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German Pages 422 Year 2001
JOHANNES HEYERS
Passive Sterbehilfe bei entscheidungsunfähigen Patienten und das Betreuungsrecht
Schriften zum Bürgerlichen Recht Band 258
Passive Sterbehilfe bei entscheidungsunfähigen Patienten und das Betreuungsrecht
Von Johannes Heyers
Duncker & Humblot · Berlin
Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Heyers, Johannes:
Passive Sterbehilfe bei entscheidungsunfähigen Patienten und das Betreuungsrecht / von Johannes Heyers. - Berlin : Duncker und Humblot, 2001 (Schriften zum bürgerlichen Recht ; Bd. 258) Zugl.: Göttingen, Univ., Diss., 2000 ISBN 3-428-10561-3
Alle Rechte vorbehalten © 2001 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fremddatenübernahme und Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0720-7387 ISBN 3-428-10561-3 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706 θ
Meinen Eltern in Liebe und Dankbarkeit
Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde im Sommersemester 2000 von der Juristischen Fakultät der Georg-August-Universität zu Göttingen als Dissertation angenommen. Das Manuskript ist vor Drucklegung um die Literatur aus dem Schrifttum aktualisiert und ergänzt worden, die im Zuge des 63. Deutschen Juristentags zu Leipzig im September 2000 erschien. Bei meinem verehrten Doktorvater, Frau Prof. Dr. Christiane Wendehorst, möchte ich mich für die Betreuung der Arbeit und die überaus großzügige Förderung, die mir durch sie zuteil wurde, herzlich bedanken. Dank schulde ich auch Frau Prof. Dr. Barbara Veit für die zügige Erstellung des Zweitgutachtens. Gelegenheit zu fruchtbaren Diskussionen und weiterführenden Anregungen gaben mir Prof. Dr. Dirk Olzen, Institut für Rechtsfragen der Medizin, Düsseldorf, und Prof. Dr. Johannes Dietlein, ebenfalls Düsseldorf. Sie haben zu der Entstehung der Arbeit wesentlich beigetragen. Viele anregende Gespräche durfte ich mit den Mitarbeitern des Göttinger Instituts - Sigrid Achenbach, Ole Böger, Tilman Finke, Bettina Löber, Stefanie Nehrenberg, Karsten Raupach, Barbara Reich, Rouven Seeberg, Mario Stillig und Michael Wiemer - führen. Die außerordentlich kollegiale, ja freundschaftliche Zusammenarbeit hat mir die Arbeit sehr erleichtert und über Schwierigkeiten hinweggeholfen. Der Herr Direktor des AG Kempen, Herr Reiner Rohde, hat sich mehrfach geduldig meinen Fragen gestellt und das Projekt mit wertvollen Ratschlägen aus der Sicht der betreuungsrechtlichen Praxis begleitet. Für seine uneigennützige Hilfe danke ich ihm sehr. Viersen, im Juni 2001
Johannes Heyers
Inhaltsverzeichnis 1. Teil Dogmatische Grundlagen I. Problemstellung II. Fallgruppen der Sterbehilfe
17 17 19
1. AktiveSterbehilfe
19
2. Indirekte Sterbehilfe
21
3. Passive Sterbehilfe
23
a) Verzicht auf lebensverlängernde Behandlungsmaßnahmen als sog. „passive Sterbehilfe im engeren Sinne"
23
b) Verzicht auf lebenserhaltende Behandlungsmaßnahmen als sog. „passive Sterbehilfe im weiteren Sinne"
25
4. Arztliche Sterbebegleitung III. Passive Sterbehilfe und Suizid
26 27
IV. Das Selbstbestimmungsrecht des Patienten und das Erfordernis der Einwilligung in ärztliche Maßnahmen nach Aufklärung
28
1. Bedeutung der Indikation
29
2. Autonomie und Selbstbestimmungsrecht des Patienten
32
3. Einwilligung
34
4. Aufklärung
39
a) Ethische und rechtliche Grundlagen
40
b) Inhalt und Durchführung der Aufklärung im allgemeinen
41
c) Notwendigkeit der Selbstbestimmungsaufklärung
42
d) Umfang der Aufklärung
45
aa) Allgemeine Kriterien für den Aufklärungsumfang
45
bb) Besondere Einschränkungen der Aufklärungspflicht
47
(1) Informierter Patient
47
(2) Aufklärungsverzicht
48
10
Inhaltsverzeichnis (a) Ausdrücklicher und konkludenter Verzicht
49
(b) Umfang des Verzichts
50
(3) Therapeutisches Privileg
51
V. Die Behandlungsanweisung an den Arzt, passive Sterbehilfe zu leisten
55
1. Die Bestandteile der Behandlungsanweisung zu passiver Sterbehilfe
55
2. Die Rechtsnatur der Behandlungsanweisung, passive Sterbehilfe zu leisten
57
a) Die Rechtsnatur der Einwilligung
57
aa) Der Standpunkt des Gesetzgebers
57
bb) Auffassungen in Rechtsprechung und rechtswissenschaftlicher Literatur
60
(1) Die sog. Willenserklärungstheorie
61
(2) Die Auffassung der höchstrichterlichen Rechtsprechung und einiger Stimmen des Schrifttums
62
(3) Diskussion
65
(a) Schluß von der Unanwendbarkeit der §§ 182 ff. BGB auf die Rechtsnatur der Behandlungsanweisung
65
(b) Disponibilität der betroffenen Rechtsgüter
67
(c) Rechtsfolgewille
69
(d) Behandlungsvertrag und Behandlungsanweisung
73
b) Die Rechtsnatur von Einwilligungsverweigerung und -widerruf VI. Die Durchsetzung des Selbstbestimmungsrechts
74 75
1. Die Entscheidungsfähigkeit des Patienten als zentrale Voraussetzung einer eigenen Behandlungsanweisung
75
a) Die Auffassung des Gesetzgebers, der Rechtsprechung und eines Teiles der Lehre
76
aa) Mindeij ährige
77
bb) Volljährige
79
b) Kritische Bewertung
80
aa) Mindeijährige
81
bb) Volljährige
89
2. Natürliche Einsichts- und Urteilsfähigkeit als Wirksamkeitsvoraussetzung — VII. Anlaß und Gegenstand der Untersuchung sowie Gang der Arbeit
91 93
Inhaltsverzeichnis
11
2. Teil Durchsetzung des Selbstbestimmungsrechts I. Entscheidungsfähige Patienten
96 96
II. Entscheidungsunfähige Patienten
98
1. Mutmaßliche Einwilligung
99
2. Die Erteilung einer Behandlungsanweisung durch einen Betreuer als gesetzlichen Vertreter 104 3. Patientenverfügung
105
a) Begriff der Patientenverfügung
106
b) Rechtsnatur der Patienten Verfügung
106
c) Die Rechtsverbindlichkeit der Patientenverfügung aa) Entscheidungsfähigkeit
107 108
(1) Abstrakte Möglichkeit des Erfassens der Konsequenzen einer Patientenverfügung 109 (2) Konkret vorhandene Einsichts- und Urteilsfähigkeit bb) Aufklärung
113 116
(1) Erforderlichkeit ärztlicher Aufklärung
117
(2) Aufklärung zum Zeitpunkt der Verfügung
120
(3) Verzicht auf ärztliche Aufklärung in der terminalen Krankheitsphase 127 (a) Zulässigkeit des Verzichts
127
(b) Ausdrücklicher und konkludenter Verzicht
128
(c) Umfang des Verzichts
130
cc) Freiwilligkeit
131
dd) Ernstlichkeit
132
ee) Konkretheit
136
ff) Aktualität
141
gg) Form
149
4. Vorsorgevollmacht
151
a) Rechtliche Zulässigkeit der Vorsorgevollmacht aa) Rechtslage vor Inkrafttreten des BtÄndG am 1. Januar 1999
155 155
(1) Rechtstatsächliche Problematik
156
(2) Rechtsdogmatische Problematik
158
(a) §§ 164 ff. BGB
159
12
Inhaltsverzeichnis (b) Die Übertragung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts zur Ausübung 160 (c) § 1896 Abs. 2 Satz 2 BGB als rechtliche Grundlage
160
bb) Rechtslage seit Inkrafttreten des BtÄndG v. 25. Juni 1998 und der Einführung des § 1904 Abs. 2 BGB 163 b) Wirksamkeitsvoraussetzungen
164
aa) Entscheidungsfähigkeit
165
bb) Aufklärung
166
cc) Form und Konkretheit
167
(1) Form
167
(2) Konkretheit
168
dd) Aktualität
173
c) Betreuung und Vorsorgevollmacht 5. Betreuungsverfügung
175 178
3. Teil Rechtslage bei bereits eingerichteter Betreuung I. Möglichkeiten der Betreuung in medizinischen Angelegenheiten
180 180
1. Betreuung eines entscheidungsfähigen Patienten
180
2. Betreuung eines möglicherweise entscheidungsunfähigen Patienten
180
3. Betreuung eines entscheidungsunfähigen Patienten
185
II. Vertretungsmacht des Betreuers 1. Verfassungsrechtliche Aspekte
185 187
a) Die Geltung der Grundrechte im Betreuungsrecht
187
b) Der Schutz des Lebens gemäß Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG
189
aa) Interessen des einzelnen Rechtsgutsträgers an der Lebenserhaltung ... 190 bb) Interessen der Gesellschaft an einem umfassenden Lebensschutz c) Die Gewährleistung der Menschenwürde gemäß Art. 1 Abs. 1 GG aa) Begriff der Menschenwürde bb) Das Recht auf einen würdigen Tod
191 194 195 196
(1) Positiver Gehalt
197
(2) Eingriffe
197
cc) Konsequenzen für die Vertretungsmacht eines Betreuers d) Das Recht auf Freiheit von Schmerzen
199 200
Inhaltsverzeichnis e) Das Selbstbestimmungsrecht des Patienten aa) Herleitung und Inhalt des Selbstbestimmungsrechts des Patienten
201 201
bb) Das Selbstbestimmungsrecht des Patienten aus moraltheologischer Sicht 203 f) Das Recht auf Glaubens-, Gewissens- und Weltanschauungsfreiheit gemäß 204 Art. 4 GG g) Die Durchsetzung der Rechte des Patienten durch den Betreuer 2. Höchstpersönlichkeit der Entscheidung
206 209
a) Der Meinungsstand zur Zeit der Geltung des Vormund- und Pflegschaftsrechts
209
b) Die Rechtslage nach dem geltenden Betreuungsrecht
210
3. Ziele des Betreuungsgesetzes
217
4. Aufgabenkreis des Betreuers im einzelnen
219
a) Entscheidung eines besonderen Betreuers analog § 1899 Abs. 2 BGB b) Aufgabenkreis in concreto
224 226
aa) „Gesundheitssorge"
226
bb) „Alle Angelegenheiten"
228
cc) „Zuführung zu ärztlichen Maßnahmen"
229
dd) „Heilbehandlung"
230
ΙΠ. Maßstäbe für das Handeln des Betreuers
232
1. Pflicht zur Befolgung von Wünschen, § 1901 Abs. 3 Satz 1, 1. HS., Satz 2 BGB 233 a) Aktuelle Wünsche des Betreuten
233
b) Frühere Wünsche des Betreuten
234
2. Einschränkung durch das Kriterium der Unzumutbarkeit, § 1901 Abs. 3 Satz 1, 2. Alt. BGB
237
3. Einschränkung durch das Kriterium des Wohls, § 1901 Abs. 3 Satz 1, 1. Alt. BGB 238 a) Der Begriff des „Wohls" im Sinne des § 1901 Abs. 3 Satz 1,1. Alt. BGB .. 238 b) Irreversible Bestimmung des Betreutenwohls durch frühere Äußerungen des Betreuten 239 c) Konkretisierung des Begriffs des „Wohls" des Patienten
241
aa) Rückgriff auf gesetzliche Maßstäbe
242
bb) Subjektiver Ansatz
243
cc) Objektiver Ansatz
243
dd) Kombiniert subjektiv-objektiver Ansatz
245
14
Inhaltsverzeichnis
IV. Erfordernis einer vormundschaftsgerichtlichen Genehmigung 1. Anwendbarkeit des § 1904 Abs. 1 BGB a) Auslegung und Subordination
251 251 251
aa) Palliativ-medizinische Maßnahmen
252
bb) Lebensverlängernde bzw. lebenserhaltende Maßnahmen
255
b) Analoge Anwendung des § 1904 Abs. 1 BGB aa) Lücke
256 257
(1) Gesetzeslücke
259
(2) Qualifiziertes Schweigen des Gesetzgebers
260
(a) Rechtsfreier Raum
260
(b) Argumentum e contrario
262
(3) Planwidrigkeit
266
(a) Bewertungsmaßstab
266
(b) Wertungen
267
bb) Lückenfüllung durch Analogieschluß (1) Selbstbestimmungsrecht des Betreuten
269 270
(2) Mitübernahme von Verantwortung und haftungsrechtliche Exkulpation 272 (a) Notwendigkeit einer haftungsrechtlichen Entlastung
272
(b) Exkulpation durch die vormundschaftsgerichtliche „Außengenehmigung" 273 (3) Schutz des Lebens
276
(4) Kontrolle von Betreuer und Arzt
278
(5) Psychologische Entlastung
278
c) Zwischenergebnis
279
d) Singularia non sunt extenda
280
2. Kritik an einer Prozeduralisierung passiver Sterbehilfe
284
a) Die Alternative einer vormundschaftsgerichtlichen Beratung
284
b) Rechtstatsächliche und rechtsethische Aspekte
286
3. Das Verfahren vor dem Vormundschaftsgericht V. Zusammenfassung
291 295
Inhaltsverzeichnis
15
4. Teil Rechtslage bei noch nicht eingerichteter Betreuung I. Erforderlichkeit der Bestellung eines Betreuers
297 297
1. Der Grundsatz der Erforderlichkeit (§ 1896 Abs. 2 BGB)
297
2. Willensbefolgung durch den Arzt
299
a) Ärztliches Handeln im klinischen Alltag
300
b) Rechtfertigungsmedizin
303
c) Wissenschaftliches Interesse der Ärzte und die Haltung des Pflegepersonals
306
d) Die Richtlinien der Bundesärztekammer sowie berufs- und standesrechtliche Regelungen 309 e) Ärztliche Entscheidungen unter Beratung durch Ethik-Kommissionen
312
aa) Entstehung und Begriff der Ethik-Kommission
313
bb) Vor- und Nachteile der Ethik-Beratung
318
3. Willensbefolgung durch den Hausarzt
323
4. Vorteile einer grundsätzlichen Entscheidungsbefugnis des Betreuers gegenüber einer ärztlichen Entscheidungsbefugnis 325 5. Gefahren der Betreuung
335
a) Unpersönliche Verwaltung des Sterbens
335
b) Überforderung des Betreuers
339
c) Grundsätzliche Erforderlichkeit der Bestellung eines Betreuers
349
6. Erforderlichkeit bei Vorliegen einer Patientenverfügung
350
7. Erforderlichkeit bei Vorliegen einer Vorsorgevollmacht
353
a) Subsidiarität der Betreuung gegenüber der Bevollmächtigung
353
b) Zeitliche Möglichkeit der Entscheidung eines Bevollmächtigten
357
c) Vormundschaftsgerichtliche Genehmigung und Vorsorgevollmacht
357
d) Entscheidungsmaßstäbe für das Handeln des Bevollmächtigten
362
8. Zwingende ärztliche Kompetenzen
364
a) Fachliche Kompetenz für die Prognoseentscheidung
364
b) Entscheidung über die Verteilung knapper Ressourcen
364
9. Ergebnis
371
16
Inhaltsverzeichnis Π. Zeitliche Möglichkeit der Bestellung eines Betreuers
371
1. Passive Sterbehilfe im weiteren Sinne
371
2. Passive Sterbehilfe im engeren Sinne
372
a) Fälle einfacher Dringlichkeit
374
b) Fälle besonderer Dringlichkeit
377
Gesamtergebnis
381
Literaturverzeichnis
385
Sachverzeichnis
417
L Teil
Dogmatische Grundlagen I. Problemstellung Tod und Sterbehilfe sind Themen, die in den vergangenen Jahren zum Gegenstand einer breiten öffentlichen Diskussion geworden sind. Dazu haben vor allem aufsehenerregende Gerichtsentscheidungen beigetragen: das sog. „Kemptener Marienheim-Urteil" des Bundesgerichtshofs vom 13. September 19941 und der Beschluß des OLG Frankfurt/M. vom 15. Juli 1998.2 Vor allem diese Entscheidungen waren Anlaß, daß sich die zivilrechtliche Abteilung des 63. Deutschen Juristentags zu Leipzig 2000 den in der Allgemeinheit wie der juristischen Fachwelt kontrovers diskutierten Fragen von Zulässigkeit, Voraussetzungen und Grenzen passiver Sterbehilfe angenommen hat. Aber auch die Medizinisch-Ethischen Richtlinien für die ärztliche Betreuung sterbender und cerebral schwerst geschädigter Patienten der Schweizerischen Akademie der Medizinischen Wissenschaften (SAMW) vom 24. 5. 19953 und die neuen Grundsätze der Bundesärztekammer zur ärztlichen Sterbebegleitung vom 11.9. 19984 haben zu einer Belebung der öffentlichen Debatte darüber geführt, wie menschenwürdig mit Patienten umzugehen ist, deren Krankheit in mehr oder weniger kurzer Zeit zum Tode führen wird (sog. terminale Erkrankung). Das Leben Todkranker oder hoffnungslos kranker Patienten mit nur wenig oder gar keiner Aussicht auf Heilung ist durch die fortschreitenden medizinischen und pharmakologischen Möglichkeiten fast beliebig verlängerbar geworden. Wurden diese ursprünglich entwickelt, um Krankheitszustände überwinden zu können, so dienen sie heute vielfach auch dazu, ausgefallene vitale Funktionen der Patienten zu ersetzen. Dem Arzt ist es deshalb möglich, das erlöschende Leben eines ster1 BGH, Urt. v. 13. 9. 1994, BGHSt 40, 257 ff. = NJW 1995, 204 ff. = MedR 1995, 72 ff. = JR 1995, 335 ff. = MDR 1995, 80 ff. = NStZ 1995, 80 ff. 2 OLG Frankfurt/M., Beschl. v. 15. 7. 1998, NJW 1998, 2747 ff. = JZ 1998, 799 ff. = FamRZ 1998, 1137 ff. = JR 1999, 71 ff. = ArztR 1999, 38 ff. = OLGR 1998, 245 ff. = RdLH 1998, 136 f. = Rpfleger 1998, 424, 425 = BtPrax 1998, 186 f. = FGPrax 1998, 138 f. = RuP 1998, 207 f. = MDR 1998, 1483 f. = MedR 1998, 519 f. = MittRhNotK 1998, 424 f. = Rmedizin 1999, 79 f. 3 Vgl. NJW 1996, 767 ff. - Dazu unter anderem Laufs, NJW 1996, 763 f. sowie Steffen, NJW 1996, 1581. 4 Vgl. NJW 1998, 3406 f. (im folgenden: RiLi BÄK). 2 Heyers
18
1. Teil: Dogmatische Grundlagen
benden Patienten auch noch im Endstadium durch einen Eingriff für kürzere oder längere Zeit zu erhalten und damit den Todeseintritt hinauszuzögern. Dies kann etwa durch die Gabe analeptischer, also bestimmte körperliche Funktionszentren belebender Medikamente, durch Bluttransfusionen, Aufrechterhaltung oder Wiedererweckung der Atmung und des Blutkreislaufes durch Reanimatoren und Respiratoren, durch Transplantationen und sonstige Operationen - etwa zur Behebung einer interkurrenten Erkrankung - erfolgen. Darüber hinaus hat die Pflegetechnik große Fortschritte gemacht - Ernährung In vielen Fällen über PEG5-Sonden, Katheterisierung, 6 Wechseldruckmatratzen leben deshalb irreversibel bewußtlose Patienten, die sich noch nicht im Sterben befinden, recht lange in einem vegetativen Zustand und sind unfähig zur Kommunikation und Wahrnehmung der Umwelt. Im angelsächsischen Bereich wurde für die Gruppe von Kranken, die ihr Bewußtsein irreversibel verloren haben, der Begriff „Persistant Vegetative State" (PVS) geprägt. Damit soll ausgedrückt werden, daß die für das Bewußtsein wesentlichen Hirnfunktionen ausgefallen sind, aber die für das Leben nötigen „vegetativen" Funktionen - wie die des Stammhirns, des vegetativen Nervensystems und anderen - noch funktionieren. Der Tod dieser Patienten tritt heute fast nie von selbst ein, sondern ist Folge einer Entscheidung, auf eine künstliche Lebenserhaltung zu verzichten.7 Vielfach gehen dem Tod Siechtum und Todeskampf voraus. Es ist eine negative Folge der Errungenschaften moderner medizinischer Technik, daß nur wenige Menschen einen Tod ohne Demütigungen, Auflösung und Zerfall erleben dürfen. Viele wollen eine mit medizinischen Mitteln bewirkte dauerhafte Bewußtlosigkeit, Bewegungsunfähigkeit, Multimorbidität und Schwerstpflegebedürftigkeit nicht in Kauf nehmen, sondern würdevoll sterben. In den zuvor erwähnten Fällen stellt sich demnach die Frage, unter welchen Voraussetzungen lebensnotwendige Behandlungsmaßnahmen unterbleiben können, dürfen oder gar müssen und wie zu verfahren ist, wenn ein Patient selbst nicht mehr über ihren Einsatz befinden kann, durchaus dringlich. Neben diesen individuellen Interessen ist zudem auf die sozialen und ökonomischen Komponenten dieses Problems hinzuweisen. Angesichts der Kostenexplosion im Gesundheitsund Sozialwesen stellt in Zeiten abnehmenden Wohlstands die zunehmende Zahl der schwerstpflegebedürftigen Menschen nach Ansicht vieler eine nicht mehr tragbare und zu rechtfertigende ökonomische Belastung für die Gesellschaft dar. Hinzu kommt, daß diese Menschen aufgrund des Zerfalls von Familien und einer zuneh5 PEG = Percutane Endoskopisch kontrollierte Gastronomie = Ernährungssonde, die unter Umgehung aller normalen Nahrungsaufnahme-Organe den Magen direkt durch die Bauchdecke erreicht und die täglich erforderliche Kalorienmenge in den Magen bringt. Vgl. dazu näher Hubert-Fehler/Hollmann, BtPrax 1996, 210 ff. 6 Ein Katheter ist ein röhren- oder schlauchförmiges Instrument, das zum Einführen in bestimmte Hohlorgane, Gefäße und ähnliches bestimmt ist. Mit seiner Hilfe lassen sich im allgemeinen Spülungen vornehmen, Proben gewinnen, Untersuchungen durchführen und Körperfunktionen überwachen bzw. steuern. 7 Giesen, JZ 1990, 929,929.
II. Fallgruppen der Sterbehilfe
19
menden „Single"-Gesellschaft nicht mehr in Familien betreut werden können. Dies löst Ängste vor einer unwürdigen Betreuung in Pflegeinstitutionen aus und führt zu einer weiteren ökonomischen Belastung der Allgemeinheit.
II. Fallgruppen der Sterbehilfe Die zuvor aufgezeigten Probleme haben zu einer lebhaften Diskussion darüber geführt, ob und inwieweit eine Relativierung des Lebensschutzes statthaft und geboten ist. Im Rahmen dieser Diskussion hat sich eine Ordnung der vielschichtigten Problematik in bestimmte - allerdings bisweilen unterschiedlich bezeichnete Fallgruppen herausgebildet, die sich in Beiträgen aus medizinischer, juristischer, philosophischer und theologischer Literatur wiederfindet.
1. Aktive Sterbehilfe Als sog. aktive Sterbehilfe bezeichnet man die absichtliche und aktive Beschleunigung des Todeseintritts,8 insbesondere in Form einer „Vernichtung lebensunwerten Lebens". Geschieht dies auf Wunsch des Patienten, so ist es de lege lata gemäß § 216 StGB strafbar; geschieht es ohne Begehren des Patienten, kommt eine Strafbarkeit gemäß den §§ 211 ff. StGB in Betracht. 9 Denn weder gibt es ein Leben, das generell vom Schutzbereich der Tötungstatbestände ausgenommen wäre, weil es von vermeintlich „geringerem Wert" sei, noch findet sich dafür ein besonderer Rechtfertigungsgrund. Anderes gilt nur dann, wenn keine täterschaftliche Fremdtötung auf Verlangen, sondern eine straflose Beihilfe zum Selbstmord vorliegt. 10 Aktive Sterbehilfe, in welcher Form auch immer, ist jedoch nicht nur strafbar; sie wird auch von allen ärztlichen Standesregeln ausdrücklich abgelehnt.11 De lege ferenda wird die Legalisierung der Tötung auf Verlangen jedoch vereinzelt immer wieder gefordert. Die Vorschläge reichen von einer weitgehenden Beseitigung des Tatbestands12 bis zu einer bloßen Straflosigkeit für extreme Konfliktlagen. 13 Dane8 Vgl. beispielsweise Engisch, Suizid und Euthanasie nach deutschem Recht, 315; Schmitt, MDR 1986, 617, 620; v. Lutterotti, Sterbehilfe, in: Lexikon Medizin - Ethik Recht, Sp. 1086, 1093. 9 Statt vieler für das Verbot jeder Form von aktiver Sterbehilfe Dölling, MedR 1987, 6, 8; Taupitz, Gutachten 63. DJT, A 49; Laufs, NJW 1999, 1758, 1761. - Gegen die Legalisierung der aktiven Sterbehilfe auch die Parlamentarische Versammlung des Europarates vom 25. 6. 1999, vgl. dazu etwa Taupitz, Gutachten 63. DJT, A 49. 10 Zur Abgrenzungsproblematik Eser, in: S/S, Vor §§ 211 ff. Rz. 25, 33 ff., § 216 Rz. 11. h Dazu stellvertretend RiLi BÄK v. 11. 9. 1998, Präambel. 12 So beispielsweise Schmitt, FS Mäurach, 113 ff. 13 Vgl. § 216 Abs. 2 AE-Sterbehilfe; Beschlüsse des 56. DJT, Sitzungsberichte, M 193, sub II. 5.; Engisch, Der Arzt an den Grenzen des Lebens, in: Eser, Suizid und Euthanasie, 52.
2*
20
1. Teil: Dogmatische Grundlagen
ben erwägen einzelne Autoren auch nach geltendem Recht für Extremsituationen eine Rechtfertigung nach Notstandsgrundsätzen14 oder einen entschuldigenden, übergesetzlichen Notstand.15 Vor allem angesichts der jüngsten Entwicklung in den Niederlanden 16 sind in neuerer Zeit wieder Forderungen nach der Erlaubtheit aktiver Sterbehilfe laut geworden. 17 Diese Forderungen beruhen indes auf der 14 Herzberg, NJW 1986, 1635, 1639 ff.; Simson, FS Schwinge, 89, 108. 15 Baronin von Dellingshausen, 349; Engisch, FS Dreher, 309, 320. 16
Als erstes und bisher einziges europäisches Land haben die Niederlande schon 1973 begonnen, aktive Sterbehilfe zu regeln. Inzwischen ist sie bei Schwerstkranken selbstverständlich geworden, und zwar unabhängig davon, ob eine schriftliche Einwilligung des Patienten vorliegt oder nicht. Zwar war auch nach niederländischem Recht die Tötung auf Verlangen bis in die jüngste Zeit strafbar, doch wurde sie tatsächlich toleriert. In der dortigen Rechtswissenschaft herrschte die Auffassung vor, daß die aus der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts stammende Norm Euthanasie im Rahmen der Medizin nicht erfasse, weil diese zu damaliger Zeit gänzlich unbekannt war; im übrigen sei der behandelnde Arzt jedenfalls aus Notstand gerechtfertigt. Aktive Sterbehilfe leistende Ärzte gingen straffrei aus, wenn sie achtundzwanzig Punkte eines Bedingungskatalogs einhielten, der in den Richtlinien der Königlich-Niederländischen Gesellschaft zur Förderung der Heilkunst (KNMG) niedergelegt war. Insbesondere wurden gefordert: ein freiwilliges, wohlüberlegtes und anhaltendes Verlangen nach dem Tod, unerträgliches Leiden und kollegiale Beratung. Der Arzt war verpflichtet, jeden Fall der Staatsanwaltschaft unter Angabe der Krankengeschichte, Art und Weise der Sterbehilfe und Konsultation von Arztkollegen zu melden, um sein Handeln im Notstand glaubhaft zu machen. Die Pflicht zur Leidensminderung mußte für ihn schwerer gewogen haben als die Pflicht zur Lebenserhaltung (vgl. auch Markenstein, in: Taupitz, Rz. NL 59 ff.; Benzenhöfer, Der gute Tod?, 175 ff.; Admiraal, 4 ff.). - Per Gesetz vom 28. November 2000 hat das niederländische Parlament - als bislang einziges weltweit - mit breiter Mehrheit (140:40) jedoch nunmehr sogar aktive Sterbehilfe gesetzlich legalisiert. Ärzte dürfen das Leben eines Patienten beenden, wenn dieser an einer irreversibel tödlich verlaufenden Erkrankung in unerträglichem Maße leidet und ausdrücklich mehrmals um aktive Sterbehilfe gebeten hat. Es muß eine freiwillige schriftliche Erklärung des Kranken vorliegen, daß er sein Leben beenden will. Der handelnde Arzt muß des weiteren einen zweiten Arzt konsultieren, und beide Ärzte müssen zu der Entscheidung kommen, daß es zur Lebensbeendigung vernünftigerweise keine Alternative gibt. Die Mediziner müssen sich außerdem der Kontrolle von regionalen Sonderausschüssen unterwerfen. Nach dem Tod des Patienten soll auch der Leichenschauer über den Sachverhalt informiert werden. Sodann wird von diesen Kontrollinstanzen entschieden, ob die Staatsanwaltschaft eingeschaltet wird. Die Regelung soll auch Minderjährigen das Recht auf aktive Sterbehilfe gewähren, wenngleich in den Niederlanden jährlich bislang durchschnittlich nur einmal eine solche Situation entsteht (vgl. NZZ v. 29. 11. 2000, 5): Während schwer kranke Jugendliche zwischen zwölf und sechzehn Jahren zusätzlich zu ihrer Behandlungsanweisung die Zustimmung der Eltern vorlegen müssen, haben Jugendliche über 16 Jahre ihre Eltern lediglich über ihre Entscheidung zu informieren. Mit dem Gesetz hat das Parlament auf die Tatsache reagiert, daß zuletzt jährlich etwa 20000 Anfragen nach aktiver Sterbehilfe eingereicht wurden und nach offiziellen Angaben 2216 Menschen mit aktiver Hilfe ihres Hausarztes starben; die Dunkelziffer dürfte sogar bei ca. 4000 Menschen liegen (vgl. dazu Weidemann, SZ v. 25. 11. 2000, 8; Hoppe, Statement der BÄK v. 12. 12. 2000, 3). Die Regelung ist in Deutschland auf heftigste Kritik gestoßen (vgl. die Pressemitteilung des BMJ v. 30. 11. 2000, 1: „schlimmer Tabubruch", Pressemitteilung der Deutschen Hospiz-Stiftung Nr. 16/2000, 1: „Katastrophe", „Skandal"). 17 Etwa von Küng, in: Jens/Küng, 47 ff.; Hoerster, Sterbehilfe im säkularen Staat, 167 ff.; ders., ZRP 1988, 1 ff. Mit der Rechtfertigung „freiwilliger Euthanasie" durch Singer setzt
II. Fallgruppen der Sterbehilfe
21
rechtlich unzutreffenden Auffassung, 18 es bestehe ein Recht des Menschen, über sein Leben und den Zeitpunkt seines Todes selbst zu disponieren, indem der natürliche Lauf des Lebens aktiv beeinflußt wird. Dem liegt vor allem ein Irrtum über die tatsächliche Situation und die tatsächlichen Wünsche Sterbender zugrunde. Aus zahlreichen Untersuchungen und Erfahrungen der Hospizarbeit geht deutlich hervor, 19 daß der Wunsch eines Sterbenskranken, man möge doch etwas tun, damit das Leiden ein Ende nehme, in aller Regel einen Hilferuf bedeutet, nämlich den Wunsch nach wirkungsvollerer Hilfe und vielleicht besserer Schmerzbekämpfung. Kaum je wird man darin aber den direkten Wunsch erblicken können, getötet zu werden. Je besser die Betreuung des Schwer- oder Terminalkranken ist, desto seltener wird im übrigen ein derartiges Begehren geäußert. Gegen die Legalisierung aktiver Sterbehilfe spricht weiter, daß das Risiko von Fehleinschätzungen durchaus nicht gering ist: Die Prognose, daß der Leidenszustand eines Patienten irreversibel ist, wird sich in zahlreichen Fällen nicht mit hinreichender Gewißheit aufstellen lassen. Aktive Sterbehilfe nimmt dem Patienten jedoch jede Chance, noch eine objektiv mögliche Besserung seines Zustands zu erleben. Es kann freilich selten Situationen geben, in denen menschliche Würde mit der Dauer des Sterbeprozesses in Konflikt zu geraten und die einzig noch mögliche Hilfe in der Herbeiführung des Todes zu bestehen scheint. Falls ein Arzt oder sonstiger Helfer in sorgfältiger Beurteilung der Lage zu dieser Schlußfolgerung kommt und entsprechend handelt, da er die Verletzung menschlicher Würde als das größere Übel ansieht, muß das zwar ethisch nicht zwingend verwerflich sein. Die soeben beschriebenen rechtlichen Folgen jedoch muß er auf sich nehmen.
2. Indirekte Sterbehilfe Wenn ein Sterbender unter solch erheblichen Schmerzen leidet, daß ihre Beseitigung oder Linderung derart hohe Dosen an Schmerzmitteln erfordert, daß sie als unbeabsichtigte Nebenwirkung den Sterbeprozeß des Patienten beschleunigt, spricht man von sog. „indirekter Sterbehilfe" bzw. „aktiver indirekter" Sterbehilfe. 20 Die praktische Bedeutung dieser Problematik ist nicht unumstritten. Einerseits sollen moderne Schmerzmittel diese Folgen weitgehend vermeiden, 21 ande-
sich Hruschka, JZ 2001, 261, 268, kritisch auseinander. - Vgl. zum Ganzen auch Hoppe, Statement der BÄK v. 12. 12. 2000, 1. is Vgl. dazu näher sub 3. Teil, II. 1. b. 19 Vgl. dazu beispielsweise Uhlenbruck, Selbstbestimmtes Sterben, 162 ff.; Kübler-Ross, Interviews mit Sterbenden, passim; Westerhäll, in: Taupitz, Rz. S 88. 20 BGH, Urt. v. 15. 11. 1996, NJW 1997, 807 ff.; K. M. v. Lutterotti, 10; Schmitt, MDR 1986, 617, 620. 21 So etwa Kutzer, NStZ 1994, 110, 114; Menzel, Ziel und Grenzen ärztlichen Handelns, in: Auer/Menzel/Eser, Zwischen Heilauftrag und Sterbehilfe, 58.
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1. Teil: Dogmatische Grundlagen
rerseits wird die vitalisierende Wirkung einer erfolgreichen Schmerzbekämpfung als grundsätzlich überwiegend angesehen.22 Im Ergebnis steht die rechtliche Zulässigkeit einer solchen Behandlung jedenfalls außer Streit, soweit sie nicht gegen den Willen des Patienten erfolgt. 23 Unter dieser Voraussetzung hat der Dritte Strafrechtssenat des Bundesgerichtshofs die Zulässigkeit indirekter Sterbehilfe in seinem Urteil vom 15. November 1996 anerkannt. 24 In der medizinrechtlichen Literatur wird auch darauf abgestellt, daß der Arzt verpflichtet sei, eine schmerzlindernde Behandlung vorzunehmen, und von „gebotener Sterbehilfe" gesprochen.25 Für die Straflosigkeit des Arztes hat sich allerdings eine einheitliche Begründung noch nicht durchsetzen können, und die im Schrifttum vertretenen Auffassungen setzen an allen drei Ebenen des Verbrechensaufbaus an: Nach einer Ansicht wird im Wege einer teleologischen Reduktion der §§ 211 ff. StGB bereits ihr objektiver Tatbestand ausgeschlossen,26 während andere den subjektiven Tatbestand mangels Tötungsvorsatzes entfallen lassen wollen. 27 Eine dritte Auffassung sieht die Voraussetzungen rechtfertigenden Notstands als gegeben an, zum Teil in Verbindung mit Elementen der Einwilligung oder einer rechtfertigenden Pflichtenkollision. 28 Ebenso wird eine Rechtfertigung kraft „erlaubten Risikos" 29 oder unter Berufung auf das Prinzip der Güter- und Pflichtenabwägung 30 erwogen. Der Bundesgerichtshof hat die Frage der dogmatischen Begründung nicht entschieden, tendiert aber deutlich zu einer Lösung über die Regeln des rechtfertigenden Notstands.31
22 Μ. v. Lutterotti, in: 56. DJT, Sitzungsberichte, M 111 f. 23 Auch das Bundesministerium für Gesundheit (BMG) weist in seinem Arbeitspapier vom 22. 12. 1999, sub I., darauf hin, daß „Kranken in der letzten Phase [ihres ... ] Lebens schmerzstillende Mittel selbst dann verabreicht werden dürfen, wenn diese sich im Einzelfall lebensverkürzend auswirken können, soweit dies auch dem tatsächlichen oder mutmaßlichen Willen des Patienten entspricht". 24 BGH, Urt. v. 15. 11. 1996, NJW 1997, 807, 810. 25 Deutsch, Sterbehilfe und Euthanasie als rechtliches Problem, in: Deutsch/Kleinsorg/ Ziegler, 58. 26 Jähnke, in: LK, 10. Aufl., Vor § 211 Rz. 15, 17. 27 Bockelmann, Strafrecht des Arztes, 25, 70. 28 Baronin von Dellingshausen, 185 ff.; Deutsch, Sterbehilfe und Euthanasie als rechtliches Problem, 58; Merkel, Ärztliche Entscheidungsprobleme zwischen Leben und Tod, 172 ff.; Hirsch, FS Lackner, 609; Kutzer, NStZ 1994,110, 115. 29 Eser, in: S/S, Vor §§ 211 ff. Rz. 26. 30 Roxin, Schutz des Lebens aus der Sicht des Juristen, 87 f. 31 BGH, Urt. v. 15. 11. 1996, NJW 1997, 807, 810: „Denn die Ermöglichung eines Todes in Würde und Schmerzfreiheit gemäß dem erklärten oder mutmaßlichen Willen des Patienten ist ein höherwertiges Rechtsgut als die Aussicht, unter schwersten, insbesondere sog. Vernichtungsschmerzen noch kurze Zeit länger leben zu müssen".
II. Fallgruppen der Sterbehilfe
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3. Passive Sterbehilfe Die nach ihrer praktischen Bedeutung wichtigste und im Rahmen der vorliegenden Arbeit eingehend zu behandelnde Fallgruppe bildet der Verzicht auf Behandlungsmaßnahmen, gleich ob diese schon nicht aufgenommen oder später abgebrochen werden. Die Frage, ob technisch mögliche medizinische Maßnahmen, die das Leben nur um eine mehr oder weniger kurze Frist verlängern können, auch dann noch durchgeführt werden sollen, wenn sie von den Beteiligten als sinnlos empfunden werden, stellt sich bei der Betreuung Schwerkranker und Sterbender immer wieder. Wird auf solch lebensnotwendige Behandlungsmaßnahmen verzichtet, so spricht man von passiver Sterbehilfe. Hier ist zwischen zwei Fallgruppen zu unterscheiden.
a) Verzicht auf lebensverlängernde Behandlungsmaßnahmen als sog. „passive Sterbehilfe im engeren Sinne" Ein Verzicht auf eine lebensnotwendige Behandlung kommt einerseits bei sterbenden Patienten in Betracht. Ein Patient gilt als Sterbender, wenn „eine oder mehrere vitale Funktionen irreversibel versagen" und der „Eintritt des Todes in kurzer Zeit zu erwarten ist". 3 2 Werden Maßnahmen zur Verlängerung des Lebens solcher Patienten nicht aufgenommen oder abgebrochen, so spricht man von passiver Sterbehilfe im engeren Sinne oder „Hilfe beim Sterben" bzw. einem Verzicht auf lebensverlängernde Behandlungsmaßnahmen.33 Dies setzt voraus, daß „das Grundleiden eines Kranken nach ärztlicher Überzeugung unumkehrbar (irreversibel) ist, einen tödlichen Verlauf angenommen hat und der Tod in kurzer Zeit eintreten wird". 3 4 Maßnahmen zur Verlängerung des Lebens können unter noch näher zu präzisierenden Voraussetzungen35 unterlassen oder nicht weitergeführt werden, insbesondere wenn der Todeseintritt nur verzögert werden würde und weil die Krankheit ohnehin nicht mehr aufgehalten werden kann. Auf jede Form ärztlicher Behandlung darf jedoch nicht verzichtet werden: Der Arzt ist vielmehr zu palliativ-medizinischen Behandlungsmaßnahmen verpflichtet und muß für eine Basisbetreuung sorgen. 36 Unter palliativer Medizin versteht man im allgemeinen Behandlungsme32 Vgl. RiLi BÄK v. 11. 9. 1998, sub I., sowie Opderbecke/Weißauer, MedR 1998, 395, 398. 33 BGH, Urt. v. 13. 9. 1994, NJW 1995, 204, 204 - „Kemptener Urteil"; Gambke, BDI-RS 1995,135,135. 34 So BGH, Urt. v. 13. 9. 1994, NJW 1995, 204, 204 (Hervorhebung im Original). Vgl. auch Ulsenheimer, Internist 2000,648, 651. 35 Vgl. dazu sogleich sub IV. 36 Vgl. RiLi BÄK v. 11. 9. 1998, DÄB1. 1998, B-1852, B-1852 sub I.
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1. Teil: Dogmatische Grundlagen
thoden, die nicht die Ursachen einer Krankheit betreffen, sondern ihre Symptome. 37 Die Weltgesundheitsorganisation WHO definiert Palliativmedizin als „die aktive ganzheitliche Behandlung von Patienten mit einer progredienten, weit fortgeschrittenen Erkrankung und einer begrenzten Lebenserwartung zu der Zeit, in der die Erkrankung nicht mehr auf kurative Behandlung anspricht und die Beherrschung der Schmerzen, anderer Krankheitsbeschwerden, psychologischer, sozialer und spiritueller Probleme höchste Priorität besitzt". 38 Die Deutsche Gesellschaft für Palliativmedizin vertritt inhaltlich eine identische Position, hat aber eine gegenüber der Definition der WHO prägnantere Begriffsbestimmung entwickelt: „Palliativmedizin ist die Behandlung von Patienten mit einer nicht heilbaren progredienten und weit fortgeschrittenen Erkrankung mit begrenzter Lebenserwartung, für die das Hauptziel der Begleitung die Lebensqualität ist". 3 9 Wenngleich Palliativmedizin nicht zwingend mit sterbebegleitender Medizin gleichzusetzen ist, findet sie dort, namentlich bei der Behandlung von Patienten mit unheilbaren Tumorerkrankungen, 40 ihren nahezu ausschließlichen Anwendungsbereich. 41 Neben tumorerkrankten Patienten widmet sie sich auch Patienten, die an Aids, schwersten neurologischen, kardialen, respiratorischen oder renalen Erkrankungen im Terminalstadium leiden. Palliativmedizin erfolgt insbesondere in Form von medikamentöser Symptomkontrolle, beispielsweise bei Schmerzen, Dyspnoe, Nausea, Emesis, Obstipation oder praefinalem Rasseln, und interventioneller Therapie, ζ. B. Stents, Lasertherapie oder ähnlichem. Dagegen rechnet man beispielsweise Chemotherapie herkömmlicherweise nicht zu palliativ-medizinischen Maßnahmen, weil sie nicht darauf angelegt ist, die Lebensqualität des Patienten zu verbessern, sondern seine Krankheit zu bekämpfen, 42 wenngleich es auch davon abweichende Formen palliativer Chemotherapie gibt. Im Vordergrund palliativ-medizinischer Maßnahmen steht die Schmerzbekämpfung, da die Lebensqualität vor allem durch Schmerzen beeinträchtigt wird. Die Verpflichtung des Arztes zur Schmerzbekämpfung hat der Bundesgerichtshof wie folgt beschrieben: „Mit der Übernahme der Behandlung entsteht die Verpflichtung des [ . . . ] Arztes, dem Kranken nach Möglichkeit zu helfen. Ist die 37
Der Begriff „Palliativmedizin" leitet sich vom lateinischen Wort palliare ab und bedeutet in wörtlicher Übersetzung „mit einem Mantel umhüllen". Dadurch wird deutlich, daß die Palliativmedizin nicht darauf ausgerichtet ist, eine definierte Krankheit spezifisch zu bekämpfen oder gar zu heilen, sondern daß es ihr vordringliches Ziel ist, einem von einer schweren Krankheit bedrohten Menschen zu helfen, indem Schmerzen und andere krankheitsassoziierte Symptome gelindert werden. 38
Vgl. etwa den Newsletter No. 1 /1989 der European Association for Palliative Care. Diese Definition findet sich etwa bei Radbruch /Zech, Definitionen, Entwicklung und Ziele der Palliativmedizin, in: Aulbert/Zech, Lehrbuch der Palliativmedizin, 1. 40 1999 nahmen rund 60% der Palliativstationen solche Patienten auf, vgl. Klaschik/ Nauck/Radbruch/Sabatowski, Internist 2000, 606, 608. 39
Klaschik/Nauck/Radbruch/Sabatowski, Internist 2000, 606, 606. « Dazu eingehend Klaschik/Nauck/Kern, Zeitschr. f. Ärztl. Fortbildung 92 (1998), 53, 53.
II. Fallgruppen der Sterbehilfe
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Wiederherstellung der Gesundheit unmöglich, so besteht jedenfalls die Pflicht, die Schmerzen des Patienten im Rahmen des Möglichen zu lindern. Gerade wegen der vom [ . . . ] Arzt erkannten Unheilbarkeit des Kranken war gewissenhafte Prüfung, inwieweit diesem die Erduldung von Schmerzen zuzumuten war, geboten". 43 Ein Arzt, der eine ausreichende Schmerzbehandlung unterläßt, macht sich unter Umständen wegen fahrlässiger Körperverletzung durch Unterlassen strafbar, § 230 StGB, zudem ist er gegenüber dem Patienten grundsätzlich zivilrechtlich haftbar (positive ForderungsVerletzung des BehandlungsVertrages, §§ 823 ff. BGB). 44 Trotz dieser eindeutigen Rechtslage bestehen zwischen der rechtlichen und ethischen Gebotenheit einer hinreichenden Schmerztherapie und der klinischen Praxis Diskrepanzen: Anfang der neunziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts haben ärztliche Berufsverbände erhebliche Defizite bei der Realisierung des Anspruchs des Patienten auf eine angemessene Schmerzbehandlung aufgedeckt. Sie konstatieren in neuerer Zeit, daß es trotz des Stufenplanes der WHO zur Behandlung von Tumorschmerzen aus dem Jahre 1986 in diesem Bereich immer noch Defizite zu verzeichnen gibt. Bis zu 80% schwerstkranker Patienten werden nach Daten der WHO nicht ausreichend mit dem Ziel behandelt, Schmerzen zu stillen. 45 Zu der weiterhin gebotenen ärztlichen Basisbetreuung zählen vor allem menschenwürdige Unterbringung, Zuwendung, Körperpflege sowie das Stillen von Durst. 46
b) Verzicht auf lebenserhaltende Behandlungsmaßnahmen als sog. „passive Sterbehilfe im weiteren Sinne" Passive Sterbehilfe ist jedoch nach Rechtsprechung sowie rechtswissenschaftlicher und medizinischer Literatur nicht nur möglich bei Patienten, bei denen der Sterbeprozeß schon eingesetzt hat. Auf eine lebensnotwendige Behandlung kann auch dann verzichtet werden, wenn ein Patient noch nicht im Sterben liegt, weil sein Tod - im Gegensatz zur erstgenannten Fallgruppe - noch nicht unmittelbar bevorsteht. Dies hat der Bundesgerichtshof erstmals im sog. „Kemptener Urteil" klargestellt.47 Dem haben sich die übrige Rechtsprechung, medizinische und rechtswissenschaftliche Literatur angeschlossen.48 Auch die Bundesärztekammer ist 43 BGH, Urt. v. 30. 9. 1955, L M Nr. 6 zu § 230 StGB. 44 Dazu ausführlich Andreas, ArztR 1999, 232,233. 45 Zu weiteren Einzelheiten vgl. die entsprechenden Berichte der Berufsverbände, in: Der niedergelassene Arzt 1999, 58. 46 Vgl. RiLi BÄK v. 11. 9. 1998, DÄB1. 1998, B-1852, B-1852, Präambel; Pichlmayr, Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie, o. S. = Schell, Sterbebegleitung und Sterbehilfe, 111, 112. 47 BGH, Urt. v. 13. 9. 1994, NJW 1995, 204, 204. 48 OLG Frankfurt/M., Beschl. v. 15. 7. 1998, NJW 1998, 2747, 2748; Gambke, BDI-RS 1995, 135, 136; Schreibauer, BtPrax 1997, 217, 220.
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1. Teil: Dogmatische Grundlagen
dem Bundesgerichtshof gefolgt. 49 Man spricht in diesen Fällen von passiver Sterbehilfe im weiteren Sinne oder „Hilfe zum Sterben" bzw. einem Verzicht auf lebenserhaltende Behandlungsmaßnahmen.50 Zwar haben entscheidungsunfähige Patienten, die an einer lebensbedrohenden Krankheit leiden und die trotz schlechter Prognose nicht zwangsläufig in absehbarer Zeit sterben werden, wie alle Patienten ein Recht auf Behandlung, so daß eine lebenserhaltende Therapie grundsätzlich durchgeführt werden muß, sofern die diesbezüglichen Voraussetzungen gegeben sind. Es ist aber anerkannt, daß bei fortgeschrittener Krankheit auch bei diesen Patienten ein Unterlassen lebenserhaltender Maßnahmen in Betracht kommen kann. Beispielsweise kann der unwiderrufliche Ausfall weiterer vitaler Organfunktionen die Entscheidung rechtfertigen, auf den Einsatz technischer Mittel, die diese Funktionen ersetzen, zu verzichten. Von großer praktischer Bedeutung ist beispielsweise ein Behandlungsabbruch bei bewußtlosen Patienten, die an einem apallischen Syndrom leiden. Darunter versteht man eine Schädigung der Großhirnrinde, die sich in fehlender gerichteter Aufmerksamkeit und Reizbeantwortung sowie der Unfähigkeit, sinnvolle und zweckmäßige Bewegungen auszuführen, äußert. 51 Das apallische Syndrom kann weitgehend unverändert über Monate, Jahre oder gar Jahrzehnte bestehen, ehe eine interkurrente Erkrankung des Herz-Kreislauf-Systems, der Lungen oder der Nieren zum Tode führt. 52
4. Ärztliche Sterbebegleitung Ein neuerer Entwurf der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie für eine Leitlinie zum Umfang und zur Begrenzung der ärztlichen Behandlungspflicht in der Chirurgie sowie die Grundsätze der Bundesärztekammer zur ärztlichen Sterbebegleitung nehmen die Differenzierung zwischen den dargestellten Formen passiver Sterbehilfe nicht vor. Es wird kritisiert, daß die zur Beschreibung zulässiger Formen der Sterbehilfe verwandten Begriffe häufig nicht einheitlich benutzt würden. 53 Wegen der Zusammengehörigkeit dieser Maßnahmen erscheine es richtiger, sie unter einem einheitlichen Begriff zusammenzufassen, dem Begriff der ärztlichen Sterbebegleitung. Diese sei Inhalt des ärztlichen Behandlungsauftrags und deshalb ethisch und juristisch geboten. 49
So zunächst im Entwurf der RiLi der BÄK zur ärztlichen Sterbebegleitung und den Grenzen zumutbarer Behandlung, DÄB1. 1997, C-988, C-988 f., schließlich auch in der zuvor genannten RiLi v. 11. 9. 1998, sub ΙΠ. so BGH, Urt. v. 13. 9. 1994, NJW 1995, 204, 204 - „Kemptener Urteil"; OLG Frankfurt/ M., Beschl. v. 15. 7. 1998, NJW 1998, 2747, 2748; Gambke, BDI-RS 1995, 135, 136; Schreibauer, BtPrax 1997, 217, 220. 51
Vgl. Pschyrembel, Klinisches Wörterbuch, unter „Apallisches Syndrom". Lücking, in: Lexikon Medizin - Ethik - Recht, Sp. 74,76. 53 Pichlmayr, Leitlinie, o. S. = Kurzfassung bei Schell, Sterbebegleitung und Sterbehilfe, 111 ff. 52
III. Passive Sterbehilfe und Suizid
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Auch die Grundsätze der Bundesärztekammer zur ärztlichen Sterbebegleitung haben den Begriff der Sterbehilfe durch die Bezeichnung „Sterbebegleitung" ersetzt. Die Formulierung „passive Sterbehilfe" erwecke fälschlicherweise den Eindruck eines Abbruchs jeglicher Behandlung, obwohl dies weder ethisch noch moralisch vertretbar sei. 54 Der Arzt schulde dem Patienten vielfach eine palliative Behandlung sowie Basisbetreuung. Nach dem Entwurf der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie soll zukünftig statt passiver Sterbehilfe von einer sog. Therapiebegrenzung als Bestandteil ärztlicher Sterbebegleitung gesprochen werden. Dies bedeutet, daß grundsätzlich zur Verfügung stehende Behandlungsmöglichkeiten nicht oder nicht in vollem Umfang zum Einsatz kommen oder eingeschränkt bzw. beendet werden. Die Richtlinien der Bundesärztekammer sprechen von einer „Änderung des Therapieziels" und verstehen darunter die Beschränkung der Behandlung auf palliativ-medizinische Maßnahmen. Zwar haben diese Neuerungen in der Öffentlichkeit teilweise ein positives Echo hervorgerufen. 55 Dennoch wird man keinesfalls davon ausgehen können, daß die Aufgabe der begrifflichen Unterscheidung tatsächlich zu einer Klarstellung bzw. Vereinfachung führen wird. Deshalb werden in dieser Arbeit die ursprünglichen Begriffe beibehalten. Dies geschieht auch deshalb, weil sie in Rechtsprechung, rechtswissenschaftlicher und medizinischer Literatur weiterhin allgemein gebräuchlich sind. 56 Ein Grund dafür dürfte darin liegen, daß die Unterscheidung zwischen „passiver" und „aktiver Sterbehilfe" die auch ethisch und moralisch wichtige Trennung zwischen zielgerichteter Tötung als aktivem, von außen erfolgendem Eingreifen (aktive Sterbehilfe) und Gewährenlassen im Sinne eines Nichtbeeinflussen des Krankheitsverlaufs (passive Sterbehilfe) anschaulich vor Augen führt.
III. Passive Sterbehilfe und Suizid Der grundlegende Unterschied zwischen aktiver Tötung und Nichtbeeinflussen des Krankheitsverlaufs zeigt sich auch in Fällen passiver Sterbehilfe im engeren oder weiteren Sinne einerseits und Suizidfällen andererseits. Der Patient, der eine lebensnotwendige Behandlungsmaßnahme ablehnt, führt - anders als ein Selbstmörder - nicht aktiv seinen eigenen Tod herbei, sondern akzeptiert den eigenen Tod, etwa aus religiösen Gründen als von Gott gewollt. Dies schließt es aus, einen 54 Vgl. Beleites, DÄB1. 1998, B-1851, B-1851; Schreiber, in: FS Deutsch, 773, 776; Taupitz, Gutachten 63. DJT, A 18; Eibach, MedR 2000,10, 12. 55 Vgl. dazu beispielhaft Sahm, Sterbebegleitung statt Sterbehilfe, FAZ v. 14. 9. 1998, 5, mit recht umfassender Wiedergabe einzelner Stellungnahmen. 56 Siehe etwa BGH, Urt. v. 13. 9. 1994, NJW 1995, 204, 204 - „Kemptener Urteil"; OLG Frankfurt/M., Beschl. v. 15. 7. 1998, NJW 1998, 2747, 2747 f.; Schreibauer, BtPrax 1997, 217, 217 ff.; Saliger, KritV 1998,118, 119; Gambke, BDI-RS 1995, 135, 135 f.
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1. Teil: Dogmatische Grundlagen
freiverantwortlich handelnden Patienten, der einen lebensrettenden Eingriff ablehnt, auf eine Stufe mit einem Suizidenten zu stellen.57 Außerdem liegen die Probleme der Suizidfälle in rechtstatsächlicher Hinsicht auf einer anderen Ebene als Fälle passiver Sterbehilfe: Während Suizidversuche regelmäßig, wie zuvor erwähnt, nicht auf die Herbeiführung des Todes gerichtet, sondern als Hilferufe von Personen zu verstehen sind, die sich einem ihrer Auffassung nach nicht zu bewältigenden Problem ausgesetzt sehen,58 haben Fälle passiver Sterbehilfe Entscheidungen am natürlichen Lebensende im Falle terminaler bzw. schwerster Krankheit zum Gegenstand. Zudem leiden Suizidenten an einer solchen Krankheit vielfach nicht. Suizidfalle sind aus diesem Grund nicht Gegenstand der vorliegenden Untersuchung.59
IV. Das Selbstbestimmungsrecht des Patienten und das Erfordernis der Einwilligung in ärztliche Maßnahmen nach Aufklärung In der medizinethischen Literatur wird die Frage diskutiert, ob die Medizin in der Endphase des Lebens „alles darf, was sie kann". 60 Einigkeit besteht darüber, daß es keine Pflicht zu einer Lebenserhaltung bzw. Lebensverlängerung „um jeden Preis" gibt. Inwieweit bis zuletzt hochtechnisierte Apparatemedizin eingesetzt wird, hängt von zwei Faktoren ab, die jedes ärztliche Handeln grundsätzlich legitimieren, nämlich der therapeutischen Sinnhaftigkeit (Indikation) ärztlichen Handelns61 sowie der Einwilligung des Patienten nach erfolgter Aufklärung 62 (sog. „informed consent").63
57 Francke, 105; Lorenz, in: Isensee/Kirchhof, HbStR VI, § 128 Rz. 62 f., 66; Taupitz, Gutachten 63. DJT, A 21. 58 Otto, Gutachten 56. DJT 1986, D 76 ff.; Westerhäll, in: Taupitz, Rz. S 88; Pohlmeier, Suizid, in: Lexikon Medizin - Ethik - Recht, Sp. 1126, 1129. 59 Die Rechtsprechung neigt mittlerweile dazu, auch in Fällen eines frei verantwortlich handelnden Suizidenten dem Selbstbestimmungsrecht des Betroffenen den Vorrang vor dem Schutz des Lebens einzuräumen; vgl. BGH, Beschl. v. 8. 7. 1987, NJW 1988, 1532; OLG München, Beschl. v. 31. 7. 1987, NJW 1987, 2940, 2943 ff. - „Hackethal". Anders etwa noch BGH, Urt. v. 26. 10. 1982, NJW 1983, 350, 351. 60 Vgl. Sporken, Darf die Medizin, 1 ff. 61
Dazu sub 1. 62 Dazu sub 2 ff. 63 Vgl. statt aller Laufs, in: Laufs /Uhlenbruch HdB ArztR, § 6 Rz. 1; Spickhoff, NJW 2000, 2297, 2298.
IV. Das Selbstbestimmungsrecht des Patienten
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1. Bedeutung der Indikation Zunächst muß jede ärztliche Maßnahme medizinisch indiziert sein, und zwar in Richtung auf ein Behandlungsziel. Die Bestimmung der Indikation ist alleinige Aufgabe des Arztes. 64 Diese Verantwortung kann dem Arzt niemand abnehmen, und er darf sie auch nicht auf einen Betreuer oder ein Vormundschaftsgericht abschieben.65 Liegt eine Indikation zum Einsatz lebensnotwendiger Behandlungsmaßnahmen nicht vor, ist ein Behandlungsverzicht durch den Arzt geboten, ohne daß es auf den Willen des Patienten ankommt.66 Den Arzt trifft dann keine Behandlungspflicht, und auch ein möglicherweise entgegenstehender Wille zur Maximalbehandlung kann den Arzt nicht verpflichten, seinem ärztlichen Auftrag zuwider zu handeln.67 Gegen sog. interkurrente Krankheiten muß der Arzt nicht einschreiten; auf den Wunsch eines Patienten, „bis zum letzten Atemzug" therapiert zu werden, braucht er nicht einzugehen. Gegenüber einem solchen Wunsch des Patienten oder seines Vertreters kann der Arzt sich auf das Grundrecht der Berufsfreiheit (Art. 12 GG) sowie auf seine allgemeine Handlungsfreiheit (Art. 2 Abs. 1 GG) berufen und, darauf gestützt, eine medizinische Maßnahme verweigern, für die keine medizinische Indikation besteht, weil der ärztliche Behandlungsauftrag, wie er in den ärztlichen Standesordnungen, die Berufsausübungsregeln im Sinne des Art. 12 GG darstellen, niedergelegt ist, ein Tätigwerden untersagt. 68 Die schwierige Frage, unter welchen Voraussetzungen lebensverlängerndes oder lebenserhaltendes ärztliches Handeln angezeigt („indiziert") ist, 69 ist ausschließlich medizinischer Natur und deshalb im Rahmen der vorliegenden Arbeit nicht besonders eingehend zu behandeln. Auch nur annähernd einheitliche Maßstäbe sind den Medizinern nicht bekannt;70 es gilt, daß die Indikation anhand jedes einzelnen Falles zu treffen ist und jeweils ganz unterschiedlich ausfallen kann. Einigkeit besteht nur insoweit, als eine Maßnahme nicht schon dann indiziert ist, wenn der Eintritt des Todes durch Aufnahme oder Fortführung einer Behandlung hinausgezögert werden könnte.71 Eine Durchführung medizinischer Maßnahmen, die le64 Laufs, NJW 1998, 3399, 3400; Wuermeling, DÄB1. 1999, B-1788, B-1789. 65 Ankermann, MedR 1999, 388, 389. 66 Koch, Behandlungsabbruch /Behandlungsverzicht, in: Lexikon Medizin - Ethik Recht, Sp. 170, 185; Wuermeling, DÄB1. 1999, B-1788, B-1789; Laufs, NJW 1998, 3399, 3400; Spaemann, in: ders. / Fuchs, Töten oder sterben lassen?, 30. 67 Ankermann, MedR 1999, 388, 389; Laufs, NJW 1998, 3399, 3400; Wuermeling, DÄB1. 1999, B-1788, B-1789. 68 Vgl. dazu Taupitz, Standesordnungen, § 7 E., 759. 69 Vgl. dazu Weißauer/Opderbecke, Anästhesiologische Informationen 14 (1972), 2, 13 ff.; Fritsche, in: Eser, Suizid und Euthanasie, 150 ff.; Krauß, Medizinischer Fortschritt und ärztliche Ethik, 102 ff. 70 Siehe dazu Nacimiento, DÄB1. 1994, A-661 ff.; Koch, Behandlungsabbruch/Behandlungsverzicht, in: Lexikon Medizin - Ethik - Recht, Sp. 170, 185. 71 Vgl. dazu statt aller Koch, Behandlungsabbruch / Behandlungsverzicht, in: Lexikon Medizin - Ethik - Recht, Sp. 170, 184.
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1. Teil: Dogmatische Grundlagen
diglich den natürlichen Ablauf des Sterbens verzögern, gebietet der Lebensschutz nicht. Von einem breiteren Konsens getragen wird darüber hinaus auch noch die Auffassung, aus der Zielsetzung des ärztlichen Behandlungsauftrages ergebe sich eine Grenze der Lebenserhaltungspflicht spätestens dann, wenn der Patient nachweislich und unzweifelhaft irreversibel das Bewußtsein verloren hat. 72 So verständlich dieses Postulat ist, so sehr muß allerdings auch bedacht werden, daß sich eine solch sichere Prognose - wie Vertreter dieser Ansicht selbst einräumen - praktisch nie treffen lassen wird. 73 Dies belegen beispielsweise die praktischen Erfahrungen mit Patienten, die an einem apallischen Syndrom leiden: Noch teilweise nach Jahrzehnten völliger Bewußtlosigkeit wachen Patienten aus dem komatösen Zustand auf. 74 Deshalb wird in der ganz überwiegenden Zahl derartiger Fälle passiver Sterbehilfe im weiteren Sinne eine Indikation zu ärztlichem Tun gegeben sein, so daß der mutmaßliche Wille des Patienten zum maßgeblichen Entscheidungskriterium wird. In der medizinischen bzw. medizinrechtlichen Literatur wurden zwar teilweise weitere Versuche zur Konkretisierung des ärztlichen Behandlungsauftrags entwickelt, doch sind diese auf recht klare Ablehnung gestoßen: Gegen den von Fritsche entwickelten Ansatz, es komme darauf an, ob weitere Bemühungen „sinnlos" 7 5 seien, sowie gegen die These Weißauers und Opderbeckes, maßgebend sei die „Schicksalhaftigkeit" 76 des bevorstehenden Todes, wurde eingewandt, diese Kriterien seien erheblich zu unbestimmt, als daß sie klare Festlegungen im Einzelfall erzielen könnten. Ahnliches gilt für die auf Papst Pius XII. zurückgehende Unterscheidung zwischen „gewöhnlichen" und „außergewöhnlichen" ärztlichen Maßnahmen am Lebensende („remedia ordinaria /remedia extraordinaria"): 77 Die Nichtanwendung bzw. die Einstellung „außergewöhnlicher" Maßnahmen sei zulässig. Doch abgesehen von der begrifflichen Unbestimmtheit78 muß gegen diese Differenzierung vor allem eingewandt werden, daß es zweifelhaft ist, ob die „Gewöhnlichkeit" einer Maßnahme ein moralisch und rechtlich relevantes Unterscheidungsmerkmal sein kann. Wenn die Außergewöhnlichkeit der künstlichen Ernährung mit der Aussichtslosigkeit des Zustands des Patienten begründet wird, 79 wenn ein Beatmungsgerät bei einem in starke Atemnot geratenen Patienten als remedia
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Baronin von Dellingshausen, 401 ff.; Bernât, in: FS Deutsch, 443, 445; Dölling, MedR 1987, 6, 9; Krauß, Medizinischer Fortschritt und ärztliche Ethik, 102 ff. - Vgl. auch § 214 Abs. 1 Nr. 2 AE-Sterbehilfe. 73 Vgl. dazu noch Bernât, FS Deutsch, 443, 445; Lipp, in: Wolter/Riedel/Taupitz, 75, 85; Baumann u. a., AE-Sterbehilfe, 15 f. 74 Vgl. dazu etwa FAZ v. 6. 1. 2000: Patientin erwacht nach sechzehnjähriger völliger Bewußtlosigkeit ganz unerwartet aus dem Koma. 75 Fritsche, in: Eser, Suizid und Euthanasie, 136 ff. 76 Weißauer/Opderbecke, Anästhesiologische Informationen 1972, 2, 13. 77 Vgl. dazu Verrei, FR v. 6. 8. 1998, 16. 78 Diesbezüglich zutreffend Eser, Lebenserhaltungspflicht und Behandlungsabbruch aus rechtlicher Sicht, in: Auer/Menzel/Eser, 128 f. 7 9 Weißauer/Opderbecke, MedR 1995,456,459.
IV. Das Selbstbestimmungsrecht des Patienten
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ordinaria und bei einem Apalliker als remedia extraordinaria beurteilt wird 8 0 , dann zeigt sich, daß nicht die Gewöhnlichkeit der Maßnahme, sondern andere Kriterien den Ausschlag geben.81 Im übrigen wird die von Pius XII. getroffene Unterscheidung immer im Fluß bleiben. Denn eine medizinische Maßnahme, die heute als ganz „außergewöhnlich" empfunden wird, kann in Kürze vielleicht in einer Weise durchgeführt werden, daß man sie als „gewöhnlich" qualifizieren wird. Auch dieser Ansatz empfiehlt sich also nicht. Demnach ließe sich allenfalls vertreten, die Indikation zu ärztlichem Tätig werden entfalle jedenfalls dann, wenn die Bewußtlosigkeit eines Patienten unzweifelhaft irreversibel sei, wenngleich sich dies in Fällen einer passiven Sterbehilfe im weiteren Sinne praktisch nie nachweisen lassen wird, so daß regelmäßig eine Indikation zu ärztlichem Handeln gegeben ist. Was Fälle passiver Sterbehilfe im engeren Sinne („Hilfe beim Sterben") anbetrifft - man denke beispielsweise an schwerstgeschädigte Unfallopfer - , so entfällt eine Indikation zu ärztlichem Handeln, wenn das Leben des Sterbenden ohnehin nur kurzfristig 82 verlängert werden könnte. Anders liegt es aber schon dann, wenn eine relative Wiederherstellung der Gesundheit möglich erscheint. Auch dann sind freilich an sich indizierte ärztliche Maßnahmen zur Lebensrettung nicht zwingend geboten, sofern - worauf sogleich näher eingegangen wird 8 3 - der Wille des Patienten entgegensteht. Entspricht es etwa dem mutmaßlichen Willen des Patienten, ein „Leben im Rollstuhl" nicht ertragen zu müssen, hat der Arzt auf diesen Willen Rücksicht zu nehmen und lebensverlängernde Maßnahmen zu unterlassen. Wie problematisch die Bestimmung der medizinischen Indikation zum Einsatz vital notwendiger Maßnahmen und wie bedenklich ein Abstellen darauf ist, zeigt des weiteren die Tatsache, daß die Bestimmung des medizinisch Gebotenen nicht nur durch naturwissenschaftliche Überlegungen erfolgen kann. Dies wird bereits durch die Überlegung bestätigt, daß ein Arzt anderenfalls alle Therapiemaßnahmen durchzuführen hätte, die „technisch machbar" sind. In die Konkretisierung des „medizinischen Korridors" 84 fließen vielmehr gewiß auch medizinethische Aspekte ein, so daß man durchaus von einem „Selbstbestimmungsrecht der Medizin" 85 sprechen kann, was die Konkretisierung der Indikation betrifft. Doch zeigt sich gerade hier das Dilemma, dem die Medizin ausgesetzt ist: Ihr muß es gelingen, die Wertvorstellungen der eigenen Tätigkeiten mit den herrschenden Wertvorstellungen der Gesellschaft in Einklang zu bringen. Denn allein dann wird ohne größeren 80 So Steinbock, in: dies., Killing and Letting Die, 72; zit. nach Kuhse, Die Heiligkeit des Lebens in der Medizin, 217. 81 So zutreffend Kuhse, Die Heiligkeit des Lebens in der Medizin, 207; Singer, Leben und Tod, 73 ff. 82 Dazu, daß dieser Begriff allerdings relativ und notwendigerweise unbestimmt ist, vgl. Anschütz, Indikation, 103. 83 Dazu im folgenden sub 2 f). 84 Fuchs, in: Nagel/Fuchs, Rationalisierung und Rationierung im deutschen Gesundheitswesen, 42/50. 85 So mit Recht Taupitz, Gutachten 63. DJT, A 24.
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1. Teil: Dogmatische Grundlagen
Widerspruch hingenommen werden, was die Medizin als „behandlungsfähig", „behandlungswürdig" und ähnliches bestimmt. Ob eine solche Harmonisierung auch nur annähernd möglich sein kann, muß schon deshalb bezweifelt werden, weil sich in der heutigen Gesellschaft - wie sogleich zu zeigen sein wird - eine Ethik der Selbstbestimmung etabliert hat. Nicht nur tatsächliche Schwierigkeiten bei der Bestimmung der medizinischen Indikation, sondern auch grundsätzliche Bedenken sprechen also gegen ihre Praktikabilität für die Lösung der im Rahmen der vorliegenden Bearbeitung zu untersuchenden Fälle. Die folgenden Ausführungen konzentrieren sich stattdessen auf Fälle, in denen sich therapeutische Bemühungen zur Lebenserhaltung oder Lebensverlängerung nach ärztlicher Erkenntnis nicht als nutzlos erweisen - eine Indikation also vorliegt - , so daß es nur auf den Willen des Kranken ankommt.
2. Autonomie und Selbstbestimmungsrecht des Patienten Gründe für die Maßgeblichkeit des Patientenwillens sind das ethische Prinzip der Autonomie und das Selbstbestimmungsrecht des Patienten.86 Autonomie bedeutet, daß ein Mensch grundsätzlich das Recht hat, in Übereinstimmung mit seinen eigenen Werten und Prioritäten zu bestimmen, ob überhaupt etwas und - gegebenenfalls - was mit seinem Körper oder seiner Gesundheit geschehen soll, und dabei einen Weg ohne ungebetene Einmischung von außen zu wählen.87 Daß dem Prinzip der Autonomie unter den ethischen Grundsätzen heute überragende Bedeutung zukommt, 88 ist vor allem damit zu begründen, daß in unserer Gesellschaft kein Konsens mehr über ethische Grundsätze, zum Beispiel keine Klarheit darüber besteht, worin die Würde und der Lebenswert schwerstgeschädigten Lebens gründet. Selbst die für den Lebensschutz wesentlichen ethischen Normen und Werte werden in das subjektive Ermessen des einzelnen gestellt, so daß man von einer „Ethik der Autonomie" 89 sprechen kann. Jeder soll selbst entscheiden, ob er sein Leben unter bestimmten Umständen noch für „lebenswert" hält. Diese birgt auf der anderen Seite die Gefahr, daß der einzelne sich umso mehr den herrschenden 86 BVerfG, Urt. v. 25. 7. 1979, BVerfGE 52, 131, 171; BGH, Urt. v. 28. 11. 1957, BGHSt 11, 111, 114 - „Myom-Urteil"; BGH, Urt. v. 8. 5. 1991, BGHSt 37, 376, 378 f.; BGH, Urt. v. 13. 9. 1994, NJW 1995, 204, 205; Helgerth, JR 1995, 338, 339; Merkel, ZStW 107, 545, 557; Uhlenbrock, in: Laufs/Uhlenbruck, HdB ArztR, § 132 Rz. 12. 87 Giesen, MML, Rz. 493; Beauchamp / Childress, Principles of Biomedical Ethics, L W 27. 88 Wedler, Warum ein altes Thema neuer Diskussion bedarf, in: Anschütz/Wedler, Suizidprävention und Sterbehilfe, 5, 8 f. - Nach Strätling/Scharf/Eisenbart, 5, stellt das Prinzip respect for autonomy auf der Basis eines breiten nationalen und internationalen Konsenses das führende medizinethische Prinzip in den Gesellschaften des westlich-abendländisch geprägten Kulturkreises dar. 89 Eibach/Behrendt/Rodenbusch/Horn/Heitmann/Uhi/Lanzerath, Zeitschrift für med. Ethik 1996,312,313.
IV. Das Selbstbestimmungsrecht des Patienten
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gesellschaftlichen Anschauungen anpassen muß, je schwächer er ist, und daß andere nach ihrem Gutdünken Urteile gerade über diejenigen fällen, die aufgrund ihres physischen oder psychischen Zustands nicht mehr entscheidungsfähig und den anderen eine „Last" sind. Das Selbstbestimmungsrecht des Patienten basiert auf dem ethischen Prinzip der Autonomie. Diese „fundamentale ethische Errungenschaft" 90 ist rechtlich nicht nur grundgesetzlich abgesichert worden; 9 1 das Selbstbestimmungsrecht stellt auch ein absolutes Recht i m Sinne des § 823 Abs. 1 B G B dar. 9 2 Es postuliert mit dem Recht darauf, als selbständige Person respektiert zu werden, auch eine Pflicht für andere, nicht die Entscheidungen über die Durchführung ärztlicher Behandlungsmaßnahmen zu mißachten, die der Patient nach seinen eigenen Wertvorstellungen, seinem Gewissen und seiner Religion getroffen hat. 9 3
90 Koch, Medizinische Ethik, in: Lexikon Medizin - Ethik - Recht, Sp. 711, 725; Giesen, JZ 1990, 929, 930. 91 Zu den grundrechtlichen Fragen vgl. eingehend sub 3. Teil, II. 1. e) aa). 92
Obgleich das Selbstbestimmungsrecht des Patienten (Art. 2 Abs. 1, Art. 1 GG) primär aus Grundrechten, die Abwehrrechte des Bürgers gegen den Staat darstellen, herzuleiten ist und zivilrechtlich nicht ausdrücklich geregelt wurde, haben auch Privatrechtssubjekte wie insbesondere der Arzt dieses Recht gleichermaßen und uneingeschränkt zu achten. Nach der heute kaum mehr vertretenen Lehre der sog. unmittelbaren Drittwirkung - vgl. dazu etwa Enneccerus/Nipperdey, Allgemeiner Teil, § 15 IV 4; Leisner, Grundrechte und Privatrecht, 356 ff. - , die als Adressaten der Grundrechte nicht nur den Staat, sondern auch die Subjekte des Privatrechts ansieht, und die den Grundrechten im Verhältnis zwischen Privaten Abwehrfunktionen zuerkennt, werden Grundrechte zu absoluten Rechten im Sinne des § 823 Abs. 1 BGB - vgl. Canaris, AcP 184 (1984), 201, 202 - . Ein ohne Einwilligung nach Aufklärung, also eigenmächtig durchgeführter Heileingriff des Arztes verletzt danach das Selbstbestimmungsrecht des Patienten als ein gegenüber jedermann geltendes Recht. Doch auch dann, wenn man die Auffassung einer „unmittelbaren Drittwirkung" nicht teilt und der heute ganz herrschenden Ansicht folgt, die lediglich eine „mittelbare Drittwirkung" annimmt (vgl. dazu etwa BVerfG, Urt. v. 3. 11. 1981, BVerfGE 58, 377,396; Dürig, in: MDHS, Art. 1 Rz. 127 ff.), greift das Selbstbestimmungsrecht des Patienten im Verhältnis zwischen Arzt und Patient ein - so ausdrücklich Schäfer, in: Staudinger, § 823 Rz. 22; Laufs, VersR 1972, 1, 5 f.; Larenz/ Canaris, SchuldR I I / 2 , § 76 I I lg), 383 a. E.; Mertens, in: MüKo, § 823 Rz. 361; Giesen, Arzthaftungsrecht, Rz. 211; Deutsch, Medizinrecht, Rz. 166 - , weil sich das Selbstbestimmungsrecht des Patienten aus dem Allgemeinen Persönlichkeitsrecht (Art. 2 Abs. 1, Art. 1 GG) ableitet und dieses qua Rechtsfortbildung als „sonstiges Recht" im Sinne des § 823 Abs. 1 BGB allgemein anerkannt wird (vgl. dazu BGH, Urt. v. 25. 5. 1954, BGHZ 13, 334, 338; BGH, Urt. v. 5. 3. 1963, BGHZ 39, 124, 131 f.). Füllmich, Der Tod im Krankenhaus, 111, bezeichnet das Allgemeine Persönlichkeitsrecht treffend als die „zivilrechtliche Verkörperung dieses Verfassungsgrundsatzes [des Selbstbestimmungsrechts, scr.]". Ebenso im Ergebnis Deutsch, AcP 192 (1992), 161, 164 f. - Im übrigen entfaltet das Selbstbestimmungsrecht des Patienten auf zivilrechtlicher Ebene auch deshalb unmittelbar Wirkung, wenn und weil der Patient durch den Abschluß eines Behandlungsvertrags Autonomie ausübt. Der Behandlungsvertrag regelt den Umfang der Rechte und Pflichten der Parteien, insbesondere den Umfang der Rechte und Pflichten des behandelnden Arztes bzw. des durch seine Arzte handelnden Krankenhausträgers. Der Arzt bindet sich auf diese Weise an den privatautonomen Willen des Patienten als seinen Vertragspartner. Vgl. dazu BGH, Urt. v. 28. 4. 1987, BGHZ 100,363,367; Laufs, Arztrecht, Rz. 40, 87 f.; Steffen/Dressier, Arzthaftungsrecht, Rz. 48. 3 Heyers
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1. Teil: Dogmatische Grundlagen
3. Einwilligung Aus dem Selbstbestimmungsrecht des Patienten wird deshalb das Erfordernis der Einwilligung in Behandlungsmaßnahmen hergeleitet. 94 Die Einwilligung dient der Freiheit des Entschlusses über Eingriffe in die körperliche Integrität. Der Patient soll nicht zum Objekt eines - wenngleich wohlgemeinten - ärztlichen Paternalismus degradiert werden, sondern selbstverantwortlich entscheiden dürfen, ob er den mit der Heilbehandlung notwendig verbundenen Eingriff in seine körperliche Integrität dulden will. 9 5 Jede ärztliche Behandlung - sei sie invasiv oder medikamentös - darf demnach nur mit Einwilligung des Patienten durchgeführt werden. Zwar stehen im Verhältnis zwischen Arzt und Patient zwei rechtlich anerkannte Interessen in Widerstreit: „Der Arzt folgt dem Heilungsauftrag, in dessen Rahmen ihm ein erhebliches Ermessen eingeräumt wird. Der Patient hingegen bleibt Herr über sich selbst und seine Gesundheit".96 Dieser Konflikt wird aber nach allgemeiner Auffassung zugunsten des Selbstbestimmungsrechts des Patienten gelöst:97 Das ärztliche Leitprinzip „salus aegroti suprema lex" wird durch das Prinzip „voluntas aegroti suprema lex" begrenzt. Der Arzt muß sich bewußt sein, daß selbst eine indizierte und lege artis durchgeführte Heilmaßnahme zivilrechtlich eine tatbestandsmäßige Körper- und Gesundheitsverletzung im Sinne der §§ 823 ff. BGB darstellt, für die der Arzt nur dann nicht haftet, wenn der Patient nach hinreichender Aufklärung in den Eingriff eingewilligt hat. Diese heute ganz herrschende Auffassung wird vom Bundesgerichtshof vor allem unter Hinweis auf Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG vertreten bzw. damit begründet, daß der Träger der Rechte und Rechtsgüter des § 823 Abs. 1 BGB grundsätzlich jeden Eingriff untersagen könne. 98 Unumstritten ist diese Ansicht freilich nicht. Nach einer im strafrechtlichen Schrifftum vertretenen Auffassung fehlt einer gelungenen, unter Umständen aber auch einer mißlungenen eigenmächtigen Operation, die den Regeln der ärztlichen Kunst entsprechend vorgenommen wurde, die 93 BVerfG, Urt, v, 25. 7. 1979, BVerfGE 52, 131, 171, 173; BGH, Urt. v. 23. 11. 1982, BGHZ 85, 327, 332; Giesen, Arzthaftungsrecht, 105 ff.; Laufs, Arztrecht, Rz. 211. 94 BVerfG, Urt. v. 25. 7. 1979, BVerfGE 52, 131, 171, 173; Giesen, JZ 1990, 929, 930; Kern/Laufs, Ärztliche Aufklärungspflicht, 9; Deutsch, Medizinrecht, Rz. 103; Füllmich, NJW 1990, 2301, 2301; Schünemann, VersR 1981, 306, 306; Lenckner, in: Lexikon Medizin - Ethik - Recht, Sp. 271, 271; Rover, Einflußmöglichkeiten des Patienten, 42; Frost, Arztrechtliche Probleme des neuen Betreuungsrechts, 8. 95 Kern/Laufs, Ärztliche Aufklärungspflicht, 9; Giesen, JZ 1990, 929, 931. 96 Deutsch, Medizinrecht, Rz. 100. 97 BVerfG, Urt. v. 25. 7. 1979, BVerfGE 52, 131, 171 ff.; Frost, Arztrechtliche Probleme des neuen Betreuungsrechts, 4; Lenckner, Einwilligung, in: Lexikon Medizin - Ethik Recht, Sp. 271, 271; Laufs, Arztrecht, Rz. 210 ff.; Giesen, JZ 1990, 929, 930 f.; Noll, Schweizerisches Strafrecht I - Besonderer Teil, 10; Wassermann, DRiZ 1986, 291, 292. 98 Etwa BGH, Urt. v. 9.12. 1958, BGHZ 29,46,49 - „2. Elektroschockurteil" - ; BGH, Urt. v. 6. 12. 1988, BGHZ 106, 153, 156; Hager, in: Staudinger, 13. Bearb., § 823 Rz. 11; Steffen, in: RGRK, § 823 Rz. 9; Zeuner, in: Soergel, § 823 Rz. 18, 233; Nüßgens, in: RGRK, § 823 Anh. I I Rz. 64.
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Tatbestandsmäßigkeit, weil ein indizierter und lege artis durchgeführter ärztlicher Eingriff zum Wohle des Patienten erfolge, nicht jedoch auf einen Eingriff in die physische und psychische Integrität ziele. Durchaus ähnlich argumentiert eine im Zivilrecht vertretene Auffassung, die in einem einwilligungslosen, aber indizierten und lege artis durchgefühlten Eingriff keine tatbestandsmäßige Körperverletzung sieht, gleichwohl eine Einwilligung des Patienten wegen des damit verbundenen Eingriffs in das Selbstbestimmungsrecht des Patienten für notwendig erachtet." Neben der aus dem strafrechtlichen Schrifttum bekannten Begründung, eine tatbestandsmäßige Körperverletzung liege nicht vor, weil die ärztliche Tätigkeit auf Heilung oder zumindest Besserung des körperlichen Wohlbefindens ausgerichtet sei, wird weiter vorgetragen, die Annahme einer Körperverletzung sei mit dem zwischen Arzt und Patient bestehenden Vertrauensverhältnis unvereinbar. 100 Es gehe auch nicht an, mit der herrschenden Gegenauffassung Körperverletzung und Beeinträchtigung des Persönlichkeitsrechts gleichzusetzen. Die eigenmächtige Heilbehandlung verletze vielmehr nur das Persönlichkeits- und damit das Selbstbestimmungsrecht des Patienten.101 Das verkenne der Bundesgerichtshof, wenn er die Erfüllung des Tatbestands einer Körper- und Gesundheitsverletzung durch eine eigenmächtige ärztliche Heilbehandlung damit begründe, daß der Patient als Rechtsgutträger jeden Eingriff verbieten könne. Diese Auffassung, die sich im Anschluß an die im Strafrecht bestehende Kontroverse gebildet hat, überzeugt jedoch nur eingeschränkt. Das strafrechtliche Anliegen zielt zwar dahin, den - mangels wirksamer Einwilligung - eigenmächtig, aber lege artis zu Heilzwecken handelnden Arzt typologisch von einem „Messerstecher" zu scheiden, das Scalpell nicht gleichzusetzen mit dem Instrument eines Straftäters. Dagegen geht es im Zivilrecht jedoch allein um die Frage, welches Rechtsgut im Sinne des § 823 Abs. 1 BGB durch das ärztliche Tun beeinträchtigt wird. Daß die Argumentation, der Arzt dürfe nicht derart stigmatisiert werden, auf das Strafrecht beschänkt bleiben sollte, zeigt sich nicht zuletzt an den unterschiedlichen Fassungen der Normen: § 223 StGB spricht davon, daß ein anderer „körperlich mißhandelt" bzw. an der „Gesundheit beschädigt" wird. § 823 Abs. 1 BGB führt dagegen - durchaus wertneutraler - den Begriff „Verletzung des Körpers" an. Dem Arzt haftet deshalb nicht zwingend das Stigma eines Messerstechers an. Moniert die Gegenauffassung, Verletzung des Selbstbestimmungsrechts und Körperverletzung würden von der herrschenden Meinung vermischt, so läßt sich ferner dagegen schon vorbringen, daß beispielsweise auch die Eigentumsverletzung die Dispositionsfreiheit des Eigentümers beeinträchtigt; die Entscheidungsfreiheit ist bei näherer Betrachtung jedem Rechtsgut vorgeordnet. 99 Enneccerus/Nipperdey, Allgemeiner Teil, § 212 I I 3; Oertmann, § 823 Anm. 2b); Esser, Schuldrecht II, § 107 I I lb; Kleinewefers, VersR 1962, 197, 197. 100 Vgl. die Darstellung bei Mertens, in: MüKo, § 823 Rz. 359.
ιοί Laufs, Arztrecht, Rz. 176; ders., VersR 1972, 1, 5; ders., in: Laufs/Uhlenbruck, HdB ArztR, § 103 Rz. 6; Larenz/Canaris, Schuldrecht II/2, § 76 II 1 g), 383 f.; Esser/Weyers, Schuldrecht, § 55 11 b); wohl auch Weyers / Mirtsching, JuS 1980, 317, 319 f. 3'
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1. Teil: Dogmatische Grundlagen
Die im Vordringen begriffene Mindermeinung hat indes theoretische Vorzüge. Es läßt sich nämlich nicht verkennen, daß das Selbstbestimmungsrecht des Patienten im Falle eigenmächtiger Heilbehandlung primär verletzt ist, weil der Unrechtsschwerpunkt der ärztlichen Eigenmacht vor allem in der Mißachtung des Willens des Patienten und damit in der „Verletzung seines Rechts auf Achtung eines autonomen, zur Willensentschließung fähigen Individuums" 102 liegt. Ferner lassen sich durch ein Abstellen auf eine Verletzung des Allgemeinen Persönlichkeits- bzw. Selbstbestimmungsrechts des Patienten sog. „eingriffslose", aber gleichwohl dem Patientenwillen nicht entsprechende ärztliche Maßnahmen - wie etwa Ultraschalluntersuchungen, psychotherapeutische Behandlungen - erfassen, ohne daß im einzelnen gekünstelt wirkende Konstruktionen nötig wären. Doch stehen diesen theoretischen Vorzügen durchaus auch Unklarheiten gegenüber. Dieser Mindermeinung mangelt es an systematischer Konsistenz, was den Schutzzweckzusammenhang103 betrifft: Wenn ein ärztlicher Eingriff allein deshalb rechtlich mißbilligt wird, weil das Selbstbestimmungsrecht des Patienten in Ermangelung einer Einwilligung verletzt sei, dann dürfen auch nur die Schäden ersetzt werden, die mit der Qualifikation des Selbstbestimmungsrechts als „sonstiges Recht" verhütet werden sollen, also spezifisch aus der ärztlichen Eigenmacht resultierende Schäden, nicht aber solche, die gelegentlich des als tatbestandlich bezeichneten Ergebnisses entstehen. Des weiteren sprechen praktische Gesichtspunkte für die Richtigkeit der bislang herrschenden Auffassung. Der Arzt muß danach in jedem Haftpflichtprozeß zunächst einmal die auf ausreichende Aufklärung gegründete Einwilligung des Patienten in die konkrete Maßnahme darlegen und beweisen sowie jeden adäquat durch die Maßnahme verursachten Schaden ersetzen, wenn ihm dies nicht gelingt. Das Fehlen einer ordnungsgemäßen Aufklärung ist demgegenüber vom Patienten, den die Beweislast nach der Mindermeinung träfe, weil die Voraussetzungen des Tatbestands darzutun sind, kaum zu beweisen.104 In prozessualer Hinsicht kommt 102 So Taupitz, in: FS Wiese, 583, 591 f. 103 Dazu etwa Esser/Schmidt, Schuldrecht I, § 33 III; Fikentscher, Schuldrecht, § 49 III 3. 104 Zwar ist der Beweis einer „negativen Tatsache" nicht unmöglich (vgl. BGH, Urt. v. 13. 5. 1987, BGHZ 101, 49, 55; Thomas/Putzo, Vorbem. § 284 Rz. 13). Doch stellt sich die Frage, wie ein Patient diesen Beweis tatsächlich führen sollte. Taupitz, Gutachten A 63. DJT, 30, fragt: „Soll der Patient sich etwa vom Arzt bestätigen lassen, daß dieser ihn nicht /nicht hinreichend aufgeklärt habe?". Einem solchen Beweis stehen zahlreiche Gründe entgegen: Unterlegenheit des Patienten gegenüber dem Arzt, mangelnde Schriftlichkeit, Unmöglichkeit der Eigenvorsorge in der Krankheitssituation u. ä. - Soweit die im Vordringen begriffene Meinung, die im eigenmächtigen Heileingriff eine Verletzung des Patientenpersönlichkeitsrechts sieht, dem Arzt die Beweislast für die Durchführung einer hinreichenden Aufklärung auferlegen will, weil dieser zu einer ordnungsgemäßen Dokumentation des Behandlungsverlaufs verpflichtet sei, so daß er bei fehlender Dokumentation zu beweisen habe, daß er - entgegen dieser - doch ausreichend aufgeklärt habe (vgl. Larenz/Canaris, Schuldrecht II/2, § 76 II 1 g), 384; Katzenmeier, ZRP 1997, 156, 161), scheint diese Konstruktion allzu kompliziert und wenig überzeugend.
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die Rechtsprechung auch hinsichtlich des Verhältnisses zwischen Richtern und Sachverständigen zu billigenswerten Ergebnissen. Während der Richter bei der Beurteilung von Behandlungsfehlern stark von der Mitwirkung des medizinischen Sachverständigen abhängig ist, kann er viel plausibler Kompetenz beanspruchen zu bestimmen, in welchem Umfang der Arzt den Patienten vor Einwilligung aufzuklären hat. Je mehr es im Prozeß zunächst einmal darauf ankommt, desto weniger ist das Gericht von der Zuverlässigkeit einer Sachverständigenaussage abhängig. Schließlich ist das Festhalten der herrschenden Meinung am Körperverletzungstatbestand auch und vor allem im Hinblick auf einen Schmerzensgeldanspruch verständlich. Das Allgemeine Persönlichkeitsrecht wird in § 847 Abs. 1 BGB, der einzigen hier denkbaren Grundlage für einen Anspruch auf Ersatz immateriellen Schadens im Sinne des § 253 BGB, nicht als Schutzgut genannt. Zwar hat die Rechtsprechung den Schutzbereich des § 847 Abs. 1 BGB inzwischen in beschränktem Umfang auf das Allgemeine Persönlichkeitsrecht erweitert, jedoch verfährt sie hierbei unsicher und unbestimmt. So sollen lediglich „schwere" Persönlichkeitsverletzungen Schmerzensgeldansprüche auslösen.105 Man kann deshalb den Ausgleich immaterieller Nachteile über das Selbstbestimmungsrecht des Patienten nicht als vollwertig ansehen. Dies alles spricht dafür, die lege artis durchgeführte und indizierte, aber eigenmächtige Heilbehandlung zumindest auch dem Tatbestand der Körper- und Gesundheitsverletzung zuzuordnen. 106 Damit kommen in der ärztlichen Praxis dem Selbstbestimmungsrecht des Patienten und seiner Behandlungsanweisung - Erteilung oder Verweigerung der Einwilligung - eine entscheidende Rolle zu. Erst die Einwilligung des Patienten gibt dem Arzt das Recht, eine Behandlung durchzuführen; erst die Einwilligung beseitigt die Rechtswidrigkeit einer tatbestandlich gegebenen unerlaubten Handlung und damit eine Schadensersatzpflicht. Auch eine medizinisch indizierte Behandlung, die zwingend notwendig ist, um das Leben des Patienten zu erhalten oder zu verlängern, bedarf der Einwilligung des Patienten.107 Dieser bestimmt, was mit ihm in der Sterbephase oder in wissenschaftlich eindeutig unheilbarer Krankheit geschehen soll. Die Entscheidung, eine lebensverlängernde bzw. lebenserhaltende Behandlung abzulehnen, kann der Patient frei und ohne kontrollierende Zwänge Dritter treffen. Verweigert der Patient eine Einwilligung, so darf sie trotz der Indikation nicht durchgeführt werden, auch wenn dies unvernünftig erscheinen mag und seinen Tod zur Folge hat. 1 0 8 Den be105 Dazu zuletzt umfassend und mit zahlreichen Nachweisen Körner, NJW 2000, 241 ff.; Siebrecht, JuS 2001, 337, 340. 106 Für eine solche vermittelnde Lösung im Ergebnis auch Schäfer, in: Staudinger, § 823 Rz. 456. 107 Weißauer/Opderbecke, MedR 1995,456,462. los Vgl. statt aller BGH, Urt. v. 28. 11. 1957, BGHSt 11, 111, 114 - „Myom-Urteil"; Mertens, in: MüKo, § 823 Rz. 451; Laufs, Arztrecht, Rz. 144; Winkler-Wilfurth, Betreuung und Heilbehandlung, 30; Hennies, ArztR 2000, 116, 117. Zur Situation in der klinischen Praxis Genzke/Binsack, Krankenhaus 1995, 536, 541.
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1. Teil: Dogmatische Grundlagen
handelnden Arzt trifft die Pflicht, die Entscheidung seines Patienten zu respektieren. Behandelt er den Patienten jedoch gegen seinen Willen, so haftet er gemäß den §§ 823 ff. BGB auf Schadensersatz und macht sich darüber hinaus strafbar gemäß den §§ 223 ff. StGB. Da erst die Einwilligung des Patienten dem Arzt ein Behandlungsrecht gibt, gelten die gleichen Grundsätze, wenn der Patient vital indizierte medizinische Maßnahmen nicht ausdrücklich ablehnt, sondern schweigt: Jede Behandlungsaufnahme und -fortführung ist schon bei Fehlen einer positiv legitimierenden Zustimmung als sog. nicht-konsentierte Behandlung unzulässig.109 Eine Verletzung des Selbstbestimmungsrechts kommt schließlich dann in Betracht, wenn der Patient eine zunächst erteilte Einwilligung widerruft, der Arzt aber dennoch eine Behandlung durchführt. Grundsätzlich steht es jedem Patienten jederzeit frei, seine Einwilligung mit ex-nunc-Wirkung zu widerrufen. 110 Dabei nimmt der Widerruf nicht nur die zuvor erteilte Einwilligung zurück, sondern bringt gleichzeitig einen positiven Abwehrwillen gegen die ärztlichen Maßnahmen zum Ausdruck. 111 Ebenso wie die ausdrückliche Weigerung, sich behandeln zu lassen, selbst in Fällen des bei unterlassenem Eingreifen wahrscheinlichen oder sicheren Todes nicht auf ihre Vernünftigkeit geprüft werden darf, kann auch ein Widerruf der Einwilligung ohne Angabe von Gründen oder gar aus „unvernünftigen" Gründen erfolgen (actus-contrariusGedanke).112 Die Verletzung des Selbstbestimmungsrechts des Patienten ist beispielsweise im österreichischen Recht sogar noch eindeutiger und eigenständiger sanktioniert worden (vgl. § 110 öStGB) als im deutschen Recht. Regelungen wie im türkischen Recht, wo der Patient in Fällen von Lebensgefahr eine Behandlung nicht - auch nicht aus religiösen Gründen - verweigern darf, sind, wie ein internationaler Vergleich zeigt, im allgemeinen dagegen nicht häufig. 113 Die 72. Konferenz der für das Gesundheitswesen zuständigen Ministerinnen und Minister, Senatorinnen und Senatoren der Länder vom 9./10. Juli 1999 zu 109 Das BVerfG hat mehrfach betont, daß auch Schweigen durch das Recht auf Selbstbestimmung geschützt ist. Vgl. etwa BVerfG, Beschl. v. 1. 3. 1979, BVerfGE 50, 290, 354, 367; BVerfG, Beschl. v. 16. 5. 1995, BVerfGE 93, 1,15 f., 31 - „Kruzifix". 110 Dazu im einzelnen sub 2. Teil, II. 3. c) ff) sowie hier insoweit nur Taupitz, Gutachten 63. DJT, A 19. 111 Deutsch, Allgemeines Haftungsrecht, Rz. 282; Hager, in: Staudinger, 13. Bearb., § 823 Rz. 1110. 112 Mayer, Medizinische Maßnahmen an Betreuten, 110; Schäfer, in: Staudinger, § 823 Rz. 481; Geiß /Greiner, Rz. 136. 113 Vgl. dazu Dural, in: Taupitz, Rz. TR 35 f. - Lediglich im israelischen Recht existiert noch eine ähnliche, aber abgeschwächte Regelung: Ein Gesetz aus dem Jahre 1996 läßt eine Zwangsbehandlung zu, wenn eine schwerwiegende Gefahr besteht, die eine alsbaldige medizinische Behandlung erfordert, sofern eine Ethik-Kommission bestätigt hat, daß begründeter Anlaß zu der Erwartung besteht, daß der Patient nach Erhalt der Behandlung rückwirkend seine Zustimmung gibt. Vgl. dazu Shapira, in: Taupitz, Rz. IL 18 f.
IV. Das Selbstbestimmungsrecht des Patienten
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Trier spricht in ihrem Beschluß „Patientenrechte in Deutschland heute", der aufgrund der Tatsache, daß es in der Bundesrepublik Deutschland keine gesetzliche Fixierung der Patientenrechte gibt, sondern daß diese zu ca. 90% auf Richterrecht beruhen, gefaßt wurde, insoweit ausdrücklich vom „Recht auf selbstbestimmtes Sterben": „Jeder Patient hat das Recht auf ein menschenwürdiges Leben bis zum Tode. Auch am Ende des Lebens hat der Patient das Recht auf Selbstbestimmung und eine angemessene Versorgung, insbesondere auf schmerzlindernde Behandlung. Jeder Patient, der entscheidungsfähig und über seine Situation aufgeklärt ist, hat das Recht, den Abbruch oder das Unterlassen weiterer lebensverlängernder Maßnahmen zu verlangen, unabhängig davon, ob der Sterbeprozeß bereits eingesetzt hat". 1 1 4
4. Aufklärung Ein Patient oder ein für diesen handelnder Vertreter kann nach dem soeben Gesagten frei darüber entscheiden, ob er auf den Schutz seiner körperlichen Integrität bzw. der Intimsphäre verzichten will, indem er in die Durchführung der ärztlichen Maßnahme einwilligt, oder ob er auf ihrem Schutz besteht und die Einwilligung verweigert. Gleich wie er sich entscheidet: Eine Behandlungsanweisung kann nur beachtlich sein, wenn der Patient sie wissentlich erteilt. Da dieser jedoch im allgemeinen oder jedenfalls nicht vollständig über die beabsichtigten Maßnahmen und ihre Risiken informiert ist, muß der Arzt ihm das notwendige Wissen vermitteln. Das geschieht durch Aufklärung. Daher liegt eine wirksame Behandlungsanweisung lediglich dann vor, wenn ihr rechtzeitig eine ausreichende Aufklärung des Einwilligungsberechtigten - sei es der entscheidungsfähige Patient selbst oder ein für ihn handelnder Vertreter im Falle seiner Entscheidungsunfähigkeit - vorausgegangen ist, die ihm eine - wenn auch nicht in allen Einzelheiten, so doch in den Grundzügen - zutreffende Kenntnis über die Art des Eingriffs und seine möglichen Folgen verschafft, so daß der Patient bzw. sein Vertreter in die Lage versetzt wird, das Für und Wider des ärztlichen Eingriffs abwägen zu können. 115 Da das Erfordernis ärztlicher Aufklärung im Rahmen der vorliegenden Arbeit in mehrfacher Hinsicht von Bedeutung ist, 1 1 6 sind dogmatische Grundzüge und relevante Einzelfragen zu klären, um einen einheitlichen Ansatzpunkt zu finden.
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Dokumentation „Patientenrechte in Deutschland heute", 17. us Allgemeine Ansicht; vgl. nur BGH, Urt. v. 5. 7.1973, NJW 1973,1688,1689; Deutsch, Medizinrecht, Rz. 100 ff.; Schäfer, in: Staudinger, § 823 Rz. 470; Frost, Arztrechtliche Probleme des neuen Betreuungsrechts, 105; Laufs, in: Laufs/Uhlenbruck, HdB ArztR, § 66 Rz. 1 ff.; Winkler-Wilfürth, Betreuung und Heilbehandlung, 46 ff.; Giebel/Wienke/Sauerborn/ Edelmann/Mennigen/Dievenich, NJW 2001, 863, 864 ff. 116 Vgl. dazu etwa nur 2. Teil, II. 3. c) bb) (1) - (3) oder 4. b) bb).
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1. Teil: Dogmatische Grundlagen
a) Ethische und rechtliche Grundlagen Die Aufklärungspflicht als Voraussetzung einer Einwilligung hat, dieser entsprechend, ihre Grundlage in der Ethik und im Recht. In ethischer Hinsicht steht jedem Kranken ein moralischer Anspruch auf Selbstverwirklichung und Nichttäuschung 117 zu. Arzte streiten deshalb in ethischer Hinsicht nicht über das „Ob" der Aufklärung, sondern nur über das „Wie", also über den Umfang der Aufklärung im Einzelfall. 118 Die Notwendigkeit angemessener Aufklärung folgt aber nicht nur aus ethischen Erwägungen, sie ist zugleich eine rechtliche Forderung an den Arzt. Der Gesetzgeber hat die Aufklärungspflicht im allgemeinen nicht geregelt. 119 Einige Vorschriften normieren das Erfordernis der Aufklärung lediglich in speziellen Fachbereichen: § 3 Abs. 1 KastrG, §§ 40 f. AMG, § 7 Abs. 2 TPG, § 17 Abs. 1 Nr. 2 MPG, § 41 Abs. 4 StrSchV, § 6 Abs. 1 TransfusionsG usw. Jedoch hat die XXXIV. Generalversammlung des Weltärztebundes 1981 in Lissabon erstmals eine allgemeine Regel anerkannt und aufgezeichnet: „Der Patient hat das Recht, einer Behandlung nach angemessener Aufklärung zuzustimmen oder sie abzulehnen". 1 2 0 Der LH. Deutsche Juristentag zu Wiesbaden 1978 hielt in seinen arztrechtlichen Beschlüssen eine Regelung der Aufklärungspflicht grundsätzlich für entbehrlich. 121 In den Berufsordnungen der Kammern ist die Aufklärungspflicht nur ansatzweise und zögerlich geregelt. 122 Diese Zurückhaltung läßt sich am ehesten auf die mangelnde Akzeptanz der stark kasuistisch ausgeprägten Judikatur zurückführen. 123 Vor allem deshalb stellt sich die Frage nach ihrem rechtlichen Grund. Dieser liegt nach ganz allgemeiner Auffassung - der Einwilligung korrespondierend im Selbstbestimmungsrecht des Patienten bzw. seinem allgemeinen Persönlichkeitsrecht, denn ein Patient kann im Verhältnis zum Arzt nur eigenverantwortlich entscheiden, wenn er über mögliche therapeutische Wege und Risiken aufgeklärt wurde: 124 „[Es ist] Sinn und Zweck der ärztlichen Aufklärung, über die Risiken eines bevorstehenden Eingriffs [ . . . ] dem Patienten, der selbst bestimmen darf und soll, ob er sich einer Operation unterziehen will, die für seine Entscheidung 117 Iiihardt, Medizinische Ethik, 129 ff. 118
Vgl. dazu sub c. 119 Laufs, in: Laufs / Uhlenbruch HdB ArztR, § 62 Rz. 16. 120 Vgl. Punkt c) der Deklaration von Lissabon, DÄB1. 1981, 2064. 121 Vgl. den Beschlußabruck der Abteilung Arztrecht, NJW 1978, 2189, 2193. 122 Vgl. die Berufsordnung für die Deutschen Ärzte, DÄB1. 1988, 3601 sowie DÄB1. 1997, A-2355 (§ 8). Siehe ferner die Empfehlungen der Bundesärztekammer zur Patientenaufklärung, DÄB1. 1990, 1279 ff. 123 Giesen, Arzthaftungsrecht, 180. 124 BGH, Urt. v. 19. 11. 1985, JZ 1986, 201, 201; Voll, Einwilligung im Arztrecht, 114; Deutsch, NJW 1965, 1985, 1985.
IV. Das Selbstbestimmungsrecht des Patienten
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notwendigen Fakten in einer für den medizinischen Laien verständlichen Form mitzuteilen. Erst derart informiert kann er eigenverantwortlich das Für und Wider abwägen". 125
b) Inhalte und Durchführung der Aufklärung im allgemeinen Die stark kasuistisch geprägte Ausformung der Aufklärungspflicht hat zu einer Vielzahl verschiedener Aufklärungsarten mit unterschiedlichen Bezugspunkten und im einzelnen kaum mehr überschaubaren Pflichten 126 geführt, die der Arzt befolgen muß. Eine grobe Einteilung kann zunächst dadurch erfolgen, daß man die sog. therapeutische Aufklärung und die sog. Selbstbestimmungsaufklärung voneinander trennt. Die therapeutische Aufklärung, die im gesundheitlichen Interesse des Patienten zur Gefahrenabwehr erfolgt, indem der Patient vor Folgen insbesondere seines Verhaltens gewarnt wird, 1 2 7 ist für die vorliegende Arbeit nicht von Interesse und daher nicht zu behandeln. Dagegen hat der Arzt den Patienten im Rahmen der Selbstbestimmungsaufklärung, die der Einwilligung vorausgeht und zu einer eigenverantwortlichen Ausübung des Selbstbestimmungsrechts des Patienten befähigen soll, über Diagnose, also den status praesens der Krankheit, den Verlauf und vor allem über das Risiko eines Eingriffs aufzuklären: 128 Die Diagnoseaufklärung, die das Krankheitsbild nur „im großen und ganzen" umreißen muß, soweit der Patient nicht weitere Informationen begehrt, 129 verschafft dem Patienten Klarheit über die Befunde. Die Verlaufsaufklärung erstreckt sich einerseits auf den Verlauf der Krankheit im Falle unterlassener Behandlung und andererseits auf ihren Verlauf im Behandlungsfall. Der Arzt muß über Art, Umfang und Durchführung des Eingriffs Rechenschaft ablegen. Behandlungsalternativen sind zu erörtern, damit der Patient ihr Für und Wider gemeinsam mit dem Arzt abwägen kann. Auch hier genügt es, wenn der Patient „im großen und ganzen weiß", wozu er seine Einwilligung gibt. 1 3 0 Die Risikoaufklärung soll dem Patienten die Gefahren der ärztlichen Maßnahme und der weiteren Möglichkeiten einschließlich der Nichtbehandlung vor Augen führen, die sich BGH, Urt. v. 19. 11. 1985, JZ 1986, 201, 201. 126 Vgl. dazu hier zunächst nur Laufs, in: Laufs/Uhlenbruck, § 61 Rz. 10 ff. 127 Beispielsweise muß der Arzt einen Patienten, der sich alsbald nach Behandlung in den Straßenverkehr begibt, darüber aufklären, daß er möglicherweise wegen einer fortwirkenden Anästhesie o. a. nicht mehr fahrtüchtig ist; vgl. dazu Hallermann, in: Mergen, II, 44,46. 125
128 Die Terminologie folgt Deutsch, Medizinrecht, Rz. 112. - Zu den ζ. T. unterschiedlichen Bezeichnungen vgl. auch Schiemann, in: Erman, § 823 Rz. 137 ff. 129 BGH, Urt. v. 2. 11. 1976, VersR 1977, 255, 256; BGH, Urt. v. 23. 10. 1979, VersR 1980, 68, 69; Deutsch, Medizinrecht, Rz. 113; Giebel/Wienke/Sauerborn/Edelmann/Mennigen/Dievenich, NJW 2001, 863, 864. 130 BGH, Urt. v. 21. 9. 1982, NJW 1983, 333, 334; BGH, Urt. v. 7. 2. 1984, BGHZ 90, 103, 106.
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1. Teil: Dogmatische Grundlagen
in dauernden oder vorübergehenden Nebenfolgen äußern können. Sie muß vor allem Schäden benennen, die sich auch bei sorgfältigem und fehlerfreiem ärztlichen Vorgehen nicht mit Sicherheit vermeiden lassen.131 Grundsätzlich unterliegt die Aufklärung - wie auch die damit verbundene Einwilligung - keinerlei Formvorschriften, und sie bedarf deshalb auch keiner schriftlichen Fixierung. 132 Eine solche kann sogar kontraproduktiv wirken, weil die mündliche Information, die umfassend und auf die Situation des konkreten Patienten bezogen sein muß, dem Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patient am ehesten entspricht. In der Praxis arbeiten viele Ärzte zum Zwecke der Sicherung des von ihnen zu führenden Beweises, daß eine Aufklärung erfolgt sei, mit Aufklärungsbroschüren, die den indizierten Eingriff in einer auch für den Laien verständlichen Form beschreiben sollen. Derartige Informationsblätter können jedoch ein Aufklärungsgespräch zwischen Arzt und Patient niemals ersetzen, sondern nur ein zusätzliches Hilfsmittel sein: Der Arzt muß sie in das Aufklärungsgespräch einbetten und mit handschriftlichen, individuell auf den konkreten Fall bezogenen Zusätzen versehen. 133 Die ärztliche Formularpraxis ist heute „vielfach nicht ausreichend" 134 und verleitet oft zur irrigen Annahme, wegen der damit verbundenen Schriftlichkeit sei zugleich eine inhaltlich ausreichende Aufklärung erfolgt, obgleich es nicht auf eine bestimmte Form, sondern den Inhalt und Umfang der Aufklärung ankommt.
c) Notwendigkeit der Selbstbestimmungsaufklärung Noch einmal ausdrücklich zu betonen ist, daß die vorstehend genannten Kriterien nur vage Leitlinien bilden, die die Anforderungen an eine ausreichende Selbstbestimmungsaufklärung im einzelnen nicht abschließend erfassen, und daß die stattdessen bestehende Vielfältigkeit der Voraussetzungen einer ordnungsgemäßen Selbstbestimmungsaufklärung nicht ohne Kritik in der medizinischen und medizinrechtlichen Literatur geblieben ist.
131 Laufs, in: Laufs/Uhlenbruck, HdB ArztR, § 64 Rz. 1. - BGH, Urt. v. 7. 4. 1992, NJW 1992, 2351, 2352: „Damit der Patient sein Selbstbestimmungsrecht wirksam ausüben kann, bedarf es einer zumindest ungefähren Vorstellung von der Risikohöhe, so daß ein Arzt, der ein verhältnismäßig häufig auftretendes Operationsrisiko verharmlost und dadurch bei dem Patienten unrichtige Vorstellungen über das Ausmaß der Gefahr erweckt, seiner Aufklärungspflicht nicht nachkommt". 132 Allgemeine Meinung, vgl. Tempel, NJW 1980, 609, 615 sowie Laufs, in: Laufs/Uhlenbruck, HdB ArztR, § 66 Rz. 14. 133 BGH, Urt. v. 21. 9. 1982, BGHZ 85, 212 ff.; BGH, Urt. v. 8. 1. 1985, NJW 1985, 1399 ff.; BGH, Urt. v. 28. 2. 1984, VersR 1984, 538, 539 f.; BGH, Urt. v. 29. 9. 1998, VersR 1999, 150 ff.; Wendehorst, L M § 823 (Dd) BGB Nr. 26; Steffen/Dressier, Arzthaftungsrecht, Rz. 435. 134 Laufs, in: Laufs/Uhlenbruck, HdB ArztR, § 66 Rz. 15.
IV. Das Selbstbestimmungsrecht des Patienten
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Diese Kritik hält die von der Rechtsprechung entwickelten Anforderungen an eine hinreichende Aufklärung für überzogen: Für Ärzte seien sie längst nicht mehr überschaubar. 135 Dem Arzt würden Verantwortung und Haftungsrisiken aufgebürdet, die zu reiner Defensivmedizin führten. 136 Die Kritik an einem neueren Referentenentwurf zur strafrechtlichen Erfassung eigenmächtiger Heilbehandlung,137 der Entwurf leiste es nicht, Inhalt, Grenzen und Modalitäten der von der Rechtsprechung immer feiner ausgestalteten Aufklärungspflicht so zu normieren, daß dem verfassungsrechtlichen Bestimmtheitsgebot - Art. 103 Abs. 2 GG - Genüge getan werde, 138 veranschauliche dies deutlich. Im übrigen sei die Beweislastverteilung, die dem Arzt die Last einer ordnungsgemäßen Aufklärung auferlege, verfehlt. Wie bereits die höchstrichterliche Rechtsprechung betont habe, 139 mißbrauche der Patient die Aufklärungslast vielfach, indem er die Verletzung einer nicht ordnungsgemäßen Aufklärung erst dann moniere, wenn sich Diagnose- und Therapiefehler nicht nachweisen ließen, um auf diese Weise Ansprüche auf Schadensersatz und Schmerzensgeld stützen zu können. 140 Schließlich würden viele Patienten durch eine Aufklärung, wie sie die ganz herrschende Auffassung im Anschluß an die Rechtsprechung verlange, überfordert. In der Situation ihrer Krankheit seien sie nicht in der Lage, dem Aufklärungsgespräch zu folgen und seinen Inhalt so zu verstehen, daß eine selbstbestimmte Entscheidung ermöglicht werde. Im übrigen erinnerten sich insbesondere viele ältere Patienten bereits kurze Zeit nach der Aufklärung nicht mehr an ihren Inhalt. 141 Deshalb sei die Aufklärung zum Zwecke der Ermöglichung einer selbstbestimmten Patientenentscheidung reine Förmelei oder gar schädlich, eine selbstbestimmte Entscheidung tatsächlich nicht zu erreichen. Dieser Kritik wird man jedoch nicht folgen können, wenngleich sie ansatzweise nicht unberechtigt erscheint und viele Probleme, die sich im Rahmen der vorliegenden Bearbeitung stellen, erübrigen würde. Daß eine Aufklärung, wie sie heute grundsätzlich von Rechtsprechung und Lehre für erforderlich gehalten wird, vielen Patienten wenig Hilfe für eine selbstbestimmte Entscheidung bietet, hat seinen Grund vor allem darin, daß das Arzt-Patienten-Verhältnis trotz der immer wieder beschworenen „Partnerschaft" überwiegend von Paternalismus und einschüchternder Stimmung gekennzeichnet wird. 1 4 2 Das aufgrund der Stellung des Arztes als „Experte" gegenüber dem Patienten als medizinischem Laien naturgemäß be135
Dazu und zum folgenden etwa Mayer-Maly, FS Deutsch, 667, 669 f.; Rumler-Detzel, FS Deutsch, 699,700. 136 Franzki, MedR 1994,171, 176; Ehlers, Ärztliche Aufklärung, 11. 1 37 Vgl. dazu Schroeder, Besondere Strafvorschriften gegen eigenmächtige und fehlerhafte Heilbehandlung, 9 ff. - Vgl. auch § 229 RefE 1996. "β Müller, DRiZ 1998, 155, 159 f. 139 BGH, Urt. v. 7. 2. 1984, NJW 1984, 1397, 1399. 140 Tempel, NJW 1980, 609, 617; Franzki, MedR 1994, 171, 176. 141 Schroeter, Ärztliche Aufklärung bei älteren internistischen Patienten, passim; Saternus/Kernbach-Wighton, FS Deutsch, 723 ff. 142 Vgl. dazu nur Taupitz, AcP 191 (1991), 201, 203.
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1. Teil: Dogmatische Grundlagen
stehende Subordinationsverhältnis, der Scheu vor dem medizinischen Apparat sowie des vielfach zutreffenden Eindrucks des Patienten, die Zeit des Arztes für ihn sei allzu knapp bemessen, führen dazu, daß Patienten dem Aufklärungsgespräch gar nicht erst folgen oder es unterlassen, nachzufragen. 143 Stattdessen vertraut der Patient darauf, der Arzt werde schon das Richtige tun; diese Haltung erlangt namentlich Bedeutung für einen noch näher zu behandelnden Aufklärungsverzicht des Patienten. Wenn dies der Fall ist, kann es aber schwerlich richtig sein, dem Patienten auch noch die Obliegenheit aufzuerlegen, die erforderlichen Sachinformationen vollständig einzufordern, denn dann würde man die Unmündigkeit des Patienten gerade fördern. Die Zivilrechtsordnung darf es sich nicht zur Aufgabe machen, das Selbstbestimmungsrecht des Patienten außer Kraft zu setzen. Für die Richtigkeit der Tatsache, daß dem Arzt der Nachweis einer ordnungsgemäß erfolgten Aufklärung obliegt, 144 spricht zunächst, daß der Arzt durch sein aktives Eingreifen in die Persönlichkeitssphäre des Patienten das Risiko der Unaufklärbarkeit des Geschehensablaufs geschaffen hat. 145 Im übrigen dürfte der Patient den Negativbeweis mangelnder Aufklärung de facto kaum je führen können, 146 so daß er nahezu rechtlos gestellt würde, wohingegen dies beim Arzt, in dessen Sphäre die Ereignisse ablaufen, gerade anders ist. Schließlich bedarf es eines Hinweises darauf, daß die von der Gegenmeinung befürchtete Überlastung des Arztes durch überzogene Anforderungen an eine ordnungsgemäße Aufklärung durch zunehmende Bemühungen der Rechtsprechung, diese Belastung in Grenzen zu halten, gemildert wird. 1 4 7 Der Bundesgerichtshof hat entschieden, eine ordnungsgemäße Aufklärung sei dann gegeben, wenn eine ständige Praxis hinreichender Aufklärung etwa im Wege der Parteivernehmung oder durch Zeugen nachgewiesen werde. 148 Des weiteren läßt er den Einwand des Arztes zu, daß der Patient die Einwilligung auch erteilt hätte, wenn er zutreffend aufgeklärt worden sei (Einwand rechtmäßigen Alternativverhaltens), und diesen Einwand kann der Patient nur entkräften, wenn er plausible Gründe anführen kann, daß er sich im Falle erfolgter Aufklärung in einem echten Entscheidungskonflikt befunden haben würde. 149 Die These, daß der Arzt mit dem Risiko eines Aufklärungsmangels unverhältnismäßig belastet werde, trifft deshalb nur sehr eingeschränkt zu. Sprechen demzufolge die gewichtigeren Gründe für die Richtigkeit des Erfordernisses und der Konzeption der Selbstbestimmungsaufklärung, wie sie von der heute ganz herrschenden Auffassung skizziert wird, so sollte auch an dieser Konzeption festgehalten werden. ι « Steffen, Referat 52. DJT, I 8,113. 144 Die Verteilung der Beweislast ist Konsequenz der oben sub 3. vertretenen Auffassung. 145 Taupitz, Gutachten 63. DJT, A 30; Brüggemeier, Deliktsrecht, Rz. 702. 146 Dazu bereits supra 3. 147 Vgl. zum folgenden etwa Laufs, in: Laufs/Uhlenbruck, HdB ArztR, § 68 Rz. 22. 148 BGH, Urt. v. 14. 6. 1994, NJW 1994, 3009, 3010. 149 Siehe dazu Geiß/Greiner, Rz. 137 ff.
IV. Das Selbstbestimmungsrecht des Patienten
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d) Umfang der Aufklärung Wurde damit geklärt, daß es der Selbstbestimmungsaufklärung durch den Arzt bedarf, und wurden ihre wesentlichen Grundzüge dargestellt, soweit sie für diese Arbeit Bedeutung erlangen, so ist nunmehr der Umfang der ärztlichen Aufklärungspflicht von Wichtigkeit. Die Frage des Umfangs betrifft einerseits die grundsätzlich gebotene inhaltliche Dichte bzw. sachliche Weite der Aufklärung, andererseits aber ebenso besondere Einschränkungen einer an sich gebotenen Aufklärung, 150 die im Schrifttum jedoch auch als „Grenzen und Entbehrlichkeit der Aufklärung" 151 diskutiert werden. Gerade bei sterbenskranken Patienten stellt sich die Frage, ob und inwieweit eine umfassende Aufklärung überhaupt möglich oder geboten ist bzw. sinnvoll erscheint.
aa) Allgemeine Kriterien für den Aufklärungsumfang Die zivilrechtliche Judikatur hat im Laufe der Jahre versucht, den Umfang der Aufklärungspflicht zu konkretisieren, was jedoch - wie bereits betont - zu einer schwer überschaubaren und zum Teil auch weitungswidersprüchlichen Kasuistik geführt hat. 1 5 2 Im übrigen „erweist es sich angesichts der Singularität jedes einzelnen medizinischen Falles als unmöglich, eine abschließende Formel über den exakten Umfang und Inhalt der ärztlichen Aufklärungspflicht zu finden". 153 Da der Umfang der Aufklärungspficht also ohnehin einzelfallbezogen ist, sollen hier nur für die vorliegende Arbeit wichtige und generalisierbare Aspekte dargestellt werden. Einen wesentlichen Faktor für den Aufklärungsumfang stellt der Dringlichkeitsgrad des Eingriffs dar. Die Dringlichkeit des Eingriffs kann sich aus zeitlichen oder sachlich-medizinischen Aspekten ergeben. 154 Nach Auffassung der Rechtsprechung und dem ganz überwiegenden Teil der medizinrechtlichen Literatur besteht ein reziproker Zusammenhang zwischen medizinischer Indikation und Aufklärungsumfang (sachliche Dringlichkeit)} 55 Je vitaler die Indikation - was von Bedeutung namentlich bei lebensnotwendigen Maßnahmen der Fall ist - , desto pauschaler kann die Aufklärung sein. Ist also beispielsweise eine Uterusentfernung nur relativ indiziert, weil ihre Erforderlichkeit vom Sicherheitsbedürfnis der 150 Deutsch, Medizinrecht, Rz. 120 ff. 151 Vgl. Laufs, in: Laufs/Uhlenbruck, HdB ArztR, § 64 Rz. 15; Hager, in: Staudinger, 13. Bearb., § 823 Rz. 1100 f. 152 Vgl. dazu nur die umfassende Rechtsprechungsübersicht von Mertens, in: MüKo, § 823 Rz. 423 ff. 153 Knoche, NJW 1989, 757, 757. 154 Vgl. statt aller Deutsch, Medizinrecht, Rz. 121 f. 155 Vgl. nur BGH, Urt. v. 7. 2. 1984, BGHZ 90, 103, 105 f.; Deutsch, Medizinrecht, Rz. 122; Laufs, in: Laufs/Uhlenbruck, HdB ArztR, § 66 Rz. 4.
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1. Teil: Dogmatische Grundlagen
Patientin abhängt, muß der Arzt die Lage mit ihr besprechen. 156 Bei einer kosmetischen Operation bedarf es folglich einer sehr umfassenden und schonungslosen Aufklärung: 157 Der Arzt muß den Patienten darüber unterrichten, welche Verbesserungen dieser günstigstenfalls erwarten kann, welche Risiken er auf sich nimmt, namentlich mit welchen bleibenden Entstellungen er rechnen muß. Auch je weniger zeitlich dringlich der Eingriff ist, desto höhere Anforderungen sind an den Aufklärungsumfang zu stellen. 158 Sind lebensnotwendige Maßnahmen unverzüglich durchzuführen, weil das Leben des Patienten bedroht und deshalb der Eingriff unaufschiebbar ist, sind die Anforderungen an den Aufklärungsumfang dagegen zwangsläufig reduziert: 159 Sucht ein Patient etwa die Klinik wegen eines sog. „akuten Bauchs" mit schweren Schmerzen als Notfall auf, genügt es unter den besonderen Umständen, wenn ihm vor der späteren Magenresektion mitgeteilt wird, daß - je nach Befund - der Magen genäht oder entfernt wird. 1 6 0 Demzufolge besteht je nach Einzelfall eine Bandbreite unterschiedlicher Dringlichkeitsstufen. Allerdings bedeutet dies nicht, daß das Selbstbestimmungsrecht des Patienten umso weniger zählt, je notwendiger sich ein Eingriff aus medizinischer Sicht erweist. „Denn auch bei vitaler Indikation eines Eingriffs verlangt das Selbstbestimmungsrecht des Patienten, daß sein Arzt ihm die Möglichkeit läßt, über den Eingriff selbst zu entscheiden und ihn gegebenenfalls abzulehnen, auch wenn ein solcher Entschluß medizinisch unvernünftig ist". 1 6 1 Der Umfang der prinzipiell gebotenen Aufklärung hängt darüber hinaus von zahlreichen weiteren Faktoren ab, von denen hier beispielhaft Bildungsstand sowie geistige und sprachliche Fähigkeiten genannt seien. Eine Person von typischerweise hohem Bildungsstand - nach dem Bundesgerichtshof beispielsweise die Tochter eines Rechtsanwalts - soll nach Auffassung des Gerichts regelmäßig über höhere kognitive Kompetenzen verfügen als etwa ein „einfacher Arbeiter [ . . . oder ein] Mädchen aus dörflichen Verhältnissen" 162 und deshalb ein größeres Maß an Einsichts- und Erkenntnisfähigkeit besitzen. Gesteigerte Aufmerksamkeit des Arztes 156 BGH, Urt. v. 6. 5. 1996, VersR 1997,451 ff. 157 Tempel, NJW 1980, 609, 612; Mertens, in: MüKo, § 823 Rz. 423; Hager, in: Staudinger, 13. Bearb., § 823 Rz. I 85. 158 BGH, Urt. v. 16.11.1971, NJW 1972,335,335 f.; BGH, Urt. v.7.2.1984, BGHZ 90,96, 98 ff.; Bockelmann, StrafR des Arztes, 59; Tempel, NJW 1980,609,612; Thomas, in: Palandt, § 823 Rz. 48; Lenckner, in: Eser /v. Lutterotti / Sporken, Aufklärung/Aufklärungspflicht, in: Lexikon Medizin-Ethik-Recht, Sp. 131,143; Voll, Einwilligung im Arztrecht, 123. 159 Giesen, Arzthaftungsrecht, 144 f.; Voll, Einwilligung im Arztrecht, 124 f. 160 Fall von OLG Saarbrücken, Urt. v. 2. 10. 1987, VersR 1988, 95 ff. 161 BGH, Urt. v. 7. 2. 1984, BGHZ 90, 103,105 f. 162 Vgl. BGH, Urt. v. 23. 10. 1979, NJW 1980,633,635: Eine Patientin unterzog sich einer Blinddarmoperation. Es kam zu einer Bauchfellentzündung, die zu Sterilität führte. Der Bundesgerichtshof führte aus, es genüge, wenn sich der Arzt davon überzeugt habe, daß die Patientin nicht irrig davon ausgehe, es handele sich wegen der Alltäglichkeit um einen ganz ungefährlichen Eingriff. Dies folge aus der Person der Patientin, die Inspektorin und Tochter eines Rechtsanwalts sei. Der Arzt hatte lediglich gesagt, eine Operation sei eben eine Operation.
IV. Das Selbstbestimmungsrecht des Patienten
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wird etwa im Falle der Behandlung eines fremdsprachigen Patienten gefordert: Bestehen auch nur geringste Zweifel an der Kommunikationsfähigkeit, dem Verständnis oder zutreffenden Vorstellungen des Kranken, muß der Arzt nachfragen, gegebenenfalls ein weiteres Mal die Situation - unter Umständen unter Zuhilfenahme von Angehörigen oder gar Dolmetschern - verständlich erklären. 163 Es kommt bei alledem darauf an, daß der Patient vom Arzt nicht falsch verstanden wird; er muß vielmehr in die Lage versetzt werden, eine Entscheidung zu treffen, die auf einer genauen und zutreffenden Kenntnis seiner Situation beruht. Soweit der Patient im Einzelfall aufgrund seiner Intelligenz oder Vertrautheit mit einer bestimmten Krankheit über mehr Einsichts- und Verständnisfähigkeit verfügen sollte als dies üblicherweise der Fall ist, wirkt sich dies also auf den Umfang der ärztlichen Aufklärungspflicht aus. Besonderheiten für den Umfang der ärztlichen Aufklärungspflicht ergeben sich insbesondere bei einem Patienten bzw. seinem gesetzlichen Vertreter, der - wie im Rahmen der vorliegenden Arbeit näher zu untersuchen ist - lebensnotwendige Behandlungsmaßnahmen ablehnt. Daß dem entscheidungsfähigen Patienten bzw. im Falle der Entscheidungsunfähigkeit - seinem gesetzlichen Vertreter das Recht zu einer Behandlungsverweigerung zusteht, ist - wie bereits dargelegt wurde - unbestritten. Der Arzt darf seine Verweigerung jedoch nicht vorschnell akzeptieren. Ihn trifft in einem solchen Fall vielmehr die Pflicht, dem Patienten die Folgen einer Nichtbehandlung in vollem Umfang und deutlich vor Augen zu führen. Unterläßt der Arzt diese Aufklärung, handelt er rechtswidrig und haftet im Verschuldensfall auf Schadensersatz. Eine Verweigerung der Behandlungseinwilligung durch Patient oder Vertreter bleibt für den Arzt also nur dann ohne Folgen, wenn er unter eingehender Erörterung der Folgen aufgeklärt hat. 1 6 4
bb) Besondere Einschränkungen der Aufklärungspflicht Ist damit deutlich geworden, daß auch Schwerkranke bzw. dem Tode nahe Patienten oder ihre Vertreter grundsätzlich aufgeklärt werden müssen, so bleibt nunmehr zu klären, ob diese Aufklärungspflicht in einem solch sensiblen Bereich nicht Grenzen hat oder gar völlig aufgehoben wird.
(1) Informierter Patient Von dem Grundsatz, daß eine Einwilligung nur nach erfolgter Aufklärung rechtfertigende Wirkung hat, gibt es zunächst folgende wichtige Ausnahme: Ein bereits 163 Laufs, in: Laufs/Uhlenbruck, HdB ArztR, § 66 Rz. 5 a. E. 164 Deutsch, NJW 1982, 2585, 2585 f.; ders., NJW 1979, 1905, 1908 f.; Mertens, in: MüKo, § 823 Rz. 449.
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1. Teil: Dogmatische Grundlagen
informierter Patient muß nicht aufgeklärt werden. 165 Es kommt lediglich darauf an, daß der Patient ausreichend über Wesen, Bedeutung, Tragweite, Risiken und Folgen unterrichtet ist. Denn auch dann kann von irrtumsfreier Ausübung des Selbstbestimmungsrechts gesprochen werden. Vorkenntnisse und der allgemeine Bildungsstand des Kranken sind also in Rechnung zu stellen. Dabei kommt es nicht darauf an, wie dieser die Kenntnisse erlangt hat: Er kann einen ärztlichen Eingriff schon erlebt, von der Krankenschwester oder seinem Mitpatienten 166 etwas erfahren, Bücher oder Broschüren studiert haben oder gar selbst Arzt sein. 167 Ist der Patient hinreichend informiert und unterbleibt eine Aufklärung aus diesem Grund, so handelt es sich nicht um einen - sogleich zu behandelnden - 1 6 8 Aufklärungsverzieht: 169 Denn der informierte Patient kann die bereits vorhandene Kenntnis nicht mehr nachträglich ablehnen. Er kann lediglich auf ein ärztliches Verhalten verzichten, das seiner ohnehin schon gegebenen Aufklärung dienen soll.
(2) Aufklärungsverzicht In Rechtsprechung und rechtswissenschaftlicher Literatur besteht des weiteren Einigkeit darüber, daß ein Patient auf eine ärztliche Aufklärung verzichten kann. Dies wird damit begründet, daß das Selbstbestimmungsrecht des Patienten diesem zwar einen Anspruch auf eine umfassende Aufklärung gibt, aber nicht dazu führen darf, daß er mit Informationen über seine Krankheit belastet wird, die er nicht erfahren w i l l : 1 7 0 Zur personalen Autonomie gehört auch das „Recht auf Nichtwissen". 171 Eine Einwilligung des Patienten kann deshalb auch dann wirksam sein, wenn eine ärztliche Aufklärung nicht erfolgt ist, weil der Patient darauf verzichtet. 165 BGH, Urt. v. 26. 3. 1963, VersR 1963, 659, 659; BGH, Urt. v. 15. 5. 1979, NJW 1979, 1933, 1934; Roßner, 94; Giesen, Wandlungen, 69; Kleinewefers, VersR 1981, 99, 102; Rieger, Lexikon ArztR, Rz. 262; Kern/Laufs, Ärztliche Aufklärungspflicht, 11; Laufs, in: Laufs/Uhlenbruck, HdB ArztR, § 64 Rz. 15. 166 Mit Recht stellt Kern, MedR 1986, 176, 177, fest, daß eine Wissensvermittlung durch Mitpatienten ausreiche, „weil es nicht darauf ankommt, woher der Patient sein Wissen bezogen hat, sondern darauf, daß er es hat". - Anderer Ansicht ist u. a. Schlosshauer-Selbach, JuS 1983, 913, 914, der in wenig überzeugender Weise damit argumentiert, daß „dem Patienten die notwendige Information nicht von irgendwoher zufliegen" dürfe, er müsse „die eindeutige Autorität des Arztes genießen". Es könne keine hinreichende Aufklärung vorliegen, wenn „den Patienten beim Bierholen ein Mitpatient zufällig anspreche und sich mit Äußerungen zu medizinischen Fragen wichtig macht". 167 Kern, MedR 1986,176, 177; Deutsch, Medizinrecht, Rz. 121. 168 Vgl. dazu sub bb. bbb. 169 Kern /Laufs, Ärztliche Aufklärungspflicht, 106; Roßner, 94. 170 BGH, Urt. v. 28. 11. 1972, NJW 1973, 556, 557 f.; Roßner, NJW 1990, 2291, 2295; Laufs, in: Laufs/Uhlenbruck, HdB ArztR, § 64 Rz. 17; Kern/Laufs, Ärztliche Aufklärungspflicht, 118. 171 Laufs, NJW 1999, 1758, 1765. - Vgl. auch Taupitz, in: FS Wiese, 583, 583 f.
IV. Das Selbstbestimmungsrecht des Patienten
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Ein solcher Aufklärungsverzicht liegt in einer ausdrücklichen oder stillschweigenden Erklärung des Patienten gegenüber dem Arzt, sich überhaupt kein oder kein vollständiges Bild von den grundsätzlich aufklärungsbedürftigen Umständen machen zu wollen, sondern die Entscheidung vertrauensvoll in die Hände des Arztes zu legen. Der Verzicht ist, seinem rechtlichen Charakter entsprechend, an den für die Einwilligung geltenden Regeln zu messen.172
(a) Ausdrücklicher
und konkludenter
Verzicht
Im Hinblick auf die tatsächlichen Anforderungen an einen Aufklärungsverzicht wird im Schrifttum vertreten, ein solcher sei nur unter strengen Voraussetzungen zulässig.173 Es stellt sich also die Frage, wann von einer verbindlichen Verzichtserklärung gesprochen werden kann. Unproblematisch ist zunächst die ausdrückliche Erklärung eines Patienten, auf eine ärztliche Aufklärung in bestimmtem Umfang zu verzichten. 174 Schwieriger ist dagegen die Frage zu beurteilen, ob sich ein Verzicht auch aus einem schlüssigen also nach seiner Aussagekraft in Verbindung mit anderen Umständen eindeutigen - Verhalten des Patienten herleiten läßt. In der Rechtsprechung wurde vereinzelt die Auffassung vertreten, daß eine wirksame Einwilligung bei unvollständiger Aufklärung einen ausdrücklichen Verzicht des Patienten voraussetze. 175 Auch in der medizinrechtlichen Literatur wird vertreten, ein wirksamer Verzicht fordere seine ausdrückliche Erklärung. 176 Demnach käme ein konkludenter Verzicht nicht in Betracht. Indes erscheinen diese Stimmen aus Rechtsprechung und Literatur wegen der in der zivilrechtlichen Dogmatik anerkannten Unterscheidung von ausdrücklichen und konkludenten Erklärungen in sich widersprüchlich, wenn sie einerseits Ausdrücklichkeit der Verzichtserklärung verlangen, andererseits aber ausführen, ein Verzicht sei auch konkludent durch schlüssiges Verhalten möglich. Es ist kein Grund ersichtlich, einer konkludenten Verzichtserklärung nicht ebenso Rechtsverbindlichkeit zuzusprechen wie einer ausdrücklichen, zumal sich die Verzichtserklärung nach den Grundsätzen der Einwilligung beurteilt, die entweder als Willenserklärung oder rechtsgeschäftsähnliche Handlung zu qualifizieren ist, 1 7 7 die für Willenserklärungen geltenden Grundsätze also jedenfalls entsprechende 172 Kern/Laufs, Ärztliche Aufklärungspflicht, 119; Roßner, NJW 1990, 2291, 2292; ders., 94. 1 73 Giesen, Wandlungen, 56; Kern/Laufs, Ärztliche Aufklärungspflicht, 119; Roßner, NJW 1990, 2291, 2293. - Anderer Ansicht ist freilich Schuck, Aufklärungslast, 54, der die Auffassung vertritt, an einen Aufklärungsverzicht seien „keine allzu hohen Anforderungen" zu stellen. 174 Hagedorn, 103. 175 OLG Frankfurt/Main, Urt. v. 10. 7. 1972, NJW 1973, 1415, 1416. 176 Ehlers, Ärztliche Aufklärung, 101. 177 Vgl. dazu sogleich sub V. 2. 4 Heyers
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1. Teil: Dogmatische Grundlagen
Anwendung finden. Deshalb erscheint es sachgerecht, mit der ganz herrschenden Meinung von der rechtlichen Verbindlichkeit eines Verzichts durch schlüssiges Verhalten auszugehen.178 Zu untersuchen bleibt lediglich, welche Anforderungen an einen konkludenten Verzicht zu stellen sind. Es bedarf eines Verhaltens des Patienten, das eindeutig und ernsthaft den Willen zum Ausdruck bringt, in Kenntnis eines grundsätzlichen Rechts auf Aufklärung auf diese zu verzichten. 179 Ein Patient verzichtet konkludent, wenn der Arzt seine Äußerungen und das sonstige Verhalten des Patienten nach den besonderen Umständen des Falles und unter Berücksichtigung der Verkehrsanschauung dahin verstehen kann, daß dieser im Bewußtsein der Komplikationsmöglichkeit mit dem Eingriff einverstanden ist. 1 8 0 In der Rechtsprechung ist ein konkludenter Verzicht auf weitere Erläuterungen auch in Erwägung gezogen worden, wenn der Patient gelegentlich geäußert hatte, der Arzt „werde schon das Richige tun". 1 8 1 Dagegen kann man dem bloßen Schweigen eines Patienten eine schlüssige Erklärung, auf eine Aufklärung verzichten zu wollten, nicht entnehmen; ein solcher Erklärungswert kommt nur bei Hinzutreten weiterer Umstände, die gerade auf einen entsprechenden Willen schließen lassen, in Betracht. 182 Beispielsweise ist es nach der Rechtsprechung und der rechswissenschaftlichen Literatur vertretbar, einem Patienten, der sich über ein erhöhtes Operationsrisiko im großen und ganzen im klaren ist, eine Fragelast dahingehend aufzuerlegen, daß ein näheres Eingehen des Arztes auf die möglichen Zwischenfälle von entsprechenden Fragen des Patienten abhängig gemacht wird. 1 8 3 Werden solche Fragen nicht gestellt, liegt im Schweigen des Patienten ein Aufklärungsverzicht.
(b) Umfang des Verzichts Nachdem dargetan wurde, unter welchen Voraussetzungen von einer Verzichtserklärung ausgegangen werden kann, muß im folgenden der Umfang geklärt werden, in dem ein Aufklärungsverzicht möglich ist. Es fragt sich, ob ein genereller Verzicht auf jegliche Aufklärung als vertretbar angesehen werden oder ob sich ein Verzicht nur auf einen engeren Teilbereich der Aufklärung beschränken kann.
ne Roßner, NJW 1990, 2291, 2294; Deutsch, Medizinrecht, Rz. 148; ders., NJW 1983, 1351, 1351; Nüßgens, in: RGRK, § 823 Anh. I I Rz. 141 ff., insbes. 143; Ehlers, Ärztliche Aufklämng, 101; Tempel, NJW 1980, 609, 614; Schmid, NJW 1984, 2601, 2606; Kern/ Laufs, Ärztliche Aufklärungspflicht, 120. 179 Deutsch, NJW 1983, 1351, 1354; Mertens, in: MüKo, § 823 Rz. 445. 180 So die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, vgl. BGH, Urt. v. 26. 9. 1961, VersR 1961, 1036, 1038; Schuck, Aufklärungslast, 52. 181 BGH, Urt. v. 4. 11. 1975, NJW 1976, 363, 364. 182 Kern/Laufs, Ärztliche Aufklärungspflicht, 120; Hagedorn, 104 f. 183 BGH, Urt. v. 28. 11. 1972, NJW 1973, 556, 558; Schmid, NJW 1984, 2601, 2604.
IV. Das Selbstbestimmungsrecht des Patienten
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Teilweise wird in der medizinrechtlichen Literatur ein genereller Verzicht für möglich gehalten. Ein Verzicht setze keinerlei Vorinformationen voraus. 184 Dieser Meinung muß aber entgegengehalten werden, daß eine Person nur dann auf etwas verzichten kann, wenn sie wenigstens ansatzweise weiß, worauf sie verzichtet. Ein Verzicht setzt zwar keine detaillierten Informationen voraus, jedoch muß der Patient zumindest eine vage Vorstellung von den Konturen des Verzichtsgegenstands haben. 185 Der Patient sollte deshalb mindestens die Erforderlichkeit des Eingriffs kennen, dessen Art und den Umstand, daß der Eingriff nicht ganz ohne Risiko verläuft und daß dieses Risiko in Kauf genommen werden muß. 186 Ein „Blankoverzicht" ist demzufolge unwirksam.
(3) Therapeutisches Privileg Schließlich wird in der medizinischen, medizinethischen und medizinrechtlichen Literatur lebhaft diskutiert, ob und inwieweit die Pflicht zur Aufklärung ausnahmsweise Einschränkungen unterliegt, wenn therapeutische Gründe einer vollen oder gar nur teilweisen Aufklärung entgegenstehen. Der Kern der Fragestellung liegt darin, „wie schwer die zu erwartende Unbill sein [muß], mit welcher Wahrscheinlichkeit sie drohen [muß]", damit eine medizinische Kontraindikation zur Aufklärung angenommen werden kann. 187 Damit ist die schwierige Frage der „Wahrheit am Krankenbett" angesprochen: Wie kann dem Selbstbestimmungsrecht des Patienten entsprochen werden, ohne dem körperlich-seelischen Wohlergehen möglicherweise zuwiderzuhandeln? Voluntas aut salus aegroti suprema lex? 1 8 8 Die Problematik stellt sich zwar weniger im Falle der Entscheidungsunfähigkeit des Patienten, die eine Aufklärung des gesetzlichen oder gewillkürten Vertreters erforderlich macht. Für die vorliegende Untersuchung ist sie aber schon deshalb von 184 Spann, Ärztliche Rechts- und Standeskunde, 136; Hagedorn, 103; Schuck, Aufklärungslast, 53. 185 Ehlers, Ärztliche Aufklärung, 100; Roßner, NJW 1990, 2291, 2294 f.; Laufs, in: Laufs/Uhlenbruck, HdB ArztR, § 64 Rz. 18. 186 BGH, Urt. v. 28. 11. 1972, NJW 1973, 556, 558; Laufs, in: Laufs/Uhlenbruck, HdB ArztR, § 64 Rz. 18; ders., in: Arztrecht, Rz. 207; Hager, in: Staudinger, 13. Bearb., § 823 Rz. 1100 a. E.; Mertens, in: MüKo, § 823 Rz. 455. 187 Laufs, in: Laufs / Uhlenbruck, HdB ArztR, § 64 Rz. 20. - Vgl. dazu auch Roßner, 97. 188 Ein berühmtes Beispiel bildet der von Thomas Mann geschilderte Fall Theodor Storms: Ärzte hatten festgestellt, daß der Dichter an einem Karzinom litt. Storm wurde die Diagnose mitgeteilt, und er brach daraufhin zusammen, war unfähig zu arbeiten und verlor jeden Lebensmut. Daraufhin wurde ein Ärztekonzil eingesetzt, das den ersten Befund prüfen sollte. Die Diagnose wurde bestätigt, doch teilte man Theodor Storm nicht seine wahre Erkankung mit, sondern berichtete ihm, es handele sich um keine schwerwiegende Erkrankung. Der Dichter lebte wieder auf und schuf den „Schimmelreiter". „Das Meisterwerk, mit dem Storm sein Künstlerleben krönte, ist ein Produkt barmherziger Illusionierung" (Thomas Mann). In Goethes „West-Östlichem-Diwan" heißt es: „Verzweifeln müßte jeder Kranke, das Übel kennend, wie der Arzt es kennt".
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1. Teil: Dogmatische Grundlagen
Relevanz, weil der Aufklärungsumfang bei entscheidungsfähigen Schwer- bzw. Terminalkranken Bedeutung bei der Klärung der Frage gewinnt, welche Voraussetzungen an eine antezipierte, d. h. vorweggenommene und in gesunden Tagen erfolgende Aufklärung über eine potentielle spätere Krankheit zu stellen sind, damit eine antezipierte Behandlungsanweisung - hier: Patientenverfügung - rechtsverbindlich ist. 1 8 9 Die Rechtsprechung vertritt bei der Frage, ob dem Arzt ein „therapeutisches Privileg" grundsätzlich zuzugestehen sei, eine sehr restriktive Linie. 1 9 0 Zwar erkennt der Bundesgerichtshof an, daß die Aufklärung keinesfalls einer schonungslosen Offenheit bedürfe. Sie könne unter Umständen sogar einen Arztfehler, womöglich eine Körper- und Gesundheitsverletzung darstellen. 191 Doch sei ein Unterlassen der Aufklärung nur dann zulässig, wenn „zwingende therapeutische Gründe für eine besondere Schonung des Patienten [ . . . ] ersichtlich" 192 sind. Diese sieht das Gericht in einer drohenden „ernsthaften und nicht behebbaren Gefährdung von Leben und Gesundheit".193 Eine allgemeine Beunruhigung oder depressive Verstimmung reiche nicht aus. Die therapeutische Unzumutbarkeit der Aufklärung könne auch nicht allgemein mit der Schwere der Krankheit begründet werden. Allein maßgeblich sei die gesundheitsschädliche Wirkung, die jeweils von der körperlichen und seelischen Verfassung des Patienten abhänge. Handelt es sich also beispielsweise um einen aufgrund seiner Krebskrankheit psychisch labilen Patienten, der schonungslos aufgeklärt wird, so kann diesem unter Umständen jeder Lebenswille genommen werden, was sich lebensverkürzend auszuwirken oder gar - wie in der Praxis nicht selten - zu einem Suizid zu führen vermag. Ähnliche Maßstäbe legen auch Urteile anderer Obergerichte an. Das KG hält ein therapeutisches Privileg schon deshalb für fragwürdig, weil „ein Versteckspiel oder ein Um-die-Wahrheit-Herumreden des Arztes möglicherweise gerade schlimmere Folgen haben kann als die Mitteilung der Wahrheit". 194 Damit berührt das Gericht einen in der medizinrechtlichen Literatur bislang unterschätzten Gesichtspunkt: Die Problematik läßt sich nämlich nicht darauf reduzieren festzustellen, ob dem Selbstbestimmungsrecht durch schonungslose Aufklärung Rechnung getragen oder dem Patienten wohl durch Schweigen gedient werden soll: Abgesehen davon, daß beide Parameter möglicherweise nicht übereinstimmen, kann die Mitteilung der Wahrheit dem Selbstbestimmungsrecht des Patienten ebenso dienen wie seinem
189 Vgl. dazu 2. Teil, II. 3. c) bb). 190 Laufs, in: Laufs / Uhlenbruck, HdB ArztR, § 64 Rz. 20: „judizierte hier sehr streng und engherzig". 191 BGH, Urt. v. 7. 2. 1984, BGHZ 90, 103, 109 f.; BGH, Urt. v. 23. 11. 1982, BGHZ 85, 327, 333. 192 BGH, Urt. v. 15. 5. 1979, NJW 1979, 1933,1934.
193 BGH, Urt. v. 16. 1. 1959, BGHZ 29, 176, 182, im Anschluß an BGH, Urt. v. 9. 12. 1958, BGHZ 29,46, 56 - „2. Elektroschockurteil". 194 KG, Urt. v. 1. 6. 1981, NJW 1981, 2521, 2523.
IV. Das Selbstbestimmungsrecht des Patienten
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Wohl, ebenso wie ein Schweigen dem Patientenwillen Rechnung tragen und zu seinem Wohl gereichen kann. Es erscheint deshalb auch wenig sachgerecht, wenn in der rechtswissenschaftlichen Literatur eine Erweiterung der von der Rechtsprechung anerkannten Ausnahmen einer umfassenden Aufklärung pauschal mit der Begründung gefordert wird, daß das ethische Postulat der Nichttäuschung durch den Grundsatz „nil nocere" modifiziert werden müsse: 195 In Grenzsituationen müsse dem Kranken Hilfe und Schutz gewählt werden, anstatt ihn durch Offenheit zu schädigen. Ebensowenig vorzugswürdig scheint die Auffassung, eine weitgehende Aufklärung könne gar dazu führen, daß der Patient nach Aufklärung den Eingriff eventuell verweigere und damit eine „unvernünftige Entscheidung" treffe. 196 Durch eine solche Argumentation würde die Aufklärungspflicht in einem nicht mehr akzeptablen Maß eingeschränkt und dem Patienten die Selbstbestimmung verweigert. Dies wiegt deshalb umso schwerer, weil es - gerade am Lebensende - „vernünftige" und „unvernünftige" Entscheidungen nicht geben kann: Darin zeigte sich in der Tat „ein schlimmes Maß an Bevormundungsbereitschaft; sie ist absolut unzulässig". 197 Es wird klar, daß eine sachgerechte Lösung der Problematik jedenfalls nicht allein durch einen Rekurs auf die - gegensätzlich verstandenen - Begriffe „Wille" und „Wohl" erfolgen kann. Kritiker des therapeutischen Privilegs erkennen zu Recht an, daß therapeutische Rücksichten nicht generell, sondern nur in Ausnahmefällen eine Einschränkung der gebotenen Aufklärung zum Ziel haben dürfen. Eine restriktive Haltung zur Nichtaufklärung erscheint schon deshalb geboten, damit „sich Ärzte mit Hilfe eines solchen Instituts [nicht] aus ihren Aufklärungsverpflichtungen hinausargumentieren können und damit [ . . . ] die Selbstbestimmung des Patienten aushöhlen".198 Im übrigen ist nicht zu verkennen, daß die Konturen des therapeutischen Privilegs umso mehr verschwimmen, je mehr man eine Ausweitung seiner Voraussetzungen fordert. 199 Der Ermessensspielraum des Arztes würde auf einen unvertretbar großen Radius ausgedehnt und die Vertrauensbeziehung zwischen Arzt und Patient gefährdet, weil ein zu breiter Ermessensspielraum das Mißtrauen des Patienten schüren kann, ob der Arzt ihm tatsächlich die volle Wahrheit vermittelt habe. Nicht allein juristische Überlegungen führen also zu der Erkenntnis, Ausnahmen einer vollen Aufklärung streng zu handhaben, wenngleich klar ist, daß die grundrechtlich geschützte Position des Patienten auf Selbstbestimmung sicher nicht zur vollen Verfügung des Arztes stehen kann. Entscheidend für das Verhältnis zwischen Arzt und Patient ist das Vertrauen in einen von Aufrichtigkeit und Wahrhaftigkeit ge195 Deutsch, NJW 1980, 1305 ff. 196 Deutsch, NJW 1980, 1305, 1306. 197 Tempel, NJW 1980, 609, 614. 198 So Giesen, Arzthaftungsrecht, 169. 199 So will Deutsch, Medizinrecht, Rz. 150, eine im Einzelfall drohende „erhebliche" psychische Störung genügen lassen, ohne daß es auf ihre Behebbarkeit ankäme.
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1. Teil: Dogmatische Grundlagen
prägten Umgang miteinander. Läßt man dem Arzt einen zu großen Spielraum, sich von der Aufklärung zu entlasten, so leistete dies einer ohnehin schon vorhandenen Tendenz Vorschub, die geschuldete Pflicht einer wahrheitsgemäßen Aufklärung „auf die leichte Schulter zu nehmen oder gar völlig zu übergehen". 200 Die Schwere der Krankheit darf dem Patienten im Regelfall nicht vorenthalten werden. Ausschlaggebend ist hier allein das „Wie" der Wahrheitsvermittlung. Gefordert ist keine totale Aufklärung, sondern eine einerseits der Wahrheit verpflichtete, andererseits aber auch einfühlsame und rücksichtsvolle, auf den Patienten abgestimmte Information. Eine derart verstandene Aufklärung stellt weder eine brutale und unmenschliche Eröffnung der Wahrheit noch eine „Perversion des Selbstbestimmungsrechts" 201 dar. 202 Schwerstkranke oder sterbende Menschen ringen in ihrem Leiden um eine Antwort auf die Frage nach dem Sinn ihres Leidens und Sterbens. Aber Leben und Sterben sind nur zwei Seiten ein und derselben Medaille. Schwerkranke Menschen, die mit der Wahrheit über ihren Zustand konfrontiert werden, durchleiden Phasen vom „Nicht-Wahrhaben-Wollen" der Krankheit über die Zorn-, Verhandlungs- und Depressionsphase bis hin zu ihrer Annahme. 203 Auch die Vermittlung der Wahrheit könnte sich so durch ein inhaltlich wie zeitlich abgestuftes Handeln dem steigenden Informationswunsch des Patienten angleichen, wenn zwingende Umstände dies notwendig machen. Es sollte stets bedacht werden, wozu die „Wahrheit am Krankenbett" dient: Sie soll dem Kranken dauerhaft zeigen, worauf er sich in seinem verbleibenden Leben einzustellen hat, und dem Sterbenden Klarheit verschaffen, wie er seine letzte Lebensphase selbstbestimmt gestalten will. Der Patient muß in der Sterbephase die Möglichkeit haben, Unerledigtes im persönlichen Bereich abzuschließen. Dies kann er aber nur, wenn er weiß, wie es um ihn steht. Deshalb geht die Auffassung, „es wäre sinnlos, einem Sterbenden noch die Wahrheit aufzudrängen, wenn er nichts mehr entscheiden kann", 2 0 4 fehl. Wenn der Arzt dem Patienten die Wahrheit vorenthält, mit unvollständigen oder gar falschen Aussagen seine Glaubwürdigkeit verspielt, nimmt er - da ein Sterbender zumeist instinktiv um seinen Zustand weiß - 2 0 5 dem Kranken die Chance und das Recht, seine letzte Lebensphase positiv anzunehmen und sein Leben bewußt zu beenden. Deshalb sollte eine ärztliche Aufklärung im Regelfall nur als kontraindiziert gelten, wenn eine Aufklärung zu einer ernsten und nicht nur vorübergehenden psychischen Beeinträchtigung, zu einer mehr als unerheblichen gesundheitlichen
200 Tempel, NJW 1980,609,617. 201 So Wachsmuth, NJW 1982, 686,687. 202 Siehe dazu Volkenandt/Borasio/Atzpodien, Zschr. f. med. Ethik 1995,117, 118. 203 Vgl. dazu Kübler-Ross, Interviews mit Sterbenden, 41 ff., 50 ff., 77 ff., 80 ff., 99 ff. 204 Tempel, NJW 1980,609,614. 205 Iiihardt, Medizische Ethik, 130.
V. Die Behandlungsanweisung an den Arzt, passive Sterbehilfe zu leisten
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Schädigung oder einer Gefährdung des Heilerfolgs führen würde. 206 Zu dem gleichen Ergebnis kommt die 72. Ländergesundheitsministerkonferenz in ihrem Beschluß vom 10. Juli 1999. In diesem Beschluß heißt es, daß ein therapeutisches Privileg des Arztes lediglich dann in Betracht komme, „wenn Leben oder Gesundheit des betreffenden Patienten durch die Aufklärung erheblich und konkret gefährdet würden". 207
V. Die Behandlungsanweisung an den Arzt, passive Sterbehilfe zu leisten Steht damit fest, daß auch lebensnotwendige Behandlungsmaßnahmen der Einwilligung des Patienten nach Aufklärung bedürfen, so stellt sich nunmehr die Frage, wie die Behandlungsanweisung eines Patienten oder eines für diesen Handelnden an den Arzt, passive Sterbehilfe zu leisten, rechtlich zu qualifizieren ist: Handelt es sich um eine Einwilligung nach Aufklärung („informed consent")! Oder verweigert der Betreffende nicht gerade seine Einwilligung in ärztliche Behandlungsmaßnahmen („informed refusal")!
1. Die Bestandteile der Behandlungsanweisung zu passiver Sterbehilfe Die Behandlungsanweisung an den Arzt, passive Sterbehilfe zu gewähren, setzt sich typischerweise aus zwei Bestandteilen zusammen: Einerseits fordert der Betroffene, daß der Arzt eine ausreichende Schmerztherapie mit unter Umständen lebensverkürzender Wirkung durchführen solle, indem er dem Patienten entsprechende Medikamente verabreicht. Er willigt also in palliativ-medizinische Maßnahmen ein. Vor allem aber fordert er ein Unterlassen lebensverlängernder oder lebenserhaltender Maßnahmen bei infauster Prognose. Eine mögliche Lösung läge darin, die Behandlungsanweisung, passive Sterbehilfe zu leisten, als eine Einwilligung in ärztliche Maßnahmen zu qualifizieren, die diese ärztlichen Maßnahmen nur in einem bestimmten Umfang erlaubt, so daß sie sich auf einen bestimmten Radius ärztlichen Tuns beschränken würde. Über die durch die Einwilligung gezogene Grenze dürfte der Arzt nicht hinausgehen; geschähe dies, verhielte er sich rechtswidrig. Eine solche Konstruktion würde jedoch 206 BGH, Urt. V. 16. 1. 1959, BGHZ 29, 176, 182 f. - „Strahlenbehandlungsurteil"; Laufs, in: Laufs/Uhlenbruck, HdB ArztR, § 64 Rz. 21; Schreiber, MMW 1996, 424, 425; Engisch, Aufklärungspflicht, 37 f.; Bockelmann, StrafR des Arztes, 62; Grünwald, ZStW 73 (1961), 5, 37 f. 207
Vgl. Dokumentation ,»Patientenrechte in Deutschland heute", 11.
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1. Teil: Dogmatische Grundlagen
der Vielfalt möglicher Fallgestaltungen nicht gerecht, denn in zahlreichen Fällen passiver Sterbehilfe erteilt der betroffene Patient - bzw. sein gesetzlicher Vertreter im Falle seiner Entscheidungsunfähigkeit - bereits gar keine Einwilligung, sondern verweigert sie. Das ist beispielsweise dann der Fall, wenn der Patient von vornherein auf jede Behandlung verzichten will bzw. mutmaßlich verzichten würde, so daß der für den entscheidungsunfähigen Patienten bestellte Betreuer den Arzt anweist, nichts zu tun. Die Annahme einer Einwilligung scheidet hier schon begrifflich aus, weil der Betroffene auf volle körperliche Unversehrtheit und den Schutz seiner Rechtsgüter nicht verzichten will. Darüber hinaus impliziert die Konstruktion einer Einwilligung in einem bestimmten Radius das Vorhandensein einer fixen Skala möglicher und vorgegebener Behandlungsmaßnahmen, die es in dieser Form nicht gibt und geben darf, weil ein Patient einzelne spezielle Behandlungsarten etwa aus religiösen Gründen - kraft seines Selbstbestimmungsrechts verweigern können, im übrigen aber darauf drängen können muß, daß sein Leben durch den Einsatz anderer medizinischer Mittel verlängert bzw. erhalten wird. Ebenso besteht eine durch den Betreuer zu erteilende Behandlungsanweisung, passive Sterbehilfe zu leisten, lediglich aus dem Entzug bzw. Widerruf der Einwilligung - und damit ihrer Verweigerung - , wenn lebenserhaltende Maßnahmen etwa bei dauerhaft bewußtlosen Patienten abgebrochen werden sollen, so daß auch hier das exakte Gegenteil einer Einwilligung vorliegt. Freilich könnte man auch hier erwägen, ob nicht ein Patient oder sein Betreuer in derartigen Fällen eine Einwilligung in die Durchführung ärztlicher Maßnahmen erteilen. Diese stünde unter der Bedingung, daß ein bestimmter Krankheitszustand oder -verlauf nicht eintrete, daß etwa der Zustand der Bewußtlosigkeit eine bestimmte Dauer nicht überschreiten oder bestimmte Krankheitsfolgen - man denke etwa an den irreversiblen Ausfall einzelner körperlicher Funktionen - nicht dauerhaft verbleiben dürften. Gegen diese dogmatische Konstruktion spricht jedoch vor allem folgende Überlegung: Es erscheint wenig zweckmäßig anzunehmen, der Patient oder sein Betreuer willige unter der Bedingung in lebenserhaltende oder lebensverlängernde Maßnahmen, daß sich ein bestimmtes Krankheitsbild nicht realisiere bzw. ein solches nicht erreicht werde, ein, weil eine solche Bedingung notwendigerweise allgemein und recht unbestimmt gehalten werden muß: Der Krankheitsverlauf läßt sich nicht so genau voraussehen, daß die Voraussetzungen, unter denen lebenserhaltende oder lebensverlängernde Maßnahmen abgebrochen werden sollen, exakt festgelegt werden könnten. Deshalb überzeugte eine solche Lösung nicht; naheliegender erscheint es, die Erteilung einer unbedingten Einwilligung anzunehmen, die der Betreuer - dem das konkrete Krankheitsbild bekannt ist - widerrufen bzw. entziehen kann. Darin liegt aber das exakte Gegenteil einer Einwilligung. Aufgrund der zuvor genannten Gesichtspunkte erscheint es angebracht, die Behandlungsanweisung, passive Sterbehilfe zu leisten, typischerweise als Kombination von Einwilligung in palliativ-medizinische Maßnahmen und Verweigerung bzw. Entzug der Einwilligung in lebenserhaltende bzw. lebensverlängernde Maßnahmen anzusehen. Werden palliativ-medizinische Maßnahmen nicht vorgenom-
V. Die Behandlungsanweisung an den Arzt, passive Sterbehilfe zu l e i s t e n 5 7
men bzw. sollen allein vital indizierte Behandlungsmaßnahmen nicht eingesetzt oder abgebrochen werden, handelt es sich bei der Behandlungsanweisung, passive Sterbehilfe zu leisten, gar um ein reines Behandlungsverbot. Demnach stellt die Behandlungsanweisung zu passiver Sterbehilfe nach ihrem Schwerpunkt oder - je nach Einzelfall - insgesamt keine rechtfertigende Einwilligung, die ein aktives lebenserhaltendes oder lebensverlängerndes Tun des Arztes rechtfertigt, dar, sondern eine Einwilligungsverweigerung, die ein ärztliches Handeln nur insoweit gestattet, als palliativ-medizinische Maßnahmen vorgenommen werden sollen. 208
2. Die Rechtsnatur der Behandlungsanweisung, passive Sterbehilfe zu leisten Obwohl sich Rechtsprechung und Literatur bislang ausführlich mit Rechtsnatur und Voraussetzungen einer rechtfertigenden Einwilligung in ärztliche Heileingriffe auseinandergesetzt haben, existieren - soweit ersichtlich - keine Stellungnahmen, die die Rechtsnatur der Behandlungsanweisung, passive Sterbehilfe zu gewähren, erörtern. Diese Frage ist für die vorliegende Arbeit jedoch von zentraler Bedeutung: Einzelfragen - wie beispielsweise die Zulässigkeit einer Stellvertretung bei der Entscheidung, auf lebensnotwendige Maßnahmen zu verzichten, oder die Anforderungen an die Entscheidungsfähigkeit des Betroffenen - können nur aufgrund eines einheitlichen dogmatischen Ansatzes beantwortet werden. Deshalb ist zunächst die Rechtsnatur der Einwilligung in ärztliche Behandlungsmaßnahmen zu klären, um dann Behandlungsverweigerung und die Behandlungsanweisung zu passiver Sterbehilfe, die aus Einwilligung und Verweigerung einer Einwilligung zusammengesetzt ist, rechtlich einordnen zu können.
a) Die Rechtsnatur der Einwilligung
aa) Der Standpunkt des Gesetzgebers Nachdem die Einwilligung bereits dem römischen Recht bekannt war - der heute noch vielfach zitierte 209 und als Parömie gebräuchliche Rechtsgrundsatz 208 Den Charakter einer Einwilligungsverweigerung betonen Bernsmann, ZRP 1996, 87, 90 f.; Meier, BtPrax 1994, 190,192; Haslinger, Krankendienst 1995,199, 200; Merkel, ZStW 107 (1995), 544, 557 ff.; Edenhofer, in: Palandt, 54. Aufl., Einf. vor § 1922 Rz. 18; Bernat, in: FS Deutsch, 443,444. 209 Vgl. etwa Deutsch, Medizinrecht, Rz. 104; Steffen, in: RGRK, § 823 Rz. 377; Rosener, Einwilligung in Heileingriffe, 16; Keßler, Die Einwilligung des Verletzten in ihrer strafrecht-
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1. Teil: Dogmatische Grundlagen
„volenti non fit iniuria" geht auf die Digestenstelle D. 47. 10. 1. 5. „nulla iniuria est, quae in volentem fiat" zurück - 2 1 0 und das Selbstbestimmungsrecht des Menschen im Zeitalter der Aufklärung im Mittelpunkt stand, 211 beschäftigten sich erstmals die Verfasser des BGB mit dem Rechtscharakter der Einwilligung. Der Erste Entwurf eines Bürgerlichen Gesetzbuches für das Deutsche Reich enthielt einen § 706, nach dem ein Schadensersatzanspruch ausgeschlossen sein sollte, wenn der „Beschädigte in die beschädigende Handlung eingewilligt hatte". 212 Die Motive zu § 706 des ersten Entwurfes eines Bürgerlichen Gesetzbuches geben zu der Rechtsnatur der Einwilligung wie folgt Auskunft: „Die Einwilligung ist ein einseitiges Rechtsgeschäft, erfordert also volle und unbeschränkte Geschäftsfähigkeit des Einwilligenden". 213 Gegen diese rechtliche Beurteilung und ihre Folgen wandten sich jedoch schon die Gutachterlichen Äußerungen zu dem Entwürfe eines Bürgerlichen Gesetzbuches.214 Darin wird vor allem darauf hingewiesen, daß „nach § 706 die Einwilligung in die Tödtung oder schwere Körperverletzung, trotzdem man dieselbe als yRechtsgeschäft ( nach den §§ 105, 106 für nichtig halten sollte, den Ersatzanspruch für den Getödteten und dessen Erben ausschließen würde". 215 Auch wurde die Norm als überflüssig bezeichnet, da „die Einwilligung in die Verletzung der Handlung den Charakter der Widerrechtlichkeit nehme und schon deshalb ein Ersatzanspruch ausgeschlossen sei". Die Kommission beschloß schließlich die Streichung der Norm. Dies begründete sie damit, daß es selbstverständlich sei, daß die Einwilligung des Verletzten einen Schadensersatzanspruch ausschließe, wenn und soweit die Handlung durch die Einwilligung ihre Widerrechtlichkeit verliere. Ob dies im einzelnen Falle anzunehmen sei, müsse nach den allgemeinen Grundsätzen entschieden werden. Die von § 706 getroffenen Bestimmungen seien aber in dieser allgemeinen Fassung nicht zutreffend: In verschiedenen Fällen bezwecke der Gesetzgeber, den Geschädigten gerade gegen seine Einwilligung zu schützen; die Einwilligung liehen Bedeutung, 52; Fischer, Die Rechtswidrigkeit mit besonderer Berücksichtigung des Privatrechts, 271; Kohte, AcP 185 (1985), 105,108. 210 Nach römischem Recht herrschte - im Gegensatz zu diesem allgemeinen Grundsatz eine recht differenzierte Rechtspraxis bei der Beurteilung der Wirkungen der Einwilligung, vgl. Pernice, 82 ff. - Eine nähere dogmatische Erfassung der rechtfertigenden Einwilligung erfolgte im römischen Recht jedoch nicht, vgl. Käser, Römisches Privatrecht, 505. 211 Feuerbach, Lehrbuch, 35, definiert die Einwilligung folgendermaßen: „So ferne eine Person durch erklärten Willensakt Rechte aufgeben kann, hebt die Erlaubnis zur Läsion von Seiten des Verletzten den Begriff des Verbrechens auf. Volenti non fit iniuria. a) Nur muß das Recht, gegen welches, der Erlaubnis gemäß, die Handlung gerichtet ist, der (rechtlich) möglichen Disposition des Verletzten unterworfen seyn. Ist das Recht an sich der freyen Willkür des Berechtigten entzogen b) oder dieser unfähig zur freien Disposition über sich selbst oder das Seine c); so ist die Erlaubnis ohne rechtliche Wirkung." 212 213 214 215
Entwurf, § 706,157. Motive, § 706, 730. Gutachterliche Äußerungen, 402 f. Gutachterliche Äußerungen, 402.
V. Die Behandlungsanweisung an den Arzt, passive Sterbehilfe zu leisten
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schließe einen Schadensersatzanspruch deshalb nicht aus. Jedenfalls treffe es nicht zu, wenn der Entwurf davon ausgehe, daß die Einwilligung stets als Rechtsgeschäft zu qualifizieren sei; vielmehr könne sie rechtlich ganz unterschiedlich zu beurteilen sein. Daß dadurch Schwierigkeiten entstehen könnten, sei nicht zu leugnen, durch eine so allgemein gehaltene Norm wie § 706 jedoch nicht zu vermeiden. 216 Es ist deshalb bemerkenswert, daß der Gesetzgeber mit der Einführung der §§ 1904 f. BGB durch das Betreuungsgesetz den Regelungsgehalt des BGB erweitert hat, indem in den §§ 1904 f. die Einwilligung eines Patienten in ärztliche Maßnahmen erwähnt wird. Der Grund für diese Veränderung liegt in der Zielsetzung des Betreuungsgesetzes: Wie auch der Regierungsentwurf herausstellt, 217 soll eine Verlagerung der Regelungsschwerpunkte von der Vermögensverwaltung zu der arztrechtlich bedeutsamen Personensorge erfolgen. 218 Obwohl der Gesetzgeber nunmehr also die Behandlungsanweisung eines Patienten ausdrücklich anerkennt, hat er weder zu ihrer Herleitung noch zu ihrer Rechtsnatur ausdrücklich Stellung bezogen. Dies geht aus dem Regierungsentwurf hervor, in dem ausgeführt wird, daß der Entwurf „bei den allgemeinen Fragen der Einwilligung des Betroffenen [ . . . ] vom geltenden Recht ausgeht, so wie es sich in gefestigter Rechtsprechung herausgebildet hat". 2 1 9 Ihre privatrechtliche Zulässigkeit ergibt sich damit weiterhin aus der Herleitung aus dem allgemeinen Grundsatz der Privatautonomie nach Zitelmann: Jede Person hat im Privatrecht die Macht, ihre Rechtsverhältnisse zu gestalten, und sie kann deshalb auch anderen Personen die Erlaubnis erteilen, in ihre Rechtsgüter einzugreifen. 220 Kann der einzelne allein und frei über das geschützte Rechtsgut disponieren, so soll und kann er von der Rechtsordnung nicht weiter geschützt werden, als er es verlangt. 221
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Vgl. Gutachterliche Äußerungen, 402 f.: »Jedenfalls ist es nicht richtig, wenn der Entwurf [ . . . ] davon ausgeht, daß eine Einwilligung immer den Charakter eines Rechtsgeschäfts habe; [ . . . ] sie kann ganz verschieden zu beurteilen sein." - Die Bedeutung dieser Aussage ist im Schrifttum freilich umstritten und vor allem deshalb von zweifelhafter Beweiskraft, weil sie namentlich im älteren Schrifttum nicht als Hinweis auf die zutreffende Qualifzierung der Rechtsnatur der Einwilligung interpretiert wurde. So berichtet Oertmann, § 823 Anm. 7 d) [1396] - was insbesondere im Hinblick auf den Gesamtkontext der Ausführungen als zutreffend erscheint - , daß darin nur ein Hinweis auf die Tatsache zu erblicken sei, daß eine Einwilligung die Rechtswidrigkeit nicht in allen Fällen ausschließe: „Nach E. I § 706 sollte der Anspruch auch bei Einwilligung des Verletzten schlechthin wegfallen. Das ist in der zweiten Lesung als zu weitgehend gestrichen und in der Tat nicht unterschiedslos richtig. [ . . . ] Die Einwilligung ist als Rechtsgeschäft zu erachten." - Α. A. v. Tuhr, Allgemeiner Teil Π / 1 , § 59IV, 343, Fn. 58 (jedoch ohne Auseinandersetzung in der Sache). 217 BT-Drucksache 11/4528,70. 218 Bergmann, NJ 1992, 104, 105; Schwab, FamRZ 1990, 681, 684. 219 BT-Drucksache 11/4528,71. 220 Zitelmann, AcP 99 (1906), 1,48. 221 Esser, Schuldrecht II, 2. Aufl., 193.
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1. Teil: Dogmatische Grundlagen
Jedoch lassen sich aus der Formulierung des Regierungsentwurfs, daß es für „die Wirksamkeit der Einwilligung nicht auf die Geschäftsfähigkeit des Betroffenen an[kommt], sondern auf die natürliche Einsichtsfähigkeit", 222 Rückschlüsse auf gesetzgeberische Vorstellungen von der Rechtsnatur einer Einwilligung ziehen: Wäre die Einwilligung als rechtsgeschäftliche Willenserklärung einzuordnen, bedürfte es einer eingehenderen Begründung, warum die Vorschriften der §§ 104 ff. BGB keine Anwendung finden sollten. Der Gesetzgeber ist deshalb offenbar davon ausgegangen, daß die Einwilligung eine rechtsgeschäftsähnliche Handlung sei, wie es vielfach in der Rechtsprechung und rechtswissenschaftlichen Literatur vertreten wird. Entgegen seiner Ansicht besteht jedoch keine „gefestigte Rechtsprechung" zu der rechtlichen Beurteilung einer Einwilligung.
bb) Auffassungen in Rechtsprechung und rechtswissenschaftlicher Literatur In Rechtsprechung und rechtswissenschaftlicher Literatur wird die Rechtsnatur der rechtfertigenden Einwilligung vielmehr sehr unterschiedlich beurteilt. Es besteht Einigkeit nur darüber, daß die rechtfertigende Einwilligung nicht der Einwilligung entspricht, die in den §§ 182 ff. BGB geregelt ist. 2 2 3 Die Einwilligung im Sinne der §§ 182 ff. BGB ist eine im voraus erklärte Zustimmung (vgl. § 183 Satz 1 BGB). Sie hat Bedeutung, wenn Rechtsgeschäfte einer Person von der Zustimmung eines Dritten abhängen. Durch die Zustimmung wird ein Unzuständiger legitimiert. 224 Sie hat ihren Hauptanwendungsbereich bei einseitigen Rechtsgeschäften beschränkt Geschäftsfähiger oder eines vollmachtlosen Vertreters. Rechtlich ist sie als empfangsbedürftige Willenserklärung zu beurteilen. 225 Während die §§ 182 ff. BGB also die Wahrung bzw. Wiederherstellung der privatautonomen Zuständigkeitsordnung bezwecken, indem die fehlende Legitimation einer zum Abschluß von Rechtsgeschäften nichtberechtigten Person bereinigt wird, drückt die Einwilligung in ärztliche Eingriffe kein Einverständnis zu dem von einem anderen vorgenommenen Rechtsgeschäft aus, das nur unter Umständen die Rechtssphäre des Zustimmenden tangiert. 226 Vielmehr soll durch die vom 222 BT-Drucksache 11/4528, 140. 223 Vgl. nur BGH, Urt. v. 5. 12. 1958, BGHZ 29, 33, 36 - „Mindeijähriger"; Rover, Einflußmöglichkeiten des Patienten, 86; Frost, 2; Diederichsen, in: FS Wieacker, 325, 336 f.; Berger, JZ 2000, 797, 801. 224 Flad, in: Planck, Vor § 182 Anm. 2; Medicus, Allgemeiner Teil, Rz. 1002; Flume, Rechtsgeschäft, § 54, 1, 885 f.; Enneccerus/Nipperdey, Allgemeiner Teil 1/2; § 204,1, 1232. Vgl. auch Mugdan, Materialien Bd. 1,488. 225 Flad, in: Planck,§ 182 Anm. 1. 226 Dies ist beispielsweise immer dann nicht der Fall, wenn die Einwilligung als Mittel der Aufsicht dient. Diese Funktion kommt der Einwilligung etwa bei Rechtsgeschäften beschränkt geschäftsfähiger Minderjähriger (§§ 106 ff. BGB) zu.
V. Die Behandlungsanweisung an den Arzt, passive Sterbehilfe zu l e i s t e n 6 1
Rechtsgutinhaber erteile Einwilligung ein grundsätzlich unerlaubtes tatsächliches Handeln gerechtfertigt werden, das stets den eigenen Körper betrifft. Der Rechtsgutsinhaber regelt hier auch grundsätzlich selbst und unmittelbar seine Geschäfte im Verhältnis zum Arzt. Im übrigen hätte die Beurteilung der Behandlungsanweisung als spezielle Ausprägung der §§ 182 ff. BGB zur Konsequenz, daß auch eine nachträgliche Genehmigung einer ohne Einwilligung vorgenommenen Behandlungsmaßnahme möglich würde. Mit dem Selbstbestimmungsrecht des Betroffenen, das auch und gerade eine der Einwilligung vorausgehende Aufklärung, die vor allem Behandlungsrisiken und -alternativen deutlich macht, fordert, wäre das schon deshalb nicht vereinbar, weil die Patientenautonomie dann weitestgehend ausgehöhlt würde: Der Patient wäre nicht in der Lage, das Für und Wider des ärztlichen Eingriffs eigenverantwortlich abzuwägen, sondern müßte sich in die Hand des Arztes begeben. Gewiß könnte der Patient die nachträgliche Genehmigung des ärztlichen Tuns verweigern. Doch der einmal vorgenommene Eingriff ließe sich nur sehr eingeschränkt in Geld kompensieren. Auch für den Arzt hätte die Zulässigkeit einer nachträglichen Genehmigung unerträgliche Konsequenzen: Verweigerte der Patient diese ex post, sähe er sich Schadensersatzansprüchen aus den §§ 823 ff. BGB ausgesetzt, obwohl er regelmäßig davon ausgehen wird, zum Wohl des Patienten zu handeln. Eine solche Ungewißheit könnte nicht hingenommen werden. Mit guten Gründen nimmt man deshalb heute ganz allgemein an, daß der Patientenautonomie lediglich durch eine ex ante zu erteilende Einwilligung nach Aufklärung Rechnung getragen werden kann. 227
(1) Die sog. Willenserklärungstheorie Eine von Zitelmann begründete Lehre 228 qualifiziert die Einwilligung des Patienten in einen ärztlichen Heileingriff als Willenserklärung im Sinne der §§ 104 ff., 116 ff. BGB. Sie wird überwiegend in der älteren Literatur vertreOOQ
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ten, findet jedoch auch heute noch Anhänger. Diese Auffassung überrascht zunächst, da hier besonders persönlichkeitsrelevante Entscheidungen rechtsgeschäftlichen, also primär vermögensrechtlichen Kategorien überantwortet werden. Doch nach der gängigen Definition stellt eine Willenserklärung eine private Willensäußerung dar, die auf die unmittelbare Herbeiführung eines Rechtserfolges 227 Vgl. dazu etwa Kern, in: Laufs /Uhlenbruck, HdB ArztR, § 162 Rz. 15 ff.; Bergmann, Die Arzthaftung, 72. 228 Zitelmann, AcP 99 (1906), 1,51. 229 von Tuhr, Allgemeiner Teil Π / 2 , § 88 IV 4, 467 (allerdings mit Konzessionen an die heute h. A.); Flad, in: Planck, § 107 Anm. I 4.; Enneccerus/Nipperdey, Allgemeiner Teil II, § 151111e), 933. 230 Beispielsweise Kohte, AcP 185 (1985), 105,156; Mayer, Medizinische Maßnahmen an Betreuten, 26 ff.; Eisenbart, 92; Schöllhammer, 41.
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1. Teil: Dogmatische Grundlagen
gerichtet ist und die den Erfolg, weil gewollt und von der Rechtsordnung anerkannt, auch herbeiführt. 231 Soweit die sog. Willenserklärungstheorie den mit der Erklärung bezweckten Rechtserfolg darin sieht, daß dem Gegner - also dem Arzt - ein jederzeit widerrufliches Eingriffsrecht an bestimmten Rechtsgütern des Erklärenden eingeräumt wird, 2 3 2 bestehen jedoch zunächst keine Bedenken, die Behandlungsanweisung des Patienten als Willenserklärung im technischen Sinne einzuordnen.
(2) Die Auffassung der höchstrichterlichen Rechtsprechung und einiger Stimmen des Schrifttums In der Rechtsprechung wurde die Rechtsnatur der Einwilligung in ärztliche Behandlungsmaßnahmen bislang uneinheitlich beurteilt. Die Zivilsenate des Reichsgerichts teilten zunächst die Auffassung Zitelmanns, die rechtfertigende Einwilligung sei eine rechtsgeschäftliche Willenserklärung. 233 Im Urteil des RG vom 21. Juni 1907 heißt es: „Es ist [ . . . ] richtig, daß die Berechtigung des Arztes zu einer Operation von einer zustimmenden Willenserklärung des Kranken und, wenn dieser gemäß § 106 BGB ein in der Geschäftsfähigkeit beschränkter Minderjähriger ist, von der Einwilligung des gesetzlichen Vertreters desselben nach § 107 BGB abhängt." Doch nur kurze Zeit später ließ das Reichsgericht die rechtsdogmatische Qualifizierung der Einwilligung unter dem Einfluß neuerer Literatur offen: „Mit Recht hat das Berufungsgericht die Vornahme der Operation mangels der Zustimmung des gesetzlichen Vertreters der Klägerin für eine rechtswidrige Körperverletzung erachtet. Gegenüber abweichenden [ . . . ] Meinungen hält der erkennende Senat an der Auffassung fest, daß die Berechtigung eines Arztes zur Vornahme einer Operation an einem Mindeij ährigen grundsätzlich durch die Zustimmung des gesetzlichen Vertreters des Minderjährigen bedingt ist. Daß die persönliche Zustimmung des Minderjährigen, auch wenn er eine gewisse Verstandesreife erlangt hat, nicht genügt, die Rechtswidrigkeit des Eingriffs zu beseitigen, kann einem Zweifel nicht unterliegen, wenn diese Einwilligung als ein Rechtsgeschäft aufzufassen, § 107 BGB also unmittelbar anzuwenden ist. Aber auch wenn man in einer solchen Einwilligung nicht eine rechtliche Willenserklärung, sondern nur eine rein tatsächliche Handlung erblickt, so wird man bei der schwerwiegenden Bedeutung einer solchen Einwilligung und mit Rücksicht auf das mit der elterlichen Gewalt wie mit dem Amte des Vormundes verbundene Recht der Sorge für die Person des Kindes [ . . . ] gleichfalls zu dem Ergebnis kommen müssen, daß die Operation ohne Einwilligung des gesetzlichen Vertreters der 231 Mugdan, Materialien, Bd. 1, 421. - Siehe ferner Flad, in: Planck, Vor § 116 Anm. 1; Manigk, Realakte, 27 ff.; Heinrichs, in: Palandt, Einf. v. § 116 Rz. 1. 232 Zitelmann, AcP 99 (1906), 1, 51. 233 RG, Urt. v. 21. 6. 1907, JW 1907, 505, 505; RG, Urt. v. 27. 5. 1908, RGZ 68, 431, 433 und 436.
V. Die Behandlungsanweisung an den Arzt, passive Sterbehilfe zu leisten
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objektiven Rechtmäßigkeit entbehrt, mag auch der Minderjährige selbst ihr zugestimmt haben". 234 Die Auffassung des Gerichts, die Einwilligung eines Patienten habe die Eigenschaft einer Willenserklärung, hatte sich jedoch zu diesem Zeitpunkt bereits ein großer Teil der damaligen Literatur zu eigen gemacht.235 Dagegen lehnten die Strafsenate des Reichsgerichts die Einordnung als Willenserklärung von vornherein ab. 2 3 6 Später rückten auch die Zivilsenate des Reichsgerichts davon ab, die Behandlungsanweisung eines Patienten als rechtsgeschäftliche Willenserklärung einzuordnen. 237 In seiner ersten Entscheidung aus dem Jahre 1952, die eine Schadensersatzklage nach einer Abtreibung mit Todesfolge behandelte, bezeichnete der Bundesgerichtshof die Einwilligung beiläufig als rechtgeschäftliche Willenserklärung; diese sei unwirksam, wenn sie durch Willensmängel beeinflußt oder wegen Verstoßes gegen ein gesetzliches Verbot oder die guten Sitten gemäß §§ 134, 138 BGB nichtig sei. 238 Der Dritte Senat begründete seine Auffassung jedoch nicht. Im Jahre 1958 folgte ein Urteil des Sechsten Senats,239 das später in der Gerichtspraxis und der rechtswissenschaftlichen Literatur als „entscheidende Weichenstellung" 240 für die rechtliche Qualifikation der Behandlungsanweisung angesehen worden ist. Dieser Fall behandelt die Schadensersatzklage eines Mindeijährigen wegen eines mißlungenen ärztlichen Eingriffs; der Bundesgerichtshof hatte zu klären, ob die Einwilligung des Minderjährigen 241 in die fragliche Behandlung wirksam sein konnte. Indem es auf eine von Larenz gegebene Definition zurückgreift, 242 vertritt das Gericht die Auffassung, eine Behandlungsanweisung sei keine rechtsgeschäftliche Willenserklärung, sondern die Untersagung bzw. Gestattung der Vornahme tatsächlicher Handlungen, die in den Rechtskreis des Betroffenen eingriffen. Die Einwilligung stelle eine Willensäußerung bzw. eine rechtsgeschäftsähnliche Handlung dar. Der Patient gestatte mit seiner Einwilligung lediglich einen tatsächlichen Eingriff - also die ärztliche Maßnahme - und habe keinen Willen, einen rechtlichen Erfolg herbeizuführen. Deshalb liege der für den subjektiven Tatbestand einer Willenserklärung erforderliche und für die Abgrenzung zwischen Willenserklärung und bloßer Willensäußerung bedeutsame Rechtsbindungs-
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So die Ausführungen des RG in seiner Entscheidung vom 30. 6. 1911, JW 1911, 748 Nr. 2. 235 von Tuhr, Allgemeiner Teil I I / 2 , 467; Enneccerus, Allgemeiner Teil, 30.- 34. Aufl., § 143 I, 371; Siber, in: Planck, § 823 Anm. III 2; Oertmann, § 823 Anm. 7d. 23 6 RG, Urt. v. 3. 7. 1908, RGSt 41, 392, 395; RG, Urt. v. 7. 10. 1937, RGSt 71, 349, 349 f. 23
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Vgl. RG, Urt. v. 3. 12. 1941, RGZ 168, 206,210. BGH, Urt. v. 25. 9. 1952, BGHZ 7, 198, 207. BGH, Urt. v. 5. 12. 1958, BGHZ 29, 33 ff. - „Minderjähriger". Kohte, AcP 185 (1985), 105, 113.
241 Der Minderjährige konnte die Einwilligung nur selbst erklären, weil seine Eltern in der damaligen DDR lebten. 242
Vgl. Larenz, Schuldrecht II, 12. Aufl., § 711, 594.
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1. Teil: Dogmatische Grundlagen
willen 2 4 3 nicht vor. Vielmehr sei die Einwilligung eine bloße Willensäußerung, mit der der Träger des Rechtsguts durch Verzicht auf einen absoluten Integritätsschutz medizinische Maßnahmen ermögliche. An diese Betätigung des Willens knüpfe die Rechtsordnung das Zurücktreten der Schutznorm. Diese Auffassung wurde von Teilen der Literatur übernommen 244 und in der Rechtsprechung teilweise bis in die neueste Zeit fortgeführt. 245 In zwei weiteren Entscheidungen aus den Jahren 1961 und 1964, die Amtspflichtverletzungen wegen Freiheitsentziehung von psychisch Kranken betreffen, vertiefte der Dritte Senat des Bundesgerichtshofs die Unterscheidung von Behandlungsanweisung und rechtsgeschäftlicher Willenserklärung. Übereinstimmend wird ausgeführt, die Einwilligung sei die im Augenblick der Tat vorhandene, freiwillig, ernstlich und sittengemäß zustimmende Willensrichtung des betroffenen Rechtsgutträgers zu einer bestimmten Rechtsgutsverletzung. Ausreichend sei das Vorhandensein natürlicher Einsichtsfähigkeit; der Geschäftsfähigkeit des Betroffenen bedürfe es nicht. 2 4 6 1971 und 1974 bestätigte der Sechste Senat des Bundesgerichtshofes sein im Jahre 1958 getroffenes „Minderjährigen-Urteil" durch zwei Entscheidungen und führte aus, daß die Einwilligung in medizinische Heileingriffe keine Willenserklärung sei, so daß die Einwilligung Minderjähriger unter Umständen genüge. 247 In zwei weiteren Entscheidungen griff der Senat auf die entsprechende Anwendung rechtsgeschäftlicher Regeln zurück, als er § 138 BGB analog für die Einwilligung in eine Sterilisation prüfte, 248 und als er die §§ 133, 157 BGB zum Zwecke der Auslegung einer Behandlungsanweisung heranzog.
243 BGH, Urt. v. 22. 6. 1956, BGHZ 21, 102, 106; BGH, Urt. v. 17. 5. 1971, BGHZ 56, 204, 208; Hefermehl, in: Soergel, Vor § 116 Rz. 19; Heinrichs, in: Palandt, Einf. v. § 116 Rz. 4. 244 Röver, Einflußmöglichkeiten des Patienten, 86 f.; Lenckner, ZStW 72 (1960), 446, 455; Sproll, Individualrechtliche Probleme, 131 f.; Dilcher, in: Staudinger, 12. Aufl., Vor § 104 Rz. 18 und 22; Teichmann, JA 1979, 293, 294; Köhler, JZ 1984, 18, 18; Heinrichs, in: Palandt, Überbl. Vor § 104, Rz. 6 f.; Rickmann, 138; Schenke, Einwilligung des Verletzten im Zivilrecht, 23 ff.; Schäfer, in: Staudinger, § 823 Rz. 456 und 458; Weber, Zivilrechtlicher Vertrag, 68 ff., 72 ff.; Winkler-Wilfurth, Betreuung und Heilbehandlung, 31 ff.; Deutsch, NJW 1982, 2585, 2588; Hollmann, NJW 1978, 2332, 2332; Niebling, MDR 1982, 193, 193 ff.; Belling, FuR 1990, 68, 76; Lenckner, in: S/S, Vor §§ 32 ff. Rz. 33; besonders eindringlich Schlund, JR 1999, 334, 334 f. 245 Vgl. etwa OLG Hamm, Beschl. v. 16. 7. 1998, NJW 1998, 3424, 3424; AG Schlüchtern, Beschl. v. 29. 4. 1997, NJW 1998, 832, 832. 246 BGH, Urt. v. 24. 4. 1961, VersR 1961, 632, 632 f.; BGH, Urt. v. 2. 12. 1963, NJW 1964, 1177,1177. 247 BGH, Urt. v. 16. 11. 1971, NJW 1972, 335, 336; BGH, Urt. v. 2. 7. 1974, NJW 1974, 1947,1947. 248 BGH, Urt. v. 29. 6. 1976, BGHZ 67, 48, 50; BGH, Urt. v. 18. 3. 1980, NJW 1980, 1903, 1903 f.
V. Die Behandlungsanweisung an den Arzt, passive Sterbehilfe zu leisten
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Äußerst erstaunt nahm die Literatur sodann eine Entscheidung des Sechsten Senats aus dem Jahre 1984 zur Kenntnis, in der die Einwilligung eines Patienten obiter als „Willenserklärung" bezeichnet wird. 2 4 9 Sie maß diesem Urteil jedoch nur teilweise größere Bedeutung zu: Einerseits wurde vertreten, der Bundesgerichtshof habe seine Rechtsprechung zur Rechtsnatur der Behandlungsanweisung nicht ändern wollen. 250 Eine andere Auffassung begrüßte eine „Änderung der Rechtsprechung" ausdrücklich. 251 Daß ersteres zutreffend war, zeigt ein Urteil des Bundesgerichtshofes vom 28. Juni 1988, in dem das Gericht ausführt, daß es sich bei der „Einwilligung [ . . . ] in einen ärztlichen Eingriff um kein Rechtsgeschäft" handelt, „sondern eine Gestattung oder Ermächtigung zur Vornahme tatsächlicher Handlungen, die in den Rechtskreis des Gestattenden eingreifen." 252 Damit läßt sich feststellen, daß die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes zur Rechtsnatur der rechtfertigenden Eiwilligung uneinheitlich ist; es ergibt sich ein widersprüchliches Bild, das eine eindeutige rechtliche Qualifikation vermissen läßt. Von einer „gefestigten Rechtsprechung", wie sie der Gesetzesentwurf der Bundesregierung zum Betreuungsgesetz unterstellt, 253 kann also zumindest diesbezüglich nicht im entferntesten die Rede sein. Deshalb werden die Begründungsansätze der Rechtsprechung und der rechtswissenschaftlichen Lehre im folgenden kritisch betrachtet, um die Behandlungsanweisung abschließend rechtlich qualifizieren zu können.
(3) Diskussion (a) Schluß von der Unanwendbarkeit der §§ 182ff BGB auf die Rechtsnatur der Behandlungsanweisung Der Bundesgerichtshof begründet seine Auffassung, eine rechtfertigende Einwilligung in ärztliche Eingriffe stelle keine rechtsgeschäftliche Willenserklärung dar, zunächst damit, daß „es sich bei der Einwilligung zu einem Eingriff in die körperliche Integrität nicht um eine Einwilligung im Sinne des § 183 BGB, nicht um die Zustimmung zu einem Rechtsgeschäft, also nicht um eine rechtsgeschäftliche Willenserklärung", 254 sondern um eine rechtsgeschäftsähnliche Handlung handele. Diese Argumentation vermag kaum zu überzeugen: Richtig ist zwar, daß die Zustimmung im Sinne der §§ 182 ff. BGB die Rechtsnatur einer Willenserklärung 249 BGH, Urt. v. 7. 2. 1984, BGHZ 90, 96, 101. 250 Deutsch, NJW 1984, 1802; 1802; Kohte, AcP 185 (1985), 105, 113 Fn. 44; Rover, Einflußmöglichkeiten des Patienten, 87. 251 Gounalakis, NJW 1990, 752,752. 252 BGH, Urt. v. 28. 6. 1988, BGHZ 105, 45,47 f. 253 BT-Drucksache 11/4528, 71, siehe dazu supra aa. 254 BGH, Urt. v. 5. 12. 1958, BGHZ 29, 33, 36 - „Minderjähriger". 5 Heyers
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aufweist, 255 weil der Zustimmende die privatautonome Zuständigkeitsordnung rechtsverbindlich wiederherstellen, also eine Rechtsfolge unmittelbar herbeiführen will. Auch trifft es zu, daß kein Einverständnis mit einem Rechtsgeschäft, sondern mit dem tatsächlichen Handeln des Arztes erklärt wird. Die Formulierung des Gerichts („also...") erweckt aber den Eindruck, daß die Entscheidung über den rechtsgeschäftlichen Charakter der Einwilligung davon abhängig sei, ob diese unter die §§ 182 ff. BGB falle oder nicht. Es ist jedoch kein Grund dafür ersichtlich, warum aus der Tatsache, daß die Behandlungsverfügung keine Einwilligung im Sinne des § 183 BGB darstellt, der Schluß gezogen werden sollte, sie sei deshalb keine Willenserklärung. 256 Die Ausführungen des Gerichts beruhen möglicherweise auf der Erwägung, daß sämtliche im BGB genannten Fälle einer „Einwilligung" bzw. „Zustimmung" gesetzlich geregelte Spezialfälle der §§ 182 ff. BGB seien vgl. etwa §§ 1365 Abs. 1, 1423 Satz 1, 1746 ff., 2206 Abs. 2 BGB, auf die dies zutrifft - 2 5 7 , und dazu könne man die Einwilligung in Form einer Behandlungsanweisung eben nicht zählen. Doch wäre eine solche Argumentation schon allein wegen der Regelung des § 1516 Satz 1 BGB zweifelhaft: Die dort genannte Zustimmung bezieht sich nicht auf eine empfangsbedürftige Willenserklärung, wie es schon nach dem Wortlaut des Gesetzes Voraussetzung für die Anwendbarkeit der §§ 182 ff. BGB wäre (vgl. § 182 Abs. 1 BGB), 2 5 8 sondern auf eine letztwillige Verfügung und damit auf eine nicht empfangsbedürftige Willenserklärung. Sie kann also gar keine Zustimmung darstellen. Folgerichtig finden diese Normen nach praktisch allgemeiner Auffassung auf eine Zustimmung gemäß § 1516 Satz 1 BGB jedenfalls keine unmittelbare Anwendung. 259 Ferner wird der Ausdruck „Zustimmung" auch in den §§32 Abs. 2, 709 Abs. 1 BGB nicht technisch im Sinne der Billigung eines fremden Rechtsgeschäfts verwendet; das Wort meint hier vielmehr die Mitwirkung an einem fremden Beschluß. 260 Dann läßt sich aber auch nicht behaupten, mit dem Begriff „Zustimmung" sei im BGB trotz der systematischen Stellung stets die Zustimmung der §§ 182 ff. BGB gemeint. Aber selbst wenn man die Ausführungen des Bundesgerichtshofs im historischen Kontext billigte und diese Aspekte außer acht ließe, so könnte man jedenfalls seit Änderung des BGB durch das Betreuungsgesetz zum 1. Januar 1992 ein 255 Medicus, Allgemeiner Teil, Rz. 1015; Flad, in: Planck, § 182 Anm. 1; Oertmann, § 182 Anm. 3; Heinrichs, in: Palandt, Einf. v. § 182 Rz. 2; Jauemig, in: Jauernig, § 182 Rz. 3. 256 Vgl. dazu Manigk, Das rechtswirksame Verhalten, 508; Zitelmann, AcP 99 (1906), 1, 50 und 57. 257 Dazu im einzelnen etwa Lange, in: Soergel, § 1365 Rz. 64; Schramm, in: MüKo, Vor § 182 Rz. 26; Diederichsen, in: Palandt, § 1423 Rz. 1, § 1365 Rz. 18. 258 Dilcher, in: Staudinger, § 182 Rz. 3; Leptien, in: Soergel, Vor § 182 Rz. 8; Schramm, in: MüKo, § 182 Rz. 6; Flad, in: Planck, Vor § 182 Anm. 2. 259 Flad, in: Planck, Vor § 182 Anm. 2; Unzner, in: Planck, § 1516 Anm. 2; Diederichsen, in: Palandt, § 1516 Rz. 1; Gaul, in: Soergel, § 1516 Rz. 1; Schramm, in: MüKo, § 182 Rz. 4, 16. 260 Medicus, Allgemeiner Teil, Rz. 1013.
V. Die Behandlungsanweisung an den Arzt, passive Sterbehilfe zu leisten
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solches - ohnehin fragwürdiges - Argument gegen die Beurteilung der Behandlungsanweisung als Willenserklärung nicht mehr vorbringen, weil das BGB durch das BtG um das Institut der Einwilligung in ärztliche Behandlungsmaßnahmen ergänzt wurde - §§ 1904 f. BGB - , dessen rechtliche Qualifikation gerade fragwürdig erscheint. Diese muß aber ganz unabhängig davon getroffen werden, wie man die Einwilligung im Sinne des § 183 Satz 1 BGB einordnet, gerade weil beide Institute - wie oben bereits festgestellt - nicht vergleichbar sind. Diederichsen hat deshalb im Ergebnis zutreffend kritisiert, daß der Bundesgerichtshof „mit dieser Argumentation die entscheidenden Fragen zur Rechtsnatur verfehlt" habe. 261
(b) Disponibilität der betroffenen
Rechtsgüter
Des weiteren führt der Bundesgerichtshof an, die Qualifizierung der Einwilligung als Rechtsgeschäft setze voraus, daß der Betroffene über die von der Einwilligung betroffenen Rechtsgüter verfügen könne. Denn nur dann könne der Patient dem Arzt überhaupt Eingriffsrechte einräumen. Leben und körperliche Unversehrtheit seien indes Rechtsgüter, die nicht Gegenstand eines Rechts ihres Trägers seien. Da der Mensch über diese Rechtsgüter nicht verfügen könne wie beispielsweise über eine in seinem Eigentum stehende Sache, seien die Vorschriften über rechtsgeschäftliche Willenserklärungen jedenfalls nicht unmittelbar anwendbar. Eine kritische Würdigung dieser Argumentation kann nur erfolgen, wenn man sich vor Augen führt, daß der Bundesgerichtshof damit die Ausführungen der Strafsenate des Reichsgerichts aus dem Jahre 1908 übernimmt, 262 die auch von Teilen der rechtswissenschaftlichen Literatur bis heute fortgeschrieben worden sind. 263 Dem muß man zunächst entgegenhalten, daß gegen eine solch bedenkenlose Übernahme der strafrechtlichen Judikatur des Reichsgerichts wegen der inzwischen gültigen grundrechtlichen Weiteordnung Bedenken bestehen. Zwar trifft es auch auf der Grundlage dieser Weiteordnung zu, daß der Betroffene über das Rechtsgut „Leben" im Sinne des Art. 2 Abs. 2 Satz 1,1. Alt. GG nicht disponieren kann, weil das Recht auf Leben nicht zugleich eine Garantie des Verfügungsrechtes über das eigene Leben enthält. Gegenteiliges wurde - worauf im einzelnen noch näher einzugehen ist - 2 6 4 indes früher vereinzelt behauptet.265 Doch gilt mittlerweile als anerkannt, daß ein solches schon wegen des Wortlauts („Recht auf Leben") nicht besteht. 266
261 Diederichsen, in: FS Wieacker, 325, 336 f. 262 RG, Urt. v. 3. 7. 1908, RGSt 41, 392, 395. 263 Schenke, Die Einwilligung des Verletzten im Zivilrecht, 25; Krüger-Nieland, in: RGRK, § 106 BGB Anm. 11. 264 Siehe dazu sub 3. Teil, II. 1. b). 265 Hamann/Lenz, Grundgesetz, Art. 2 Anm. 8; Zippelius, JuS 1983, 659, 661; Kaufmann, MedR 1983,121,124. 5*
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1. Teil: Dogmatische Grundlagen
Soweit man allerdings zunächst komplexere Formen der Behandlungsanweisung, auf die später noch einzugehen ist, beseite läßt, und davon ausgeht, daß ein Patient lediglich seine Einwilligung zu ärztlichen Eingriffen erteilt, kommt es für die Beurteilung der Rechtsnatur der Behandlungsanweisung vor allem auf die rechtliche Zulässigkeit der Verfügung über das Recht auf körperliche Unversehrtheit an. Die rechtswissenschaftliche Lehre hat detaillierte Kriterien entwickelt, anhand derer beurteilt werden kann, ob die Möglichkeit eines Verzichts auf eine grundrechtlich verbürgte Rechtsposition besteht.267 Eine Verfügung über eine solche Position scheidet dort aus, wo die Schwere und Endgültigkeit eines Eingriffs, die Gefahr des Mißbrauchs und die Funktion der Grundrechte als objektive Werteordnung dem entgegenstehen. Aus den Gewährleistungen des Grundrechtskataloges folgt damit nicht generell die Möglichkeit eines Verzichts auf die hier verbürgten Rechte. 268 Insbesondere das Recht auf Leben im Sinne des Art. 2 Abs. 2 Satz 1,1. Alt. GG wird danach nicht als disponibel angesehen.269 Ein Verzicht auf volle körperliche Unversehrtheit gemäß Art. 2 Abs. 2 Satz 1, 2. Alt. GG ist hingegen zulässig: 270 Körperliche Unversehrtheit kann grundsätzlich wiederhergestellt werden. Schließlich geht auch der Gesetzgeber davon aus, daß der Betroffene prinzipiell dazu in der Lage ist, rechtmäßig auf den Schutz seiner körperlichen Integrität zu verzichten, wie § 228 StGB zeigt. Die entsprechende Positivierung der Unverfügbarkeit menschlichen Lebens enthält demgegenüber § 216 StGB. Wenn eine Verfügung über das Recht auf körperliche Unversehrtheit aber möglich ist, so kann der Rechtsinhaber dem Arzt auch ein Eingriffsrecht einräumen. Die Qualifikation der Behandlungsanweisung als rechtsgeschäftliche Willenserklärung ist deshalb entgegen der Auffassung des Bundesgerichtshofes und von Teilen der Lehre nicht ausgeschlossen. Aber selbst wenn man unterstellen würde, daß eine Verfügung über das Recht aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1, 2. Alt. GG nicht möglich sei, so bestünden doch rechtsdogmatische Bedenken gegen einen Schluß von einer vermeintlichen Unverfügbarkeit des Rechtsguts „Leben" bzw. „körperliche Unversehrtheit" auf die Rechtsnatur der Behandlungsanweisung als geschäftsähnliche Handlung bzw. Willensäußerung. Denn die Tatsache, daß der Patient über nicht disponible Rechtsgüter verfügt, ließe keinen Schluß auf die Rechtsnatur der Erklärung zu. Auch eine nach ihrem Inhalt rechtlich unzulässige Erklärung führt - wie § 134 BGB zeigt - nicht zum Verlust des rechtsgeschäftlichen Charakters der Erklärung. 271 Beschränkt geschäftsfähigen Minderjährigen wird durch Gesetz grund266 Vgl. statt vieler Dürig, in: MDHS, Art. 2 Abs. 2 Rz. 12; Kühl, in: Lackner /Kühl, Vor §211 Rz. 9. 267 Vgl. dazu Stern, Staatsrecht III/2, 912 ff.; Pietzcker, Staat 1978, 527, 531. 268 Vgl. Pieroth / Schlink, Staatsrecht II, Rz. 150; Sachs, VerwArch 1985, 398,422 ff. 269 Wassermann, DRiZ 1986, 291, 292; Roellecke, in: Eser, Suizid und Euthanasie, 338. 270 Pieroth/Schlink, Staatsrecht II, Rz. 151; Pietzcker, Staat 1978, 527, 530; Kohte, AcP 185 (1985), 105, 115; Giesen, Arzthaftungsrecht, 20; Eisenbart, 92; Wassermann, DRiZ 1986, 291, 292; Laufs, in: Laufs/Uhlenbruck, HdB ArztR, § 66 Rz. 9
V. Die Behandlungsanweisung an den Arzt, passive Sterbehilfe zu leisten
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sätzlich die Möglichkeit genommen, ohne Zustimmung der Eltern Verpflichtungen einzugehen (arg § 107 BGB). Jedoch wird niemand behaupten, daß ein Minderjähriger deshalb schon keine Willenserklärung abgebe, wenn die Erziehungsberechtigten ihr Placet nicht gegeben haben. Fraglich kann allein sein, ob es dieser Erklärung des Jugendlichen an der Wirksamkeit fehlt. Dies folgt zwingend aus der Überlegung, daß dann, wenn eine Willenserklärung in Ermangelung der Einwilligung der Eltern schon gar nicht vorliegen würde, ihre nachträgliche Wirksamkeit durch Genehmigung gar nicht mehr herbeigeführt werden könnte. Dies kann nicht richtig sein, und der Zweck des Zustimmungserfordernisses, den Eltern ein Mittel der Aufsicht an die Hand zu geben, 272 würde ausgehöhlt: Die §§ 106 ff. BGB sollen gewiß nicht die volle Unfähigkeit des Kindes, am Rechtsverkehr teilzunehmen und für sie rechtlich nachteilige Wirkungen im vermögensrechtlichen Bereich herbeizuführen, schaffen - arg § 110 BGB - , was angesichts der Tatsache, daß ihnen die Fähigkeit zur Abgabe rechtserheblicher Erklärungen nicht vollständig abgesprochen werden kann, auch gar nicht sinnvoll wäre, sondern ihr rechtsverbindliches Handeln nur zu ihrem Schutz unter Vorbehalt stellen. Die rechtswissenschaftliche Lehre vertritt deshalb zu Recht den Standpunkt, daß eine fehlende Dispositionsfähigkeit des Betroffenen keine Frage der Rechtsnatur der Erklärung, sondern ihrer rechtlichen Grenzen ist. 2 7 3 Demzufolge verliert beispielsweise eine Einwilligung im Falle der Tötung auf Verlangen wegen des § 216 StGB ihre rechtliche Qualität als Willenserklärung nicht, jedoch bildet §216 StGB die rechtliche Grenze der Einwilligung, die gemäß § 134 BGB unwirksam ist.
(c) Rechtsfolgewille Schließlich begründet der Bundesgerichtshof seine Ansicht, die Einwilligung eines Patienten in eine ärztliche Handlung stelle keine Willenserklärung dar, damit, daß dem Patienten der Wille zu einer unmittelbaren Verursachung von Rechtsfolgen fehle (sog. Rechtsfolgewille), 274 der das Kernstück des Willenserklärungstatbestands bilde. Für eine Willenserklärung genüge es nicht, daß sie auf den Eintritt 271 Zitelmann, AcP 99 (1906), 1, 65 ff.; Fischer, Die Rechtswidrigkeit mit besonderer Berücksichtigung des Privatrechts, 274; Kohte, AcP 185 (1985), 105, 116. 272 Vgl. Gitter, in: MüKo, § 106 Rz. 1, 107 Rz. 1, Vor § 104 Rz. 3; Hefermehl, in: Soergel, § 106 Rz. 1; Pawlowski, Rechtsgeschäftliche Folgen nichtiger Willenserklärungen, 56 ff. 273 Vgl. - freilich ohne Begründung - Jauernig, in: Jauernig, Vor § 104 Rz. 3; Larenz, Allgemeiner Teil, § 18 1,314 ff. 274 Dazu RG, Urt. v. 19. 10. 1928, RGZ 122, 138, 140; BGH, Urt. v. 29. 6. 1966, BGHZ 45, 376, 379; Heinrichs, in: Palandt, Einf. v. § 116 Rz. 4; Hefermehl, in: Soergel, Vor § 116 Rz. 19; Kramer, in: MüKo, Vor § 116 Rz. 8, 13. - Vgl. auch die Definition des Rechtsgeschäfts [das BGB verwendet die Begriffe „Willenserklärung" und „Rechtsgeschäft" häufig synonym, obwohl zwischen ihnen Unterschiede bestehen (dazu Kallwass, Privatrecht, 56)], in: Motive I, § 64,126, die von einem „gewollten rechtlichen Erfolg" spricht.
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1. Teil: Dogmatische Grundlagen
irgendeines Erfolges gerichtet sei. Erforderlich sei der spezifisch rechtliche Charakter, der sie von anderen rechtlich belanglosen Erklärungen unterscheide. Der Erklärende müsse zumindest die Absicht haben, irgendwelche Rechtswirkungen zu erzeugen. Daran fehle es jedoch gerade im Falle der Behandlungsanweisung in Form einer Einwilligung: Der Patient gestatte dem Arzt, auf höchstpersönliche Rechtsgüter des Patienten einzuwirken. Er erteile also die Erlaubnis zu tatsächlichen Handlungen, wolle aber keinerlei Rechtsfolgen erzielen. Rechtlich relevant sei nur der Eingriff selbst. Die Behandlungsanweisung wird demnach als eine Willensäußerung, bei der die Rechtsfolge allein auf der Tatsache ihrer Vornahme, nicht aber auf einem Rechtsfolgewillen beruht, angesehen.275 Der Bundesgerichtshof unterscheidet also zwischen der Herbeiführung eines tatsächlichen und eines rechtlichen Erfolges. Ob diese Trennung aber in einer derart schematischen Form angezeigt ist, erscheint schon deshalb zweifelhaft, weil sie im Bürgerlichen Recht nicht konsequent durchgehalten wird. Beispielhaft läßt sich etwa der Fruchterwerb kraft sog. Aneignungsgestattung gemäß § 956 BGB anführen: Obwohl erst tatsächliche Handlungen des Berechtigten die Aneignung bewirken, wird die Gestattung des Eigentümers zur Aneignung von Erzeugnissen oder sonstigen Bestandteilen der Sache allgemein als empfangsbedürftige Willenserklärung qualifiziert (sog. Aneignungstheorie). 276 Das belegt, daß die ganz unmittelbare Herbeiführung eines rechtlichen Erfolges immerhin keine zwingende Voraussetzung einer Willenserklärung sein muß. Die Trennung des Gerichts zwischen rechtlichem und tatsächlichem Erfolg läßt sich in dieser Schärfe auch aus historischen Gründen kaum halten. Denn schon zur Zeit der Entstehung des BGB war zwischen den Befürwortern der sog. Grundfolgentheorie und den Anhängern der sog. Rechtsfolgentheorie 277 stark umstritten, ob der Wille des Erklärenden zwingend auf eine Induktion bestimmter Rechtsfolgen gerichtet sein müsse. Verfechter der Grundfolgentheorie warfen und werfen noch heute der herrschenden Rechtsfolgentheorie vor, daß sie wenig Realitätsnähe aufweise: Der Wille des Erklärenden ziele weniger darauf ab, genauere Rechtsfolgen, die für ihn absolut sekundär und ihm oft auch gar nicht bewußt seien, in die Welt zu setzen, sondern vielmehr, einen tatsächlichen, also etwa einen wirtschaftlichen oder gesellschaftlichen Erfolg zu erzielen. 278 . Flume führt zutreffend aus: „[Ein] 275 BGH, Urt. v. 5. 12. 1958, BGHZ 29, 33, 36 - „Mindeijähriger". Diese Begründung wird auch vielfach in der rechtswissenschaftlichen Literatur gegeben; s. etwa Teichmann, JA 1979, 293, 294; Köhler, JZ 1984, 18, 18; Sproll, Individualrechtliche Probleme, 131 f.; Rickmann, 138; Niemann, Privatautonome Gestaltung, 91; Kientzy, Der Mangel am Straftatbestand, 18. 276 BGH, Urt. v. 30. 5. 1958, BGHZ 27, 360, 366; Brodmann, in: Planck, § 956 Anm. 4; Baur/Stürner, Sachenrecht, § 53 Rz. 28; Medicus, JuS 1967, 385, 389; Mühl, in: Soergel, § 956 Rz. 2; Quack, in: MüKo, § 956 Rz. 2; Müller, Sachenrecht, Rz. 2735; Wolff/Raiser, Sachenrecht, § 77 IV 2, 285; Westermann/Gursky, Sachenrecht, § 57 III 2 b); Schwab/Prütting, Sachenrecht, § 41 V 3; Jauernig, in: Jauernig, § 956 Rz. 2. 277 Zur Terminologie Kramer, in: MüKo, Vor § 116 Rz. 13.
V. Die Behandlungsanweisung an den Arzt, passive Sterbehilfe zu leisten
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Verkäufer will statt der Ware Geld haben oder den Gewinn aus der Differenz von Einstandspreis und Verkaufspreis. Der Käufer dagegen will die Ware haben und verfolgt darüber hinaus mit dem Erwerb der Ware die verschiedenartigsten Zwekke". 2 7 9 Es darf allerdings nicht verkannt werden, daß Rechtsfolgen nie immer nur um ihrer selbst willen herbeigeführt werden, sondern um tatsächliche Erfolge abzusichern. Der auf den tatsächlichen Erfolg gerichtete Wille ist deshalb nicht so sehr entscheidend wie der Wille des Erklärenden, daß das Gewollte rechtlich verbindlich, mithin gesollt sei. Daher kann wiederum mit Flume gesprochen werden: „Dieses gegenseitige Sollen ist [das, was] bei dem Vertrag von den Parteien vereinbart wird". 2 8 0 Demzufolge ließe sich der für den Tatbestand der Willenserklärung bedeutsame Rechtsfolgenwille des Erklärenden am treffendsten mit Hübner dahingehend formulieren, daß eine „auf einen bestimmten, zumeist wirtschaftlichen, rechtlich gesicherten Erfolg gerichtete Absicht" gegeben ist. 2 8 1 Es zeigt sich damit, wie relativ jede Differenzierung zwischen wirtschaftlichen und tatsächlichen Erfolgen ist. Im übrigen provoziert die Argumentation des Bundesgerichtshofes auch deshalb Kritik, weil sie in sich nicht frei von Widersprüchen ist: Gestattet der Patient dem Arzt den faktischen Eingriff - was nach jener Auffassung nicht final auf einen Rechtserfolg gerichtet sein soll - , und führt der Arzt diesen aus, so fragt sich, warum diesem Tun noch rechtliche Relevanz, nämlich die Beeinträchtigung der körperlichen Unbescholtenheit, zuzumessen sein sollte. Mit anderen Worten: Worin läge überhaupt der Sinn der Erlaubnis? Nun mag man einwenden, daß das ärztliche Handeln trotz der Erlaubnis, der eben keinerlei rechtliche Bedeutung - die etwa im Zurücktreten der Schutznorm des Art. 2 Abs. 2 S. 1, 2. Alt. GG liegen könnte zukomme, in die körperliche Integrität eingreife, aber die Rechtswidrigkeit dieses Tuns aufgrund der Behandlungsanweisung beseitigt werde. Doch führt man sich vor Augen, daß die Herbeiführung irgendeines rechtlichen Erfolges für die Annahme einer Willenserklärung genügt, so müßte man die Behandlungsanweisung schon deshalb als Willenserklärung einstufen, weil die Beseitigung der Rechtswidrigkeit des ärztlichen Handelns einen solchen Erfolg bildet. Es führt demnach kein Weg daran vorbei, daß die Behandlungsanweisung selbst und unmittelbar rechtliche Konsequenzen zeitigt. Diese liegen richtigerweise darin, daß die Schutznorm des Art. 2 Abs. 2 Satz 1, 2. Alt. GG bzw. deren einfach-gesetzliche Ausprägung in Form der von § 823 Abs. 1 BGB geschützten Güter, wodurch grundsätzlich Beeinträchtigungen der körperlichen Integrität untersagt werden, zurücktritt und der ärztliche Eingriff dadurch legitimiert wird, also schon von vornherein nicht rechtswidrig erfolgt. 278
Ehrlich, Süllschweigende Willenserklärung, 2 ff.; Danz, Die Auslegung des Rechtsgeschäfts, 6 ff.; Willoweit, Abgrenzung und rechtsgeschäftliche Relevanz nicht rechtsgeschäftlicher Vereinbarungen, 30 ff.; Kellmann, NJW 1971, 265 ff. 279 Flume, Rechtsgeschäft, § 4/5,52. 2
»o Flume, Rechtsgeschäft, § 4/5, 52. 281 Hübner, Allgemeiner Teil, § 3212 c), 285.
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1. Teil: Dogmatische Grundlagen
Noch klarer zeigt sich die Richtigkeit der Annahme, daß eine Einwilligung dem Arzt die Erlaubnis zu einem Eingriff gibt und daher final auf Herbeiführung eines rechtlichen Erfolges gerichtet ist, wenn man sich bewußt macht, daß eine Einwilligung nicht nur eine grundsätzliche Eingriffserlaubnis schafft, sondern auch und vor allem die Reichweite der Erlaubnis absteckt.282 Gerade in der klinischen Praxis kommt es primär nicht auf das „Ob" der Gestattung, sondern auf ihren Umfang an. Das läßt sich anhand der praktisch bedeutsamen Fälle notwendiger Operationserweiterungen veranschaulichen. Darunter versteht man „operative Eingriffe, die ohne vorher genau festzulegenden Operationsplan begonnen werden müssen und bei denen die spezielle Indikation über das weitere Vorgehen, den Umfang des Eingriffs, zusätzliche Maßnahmen und - damit verbunden - die Einschätzung des Risikos erst intraoperativ auf Grund des jeweiligen Befundes bestimmbar ist". 2 8 3 Der Arzt ist gehalten, mögliche und erst recht vorhersehbare Operationserweiterungen schon vor dem Eingriff mit dem Patienten zu besprechen, 284 da es dem Arzt anderenfalls verwehrt sein kann, sich auf eine unvorhergesehene Situation zu berufen und den erweiterten Eingriff auf Grund mutmaßlicher Einwilligung vorzunehmen. 285 In Fällen einer möglichen oder vorhersehbaren Operationserweiterung kommt es also entscheidend darauf an, den Rahmen der Behandlungsanweisung abzustecken, so daß eine Regelung des zwischen Arzt und Patienten bestehenden Rechtsverhältnisses getroffen wird. Die ärztliche Praxis zeigt, daß Patienten eine uneingeschränkte Zustimmung zu möglichen Operationserweiterungen oft nicht erteilen. Zahlreiche Gespräche mit Ärzten haben gezeigt, daß Patienten vielfach - beispielsweise aus religiösen Motiven - bestimmte Arten medizinischer Eingriffe - wie zum Beispiel Bluttransfusionen - unter keinen Umständen wünschen. Gerade für diese Patienten bildet die Behandlungsanweisung vor allem auch eine Grundlage für die rechtlichen Grenzen einer Behandlung. Dann kann der Einwilligung Regelungscharakter aber nicht abgesprochen werden. Demnach ist von einem Rechtsfolgewillen des einwilligenden Patienten im allgemeinen auszugehen. Endlich kann daher nur fraglich sein, ob der Wille eines Patienten, den Umfang einer ärztlichen Behandlung festzulegen bzw. bestimmte Behandlungsmethoden auszuschließen, den Anforderungen genügt, die an den für eine rechtsgeschäftliche Willenserklärung erforderlichen Willen, bestimmte Rechtsfolgen herbeizuführen, zu stellen sind. Wie bereits betont, genügt es für die Annahme eines Rechtsfolgewillens, daß der Wille des Erklärenden darauf abzielt, einen tatsächlichen - bei282 Vgl. BGH, Urt. v. 2. 11. 1976, NJW 1977, 337, 337 ff.; OLG Frankfurt, Urt. v. 10. 2. 1981, NJW 1981, 1322, 1322 ff.; Steffen, MedR 1983, 88, 92. 283 Wachsmuth, in: FS Bockelmann, 476, 477; vgl. auch Ulsenheimer, in: Laufs /Uhlenbruch HdB ArztR, § 139 Rz. 48; Deutsch, Medizinrecht, Rz. 110. 284 Ulsenheimer, in: Laufs / Uhlenbruch HdB ArztR, § 139 Rz. 49; Deutsch, Medizinrecht, Rz. 110. 285 BGH, Urt. v. 4. 10. 1999, ArztR 2000, 91, 93; Deutsch, Medizinrecht, Rz. 110. - Vgl. aber auch Ulsenheimer, in: Laufs / Uhlenbruch HdB ArztR, § 139 Rz. 49.
V. Die Behandlungsanweisung an den Arzt, passive Sterbehilfe zu leisten
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spielsweise wirtschaftlichen oder sozialen - Erfolg zu erreichen, und daß dieser tatsächliche Erfolg - gleich, worin dieser bestehen mag - rechtlich gesichert werden soll. 2 8 6 Der Patient, der eine Einwilligung erteilt, will nicht nur einen tatsächlichen Erfolg erzielen, sondern diesen auch rechtsverbindlich gewährleistet wissen. Er begründet eine rechtliche Erlaubnis zum Eingriff in ein Rechtsgut bzw. untersagt eine Behandlung und verwirklicht sein Selbstbestimmungsrecht. Wenn nach allgemeiner Auffassung jeder rechtlich zu sichernde tatsächliche Erfolg Ziel einer Willenserklärung sein kann, ließe sich damit auch nicht schlüssig behaupten, eine Einwilligung in ärztliche Maßnahmen stelle deshalb keine Willenserklärung dar, weil man diesbezüglich nicht in rechtsgeschäftlichen Kategorien denken könne und dürfe. Eine solche Argumentation würde auf einer Fehldeutung des Begriffs der Willenserklärung und des Rechtsgeschäfts beruhen.
(d) Behandlungsvertrag
und Behandlungsanweisung
Dieser Duplizität will freilich eine Auffassung aus dem medizinrechtlichen Schrifftum Rechnung tragen: Wenn der Patient die Möglichkeit habe, bereits im Behandlungsvertrag Einzelheiten über Umfang und Grenzen der medizinischen Maßnahmen durch rechtsgeschäftliche Willenserklärung mit rechtsverbindlicher Wirkung zu bestimmen, so bedürfe es weder der Qualifizierung der Behandlungsanweisung als Willenserklärung noch sei dies überhaupt verständlich. 287 Doch damit wird die Bedeutung des Behandlungsvertrags im klinischen bzw. ärztlichen Alltag in hohem Maße überschätzt: Der ausdrückliche mündliche oder gar schriftliche Abschluß eines „Behandlungsvertrags" zwischen dem behandelnden Arzt und seinem Patienten ist der praktisch äußerst seltene Ausnahmefall, und Einzelheiten über Art und Umfang der durchzuführenden Behandlung werden dann schon gar nicht vereinbart. Das wäre angesichts der Tatsache, daß sich oft zeitlich nur sehr eingriffsnah beurteilen läßt, welche Maßnahmen sich empfehlen, auch gar nicht möglich. Tatsächlich kommt der Behandlungsvertrag mit der Aufnahme der Behandlung zustande.288 Welche ärztlichen Eingriffe der Patient wünscht, läßt sich im übrigen regelmäßig erst nach einem Aufklärungsgespräch klären, das die Behandlungsanweisung des Patienten inhaltlich ausfüllt. Im Behandlungsvertrag liegt also nicht das von der Gegenauffassung behauptete „Gestaltungsmittel mit rechtsgeschäftlichen Einflußnahmemöglichkeiten". 289 Hinzu kommt, daß die rechtliche Einordnung des Behandlungsvertrags die rechtliche Qualifikation der Behandlungsanweisung nicht determinieren muß. 286 BGH, Urt. v. 24. 5. 1993, NJW 1993, 2100, 2100; Köndgen, Selbstbindung ohne Vertrag, 191; Heinrichs, in: Palandt, Einf. vor § 116 Rz. 4; Flad, in: Planck, Vor § 1041. 1. a. α.; Enneccerus/Nipperdey, Allgemeiner Teil II, § 145 I, 897; Kohte, AcP 185 (1985), 105, 118; Hefermehl, in: Soergel, Vor § 116 Rz. 19. 287 Rover, Einflußmöglichkeiten des Patienten, 90. 288 statt vieler Pflüger, VersR 1999,1070, 1071. 289 So Rover, Einflußmöglichkeiten des Patienten, 90.
74
1. Teil: Dogmatische Grundlagen
b) Die Rechtsnatur von Einwilligungsverweigerung und -widerruf Nachdem damit herausgearbeitet worden ist, daß ein Patient durch eine Einwilligung in eine ärztliche Heilbehandlung nicht nur einen tatsächlichen Eingriff in grundgesetzlich geschützte Rechtspositionen gestattet, sondern auch Umfang und Grenzen der Behandlungsmaßnahme rechtsverbindlich regeln will, also eine Willenserklärung abgibt, bleibt zu klären, ob diese Grundsätze auf die Erklärung eines Patienten, eine Behandlung solle nicht oder nur in beschränktem Umfange durchgeführt werden, übertragen werden können. Hervorzuheben ist zunächst, daß selbst dann, wenn man die Einwilligung in ärztliche Eingriffe als rechtsgeschäftsähnliche Handlung qualifizieren wollte, diese Beurteilung für die Einwilligungsverweigerung nicht zutreffen könnte. Denn an die Äußerung des Patienten, der Arzt solle keine Maßnahmen durchführen, knüpft die Rechtsordnung keine Rechtsfolge: Die Schutznorm des Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG tritt nicht zurück, sondern besteht unverändert fort, weil der Patient gerade nicht auf einen absoluten Integritätsschutz verzichtet. Jedenfalls die Einwilligungsverweigerung läßt sich deshalb nicht als rechtsgeschäftsähnliche Handlung bezeichnen. Bei der Beurteilung ihrer Rechtsnatur ist zu berücksichtigen, daß Einwilligungsverweigerung bzw. -widerruf zwar das exakte Gegenteil zur Einwilligung darstellen. Jedoch umfaßt das grundgesetzlich gewährleistete Selbstbestimmungsrecht des Patienten - wie oben dargestellt - nicht nur das Recht, selbst darüber zu entscheiden, ob eine ärztliche Behandlung vorgenommen werden soll, sondern garantiert in gleichem Maße das Recht, Behandlungen ablehnen zu dürfen. Aus diesem Grunde ist die Anweisung an den Arzt, nichts oder nichts mehr zu tun, ebenso eine Ausprägung des Selbstbestimmungsrechts. Bestehen daher deutliche Parallelen zur Einwilligung, so steht einer Einordnung als rechtsgeschäftliche Willenserklärung grundsätzlich nichts entgegen. Dagegen könnte man allerdings einwenden, daß der Patient mit der Kundgabe des Willens, Behandlungsmaßnahmen sollten unterbleiben, stets eine rein tatsächliche Handlung - das Unterlassen oder den Abbruch einer ärztlichen Behandlung - fordere. Diese Argumentation würde aber verkennen, daß gerade im Falle des Untersagens oder des Widerrufs einer Einwilligung der Wille des Patienten, die von ihm gesetzten Grenzen ärztlicher Maßnahmen seien einzuhalten, im Vordergrund steht. Mit seiner behandlungsablehnenden Entscheidung will der Patient gewährleisten, daß sein Wille unbedingt berücksichtigt wird. Zu Recht wird in der Lehre vertreten, daß etwa ein Widerruf nicht nur eine zuvor erteilte Einwilligung zurücknimmt, sondern gleichzeitig einen positiven Abwehrwillen zum Ausdruck bringt. 290 Demnach ist die Annahme eines Rechtsfolgewillens bei dem Patienten, der ein entsprechendes Veto ausspricht, sogar naheliegender als im Falle einer Einwil290 Taupitz, Gutachten 63. DJT, A 19; Deutsch, Allgemeines Haftungsrecht, RdNr. 282.
.
i Durchsetzung des Selbstbestimmungsrechts
ligung: Zwar will auch der Einwilligende gewisse Behandlungsgrenzen gewährleistet wissen, doch zielt sein Wille auch darauf ab, einem faktischen Eingriff zuzustimmen. Qualifiziert man die Einwilligung als Willenserklärung, so muß dies erst recht für die Anweisung, eine bestimmte Behandlung zu unterlassen, gelten. Weisen damit sowohl Einwilligung als auch Einwilligungsverweigerung oder -entzug die Rechtsnatur einer rechtsgeschäftlichen Willenserklärung auf (actuscontrarius-Gedanke), so folgt daraus, daß eine Behandlungsanweisung an den Arzt zu passiver Sterbehilfe, die - wie oben dargelegt - Elemente einer Einwilligung und einer Einwilligungsverweigerung kombiniert oder gar allein aus einer solchen besteht, die Rechtsnatur einer Willenserklärung hat. Gerade die Verbindung einer Einwilligung in palliativ-medizinische Maßnahmen mit einem Verbot, lebensverlängernde bzw. lebenserhaltende Maßnahmen durchzuführen, zeigt, daß es dem Patienten oder einem für ihn Handelnden besonders wichtig ist, Art und Umfang ärztlicher Behandlung in der Endphase des Lebens rechtsverbindlich festzulegen. Da also nicht die Erlaubnis oder Untersagung eines tatsächlichen Handelns, sondern die Reichweite rechtmäßigen ärztlichen Handelns im Vordergrund steht, handelt es sich bei der Anweisung an den Arzt, lebensnotwendige Maßnahmen zu unterlassen, um eine Willenserklärung. 291
VI. Die Durchsetzung des Selbstbestimmungsrechts Die Erteilung einer wirksamen Behandlungsanweisung durch den Patienten selbst, lebensnotwendige medizinische Maßnahmen zu unterlassen, setzt vor allem voraus, daß der Patient entscheidungsfähig ist.
1. Die Entscheidungsfähigkeit des Patienten als zentrale Voraussetzung einer eigenen Behandlungsanweisung In jeder Rechtsordnung bestehen Voraussetzungen, von der die rechtliche Anerkennung einer Willensäußerung abhängt. Neben objektiven Grenzen der Entscheidungsfreiheit - sie werden beispielsweise von den im BGB enthaltenen Formvorschriften gezogen - kennt das Zivilrecht auch subjektive Schranken, wie die §§ 104 ff. BGB zeigen. Damit die Rechtsordnung den erklärten Willen anerkennen kann, muß sie an diese Erklärung die Voraussetzung der Fähigkeit zu vernünftiger Willensbildung knüpfen. Der Erklärende muß also entscheidungsfähig sein. Unter Entscheidungsfähigkeit des Patienten versteht man die intellektuelle Möglichkeit des Patienten, eine Abwägung zwischen dem Für und Wider einer medizinischen 291
So im Ergebnis zutreffend auch - wenngleich ohne nähere Begründung und mit fehlendem Bewußtsein der Tragweite dieser Äußerung - OLG München, Beschl. v. 31. 7. 1987, NJW 1987, 2940, 2943 - „Fall Hackethal".
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1. Teil: Dogmatische Grundlagen
Behandlung zu treffen und die Konsequenzen der Entscheidung zu erfassen und zu überblicken. 292 Doch ebenso unklar und uneinheitlich wie die Rechtsnatur der Behandlungsanweisung heute beurteilt wird, sind bislang die Voraussetzungen präzisiert worden, die man an das Vorliegen der Entscheidungsfähigkeit stellen muß. In Anbetracht der praktischen Bedeutung der Fragestellung, von deren Beantwortung es abhängt, ob eine Person selbst über die Durchführung ärztlicher Maßnahmen entscheiden kann oder ob eine andere Person an ihrer Stelle tätig werden muß, ist dies durchaus erstaunlich.
a) Die Auffassung des Gesetzgebers, der Rechtsprechung und eines Teiles der Lehre Nach Ansicht des Gesetzgebers, der Rechtsprechung und eines Teiles der rechtswissenschaftlichen Literatur ist ein Patient dann fähig, eigenverantwortlich über die Durchführung einer Heilbehandlung zu bestimmen, wenn er die sog. natürliche Einsichts- und Urteilsfähigkeit besitzt. Diese soll vorliegen, wenn er im Stande ist, Wesen, Bedeutung und Tragweite des fraglichen Eingriffs für seinen Körper und seine allgemeinen Lebensumstände nach seiner verstandesmäßigen und sittlichen Reife zu erkennen und zu ermessen. 293 Der Grund für diese Anforderungen an die Fähigkeit zu einer persönlichen Willensbildung ist nur verständlich, wenn man sich vor Augen führt, welche Rechtsnatur die Einwilligung nach dieser Auffassung hat. Denn die konkreten Anforderungen an die Entscheidungsfähigkeit eines Menschen werden grundsätzlich von der rechtlichen Ausgestaltung der jeweiligen Handlungsform festgelegt. 294 Der Bundesgerichtshof und Teile der rechtswissenschaftlichen Lehre qualifzieren die Einwilligung eines Patienten - wie oben erörtert - als rechtsgeschäftsähnliche Handlung. 295 Auf geschäftsähnliche Handlungen sind die Vorschriften über Willenserklärungen zumindest grundsätzlich entsprechend anzuwenden;296 dies
292 BGH, Urt. v. 13. 5. 1969, BGHSt 23, 1, 4; Baronin von Dellingshausen, 56; Epple, BWNotZ 1981, 31, 32; Schöllhammer, 92; Winkler-Wilfurth, Betreuung und Heilbehandlung, 43. 293 BGH, Urt. v. 5. 12. 1958, BGHZ 29, 33, 36 - „Mindeijähriger"; BGH, Urt. v. 16. 11. 1971, NJW 1972, 335, 335 f.; BGH, Urt. v. 28. 6. 1988, BGHZ 105, 45, 47 f.; Laufs, Arztrecht, Rz. 132; Deutsch, Medizinrecht, Rz. 444; Göppinger, FamRZ 1980, 856, 860; Lenckner, in: S/S, Vorbem. zu §§ 32 ff. Rz. 40; Arzt, JR 1986, 309, 314; Niemann, Privatautonome Gestaltung, 92; Lenckner, ZStW 72 (1960), 446,458. 294 Vgl. Lipp, 65. 295 Vgl. supra bbb. 296 BGH, Urt. v. 17. 4. 1967, BGHZ 47, 352, 357; BGH, Urt. v. 6. 12. 1988, NJW 1989, 1792, 1792; von Tuhr, Allgemeiner Teil H/1, 360 und 362 sowie I I / 2 , 467; Heinrichs, in: Palandt, Vor § 104 Rz. 7; Medicus, Allgemeiner Teil, Rz. 198; Larenz, Allgemeiner Teil, § 26, 514; Flad, in: Planck, Vorbem. III zu Abschnitt I. 2. a.; Enneccerus/Nipperdey, All-
.
i Durchsetzung des Selbstbestimmungsrechts
folgt daraus, daß diese bloßen Willensäußerungen verwandt sind: 297 Sie stellen ebenso wie diese Äußerungen eines geistigen Vorgangs - eines Willens oder einer Vorstellung - dar und führen Rechtswirkungen - wenngleich nicht unmittelbar herbei. Tatsächlich werden sie auch gewöhnlich in dem Bewußtsein dieser Rechtsfolgen und oft in der Absicht, sie hervorzurufen, vorgenommen. Deshalb hat der Bundesgerichtshof auf die Einwilligung in eine Sterilisation § 138 BGB entsprechend angewandt und §§ 133, 157 BGB analog zwecks Auslegung einer Behandlungsanweisung herangezogen. 298 Es läge deshalb nahe, auch die Normen der §§ 104 ff. BGB analog anzuwenden und Geschäftsfähigkeit des Patienten als Wirksamkeitsvoraussetzung der Einwilligung zu fordern. Allerdings besteht in Rechtsprechung und rechtswissenschaftlicher Literatur weitgehende Einigkeit darüber, daß die Vorschriften über Willenserklärungen nicht schematisch analog gelten: Für jede Voraussetzung der Einwilligung und für jede Gruppe von Vorschriften sei zu prüfen, ob eine analoge Anwendung in Betracht kommt. 299 Gestützt auf diesen Grundsatz, sprechen sich Bundesgerichtshof und Teile der rechtswissenschaftlichen Literatur gegen eine analoge Anwendung der Vorschriften über die Geschäftsfähigkeit (§§ 104 ff. BGB) auf die Einwilligung
aa) Minderjährige
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Dies hat das Gericht erstmals in seiner „Mindeijährigen"-Entscheidung aus dem Jahre 1958 folgendermaßen begründet: Sei ein Mindeijähriger im natürlichen Sinne einsichts- und urteilsfähig, so benötige er einen besonderen gesetzlichen gemeiner Teil II, § 207 II, 1266: „ [ . . . ] darf die analoge Anwendung als Regel behauptet werden". 297 Enneccerus/Nipperdey, Allgemeiner Teil II, § 207 II, 1266. 298 Vgl. BGH, Urt. v. 29. 6. 1976, BGHZ 67,48, 50; BGH, Urt. v. 18. 3. 1980, NJW 1980, 1903, 1904. 299 Larenz, Allgemeiner Teil, § 26, 512; Medicus, Allgemeiner Teil, Rz. 198; Flume, Rechtsgeschäft, § 9 2. b., 113; Enneccerus/Nipperdey, Allgemeiner Teil II, § 207 II, 1266. 300 BGH, Urt. v. 5. 12. 1958, BGHZ 29, 33, 36; LG München I, Urt. v. 24. 7. 1978, NJW 1980, 646, 646; Deutsch, Medizinrecht, Rz. 443 ff.; Laufs, Arztrecht, Rz. 222; Trockel, NJW 1972, 1493, 1496; Rover, Einflußmöglichkeiten des Patienten, 96; Belling, FuR 1990, 68, 76; Gernhuber, FamRZ 1962, 89, 94; ders./Coester-Waltjen, Familienrecht, § 57 VII 4; Eser/ Koch, Rechtsfragen bei der gynäkologischen Betreuung mindeijähriger Patientinnen, in: Huber/Hiersche, Praxis der Gynäkologie im Kindes- und Jugendalter, 20; Laufs, in: Laufs/Uhlenbruck, HdB ArztR, § 66 Rz. 9; Diederichsen, in: Palandt, § 1626 Rz. 14. 301
Eine Untersuchung der Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen Minderjährige eigenverantwortlich Behandlungsanweisungen erteilen können, mag zwar wegen der Themenstellung der Arbeit zunächst abwegig erscheinen. Doch abgesehen von der Notwendigkeit einer dogmatischen Fundierung hat ihre Beantwortung auch praktische Bedeutung. Denn sofern ein Mindeijähriger eine Patientenverfügung - dazu sub 2. Teil, II. 3. - in rechtsverbindlicher Form erteilen kann, ist der Arzt daran in der Situation terminaler Krankheit am Lebensende gebunden.
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1. Teil: Dogmatische Grundlagen
Schutz, wie ihn die §§ 104 ff. BGB gewährten, nicht mehr. Ihm stehe sein Selbstbestimmungsrecht deshalb in vollem Umfange zu. Dieses „gebiete es, dem Minderjährigen in bestimmten Bereichen schon vor Eintritt der Volljährigkeit einen eigenen Verantwortungsbereich einzuräumen". 302 Das Selbstbestimmungsrecht des Mindeijährigen werde jedenfalls dann nicht durch die konkurrierende elterliche Personensorge eingeschränkt, wenn etwa die Zustimmung der Eltern nicht eingeholt werden könne 303 oder der Minderjährige fast volljährig sei. Im Gegensatz dazu könne bei einer nicht eilbedürftigen und nicht unbedeutenden Entscheidung einer Sechzehnjährigen auf eine Einwilligung der Eltern nicht verzichtet werden. Die §§ 104 ff. BGB seien also wegen ihrer starren Altersgrenzen nicht entsprechend anwendbar, weil das Selbstbestimmungsrecht des Minderjährigen eine eigene Entscheidungsbefugnis des Minderjährigen fordere, wenn dieser Wesen, Bedeutung und Tragweite der Maßnahme verstehen könne und deshalb im natürlichen Sinne einwilligungsfähig sei, also tatsächlich Selbstbestimmung ausüben könne. Dies hänge - neben dem Alter - von der Bedeutung, Risikoträchtigkeit, Schwierigkeit etc. des Eingriffs ab. 3 0 4 Diese flexible Handhabung der Einwillligungsfähigkeit wurde von einer Auffassung in der rechtswissenschaftlichen Lehre aufgegriffen. 305 Der Jugendliche sei in der Lage, eine Behandlungsanweisung selbst zu erteilen, wenn er die natürliche Einsichtsfähigkeit, also genügend verstandesmäßige, geistige und sittliche Reife besitze, um Bedeutung und Tragweite des Eingriffs zu erkennen und soviel Urteilskraft habe, das Für und Wider abzuwägen, und wenn er über die Fähigkeit verfüge, sein Handeln nach dieser Einsicht zu bestimmen. Diese fehle bei Kindern und jüngeren Jugendlichen; dagegen sei sie bei älteren Jugendlichen in der Regel schon entwickelt. 306 Beispielsweise könne eine sechzehnjährige Frau über eine Abtreibung nach Beratung mit dem Arzt selbst entscheiden;307 auch könne ein Siebzehn302 BGH, Urt. v. 5. 12. 1958, BGHZ 29, 33, 37. 303 Die vom BGH vorgenommene Differenzierung danach, ob ein Eingriff dringend geboten erscheine oder nicht, empfiehlt sich bei der Abgrenzung von Kindes- und Elternkompetenzen allerdings nicht: Es handelt sich hier nicht um eine Frage des Eltern-Kind-Verhältnisses, sondern um eine Frage der Rechtswidrigkeit ärztlicher Eingriffe überhaupt. Sie bleibt deshalb im folgenden außer acht. 304 Dazu näher Ulsenheimer, in: Laufs/Uhlenbruck, HdB ArztR, § 139 Rz. 27 ff.; Lipp, 30; Schwab, in: MüKo, § 1904 Rz. 7; Deutsch, Medizinrecht, Rz. 444; Taupitz, Gutachten 63. DJT, A 58 f. 305
Vgl. die zuvor Genannten, insbes. Deutsch, Medizinrecht, Rz. 444; Laufs, in: Laufs / Uhlenbruck, HdB ArztR, § 66 Rz. 9; ders., Arztrecht, Rz. 222; Schäfer, in: Staudinger, 12. Aufl., § 823 Rz. 458 und 462; Dilcher, in: Staudinger, § 107 Rz. 27; Krüger-Nieland, in: RGRK, § 106 Rz. 6; Hefermehl, in: Soergel, § 107 Rz. 27; Schiemann, in: Erman, § 823 Rz. 147; Heinrichs, in: Palandt, vor § 104 Rz. 8. Vgl. zuvor bereits von Tuhr, Allgemeiner Teil, 11/1,343. 306 Deutsch, Medizinrecht, Rz. 444; Laufs, in: Laufs / Uhlenbruck, HdB ArztR, § 66 Rz. 9. 307 AG Schlüchtern, Beschl. v. 29. 4. 1997, NJW 1998, 832, 832 f.; LG München I, Urt. v. 24. 7. 1978, NJW 1980, 646, 646; Diederichsen, in: Palandt, § 1626 Rz. 14; Restaino, MedLaw 1987,91, 92; Belling/Eberl, FuR 1995, 287, 287 f.
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i Durchsetzung des Selbstbestimmungsrechts
jähriger Behandlungsmaßnahmen ablehnen, die lebensrettend seien. 308 Es komme stets auf die sog. natürliche Einsichts- und Urteilsfähigkeit an, die Geschäftsfähigkeit der Betroffenen sei nicht ausschlaggebend. Diese Ansicht begründet ihren Standpunkt damit, daß die standardisierten Altersvorschriften der §§ 104 ff. BGB nicht nur eine generelle Typisierung von Schutzbedürftigkeit, die im Einzelfall geändert werden könnten, seien, sondern vor allem Verkehrsschutzvorschriften, die für die typischen Umsatz- und Massengeschäfte des täglichen Lebens eine klare Grenzziehung ermöglichen sollten. Die ärztliche Untersuchung verlange aber in jedem Falle eine Individualisierung, so daß der generelle Verkehrsschutz nicht erforderlich sei. 309 Verkehrsschutzinteressen, die die §§ 104 ff. BGB vor allem prägten, stünden also einer Einwilligung Minderjähriger in Eingriffe in das höchtspersönliche Rechtsgut der körperlichen Unversehrtheit nicht entgegen, sondern nur Einwilligungen in eigentumsähnliche Rechte bzw. Eigentumsrechte.
bb) Volljährige Schließlich haben Bundesgerichtshof und Teile der Lehre die Auffassung, die §§ 104 ff. BGB seien nicht analog auf eine Einwilligung in ärztliche Maßnahmen anwendbar, auch an Fällen der Einwilligung eines Volljährigen vertieft. Es müsse eine wirksame Ausübung des Selbstbestimmungsrechts auch solcher Kranker gewährleistet werden, die zwar geschäftsunfähig seien, aber dennoch die Fähigkeit besäßen, Art, Bedeutung und Umfang eines ärztlichen Eingriffs zu erfassen. 310 Neben der besonderen Bedeutung des Selbstbestimmungsrechts müsse auch hier berücksichtigt werden, daß die Einwilligung in die Verletzung höchtspersönlicher Rechtsgüter kein massenhaft vorkommendes Geschäft des täglichen Rechtsverkehrs darstelle, so daß das Bedürfnis nach starren Grenzen aus Gründen der Rechtssicherheit weniger stark ausgeprägt sei. Auch bei der Einwilligung eines Volljährigen sei demnach nicht auf vorhandene Geschäftsfähigkeit, sondern auf das Bestehen sog. natürlicher Einsichts- und Urteilsfähigkeit abzustellen.
308 Nach Deutsch, Medizinrecht, Rz. 444, soll ζ. B. eine siebzehnjährige Zeugin Jehovas, die mit einer Leberruptur ins Krankenhaus eingeliefert wird und dringend eine Transfusion benötigt, diese untersagen dürfen. 309 Gernhuber, FamRZ 1962, 89, 94; Eberbach, FamRZ 1982, 450, 452; Lenckner, ZStW 72,446,455 und 457; ders., in: Eser/Hirsch, Schwangerschaftsabbruch, 173 und 176. 310 BGH, Urt. v. 9. 12. 1958, BGHZ 29, 46, 51 - „2. Elektroschockurteil"; Schünemann, VersR 1981, 307, 308; Laufs, Arztrecht, Rz. 132; Deutsch, Medizinrecht, Rz. 105; Kern/ Laufs, Ärztliche Aufklärungspflicht, 35; Nüßgens, in: RGRK, § 823 Anh. I I Rz. 71; Frost, Arztrechtliche Probleme des neuen Betreuungsrechts, 13 f.; Lenckner, in: S/S, Vorbem. §§ 32 ff. Rz. 40; Schäfer, in: Staudinger, § 823 Rz. 458; Winkler-Wilfurth, Betreuung und Heilbehandlung, 93 f.
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1. Teil: Dogmatische Grundlagen
Daß dies auch die Haltung des Gesetzgebers widerspiegelt, läßt sich zunächst dem Regierungsentwurf des Betreuungsgesetzes entnehmen. Der Gesetzgeber sah die natürliche Einsichts- und Urteilsfähigkeit als entscheidendes Kriterium für die Beantwortung der Frage an, wann ein Betreuter selbst in eine Heilbehandlung einwilligen kann: Nur wenn ihm diese Fähigkeit fehle, habe der Betreuer an Stelle des Betreuten zu handeln. Geschäftsfähigkeit wird als Wirksamkeitsvoraussetzung der Einwilligung zwar diskutiert, aber verworfen. 311 Die Gesetzesverfasser begründen dies damit, daß die Rechtsprechung zwar eine sog. partielle Geschäftsfähigkeit also eine Geschäftsfähigkeit, die sich nur auf einen bestimmten Kreis von Angelegenheiten beschränkt - anerkannt habe. Eine relative Geschäftsfähigkeit werde hingegen von der ganz herrschenden Auffassung in Rechtsprechung und Lehre mit Recht nicht für zulässig gehalten, weil dies eine zu große Rechtsunsicherheit mit sich bringen würde. Denn gewährte man einem Geistesschwachen hier Schutz, könnte sich jedermann darauf berufen, daß seine geistigen Fähigkeiten gerade für das für ihn nachteilige Geschäft nicht ausreichend gewesen seien. 312 Gebe es eine relative Geschäftsfähigkeit jedoch nicht, würden sich grundlegende Bedenken ergeben, die Geschäftsfähigkeit zum Maßstab für die Wirksamkeit einer Behandlungsanweisung zu machen, weil Differenzierungen nach Art und Kompliziertheit eines Eingriffs hier sinnvoll seien: Dieser greife in besonderem Maße in die Rechte des Betroffenen aus Art. 2 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 GG ein. Es müsse also berücksichtigt werden, daß seine Entscheidungen nicht als rechtlich unbeachtlich angesehen würden, wenn sie von Einsichts- und Urteilsfähigkeit getragen seien. 313 Erst wenn dem Betroffenen diese Fähigkeit fehle, sei die Entscheidung eines medizinischen Betreuers erforderlich; auf die Geschäftsfähigkeit komme es nicht an. In einigen Spezialgesetzen wird sogar ausdrücklich auf die sog. „natürliche Einsichts- und Urteilsfähigkeit" abgestellt (vgl. §§40 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1, Abs. 4; 41 Nr. 3 und 4 AMG; 17 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1, Abs. 4 Nr. 4; 18 Nr. 2 MPG; 41 Abs. 6 Nr. 1 Satz 6 StrSchV; 3 Abs. 3 KastrG).
b) Kritische Bewertung Selbst wenn man eine Einwilligung als rechtsgeschäftsähnliche Handlung qualifizieren wollte - was aus den oben angeführten Gründen als nicht vorzugswür311 BT-Drucksache 11/4528,71. 312 Siehe dazu BGH, Urt. v. 19.6.1970, NJW 1970,1680,1680 f.; BayObLG, Beschl. v. 24. 11. 1988, NJW 1989,1678,1678 f.; Heinrichs, in: Palandt, § 104 Rz. 6; Winkler-Wilfurth, Betreuung und Heilbehandlung, 99 f.; Jauemig, in: Jauernig, § 104 Rz. 7; Achilles /Greif, § 104 Anm. 3; Brox, in: Erman, § 104 Rz. 5; Gitter, in: MüKo, § 104 Rz. 10; Hübner, Rz. 700; Paukstadt-Meihold, JA 1994,465,468; Kohl, in: AlterKomm, § 104 Rz. 8; Rosenthal/Bohnenberg, § 104 Rz. 234; Brox, Rz. 228; Hadding, in: StudK, §§ 104, 105 Anm. I I 3. b.; Diederichsen, Allgemeiner Teil, Rz. 321; Köhler, Allgemeiner Teil, § 17 Rz. 4; Pawlowski, Rz. 197 ff.; Peters, 66 f.; Scherner, Allgemeiner Teil, V I I 7. b.; Gebauer, AcP 153 (1953), 332,355. 313 BT-Drucksache 11/4528,71.
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i Durchsetzung des Selbstbestimmungsrechts
dig erscheint - , so bedürfte die zuvor dargestellte Auffassung, die die §§ 104 ff. BGB auf die Einwilligung nicht anwendet, einer kritischen Würdigung. Diese erscheint aber auch deshalb angebracht, weil die Rechtsnatur einer Behandlungsanweisung den Maßstab, der für das Vorhandensein der Entscheidungsfähigkeit zu verlangen ist, zwar grundsätzlich determiniert, so daß die §§ 104 ff. BGB nach hier vertretener Auffassung diesen Maßstab setzen. Doch dies ist nicht zwingend, und zwar namentlich dann nicht, wenn aus grundgesetzlichen Wertungen ein anderes Ergebnis folgte.
aa) Minderjährige Wie sehr es dieser kritischen Würdigung, die in Rechtsprechung und rechtswissenschaftlicher Literatur hinsichtlich der Geschäftsfähigkeit als Voraussetzung einer wirksamen Behandlungsanweisung ausgeblieben ist, bedarf, zeigt sich zunächst an der Einwilligung eines Minderjährigen. Der Normzweck der §§ 104, 106 ff. BGB - Schutz des nicht voll Geschäftsfähigen, des Personensorgerechts und der Rechtssicherheit - 3 1 4 trifft nämlich auf den Tatbestand der Einwilligung eines Minderjährigen in einen ärztlichen Eingriff in gewisser Weise zu. Auf die Mitwirkung des gesetzlichen Vertreters sollte zumindest nicht schlechthin verzichtet werden, weil der Minderjährige des Schutzes durch die Eltern - etwa in Form von Unterstützung und Beratung - in einzelnen Fällen bedarf. 315 Zudem muß bedacht werden, daß das von der oben angeführten Ansicht in Rechtsprechung und Lehre in den Mittelpunkt der Überlegungen gerückte Selbstbestimmungsrecht des nicht voll Geschäftsfähigen mit dem elterlichen Personensorgerecht gemäß § 1626 Abs. 1 in Verbindung mit den §§ 1629 Abs. 1, 1631 Abs. 1 BGB konkurriert. In der Literatur wird teilweise sogar - was sogleich kritisch zu würdigen ist - vertreten, daß dieses Recht „nach heutiger Lebensanschauung für den persönlichen Schutz dieses Personenkreises uneingeschränkt erforderlich ist und deshalb eine elterliche Mitwirkung [in Form der Einwilligung] verlangt, so daß eine Anwendung der §§ 104 ff. BGB sachgerecht ist". 3 1 6 Ähnliche Bedenken sind teilweise auch in der neueren Rechtsprechung gegen die Ansicht des Bundesgerichtshofs und der überwiegenden Lehre vorgebracht worden. Eine vorzeitige Mündigkeit des eingeschränkt Geschäftsfähigen führe zu einer Aufweichung der elterlichen Gewalt, die mit dem geschriebenen Recht nicht vereinbar sei: Zwischen den konkurrierenden Rechten des Selbstbestimmungsrechts des minderjährigen Patienten und dem aus § 1626 Abs. 1 BGB folgenden Personensorgerecht gebühre letzterem der Vorrang. 317
314
Vgl. zum Regelungszweck ausführlich Gitter, in: MüKo, Vor §§ 104 ff. Rz. 1 -3a. Dies wird auch von der herrschenden Auffassung keineswegs bestritten, vgl. Gitter, in: MüKo, Vor § 104 Rz. 89; Lipp, 34. 316 Gitter, in: MüKo, Vor § 104 Rz. 89. 315
6 Heyers
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1. Teil: Dogmatische Grundlagen
Bedenkt man, daß das Gesetz jene beiden Rechte in den §§ 106 ff. BGB zum Ausgleich gebracht hat und zieht man vor allem die Regelung des § 107 BGB heran, so scheint es weiter widersprüchlich, wenn ein Minderjähriger zwar eine Einwilligung in einen ärztlichen Eingriff erteilen können sollte, jedoch nach der lex lata nicht in der Lage sein soll, auch nur ganz banale Rechtsgeschäfte selbständig zu tätigen. In der Literatur wird die Fragestellung vereinzelt ganz in rechtsgeschäftlichen Kategorien durchdacht und geltend gemacht, eine analoge Anwendung der §§ 104 ff. BGB sei schon deshalb geboten, weil der einwilligende Minderjährige über seinen deliktischen Schadensersatzanspruch und damit über einen Vermögenswert verfüge. 318 In ähnlicher Weise tritt Diederichsen für die Anwendbarkeit der §§ 104 ff. BGB ein, der in einer Einwilligung eine Willenserklärung erblickt, die auf den Abschluß eines vorweggenommenen Erlaßvertrages über eventuelle Schadensersatzansprüche gerichtet ist. 3 1 9 Für die Maßgeblichkeit der Geschäftsfähigkeit streitet schließlich entscheidend das Gebot der Rechtssicherheit, dem die Auffassung des Bundesgerichtshofs gewiß nicht zuträglich ist, wonach feste Altersgrenzen abzulehnen seien. 320 Schließlich muß man sich der Tatsache bewußt sein, daß es einheitliche Kriterien für die Beurteilung des Vorhandenseins natürlicher Einsichts- und Urteilsfähigkeit nicht gibt. 3 2 1 Die deshalb bestehenden Unsicherheiten der Ärzteschaft - zuletzt anschaulich vorgetragen von Mattheis - 3 2 2 werden im übrigen auch vom 63. Deutschen Juristentag nicht geleugnet, der dem Gesetzgeber empfiehlt, „die Kriterien der Einwilligungsfähigkeit bei Minderjährigen gesetzlich zu regeln". 323 Es geht in der Tat kaum an, dem behandelnden Arzt die nach der bisherigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs bestehenden Risiken einer falschen Beurteilung der Einsichtsund Urteilsfähigkeit des Minderjährigen und die möglichen straf- und haftungsrechtlichen Konsequenzen aufzubürden. In der ärztlichen Praxis wird folgerichtig aus Sicherheitsgründen stets auf das Erfordernis einer Einwilligung der Eltern gedrängt. 324 Demnach sind also sehr wohl Verkehrsschutzinteressen ersichtlich, die
317 OLG Hamm, Beschluß v. 16. 7. 1998, NJW 1998, 3424, 3424. Ähnlich in der rechtswissenschaftlichen Literatur: Starck, in: v. Mangoldt/Klein, GG, Art. 2 Abs. 2 Rz. 219; Enneccerus/Nipperdey, Allgemeiner Teil II, § 212 d, 1315; Bosch, FamRZ 1959, 202, 203 f.; ders., Grundsatzfragen des Beweisrechts, 43. 318 Larenz, Schuldrecht II, 12. Aufl., § 711, c. 1., 534. - Dagegen ausdrücklich Oertmann, § 823 Anm. 7d) [1396]: „kein Verzicht auf den künftigen Ersatzanspruch". 319 Diederichsen, FS Wieacker, 325, 337. 320 Selbst von gesetzgeberischer Seite ist deshalb vereinzelt die Forderung nach einer starren Altersgrenze erhoben worden, vgl. BT-Drucksache 7/2060, 19; dazu Lüderitz, AcP 178 (1978), 263, 277. 321 Vgl. dazu Winkler-Wilfurth, Betreuung und Heilbehandlung, 75 f. 322 Vgl. Mattheis, Referat Β zum 63. DJT. 323 Beschlüsse des 63. DJT, Α. VIII. 2. (angenommen: 25:19:1). 324 Vgl. zu dieser Praxis Laufs, in: Laufs / Uhlenbruck, HdB ArztR, § 66 Rz. 9; Strätling/ Scharf/Eisenbart, 4 f.
VI. Die Durchsetzung des Selbstbestimmungsrechts
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die §§ 104, 106 ff. BGB erfassen sollen und die hier auch durchaus schützenswert erscheinen. Trotz dieser zweifellos bedeutsamen Aspekte sprechen dennoch gewichtige Argumente gegen die Anwendung der §§ 104, 106 ff. BGB auf die Einwilligung eines Minderjährigen in Heilbehandlungen. Auch wenn anzuerkennen ist, daß diese Regeln nach ihrem Schutzzweck die hier zu untersuchenden Fälle an sich erfassen und diese auch nach dem Willen des historischen BGB-Gesetzgebers erfaßt werden sollten, zwingt die grundrechtliche Weiteordnung möglicherweise zu einer Korrektur dieses Ergebnisses. Nach Inkrafttreten des Grundgesetzes ist - im Anschluß an eine Arbeit Krügers - sub signo „Grundrechtsmündigkeit" diskutiert worden, ob und inwieweit Minderjährige die Fähigkeit haben, Grundrechte selbständig auszuüben und geltend zu machen. 325 Grundrechtsmündigkeit bedeutet, daß das Kind wegen der grundrechtlichen Weiteordnung auch dort mündig sein kann, wo das einfache Recht es nicht für teilmündig erachtet 326. Die Bestimmung der Grundrechtsmündigkeit wird jedoch unterschiedlich beantwortet. Eine durchaus als herrschend zu bezeichnende Auffassung 327 spricht Minderjährigen die Grundrechtsmündigkeit grundsätzlich erst mit Erreichen der Volljährigkeit zu. Sie gelangt nur ausnahmsweise zu einer Grundrechtsmündigkeit im betreffenden grundrechtlichen Bereich, wenn das einfache Gesetzesrecht diesen volle Selbständigkeit einräumt (,starre Altersgrenze). 328 Diese Ansicht beruht auf der Erwägung, daß „der Gesetzgeber in den von ihm geregelten Fällen die Grenze der Einsichtsund Entscheidungsfähigkeit zutreffend gezogen hat, und daß es sinnvoll ist, für das Verfassungsrecht und die anderen Rechtsgebiete nach Möglichkeit dieselben Altersgrenzen zu ziehen". 329 Das hätte indes zur Folge, daß die Grundrechtsmündigkeit Mindeijähriger im Hinblick auf ihr Selbstbestimmungsrecht in den hier zu untersuchenden Fällen erst entsprechend den Altersgrenzen für die Geschäftsfähigkeit eintreten würde. Läßt sich dafür auch die Parallele zwischen Grundrechtsfä325 Krüger, FamRZ 1956, 329 ff.; Dürig, in: MDHS, Art. 19 Abs. 3 Rz. 16 ff.; Stern, Staatsrecht III/1, § 70 V 1, 1064 ff.; Hohm, NJW 1986, 3107, 3109. - Die Unterscheidung von Grundrechtsfähigkeit - also der Innehabung bzw. Trägerschaft von Grundrechten - und Grundrechtsmündigkeit wird indes geleugnet von Müller-Freienfels, 155 ff. Zweifelnd auch der BGH in einem Urteil v. 2. 7. 1974, NJW 1974, 1947, 1949 (das Nacktaufnahmen einer Sechzehnjährigen betraf), der aber schließlich im Sinne der herrschenden Auffassung entscheidet: „In der Rechtsprechung hat eine besondere Grundrechtsmündigkeit bisher keine Anerkennung gefunden. Auch das Schrifftum äußert sich überwiegend zurückhaltend. Trotzdem sind für gewisse eng begrenzte Teilbereiche auch ohne ausdrückliche Regelung eine selbständige Entscheidungsbefugnis des Mindeijährigen oder ein echtes Mitspracherecht schon vor Erreichen der Volljährigkeit anerkannt worden". 326 Lipp, 29; Peschel-Gutzeit, in: Staudinger, § 1626 Rz. 77 ff.; Hinz, in: MüKo, § 1626 Rz. 25 ff. 327 So die B e w e r t u n g e n v o n Stein, Staatsrecht, § 2 6 I I , u n d Stern, Staatsrecht I I I / 1 , § 7 0
V 1, 1064. 328 Starck, in: v. Mangoldt/Klein, Art. 1 Abs. 3 Rz. 186; Dürig, in: MDHS, Art 19 Abs. 3 Rz. 16 [sub a) a. E.]; Wolff/Bachof, Verwaltungsrecht I, § 33 V I e). 329 γ. Münch, Grundbegriffe des Staatsrechts I, Rz. 134 [66 f.]. 6*
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1. Teil: Dogmatische Grundlagen
higkeit bzw. -mündigkeit und zivilrechtlicher Rechtsfähigkeit und Geschäftsfähigkeit sprechen, so überzeugt es dennoch nicht, warum sich die Grundrechtsmündigkeit nach dem einfachen Gesetzesrecht beurteilen soll. Die Fragwürdigkeit dieser Ansicht wird gerade durch die hier virulente Problematik belegt: Die Fähigkeit Minderjähriger, ihr Selbstbestimmungsrecht im Rechtsverkehr autonom geltend machen zu können, richtete sich nach möglicherweise überkommenen Wertmaßstäben. Deshalb birgt diese Auffassung die Gefahr, die grundrechtliche Eigenwertigkeit außer acht zu lassen und einem gewissen Schematismus der Auslegung des Verfassungsrechts aus einfachem Gesetzesrecht das Wort zu reden. Das Bundesverfassungsgericht hat darauf hingewiesen, daß „der Jugendliche von vornherein und mit zunehmendem Alter in immer stärkerem Maße eine eigene durch Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG geschützte Persönlichkeit wird". 3 3 0 Im übrigen läßt sich die Beschränkung des Rechts Minderjähriger, Grundrechte selbständig geltend zu machen, aus dem Grundgesetz auch nicht herleiten. Deshalb ist es zutreffend, auf die individuelle Einsichts- und Entscheidungsfähigkeit der konkret betroffenen Personen und damit auf eine gleitende Altersgrenze abzustellen.331 Ein beschränkt geschäftsfähiger Minderjähriger kann demzufolge durchaus die Fähigkeit haben, Selbstbestimmung in körperlichen Angelegenheiten auszuüben. Soweit ein Minderjähriger Grundrechte selbständig ausüben kann, wenn er grundrechtsmündig ist, kollidieren nach der von Krüger begründeten Auffassung die Grundrechte des Kindes mit dem Elternrecht aus Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG. Diese Kollision soll mittels einer Güter- und Interessenabwägung gelöst werden. Nach heute überwiegender Ansicht wird das Elternrecht dagegen als Pflichtrecht qualifiziert, das um des Kindes willen besteht und so weit immanent eingeschränkt wird, als das Kind Mündigkeit erlangt. 332 In verfassungsrechtlicher Hinsicht kollidieren also Elternrecht und Kindesgrundrechte nicht; problematisch ist vielmehr der Umfang des Schutzbereichs des Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG. Die Eltern müssen bei der Wahrnehmung dieses Rechts beachten, daß der Minderjährige mit zunehmendem Alter zu einer eigenständigen Rechtspersönlichkeit heranwächst. Elterliche Sorge läßt sich deshalb nur rechtfertigen, solange er selbst 330 BVerfG, Beschl. v. 21. 12. 1977, BVerfGE 47,46, 74. 331 So etwa BVerfG, Beschl. v. 28. 11. 1951, BVerfGE 1, 87 88 f.; BVerfG, Beschl. v. 18. 6. 1986, BVerfGE 72, 122, 132 f.; Roell, Die Geltung der Grundrechte für Mindeijährige, 36 ff.; Pieroth/Schlink, Staatsrecht II, Rz. 124; Stein, Staatsrecht, § 26 II; Maunz/Zippelius, § 19 I I 3 b); Stern, Staatsrecht I I I /1, § 70 V 1. Jedoch gelten die allgemeinen Regeln über die Geschäftsfähigkeit auch nach dieser Auffassung im Grundrechtsbereich als wichtige Indizien für die Fähigkeit, Grundrechte selbständig wahrzunehmen. Im übrigen wird auf ein Zusammenspiel zwischen allgemeinen Regeln der Geschäftsfähigkeit und einer aus den Grundrechten gewonnenen eigenständigen Grundrechtsausübungsfähigkeit abgestellt. Dieses Zusammenspiel wirkt sich so aus, daß für jedes Grundrecht seinem Inhalt gemäß eine eigenständige, unterschiedlich gestufte Ausübungsberechtigung denkbar ist; vgl. Stern, Staatsrecht III /1, § 70 V 2, 1068; Roell, Die Geltung der Grundrechte für Minderjährige, 34 ff. 332 BVerfG, Beschl. v. 9. 2. 1982, BVerfGE 59, 360, 387; Lipp, 29 f.; Böckenförde, Essener Gespräche 14 (1980), 67.
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i Durchsetzung des Selbstbestimmungsrechts
nicht einsichts- und urteilsfähig ist und damit nicht selbst rechtsverbindlich handeln kann. Wenn die elterliche Sorge auch für einsichts- und urteilsfähige Minderjährige besteht, so ist dies eine Folge der pauschalisierenden gesetzlichen Regelung, die die Mündigkeit nicht an individuelle Urteilsfähigkeit, sondern an das Alter des Kindes knüpft. 333 Während sich die generelle Regelung des Gesetzes für den vermögensrechtlichen Bereich vor allem aus Gründen des Verkehrsschutzes rechtfertigen läßt, wiegt das Interesse des Rechtsverkehrs bei personenbezogenen Rechten nicht so schwer, daß eine Einschränkung der Handlungsmöglichkeiten des urteilsfähigen Minderjährigen anzuerkennen wäre. Deshalb wird heute der Mindeijährige vielfach für rechtlich befugt gehalten, ohne eine Mitwirkung seiner gesetzlichen Vertreter allein über die Durchführung ärztlicher Maßnahmen bzw. Eingriffe zu entscheiden, soweit er im konkreten Fall bereits einwilligungsfähig ist, also Bedeutung und Tragweite des Eingriffs erfassen und danach handeln kann. 334 Das Selbstbestimmungsrecht des Kindes fordere, daß die elterliche Sorge auch insoweit immanent begrenzt wird. Es wird deshalb allgemein anerkannt, daß aufgrund des Selbstbestimmungsrechts des Minderjährigen seine Einwilligung zu einem Eingriff in besonders persönlichkeitsrelevante Rechte erforderlich ist, soweit er Bedeutung und Tragweite des Eingriffs beurteilen kann. Sein Selbstbestimmungsrecht ist - wie die ausdrückliche Positivierung in § 1626 Abs. 2 BGB belegt - 3 3 5 die Grundlage einer immanenten Begrenzung der elterlichen Sorge im Einzelfall. Entscheidend für die vorliegende Untersuchung ist, daß die gesetzliche Regelung der §§ 104 ff. BGB zu undifferenziert erscheint, um der hier zur Rede stehenden Problematik gerecht werden zu können. Eine verfassungskonforme Auslegung führt also dazu, daß die §§ 104, 106 ff. BGB trotz der Rechtsnatur der Behandlungsanweisung als Willenserklärung keine Anwendung finden, sondern daß es stattdessen für die Beurteilung der Frage, ob Minderjährige selbst über die Durchführung ärztlicher Heilbehandlungsmaßnahmen entscheiden können, auf die natürliche Einsichts- und Urteilsfähigkeit ankommt. Diese Lösung gebietet schließlich eine Harmonisierung mit der strafrechtlichen Beurteilung der Entscheidungsfähigkeit, denn das Strafrecht erkennt eine Handlungsfähigkeit des Minderjährigen allgemein nach den Grundsätzen der natürlichen Einsichts- und Urteilsfähigkeit an. 3 3 6 Wenn damit klargestellt wurde, daß das Selbstbestimmungsrecht des minderjährigen Patienten eine Einschränkung des elterlichen Sorgerechts umso mehr gebietet, je mehr der Minderjährige die nötige verstandesmäßige Reife besitzt, Bedeu333 Bleckmann, Staatsrecht II, § 17 Rz. 15; Böckenförde, Essener Gespräche 14 (1980), 67; Reuter, Kindesgrundrechte, 156 ff., 178 ff. 334 Vgl. statt vieler BGH, Urt. v. 2. 7. 1974, NJW 1974, 1947, 1950; Kern, NJW 1993, 753, 755; Deutsch, AcP 192 (1992), 161, 175; Lipp, 32; Strätz, in: Soergel, § 1629 Rz. 6. 335 Siehe dazu BT-Drucksache 8/2788, 34. 336 Vgl. statt aller Lenckner, in: S/S, Vor § 32 Rz. 39 ff.
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1. Teil: Dogmatische Grundlagen
tung und Tragweite eines Eingriffs zu erfassen, und daß es auf die Einwilligung des Minderjährigen in den ärztlichen Eingriff ankommt, so ist damit - was vielfach verkannt wird - jedoch noch nicht begründet, ob und inwieweit er allein entscheidungsbefugt ist. Aus dem Selbstbestimmungsrecht des minderjährigen Patienten läßt sich nämlich nicht ableiten, daß er in besonderem Maße personenbezogene Entscheidungen allein treffen kann und deshalb teilmündig ist. Grundsätzlich erscheint es zwar zutreffend, dem Minderjährigen die Befugnis einzuräumen, Behandlungsanweisungen erteilen zu können. Es wurde aber bereits oben darauf verwiesen, daß es Zweifeln unterliegen würde, auf jede elterliche Mitwirkung zu verzichten. Dies würde auch der Tatsache nicht gerecht, daß die Elternrechte aus Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG durch die Kindesrechte nicht gänzlich verdrängt, sondern nur ihrem Umfang nach eingeschränkt werden. Sowohl nach der Konzeption des B G B 3 3 7 als auch nach Auffassung des heutigen Gesetzgebers benötigt auch das natürlich einsichts- und urteilsfähige Kind den Schutz durch die Beteiligung seiner gesetzlichen Vertreter. Selbst wenn es vor Eintritt der Volljährigkeit durch Gesetz für bestimmte Bereiche für mündig erklärt und damit uneingeschränkt handlungsfähig wird, bleibt das Recht und die Pflicht der Eltern bestehen, für das Kind zu sorgen und es zu vertreten. Mit Eintritt der Teilmündigkeit entfällt zwar die Befugnis der Eltern, über das Kind zu bestimmen, nicht jedoch ihr Recht und ihre Pflicht, in Form von Unterstützung Fürsorge zu leisten. 338 Schließlich müssen die gesetzlichen Vertreter des Minderjährigen beispielsweise auch ihre Zustimmung zur Eheschließung, einer in geringerem Maße Persönlichkeits- und rechtsgutsintensiven Entscheidung, erteilen. Deshalb ist zu untersuchen, ob eine zusätzliche Behandlungsanweisung des gesetzlichen Vertreters neben der Behandlungsanweisung des Minderjährigen zur Voraussetzung gemacht werden sollte, die gleichzeitig das Bedürfnis der Ärzteschaft, rechtlich abgesichert zu sein, weitgehend befriedigen würde. Vereinzelte Urteile und einige Stimmen in der Lehre sprechen sich für eine solche Lösung aus, 339 und dem Willen des Gesetzgebers steht sie, wie die §§40 Abs. 4 Nr. 4 AMG, 17 Abs. 4 Nr. 4 MPG zeigen, nicht entgegen. Jedoch fragt sich, ob damit dem Selbstbestimmungsrecht des Minderjährigen der ihm gebührende Rang zukommt. Besteht zwischen Eltern und Kind Konsens darüber, daß eine - gegebenenfalls vital indizierte - medizinische Behandlung durchgeführt werden solle, ist die Rechtslage unproblematisch; der ärztliche Eingriff kann durchgeführt werden. Verweigern sowohl Eltern als auch Kind Behandlungsmaßnahmen, ist der Arzt ebenso unproblematisch an ihre Entscheidung gebunden. Jedoch stellt sich gerade im Falle vital indizierter Maßnahmen die Frage, 337
Vgl. dazu Lipp, 34. « Jestaedt, in: BK, Art. 6 Abs. 2 und 3 GG, Rz. 154; Hinz, in: MüKo, § 1629 Rz. 4 f.; Lipp. 35 f. 33 9 BGH, Urt. v. 28. 6. 1988, BGHZ 105, 45, 48; BGH, Urt. v. 16. 4. 1991, NJW 1991, 2344, 2345; Flume, Allgemeiner Teil II, § 13, 11, 219 f.; Medicus, Allgemeiner Teil, Rz. 201; Teichmann, in: Jauernig, § 823 Rz. 54. 33
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ob diese Entscheidung nicht gerichtlich geprüft werden sollte. Einer gerichtlichen Mitwirkung bedarf es de lege lata selbst dann nicht, wenn die Entscheidung für das Kind lebensgefährlich ist oder - wie in Fällen passiver Sterbehilfe - seinen sicheren Tod zur Folge hat. Weil eine gesetzliche Grundlage fehlt, kann das Familiengericht nicht tätig werden. 340 Der Gesetzgeber hat es im Zuge der Schaffung des Betreuungsgesetzes ausdrücklich späteren Überlegungen überlassen, ob Behandlungsanweisungen Minderjähriger bzw. ihrer gesetzlichen Vertreter - entsprechend dem Vorbild des § 1904 Abs. 1 BGB - einer gerichtlichen Genehmigung bedürfen, wenn sie schwerwiegende, lebensgefährliche oder todbringende Konsequenzen zeitigen. 341 Im Zuge des am 1. Januar 1999 in Kraft getretenen BtÄndG v. 25. Juni 1998 wurde die Problematik nicht mehr aufgegriffen. Unter Berücksichtigung der hier vertretenen Auffassung läßt sich die Entbehrlichkeit einer gerichtlichen Genehmigung damit rechtfertigen, daß die Ablehnung vital indizierter Maßnahmen durch die Eltern im Einvernehmen mit dem Kind insoweit unbedenklich ist, als den Eltern regelmäßig das Wohl ihres Kindes stärker am Herzen liegen wird als anderen Personen oder Institutionen. 342 Daß der Gesetzgeber diese Einschätzung teilt, zeigt sich daran, daß es - anders als bei der Betreuung (§§ 1908i Abs. 1, 1837 ff. BGB), der Vormundschaft (§§ 1837 ff. BGB) oder der Pflegschaft (§§ 1915, 1837 ff. BGB) - keine generelle Aufsicht des Gerichts über die elterliche Sorge gibt, sondern nur eine Mißbrauchskontrolle bei begründetem Verdacht (§ 1666 BGB). Ein weiterer Grund für die pauschale gerichtliche Aufsicht über Betreuer, Vormund und Pfleger liegt darin, daß diese durch staatlichen Hoheitsakt bestellt werden, während die Elternschaft eine natürliche Beziehung ist. Eine Erstreckung des § 1904 Abs. 1 BGB auf das Eltern-Kind-Verhältnis würde sich deshalb ohnehin nicht empfehlen. 343 Das Selbstbestimmungsrecht des Kindes wird in ausreichendem Maße gewahrt. Das Erfordernis einer doppelten Behandlungsanweisung ist auch trotz der Möglichkeit eines Dissenses zwischen Eltern und Kind sachgerecht. Willigt der selbstbestimmungsfähige Mindeijährige in - gegebenenfalls vital indizierte - Behandlungsmaßnahmen ein und verweigern die Eltern ihre Einwilligung, so kann zwar zunächst der fragliche Eingriff nicht rechtmäßig durchgeführt werden. Ein entsprechender Schutz des Minderjährigen und damit seines Selbstbestimmungsrechts wird jedoch durch § 1666 Abs. 1 BGB gewährleistet. § 1666 Abs. 3 BGB stellt klar, daß das Familiengericht erforderliche Erklärungen der Eltern ersetzen kann, wenn diese sie nicht abgeben können oder wollen. Der Gesetzgeber hatte bei der Schaffung der Regelung gerade die Fallkonstellation im Auge, daß die Eltern eine
340 Peschel-Gutzeit, in: Staudinger, § 1626 Rz. 97; Strätz, in: Soergel, § 1629 Rz. 6. - Dies entspricht der österreichischen Rechtslage, vgl. Kopetzki, in: Taupitz, Rz. A 113. 341 Vgl. BT-Drucksache 11/4528, 72. 342 BGH, Beschl. v. 28. 5. 1976, BGHZ 66, 334, 337; Giesen, JZ 1990, 929, 940; ders., MML, Rz. 955. 343 Diederichsen, in: Dierks/Graf-Baumann/Lenard, 97, 102.
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1. Teil: Dogmatische Grundlagen
Einwilligung in eine indizierte Operation nicht erteilen. 344 Wenn für eine Anrufung des Gerichts keine Zeit verbleibt, darf der Arzt eine vital indizierte Behandlung auch ohne oder gegen den Willen der Eltern durchführen. 345 Verweigert ein entscheidungsfähiger Mindeijähriger dagegen seine Einwilligung in lebensnotwendige Maßnahmen und wünscht er passive Sterbehilfe, so können die Eltern nicht gegenteilig entscheiden, weil ihre Einwilligung allein das ärztliche Handeln nicht rechtfertigt. Eine Anrufung des Familiengerichts kommt nicht in Betracht: Eine Gefährung des körperlichen oder seelischen Wohls im Sinne des § 1666 Abs. 1 BGB läge nur vor, wenn die Eltern auf einer Behandlung bestehen, obwohl ihr Kind stärksten Schmerzen ausgesetzt würde. Da aber eine Einwilligung der Eltern ohnehin nicht ausreicht, kommt es auf die Anwendbarkeit des § 1666 BGB insoweit nicht an. Ferner gibt § 1666 BGB nur dem Minderjährigen oder dem Arzt die Möglichkeit, das Familiengericht einzuschalten, wenn sie mit einer elterlichen Entscheidung nicht einverstanden sind; 346 es greift aber keine Norm ein, wenn der selbstbestimmungsfähige Minderjährige zweifelhafte Entscheidungen trifft. 3 4 7 Eine gerichtliche Intervention wäre auch nicht wünschenswert, weil diese im Falle der Verweigerung einer Einwilligung durch die Eltern dazu dient, die indizierte Behandlung zu ermöglichen, wenn der Minderjährige diese wünscht; Autonomie des Minderjährigen wird also verwirklicht. Dagegen würde ein Tätigwerden des Gerichts im Falle behandlungsablehnender Entscheidungen des Minderjährigen gegen den Willen seiner Eltern seine Autonomie nicht stärken, sondern verkürzen. Der Wunsch eines Minderjährigen, nicht mehr behandelt zu werden, kann hingegen dazu Anlaß geben, die Verstandesreife des Kindes zu prüfen, doch darf eine selbstbestimmte Entscheidung nicht durch eine andere, paternalistische ersetzt werden. Hat der Minderjährige dagegen nicht die notwendige Einsichtsund Urteilsfähigkeit, kann von Selbstbestimmung nicht gesprochen werden. Es kommt auf die elterliche Entscheidung an. Von einer unverhältnismäßigen Einschränkung des Selbstbestimmungsrechts des Minderjährigen durch das Erfordernis einer zusätzlichen Einwilligung der Sorgeberechtigten kann also nicht die Rede sein.
344 BT-Drucksache 8/2788, 59; Michalski, in: Erman, 10. Aufl., § 1666 Rn. 22; Diederichsen, in: Dierks/Graf-Baumann/Lenard, 97, 102 ff.; Strätz, in: Soergel, § 1666 Rn. 40. 345 Gitter, in: MüKo, Vor § 104 Rz. 90; Eser, in: Müller/Olbing, 178, 184 f.; zur österreichischen Rechtslage diesbezüglich Kopetzki, in: Taupitz, Rz. A 118. 346 Diese haben zwar kein formelles Antragsrecht; das Gericht ist jedoch aufgrund eines Hinweises von Amts wegen verpflichtet, den Sachverhalt aufzuklären und gegebenenfalls einzugreifen, vgl. Coester, in: Staudinger, § 1666 Rz. 155. 347 Dazu auch Taupitz, Gutachten 63. DJT, A 94.
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bb) Volljährige Ob es sachgerecht ist, die Entscheidungsfähigkeit von dem Vorhandensein sog. natürlicher Einsichts- und Urteilsfähigkeit abhängig zu machen, muß sich ferner bei der Einwilligung Volljähriger, insbesondere solcher Patienten, die unter Betreuung stehen, erweisen. Daß die Wirksamkeit der Einwilligung eines Betreuten in eine Heilbehandlung auch unter der Geltung des Betreuungsgesetzes von „einem derart spekulativen Tatbestandsmerkmal abhängen soll, obwohl es sich hier um eine zentrale rechtliche Weichenstellung handelt", 348 ist durchaus nicht unproblematisch. Schon in der ärztlichen Praxis treten erhebliche Schwierigkeiten auf, die konkrete Einwilligungsfähigkeit des Patienten zu beurteilen: 349 Die „natürliche Einsichts- und Urteilsfähigkeit" läßt sich nicht in jedem Einzelfall verobjektivieren, so daß allgemeingültige und eindeutig nachprüfbare Kriterien dafür nicht aufgestellt werden können. Rechtsprechung und Lehre definieren die natürliche Einsichtsfähigkeit nicht, ihr eigentlicher Inhalt bleibt hinter vagen Umschreibungen und Formeln verborgen. 350 Auch interdisziplinäre Werke beschränken sich auf die oben angeführte Allgemeinformel der natürlichen Einsichts- und Urteilsfähigkeit, ohne weiteren Aufschluß über Kriterien hierfür zu geben. 351 Es ist schon deshalb fraglich, ob die Einsichtsfähigkeit als Rechtsbegriff überhaupt taugliche Voraussetzung sein kann. In der rechtswissenschaftlichen Literatur wird deshalb zu Recht darauf hingewiesen, daß sich die Abgrenzung zwischen Entscheidungsunfähigkeit und Entscheidungsfähigkeit schematisieren läßt und die Rechtssicherheit 352 gefördert wird, wenn man Geschäftsfähigkeit als Maßstab für die Wirksamkeit einer Einwilligung anlegt. 353 Die Prüfung der Geschäftsfähigkeit soll nach unbestritten gebliebener Auffassung keine solch differenzierten Maßstäbe wie eine Prüfung der natürlichen Einsichts- und Urteilsfähigkeit erfordern und wesentlich rascher erfolgen 348 So Coester, Jura 1991, 1, 8. 349 Schumacher/Jürgens, RuP 1988, 2, 6; Coester, Jura 1991, 1, 8; Schwab, Referat, Κ 29 und 30. 350 Vgl. Schwab, in: Neuer-Miebach / Krebs, Schwangerschaftsverhütung bei Menschen mit geistiger Behinderung - notwendig, möglich, erlaubt?, 140 f. 351 Vgl. beispielsweise Baer, Psychiatrie für Juristen; Forster, Praxis der Rechtsmedizin für Mediziner und Juristen, 595. Siehe zum ganzen auch Schwab, Referat, Κ 30. 352 in diesem Zusammenhang ist hervorzuheben, daß ein in der rechtswissenschaftlichen Literatur erörtertes Problem, das sich durch die von der oben genannten Auffassung geforderte Voraussetzung natürlicher Einwilligungsfähigkeit ergibt, durch Abstellen auf die Geschäftsfähigkeit des Betroffenen gelöst werden kann: In Fällen, in denen Einwilligungsfähigkeit besteht, kann die Weigerung des Betreuten, notwendige medizinische Maßnahmen an sich durchführen zu lassen, zu einem Konflikt mit einer abweichenden Entscheidung der für die rechtsgeschäftliche Seite zuständigen Betreuungsperson führen. Dies läßt sich vermeiden, wenn man auf die Einwilligung die Vorschriften über die Geschäftsfähigkeit anwendet; der Rechtssicherheit wäre damit gedient. 353 Schünemann, VersR 1981, 306, 307.
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können. 354 Erneut zeigt sich, daß eine analoge Anwendung der §§ 104 ff. BGB auf die Einwilligung Volljähriger nicht abwegig erscheint, da ihr Normzweck - Schaffung von Rechtssicherheit - auf den fraglichen Tatbestand durchaus zutrifft. Hinzu kommt, daß die Voraussetzung der sog. „natürlichen Einsichts- und Urteilsfähigkeit" den mit ihr verfolgten Zweck - Stärkung des Selbstbestimmungsrechts der Patienten - in der ärztlichen Praxis gerade vielfach nicht erreicht. Zahlreiche Gespräche mit Ärzten haben ergeben, daß die Einwilligungsfähigkeit der Patienten, für die ein Betreuer bestellt worden ist, fast nie geprüft, sondern nur die Einwilligung des gesetzlichen Vertreters eingeholt wird. Als Begründung gaben die befragten Ärzte Furcht vor strafrechtlichen Konsequenzen an. Bei geistig eingeschränkten Patienten, die nicht unter Betreuung stehen, gehen Ärzte im Regelfall von bestehender Einwilligungsfähigkeit aus; dementen Menschen legen sie formalisierte Einwilligungserklärungen vor, ohne daß diese wüßten, worum es ginge. In der rechtswissenschaftlichen Literatur wird zutreffend herausgestellt, daß Ärzte einen Patienten, der ihrem Therapievorschlag folgt, regelmäßig für einwilligungsfähig halten. Lehne dieser aber einen nach ärztlicher Auffassung notwendigen Heileingriff ab, so werde die Bestellung eines Betreuers durch den Arzt veranlaßt, damit dieser das medizinisch Notwendige ermöglichen könne. 355 Damit wird mit dem grundlegenden Prinzip unserer Rechtsordnung, daß ein einzelner in einer freiheitlichen Grundordnung als autonome, selbstbestimmt und nach eigenen Maßstäben handelnde Rechtsperson auch Entscheidungen treffen kann, die den Maßstäben anderer nicht entsprechen, gebrochen. Das Kriterium der Einwilligungsfähigkeit als Voraussetzung einer wirksamen Einwilligung berücksichtigt also ingesamt die Erfordernisse der medizinischen Praxis nicht in optimaler Weise und kann dadurch zu einer tatsächlichen Beeinträchtigung der schutzwürdigen Interessen des Patienten führen, anstatt - wie beabsichtigt - das Selbstbestimmungsrecht des Patienten in besonders personenbezogenen Angelegenheiten zu gewährleisten. Schließlich weist die These, daß es bei der Entscheidungsfähigkeit des Patienten nicht auf die Geschäfts-, sondern eine „natürliche Einsichts- und Steuerungsfähigkeit" ankomme, eine auffallende Ungereimtheit auf: Soll es in der Tat richtig sein, daß ein Patient zwar nicht fähig ist zu begreifen, daß eine Operation Geld kostet, d. h. einen Arztvertrag zu schließen, aber dennoch in der Lage sein, selbst über eine Beeinträchtigung höchstpersönlicher Rechtsgüter oder gar - wie im Falle passiver Sterbehilfe - über Leben und Tod zu entscheiden? - Schwab weist nicht zu Unrecht darauf hin, daß „dem die veraltete Vorstellung zugrunde[liegt], der Rechtsbereich persönlicher Güter [sei] einfacher strukturiert als derjenige vermögensrechtlicher Beziehungen".356 Insoweit greifen hier ähnliche Bedenken wie bei der Frage einer autonomen Entscheidungskompetenz Minderjähriger durch.
354 Vgl. Witter, Grundriß der gerichtlichen Psychologie und Psychiatrie, 252 ff.; Lüderitz, AcP 178 (1978), 263, 276. 355 Schwab, FamRZ 1990, 681, 686; Schünemann, VersR 1981, 306, 308. 356 Schwab, in: MüKo, § 1904 Rz. 6.
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i Durchsetzung des Selbstbestimmungsrechts
Dennoch behauptet sich auch hier die natürliche Einsichts- und Urteilsfähigkeit als sachgerechtes Kriterium. Denn die Kehrseite der Rechtssicherheit für den Arzt - die §§ 104 ff. BGB beinhalten klare Regelungen, die eine sichere Entscheidung im konkreten Einzelfall ermöglichen - ist eine möglicherweise ungerechtfertigte Einschränkung der Handlungsfreiheit des Patienten. Daß Entscheidungsfähigkeit wandelbar ist, machen zunächst pädagogische Aspekte sinnfällig. Eine „Einsichtsfähigkeit" an sich gibt es nicht, vielmehr ist die Erkenntnis- und Einschätzungsfähigkeit immer an bestimmte Inhalte gebunden und wird von diesen bestimmt. „Einsicht" läßt sich verändern und durch pädagogische Einflußnahme entwikkeln. 3 5 7 Dieser Ansatz verdeutlicht, daß die „Einsicht" nicht nur von den geistigen und psychischen Möglichkeiten des Kranken abhängt, sondern daß für seine Einschätzung einer medizinischen Maßnahme auch die Qualität der ärztlichen Aufklärung verantwortlich ist. 3 5 8 Wenn also die Entscheidungsfähigkeit flexibel zu verstehen ist, so kann die Geschäftsfähigkeit kein treffender Bewertungsmaßstab sein, weil sich diese von der sog. natürlichen Einsichts- und Urteilsfähigkeit gerade dadurch unterscheidet, daß sie eine rechtliche Macht verleiht, die die Rechtsordnung grundsätzlich jedem einräumt, der die Volljährigkeitsgrenze erreicht hat, während die Einwilligungsfähigkeit einerseits nicht an das Erreichen einer bestimmten Altersgrenze gebunden ist und andererseits auch in fortgeschrittenem Alter hinsichtlich einzelner medizinischer Maßnahmen fehlen kann. Auch die Regelung des § 105 Abs. 2 BGB kann nicht zu einer erhöhten Flexibilität bei der Beurteilung vorhandener Entscheidungsfähigkeit beitragen, weil sie - im Gegensatz zu § 104 Nr. 2 BGB - nur zeitweise Abweichungen von einem Normalzustand erfassen will, aber keine Abstufungen hinsichtlich des Bewertungsgegenstands zuläßt. Auch hier führt also eine verfassungskonforme Auslegung wegen des Selbstbestimmungsrechts des Patienten zur Unanwendbarkeit der §§ 104 ff. BGB.
2. Natürliche Einsichts- und Urteilsfähigkeit als Wirksamkeitsvoraussetzung Es erscheint deshalb insgesamt sachgerecht, auf die natürliche Einsichts- und Urteilsfähigkeit des Patienten als Wirksamkeitsvoraussetzung der Einwilligung abzustellen. Dadurch lassen sich flexiblere und im Einzelfall gerechtere Ergebnisse ableiten als im Falle einer Anwendung der §§ 104 ff. BGB. Eine Behandlungsanweisung zu passiver Sterbehilfe könnte ein beschränkt geschäftsfähiger Minderjähriger danach nicht ohne Zustimmung seiner Eltern erteilen. Zwar entstünden durch diese Anweisung keine rechtlichen Verpflichtungen des Minderjährigen, so daß es 357
Schröder, in: Neuer-Miebach / Krebs, Schwangerschaftsverhütung bei Menschen mit geistiger Behinderung - notwendig, möglich, erlaubt?, 94 f. 358 Schumacher/Jürgens, RuP 1988, 2, 6; Winkler-Wilfurth, Betreuung und Heilbehandlung, 77.
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sich grundsätzlich um ein lediglich rechtlich vorteilhaftes Geschäft im Sinne des § 107 BGB handeln würde. Der Gesichtspunkt des lediglich rechtlichen Vorteils greift jedoch bei einer Entscheidung des beschränkt Geschäftsfähigen, die nicht Vermögensrechte, sondern persönliche Rechtsgüter betrifft, nicht ein. Dies hat das Reichsgericht in zahlreichen Entscheidungen, die Fälle der Einwilligung Minderjähriger in eine ärztliche Operation zum Gegenstand hatten, zutreffend herausgearbeitet, 359 und die Teile der rechtswissenschaftlichen Literatur, die die Einwilligung in einen ärztlichen Eingriff als Willenserklärung bzw. rechtsgeschäftsähnliche Handlung qualifzieren, auf die die Vorschriften der §§ 104 ff. BGB direkt bzw. analog anzuwenden sind, sind dem gefolgt. 360 Die Bedeutsamkeit dieser Einwilligung für den Minderjährigen erfordere eine elterliche Zustimmung aufgrund ihres Rechts zur Personensorge gemäß §§ 1626 Abs. 1, 1629 Abs. 1, 1631 Abs. 1 BGB. Nichts anderes würde dann für die Entscheidung zu einer Behandlungsverweigerung, die den Tod des beschränkt Geschäftsfähigen zur Folge hat, gelten. Dagegen kommt es nach hier vertretener Auffassung darauf an, ob der Minderjährige die nötige geistige und sittliche Reife besitzt, Art, Umfang und Tragweite seiner Entscheidung zu erfassen. Das muß man nicht a priori verneinen: Es ist durchaus denkbar, daß ein lebenserfahrener und intelligenter Siebzehnjähriger die Bedeutung des Lebens für ihn, seine Schmerzeinstellung und ähnliches eher ermessen kann als ein uneinsichtiger, einfältiger oder minderbemittelter Mittdreißiger. Bei der Beantwortung der Frage, ob ein Minderjähriger über die Durchführung passiver Sterbehilfe entscheiden kann, ist jedoch zu berücksichtigen, daß der Bundesgerichtshof die Einwilligung eines Minderjährigen in seiner 1958 getroffenen „Minderjährigen"-Entscheidung lediglich deshalb für ausreichend hielt, weil der Minderjährige zum damaligen Zeitpunkt fast volljährig - d. h. 2 0 % Jahre alt war. Durch die zwischenzeitlich erfolgte Herabsetzung des Volljährigkeitsalters auf das vollendete achtzehnte Lebensjahr 361 ist die Möglichkeit eines Minderjährigen, wirksame Behandlungsanweisungen zu erteilen, bereits eingeschränkt worden. Hinzu kommt, daß der Bundesgerichtshof in einer 1972 ergangenen Entscheidung, die eine Röntgenbestrahlung zur Entfernung von Warzen an der Hand betraf, die Einwilligung eines Sechzehnjährigen nur dann für ausreichend erachtete, wenn es sich um einen ganz geringfügigen und banalen Eingriff handele; 362 anderenfalls bedürfe es unter dem vorrangigen Gesichtspunkt der Schutzbedürftigkeit des Minderjährigen der Einwilligung seiner Eltern oder seines sonstigen gesetzlichen Ver359 RG, Urt. v. 21. 6. 1907, JW 1907, 505, 505; RG, Urt. v. 1. 3. 1910, Warneyer 1911 Nr. 398; RG, Urt. v. 27. 5. 1908, RGZ 68, 431,433 f.; RG, Urt. v. 19. 6. 1933, RGZ 141, 262, 265; RG, Urt. v. 3. 12. 1941, RGZ 168, 206, 210. 360 vgl. Flad, in: Planck, § 107 Anm. I. 4.; Medicus, Allgemeiner Teil, Rz. 201; Kohte, AcP 185 (1985), 105, 148 f.; Gitter, in: MüKo, Vor § 104 Rz. 88 f.; Vogels, in: Schlegelberger, § 107 Anm. 12; Enneccerus/Nipperdey, Allgemeiner Teil II, § 151 I I 1. e., 933; Enneccerus/Lehmann, Schuldrecht, § 231 I I 3, 931 f.; Reuter, JuS 1972, 283, 283. 361 Ges. v. 31. 7. 1974, BGBl. I, 1713. 362 BGH, Urt. v. 16. 11. 1971, NJW 1972, 335, 335 f.
VII. Anlaß und Gegenstand der Untersuchung sowie Gang der Arbeit
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treters. Es ist deshalb zu bedenken, daß die Entscheidung über die Durchführung passiver Sterbehilfe zu den schwierigsten überhaupt zählt, weil der Betroffene eine Abwägung zwischen einer kurzzeitigen, möglicherweise schmerzvollen Lebensverlängerung oder -erhaltung und der Beendigung eines von tödlicher Krankheit gezeichneten Lebens treffen muß. Deshalb wird es in der Praxis vielfach auf die alleinige Entscheidung der gesetzlichen Vertreter ankommen. Einen Ausschließlichkeitsanspruch kann ihre Auffassung jedoch gerade nicht erheben, sofern der Minderjährige selbst genügend Reife und Einsicht erlangt hat. Gegen dieses Ergebnis läßt sich auch nicht die Wertung des § 1631c Satz 2 BGB ins Feld führen. § 1631c Satz 2 BGB normiert zwar die zwingende Unfähigkeit eines Minderjährigen, Tragweite und Folgen einer Sterilisation zu beurteilen. 363 Diese Wertung könnte zu einem Erst-Recht-Schluß verleiten: Sei der Minderjährige schon nicht in der Lage, über eine derart schwerwiegende Beeinträchtigung seiner körperlichen Integrität zu entscheiden, so dürfte er erst recht nicht ermessen können, welche Tragweite eine Entscheidung über Leben und Tod hat. Doch würde dabei verkannt, daß § 1631c Satz 1 BGB selbst die Einwilligungskompetenz der Eltern sperrt, weil sich Erforderlichkeit und Auswirkungen der Sterilisation bei Minderjährigen besonders schwer beurteilen lassen. 364 Im Gegensatz zu einer Sterilisation ist die Entscheidung über den Einsatz vital indizierter Behandlungsmaßnahmen auch zwingend zu treffen. Gründe für eine prinzipielle Unfähigkeit des Minderjährigen, Sterbehilfeanweisungen zu erteilen, lassen sich demnach nicht anführen.
VII. Anlaß und Gegenstand der Untersuchung sowie Gang der Arbeit Mit Inkrafttreten des Betreuungsgesetzes, das in § 1904 Abs. 1 BGB die Möglichkeit der Entscheidung über medizinische Maßnahmen durch einen Betreuer voraussetzt, zum 1. Januar 1992 und der Einfügung des § 1904 Abs. 2 BGB, der diese Kompetenz nunmehr auch einer vom Betroffenen in gesunden Tagen bevollmächtigten Person verleiht, durch das BtAndG v. 25. Juni 1998 sind zahlreiche noch ungeklärte Probleme aufgeworfen worden, die nun nach der zuvor erfolgten dogmatischen Grundlegung geklärt werden können. Vor allem ist die bislang umstrittene, aber nach Inkrafttreten dieser Gesetze neu zu beantwortende Frage, wer das Recht zur Entscheidung über passive Sterbehilfe im engeren oder weiteren Sinne hat, wenn der Betroffene seine Entscheidungsfähigkeit verloren hat, weitgehend unbeantwortet geblieben. Je mehr der medizinische Fortschritt die Möglichkeit zur Lebensverlängerung eröffnet und je klarer daraus die Notwendigkeit zur 363 BT-Drucksache 11/4528, 107; Salgo, in: Staudinger, § 1631c Rz. 1; Hinz, in: MüKo, § 1631c Rz. 1; Diederichsen, in: Palandt, § 1631c Rz. 1. 364 Vgl. BT-Drucksache 11/4528, 76 sowie den im RegE eines Gesetzes zur Reform des Strafrechts enthaltenen differenzierten Vorschlag, BT-Drucksache 6/3434.
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1. Teil: Dogmatische Grundlagen
Entscheidung erwächst, ob und inwieweit die Errungenschaften der modernen Medizin für die Behandlung des Patienten im konkreten Fall genutzt werden sollen, desto dringlicher stellt sich die Frage der Entscheidungsbefugnis. Bis in die jüngste Zeit hat sich die rechtliche Diskussion fast ausschließlich auf die Strafbarkeit des Arztes wegen unterlassener oder abgebrochener Behandlung und seiner möglichen Rechtfertigung auf Grund des mutmaßlichen Willens des Patienten konzentriert. 365 Daß der Arzt die Entscheidung über Aufnahme oder Abbruch einer Behandlung treffen muß, setzte man ohne weiteres voraus. 366 Vor dem Hintergrund des Betreuungsrechts bedarf es jedoch einer differenzierteren Bewertung. Die Arbeit stellt deshalb in ihrem zweiten Teil zunächst die verschiedenen Möglichkeiten dar, dem Selbstbestimmungsrecht des Patienten auch im Falle terminaler, zu Entscheidungsunfähigkeit führender Krankheit Geltung zu verschaffen. Im dritten und vierten Teil der Arbeit werden sodann im besonderen die Schnittstellen zwischen passiver Sterbehilfe und der Entscheidung eines Betreuers untersucht. Dabei geht es sowohl um die Statthaftigkeit einer Willensermittlungs- und -umsetzungskompetenz an sich als auch um die formellen Anforderungen an eine solche Entscheidung sowie ihre inhaltlichen Maßstäbe, also um Fragestellungen, die einer umfassenden Klärung durch Rechtsprechung und rechtswissenschaftliches Schrifttum noch harren. Teilweise wird vertreten, der behandelnde Arzt sei für eine derartige Entscheidung zuständig,367 und er habe diese Entscheidung über das Leisten passiver Sterbehilfe anhand des mutmaßlichen Willens zu treffen. Eine andere Ansicht fordert, daß ein Betreuer bestellt werden müsse, der die Einwilligung in lebensverlängernde bzw. lebenserhaltende Maßnahmen oder die Behandlungsanweisung, passive Sterbehilfe zu leisten, erteilt. 3 6 8 Darüber hinaus wird vielfach verlangt, daß die Entscheidung des Betreuers, den betreuten Patienten sterben zu lassen, der vormundschaftsgerichtli-
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Die strafrechtliche Bewertung der Sterbehilfe ist heute nahezu abgeschlossen. Strafrechtliche Abhandlungen zu Rechtsfragen passiver Sterbehilfe unterscheiden sich von der vorliegenden Untersuchung in mehrfacher Hinsicht grundlegend. Während es in strafrechtlicher Hinsicht auf Pflichten des Arztes als potentieller Täter echter - § 323c StGB - bzw. unechter Unterlassungsdelikte ankommt und die objektiven Grenzen der Privatautonomie § 216 StGB - aus staatlicher Sicht fraglich sind, bilden Möglichkeiten zu autonomer und eigenverantwortlicher Gestaltung des Lebensendes den Schwerpunkt einer zivilrechtlichen Analyse. Dies liegt in der Natur der Sache, da der Begriff der Autonomie gleichsam der Schlüsselbegriff des Zivilrechts ist. Des weiteren urteilt das Strafrecht ex post, während zivilrechtlich prozedurale Regelungen zu untersuchen sind, die ex ante wirken. 3 66 Vgl. dazu nur Lipp, DRiZ 2000, 231, 231. 3 67 Vgl. etwa LG München I, Beschl. v. 18. 2. 1999, NJW 1999, 1788, 1789; LG Augsburg, Beschl. v. 4. 8. 1999, NJW 2000, 2363, 2363 f.; Laufs, NJW 1996, 763, 763 f.; Bienwald, FamRZ 1998, 1138, 1139; ders., in: Staudinger, § 1904 Rz. 45; Deichmann, MDR 1985, 983, 984 f.; Seitz, ZRP 1998, 417, 419 f.; Ankermann, MedR 1999, 387, 390; Schlund, JR 2000,65, 66; Eberbach, MedR 2000, 267, 269 f. (im einzelnen freilich unklar). 368 Vgl. etwa AG Kempten, Beschl. v. 17. 3. 1993, 5 X V I I 382/92 (unveröffentlicht); Steffen, NJW 1996, 1581; Bernsmann, ZRP 1996, 87, 90 ff.; Stoffers, ZfL 1999, 90, 94 ff.
VII. Anlaß und Gegenstand der Untersuchung sowie Gang der Arbeit
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chen Genehmigung bedürfe. 369 Die zu klärende Frage lautet also, wer für den Patienten sein Selbstbestimmungsrecht ausüben soll, wenn dieser über den Einsatz lebenswichtiger Maßnahmen nicht mehr selbst entscheiden kann. Wie groß Aktualität und Brisanz dieser Fragestellung sind, läßt sich dadurch verdeutlichen, daß die Problematik am 12. August 1998 zum Gegenstand einer Fragestunde im Deutschen Bundestag gemacht wurde. Auf die Anfrage des Abgeordneten der CDU-/CSU-Fraktion Hubert Hüppe, die sich unter anderem darauf bezog, ob „sich die in § 1904 Abs. 1 Satz 1 BGB genannten Maßnahmen nicht nur auf Heilbehandlungen und ärztliche Eingriffe beziehen, die das Risiko des Todes des Betreuten in sich bergen, sondern [auch] auf solche ärztlichen Eingriffe, die mit Sicherheit den Tod des Betreuten zur Folge haben", antwortete der Parlamentarische Staatssekretär Funke, daß sich überhaupt „die Frage [stelle], wer berufen ist, die Entscheidung [zu einem Verzicht auf lebenserhaltende oder lebensverlängernde Maßnahmen] für einen nicht mehr einwilligungsfähigen Patienten zu treffen und dabei dessen wirklichen oder mutmaßlichen Willen authentisch zum Tragen zu bringen". Dabei geht Funke - was, wie zu zeigen sein wird, so unproblematisch nicht ist - von folgender Prämisse aus: „ [ . . . ] Ist für den Patienten ein Betreuer bestellt, muß dieser entscheiden, ob er - anstelle des entscheidungsunfähigen Patienten - die Einwilligung in die ärztliche Behandlung des Patienten, also auch in eine lebensverlängernde Weiterbehandlung erteilt oder nicht. Die Einwilligung des Betreuers tritt an die Stelle der Einwilligung des selbst nicht einwilligungsfähigen Patienten. Das Oberlandesgericht Frankfurt spricht sich in einer Entscheidung dafür aus, in analoger Anwendung des § 1904 BGB die Entscheidung des Betreuers, in die lebenserhaltende [ . . . ] Behandlung des Patienten nicht einzuwilligen, an die Genehmigung des Vormundschaftsgerichts zu binden und damit eine Überprüfung der Entscheidung des Betreuers durch Amts, Land- und Oberlandesgericht zu eröffnen. [ . . . ] Die Entscheidung des Oberlandesgerichts wirft tiefgreifende juristisch-ethische Fragen [ . . . ] auf, die einer gründlichen Aufarbeitung bedürfen". 370
369 So beispielsweise BGH, Urt. v. 13. 9. 1994, NJW 1995, 204, 205 - „Kemptener Urteil"; OLG Frankfurt/M., Beschl. v. 15. 7. 1998, NJW 1998, 2747, 2748; LG Duisburg, Beschl. v. 9. 6. 1999, NJW 1999, 2744; LG Kempten, Urt. v. 17. 5. 1995, 2 Ks 13 Js 13155/ 93 (unveröffentlicht); AG Ingolstadt, Beschl. v. 24. 9. 1998, XVII538/98 (unveröffentlicht); AG Oberhausen, Beschl. v. 27. 1. 1999, 10 X V I I 749/92 (unveröffentlicht); im Ergebnis offen, aber mit deutlicher Tendenz dazu auch OLG Brandenburg, Beschl. v. 17. 2. 2000, NJW 2000, 2361, 2362; Rehborn, MDR 1998, 1464, 1466 f.; Saliger, KritV 1998, 118, 122 f.; Verrei, JR 1999, 5, 7 f.; Frister, JR 1999, 73, 73 f.; Stalinski, BtPrax 1999, 43 ff.; grundsätzlich auch Fröschle, JZ 2000,72 ff. 370 Vgl. zum ganzen BT-Drucksache 13/11345, 10 f., sub 14.
2. Teil
Durchsetzung des Selbstbestimmungsrechts L Entscheidungsfähige Patienten Ist der Patient nach den hier entwickelten Maßstäben entscheidungs-, also im natürlichen Sinne Verständnis- und urteilsfähig und erklärt er, daß er lebenserhaltende oder -verlängernde Maßnahmen ablehne, so ergeben sich keine Probleme bei der Durchsetzung des Patientenwillens. Der Arzt ist an die Entscheidung des Patienten gebunden.1 Gerade einem unheilbar kranken Patienten muß es möglich sein, über die Gestaltung seines Lebensendes und sein Sterben als Gegenstand letzter Selbstverwirklichung 2 autonom zu bestimmen. Eine Entscheidung nach ärztlicher „Vernunfthoheit" wäre verfehlt, auch wenn sie nur im vermeintlichen Interesse des Kranken ausgeübt würde. Hätte der Arzt hier eine Eingriffsbefugnis, würde dies praktisch nicht nur zu der Anerkennung eines Zwangsbehandlungsrechts führen, sondern auch zu einer Pflicht zu leben. Das Selbstbestimmungsrecht des Patienten würde in seinem Kern angetastet.3 Ein entsprechender Anspruch des Patienten, nicht bzw. nicht mehr behandelt zu werden, ergibt sich darüber hinaus aus einer sachgerechten Ausdeutung des Arzt-Patienten-Verhältnisses: In diesem Verhältnis wird der Patient Gläubiger medizinischer Leistungen des Arztes. Nicht der Arzt hat das Recht zu behandeln, sondern der Patient hat das Recht, behandelt zu werden. Da es aber keine Verpflichtung gibt, subjektive Rechte auszuüben, kann der entscheidungsfähige Patient sich jederzeit weigern, eine Therapie zu beginnen oder fortzusetzen. 4 Das bedeutet, daß es ein subjektives Recht des Patienten gibt, nicht oder nicht weiter behandelt zu werden.5 Der Wille des Patienten stellt also ein Behandlungsverbot dar.
ι LG Ravensburg, Urt. v. 3. 12. 1986, NStZ 1987, 229, 229 f. Weißauer/Opderbecke, MedR 1995, 456, 459; Saliger, KritV 1998, 118, 138; Eser, Lebenserhaltungspflicht und Behandlungsabbruch aus rechtlicher Sicht, in: Auer/Menzel/Eser, 109; Geilen, Euthanasie und Selbstbestimmung, 9; Baronin von Dellingshausen, 361. 2 Eser, Lebenserhaltungspflicht und Behandlungsabbruch aus rechtlicher Sicht, in: Auer/ Menzel/Eser, 100. 3 Hanack, Euthanasie in strafrechtlicher Sicht, in: Hiersche, Euthanasie, 143; Geilen, Euthanasie und Selbstbestimmung, 8; Fritsche, Grenzbereich zwischen Leben und Tod, 78. 4 Bernat, in: FS Deutsch, 443,445 f. 5 Bernat, RdM 1995, 51, 53 f.; Hirsch, in: FS Lackner, 597, 600 f.
I. Entscheidungsfähige Patienten
97
Andererseits begründet der Wille des Patienten ein Behandlungsgebot, wenn der Kranke lebensverlängernde oder lebenserhaltende Maßnahmen verlangt, so daß ein Arzt, der diesen Willen mißachtet, wegen Tötung durch Unterlassen (§§ 212, 13 StGB) strafbar sein kann.6 Dagegen wird zwar teilweise eingewandt, daß ein solcher Wille nicht beachtlich sei: Wenn sich die Frage nach der Grenze stelle, wann lebensverlängernde bzw. -erhaltende ärztliche Maßnahmen noch sinnvoll seien, könne diese Grenze nicht durch den Wunsch des Patienten bestimmt werden, wenn dieser Wunsch der ärztlichen Aufgabe einen solchen Sinn nicht mehr geben könne. Ein „Aufbäumen gegen den Tod" könne „nicht zu einer sinnlosen Behandlung zwingen". Etwas anderes gelte nur dann, wenn der Wille des Patienten noch einen weiteren Grund habe, beispielsweise wenn der Sterbende noch ein Gespräch mit einem Pfarrer oder einem Angehörigen erwarte oder wenn bei der Entscheidung über eine Operation noch ein echter Abwägungsspielraum bleibe. Nur hier habe das Selbstbestimmungsrecht des Patienten noch „echte Bedeutung".7 Dagegen muß aber eingewandt werden, daß jede ärztliche Tätigkeit dem Interesse des Kranken dient. Hat ein aufgeklärter einsichtsfähiger Patient sich für die Vornahme eines Eingriffs und damit für eine Lebensverlängerung entschieden, so sind seine Interessen festgelegt. Ob eine Lebensverlängerung in seinem Interesse und diese deshalb sinnvoll ist, muß der Patient - im Rahmen der medizinischen Indikation, die in den hier zu untersuchenden Fällen regelmäßig gegeben ist - 8 selbst entscheiden. Denn der Sinn der Lebensverlängerung kann nur am konkreten Patienten ausgerichtet sein. Dieser stünde nicht mehr im Vordergrund ärztlichen Handelns, wenn der Arzt die Gründe seines Wunsches prüfen und bewerten könnte. Das Selbstbestimmungsrecht des Patienten hat nicht nur dann „echte Bedeutung", wenn seine Ausübung „vernünftig" oder „nachvollziehbar" ist - wie im Falle des bevorstehenden Besuches eines Angehörigen - , sondern auch dann, wenn es Ausdruck letzten Lebenswillens ist. Läge bei einem „Aufbäumen gegen den Tod" die Entscheidung nicht beim Schwerkranken, sondern beim Arzt, so würde diese Bevormundung nicht nur das Selbstbestimmungsrecht des Patienten verletzen; sie ließe sich auch nicht mit dem grundgesetzlich garantierten Recht auf Leben vereinbaren. 9 Ferner würde sie das Vertrauensverhätnis zwischen Arzt und Patient erheblich stören. 10 Es ist damit festzuhalten, daß die Behandlungsverweigerung eines entscheidungsfähigen und aufgeklärten Moriturus oder Moribundus für den Arzt in jedem
6 Engisch, in: Eser, Suizid und Euthanasie, 316; Eser, Lebenserhaltungspflicht und Behandlungsabbruch aus rechtlicher Sicht, in: Auer/Menzel/Eser, 118; Geilen, Euthanasie und Selbstbestimmung, 14; Baronin von Dellingshausen, 365 f.; Weißauer/Opderbecke, Bayerisches Ärzteblatt 1973, 96, 104; Kreuzer, in: Mergen, 240. 7 Hanack, Euthanasie in strafrechtlicher Sicht, in: Hiersche, 141. Ähnlich Otto, Gutachten DJT 1986, D 34 ff., 97. s Vgl. dazu supra 1. Teil, IV. 1. 9 Rieger, Lexikon, Rz. 1724; Wunderli, 143. 10
Baronin von Dellingshausen, 368.
7 Heyers
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2. Teil: Durchsetzung des Selbstbestimmungsrechts
Fall ein Behandlungsverbot begründet und ein Behandlungsverlangen für ihn verbindlich ist.
II. Entscheidungsunfähige Patienten Schwierigkeiten können dagegen entstehen, wenn der Patient seine Entscheidungsfähigkeit verloren hat, so daß er eine Behandlungsanweisung an den Arzt, passive Sterbehilfe zu gewähren, nicht selbst zu erteilen in der Lage ist. Dies kann verschiedene Ursachen haben, so beispielsweise dauerhafte Bewußtlosigkeit (Koma), Geisteskrankheit, Altersdemenz, dauernde Schmerzen oder eine medikamentöse Behandlung, die zum Verlust natürlicher Einsichts- und Urteilsfähigkeit führen. Aufgrund der zur Zeit verfügbaren Daten kann es als wissenschaftlich hinreichend gesichert angesehen werden, daß derzeit mindestens rund 2% der erwachsenen Gesamtbevölkerung hierzulande nicht entscheidungsfähig in diesem Sinne sind. 11 Hierbei handelt es sich überwiegend um alte Menschen mit senilen Demenzen, die mit zunehmendem Alter und fortschreitender Krankheitsdauer auch vermehrt als multimorbide einzuschätzen sind (potentielle „Risikopatienten"). Mittelfristig soll die Prävalenz dieser Personengruppe innerhalb der deutschen Gesamtbevölkerung auf mehr als 4% ansteigen. Langfristig - bezogen auf einen prognostizierten Gesamtzeitraum für die Jahre 2010-2040 - könnten gar bis zu 6% der Gesamtbevölkerung betroffen sein. 12 Eine Entscheidungsunfähigkeit schließt das Selbstbestimmungsrecht des Patienten nach allgemeiner Ansicht nicht aus: Ein entscheidungsunfähiger Patient hat die gleichen Rechte wie ein entscheidungsfähiger Patient, weil er seine Menschenwürde nicht verliert und das Prinzip der Autonomie auch für ihn gilt. 1 3 Deshalb muß der Wille des Betroffenen zentraler Maßstab für die Entscheidung über das Leisten passiver Sterbehilfe unabhängig davon sein, wer diese Entscheidung schließlich zu treffen hat. Gänzlich unhaltbar wäre es, ärztliche lebensverlängernde oder lebenserhaltende Behandlungsmaßnahmen bzw. ihr Unterlassen nur dann als gerechtfertigt anzusehen, wenn der Patient selbst fähig ist, nach Aufklärung frei verantwortlich seine Einwilligung zu erteilen oder zu verweigern. Denn mit dem Tod des Patienten endet auch jede Möglichkeit zur Selbstbestimmung, so daß diese bei dauernder Entscheidungsfähigkeit des Patienten nicht gewahrt wird. 14 Fraglich kann deshalb nur sein, wie dem Selbstbestimmungsrecht des Betroffenen am wirkungsvollsten Rechnung getragen werden kann, wenn der schwerst- oder gar sterbenskranke Patient ihm selbst nicht Geltung zu verschaffen vermag. h Strätling/ Scharf/ Eisenbart, 8. 12
Vgl. dazu im einzelnen Strätling/Eisenbart/Scharf, MedR 2000, 251, 251. 13 BVerfG, Urt. v. 25. 7. 1979, BVerfGE 52, 131,171,173; Ulsenheimer, in: Laufs/Uhlenbruck, HdB ArztR, § 149 Rz. 12; Eisenbart, 24; Giesen, JZ 1990, 929, 938; Schöch, NStZ 1995, 153, 155. Vgl. dazu näher sub 3. Teil, II. 1. c., e. 14 Lipp, in: Wolter/Riedel/Taupitz, 75, 77; Taupitz, Gutachten 63. DJT, A 36.
II. Entscheidungsunfhige Patienten
99
1. Mutmaßliche Einwilligung Um dem rechtlichen Postulat, daß auch die Behandlung eines nicht entscheidungsfähigen Patienten oder ihr Unterlassen dem Willen des Betroffenen entsprechen muß, zu genügen, könnte man zunächst eine rechtliche Bindung des zur Befolgung des Patientenwillens Berufenen durch die Rechtsfigur der sog. mutmaßlichen Einwilligung, die ihre Grundlage im Selbstbestimmungsrecht des Patienten hat, 15 sehen. Als solche stellt die mutmaßliche Einwilligung jedoch keinen anerkannten Rechtfertigungsgrund des Zivilrechts dar. 16 Gerechtfertigt ist ein Eingriff bei mutmaßlicher Einwilligung des Rechtsgutsträgers in zivilrechtlicher Hinsicht nach heute ganz herrschender Auffassung nur dann, wenn und soweit sich das Handeln in den Grenzen berechtigter Geschäftsführung ohne Auftrag hält. Nur bei Vorliegen aller Voraussetzungen der berechtigten Geschäftsführung ohne Auftrag kann also Rechtfertigung eintreten. 17 Zwar ist es denkbar, die rechtsdogmatische Grundlage der mutmaßlichen Einwilligung nicht in den Regeln über die Geschäftsführung ohne Auftrag, sondern in anderen anerkannten Instituten zu sehen. Denn geht man von der Prämisse aus, daß zivilrechtliche Institute, die die Rechtswidrigkeit ausschließen können, der gesamten Rechtsordnung zu entnehmen sind (Prinzip der Einheit der Rechtsordnung), 18 kommen auch strafrechtliche Ansatzpunkte in Betracht. Einige Strafrechtslehrer stehen auf dem Standpunkt, daß es sich bei der mutmaßlichen Einwilligung um einen Sonderfall des rechtfertigenden Notstands (§ 34 StGB) handele:19 In der Situation, die eine medizinische Entscheidung erfordere, stünden sich die Schutzgüter „körperliche Unversehrtheit" und „Leben" bzw. „Gesundheit" gegenüber. Auch kollidierten Pflichten des Arztes: Dem Gebot der Achtung der körperlichen Integrität stehe die Handlungspflicht zur Krankheits- bzw. Leidensminderung gegenüber, so daß es sachgerecht sei, eine Abwägung nach Notstandsgesichtspunkten vorzunehmen, die gerade solche Interessen- und Pflichtenkollisionen beträfen. 20 Das Ergebnis einer am Maßstab des überwiegenden Wertes ausgerichteten Interessenabwägung sei daran zu orientieren, was ein objektiv vernünftiger Patient im konkreten Fall wollen würde (Interessenabwägung anhand objektiver Kriterien). 21 Nichts anderes wollen die Stimmen aus der Literatur zum Ausdruck brin15 Deutsch, AcP 192 (1992), 161, 168. 16 Kohte, AcP 185 (1985), 105,122 f.; Zitelmann, AcP 99 (1906), 1,102; Wittmann, 140 f. 17 RG, Urt. v. 27. 5. 1908, RGZ 68,431 ff.; RG, Urt. v. 19. 6. 1936, RGZ 151, 349 ff.; RG, Urt. v. 8. 3. 1940, RGZ 163, 129, 138; v. Tuhr, Allgemeiner Teil II/2, 470; Deutsch, AcP 192 (1992), 161, 168; Steffen, in: RGRK, § 823 Rz. 383; Wittmann, 142. is Schäfer, in: Staudinger, 12. Aufl., § 823 Rz. 446; Lenckner, in: S/S, Vor § 32 Rz. 27. Vgl. dazu noch sub 3. Teil, IV. 1. b. aa. aaa. 19 Welzel, Das Deutsche Strafrecht, § 14 V, 92; Schmidhäuser, Allgemeiner Teil, 165 f. Eingehend dazu Wollschläger, 275 ff. 20
Vgl. dazu umfassend Heidner, Mutmaßliche Einwilligung, 12 ff. 21 Heidner, Mutmaßliche Einwilligung, 17. 7*
100
2. Teil: Durchsetzung des Selbstbestimmungsrechts
gen, die - teilweise auch unter gleichzeitiger Berufung auf § 34 StGB - auf eine „humanitäre Pflicht des Arztes zur Lebensrettung" 22 oder den Gedanken der „normativen Unzumutbarkeit" 23 abstellen. Dieser dogmatischen Konzeption stehen jedoch - abgesehen von der Tatsache, daß eine direkte Anwendung des § 34 StGB schon deshalb ausscheidet, weil der Inhaber des Rechtsguts, in das der Arzt eingreift, mit demjenigen, zu dessen Gunsten der Eingriff erfolgt, identisch ist - 2 4 Bedenken gegenüber, die von einer starken Meinung im strafrechtlichen Schrifttum zu Recht vorgetragen werden: Bei der Erforschung des mutmaßlichen Willens kann es nicht darauf ankommen, wie ein vernünftiger Mensch in einer vergleichbaren Situation entscheiden würde, sondern allein auf den hypothetischen Willen des Betroffenen, auch wenn dieser noch so unvernünftig erscheinen mag. Im Rahmen der mutmaßlichen Einwilligung muß also eine objektive Interessenabwägung, wie sie für den rechtfertigenden Notstand charakteristisch ist, 25 außer Betracht bleiben.26 Eine weitere Auffassung will zur Fundierung der mutmaßlichen Einwilligung darauf abstellen, ob der Eingriff materiell im Interesse des Betroffenen liegt. Zwar wird bei dieser Auffassung der zu mutmaßende Wille von einer an objektiven Kriterien orientierten Güterabwägung nicht völlig verdrängt, doch findet ein erkennbar entgegenstehender Wille des Betroffenen lediglich bei der Ermittlung seines wahren - d. h. seines objektiv verstandenen - Wohls Berücksichtigung. 27 Der mutmaßliche Wille des Betroffenen soll in diesem Zusammenhang lediglich als Rechtfertigungsschranke gegen eine übereifrige Einmischung Dritter dienen. 28 Indes stehen auch dieser Auffassung wegen des hohen Rangs des Selbstbestimmungsrechts sachliche und konstruktive Bedenken entgegen. Es darf nicht übersehen werden, daß bei der rechtfertigenden Einwilligung vom ausdrücklich erklärten Willen des Rechtsgutträgers auch dann nicht abgewichen werden darf, wenn dieser unvernünftig oder befremdlich erscheint. Dies beruht auf der Anerkennung des jedem Individuum zustehenden Rechts, über Angelegenheiten seiner Persönlichkeitssphäre selbst entscheiden zu können. Das hat zur Konsequenz, daß eine Vernunfthoheit Dritter über die Entscheidungen mündiger Bürger ausscheidet.29 Wollte man von diesem Grundsatz abweichen, so hieße das, dem Entscheidungsunfähigen den Grundrechtsschutz unter dem Deckmantel wohlmeinen22 Giesen, Arzthaftungsrecht, Rz. 239; ders., MML, § 27 III Rz. 716. 23 Eser, in: S/S, Vor § 211 Rz. 29; Laber, MedR 1990, 182, 186. 24 Wittmann, 143. 25 Fischer, in: FS Deutsch, 545, 548; Roxin, Allgemeiner Teil, § 18 Rz. 6 f. 26 Fischer, in: FS Deutsch, 545, 548; Wittmann, 143; Geppert, JZ 1988, 1024, 1025; Roxin, in: FS Welzel, 447, 453; ders., Allgemeiner Teil, § 18 Rz. 6 f.; Müller-Dietz, JuS 1989,
280, 281.
27 Noll, Übergesetzliche Rechtfertigungsgriinde, 137 f.; Mayer, Allgemeiner Teil, 168. 28 Noll, Übergesetzliche Rechtfertigungsgriinde, 137 f. 29 So zuletzt treffend Eser, Möglichkeiten und Grenzen der Sterbehilfe aus der Sicht eines Juristen, in: Jens/Küng, Menschenwürdig sterben, 160.
II. Entscheidungsunfähige Patienten
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der Fürsorge zu versagen. Dies kann angesichts der verfassungsrechtlichen Wertbestimmungen nicht richtig sein. Das Selbstbestimmungsrecht des Betroffenen darf nicht dem Vernünftigkeitsmaßstab anderer oder einer vermeintlich „herrschenden" gesellschaftlichen Meinung geopfert werden. Die Regeln der Geschäftsführung ohne Auftrag, die - wie noch näher darzulegen ist - dem mutmaßlichen Patientenwillen in angemessener Weise Rechnung tragen, sind deshalb am ehesten sachgerecht,30 um die vorliegende Problematik zu erfassen, und um mit Taupitz zu sprechen - „eine überzeugende Alternative zum mutmaßlichen Willen ist nun einmal nicht in Sicht". 31 Der Rechtfertigungsgrund der mutmaßlichen Einwilligung ist also in zivilrechtlicher Hinsicht an die Regelung des § 683 BGB über die berechtigte Geschäftsführung ohne Auftrag anzulehnen.32 Führt der Arzt vital indizierte Behandlungsmaßnahmen durch, ohne von dem Patienten dazu beauftragt worden zu sein, so wird er als sein Geschäftsführer tätig, weil er mit dieser Handlung seinen Willen kundtut, eine Angelegenheit zu besorgen, die grundsätzlich der Rechtssphäre des Patienten, seines Geschäftsherrn, zuzuordnen ist. Gerade von Literaturstimmen und Teilen der Ärzteschaft, die der Auffassung sind, daß der behandelnde Arzt den mutmaßlichen Patientenwillen ermitteln und gegebenenfalls dahingehend befolgen solle, daß lebenserhaltende und lebensverlängernde Maßnahmen durchgeführt werden, wird für die Rechtfertigung ärztlichen Handelns immer wieder auf dieses sog. „GoA-Prinzip" verwiesen. 33 Die Geschäftsführung erfolgt gemäß § 683 Satz 1 BGB dann in „berechtigter" Weise, wenn sie „dem Interesse und dem wirklichen oder mutmaßlichen Willen des Geschäftsherrn [ . . . ] entspricht". Das Interesse muß dabei ausschließlich anhand objektiver Kriterien ermittelt werden: Es ist zu fragen, wie ein objektiver Betrachter in einer vergleichbaren Situation vernünftigerweise entscheiden würde; es kommt darauf an, das wohlverstandene Interesse anhand von Umständen, die sowohl mit der Person des Geschäftsherrn als auch mit der Person des Geschäftsführers sowie mit der Art der Geschäftsführung zusammenhängen, zu bestimmen. Bei der Ermittlung des objektiven Interesses müssen persönliche Wertvorstellungen des Geschäftsherrn außer Betracht bleiben, damit eine deutliche Abgrenzung zwischen 30 Die Befürchtung Wollschlägers, daß bei Anwendung des § 683 BGB die „Freiheit zur individuellen Unvernunft" durch Schadensersatzhaftung geschützt werde (277), entbehrt deshalb einer Grundlage. Roxin hebt demgegenüber mit Recht hervor, daß „die [ . . . ] Entscheidungsunfähigkeit des Betroffenen nicht zur grundsätzlich verbotenen Anmaßung einer Vernunfthoheit ausgenutzt werden darf' (Roxin, in: FS Welzel, 447,451). 31 Taupitz, Gutachten 63. DJT, A 39. 32 Vgl. dazu Frost, Arztrechtliche Probleme des neuen Betreuungsrechts, 16 f.; Deutsch, Medizinrecht, Rz. 109 f.; Nüßgens, in: RGRK, § 823 Anh. II, Rz. 146; Wittmann, 142 f. 33 Vgl. den Kommentar zu den bisher geltenden Richtlinien für die Sterbehilfe der Bundesärztekammer, Ziffer III. 2, MedR 1985, 39 f. - Aus der rechtswissenschaftlichen Literatur vgl. etwa Laufs, NJW 1998, 3399, 3400; Ankermann, MedR 1999, 387, 389; Opderbecke, Grenzen der ärztlichen Behandlungspflicht, in: Eser, Suizid und Euthanasie, 136, 140.
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2. Teil: Durchsetzung des Selbstbestimmungsrechts
dem objektiv verstandenen „Interesse" und dem subjektiven - mutmaßlichen Willen erfolgen kann. 34 Der „wirkliche Wille" des Geschäftsherrn entspricht dem von ihm tatsächlich zum Ausdruck gebrachten Willen. Dabei kommt es nicht darauf an, ob der Geschäftsführer diesen Willen kannte, hätte kennen können oder gar müssen. Der fragliche Eingriff bleibt selbst dann rechtswidrig, wenn der Geschäftsführer die Geschäftsbesorgung in schuldlosem Irrtum über den tatsächlichen Willen des Geschäftsherrn übernommen hatte.35 Danach ist das Interesse des Geschäftsherrn, in seiner Rechtssphäre nicht durch ungebetene Einmischung beeinträchtigt zu werden, höher einzustufen als das Vertrauen des Geschäftsführers darauf, die Interessen des anderen wahrnehmen zu dürfen. Bei der Ermittlung des mutmaßlichen Willens kommt es entscheidend darauf an, ob der Geschäftsherr - d. h. der Patient - dem Tun des Geschäftsführers - d. h. des Arztes - bei Kenntnis aller entscheidungsrelevanten Umstände zugestimmt hätte.36 Maßgebend ist der wahrscheinliche subjektive Wille des Geschäftsherrn, der unter Berücksichtigung aller sich bietenden, konkreten Anhaltspunkte erforscht werden muß. 37 Dabei soll auf Informationen von Angehörigen bzw. dem Patienten nahestehenden Personen zurückgegriffen werden. 38 Der mutmaßliche Wille steht im Verhältnis zu einem möglicherweise geäußerten Willen im Verhältnis der Subsidiarität: Hat ein Patient vor dem Zeitpunkt, zu dem über die Durchführung lebenserhaltender bzw. lebensverlängernder Maßnahmen entschieden werden muß, Wünsche geäußert, müssen diese unbedingt befolgt und dürfen nicht durch Spekulationen über eine mutmaßliche Willensänderung ersetzt werden. 39 Ebenso gehen - dem verfassungsrechtlichen Rang des Selbstbestimmungsrechts entsprechend - der wirkliche bzw. mutmaßliche Wille dem Interesse des Geschäftsherrn nach ganz herrschender Ansicht vor, auch wenn der Wortlaut des § 683 Satz 1 BGB beides gleichstellt. Das hat zur Folge, daß eine Rechtfertigung aufgrund mutmaßlicher Einwilligung auch dann eintritt, wenn Interesse und Willen des Patienten divergieren und sich der behandelnde Arzt nach dem Willen des Patienten richtet. Umgekehrt bleibt die Behandlung rechtswidrig, wenn der Arzt den mutmaßlichen bzw. wirklichen Willen des Patienten mißachtet und die Behandlung unter Berücksichtigung eines objektiv verstandenen Interesses vornimmt. Das wird damit begründet, daß der Patient vor ungewollten Einmischungen 34 Medicus, Bürgerliches Recht, Rz. 422. 35 Wittmann, 142. 36 BGH, Urt. v. 5. 12. 1991, ArztR 1991, 312 if. 37 BGH, Urt. v. 20. 4. 1967, BGHZ 47, 370, 371 f.; OLG Stuttgart, Urt. v. 6. 6. 1956, VersR 1957, 469,470. 38 BGH, Urt. v. 25. 4. 1989, BGHZ 107, 222, 226; Laufs, Arztrecht, Rz. 226 f.; Deutsch, Medizinrecht, Rz. 147; Giesen, Arzthaftungsrecht, Rz. 249; Kern/Laufs, Ärztliche Aufklärungspflicht, 25; Wittmann, 143. 39 Wittmann, 127; Seiler, in: MüKo, § 683 Rz. 10.
II. Entscheidungsunfähige Patienten
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anderer Personen in den Bereich seiner persönlicher Rechtsgüter weitestgehend geschützt werden und ihm derartige Eingriffe erspart bleiben sollen. 40 Nach dem zuvor Gesagten kommt es für die Rechtfertigung ärztlichen Handelns über das Rechtsinstitut der mutmaßlichen Einwilligung / Go Α-Prinzip primär auf einen tatsächlich geäußerten Willen des Betroffenen, sekundär auf seinen mutmaßlichen Willen und erst dann, wenn es auch dafür keine Indizien gibt, auf ein objektiv zu definierendes „Interesse" an. 41 Im Rahmen der vorliegenden Arbeit gilt es zu klären, ob eine pauschale Rechtfertigung der Durchführung lebenserhaltender oder lebensverlängernder ärztlicher Maßnahmen bzw. ihr Unterlassen aufgrund mutmaßlicher Einwilligung bzw. des mutmaßlichen Willens des Betroffenen rechtlich statthaft ist. Denn bislang entsprach es allgemeiner Auffassung, daß es für die Anwendung der berechtigten Geschäftsführung ohne Auftrag im Rahmen ärztlichen Tuns nur einen Anwendungsfall gebe: Lediglich dann, wenn in der konkreten entscheidungsfordernden Situation eine ausdrückliche Einwilligung des Patienten nicht eingeholt werden könne, weil dieser auf Grund seines krankheitsbedingten Zustands zu einer Willensäußerung nicht in der Lage und mit dem Aufschub des medizinischen Eingriffs Gefahr für das Leben des Kranken verbunden sei, komme eine Rechtfertigung durch mutmaßliche Einwilligung in Betracht. Abgesehen von einer ausdrücklichen Einwilligung durch den Patienten verdränge auch die Einwilligung eines - gegebenenfalls zu bestellenden - Betreuers die Regeln der Geschäftsführung ohne Auftrag, weil seine Einwilligung (vgl. § 1904 Abs. 1 Satz 1 BGB) nach dem Betreuungsgesetz nicht nur als mutmaßliche Einwilligung des Betreuten, sondern als tatsächliche Willensäußerung des Patienten angesehen werden müsse. Der Betreuer erteile sie nur stellvertretend für ihn (vgl. § 1902 BGB). 42 Von jenen Stimmen aus der rechtswissenschaftlichen Literatur, die ein prinzipielles Entscheidungsrecht des Arztes befürworten, wird der Anwendungsbereich der 40 Medicus, Bürgerliches Recht, Rz. 422/425; Esser/Weyers, Schuldrecht BT, § 46 II 3, 405; Fikentscher, § 83 14b); Ehmann, in: Erman, 10. Aufl., § 683 Rz. 3. 41 So die ganz herrschende Meinung, vgl. Medicus, Bürgerliches Recht, Rz. 422 ff.; Fikentscher, § 83 I 4b); Esser/Weyers, Schuldrecht BT, § 46 II 3, 405; Ehmann, in: Erman, 10. Aufl., § 683 Rz. 3; Teichmann, in: Jauernig, § 683 Rz. 5; Wittmann, in: Staudinger, 13. Bearb., Vorbem. zu §§ 677-687 Rz. 28; vgl. auch Seiler, in: MüKo, § 683 Rz. 13 (offen, argumentativ allerdings zu dieser herrschenden Auffassung tendierend). - Α. A. etwa Larenz, Schuldrecht Π /1, § 57 I, 444 (insbes. Fn. 28) und Siber, in: Planck, § 683 Bern. 2a), die sich zwar zur Begründung ihrer Auffassung, der Wille des Geschäftsherrn sei gegenüber dem objektiv zu verstehenden Interesse nicht vor-, sondern gleichrangig, auf den Wortlaut des § 683 BGB stützen, dabei aber außer acht lassen, daß es sinn- und zweckwidrig wäre, wenn jemandem etwas in rechtmäßiger Weise gegen seinen Willen aufgezwungen werden könnte. So gegen Larenz aus der Rechtsprechung zutreffend auch LG Frankfurt, Urt. v. 25. 1. 1977, NJW 1977,1925 ff. 42 Siehe dazu nur Frost, Arztrechtliche Probleme des neuen Betreuungsrechts, 16 f.; Deutsch, Medizinrecht, Rz. 110; ders., AcP 192 (1992), 161, 168; Steffen, MedR 1983, 88, 91; Nüßgens, in: RGRK, § 823, Anh. II, Rz. 146; Weißauer/Opderbecke, MedR 1995, 456, 459. - Aus der Rechtsprechung vgl. etwa OLG Celle, Urt. v. 16. 8. 1982, VersR 1984, 444, 445.
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2. Teil: Durchsetzung des Selbstbestimmungsrechts
mutmaßlichen Einwilligung indes ausdrücklich auch auf Fälle ausgedehnt, in denen Entscheidungen darüber, ob lebensnotwendige ärztliche Maßnahmen durchgeführt werden müssen, nicht eilbedürftig sind. 43 Ob dies sachgerecht und haltbar ist, bedarf im Rahmen der vorliegenden Arbeit also einer kritischen Prüfung. 44
2. Die Erteilung einer Behandlungsanweisung durch einen Betreuer als gesetzlichen Vertreter Eine weitere Möglichkeit der Durchsetzung des Selbstbestimmungsrechts des Patienten liegt in der Entscheidung eines Betreuers als gesetzlicher Vertreter des Betreuten. Ist eine Person außerstande, ihre Angelegenheiten selbst zu besorgen, muß für diese gemäß § 1896 Abs. 1 BGB ein Betreuer bestellt werden. Die Angelegenheiten, die der Kranke nicht selbst besorgen kann, müssen nach den Vorstellungen des Gesetzgebers Rechtsangelegenheiten sein. Um dies hervorzuheben, hat der Gesetzgeber des BtÄndG vom 25. Juni 1998 in der Überschrift vor § 1896 BGB den Begriff der Betreuung durch das Adjektiv „rechtliche" präzisiert und auch in anderen Normen entsprechende Zusätze vorgenommen (vgl. §§ 1897, 1901 BGB). Zu den rechtlichen Angelegenheiten gehören vor allem Rechtsgeschäfte und sonstige Rechtshandlungen in zivil- und öffentlich-rechtlichen Verhältnissen, also auch personenrechtliche Gestattungen oder Verbote. Wenn der Betroffene eine Behandlungsanweisung an einen Arzt nicht selbst erteilen kann, ist die Einrichtung einer Betreuung also grundsätzlich geboten.45 An dieser Stelle sei besonders hervorgehoben, daß der Betreuer dann eine eigene Behandlungsanweisung für den Betreuten erteilt und daß es auf eine mutmaßliche Einwilligung des Betroffenen bzw. die mutmaßliche Verweigerung der Einwilligung durch den Patienten nicht ankommt, wenn der Betreuer an Stelle des Patienten entscheidet.46 Eine andere Frage ist, ob der Betreuer an den mutmaßlichen Willen des Patienten gebunden ist. 47 Die Behandlungsanweisung des Betreuers - im Regelfall eine Einwilligung in ärztliche Maßnahmen - wird in § 1904 Abs. 1 Satz 1 BGB genannt. Der Gesetzgeber ging als selbstverständlich davon aus, daß ein Betreuer für ärztliche Angelegenheiten im allgemeinen ohne weiteres zur Erteilung einer solchen Behandlungsanweisung befugt ist. 48 Aus der Norm ergibt sich jedoch keineswegs, welchen 43 Siehe etwa Ankermann, MedR 1999, 387, 389; Stoffers, ZfL 1999, 90, 98 a. E.; Laufs, NJW 1998, 3399, 3400; Deichmann, MDR 1995, 983 ff. 44 Diese wird im 4. Teil sub I. 2 ff. durchgeführt. 45 Vgl. statt aller Holzhauer, in: Erman, 10. Aufl., § 1896 Rz. 24; Kern, NJW 1994, 753, 753; Schlechtriem, in: Jauernig, Anm. zu §§ 1896- 1908a Rz. 3. 46 Vgl. dazu etwa Weißauer/Opderbecke, MedR 1995, 456, 459; Saliger, KritV 1998, 118, 139. 47 Dazu eingehend 3. Teil, III. 48 Vgl. BT-Drucksache 11/4528, 140.
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Maßstab der Betreuer für die Erteilung bzw. Versagung seiner Einwilligungserklärung anlegen soll. Eine gewisse Hilfe bietet § 1901 BGB, wonach der Betreuer sein Handeln an den Wünschen des Betreuten auszurichten hat, soweit das dessen Wohl nicht zuwiderläuft und dem Betreuer zuzumuten ist. Doch auch die hier verwandten Begriffe bedürfen einer Interpretation, so daß der Betreuer sein Verhalten nicht ohne weiteres am Wortlaut des Gesetzes ausrichten kann, sondern vielmehr schwierige Abgrenzungsfragen im Bereich zwischen Selbstbestimmung, medizinisch-naturwissenschaftlichen Erkenntnissen und eigenen Wertvorstellungen klären muß. Zu untersuchen bleibt somit insbesondere, ob eine Vertretungsmacht des Betreuers in Fällen passiver Sterbehilfe in Betracht kommt und - bejahendenfalls - wie die von § 1901 BGB vorgegebenen Handlungsmaßstäbe in einer solchen Angelegenheit zu konkretisieren sind. 49
3. Patientenverfügung Für einen Patienten, der wegen seiner Krankheit die Entscheidungsfähigkeit verloren hat, deshalb selbst nicht mehr die Durchführung oder Unterlassung lebenserhaltender oder lebensverlängernder Maßnahmen anordnen kann und demzufolge insoweit grundsätzlich auf Dritte angewiesen ist, besteht aber unter Umständen eine im Rahmen dieser Arbeit näher zu untersuchende Möglichkeit, schon im Vorfeld einer zum Tode führenden Krankheit - also bei noch vorhandener Entscheidungsfähigkeit - selbst zu bestimmen, ob und unter welchen Voraussetzungen lebensnotwendige ärztliche Maßnahmen aufgenommen bzw. unterlassen werden sollen. Dem Selbstbestimmungsrecht des Patienten wäre auch in der Endphase des Lebens zur Geltung verholfen. Furcht vor einer menschenunwürdigen und möglicherweise schmerzvollen künstlichen Lebensverlängerung veranlaßt heute viele Menschen - in den USA sollen es gar 20% der Gesamtbevölkerung sein - 5 0 , vor Eintritt einer Krankheit, die zu ihrer Entscheidungsunfähigkeit führt, eine lebenserhaltende Behandlung durch schriftliche Erklärung zu untersagen. Sie fordern in der Regel auch eine ausreichende Gabe von schmerzstillenden Mitteln. 51 Sie üben also ihr Selbstbestimmungsrecht vorsorglich für den Fall aus, daß sie dazu später wegen Bewußtlosig49 Dazu 3. Teil, III. 50 Banakas, in: Taupitz, Rz. GB 33. - Wie groß mittlerweile auch in Deutschland der Kreis derer geworden ist, die eine Patientenverfügung erteilt haben oder eine Erteilung erwägen, wird durch die Zahl der verfügbaren Formulare bzw. Vordrucke verdeutlicht: Im April 2001 waren in Deutschland ca. 2000 Muster im Umlauf (Quelle: Altavista; zu einzelnen Entwürfen der verschiedensten Institutionen vgl. die Ausführungen im folgenden). 51
Vgl. etwa die Christliche Patentenverfügung - Handreichung und Formular der Deutschen Bischofskonferenz und des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland in Verbindung mit den übrigen Mitglieds- und Gastkirchen der Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen in Deutschland, 24.
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keit, erheblicher Beeinflussung durch beruhigende oder schmerzstillende Drogen, seelischer Ausnahmezustände wie einer Depression, völliger Lähmung oder Abnahme der geistigen Fähigkeiten bis zur Unzurechnungsfähigkeit - zum Beispiel durch Altersdemenz - nicht mehr imstande sind, um in ihrem Sinne natürlich, würdig, angst- und schmerzfrei sterben zu können. Für solche Erklärungen ist der Begriff „Patientenverfügung" (auch: „Patiententestament"52) geprägt worden.
a) Begriff der Patientenverfügung Eine Patientenverfügung ist die schriftliche Erklärung eines einsichts- und urteilsfähigen Menschen, daß er für den Fall einer definitiv tödlichen Krankheit keine therapeutischen ärztlichen Maßnahmen wünscht, die sein Sterben verlängern. 53 Diese Behandlungsablehnung bezieht sich dagegen nicht auf eine Schmerzund Leidensminderung durch den Arzt. Eine solche Erklärung wird regelmäßig zeitlich mehr oder weniger lange - d. h. antezipiert - vor dem Eintritt der irreversiblen Krankheit abgegeben. Ihre Wirksamkeit steht unter der Bedingung, daß der Verfügende in der aktuellen Situation der Krankheit seine Entscheidungsfähigkeit verloren hat. Obwohl es grundsätzlich möglich wäre, in einer Patientenverfügung Vorsorge gegen eine befürchtete t/wtertherapie zu treffen, geschieht dies in der Praxis nicht. Dies beruht auf der ganz allgemeinen Sorge der Verfügenden, daß ihnen am Lebensende zu viel an medizinischer Hilfe gewährt werde.
b) Rechtsnatur der Patientenverfügung Eine Patientenverfügung enthält eine Behandlungsanweisung an den Arzt, in einer näher festgelegten Situation passive Sterbehilfe zu leisten, wie sie oben dargestellt wurde: Der Patient willigt also regelmäßig in eine ausreichende Bekämpfung von Schmerzen mit unter Umständen lebensverkürzender Wirkung durch Verabreichung entsprechender Medikamente ein (indirekte Sterbehilfe). Er verweigert aber 52 Die Bezeichnung „Patiententestament" ist zwar gängiger, aber irreführend: Der Patient will keine Rechtsfolgen von Todes wegen herbeiführen, wie dies beim Testament i. S. d. Erbrechts der Fall ist, sondern zu Lebzeiten. - Als weitere Bezeichnungen werden gebraucht: „living will" (Deutsch, NJW 1979, 1905, 1908 in Anlehnung an Kutner), „Euthanasie-Testament" (Baronin von Dellingshausen, 369; Jähnke, in: LK, Vor § 211 Rz. 13), „Lebendes Testament" (Rüping, in: v. Troschke/Schmidt, 77); „Patientenbrief' (Uhlenbruck, NJW 1978, 566 ff.), „Verfügung an Ärzte" (Rickmann, Anh. I) und „Anweisung an den Arzt zur Würde im Sterben (Schöllhammer, 17). 53 Uhlenbruck, Patiententestament, in: Lexikon Medizin - Ethik - Recht, Sp. 782, 783; Edenhofer, in: Palandt, 54. Aufl., Vor § 1922 Rz. 18; Langenfeld, 178; Füllmich, NJW 1990, 2301, 2302; Harder, MedR 1991, 11,11 f.; Schöllhammer, 17; Eisenbart, 15; Rickmann, 11.
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vor allem oder gar ausschließlich die Einwilligung in lebenserhaltende bzw. lebensverlängernde Maßnahmen bei infauster Prognose. Eine Patientenverfügung ist deshalb ein Sonderfall der Behandlungsanweisung zu passiver Sterbehilfe; sie stellt also auch eine rechtsgeschäftliche Willenserklärung dar, deren Besonderheit nur in ihrer antezipierten Abgabe liegt. Grundsätzlich fügt sich die Patientenverfügung deshalb auch zwanglos in die Dogmatik der Willenserklärung ein: Eine Willenserklärung, die eine Person abgibt, unterliegt grundsätzlich keinem Verfallsdatum, wird also nicht durch Zeitablauf unwirksam. Sie büßt ihre Wirksamkeit auch nicht dadurch ein, daß derjenige, der seinen Willen in rechtserheblicher Weise kundgetan hat, später geschäftsunfähig wird (arg §§ 130 Abs. 2, 153 BGB). Schließlich entspricht es geltendem Recht, daß der von der Willenserklärung bezweckte Rechtserfolg nur unter einer Bedingung eintreten soll. Über die Frage, ob eine Patientenverfügung in rechtsverbindlicher Weise getroffen werden kann, besteht allerdings in vielfacher Hinsicht Streit, und die im einzelnen diskutierten Probleme wurden bislang nicht einmal annähernd geklärt. 54
c) Die Rechtsverbindlichkeit der Patientenverfügung Im rechtswissenschaftlichen und medizinischen Schrifttum wird diesbezüglich teilweise vertreten, eine an den Arzt gerichtete Patientenverfügung sei für diesen nicht verbindlich. Sie bilde stets nur ein Indiz bei der Ermittlung des mutmaßlichen Willens des Patienten zu dem Zeitpunkt, zu dem über die Durchführung einer lebenserhaltenden oder lebensverlängernden Behandlung entschieden werden muß, 55 weil sie die Voraussetzungen einer wirksamen Behandlungsanweisung nicht erfüllen könne. Demgegenüber nimmt eine differenzierende, im Vordringen begriffene Auffassung an, daß eine Patientenverfügung rechtsverbindlich sein könne. Voraussetzung sei aber, daß sie die Anforderungen einer Behandlungsanweisung, also einer Einwilligung, erfüllt. 56 Wenn dies nicht der Fall sei, dienten 54 Dies konstatierten in neuester Zeit etwa Hirthammer, Rheinisches Ärzteblatt 2000, 25, 25 oder Hartmann, NStZ 2000, 113, 113. 55 Kutzer, MDR 1985, 710, 715; Fritsche, MedR 1983, 125, 130; Füllmich, NJW 1990, 2301, 2302; Dölling, MedR 1983, 6, 9; Weißauer/Opderbecke, MedR 1995,456,459; Meier, BtPrax 1994, 190,192; Eser, Lebenserhaltungspflicht und Behandlungsabbruch in rechtlicher Sicht, in: Auer/Menzel/Eser, 113; Steffen, ArztR 1994,179, 183; Spann, MedR 1983, 13 ff.; Ulsenheimer, in: Laufs/Uhlenbruck, HdB ArztR, 1. Aufl., § 139 Rz. 54; Laufs, ArztR, 5. Aufl., Rz. 293; Deutsch/Kleinsorg/Ziegler, passim; Frost, 52. 56 RiLi BÄK v. 11. 9. 1998, DÄB1. 1998, B-1852, B-1853 unter V. (anders noch die Richtlinien aus dem Jahre 1993, danach sollte eine Patienten Verfügung nur Indiz für den mutmaßlichen Willen sein, s. dazu RiLi BÄK, DÄB1. 1993, B-1791, B-1791 sub Ziff. II. 1.); Langenfeld, 181 f.; Endlich, 233 ff.; Uhlenbruck, NJW 1978, 566 ff.; ders., ZAP 1999, Fach 12, 75 ff.; Harder, MedR 1991, 11, 17; Sternberg-Lieben, NJW 1985, 2734, 2735; Kutner, 360 ff.; Schöllhammer, 136 f.; Saliger, KritV 1998, 118, 138; Kuhlmann, 203; Eisenbart, 202 f.; Mertens, in: MüKo, 2. Aufl., § 823 Rz. 452. - Vgl. auch die Medizinisch-Ethischen Richtlinien
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die in der Verfügung gemachten Äußerungen jedoch zur Ermittlung des mutmaßlichen Patientenwillens. Zwar handelt es sich bei der Patientenverfügung - wie oben dargelegt - um eine Behandlungsanweisung, in der der Betroffene vor allem das Unterlassen lebensnotwendiger Maßnahmen fordert. Weil diese Behandlungsanweisung aber ebenso wie die Einwilligung eine selbstbestimmte Behandlungsanweisung an den Arzt darstellt, die Art und Umfang einer möglichen Behandlung festlegt, sind für beide Rechtsfiguren grundsätzlich die gleichen Voraussetzungen maßgebend.57 Soweit sich wegen des Charakters der Behandlungsanweisung als auch oder ausschließlich behandlungsverweigernde Entscheidung Besonderheiten ergeben, wird darauf im folgenden jeweils besonders eingegangen. Für die Einwilligung gelten im Strafrecht und Zivilrecht einheitliche Wirksamkeitsvoraussetzungen, 58 die sich teilweise aus straf- und teilweise aus zivilrechtlichen Ansatzpunkten ergeben. Es stellt sich demnach die Frage, ob eine Patientenverfügung diese Voraussetzungen überhaupt erfüllen kann und wann diese gegeben sind.
aa) Entscheidungsfähigkeit Eine Behandlungsanweisung kann - wie im Ersten Teil der Arbeit dargelegt wurde - 5 9 nur wirksam sein, wenn der Patient zum Zeitpunkt ihrer Erteilung entscheidungsfähig ist. Denn nur dann, wenn der Patient die Fähigkeiten besitzt, die Bedeutung und die Konsequenzen seiner eigenen Entscheidung zu beurteilen, handelt es sich um eine selbstbestimmte Entscheidung, die Ausdruck des wirklichen Willens des Betroffenen ist. Liegt im Falle einer lebensbedrohenden Krankheit eine Patientenverfügung vor, muß daher geprüft werden, ob ein nunmehr entscheidungsunfähiger Patient zum Zeitpunkt der Verfügung entscheidungsfähig war. Dies richtet sich danach, ob der Verfügende zu jener Zeit die Fähigkeit hatte, eine Abwägung zwischen dem Für und Wider einer bestimmten medizinischen Behandlung zu treffen und die Konsequenzen einer Entscheidung zu erfassen und zu überblicken.
für die Betreuung sterbender und cerebral schwerstgeschädigter Patienten der Schweizerischen Akademie der Medizinischen Wissenschaften v. 24. 2. 1995, NJW 1996, 767, 768 Ziff. I 3.4. 57 Schöllhammer, 46; Deutsch, NJW 1982, 2585, 2585; Kaufmann, ZStW 73 (1961), 341, 366 f.; Wachsmuth, NJW 1982,686, 687. 58 Zeuner, in: Soergel, § 823 Rz. 196; Nüßgens, in: RGRK, § 823 Anh. I I Rz. 69; Rickmann, 138. 59 Vgl. dort sub V.
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(1) Abstrakte Möglichkeit des Erfassens der Konsequenzen einer Patientenverfügung Man könnte zunächst daran zweifeln, ob ein Verfasser einer Patientenverfügung überhaupt je in der Lage sein kann, die Konsequenzen einer antezipierten Anweisung an den Arzt, lebenserhaltende bzw. lebensverlängernde Maßnahmen zu unterlassen, in vollem Umfang zu erkennen. 60 Denn er muß seine Entscheidung für eine Situation treffen, die ihm unbekannt ist: Obwohl Sterben und Tod zwingende Bestandteile jedes menschlichen Lebens sind, ist der eigene Tod nicht erfahrbar und begreifbar. Deshalb fehlen jedem Lebenden genaue Kenntnisse darüber. Es ist daher niemandem möglich, sich die Situation des eigenen Sterbens zu Lebzeiten geistig und emotional vor Augen zu führen. 61 Man könnte daraus schließen, daß kein Mensch die Fähigkeit haben kann, die Tragweite und die Konsequenzen einer Behandlungsanweisung an den Arzt, lebensnotwendige Maßnahmen in einer hoffnungslosen Situation zu unterlassen, in vollem Umfang zu begreifen. Dann müßte man die Fähigkeit, Behandlungsanweisungen zu erteilen, die den eigenen Tod zur Folge haben, schlechthin verneinen, ohne daß es auf eine Prüfung, ob im Einzelfall die nötige Entscheidungsfähigkeit wegen eines geistigen oder psychischen Krankheitszustands ausgeschlossen sein könnte, ankäme. Für die Richtigkeit dieser These ließe sich auch anführen, daß sich ein früher geäußerter Wille der Patienten, keine lebensnotwendigen Maßnahmen zu dulden, häufig in der Sterbephase umkehrt. Vielfach ist beobachtet worden, daß Sterbende in aussichtsloser Situation entgegen früheren Äußerungen unbedingten Lebenswillen gezeigt haben.62 So wird berichtet, daß alte Menschen immer wieder beteuern, sie wollten sterben, wenn sie schwerkrank und auf fremde Hilfe angewiesen sind, bei akuter Verschlechterung ihres Zustands jedoch unverzüglich nach einem Arzt rufen. 63 Demnach wäre es keinem Menschen möglich, verbindliche Entscheidungen zu treffen, die den Zeitpunkt und die Art des Todes zum Gegenstand haben. Eine Patientenverfügung könnte nicht verbindlich, sondern allenfalls ein gewisses Indiz für den mutmaßlichen Patientenwillen sein. Gegen die Annahme, daß dem einzelnen die Fähigkeit zu einer Entscheidung, lebensnotwendige Behandlungsmaßnahmen abzulehnen, generell fehle, sprechen hingegen einige Gesichtspunkte. Würde man dem einzelnen diese Fähigkeit nicht zuerkennen, so würde sich zunächst in praktischer Hinsicht die Frage stellen, ob und von wem eine Entscheidung über den Einsatz lebensverlängernder medizinischer Maßnahmen in der Terminalphase einer zum Tode führenden Krankheit 60 Rickmann, 139. 61 Krauß, 44; Metzger, 184 und 202; Sartre, Das Sein und das Nichts, 512; Heidegger, Sein und Zeit, 240. 62 Vgl. dazu etwa Eser, Lebenserhaltungspflicht und Behandlungsabbruch aus rechtlicher Sicht, in: Auer/Menzel/Eser, 113 f. 63 Niethammer, in: Jens/Küng, 142.
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überhaupt getroffen werden könnte. Weder der Patient selbst noch ein Arzt, Betreuer oder Bevollmächtigter wäre dazu in der Lage, weil alle diese Personen in ihrer Urteilsfähigkeit gleichermaßen eingeschränkt sind. Tatsächlich wird in der Praxis auch stets eine Entscheidung über den Einsatz medizinischer Maßnahmen getroffen, denn sowohl ihr Einsatz als auch ein Verzicht darauf setzen eine Entscheidung voraus. Weiterhin gehen Rechtsprechung und Literatur allgemein von der Möglichkeit aus, daß ein geistig und psychisch gesunder Terminalkranker Behandlungsanweisungen an den Arzt erteilen kann, sein Leben nicht künstlich zu verlängern, obwohl er seinen Tod nicht in vollem Umfang begreifen kann. Es wird angenommen, daß man die Unzulänglichkeiten der menschlichen Vorstellungskraft zu akzeptieren habe und Kenntnisse, die ein Lebender über Tod und Sterben habe, für ausreichend halten müsse, damit dieser eine Prognose über seinen voraussichtlichen Willen in der Situation des Sterbens abgeben könne. Das Risiko eines Prognoseirrtums sei in Kauf zu nehmen. Dies wird mit dem Selbstbestimmungsrecht des Patienten (Art. 2 Abs. 1, 2 Abs. 2 Satz 1, 1 Abs. 1 GG) begründet: Gerade in der für die menschliche Persönlichkeit so bedeutsamen Sterbephase müsse dem einzelnen eine Entscheidung möglich sein, wenn seine Verständnismöglichkeiten auch beschränkt seien.64 Wenn einem Terminalkranken nach allgemeiner Auffassung dieses Entscheidungsrecht zukommt, so stellt sich aber die Frage, warum der Verfasser einer Patientenverfügung nicht die Möglichkeit haben sollte, Behandlungsanweisungen zu geben, die tödliche Konsequenzen haben. Denn jede Behandlungsanweisung des Patienten fordert eine Prognose in doppelter Hinsicht: 65 Zunächst muß der Patient im voraus versuchen zu beurteilen, welche Bedeutung die Folgen einer Behandlung oder Nichtbehandlung für seine Wertvorstellungen haben {Prognose der Auswirkungen). Ferner muß er in aller Regel seine Entscheidung, ob ein ärztlicher Eingriff durchgeführt werden soll oder nicht, antezipiert treffen, weil er zum Zeitpunkt der Behandlung - beispielweise durch Narkose - nicht bei Bewußtsein ist {Prognose der Entscheidungsfindung). Diese doppelte Prognose liegt jeder Behandlungsanweisung zugrunde, ist also kein auf die Patientenverfügung beschränktes Problem. Sie muß insbesondere sowohl von einem Schwer- oder Terminalkranken, dessen Krankheit irreversibel ist und einen tödlichen Verlauf genommen hat oder dessen Tod unmittelbar bevorsteht, als auch von dem Verfasser einer Patientenverfügung getroffen werden. Beide müssen versuchen, die Bedeutung des Todes für ihre individuellen Wertvorstellungen und ihren voraussichtlichen Lebenswillen zum Zeitpunkt des Sterbens zu begreifen. Es liegt deshalb die Annahme nahe, daß nicht nur der Terminal- oder Schwerstkranke, sondern auch der Verfasser einer Patientenverfügung 64 Vgl. beispielsweise BGH, Urt. v. 28. 11. 1957, BGHSt 11, 111, 113 - „Myom-Fall"; LG Ravensburg, Urt. v. 3. 12. 1986, NStZ 1987, 229, 229 f.; Weißauer/Opderbecke, MedR 1995, 456, 459; Uhlenbruck, in: Laufs/Uhlenbruck, HdB ArztR, 1. Aufl., § 132 Rz. 28; Geilen, Euthanasie und Selbstbestimmung, 11 f. 65
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dazu in der Lage ist: Wenn ein Mensch seinen Tod niemals rational begreifen kann, besteht möglicherweise kein Unterschied darin, ob eine Behandlungsanweisung recht kurz oder lange vor einem lebenserhaltenden Eingriff erteilt worden ist. Durchaus verständlich und folgerichtig erscheint deshalb, daß die verfassungsrechtliche Lehre ein „Recht zur Selbstbestimmung durch zukunftswirksame Festlegung" als Teil und Ausprägung des Selbstbestimmungsrechts des Patienten ansieht und anerkennt. 66 Es wird von Bottke wie folgt beschrieben: „Das Verfassungsrecht leistet seinen Freiheitsdienst gerade auch dadurch, daß es dem einzelnen die Freiheit garantiert, [ . . . ] für die Situation kommender Entscheidungsunmündigkeit [ . . . ] vorsorglich über die zulässigen oder unzulässigen Eingriffe in die körperliche Integrität zu disponieren und so durch konditioniertes oder unbedingtes Behandlungsveto eigenes Sterben sicherzustellen". 67 Es darf andererseits aber nicht verkannt werden, daß jede Behandlungsanweisung nicht nur intellektuell getroffen wird, sondern auch psychogene Ursachen hat. Ein Schwer- oder Terminalkranker ist dem Tod emotional bereits recht nahe, so daß er wesentlich leichter als ein Mensch in gesunden Tagen beurteilen kann, was der Tod für ihn bedeutet und wie stark sein Lebenswillen in der Situation des Sterbens voraussichtlich sein wird. Zweifelhaft ist deshalb, ob der gesunde Verfasser einer Patientenverfügung, der noch nicht mit dem Tod konfrontiert wird, zu einer solchen Prognose in der Lage ist. Dagegen spricht folgende Überlegung: 68 Der Verfügende kann die Entscheidung über den Einsatz intensivmedizinischer Maßnahmen regelmäßig nur auf einer rationalen Grundlage treffen, weil er dem Tode noch nicht nahe ist und die Leidenssituation am Ende des Lebens nicht kennt. Hat er Todesangst, Leiden, Lebenswillen sowie körperliche und seelische Qualen demnach nicht in einem Maße empfunden wie ein Schwerkranker, ist er möglicherweise nicht dazu in der Lage, eine hinreichend genaue Prognose treffen, wie er zu dem Zeitpunkt entscheiden würde, zu dem lebenserhaltende bzw. lebensverlängernde Maßnahmen notwendig werden. Aus dieser Überlegung würde folgen, daß die Fähigkeit des einzelnen, verbindliche Behandlungsanweisungen in einer Patientenverfügung zu erteilen, verneint werden müßte, weil ihm die „Todeserfahrung" 69 fehlt. Entscheidungsfähig könnte der Verfasser einer Patientenverfügung immer nur dann sein, wenn er Ereignisse erlebt hat, die ihm Wesen und Bedeutung des Todes deutlich gemacht haben. Denn nur in diesem Fall wäre gewährleistet, daß seine in der Patientenverfügung enthaltene Prognose über seinen Willen, lebensverlängernde bzw. lebenserhaltende Maßnahmen einzusetzen, zutrifft.
66 Höfling, JuS 2000, 111, 115; Sachs, in: Stern, Staatsrecht III/1, 642. 67 Bottke, in: Deutsche Sektion der Internationalen Juristen-Kommission, Lebensverlängerung aus medizinischer, ethischer und rechtlicher Sicht, 35, 99 f. - Siehe.dazu auch Taupitz, Gutachten 63. DJT, A 108. 68 Rickmann, 162 f. 69 Rickmann, 162, 171.
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Es lassen sich jedoch einige Gründe dagegen anführen, konkrete Todeserfahrung als Voraussetzung für die Verbindlichkeit einer Patientenverfügung zu fordern. Daß der Verfasser einer Patientenverfügung auch ohne eine solche Todeserfahrung fähig ist, eine antezipierte Entscheidung zu treffen, läßt sich nämlich durchaus begründen: Zunächst ist die Annahme, der Verfügende könne im Gegensatz zu einem sterbenskranken Patienten nicht wissen, wie stark sein Lebenswille in der konkreten Situation terminaler Krankheit sei, nicht zwingend und beweisbar. Zahlreiche Gespräche mit Ärzten haben ergeben, daß Patienten häufig entweder eine resignative oder kämpferische Grundhaltung haben, die sich auch unter dem Einfluß von Qualen und Leiden nicht ändert und die sie deshalb bis an ihr Lebensende bewahren. Ihre Prognose für einen späteren Willen zum Einsatz lebensnotwendiger Maßnahmen ist mit hoher Wahrscheinlichkeit zutreffend. Dann besteht kein Anlaß zur Annahme, der Betroffene würde seine antezipierte Entscheidung zu passiver Sterbehilfe im Gegensatz zu einem Schwer- oder Terminalkranken ändern, wenn er nur könnte. Daraus läßt sich schließen, daß eine Vielzahl der Verfasser einer Patientenverfügung auch ohne Todeserfahrung fähig ist, bei ihrer Entscheidung die Konsequenzen vorauszusehen. Zudem ist zu berücksichtigen, daß ein todkranker Patient möglicherweise gar nicht die Fähigkeit hat, die Bedeutung des Todes zu erkennen, seinen Lebenswillen zu beurteilen und eine Abwägung zu treffen, weil Schmerzen, Medikamente oder ähnliches selbst eine emotionale Wahrnehmung unmöglich machen. Deshalb trifft es nicht allgemein zu, daß ein Todkranker seinen wirklichen Willen im Zeitpunkt des Sterbens besser beurteilen kann als der gesunde Verfasser einer Patientenverfügung. Ferner sprechen auch praktische Gesichtspunkte gegen das Erfordernis einer „Todeserfahrung" als Voraussetzung einer ernstlichen Entscheidung. Der behandelnde Arzt würde stets mit der Frage konfrontiert, ob der Patient ausreichende „Todeserfahrung" hat. „Todeserfahrung" kann der Betroffene nicht nur durch frühere schwere Krankheiten, sondern auch durch das intensive Erleben des Todes eines nahen Angehörigen und Sterbebegleitung gemacht haben. Ob sie dem Verfügenden die Bedeutung des Todes für seine Persönlichkeit jedoch tatsächlich in ausreichendem Maß vor Augen geführt hat, kann in jedem Einzelfall sehr zweifelhaft sein. Deshalb würde diese Voraussetzung zu einer erheblichen Rechtsunsicherheit führen. Schließlich wären auch die Folgen dieser Voraussetzung nicht mit dem grundgesetzlich gewährleisteten Selbstbestimmungsrecht vereinbar: Da Patientenverfügungen vor allem in gesunden Tagen verfaßt werden, werden viele Betroffene keine Todeserfahrung haben. Verneinte man also ihre Fähigkeit, verbindliche Behandlungsanweisungen im voraus zu erteilen, müßte ein Arzt oder - nach der hier vertretenen Ansicht - ein Betreuer die Entscheidung treffen, ob lebensverlängernde Behandlungsmaßnahmen aufgenommen bzw. fortgesetzt werden sollen, wenn sie in der Sterbephase entscheidungsunfähig sind. Gerade die Entscheidung, passive Sterbehilfe zu leisten ist - wie oben dargelegt - sehr subjektiv. Es erscheint deshalb zweifelhaft, ob eine Entscheidung des Arztes oder des Betreuers dem Willen
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der Betroffenen in einem höheren Maße entspricht als eine antezipierte Entscheidung des Patienten selbst. Aus den oben angeführten Gründen trifft dies für den Arzt nicht zu. Ein betreuender Familienangehöriger wird zwar häufig den mutmaßlichen Willen des Betroffenen recht genau kennen. Doch kann er die Bedeutung von Schmerz, Leidensfrustration und Leben für den Patienten nicht so exakt beurteilen wie dieser selbst, weil dies sehr detaillierte psychologische Kenntnisse voraussetzen würde. Wie Rechtsprechung und rechtswissenschaftliche Literatur betonen, muß die Ausübung des grundgesetzlich garantierten Selbstbestimmungsrechts des Patienten auch dem Sterbenden einschränkungslos gewährleistet sein. 70 Weil die eigene vorweggenommene Entscheidung des Betroffenen dieses Recht besser verwirklicht als die Entscheidung des Arztes oder eines Vertreters, darf konkrete Todeserfahrung keine Voraussetzung der abstrakten Entscheidungsfähigkeit sein. Daraus läßt sich schließen, daß jeder Verfasser einer Patientenverfügung grundsätzlich die Fähigkeit besitzt, die Konsequenzen seiner Entscheidung zu begreifen, so daß die Rechtsverbindlichkeit einer Patientenverfügung nicht von vorneherein ausgeschlossen ist.
(2) Konkret vorhandene Einsichts- und Urteilsfähigkeit Mit diesem Ergebnis ist jedoch noch keine Aussage darüber getroffen, ob der Verfasser einer Patientenverfügung zum Zeitpunkt ihrer Erteilung tatsächlich entscheidungsfähig war. Denn im Einzelfall kann es fraglich sein, ob ihm zu diesem Zeitpunkt möglicherweise wegen seiner Krankheit, starker Schmerzen oder der psychischen Belastung, die mit dem Wissen verbunden ist, daß er an einer unheilbaren Krankheit leidet, die natürliche Einsichtsfähigkeit fehlte. Die Prüfung der Entscheidungsfähigkeit ist grundsätzlich Aufgabe des Arztes, 71 wobei er die gesamten Umstände des Einzelfalls - insbesondere psychische und physische Konstitution, Einfluß von Medikamenten, Grad der Verständnisfähigkeit - berücksichtigen muß. Im Gegensatz zum Normalfall einer Behandlungsanweisung, die der Patient unmittelbar vor dem nach Auffassung des Arztes indizierten Eingriff erteilt, ist dies für den Arzt jedoch im Fall der Patientenverfügung problematisch: Während ein Eindruck von vorhandener Entscheidungsfähigkeit üblicherweise in einem Arztgespräch gewonnen wird, kann sich der Arzt in Fällen terminaler Krankheit, in denen eine Patientenverfügung von Bedeutung ist, nicht durch persönlichen Kontakt mit dem Patienten von dessen Entscheidungsfähigkeit überzeugen, weil der Patient diese bereits verloren hat. Die Erteilung der Patientenverfügung kann sehr lange zurückliegen; nimmt man mit der hier vertretenen Auffassung an, daß auch ein Mindeijähriger unter entsprechender Beteiligung der Eltern durchaus fähig sein kann, Bedeutung und Konsequenzen der Durchführung oder 70 Vgl. dazu die Ausführungen sub Teil 1, III. 2. und Teil 2,1. 1. 71 Ulsenheimer, in: Laufs/Uhlenbruck, HdB ArztR, § 139 Rz. 28. 8 Heyers
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des Unterlassens vital indizierter Maßnahmen abzuschätzen und danach zu handeln, läßt sich ermessen, von welchen Zeiträumen die Rede sein kann. Der Arzt kann jedoch in der Regel unterstellen, daß der Verfasser einer Patientenverfügung zum Zeitpunkt ihres Abfassens entscheidungsfähig war. Zwar ist es anerkannt, daß sich Krankheitszustände auf die Entscheidungsfähigkeit eines Menschen auswirken können.72 Hat ein Patient Kenntnis von der Aussichtslosigkeit seiner Krankheit, steht er möglicherweise unter so starken psychischen Belastungen, daß er eine Entscheidung über die Durchführung lebenserhaltender oder -verlängernder Maßnahmen nicht treffen kann. Gleiches gilt für Schmerzzustände, die die Gedanken des Patienten so sehr beherrschen, daß eine rationale Abwägung der Vor- und Nachteile einer Lebenserhaltung oder Lebensverlängerung nicht möglich ist. Verkannt werden darf dabei jedoch nicht, daß eine Patientenverfügung in der weitaus überwiegenden Zahl der Fälle von gesunden Menschen, die keine unerträglichen Schmerzen leiden müssen und keinen psychischen Belastungen ausgesetzt sind, verfaßt wird; ob dies freilich - wie in der rechtswissenschaftlichen Literatur vielfach behauptet - den „Regelfall" 73 darstellt, soll hier nicht zur Prämisse gemacht werden. Problematisch erscheinen demnach nur Fälle, in denen der Patient die Verfügung zu einem Zeitpunkt getroffen hat, zu dem er seine Entscheidungsfähigkeit möglicherweise bereits verloren hatte, weil er um seine Krankheit wußte oder unter starken Schmerzen litt. Auch hier spricht jedoch vieles dafür, daß der Arzt von vorhandener Entscheidungsfähigkeit zum Zeitpunkt der Verfügung ausgehen darf. Zunächst erlangt die Tatsache Bedeutung, daß die Rechtsordnung, die für die Anerkennung des erklärten Willens einer Person die Voraussetzung der Fähigkeit zu vernünftiger Willensbildung fordert, diese Entscheidungsfähigkeit grundsätzlich als gegeben annimmt. Das Gesetz geht beispielsweise in den §§ 104 ff. BGB wie selbstverständlich davon aus, daß jede erwachsene Person entsprechend entscheidungsfähig ist; 7 4 dies zeigt sich nicht zuletzt daran, daß der Gesetzgeber auf eine positive Formulierung der Geschäftsfähigkeit verzichtet hat. Zwar wurde die Geschäftsfähigkeit im Rahmen der dogmatischen Grundlagen der Arbeit nicht als sachgerechter Maßstab für die Entscheidungsfähigkeit eines Patienten, der eine Behandlungsanweisung an seinen Therapeuten erteilt, angesehen. Doch wurde gleichzeitig dargetan, daß der den §§ 104 ff. BGB zugrundeliegende Normzweck der Rechtssicherheit auf die hier fraglichen Fallkonstellationen zutrifft, um den behandelnden Arzt von den typischerweise bestehenden Haftungsrisiken zu entlasten. Führt man sich diese Grundüberlegung noch einmal vor Augen, kann auch dann,
72 Sternberg-Lieben, NJW 1985, 2734, 2736; Ulsenheimer, in: Laufs/Uhlenbruck, HdB ArztR, § 139 Rz. 28. 73 Baronin von Dellingshausen, 58; Möllering, in: Eser, Suizid und Euthanasie, 353. 74 BGH, Urt. v. 24. 9. 1955, L M § 104 Nr. 2; BGH, Urt. v. 11. 3. 1988, NJW 1988, 3011, 3011; BayObLG, Urt. v. 13. 4. 1982, Rpfleger 1982, 286, 286 f.; Jauernig, in: Jauernig, § 104 Rz. 9; Gitter, in: MüKo, § 104 Rz. 13; Heinrichs, in: Palandt, § 104 Rz. 8.
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wenn man das Kriterium der Entscheidungsfähigkeit inhaltlich mit der sog. natürlichen Einsichts- und Urteilsfähigkeit füllt, nichts anderes gelten. Des weiteren darf nicht unbeachtet bleiben, daß psychische Belastungen oder Schmerzen die Entscheidungsfähigkeit nicht zwingend ausschließen.75 Zudem hat das Wissen eines progedient kranken Patienten von seiner Erkrankung möglicherweise gerade auch den Vorteil, daß er sich umfassend mit seiner Situation auseinanderzusetzen vermag. Sieht man diese Gesichtspunkte nicht als stichhaltig an, wird man zu fordern haben, daß sich der behandelnde Arzt auf die Aussagen Dritter verlassen muß, wenn ihm deutliche Anhaltspunkte dafür vorliegen, daß die Patientenverfügung zu einer Zeit errichtet wurde, zu der dem Betroffenen die Entscheidungsfähigkeit gefehlt haben könnte. Diese Dritten können beispielsweise Angehörige oder Freunde sein, die unter Umständen die Verfügung sogar als Zeugen unterzeichnet haben.76 In praktischer Hinsicht wird sich der Arzt allerdings im Regelfall unbesehen auf die grundsätzliche Vermutung zugunsten vorhandener Entscheidungsfähigkeit berufen, weil er für präzise Anweisungen, ob und wie ein entscheidungsunfähiger Schwerstkranker behandelt werden soll, dankbar sein wird. Sollen Zweifel an der Einsichts- und Urteilsfähigkeit des Patienten gänzlich getilgt werden, bietet sich die notarielle Beurkundung der Verfügung - von der in der Praxis bereits häufig Gebrauch gemacht wird - an. § 11 BeurkG verpflichtet den Notar zur Ablehnung der Beurkundung einer Patientenverfügung, wenn dem Betroffenen die nötige Entscheidungsfähigkeit fehlt. Hat der Notar Zweifel an der Entscheidungsfähigkeit eines schwerkranken Verfügenden und kann er ihr Vorliegen wegen fehlender medizinischer Kenntnisse nicht feststellen, so ist er verpflichtet, einen Arzt hinzuzuziehen.77 Verneint dieser das Vorliegen der notwendigen Geschäfts- bzw. natürlichen Einsichts- und Urteilsfähigkeit für die konkrete Entscheidung, so ist es Amtspflicht des Notars, die Beurkundung nicht durchzuführen. Ist der Betroffene aber entscheidungsfähig, so hat der beurkundende Notar dies in der Niederschrift gemäß § 11 Abs. 2 BeurkG zu vermerken; 78 die Urkunde sollte dann insbesondere aus Gründen der Beweiserleichterung genaue Feststellungen über die Entscheidungsfähigkeit des Patienten zum damaligen Zeitpunkt enthalten. 79 Der Notar wird den Text mit juristischer Eindeutigkeit formulieren und ge75 BGH, Urt. v. 9.12. 1958, BGHZ 29,46,51 - „2. Elektroschockurteil"; Baronin von Dellingshausen, 56; Niemann,Privatautonome Gestaltung, 92; Deutsch, Medizinrecht, Rz. 56. 76 Vgl. die Empfehlung in den Handreichungen für Arzte zum Umgang mit Patientenverfügungen der BÄK (1999), sub 4. a. E. 77 Huhn/von Schuckmann, BeurkG, § 11 Rz. 15; Mecke/Lerch, BeurkG, § 11 Rz. 7; Haegele, Rpfleger 1969,414,414 f. 78 Baumann/Hartmann DNotZ 2000, 594, 612. - Das BeurkG könnte dem Notar sogar de lege ferenda eine diesbezügliche Feststellungspflicht auferlegen, wie sie bereits bei Verfügungen von Todes wegen besteht. 79 Huhn/von Schuckmann, BeurkG, § 11 Rz. 15; Mecke/Lerch, BeurkG, § 11 Rz. 7; Haegele, Rpfleger 1969,414,414 f. *
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mäß seiner nach § 17 BeurkG bestehenden Verpflichtung rechtliche Beratung leisten. Dazu gehört auch, daß der Notar auf seine fehlenden medizinischen Kenntnisse hinweist und statt des Abrufens von Mustertexten dem Klienten ein vorbereitendes Beratungsgespräch mit einem Arzt eindringlich nahe legt. 80 Denn die notarielle Beurkundung kann eine medizinische Fachberatung nicht ersetzen, sondern dem Rechtssuchenden nur den notwendigen Schutz und die hinreichende Beratung bei rechtlichen Aspekten gewähren; 81 dazu zählt, wie gezeigt, namentlich die Bestätigung, daß die Verfügung von einem entscheidungsfähigen Testator erstellt wurde. Liegt eine notariell beglaubigte Patientenverfügung vor, darf der behandelnde Arzt also davon ausgehen, daß der Betroffene zum Zeitpunkt der Errichtung der Verfügung verständig genug war. Bei einer bloßen notariellen Beglaubigung der Unterschrift hingegen entfallen sowohl die Prüfung der Einsichtsfähigkeit als auch die rechtliche Beratung. Als Vorteil gegenüber einer unter Wahrung einfacher Schriftform 82 errichteten Patientenverfügung verbleibt die Identitätsprüfung, die zumindest die Urheberschaft der Patientenverfügung garantiert.
bb) Aufklärung Die Irrtumsfreiheit einer Behandlungsanweisung des Patienten ist, wie einleitend dargestellt, 83 nur dann gewährleistet, wenn dieser Diagnose und Prognose seiner Krankheit sowie die Konsequenzen, die sich aus der Ablehnung oder Zustimmung zu einer Behandlungsmaßnahme ergeben, kennt. Das setzt grundsätzlich voraus, daß der Arzt den Patienten über Diagnose, Verlauf und Risiko eines Eingriffs aufgeklärt hat, 84 weil dieser sich nur dann in Ausübung seines Selbstbestimmungsrechts frei entscheiden kann 85 (sog. Selbstbestimmungsaufklärung). Klärt der be-
80 Taupitz, Gutachten 63. DJT, A 113, will ein solches Gespräch de lege ferenda als Wirksamkeitsvoraussetzung einer Patientenverfügung etablieren; vgl. dazu sogleich näher bbb. 81 Insoweit nun auch treffend Taupitz, Gutachten 63. DJT, A 114 f. - Zum Schutzzweck der notariellen Beurkundung vgl. im allgemeinen Keidel/Kuntze/Winkler FGG, Teil B, BeurkG m. Erl. Rz. 22 ff. 82
Diese schlägt Taupitz, Gutachten 63. DJT, A 130, de lege ferenda vor, ohne sich allerdings mit dem unbestreitbaren Wert der notariellen Beurkundung für unsere Rechtsordnung auseinanderzusetzen. Nur bedingt begrüßenswert erscheint daher auch der Beschluß des 63. Deutschen Juristentags (sub III. 2. 2.), für eine Patientenverfügung solle es de lege ferenda der einfachen Schriftform bedürfen (angenommen: 47:0:3), weil der Rang der notariellen Beurkundung bei Diskussion und Beschlußfassung unerwähnt geblieben ist, folglich keine entsprechende Empfehlung ausgesprochen werden konnte. S3 Vgl. dazu supra 1. Teil, IV. 4. 84 Laufs, Arztrecht, Rz. 186; Ulsenheimer, in: Lauf s / Uhlenbruck, HdB ArztR, § 139 Rz. 38; Harder, ArztR 1991, 11, 15; Sternberg-Lieben, NJW 1985, 2734, 2735; Deutsch, NJW 1984, 1802, 1802; Laufs, in: Laufs / Uhlenbruck, HdB ArztR, § 63 Rz. 11. 8
5 BGH, Urt. v. 10. 7. 1954, NJW 1956, 1106, 1106 - „1. Elektroschockurteil"; Volkenandt/Borasio/ Atzpodien, Zeitschr. f. med. Ethik 1995, 117, 119; Tröndle / Fischer, § 223
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handelnde Arzt seinen Patienten nicht auf, so ist die Behandlungsanweisung des Patienten unwirksam. 86 Wegen der Einzelheiten kann auf das eingangs Dargstellte verwiesen werden. 87 Die Rechtsverbindlichkeit der Patientenverfügung ist vielfach pauschal mit der Begründung verneint worden, daß der Patient zu der Zeit, zu der er die Verfügung getroffen habe, in der Regel nicht ärztlich aufgeklärt worden sei. Jedenfalls könne man seine spätere Krankheit nicht voraussehen und ihn deshalb auch nicht im voraus aufklären. Voraussetzung für eine wirksame Entscheidung des Patienten, ob lebensverlängernde Maßnahmen durchgeführt werden sollen oder nicht, sei aber das Wissen des Patienten um seinen konkreten Krankheitszustand. Der Patient habe jedoch keine Vorstellung von seiner späteren Sterbesituation. Man müsse deshalb davon ausgehen, daß der Patient zum Zeitpunkt seiner Verfügung nicht in Kenntnis aller Umstände gehandelt habe, die für seinen Wunsch, nicht mehr behandelt zu werden, bestimmend sein können. Eine Aufklärung könne nur in der terminalen Krankheitsphase durchgeführt werden. Es sei deshalb unmöglich, daß eine Einwilligung durch eine Patientenverfügung antezipiert verweigert wird. 88 Es stellt sich also die Frage, ob und wann die Verbindlichkeit einer Patientenverfügung daran scheitert, daß eine Aufklärung des Verfügenden nicht oder nicht in hinreichendem Maße erfolgt ist.
(1) Erforderlichkeit ärztlicher Aufklärung Zu untersuchen ist zunächst, ob ein Aufklärungsbedarf zum Zeitpunkt des Verfassens der Patientenverfügung überhaupt besteht. Von einer Auffassung im medizinrechtlichen Schrifttum wird dies verneint. 89 Typischerweise verlange der Patient, daß der Arzt lebensverlängernde Maßnahmen unterlassen solle, wenn sein Zustand „hoffnungslos" sei. Die Risiken dieses ärztlichen Tuns seien eindeutig: Der Patient werde sterben. Uber diese Konsequenz irre der Patient nicht. Der einzige Irrtum, den die Aufklärung beseitigen könne, sei der Irrtum über den eigenen Zustand; ein solcher Irrtum könne aber zum Zeitpunkt der Verfügung noch nicht vorgelegen haben. Der Patient ordne nur an, wie in einem künftigen „hoffnungslosen" Zustand gehandelt werden solle und überlasse die Feststellung dieses Zustands dem Arzt. Eine Aufklärung sei deshalb nicht erforderlich. Rz. 9e; Laufs, in: Laufs/Uhlenbruck, HdB ArztR, § 61 Rz. 14 f.; Nüßgens, in: RGRK, § 823 Anh. I I Rz. 62. 86 Giesen, Arzthaftungsrecht, Rz. 201 f.; ders., JZ 1990, 1053, 1060; Kleinewefers / Sparwasser, VersR 1990, 1205, 1205 f. 87 Sub 1. Teil, III. 4. 88 Wuermeling, MMW 1984, 979, 979; Hiersche, Gutachten, M 7, 26. 89 Rieger, 88; Rickmann, 172 f.
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Aus diesen Erwägungen läßt sich nicht herleiten, daß eine Aufklärung des Verfügenden nicht notwendig ist. Untersagt der Patient eine Lebensverlängerung für den Fall eines aussichtslosen Zustands, so ist zwar die Folge eines Behandlungsverzichts offensichtlich: Der Patient wird sterben. Von dieser allgemeinen Formulierung wird aber eine Vielzahl möglicher Krankheitszustände und -Verläufe gedeckt, die in ihrer Dauer bis zum Tod, ihrer Schmerzintensität und in ihrer Therapierbarkeit sehr unterschiedlich sein können. Insbesondere die Patienten, die eine sehr allgemein gefaßte Verfügung getroffen haben (Verzicht auf eine Therapie in „hoffnungsloser Lage" oder bei „aussichtslosem Zustand"), dürften in der Regel der falschen Vorstellung erlegen sein, daß jeder Sterbeprozeß qualvoll und nicht lebenswert sei. Gerade dies zeigt, daß eine Aufklärung erforderlich ist, die den Betroffenen vor Augen führt, daß ihre Vorstellungen unzureichend sind: Bei bestimmten Krankheitsbildern besteht durchaus die Möglichkeit, daß der Sterbeprozeß weitestgehend schmerzfrei und über längere Zeit lebenswert gestaltet werden kann. Zudem kann dem Patienten nur im Rahmen einer ärztlichen Aufklärung bewußt gemacht werden, daß die Prognose einer Irreversibilität der Grunderkrankung durchaus unsicher sein kann und unerwartete Krankheitsentwicklungen nicht ausgeschlossen werden können, der Verfügende gleichsam das Risiko einer unsicheren Prognose selbst übernimmt. 90 In der medizinrechtlichen Literatur wird jedoch des weiteren aus anderen Gründen, die eher begrifflicher Natur sind, bezweifelt, daß es einer ärztlichen Selbstbestimmungsaufklärung vor der Niederschrift der Patientenverfügung bedürfe: Eine Patientenverfügung stelle eine behandlungsabwehrende Entscheidung des Betroffenen dar. Diese sei aber grundsätzlich nicht von einer vorherigen Aufklärung durch den Arzt abhängig. Denn die Abwehr einer Behandlung bedeute, daß eine Einwilligung in lebensnotwendige Behandlungsmaßnahmen verweigert werde, so daß der Patient nicht behandelt werden dürfe. Eine Einwilligung, die eine solche Behandlung legitimiere, liege gerade nicht vor. Die Wirksamkeit einer derartigen „Nicht-Einwilligung" hänge dann aber nicht davon ab, ob eine Aufklärung vorangegangen sei. 91 Mithin sei das Fehlen einer Einwilligung nicht nur dann beachtlich, wenn vor diesem „Fehlen" eine Aufklärung des Arztes erfolgt sei. Diese Argumentation überzeugt indes schon deshalb nicht, weil eine Aufklärung der selbstbestimmten Erteilung einer Behandlungsanweisung des Patienten dient: Der behandelnde Arzt klärt den Patienten über Chancen, Risiken u. ä. einer bestimmten Therapie bzw. bestimmter medizinischer Maßnahmen auf, damit dieser sich entscheide, ob und inwieweit er bestimmte Maßnahmen billige oder mißbillige, um eine Einwilligung - teilweise - zu erteilen oder abzulehnen. Keinesfalls ist es aber so, daß eine Aufklärung - gleichsam ex post betrachtet - nur dann erfolgen müßte, wenn eine Einwilligung gegeben wird, denn das Selbstbestimmungsrecht des Patienten kann auch wirksam dadurch ausgeübt werden, daß 90 Verrei, MedR 1999, 547, 548. 91 Taupitz, Gutachten 63. DJT, A 32 f.
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die Durchführung medizinischer Maßnahmen, mögen sie vital indiziert sein oder nicht, untersagt wird („informed refusal"). Die Position der Gegenauffassung führt deshalb zu einer Polarisierung, die weder den rechtlichen Anforderungen noch den tatsächlichen Gegebenheiten entspricht. Das zeigt sich im Falle einer in einer Patientenverfügung antezipierten - Behandlungsanweisung, die auf die Gewährung passiver Sterbehilfe gerichtet ist, besonders deutlich. In ihr werden typischerweise Elemente kombiniert, die je nach Einzelfall in unterschiedlichem Umfang auf die Verweigerung medizinischer Maßnahmen - namentlich solcher, die das Leben verlängern - und auf die Durchführung ärztlicher Tätigkeit gerichtet - namentlich palliative Medizin - sind. Eine Aufklärung kann aber nicht nur hinsichtlich solcher Teile der - ex ante überhaupt noch nicht absehbaren - Behandlungsanweisung nötig sein, die zu einem Eingriff des Arztes in die körperliche Sphäre des Patienten führen. Dies wäre auch insoweit verfehlt, als gerade vom behandlungsabwehrenden Teil der Behandlunganweisung die gravierenderen Folgen für den Patienten ausgehen. Der Arzt ist in solchen Fällen auch selbst auf eine Aufklärung angewiesen, weil nur in Verbindung mit der Aufklärung des Patienten, die seine Behandlungsanweisung inhaltlich füllt, die Reichweite einer abwehrenden Erklärung ermittelt werden kann. Aber selbst wenn man die Prämisse der Gegenauffassung akzeptierte, einer Einwilligungsverweigerung müsse keine Aufklärung vorangegangen sein, weil kein Eingriff in die körperliche Integrität des Patienten wirksam zu rechtfertigen sei, würde der Arzt vielfach aus anderen Gründen verpflichtet sein, den Patienten auf die Gefahren eines etwaigen Entschlusses zur Verweigerung lebenserhaltender oder lebensverlängernder Maßnahmen hinzuweisen. Wenn zwischen Arzt und Patient ein Behandlungsvertrag besteht oder Vertragsverhandlungen zumindest aufgenommen wurden - was auch zum Zeitpunkt des Abfassens einer Patientenverfügung unter Umständen der Fall sein kann, weil eine ärztliche Behandlung hier wegen einer erkannten irreversiblen Krankheit mit infauster Prognose einsetzt und absehbar ist, daß die Krankheit zur Entscheidungsunfähigkeit des Patienten führen und tödlich enden wird - verpflichtet der Behandlungsvertrag bzw. das vorvertragliche Verhältnis den Arzt, dem Patienten sachdienliche Hinweise unter anderem zur Vermeidung einer Selbstschädigung zu geben.92 Diese vertragliche Informationspflicht findet zudem im Deliktsrecht bei der Garantenstellung des Arztes als möglichem Unterlassungstäter und in bezug auf die dort geschützten Rechtsgüter, also insbesondere auch auf das Leben des Patienten, Berücksichtigung. 93 Ferner kommt eine Informationspflicht des Arztes aufgrund vorangegangenen gefährlichen Tuns 94 in Betracht, wenn eine schon begonnene Behandlung nicht gefahrlos abgesetzt werden kann.
92 BGH, Urt. v. 24. 6. 1986, NJW 1987, 705, 705; Deutsch, NJW 1982, 2585, 2585 f.; Laufs, in: Laufs/Uhlenbruck, HdB ArztR, § 62 Rz. 3. 93 Mertens, in: MüKo, § 823 Rz. 26; Hager, in: Staudinger, 13. Bearb., § 823 Rz. H 11. 94 Siehe dazu nur Deutsch, Allgemeines Haftungsrecht, Rz. 104.
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Schließlich läßt sich eine Aufklärungspflicht des Arztes auch bei behandlungsverweigernden Entscheidungen aus dem ärztlichen Standesrecht ableiten. Der Bundesgerichtshof hat dies wie folgt konkretisiert: „[Der Arzt hat die Pflicht, den Patienten] mit aller Eindringlichkeit auf die Notwendigkeit der Behandlung hinzuweisen und alles nach der Sachlage Gebotene zu unternehmen, damit der Patient seine Weigerung aufgibt und seine Einwilligung zu notwendigen ärztlichen Eingriffen erteilt". 95 Nichts anderes drücken die Ausführungen der Bundesärztekammer aus, in denen es heißt: 96 „Der Arzt soll Kranken, die eine notwendige Behandlung ablehnen, helfen, die Entscheidung zu überdenken". Endlich bleibt zu entgegnen, daß das Erfordernis der Aufklärung eines Patienten, der lebensnotwendige ärztliche Maßnahmen verweigert, besonders deutlich zutage tritt, wenn man - mit einer breiten Meinung in der medizinischen und medizinrechtlichen Literatur - eine Aufklärungspflicht des Arztes allein aus dem ArztPatienten-Verhältnis herleiten und sie als selbständige Grundpflicht des Arztes qualifzieren will, die ihr rechtsdogmatisches Fundament im Selbstbestimmungsrecht des Patienten hat und das Gegenstück zur medizintechnischen Seite des ArztPatienten-Verhältnisses bildet. 97 Sofern deshalb - wie vielfach der Fall - zwischen dem Verfasser einer Patientenverfügung und dem Arzt ein Behandlungsverhältnis besteht, folgt das Erfordernis einer ordnungsgemäßen Selbstbestimmungsaufklärung schon aus dem Verhältnis des Arztes zum Patienten selbst. Nach dem Gesagten können insgesamt also kaum Zweifel daran bestehen, daß auch eine Behandlungsverweigerung bzw. eine antezipierte Behandlungsverweigerung als Teil einer antezipierten Behandlunganweisung zur Gewährung passiver Sterbehilfe eine ordnungsgemäße Selbstbestimmungsaufklärung voraussetzt.98
(2) Aufklärung zum Zeitpunkt der Verfügung Weil deshalb eine Aufklärung der Verfasser einer Patientenverfügung grundsätzlich erforderlich ist, stellen sich nunmehr folgende Fragen: Ist eine Aufklärung des späteren Patienten zum Zeitpunkt der Vorausverfügung überhaupt ausreichend? 95 BGH, Urt. v. 16. 12. 1953, VersR 1954, 98, 99. - Vgl. auch Laufs, in: Laufs/Uhlenbruck, HdB ArztR, § 62 Rz. 3; ders., NJW 1998, 3399, 3400. 96 Sub IV. 97 So namentlich Hart, FS Heinrichs, 291, 310; Francke, 120 ff. 98 Dies gilt umso mehr, als die Rechtsordnung bei vermögensrechtlichen, mithin gewiß sehr viel weniger wichtigen Entscheidungen, die ebenso antezipativen Charakter tragen, eine vorherige Belehrung durch kompetente Personen vorschreibt, die dem Betroffenen Bedeutung und Tragweite seiner Entscheidung vor Augen führen sollen. Insoweit denke man etwa an notarielle Belehrungen, die bei einem Grundstückskaufvertrag oder einem Schenkungsversprechen durchgeführt werden müssen (vgl. § 17 BeurkG). Es handelt sich in diesen Fällen in gewisser Weise deshalb um antezipative Entscheidungen, weil die tatsächliche Vermögensverschiebung gewöhnlich erst wesentlich später erfolgt.
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Und: Wann kann ein behandelnder Arzt, der zu beurteilen hat, ob die Verfügung für ihn verbindlich ist oder nicht, davon ausgehen, daß der Patient zum Zeitpunkt des Abfassens der Verfügung hinreichend aufgeklärt worden ist? Zwar findet eine ärztliche Aufklärung der Verfügenden in der Praxis in zahlreichen Fällen statt," doch geschieht dies in der ganz überwiegenden Zahl der Fälle 1 0 0 nicht. In Fällen fehlender ärztlicher Aufklärung greift aber der oben 101 hergeleitete und allgemein anerkannte Grundsatz ein, daß ein Patient, der sich bereits in ausreichendem Maße selbst vorinformiert hat, einer ärztlichen Aufklärung nicht bedarf. 102 Man darf zwar davon ausgehen, daß sich Verfasser einer Patientenverfügung recht gewissenhaft mit Krankheiten, die zum Tode führen, und Fragen des Sterbens beschäftigt haben, 103 weil sie die mit Tod und Sterben verbundenen „Verdrängungsmechanismen" 104 und das „gesellschaftfliche Tabu" 1 0 5 überwunden und Anordnungen getroffen haben, die einen sehr sensiblen Bereich des Lebens betreffen 106 und deshalb genaue Kenntnisse voraussetzen. Sie können diese beispielsweise durch das Studieren von Fachliteratur, Informationsbroschüren über ein selbstbestimmtes Sterben oder den Besuch von Informationsveranstaltungen erworben haben. Im übrigen bietet das Internet heute zahlreiche Möglichkeiten, sich verhältnismäßig fundiert über Wesen und Folgen schwerster Krankheiten zu informieren. Häufig ist es aber auch, daß Verfasser einer Patientenverfügung einen Sterbeprozeß bei nahen Angehörigen oder Freunden miterlebt haben, der bei ihnen selbst Angst vor einer intensivtherapeutischen Behandlung hervorgerufen hat. 1 0 7 Andererseits darf jedoch nicht verkannt werden, daß gerade das Miterleben eines qualvollen Sterbefalls auch eine nicht unerhebliche Gefahr aufweist: Der Verfügende könnte von diesem Einzelfall fälschlicherweise auf die generelle Menschenunwürdigkeit einer künstlichen Lebensverlängerung schließen. Dies ist - wie soeben angeführt - unrichtig.
99 Vgl. die Handreichungen für Ärzte zum Umgang mit Patientenverfügungen der BÄK (1999), Präambel. 100 Harder, ArztR 1991, 11, 15; Rieger, DMW 1988, 999, 999. Vgl. zu dieser Problematik auch Hirthammer, Rheinisches Ärzteblatt 2000, 25, 25. ιοί Supra 1. Teil, III. 4. c) bb) aaa). 102 Vgl. BGH, Urt. v. 26. 3. 1963, VersR 1963, 659, 659; BGH, Urt. v. 15. 5. 1979, NJW 1979, 1933, 1934; Giesen, Wandlungen, 69; Kleinewefers, VersR 1981, 99, 102; Rieger, Lexikon ArztR, Rz. 262; Kern/Laufs, Ärztliche Aufklärungspflicht, 11; Laufs, in: Laufs /Uhlenbruck, HdB ArztR, § 64 Rz. 15.
ι 0 3 Insoweit zutreffend nunmehr auch Memmer, Patiententestament und Stellvertreter in Gesundheitsangelegenheiten, in: Kopetzki, 12. 104 Bernsmann, ZRP 1996, 88, 92 Fn. 75. 105 Sternberg-Lieben, NJW 1985, 2734, 2736. 106 Wassermann, in: Hedeby, 138. 107 Memmer, Patiententestament und Stellvertreter in Gesundheitsangelegenheiten, in: Kopetzki, 12.
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Letztlich können jedoch alle diese Prämissen als spekulativ gelten. Man wird daher eine Patientenverfügung nur dann als rechtsverbindlich ansehen können, wenn aus ihr eindeutig hervorgeht, daß der Betreffende von der Vielzahl möglicher zum Tode führender Erkrankungen weiß. Die Verfügung muß zeigen, daß sich der Betroffene mit Vor- und Nachteilen möglicher Behandlungsmethoden in der Sterbephase auseinandergesetzt hat. Man wird zwar sicher nicht verlangen dürfen, daß der Verfügende alle denkbaren Krankheitsbilder und therapeutischen Maßnahmen kennt und aufführt. Zu fordern ist aber, daß der Verfasser wenigstens gängige Krankheiten, in denen er eine Lebensverlängerung nicht wünscht - beispielsweise Apallisches Syndrom, das Finalstadium einer Krebskrankheit - , und Behandlungsmethoden, die er ablehnt - beispielsweise Bluttransfusion, Dialyse - , nennt. 108 Nur dann kann ausgeschlossen werden, daß er der fehlerhaften Vorstellung erlegen ist, jedes Sterben sei menschenunwürdig und qualvoll. Nicht ausreichend ist es dagegen, eine Ablehnung lebensverlängernder Maßnahmen an einen allgemein gefaßten „hoffnungslosen" oder „aussichtslosen Zustand" zu knüpfen. Aus diesem Postulat ergeben sich zugleich Besonderheiten bei der Verwendung eines Verfügungsvordrucks („Formulars"). Fordert man als Voraussetzung der Verbindlichkeit einer Patientenverfügung, der spätere Patient müsse in der Verfügung erkennen lassen, daß er von der Vielfalt der möglichen Verläufe von Sterbeprozessen sowie von einigen typischen Krankheitsbildern weiß, kann die bloße Unterzeichnung eines solchen Formulars an sich diesen Anforderungen nicht genügen. Der Patient hat nämlich dieses Wissen möglicherweise nicht bewußt erlangt - sei es auf dem Wege ärztlicher Information, der Lektüre von Fachbeiträgen oder ähnlichem - , sondern den Inhalt der Verfügung gedanken- und kritiklos übernommen, was in der rechtswissenschaftlichen Literatur - möglicherweise aus Praktikabilitätsgründen - bislang nicht hinreichend gewürdigt worden ist. Daß die schlichte Verwendung eines Verfügungsvordrucks ohne jede individuelle Ergänzung hingegen nicht hinreichen kann, wird nicht zuletzt durch einen Vergleich mit der höchstrichterlichen Rechtsprechung zur Verwendung sog. „Aufklärungsformulare" durch den Arzt im allgemeinen deutlich. 109 Der Bundesgerichtshof, dem die medizinrechtliche Literatur durchweg folgt, hat mehrfach ausgeführt, daß allein die Verwendung eines Aufklärungsformulars den Anforderungen an eine ausreichende Aufklärung nicht genüge; die mündliche Information entspreche dem Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patient. Diesem sei sein Zustand in einem persönlichen und individuell auf diesen bezogenen Gespräch deutlich zu machen, so daß dem Arzt erkennbar werde, daß der Patient die Situation erfaßt und begriffen 108
Dieser hier vertretenen Anforderung entsprechen die üblichen Vordrucke der Patientenverfügungen: „Decerebration", „irreversible Bewußtlosigkeit", „künstliche Ernährung", „künstliche Beatmung" (vgl. die Muster bei Uhlenbruck, NJW 1978, 566, 569; Sass/Kielstein, Patienten Verfügung des Zentrums für medizinische Ethik Bochum, II.; Patientenverfügung des Christophorus-Hospiz-Vereins, München, 1996). 109 Dazu auch supra 1. Teil, III. 4. b).
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habe. 110 Der Arzt ist aufgrund seiner Beweislast für eine ausreichende Aufklärung auch gezwungen, Vorsorge zu treffen und in das Krankenblatt wesentliche und kritische Punkte seiner Unterredung in knapper Form einzutragen. Bei Verwendung eines Aufklärungsformulars wird allgemein verlangt, daß es vom Arzt um individuelle, das Arzt-Patienten-Gespräch wiedergebende Einträge ergänzt wird. 1 1 1 Wenn in bezug auf die ärztliche Aufklärung bei Verwendung eines Aufklärungsformulars im allgemeinen an eine Dokumentation des Wissens des Kranken aber derartige Anforderungen gestellt werden, wird man auch nicht umhin kommen, ähnliche Anforderungen an formularmäßig erteilte Patientenverfügungen zu stellen. Formuliert der Bundesgerichtshof, daß nur im Falle einer entsprechenden Dokumentation „dem Arzt im Zweifel geglaubt werden [sollte], daß die Aufklärung im Einzelfall in der gebotenen Weise geschehen ist", so gilt für formularmäßig erstellte Patientenverfügungen, daß auf ein hinreichend breites Vorwissen des Patienten lediglich dann geschlossen kann, wenn die Verfügung um individuelle und kenntnisreiche Anmerkungen ergänzt wurde. In jedem Fall ist damit zu fordern, daß der Verfasser einer Patientenverfügung eigenständige Vorgaben macht, wie im Falle irreversibler und tödlich verlaufender Krankheit mit ihm verfahren werden soll. Dabei handelt es sich nicht nur um eine Beweisfrage, sondern um ein Wirksamkeitserfordernis. In der rechtswissenschaftlichen Literatur wird allerdings geltend gemacht, daß die Rechtsverbindlichkeit einer Patientenverfügung auch dann zweifelhaft sei, wenn der Patient sich gegen bestimmte Behandlungsmethoden wende oder bestimmte Krankheitszustände benenne: Falsche oder übertriebene Sachinformationen - etwa aufgrund reißerischer Medienberichterstattung - könnten leicht zu einer falschen Vorstellung des Patienten führen, die durch eine ärztliche Aufklärung korrigiert werden könnte. 112 Dem ist entgegenzuhalten, daß es zwar nicht ausgeschlossen werden kann, daß der Verfügende Irrtümern unterliegt, die durch unrichtige oder übertriebene Informationen verursacht worden sind. Wesentlich wahrscheinlicher ist aber, daß er sich zutreffende Vorstellungen von der Krankheit und ihrem Verlauf macht. Exakte Angaben in der Verfügung lassen einen Schluß auf ein breites Vorwissen des Patienten und darauf zu, daß er sich mit der Krankheit und ihrem Verlauf auf der Grundlage seriöser Informationen gewissenhaft und verständig beschäftigt hat. Trifft er also detaillierte Anweisungen in der Verfügung, sind die Bedenken, eine Aufklärung
no Vgl. dazu etwa BGH, Urt. v. 17. 2. 1998, NJW 1998, 1784, 1785; BGH, Urt. v. 12. 1. 1985, NJW 1985, 1399 ff.; BGH, Urt. v. 15. 10. 1993, NJW 1994, 793 ff.; Tempel, NJW 1980, 609, 616; Laufs, in: Laufs /Uhlenbruck, HdB ArztR, § 66 Rz. 14 ff.; ders., Arztrecht, Rz. 127 ff.; Deutsch, Medizinrecht, Rz. 142 ff.; Zeuner, in: Soergel, § 823 Rz. 245; Mertens, in: MüKo, § 823 Rz. 442; Brüggemeier, Deliktsrecht, Rz. 737; Schiemann, in: Erman, 10. Aufl., § 823 Rz. 140; Gounalakis, NJW 1990, 752,752. m Wegen der Einzelheiten Laufs, Gynäkologe 1989, 364 ff. 112 Rieger, 88.
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sei nicht erfolgt bzw. es mangele dem Testator am notwendigen Wissen, ausgeräumt. Daß dieses Wissen ausreicht, um eine Verbindlichkeit der Patientenverfügung zu bejahen, könnte darüber hinaus aus folgender Überlegung hergeleitet werden: Ergibt ein Vergleich, daß eine Aufklärung des Patienten, wie sie in der Regel im Terminalstadium einer Krankheit vor der Durchführung eines lebensverlängernden Eingriffs stattfindet, weniger konkret und umfassend ist als sein Vorwissen vor dem Verfassen der Verfügung, so könnte die Verbindlichkeit der Verfügung nicht wegen fehlender Kenntnisse des Patienten über Sterbeprozesse verneint werden. Dieser Vergleich ist deshalb bedeutsam, weil Aufklärung und Behandlungsanweisung des Patienten zwar in der Regel zum Zeitpunkt der Entscheidung über die Vornahme eines Eingriffs erfolgen müssen, im Falle einer Patientenverfügung dagegen lange vor Eintritt der Krankheit vorweggenommen werden sollen. Nach teilweise vertretener Ansicht soll der Umfang der Aufklärung eines sterbenskranken Patienten unmittelbar vor einer lebenserhaltenden Behandlung geringer sein als sein Wissen über Sterbeverläufe in gesunden Tagen. 113 Ob dies zutrifft, ist jedoch zweifelhaft. Für diese Auffassung läßt sich zunächst der oben dargestellte arztrechtliche Grundsatz des reziproken Zusammenhangs zwischen Indikation und Aufklärungspflicht 114 anführen: Das Maß der Genauigkeit, mit der aufgeklärt werden muß, steht im umgekehrten Verhältnis zu dem Maß der Dringlichkeit, mit der die Operation indiziert ist. Lebensverlängernde intensivtherapeutische Maßnahmen sind in aller Regel unaufschiebbar, wenn körperliche Funktionen ausgefallen sind. Daraus folgt, daß die Aufklärung eines lebensgefährlich erkrankten Patienten nicht sehr ausführlich sein kann. Ferner könnte die ärztliche Aufklärungspflicht hier wegen eines sog. Therapeutischen Privilegs des behandelnden Arztes eingeschränkt sein, das - wie eingangs dargelegt - von der ganz herrschenden Auffassung anerkannt wird, wenn eine Aufklärung zu einer ernsten und nicht nur vorübergehenden psychischen Beeinträchtigung, zu einer mehr als unerheblichen gesundheitlichen Schädigung oder einer Gefährdung des Heilerfolgs führen würde. 115 Zwar kommt eine Gefährdung des Heilerfolgs bei Sterbenden nicht in Betracht, weil ihre Situation aussichtslos ist. Eine schwerwiegende Beeinträchtigung ihres seelischen Zustands kann aber nicht generell ausgeschlossen werden, wenn sie über ihren gesundheitlichen Zustand unterrichtet werden. In der Regel dürfte dies jedoch zu verneinen sein, 116 weil die Aufklärung Sterbenskranker nur zu einer Verschlechterung ihrer allgemeinen Gemütslage führen wird, die nach 113 Eisenbart, 140; Schöllhammer, 80. 114 Vgl. dazu supra 1. Teil, IV. 4. c) aa) und BGH, Urt. v. 16. 11. 1971, NJW 1972, 335, 335 f.; BGH, Urt. v. 7. 2. 1984, BGHZ 90, 96, 98 ff.; Bockelmann, StrafR des Arztes, 59; Tempel, NJW 1980, 609, 612; Thomas, in: Palandt, § 823 Rz. 48. us Vgl. oben 1. Teil, III. 4. c) bb) ccc). 116 Dies läßt sich dadurch belegen, daß eine Einschränkung der ärztlichen Aufklärungspflicht bei Sterbenden bislang in keinem Fall höchstrichterlicher Rechtsprechung bejaht wurde; siehe dazu Steffen, Entwicklungslinien der BGH-Rspr., 148 f.
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Auffassung des Bundesgerichtshofs als „unvermeidbarer Nachteil des unverzichtbaren Selbstbestimmungsrechts"117 in Kauf genommen werden muß. Gegen die oben genannte Auffassung, daß das Wissen des Patienten über Sterbeverläufe zum Zeitpunkt der Verfügung größer sei als die Kenntnisse eines Terminalkranken, spricht auch folgende Überlegung: Die Aufklärung des Patienten in gesunden Tagen vor dem Abfassen einer Patientenverfügung oder sein zu diesem Zeitpunkt vorhandenes Wissen kann nur sehr allgemeiner Natur sein. Zwar könnte man unterstellen, daß der Verfasser einer Patientenverfügung sich sehr viel intensiver mit seinem Tod und lebensgefährdenden Krankheitszuständen auseinandergesetzt hat als ein Patient, der ohne vorausgegangene Reflexionen mit einer schweren Erkrankung auf die Intensivstation eines Krankenhauses verbracht wird und dort lediglich eine grundlegende Aufklärung erfährt. 118 Aber selbst wenn dies zutreffen würde, so würde sich eine ärztliche Aufklärung in der terminalen Phase doch auf die konkrete Erkrankung beziehen können. Es können eine exakte Diagnose gestellt und der Krankheitsverlauf genau prognostiziert werden. Dagegen muß sich jede Auseinandersetzung des Patienten mit Fragen des Sterbens in gesunden Tagen auf eine Vielzahl möglicher Krankheitsbilder und -Verläufe erstrecken, die die später tatsächlich eintretende Krankheit sehr häufig nicht umfassen wird. Da jede Aufklärung in gesunden Tagen also hypothetisch ist, der sterbenskranke Patient dagegen Krankheitszustand und Prognose auch bei rudimentärer Aufklärung genau kennen würde, kann ein Vergleich beider Formen der Aufklärung nicht allein das Ergebnis stützen, der Verfasser einer Patientenverfügung sei stets ausreichend aufgeklärt. Dafür, daß der Verfügende zum Zeitpunkt der Verfügung besser aufgeklärt ist als im terminalen Stadium seiner Erkrankung, sprechen hingegen entscheidend praktische Gesichtspunkte. Besitzt ein Kranker im Endstadium seiner todbringenden Erkrankung noch die natürliche Einsichts- und Urteilsfähigkeit, um über die Vornahme lebensverlängernder Behandlungsmaßnahmen entscheiden zu können, so ist er aufzuklären und hat die Entscheidung darüber zu treffen, ob eine Behandlung durchzuführen ist oder nicht. Eine im voraus verfaßte Patientenverfügung hat in diesem Fall keine Bedeutung, weil sie nur für den Fall getroffen worden ist, daß der Patient aufgrund einer fortgeschrittenen Erkrankung zu einer selbstbestimmten Behandlungsentscheidung später nicht mehr in der Lage ist. Jedoch ist es in der Praxis eher selten, daß ein todkranker Patient entscheidungsfähig ist. In aller Regel nehmen medikamentöse Behandlung - beispielsweise durch starke Schmerzmittel - , Schmerzen oder Bewußtlosigkeit dem Betroffenen diese Fähigkeit. 119 Deshalb ist der Betreuer des Patienten Aufklärungsadressat und EinwilligungsbeBGH, Urt. v. 9. 12. 1958, BGHZ 29,46, 55 f. - „2. Elektroschockurteil", us Eisenbart, 139. 119 Weißauer, Fortschr. Med. 1980, 1629, 1629; Opderbecke, MedR 1985, 23, 26; Kautsky, in: Eid, Euthanasie, 39; Sternberg-Lieben, NJW 1985, 2734, 2736.
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rechtigter. 120 Der Patient selbst wird also über seine Krankheit überhaupt nicht aufgeklärt. Dagegen kann - wie oben dargelegt - angenommen werden, daß der Verfasser einer Patientenverfügung die nötigen Grundkenntnisse über Vor- und Nachteile einzelner Behandlungsmethoden tödlicher Krankheiten besitzt, wenn die Verfügung genügend konkret gefaßt ist, und weiß, daß er durch seine Entscheidung den Sterbeprozeß beschleunigen wird. Aus diesem Gedanken folgt, daß die Kenntnis eines Verfügenden über einen Sterbeprozeß in gesunden Tagen zwingend umfangreicher ist als die eines Terminalkranken, der gar nicht aufgeklärt werden kann und zu einer Reflexion über seine Krankheit nicht in der Lage ist. Diese Überlegungen haben gezeigt, daß an einer ausreichenden Aufklärung des Verfassers einer Patientenverfügung jedenfalls dann keine Bedenken bestehen, wenn diese wegen ihrer Genauigkeit - insbesondere der Verwendung medizinischer Fachausdrücke - auf ein breites Vorwissen des Betroffenen schließen läßt. Fraglich bleibt aber, ob von einem hinreichenden Vorwissen des Patienten dann auszugehen ist, wenn eine Patientenverfügung die ausdrückliche Erklärung ihres Verfassers enthält, daß dieser sich „über die medizinische Situation und die rechtliche Bedeutung einer solchen Erklärung ausführlich informiert" 121 habe. Unproblematisch ist diese Erklärung, wenn der Verfügende zusätzlich einzelne Krankheitsbilder und Behandlungsmethoden benennt, so daß auf eine Aufklärung des Patienten ohnehin geschlossen werden kann. Ist dies dagegen nicht der Fall, könnten Bedenken bestehen, ob der Patient tatsächlich von den vielen denkbaren Möglichkeiten terminaler Erkrankungen zum Zeitpunkt der Verfügung Kenntnis hatte. Nach allgemeiner, nicht näher begründeter Auffassung in der rechtswissenschaftlichen Literatur hat der behandelnde Arzt keine Berechtigung, die Richtigkeit dieser Erklärung anzuzweifeln, wenn keine Anhaltspunkte dafür vorliegen, daß eine hinreichende Aufklärung durch einen Arzt oder eigenes Studium unterblieben ist. 1 2 2 Dem ist zwar grundsätzlich zuzustimmen: Denn eine solche Berechtigung des Arztes könnte zu der paradoxen Konsequenz führen, daß die Verwirklichung des Selbstbestimmungsrechts durch eine Patientenverfügung wegen ärztlicher Zweifel an einer ausreichenden Aufklärung verhindert würde, obwohl das Aufklärungserfordernis doch gerade dem Schutz des Selbstbestimmungsrechts dienen soll. Dennoch darf nicht übersehen werden, daß der Therapeut regelmäßig nicht in der Lage ist, die Behauptung des Patienten, er habe hinreichende Kenntnisse über typische Sterbeprozesse, zu überprüfen, so daß sich gegenteilige Anhaltspunkte in aller Regel nicht ergeben werden. Er kann auch nicht beurteilen, ob der Patient tatsächlich umfangreich genug aufgeklärt worden ist. Die möglichen 120 Kern/Laufs, Ärztliche Aufklärungspflicht, 23 ff.; Laufs, in: Laufs / Uhlenbruck, HdB ArztR, § 66 Rz. 12. 121 Nach Harder, ArztR 1991, 11, 15, enthalten Patienten Verfügungen häufig eine solche oder ähnliche Erklärung. Auf die gängigen Mustertexte trifft dies zu; vgl. ζ. B. die Patientenverfügung des Christophorus-Hospiz-Vereins, München, 1996; Uhlenbruck, Selbstbestimmtes Sterben, 360, II. 1 22 Harder, ArztR 1991, 11, 16; Schöllhammer, 77.
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Sterbeverläufe sind - wie oben dargelegt - sehr unterschiedlich, und es besteht die Gefahr, daß der Verfügende diese Komplexität unterschätzt. Eine vom Patienten als „ausreichend" empfundene Aufklärung kann deshalb objektiv ungenügend sein. Demnach ist für die Zukunft zu empfehlen, daß der Verfasser in der Verfügung den Arzt nennt, der ihn aufgeklärt hat, oder die Quellen anführt, aus denen er sich unterrichtet hat. Ein Arzt, der vor der Entscheidung steht, ob lebensverlängernde Maßnahmen durchgeführt werden sollen oder nicht, und zweifelt, ob der Patient zum Zeitpunkt seiner Verfügung umfassend aufgeklärt war, könnte dann prüfen, ob sich dieser geirrt hat. Diese Prüfung läge im eigenen Interesse des Kranken: Wenn er der unrichtigen Vorstellung erlegen ist, jeder Sterbeprozeß sei qualvoll, ist anzunehmen, daß er bei Kenntnis der Sachlage anders entschieden und die Verfügung möglicherweise nicht getroffen hätte.
(3) Verzicht auf ärztliche Aufklärung in der terminalen Krankheitsphase Aus dem bisher Gesagten folgt, daß zahlreiche Gründe für die Annahme sprechen, der Verfasser einer Patientenverfügung sei in der Regel schon zum Zeitpunkt der Verfügung hinreichend aufgeklärt. Aber selbst wenn man diese Auffassung nicht teilen würde, könnte sich die Verbindlichkeit einer Patientenverfügung zumindest dann nicht wegen einer ungenügenden Aufklärung des Patienten leugnen lassen, wenn der Verfügende die Möglichkeit hätte, im voraus auf eine ärztliche Aufklärung in der Sterbephase zu verzichten.
(a) Zulässigkeit des Verzichts Wie oben dargelegt wurde, 123 besteht in Rechtsprechung und rechts wissenschaftlicher Literatur Einigkeit darüber, daß ein Patient auf eine ärztliche Aufklärung verzichten kann. Im Gegensatz zu dem Normalfall eines Aufklärungsverzichts, der in unmittelbarem zeitlichen Zusammenhang mit dem ärztlichen Eingriff steht, antezipiert der Verfasser einer Patientenverfügung seine Verzichtserklärung. Sie wird jedoch erst zum Zeitpunkt des Eintritts der terminalen Krankheit bedeutsam, da grundsätzlich dann eine ärztliche Aufklärung erfolgen müßte, aber dem Betroffenen gegenüber nicht mehr erfolgen kann. Die Zulässigkeit eines antezipierten Aufklärungsverzichts wird allgemein bejaht. 124 Ein weiterer Unterschied zu den im juristischen Schrifttum anerkannten Fällen eines Aufklärungsverzichts besteht darin, daß der verfügende Patient nicht in eine Behandlung einwilligt, sondern seine Einwilligung zu einem ärztlichen Eingriff 123
Zu den dogmatischen Grundlagen insoweit Teil 1, IV. 4. c) bb) bbb). 124 Uhlenbruck, MedR 1983, 16, 17; ders., MedR 1992, 134, 134; Deutsch, Medizinrecht, Rz. 141; ders., NJW 1979, 1905, 1905 f.; Mertens, in: MüKo, § 823 Rz. 442.
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teilweise oder ausschließlich verweigert, weil er keine lebensverlängernden Maßnahmen wünscht. Es ist deshalb fraglich, ob eine unter Verzicht auf Aufklärung abgegebene Behandlungsanweisung auch dann wirksam ist, wenn sie die Verweigerung einer Einwilligung zum Gegenstand hat. Dagegen könnte sprechen, daß der Zulässigkeit eines Aufklärungsverzichts der Gedanke zugrundeliegt, der Patient wolle die Entscheidung über Vornahme und Art eines Eingriffs vertrauensvoll seinem Arzt überlassen. 125 Zutreffend ist formuliert worden, daß der Kranke „eigentlich nicht wissen, sondern gehorchen" 126 wolle. Dies trifft auf den Fall der Patientenverfügung nicht zu: Der Patient vertraut gerade nicht auf den Therapeuten, dieser werde die richtigen Entscheidungen, die zu seiner Genesung führen, treffen. Eine Patientenverfügung ist vielmehr auch Ausdruck des Mißtrauens gegenüber dem behandelnden Arzt und der Furcht, dieser werde unerwünschte und qualvolle Behandlungsmethoden anwenden, die sein Sterben unnötig verlängern. Dennoch leitet die Ansicht, die die Möglichkeit der Rechtsverbindlichkeit von Patientenverfügungen grundsätzlich bejaht, ohne solche Bedenken und wohl zu Recht die Wirksamkeit eines Aufklärungsverzichtes bei Verweigerung einer Einwilligung aus einem Erst-recht-Schluß her: Die Aufklärung diene der Verwirklichung des Selbstbestimmungsrechts des Patienten.127 Bedenken an der Zulässigkeit eines Aufklärungsverzichts bestünden, weil der Patient in diesem Fall keine selbstbestimmte Entscheidung treffen würde. Ein Patient, der die Einwilligung in einen ärztlichen Eingriff unter Verzicht auf Aufklärung erteile und dem Arzt alle weiteren Behandlungsentscheidungen überlasse, treffe zwar eine autonome Entscheidung, übertrage aber im übrigen die Ausübung seines Selbstbestimmungsrechts dem behandelnden Arzt. Dagegen untersage der Patient in der Patientenverfügung jede medizinische Maßnahme, die nicht palliativ-medizinischer Art ist. Er übe sein Selbstbestimmungsrecht in vollem Umfang aus, gebe es also im Gegensatz zum Fall der Einwilligung in eine Behandlungsmaßnahme nicht teilweise auf. Wenn aber die Zulässigkeit eines Aufklärungsverzichts bei der Einwilligung in ärztliche Maßnahmen anerkannt sei, so könne für die Einwilligungsverweigerung erst recht nichts anderes gelten. 128
(b) Ausdrücklicher
und konkludenter Verzicht
Ist demnach ein Aufklärungsverzicht auch hier grundsätzlich zulässig, so stellt sich die Frage, wann von einem Verzicht des Verfügenden auszugehen ist. Unproblematisch ist dies der Fall, wenn dieser in der Verfügung ausdrücklich auf jede »25 BGH, Urt. v. 9. 12. 1958, BGHZ 29, 46, 54 - „.2. Elektroschockurteil"; Laufs, in: Laufs/Uhlenbruck, HdB ArztR, § 64 Rz. 18 a.E. 126 Jaspers, Ärztliche Mitteilungen 1953, 476, 476. - Vgl. dazu auch Laufs, in: Laufs/ Uhlenbruck, HdB ArztR, § 64 Rz. 18 a. E. 127 Vgl. oben 1. Teil, III. 4. a). 128 Vgl. beispielsweise Schöllhammer, 85; Eisenbart, 144.
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Aufklärung in der terminalen Krankheitsphase verzichtet. 129 Schwierigkeiten entstehen jedoch, wenn sich ein Verzicht nur aus einem schlüssigen Verhalten des Betroffenen ergeben kann. Es ist - wie oben dargelegt - 1 3 0 allgemein anerkannt, daß ein Aufklärungsverzicht auch konkludent erfolgen kann. Die von der höchstrichterlichen Rechtsprechung entwickelten Anhaltspunkte für das Vorliegen eines konkludenten Verzichts können auf die Patientenverfügung nicht übertragen werden. Sie gelten lediglich für die Einwilligung in ärztliche Maßnahmen, nicht aber für ihre Verweigerung, wie es für die Patientenverfügung typisch ist: Nach der Rechtsprechung ist vor allem dann von einem konkludenten Verzicht auszugehen, wenn das Verhalten des Patienten darauf schließen läßt, daß er darauf vertraut, der Arzt werde sicher zu seinem Besten handeln. 131 Auf die Patienten Verfügung trifft dies wie oben dargelegt - nicht zu. Auch das vom Bundesgerichtshof entwickelte Kriterium, von einem Aufklärungsverzicht sei auszugehen, wenn „der Arzt die Äußerungen und das Verhalten des Patienten nach den besonderen Umständen des Falles und unter Berücksichtigung der Verkehrsanschauung eindeutig dahin verstehen kann, daß dieser im Bewußtsein der Komplikationsmöglichkeit mit dem Eingiff einverstanden ist", 1 3 2 kann auf eine Patientenverfügung keine Anwendung finden, weil eine Einwilligung gerade nicht erteilt wird. Dennoch sprechen mehrere Gründe dafür, daß der Verfasser einer Patientenverfügung auf eine besondere Aufklärung zu dem Zeitpunkt, zu dem lebensverlängernde Maßnahmen notwendig werden, regelmäßig verzichten will. Zunächst kommt es dem Verfasser einer Patientenverfügung darauf an, daß seine Vorstellungen von einem würdigen Sterben unter allen Umständen von dem ihn später behandelnden Arzt befolgt werden, denn gerade deshalb trifft er eine Vorausverfügung. Der Testator wird regelmäßig den Willen haben, auf eine Aufklärung in der terminalen Krankheitsphase zu verzichten, damit seine Anweisungen an den behandelnden Arzt unbedingt Verbindlichkeit beanspruchen können. Er wird deshalb jedenfalls konkludent auf eine weitere Aufklärung verzichten wollen, damit keine Bedenken an der Verbindlichkeit der Verfügung wegen mangelnder Aufklärung aufkommen. Für einen konkludenten Verzicht spricht noch eine weitere Überlegung. Wie oben ausgeführt wurde, hat sich der Verfasser einer Patientenverfügung vor ihrer Niederschrift in aller Regel durch das Studium von Literatur oder durch Gespräche mit fachkundigen Personen über typische zum Tode führende Krankheitsbilder und -Verläufe informiert. Häufig erklärt er dies ausdrücklich. 133 Es ist deshalb davon auszugehen, daß der Patient auf eine weitere Aufklärung verzichten will, weil er 129 Viele gängige Muster einer Patienten Verfügung sehen einen ausdrücklichen Verzicht vor, vgl. etwa Uhlenbruck, NJW 1978, 566, 569 f., VIII. 130 Vgl. dazu 1. Teil, III. 4. c. bb. bbb.
131 BGH, Urt. v. 4. 11. 1975, NJW 1976, 363, 364; Roßner, NJW 1990, 2291, 2294. 132 BGH, Urt. v. 26. 9. 1961, VersR 1961, 1036,1036 f.; Roßner, NJW 1990, 2291, 2294. 133 Vgl. dazu das bereits zuvor Gesagte. 9 Heyers
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sich für ausreichend informiert hält. Damit läßt sich auch die Auffasung vertreten, daß eine Patientenverfügung regelmäßig einen mindestens stillschweigenden Verzicht auf Aufklärung enthält.
(c) Umfang des Verzichts Nachdem hergeleitet wurde, daß eine Verzichtserklärung des Verfügenden in Betracht kommt, stellt sich die Frage, in welchem Umfang ein Verzicht möglich ist. Der Patient verzichtet in der Verfügung auf jede spätere Aufklärung und erklärt deshalb einen generellen Aufklärungsverzicht. Überträgt man die eingangs dargestellten Grundsätze, daß ein Patient jedenfalls die Erforderlichkeit des Eingriffs kennen muß, dessen Art und den Umstand, daß er nicht ganz ohne ein in Kauf zu nehmendes Risiko verläuft, 134 so zeigt sich, daß der Patient zwar auf jegliche Aufklärung in der Endphase der Krankheit verzichtet, aber dennoch die notwendigen Kenntnisse hat, um wirksam verzichten zu können: Er hat sich vor der Verfügung in der Regel Kenntnis davon verschafft, daß er Eingriffe ablehnt, die erforderlich sind, weil nur sie das Leben verlängern können. Er weiß außerdem, daß seine Entscheidung zum Tode führen wird, so daß ihm auch die Risiken seiner Verfügung bewußt sind. Daraus folgt, daß ein Verzicht auf eine erneute Aufklärung in der Terminalphase der Krankheit bei hinreichender Vorinformation des Patienten möglich ist. Es muß aber betont werden, daß eine Verzichtserklärung auch nur dann von Bedeutung ist, wenn nachgewiesen werden kann, daß der Patient zum Zeitpunkt des antezipierten Verzichts tatsächlich ausreichend vorinformiert war. Sie kann daher nicht eine fehlende Aufklärung vor der Verfügung kompensieren. Entgegen der bisher allgemeinen Auffassung ist daher zu fordern, daß die Verfügung in jedem Falle - insbesondere also auch bei ausdrücklichem Aufklärungsverzicht - entweder beispielhaft bestimmte Krankheitsbilder, -zustände bzw. -Verläufe nennt, die zeigen, daß sich der Verfasser mit der Problematik in ausreichendem Maße auseinandergesetzt hat (beispielsweise „irreversible Bewußtlosigkeit", „Decerebration" o. ä.), oder eine Erklärung enthält, daß eine Aufklärung im voraus erfolgt sei. Eine Verzichtserklärung als solche ist daher bedeutungslos, denn ein solcher „Blankoverzicht" kann auch von einem Verfasser stammen, der der irrigen Vorstellung erlegen ist, jeder Sterbeprozeß sei so wenig lebenswert, daß lebenserhaltende Maßnahmen nicht angebracht seien. Sie kann also die Rechtsverbindlichkeit der Verfügung unterstreichen, nicht aber allein herbeiführen. Wegen der besonderen Bedeutung dieser Entscheidung muß stets eine ausreichende Vorinformation nachgewiesen sein. Es ist demnach festzuhalten, daß die Rechtsverbindlichkeit einer Patientenverfügung nicht schlechthin wegen fehlender oder unzureichender Aufklärung zu verneinen ist. Nach hier vertretener Ansicht ist jedoch Voraussetzung ihrer Verbind134 Laufs, in: Laufs / Uhlenbruck, HdB ArztR, § 64 Rz. 18.
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lichkeit, daß die Verfügung mit hinreichender Deutlichkeit erkennen läßt, daß der Patient sich über typische Krankheitsbilder - etwa aus Broschüren oder Büchern informiert hat und ihren Verlauf kennt. Erfüllt sie diese Wirksamkeitsvoraussetzung nicht, kann sie nicht rechtsverbindlich sein. In diesem Fall kann die Verfügung nur als Indiz bei der Ermittlung des mutmaßlichen Willens dienen.
cc) Freiwilligkeit Voraussetzung für eine wirksame Behandlungsanweisung des Patienten ist ferner, daß sie freiwillig erteilt wurde. Das ist nicht der Fall, wenn sie auf arglistiger Täuschung, Drohung, Zwang oder Gewalt beruht. 135 Diese äußeren Einflüsse auf die Willensbildung können regelmäßig ausgeschlossen werden, wenn der Betoffene eine Patientenverfügung in gesunden Tagen verfaßt hat. Denn ist ein todbringender Krankheitsprozeß noch nicht eingetreten und ungewiß, ob der Patient überhaupt einmal tödlich erkranken wird, so ist kaum anzunehmen, daß der Betroffene von Angehörigen oder Verwandten zu einer Verfügung gedrängt wird, weil sich mögliche Vorteile der Verfügung für diese noch nicht abzeichnen. Bei Alten oder Kranken stellt sich dagegen im Einzelfall möglicherweise die Frage, ob die Verfügung unfreiwillig erfolgte. Der behandelnde Arzt hat regelmäßig keine Möglichkeit, dies allein anhand der Verfügung zu überprüfen. Sollte ein rechtswidriger äußerer Zwang auf den Verfügenden tatsächlich einmal ausgeübt worden sein, so könnte dieser sich aber an Verwandte und Freunde wenden und sie von der Zwangslage unterrichten oder die Verfügung später abändern bzw. vernichten. Deshalb ist die Wahrscheinlichkeit gering, daß eine unter Zwang getroffene Patientenverfügung in der Praxis vom Therapeuten in der Sterbephase befolgt wird. Fraglich bleibt aber, wie Patientenverfügungen zu beurteilen sind, die auf Drängen von Angehörigen oder Verwandten, die sachfremde Ziele verfolgen, und ohne äußeren Zwang verfaßt wurden: Angehörige könnten den Betroffenen dazu veranlaßt haben, den Wunsch zu äußern, keine lebensverlängernden Maßnahmen einzusetzen, weil sie auf eine möglichst schnelle Erbschaft bedacht oder zu Pflege und Betreuung eines chronisch Kranken nicht bereit sind. Denkbar ist auch, daß ein Kranker oder Hinfälliger einem „sublimen Erwartungsdruck" 136 der Angehörigen ausgesetzt ist, der den eigentlichen Grund für die Verfügung bildet. Eine Meinung 137 folgert aus der Möglichkeit einer solchen Beeinflussung durch Dritte, daß 135 BGH, Urt. v. 2. 12. 1963, NJW 1964, 1177, 1178; Maurach/Zipf, Allgemeiner Teil, § 17 Rz. 59; Otto, Allgemeiner Teil, § 8 III 1 c; Lenckner, in: S/S, Vorbem. §§ 32 ff. Rz. 48; Hirsch, in: LK, Vor § 32 Rz. 119; Welzel, § 14 V I I 2 a; Ulsenheimer, in: Laufs/Uhlenbruck, HdB ArztR, § 139 Rz. 35. 136 Rieger, 86. 137 Wuermeling, MMW 1984, 979, 980. *
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eine Patientenverfügung nicht verbindlich sein könne. Dem muß jedoch folgendes entgegengehalten werden: Die Möglichkeit, daß die Entscheidung über den Einsatz lebensverlängernder Maßnahmen von sachfremden Erwägungen oder Interessen Dritter beeinflußt wird, ist kein auf die Patientenverfügung beschränktes Problem. Sie kann beispielsweise auch nicht ausgeschlossen werden, wenn ein schwerkranker, aber entscheidungsfähiger Patient seine Einwilligung in alle denkbaren lebenserhaltenden Eingriffe vor allem deshalb erteilt, damit Versorgungsansprüche der Angehörigen aufrechterhalten werden, oder seine Einwilligung verweigert, um diesen nicht zur Last zu fallen. Die Wahrscheinlichkeit, daß Angehörige auf einen Sterbenskranken Einfluß zu nehmen versuchen, ist wesentlich höher als die Gefahr der Beeinflussung bei Abfassung der Patientenverfügung. Denn erst in der Phase terminaler Erkrankung stellt sich das Problem, daß Dritte eigene Interessen verfolgen. Sind solche Interessen Motive des sterbenden Patienten für seine Behandlungsanweisung, so würden sie nicht zu ihrer Unwirksamkeit führen. 138 Dies gilt auch für die Patientenverfügung. Denn selbst dann, wenn der Verfügende seine Entscheidung vom Wohl anderer abhängig machen würde, wäre dies eine selbstbestimmte und freiwillige Entscheidung. Das Motiv für die Verfügung ist regelmäßig unbeachtlich.139 Die Rechtsverbindlichkeit der Patientenverfügung scheitert damit nicht an der Möglichkeit der Beeinflussung durch Dritte. 140
dd) Ernstlichkeit Nach allgemeiner Einwilligungsdogmatik bleibt ferner zu untersuchen, ob die einer Behandlungsanweisung vorausgehende Willensbildung des Patienten ernstlich erfolgt ist und ob dies insbesondere auf die der Erteilung einer Patientenverfügung vorausgegangene Willensbildung zutrifft. Hinsichtlich einer Behandlungsanweisung im allgemeinen sind die im Schrifttum gemachten Aussagen nicht einheitlich. In der rechtswissenschaftlichen Literatur wird nur von wenigen ausdrücklich gefordert, daß jede Einwilligung in einen ärztlichen Eingriff ernstlich erfolgen müsse.141 Dagegen besteht Einigkeit darüber, daß der Widerruf einer Behandlungseinwilligung eine ernstliche Willensbildung voraussetzt. 142 Ob diese Unterschiedlichkeit der Voraussetzungen beabsichtigt und - bejahendenfalls - gerechtfertigt ist, kann zweifelhaft sein. 143 Denn sowohl Einwilligung als auch Behandlungsverbot sind 138 Vgl. d a z u B G H , Urt. v. 28. 11. 1957, NJW 1958, 267, 267 f. - „Myom-Urteil". 139 Sternberg-Lieben, NJW 1985, 2734, 2736. 140 Im Ergebnis auch Dröge, BtPrax 1998, 199, 201.
141 Lenckner, in: S/S, Vorbem. §§ 32 ff. Rz. 49; Hirsch, in: LK, Vor § 32 Rz. 122; Maurach/Zipf, Allgemeiner Teil I, § 17 Rz. 59; Arzt/Weber, I, Rz. C 187; Hinterhofer, 87 f. 142 Vgl. Rickmann, 141; Eser, in: S/S, § 223a Rz. 46; Hirsch, in: LK, 10. Aufl., § 226a Rz. 33; Blei, Strafrecht I, 135; Lenckner, in: S/S, Vorbem. §§ 32 ff. Rz. 49; Arzt/Weber, I, Rz. C 187; Maurach/Zipf, Allgemeiner Teil I, § 17 Rz. 59; Hinterhofer, 87 f. 143 Vgl. Wachsmuth, NJW 1982, 686, 686 f.; Schöllhammer, 91; Eberhardt, 175.
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selbstbestimmte Entscheidungen über die Durchführung eines ärztlichen Eingriffs und betreffen deshalb die gleiche Angelegenheit. Der Grund für eine Abweichung der Voraussetzungen dürfte darin liegen, daß das Ergebnis der Willensbildung des Patienten unterschiedliche Rechtsgüter betrifft. Entscheidet er sich für eine ärztliche Behandlung, willigt er in einen Eingriff in die körperliche Intergrität, der zu seiner Gesundung führen soll, ein. Dagegen hat die Entscheidung gegen eine Behandlung die Konsequenz, daß der Patient unter Umständen progrediente gesundheitliche Schäden behalten wird oder daß die Krankheit zum Tode führt. Ein Behandlungsverzicht ist also von wesentlich größerer Bedeutung für die Rechtsgüter des Patienten. Es ist deshalb gerechtfertigt, höhere Anforderungen an seine Wirksamkeit zu stellen. Für Fälle des Abbruchs der Behandlung Terminalkranker und insbesondere die Wirksamkeit der Patientenverfügung folgt daraus, daß die Entscheidung des Patienten bzw. Verfügenden ernstlich getroffen werden muß, 1 4 4 weil sie das grundsätzlich höchste Rechtsgut des Lebens betrifft und irreversible Konsequenzen hat, nämlich den Tod des Betroffenen. Konsequenterweise spielt nach Auffassung der Bundesärztekammer die Frage, ob einer Patientenverfügung eine ernstliche Willensbildung vorausgegangen ist, eine „wesentliche Rolle". 1 4 5 Zwar ist zu bedenken, daß auch eine Einwilligung des Sterbenskranken in künstliche Lebensverlängerungs- bzw. -erhaltungsmaßnahmen nicht zu einem dauerhaften umweltbezogenen Leben führen kann, weil die ärztliche Prognose infaust ist, so daß der Patient ohnehin in absehbarer Zeit sterben wird. 1 4 6 Dennoch wäre es fehlerhaft, daraus den Schluß zu ziehen, daß die Entscheidung zu passiver Sterbehilfe an Bedeutung verliere. Der Betroffene entscheidet sich nämlich für einen im Gegensatz zum Verlauf bei ärztlicher Behandlung - beschleunigten Tod. Das rechtfertigt die Voraussetzung einer ernstlichen Entscheidung des Patienten. Dieses Ergebnis läßt sich auch mit der in § 216 Abs. 1 StGB enthaltenen gesetzgeberischen Wertung begründen. § 216 Abs. 1 StGB stellt eine Privilegierung gegenüber § 212 StGB dar. 147 Wenn die Ernstlichkeit der Entscheidung bereits Voraussetzung einer Disposition über das eigene Leben ist, die lediglich strafmildernde Wirkung hat, so muß eine ernstliche Entscheidung erst recht Voraussetzung einer Entscheidung zu rechtlich gebilligter passiver Sterbehilfe sein. Zur inhaltlichen Bestimmung des Begriffes der Ernstlichkeit ist auf die Auslegung des § 216 Abs. 1 StGB durch Rechtsprechung und Literatur zurückzugreifen. Eine „ernstliche" Entscheidung des Patienten setzt danach voraus, daß der Betreffende seine Entscheidung nicht in einer vorübergehenden Stimmung - wie etwa einer Depression - oder einer flüchtigen Laune getroffen hat und daß sie mit den grundlegenden Überzeugungen des Betroffenen übereinstimmt. 148 144 So im Ergebnis auch Zilkens, 110; Κ. M. v. Lutterotti, 187 f.; vgl. auch die Begründung zu § 214 AE-Sterbehilfe, Ziff. 3. 145 RiLi BÄK v. 11. 9. 1998, DÄB1. 1998, B-1852, B-1853 sub V. 146 Brändel, ZRP 1985, 85, 90. 147 Vgl. Tröndle/Fischer, § 216 Rz. 1.
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Wahrend der Arzt im Normalfall der Einwilligung in einen ärztlichen Eingriff oder ihrer Verweigerung prüfen kann, ob die Erklärung ernstlich erfolgt oder von einer depressiven Stimmung beeinflußt wird, kann er wiederum nicht beurteilen, ob der Verfasser die in einer Patientenverfügung enthaltene Behandlungsanweisung ernstlich gewollt hat, weil ihm die Umstände ihrer Entstehung unbekannt sind. Es stellt sich deshalb ähnlich wie im Rahmen der Entscheidungsfähigkeit die Frage, wann von einer ernstlichen Willensbildung des Verfügenden ausgegangen werden kann. Hat er die Patientenverfügung handschriftlich verfaßt, so ist dies ein Indiz dafür, daß ihr ein ernsthafter individueller Uberlegungsprozeß vorausgegangen ist. Auch die Genauigkeit einer Verfügung spricht für eine wohlüberlegte Entscheidung. Zweifelhaft ist die Rechtslage jedoch auch hier, wenn der Patient lediglich ein vorgedrucktes Formular benutzt hat. In der rechtswissenschaftlichen Literatur wird die Ernstlichkeit der Verfügung in diesem Fall ohne nähere Begründung mitunter verneint. 149 Eine unter Verwendung eines Vordrucks erstellte Patientenverfügung kann zwar Ausdruck einer kritischen Haltung gegenüber den medizinischen Mitteln zu künstlicher Lebensverlängerung sein. Es läßt sich aber nicht ausschließen, daß sich der Patient nicht mit dem Inhalt des Vordrucks auseinandergesetzt, sondern die Verfügung in einer flüchtigen Laune - etwa nach einer Fernsehberichterstattung oder der Lektüre eines Berichtes über Methoden moderner Intensivmedizin - getroffen hat. Deshalb könnte eine formularmäßige Patientenverfügung den Anforderungen einer verbindlichen Behandlungsanweisung nicht genügen, weil sie nicht dem wirklichen Willen des Verfassers entspricht. Denn nach reiflicher Überlegung hätte er die Verfügung möglicherweise nicht bzw. nicht in dieser Form getroffen. Eine solche Verfügung könnte dann nicht verbindlich, sondern nur Indiz für den mutmaßlichen Willen des Patienten zu dem Zeitpunkt, in dem lebensverlängernde Behandlungsmaßnahmen notwendig werden, sein. Andererseits sprechen gewichtige Gründe dafür, daß der behandelnde Arzt regelmäßig davon ausgehen darf, eine formularmäßige Patientenverfügung sei das Ergebnis eines ernsthaften individuellen Überlegungsprozesses. Zunächst muß sich der Betroffene einen Vordruck beschaffen. Das setzt unter Umständen voraus, daß er Kenntnisse von den mit Tod und Sterben verbundenen Problemen hat. Vielfach werden Patienten die Verfügung auch im Rahmen von Informationsveranstaltungen über die Möglichkeiten selbstbestimmten Sterbens erhalten haben, die sie zu einer Auseinandersetzung mit der Thematik anregen. Zudem haben vorformulierte Patientenverfügungen den Vorzug, daß sie den Betroffenen mögliche Krankheitsverläufe und Behandlungsmethoden beispielhaft nennen. Sie können also durchaus Anlaß zu genaueren Überlegungen zu Vor- und Nachteilen eines Behandlungsabbruchs bei infauster Prognose sein. Zuzugeben ist freilich, daß diese Faktoren situations- und einzelfallabhängig, mithin nicht zwingend sind. 148 Rieger, 81; Tröndle/Fischer, § 216 Rz. 3; Hirsch, in: LK, 10. Aufl., § 216 Rz. 3. 149 Zielinski, ArztR 1995,188, 192. - Vgl. auch Harder, ArztR 1991, 11,12.
II. Entscheidungsunfähige Patienten
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Entscheidend ist dagegen der Gesichtspunkt, daß auch demjenigen, der eine Patientenverfügung unter Verwendung eines Formulars trifft, die Bedeutung seiner Erklärung bewußt ist, weil sie Leben und Tod zum Gegenstand hat. Sollte die antezipierte Behandlungsanweisung im Einzelfall dennoch einmal voreilig erteilt worden oder Ausdruck einer vorübergehenden Stimmung sein, so ist es wahrscheinlich, daß der Betroffene sie noch einmal überdenken und gegebenenfalls korrigieren wird. 1 5 0 Der Therapeut darf also auch bei einer formularmäßig getroffenen Patientenverfügung davon ausgehen, daß diese wohlüberlegt und endgültig getroffen worden ist. Dieses Ergebnis wird auch durch folgende Überlegung bestätigt: Patienten, die sich in der Endphase einer zum Tode führenden Erkrankung befinden, haben beispielsweise krankheits- oder schmerzbedingt die natürliche Entscheidungsfähigkeit in der Regel bereits verloren. In der medizinischen, psychologischen und rechtswissenschaftlichen Literatur wird vielfach berichtet, daß Sterbende häufig den Wunsch äußern, kein langes Leiden ertragen zu wollen. Dieser Wunsch sei aber vielfach Ausdruck einer vorübergehenden Verzweiflung. 151 Der Patient suche nach besserer Hilfe im medizinischen oder mitmenschlichen Sinne und größerer Fürsorge oder wolle die Aufmerksamkeit seiner Mitmenschen provozieren. Der Stand der Forschung zum psychischen Zustand von Sterbenden bestätigt die Wechselhaftigkeit der Gefühlslagen 152. Vor allem die Arbeiten von KüblerRoss haben zu der Entwicklung eines Phasenmodells beigetragen, das die seelischen Zustände der Sterbenden in Nichtwahrhabenwollen und Isolierung, Zorn, Verhandeln, Depression und schließlich Zustimmung unterteilt 153 . Daraus folgt, daß die Äußerungen eines Sterbenden vielfach keine gültige Behandlungsanweisung sein können, weil sie nicht ernstlich sind. Unter psychischen Schwankungen leidet dagegen der Verfasser einer Patientenverfügung nicht, weil die Verfügung regelmäßig in gesunden Tagen getroffen wird. In der Möglichkeit, eine abgewogene Entscheidung zu treffen, liegt deshalb ein entscheidender Vorzug der Patientenverfügung. 154 Es wäre verfehlt, die Rechtsverbindlichkeit einer Patientenverfügung zu verneinen, weil die Willensbildung nicht ernstlich erfolgt sei, obwohl die Wahrscheinlichkeit, daß eine momentane Stimmung für die Verfügung ausschlaggebend war, im Gegensatz zu einer Behandlungsanweisung im Terminalstadium einer Erkrankung sehr gering ist. 150 Wachsmuth, DMW 1982, 1527, 1527 f.; Dölling, MedR 1987, 6, 8; Bochnik, MedR 1987, 216, 216 f. 151 Witzel, Sterben auf Verlangen aus der Sicht des Kranken und Sterbenden, in: Hiersche, Euthanasie, 183,186; Eser, Lebenserhaltungspflicht und Behandlungsabbruch aus rechtlicher Sicht, in: Auer/Menzel/Eser, 112; Griindel, MedR 1985, 2, 5; Menzel, Kriterien für einen Behandlungsabbau, 146; Opderbecke, Grenzen der ärztlichen Behandlungspflicht, 140; Spann/Liebhardt/Braun, in: FS Bockelmann, 487,494; Twycross, 120; Thielicke, 25 f. 152 Vgl. dazu Varga-Otterhall, Zeitschr. f. med. Ethik 1994, 249 ff. 153 Vgl. vor allem Kübler-Ross, Interviews mit Sterbenden, 41 ff., 50 ff., 77 ff., 80 ff., 99 ff. 154 Kutner, 381.
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2. Teil: Durchsetzung des Selbstbestimmungsrechts
Es ist noch einmal ausdrücklich zu betonen, daß nach hier vertretener Auffassung Patientenverfügungen, die unter Verwendung eines Formulars getroffen werden, schon allein wegen des Erfordernisses einer angemessenen Selbstbestimmungsaufklärung mit individuellen Zusätzen versehen sein müssen, da nur in diesem Fall das Vorhandensein hinreichenden Wissens des Verfassers um den Verlauf irreversibler und tödlicher Krankheiten sichergestellt werden kann. Ist dies aber erfolgt, so kann kaum zweifelhaft sein, daß der Verfügung eine ernstliche Willensbildung vorausgegangen ist, weil die Ergänzung des Formulars einen gedanklichen Prozeß erfordert, der über eine oberflächliche Beschäftigung mit der Thematik hinausgeht. Damit streiten gewichtige Argumente dafür, daß die Verbindlichkeit einer Patientenverfügung nicht daran scheitert, daß ihr keine ernstliche Willensbildung vorausgegangen ist.
ee) Konkretheit Ein Eingriff in Rechtsgüter des Betroffenen ist durch eine Einwilligung nur dann gerechtfertigt, wenn diese den Eingriff konkret erfaßt. 155 Eine Einwilligung muß sich aber nicht auf einen Einzelfall beschränken. 156 Möglich ist auch, daß der Betroffene in mehrere denkbare Beeinträchtigungen seiner Rechtsgüter einwilligt. 157 Für die Rechtmäßigkeit des Eingriffs ist entscheidend, ob die Äußerung eine zweifelsfreie Feststellung ermöglicht, daß der Eingriff nach dem Willen des Betroffenen erlaubt sein soll. 1 5 8 Überträgt man diese Grundsätze auf die Behandlungsanweisung eines Patienten, so muß diese eine ärztliche Maßnahme, die bei einer bestimmten Diagnose und Prognose durchgeführt oder unterlassen werden soll, umfassen. Sie muß zumindest die Art des Eingriffs angeben.159 Dies ist im Normalfall der Einwilligung in einen ärztlichen Eingriff in aller Regel unproblematisch, weil der entscheidungsfähige Patient seine Einwilligung in eine bestimmte ärztliche Maßnahme unmittelbar vor ihrer Durchführung erteilt. Wenn dagegen eine Einwilligungserklärung ausnahmsweise Unklarheiten erkennen läßt, muß der Arzt diese auslegen. Er hat zu ermitteln, ob und in welcher Weise der Patient mit einem Eingriff einverstanden ist. Dabei wird er beispielsweise auf Anhaltspunkte zurückgreifen, die ihm in Gesprächen mit dem Patienten bekannt geworden sind. Er wird auch Vorkenntnisse des Kranken von seiner Krankheit und seine persönliche Situation berücksichtigen. 160 155 156 157 158 159 160
Lenckner, in: S/S, Vorbem. §§ 32 ff. Rz. 34; Rieger, 83. Schmidhäuser, Allgemeiner Teil, 276 f. Rieger, 84. Lenckner, in: S/S, Vorbem. §§ 32 ff. Rz. 34; Rieger, 84. Geilen, in: Mergen, Die juristische Problematik in der Medizin, II, 21. Kohte, AcP 185 (1985), 105, 125.
II. Entscheidungsunfähige Patienten
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Es besteht Einigkeit darüber, daß für die Auslegung einer Einwilligung die für rechtsgeschäftliche Willenserklärungen geltenden Auslegungsgrundsätze angewendet werden können. 161 Nach der hier vertretenen Ansicht, Behandlungsanweisungen seien als Willenserklärungen zu qualifizieren, ist dies zwingend, und es ist auch kein Grund zu einer anderen Beurteilung - etwa aufgrund verfassungsrechtlicher Wertungen - ersichtlich. Aber auch nach Auffassung des Bundesgerichtshofs und eines Teils der Lehre, die die Behandlungsanweisung lediglich als rechtsgeschäftsähnliche Handlung einordnen, soll dies der Fall sein, so daß danach die Einwilligung so gilt, wie sie nach Treu und Glauben von demjenigen verstanden werden mußte, für den sie bestimmt war. 1 6 2 Dies wird damit begründet, daß nicht nur Willenserklärungen ausgelegt werden könnten, sondern auch jede Art von Mitteilungen oder Gedankenäußerungen.163 Im übrigen werde auch in anderen Fällen der Einwilligung in die Beeinträchtigung persönlicher Rechte von Rechtsprechung und Lehre regelmäßig auf die Auslegungsgrundsätze der §§ 133, 157 BGB zurückgegriffen. 164 Deshalb käme es für die Frage einer Anwendbarkeit der §§ 133, 157 BGB auf Behandlungsanweisungen nicht auf die Rechtsnatur als Rechtsgeschäft oder rechtsgeschäftsähnliche Handlung an. 1 6 5 Daß bei der Auslegung von Behandlungsanweisungen von Rechtsprechung und herrschender Lehre nicht nur § 133 BGB, sondern auch § 157 BGB herangezogen wird, begründet man damit, daß jede Behandlungsanweisung einen auf Kommunikation angelegten, empfangsbedürftigen Sozialakt darstellt, der mit einer einseitigen empfangsbedürftigen Willenserklärung vergleichbar sei. 166 Weil die ganz herrschende Auffassung § 157 BGB entgegen seinem Wortlaut nicht nur bei der Vertragsauslegung, sondern aus Gründen des Vertrauensschutzes auch auf einseitige empfangsbedürftige Willenserklärungen anwendet - denn ansonsten liefen die §§ 119 ff. BGB leer - 1 6 7 , muß § 157 BGB deshalb auch bei der Auslegung von Behandlungsanweisungen Berücksichtigung finden. Aus der Rechtsnatur der Patientenverfügung als Behandlungsanweisung und Willenserklärung folgt, daß der Arzt sie bei Unklarheiten auslegen muß. Entschei-
161 BGH, Urt. v. 18. 3. 1980, NJW 1980, 1903, 1904; OLG Karlsruhe, Urt. v. 25. 1. 1978, VersR 1979, 58, 58 f.; Steffen, in: RGRK, § 823 Rz. 377. 162 BGH, Urt. v. 18. 3. 1980, NJW 1980, 1903, 1904; BGH, Urt. v. 3. 12. 1991, NJW 1992, 1558, 1559; Steffen/Dressler, Arzthaftungsrecht, Rz. 416; Taupitz, Gutachten 63. DJT, A 20. 163 Vgl. etwa Larenz, Allgemeiner Teil, § 19 II, 337. 164 Vgl. zum Recht am eigenen Bild: BGH, Urt. v. 8. 5. 1956, BGHZ 20, 345, 348 - „Paul Dahlke"; Schwerdtner, in: MüKo, § 12 Rz. 177. Vgl. zur Einwilligung in die Teilnahme an einem sozial-psychologischen Test: Wiese, FS Duden, 719, 739. 165 Vgl. beispielsweise Steffen, in: RGRK, § 823 Rz. 377. 166 BGH, Urt. v. 18. 3. 1980, NJW 1980, 1903, 1904. 167 RG, Urt. v. 5. 5. 1942, RGZ 169, 122, 125; BGH, Urt. v. 3. 2. 1967, BGHZ 47, 75, 78; Medicus, Allgemeiner Teil, Rz. 319 ff.; Enneccerus/Nipperdey, Allgemeiner Teil II, § 205, 1251; Jauernig, in: Jauernig, § 133 Rz. 7.
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dend ist, was er als Adressat der Erklärung als wirklichen Willen des Betroffenen verstehen konnte (vgl. §§ 133, 157 BGB). Eine Auslegung wird regelmäßig erforderlich sein, weil sie immer dann notwendig ist, wenn der Wille des Erklärenden in der Erklärung nur unvollständig zum Ausdruck kommt und deshalb Zweifel bestehen, wie die Erklärung zu verstehen ist. 1 6 8 Die Vielzahl möglicher Krankheitsverläufe, die zum Tode des Patienten führen können, und die Tatsache, daß die Umstände, unter denen eine Entscheidung über die Durchführung lebenserhaltender Behandlungsmaßnahmen zu treffen ist, zum Zeitpunkt des Abfassens der Verfügung noch nicht voraussehbar sind, führen dazu, daß jede Patientenverfügung notwendigerweise verallgemeinernd gefaßt und deshalb unvollständig ist. Sie wird im Regelfall nicht genau die Krankheitssituation, die am Ende des Lebens eintritt, decken. Ihr Verfasser wird deshalb unbestimmte Rechtsbegriffe verwenden, die der Konkretisierung und Auslegung bedürfen. Der Arzt muß deshalb prüfen, ob sich die Behandlungsverfügung auf die konkrete Behandlungssituation bezieht. 169 Wenn in der rechtswissenschaftlichen und medizinischen Literatur teilweise die Rechtsverbindlichkeit der Patientenverfügung verneint wird, weil die Verfügung aus den zuvor angeführten Gründen die notwendige Genauigkeit vermissen lasse und dem Arzt bei der praktischen Anwendung erhebliche Schwierigkeiten bereite, 170 so muß dem entgegengehalten werden, daß ein Schluß von der generellen Möglichkeit fehlender Eindeutigkeit auf die Unverbindlichkeit der Patientenverfügung nicht zulässig ist, weil dies eine unverhältnismäßige Einschränkung des Selbstbestimmungsrechts des Patienten darstellen würde. Das geltende Recht enthält beispielsweise vielfach abstrakte Begriffe, die vor ihrer Anwendung auf einen bestimmten Sachverhalt konkretisiert werden müssen. Wenn sich der Inhalt einer Patientenverfügung durch Auslegung des Arztes recht eindeutig ermitteln läßt, so besteht kein Grund, den Arzt nicht an die antezipierte Entscheidung des Patienten zu binden. Enthält also die Patientenverfügung unbestimmte Begriffe, so ist ihre Rechtsverbindlichkeit dennoch nicht schlechthin zu verneinen. Fraglich kann nur sein, wie bestimmt eine Patientenverfügung gefaßt sein muß, damit eine Auslegung durch den Arzt möglich ist. Die im juristischen Schrifttum vertretene Auffassung, die die Rechtsverbindlichkeit der Patientenverfügung bejaht, geht davon aus, daß sich der Wille des Verfügenden regelmäßig durch Auslegung konkretisieren lasse. 171 Eine solch allgemeingültige Antwort wird man jedoch auf die Frage, ob sich der Inhalt einer Patientenverfügung durch Auslegung hinreichend genau bestimmen läßt, nicht geben können. 168 Vgl. nur Enneccerus/Nipperdey, Allgemeiner Teil II, § 205,1250. 169 RiLi BÄK v. 11. 9. 1998, DÄB1. 1998, B-1852, B-1853 sub V. no Spann, MedR 1983, 13, 15; Steffen, ArztR 1994, 179, 183; Eser, in: Lawin/Huth, DÄB1. 1982, 51, 81 f.; Heifetz/Mangel, 42; Grisez/Boyle, 105; Jackson/Youngner, NEJM 1979,404,407; Hilfiker, NEJM 1983, 716,718. 171 Rickmann, 149; Schöllhammer, 55; Harder, ArztR 1991,11,18.
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Zunächst ist festzustellen, daß die Möglichkeiten des Arztes zur Auslegung der Patientenverfügung gegenüber dem Normalfall einer Behandlungsanweisung stark eingeschränkt sind. Auf Anhaltspunkte, die ihm in Gesprächen mit dem Kranken bekannt geworden sind, kann er im Fall der Patientenverfügung nicht zurückgreifen, weil ihm der Patient zumeist erst bekannt wird, wenn er sich in einem entscheidungsunfähigen Zustand befindet. Auch Vorkenntnisse des Patienten über seine Krankheit wird der Arzt häufig nicht berücksichtigen können. Schließlich sind dem behandelnden Arzt die Umstände der Entstehung der Patientenverfügung im Gegensatz zu einer Einwilligung in einen ärztlichen Eingriff unbekannt. Der Arzt wird sich also bei der Auslegung einer Patientenverfügung auf ihren Wortlaut und Zweck beschränken müssen. Über den Wortlaut der Erklärung darf der Arzt nicht hinausgehen. Er kann sich nicht darauf berufen, der Patient habe eine nach ärztlicher Auffassung notwendige Behandlung gewollt, weil jeder vernünftige Mensch ihre Durchführung verlangt hätte, wenn der Wortlaut der Verfügung ausschließlich die gegenteilige Auffassung zuläßt. Eine konsequente Anwendung der Auslegungsregeln gewährleistet deshalb eine Kontrolle des ärztlichen Handelns und vermeidet jede ärztliche Vernunfthoheit über den Patienten. Die Auslegung der Erklärung ist dann unproblematisch, wenn der Patient in der Verfügung bestimmte medizinische Maßnahmen nennt oder an bestimmte medizinische Befunde gebundene Anweisungen erteilt. 172 Schwierigkeiten können sich für den Arzt dagegen dann ergeben, wenn der Patient in seiner Verfügung allgemeinere Begriffe benutzt hat. Sind diese Begriffe medizinischer Natur, so wird dem Arzt aufgrund seines Fachwissens eine Auslegung regelmäßig möglich sein. Beispielsweise wird er beurteilen können, was ein Patient mit der Verwendung von Begriffen wie „irreversible Bewußtlosigkeit", „schwerer Dauerschädigung des Gehirns" oder „infauste Prognose" zum Ausdruck bringen wollte, wenn diese Begriffe auch teilweise subjektiv besetzt sind: Wann eine Schädigung des Hirns „schwer" ist, kann von den Betroffenen durchaus unterschiedlich beurteilt werden. Je mehr die unbestimmten Begriffe jedoch von individuellen Wertvorstellungen geprägt sind, desto schwieriger wird die Ermittlung des Willens für den Arzt. Häufig knüpfen Verfasser einer Patientenverfügung den Verzicht auf lebensverlängernde Maßnahmen an einen Zustand „menschenunwürdigen Daseins", an ein „sinnloses Leben" oder an eine „nicht zumutbare Verlängerung des Leidens". 173 Dem Therapeuten ist aber nicht bekannt, welche genauen Vorstellungen der Verfasser von einem „menschenwürdigen" oder „sinnerfüllten Leben" hat. Es besteht die Gefahr, daß der behandelnde Arzt seine eigenen ethischen Maßstäbe anlegt, wenn er diese Begriffe inhaltlich konkretisiert. Beispielsweise gibt es Menschen, die mit 172 Vgl. ζ. B. das Muster einer Patientenverfügung bei Uhlenbruck, NJW 1978, 566, 570, Ziff. V: Ablehnung einer Hemikorporektomie oder Dialyse. 173 Vgl. auch das Muster einer Patientenverfügung bei Uhlenbruck, NJW 1978, 566, 570, Ziff. V, VI.
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Behinderungen nicht leben wollen. Viele Ärzte haben dafür kein Verständnis, weil sie der Auffassung sind, daß auch mit recht schweren Behinderungen noch ein Leben in Würde möglich ist. Sie würden diese Ansicht bei der Auslegung der unbestimmten Wertbegriffe zugrundelegen. Dann würde jedoch das Ziel der Patientenverfügung, ein selbstbestimmtes Sterben zu ermöglichen, gerade verfehlt. Der Arzt kann und darf daher eine Patientenverfügung nicht auslegen, die ausschließlich oder vor allem von Wertmaßstäben des Verfügenden bestimmt ist. Vielmehr muß der Patient selbst genauer bestimmen, welche Form der Lebensführung er auszuhalten bereit ist. Diese Bestimmung kann er nicht an den behandelnden Arzt delegieren, der medizinisch kompetent ist, aber nicht stellvertretend eine sittliche Entscheidung treffen kann. Dies wird besonders deutlich, wenn der Verfasser einer Patientenverfügung den Wunsch nach einem Verzicht auf eine lebenserhaltende Behandlung allgemein an ein „menschenunwürdiges Dasein" knüpft, wie dies in der Praxis häufig ist. Einen allgemeinen Konsens über die Würdelosigkeit verschiedenster Lebens- oder Leidenszustände gibt es nicht. Das Bundesverfassungsgericht spricht jedem menschlichen Leben Menschenwürde entsprechend Art. 1. Abs. 1 GG zu. 1 7 4 Auch die rechtswissenschaftliche und medizinische Literatur geht teilweise von diesem umfassenden Würdebegriff aus: 175 Es sei eine „ungeheuerliche Beleidigung", 176 das Leiden schwer körperlich oder geistig Kranker als würdelos anzusehen. Dagegen wird im Rahmen der Diskussion um passive Sterbehilfe häufig ein wesentlich engerer Würdebegriff verwandt, der von Qualitätsmerkmalen wie „Lebenssinn" 177 oder „Bewußtheit" 178 abhängt. Diese qualitative Einschätzung der eigenen Existenz ist jedoch sehr subjektiv und kann vom Arzt jedenfalls ohne weitere beispielhafte Angaben nicht nachvollzogen werden. Eine Patientenverfügung stellt also dann keine verbindliche Weisung an den behandelnden Arzt dar und kommt nur als Hilfsmittel bei der Ermittlung des mutmaßlichen Willens des Patienten in Betracht, wenn sie ausschließlich oder ganz überwiegend persönliche Wertvorstellungen des Verfassers ausdrückt, aber medizinisch zu wenig konkret gefaßt ist. Anders dürfte dagegen zu entscheiden sein, wenn der Verfügende zwar Wertvorstellungen anführt, diese jedoch beispielhaft durch Krankheitsbilder bzw. -zustände konkretisiert. Umschreibt er beispielsweise näher, welche Zustände er als „menschenwürdig" empfindet, so bieten sich dem Arzt nähere Anhaltspunkte für seinen Willen. Er kann möglicherweise analog entscheiden oder einen Erst-recht-Schluß ziehen: Ist der Patient etwa zu einem Leben mit einem seitlichen Darmausgang nicht bereit, so wird er erst recht nicht mit einer Querschnittslähmung oder als Apalliker leben wollen. Zu einer Entscheidung in Form eines Analogie- oder Erst-recht-Schlusses ist der Arzt verpflichtet, weil er 174 BVerfG, Urt. v. 25. 2. 1975, BVerfGE 39,1,41. 175 Eibach, in: v. Troschke / Schmidt, 81 ; Forßmann, in: Blaha/ Gutjahr-Löser/ Niebier, 53. 176 Kaufmann, JZ 1982,481,485. 177 Sporken, Rechte und Verantwortlichkeit des Arztes und des Kranken, in: Schara, Humane Intensivtherapie, 47, 51. 178 Kohl, in: Kohl, 133.
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bei der Auslegung der Patientenverfügung ihren Zweck beachten muß. Dieser besteht darin, daß der Patient eine als sinnlos empfundene Sterbensverlängerung oder Lebenszustände verhindern will, die er als unwürdig ansieht. Der Arzt muß deshalb die - wie oben angeführt - notwendigerweise allgemein gehaltene Patientenverfügung nach ihrem Sinn und Zweck auch auf Krankheitszustände anwenden, die der Patient nicht aufgeführt hat, die aber den von ihm genannten ähnlich sind oder mit denen er erst recht nicht würde leben wollen. Nach der hier entwickelten Lösung ist also eine Patientenverfügung erst dann nicht rechtsverbindlich, wenn der Arzt den Patientenwillen durch Auslegung nicht ermitteln kann. Das ist nur der Fall, wenn die Patientenverfügung ausschließlich oder maßgeblich von individuellen Wertvorstellungen des Patienten geprägt ist und der Patient seine Wertvorstellungen auch nicht beispielhaft konkretisiert hat. Auch die Bundesärztekammer geht davon aus, 179 daß die Verfügung beispielhafte Aussagen zu den Situationen enthalten solle, für die sie Geltung beanspruche. Die Hinzufügung von ergänzenden persönlichen Angaben - wie etwa Lebenseinstellung, religiöse Uberzeugung, die Bewertung von Schmerzen und schweren Schäden - kann dem Arzt bei der Bildung von Analogien helfen; alleine reichen diese aber nicht aus. 180 Eine Konkretisierung im obigen Sinne ist daher nachdrücklich zu empfehlen. ff) Aktualität Schließlich ist Voraussetzung einer wirksamen Einwilligung in eine Rechtsgutsverletzung, daß die Einwilligung zum Zeitpunkt des Eingriffs fortbesteht. Es besteht Einigkeit darüber, daß eine Einwilligung in einen Eingriff in die körperliche Integrität jederzeit widerrufen werden kann. 181 Dies wird gleichermaßen von den Auffassungen in der rechtswissenschaftlichen Lehre vertreten, die die Einwilligung als rechtsgeschäftliche Willenserklärung oder als rechtsgeschäftsähnliche Handlung, auf die die Vorschriften der §§ 104 ff., 116 ff. BGB grundsätzlich entsprechend anwendbar sind, beurteilen, so daß § 130 Abs. 1 Satz 2 BGB keine Anwendung findet und ein Widerruf dem Adressaten der Erklärung nicht vor oder gleichzeitig mit der Einwilligungserklärung zugehen muß. 1 8 2 Die Möglichkeit des jederzeitigen Widerrufs wird vor allem damit begründet, daß das Selbstbestimmungsrecht jedermann die Möglichkeit geben müsse, eine Behandlungsanweisung, die ein so wichtiges Rechtsgut wie das Leben oder körperliche Unversehrtheit betrifft, abzuändern. Dies folge aus dem hohen verfassungsrechtlichen Rang der Rechte 179
In den von ihr erarbeiteten Handreichungen für Arzte zum Umgang mit Patienten Verfügungen der BÄK (1999), sub 3. 1. 180 wie hier (arg „auch") die Handreichungen für Ärzte zum Umgang mit Patienten Verfügungen der BÄK (1999), sub 3. 3. 181 Vgl. etwa Eser, in: S/S, Vor § 32 Rz. 44; Winkler-Wilfurth, 48 f. 182 Kohte, AcP 185 (1985), 105, 137.
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2. Teil: Durchsetzung des Selbstbestimmungsrechts
auf Leben, körperliche Unversehrtheit (Art. 2. Abs. 2 Satz 1 GG) und Menschenwürde (Art. 1 Abs. 1 GG). 1 8 3 Ausgehend von der Funktion der Einwilligung nämlich der Ausübung des Selbstbestimmungsrechts - ist in der rechtswissenschaftlichen Literatur zu Recht betont worden, daß sich bei einer rechtfertigenden Einwilligung in einen Eingriff in die körperliche Unversehrtheit die freie Widerruflichkeit der Einwilligung aus dem höherrangigen verfassungsrechtlichen Wert des Selbstbestimmungsrechts ergeben müsse, da der Patient anderenfalls in eine Objektrolle gedrängt würde. 184 Dies wäre angesichts der Wichtigkeit des betroffenen Guts sittenwidrig. Diese Wertung findet eine Parallele in der Diskussion um die Widerruflichkeit bzw. Unwiderruflichkeit der Vollmacht. Diese kann zwar unwiderruflich erteilt werden, wo sie aber als unwiderrufliche Generalvollmacht das Selbstbestimmungsrecht des einzelnen zu stark einschränkt, wird sie als sittenwidrig bezeichnet und als rechtsmißbräuchlich abgelehnt.185 Darin liegt kein unzulässiger Bruch mit dem Recht der Willenserklärungen und § 130 Abs. 1 Satz 2 BGB. Auch Willenserklärungen können widerruflich sein, wenn der Widerruf vertraglich vorbehalten wurde oder von Gesetzes wegen zulässig ist. Als Fall des gesetzlich zulässigen Widerrufs kann zunächst § 40 Abs. 2 AMG angeführt werden. Die gesetzliche Zulassung eines Widerrufs kann sich aber auch aus der Einwirkung der Grundrechte auf das Privatrecht ergeben. Canaris hat aus der Weitung der Art. 1, 2 GG abgeleitet, daß Verträge über die Einschränkung des Rechts auf körperliche Unversehrtheit - das zu den „elementarsten Rechten der Person" 186 gehöre - ein freies Widerrufsrecht enthielten. Nach alledem kann grundsätzlich festgehalten werden, daß die Behandlungsanweisung eines Patienten jederzeit frei widerruflich ist. Diese jederzeitige Widerruflichkeit wird auch durch Art. 5 Abs. 3 des Menschenrechtsübereinkommens zur Biomedizin des Europarates garantiert. Das muß erst recht für eine Behandlungsanweisung gelten, die auf die Gewährung passiver Sterbehilfe zielt. Eine Einwilligung besteht demnach grundsätzlich fort, bis sie widerrufen wird. 1 8 7 Dies gilt auch für eine Behandlungsverweigerung, weil sie - wie bereits dargelegt - ebenso eine selbstbestimmte Behandlungsanweisung wie die Einwilligung ist. Zudem muß erst recht ein Behandlungsverbot bis zu seinem Widerruf fortbestehen, wenn dies auch bei einer Einwilligung der Fall ist: Eine Einwilligung in eine ärztliche Behandlung ist ein Verzicht auf körperliche Unversehrtheit. Behält dieser Verzicht Gültigkeit bis zu einem Widerruf, so wird erst recht die Ent183 Baumann/Weber, Allgemeiner Teil, § 17 Rz. 106; Canaris, AcP 184 (1984), 201, 233 f.; Forkel, JZ 1974, 593, 595; Hirsch, in: LK, Vor § 32 Rz. 113; Jescheck, Allgemeiner Teil, 383; Kohte, AcP 185 (1985), 105,137. 184 Forkel, JZ 1974, 593, 595; Kohte, AcP 185 (1985), 105, 137. iss Dilcher, in: Staudinger, 12. Aufl., § 168 Rz. 9; vgl. auch Flume, Allgemeiner Teil II, § 53, 3; Westermann, in: Erman, § 168 Rz. 13. 186 Canaris, AcP 184 (1984), 201, 233. 187 Deutsch, NJW 1979, 1905, 1906 f.; Nüßgens, in: RGRK, § 823 Anh. I I Rz. 103; Wassermann, in: Hedeby, 138.
II. Entscheidungsunfähige Patienten
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Scheidung eines Betroffenen, körperlich unversehrt bleiben zu wollen, bis zu einem Widerruf gelten. Da die Patientenverfügung vor allem eine Einwilligungsverweigerung darstellt, folgt aus dem Gesagten, daß sie zwar widerrufen werden kann. Wenn ein Widerruf aber nicht erfolgt ist, stellt sie grundsätzlich eine gültige Behandlungsanweisung dar. Nur dies entspricht auch dem Recht der Willenserklärungen, dem die Behandlungsanweisung nach hier vertretener Auffassung unterliegt, wonach eine Willenserklärung nicht nach dem Ablauf einer gewissen Zeit ipso iure unwirksam wird. Deshalb wird man einer verbreiteten Auffassung im rechtswissenschaftlichen und medizinischen Schrifttum, die die Verbindlichkeit einer Patientenverfügung verneint, weil sie jederzeit frei widerruflich sei, 188 nicht zustimmen können. Von der Widerruflichkeit der Patientenverfügung läßt sich im übrigen nicht auf einen tatsächlich erfolgten Widerruf schließen. Deshalb wird teilweise und mit Recht geäußert, diese Argumentation habe „Alibifunktion", 189 um die Verbindlichkeit der Patientenverfügung leugnen zu können; mit einem solchen „Totschlagsargument kann man sich über alles hinwegsetzen".190 Die bloße Möglichkeit eines Widerrufs kann kein Argument dafür sein, einer Erklärung, die gerade für den Fall späterer Entscheidungsunfähigkeit abgegeben wurde, die Verbindlichkeit abzusprechen, 191 denn die selbstbestimmte Entscheidung des Patienten in einer Patientenverfügung würde dann durch eine nur mögliche andere Form der Selbstbestimmung, d. h. den vermeintlichen Widerruf, unmöglich gemacht, obwohl es im Einzelfall keine Anhaltspunkte für eine Willensänderung des Betroffenen gibt. Soweit die Gegenauffassung einem sich in der lebensentscheidenden Situation konstituierenden Bedürfnis, allgemein verbindliche Grundsätze aufzugeben und das Leben des Betroffenen paternalistisch zu schützen, Ausdruck verschaffen möchte, wäre ein solches nicht anzuerkennen. Wollte man der Gegenauffassung den Vorzug geben, müßte bei jeder auch nur routinemäßigen Operation geprüft werden, ob eine zeitlich früher erteilte Einwilligung noch fortbesteht. 192 Das hieße aber, das allgemein anerkannte,
188 Bockelmann, WMW 1976, 145, 148; Breit, in: Kaufmann, 117, 123; Detering, JuS 1983, 418, 422; Epple, BWNotZ 1981, 31, 32; Eser, Lebenserhaltungspflicht und Behandlungsabbruch in rechtlicher Sicht, in. Auer/Menzel/Eser, 114; Schara, Das Recht des Kranken auf seinen Tod, in: Schara, Humane Intensivtherapie, 28; Spann, MedR 1983, 13, 14; Tröndle, Gutachten, M 29,52; Ulsenheimer, in: Laufs/Uhlenbruck, HdB ArztR, § 139 Rz. 46. 189 Uhlenbruck, Ther. d. Gegenw. 1980, 1374,1386; ders., Selbstbestimmtes Sterben, 309. 190 Ankermann, MedR 1999, 387, 390. 191 Harder, ArztR 1991, 11,16. 192 Nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung bedarf es einer rechtzeitigen Aufklärung des Patienten. Dabei ist eine Tendenz zu erkennen - wie zahlreiche Urteile zeigen, vgl. BGH, Urt. v. 7. 4. 1992, NJW 1992, 2351; BGH, Urt. v. 8. 1. 1985, NJW 1985, 1399; BGH, Urt. v. 10. 3. 1987, NJW 1987, 2291; BGH, Urt. v. 6. 12. 1988, BGHZ 106, 153 - , den erforderlichen Zeitpunkt der Aufklärung immer weiter vorzuverlagern. Das ist insbesondere in Fällen zu beobachten, in denen ein Patient mit gravierenden Risiken einer Maßnahme, die seine Lebensführung entscheidend beeinträchtigen kann, oder gar mit gewiß lebensentscheidenden Fragen konfrontiert wird. Vgl. zum ganzen auch Steffen /Dressler, Rz. 407.
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2. Teil: Durchsetzung des Selbstbestimmungsrechts
oben dargestellte 193 Verhältnis von Einwilligung und - subsidiärer - mutmaßlicher Einwilligung ins Gegenteil zu verkehren; die Einwilligung des Betroffenen degenerierte zur Ausnahme der mutmaßlichen Einwilligung. Ferner darf nicht außer Betracht bleiben, daß der Betroffene gerade in jene Lage geraten ist, für die er seine Verfügung getroffen hat. Dies muß - soweit gegenteilige Anhaltspunkte nicht ersichtlich sind - Zweifel an der Gültigkeit des fixierten Willens ausschließen; sie können nicht allein mit einem Zeitablauf begründet werden. Es bedarf daher stets eines tatsächlichen Widerrufs, damit die Verfügung ihre Verbindlichkeit verliert. Diesen Widerruf des Behandlungsverbots wird man mit einer Einwilligung in die Durchführung lebenserhaltender Maßnahmen gleichsetzen können. Fraglich ist deshalb, unter welchen Voraussetzungen ein Widerruf möglich ist. Der Widerruf einer Behandlungsanweisung ist actus contrarius ihrer Erteilung, so daß an ihn die gleichen Anforderungen wie an eine Behandlungsanweisung zu stellen sind. 194 Der Patient muß also vor allem im natürlichen Sinne fähig sein, eine selbstbestimmte Entscheidung zu treffen (sog. natürliche Einsichts- und Urteilsfähigkeit) 195 ; auf die Geschäftsfähigkeit kommt es nicht an. Im rechtswissenschaftlichen Schrifttum wird teilweise vertreten, ein vages Zeichen mit den Augen oder eine Reaktion des Sterbenskranken auf eine entsprechende Frage des Arztes oder des Pflegepersonals genüge, um einen Widerruf zu erklären. 196 Dies trifft nur bedingt zu. Wie oben dargelegt wurde, hat ein terminal kranker Patient seine Entscheidungsfähigkeit vielfach verloren, so daß er nicht mehr fähig ist, eine vernunftgesteuerte Abwägung zu treffen, ob er sterben will oder eine kurzzeitige Lebensverlängerung unter möglicherweise starken Schmerzen hinzunehmen bereit ist. Zudem wird man nur schwer feststellen können, ob es sich bei diesem Widerruf um eine ernstliche Entscheidung handelt. Es kann ebenso der Fall sein, daß der Widerruf Ausdruck einer vorübergehenden Stimmungsschwankung ist. Deshalb unterliegt die Wirksamkeit eines Widerrufs des Sterbenden häufig erheblichen Zweifeln. Gründe dafür, den Widerruf eines Behandlungsverbotes an weniger strenge Voraussetzungen zu binden als an seine Erteilung, sind nicht ersichtlich. Zwar könnte man daran denken, wegen des hohen Ranges des Rechtsguts Leben (Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG) oder des Patientenpersönlichkeitsrechts 197 geringere Anforderungen an die Wirksamkeit eines lebenserhaltenden Widerrufs als das Vorhandensein natürlicher Einsichts- und Urteilsfähigkeit zu stellen. Ein niedrigerer Maßstab als die sog. natürliche Einsichtsfähigkeit wäre jedoch weder wünschenswert noch würde es eines solchen Maßstabs bedürfen. Die Entscheidung eines sterbenden 193 Vgl. dazu supra 2. Teil, II. 1. 194 Rickmann, 185. 195 Ausführlich dazu supra 1. Teil, VI. 2. 196 Baronin von Dellingshausen, 372; Uhlenbruck, Selbstbestimmtes Sterben, 313. 197 Dies führt Taupitz, Gutachten 63. DJT, A 117 f., an, um die Wirksamkeit des Widerrufs auch eines entscheidungswnfähigen Patienten zu konstruieren.
II. Entscheidungsunfähige Patienten
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entscheidungswnfähigen Patienten ist aus den soeben genannten Gründen kein Ausdruck freier Selbstbestimmung bzw. keine Ausübung des Patientenpersönlichkeitsrechts und entspricht seinem tatsächlichen Willen nicht. Antezipierte Selbstbestimmung bedeutet auch Selbstverantwortung. Der eine Patientenverfügung Errichtende weiß, daß er eine nach ihrem Sinn und Zweck verbindliche Behandlungsanweisung erteilt; es kommt ihm darauf an, daß seine Entscheidung nicht durch die eines Betreuers, Arztes oder einer anderen Person ersetzt wird. Die Kehrseite dieses Privilegs einer ärztlichen Entscheidungssteuerung trotz aktueller Entscheidungsunfähigkeit ist die Bindung des Patienten an seinen früher geäußerten Willen, wenn er zu vernünftiger Willensbildung nicht mehr fähig ist. Auch der Widerruf einer rechtsverbindlichen Patientenverfügung 198 durch einen - gegebenenfalls zu bestellenden - Betreuer gemäß § 1901 Abs. 3 Satz 2, 2. HS. BGB kommt nicht in Betracht. Im Schrifttum wird zwar die Ansicht vertreten, daß diese Norm auch ursprünglichen Wünschen zuwiderlaufende Äußerungen eines im natürlichen Sinne einwilligungsunfähigen Betreuten erfasse. Dies erscheint zwar nicht zwingend, weil sich aus den Materialien zum BtG lediglich ergibt, daß der Gesetzgeber entsprechende Äußerungen eines geschäftsunfähigen Betreuten berücksichtigt wissen wollte, 199 und an das Vorhandensein von Geschäftsfähigkeit sind - wie bereits gezeigt wurde - höhere Maßstäbe anzulegen als an die natürliche Einsichts- und Urteilsfähigkeit einer Person. Doch soll die Richtigkeit dieser These an dieser Stelle unterstellt werden. Entscheidend ist, daß die Anwendbarkeit des § 1901 Abs. 3 Satz 2 a. E. BGB ausgeschlossen ist, wenn eine verbindliche Patientenverfügung vorliegt und deshalb die Bestellung bzw. Hinzuziehung eines Betreuers weder „erforderlich" im Sinne des § 1896 Abs. 2 BGB noch sinnvoll ist: Der Patient hat eine selbstbestimmte Behandlungsanweisung antezipiert erteilt, und diese besteht wirksam fort, weil und wenn keine autonome und ernstliche Entscheidung des Patienten, die Verfügung zu widerrufen, vorliegt. Es wäre verfehlt, wenn man die Möglichkeit der vorausschauenden Erteilung einer verbindlichen Verfügung für das Ende des Lebens dadurch zunichte machen würde, daß dem Patienten wegen seiner Entscheidungsfähigkeit nicht zurechenbare Äußerungen zum Anlaß genommen werden, eine Lösung des Patienten von seinen ursprünglichen Wünschen, Wertvorstellungen u. ä. zu unterstellen.
198
Im Hinblick auf Patientenverfügungen ist der Anwendungsbereich des § 1901 Abs. 3 Satz 2 BGB demnach auf Vorausverfügungen beschränkt, denen die Rechtsverbindlichkeit nach den hier entwickelten Kriterien fehlt und die deshalb nur als Indiz bei der Berücksichtigung des mutmaßlichen Willens des Patienten dienen können, vgl. dazu auch sub 3. Teil, III. 1. b). i " Vgl. ausdrücklich BT-Drucksache 11/4528, 53 sowie 70 f., 133, 142. - Vgl. dazu Taupitz, Gutachten 63. DJT, A 117 f.; Jürgens, § 1901 Rz. 7; Schwab, in: MüKo, § 1901 Rz. 6; Lipp, in: Wolter/Riedel/Taupitz, 75, 81; Mayer, Medizinische Maßnahmen an Betreuten, 83. - Dagegen Holzhauer, in: Erman, 10. Aufl., § 1901 Rz. 10 („... auch wenn er geschäftsunfähig sein sollte, mögen sie dann auch öfter jenseits der Grenze ihrer Beachtlichkeit liegen") und Bienwald, § 1901 Rz. 31. 10 Heyers
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2. Teil: Durchsetzung des Selbstbestimmungsrechts
Die Bindung eines nunmehr einwilligungsunfähigen Patienten an eine in gesunden Tagen errichtete Patientenverfügung ist jedoch ohnehin nur relativ: Kommt der Arzt, der das Vorhandensein natürlicher Einsichtsfähigkeit im entscheidungsfordernden Zeitpunkt prüfen muß, zu dem Ergebnis, daß diese gegeben sei, muß er selbst einen konkludent geäußerten Patientenwillen beachten und den Widerruf der Patientenverfügung berücksichtigen. 200 Die Anforderungen an ein Vorliegen natürlicher Einsichtsfähigkeit müssen in einer solchen Situation niedrig angesetzt werden. Denn ein Patient ist im natürlichen Sinne einsichts- und urteilsfähig, wenn er „Wesen, Bedeutung und Tragweite einer ärztlichen Maßnahme wenigstens in groben Zügen erfassen und das Für und Wider der Maßnahme abwägen kann". 201 Dabei muß auf den jeweils konkreten Sachverhalt und die konkrete medizinische Maßnahme abgestellt werden. 202 Berücksichtigt der behandelnde Arzt zudem, daß die Maßstäbe für gegebene Einsichtsfähigkeit bei vital indizierten Maßnahmen nicht hoch anzusetzen sind, 203 wird er einem zwar terminalkranken und gegebenenfalls unter Schmerzen leidenden sowie unter Medikamenteneinwirkung stehenden Patienten häufig nicht die Fähigkeit absprechen können zu ermessen, von welcher Bedeutung der Einsatz der lebenserhaltenden oder -verlängernden Maßnahmen ist bzw. welche Folgen ihr Unterlassen haben kann. Diese Einsicht des Patienten kann durchaus in einem konkludenten Verhalten zum Ausdruck gebracht werden. Da die Möglichkeit eines mutmaßlichen Widerrufs der Einwilligung anerkannt ist, 2 0 4 kommt zudem ein mutmaßlicher Widerruf eines Behandlungsverbotes in Betracht. Dies ist im Fall der Patientenverfügung von Bedeutung, weil die Verfügung in der Regel lange vor dem Zeitpunkt, zu dem lebenserhaltende Maßnahmen notwendig werden, getroffen worden ist. Möglicherweise haben sich die Umstände, die den Betroffenen zu seiner damaligen Entscheidung veranlaßt haben, geändert. Es liegt daher insbesondere bei lange Zeit vor Eintritt der Krankheit verfaßten und nicht aktualisierten Verfügungen nahe, in der Situation terminaler Krankheit zu prüfen, ob der Betroffene an seiner Entscheidung tatsächlich festhalten will oder ob es möglicherweise Anhaltspunkte gibt, die darauf hindeuten, daß der Betroffene seine Entscheidung ändern würde, wenn er dazu in der Lage wäre. 205 Nach welchen Kriterien diese Prüfung zu erfolgen hat, ist noch weitgehend ungeklärt. 206 200
Dieser ist - wie soeben ausgeführt - mit einer Einwilligung in die Vornahme lebensverlängernder oder lebenserhaltender Maßnahmen gleichzusetzen. 201 Taupitz, Gutachen 63. DJT, A 58. Ebenso Deutsch, Medizinrecht, Rz. 444; Laufs, Arztrecht, Rz. 222; Eser, in: S/S, § 223 Rz. 38. 2 2
° Taupitz, Gutachten 63. DJT, A 58; Ulsenheimer, in: Laufs/Uhlenbruck, HdB ArztR, § 139 Rz. 27. 2
3 V g l . statt vieler nur U l s e n h e i m e r , in: L a u f s / U h l e n b r u c k , H d B A r z t R , § 139 R z . 2 7 .
2
04 Baumann/Weber/Mitsch, Allgemeiner Teil, § 17 Rz. 106; Hirsch, in: LK, Vor § 32 Rz. 113; Lenckner, in: S/S, Vor §§ 32 ff. Rz. 44; Rieger, 90. 2 05 Vgl. RiLi BÄK v. 11. 9. 1998, DÄB1. 1998, B-1852, B-1853 unter V. 206 Vgl. Hoffmann, Berichte 6. Vormundschaftsgerichtstag 1998, 40, 42. Ebenso die Feststellung Schreibers, in: FS Deutsch, 773,782.
II. Entscheidungsunfähige Patienten
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Fraglich ist zunächst, wann und aus welchen Gründen ein mutmaßlicher Widerruf in Betracht kommt. Wenig überzeugend erscheint es zunächst, als einen möglichen Grund die rasche Fortentwicklung der medizinischen Wissenschaft anzusehen. 207 Dem könnte allenfalls deshalb zugestimmt werden, weil dieser Fortschritt auch die Entwicklung verbesserter Methoden der Schmerztherapie betrifft. Mit ihrer Hilfe läßt sich sicher auch jeder Prozeß schwerster Krankheit oder jeder Todesprozeß lebenswerter gestalten. Daß der Arzt dem Patienten gegenüber jedoch ohnehin zu bestmöglicher Schmerzlinderung verpflichtet ist, läßt sich schon der jeweiligen Patientenverfügung durch Auslegung entnehmen; außerdem zählt eine optimale Schmerztherapie zu den naturgemäß bestehenden Grundpflichten des Arztes im Arzt-Patienten-Verhältnis. Der stete Fortgang der medizinischen Möglichkeiten führt vielmehr entscheidend zu einer Bedrohung des zu einem würdevollen Sterben entschlossenen Patienten, weil sich sein Tod durch sie nahezu beliebig und auch dann noch herauszögern läßt, wenn die persönliche Qualität des einzelnen Menschen längst erloschen ist. Es vermag also kaum zu überzeugen, die Wirksamkeit einer Patientenverfügung aus Gründen anzuzweifeln, die die wesentliche Ursache ihrer Entstehung bilden. In der medizinrechtlichen Literatur wird des weiteren die unterschiedliche Todeseinstellung Gesunder und terminal Kranker als Grund für einen mutmaßlichen Widerruf genannt.208 Es wurde jedoch bereits oben dargelegt, daß diese These nicht belegbar ist und auf eine Vielzahl der Patienten auch nicht zutrifft. Dennoch sind Fälle denkbar, in denen es Anhaltspunkte für eine mögliche Willensänderung des Patienten gibt: Möglicherweise hat der Betroffene im Laufe der Zeit seine religiöse Einstellung geändert. Beispielhaft läßt sich auch folgender Fall anführen: Der Verfasser einer Patientenverfügung trifft die Verfügung unmittelbar nach dem Tod seiner Frau, den er intensiv miterlebt hat. Er ist mutlos und möchte sich ein qualvolles Sterben ersparen. Später lernt er eine neue Lebensgefährtin kennen und gewinnt neue Lebensfreude sowie eine andere Einstellung zu Tod und Sterben. Er ändert seine Verfügung jedoch nicht ab. Adressat der Patientenverfügung ist primär der den Sterbenden behandelnde Arzt. Problematisch ist, daß ihm Willensänderungen seines Patienten nach dem Abfassen der Verfügung unbekannt sind. Er wird deshalb die nahen Angehörigen des Kranken befragen müssen, ob sie von möglichen Sinnesänderungen wissen. Verneinen die Angehörigen dies, hat der Arzt keinen Anlaß, an der Verbindlichkeit der Patientenverfügung zu zweifeln. Probleme entstehen dagegen dann, wenn die Angehörigen äußern, die Verfügung entspreche dem Willen des Betroffenen nicht mehr. In der medizinrechtlichen Literatur ist gefordert worden, daß der Arzt recherchieren müsse, ob die Aussagen der Angehörigen durch finanzielle oder per207 So aber Taupitz, Gutachten 63. DJT, A 115. 208 Eser, Lebenserhaltungspflicht und Behandlungsabbruch aus rechtlicher Sicht, in: Auer/Menzel/Eser, 114; Ziegler, in: Deutsch/Kleinsorg/Ziegler, 39 f.; ähnlich auch Bockelmann, WMW 1976,75, 78. 10*
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2. Teil: Durchsetzung des Selbstbestimmungsrechts
sönliche Eigeninteressen beeinflußt sind. 209 Zu den hier erforderlichen umfangreichen Ermittlungen ist der Arzt aber weder zeitlich noch fachlich in der Lage. Er wird in der Regel eine „tüchtige Portion Insiderwissen" 210 im Zweifel entgegen dieser Auffassung nicht bzw. nicht im erforderlichen Maße haben. Man wird deshalb wie folgt differenzieren müssen: Sind die Ausführungen der Angehörigen in keiner Weise stichhaltig und belegbar, wird der behandelnde Arzt davon ausgehen können, daß die Patientenverfügung dem Willen des entscheidungsunfähigen Patienten entspricht und deshalb verbindlich ist. Zwar könnte man einwenden, daß das Risiko bestehe, den Willen des Betroffenen zu verfehlen. Dies sei wegen des hohen Ranges des Rechtsguts Leben (Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG) nicht tragbar. Doch muß dem folgendes entgegengehalten werden: Dem Patienten ist die Bedeutung der in einer Patientenverfügung getroffenen Entscheidung durchaus bewußt. Ändert er seinen Willen nach dem Abfassen der Verfügung, wird er mit großer Wahrscheinlichkeit auch die Verfügung abändern bzw. vernichten. Das Risiko, daß Mutmaßungen der Angehörigen, die Beweggründe und die Gedankenwelt des Betroffenen ohnehin nur bedingt beurteilen können, den Willen des Betroffenen verfehlen, ist demgegenüber wesentlich höher. Demnach ist dann von der Verbindlichkeit der Patientenverfügung auszugehen. Anders dürfte zu entscheiden sein, wenn die Angehörigen konkrete und belegbare Zweifel am Fortbestand des Willens haben. Weil hier eine große Wahrscheinlichkeit für eine Willensänderung des Betroffenen spricht, kann die Patientenverfügung nicht rechtsverbindlich sein. Eine Befragung der Angehörigen erübrigt sich lediglich dann, wenn der Patient die Patientenverfügung vor kurzem aktualisiert hat 2 1 1 oder eine Hinweiskarte bei sich trägt bzw. die Verfügung an einer Stelle aufbewahrt, an der er auch andere wichtige Dokumente deponiert hat. 2 1 2 Denn dies spricht dafür, daß der Patient an seinem früher geäußerten Willen festhält. Die Patientenverfügung stellt dann eine rechtsverbindliche Behandlungsanweisung dar. 209 Harder, ArztR 1991, 11, 16. 210 Harder, ArztR 1991, 11, 16. 211 Unverhältnismäßig erschiene es, darüber hinaus die Forderung nach einer Pflicht zu turnusmäßiger Novation der Patienten Verfügung zu erheben. Eine solche Pflicht würde nämlich das Selbstbestimmungsrecht der Betroffenen in vielen Fällen stark beschränken: Durch eine entsprechende Verpflichtung würde man eine Befristung der Gültigkeitsdauer von Patientenverfügungen erreichen, die jede zukunftsbezogene Vorsorge gleichheitswidrig unmöglich macht, wenn ein inzwischen einwilligungsunfähig Gewordener - etwa ein dauerkomatöser Patient - keine Möglichkeit mehr hat, seinen Willen über die heteronom bestimmte Zeitspanne hinaus zu bestätigen. Die Verfügung verlöre ihre Verbindlichkeit - und könnte allein von einem Betreuer bei der Ermittlung des mutmaßlichen Willens in der entscheidungsfordernden Situation berücksichtigt werden - , obwohl sie doch auch und gerade für den Fall eines längeren Krankheitsprozesses erteilt wurde. Hinzu kommt, daß es für die ärztliche Beurteilung der Frage, ob ein apallisches Syndrom - wie in der Verfügung häufig gefordert mit hoher Wahrscheinlichkeit irreversibel ist, einer gewissen Zeit bedarf. 212 So auch die Handreichungen für Ärzte zum Umgang mit Patienten Verfügungen der BÄK (1999), sub 6 f. sowie Hirthammer, Rheinisches Ärzteblatt 2000, 25, 25.
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Eine in diesem Zusammenhang bedeutsame Frage besteht darin, auf welche Art und Weise der Verfügende noch dokumentieren kann, daß der von ihm getroffenen Verfügung auch weiterhin verbindliche Geltung zukommen solle. Zu denken wäre diesbezüglich an die in manchen Ländern gängige Praxis der Führung staatlicher Register, aus denen Verfügungen abrufbar sind. Mit Hilfe dieser Register kann sichergestellt werden, daß der behandelnde Arzt Kenntnis vom Bestand der Verfügung erhält. So ist beispielweise in Dänemark ein staatliches Register eingeführt worden, bei dem jeder Volljährige gegen Einzahlung von 50 dän. Kronen eine Patientenverfügung niederlegen kann. 213 Auch in Deutschland war zunächst ein amtliches Zentralregister im Gespräch, doch sind diese Vorhaben - ebenso wie entsprechende Planungen für Betreuungsverfügungen 214 und Planungen im Bereich der Transplantationsmedizin - nicht realisiert worden. Datenschutzrechtliche Bedenken und finanzielle sowie technische Schwierigkeiten bilden die Gründe dafür. Ahnliche Erwägungen waren maßgeblich für die Entscheidung des Bundesgesundheitsministeriums, von der in § 2 Abs. 3 TransplG erteilten Ermächtigung, ein Organspenderegister zu schaffen, keinen Gebrauch zu machen. Den Patienten bleibt deshalb nur die Möglichkeit, ihre Angehörigen und engeren Bekannten einzubeziehen und auch ihnen ein Exemplar der Verfügung zu übergeben, wenn sie die Verfügung nicht selbst an exponierter Stelle aufbewahren wollen. Dies stellt schon deshalb keine überzogene Forderung dar, weil die Patientenverfügung eine Handlungsoption des Patienten bildet. Selbstbestimmung bedeutet aber - wie gezeigt wurde - auch Selbstverantwortung. Es muß also auch in seinem Verantwortungsbereich liegen, dafür zu sorgen, daß die Aktualität der Wünsche belegbar ist. 2 1 5
gg) Form Schließlich stellt sich die Frage, ob eine Patientenverfügung die Schriftform wahren muß, um Rechtsverbindlichkeit zu erlangen. Auch diese Frage wurde bislang durchaus unterschiedlich beantwortet und nicht geklärt. Sie stellt sich umso dringlicher, als seit dem 1. Januar 1999 Vorsorgevollmachten, die sich auf risikoreiche ärtzliche Behandlungen im Sinne des § 1904 Abs. 1 Satz 1 BGB beziehen, gemäß § 1904 Abs. 2 BGB formbedürftig sind. 216 Nicht zwingend erscheint es freilich, schon allein daraus den Schluß zu ziehen, auch die Patientenverfügung bedürfe der Schriftform, weil auch durch sie eine lebenswichtige Entscheidung für die Zukunft getroffen werde und ein Bedürfnis bestehe, den 21
3 Hybel, in: Taupitz, Rz. DK 58; Uhlenbruck, Selbstbestimmtes Sterben, 318. 214 Vgl. d a z u s u b 5.
215 Da Vormundschaftsgerichte nicht dazu verpflichtet sind, Patienten Verfügung zur Niederlegung anzunehmen, lehnen sie eine Annahme in aller Regel ab - vgl. Uhlenbruck, Selbstbestimmtes Sterben, 318 - . Hierzu bedürfte es einer entsprechenden gesetzlichen Regelung oder zumindest eines Erlasses. 216 Vgl. dazu sogleich sub 4. b) cc) aaa).
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2. Teil: Durchsetzung des Selbstbestimmungsrechts
Betroffenen vor Übereilung zu schützen.217 Denn eine Patientenverfügung stellt eine Behandlungsanweisung dar, die antezipiert abgegeben wird, jedoch keine Bevollmächtigung. Behandlungsanweisungen an den Arzt bedürfen grundsätzlich nicht der Schriftform, 218 auch wenn diese vielfach aus Beweisgründen gewahrt werden wird. Wenn § 1904 Abs. 2 BGB ein Schriftformerfordernis statuiert, ist dies vor allem deshalb verständlich, weil ein anderer die Rechtsmacht erhält, Entscheidungen, die möglicherweise Leben und Tod des Vollmachtgebers betreffen, zu fällen, während dies der spätere Patient im Falle der Patientenverfügung selbst tut. Gewiß läßt sich nicht verkennen, daß eine Patientenverfügung regelmäßig schon deshalb schriftlich erteilt werden wird, damit der Betreffende deutlich machen kann, daß er über Inhalt und Tragweite seiner Anordnung unterrichtet sei, 219 und sichergestellt ist, daß die Verfügung später tatsächlich befolgt werden wird. Der Arzt soll an eine Entscheidung gebunden werden, die außerhalb seines Kenntnisbereichs zustandegekommen ist. Fraglich bleibt dennoch, ob schriftliche Erteilung einer Patientenverfügung zwingend gefordert werden kann. Dafür ließe sich ein Erst-recht-Schluß ins Feld führen: Wenn im Hinblick auf den eigenen Tod getroffene letztwillige Verfügungen über das Vermögen strengen Formvorschriften unterliegen (vgl. §§ 2229 ff. BGB und insbesondere § 2247 BGB), sei es nicht richtig, daß Verfügungen über Maßnahmen, die den eigenen Körper und das eigene Leben betreffen, mündlich in rechtsverbindlicher Weise abgegeben werden können. 220 Obwohl dieses Argument überzeugend erscheint, wäre es wenig sachgerecht, die Wahrung der Schriftform als Voraussetzung der Rechtsverbindlichkeit einer Patientenverfügung zu fordern. Diese Voraussetzung würde zu einer nicht unbedeutenden Beschränkung des Selbstbestimmungsrechts führen: Dem Betroffenen wäre die Möglichkeit genommen, aktuellen Veränderungen im situativen Umfeld oder im eigenen Willen Rechnung zu tragen. Wer für die antezipierte Behandlungsanweisung Formerfordernisse statuiert, muß diese auch für ihren Widerruf anerkennen (actus-contrarius-Gedanke); er erschwert damit dem Betroffenen, sich zu einem späteren Zeitpunkt überhaupt zu entscheiden bzw. anders zu entscheiden, zu dem er nicht mehr schreiben oder sich nicht ohne weiteres zu einem Notar begeben kann. Die Vereinbarkeit einer solchen Anforderung mit Art. 5 Abs. 3 des Menschenrechtsübereinkommens zur Biomedizin des Europarates erschiene in hohem Maße fragwürdig. Aus diesen Gründen dürfte die einer Begründung entbehrende Feststellung der wohl herrschenden Auffassung, daß eine Patientenverfügung der Schriftform nicht zwingend bedürfe, zutreffend sein. 221 217
Dies unternimmt allerdings Taupitz, Gutachten 63. DJT, A 118. 218 Allgemeine Ansicht, vgl. hier nur BGH, Urt. v. 7. 10. 1975, L M Nr. 15 zu § 823 BGB m. Anm. Steffen; Laufs, in: Laufs/Uhlenbruck, HdB ArztR, § 66 Rz. 14. 219 Dazu supra bb) bbb). 220 So argumentieren Bernsmann, ZRP 1996, 87, 92; Kollmer, Selbstbestimmung im Betreuungsrecht, 154.
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4. Vorsorgevollmacht Mit Einführung des neuen § 1904 Abs. 2 BGB durch das BtÄndG vom 25. Juni 1998, das am 1. Januar 1999 in Kraft getreten ist, hat der Gesetzgeber zu erkennen gegeben, daß auch eine rechtfertigende Einwilligung in ärztliche Maßnahmen im allgemeinen durch einen rechtsgeschäftlich bestellten Vertreter - also Bevollmächtigten, § 167 BGB - erteilt werden kann. Eine weitere Möglichkeit, sein Selbstbestimmungsrecht vor Eintritt einer zur Entscheidungsunfähigkeit führenden irreversiblen und tödlich verlaufenden Krankheit auszuüben, wird deshalb heute vielfach in einer antezipierten Bevollmächtigung zur Erteilung passiver Sterbehilfeanweisungen gesehen. Schon seit längerer Zeit diskutiert man in Rechtsprechung und medizinrechtlicher Literatur im Rahmen des Problemkreises der „Vorsorgevollmacht", ob die privatautonome Bestellung einer dem späteren Patienten wohlbekannten Person zum Vertreter gerade auch für den Fall einer Behandlungsanweisung am Lebensende möglich ist. Unter einer „Vorsorgevollmacht" in medizinischen Angelegenheiten versteht man allgemein die zum Zwecke der Vorsorge erfolgende zielgerichtete Bevollmächtigung einer Person durch den Betroffenen, diese solle im Falle seiner Entscheidungsunfähigkeit die notwendigen Erklärungen und Behandlungsanweisungen nach unter Umständen genauer festgelegten inhaltlichen Vorgaben treffen. 222 Der Bevollmächtigte soll die Berechtigung zur rechtlichen Fürsorge im medizinischen Bereich stets erst ab dem Zeitpunkt innehaben, zu dem der Vollmachtgeber selbst keine Behandlungsanweisungen mehr erteilen kann, also entscheidungsunfähig geworden ist. Es ist möglich, die Vollmacht unter der aufschiebenden Bedingung des Verlusts der Entscheidungsfähigkeit zu erteilen; 223 geschieht dies nicht, wird das zwischen Vollmachtgeber und Bevollmächtigtem vereinbarte Grundverhältnis, in dem sich das rechtliche Dürfen des Bevollmächtigten vertraglich regeln läßt, von Bedeutung. In jedem Fall folgt daraus, daß der Bevollmächtigte erst dann tätig werden können soll, wenn Entscheidungsunfähigkeit des Betroffenen eingetreten ist. 2 2 4 221 BT-Drucksache 11/4528, 208; Epple, BWNotZ 1992, 27, 30; Knittel, BtG, § 1896 Anm. 2. 1.; Uhlenbruck, Selbstbestimmtes Sterben, 305; Diederichsen, in: Palandt, Einf. v. § 1896 Rz. 10. 222 Vgl. etwa Uhlenbruck, in: Laufs / Uhlenbruck, HdB ArztR, § 132 Rz. 39; Deutsch, Medizinrecht, Rz. 398; Walter, FamRZ 1999,685,685 Fn. 2. 223 Uhlenbruck, NJW 1996, 1583,1584 f.; Dilcher, in: Staudinger, § 167 Rz. 10; Schramm, in: MüKo, § 167 Rz. 5; Larenz, Allgemeiner Teil, § 25 II, 497 f. - Vgl. auch Müller, DNotZ 1997, 100, 111 f.; Walter, FamRZ 1999, 685, 686; Bienwald, § 1896 Rz. 104. - Α. A. MüllerFreienfels, Vertretung beim Rechtsgeschäft, 249 (Vertretergeschäft entscheide). 224 Vgl. nur Schwab, in: MüKo, § 1904 Rz. 4. - Ist der Patient selbst entscheidungsfähig, kommt es auf die Vorsorgevollmacht nach ihrem Sinn und Zweck nicht an, weil dem Betroffenen eine selbstbestimmte Entscheidung über den Einsatz von Behandlungsmaßnahmen möglich ist und die Vollmacht lediglich für den Fall erteilt wurde, daß er selbst nicht mehr imstande ist, über seinen Körper zu bestimmen, damit Autonomie in größtmöglichem Um-
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2. Teil: Durchsetzung des Selbstbestimmungsrechts
Obgleich das Rechtsinstitut der Vorsorgevollmacht also dazu dient, das Selbstbestimmungsrecht des einzelnen Patienten in größtmöglichem Umfang zu wahren, besteht zu dem Rechtsinstitut der Patientenverfugung, das zu dem gleichen Zweck konzipiert wurde, ein wichtiger Unterschied: Während der Testator einer Patientenverfügung eine eigene Behandlungsanweisung vorsorglich erteilt, bevollmächtigt der spätere Patient in gesunden Tagen eine Vertrauensperson, die zu einem späteren Zeitpunkt eine Behandlungsanweisung als Vertreter des Patienten an den Arzt richtet. Eine Legaldefinition des Begriffs der Vorsorgevollmacht 2 2 5 i m allgemeinen wird in den §§ 1896 ff. BGB nicht gegeben. In der rechtswissenschaftlichen Literatur findet sich ferner der Begriff der „Altersvorsorge-Vollmacht", der allerdings zu eng ist, da die Vollmacht gerade regelmäßig nicht von älteren, sondern jüngeren Menschen vorausschauend erteilt w i r d ; 2 2 6 auch werden die mißverständlichen Termini der „Betreuungsvollmacht" - eine Betreuung erübrigt sich bei wirksamer Bevollmächtigung, wie der Erforderlichkeits- bzw. Subsidiaritätsgrundsatz des § 1896 Abs. 2 Satz 2 B G B ausdrücklich normiert - und des „Medizinischen Patientenanw a l t s " 2 2 7 benutzt. fang gewahrt wird. Allerdings stellt sich die bislang für Gesundheitsvollmachten nicht diskutierte Frage, wie der Vollmachtgeber praktisch sicherstellen kann, daß von der Vollmacht nicht schon zu Zeiten seiner noch bestehenden Entscheidungsfähigkeit Gebrauch gemacht wird. Für Vorsorgevollmachten, die die Regelung von Vermögensangelegenheiten zum Gegenstand haben, ist der Vorschlag gemacht worden, die Vollmacht als Innenvollmacht zu erteilen und die Aushändigung des Originals oder einer notariell beurkundeten Ausfertigung der Vollmachtsurkunde an den Bevollmächtigten durch den Notar von bestimmten Bedingungen - wie ζ. B. Vorlage eines Attestes über die Entscheidungsunfähigkeit des Vertretenen abhängig zu machen (vgl. Bühler, BWNotZ 1990, 1, 3 f.). Dieser Weg kann für Vermögensvollmachten, in denen regelmäßig keine unaufschiebbaren Entscheidungen gefällt werden müssen, empfehlenswert sein, weil sie dem Betroffenen einen optimalen Schutz bieten, doch ist er für Gesundheitsvollmachten - insbesondere wenn sie sich auch auf Sterbehilfeentscheidungen erstrecken sollen - nicht gangbar. Medizinische Entscheidungen müssen hier vielfach sofort und unter zeitlichem Druck gefällt werden. Dem Vollmachtgeber kommt es häufig gerade auch darauf an, eine wirksame Bevollmächtigung für derartige Eil- und Notfälle sicherzustellen - vgl. dazu sogleich - . Es wäre wenig sinnvoll, wenn der Vertreter von seiner Vollmacht erst nach Vorlage eines medizinischen Attestes über vorhandene Entscheidungsunfähigkeit des Patienten und nach Aushändigung der Originalvollmacht durch den Notar Gebrauch machen könnte. Es muß vielmehr genügen, wenn die Vollmacht gemäß § 158 BGB aufschiebend bedingt für den Eintritt der Entscheidungsunfähigkeit erteilt wird; tritt dieser Zustand ein, sollte die Vollmacht ohne zusätzlichen formalen Aufwand gelten. Ob die Entscheidungsfähigkeit gegeben ist, wird grundsätzlich der Arzt zu entscheiden haben, der mit der Prüfung der Einwilligungsfähigkeit von Patienten täglich konfrontiert wird. Möglicherweise sieht die Vollmacht auch vor, daß der Zustand der Entscheidungsunfähigkeit durch einen unabhängigen, nicht mit der Behandlung befaßten Arzt geprüft werden soll. Es handelt sich dann um eine antezipierte Erklärung des Patienten an den behandelnden Arzt, die Vornahme einer solchen Untersuchung selbst zu veranlassen. 225 Gebräuchlich ist ferner der Terminus „Gesundheitsvollmacht", doch hat sich demgegenüber die Bezeichnung „Vorsorgevollmacht" durchgesetzt, vgl. dazu Taupitz, Gutachten 63. DJT, A 97. 22 6 Walter, FamRZ 1999, 685, 685.
II. Entscheidungsunfähige Patienten
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Ihren Ursprung hat die Vorsorgevollmacht in den USA, wo die mit der Bindungswirkung einer Patientenverfügung verbundenen rechtstatsächlichen Unsicherheiten dazu geführt haben, daß sowohl von der Rechtswissenschaft als auch i m Rahmen der geltenden staatlichen Gesetze die „fortdauernde Stellvertretung" ( durable power of attorney in health care) entwickelt und anerkannt w u r d e . 2 2 8 In den USA hatte sich bei Juristen und Medizinern schon früh die Überzeugung durchgesetzt, daß dem Selbstbestimmungsrecht des Patienten für Fälle der Bewußtlosigkeit oder sonstiger Entscheidungsunfähigkeit durch gewillkürte Vertretung in Gesundheitsangelegenheiten (Health Care Proxy), d. h. des Einsatzes eines health care agent , in bestmöglicher Weise Rechnung getragen werden k a n n . 2 2 9 Die Rechtslage ist in den einzelnen Bundesstaaten nicht einheitlich, divergiert aber nur geringfügig. 2 3 0 Beispielhaft seien hier der Durable Power of Attorney for Health Care Decisions Act 231 und der Keene Health Care Agent Act 232 genannt. Danach ist der Stellvertreter befugt, Behandlungsentscheidungen i m Namen des Patienten eigenständig zu treffen und insbesondere über die Gewährung passiver Sterbehilfe wirksam zu entscheiden, sofern die Vertreterbestellung von zwei Zeugen unterschrieben oder notariell beurkundet w u r d e . 2 3 3 Ausgeschlossen ist lediglich eine 227 So etwa von der Deutschen Hospiz-Stiftung - vgl. die gleichnamige Informationsbroschüre zu Fragen des selbstbestimmten Sterbens aus dem Jahre 1999 - und dem 56. DJT 1986, der über die Zulässigkeit der Vertretung in Gesundheitsangelegenheiten unter dem Begriff „Medizinische Patientenanwaltschaft" entschied. 228 Vgl. die Darstellung bei Füllmich, Der Tod im Krankenhaus, 82, 83 m. w. N. in Fn. 253 f.; ders., NJW 1990, 2301, 2302; Deutsch, VersR 1990, 1401, 1402; ders., Medizinrecht, Rz. 398. 229 Uhlenbruck, Selbstbestimmtes Sterben, 327. 2 30 Herzog, in: Taupitz, Rz. USA 18. 231 California Uniform Durable Power of Attorney for Health Care Decisions Act, ch. 1204. 1983 Cal. Legis. Serv. 6907/Cal. Civ. Code sec.s 2410, 2423 (West. Supp. 1983). 232 Keene Health Care Agent Act, S. Β. 1365, ch. 602 und Cal. Civ. Code sec 2500. 233
Die Gesetze beruhen auf der Erwägung, daß der Patient nicht nur im voraus festlegen können soll, wie im Falle seiner Entscheidungsunfähigkeit zu verfahren sei, sondern auch, wer seine Entscheidung in diesem Fall durchsetzen soll, um so die mangelnde Flexibilität der Patientenverfügung in der konkreten Situation terminaler Krankheit zu kompensieren (Meyers, Medico-Legal Implications of Death and Dying, 119; Herzog, in: Taupitz, Rz. USA 18). Das Durable-Power-of-Attorney-for-Health-Care-Gesetz, dessen Appendix gleichsam das Keene-Health-Care-Agent-Gesetz bildet, kann stellvertretend für zahlreiche bundesstaatliche Durable-power-of-Attorney-Gesetze in den USA angeführt werden, die eine Bevollmächtigung auch für Fragen der Sterbehilfe zulassen, wenngleich einige Staaten Regeln in ihre Gesetze aufgenommen haben, wonach das jeweilige Gesetz nicht dahin ausgelegt werden soll, daß es Euthanasie oder ärztlich assistierten Selbstmord gestattet (vgl. zu den Einzelheiten Herzog, in: Taupitz, Rz. USA 18). Diese Gesetze sind in den letzten Jahrzehnten an Stelle der bis zu diesem Zeitpunkt geltenden allgemeinen Power-of-Attorney-Gesetze in Kraft getreten. Nach diesen Gesetzen erlosch die Bevollmächtigung ipso iure, wenn der Prinzipal geschäftsunfähig wurde (vgl. dagegen zum deutschen Recht unten b) dd)). Damit wurde sein Schutz bezweckt; ihm sollte eine jederzeitige Überwachung des Bevollmächtigten möglich sein (vgl. Restatement of the Law (Second), Agency 2d, American Law Institute Publishers (Hrsg.), sec.'s 122; Davis v. Lane, 10 Ν. H. 156, 158, 159 [1983]). Verlor er also die Geschäftsfähig-
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2. Teil: Durchsetzung des Selbstbestimmungsrechts
Einwilligung in einzelne, abschließend genannte Behandlungsformen ([Elektro-] Schocktherapie, psychochirurgische Eingriffe, Sterilisationen und Schwangerschaftsabbrüche). 234 In das deutsche Recht wurde der Rechtsbegriff der Vorsorgevollmacht im Jahre 1982 von Müller-Freienfels eingeführt. 235 Seinen Wortgebrauch übernehmend, empfahl Bühler 1990 mit Blick auf das am 1. Januar 1992 in Kraft tretende BtG eine Vorsorgevollmacht zur Vermeidung einer Betreuung. Dem entspricht § 1896 Abs. 2 Satz 2 BGB, nach dem eine Betreuung nicht erforderlich ist, wenn die Angelegenheiten durch einen Bevollmächtigten ebenso gut wahrgenommen werden können. Die Vollmacht kann sich auf vielfältige Angelegenheiten beziehen, so beispielsweise auf Vermögens-, Steuer- oder sonstige Rechtsangelegenheiten (Verfügung über Vermögensgegenstände, Vermögenserwerb, Inkasso o. ä.). Im Rahmen dieser Arbeit interessiert jedoch ausschließlich die Frage, ob einem Bevollmächtigten in wirksamer Form die Rechtsmacht übertragen werden kann, über den Einsatz lebensverlängernder oder lebenserhaltender medizinischer Behandlungsmaßnahmen zu entscheiden. Für das deutsche Recht hätte die Zulässigkeit einer Bevollmächtigung solchen Inhalts - die prima facie nicht selbstverständlich ist, weil sich dies dem Gesetz nicht entnehmen läßt - den Vorteil, daß gerade demjenigen die Entscheidungskompetenz in Sterbehilfefällen zukommen würde, dem der nunmehr entscheidungsunfähige Patient unbedingt vertraut, etwa einem bestimmten Familienmitglied oder einem sonstigen guten Bekannten; ihm stünde es zudem frei, Personen von einer Stellvertretung auszuschließen. Auch wäre die mit der Bestellung eines Betreuers - gegebenenfalls im Eilverfahren nach § 69 f FGG - unvermeidlich verbundene kurze Zeitspanne bis zur Einsetzung des Vertreters, in der der Arzt eine Entscheikeit, ging die Personen- und Vermögenssorge auf den Staat bzw. einen gesetzlichen Vertreter über. Im Laufe der Jahre erkannte man, daß diese Art der Repräsentation kostenintensiv und zeitaufwendig ist und daß zudem von dem Zeitpunkt an, zu dem der Hintermann geschäftsunfähig wurde, bis zur Ernennung eines Pflegers ein rechtliches Vakuum entstand (Wynn, A vacuum in our law, 27). Diese Erkenntnis greift nunmehr zunehmend auch in Deutschland Platz, wie die Stärkung des Instituts der Vorsorgevollmacht durch das am 1. Januar 1999 in Kraft getretene BtAndG zeigt. 234 Von diesen Beschränkungen abgesehen, kann aber der Vertreter alle Entscheidungen über die medizinische Fürsorge treffen. Das Health-Care-Agent-Gesetz normiert das Erfordernis der Benutzung eines bestimmten Formulars für die Benennung eines Vertreters in Gesundheitsangelegenheiten, in dessen § 4 dem Benutzer drei vorformulierte Varianten beispielhaft an die Hand gegeben werden, wie Entscheidungen über medizinische Fürsorge am Lebensende ausgestaltet werden können: (1) Keine künstliche Aufrechterhaltung des Lebens, wenn die Belastungen und Nachteile gegenüber den erwarteten Vorteilen überwiegen; (2) Keine künstliche Lebensverlängerung, wenn die Arzte der sicheren Überzeugung sind, daß der Prinzipal irreversibel komatös geworden ist; (3) Anwendung aller erdenklichen lebenserhaltenden Maßnahmen unter allen Umständen (siehe etwa ein entsprechendes Formular der California Medical Association, California Civil Code Sections 2410-2443, 1986). 235 Müller-Freienfels, in: FS Coing, 395 ff.; vgl. auch dens., in: FS Max Keller, 35, 37.
II. Entscheidungsunfähige Patienten
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dung aufgrund mutmaßlicher Einwilligung (GoA-Prinzip) 236 treffen müßte, noch weiter reduzierbar, wenn der Betroffene einen Vertreter selbst ernennen könnte und es deshalb der Bestellung eines Betreuers nicht bedürfen würde (vgl. § 1896 Abs. 2 Satz 2 BGB). Schließlich ist daran zu denken, daß die straf- und zivilrechtlichen Haftungsrisiken des Arztes gemindert würden, wenn die Behandlungsanweisung des Bevollmächtigten zur Durchführung oder zum Unterlassen lebenswichtiger medizinischer Maßnahmen Rechtsverbindlichkeit besäße und den Arzt bei seinem Tun rechtfertigen könnte. Denn wenn dies der Fall wäre, müßte der vom Patienten bestellte Vertreter an seiner Stelle aufgeklärt werden und die Entscheidung über die Gewährung passiver Sterbehilfe eigenverantwortlich treffen. 237 Diese Entscheidung würde den Arzt binden. Diese in der Rechtsprechung und Literatur bislang weitgehend offengebliebenen Fragen untersucht die vorliegende Arbeit nunmehr eingehend.
a) Rechtliche Zulässigkeit der Vorsorgevollmacht Ob die Bestellung eines vorsorglich Bevollmächtigten für eine Erteilung der Behandlungsanweisung, passive Sterbehilfe zu gewähren, möglich ist, wurde in Rechtsprechung und medizinrechtlicher Literatur lange Zeit noch kontroverser diskutiert als nach Inkrafttreten des § 1904 Abs. 2 BGB n. F. Sofern dies bejaht werden muß, fragt es sich, welche Anforderungen zu stellen sind; diesbezügliche umfassendere Untersuchungen liegen - soweit ersichtlich - bislang nicht vor.
aa) Rechtslage vor Inkrafttreten
des BtÄndG am 1. Januar 1999
Von weiten Teilen der Literatur wurde lange Zeit bezweifelt, ob das Rechtsinstitut der Vorsorgevollmacht in gesundheitlichen Angelegenheiten an sich überhaupt zulässig sei und, daran anknüpfend, ob ein rechtsgeschäftlich Bevollmächtigter über die Gewährung passiver Sterbehilfe befinden könne. Eine Darstellung der Rechtslage vor dem Inkrafttreten des BtÄndG vom 25. Juni 1998 ist an dieser Stelle schon deshalb erforderlich, weil sich nur dadurch die hier konzipierte Lösung der Problematik im Rahmen der ab dem 1. Januar 1999 geltenden Rechtslage verständlich machen läßt.
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Siehe dazu supra 1. Langenfeld, 89; Füllmich, Tod im Krankenhaus, 80; Peters, The Journal of Legal Medicine 1987,437,447. 237
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2. Teil: Durchsetzung des Selbstbestimmungsrechts
(1) Rechtstatsächliche Problematik Einige Autoren verneinten die Möglichkeit einer Bevollmächtigung zur Entscheidung über lebensnotwendige Behandlung schlechthin.238 Eine Stellvertretung sei nur bei der Einwilligung in die Beeinträchtigung vermögensbezogener Rechtsgüter oder lediglich eines engeren Bereichs persönlichkeitsbezogener Rechte - wie beispielsweise des Briefgeheimnisses - möglich; dies gelte aber nicht für existentielle Lebensbereiche wie Fragen über das „Ob" lebensnotwendiger Behandlungsmaßnahmen im Falle terminaler Erkrankung. Zur Begründung wurden gravierende Mißbrauchsrisiken angefühlt: Wenn der Patient seine Entscheidungsfähigkeit verloren habe und die Vorsorgevollmacht Wirkung entfalte, bestehe die Möglichkeit, daß Antipathien auftauchten oder reanimiert würden. Wer die Auffassung vertrete, daß die Vollmacht stets auf einem wahrhaftigen Vertrauensverhältnis fuße, laufe Gefahr, die Position zu idealisieren, in der sich Schwerstkranke ihrer Umwelt gegenüber befänden; ihre Stellung sei im Einzelfall eher von Abhängigkeiten als von berechtigtem Vertrauen geprägt. 239 Vor allem könne der Vollmachtgeber nach Eintritt seiner Entscheidungsunfähigkeit den Bevollmächtigten nicht mehr in hinreichendem Maße überwachen. Deshalb dürfe der hohe Wert des Lebensschutzes (Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG) nicht vorschnell aufgegeben werden, indem jenem eine Entscheidungskompetenz eingeräumt werde, der möglicherweise sachfremde Erwägungen verfolge. Diese Einwände sind jedoch in mehrfacher Hinsicht nicht stichhaltig. Wenn der Betroffene die zu bevollmächtigende Person, die für ihn das Für und Wider eines Einsatzes medizinischer Maßnahmen in der Situation terminaler Krankheit abwägen soll, selbst ausgewählt hat, ist er in der Lage, ein etwaiges Mißbrauchsrisiko aufgrund der in aller Regel sehr detaillierten Kenntnis der Person des Vertreters genau zu beurteilen. Insbesondere fällt dieses Mißbrauchsrisiko noch geringer als bei der Bestellung eines Betreuers aus, auf dessen Bestellung der Betroffene unter Umständen keinerlei Einfluß nehmen kann, für den der Gesetzgeber in § 1904 Abs. 1 BGB aber dennoch eine Entscheidungskompetenz vorgesehen hat. Zudem sei schon hier auf das Erfordernis einer vormundschaftsgerichtlichen Genehmigung der Entscheidung zum Verzicht auf lebensverlängernde bzw. lebenserhaltende Behandlunsmaßnahmen durch einen Bevollmächtigten hingewiesen, das insoweit als zusätzlicher Filter dient. 240 Schließlich muß berücksichtigt werden, daß das Gesetz in § 1896 Abs. 3 BGB das Rechtsinstitut der Vollmachtsüberwachungsbetreuung geschaffen hat, das es erlaubt, bei konkreten Verdachtsmomenten,241 der 238
Eser, Grenzen der Behandlungspflicht aus juristischer Sicht, in: Auer/Menzel/Eser, 83; Pelzl, KJ 1994, 179,184; Rickmann, 168 und 194 ff.; Zilkens, Zur Rechtfertigung lebensnotwendiger Operationen bei verweigerter Einwilligung, 93; Kutzer, NStZ 1994, 710, 715; Laufs, VersR 1972, 1,1. 23 9 L. H. Schreiber/C. Schreiber, ZRP 1993, 146, 146. 2 40 Vgl. dazu sub 3. Teil, IV. 241 BT-Drucksache 11/4528, 123; Bienwald, § 1896 Rz. 101 a. E.
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Bevollmächtigte mißbrauche seine Stellung, einen Überwachungsbetreuer, dem der Aufgabenkreis der Geltendmachung von Rechten des Betreuten gegenüber seinem Bevollmächtigten zugewiesen wird, zu bestellen; seine Kompetenz reicht unter Umständen sogar so weit, die Vollmacht zu widerrufen und selbst die Belange des Patienten wahrzunehmen. 242 Gegen die Zulässigkeit der Vorsorgevollmacht in den hier fraglichen gesundheitlichen Angelegenheiten wurde des weiteren ins Feld geführt, daß - sofern man die Gefahren eines Mißbrauchs in vertretbarer Weise als selteneren Ausnahmefall ansehe und ein Vertrauens- bzw. Näheverhältnis für den Regelfall unterstelle - jedoch das Risiko des Irrtums bestehe; zweifelhaft sei, ob ein Bevollmächtigter, der nicht in seiner eigenen Existenz tangiert werde, die Situation des Kranken in einem solchen Maß erfassen könne, daß er den mutmaßlichen Willen auch nur annähernd getreu wiederzugeben in der Lage sei. 243 Dagegen ist indes zutreffend vorgebracht worden, daß dieser Einwand der Bestellung eines Betreuers ebenso entgegengehalten werden könnte, doch bestehe diesbezüglich eine bewußte gesetzgeberische Entscheidung (vgl. § 1904 Abs. 1 BGB), der die Inkaufnahme eines Irrtumsrisikos zugrunde liege. 244 Ein letzter Einwand gegen die Statthaftigkeit der Bevollmächtigung einer Vertrauensperson zur Entscheidung über eine Lebensverlängerung bzw. -erhaltung wurde vom 56. Deutschen Juristentag zu Berlin 1986 vorgebracht; dieser beriet über die Zulässigkeit und kam im Anschluß an das Referat von Hiersche zu einer ablehnenden Entscheidung (52:4:6). Hiersche vertrat die Auffassung, daß das Institut des „Patientenanwalts" für die Entscheidungsfindung des Arztes unbrauchbar sei, da „der Stellvertreter bei jeder Frage über die Durchführung einer Behandlungsmaßnahme aufgeklärt und in seinen Entscheidungen geleitet" werden müsse. Durch die bloße Anerkennung dieses Rechtsinstituts werde aber der Konflikt des Arztes, ob und wie er behandeln müsse, nicht gelöst, auch bleibe die für jeden Mediziner unzumutbare Rechtsunsicherheit bestehen.245 Doch abgesehen davon, daß diese Beurteilung einseitig aus ärztlicher Sicht erfolgt, wird übersehen, daß auch jeder entscheidungsfähige Patient aufzuklären ist; würde man der Auffassung Hiersches folgen, so „wäre der Patient selbst nicht hilfreich bei der Entscheidungsfindung" 2 4 6 . Im übrigen ist nicht ersichtlich, warum „Rechtsunsicherheit" bestehen sollte, wenn man die Zulässigkeit einer vorsorglichen Bevollmächtigung anerkennen würde, denn wie auch bei der Entscheidung eines Betreuers ist der Arzt an die Entscheidung des Vertreters gebunden, die die Entscheidung des geschäftsunfähigen Patienten in vollem Umfange ersetzt. 242 Schwab, in: MüKo, § 1896 Rz. 58; Jürgens/Kröger/Marschner/Winterstein, Rz. 77. 243 Diese Bedenken äußern vor allem Rickmann, 198 f. sowie Peters, The Journal of Legal Medicine 1987,437,454. 244 Füllmich, Der Tod im Krankenhaus, 95 f. 245 Vgl. Hiersche, Gutachten 56. DJT, M 14. 246 So mit Recht Langenfeld, 92.
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2. Teil: Durchsetzung des Selbstbestimmungsrechts
Demnach bestanden auch hinsichtlich der bisherigen Rechtslage keine rechtstatsächlichen Bedenken gegen die Anerkennung der Vorsorgevollmacht.
(2) Rechtsdogmatische Problematik Damit war jedoch die Frage noch nicht geklärt, ob rechtsdogmatische Bedenken gegen ihre Zulässigkeit bestehen und - im verneinenden Falle - auf welcher rechtsdogmatischen Grundlage die Vorsorgevollmacht verankert werden kann. Ein generelles Argument gegen ihre Zulässigkeit wurde von Laufs vorgebracht, dem Teile der rechtswissenschaftlichen Literatur folgten, die die schon hinsichtlich der Zulässigkeit einer gesetzlichen Vertretung durch einen Betreuer bestehenden Bedenken auch im Rahmen der Diskussion über die Zulässigkeit einer Bevollmächtigung äußerten: Eine solch essentielle Entscheidung wie jene über den Einsatz lebensbewahrender medizinischer Maßnahmen könne und dürfe nur der Betroffene selbst treffen; die Gewichtigkeit der Entscheidung, die eng mit den persönlichen Wertvorstellungen und Auffassungen von Schmerzen u. ä. zusammenhänge, führe dazu, daß sie höchstpersönlich und einer Fremdentscheidung nicht zugänglich sei. Das Selbstbestimmungsrecht könne also nicht im Rahmen einer gewillkürten Stellvertretung übertragen werden. Die Möglichkeit, entsprechend seinen ureigensten Vorstellungen über die Durchführung ärztlicher Maßnahmen am Lebensende zu entscheiden, sei untrennbar mit der Person des Rechtsgutinhabers verbunden. Aus der Bevollmächtigung eines Vertreters folge jedoch zwingend Fremdbestimmung, die mit dem Selbstbestimmungsrecht des Betroffenen (Art. 2 Abs. 2 Satz 1, Abs. 1, Art. 1 GG) nicht zu vereinbaren sei. 247 Doch ebenso wie bei der Diskussion um eine die Vertretungsmacht eines Betreuers hindernde „Höchstpersönlichkeit" der Entscheidung wäre dem schon auf der Grundlage der Rechtslage vor dem Inkrafttreten des BtÄndG nicht zu folgen gewesen. Denn abgesehen davon, daß - anders als bei der Betreuung, die als Akt staatlicher Fürsorge in den Rechtskreis des Betroffenen eingreift - grundrechtliche Positionen durch die Bevollmächtigung einer Vertrauensperson nicht betroffen werden, weil Grundrechte nicht unmittelbar im Verhältnis zwischen Privatrechtssubjekten, sondern als Abwehrrechte nur im Verhältnis des Staates zum Bürger Anwendung finden und auf das Privatrecht lediglich über die Generalklauseln als „Einfallstore" ausstrahlen - sog. mittelbare Drittwirkung - 2 4 8 , ist es bei der Frage 247 Laufs, VersR 1972, 1, 1; Schwab, FamRZ 1992, 493, 495; Schmidt/Böcker, Betreuungsrecht, Rz. 21; Schumacher, FamRZ 1991, 280, 281; Dodegge, MDR 1992, 437, 439; Klüsener/Rausch, NJW 1993, 617, 618; Cypionka, DNotZ 1991, 571, 573; Marschner, Recht und Psychiatrie 1995, 138,138; Kirchhof, BtPrax 1994,101, 101. 248 Dies entspricht heute praktisch allgemeiner Auffassung, vgl. etwa BVerfG, Urt. v. 15. 1. 1958, BVerfGE 7, 198, 205 - „Lüth" - ; BVerfG, Urt. v. 3. 11. 1981, BVerfGE 58, 377, 396; BAG, Urt. v. 24. 5. 1989, JZ 1990, 139, 140; Dürig, in: MDHS, Art. 1 Rz. 127 ff.; Hueck, Der Grundsatz der gleichmäßigen Behandlung im Privatrecht, 96 ff.; Böckenförde,
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über das „Ob" einer möglichen lebenserhaltenden bzw. lebensverlängernden Behandlung entscheidungsunfähiger Patienten zwingend, daß eine Entscheidung von einem Dritten getroffen werden muß, wenn man die in den heutigen Krankenhäusern vorherrschenden Tendenzen zu einer Lebensverlängerung „um jeden Preis" und einer häufig qualvollen und sinnlosen Verlängerung des Todeskampfes nicht zur unausweichlichen Regel erheben will. Im übrigen setzen sowohl Lebenserhaltung oder Lebensverlängerung als auch passive Sterbehilfe eine Entscheidung Dritter voraus, so daß die von der Gegenmeinung postulierte „Höchstpersönlichkeit" praktisch nicht durchführbar war. Bereits die Wertung des § 1904 Abs. 1 BGB in der Fassung vom 1. Januar 1992 deutete dies für den Betreuer an. Daß ein vom späteren Patienten in gesunden Tagen persönlich bestimmter und für den Fall einer terminalen Erkrankung instruierter Bevollmächtigter, der das uneingeschränkte Vertrauen des Vollmachtgebers besitzt, seinen Willen und seine Wünsche ebenso gut wie ein Betreuer zum Ausdruck bringen, also sein Selbstbestimmungsrecht realisieren kann, liegt auf der Hand. Es war daher folgerichtig, die Autonomie des Betroffenen auch am Lebensende zu stärken, indem das Rechtsinstitut der Vorsorgevollmacht auch im hier fraglichen Bereich anerkannt wurde. Bedenken hinsichtlich eines Übermaßes an Fremdbestimmung erschienen demzufolge nach richtiger Ansicht seit jeher unbegründet. Fraglich konnte deshalb nur sein, auf welche rechtsdogmatischen Grundlagen sich die Vorsorgevollmacht gründet. Dafür wurden in der rechtswissenschaftlichen Literatur verschiedene Lösungswege vorgeschlagen, die man vereinzelt sogar miteinander verband.
(a) §§ 164ff. BGB Teile der medizinrechtlichen Literatur beriefen sich auf die §§ 164 ff. BGB, um die Bevollmächtigung eines Vertreters zur Erteilung oder Verweigerung von Behandlungsanweisungen bei Eintritt der Entscheidungsfähigkeit des Patienten zu ermöglichen. 249 Je nach Qualifikation der Behandlungsanweisung, passive Sterbehilfe zu gewähren, als rechtsgeschäftliche Willenserklärung oder rechtsgeschäftsähnliche Handlung seien die §§ 164 ff. BGB unmittelbar oder analog anwendbar. Selbst wenn der Grundsatz anerkannt werde, daß eine Stellvertretung in einigen durch das BGB geregelten höchstpersönlichen Angelegenheiten - wie beispielsweise Eheschließung, Testamentserrichtung etc. - nicht statthaft sei, so lasse sich dieser Grundsatz nicht auf Behandlungsanweisungen übertragen. Denn während Der allgemeine Gleichheitssatz, 18 ff.; Pieroth/Schlink, Staatsrecht II, Rz. 188 f.; Bleckmann, § 10 Rz. 68 ff. - Α. A. lediglich Nipperdey, Die Grundrechte II, 20, und - ihm folgend - lange Zeit der 1. Senat des BArbG, vgl. etwa das „Zölibatsklauselurteil" v. 10. 5. 1957, NJW 1957, 1688 ff., insbesondere im Hinblick auf Art. 1, 2 GG; Schwabe, Drittwirkung, passim; ders., AcP 185 (1985), 1, 1 ff.; Mayer, JZ 1985, 1111, 1113. 249 Füllmich, Der Tod im Krankenhaus, 97 ff.; Uhlenbruck, MedR 1992, 134, 140; Meier, BtPrax 1994, 2301, 2302.
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2. Teil: Durchsetzung des Selbstbestimmungsrechts
der Betroffene bei Eheschließung oder Testamentserrichtung noch eine eigene Ermessensentscheidung treffen könne, sei dies im Falle eines entscheidungsunfähigen Patienten anders. Im übrigen zeige nicht nur § 1904 Abs. 1 BGB, sondern beispielsweise auch § 1626 bzw. § 1627 BGB, daß eine Vertretung in anderen „höchstpersönlichen" Bereichen keinen durchgreifenden Bedenken begegne.
(b) Übertragung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts
zur Ausübung
Eine andere Auffassung sah sich in der These, die Bestellung eines vorsorglich Bevollmächtigten in gesundheitlichen Angelegenheiten sei nach geltendem deutschen Recht möglich, durch die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs bestätigt. Denn auch dann, wenn man mit der Gegenauffassung annehme, das Selbstbestimmungsrecht des Patienten sei weder einem Verzicht zugänglich noch übertragbar, könne nicht verkannt werden, daß jedenfalls die Ausübung dieses Rechts delegiert werden könne. 250 Dies bestätigten die „Mephisto"- und „Cosima-Wagner"-Entscheidungen des Bundesgerichtshofs; das Gericht habe darin gar eine Übertragung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts für zulässig erklärt, um die Führung von Urheber- und Ehrenschutzprozessen nach dem Tod des Berechtigten zu ermöglichen. 251 Diese grundsätzliche Übertragbarkeit müsse erst recht für die hier zu erörternde Problematik gelten, bei der lediglich eine bedingte Überlassung der Befugnis, eine Einwilligung in medizinische Maßnahmen zu erteilen oder bzw. und zu verweigern, notwendig sei. 252
(c) § 1896 Abs. 2 Satz 2 BGB als rechtliche Grundlage Nach Inkrafttreten des BtG wurde von der die Möglichkeit einer Bevollmächtigung bejahenden Auffassung eine rechtliche Grundlage in § 1896 Abs. 2 Satz 2 BGB erblickt. Auch wenn § 1896 Abs. 2 Satz 2 BGB die Zulässigkeit einer Stellvetretung bei der Entscheidung über die Durchführung lebensnotwendiger ärztlicher Maßnahmen nicht ausdrücklich anordne und es zutreffe, daß die Annahme, der Gesetzgeber habe den Anwendungsbereich gewillkürter Stellvertretung auf den hier fraglichen Bereich erstrecken wollen, nicht zwingend sei, weil die Begründung des Gesetzesentwurfs vor allem Beispiele aus dem vermögensrechtlichen Bereich aufgeführt habe, so daß man den Schluß ziehen könne, der Gesetzgeber habe primär an eine bessere Ausnutzung der anerkannten Anwendungsmöglichkeiten der Bevollmächtigung insbesondere im Hinblick auf die Subsidiarität 250 Frost, Arztrechtliche Probleme des neuen Betreuungsrechts, 60 ff.; Meier, BtPrax 1994, 190, 193; Uhlenbruck, MedR 1992, 134, 140; ders., in: HdB ArztR, § 132 Rz. 17. 251 Vgl. BGH, Urt. v. 26. 11. 1954, BGHZ 15, 249 ff.; BGH, Urt. v. 20. 3. 1968, BGHZ 50, 133 f. - Zu dieser Frage ferner BGH, Urt. v. 8. 6. 1989, BGHZ 107, 384, 391 („Emil Nolde"). 252 Vgl. Füllmich, NJW 1990, 2301, 2302.
II. Entscheidungsunfähige Patienten
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der Betreuung gedacht, so spreche doch für eine rechtliche Grundlage vor allem, daß § 1896 Abs. 2 Satz 2 BGB allgemein die Subsidiarität der Betreuung gegenüber ebenso gut geeigneten tatsächlichen Hilfen normiere. Nichts anderes könne für ein privatautonom organisiertes Verhältnis im medizinischen Bereich gelten, da insbesondere der Betroffene eine selbst gewählte Vertrauensperson eher akzeptieren werde als einen staatlich bestellten Betreuer 253 und er gerade im so persönlichkeitsrelevanten Bereich am Lebensende seinen Willen, unerwünschte staatliche Einmischung in seine persönlichen Angelegenheiten fernzuhalten, realisieren können müsse. Diese Auffassung wurde durch ein Urteil des LG Stuttgart bestätigt, das zur Begründung der Zulässigkeit der Bevollmächtigung anführte, das Selbstbestimmunsgrecht des Patienten gebiete es, daß der Betreute bei unausweichlicher Fremdbestimmung zumindest vor Eintritt der Entscheidungsunfähigkeit noch Einfluß nehmen können müsse, welche Person seines Vertrauens die notwendigen Entscheidungen für ihn treffen solle. Anderenfalls - so das Gericht - verkehre sich die dem Selbstbestimmungsrecht immanente Freiheitsgarantie in ihr Gegenteil, wenn dem mündigen Individuum verwehrt werde, selbst zu bestimmen, ob und wem es sich anvertrauen wolle. Es müsse in der freien Entscheidung des späteren Patienten liegen, ob er auf den Schutzmechanismus der Betreuungsregeln verzichte, die trotz ihrer Schutzfunktion einen staatlichen Eingriff darstellten, der mit seinen Verfahrensregelungen durchaus als belastend empfunden werden könne. Als Regulativ gegen Mißbräuche sei die Bestellung eines Vollmachtsüberwachungsbetreuers gemäß § 1896 Abs. 3 BGB ausreichend, dessen Aufgabenkreis in der Überwachung des Bevollmächtigten und gegebenenfalls dem Widerruf der Vollmacht liege. 254 Voraussetzung der Bestellung sei lediglich, daß konkreter Überwachungsbedarf bestehe: Es müßten tatsächliche Umstände darauf hindeuten, daß der Vertreter bewußt zum Nachteil des Vertretenen handele. Die Unfähigkeit des Betroffenen zur selbständigen Kontrolle reiche dagegen nicht aus, da die Vorsorgevollmacht diese Situation gerade erfassen solle. 255 Innerhalb dieser von der Rechtsprechung und einem Teil der Literatur vertretenen Auffassung bestand freilich keine Einigkeit über diese Voraussetzung und etwaige weitere Sicherungsmittel. Teilweise wurde vertreten, eine Vorsorgevollmacht könne nur dann zulässig sein, wenn stets und gleichzeitig eine Überwachungsbetreuung installiert werde. 256 Diese Ansicht bezweckte vor allem, Risiken eines Mißbrauchs der Vollmacht vorzubeugen. Sie widersprach aber der Auffassung des Gesetzgebers. Im Regierungsentwurf des BtG wird nämlich ausdrücklich klargestellt, es stelle auch eine Ausprägung des Erforderlichkeitsgrundsatzes des 253 Eisenbart, 213; A. Langenfeld/G. Langenfeld, ZEV 1996, 339, 340; Diederichsen, in: Palandt, 57. Aufl., Vor § 1896 Rz. 8, § 1896 Rz. 21, § 1904 Rz. 1; Uhlenbruck, NJW 1996, 1583, 1583; Kern, MedR 1993, 245, 245; ders., NJW 1994, 753, 757. 254 LG Stuttgart, Urt. v. 16. 9. 1993, BtPrax 1994, 64, 66. 255 Vgl. dazu Cypionka, DNotZ 1991, 571, 574; Schwab, in: MüKo, § 1896 Rz. 144; Knittel, Betreuungsgesetz, Rz. 26 f. 256 Walter, 153; Stolz, FamRZ 1993, 642, 644. 11 Heyers
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2. Teil: Durchsetzung des Selbstbestimmungsrechts
§ 1896 Abs. 2 Satz 2 BGB dar, daß ein Überwachungsbetreuer nur bestellt werden dürfe, wenn eine solche Überwachung in concreto erforderlich sei, d. h. im Falle sog. konkreten Überwachungsbedarfs. 257 Eine noch weitergehende Auffassung hielt dies nicht für ausreichend; sie verlangte nicht nur eine nach § 1896 Abs. 3 BGB bestehende mittelbare, sondern eine unmittelbare vormundschaftsgerichtliche Kontrolle der Entscheidung des Bevollmächtigten, da der praktische Wert einer Vollmachtsüberwachungsbetreuung bestreitbar sei: Gerade in den Fällen, in denen sich eine Überwachung als notwendig erweise, sei zu befürchten, daß ein Streit zwischen Bevollmächtigtem und Überwachungsbetreuer die erforderlichen Maßnahmen hemme oder ein Mißbrauch erst nachträglich durch den Überwachungsbetreuer entdeckt werde. Auch erhalte das Vormundschaftsgericht möglicherweise schon gar keine Kenntnis von einem konkreten Überwachungsbedarf, so daß es zu einer Betreuerbestellung gar nicht erst komme. 258 Unter Umständen seien dann jedoch bereits vollendete, irreparable Tatsachen geschaffen. Doch auch dieser Einwand greift nicht durch, weil sich dieses Risiko ebenso im Falle gerichtlicher Beauftragung und abstrakt vorgesehener, konkret jedoch verspäteter Kontrolle verwirklichen kann. Zusammenfassend läßt sich feststellen, daß schon nach vorheriger Rechtslage keine grundlegenden rechtlichen Bedenken gegen die Zulässigkeit einer Entscheidung eines Bevollmächtigten über das Leisten passiver Sterbehilfe bestand. Zwar erscheint der Lösungsansatz einer Übertragung der Befugnis zur Ausübung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts nicht Vorzugs würdig: Abgesehen davon, daß bereits die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, auf die sich die oben Genannten berufen, keineswegs unproblematisch ist, liegt es nicht fern, einen Erst-rechtSchluß abzulehnen, weil sich Behandlungsanweisungen auf den Körper des Betroffenen beziehen und unter Umständen - wie insbesondere im Fall der Sterbehilfe auch höherrangige Rechtsgüter (Recht auf Leben, Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG) tangieren. Bei postmortalen Persönlichkeitsrechten aber wirkt lediglich das geistige Potential und der damit verbundene Ruf des Betroffenen fort. Sofern man auch in § 1896 Abs. 2 Satz 2 BGB keine taugliche Rechtsgrundlage sehen wollte, weil dieser die Bestellung eines Betreuers als subsidiäres Instrument anordnet, aber nicht ausdrücklich von einer Bevollmächtigung in Gesundheitsangelegenheiten spricht, konnten nach hier vertretener Auffassung - insbesondere da die Behandlungsanweisung als rechtsgeschäftliche Willenserklärung zu qualifizieren ist - die §§ 164 ff. BGB unmittelbare Anwendung finden. Offengeblieben sind allerdings vor allem die Voraussetzungen einer wirksamen Bevollmächtigung und des Umfangs etwaiger Sicherungsmittel, die nachfolgend geklärt werden.
257 BT-Drucksache 11/4528, 123. 258 So vor allem Rieger, 136.
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bb) Rechtslage seit Inkrafttreten des BtÄndG v. 25. Juni 1998 und der Einfuhrung des § 1904 Abs. 2 BGB Am 1. Januar 1999 trat das Gesetz zur Änderung des Betreuungsrechts sowie weiterer Vorschriften vom 25. Juni 1998 - BtÄndG - 2 5 9 in Kraft. Die Schwerpunkte des schon sieben Jahre nach Inkrafttreten des Betreuungsgesetzes notwendig gewordenen Änderungsgesetzes liegen im Verfahrensrecht sowie materiellrechtlich vor allem auf dem Gebiet der Vergütungsregelungen. Gleichwohl hat das BtÄndG an vereinzelten Stellen bedeutsame Korrekturen vorgenommen, die das Rechtsinstitut der Vorsorgevollmacht betreffen. Insbesondere wurde auch beabsichtigt, den einzelnen stärker als bisher zu motivieren, solche Vollmachten zu erteilen; 260 dies erfolgte vor allem zum Zwecke der Entlastung der Staatskasse und um dem Staat Betreuungen - für die es oft auch an geeigneten Betreuern fehlt - 2 6 1 möglichst zu ersparen. 262 Im Rahmen der Neuregelungen muß die gesetzliche Anerkennung einer vorsorglich erteilten Vollmacht zur Erteilung von Behandlungsanweisungen gegenüber dem Arzt (§ 1904 Abs. 2 BGB) als bahnbrechend bezeichnet werden. Wie die Gesetzesbegründung zeigt, 263 strebte der Gesetzgeber eine vermittelnde Position zwischen den oben dargelegten Auffassungen an: Einerseits wollte er die Selbstbestimmungsmöglichkeiten eines entscheidungsunfähigen Patienten auch über den Zeitpunkt des Verlusts seiner Entscheidungsfähigeit hinaus erhalten. Andererseits erkannte er das entscheidende Argument der Gegenauffassung teilweise an, die Bestimmungsmöglichkeit über die eigene Person dürfe nicht durch Vollmacht auf einen anderen übertragen werden, weil der Stellvertreter keiner ausreichenden gerichtlichen Kontrolle unterliege. Aus diesem Grunde erklärte er die Bevollmächtigung eines Vertreters zur Erteilung einer Einwilligung gegenüber dem Arzt für zulässig, koppelte diese unter besonderen Voraussetzungen allerdings an das Erfordernis einer gerichtlichen Genehmigung nach § 1904 Abs. 2 Satz 1, Abs. 1 Satz 1 BGB. Für die Entscheidung eines Bevollmächtigten, passive Sterbehilfe bei einem entscheidungsunfähigen Patienten zu gewährleisten, besteht damit eine Rechtsgrund259 BGBl. I, 1580. 260 Knittel, BtPrax 1997, 53, 53. Dies läßt sich mit den Vorschriften des § 1908 f. Nr. 2 lit. a BGB, wonach ein rechtsfähiger Verein für die Anerkennung als Betreuungsverein u. a. gewährleisten muß, daß er planmäßig über Vorsorgevollmachten und Betreuungsverfügungen informiert, des § 6 BtBG, der als Aufgabe der örtlichen Betreuungsbehörde bestimmt, daß sie die Aufklärung und Beratung über Vollmachten und Betreuungsverfügungen fördert, und des § 68 Abs. 1 Satz 3 FGG, der das Gericht verpflichtet, bei der Anhörung des Betroffenen im Rahmen eines Betreuungsverfahrens in geeigneten Fällen auf die Möglichkeit der Vorsorgevollmacht und deren Inhalt hinzuweisen, belegen. 261 Bienwald, § 1896 Rz. 98. 262 Walter, FamRZ 1999, 685, 686. 263 Vgl. BT-Drucksache 13/7158, 34. 11*
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2. Teil: Durchsetzung des Selbstbestimmungsrechts
läge in § 1904 Abs. 2 BGB, da die Behandlunganweisung zu passiver Sterbehilfe wie oben dargelegt - aus einer Einwilligung in palliativ-medizinische Maßnahmen einerseits und der Verweigerung einer Einwilligung in lebensverlängernde oder lebenserhaltende Maßnahmen andererseits zusammengesetzt ist. Auch letztere fällt als ebenso selbstbestimmte Behandlungsanweisung wie die Einwilligung unter § 1904 Abs. 2 BGB. 2 6 4 Im übrigen kann eine Vorsorgevollmacht, die die Kompetenz zur Erteilung einer Behandlungsanweisung, lebensverlängernde bzw. -erhaltende Maßnahmen einzusetzen, aufrechtzuerhalten oder zu unterlassen, enthält, ohne weiteres anhand der allgemeinen Vollmachtsdogmatik der §§ 164 ff. BGB behandelt werden; sie erweist sich nicht als besonderer Typus, der eigenen Regeln folgt. 265 Dies entspricht auch der Auffassung des Gesetzgebers, der in der Gesetzesbegründung des BtAndG für die Vorsorgevollmacht auf die allgemeinen Regeln der §§ 164 ff. BGB verweist. 266 Da eine Stellvertretung nach allgemeiner Auffassung nicht nur bei der Abgabe von Willenserklärungen, sondern auch bei geschäftsähnlichen Handlungen möglich ist, 2 6 7 käme es auf die eingangs vorgenommene Qualifizierung der Behandlungsanweisung als Willenserklärung oder rechtsgeschäftsähnliche Handlung nicht entscheidend an. Auch bestehen insoweit keine Besonderheiten, als im allgemeinen von einer Vollmacht regelmäßig erst in näherer oder ferner Zukunft Gebrauch gemacht werden kann und soll, sie gegebenenfalls nur unter bestimmten Voraussetzungen und in bestimmtem Umfang ausgeübt werden soll, ferner, als auch die Bevollmächtigung unter einer Bedingung - hier: der Eintritt der Entscheidungsunfähigkeit - erteilt werden kann. 268 Demnach stellt die Bevollmächtigung einer anderen Person für den zukünftigen und vielleicht ungewissen Fall der eigenen Handlungsunfähigkeit keine Besonderheit dar.
b) Wirksamkeitsvoraussetzungen Den allgemeinen Regeln der Stellvertretung entsprechend, ist eine in fremdem Namen erteilte Behandlungsanweisung nur wirksam, wenn die Vollmacht dazu wirksam erteilt wurde. Es ist deshalb bedeutsam, welche Wirksamkeitsvoraussetzungen bestehen.
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Siehe dazu vor allem supra 1. Teil, V. 265 Vgl. z u m höchstpersönlichen Bereich allgemein Baumann, MittRhNotK 1998, 1, 6; Walter, 266. 2