Passion & Kalkül: Der Verleger Georg Andreas Reimer (1776-1842) [Reprint 2012 ed.] 9783110808810, 9783110166439

This book presents the history of the publishing house of Georg Andreas Reimer (1776-1842), the most important publisher

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Table of contents :
Danksagung
Verzeichnis der verwendeten Abkürzungen
I THEMA
1. Vorbemerkungen
2. Stand der Forschung
3. Quellenlage
II ENTSTEHUNG UND ENTWICKLUNG DER FIRMA REIMER
1. Georg Reimer auf dem Weg zum Verleger
2. Phasen der Verlagsgeschichte: Von der Realschulbuchhandlung zum Großverlag
III DAS VERLAGSPROGRAMM
1. Die Auswertung des Verlagskatalogs
2. Die Sparten des Verlagsprogramms
IV DAS VERLAGSGESCHÄFT
1. Geschäftsdaten
2. Vertragsbestimmungen
3. Die Verträge Reimers
4. Auflagen, Auflagenhöhe
5. Vergütung an die Autoren
6. Verlagskalkulation
V REIMER ALS VERLEGER ROMANTISCHER LITERATUR
1. Zu den Schriftstellern der Zeit, romantischer Geselligkeit und Reimer als Verleger
2. E. T. A. Hoffmann bei Reimer
3. A. W. Schlegel und Reimer
4. Ludwig Tieck
5. Die Brüder Grimm und Reimer
VI AUSBLICK
Literaturverzeichnis
Zeittafel
Personenregister
Abbildungsverzeichnis
Anhang (CD-ROM)
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Passion & Kalkül: Der Verleger Georg Andreas Reimer (1776-1842) [Reprint 2012 ed.]
 9783110808810, 9783110166439

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Doris Reimer Passion & Kalkül

1749

I

1999

I

Doris Reimer

Passion & Kalkül Der Verleger Georg Andreas Reimer (1776-1842)

W G DE

Walter de Gruyter · Berlin · New York 1999

© Gedruckt auf säurefreiem Papier, das die US-ANSI-Norm über Haltbarkeit erfüllt.

Die Deutsche Bibliothek -

CIP-Einheitsaufnahme

Passion & Kalkül [Medienkombination] : der Verleger Georg Andreas Reimer (1776-1842) / Doris Reimer. - Berlin ; New York : de Gruyter Zugl.: Stuttgart, Univ., Diss., 1999 ISBN 3-11-016643-7 Buch. 1999 CD-ROM. 1999

© Copyright 1999 by Walter de Gruyter GmbH & Co. KG, D-10785 Berlin Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Ubersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Printed in Germany Satz der Druckvorlage: filmmedia GmbH, Marbach Einbandgestaltung: Christopher Schneider, unter Verwendung eines Fotos von Hans-Joachim Gerstenberg (Bildnis G. A. Reimer von Gottlob Berger) Druck·. Werner Hildebrand, Berlin Buchbinderische Verarbeitung: Lüderitz & Bauer-GmbH, Berlin

Für Heti Maier

Danksagung Am Ende der Arbeit und am Anfang des Buches steht Dank, der allen gilt, die auf die eine oder andere Weise zum Gelingen beigetragen haben. Ganz besonders herzlich danke ich Dr. Hedwig Maier, Hamburg, ohne deren vielfältige Anregung, sowie tatkräftige Unterstützung in finanzieller, geistiger und moralischer Hinsicht die Dissertation über Reimer und dieses Buch wohl nicht zustande gekommen wären. Die wichtigsten Quellen - wie die Hauptbücher, das Briefkopierbuch, Generalbilanzen, Verträge, Briefe - stammen, wenn kein anderer Nachweis angegeben ist, aus dem Archiv des Walter de Gruyter Verlags, dem Rechtsnachfolger des Reimerschen Verlags, dem ich für hervorragende Arbeitsmöglichkeiten in stets angenehmer Atmosphäre im Berliner Verlagshaus danke, sowie für die großzügige Erlaubnis, die Quellen zu benutzen und abzudrucken. Besonders erwähnen möchte ich dabei den inzwischen verstorbenen Professor Dr. Heinz Wenzel, der mir beim ersten Besuch im Verlag die Schätze des Archivs zeigte und mich bei meinen Berlin-Aufenthalten immer freundlich willkommen hieß; aber auch Dr. Gertrud Grünkorn, die jetzt, wie früher Professor Wenzel, als Abteilungsleiterin im Porträtzimmer sitzt und zu meiner Freude die Arbeit für die Veröffentlichung im Verlag betreute; und die Verlagsleiter Dr. Curt-Georg Cram und Dr. Hans-Robert Cram. Herr Cram sen. war ein sehr aufmerksamer und hilfreich kritischer Leser vor allem des Tieck-Kapitels und aller Aussagen über das Geschäft des Verlegens. Christian Winter danke ich für sein Interesse und seinem Sohn Jean-Pierre Winter und Karin Koch für das Wiederauffinden von Hauptbuch I - noch im richtigen Moment; Dr. Manfred Karbe für reiches Material zu Creile und Herrn Erdmann, u. a. für den so wichtigen Verlagskatalog von 1843. Von der Schleiermacherforschungsstelle an der Berlin-Brandenburgischen -Akademie der Wissenschaften danke ich vor allem Dr. Wolfgang Virmond für die großzügige Überlassung der Transkriptionen des Briefwechsels zwischen Reimer und Schleiermacher, der im Rahmen der Kritischen SchleiermacherAusgabe veröffendicht wird. Das Deutsche Literaturarchiv, Marbach, war mir in diesen Jahren, besonders mit dem Lesesaal der Bibliothek, eine angenehme und vertraute Arbeitsstätte. Mein Dank gilt zunächst den so freundlichen und berühmt hilfsbereiten Bibliothekarinnen und allen Mitarbeitern des Hauses, die mir bei der einen oder andern Frage weiterhelfen konnten. Besonders aber danke ich Dr. Bernhard Fischer,

Vili

Danksagung

dem Leiter des Cotta-Archivs, der sich als idealer Gesprächspartner erwies, für manch hilfreichen Hinweis, jederzeit spontane Unterstützung bei Entzifferungen und ideenreiche Vergleiche zwischen Cotta und Reimer. An dieser Stelle ist auch die Württembergische Landesbibliothek, Stuttgart, zu nennen, deren Buchbestände neben dem Literaturarchiv die Hauptquelle für bislang vorgenommene Autopsien von Reimer-Titeln boten; auch einige Handschriften wurden dort eingesehen. Der Horst-Kliemann-Stiftung danke ich für einen Reisekostenzuschuß. Professor Dr. Stephan Füssel, Göschen-Spezialist und Leiter des Instituts für Buchwesen in Mainz, danke ich ebenfalls für wichtige Anregungen; ihm und Dr. Mark Lehmstedt, Berlin, danke ich für Einladungen zu Fachtagungen und Veröffentlichungen im Vorfeld. Mein herzlicher Dank gilt an dieser Stelle auch den Herausgebern der Brandenburger Kleist-Ausgabe, Dr. Peter Staengle und besonders Dr. Roland Reuß, beide Heidelberg. Professor Dr. Paul Gerhard Klussmann, Bochum, danke ich für vertiefende Gespräche, das Erhellen von Hintergründen und vorausschauende Planungen, sowie produktive Ermunterungen. Professor Dr. Roger Paulin, Cambridge, danke ich für Informationen in Sachen Tieck. Dem Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz, Berlin, ist zu danken, aber auch dem nicht mehr existenten Staatsarchiv der DDR, da ich den Reimer-Nachlaß und andere Quellen seinerzeit noch in Merseburg benutzt habe. Mein Dank gilt auch der Staatsbibliothek Berlin mit beiden Häusern, dem Zentralen Grundbucharchiv Berlin, den Leipziger Archiven und Bibliotheken und dem Stadtarchiv Stralsund. Dem Stadtarchiv Greifswald danke ich für Recherchen und dem Superintendenten Heinrich Wackwitz in Greifswald für Einsicht in Kirchenbücher; Hermann Staub vom Archiv des Börsenvereins in Frankfurt ist zu danken, der Handschriftenabteilung der UB Göttingen, dem Brüder Grimm Museum Kassel, dem Hamburger Staatsarchiv, der Sächsischen Landesbibliothek Dresden sowie der Bibliotekajagielloñska in Krakau. Ganz außerordentlich hilfsbereit war Dr. Ingrid Pergande-Kaufmann von der Arbeitsstelle Grimm-Briefwechsel der Humboldt-Universität zu Berlin, deren Projekt „Grimm-Briefverzeichnis" ich wichtige Hinweise verdanke. Außerdem hat Frau Pergande-Kaufmann für mich Briefe aus dem Grimm-Nachlaß in der Berliner Staatsbibliothek kollationiert, wofür ich ihr herzlich danke. Speziell für Reimer erwähnen muß ich Dr. Doris Fouquet-Plümacher, Berlin, und Liselotte Kawaletz, Heidelberg. Außerdem danke ich den Verwandten Achim Reimer, Heidelberg, Anita Bürk in Tübingen, Familie Kreuser in Waldenbuch, Gert Reimer in Oldenburg und Ralf Reimer in Meckenheim. Sehr bedaure ich, daß Dr. Ernst Reimer, Winkel, und Helmut Schoepke, Heilbronn, den Abschluß meiner Arbeit und das Erscheinen des Buches nicht mehr miterleben konnten. Annette Schwarz-Laun, Murrhardt, danke ich für die sorgfältige Datenerfassung des Verlagskatalogs; Dr. Christiane Caemmerer, Berlin, für Hilfe vor Ort

Danksagung

IX

und Anne-Katrin Ziesak für Zuarbeit von Berlin nach Marbach; besonders danke ich Diethild Plattner, Marbach, für überaus gewissenhafte Korrekturarbeiten, für Vereinheitlichung der Fußnoten, Erstellung der Literaturliste, sowie eines Inhaltsverzeichnisses zu den Hauptbüchern. Professor Dr. Heinz Schlaffer, Stuttgart, danke ich für sein gründliches Lektorat; Birte Giesler, Karlsruhe, für die aufmerksame Überprüfüng der Transskriptionen von Handschriften und Dr. Sabine Werner-Birkenbach, Marbach, für vielfaltige Hinweise, was Organisation und Gestaltung der Arbeit betrifft. Gute Ideen für die Überarbeitung des Inhaltsverzeichnisses hatte Kerstin Sonnenwald, Marbach; Burkhart und Katharina von Wilucki, Marbach, besorgten Korrekturen in einer späten Phase vor der Drucklegung; außerdem halfen Frau von Wilucki und Barbara Hirschmüller, Löchgau, bei der Erstellung des Registers. Für Fehler, die trotz dieser vielfaltigen Hilfen stehen geblieben sind oder sich eingeschlichen haben, bin ich selbst verantwortlich; ich bitte, um mit den Worten G. A. Reimers zu schließen, der Leser möge sie selbst korrigieren. Die Datenkonvertierung und den Satz besorgte die filmmedia G m b H , Marbach; im Verlag betreute Wolfgang Konwitschny die Herstellung sehr geduldig und verständnisvoll. Für seine Geduld danken möchte ich auch Lorenz Obleser, Marbach. Gedankt sei ferner meinen Eltern und allen Verwandten, Freundinnen und Bekannten, die die Fertigstellung von Diss und Buch von mir erwartet haben und mitunter das allmähliche Verfertigen der Gedanken beim Reden beförderten; erwähnen möchte ich besonders Ingeborg Havran, Stuttgart, Eva PickGöttel, Kaiserslautern, sowie Horst Hussel, Berlin. Gedankt sei aber auch denen, die - durch Freundschaft zu meiner Tochter Philine - dazu beigetragen haben, daß ich in den letzten heißen Phasen den Kopf frei hatte für die Arbeit. Ganz besonders danke ich schließlich Dieter Marcello, der das Entstehen der Arbeit aus allernächster Nähe erlebte, für viele Anregungen im Gespräch, sowie tapferen Beistand mit Computer, Statistikprogramm, Haushalt und Kind. Marbach, im Spätsommer 1999

Inhaltsverzeichnis

I

Danksagung

VII

Verzeichnis der verwendeten Abkürzungen

XV

THEMA

Ι

\. Vorbemerkungen

3

2. Stand der Forschung

7

3. Quellenlage

15

Archiv Walter de Gruyter, Berlin 15 Das Briefarchiv • Weimers Briefkopierbuch (1815-1841 ) · Die Großen Hauptbücher · Das Älteste Geschäftsbuch • Das Private Ausgabenbuch • Das Kassenbuch · Die Mappe „Realschulbuchhandlung" · Inventuren • Der Verlagskatalog von 1843 Sonstige Archive und Bibliotheken 22 Staatsarchiv Preußischer Kulturbesit^ Berlin · Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesit^j Berlin · Archiv der Akademie der Wissenschaften, Berlin • Landesarchiv Berlin • Zentrales Grundbucharchiv, Berlin • Leipziger Archive und Bibliotheken · Deutsches Literaturarchiv, Marbach am Neckar • Biblioteka ]agielloüska, Krakau • Weitere Archivbestände Exkurs 1 : Was der Taler damals wert war 27 Exkurs 2: Über den heutigen Wert von Reimer-Ausgaben 33 II

ENTSTEHUNG UND ENTWICKLUNG DER FIRMA REIMER ..

1. Georg Reimer auf dem Weg zum Verleger Herkunft, Kindheit in Vorpommern 37 Lehrzeit als Buchhändler in Greifswald 40 Berlin, Geschäftsführer bei Lange 42 Das gesellschaftliche Umfeld 45 Im Haus des Buchhändlers Sander • Der Literaturstreit • Sander fordert Reimer • Zunehmende Konkurrent wischen Sander und Reimer

35

37

XII

Inhaltsverzeichnis

2. Phasen der Verlagsgeschichte: Von der Realschulbuchhandlung zum Großverlag

61

Die Realschulbuchhandlung vor Reimer 61 Beginn der Selbständigkeit: Die Realschulbuchhandlung in Erbpacht 65 Das Erbpachtverhältnis bis zu seiner Auflösung 70 Die ersten sechs Jahre 71 Autoren der Anfangsjahre 77 Fichte • Schleiermacher · Die Brüder Schlegel • Neuerscheinungen · Politisierung unter Napoleon

Zeitungsverleger der Befreiungskriege 101 Der Reimer-Verlag im Palais Wilhelmstraße 73 117 Das Palais · Kauf des Schwerinschen Palais und Einrichtung einer eigenen Drukkerei

Aufschwung während der Restauration 124 Turnfehde 131 Demagogenverfolgung 135 Betroffene Freunde • Reimer im Verhör • Auswirkungen

der Verfolgungen

Ankauf anderer Verlage 144 Konsolidiert. Werkausgaben in den zwanziger Jahren 147 Die Cholera in Berlin 151 Reimer im Berliner Magistrat 152 Familienpolitik zur Nachfolgesicherung 153 Teilung des Verlags 157 III

DAS VERLAGSPROGRAMM

159

1. Die Auswertung des Verlagskatalogs

161

2. Die Sparten des Verlagsprogramms

165

Pädagogik, Schulbücher und Jugendschriften 165 Schöne Literatur 166 Alt- und mittelhochdeutsche 'Literatur • Musikalien

Wissenschaften und angewandte Wissenschaften 169 Theologie, Religion, kirchliche Organisation • Philosophie · Medizin • Naturwissenschaften · Mathematik, Astronomie · Bau- und Ingenieurwissenschaften, Architektur • Berg- und Hüttenwesen · hand- und Forstwirtschaft • Rechts- und Staatswissenschaften, Volkswirtschaft, Politik und Verwaltung • Geschichte, Biographien • Altphilologie · Neuere Sprachen, Philologie, Literaturgeschichte • Kunstgeschichte • Kunstblätter, Atlanten und Karten · Militaría · Sonstiges

XIII

Inhaltsverzeichnis IV

D A S VERLAGSGESCHÄFT

185

1. Geschäftsdaten

187

Buchhaltung und Korrespondenzen Autoren • Drucker · Buchhändler

187

2. Vertragsbestimmungen

191

Rechtliche Rahmenbedingungen 191 Folgeauflagen, Neu- und Werkausgaben • Konsequenzen für Verleger und Autor

3. Die Verträge Reimers

199

4. Auflagen, Auflagenhöhe

204

Erstauflagen · Neue Auflagen • Ankauf

5. Vergütung an die Autoren

213

Allgemeines · Autorenhonorare im Vergleich • Staffelhonorar • Kapitalbeschaffung Pauschalhonorare und andere Sonderregelungen • Erfolgsabhängige Bezahlung, Gewinnbeteiligung • Zahlungsweise des Honorars • Weitere Bestimmungen

6. Verlagskalkulation H ö h e der Auflagen

243 243

Druck- und Satzkosten Papierkosten

244

246

Faktoren der Kalkulation

247

Direkte und indirekte Kosten • Handlungskosten, Verzinsung Nachkalkuliert - 26 Beispiele V

250

REIMER ALS VERLEGER ROMANTISCHER LITERATUR

253

1. Zu den Schriftstellern der Zeit, romantischer Geselligkeit und Reimer als Verleger

255

2. Ε. T. A. Hoffmann bei Reimer

267

3. A. W. Schlegel und Reimer

278

4. Ludwig Tieck Tiecks Verhältnis zu Verlegern - Tiecks Werk bei Reimer

297 297

Z u Tiecks Werk als Herausgeber und Übersetzer 300 Die Novalis-Ausgaben · Minnelieder aus dem Schwäbischen Zeitalter • Shakespeare Tieck als Autor im Reimer-Verlag 326 Der Weg zur Werkausgabe · Die Verhandlungen %ur Gesamtausgabe • Die Verlagsverträge mit Tieck

XIV

Inhaltsverzeichnis

Das Verhältnis zwischen Tieck und Reimer anhand der Interpretation der Hauptbuchseiten 345 Die Tieckschen Hauptbuchseiten · Ote Systematik der Reimerschen Hauptbucheintragungen • Die Tieckseiten im Hauptbuch I • Die Einträge ψ Tieck im Hauptbuch II • Zahlungsweise; %um Charakter der Zahlungen: Investition vs. Vorschuß · Probleme der Buchführung • Die gegenseitige Wert-Schätzung · Die ,General'-Abrechnungen • Das Dilemma des gegenseitigen Nicht-Verstehens Ludwig Tieck Hauptbuchseiten 357 5. D i e B r ü d e r G r i m m u n d Reimer 362 Verlag der ersten Ausgabe der Kinder- und Hausmärchen (1812 und 1815) 365 Keimers Korrekturen der plattdeutschen Märchen • Erscheinen des ersten Bandes und erste Reaktionen · Der zweite Band · Die Honorarfrage Verlag der neuen Auflage (1819-1822) 375 Verleger Max als Konkunent · Honorarbedingungen - Druck der Ausgabe Verlag der kleinen Märchen-Ausgabe (1825) 380 Weitere Auflagen der kleinen Ausgabe. Streit um Honoraransprüche in den dreißiger Jahren 383 Ferdinand Grimm bei Reimer 397 Die Edda 406 Der arme Heinrich und Reinecke Fuchs 415 VI

421

AUSBLICK Schlußbemerkungen

423

Literaturverzeichnis

425

Zeittafel

445

Personenregister

451

Abbildungsverzeichnis

461

Anhang (CD-ROM)

463

Verzeichnis der verwendeten Abkürzungen ADB AGB ALR Archiv WdeG /B BBAW C d° DBI DLA DVjs FrDH Frd'or GV Hb Kat 1843 LGB LJM MM Rthlr, rh oder rß Sg SN StaPK StbPK Th, Thlr 8. oder: 8° gr. 8. 4. oder: 4°

Allgemeine Deutsche Biographie Archiv für Geschichte des Buchwesens Allgemeines Landrecht für die Preußischen Staaten Archiv Walter de Gruyter pro Bogen Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften Courant (Reichstaler Courant) dito (desgleichen, ebenfalls) Deutscher Biographischer Index Deutsches Literaturarchiv Deutsche Vierteljahrsschrift für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte Freies Deutsches Hochstift Friedrichsd'or Gesamtverzeichnis des deutschsprachigen Schrifttums 1700-1910 Hauptbuch Reimer Verlags-Katalog von G. Reimer in Berlin. Oster-Messe 1843 Lexikon des gesamten Buchwesens Leipziger Jubilate-Messe Michaelis-Messe Reichstaler Silbergroschen Schleiermachernachlaß Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz Berlin Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz Berlin. Haus 1, Unter den Linden; Haus 2, Potsdamer Straße T(h)aler Oktav Großoktav Quart

I Thema „... was still fortwächst und ruhig sein Theil zum Ganzen bildet, unkenntlich und unbemerkbar; nach Jahrhunderten erst verbreitet der heute gelegte Keim seine Segnungen. So auch zerreißt kein Band, das einmal geknüpft war, denn die Schicksals faden der Menschen sind ja nur der Einschlag zu dem großen unendlichen Gewebe; die sich einmal berührten sind nicht mehr allein durch sich sondern durch die Gesammtheit auf ewig verbunden." Reimer an Schleiermacher, Berlin, 1803*

1.

Vorb emerkungen Verleger wollen und tun das scheinbar Unmögliche. Sie schaffen die „geheiligte Ware" Buch 1 und verkaufen sie; sie versuchen, „Geist und Geld, Seele und Ware zu verbinden, also etwas, das sich nach landläufiger Meinung gegenseitig prinzipiell ausschließt". 2 Sie brauchen Passion und Kalkül, um erfolgreich zu sein und werden viel dafür gescholten. Die klassische Verlegerschelte findet ihren Ausdruck etwa in Herders Brief an den Verleger Hartknoch, in dem er die Buchdrucker, Verleger und Buchhändler alle zum Teufel wünscht, „wie er Euern ersten Ahnherrn, Erfinder in Deutschland, weiland Dr. Faust geholt hat. Die Autoren leben von den Brosamen, die von reicher Herrn Tische fallen, wie die Hündlein, und dann wollen sie (die Verleger) noch knausern. Verbrennen sollte man Euch, wie Sardanapal, auf Euren Papierschätzen, mit Weib und Kindern."3 Ob man dieses oder „das böse Wort: Verleger trinken Champagner aus den Hirnschalen ihrer Autoren" zitiert4 oder die Metapher vom Verleger als Geburtshelfer bemüht — betont werden Abenteuerlust und Neugier immer wieder als Eigenschaften von Verlegern, die als Entdecker literarischer Außenseiter fungieren; 5 „als Erfinder von Buchideen und Titelvorschlägen, als Auftraggeber, als Rechercheur und Lieferant von .Materialien' zum Auftragswerk" 6 hat der Verleger oft entscheidenden Anteil an der Realisation der infragestehenden Bücher.

* Reimer an Schleiermacher, Berlin, 6. 7. 1803, in: Berlin, BBAW, Schleiermachernachlaß (SN), 358 Bl. 19. 1 Die paradoxe Definition stammt aus Bertold Brechts Leben des Galilei. Zit. nach: Siegfried Unseld: Goethe und seine Verleger. Frankfurt a. M.: Insel 1991, S. 13. 2 Unseld: Goethe und seine Verleger, S. 13. 3 Zit. nach: Walter Krieg: Materialien einer Entwicklungsgeschichte der Bücher-Preise und des Autoren-Honorars vom 15. bis rçum 20. Jahrhundert. Wien: Stubenrauch 1953. S. 39. 4 Jochen Meyer: „'Es reizt mich sehr, mit Ihnen zusammen daran zu arbeiten.' Der Verleger als Geburtshelfer seiner Autoren: Beispiele aus den Sammlungen des Deutschen Literaturarchivs". In: Buchhandelsgeschichte 1995 H. 3. S. Β 89-99, hier S. Β 89. 5 Meyer: „'Es reizt mich sehr, mit Ihnen zusammen daran zu arbeiten'", S. Β 94. 6 Ebda., S. Β 92.

4

I Thema

Reinhard Wittmann, der Autor der Metzlerschen Verlagsgeschichte7 und Verfasser einer neuen Geschichte des deutschen Buchhandels8 gab mit der Beschreibung von Desideraten der buch- bzw. verlagsgeschichtlichen Forschung Anregungen für konkrete Forschungsarbeiten.9 Er stellte auch die Frage nach einer Verlegertypologie, die sich an Verlagsprogrammen oder Arbeitsweise der Verleger orientieren kann. Wittmann charakterisiert etwa Wilhelm Hertz als „einen traditionellen, idealistischen Verlegertypus im Unterschied zu käufmännisch orientierten, spekulativen Kollegen, aber auch zu Programmverlegern wie Reimer und Campe, Friedrich und Diederichs"10; angelehnt an Wittmanns „Verlegertypologie" sieht Elisabeth Willnat in Johann Christian Dieterich weder den traditionellen Kleinverleger, „noch den allein auf raschen Aufstieg spekulierenden Buchfabrikanten, dessen Handeln ohne Rücksicht auf die Interessen seiner Autoren auf Profitmaximierung ausgerichtet ist".11 Aber auch dem „Typus des bürgerlich aufgeklärten Verlagskaufmannes wie Cotta oder Göschen" sei Dieterich nicht zuzurechnen.12 Es ist interessant, einen Verleger im Vergleich zu seinen Kollegen zu betrachten,13 doch typologische Einordnungen sind nur von beschränktem Erkenntniswert.14 Gerade im Fall der großen „Programmverleger" hat die Verlegerpersönlichkeit den Verlag gemacht und nicht das Programm. So Reinhard Wittmann: Ein Verlag und seine Geschichte. Dreihundert Jahre J. B. Methler Stuttgart. Stuttgart: Metzler 1982. 8 Reinhard Wittmann: Geschichte des deutschen Buchhandels. 2. Aufl. München: Beck 1999. ® Reinhard Wittman: „Überlegungen zum Stand und zu Perspektiven der Forschung". In: Beiträge zur Geschichte des Buchwesens im frühen 19. Jahrhundert. Ausgewählte Referate der Tagung des Leipziger Arbeitskreises zçur Geschichte des Buchwesens vom 25. his 27. September 1992. Hrsg. von Mark Lehmstedt. Wiesbaden: Harrassowitz 1993 (= Veröffentlichungen des Leipziger Arbeitskreises zur Geschichte des Buchwesens. Schriften und Zeugnisse zur Buchgeschichte 3). S. 7-24. 10 Wilhelm Hertz „verzichtete auf neue Darbietungs- und Vertriebsformen und beschränkte sich ,auf einen kleinen elitären Ausschnitt des Büchermarktes.'" Reinhard Wittmann: „Der Sortimentsbuchhandel im Kaiserreich. Bemerkungen zum .Allgemeinen Wahlzettel für den Deutschen Buchhandel'". In: AGB 31 (1988). S. 231-246, hier S. 244. 11 Elisabeth Willnat: „Johann Christian Dieterich. Ein Verlagsbuchhändler und Drucker in der Zeit der Aufklärung". In: AGB 39 (1993), S. 1-254, hier S. 147. 12 Ebda. 13 Besonders brisant freilich ist das Verhältnis zwischen Originalverleger und Nachdrucker, das Mark Lehmstedt am Beispiel von Reich und Trattner untersucht hat: „'Ein Strohm, der alles überschwemmet'. Dokumente zum Verhältnis von Philipp Erasmus Reich und Johann Thomas von Trattner. Ein Beitrag zur Geschichte des Nachdrucks in Deutschland im 18. Jahrhundert". In: Bibliothek und Wissenschaft 25 (1991). S. 176-267. 1 4 Den angeführten Zitaten von Wittmann und Willnat zufolge ist Reimer Programmverleger und bürgerlich aufgeklärter Verlagskaufmann. Aber hinreichend charakterisiert ist damit weder er noch sein Verlag. - Reinhard Wittmann bezeichnet Friedrich Christoph Perthes als „markantesten konservativ-christlichen Verleger" und „bedeutendsten Geschichtsverleger seiner Zeit" und weist anschließend etwas vage und mißverständlich als weiteres Beispiel „für diesen Verlegertypus" auf Georg Andreas Reimet hin (vgl. Wittmann: Geschichte des deutschen Buchhandels, S. 236). 7

1. Vorbemerkung

5

mag es nicht verwundern, daß die traditionellen verlagsgeschichtlichen Arbeiten biographisch orientiert sind. Daß auffallend oft ein Nachfahre die Biographie seines Verleger-(Ur)ahns geschrieben hat,15 mag daran liegen, daß in Verlegerund Buchhändlerfamilien gerne Tradition gepflegt wurde.16 Auch gibt es bestimmte Zeiten, in denen der Verlagsbuchhandel auffallend von Individuen geprägt wurde; so traten in dem Vierteljahrhundert vor dem ersten Weltkrieg sowohl Samuel Fischer, Albert Langen, Eugen Diederichs, Georg Müller, Reinhard Piper, Ernst Rowohlt, Jakob Hegner als auch Kurt Wolff zum ersten Mal als Verleger auf; wobei in dieser von Jochen Meyer übernommenen Aufstellung „die Namen in der Reihenfolge der Verlagsgründungen zwischen 1886 und 1912 aufgezählt" wurden. 17 Eine solche Zeit ist auf andere und doch vergleichbare Weise das späte 18. und frühe 19. Jahrhundert, als in Deutschland die neue bürgerliche Schicht zwar noch kaum in der Politik, doch entscheidend im Wirtschaftsleben eine Rolle zu spielen begann. Reimers Wirken beispielsweise ist nicht zu beschreiben, ohne den Aufstieg der bürgerlichen Schicht, der er angehörte, mitzudenken; er hat zwar selbstbewußt dem Verlag, den er übernahm, von Anfang an sein persönliches Gepräge gegeben, doch noch gute fünfzehn Jahre den Namen der Realschulbuchhandlung weitergeführt und danach erst mit G. Reimer firmiert, als er sich längst als Bürger etabliert hatte. „Daß Verlagsbuchhandlungen um 1800 und in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts in bezug auf Kapitalstärke und Umsatz zu den mächtigsten Wirtschaftsunternehmungen in Deutschland zählten", 18 ist ein Aspekt, der leicht vergessen wird, wenn die Bedeutung eines Verlegers in seiner Vermittlerrolle zwischen Autoren und Publikum thematisiert wird, die eben auch im Hinblick auf sein wirtschaftliches Potential zu sehen ist. Die Analyse profaner Geschäftsbeziehungen zwischen Verleger und Autor zeigt, daß man sich in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts bereits in einer Epoche befindet, in der die Schriftsteller sehr wohl den Wert ihrer geistigen Hervorbringungen kennen und es verstehen, diese - in Auseinandersetzung oft

15

Viscount Goschen (sie!) schrieb über Das Leben (seines Großvaters) Georg Joachim Göschens (2 Bde. Leipzig: Göschen 1905, Clemens Perthes über Friedrich Perthes mit dem Untertitel Ein deutsches Vorbild (gekürzter Nachdruck von 1951, Originalausgabe in drei Bänden schon 1849) und Heinrich Eduard Brockhaus über Die Firma F. A. Brockhaus von der Begründung bis %um hundertjährigen Jubiläum. 1805-1903 und schilderte Friedrich Arnold Brockhaus nach Briefen und Aufzeichnungen (3 Bde Leipzig 1872-81), während Rudolf Brockhaus Tagebücher des Vedagsgründers herausgab (als Handschrift gedruckt, 5 Bde, Leipzig 1884-87). Auch meine Dissertation über den Verleger Georg Andreas Reimer ist Teil eines umfangreicheren Vorhabens: der Biographie meines Ur-Ur-Urgroßvaters.

16

Dazu ζ. B. Adalbert Brauer „Große deutsche Buchhändler des 17., 18. und frühen 19. Jahrhunderts und ihre familiären Verbindungen". In: Archiv für Sippenforschung 38 (1972). S. 515-548. Meyer: „'Es reizt mich sehr, mit Ihnen zusammen daran zu arbeiten'", S. Β 90.

17 18

Thomas Jentzsch: „Vedagsbuchhandel und Bürgertum um 1800. Dargestellt am Beispiel der Buchhändlerfamilie Vieweg". In: AGB 37 (1992). S. 167-251, hier S. 169f.

6

I Thema

mit mehreren konkurrierenden Verlegern — möglichst gewinnbringend zu verkaufen. In 'einem gewissen Sinn wird die Literatur profaniert; denn die Untersuchung der geschäftlichen Voraussetzungen für die Entstehung der Bücher, ihrer Herstellungsart und -kosten, der Vertriebswege und Absatzmärkte paßt nicht zur Vorstellung vom einsam dichtenden Genie. Wenn gar der Verleger mit seinen Vorschlägen gestaltend und korrigierend eingreift und zu berichten ist, daß ganze Werke sich der Idee des Buchhändlers und seinem Willen, damit Geld zu verdienen, verdanken, muß auch die Rolle, die man ihm zuschreibt, überdacht werden.

2.

Stand der Forschung Der Buchhändler und Verleger Georg Andereas Reimer gilt als der Verleger der Romantiker; im Berlin der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts baute er aus der in Erbpacht übernommenen Realschulbuchhandlung einen großen Wissenschafts- und Schulbuchverlag auf und erweiterte sein Geschäft systematisch durch den Ankauf weiterer Verlage, so daß er schließlich einen der größten und angesehensten Verlage im damaligen Deutschland führte. Und doch sind zu Reimer selbst nur wenige Arbeiten erschienen. Da die große Bedeutung seines Verlags den Zeitgenossen und auch noch den Nachlebenden im 19. Jahrhundert durchaus bewußt war, mag dies verwundern. Eine Erklärung dafür, daß eine Verlagsgeschichte fehlt, liegt vielleicht darin, daß Reimer zu der Zeit, zu der andere bedeutende Verlage es sich leisteten, die Geschichtsschreibung ihrer Firma in Auftrag zu geben, nämlich zum einhundertjährigen Jubiläum 1 , gerade an Walter de Gruyter verkauft worden war, der damals verständlicherweise anderes zu tun hatte, als die Tradition in dieser Weise zu pflegen. Abgesehen von den Nachrufen direkt nach Reimers Tod 2 ist die Kurzbiographie, die Fritz Jonas, der jüngste Sohn von Ludwig Jonas, für die Allgemeine Deutsche Biographie geschrieben hatte (1876),3 die erste Würdigung seiner Person und Verlagstäügkeit. Einen Vortrag speziell über „Die Weidmannsche Buch-

1

2

3

So etwa Friedrich Schulze: B. G. Teubner 1811-1911. Geschichte der Firma. Ια deren Auftrag hrsg. von Friedrich Schulze. Leipzig: Teubner 1911. „Reimer ist todt!" [Unterschrieben: Enslin. Frommann. Rost.] In: Börsenblatt für den deutschen Buchhandel9 (29. 4. 1842), Nr. 41; Ernst Moritz Arndt: „G. A. Reimer. Nachruf'. [Zuerst im dritten Band seiner Schriften]. In: Ders.: Ernst Monti Arndts ausgewählte Werke in 16 Bänden. Bd. 15: Kleine Schriften 3. Hrsg. von Heinrich Meisner und Robert Geerds. Leipzig: Hesse 1908. S. 155-162; Friedrich de la Motte-Fouqué: „Georg Reimer, Stadtrath, Buchhändler und Bürger (ehemals Landwehr-Hauptmann) zu Berlin". In: Der Gesellschafter oder Blätter für Geist und Herç Berlin 26 (1842) Nr. 121. S. 592; L[udwig] Jonas: „Worte, gesprochen am 29. April 1842 beim Begräbnisse des Stadtrathes Herrn Georg Andreas Reimer". Als Manuskript gedruckt, o. J.; August Leopold Creile: „Nachruf auf G. A. Reimer". In: Journalfür die reine und angewandte Mathematik 23 (1842). S. 380. Fritz Jonas: „Georg Andreas Reimer", in: ADB Bd. 27, S. 709-712.

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I Thema

handlung und Georg Andreas Reimer" hat G. Kreyenberg vor dem „Verein jüngerer Buchhändler zu Berlin" gehalten und 1885 veröffentlicht. 4 Im Jahr 1900 dann erschienen - noch vor dem Hintergrund der mündlich tradierten Familiengeschichte - von Reimers jüngstem Sohn, dem Sanitätsrat Hermann Reimer: 'Erinnerungen aus seinem lieben insbesondere aus der Zeit der Demagogen- Verfolgung, eine 56-seitige Broschüre mit ausführlichen Auszügen aus den Briefen Georg Reimers und seiner Frau, die sie sich in den Kriegsjahren 1813 und 1814 schrieben; sowie Frau Reimers detailliertem Bericht über die Hausdurchsuchung (Juli 1819) in seiner Abwesenheit und einer Darstellung der Ereignisse um die Verhaftungen von Dr. phil. Georg Ludwig Rödiger und Dr. med. Karl Gustav Jung im Reimerschen Palais. 5 Rudolf Schmidt widmet in seinem mehrbändigen Werk über Deutsche Buchhändler, Deutsche Buchdrucker (1902-08) Georg Andreas Reimer und seinem Sohn Georg Ernst Reimer ca. fünf Druckseiten - wie in anderen kurzen Lebensbildern enthalten sie eine knappe Beschreibung des Werdegangs des Verlegers Reimer, eine Kennzeichnung des Verlags durch bedeutende Autoren, eine Aufzählung der Verlage, die Reimer übernahm, wobei der Erwerb der Weidmannschen Buchhandlung und des Palais Wilhelmstraße 73 als Besonderheiten genannt werden, sowie den Hinweis auf das politische Engagement, das Engagement im Börsenverein und als Stadtverordneter und Stadtrat. 6 Außerdem wird der Nachruf der Kollegen „Reimer ist todt!" wiedergegeben. Die wenigen wissenschaftlichen Arbeiten, die zu Reimer erschienen sind, stehen unter begrenzten und eher politischen Fragestellungen, wobei Theodor Roller für seine Dissertation Georg Andreas Weimer und sein Kreis. Zur Geschichte des politischen Denkens in Deutschland um die Zeit der Befreiungskriege7 (1924) neben Briefeditionen (Arndt, Schleiermacher, Niebuhr) und Literatur zur Geistesgeschichte vor allem Quellen des Preußischen Geheimen Staatsarchivs heranzog, z. T. auch Akten der Mainzer Zentraluntersuchungskommission. Er nahm sich besonders die „Papiere erheblichen Inhalts des Buchhändlers Reimer" vor, die 1819 bei der Hausdurchsuchung beschlagnahmt worden waren und überwiegend aus Briefen verdächtigter Personen bestehen. Da diese Briefe aber zum größten Teil aus den Jahren nach dem Wiener Kongreß stammen, ist der Titel von Rollers Arbeit etwas irreführend. Anhand der Briefe von Arndt, Eichhorn, Gaß,

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G. Kreyenberg: „Die Weidmannsche Buchhandlung u. Georg Andreas Reimer. Vortrag, gehalten im ,Krebs', Verein jüngerer Buchhändler zu Berlin". In: Deutsche BuchhändlerAkademie 2 (1885). S. 353-363 und S. 432-441. Hermann Reimer: Georg Andreas ILeimer. Erinnerungen aus seinem Leben insbesondere aus der Zeit der Demagogen-Verfolgung. Berlin: Reimer 1900. Rudolf Schmidt: Deutsche Buchhändler, Deutsche Buchdrucker. Beiträge einer Firmengeschichte des deutschen Buchgewerbes. Bd. 5. Eberswalde: Schmidt 1908 (zu G. Reimer S. 803809). Theodor Roller: Georg Andreas Weimer und sein Kreis. Zur Geschichte des politischen Denkens in Deutschland um die Zeit der Befreiungskriege. Berlin: Weidmannsche Buchhandlung 1924.

2. Forschungsstand

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Hansen, Jung, Martin, Plehwe, Suabedissen, Uhland u. a. an Reimer sowie Äußerungen von ihm zeigt Roller, wobei er in der Auswahl der Textstellen freilich ein Kind seiner eigenen Zeit ist, welche Gedanken und Begriffe in Reimers Kreis eine wichtige Rolle spielten: die öffentliche Meinung und geforderte Freiheit der Rede und Schrift, das volkstümliche Leben und der Volkswille, der Glaube an Idee, Geist und Wahrheit und die erwartete allgemeine Regeneration, die das politische und sittliche Leben betreffen müsse, wobei gerne der Vergleich der eigenen Zeit mit der der Reformation bemüht wurde. Der Hinweis auf die „in Reimers Kreis gehegten Vorstellungen über das Zustandekommen der deutschen Einheit" darf dabei freilich nicht fehlen; doch Reimers konkretes Engagement „um die Zeit der Befreiungskriege" bleibt noch ziemlich im Dunkeln. Fritz Johannesson schrieb einen Lebensabriß als „Beitrag zur Geschichte des Berliner Buchhandels" (1929) 8 und der Greifswalder Bibliotheksrat Kurt Gassen zehn Jahre später unter Benutzung der bis dahin erschienenen Literatur ein „Pommersches Lebensbild" (1939), das auch wichtige Verlagsütel nennt. 9 Die von Ernst Vollert verfaßte Geschichte der Weidmannschen Buchhandlung (1930) enthält zwar in Teil IV „1822 bis zur Gegenwart" ein Kapitel „Die Weidmannsche Buchhandlung im Besitz der Familie Reimer" 10 , basiert aber, zumindest was Reimer betrifft, nicht auf eigenen Forschungen. 11 In allgemeinen Buchhandelsgeschichten wird Reimers Verlag als bedeutend charakterisiert, 12 doch der Platz, den man ihm einräumt, steht manchmal in umgekehrtem Verhältnis zu den fast hymnischen Äußerungen über ihn. Ernst Vollert nennt in der Festschrift zum fünfzigjährigen Bestehen der Korporation der Berliner Buchhändler (1898) Friedrich Nicolai und Georg Andreas Reimer als 8

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Fritz Johannesson: „Georg Andreas Reimer. Ein Beitrag zur Geschichte des Berliner Buchhandels". In: Mitteilungen des Vereins für die Geschichte Berlins 46 (1929). S. 121-134. Kurt Gassen: „Georg Andreas Reimer (1776-1842)". In: Pommersche 'Lebensbilder. Hrsg. von der Landesgeschichtlichen Forschungsstelle (Historischen Kommission) für Pommern. Bd. 3: Pommern des 18., 19. und 20. Jahrhunderts. Hrsg. von Adolf Hofmeister und Wilhelm Braun. Stettin: Leon Sauniers 1939. S. 226-242. Ernst Vollert: Die Weidmannsche Buchhandlung in Berlin 1680-1930. [Repr. der Ausgabe 1930]. Mit einem Geleitwort von W. Georg Olms und einer Ergänzung Die Weidmannsche Verlagsbuchhandlung 1930-1983 von W. Joachim Freyburg. Hildesheim: Weidmannsche Verlagsbuchhandlung 1983. S. 74ff. Als einzige Originalquelle wird der damals im Archiv der Weidmannschen Buchhandlung befindliche Aufnahmeschein Reimers in die Landwehr mit Datum vom 7. April 1813 zitiert. (Vollert: Weidmannsche Buchhandlung, S. 77). Arthur Georgi zufolge ist G. Reimer 1825 „der größte und bedeutendste wissenschaftliche Buchhändler Berlins" (S. 120 in: Arthur Georgi: Die Entwicklung des Berliner Buchhandels. Bis tçur Gründung des Börsenvereins der Deutschen Buchhändler 1825. Berlin: Parey 1926); zu Reimer: S. 118-120, S. 171-176. Hier S. 173f: Reimers Stellungnahme zum Thema Schleuderpreis, Kundenrabatt, Herabsetzung des Buchhändlerrabatts im Jahr 1802 (nach Kummers Archiv, Nr. 205, 37) und S. 176: Reimer 1821 wieder zum Thema Herabsetzung des Buchhändlerrabatts von 33 1/3 % auf 25 %, um die Buchpreise um 8 1/3 % senken zu können.

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I Thema

die zwei Männer des Berliner Buchhandels „auf der Grenze des 18. und 19. Jahrhunderts", die „alle ihre Berufsgenossen weit überragend", „so verschieden sie nach Wesen und Begabung waren, doch beide einen vollen Anspruch auf ein dauerndes ehrendes Gedächtnis" hätten.13 Der Lebensweg Reimers scheint Vollert „wie ein Aufstieg zu sonniger Höhe, von der aus man in weitem Umblick eine Fülle des Segens ausgebreitet sieht, während kaum eine Wolke das freundliche Bild schattend verdunkelt." 14 Und im Anschluß an die Lebensbeschreibung heißt es: „So steht Reimer wie eine Lichtgestalt vor uns"; aus der Geschichte des deutschen Buchhandels könne ihm „als Gleichgearteter nur Friedrich Perthes, sein Freund und Gefährte in dem Kampf um Deutschlands Ehre und Freiheit an die Seite gestellt werden". 15 Der Schriftsteller Jochen Klepper plante, wohl angeregt durch einen Schulkameraden, den Reimer-Nachkömmling und Buchhändler Helmut Schoepke, eine Arbeit über Reimer anläßlich des 100. Todestages 1942, kam aber nur bis zu einer kleinen Materialsammlung.16 Es folgt eine lange Pause in der bis dahin, abgesehen von Rollers Dissertation, ohnehin eher an der Oberfläche bleibenden Beschäftigung mit Reimer, die erst 1980 beendet wurde, dem Jahr, in dem u. a. Adalbert Brauers Geschichte der Weidmannschen Buchhandlung erschien, die freilich auch Kapitel über Reimer enthält.17 Reimer war schon Gegenstand einer Seminararbeit für den Schuldienst18 und einer theologischen Doktorarbeit 19 , wobei die Dissertation von Roger Töpel13

Ernst Vollert: Die Korporation der Berliner Buchhändler. Festschrift çur Feier ihres fünfagjährigen Bestehens am 1. November 1898. Berlin: Verlag der Korporation der Berliner Buchhändler 1898. S. 32.

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Vollert: Korporation der Berliner Buchhändler 1898, S. 36.

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Ebda., S. 41. Es ist nicht auszuschließen, daß Vollert für die Beschreibung Reimers als „Lichtgestalt" inspiriert wurde durch die Grabrede, die Ludwig Jonas auf Reimer hielt. Dort heißt es, „nicht als ob dieses Licht gewesen wäre ohne Schatten, ohne starken Schatten. [...] Hat er auch immer einen hohen Geist gezeigt, einen geduldigen nicht immer, und hatte er auch immer ein treues Herz, die liebliche Rede hat ihm oft gefehlt, und auch sonst bedarf er, daß ihm viel vergeben werde" (S. 10), und weiter: „wir sind mit ihm des Glaubens, in welchem er gestorben ist, daß er viel geliebt hat, weil ihm viel vergeben ist, und daß ihm viel vergeben ist, weil er viel geliebt hat" (S. 11).

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Jochen Kleppers Exzerpte zu Reimer (25 Blatt) befinden sich in seinem Nachlaß im DLA Marbach. Klepper starb am 11. Dezember 1842 durch Selbstmord.

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Adalbert Brauer: Weidmann 1680-1980. 300 Jahre aus der Geschichte eines der ältesten Verlage der Welt. Zürich: Weidmann 1980; Kap. „Georg Andreas Reimer" S. 69-75, Kap. „Karl Reimer und Salomon Hirzel" S. 77-87; es folgen zwei weitere Kapitel über Hans Reimer d. Älteren und Hans Reimer d. Jüngeren als Leiter der Weidmannschen Buchhandlung.

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Ernst Reimer: „Georg Andreas Reimer und sein Kreis - ein frühes Beispiel romantischnational-liberalen Denkens". Seminararbeit für den Bayerischen Schuldienst masch. München 1965. Roger Töpelmann: „Bürgerlicher Buchhandel und romantisches Christentum. Der unternehmerische Aufstieg und das religiöse Engagement des Berliner Verlegers Georg Andreas Reimer — dargestellt vornehmlich aufgrund seiner Briefe an Friedrich Daniel Ernst Schleiermacher". Diss, masch. Frankfurt a. M. 1987.- Eine überarbeitete Fassung von Töpel-

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2. Forschungsstand

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mann im Fachbereich Evangelische Theologie (1987) sich das Ziel setzt, am Beispiel des Buchhändlers Reimer „die Verbreitung eines an den Ideen der Romantik orientierten Christentums im frühen 19. Jahrhundert darzustellen." 20 Durch Reimer, den Töpelmann als „religiösen Romantiker" 21 und mithin als „religiösen Verlegertypus" charakterisiert, „der mit neuen Unternehmensstrategien eine neue Qualität in den Beziehungen zwischen dem Buchproduzenten und dem Autor schafft" 22 , sei der Verlag „zur Verbreitungsagentur eines romantischen Christentums" geworden 23 - wobei das Wesen dieses romantischen Christentums im folgenden näher erörtert wird. In dem Kapitel über Reimer und die Metropole Berlin wird die bürgerliche Lebensweise der damaligen Zeit beschrieben, aber die „das Berliner Leben prägende[n] Persönlichkeiten", die kurz vorgestellt werden, scheinen recht willkürlich ausgewählt und ihr Bezug zum Verleger - der allerdings nicht einmal immer gegeben ist — wurde nur im Fall Tiecks und Varnhagens erwähnt. Von Interesse für Reimer sind Töpelmanns Überlegungen zur Problematik des bürgerlichen Aufsteigers, 24 doch während der allgemeinen Situation des Berliner Buchhandels und der des theologischen Verlags im besonderen relativ viel Raum eingeräumt wird, erfahren wir wenig über Reimers Leistung als Verleger. Der biographische Teil der Arbeit enthält außer einem Kapitel über den Aufstieg Reimers und Überlegungen über „die Familie Reimer und ihre Bürgerlichkeit" eine „Einführung in den Briefwechsel zwischen G. A. Reimer und F. Schleiermacher" und die Erläuterung einiger ausgewählter Briefe, die im Anhang abgedruckt wurden. Aus dem großen Fundus an Quellen aus dem Archiv Walter de Gruyter wurden nur der Erbpachtvertrag und eine Inventarliste der Realschulbuchhandlung berücksichtigt. Anläßlich von Gedenktagen erschien gelegentlich ein Zeitungsartikel 25 und im Börsenblatt für den Deutschen Buchhandel tauchte der Name Reimer auch hin und

manns Dissertation erscheint unter dem Titel: ,,ïch durchlese Deine Briefe" - Romantische Freundschaft und Frömmigkeit. Briefe des Berliner Verlegers Georg Andreas Keimer an Friedrich D. Schleiermacher. Hildesheim: Olms 1999 (= Spolia Berolinensia. Berliner Beiträge zur Geistes· und Kulturgeschichte). 20 21 22 23 24 25

Töpelmann: „Bürgerlicher Buchhandel und romantisches Christentum", S. 5. Ebda., z. B. S. 41. Ebda., S. 6. Ebda., S. 5. Ebda., S. 144 und 146. Felix A. Dargel: „Die Reimer-Auktion 1842. Ein Beitrag zur Geschichte der Kunstauktionen". In: Die Weltkunst 6 (1932) Nr. 3. Und vom selben Autor in der Unterhaltungsbeilage des Berliner Lokalan^eigers Nr. 99 vom Sonnabend, 25. April 1942: „Buchhändler, Patriot und Sammler. Georg Andreas Reimer, dem kunstfreudigen Berliner, zum 100. Todestag". In einer Reihe von Verlegerporträts (nach Friedrich Christoph Perthes und Friedrich Nicolai) erschien von W. Joachim Freyburg: „Georg Andreas Reimer". In: Das Reich. (Literatur, Kunst, Wissenschaft). Berlin. Nr. 9 (1. März 1942).

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I Thema

wieder auf26, doch erst Doris Fouquet-Plümacher hat Reimer der neueren Forschung nachhaltig ins Bewußtsein gebracht. 1980 publizierte sie mit Michael Wolter für eine Ausstellung ausgewählte Briefe und einige Dokumente aus dem Reimerschen Archiv bzw. Aus dem Archiv des Verlages Walter de Gruyter?1 Konrad Kettig, ehemaliger Direktor der FU-Bibliothek Berlin, geht in seinem aufschlußreichen Bericht (1982) über „Demagogenverfolgungen in Berlin im Jahre 1819" naheliegenderweise auch auf die Vorgänge in Reimers Haus ein und die bei ihm verhafteten Doktoren Jung und Roediger.28 Im Jahr 1987 erschien unter dem Titel „Jede neue Idee kann einen Weltbrand anzünden. Georg Andreas Reimer und die preußische Zensur während der Restauration" Fouquet-Plümachers gründlich fundierte und recherchierte Arbeit über Reimers Querelen mit der Zensurbehörde am Beispiel der Huttenausgabe und der Edition von Napoleons nachgelassenen Schriften,29 wodurch ein sympathisches Bild des erfolgreichen Verlegers in der Auseinandersetzung mit der obrigkeitsstaatlichen Zensur entsteht. Hier schon hat Fouquet-Plümacher auf ein in der Verlagsgeschichte bis dahin unbekanntes Kapitel hingewiesen.30 In der Festschrift für Heinz Sarkowski (1990) zeigt sie dann anhand des Briefwechsels von Georg Andreas Reimer und Johann Friedrich Cotta, daß Cotta sich in seinen letzten Lebensjahren ernsthaft mit dem Gedanken trug, „seine gesamten ,buchhändlerischen Etablissements'" statt sie seinem Sohn zu vererben — an Reimer zu verkaufen.31 Diese Tatsache

- b Bernhard Sommerlad: „Die Autorenhonorare Georg Andreas Reimers". In: Börsenblatt für den Deutschen Buchhandel. Frankfurter Ausgabe 11 (1955) Nr. 92. S. 750-752; Hedda Pänke: „Georg Andreas Reimer 200 Jahre. Keine Amtskette als Stadtrat. Verleger, Patriot, Kunstsammler". In: Börsenblatt für den Deutschen Buchhandel. Frankfurter Ausgabe 32 (1976) Nr. 70. S. 1280. 2 7 Doris Fouquet-Plümacher: Aus dem Archiv des Verlages Walter de Gruyter: Briefe, Urkunden, Dokumente. Katalog %ur Ausstellung der Universitätsbibliothek der Freien Universität Berlin. Berlin: de Gruyter 1980. - 15 der 36 Katalogsnummem sind für Georg Andreas Reimer relevant. 2 8 Konrad Kettig: „Demagogenverfolgungen in Berlin im Jahre 1819". In: Der Bär von Berlin. Jahrbuch des Vereins für die Geschichte Berlins 31 (1982). S. 7-57. - Johannes Schultze veröffentlichte in seinem Beitrag über „Die polizeiliche Haussuchung im Hause des Buchhändlers G. A. Reimer 1819" die Eingabe, die Reimers Rechtsbeistand, Justizkommissar Ludwig Krause, an das Staatsministerium gemacht hat. In: Jahrbuch für die Geschichte Mittel- und Ostdeutschlands 16/17 (1968). S. 326-329. 2 9 Doris Fouquet-Plümacher: „Jede neue Idee kann einen Weltbrand anzünden. Georg Andreas Reimer und die preußische Zensur während der Restauration". In: AGB 29 (1987). S. 1 150. 3 0 Fouquet-Plümacher: „Jede neue Idee kann einen Weltbrand anzünden", S. 13. 31 Doris Fouquet-Plümacher: „Georg Andreas Reimer und Johann Friedrich Cotta". In: Von Göschen bis Rowohlt. Beiträge %ur Geschichte des deutschen Verlagswesens. Festschrift für Hein·.ζ Sarkowski tçutn 65. Geburtstag. Hrsg. von Monika Estermann und Michael Knoche. Wiesbaden: Harrassowitz 1990. S. 88-102.

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wurde bisher von den Cotta-Biographen ignoriert - und Reimer-Biographen gab es nicht. Als weitere Veröffentlichung über Reimer hat Doris Fouquet-Plümacher mit Liselotte Kawaletz die Geschichte der Reimerschen Gemäldesammlung für das Jahrbuch der Berliner Museen 1996 nachgezeichnet. 32 Günter Meckenstock stellte in dem Band Schleiermachers Bibliothek, in dem er den faksimilierten und bearbeiteten Rauchschen Auktionskatalog von Schleiermachers Nachlaß-Bibliothek herausgab, auch die Schleiermacherschen Hauptbuchkontoseiten 33 vor. 34 Während die Buchkäufe bei Reimer, die auch im Auktionskatalog vorkommen, dort nur mit Sigle versehen wurden, und die anderen, die nur in Reimers Hauptbüchern vorkommen, in einer eigenen Liste veröffentlicht und auch die für die Familie erworbenen Titel in ein eigenes Verzeichnis gestellt wurden, sind die nichtliterarischen Rechnungsnotizen in einem Anhang transkribiert. So kann man auf den ersten Blick sehen, daß Schleiermacher über Reimer beispielsweise etliche Bouteillen Franzwein, Rheinwein und „Coniac" bezog, daß er mit Reimer gemeinsam Lotterielose kaufte (was auch im Briefwechsel Thema ist), daß der Verleger für ihn Briefporto entrichtete und seinem Freund Schreibfedern und Tinte, aber auch Beinkleider aus Kaschmir besorgte, doch die angeführten Honorarangaben müßten, um aussagekräftig zu sein, nun noch interpretiert werden, in Relation zum Umfang der jeweiligen Werke gesehen werden. Auf die Bedeutung von Reimers Großem Hauptbuch „als Quelle für das literarische Leben" hat auch Hermann F. Weiss (1994) hingewiesen. 35 Am Beispiel von einigen für die Kleist, Tieck und Arnim-Forschung bis dahin unbekannten Daten und Informationen 36 wird die Bedeutung der Hauptbücher als kulturgeschichtliche Quelle gezeigt; bislang waren lediglich ausgesuchte Autoren-Konten (Kleist, E. T. A. Hoffmann) von der literaturwissenschaftlichen Forschung beachtet worden. Abgesehen von wenigen Veröffentlichungen über je einen Autor und Reimer 37 werden die Quellen des Verlags zur Untersuchung verlagsgeschichtlicher Dons Fouquet-Plümacher und Liselotte Kawaletz: „Die Reimersche Gemäldesammlung. Geschichte einer großen Berliner Bildersammlung der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts". In: Jahrbuch der Berliner Museen N. F. 38 (1996). S. 77-110. 3 3 Aus Hauptbuch II, III und IV. Hauptbuch I war damals nicht aufzufinden. 3 4 Günter Meckenstock: Schleiermachers Bibliothek. Bearbeitung des faksimilierten Rauchschen Auktionskatalogs und der Hauptbücher des Verlages G. Reimer. Im Anhang eine Liste der nichtliterarischen Rechnungsnoti^en der Hauptbücher Reimer. Berlin: de Gruyter 1993 (= Schleiermacher-Archiv 10). 3 5 Hermann F. Weiss: „Georg Andreas Reimers .Großes Hauptbuch' als Quelle für das Literarische Leben". In: AGB 41 (1994). S. 261-269. 3 6 Etwa den Nachweis des Druckes von Kleists Käthchen, Zerbrochnem Krug und Erzählungen durch die Buchdrucker Petsch bzw. Wegener betreffend. 3 7 So: Ludwig Fertig: „'Ein Kaufladen voll Manuskripte'. Jean Paul und seine Verleger". In: AGB 32 (1989). S. 273-395; Helmut Sembdner: „'Fast nicht möglich, für diesen Preis etwas

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I Thema

Fragestellungen erst mit der Arbeit von Weiss und den eigenen Arbeiten (siehe Literaturverzeichnis) genutzt, wobei nach und nach Quellen vorgestellt werden, die Material für die noch zu schreibende Biographie darstellen, aber auch für ein über den Verleger hinausgreifendes Interesse von Bedeutung sind. Außer Betracht bleiben im Moment die hilfreichen Editionen von Briefen Reimers in großen Briefsammlungen seiner Autoren 38 oder an verschiedenen Orten, sowie meist in Zeitschriften und Sammelbänden erschienene Korrespondenzen von Autoren Reimers mit ihrem Verleger, denen gelegentlich auch Anmerkungen über den Verleger beigefügt sind,39 und die Schriftsteller- und Wissenschafder-Biographien, die selbstverständlich auch Äußerungen über den Verleger enthalten.40 Einzelne Hinweise ergeben sich aus Erinnerungsbüchern der Zeit, die jeweils an geeigneter Stelle herangezogen wurden.

zu liefern'. Kleist und seine Berliner Verleger". In: Aus dem Antiquariat 1975 Nr. 9. S. A 32-37. 3 8 Als Beipiele vgl. etwa die Veröffentlichungen zu: Arndt, Ε. T. A. Hoffmann, A. W. Schlegel, Fr. Schlegel, Tieck u. a. (vgl. Literaturverzeichnis). 3 9 Georg Andreas Reimer: „Ungedruckte Briefe an Georg Andreas Reimer". Mitgeteilt von Georg Hirzel. In: Deutsche Revue 18 (1893) Bd. 4, S. 98-114 und S. 238-253; Eckhard Plümacher: „de Wette in Weimar (1819-1822). Fünf Briefe an Georg Andreas Reimer". In: Festschrift für Antonius H. J. Gunneweg %um 65. Geh. Hrsg. von Manfred Oeming und Axel Graupner. Stuttgart: Kohlhammer 1987. S. 184-206; Wilhelm Schoof: „Neue Beiträge zur Entstehungsgeschichte der Grimmschen Märchen. 2. Teil: Verlegergeschichte der Grimmschen Märchen". In: Zeitschrift für Volkskunde 52 (1955). S. 112-143. u. a. 4 0 Genannt seien an dieser Stelle nur: Wilhelm Dilthey: Gesammelte Schriften. Bd. 13 (1. u. 2. Halbbd).: Leben Schleiermachers. Auf Grund des Textes der 1. Aufl. von 1870 und der Zusätze aus dem Nachlaß hrsg. von Martin Redeker. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 1970; Eckart Kleßmann: E. T. A. Hoffmann oder die Tiefe ζwischen Stern und Erde. Eine Biographie. Stuttgart: Deutsche Verlags-Anstalt 1988; Roger Paulin: Ludwig Tieck. Eine literarische biographie. Autorisierte Übertr. aus dem Engl, von Hannelore Faden. München·. Beck 1988.

3. Quellenlage

Archiv Walter de Gruyter, Berlin An erster Stelle der für diese Untersuchung verwendeten Archivmaterialien ist das Reimersche Archiv des heutigen Walter de Gruyter Verlags zu nennen, das zum Jubiläum des Verlags 1999 als Dauerleihgabe an die Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz Berlin geht. Doris Fouquet-Plümacher berichtet in dem oben erwähnten Ausstellungskatalog von dem recht ungünstigen Schicksal des Reimerschen Archivs, das „lange Zeit hindurch ungesichert jedem Zugriff offen war, und erst seit der Übernahme durch de Gruyter eine regelrechte Pflege genoß. Das vergangene Jahrhundert ging mit diesen handschriftlichen Quellen meist sorglos um; [...] Gewiß wird manches wertvolle Material durch Unkenntnis oder Desinteresse auch vernichtet worden sein, doch scheinen sehr viele bedeutende Quellen - insbesondere die Korrespondenzen der Autoren mit ihrem Verleger - nur dem Archiv entfremdet und auf Umwegen anderen Sammlungen zugute gekommen, aber eben nicht vernichtet worden zu sein. So sind diese Dokumente in alle Welt verstreut".1 Gleichwohl enthält das Archiv Walter de Gruyter reiches Material für Verlagsgeschichten der von Walter de Gruyter unter einem Dach vereinigten Wissenschaftsverlage. 1

Fouquet-Plümacher: Aus dem Archiv de Gruyter, S. 7-10. - Um ein Beispiel zu nennen: Von Achim von Arnim an Reimer ist nur ein Brief aus der Entstehungszeit der Gräfin Dolores überliefert (Frankfurt a. M., FrDH 22180); bei der Adresse „An / Herren Buchhändler R e i m e r / Wohlgeb" ist „Buchhändler Reimer" „von fremder Hand fast unkenntlich gemacht". - „Die Tatsache, daß die Adresse teilweise unkenntlich gemacht worden ist, hängt Georg Minde-Pouet zufolge damit zusammen, daß im späteren 19. Jahrhundert ein Angestellter des Verlags zahlreiche Geschäftsbriefe entwendete und in den Autographenhandel brachte. Um die Herkunft zu verwischen, machte er die Adressen oder auch die Namen in der Anrede" unleserlich. (Achim von Arnim: „Unveröffentlichte Briefe Achim von Arnims aus den Beständen des Freien Deutschen Hochstifts und der Biblioteka Jagiellonska". [Mitgeteilt von:] Hermann F. Weiss. In: Jahrbuch des freien Deutschen Hochstifts 1987. S. 260-313, hier S. 270f). - Zur Geschichte von Verlagsarchiven im allgemeinen und besonderen vgl. Werner Volke: „'Viel gerettet, viel verloren...' Vom Schicksal deutscher Verlagsarchive." In: Buchhandelsgeschichte 1984 H. 3. Β 81-90.

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Das

Briefarchiv

In 4 0 K ä s t e n R1 befindet sich die K o r r e s p o n d e n z des Reimer-Verlags bis 1 8 9 6 , also auch Briefe an G e o r g Reimer junior. A l s unerläßliches Hilfsmittel zur A u s w e r t u n g gibt es einen handschriftlichen Katalog, den P r o f e s s o r O t t o N e u e n d o r f f erstellt hat und der gegenwärtig publiziert wird. 2 Naheliegenderweise sind B r i e f e besonders ergiebig, w e n n es u m die Beziehung des Verlegers zu seinen A u t o r e n gehen soll. Verleger - A u t o r e n b e z i e h u n g e n sind also anhand der erhaltenen B r i e f w e c h s e l zu untersuchen. U m dies systematisch zu tun, m ü ß t e ein Repertorium aller Briefe an den Verleger und v o m Verleger erstellt werden. 3 Im Fall v o n G e o r g A n d r e a s Reimer sind es allein ca. 2 0 0 0 Briefe an den Verleger, die sich i m Briefarchiv R 1 des A r c h i v s W a l t e r de G r u y t e r befinden. D i e G e g e n b r i e f e v o n Reimer sind gelegentlich als E n t w ü r f e erhalten oder als A b s c h r i f t e n in seinem B r i e f k o p i e r b u c h oder in anderen Sammlungen u n d A r c h i v e n . 4 Im Bestand des Briefarchivs R1 geht es u m alle A s p e k t e der Buchproduktion. Die d o r t erhaltenen K o r r e s p o n d e n z e n G e o r g A n d r e a s Reimers s t a m m e n v o n insgesamt r u n d 5 0 0 Briefpartnern, meist A u t o r e n , m e h r oder weniger bekannten 2

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Repertorium der Briefe aus dem Archiv Walter de Gruyter. Ausgew. von Otto Neuendorff. Bearb. von Anne-Katrin Ziesak. Berlin: de Gruyter 1999. Zu Göschen und Cotta gibt es bereits vergleichbare Nachschlagewerke. Das Repertorium der Verlagskorrespondenç Göschen (1752-1828). Hrsg. von Stephan Füssel. (Berlin: de Gruyter 1996) gehört zu Füssels Habilitation über Göschen. Als zweiter Teil erschien die Verlagsbibliographie Göschen. 1785 bis 1838. (Berlin: de Gruyter 1998), während die eigentliche Habilitationsschrift Studien ?ur Verlegertypologie der Goethetçit gegenwärtig im selben Verlag erscheint. Zum Repertorium vgl.: Sabine Doering: „Die Erschließung der Korrespondenz Georg Joachim Göschens. Ein Arbeitsbericht". In: Stephan Füssel: Georg Joachim Göschen (1752-1828). Dokumente %ur Verlagsgeschichte aus den Beständen des Deutschen Buch- und Schriftmuseums Leipzig. Ausstellung im Deutschen Buch- und Schriftmuseum der Deutschen Bücherei Leipzig, Sept.-Nov. 1992 [...]. Stephan Füssel unter Mitarb. von Sabine Doering und Carola Staniek. Leipzig: Die Deutsche Bibliothek 1992. S. 13-15. - Zu Cotta: Helmuth Mojem: Der Verleger Johann Friedrich Cotta (1764-1832). Repertorium seiner Briefe. Marbach a. N.: Deutsche Schillergesellschaft 1997. Bernhard Fischer in Marbach arbeitet derzeit u. a. an einer Veröffentlichung des Cottaschen Hauptbuchs (1786-1806). Öfters ist es so, daß nur die Briefe an den Verleger erhalten sind, und diejenigen, die er selbst schrieb, nicht (mehr) aufzutreiben sind. Laut Zentralkartei der Autographen (Handschriftenabteilung der StbPK Berlin) befinden sich Briefe von und an Reimer in Bibliotheken und öffentlichen Archiven folgender Städte: Bonn, Münster, Göttingen, München, Heidelberg, Bamberg, Wolfenbüttel, Stuttgart, Freiburg, Gießen, Erlangen, Nürnberg, Frankfurt a. M., Mainz, Dortmund, Düsseldorf, Wuppertal, Kiel, Hannover, Berlin, Kassel, Braunschweig sowie im Goethe- und Schiller-Archiv in Weimar, im Deutschen Literaturarchiv in Marbach und bei der Historical Society of Pennsylvania in Philadelphia. Diese Zusammenstellung ist keineswegs vollständig, sondern hat fast eher zufälligen Charakter; um möglichst alle noch vorhandenen Briefe von und an Reimer zu erfassen, müssen noch systematische Recherchen angestellt werden. Gar nicht erwähnt werden in der Zentralkartei die Bestände in der Sächsischen Landesbibliothek Dresden und in Leipzig (im dortigen Staatsarchiv, im Buch- und Schriftmuseum u. a ).

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3. Quellenlage

Vertretern verschiedener wissenschaftlicher Disziplinen, politischen Persönlichkeiten, bildenden Künstlern, Schriftstellern und selbst Vermitdern auf dem Feld der literarischen Öffentlichkeit. Besonders stark vertreten ist dabei der Berliner Raum sowie Reimers Heimat Vorpommern. Deutlich wird, welche geistigen und materiellen Faktoren die Publikation von Büchern in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts begleiten und beeinflussen. Reimers Korrespondenz ist aber auch allgemein zeit- und geistesgeschichtlich interessant. Im einzelnen werden in ca. 200 der 2.000 Briefe dem Verleger (von Autoren, die vorher noch nicht in seinem Verlag publizierten) Schriften zur Publikation angeboten; in ca. 30 Briefen geht es um Zusammenarbeit und Auseinandersetzungen mit Buchdruckern oder um Streit über Druckkosten etc.; ca. 180 Briefe stammen von Kollegen, also Buchhändlern und Verlegern; in rund 900 Briefen geht es um die Arbeit mit Autoren, von der Idee bis zum fertigen Buch, also Korrekturen, Fragen der Ausstattung, Vertriebswege; in ca. 130 Briefen geht es (fast nur) um diverse Finanzangelegenheiten und ökonomische Zwänge; vorwiegend politischen Inhalts sind ca. 60 Briefe (wobei in diesem Zusammenhang auch die Oemagogenakte zu nennen ist), während rein privaten Inhalts vielleicht 150 sind. In ungefähr 40 Briefen geht es um Verlagsrechte, in anderen um Nachdruckstreitigkeiten, in einigen um Zensurangelegenheiten wie auch im (separat liegenden) Konvolut Censur-Behörde, in wenigen Briefen um Anfragen wegen Freiexemplaren oder um die Anfertigung von Lithographien und Kupferstichen sowie in ca. 10 Briefen um den Verkauf von Gemälden. In sehr vielen Briefen geht es um Vertragsbedingungen und 160 Verlagsverträge sind beigelegt. Sogar diese, meist trockenen, Verträge geben Aufschluß über die dahinter stehende Beziehung zwischen dem Autor und seinem Verleger oder lassen — auch bei wissenschaftlichen Werken - spezielles Interesse des Verlegers vermuten. Einige Kaufverträge, durch die andere Verlage bzw. Verlagsbestände übernommen wurden, befinden sich in einer separaten Mappe Kaufverträge. Reimers Briefkopierbuch

(1815-1841)

stellt eine Ergänzung der Korrespondenz dar; es enthält Briefe, manchmal Briefauszüge, meist von Schreiberhand angefertigt, von Briefen Reimers, die er selbst als wichtig empfand — sei es, weil sie vertragliche Bestimmungen enthielten, an Drucker gerichtete Anweisungen, oder in Streitfällen für Reimer den genauen Wordaut seiner Briefe dokumentieren sollten. Die Großen

Hauptbücher

Die Großen Hauptbücher sind als Haupt-Verlagsbücher Dokumente von allgemein kultur- und geistesgeschichtlichem Wert; systematisches Auswerten er-

18

I Thema

möglicht es, nicht nur Bücherkäufe vieler Kunden zu rekonstruieren und Aussagen über Honorargepflogenheiten zu machen, sondern auch der Zusammenarbeit des Verlegers mit Beschäftigten im Buch- und Druckwesen der Zeit auf die Spur zu kommen. Die Hauptbücher sind Bücher im Folio-Format mit unterschiedlichem Umfang; meist von Reimer selbst geführt, enthalten sie u. a. die Konten von Autoren, Papierhändlern, Druckern, Korrektoren, Buchbindern, Zeichnern, Kupferstechern und Lithographen. Da die Folge der Namen in den Büchern nicht alphabetisch ist und die vorhandenen Register unzuverlässig bzw. unvollständig sind, erwies es sich als hilfreich, ein Inhaltsverzeichnis aller auftretenden Personen erstellt zu haben. Es ermöglicht den schnellen Uberblick etwa darüber, mit welchen Buchbindern oder Druckern Reimer zusammenarbeitete. Die linke Spalte einer jeden Hauptbuchseite enthält die Einträge des Datums; in der breiten mittleren Spalte wird der Geschäftsvorfall genannt bzw. werden die gekauften Titel oder die Freiexemplare aufgezählt, denen noch die Anzahl voran gestellt wird. Von den rechten Spalten ist die erste dem Soll des Geschäftspartners vorbehalten, während die zweite bzw. äußere sein Haben angibt: Honorar, das Autoren gutgeschrieben wird, steht also in dieser Spalte ganz rechts, während die Beträge, die sie tatsächlich erhalten, in die Spalte links daneben gehören. Das Große Hauptbuch I, das lange verschollen war bzw. für verloren oder im Krieg vernichtet gehalten wurde, wurde erst im Sommer 1998 im Verlag Walter de Gruyter wieder aufgefunden; es enthält 463 paginierte Seiten und Einträge von 1800 bis 1809. Von großem Interesse ist es auch deshalb, da es die Anfänge von Reimers Geschäftsbeziehungen dokumentiert. Das Große Hauptbuch II, mit 914 Seiten das umfangreichste, das vom Walter de Gruyter Verlag zur besseren Erhaltung (wie auch das Briefkopierbuch) neu gebunden wurde, ist das einzige, das bislang Beachtung in der Forschung fand etwa wegen des darin enthaltenen Kleist-Kontos. Es enthält Einträge von 1808 bis ca. 1840. Das Große Hauptbuch III enthält eine Paginierung nach Blättern: 186 Bll. und Einträge von 1823 bis ebenfalls ca. 1840. Daß Reimers Sohn die Hauptbücher weitergeführt hat, geht eindeutig aus Hauptbuch IV hervor, das mit Einträgen von 1831 beginnt und mit solchen um 1858 endet. Es enthält Seitenzählung: 452 Seiten. Hauptbuch V schließlich, mit vorgedruckten Spalten für „Debet" und „Credit" enthält auf 40 gezählten Blättern nur noch wenige Einträge aus den Jahren 1837 bis 1845. Außer den Hauptbüchern hat Reimer ein Buchhändler-Kontobuch geführt, das nicht erhalten ist. Die Konten aller Verlegerkollegen und Buchhändler müssen dort verzeichnet gewesen sein, auch die von Druckern, die gleichzeitig als Buchhändler und Verleger tätig waren. So wurde ein Konto des Druckers Gebauer in Halle, der beispielsweise die Grimmsche Edda, mit anderen Druckern den Kinderfreund und die Gerichtsordnung druckte, in den Hauptbüchern vergeh-

3. Quellenlage

19

lieh gesucht. Da Gebauer eine verlegerische Tradition hatte,5 führte Reimer ihn als Kollegen im anderen Buch, genauso Vieweg in Braunschweig oder Dieterich in Göttingen. Abgesehen von diesen, gleichwohl bedeutenden Sonderfállen sind die Geschäftsbeziehungen zu allen Druckern aufgrund der Hauptbucheintragungen zu rekonstruieren. Angegeben sind die Werke, die gesetzt und gedruckt wurden, deren Auflagen- und Bogenzahl und der Lohn pro zu druckendem Bogen, den der Drucker bekam. Manchmal wurde Papier auch direkt vom Drucker für das bestimmte Werk bezogen; nur in solchen Fällen sind die Papierkosten exakt zuzuordnen.

Das Älteste

Geschäftsbuch

im Großoktavformat enhält 27 Blatt und auf jeder Seite „Soll" und „Haben" der jeweiligen Kreditgeber Reimers. Es enthält Eintragungen von 1799 bis 1824; daß es besonders aufschlußreich für die Anfänge von Reimers Selbständigkeit ist, soll gleich gezeigt werden.

Das Private

Ausgabenbuch

Im Privaten Ausgabenbuch — genauer Titel: „für die Haushaltung und PrivatAusgaben" - einem Oktav-Band mit 93 Blatt, enthält jede Seite links Eintragungen zu „1. Haushaltung" und rechts „2. Mio Conto". In der Mitte als Überschrift ist das Jahr und darunter jeweils der Monat angegeben. Das Tagesdatum befindet sich jeweils links neben dem Eintrag. Meist gibt es Ende des Jahres eine „Summarische Ubersicht" oder „Recapitulation" über die monatlichen Ausgaben. In den Eintragungen von Januar 1802 bis Dezember 1828 sind Groschenbeträge für Ausgaben des täglichen Lebens festgehalten, aber auch Bilderkäufe und Reisekosten; häufig vor kommen Schauspiel- oder Opernbesuche, Mittagessen, Luxusgüter wie „Chocolate", Bonbons oder Kuchen, Obst, Tabak und Wein — also Ausgaben, die nicht unter die normalen Haushaltungskosten fallen; ebenso Apotheker- und Ärzterechnungen, Schulgeld für die Kinder, Aus5

Friedrich Kapp [und] Johann Goldfriedrich: Geschichte des Deutschen Buchhandels. 4 Bde, Registerbd. Leipzig: Verlag des Börsenvereins der Deutschen Buchhändler 1886-1913. Zu Gebauer vgl. Bd. 2: S. 350 und 448; Bd. 3: S. 55, 308, 484f. und 523. Verlagsgründer der Hallischen Drucker- und Verlegerfamilie war Johann Justinus Gebauer (1710-1772), der seit 1736 etwa 500 Werke verlegte, u. a. eine Gesamtausgabe der Schriften Martin Luthers. Johann Jacob Gebauer (1745-1818) „führte die väterliche Firma zu höchster Blüte". Von seinen drei Söhnen überlebte ihn nur Friedrich Wilhelm Ferdinand Gebauer (1786-1819) um ein Jahr. Nach dessen Tod ging die Firma an Carl August Schwetschke, der 1797 eine Tochter von Johann Jacob Gebauer geheiratet hatte und Inhaber der Buchhandlung Hemmerde und Schwetschke in Halle war. Vgl. Lexikon des gesamten Buchwesens. Hrsg. von Severin Corsten, Günther Pflug [u. a.]. 2., völlig neu bearb. Aufl. Bd. 3. Stuttgart: Hiersemann 1991. S. 108 zu „Gebauer".

20

I Thema

gaben für Schneider und Schuster. Die jeweils pauschal angegebenen Haushaltungskosten, die etwa im Januar 1803 als Wirtschaftsgeld 47 Taler plus 5 Taler „Taschengeld f. m. Frau" (für seine Frau) betragen, liegen um 1810 bei ca. 150 Talern und steigen auf ca. 250 bis 350 Taler in den zwanziger Jahren.

Das

Kassenbuch

Erhalten ist auch ein Kassenbuch Reimers, in das in der Zeit von Januar 1828 bis März 1830 Barzahlungen eingetragen wurden. Links vom Geschäftsvorfall steht jeweils das Tagesdatum, ganz links der Betrag in Talern und Groschen, wenn es sich um eine Einnahme handelt, rechts, wenn es sich um eine Ausgabe handelt. Das Buch enthält regelmäßig Ausgaben für die (eigene) Druckerei, öfters auch speziell für Druckfarbe, für diverse Buchdrucker (Hayn, Müller u. a.), für Buchbinder (Schulz, Vetter, Wolfarth u. a.), für Lithographen (Asmus, Bekker, Storch u. a.), Kupferstecher (Wischnesky u. a.) und Maler (Guimpel, Heine); wobei sich diese Zahlungen, ebenso wie die Honorarzahlungen an einzelne Autoren (Berghaus, Bekker, Creile, Hufeland, De Wette, Zahn u. a.) zum großen Teil auch auf den entsprechenden Hauptbuchseiten dieser Geschäftspartner nachweisen lassen. Einzelne Zahlungen an Tieck im Jahr 1829 lassen sich schwerer zuordnen. Es sind Zahlungen eingetragen, die Buchhändler-Kollegen (Decker, Enslin, Mittler, Winter in Heidelberg u.a.) erhielten oder bar geleistet haben. Es finden sich Ausgaben Reimers für Korrektoren (Neuber, Sander), aber auch für Familienmitglieder (den Sohn Georg (für Reisen) oder Frau Reimer, Zahlungen von und an Dümmler und C. Reimer in Greifswald u.a.), Ausgaben zur Wirtschaft (gelegentlich auch zusätzlich „kleine Ausgaben") und solche für Holz, Glaser, Tischler und Taback. Mietzahlungen von Gräfin Kleist und zweimal von Schleiermacher (im April und Oktober 1828 über je 127 Taler) sind eingetragen, auch zwei Zahlungen an Schleiermacher und ein „Beitrag ζ Büste von Schleiermacher" im Dezember 1828. Der Betrag, den Reimer „an H. Sauer für Stempel von 2.050 Schulbüchlein" im Dezember 1828 zahlte, ist notiert, der Preis für zwei Anzeigen im Intelligenzblatt und einmal (im März 1828) „für verwahrloste Mädchen" 12 Taler. Am Ende des Monats findet sich jeweils die Angabe über Einnahmen für: Neuen Verlag, Alten Verlag und Sortiment. Monatlich wieder kehren die Ausgaben für Schmidt (30.-), Vogel (14.-), (Hieronymus (14.-) und A. Winter (12. 12), wobei es sich bei A. Winter um Anton Winter handeln wird, der bei Reimer gelernt hat. Hier finden sich auch die Zahlungen an Ferdinand Grimm (20.-) für diesen Zeitraum; und man darf folgern, daß es sich auch bei den anderen Herren um Angestellte des Verlags handelt. Ab Oktober 1829 erhält Darnmann regelmäßig 20 Taler, während Winter nun wegfällt.

3. Quellenlage

Die Mappe

21

„Realschulbuchhandlung"

enthält Dokumente von der Übernahme der Realschulbuchhandlung in Erbpacht (am 1. Juni 1800) bis zur Auflösung des Erbpachtvertrages 1823. Inventuren Die für die Jahre 1800 bis 1806 erhaltenen Inventuren werden im entsprechenden Kapitel genauer vorgestellt. Der Verlagskatalog

von 1843

ist unter den hier genannten Dokumenten aus dem Archiv des Walter de Gruyter Verlags die einzige gedruckte Quelle. Dieser älteste zur Verfügung stehende Verlags-Katalog von G. Keimer in Berlin von der Oster-Messe 1843 war ein unerläßliches Hilfsmittel bei der Zuordnung der oft fragmentarischen Hauptbucheintragungen.6 Selbstverständlich hat Reimer auch schon früher Verlagsverzeichnisse drukken lassen,7 doch leider konnte bislang kein älteres als das im Verlagsarchiv erhaltene von 1843 ausfindig gemacht werden. Die Verlagskataloge dokumentierten die Tradition der Firma, dienten damit also der Image-Pflege, aber vor allem Buchhändlern als Nachschlagewerk für Bestellungen.8 Der Katalog ist alphabetisch nach Autoren geordnet; außer Titel, Bandzahl und Formatangabe, Erscheinungsjahr und gegebenenfalls Angabe von Kupfern oder sonstigen Abbildungen enthält er den damaligen Ladenpreis, der sich nur wenig von dem zum Zeitpunkt des Erscheinens der einzelnen Titel unterscheidet. Titel, die Reimer aus anderen Verlagen „erkaufte" - ausdrücklich genannt werden Himburg, Lange, Breitkopf, Matzdorff, Maurer, Pauli, Quien, Schöne, Unger — sind im Katalog mit einem j· versehen.9 Die Titel, die Reimer mit der Realschulbuchhandlung übernahm, sind nicht eigens gekennzeichnet, lassen sich aber aus dem Erscheinungsjahr (vor 1800) erschließen. Auffällig ist, wie viele all 6 7

8

9

Vollständig enthalten auf CD-ROM im Anhang F; im folgenden zitiert als Kat 1843. Dies geht nicht nur aus Hauptbucheintragungen hervor; Kurt Gassen („Reimer", S. 242) notiert als benutzte Quelle seines Aufsatzes ein „Verzeichnis der Verlagsbücher G. Reimer 1824" und Rudolf Schmidt (Deutsche Buchhändler, Deutsche Buchdrucker Bd. 5, S. 809) verweist auf Reimersche Verlagskataloge aus den Jahren 1831, 1885,1903 u. ff. Was für Metzlers Universal-Catalogus von 1769 und 1770 galt (vgl. Wittmann: Ein Verlag und seine Geschichte, S. 247), gilt auch für normale Verlagskataloge. Aus Einträgen zu Tiecks Werk, und zwar den einzeln erhältlichen Schriften, wird deutlich, daß vor Titeln, die Reimer von anderen Verlagen übernahm, aber nicht in jedem Fall, wie zu erwarten wäre, das f steht: Bei Tiecks Romantischen Dichtungen von 1799 und 1800, dem Poetischen journal von 1800 und Kaiser Octavianus von 1804 fehlt es.

22

I Thema

dieser und der Titel, die Reimer in den 42 Jahren seiner Verlagstätigkeit selbst verlegte, in dem Katalog von 1843 noch vorrätig sind - und bei den meisten handelt es sich um die erste Auflage.10 Das aus dem Reimerschen Archiv stammende durchschossene Exemplar dieses Verlagskatalogs enthält handschriftliche Eintragungen: Ergänzungen aus den Jahren 1847 und 1857. 11 Wenn man auch noch die späteren Verlagskataloge von 1861, 1895 und 1910 und das Verzeichnis von Büchern aus dem Verlage von G. Weimer in Berlin, welche für die beigesetzten ermässigten Preise durch alle Buchhandlungen auf feste Bestellung ^u beliehen sind vom 15. November 1878 heranzieht, ergeben sich interessante Aufschlüsse darüber, in welch großem Zeitraum die Werke erhältlich waren.

Sonstige Archive und Bibliotheken Staatsarchiv

Preußischer

Kulturbesit^

Berlin

Ein Teil des persönlichen Reimer-Nachlasses wurde von der Familie in den zwanziger Jahren des 20. Jahrhunderts als Depositum ins Geheime Staatsarchiv Berlin-Dahlem gegeben, von dort - wie fast alle Bestände des Geheimen Staatsarchivs — im zweiten Weltkrieg (ins Bergwerk Schönebeck) ausgelagert12 und nach Freigabe durch den Chef der sowjetischen Militäradministration des Landes Sachsen-Anhalt nach Merseburg gebracht. Die Bestände des Zentralen Staatsarchivs der DDR - seit Oktober 1990 Stiftung Preußischer Kulturbesitz - sind mittlerweile wieder zurück nach Berlin verlagert worden. Der Nachlaß G. A. Weimer im Staatsarchiv Rep 92 enthält Akte I bis VII 13 : Bei diesem privaten Nachlaß handelt es sich vor allem um Reimers Korrespondenz mit seiner Frau. 10

11 12

13

Die 1843 ganz vergriffenen Publikationen sind üblicherweise nicht verzeichnet. Doch einige 1843 vergriffene Titel - also wohl solche, bei denen die letzten Exemplare 1842 abgesetzt wurden - sind noch eingetragen und mit dem gedruckten Hinweis „fehlt" versehen. Anderen ist dieser Vermerk handschriftlich beigefügt. Laut Titelblatt stammen die handschriftlichen Vermerke, auch Einträge neuer Titel, von 1847 und 1857. Bei dem erhaltenen Exemplar handelt es sich also um das Handexemplar des Verlags. Nur in einem Fall konnte bisher festgestellt werden, daß im Katalog die Angabe „2. Auflage" irrtümlicherweise fehlt: Bei C. W. Contessas Räthss! und der unterbrochene Schwätzer, das in erster Auflage 1808 erschien, im Katalog aber in der Ausgabe von 1817 (mit dem handschriftlichen Vermerk: „fehlt") aufgeführt ist. Diese handschriftlichen Eintragungen wurden im Anhang F nicht erfaßt Als weitere Lagerorte für Bestände des StaPK im Zweiten Weltkrieg werden das Bergwerk Straßfurt und die Flakbunker in Berlin-Friedrichshain und am Zoo genannt. Vgl. MinervaHandbücher. Archive. Archive im deutschsprachigen Raum. 2. Aufl. Berlin: de Gruyter 1974. S. 642. 392 Blatt und einige Beilagen: I.: Von 1800 bis 1813: 76 Blatt intus nr 22: Reimer an Prof. Rühs. 11. 8. 1813; nr 37a: Militärgerichtl Verfahren (beim Bataillon Rs) 28. 11. 1813 - II.: Von 1814 : 91 Blatt, intus nr 8: Nachruf Rs auf Ernst Eckardt vorm. Justizrat beim Stadtge-

3. Quellenlage

23

Als Helmut Schoepke, Inhaber der Merseburger Buchhandlung Stollberg, 1977 in die BRD zog, überließ er dem Staatsarchiv einen Kasten, der u. a. Briefe von G. A. Reimer enthält, die an seinen Sohn Karl gerichtet sind, der mit dem Schwager Salomon Hirzel in Leipzig die Weidmannsche Buchhandlung übernahm. Es handelt sich um maschinengeschriebene Durchschläge, geheftet zu vier Teilen, je ungefähr 60 Seiten stark. Die Briefe - aus der Zeit vom 8. Februar 1826 bis zum 30. Dezember 1838 - wurden offensichtlich nur auszugsweise abgeschrieben, zumindest fehlen Anrede- sowie Grußformeln. Diese Dokumente zeigen Reimer als Familienvater, der seinem ältesten Sohn und Geschäftsnachfolger gute Ratschläge gibt, von Krankheiten und Kontroversen mit Kollegen berichtet, erzählt von dem wichtigen Einfluß, den Schleiermacher auf ihn hatte, oder von Geschäften verschiedener Art sowie mancher Lustreise und Vorliebe. Ebenfalls in dem Kasten von Helmut Schoepke befinden sich Briefe von Wilhelmine Weimer an ihren Sohn Karl Reimer, Auguste und Johanna Reimer (1826— 1854)·, Johanna war Karls zweite Ehefrau nach dem frühen Tod von Auguste. Wieder handelt es sich um Durchschläge von mit Schreibmaschine abgeschriebenen Briefen; diese Blätter jedoch sind beidseitig beschrieben, 385 Seiten etwas über DIN-A4-Format, eingelegt in einen blauen Leinenumschlagkarton mit goldgeprägter Aufschrift. Soviel zum privaten Nachlaß Reimers im Staatsarchiv. Darüber hinaus gibt es dort mehrere Akten zu Reimer, vor allem aus der Zeit der Demagogenverfolgung: Die Papiere erheblichen Inhalts des Buchhändlers Reimer mit den Briefen von Autoren und Manuskripten, die 1819 in seinem Haus beschlagnahmt wurden, enthalten auch private Briefe. Besonders ausführlich dokumentiert sind zwei Zensur-Vorgänge zur Hutten- und Napoleon-Ausgabe, über die Doris Fouquet-Plümacher schon gearbeitet hat.14 Aus der Acta betr. die Untersuchung gegen den Buchhändler Georg Andreas Reimer, in Berlin, wegen Verdachts der Theilnahme an demagogischen Umtrieben und revolutionairen Verbindungen (1819-1822) wurden die Verhörprotokolle ausgewertet (siehe Kapitel II. 2).

rieht; nr 10: 2 Gedichte Fouqués cop.; nr 19: R Kriegstagebuch 6. 2.-19. 2. cop.- III.: 1815 bis1820: 75 Blatt, intus nr 15a: Baron Putlitz an R. 15. 11. und nr 31: 21. 1. 1820.- IV.: 1821 bis 1839: 104 Blatt, intus nr 40 a: B.G. Niebuhr an R. 22. 8. 1827; nr 82: R. an Stadtrat Keibel 24. 7. 1839.- V.: 1840 bis 1850: 46 Blatt, intus nr 1 a: R. an Augsburger Allgemeine Zeitung 16. 1. 1840; nr 29: Nachruf auf R. Börsenblatt für den Buchhandel Nr 41. 29. 4. 1842: Von Ensün. Frommann. Rost: „Reimer ist todt"; nr 30: Nachruf auf R. Am Grabe. Rede des Predigers Jonas. 29. 4. 1842; nr 31: Beilage zur Allgemeinen Zeitung, anonymer Aufsatz über R. 18. 10. 1842. (Nr. 291). "von einem nahen Freunde des Verstorbenen eingesandt" (= E.M. Arndt).- VI.: Druckschrift von Theodor Roller.- VII.: Varnhagen von Ense an R., 8. 8. 1814. - Einige als „Copie" (d. h. frühe Abschrift) in diesem Nachlaß überlieferten Briefe befinden sich als Original noch in Familienbesitz - so auch das Reimersche Kriegstagebuch von 1814. 14

Fouquet-Plümacher: „Jede neue Idee kann einen Weltbrand anzünden".

24

I Thema

Weitere interessante Akten ... Leider gibt es im Staatsarchiv kein Zentralregister, sondern man muß diverse Findbücher und Karteien durchsehen, und dann oft auf gut Glück Akten bestellen. Buchgeschichtlich relevante Akten sind verschiedenen Ministerien zugeordnet. Beim Außenministerium beispielswiese gibt es Abteilungen Kunst, Wissenschaft, Bücher, Zensur, Subskriptionen. Das Oberzensurkollegium ist wichtig; das Staatskanzleramt, u. a. ebenfalls zu Zensurangelegenheiten; das Innenministerium mit allen Polizeiakten; aber auch das Ministerium der geistl. Unterrichts- und Medicinal-Angelegenheiten. Erschwerend bei der Such-Arbeit kam anfangs hinzu, daß unterschieden wurde zwischen feud und kap, also feudalistischer und kapitalistischer Zeit und daß es bei manchen Beständen alte und neue Signaturen gibt.15 Andere auch für Reimer eventuell aufschlußreiche Nachlässe im Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz, wie etwa die von Johann Albrecht Friedrich Eichhorn, Neidthart von Gneisenau, Justus von Gruner, Friedrich August von Staegemann u. a. wurden für diese Arbeit noch nicht herangezogen, da ihre Sichtung leicht dazu geführt hätte, daß der verlagsgeschichtlich orientierte Kontext der Untersuchung gesprengt worden wäre. Ihre Berücksichtigung ist geplant für die Fortsetzung der Arbeit in einer Reimer-Biographie. Im Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz in Dahlem befindet sich auch ein Exemplar der von Reimer während der Befreiungskriege verlegten Zeitung Oer Preussische Correspondent. Staatsbibliothek

Preußischer

KulturbesitBerlin

Aus den Beständen der Staatsbibliothek Berlins wurde vor allem der Nachlaß von Ludwig Tieck und der Nachlaß der Brüder Grimm verwendet, der sich im Haus 2 in der Potsdamer Straße befindet. In der Staatsbibliothek Unter den Linden (Haus 1) wurden u. a. Zeitungen der Zeit (Haude & Spenersche Zeitung und Vossische Zeitung) eingesehen. Archiv der Akademie

der Wissenschaften,

Berlin

Aus dem Archiv der Akademie der Wissenschaften wurde der Briefwechsel zwischen Reimer und Schleiermacher herangezogen, der von Wolfgang Virmond in der für die kritische Schleiermacher-Briefausgabe bereits erstellten Transkription freundlicherweise zur Verfügung gestellt wurde. Andere Nachlässe, die in diesem Archiv ruhen, wie der von Ernst Moritz Arndt, Christian Friedrich Diez, Barthold Georg Niebuhr u. a. sind teils für die ^ Die Signaturen der jetzt tatsächlich verwendeten Akten werden an Ort und Stelle angegeben.

25

3. Quellenlage

einschlägigen Veröffentlichungen bereits ausgewertet worden, teils gilt das oben für Nachlässe des Staatsarchivs gesagte.

Landesarchiv

Berlin

Im Westberliner Landesarchiv ist Reimers Testament archiviert: Testament Nr. 1275 (Reimer), Pr. Br. Rep 5 A Stadtgericht. Im ehemaligen Stadtarchiv Ost (= Landesarchiv Breite Straße) befinden sich die Magistratsakten, die für Reimers Tätigkeit als Stadtverordneter und Stadtrat aufschlußreich sein können.

Zentrales Grundbucharchiv,

Berlin

Im Zentralen Grundbucharchiv in Berlin sind drei Bände Grundakten der Wilhelmstraße 73 (Friedrichstadt) erhalten, die Aufschluß geben über die Hypotheken, die Reimer aufgenommen hat.

Leipziger Archive und

Bibliotheken

Im Staatsarchiv Leipzig wurden die Börsenvereinsakten eingesehen; im Buchund Schriftmuseum in der Deutschen Bücherei ebenfalls Börsenvereins-Archivalien sowie die dort vorhandenen wenigen Briefe Reimers; eine Anzeige über den Kauf der Weidmannschen Buchhandlung; ein gedrucktes Schreiben, das Reimer im Januar 1823 mit seiner Remittendenfaktur, die als die erste gedruckte gilt, an seine Kollegen versandte; sowie das Allgemeine Bücher-Verzeichnis, das die Neuerscheinungen jeder Messe verzeichnete. Die Bestände der Leipziger Universitätsbibliothek konnten nicht erschöpfend ausgewertet werden, da die dort vorhandene Empfänger-Kartei zum Zeitpunkt der Benutzung nur sehr unvollständig war; d. h. nur ca. 30 % der Bestände auf diese Weise erfaßt waren. In der Stadt-Bibliothek Leipzig wurde die Leipziger Literatur-Zeitung eingesehen; im Stadtarchiv vor allem das leipziger Tageblatt und Unterlagen zu dem von Reimer gekauften Grundstück des Großboseschen Gartens, zu dessen Geschichte Material auch im Leipziger Stadtmuseum zu finden war.

Deutsches Literaturarchiv,

Marbach am Neckar

Wie bereits in der Danksagung erwähnt, war das Marbacher Literaturarchiv vor allem mit seiner Bibliothek ein wichtiger Arbeitsort. An Handschriftenbeständen müssen für diese Arbeit besonders das Cotta-Archiv und die Briefe

26

I Thema

Reimers an Johann Friedrich Cotta erwähnt werden; daneben gibt es einzelne Briefe von und an Reimer in der Handschriftenabteilung. Biblioteka

Jagielloñska,

Krakau

In der dortigen Autographensammlung befinden sich u. a. Reimers Briefe an Jean Paul aus der Zeit von 1818 bis 1825. Weitere

Archivbestände

Zahlreiche einzelne Quellen, bzw. auch ganze Bestände waren für einzelne Kapitel heranzuziehen: Kirchenbücher in Greifswald, die Häuserkartei sowie das Greifswalder Tageblatt im Stadtarchiv Greifswald, im Stadtarchiv Stralsund vor allem die Stralsundische Zeitung, aber auch Briefwechsel wie der zwischen Reimer und Perthes im Hamburger Staatsarchiv. Sie werden, wo nötig, an Ort und Stelle beschrieben. Der Briefwechsel zwischen Reimer und August Wilhelm Schlegel (53 Briefe von Reimer an A. W. Schlegel, 18 Briefe von A. W. Schlegel an Reimer) befindet sich in der Sächsischen Landesbibliothek Dresden, wird aber nach den vorhandenen Veröffentlichungen zitiert. In der Handschriftenabteilung der UB Göttingen und dem Brüder Grimm Museum Kassel war der Briefwechsel zwischen Reimer und den Brüdern Grimm von Interesse. Obwohl der Dümmler-Verlag vermutlich noch die Archivalien zu seinem Gründer Ferdinand Dümmler besitzt - Adalbert Brauer (Dümmkr-Chronik) und Wilhelm Schoof16 konnten sie in den fünfziger Jahren noch benutzen - wurde mir leider keine Einsicht in die Unterlagen gewährt.. Interessant wäre daraus der Briefwechsel zwischen Reimer und seinem Kollegen, Freund und Schwager Ferdinand Dümmler.17 In Privatbesitz in Heidelberg befindet sich noch weitere, den Bestand im Staatsarchiv Nachlaß G. A. Keimer Rep 92 ergänzende private Korrespondenz des Verlegers Reimer und seiner Familie. Sie konnte bislang nur sporadisch und sehr fragmentarisch verwendet werden.

1(i

17

Wilhelm Schoof: „Ferdinand Dümmlers Verlagshandlung als Grimmverlag. (Unter Benutzung des Dümmlerschen Verlagsarchivs)". In: Börsenblatt für den Deutschen Buchhandel. Frankfurter Ausgabe 15 (1959) Nr. 99. S. 1706-1708. Dümmler heiratete Karoline Reinhardt, Reimers Schwägerin. Reimer kaufte 1815 für Dümmler, der zögerte, den Verlag von Julius Eduard Hitzig; Dümmler hat die Übernahme des Geschäfts nie bereut und konnte in wenigen Jahren die von Reimer vorgeschossene Summe zurückzahlen (vgl. Adalbert Brauer: Oiimmler-Chronik. Aus anderthalb Jahrhundert Verlagsgeschichte. Bonn: Dümmler 1958. S. 53).

Exkurs 1: Was der Taler damals wert war Da in dieser Untersuchung häufig vom Geld die Rede ist und die Auswertung Reimerscher Geschäftsunterlagen - weil ein Verlag nun mal ein Wirtschaftsunternehmen ist - unter der Hand einen viel größeren Raum eingenommen haben, als anfangs geplant war, erscheint es angebracht, hier einige Bemerkungen zum damaligen Geldwert einzufügen. Üblicherweise rechnete Reimer mit Preußischen Reichstalern, die allerdings nicht mit den ursprünglichen Reichstalern von 1566, die einen höheren Realwert hatten, verwechselt werden dürfen.1 Freilich hatte man es als Verleger auch mit Sächsisch-Courant und im Geschäftsverkehr mit Kollegen aus anderen Ländern auch mit Gulden und anderen Währungen zu tun. 1 Taler besteht aus 24 Groschen (à 12 Pfennigen), bzw. nach dem preußischen Münzgesetz vom 30. September 1821 aus 30 Silbergroschen - wobei in einem zeitgenössischen Lehrbuch im Kapitel zur „Wechselcoursberechnung" 1842 gesagt wird, „die Buchhändler unter sich rechnen jedoch bis jetzt immer noch nach der alten Eintheilung des Thalers zu 24 Groschen à 12 Pfennige Courant", weshalb hier für den ganzen Untersuchungszeitraum diese Berechnung beibehalten wird.2 Bei der Ostermesse 1846 erfolgte die Abrechnung erstmals in Neugroschen.3 Courantgeld ist die ,harte' Münze eines Landes, deren Wert durch ihren Feingehalt gesichert war, während Scheidemünzen im Verhältnis zu ihrem Nominalwert meist minderwertig waren und nur durch Zwangskurs, Vereinbarung oder Kredit gesichert waren.4 1 Courantmünze im Preußen unserer Zeit hat den Wert von 1 Taler + 1 Sechsteltaler. Honorarangaben werden außer in (Reichs)Talern (Rthlr, Rh oder Rß) häufig in Louisd'or oder Friedrichsd'or gemacht: 1 Friedrichsd'or ist meist, dem Goldwert entsprechend schwankend, um die 5 Taler wert. Als Wert des hochwertigen Louisd'or wird aber auch 2 Dukaten oder 11 fl

1

2

3

4

Vgl. Brockhaus Enzyklopädie. 19., völlig neu bearb. Aufl. Mannheim: Brockhaus 1993. Bd. 21, S. 596 zu „Taler". Albert Hoepstein: Praktische Vorschule für den deutschen Buchhandel in merkantilischer, technischer und literarischer Hinsicht. 3 Abthl. Leipzig: Brockhaus i. Comm. 1842-44. Zit. nach: Der deutsche Buchhandel in Urkunden und Quellen. Hrsg. von Hans Widmann unter Mitwirkung von Korst Kliemann und Bernhard Wendt. Bd. 2. Hamburg: Hauswedell 1965. S. 426. Birgit Sippell-Amon: „Die Auswirkung der Beendigung des sogenannten ewigen Verlagsrechts am 9.11.1867 auf die Editionen deutscher .Klassiker'". In: AGB 14 (1973/74). Sp. 349—416, hier Sp. 405. Vgl. Deutscher Buchhandel in Urkunden und Quellen Bd. 2, S. 423.

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I Thema

(= Gulden) angegeben. 5 1 Dukaten ist gleich 3 Vi Reichstaler, 1 Speziesdukaten dagegen 2 Reichstaler acht Groschen, 1 Wiener Dukaten gleich 3 Reichstaler. 6 In den süddeutschen und rheinischen Ländern wurde mit Gulden (eigentlich „goldene Münze") bzw. Florin gerechnet, was im 19. Jahrhundert aber längst Silbergulden waren. Der im 16. Jahrhundert von den Habsburgern unternommene Versuch, das Gulden-Kreuzer-System (1 Gulden = 60 Kreuzer) zur Grundlage der Währung im Deutschen Reich zu machen, war am Widerstand der nord- und mitteldeutschen Länder gescheitert. 7 1 Taler - gemeint ist hier allerdings der wertvollere Speziestaler 8 - ist 2 Gulden oder 120 Kreuzer, 12 Groschen sind ein halber Taler oder 1 Gulden. 9 Zur Zeit der Münzkonvention von 1690 gilt der Gulden als Zweidrittelstück des Rechnungstalers. 10 Durch Abwertung des Guldens galt der Taler Mitte des 18. Jahrhunderts 144 statt 120 Kreuzer. 11 Der Kurswert eines Carolins entspricht etwa 6 Taler und 6 bis 8 Groschen, 3 Goldgulden oder 9 Silbergulden. 12 Wie kompliziert das damalige Währungssystem war, zeigt z. B. Johann Ludwig Klüber in seinem 1828 erschienenen Werk über Das Mün^wesen in Teutschland,13 In der Dresdener Münzkonvention von 1838 schließlich konnte Preußen seinen Taler bei der Mehrheit der Mitgliedsstaaten des Deutschen Bundes durchsetzen. 14 Innerhalb des deutschen Zollvereins waren 24 Y2 Gulden (= 14 Taler) aus einer kölnischen Mark Silber auszumünzen; wobei Mark die Gewichtsbezeichnung (in diesem Fall 233, 856 g) des mit einer Marke gestempelten Edelmetallbarrens meint. 15 Der Nominalwert einer Münzsorte sagt aus verschiedenen Gründen wenig aus: Zum einen schwankt der Anteil des Feingehalts der bei der Prägung verwendeten Edelmetalle, also der Metallwert; und ihr Kurswert, also die Bewertung bei der Umwechslung in andere Sorten schwankt; sodann ist die Kaufkraft einer Münze ständigem Wechsel unterworfen. 16 Sehr problematisch sind deshalb UmEbda., S. 424. Vgl. Krieg: Materialien einer Entwicklungsgeschichte, S. 89f. 7 Vgl. brockhaus Bd. 9, w 1989, S. 280 zu „Gulden". 8 Mit Speziestaler sei meist der wirkliche Reichstaler im Gegensatz zu dem durch Zusammenzählen kleinerer Münzen erreichten Talerwert gemeint. Siehe: Deutscher Buchhandel in Urkunden und Quellen Bd. 2, S. 425. 9 Krieg: Materialien s¡u einer Entwicklungsgeschichte, S. 31. Auf S. 90 gibt Krieg für die Umrechnung von Gulden in Reichstaler (wohl die Zeit kurz vor 1800 betreffend) an, 2 Gulden seien gleich 1 Reichstaler 8 Groschen. 10 Vgl. Brockhaus Bd. 9, 19 1989, S. 280 zu „Gulden". 11 Vgl. Brockhaus Bd. 12, "1990, S. 318 zu „Konvenrionsfuß". 12 Vgl. Deutscher Buchhandel in Urkunden und Quellen Bd. 2, S. 423. 13 Johann Ludwig Klüber: Das Mün^wesen in Teutschland nach seinem jetzigen Zustand. Mit Grundlagen einem Mün^yerein teutscher Bundesstaaten. Stuttgart: Cotta 1828. 1 4 Vgl. Brockhaus, Bd. 21, "1993, S. 596 zu „Taler". 1 5 Vgl. Deutscher Buchhandel in Urkunden und Quellen Bd. 2, S. 424f. 16 Ebda., S. 423. 5

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Exkurse über Währungen und Werte

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rechnungen der damaligen Währungseinheiten in die heutige Währung. Leichter anzustellen sind Vergleiche des Geldwertes; durch Vergleiche der Kosten verschiedener Güter der gleichen Zeit läßt sich ihr Tauschwert ersehen. Wie viel Taler mußte ein Familienvater um 1800 oder um 1840 jährlich verdienen, um Frau und 2, 3, 4, 5... Kinder ernähren zu können? Was galt als das Existenzminimum, über das Tagelöhner, Arbeiter und auch Handwerker oft nicht hinaus kamen? Für die 40er Jahre des 19. Jahrhunderts wurde das Existenzminimum für eines der ärmsten Gebiete vor den Toren Berlins, das sogenannte Vogdand, aus den Angaben errechnet, die Bettine von Arnims „Königsbuch", die von ihr herausgegebene Schrift Dies Buch gehört dem König enthält.17 Danach betrug das durchschnittliche Monatseinkommen eines durchschnittlichen 4,5 Personenhaushaltes knapp 7 Taler. Nach Abzug der allemotwendigsten Ausgaben, darunter Miete von 2 Talern, blieben für die Ernährung knapp 20 Silbergroschen pro Person und Monat übrig, wofür der Bedarf an den allemotwendigsten Nahrungsmitteln keinesfalls gedeckt werden konnte.18 Einer Untersuchung von Joachim Nitsche zufolge betrug das jährliche Existenzminimum für eine fünfköpfige Arbeiterfamilie in den Jahren von 1800 bis 1830 ungefähr 200 Taler, 19 was also in den ärmsten Schichten oft unterschritten wurde. Aus ihnen konnten sich, ganz abgesehen von der Frage der Alphabetisierung, also allein aus finanziellen Gründen keine Leser rekrutieren. Auch das Gehalt von jährlich ca. 500 Talern, das einfache Prediger oder Lehrer erhielten, ließ nicht viel Spielraum. Ein Rittmeister erhielt jährlich ca. 450 Taler Sold, während für einen einfachen Reiter lediglich 24 Taler jährlich angegeben werden, für einen Feldwebel 54 und für einen Wachtmeister 72 Taler 20 - was vorstellbar nur ist, wenn Verpflegung und Unterkunft gestellt wurden. Welches Einkommen erzielten dagegen ,Spitzenverdiener'? Der Buchhändler Sander berichtet 1810 über Schleiermachers Gehalt: „Sein Gönner u. Freund, der Graf Dohna wollte ihm ein fixirten Gehalte gegen 5, 000 Thlr. verschaffen; das hat aber der König zu arg gefunden, u. 2,000 Thlr. gestrichen. Schleyermacher ist 1) Prediger bei der Dreifaltigkeits Kirche, u. hat davon circa 1100 Thlr. - nebst einem eignen Amtshause. Arno Pekiser: „Funktion der städtischen Armendirektion des Berliner Magistrats in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts". Diss, masch. Humboldt-Universität Berlin 1987. S. 182, Anm. 70 zitiert in diesem Zusammenhang die Berechnungen von Johann Friedrich Geist und Klaus Küvers: Das Berliner Mietshaus 1740-1862. Bd. 1. München: Prestel 1980. S. 279ff. 1 8 Pekiser: „Funktion der städtischen Armendirektion", S. 182, Anm. 70. 1 9 Joachim Nitsche: „Die wirtschaftliche und soziale Lage der arbeitenden Klassen in Berlin von 1800-1830. Wirtschaftswiss. Diss, masch. Humboldt- Universität Berlin 1965. S. 166, zit. nach: Pekiser: „Funktion der städtischen Armendirektion", S. 182, Anm. 70. 2 0 Umgerechnet aus den Angaben, die Walter Krieg macht (Krieg: Materialien ζ« einer Entwicklungsgeschichte, S. 32). 17

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I Thema 2) 3)

Professor, wenigstens mit Mitglied der Examinations-Commission mit

1200 600

2900. / Nun sollte er auch noch als Mitglied der Section für Cultus 2000 Thlr. bekommen; durch diese Summe hat aber der König mit Recht, einen Strich gemacht. Mit 3, 000 Thlr. an fixirtem Gehalt ist Schleiermacher über u. über bezahlt." 21

Clemens Brentano erklärt Kunigunde von Savigny im Zusammenhang mit Savignys Berufung an die neugegründete Universität Berlin, „2500 rd seien der höchste Gehalt der hiesigen Professoren, [...] Kein Professor erhalte eigentlich höhern Gehalt, und ist dies der Gehalt eines Staatsraths, das was irgend einer mehr erhält, wird ihm unter Neben Titeln, als ζ. B. Mitglied der Wißenschaftlichen Secktion, Gesetzforscher Secktion, welche bei fast keiner Arbeit, nur einigen Consultationen, etwa 500 rtl abwerfen, und welche Savigny ad libitum auch ergreifen kann." 22

Mehr als zehn Jahre früher erhielt Schiller als außerordentlicher Professor in Jena zunächst gar kein Gehalt und später nur geringe Kollegiengelder; später als Hofrat erhielt er erst ein Jahresfixum von 200 Talern, das 1799 auf 400 und 1804 auf 800 Taler stieg.23 Goethes Einkommen wird für die Zeit ab 1816 mit jährlich 3.000 Reichstaler angegeben, 24 1817 wies er 4.600 Taler Aktiva aus und 1831 besaß er ein Vermögen von rund 3.0000 Talern. 25 In den zwanziger Jahren beschwert sich der Autor Przystanowski bei Reimer, daß er einmal behaupten würde, „bey Gott beschworen nicht 470 fl schikken zu können" und ein andermal angeben würde, „seit einer Reihe von Jahren, jährlich 20, 000 rh [zu] verdienen" 26 . Ein Beispiel für den Kaufpreis eines literarischen Werkes, dem später noch etliche folgen werden, hier in Relation zu anderen Ausgaben: Die erste von Friedrich Schlegel und Tieck herausgegebene Novalis-Ausgabe in zwei Bänden kostete 1802 in der einfachen Ausgabe 3 Taler, auf Velinpapier 4 Taler 12 Groschen. Für 3 Taler oder 6 Gulden bekam man 500 Mauerziegel oder 45 Kilo 21

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Sander an Böttiger, Berlin, 17. 11. 1810, in: Johann Daniel Sander: Die Briefe Johann Daniel Sanders an Carl August Böttiger. Hrsg. von Bernd Maurach. 4 Bde. Bern: Peter Lang 19901993. Hier Bd. 4, S. 195-197, hier S. 196f. Brentano an Kunigunde von Savigny in Landshut, Berlin, nach dem 18. 3. 1810, in: Clemens Brentano: Sämtliche Werke und Briefe. Historisch-kritische Ausgabe veranstaltet vom Freien Deutschen Hochstift Frankfurt. Hrsg. von Jürgen Behrens, Wolfgang Frühwald und Detlev Lüders. Bd. 32: Briefe IV (1808-1812). Hrsg. von Sabine Oehring. Stuttgart: Kohlhammer 1996. S. 249-260, hier S. 251 f. Krieg: Materialien einer Entwicklungsgeschichte, S. 104. Willy Flach: „Amtliche Täügkeit". In: Goethe-Handbuch. Hrsg. von Alfred Zastrau. 2., vollkommen neugestaltete Aufl. Bd. 1. Stuttgart: Metzler 1961. Sp. 221-234, hier Sp. 224. Krieg: Materialien ç» einer Entwicklungsgeschichte, S. 93. Przystanowski an Reimer, 29. 1. 1826, in: Berlin, Archiv WdeG (Briefaichiv R 1). Alle im folgenden nicht näher bezeichneten Quellen befinden sich im Archiv Walter de Gruyter.

Exkurse über Währungen und Werte

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Weißbrot oder 58 Kilo Roggenbrot, man konnte aber auch 28 Kilo Rindfleisch oder 32 Kilo Semmelmehl dafür kaufen.27 Um den Kaufwert von Honoraren einschätzen zu können, seien hier auch einige Zahlen genannt, die aus Reimers privatem Ausgabenbuch stammen: „6 Flaschen Rum" kosteten im September 1810 elf Taler; ein Regenschirm im Juli 10 Vi Taler; „2 Stiefel zu besohlen" im Dezember 2 Taler - Das „Tuch zu Minnas Geburtstag", also dem Geburtstag seiner Frau, war ihm im Januar 1811 zwanzig Taler wert, der Kuchen am selben Tag kostete 3 und „kleine Ausgaben" 4.10; für eine Apothekerrechnung mußte er in diesem Monat 18. 10 zahlen. Im November gab er für einen „Pokal zu Schleiermachers Geburtstag" 3 Taler 8 Groschen aus. Zu Weihnachten kostete das „Spielzeug für die Kinder" 18 Taler 6 Groschen, ein „Mineralienkabinet u. Porto" 12. 14, und der Älteste bekam eine Bibel für 1 Taler 8 Groschen. Am 24. Dezember trug Reimer sogar das „Klingelbeutel Geld" in Höhe von 10 Groschen ein. Mit weiteren Geschenken sind die Dezember-Ausgaben die höchsten des Jahres. - Für den ältesten Sohn Karl betrug das monatliche „Schul & Kostgeld" an die 6 Taler; ab Sommer 1810 verdoppelte sich diese Ausgabe, da auch Schulgeld für den zweiten Sohn Georg zu zahlen war. Fürs „Schauspiel" gab Reimer monatlich meist 2 Taler oder mehr aus. Das „Marionettenspiel", das er im April 1811 - vielleicht angeregt von Kleists Beitrag in den Abendblättern „Über das Marionettentheater" — besuchte, kostete 1 Taler 4 Groschen. Am 27. desselben Monats lautet der Eintrag fürs Schauspiel gar 4 Taler 2 Groschen. Auffällig sind Reimers Ausgaben für Pulver, Blei, fürs Schießen und „Wagen zum Schützenplatz" in dieser Zeit.28 Insgesamt betragen Reimers private Ausgaben im Jahr 1810 - seiner eigenen „Recapitulation" zufolge - über 3.493 Taler; im Jahr darauf 3.667 Taler. Für das Jahr 1803 beschreibt Johann Daniel Sander im Brief an Karl August Böttiger, der nach Berlin kommen soll, anschaulich, welche finanziellen Verhältnisse ihn erwarten: „Uebrigens habe ich Ihnen nie gesagt, man könne in Berlin mit 2,000 Thlrn. großen A u f w a n d machen; doch anständig kann eine nicht zahlreiche Familie davon leben. Ein Paar Beispiele. Ein Geh. Ober-Tribunalsrath hat 1 8 0 0 Thlr; u. wenn er sehr fleißig ist, kann er vielleicht noch 4 0 0 oder 5 0 0 Thlr. dazu verdienen. Nun giebt es der Geh. Tribunalsräthe mehrere, die kein eignes Vermögen haben, u. doch sehr anständig leben. Es ist wahr, daß ich mit 2, 0 0 0 Thlrn. nicht auskomme: aber ich habe alle Mittage 11 Personen zu speisen; o f t auch noch einen oder ein Paar Gäste; alle Monath einmal eine Gesellschaft v o n 10 bis 16 Personen; fast jeden Abend ein oder Paar Theegäste, die o f t auch zum Abendessen bleiben; vier Kinder, die in Kleidung

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Krieg: Materialien ça einer Rntwicklungsgeschichte, S. 31f. Im Mai 1811 kosteten fünf Pfund Schieß-Pulver 3 Taler 22 Groschen.- Mit anderen Patrioten übte Reimer im Charlottenburger Schützenhaus das Schießen - als Vorbereitung für den bevorstehenden Befreiungskampf. Vgl. Fouquet-Plümacher: „Jede neue Idee kann einen Weltbrand anzünden", S. 7.

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I Thema pp zu unterhalten sind; ferner im jetzt verflossenen Jahr das Scharlachfieber bei drei Kindern mitten in der heftigsten Kälte; Aufenthalt meiner Frau u. der Kinder in Charlottenburg, u. folglich doppelte Wirtschaft; ein Wochenbett, u. mehr dergl. ungewöhnliche Ausgaben. Wäre das alles nicht gewesen, so würde ich mit meiner Frau, vier Kindern u. drei Domestiken, alles zusammengerechnet, gewiß nicht über 2000 Thlr. gebraucht haben. Es wäre freilich schlimm, wenn Sie nur 2000 Thlr., jährlich haben sollten; denn ein guter Hausvater muß wenigstens etwas für seine Familie zurücklegen. Aber, so wahr ich lebe, es bleibt Ihnen Muße zu literarischen Arbeiten, u. Sie haben Aussichten für die Folge." 29

In einem Brief Friedrich Ludwig Jahns an Professor Luden in Jena v o m 23. März 1 8 1 6 findet sich zum gleichen Thema die Angabe: „Ohne ein bedeutendes Gehalt können Sie aber hier kein Lehramt annehmen. Rühs sagte mir einmal: Er brauche jährlich 2500 Taler und kaufe wenig Bücher. Die Gesellschaften sind hier teuer, und ein Professor kann sich nicht ganz zurückziehen." 30 Kurz nach dem Amtsantritt von Friedrich Wilhelm III berichtete Sander über den neuen König, in den — nicht zuletzt wegen seiner Sparsamkeit und Nüchternheit — große Hoffnungen gesetzt werden 31 : „Um Ordnung in der großen Menge von Briefen u. Antworten erhalten zu können, hat der König einen besonderen Registrator für das Cabinet angenommen. Der Mann ist ihm als rechtschaffen u. thätig empfohlen. Er läßt ihn zu sich rufen, trägt ihm den Posten an, u. fragt: was soll ich Ihnen Gehalt geben? - Ew. Majestät, wenn ich ohne Sorgen leben soll, muß ich 1000 Thaler jährlich haben. — ,Sind Sie verheirathet, u. haben Sie Kinder?' - Ja. - ,Dann können Sie mit 1000 Thalern nicht auskommen; ich will Ihnen 1200 geben. Und nun können Sie Ihr Amt sogleich antreten. Gehen Sie hinauf.' — Ew. Majestät, ich / bin noch nicht vereidet. — ,Sind Sie ein ehrlicher Mann?' — Ja, u. ich will es auch bleiben. - ,Nun, so geben Sie mir die Hand darauf. Ein Eid ist nicht nöthig; wenn wer sein Versprechen brechen kann, hält auch einen Eid nicht.'" 32

Sander an Böttiger, Berlin, 27. 12. 1803, in: Sander: Briefe an Böttiger Bd. 4, S. 85-88, hier S. 86. 30 Jahn an Luden, Berlin, 23. 3. 1816, in: Friedrich Ludwig Jahn: Die Briefe F. L. Jahns. Hrsg. von Wolfgang Meyer. Dresden: Limpert (= Quellenbücher der Leibesübungen 5). S. 94f., hier S. 95. 31 Vgl. Chronik Berlin. Übersichtsart. von Helmut Börsch-Supan. 3., aktual. Aufl. München: Chronik Verlag im Bertelsmann Lexikon Verlag 1997, S. 147. 32 Sandel an Böttiger, Berlin, 8. 1. 1798, in: Sander: Briefe an Böttiger Bd. 2, S. 136-144, hier S. 139f. 29

Exkurse über Währungen und Werte

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Exkurs 2: Über den heutigen Wert von Reimer-Ausgaben Es seien hier noch einige Bemerkungen über den heutigen Wert von Erstausgaben aus dem Reimer-Verlag bzw. der Realschulbuchhandlung gestattet. Noch Ende des 19. Jahrhunderts, ja bis ins 20. Jahrhundert hinein waren viele Titel, die Reimer verlegt hatte, noch in Erstausgabe lieferbar. Es mag verwundern, daß ein erfolgreicher Verlag viele Ladenhüter produzierte, doch es muß dabei bedacht werden, daß er mit einigen wissenschaftlichen Werken, vor allem aber mit Schulbuchliteratur und Gesangbüchern das eigentliche Geschäft machte. Die literarischen Werke, von denen ohnehin nur kleine Auflagen (500, 750 oder 1.000 Stück) gedruckt wurden, verkauften sich zum Teil so langsam, daß Restexemplare tatsächlich noch in unserem Jahrhundert regulär über den Verlag bezogen werden konnten. Wenn heute im Antiquariatshandel nicht beschnittene, verlags fris che Exemplare auftauchen, dann handelt es sich um solche Objekte, die die längste Zeit seit ihrer Herstellung im Verlagsarchiv bewahrt wurden. Bei seltenen Ausgaben oder Ausgaben, von denen eine bestimmte Auflage lange nicht nachweisbar war, ist es verständlich, daß sie hohe Preise erzielen. Wenn sie dann noch in die Hände eines findigen Antiquars geraten, der dem kostbaren Inhalt kostbarste Hüllen verpaßt, werden solche Objekte gar zu Geldanlagen, die mitderweile vielleicht schon wieder schwer nur Käufer finden. Als Beispiele seien hier Kleist und Novalis-Ausgaben angeführt. Kleists Käthchen von Heilbronn (1810) wurde bei der Stuttgarter Antiquariatsmesse 1998 „in einem unvergleichlichen Exemplar in Meistereinband" (weinroter Maroquinband mit reicher Vergoldung pp) für 17.000 DM und Der £erbrochne Krug (1811), Velinpapier, unbeschnitten, dunkelbraune Originalbroschur in späterem HalbmaroquinUmschlag mit Lederecken und Rückenvergoldung für 16.800 DM angeboten. Novalis' Heinrich von Ofterdingen (2 Teile in 1 Bd, 1802), in der parallel zu NovaIis Schriften erschienenen Einzelausgabe ein „Rarissimum der romantischen Literatur", sollte in einem unbeschnittenen Exemplar, auf großem Papier und „in tadellosem Originalzustand" in einer roten Maroquinkassette 58.000 DM kosten! Normalerweise werden für die Kleist-Ausgaben, die von der Realschulbuchhandlung verlegt wurden — wie etwa das Käthchen —, heute im Handel zwischen fünftausend und siebentausend DM verlangt. Selbstverständlich hängt der antiquarische Wert vom Erhaltungszustand, dem Einband und der Papierqualität ab. Daß in jüngster Zeit öfters Reimer-Ausgaben auftauchen, mag daran liegen, daß die Bestände von Antiquaren der Osdänder zugänglicher sind und viele Privatpersonen ihre Büchersammlungen verkaufen. Die zweite Ausgabe der Kinder- und Hausmärchen der Brüder Grimm mit den Kupfern von Ludwig Grimm im ersten und zweiten Band (der Märchenerzähle-

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I Thema

rin und dem Motiv zu „Brüderchen und Schwesterchen") und dem dritten Band mit den Erläuterungen von Jacob Grimm, die als erste Veröffentlichung der deutschen Märchenforschung gelten, hätte auf der Antiquariatsmesse in Stuttgart 1998 gleich zweimal, jedes dreibändige Werk für 30.000 DM, erstanden werden können. Die Seltenheit der Kinder-und Hausmärchen, die bei Band 1 und 2 der zweiten Auflage in 1.530 Exemplaren gedruckt wurden, während der dritte Band (laut Auftrag an den Drucker) 1.250 mal gedruckt wurde, erklärt sich auch daraus, daß gerade die Märchen Gebrauchsbücher waren, die bei Benutzung durch Kinderhände schlecht nur dem Zahn der Zeit widerstanden. Die 'Erinnerungen aus Schweden. Eine Weihnachtsgabe von Ernst Moritz Arndt (1818), ein unbeschnittenes Exemplar in einem „hübschen Halblederband" aus der Zeit um 1900 kosteten bei einem Berliner Antiquariat 1998: 750 DM; Achim von Arnims Der Wintergarten. Novellen (1809), ebenfalls unbeschnitten, in einem Umschlag der Zeit: 1.300 DM und seine Gräfin Dolores (2 Bde in 1; 1810): 3.800 DM. Tiecks Phantasus (3 Bde 1812-16) auf Velinpapier, Halblederbände, kostet 5.500 DM und die drei Bände von Lenz' Gesammelten Schriften. Herausgegeben von L. Tieck, „teils stockfleckige" Pappbände mit zeitgenössischem Buntpapier: 2.500 DM. Die neue Auflage der Kinder-Mährchen von Hoffmann, Contessa und de la Motte-Fouqué (1839) kostet schon 2.600 DM, die noch seltenere Erstausgabe von 1816/1817 ist freilich erheblich teurer. Hoffmanns Nachtstücke (2 Bde, 1817) sind in späteren Halblederbänden für 2.200 DM zu haben. Fichtes Reden an die deutsche Nation (1808) sind in einem „frischen Exemplar" für 1.600 DM erhältlich und Rankes Zur Kritik neuerer Geschichtsschreiber (1824) mit „brüchigen Gelenken" für 800 DM, um nur einige wenige Beispiele zu nennen. Auch von den wissenschaftlichen Ausgaben gibt es nur wenige Exemplare, die heute zum Glück oft im Besitz von öffentlichen Bibliotheken sind. So sind die Bibliotheken freilich auch wichtige Kunden von solchen Antiquariatsmessen und es freut den Benutzer, wenn etwa ein Werk wie Hirts Raukunst nach den Grundsätzen der Alten (2 Bde, Text- und Tafelbd, 1809) nicht in einer privaten Sammlung verschwindet, sondern (für 6.800 DAI) von dem Münchner Zentralinstitut für Kunstgeschichte erworben wird.

II Entstehung und Entwicklung der Firma Reimer

„Ich weiß selbst nicht warum mir [...] so viel erquickliches zu Theil, und warum ein so rechtes Gedeihen über alles in allem ausgegossen ist, was ich beginne." Reimer an Schleiermacher, Berlin, 1804*

G e o r g Andreas Reimer (27. 8. 1776 - 26. 4. 1842). Lithographie nach d e m Porträt v o n Franz Krüger, vermutlich von Friedrich Randel.

1. Georg Reimer auf dem Weg zum Verleger

Herkunft, Kindheit in Vorpommern In Greifswald, damals Schwedisch-Vorpommern,1 ist Georg Andreas Reimer 1776, also im Jahr der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung, als Sohn eines Schiffers und Brauereibesitzers geboren. Als Taufdatum ist im Kirchenbuch der St. Marienkirche Greifswald der 2. September 1776 angegeben; doch, wie nicht selbstverständlich aus jener Zeit, kennen wir auch seinen Geburtstag - vielleicht deshalb, weil er stolz war, an ein und demselben Tag, dem 27. August 1776, wie sein Freund und Autor Niebuhr geboren zu sein, oder, weil er mit Hamann, den er ebenfalls verlegte, und auch mit dem sechs Jahre älteren Hegel Geburtstag hatte. Goethes Geburtstag ist bekanntlich einen Tag später. Wenn es in den alten Lebensabrissen über Reimer heißt, er habe „sich aus kleinen Verhältnissen emporgearbeitet"2, so ist das etwas ungenau. Sein Großvater David Jakob, der im Geburtsregister der genealogischen Kartei des Stralsunder Stadtarchivs unter Römer (Roemer) zu finden ist, war von Beruf Haak, also Kleinhändler. Aus den Quellen im Stadtarchiv Greifswald ergibt sich, daß dessen ebenfalls in Stralsund geborener (und am 22. Mai 1734 getaufter) Sohn Carl Christoph Reimer oder Remer3, also Reimers Vater, jedoch nicht nur Schiffer - und, wie es teilweise auch fast im Widerspruch hierzu heißt: Brauereibesitzer - war, sondern sich immerhin große Galeassen4 bauen ließ, wie sie üblicher-

* Reimer an Schleiermachet, Berlin, 6. 8. 1804, in: Berlin, BBAW, SN 358 Bl. 55. 1 1648 fiel Greifswald (wie auch Stralsund) an Schweden; beide Städte kamen erst 1815 an Preußen. Vgl. brockhaus Bd. 9, "1989, S. 94 zu „Greifswald" und Bd. 21, "1993, S. 288 zu „Stralsund". 2 Johannesson: „Reimer", S. 121. 3 Aus dem Register des Greifswalder Taufbuches der St. Marienkirche ergibt sich, daß es sich bei Remer und Reimer um dieselbe Familie handeln muß (Heinrich Wackwitz, Superintendent in Greifswaid, Brief vom 22. 7. 1991). 4 Anderthalbmastige Kiistenfrachtsegler mit vollem Vorschiff und plattem Heck, die im 18. und 19. Jh. in der Nord- und Ostsee verwendet wurden (Brockhaus Bd. 8, "1989, S. 90).

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II Entstehung und Entwicklung

cherweise „für Reisen an die spanische und portugiesische Küste, in das Mittelmeer, die Adria und mitunter sogar das Schwarze Meer gebaut" wurden. 5 Für das Frühjahr 1777 durch verschiedene Quellen belegt ist eine Reise von Bordeaux nach Greifswald-Wieck 6 mit seiner am 1. Dezember 1775 von den Erben des verstorbenen Schiffers Claus Kraeft erworbenen Galeasse „St. Nicolaus".7 So findet sich in der Stralsundischen Zeitung vom 14. Januar 1777 folgende Notiz: „Schiffer Carl Reimers von Greifswald lieget mit seiner Galliasse, St. Nicolaus genannt, zu Bourdeaux, und gedenket auf Pommern zu laden. Die Herren, so von dort her Güter haben wollen, belieben Dero Ordre zu rechter Zeit zu geben." Carl Christoph Reimer hatte 1763 in Greifswald Eva Christina Wien, die zwanzigjährige „eheliche älteste Tochter" des „Bürgers und königlichen Postfahrers" Jacob Wien, geheiratet.8 Daß Jacob Wien auch ein guter Geschäftsmann war, ist der Tatsache zu entnehmen, daß er das Haus Nr. 12 am Marktplatz im Jahr 1760 von einem Ratsherrn Krüger für 690 Taler erkaufte und es wenige Jahre später (1765?) für 2.500 Taler an Joh. Christ. Rhode weiter verkaufen konnte. 9 Er hat dann Haus und Grundstück in der Knopfstraße 31 / Brüggstraße 21 erworben; wo später sein Enkel Johann Carl Reimer, Georg Andreas' älterer, 1773 geborener Bruder, eine Ölmühle betrieb; während der jüngere Bruder Gustav Adolph (geboren 1779) zunächst das väterliche Haus übernahm. 10 Der Vater kann das Haus Nr. 25 am Markt, den Daten der Greifswalder Häuserkartei zufolge, erst nach 1766 erworben haben und zwar von Kaufmann Philipp Zander, 5

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Recherche von Archivrat Scherer, Brief vom 29. 5. 1991, Quelle: Greifswald, Stadtarchiv, Rep 5 Nr. 1199, Schiffahrts- und Schifferkartei. In Bordeaux ausgelaufen am 14. 3. 1777, in Greifswald-Wieck eingelaufen am 9. 6. 1777; Greifswald, Stadtarchiv, Rep 5 Nr. 1010 Bd. 3 (freundliche Mitteilung von Archivrat Scherer). Mit dem gleichen Datum wurde er als Schiffer Bürger im zweiten Bürgerstand; Bürgermatrikel in: Greifswald, Stadtarchiv, Rep 3 Nr. 30. Traubuch St. Marien in Greifswald. Hier die Schreibweise Remer; ebenfalls im Taufbuch als Vater der ersten drei Kinder, die 1764, 1768 und 1773 geboren wurden; erst bei der Geburt von Georg Andreas 1776 und seinen beiden jüngeren Brüdern 1779 und 1784 lautet der Eintrag Reimer. (Unter den Geschwistern war das zweite Kind eine Tochter; der jüngste Bruder starb noch im Monat seiner Geburt). Grundstückschronik der Altstadt Greifswald, darin als Quelle: Heinrich Berghaus: Landbuch des Herçogthums Pommern und des Fürstenthums Rügen. Bd. IV/1. Berlin: Riemschneider. S. 849. Von ihm heißt es, er sei vermutlich in den Napoleonischen Kriegen gefallen. 1804 war er „französischer Chasseur à cheval" und schrieb aus Zell, daß er „mit den Letzten des Regts. nach Lyon marschiere." Am 18. 2. 1802 noch hatte er seinem Bruder Georg Andreas geschrieben, daß er von Hamburg aus mit Kapitän Joachim Möller zur See gehen würde; „ich bitte Dier dahero dich meiner öfter zu erinren vorzüglich wan du Ruhig hinter deinem Schreibtisch sietzt und der Sturm füchterlig haust und ich meine Tot alle Augenblicke vor Augen sehe." (Veröffentlicht von Peter Lahnstein: Report einer ,guten alten Zeit'. Zeugnisse und Berichte 1750-1805. Mit einem Vorw. von Golo Mann. Stuttgart: Kohlhammer 1970. S. 456)

1. Reimer auf dem Weg zum Verleger

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möglicherweise demselben, dessen Ehefrau Taufpatin von Georg Andreas Reimer wurde. 1785 wurde Carl Christoph Reimer als Greifswalder Kaufmann in den ersten Bürgerstand aufgenommen, wofür persönliches Ansehen und Wohlstand notwendig waren. 11 Als er am 3. Mai 1786 mit knapp zweiundfünfzig Jahren an Wassersucht starb12, war Georg Andreas noch keine zehn Jahre alt. Der eine seiner beiden männlichen Taufpaten war, neben dem Inspector Schewenius, der Kaufmann Philipp Weißenborn, der durch seine als skrupellos bezeichneten Geschäfte so reich wurde, daß seine Familie Mitte des 19. Jahrhunderts die an Grundbesitz reichste Familie der Universitätsstadt Greifswald war. 13 Schon 1801 wollte Reimers Mutter das Haus Nr. 25 (ab 1846/47: Nr. 24) am Marktplatz, das als Georg Reimers Geburtshaus in Greifswald gilt, verkaufen. 14 Da die gebotenen 5.225 Reichstaler zu wenig schienen,15 blieb es bis zu ihrem Tod in ihrem Besitz. Nach dem Tod der Mutter wird das Haus in der Stralsundischen Zeitung wieder zum Verkauf angeboten. Es waren darin „4 Stuben und in dem Giebel 4 Kornböden übereinander befindlich"; dazu gehörten „eine nach der Baderstraße gehende Auffahrt", Garten und „noch vorräthige BrauereyGeräthschaften"; ausdrücklich bemerkt wird, „daß dieses Haus vorzüglich zur Brauerey und zum Mälzen geeignet sey."16 Die Quellenrecherche ergibt also, daß Georg Andreas Reimer nicht aus ärmlichen Verhältnissen stammt; wichtig ist auch, daß er als Buchhändler und Verleger nicht an eine Tradition in seiner Familie anknüpfen konnte, wohl aber als Kaufmann; worauf er des öfteren mit offensichtlichem Stolz verwies, wenn er hervorhob, daß er als Verleger Kaufmann sei. Schulbildung bekam er wenig, hat

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Um die Galeasse „Der Schwedische Kronprinz", die Reimer 1779 bauen ließ, und die mit 26. 80 Meter Länge und 8. 00 Meter Breite, „Verdrängung 93. 44 schwere pommersche Lasten oder umgerechnet 269. 10 Bruttoregistertonnen" (Recherche von Archivrat Scherer, Greifswald, Stadtarchiv, Rep 5 Nr. 1199) als ein für damalige Verhältnisse sehr großes Schiff gilt, gab es allerdings noch 1784 Eigentumsstreitigkeiten. Darauf weist der Titel einer Akte in der Generalkartei im Stralsunder Stadtarchiv hin: „Klage der Schiffer Hoffstedt in Stralsund gegen Schifferaltermann Zornow und Schiffer Koehn in Stralsund sowie Schiffer Reimer in Greifswald wegen Eigentums an dem Schiff ,Schwedens Kronprinz' und der Abrechnung darüber. Enthält u. a.: Streit über die dem Schiffer Carl Reimer zugemutete Einlassung. 13.- 31. Dez. 1784" (Stralsund, Stadtarchiv, Rep 3 Nr. 3226).

12

So die Angabe im Kirchenbuch der St.-Marienkirche in Greifswald. Neue Greifswalder Museumshelfte 12: Greifswald. Menschen und Bauwerke im Stadtzentrum. Von Frank Mohr, Rudolf Biederstedt und Horst-Diether Schroeder. Greifswald: Museum der Stadt Greifswald und Stadtarchiv Greifswald 1985, S. 18; und Recherchen von Archivrat Schmidt, Brief vom 6. 5. 1992, in: Greifswald, Stadtarchiv, Häuserkartei. Stralsundische Zeitung 1801, Nr. 20, Sonnabend, 14. 2.; Nr. 23, Sonnabend, 21. 2.; Nr. 29, Freitag, 6. 3.; Nr. 30, Dienstag, 10. 3. Stralsundische Zeitung 1801, Nr. 39, Dienstag, den 31. 3. Stralsundische Zeitung 1809, Nr. 32, Donnerstag, den 16. 3.

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II Entstehung und Entwicklung

aber zeitlebens autodidaktisch seinen Horizont erweitert, so daß er bald als „der gebildetste Buchhändler, den es wohl geben möchte", galt.17 Über die prägenden Freundschaften in Reimers Kindheit ist wenig bekannt. Ein Hinweis findet sich im Briefwechsel mit Schleiermacher über den gemeinsamen Freund Karl Schildener (1777-1843): „Viel schwerer wird es mir noch Dir von Schildener 18 zu schreiben, ... Wir haben nemlich als Kinder, als Knaben, bis zum Jünglingsalter im engsten Vertrauen gelebt; ohne daß ich es eigentlich Freundschaft nennen möchte, waren wir dennoch, bei der größten Verschiedenheit unserer Naturen, uns von beiden Seiten unter allen unsern Bekannten am nächsten". 19

Lehrzeit als Buchhändler in Greifswald Daß Reimer Buchhändler und Verleger wurde, war ihm nicht in die Wiege gelegt. Einen kaufmännischen Beruf zu ergreifen dagegen wurde nicht nur durch die Profession des Vaters, sondern auch durch die Auswahl der Paten nahegelegt. Familientradition und die Berufe der Paten, die seine vaterlose Jugend begleiteten, können Reimers eigene Berufswahl also bestimmt haben. Ob es letztlich der Zufall einer freien Lehrstelle oder der eigene Wunsch des jungen Georg Andreas gewesen ist, sich beruflich ausgerechnet Büchern zu widmen, ist ungewiß. Hinzu kommt die räumliche Nähe der Langeschen Buchhandlung zum Haus des Vaters: Laut Greifswalder Häuserkartei befand sich die Langesche Buchhandlung in der Knopfstraße 35 / Ecke Langefuhrstraße (Friedrich-LoefflerStraße), bevor das Geschäft (1808 oder 1809) von Buchhändler Mauritius übernommen wurde.20 Die Knopfstraße ist nur wenige Gehminuten vom Marktplatz entfernt. In Reimers Geburtsjahr, übrigens einem gutem Erntejahr, wurde in Greifswald „das Verzeichnis einer neuangelegten Lesebibliothek" annonciert.21 1780 errichtete Christoph Gottfried Nicolaus Gesterding eine Lesegesellschaft,22 und überhaupt besaß Greifswald als Universitätsstadt ein lebendiges geistiges Leben. 17

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22

Kapp/Goldfriedrich: Geschichte des deutschen Buchhandels Bd. 4, S. 17 zitieren Adolph Müllner (1807). Zu Schildener vgl. Häckermann: „Karl Schildener", in: ADB Bd. 31, S. 204-207. - Die mit Reimer verbrachte Zeit muß demnach die gewesen sein, bevor Schildener die Universität in Greifswald besuchte. Reimer an Schleiermacher, Berlin, 8. 10. 1802, in: Berlin, BBAW, SN 358 Bl. 1. Seit 1847 hat das Eckgrundstück die Nr. 36 (Auskunft aus Greifswald, Stadtarchiv). Zu haben „in der hiesigen Buchdruckerey, wie auch bei Rudolph Schmidt, in der Rösischen Buchhandlung in Greifswald" (Stralsundische Zeitung, 14. 9. 1776). Vgl. seine Schrift „Einrichtung einer Lesegesellschaft" in: Greifswald, Stadtarchiv, Sign. Od 141.

1. Reimer auf dem Weg zum Verleger

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Reimer kam also mit 14 Jahren als Lehrling in die Greifswalder Filiale der Buchhandlung Lange 23 ; dort hat er schon Ernst Moritz Arndt (1769-1860) kennengelernt, der Freund fürs Leben und programmatischer Autor des Verlags wurde. 24 Damals ist er auch Caspar David Friedrich begegnet, für den er einer der wenigen Duzfreunde war, und von dem er später die größte Sammlung von Ölgemälden besitzen sollte. Daß Autoren aus Vorpommern später auffallend oft in seinem Verlag zu finden sind, läßt sich aus seiner Greifswalder Herkunft erklären; auch hat hier möglicherweise sein besonderes Nationalgefühl eine Wurzel. Wie aber hat man sich den Alltag eines Buchhändlerlehrlings im letzten Jahrzehnt des 18. Jahrhunderts vorzustellen? Da es von Reimer keine entsprechenden Zeugnisse gibt, seien die Ausführungen von Friedrich Schulze zitiert: „Die übliche Lehrzeit [...] erstreckte sich über sechs Jahre und pflegte höchstens bei Anstelligkeit und gutem Verhalten um das letzte halbe Jahr gekürzt zu werden. Die Arbeit war anstrengend und zuerst auch eintönig." 25 Schulze stützt sich auf den Bericht Ludwig Christian Kehrs, der 1789 bis 1795 bei Brede in Offenbach lernte — also in denselben Jahren wie Reimer und ebenfalls in einem Sortimentsgeschäft in der Provinz. Kehr mußte zu seiner großen Enttäuschung Makulatur ausstreichen und sortieren, Pappdeckel glätten und Bindfaden zusammenknüpfen. Nach diesen Aufräume- und Packarbeiten wurde er im Lager beschäftigt, wo ihm die Inventur besondere Freude machte. Bei der Vielseitigkeit und dem geringen Personal eines solchen Zwergbetriebes dauerte indes auch dies nicht lange: er besorgte die Leihbibliothek, las Korrekturen und führte sogar die Bücher. Als sein Chef zwei Jahre nach Kehrs Antritt an die Ostsee reiste, überließ er ihm den ganzen Betrieb. Es war also hier zweifellos alles das zu lernen, was tagtäglich vorkam.26 Das andere, die für den Buchhändler und Verleger nötige (Allgemein—)Bildung, mußten sich viele, die ihren Beruf von der Pike auf lernten, aufgrund mangelnder Schulbildung, erst mühsam und in späten Freistunden aneignen. 27 So etwa Perthes und Reimer. Tägliche Arbeitszeiten von morgens 7 Uhr bis abends 23

Wann genau die Greifswalder Filiale eröffnet wurde, konnte noch nicht festgestellt werden. Es war aller Wahrscheinlichkeit nach zwischen 1764 und 1784. Während eine Anzeige vom Dezember 1763 (für den Verkauf der Übersetzung von lieben und Meinungen des Herrn Tristram Shandy) Langens Buchhandlung in Berlin und Stralsund erwähnt ( S t r a l s u n d i s c h e Zeitung, 24. 12. 1763), wird am 15. 1. 1784 in Nr. 7 des Jahrgangs der Zeitung annociert, was in der Stralsunder und Greifswalder Filiale zu haben sei. Eine systematische Durchsicht der Stralsundischen Zeitung dieser beiden Jahrzehnte könnte diese Frage klären.

24

Als erstes verlegte Reimer von ihm die Schrift über die heibeigenschaft (1803), später u. a. das vierbändige Werk Geist der Zeit und Märchen

25

Friedrich Schulze: Der deutsche Buchhandel und die geistigen Strömungen der letzten hundert Jahre. Reprint der Originalausgabe von 1925. Leipzig: Zentralantiquariat der DDR 1990. S. 25. Schulze: Deutscher Buchhandel und geistige Strömungen, S. 26. Ebda., S. 22.

26 27

in Pommern und Rügen und Jugenderinnerungen.

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II Entstehung und Entwicklung

8 Uhr, mit etwa einer Stunde Mittagszeit, waren selbstverständlich;28 wobei es zumindest im Winter im ungeheizten Laden29 kaum nur um ein Absitzen von Zeit ging. Wenn man bedenkt, daß zumindest in Messezeiten zusätzliche Überstunden nötig waren, um die anfallenden Arbeiten zu erledigen, ist man geneigt, Schulze recht zu geben: „Denn nur bei einem wahrhaft eisernen Fleiß ließ sich unter solchen Verhältnissen noch etwas für die dem Buchhändler so bitter nötige freie Fortbildung tun. Der minder Widerstandsfähige erlahmte früh, er wurde bestenfalls brauchbares Lasttier."30

Berlin, Geschäftsführer bei Lange Nach seiner Lehrzeit bei Lange in Greifswald kann Reimer 1795, was wohl seinen eigenen Wünschen entspricht, nach Berlin wechseln und dort im Hauptgeschäft der Langeschen Buchhandlung arbeiten.31 Sein Chef, Gotd. Aug. Lange (gestorben 1796), wohl identisch mit Gotdob August Lange, der in den Jahren 1754 bis 1794 nachweisbar als Musikverleger in Berlin, zeitweise auch noch in Stralsund tätig war,32 war, wie Reimer später auch, Buchhändler und Verleger.33 Unter seinen Verlagsartikeln finden sich auch zwei Sammelwerke, die keinen Herausgeber nennen, also wohl von ihm selbst zusammengestellt sind.34 Langes Verlag wird von Goldfriedrich nach den drei großen Handlungen von Christian Friedrich Voß, Christoph Friedrich Nicolai und Johann Karl Philipp Spener 28 29 30 31

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34

Ebda., S. 28. Ebda., S. 27. Ebda., S. 30. Aus den Briefen der Witwe Reimer an ihren Sohn Georg Andreas Reimer (aus der Zeit vom 13. 4. 1795 bis z u m 17. 9. 1806) geht hervor, daß Reimer seine Lehrjahre im Herbst 1796 in Berlin beendete (Brief vom 12. 9. 1796). Noch am 7. 8. 1797 sorgt sich seine Mutter, die Witwe Lange solle ihm so viel Gehalt geben, daß er damit auskommen könne und sie, die Mutter, ihn nicht mehr unterstützen müsse. - Abschriften der Briefe von Witwe Reimer, Greifswald, an ihren Sohn in Berlin befinden sich in Familienbesitz. Der Verbleib der Originale, die Walter de Gruyter seinerzeit der Familie ausgehändigt hatte, konnte nicht geklärt werden. Vgl. Robert Eitner: Biographisch-bibliographisches Quellenlexikon der Musiker und Musikgelehrten der christlichen Zeitrechnung bis %ur Mitte des 19. Jahrhunderts. Bd. 6. Breitkopf & Härtel 1902. S. 39. Louis Sebastian Mercier: Der Deserteur. Ein Drama in 5 Handlungen, von Mercier. Übers, von Carl August von BeulwitBerlin: Lange 1771. 119 S. oct. und Magnus Gottfried Lichtwer: Fabeln. In 4 Büchern, von dem Verfasser selbst hg. mit Kupfern. 4. Aufl. Berlin, Stralsund: Lange 1775. XIV, 192 S. oct. Die erste Ausgabe erschien 1748 - fanden sich in Marbach als von Lange verlegte Titel im Dokumentarischen Katalog, der die Produktion einzelner Verlage, nach Erscheinungsjahren geordnet (allerdings nicht vollständig) verzeichnet. Geistliche, moralische und weltliche Oden von verschiedenen Dichtern und Componisten. Berlin 1758 in 4 39 S. mit 34 Liedern ... sowie: Vier Clavier-Sonaten eines Ungenannten, der Demoiselle Weisbeck vom Verleger gewidmet. Berlin und Stralsund 1782. Vgl. Kitner. Quellenlexikon der Musiker und Musikgelehrten Bd. 6, S. 39.

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1. Reimer auf dem Weg zum Verleger

(Haude & Spener) gleich als erster der bis etwa zum Jahr 1780 auftretenden Berliner Verlage genannt, zu denen auch Arnold Wever, Chr. Fr. Himburg, Hesse, Decker, Gottlieb August Mylius und Pauli gehören, 35 wobei in den letzten Jahrzehnten des 18. Jahrhunderts noch Maurer, E. Felisch, Frölich, C. H. Schöne, Johann Samuel Ferdinand Oehmigke, Belitz, Friedrich Vieweg sen., F. J. Lagarde, J. F. Unger und Wilh. Dieterici (später Mitder & Sohn) hinzukommen. 36 Die preußische Hauptstadt, die unter Friedrich II. zur Metropole eines modernen Staates wurde, näherte sich der 100.000-Einwohner-Grenze. Es gab 1750 — wie Arthur Georgi 1926 dargestellt hat - bereits dreizehn Buchhandlungen in der Stadt: unter den sieben Verlagssortimenten spielten freilich nur vier eine größere Rolle: der junge Christian Friedrich Voss als Erbe der Rüdiger'schen Buchhandlung (1748), die Firma Ambrosius Haude, die Nicolai'sche Buchhandlung und die Buchhandlung der Realschule (1748). Fünf französische Buchhandlungen beschränkten sich auf französisches Sortiment, die Halle'sche Waisenhausbuchhandlung unterhielt in der preußischen Hauptstadt eine Niederlassung.37 Ende des achtzehnten Jahrhunderts war Berlin mit dreißig Buchhandlungen „nach Leipzig das bedeutendste Buchhandelszentrum in Deutschland", wobei für diese Entwicklung besonders der Aufklärer und Verleger Friedrich Nicolai viel getan hat. 38 So problematisch die Auszählungen nach den Messekatalogen auch sind; interessant ist es doch, daß danach für die Zeit von 1764 bis 1788 sich folgendes Bild der Buchproduktion „der zehn bedeutendsten Verleger in Berlin" ergibt: 1. Gotdob August Lange 2. Georg Jakob Decker 3. Friedrich Nicolai 4. Haude & Spener 5. Christian Friedrich Voss 6. Arnold Wever 7. Christian Friedrich Himburg 8. August Mylius 9. Realschulbuchhandlung 10. Joachim Pauli

524 Titel 464 Titel 434 Titel 358 Titel 342 Titel 335 Titel 267 Titel 263 Titel 240 Titel 239 Titel39

Im Oktober 1798, drei Jahre nach seinem Umzug nach Berlin ist Reimer, der Überlieferung zufolge, leitender Prokurist des Langeschen Hauptgeschäfts in

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Kapp/Goldfriedrich: Geschichte des Deutschen Buchhandelsüd. 3, S. 481. Ebda., S. 481 f. - An dieser Stelle erwähnt Goldfriedrich auch, daß aus der Berliner Realschulbuchhandlung (gegründet 1749) „der zukunftsreiche Verlag von Georg Andreas Reimer hervor[ging]" (S. 482). Paul Raabe: „Der Verleger Friedrich Nicolai. Ein preußischer Buchhändler der Aufklärung". In: Friedrich Nicolai 1733-1811. Essays %ur/i 2 SO. Geburtstag. Hrsg. von Bernhard Fabian. Berlin: Nicolai 1983. S. 58-86, hier S. 60f. Raabe: „Verleger Friedrich Nicolai", in: Nicolai 1733-1811, S. 60f. Ebda., S. 72.

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II Entstehung und Entwicklung

Berlin und v o m Handlungsgehilfen zum Miteigentümer aufgestiegen. Außerdem lernt er hier seine Frau, Wilhelmine Philippine Charlotte Susanne Reinhardt (19. 1. 1784 - 26. 10. 1864) aus Magdeburg, kennen, die zur Vorbereitung ihrer Konfirmation drei Jahre in Berlin bei ihrer Tante lebt. Diese Tante, eine Schwester ihrer Mutter, ist Frau Lange. 4 0 Georg Andreas soll seine Minna zum ersten Mal gesehen haben, als er im Haus Lange überraschend in ein Zimmer stürmte, ohne zu wissen, daß dort ein junges Mädchen im Bett lag. Dieses Kennenlernen muß, einem Brief der frisch Verlobten zufolge, im Jahr 1798 gewesen sein; denn am 1. August 1800 schreibt sie ihm: „Es fallt mir so oft ein, daß ich wohl Ihrer nicht werth bin, daß Sie sich vielleicht geirrt haben. Ich fühle es so sehr, daß ich gar nichts habe, als mein Herz, was ich ihnen für Ihre viele Liebe anbieten kann. Und ob ich Sie wohl mit diesem Herzen glücklich machen kann? So glücklich machen kann, wie ich es von ganzer Seele wünsche? Wir kennen uns nun schon zwei Jahr, und ich glaube, daß ich mich Ihnen immer gezeigt habe, wie ich bin; aber wenn Sie dennoch etwas anderes in mir erblickt hätten, mehr als ich bin, und sein kann, und sich einst getäuscht fühlten, dann wären wir gewiß beide recht unglücklich. Aber das wird Gott verhüten! Und ich werde mich gewiß aus allen Kräften bestreben, mich Ihrer Liebe, durch die ich mich jetzt schon so glücklich fühle, immer würdiger zu machen." 41 Zu diesem Zeitpunkt ist sich Wilhelmine noch nicht sicher, ob Reimer seiner Mutter von seinen Heiratsabsichten schon Nachricht gegeben hat. Als die Langeschen Buchhandlungen zum Verkauf stehen, plant Reimer, sie zu erwerben. Reimers Mutter sorgt sich, bevor sie sich über den Erfolg ihres Sohnes freuen kann, um die Witwe des Buchhändlers Lange, denn sie weiß, daß Georg sich mit deren Sohn nicht gut versteht. Sie ermahnt Georg, geduldiger mit dem jungen Lange zu sein und schreibt am 7. Oktober 1798 aus Greifswald: „Das wort Lieber Georg, das du mir etwas wichtiges melden würdest machte mir auf mercksam, aber wie ich zu den punckte Kahm, Besitzer der 3 Langeschen Buchhandlung, so wurde ich recht Traurig und es Fuhr mir wie ein Pfeil in meiner Seele und der gedancke würckte so mächtig in mir wie solte mein Sohn, einer Witwe die doch auch einen Sohn hat aus ihrem Brode drengen hat Sie es mit Überzeugung und mit den Besten willen Dich überlaßen so Kanst du mich Beruhigen sonst aber nie, [...] Biz getz habe ich nie Proben, unedle gesinnung an dir Bemerckt, und dencke auch noch das du so gute grund setze hast daß dich habsucht und wollust nie zu einer unedlen Handlung Reitzen wird [...] du Kennest es vieleicht noch zu wenig versorger für so manches zu sein, worunter sich Dinge Begreifen, die die einen noch nie vorgekommen sind, waß man verdient Kan man vielleichter übersehen, als wie das waß man das Jahr aus zu geben hat und Betrifft so mancherley was sich nie Bestimen

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Freundliche Mitteilung von Liselotte Kawaletz. Aus einem der Brautbriefe von Wilhelmine Philippine Charlotte Susanne Reinhardt (19. 1. 1784 — 26. 10. 1864) an Georg Andreas Reimer; zitiert nach Abschrift, Original in Familienbesitz.

1. Reimer auf dem W e g zum Verleger

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lest, [...] ich wünsche mit einen Mütterlichgen Seegen dir alles wohl, und das dir auf deinen Lebens pfade nie ein unfal treffe der deine Ruhe stöhret". 42

Im November bittet sie ihn nochmal: „Prüfe alles wohl was du zu unternehmen gedenckst, ich Beschwöre dich Lade dich meinent willen keine Bürde auf die dich nahhero zu schwer wird [...], du fühlest das du mit wenigen zu frieden sein kanst, das Kann ich auch, aber es kommen auch Tage wo man es fühlt das auch das wenige fehlt, und man hat dan Keinen Freund der helfen kan, und dis hast du wohl Schon erfahren wie selten diese sind, und Besonderst wan alles das, worüber man disponirt andre Leute gehört, und wie sehr sich der Ehrliche Mann als dan fühlt umb seinen Nägsten gerecht zu werden, das sich die Sachge noch lange verzögern wird das glaube ich gerne, weill sich dergleichgen nicht so leicht Beendiget wie es anfánklig Scheint, ich Kenne dis zu guht wie dergleichen Sachgen gehen und verzögert werden und gelänger sie aufgehalten werden destomehr wird da Bey verdient." 43

Reimer kauft die Langeschen Buchhandlungen vorerst nicht; statt dessen ergibt sich für ihn bald eine andere Möglichkeit, selbständig zu werden. Seine Mutter stirbt laut Kirchenbuch am 7. Juli 1808, morgens, „an Auszehrung".

Das gesellschaftliche Umfeld Im Haus des Buchhändlers

Sander

Berlin um 1800 ist berühmt für seine Salonkultur, doch nicht nur die heute noch bekannten Damen Rahel Levin und Henriette Herz halten ein offenes Haus;44 auch Buchhändler und Verleger stellen Räume zur Verfügung, in denen intellektuelle und künsderische Interessen gepflegt werden, sogar Gemeinschaftswerke entstehen können; in denen Konversation geübt wird, die nicht nur einem unmittelbar greifbaren Zwecke dient. Im Haus des Verlegers, Übersetzers und Musikers Johann Daniel Sander (1759-1826) beispielsweise, der selbst auch in der Mittwochsgesellschaft verkehrt, gibt es namentlich in der Zeit zwischen 1797 und 1806 ein ungemein lebhaftes geselliges Leben.45

42

Abgedruckt in: Lahnstein: Report einer,guten alten Zeit \ S. 262f.

43

Lahnstein: Report einer,guten alten Zeit', S. 65.

44

Vgl. Petra Wilhelmy: Der Berliner Salon im 19. Jahrhundert (1780 - 1914). Berlin: de Gruyter 1989 (= Veröffentlichungen der historischen Kommission zu Berlin 73); D e borah Hertz: Die jüdischen Salons im alten Berlin. Aus dem Amerik. von Gabriele NeumannKloth. Frankfurt a. M.: Hain 1991.

45

Sander verpricht Böttiger für die Zeit seines Besuches in Berlin ..Große Gesellschaft [...] höchstens zweimal; dagegen aber, so oft Sie zu Hause essen, einen runden Tisch mit 8 bis 9 guten u. zum Theil auch klugen Menschen." Sander an Böttiger, Berlin, 4. und 7. 3. 1797, in: Sander: Briefe an BottigerBà. 1, S. 116-119, hier 7. 3. 1797, S. 117.

46

II Entstehung und Entwicklung

Als Reimer 1795 nach Berlin kam, richteten Sander und seine junge Frau sich gerade mitten in der Stadt, in der Breiten Straße, die auf den Schloßplatz führt, in einem Patrizierhaus ein. Sander, der selbst schriftstellert und Perraults Märchen übersetzt, ist Korrektor von Goethes Hermann und Dorothea, dessen Drucklegung in der Vossischen Druckerei für den Verlag Vieweg in Berlin erfolgt. Goethe zeigt sich dabei „wirklich nicht eigensinnig" und übernimmt sogar von Sander vorgeschlagene Verbesserungen. Auch seine Neuen Gedichte, die 1800 bei Unger erscheinen, läßt er von Sander korrigieren und ist sehr zufrieden damit, wie aus einem Brief Goethes an Unger hervorgeht 46 . Für Reimer, den jungen Buchhändler aus Schwedisch-Vorpommern, der hochfliegende Pläne und ein gesundes Selbstbewußtsein mitbringt, und dessen zwar manchmal ungelenke, doch offene Art ihm eher Freunde als Feinde schafft (gleichgültig ist man ihm gegenüber nicht), ist es das Haus Sanders, durch das er Zugang gewinnt zur gelehrten, literarischen, höfischen und beamteten Welt Berlins. Manches, was über die Beziehung zwischen Sander und Reimer gesagt werden kann, gehört ins Reich der Spekulation, doch in Sanders Person kommt einiges zusammen, was diese Spekulation gewinnbringend macht. Als Reimer Sander kennenlernt, ist der selbst noch hoffnungsvoll, hat noch nicht resigniert, was seinen eigenen Lebensentwurf betrifft. Reimer schaut auf zu dem siebzehn Jahre älteren Kollegen, der ihm schon deshalb imponiert, weil er die Berliner Welt kennt, die für ihn zunächst noch neu ist, und den er möglicherweise gar beneidet um seine Nähe zu Goethe. 47 Umso mehr weiß er sich glücklich zu schätzen, daß Sander ihn, Reimer, für etwas Besonderes hält und ihn fördern möchte, wo er kann. Wie Reimer gehört auch Sander zu dem aufstrebenden Bürgertum, das in Berlin und Preußen in den folgenden Jahrzehnten zumindest wirtschaftlich eine immer größere Rolle spielen wird. Seit 1785 war Sander Redakteur der Haude ' erscheinende „Ankündigung" der Verlagsbuchhandlung nimmt Bezug auf Fichtes Vorrede: Es wird [...] immer nothwendiger, daß jeder, der sich zum gebildeten Publicum rechnet, und auf diese Weise mit dem wissenschaftlichen Publicum wenigstens in einer äußeren Beziehung steht, einen B e g r i f f von der Philosophie habe, wenn er auch d e r P h i l o s o p h i e s e l b s t weder bedarf noch begehrt, daß er aufs mindeste, um seiner eigenen Ruhe willen, in seiner unwissenschaftlichen Sphäre wiße, was die Philosophie n i c h t sey, n i c h t beabsichtige, suche oder leiste. Dieser Begriff einer wissenschaftlichen Philosophie und insbesondere der Wissenschaftslehre, welche für eine solche Philosophie sich giebt, solle in dieser Schrift den Lesern auf eine gemeinfaßliche Weise dargestellt werden. Übrigens setze freylich der Versuch zum Verstehen zu zwingen den Verstand schon beym Leser voraus, und dieser lasse sich freylich nicht erzwingen.62 Zwar bezeichnet die Allgemeine Zeitung vom 9./10. Juni 1801 in einer Übersicht über die Bücher zur Jubilate-Messe in Leipzig den Sonnenklaren Bericht als die leuchtendste Neuerscheinung dieses Frühjahrs,63 doch die Reaktionen von 61 62 63

Col. 753; und später im „Reichs-Anzeiger" Num. 237, 13. Sept. 1801, Col. 3107/8. Vgl. Fichte: Akademie-Gesamtausgabe Werke ebda. 7, S. 172. Neue Allgemeine Deutsche Bibliothek, Bd. 102, S. 33; vgl. Fichte·. Akademie-Gesamtausgabe Werke ebda. 7, S. 171.

2. Phasen der Verlagsgeschichte

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Gegnern und Anhängern der Wissenschaftslehre auf das Buch sind kritisch bis böse. Caroline Schlegel schreibt am 18. Mai an ihren Mann: „Wir haben den sonnenklaren - ich bitte Dich, was ist es doch, das Fichte treibt seine Lehre den Leuten wie einen Wollsack vor die Füße zu schmeißen, und wieder aufzufangen und nochmals hinzuwerfen? Es gehört eine unsägliche Geduld dazu, und am Ende, zum Guckguck, wenn sie es nicht verstehn, was liegt daran, und wer kann sie im Ernst zwingen wollen! Ich habe mich sehr darüber lustig gemacht. Schelling [gegen dessen philosophische Konzeptionen die Schrift gerichtet ist!] hat [angeblich!] nur so hineingesehn, aber ich habe es gelesen. Es ist ein komischer Hang." 64 In den Briefen an Reimer gebraucht Fichte gern die Anrede „mein theurer Freund", die er für Cotta nie verwendet; auch sonst sind die Briefe an Cotta förmlicher als die an Reimer. Während er Reimer mit der Floskel „Haben Sie doch die Güte" bittet, ihm „ein Büchlein von einem Dr. Lückert [...] baldmöglichst zu verschaffen" 6 5 , heißt es an Cotta beispielsweise: „Darf ich Sie ergebenst ersuchen, ..," 66 Die größere Vertrautheit mit Reimer mag durch ähnliche politische Anschauungen zustande gekommen sein, sicher aber auch durch die räumliche Nähe und Möglichkeit, sich öfters zu sehen, die, wie aus dem folgenden Brief hervorgeht, auch wahrgenommen wird. „Verzeihn Sie, geehrter Freund, daß ich erst jezt einen Stellvertreter des von Ihnen entliehenen Alarcos [Trauerspiel von Friedrich Schlegel 1802] zurücksende. Ich bin Ihnen schuldig, und eile die Schuld abzutragen, - das Bekenntniß, daß mein mündlich gegen Sie geäußerter Zweifel gegen dieses in seiner Art einzige Meisterwerk, der nur aus Uebersehung von HauptMomenten bei einer nicht genug prononcirenden Vorlesung entstanden war, durch die eigene Lesung ganz behoben ist. Ich weiß nicht durch welches Ohngefähr, ist über eine in meiner Besorgung befindliche Handschrift, mein Gedanke erst nach unsrer neulichen Unterredung auf Sie gefallen. Es ist eine vortrefliche Arbeit eines der besten Köpfe, der mir während meines Lehramts in Jena vorgekommen; und ich hoffe, aus äusseren, und innern Gründen, daß es fassen soll. Es ist eine durchgreifende Philosophie der Gesezgebung. Ich will dadurch bloß einen Gegenstand unsrer mündlichen Unterredung vorbereitet haben, damit mir dies nicht wieder entfalle, wenn ich Sie sehe. Leben Sie recht wohl mit den lieben Ihrigen. Fichte." 67

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Fichte: Akademie-Gesamtausgabe Werke ebda. 7, S. 170. Frühjahr (?) 1802, in: Fichte: Akademie-Gesamtausgabe Briefe ebda. 5, S. 128. Brief vom 9. Mai 1802, in: Fichte: Akademie-Gesamtausgabe Briefe ebda. 5, S. 129. 1 802, in: Fichte: Akademie-Gesamtausgabe Briefe ebda. 5, S. 135f. - Der Verlagsvertrag wird am 2. Juli 1802 geschlossen und von Fichte „im Namen des Herrn Dreßler" unterschrieben. Johann Karl Jakob Dreßler (1780-1809) ist Student in Jena und seit dem 27. 2. 1799 Mitglied der Literarischen Gesellschaft der freien Männer; nach seinem Studium fürstlich Nassau-Oranischer Kanzleisekretär (ebda., S. 135). Die Schrift Über das Verhältnis des Rechts Xum Gesetze. Eine Organonomie der Rechtswissenschaft ist noch 1843 fur 1 Thlr. lieferbar.

II Entstehung und Entwicklung der Firma

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Reimer ist stolz, den berühmten Fichte als Verlagsautor gewonnen zu haben. Daß er 1804 Fichtes Vorlesungen hört,68 belegt darüber hinaus ein größeres Interesse an den Inhalten, als man es bei einem Verleger üblicherweise vermutet. Auch deshalb ist es verständlich, daß die Beziehungen zwischen Reimer und Fichte enger werden, während die Verlagsbeziehungen zwischen Fichte und Cotta schließlich enden. Zum einen hat Cotta es gewagt, Autoren zu verlegen, die Fichte und der Wissenschaftslehre feindlich gegenüber stehen,69 zum andern kann Fichte von Cotta spätestens im Frühjahr 1806 nichts mehr erwarten, da dieser „übers Ganze Rechnung" ablegen will. Cotta nennt auch die Gründe für seinen Wunsch nach Abrechnung: „Der Absaz Ihrer Ihnen zuberechnenden Werke ist so unbedeutend in dem Zeitraum v[on] 1 Vi Jahren gewesen, daß man daraus wol schliessen darf, wenigstens ein Theil davon bleibe unverkäuflich".70 Doch es sind nicht nur finanzielle, „merkantilische" Erwägungen, die Cotta zu diesem Entschluß bringen. Er ist gekränkt, daß Fichte die Vorlesungen über die Bestimmung des Gelehrten dem Verleger Himburg gab, und behauptet, ein ausschließliches Verlagsrecht auf alle Fichteschen Publikationen zu haben, was Fichte zurückweist mit dem Hinweis, „meiner ersten Eröfnung gegen Sie, daß ich nicht ganz gebunden seyn wolle: wo ich gleich zur Ausübung dieses Rechts der hiesigen KealSchulbuchhandlung meinen Sonnenklaren Bericht pp in Verlag gab, es Ihnen meldete, und Sie keinesweges dagegen protestirt haben 2.) [...] Daß nun auch noch zwei andere Bände Vorlesungen bei Reimer erschienen sind, werden Sie nach Ihrem leztern [Brief] zu entschuldigen geneigt seyn."71

Auch bei Reimer fanden Fichtes Schriften keinen reißenden Absatz,72 doch ist nicht bekannt, daß er oder seine Nachfolger je daran dachten, Fichte-Ausgaben zu makulieren.

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Beleg dafür, daß Reimer Fichtes Vorlesungen hört: im privaten Ausgabenbuch November 1804; für die Vorlesung „über die Wißenschafts Lehre. Angefangen den 16t Apri. 1804" wurden „Reimer nebst Frau u. Schwägerin" und sechzehn andere Personen (zum Teil Paare) eingeladen (vgl. Reinhard Lauth: „Über Fichtes Lehrtätigkeit in Berlin von Mitte 1799 bis Anfang 1805 und seine Zuhörerschaft". In: Hegel-Studien 15 (1980). S. 9-50, hier S. 49). Fichte: Akademie-Gesamtausgabe Briefe ebda. 5, Einleitung S. VII. Brief vom 18. 3. 1806, in: Fichte: Akademie-Gesamtausgabe Briefe ebda. 5, S. 337f., hier S. 338. Fichte an Cotta, 27. 4. 1806, Fichte: Akademie-Gesamtausgabe Briefe ebda. 5, S. 347-349, hier S. 348. Von Fichtes Werken, die Reimer verlegt, sind - laut Verlagskatalog - noch 1910 der Sonnenklare Berieb!.. .(1801), die Grundlage des gegenwärtigen Zeitalters (1806) und Die Staatenlehre... (1820) in Erstausgabe - „Ladenpreis aufgehoben" - zu haben. Auch die Schrift Ober das Wesen des Gelehrten von 1806, die Reimer von Himburg übernommen hat, wird 1910 noch in der Originalausgabe angeboten; die erfolgreicheren Reden an die deutsche Nation und die Anweisung yjtm seligen lieben in der „Neuen Auflage" von 1824 bzw. 1828.

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Schleiermacher Unter den Menschen, welche Reimer nahestanden, muß zuallererst Friedrich Daniel Schleiermacher (1768—1834) genannt werden. Er wird nicht nur sein treuester Autor, sondern auch sein Freund, der an allem teilnimmt, und dessen Philosophie und Theologie tiefen Einfluß auf Reimer hat; deshalb findet man auch in seinem Verlag kaum kirchliche Dogmatik, wohl aber religionsphilosophische Schriften. Daß Reimer selbst ein gläubiger Mensch war, erhellt sich aus seinen Briefen. Während er selbst lutherisch aufwuchs, kam seine Frau aus einer reformierten Familie. Es ist also vielleicht kein Zufall, daß er das erste gemeinsame Gesangbuch der beiden evangelischen Konfessionen in seinen Verlag nahm. 73 — Nach Schleiermachers Tod wird Reimer das Gefühl haben, „fast 2/3" seiner Lebenszeit mit ihm verbunden gewesen zu sein und schreibt am 12. März 1834 an seinen Sohn Karl: „Ich habe fast nichts gelebt, gethan, ja gedacht, wobei ich nicht alles auf ihn bezog". 74 Die letzten siebzehn Jahre seines Lebens hat Schleiermacher mit seiner Familie im Reimerschen Palais Wilhelmstraße 73 gewohnt. Die Freundschaft zwischen Reimer und Schleiermacher ist genau zu datieren: auf den 26. Mai 1802. Schleiermacher schreibt darüber an seine Schwester Charlotte: „Der gestrige Tag ist mir noch recht merkwürdig geworden durch einen Abendbesuch bei Reimer. Eine herzliche Anhänglichkeit hatte ich schon lange bei ihm mit Freuden bemerkt; auch ich liebte seinen schönen reinen Sinn. Gestern machte sich ein Moment, [...] indem wir gleichsam Besitz von einander genommen haben, zu inniger, herzlicher Freundschaft. Verlange nur nicht, daß ich Dir jezt so etwas beschreibe, ich bin viel zu überfüllt und zerstreut; Dein eignes Gefühl muß ganz nachhelfen. Ich sprach mit ihm über meine Freude an seiner Frau, mit großer Offenheit zeigte er mir recht kindlich fromme, liebevolle Briefe von ihr, worin ich ihr ganzes Leben und ihr Verhältniß zueinander recht lebendig anschauen konnte. Ich drückte ihm die Hand, und nach einer kleinen Pause sagte ich ihm: ,Wenn mein Leben erst klar und vollständig dasteht, sollst Du es auch so rein anschauen.' Er Schloß mich in seine Arme mit den Worten: ,Nichts fremdes sei mehr zwischen uns.' — So war es und so wird es nun auch bleiben. - Wir sprachen hernach noch viel darüber, wie die Freundschaft sich macht, und wie man den rechten Moment erwarten muß."75 Wilhelm Dilthey bezeichnet diese Freundschaft als eine, die auch in Schleiermachers Leben „tief eingreifen sollte". 76 Dieses Freundschaftsverhältnis bot für Schleiermachers literarische Bestrebungen Bedingungen, 73

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Vgl. D. Reimer: „'Der Druck muß mit Vollziehung des Contraktes beginnen ..."', S. 187, Anm. 9. Abschnft in Berlin, StaPK, Rep 92, Nachlaß G. A. Reimer. Schleiermacher an seine Schwester Charlotte, Berlin, 27. 5. 1802, in: Friedrich Schleiermacher: Aus Schleiermacher's Leben. In Briefen. 4 Bde. Bd. 3f. vorher, von Ludwig Jonas, hrsg. von Wilhelm Dilthey. Berlin: Reimer 1858-63. Hier Bd. 1, S. 312f. Dilthey: Leben Schleiermachers Halbbd. 2, S. 12.

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II Entstehung und Entwicklung der Firma

wie seine Natur sie bedurfte. So die Veröffentlichung seiner Werke auf ein freundschaftliches Verhältnis zu gründen, entsprach ganz seiner Neigung. Langsam, stetig sieht man nun fast von Woche zu Woche diese Freundschaft wachsen. A u f Schleiermachers nächsten Lebensbedürfnissen selbst war sie gegründet; wie man sich auf das, was in der Wohnung steht und liegt, verläßt, es täglich gebraucht, es immer an seiner Stelle findet, so häuslich sicher formierte sich dieses Verhältnis. Reimer war gleichsam der Repräsentant Schleiermachers für seine Lebensbeziehungen in Berlin, sein Berichterstatter, der ihn auf dem Laufenden erhielt und ihm die wichtigere neuere Literatur verständnisvoll übermittelte. 77

Verständlicherweise war die zuletzt genannte „Funktion" Reimers besonders wesentlich in der Zeit von Schleiermachers Verbannung als Hofprediger in Stolp (ab 1802). Doch auch als er 1804 als außerordentlicher Professor nach Halle berufen wurde, war es wichtig, daß er den Kontakt zu Berlin hielt, zumal 1806 die Universität in Halle geschlossen wurde und er bei den Vorbereitungen für die Gründung der Berliner Universität mitwirkte. Umgekehrt ist die Bedeutung Schleiermachers für Reimer gar nicht hoch genug einzuschätzen: Was das erwähnte, persönliche Leben und Denken betrifft; was es bedeutete, den beim Publikum beliebten (und von der Obrigkeit teilweise gefürchteten) Philosophen und Theologen als festen Hausautor an den Verlag (und zwar über den Tod beider lange hinaus) gebunden zu haben; aber auch, was es für die Entwicklung des Verlags bedeutete, daß Schleiermacher seine Kontakte und Verbindungen nutzte, um den Verlag des Freundes seinen akademischen Kollegen zu empfehlen; so daß einige, angezogen durch den Namen Schleiermacher, ihre Schriften der Realschulbuchhandlung übergaben, und sich der (spätere Reimer-)Verlag zu einem vornehmlich die Wissenschaften repräsentierenden Unternehmen entwickelte.

Die Brüder

Schlegel

Früh hatte Reimer - wohl schon durch Sander - Kontakt zu den Brüdern Schlegel, die in der frühromantischen Zeit in enger Verbindung zu Friedrich Schleiermacher standen. Nach Diltheys Darstellung ist Reimer durch Schleiermachers Vermitdung zu Friedrich Schlegel (1772—1829) in geschäftliche Beziehungen getreten.78 Reimer schreibt Schleiermacher am 8. Oktober 1802: „Ich bin durch Friedrich Schlegel, und noch einige andere Verbindungen, wirklich in einige Verlegenheit gerathen. Schlegel versprach mir nemlich wie Du weist Ostern, w o ich ihm 200 Rth Vorschuß darauf zahlen mußte, zwei dramatische Stükke; nun schickt er sie nicht nur nicht zur rechten Zeit sondern verlangt auch noch von neuem 30 Friedrichsd'ors von mir. Dies ist mir um so unangenehmer da ich ihm sagte und schrieb, ich könne nicht darauf entriren, wenn er nicht sein Versprechen

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Ebda., S. 13. Ebda., S. 12.

2. Phasen der Verlagsgeschichte

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erfüllen zu können Gewißheit bei sich hätte. Jetzt schreibt er mir ich soll sie zu Ende des Jahres haben. Geld werde ich ihm indeß immer noch schicken müßen, wenn er nicht in Verlegenheit gerathen soll."79 Obwohl der Verleger um sein eigenes Geld bangt, verliert er die Perspektive des Autors, der subjektiv ebenso dringend auf finanzielle Mittel angewiesen ist, nicht aus dem Blick. Wie geschäftstüchtig der romantische Friedrich Schlegel sein konnte, wird später an einem anderen Beispiel gezeigt. Reimer war bemüht, die Verbindung zu ihm nicht abreißen zu lassen; so schreibt er Schleiermacher: „Ueber Friedrich Schlegel spreche ich Dir auch lieber mündlich, und theile Dir seine eignen Briefe mit. Er scheint sehr milde geworden zu seyn, fast zu sehr - so daß mit der aufgelösten Rohheit auch die Kraft die sie erzeugte zerronnen zu seyn scheint. Ich schreibe ihm jetzt öfters."80 Friedrich Schlegel gab mit Ludwig Tieck zusammen die Novalis-Ausgaben heraus, von denen später die Rede sein wird. Doch noch wichtiger als die Beziehung zu Friedrich Schlegel wurde für Reimer — persönlich und geschäftlich — August Wilhelm Schlegel (1767—1845), dessen Vorlesungen Reimer ebenfalls hört. 81 Ein typisches Produkt der jungen Romantik gab A. W. Schlegel mit Lammas heraus. Friedrich Laun berichtet in seinen Memoiren, daß Reimer im Herbst 1802 eines Abends den „Lakrymas" an den Sanderschen Teetisch mitgebracht habe und selbst das dramatische Gedicht vortrug, bis er, Laun, „ihn zuletzt hierin ablösete." 82 Reimer schreibt an Schleiermacher über das von Wilhelm von Schütz stammende, anonym publizierte Schauspiel: „Der Lacrimas wird Dir hoffentlich nicht ungenehm seyn. Und wenn auch dem Ganzen mehr innerer Zusammenhang und organische Durchdringung zu wünschen wäre, so giebt es doch einzelne wunderschöne Parthieen; und auch von einer Seite betrachtet stellt sich das Ganze als Ganzes mit herrlicher Absichtslosigkeit und Unschuld dar. In welcher schönen Verknüpfung geht nicht die Allegorie durchhin, gleichsam wie der Aufzug des Gewebes. Am mangelhaftesten ist wohl der eigentliche Dialog."83

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Reimer an Schleiermacher, Berlin, 8. 10. 1802, in: Berlin, BBAW, SN 358 Bl. 1. Reimer an Schleiermacher, Berlin, 4. 2. 1806, in: Berlin, BBAW, SN 358 Bl. 85. In Coppet liegt eine „Nota von der Realschulbuchhandlung" Reimers aus dem Sommer 1804, die u. a. Auslagen Reimers für Druck (und Papier) von Anzeigen (für Schlegels Vorlesungen) verzeichnet, die Kosten für das : „Gedicht am Geburtstage d[er] Königin mit Pap[ier] u. Censur" (1803) sowie zu Schlegels Gunsten: „das Honorar f[ür] d[ie] Wintervorlesung d]es] J[ahres] 1803/4: 10 Friedr[ich]dor"; d. i. der Pränumerationspreis für den Jahreskurs, 2 Friedrichd'or betrug das Honorar für 5 Personen" ( K r i s e n j a h r e Bd. 3, zu Nr. 89, S. 109). Adam H. Müller: Adam Müllers Lebens^eugnisse. Hrsg. von Jakob Baxa. München: Schöningh 1966. Hier Bd. 1, S. 63. Zu Lacrimas vgl. auch S. 370-372. Reimer an Schleiermacher, Berlin, 23. 2. 1803, in: Berlin, BBAW, SN 358 Bl. 10.

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II Entstehung und Entwicklung der Firma

Das in Ungerscher Fraktur gedruckte Stück ist noch im Verlagskatalog von 1861 als lieferbar verzeichnet. A. W. Schlegel schrieb 1803 an Johann Diederich Gries: „Von hiesigen Buchhändlern weiß ich jetzt keinen, von dem sonderlich viel für ein solches Unternehmen wie das mit dem Ariost zu erwarten stünde, außer HE. Reimer der mein Verleger beym Spanischen Theater ist, und ich glaube, er wird jetzt ziemlich besetzt seyn." 84 A. W. Schlegels Blumensträuße italienischer, spanischer und portugiesischer Poesie enthalten zwar den Druckvermerk 1804, es sind aber 1803 schon 757 Exemplare im Lager. 85 Als Reimer die Blumensträuße an Schleiermacher abschickt, bemerkt er hierzu kritisch: „Statt der unnützen Vorrede und Anzeige der Blumensträuße [A. W. Schlegels] schicke ich Dir diese lieber selbst und da ich weiß, wie sehr Du dafür bist, in der besten Ausgabe. Ich hoffe es wird Dir kein unwillkommenes Geschenk seyn; besonders ist, mir wenigstens, der Schluß des Ganzen, die Sachen von Cervantes, Montemajor und vor allen Camoens angenehm; auch die Sachen von Dante sind schön; am schlimmsten ist wohl Petrarca in den Sonnetten weg gekommen, die fast alle verfehlt sind."86

Neuerscheinungen Im Codex Nundinariuss? macht Gustav Schwetzschke Angaben über die Anzahl der jährlichen Neuerscheinungen jeden Verlags, der in den Leipziger Messekatalogen vertreten ist. Allerdings sind diese Zahlen aus mehreren Gründen nur mit Vorbehalt zu verwenden. Paul Raabe wies in Bezug auf Friedrich Nicolai etwa darauf hin, daß sich zum einen Wiederholungen gleicher Titel in den Verzeichnissen zur Frühjahrs- und Herbstmesse feststellen lassen; sodann wurden Zeitschriftenbände nicht regelmäßig angezeigt, Neuauflagen auch nicht immer; die Mitteilung mehrbändiger Werke ist oft unvollständig. Außerdem werden un-

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Brief vom 23. 7. 1803, in: August Wilhelm Schlegel: Briefe von und an August Wilhelm Schlegel. Gesammelt und erläutert durch Josef Körner. Bd. 1. Zürich: Amalthea-Verlag 1930. Brief Nr. 121, S. 157-159, hier S. 159. Der 11 χ 12 cm kleine Band enthält Dante (Ballate, Canzone, Sonette), Petrarca (Sonette, Ballate, Sonette, Madrigale, Canzone, Sestine), Boccaccio (Ballaten aus dem Decameron und aus dem Ameto: Anruf des Dichters), Ariosto (Aus dem ersten Gesänge des rasenden Roland), Torquato Tasso (Aus dem Amyntas, Madrigale, Sonette), Guarini (Sonette, Szenen aus dem Pastor Fide, Madrigale), Montemajor (Aus der Diana), Cervantes (Aus dem Persiles, Aus der Galatea), Camoens (Die zwölf von Engellande, Sonette und kleine Gedichte) sowie A. W. Schlegels „Zueignung an die Dichter". Reimer an Schleiermacher, Berlin, 10. 10. 1803, in: Berlin, BBAW, SN 358 Bl. 26. Codex nundinarius Germaniae literatae bisecularis. Meß-]ahrbücher des Deutschen Buchhandels von dem Erscheinen des ersten Meß-Kataloges im Jahre 1564 bis der Gründung des ersten Buchhändkr-Vereins im Jahre 1765. Mit einer Einleitung von Gustav Schwetschke. Nachdi. der Ausgabe Halle 1850-1877. Nieuwkoop: de Graaf 1963.

2. Phasen der Verlagsgeschichte

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ter dem Verlagsnamen möglicherweise Titel angezeigt, die lediglich in Kommission gehandelt wurden. So ergeben sich „Differenzen zwischen der tatsächlichen Buchproduktion eines Verlags und den Anzeigen in den Messekatalogen."88 Dennoch wird ein Blick auf die Zahlen für die Realschulbuchhandlung geworfen. Als andere Quelle wird der Verlagskatalog von 1843 herangezogen, nachdem die dort alphabetisch nach Autoren geordneten Titel in eine chronologische Ordnung gebracht wurden. Von dem Verlagsprogramm nach Erscheinungsjahren ausgehend kann nach weiteren Informationen zu den Titeln und Autoren (in den frühen Inventuren, in den Hauptbüchern, im Briefkopierbuch, im Briefarchiv, aber freilich auch in Nachschlagewerken) gesucht werden. Im Jahr 1800 erschien von Joachim Christian Bergen die Anleitung yur Viehzucht. Mit Anmerkungen, Berichtigungen und Zusätzen von Albrecht Thaer,S9 von der allerdings eine erste Ausgabe 1781 schon bei Lange herausgekommen war. Reimer hat diesen Titel also von dem Verlag, in dem er vorher gearbeitet hat, mitgenommen. Der über Bergens (bei der Inventur von 1801 in insgesamt 2.036 Exemplaren vorhandenen) Schrift geknüpfte Kontakt zu Thaer wurde ausgebaut. Die Schrift des Professors Johann Wilhelm Süvern über Schillers Wallenstein ist allem Anschein nach das erste von Reimer selbst verlegte Werk: Im Hauptbuch (I, 61) notierte Reimer schon vor Süverns Buchkäufen ab Juni 1800: „zahlte ihm Honorar für die Schrift üb. Wallenstein 23 Vi Bogen à 1 frd'or desgleichen nach und nach geliefert 70 Freiexempl." Süvern unterhielt in Thorn eine Lesegesellschaft und bestellte über Reimers Verlag zahlreiche Titel. Wenig später übersetzt Süvern für die Realschulbuchhandlung Sophocles Trachinierinnen.90 Nach Gründung der Berliner Universität wird Süvern dort Professor. Von Joachim Heinrich Brüder, einem Lehrer am Friedrich-Wilhelm-Gymnasium, übernahm Reimer mit Datum vom 4. August 1800 für 100 Taler „den Rest der Auflage seines Buches", das im Jahr zuvor erschienen war und den — für den jungen Verleger bedeutsamen — Titel trug: Der kleine doppelte Buchhalter. Der Verlagsinventur zufolge hatte Reimer 1801 von dem aus 14 Bogen bestehenden Buch in Berlin 240 und in Leipzig 125 Exemplare, die bei Drucklegung des Katalogs von 1843 noch nicht gänzlich verkauft waren. Laut Codex Nundinarius kommen 1801 sieben Neuerscheinungen der Realschulbuchhandlung auf den Buchmarkt. 1843 noch erhältlich sind aus dem Jahr 1801: Fichtes Sonnenklarer Bericht an das größere Publikum, von Kosegarten: Blumen, Levezows Denkschrift auf Friedrich Gilly, von J. E. A. Mayer: Eßbare Schwämme und von E. G. F. Wrede: Kurier Entwurf der Naturwissenschaft. Auch Wrede ist Professor. Laut Hauptbuch (I, 93) erhielt er am 1. Juni 1801 für die 23 88

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Paul Raabe: „Der Verleger Friedrich Nicolai". In: Bücherlust und Lesefreuden. Beiträge %ur Geschichte des Buchwesens im 18. und frühen 19. Jahrhundert. Stuttgart: Metzler 1984. S. 141164, hier S. 152. Mit 8 Kupf.; gr. 8., 624 S., Kat 1843: 2 Thlr. 15 Sg., Schreibpap. 3 Thlr. 10 Sg. Laut Kat 1843: 1802, doch erst in der Inventur von 1803 aufgezählt.

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Bogen seiner Naturlehre, im Hauptbuch Physik genannt, 138 Taler, also 6 Taler pro Bogen. Außerdem erscheint 1801 eine erste Sammlung von Schleiermachers Predigten bei Reimer. Der Denkschrift auf Friedrich Gilly, Königlichen Architekten und Professor der Akademie der Baukunst in Berlin, von Konrad Levezow91 folgen mehrere Werke seines Vaters David Gillys im Reimerschen Verlag. Im Jahr 1802 - bis Dezember 1802 sind laut Codex Nundinarius 5 Titel neu; im Katalog von 1843: 8 Titel - und dazu kommt die heute bekannteste Neuerscheinung der Realschulbuchhandlung: Novalis, d. h. seine Schriften und der Ofterdingen (beides in 2 Teilen). Von der Herausgabe der Schriften des Novalis durch Friedrich Schlegel und Ludwig Tieck (und den Entscheidungen des Verlegers) wird in Kapitel V. 4 die Rede sein. 1802 neu in der Inventur ist das erste Heft von Gilly und Eytelweins Wasserbaukunst, wobei vor allem Eytelwein ein über Jahrzehnte hin äußerst produktiver Autor für den Verlag wurde, der mit seinen Veröffentlichungen im Bereich des Ingenieurwissens die Anwendung akademischen Wissens verbreitete.92 Ebenfalls 1802 gewinnt Reimer Creile mit der Theorie des Windstoßes als Verlagsautor, dessen Bedeutung für den Verlag als Begründer und Herausgeber des Journals für die reine und angewandte Mathematik bis in die Gegenwart reicht. Mit dem Impressum von 1802 erschien auch J. B. T. Baumes Versuch eines chemischen Systems der Kenntnis des menschlichen Körpers und von Karl Asmund Rudolphi: Anatomisch-physiologische Abhandlungen. Im Jahr 1803 - laut Codex Nundinarius sind 9 Titel neu; laut Katalog von 1843 sind es 8 - u. a.: Ernst Moritz Arndts Versuch über die Leibeigenschaft und Schleiermachers Kritik der Moral und folgende literarische Titel: die für die Romantik programmatisch von Tieck herausgegebenen Minnelieder und von A. W. Schlegel als Ubersetzer herausgegeben: der erste Band des Spanischen Theaters, der folgende Schauspiele des Don Pedro Calderón de la Barca enthält: Die Andacht %um Kreuze. Uber allen Zauber Liebe. Die Schärpe und die Blume. Der zweite Band des Spanischen Theaters erscheint erst 1809 bei Julius Hitzig; weshalb, wird in Kapitel V. 3 erläutert. 1803 erschien auch von Johann Christian Friedrich Meyer: Was fordern die Medi^inalordnungen von den Apothekern. C. Dreslers Über das Verhältnis des Rechts %um Gesetze. Eine Organonomie der

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Berlin 1801. gr. 4. Hierzu die Verlagsannonce: „Den zahlreichen Freunden und Verehrern des in jeder Hinsicht viel zu früh verstorbenen Künstlers, wird diese ungeschminkte Darstellung des Ganges seiner wissenschaftlichen und Künstler-Bildung, so wie der Hauptzüge seines Characters als Mensch, und seines Werths als Künsder, zum erwünschten Andenken an den Verstorbenen dienen. Die Schrift ist in der Buchhandlung der Realschule geheftet auf Schreibpapier für 8 Groschen, und auf Velinpapier zu 12 Groschen zu haben" (Haude & Spenersche Zeitung, 8. 1. 1801). Vertrag der Wasserbaukunst vgl. D. Reimer: „'Der Druck muß mit Vollziehung des Contraktes beginnen ..."', S. 178-181, wobei Gilly und Eytelweins anfängliches Honorar dort (S. 180) urtümlich als zu niedrig angeben wurde. Siehe hierzu die Tabelle: Verträge, Honorare, Herstellungskosten, Anhang E.

2. Phasen der Verlagsgeschichte Rechtswissenschaft in den Verlag.

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bekam Reimer, wie schon erwähnt, in diesem J a h r durch Fichte

1 8 0 4 erschienen - laut Codex Nundinarius 11 Titel neu; laut K a t 1 8 4 3 : 1 6 u. a.: V o n d e m J u s t Ì 2 m i n i s t e r A r n i m "Bruchstücke über Verbrechen und Strafen9,\ Schleiermachers Zwei unvorgreifliche Gutachten in Sachen des protestantischen Kirchenwesens zunächst in Beziehung auf den Preußischen Staat und Viatons Werke I, 1 und I, 2. V o n K a r l Dietrich Hüllmann erschien eine Theogonie,94 die 1 8 4 3 o f fensichtlich v e r g r i f f e n war. S. F. Hermbstädt gab mit Grundsätze der Bleichkunst, oder Anleitung %um Bleichen des Flachses, der Baumwolle, Wolle, Seide etc. das erste W e r k in der Realschulbuchhandlung in Verlag, d e m zahlreiche folgen sollten. Im selben J a h r verlegte Reimer Ritters Erfindungen. Ein Lesebuch für Schulen, F. Samuel G o t t f r i e d Sacks Amtsreden sowie A d a m Müllers Lehre vom Gegensätze95 und Gerickes Praktische Anleitung zur Führung der Wirthschaftsgeschäfte für angehende Landwirt he. 1r Theil: Von der Viehzucht — ein W e r k , das schließlich drei Teile umfaßte, w o b e i der erste schon 1 8 0 8 die zweite A u f l a g e erlebte. A u c h A l b r e c h t Thaer ( 1 7 5 2 - 1 8 2 8 ) ist f r ü h A u t o r der Realschulbuchhandlung. Die 1 7 9 8 v e r f a ß t e Einleitung %ur Kenntnis der englischen Landwirtschaft erschien n o c h in H a n n o v e r (3 Bde, 3. A u f l . 1 8 1 6 ) , doch kaum nach Preußen b e r u f e n (1804), gab Thaer in der Realschulbuchhandlung die Annalen des Ackerbaues heraus, v o n denen 8 Jahrgänge ( 1 8 0 5 - 1 8 1 2 ) erschienen. D e r Jurist K a r l Schildener w u r d e 1 8 0 4 mit einem Versuch über die Grundsätze der Civilgeset^gebung A u t o r des Verlags; der Verleger schrieb seinem Freund Schleiermacher über diesen Vertrauten seiner Kindheit:

Laut Kat 1843: 1803, in der Inventur aber erst 1804. Vgl. Hauptbuch I, siehe Tabelle Verträge, Honorare, Herstellungskosten, Anhang E. 9 5 Vamhagen von Ense erzählt von Adam Müller: „Er war zur Zeit des Schloßbrandes in Kopenhagen gerade dort anwesend. In Berlin erzählte er nachher von dem großen schauerlichen Ereignis. Ohne grade prahlen zu wollen, verführte ihn die Macht seiner Beredsamkeit, daß er sich selber tätig erscheinen ließ, wo er nur zugeschaut hatte, zuletzt war seine Erzählung nur ein Bildnis der Anstrengung, des Mutes, mit denen er und ein Freund dem Feuer gewehrt, die Löschanstalten an den gefährlichsten Stellen geleitet hatten. Dieser glänzende Vortrag fand in der Familie des Buchhändlers Reimer statt, wurde aber unterbrochen durch einen plötzlichen Ruf: ,Feuer! Feuer!', der aus dem Hause herauf schallte, von Rauch begleitet, von Flammen, die aus dem Hintergebäude hervorbrachen. Der Held von Kopenhagen erschrak heftig, zitterte, nahm seinen Hut, stürzte die Treppe hinab, auf die Straße, schrie aus Leibeskräften, und lief nachhause, man sah ihn nicht wieder. Das Feuer wütete eine Zeitlang, wurde dann bezwungen, aber hatte einen Teil der Reimerschen Wohnung unbrauchbar gemacht. Am andern Tage kam Adam Müller wieder, um namens seines Vaters der Familie Reimer freundliche Aufnahme anzubieten. Noch nach vielen Jahren konnte der Name Adam Müller im Reimerschen Hause nicht genannt werden, ohne daß man der lächerlichen Flucht gedacht hätte" (Vgl. Berlin, StaPK, Nachlaß Vamhagen; abgedruckt in: Jakob Baxa: Adam Müller. Ein hebensbild aus den Befreiungskriegen und aus der deutschen Restauration. Jena: Gustav Fischer 1930. S. 13 und in: A. Müller: Adam Müllers Lebens^eugnisse Bd. 1,S. 115f). 93

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„Jetzt habe ich ihn nun als Mann wieder gefunden in der vollen Thätigkeit seiner wirkenden Kräfte; doch hat der Ernst der Männlichkeit nicht des Lebens schönste Bliithe in seiner Brust zerstört; [...] Die unendliche Kluft vom reifenden Jünglinge zum ausgebildeten vollendeten Manne hat er also überschritten, ohne daß ich die nähern Verhältnisse und Beziehungen dieser wichtigen Lebensperiode kenne; der frohe lebensbegierige Knabe ist also für mich hineingewachsen in den ernsten, lebenserfahrnen Mann, und so erscheinen mir nun des Lebens endegenste Momente in der innigsten Vermischung. [...] Schildener ist eine der reichsten und kräftigsten Naturen zugleich, die mir auf meinem Lebenswege begegnet sind. [...] Sein eifriges schönes Bestreben ist sich selbst zur höchsten Vollendung zu bringen; aber so rasch ist er dabei in seinem Streben, daß er oftmals Ungerechtigkeiten gegen fremde Individuen begeht, weil ihm der Geselligkeit müde Tugend fehlt. Es hat nemlich das allbelebende Princip, die heilige, unendliche, ewige Liebe [...] nicht innig genug sein Wesen erfüllt und durchdrungen, und dies ist [...] nach meiner innigsten Ueberzeugung das einzige was man ihm vorzuwerfen im Stande ist." 9 6

Von Georg Ludwig Spalding erschien: Versuch didaktischer Gedichte (270 Seiten) mit einer Vorrede u. a. über die Kunst des Reims. Neu in Reimers Verlag sind im Jahr 1805 - laut Codex Nundinanus 12 Titel; nach Kat 1843: 20 Titel — außer Thaers Annalen u. a. Eytelweins Bemerkungen über den Stoßheber, Genelli: Briefe über Vitruv, Neergaard: Vergleichende Anatomie und Physiologie der Verdauungswerk^euge der Säugethiere und Vögel (740 Exemplare, noch lieferbar 1843), Johann Andreas Schlaberg: Heilmittellehre für Thierär^te und Eandwirthe. Mit Vorrede von F. K. G. Gericke. (678 Exemplare, Druckvermerk: 1806, noch lieferbar 1843), J. Bailey: Der bestmöglichste Pflug. Auf Erfahrung und mathematische Grundsätze gestützt. Aus dem Engl, mit Zusätzen, Jakob L. C. Salomo Bartholdy: Bruchstücke %ur nähern Kenntnis des heutigen Griechenlands, Sophie Bernhardi: Phantasien, Pellegrin: Schauspiele und die Romanzen vom Thale Ronceval. Die Dramatischen Fantasien stammen (Impressum 1804) von Sophie Bernhardi,97 Tiecks Schwester, von deren Schreibkünsten Clemens Brentano nicht viel hält: „Es ist von ihr ein Band Märchen und Traumbilder von unerhörter Bildung der Verse, grober Imitation und entsetzlicher Langeweile erschienen." Auch der Verleger selbst beurteilt sie kritisch: „Die dramatischen Fantasien will ich Dir nächstens übersenden, damit Du Dich selbst ihrentwegen belehrst; ich kann ihnen keinen Geschmack abgewinnen, obgleich sie das auch eben nicht sind, was mir scheint daß Du von Ihnen glaubst. Schlegel hält viel davon, auch selbst Tieck."98 Hinter dem Pseudonym Pellegrin versteckte sich Friedrich de la Motte Fouqué, dem Friedrich Schlegel in Anlehnung an Petrarcas Zeile „Dolce parole, 96 97

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Reimer an Schleiermacher, Berlin, 8. 10. 1802, in: Berlin, BBAW, SN 358 Bl. 1. Dramatische Fantasien von Sophie Bernhardi geb.Tieck. Berlin. In der Realschulbuchhandlung. 1804. (Ungeische Fraktur. 361 Seiten. Gedruckt bey Friedrich SpatKen.) Reimer an Schleiermacher, Berlin, 17. 5. 1804, in: Berlin, BBAW, SN 358 Bl. 52.

2. Phasen der Verlagsgeschichte

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oneste e pellegrine" den Dichternamen Pellegrin gab, als seine erste Veröffentlichung 1803 in Schlegels Zeitschrift Europa erschien. Die beiden Schauspiele in der Realschulbuchhandlung, die noch 1861 für 1 Thlr. 15 Sg. zu haben sind, heißen: Der Falke. - Das Reh. Die Romanzen, die ebenfalls und zwar anonym von Fouqué stammen, sind noch im Katalog von 1895 fur 1 Mark 50 verzeichnet. Fouqués Biograph Arno Schmidt hätte, wenn er dies gewußt hätte, den Lesern, die sich weigern zu kaufen, recht gegeben; denn das Frühwerk seines Schützlings beurteilt er erbarmungslos: „Alles, was unter dieser Firma [= dem Pseudonym Pellegrin] erscheint - den Roman ,Alwin' ausdrücklich ausgenommen! - ist, wie Schopenhauers Welt, etwas, das besser nicht wäre!" 99 Außer den Romanzen und dem Reh und dem Falken bei Reimer sind das noch sechs Dramatische Spiele (= das erste eigene Buch), ein Schauspiel: Die Zwerge und die zweibändige Historie vom edlen Ritter Galmy und einer schönen Herzogin aus Bretagne.100 1805 hat Reimer von Unger bereits Schleiermachers Reden über Religion und Woltmanns Journal für Geschichte 1800—1805 übernommen. Mit Karl Ludwig von Woltmann (1770-1817), Historiker und Diplomat, „der als Geschäftsträger deutscher Fürsten und Städte in enger Verbindung mit den tonangebenden Männern der Residenz in Berlin mit Unterbrechung von 1799-1812 lebte", 101 nahm Reimer einen Bewunderer der Revolutionsideen ins Programm, der als „deren gemäßigte[r] Vertreter" galt, der „Hoffnung auf Napoleon als Retter Frankreichs und Europas" 102 setzte. Das erste Stück von Woltmanns Zeitschrift Geschichte und Volitik war 1800 bei J. F. Unger erschienen und wurde in der Vossischen Zeitung vom 18. März des Jahres folgendermaßen angezeigt: 99

Arno Schmidt: Fouqué und einige seiner Zeitgenossen. Biographischer Versuch. Zürich: Arno Schmidt Stiftung im Haffmanns Verlag 1987 (= Haffmanns Taschenbuch 1). S. 178.

100

Zustimmend zitiert Schmidt Brentano (an Arnim, Heidelberg, Februar 1806): „Nimm die modernen Dramen, etwa Pellegrin, Bernhardi - was eine Menge, was eine Pracht! Aber wie leer und tot!" (A. Schmidt: Fouqué und einige seiner Zeitgenossen, S. 179). Arno Schmidt charakterisiert die genannten Fouquéschen Erstlinge: „... belangloser, tapetenbunter Inhalt; überzierliche Ritter und Frauenautomaten; italienisch unmotivierte Wunder- und Geistererscheinungen dazwischen. Bewundernswert ist die Sprachkünstelei, die wahrhaft Unglaubliches fertig bringt; es macht ihm gar nichts aus, 22 mal einen Reim auf ,al' zu finden, oder dieselben Reimworte seitenlang mit immer wechselndem Zeileninhalt zu verwenden; ein wahrhaft erschreckendes Beispiel von musikalischer dichterischer Leere; fast nie taucht ein poetisches Bild auf. Das Beste, was man mit gutem Willen davon sagen könnte, wäre etwa, daß es wahrscheinlich die besten Nachbildungen belangloser spanischer Entremeses sind, die wir im Deutschen haben; aufrichtig muß man urteilen, daß es sich nur um süße Nichtigkeiten handelt" - „die so überaus künstliche und geleckte Form [...] gilt damals viel, Calderón und Genossen" (ebda., S. 178f).

101

Ludwig Geiger: Bertin 1688-1840. Geschichte des geistigen Lebens der preußischen Hauptstadt. Bd. 2: 1786-1840. Neudruck der Ausgabe Bertin 1895. Aalen: Scientia Verlag 1987. S. 64. Geiger: Bertin 1688-1840 Bd. 2, S. 64.

102

II Entstehung und Entwicklung der Firma

90

„Wir haben historische Journale, die ganz politisch sind, und politische Journale, die ganz historisch sind. D e s t o willkommener muß ein Journal seyn, das die Blüten v o n beiden aneinander grenzenden Feldern der Litteratur verspricht und darreicht. D i e Politik, die die Belehrungen der Historie verschmäht, geräth unfehlbar auf die m e h r oder minder verderblichen Abwege einer anmaßenden Spekulation. Historie o h n e Politik artet in Chronik und Zeitungsschreiberei aus. D e r Herausgeber dieses Journals ist dem Publikum schon lange als ein Mann bekannt, der mit philosophischem Geist und gebildetem G e s c h m a c k das weite Feld der Geschichte bearbeitet, und auch in bekannten Regionen neue Ansichten zu

finden

und

darzustellen

weiß."103 Ü b e r U n g e r b e k a m R e i m e r später n o c h andere W e r k e W o l t m a n n s in seinen V e r l a g ; u. a. die zur S ä k u l a r f e i e r e r s c h i e n e n e S c h r i f t : Das

brandenburgische

Haus

( 1 8 0 1 ) , in d e r „ P r e u ß e n s S t r e b e n für D e u t s c h l a n d s E i n h e i t g e f e i e r t w u r d e , ein d a m a l s n i c h t e b e n z e i t g e m ä ß e r G e d a n k e . " 1 0 4 V o n der Z e i t s c h r i f t Geschichte Politik,

und

die z u n ä c h s t B e i f a l l f a n d , e r s c h i e n e n n u r die B ä n d e 1 8 0 0 - 1 8 0 5 , j e d e r z u

1 2 Stücken. 1 8 0 6 u n d 1 8 0 7 erscheinen f ü n f B ä n d e W o l t m a n n s c h e r Schriften in Reimers Verlag. Z u d e n S c h l e i e r m a c h e r s c h e n P r e d i g t e n s c h r e i b t der V e r l e g e r : „ D e r D r u c k der Reden geht rasch vorwärts, so daß ich gestern doch schon den 13n B o g e n zur Correktur gehabt habe. I c h will Dir hiebei doch bemerken, daß ich auf ein paar Stellen gestoßen bin, wo mir die Construction fremd und mithin der Sinn dunkel blieb. Ich habe sie nicht angezeichnet, aber bei nochmaligem Lesen werde ich schon wieder darauf stoßen. Ich fürchte fast daß an diesen Stellen entweder Einschaltungen mangelten, oder auch nach der Einschaltung Stellen des ältern Druks zu durchstreichen vergessen worden. A u f mehrere Stellen nemlich bin ich auch gestoßen, w o ein solches Uebersehen ganz klar war, und wo ich denn auch die nöthigen Aenderungen traf. Ich wünsche D u mögest meine Besorgniß ungegründet finden. Bald sollst D u auch wieder mehrere Aushängebogen erhalten." 1 0 5 I n R e i m e r s I n v e n t u r v o m D e z e m b e r 1 8 0 6 sind u. a. n e u : S t e f f e n s G r u n d z ü g e u n d F i c h t e s G r u n d z ü g e - laut C o d e x N u n d i n a r i u s 8 T i t e l ; laut K a t 1 8 4 3 : 1 2 . 1 0 6 103

Zu Beginn des Jahres war (bei Heinrich Frölich) das erste Heft des Historischen Journals von Friedrich Gentz erschienen, das, obgleich es „Historisches Journal" hieß, „ganz politisch" war. Der Inhalt des ersten Heftes war: „I. Ueber die politische Gleichheit. II. Beiträge zur Geschichte der Constitutionen während der Französischen Revolution. III. Nachtrag zu Camots Memoiren und zur Geschichte des 18ten Fructidors. IV. Politische Denkart in Frankreich seit dem 18ten Brumaire" (Anzeige in der Vossischen Zeitung vom 2. 1. 1800).

104

Geiger: herlin 1688-1840

105

Reimer an Schleiermacher, Berlin, 23. 8. 1806, in: Berlin, BBAW, SN 358 Bl. 104.

Bd. 2, S. 39.

106

Nach dem Allgemeinen Verzeichnis der Bücher, die ς» Michaelis 1806 erscheinen (Exemplar im Buch- und Schriftmuseum Leipzig), sind diesen Herbst in der Realschulbuchhandlung folgende Schriften fertig geworden: „Fertig gewordene Schriften in teutscher und lateinischer Sprache": S. 330: „Fichte, J. G. Die Anweisung zum seligen Leben, oder auch die Religionslehre. In Vorlesungen gehalten zu Berlin im Jahre 1806. 8. Berlin. Realschulbuchhandlung." - S. 332: „Gaß's, J. C. Predigten. 8. Berlin, Realschulbuchhandlung." - S. 338: „Hermbstädt's, Dr. S. F. Archiv für Agrikulturchemie für denkende Landwirthe, oder

2. Phasen der Verlagsgeschichte

91

Wie überall im Buchhandel schlägt sich auch im Reimerschen Verlag die durch Napoleon verursachte Krise nieder, indem weniger produziert werden kann. Das Jahr 1806 stellt einen Einschnitt dar - in der Geschichte, im Buchhandel, in Berlin und nicht zuletzt im Bewußtsein der Menschen. Mit der napoleonischen Besetzung ist die Welt nicht mehr wie früher. „Wenn ich noch ein Paar mal in dieser Zeit zum Predigen komme, dann ließ ich gern diese Predigten, die sich so ganz auf die gegenwärtige Zeit beziehn zusammen drukken, weil ich sie wirklich für ein gutes Wort halte. Ich will auch gern dafür stehen und meinen Namen drauf sezen; allein gedrukt können sie wol schwerlich werden in einer Stadt die in französischem Besiz ist, und so werde ich es wol aufgeben müssen wenn es nicht etwa in Stralsund geschehen könnte. Nöthig und wünschenswerth scheint es mir mehr als je zumal seit ich höre wie schlechte Gesinnung im Ganzen in Berlin herrscht."107 Die Auflistung von Titeln aus den Jahren 1800 bis 1806 zeigt, daß Reimer bereits in den ersten Jahren seiner Selbständigkeit auf wissenschaftlichem, philosophischem und literarischem Gebiet Werke verlegt, die programmatisch für seine Tätigkeit als Verleger bleiben werden. Die teilweise revolutionären Gedanken der Frühromantik und die Überzeugungen der sogenannten Glaubensphilosophen bilden den Hintergrund seiner Aktivitäten auch in späterer Zeit. Außerdem sind Schleiermachers Theorie des geselligen Betragens und Fichtes Philosophie der Freiheit ihm auch privat Vorbild; er versucht zu realisieren, was seine Autoren postulieren. Auch Ludwig Tieck ist schon 1803 mit den Minneliedern aus dem Schwäbischen Zeitalter in Reimers Realschulbuchhandlung vertreten. Ebenso: August Wilhelm Schlegel als Ubersetzer und der Historiker Friedrich Rühs; aber auch der Mathematiker Creile, der Naturwissenschaftler Hermbstädt und der Ingenieur Gilly. Sammlung der wichtigsten Entdeckungen, Erfahrungen und Beobachtungen aus dem Reich der Physik und Chemie für rationelle Landwirthe, Güterbesitzer und Freunde der ökon. Gewerbe. 2n Bandes 2s Heft. gr.8. Berlin, Realschulbuchhandlung." — S. 342: „Journal, neues allgemeines, für Chemie und Physik. Herausgeg, von Dr. A. F. Gehlen, in Bds. 18 bis 38 Heft. Mit ilium, u. schwarz. Kpf. gr. 8. Berlin. Realschulbuchhandlung." - S. 359: „Riedels, H. C , d. j. Abriß der landwirtschaftl. Bauwissenschaft. Zu Vorlesungen entworfen. Mit vielen Kupf. gr. 8. Berlin, Realschulbuchhandlung in Commission." - S. 363: „Schleiermachers, F. Predigten, l r Thl. Neue Auflage, gr. 8. Berlin. Realschulbuchhandlung." - S. 369: „Thaers, Dr. A. Annalen des Ackerbaues. 2r Jahrg. 1806. in Bds 5 s, bis 2n Bds, 4s Stück, mit Kpf. 8. Berlin. Realschulbuchhandlung." - S. 371: „Ueber die Religion. Reden an die Gebildeten unter ihren Verächter. Neue Ausgabe, gr. 8. Berlin. Realschulbuchhandlung." S. 375: „Wilmsen's. Fr. P., Buchstabir- und Lesebuch für Volksschulen. Dritte Auflage, [muß die vierte schon sein!] 8. Berlin. Realschulbuchhandlung." - „Fertig gewordene Schriften. Romane". S. 378: „Boccaz, Fiametta. Aus dem Ital. von Sophie Brentano. 8. Berlin. Realschulbuchhandlung. Auf Druck- und Velin-Papier." 106 - „Fertig gewordene Schriften in ausländischen Sprachen". S. 391: „Collection compiette du Moniteur universelle de Paris. Periode Ire. Tom 1-46. Periode II de Tom 1-21. Periode l i l e Tom 1-8. gr 8. Berlin. librairie de l'école reale." 107

Schleiermacher an Reimer, Halle, 12. 12. 1806, in: Berlin, BBAW, SN 761/1 Bl. 68.

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II Entstehung und Entwicklung der Firma

An Briefwechseln wäre es noch genauer zu untersuchen: Reimer geht direkt zu auf die Autoren, die ihn interessieren; und seine unverblümte Offenheit hat von Anfang an Erfolg. Gelegentlich sind es auch schon bestehende Kontakte und Freundschaften, durch die er an andere Autoren gelangt. In gewissem Sinn, nämlich als Verleger, wird Reimer in Berlin den Platz einnehmen, den der alte Nicolai nicht mehr ausfüllen konnte bzw. mit seinem Tod 1811 endlich freimachen muß. Daß Reimer der Nachwelt nicht so gut in Erinnerung blieb wie Friedrich Nicolai, mag daran liegen, daß Reimer selbst nicht schriftstellerisch tätig war, sondern seine Kräfte außer auf den Buchhandel im politischen Bereich konzentrierte. Politisierung

unter

Napoleon

Will man zeigen, wie die Zeidäufte den Verleger beeinflussen, so sind es für Reimer zunächst die Jahre der napoleonischen Besatzung,108 als es dem selbstund nationalbewußtem Bürger nicht genügt, Verleger von Büchern zu sein; er bereitet sich persönlich auf die künftige Befreiung vor: indem er das Schießen übt! Die zunehmende Politisierung in einer Zeit äußerer Stagnation wirkt sich auf sein Verlagsprogramm aus: durch den Verlag von Flugschriften. Aber in diesen Jahren erscheinen auch die Grimmschen Kinder- und Hausmärchen sowie Schriften der Akademie der Wissenschaften und viele andere wissenschaftliche Publikationen. Wie Reimer als „beglückter, noch jugendlicher Familienvater" inmitten seines „Geschäfts-Betriebes" auf den „Napoleonischen Einbruch des Jahres 1806" reagierte, beschreibt sein Autor Friedrich de la Motte-Fouqué in dem Nachruf, den er Reimer widmete: Der sieghafte Feind forderte allen Berliner Bürgern die etwa vorhandenen Waffen ab, unter Todes-Bedräuung gegen die Widerstrebenden. Georg Reimer war nicht arm an kriegerischem Geräth. Aber nicht Eine Klinge, nicht Einen Flinten- oder Pistolenlauf gab er heraus. ,Laßt sie suchen bei mir', war sein Spruch: ,ich kann's ihnen nicht wehren. Und wenn sie dann was finden, laßt sie mich erschießen, wenn sie wollen und können. Ich aber liefre mich nicht freiwillig wehrlos in ihre Gewalt. Die Wehr bedingt den Mann. Kein Mann ohne Wehr!' 1 0 9

108

Vamhagen besuchte in dieser Zeit „Fichte, Bernhardt, Kiesewetter, Reimer, welche insgesamt für den Krieg gestimmt waren, und sich mit Nachdruck patriotisch aussprachen. Ungeduldig harrte man der Nachrichten vom Heere [...]. Ganz Berlin nahm an der Aufregung Teil [...]. Das Kriegsmanifest erschien endlich aus Erfurt vom 8. Oktober datiert, und man freute sich, daß wenigstens dieser Schritt getan war" (Karl August Varnhagen von Ense: Werke in fünf Bänden. Hrsg. von Konrad Feilchenfeldt. Bd. 1: Denkwürdigkeiten des eigenen Lebens. Erster Band (1785-1810). Frankfurt a. M.: Deutscher Klassiker Verlag 1987. Hier: „Neunter Abschnitt. Berlin. Herbst 1806", S. 384f).

109

Fouqué: „Reimer", S. 592.

2. Phasen der Verlagsgeschichte

93

Varnhagen von Ense berichtet für diese Zeit: Die Gesellschaft bei Reimer war damals sehr belebt. Eine kleine Sommerwohnung im Tiergarten, die kaum für seine Familie ausreichte, nahm Abends die zahlreichsten Gäste auf, und eine Hauswirtschaft, welche in den Bedrängnissen der Zeit oft kaum für den andern Tag Rat wußte, bot immer noch Mittel genug, um Tee und Brot für die Abendgesellschaft nicht fehlen zu lassen. 110 Ende 1806 schreibt Reimer an Schleiermacher, der ihm eine theologische Schrift (Über den 1. Brief an Timotheus) angeboten hat 111 , die er als kritisches Sendschreiben veröffentlichen möchte: „Sehr gern will ich die kleine theologische Schrift drucken, von der Du sprichst; so schlecht sind die Aussichten noch nicht, daß ich nicht sollte leichtlich die Auslagen von höchstens 130 Rthr, die eine Schrift von 10—12 Bogen (inclusive des vorläufigen Honorars) kosten mag, aufbringen können. Läge die Sache so schlimm, so würde ich ja lieber alles gleich aufgeben. Das Geschäft hat noch leidlichen und über Erwarten guten Fortgang, wenn nur die Zahlungen nicht übermäßig schlecht eingingen." 112 A m 1. April 1807 berichtet Reimer Schleiermacher, daß er 22.000 Reichstaler „unter Buchhändlern stehen habe"; daß er davon - bei der nächsten Messe - nur die Hälfte einnehme, darauf sei „wol kaum zu rechnen; denn es sind schon von den allersolidesten Buchhändlern solche Klagen eingelaufen, und solcherlei Hindeutungen, daß sich von diesen kaum der 6te Theil ihrer schuldigen erwarten läßt. [...] Ein Glück ist es, daß seit einigen Jahren der Buchhandel im südlichen Deutschland sich beträchtlich gehoben hat, ohnedies wäre alles verloren; denn der Ausfall im nördlichen Deutschland wird enorm seyn." 113 Auch von anderer Seite hört man: „die letzte Messe [hat] nicht viel Erfreuliches gebracht. Der Buchhandel stockt bey uns, und die schlechten Zeidäufte hemmen das Gute, auch in literarischer Hinsicht." 114 Gleichwohl verlegt Reimer auch in dieser Zeit schöne Literatur. 1808 erscheint — allerdings ohne Angabe seines Verlags - ein Kollektivroman, der von den (ebenfalls ungenannten) Auto-

110

Varnhagen von Ense: Denkwürdigkeiten des eigenen Lebens. en und Störungen. Berlin 1807), S. 453.

111

Schleiermacher an Reimer, Halle, 6. 12. 1806, in: Berlin, StaPK; BBAW, SN Τ 195, 2 2 5 227. Schleiermacher traut sich kaum, in der gegenwärtigen Zeit zu fragen: „Nur bitte ich Dich recht ernstlich, thue mir nichts darin zu Gefallen, was Deiner Lage nicht angemessen ist, denn Jeder muß jetzt die Mittel der äußern Existenz aufs genaueste berechnen, und das Aussäen des Geldes in die Zukunft hat wol jetzt einen ganz andern Maßstab."

112

Reimer an Schleiermacher, Berlin, 7. 12. 1806, in: Berlin, BBAW, SN 358 Bl. 121. Reimer an Schleiermacher, Berlin, 1. 4. 1807, in: Berlin, BBAW, SN 358 Bl. 139.

113 114

Bd. 1, („Elfter Abschnitt: Studi-

Heinrich Karl Abraham Eichstädt an A. W. Schlegel j e n a , 28. 9. 1807, in: Krisenjahre Nr. 202, S. 446.

Bd. 1,

II Entstehung und Entwicklung der Firma

94

ren des „Nordsternbundes" 1 1 5 Varnhagen und Neumann sowie A. F. Bernhardi und de la Motte-Fouqué abwechselnd verfaßt worden ist und den Titel Versuche

und Hindernisse Karls. Eine deutsche Geschichte aus unserer Zeit trägt. Varnhagen schreibt über die Versuche und Hindernisse Karls: Um hier gleich alles abzuschließen, was diesen Roman betrifft, so führ' ich noch an, daß wir uns mit dem Manuskript noch lange herumtrugen, in Berlin manchen Kreis damit ergötzten, sogar Schleiermacher'n zum Bewunderer hatten, [...] und endlich das Ganze, [...] unserm Freunde Reimer unter dem Titel ,Die Versuche und Hindernisse Karls' in Verlag gaben. Der Druck wurde erst gegen Ende des Jahres 1808 fertig, da im südlichen Deutschland schon ein neuer Krieg Österreichs gegen Frankreich bevorstand und im nördlichen allerlei Unruhen drohten; Reimer wagte nicht, seinen Namen als Verleger auf den Titel zu setzen, noch das Buch gehörig anzeigen zu lassen, und so gewann dieses nicht den Schwung und machte nicht das Glück, wozu sonst, nach dem Inhalt und den Beziehungen, alle Hoffnung begründet gewesen wäre. Doch ging die Erscheinung nicht ohne einiges Aufsehen ab, und wurde in manchen Kreisen lebhaft besprochen. August Wilhelm von Schlegel, dem ich das Buch nach Genf, wo er bei Frau von Staël lebte, zugeschickt hatte, glaubte mich den alleinigen Verfasser, und der berühmte Kritiker, der früher schon einmal die Prosa der Frau von Wolzogen für die von Goethe gehalten hatte, merkte nichts von der Verschiedenheit der Zeugstücke, die hier, und zum Teil doch mit ziemlich groben Nähten, zusammengefügt waren! 116 Im Sommer 1807, in dem der alle preußischen Patrioten enttäuschende Tilsiter Frieden geschlossen wurde, geht Schleiermacher aus dem „von Feinden besetzten, vereinsamten Halle" nach Berlin, wo er allerdings „keine äußere Stütze [hatte], als eine ungewisse entfernte Aussicht auf eine Berliner Universität und die edle Freundschaft Georg Reimer's." 1 1 7 1808 hält Fichte seine berühmten Reden an die deutsche Nation in Berlin. „Die gewichtigsten Zeugen bestätigen", so Dilthey, daß durch Schleiermacher und Fichte „der Geist der Stadt in diesen Jahren völlig umgewandelt wurde." 1 1 8 Eine Anspielung Sanders auf Schleiermachers politische Tätigkeit findet sich in Sanders Briefen an Böttiger: „Es interessirt Sie vielleicht, zu erfahren, wer an die Spitze der Section für den Cultus im Ministerium des Innern gekommen ist. Der Präsident von Schuckmann, ehemals in Anspach, ein heller Kopf, u. ein Feind aller Mystik. Man freuet sich bei uns, daß mit der Entlassung des Grafen von Dohna das Reich des Hm. pp Schleyermacher zu Ende gegangen ist; denn dieser Mystiker hätte sonst noch großen

Sie hatten sich den Polarstern zu ihrem Sinnbild gewählt; vgl. Hermsdorf: Literarisches Leben in Bertin, S. 262. 1 1 6 Varnhagen: Denkwürdigkeiten Bd. 1, („Zehnter Abschnitt. Halle 1807") S. 425f. 1 1 7 Wilhelm Dilthey: „Schleiermacher's politische Gesinnung und Wirksamkeit". In: Preußische Jahrbücher 10 (1862). S. 234-277, hier S. 253. 1 1 8 Dilthey: „Schleiermacher's politische Gesinnung", S. 256. 115

2. Phasen der Verlagsgeschichte

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Unfug angerichtet. Ich könnte Ihnen von seinen Planen, u. von den Schritten, die er schon zur Ausführung derselben gethan hat, seltsame Dinge erzählen." 119

Die hier angedeuteten, teilweise konspirativen Unternehmungen und Organisationsversuche, in die Schleiermacher und Reimers Freundeskreis in den Jahren engagiert waren, die den Befreiungskriegen vorangingen, wurden noch immer nicht hinreichend aufgearbeitet. Es bedarf regelrechter Entschlüsselungsprogramme, um aus den Briefen des patriotischen Kreises, die teilweise „nach einem System von Wortvertauschungen geschrieben"120 wurden, die tatsächlichen Begegnungen herauszulesen, die bis in die Familie des nach Königsberg geflohenen Königs und in ausländische Delegationen bis in die Umgebung des Zaren Alexander I. beim Erfurter Fürstentag (1808) gereicht und in die Vorbereitungen für den unvermeidlich scheinenden Krieg gemündet haben und schließlich mit den Befreiungskriegen erfolgreich waren. Zu diesem Kreis gehörten Schleiermacher, Arndt, Gerhard Johann David von Scharnhorst, Gneisenau, Graf Alexander von Dohna, Graf Chasot, der spätere Unterrichtsminister Eichhorn und auch Reimer, der 1811 mit Eichhorn im Auftrag Gneisenaus eine Reise über Schlesien nach Wien121 unternommen hat, deren Auftrag und Inhalt die Beteiligten aus verständlichen Gründen geheim hielten. Umso mehr sollte sich in den Jahren der Restauration unter Metternich auch die preußische Polizeiführung dafür interessieren; der in diesen Jahren als Polizeipräsident agierende Kamptz wird seine Untersuchungsmethoden mit dem Hinweis verteidigen, diesem als Bedrohung empfundenen Netzwerk konspirativer Aktionen durch Beschlagnahmung und Verhöre u. a. Reimer und seinen Mitstreitern nachspüren zu müssen, um ihnen auf die vermuteten Schliche zu kommen. Im Winter 1809/10 wohnt Ernst Moritz Arndt, der durch eine Verfügung des französischen Generalgouverneurs von Pommern seine Professur an der Greifswalder Universität verloren hat, unter dem Namen „Sprachmeister Allmann" bei Reimer, den er in seinen Erinnerungen als „treuesten und redlichsten Herzensfreund aus jugendlichen Jahren" bezeichnet. Reimer führt Arndt in die Berliner Kreise deutscher Patrioten ein, die sich u. a. zum Lesen und Schießen im Charlottenburger Schützenhaus treffen, und er nimmt ihn mit zur „Gesetzlosen Gesellschaft".122 Reimer ist seit 1810 Mitglied dieser „Gesetzlosen Gesellschaft", die sich um Philipp Buttmann im November 1809 gebildet hat und später „Zwanglose Gesellschaft" nennt. Zu den 14 Gründungsmitgliedern gehören 7 Gelehrte und Sander an Böttiger, Berlin, 17. 11. 1810, in: Sander: Briefe an Böttiger Bd. 4, S. 195-197, hier S. 196. 1 2 0 Dilthey: „Schleiermacher's politische Gesinnung", S. 260. 1 2 1 Privates Ausgabenbuch, August, September 1811: „Reisekosten auf der Reise nach Schlesien mit Eichhorn" und „Ausgaben in Wien". 122 Vg[ Walther Boeckh: „Ernst Moritz Arndt und sein Berliner Freundeskreis aus der .Gesetzlosen' und .Griechischen Gesellschaft'". In: Zeitschrift des Vereins für die Geschichte Berlins 54 (1937). S. 83 und S. 85. 119

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II Entstehung und Entwicklung der Firma

Theologen, darunter Schleiermacher, 3 hohe Beamte, ein Arzt, ein Justizrat und ein Bankier.123 In der Beilage III zu der Druckschrift PA. Buttmann und die Gesetzlosen. Statt Handschrift für die Mitglieder der gesetzlosen Gesellschaft. Berlin. Gedruckt bei G. Reimer 1834. befindet sich (in neuer Ausgabe) eine „Namenliste der Mitglieder [...] nach ihrem Bestände am Friedrichstage, den 31. Mai 1851." Hier finden sich (nach den Beitrittsjahren geordnet) eine ganze Reihe von Persönlichkeiten, die zugleich Autoren im Reimerschen Verlag sind: Gaß, Ideler, Georg Ludwig Spalding, Staatsrat Karsten, Willdenow, der Minister Eichhorn, Professor Erman, Hirt, Wilhelm von Humboldt, Süvern, Niebuhr, Reil, Boeckh, Büsching, Riihs, Solger, Woltmann, Bekker, Rühle von Lilienstern ... um nur einige in den ersten Jahren hinzugekommene Mitglieder zu erwähnen. Für das Jahr 1820 sind auch der Bildhauer Tieck und Ε. T. A. Hoffmann angeführt. Später auch Ritter, Lachmann, Thaer und Leopold von Ranke. Von Reimer, der „lange Jahre eines der zuverlässigsten Mitglieder"124 gewesen sei, wird berichtet, er habe als Gäste „fast alle damals bedeutenden Vertreter des deutschen Buchhandels [...] Brockhaus und Hirzel aus Leipzig, Perthes aus Hamburg, Schwetschke aus Halle, Cotta aus Stuttgart [...] Frommann aus Jena" eingeführt.125 Dies ist insofern bedeutsam, als es einmal mehr zeigt, daß der „stets zur Tat bereite Reimer"126 einer solchen, das vaterländische Empfinden pflegenden gehobenen Geselligkeit große Bedeutung zumaß. Im Sommer 1809 klagt Reimer öfters über den „jämmerliche[n] Ausgang der letzten Messe"127, die „über allen Begrif kläglich gewesen" sei und ihm „einen Ausfall von 8000 Th." brachte, den er „fast auf keine Weise zu decken weiß." 128 Dadurch sei er in eine „Verlegenheit" gebracht, wie er sich „ihrer zeidebens nicht zu erinnern weiß." Das Geld sei zur Zeit „bis zum ungeheuersten Werth gestiegen [...] unter keiner Bedingung, und bei keiner Sicherheit fast [sei] desselben habhaft zu werden."129 Am 2. August 1809 schreibt Arnim an Wilhelm Grimm: „Lieber Wilhelm! [...] jetzt meine ich fast, es sei besser, Du schlössest [wegen der dänischen Lieder] mit Zimmer ab, da es zu Michael doch nicht fertig sein kann, und kommt von Allfadur (gemeint ist „Goethe") etwas, so kommt es dem zu Statten, der sich gleich beim Anfange am willfährigsten gezeigt hat, und Reimer hat überdies jetzt einige so gewaltige Unternehmungen gemacht, die ihn ziemlich verstocken: Du wirst

123

124 125 126 127 128

129

Die gesetzlose Gesellschaft Berlin. Gegründet am 4. November 1809. Festschrift %u ihrem 150jährigen Bestehen. [Verf.: Willy Hoppe], Berlin 1959. S. 14. Gesetzlose Gesellschaft, S. 19. Ebda., S. 48. Ebda., S. 19. Reimer an A. W. Schlegel, 13. 6. 1809, in: Krisenjahre Bd. 2, Nr. 348, S. 49f., hier S. 49. Reimer an A. W. Schlegel, 5. 5. 1809, in: Krisenjahre Bd. 2, Nr. 342, S. 40f., hier S. 41; auch Zimmer spricht von „der schlechten Messe" zu Ostern 1809 (Hinweis in: Krisenjahre Bd. 3, zu Nr. 342, S. 404). Reimer an A. W. Schlegel, 13. 6. 1809, in: Krisenjahre Bd. 2, Nr. 348, S. 49f., hier S. 49.

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Hirts Baukunst gesehen haben, das allein 27 Thaler kostet, Thaers Landwirthschaft u.a.m."130 Der Kontakt zwischen Achim von Arnim (1781-1831) und Reimer wurde eine Geschäftsbeziehung zunächst dadurch, daß Reimer Arnims Einsiedler in Kommission nahm. Wie Brentano den Brüdern Grimm berichtete, ging die Zeitschrift aber so schlecht - „die Leute sagen, sie verstünden das kunterbunte Zeug nicht" - , daß Reimer elf Exemplare remittierte und das 12te auch nur „a condition" behielt. 131 Das erste Werk Arnims, das Reimer verlegt, ist seine Novellensammlung Oer Wintergarten·. „Dieses nur scheinbar unpolitische Buch wird Reimer gefallen haben, dessen Haus einer der Treffpunkte der preußischen Patrioten war." 132 Arnims Roman Oer Gräfin Dolores Armuth Reichthum Schuld und Busse. Eine wahre Geschichte, %ur lehrreichen Unterhaltung armer Fräulein aufgeschrieben — „lange ein Lieblingsplan" des Autors gewesen, den er „mit Lust ausgeführt" 133 hat, nach Brentanos Urteil „ein mit schönen Novellen und Lieder durchwehter Roman, der als Erzählung [...] ein befriedigenderes Kunstwerk, so aber ein ungemein reiches schönes Buch geworden" 134 - erscheint etwa Mitte Mai 1810 in der Realschulbuchhandlung. Erst am 25. März 1809 teilt Arnim seinem bisherigen Verleger Zimmer in Heidelberg mit, daß er bei Reimer eine Novellensammlung herausgibt. „Sie werden es mir nicht als Mangel der Freundschaft anrechnen, daß ich sie Ihnen nicht angetragen, da Sie mir bestimmt sagten, daß Sie alle Unternehmungen aufschöben oder aufgäben für das nächste Jahr, um aus dem Drange des Geschäfts sich herauszuhelfen; auch würde Ihnen der Druck hier [d. h. in Berlin] theuer und umständlich gewesen sein."135

Achim von Arnim: Achim von Arnim und die ihm nahestanden. Hrsg. von Reinhold Steig und Herman Grimm. Bd. 3: Achim von Arnim und Jacob und Wilhelm Grimm. Stuttgart: Cotta 1904. S. 40f. 1 3 1 Brentano an die Brüder Grimm in Kassel, Heidelberg, spätestens am 9. 6. 1808, in: Brentano: Werke und Briefe Bd. 32, S. 70-72, hier S. 71. 1 3 2 Achim von Arnim: „Unveröffentlichte Briefe Achim von Arnims nebst anderen Lebenszeugnissen. I (1793-1810)". [Mitgeteilt von:] Hermann F. Weiss. In: Uteraturwissenschajtliches Jahrbuch N. F. 21 (1980). S. 89-169, hier S. 143, Kommentar von Hermann F. Weiss zu Arnims Brief an Reimer vom 25. 2. 1809 (S. 142). 1 3 3 Arnim an Bettine, 26. 1. 1810, in: Achim von Arnim: Achim von Arnim und die ihm nahestanden. Bd. 2: Achim von Arnim und Bettina Brentano. Hrsg. von Reinhold Steig und Herman Grimm. Stuttgart: Cotta 1913. S. 369. 1 3 4 Brentano an Görres in Koblenz, Berlin, nach dem 15. 3. 1810, in: Brentano: Werke und Briefe Bd. 32, S. 237-248, hier S. 243. '·'•'Johann Georg Zimmer und die Romantiker. Hrsg. von Heinrich W. B. Zimmer. Frankfurt a. M.: Heyder & Zimmer 1888. S. 149, hier irrtümlich auf 1808 datiert(?); Achim von Arnim: Werke in sechs Bänden. Hrsg. von Roswitha Burwick, Jürgen Knaack [u. a.]. Frankfurt a. M.: Deutscher Klassiker Verlag 1989-94. Hier Bd. 3, S. 1086. 130

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W i e auch aus einem Brief Brentanos an Zimmer v o m 12. D e z e m b e r 1 8 0 9 hervorgeht, ist es A r n i m wichtig, daß seine Bücher in Berlin unter seiner A u f sicht gedruckt werden; 1 3 6 dies ist also eine zusätzliche Motivation für ihn, sich für Reimer als Verleger zu entscheiden. D e n n o c h erinnert A r n i m Zimmer in seinem Brief v o m 22. April 1 8 0 9 „an die alte, deutsche Bühne", deren Erscheinen A r n i m bereits 1 8 0 8 im VI. Intelligenzblatt der „Heidelbergischen Jahrbücher" angekündigt hatte. 1 3 7 A u s A r n i m s Formulierungen kann man heraushören, daß er inzwischen geneigt ist, auch dieses W e r k bei Reimer herauszubringen: „Lassen Sie Sich ja nicht dadurch binden, daß Sie es mir einmal zugesagt, wenn Sie keine Erwartung vom Absätze haben, es soll eigentlich kein Buch gedruckt werden, das sich nicht verkauft, um etwas vor dem Untergange zu bewahren sind Abschriften hinlänglich und das ist bey unsrer ältern Bühne noch gar nicht nöthig. Lasst uns den Krieg abwarten doch in dem Verhältnisse, daß wenn ich inzwischen einen Verleger finde, der Lust zu dem Unternehmen hat, mich die frühere Verabredung nicht bindet." 138 D a Zimmer mit dieser Regelung einverstanden ist, 139 k o m m t es schließlich, allerdings erst etwa im Juni 1 8 1 3 , zur Veröffentlichung der Schaubühne bei Rei^

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In demselben Brief, in dem Brentano dem Verleger Zimmer von der freundlichen Reaktion Goethes auf Arnims Wintergarten erzählt („Von Arnims Wintergarten aber sprach er mit ganz ungetheilter Achtung [... es sei] eines der am besten geschriebenen deutschen Bücher"), trägt er ihm den Verlag von Arnims „Trauerspiel" an: „Gedruckt wie der Wintergarten wird das Ganze höchstens 16 Bogen machen, Arnim giebt Ihnen die Kupferplatte gratis, und das ganze Honorar, waß er fordert beträgt Summa Summarum 12 Carolin, also 142 fl. Er gäbe es Ihnen gern ganz ohnentgeldlich, aber die Augenblickliche Lage des hiesigen Landes ist so, daß er nicht allen Erwerb von sich abweisen kann. [...] Arnim fühlt, daß es durchaus hier gedruckt werden muß, erstens seiner Aufsicht wegen, zweitens der Heidelberger Voßklique wegen, die das Ganze schon vor der Erscheinung mishandlen würde, drittens der lächerlichen Heidelberger Censur wegen, die Gott weiß waß, drinn finden könnte, wir wißen nicht, waß, aber die Wege der Dummheit sind unermeslich, es ist keine Persönlichkeit, keine Roheit drinn, bei der Schlacht zu Acre werden die Franzosen nur gerühmt und geehrt, vielleicht könnten sie etwas übles finden, daß Juden drin vorkommen und Studenten, doch laßen sie sich da durch nicht irre machen, ich dencke selbst an das unwahrscheinliche, um alle Fälle zu dencken. Reimer würde ihnen den Druck gewiß so billig und korreckt besorgen, als seinen eignen. Arnim hat es noch niemand angeboten, und zwar allein, weil ich wünschte, daß sie es druckten, indem ich drauf schwören möchte sie werden Freude und Nutzen davon haben. [...] das Ganze ist fertig, wenn sie diesen Brief erhalten, und wir bitten Sie sich gleich zu erklären, und im Falle Sie mir trauen, auch Reimer die gehörigen Aufträge zugleich zu geben, damit das Ganze rasch vor sich geht, sobald sie es annehmen, übersenden wir Ihnen die gehörigen Anzeigen" (Brentano an Johann Georg Zimmer in Heidelberg, Berlin, 12. 12. 1809, in: Brentano: Werke und Briefe Bd. 32, S. 185-192, hier S. 189 bzw. S. 191. - Halle und Jerusalem. Studentenspiel und Pilgerabentheuer erschien 1811 bei Mohr & Zimmer, 436 S. Arnim an Zimmer, Berlin, 22. 4. 1809, in: A. v. Arnim: „Unveröffentlichte Briefe / Freies Dt. Hochstift u. Bibl. Jagiellonska", S. 268-270, hier S. 269. Ebda. „Kommen bessere Zeiten und Sie haben es noch keinem übergeben, dann drucke ich es mit Lust", Zimmer an Arnim, 17. 6. 1809, in: Reinhold Steig: „Zeugnisse zur Pflege der deut-

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mer. Noch am 1. März 1812 erwartet Arnim, sowohl die Novellensammlung als auch die Schaubühne zur Ostermesse des gleichen Jahres gedruckt sehen zu können. Wenn Arnim an Zimmer schreibt: „Ich bin gewaltig in der Presse, zwey Bücher erscheinen von mir Ostern, das eine hoffe ich soll die Aufmerksamkeit auf Halle u. Jerusalem wieder lenken"140, so versucht er dem Heidelberger Verleger die Tatsache, daß er gleich für zwei Werke einen anderen Verleger vorgezogen hat, zu versüßen damit, daß zumindest das eine doch Werbung für sein bei ihm, Zimmer, erscheinendes Buch sei. Solche Rhetorik wäre vermutlich gar nicht nötig gewesen, denn es scheint so, daß die Verleger sich seine nicht sonderlich gut gehenden Werke nicht gegenseitig neideten, vielleicht sogar froh waren, daß es jeweils noch einen anderen Verleger gab, der den von ihnen persönlich geschätzten Autor durch Verlag seiner Bücher unterstützte. 1810, als ganz Berlin in Trauer um die Königin Luise ist,141 erscheint aus diesem aktuellem Anlaß - gedruckt zum Besten der Armen - Die Nachtfeier. Nach der Einholung der hohen Leiche Ihrer Majestät der Königin. Eine Kantate von Ludwig Achim von Arnim, in Musik gesetzt von Georg Abr. Schneider, König/. Preuß. Kammermusik us. Daß die Beziehung zwischen Arnim und Reimer über eine reine Geschäftsbeziehung hinausgeht, ist schon deshalb zu vermuten, weil Reimer auch Mitglied in Arnims „Christlich-Deutscher Tischgesellschaft" wird, über die Arnim selbst an die Brüder Grimm berichtet: „Ich bin damit beschäftigt, eine deutsche Freßgesellschaft zu errichten. Ihr sollt Ehrenmitglieder werden, insofern sich Dein Appetit Wilhelm noch erhöht; sie hat große Zwecke, Adam Müller ist Mitunternehmer, ich bin Gesetzgeber."142 Diese - Juden, Franzosen, Philister und Frauen ausschließende - Gesellschaft versammelt sich an jedem zweiten Dienstag, um Christentum und Vaterlandsliebe zu ,pflegen' - mit dem Ziel der Befreiung Deutschlands von der Fremdherrschaft.143 In diesen Jahren vor dem Befreiungskrieg wird Reimer auch der Verleger Kleists:144 Es erscheinen Das Käthchen von Heilbronn oder die Feuerprobe (1810), Erzählungen (1810, 1811) und Der %erbrochne Krug (1812); Reimer verlegt das von Amalie von Helvig und Friedrich de la Motte-Fouqué herausgegebene Ta-

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schen Literatur in den Heidelberger Jahrbüchern". In: Neue Heidelberger Jahrbücher 11 (1902). S. 180-284, hier S. 214. Arnim an Zimmer, Berlin, 1. 3. 1812, in: A. v. Arnim: „Unveröffentlichte Briefe / Freies Dt. Hochstift u. Bibl. Jagiellonska", S. 272f., hier S. 273. Vgl. Reinhold Steig: „Berlin in Trauer um die Königin Luise". In: Deutsche Rundschau 134 (1910). S. 265-282. Zit. nach Boeckh: „Ernst Moritz Arndt und sein Berliner Freundeskreis aus der .Gesetzlosen' und .Griechischen Gesellschaft'", S. 83. Ebda. Vgl. D. Reimer: „Reimer als Verleger von Kleists Werken", S. 51-85.

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schenbuch der Sagen und Legenden145 (1. Jahrgang 1812), Tiecks Theater (1811), den Phantasus und Don Quixote. Im November 1812 schreibt Arnim an die Brüder Grimm:

Altenglisches

„Habt Ihr den Phantasus von Tieck? Die breite Theorie als Einleitung der schönen, unschuldig erfundnen Geschichten thut sehr weh; unter den neuen Erzählungen sind wohl die Elfen das beste, die beiden andern, der Liebeszauber und der Pokal, arbeiten zu absichtlich auf einen gewissen Effekt, und man kommt darauf, die Pinselstriche zu zählen, statt das Gemälde im Ganzen anzuschauen. Habt Ihr den Sagenalmanach der Helvig, worin Fouqué wieder ein paar gerupfte Eulen aus dem altdeutschen Forst eingerückt hat?"146 Auch Reimers Freunde: Schleiermacher, Arndt und Niebuhr147 sind wichtige Autoren dieser Zeit. Reimers Gespür und Interesse für politische Veränderungen und neue gesellschaftliche Strömungen sind ein produktives Moment bei der Gestaltung seines Verlagsprogramms. Mehr noch, man kann zeigen, daß Verleger wie Reimer selbst Motoren der gesellschaftlichen Veränderungen ihrer Zeit sind. So verlegt er ζ. B. ingenieurwissenschaftliche Schriften und Anleitungen zum Ausbau der großen Flüsse und Kanäle148 - Binnenschiffahrtswege, die er später selbst gezielt nutzen wird, um die Frachtkosten u. a. von den Druckereien in Magdeburg und Leipzig niedrig zu halten. Die grundlegenden Werke der Verbreitung und Anwendung agrarwissenschaftlicher Erkenntnisse und der praktischen Erfahrung mit Anbaumethoden der zu diesem Zweck gegründeten Mustergüter erscheinen in seinem Verlag.149 Ebenso bereiten die Standardwerke und Periodika der Geographie150, der Geologie151, wie auch der Mathematik die Voraussetzungen für die kommende Industrialisierung; die medizinischen Publikationen und Fachzeitschriften aus seinem Verlag und die juristische Literatur (vorrangig römisches Zivil-Recht), einschließlich der in hohen Auflagen erscheinenden Gerichtsord-

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Es wird in einer Auflage von 2500 auf den Markt gebracht (Hauptbuch II, 504: Buchdrukker Schade). Vgl. Abbildung 2: Titelblatt des zweiten Jahrgangs 1817. A. v. Arnim: Arnim und Grimm, S. 242. Kömische Geschichte 2r Bd: vgl. Hauptbuch II, 174: Druck von „Gebrüder Wegener" im Juli 1812. Von Johann Albert Eytelwein. Vgl. D. Reimer: „'Der Druck muß mit Vollziehung des Contraktes beginnen ..."', S. 178-181. Vgl. die Werke von Albrecht Thaer, u. a. die Grundsätze der rationellen Landwirtschaft (4 Bde, 1. Aufl.: Realschulbuchhandlung 1809-12) und die Annalen des Ackerbaus (8 Jahrgänge: 1805-12). Carl Ritters Erdkunde erscheint (1822- 59) bei Reimer. Etwa Carl Johann Bernhard Karstens Archiv für Bergbau und Hüttenwesen (20 Bde, 1818-31) und das von ihm herausgegebene Archiv für Mineralogie, Geognosie, Bergbau und Hüttenkunde (ab 1829) oder sein Handbuch der Eisenhüttenkunde (5 Bde, 1841).

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G e s t o c h e n e s Titelblatt des v o n Amalie v o n Helvig u n d Friedrich de la Motte Fouquc herausgegebenen Taschenbuchs der Sagen und Legenden.

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nung 152 , weisen schon auf die Erfordernisse der modernen Massengesellschaft, die die ständischen Schranken hinter sich läßt.

Zeitungsverleger der Befreiungskriege Den schon lange erwarteten Krieg gegen Napoleon erlebten Reimer und seine Freunde als eine große Zeit. Zu Beginn des Jahres 1813 gibt es etwa von Schleiermacher, Solger und Niebuhr briefliche Äußerungen darüber, daß das Arbeiten schlecht gehe, weil die „Weltbegebenheiten" sie so sehr beschäftigten. 153 Und der Verleger schreibt rückblickend, doch noch mitten im Geschehen, daß in diesem Frühling alle seine Kräfte fast einzig nach einer Richtung hin gespannt waren „und jedes andere Bestreben besonders um Erwerb" ihm „gleichgültig ja fast lächerlich erschien." 154 Freilich hatte das Bild auch seine heitere Seite. Bettina von Arnim, deren Gatte bei einem Berliner Landsturm-Bataillon als Hauptmann eingetreten war, erzählt launig, wie mit dem Glockenschlage drei Savigny wie besessen mit einem langen Spieß über die Straße renne, Fichte mit einem eisernen Schild und langen Dolch, der Philologe Wolf mit einem Tiroler Gürtel, der mit Pistolen, Messern und Äxten gespickt ist.155 Reimer meldet sich, obgleich er schon 36 Jahre alt, Leiter eines, so Goldfriedrich, „hochbedeutenden Geschäfts" 156 und Vater von damals sechs Kindern ist, sofort als Freiwilliger für die Landwehr. Achim von Arnims Kommentar hierzu: „Reimer [...] ist Hauptmann der Berliner Landwehr, er giebt gewiß keinen sonderlich geschickten Offizier und sein Buchhandel liegt inzwischen nieder." 157 Daß die Tageszeitung, für deren Zulassung Reimer im Herbst zuvor gekämpft hatte, während seiner Abwesenheit von Berlin tatsächlich erscheinen kann, ist dem jeweiligen Herausgeber und auch Wilhelmine Reimer zu verdanken. Im Kriegsjahr 1814 kommen weniger Titel der Realschulbuchhandlung als zuvor auf den Buchmarkt, was angesichts dieser Umstände nicht überrascht. Viel bemerkenswerter und auffälliger ist der schnelle und dauerhafte Anstieg des Produktionsvolumens nach dem Ende der Befreiungskriege.

Die Allgemeine Gerichtsordnung für die Preußischen Staaten erschien 1816 zuerst 1816 in einer Auflage von 5000 Stück (Vertrag vom 8. 11. 1814). 153 Zit. bei Max von Lettow Vorbeck: Zur Geschichte des Preussischen Correspondenten von 1813 und 1814. Berlin: Ebering 1911. Hier Bd. 1, S. 12. 1 5 4 Reimer an Niebuhr, 24. 11. 1813, in: Mitteilungen aus dem hitteraturarchive in Berlin 3 (190105) S. 107-169. Hier S. 108. 1 5 5 Johannesson: „Reimer", S. 126. 1 5 6 Kapp/Goldfriedrich: Geschichte des Deutschen Buchhandels Bd. 4, S. 48. 1 5 7 Arnim an W. Grimm, 11. 2. 1814, in: A. v. Arnim: Arnim und Grimm, S. 294. 152

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Schon deshalb, weil Reimer sonst (außer einem Intermezzo mit der Staatszeitung158) keine Tageszeitungen verlegt, ragt der Preussische Correspondent der Jahre 1813/14 (mit seinem Nachfolger, dem Tagesblatt der Geschichte 1815) aus der Reimerschen Verlagsproduktion heraus. Zum ersten Mal in seiner Bedeutung gewürdigt wurde der Preussische Correspondent von Max Lehmann in dessen Scharnhorst-Biographie.159 Die Geschichte des Preussischen Correspondenten ist, als sein einhundertjähriges Jubiläum näher rückte, relativ ausführlich erforscht worden: Hermann Dreyhaus veröffentlichte eine Dissertation über den Anteil der Zeitungsgründer Niebuhr und Schleiermacher in den Forschungen %ur Brandenburgischen Geschichte (1909)160, und Max von Lettow Vorbeck publizierte seine erweiterte Dissertation Zur Geschichte des Preussischen Corre spondenten von 1813 und 1814161 im Jahr 1911, in dem aüch Paul Czygans zweibändige Geschichte der Tagesliteratur während der Freiheitskriege erschien, deren zweiter Band bis dahin unveröffentlichtes Quellenmaterial vorstellt162. Sodann wird in der kurz vor oder zu Beginn des ersten Weltkriegs erscheinenden Literatur zur Geschichte der Befreiungskriege 1813 u. 1814ul Bezug genommen auf Veröffentlichungen in der damals erscheinenden dritten Berliner Tageszeitung. Obgleich neue, kritische Untersuchungen zu dem Gegenstand fehlen, soll es hier genügen, kurz die Geschichte dieser Berliner Zeitung nachzuzeichnen, die in der Zeit vom 2. April 1813 bis zum 31. Dezember 1814, also 1 3Λ Jahr lang, unter wechselnden Herausgebern die dritte Berliner Tageszeitung neben der Vossischen und der Haude- & Spenerschen war. Als Reimer am 4. November 1812 in einem Gesuch an den Staatskanzler Hardenberg um Genehmigung der Herausgabe einer Zeitung bittet, beruft er sich auf das an ihn überkommene Privileg der Realschulbuchhandlung,164 aber

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Im Brief an Perthes, Berlin 21. l l . [ ? ] 1820 schreibt Reimer: „Den Druck der Staatszeitung habe ich aufgegeben" (Original in: Hamburg, Staatsarchiv). Max Lehmann: Scharnhorst. Bd. 2. Leipzig: Hirzel 1887. — Vgl. Paul Czygan: Zur Geschichte der Tagesliteratur während der Freiheitskriege. 2 Bde. Leipzig: Duncker & Humblot 1911. Hier Bd. 1, S. XIII. Hermann Dreyhaus: „Der Preußische Correspondent von 1813/14 und der Anteil seiner Gründer Niebuhr und Schleiermacher". In: Forschungen %ur Brandenburgischen Geschichte 22 (1909). S. 55-126. Lettow Vorbeck: Geschichte des Preuss. Correspondente η 1813/14. Czygan: Tagesliteratur mährend der Freiheitskriege. So etwa der Titel des Buches von Heinrich Ulmann. 1. Band, München: R. Oldenbourg 1914. Im Archiv WdeG (Mappe Realschulbuchhandlung) befindet sich die Abschrift des Privilegs Friedrich des Großen vom 23. Dezember 1750, durch das die Realschule befugt ist, „wöchentlich ein Stück Zeitung von deren merkwürdigsten Sachen aus dem Reiche der Natur, der Staaten und der Wissenschaften drucken und in dem Schul-Buchladen auch sonsten öffentlich [zu] distribuiren" (3. 8. 1801).

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auch auf die gerade erst zwei Jahre zuvor eingeführte allgemeine Gewerbefreiheit: „so habe ich es gewagt, statt an die Sektion für die Gewerbe, unmittelbar an Ew. Excellenz mich zu wenden. Eine Collision mit den Rechten anderer kann meinem Unternehmen nicht hinderlich seyn, seitdem die allgemeine Gewerbefreiheit in unserm Staate Gesetz geworden, und das Edict vom 2n Novbr. 1810 § VI den Grundsatz ausgesprochen hat, daß keiner Corporation und keinem Einzelnen, ein Widerspruchsrecht, welcher Grund dazu auch angeführt werden möge, gegen die Ausübung irgend eines bestimmten Gewerbes zustehen sollte. Die beiden Concessionirten, welche gegenwärtig in Berlin politische Zeitungen verlegen, haben schon um meines früheren Privilegiums willen, wenn ihre Concession auch eine ausschließliche, vererbliche und unveräußerliche Berechtigung enthielte, doch keineswegs die Befugniß diese ausschließende Berechtigung gegen mich geltend zu machen, da mein Privilegium gewiß eben so wohlbegründet ist. Könnten sie auch darüber eine Erinnerung erheben, daß ich der Herausgabe der Zeitung in Absicht der Zeit ihrer Erscheinung eine Ausdehnung geben will, die in der ursprünglichen Verleihung nicht ausgedrückt ist, so könnten sie alsdenn höchstens auf eine verhältnißmäßige Entschädigung Anspruch machen". 165 Reimer, der sich also seines Rechtes wohl bewußt ist, verspricht in vorauseilendem Gehorsam: „Die Grundsätze, welche die Redaktion der Zeitung befolgen wird, [...] richten sich treu und sorgfaltig nach dem System, worin die höchste Censur jeder Zeit thätig ist, urtheilt und handelt." 166 Noch bevor Hardenbergs Antwort erfolgt, reicht B. G. Niebuhr, der bereit ist, die Redaktion der Zeitung bzw. deren „strengste Revision" zu übernehmen, eine Eingabe (vom 29. November 1812 167 ) mit einem an Bülow gerichteten Begleitschreiben nach; 168 doch die Gesuche werden von Hardenberg (am 2. Dezember 1812) abgelehnt, „weil, besonders in der gegenwärtigen Zeit, der Vermehrung der Zahl der politischen Zeitungen hier in Berlin, erhebliche Bedenken entgegenständen." 1 6 9 Berlin, StaPK, Ministerium des Innern. (Censur-Sachen), Acta der geheimen Registratur des Staats-Kanzlers, betr.: Rep 74 J. 3.X. Nr 11, Die Herausgabe einer Zeitung von dem Erbpächter der Realschulbuchhandlung Reimer. 1812. 16 Bl., hier Bl. 7 RS. 1 6 6 Berlin, StaPK, Ministerium des Innern. (Censur-Sachen), Acta der geh. Registratur des Staats-Kanzlers, betr.: Rep 74 J. 3.X. Nr 11; zit. in: Lettow Vorbeck: Geschichte des Preuss. Correspondenteη 1813/14 Bd. 1, S. 2. 1 6 7 Darin erklärt Niebuhr u. a. die Bereitschaft der Realschulbuchhandlung, im Fall der Genehmigung, der Zensurbehörde durch die entstehende Mehrarbeit eine „jährliche Remuneration von 200 Thlr." zu entrichten. (Berlin, StaPK, Ministerium des Innern. (CensurSachen), Acta der geh. Registratur des Staats-Kanzlers, betr.: Rep 74 J. 3.X. Nr. 11; zit. in: Lettow Vorbeck: Geschichte des Preuss. Correspondenten 1813/14 Bd. 1, S. 4.) 1 6 8 Berlin, StaPK, Ministerium des Innern. (Censur-Sachen), Acta der geh. Registratur des Staats-Kanzlers, betr.: Rep 74 J. 3.X. Nr 11; zit. in: Lettow Vorbeck: Geschichte des Preuss. Correspondenten 1813/14 Bd. 1, S. 3f. ,6'·) Lettow Vorbeck: Geschichte des Preuss. Correspondenten 1813/14 Bd. 1, S. 4. 165

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Auch der nach zwei bis drei Monaten von Niebuhr und Schleiermacher gemeinsam gestellte Antrag auf Genehmigung der Zeitungsgründung stößt zunächst auf Widerspruch.170 Erst die wiederholte und eindringliche Fürsprache des Generalstabchefs Scharnhorst171 hat Erfolg.172 Darüber hinaus sind es die Zeitumstände selbst, die jetzt Hardenbergs Genehmigung zur Herausgabe der Zeitung „für die Dauer der gegenwärtigen Verhältnisse" bewirken.173 Am Sonntag, 17. März 1813, wurde der von Friedrich Wilhelm III. in Breslau erlassene Aufruf „An mein Volk" von allen Kanzeln verlesen und damit der Befreiungskrieg gegen Frankreich begonnen; vierzehn Tage später erscheint die erste Ausgabe des Preusstscben Correspondenten, der somit von Anfang an auf die Kriegsberichterstattung ausgerichtet ist.174 Von Regierungsseite wird es nun doch für nützlich gehalten, ein zusätzliches Zeitungsblatt für und mit Kriegsberichterstattung zu haben; daß diese von Anfang an beabsichtigt war, darauf deutet schon der Titel der Zeitung hin, der für ein rein lokales Blatt verwunderlich wäre. Auffallenderweise wurde in der älteren Literatur nie der Vergleich zwischen dem Preusstscben Correspondenten und einer anderen kurzlebigen Tageszeitung den Berliner Abendblättern - gezogen. Während Kleists Zeitung vom 1. Oktober 1810 bis zum 30. März 1811, also nur ein halbes Jahr lang, sechs Mal die Woche erschien, der Umfang jeweils einen Viertel Bogen betrug175 und die Textsorten von politischen Meldungen, lokalen Polizeiberichten, wissenschaftlichen, technischen und nationalökonomischen Diskussionen, zu Theaterberichterstattung, Kunstrezensionen und anspruchsvollen literarischen Texten reichten,176 gibt Reimer in seinem Gesuch an den Staatskanzler Hardenberg um Erlaubnis zur Herausgabe einer Zeitung vom 4. November 1812177 das Spektrum der Themen seiner Zeitung, die „viermal wöchentlich, zweimal mit einem ganzen, zweimal mit einem halben Bogen" erscheinen sollte, als etwas enger an. „Werth und Interesse" sollte der Zeitung verschafft werden:

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Ebda., S. 5. Scharnhorsts Schreiben an den Staatskanzler Hardenberg vom 9., 12. und 18. 3. 1813, in: Lettow Vorbeck: Geschichte des Preuss. Correspondenten 1813/14~Bd. 1,S. 7. So schreibt auch Max Lenz (Geschichte der Königlichen Friedrich-Wilhelms-Universität Berlin. 2 Bde. Halle a. d. S.: Verlag der Buchhandlung des Waisenhauses 1918. Hier Bd. 1, S. 497) zur Genehmigung der Zeitung: Es war Scharnhorst, „der endlich am 25. März nach wiederholten Anläufen dem Staatskanzler die Einwilligung entriß." Berlin, StaPK, Rep 9 F 2a Nr. 23, Acta Generalia betr. das Censur-Reglement; zit. in: Lettow Vorbeck: Geschichte des Preuss. Correspondenten 1813/14 Bd. 1, S. 7. Vgl. A. v. Arnim: Werke Bd. 6, S. 1236. Roland Reuß: „Zu dieser Ausgabe". In: Heinrich von Kleist: Sämtliche Werke. Berliner/Brandenburger Ausgabe. Abt. II, Bd. 8: Berliner Abendblätter II. Basel: Stroemfeld 1997. S. 384-392, hierS. 391. Vgl. Reuß: „Zu dieser Ausgabe", S. 384. Berlin, StaPK, Ministerium des Innern. (Censur-Sachen), Acta der geh. Registratur des Staats-Kanzlers, betr.: Rep 7 4 J . 3.X. Nr 11.

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„Erstlich in Betreff einheitlicher Vorgänge: theils durch Kundmachung bewährter Nachrichten über die vielfachen Gegenstände, welche der Politik fremd, für das Inland Interesse haben, und zur Kenntnis des Publicums gebracht, der Aufmerksamkeit eine veränderte und nützliche Richtung geben können; theils wo möglich durch Anzeigen aller wesentlichen Beförderungen, usw., Zweitens in Hinsicht der Zeitgeschichte; durch zweckmäßige und vollständige Benutzung solcher auswärtigen Zeitungen, deren Circulation im Lande erlaubt ist, und deren Nachrichten, als mit dem politischen System des Staates übereinstimmend, unbedenklich wiederholt werden können. In welcher Hinsicht namentlich die französischen Zeitungen besser benutzt werden sollen, wie es bisher geschah. durch Notizen, nach Wichtigkeit der Gegenstände, kürzer oder ausfuhrlicher über die neu erlassenen Gesetze fremder Staaten, aus ihren offiziellen Bekanntmachungen mit Sorgfalt und Treue abgefaßt, ohne einige Anmerkungen. Als Nebenartikel werden beabsichtigt: Notizen über den Stand der Wechsel und Effektencourse auf den Handelsplätzen; vielleicht auch einige Handelsberichte. Einzelne literarische Artikel. Auszüge aus Reisebeschreibungen über die außereuropäischen Welttheile vorzüglich nach der in Genf erscheinenden bibliothèque britannique. Nachrichten von merkwürdigen inländischen Criminalprozessen, wenn die Erlaubnis hierzu zu erlangen wäre. Theaterartikel, Räthsel und dgl. würden ausgeschlossen bleiben." 178 Bereits in den Antrag, den Reimer zur Konzessionierung stellt, gehen gan2 offensichtlich die bitteren Erfahrungen mit ein, die Kleist anderthalb Jahre zuvor schließlich zur Aufgabe seiner Abendblätter gezwungen haben. Kleist hatte dem Publikum das Blatt vor allem durch die Polizeiberichte interessant gemacht. Als diese nicht mehr zugänglich waren, starb das ganze Projekt. Vor dem Hintergrund dieser Erfahrung formuliert Reimer in Bezug auf Nachrichten über Straftaten und Prozesse sehr vorsichtig. Möglicherweise als Ergebnis der Kleistschen Kontroverse mit Iffland, die dazu führte, daß Theaterkritiken nicht mehr zugelassen wurden, hat Reimer diese von vorneherein ausgeschlossen. Der Titel Preussischer Correspondent legt von Anfang an den intendierten Charakter der Zeitung als Organ der Kriegsberichtserstattung nahe; v o m Korrespondenten erwartet man Nachrichten von auswärts; freilich wären dem Kaufmann auch Handelsberichte, d. h. ein aktueller Wirtschaftsteil willkommen. Anekdoten und Literatur spielen im Preussischen Correspondeten zunächst nur eine sehr geringe Rolle; erst unter der Herausgeberschaft von Achim von Arnim erhalten sie größeres Gewicht; anschließend wird hierfür die Rubrik „Miszellen" eingeführt. In Nr. 40 der Spenerscben Zeitung erscheint eine Anzeige der Realschulbuchhandlung, in der die Zeitung ausdrücklich als „neue politische Zeitung" angekündigt wird, die „von einem hohen Königlichen Militär-Gouvernement durch Mittheilungen officieller Nachrichten begünstigt" erscheinen werde. Montags, 178

Ebda.; zit. in: Dreyhaus: „Der Preuß. Correspondent 1813/14 u. der Anteil seiner Gründer", S. 66f.

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Mittwochs, Freitags und Sonnabends sollte - und zwar wie bei Kleists Zeitung jeweils am Abend - „jedes Mal ein halber Bogen, mit möglichster Ersparung des Raums gedruckt, ausgegeben" werden. Statt wie im Antrag von wöchentlich zweimal halbem und zweimal ganzem Bogen Umfang ist hier vorsichtiger die Rede davon, daß Beilagen geliefert werden sollen, „oder anstatt eines halben Bogens ein ganzer" geliefert werden soll, „wenn der Stoff reichhaltig ist". „Anzeigen, die bloß den, der ihre Einrückung verlangt, interessiren", kosteten 1 Groschen pro Zeile.179 Der Pränumerationspreis der Zeitung von zunächst vierteljährlich 16 Groschen Courant wird zu Ende des Osterquartals 1813 auf 22 Groschen erhöht und vom 1. Juli 1813 an auf 1 Taler 2 Groschen Courant festgesetzt. Während bis zu diesem Datum neben der Realschulbuchhandlung auch schon alle Postämter Pränumeranten annahmen, kommen nun noch fünf weitere Adressen hinzu, wo die Zeitung „zur Bequemlichkeit für die näher wohnenden" in Empfang genommen werden kann, darunter die Vossische Buchhandlung in der Breitestraße 9 und Papierhändler Nitsche in der Spandauerstraße 27, so daß die Ausgabestellen über die ganze Stadt verteilt sind.180 Niebuhr, der die Zeitung als „historisches Nationalblatt"181 verstanden wissen wollte, war vom 2. April 1813 an zunächst nur dreieinhalb Wochen Herausgeber, so kurz, da er am 26. April vom König nach Dresden berufen wurde.182 In der Zeit seiner ersten Redaktion stammten fast alle großen Artikel von ihm selbst.183 Gleich in Nr. I heißt es am 2. April 1813: „Die Freyheit der Rede und der Schrift ist uns wiedergegeben, wie die des Handelns." Doch die Geschichte des Preussischen Correspondenten zeigt, daß dies nur sehr bedingt der Fall war. Niebuhrs Nachfolger wurde zunächst, für zwei Monate, bis Ende Juni, der Juraprofessor Johann Friedrich Ludwig Goeschen (1778-1837), teils unter Mitwirkung von Friedrich Rühs;184 wobei Niebuhr ungeschickterweise der neuen Redaktion eigene Beiträge verbot, da er während seiner Abwesenheit, die nur kurz sein sollte, „etwas Magerkeit" weniger fürchtete als einen „veränderten Ton". Was allerdings fast zum Ende des Blattes führte. Ernst Moritz Arndt und Gneisenau etwa unterstützen den Preussischen Correspondenten mit Beiträgen; wobei Niebuhr durch Haxthausen die Nachricht erreichte, sowohl Gneisenau als auch Scharnhorst würden künftig, wenn bei dem Abdruck des jetzt eingesandten Artikels „die mindeste Schwächung durch die Censur einträte", künftig alle Beiträge dem Konkurrenz-Blatt Kotzebues zuwei171-) 180 181 182

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Lettow Vorbeck: Geschichte des Preuss. Correspondenten 1813/14 Bd. 1, S. 16. Ebda., S. 17. Ebda., S. 18. Er sollte dort die Unterhandlungen mit den englischen Abgeordneten wegen der verheißenen Subsidien führen (Lettow Vorbeck: Geschichte des Preuss. Correspondenten 1813/14 Bd. 1, S. 63f.). Lettow Vorbeck: Geschichte des Preuss. Correspondenten 1813/14 Bd. 1,S. 38. Ebda., S. 110.

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sen, dem Russisch-deutschen Volksblatt, das gleichzeitig mit dem Preussischen Correspondenten gegründet wurde und „die neuesten Nachrichten aus den Hauptquartieren, sowie eine Beleuchtung der Tagesbegebenheiten überhaupt und eine fordaufende Widerlegung vom Feinde verbreiteter falscher Ansichten" bringen wollte185 — also auf den ersten Blick ein ähnliches Programm wie die Reimersche Zeitung hatte, sich aber eher an das große „platte Publikum" wandte.186 Niebuhr dagegen wollte die offiziellen Nachrichten in Extrablättern abdrucken lassen, „um die regelmäßige Folge der Blätter zu einem vollständigen Archiv der Berichte über unseren Nationalkrieg zu machen."187 Beeinflussung des Publikums ist auch beabsichtigt, doch im Vordergrund steht das Interesse des Historikers, der sich der Umbruchzeit, die er miterlebt, bewußt ist. Schon das schmucklose Außere der Zeitung188 deutet daraufhin, daß nichts von dem ernsten Inhalt ablenken sollte. Eine Wein-Anzeige189 im Preussischen Correspondenten stammt offensichtlich von Reimer selbst.190 Weshalb man sich fragen könnte, ob der Verleger auf die Idee kam, auch mit Wein zu handeln, weil es in dieser Zeit des Krieges mit Büchern schlecht ging.191 Schon die Ostermesse 1813 fiel kläglich aus: Von einer Messe konnte zu Jubilate 1813 kaum die Rede sein. Die Reise war für die meisten unmöglich, und deshalb kam auch fast keiner von denen, die dazu im Stande gewesen wären. Von den im Meßkatalog verzeichneten Schriften waren die meisten nicht fertig, und was fertig war, wurde von den Verlegern aus Besorgnis vor dem Nach-

185

Vossische Zeitung, Nr. 41, 6. 4. 1813; Lettow Vorbeck: Geschichte

des Preuss. Correspondente

η

1813/14m. 1,S. 60. 186

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Niebuhr an Arndt, 15. 4. 1813, Nothgedr. Ber. II, S. 160, zit. in: Lettow Vorbeck: Geschichte des Preuss. Correspondenten 1813/14 Bd. 1, S. 61. Nr. 12 des. Preuss. Correspondenten-, Lettow Vorbeck: Geschichte des Preuss. Correspondenten 1813/14 Bd. 1,S. 70f. An Lettow Vorbecks Beschreibung des Layouts ist leicht zu ersehen, daß es sich um keine moderne Publikumszeitung handelte: „In dem Quartformat der Zeitungen jener Tage, an der Spitze, quer über die ganze erste Seite, in großem, fettem Druck seinen Namen tragend, darunter, durch einen Strich getrennt, Nummer, Tag und Datum, und hierunter wieder das „Jm Verlage der Realschulbuchhandlung" anzeigend, brachte das Blatt auf rauhem, grobem Papier rechts und links von dem dicken schwarzen Striche, welcher jede Seite in der Mitte teilt, alle seine oft so vielfaltigen Mitteilungen, lange und kurze, prosaische und poetische, in dem Durcheinander des Zufalls, höchst selten einzelne mit einer Ueberschrift versehen, meist nur durch Striche von einander getrennt" (Lettow Vorbeck: Geschichte des Preuss. Correspondenten 1813/14 Bd. 1, S. 23). Lettow Vorbeck: Geschichte des Preuss. Correspondenten 1813/14 Bd. 1, S. 106f. Minna an Reimer, 18. 8. 1813: Die Einnahmen für den „verkauften Wein" (so 45 Taler im Juni und 22 Taler im Juli 1813) zieht Reimer von seinen Ausgaben im Privaten Ausgabenbuch ab. „ vernünftige Hauswirthe ζ. B. Herr Buchhändler Reimer laßen sich dennoch mit Vortheil, sogar ihre französische Weine, deren Einfuhr zur See durch die Engländer sehr gestört wird, von F[rank]f[ur]t kommen", schrieb Brentano an Kunigunde von Savigny in Landshut, Berlin, nach dem 18. 3. 1810, in: Brentano: Werke und Briefe Bd. 32, S. 249-260, hier S. 251.

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druck, der jetzt bei der großen Erschwerung des Verkehrs aus und nach Norddeutschland doppelt gefährlich war, auf Lager gehalten.192 Reimer berichtet, die Haupteinnahme sei bis auf eine durch Zahlungsvorschuß erhaltene Summe völlig verloren gegangen. 193 Er selbst rückte Mitte Mai mit der Landwehr aus und kam zunächst als Leutnant zur zweiten Kompagnie des Bataillons von Grolmann. Der Verlag leidet in Reimers Abwesenheit; den Preussischen Correspondenten sieht der Verleger aus der Ferne schon an Schwindsucht sterben. 194 Am 1. Juni 1813 teilt er Niebuhr mit, daß „das gänzliche Einschlafen der Zeitung mit dem Ablauf des Quartals unvermeidlich" wäre, wenn es so weiter ginge wie bisher; „es bleibt daher kein anderer Ausweg übrig, als das Ganze aufzugeben, oder wenn Du dich der Leitung nicht selbst ernster unterziehen kannst, sie jemand zu übertragen, der mit angemessener Vollmacht sich ihi unterzieht." 195 Aus Freundschaft zu Reimer übernimmt Schleiermacher die Redaktion für das Quartal vom 1. Juli bis 30. September 1813. 196 Als Herausgeber und Autor hat er sofort heftigen Streit mit der strengen und kleinlichen Zensurbehörde. Mehr noch: der damals für die Zensur zuständige Geheime Legationsrat von Schultz wird wegen eines Artikels über „Gerüchte von einem in Prag zu haltenden Friedenskongreß" 197 , den er hatte durchgehen lassen, sofort seines Amtes enthoben; 198 Schleiermacher wird bei Schuckmann vorgeladen und erhält eine Verwarnung. 199 A m 2. August 1813 berichtet Le Coq an Hardenberg, „daß die Redaktion des Preußischen Correspondenten, der gegebenen geschärften Erinnerungen ungeachtet, wie es scheint, absichtlich damit fortfahrt, ihre widerspenstigen Tendenzen versuchsweise durch Vorlegung von Artikeln zu verfolgen, die nicht bloß durch eine ungemäßigte Schreibart und durch Leidenschaftlichkeit sich auszeichnen, wie sie unter dem Verhältniß des Waffenstillstandes am wenigsten als zweckmäßig zu billigen ist, sondern auch oft unverkennbar die Ansichten und Anordnungen der Regierungen angreifen".200

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Kapp/Goldfriedrich: Geschichte des Deutschen Buchhandels Bd. 4, S. 49f. Reimer an Niebuhr, 1. 6. 1813, in: Berthold] G[eorg] Niebuhr: „Zum 27. August 1976. Briefe von B. G. Niebuhr und G. A. Reimer". [Mitgeteilt von:] H[einrich] v. T[reitschke]. In: Preußische Jahrbücher 38 (1876). S. 172-201, hier S. 177. So auch wieder im Brief an Rühs, 11. 8. 1813; H. Reimer: Reimer. Erinnerungen aus seinem Leben, S. 13. Reimer an Niebuhr, 1. 6. 1813, in: Niebuhr: „Zum 27. August 1976. Briefe", S. 176. Lettow Vorbeck: Geschichte des Preuss. Correspondenten 1813/14 Bd. 1, S. 113f; S. 136f (mit Zitaten aus Briefen). Vgl. auch Lenz: Geschichte der Universität Berlin Bd. 1, S. 515. Preuss. Correspondent Nr. 60, 14. 7. 1813; Lettow Vorbeck: Geschichte des Preuss. Correspondenten 1813/14 Bd. 1, S. 148f. Lettow Vorbeck: Geschichte des Preuss. Correspondenten 1813/14 Bd. 1, S. 151f. Ebda., S. 152. Berlin, StaPK, Rep 74 J. X, 1 betr. Gesuche um das Imprimatur, Bl. 51; zit. in: Lettow Vorbeck: Geschichte des Preuss. Correspondenten 1813/14 Bd. 1, S. 251f.

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Mit Datum vom 25. September 1813 erhält Schleiermacher einen zurechtweisenden Bescheid Le Coqs, gegen dessen „gehässige" und „ehrenrührige Beschuldigung" er sich aber (am 1. Oktober 1813) verwahrt. Er bedauert, dem Zensor „oder vielmehr seinem Stellvertreter" Anlaß zu vielen Streichungen gegeben zu haben - „nicht Berichtigungen", denn die seien „nicht die Sache des Censors". Im Übrigen seien seine Korrespondenten „nicht bezahlte Personen, sondern stellten sich ihm aus Gefälligkeit zur Verfügung: da müsse er Rücksichten auf sie nehmen und könne ihnen doch nicht gut sagen, er habe manches weggelassen, weil es der Zensor voraussichtlich doch streichen werde."201 In solchen Fällen werde er auch künftig nicht anders handeln können. Schließlich bittet er den Zensor, ihm die Gesetzesstelle nachzuweisen, kraft deren die Zensurbehörde das Recht habe, „Verweise zu ertheilen und Drohungen zu erlassen", denn „diesen Ton" habe er „nicht ohne Befremden in Ew. Hochwohlgeboren geehrter Zuschrift gefunden". 202 Es überrascht nicht, daß daraufhin Le Coq in einer Eingabe an Hardenberg den „Geist der Anmaßung und Renitenz" in Schleiermachers Antwortschreiben beklagt, der „einer nachdrücklichen Zurückweisung in die Schranken der Ordnung und des Gehorsams" bedürfe.203 Mit Datum vom 22. Oktober erhält Schleiermacher denn auch eine „Zurechtweisung" Hardenbergs mit der Aufforderung „sich künftig bescheidener gegen Königliche Behörden zu betragen und zu äußern". „Seine Königliche Majestät erwarten von der gebildeten Klasse der Nation, daß sie das Beispiel einer willigen Fügung in die gesetzlichen Vorschriften gebe. Sie haben hierzu als Volkslehrer eine doppelte Verpflichtung, und sind doppelt straffällig, wenn sie denselben entgegenhandeln." 2 0 4

Der erste Sieg der Koalition Osterreich — Preußen - Rußland im antinapoleonischen Befreiungskrieg fand unter dem preußischen Kommando Friedrich Wilhelm Bülows (1755-1816) am 23. August 1813 in Großbeeren statt,205 wo Reimer als Hauptmann im 4. kurmärkischen Landwehrbataillon mit im Feld stand. Die Veröffentlichung des Berichtes, den Bülow über die Schlacht von Großbeeren schrieb, verhinderte die Zensurbehörde, da Bernadotte, der Kronprinz von 201

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Lettow Vorbeck: Geschichte des Preuss. Correspondenten 1813/14 Bd. 1, S. 252f. - Berlin, StaPK, Rep 74 J. X, 9. betr. die Beschwerden über verschiedene Artikel, Bl. 151 ff. Abgedruckt in: Schleiermacher: Aus Schleiermachet's heben Bd. 4, S. 420ff. Lettow Vorbeck: Geschichte des Preuss. Correspondenten 1813/14 Bd. 1, S. 253. - Berlin, StaPK, Rep 74 J. X, 9. betr. die Beschwerden über verschiedene Artikel, Bl. 151 ff. Abgedruckt in Schleiermacher: Aus Schleiermacher's lieben Bd. 4, S. 420ff. Lettow Vorbeck: Geschichte des Preuss. Correspondenten 1813/14 Bd. 1, S. 253f. - Berlin, StaPK, Rep 74 J. X, 9. betr. die Beschwerden über verschiedene Artikel, Bl. 141. Lettow Vorbeck: Geschichte des Preuss. Correspondenten 1813/14 Bd. 1, S. 254f. - Berlin, StaPK, Rep 74 J. X, 9. betr. die Beschwerden über verschiedene Artikel, Bl. 157. Hierzu jüngst: Frank Bauer: Großbeeren 1813. Die Verteidigung der preußischen Hauptstadt. 2. Aufl. Berg am Starnberger See: Kurt Vowinckel 1998, speziell: „Die Schlacht in der ,Sonne von Beeren'" S. 60-77.

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Schweden, die Berichterstattung über diese Schlacht seiner Nordarmee selbst in der Hand haben wollte; bzw. ihm daran gelegen war, daß die öffentliche Meinung den Kriegserfolg ihm und nicht Bülow zuschrieb.206 Drei Tage nach Großbeeren siegten die Preußen unter Fürst Blücher (1742-1819) an der Katzbach, während die Hauptarmee unter dem Österreicher Schwarzenberg (am 26. August 1813) von Napoleon geschlagen wurde. Bereits am 28. April 1813 wurde im Preussischen Correspondenten eine Schrift August Wilhelm Schlegels angekündigt, von der „in wenigen Tagen Exemplare in der Realschulbuchhandlung für 8 ggr. zu haben seyn" werden: „sur le système Continental et sur ses rapports avec la suède [...] so wie die deutsche Uebersetzung um denselben Preis."207 Die Schrift wurde in einer Auflage von je 1.500 Stück (deutsch und französisch) gedruckt208 und erregte einiges Aufsehen. So wurden daraufhin mehrere Gegenschriften verfaßt, von denen Rühs zwei im Preussischen Correspondenten besprach.209 Als Schleiermacher die Herausgeberschaft der Zeitung übernommen hatte, bat er den Freund früherer Tage um Beiträge für das Blatt; A. W. Schlegel ging darauf ein. Seine Schrift Betrachtungen über die Politik der dänischen Regierung von einem Deutschen wünschte er ohne Nennung des Verfassers und des Druckortes angezeigt; worauf am 16. Juli 1813 (in Nr. 61) eine Besprechung erschien, die wohl von Schleiermacher selbst stammte.210 Sie hatte zur Folge, daß Schlegels Schrift in der Realschulbuchhandlung vorübergehend beschlagnahmt wurde.211 Schlegel hatte für diese Schrift kein Honorar verlangt, sondern nur um 30 bis 40 Freiexemplare gebeten;212 die allerdings im Hauptbuch (II, 212) nicht vermerkt sind. Auch für die andere Schrift ist kein Honorar eingetragen. Der aus Stralsund stammende und mit Reimer befreundete213 Buchhändler A. Wewetzer (Wewezer)214 vertrat ihn in Geschäften.215 Auf seiner Hauptbuch206

Julius v. Pflugk-Harttung: „Bülows Bericht über die Schlacht bei Groß-Beeren und die preußische Zensur". In: Forschungen %ur Brandenburgischen und Preußischen Geschichte 23 (1910) 1. Hälfte. S. 155-179.

207

Preuss. Correspondent Nr. 16, Mittwoch, 28. 4. 1813, Bl. 40r. Die deutsche Fassung von Buchdrucker Unger, Hauptbuch II, 203; die französische Ausgabe von Buchdrucker Schade, Hauptbuch II, 504. Lettow Vorbeck: Geschichte des Preuss. Correspondenten 1813/14 Bd. 1, S. 161. Ebda, S. 159. Ebda, S. 160. Minna an Reimer, 20. 7. 1813, in: Berlin, StaPK, Rep 92, Nachlaß G. A. Reimer; Hinweis in: Lettow Vorbeck: Geschichte des Preuss. Correspondenten 1813/14 Bd. 1, S. 160. Daß die beiden befreundet waren, geht schon aus den beiden im Briefarchiv überlieferten Briefen Wewetzers an Reimer hervor, in denen er um Geld bittet. Ob er es auch bekommen hat, konnte nicht festgestellt werden, da das Wewetzer-Hauptbuchkonto erst ab 1813 geführt wird. Davor liegende Geschäftsvorgänge müßten also privat abgewickelt worden sein. Umgekehrt gehört Wewetzer zu den Personen, bei denen Reimer zu Beginn seiner Laufbahn Schulden machte, um die Realschulbuchhandlung in Erbpacht übernehmen zu können. Laut „Auszug aus dem Hauptbuche hiesiger & auswärtiger Particuliers bis ultimo

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209 210 211 212

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kontoseite (II, 589) ist f ü r Mai 1 8 1 3 bis A p r i l 1 8 1 4 ein „Salair" v o n 3 6 0 Talern eingetragen. Vereinbart w a r außerdem, daß er mietfrei w o h n e n könne, w a s er offensichtlich nicht in A n s p r u c h nahm, weshalb er statt dessen eine ( A u f w a n d s - ) „Entschädigung für Mietfrey W o h n e n " v o n 1 0 0 Talern erhielt. Für das J a h r darauf notiert Reimer den Betrag v o n 4 6 0 Talern „inclus, der Entschädigung". 2 1 6 A m 14. Juli 1 8 1 3 schreibt Reimer v o m Marschquartier S c h ö n e r m a r k (bei P r e n z lau) aus an W e w e t z e r : „Geht der Correspondent nicht stärker ab, so laß nur 1250 Exp. drucken; Quien wird wol in dem Verhältniß auch den Preis vermindern. Quien kann die 5 Rß Zahlung wöchentlich erhalten, aber nicht anders, als in Abschlag auf die Terminalzahlungen für den Corresp. denn ich bin überzeugt ihm auf eigene Rechnung nichts schuldig zu seyn." 217 A l s D r u c k e r der Zeitung wird also ( v o m 1. Juli 1 8 1 3 an) Louis Quien, Lindenstraße,

später

Gensd'armes-Platz,

Mohrenstraße

30, angegeben, 2 1 8

doch

merkwürdigerweise k o n n t e in Quiens H a u p t b u c h k o n t o bei Reimer kein D r u k -

Decbr. 1801" hatte Wewetzer zu diesem Zeitpunkt ein „Haben"-Konto von 461.8 Talern bei Reimer. 2 1 4 Wewetzer war 1802 Mitinhaber der Vossischen Buchhandlung (Vgl. Hermann Bachmann: „Geschichte der Vossischen Zeitung". In: Beiträge %ur Kulturgeschichte von Berlin. Festschrift d. Korporation der Berliner Buchhändler. Berlin: Verlag der Korp. der Beriner Buchhändler 1898. S. 200-219, hier S. 213). 21 5 Das fand schon Lettow Vorbeck (Geschichte des Preuss. Correspondenten 1813/14 Bd. 1, S.108) heraus, obgleich die ihm zur Verfügung stehenden Angaben in der Korrespondenz (Arnim an Reimer 18. 11. 1813, in: Achim von Arnim: Achim von Arnim und die ihm nahestanden. Bd. 1: Achim von Arnim und Clemens Brentano. Hrsg. von Reinhold Steig und Herman Grimm. Stuttgart: Cotta 1894. S. 324ff., und Minna an Reimer, 15. 2. 1814, in: Berlin, StaPK, Rep 92, Nachlaß G. A. Reimer) lediglich Auskunft darüber geben, daß Wewetzer zu sparsam und ängstlich agierte und seiner Aufgabe nicht wirklich gerecht werden konnte. 210

217

218

Bei der Saldierung des Kontos nach Wewetzers Tod scheint Reimer entweder seine eigene Schrift falsch entziffert (460 irrtümlich als 60 gelesen) zu haben, oder er hat Wewetzer das Honorar von monatlich 30 Talern nur bis zu seiner Rückkehr im Juni 1814 zugestanden. Woraus ihm, durch die auch noch 1816 geleisteten Zahlungen an Wewetzer, ein Verlust von 860 Talem entstanden wäre. (Andernfalls hätte er 460 Taler abzuschreiben gehabt - exakt den Betrag, der Wewetzer zugestanden hätte, wenn er bis noch April 1816 für Reimer gearbeitet hätte.) Im selben Brief gibt Reimer noch mehrere Anweisungen, wem was zu zahlen bzw. nicht zu zahlen sei: „Die Anweisung an Tieck betrug meiner Meinung nach nur 108 Rß. Dagegen waren Unger 150 Rß bestimmt und ich bitte die 50 Rß noch zu zahlen. Die Realschule soll durchaus nichts erhalten, bevor nicht Nachrichten von Leipzig über den Ausfall der Messe da sind, und ich bitte dich deshalb, streng meiner gegebenen Vorschrift zu folgen." Reimer hat also trotz seiner Abwesenheit genau gewußt, was im Verlag zu tun und zu lassen sei. In der Korrespondenz und der Nr. 151 der Zeitung. Lettow Vorbeck: Geschichte Correspondenten 1813/14 Bd. 1, S. 17.

des Preuss.

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kerlohn ausfindig gemacht werden.219 Im Konto von Buchdrucker Schade wird im Januar 1814 Honorar für „6 Rieß Anzeigen vom Correspondenten" notiert.220 Im Konto von Buchdrucker Hayn wird ein Betrag für ein „Circular ν. 30/11 [1814] wegen d. Correspondenten nebst e[ine]r Anzeige v. Verlagsart[ikeln] 500 Aufl. '/a Bog[n]" notiert.221 „Mein Geschäft hat unerhört gelitten und nun endlich die über alles elende Messe. Das drückt hart auf mich, da es jederzeit mein ernstliches Bestreben gewesen ist, meine Verbindlichkeiten streng zu erfüllen. Mit Gottes Hülfe werde ich aber auch hier durchkommen und jedem gerecht werden." 222

Im September 1813 erhält Reimer die Nachricht vom Tod eines seiner Söhne, „die schrecklichste Botschaft", die er „zeidebens erfahren."223 In seinem großen Schmerz über den Verlust „eures lieben theuren Bruders unseres geliebten Heinrich", der knapp drei Jahre alt war, schreibt Reimer mit der Anrede „An meine Kinder" einen anrührenden Brief, der eine tief religiöse Uberzeugung erkennen läßt und die Absicht hat, den Kindern sein eigenes Glaubensbekenntnis nahe zu bringen.224 Draußen geht das Leben weiter. Wenn Reimers Frau Ende September schreibt, daß es seit einiger Zeit mit dem Verkauf der Zeitung „wieder etwas besser gegangen sei",225 so hat Lettow Vorbeck vermutlich recht: „Mit Ablauf des Waffenstillstandes scheint sich der Betrieb wieder gehoben zu haben."226 Enttäuscht über die illiberale Haltung der Regierung legte Schleiermacher die Redaktionsarbeit am 30. September 1813 nieder; ja, er war zeitweise so verbittert, daß er ernsthaft erwog, Berlin zu verlassen;227 für die Zeitung schrieb er nur noch einen Nachruf auf den Grafen Ludwig zu Dohna, der in der Realschulbuchhandlung auch als kleiner Sonderdruck erschien.228 Aus anderen Zeitungen: der Vossischen und der Spenerschen, der Königsberger Zeitung, dem Hamburger Correspondenten, den Hamburger blättern, dem Altonaer 219

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Die entsprechenden Hauptbuchseiten Quiens (II, 19 bis 21) enthalten nur einen Vermerk, der den Preuss. Correspondenten betrifft: „1813 Decbr. Vom Correspondenten Papier Ά Ballen", aber keinen Preis dahinter und keine Druckkostenangabe. Hauptbuch II, 504. Buchdrucker Hayn, Hauptbuch II, 726. Reimer an Rühs, 11. 8. 1813, in: Berlin, StaPK, Rep 92, Nachlaß G. A. Reimer, I, Bl. 37. Reimer an Minna, 17. 9. 1813, in: Berlin, StaPK, Rep 92, Nachlaß G. A. Reimer, I, ΒΠ. 48ff. Reimer an seine Kinder, [Sept. 1813], in: Berlin, StaPK, Rep 92, Nachlaß G. A. Reimer, I, Bl. 52f. An Reimer, 24. 9. 1813, in: Berlin, StaPK, Rep 92, Nachlaß G. A. Reimer; zit. in: Lettow Vorbeck: Geschichte des Preuss. Correspondenten 1813/14 Bd. 1, S. 234. Lettow Vorbeck: Geschichte des Preuss. Correspondenten 1813/14 Bd. 1, S. 234. Vgl. Α. V. Arnim: Werke Bd. 6, S. 1236. „Zum Andenken des Grafen Ludwig Moritz Achatius zu Dohna. Aus dem Preußischen Correspondenten. Berlin 1814 in der Realschulbuchhandlung", in: Lettow Vorbeck: Geschichte des Preuss. Correspondenten 1813/14 Bd. 1, S. 257.

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Mercur, dem Deutschen und dem Oesterreichischen Beobachter, der Wiener Zeitung, aber auch der Petershurger Zeitung, der Times und dem Moniteur finden sich viele Übernahmen. Und manchmal heißt es: „aus officieller Mittheilung". Unter der Redaktion von Schleiermacher spielte die Benutzung englischer Blätter eine größere Rolle, deren (übersetzte) Beiträge u. a. Friedrich Rühs schickte.229 Es überwiegen die Kriegsberichte, doch unter Schleiermacher gibt es mehr eigene Berichte als unter Goeschen, auch größere Themenvielfalt, ζ. B. auch Berichte über das Schulwesen. Als Schleiermacher sein Amt niedergelegt hat, übernimmt Achim von Arnim, der sowohl mit Reimer, als auch mit Niebuhr und Schleiermacher sehr gut bekannt ist, für vier Monate, vom 1. Oktober 1813 bis zum 31. Januar 1814, für monatlich 30 Taler Honorar 230 die Redaktion. 231 Am 6. November 1813 schreibt er an Wilhelm Grimm: „Gegenwärtig bin ich Herausgeber des Preußischen Correspondenten, Realschulbuchhandlung, und bitte Dich recht dringend für ihn um Neuigkeiten, Kriegsanekdoten ec.;" 232 Arnim verwertet, was Wilhelm Grimm ihm schickt, ohne die Quelle zu nennen, als „Nachträge zu den Berichten aus Cassel". 233 In seiner viermonatigen Zeit als Herausgeber hat Arnim 70 Nummern, teilweise mit Extrablättern, herausgegeben. Darin sind mindestens 36 von ihm verfaßte Artikel und 18 Buchbesprechungen enthalten. In Arnims Redaktionszeit fiel als herausragendes Ereignis die Völkerschlacht bei Leipzig vom 16. bis 18. 10., die Frankreichs Niederlage besiegelte. Um dieser „Deutschen Schlacht", wie er sie zunächst nannte, in ihrer historischen Tragweite gerecht zu werden, versuchte Arnim recht viele Informationsquellen zu nutzen, um authentische Berichte zu liefern.234 Die Kriegsentscheidung in der Dreivölkerschlacht war durch Blüchers Sieg am 3. Oktober bei Wartenburg vorbereitet worden. Als die Siegesnachricht in Berlin am 21. Oktober verlesen wurde, heißt es im Preussischen Correspondenten Nr. 117: „Der Jubel des Volks in den dicht gedrängten Straßen übertraf jede Beschreibung; ein solcher Augenblick entschädigt für viele sorgenvolle Jahre". 235 Der Absatz des Preussischen Correspondenten kann ausnahmsweise — im Fall eines Extrablattes vom 7. Dezember 1813, das Niebuhr „angeordnet" hatte - auf

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Lettow Vorbeck: Geschichte des Preuss. Correspondenten 1813/14 Bd. 1, S. 234f. Arnim an Brentano, Mitte November 1813, in: A. v. Arnim: Arnim und Clemens Brentano, S. 326; Lettow Vorbeck: Geschichte des Preuss. Correspondenten 1813/14 Kap. 4/Diss., S. 3. Auf den Arnimschen Hauptbuchseiten (II, 116 u. 117) ist allerdings kein Gehalt für Herausgeberschaft der Zeitung verzeichnet. Vgl. A. v. Arnim: Arnim und Grimm, S. 274. Vgl. Lenz: Geschichte der Universität Berlin Bd. 1, S. 520. A. v. Arnim: Arnim und Grimm, S. 275. Ebda., S. 287. A. v. Arnim: Werke Bd. 6, S. 1237. Lettow Vorbeck: Geschichte des Preuss. Correspondenten 1813/14 Kap. 4/Diss., S. 15.

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2.700 Exemplare gesteigert werden.236 Am 22. Januar 1814 schreibt Frau Reimer ihrem Mann: „Seitdem die neuen Anzeigen von der Zeitung bekannt geworden sind, haben sich doch schon mehr Pränumeranten gemeldet (ungefähr 800 im Quartal). Mit dem Einzelverkauf geht es auch immer an. Die Jungen kaufen alle Abend 60-80 Blätter."237 Insgesamt wurden einzeln täglich rund 250 Stück verkauft.238 Noch während Arnims Redaktions zeit erklärt sich auch Niebuhr wieder bereit, dem Correspondenten Aufsätze zu liefern,239 er sorgt etwa dafür, daß „Nachträge aus englischen Blättern"240 veröffentlicht werden. Die Zusammenarbeit mit Niebuhr ist für Arnim schwierig, denn beide sind zu unterschiedlich in ihrem Temperament und in ihren Zielen, „ein jeder voll Hochachtung für den anderen, aber immer von Neuem abgestoßen und innerlich erkältet."241 Dazu kommt, wie für Schleiermacher, auch für Arnim ständig Arger mit der Zensur, denn auch der Nachfolger Le Coqs, der Polizeirat Naudé, verträgt keine Satire.242 In einem Brief vom 18. 11. 1 8 1 3 an seinen Verleger Reimer beschwert Arnim sich bitterlich darüber, daß die Zensurbehörde seine Artikel „so zerstrichen, daß am Ende eine Lüge übrigbleibt" [...]. Und seinen Freund Clemens Brentano, den er um Neuigkeiten aus Wien anging, bat er Anfang November 1813: „Nur keine satyrischen Sarkasmen, denn Satyre kann mein Censor, der Polizeirat Naude, gar nicht vertragen". 243

Kurz, auch Arnim ist am Ende froh, die Verantwortung der Herausgeberschaft des Preusstschen Correspondenten wieder los zu sein, obwohl er die 30 Taler monatlich sehr gebrauchen konnte,244 und schließlich auch das Gefühl hatte, daß ,seine' Zeitung „nicht ohne Nutzen gewesen" sei.245 Arnims Nachfolger sollte, nachdem Ferdinand Delbrück kurzfristig abgesagt hatte, Professor Karl Ludwig von Woltmann sein; den hinderte aber Krankheit, die Aufgabe zum vereinbarten 1. Februar 1814 zu übernehmen. So nimmt sich Niebuhr kurzfristig wieder des Herausgeberamtes an, schon damit nicht Arnim „diese Gelegenheit seine Feder laufen zu lassen noch länger so schändlich mis236 237 238

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Minna an Reimer, 9. 12. 1813, in: H. Reimer: Reittier. Erinnerungen aus seinem lieben, S. 17. Minna an Reimer, 22. 1. 1814, in: H. Reimer: Keimer. Erinnerungen aus seinem Leben, S. 17. Minna an Reimer, 5. 4. 1814, in: Berlin, StaPK, Rep 92, Nachlaß G. A. Reimer; zit. in: Lettow Vorbeck: Geschichte des Preuss. Correspondenten 1813/14 Bd. 2, S. 95. Preuss. Correspondent Nr. 137, 26. 11. 1813, vgl. Lettow Vorbeck: Geschichte des Preuss. Correspondenten 1813/14 Kap. 4/Diss., S. 38. Lettow Vorbeck: Geschichte des Preuss. Correspondenten 1813/14 Kap. 4/Diss., S. 47. Ebda., S. 50; vgl. auch S. 58 und S. 61. Ebda., S. 37, auch S. 66f. - Arnim an Reimer, 18. 11. 1813, in: A. v. Arnim: Arnim und Clemens Brentano, S. 325f. A. v. Arnim: Werke Bd. 6, S. 1237. Minna an Reimer, 14. 12. 1813, in: Berlin, StaPK, Rep 92, Nachlaß G. A. Reimer; zit. in: Lettow Vorbeck: Geschichte des Preuss. Correspondenten 1813/14 Kap. 4/Diss., S. 50. Arnim in Briefen an Wilhelm Grimm und Clemens Brentano; Λ. v. Arnim: Werke Bd. 6, S. 1238.

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brauche".246 Mit Beginn von Niebuhrs zweiter Herausgeberzeit, die vom 1. bis 19. Februar 1814 dauert, bekommt das Blatt ein ansprechenderes Äußeres mit regelmäßigen Uberschriften.247 Als Korrektor wird, da Woltmann auf keinen Fall auch noch Korrekturen lesen will,248 ein Dr. Neubert für ein vierteljährliches Gehalt von 25 Talern angestellt,249 der in den folgenden Jahren auch für andere Korrekturarbeiten des Verlags herangezogen wird.250 Wilhelm Grimm äußert sich gegen Ende der Herausgeberschaft von Achim von Arnim lobend über die Zeitung, die er „mit Vergnügen" lese:251 „Es ist eine sehr gute und merkwürdige Zeitung an Werth und Eigentümlichkeit, mit den gewöhnlichen nicht zu vergleichen".252 Nun empfiehlt Friedrich Gentz in einem Brief an Pilat „die diesjährigen Blätter des Preußischen Correspondenten, und besonders die vortrefflichen Artikel, mit welchen Niebuhr ihn ausstattet": „Das ist der Geist, in welchem heute eine Zeitung verfaßt werden muß, die sich über das Gemeine erheben soll. [...] Der preußische Correspondent ist jetzt schon bei weitem die erste deutsche Zeitung, und wird unter Niebuhrs Direction bald alle englischen hinter sich zurücklassen."253 Niebuhr freilich verließ Berlin schon am 21. Februar, denn „er war als preußischer Kommissar zur Regelung und Vollziehung der am 30. September 1813 zu London geschlossenen Subsidien-Konvention nach Amsterdam berufen worden."254 Woltmann, der nun die Herausgeberschaft übernahm, will das unbequeme Geschäft, das ihm „äußerst verdrießlich und beschwerlich" ist, schon nach zwei

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Niebuhr an Reimer, 29. 1. 1814, abgedruckt in: Müsebeck, Ernst: „Neue Briefe Schleiermachers und Niebuhrs an Georg Reimer und Schleiermachers an Ε. M. Arndt." In: Forschungen %ur Brandenburgischen und Preußischen Geschichte 22 (1909). S. 216—239, hier S. 233. Lettow Vorbeck: Geschichte des Preuss. Correspondenten 1813/14 Kap. 4/Diss., S. 79. Woltmann an Reimer, 22. 1. 1814, in: Berlin, StaPK, Rep 92, Nachlaß G. A. Reimer; zit. in: Lettow Vorbeck: Geschichte des Preuss. Correspondenten 1813/14 Kap. 4/Diss., S. 65. Minna an Reimer, 31. 1. 1814, in: Berlin, StaPK, Rep 92, Nachlaß G. A. Reimer; zit. in: Lettow Vorbeck: Geschichte des Preuss. Correspondenten 1813/14 Kap. 4/Diss., S. 83. Vgl. Hauptbuch II, 13 u. 15. W. Grimm an Arnim, Ende Januar 1814, in: A. v. Arnim: Arnim und Grimm, S. 293; Lettow Vorbeck: Geschichte des Preuss. Correspondenten 1813/14 Kap. 4/Diss., S. 76. Lettow Vorbeck: Geschichte des Preuss. Correspondenten 1813/14 Kap. 4/Diss., S. 77; W. Grimm an J Grimm, in: Jacob Grimm: Briefwechsel ^wischen Jacob und Wilhelm Grimm aus der Jugendzeit. Hrsg. von Herman Grimm und Gustav Hinrichs. Weimar: Böhlau 1881. S. 251. Gentz an Pilat, 14. 2. 1814, in: Friedrich von Gentz: Briefe von Friedrich von Gentζ an Pilat. Ein Beitrag %ur Geschichte Deutschlands im XIX. Jahrhundert. Hrsg. von Karl MendelssohnBartholdy. 2 Bde. Leipzig 1868. Hier: Bd. 1, S. 111; vgl. Lettow Vorbeck: Geschichte des Preuss. Correspondenten 1813/14 Kap. 4/Diss., S. 84f. Lettow Vorbeck: Geschichte des Preuss. Correspondenten 1813/14 Kap. 4/Diss., S. 85.

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II Entstehung und Entwicklung der Firma

Wochen los werden. 255 Reimers Frau fallt es zu, schnell einen Nachfolger zu finden, denn ihr Gatte ist noch nicht wieder zu Hause. 256 Der Freund Friedrich Rühs übernimmt die Aufgabe mit dem 12. März 1814, doch da weder er noch Wewetzer die Geschäftstüchtigkeit und Schnelligkeit besitzen, die man als Zeitungsmacher braucht, zeigt sich schon Anfang April ein erheblicher Rückgang im Verkauf der Zeitung. 257 Im Mai reist Minna Reimer zur Messe nach Leipzig, um ihren Mann dort zu vertreten; 258 am 19. Juni 1814 ist er endlich zurück in Berlin. Wie lange Rühs die Redaktion des Preussischen Correspondenten betreute, ist unklar. Sicher ist nur, daß im letzten Vierteljahr seines Bestehens, vom 1. Oktober bis 31. Dezember 1814, „ein Verein mehrerer Gelehrter" die Aufgabe „nach einem neuen Plan" versah. Arndt und Jahn, Niebuhr und Rühs werden namentlich genannt. 259 Ein Doktor Lange wurde mit Redaktionsaufgaben betraut. 260 Am 14. Dezember 1814 wurde den Lesern mitgeteilt, daß die Zeitung mit dem Anfang des nächsten Jahres unter dem Titel Tagesblatt der Geschichte von Ernst Moritz Arndt und Friedrich Lange (fünfmal wöchentlich ein halber Bogen) herausgegeben werde. 261 Dieser Nachfolger des Preussischen Correspondenten im Reimerschen Verlag erschien nur ein Jahr lang (mit 4 Quartalen). 262 Czygan liefert eine Darstellung der Geschichte dieses Blattes, das noch bei Salomon, Geschichte des deutschen Zeitungsivesens 1906, III, S. 80, als „wohl kaum ins Leben getreten" angesehen wurde. 263 Die Umbenennung des Preussischen Correspondenten in Tagesblatt der Geschichte zeugt von gesteigertem Selbstbewußtsein, dem Bewußtsein, Geschichte zu erleben. In Nr. 164 der Zeitung wird als Opfern des Krieges der „ächtdeutschen Männer Fichte und Reil" gedacht. 264 Von Friedrich Ferdinand Adolph Sack erschie-

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Minna an Reimer, 4. 3. 1814, in: Berlin, StaPK, Rep 92, Nachlaß G. A. Reimer; zit. in: Lettow Vorbeck: Geschichte des Prems. Correspondenten 1813/14 Bd. 2, S. 91. „Erinnern laß mich dich, daß du vielleicht hier mehr versäumst, als du jetzt unter den obwaltenden Umständen dort nützen kannst", wobei sie jedoch gar nicht an den Erwerb, sondern an die Erziehung ihrer Kinder denkt. Minna an Reimer, 19. 3. 1814, in: Berlin, StaPK, Rep 92, Nachlaß G. A. Reimer; zit. in: Lettow Vorbeck: Geschichte des Prems. Correspondenten 1813/14m. 2, S. 63f. Vgl. Minna an Reimer, 5. 4. 1814, in: Berlin, StaPK, Rep 92, Nachlaß G. A. Reimer; zit. in: Lettow Vorbeck: Geschichte des Preuss. Correspondenten 1813/14 Bd. 2, S. 95. Vgl. Minna an Reimer, 3. 5. 1814, in: Berlin, StaPK, Rep 92, Nachlaß G. A. Reimer; zit. in: Lettow Vorbeck: Geschichte des Preuss. Correspondenten 1813/14 Bd. 2, S. 96. Lettow Vorbeck: Geschichte des Preuss. Correspondenten 1813/14 Bd. 2, S. 104; Preuss. Correspondent Nr. 152, 24. 9. 1814. Lettow Vorbeck: Geschichte des Preuss. Correspondenten 1813/14 Bd. 2, S. 104. Ebda., S. 107. Sie sind im Verlagskatalog von 1843 noch für 5 Thlr. 10 Sg. verzeichnet. Czygan: Tagesliteratur während der Freiheitskriege Bd. 1, S. XIII. Lettow Vorbeck: Geschichte des Preuss. Correspondenten 1813/14 Bd. 2, S. 110.

2. Phasen der Verlagsgeschichte

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nen in der Realschulbuchhandlung 1814 Neun Gedichte in Be^ug auf die großen Ereignisse der letzten Jahre zum Besten der Lazarette. 265 Unter den wenigen Anzeigen der Zeitung sind naheliegender Weise einige der Reals chulbuchhandlung: „In der Realschulbuchhandlung wird folgendes verkauft: Schleiermacher's Predigt am 28sten März 1813 gesprochen, gr. 8. 4 Gr. Cour. Geistliche Lieder für deutsche Krieger beym Ausmarsch zu gebrauchen. 6 Pf. Münze. Der ganze Ertrag soll zum Besten der Vaterlandsverteidiger verwandt werden."266 Arndts Entwurf erschien in 1.500 Auflage; im Oktober: eine Predigt von Marheineke: 500 Aufl. 1 Vi Bogen 267 - und noch einmal Marheineke im Februar 1815 (300 Aufl., 24 Sehr.)268. Im Kriegsjahr 1813 werden gewiß nicht zufällig Arndts Katechismus für christliche Soldaten und seine fünf Lieder für teutsche Soldaten269 veröffentlicht. Im Juni 1813 läßt Reimer aber auch Tiecks William Lovell drucken. 270 Im Jahr darauf erscheinen Deutsche Friedenslieder mit passenden, %um Theil neuen Gesangsweisen in Ziffern·, von Hufeland aus aktuellem Anlaß Über die Kriegspest alter und neuer Zeit. 1814: Reflexions sur le suicide von Staël (1.000 Aufl.) 271 Von Savigny: Sammlung von Beweisstellen aus dem corpus juris.212 Zum Glück gab es auch in dieser Zeit das Schulbuchgeschäft: im August 1813 wurde Heckers Französisches Wörterbuch in 10.000 Aufl. 6 B. à 19 Rß 114.-gedruckt. 273

D e r Reimer-Verlag im Palais Wilhelmstraße 7 3 Eine neue Phase von Reimers beruflicher Selbständigkeit beginnt nach den Befreiungskriegen: mit dem Kauf des Palais Wilhelmstraße 73, der Einrichtung einer eigenen Druckerei im neuen Haus und dem fast gleichzeitigen Auftreten des „G. Reimer"-Verlags. Im „Allgemeinen Bücher-Verzeichnis" zur MichaelisMesse 18 1 6 274 werden, den bisherigen Recherchen zufolge erstmals, zwei Titel aus dem Reimer-Verlag angezeigt.

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Vgl. Lettow Vorbeck: Geschichte des Preuss. Correspondenten 1813/14 Bd. 1, S. 220. Preuss. Correspondent Nr. 8, 14. 4. 1813, Bl. 19r. Von Unger gedruckt, Hauptbuch II, 203. Bei Buchdrucker Schade, Hauptbuch II, 505. Im Kat 1843 ohne Jahr! - gedruckt in Königsberg? vgl. Hinweis von Czygan. Buchdrucker Schade, Hauptbuch II, 504: Bd 1 und 2 in einer Auflage von 1000 Exemplaren + 8 bzw. 12 Velp. Buchdrucker Schade, Hauptbuch II, 504. 750 Druckp. u. 8 Schrbp., Buchdrucker Hayn, Hauptbuch II, 726. - Eine neue Auflage wurde 1828 gedruckt (und ist im Kat 1843 verzeichnet.) Von Unger gedruckt, Hauptbuch II, 203. Exemplar im Buch- und Schriftmuseum der Deutschen Bücherei Leipzig.

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II Entstehung und Entwicklung der Firma

S. 365: „Martini, Marcus, der verbesserte geschickte Haushalter u. fertige Kaufmann, weiset erstlich an, wie alle zu der Haushaltung u. Kaufmannschaft dienliche Sachen, die sowohl bei Verwechselung einer Münzsorte in die andere, als im Kaufen und Verkaufen (sie mögen von einem Pfennig bis 1000 Rthlr. betragen, was sie wollen) vorfallen, in 424 Tabellen u.s.w. Neue Aufl. gr. 8. Berlin. Reimer." Und S. 372: „Piatonis Dialogi. Graece u. Latine. Ex recensione Imm. Beckeri. Part. Iae Vol. Ilum. et P. Ilae Vol I et illum. 8 maj. Charta imprss. script, nec non pergamenacea. Berolini, Reimer."

Demgegenüber werden 1816 von Reimer 22 Titel der Realschulbuchhandlung als „fertig gewordene Schriften in deutscher und lateinischer Sprache" annonciert. Die Auswertung des Verlagskatalogs für dieses Jahr ergibt 29 Titel. In den folgenden Jahren erscheinen Titel mit dem einen wie dem anderen Impressum in seinem Verlag.275 Obwohl Reimer die Tradition der Realschulbuchhandlung, Schulbücher zu verlegen, bewußt und gewiß nicht zuletzt aus pekuniären Gesichtspunkten fortsetzte, ging er um die Mitte des zweiten Jahrzehnts seiner selbständigen Beschäftigung dazu über, seinem Verlag den eigenen Namen zu geben. Dies kann zum einen den Grund haben, daß in dieser Zeit doch deutlich die Wissenschaft, d. h. Ausgaben für den universitären und Forschungs-Gebrauch, vor den Schulbüchern rangierte und deshalb der Name „Schulbuchhandlung" nicht mehr angebracht schien. Darüber hinaus ist Reimer spätestens jetzt selbstbewußt genug, mit seinem Namen zu zeichnen. Der Kauf des Palais Wilhelmstraße 73 unmittelbar nach den Befreiungskriegen bedeutet äußerlich eine Etablierung in der großbürgerlichen Welt. Von adliger Seite fragt man sich befremdet, wie der Buchhändler dazu käme, solch ein Anwesen zu erwerben.276 Um zu ermessen, was es bedeutete, daß ein Bürgerlicher Eigentümer des „ansehnlichstefn] Hausfes] der Wilhelmstraße"277, dieses damals „vornehm-stillen Witwensitz [es]" wurde und ihn zum „Sammelplatz erlesener Geister" machte,278 scheint eine kurze Beschreibung des Palais und ein Blick auf seine Geschichte angebracht. 275 Ygi auch; Codex nundinarius. An der Aufstellung nach dem Codex Nundinarius auffallig ist, daß 1819 kein Titel der Realschulbuchhandlung notiert ist (siehe Anhang A/II). 276

Varnhagen notiert in den Blättern aus der preuß. Geschichte (14. 12. 1819; Bd. 1. S. 20), daß der märkische Adel die Hauptstadt meide und deshalb „alle Paläste in geringe Hände kämen, das Sackensche Palais z. B. sei von Buchhändlern (Reimer), Aerzten usw. bewohnt, das möchten gute Leute sein, aber da gehörten sie doch nicht hin!" Und in einem Bericht vom 13. 1. 1820 (ebda. S. 51) heißt es, Reimer sage, „sein Haus in der Wilhelmstraße habe ihm gewiß den meisten Haß zugezogen in den aristokratischen Kreisen; Gräfin Goltz jammerte, als er es kaufte, daß nun ein Buchbinder solches sich unterstehe." Zit. nach: FouquetPlümacher: „Jede neue Idee kann einen Weltbrand anzünden", S. 9.

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Helene Nostitz: Berlin. Erinnerung

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So Hugo Rachel und Paul Wallich: Berliner Großkaufleute und Kapitalisten. Neu hrsg., ergänzt und bibliographisch erweitert von Johannes Schultze, Henry C. Wallich und Gerd Heinrich. Berlin: de Gruyter 1967. Hier: Bd. 3, S. 197 über Reimer: „Um beim Buchhandel

und Gegenwart.

Leipzig: Beyer 1938. S. 151.

Wilhelmstraße 73. Von Heinrich Hensel. (Umschlag eines Reimer-Stammbaumes).

2. Phasen der Verlagsgeschichte Das

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Valais

Als der Soldatenkönig, Friedrich Wilhelm I., in den dreißiger Jahren des 18. Jahrhunderts die Berliner Friedrichstadt vergrößern ließ, erhielt der Geheime Finanz-, Kriegs- und Domänenrat sowie Landes)ägermeister Hans Bogislav Graf von Schwerin die Bauordre für ein Palais, das nach Plänen von Conrad Wiesend 1734 bis 1737 279 gebaut wurde. Wie zwei weitere Gebäude (Wilhelmstraße 77 und 102) wurde auch die Wilhelmstraße 73 „nach dem Vorbilde gleichzeitiger französischer Adelspaläste mit einem von schmalen Flügelbauten eingefassten Vorhofe (cour d'honneur) und einem zurückliegenden nach Hof und Garten sich öffnenden Hauptgebäude (corps de logis) angelegt" 280 : Das Palais, die umfangreichste, französischen Adelshotels des 18. Jahrhunderts nachgebildete Anlage in Berlin, besteht aus dem zurückliegenden Wohnflügel und zwei einen Vorhof begrenzenden Seitenflügeln. An die Straßenfront schliessen sich rechts und links niedrige Anbauten mit Zugängen zu den seitlichen Nebenhöfen an. Die Architektur des Palais bietet ein gutes Beispiel des an süddeutsche Vorbilder sich anschliessenden späten Barocks in Berlin. Besonders stattlich erscheint das durch Pilaster gegliederte Mittelrisalit mit wuchtigem Consolengebälk, Attika und Wappenkartusche. Der Mittelbau enthält im ersten Stock einen die ganze Gebäudetiefe einnehmenden Festsaal, einen der stattlichsten Säle dieser Art aus dem älteren Berlin, bereits in den Formen des Uebergangs zum neuclassischen Stil. Die Wände und paarweise angeordneten Pilaster sind aus grauem bezw. röthlichem Stuckmarmor, die Gliederungen nebst den Reliefs über Thüren und Fenstern sind weiss.281 Die originale und in vielem bis zu der Zerstörung im Zweiten Weltkrieg erhaltene Ausstattung des Palais, etwa mit Deckengemälden zu Themen aus dem Alten Testament von Bernhard Rode im großen Festssal und mit einem Bilderzyklus zu antiken Themen, ebenfalls von Rode, in einer Galerie des ersten Obergeschosses, 282 und sogar die Einrichtung mancher Zimmer lassen sich auf Photographien vom Oktober 1919, aus der Zeit, kurz bevor der Reichspräsident Friedrich Ebert das Palais bezog, teils auch noch auf Aufnahmen von 1938, ersehen. 283 Gertrud Gräfin von Roedern, eine Enkelin Eberts, schildert u. a. das Leben im Palais der zwanziger und frühen dreißiger Jahre und erwähnt auch den

zu bleiben, so war darin Georg Andreas Reimer aus Greifswald (1776-1842), seit 1800 in Berlin, später auch nach Leipzig übergreifend, der glänzend aufsteigende Stern." 2 7 9 Oder zwischen 1737 und 1739 erbaut? Vgl. Berlin und seine Bauten. Hrsg. vom Architektenverein zu Berlin und der Vereinigung Berliner Architekten. II + III. Hochbau. Berlin: Wilhelm Ernst + Sohn 1896. S. 25. 280 Berlin und seine Bauten, S. 109. 281 Ebda., S. 25. 2 8 2 Ursprünglich eine lange Galerie im linken Flügel, die „verbaut und auf zwei Achsen beschränkt" wurde. Vgl. Berlin und seine Bauten, S. 25. 2 8 3 Interessantes Bildmaterial in: Laurenz Demps: Berlin-Wilhelmstraße. Eine Topographie preußisch-deutscher Macht. Berlin: Links 1994. S. 34-41.

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II Entstehung und Entwicklung der Firma

großen Park, dessen Mauer wohl Reste der alten Berliner Stadtmauer enthielt, und dessen Verlängerung in den Tiergarten führte: Den Garten betrat man vom Erdgeschoß durch einen sog. Gartensaal, in dem 2 barock-umrahmte Wandnischen noch aus der Erbauungszeit stammten. Die Wandtäfelung, Supraportenreliefs und Trumeaus (Pfeilerspiegel) waren unter einem der späteren Besitzer wiederhergestellt worden. [...] Nach einem Parterre mit bunten Blumenbeeten in regelmäßiger Anordnung lag vor einem eine Fläche von ca. 10 000 m2 üppigstem Grün.284 Den Garten und besonders die zu Meditationen und ungestörten Gesprächen einladende, schattige Lindenallee innerhalb des Parks schildert auch Ernst Förster, von dem später noch die Rede sein wird. 285 Bettine von Arnim berichtet von Reimers Garten als Spielplatz ihrer Kinder, die zum Erstaunen der ReimerFamilie gymnastische Übungen vorführten. 286 Mit Datum vom 29. August 1737 hatten Hans Bogislav von Schwerin und sein Bruder, der Generalleutnant der Infanterie Kurd Christoph Graf von Schwerin, das Palais als Erbverschreibung erhalten. Nach dem Tod Kurd Christoph von Schwerins ging es an die Söhne und wurde zunächst als Familienfideicommiß genutzt, bevor es am 2. April 1757 inclusive Einrichtung für 50.000 Taler an Stephan Peter Oliver Graf von Wallis verkauft wurde. 287 Der nächste Besitzer war der Etat-Minister Ewald von Massow, der es 1769 für nur 14.000 Taler erkaufte und acht Jahre später, am 1. September 1777, für 22.700 Taler an den Preußischen Oberkammerherm, Geheimen Etats-, Kriegs- und Dirigierenden Minister, Carl Reichsgraf und Fürst von der Osten, genannt Sacken, verkaufte. 288 In jener Zeit wurde das Palais im Innern neu eingerichtet. 289 Nach dem Tod von der Ostens, Ende 1794, erbt seine Witwe das Besitztum, das im Mai 1802 mit 45 600 Talern bei der Feuertaxe eingetragen ist.290 Für die Fürstin Christiane Charlotte Sophie von der Osten-Sacken, geb. Freiin von Dieskau aus Thüringen, war das Palais, in dem sie wohnte, nur ein Besitz unter vielen; „ein alles überragender, wahrhaft fürstlicher Reichtum" befand sich in ihrer Hand. 291 Nach dem Tod ihres ersten Ehemanns, von dem sie reiche Güter in Sachsen und Oberschlesien geerbt hatte, hatte sie den in Kurland reich 284

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Gertrud Gräfin von Roedern: „Berlin, Palais an der Wilhelmstraße". In: Deutsches Adelsblatt. Mitteilungsblatt der Vereinigung der Deutschen Adelsverbände 35 (15. 9. 1996) Nr. 9. S. 230-234, hier S. 231. Ernst Förster: Aus der Jugendzeit. Berlin: Spemann 1887. S. 209. Bettine an Arnim, Berlin, 29. 5. 1822, in: Achim von Arnim: Achim und 'Bettina in ihren Briefen. Briefwechsel Achim von Armin und Bettina Brentano. Hrsg. von Werner Vordtriede. Mit einer Einl. von Rudolf Alexander Schröder. Bd. 1. Frankfurt a. M.: Insel 1981. S. 374. Vgl. Demps: Berlin-Wilhelmstraße, S. 305f. Ebda, S. 306. Berlin und seine Bauten, S. 25. Vgl. Demps: Berlin-Wilhelmstraße, S. 306. Rachel /Wallich.· Berliner Großkaufleute und Kapitalisten Bd. 3, S. 193.

2. Phasen der Verlagsgeschichte

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begüterten Carl von der Osten-Sacken geheiratet.292 Sie hatte nur eine Tochter aus erster Ehe, die allerdings hochverschuldet war und deshalb enterbt wurde und nur eine Jahresrente erhielt. Deren sechs Kinder waren die Haupterben nach dem Tod der Fürstin von der Osten-Sacken am 6. Juli 1811.293 Einer davon, Fürst Friedrich August Carl von Hohenlohe-Neuenstein-Ingelfingen, wird alleiniger Erbe des Besitztums Wilhelmstraße 73 und auch der im Testament besonders hervorgehobenen Bibliothek. Da er jedoch für seinen beim Kurfürsten von Hessen hochverschuldeten Vater persönliche Bürgschaft übernommen hat und König Friedrich Wilhelm III. am 27. April 1815294 über den Staatskanzler Hardenberg einen Vergleich der Schuldner und Creditoren anordnet, bleibt ihm nichts anderes übrig, als das Palais zu verkaufen, um die Schulden seines Vaters zu begleichen.295 Wie aus den „Grund-Acten des Königlichen Stadtgerichts zu Berlin betreffend das auf der Friedrichsstadt, in der Wilhelm Straße N° 73 belegene Vol. 27 No. 1874 im Hypothekenbuche verzeichnete Grundstück" hervorgeht, hat Fürst August von Hohenlohe das Palais bereits vor dem 31. März 1816 - an Reimer verkauft.296 Da er jedoch selbst noch nicht den entsprechenden Besitztitel besaß, verzögerte sich auch der Abschluß des gerichtlichen Vertrags mit Reimer. Reimer beantragt deshalb mit Datum vom 31. August 1816, „die Eintragung des Besitztitels für den Fürsten von Hohenlohe zu beschleunigen".297 Am 4. Oktober 1816 schließlich kann Georg Andreas Reimer das Palais für 43.000 Taler und 500 Taler Schlußgeld erwerben.298

Vgl. Rachel/Wallich: Berliner Großkaufleute und Kapitalisten Bd. 3, S. 193: „Sie besaß außer den kurländischen Gütern, deren Wert schon daraus erhellt, daß daraus nur zur Abfindung von Seitenerben fast 180 000 Tl. ausgezahlt wurden, 4 Herrschaften in Oberschlesien mit 26 Dörfern, 4 Kolonien, 28 Vorwerken, großen Forsten und Hüttenwerken, und 5 Rittergüter in Kursachsen sowie sehr hohe Hypothekenansprüche. [...] Haupterbe wurde der zweite Enkel, Prinz Adolf, demnächst der älteste, Fürst August; für die 4 anderen Enkelkinder fielen immerhin je 156 000 Tl. ab." 2 9 3 Rachel/Wallich: berliner Großkaufleute und Kapitalisten Bd. 3, S. 193. - Als ihr Nachlaß 1812 von Zwangsanleihen erfaßt werden sollte, setzte sich der verwaltende Vormund so entschieden zur Wehr, „als wenn es gälte, einem Notleidenden zu helfen" (ebda., S. 194). 2 9 4 An Staats- und Justizminiser von Kircheisen, Wien, 27. 4. 1815, in: „Grund-Acten des Königlichen Stadtgerichts zu Berlin betreffend das auf der Friedrichsstadt, in der Wilhelm Straße N° 73 belegene Vol. 27 No. 1874 im Hypothekenbuche verzeichnete Grundstück" Bd I, Bll. 291-293. Vgl. Kircheisen an Ober-Medicinal-Rath Cosmar 9. 6. 1815 [?], ebda., Bd. I, Bll. 294-302 sowie Bll. 307-316. 2 9 5 Demps: Berlin-Wilhelmstraße, S. 306. 2 9 6 Grund-Acten Bd. I, Bl. 279. 2 9 7 Ebda., Bl. 284. 298 Ygj j a s Grundbuch bzw. die „Hypotheken-Tabelle von dem Grundstücke der WilhelmsStraße No 73. Vol: 27. No 1874. pag. der Friedrichsstadt." Bl. 5. Siehe auch Demps: BerlinWilhelmstraße, S. 306. - Bei Demps wird Georg Andreas Reimer irrtümlich Johann Andreas genannt und als Hofbuchdrucker bezeichnet; sein Sohn wird Georg Andreas genannt. 292

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II Entstehung und Entwicklung der Firma

Die weitere Geschichte der Wilhelmstraße 73 sei hier bereits kurz vorweggenommen: Nach dem Tod Reimers 1842 ist seine Frau mit allen Kindern Erbin;299 in der Königlichen Kabinettsorder vom 18. September 1857 wird der Ankauf des Palais für die Krone zum Preis von 200.000 Talern genehmigt und mit Datum vom 1. Juli 1858 der Kaufvertrag abgeschlossen. 1862 wird der Besitz auf das Ministerium des Königlichen Hauses und zum 3. Januar 1871 der Kronfideicommiß des Königlich Preußisch-Brandenburgischen Hauses als Eigentümer eingetragen. 1919 wird das Palais an das Deutsche Reich verkauft und in der Weimarer Republik als Dienstsitz des Reichspräsidenten genutzt. In der Nazizeit wird die Präsidialkanzlei als Besitzer eingetragen und zum 1. Februar 1939 als Dienstwohnung des Reichsaußenministers an das Auswärtige Amt übergeben. Ab 1939 erfolgt ein Umbau des Palais, der die veranschlagten Haushaltsmittel weit überschreitet.300 Im zweiten Weltkrieg wird das Palais von Brandbomben getroffen, Fassaden und Innenmauern aber bleiben so stabil, daß ein Wiederaufbau möglich gewesen wäre. Nach dem Krieg wird das Palais im Magistratsbeschluß vom 20. November 1947 über die Liste der kunsthistorischen Denkmäler als „erheblich beschädigt" bezeichnet. 1949 protestiert die Denkmalpflege, da der Ausbau der Heizungskessel und die Abnahme der eisernen Dachkonstruktion das Gebäude weiter beschädigt hat; im Januar 1950 wird es unter Denkmalschutz gestellt und dürfe auf keinen Fall gesprengt werden; die im Hof lagernde Dachkonstruktion sei auf keinen Fall auszuliefern. Das Palais wird als deutsches Kulturerbe der DDR eingeordnet; gegen den geplanten Abriß wird protestiert, so daß er 1951, nach Rücksprache mit der Bauakademie, verschoben wird. Im August 1951 werden sechs Reliefs aus dem Palais ausgebaut, deren Verbleib unbekannt ist. Der Schadensbescheid aus dieser Zeit nennt 48 % Zerstörung, davon ein großer Teil in der Nachkriegszeit. Gleichwohl wird es 1952 in einem erneuten Gutachten als unbedingt erhaltenswert bezeichnet, was die Denkmalpflege in einem Bericht an den Oberbürgermeister 1956 wiederholt. Mit Datum vom 17. Juni 1958 sieht ein Entwurf für den Aufbau des Stadtzentrums vor, das Schwerinsche Palais zu einem Gästehaus des Magistrats auszubauen; Denkmalpflege und Stadtplanung beschließen den Erhalt. Im Gegensatz hierzu steht eine „Vertrauliche Verschlußsache zur Vorbereitung des V. Parteitags der SED", die den Abriß „zur Bereinigung der Umgebung des Pariser Platzes" vorsieht.301 Hierauf erfolgt zum 14. Januar 1960 eine Studie des Stadtbauamtes und die Entscheidung des Magistrats, daß das Palais so verändert, „daß selbst die Raumeinteilung nicht mehr der ursprünglichen entsprach" und es so zerstört sei, daß „ein Wiederaufbau der Ruinen [...] aus städtebaulichen und volkswirtschaftlichen Gründen nicht vertretbar" sei, da sie auch „nicht in die städtebauliche Gesamtkonzeption des Auf299 Yg] Testament und Eintrag im Grundbuch, Hypotheken-Tabelle Bl. 5 v. 300

Vgl. Demps: Berlin-mihelmstraße,

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Ebda., S. 306.

S. 306.

2. Phasen der Verlagsgeschichte

123

baus des Stadt-Zentrums harmonisch eingefügt werden" könnten und „die Bausubstanz der noch stehenden Außenmauern so schlecht" sei, daß „eine Nutzung nicht mehr möglich" sei. 302 Mit Datum v o m 15. Juni 1 9 6 0 erfolgt die Mitteilung der Pressestelle des Magistrats über den Abriß und den Abtransport der unzerstörten Plastiken in den Berliner Tierpark. Es handelt sich um zwei Sandsteinlöwen, zwei Vasen und eine dreiteilige Stele. 9. September 1963 Übernahme des Balkongitters des Schwerinschen Palais durch die Stadtbezirksbauleitung Köpenick. Im Dezember Einbau in das Haus Bahnhofstraße No. 4. Dort 1994 noch vorhanden. 303

Kauf des Schwerinschen

Valais und Einrichtung

einer eigenen

Druckerei

D a Reimer bis auf die 5 0 0 Taler Schlußgeld den ganzen Kaufpreis des Palais mit Krediten finanzierte,304 stellt sich nicht mehr die Frage, wie er zu diesem großen V e r m ö g e n kam, sondern höchstens, was ihn für solch große Summen kreditwürdig erscheinen ließ. Laut „Rubrica III. Gerichtlich versicherte Schulden und andre Real-Verbindlichkeiten" des Grundbuchs verpflichtete sich Reimer, den Kaufpreis des Palais in folgenden Raten zu entrichten: a.) 3 5 . 0 0 0 Taler am 5. Januar 1 8 1 7 , b.) 3.000 Taler am 1. Oktober 1 8 1 7 , c.) 3.000 Taler am 1. Oktober 1 8 1 8 und d.) 2 . 0 0 0 Taler am 1. Oktober 1 8 1 9 , wobei zu jedem Zahlungstermin 4 % jährliche Zinsen zu entrichten waren. 3 0 5 Information des Magistrats über den Abriß von Gebäuden vom 14. Januar 1960, vgl. Demps: Beriin-Wilhelmstraße, S. 330. 3 0 3 Ebda., S. 306. 304 Ygi Grund-Acten Bd. I und II und die Hypotheken-Tabelle, die als Zusammenfassung der beiden anderen, umfangreichen Akten das eigentliche Grundbuch darstellt. Unterlagen zu Reimers Krediten auch in Pnvatbesitz: vgl. Fouquet-Plümacher/Kawaletz: „Die Reimersche Gemäldesammlung", S. 78. 3 0 5 Grundbuch, Hypotheken-Tabelle Bl. 6 v. - Reimer erhielt am 9. 12. 1816 von der Geheimen Oberfinanzrätin Agnes von Knobloch, geborene Freiin von Schrötter, ein Darlehen über 6.000 Taler „zu vier und ein halb Prozent in vierteljährigen Terminen vom lten October 1816 angerechnet" (Bl. ö v.); 9.000 Taler von derselben zu fünf Prozent (Bl. 7 v) und 4.000 Taler „von der Hauptknappschaftskasse des OberbergAmts für die Brandenburgisch Preußischen Provinzen zu fünf Prozent in halbjährigen Terminen" (Bl. 7 v). Mit Datum vom 29. 12. 1816 (und nachträglicher gerichtlicher Verhandlung) erhielt er von dem General-Depositurio des Königl. Kammergerichts 16.000 Taler zu 4 Vi % halbjährlich zu zahlenden Zinsen (Bl. 8 v). - Im Januar 1821 hat Reimer „sich fur ein dem Banquier Gottlieb Wilhelm Marpurg von dem Rentier Carl Friedrich Prinz gegebenes Darlehen von gleicher Höhe [10.000] nebst Zinsen zu fünf Prozent verbürgt", weshalb diese Summe auf Prinz ins Grundbuch eingetragen wurde (Bl. 8 v). - 7.000 Taler wurden „laut gerichtlicher Verschreibung vom 5. November 1823 den Gebrüdern Banquiers Benecke gegen fünf Prozent vorgeliehen, und dieses Grundstück für Kapital, Zinsen und Kosten zur Hypothek bestellt". Die Gebrüder Benecke haben diese 7.000 Taler „dem Königl: Geheimen Medizinalrathe und GeneralStaabsarzte Doktor Carl Graefe cedirt." (Bl. 8 ν und 9 v). - Reimer wiederum hat im Oktober 1836 von der Geheimen Legationsrätin Johanna Charlotte Elisabeth LeCoq, geborene Lefevre, 6.000 und im November des Jahres 1837 noch einmal 3.000 Taler als 302

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II Entstehung und Entwicklung der Firma

Der Umzug in die Wilhelmstraße bedeutet auch, daß Reimer fortan in unmittelbarer Nähe eines Konkurrenten, des Geheimen Hofbuchdruckers Georg Jakob Decker arbeitet, der schon 1792 seinen Sitz in dem benachbarten Palais Wilhelmstraße 75 aufgeschlagen hatte.306 Drei Jahre später hatte dieser das Palais für 30.000 Taler erworben, für die eine Hypothek aufgenommen wurden.307 Noch im Jahr 1816 richtet sich Reimer im neu erworbenen Palais eine eigene Druckerei ein. Er kauft dafür, wie aus einem Eintrag auf Buchdrucker Speners Hauptbuchseite hervorgeht, für 1.400 Taler dessen Buchdruckerei.308

Aufschwung während der Restauration Die Ausweitung seines Geschäfts hat Reimer schon unmittelbar nach der Heimkehr aus dem Krieg (1814) geplant. Wie aus einem Brief Johann Friedrich Cottas an Reimer hervorgeht, hat Reimer den Kollegen gebeten, ihm Kontakte im Süden zu vermitteln.309 „Wegen der Zahlung, die Sie wünschen, kann ich Ihnen in diesem Augenblick nichts Bestimmtes versprechen, weil ich selbst in dieser Zeit mehr als je verwikkelt bin", schreibt Reimer am 23. Mai 1815,310 und die Auswertung des Katalogs von 1843 liefert den Beleg dafür, daß die Produktion seines Verlags in diesem Jahr sprunghaft ansteigt: Sind vom Jahr 1814 nur elf Titel (gegenüber 1812: sechzehn, 1813: siebzehn) verzeichnet, so sind es 1815 fünfundzwanzig und im Jahr darauf 29 Werke, die die Jahreszahl 1816 tragen. Der Aufschwung des Reimerschen Verlags nach den Befreiungskriegen fällt in eine Zeit allgemeinen wirtschaftlichen Aufschwungs, der sich speziell für das Buchgewerbe durch technische Neuerungen abzeichnete.

Darlehen erhalten.- Im Januar 1838 schließlich hat Reimer sich über 20.000 Taler als Selbstschuldner verpflichtet, da er dieses Kapital „dem Buchhändler Carl Wilhelm Eichhoff als Kaufgeld für die Sandersche Buchhandlung inclusive der cessionis für die mit derselben überwiesenen Activa schuldig" geblieben war (B1 9 ν und 10 v). 3 0 6 Rachel/Wallich: Berliner Großkaufleute und Kapitalisten Bd. 3, S. 197. 3 0 7 Demps: Berlin-Wilhelmstraße, S. 307. 3 0 8 Die genaue Formulierung unter dem Datum vom 7. 4. 1817 lautet: „zahlte geg. uns. Solawechsel .... Rh 1400.- als den Betrag der im Jahre 1816 von ihm erkauften Buchdruckerey laut Inventur". 3 0 9 Cotta an Reimer, 10. 9. 1814, in: Berlin, Archiv WdeG (Briefarchiv Rl). Der Brief Reimers, auf den sich Cotta bezieht, stammt, Cottas Formulierung zufolge, vom 20 v. M., also vom 20. 8. 1814. Vgl. Helmuth Mojem: Oer Verleger Jobann Friedrich Cotta (1764-1832). Repertorium seiner Briefe. Marbach: Deutsche Schillergesellschaft 1997. S. 348, Nr. 1652.- „Nur mit wenigen, und zwar Buchhändlern, habe ich i Süden zu thun, die Ihnen nicht bekannt seyn mögen - Senden Sie mir die Liste Ihrer Verbindungen, u. ich will dann nach Möglichkeit supliren"; für die Transkription danke ich Bernhard Fischer; seinem Hinweis zufolge können mit den erbetenen Verbindungen auch politische Kontakte gemeint gewesen sein. 310

An Prof. [Friedrich] Raumer in Breslau, Briefkopierbuch, S. 13.

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Im Jahre 1 8 1 6 wurde die erste Papiermaschine in Deutschland eingeführt; um dieselbe Zeit kam die im Jahre 1 8 1 5 in England erfundene Auftragwalze zu uns herüber; im Jahre 1 8 1 9 wurden die Hohlstege erfunden (statt der frühern Holzstege). Die wichtigsten Neuerungen aber waren die umfassende Anwendung der Stereotypie, die Einführung der Steindruckerei und die Erfindung der Stanhope- und vor allem der Schnellpresse. Im November 1 8 1 6 verkaufte James Watt das Geheimnis seines neuen Verfahrens, das darin bestand, daß der Schriftsatz in einer Gypsmasse abgedrückt und in die so entstehende Form eine andere geschmolzene Metallmischung gegossen wurde, für 200 Friedrichsdor an Decker in Berlin, der am 18. November 1 8 1 6 die erste Kolumne nach dem neuen System in Deutschland goß, im Dezember desselben Jahres an Tauchnitz in Leipzig, Brönner in Frankfurt am Main, Meißner in Hamburg. Tauchnitz gab das erste große Beispiel der außerordentlichen Bedeutung der Stereotypie für eine geschäftliche Anlage, die Druckerei, Buchhandlung und Schriftgießerei vereinigte. 311

In einem Brief an Professor Benecke in Göttingen vom 5. November 1814 schlägt Reimer vor, eine englische Sprachlehre und ein englisches Wörterbuch herauszugeben, denn „die seit kurzem gänzlich veränderte politische Lage von Europa und der Einfluß welchen England dabei geübt hat und ferner behaupten wird, läßt es erwarten, daß die englische Sprache an Ausbreitung und Umfang immer mehr gewinnen werde."312 „Nach dem Krieg regt sich die Literatur wieder", schreibt Wilhelm Grimm am 10. November 1816 an Achim von Arnim.313 Eine wichtige neue Verlagsbeziehung fällt in diese Zeit: Spätestens im Sommer 1817 ist es klar, daß Reimer Jean Pauls Hauptverleger wird. Nach Reimers Besuch bei ihm in Heidelberg schreibt Jean Paul an Emanuel: „ich sagte bei dem Abschiede zu ihm, hätt' er mir statt seines Briefs sein Gesicht geschickt, so wären wir auf der Stelle einig gewesen. Kurz ich lieb' ihn recht herzlich, so redlich ist sein Auge und Außen."314 1814 und 1815 erscheint von S. H. Spieker und F. Rühs herausgegeben die Zeitschrift für die neueste Geschichte, Staaten- und Völkerkunde. Die zwei Jahrgänge sind noch 1843 für 12 Taler lieferbar. Das erste bis vierte Heft läßt Reimer von Schade in einer 1.000er Auflage drucken (Hauptbuch II, 504), dann geht er zu einer kleineren Auflage über (5 und 6: 500 bei Schade, Hauptbuch II, 505). 311 312 313 314

Kapp/Goldfriedrich: Geschichte des Deutschen Buchhandels Bd. 4, S. 56. Reimer an G. Fr. Benecke, in: Stralsund, Stadtarchiv, Autograph Nr. 438 (Bl. 5). W. Grimm an Arnim, 10. 11. 1816, in: A. v. Arnim: Arnim und Grimm, S. 360. Jean Paul an Emanuel. Heidelberg, 20. 7. 1817, in: Jean Paul: Sämtliche Werke. HistorischKritische Ausgabe. Hrsg. von Eduard Berend. Abt. III: Briefe, Bd. 7. Leipzig: Zentralantiquariat 1987 (Reprint der Aufl. Berlin 1954) S. 125-127, hier S. 127. - Zu einem Brief Reimers vom 22. 5. 1819, in dem die erste Silbe „Herz" von „herz-lich" als Kustos am Schluß der ersten Seite steht, hat Jean Paul angemerkt: „Dieses zerteilte Herz- würde mich seltsam apulsieren, wenn ich nicht in die schwartzen Augen des Mannes selber gesehen hätte, dem ich mit ungewöhnlicher, fast gewaltsamer Liebe, trotz aller Anscheinungen, vertraue." - In der Krakauer Jagielloñska Biblioteka befinden sich 40 Briefe Reimers an Jean Paul aus der Zeit von 1818 bis 1825.

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II Entstehung und Entwicklung der Firma

Vom Juli-Heft 1814 (6 Bogen) wird eine Auflage von „750 Druckp. und 10. fein" von Lessing gedruckt; die folgenden Aufträge für die Zeitschrift (für 500er Auflagen + 1 0 Schrbp.) bekommt wieder Schade (Hauptbuch II, 505), so daß man, da Lessing wieder für das August-Heft 1815 (5 Vz Bogen) beauftragt wird, vermuten kann, daß er hier eine Sommervertretung übernimmt.315 Vom selben Drucker, dem Justitzcommissarius Lessing, wird im September 1815 De Wettes Über Religion (17 Bogen), Auflage 850 und 12 feine gedruckt.316 1815 (mit Druckvermerk 1814) erscheint in einer Auflage von 1.500 Auflage, 15 Vel.317 Niebuhrs Schrift Preußens Recht gegen den Sächsischen Hof in der er verkündet, Preußen sei kein abgeschlossenes Land, sondern das gemeinsame Vaterland eines jeden Deutschen, der sich in Wissenschaften, in Waffen und der Verwaltung auszeichne.318 Bereits im selben Jahr noch kann diese Veröffentlichung in zweiter Auflage erscheinen,319 die dann allerdings noch 1843 lieferbar ist. Die Politisierung, die mit den Befreiungskriegen die ganze Gesellschaft erfaßt hat, hält in den unmittelbar auf den Krieg folgenden Jahren an; die Debatte Sachsen-Preußen, auch die uns befremdenden Schriften über Juden sind Ausdruck eines gestärkten, wenn auch prekären Selbstbewußtseins Preußens. Die meisten Titel mit auffälligem Zeitbezug finden sich, verständlicherweise, nach dem Ende der Befreiungskriege, im Jahr 1815: Von einem anonymen Verfasser erscheint zu dem Thema, das Niebuhr beschäftigte: An die Widersacher der Vereinigung Sachsens mit Preußen.*20 Arndt veröffentlicht (nach den ersten Teilen vom Geist der Zeify. Über den Bauernstand.321 „Von einem Officier der alliirten Armee" verlegt Reimer 1815 Beiträge •zur Kriegsgeschichte der Feld^üge 1813 und 1814. Ebenfalls aus aktuellem Anlaß erscheint Rühle von Liliensterns Die deutsche Volksbewaffnung, in einer Sammlung der darüber in sämmtlichen deutschen Staaten ergangenen Verordnungen. Broschüren von Friedrich Rühs Über die Ansprüche der Juden an das deutsche Bürgerrecht (1815, 2ter verm. Abdruck) und Die Rechte des Christenthums und des deutschen Volks, vertheidigt gegen die Ansprüche der Juden und ihrer Verfechter (1816) bereiten auf erschreckende Weise dem Antisemitismus den Weg, wenn Justizcommissarius Lessing, Hauptbuch II, 314. Ebda. 3 1 7 Hauptbuch II, 505: Buchdrucker Schade, unter dem Datum vom 9. 1. 1815. Der Druckvermerk der ersten Auflage trägt das Jahr 1814, doch vermutlich handelt es sich um diese von Schade gedruckte Auflage. 3 1 8 Geiger: Berlin 1688-1840 Bd. 2, S. 350. 315 Ohne Angabe, daß es sich um die zweite Auflage handelt, im Hauptbuch II, 314 bei Justizcommissarius Lessing (1500 Druckpapier und 1000 engl. Druckpapier) gedruckt (Eintrag mit Datum vom Mai 1815). 3 2 0 Die Auflage der 6 Bogen starken Schrift betrug 1500. Den Druck besorgte „Buchdrucker Schmidts Frau Wttwe", Hauptbuch II, 578. 321 Ebenfalls in einer Auflage von 1500 in derselben Druckerei unter dem selben Datum (Januar 1815) gedruckt (Hauptbuch II, 578). 315 316

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Juden wegen angeblicher Mängel die Fähigkeit abgesprochen wird, Bürger zu werden, ihre Beschränkung auf eine gewisse Anzahl, Tragen eines Abzeichens und Zahlung eines Schutzgeldes verlangt wird. Ein jüdisch-deutscher Tempel mit deutschen Gebeten und Reden wurde in Berlin geschlossen, die jüdischen Schulen für christliche Kinder wurden untersagt, akademische und andere Aemter den Juden durch Verordnung verweigert, die alten Schranken, die man glücklich durchbrochen wähnte, wieder aufgerichtet. 322

Zu verstehen sind solche Schriften wie die von Rühs als Reaktion auf das am 11. März 1812 erlassene Edikt „betreffend die bürgerlichen Verhältnisse der Juden", eines der zuletzt erlassenen Gesetze im Rahmen des umfangreichen Reformwerks Preußens, in dem Juden die vollen staatsbürgerlichen Rechte zuerkannt wurden.323 Ebenfalls 1815 erscheint von Rühs Die Vereinigung Pommerns mit der preußischen Monarchie324 - ein Thema, das für den Verleger aus Greifswald von direktem persönlichem Interesse war. Zu Berühmtheit gelangt 1815 eine in der Maurerschen Buchhandlung erschienene, nur 16-seitige Schrift des Geheimrats und zeitweiligen Rektors der Berliner Universität Theodor Anton Heinrich Schmalz, die gleich drei Gegenschriften im Reimerschen Verlag veranlaßt.325 Berichtigung einer Stelle in der Bredow-Venturinischen Chronik für das Jahr 1808. Ueber politische Vereine, und ein Wort über Scharnhorsts und meine Verhältnisse ihnen - so der Titel von Schmalzens Schrift die die Berichtigung einer vor Jahren über ihn veröffentlichten Angabe zum Vorwand nahm, heftig gegen das vermeintlich gefährliche preußische Jakobinertum zu polemisieren. Man kann sogar zugeben, daß seine Entrüstung echt war und daß er in der Agitation der Patrioten wirklich eine Gefahr für den Staat erblickte. Aber die Art, wie er den Kampf führte, wie er unerwiesenen Klatsch zusammentrug, grundlose Gerüchte zu Tatsachen verdichtete, seine albernen Interpretationskünste an den Schriften jener Männer, vor allem eines Arndt, ausübte, mußte mit Recht den größten Anstoß erregen. Und dazu diese Unfähigkeit, die Begeisterung der großen Zeit zu begreifen, und der stumpfe Versuch, einen Mann wie Scharnhorst, den Freund und Gesinnungsgenossen der Patrioten, die er angriff, für seine Anschauungen zu reklamieren! 326

Max Lenz beschreibt in seiner Geschichte der Universität Berlin auch die Reaktion der Patrioten: „Niebuhr aber und vor allem Schleiermacher schäumten 322 323 324

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Geiger: Berlin 1688-1840 Bd. 2, S. 395. Chronik Berlin, S. 165. Gedruckt von Justizcommissarius Lessing, Hauptbuch II, 314. Die Auflage betrug 500 Stück und 12 feine. Bei Reimers im Sommer 1819 beschlagnahmten Papieren befindet sich zudem ein Manuskriptentwurf Reimers über den Geh. Rath Schmalz (Berlin, StaPK, Papiere erheblichen Inhalts des Buchhändlers Reimer. 1814-1820. R 77 XXII Litt. R. 8 adhib., enthält 316 Blatt., hier B11.139ff.) Lenz: Geschichte der Universität Berlin Bd. 1, S. 541.

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vor Wut. Beide, und mit ihnen Rühs, griffen zur Feder." 327 In der Realschulbuchhandlung erscheint zuerst Niebuhrs Ueber geheime Verbindungen im preußischen Staat, und deren Denunciation, dann von Rühs Das Märchen von den Verschwörungen™ und schließlich gegen Ende des Jahres, nachdem Schmalz sich ein zweites Mal, auf Niebuhrs Schrift hin, zu Wort gemeldet hat, Schleiermachers als offener Brief verfaßte Reaktion: An den Herrn SchmalAuch eine Recensión}29 Im sogenannten Tugendbundstreit 330 bezieht der Verlag Reimers also eine eindeutige Position. Den ersten Druckauftrag „Niebuhr gegen Schmalz" erhält Buchdrucker Schade (Hauptbuch II, 505: 29. Oktober 1815). Da die 2.500er Auflage (+ 12 Velin) offensichtlich schnell verkauft wird, läßt Reimer diese Schrift Niebuhrs (2 Bogen) von Lessing (hier mit genauerer Titelangabe im Hauptbuch vermerkt) in einer Auflage von 750 Drkp. und 6 fein im Januar 1816 noch einmal drucken (Hauptbuch II, 314), ohne daß dabei von einer zweiten Auflage die Rede ist. Die Erklärung dafür findet sich im Briefwechsel mit Hardenberg: Im Schreiben an Hardenberg vom 16. Januar 1816 betont Reimer, daß „am Tage der Publikation des Königl. Edikts", das weitere Schriften über geheime Verbindungen untersagte, „bereits von der zweiten Auflage der Niebuhrschen Schrift über diesen Gegenstand der Satz in der Lessingschen Buchdruckerei fast beendigt" war: „Ungeachtet ich nun überhaupt nicht annehmen konnte, dass dem Edikt eine rückwirkende Kraft beigelegt werden solle, viel weniger in einem solchen Fall, wo mir offenbar ein unverschuldeter Nachteil zuwuchs, so hielt ich es doch für nötig vor dem Abdruck die Einwilligung der Censurbehörde einzuholen".331 Renfner schrieb auf den Titel der den Akten beiliegenden Schrift: „Kann nach der neuen Verordnung nicht erst gedruckt werden." Deshalb wandte sich Reimer an Hardenberg mit der Bitte um Druckerlaubnis. Da er „auf dies neue untertänigste Gesuch" bis zum 14. Februar 1816 keinen Bescheid erhielt, wandte er sich erneut an Hardenberg, mit dem Hinweis,

Ebda. Auch diese kleine Schrift (1 Ά Bogen) druckte Lessing 1816 (!); allerdings in einer Auflage von 2000 (Hauptbuch II, 314). 3 2 9 Wobei Schleiermacher als Motto ein Zitat von Schmalz: „Also nur mehr solcher Schriften." auf das Titelblatt setzen ließ (Berlin, in der Realschulbuchhandlung im Novbr. 1815). - Vgl. Lenz: Geschichte der Universität Berlin Bd. 1, S. 541 f. - „Bei der Universität hatte Schmalz seitdem so ziemlich ausgespielt, während Schleiermachers Kredit bei der Regierung dadurch nicht erhöht wurde" (Lenz: Geschichte der Universität Berlin Bd. 1, S. 542). 330 Vgl. Otto Dann: „Geheime Organisierung und politisches Engagement im deutschen Bürgertum des frühen 19. Jahrhunderts. Der Tugendbundstreit in Preußen." In: Geheime Gesellschaften. Heidelberg: Schneider 1979 (= Wolfenbütteler Studien zur Aufklärung V, 1). S. 399-428. 3 3 1 Reimer an Hardenberg, 16. 1. 1816. In: Czygan: Tagesliteratur während der Freiheitskriege Bd. 2, S. 407. 327

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„dass der Verlust für mich zu augenscheinlich bei längerer Verzögerung der Erscheinung ist, weil Schriften, die nur das nächste Zeitinteresse berühren, nach Verlauf eines kurzen Zeitraums aller Nachfrage entbehren, weshalb eine verspätete günstige Entscheidung über mein Gesuch mir leicht nachteiliger werden dürfte, als eine beschleunigte abschlägliche, soweit ich auch nach den vorliegenden Verhältnissen die letztere erwarten zu dürfen glauben kann."332 Reimer erhält von Hardenberg eine Ausnahmegenehmigung, allerdings unter der ausdrücklichen Bedingung „deren Erscheinen weder in den öffentlichen Blättern bekannt [zu] machen und solche überhaupt nicht öffentlich zum Verkauf aus[zu]bieten." 333 Daran hält sich der Verleger, denn weder im Hauptbuch noch im Verlagskatalog wird die Auflage als zweite bezeichnet. Ob Reimer allerdings tatsächlich diese Auflage zum Zeitpunkt des Verbots im Druck hatte, kann bezweifelt werden, denn entgegen den meisten Eintragungen im Hauptbuch und auch auf dieser Seite sind diese Eintragungen nur mit dem Monat und nicht mit dem Datum des Tages gekennzeichnet. Dies führt zu einer anderen möglichen Erklärung, nämlich daß Reimer sich möglicherweise gerade aufgrund der Zensur einen extra Gewinn versprach, und diesen Druckauftrag erst nach der Bekanntgabe erteilte. Für diese Version sprechen zwei zusätzliche Momente: Ebenfalls in diesem Januar läßt er vom selben Drucker die - bereits 1815 erschienene — Schrift von Rühs Das Mährchen von den Verschwörungen in 2.000 Auflage drucken; wofür er Hardenberg gegenüber allerdings gar nicht erst versucht, einen Zufall zu behaupten. Im übrigen sind, was der Schriftduktus ganz offensichtlich zeigt, sämtliche Eintragungen zwischen Mai 1815 und Januar 1816 mit insgesamt neunzehn Positionen bei einer einzigen Gelegenheit in das Hauptbuch eingetragen worden, wobei, und auch das fällt bereits beim ersten oberflächlichen Eindruck auf, die Handschrift mehr als sonst beschwingt erscheint. Man könnte meinen, als Vorbereitung für künftige kriegerische Auseinandersetzungen erscheinen in den Jahren 1815 bis 1817 J. G. von Hoyers dreiteiliges Allgemeines Wörterbuch der Kriegsbaukunst134 und 1816 von Bottée und Riffault, aus dem Französischen von Fr. Wolff: Anweisung, das Schießpulver bereiten.335 1815 verlegt Reimer aber auch die Edda·, eine neue Auflage von Novalis' Schriften (19 Bogen) wird von Hayn gedruckt. 336 Thaers 'Leitfaden, gedruckt bei

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Reimer an Hardenberg, 14. 2. 1816. In: Czygan: Tagesliteratur während der Freiheitskriege Bd. 2, S. 408f., hier S. 409. Hardenberg an Reimer, 21. 2. 1816. In: Czygan: Tagesliteratur während der Freiheitskriege Bd. 2, S. 409. Gedruckt von „Buchdrucker Schmidts Frau Wttwe", Hauptbuch II, 578. Diese Schrift erschien mit 19 Kupfern. Drucker des 6 Vi Bogen starken Bandes (Aufl. 850 Druck 10 Schrbp.) war wiederum Justizcommissarius Lessing (Hauptbuch II, 314). Hauptbuch II, 726: Die Auflage dieser Novaiis-Ausgabe beträgt 1500 Druckp., 25 Velin.

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Schade 337 , kommt im Dezember 1815 auf den Markt; zuvor ist bereits Thaers Möglini38 erschienen. In den Heidelberger Jahrbüchern erscheint 1816 (S. 833) A. W. Schlegels ausführliche Rezension von Niebuhrs Kömischer Geschichte. Das Werk, dessen erster Band (Königszeit), Friedrich Wilhelm III. gewidmet, 1811 und dessen zweiter Band (bis zu den Licinischen Gesetzen) 1812 erscheint, während der dritte Band (bis 241 v. Chr.) der Zeitereignisse wegen, die die Fortsetzung unterbrachen, erst 1832 herauskommt; wird in der ADB als „das wichtigste litterarische Denkmal, welches die Epoche der Freiheitskriege hervorgebracht hat", bezeichnet. 339 Niebuhr, der uns schon als Herausgeber des Preussischer! Correspondenten begegnet ist, ist ein Duzfreund Reimers. Ludwig von Gerlach zitiert in seinem Tagebuch einen gewissen Polte: „Er [Niebuhr] freut sich, mit einem Kerl wie Reimer, einem arroganten, bornierten Esel, der voller Jakobinismus steckt, an einem Tage geboren zu sein, und hält diesen Jakobinismus für edle, kräftige Natur. Was soll man nun erwarten, wenn solche Gelehrte so in der Konfusion sind? Von Schleiermacher will ich gar nicht reden."340 Nach einer Begegnung auf dem Turnplatz hat sich Ludwig von Gerlach notiert: „Arndt, Steffens (eklig literarisch-genial) — Reimer, der mir sehr gefällt, wenn auch Wilhelm [d. i. Wilhelm von Gerlach] sagt, daß er nie eigentümliche Gedanken hat." 341 Wenig später heißt es allerdings: „Wie drückend ist die klare Anschauung, daß Schleiermacher, Niebuhr (durch Reimer), Arndt, Jahn, Grolman [...] in grundfalschem Wesen befangen sind. Und wie soll ich mir nun da Hoffnung machen, zu Plehwes Herz einen Weg zu bahnen." 342 Der hier genannte Hans Rudolph von Plehwe (1794—1835) ist ein junger Freund Schleiermachers und Reimers und zeitweise sehr eng mit Ludwig von Gerlach befreundet, der eifersüchtig ist auf den Einfluß, den vor allem Schleiermacher auf den „weichen" Plehwe hat. Wie oben beschrieben ist die Realschulbuchhandlung zwar erst 1823/24 endgültig in Reimers Besitz übergegangen, doch seit 1816 schon (nicht erst 1817 oder 1819 wie in der bisherigen Literatur angegeben) firmierte er auch mit eigenem Namen im Impressum.

Hauptbuch II, 505: 1500 Aufl., 15 Sehr., 3 Vel. 1500 Dr., 12 fein Dr., 3 Velin, 23 Bogen; gedruckt von Hayn, Hauptbuch II, 726. 3 3 9 Heinrich Nissen: „Barthold Georg Niebuhr", in: ADB Bd. 23, S. 646-661, hier S. 652. 3 4 0 Tagebuch Ludwig von Gerlachs, 9. 6. 1817. In: Aus den Jahren preussischer Not und Erneuerung. Tagebücher und Briefe der Gebrüder Gerlach und ihres Kreises 1805 — 1820. Hrsg. von Hans Joachim Schoeps. Berlin: Haude & Spener 1963. S. 231. 3 4 1 Tagebuch Ludwig von Gerlachs, 31. 3. 1817, in: Aus den Jahren preussischer Not und Erneuerung, S. 222. 342 Xagebuch Ludwig von Gerlachs, 27. 6. 1817, in-. Aus den Jahren preussischer Not und Erneuerung,, S. 234f. 337

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Auf andere Weise als die oben genannten politischen Schriften sind solche über den animalischen Magnetismus aktuell343: Bereits in dritter Auflage erscheint 1819 Carl Alexander Ferdinand Kluges Versuch einer Darstellung des animalischen Magnetismus.344 1816 von C. W. Hufeland Auszug und Anzeige der Schrift von Stieglit^ über den thierischen Magnetismus und im Jahr darauf Erläuterungen seiner Zusätze Dr. Stieglitç Schrift über den thierischen Magnetismus.345

Turnfehde In der Zeit nach den Befreiungskriegen und vor der Ermordung Kotzebues entwickelt sich in Berlin ein Streit, der unter dem Namen „Turnfehde" bekannt wurde und die Gemüter reichlich erhitzte. Die ,Front' verlief zeitweise quer durch Reimers Freundeskreis. Friedrich Ludwig Jahn (1778—1852), der sogenannte Turnvater Jahn, der 1811 in der Berliner Hasenheide den ersten Turnplatz eingerichtet hatte und demzufolge das Turnen die physische und moralische Kraft des Volkes stärken und damit einen Beitrag zur Freiheit und Einheit Deutschlands leisten sollte, wohnte einige Zeit in Reimers unmittelbarer Nachbarschaft. 346 Heinrich Steffens (1773-1845), ein enger Freund Schellings, sowohl mit Schleiermacher als auch mit Reimer befreundet, und zeitweise sehr auf deren Unterstützung angewiesen, veröffentlichte bei Reimer 1817 eine zweiteilige, u. a. gegen das Turnen gerichtete Abhandlung Die gegenwärtige Zeit und wie sie geworden, mit besondrer Rücksicht auf Deutschland^7, über die Jahn in einem Brief an einen unbekannten Empfanger berichtete: „Dies dickleibige Buch hat ihm Löbel, ein getaufter J u d e zu Breslau, durchmustern müssen, da Steffens weder im Rechtlernen noch im Rechtschreiben seine Stärke hat. Hierüber setzte man ihn im Frühjahr 1817 zur Rede, als er in Berlin war und bei Reimer mit Schleiermacher und Arndt in einem Hause wohnte. Voll Weins wurde er wohl weinerlich und äußerte sich, daß ihm das leid tue, aber er müsse doch nun schon konsequent bleiben. Das ist in Reimers Hause allgemein bekannt. Mit mir war er in Reimers Haus an einem Abend sehr freundschaftlich. [...] Kaum war Steffens Zu Franz Anton Mesmer und der Bedeutung seiner Lehre für E. T. A. Hoffmann vgl.: Kleßmann: E. T. A. Hoffmann. Eine Biographie, S. 225-232 - Durch Karoline Fischer, geb. Lommatzsch, die als somnambul geltende Freundin von Schleiermachers Frau, wurde die ganze Hausgemeinschaft der Wilhelmstraße 73 mit Phänomenen des animalischen Magnetismus direkt konfrontiert. Hierzu: Ehrenfried von Willich: Aus Schleiermachers Hause. Jugenderinnerungen seines Stiefsohnes. Berlin: Reimer 1909. S. 42ff. 3 4 4 In dieser Auflage ist es dann noch 1843 für 2 Taler 5 Sg. erhältlich. 3 4 5 Sowohl Kluge als auch Hufeland schrieben auch über Mittel oder Methoden, die „Lustseuche" zu heilen. Hufeland: Versuche mit dem Besnardschen Mittel %ur Heilung der Lustseuche (1813); Kluge: Über Dr. C. H. D^ondi's Heilart der Lustseuche (1828). 3 4 6 Jahn schreibt am 16. 9. 1814 an Dr. Karl Müller: „Am 30. August habe ich mich verheiratet und wohne seit dem 8. September in der Kochstraße Nr. 20 - einige Häuser von der Realschulbuchhandlung." In: Jahn: Die Briefe F. L. Jahns, S. 78. 347 Kat 1843: gr. 8; 4 Thlr., handschriftlicher Eintrag: lr Thl fehlt. 343

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1817 von Berlin nach Breslau zurückgekommen, so fing er an, öffentlich auf Arndt und mich zu schimpfen [...] ,Der Jahn ist weiter nichts als ein altdeutscher Tölpel' [...] Dennoch hat er im Sommer 18 sich nicht geschämt, mich zu sich zu bitten."348 Reimer trug die als Tumkleidung eingeführte, ideologisch besetzte altdeutsche Tracht 349 und langes Haar350, übrigens auch später, als beides gar nicht mehr modern war. 351 So berichtet Schleiermachers Stiefsohn, Ehrenfried von Willich: Der alte Reimer und sein näherer Kreis war in späterer Zeit, als das Turnwesen sonst fast überall längst zu Grabe getragen war, in Berlin vielleicht der einzige, wo [...] die alte Turnertradition in Anschauungen, Tracht und äußerem Behaben mit einer gewissen tendenziösen Hartnäckigkeit festgehalten wurde, und die Intimität unserer Familie mit der Reimerschen trug viel dazu bei, diejenigen geselligen Kreise, welchen jenes Wesen nicht sympathisch war, auch von uns ferner zu halten, wiewohl die Frau Reimer [...] die allgemeinste Verehrung genoß.352 Wie eng die Verbindungen waren, mag man daran ersehen, daß Jahn und die Turner beim Polterabend von Arndt und Nanny Schleiermacher (der Halbschwester Schleiermachers) dem Hochzeitspaar ein Ständchen darbrachten: „Einige hundert Turner mit Fackeln hatten sich dazu im Reimerschen Garten versammelt." 353 Auch die Hochzeit fand im Reimerschen Haus statt. An Scharnhorsts Geburtstag (10. November 1817) trafen sich seine Verehrer zu einem Diner, das seinem Andenken gewidmet war. Die angeregte Diskussion während des Diners schildert Ludwig von Gerlach in seinem Tagebuch. Themen waren Jakobinismus, Landwehr, die fehlende Verfassung, das Werk von Haller und immer noch Schmalzens Schrift und die Gegenschriften dazu. Als von „Streben nach Wahrheit" bei Carl Ludwig von Haller (1768-1854) - dessen Restauration der Staatswissenschaften (1816—34) der Epoche den Namen gab 354 — die Rede war: „Reimer etc. laut dagegen. Ich sagte, als sie von dem Streben nach Wahrheit redeten, ich fände, er hätte es auch erreicht. Reimer: ,Was? Das Streben? - Die WahrJahn an unbekannten Empfanger, Berlin, 7. 11. 1818, in: Jahn: Oie Briefe F. L. Jahns, S. 125f. 3 4 5 Vgl. Helene Dihle: „Altdeutsche Tracht und turnerische Jugendbewegung in Berlin nach den Freiheitskriegen." In: Mitteilungen des Vereins für die Geschichte Berlins 44 (1927). S. 104-108. 3 5 0 Ludwig von Gerlach notierte am 19. 5. 1817 in sein Tagebuch: „Der kleine Georg Reimer, dem die altdeutsch wachsenden Haare so in die Augen hängen, daß er nichts anderes tut, als sie sich aus den Augen zu schütteln." In: Aus den Jahren preussischer Not und Erneuerung, S. 230. 351 Ferdinand Olivier an Wilhelm von Gerlach, Wien, 21. 11. 1824: „Ich traf hier wie schon in Leipzig mit Reimer zusammen, welchen ich wie seinen Rock unverändert wiedergefunden habe" In: Aus den Jahren preussischer Not und Erneuerung, S. 624. 3 5 2 Willich: Aus Schleiermachers Hause, S. 18. 3 5 3 Tagebuch Ludwig von Gerlachs, 17. 9. 1817, in: Aus den Jahren preussischer Not und Erneuerung, S. 243. 354 Brockhaus Bd. 9, "1989, S. 392 zu „Carl Ludwig von Haller". 348

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heit meine ich.' - Ich: ,Ist er denn auch verbrannt worden?' - ,Nein, der würde nicht brennen.' Buttmann sagte: ,Wasser ist nicht drin, giftige Öle.' Plehwe: ,Er nennt es Staatsrestauration, und das ist ein verkehrtes Ding.' Ich fragte Reimern in einer Art dummer Malice, um ihn etwas von seinem Richterstuhl zu ziehen: ,Haben Sie viel davon abgesetzt?' Reimer: ,Ich setze überhaupt nichts ab.' (Er hat bloß Verlag, daran dachte ich aber nicht.)"355 Rudolph von Plehwe war daraufhin „böse" auf Ludwig von Gerlach: „er hat gesagt, ich hätte Reimern beim Scharnhorstschen Diner auf eine maliziöse Art fühlen lassen, daß er Buchhändler sei. Ich verteidigte mich mit Reimers Arroganz, bereue es aber doch, Plehwens wegen." 356 Zu dem altdeutschen Gehabe gehörte das schnelle Du. So hatte Plehwe ein Schreiben an den König gerichtet, in dem er ihn mit Du anredete. Nach der Erzählung von Stuhr war „Reimer ganz entzückt. Warum soll man den König nicht Du nennen, man nennt ja Gott Du. Was ist das, Majestät? Wo ist ein Gesetz, das den König so zu nennen befiehlt? Das ist nichts als ein altes Herkommen. Was braucht man das zu achten? [...] Neben solchen Reden von Reimer liest Schleiermacher sein elendes Kolleg über Politik (vom Gewordenen und Geborenen im Staate, vom Festen und Bildsamen oder Revolutionären) vor dem Generalstabe und der Kriegsschule, vor Plehwe, vor Reimer und Nicolovius. Alles recht hübsch friedlich nebeneinander, nur Schmalz ist der Verstoßene, gegen den sich alles in einen tapferen Krieg vereinigt."357 Das von Jahn und Ernst Eiselen (1793—1846) gemeinsam verfaßte, folgenreiche Werk Die deutsche Turnkunst \-ur Einrichtung der Turnplätze dargestellt war 1816 - auf Kosten der Verfasser —358 bei Reimer veröffentlicht worden. Jahn hielt in dieser Zeit auch öffentliche Vorlesungen über das deutsche Volkstum und bat im Dezember 1817 um staatliche Anerkennung durch ein Lehramt - ein Lektorat für die deutsche Sprache an der Berliner Universität. 359 Berufen glaubte er sich wohl hierzu u. a. dadurch, daß er auch in seiner Turnkunst besonders für die Reinheit der deutschen Sprache eintrat. Das äußert sich beispielsweise darin, daß er „die Vielspracherei" als „Sündenpfuhl" sieht, „woraus aller Büchernebel dunstet"; vor allem gegen die Bedeutung der französischen Sprache wendet er sich. „Wälschen ist Fälschen"; „ein Fremdwort bleibt immer ein Blendling ohne Zeugungskraft". 360 Hardenberg meinte im Dezember 1817, daß „für Jahn etwas 355

356

357

358 359 360

Tagebuch Ludwig von Gerlachs, 10. 11. 1817, in: Aus den Jahren preussischer Not und Erneuerung, S. 256. Tagebuch Ludwig von Gerlachs, 26. 12. 1817, in: Aus den Jahren preussischer Not und Erneuerung, S. 265f., hier S. 266. Tagebuch Ludwig von Gerlachs, 7. 12. 1817, in: Aus den Jahren preussischer Not und Erneuerung, S. 261 f. Mit zwei Kupfertafeln, Kat 1843: 1 Thlr; „fehlt". Lenz: Geschichte der Universität Bertin Bd. 2.1, S. 38. S. XXIf im Vorbericht der Deutschen Turnkunst, wo sich Jahn und Eiselen auch auf K. W. Kolbes Schrift Noch ein Wort über Spracheinheit (Realschulbuchhandlung 1815, Kat 1843) beziehen. Vgl. Geiger: Berlin 1688-1840 Bd. 2, S. 390. - Am 11. 2. 1815 machte Theodor Heinsius in der Spenerschen Zeitung den Vorschlag, statt „Mamsell" und „Madame" die Be-

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in irgend einer Art geschehen müsse"361 und Altenstein schlug vor, ihn, vielleicht in Hinterpommem, als Landwirt zu etablieren, um ihn „auf gute Art" aus Berlin zu entfernen und so unschädlich zu machen.362 Doch hierzu kam es nicht; statt dessen sollten die Turnanstalten unter strenge staatliche Aufsicht gestellt werden. Im Januar 1819 wurde Ernst Moritz Arndt an die Bonner Universität berufen. Wittgenstein erklärte sich aufs schärfste gegen die Anstellung des großen deutschen Patrioten und stellte geradezu die Kabinettsfrage: der König müsse sich zwischen ihm und Arndt entscheiden. Der Streit endigte damit, daß Wittgenstein wirklich aus dem Polizeiministerium schied: aber das Hausministerium ward ihm gelassen, und wenn er auch nominell im Januar sein altes Amt abgab, hat er es doch noch länger als ein halbes Jahr, bis in den August, verwalten dürfen.363 In diesem halben Jahr geschah viel: Das Erscheinen des vierten Teils vom Geist der Zeit gab den Anlaß zu einem Verweis, der gegen Arndt, auf königlichen Befehl, mit Datum vom 11. Januar 1819 ausgesprochen wurde.364 Am selben Tag erging die Kabinettsordre, die das Verfassungsversprechen von 1815 auf eine „angemessene ständische Vertretung" einschränkte und Turnwesen, Presse und Unterricht mit Maßregelungen bedrohte.365 Jeder Lehrer, „der ähnliche Grundsätze aufstelle und ähnliche unschickliche und unnütze Dinge vortrage" wie Arndt, sollte zur Anzeige gebracht werden und war mit Absetzung bedroht.366 Unterdessen hatte Jahn die Nachricht erhalten, daß die Berliner Turnanstalten unter Regierungsaufsicht gestellt werden sollten. Als er gleichwohl, wie üblich, die Eröffnung seines Turnplatzes für den 1. April in den Zeitungen ankündigte, wurde ihm gesagt, „daß die Turnübungen nach einem Plan vorgenommen werden sollten, der sie in das gehörige Verhältnis zu dem gesamten Unterrichtswesen setzen solle, und daß die Wiedereröffnung seines Unterrichts deshalb hinzeichnungen „Ehrenfräulein, Fräulein und Jungfer" und für Verheiratete „Ehrenfrau, edle Frau" einzuführen. Als daraufhin jemand in der Vossischen Zeitung fur Fräulein „Kunkel" vorschlug, wandte sich Heinsius heftig dagegen (ebda., S. 390). Tatsächlich hörte seitdem allmählich die Bezeichnung „Mamsell" auf und „Fräulein" trat an dessen Stelle. Allerdings wurde noch 1826 über das Wort im Ministerium debattiert. „Kamptz wünschte das Wort nur für adlige junge Mädchen angewendet, während Schuckmann auf die Autorität Luther's hin jedem weiblichen unverheiratheten Wesen diese Bezeichnung belassen wollte. Auch die übrigen Minister gaben Gutachten ab. Der König, der in den Komödienzetteln darauf sah, daß Demoiselle, nicht Fräulein gesetzt wurde, wünschte nicht die Einführung der letzteren Bezeichnung in die bürgerliche Gesellschaft." Ebenso in dieser Zeit: der Streit um „deutsch" oder „teutsch". Nach Bundesbeschluß wurde 1816 „deutsch" für richtig erklärt (ebda., S. 391). 361

Lenz: Geschichte

362

Ebda., S. 39f.

der Universität

Berlin Bd. 2.1, S. 39.

363

Ebda., S. 43.

364

365

Vgl. etwa: Manfred Reißland: „Ernst Moritz Arndt und die Demagogenverfolgung". In: Wissenschaftliche Zeitschrift der Ernst-Morit^-Arndt-Universität Greifswald 9 (1959/60). S. 195-207. Lenz: Geschichte der Universität Berlin Bd. 2Λ, S. 43.

366

Ebda., S. 44.

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ausgeschoben werden müsse."367 Als er daraufhin beim Kultusminister vorstellig wurde, erhielt er einen scharfen Verweis und den Befehl, sein Inserat in den Zeitungen zu widerrufen.368 Der aktivste Teil seiner Turngemeinde, etwa fünfzig junge Leute, veranstalteten deshalb eine Demonstration mit Abendgesang vor Jahns Haus.369 Da Demonstrationen aller Art verboten waren, erhielt Hans Rudolph von Plehwe „der trotz seines Offizierranges nirgends fehlen durfte, wo es galt, im altdeutschen Rock den frommen und freien teutschen Gefühlen Luft zu machen",370 vier Wochen Arrest und Versetzung nach Posen (Glogau und Schweidnitz) als Strafe für seine Nachtmusik.371 Plehwe, der als exzentrische Figur und „herzerfrischender Wirrkopf' beschrieben wird, verfiel schließlich ganz dem Alkohol.372 Nur wenige Tage nach der Ovation für den Turnvater Jahn, am 23. März 1819, wurde der Theaterschriftsteller August von Kotzebue ermordet. Obgleich dies die Tat eines einzelnen, des Studenten Carl Ludwig Sand war, sah sich die Reaktion bestätigt, daß sich „unter den hochgeschwellten Worten von Vaterland und Freiheit" in Wirklichkeit Anarchie und revolutionäre Gewalt verbergen373; die Demagogenverfolgung konnte beginnen.374

Demagogenverfolgung Betroffene

Freunde

Was die Festnahmen von Reimers jungen Freunden, Karl Gustav Jung und Georg Ludwig Rödiger, in seinem Haus betrifft und die Durchsuchung seines Hauses sowie die Beschlagnahmung seiner Papiere — bei der 774 Briefe verschiedener Absender an Reimer konfisziert wurden, von denen 160 als „erheblich" zurückbehalten wurden - sei hier vor allem auf Hermann Reimers Veröffentlichung aus den Quellen, Theodor Rollers Dissertation und Konrad Kettigs Beitrag im Jahrbuch des Vereins für die Geschiche Berlins verwiesen.375 Im abschlieEbda, S. 45. Ebda, S. 46. 3 6 9 Ebda, S. 46f. 3 7 0 Ebda, S. 46. 3 7 1 Ebda, S. 48f; Aus den Jahren preussischer Not und Erneuerung, S. 35. 372 Aus den Jahren preussischer Not und Erneuerung, S. 35. 3 7 3 Lenz: Geschichte der Universität Berlin Bd. 2.1, S. 50. 3 7 4 Zur „politischen Bedeutung der Ermordung August von Kotzbues durch Karl Ludwig Sand vor dem ideologischen Hintergrund der Auseinandersetzung zwischen Reaktion und bürgerlicher Opposition" vgl.: Eberhard Büssem: Die Karlsbader Beschlüsse von 1819. Die endgültige Stabilisierung der restaurativen Politik im Deutschen Bund nach dem Wiener Kongreß von 1814/15. Hüdesheim: Gerstenberg 1974. S. 129-155. 3 7 5 H. Reimer: 'Keimer. Erinnerungen aus seinem Leben. - Th. Roller Georg Andreas Brimer und sein Kreis. - K. Kettig „Demagogenverfolgungen in Berlin im Jahre 1819". 367

368

136

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ßenden Hauptbericht der Zentraluntersuchungskommission Μαίηΐζ vom 14. Dezember 1827 heißt es im Bericht an die „Hohe Deutsche Bundesversammlung": Die ersten Spuren von dem Geiste, dessen Aeußerungen und Ausbrüche zu beobachten und zu erforschen, seit acht Jahren den Gegenstand unserer Beschäftigung ausgemacht hat, finden sich unter den Papieren des Buchhändlers Georg Andreas Reimer zu Berlin, in Briefen, die ihm einer seiner Freunde, damals Professor zu Halle, bald nach der Schlacht von Jena, und im Gefühle des durch dieselbe über ihr Vaterland herbeigeführten Unglücks, geschrieben hat.37(5 Außer Reimer und Schleiermacher waren viele ihrer Freunde 377 von der Demagogenverfolgung betroffen: so auch der Theologe Wilhelm Martin Leberecht de Wette (1780—1849), Freund und Verlagsautor Reimers, der, als er am 13. Juli vor die Untersuchungskommission zur Verfolgung demagogischer Umtriebe zitiert wurde, sich zunächst für seine Teilnahme an Plehwes Montagsgesellschaft zu verantworten hatte. In der Tat sei er bei einer Zusammenkunft in der Gardekaserne, bei der auch Reimer, Jung, Eiselen und Graf Schlabrendorff anwesend waren, dabei gewesen. „Die Unterhaltung sei wie in jeder anderen Gesellschaft gewesen; das einzig Besondere habe vielleicht darin bestanden, daß man aus dem Liederbuch für Alt und Jung gesungen habe." 378 Dieses Liederbuch: Deutsche Lieder für Jung und Alt (1818, Kat 1843) mit geistlichen und vaterländischen Gesängen, nach Texten von Luther, Gerhardt, Angelus Silesius, Goethe, Uhland, Rückert, Schenkendorf, Adolf und Karl Folien, Körner, Arndt, Novalis, Simon Dach, Matthias Claudius und u. a. auch Volksliedern aus Des Knaben Wunderhorn war im Sommer 1818 ohne Angabe des Herausgebers erschienen, so daß noch Lenz in seiner Universitätsgeschichte rätselt, wer die Zusammenstellung gemacht haben könnte: „ich denke, Schleiermacher, Eichhorn und andere Freunde werden Reimer dabei geholfen haben." 379 Wilhelm Grimm jedoch nennt in einem Brief an Arnim vom 30. Juni 1819 Carl Raumer als Herausgeber: „Lieder für jung und alt mit Melodien sind eine hübsche und passende Sammlung, von Carl Raumer, wovon eine neue Auflage erscheinen wird." 380 Zur Einweihung des Liederbuches war im Juli 1818 ein Ausflug von Professoren und Burschen unternommen worden, bei der Reimer als Verleger freilich nicht fehlen durfte. 381

37,5

377

378 375 380 381

Hauptbericht der Zentraluntersuchungskommission Main\ vom 14. Dezember 1827. Protokolle der dt. Bundesversammlung. 1828. Ani., S. 9. Vgl. etwa: Ernst Müsebeck: „Siegmund Peter Martin und Hans Rudolph v. Plehwe, zwei Vertreter des deutschen Einheitsgedankens von 1806-1820". In: Quellen und Darstellungen %ur Geschichte der Burschenschaft und der deutschen Einheitsbewegung. Hrsg. von Herman Haupt. Bd. 2. Heidelberg: Winter 1911. S. 75-194. Lenz: Geschichte der Universität Berlin Bd. 2.1, S. 61. Lenz: Geschichte der Universität Berlin Bd. 2.1, S. 61. A. v. Arnim: Arnim und Grimm, S. 441. Lenz: Geschichte der Universität Berlin Bd. 2.1, S. 62.

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Von de Wette erschien 1819 bei Reimer: Zur christlichen Belehrung, der erste Teil der Christlichen Sittenlehre mit der Allgemeinen Sittenlehre und Die Sünde wider den heiligen Geist. Reimer bleibt diesem theologischen Autor treu, der in diesem Jahr sein theologisches Lehramt verliert und auf die Unterstützung seiner Freunde angewiesen ist. De Wette hatte unvorsichtigerweise an die Mutter des Kotzebue-Mörders Sand einen einfühlsamen Brief geschrieben, in dem er Verständnis für die Tat äußerte.382 Diese Brief wurde in den Zeitungen veröffentlicht und de Wette seines Amtes enthoben. Von der „Demagogenriecherei" betroffen war auch Ernst Förster (18001885), der mit Reimer befreundete Kunstschriftsteller,383 ein Schwiegersohn Jean Pauls, der Reimer „bei einem Erinnerungsfest an die Schlacht von BelleAlliance" kennengelernt hatte, und 1821 in Reimers Palais in der Wilhelmstraße wohnte, in welchem damals außer Reimer, seinen zahlreichen Angehörigen und dem sehr ausgebreiteten Geschäft, der Fürst Puttbus mit Familie und zahlreicher Dienerschaft, Minister Eichhorn mit Familie, Professor Schleiermacher mit Familie, Professor Becker, sämmtlich mit männlicher und weiblicher Bedienung, und außerdem ein Hausmeister mit Frau und Kindern Wohnung gefunden hatten und in welchem doch auch für mich noch ein heimliches Stübchen frei war. 3 8 4

Förster schildert in seinen Erinnerungen Aus der Jugendzeit, wie er eines Morgens im März 1821 „von königlichen Polizeibeamten im Bett überfallen und mit allen meinen im Zimmer befindlichen Schriftstücken als Gefangener fortgeführt wurde."385 Ernst Förster beschreibt Reimer, dem er „für viele empfangene Wohlthaten" sehr dankbar ist, als ,,warme[n] und treue [n] Vaterlands freund", der seine Gesinnung „unwandelbar gegen allerlei Anfechtungen festgehalten" habe und dabei ein unermüdlicher Geschäftsmann [war], der sich, auch wenn Gesellschaft bei ihm war, weder von dieser noch von seiner Arbeit trennte, ein leidenschaftlicher Freund

382

De Wette erklärte, Sands Entschluß sei „aus einem Irrthum hervorgegangen und nicht ganz frei von Leidenschaft". „Der Irrthum wird entschuldigt und gewissermaßen aufgehoben durch die Festigkeit und Lauterkeit der Ueberzeugung und die Leidenschaft wird geheiligt durch die gute Quelle, aus der sie fließt; daß beides der Fall bei Ihrem frommen und tugendhaften Sohn gewesen, bin ich fest überzeugt. Es war seiner Sache gewiß; er hielt es für recht das zu thun was er gethan und so hat er recht gethan [...] So wie die That geschehen ist durch diesen einen frommen Jüngling mit diesem Glauben, mit dieser Zuversicht, ist sie ein schönes Zeichen der Zeit [...] Ein Jüngling setzt sein Leben daran, einen Menschen auszurotten, den so viele als Götzen verehren. Sollte dieses ohne Wirkung sein?" (zit. nach: Geiger: Berlin 1688-1840 Bd. 2, S. 398).

383

Im Archiv WdeG (Briefarchiv R l ) befinden sich 91 Briefe Försters, von denen aber nur drei an Georg Reimer den älteren gerichtet sind. Förster: Aus der Jugendzeit, S. 205f und S. 218. Ebda., S. 219. - Zu seiner Gefangenschaft und den Verhören vgl. S. 219-225.

384 385

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der Kunst, der seine Wohnräume mit werthvollen alten und auch neuen Gemälden ausgestattet und keine Gelegenheit vorüberließ, seine Sammlung zu vermehren.386

Reimer im Verhör Der damalige Direktor des Polizeiministeriums (und spätere Justizminister) Karl Albrecht Christoph Heinrich von Kamptz (1769—1849), der einen Kodex der Gendarmerie (Berlin 1815) verfaßt hatte, der unter anderem beim Wartburgfest 1817 den Flammen übergeben wurde, 387 war bekanntermaßen besonders eifrig in der Verfolgung der „demagogischen Umtriebe". In Sachen Reimer forderte er den Polizeirat Kaiser am 26. Juli 1819 noch einmal auf, daß „insonderheit [...] die gesamte Correspondenz des Buchhändlers Reimer sowohl mit allen Buchhändlern, als mit anderen Personen in Beschlag zu nehmen und der Königlichen Ministerial-Untersuchungs-Kommission vorzulegen, auch auf die Correspondenz nach Frankfurt am Main ein besonderes Augenmerk zu richten" sei. 388 Noch bevor Reimer selbst befragt wurde, scheute man keine kriminalistischen Anstrengungen, herauszufinden, wer das Papier für den Druck einer Petition an den Bundestag geliefert hatte, welche Papiersorten Reimer in der in Frage stehenden Zeit aus Köln bezogen habe und ob er von der Schriftgießerei Schickenberg in Hannover Drucklettern nach Walbaumschen Stempeln erhalten habe. 389 Wie der Untersuchungsakte gegen Reimer „wegen Verdachts der Theilnahme an demagogischen Umtrieben und revolutionären Verbindungen" 390 zu entnehmen ist, wurde der Verleger am 15. April 1820 zum ersten Mal in diesen Angelegenheiten verhört und zunächst zu einem bei seinen Papieren gefundenen Manuskript der Petition an den Bundestag wegen Einführung der Landstände befragt. Da er bestreitet, für den Druck der Petition verantwortlich zu sein, und 386 Förster: Aus der Jugendzeit, S. 207f. Förster gibt hier auch ein Porträt von Reimers Frau, die „als die Führerin des Haushaltes und Seele des Hauslebens [...] das vollkommene Muster einer deutschen Hausfrau" gewesen sei: „gütig und hülfreich nach außen fast ohne Grenzen, offen, treu und wahr in der Freundschaft und gegen Alle, die das Glück hatten, mit ihr bekannt zu sein, dabei so anspruchslos und still, daß, wer in der warmen, lichten Klarheit ihrer Augen nicht zu lesen verstanden, oder aus dem sanften Ton ihrer Stimme die Sprache ihres Herzens noch nicht vernommen haben würde - der hätte vergeblich auf wortreiche Bekenntnisse oder Versicherungen warten müssen" (S. 208).

387 Vgl Meyers großes Konversations-hexikott. 388

389 390

Berlin, StaPK, Rep 77 XXII Lit. R. 8, Acta Spezialia der Königl. Ministerialuntersuchungskommission Buchhändler Reimer 1818/19. (Adhibenda) enthält 80 Blatt, hier Bl. 8. Ebda., Β11. 49-54. Berlin, StaPK, Acta betr. die Untersuchung gegen den Buchhändler Georg Andreas Reimer, in Berlin, wegen Verdachts der Theilnahme an demagogischen Umtrieben und revolutionairen Verbindungen, 1819-1822. Rep 77 XXI. Geh. Staatsarchiv Sect. Pars Geh. Verbind. Spec. Lit R. Nr 1.364 BU.

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darauf verweist, daß Buchhändler Brönner aus Frankfurt ihm wohl auch keine gedruckten Exemplare zugeschickt hätte, wenn er selbst an der Vervielfältigung „irgend Theil genommen hätte", wird die Vernehmung für diesen Tag abgebrochen, worauf Reimer noch die Erklärung abgibt: „Da die Art und Weise in welcher man sich in den Besitz meiner Papiere gesetzt hat, nach meiner Ueberzeugung, mich in meinen Rechten gekränkt hat, so glaubte ich nicht verpflichtet zu seyn, mich über den Inhalt derselben näher auszulassen, wenn es nicht mit Rücksicht auf den Gehorsam geschähe, den ich meiner / Obrigkeit schuldig bin." 391 Damit gibt sich die Untersuchungsbehörde freilich nicht zufrieden: A m 25. April 1820 werden die Buchdrucker Christian Friedrich Ernst Spaethen und Wilhelm Dieterici dazu befragt, ob sie als Experten dem Manuskript ansehen könnten, ob es bereits „in den Händen eines Setzers" gewesen sei. Spaethen äußert sich bestimmt: er vermisse „an diesem Manuskripte alle und jede äußeren Zeichen welche es bestimmter überzeugend darthun, oder auch nur wahrscheinlicher machen könnten daß solches / bereits in den Händen eines Setzers gewesen sey. Es ist keine Spur von besonderen Marken wie solche in Beziehung auf die einzelnen Absätze und speziellen Verbindungen im Drucke, häufig beigesetzt zu werden pflegen". Eben so wenig seien „sogenannte Setzerdaumen" darin zu entdecken. „Es können dergleichen auch früher nicht wohl vorhanden gewesen seyn, da ihre demnächstige gänzliche Wiederwegschaffüng für beinahe ganz un [durch] fuhrbar zu erachten ist. Am wenigsten aber könnten solche, in alleiniger Folge der bloßen längeren Aufbewahrung der Handschrift, von selbst wieder sich vollkommen verwischt haben und verschwunden seyn." W a s die „Kniffe" im Papier beträfe, so könnten sie nicht v o m Cunabel herrühren, „wie ein jeder, der mit den besonderen Konstrukzion dieser Vorrichtungen ganz vertraut ist, mit mir bestätigen wird. Sie könnten mithin, bei einem Gebrauch in der Druckerei, nur dadurch veranlaßt seyn, daß der Setzer beim Vorrücken mit seiner Arbeit, wie es mitunter, hauptsächlich aber nur von weniger geübten Leuten, wohl zu geschehen pflegt, das Blatt, so weit der Inhalt schon abgesetzt war, nach und nach umgelegt hätte, und auf die, in dem vorliegenden Manuskripte mit bemerkbaren, vorzugsweise starken, quer durch die einzelnen Zeilen gehenden Kniffe könnte auch dies nicht einmal irgend Anwendung finden." Aus diesen Gründen scheint es Spaethen „eher unwahrscheinlich als wahrscheinlich", daß das Manuskript „schon in den Händen eines Buchdruckers gewesen und abgesetzt worden wäre." „Die Mittheilung daß ein früher vernommener Fachverständiger ganz entgegengesetzt sich geäußert habe, veranlaßte Hrn ρ Spaethen zwar zur abermaligen wieder-

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holten und sorgfältigen Untersuchung des Blattes: doch erklärte er bei dem vorstehend niedergeschriebenen Urtheile überall verbleiben zu müssen".392 Der ebenfalls um Stellungnahme gebetene Wilhelm Dieterici äußert sich folgendermaßen: „mit dem Absetzen eines Manuskripts kann so vorsichtig zu Werke gegangen werden daß gar keine äußeren Zeichen dieses davon schon gemachten Gebrauches darauf zurückbleiben. Bei der gewöhnlichen Behandlungsart werden die Blätter aber, beim Umwenden und sonstigen Anfasssen durch den Setzer in der Regel, da die Lettern selten von Schwärze ganz rein sind, etwas beschmutzt oder nach dem gewöhnlichen Ausdrucke ,Setzerdaumen' ihnen aufgedruckt. Außerdem haben manche Setzer auch die Gewohnheit die Blätter umzuschlagen wodurch Kniffe entstehen: doch geschieht dies in der Regel nur von weniger geübten Leuten. Das Divisorium ist zum Schieben eingerichtet und kann, bei seiner hieraus abzunehmenden geringen Spannkraft, / [B1169:] nicht wohl bleibend Eindrücke im Papier zurücklassen." Als weiteres Merkmal kenne er nur, daß manche Setzer pflegten, „in Beziehung auf die Absätze und einzelnen Verbindungen im Drucke, im Manuskripte Zeichen beizusetzen. Andere Merkmale kenne ich nicht und es wird, nach dieser Ausführung, in nur sehr seltenen Fällen mit unbedingter Bestimmtheit zu erkennen seyn ob ein Manuskript in der Druckerei gewesen ist oder nicht. Was nun das mir jetzt vorgelegte Manuskript speziell betrifft so kann ich, nach Obigem, allerdings auch nicht mit Gewißheit behaupten, daß noch kein Satz zum Drucke davon entnommen sey. Wenn jedoch außer einigen Kniffen, welche nach ihrer besonderen Beschaffenheit eher vom öfterem Zusammenlegen in verschiedene Formate, als von dem Umbiegen beim Setzer herzurühren scheinen, kein einzi / ges der übrigen vorerwähnten gewöhnlichen Zeichen seines stattgehabten Gebrauches zum Drucke daran zu bemerken sind, so muß ich es auch für höchst unwahrscheinlich erklären, daß irgend ein Abdruck davon bereits entnommen sey."393 Nach diesen ergebnislosen Befragungen wird Reimers Verhör am 23. Juni 1820, vor- und nachmittags fortgesetzt, wobei er u. a. nach seiner aus einem Brief zu schließenden näheren Beziehung zu Mühlenfels gefragt wird und wie er sich das ihm beigelegte Prädikat „Vater und Hausherr" erklären könne. 394 „Daß v. Mühlenfels mit andren Individuen in einer den Zwecken des Staats zuwiderlaufenden dauernden Verbindung stehe", kann Reimer sich freilich nicht vorstellen 395 und auch als es um die Verbreitung der Follenschen Liedersammlung „Freie Stimme freie Jugend" 396 geht und er zum Verfasser, Druck und der Ver-

392 393 394 395 396

Ebda., Bl. Ebda., Bl. Ebda., Bl. Ebda., Bl. Ebda., Bl.

166. 168f. 170. 172. 173 RS.

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breitung „des aufführerischen Lieds: ,Teutsche Jugend an die teutsche Menge"' 397 befragt wird, zeigt er sich unwissend. 398 Die weitere Verhandlung am 26. Juni 1820 bezieht sich auf Reimers Verhältnis zu den Doktoren Jung und Rödiger und zu seinem Freund, dem Professor Arndt, von dessen Geist der Zeit er zwar einen Teil während des Krieges in Dessau habe drucken und von der Firma Boosey in London habe ausgeben lassen, doch habe er niemals etwas im Geheimen gedruckt oder zu drucken beabsichtigt.399 In der an das Protokoll dieser Verhandlung folgenden Eingabe wiederholt Reimer, was er schon mehrmals mündlich geäußert habe, „daß nämlich, wenn diese Angelegenheit in gleicher Ausführlichkeit wie sie angefangen hat, fortgesetzt wird, und sich nur auf Gegenstände richtet, deren Erörterung zu keinem wesentlichen Resultat führen kann; die Sache eine Ausdehnung gewinnt, die abgesehen von der Unannehmlichkeit, welche sie augenscheinlich für mich hat, mir alle zu meinen verwickelten Geschäften dringend erforderliche Zeit raubt. Wenn daher die Fragen nicht ausdrücklich auf Hauptsachen, wenn solche vorhanden sind, wie ich bezweifeln muß, gerichtet werden können, so muß ich entweder bitten mir alles auf die Untersuchung Bezug Habende schriftlich mitzutheilen, damit ich es bei Muße ausführlich beantworten kann, oder ich muß mich aller ferneren Einlassung entziehen und erwarten, daß aus den vorfundenen Materialien Anklagepunkte wider mich gebildet werden, gegen welche ich mich rechtfertigen zu können im voraus gewiß bin."400 Gleichwohl wird die Verhandlung am 28. Juni 1820 fortgesetzt mit Reimers Befragung zu der Schrift blicke auf den Würtembergischen Landtag von 1815— 1817, deren Verfasser — es ist Uhland! — Reimer zwar bekannt sei, doch könne er ihn nicht nennen, da ihm die Mitteilung „im engsten Vertrauen, gegen Entnehmung des Versprechens der Nahmensverschweigung" gemacht worden sei.401 Reimer wird auch zu einzelnen Personen aus seinem Bekannten- und Freundeskreis und auch zu speziellen Briefen befragt, zu denen in der Akte ein chronologisches Verzeichnis angefertigt und ausfuhrliche Bemerkungen festgehalten wurden. Vom 13. Februar 1821 stammt eine ausführliche Eingabe der Untersuchungskommission an den Minister Kircheisen, unterzeichnet von Trützschler, Sydow, 397 398 399

400 401

Ebda., Bl. 174. Ebda., Bl. 173f. Ebda., Bl. 181. Allerdings verlegte er etwa von Ludwig Daniel Jassoy unter dem Titel Welt und Zeit anonym boshafte Glossen, deren vierter Teil als Verlagsangabe im Titel nur Germanien. 1819 enthielt. Da der fünfte Teil gleichwohl von der preußischen Zensur nicht mehr genehmigt wurde, erschien er in Württemberg im Metzler Verlag (vgl. Wittmann: Ein Verlag und seine Geschichte, S. 393; D. Reimer: „'Der Druck muß mit Vollziehung des Contraktes beginnen ... "', S. 61). - Der erste Teil, der 1815 zuerst verlegt worden war, kam 1816 bereits in zweiter Auflage auf den Markt, der zweite und dritte 1817 und 1818 (Kat 1843). Berlin, StaPK, Rep 77 XXI, BU. 159-165, hier Bl. 184. Ebda, Bl. 185.

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Hoffmann, Kuhlmeyer und von Gerlach, in der sie eine weitere Vernehmung Reimers ablehnen: „Was unter dem unbestimmten allgemeinen Namen politischer Umtriebe bisher verstanden worden, kann alles für ein wirk / liches Verbrechen offenbar nicht geachtet werden. Wenn auch einzelne Handlungen, die unter diese Kathegorie gehören, strafbar erscheinen, so läßt sich doch daraus ein Schluß auf die Strafbarkeit aller übrigen hierunter begriffenen in entfernter Verbindung damit stehenden Handlungen nicht machen. Es läßt sich daher die Feststellung eines Corpus delicti in dieser Allgmeinheit des Begriffs von politischen oder auch von revolutionairen Umtrieben gar nicht denken, sondern es kann gegen jedes Individuum nur auf die einzelnen Hand / [B1 327 ] lungen ankommen, wodurch es zu der durch ganz Deutschland verbreiteten Unruhe mitgewirkt hat oder mitgewirkt haben soll. Daß wir nun gegen den Reimer keinen Verdacht zu einer einzelnen verbrecherischen Handlung dieser Art begründet, selbst einen solchen Verdacht in den Schriften der Bundes CentralKommssion nicht geäußert finden, geht aus unserm gehorsamsten Berichte deutlich hervor. Es kann daher unsers Erachtens von einer Vernehmung des Reimer als Zeugen zum Behuf der Feststellung des Thatbestandes eines Verbrechens hier nicht die Rede sein und noch weniger / von einer General Inquisition gegen ihn, [...] da eine solche General Inquisition immer einen hinreichenden Verdacht eines wirklichen Verbrechens erfordern würde, welcher aber, wie vorgedacht, hier nicht vorhanden ist"«» 2 Die „verlangte neue Vernehmung des Reimer" könne höchstens in polizeilicher Rücksicht gerechtfertigt werden und falle damit nicht in ihr Ressort. Der Hofrichter Pape, der Ernst Moritz Arndt verhört, verlangt gleichwohl am 2. Juni 1821 von der „Kgl. Immechat-Untersuchungskommission" die Vernehmung Reimers über Arndts Briefe an ihn. Am 6. Juni 1821 findet eine weitere Vernehmung statt.403 Insgesamt hatte Arndt etwa 120 Briefe an Reimer geschrieben. Reimer und Arndt werden über bestimmte Briefe getrennt verhört, wobei man versucht, sie in gegensätzliche Aussagen zu verwickeln. 404 Wilhelm von Gerlach und Ε. T. A. Hoffmann als Mitglieder der Königlichen Immediat-Untersuchungskommission zur Verfolgung demagogischer Umtriebe weigern sich im Sommer und Herbst 1821 schließlich, die Ermittlungen gegen Reimer weiter zu führen; dies sei „mit unserer Richterpflicht und unserer Ehre unvereinbar", so Wilhelm von Gerlach. Beide bitten „wegen des Reimer angetanen Unrechts sogar um Dienstendassung." 405 Als man Reimer anbietet, er könne die nicht benötigten seiner beschlagnahmten Papiere abholen, lehnt er dies ab mit der Begründung, man habe sie 402 403 404

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Berlin, StaPK, Rep 77 XXI, Bll. 325-331, hier Bl. 326f. Ebda., Bll. 345-356. Vernehmungsprotokoll vom 6. 6. 1821. Manfred Reißland: „G. A. Reimer und Ernst Moritz Arndt." In: Wissenschaftliche Zeitschrift der Ernst-Morit^-Arnd—Universität Greifswald 34 (1985) 3-4. S. 80-82. Vgl. Akte im Berliner Hauptarchiv Depos. Nr. 119 (ehem. Brand.-Preuß. Hausarchiv), Rep 192 - Wittgenstein V, 5, 37. Zit. nach: Aus den Jahren preussischer Not und Erneuerung, S. 222f.

2. Phasen der Verlagsgeschichte

143

geholt, so solle man sie ihm auch wieder bringen. Mit Datum vom 19. Februar 1863 bestätigt Reimers Sohn schließlich, „drei Pakete enthaltend: Unerhebliche Papiere des Buchhändler Reimer Vol. 1. 2. 3. empfangen zu haben". 406 Die „erheblichen Papiere", die 1819 beschlagnahmt wurden, werden heute vom Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz gehütet. 407

Auswirkungen

der

Verfolgungen

Rechtsgrundlage für die „strenge Überwachung und Verfolgung geheimer Gesellschaftsbildungen in der Restaurationszeit" war das Zensur-Edikt von 1798, dessen Bestimmungen im Gefolge der Karlsbader Beschlüsse durch die Zensur-Verordnung vom 18. Oktober 1819 verschärft wurden. 408 Noch im Januar 1823 hat Schleiermacher sich in drei Verhören über die Briefe, die er an Arndt und Reimer geschrieben hatte, zu erklären. 409 Reimer, der sich noch im Sommer 1824 bitter über die harten Maßregeln im Vertrieb seiner Bücher beklagen muß, in diesem Jahr aber gerichtlich vollständig rehabilitiert wird, erlangt schließlich im Januar darauf in persönlicher Unterredung mit Kamptz alles, was er wünschte. In bezug auf die Schriften der Universität wurde festgestellt, daß die Gelegenheits- und andere offizielle Schriften außer den Dissertationen, die sogleich freiblieben, dem Regierungsbevollmächtigten vorgelegt werden müßten, sonst aber weiterer Zensur nicht unterworfen werden sollten.410 1824 will Reimer die zweite Auflage von Fichtes Reden an die deutsche Nation verlegen. Gerade ist er in dem gegen ihn wegen Zensurvergehen geführten Prozeß freigesprochen worden; dieser Sieg gegen seine Verfolger regt ihn an, just zu diesem Zeitpunkt ein umstrittenes Werk neu herauszubringen. Doch im Fall der Fichteschen Reden unterliegt Reimer. Das Oberzensurkollegium und die zuständigen Ministerien entscheiden anhand dieses Falles („lex Reimer") grundsätzlich, daß Bücher, die vor dem Zensuredikt von 1819 erschienen waren, nur mit erneuter Zensurgenehmigung neu aufgelegt werden dürften. Reimer aber gibt die

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Berlin, StaPK, Rep 77 XXI, Bl. 364. Berlin, StaPK, Papiere erheblichen Inhalts des Buchhändlers Reimer 1814-1820. Rep 77 XXII Litt. R. 8 adhib. enthält 316 Bl. Dann: „Geheime Organisierung", S. 413. - Was die Probleme mit der Zensur betrifft, die Reimer im Fall der Hutten-Ausgabe und der Ausgabe der Memoiren Napoleons hatte, sei auf die Untersuchung von Doris Fouquet-Plümacher verwiesen: „Jede neue Idee kann einen Weltbrand anzünden". Vgl. Lenz: Geschichte der Universität Berlin Bd. 2.1, S. 174. Lenz: Geschichte der Universität Berlin Bd. 2.1, S. 183.

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II Entstehung und Entwicklung der Firma

verbotenen Reden seinem Kollegen Herbig, der die neue Auflage in Leipzig herausbringt.411

Ankauf anderer Verlage Nach dem Krieg kann Reimer sein Geschäft systematisch erweitern, auch, indem er andere Verlage ganz oder teilweise aufkauft.412 In den 42 Jahren von Reimers selbständiger Berufstätigkeit verändert sich die Verlagslandschaft in Berlin. Sie verändert sich und wird verändert — nicht zuletzt durch seinen expandierenden Betrieb. Von den 28 Verlagen, die es im Jahr 1800 in der preußischen Hauptstadt gab, sind es zehn, die Reimer im Lauf der Jahre ganz oder teilweise in seinen Besitz bringt: Himburg, Lange, Matzdorff, Maurer, Oemigke, Pauli, Quien, Sander413, Schöne und Unger. Außerdem Bestände von Beygang und den Leipziger Verlagen Breitkopf und Härtel414; der wichtigste Kauf freilich ist die Weidmannsche Buchhandlung im Jahr 1822. Dennoch findet in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts keine Konzentration im Sinn einer Monopolisierung im Verlagswesen statt, dafür sorgen die vielen Neugründungen, so daß es 1842 in Berlin 72 Verlage gibt, die von den 12.236 Neuerscheinungen in deutschen Orten 1.140 Werke herausbringen. Während es laut Codex Nundinarius zu Beginn des Jahrhunderts nur sieben Sparten gab, nämlich Theologie (protestantisch und katholisch), Jurisprudenz, Medizin, Geschichte und ihre Hilfswissenschaften, philosophische Wissenschaften, Poesie und Musik, sind es 1842 fünfundzwanzig, die Reimer mit seinem Verlagsprogramm alle — mit unterschiedlichem Gewicht - abdeckt. 1814 teilte Reimer Jean Paul mit, er habe schon vor längerer Zeit alle Bestände seiner Bücher aus Matzdorffs Verlag übernommen, womit sich die wichtige Rolle ankündigte, die Reimer für Jean Paul415 bis zu dessen Tod und als Verleger der Werkausgabe weit darüber hinaus spielen wird. Schon vor dem endgültigen Bankrott des Ungerschen Verlags übernimmt Reimer wichtige Verlagstitel des früh verstorbenen Kollegen Johann Friedrich Unger (1753-1804), dessen Frau Friederike Helene Unger416 den Verlag zu411

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Zu diesem Thema: Max Lehmann: „Fichtes Reden an die deutsche Nation vor der preußischen Zensur". In: Ders.: Historische Aufsätze und Rede/t. Leipzig: Hirzel 1911. S. 200-214. Vgl. Georgi: Entwicklung des Berliner Buchhandels bis 1925. Die Sandersche Buchhandlung wird am 3. 12. 1837 für 20.000 Taler für den Sohn Georg Ernst gekauft; Kaufvertrag in der Mappe Kaufverträge. Von Breitkopf & Härtel erwirbt Reimer mit Datum vom 12. 11. 1817 die Adelungsschen Wörterbücher; Kaufvertrag in der Mappe Kaufverträge.Dort auch Unterlagen zur Übernahme der Baer Boickeschen Buchhandlung 1818. Vgl.: Fertig: „Ein Kaufladen voll Manuskripte", S. 333ff. Vgl.: Kutzsch: Die Ungers - ein Künsder- und Verlegerehepaar vor 200 Jahren Zwei Randfiguren der Berliner Kulturgeschichte. In: Oer Bär von Berlin. Jahrbuch des Vereins für die Geschichte Berlins 37 (1988), S. 101-113.

2. Phasen der Verlagsgeschichte

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nächst weiterführte417; wobei vor allem die Shakespeare-Ausgabe zu nennen ist, von der im Zusammenhang mit den Herausgebern Schlegel und Tieck ausführlicher die Rede sein wird. Aus der im März 1816 stattfindenden Auktion der Ungerschen Konkursmasse hat Reimer, wie er im Allgemeinen Bücher-Verzeichnis, das Michaelis 1816 herauskam,418 formulierte, „eine bedeutende Anzahl Artikel an sich gekauft, worüber ein besonderes Verzeichnis erschien". Aus den Reimerschen Hauptbuchseiten des Auctions-Commissars Bratring ist zu ersehen, wie viele Exemplare einzelner Titel Reimer jeweils für welchen Preis erwarb. Im ganzen sind es Bücher für 1805. 3 Taler. Dazu kamen 501 Taler „für die erstandene Ungersche Glättmaschine", 70 Taler „für erstandene 3200 St. engl. Preßspäne", 10. 20 „für engl. Velinp." und 82. 4 „für erstandene 4 Ballen kl. franz. Velinp.", so daß sich eine Summe von 2.469. 3 Talern ergab.419 Die Auktionspreise lagen weit unter dem normalen Buchhändlerrabattpreis. 109 Exemplare von Friedrich Schlegels Alarcos etwa erstand Reimer für 2. 4 Taler; da der Titel im Verkaufspreis (noch im Kat 1843) 10 Sg betrug, hätte Reimer also, bei Verkauf der gesamten noch vorhandenen Auflage und unter Berücksichtigung des Buchhändlerrabatts, den er zu zahlen hat, wenn er nicht alle Exemplare selbst verkauft, 28 Taler verdient.420 Auf der „Paulischen Auction" im Juni 1818 ersteigerte Reimer 33 verschiedene Artikel für 1.404. 10 Reichstaler.421 Für Auktionsbücher aus der Paulischen Handlung zahlte Reimer dem Auctions-Commissarius Rauch u. a. am 16. März 1836: 460. 17 Taler;422 für Bestände des Maurerschen Verlags am 30. Januar 1837: 296. 29 Taler.423 Zweiter Verlagsstandort: Die Weidmannsche Buchhandlung in Leipzig Um ganz andere Dimensionen geht es bei den schon 1819 beginnenden Kaufverhandlungen mit den Besitzern der Weidmannschen Buchhandlung. Rei-

Mark Lehmstedt: „'Ich bin nun vollends zur Kaufmannsfrau verdorben'. Zur Rolle der Frau in der Geschichte des Buchwesens am Beispiel von Friederike Helene Unger (1751-1813)". In: Leipziger Jahrbuch %ttr Buchgeschichte 6 (1996). S. 81-154. 4 1 8 Exemplar im Buch- & Schriftmuseum der Deutschen Bücherei in Leipzig, hier S. 448f. 4 1 9 Hauptbuch II, 788. 4 2 0 Unter den von Unger 1816 erkauften Titeln (Hauptbuch II, 367 und 788) waren von Karl Philipp Moritz: 66 Andreas Hartknopf, eine Allegorie (1786); 167 Andreas Hartknopfs Predigerjahre (1790) - je 15 Sg. im Kat 1843; Anna St. Ives. Eine Geschichte aus dem Englischen, 5 Teile (in unterschiedlicher Exemplar-Zahl von 28 bis 71 - nicht mehr im Kat 1843.) Weitere bei diesem Ankauf erstandene Titel siehe Anhang A/II. 4 2 1 Hauptbuch II, 788; vgl. auch Hauptbuch II, 847. 4 2 2 Es folgen weitere Einträge 1837 bis 1840. 4 2 3 Hauptbuch II, 847. 417

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II Entstehung und Entwicklung der Firma

mers ursprüngliches Gebot von 40.000 Talern wurde 2ur Kaufsumme von 60.000 Talern hinaufgetrieben, obgleich man ihm meldete, daß für 10 000 Taler Makulatur vorhanden wäre, woraus man schließen müsse, daß seit Ph. E. Reichs Tode viele Werke in Verlag genommen seien, welche keinen Absatz gefunden hätten. Außerdem übernahm Reimer die Verpflichtung, den Vorbesitzern fünf Jahre lang eine Jahresrente von 3000 Talern und dem Geschäftsführer Hahn für die nächsten zehn Jahre eine jährliche Abfindung von 300 Talern zu zahlen.424 Woraus sich also eine Summe von 78.000 Talern ergibt.425 Mit Datum vom 9. Januar 1822 wurde der Kaufvertrag abgeschlossen.426 Durch den Kauf der Weidmannschen Buchhandlung und die Erwerbung des Großboseschen Gartens, sowie das Leip2iger Bürgerrecht etabliert Reimer sich auch in Leipzig. Per Geschäftsrundschreiben teilt er im März 1822 seinen Kollegen mit, daß er zu Beginn des Jahres die „alte wohlberufene Handlungsfirma" erstanden habe, deren Namen er laut Kontrakt beibehalten dürfe, „jedoch unter der ausdrücklichen Bedingung, daß ich derselben meinen eigenen Namen hinzufüge."427 In den Jahren ab 1825 lautet Reimers offÌ2Ìelle Anschrift im Leipziger Adreßbuch: „Reimer's Garten". Es handelte sich dabei um das ehemals Bosesche Grundstück vor dem „Grimmischen Thor" im Osten der Stadt, einen Barockgarten, den Ende des 17. Jahrhunderts der Großhändler und Ratsherr Caspar Bose hatte anlegen lassen, und der an seinem halbrunden Orangerieparterre auf alten Stadtplänen leicht zu erkennen ist.428 Heute umfaßt das Areal mehrere Straßenzüge, man kann sich also gut vorstellen, daß die Buchhändlerbörse, deren Bau auf Reimers Grundstück der Vorstand des Börsenvereins erwog,429 hier hätte erbaut werden können. Doch nicht erst seit er in Leipzig die Weidmannsche Buchhandlung und den Großboseschen Garten erworben hat, ist die sächsische Metropole zweitwichtigste Stadt für den Verleger. Regelmäßig besucht er die Buch-

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Volle«: Weidmannsche Buchhandlung, S. 72f., hier S. 73. In einem Brief von Perthes aus Hamburg an Reimer vom 10. 2. 1822 ist von 70.000 Talern die Rede (vgl. Notiz in der Mappe Kaufverträge, Archiv WdeG). Vollert: Weidmannsche Buchhandlung, S. 73. Geschäftsrundschreiben, in: Leipzig, Buch- und Schriftmuseum der Deutschen Bücherei, BöV-GR. Vgl. Birthe Rüdiger: „Der Großbosesche Garten — ,etwas Merckwürdiges von Leipzig'. In: „...die gan^e Welt im kleinen ..." Kunst und Kunstgeschichte in Leipzig. Hrsg. von Ernst Ulimann. Leipzig: E. A. Seemann 1989 (= Seemann-Beiträge zur Kunstwissenschaft). S. 9 2 102, hier S. 92. Leipzig, Staatsarchiv, Acta des Börsen-Vereins der dt. Buchhändler zu Leipzig. Verhandlungen und Protocolle der Generalversammlungen. Nr. 376, 1825-34, - Actum 17. May 1829 erklärt sich Reimer „auf die Anfrage d. Vorstandes, bei einer Lokalveränderung [des Börsenvereins] für einen Neubau in seinem Garten geneigt" (Bl. 14).

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messe, engagiert sich früh in berufsständischen Fragen430, und auch hier fallt er als Verfechter demokratischer Grundrechte auf.431 Als 1828 die Göschensche Druckerei im nahegelegenen Grimma zum Verkauf steht, erwirbt Reimer sie, um auch im Leipziger Raum selbst drucken lassen zu können.432 Der größte Verlag, der Reimer zum Verkauf angeboten wird, und der schließlich doch in Cottas eigener Familie weitergegeben wird, ist die Cottasche Verlagsbuchhandlung zu Beginn der dreißiger Jahre433 — also einer Zeit, in der Reimers Ausweitung seines Geschäfts vornehmlich seiner Nachfolgesicherung dient.

Konsolidiert. Werkausgaben in den zwanziger Jahren Laut Codex Nundinarius gibt es nach endgültiger Übernahme der Realschulbuchhandlung nur noch sehr wenige Titel mit diesem Impressum: 1824: 2, 1825 und 1826 keine, 1827: 3 und 1828: 2, obgleich es Reihen gab, die fortgeführt wurden, aber nun unter dem Namen Reimer. Wenn der Codex zuverlässig ist, gibt es ab 1829 gar keine Titel der Realschulbuchhandlung mehr, dafür von 1824 bis 1836 umsomehr Reimer in Berlin und auch Reimer in Leipzig — neben den Titeln in der Weidmannschen Buchhandlung.434 430

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Mitglied des Börsenvereins wird Reimer noch nicht im Gründungsjahr 1825, doch im Jahr darauf zur Jubilate-Messe wird er als Nr. 252 eingetragen (Verzeichnis der Mitglieder des Börsenvereins der deutschen Buchhändler zu Leipzig. Neu zusammengestellt im Jahre 1870, in: Leipzig, Staatsarchiv, Acta des Börsen-Vereins der dt. Buchhändler zu Leipzig. Verhandlungen und Protocolle der Generalversammlungen. Nr. 376,1825-34, Bl. 8). - Reimer zum Thema Nachdruck: am 9. 5. 1830 (Bl. 17) u. a. In den „Verhandlungen der ersten Hauptversammlung des Börsenvereins der dt. Buchhändler" vom 23. 4. 1837 hatte Reimer „in Betreff der Redaction des Börsenblattes den Antrag" gestellt, „daß jedes Mitglied des Börsenvereins berechtigt sein solle, die Aufnahme von Aufsätzen in das Börsenblatt zu verlangen, sofern dieselben die Unterschrift des Einsenders tragen und die allgemeinen Interessen des Buch- und Kunsthandels betreffen." Auch in der zweiten Generalversammlung vom 30. 4. 1837 beharrt Reimer auf seinem Antrag: „Das Prinzip müsse fest und durchaus ungekränkt bestehen, daß jeder Einzelne der Gesammtheit des Börsenvereins das vollkommene Recht habe, in dem Börsenblatte, als dem Organe des Vereins, zu sagen, was und wie er wolle", sofern es „von der Censur zulässig befunden wäre. Die willkührliche Entscheidung irgend einer Redaction, ob ein Aufsatz würdig sei, aufgenommen zu werden oder nicht, könne er nicht zugeben; auch spreche die Erfahrung dafür, daß die befürchtete Überfüllung des Börsenblattes mit seichten oder gar unwürdigen Aufsätzen, nicht eintreten würde." (Leipzig, Staatsarchiv: Verhandlungen des Börsenvorstandes und Verhandlungen und Protokolle der Generalversammlungen des Börsenvereins der deutschen Buchhändler zu Leipzig, Nr. 379, 1837; vgl. Amtliches Blatt des Börsenvereins Nr. 36, 5. 5. 1837.) Ein im De Gruyter Verlag erhaltenes, ab 1793 geführtes Buch enthält Zeugnisse der Lehrlinge dieser Druckerei; ab 1830 wurden sie im Namen Reimers erstellt. Vgl. Fouquet-Plümacher: „Georg Andreas Reimer und Johann Friedrich Cotta". Codex nundinarius. Siehe Anhang A/II.

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Obwohl Reimer zu Beginn der zwanziger Jahre noch Kämpfe mit der Zensur auszustehen hat, hat sein Verlag sich in dieser Zeit doch endgültig konsolidiert. Reimer ist nun sehr gezielt damit befaßt, Werkausgaben „seiner" Autoren auf den Markt zu bringen. Wobei einige Autoren sind, die auch etliche Werke im Lauf der Jahre bei anderen Verlegern veröffentlichen ließen, und Reimer zum Teil darum kämpfen mußte, den Zuschlag für die Werkausgabe zu erhalten. Als Werkausgaben sind zu nennen: Heinrich von Kleist, Jean Paul, Jakob Michael Reinhold Lenz, Ludwig Tieck, Theodor Gottlieb von Hippel, Ulrich Hegner, Ε. T. A. Hoffmann, Johann Georg Hamann435; als Wissenschaftsverlag deckt Reimer — der mit typisch romantischen Disziplinen begonnen hatte — spätestens in den zwanziger Jahren das ganze wissenschaftliche Spektrum der Zeit ab. Sein Verlag ist eindeutig ein wissenschaftlicher, mit Schul- und Gesangbüchern als Longsellern. Am 5. Januar 1826 schreibt Reimer an A. W. Schlegel: „Vielleicht haben Sie auch gelegentlich die Güte meinem Sohn zu sagen, wie und wann die Ausführung Ihres gütigen Antrags mir den Verlag Ihrer gesammelten Schriften zu übertragen ins Werk gerichtet werden könnte. Mir wäre eine vorläufige Ankündigung dieses Unternehmens jetzt lieb, wo ich mit ähnlichen Sammlungen der Werke anderer Schriftsteller beschäftigt bin, namentlich Tiecks und J. Pauls."436 In erster Linie kommt er damit Publikumswünschen entgegen, denn er hat erkannt, daß die Leser bereit sind, mehr Geld in Büchern anzulegen, wenn sie „Sämtliche" oder „Gesammelte Werke" ihres Autors bekamen. Mitte der zwanziger Jahre ist „das Publikum ganz besonders gesammelten Werken geneigt".437 Möglicherweise gibt es dafür eine soziologische Erklärung; es kann an gestiegener Kaufkraft des Publikums und daran liegen, daß der Bildungsgedanke jetzt ein größeres Publikum erfaßte. Die wirtschaftskräftigeren Bürger investieren in Büchern, um Belesenheit demonstrieren zu können. Die Ausgabe der hinterlassenen Kleistschen Schriften (1821) stand am Beginn dieser Serie von Werkausgaben im Reimer-Verlag, war aber noch früher geplant 435

Zu Hamann schreibt Arnim an J. Grimm (Dezember 1822, in: A. v. Arnim: Arnim und Grimm, S. 526): „ich habe mich oft im Stillen über Dich und den seligen Hamann gewundert, wie Ihr dem abstrakten Dinge so viel Bedeutung abgewinnen konntet. Du wirst den Mann jetzt aus seinen Schriften, 3 Bände Berlin Reimer, näher kennen gelernt haben, ich habe an Dich bei ihm denken müssen, auch meiner Frau fielst Du ein, nicht wegen der Art des Geistes, denn sowie Du gern alles in Pausch und Bogen abzuweisen suchst, was sich Deiner Ansicht nicht bequemt, so sucht er wiederum auch das Widersprechendste geistig zu durchdringen, und so wenig er im Stande ist bei einer schriftstellerischen Arbeit anzudauern, so kannst Du dagegen Jahre lang mit Festigkeit sie verfolgen; nur in der Art der Beschäftigung, der Aufrichtigkeit gegen Freunde, in Treue und Liebe gegen ihr Andenken mitten unterm Bücherstaube, darin liegt, was uns beide an Dich erinnerte."

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Reimer an A. W. Schlegel, Berlin, 5. 1. 1826, in: A. W. Schlegel: Briefe von und an Bd. 1, Nr. 304, S. 438f., hier S. 439. Reimet an A. W. Schlegel, 20. 3. 1826, in: A. W. Schlegel: Β riefe von und an Bd. 2, zu Ni. 313, S. 197f., hier S. 197.

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2. Phasen der Verlagsgeschichte

worden. 4 3 8 Im zehnten Band von Ε . T. A. Hoffmanns Ausgewählten erscheint 1828 folgende Anzeige auf andere Werkausgaben:

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„Bei dem Verleger dieses sind erschienen: J. Pauls sämmtliche Werke, 60 Bände, in 12 Lieferungen. Preis auf Druckpapier 40, auf weißem Druckpap. 44, auf franz. Papier 55, auf Velin Papier 68 Thlr. Von folgenden Werken bestehen die daneben bezeichneten Prän. Preise in sächs. Gelde bis Michaelis: Th. G. v. Hippels (Verf. der Lebensläufe in aufsteigender Linie) Werke in 12 Bänden die etwa 13 Alphabete enthalten auf Druckpap. 7 Vi, mit Chodowiecky'schen Kupf. 10, auf weißem Papier mit Kupfern 13 Vi Thlr., auf Velinpap. 22 V2 Thlr. (Ferner sind 6 Bände erschienen, und die fehlenden 5 Bände werden bis gegen Johannis fertig.) U. Hegners (Verf. der Molkenkur ec.) Werke, in 5 Bänden, auf Druckpap. 5 Thlr., auf engl. Druckpap. 6 2 / 3 Thlr., auf Velinpap. 9 Thlr. (Die drei ersten Bände sind erschienen, die beiden letzten werden zu Michaelis im Druck vollendet seyn.) Zu Johannis erscheint von: L. Tieks sämmtlichen Schriften die erste Lieferung in 5 Bänden; enthaltend 1) Octavian die drei Bände vom Phantasus und die Genoveva. Die Pränumerations-Preise für jede Lieferung sind auf weißem Druckpap. 5 Thlr., auf franz. Papier 6 2 / 3 auf gegl. Velinp. 8 Thlr. Die zweite Lieferung, welche noch vor Michaelis ausgegeben werden wird, soll den Lovell, Abdallah, Zerbino und einige Erzählungen enthalten. Da die Handschrift zu ersten und zweiten Lieferung bereits vom Verfasser abgeliefert ist, so kann die Erscheinung in der angegebenen Frist mit unfehlbarer Gewißheit versprochen werden." In einem undatierten (wohl aus den zwanziger Jahren stammenden) Entwurf einer Eingabe an das Ministerium, verbindet Reimer die Bitte um Zollfreiheit für Artikel der Weidmannschen Buchhandlung, die er durch Ankauf erworben hat, mit einem allgemeinen, offensichtlich schon früher gestellten Gesuch, den Büchern auferlegten Zoll, der „besonders drückend" sei, abzuschaffen. Als Begründung nennt er die festen Preise und das Kommissionsgeschäft im Buchhandel. Man dürfe „ohne Uebertreibung annehmen, daß jede Buchhandlung im Durchschnitt ein Vierthel bis ein Dritthel der empfangenen Bücher dem Verleger zurückgeben, und folglich von diesem Theil ohne allen Nutzen Steuer entrichten muß." Sein Gesuch sei „übrigens um so weniger verdächtig", als er „als bloßer Verlagshändler kein persönliches Interesse dabei habe, sondern nur ausschließlich das allgemeine dabei berücksichtige, indem rückgehende eigene Verlagsartikel der Steuer nicht mehr unterworfen sind." 439 Die oben schon zitierte Tagebuchäußerung Ludwig von Gerlachs über Reimer „ E r hat bloß Verlag" 4 4 0

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Vgl. V, 4.

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Eigenhändiger Entwurf Reimers; in der Mappe Kaufverträge.

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Tagebuch Ludwig von Gerlachs, 10. 11. 1817, in: Aus den Jahren preussischer Not und Erneuerung, S. 256.

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II Entstehung und Entwicklung der Firma

scheint also zuzutreffen; demnach muß die von Reimer im Palais Wilhelmstraße 73 eingerichtete Buchhandlung eine Verlagsbuchhandlung und keine Sortimentsbuchhandlung gewesen sein; Bücher aus anderen Verlagen hat er demnach nur für seine Autoren besorgt. Über die veränderte Bedeutung der Buchmessen schreibt Reimer in einem Rundschreiben für die Kollegen aus dem Jahr 1823: „Der Verkehr geht außer den Zeiten der Messen nicht weniger lebhaft als während derselben, und die Versendung neuer Bücher geschieht jederzeit wie sie fertig werden." 4 4 1 In den zwanziger Jahren gehört Reimer zu den Bürgern, die sich für den griechischen Freiheitskampf engagieren. Was im Beginn des Aufstandes der Hellenen fast wie Hochverrat angesehen war, wurde jetzt von oben her befördert. Der vorsichtigste und höfischste aller Professoren, Staatsrat Hufeland, durfte im Frühjahr 1826 seinen Namen an die Spitze eines Aufrufes zur Sammlung von Geldern für die Aufständischen setzen, und der König selbst zeichnete, allerdings anonym, 1.200 Friedrichsdors. Der Dekan der theologischen Fakultät, Marheineke, bat im Namen seiner Studenten, auch unter ihnen eine Liste zirkulieren zu lassen; in den Gymnasien und in allen Klassen der Gesellschaft wurde gesammelt; durch ganz Deutschland hin wurden Hilfsvereine gebildet. 442 In den beruflich äußerst erfolgreichen zwanziger Jahren treffen Reimer doch auch einige Schicksalsschläge. 1821 stirbt der Sohn Ludwig Gottwalt im Alter von 3 Vi Monaten. Zwei Jahre später berichtet Bettine von Arnim über einen weiteren plötzlichen Kindstod (Walther Immanuel) in der Familie Reimer und einen großen finanziellen Verlust: „Reimer hat ein gesund scheinendes Kind von 8 Monaten plötzlich verloren, sie ist schon wieder einer Entbindung nahe, man schreibt es Reimers ungeheurer Eilfertigkeit in der Bevölkerung zu [gemeint ist damit wohl ihr karitatives Engagement], daß dies Kind gestorben. Er hat vor kurzem noch einen Verlust von 40 000 Talem erlitten bei einem Bankerutt, der durch den pommerischen Herings fangversuch ausgebrochen, wobei er interessiert war." 443 Es ist dies die einzige Information, die wir über eine beträchtliche Spekulation Reimers außerhalb des Verlagwesens haben.

Die Cholera in Berlin 29. August 1831. Auf einem Torfkahn, der in Charlottenburg angelegt hatte, stirbt ein Schiffer an der Cholera, die hiermit erstmals auch Berlin erfaßt und ingesamt 1426 Todesopfer fordert.

441 442 443

Kapp/Goldfriedrich: Geschichte des deutschen Buchhandels Bd.3, S. 155. Lenz: Geschichte der Universität Berlin Bd. 2.1, S. 184. Bettine an Arnim, Berlin, 16. 11. 1823, in: Achim von Arnim: Achim und Bettina in ihren Briefen. Bd. 1, S. 425-432, hier S. 430.

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Nahezu unvorbereitet und ohne geeignete medizinische Gegenmittel wird Preußens Hauptstadt von der Seuche in Angst und Schrecken versetzt. Die hermetische Abriegelung Berlins und der Versuch, mit Hilfe eines Militärkordons an der Oder die aus Indien stammende und über Rußland und Polen vordringende Cholera aufzuhalten, erweist sich als nutzlos. Schon einen Tag nach dem Todesfall in Charlottenburg erfaßt die tödliche Krankheit Berlin, wobei vornehmlich die Gegend um den Schiffbauerdamm betroffen ist. Bereits jetzt, nach wenigen Tagen, ist das am Ende der Dorotheenstraße errichtete CholeraLazarett mit seinen 13 Betten total überfüllt. Anfänglich scheint es trotzdem so, als wollten die Berliner die furchtbare Gefahr nicht wahrnehmen: Die Theater, Feste und Gesellschaften werden wie normal weitergeführt. Nur der Königliche Hof trifft seine Vorsichtsmaßnahmen. So will König Friedrich Wilhelm III. eigentlich unter strengster Abschirmung im Schloß Charlottenburg verweilen, wechselt dann aber doch nach Berlin über. Im Oktober erfüllt allerorts ein widerlicher Geruch die Stadt, verursacht durch den übermäßigen Gebrauch von Desinfektionsmitteln. Allgegenwärtig sind Sanitätspolizei und die in schwarzes Glanzleder gekleideten Kranken- und Totenträger, die beständig als Warnung die todkundende Klingel vor sich herbimmeln. 444 Der Schriftsteller Karl Gutzkow beschreibt die Schrecken der Cholera: „Das war wahrlich ein Gegensatz zur Idealitätsphilosophie! Die Welt des Lichtes, der Ahnung und Schönheit in unserer Brust und nun diese Cholerapräservative, diese wollenen Leibbinden, diese mit dunklem Wachstuch überzogenen Totenkörbe, ... diese Tafeln, die an die Häuser geheftet werden sollten, diese Cholerastationen in jedem Stadtviertel!'" 445 Reimer reagiert schnell. Noch im Jahr 1831 erscheinen fünf Veröffentlichungen über die Cholera in seinem Verlag: von Heinrich Bidder Erfahrungen über die Verbreitungsweise der Cholera·, von Johann Eduard Gnuschke Die Cholera in Polen, auf einer Reise durch einen Theil des Landes beobachtet-, von Johann A d a m von Reider Die Cholera Wien\ eine von P. v. Kildjuschewsky Kur^gefaßte Beschreibung der Cholera und der Methode sie heilen und von M. Schlesinger Ober die spezifische Behandlung der Cholera. Eine auf die Natur der Krankheit gegründete, in der Erfahrung sich vorzüglich bestätigende Heilmethode·, eine weitere Veröffentlichung von J. D. Brandis Über den Unterschied %wischen epidemischen und anstekkenden Fiebern. Im Jahr darauf erscheinen bereits von C. von Rau Geschichte der Verbreitung der Cholera und ihrer Verheerungen in Asien, Africa und Europa von 1817 bis Endel831 und von Moritz Heinrich Romberg Bemerkungen über die asiatische Cholera. Mitgetheilt in einem Bericht über das Cholera-Hospital No. 1 %u Berlin. A m Sonntag Septuagésima 1832 schließlich hält Schleiermacher eine Dankespredigt nach der Befreiung von der Cholera, die Reimer ebenfalls veröffentlicht. Eine letzte Veröffentlichung zu diesem Thema ist 1836 L. Grünbergs

444 445

Michael Kling und Andreas Meyer von der Twer. In: Chronik Berlin, S. 192. Karl Gutzkow. Zit in: Chronik Berlin, S. 192.

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II Entstehung und Entwicklung der Firma

Theorie der orientalischen Cholera oder versuchte Beantwortung der von der Russ. Regierung aufgegebenen Frage über diese Krankheit,446 Wieder ist Minna bei den aufopferungsvollen Frauen, die Kranke pflegen, und damit ihr eigenes und das Leben ihrer Familie aufs Spiel setzen. Ein Mädchen, das durch die Cholera beide Elternteile verloren hat, nehmen die Reimers als Pflegekind bei sich auf. Reimer im Berliner Magistrat Auch in seinem öffentlichen Engagement als Stadtverordneter und Stadtrat geht Reimer Streit nicht aus dem Weg. Das zeigen die Auseinandersetzungen, die er als Mitglied der Armendirektion mit dem Berliner Oberbürgermeister Bärensprung hat.447 Reimers Engagement im Berliner Magistrat wäre näher zu untersuchen anhand der Magistratsakten im Ostberliner Stadtarchiv.448 1825 und 1828 wurde Reimer zum Stadtverordneten gewählt und in den Jahren 1831 und 1837 zum Stadtrat. Als solcher vertrat er eine streng demokratische Position, die etwa hinsichtlich der Position des Oberbürgermeisters auch durch die Städteordnung nahegelegt wurde, denn ihr zufolge war er „eigentlich nur primus inter pares."449 Schon 1828 hatte Reimer eine Schrift über die öffentliche Armenpflege in Berlin mit bes. Rücksicht auf die 4 Verwaltungsjahre 1822-25. Dargestellt von der Armendirection. „zum Besten der Armen" in Kommission genommen (Kat 1843: 10 Sg.). Als Rehfeldt im Sommer 1832 eine neue, im Auftrag des Magistrats angefertigte Schrift über das Berliner Armenwesen vorlegte, in der auch die kritische Finanzlage der Stadt thematisiert wurde450, wurde diese Schrift Anlaß eines heftigen Streites zwischen dem Oberbürgermeister und — vor allem Reimer, der sich hier womöglich auch als Verleger angesprochen fühlte. Der Satz der zunächst nur für die Beratung im Magistrat gedruckten Schrift sollte laut Magistratsbeschluß vom 7. September 1832 vernichtet werden, da die Schrift „zur Vorlegung an die vorgesetzten Behörden nicht geeignet sei." Als jedoch der damals gerade neu amtierende Oberbürgermeister Bärensprung auf Veranlassung des Polizeipräsidiums von den Magistratsmitgliedern die Korrekturabzüge der 446

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Das - nicht erst anläßlich der Cholera in Berlin aktuelle - Thema „Tod" wird im Verlagsprogramm in Schriften unerschiedlichster Herkunft behandelt; hierzu Anhang A/II. Vgl. Clauswitz: Die Städteordnung von 1808 und die Stadt Berlin, S. 153f.- Vgl. zu diesem Thema auch: Wolfgang Harth: „Zu den Anfangen der Stadtverordnetenversammlung von Berlin. Ein weiterer Beitrag zur Geschichte der Berliner Volksvertretung." In: Der Bär von Berlin. Jahrbuch des Vereins für die Geschichte Berlins 39 (1989/90). S. 15-29. Landesarchiv Breite Straße. Paul Clauswitz: Oie Städteordnung von 1808 und die Stadt Bertin. Reprint [d. Ausg. Berlin 1908.] Mit einem Beitrag: Stadtgeschichte Berlins als wissenschaftliche Disziplin. Paul Clauswitz und der Beginn einer selbständigen Berlin-Geschichtsschreibung von Andreas Kaiser. Berlin: Springer 1986, hier S. 151. Vgl. Clauswitz: Die Städteordnung von 1808 und die Stadt Berlin, S. 152.

2. Phasen der Verlagsgeschichte

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Schrift einforderte und Rehfeldt als dem Verfasser Weisungen gab, nach denen sich seine Umarbeitung richten sollte, kam es in der Sitzung v o m 2. November 1832 zu einem erbitterten Wortwechsel Bärensprungs mit dem Bürgermeister und einigen Stadträten, besonders dem Stadtrat Reimer. Der Kernpunkt des ganzen Streites war, daß man dem Oberbürgermeister so gut wie keine Disziplinargewalt über die Mitglieder des Magistrats und überhaupt nur ein geringes Maß von Präsidialrechten zugestehen wollte. Man verlangte unter anderem, die eingeforderten Korrekturabzüge müsse er auf Beschluß des Magistrats wieder an die Mitglieder herausgeben. Es kam zu einer vollständigen Auflösung der Sitzung. Der Gegensatz verschärfte sich unmittelbar nach diesem Vorgange noch dadurch, daß der Oberbürgermeister den Stadtrat Reimer seiner Stellung als Mitglied der Armendirektion enthob und ihm dafür ein anderes Dezernat gab, wozu ihm Reimer das Recht absprach. [...] Die Regierung hielt die an Reimer ergangene Verfügung für berechtigt, darüber aber, wie weit die Präsidialbefugnisse des Oberbürgermeisters auszudehnen seien, erbat sie sich eine Äußerung des Ministeriums. Das Ministerium machte darauf in einem Erlaß vom 10. Mai 1833 zwar die Anordnung wegen des Stadtrat Reimer nicht rückgängig, bemerkte jedoch hinsichtlich der Präsidialgewalt des Oberbürgermeisters, daß man sich nur an die Städteordnung halten müsse, die Stellung eines eigentlichen Vorgesetzten des Magistrats lasse sich aber aus ihr nicht begründen. 451 Reimer konnte sich in der Richtigkeit seiner grundsätzlichen Anschauungen bestätigt sehen. 452

Familienpolitik zur Nachfolgesicherung Der Nachfolgesicherung ist es zuzurechnen, wenn Reimer 1831 überrascht und erfreut auf Johann Friedrich Cottas Andeutungen, seinen gesamten Verlag verkaufen oder zumindest einen tüchtigen Associé aufnehmen zu wollen, eingeht. 453 Obwohl Cotta annahm, daß sein Verlag künftig in Reimerschen Händen weiter gedeihen würde, und er schon die näheren Umstände eines Verkaufs der Cottaschen Buchhandlung an Reimer erörterte 454 , kam es bekanntlich nicht zu 451 452

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Ebda., S. 153f. Als Reimer gut charakterisierend wird auch seine Weigerung angesehen, „zum Regierungsantritt Friedrich Wilhelms IV. mit der goldenen Amtskette zu erscheinen. Diese ,Zeichen für Amt und Würde' sollten eigens zu diesem Anlaß angeschafft werden. Reimer wehrte sich so entschieden dagegen, daß die Berliner Stadträte erst nach seinem Tode im Jahre 1842 ihre Amtsketten erhielten" (Hedda Pänke: „Georg Andreas Reimer ... Keine Amtskette als Stadtrat.", S. 1280). Cotta an Reimer, 30. 4. 1831, in: Berlin, Archiv WdeG (Briefarchiv Rl). Vgl. Mojem: Cotta. Kepertorium seiner Briefe, S. 808, Nr. 4159. - Zu den Kaufverhandlungen zwischen Cotta und Reimer vgl. Fouquet-Plümacher: „Georg Andreas Reimer und Johann Friedrich Cotta". Cotta an Reimer, 4. 12. 1831, in: Berlin, Archiv WdeG (Briefarchiv Rl). Dieser Brief Cottas antwortet auf einen Brief Reimers o. D., der in Marbach, DLA erhalten ist. Vgl. Mojem: Cotta. Kepertorium seiner Briefe, S. 823, Nr. 4235.

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II Entstehung und Entwicklung der Firma

diesem Inhaberwechsel. Doch Reimer hatte für diejenigen unter seinen Söhnen, die seinen Beruf ergriffen, auch anderweitig schon vorgesorgt. In zwei Fällen band er höchst erfolgreich Angestellte seines Verlags in seine Familie ein; wobei die Protektion dem Geschäft förderlich war und sich auch privat günstig auswirkte. Gemeint sind hiermit Salomon Hirzel, der bei ihm gelernt hatte und den er zum Mitinhaber der Weidmannschen Buchhandlung machte, und Ferdinand Dümmler. Ferdinand Dümmler (1777-1846) war zunächst Angestellter der Dieterichschen Verlagsbuchhandlung in Göttingen, bevor er 1812 zu Reimer nach Berlin wechselte. 455 Welche Stellung er in der Realschulbuchhandlung innehatte, geht aus den Reimerschen Unterlagen nicht hervor; Schoofs Bezeichnung „Teilhaber der bekannten Firma Georg Andreas Reimer" dürfte etwas übertrieben sein, eher wahrscheinlich ist, daß er „als Prokurist dort tätig" war. 456 Nachdem Dümmler am 30. September 1814 schon die Sortimentsbuchhandlung von Julius Eduard Hitzig gekauft hatte, 457 erwarb Reimer für ihn im Jahr darauf dessen Verlag, da Dümmler selbst dafür zu zögerlich war. Am 15. Mai desselben Jahres verheiratete Dümmler sich mit einer jüngeren Schwester von Wilhelmine Reimer, Karoline Reinhardt. Deren Mutter, Wilhelmine Ludowicke (Ludovica) Jacobine Johanne Heidmann (geborene Ciaaßen, verwitwete Reinhardt, 1758-1832) 458 , also Dümmlers und Reimers Schwiegermutter, schildert die Auktion, bei der „der Jude Ascher und Reimer allein" boten, „der Jude war bis 5000 TLr. gegangen. Reimer hatte sich aber vorgenommen, sie dem Juden, der ein schlechter Mensch sein soll, der gewiß viel Chicanen würde gemacht haben, durchaus nicht zu laßen, und so hat er sie selbst für 5010 Tir. behalten, Reimer zweifelt nicht, daß Dümmler, wenn er seinen wahren Vortheil einsieht, die Handlung noch nehmen wird, denn er meint, daß er in ein paar Jahr alle das Geld, was sie ihm kostete, wieder heraus hätte, und sagt, es wäre eine wahre Thorheit gewesen, eine so vorteilhafte Sache aus den Händen zu laßen."459 Dümmler übernahm Hitzigs Verlag „unmittelbar d a r a u f aus Reimers Händen. Reimers ältester Sohn Karl absolvierte zunächst ein Studium, bevor er sich dem Geschäft des Vaters widmete. Als Reimer die Weidmannsche Buchhandlung kaufte, hatte er ihn vermutlich schon als Nachfolger dafür vorgesehen. Am 9. August 1824 schreibt Reimer an Wilhelm Grimm aus Leipzig: „Mein ältester Sohn Karl ist gegenwärtig hier, und unterstützt mich im Geschäft." 460

Vgl. Schoof: „Dümmlers Verlagshandlung als Grimmverlag", S. 1706. Schoof: „Dümmlers Verlagshandlung als Grimmverlag", S. 1706. 4 5 7 Vgl. Brauer: Diimmkr-Chronik, S. 47ff. 4 5 8 Vornamen laut Auszug aus dem Sterberegister der evangelischen Pfarrkirche St. Briccius in Magdeburg-Crakau (1832, Seite 82 Nr. 16). 45'·' Zit. nach: Brauer: Dümmkr-Chronik, S. 53. 4 6 0 Reimer an W. Gnmm, Leipzig, 9. 8. 1824, in: Berlin, StbPK, Nachlaß Grimm 1514, Bl. 14. 455 456

2. Phasen der Verlagsgeschichte

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Salomon Hirzel (1804—1877), ebenfalls ein Buchhändler mit akademischer Ausbildung, heiratete Reimers Tochter Anna (24. 7. 1813-15. 8. 1885) am 24. Juli 1831 und übernahm mit Karl die Weidmannsche Buchhandlung. Auch als Karl Reimer und Hirzel offiziell bereits Miteigentümer der Weidmannschen Buchhandlung waren, 461 wird der alte Reimer noch für geschäftsbestimmend gehalten. Das geht etwa aus Briefen Wilhelm Grimms an seinen Bruder Jacob wegen des Wörterbuchs hervor: „Ich halte den jungen Reimer für einen sehr braven Mann, aber der Vater ist Eigentümer der Buchhandlung, und ich weiß gewiß, daß der Sohn nichts für sich tun darf, was einigermaßen von Bedeutung ist. Hinter dem Vorschlag steckt der Alte, und wir müssen durchaus vorsichtig zu Werke gehen, ich kenne ihn hinlänglich" (9. April 1838).- „Ich bin davon überzeugt, solange der alte Reimer die Hände mit im Spiel hat, sowie ich nicht bezweifle, daß die gemachten Bedingungen von ihm herrühren.[...] Der Vorschlag, den Du machst, den Gewinn zu teilen, [...] ist aber nicht ausführbar, weil wir auf ein treues Buchhalten nicht rechnen können, solange der alte Reimer in der Angelegenheit steckt" (16. April 1838).- „Er (Perthes) warnt ebenfalls vor Reimer dem Vater. Er kenne ihn genau, er habe gute Eigenschaften, sei bereit, für seine Freunde Opfer zu bringen, habe aber in seinem Geschäft keine Grundsätze, sondern behandle alles nach Willkür. Kein Mensch könne ohne Hader und Zank mit ihm fertig werden, und das sei allgemein bekannt". 462 Ende des Jahres 1837 kaufte Reimer von Karl Wilhelm Eichhoff 4 6 3 die Sandersche Buchhandlung (für 20.000 Reichstaler) für seinen Sohn Georg Ernst; was als Beleg dafür gelten kann, daß er selbst, nun 61 Jahre alt, keineswegs vorhatte, sich in absehbarer Zeit aus dem Geschäft zurückzuziehen. Wenn er dies geplant hätte, wäre der Kauf nicht nötig gewesen, denn der Sohn Georg sollte ja einmal den Berliner Verlag übernehmen, in dem er seit Mitte der zwanziger Jahre bereits tätig war. A m 3. Dezember 1837 schreibt Georg Ernst an seinen Bruder Karl in Leipzig: „Wir kommen eben vom Abschluß des Kontrakts mit Eichhoff zu Haus. Morgen kann ich die Handlung übernehmen. Vater hat sich als Selbstschuldner verpflichtet und gestattet, daß die Kaufsumme auf das Haus hier eingetragen wird. Eichhoff da-

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Im Geschäftsrundschreiben vom 1. 12. 1830 gibt Reimer bekannt, daß er bereits zu Beginn des Jahres seinen ältesten Sohn Karl Reimer und seinen künftigen Schwiegersohn Salomon Hirzel, die beide „seit mehrern Jahren in dem Geschäft gearbeitet", „als wirkliche Theilhaber der Weidmann'schen Handlung in Leipzig unter völlig gleichen Rechten und Verbindlichkeiten aufgenommen habe". Ausdrücklich betont er dabei, daß seine hiesige, also Berliner Handlung „wie bisher gänzlich von jener getrennt [bleibt], und [...] mit besonderen Mitteln und unter meiner eigenen und alleinigen Verbindlichkeit fortgeführt" wird, (in: Leipzig, Buch- und Schriftmuseum der Deutschen Bücherei, BöV-GR).

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W. Grimm a n j . Grimm, 22. April 1838; zit. in Wilhelm Schoof: „Georg Andreas Reimer und die Brüder Grimm. Unter Benutzung des Grimmschen Nachlasses". In: Börsenblatt für den Deutschen Buchhandel. Frankfurter Ausgabe 10 (1954) Nr. 68. S. 498-503, hier S. 503. Karl Wilhelm Eichhoff, gestorben 1842, Buchhändler; vgl. OBI.

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II Entstehung und Entwicklung der Firma

gegen darf binnen 10 Jahren bei prompter Zinszahlung von 4 % nicht kündigen. Das ist auch was wert.-" 464 Am 13. Dezember 1837 schreibt G. A. Reimer aus Berlin an seinen Sohn Dietrich in Koblenz: „Da nun Georg sein eigenes Geschäft durch Ankauf der Sander'schen Buchhandlung (Berlin) begonnen hat, so wird er natürlich meinem Geschäft in etwas entzogen, und es daher so nötiger werde, daß Du spätestens zu Johannis zurückkehrst, worauf Du wohl den guten Bädeker vorbereiten mußt, damit er nicht in Verlegenheit gerate".465 Aus dem privaten Briefwechsel sind wir über den Verlauf von Reimers letzter Krankheit im April 1842 unterrichtet. 466 Genau eine Woche vor seiner Beerdigung hat er noch daran gedacht, „es würde doch angehen, daß er nach Leipzig [zur Messe] reiste" und konnte, so schrieb Wilhelmine am 22. April ihrem Sohn Karl, „ganz heiter werden bei dem Gedanken." 467 Eine Todesanzeige fand sich im Nachlaß der Brüder Grimm: „Den heute Mittag um 2 Uhr an einem organischen Herzfehler und hinzugetretener Wassersucht im 66 ten Lebensjahr erfolgten sanften Tod des Stadtraths und Buchhändlers Georg Andreas Reimer zeigen in tiefstem Schmerze an die Hinterbliebenen. Berlin, den 26ten April 1842. Die Beerdigung findet am Freitag früh um 8 Uhr statt."468 Im JLeimerschen Familienkalender sind auf S. 3f sechzehn Kinder von Georg Andreas Reimer und seiner Frau Wilhelmine Philippine Charlotte Susanne Reinhardt verzeichnet, zwölf Söhne und vier Töchter. Davon sind allerdings fünf Kinder im Kindesalter gestorben: im Alter von wenigen Monaten im Jahr 1812 Bertha, 1821 Ludwig Gottwalt und 1823 mit neun Monaten Walther Immanuel. Heinrich Berthold fiel 1813 mit knapp drei Jahren einer Krankheit zum Opfer, 464

G. E. Reimer an Karl Reimer in Leipzig, Berlin, 3. 12. 1837. - Am 6. 12. 1837 schreibt er „Der Sandersche Vedag liegt nun schon bei uns auf dem Bodenflur und ich weiß nicht so recht damit hin; in einigen Tagen will Ludchen die Güte haben, mir ihre Stube einzuräumen und dafür auf meine zu ziehen." Schon am 17. 9., 23. 9., 1. 11., 15. 11., 22. 11. und 26. 11. geht es in diesem Briefwechsel um den Ankauf der Sanderschen Buchhandlung. - Am 20. 2. 1838 schreibt Georg Emst seinem Bruder Kad: „Mein Comptoir ist jetzt noch Vaters, in meinem eignen wird nicht geheizt. Ich habe auch immer die Konzession noch nicht, weil ich dazu den Besitz von schuldenfreien 5000 RT. nachweisen soll. Vater, der das leicht hätte vermittteln können, ärgerte sich zu sehr über die infamen Keds und riet mir, die Handlung nach Leipzig zu verlegen. Jetzt will Vater sich verpflichten mir, wenn ich es bedürfte, zum Betriebe des Geschäftes 5000 RT. zu geben und damit will die Polizei sich begnügen. Das sind unangenehme Affairen." Briefe (Abschrift) in Privatbesitz.

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Reimer an den Sohn Dietrich, 13. 12.1837, in Privatbesitz. Dr. C. Vogel: Die letzte Krankheit Goethe's, beschrieben und mit einigen andern Bemerkungen über denselben. Nebst einer Nachschrift von C. W. Hufeland erschien 1833 in Reimers Verlag. Beriin, StaPK, Rep 92, Nachlaß G. A. Reimer. Bedin, StbPK, Nachlaß Grimm 1514, Bl. 32f.

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467 468

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und das letzte, 1826 geborene Kind Friedrich Theodor starb mit anderthalb Jahren. Von den verbleibenden elf Kindern, also acht Söhnen und drei Töchtern, widmeten sich dem Geschäft das Vaters: Karl August (26. 10. 1801-29. 7. 1858), Georg Ernst (25. 11. 1804-5. 1. 1885) und Dietrich Arnold (13. 5. 1818-15. 10. 189). Zwei Söhne wurden Ärzte: Siegfried Johannes (21. 3. 1815-25. 7. 1860) und Hermann Andreas (Sanitätsrat in Stuttgart, 7. 5. 1825-8. 6. 1906), zwei Gutsbesitzer: Moritz Gebhard (Gutsbesitzer in Amalienhof, 12.9. 1816— 5. 7. 1867) und Bernhard Traugott (Gutsbesitzer in Alt-Golm bei Fürstenwalde an der Spree, 24. 3. 1824-6. 11. 1903). Der Sohn Rudolf Lebrecht (24. 8. 18197. 4. 1860) wanderte als Referendar nach Australien aus. Die Tochter Marie (27. 3. 1807-12. 4. 1847) heiratete den Obermedizinalrat Albrecht Zeller in Winnenthal, mit dem sie neun Kinder hatte. Adelheid (10. 1. 1809-19. 11.1866) heiratete den Ober-Staatsanwalt und Berliner Eisenbahndirektor Julius Sethe und bekam sechs Kinder. Anna (24.7. 181315. 8. 1885) hatte in der Ehe mit Salomon Hirzel drei Kinder. Daß mit Salomon Hirzel ein Buchhändler in die Familie einheiratete, kam dem Vater freilich gelegen; auch die zweite Ehe des ältesten Sohnes Karl mit der Verlegertochter Johanna Winter (nach dem frühen Tod von Karls erster Frau Auguste Hoerner) war willkommen. Zwei Söhne Reimers heirateten zwei Töchter des Schleiermacher-Schülers Ludwig Jonas und seiner Frau Elisabeth, einer geborenen Gräfin Schwerin. (Dietrich war in erste Ehe mit der früh verstorbenen Henriette Hirzel verheiratet.) Der ehelichen Verbindung von Reimers Enkelin Marie mit dem Professor Theodor Mommsen entstammten ebenfalls sechzehn Kinder.

Teilung des Verlags Als Georg Andreas Reimer am 26. April 1842 in Berlin im Alter von 65 Jahren starb, waren seine Frau und alle Kinder laut kurz zuvor niedergelegtem Testament469 die Erben, doch um die Geschäftsnachfolge hatte Reimer sich schon frühzeitig gekümmert. Seine Verlagskäufe, die systematische Ausweitung seines Geschäfts, waren schon aus einem dynastisch zu nennenden Interesse heraus geschehen. Tatsächlich führten von seinen Söhnen drei die Verlage des Vaters fort; die beiden ältesten hatte Reimer früh zu seinen Nachfolgern bestimmt: Der älteste Sohn Karl übernahm wie gesagt mit seinem Schwager Salomon Hirzel die Weidmannsche Buchhandlung; und der zweite Sohn Georg Ernst bekam das Reimersche Hauptgeschäft in Berlin, in das er schon 1826 eingetreten war. Das zehnte Kind, der 1818 geborene Dietrich Arnold, der u. a. bei Baedeker eine

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Berlin (West), Landesarchiv.· Testament Nr. 1275 (Reimer), Pr. Br. Rep 5 A Stadtgericht.

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II Entstehung und Entwicklung der Firma

Ausbildung erhielt, gründete den Dietrich Reimer Verlag, der heute noch in Berlin existiert.470 Dietrich Reimer eröffnete 1845 die „Buch- und Landkartenhandlung von Dietrich Reimer" und übernahm zwei Jahre später den größten Teil des geographischen und Kunstverlags seines Vaters. Im Vorwort seines Verlagskatalogs von 1886 erwähnt er ausdrücklich als von Georg Reimer übernommen: „Atlas von Asien von Grimm und Ritter, Lichtenstern's Adas, Zimmermann's Adas von Vorder-Asien, Cornelius Faust, Nibelungen etc., Hessemer's Bauverzierungen, Ternite's Wandgemälde aus Pompeji, Zahn's Ornamente, Zahn's Pompeji", wozu im Jahr 1852 der Ankauf des Verlages der Adamischen Globen und die Verbindung mit Heinrich Kiepert kam, unter dessen Mitarbeit die Verlagsunternehmungen ausgedehnt und das Sortimentsgeschäft aufgegeben wurde.471 Das Hauptgeschäft in Berlin führte nach Reimers Tod, wie geplant, sein zweiter Sohn Georg Ernst Reimer weiter, der schließlich, nach dem Verkauf des Palais Wilhelmstraße 73 im Jahr 1858, die Buchhandlung aufgab und mit dem Verlag in die Anhalter Straße 11, später 12, umzog.472 Da sein jüngerer Sohn Max, in dem er zunächst seinen Nachfolger gesehen hatte, schon 1858 gestorben war, wurde vom älteren Sohn die Geschäftsübernahme erwartet: So war Ernst Heinrich Reimer (1833—1897), der zunächst als Seemann Weltreisender gewesen war, seit 1865 als Prokurist und ab 1876 zuerst als Teilhaber des Verlags tätig und übernahm mit Datum vom 3. April 1884 den Verlag zur alleinigen Verwaltung473, ein Dreivierteljahr, bevor sein Vater im Alter von achtzig Jahren starb. Da Ernst Heinrich Reimer nur einen Sohn hatte, der Jurist wurde,474 verkaufte er den Verlag noch kurz vor seinem Tod im Jahr 1897 an Walter de Gruyter (1862— 1923).475 Der Reimer Verlag war der erste einer Reihe angesehener Verlage (G. J. Göschen'sche Verlagshandlung, I. Guttentag, Karl J. Trübner, Veit & Comp.), die nach dem ersten Weltkrieg zunächst zu der „Vereinigung wissenschaftlicher Verleger Walter de Gruyter & Co" zusammengefaßt wurden, bis der promovierte Verleger Walter de Gruyter - der seine Doktorarbeit 1887 über „Das deutsche Taglied" geschrieben hatte476 — dazu bewegt werden konnte, statt dessen als kürzere und eindeutige Firmenbezeichnung allein „Walter de Gruyter & Co" treten zu lassen. 470

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472 473 474 475 476

Hierzu: Christoph von Wolzogen: Zur Geschichte des Dietrich Keimer Verlages 1845-1985. Berlin: Dietrich Reimer 1986. Dietrich Reimer: Verlags-Katalog von Dietrich Reimer (Keimer & Hoefner) in Berlin... umfassend den Stamm des Verlages und die Unternehmgen der Jahre 1845 bis 1886. Unveränderter Nachdruck des ersten erhaltenen Verlagskatalogs von Dietrich Reimer, Mai 1886. Mit einer Einl. vers, von Christoph von Wolzogen. Berlin: Dietrich Reimer 1995, Vorwort. Wolzogen: Zur Geschichte des Dietrich Keimer Verlages 1845-1985, S. 41. Ebda, S. 25f. Vgl. Keime?scher Familienkalender 6. Aufl. 1909: S. 21fund 7. Aufl. 1929: S. 16f. Vgl. Lüdtke: Der Verlag Walter de Gruyter & Co, S. 59-61. Ebda, S. 95.

III Das Verlagsprogramm

„Wer erschrack nicht bei dem Anblick des diesjährigen Ostermess-Catalogen! Wird denn dieses Verzeichniss jedem Jahre wachsen? Wo finden wir die Gränzen dieses Wachsthums? Sicher im Verkümmern der Litteratur und im Ruin des Buchhandels.— Erwachet aus euerm sorglosen Schlummer, Deutschlandes Gelehrte und Buchhändler!" [Arn. Mallinckrodt:] Über Deutschlands Litteratur und Buchhandel. 1800*

1.

Die Auswertung des Verlagskatalogs Der Verlagskatalog von 1843, den Georg Andreas Reimer möglicherweise kurz vor seinem Tod noch selbst in Auftrag gegeben hat, spiegelt mit den dort aufgelisteten ca. 2300 Titeln am deutlichsten den Umfang und die Bedeutung, die der Verlag unter der Leitung des Verlagsgründers gewonnen hat. Um einen Uberblick über die Verlagsproduktion zu erhalten, wurde dieser Katalog zunächst auf einer Datenbank erfaßt.1 Seine umfassende Auswertung würde die Autopsie sämtlicher Titel erfordern, die jedoch noch nicht geleistet werden konnte.

Grafik 1: Verteilung der Sparten im Verlagsprogramm (nach Anzahl Bänden)

Da der Verlagskatalog von 1843 selbst keine Sparteneinteilung enthält und nur Kunstblätter sowie Adanten und Karten vom allgemeinen Verlagsprogramm trennt, wurden für diese Untersuchung die einzelnen Titel Sparten zugeordnet, wobei sich die Einteilung an der Kategorisierung späterer Reimerscher Verlagskataloge orientiert. Sie soll zunächst einen ungefähren Überblick über das Pro* [Am. Mallinckrodt:] Über Deutschlands Litteratur und Buchhandel. Allen Gelehrten und Buchhändlern ans Herz gelegt. Dortmund: bei den Gebrüdern Mallinckrodt, M. M. 1800. Hier S. 5. Zit. nach: Der Buchmarkt der Goethezeit. Eine Dokumentation. Hrsg. von Ernst Fischer. Bd. 2. Hildesheim: Gerstenberg 1986. S. 211-256, hierS. 213. 1 Vgl. Anhang F (Verlags-Katalog von G. Reimer in Berlin. Oster-Messe 1843).

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III Das Verlagsprogramm

Medizin ME Belletristik, Schöne Literatur BL Naturwissenschaften NW Religion, Theologie, kirchl. Organisation RT Altphilologie AT Geschichte, Biographien GB Mathematik, Astronomie MA Kunstblätter, Atlanten und Karten AK Geographie, Erdbeschreibung, Länder- und Völkerkunde GR Rechts- u. Staatswiss., Volks wirts eh., Politik und Verwaltung RV Kunstgeschichte KG Philosophie PH Bau- und Ingenieurwissenschaften, Architektur BA Berg- und Hüttenwesen BH Land- und Forstwirtschaft LF Sonstiges SO Militaría MI Neuere Sprachen, Philologie, Literaturgeschichte NL Pädagogik, Schulbücher und Jugendschriften PS Alt- und mittelhochdeutsche Literatur (Editionen) AL Musik MU

%

Bände

SPARTE

Titel

gramm vermitteln. Gezählt wurden die Werke, die Reimer selbst verlegte; alle im Katalog mit f versehenen und also mit dem Kauf von Himburg, Lange, Breitkopf, Matzdorff, Maurer, Pauli, Quien, Schöne, Unger u. a. übernommenen Werke wurden hier nicht mitgezählt, obgleich der Anteil der aus fremdem Verlag stammenden Bücher rund 850 Titel beträgt.2 %

150 10,2 508 18,4 142 9,6 365 13,2 96 6,5 225 8,1 163 11,0 217 7,8 117 7,9 161 5,8 77 5,2 155 5,6 86 5,8 136 4,9 95 6,4 131 4,7 73 4,9 131 4,7 104 7,0 121 4,4 35 2,4 120 4,3 60 4,1 83 3,0 41 2,8 77 2,8 20 1,4 63 2,3 39 2,6 58 2,1 49 3,3 51 1,8 35 2,4 47 1,7 34 2,3 46 1,7 37 2,5 45 1,6 17 1,2 20 0,7 6 0,4 6 0,2

Summe / Anzahl / Anteil 21 1.476 Sparten im Verlagsprogramm des Georg Keimer Verlags (nach dem Katalog von 1843 — ohne von fremden Verlagen übernommene

2.766 Titel)

Titel mit Erscheinungsjahr vor 1800 (die von der Realschulbuchhandlung stammen und nicht mit f gekennzeichnet sind), wurden mitgerechnet. Es handelt sich dabei um rund 30 Titel. Die im Todesjahr Reimers bis 1843 herausgekommenen Werke wurden ebenfalls mitgezählt. Die weit überwiegende Anzahl der in Reimers Verlag erschienenen Titel waren zum Zeitpunkt des Erscheinens des 2

Um ein Beispiel zu nennen: In der Verlagsanzeige, die Reimer im dritten Band von E. T. A. Hoffmanns Serapionsbrüdern veröffentlichte, werden 43 literarische Titel angezeigt, von denen 31 ursprünglich aus anderen Verlagen stammten, 18 davon waren bereits vor dem Jahr 1800 veröffentlicht worden. Alle annoncierten Titel werden auch noch 1843 im Verlagskatalog als lieferbar angeboten.

1. Die Auswertung des Verlagskatalogs

163

Katalogs von 1843 noch vorhanden; weniger als 10 % davon in Zweit- oder Folgeauflagen. In der Aufstellung fehlen jedoch die 1843 vergriffenen, also nicht im Katalog aufgeführten Titel. Um die Bedeutung der einzelnen Sparten für das gesamte Verlagsprogramm, wie auch für den logistischen und finanziellen Geschäftsaufwand einschätzen zu können, muß ebenso wie die Zahl der Titel auch die Anzahl der Bände berücksichtigt werden, die unter dem jeweiligen Titel hergestellt und vertrieben wurden. Die Auswertung des Verlagskatalogs ergibt eine Summe von 1.482 Titeln bzw. 2.767 Bänden — wobei im Falle von Periodika jeweils ganze Jahrgänge als ein Band gezählt wurden. Reimer wird üblicherweise als wichtigster Verleger der Romantiker bezeichnet, und so kann man etliche namhafte romantische Autoren anführen, um sein Verlagsprofil zu beschreiben. Wie die Auswertung des Verlagskatalogs von 1843 aber zeigt, haben demgegenüber die verschiedenen Wissenschaften der Zeit sein Verlagsprogramm aber in weitaus stärkerer Weise bestimmt. Als wichtige Determinante für die Entwicklung des Verlagsprogramms und für die Auswahl der Autoren und Manuskripte ist dabei gewiß der Sitz des Verlagsgeschäfts in Berlin anzusehen; überragende Bedeutung für Inhalt und Umfang des Verlagsprogramms gewann dabei die in Reimers Zeit gegründete Berliner Universität. Die Ausgestaltung des Programms hat sich zudem ganz offensichtlich aus Gründen ergeben, die als Ergebnis einer „Kohorten-Situation" einer altersmäßig weitgehend homogenen Generation gedeutet werden können, die ganz wesentlich von den Auswirkungen des großen gesellschaftlichen Umbruchs der Französischen Revolution und dem Einbruch Napoleons in das politische und gesellschaftliche System der hergebrachten deutschen Zustände geprägt war. So unterschiedlich die Antworten der Literaten, der politischen und der wissenschaftlichen Autoren des Reimer-Verlags auf diese Erfahrungen auch waren - gemeinsam war ihnen der Impetus, auf die Erfahrungen mit eigenen Antworten zu reagieren. Reimer saß mit der Realschulbuchhandlung im Herzen des späteren Berliner Presseviertels3 und ab 1816 mit dem Palais in der Wilhelmstraße am zentralen Ort des Geschehens. Wichtige Autoren jener Zeit hatten ihre Wohnung ganz in der Nähe, Treffpunkte wie Lutter & Wegner und andere Versammlungsorte waren nur wenige Gehminuten entfernt. Nicht nur für das literarische Programm, sondern auch für das Wissenschafts-Programm ist diese räumlich-geographische 3

Horst Krüger in seinen Stadtplänen (1967): „Die Kochstraße war einmal Berlins Pressezentrum, so lebendig und wild wie heute die Fleet Street in London oder das Time and Life Building in New York. Hier wurde von· Mosse, von Ullstein und Scherl deutsche Weltpresse gemacht. Hier war die kritische Intelligenz der Nation zusammen. Von Maximilian Harden bis Kerr und Tucholsky: hier schrieben sie mit spitzer und böser Feder." Zit. nach: Karl Voß: Reiseführer für Uteraturfreunde Berlin. Vom Alex bis Kudamm. Frankfurt a. .M.: Ullstein 1980. HierS. 288.

164

III Das Verlagsprogramm

Komponente — die Nähe der Universität zum Verlag — erwähnenswert. Ferner fällt auf und ist aber auch nicht verwunderlich, daß Reimer zum Verleger für zahlreiche Autoren seiner Vorpommerschen Heimat geworden ist. Gleichwohl sind diese persönlichen, Generations- und räumlich-geographischen Determinanten nur als Ausgangspunkt oder als Katalysator fur die Ausgestaltung des Verlagsprogramms und den beispiellosen, schnellen und nachhaltigen Erfolg des Verlags anzusehen. Bedenkenswert wäre die Frage, ob und inwiefern das literarische und das wissenschaftliche Programm sich gegenseitig beeinflußten — bzw. konkreter: ob die Schriftsteller die im selben Verlag erscheinenden wissenschaftlichen Werke zur Kenntnis nahmen oder sich gar von ihnen anregen ließen für eigene Werke. Zumindest was die Wissenschaftler betrifft, läßt sich für die erste Hälfte des 19. Jahrhunderts feststellen, daß noch recht viele universal oder zumindest in mehreren Fächern so ausgebildet waren, daß etwa der Wechsel von einer Fakultät in die andere möglich war. Im folgenden werden die einzelnen Sparten des Verlagsprogramms mit wichtigen Autoren und Werken nur kurz vorgestellt; ergänzendes Material zu Titeln des Reimer-Verlags und Kurzbiographien zu einzelnen Wissenschaftlern befinden sich im Anhang A/III. Da das von Otto Neuendorff erstellte Repertorium des Briefarchivs nahezu gleichzeitig mit diesem Buch veröffentlicht wird, sei zur Beantwortung der Frage, ob und wieviel Briefe einzelner Autoren sich im Archiv befinden, grundsätzlich darauf verwiesen.4

4

Repertorium

der Briefe aus dem Archiv Walter de Gruyter.

2.

Die Sparten des Verlagsprogramms Pädagogik, Schulbücher und Jugendschriften 46 Bände oder 38 Titel im Verlagskatalog von 1843 (darunter Buchstaben- und hesetafeln, Französisch-Lehrbücher; 9 zur Schreibekunst und Ornamentenschule; eine Anleitung, die physischen Erdräume mittelst einfacher Constructionen aus freier Hand entwerfen·, 4 Bücher zur Turnerei: so die Turnkunst von Jahn und die Turntafeln von Eiselen; 2 zur Nationalerziehung). Fachlehrbücher wurden, wenn es sich anbot, bei den entsprechenden Sparten mitgezählt. Reimer hatte zunächst die Tradition der Realschulbuchhandlung, ein Schulbuchverlag zu sein, fortgesetzt. Den Ausbau des Verlags auf diesem Sektor betrieb er insofern aktiv, als er beispielsweise seinen Autoren Vorschläge für neue Ausgaben machte, die in Schulen einzuführen wären.1 Erinnert sei an das erfolgreichste Schulbuch des Verlags, den Kinderfreund des Predigers Wilmsen; dieses Lesebuch für Volksschulen erlebte 1852 die 198. und 1888 die 226., verbesserte Auflage.2 Voraussetzung für den großen Erfolg von Schulbüchern war der durch die Einführung der allgemeinen Schulpflicht im 19. Jahrhundert sprunghaft gewachsene Bedarf. Zwar wurde der Schulzwang in Preußen schon unter Friedrich Wilhelm I. verordnet, damals aber noch längst nicht durchgeführt. Unter seinem Nachfolger, Friedrich II., wurde die Ausbildung eines eigenen Volksschullehrerstandes angebahnt und zuerst zwischen den Gymnasien und den Volksschulen eine dritte Schulgattung, die Realschule oder Bürgerschule, eingeschaltet. Erst unter Friedrich Wilhelm III. entstand ein eigener

1

Reimer an A. W. Schlegel, Berlin, 11. 7. 1812, wegen der geplanten Nibelungen-Ausgaben: „Ich würde auch noch dafür seyn eine möglichst wohlfeile Ausgabe mit einem kurzen Glossar zu veranstalten, da dies vielleicht Ihrem Wunsch das Gedicht in Schulen eingeführt zu sehen, Verwirklichung verschaffen könnte, indem die Idee hier, selbst von Leuten die Einfluß auf die Ausführung haben könnten, mit Beifall aufgenommen ist. Die Anzeige werde ich nach Ihrem Wunsch möglichst bekannt zu machen suchen" (A. W. Schlegel: Briefe von und an Bd. 1, Nr. 197, S. 282f., hier S. 283). Reimers Formulierung zufolge hat hier sogar der Autor zuerst den Gedanken gehabt, daß das Nibelungenlied Schullektüre werden sollte.

2

Vgl. D. Reimer: „'Der Druck muß mit Vollziehung des Contraktes beginnen ... "', S. 170f.

166

III Das Verlagsprogramm

Stand akademisch gebildeter Lehrer, losgelöst vom Stande der Theologen, und es erwuchs eine neue Volksschule, [...] und gleichzeitig wurden die Gymnasien reorganisiert.3 Im Zuge der Universitätsreform wurde 1810 die allgemeine Lehramtsprüfung zur Vorschrift gemacht, und der Stand der Gymnasiallehrer mit spezifischem Selbstbewußtsein und öffentlichem Ansehen konnte sich so erst entwickeln.4 Damit entstand eine neue Gruppe heute vergessener Autoren, die in Reimers Verlag jedoch eine große Rolle spielten.

Schöne Literatur Für den Bereich Belletristik wurde der Verlagskatalog von 1843 nicht nur nach der Anzahl der Bände ausgewertet, sondern auch nach der Anzahl der pro Jahr erschienenen Titel, um diese mit der Anzahl der jährlichen Neuerscheinungen insgesamt vergleichen zu können. Die Auswertung nach Bänden folgt zunächst dem Schema, wie es für sämtliche andere Sparten angewandt wurde: 136 Bände: Schauspiele, Romane, Erzählungen, Gedichte - von Achim von Arnim, Amalie von Helvig, Wilhelm von Schütz, Friedrich de la MotteFouqué, Wilhelm Waiblinger u. v. a. 42 Bände: serbische und schwedische Lieder und Lieder für teutsche Soldaten, altengliches Theater, provençalische, italienische, spanische, portugiesische, iranische und arabische Literatur sowie Sagen und Märchen 33 Bände der verschiedenen Shakespeare-Ausgaben und folgende Gesamtbzw. Werkausgaben: 5 Bände Ulrich Hegner: Gesammelte Schriften. 14 Theodor G. von Hippel: Sämmtliche Werke. 10 E.T.A. Hoffmann -.Ausgewählte Schriften. 3 Kleist: Gesammelte Schriften. 3 Lenz: Gesammelte Schriften. 2 Novalis: Schriften. 65 + 33 Jean Paul: Sämmtliche Werke. 4 Friedrich Ludwig Schröder: Dramatische Werke. 15 Tieck: Schriften. 365 3

4

Fritz Jonas: „Die Schule und insbesondere das Berliner öffentliche Schulwesen in den letzten fünfzig Jahren". In: Beiträge %ur Kulturgeschichte von Berlin. Festschrift %ur "Feier des fünfzigjährigen Bestehens der Korporation der Berliner Buchhändler. Berlin: Verlag der Korporation der Berliner Buchhändler 1898. S. 1-20, hier S. 5f. Vgl. Eine Wissenschaft etabliert sich: 1810—1870. Mit einer Einführung hrsg. von Johannes Janota. Tübingen: Niemeyer 1980 (= Texte zur Wissenschaftsgeschichte der Germanistik 3). Hier Einleitung S. 48.

167

2. Die Sparten des Verlagsprogramms

Wenn von Autoren der Werkausgaben 1843 außerdem Einzeltitel erhältlich waren, wurden sie oben mitgezählt. Jährliche

Neuerscheinungen

In die Auswertung, die den Anteil der Belletristik am Gesamtprogramm nach den jährlichen Neuerscheinungen darstellt, konnten nur 131 Belletristik-Titel bzw. 1231 Titel insgesamt — aufgenommen werden, da der Verlagskatalog von 1843 bei mehrbändigen Werken keine genaue Zuordnung zum jeweiligen Erscheinungsjahr erlaubt.5 Jahr

00 01 02 03 04 05 06 07 08 09 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21

Gesamt 6 BL 1 77 %

Jahr

6 1

8 2

8

16 20 10 4 2 1

17 25 0 25 10 10

S 20 15 18 14 18 18 14 29 33 39 32 35 39 43 1 4 1 5 3 4 2 1 5 3 4 3 6 6 13 20 7 28 21 11 7 0 15 8 13 9 15 14

22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43

Gesamt 35 43 36 27 32 38 43 51 43 53 28 31 45 30 28 49 25 28 27 39 20 18

BL %

3 2 2 1 4 6 14 4 5 7 9

5

6

3 1 1 2 6

4 13 16 33 8 12 13 0 10 2

3

7

12 0

1 4 5

4 15 13 0

1

6

Die Zahlen dieser Tabelle, wie auch die folgende Grafik repräsentieren deshalb in erster Linie das Verhältnis von Schöner Literatur zum Gesamt-Verlagsprogramm, nicht aber absolute Werte.

Teilmenge von 131 Belletristik-Titeln

an 1231 Titeln gesamt

Im Gegensatz zur Auswertung nach Bänden (Belletristik-Anteil von 13,2 %) ergibt die Auswertung nach Titeln, in die Werkausgaben, wie die von Jean Paul 5

Bei der geringen Anzahl der jährlichen Belletristik-Titel mag das Fehlen einzelner Titel, die 1843 vergriffen und (noch) nicht wiederaufgelegt worden waren, auffallen. Die zusätzliche Ungenauigkeit aufgrund teilweise fehlender Angaben zum Erscheinungsjahr mußte bei dieser Erhebungsweise leider in Kauf genommen werden.

168

III Das Verlagsprogramm

oder Tieck, mit nur einem Titel eingehen, einen geringeren durchschnittlichen Anteil von rund 10 Prozent. Alt- und mittelhochdeutsche

hiteratur

Die Frage, ob man alt- und mittelhochdeutsche Texte der Schönen Literatur zurechnen soll, oder sie der damals als Fach noch nicht existenten Mediävistik zuordnet, wurde zunächst so entschieden, daß sie der Literatur zugeordnet wurden. Im Lauf der Arbeit zeigte sich jedoch, daß es durchaus sinnvoll ist, die althochdeutsche und mittelalterliche Literatur eigens zu zählen bzw. die Editionen wegen der wissenschaftlichen Leistungen ihrer Herausgeber bei der jungen, noch nicht so genannten Germanistik anzusiedeln. Reimer selbst sah hier einen Schwerpunkt seines Verlags: „das Meiste, was auf diesem Gebiet der Literatur entstanden" sei, schreibt er an Jacob Grimm, gehöre seinem Verlag an - weshalb er sich „Urtheil zutrauen" könne, „daß der Gegenstand [in diesem Fall speziell Reineke Fuchs] von gar geringem Interesse" sei. Damit meint er den geringen Absatz, den „alles was der altdeutschen Literatur angehört, mit Ausnahme der Nibelungen" erzielt habe.6 17 Titel bzw. 20 Bände und damit 0, 7 % des Programms gehören dieser Sparte an. Selbst wenn man zur neuen und älteren Literatur die neuere Philologie und Literaturgeschichte hinzuzählt, ergeben sich für diesen Bereich nur 15, 5 % des gesamten Programms. Musikalien Zu den Sparten, die im Reimer-Verlag unterrepräsentiert vertreten sind, gehören Musikalien. Gezählt wurden nur 7 Einzeltitel (darunter Hymnen, Choräle, Kirchentonarten, Volkslieder mit Begleitung des Pianoforte), die eindeutig der Musik zuzuordnen sind. Lieder ohne Noten wurden als Literatur behandelt. Obgleich Reimer bei einem Musikalienverleger seine Ausbildung machte — oder womöglich gerade deshalb, weil dieses Gebiet durch den Lehrherrn für ihn in seiner Jugend .besetzt' war - entwickelte er in diesem Bereich selbst nur wenig Initiative.7 6

1

Reimer an J. Grimm, Berlin, 27. 11. 1832, in: Berlin, StbPK, Nachlaß Grimm 1514, Bl. 18, Doppelbl. - Die erste Auflage von Lachmanns Nibelungen-Ausgabe war 1826 erschienen; 1841 kam die zweite (und 1851 die dritte) heraus. Privat allerdings engagierte sich Reimer in der „Zelterschen Liedertafel" (vgl. FouquetPlümacher: „Jede neue Idee kann einen Weltbrand anzünden", S. 10).

2. Die Sparten des Verlagsprogramms

169

Eine Bemerkung Reimers aus dem Briefwechsel mit Schleiermacher zeigt den Verleger in seinen Anfangsjahren im Bereich der Musikalien mit Bedacht handelnd und seiner Grenzen bewußt: „Die Lieder von Luise Reichhard druckt' ich recht gerne allein ich habe gar keine Gelegenheit zum Absatz von Musicalien, und keine Routine darin, weshalb ich gewiß sehr zu Schaden kommen würde."8 Gleichwohl nahm Reimer Zwölf deutsche und italiänische romantische Gesänge mit Begleitung des Pianoforte componiti von Luise Reichardt 1806 in den Verlag. Wissenschaften und angewandte Wissenschaften Schon in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts war der Reimersche Verlag in erster Linie ein Wissenschaftsverlag mit Schwerpunkten im Bereich der Medizin und Naturwissenschaften; doch mit Schul- und Gesangbüchern für ein Massenpublikum konnte zweifellos der größte Gewinn erzielt werden. Der Verlagsgründer selbst verstand sich als wissenschaftlicher Verleger; die guten Kontakte, die er mit der Professoren-Prominenz der jungen Berliner Universität pflegte, bedeuteten ihm ebensoviel wie der Umgang, den er mit berühmten Literaten hatte. Unter den späteren Berliner Hochschulprofessoren sind viele, die ihre Werke von Reimer verlegen ließen. Es sind öfters diejenigen, deren Verdienste zumindest auch, wenn nicht gar besonders, auf praktischem Gebiet liegen. Neben Johann Albert Eytelwein sind hier u. a. der Agronom Albrecht Daniel Thaer und der Arzt Christoph Wilhelm Hufeland zu nennen. Die von Max Lenz verfaßte Geschichte der Universität enthält viele Hinweise auf Professoren, die bei Reimer publizierten. Die Berliner Professoren sind oft nicht aus Berlin, stammen aber meist aus dem norddeutschen Raum. Der Verlagskatalog enthält aber auch Werke von Wissenschafdern, die nicht in Berlin lehrten. Den Verlag wissenschaftlicher Schriften zu pflegen, wurde Reimer schon durch den Bestand der Realschulbuchhandlung nahe gelegt.9 Außerdem ist in dieser Hinsicht die Beziehung zu Schleiermacher folgenreich, der Reimer Kontakte zu Professoren und Dozenten vermitteln konnte. Förderlich war gewiß auch, daß es Reimer früh gelang, Fichte für seinen Verlag zu gewinnen. Ob Reimer selbst, wie diese beiden Autoren, Mitglied des Tugendbundes war, was August Prinz behauptet, ist fraglich, ja es konnte kein weiterer Beleg dafür gefunden werden.10 Daß Reimer „mit den ausgezeichneten Männern dieses Vereins in geschäftliche Verbindung und zu seinen besten Verlagswerken" kam,11 muß nicht über eigene Mitgliedschaft gelaufen sein. 8

9 10 11

Reimer an Schleiermacher, Berlin, 18.12. [vielm. 18. 9.] 1805, in: Berlin, BBAW, SN 358 Bl. 82. Hierzu: Anhang A/III. Prinz: Buchhandel 1815-1843, S. 21. Ebda.

170

III Das Verlagsprogramm

Der Gründung der Berliner Universität ging die Schließung der Universität Halle nach der Schlacht von Jena und Auerstedt (1806) voran. 1807 wurde Karl Friedrich (von) Beyme durch königliche Vollmacht beauftragt, für die Errichtung der Berliner Universität zu sorgen.12 Die neue allgemeine Lehranstalt in Berlin solle „in angemessener Verbindung mit der Akademie der Wissenschaften" stehen. Wegen der „Nodage des Staates, die jede mögliche Ersparung erheische", könnten nicht alle Lehrer aus Halle an die neue Anstalt berufen werden, sondern man müsse zunächst auf die schon bestehenden Berliner Lehrinstitute und ihre Lehrer zurückgreifen. 13 In dem Universitätsplan, den Fichte entwarf, steht die philosophische Fakultät im Zentrum; „ihre Prinzipien, die Prinzipien der Philosophie, bilden den Maßstab, an dem jede Disziplin sich messen lassen muß." 14 Die literarische Republik sollte organisiert sein nach dem Vorbild seines geschlossenen Handelsstaates als „das Bild eines vollkommenen Staates". 15 Schleiermacher wurde von Beyme nicht nach einem Gutachten oder Universitätsplan gefragt; seine Berufung, die er gerne annahm, wurde ihm durch Nolte überbracht. 16 Vielleicht beschloß Schleiermacher, sich mit seinen Gelegentlichen Gedanken über Universitäten im deutschen Sinne, nebst einem Anhang über eine neu errichtende deshalb an die Öffentlichkeit zu wenden, weil er von den Gutachten seiner Kollegen gehört hatte? Auf Beyme jedenfalls war er nicht besonders gut zu sprechen. Am 11. November 1807 schrieb Reimer an Schleiermacher: „Du sprichst in Deinem Briefe von einer kleinen Schrift die Du einsenden würdest, und setzest es als bekannt voraus, daß ich davon wüßte; ich vermuthe also es sei der Plan zur Einrichtung einer Universität. Ich will sie gern hier drucken lassen, und zwar um deshalb damit Du durch den Druck nicht dort noch unnöthig aufgehalten werdest; sonst habe ich nichts gegen den Druck in Halle."17 Geschrieben hat Schleiermacher die Schrift also noch in Halle und zwar in der Absicht, sie anonym zu veröffentlichen. Auf den Wunsch seines Verlegers hin, ließ er dann doch seinen Namen aufs Titelblatt setzen.18

12

13 14 15 16 17 18

Vollmacht vom 4. September 1807. - „Motiviert wird der Befehl mit dem Verlust Halles (,Die Ausfüllung dieser Lücke auf eine vollkommen zweckmäßige Weise muß bei der Reorganisation des Staates eine der ersten Sorgen sein") und mit der Ungeeignetheit Frankfurts und Königsbergs, einen Ersatz zu bieten" (Lenz: Geschichte der Universität Berlin Bd. 1, S. 80, Anm. 1.) Lenz: Geschichte der Universität Berlin Bd. 1, S. 80f. Ebda., S. 119. Ebda, S. 120. Nolte an Beyme, 19. September, in: Lenz: Geschichte der Universität Berlin Bd. 1, S. 123. Reimer an Schleiermacher, Berlin, 11. 11. 1807, in: Berlin, BBAW, SN 358 Bl. 152. Schleiermacher an Brinkmann, 1. März 1808, IV, 149, womit Schleiermacher die Schrift übersandte. Lenz: Geschichte der Universität Berlin Bd. 1, S. 124.

2. Die Sparten des Verlagsprogramms

171

Am 1. März war die Schrift bereits viel gelesen und muß daher im Februar oder schon früher herausgekommen sein. [...] Unter den mannigfachen Schriften, die das große Unternehmen [= Gründung der Universität] hervorrief, kann nur diese sich an Bedeutung mit Fichtes Universitätsplan messen. Keiner wußte von dem andern. Erst im Winter 1811/12, gelegentlich des Konfliktes mit dem Senat, der ihm das Rektorat kostete, hat Fichte Schleiermachers Schrift gelesen, und dieser Fichtes Plan, wenn überhaupt, erst nachdem er gedruckt war, also nicht vor 1817. Aber es ist, als ob jeder den andern im Auge gehabt und zu widerlegen gesucht habe: so verschieden, ja geradezu entgegengesetzt sind die Prinzipien, der Ideengang und die Ergebnisse beider Schriften. [...] dem Monismus Fichtes gegenüber baut sich bei ihm [= Schleiermacher] alles auf dualistischem Grunde auf. 19 [...] Bildung und Erziehung fallen für den Philosophen [= Fichte] zusammen. Für Schleiermacher hingegen sind Staat und Wissenschaft nach Ursprung und Ziel einander entgegengesetzt: jener ist die Sphäre des Zwanges und der Macht, diese die der Selbständigkeit und Freiheit. [...] Die Frage, wo die neue Universität errichtet werden solle (für Fichte der Ausgangspunkt der Erörterung), verweist Schleiermacher in den Anhang; und die ganze Art seiner Beweisführung machte auf manche seiner Freunde (fast gegen seine Absicht) den Eindruck, als spräche er mehr gegen als für Berlin. 20 Schleiermacher und Fichte stellten also auch konzeptionelle Überlegungen zur neu zu gründenden Universität an; aber auch Hufeland legte einen Plan vor 2 1 . (Übrigens auch Schmalz 22 , von dem als (späterer) Gegner Reimerscher Autoren schon die Rede war.) Der Universitätsplan Beymes versandet zunächst; 23 erst am 16. August 1809 schließlich stellt der König die Stiftungsurkunde für das Gesamtinstitut aus 24 und in den folgenden Monaten erhalten die Professoren (unter Humboldts Leitung) ihre offiziellen Berufungen. Fichte, der erste gewählte Rektor der Universität, stand sowohl zu Niebuhr als auch zu Schleiermacher in großem Gegensatz und hatte überhaupt eine umstrittene Position. 25 Manch einer hat ihm wohl auch den großen Erfolg seiner Vorlesungen geneidet; seine Zuhörerschaft ging weit über den Kreis der Studenten hinaus. 26 Allerdings ist der Kreis der Studenten in den Anfangsjahren der Universität Berlin noch sehr überschaubar; 256 Immatrikulierte gab es im ersten Semester und im zweiten Semester 198 neue Einschreibungen. 27 Weitaus die

19 20 21 22 23 24 25

26 27

Lenz: Geschichte der Universität Berlin Bd. 1, S. 124. Ebda, S. 125. Ebda, S. 104. Ebda, S. 105. Ebda, S. 130f. Ebda, S. 191. „Als er in seinem Kampf gegen das student. Renommistenunwesen mit seiner Stellungnahme zugunsten eines jüd. Studenten auf die - unter Führung F. Schleiermachers - nahezu geschlossene Gegnerschaft der Professorenkollegen traf, trat er vorzeitig von seinem Amt zurück." (BrockhausBà. 1, »1988, S. 265 zu „Johann Gottlieb Fichte"). Vgl. Lenz: Geschichte der Universität Berlin Bd. 1, S. 347. Ebda, S. 356f.

172

III Das Verlagsprogramm

meisten Studenten waren Mediziner — 117 im ersten Semester gegenüber 57 Philosophen, 53 Juristen und 29 Theologen28 - deshalb überrascht es nicht, daß medizinische Schriften auch besonders zahlreich in Reimers Verlag vertreten waren. Theologie,

Religion,

kirchliche

Organisation

Bei Zuordnung und Zählung der theologischen und religösen Literatur fallt auf, daß die hohe Titelzahl, nämlich 158 im Vergleich zu nur 7,4% des Programms, wenn man die Bände zählt, dadurch zustande kommt, daß es hier etliche Kleinstveröffentlichungen, nämlich Einzelpredigten gibt, die als ein Titel zählen, obgleich sie nur wenige Silbergroschen kosteten. 191 Bände oder Bändchen und außerdem 13 Bände der theologischen Abteilung von Schleiermachers Werkausgabe. 204 An erster Stelle der Theologen steht natürlich Schleiermacher, gefolgt von de Wette, der, wie schon erwähnt, ebenfalls eng mit Reimer befreundet war und dessen Hauptschriften auch bei Reimer erschienen.29 Schüler Schleiermachers, die ebenfalls in Berlin lehrten, sind Philipp Marheineke und August Neander, die sich jedoch auf unterschiedliche Weise von ihrem Lehrer entfernten.30 Marheineke wird als unselbständiger Denker beschrieben, der sich zeitweise von der pietistischen Woge mitreißen ließ. Wie auf Marheineke hatte Schleiermacher auf den jungen Neander übermächtigen Eindruck gemacht. Er gehörte zu dem Nordsternbund um Varnhagen und Chamisso, den auch Reimer besuchte. Als Theologe verschloß sich Neander schließlich gegen Schleiermacher — vielleicht gerade weil er der übergroße Lehrer war. Sowohl von Marheineke als auch von Neander gibt es Publikationen bei Reimer. Was die Herausgabe und den Verlag der Gesangbücher betrifft, die wie die Schulbücher zum Massengeschäft gehörten, so finden sich im Briefwechsel zwischen Reimer und Schleiermacher in den Jahren 1828 bis 1830 interessante Details.

28 29

30

Ebda., S. 356. Im Archiv WdeG (Briefarchiv R l ) haben sich 97 Briefe de Weites an Reimer, 1 Vertrag und 1 Quittung erhalten. Vgl. Lenz: Geschichte der Universität Berlin Bd. 1, S. 612-625.

2. Die Sparten des Verlagsprogramms

173

Philosophie Sie ist manchmal schwer von der Theologie zu trennen, schon deshalb, weil Theologen auch philosophische Schriften verfaßten. 66 8 4 3 5 6

Bände (darunter 3 Pantheismus; 3 Ästhetik). Johann Georg Hamann: Sämmtliche Schriften. Wilhelm von Humboldt: Gesammelte Werke. Ulrich von Hutten: Des teutschen Ritters auserlesene Werke. Hutten: Opera quae extant omnia. Bände der philosophischen Abteilung von Schleiermachers Werkausgabe.

92 Karl Wilhelm Ferdinand Solgers nachgelassene Schriften und Briefwechsel wurden u. a. von Ludwig Tieck (1826) herausgegeben. Lenz zufolge stand Solger, der nach den Befreiungskriegen auch zum Rektor der Universität gewählt wurde,31 „zwischen den beiden Philosophen, welche das Leben unserer Hochschule am tiefsten beeinflußt haben. Er hat gleichsam das Interregnum, das mit Fichtes Tode eintrat und mit Hegels Anstellung ein Ende nahm, ausgefüllt."32 Solger (1780-1819) starb bereits ein Jahr nach Hegels Amtsantritt. August Wilhelm Schlegel folgte nicht dem Ruf nach Berlin, den er nach dem Tod der Madame de Staël 1817 erhielt, sondern ging nach Bonn.33 Und Ludwig Tieck, den man zum Nachfolger seines Freundes und Lehrers Solger auf dem Lehrstuhl für Ästhetik machen wollte, lehnte es ganz ab, an der Universität zu lehren.34 Medizin ist die weitaus größte Sparte des Verlagsprogramms nach dem Katalog von 1843. 161 Bände (darunter 10 Augenheilkunde; 10 Chirurgie; 11 Homöopathie, Eubiotik; 8 psychische Krankheiten; 8 Cholera; 7 Veterinärkunde; 6 Charité; 4 Orthopädie; 4 Heilquellen, Brunnendiät; außerdem Schriften über Scheintote, Verklärung im Tode, Euthanasie und Recht des Arztes über lieben und Tod). Zu diesen 161 Bänden (meist Einzeltitel) hinzu kommen:

31 32 33 34

Ebda., S. 528. Ebda, S. 396. Vgl. Lenz: Geschichte Ebda, S. 30f.

der Universität Berlin Bd. 2.1, S. 16-29.

174

III Das Verlagsprogramm

15 Karl Ferdinand von Gräfe: Έ/ericht über das clinische chirurgischaugenär^tliche Institut ψ Berlin von 1817-19, 21, 1822-29, 1831. 28 Bände: K. F. von Gräfe und Philipp Franz von Walther: Journal d. Chirurgie und Augenheilkunde. 3r - 30r Band. 1822^-0. Jeder Band aus vier Heften bestehend. (Einzelne Hefte à 1 Thlr lOSg). + 3 Register. 21 Archiv für medic. Erfahrung im Gebiete der pract. Medicin, Chirurgie, Geburtshilfe u. S taatsar^neikunde. Herausgeg. von Horn, Nasse, Henke u. Wagner. Jahrg. 1815 - 36. à 6 Thlr. Einzelne Hefte à 1 Thlr. 10 Sg. + 1 Register. 85 Christoph Wihelm Hufeland: Bibliothek der praktischen Ar^neikunde und Wundheilkunst. Ir bis 85r Band (1799-1841). + 6 Supplemente. 14 Hufeland: Jahresberichte des königl. poliklin. Instituts. I bis XIV (1811— 1836). 93 Hufeland: Journal der praktischen Ar^neikunde und Wundaryneikunst. Irbis 93r Band. (1795-1841). +11 Register, Supplementhefte. 61 Bände Johann Nepomuk Rust: Magazin für die gesammte Heilkunde mit besonderer Beziehung auf das allgem. Sanitätswesen im preuß. Staat, l r — 61r Bd. (1816-43). Jeder Band von 3 Heften. 3 Thlr. Zusammen 183 Thlr. Einzelne Hefte à 1 Thlr 10 Sg. 22 Rust und Johann Ludwig Casper: Kritisches Kepertorium für die gesammte Heilkunde, l r - 22r Bd à 3 Hefte. (1823-29). à Bd 2 Thlr 15 Sg + 2 Supplementhefte. 10 J. L. Casper: Krit. Kepertorium für die gesammte Heilkunde. 23r — 32r Bd. (1829-32). à 2Thlr 15 Sg. + 1 Supplementheft mit Register. 510 wobei grundsätzlich auch bei den Fachzeitschriften Bände gezählt wurden, obgleich bei einigen die Hefte einzeln angeboten werden und diese nach Preis und Umfang durchaus Büchern vergleichbar sind. Der materielle Wert des medizinischen Verlags liegt somit weit über dem im Bereich der Theologie, obgleich im theologischen Bereich geringfügig mehr Titel verlegt wurden. Als medizinischer Autor des Verlags ist an erster Stelle Christoph Wilhelm Hufeland zu nennen.35 Naturwissenschaften Die Naturwissenschaften mit Botanik, Biologie, Chemie und Physik sind mit 97 Titeln bzw. 226 Bänden im Verlagsprogramm vertreten:

Zu ihm und anderen bedeutenden Ärzten und ihren Publikationen im Reimer-Verlag siehe Anhang A/III.

2. Die Sparten des Verlagsprogramms

175

148 Bände (darunter auch Naturlehre fur Gymnasien, Physiklehrbücher, 22 Bücher über Pflanzen in Portugal: Flore Portugaise). 8 Magazin der Entdeckungen in der Naturkunde, von der Gesellschaft naturforsch. Freunde Berlin. 7 H. Burmeister: Zoologischer Handatlas %um Schulgebrauch und Selbstunterricht mit besonderer Rücksicht auf seinen Grundriss und sein Lehrbuch der Naturgeschichte entworfen. 24 Fr. Guimpel: Abbildung der fremden in Deutschland ausdauernden Holzarten. 15 E. F. Gurlt: Anatomische Abbildungen der Haus-Säugethiere. 12 D. J. E. Bloch: Naturgeschichte der Fische. 1 - 12r Theil. Mit 432 illum. Kupfern in Folio. 12 Journal für die Chemie, Physik und Mineralogie... 226 Zahlreiche Veröffentlichungen stammen von Sigismund Friedrich Hermbstädt, der durch chemisch-technische Untersuchungen Gewerbe und Industrie in Preußen förderte, und mit Friedlieb Ferdinand Runge ist ein Pionier auf dem Gebiet der Farbenchemie als Autor im Reimer-Verlag vertreten.36 Mathematik,

Astronomie

111 Bücher (teils zwei- oder dreibändig; darunter 35 Mathematik-Lehrbücher). Außerdem: 25 Bände Creile: Journal für die reine und angewandte Mathematik. In zwanglosen Heften. 1 - 25r Bd. (1826-43). Der Band von vier Heften: 4 Thlr. 136 Von dem Mathematiker und Straßenbauingenieur August Leopold Creile37 (1780-1855) befinden sich 81 Briefe aus den Jahren 1829 bis 1855 sowie 10 Verlagsverträge im Archiv Walter de Gruyter (Briefarchiv Rl). Die erste preußische Eisenbahnlinie von Berlin nach Potsdam (1838) wurde nach seinem Entwurf gebaut;38 seine zuerst 1820 erschienenen Rechentafeln erfuhren noch 1954 eine neue Auflage! Crelles 1826 gegründetes Journal für die reine und angewandte Mathematik besteht noch heute, und seine Lehrbücher über Arithmetik und Algebra (1825 bei Reimer), sowie Geometrie und Trigonometrie (1826 bei Reimer) 36 37

38

Zu einzelnen Titeln siehe Anhang A/III. Vgl. auch Brockhaus, Bd. 5, "1988, S. 31 zu „Creile". - Am 1. August 1825 macht Creile seinem Verleger Reimer einen „Vorschlag zu einer 'Vollständigen Anweisung zur Straßen — und Brückenbaukunst'" - eventuell ging daraus das Journal für die Baukunst hervor, das er ab 1828 herausgab. Vgl. sechs Publikationen von ihm über Eisenbahnen bei Reimer 1835 bis 1842.

176

III Das Verlagsprogramm

waren Standardwerke für das 19. Jahrhundert. Er förderte den Mathematikunterricht und junge Mathematiker. Der erste Titel Crelles in Reimers Realschulbuchhandlung ist die 1802 erscheinende Theorie des Windstoßes. Im Nachruf Crelles auf Reimer heißt es: „Leider verliert der Herausgeber an dem zu früh Verstorbenen einen aufrichtigen und lang bewährten Freund! Seit vollen 40 Jahren stand er zu ihm in freundschaftlichem Verhältniss und in dem eines Schriftstellers zum Verlagshändler. Bei weitem das Meiste von Allem, was der Herausgeber durch den Druck bekannt machte, hat die Buchhandlung des Verstorbenen verlegt, und nie hatte er irgend einen Anlass zum Missvergnügen gegen ihn. Im Gegentheil verdankt er ihm vielfältige Gefälligkeiten und manche Förderung und Erleichterung seiner schriftstellerischen Bestrebungen. Reimer war ein sehr wackerer, ehrenhafter Mann, ein Mann von Wort und Treue." 39 In seinem Antrag auf finanzielle Unterstützung bei der Herausgabe des Journals für die reine und angewandte Mathematik an den Kultusminister von Altenstein v o m 11. Januar 1832 weist Creile darauf hin, daß das in Frage kommende Publikum sehr klein „sein muß": „Das Journal wird, außer von Academien, Universitäten und Schul-Anstalten, denen im Innlande meistens Ew. Excellenz es verleihen, nur noch von denen gekauft, die sich mit der Wissenschaft im weiteren Umfange beschäftigen; und da nun ein großer Theil dieser Personen daran selbst mitarbeitet und ich (das geringste, aber auch alles was ich thun kann) diesen Personen Frei-Exemplare, 40 bis 50 an der Zahl, liefere, so bleibt nur noch eine sehr kleine Zahl von anderen Käufern übrig. Und da nun der Buchhandel, ein, wie er ist, schwer auf den Fortschritten der Wissenschaft lastendes Monopol, dem die Bücher ohne Unterschied nur Waaren und also die leicht verkäuflichsten und gangbarsten, ja öfters die schnödesten die liebsten sind, gewohnt ist, für seine leichte Mühe die Hälfte des Brutto-Ertrages hinweg zu nehmen, so kann der übrige Ertrag unmöglich die Kosten decken." 40 Das von Creile beschriebene Problem betrifft auch andere wissenschaftliche Werke.

40

Creile: „Nachruf auf G. A. Reimer". „Antrag Crelles an den Kultusminister von auf finanzielle Unterstützung bei der Herausgabe des Journals für die reine und angewandte Mathematik. Abschrift. Berlin, 11. 1. 1832." (in: ZstA Rep. 92, Nachlaß Schulze, Nr. 8. Lit. C, Bl., 139-143). Zit. nach: Wolfgang Eccarius: „Der Techniker und Mathematiker August Leopold Creile (1780-1855) und sein Beitrag zur Förderung und Entwicklung der Mathematik im Deutschland des 19. Jahrhunderts". Diss, masch. Eisenach 1974. S. 232-236, hier S. 234f.

2. Die Sparten des Verlagsprogramms

Bau- und Ingenieurwissenschaften,

177

Architektur

59 Bände (darunter: 9 zum Eisenbahnwesen; 4 Brückenbau; auch Hydraulik, Wasserbau). 18 Bände Creile: Journalfür die Baukunst. In zwanglosen Heften. 1 - 18r Bd. 1828-43. Der Band v. 4 Heften. (5 Thlr; 1 - 12r Band zusammen, herabges. auf 45 Thlr). 77 Berg- und

Hüttenwesen

16 Titel 20 Bände Carl Johann Bernhard Karsten: Archiv für Bergbau und Hüttenwesen. Ir Bd l s Heft 1818 bis XX Bd 2s Heft 1831 (Kat 1843: 51 Thlr. 25 Sg). 17 Bände C. J. B. Karsten: Archiv für Mineralogie, Geognosie, Bergbau und Hüttenkunde. Ir Bd ls Heft 1829 bis XVII Bd ls Heft 1843 (Kat 1843: 82 Thlr. 2 'Λ Sg). 5 Bände C. J. B. Karsten: Handbuch der Eisenhüttenkunde. Nebst einem Atlas von 63 Kupertafeln in Roy. Fol. (1841, Kat 1843: 30 Thlr). 5 Bände C. J. B. Karsten: System der Metallurgie. Nebst einem s\tlus voti 51 Kupfertafeln in Roy Fol. (1831 u. 1832, Kat 1843: 30 Thlr). 63 Carl Johann Bernhard Karsten (1782-1853) 41 war seit 1819 als Geheimer Oberbergrat im Ministerium des Innern in Berlin mit der Oberleitung des preußischen Hüttenwesens betraut. Er errichtete auf der Gleiwitzer Hütte die erste deutsche Anlage zur Gewinnung von Steinkohlenteer und bei Königshütte eine Anlage zur Zinkgewinnung; er untersuchte die Begleitstoffe des Zinkoxids und entdeckte das Cadmium. Für den Reimer-Verlag ist er ein wichtiger Autor zunächst wegen der beiden großen Archiv-Reihen. Während er das Archiv für Bergbau und Hüttenwesen allein herausgab, hatte er für das Archiv für Mineralogie, Geognosie, Bergbau und Hüttenkunde ab Bd. 11, 1838 Heinrich von Dechen als Mitherausgeber. Die Briefe Karstens an Reimer42 („Immer der Ihrige") sprechen von einem freundschaftlichen Verhältnis zum Verleger, was schon deshalb nicht überrascht, da auch Karsten (wie einige andere der schon genannten Professoren und Reimer selbst) Mitglied der „Gesetzlosen Gesellschaft" war.

41

Schon ein Jahr nach seinem Tod (1854) erschien im Reimer-Verlag eine Biographie: Umrisse Carl Johann Bernhard Karsten 's lieben und Wirken. 37 Briefe aus der Zeit von 1826 bis 1852 und 5 Briefe ohne Datum sowie Verträge.

178

III Das Verlagsprogramm

hand-

und

Forstwirtschaft

51 Bände (darunter 5 Bde Deutschlands Rindviehracen). 7 S. F. Hermbstädt: Archiv der Agriculturchemie für denkende

handwirthe.

58 Albrecht Daniel Thaer (1752-1828), der die Landwirtschaftslehre zu einer systematischen Wissenschaft machte 43 und berühmt ist für seine landwirtschaftliche Akademie auf dem Gut Möglin, hat sein Hauptwerk bei Reimer. Ab 1805 bis 1812 gab Thaer in der Realschulbuchhandlung die Annalen des Ackerbaus heraus, zu denen die möglin. Annalen der Landwirthschaft (lr u. 2r Bd. 1817) eine Art Fortsetzung darstellen. 1807 errichtete er seine landwirtschaftliche Lehranstalt, die 1824 zu einer königlichen Akademie des Landbaus erhoben wurde. Er publizierte über dieses Institut: Nachricht vom landwirtschaftlichen Institut Möglin (o. J. im Kat 1843) und Geschichte meiner Wirt h schaff Möglin (1815). Sein großes, in alle europäischen Sprachen übersetztes Hauptwerk Grundsätze der rationellen l^andwirthschaft (4 Bde, 1809—10) erlebte im ReimerVerlag 1853 die fünfte Auflage. Thaer, der von 1810 bis 1818 Professor an der Universität Berlin war, hatte bei der Reorganisation des preußischen Staates bedeutenden Anteil an den Gesetzen zur Regulierung der bäuerlichen Verhältnisse [...] Seine Hauptverdienste um die Landwirtschaft bestehen in der Berechnung von Produktionskosten und Gewinn, der Klarstellung der Begriffe von Roh- und Reinertrag, der Geographie, Erdbeschreibung, Länder- und Völkerkunde, Reisen 107 Bände (darunter auch Lehrbücher). 24 Bände Annalen der Erd- Völker- und Staatenkunde. Unter Mitwirkung mehrerer Gelehrten verfaßt und hg. von H. Berghaus. Ir, Ilr Bd 1830 bis XXIIIr, XXIVr Bd 1840.41. à 5 Thlr. 131 Carl Ritter (1779-1859) mit seiner großen Erdkunde muß hier als Autor besonders hervorgehoben werden. 44

43 44

Brockhaus Bd. 22, 1993, S. 51 unter „Thaer". Lothar Zögner: Carl Ritter in seiner Zeit (1779—1859). Ausstellung der Staatsbibliothek ßischer Kulturbesi% Berlin: 1. 11. 1979-12. 1. 1980. Berlin·. StbPK (= Ausstellungskataloge 11).

Preu1979

2. Die Sparten des Verlagsprogramms

179

Rechts- und Staatswissenschaften, Volkswirtschaft, Politik und Verwaltung 122 Bände (darunter J. G. Herberstein: Deutschlands Wünsche, bezüglich auf seinen gesunkenen Wohlstand (1830); Schriften zur Abschaffung der Todesstrafe, über Armenpflege). Geschichte,

Biographien

145 Bände (darunter Leopold von Ranke und Friedrich Rühs) und: 8 J. Freiherr v. Hormayr: Taschenbuch für vaterländ. Geschichte·. 25r Jahrg. der gesammten, 7r der neuen Folge 1836 bis 1843: 32r der ges., 14r d. n. Folge. 2 Zeitschrift für die neuste Geschichte, Staaten- und Völkerkunde. Hg von F. Rühs und S. H. Spieker. 2 Jahrg. 1814.15. (12 Thlr). 155 Altphilologie Hierzu gehören auch lateinische und griechische Lehrbücher sowie Ägyptologie: 161 Titel (beispielsweise Aristoteles, Catull, Tacitus). Der Philologe Friedrich August Wolf (1759-1824), der nach der Schließung der Universität Halle nach Berlin gekommen war, setzte sich von Anfang an für die zu gründende Universität ein. In seiner Abhandlung Darstellung der Alterthumswissenschaft nach B e g r i f f , Umfang, Zweck und Werth, mit der er das von ihm und seinem Schüler Philipp Buttmann herausgegebene Museum der Altertumswissenschaft eröffnete, beschrieb er die klassische Philologie zum ersten Mal als eine selbständige und gleichberechtigte philosophisch-historische Wissenschaft.46 Nach erfolgter Gründung der Universität wirkte Wolf für die Berufung seiner Schüler Ludwig Friedrich Heindorf, August Boeckh und Immanuel Bekker; während er selbst die ihm zugedachte Stellung ablehnte, da sie den offiziellen Staatsrats-Titel nicht enthielt.47 Wolf wird als nicht frei von Eitelkeit, Zanksucht und prahlerischem Wesen beschrieben; als er seinen anhänglichen Schüler und Herausgeber platonischer Dialoge Heindorf, der auf dem Totenbett lag, in un45

46 47

2 Bände in 6 Heften, gr. 8. 1807-1809; Kat 1843: 6 Thlr. 17 Vi Sg. - Von Wolf und Buttmann bei Reimer auch: Museum antiquitatis studiorum. Vol. I. fase. 1. et 2. 8. maj. 1808, 1811; Kat 1843: 2 Thlr. 20 Sg. A. Baumeister: „Friedrich A. W o l f . In: ADB Bd. 43. S. 737-748, hier S. 746. Vgl. Lenz: Geschichte der Universität Berlin Bd. 1, S. 208f.

180

III Das Verlagsprogramm

barmherziger Weise beurteilte,48 veröffentlichten Schleiermacher und Buttmann 1816 eine pikante Broschüre über Heindorf und Wolf.49 Indiquen wurden also öffentlich gemacht; mit dem Verlag stand Schleiermacher und seinen Freunden eine Bühne für Privatfehden zur Verfügung. Philipp Buttmann (1764-1829) machte sein Haus in Berlin zu einem „Versammlungsplatz nicht blos von Fachgelehrten, sondern auch anderer wissenschaftlicher oder künsderischer Notabilitäten"50; er war, obgleich er zwar seit 1806 Mitglied der historisch-philologischen Klasse der Berliner Akademie war, selbst jedoch nie ordentliches Mitglied der Berliner Universität wurde, mit vielen der Professoren (Savigny, Niebuhr, Süvern, Rühs, Goeschen, Boeckh, Bekker, Schleiermacher und bis zu dem Zerwürfnis mit F. A. Wolf) eng verbunden, befreundet auch mit den Humboldts, Lachmann und dem jüngeren Spalding. Er gilt als Mittelpunkt sowohl der „griechischen" (zuerst: „Gesellschaft herodotliebender Freunde") als auch der „Gesetzlosen Gesellschaft" in Berlin. August Boeckh (1785—1867) freute sich über die Berufung nach Berlin, da er mit der Heidelberger Universität nicht zufrieden war; seine endgültige Zusage, nach Berlin zu kommen, gab er gleichwohl erst, als man seine ursprünglich vorgesehene Dotierung von 1.000 Talern auf 1.500 Taler erhöhte, die auch de Wette und Marheineke erhielten und ihm nicht nur die Vertretung der griechischen und lateinischen Sprache übertrug, sondern ihn auch zum „Professor eloquentiae" ernannte.51 Boeckh las über Pindars Oden und über griechische Altertümer.52 Nach Spaldings frühem Tod wurde Immanuel Bekker (1785-1871) befördert53; da er bald nach seiner Berufung an die Universität Berlin im Auftrag der Akademie nach Paris ging, um dort die handschriftlichen Schätze der Kaiserlichen Bibliothek zu studieren,54 nutzte er dem universitären Lehrbetrieb zunächst wenig; bei Reimer veröffentlichte er zahlreiche lateinische und griechische Texte.55 Niebuhr, Schleiermacher, Süvern und Hirt trafen sich freitags abends mit Buttmann, Spalding und Heindorf, zur „Graeca", reihum bei jedem zu Hause, um gemeinsam klassische Studien zu betreiben; „ein einfaches Mahl hielt sie dann noch ein paar Stunden unter heiteren und ernsten Gesprächen zusamVgl. A. Baumeister: „Friedrich A. W o l f . In: ADB Bd. 43, S. 737-748, hier S. 747. - Ludwig Friedrich Heindorf (1774—1816) hatte 4 Bde ausgewählte Dialoge Piatons mit lateinischem Kommentar (Berlin 1802-1810) veröffentlicht, die sein Lehrer Wolf, der selbst den Plan einer Piaton-Ausgabe immer wieder herausgeschoben hatte, vernichtend kritisierte; vgl. Bursian: „Ludwig Friedrich Heindorf' in ADB Bd. 11, S. 335. 4 9 Bei Reimer, gr. 8., Kat 1843: 3 % Sg. 5 0 A. Buttmann: „Philipp Buttmann". In: ADB Bd. 3, S. 656-659, hier S. 657. 51 Vgl. Lenz: Geschichte der Universität Berlin Bd. 1, S. 267. 5 2 Ebda., S. 390. - Bei Reimer: Ober die Versmaße des Pindaros 1809; Die Staatshaushaltung der Athener 1817 und 1818 u. a. - Zur Verlagsbeziehung zwischen Boeckh und Reimer: IV. 3. 5 3 Vgl. Lenz: Geschichte der Universität Berlin Bd. 1, S. 391. 5 4 Ebda., S. 208. 5 5 Im Archiv WdeG (Briefarchiv Rl): 29 Briefe 9. 10. 1834 - 15. 10. 1860. 48

2. Die Sparten des Verlagsprogramms

181

men." 56 Boeckh wird nicht genannt, zwischen ihm und Niebuhr gab es später gravierende Differenzen; zwischen Niebuhr und Schleiermacher zumindest Empfindlichkeiten. Neuere Sprachen,

Philologie,

44 Bände (darunter A. W. Schlegels Kritische

l^iteraturgeschichte Schriften).

Über Schillers Wallenstein von Süvern war im Jahr 1800 der erste Text, den Reimer selbst verlegte. Friedrich Diez57 (1794—1876), Professor für romanische Philologie an der Universität Bonn, veröffentlichte bei Reimer Beiträge ^ur Kenntniß der romantischen Poesie. Erstes Heft 1825: Über die Minnehöfe (Kat 1843: 15 Sg.) und übersetzte Altspanische Romanzen vom Cid und Kaisers Karls Paladinen 1821 (Kat 1843: 1 Thlr.) Friedrich von der Hagen58 (1780-1856), der sich für die Errichtung eines Lehrstuhls für „deutsche Altertumswissenschaft" einsetzte, erreichte es zwar, selbst zum außerordentlichen Professor der deutschen Sprache ernannt zu werden, und, zunächst allerdings ohne Gehalt, seine Vorlesungen (über die Nibelungen) halten zu dürfen, doch als akademischer Lehrgegenstand anerkannt wurde das Alt- und Mittelhochdeutsche damals noch nicht.59 Während Lenz in seiner Universitätsgeschichte die Einrichtung eines Extraordinariats ohne Besoldung als Niederlage für von der Hagen hinstellt, wird heute betont, daß es sich hierbei um die erste Professur für deutsche Sprache und Literatur handelte und sie ganz und gar nicht zufällig im Jahr 1810 bei der Eröffnung der Universität Berlin vergeben wurde: Sie ist im Zusammenhang mit der patriotischen Neubesinnung nach den vernichtenden Siegen Napoleons über Preußen zu sehen, wie überhaupt die Neugründung der Universität als Institutionalisierung bürgerlicher Öffentlichkeit eine antifeudale und antiabsolutistische Zielrichtung hatte.60 Da von der Hagen sich einen Namen als enthusiatischer Patriot gemacht hatte, schien er der richtige an dieser Stelle; wie er denn auch 1811 an die eben gegründete Universität Bres-

56 57 58

55

60

Lenz: Geschichte der Universität Berlin Bd. 1, S. 346. Zwei Briefe im Archiv WdeG. Ein Werkverzeichnis mit Verlagsangaben und ein Verzeichnis von Rezensionen findet sich im Anhang von Eckhard Grunewald: Friedrich Heinrich von der Hagen 1780-1856. Ein Beitrag zur Frühgeschichte der Germanistik. Berlin: de Gruyter 1988 (= Studia Linguistica Germanica 23). S. 371 ff. Vgl. Lenz: Geschichte der Universität Berlin Bd. 1, S. 271. - Von der Hagen folgte denn auch bald dem Ruf nach Breslau, der ihm eine sichere Stellung eintrug (Lenz: Geschichte der Universität Berlin Bd. 1, S. 391f). Vgl. Eine Wissenschaft etabliert sich, hier Einleitung S. 16.

182

III Das Verlagsprogramm

lau berufen wurde, „mit der die Bande zwischen Preußen und Schlesien verstärkt werden sollten."61 Erinnert werden muß dabei an ein Interesse der Staatsführung, „die Aktivitäten v. d. Hagens im Vorfeld der Freiheitskriege besser zu steuern, sie zu kanalisieren und sie ihren Interessen dienstbar zu machen."62 Den als philologischen Dilettanten geltenden Hagen, der seit 1817 in Breslau Ordinarius war, berief man 1824 nach Berlin zurück und zog ihn damit „dem eindeutig besseren Philologen Karl Lachmann" vor.63 Die Etablierung der Germanistik war also zunächst offenkundig von politischen Interessen geleitet.64 Karl Lachmann (1793—1851), der sich in Berlin 1816 über die ursprüngliche Gestalt des Gedichts von der Nibelungen Noth habilitierte, erhielt, bevor er noch in Berlin lesen konnte, die Berufung an das Collegium Fridericianum zu Königsberg.65 Ab 1825 lehrte er in Berlin - deutsche und klassische Philologie zunächst als Extraordinarius, 1827 als Ordinarius66 - und wurde 1830 auch Mitglied der Akademie der Wissenschaften. Lachmann, ursprünglich Altphilologe, gilt als Begründer der philologischen Textkritik und Edition in der antiken und althochdeutschen Literatur. Er führte die Germanistik methodologisch in die Arme der klassischen Philologie.67 „Indem er die von ihm zunächst für die Altphilologie entwickelten Methoden auf altdt. Texte übertrug, leistete er einen entscheidenden Beitrag zur Kenntnis der mittelhochdt. Dichtung, deren nach L. .normalisierte' Sprachform bis heute gebräuchlich ist."68 Georg Friedrich Benecke (1762—1844), Professor der Germanistik in Göttingen gab mit Lachmann: Hartmann von der Aue: Iwein 182769 heraus.70 Romanisten und Anglisten wurden 1810 lediglich als Sprachlehrer angestellt, so etwa der Theologe Theremin für das Französische, und „rangierten im Katalog mit den Exerzitienmeistern, dem Fechtmeister und dem Reidehrer unter einer Rubrik."71 Der geheime Kriegsrat J. F. W. Himly erhielt die Lehrerlaubnis für Pädagogik als besonderem Lehrgegenstand.72

Ebda., S. 17. Ebda., S. 17. 63 Ebda., S. 17. 64 Ebda., S. 17f. 6 5 Vgl. Lenz: Geschichte dir Universität Berlin Bd. 1,S. 597. 66 Eine Wissenschaft etabliert sich, hier Einleitung S. 17. 6 7 Ebda., S. 35. 68 brockhaus Bd. 12, "1990, S. 676 zu „K. Lachmann". - Vgl. Harald Weigel: „Nur was du nie gesehn wird ewig dauern". Carl hachmann und die Entstehung der wissenschaftlichen Edition. Freiburg i. Br.: Rombach 1989. 6 9 2. Auflage: 1843 bei Reimer. 7 0 Vgl. Brief vom 8. 2. 1833. 7 1 Lenz: Geschichte der Universität Berlin Bd. 1, S. 272. 7 2 Ebda., S. 273. 61 62

2. Die Sparten des Verlagsprogramms

183

Kunstgeschichte 120 Bände (vor allem: Antike Bildwerke, aber auch eine Abhandlung von Κ. A. Kestner über die Frage: Wem gehört die Kunst). Aloys Hirt (1759—1836), aus dem Süddeutschen stammend, zunächst Archäologe, lehrte an der Akademie der Künste in Berlin, als er den Ruf an die Universität erhielt; sein Spezialgebiet, das damals wenig in das universitäre Programm hineinzupassen schien, war die Geschichte der Baukunst in der Antike, weshalb Wolf, der gleich anfangs für Hirts Berufung war, obwohl er auf den Außenseiter „herabsah und ihn gern zur Zielscheibe seines Witzes machte", ihn als Lehrer „der schönen Architektur" bezeichnete. 73 Hirts Baukunst nach den Grundsätzen der Alten, in „Roy. Fol." mit 50 Kupfern und zum Kaufpreis von 27 Talern eines der großen Verlagswerke, war schon 1809 in Reimers Realschulbuchhandlung erschienen. Es folgten bei Reimer in den zwanziger Jahren die dreibändige Geschichte der Baukunst bei den Alten (Bd. 1 und 2: 1821 und 1822), wobei der dritte Band (1827) auch einzeln unter dem Titel Oie hehre von den Gebäuden bei den Griechen und Kömern erhältlich war (vgl. Kat 1843). Im Jahr 1821 erschien auch Über die Bildung der Aegyptischen Gottheiten. Wilhelm Zahn (1800-1871), von dem sich 68 undatierte Briefe, 128 Briefe aus der Zeit von 1832 bis 1847 und 15 Quittungen sowie ein Vertragsentwurf ohne Datum im Briefarchiv befinden, hat bei Reimer das zumindest in diesen Jahren größte Werk des Verlags veröffentlicht, das buchgeschichtlich äußerst interessant und auch noch heute wichtig ist für die Archäologie Pompejis: Oie schönsten Ornamente und merkwürdigsten Gemälde aus Pompeji, Herculanum und Stabiae, nebst einigen Grundrissen und Ansichten. Mit deutschem und französischem Text. Allein schon die erste 1828 bis 1830 erscheinende Folge umfaßte 10 Hefte im gr. Roy. Fol. zum Preis von (Kat 1843:) je 6 Thlr., also 60 Thlr. Die Prachtausgabe kostete 20 Frd'or. Die zweite Folge erschien 1841 bis 1843.74 1829 wurde Zahn für seine Arbeit zum Professor an der Berliner Universität ernannt. Als er sich 1827 um die Veröffentlichung des Werks bemüht hatte, hatte er sich erst an Cotta gewandt, der zunächst zusagte; schließlich aber nur die 40 Umrißzeichnungen veröffentlichte, die Zahn ihm gegeben hatte, der bald unzufrieden war mit Cotta, weil die Zahlungen nicht so eingingen, wie er es erwartete. Für Zahn hatte sich durch einen Besuch bei dem von Zahns Arbeiten sehr begeisterten Goethe in Weimar, 75 der ihm Empfehlungsschreiben für Berlin mitgab, bald die Alternative im Reimer-Verlag aufgetan. Die in verschiedenen Werkstätten stattfindende Her-

73 74 75

Lenz: Geschichte der Universität Berlin Bd. 1, S. 263. l s - 6 s Heft, à 6 Thlr., Prachtausgabe à 2 Frd'or. Goethe schrieb denn auch für die Wiener Jahrbücher Besprechung voll des Lobes.

(Bd. 51, 1830, Juli-Sept., S. 1-12) eine

184

III Das Verlagsprogramm

Stellung des aufwendigen Werks, das wegen der frühen, noch experimentellen Methoden des Farbdrucks von großer Bedeutung ist, überwachte Zahn selbst.76 Kunstblätter,

Atlanten

und

Karten

131 Werke wurden gezählt. Darunter befinden sich Bildnisse von Berühmtheiten und diverse Kunstblätter; für Atlanten und Karten ist besonders Rühle von Lilienstem (1780-1847) zu nennen. Militaría 47 Bände (darunter auch Militärgeschichte; 1 Feldkochkunst·, 2 Bde Grundlehren der Physik nach ihrer jetzigen Ausdehnung und in ihren besondern Beziehungen auf die Militairwissenschaften in leicht faßlichem Vortrage Selbstunterricht und als Leitfaden für Militairschulen...;W. v. Schmeling: Die Landwehr, gegründet auf die Turnkunst. Die meisten jedoch: Kriegsbaukunst). Sonstiges 52 Bände. Darunter fallen Abhandlungen der Königlich Preußischen Akademie der Wissenschaften, die nicht einzuordnen sind, da weder Titel noch Fach angegeben sind. Hier mitgezählt wurden außerdem einige wenige Titel, die in die Sparte „Ratgeber" fallen — so auch die dreibändige Anweisung dergesammten Kochkunst von Ludwig Ferdinand Jungius, von der in Teil IV noch die Rede sein wird.

76

Vgl.: Joachim Migl: „Die Bilder im Druck. Techniken und Bedeutung." S. 27-40." In: Bilder aus Pompej. Antike aus ζweiter Hand. Spuren in Württemberg. Katalog %ur Ausstellung des Württemberg. Landesmuseums Stuttgart und der Württemberg. Landesbibliothek im Alten Schloß in Stuttgart vom 25. Okt.1998 bis 11. April 1999. Hrsg. von Marion Mannsperger und Joachim Migl. Stuttgart: Württemberg. Landesmuseum; Stuttgart: Württemberg. Landesbibliothek 1998. S. 27^-0. - Einem Vortrag von Joachim Migl: „Ein Meilenstein archäologischer Dokumentation: Hintergründe zu Wilhelm Zahns 'Schönsten Ornamenten und merkwürdigsten Gemälden 1827—1859" im Württembergischen Landesmuseum Stuttgart verdanke ich hierzu wichtige Informationen.

IV Das Verlagsgeschäft

,Der Vortheil wäre allerdings groß, wenn Bücher so schnell und sicher abgingen wie Brot, oder durch langes liegen sich verbesserten gleich dem Wein". Reimer an Jean Paul, 1817

£

1.

Geschäftsdaten Buchhaltung und Korrespondenzen Untersucht man die konkrete Arbeit des Verlegers und das Funktionieren des Verlags, bilden die Geschäftsunterlagen und jeweilige Korrespondenzen hierfür die Grundlage. Hauptquellen für diesen Teil bilden die Verträge mit den Autoren und die entsprechenden Einträge in den Hauptbüchern, sodann die sich in den Hauptbüchern niederschlagenden Geschäftsbeziehungen zu Druckern und am Rande auch die zu Verlegerkollegen. Unerläßliches Hilfsmittel war hier wieder der bereits im Einleitungskapitel beschriebene und in dem Kapitel über das Verlagsprogramm ausgewertete Verlagskatalog von 1843.

Autoren Zu dem finanziellen und organisatorischen Aufwand des Verlags für die eigentliche Herstellung der Bücher treten die vielfältigen Kontakte zu den Autoren, Herausgebern, Übersetzern und Künsdern, die, sofern sie einen irgendwie gearteten geldwerten Vorgang auslösten, sich regelmäßig in den fünf Hauptbüchern des Verlagsunternehmens widerspiegeln. Dabei geben die Briefe und Verträge Einblick in die Intentionen und gegenseitigen Interessen, die in die geschäftlichen Verbindungen des Verlegers mit den Autoren und Herausgebern eingeflossen sind. Die überwiegende Anzahl der Einträge in den Hauptbüchern zu Autoren mit eigenen Kontoseiten bezeichnen schlichte Buchkäufe; Reimer, wie die meisten seiner Kollegen der Zeit, war zugleich Buchhändler;1 über ihn wickelten diese Autoren oft vorzugsweise ihre Buchkäufe ab — insbesondere die in Berlin ansässigen - und insbesondere dann, wenn Buchkäufe entweder förmlich als Honorierungsform vereinbart waren, oder die Autoren auf diese Weise sich mehr oder weniger stillschweigend Vorschüsse oder Abschlagszahlungen auf das ihnen zustehende Honorar verschafften. In diesem Kapitel zum Verlagsgeschäft hingegen interessieren vor allem die Eintragungen über Honorare, Vorschüsse u. ä., und * Reimer an Jean Paul, 18. 2. 1817, Briefkopierbuch S. 80-84, hier S. 81. Vgl. Anhang C. 1 Er selbst betont allerdings - spätestens in den zwanziger Jahren, doch wohl auch schon nach dem Umzug in die Wilhelmstraße - kein Sortiment zu haben, sondern Verlagshändler zu sein.

188

IV Das Verlagsgeschäft

von den Buchlieferungen insbesondere diejenigen, die unmittelbar nach Fertigstellung des jeweiligen Drucks, und in aller Regel gratis geliefert wurden.

Drucker Auch über den Kontakt mit den Druckern stellt das Hauptbuch die umfangreichste und verläßlichste Quelle dar. Allein in den beiden ersten Hauptbüchern ist auf mehr als 200 Seiten die Geschäftstätigkeit mit 50 verschiedenen Druckern dokumentiert2; dabei überrascht die weite räumliche Streuung dieser Beziehungen, die Reimer von seinem Berliner Geschäftssitz aus organisierte. Ausschlaggebend für die Wahl des Druckers war häufig der Wohnort des Autors, dem es, wenn er den Wunsch hierzu hatte, ermöglicht werden sollte, selbst den Druckvorgang zu überwachen. Die Zusammenarbeit von Verlag und Druckern gestattete eine Kommunikation, die mit wenigen eindeutig zu verstehenden Kürzeln und Anweisungen und entsprechend knappen Hauptbucheintragungen auskommen konnte.3 Zur Auflagenhöhe der einzelnen Werke, zu den verwendeten Papieren und zum genauen Druck-, bzw. Erscheinungsdatum liefern die Drukker-Eintragungen im Hauptbuch die meisten der verfügbaren Informationen. Dabei fehlen die Namen und Angaben zu Druckern, die gleichzeitig Verlegerkollegen waren; die Geschäftsbeziehungen zu ihnen wurden in einem gesonderten Buchhändler-Kontobuch festgehalten, das leider nicht erhalten ist.

Buchhändler Daß die Geschäftsbeziehungen zu den Buchhändler-Kollegen ihren Niederschlag nicht im Hauptbuch finden, wohin sie systematisch eigentlich gehören, kann als Residuum der Tauschbeziehungen verstanden werden, die im Buchhandel des achtzehnten Jahrhunderts vorherrschend waren,4 und die ihren lange und bis heute nachwirkenden organisatorischen Ausdruck in der zentralen Bedeutung der Leipziger Buchmesse fanden, zu der sich die ganze Zunft der Verleger und Buchhändler regelmäßig traf. Die Jubilate- und Michaelis-Messen stellten den Rahmen für die persönlichen Kontakte dar, die möglichst zweimal im Jahr, also im Frühjahr und Herbst, persönlich gepflegt, und einmal jährlich dazu genutzt wurden, das in Büchern aufgelaufene Soll und Haben zu saldieren und in Listen 2

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Vgl. im Anhang A/IV die Liste mit den Namen der Drucker, deren Konten sich in den Hauptbüchern befinden. Hierzu die Abbildung 4 einer Hauptbuchseite (hier I, 51) mit dem Konto von Buchdrucker Spaethen. Auch die Seiten I, 52-56, sowie die Seite 208 in Hb II, sind Spaethen gewidmet. „Man kann nicht nachdrücklich genug betonen, daß auch noch um 1800 der weitaus größere Teil der Buchhandelsfirmen nicht bzw. nur mit einzelnen Partnern Nettohandel betrieb, vielmehr den Changeverkehr aufrechterhielt, wenngleich modifiziert und modernisiert". Wittmann: „Überlegungen zum Stand und zu Perspektiven der Forschung". S. 13.

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