etwas Theatralisches ein, man vermißte ungern in einem Kunstwerk von so vielen Verdiensten die schöne Wahrscheinlichkeit, das völlig Ungezwungene, die natürliche Einfalt, womit die Kunst ihren Produkten ein 38 Meyer, Geschichte der Kunst, S. 257. 39 MA 6.2, S. 300. Zu Gauffier und dem damals auch als „pittore delle budella" (Eingeweidemaler) bekannten Jean-Baptiste Frederic Desmarais vgl. den nach Lektüre von Meyers Entwurf geschriebenen Brief Philipp Hackerts an Goethe (4. März 1806), den dieser 1811 in seine „biographischen Skizze" des Künsders aufgenommen hat (MA 9, S. 864-868, der Originalbrief ebd., S. 1285-1288). Über Desmarais schreibt Hackert hier (S. 867), daß seine Kompositionen besonders in kleinen Gemälden zwar „ausnehmend schön" seien, „die Sujets aber immer grausam, Mord und Totschlag. Noch seh' ich keinen, der die Simplizität und Schönheit der Alten hat." 40 Was „theatralisch" (im Gegensatz etwa zu „pathetisch" oder „tragisch") an der Kunst und Kultur der Franzosen sei, hatten die Leser der Propyläen bereits Wilhelm von Humboldts Aufsatz Ueber die gegenwärtige französische tragische Bühne (Propyläen, S. 778821) entnehmen können. Vgl. seine Briefe an Goethe von Anfang April 1798 bzw. vom 25. l'cbruar 1804 über den „impertinenten" Pariser Geschmack (GHB, Nr. 28, S. 49-52 und Nr. 56, S. 174) sowie die Äußerung Caroline von Humboldts über den französischen Landschaftsmaler Denis, ebf. an Goethe, 20. April 1803 (ebd., Nr. 54, S. 166). - Zur Vorgeschichtc dieses Topos siehe Wiedemann, Römische Staatsnation und griechische Kulturnation; zum „postrevolutionären Meinungsstreit deutscher Schriftsteller" über den französischen Nationalcharakter siehe Oesterle, Kulturelle Identität und Klassizismus, S. 321-334.

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Kunstkritik: Carl Ludwig Fernow wahres bleibendes Interesse, welches im öftern Anschauen nur immer erhöht wird, verschaffen kann, wornach sie immer streben muß und welches auch als Forderung an sie nie aufgegeben werden darf. 41

Das Theatralische als das Gekünstelte, Gezwungene, Übertriebene in Erfindung, Stellung und Ausdruck wird hier dem Ideal einer natürlichen, zwanglosen und einfältigen Kunst gegenübergestellt, die Meyer vorbildhaft in der griechischen Antike verkörpert sieht.42 Der Beobachtung, daß die Maler der „neuern französischen Schule" im Einklang mit den „herrschenden politischen Tendenzen" vornehmlich Gegenstände aus der römischen Geschichte darstellen, kommt vor diesem Hintergrund eine besondere Bedeutung zu:43 Sie dient Meyer als Beweis dafür, daß die zeitgenössische Kunst Frankreichs sich notwendig, allem antikischen Anschein zum Trotz, auf dem falschen Weg befindet. Bestandsaufnahme: Die bildeηώ η Künste am Ende des 18. Jahrhunderts Mit Raffael und Michelangelo, dem ,römischen' Poussin und der griechischen Antike sind die Parameter genannt, anhand derer Meyer die Kunstereignisse des späten 18. Jahrhunderts nachzuvollziehen sucht. Historisch stellt er sie als die parallel verlaufende Herausbildung konkurrierender Stile beziehungsweise Manieren dar, die um 1750 mit der „Befreiung der Kunst und des Geschmacks" durch Winckelmann und Mengs einsetzt.44 Während der vor allem an der Nachahmung schöner Formen interessierte Mengs die Künsder als erster wieder auf das Vorbild Raffaels und der griechischen Antike hingewiesen habe, traten schon kurz darauf mit Reynolds und Füssli zwei „Ketzer gegen diese Offenbarung" auf, die versuchten, den „Geschmack des Alichel Angelo" einzuführen, sich damit beim Publikum glücklicherweise aber nicht durchsetzen konnten.43 Diesem Streben 41 MA 6.2, S. 299. Vgl. auch ebd., S. 336. - Den Schwur der Horatier hatte Meyer schon in der Einleitung zu Caroline von Humboldts Beschreibung der Sabinerinnen (Propyläen, S. 829-831) zur Grundlage seiner Charakterisierung der Davidschen Kunst gemacht. In seiner Geschichte der Kunst, S. 308, sollte er das Bild ganz offen als „Theaterszene" bezeichnen. 42 Siehe Meyer, Geschichte der Kunst, S. 308: „Weil aber die Grundlage der Bildung bei den Franzosen keineswegs auf das Studium der Griechen gegründet war, so blieb ihnen der Geist der griechischen Kunst verborgen." 43 MA 6.2, S. 300 und 336. Zu dem von Meyer hier bloß angedeuteten Zusammenhang zwischen „Römergeist" in Kunst und Politik, zwischen realer und künstlerischer Gewaltsamkeit vgl. Meyer, Geschichte der Kunst, S. 308: „Allmählich hatten sich in Frankreich die Ideen von politischer Freiheit, von Patriotismus und Römergeist verbreitet, und je näher die Zeit der Revolution heranrückte, je gewaltsamem Charakter nahm alles an; so auch die Kunst, welcher darum das Süßliche, Fade, was bisher gegolten, nicht weiter passen konnte." 44 MA 6.2, S. 335ff. 45 Ebd., S. 335. Vgl. oben, S. 297-299. Zu Reynolds' Verehrung für Michelangelo siehe ebd., S. 279 und Dobai, Kunstliteratur, Bd. 2, S. 780-783.

Meyers Entwurf einer Kunstgeschichte des achtzehnten Jahrhunderts

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nach dem „Großen und Gewaltigen"46 entgegengesetzt, sei ungefähr zur gleichen Zeit unter zahlreichen Künstlern die „Neigung zur naiven Einfalt der frühen Florentinischen Meister" erwacht, das heißt der Hang zum „Natürlichen, Innigen, Gemütlichen und zart Empfundenen", wie er damals als typisch für die Kunst vor Raffael gehalten wurde. Ebenso wie die vorherige tut Meyer auch diese Tendenz als nutzlos für die Entwicklung der Kunst ab, da die von ihr propagierte „naive Einfalt" hinter das kunsthistorisch bereits erreichte Niveau zurückfalle.47 Schließlich sei „die kräftige Manier Davids und seiner Genossen" entstanden, deren „Darstellungen von Römertaten, [...] gehoben durch Verwandtschaft mit den herrschenden politischen Tendenzen, mehr Beifall erhielten, als sie vielleicht ihrem innern Kunstgehalt nach hätten erhalten sollen." Weil in ihren Bildern (wie schon in denen Poussins) stets „etwas maskenhaftes" herrsche und die Figuren sich „wie Schauspieler" gebärdeten, schlägt Meyer — nicht ohne Anspielung auf die napoleonischen Kriege — vor, diesen Geschmack den „kriegerischen, oder noch passender den theatralischen" zu nennen, und drückt damit sein zugleich ästhetisches wie politisches Unbehagen über die französische Manier aus.48 Der so entstandene Konflikt zwischen der „Forderung naiver Motive und reiner Schönheit in den Formen" einerseits und dem Streben nach „Großheit und Energie" andererseits führte, so Meyer, unter den in Rom tätigen Künstlern zu einer Verwirrung der bislang anerkannten ästhetischen Muster und Maßstäbe. Es herrschte Unklarheit darüber, an welchen historischen Vorbildern man sich schulen und in welchem Stil man selbst malen und bilden sollte. Dabei betraf dieser „etwas unsichere, schwankende Zustand" in „Wissen, Wollen und Urteilen" nicht nur die Malerei der Neuzeit, sondern auch das bis dahin unantastbare Skulpturenideal der Antike: Nur selten übte sich noch jemand nach Werken der Carracci oder Guido, hingegen wurden neben Raphael und den Antiken Michel Angelo und I^eonardo da Vinci mehr studiert als sonst geschehen war; man konnte überhaupt bemerken, daß besonders bei den Künstlern das Große, Kräftige, zugleich aber auch das Naive immer mehr galt; daher kam es denn, daß einige Antiken, z. B. Antinous von Belvedere, Apollino, Venus, die Ringer, etc. welche vormals als kanonische Muster angesehen wurden, an ihrem Ruhm einbüßten, hingegen die Kolossen auf Monte Cavallo, die Ludovisische Juno, überhaupt alle Werke v o n großem und hohen Styl mehr geachtet, ja v o n manchen unbedingt als die vortrefflichsten aller Kunstwerke verehrt wurden. 4 9

46 MA 6.2, S. 273. 47 Kbd., S. 335f. Vgl. dazu Meyers Verteidigung der Verklärung

Raffaels (ebd., S. 336-339)

und den 1817 erschienenen Aufsatz Neu-deutsche religios-patriotische Kunst (MA 11.2, S. 323). 48 MA 6.2, S. 336. Zum maskenhaften Ausdruck der Figuren bei Poussin siehe oben, S. 303. 49 MA 6.2, S. 336. Zu den genannten Antiken siehe Haskell/Penny, Taste and the Antique, S. 1 4 1 - 1 4 3 (Antinous), S. 1 4 6 - 1 4 8 (Apollino), S. 3 1 6 - 3 3 3 (Venus), S. 3 3 7 - 3 3 9 (Ringer),

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Kunstkritik: Carl Ludwig Fernow

Was Meyer hier für den Bereich der Kunstpraxis beschreibt — die Infragestellung und Relativierung der von Winckelmann und Mengs aufgestellten kanonischen Muster durch die Künstler der folgenden Generation —, hat sein theoretisches Pendant in Aloys Hirts ungefähr in denselben Jahren entstandener Lehre von der ,Charakteristik', wie sie im ersten Kapitel der vorliegenden Arbeit beschrieben wurde. Hatten Mengs und Winckelmann zunächst noch erfolgreich versucht, die Maler und Bildhauer auf die Kunst Raffaels und der ,schönen' Antike einzuschwören, so geriet diese enge Vorgabe spätestens seit den 1780er Jahren zunehmend unter Druck: Wie Meyers Ausführungen belegen, trat neben die Hochachtung für Raffaels Eleganz die Bewunderung für Michelangelos Kraft und Großheit, neben die „edle Einfalt" der Antike die (vermeintliche) Naivität eines Leonardo da Vinci. Parallel dazu zeichnete sich ein Paradigmenwechsel auch im Hinblick auf die antike Kunst ab: An die Stelle der von Winckelmann und Mengs zur Nachahmung empfohlenen Skulpturen des schönen Stils trat die Bewunderung für die meist kolossalen Werke des älteren, sogenannten hohen oder großen Stils - Werke also, deren Figuren sich Winckelmann zufolge gegen die des schönen Stils „wie Menschen aus der Helden Zeit, wie des Homerus Helden und Menschen, gegen gesittete Athenienser in dem Flore ihres Staats" verhalten.30 Der von Meyer als nachgerade bürgerkriegsartig geschilderte Streit der Künstler über den richtigen Weg zur Verbesserung der Kunst wurde ihm zufolge allerdings nie endgültig entschieden, sondern, beeinflußt durch äußere Umstände, lediglich aufgeschoben: 31 Mit der durch die Ermordung des französischen Diplomaten Bassville (13. Januar 1793) veranlaßten Flucht der Franzosen aus Rom 32 und dem Tod Asmus Jakob Carstens' (25. Mai 1798) sei am Ende des 18. Jahrhunderts als einziger bedeutender „römischer" Künstler Antonio Canova übriggeblieben. Ohne die „kräftige Manier Davids und seiner Genossen" und ohne Carstens'

S. 136-141 (Rossebändiger), S. 100 (Juno Ludovisi). - Erinnert sei daran, daß auch Goethe sich in Rom eine Kopie des „kolossalen Junokopfes" anschaffte (siehe MA 15, S. 183 mit dem Kommentar S. 948-950) und daß Meyer angesichts von Friedrich Tiecks Zeichnung Achills im Kampf mit den Flüssen bemerkt hatte, daß „unser Künstler die Kolossen auf dem Quirinal gesehen und studiert hat" (MA 6.2, S. 470). 50 G K Dresden, S. 228. Zu den „vorzüglichsten" Werken in Rom aus der Zeit des hohen Stils rechnete Winckelmann bekanndich die Niobidengruppe (siehe ebd., S. 226). 51 Siehe MA 6.2, S. 339, mit deutlicher Anspielung auf die blutigen Ereignisse im Gefolge der Französischen Revolution: „Die Gewalt entgegengesetzter Meinungen, welche um anderer Ursachen willen die Welt entzweite, bewirkte auch eine Spaltung in der Gesellschaft der Künstler. [...] Man verfolgte sich zwar nicht mit solchem Blutdurst, als in politischen Verhältnissen sich die verschiedenen Parteien verfolgten, aber es fehlte doch nicht an bitterm Haß und Schmähungen und Ungerechtigkeiten." 52 Vgl. etwa den Bericht Friedrich Burys an Goethe, 19. Januar 1793 (GSA 28/1; RA 1, Nr. 508). Zudem wurde das alljährlich ausgeschriebene Romstipendium an der französischen Akademie eingestellt.

Meyers

Entwurf einer Kunstgeschichte des achtzehnten Jahrhunderts

307

„Neigung zum Idealen", Großen und Naiven, mußte notwendig der Eindruck entstehen, daß sich die schöne und gefallige Manier Canovas durchgesetzt hätte.33 So heißt es denn auch bei Meyer: Durch den Beifall, den seine (i. e. Canovas, M. D.) Werke teils v o m Publikum, teils von unbefangenen Kennern, teils von den Tadlern selbst erhalten, welche sie, aller Hinwendungen ungeachtet, doch als die besten Kunstprodukte der Zeit gelten ließen, durch alles dieses halten wir uns für berechtigt, den Geschmack am Schönen als den verbreitetesten, herrschendsten am Ende des achtzehnten Jahrhunderts anzugeben, ( .Ι·54

Auch wenn es auf den ersten Blick so scheint, als hätten sich mit der Dominanz des von Meyer wiederholt als Nachfolger Mengs' bezeichneten Canova zugleich auch seine und Winckelmanns Lehren unter den Künstlern durchgesetzt, wäre ein solcher Schluß doch zu voreilig. Canovas Erfolg in Rom am Ende des 18. Jahrhunderts ist laut Meyer größtenteils eine Folge äußerer Umstände, die eine weitere, über das von Mengs Erreichte hinausgehende Verbesserung der Kunst verhindert hätten. Nur im Sinne einer Momentaufnahme also, keineswegs jedoch als endgültige Entscheidung im Streit über den von der Kunst in Zukunft einzuschlagenden Weg, sollte das Wort vom Vorherrschen des „Geschmacks am Schönen" am Ende des 18. Jahrhunderts verstanden werden. Meyer selbst, so wird zu sehen sein, war von der Überholtheit der Mengsschen Kunst wie auch des auf die Nachahmung des Schönen eingeschränkten Winckelmannschen Ideals überzeugt. Der Frage, welchen Weg die Künsder in Zukunft verfolgen sollten, sind deshalb die letzten Seiten seines Entwurfs einer Kunstgeschichte des achtzehnten Jahrhunderts gewidmet, auf denen er „noch einige Betrachtungen und Wünsche" hinsichtlich der am Anfang des 19. Jahrhunderts sich abzeichnenden Entwicklungen anfügt. Zukunftsperspektive: Ausdruck, Charakter und die Nötigung %um Kolossalen Bei aller Hochachtung für die von Mengs erreichte „Befreiung des Geschmacks und der Künste von den Irrtümern" des im frühen 18. Jahrhundert immer noch wirksamen Barock ist für Meyer mit der Nachahmung schöner Formen der Gipfel der Kunst noch nicht erreicht." Mengs' und Canovas Wirken begreift er lediglich als eine — historisch notwendige — Stufe auf dem Weg zur Wiederherstellung des guten Geschmacks, die die zeitgenössischen Künsder aber hinter sich lassen müssen, wenn sie weiter aufsteigen und die Kunst zu ihrem Höhepunkt führen wollen. Zu diesem Zweck empfiehlt Meyer eine Abkehr von der durch Mengs 53 MA 6.2, S. 3 3 6 und 307f. 54 Ebd., S. 340. 55 Zu den Irrtümern der „Plagiarier" (u. a. Carlo Maratta), der Neapolitaner „Macchianten" (Solimena, Conca) sowie der „Praktikanten" (Luca Giordano, Gaulli, Pozzo) siehe ΜΛ 6.2, S. 247f., 250f. und 246f.

Kunstkritik: Carl Ludwig Fernow

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und Canova praktizierten Nachahmung des ,bloß' Schönen und deren Ersetzung durch das poetisch-poietische Streben nach „gehaltvoller Erfindung und charakteristischer Darstellung": Allein soll die Kunst selbst nun noch mehr verbessert werden; so muß sie von diesem Wege der Nachahmung, der sie schwerlich viel weiter führen würde, ablassen und tiefer und selbständiger werden, sie muß in den Erfindungen dem Gemeinen, Flachen, Leeren ausweichen, das Hohe, Edle, Poetische der Gedanken suchen, in der Ausübung aber vornehmlich das Charakteristische bezwecken. 36

λ ί ύ seiner „Doppelforderung nach gehaltvoller Erfindung und charakteristischer Darstellung" verbindet Meyer die Hoffnung, die Künstler einerseits vor der „einförmigen Manier" als dem „Schicksal aller Nachahmer" zu bewahren und sie andererseits zu mehr „Deutlichkeit im Ausdruck", das heißt zur Individualisierung der ansonsten eher schematischen Darstellung zu bewegen. Die Nachahmung des Schönen allein reicht also offenbar nicht aus, um ein gedanklich wie auch sinnlich befriedigendes Kunstwerk zu schaffen, sondern Ausdruck und Charakter müssen hinzutreten. Beinahe selbstverständlich fuhrt Meyer dabei mit dem „Charakteristischen", das der Künsder in der Ausführung „vornehmlich" bezwecken müsse, den zentralen Begriff der von Hirt 1797 in seinen Hören-Aufsätzen entwickelten Kunstlehre ein. Der Hirtschen Behauptung, daß „nicht die Schönheit, sondern das Charakteristische" der höchste Zweck der Kunst sei, hat Meyer im Rahmen seiner Kunstgeschichte des achtzehnten Jahrhunderts denn auch eine längere Passage gewidmet.37 In dem Abschnitt über „Literatur, Methoden und Meinungen von 1775 bis 1800" heißt es von den Anhängern dieser Lehre, daß sie ihren „Standpunkt" scheinbar „um eine Stufe niedriger" nähmen, als „diejenigen, welche schöne Formen für den Gipfel der Kunst halten." Tatsächlich, so Meyer, schlösse Schönheit den Charakter aber gar nicht aus, wie Hirt behauptet habe, sondern „veredelfe] denselben". In seiner Erklärung dieser Setzung, die den Begriff des „Charakteristischen" zwar übernimmt, ihn jedoch im entscheidenden Punkt anders interpretiert, überführt Meyer das statische Lehrgebäude Hirts in ein dynamisches System, dem der Gedanke einer kunsthistorischen Entwicklung zugrunde liegt, die nicht im Charakteristischen, sondern in dem durch das Charakteristische hindurchgegangenen Schönen und Anmutigen gipfelt: Die unmündige Kunst ging anfanglich von roher, unbeholfener Nachahmung menschlicher Gestalt im Allgemeinen aus, ohne Mannigfaltigkeit, Bedeutung oder Schönheit; besser geübt, wurde sie allmählig der Natur getreuer, also auch mannigfaltiger und in der Mannigfaltigkeit charakteristischer; mehr Herr über den Stoff fand sie alsdann die Proportionen und machte sich einen Kanon rein menschlicher Formen; durch zweckmäßiges Abweichen von demselben, durch Nehmen und Geben entstand nun das Große, das Starke, das Behende. Um aber die gefälligeren Charaktere darzustellen,

56 MA 6.2, S. 341. 57 Ebd., S. 333f.

Meyers Entwurf einer Kunstgeschichte des achtzehnten Jahrhunderts

309

mußte man auch die Schönheit in den Gestalten suchen und die Kunst schwang sich dadurch bis zu ihrer obersten Höhe; was vorher roh, hart, gewaltsam, übertrieben ausgedrückt war, wurde jet^t gefältiger, mäßiger, edler, Schönheit und Anmut walteten; aber freilich so wie diese mehr gefordert, mehr als Zwecke betrachtet wurden, verloren die großen, die mächtigen Charaktere, gefälliger und weicher ausgesprochen, etwas von ihrer ursprünglichen Kraft, so wie hingegen die niedrigen sich veredelten.38 Die Schönheit, von der λΙεγεΓ hier spricht, unterscheidet sich von der Schönheit der Werke eines Mengs und Canova gerade dadurch, daß das Charakteristische in ihr aufgehoben ist beziehungsweise ihr, mit den Worten des Oheims im Sammler und die Seinigen, „zum Grunde" liegt.39 Dabei ist bemerkenswert, daß Meyer als nachteilige Folge der Verschönerung von Kunst den Verlust einer „ursprünglichen Kraft" wahrnimmt, die den charakteristischen Gestalten noch innewohnte. „Charakter mit Schönheit vereint" gilt ihm deshalb als Nonplusultra, das „ohnmöglich anders als in Produkten vollendeter Kunst" erreicht werden kann.611 Demgegenüber erscheint die Nachahmung schöner Formen allein als defizient. Meyers Kritik richtet sich dabei nicht nur gegen Canova und Mengs, sondern bezieht auch Winckelmann mit ein, dessen einflußreiche Schönheitslehre er in seinem Beitrag über Winckelmann als Kunsthistoriker dem Einfluß von Mengs zuschreibt: Unterdessen ist es wahrscheinlich, die Neigung zu schönen Formen, wodurch, wie bereits angemerkt worden, Mengs als Künstler sich auszeichnete, habe überwiegenden Einfluß auf Winkelmannen gewonnen, und ihn vermocht, die Schönheit unbedingt als das Hauptprinzip der alten Kunst aufzustellen; eine Behauptung, welche allerdings wahr ist, solange man sie auf den ganzen Begriff von der Kunst ausdehnt, und hingegen eine höchst schädliche Wirkung haben muß, sobald man sie engherzig auf die Formen allein einschränkt, wie leider noch von Manchen geschieht.61

58 59 60 61

Ebd., S. 334 (Hervorhebung von mir, M. D.). Vgl. auch ebd., S. 342. Ebd., S. 102. Ebd., S. 334. Ebd., S. 383f. Als Belegstelle führt Meyer das vierte Kapitel von Winckelmanns Trattato Preäminare (MAI, S. XXXVI-CIII) an. Vgl. auch den ersten Band seiner 1824 erschienenen Geschichte der bildenden Künste bei den Griechen, wo Meyer S. 204f. gegen Mengs' und Winckelmanns Schönheitsgesetz einwendet, daß es „zu allgemein gefaßt sey, mehr geistig oder mehr stoffartig kann gedeutet werden, und seine Urheber selbst schon der bloßen Wohlgestalt einen zu hohen Werth scheinen eingeräumt zu haben." Da das von Mengs und Winckelmann behauptete Schönheitsgesetz andererseits aber einen wahren Kern habe und deshalb „weder ganz anzunehmen, noch vollständig zu verwerfen" sei, schließt Meyer sich Goethe an, der das „Räthscl" in seinem Aufsatz Philostrats Gemälde (1818) mit der Bestimmung gelöst hatte, daß der „höchste Grundsatz der Alten [...] das Bedeutende |war|, das höchste Resultat aber einer glücklichen Behandlung, das Schöne." Ebd., S. 205, vgl. ΜΛ 11.2, S. 489 Philostrats Gemälde). Hirt sollte dies noch im Jahre 1827 als Zustimmung zu seiner eigenen CharakteristikHypothese werten. Siehe Hirt, [Rez.| Italienische Forschungen von C. F. Rumohr, Sp. 1534f.

310

Kunstkritik: Carl Ludwig Fernow

So nah wie hier war Meyer der Position Hirts bis dahin nicht gekommen. Wie dieser kritisiert er die Winckelmannsche Reduktion der antiken Kunst auf schöne Formen, beharrt aber zugleich darauf, daß die Kunst ihrer eigentlichen Bestimmung gemäß, nämlich als „schöner Gedanken angemessener Ausdruck und Einkleidung",62 nach Schönheit zu streben habe. Meyer nimmt also Hirts Anregung auf, modifiziert sie aber im Sinne der Weimarischen Kunstfreunde. Der Fehler, den Mengs beging, liegt demzufolge darin, daß er von der Nachahmung schöner Formen statt von der Darstellung des Charakteristischen ausging. Die Kunst, die Meyer an einem „bedeutenden Scheidepunkt"63 angelangt sieht, kann aber nur auf dem von der Antike vorgeführten Weg verbessert werden: „vom Charakter kann sie zur Schönheit fortschreitend übergehen, schwerlich aber entgegengesetzt im bloßen Streben nach der Form und nachahmend zum Charakteristischen gelangen."64 Während Canova, wie schon sein Vorgänger Mengs, unter Meyers Verdikt fällt, auf dem falschen Weg zu sein, hatte Carstens als „Anfuhrer" derer, die „einen durchgehenden Charakter und Ubereinstimmung" verlangten, zwar den richtigen Weg eingeschlagen, unglücklicherweise war er jedoch noch vor Erreichen des Ziels verstorben.63 Zwar findet sich der Vergleich zwischen Carstens und Canova in Meyers Entwurf einer Kunstgeschichte des achtzehnten Jahrhunderts nicht explizit formuliert. Daß Canova und Carstens in Weimar tatsächlich als zwei polare Künstlerpersönlichkeiten wahrgenommen wurden, wird jedoch durch den Umstand nahegelegt, daß Carl Ludwig Femow seine beiden im Jahr darauf veröffentlichten großen Monographien genau diesen beiden Künstlern widmen sollte. Auch wenn Meyer den in Canovas Werken ablesbaren „Geschmack am Schönen" als den am Ende des 18. Jahrhunderts „herrschendsten" bezeichnet, sind es tatsächlich zwei Tendenzen, die er vor allem in der Historienmalerei, darüber hinaus aber auch in der Plastik wirksam sieht.66 Das Problem liegt nun darin, daß beide Richtungen — das Streben nach dem Schönen und Gefälligen einerseits sowie nach dem Großen und Pathetischen andererseits — schwer vereinbar sind und jede für sich zur Übertreibung neigt. Insbesondere gelte dies für die Anhänger des Großen und Kräftigen, die, um sich gegen den herrschenden Geschmack durchzusetzen, fast schon unvermeidlich zum „Kolossalen" genötigt würden: 62 63 64 65 66

Meyer, Geschichte der bildenden Künste bei den Griechen, Bd. 1, S. 205. M A 6 . 2 . S . 345. Ebd., S. 343. Ebd., S. 339. Meyers äußerst positives Urteil über die zeitgenössische Landschaftsmalerei (MA 6.2, S. 343-345), dem ihm zufolge damals beliebtesten, vorgezogensten und verhältnismäßig am besten bezahlten Fach, wird hier nicht berücksichtigt, da es das Problem der ,Nachahmung des Gewaltsamen' (im engeren Sinne) nicht berührt. Zur Darstellung von Naturgewalten in der Landschaftsmalerei des 18. Jahrhunderts vgl. etwa Pochat, „Elementare Gewalt".

Meyers Entwurf einer Kunstgeschichte des achtzehnten Jahrhunderts

311

In der Geschichtsmalerei ist das Hauptaugenmerk der besten Künstler noch die schöne Form, aber auch zugleich Großheit und Energie, Dinge, welche alle zugleich schwer erreicht werden dürften. Die herrschende Feinheit und Ausbildung des Geschmacks begünstigen den großen Styl nicht sehr, und die allgemeine Liebe, ja Sehnsucht für das Zart-Naive verträgt sich zwar wohl mit dem Schönen und Sanften, weniger mit dem Großen, und ist mit dem Derben und Kräftigen in Formen und Farben gerade zuwider; daher scheint, wenn doch der Charakter von Größe durchgesetzt werden soll, eine Nötigung zum Kolossalen entstehen zu müssen, und Kolossalgestalten erscheinen auch wirklich häufiger als sonst in den Werken der Maler sowie der Bildhauer/'7 Fragt man sich, welche Künstler und Werke λίεγβΓ vor Augen hat, wenn er von „Kolossalgestalten" spricht, so mag man zunächst an Maler wie Füssli und Abügaard denken, deren Zeichnungen und Gemälde in der Tat voll von kolossalen Figuren sind, die sie vor allem Michelangelo und der antiken Plastik (Rossebändiger, Torso von Belvedere) endehnten.68 Doch braucht man gar nicht bis zur Generation der erst später sogenannten Stürmer-und-Dränger zurückzugehen. „Kolossalgestalten" finden sich nicht nur auf den immer größer werdenden Gemälden Davids (zum Beispiel seinen Sabinerinnen, 1799) oder im skulpturalen Werk Flaxmans (The Fury of At ham as, 1790-94), sondern auch in den zwar nicht übermäßig großen, dafür aber um so gedrängter wirkenden Zeichnungen Carstens* (zum Beispiel Die Geburt des Lichts, 1794) sowie in der Monumentalplastik Canovas (zum Beispiel Napoleon als Mars, 1803-1806). All dies sind Werke, die Meyer entweder selbst gesehen hatte oder über deren Existenz er zumindest unterrichtet war.69

67 MA 6.2, S. 347. Zur Situation in Rom um 1800 vgl. Fernow, Sitten- und Kulturgemälde von Rom (1802), S. 283: „Man ist des Unbedeutenden, des Gewöhnlichen satt, und sucht das Bessere; man strebt aufs Neue wieder nach Bestimmtheit und Größe des Stils, nach Charakter und Bedeutung." 68 Siehe ζ. B. Füsslis Zeichnung Herakles tötet Hie Rosse des Diomedes, ca. 1800-1805 (Schiff, Füssli, Bd. 2, S. 437) und Abilgaards Philoktet von 1774-75. 69 Carstens' Zeichnungen waren 1803 nach Weimar gelangt. Über Davids Sabinerinnen (385x522 cm) hatte Caroline von Humboldt 1800 in den Prvpjläen (S. 831-834) berichtet. Flaxmans Athamas (Höhe 210 cm), den Meyer in seinem Entwurf kurz erwähnt (MA 6.2, S. 327), wurde bereits 1799 in den Kunstnachrichten des Neuen Teutschen Merkur (9. Stück, S. 62-64, von I Iirt?) als „eines der ungeheuersten Werke in Bildhauerey, die jemals gesehen worden", ja als „Monstrum horrendum, ingens" beschrieben (eine Abbildung des Werkes in Irwin, John Flaxman, S. 57). 1803 berichtete Fernow in derselben Zeitschrift, daß „jetzt in Rom" drei Künstler (Canova, Callamard und Massimiliano) damit beschäftigt seien, „kolossale Standbilder Bonaparte's" zu verfertigen. Vgl. Humboldt an Goethe, 28. Januar 1803 (GHB, Nr. 51, S. 153f.) und Caroline v. Humboldt an Goethe, 20. April 1803 (ebd., Nr. 54, S. 167), die über ein „kolossales Bild" des Cavaliere Santi(?) berichtet. Aus eigener Anschauung dürfte Meyer darüber hinaus Canovas kolossale Allegorie der Religion am Grabmal Clemens' XIII. in St. Peter (1783 bis 1792, Gesamthöhe 820 cm) bekannt gewesen sein. Zu deren „Kolossalität" vgl. auch Fernow, Über den Bildhauer Canova, S. 100.

312

Kunstkritik: Carl Ludwig Fernow Daß ausgerechnet der vermeintlich sentimentale Canova sich mit Kolossal-

gruppen wie Herakles und Lichas oder Kreugas und Damoxenos beschäftigte, hatte Fernow schon in seinem Sitten- und Kulturgemälde von Rom kritisch angemerkt. 70 Bestätigt und ergänzt wurde diese Beobachtung im Oktober 1805 von August Wilhelm Schlegel, der in seinen Goethe gewidmeten sowie ausdrücklich an Meyers Kunstgeschichte des 18. Jahrhunderts anschließenden Artistischen und literarischen Nachrichten aus Rom über Canovas neuestes „Modell in Thon zu einer kolossalen Gruppe" (Theseus und der Kentaur, Abb. 59) ausführlich berichtete: Ich glaube, dass dieses Werk die übrigen, welche Canova im Fache des Starken und Gewaltsamen versucht hat, sowohl den Herkules mit dem Lichas, als die beiden Faustkämpfer, bey weitem übertrifft. [...] Die Zeichnung des Theseus ist strenger, und die Stellung, wiewohl äusserst gewaltsam, frei und natürlich. Der Centaur ist schon durch die Ueberlegenheit seines Gegners mit dem Pferdeleibe auf den Boden niedergedrückt [...], und strebt nur mit den Hinterbeinen noch aufzukommen. Theseus, ihm gegenüber, hat ihm das Knie gegen den Menschenleib gestemmt, ihn mit der Linken bei der Gurgel gepackt, und die hoch erhobene Rechte holt aus, um ihm mit der Keule den Kopf einzuschmettern. Der Centaur greift mit seiner Rechten abwehrend an Theseus Arm, die andere ist krampfhaft mit gespreizten Fingern auf den Boden gedrückt, und schien mir unverhältnismäßig gross, wenn man auch der rohen Natur des Halbthieres noch so viel zugiebt.71 Canovas hochpathetische Gruppe Theseus und der Kentaur, deren Tonmodell Schlegel in Rom gesehen hatte, sollte zwar erst im Jahre 1819 fertiggestellt werden, doch reichen ihre Ursprünge, ebenso wie etwa im Falle von Herakles und Lichas, in die Zeit der Jahrhundertwende zurück. Dabei bildet Canovas Kolossalgruppe für Schlegel keine Ausnahme: Unter den plastischen Arbeiten, die er in seinen Nachrichten aus Rom beschreibt, findet sich sowohl Louis Dupatys Philoktet, „der das wunde Bein auf einen Felsen stützt, und schmerzlich darauf heruntersieht" als auch Antoine Moutons Modell eines „Theseus, der eine besiegte Amazone entführt". Darüber hinaus erwähnt er Vincenzo Camuccinis „grosses Gemälde" Oer Tod der Virginia, Fulcran-Jean Harriets „ungeheuer weitläuftiges Gemälde von Horatius Codes" sowie die von unbekannter Hand stammende Darstellung eines ,,riesenmässig[en]" Entellus, dessen Gestalt selbst den Herkules „überherkulest".72

70 Fernow, Sitten- und Kulturgemälde von Rom, S. 268ff. und 272ff. Zu den beiden Gruppen siehe unten, S. 343ff. 71 Schlegel, Artistische und literarische Nachrichten aus Rom, Sp. 1003f. Daß Schlegel in seinem Urteil über Canovas Theseus und der Kentaur von Fernow beeinflußt ist, ist unverkennbar. Fernow selbst hat die Schlegelsche Beschreibung wiederum in seine Canova-Monographie (S. 229-233) übernommen. Siehe dazu unten, S. 357ff. 72 Schlegel, Artistische und literarische Nachrichten aus Rom, Sp. 1012. Erwähnenswert erschien ihm auch eine für die Augen „entsetzliche" Lucrezia des aus Paris kommenden Spaniers „Materassi" [i. c. Madrazo?], die im Palast des spanischen Gesandten ausgestellt war: „Das Fleisch war grünlich bronziert, die Gewänder eben so viele starre Flecken von verschiedenen Farben in dem Bilde, die pathetischen Motive wurden dem

Meyers Entwurf einer Kunstgeschichte des achtzehnten Jahrhunderts Von Thorvaldsen schließlich, dem Künstler des überlebensgroßen Jason

313 berichtet

er, daß der Bankier Torlonia bei ihm eine „colossale Gruppe [...] mit freygelassener Wahl des Gegenstandes" bestellt habe, die als Pendant zu der von ihm bereits angekauften Herakles

und Lichas-Gruppe

Canovas geplant sei. 73

Doch nicht nur in Rom, auch in Weimar war die Tendenz zum Kolossalen während der alljährlichen Kunstausstellungen nicht zu übersehen gewesen: Im Zentrum v o n Hartmanns Tod des Rhesus (verschollen), Lombachs Achill und Tiecks Achill

im Kampf mit den Flüssen

auf

Skyros

(vgl. Abb. 46) standen gewaltige Figu-

ren, die sich unverkennbar am Muster der beiden „Kolossen auf dem Quirinal" orientierten. 74 Auch wenn Meyer im Falle von Tiecks Zeichnung „nicht ohne Vergnügen" das an den Rossebändigern geschulte „Gewaltige, Heroische der Formen" bemerkt hatte, so hielt er die Neigung vieler Künsder zum Kolossalen offenbar für ebenso verfehlt wie den verbreiteten „Geschmack am Schönen", da es beiden Tendenzen nicht gelinge, sowohl (Mengs'sche) Schönheit als auch (Hirtschen) Charakter in ein und demselben Werk zu vereinen. So steht am Ende

Zuschauer schülerhaft zugezählt: alles diess mit grossen Ansprüchen auf einen strengen heroischcn Stil, der Harmonie und dergleichen gemeine Reize verschmäht." Zu den genannten Künstlern siehe auch Memone enciclopediche romane sulle belle arti, Bd. 1 (1806), S. 59ff. (zu Madrazo) und 98ff. (zu Dupaty, Mouton und Harriet) sowie Kotzebue, Erinnerungen von einer Reise, Bd. 2, S. 394-397 (zu Harriets 22x16 Fuß messendem Gemälde des Horatius Codes), 498f. (zu Dupatys Philoktet), 410 (zu Moutons „kolossaler" Theseus-Gruppe, 415-421 (zu Camuccinis 405x705 cm großem Tod der Virginia, heute Museo Capodimonte, Neapel). Zum letztgenannten Gemälde vgl. von der Recke, Tagebuch einer Reise, Bd. 2, S. 400-402 und Hiesinger, The Paintings of Vincenzo Camuccini, S. 299-301. 73 Schlegel, Artistische und literarische Nachrichten aus Rom, Sp. 1007. Interessanterweise spekuliert Schlegel, ob Thorvaldsen, der hinsichtlich der Wahl des Gegenstandes noch unentschieden sei, vielleicht „ebenfalls einen Centaurcnkampf unternehmen werde. Zur Ausführung des Projekts ist es nie gekommen, doch liegen Entwurfszeichnungen und Bozetti von Thorvaldsen zu einer Achill und Penthesilea darstellenden Gruppe vor, die im Zusammenhang mit diesem Künsderparagone stehen. Siehe dazu [Kat.] Bertcl Thorvaldsen, Bd. 1, Nr. 39, S. 156f.; Nr. Β 12, S. 272f. {Achill und Penthesilea); Nr. Β 15 und Β 16, S. 274-277 (Theseus im Kampf mit einem Kentaur). Zum Scheitern des Projekts vgl. auch Steindl, Mäzenatentum im Rom des 19. Jahrhunderts, S. 117f., die in diesem Zusammenhang den Entwurf einer Mars und Venus-Gruppe erwähnt. Zur Aufstellung von Canovas Herakles und Lichas-G ruppe im Palazzo Torlonia siehe unten, S. 343. 74 Auch wenn Hartmanns Rhesus-Zeichnung heute verschollen ist, so legt sein bereits oben (S. 250-252) zitierter Brief an Goethe, in dem er auf die „Kolossen auf dem Quirinal" als „vollkommene Muster" für solch heroische Gegenstände wie den Tod des Rhesus hinweist, den Kolossalcharaktcr seines Entwurfs nahe; zu Lombachs von einer Tendenz „zum edlen, heroischcn Stil" (Meyer) gekennzeichnetem Achill auf Skyros (Weimar, GNM) siehe MA 6.2, S. 449. Eine .Abbildung der Zeichnung Lombachs findet sich in |Kat.] Goethe und die Kunst, S. 327, Nr. 201; zu Tiecks Zeichnung Achill im Kampf mit den Flüssen siehe oben, S. 272.

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Kunstkritik: Carl Ludwig Fernow

von Meyers Entwurf einer Kunstgeschichte des achtzehnten Jahrhunderts denn auch allein die - wohl eher dem Wunschdenken als der nüchternen Einschätzung der Realität entsprungene — Hoffnung, daß „aller Widerstreit" unter den Künstlern „sich ins Gute und Harmonische auflösen [werde] und die noch obwaltenden Irrtümer selbst das Rechte befördern helfen."73

II. Fernows Monographien über Asmus Jakob Carstens und Antonio Canova Als Carl Ludwig Fernow im Jahre 1806 mit seinen beiden Monographien über das Leben des Künstlers Asmus Jakob Carstens und Über den Bildhauer Canova und dessen Werke an die Öffentlichkeit trat, konnte er für sich beanspruchen, gleich zweimal etwas für die damalige Kunstkritik gänzlich Neuartiges geleistet zu haben. Die „erste moderne Künsdermonographie in deutscher Sprache" hat Herbert von Einem das Carstens-Buch genannt,76 und ähnliches läßt sich auch von dem Werk über Canova behaupten, das die erste kritische Auseinandersetzung mit dem CEuvre des italienischen Bildhauers überhaupt darstellt. Zwar war bereits im Jahre 1796 als Zeichen von Canovas frühem Ruhm ein kleines Bändchen mit Lobgedichten und kurzen Beschreibungen seiner bis dahin entstandenen Skulpturen und Gemälde erschienen;77 Welten trennen diese Art der traditionellen Künstlereloge jedoch von der auf einem „System kritischer Grundsätze" basierenden Beurteilung der Werke Canovas und seines ,,Künsderverdienst[s]", wie sie Fernow auf fast zweihundertfünfzig Seiten darlegt.78 Femow, der sich in seinen zahlreichen Schriften vor allem mit Ästhetik und Kunstkritik, darüber hinaus aber auch mit Linguistik und Philologie beschäftigt hat, ist von der Forschung als der „bedeutendste deutsche Kunsttheoretiker des reifen Klassizismus" oder zumindest der „führende Theoretiker der ,Weimarischen Kunstfreunde'" bezeichnet worden.79 Nach mehrjährigem Aufenthalt in 75 MA 6.2, S. 348. 76 Neue deutsche Biographie, Bd. 5 (1961), S. 99. 77 Tadini, Le sculture e le pitture di Antonio Canova. Das Buch, das nur sechsundachtzig Seiten umfaßt, behandelt die bis zum Ende des Jahres 1795 entstandenen Werke Canovas, die es in Form von „Poesie" (Gedichten) und „Illustrazioni" (Beschreibungen) feiert. Im September 1804 waren darüber hinaus in Bertuchs Journal des Luxus und der Moden einige aus dem Französischen übersetzte Bemerkungen des Canova-Freundes Quatremere de Quincy über den Bildhauer Canova in Rom erschienen, auf die Fernow in seiner Monographie Bezug nimmt. Eine Aufstellung der frühen Quellen im Dizionario Biografico degli Italiani, Bd. 18 (1975), S.217. 78 Fernow, Römische Studien, Bd. 1, S. IXf. (Vorrede). 79 Einem, Carl Ludwig Fernow; Tausch, Entfernung der Antike. - Zur Bandbreite der Interessen Fernows siehe die Aufsätze in Knoche/Tausch, Von Rom nach Weimar.

Fernows Monographien über Carstens und Canova

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Rom, wo er seit 1794 als Kunstschriftsteller und Privatgelehrter gelebt hatte, war er im Jahre 1802 als außerordentlicher Professor für Ästhetik an die Universität Jena und von dort zwei Jahre später nach Weimar berufen worden, wo er bis zu seinem Tod im Jahre 1808 die Bibliothekarsstelle an der Herzoglichen Bibliothek bekleidete.80 Neben seinen beiden Monographien über Canova und Carstens veröffentlichte er in diesen Jahren unter anderem eine Italienische Sprachlehn für Deutsche (1804), eine dreibändige Sammlung seiner zum Teil bereits in Rom entstandenen Aufsätze (Römische Studien, 1806—1808) sowie die ersten beiden Bände der Gesamtausgabe von Winckelmann's Werken (1808).81 Da es Goethe nach dem Scheitern der Weimarer Preisaufgaben vorzog, sich zu Fragen der zeitgenössischen Kunst öffentlich nicht mehr zu äußern, und Meyer sich mehr und mehr der Geschichte der Kunst zuwandte, ergab sich für Fernow die Möglichkeit, in diese Lücke zu treten und dadurch zum Kunstkritiker der Weimarischen Kunstfreunde zu avancieren. Doch auch wenn Fernows Monographien über Carstens und Canova hier in erster Linie als kunstkritische Werke gelesen und interpretiert werden sollen, ist unbestreitbar, daß sie auf kunsttheoretischen Prämissen beruhen, deren Anliegen sich als Versuch beschreiben läßt, die Kunsdehre Winckelmanns mit der Philosophie Kants und den ästhetischen Ideen Schillers zu vermitteln. Zwar dürfte Skepsis angebracht sein gegenüber von Einems Behauptung, „daß es sich bei Fernows zu verschiedenen Anlässen geschriebenen Aufsätzen um Äußerungen handelt, die sich ohne Schwierigkeit in die geschlossene Form eines Systems bringen lassen".82 Tatsache aber ist, daß die beiden Künsdermonographien nur auf der Grundlage seiner kunsttheoretischen Arbeiten, so vor allem in seinen Aufsätzen Über das Kunstschöne (Römische Studien 1, S. 279-450) sowie Über den Zwek, das Gebiet und die Grän^en der dramatischen Malerei (Römische Studien 3, S. 1-102), angemessen zu verstehen sind. Die Betrachtung von Meyers Entwurf einer Kunstgeschichte des achtzehnten Jahrhunderts, zu dem Fernow ja die „Bemerkung eines Freundes" beisteuerte, hat nochmals gezeigt, daß das Problem der .Nachahmung des Gewaltsamen' gerade in den Jahren um 1800 emeut an Brisanz gewonnen hatte: Die allgemein bemerkbare Tendenz zum Großen, Kräftigen und Naiven, das Studium der Kunst Michelangelos sowie der Werke des hohen und großen Stils der Antike, die „kräftige Manier Davids und seiner Genossen", Carstens' Affinität zu ,,ernsthafte[n] pathetische^] Gegenständen" sowie Canovas kolossale Versuche „im Fache des Starken und Gewaltsamen" — all dies weist darauf hin, daß die zeitgenössischen klassizistischen Künsder ein genuines Interesse an der Darstellung von Pathos, Ausdruck

80 Siehe hierzu Golz, Fernow in Weimar. 81 Eine (unvollständige) Bibliographie bei Einem, Carl Ludwig Fernow, S. 214-217; siehe hierzu ergänzend Tausch, Entfernung der Antike, S. 275-277. 82 Einem, Carl Ludwig Fernow, S. 79. Vgl. ebd., S. 185, Anm. 1.

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Kunstkritik: Carl Ludwig Fernow

und Bewegung hatten. Vor diesem Hintergrund soll im folgenden auch an Fernows Monographien über Carstens und Canova vor allem das Problem der .Nachahmung des Gewaltsamen' interessieren. Die Frage lautet, welche Relevanz Pathos, Ausdruck und Bewegung im Werk der beiden Künstler haben und welche Position Femow in dem seit Winckelmann schwelenden Streit über die Legitimität ihrer Darstellung oder Nicht-Darstellung bezogen hat. Dabei wird sich zeigen, daß Femow zwar einerseits die von Hirt erhobene Forderung nach Ausdruck, Lebendigkeit und Charakter akzeptiert, andererseits aber am Primat der Schönheit festhalten will. Es ist dieser letztlich unaufgelöste Widerspruch, der Fernow dazu zwingt, Carstens eine „Vorliebe für ruhige Scenen" und Canova ein Unvermögen für die Darstellung ,,ernste[r], kraftvolle[r], heroische[r], pathetische[r] Gegenstände" zu unterstellen.83 Tatsächlich aber, so soll im Folgenden deutlich gemacht werden, sind die Werke beider Künstler weitaus .gewaltsamer' als Fernow dies in seinen Monographien darstellt oder wahrhaben will.

1. Leben des Künstlers Asmus Jakob Carstens (1806) Auch wenn es sich bei Fernows Carstens-Buch in der Tat um die „erste moderne Künsdermonographie in deutscher Sprache" handeln dürfte, so besitzt sie doch Vorläufer und Vorbilder. Schon der Untertitel, demzufolge es sich bei der Lebensbeschreibung um ,,ein[en] Beitrag zur Kunstgeschichte des achtzehnten Jahrhunderts" handelt, weist auf den von Goethe herausgegebenen Sammelband Winckelmann und sein Jahrhundert als Muster hin, in dem ja auch Meyers Entwurf einer Kunstgeschichte des achtzehnten Jahrhunderts erschienen war.84 Die Musterhaftigkeit des Goetheschen Bandes für die Monographie Fernows betrifft nicht nur den Gegenstand (ein Deutscher, aus niederen Verhältnissen stammend, der den Höhepunkt seiner Laufbahn im Rom des 18. Jahrhunderts erreicht und vorzeitig stirbt), sondern auch die Form seiner Darstellung: Wie Goethes Winckelmann-Band ist auch Fernows Carstens-Buch ein hochkomplexer, auf Fremd- wie auch auf Selbstzeugnisse zurückgreifender Text, der die Lebensbeschreibung mit dem Versuch einer historisch-kritischen Würdigung ihres Protagonisten verbindet.83 Trotz der Fernow immer wieder attestierten Objektivität, die seine CarstensMonographie in der Tat zu einer bedeutenden Quelle für die Kunstgeschichte des 18. Jahrhunderts macht, darf der literarische Charakter seines Werkes nicht über-

83 Die beiden Zitate: Fernow, Leben des Künstlers Asmus Jakob Carstens, S. 275; ders., Über den Bildhauer Canova, S. 239. 84 Meyer selbst weist in seinem Entwurf einer Kunstgeschichte auf Fernows zu erwartende Carstens-Monographie hin, siehe MA 6.2, S. 335. 85 Vgl. Manger, Fernows Carstens, S. 186f.

Fcrnows Monographien über Carstens und Canova

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sehen werden: Femow, der Carstens an einer Stelle seines Textes als Ich-Erzähler einführt, agiert über weite Strecken wie der Autor eines Romans, der seinen Protagonisten zum Sprachrohr eigener Uberzeugungen macht. 86 So wird ein Spannungsbogen aufgebaut, der über mehrere Stationen von der Regung des ,,Trieb[s] zur Kunst" im „zartesten Alter" bis zu Carstens verfrühtem Tod auf der höchsten Stufe seiner Ausbildung führt und in Fernows Grabrede einen eindrucksvollen Schlußpunkt findet. Diese Interpretation des Künsders im Sinne der Femowschen Ästhetik bestimmt nicht nur den ersten (narrativen), sondern auch den zweiten (systematischen) Teil des Buches, in dem Fernow den Versuch unternimmt, eine nach dem Rubrikenschema strukturierte Übersicht über Carstens' „Kunstvermögen" zu geben: Hier wie da erscheint Carstens Werk als kongeniale Verkörperung der Fernowschen Ästhetik. Vor diesem Hintergrund betrachtet, mag sich das Bild von Fernows Carstens-Monographie relativieren: Hinter dem vermeintlich objektiven Quellentext wird eine Art Bildungsroman erkennbar, dessen Protagonist von Fernow postum zur Inkarnation seiner eigenen Kunsttheorie stilisiert wird: gleichsam die Geburt der modernen Künsdermonographie aus dem Künsderroman. 87 Eine gewisse wilde Grösse": Carstens' Kopenhagener Zeit Allem Anschein nach hat Carstens schon relativ früh in der Historie den Zweck und das Ziel seines „Kunststrebens" erkannt. Fernow berichtet, daß Carstens bereits während seiner Eckernförder Zeit als Küferlehrling (1771 — 1776) auf Daniel Webbs Untersuchungen des Schönen in der Malerei gestoßen sei und aus diesem Werk „zuerst den deutlichen Begriff von der Historienmalerei" erhalten habe, „die er von nun an als das Höchste und Bewunderungswürdigste ansah, wozu je ein Künsder gelangen könne." 88 Diese Präferenz für die nach den Maßstäben des akademischen Kunstsystems wichtigste Gattung zieht sich durch Carstens' gesamtes CEuvre und belegt, daß der Künsder sich trotz seines mitunter aggressiv vorgetragenen Anti-Akademismus doch an der traditionellen Gattungshierarchie orientierte. Zwar mußte er zwischenzeitlich in Kopenhagen und Lübeck seinen Unterhalt mit dem Malen von Porträts verdienen. Mit dem Wechsel nach Berlin im Jahre 1788 faßte er jedoch den Entschluß, sich von nun an nur noch dem „historischen Fache" zu widmen, „wozu er", wie Fernow schreibt, „seinen Beruf 86 Als „ästhetische Posaune, welche sowohl von ihm [Carstens, M. D.] als auch von der Kunst selbst oft schiefe Ideen in die Welt trompetete", wurde Fernow von Joseph Anton Koch in seinen Gedanken eines in Rom lebenden Künstlers (1810) bezeichnet. Siehe [Kat.| Asmus Jakob Carstens und Joseph Anton Koch, S. 27. 87 Vgl. hierzu Vf., „Ein treues Karakterbild"? 88 Fernow, Leben des Künstlers Asmus Jakob Carstens, S. 13. Zu Carstens' Wcbb-l,ektüre siehe Kamphausen, Asmus Jakob Carstens, S. 1 2 - 1 4 ; Büttner, Carstens' Weg zur Kunst, S. 37.

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Kunstkritik: Carl Ludwig Fernow

und seine Fähigkeiten kannte".89 Carstens Entscheidung für die Historienmalerei hatte Folgen nicht nur für die Wahl der Sujets (als seine bevorzugten Dichter nennt Fernow Homer, die alten Tragiker, Shakespeare, Pindar, Ossian und Klopstock), sondern auch für die Form ihrer Darstellung: Die zumeist „heroische [n] und ernste [n] Stoffe", für die Carstens eine Vorliebe hatte, bedingen einen ebenso heroischen und dramatischen Stil, der sich von Carstens' ersten Entwürfen bis zu seinen letzten Arbeiten verfolgen läßt.90 Folgt man Fernows Bericht über Carstens' Kopenhagener Studienzeit (1776 bis 1783), den er dem Künsder selbst in den Mund legt,91 so beeindruckten ihn die in der dortigen Akademie bewahrten Abgüsse antiker Skulpturen am meisten. Es überrascht dabei kaum, daß Carstens sich neben der erhabenen Göttergestalt des Apollo von Belvedere in erster Linie von solchen Skulpturen angesprochen fühlte, die seiner Neigung zum Heroischen und Pathetischen entgegenkamen: „Ich sah hier zum erstenmal den Vatikanischen Apollo, den Laokoon, den Farnesischen Herkules, den Borghesischen Fechter u. a. und ein heiliges Gefühl der Anbetung, das mich fast zu Thränen bewegte durchdrang mich; [...]."92 Carstens' erste eigene Erfindung stellte den Tod des Aischylos dar, schon bald folgte eine Zeichnung mit dem Tod Baldurs (beide verschollen); daneben finden sich unter anderem Entwürfe zu einem Bacchantischen Zug oder einer antikischen Kampfszene.93 Sein erster zur Akademieausstellung von 1781 eingereichter Beitrag war eine Zeichnung, „den Aeolus und Odysseus vorstellend, wie dieser mit dem leeren Windschlauch zurückkommt, und vom Aeolus tinwillig weggewiesen wird."94 Ganz im Gegensatz zu Winckelmanns Ideal der ,edlen Einfalt und stillen Größe' stach diese leider verschollene Zeichnung „durch eine gewisse wilde Grösse und durch einen starken Effekt, den ich ihr gegeben hatte, vor den übrigen hervor" und erlangte auf diese Weise die Aufmerksamkeit des Publikums.93 Provoziert durch den

89 Fernow, Leben des Künstlers Asmus Jakob Carstens, S. 86f. Sein in der Lübecker Zeit entstandenes Selbstbildnis (Hamburg, Kunsthalle) hat Carstens denn auch als „Pict. Hist. Ex Chers. Cimbr." gezeichnet. 90 Ebd., S. 61 f. und 260f. (zu den bevorzugten Dichtern) sowie S. 71 und 248ff. (Vorliebe für heroische und ernste Stoffe und dem „Stil" seiner Kunst). 91 Fernow zufolge handelt es sich dabei um die Erinnerungen, die Carstens „späterhin in Rom dem Verfasser", also Fernow, mitgeteilt habe. Daß der abgedruckte Text keine reine Transkription sein kann, sondern von Fernow nachträglich überarbeitet und stilisiert wurde, ist offensichdich. 92 Fernow, Leben des Künstlers Asmus Jakob Carstens, S. 19. Vgl. ebd., S. 25, wo es heißt, daß er zur Schulung seines plastischen Denkens „vorzüglich" den Borgbesischen

Fechter benutzt habe. 93 Die beiden Entwürfe abgebildet bei Kamphausen, Asmus Jakob Carstens, S. 40, Abb. 7 und 8. 94 Fernow, Leben des Künsders Asmus Jakob Carstens, S. 26, 34 und 36. 95 Ebd., S. 36 (Hervorhebungen von mir, M. D.).

Fcrnows Monographien über Carstens und Canova

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Akademieprofessor Abilgaard (derselbe, der kurz zuvor selbst mit seinem Philoktet an die Öffentlichkeit getreten war), führte Carstens Aeolus und Odysseus als Ölgemälde auf einer riesigen Leinwand von zwölf Fuß Höhe (ca. 3,60 Meter) aus. Daß das neben der antiken Skulptur zentrale Muster, an dem Carstens sich schon damals orientierte, die Kunst Michelangelos war, wird durch die Reaktion seiner Künsderkollegen auf dieses wahrhaft kolossale Gemälde ersichtlich: Es gefiel denen, die es sahen, und machte sogar Aufsehen wegen der Dreistigkeit, die ich gehabt hatte, mich gleich an eine Arbeit in so grossem Maasstabe zu wagen, und wegen des drohenden trotzigen Charakters im Aeolus,; auch der Kupferstecher Clemens, der in Rom gewesen war, sah ihn und sagte, man solte glauben, ich hätte Michelangelo's Werke in der Sixtinischen Kapelle gesehen. 9 6

Dreistigkeit, Größe, Trotz — betrachtet man die Carstens und seinem Gemälde zugeschriebenen Attribute, so läßt sich sein Vorbild sogar genauer bestimmen: Im Einklang mit den meisten der damaligen Künstler, Kenner und Liebhaber dürfte Carstens in Michelangelo weniger den Künsder der Sixtinischen Decke, sondern vor allem den Maler des hochpathetischen und hochbewegten Jüngsten Gerichts bewundert haben.97 Der grosse und kraftvolle Stil dieser kühnerfundenen Werke": Carstens' Bewunderung der Fresken Giulio Romanos in Mantua Carstens* Hoffnung, mit Unterstützung des dänischen Erbprinzen selbst in die damalige Hauptstadt der Kunst zu gelangen, zerschlug sich, als er wegen seines „starrsinnigen Trotze[s]" im Jahre 1780 von der Akademie verwiesen wurde.98 Begleitet von seinem Bruder unternahm er 1783 auf eigene Faust eine Reise nach Italien, die aus finanziellen Gründen jedoch schon in Nlantua endete. Anstatt, wie ursprünglich geplant, die Werke Michelangelos und Raffaels in Rom zu studieren, verbrachte er insgesamt vier Wochen vor den Fresken Giulio Romanos im Palazzo del Te. Der Eindruck, den die riesigen Kompositionen, darunter der berühmte Gigantenstur.ζ, auf ihn machten, war überwältigend: „Hier sah ich endlich, was ich so lange zu sehen gewünscht hatte, ein grosses Werk der neuern Malerei 9 6 Ebd., S. 40f. Der Vergleich mit den Malereien in der Sixtinischen Kapelle soll übrigens von dem Maler Juel wiederholt worden sein. - Zu Carstens' für die damalige Zeit ungewöhnlichen Aufgeschlossenheit gegenüber Michelangelo und den v o n ihm herangezogenen Stichen nach Michelangelo vgl. auch Kamphausen, Asmus Jakob Carstens, S. 44f. 97 Fernow, Leben des Künstlers Asmus Jakob Carstens, S. 121 zufolge, habe Carstens in Rom dagegen die Sixtinische Decke dem Jüngsten Gericht vorgezogen. Vgl. auch Fernows eigenes Urteil in seinem Aufsatz über Michael Angelo Buonarotti, S. 27. 98 Fernow, Leben des Künstlers Asmus Jakob Carstens, S. 4 2 f f . Der unmittelbare Anlaß war laut Fernow Carstens' Entscheidung, die ihm von der Akademie zuerkannte Silbermedaille abzulehnen, da die Goldmedaille nicht dem besten Künstler, sondern durch „parteiische Austheilung" einem Verwandten Abilgaards verliehen worden war.

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Kunstkritik: Carl Ludwig Fernow

und erhielt daraus zuerst einen anschaulichen Begrif von der Freskomalerei und der römischen Schule." 99 Folgt man dem in Ich-Form wiedergegebenen Bericht, so hat Carstens die Fresken Giulio Romanos aber nicht nur als Offenbarung, sondern zugleich als Bestätigung seiner eigenen künstlerischen Neigungen empfunden: Diese Malereien waren ganz für mein Gefühl, gros, voll feuriger Fantasie und von geistreicher Erfindung, ernst und kräftig im Stil. Es kam mir vor, als ob ich jetzt zum ersten male wahre Malerei sähe, die ich ganz verstand und fühlte. Nach meiner Weise Kunstwerke zu studiren, die einen mächtigen Eindruck auf mich machten, den ich daurend in mir zu bewahren, und für meine eigenen Kunstübungen zu benutzen wünschte, bleib ich zu halben und ganzen Tagen im Pallast del Te, und suchte den grossen und kraftvollen Stil dieser kühnerfundenen Werke meiner Einbildungskraft so fest einzuprägen, dass die Vorstellung derselben mir immer lebendig blieb, und nachher, wo ich wieder mehrere Jahre lang im Norden von Deutschland, von allen Kunstwerken abgeschnitten, schmachten musste, mir wie ein Leitstern vorleuchtete, und mich auf rechter Bahn erhielt. 100

Bemerkenswert an diesen Zeilen ist weniger das überschwengliche Lob für „Rafaels besten Schüler" als vielmehr die Tatsache, daß Carstens Giulios „grossen und kraftvollen Stil" offenbar für typisch Raffaelisch hielt. Giulios Arbeiten hätten ihm, so heißt es, „eine deutlichere Idee von den Werken seines grossen Meisters" gegeben, als er „bis dahin aus den Kupferstichen nach denselben gehabt hatte." 101 Dies aber bedeutet, daß Carstens — wenigstens zur damaligen Zeit — mit der Kunst Raffaels vor allem seine späteren Schöpfungen (wie den Borgobrand oder die Konstantinsschlachi) verbunden hat, also genau diejenigen Werke, die eher zum Dramatischen als zum Ruhig-Würdevollen tendieren und an denen Raffaels Schüler, allen voran Giulio Romano, maßgeblich beteiligt waren. 102 Daß Carstens die stärker ausgewogene Kunst des ,klassischen' Raffael dagegen weniger schätzte, zeigt sein Urteil über die Zeichnung zur Schule von Athen (gemeint ist der große Karton in der Ambrosiana), die er auf der Rückreise in Mailand sah: „Diese fand ich aber unter meiner Erwartung; sie schien mir für ein Werk von Kafaels Hand zu unfest gezeichnet; ich hatte die kühnen und festen Umrisse des Julius Romanus noch zu lebhaft im Gedächtnis." 103 Gegenüber diesem überraschenden Urteil mutet die Bemerkung, daß Carstens später in Rom dann

99 100 101 102 103

Ebd., S. 47. Ebd., S. 47f. Ebd., S. 47. Siehe oben, S. 165-177. Fernow, Leben des Künstlers Asmus Jakob Carstens, S. 52. Darauf, daß zudem Giulios „hart konturierender Stil weit eher der Vorstellung vom Werk seines Meisters entsprechen [mußte], die Carstens bis dahin ja nur aus graphischen Reproduktionen hatte gewinnen können", hat schon Barth, Asmus Jakob Carstens, S. 98 aufmerksam gemacht.

Fernows Monographien über Carstens und Canova

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doch eingesehen habe, daß „die Atheniensische Schule die erste Komposizion in der Welt sei", wie ein pedantischer Zusatz Fernows an, mit dem der Nachlaßverwalter Carstens' die seiner Ansicht nach .ästhetisch unkorrekte' Aussage des Künstlers nachträglich richtigzustellen versuchte.104 Kein Zweifel besteht indes daran, daß Carstens selbst die Begegnung mit den Werken Giulio Romanos als das für seine künsderische Entwicklung entscheidende Erlebnis empfunden hat. Gemeinsam mit dem Letzten Abendmahl Leonardo da Vincis in Mailand und der „gewaltigen und erhabenen Schweizernatur" zählt er die Fresken im Mantuaner Palazzo del Te zu den „drei Gegenstände[n], die einen unauslöschlichen Eindruck auf mein Gefühl machten, [...] und auf meine Kunst einen wesentlichen Einfluss gehabt haben."105 Das Frühwerk als Jugendsünde Über die Bedeutung seiner italienischen Seherlebnisse legen die unmittelbar nach Carstens' Rückkehr aus Italien entstandenen Werke der Lübecker Zeit (1783 bis 1788) Zeugnis ab. Neben mehreren „allegorischen Darstellungen", deren Sujet er nicht spezifiziert, nennt Fernow für diesen Zeitraum insgesamt vierzehn Werke, unter denen Cupidos Vogelfang (Weimar, Kunstsammlungen) sowie ein Bacchantentanζ wild bewegter Figuren (Kopenhagen, Statens Museum for Kunst) hervorzuheben sind.106 Auch andere, von Fernow nicht erwähnte Zeichnungen, wie zum Beispiel Oer Tod des Commodus (Oslo, Nationalgalerie) oder Oer Raub [?] der Sabinerinnen (Durchzeichnung Weimar, Kunstsammlungen), sind ohne die Begegnung mit Giulios Werk nicht denkbar.1"7 Eine thematische Verwandtschaft weisen zwei Blätter auf, die heroische Schlachtensujets behandeln: zum einen die für Weimar angekaufte Schlacht bei Potidäa (Weimar, Kunstsammlungen), zum anderen die von Klopstock inspirierte Zeichnung Hermann, aus der Schlacht zurückkehrend, dem Thusnelde den Kran% reicht (verschollen).108 104 Fernow, Leben des Künstlers Asmus Jakob Carstens, S. 52. Siehe dazu auch unten, S. 324-326. 105 Fernow, Leben des Künstlers Asmus Jakob Carstens, S. 52f. und 56. Zur erhabenen Natur der Schweiz siehe auch ebd., S. 152. 106 Ebd., S. 66-69. Von Fernow als „Bacchanal" sowie als „Amor, der einen ruhenden Jäger in sein Netz zieht" bezeichnet. Siehe dazu [Kat.] Asmus Jakob Carstens, S. 40, Abb. 21 und S. 111, Kat.-Nr. 5. 107 Zum Einfluß der Kunst Giulio Romanos auf Carstens' Zeichnungen wie Cupidos Vogelfang oder den Tod des Commodus, siehe Büttner, Carstens' Weg zur Kunst, S. 39. Eine Abbildung der von Fernow verschwiegenen Sabinerinnen-Zeichnung (bei der es sich übrigens, wie im Falle Davids, nicht um die Szene des Raubs zu handeln scheint) findet sich in [Kat.] Asmus Jakob Carstens, S. 123, Kat.-Nr. 55. 108 Beide Zeichnungen werden von Fernow, lieben des Künsders Asmus Jakob Carstens, S. 66f. als Werke der Lübecker Zeit genannt. Zu Carstens' Vorliebe für Schlachtensujets siehe unten, S. 331 ff.

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Kunstkritik: Carl Ludwig Fernow

Die Tatsache, daß Carstens sich zur damaligen Zeit vor allem an Giulio Romanos „kühnerfundenen Werken", an Michelangelos „kraftvoller Größe" sowie an dem „pathetischen Charakter" der antiken Skulptur schulte, wird von Fernow ebensowenig bestritten wie die Beobachtung, daß Carstens generell „am liebsten heroische und ernste Stoffe der alten Fabel wählte".109 Entscheidend ist jedoch, daß Fernow diese Vorliebe für das Große, Kühne, Kräftige und Pathetische rückblickend als eine nur vorläufige, schon bald überwundene Stufe in Carstens' Ausbildung darstellt und die bis 1788 entstandenen Werke allesamt mit dem Etikett des „frühen Stils" versieht.110 Nicht ohne Bedeutung ist in diesem Zusammenhang, daß die zitierten Einschätzungen von Fernow und nicht (mehr) von dem IchErzähler Carstens selbst vorgetragen werden. Carstens' eingeschobene Erinnerungen, die Femow mit den Worten einleitet, daß er „den Künstler in eigener Person erzählen" lassen wolle, „was er späterhin in Rom dem Verfasser" mitgeteilt habe, endet mit Carstens' Rückkehr nach Deutschland und seinem Lob auf Giulio Romano, Leonardo da Vinci und die Schweiz.111 Abgesehen von einigen eingeschalteten Briefen, ist dies sein letztes Wort in direkter Rede, denn von nun an wird seine Lebensgeschichte einzig und allein von Fernow erzählt.112 Diese Entmündigung' des Künsders ist dabei von mehr als bloß erzähltechnischem Interesse: Fernow, wie Carstens aus ärmlichen Verhältnissen stammend, hatte diesen 1786 in Lübeck kennengelernt und war erst 1794, nach einer Unterbrechung von immerhin sechs Jahren, in Rom wieder mit ihm zusammengetroffen. Auch wenn Fernow schreibt, daß es Carstens war, der ihn damals in Lübeck „zuerst eine höhere Sphäre der Kunst kennen" lehrte, so stellt sich das Verhältnis in der nach dem Tod des Künsders erschienenen Biographie genau umgekehrt dar: Hier ist Fernow der Überlegene, der Carstens' CEuvre souverän von der Warte des an Kant und Winckelmann geschulten Kunstkritikers aus beurteilt und den kühnen, feurigen, ja wilden und gewaltsamen Charakter der „Arbeiten seiner früheren Periode" zu einer Art Jugendsünde erklärt. Für den Biographen Fernow scheint dabei vor allem Carstens' Orientierung an den großen Formen Michelangelos problematisch gewesen zu sein. Dabei hatte er selbst noch 1795 voller Bewunderung berichtet, daß Carstens' „Seele nur in Götterkriegen, Titanenschlachten, im Hesiodus und Homer" lebe und „nichts 109 Fernow, Leben des Künstlers Asmus Jakob Carstens, S. 68-71. 110 Ebd., S. 66, siehe auch ebd., S. 72, wo Fernow von den „Arbeiten seiner früheren Periode" spricht. 111 Die eingeschobene Ich-Erzählung nimmt die Seiten 19-56 der Monographie ein. Sie schließt mit den Worten, daß ,,[h]ier des Künstlers eigene Erzählung [ende], und der Verfasser nun den Faden derselben wieder aufnehme]." 112 Mehr als fraglich ist übrigens, ob es sich bei Carstens' Briefen an Baron von Heinitz um authentische Selbstzeugnisse handelt, da der Einfluß Fernows auf Argumentation und Inhalt dieser Schreiben unverkennbar ist.

Fernows Monographien über Carstens und Canova

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Sehnlicheres [wünsche] als eine Wand, siebenzig Ellen hoch wie die von Michelangelos jüngstem Gericht, um sich tot daran zu arbeiten und unsterblich zu sein wie er." 113 Von dieser Begeisterung für Michelangelo scheint damals auch Fernow selbst angesteckt gewesen zu sein: In einem längeren Aufsatz über Michael Buonarotti,

der 1795 im Neuen

Teutschen

Merkur

Angelo

erschien, ließ er verlauten, daß

Michelangelo als Maler „das originellste und größte Kunstgenie neuerer Zeit gewesen" sei und „dem Rafael in Darstellung erhabener Ideen und im großen Stile der Zeichnung überlegen" war." 4 Zehn Jahre später sieht der mitderweile zum strengen Klassizisten gewandelte Fernow sowohl Michelangelo als auch dessen Einfluß auf Carstens weitaus kritischer: Frühe ergriffen auch, wie schon bemerkt worden, Michelangelo's Werke den Geist unsers Künstlers, und die Wirkung davon zeigte sich auffallend in dem Stil seiner Formen. E r strebte lange der gigantischen Grösse jenes Meisters nach, die energische Gemüther in der früheren Periode ihrer Bildung so mächtig anzieht, und machte sich die Gros h a t seiner Verhältnisse, die Breite seiner Formen zu eigen; aber sein wahres Gefühl vermied glücklich das Gewaltsame und Übertriebene der Stellungen in den Gestalten des Buonarroti, und folgte mehr den gemässigten, schönen Bewegungen der Antike^1:1

Das Problem, daß Carstens sich von einem Künsder beeinflussen läßt, der nach der strengen klassizistischen Theorie eigentlich gar kein Vorbild sein dürfte,116 versucht Fernow also zu lösen, indem er Carstens' Bewunderung für Michelangelo als etwas Unreifes, ja gleichsam Pubertäres darstellt, dem er mit zunehmendem Alter glücklicherweise entwachsen sei. Indem sein „wahres Gefühl" und das Vorbild der „Antike" darin konvergieren, daß sie ihn schon damals vor dem Abgleiten in die Manier bewahrt haben, erscheint Carstens als ein vom Geist des Altertums beseelter, zugleich aber auch dezidiert moderner Künsder. Ganz in diesem Sinne präsentiert Fernow Carstens' in die Berliner Zeit fallende Beschäftigung mit den Abgüssen antiker Gemmen als das „beste Verwahrungsmittel gegen die gewaltsam gedrehten Stellungen, zu denen das Studium der Werke Michelangelos so leicht verleitet." 117 Doch trotz aller Beteuerungen Fernows lassen die in Berlin

113 Fernow an Jens Baggesen, 20. Februar 1795 (zitiert nach: Einem, Carl Ludwig Fernow, S. 8f.). Schon in diesem Brief ist allerdings bemerkbar, wie Fernow versucht, die emotionale Begeisterung für Michelangelo rational zu zügeln: „Michelangelo ist seinem Gefühl verwandter, aber Raffaels Geist und Gcschmack hält ihn im Zaume und führt ihn aus den idealischen Welten zur Natur zurück; [ 114 Fernow, Michael Angelo Buonarotti, S. 17 und 109. Eine nochmalige Gegenüberstellung der beiden Künsder findet sich in dem im dritten Band der Römische» Studien ab-

gedruckten Aufsatz Über Raffaels Teppiche, S. 169-171, wo Fernow erklärt, daß Michel-

angelo als „Schöpfer symbolischer Gestalten", Raffael dagegen „als dramatischer Maler unerreichbar gros" gewesen sei. 115 Fernow, I x-ben des Künstlers Asmus Jakob Carstens, S. 74f. 116 Vgl. oben, S. 298. 117 Fernow, Leben des Künsders Asmus Jakob Carstens, S. 95f.

Kunstkritik: Carl Ludwig Fernow

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entstandenen Werke Carstens', wie zum Beispiel sein fast zweihundert Figuren umfassender Stur^ der Engel (Weimar, Kunstsammlungen, Abb. 48), keinen Zweifel daran, daß er nach wie vor an dem Muster λίίοΐιείβ^είοβ und Giulio Romanos festhielt.118 Rom: Zwischen Raffael und

Michelangelo

Femow zufolge sollte sich deshalb auch erst die Auseinandersetzung mit den berühmtesten Kunstwerken Roms als entscheidend für die Entwicklung von Carstens' Kunst erweisen. Unterstützt durch eine Pension der Berliner Akademie war dieser im Juni 1792 nach Rom gereist. „Er musste", so rechtfertigt Fernow den Drang des Künstlers nach Italien, „zur völligen Entfaltung seines Geistes, zur völligen Reinigung und Ausründung seines Geschmaks, nun noch die Meisterwerke selbst im Grossen sehen und studiren, die er so lange nur in schlechten Abbildungen gekant hatte."119 Insbesondere hätte er das, „was ihm, für die Ausbildung des grossen Styls, in dem er arbeitete, noch gebrach", „nur im Angesichte der Antiken und Rafaels erlangen" können. Ist damit das Ziel seiner Romreise vorgegeben, so mag überraschen, daß die ersten namentlich genannten Originalwerke, die Carstens auf italienischem Boden beeindruckten, ausgerechnet die Skulpturen Xlichelangelos in der Florentiner Medici-Kapelle waren.120 Durch die in Florenz gewonnenen Eindrücke zu eigener Tätigkeit angeregt, entwarf er eine große Komposition „von ohngefähr 30 Figuren", welche die unter anderem von Ovid beschriebene Schlacht der Kentauren und hapithen darstellte und ihm seiner eigenen Aussage nach „viele reputation" machte.121 Die zwar schon 1791 in Florenz entworfene, sicherlich jedoch erst im folgenden Jahr in Rom vollendete Zeichnung (Abb. 49), die in ihren forcierten Bewegungsmotiven deutlich den Einfluß Michelangelos (vor allem seines Kentaurenkampf-'ReheL·, Florenz, Casa Buonarrotti) sowie der nachraffaelischen Kunst des 16. Jahrhunderts (Giulio Romano, Giovanni da Bologna und andere) erkennen läßt, wird von Fernow denn auch als ein Werk

118 Darüber hinaus ließen sich die mächtigen Figuren in Der schwermütige

Ajax mit

Tekmessa

und Ewysak.es (Weimar, Kunstsammlungen), Oedipus von den Furien gequält (Weimar, Goethe-Nationalmuscum) sowie der von Fernow nicht erwähnte Philoktet mit dem Bogen des Herakles (Berlin, Nationalgaleric) nennen. 119 Dies und das folgende Zitat: Fernow, Leben des Künstlers Asmus Jakob Carstens, S. 112. 120 Ebd., S. 116f. Vgl. seinen Brief an Heinitz vom 9. Februar 1793 (abgedruckt in: [Kat.J Asmus Jakob Carstens, S. 81 f.) sowie die drei in den Weimarer Kunstsammlungen befindlichen Zeichnungen nach Michelangelos Medici-Gräbem (ebd., S. 141, Kat. Nr. 85-87). 121 Carstens an Heinitz, 9. Februar 1793 ([Kat.] Asmus Jakob Carstens, S. 82). Zu dieser Zeichnung siehe Kamphausen, Λ. J. Carstens, S. 133f.; [Kat.] Asmus Jakob Carstens und Joseph Anton Koch, S. 89f., Nr. 24.

Fernows Monographien über Carstens und Canova

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bezeichnet, das vor allem „als Übergang zur folgenden Periode seiner Bildung merkwürdig" sei.122 Doch auch nach seiner Ankunft in Rom waren es zunächst offenbar die Werke Michelangelos, die Carstens vor allem anzogen und beschäftigten: Während er dessen Malerei in der Sixtinischen Kapelle „über sein Erwarten" fand, bestätigten die Fresken in den Stanzen und Logen seine bisherige Vorstellung von Raffael: „Ihn hatte er sich gerade so gedacht, wie er ihn fand. Freundlich wie ein alter Bekannter erschien ihm derselbe, und er empfand ganz die hohe Heiterkeit und Ruhe, die dieser göttliche Genius über alle seine Werke ergossen hat." 121 Zwischen diesen beiden hochgradig topischen Polen - der freundlichen, heiteren und ruhigen Malerei Raffaels und der strengen, großen und gewaltigen Kunst Michelangelos — war Carstens, glaubt man der Erzählung Fernows, zu Anfang seiner römischen Zeit noch hin- und hergerissen: Michelangelo

wirkte wie ein gewaltiger Riesengeist, der jedes Selbstgefühl zernichtet, und zu dem man nur mit Ehrfurcht hinaufblicken darf, spannend auf seine Fantasie; Rafael kam ihm traulich mit menschlichen Gefühlen als Freund entgegen. Er fühlte sich beiden gleich tief untergeordnet; aber Michelangelo's kühne furchtbare Hoheit war niederschlagend, Kajaeis edle heitere Grösse war aufmunternd für ihn. Jener zog ihn an wie ein Magnet das Eisen, unwiderstehlich durch die Riesenkraft seines plastischen Genies; dieser, wie ein hoher liebender Genius den verwandten befreundeten Geist anzieht. Jener war in seiner Eigenthümlichkeit eben so unerreichbar als gefährlich für ihn; diesem, wenngleich nicht weniger unerreichbaren, durfte er doch mit Vertrauen folgen. V o n jenem kehrte er immer voll Bewunderung und leidenschaftlich gespannt, oft mit scharfen aber wohlthätigen Lekzionen für seine Unwissenheit in der gründlichen Kentnis des Körpers, zurück; von diesem immer belehrt, ermuntert, zur Thätigkeit gestimmt, und auf seinen Fortschritt zum Besseren vertrauend. Jener war, nach dem eigenen Ausdrucke des Künstlers, ein strenger Lehrmeister, der ihn bei jeder I-ckzion mit der Nase auf die Grammatik sties; dieser ein freundlicher Mentor, der ihn unaufhörlich auf die Natur hinwies, und ihm zeigte, wie er sie studiren solle. 1 2 4

Obwohl Fernow sich den Anschein gibt, als ob er die jeweiligen künstlerischen Verdienste Michelangelos und Raffaels objektiv bewerten wolle, so ist seine Präferenz für letzteren doch offensichtlich. Dabei ist bemerkenswert, daß sein ästhetisches Urteil ethisch-moralisch grundiert ist: Während Michelangelo in all seiner Größe als ein un- beziehungsweise übermenschlicher Tyrann beschrieben wird, dessen gefährliche „Riesenkraft" seine Nachfolger zu zerstören droht, erscheint Raffael als ein seinen Adepten zwar überlegener, aber doch aufgrund seiner Humanität vertrauenerweckender „Freund", der die Künstler nicht zur Nachahmung seiner selbst, sondern, indem er sie auf das Muster der Natur weist, zur selbständigen Produktion anleitet. Für Fernow, der in seiner um den Begriff der „Einbildungskraft" zentrierten Kunsttheorie eine dezidiert antiakademische und anti122 Fernow, Leben des Künstlers Asmus Jakob Carstens, S. 1 1 7 . 123 Ebd., S. 120f. 124 Ebd., S. 122f.

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Kunstkritik: Carl Ludwig Fernow

mimetische Produktionsästhetik verficht,125 kann somit allein der „freundliche Mentor" Raffael, nicht aber der „strenge Lehrmeister" Michelangelo als Vorbild für einen modernen Künstler wie Carstens in Frage kommen. Folgt man Fernows Erzählung, so hat Carstens nach einer gewissen Zeit, in der er „gewöhnlich alle Woche einmal morgens in den Vatican" ging, dies selbst eingesehen und schließlich Raffael Michelangelo vorgezogen: Da er nun auch das Wesen und den eigentlichen Zweck seiner Kunst immer wahrer erkante und einsehen lernte, dass Rafael gerader und zuverlässiger auf denselben hinweise als Michelangelo, den er nur für das gründliche Verständnis der Formen, und für das höhere Feld der plastischen Simbolik, welche grosse und charaktervolle, durch sich selbst bedeutende, selbständige Idealbüdungcn fodert, als ein erhabenes Vorbild erkante; w o hingegen Rafael im eigentlichsten Gebiete seiner Kunst, in der dramatischen Darstellung einer aus sich selbst motivirten, in sich selbst geschlossenen, sich durch sich selbst erklärenden Handlung ihm das höchste, einzig der Nachfolge würdige Muster schien: so ward ihm Rafael endlich der wichtigere, klassischere v o n beiden. 1 2 6

In diesen Zeilen wird noch einmal das grundlegende Dilemma Fernows deutlich, der die in Carstens' Werk nur allzu offensichtliche „Verehrung für Michelangelo" einerseits nicht unterschlagen kann, andererseits aber Raffael als sein eigentliches Idol erscheinen lassen will. So leugnet er denn auch keinesfalls Michelangelos spezifische Verdienste, schränkt seine Vorbildlichkeit aber auf das „gründliche Verständnis der Formen" sowie auf den engen Bereich der „plastischen Simbolik" (zu denken ist zum Beispiel an die Figuren in der Medici-Kapelle) ein. Dagegen wird Raffael zum unangefochtenen, ja klassischen Meister der „dramatischen Darstellung", das heißt der Historienmalerei, erklärt, also genau der Gattung, die Carstens selbst als die ihm angemessene bevorzugte. Gleich zweimal erfährt Raffael damit eine Nobilitierung: Läßt ihn sein Talent für die „dramatische Darstellung" in der traditionell angesehensten Gattung der Xlalerei glänzen, so rückt ihn das Etikett des Klassischen in die Nähe der mustergültigen Künstler der Antike. Wandel oder Kontinuität: Carstens als Raffael redivivus Aufs engste verbunden mit der Einsicht in die Vorzüglichkeit des Klassikers Raffael sei, so Fernow, das Bedürfnis Carstens' gewesen, „seinen überwiegenden Hang zum Idealen und Grossen auf das gehörige Verhältnis mit Schönheit und Natur herabzustimmen, und die Allegorie nicht mehr als einen Kunstzweck, sondern nur als ein Hülfsmittel zur anschaulichen Darstellung einer Idee [...] anzusehen".127 Auch diese beiden Punkte zielen gegen den Einfluß Michelangelos auf die Kunst Carstens' und postulieren einen entscheidenden Wandel in seinem Werk. Doch während man dem letztgenannten Punkt zumindest insofern zustim1 2 5 Siehe dazu Tausch, Entfernung der Antike, S. 1 6 8 - 1 8 6 , bes. 1 7 6 - 1 8 2 . 1 2 6 Fernow, Leben des Künstlers Asmus Jakob Carstens, S. 124. 1 2 7 Hbd., S. 124f.

Fernows Monographien über Carstens und Canova

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men kann, als bei Carstens seit ungefähr 1795 die dezidiert allegorischen Sujets (•wie Raum und Zeit oder Die Geburt des Lichts) von Darstellungen mythologischer und literarischer Sujets (aus Homer, Hesiod, den griechischen Tragikern, Lukian, Dante, Ossian, Shakespeare) abgelöst werden, ist von der behaupteten Mäßigung seines Hangs zum Idealen und Großen in den Werken der römischen Zeit wenig zu bemerken. Zwar ist der Einfluß Raffaels auf eine Zeichnung wie Homer singt den Griechen (1796) unverkennbar,128 doch bleiben Carstens' große Kompositionen wie zum Beispiel Der Kampf Achills mit den Flüssen (1793), Die Einschiffung und die Überfahrt des Megapenthes (1794/1795), Der Kampf der Titanen und Götter (1795), Dantes Hölle (1796) oder sein vierundzwanzigteiliger Argonautenspg (1797) michelangelesken Formen und Dimensionen verpflichtet.129 Auffälligerweise handelt es sich selbst da, wo Carstens Raffael rezipiert, zumeist um heroische oder tragischpathetische Kompositionen wie die Vertreibung des Heliodor, den Borgobrand, den Kindermord oder die Konstantinsschlacht.110 Doch fuhrt die Suche nach spezifischen Belegen für den Einfluß des einen oder des anderen Künstlers auf Carstens letztlich nicht weiter. In Fernows Text bezeichnen die Namen Michelangelo und Raffael weniger zwei historische Persönlichkeiten als vielmehr zwei einander entgegengesetzte künsderische Haltungen oder Richtungen: einerseits die Tendenz zum Großen, Kräftigen, Energischen, Gewaltsamen und Übertriebenen; andererseits die Tendenz zum Schönen, Anmutigen, Heiteren, Beruhigten und harmonisch Ausgewogenen. Fernows Präferenzen sind eindeutig, und es ist das Ziel seiner Monographie, Carstens immer mehr als einen modernen Raffael, einen Raffael redivivus gleichsam, erscheinen zu lassen. Dies ist der Grund, warum er die gewaltsamen Formen und Bewegungen, die in zahlreichen Werken Carstens' zu bemerken sind, herunterspielt oder sie als Erbe der Antike interpretieren muß. So erklärt er beispielsweise den „durchgängig groß[en] und entwickelten]" Stil, den „mächtigen Karakter" und den „sehr lebendigen, beseelten Ausdruck" von Carstens' erster römischer Arbeit, dem Besuch der Argonauten beim Kentauren Chiron (Weimar, Kunstsammlungen), mit dem „grossen 1 2 8 Figurenauffassung und Komposition der Zeichnung erinnern an den nach Raffaels Karton gewebten Teppich der Predigt des Paulus in Athen, Figurengruppen wie die der Schreiber sind offensichtlich von Raffaels Schule von Athen inspiriert. 129 Vgl. Kemphausen, Asmus Jakob Carstens, S. 45, 150, 186; Barth, Asmus Jakob Carstens, S. 102. Zu Carstens' stilistischer Orientierung an Michelangelos Jüngstem Gericht für seinen Kampf der Titanen und der Götter siehe Mildenberger, Asmus Jacob Carstens und die französische Revolution, S. 49. - Claude Keisch zufolge ist das „wechselnde Gewicht beider Richtungen", d. h. zwischen der „Neigung zu einem manieristischen Barock und einem klassischen Ausdruck", noch in den letzten Werken Carstens' erkennbar. Siehe [Kat.] Asmus Jakob Carstens und Joseph Anton Koch, S. 84. 130 Reminiszenzen des Borgobrandes

finden sich beispielsweise im Aufbruch

des Eteokles

%um

Kampf gegen Polyneikes (1797) sowie in dem Entwurf Vernes entfuhrt die Bildsäule der Diana (1798), siehe [Kat.] Asmus Jakob Carstens, S. 182, Nr. 153 und S. 192, Nr. 173.

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Kunstkritik: Carl Ludwig Fernow

Einfluss", den die „Kolossen

auf Monte cavallo"

(vgl. Abb. 42) auf Carstens ausgeübt

hätten. 131 Mit anderen Worten: W o Carstens' Kunst das von Raffael vorgegebene Maß überschreitet, ist es das Heroenideal der Antike, das diesen Verstoß legitimiert.

Das Problem des Ausdrucks Daß Pathos und Bewegung der Carstenschen Werke für Fernow ein besonderes Problem darstellten, belegt schon allein der Umstand, daß dem „Ausdruck" im zweiten, systematischen Teil von Fernows Monographie mehr Seiten gewidmet werden als den anderen künstlerischen Kategorien, also dem „Stil", der „Zeichnung", der „Wahl des Stoffes", dem „Kolorit", dem „Gewand" und dem „Beiwerk". 132 Fernow spricht Carstens ein besonderes Talent zur Darstellung des Ausdrucks zu, das er ganz allgemein als „das VermögenfJ für jeden Karakter die ihm entsprechende Bildung zu erfinden", bestimmt, und als dessen unübertroffener Meister ihm Raffael gilt: 133 Carstens besas das Talent, einem gegebenen Karakter gemäs die demselben entsprechende Fisiognomie in seiner Einbildungskraft aufsteigen zu lassen, in einem hohen Grade; [...]. Fähig alles auszudrücken was ihn lebhaft und innig gerührt, oder durch ein hohes Interesse begeistert hatte, zog er, bei seiner vielseitigen Empfänglichkeit, Vieles mit Glück in seinen Kreis; und eigentlich lag ausserhalb desselben nur das, was der natürlichen Stimmung und Empfindungsweise seines Gemüths als unbedeutend oder fremdartig widerstand. Dahin gehörte zuvörderst alles Affektirte, Gezierte, Gemeine, Frivole, Wollüstige; dann auch das blos Liebliche, Tändelnde, Empfindsamzärtliche, Zierlichschöne. Jenes war der Wahrheit und Würde, dieses dem Ernste seiner Empfindung, so wie alles Moderne seinem Geschmack, zuwider. 134 Die Behauptung, Carstens habe kein Interesse an der Darstellung der genannten affektiven Qualitäten, verwundert nicht und sei an dieser Stelle nur deshalb hervorgehoben, weil die in Fernows Lob für Carstens enthaltene Kritik schon hier implizit auf Antonio Canova und seine allzu ,weibliche' Kunst zielt. 135 Fernows 131 Fernow, Leben des Künstlers Asmus Jakob Carstens, S. 137f. Vgl. auch ebd., S. 125f. Fernow zufolge sind die Dioskuren/Rossebändiger durch das „Ideal der Grösse" über das „reine schöne Ideal" herausgehoben. Siehe seinen Aufsatz Uber das Kunstschöne, S. 357. 132 Fernow, Leben des Künstlers Asmus Jakob Carstens, S. 268-278. An Länge übertroffen wird der Abschnitt über den „Ausdruck" lediglich von dem das Buch abschließenden und zusammenfassenden Kapitel über Carstens' „Kunststreben" (S. 296-312). 133 Ebd., S. 269. Zu Fernows Verständnis des Begriffs „Ausdruck" im Verhältnis zum Konzept des Charakteristischen siehe seine Aufsätze Uber das Kunstschöne, S. 363387; Uber den Zwek, das Gebiet und die Gränzen der dramatischen Malerei, S. 27f. und passim; Uber Rafaels Teppiche, S. 139-151. Vgl. auch Costazza, Das „Charakteristische" als ästhetische Kategorie, S. 77-79 und Tausch, Entfernung der Antike, S. 119-146, bes. S. 132ff. 134 Fernow, Leben des Künsders Asmus Jakob Carstens, S. 271. 135 Siehe dazu unten, S. 341 f.

Fernows Monographien über Carstens und Canova

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Problem mit Carstens' Kunst ist gerade nicht ihr fehlender .männlicher' Ernst, sondern ihr Überschuß an gewaltsamer Virilität. Er befindet sich hier in dem gleichen Dilemma wie angesichts des nicht zu leugnenden Einflusses Michelangelos auf Carstens. Wie dort, so fordert auch hier der Befund, daß Carstens sich im Grunde genommen eher für die „stärker bewegten, heroischen und pathetischen" als für die „ruhigeren Scenen" interessierte,136 Fernow zu Erklärungen heraus, deren Gewundenheit zum Teil ans Paradoxe grenzt: Obgleich der feurigen Fantasie des Künstlers heftig bewegte Scenen und Affekte vielleicht angemessener waren, so zog doch oft sein Gefühl Darstellungen ruhiger oder gemässigter Momente vor, welches in diesen einen innigeren Genus fand, als in heftigen und stürmischen. An Darstellungen von Blut- und Mordscenen, an denen die neue französische Schule so gern ihr kaltes Feuer übt, fand er am wenigsten Gefallen; an solchen nämlich, wo ein Mord als Haupthandlung ausschliessend das Gefühl in Anspruch nimt; an Schlachten hingegen, wo das Getümmel streitender Kräfte zugleich die Fantasie lebhaft beschäftigt, nahm er grosses Gefallen. Konstantins Schlacht war immer ein Gegenstand der Bewunderung und des Studiums für ihn, so oft er den Vatikan besuchte. Aus demselben Grunde gefiel ihm unter allen Darstellungen des Kindermordes

auch nur die Rafaelische. Bei dieser Vorliebe für ruhige Scenen verstand er zugleich die Kunst, sie durch Mannigfaltigkeit des Ausdrucks so interessant zu machen, dass sie den Betrachter oft länger fesselten, als andere Bilder, die ihr Hauptinteresse dem Gegenstande verdanken. 137

Einerseits soll Carstens' „Fantasie" ihn zu „heftig bewegtefn] Scenen und Affekte[n]" verleitet, andererseits sein „Gefühl" zu „Darstellungen ruhiger oder gemässigter Momente" gezogen haben; die „Blut- und Mordscenen" der französischen Historienmalerei soll er einerseits abgelehnt, dafür andererseits aber stark bewegte Schlachtensujets wie Raffaels Konstantinsschlacht (vgl. Abb. 27) und seinen dramatischen Bethlehemitischen Kindermord (also eine Mordszene!; vgl. Abb. 20) wiederum geschätzt haben.138 Fernows Argumentation ist alles andere als konsistent und weist in ihrer Widerspnichlichkeit auf die Probleme, die Carstens' Werke seinem Biographen und Nachlaßverwalter bereiten. Denn trotz der behaupteten „Vorliebe fur ruhige Scenen" muß Fernow zugestehen, daß Carstens' „dichterische Fantasie" sich letzten Endes doch am liebsten mit Gegenständen beschäftigte, die „kühne Grosheit, Heldensinn und Pathos vereinigen" und daß ihm die Darstellung gerade solcher Gegenstände „besonders glüklich" gelang.139 136 Fernow, Leben des Künstlers Asmus Jakob Carstens, S. 277. Vgl. Cavallaro/Delfini, L'ideale artistico, S. 41. 137 Fernow, Leben des Künstlers Asmus Jakob Carstens, S. 274f. 138 Zum bethlehemitischen Kindermord Raffaels als einem genuinen Beispiel dafür, „wie dem vom Gefühle des Schönen geleiteten Genie gelingt, [...] einen in der Wirklichkeit widrigen, gräslichen Gegenstand wohlgefällig darzustellen", siehe Fernow, Über den Zwek, das Gebiet und die Gränzen der dramatischen Malerei, S. 88f. Vgl. auch ders., Uber das Kunstschöne, S. 330f. und 333ff. 139 Fernow, Leben des Künstlers Asmus Jakob Carstens, S. 277f. Als Beispiele dieser besonders geglückten Darstellungen nennt Fernow Kompositionen wie den Stur? der

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Kunstkritik: Carl Ludwig Femow

Es ist in diesem Zusammenhang übrigens fraglich, ob es tatsächlich Carstens' eigenes „Gefühl" war, das ihn „Darstellungen ruhiger und gemässigter Momente" vorziehen ließ, oder ob es nicht vielmehr die an Winckelmann und Lessing orientierten theoretischen Ansprüche waren, die Femow an ihn herangetragen hatte und ihn in den beschriebenen Konflikt mit seiner „feurigen Fantasie" stürzten. Festzuhalten jedenfalls ist, daß Carstens' genuines Kunstwollen offensichtlich auf die ,Nachahmung des Gewaltsamen' gerichtet war, und daß dieses Kunstwollen im Gegensatz zu dem Ideal der Ruhe und Mäßigung stand. Carstens und die „neuere französische

Schule"

Eher an den Theoretiker Fernow als an den Künstler Carstens erinnert auch die Kritik an dem ,,kalte[n] Feuer" der neueren französischen Schule. Hatte Carstens selbst im Februar 1793 noch geschrieben, daß die Franzosen bei aller Unzulänglichkeit ihrer Kunst „doch noch bey weitem die besten" unter den damals in Rom lebenden Malern seien, so behauptet Fernow dreizehn Jahre später, daß er an ihren Werken „am wenigsten Gefallen" gefunden hätte.140 Fernows polemische Haltung gegenüber der französischen Kunst ist bekannt.141 Schon in seinem Sittenund Kulturgemälde von Rom (1802) hatte er David mit Bernini, dem „Verderber des guten Geschmacks", verglichen und das Verdikt der Übertreibung, die beiden Künstlern gemeinsam sei, auf die ganze französische Schule ausgeweitet: „Die Lieblingsgegenstände dieser Schule sind tragischen Inhalts, gewöhnlich Mordszenen, welche den höchsten Grad des Affekts erheischen, und gewaltsame Bewegungen der Figuren fodern; diese werden dann übertrieben, und der Ausdruck des Affekts wird zur Grimasse." 142 Massive Kritik an dem „neufranzösischen Kunstgeschmak" mit seinem „übertriebene [m] Ausdruk und theatralische [m] Pomp" findet sich auch in der Abhandlung Über Rafaels Teppiche sowie in dem Aufsatz Über den Zwek, das Gebiet und die Gründen der dramatischen Malerei.143 Das Ressentiment gegen die Historienmalerei der französischen Schule zwingt Fernow jedoch dazu, Enge! ([Kat.] Asmus Jakob Carstens, Kat.-Nr. 53; vgl. Abb. 48), den Kampf der

Titanen

und Götter (Kat.-Nr. 131), die Schlacht der Kentauren undLapitben (Kat.-Nr. 77; vgl. Abb. 49),

die Schlägerei der Philosophen (Kat.-Nr. 129), den Aufbruch des Eteokles %um Kampf gegen Polyneik.es (Kat.-Nr. 153), Ödipus von den Furien gequält (Kat.-Nr. 56), die Ermordungss^ene nach dem Trauerspiel von Yorkshire (Kat.-Nr. 157/158), Dantes Hölle (Kat.-Nr. 138) sowie 140 141 142 143

mehrere Darstellungen aus dem Zyklus der Argonauten. Carstens an von Heinitz, 9. Februar 1793 (zit. nach [Kat.] Asmus Jakob Carstens, S. 80); Fernow, Leben des Künsders Asmus Jakob Carstens, S. 274. Siehe dazu u. a. Tausch, Entfernung der Antike, S. 114f. Fernow, Sitten- und Kulturgemälde von Rom, S. 215f. und 221 f. Fernow, Uber Rafaels Teppiche, S. 192f.; Uber den Zwek, das Gebiet und die Gränzen der dramatischen Malerei, S. 96-98. - Etwas positiver beurteilt Fernow den Einfluß Davids auf die neuere Kunst in seiner Canova-Monographie (Uber den Bildhauer Canova, S. 11 f.).

Fernows Monographien über Carstens und Canova

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den manifesten Einfluß, den David und seine Nachfolger auf Carstens ausgeübt haben, zu unterschlagen. Zwar hat Carstens (bis auf eine Ausnahme, auf die unten zurückzukommen sein wird) tatsächlich „nie einen Stof aus der römischen Geschichte behandelt, die", so Fernow, „jetzt fast ausschliessend das Feld der französischen Schule geworden ist."144 Wie Wolfgang Becker bemerkt hat, wandte Carstens sich zudem „gegen alles, was der ,Bühnenstil' Davids bedingte: Die Modell- und Ausstattungstreue, die Arbeit mit dem Komponierkasten, die vollendete Malerei."143 Unverkennbar ist jedoch, daß Carstens sowohl von Poussin als auch von der neueren französischen Schule beeinflußt worden ist: Insbesondere Zeichnungen wie Priamus vor Achill (1793/94) sowie der Aufiruch des Eteokles %um Kampf gegen Polyneikes (1797) belegen seine von Fernow bestrittene Nähe zu den Themen und dem Pathos der französischen Kunst.146 Wie zuvor schon Michelangelo, so fallen damit auch David und die französische Schule der von Fernow vorgenommenen Stilisierung Carstens' zum Opfer. Schlachten und Kämpfe Wenn Fernow in der oben zitierten Passage schreibt, daß Carstens an Schlachtenszenen großes Gefallen fand, so handelt es sich dabei um einen Befund, der angesichts der zahlreichen Kampf- und Schlachtensujets in Carstens' (Euvre nicht zu leugnen war. Darstellungen dieser Art sind bereits aus seiner Kopenhagener Zeit überliefert.147 In Lübeck entwarf er die Schlacht bei Potidäa (1788) sowie den Raub der Sabinerinnen (um 1788), in Berlin den Stur^der Engel (1789, Abb. 48).148 Die lange Reihe der in Italien entstandenen Schlacht- und Kampfszenen setzt ein mit der 144 Fernow, Leben des Künstlers Asmus Jakob Carstens, S. 260f. (Abschnitt: „Wahl des Stoffes"). Zu Carstens' vorgeblicher Bevorzugung von „Gegenstände[n] des griechischen Alterthums aus der homerischen Welt, und was der nahe liegt", siehe ebd., S. 261. 145 Becker, Paris und die deutsche Malerei, S. 50. 146 Ebd. - Becker nennt als Vorbilder für Carstens' Eteokles u. a. Charles Thevenin und Louis Lafitte, die 1791 mit Bildern des Depart de Reguluspour Carthage den großen Rompreis gewonnen hatten. Vgl. Mildenberger, A. J. Carstens und die französische Revolution, S. 57, der auf das Desiderat hinweist, „Carstens' Verflechtung in die europäische Kunst seiner Zeit deutlicher herauszustellen", sowie den Beitrag Frank Büttners in [Kat.] Goethe und die Kunst, S. 358, der auf die zahlreichen Übereinstimmungen der Ε/ίβ/fe/ex-Komposition mit Davids Schwur der Horatier aufmerksam macht. Dagegen erblickt Kamphausens nationale Kunstgeschichtsschreibung in Carstens einen von den Franzosen und Engländern unbeeinflußten deutschen Heros. Vgl. dazu Springer, Artis Germanicae Restitutor, S. 74ff. 147 Siehe Kamphausen, Asmus Jakob Carstens, S. 39f. mit der Abbildung einer antikischen Kampfszene sowie dem Hinweis auf die „Studien eines knienden Kriegers mit dem Stoßschwert". 148 Heute alle in den Kunstsammlungen zu Weimar, siehe [Kat.] Asmus Jakob Carstens, Kat.-Nr. 52, 55 und 53.

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Kunstkritik: Carl ] -udwig Fernow

noch in Florenz entworfenen Schlacht der Kentauren und Lapithen (1791/92, Abb. 49), führt über den Kampf Achills mit den Flüssen (1793) und den Kampf der Titanen und Götter (1795), den Aufbruch des Eteokles %um Kampf gegen Polyneikes (1797), Fingais Kampf mit dem Geist von Loda (1797) sowie mehrere Bilder aus dem Zyklus der Argonauten (1797) bis zu den noch kurz vor Carstens' Tod entstandenen Darstellungen aus dem Trojanischen Krieg.149 Der Unterschied zwischen den „Blut- und Mordscenen" der französischen Historienmalerei und Darstellungen wie Raffaels Konstantinsschlacht liegt laut Fernow darin, daß bei den Franzosen zumeist „ein Mord als Haupthandlung ausschliessend das Gefühl in Anspruch nimt", in Schlachtgemälden aber „das Getümmel streitender Kräfte zugleich die Fantasie lebhaft beschäftigt."1:>0 Mit anderen Worten: Während die französischen Maler den Betrachter direkt und unerbittlich mit dem gewaltsamen Tod ihrer Protagonisten konfrontieren, ist dieser Tod in der vielfigurigen Schlachtenmalerei stets vom Leben durchwirkt. Die gleiche Argumentation findet sich in Femows Aufsatz Uber den Zivek, das Gebiet und die Grannen der dramatischen Malerei, der erstmals 1797, in überarbeiteter und um die hier interessierenden Passagen ergänzter Version jedoch erst 1808 erschien.131 Wendet Fernow sich auch in diesem Fall zum einen gegen die „Darstellung solcher Scenen, wo Leiden und Tod, sei es auch eines grossen Mannes, der Hauptgegenstand" ist, so hebt er andererseits die spezifische, medial bedingte Eignung der Malerei hervor, „das mannigfaltige Kampfgewühl einer Schlacht" darzustellen: Die Malerei allein ist im Stande, das unermesliche Katnpfgewühl einer Schlacht in jeder Ausdehnung und Grösse, die mit einem Blik umfasst werden kan, in allen verschiedenen Momenten des Angrifs und der Gegenwehr, des Kämpfens und der Flucht, des Siegens und Erliegens, mit dem mannigfaltig wechselnden Ausdruk des Muthes und der Furcht, der Wuth und des Schreckens, der rasenden Mordgier und der zagenden Todesangst, in einem Momente der Anschauung darzustellen. Darum sind auch Schlachten, obgleich Scenen des Mordens und Gemezels, nicht nur keine ungünstige, widrige, sondern gerade wegen der in einen Moment zusammengedrängten Fülle von Leben und Zer-

störung von höchster Thätigkeit und höchstem Leiden, vorzüglich angemessene, wohlgefällige Gegenstände für die Malerei, wenn ein kühner, feuriger Geist, dessen Fantasie ein solches Gemälde zu schaffen und zu umfassen vermag, sie behandelt. 152

149 Siehe [Kat.] Asmus Jakob Carstens, Kat.-Nr. 77, 98, 131, 153, 133 sowie 173-179 (alle Kunstsammlungen zu Weimar). Die Zeichnungen des Argonautenzyklus werden in Kopenhagen aufbewahrt, vgl. Lincm, Carl Ludwig Fernow, Tafel XVI-XXXIX. 150 Fernow, Leben des Künstlers Asmus Jakob Carstens, S. 274. 151 In der Vorrede zum dritten Band seiner Kömischen Studien weist Fernow selbst darauf hin, daß die „erste Hälfte" des Aufsatzes bereits im elften Stück des Neuen Teutscben Merkur von 1797 erschienen war, hier noch unter dem Titel: Ueber die Bestimmung und

Grenzen der dramatischen Mahlerey. 152 Fernow, Uber den Zwek, das Gebiet und die Gränzen der dramatischen Malerei, S. 92f.

Fernows Monographien über Carstens und Canova

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Im Gegensatz zu den Sterbeszenen der französischen Historienmalerei, wo der „nach geendigtem Kampfe, erschöpft, verwundet und sterbend" daliegende Protagonist dem Anblick „keine Freude" gewähre, 133 wecken Schlachtengemälde das Interesse des Betrachters durch das sich zu einer schönen Einheit zusammenschließende mannigfaltige Ineinander von „Leben und Zerstörung", von „höchster Thätigkeit und höchstem Leiden". 134 In seinem Lob der Schlachtenmalerei geht Fernow sogar so weit zu behaupten, daß nicht nur Raffaels Konstantinsschlacht, sondern auch Charles Le Bruns Alexanderschlacht ihren Gegenstand letzten Endes angemessener dargestellt hätten als Homer in seiner Ilias und Ariost in seinem Orlando furiosoDoch sind der Malerei andererseits auch wieder Grenzen gesetzt: Bei „Scenen, wo ein Mord die Haupthandlung ist", so Fernow, werde die Malerei notwendig von der Schauspielkunst übertroffen, weil diese „das Pathetische und Tragische solcher Scenen mit der ihrem Inhalt angemessenen Wirkung am ausdruksvollsten und befriedigendsten darstellen" könne. 136 Aus dieser Perspektive erscheint das Bühnenmäßige der neueren französischen Schule als ein vor allem medialer Mißgriff. Der theatralischen Malerei stellt Fernow deshalb das Konzept einer „dramatischen Malerei" entgegen. 137 Daß Fernow mit seiner Theorie der dramatischen Malerei offenbar auf die Arbeiten Carstens' reagiert hat, legen seine Explikationen zur belebenden Wirkungsweise von Schlachtgemälden und „ähnlichen Darstellungen" nahe, die sich ebenfalls im Aufsatz Uber den Zwek, das Gebiet und die Grannen der dramatischen Malerei finden. Ohne Carstens' Namen zu nennen, geht Fernow von dessen oben genannten großen Kompositionen aus, um an ihnen den Unterschied zwischen einer Schlacht als einem Gegenstand der Realität respektive der Kunst darzulegen. Von zentraler Bedeutung ist dabei der Begriff der „Fantasie", also der ästhetischen „Einbildungskraft", die Fernow sowohl auf Seiten des Künsders als auch auf selten des Betrachtenden angesprochen und herausgefordert sieht: Schlachtengemälde, ein jüngstes Gericht, eine Dantische Hölle, ein Sabinerinnenraub, ein Engelssturv^ ein Götter- und Titanenkampf u. a. ähnliche Darstellungen sind nicht sowohl für das teilnehmende Gefühl, als vielmehr für die Fantasie. Sie rühren nicht wie das Pathetische in einem Trauerspiel; aber sie erregen das hebensgefuhl, sie spannen die Einbildungskraft, das wilde gewaltige Gewühl von Zerstörung und lieben zu umfassen. [...] Auch in solchen Gemälden bleibt die Wirkung des Eindruks weit unter der Wirklichkeit; aber in

153 Ebd., S. 87. 154 Vgl. dazu Karl Philipp Moritz' Aufsatz Über die bildende Nachahmung des Schönen (Werke, Bd. 2, S. 988f.) sowie seine Ausführungen zu Raffaels Konstantinsschlacht in den Reisen eines Deutschen in Italien (ebd., S. 669f.). 155 Fernow, Über den Zwek, das Gebiet und die Gränzen der dramatischen Malerei, S. 93. 156 Ebd. 157 Zur „dramatischen Malerei", als deren unübertroffenen Meister Fernow Raffael betrachtet, siehe Einem, Carl Ludwig Fernow, S. 44-48.

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Kunstkritik: Carl Ludwig Fernow der Wirklichkeit ist auch eine Schlacht überhaupt kein ästhetischer Gegenstand; um es zu werden, mus ihn die Kunst in ihrem alles humanisirenden, verschönernden Zauberspiegel zeigen; in ihm erblicken wir dan nicht mehr den in der Natur schrecklichen Gegenstand, sondern das Fantasiebild des von der Vorstellung einer Schlacht begeisterten Künstlers. Die grosse Mannigfaltigkeit der Gegenstände, das Feuer und die Gewalt der Kämpfenden, die stürmende Wuth der Affekte, die alle Schranken durchbrechende Lebensfülle, der alles verherende Tod in einen malerisch gefasten Moment vereint, erhalten das Gemüth des Betrachtenden in solcher Bewegung, dass er den Stillstand des Moments nicht bemerkt. Die Darstellung gefält und befriedigt. 158

Fernows Legitimation der Schlachtenmalerei dürfte Goethes Überlegungen Über Wahrheit und Wahrscheinlichkeit der Kunstwerke mindestens ebensoviel schulden wie Kants Kritik der Urteilskraft. Was hier interessiert, ist jedoch der Einfluß, den die zeitgenössische Kunstpraxis auf Fernows Ästhetik ausgeübt hat. Unter dem Eindruck von Carstens' „Kunststreben" erweitert auch Fernow die strengen, auf die Nachahmung allein des Schönen und Idealen eingeschränkten Vorgaben der frühklassizistischen Kunstlehre und eröffnet mit seinem Konzept der dramatischen Malerei theoretische Spielräume für die von Künstlern wie Carstens praktisch immer schon ins Werk gesetzte ,Nachahmung des Gewaltsamen'. Ganz in diesem Sinne hat Fernow auch in seinem Aufsatz Über das Kunstschöne festgestellt, das eine „Kunstdarstellung" nicht allein auf schöne Gegenstände und Formen eingeschränkt werden dürfe, da diese Art von Schönheit „leer von allem Interesse" sei und „blos das reine Wohlgefallen des ruhig betrachtenden Gemüths" errege. Da die „leere Idealform" allein dem „Kunstsin" jedoch nicht genüge, so fordere dieser zu recht „in der schönen Form auch einen bestirnten Gehalt" und „in den Gestalten Karakter, Ausdruk, Leben, Handlung',139 Diese Sätze erinnern nicht von ungefähr an Hirt, denn tatsächlich hat Fernow sich im Aufsatz Über das Kunstschöne explizit mit dessen Lehre von der Charakteristik auseinandergesetzt.160 Auch wenn er sich dabei äußerst kritisch gegen das von Hirt aufgestellte Kunstprinzip wendet, so lehnt er es doch nicht gänzlich ab, sondern plädiert vielmehr dafür, die jeweiligen Ansätze Winckelmanns (Idealität), Lessings (Schönheit) und Hirts (Charakteristik) in einem übergeordneten Konzept, der „idealischen Individualität" beziehungsweise der „schönen Darstellung des Ideals unter karakteristischen Bedingungen", zu vereinigen.161

158 Fernow, Über den Zwek, das Gebiet und die Gränzen der dramatischen Malerei, S. 94f. 159 Fernow, Uber das Kunstschöne, S. 354. 160 Mit einer eher polemisch als freundschafdich gemeinten Geste hat Fernow den erstmals 1799 erschienenen und in überarbeiteter Form in den ersten Band der Römischen Studien aufgenommenen Aufsatz Über das Kunstschöne sogar „Dem Herrn Hofrath Hirt in Berlin" gewidmet. 161 Fernow, Über das Kunstschöne, S. 425-447. Vgl. ders., Uber den Bildhauer Canova, S. 56f. Siehe hierzu Costazza, Das „Charakteristische" als ästhetische Kategorie,

Fernows Monographien über Carstens und Canova

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Fernow geht also davon aus, daß Schönheit und Idealität allein nicht ausreichen, um ein Kunstwerk interessant zu machen, sondern daß dafür geradezu notwendig Ausdruck, Leben und Handlung hinzutreten müssen. Statt auf Mäßigung und Milderung, edler Einfalt und stiller Größe zu insistieren, unternimmt Fernow mit seinem Konzept der dramatischen Kunst den Versuch, theoretisch auch solche stark bewegten und hochpathetischen Kompositionen zu sanktionieren, wie sie ihm nicht zuletzt aus dem CEuvre Carstens' bekannt waren. In dem Maße, in dem Fernow sich von der Fixierung auf Winckelmann und Lessing löst, nähert er sich dabei zugleich der Position Hirts an, ohne daß ihre Auffassungen jedoch je identisch geworden wären.162 Daß Fernow sich trotz seiner Kritik an der Beschränktheit der frühklassizistischen Kunsdehre nicht dazu durchringen konnte, das Ideal der Ruhe und Mäßigung aufzugeben, zeigt eine am Ende des Aufsatzes Uber den Zwek, das Gebiet und die Granen der dramatischen Malerei eingerückte Erklärung, die sich gegen die „neuere französische Schule" richtet und wie eine Warnung an die zeitgenössischen deutschen Künsder anmutet: Wir finden [...] nicht, dass die älteren grossen Maler, und der gröste unter ihnen Rafael, den Zwek der Malerei in Darstellung gewaltsamer Handlungen, und in heftigen Rührungen gesetzt haben. Sie wählten lieber, wo sie freie Wahl hatten, ruhigtätige Handlungen und durch einen gemässigten Affekt belebte Momente, und stehen diese durch den wahrsten, angemessensten Ausdruk dar. Sie suchten durch Bedeutsamkeit zu interessieren; ihre Darstellungen rühren, aber nicht stürmisch, sondern sanft und innig, wie es dem Wesen einer Kunst gemäs ist, deren Schönheiten nur in ruhiger Betrachtung genossen werden können. 163

Indem sie über die Vorgaben Winckelmanns und Lessings hinausgeht, wird Fernows Kunsttheorie also toleranter und komplexer, bleibt dabei aber doch weiterhin an das Muster Raffaels und der Antike gebunden. Bezogen auf den im Werk Carstens' bereits aufscheinenden Stil der zukünftigen Malerei behauptet Fernow, daß dieser „ungefähr zwischen dem Stile Rafae/s und dem der Antike in der Mitte liegen, von jenem den individuellen dramatischen Ausdruk des bestirnten Moments einer malerischen Darstellung, von diesem die höhere Idealität und karakteristische Formenschönheit der Gestalt in sich aufnehmen müsse."164 Wie Meyer in seinem Entwurf einer Kunstgeschichte des achtzehnten Jahrhunderts, so sieht

S. 79f.; Tausch, Entfernung der Antike, S. 132-143 und oben, S. 235f. Zu Fernows Verhältnis zu Winckelmann siehe Pfotenhauer, Fernow als Kunsttheoretiker. 162 Costazzas Behauptung, daß Fernows „Idee des ,Idealisch-Karakteristischen'" mit Hirts „richtig verstandenem Begriff des .Charakteristischen' vollkommen übereinstimmt" (Das „Charakteristische" ist das „Idealische", S. 487) kann nicht wirklich überzeugen, insofern sie die tatsächlich existierenden Unterschiede zwischen Fernow und Hirt allzusehr nivelliert. 163 Fernow, Uber den Zwek, das Gebiet und die Gränzen der dramatischen Malerei, S. 100. 164 Fernow, Uber Rafaels Teppiche, Widmung an Gerhard von Kügelgen, o. S.

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Kunstkritik: Carl Ludwig Femow

auch Femow den zukünftigen Weg der Kunst nicht mehr, wie noch Winckelmann, in der edlen Einfalt und stillen Größe, sondern in der Vereinigung von Ausdruck und Idealität, von Charakter und Schönheit. „Goldenes Zeitalter" oder „homerische Schlachten "? Ob der Theoretiker Femow dem Künstler Carstens mit dieser Kompromißformel gerecht wurde, ist fraglich. Das Problem, daß zahlreiche seiner Kompositionen sich dem von Femow entworfenen Idealbild nicht fügen wollen, durchzieht die Carstens-Monographie von Anfang an und kulminiert schließlich in der Frage, welches Werk als Carstens' letztes und damit als sein künstlerisches Vermächtnis zu gelten habe.165 Dabei kommen mehrere Zeichnungen in Frage, die alle in Carstens' letzten Lebensmonaten entstanden sind. Daß Femow sich gegen sechs „noch auf dem Totenbett" entstandene „Scenen homerischer Schlachten" entscheidet und statt dessen eine früher entstandene Darstellung des Goldenen Zeitalters zu Carstens' letzter Arbeit erklärt, ist zwar im Sinne seiner Erzählving konsequent, sachlich und chronologisch aber nicht unbedingt überzeugend. Als Carstens' letzte ausgeführte Komposition nennt Fernow die von Sophokles' Tragödie inspirierte Kreidezeichnung Odipus entdeckt die Frevelhaftigkeit seiner Ehe mit lokaste.166 Den „Inhalt" dieser Zeichnung, in deren Zentrum, gleich hinter Odipus und der Figur des Boten, die in heftiger Bewegung und mit dem Ausdruck des Entsetzens davonstürzende lokaste zu sehen ist, bezeichnet Femow jedoch als verfehlt, da der Gegenstand „eigentlich weniger zur malerischen Darstellung, als für die Bühne geeignet" sei. Diesen „Fehlgrif' habe der bereits tödlich erkrankte Carstens im Nachhinein auch selbst eingesehen, ohne jedoch „von den Einsichten, die dieser Fall ihm aufschlos", noch „Anwendung" machen zu können.167 Muß die Ödipus-Zeichnung folglich als gescheitert angesehen werden, so ist damit das letzte Wort über Carstens' Kunst aber noch nicht gesprochen. Gleichsam als Wiedergutmachung des „Fehlgriffs]" erscheint bei Fernow die von Carstens in den ersten Monaten des Jahres 1798 entworfene, wegen seines Todes jedoch nicht mehr vollendete Darstellung des Goldenen Zeitalters (Abb. 50), eines, wie er eigens betont, nicht mehr theatralisch-dramatischen, sondern „heiteren" und „gefalligen" Gegenstands: Schon die Wahl eines so heiteren gefälligen Gegenstandes zu einer Zeit, wo sein Körper ununterbrochen litt, und der hereinbrechenden Zerstörung zu erliegen anfing, bewies die noch immer ungeschwächte Kraft und Heiterkeit seines Geistes; und das Bild, das der Künstler in jenen Augcnblickcn der Erleichterung davon entworfen hat, ist ei-

165 Zum Folgenden vgl. Vf., „Ein treues Karakterbild?" 166 Fernow, Leben des Künstlers Asmus Jakob Carstens, S. 2 1 8 und 230. Eine Abbildung des Blattes in [Kat.] Asmus Jakob Carstens, S. 185, Kat.-Nr. 154. 167 Fernow, Leben des Künstlers Asmus Jakob Carstens, S. 230f.

Fernows Monographien über Carstens und Canova

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nes der anmuthigsten, die je des Künstlers Fantasie beschäftigt haben. [...) Gedanke und Anlage sind so glücklich, daß mit einer in demselben Maße gelungenen Ausführung ein Meisterwerk daraus entstehen konnte. 168 V o r dem Hintergrund von Carstens' qualvollem Ende stilisiert Fernow dessen letzte Komposition zur Antithese gegen Leiden und Tod: Gegen die schreckliche Realität setzt Carstens die anmutige „Fantasie", gegen seinen geschwächten K ö r per die „Heiterkeit seines Geistes", gegen die Zerstörung die Komposition. In diesem Sinne beschreibt Fernow das Goldene

Zeitalter

als Feier der Unschuld, des

Glucks, des Uberflusses und des Lebens. Es ist nicht nur die ausfuhrlichste und zugleich poetischste, sondern im Grunde genommen die einzige genuine Bildbeschreibung der Carstens-Monographie und soll aus diesem Grund hier in nahezu vollständiger Länge zitiert werden: Zur Linken des Beschauers im Vorgrunde sizt unter einem schattenden Platanus, an dem ein Rebenstock sich hinaufschlingt, und die unfruchtbaren Aste desselben mit schwellenden Trauben schmückt eine glückliche Familie der dies Paradies bewohnenden Naturkinder. F.in junger kraftvoller Mann hält ein Kind, die erste süsse Frucht seiner Liebe, schaukelnd und dalend auf dem Schosse; ihm gegenüber sizt die blühende Gattin desselben und hält dem spielenden Kinde, um es an sich zu locken, eine volle Traube hin. Neben dem jungen Manne sizt der Vater der Familie, ein ehrwürdiger Greis, den Kopf auf die Hand gestüzt, und sieht freundlich den Spielen des kleinen Enkels zu. Ihm zur Seite steht ein Jüngling im Begrif, eine von dem Baume herabhängende Traube für eine jüngere Schwester zu pflücken, die sich an ihn schmiegt. Hinter der Mutter des Kindes sizt eine andere bereits erwachsene Schwester und blickt nach einer andern Gruppe hin, welche die Mitte des Bildes einnimt. Line Mutter tränkt hier ihren neugebornen Säugling an der vollen Brust und blickt liebend auf ihn nieder; ein älterer Knabe, der hinter ihr steht, blickt über ihre Schulter und tändelt mit dem Kleinen, und ein dritter jüngerer liegt neben der Mutter und hält, gleichfalls nach dem kleinsten blickend, einen Apfel in der Hand. Ihnen zur Seite liegt auf dem Rasen hingestreckt und schlummernd der Vater dieser kleinen Familie. Hinter ihnen sieht man einen Knaben, der Beeren von einem Strauche pflückt. Rechts dem Beschauer, auf dem zweiten Grunde, befinden sich einige Figuren in sitzender, liegender und stehender Stellung, theils Früchte essend, theils scherzend. Weiterhin tanzen auf einem Rasenplatze sechs Figuren Hand in Hand einen Reigen, und nicht weit von diesen sieht man in einer hervortretenden Krümmung des Flusses verschiedene badende und schwimmende Figuren, nebst andern am Ufer, welche laufen und einander haschen. Alle Figuren sind, wie im Stande, so auch im Kostüme der Natur, völlig unbekleidet, und auch in der Landschaft ist noch kein Werk menschlicher Kunst sichtbar. 169 Mit der bemüht schlichten Beschreibung der letzten Komposition Carstens', die den Künstler gänzlich in seinem Werk aufgehen läßt, gelingt es Fernow, Harmonie, Schönheit, Mäßigung und Ruhe als das künsderische Vermächtnis seines Ende Mai 1 7 9 8 gestorbenen Freundes aufscheinen zu lassen. Aus dem Bewunderer der großen und gewaltigen Formen Michelangelos scheint damit letzten Endes

168 Ebd., S. 231 f. 169 Ebd., S. 233-235.

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Kunstkritik: Carl Ludwig Fernow

doch ein Nachfolger der Anmut und Heiterkeit Raffaels geworden zu sein. So heißt es bei Fernow denn auch, daß Carstens die „Heiterkeit und Freiheit des Geistes", die er bei der Darstellung des Goldenen Zeitalters gezeigt hatte, auch auf seinem Totenbett nicht verlassen hätte: „In liegender Stellung und mit zitternden Händen versuchte er noch, zur Verkürzung der Zeit, einige Ideen aufzuzeichnen, bis ihm bald auch dazu die Arme ihre Kraft versagten."170 Die sieben Blätter hingegen, die „der sterbende Künstler in dieser Lage" zeichnete und die Fernow nach Carstens' Tod an sich nahm, stellen keine heiteren und gefälligen Gegenstände dar und sind auch alles andere als anmutig. Mit wenigen Worten beschreibt er ihren „Inhalt" wie folgt: „sechs derselben enthalten Scenen homerischer Schlachten, und das siebente stellt dar, wie Virres, römischer Praetor in Sicilien die Bildsäule der Diana von dem Marktplatz zu Segeste entfuhren lässt."171 Fernow will auch diese noch nach dem Entwurf des Goldenen Zeitalters entstandenen Zeichnungen als Ausdruck von Carstens' „völlig heitere[m] Bewustsein" verstanden wissen, das er „bis zu dem lezten Augenblicke, wo der stete Reiz des Hustens [...] ihn in einem Blutsturz erstickte", behalten habe.172 Bei genauerer Betrachtung wird jedoch schnell deutlich, daß diese Zeichnungen sich mit dem von Fernow entworfenen Bild der „Heiterkeit und Freiheit" der Kunst und des Geistes Carstens' nur schwer in Einklang bringen lassen: Statt friedlich ruhender, schlummernder oder tanzender Paradiesbewohner sind hier dramatische Raub-, Kampf- und Verfolgungsszenen zu sehen. Bemerkenswert ist dabei zunächst einmal, daß Carstens mit Vernes (Abb. 51, Kunstsammlungen Weimar) einen Stoff aus der römischen Geschichte gewählt hat, diesen jedoch gänzlich unfranzösisch, ja — liest man das Blatt, wie Fernow selbst nahelegt, als Anspielung auf den napoleonischen Kunstraub — mit dezidiert antifranzösischer Wendung darstellt.173 Im Zentrum des Bildes ist die von den Bewohnern der Stadt Segesta als Kultbild verehrte Bronzestatue der Diana/Artemis plaziert, die im 2. Jh. n. Chr. auf Befehl des korrupten und habgierigen Praetors C. Verres geraubt wurde. Während im Bildmittelgrund einige Figuren damit

170 171 172 173

Ebd., S. 235. Ebd., S. 236. Ebd. Ebd., S. 266: „So faßte er die Idee zu einer Darstellung der Scene, wo Verres das Bild der Diana von dem Markte zu Segcst entführen läßt [...] aus der in Goldhagen's griechischer und römischer Anthologie übersetzten Stelle einer Rede des Ciccro gegen Verres, wo diese Gewalthandlung ausführlich erzählt ist, die er kurz vorher zuerst gelesen, und wozu ihm überdies die neueste Kunstplünderung Roms Bilder und Empfindungen genug dargeboten hatte." - Erinnert sei daran, daß im Februar 1798 Rom von französischen Truppen besetzt worden war, und der bereits im Frieden von Tolentino (19. Februar 1797) vertraglich sanktionierte Kunstraub unverzüglich einsetzte. Die erwähnte Cicero-Stelle findet sich in seinen Reden gegen Verres, II, 4. Buch, 72-77.

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beschäftigt sind, im Schutz von bewaffneten Soldaten die Statue von ihrem Sockel zu heben, ist im Vordergrund, links und rechts der hochaufragenden Statue, die über den Frevel entsetzte Volksmenge versammelt. Unübersehbar ist dabei der Einfluß von Raffaels Borgobrand, sowohl hinsichtlich des räumlichen Tiefenzugs der Komposition als auch hinsichtlich einiger Figuren wie dem auf die Statue weisenden Rückenakt auf der linken und der pathetischen Gruppe der verzweifelt flehenden Frauen auf der rechten Seite.174 Die sechs heute ebenfalls im Besitz der Weimarer Kunstsammlungen befindlichen „Scenen homerischer Schlachten" behandeln dagegen einen genuin griechischen Gegenstand. Insofern sie inhaltlich über die unmittelbaren Vorgaben des homerischen Textes hinausgehen, sollten sie allgemeiner als ,Szenen aus dem Trojanischen Krieg' bezeichnet werden.175 Die einzelnen Blätter messen jeweils ca. 20x26 cm und sind lediglich skizzenhaft in schwarzer Kreide auf bräunlichem Papier ausgeführt. In die Reihenfolge der dargestellten Ereignisse gebracht handelt es sich um die folgenden Szenen: 1) Achill und Patroklos, 2) Ajax und Menelaos bergen den Leichnam des Patroklos, 3) Ajax mit dem Leichnam des Patroklos, 4) Achill, fliehende Trojaner verfolgend, 5) Zweikampf frischen Achill und Hektor sowie 6) Achill und Penthesilea.m Unter diesen sechs Zeichnungen fallen vor allem die vier Kampfszenen wegen ihres extremen Pathos und ihrer leidenschaftlichen Bewegtheit auf: Zu sehen ist hier die Bergung von Patroklos' Leichnam inmitten des Aufeinandertreffens feindlicher Krieger (Abb. 52); der rachegetriebene Achill, der mit weit ausgreifenden Schritten den Raum durchmißt und die fliehenden Trojaner aus dem Bild zu drängen scheint (Abb. 53); der tödliche Kampf Achills mit Hektor, der von einer weiteren Kampfszene mit Streitwagen und zwei sich aufbäumenden und ineinander verbeißenden Pferden hinterfangen wird (Abb. 54); sowie schließlich der auf seine Lanze gestützte Achill mit dem Leichnam der Penthesilea in seinem Arm, vor dem Hintergrund der hin- und herwogenden Schlacht zwischen Achaiem und Amazonen (Abb. 55).177 An Vorbildern, die in diese hochpathetischen Entwürfe 174 Vgl. Kamphausen, Asmus Jakob Carstens, S. 242, der die in den Raum weisenden Rükkengestalten als „fast tintorettohaft" bezeichnet und betont, daß es sich bei dieser Zeichnung um eine „Tiefenkomposition" handele, „wie sie Carstens vorher nicht gewagt hatte". 1 7 5 So wird beispielsweise die Tötung Penthesileas durch Achill weder in Utas noch Odyssee erwähnt. 176 Dies die Identifikation der Sujets in [Kat.J Asmus Jakob Carstens, S. 1 9 3 - 1 9 5 , Kat Nr. 1 7 4 - 1 7 9 . Die Blätter scheinen erst nach Fernows Tod in den Besitz der Kunstsammlungen gelangt zu sein. 1 7 7 Zwar hat schon Kamphausen, Asmus Jakob Carstens, S. 242, auf die „Bewegtheit aus innerer Leidenschaft" aufmerksam gemacht, die ein Blatt wie den Zweikampf %wischen Achill und Hektor bestimme. Als Abbildung ausgewählt hat er jedoch das (von ihm noch als „Kampfszene" identifizierte) Blatt Ajax und Menelaos bergen den Leichnam des

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eingegangen sind, lassen sich unter anderem die antike Gruppe der Rossebändiger (Abb. 42) und der Borgbesische Fechter (Abb. 19), daneben aber auch Raffaels Grablegung und die Konstantinsschlacht (Abb. 27) ausmachen. Von „Heiterkeit" und „Anmut" wie noch beim Goldenen Zeitalter findet sich keine Spur, dafür aber heftige Bewegungen, Kampf, Verzweiflung und Tod. Anstatt wie beispielsweise Kamphausen der Verlockung zu erliegen, diese letzten Zeichnungen von Carstens' Hand psychologisierend als Ausdruck und Abbild der Resignation eines Sterbenden zu deuten,178 sollte man sie eher als konsequente Weiterfuhrung seines Lebenswerks begreifen. So wie die letzten Worte, die Carstens in Femows Monographie sprechen darf, vor allem den „kühnerfundenen Werken" Giulio Romanos gelten, die auf seine Kunst einen „wesentlichen Einfluss" gehabt hätten,179 zeugen auch seine letzten künstlerischen Äußerungen, die Zeichnungen „homerischer Schlachten", von einem ungebrochenen Interesse am Kühnen, Kräftigen und Leidenschaftlichen, am Hochpathetischen und heftig Bewegten, kurz: an der ,Nachahmung des Gewaltsamen'. Mit anderen, den historischen Kontext miteinbeziehenden Worten: Statt in ein ebenso utopisches wie geschichtsloses „Goldenes Zeitalter" lenken Carstens letzte Zeichnungen den Blick auf den Trojanischen Krieg und damit zugleich auf die modernen Schlachtfelder, auf denen Napoleon damals gerade seine vernichtenden Siege zu erringen begann.180

2. Über den Bildhauer Canova und dessen Werke (1806) Fernows große Abhandlung Uber den Bildhauer Canova und dessen Werke erschien im selben Jahr wie sein Buch Über das heben des Künstlers Asmus Jakob Carstens. Es mag die Berühmtheit Canovas gewesen sein, die Femows Züricher Verleger Geßner dazu bewog, den knapp zweihundertfunfzigseitigen Text sowohl im ersten Band der Römischen Studien als auch separat in Form eines eigenständigen Buches zu veröffentlichen. Von demselben Autor lagen damit zwei in Ausstattung und Aufmachung vergleichbare Künstlermonographien vor, die sich inhaltlich jedoch schon dadurch unterschieden, daß die eine das Leben eines bereits verstorbenen deutschen Malers, die andere hingegen das Werk eines gerade auf dem Höhepunkt seiner Karriere befindlichen italienischen Bildhauers darstellte. Dies wie Patroklos, von

dem es bei ihm heißt: „Aber trotz aller Freiheit der Kampfhandlung bleibt die Form verhalten, die breiten Schilde geben die Ruhe überlegten Tuns, alles äußere Pathos der Gesten ist erloschen, nur der Aufklang der Bewegung gibt den Nachdruck." 178 Kamphausen, Asmus Jacob Carstens, S. 242f. 179 Siehe oben, S. 322. 180 Vgl. dazu Vf., Canovas Herakles undUchas, S. 96-99.

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auch die Tatsache, daß es sich in einem Fall um eine Apologie, im anderen um eine Kritik handelt, legt nahe, die beiden Texte als einander entgegengesetzte Parallelbiographien zu lesen, die versuchen, am Beispiel zweier nahezu gleichaltriger Gegenwartskünstler — Carstens wurde 1754, Canova 1757 geboren — die gegenläufigen Tendenzen der zeitgenössischen Kunstentwicklung darzustellen. Insofern er den plastisch denkenden Maler dem malerisch denkenden Bildhauer, den zu seinen Lebzeiten wenig beachteten Einzelgänger dem allseits umschwärmten Publikumsliebling, den gegen ein widerwärtiges Schicksal Kämpfenden dem von Papst und Potentaten begünstigten Erfolgskünsder gegenüberstellt, erscheint Fernows Monographie über Canova als Antithese seines Buches über Carstens. Der Unterschied zwischen Canova und Carstens betrifft dabei insbesondere Stil und Ausdruck ihrer Werke: Während Carstens' „Fantasie" sich vorzugsweise mit Gegenständen beschäftigte, die „kühne Grosheit, Heldensinn und Pathos" miteinander vereinigten und deshalb „alles Affektirte, Gezierte, Gemeine, Frivole, Wollüstige" sowie das „blos Liebliche, Tändelnde, Empfindsamzärtliche, Zierlichschöne" ablehnte,181 ist Canovas Streben laut Femow gerade auf diese ästhetischen Qualitäten gerichtet: „Im Ganzen neigt sich [...] des Künsders Geschmack und Manier mehr zum Gefälligen und Reizenden, welches oft an schlaffe Mürbheit gränzt, als zu kraftvoller Größe und reiner Formschönheit, die eigentlich das Wesen der Skulptur ausmacht."182 Als paradigmatisches Beispiel hierfür präsentiert Fernow Canovas berühmte, heute im Pariser Louvre befindliche Gruppe Amor und Vsycke (1787-93), die den geflügelten Liebesgott in zärtlicher Umarmung mit der auf den Boden hingebreiteten Geliebten zeigt: Schon aus der Wahl des Künstlers, die am liebsten nach reizenden, zarten, lieblichen Gegenständen greift, der auch die Erfindung und Ausführung ganz entspricht, last sich die Stimmung seines Talents erkennen, und wenn er sich auch späterhin an heroischen und pat[h]etischen Gegenständen versucht hat, so zeigt doch die ungenügende Art wie er dieselben behandelt, dass nur gefällige Gegenstände, jugendlich zarte Gestalten und der Ausdruk lieblicher, sanfter, zärtlicher Affekte, die er in einer zierlichen, weichen, verschmelzenden Manier darzustellen sucht, seine eigendiche Kunstsfäre sind. 1 8 3

Fernow zufolge zeigt sich Canovas Neigung zum „Gefälligen, Zarten, Reizenden und Weichen" jedoch nicht allein in der Wahl des sinnlich-erotischen Gegenstandes, sondern „durchgängig" auch „in der Erfindung wie in der Komposizion, in den Formen wie im Ausdruk, und in der mechanischen Behandlung".184 Seine

181 182 183 184

Fernow, Leben des Künstlers Asmus )akob Carstens, S. 271 und 277. Fernow, Sitten- und Kulturgemälde von Rom, S. 265f. Fernow, Über den Bildhauer Canova, S. 87f. Ebd., S. 88-92. Mit der „mechanischen Behandlung" ist Canovas Technik gemeint, seine Skulpturen nach ihrer Vollendung mit einer gelblichen Patina zu überziehen, um auf diese Weise den materiellen Reiz des Marmors zu erhöhen. Fernow verurteilt den ihn an Bernini erinnernden Effekt als eine „wächserne Mürbigkeit", „die auf jedes

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Kunstkritik: Carl Ludwig Fernow

Behauptung, daß Canova allein reizende und gefällige, nicht aber heroische und pathetische Gegenstände gelängen, sieht er durch zahlreiche Werke Canovas bestätigt, allen voran „seine Psychen, Heben, Amors, [...] seine Genien und [...] die weiblichen Gestalten an dem Monument der Erzherzogin Christine".18s Die Opposition zwischen den beiden Polen des Heroischen und Pathetischen auf der einen, und des Reizenden und Gefälligen auf der anderen Seite ist dabei unverkennbar geschlechtsspezifisch codiert.186 Den sich aus Canovas künsderischer „Neigung" ergebenden Charakter seiner Werke betrachtet Fernow als Manko, nicht nur weil es ihm an Männlichkeit mangelt, sondern auch, weil das Weibliche dem „Wesen der Skulptur" widerspricht, das für ihn in der Darstellung „kraftvoller Größe und reiner Formschönheit" liegt.187 Dem fast schon gebetsmühlenartigen Insistieren Fernows auf dem sentimentalen Kunstcharakter Canovas und seinem Unvermögen, „ernste, kraftvolle, heroische, pathetische Gegenstände"188 angemessen darzustellen, widerspricht nun aber der Umstand, daß Canova wiederholt heroische Gestalten und pathetische Szenen gestaltet hat, die von seinen Zeitgenossen als Meisterwerke gefeiert wurden. Genannt seien hier nur seine monumentalen Gruppen Herakles und Uchas (1795—1815) oder Theseus und der Kentaur (1804—19), die beiden Faustkämpfer Kreugas und Damoxenos (1795-1801/1806) sowie die Figur des Perseus mit dem Haupt der Medusa (1797—1801).189 Das Bestreben Canovas, sein Talent im renommeeträchtigen ,großen Stil' (ital. carattere beziehungsweise genere forte) zu beweisen, ist

Auge, das an Bildwerken den reinen Genus der Form sucht, eine misfällige Wirkung macht." Siehe ebd., S. 71 und 91 f. 185 Ebd., S. 237. Vgl. dazu Piantoni, Le Obiezioni della critica tedesca, bes. S. 22ff. und Sbrilli, Carl Ludwig Fernow, S. 78. 186Zu dem die Kritik an Canova bestimmenden „gender issue" siehe Johns, Antonio Canova and the Politics of Patronage, S. 37f. sowie - zu den seit der Renaissance ausgebildeten Grundlagen und Voraussetzungen dieser Kritik — Sohm, Gendered Style in Italian Art Criticism. 187 Zu Fernows Auffassung vom „Wesen der Skulptur" siehe die bereits oben angeführte Passage in seinem Sitten- und Kulturgemälde von Rom, S. 265f. sowie ders., Über den Bildhauer Canova, S. 33-58. Zum „Erhabenen und Pathetischen" und dem „Reizenden und Lieblichen" als den „beiden Pole[n] der Kunst" siehe ebd., S. 51 f. 188 Fernow, Über den Bildhauer Canova, S. 238f. Vgl. Starobinski, Canova und die abwesenden Götter, S. 122f., der die Tatsache, daß in Canovas Werk „anmutige Motive mit Szenen äußerster Raserei" wechseln, psychologisierend als einen instinktiven Versuch des Künstlers deutet, die „Befriedigung und Sanftheit, die der Rückgriff auf die reinen Formen seiner Gestaltung aufzudrängen drohte", durch das Einfließenlassen eines „Moment[s] der Gewalt" aufzuwiegen. 189 Auf die Tatsache, daß viele der Figuren Canovas zudem auf beweglichen Piedestalen installiert waren, womit sie eine zusätzliche dynamische Qualität erhielten, ist erst neuerdings aufmerksam gemacht worden. Siehe Herrmann-Fiore, Sülle virtü dinamiche, bes. S. 275-280.

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hier offensichtlich. 1,0 Fernow leugnet diese Versuche Canovas „im Felde des Heroischen und Tragischen" nicht, versucht jedoch nachzuweisen, daß jeder einzelne von ihnen künsderisch gescheitert ist, weil der Künsder hier „in Widerspruch mit sich selbst" getreten sei und durch Kunst habe „erzwingen" wollen, „was die Natur ihm versagt hat."191 Fernows ablehnende Haltung ist überdeutlich, bezeichnenderweise steht sein vernichtendes Urteil über die heroischen und pathetischen Werke Canovas jedoch in einem umgekehrt proportionalen Verhältnis zu der Beachtung, die er ihnen in seiner Monographie schenkt. Gerade die ausführliche Kritik weist den Leser darauf hin, daß Femow hier mit einem grundlegenden Problem des Neoklassizismus hadert. Gegen seinen Willen rückt damit das als „mislungen" und „misrathen" Marginalisierte ins Zentrum der Aufmerksamkeit. Eine „kolossale Gemeinheit": Herakles und Lichas Bei dem ersten von Fernow kritisierten Versuch Canovas „im Felde des Heroischen und Tragischen" handelt es sich um die zum damaligen Zeitpunkt noch nicht vollendete Monumentalgruppe Herakles und Lichas (Abb. 56).192 Auch wenn Fernow sie in seinem Verzeichnis der Werke Canovas als eine „kolossale Gruppe in Marmor" bezeichnet, kann sich seine Beschreibung lediglich auf ein Gipsmodell beziehen, das Canova bereits im Jahre 1796 in Originalgröße angefertigt hatte. In Marmor wurde die 3,35 Meter hohe Gruppe erst in den Jahren 1812 bis 1815 ausgeführt.191 Ihr Käufer, der Bankier Giovanni Torlonia, ließ sie in einer von dem Architekten Giuseppe Valadier eigens dafür eingerichteten Prachtgalerie seines Palazzo aufstellen.194

190 Vgl. Roettgen, „Und so groß die Figur ist", S. 73-79 und S. 9 5 - 1 0 3 sowie Pinelli, La grace de Persee, S. 1 2 2 f f . Krgänzt um Canovas ebenfalls skulpturale Darstellungen des Ajax und des Hektar wurden alle genannten Werke im Jahre 1 8 4 3 von dem venezianischen Maler Michele Fanoli auf einer Lithographie zusammengestellt, die den Titel „Soggetti eroici in una arena" trägt. Siehe dazu Roettgen, S. 101 f. mit Abb. 17. 191 Siehe Fernow, Über den Bildhauer Canova, S. 1 3 7 f f . und 237f. 192 Vgl. hierzu Vf., Antonio Canovas Herakles und Lichar, Roettgen, „Und so groß die Figur ist", bes. S. 83ff. 193 Fernow irrt somit, wenn er behauptet, daß die G r u p p e schon „vor einigen Jahren" für Torlonia „in Marmor" ausgeführt worden sei (Uber den Bildhauer Canova, S. 1 4 t ) . Allenfalls kann Fernow den Marmorblock gesehen haben, mit dessen Bearbeitung Canova tatsächlich 1 8 0 1 begonnen, den er aber bereits 1 8 0 2 unfertig in seinem römischen Atelier zurückgelassen hatte. Zur Kntstehungsgeschichte vgl. Stcfani, Antonio Canova. La Statuaria, S. 1 1 0 - 1 1 8 . 1 9 4 Unter den Bcsuchern, die „cet fameux groupe colossal" hier sahen, gehörte auch der auf seinen Promenades dans Rome befindliche Stendhal. Siehe seine CEuvres completes, Bd. 6, T. 1, S. 1 9 6 (die Beschreibung findet sich unter dem Datum 11. Dezember 1827). Zur damaligen Aufstellung der Gruppe im heute abgerissenen Palazzo Torlonia siehe Steindl, Mäzenatentum, S. 9 6 f f .

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Kunstkritik: Carl Ludwig Fcrnow

Fernow setzt die Fabel des ,,rasende[n] Herkules, der den Uchas ins Meer schleudertals bekannt voraus, doch soll sie hier noch einmal kurz in Erinnerung gerufen werden. Hederich gibt die tragischen Ereignisse um Herkules, seine Frau Deianeira und den von ihr gesandten Überbringer des tödlichen Nessushemdes, den Boten Lichas, wie folgt wieder: Als [Herakles| nach vollbrachter Verrichtung wider den Rurytus, dem ccnäischen Jupiter auf dem Vorgebirge gleiches Namens ein Opfer bringen wollte, so schickte er nach Trachine zu dem Ceyx, dasigem Könige, und verlangte ein anständiges Kleid zu solcher Ceremonic. Als solches Deianira hörete, und glaubete, er werde die Iole an ihrer statt zur Gemahlinn nehmen, so nahm sie das vermeynte Liebesmittel, welches sie von dem (...) Nessus bekommen, und bestrich damit solches Kleid. Weil dieß aber der ärgste Gift war, so empfand er gleich eine grausame Pein, so bald das Kleid am Leibe warm wurde. Er nahm daher den Ueberbringer desselben, den Lichas, bey den Beinen, drehete ihn etliche mal um den Kopf, und schleuderte ihn sodann bis in das euböische Meer, hingegen riß er auch, da er sich das Kleid vom Leibe reißen wollte, ganze Stücken Fleisch bis auf die Knochen zugleich mit hinweg. Er ließ sich daher zu Schiffe wieder nach Trachine bringen, da denn Deianira, als sie hörete, was sie angerichtet, sich selbst crhieng, und er sich auf den Berg Oeta (...) und daselbst auf einem bereits von ihm errichteten Scheiterhaufen bringen ließ, auch befahl, solchen alsofort anzuzünden. 195

Aus dieser weitläufigen Erzählung wählte Canova für seine Darstellung den Moment höchster pathetischer Zuspitzung. In monumentaler Größe zeigt seine Gruppe den wie eine Springfeder gespannten muskulösen, jedoch schon vom Nessusgift befallenen Körper des Herakles, der mit seinem über den Kopf geführtem linken Arm Lichas an dessen ausgestrecktem Bein gepackt hält und im Begriff steht, ihn in weitem Bogen fortzuschleudern. Die Attribute des Tugendhelden, Löwenfell und Keule, liegen am Boden. Herakles, den Kopf ins Profil gewendet, den Mund geöffnet, scheint sein schmerzverzerrtes Gesicht in der Armbeuge bergen zu wollen - blinde Raserei bestimmt sein Handeln. Wie in antithetischer Umkehrung dazu sind die Augen des Lichas angstvoll geweitet. Sein Gesicht ist eine Maske des terreur, des Schreckens im Sinne der Physiognomielehre Charles Le Bruns. Was sich im Mythos anschließt, der erlösende Tod und die Apotheose, wie sie Winckelmann im Torso von Belvedere zu erblicken glaubte, bleiben bei Canova ausgespart.196 Ausweglos ist seine Gruppe zum Zirkel verspannt: Herakles und Lichas kommen voneinander nicht los, im Akt des Schleuderns beziehungsweise Geschleudertwerdens sind sie gleichsam für immer erstarrt. Es ist bereits erwähnt worden, daß Schiller große Bewunderung für Sophokles' Trachinierinnen hegte und daß Goethe den „Herkules Oet[a]eus" als „tragische Darstellung" dem Laokoon, Niobe, Dirke und Philoktet an die Seite gestellt 195 Hederich, Gründliches Mythologisches Lexikon [1770], Sp. 1252. Vgl. ebd., s. v. „Lichas", Sp. 1467f. Vgl. Sophokles, Die Trachinierinnen, Vers 756-782; Ovid, Metamorphosen, Buch 9, Vers 156ff. 196 KS, S. 172.

Femows Monographien über Carstens und Canova

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hat. 197 Zudem war die Geschichte von Herakles und Lichas eines der Sujets gewesen, die Goethe und Meyer im Rahmen der Weimarer Preisaufgaben zur Bearbeitung vorgeschlagen hatten. 198 V o r diesem Hintergrund sollte man annehmen, daß der zu den Weimarischen Kunstfreunden hinzugestoßene Fernow Canovas Gruppe aufgeschlossen gegenübergestanden hätte. Ganz im Gegenteil scheint er sich jedoch wenigstens in diesem einen Fall mit seinem Antipoden Hirt darin einig gewesen zu sein, daß der Kunstverderber „Bemini nie nichts schlimmers" als Canova mit Herakles

und Lichas geschaffen habe. 199 Dabei wendet sich Fernow

gar nicht gegen die Darstellung des ,Gewaltsamen' an sich, für die es, wie er seine Leser beiläufig wissen läßt, genügend Vorbilder in der Antike gäbe, sondern allein gegen den von Canova für dieses spezifische Werk gewählten Gegenstand - eben den „rasendefn] Herkules, der den Lichas ins Meer schleudert" — und die Form seiner Darstellung: Mehrere alte Bildwerke, als der borghesische Fechter, die Ringergruppe, Laokoon u. a. beweisen, dass die Plastik nicht blos auf die Darstellung schöner Gestalten in Ruhe beschränkt, sondern auch der stärksten Bewegung und des höchsten Pathos fähig ist. Aber wir zweifeln, ob der hier von Canova gewählte Gegenstand, oder vielmehr die Art wie er denselben dargestelt, zwekmässig für die bildende Kunst sei. Zwar hat man hier die gewönlichen Bestandtheile einer tragischen Komposizion nach der Theorie beisammen: einen Gegenstand des Schreckens im wüthenden Herkules, und einen Gegenstand des Mitleidens im unglücklichen Lichas, aber die dargestelte Handlung erwekt nicht Interesse, sondern Abscheu. Hier findet kein Kampf streitender Kräfte, kein Widerstand im Leiden stat; man sieht nur das gewisse Verderben eines hülf- und wehrlosen Jünglings, der von einem übermächtigen Wüterich getödtet wird. Die Handlung ist nicht pathetisch, sondern grausam. Auch die Gruppe, als Gruppe, giebt kein gefälliges Bild; sie stelt sich aus keinem Ansichtspunkte zu einer befriedigenden Übersicht dar. 200 Die Beiläufigkeit, mit der Fernow hier zu verstehen gibt, daß die Plastik keineswegs auf die „Darstellung schöner Gestalten in Ruhe" beschränkt sei, sollte nicht darüber hinwegtäuschen, daß diese Feststellung keineswegs so selbstverständlich ist wie Fernow sie erscheinen lassen möchte. Sie bezeichnet vielmehr einen offensichtlichen Bruch mit der Ästhetik Winckelmanns und Lessings. Denn im Gegen-

197 MA 6.2, S. 965 (Zu bearbeitende Materie) und MA 8.1, Nr. 293, S. 321 (Schiller an Goethe, 4. April 1797). Siehe dazu oben S. 85f. und 122f. 198 Siehe JALZ 1805, Extrabeilage zum 1. Quartal, S. XII (Preisaufgabe für das laufende Jahr [1805]: Leben des Hercules): „Als er auf dem cenäischen Vorgebirge dem Jupiter Dankopfer bringt, schickt er nach Trachis zum Ceyx um ein Opferkleid. Deianeira sendet ihm ein Gewand, mit Nessus Blut bestrichen. Als er's anlegt, fühlt er ein Brennen, und indem er's losreissen will, entfleischt er sich. Den Überbringer, Lichas, schleudert er ins Meer." 199 Hirt an Goethe, 12. April 1796 (GSA 28/13, Blatt 160-161; RA 2, Nr. 167), hier 161 verso. Zum in der Tat zu beobachtenden Einfluß der Kunst Berninis auf Canova siehe Augusti, L'esperienza berniniana di Antonio Canova. 200 Fernow, Über den Bildhauer Canova, S. 137f.

Kunstkritik: Carl Ludwig Femow

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satz zu letzteren erklärt Fernow, daß die Plastik sehr wohl auch die „stärkste Bewegung" und das „höchste Pathos" darstellen könne. Wie vor ihm schon Hirt, so dient auch Femow dabei die antike Skulptur, allen voran der Borgbesische Fechter, die Florentiner Ringer- und die Laokoongruppe, als Beweis für seine Behauptung (vgl. Abb. 1, 19, 39). Während Hirt jedoch die ästhetischen Vorgaben Winckelmanns und Lessings durch seine Lehre von der .Charakteristik' ersetzen zu können glaubte, faßt Femow nicht nur Winckelmanns ,edle Einfalt und stille Größe' und Lessings Schönheitsgesetz, sondern auch das von Hirt aufgestellte Kunstprinzip als unzulässige Beschränkung der Kunst auf.201 Wie gesehen, plädiert er in seinem Aufsatz Uber das Kunstschöne dafür, die jeweiligen Auffassungen Winckelmanns, Lessings und Hirts in einem übergeordneten Konzept, der „schönen Darstellung des Ideals unter karakteristischen Bedingungen", zu vereinigen.202 Auch wenn Femow hier die Laokoongruppe als Beispiel für die Darstellung „stärkstefr] Bewegung" und „höchste[n] Pathos" anführt, so beharrt er, im Kontrast zu Hirt, auf der vom leidenschaftlichen Ausdruck unbeeinträchtigten Schönheit der Skulptur als Kunstwerk: Worin liegt nun die Schönheit, die diese Gruppe, des heftigsten Ausdruks ungeheuern Leidens ungeachtet, zeigt? [...] Gewis nicht in dem Inhalt, denn der ist mehr zurükstossend als gefallig; auch in den Formen und Bewegungen der Figuren nicht; denn die können unter den obwaltenden Umständen keines so hohen Grades der Schönheit fähig seyn, um dem starken Ausdruk des Schmerzes die Wage zu halten. Sie liegt in der Art und Weise, wie der Künsder diesen Vorgang, diesen Moment dargestellt hat; in der

schönen Einheit des

Bildest

Diese Argumentation Femows, die den Schwerpunkt auf die Künstlichkeit der Darstellung legt, erinnert nicht zufällig an diejenige Goethes in seinem LaokoonAufsatz von 1797/98. Femow kannte die Propyläen und lebte seit seiner Ubersiedlung nach Weimar zudem in engster Nachbarschaft mit ihrem einstigen Her201 Siehe Fernow, Über das Kunstschöne, S. 441 f.: „Uniäugbar sind also Winkelmanns und Lessings Kunstprinzipe, wenn man sie als volgültige Grundsätze der Kunst betrachten und anwenden will, dazu in jeder Hinsicht unzulänglich. Aber auch Hirts Prinzip der Karakteristik ist es nicht weniger; und wenn er seine beiden Vorgänger der Einseitigkeit beschuldigt, so fällt derselbe Vorwurf noch stärker auf ihn selbst zurük, wenn er weit ausdrüklicher und abschliessender als jene beiden das ihrige, sein Prinzip der Karakteristik als obersten Grundsaz der alten Kunst, und als den einzig wahren Grundsaz der bildenden Kunst überhaupt aufstellen will." Vgl. dazu auch die oben (S. 235f.) dargelegte analoge Argumentation Goethes. 202 Fernow, Uber das Kunstschöne, S. 447, siehe dazu oben, S. 334. Fast die identische Formulierung findet sich in der Canova-Monographie, S. 56f. 203 Fernow, Über das Kunstschöne, S. 418f. Vgl. auch ebd., S. 412. sowie den Aufsatz Über den Zwek, das Gebiet und die Gränzen der dramatischen Malerei, S. 27ff. und 42f., wo Fernow der Plastik die Möglichkeit zugesteht, ihr Gebiet „in Ansehung des Ausdruks" zu erweitern, indem sie sich der „Sfäre der Malerei" annähere, wie dies im

Falle des Laokoon und der Niobe geschehen sei.

Fernows Monographien über Carstens und Canova

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ausgeber. An Goethes Aufsatz erinnert zudem die Bezeichnung von Canovas Herakles und Licfoas-Gruppe als eine „tragische Komposizion" und ihre Beurteilung nach Maßgabe der aristotelischen Tragödientheorie.204 Auch dürfte in Fernows Argumentation die von Schiller in seinem Aufsatz Uber das Pathetische entwickelte Definition des Pathetischerhabenen eingegangen sein.203 Kann die Laokoongruppe demzufolge zwar nicht als ein „Ideal der Schönheit" gelten, so ist sie laut Femow doch ein „schönes Ideal des höchsten pathetischen Ausdruks von Körperschmerz und Se[e]lenleiden".20eipzig 1908. Michel, Regis: Drouais, Rome, David. In: [Kat.] Jean-Germain Drouais 1763-1788, Rennes 1985, S. 9-23. Mildenberger, Hermann: Asmus Jacob Carstens und die Französische Revolution. In: [Kat.] Asmus Jakob Carstens. Goethes Erwerbungen für Weimar. Bestandskatalog der Kunstsammlungen zu Weimar, bearbeitet von Renate Barth. Bestandskatalog der Stiftung Weimarer Klassik, bearbeitet von Margarete Oppel, Schleswig 1992, S. 47-60. Mildenberger, Hermann: Die neue Energie unter David. Berührungspunkte und Distanzen zwischen deutschen und französischen Historienmalern in Rom der 1780er Jahre. In: [Kat.] Goethe und die Kunst, hg. von Sabine Schulze, Ostfildern 1994, S. 280-291. Mildenberger, Hermann: Johann Heinrich Wilhelm Tischbein (1751-1829). Historienmalerei und niedere Bildgattungen vereint im Dienst monarchischer Restauration. In: Idea 8 (1989), S. 75-94. Mildenberger, Hermann: Johann Heinrich Wilhelm Tischbein. Hektor wirft Paris seine Weichlichkeit vor. Ein Konkurrenzbild zu Jacques-Louis David von 1786 und die Folgen. In: Stiftung Weimarer Klassik und Kunstsammlungen. Johann Heinrich Wilhelm Tischbein. Hektor ivirft Paris seine Weichlichkeit vor und mahnt ihn, in den Kampf sjehen, hg. von der Kulturstiftung der Länder in Verbindung mit der Stiftung Weimarer Klassik und Kunstsammlungen, Weimar und Berlin 2003 (= Patrimonia, Bd. 253), S. 19-52. Miller, Norbert: 1 Europäischer Philhellenismus zwischen Winckelmann und Byron. In: Propyläen Geschichte der Literatur, 6 Bde., Bd. 5: Aufklärung und Romantik 1700-1830, Berlin 1983, S. 331-360. Montagu, Jennifer: The Expression of the Passions. The Origin and Influence of Charles Lc Brun's Conference sur /'expression generale et particuliere, Ν ew Haven and London 1994. Mülder-Bach, Inka: Bild und Bewegung. Zur Theorie bildnerischer Illusion in Lessings Laokoon. In: DVjS 66 (1997), S. 1-30. Mülder-Bach, Inka: Sichtbarkeit und Lesbarkeit. Goethes Aufsatz Über Laokoon. In: Das Laokoon-Paradigma. Zeichenregime im 18. Jahrhundert, hg. von Inge Baxmann, Michael Franz und Wolfgang Schaffner in Zusammenarbeit mit Bernhart Siegert und Robert Stockhammer, Berlin 2000, S. 465-479. Müller, Joachim: Goethes Dramentheorie. In: Deutsche Dramentheorien I. Beiträge zu einer historischen Poetik des Dramas in Deutschland, hg. von Reinhold Grimm, Wiesbaden 1978, S. 167-213.

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Register

Abilgaard, Nicolai Abraham 238, 3 1 1 , 3 1 9 - Philoktet (Kopenhagen, Statens Museum for Kunst) 1 2 4 , 3 1 1 Adelung, Johann Christoph 3 Adonis, Relief (Rom, Palazzo Spada) 76i. Ägineten s. Aphaia-Tempel (Aigina) Agrippa, Marcus Vipsanianus 17 Aias und Kassandra, Volutenkrater (Weimar, Schloßmuseum) 50, 63f.; vgl. Abb. 16 Aischylos 108, 186, 187, 230 Alberti, Leone Battista 4, 140, 153 Alciati, Andrea 186 Aldobrattdinische Hochzeit (Rom, Vatikanische Museen) 153 Aldrovandi, Ulisse 200 Anchirrhoe (Florenz, Uffizien) 192, 201 Anna Amalia, Herzogin von SachsenWeimar-Eisenach 30, 64, 66f., 286-288 Antinous (Rom, Vatikan, Cortile del Belvedere) 6, 305 Antiphilos 128 Antoninussäule (zerstört, ehemals Rom, Nähe Piazza Montecitorio) 170 Aphaia-Tempel (Aigina) - Giebelfiguren, sog. Ägineten (München, Glyptothek) 376f., 378 Apollino (Florenz, Uffizien) 6, 305 Apollo Kitharoedes (Rom, Vatikan, Sala a Croce Greca) 73 Apollo von Belvedere (Rom, Vatikan, Cortile del Belvedere) 10, 25, 32-37, 74f„ 88, 163, 187f., 318, 352-355, 368 Apollon Barberini (München, Glyptothek) 187 Apollonios 60 Apollon-Tempel (Bassai-Phigaleia) - Fries (London, British Museum) 376378, 379 Archemoros und Hypsipyle, Relief (Rom, Palazzo Spada) 50, 59f., 55, 76, 79; vgl. Abb. 12

Ares Borghese (Paris, Louvre) 355 Ariost (Ludovico Ariosto) 333 Aristoteles 86, 105f., 108f., 168, 194, 274, 347, 375 Arrotino s. Schleifer Azara, Jose Nicolo d' 75, 206 Barry, James - Philoktet (Bologna, Accademia Clementina) 124 Bartoli, Pietro Santo 55, 57, 58, 146, 148 Basseville, Nicolas Jean Hugon de 306 Bellini, Giovanni 153 Bellori, Giovanni Pietro 55, 57, 58, 146f., 148, 151, 252 Berendis, Hieronymus Dietrich 296 Bernini, Gianlorenzo 4, 191f., 299, 330, 341, 345 - Apollo und Daphne (Rom, Galleria Borghese) 301 - Pluto und Proserpina (Rom, Galleria Borghese) 192 Bewick, William - Dionysos, nach einer Marmorskulptur vom Ostgiebel des Parthenon (Weimar, Goethe-Nationalmuseum) 377 Bläser, Gustav - Athene unterstützt den Krieger (Berlin, Schloßbrücke) 380 Blondel, Jacques-Frangois 23f. Bodmer, Johann Jakob 240 Boffrand, Germain 23 Böhm, Amadeus Wenzel 253 Borghesischer Fechter (Paris, Louvre) 73, 318, 340, 345f., 350, 367f.; vgl. Abb. 19 Böttiger, Karl August 30, 58, 64, 65f., 77, 104, 119, 126, 127f., 214, 283f., 286, 288 Boucher, Frangois 302 Breitinger, Johann Jakob 61 Brun, Friederike 171, 355f.

420

Anhang

Burckhardt, Jacob 382 Bury, (Johann) Friedrich 125, 130, 306 Caesar, Gaius Julius 159 Callamard, Charles-Antoine 311 Camuccini, Vincenzo - Tod der Virginia (Neapel, Museo Capodimonte) 312 Canova, Antonio 9f., 11, 68, 83, 127, 293, 294f., 297, 300-302, 306-310, 314-316, 328, 340-370, 375 - Abholung der Briseis durch die Boten des Agamemnon, Relief (Possagno, Gipsoteca) 364 - Ajax (Venedig, Palazzo Treves) 343 - Amor und Psyche (Paris, Louvre) 301, 34If., 357, 358 - Apologie des Sokrates, Relief (Possagno, Gipsoteca) 364 - Beweinung Christi, Relief (Possagno, Gipsoteca) 362 - Dädalus und Ikarus (Venedig, Museo Correr) 358 - Dar da mangiare agli affamati, Relief (Possagno, Gipsoteca) 362 - La Giustizia, Relief (Padua, Palazzo di San Bonifacio) 362, 364 - Grabmal Papst Clemens' XIII (Rom, St. Peter) 3 1 1 , 3 5 8 - Grabmal der Erzherzogin Christine von Osterreich (Wien, Augustinerkirche) 342, 357f. - Hebe (Berlin, Nationalgalerie) 358 - Hektor (Venedig, Palazzo Treves) 343 - Herakles und Lichas (Rom, Galleria Nazionale d'Arte Moderna) 123, 127, 243, 312f., 342, 343-349, 352, 353, 357, 358, 359, 363, 366, 367-369, 383f.; vgl. Abb. 56 - Der rasende Herakles tötet seine Kinder, Gemälde (Bassano del Grappa, Museo Civico) 362 - Der rasende Herakles tötet seine Kinder, Relief (Possangno, Gipsoteca) 362, 369; vgl. Abb. 60 - Der rasende Herakles tötet seine Kinder, Wachsbozzetto (Venedig Museo Correr) 362 - Kreugas und Damoxenos (Rom,Vatikan, Cortile del Belvedere) 312, 342, 349352, 359, 369; vgl. Abb. 57

- Die Büßende Magdalena (Genua, Palazzo Bianco) 358 - Metopen für den Tempio della Trinita (Possagno, Tempio della Trinitä) 362 - Napoleon als Mars (Mailand, Brera) 3 1 1 , 3 5 4 , 3 5 7 - Palamedes (Tremezzo, Villa Carlotta) 358 - Perseus mit dem Haupt der Medusa (Rom, Vatikan, Cortile del Belvedere) 342, 352-357; vgl. Abb. 58 - Tanz der Söhne des Alkinoos, Relief (Possagno, Gipsoteca) 364 - Tanz der Venus mit den Grazien vor Mars, Relief (Possagno, Gipsoteca) 364 - Theseus und der Kentaur (Wien, Kunsthistorisches Museum) 3 1 2 , 3 4 2 , 3 5 7 362, 367-369, 383f.; vgl. Abb. 59 - Tod des Adonis, Relief (Possagno, Gipsoteca) 364 - Tod des Priamos, Relief (Possagno, Gipsoteca) 364-367, 369; vgl. Abb. 61 - Venus und Adonis (Genf, Villa La Grange) 358 Carl August, (Groß-)Herzog von SachsenWeimar-Eisenach 288, 377 Carracci, Annibale 122f., 252, 261, 305 Carradori, Francesco - Stuckreliefs in der Sala della Niobe (Florenz, Uffizien) 203, 207 Carstens, Asmus Jakob 9f., 83, 123, 124, 249, 252, 294, 297, 299f., 306f., 310, 314-340, 341, 349, 355f., 370-374, 375 - Aeolus und Odysseus (verschollen) 318 - Der schwermütige Ajax mit Tekmessa (Weimar, Kunstsammlungen) 126, 324; vgl. Abb. 21 - Antikische Kampfszene (Kopenhagen, Kupferstichkabinett) 3 1 8 , 3 3 1 - Argonautenzug (Kopenhagen, Kupferstichkabinett) 327, 330, 332, 355f. - Aufbruch des Eteokles zum Kampf gegen Polyneikes (Weimar, Kunstsammlungen) 3 2 7 , 3 3 0 , 3 3 1 , 3 3 2 - Bacchantentanz (Kopenhagen, Statens Museum for Kunst) 321 - Bacchantischer Zug (Kopenhagen, Kupferstichkabinett) 318 - Besuch der Argonauten beim Kentauren Chiron (Weimar, Kunstsammlungen) 3 2 7 , 3 5 6

Register Cupidos Vogelfang (Weimar, Kunstsammlungen) 321 Dantes Hölle (Weimar, Kunstsammlungen) 3 2 7 , 3 3 0 , 3 3 3 , 3 7 2 Einschiffung des Megapenthes (Weimar, Kunstsammlungen) 327 Ermordungsszene nach dem Trauerspiel von Yorkshire (Weimar, Kunstsammlungen) 330 Fingais Kampf mit dem Geist von Loda (Weimar, Kunstsammlungen) 332 Geburt des Lichts (Weimar, Kunstsammlungen) 3 1 1 , 3 2 7 Das Goldene Zeitalter (Kopenhagen, Thorvaldsens Museum) 336-338, 340; vgl. Abb. 50 Hermann, aus der Schlacht zurückkehrend (verschollen) 321 Homer singt den Griechen, Studien zu (Weimar, Kunstsammlungen) 327 Kampf Achills mit den Flüssen (Weimar, Kunstsammlungen) 327, 332 Kampf der Kentauren und Lapithen (Weimar, Kunstsammlungen) 324, 330, 332, 358; vgl. Abb. 49 Kampf der Titanen und Götter (Basel, Kunstmuseum) 327, 330, 332, 333 Laokoon (Weimar, Goethe-Nationalmuseum) 10, 11, 115, 372-374, 383f.; vgl. Abb. 62 Laokoon, Durchzeichnung (Weimar, Kunstsammlungen) 373 Oedipus entdeckt die Frevelhaftigkeit seiner Ehe mit lokaste (Weimar, Kunstsammlungen) 336 Oedipus von den Furien gequält (Weimar, Goethe-Nationalmuseum) 324, 330 Philoktet mit dem Bogen des Herakles (Berlin, Nationalgalerie) 324 Priamos vor Achill (Berlin, Nationalgalerie) 331 Raub der Sabinerinnen (Weimar, Kunstsammlungen) 3 2 1 , 3 3 1 , 3 3 3 Schlacht bei Potidäa (Weimar, Kunstsammlungen) 321,331 Schlägerei der Philosophen (Weimar, Kunstsammlungen) 330 Selbstbildnis (Hamburg, Kunsthalle) 318 Studie eines knienden Kriegers mit dem Stoßschwert (Flensburg, Stadt. Museen) 331

421

- Sturz der Engel (Weimar, Kunstsammlungen) 324, 329f., 331, 333; vgl. Abb. 48 - Szenen aus dem Trojanischen Krieg (Weimar, Kunstsammlungen) 336, 339, 371 - Tod des Aischylos (verschollen) 318 - Tod Baldurs (verschollen) 318 - Tod des Commodus (Oslo, Nationalgalerie) 321 - Überfahrt des Megapenthes (Weimar, Kunstsammlungen) 327 - Verres entführt die Bildsäule der Diana (Weimar, Kunstsammlungen) 327, 338f. - Zeichnungen nach Michelangelos Figuren der Medici-Gräber in Florenz (Weimar, Kunstsammlungen) 324 - Zeit und Raum (verschollen) 327 Caylus, Anne-Claude-Philippe de Tubiferes Comtede 6 1 , 2 3 8 , 2 4 7 , 2 9 8 Cellini, Benvenuto - Perseus als Sieger (Florenz, Loggia dei Lanzi) 352 Cicero, Marcus Tullius 338 Cicognara, Leopoldo 358 Clemens, Johann Frederik 319 Cockerell, Charles Robert 205f. Conca, Sebastiano 307 Cornelius, Peter (und Schüler) - Fresken in der Vorhalle des Alten Museums (Berlin) 38lf. Correggio, Antonio da (Allegri) 153 Cortona, Pietro Berrettini da - Der Tod des Turnus (Rom, Palazzo Pamphilj) 68 Cotta, Johann Friedrich 77, 117, 119, 133 Curtius, Michael Conrad 105f. Dacier, Anne 238 Dalhoff, Jörgen Balthasar 355 Dannecker, Johann Heinrich 114f., 117f. - Hektar, seinen Bruder Paris scheltend (ehemals Stuttgart, Staatsgalerie) 355 - Milon von Kroton (Stuttgart, Staatsgalerie) 114,118 - Laokoon, Zeichnung (Marbach, SchillerNationalmuseum) 115 Dante Alighieri 245, 327 David, Jacques-Louis 10, 15, 83, 123, 124, 130, 238, 269f., 272, 273f., 276, 278, 293, 294f., 296, 297, 302-304, 305, 306, 315, 33 0f.

422

Anhang

- Hebe und Ganymed (Weimar, GoetheNationalmuseum) 295 - Die Liktoren bringen Brutus die Leichname seiner beiden Söhne (Weimar, Goethe-Nationalmuseum) 295 - Schwur der Horatier (Paris, Louvre) 92, 269, 303f.,331 - Sabinerinnen (Paris, Louvre) 269, 273, 311 de Piles, Roger 23, 151 Delacroix, Eugene - Einzug der Kreuzfahrer in Konstantinopel (Paris, Louvre) 174 Denis, Simon 303 Desmarais, Jean-Baptiste Frederic 130, 303 Diana als Jägerin (Paris, Louvre) 73, 74 Diderot, Denis 218, 239 Diede zu Fürstenstein, Christoph W. 295 Diede zu Fürstenstein, Luise 295 Dies, Albrecht 15 Dioskuren (Rom, Piazza del Quirinale) 6, 250f., 252, 260, 272, 305f., 311, 313, 328, 340, 348, 350, 352, 355, 364, 381; vgl. Abb. 42 Diskobol, Kopie nach Myron (Florenz, Offizien) 185, 192, 201 Diskobol, Kopie nach Myron (Rom, Thermenmuseum) 367f. Domenichino (Domenico Zampieri) 191f. - Judith mit dem Haupt des Holofernes (Rom, S. Silvestro al Quirinale, Cappella Bandini) 149,354 - Apollo tötet zwei Zyklopen (London, National Gallery) 192 DomauszieherlSpinario (Rom, Musei Capitolini, Palazzo dei Conservatori) 116, 125 Drake, Friedrich - Nike bekränzt den Sieger (Berlin, Schloßbrücke) 380 Drouais, Germain-Jean 15, 83, 130, 303 - Marius in Minturnae (Paris, Louvre) 269 - Philoklet klagt die Götter an (Chartres, Musee des Beaux-Arts) 124f. Dumont, Jacques-Edme 114 Dupaty, Louis-Marie - Philoktet (Musee National du Chateau de Compiegne) 124, 312

Erdmannsdorf^ Friedrich Wilhelm von 23 Ermordung des Priamos, Sarkophagrelief (Rom, Palazzo Mattei) 68, 366 Euripides 122, 128f., 230, 363 Eusebius 141

Eckhel, Joseph Hilarius 59 Elgin and Kincardine, Thomas B. Earl of 377 Elgin Marbles s. Parthenon

Gaddi, Agnolo 182 Gaddi, Taddeo 182 Gagneraux, Benigne 130

Fabroni, Angelo 36, 53, 186, 223f., 226 Falconet, Etienne-Maurice 114, 186 Fanoli, Michele - Soggetti eroici in una arena, Stich 343 Famesischer Stier (Neapel, Museo Archeologico Nazionale) 11, 50, 60, 93f., 113f., 116, 118, 121f„ 132f., 137, 143-147, 149f., 184, 204, 211, 221f., 228f., 265, 344, 351, 361, 367f., 376, 383; vgl. Abb. 13 Faun mit einem Hermaphroditen s. TownleyGruppe Fea, Carlo 59, 76 Felibien, Andr£ 151 Fernow, Carl Ludwig 8, 9f., 11, 18, 19, 27, 95, 197, 294, 296, 297, 301f., 310, 312,314-374,375,383 Fichte, Johann Gottlieb 12, 213 Flaxman, John 248, 282, 290 - The Fury of Athamas (Suffolk, Ickworth House) 3 1 1 , 3 4 8 , 3 4 9 , 3 6 3 - Illustrationen zu Ilias und Odyssee 63, 92, 247f. Fra Bartolommeo 181 Franz I, Kaiser von Osterreich 358 Friedel, Peter - Tod des Rhesus (Verbleib unbekannt) 257 Friedrich Wilhelm III., König von Preußen 382 Friedrich Wilhelm IV., König von Preußen 382 Friedrich, Caspar David - Herbstabend am See (Weimar, Kunstsammlungen) 293 - Wallfahrt bei Sonnenuntergang (Weimar, Kunstsammlungen) 293 Füssli (Füeßli), Johann Heinrich 11, 117, 123, 232, 238, 294, 297-300, 304, 311, 375 - Herkules tötet die Rosse des Diomedes (Chicago, Art Institute) 311

Register Galliergruppe Ludovisi (Rom, Museo Nazionale Romano, Palazzo Altemps) 50, 51, 54, 76, 113, 208, 221, 367f. ; vgl. Abb. 7 Gauffier, Louis 303 Gaulli, Giovanni Battista (Baciccia) 307 Genius bzw. Amor (Paris, Louvre) 187 Gerard, Franjois 295 Gerning, Johann Isaak 65f., 286 Geßner, Salomon 114, 129, 340 Getöteter Niobide (München, Glyptothek) 74 Giambologna (Jean Boulogne) 324 - Herkules und der Kentaur (Florenz, Loggia dei Lanzi) 358 Giordano, Luca 307 Giotto (Angelo di Bondone) 182 Glykon 348 Goethe, Johann Wolfgang 7-9, 11, 12, 1518, 19, 24f., 27, 29, 30, 31, 51, 57, 58, 64, 76, 77-81, 83, 84, 85-96, 97-131, 132, 133, 135, 141f., 143f., 147, 149, 150, 152, 154, 168, 171, 176, 180, 184f„ 188, 190, 193, 194, 198f., 201, 208, 209, 211-237., 239f., 241-244, 248, 252-256, 259, 261, 268, 269-274, 276, 278, 279-292, 293-296, 300, 301, 302f„ 306, 309, 312, 315, 316, 334, 344, 346f., 357, 363, 366, 368, 373f., 375-379, 383f. - Kopf der Niobe (Weimar, Goethe-Nationalmuseum) 188 Goya, Francisco de 11 Grillparzer, Franz 83 Gros, Antoine-Jean - Schlacht von Abukir (Versailles, Musee National) 172 Gruppe eines Kriegers mit Kind [Neoptolemos mit dem Körper des Astyanax?] (Neapel, Museo Archeologjco Nazionale) 348 Guercino (Giovanni Francesco Barbieri) 278 - Beschneidung Christi (Lyon, Musee des Beaux-Arts) 142 Guerin, Pierre Narcisse - Rückkehr des Marcus Sextus (Paris, Louvre) 269 Hackert, Philipp 303 Hagen, Hugo - Pegasus und Grazie (Berlin, Altes Museum, Nordseite) 381

423

Haller, Albrecht 240 Hamilton, Gavin 238, 365 Hamilton, Sir William 63, 282f., 298, 365 Harriet, Fulcran-Jean - Horatius Cocles (verschollen) 312 Hartmann, Ferdinand 249-252 - Hektors Abschied von Andromache (ehem. Dessau, Gemäldegalerie) 249f. - Kampf des Achill mit den Flußgöttern (Verbleib unbekannt) 271 - Tod des Rhesus (Verbleib unbekannt) 249252, 257 Haydon, Bejamin 377 Hayez, Francesco - Ajace d'Oileo naufrago (Brescia, Privatbesitz) 127 Hecker, Christian Friedrich 17 Hederich, Benjamin 13f., 62, 245, 247, 344 Heeren, Arnold 59 Hegel, Georg Wilhelm Friedrich 29 Heimtragung von Hektors Leichnam, Sarkophag (Paris, Louvre) 50, 62f.; vgl. Abb. 15 Heinitz, Friedrich Anton von 322 Heinse, Johann Jakob Wilhelm 5f., 16,101, 107 Henschel, F. W. - Der Tod des Sokrates (Verbleib unbekannt) 275f., 278 Herder, Caroline 30 Herder, Johann Gottfried 7, 12, 25, 30f., 31,47,51,62,74,81,240 Herkules Farnese (Neapel, Museo Archeologico Nazionale) 3 1 8 , 3 4 8 , 3 5 0 , 3 5 2 Herkulesknabe, eine Schlange würgend (verschollen; ehem. Rom, Galleria Borghese) 78f. Hesiod 327 Hetsch, Philipp Friedrich 117 Heyne, Christian Gottlob 19, 36f., 285f. Hippolytossarkophag (Agrigent, Dom) 128f.; vgl. Abb. 23 Hirt, Aloys Ludwig 8-10, 11, 14-84, 8596, 97-117, 119, 121, 123, 125, 126, 127, 129, 131, 145f., 166, 170, 180, 187-190, 198, 199, 201, 207, 208f., 212-236, 258, 284, 289, 291, 297, 300, 306, 308-310, 311, 313, 316, 334f., 345f., 366, 368f„ 373, 375f., 382f. Hoffmann, Joseph 249, 251, 254, 276 - Kampf des Achill mit den Flußgöttern (Weimar, Kunstsammlungen) 256

424

Anhang

- Tod des Rhesus (Weimar, Kunstsammlungen) 249, 25lf., 255, 256, 257, 258262, 267f.; vgl. Abb. 43 Hölderlin, Friedrich 11, 117, 247 Homer 50, 52, 60f., 86, 89, 108, 127, 233, 279f., 306, 318, 327, 333, 358, 364 Humboldt, Alexander von 12 Humboldt, Caroline von 273, 295, 303f., 356 Humboldt, Wilhelm von 12, 26, 133, 135, 269f„ 273, 295, 296, 303, 356f., 360, 362, 370 Hummel, Johann Erdmann 278 - Kampf des Achill mit den Flußgöttern (Weimar, Kunstsammlungen) 278 Hyginus 122, 128, 363 Ingres, Jean August Dominique 293 Isopi, Antonio 117 Jagemann, Ferdinand - Bethlehemitischer Kindermord, Kopie nach Reni (Weimar, Kunstsammlungen) 275, 278 Juel,Jens 319 Julius II. (della Rovere), Papst 157, 159f., 161, 163 Junius, Franciscus 81 Juno LanuvinalSospita (Rom, Vatikan, Sala Rotonda) 76f. Juno Ludovisi 6, 305 Kämmerer, Ernst - Tod des Rhesus (Verbleib unbekannt) 257 Kant, Immanuel 1 8 , 2 0 , 7 0 , 3 1 5 , 3 2 2 , 334 Kapitolinische Venus (Rom, Musei Capitolini) 211 Karsch, Karl - Tod des Rhesus (Verbleib unbekannt) 257, 263, 264 Kassandra, Relief (Rom, Villa Borghese) 82f. Kauffmann, Angelika 15 Kehrer, Karl Christian - Der Raub der Proserpina (Verbleib unbekannt) 275 Kiebele, ? - Die Sintflut, Kopie nach Poussin (Verbleib unbekannt) 275 Kiß, August - Amazone (Berlin, Altes Museum) 382

- Neue Wache, Giebelfeld (Berlin, Unter den Linden) 380 Kleist, Heinrich von 1 1 , 6 2 , 8 3 , Kleophradesmaler - Vivenzio-Hydria (Neapel, Museo Archeologico Nazionale) 9, 11, 50, 65-71, 283292, 366; vgl. Abb. 17 Klopstock, Friedrich Gottlieb 318, 321 Knebel, Karl Ludwig von 193 Koch, Joseph Anton 317 Kolbe, Heinrich 269, 276, 278 - Hektors Abschied von Andromache (Weimar, Kunstsammlungen) 249 - Tod des Rhesus (verschollen) 257f., 262, 263, 264 Konstantinsbogen (Rom, Forum Romanum) 50, 71, 166, 170 Kotzebue, August von 1, 186, 313, 363, 369f., 375 Laboureur, Francesco Massimiliano 311 Lafitte, Louis - Depart de Regulus pour Carthage (Paris, Ecole des Beaux-Arts) 331 Lalande, Jeröme de 186 Landseer, Charles - Aphrodite im Schoß ihrer Mutter Dione, nach einer Marmorskulptur vom Ostgiebel des Parthenon (Weimar, GoetheNationalmuseum) 377 Langer, Emst Theodor 152 Langer, Peter 276 Langer, Robert - Cato von Utica, im Begriff sich selbst zu entleiben (Weimar, Goethe-Nationalmuseum) 275, 278 - Cicero, der die Nachricht von der Verschwörung des Catilina erhält (Verbleib unbekannt) 275,278 - Coriolan nimmt Abschied von seiner Familie (Verbleib unbekannt) 275, 278 - Tod der Lucretia (Verbleib unbekannt) 274, 276f. - Virginius, dem man seine Tochter entreißen will (Verbleib unbekannt) 274f., 277f. Laokoon (Rom, Vatikan, Cortile del Belvedere) 5, 10, 11, 29-46, 49f., 51, 62, 71, 78-80, 86, 88f., 93f., 97-117, 118, 121f., 125f., 131-133., 135,137,141-143, 150f., 163, 168, 171, 175, 177, 184, 186f., 194f., 198, 208f., 21 lf., 221-223,

Register 225, 228f., 23Of., 241, 273, 318, 344348, 361, 367f., 371-375, 383f. Lavater, Johann Caspar 24 Le Brun, Charles 4, 344 -

Die Schlacht

von Arbela

(Paris, L o u -

vre) 333 Leo X (de'Medici), Papst 163 Leonardo da Vinci 305, 306, 322 - Abendmahl (Mailand, S. Maria delle Grazie, Refektorium) 321 - Schlacht von Anghiari (ehem. Florenz, Palazzo Vecchio, Sala del Gran Consiglio) 156 Lessing, Gotthold Ephraim 4-8, 13, 18f., 20, 31, 34f., 37-40, 44-46, 48f., 51f., 56f„ 72f., 77, 81-84, 87-89, 91, 95f., 99, 106, 109f., 116, 124-126, 130,145f., 187, 208, 214f„ 219, 230f., 232, 235, 239f„ 247, 258, 262, 284, 291, 330, 334f., 345f., 366, 368, 376, 378 Lippert, Philipp Daniel 247 Livius, Titus 274, 277 Lombach, Ludwig 278 - Achill auf Skyms (Weimar, GoetheNationalmuseum) 278 L u d o v S o g . Kleiner

Schlachtensarkophag

Ludovisi (Rom, Thermenmuseum) 170 Ludwig I., König von Bayern 376 Ludwig, XII., König von Frankreich 159 Lukian 327 Lysippos 230

Matthaei, Johann Friedrich -

The Poems of Ossiatt Nepotolemos

Schiller:

Die Braut von

Messina,

Aldobrandinische

Hochzeit

(Kopie, Wei-

mar, Goethehaus) 153 318, 327

Maderno, Stefano -

Friedrich

Szene im 4. Akt (Weimar, Rokokosaal) 187 Matthisson, Friedrich von 77 Medeasarkophag (Paris, Louvre) 50, 53f., 55, 113; vgl. Abb. 8 Medeasarkophag (Rom, Palazzo Lancelotti) 50, 53f., 55 Mediceische Vase (Florenz, Uffizien) 148; vgl. Abb. 28 Medusa Rondanini (München, Glyptothek) 352 Meleagersarkophag (Paris, Louvre) 50, 5557; vgl. Abb. 9 Meleagersarkophag (Rom, Palazzo Pamphilj) 50, 55-57, 113; vgl. Abb. 10 Mengs, Anton Raphael 18. 19, 36, 47f., 75, 81, 151, 154, 181, 186, 206, 297, 298, 301f., 304, 306-310,313 - Parnaß (Rom, Villa Albani) 13 Merck, Johann Heinrich 15 Meyer, Johann Heinrich 6, 8f., 10f., 12, 64, 75, 82, 84, 90-96, 97, 100, 101, 103, 105, 106, 113, 118, 119, 120, 121, 122, 126, 128, 131, 132-150, 151-184, 184-210, 211, 220, 222, 223f., 228f., 2 3 6 f , 244-250, 252-262, 264, 265, 267f., 269, 272-278, 282, 284, 288, 291, 294-314, 315, 316, 335, 360f., 373, 351, 354, 357, 375f.

Macpherson, James -

425

mit dem Körper

des

Astyanx (Venedig, Ca' d'Oro) 348 Madrazo y Agudo, Jose - Tod der Lucrezia (verschollen) 312 Mantegna, Andrea 153 Maratta, Carlo 307 Maria Karolina, Königin beider Sizilien 69 Maria-Theresia, Kaiserin von Österreich 69 Marie Antoinette, Königin von Frankreich 69 Mark-Aurel-Säule (Rom, Piazza Colonna) 71, 166 Marsyas (Florenz, Uffizien) 50, 54, 74, 113, 127, 158, 208, 221; vgl. Abb. 6 Masaccio 153, 156 Massimiliano s. Laboureur

-

Priamos

bittet Achill um den

Leichnam

Hektors (Weimar, Kunstsammlungen) 246 Michelangelo Buonarroti 15If., 181, 184, 217, 297-300, 304f., 306, 311, 315, 319, 322-327, 329, 331, 337, 370 - Jüngstes Gericht (Rom, Vatikan, Cappella Sistina) 3 1 9 , 3 2 3 , 3 2 7 , 3 3 3 - Kentaurenkamprelief (Florenz, Casa Buonarrotti) 324 - Schlacht von Cascina, Karton (verschollen) 156, 176 - Sixtinische Decke (Rom, Vatikan, Cappella Sistina) 319 -

Sixtinische

Kapelle

( R o m , Vatikan)

151,

164,319 -

Skulpturen

der Medicigräber

(Florenz, S.

Lorenzo, Medicikapelle) 324, 326 Milizia, Francesco 24, 298

426

Anhang

Mocchi, Francesco - Heilige Veronika (Rom, St. Peter) 192 Möller, K. H. - Athene bewaffnet den Krieger (Berlin, Schloßbrücke) 380 Montfaucon, Bernard de 55, 206 Montorsoli, Giovanni Angelo 114 Moore, James 17 Moreau, Charles - Homer-Illustrationen 270 Moritz, Karl Philipp 7, 15, 19, 25, 135, 170, 175, 333 Mouton, Antoine - Theseus, der eine besiegte Amazone entführt (Verbleib unbekannt) 312 Müller, Friedrich (Maler Müller) 16, 298 Müller, Johann Gotthard 117 Müller, Karl Otfried 29 Münter, Friedrich 66 Muse (Florenz, Uffizien) 200, 203 Muse des Barberinischen Palastes s. Apollon Barberini Myron 2, 185, 192, 367 Nahl, Johann August 254, 278 - Achill auf Skyros (Weimar, Kunstsammlungen) 256 - Hektors Abschied von Andromache (Weimar, Kunstsammlungen) 249, 256 Napoleon I. Bonaparte 10, 17, 118, 123, 340, 358, 361, 378f. Narkissos (Florenz, Uffizien) 210 Nauwerk, Gottlieb Karl - Achill schreckt die Helden von der Leiche des Patroklos zurück (Verbleib unbekannt) 274 Nietzsche, Friedrich 382 Niobe/Niobidengruppe (Florenz, Uffizien) 1, 11, 50, 52f., 74f., 93f., 108, 112-114, 116, 118, 120-122, 126, 131-133, 137, 141, 143f., 147, 150, 175, 184-212, 221-223, 225, 228-231, 246, 273, 306, 344, 346, 371, 375, 383; vgl. Abb. 3, 32-37 Niobide, auf das Knie gestützt (Florenz, Museo Bardini) 202 Niobide, der einen Fels hinaufsteigt (Florenz, Museo Bardini) 202 Niobidenrelief., Fragment (Rom, Villa Albani) 191, 224; vgl. Abb. 41 Niobidensarkophag (Rom, Lateran) 227

Niobidensarkophag (Rom, Vatikan, Galleria dei Candelabri) 50, 53, 191, 207, 224, 225-228, 234f. ; vgl. Abb. 5 u. 40 Niobidensarkophag (Venedig, Museo Archeologico) 50, 53, 191, 207; vgl. Abb. 4 Niobidensarkophag (Wiltshire, Wilton House) 139, 191 Oeser, Adam Friedrich 152 Orcagna (Andrea di Cione) 182 Orestessarkophag (Rom, Palazzo Giustiniani) 50, 58, 146 Orestessarkophag (Rom, Vatikan, Museo Gregoriano Profano) 50, 58, 113, 146; vgl. Abb. 11 Ossian s. Macpherson, James Ovid (Publius Ovidius Naso) 52, 122, 240, 324, 344, 358 Paetus und Arria s. Galliergruppe Ludovisi Palladio, Andrea 152 Palma il Giovane - Bethlehemitischer Kindermord (Weimar, Goethe-Nationalmuseum) 175 Paoletti, Gaspare Maria 203 Parthenon (Athen, Akropolis) - Metopen und Fries (z. T. London, British Museum und Athen, AkropolisMuseum) 358, 376f., 378, 379 Pasquino (Rom, Piazza del Pasquino) 368 Pausanias 56, 279-281, 286, 350f., 365 Penni, Gianfrancesco 168 Penthesileasarkophag (Rom, Vatikan, Cortile del Belvedere) 50, 61f.; vgl. Abb. 14 Perrier, Frangois - Niobidengruppe 52, 206; vgl. Abb. 3 Perugino (Pietro Vanucci) 1 5 3 , 1 8 1 Peruzzi, Baidassare 168 Phidias 2, 152, 230, 299, 356, 370, 377 Philoktet bzw. Wald- oder Berggottheit (Rom, Villa Albani) 76f., 78f. Philostratos 122,126f., 242, 251, 280, 363 Pindar 2 5 1 , 3 1 8 , 363 Piombo, Sebastiano del 168 Pius VI., Papst 10 Pius VII., Papst 3 4 9 , 3 5 2 Piaton 2, 190, 207, 273 Plinius Secundus, Gaius (d. Ä.) 34, 56, 60, 128, 280, 349 Plutarch 190 Polygnotos 279-282, 288, 290f., 350, 365f.

Register Polyklet 2, 230, 232 Pope, Alexander 238 Poussin, Nicolas 172, 175, 181, 191f., 276, 278, 297, 302-304, 305, 330 - Bethlehemitischer Kindermord (Chantilly, Musee Conde) 192, 302, 371 - Pest zu Asdod (Paris, Louvre) 141,371 Pozzo, Andrea 307 Praxiteles 196 Pseudo-Longinos 252 Psyche, sogenannte (Rom, Musei Capitolini) 75 Psyche, sogenannte; tatsächlich: Niobidentochter (Florenz, Uffizien) 192, 201f., 203, 210 Puget, Pierre 114

-

-

Quatremere de Quincy, Antoine Chrysostome 23, 186, 314, 350, 358, 367 Racine, Jean Baptiste 129 Raffael (Raffaelo Santi) 10, 71, 120, 131, 151-184, 216, 228, 232, 252, 262, 273f., 296f., 299f., 304-306, 3 1 9 f , 323-328, 333, 335, 338, 356, 375 - Apollo und Marsyas (Rom, Vatikan, Stanza della Segnatura) 128, 149, 157f. - Befreiung Petri (Rom, Vatikan, Stanza di Eliodoro) 159 - Begegnung Leos 1. mit Attila (Rom, Vatikan, Stanza di Eliodoro) 155, 159, 163165, 167, 180f. - Bethlehemitischer Kindermord 11, 93f., 133, 141-143, 148f., 150, 175-177, 184, 205, 329; vgl. Abb. 20 - Borgobrand (Rom, Vatikan, Stanza dell' Incendio) 138-140, 155, 165-168, 171f., 176, 177f., 181, 183f., 242f., 320, 327, 339; vgl. Abb. 24 - Heilige Cäcilia (Bologna, Pinacoteca Comunale) 152 - Comitas (Rom, Vatikan, Sala di Costantino; fälschlich zugeschrieben) 168 - David und Goliath (Rom, Vatikan, Loggien, fälschlich zugeschrieben) 155 - Disputa (Rom, Vatikan, Stanza della Segnatura) 158f., 162f., 167, 179, 182 - Geburt des Erichthonius (Rom, Vatikan, Stufetta Bibbiena [fälschlich zugeschrieben]) 150,234

-

-

-

427 Grablegung/Pala Baglioni (Rom, Galleria Borghese) 156, 182, 340 Iustitiawand (Rom, Vatikan, Stanza della Segnatura) 159 Iustitia (Rom, Vatikan, Sala di Costantino) 168 Kartons zu den Teppichen Raffaels (London, Victoria and Albert Museum) 152 Konstantinsschlacht (Rom, Vatikan, Sala di Constantino) 11, 141, 148f., 150, 155,169-175, 177f., 183, 246, 320, 327, 329, 332f., 340; vgl. Abb. 27 Kreuzesvision (Rom, Vatikan, Sala di Costantino) 169 Krönung Karls des Großen (Rom, Vatikan, Sala di Costantino) 177 Loggien (Rom, Vatikan) 147, 153, 154f., 325 Madonna della Sedia (Florenz, Palazzo Pitti) 138 Madonna mit dem Zeisig (Florenz, Uffizien) 156 Messe von Bolsena (Rom, Vatikan, Stanza di Eliodoro) 159, 164, 180 Opferung Isaaks (Rom, Vatikan, Stanza di Eliodoro) 160 Pala Colonna (New York, Metropolitan Museum) 155f. Parnaß (Rom, Vatikan, Stanza della Segnatura) 13, 159, 163, 179 Pest unter den Phrygiem (II Morbetto) 141, 143,175 Predigt des Paulus in Athen, Teppich nach Raffael (Rom, Pinacoteca Vaticana) 327 Reinigungseid Leos III. (Rom, Vatikan, Sala di Costantino) 177 Schenkung Konstantins (Rom, Vatikan, Sala di Costantino) 169, 177 Schlacht von Ostia (Rom, Vatikan, Stanza dell'Incendio) 138-140, 149, 155, 165168, 178; vgl. Abb. 25 Schule von Athen (Rom, Vatikan, Stanza della Segnatura) 155, 158f., 160, 161, 163, 164f., 167, 172, 178-181,321,327 Schule von Athen, Karton (Mailand, Pinacoteca Ambrosiana) 320 Sintflut (Rom, Vatikan, Loggien) 242f. Sixtinische Madonna (Dresden, Gemäldegalerie) 151 Taufe Konstantins (Rom, Vatikan, Sala di Costantino) 177

428

Anhang

- Theologie, Philosophie, Jurisprudenz, Poesie (Rom, Vatikan, Stanza della Segnatura) 157 - Urteil Salomos (Rom, Vatikan, Stanza della Segnatura) 157f., 164 - Verklärung (Rom, Pinacoteca Vaticana) 152, 155, 305 - Vertreibung des Heliodor (Rom, Vatikan, Stanza di Eliodoro) 153, 159-163, 167, 180f., 183f., 327; vgl. Abb. 29 Raffei, Stefano 76 Raimondi, Marcantonio - Bethlehemitischer Kindermord s. unter Raffael - Die Pest unter den Phrygiem (Ii Morbetto) s. unter Raffael Rauch, Christian Daniel 293, 380, 382 - Denkmal des Generals Bülow von Dennewitz (Berlin, Unter den Linden) 380 - Denkmal Graf Neithardt von Gneisenau (Berlin, Unter den Linden) 380 - Denkmal des Generals von Scharnhorst (Berlin, Unter den Linden) 380 - Denkmal Graf York von Wartenburg (Berlin, Unter den Linden) 380 Recke, Charlotte Elisabeth Constantia Freifrau von der 313 Reichardt, Johann Friedrich 123 Reiffenstein, Johann Friedrich 15 Reinhart, Johann Christian 88 Relief von Phigalia s. Apollon-Tempel (BassaiPhigaleia) Reni, Guido 122f., 175, 191, 305 Revett, Nicolas 358 Reynolds, Joshua 304 Richardson, Jonathan (Vater und Sohn) 151 Riedesel, Johann Hermann von 128f. Riemer, Friedrich Wilhelm 83, 242f. Riepenhausen, Christian Johannes und Friedrich Franz 1 1 , 2 7 9 - 2 8 6 , 3 5 0 , 3 6 6 - Gemähide des Polygnotos in der Lesche zu Delphi 279-283,288-291 Riepenhausen, Ernst 284-286 Ringer (Florenz, Uffizien) 6, 116, 192, 202, 305, 345f., 367f.; vgl. Abb. 39 Romano, Giulio 2 0 0 , 3 1 9 - 3 2 2 , 3 2 4 , 3 4 0 - Gigantensturz (Mantua, Palazzo del Te) 319f. - Konstantinsschlacht (Rom, Vatikan, Sala di Costantino) s. unter Raffael - Sala di Troia (Mantua, Palazzo Ducale) 251

Rosa, Salvator - Der gefesselte Prometheus (Rom, Galleria Corsini) 371 - Tod des Regulus (Richmond, Virginia Museum of Fine Arts) 379 Rossebändiger s. Dioskuren Rosso, Zanobi del 203 Rousseau, Jean-Jacques 239 Rubens, Peter Paul 153, 175, 252, 261f. - Folgen des Krieges (Florenz, Palazzo Pitti) 68 - Schlacht von Ivry (Florenz, Uffizien) 172, 174 - Tomyris und Cyrus (Boston, Museum of Fine Arts) 1 4 9 , 3 5 4 Ruhl, Johann Christian 249 Rumohr, Carl Friedrich 82 Runge, Philipp Otto - Achill und Skamandros (Hamburg, Kunsthalle) 271f.; vgl. Abb. 45 - Diomedes und Odysseus überraschen Rhesus (Hamburg Kunsthalle) 249 - Diomedes und Odysseus entweichen zum Lager der Griechen (Hamburg, Kunsthalle) 249 Sadoleto, Jacopo 101 Santi, Cavalliere 311 Satyr, der einem Faun einen Dorn aus dem Fuß zieht (Rom, Vatikan bzw. Villa Borghese) 5 0 , 7 1 Satyr, der mit einem Hermaphroditen ringt (Dresden, Staatliche Skulpturensammlung) 116,368 Schadow, Johann Gottfried 24 - Denkmal des Gebhardt Leberecht Blücher (Rostock, Universitätsplatz) 379 Scheffauer, Philipp Jakob 117 Schick, Gottlieb 269, 274 Schievelbein, Hermann - Athene unterweist den Jüngling im Gebrauch der Waffen (Berlin, Schloßbrücke) 380 - Pegasus mit Muse (Berlin, Altes Museum, Nordseite) 381 Schiller, Friedrich 7-9, 12-19, 26f., 58, 61, 64, 77, 84-91, 95-97, 100,105,107,114, 118-122, 124, 129,131, 133, 187f„ 192, 211-215, 217, 220, 224f., 232-240, 250f., 257f., 264, 266, 270, 273f., 293, 300, 315, 344, 347, 354, 375

Register Schinkel, Karl Friedrich 293, 380f., 382 - Altes Museum (Berlin) 381f. - Aufopferung für Andere bei gefahrvollem Naturereignis (ehem. Berlin, SchinkelMuseum) 381f. - Aufopferung für Andere in Abwehr menschlicher Rohheit (ehem. Berlin, SchinkelMuseum) 38 lf. - Neue Wache (Berlin, Unter den Linden) 380 - Schloßbrücke (Berlin) 380 Schlegel, August Wilhelm 12, 21, 27, 57, 108, 193, 205, 212-214, 230, 232, 272, 274, 312f., 357-361, 368, 370 Schlegel, Friedrich 26f., 88f., 212f„ Schleiermacher, Friedrich Daniel Ernst 2 Schleifer!Arrotino (Florenz, Uffizien) 74 Schlosser, Christian Friedrich 280 Schnorr von Carolsfeld, Julius 249 Schnorr von Carolsfeld, Veit Hans Friedrich 2 5 0 , 2 5 3 - Hektors Abschied von Andromache (Leipzig, Museum der bild. Künste) 249 - Tod des Rhesus (Leipzig, Museum der bild. Künste) 249, 257, 264, 278 Schorn, Ludwig 65, 287, 291 Schulze, Johann 75, 197 Schütz, Johann Georg 83 Schweickle, Konrad Heinrich 269 Seidler, Luise - Amazonenkampf, nach dem Basrelief am Apollo-Tempel in Bassai-Phigalia (Weimar, Goethe-Nationalmuseum) 377 Seneca, Lucius Annaeus 63, 122, 128, 363 Sergel, Johann Tobias 238 - Diomedes (Stockholm, Nationalmuseum) 355 Shakespeare, William 232, 318, 327 Skopas 2, 185f., 196 Sodoma (Giovanni Antonio Bazzi) 158 Solimena, Francesco 307 Sophokles 86, 108, 122-126, 230f„ 344 Spalletti, Giuseppe 24 Spence, Joseph 56f. Stendhal (Henri Beyle) 343, 368 Sterbender Gallier (Rom, Musei Capitolini) 76f., 113, 208 Stosch, Philipp Baron von 383 Stuart, James 358 Sulzer, Johann Georg 18, 22, 61, 298

429

Tadini, Faustino Tauriskos 60 Th6venin, Charles - Depart de Regulus pour Carthage (Paris, Ecole des Beaux-Arts) 331 Thorvaldsen, Bertel 210, 293, 313, 355357, 362, 370 - Achill und Penthesilea, Bozzetto (Kopenhagen, Thorvaldsens Museum) 313 - Jason (Kopenhagen, ThorvaldsensMuseum) 3 1 3 , 3 5 5 - 3 5 7 , 3 5 8 , 3 7 0 - Theseus im Kampf mit einem Kentaur, Zeichnung (Thorvaldsens-Museum) 313, 362 Tieck, Christian Friedrich 205f., 269, 274, 278, 293 - Dioskuren (Berlin, Altes Museum) 381 - Elektro am Grabe ihres Vaters (Verbleib unbekannt) 276 - Kampf Achills mit den Flußgöttern (Weimar, Goethe-Nationalmuseum) 272, 306; vgl. Abb. 46 - Maria Magdalena (Verbleib unbekannt) 276 - Niobidentympanon (Berlin, Schauspielhaus) 205f. - Paris, welchem Venus die Helena zuführt (Verbleib unbekannt) 276 - Priamos vor Achill (verschollen) 272 - Neoptolemos tötet Priamos (verschollen) 2 7 4 , 2 9 2 - Rückkehr des Marcus Sextus, Kopie nach Guerin (Weimar, Goethe-Nationalmuseum) 269 - Tod des Rhesus (Berlin, Kupferstichkabinett) 249 Tieck, Ludwig 182, 213 Timomachus 125f. Tischbein, Johann Heinrich Wilhelm (Umkreis) - Eroberung Trojas (Weimar, Kunstsammlungen) 9, 131, 282-292, 366; vgl. Abb. 47 Tischbein, Johann Heinrich Wilhelm 11, 16, 66-71, 84, 170, 283-292 - Aias und Kassandra (Eutin, Großherzogliches Schloß) 127; Abb. 22 - Collection of Engravings from Ancient Vases 63, 283f., 350 - Eroberung Trojas, Lithographie 283, 285 - Goethe in der Campagna di Roma (Frankfurt a. M, Städelsches Kunstinstitut) 15

430

Anhang

- Homer nach Antiken gezeichnet 65, 68, 283f., 287, 291 - Konradin von Schwaben und Friedrich von Österreich (Gotha, Museum Schloß Friedenstein) 92 - Kopie nach einem Bild v. Wouwerman 292 Tizian (Tiziano Vecellio) 153 Torlonia, Giovanni 343 Torso vom Belvedere (Rom, Vatikan, Atrio del Torso) 122, 124, 126, 311, 344 Townley-Gruppe (London, British Museum) 367f. Trajan reitet gegen die Dacier in die Schlacht s. Trajanischer Fries Trajanischer Fries 50, 71f., 170, 173; vgl. Abb. 18 Trajanssäule (Rom, Trajansforum) 71, 164, 166, 170, 173 Trippel, Alexander 17, 123, 130, 294f., 297, 300 Triton und Nymphe (Rom, Vatikan) 50, 71 Trophos (Florenz, Uffizien) 203-205 Vaga, Perino del - David und Goliath (Rom, Vatikan, Loggien) 155 Valadier, Giuseppe 343 Valentini, Ernst von - Tod des Rhesus (Verbleib unbekannt) 257 Van Loo, Charles Andre 302 Vasari, Giorgio 151, 154, 158, 166, 169171, 181 Venus (de'Medici?) (Florenz, Uffizien) 6,305 Vergil 40, 50, 60f„ 68, 141, 239f., 247, 279, 287, 364 Vernet, Charles - Homer-Illustrationen 270 Vieweg, Friedrich 86 Vinvenzio, Marchese 65-71, 285, 287 Visconti, Ennio Quirino 53, 59, 146 Visconti, Giambattista 74f., 206f. Vivenzio-Hydria s. Kleophradesmaler

Voltaire (Francois Marie Arouet) 270 Voß, Johann Heinrich 61 Waagen, Friedrich - Tod des Rhesus (Verbleib unbekannt) 257 Wackenroder, Wilhelm Heinrich 182 Wagner, Johann Martin 193 Warburg, Aby 50, 76, 116, 382f. Webb, Daniel 317 Weinbrenner, Friedrich 23 Welcker, Friedrich Gottlieb 205f. Whatley, Thomas 23 Wichmann, Ludwig - Nike mit dem verwundeten Krieger (Berlin, Schloßbrücke) 380 Wieland, Christoph Martin 15, 16 Winckelmann, Johann Joachim 1-8,13, 18-20, 31, 33-40, 44-46, 48, 51-56, 5863, 72-77, 81-84, 87-89, 91, 95f„ 99, 103, 108f., 116, 122, 124-126, 129f., 145-147, 15 lf., 163, 185-187, 191f., 196-198, 208, 214f„ 219, 230f., 235, 239f., 241, 247, 279, 282, 284, 291, 296, 298f., 304, 306f., 309f., 316, 318, 322, 330, 334-336, 344-346, 352, 361, 366, 368, 376, 378 Wolf, Friedrich August 295f. Wolff, Albert - Athene begeistert den Krieger (Berlin, Schloßbrücke) 380 - Löwenkämpfer (Berlin, Altes Museum) 382 Wolff, Emil - Nike lehrt den Knaben Heldengeschichte (Berlin, Schloßbrücke) 380 Wood, Robert 238 Wredow, August - Nike führt den gefallenen Krieger zum Olymp (Berlin, Schloßbrücke) 380 Zwei Jungen, die sich über ein Knöchelspiel streiten, Skulpturengruppe (London, British Museum) 368

Abb. 1: Laokoongruppe. 2. Jh. ν. oder 1. Jh. η. Chr. Höhe 240 cm. Rom, Vatikan, Cortüe del Belvedere.

Abb. 2: Apoll von Belvedere. Römische Kopie eines griechischen Bronzeoriginals aus dem späten 4. Jh. v. Chr. Höhe 224 cm. Rom, Vatikan, Cortile del Belvedere.

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