Parallelkinematische Maschinen: Entwurf, Konstruktion, Anwendung 3540209913, 9783540209911

Parallelkinematische Maschinen stellen die spektakularste Innovation auf dem Gebiet der Maschinenstrukturen im letzten J

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German Pages 262 [267] Year 2005

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Parallelkinematische Maschinen: Entwurf, Konstruktion, Anwendung
 3540209913, 9783540209911

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Reimund Neugebauer (Hrsg.) Parallelkinematische Maschinen

Reimund Neugebauer (Hrsg.)

Parallelkinematische Maschinen Entwurf, Konstruktion, Anwendung

Mit 136 Abbildungen

13

Prof. Dr.-Ing. habil. Prof. e.h. Dr.-Ing. e.h. Reimund Neugebauer Fraunhofer-Institut für Werkzeugmaschinen und Umformtechnik IWU Reichenhainer Straße 88 09126 Chemnitz, Germany [email protected]

Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek Die deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.

ISBN 10 3-540-20991-3 Springer Berlin Heidelberg New York ISBN 13 978-3-540-20991-1 Springer Berlin Heidelberg New York Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Die dadurch begründeten Rechte, insbesondere die der Übersetzung, des Nachdrucks, des Vortrags, der Entnahme von Abbildungen und Tabellen, der Funksendung, der Mikroverfilmung oder Vervielfältigung auf anderen Wegen und der Speicherung in Datenverarbeitungsanlagen, bleiben, auch bei nur auszugsweiser Verwertung, vorbehalten. Eine Vervielfältigung dieses Werkes oder von Teilen dieses Werkes ist auch im Einzelfall nur in den Grenzen der gesetzlichen Bestimmungen des Urheberrechtsgesetzes der Bundesrepublik Deutschland vom 9. September 1965 in der jeweils geltenden Fassung zulässig. Sie ist grundsätzlich vergütungspflichtig. Zuwiderhandlungen unterliegen den Strafbestimmungen des Urheberrechtsgesetzes. Springer ist ein Unternehmen von Springer Science+Business Media springer.de © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2006 Printed in Germany Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Buch berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Sollte in diesem Werk direkt oder indirekt auf Gesetze, Vorschriften oder Richtlinien (z.B. DIN, VDI, VDE) Bezug genommen oder aus ihnen zitiert worden sein, so kann der Verlag keine Gewähr für die Richtigkeit, Vollständigkeit oder Aktualität übernehmen. Es empfiehlt sich, gegebenenfalls für die eigenen Arbeiten die vollständigen Vorschriften oder Richtlinien in der jeweils gültigen Fassung hinzuzuziehen.

Umschlaggestaltung: medionet AG, Berlin Satz: Digitale Druckvorlage des Herausgebers Gedruckt auf säurefreiem Papier

68/3020 /M 5 4 3 2 1

Vorwort

Parallelkinematische Maschinen stellen zweifellos die spektakulärste Innovation auf dem Gebiet der Maschinenstrukturen im letzten Jahrzehnt dar. Zunächst Mitte der 90er Jahre euphorisch aufgenommen und mit reichlich Vorschusslorbeeren bedacht, dann kritisiert ob der häufig nicht erreichten hochgesteckten Erwartungen, hat sich inzwischen Realitätsdenken durchgesetzt: Einzelne Lösungen werden mit gutem Erfolg in der industriellen Praxis eingesetzt, weitere industrietaugliche Entwicklungen stehen kurz davor. Parallelkinematische Maschinen beginnen, die Plätze zu besetzen, auf denen sie ihre Vorzüge zur Geltung bringen können. Mithin ist es an der Zeit, das durch breite internationale Forschungs- und Entwicklungsaktivität akkumulierte umfangreiche Wissen in systematisierter Form dem interessierten Leser zugänglich zu machen. Das Buch richtet sich vorrangig an Praktiker aus der Industrie, zugleich auch an Studenten höherer Semester. Diesem Anliegen entsprechend enthält es Merkmale eines Grundlagen- und eines Lehrbuches, ohne das eine bzw. andere in Reinkultur zu sein. Das Verhältnis von theorie- und praxisorientiertem Teil ist gleichfalls in diesem Sinne ausgewogen gestaltet. Grundsätzlich orientiert sich der Aufbau des Buches am Entwicklungsprozess von Parallelkinematiken in der Produktionstechnik. Die Autoren beschränken sich dabei bewusst auf die Betrachtung von Werkzeugmaschinen und Handhabungseinrichtungen. Die wichtigsten Hauptkapitel von „Entwurfsgrundlagen“ bis „Maschinengestaltung und Einsatzerfahrungen: Ausgewählte Beispiele“ folgen einer Linie, die von eher theoretischen und allgemeinen Problemstellungen ausgeht, über die Bereitstellung geeigneter Maschinenkomponenten, die übergreifende modelltheoretische Betrachtung, eine Entwurfsbewertung und schließlich hin zu verschiedenen Bauformen parallelkinematischer Maschinen, deren praktischen Einsatz und letztlich zu den bereits in diesem Einsatzfeld gesammelten Erfahrungen reicht. Die vorgenommene unterschiedlich breite Darstellung von parallelkinematischen Werkzeugmaschinen und Handhabungseinrichtungen resultiert aus deren möglichem Entwicklungs- und Anwendungsstand. Während bei Handhabungseinrichtungen mit vergleichsweise geringen Genauigkeitsanforderungen die Parallelkinematik durchaus etliche Anwendungs-

VI

Vorwort

fälle vorweisen kann, steht ihr Einsatz bei den dazu vergleichsweise hochpräzisen Werkzeugmaschinen erst am Anfang. Auch daraus erklärt sich das starke Interesse der Forscher und Entwickler an parallelkinematischen Werkzeugmaschinen und die Konzentration auf dieses Feld im vorliegenden Buch. Den Forschungsaktivitäten entspricht die gewaltige zur Thematik vorhandene Literaturfülle. Dem Anliegen des Buches folgend enthält das Literaturverzeichnis eine repräsentative Zusammenstellung der gegenwärtig verfügbaren Publikationen. Damit wird den Ansprüchen sowohl des Praktikers als auch des Studierenden nach weiterführender Literatur Rechnung getragen. Hauptkapitel 7 enthält eine Reihe praktischer Ausführungs- und Anwendungsbeispiele. Da es den Rahmen des Buches sprengen würde, die Vielzahl der gegenwärtig verfügbaren PKM-Lösungen darzustellen, erscheint die Konzentration auf charakteristische Lösungen zu ausgewählten Anwendungsgebieten der für das Verständnis der Materie erfolgversprechendere Weg. Dabei ist die Berücksichtigung der unter Mitwirkung des Fraunhofer-IWU entstandenen PKM wohl legitim. Aus didaktischer Sicht wäre die durchgängige Darstellung des Entwurfsprozesses anhand eines Ausführungsbeispiels reizvoll. Allerdings hofft der Herausgeber mit der gewählten Darstellungsweise – Präsentation verschiedener Beispiele im Kontext zu den branchenspezifischen Anforderungen – ein breites Publikum anzusprechen. Das vorliegende Buch entstand unter maßgeblicher Mitwirkung meiner jetzigen und früheren Mitarbeiter Dr.-Ing. Welf Guntram Drossel, Dipl.Ing. Carsten Hochmuth, Dipl.-Ing. Steffen Ihlenfeldt, Prof. Dr.-Ing. Markus Krabbes, Dipl.-Ing. Reiner Nestler, Dipl.-Ing. Jürgen Schönitz und Prof. Dr.-Ing. Frank Weidermann. Für die Koordination der Arbeiten am Buch und die redaktionelle Bearbeitung waren Dr. phil. Dipl.-Ing. Carsten Krautz und Dipl.-Ing. Daniela López verantwortlich. Allen Genannten danke ich für das gezeigte Engagement sehr herzlich.

Chemnitz, im Mai 2005

Reimund Neugebauer

Autorenverzeichnis

Name Dr.-Ing. Welf-Guntram Drossel

Anschrift Fraunhofer-Institut für Werkzeugmaschinen und Umformtechnik IWU Reichenhainer Straße 88 09126 Chemnitz Dipl.-Ing. Fraunhofer-Institut für WerkzeugmaCarsten Hochmuth schinen und Umformtechnik IWU Reichenhainer Straße 88 09126 Chemnitz Dipl.-Ing. Fraunhofer-Institut für WerkzeugmaSteffen Ihlenfeldt schinen und Umformtechnik IWU Reichenhainer Straße 88 09126 Chemnitz Prof. Dr.-Ing. Hochschule für Technik, Wirtschaft Markus Krabbes und Kultur Leipzig Fachbereich Elektrotechnik und Informationstechnik Postfach 30 11 66 04251 Leipzig Dipl.-Ing. Fraunhofer-Institut für WerkzeugmaRainer Nestler schinen und Umformtechnik IWU Reichenhainer Straße 88 09126 Chemnitz Dipl.-Ing. Fraunhofer-Institut für WerkzeugmaJürgen Schönitz schinen und Umformtechnik IWU Reichenhainer Straße 88 09126 Chemnitz Prof. Dr.-Ing. Hochschule Mittweida (FH) – Frank Weidermann University of Applied Sciences Fachbereich Maschinenbau/ Feinwerktechnik Technikumplatz 17 09648 Mittweida

Mitarbeit an Kapitel 4, 6, 7

7

2, 4, 7

2, 3

6

5

2, 4

Inhaltsverzeichnis

Formelzeichen und Abkürzungen ...................................................... XIII 1 Einleitung................................................................................................. 1 1.1 Was sind Parallelkinematiken?......................................................... 1 1.2 Historischer Überblick...................................................................... 2 Teil I: Grundlagen des Entwurfs von Parallelkinematiken 2 Strukturkonzeption ................................................................................ 9 2.1 Allgemeine Kriterien ........................................................................ 9 2.2 Struktursystematik .......................................................................... 13 2.2.1 Allgemeines ............................................................................. 13 2.2.2 Grundstrukturen....................................................................... 15 2.2.3 Konzeption der Führungsketten............................................... 20 2.2.4 Strukturerweiterungen ............................................................. 30 2.3 Kinematik ....................................................................................... 35 2.3.1 Koordinatentransformation...................................................... 35 2.3.2 Analytische Beschreibung ....................................................... 36 2.3.3 Numerische Beschreibung....................................................... 43 2.4 Grundlegende Bemessung .............................................................. 49 2.4.1 Allgemeines ............................................................................. 49 2.4.2 Kinematik und Arbeitsraum .................................................... 51 2.4.3 Jacobi-Matrix und Maschinensteifigkeit ................................. 53 2.5 Optimierung.................................................................................... 55 2.5.1 Allgemeines ............................................................................. 55 2.5.2 Arbeitsraumbeschreibung........................................................ 61 2.5.3 Einkriterielle Optimierung....................................................... 62 2.5.4 Mehrkriterielle Optimierung.................................................... 66 3 Steuerungskonzeption .......................................................................... 71 3.1 Anforderungen................................................................................ 71 3.2 Basisfunktionen .............................................................................. 74 3.2.1 Allgemeines ............................................................................. 74

X

Inhaltsverzeichnis

3.2.2 Rückwärtstransformation: Inverses kinematisches Problem ... 76 3.2.3 Vorwärtstransformation: Direktes kinematisches Problem ..... 79 3.2.4 Look-Ahead............................................................................. 80 3.2.5 Erweiterte Funktionen ............................................................. 81 3.2.6 Geeignete Steuerungsarchitekturen ......................................... 82 3.3 Lagebestimmung und -regelung ..................................................... 83 3.4 Kalibrierung und Kompensation..................................................... 86 4 Theoretische Modellbildung ................................................................ 91 4.1 Übersicht......................................................................................... 91 4.2 Modellbildung und Simulation der mechanischen Struktur ........... 93 4.2.1 Allgemeines............................................................................. 93 4.2.2 Balkenmodell........................................................................... 94 4.2.3 Mehrkörpermodell ................................................................... 96 4.2.4 Finite-Elemente-Modell......................................................... 100 4.3 Simulation des Gesamtverhaltens................................................. 105 4.3.1 Struktur, Antriebe und Regelung........................................... 105 4.3.2 Integration von Prozessmodellen........................................... 112 5 Experimentelle Modellbildung .......................................................... 123 5.1 Vorbetrachtung ............................................................................. 123 5.2 Messung statischer Eigenschaften ................................................ 125 5.2.1 Allgemeines........................................................................... 125 5.2.2 Ursachenermittlung für statische Steifigkeitsabweichungen. 127 5.2.3 Prinzipielle Vorgehensweise ................................................. 129 5.3 Messung dynamischer Eigenschaften........................................... 131 5.3.1 Allgemeines........................................................................... 131 5.3.2 Messung der relativen dynamischen Nachgiebigkeit ............ 132 5.3.3 Ursachenermittlung dynamischer Steifigkeitsabweichungen 133 5.4 Messung thermoelastischer Eigenschaften ................................... 135 5.4.1 Allgemeines........................................................................... 135 5.4.2 Messung der relativen thermoelastischen Verlagerungen ..... 136 5.4.3 Ermittlung der Ursachen thermoelastischer Verlagerungen.. 137

Inhaltsverzeichnis

XI

Teil II: Maschinengestaltung und Einsatzerfahrungen; Ausgewählte Beispiele 6 Komponenten ...................................................................................... 141 6.1 Übersicht....................................................................................... 141 6.2 Strebe und Antrieb........................................................................ 142 6.2.1 Charakteristik von Strebeneinheiten...................................... 142 6.2.2 Konstruktive Gestaltungsmöglichkeiten................................ 148 6.2.3 Messsysteme.......................................................................... 159 6.3 Gelenke......................................................................................... 162 6.3.1 Allgemeines ........................................................................... 162 6.3.2 Drehgelenke mit dem Freiheitsgrad Eins .............................. 162 6.3.3 Drehgelenke mit den Freiheitsgraden Zwei und Drei............ 165 6.4 Gestell........................................................................................... 174 6.5 Adaptronische Komponenten ....................................................... 181 7 Anwendung von Parallelkinematiken: Beispiele.............................. 191 7.1 Werkzeugmaschinen..................................................................... 191 7.1.1 Formen- und Werkzeugbau ................................................... 191 7.1.2 Bearbeitung von Strukturbauteilen ........................................ 199 7.1.3 Gehäusebearbeitung im Antriebsstrang................................. 205 7.1.4 Dreidimensionales Biegen ..................................................... 213 7.2 Handhabungseinrichtungen .......................................................... 221 7.2.1 Handling großformatiger Bauteile........................................ 221 7.2.2 Handling leichter Bauteile .................................................... 227 7.2.3 Mikromontage ...................................................................... 229 7.3 NC-Programmierung und Referenzbeispiel.................................. 232 7.3.1 Anforderungen an die Programmierung ................................ 232 7.3.2 Vorbereitung der Aufspannposition ...................................... 234 7.3.3 Anwendung spezifischer Frässtrategien ................................ 234 7.3.4 Bearbeitungssimulation und Kollisionskontrolle .................. 237 7.3.5 Referenzbeispiel .................................................................... 238 Terminologie .......................................................................................... 241 Literaturverzeichnis .............................................................................. 245 Sachverzeichnis ...................................................................................... 259

Formelzeichen und Abkürzungen

Großbuchstaben A A, B, C D D D3 DD DKP DS E E EQ F F F FEM FK G IKP J K K KGT Li LE M MKS Pi Q Ri R RT S

Anzahl der Antriebsglieder Drehachsen Drehmatrix Drehgelenk Kugelgelenk Kardangelenk Direktes Kinematisches Problem Drehschubgelenk Einheitsmatrix Elastizitätsmodul Gleichung Kraftvektor Belastung, Kraft Getriebefreiheitsgrad Finite-Elemente-Methode Anzahl der Führungsketten dynamische Nachgiebigkeitsmatrix Inverses Kinematisches Problem Jacobimatrix Kraftübertragungsgüte Konditionszahl Kugelgewindetrieb Länge der Strebe i Längeneinheit Manipulierbarkeit Mehrkörpersimulation Vektor des i-ten Eckpunktes der Arbeitsplattform Antriebskoordinaten (q1, ..., qn)T Vektor des i-ten Gestellpunktes des Mechanismus Gestellradius Rückwärtstransformation Schwerpunkt

XIV

Formelzeichen und Abkürzungen

S S TCP Ü U VK VS VT W X

Schubgelenk Strebenkoordinaten Tool Center Point Übertragungsgüte Parametervektor Vorwärtskinematik Vorwärtsstatik Vorwärtstransformation Wichtungsmatrix allgemeiner Lagevektor im Weltkoordinatensystem (X, Y, Z, Į, ȕ, Ȗ)T; Arbeitsraummatrix

Kleinbuchstaben f fi fi h i k qi r t v

Antriebskräfte i-te Eigenfrequenz Gelenkfreiheitsgrad des i-ten Gelenks Höhe des Arbeitsraumes Wichtungsparameter Steifigkeit i-te Antriebskoordinate Radius der Arbeitsplattform Zeit Vektor

Griechische Buchstaben Į, ȕ, Ȗ ij µ Ȝ Ȧi ij, ș, Ȧ

Euler-Winkel Neigungswinkel Kraftübertragungswinkel Eigenwert i-te Eigenkreisfrequenz Kardanwinkel

1 Einleitung

1.1 Was sind Parallelkinematiken? Parallelkinematiken haben eigentlich keine Baugruppen, die im geometrischen Sinne parallel zueinander sind. Woher der Begriff kommt, verdeutlicht Abb. 1.1. Bei einer konventionellen seriellen Struktur sind alle Bewegungsachsen nacheinander angeordnet. Die erste Schwenkachse trägt z. B. die zweite Schwenkachse; diese wiederum trägt die translatorische Achse. Jede weitere Achse ergänzt den Mechanismus um einen weiteren Freiheitsgrad. Dabei handelt es sich um eine offene kinematische Kette; jeder Antrieb wird mit den Massen der nachfolgenden Glieder und Antriebe belastet. Die steigenden Anforderungen an die dynamischen Eigenschaften von Maschinen führen daher in ein Dilemma: Werden leistungsfähigere Antriebe in Kombination mit zusätzlichen Versteifungen verwendet, erhöhen sich die zu bewegenden Massen. Dies erfordert wiederum eine Steigerung der Antriebsleistung, die mit weiterer Massevergrößerung verbunden ist usw. η1

L1 Z L2

η2

Z

L3

Y X

Abb. 1.1. Vergleich serieller und paralleler Strukturen [71]

Im Gegensatz dazu greifen bei einer Parallelkinematik alle Bewegungsachsen direkt oder dicht an der zu bewegenden Arbeitsplattform an. Um eine gewünschte Bewegung auszuführen, müssen alle Antriebe bewegt

2

1 Einleitung

werden. Es entstehen so genannte geschlossene kinematische Ketten, wodurch u. a. eine Parallelschaltung der Steifigkeiten der einzelnen Ketten erreicht wird. Bei rein paralleler Bauweise enthält jede Kette genau einen Antrieb, so dass die Anzahl der Gelenkketten mit dem Freiheitsgrad der Struktur übereinstimmt. Mechanismen, die innerhalb einer Gelenkkette über mehrere Antriebe verfügen, bezeichnet man als hybride Parallelkinematiken. Parallelkinematiken weisen im Vergleich zu seriellen Kinematiken eine ganze Reihe von Vorteilen auf. Besonders hervorzuheben sind die geringen zu bewegenden Massen sowie die günstigen dynamischen Eigenschaften. Bei entsprechender Wahl der Gelenke werden die Glieder überwiegend auf Druck oder Zug beansprucht. Im Vergleich zu Industrierobotern ist besonders die hohe Wiederholgenauigkeit hervorzuheben. Natürlich gibt es auch Nachteile, so z. B. der im Verhältnis zum Bauraum relativ kleine Arbeitsraum, die teilweise geringen Schwenkwinkel und die durch Koordinatentransformation aufwändige Steuerung. Ein weiterer Nachteil gegenüber Präzisions-Werkzeugmaschinen sind die noch zu geringen absoluten Positioniergenauigkeiten. Auch Entwicklung und Optimierung angepasster Maschinenelemente wie Kardan- und Kugelgelenke bieten noch Handlungsbedarf. Moderne Fertigungseinrichtungen entwickeln sich immer mehr zu mechatronischen Systemen, die Mechanik und Elektronik miteinander verbinden und so „Intelligenz“ verliehen bekommen. Parallelkinematiken bieten aufgrund ihres modularen Aufbaus mit einem hohen Anteil an Sensorik und Aktorik eine fast ideale Basis für mechatronische Produktionsanlagen. In dem Maße, wie es gelingt, die bestehenden Defizite zu beseitigen, erweitert sich für Parallelkinematiken die Chance, sich als effektives, aus der Fertigungstechnik nicht mehr weg zu denkendes Produktionsmittel zu etablieren.

1.2 Historischer Überblick Während theoretische Arbeiten zu parallelkinematischen Mechanismen bereits Jahrhunderte zurückreichen, sind praktische Anwendungen erst aus dem 20. Jahrhundert bekannt. Ob das in Abb. 1.2. dargestellte parallelkinematische System wirklich das erste war und ob es auch gebaut wurde, ist nicht bekannt. Sein Erfinder, James Gwinnett, war seiner Zeit sicher weit voraus.

1.2 Historischer Überblick

3

Abb. 1.2. 1931 von James Gwinnett patentierter Bewegungssimulator (US-Patent 1,789,680)

Als erste räumliche Parallelkinematik für den industriellen Einsatz gilt der von Willard L. V. Pollard konstruierte Lackier-Roboter mit dem Freiheitsgrad Fünf. Leider wurde diese Konstruktion nie realisiert. Pollards Sohn, Willard L. G. Pollard Jr., reichte 1934 ein Patent zu dem in Abb. 1.3. dargestellten Mechanismus sowie der dazugehörigen elektrischen Steuerung ein, das 1942 erteilt wurde. Auch diesem Mechanismus blieb die technische Umsetzung versagt: Das Unternehmen DEVILISS – später der erste Hersteller von Industrierobotern – kaufte zwar eine Lizenz, nutzte aber letzten Endes nur die Steuerung.

Abb. 1.3. Lackier-Roboter mit paralleler Kinematik von Willard L. V. Pollard; patentiert 1942 (US-Patent 2,286,571)

4

a

1 Einleitung

b

Abb. 1.4. Die originale Gough-Plattform; a 1954 und b 2000

Einige Jahre später wurde ein parallelkinematischer Mechanismus entwickelt, der Berühmtheit erlangte und tausendfach nachgebaut wurde: die auf dem (damals schon längst bekannten) Hexapod-Prinzip basierende Reifenprüfeinrichtung des Engländers Eric Gough, der für die DUNLOP RUBBER CO. in Birmingham arbeitete. Ziel der Entwicklung war, die Eigenschaften von Flugzeugreifen unter verschiedensten Belastungsbedingungen testen zu können, Abb. 1.4. 1965 beschreibt D. Stewart in der Zeitschrift der INSTITUTION OF MECHNICAL ENGINEERS IMECHE eine Bewegungsplattform für Flugsimulatoren, die auf einem parallelen Mechanismus basiert, der jedoch mit dem heute oft als „Stewart-Plattform“ bezeichneten Prinzip nichts zu tun hatte. Zeitgleich hatte bereits der Amerikaner Klaus Cappel, Mitarbeiter der FRANKLIN INSTITUTE RESEARCH LABORATORIES in Philadelphia, auf Anregung des Unternehmens UNITED TECHNOLOGIES einen Flugsimulator für Helikopter entwickelt und 1964 ein entsprechendes Patent eingereicht, s. Abb. 1.5. Darauf basierend wurden in den folgenden Jahrzehnten von mehreren Herstellern Flugsimulatoren entwickelt und produziert. In den 80er und 90er Jahren wurden Parallelkinematiken vor allem für Handhabungseinrichtungen entwickelt und auch zunehmend industriell genutzt, s. z. B. [84, 18, 51, 105]. Erste Ansätze zur Nutzung von Parallelkinematiken als Werkzeugmaschine stammen aus der ehemaligen UdSSR gegen Ende der 70er Jahre [64, 65] am Novosibirsker Elektrotechnischen Institut. Bis Anfang der 90er Jahre entstanden mehrere Prototypen. Ende der 80er Jahre wurde auch in den USA die Entwicklung parallelkinematischer Werkzeugmaschinen forciert [81]. In den darauf folgenden Jahren wurden – durch ein-

1.2 Historischer Überblick

5

schlägige nationale und internationale Forschungsprogramme unterstützt – immer wieder neue Prototypen entwickelt, gebaut und auf internationalen Messen und Tagungen vorgestellt. Bis heute sind weltweit einige wirklich praxistaugliche Bearbeitungsmaschinen und Handhabungseinrichtungen entstanden, die teilweise bereits den Durchbruch in die industrielle Praxis geschafft haben. Einen entsprechenden Überblick vermittelt auch [10]. In den folgenden Kapiteln werden sowohl die theoretischen Grundlagen erläutert als auch einige Maschinen näher beschrieben.

Abb. 1.5. Der erste kommerziell vermarktete Flugsimulator, der Mitte der 60er Jahre von Klaus Cappel entwickelt wurde

Teil I: Grundlagen des Entwurfs von Parallelkinematiken

2 Strukturkonzeption

2.1 Allgemeine Kriterien In diesem Kapitel werden die zur strukturellen Auslegung einer Maschine benötigten Kriterien betrachtet. Dabei wird unter einer Maschine ein System verstanden, mit dessen Hilfe ein Objekt durch einen technischen Prozess von einem Zustand in einen anderen Zustand überführt wird. Eine Maschine kann die in Abb. 2.1. allgemein dargestellte Bearbeitungsaufgabe nur dann erfüllen, wenn sie in ihren Eigenschaften bestimmten Kriterien genügt. Diese wiederum lassen sich in verschiedenen Konkretisierungsstufen aus den durch die Arbeitsaufgabe gestellten Anforderungen ableiten. Im vorliegenden Buch werden sowohl parallelkinematische Werkzeugmaschinen als auch Handhabungseinrichtungen behandelt. Folgt man dem in Abb. 2.1. Gezeigten, so ergeben sich bei der Formulierung der Anforderungen, die an eine zu gestaltende Maschine gestellt werden, folgende Schritte: 1. Beschreibung der Arbeitsaufgabe, 2. Ableitung arbeitsaufgabenspezifischer Anforderungen, 3. Ableitung von Anforderungen an die Maschine, ausgedrückt durch zu erreichende Kennwerte. Ausgewählter Prozessschritt

Wirtschaftliche Randbedingungen

Eingangsgrößen (aus vorherigem Prozessschritt)

Objekt in Zustand n

Objekt in Zustand n+1

Technische Randbedingungen (Wirkprinzip, Werkzeuge, Technologie)

Abb. 2.1. Allgemeine Beschreibung einer Bearbeitungsaufgabe

Ausgangsgrößen (wirken auf den nachfolgenden Prozessschritt)

10

2 Strukturkonzeption

In Tabelle 2.1. sind die gängigen Definitionen der Begriffe „Werkzeugmaschine“ und „Handhabungseinrichtung“ genannt, die eine Basis zur Herleitung der Anforderungsbilder darstellen. Betrachtet man das gesamte Umfeld der Fertigungstechnik, so kann man entsprechend Abb. 2.1. und [161] nachfolgende Prozesse benennen, die von den Maschinen, die Gegenstand des vorliegenden Buches sind, ausgeführt werden, nämlich: • Formänderung, • Strukturänderung und • Ortsänderung. Diese Prozesse gelten sowohl für die gesamte Prozesskette als auch für einzelne Prozessschritte. Tabelle 2.1. Begriffsbestimmung: Werkzeugmaschine; Handhabungseinrichtung Werkzeugmaschinen Fertigungseinrichtungen in mechanisierter und mehr oder weniger automatisierter Form, die durch Relativbewegungen zwischen Werkzeug und Werkstück eine vorgegebene Form oder Veränderung am Werkstück erzeugen, vgl. [150].

Handhabungseinrichtungen Einrichtungen zum Schaffen bzw. zum definierten Verändern oder zum vorübergehenden Aufrechterhalten einer vorgegebenen räumlichen Anordnung geometrisch bestimmter Körper innerhalb eines Bezugskoordinatensystems, vgl. [143]

Ziel dieses Kapitels ist es, darzustellen, wie aus der Arbeitsaufgabe entsprechende Anforderungen an eine parallelkinematische Maschine entstehen, was u. a. in [90] kurz behandelt wird. Einem Anforderungsprofil an die zu entwerfende parallelkinematische Maschine werden im Auslegungsprozess konkrete Kriterien zugeordnet, die in systematischem Zusammenhang gemäß Tabelle 2.2. stehen. Kriterien, die für parallelkinematische Maschinen nicht von speziellem Interesse sind, wurden nicht berücksichtigt, so z. B. die u. a. in [100] dargestellten Anforderungen, die sich auf die Ergonomie oder die Montage beziehen. Die genannten Kriterien sind schließlich mit Hilfe von Auslegungs- und Dimensionierungsmethoden, wie sie beispielhaft in den folgenden Kapiteln beschrieben werden, quantitativ zu untersetzen. Tabelle 2.2. verdeutlicht, dass unter einer bestimmten technischen Randbedingung, durch die beispielsweise das Wirkprinzip „Umformen“ festgelegt wird, bei Überführung des Werkstücks von einem Bearbeitungszustand in den nächsten eine bestimmte Wirkkraft erforderlich ist. Die zu entwickelnde Werkzeugmaschine muss daher entsprechenden Anforderungen hinsichtlich der Antriebsleistung, der Antriebskraft und der Kraftübertragung genügen. Je nach Arbeitsaufgabe ergibt sich somit ein spezielles

2.1 Allgemeine Kriterien

11

Anforderungsbild, das im Wesentlichen aus der unterschiedlichen Wichtung der Kriterien folgt. Dabei ist es immer möglich, dass bestimmte Parameter keinen Einfluss auf das Anforderungsbild haben. Für die Bewertung aller Kriterien ist hinsichtlich parallelkinematischer Maschinen zu beachten, dass einige (z. B. der Arbeits- und der Bauraum) global, das heißt positionsunabhängig sind, andere (z. B. die Steifigkeit) dagegen positionsabhängig. Durch Einbeziehung von Mindestforderungen und Optimierungswünschen ergibt sich aus dem Anforderungsbild ein Lastenheft mit geforderten Werten und Zielfunktionen, aus dem schließlich ein Pflichtenheft resultiert. Tabelle 2.2. Aus der Arbeitsaufgabe resultierende Anforderungen und aus ihnen abgeleitete Kriterien, die die Maschine erfüllen muss Anforderungen seitens der Arbeitsaufgabe Geometrie Abmessungen Formelemente Vielfalt Bearbeitungsgüte

eines Objektes verschiedener Objekte Form- und Lageabweichung

Oberflächenqualität Wirkprinzip

Wirkbewegung

Schnittbew. Vorschubbew. Zustellbew.

Wirkkraft Kosten

Arbeitszeitkosten Maschinengrundkosten

Abgeleitete Kriterien, die die Maschine erfüllen muss Arbeitsraum (Größe und Form) Singularitätsfreiheit Elementarbewegungen (Rotationen, Translationen) Freiheitsgrade Mengen- und Werkstückflexibilität (Rekonfigurierbarkeit) Positioniergenauigkeit Steifigkeit Eigenfrequenzen Systemdämpfung Antriebsdynamik, Geschwindigkeits- und Beschleunigungsübertragung Antriebsleistung Antriebskraft Kraftübertragung Dynamik Bauraum Zugänglichkeit des Arbeitsraums Anzahl der Konstruktionselemente Komplexität der Konstruktionselemente

12

a

2 Strukturkonzeption

steigend

Güte

fallend

steigend

Kosten

fallend

b

c

Abb. 2.2. Verschiedene parallelkinematische Maschinen mit ein und derselben Struktur (Parallelkinematik mit dem Freiheitsgrad Sechs) a: Werkzeugmaschine für die Freiformbearbeitung (MIKROMAT 6X HEXA, FRAUNHOFER IWU) b: Maschine zur integrierten Handhabung und Bearbeitung FELIX (IWM, TU DRESDEN), z. B. Komplettbearbeitung von Holzformteilen einschließlich Teile-Zu- und Abfuhr c: Handhabungseinrichtung TAS (UMFORMTECHNIK ERFURT GMBH, FRAUNHOFER IWU)

In Abb. 2.2. ist dargestellt, dass basierend auf ein und derselben Struktur allein durch die unterschiedliche Wichtung der Kriterien bei spanenden Fertigungseinrichtungen und Einrichtungen zur Handhabung verschiedene Anforderungsprofile an die zu gestaltende Maschine entstehen. In der Abbildung wurden aus Gründen der Vereinfachung der Darstellung nur zwei Anforderungen seitens der Arbeitsaufgabe berücksichtigt, nämlich

2.2 Struktursystematik

13

die (technische) Güte und die Kosten, aus denen maschinenseitig bestimmte Anforderungen an die Eigenfrequenzen, die Positioniergenauigkeit, die Steifigkeit und die Systemdämpfung bzw. die Dynamik und den Bauraum abzuleiten sind. Es wird deutlich, dass die Anforderungen an die Güte und damit die entstehenden Kosten entscheidenden Einfluss auf die Gestaltung der Maschine haben. Das hier dargestellte Kriteriensystem ist für das vorliegende Buch als Leitfaden zu verstehen, da die genannten Kriterien in allen Passagen mit jeweils unterschiedlicher Wichtung – sowohl bezogen auf die Dimensionierungsgrundlagen als auch als Bewertungsbasis für die dargestellten Maschinen – eine Rolle spielen. Dabei erhebt dieses System keinen Anspruch auf Allgemeingültigkeit, sondern dient hauptsächlich dem konkreten Anliegen des Buches.

2.2 Struktursystematik 2.2.1 Allgemeines Dieser Abschnitt zeigt das Vorgehen zum Finden der kinematischen Struktur, die als Getriebe gesehen werden kann. Bei der Beschreibung des Synthese- und Analyseprozesses von Getrieben werden verschiedene Abstraktionsstufen durchlaufen. Diese, nämlich das kinematische Schema, das kinematische Prinzip und schließlich die kinematische Struktur, werden z. B. in [30] kurz beschrieben. Die nach einem Durchlauf der einzelnen Stufen entstandenen Ergebnisse hängen in der Regel wechselseitig miteinander zusammen, was um der klareren Darstellung willen hier allerdings weitgehend vernachlässigt werden soll. Der Begriff „Struktur“ wird im Weiteren sowohl ganz allgemein als „Aufbau“, „Zusammensetzung“ oder „innere Gliederung“ verstanden als auch konkret als „kinematische Struktur“. Die im Folgenden dargestellte Systematik bezieht sich aufgrund der Allgemeingültigkeit der Aussagen nicht nur auf parallelkinematische Maschinen, sondern auf parallelkinematische Mechanismen insgesamt. Sie gibt eine Übersicht sowohl über die parallelkinematischen Mechanismen, die sich anhand bestimmter Klassifizierungsmerkmale in einer geschlossenen Darstellung erfassen lassen, als auch über solche, die aus ihnen ableitbar sind und sich einer geschlossenen Darstellung weitestgehend entziehen. Soweit es sich um die erstgenannten Strukturen handelt, wird dem Konstrukteur ein Instrument zur Verfügung gestellt, mit dessen Hilfe er bereits in der Entwurfsphase in der Lage ist, systematisch, mit vergleichsweise geringem Aufwand ein kinematisches Schema für die Lösung seiner Aufgabe zu finden. In Bezug auf die oben

14

2 Strukturkonzeption

genannten abgeleiteten Mechanismen werden im Weiteren beispielartig Erweiterungsmöglichkeiten gezeigt. Aufgrund der besonderen Schwierigkeiten u. a. bei Synthese und Analyse paralleler Strukturen und wegen der in aller Regel recht anspruchsvollen Lösung des direkten kinematischen Problems ist eine Systematik gerade dieser Strukturen dringend erforderlich. Eine solche Systematik ist dann geschlossen darstellbar, wenn unter den Grundstrukturen diejenigen verstanden werden, aus denen durch Kombination oder Hinzufügen seriellkinematischer Ketten weitere ableitbar sind. Diese Ableitungen führen zu einer Vielzahl von Strukturen, die sich anhand der im Folgenden verwendeten Ordnungskriterien nur schwer systematisch darstellen lassen. So sind nahezu beliebig viele seriellkinematische Kombinationen parallelkinematischer Grundstrukturen möglich. Im vorliegenden Buch erfolgt daher lediglich eine systematische Darstellung parallelkinematischer Grundstrukturen, nicht jedoch der Strukturen, die aus ihren Erweiterungen entstehen. Mögliche Ansätze für eine solche Systematik werden z. B. in [14] für Werkzeugmaschinen oder in [70] für Getriebe gezeigt. Parallelkinematische Mechanismen sind – aus getriebetechnischer Sicht betrachtet – ungleichmäßig übersetzende Mechanismen. Hinsichtlich ihrer Funktion kann man zwischen Übertragungsgetrieben und Führungsgetrieben unterscheiden. Erstere dienen der Übertragung mechanischer Leistung, bei Letzteren wird ein Getriebeglied so geführt, dass es bestimmte Lagen einnimmt, bzw. dass seine Punkte bestimmte Bahnen, sog. Führungsbahnen, beschreiben [145, 146]. Eine aus energetischer Sicht untergeordnete Rolle spielt bei Führungsgetrieben deren Übertragungsfunktion. Mechanismen mit parallelen Strukturen werden den Führungsgetrieben zugeordnet. Da Getriebe nach ihren charakteristischen Bestandteilen eingeteilt werden können, gehören die hier interessierenden Mechanismen zu den Koppelgetrieben. Die eben betrachteten Kriterien geben den parallelkinematischen Mechanismen einen eindeutigen Platz innerhalb der Ordnung aller Getriebe. Parallelkinematiken sind Führungsgetriebe, bei denen die Arbeitsplattform über mindestens zwei angetriebene Führungsketten mit dem Gestell verbunden ist. Bisher gibt es verschiedene Systematiken parallelkinematischer Strukturen, von denen aber keine als allgemein verbindlich anzusehen ist. Für die weiteren Betrachtungen, die auf [30, 53, 68, 154] sowie grundlegenden Überlegungen zum Zwanglauf [41] basieren, wird daher zunächst eine Systematisierung anhand der Ordnungskriterien „Freiheitsgrad“, „Anzahl der Führungsketten“ und „Anzahl der Antriebe“ verwendet. Dadurch können nicht nur bereits vorhandene, sondern auch künftige lauffähige parallelkinematische Strukturen erfasst werden. Diesen Ordnungskriterien lässt sich entsprechend [145, 146] das weitere Kriterium der Raumanordnung der Drehachsen zuordnen, das die Unterscheidung parallelkinemati-

2.2 Struktursystematik

15

scher Mechanismen hinsichtlich ihres kinematischen Aufbaus in „eben“, „sphärisch“ und „räumlich“ gestattet. Aus der Anzahl der unabhängigen Bewegungen in der jeweiligen Dimension ergeben sich somit ebene und sphärische Parallelkinematiken der Freiheitsgrade Zwei und Drei sowie räumliche Parallelkinematiken der Freiheitsgrade Zwei bis Sechs. Abschließend sollen andere Struktursystematiken kurz betrachtet werden. Diese benennen beispielsweise parallelkinematische Mechanismen entsprechend der in einer kinematischen Kette verwendeten Gelenke und greifen auf den Freiheitsgrad des Mechanismus als Ordnungskriterium zurück [84]. Andere systematisieren nach dem Freiheitsgrad der kinematischen Kette und den in ihr vorkommenden Gelenken [137, 138]. Die Anordnung der Gelenkpunkte dient z. B. in [101] und [28] als Systematisierungskriterium; konstruktive Gesichtspunkte dagegen in [108, 109]. Weitere nennenswerte Systematiken sind aus [131] oder [104] bekannt. Die Anwendung solcher Klassifikatoren, wie sie u. a. in [159] und [70] entwickelt wurden, ist eine weitere Möglichkeiten zur Systematisierung parallelkinematischer Mechanismen. Auf diese Art lassen sich auch Informationen über den Freiheitsgrad des parallelkinematischen Mechanismus sowie über Art bzw. Aufbau der entsprechenden kinematischen Ketten gewinnen [159]. Für die Systematisierung parallelkinematischer Maschinen innerhalb dieses Buches erscheinen die genannten Struktursystematiken nur bedingt geeignet, da sie entweder zu spezielle Ordnungskriterien verwenden oder deren praktischer Gebrauch dadurch erschwert wird, dass beispielsweise die Verwendung von Klassifikatoren immer auch noch eine Vorschrift für deren Bildung voraussetzt. 2.2.2 Grundstrukturen Das kinematische Schema einer parallelen Grundstruktur ist in Abb. 2.3. dargestellt. Es dient im Weiteren zur Veranschaulichung der allgemeinen Beziehungen zwischen den einzelnen Elementen einer solchen Grundstruktur. Diese Beziehungen spielen in der hier verwendeten Systematik eine entscheidende Rolle. Bevor die Systematik der parallelkinematischen Grundstrukturen dargestellt werden kann, muss das kinematische Schema zum kinematischen Prinzip konkretisiert werden, da nur an ihm erste Klassifizierungen erkennbar sind. Für die Grundstrukturen gilt, dass die Anzahl der Antriebe mit dem Freiheitsgrad des Mechanismus identisch sein muss, und dass die Antriebe selbst so anzuordnen sind, dass jede Führungskette mindestens eine Arbeitsplattformfreiheit binden kann.

16

2 Strukturkonzeption

6 6 6 6 6 6

Abb. 2.3. Entwicklung einer Parallelkinematik: vom kinematischen Schema über das kinematische Prinzip zur kinematischen Struktur; nach [30]

Mit Blick auf die Gestaltung der Führungsketten der interessierenden Maschinen und deren Systematik ist festzuhalten, dass den o. g. Grundstrukturen folgende, nach der Verteilung der Antriebe klassifizierte, kinematische Prinzipe zugrunde liegen können: • Alle Führungsketten haben genau einen Antrieb mit dem Freiheitsgrad Eins. • Mindestens eine Führungskette hat mehr als einen Antrieb mit dem Freiheitsgrad Eins. • Mindestens eine Führungskette hat keinen Antrieb. In Abb. 2.4. wird ein Überblick über die im Weiteren näher betrachteten Grundstrukturen gegeben. Ausgehend von den Gleichungen (2.1) und (2.2) zur Bestimmung des Freiheitsgrades von Mechanismen werden die Mechanismen so abstrahiert, dass nur noch die Anzahl der Führungsketten FK und deren Freiheitsgrad F in die Berechnung eingehen. Der Freiheitsgrad F der Führungsketten wird berechnet aus dem Freiheitsgrad der Führungsketten gemäß Gln. (2.1) und (2.2) plus dem Gelenkfreiheitsgrad des Verbindungsgelenks zwischen Führungskette und Arbeitsplattform. Bei räumlichen Getrieben mit ebenen Teilgetrieben werden letztere gesondert behandelt. Sie werden als Ersatzgelenk mit dem entsprechenden Gelenkfreiheitsgrad in der Freiheitsgradberechnung des räumlichen Getriebes berücksichtigt.

2.2 Struktursystematik

F = 6(n − 1) − 6 g +

17

g

¦f

i

− Fid

(räumlich)

(2.1)

(sphärisch/eben)

(2.2)

i =1

F = 3(n − 1) − 3g +

g

¦f

i

i =1

n Anzahl der Mechanismenglieder. g Anzahl der Gelenke. fi Gelenkfreiheitsgrad des i-ten Gelenks. Fid identischer Freiheitsgrad.

Beispiel für Abb. 2.4. a mit acht Mechanismengliedern und neun Gelenken: F = 3(8 − 1) − 3 ⋅ 9 = 3 Grundstrukturen von Führungsgetrieben, die die Arbeitsplattform mit dem Gestell über mindestens zwei angetriebene Führungsketten miteinander verbinden, wobei der Mechanismus genauso viele Antriebe mit dem Freiheitsgrad Eins hat wie sein Freiheitsgrad, und dies solche Strukturen sind,... ...bei denen alle Führungs...bei denen mind. eine ...bei denen mindestens ketten genau einen Antrieb Führungskette mehr als eine Führungskette keinen mit dem Freiheitsgrad Eins einen Antrieb mit dem FreiAntrieb hat, z. B.: haben, z. B.: heitsgrad Eins hat, z. B.:

a

b

c

Abb. 2.4. Beispiele kinematischer Prinzipe paralleler Grundstrukturen a: ebene Parallelkinematik mit F = FK = 3 b: ebene Parallelkinematik mit F = 3, FK = 2 c: ebene Parallelkinematik mit F = 2, FK = 3

Aus den o. g. Gleichungen für den Getriebefreiheitsgrad und der Definition von Parallelkinematiken ergeben sich die in Tabelle 2.3. dargestellten Kombinationen möglicher parallelkinematischer Grundstrukturen. Die Verteilung der Freiheiten auf die einzelnen Führungsketten wird durch die in Klammern stehenden Zahlenkombinationen angedeutet. Hinzuzufügen ist, dass Führungsketten mit F = 6 mindestens einen Antrieb haben müssen, da sie sonst für den Mechanismus ohne kinematische Bedeutung sind.

18

2 Strukturkonzeption

Generell sind als Führungsketten Getriebe beliebiger kinematischer Struktur denkbar. In der Systematik der Grundstrukturen sollen nicht-serielle Führungsketten und nicht-serielle Teile von Führungsketten mit Ersatzgelenken des Freiheitsgrades des ersetzten Teilgetriebes auf serielle Führungsketten zurückgeführt werden. Strukturverzweigungen innerhalb der Grundstrukturen, ausführlich z. B. in [30] dargestellt, sind prinzipiell möglich, führen aber nicht auf die in Kap. 2.2.4 beschriebenen erweiterten Strukturen. Die Verzweigungsmöglichkeiten entweder innerhalb des Mechanismus (Hinzufügen einer kinematischen Kette) oder innerhalb einer bestehenden kinematischen Kette (Einfügen von Gelenken und Gliedern) führen so zu kinematischen Strukturen, die in Tabelle 2.3. auf bzw. unterhalb der Diagonale liegen. In Anlehnung an [30] werden die jeweiligen Tabellenfelder als kinematische Schemata bestimmter parallelkinematischer Grundstrukturen verstanden. Tabelle 2.3. Summe der Gelenkfreiheiten ™ fi ebener bzw. sphärischer (hinterlegt) und räumlicher paralleler Grundstrukturen sowie Verteilung (Klammerwerte) der Gelenkfreiheiten auf die einzelnen Führungsketten in Abhängigkeit von Getriebefreiheitsgrad F und Anzahl der Führungsketten FK, s. Gln. (2.1) und (2.2) F FK 2

3

4

5

6

2

3

™ fi = 9 ™ fi = 8 ( 4,4/3,5/2,6) ( 4,5/3,6) ™ fi = 5 ™ fi = 6 ( 2,3) ( 3,3) ™ fi = 15 ™ fi = 14 ( 4,5,5/2,6,6/ ( 5,5,5/4,5,6/ 4,4,6/3,5,6) 3,6,6) ™ fi = 8 ™ fi = 9 ( 2,3,3) ( 3,3,3) ™ fi = 20 ™ fi = 21 ( 5,5,5,5/4,5,5,6/ ( 5,5,5,6/4,5,6,6/ 3,5,6,6/4,4,6,6) 3,6,6,6) ™ fi = 27 ™ fi = 26 ( 5,5,5,5,6/ ( 5,5,5,6,6/ 4,5,5,6,6) 4,5,6,6,6) ™ fi = 33 ™ fi = 32 ( 5,5,5,5,6,6) ( 5,5,5,6,6,6)

4

5

6

™ fi = 10 ( 5,5/4,6)

™ fi = 11 ( 5,6)

™ fi = 12 ( 6,6)

™ fi = 16 ( 5,5,6/4,6,6)

™ fi = 17 ( 5,6,6)

™ fi = 18 ( 6,6,6)

™ fi = 22 ( 5,5,6,6/ 4,6,6,6) ™ fi = 28 ( 5,5,6,6,6/ 4,6,6,6,6) ™ fi = 34 ( 5,5,6,6,6,6)

™ fi = 23 ( 5,6,6,6)

™ fi = 24 ( 6,6,6,6)

™ fi = 29 ( 5,6,6,6,6)

™ fi = 30 ( 6,6,6,6,6)

™ fi = 35 ( 5,6,6,6,6,6)

™ fi = 36 ( 6,6,6,6,6,6)

2.2 Struktursystematik

19

Die Bezeichnung von Parallelkinematiken kann nach verschiedenen Ansätzen vorgenommen werden. So ist es z. B. bei seriellkinematischen Robotern durchaus üblich, sie nach ihrer Struktur zu benennen. Eines weiteren häufig verwendeten Klassifizierungsmerkmals wird sich – wenn auch nicht immer in identischer Weise – u. a. in [30, 31, 68] bedient: Parallele Strukturen, in denen jede Führungskette genau einen Antrieb mit dem Freiheitsgrad Eins enthält, werden „vollparallel“ genannt und entsprechen in Tabelle 2.3. allen Schemata entlang der Diagonalen. Im Folgenden werden die Bezeichnungen der Parallelkinematiken von den parallelkinematischen Grundstrukturen abgeleitet. Dadurch soll eine eindeutige Identifikation der bezeichneten Bauform gesichert werden. Es wird vorgeschlagen, die Bezeichnung anhand folgender Merkmale vorzunehmen und wie folgt aufzubauen: • • • •

Art der parallelen Struktur (eben, sphärisch oder räumlich), Freiheitsgrad, Anzahl der Führungsketten, Reihenfolge der Gelenke einer Führungskette, vom Gestell beginnend in Richtung Abtriebsglied (nur einmal bei identisch aufgebauten Führungsketten), • Reihenfolge der Gelenke einer Führungskette, vom Gestell beginnend in Richtung Abtriebsglied (für jede Führungskette bei nicht identisch aufgebauten Führungsketten), • Lage der Antriebe, durch Unterstreichung des entsprechenden (aktiven) Gelenks gekennzeichnet. Für die Grundformen der häufig in Parallelkinematiken zur Anwendung kommenden Gelenke werden im Weiteren Bezeichnungen verwendet, die im Wesentlichen auf die z. B. in [30] und [145, 146] vorgestellten zurückgehen: • • • • •

Drehgelenk Drehschubgelenk Kardangelenk Kugelgelenk Schubgelenk

(D) (DS) (DD) (D3) (S)

Der Index bezeichnet dabei den Gelenkfreiheitsgrad; die Abkürzung für das Kardangelenk ergibt sich aus dessen Aufbau aus zwei Drehgelenken. Demzufolge trägt der in Abb. 2.5. dargestellte Mechanismus die Bezeichnung „Ebene Parallelkinematik mit dem Freiheitsgrad Drei, der Anzahl der Führungsketten Drei, und der (für alle Führungsketten gleichen) Struktur SDD mit im Gestell gelagerten Antrieben. “

20

2 Strukturkonzeption q2

P2 P3

q3

P1

Y

q1 X

Abb. 2.5. Beispiel des kinematischen Prinzips einer ebenen parallelkinematischen Grundstruktur mit F = FK = 3

In der Umgangssprache haben sich für Parallelkinematiken Bezeichnungen eingebürgert, die sich zum Teil am Griechischen orientieren und aus der Anzahl der Führungsketten gebildet werden, wie z. B. Hexapod oder Tripod. Eine solche Begriffsbildung wird jedoch bei einigermaßen konsequenter Handhabung eher umständlich. Die o. g. Variante der Beschreibung hat gegenüber derjenigen aus [159] und [70] den Vorteil, dass ein zusätzliches Schema zur Zahlen- und Buchstabenkombination entbehrlich ist. Mit dem hier Vorgeschlagenen kann man sich den Mechanismus bereits anhand seines Namens recht anschaulich vorstellen. Ein Nachteil besteht allerdings darin, dass die so gefundene Bezeichnung sehr lang werden kann. Aus diesem Grund sollte eingeschränkt werden, dass im Wesentlichen nur die parallelkinematischen Grundstrukturen nach o. g. Bezeichnungsmodus systematisch und in zumutbarer Übersichtlichkeit dargestellt werden. 2.2.3 Konzeption der Führungsketten

Ausgehend vom Zusammenhang zwischen der Summe der Gelenkfreiheitsgrade und ihrer Verteilung auf die einzelnen Führungsketten in Abhängigkeit von Getriebefreiheitsgrad und Anzahl der Führungsketten wird nachfolgend der Entwicklungsprozess über das kinematische Prinzip zur kinematischen Struktur dargestellt.

2.2 Struktursystematik

21

Tabelle 2.4. Aufteilung der Gelenkfreiheitsgrade in Führungsketten paralleler Mechanismen; fett: den auf der folgenden Seite genannten Empfehlungen entsprechende Gelenkaufteilungen lfd. Nummer 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27

Freiheitsgrad der Führungskette

6

5

4

3 2

Anzahl der Gelenke 6 5 4 4 3 3 3 2 2 2 5 4 3 3 2 2 1 4 3 2 2 1 3 2 1 2 1

Aufteilung des Freiheitsgrades auf die Gelenke 1+1+1+1+1+1 1+1+1+1+2 1+1+1+3 1+1+2+2 1+1+4 1+2+3 2+2+2 1+5 2+4 3+3 1+1+1+1+1 1+1+1+2 1+1+3 1+2+2 1+4 2+3 5 1+1+1+1 1+1+2 1+3 2+2 4 1+1+1 1+2 3 1+1 2

Für die Gestaltung der Führungsketten, d. h. die konkrete Verteilung der Gelenkfreiheiten, sind beliebige Varianten denkbar. Entsprechend Tabelle 2.4. kommen Führungsketten, deren Freiheitsgrad die Bedingung 2 ≤ F ≤ 6 erfüllt, in Betracht. Nachfolgend sind alle Möglichkeiten der Verteilung der Gelenkfreiheiten innerhalb der Führungsketten aufgeführt. Die Reihenfolge kann variiert werden. Der nächste Entwicklungsschritt ist die Zuordnung konkreter Gelenke zu den Gelenkfreiheiten. Dabei ist zu beachten, dass in der bisher vorgestellten Systematik auch solche Grundstrukturen erfasst sind, die einerseits aufgrund einer ungünstigen Gelenkanordnung nicht lauffähig oder ande-

22

2 Strukturkonzeption

rerseits einer zu großen Anzahl von Gelenken wegen praktisch irrelevant sind. Um aber dennoch dem Konstrukteur mit der Entwicklungssystematik ein handhabbares und hilfreiches Werkzeug verfügbar zu machen, müssen diese Grundstrukturen von den praktisch zweckmäßigen und nutzbaren unterschieden werden. Insoweit können folgende einschränkende Forderungen an die konstruktive Ausführung von Führungsketten als Empfehlung geltend gemacht werden: • Aufgrund der Forderung nach linearer Unabhängigkeit der Gelenkachsen dürfen im ebenen Fall maximal zwei und im räumlichen Fall maximal drei Schubgelenke in einer Gelenkkette vorhanden sein. • Die Antriebe müssen gestellnah angeordnet werden, um die zu bewegende Maschinenmasse weitestgehend zu reduzieren. Als Antriebsgelenke sollen Gelenke mit dem Freiheitsgrad Eins verwendet werden. • Die einzelnen Gelenkketten sollten gleichartig aufgebaut sein, um den konstruktiven Aufwand und die Fertigungskosten zu minimieren. • Bei passiven Gelenken sind Drehgelenke gegenüber Schubgelenken aufgrund des geringeren konstruktiven Aufwands zu bevorzugen. Außerdem ist bei passiven Schubgelenken die Klemmgefahr zu beachten. Es sollten nur Gelenke mit einem Gelenkfreiheitsgrad kleiner Vier zum Einsatz kommen. • Eine Führungskette sollte einschließlich der Anschlussgelenke an Plattform und Gestell nur drei Gelenke enthalten, da sonst die Steifigkeit zu gering ist und Fehler durch seriellen Aufbau der Maßketten (Summenfehler) auftreten. Bei mehrfach angetriebenen Führungsketten sind Lösungsmöglichkeiten auf Basis ebener Teilstrukturen zu bevorzugen (Möglichkeit, alle Antriebe gestellnah anzuordnen, bzw. kein serieller Aufbau). Wichtig ist, jedes einzelne Teilgetriebe auf seine kinematische Funktionalität zu prüfen. Ausführliche Hinweise dazu können den Standardwerken zur Getriebelehre wie z. B. [145, 146] entnommen werden. Die Antriebe sind so anzuordnen, dass jede Führungskette mindestens eine Freiheit der Plattform bindet. Bezogen auf Führungsketten mit F = 6 bedeutet dies, dass sie mindestens einen Antrieb enthalten müssen. Prinzipiell ist zwischen zwangführenden und nicht-zwangführenden Führungsketten zu unterscheiden. Letztere schränken die Bewegung des Endeffektors nicht ein. Im ebenen Fall sind dafür drei und im räumlichen Fall sechs Gelenkfreiheiten notwendig. Im Weiteren wird eine systematische Vorgehensweise zur Auswahl und Anordnung der Gelenke einer Führungskette beschrieben. Unter Beachtung der o. g. Hinweise kann der Entwickler die Führungskette konkret

2.2 Struktursystematik

23

gestalten. Es hat sich als vorteilhaft erwiesen, für höherwertige Gelenke folgende Gelenktypen einzusetzen: • Gelenke fi = 2 • Gelenke fi = 3

Drehschubgelenk; Kardangelenk Kugelgelenk

Darüber hinaus ist eine Vielzahl weiterer Gelenktypen denkbar. Für dieses Buch soll sich auf die Gelenktypen mit der größten praktischen Relevanz beschränkt werden. Mit der Gestaltung der Führungsketten werden wesentliche Eigenschaften der Parallelkinematik bestimmt. Zu nennen sind: • • • •

Arbeitsraum (Größe und Form), Elementarbewegungen (Rotationen und Translationen), Kraftübertragung, Geschwindigkeits- und Beschleunigungsübertragung.

Auf den Arbeitsraum wird nachfolgend genauer eingegangen. Es wird eine einfache Möglichkeit dargestellt, um einen überschlägigen Vergleich unterschiedlicher Ausführungsvarianten hinsichtlich des sich ergebenden Arbeitsraums durchzuführen. Prinzipielle Idee ist, den Gesamtarbeitsraum aus der Schnittmenge der Arbeitsräume der Führungsketten (Bewegungsbereich des plattformseitigen Gelenks) zusammenzusetzen. Ebene Strukturen (Beispiel)

Unter Zugrundelegung der Anmerkung zur Gestaltung von Führungsketten kann man acht nicht-zwangführende Grundstrukturen definieren, von denen vier in Tabelle 2.5. gezeigt werden, s. auch [30]. In Abhängigkeit von den gewählten Abmessungen und Ausgangskonfigurationen ergeben sich die typischen Arbeitsräume der Führungskettenvarianten. Anhand einer sehr einfachen Struktur mit F = 2 und FK = 2 wird das Zusammensetzen zu einem Arbeitsraum gezeigt. Für die gewählte Struktur können nur die Varianten 1 bis 3 zum Einsatz kommen, weil – in Konsequenz der Anmerkungen zur Gestaltung von Führungsketten – Variante 4 nur mit zwei Antrieben einzusetzen ist (keine passiven Schubgelenke). Bei komplexeren ebenen Strukturen wird es notwendig, die Abmessungen des Endeffektors zu berücksichtigen. Außerdem ist zu beachten, dass sich dieses Verfahren immer auf eine konstante Orientierung der Arbeitsplattform bezieht.

24

2 Strukturkonzeption

Tabelle 2.5. Nicht-zwangführende ebene Grundstrukturen nach [30] Variante 1 DDD

Variante 2 Variante 3 DSD SDD Struktur der Führungskette

Variante 4 SSD

Arbeitsbereich einer Führungskette

Arbeitsbereich des Gesamtsystems Für die gezeigte Struktur entfällt diese Variante

Räumliche Strukturen

Geht man zu räumlichen Strukturen über, ergeben sich aus der Kombination von Dreh-, Kardan-, Kugel-, Schub- bzw. Drehschubgelenken eine Vielzahl möglicher, nicht-zwangführender Strukturvarianten. Die oben dargestellte Vorgehensweise ist unter Berücksichtigung der Abmessungen und der Orientierung der Arbeitsplattform auch anwendbar. Hilfreich ist insbesondere die Darstellung von Schnitten durch den Arbeitsraum. Beispiel Hexapod: Gosselin stellt in [34] ein geometrisches Verfahren zur Ermittlung des Arbeitsraums von Strukturen des Typs StewartPlattform vor, mit dessen Hilfe zwölf Kugelgleichungen ermittelt werden. Stellt man diese, wie in Abb. 2.6. gezeigt, in der Ebene dar, kann man daraus die Bereiche ermitteln, die mit der gegebenen Struktur und einer

2.2 Struktursystematik

25

gegebenen Orientierung erreichbar sind. Analog hierzu können auch Ebenen parallel zur XZ- oder YZ-Ebene dargestellt werden. Häufig ist gefordert, Strukturlösungen mit weniger als sechs Bewegungsfreiheiten (im ebenen Fall weniger als drei) zu konzipieren. Dazu ist es notwendig, bestimmte Bewegungsfreiheiten des Endeffektors zu sperren. Dies geschieht mit zwangführenden Führungsketten. Im ebenen Fall ist dann der Freiheitsgrad einer Führungskette kleiner Drei und im räumlichen Fall kleiner Sechs. Die Zwangführung kann durch eine Führungskette oder durch die Kombination mehrerer Führungsketten mit F < 6 erfolgen. Weiterhin ist zu unterscheiden, ob die zwangführende Kette angetrieben oder nicht angetrieben ist. Da eine geschlossene Darstellung des Lösungsfeldes nicht möglich ist, sollen nachfolgend einige die Vorgehensweise erklärende Beispiele gezeigt werden. Der bekannte TRICEPT [99] der Firma SMT TRICEPT AB ist ein Beispiel für eine nicht-angetriebene zwangführende Kette. Das Prinzip ist auch auf den ebenen Bereich übertragbar. Der Vorteil solcher Strukturen liegt in der Trennung der Aufgabenbereiche Zwangführung und Kraft- bzw. Bewegungsübertragung. Dadurch können die Führungsketten entsprechend des Aufgabenbereiches optimiert werden. Nachteil der in Abb. 2.7. gezeigten Strukturlösungen ist, dass die Anzahl der Führungsketten größer als der Freiheitsgrad ist. Damit entstehen immer Mehraufwand (Konstruktion, Material, Kosten) und größere zu bewegende Massen. Die in Abb. 2.8. dargestellten Strukturvarianten vermeiden diesen Nachteil.

geforderter Arbeitsraum erreichbarer Arbeitsraum

Abb. 2.6. Darstellung der Kreisgleichungen in der Ebene; Vergleich zwischen gefordertem und erreichbarem Arbeitsraum

26

2 Strukturkonzeption Z

Y X

ebene Parallelkinematik F = 2, FK = 3

räumliche Parallelkinematik F = 3, FK = 4 z. B. TRICEPT, SMT TRICEPT AB

Abb. 2.7. Beispiele für Strukturen mit nicht-angetriebenen zwangführenden Ketten (gekennzeichnet)

ebene Parallelkinematik F = 2, FK = 2

räumliche Parallelkinematik F = 5, FK = 5; z. B. Pentapod P800 Fa. METROM

Abb. 2.8. Beispiele für Strukturen mit angetriebenen zwangführenden Ketten (gekennzeichnet)

Ein Nachteil dieser Strukturfamilie ist, dass häufig nicht alle Führungsketten gleich aufgebaut sind. Eine Ausnahme bildet die Strukturfamilie der räumlichen Parallelkinematiken mit F = 3, FK = 3 und drei Führungsketten mit F = 5. Je nach Wahl der Gelenke entlang der Führungskette ergeben sich unterschiedliche Bewegungsfreiheiten der Arbeitsplattform. Bei der Realisie-

2.2 Struktursystematik

27

rung der gewünschten rein translatorischen Bewegung für das Beispiel in Abb. 2.9. links sind bestimmte Gelenklagen zu beachten, so die relative Lage der Gelenkachsen der Arbeitsplattform zu denen der Gestellplattform. Die Gelenkachsen sollten zueinander parallel sein. Genauer ist dies in [137, 138] nachzulesen.

Bewegung in X, Y, Z räumliche Parallelkinematik F = 3, FK = 3

Bewegung in A, C, Z räumliche Parallelkinematik F = 3, FK = 3

Abb. 2.9. Unterschiedliche Bewegungsfreiheiten der Arbeitsplattform

Eine häufig verfolgte Strategie zur Realisierung von Zwangführungen ist das Einbringen ebener Teilstrukturen bzw. räumlicher Parallelführungen in eine zwangführende Führungskette. Das bekannteste Beispiel ist die DELTA-Struktur von Clavel, s. Abb. 2.10. [19], zur Realisierung rein translatorischer Bewegungen. Hinsichtlich der Struktursystematik handelt es sich um eine Parallelkinematik mit F = 3 und FK = 3. In jeder Führungskette kann man das räumliche viergliedrige Koppelgetriebe (im Bild gekennzeichnet) mit F = 4 durch ein Ersatzgelenk mit F = 4 ersetzen. Die vorangegangenen Betrachtungen zu Führungsketten erfolgten ausschließlich unter dem Aspekt des kinematischen Verhaltens. Das ermöglicht das Verständnis zweier wesentlicher Aufgaben von Führungsketten: 1. Übertragung von Kräften und Bewegungen. 2. Sperren von Freiheitsgraden.

28

2 Strukturkonzeption

Abb. 2.10. DELTA-Roboter [19]; gekennzeichnet: viergliedriges Koppelgetriebe

Nachfolgend wird auf den Aspekt der Belastungscharakteristik der Führungsketten als Grundlage für deren konstruktive Gestaltung eingegangen. In Abhängigkeit davon, ob es sich um eine ebene oder räumliche Führungskette handelt und ob die Führungsketten zwangführend sind oder nicht, verändert sich die Belastungscharakteristik der Streben. Dazu werden einige Beispiele genauer untersucht. Tabelle 2.6. Strukturbeispiele und Belastungscharakteristika für verschiedene Führungsketten mit F = 6 Strukturbeispiel Führungskette mit F = 6 D2SD3

Belastungscharakteristik statisch

[159] Zug- und Druckbelastung

Führungskette mit F = 6 DD2D3

[30] Zug, Druck, Biegung Zug, Druck

2.2 Struktursystematik

29

Tabelle 2.7. Strukturbeispiele und Belastungscharakteristika für verschiedene Führungsketten mit F = 5 Strukturbeispiel Führungskette mit F = 5 DSD3

Belastungscharakteristik statisch

[118] Zug, Druck, Biegung

Führungskette mit F = 5 D2SD2

nach [137, 138]

Zug, Druck, Torsion

Tabelle 2.8. Strukturbeispiele und Belastungscharakteristika für ebene Führungsketten Strukturbeispiel Führungskette mit F = 3 (eben); DDS

Belastungscharakteristik eben: Zug- und Druckbelastung allgemein: Zug- und Druckbelastung; Biegung; Torsion

Führungskette mit F = 2 (eben); DS

eben: Zug- und Druckbelastung; Biegung allgemein (rechte Strebe): Zug- und Druckbelastung; Biegung; Torsion

30

2 Strukturkonzeption

Hinsichtlich der Bewertung ebener Führungsketten ist zu beachten, dass neben den Belastungen aus der Betrachtung der Kräfte und Momente in der Ebene auch räumliche Belastungen auftreten und damit verbunden ggf. weitere Biege- und Torsionsbeanspruchungen. Die Betrachtungen in diesem Abschnitt beschäftigten sich mit der Auswahl des kinematischen Schemas und der Festlegung des kinematischen Prinzips. In Kap. 6 (Komponenten) wird die Detaillierung vom kinematischen Prinzip zur konkreten Struktur beschrieben. 2.2.4 Strukturerweiterungen

Strukturerweiterungen können aus praktischer Sicht erforderlich sein, wenn beispielsweise der geforderte Arbeitsraum mit einer parallelen Grundstruktur nicht erzeugt werden kann oder dessen Gestalt den weiter unten ausführlicher behandelten Einschränkungen durch Singularitäten erster und zweiter Ordnung unterliegt. Oft ist es auch mit einer Grundstruktur nur mit großem Aufwand möglich, die erforderlichen Steifigkeiten an bestimmten Stellen im Arbeitsraum zu erreichen. Die Lösung zur Umgehung solcher Einschränkungen besteht darin, die Grundstrukturen zu erweitern. Unter der Erweiterung einer Grundstruktur soll das Hinzufügen von mindestens einem weiteren Antrieb mit dem Freiheitsgrad Eins zu einer bestehenden Grundstruktur verstanden werden, so dass Mechanismen entstehen, die folgende Eigenschaften haben: • Die erweiterten Strukturen entstehen prinzipiell aus den Grundstrukturen. Sie haben mindestens einen Antrieb mit dem Freiheitsgrad Eins mehr als der Freiheitsgrad des Mechanismus beträgt. Dieser Antrieb befindet sich entweder in einer mit ihm neu zur Grundstruktur hinzukommenden Kette oder innerhalb einer in der Grundstruktur bereits vorhandenen. Im letztgenannten Fall entsteht zwangsläufig mindestens eine serielle Kette. • Die erweiterten Strukturen entstehen prinzipiell aus seriellen Kombinationen von parallelkinematischen Strukturen oder von parallelkinematischen mit seriellkinematischen Strukturen. Sie haben im Vergleich mit dem Freiheitsgrad des Mechanismus − mindestens einen Antrieb mit dem Freiheitsgrad Eins mehr (nicht in der Grundstruktur), oder − genauso viele Antriebe mit dem Freiheitsgrad Eins. Daraus folgt für den Freiheitsgrad erweiterter parallelkinematischer Strukturen, dass dieser gegenüber einer Grundstruktur entweder nicht

2.2 Struktursystematik

31

erhöht wird, wenn ein Antrieb mit dem Freiheitsgrad Eins einer schon vorhandenen kinematischen Kette bzw. mit ihm eine neue Kette der Grundstruktur hinzugefügt wird, oder aber nur dann erhöht wird, wenn dadurch ein Mechanismus o. g. Kombinationen entsteht. Aufgrund der vielfältigen Kombinationsmöglichkeiten von parallelen und seriellen Strukturen ist eine geschlossene systematische Darstellung der erweiterten Strukturen nach dem für Grundstrukturen verwendeten Modus kaum möglich. Die Bezeichnung der erweiterten Strukturen entsprechend der angegebenen Merkmale ist aus dem gleichen Grund ebenfalls kaum möglich, zumal die Länge der dann entstehenden Bezeichnungen handhabbare Grenzen sprengen würde. Anhand von Beispielen zeigt Abb. 2.11. in einer Übersicht kinematischer Prinzipe Möglichkeiten der Strukturerweiterung. Die Beispiele a, b und c sind Erweiterungen der in Abb. 2.4. unter Beispiel a dargestellten Grundstruktur. Durch eine Erweiterung der am Beispiel c gezeigten Grundstruktur entsteht Struktur d. Diese soll innerhalb des vorliegenden Buches nicht weiter betrachtet werden, da die strukturellen Eigenschaften der Kombination von parallelkinematischen Grundstrukturen und seriellkinematischen Strukturen sich hinreichend genau aus den Darlegungen zu o. g. Grundstrukturen und dem über serielle Kinematiken Bekannten ableiten lassen. Die erweiterten Strukturen der Beispiele b, c und d in Abb. 2.11. werden auch „hybrid“ genannt, weil der entsprechende Mechanismus eine Kombination aus parallel- und seriellkinematischen Strukturen ist. In diesem Zusammenhang wird darauf verwiesen, dass der generell gebräuchliche Begriff der „hybriden Struktur“ auch innerhalb der hier angewandten Systematik verwendet werden kann. Allerdings finden sich dann hybride Strukturen sowohl innerhalb der Grund- als auch der erweiterten Strukturen, da neben den eben vorgestellten hybriden erweiterten Strukturen alle in Tabelle 2.3. oberhalb der Diagonalen gezeigten Schemata auch hybrid sind. Eine aus kinematischer Sicht eindeutige Unterscheidung zwischen seriell, parallel und hybrid ist in [139] zu finden. Ein weiterer im Zusammenhang mit Strukturerweiterungen zu berücksichtigender Gesichtspunkt bezieht sich auf das z. B. in [75, 76, 17, 92] diskutierte Thema der redundanten Strukturen. Der Begriff der Redundanz wurde in [139] umfassend dargestellt. Aus kinematischer Sicht wird zwischen Geschwindigkeits- und Kraftredundanz unterschieden, s. Abb. 2.12. Von Geschwindigkeitsredundanz (= Positionsredundanz) spricht man, wenn mehrere Antriebsbewegungen dieselbe Endeffektor-Bewegung bewirken können. Analog dazu spricht man von Kraftredundanz, wenn unterschiedliche Antriebskräfte dieselben Endeffektor-Kräfte hervorrufen. Geschwindigkeitsredundanz findet man bei seriellen Strukturen, Kraftre-

32

2 Strukturkonzeption

dundanz bei Parallelstrukturen. Hybridstrukturen können beide Redundanzarten hervorbringen. Die grundsätzlichen Möglichkeiten, wie solche Redundanzen entstehen können, werden nachfolgend genannt [139]: • Das System ist redundant gebaut, d. h. es hat mehr aktive Gelenke Av als zu steuernde Endeffektor-Freiheitsgrade Amin. • Es liegt eine Singularität vor, d. h. es gibt einen Freiheitsgrad, der nicht einen unabhängigen Beitrag zur Bewegung des Endeffektors bzw. zur Ausübung von Kräften am Endeffektor leistet, sondern innere Bewegungen bzw. innere Kräfte ermöglicht. Diese Zusammenhänge sind relativ einfach aus den entsprechenden Jacobimatrizen ableitbar, s. Kap. 2.3. Da sich dieses Kapitel mit Strukturkonzepten befasst, interessieren hier nur Redundanzen entsprechend dem ersten Anstrich. Erweiterte Strukturen... ...als prinzipiell parallelkinematische Mechanismen,...

...als prinzipiell seriellkinematische Mechanismen...

...die im Vergleich mit dem Freiheitsgrad des Mechanismus um mindestens einen Antrieb mit dem Freiheitsgrad Eins erweitert sind und der Antrieb zur Grundstruktur hinzugefügt wird... ...mit einer neuen ... in eine schon Kette, z. B.: vorhandene Kette, z. B.:

...der Kombinationen aus parallel- und seriellkinematischen Strukturen,... ...die im Vergleich mit ...die im Vergleich mit dem Freiheitsgrad des dem Freiheitsgrad des Mechanismus um minMechanismus gedestens einen Antrieb nauso viele Antriebe mit dem Freiheitsgrad mit dem Freiheitsgrad Eins erweitert sind, Eins enthalten, z. B.: z. B.:

a

c

b

d

Abb. 2.11. Beispiele kinematischer Prinzipe erweiterter Strukturen (Erweiterungen fett gezeichnet). Ebene erweiterte Parallelkinematik mit: a: F = 3, FK = 4 und vier Antrieben mit dem Freiheitsgrad Eins b: F = FK = 3 und vier Antrieben mit dem Freiheitsgrad Eins c: F = 3, ebener paralleler Grundstruktur mit F = FK = 3 und vier Antrieben mit dem Freiheitsgrad Eins d: F = 3, ebener paralleler Grundstruktur mit F = 2, FK = 3 und drei Antrieben mit dem Freiheitsgrad Eins

2.2 Struktursystematik

33

Der Begriff der Redundanz hat im Zusammenhang mit dem Aufbau kinematischer Strukturen nicht dieselbe Bedeutung wie z. B. im Bereich der Sicherheitstechnik, in dem dieser Fachausdruck seit längerem gebräuchlich und klar definiert ist; [24, 140]. Im Folgenden wird sich des u. a. in [145, 146] dargestellten Zusammenhangs zwischen statischen und kinematischen Systemen bedient: Im weiteren Sinn wird unter „Redundanz“ zunächst eine Überbestimmtheit verstanden, die darin besteht, dass in einer kinematischen Struktur die Zahl der vorhandenen Antriebsglieder Av größer ist als die Zahl der für den Zwanglauf notwendigen Amin. Mit anderen Worten: Eine Überbestimmtheit zwangläufiger Mechanismen entsteht dadurch, dass in ihnen mehr Antriebsglieder vorkommen als es deren Getriebefreiheitsgrad erfordert. Im engeren Sinn wird unter „Redundanz“ dann eine Überbestimmtheit verstanden, die sich auf die Kinematik oder Statik einer kinematischen Struktur bezieht. Die kinematische Überbestimmtheit wiederum lässt sich in eine solche der Lage, der Geschwindigkeit, der Beschleunigung und des Rucks unterscheiden. Geschwindigkeitsredundanz δα3

δα3 δα4

δα2 δα2 δα1

δα1 durch Singularität

durch Bauweise

Kraftredundanz f3 f3 f1

f2

durch Singularität

f1

f2

f4

durch Bauweise

Abb. 2.12. Gegenüberstellung von Geschwindigkeitsredundanz und Kraftredundanz nach [139]

34

2 Strukturkonzeption

Die so genannte kinematische Redundanz entsteht, wenn zusätzlich angetriebene Achsen innere Bewegungsfreiheiten der Struktur erzeugen. Der Freiheitsgrad des Endeffektors erhöht sich jedoch nicht [75]. Diese Art der Redundanz kann auf unterschiedliche Weise genutzt werden. Prinzipiell sind alle kinematischen Größen (Lage, Geschwindigkeit, Beschleunigung, Ruck) beeinflussbar. So existieren Bereiche im Arbeitsraum, in denen ein dort auftretender (Abtriebs-)Lagevektor durch mindestens zwei unterschiedliche Antriebsvektoren des kinematischen Systems erreicht werden kann. Analog dazu gibt es Bereiche im Arbeitsraum, in denen ein dort auftretender (Abtriebs-)Geschwindigkeits-, Beschleunigungs- und Ruckvektor durch mindestens zwei unterschiedliche Antriebs(Geschwindigkeits-, Beschleunigungs- bzw. Ruck-)Vektoren des kinematischen Systems erreicht werden kann. Eine mathematische Beschreibung erfolgt dadurch, dass man der Jacobimatrix bei r-facher Redundanz r Spalten und dem vorher ndimensionalen Gelenkwinkelraum r Dimensionen hinzufügt. Die Dimension des kartesischen Raums bleibt unverändert gleich n [75].   = J ªq min º = J q X VK « VK » ¬ q red ¼

J VK ∈ ℜ n×(n + r )

(2.3)

Dabei bezeichnet q min die Antriebsgeschwindigkeit der mindestens zur Bewegung erforderlichen Antriebe, q red die Antriebsgeschwindigkeiten der redundanten aktiven Gelenke. Analog zu dem oben Beschriebenen entsteht eine Antriebsredundanz, wenn durch zusätzliche Antriebe eine Kraftkomponente addiert wird, ohne die Bewegungsfreiheitsgrade der Struktur zu erhöhen [75]. Dadurch können Stellungen existieren, in denen ein dort wirkender (Abtriebs-)Belastungsvektor durch mindestens zwei unterschiedliche Antriebsbelastungsvektoren des kinematischen Systems aufgenommen werden kann. ªf º F = J VS « min » = J VS f ¬ f red ¼

J VS ∈ ℜ n×(n + r )

(2.4)

Dabei ist fmin der Vektor der Kräfte der mindestens erforderlichen aktiven Streben, fred enthält die Kräfte der redundanten Streben. Die inneren Freiheitsgrade bzw. Kräfte können genutzt werden, um z. B. die Beschleunigung am Endeffektor zu maximieren oder die Kräfte in den passiven Gelenken zu minimieren [78]. Für alle diese Redundanzen gilt, dass die jeweils unterschiedlichen Antriebslage-, Antriebsgeschwindigkeits-, Antriebsbeschleunigungs-, Antriebsruck- und Antriebsbelastungsvektoren nicht zur Verringerung des

2.3 Kinematik

35

Freiheitsgrades des kinematischen Systems führen dürfen. Die genannten Redundanztypen sind nicht an parallelkinematische Strukturtypen gebunden, sondern können auch bei seriellkinematischen auftreten. Es sei nochmals darauf hingewiesen, dass im vorliegenden Buch der Begriff der Redundanz in einer speziellen Bedeutung gebraucht wird. Er bezeichnet also nicht etwaige zusätzlich vorhandene technische Baugruppen, die über die für die Erfüllung der Funktion eines Mechanismus notwendigen hinausgehen, sondern sie sind ganz im Gegenteil sogar notwendig, wenn bestimmte Kriterien, wie z. B. das Erreichen von vorgegebenen Positionen im Arbeitsraum, erfüllt werden sollen.

2.3 Kinematik 2.3.1 Koordinatentransformation

Die kinematische Beschreibung einer mechanischen Struktur beinhaltet die Geometrie und die zeitlichen Aspekte ihrer Bewegungen, ohne dabei deren ursächliche Kräfte zu betrachten. In diesem Abschnitt geht es hierbei in erster Linie um die Beschreibung des Zusammenhangs zwischen den Antriebs- und Abtriebskoordinaten von parallelkinematischen Mechanismen, die entsprechend als Koordinatentransformation bezeichnet wird. Auf dem Gebiet der Robotik wurde für das Problem der Koordinatentransformation schon früh eine formale Unterteilung in zwei Aufgaben eingeführt. Die aus getriebetechnischer Sicht erforderliche Vorwärtstransformation von messbaren Antriebskoordinaten in steuerungsinterne Weltkoordinaten wird als „direktes kinematisches Problem“ (DKP) bezeichnet. Deren Gegenoperation als Rückwärtstransformation aus Weltkoordinaten in entsprechende Antriebskoordinaten nennt man „inverses kinematisches Problem“ (IKP)1.

1

Die Bezeichnungen Vorwärtstransformation und Rückwärtstransformation werden in diesem Buch entsprechend der Robotik verwendet. Sie tragen aber nicht dem geläufigen Sprachgebrauch im Bereich der Steuerungsproblematik bei parallelkinematischen Maschinen Rechnung. Aus steuerungstechnischer Sicht nennt man das direkte kinematische Problem die Istwerttransformation und das inverse die Sollwerttransformation. Da die Begriffe Soll- bzw. Istwert in der Regelungstechnik in einem anderen Sinn als hier gebraucht werden, finden sie im Zusammenhang mit der Koordinatentransformation im Weiteren keine Verwendung (zur Begrifflichkeit vgl. auch [71]).

36

2 Strukturkonzeption Q

X

Direktes kinematisches Problem (DKP) „Vorwärtstransformation“

Antriebskoordinaten Q=(q1,..,..,qn)T

Weltkoordinaten X=(X, Y, Z, α, β, γ)T „Rückwärtstransformation“ Inverses kinematisches Problem (IKP) Q

X

Abb. 2.13. Zusammenhang zwischen Antriebskoordinaten und Weltkoordinaten

Bei seriellen Strukturen wird das direkte kinematische Problem in der Regel nach einem formalen Ansatz eindeutig analytisch gelöst, während das inverse kinematische Problem mehrere Lösungen besitzt, für deren Berechnung ein aufwändiger Algorithmus mit numerischer Iteration erforderlich ist. Im vollständigen Gegensatz hierzu ist für parallele Kinematiken oft nur die Rückwärtstransformation, also das inverse kinematische Problem, analytisch lösbar, während das direkte kinematische Problem über mehrere Lösungen verfügt und numerische Verfahren erfordert. Diese Umstände kommen aber den Anforderungen von Werkzeugmaschinen entgegen, da hier in erster Linie die kontinuierliche Ausführung der Rückwärtstransformationen im Interpolationstakt zeitkritisch ist. Der folgende Abschnitt beschreibt ein allgemeines Verfahren zur Berechnung der Koordinatentransformation von Parallelkinematiken. In getriebetechnischer Betrachtung ist die oben vorgenommene Unterscheidung der Tranformationsrichtung zunächst irrelevant. Erst die steuerungstechnische Umsetzung in Abschnitt 4.3 nimmt diesen Aspekt wieder auf. Unabhängig davon spielen die definierten Jacobimatrizen eine zentrale Rolle. Einerseits repräsentieren sie mit den enthaltenen partiellen Gradienten unmittelbar das stellungsabhängige Übertragungsverhalten eines Mechanismus. Andererseits sind sie unverzichtbar für die zur kinematischen Beschreibung angewandten numerischen Lösungsverfahren. 2.3.2 Analytische Beschreibung

Der Quotient aus Abtriebsgeschwindigkeit und Antriebsgeschwindigkeit wird als Übersetzung eines Getriebes mit dem Freiheitsgrad F = 1 defi-

2.3 Kinematik

37

niert. Ein Getriebe des Freiheitsgrades F = n hat dann genau n2 solcher § ∂x · Quotienten. Diese bilden die Elemente der Jacobimatrix J = ¨¨ i ¸¸ des © ∂Qi ¹ Getriebes. Bei vielen parallelkinematischen Grundstrukturen ist es auf analytischem Wege entweder sehr kompliziert oder unmöglich, die Jacobimatrix aufzustellen. Dagegen ist die inverse Jacobimatrix solcher Strukturen eher mit geringem Rechenaufwand zu erhalten. Bei Getrieben mit einer An- und einer Abtriebskoordinate ist diese mit dem reziproken Wert der Übersetzung vergleichbar. Während für eine 3 x 3-Matrix die Invertierung der inversen Jacobimatrix noch mit vertretbarem Aufwand analytisch möglich ist, scheitert man bei Matrizen höherer Dimension am hohen Aufwand. Dafür bieten sich bestimmte numerische Verfahren an. Für eine parallele Kinematik wird der Vektor Pi des i-ten Eckpunktes der Arbeitsplattform durch den Vektor der Abtriebsgröße X und die Struktur des Mechanismus bestimmt. Die Lage des Punktes Pi wird antriebsseitig durch den Vektor bi mit der Länge bi gegeben. Dieser verbindet den Punkt Pi mit dem Punkt Bi; s. Abb. 2.14. Pi (X)

bi

Bi

Abb. 2.14. Kinematisches Prinzip eines Teilsystems einer räumlichen Parallelkinematik

Es lassen sich somit n Zwangsgleichungen EQ zur Beschreibung einer parallelen Struktur des Freiheitsgrades F = n aufstellen. EQ i = b i − (Pi (X ) − B i ) = 0 2

2

i = 1, 2 ... n

(2.5)

Für parallelkinematische Strukturen mit längenveränderlichen Streben ist der Punkt Bi gleichzeitig ein Punkt des Gestells und der i-te Antrieb bestimmt die Länge bi des Vektors bi. Die Zeilen der inversen Jacobimat∂Qi ergeben sich bei derartigen Strukturen aus den Koeffizienrix J −1 = ∂X j

38

2 Strukturkonzeption

ten der Gl. (2.6), welche wiederum durch Ableitung von Gl. (2.5) nach der Zeit und schließlich durch Umstellen nach Q i entsteht. 1 (Pi (X ) − B i )T ⋅ Pi′(X ) ⋅ X Q i = Qi

i = 1, 2 ... n

(2.6)

Für parallelkinematische Strukturen mit längenunveränderlichen Streben (bi = const.) hängt die Lage des Punktes Bi vom i-ten Antrieb ab. ∂B i Leitet man Gl. (2.5) mit B ′i (Qi ) = nach der Zeit ab und stellt nach Q i ∂Qi ∂Qi um, so ergeben sich die Zeilen der inversen Jacobimatrix J −1 = ∂X j solcher Strukturen aus Gl. (2.7): T T b ⋅ P i b ⋅ Pi′(X )  = iT Q i = iT ⋅X b i ⋅ B i b i ⋅ B ′i (Qi )

(2.7)

Weil zur Verwendung der Gl. (2.6) die partiellen Ableitungen der Gelenkpunkte nach den Abtriebskoordinaten benötigt werden, kann kein Algorithmus zum Aufstellen der inversen Jacobimatrix gefunden werden. Für ebene parallele Grundstrukturen mit F = 3 und räumliche parallele Grundstrukturen mit F = 6 lassen sich die Gelenkpunkte durch Koordinatentransformation entsprechend der Abtriebskoordinaten (Reihenfolge der Rotationsfreiheitsgrade beachten!) aus der Lage der Gelenkpunkte in der Grundstellung des Manipulators ableiten. Die partiellen Ableitungen sind in diesem Fall gleichermaßen ohne größere Probleme ermittelbar, da durch die Koordinatentransformation ausschließlich Terme aus Summen und Produkten der Winkelfunktionen des Sinus und Cosinus entstehen. Nach Gl. (2.8) kann man z. B. die Gelenkpunkte einer parallelkinematischen Grundstruktur mit sechs Freiheiten berechnen, wobei von der Reihenfolge der Koordinatentransformation – Drehung um die X-Achse, Drehung um die Y-Achse, Drehung um die Z-Achse und schließlich Verschiebung in die drei Koordinatenrichtungen – ausgegangen wurde. Die Gelenkpunkte dieser Struktur in der Grundstellung Pi ergeben sich dabei aus den Arbeitsplattformabmessungen und hängen von der Wahl des Koordinatensystems ab:

2.3 Kinematik

§X· ¨ ¸ Pi = D Z (α ) ⋅ D Y (β ) ⋅ D X (γ ) ⋅ Pi + ¨ Y ¸ ¨Z¸ © ¹

39

(2.8)

D stellt dabei die Drehmatrix dar. Für ebene parallelkinematische Grundstrukturen mit dem Freiheitsgrad F = 3 lassen sich die Gelenkpunkte nach Gl. (2.9) ermitteln, wenn man davon ausgeht, dass der Mechanismus in seiner Grundstellung den TCP im Koordinatenursprung hat und die Drehung, definiert als Drehung um diesen Koordinatenursprung, als erste Abtriebsbewegung ausgeführt wird.

§X· Pi = D Z (β ) ⋅ Pi + ¨¨ ¸¸ ©Y ¹

(2.9)

Setzt man die Ortsvektoren der Punkte Pi und deren Ableitung nach der Zeit in die Gln. (2.6) bzw. (2.7) ein, so lassen sich für die meisten Grundstrukturen die inversen Jacobimatrizen schematisch aufstellen. Näher wird dies anhand des in Abb. 2.15. dargestellten kinematischen Prinzips einer Parallelkinematik mit F = 3 betrachtet. Diese Berechnungsmethode erweist sich in der Praxis als vorteilhaft, da Fehler und Toleranzen der Struktur in die Berechnung mit einfließen. Für die selten auftretenden Fälle, bei denen zur Bestimmung der Gelenkpunkte Symmetrieeigenschaften und Eigenschaften der gesamten Struktur heranzuziehen sind, lässt sich die inverse Jacobimatrix auf diese Art und Weise zwar bestimmen, allerdings nicht dazu verwenden, Fehler in der Struktur auszuwerten. Letztlich helfen dann nur noch numerische Verfahren, wie z. B. die im folgenden Abschnitt vorgestellte dekomponierende Methode, die einerseits zwar durch einen hohen Rechenaufwand gekennzeichnet ist, mit der man aber andererseits auf mathematisch einfachem Weg sicher ans Ziel gelangen kann. Beispiel: Räumliche symmetrische Parallelkinematik mit längenveränderlichen Streben Der im Folgenden behandelte parallelkinematische Mechanismus, der unter der Bezeichnung TRICEPT in der industriellen Praxis Anwendung gefunden hat, wird von der schwedischen Firma SMT TRICEPT AB gebaut und unter anderem für Montage- und Bearbeitungsoperationen in der Automobil- und Roboterindustrie eingesetzt, s. Abb. 2.15. Seine drei Gestellpunkte R1, R2, R3 und die drei Gelenkpunkte P1, P2, P3, bilden jeweils ein gleichseitiges Dreieck. Drei längenveränderliche Streben verbinden in den Punkten Pi und Ri (i = 1, 2, 3) über Kugelgelenke das Gestell mit der Arbeitsplattform. Eine vierte Verbindung wird durch eine

40

2 Strukturkonzeption

Baugruppe, die ein Schub- und ein Kreuzgelenk enthält, gebildet. Der Antrieb des dargestellten Mechanismus besteht aus drei Linearantrieben in den Streben. Die Drehachsen des gestellgelagerten Kardangelenks und die Schubgerade des Schubgelenks schneiden sich auf der Z-Achse in einem Punkt. Die Schubgerade trifft senkrecht und im Mittelpunkt auf das durch die Gelenkpunkte aufgespannte gleichseitige Dreieck. Ersetzt man die Kugelgelenke in den Punkten Pi oder Ri (i = 1, 2, 3) durch Kardangelenke, so werden die in den Koppeln enthaltenen identischen Freiheiten eliminiert. Zur Untersuchung, Optimierung und Bewertung aller parallelkinematischen Mechanismen ist die Kenntnis der inversen Jacobimatrix erforderlich. In der Regel besteht der mathematisch einfachere und zum Ziel führende Weg darin, die Jacobimatrix zu ermitteln und diese dann zu invertieren. Dabei ist die Ermittlung der Gelenkpunkte räumlicher Parallelkinematiken mit F ≤ 6 am anspruchsvollsten. Der Grund dafür besteht darin, dass die Koordinaten der Gelenkpunkte sowohl von den gegebenen Abtriebsparametern als auch von den aus den kinematischen Abmessungen der Struktur resultierenden gebundenen Freiheiten abhängig sind. Der im vorliegenden Beispiel einem Kugelausschnitt ohne Spitze ähnelnde Arbeitsraum wird durch die Wahl der Abtriebskoordinaten Į, ȕ und h, beschrieben. Diese Koordinaten ergeben sich direkt aus den die Struktur führenden Komponenten, nämlich Į und ȕ aus dem Kardangelenk und h aus dem nicht angetriebenen Schubgelenk. Z

P2

r

α P 3 P1

L3 L2

β

h

L1

Y R2 X R

120°

R1

R3

Abb. 2.15. Kinematisches Prinzip einer parallelkinematischen Grundstruktur mit F = 3, FK = 4 [TRICEPT, SMT TRICEPT AB]

2.3 Kinematik

41

§α · ¨ ¸ X = ¨ β ¸ , wobei ¨h¸ © ¹ 2

§β · 0 ≤α < ¨ 0 ¸ − β 2 , © 2 ¹ 0≤ β
r2

r1

a

b

r2

c

Abb. 2.19. Gestaltungsmöglichkeiten der Gelenkanordnung an der Arbeitsplattform a: Kardangelenkkreuz Version a b: Kardangelenkkreuz Version b c: Vergleich der Arbeitsplattformradien r

Entsprechend Abb. 2.18. und der in diesem Abschnitt gegebenen Empfehlungen zu den Längenverhältnissen der Streben lassen sich nun auch deren entsprechende Längen und damit schließlich der Gestellradius überschlägig ermitteln. 2.4.3 Jacobimatrix und Maschinensteifigkeit

Bei der Bemessung von Werkzeugmaschinen hat sich die statische Steifigkeit als wesentlicher Parameter zur Charakterisierung der Genauigkeit unter wirkenden Bearbeitungskräften etabliert. Zu Beginn der Entwicklung parallelkinematischer Bearbeitungsmaschinen wurde eine aufgrund der geschlossenen kinematischen Ketten tendenziell höhere Steifigkeit als bei seriellen Maschinen postuliert und dieser Fakt als einer der wesentlichen Vorteile von PKM hervorgehoben. Untersuchungen an realen Maschinen konnten diese Annahme bisher nicht bestätigen. Ursache dafür ist u. a., dass in den kinematischen Ketten konstruktiv aufwändige Baugruppen liegen, deren kinematische Genauigkeit sowie Richtungsunabhängigkeit der Steifigkeit noch nicht in ausreichendem Maße gewährleistet wird. Ein Beispiel dafür sind die Gelenke. Ziel sind große Schwenkwinkel, hohe, vom Schwenkwinkel unabhängige Steifigkeit und das Schneiden der Gelenkachsen in einem Punkt. Nur wenn diese Bedingungen erfüllt sind, kann anhand im Aufwand beherrschbarer Modelle die geforderte Genauigkeit unter Belastung im Arbeitsraum gewährleistet werden. Neben der reinen konstruktiven Steifigkeit der Baugruppen besteht ein erheblicher Einfluss der kinematischen Struktur auf die Steifigkeitsverteilung der Maschine im Arbeitsraum. Veranschaulicht werden kann dies mit folgendem einfachen Modell: Zwei Fachwerke mit unterschiedlicher Stellung der Streben zueinander und unterschiedlichen Strebenlängen werden einer identischen Belastung

54

2 Strukturkonzeption

ausgesetzt. Es kommt zu unterschiedlicher Übertragung der Kräfte in die Streben, die sich nach ∆X = FStrebe / k Strebe

(2.33)

und entsprechend der Länge sowie der in der Strebe wirkenden Kraftkomponente verformen und in Summe eine unterschiedliche Veränderung der Lage des Kraftangriffspunktes zur Folge haben. Das heißt, die Steifigkeit der Struktur gegenüber einer äußeren Belastung ist trotz gleicher Baugruppensteifigkeit unterschiedlich. Der Gesamtzusammenhang für räumliche Anordnungen von Federn in statisch bestimmten Strukturen lässt sich unter der Annahme des Fehlens von Querverbindungen (für PKM i. A. gewährleistet) in Strebenkoordinaten S wie folgt formulieren: FS = K S ⋅ ∆S = diag (k Sn ) ⋅ ∆S ,

(2.34)

wobei kSn die Strebensteifigkeit in der n x n-Matrix der Gesamtsteifigkeit darstellt, FS und ǻS sind Vektoren der entsprechenden Dimension. Durch das Fehlen der Querverbindung ist KS eine Diagonalmatrix. Üblicherweise interessiert allerdings der Zusammenhang zwischen Kraft und Verformung in kartesischen Koordinaten. Mit Hilfe der kinematischen Jacobimatrix Jkin für die Transformation der Kräfte und der orientierten Jacobimatrix Jor im kartesischen Raum (nähere Erläuterungen dazu siehe [71]) für die Transformation der Verschiebungen ǻS kann diese Gleichung überführt werden in eine Beziehung in kartesischen Koordinaten: FX = J Tkin ⋅ K S ⋅ J or ⋅ ∆X .

(2.35)

Die Übersetzung der Steifigkeiten aus dem Strebenraum KS in den kartesischen Raum ergibt sich damit zu K X = J Tkin ⋅ K S ⋅ J or .

(2.36)

Unter der Vorrausetzung, dass alle kinematischen Ketten die gleiche Steifigkeit besitzen – was aber in den seltensten Fällen realistisch ist – vereinfacht sich diese Gleichung zu K X = k ⋅ J Tkin ⋅ J or .

(2.37)

Zu erwähnen ist, dass KX im Gegensatz zur Diagonalmatrix KS eine vollbesetzte Matrix ist, was bedeutet, dass auch Kräfte und Momente, die nur in eine Richtung wirken, zu Verschiebungen in allen Koordinaten führen. Sie vereinigt damit die translatorischen und rotatorischen Anteile der Steifigkeit.

2.5 Optimierung

55

In [71] wird beschrieben, wie aus den Betrachtungen der Singularwerte der Jacobimatrix Rückschlüsse auf das allgemeine Steifigkeitsverhalten gezogen werden können und welche Voraussetzungen die mathematische Beschreibung des Übertragungsverhaltens in diesem Fall erfüllen muss.

2.5 Optimierung 2.5.1 Allgemeines

Im Zuge der Entwicklung möglichst universeller Softwarewerkzeuge zur Entwicklung von Bearbeitungsmaschinen tritt die automatisierte Optimierung von im Entwurfsprozess gefundenen Basisstrukturen zunehmend in den Vordergrund. Sie löst die bisher meist praktizierte empirische Variation von Parametern ab. Die Entwicklung der Optimierungsstrategien ist im Kontext der Entwicklung parallelkinematischer Maschinen zu sehen. Stand am Anfang die eingeschränkte Optimierung eines speziellen Mechanismus unter eng vorgegebenen Randbedingungen zur Diskussion, erweitert sich die Fragestellung wesentlich, wenn neben kinematisch-konstruktiven auch maschinendynamische und steuerungstechnische Parameter berücksichtigt werden sollen. Die mehrkriterielle Optimierung tritt dann in den Vordergrund, wenn die gezielte Eigenschaftsverteilung sowohl eines Kriteriums innerhalb des Arbeitsraums, aber auch im Hinblick auf das Verhältnis verschiedener Eigenschaften zueinander erreicht werden soll, bzw. eine große Anzahl von Parametern eine große Anzahl sich z. T. erheblich widersprechender Kriterien erfüllen soll. Dies gewinnt vor allem im Hinblick auf den Designprozess technologie- bzw. werkstückangepasster Maschinen an Bedeutung, für die aus standardisierten Komponenten technisch und ökonomisch optimale Konfigurationen gefunden werden müssen. In Anlehnung an Kirchner [71] können vier verschiedene Strategien zur Optimierung von Parallelkinematiken unterschieden werden: 1. Verfahren mit einem Kriterium, z. B. Homogenität oder Maximum der Übertragungsgüte im Arbeitsraum 2. Verfahren mit hierarchischer Anordnung der Kriterien, z. B. Kollision über kinematischem Verhalten 3. Verfahren mit Substitutionsfunktionen – gewichtete Zusammenfassung mehrerer Eigenschaften, z. B. Jacobi-Matrix in einer Kennzahl – äußerst kritisch hinsichtlich der Auswahl der Wichtungsfaktoren 4. Mehrkriterielle Optimierung

56

2 Strukturkonzeption

Tabelle 2.12. Überblick über Optimierungsstrategien und ihre Anwendung in Anlehnung an [71] Verfahren mit einem Kriterium Kriterien (Anzahl) Parameter (Anzahl) Lösungen (Anzahl)

eines

Kompromissfindung/ Beurteilung der Lösung

entfällt

Automatisierungsgrad Unabhängigkeit von der Strukturart Beispiele in der Literatur

hoch

meist wenige eine

hoch

[106, 129, 120]

Verfahren mit hierarchischer Anordnung der Kriterien wenige (ca. 2 bis 3) wenige (ca. 2 bis 4) eine (wenige)

Verfahren mit Substitutionsfunktion

Integrierte Plattform

Mehrkriterielle Optimierung

meist wenige

3 bis 4

viele (< 10)

meist wenige

-

viele (< 20)

eine

eine

rein mathematisch über Wichtungsfaktoren

entfällt

viele entlang einer Paretofront durch den Konstrukteur

meist über Minimalforderungen; Eingriff durch den Konstrukteur mäßig bis hoch gering

hoch

mäßig

hoch

hoch

mäßig bis hoch hoch

[80, 35, 44]

[69]

[85]

[71, 27]

In Tabelle 2.12. sind diese Strategien und ihre bisherige Anwendung zusammengefasst. Im Folgenden wird das Vorgehen bei der Optimierung parallelkinematischer Strukturen dargestellt. Dabei wird der Optimierungsprozess als aus wechselseitig miteinander verbundenen Schritten bestehend verstanden, die die Bewertung und den Vergleich von Lösungen im Hinblick auf die Erfüllung vorgegebener Kriterien einschließen. Unter der Bewertung eines parallelkinematischen Mechanismus wird die rechnerische Bewertung anhand bestimmter Optimierungskriterien verstanden; nicht die messtechnische Bewertung einer bereits bestehenden Maschinenstruktur. Aus den an den Arbeitsraum gestellten Forderungen ergibt sich bei genauerer Betrachtung, dass die Auslegung von parallelkinematischen Maschinen einen singularitätsfreien Arbeitsraum des Mechanismus gewährleisten muss. Von einer Singularität eines Mechanismus spricht man, wenn bei einer bestimmten Stellung des Mechanismus die Beweglichkeit des An- bzw. Abtriebs eingeschränkt wird, wie in Tabelle 2.13. verdeutlicht.

2.5 Optimierung

57

Tabelle 2.13. Singularitäten der Bewegungs- und Kraftübertragung in Mechanismen anhand des Beispiels eines Viergelenkgetriebes mit dem Übertragungswinkel µ [119] Singularität Erster Art: keine Bewegungsübertragung

Zweiter Art: keine Kraftübertragung

Dritter Art: weder Kraft- noch Bewegungsübertragung

Beispiel α=0

ωan

α

Kriterium µ

dx

ωab=0

µ=0 ωab

ωan=0

dq

dq dx dq

α=0

µ=0

dx dx dq

=0

=0

Auswirkung Totlage, Verlust von Freiheiten am Antrieb, Kniehebel in zwangläufigen Getrieben

Klemmlage, Gewinn von Freiheiten am Abtrieb, nur in geschlossenen Ketten

=0 =0

Durchschlagende Getriebe

Ein weiteres Ziel der Auslegung einer parallelkinematischen Maschinenstruktur besteht – bei vorgegebenen Arbeitsraum – in der Erreichung einer möglichst gleichmäßigen Geschwindigkeits- und Kraftübertragung. Das schließt die Vermeidung der angesprochenen Singularitäten ein. Im Weiteren werden zunächst die Begriffe • Manipulierbarkeit, • Kraftübertragungsgüte und • Übertragungsgüte eingeführt. Im vorliegenden Buch soll der Extremwert über den Arbeitsraum einer bestimmten Norm der Jacobimatrix als Maß für die Manipulierbarkeit und Kraftübertragungsgüte verwendet werden. Unter dieser Voraussetzung lassen sich die Ziele der Auslegung von Mechanismen ganz allgemein in der Form angeben, wie sie in Tabelle 2.14. dargestellt ist.

58

2 Strukturkonzeption

Tabelle 2.14. Auslegungsziele für Mechanismen Mechanismus

Vermeidung von Erzielen einer hohen

zwangläufiges Singularitäten Getriebe zweiter Art serieller Manipulator

Singularitäten erster Art

Kraftübertragungsgüte

Kriterien µmin dx dq

Manipulierbarkeit

ĺ min max

det J

J

paralleler Manipulator

Übertragungsgüte

det J J

ĺ max

min

ĺ max

min

det J

Singularitäten erster und zweiter Art

ĺ max

min

min

ĺ max

max

J

−1 min

ĺ max

Wenn man die n = F Antriebsgrößen qi bzw. Abtriebsgrößen xk eines gegebenen Mechanismus des Freiheitsgrades F zu den Vektoren q bzw. x zusammenfasst und ebenso die diesen verallgemeinerten Koordinaten zugehörigen verallgemeinerten Kräfte zu den Vektoren Fq bzw. Fx, dann gelten für die Geschwindigkeits- bzw. Kraftübertragung vom Abtrieb zum Antrieb die Beziehungen (2.38) und (2.39) unter der Voraussetzung, dass ∂x die Jacobimatrix J = ( k ) und deren Inverse J-1 existieren. ∂q j q = J −1x

(2.38)

Fq = J T Fx

(2.39)

Die Antriebsgeschwindigkeiten und -kräfte sind im Mittel immer dann klein, wenn die Elemente von J und J-1 im Mittel ebenfalls klein sind. In der Kondition J J −1 der Jacobimatrix drückt sich diese Mittelung aus, wobei der beste und kleinste Wert dieses Produkts durch die Einheitsmatrix E erreicht wird. Ein Maß für die Übertragungsgüte, die zwischen Null und Eins liegen kann, ist dann Ü=

E

2

WJ J −1 W −1

,

(2.40)

2.5 Optimierung

59

wobei W selbst wiederum eine Matrix ist, durch die die Abtriebsgrößen untereinander gewichtet werden. Dies kann z. B. dem Ziel geschuldet sein, dass Geschwindigkeiten und Winkelgeschwindigkeiten sowie Kräfte und Momente auf Größen gleicher Einheiten und gleicher Wertigkeit umgerechnet werden sollen. Man spricht von einer kinematisch isotropen Konfiguration [3], wenn für gewisse Abmessungen und definierte Stellungen des Mechanismus Ü = 1 gilt. Das bedeutet, dass die längs einer beliebigen Abtriebskoordinate liegende Geschwindigkeit oder wirkende Kraft immer ein und dieselbe, bezüglich der Norm durchschnittliche Antriebsgeschwindigkeit oder -kraft erfordert. Verwendet man die Euklidische Norm oder Spektralnorm als Matrixnorm , so muss für den Fall einer kinematisch isotropen Konfiguration die Bedingung aus Gl. (2.41) erfüllt sein [3]. Mit anderen Worten: Die Matrix J-1W-1 besitzt den einzigen singulären Wert σ. W −1T J −1T J −1W −1 = ı 2 E

(2.41)

Bezüglich der hier interessierenden kinematischen Strukturen kann die Optimierungsaufgabe unter der Bedingung, dass der Vektor I die freien Abmessungen des Mechanismus als Elemente enthält, die beispielsweise auf eine feste, die Baugröße des Mechanismus festlegende Länge bezogen sein können, in der Lösung der Gl. (2.42) bestehen. Das Ziel dieser Überlegung besteht darin, eine Bestimmung der Abmessungen derart zu erhalten, dass in einem gegebenen Arbeitsraum X die größtmögliche Übertragungsgüte Ü erreicht wird. Somit kann der berechnete Maximalwert max Ü (X) für eine bestimmte kinematische Struktur als Bewertungskriterium angesehen werden [120]. I Ü ( X ) = min Ü ⎯ ⎯→ max

(2.42)

X

Letztlich besteht das Ziel der optimalen Auslegung einer Parallelkinematik darin, einen Mechanismus und seine zugehörigen Abmessungen so zu finden, dass die Übertragungsgüte an jedem Punkt des Arbeitsraums möglichst groß ist. Die eingeführten Kennwerte Kraftübertragungsgüte, Manipulierbarkeit und Übertragungsgüte kennzeichnen das Übertragungsverhalten von Mechanismen. So resultieren beispielsweise bei einem Mechanismus hoher Manipulierbarkeit aus den Antriebsgeschwindigkeiten verglichen mit ihnen große Abtriebsgeschwindigkeiten. Die mathematische Beschreibung dieses Zusammenhangs findet sich in betragsmäßig großen Elementen der Jacobimatrix.

60

2 Strukturkonzeption

Tabelle 2.15. Auf Matrizenkennwerten basierende Optimierungskriterien, die als Zielfunktionen zur Optimierung der kinematischen Abmessungen von ungleichmäßig übersetzenden Getrieben mit F > 1 geeignet sind; nach [154] Matrixnorm Gesamtnorm 1 J

Kennwert Bildungsvorschrift

K

J

G

Bemerkung

n

G

= n ⋅ max ji , k

Z

= max ¦ j i ,k

größte Teilübersetzung

i , k =1

1 J

M

−1 G

1 J

−1

⋅ J

G

Ü G

Zeilensummennorm 1 J

n

K

J

Z

i =1

n

größte Gesamtübersetzung

k =1

1 J

M

−1 Z

1 J

−1 Z

⋅ J

Ü Z

Euklidische Norm E J

E

E

K M Ü ji, k

E

M

−1

E

E J

J

E

E J

K

−1 E

2 E

⋅ J

Ü E

Kraftübertragungsgüte Manipulierbarkeit Übertragungsgüte Elemente der Jacobimatrix

=

n

n

¦¦ j i =1 k =1

2 i ,k

mittlere Übersetzung und Optimierung im quadratischen Mittel über einen kugelförmigen Kraft- und Geschwindigkeitsraum

2.5 Optimierung

61

Die zur Manipulierbarkeit gegenteilige Eigenschaft ist die Kraftübertragungsgüte. Daher haben Mechanismen mit großer Kraftübertragungsgüte, verglichen mit den Antriebskräften, große Abtriebskräfte. Hier äußern sich diese Verhältnisse in betragsmäßig großen Elementen der inversen Jacobimatrix. Praktisch sinnvolle Mechanismen müssen beide Eigenschaften aufweisen. Weder die Manipulierbarkeit noch die Kraftübertragungsgüte ist als alleinige Zielfunktion für das Optimierungsproblem ausreichend. Allerdings haben Mechanismen hoher Übertragungsgüte gleichzeitig sowohl eine hohe Kraftübertragungsgüte als auch eine hohe Manipulierbarkeit, weswegen diese Eigenschaft sich besonders zur Optimierung eignet. 2.5.2 Arbeitsraumbeschreibung

Der Arbeitsraum wird mathematisch als Menge X = {x} der zulässigen Arbeitsvektoren beschrieben, wobei seine Dimension vom Getriebefreiheitsgrad des entsprechenden Mechanismus abhängig ist. Bekanntermaßen lassen sich alle möglichen Bewegungen im Raum in jeweils drei translatorische und drei rotatorische Elementarbewegungen zerlegen. Für die an eine parallelkinematische Maschine gestellten Anforderungen werden Mechanismen benötigt, deren Arbeitsräume sich mittels bestimmter Kombinationen einzelner Elementarbewegungen beschreiben lassen. Wenn man dabei aus der Arbeitsaufgabe eine ihr optimal entsprechende Maschinenstruktur ableiten will, müssen die möglichen Elementarbewegungskombinationen näher betrachtet werden. Von diesen gibt es 63, die auf 19 unterschiedliche Varianten zurückgeführt werden können, da beispielsweise eine Bewegung in X-Richtung und eine in Y-Richtung kinematisch gleichbedeutend sind. Ein Unterschied in der mathematischen Beschreibung resultiert aus der Lage des Koordinatensystems. In Abb. 2.20. werden die möglichen Elementarbewegungskombinationen gezeigt, wobei kinematisch gleichbedeutende durch Linien verknüpft sind. Außerdem ist der Arbeitsraum für einige solcher Kombinationen beispielhaft skizziert. Ein wichtiger Unterschied besteht darin, ob die in der jeweiligen Kombination enthaltenen Elementarbewegungen nur dominierenden Charakter haben, oder sich die entsprechende Kombination nur aus den enthaltenen Elementarbewegungen zusammensetzen darf. Die ungleich schärfere Bedingung ist dabei die Letztgenannte.

62

2 Strukturkonzeption 0

0 X Y

4

X

Y

Z XY XZ YZ XYZ

1

2

5

7

3

8

1

2

3

4

5

6

9

10

15

9

6

Z XY

10 11

12 13 14

15

16 17

18

19

XZ YZ XYZ

Abb. 2.20. Mögliche Bewegungskombinationen in Anlehnung an [52] X, Y, Z Translation, ϕX, ϕY, ϕZ Rotation

Eine Strukturauswahl bei räumlichen Mechanismen, die häufig bis zu 20 Glieder und 18 Gelenke enthalten können, ist analytisch kaum möglich. Daher ist es selbst für den sehr erfahrenen Konstrukteur eine nahezu unlösbare Aufgabe, die Maschinenstruktur zu finden, die am besten den arbeitsaufgabenseitigen Anforderungen entsprechen würde. Aus dem Dargelegten können folgende Schlussfolgerungen für die prinzipiellen Eigenschaften eines parallelkinematischen Mechanismus gezogen werden: • Die Steifigkeit hängt wesentlich von der gewählten Struktur ab, die nur zug- bzw. druckbelastete Bauteile enthalten soll. • Die Manipulierbarkeit hängt wesentlich von den zweckmäßig gewählten kinematischen Abmessungen ab. 2.5.3 Einkriterielle Optimierung

Im ersten Schritt einer Getriebesynthese wird durch Auswerten der Bedingung nach Gl. (2.41) eine isotrope Mechanismuskonfiguration bestimmt. Danach wird die Optimierungsaufgabe nach Gl. (2.42) erneut gelöst. Dabei geht man von einem Punkt der isotropen Konfiguration aus und vergrößert systematisch den Arbeitsraum. Startpunkt der aktuellen Optimierungsaufgabe ist immer das Ergebnis der vorangegangenen. Auf diese Art und Weise können für einen beliebigen Arbeitsraum die optimalen kinematischen Getriebeabmessungen gefunden werden. Bezüglich der Optimierungsverfahren kann festgestellt werden, dass sich beispielsweise ableitungsfreie Verfahren der deterministischen Suche, wie sie ausführlich u. a. in [114] dargestellt werden, gut eignen.

2.5 Optimierung

63

Für die bereits auf S. 39 - 43 analytisch beschriebene Struktur des TRICEPT soll nun das Vorgehen beim Finden der optimalen kinematischen Abmessungen gezeigt werden. Da bei der folgenden Optimierung der kinematischen Abmessungen der Struktur die Euklidische Norm zur Definition der Übertragungsgüte, beschrieben durch Gl. (2.40), verwendet wird, gilt auch die Isotropiebedingung nach Gl. (2.41). Wegen der Struktursymmetrie gelten nunmehr für die isotrope Stellung die Beziehungen Į = ȕ = 0 und q1 = q2 = q3, woraus sich mit T

§ § r ⋅ cos ki · § R ⋅ cos ki · · § § r ⋅ cos ki · § R ⋅ cos ki · · ¨¨ ¸ ¨ ¸¸ ¨¨ ¸ ¨ ¸¸ L i = qi = ¨ ¨ r ⋅ sin ki ¸ − ¨ R ⋅ sin ki ¸ ¸ ⋅ ¨ ¨ r ⋅ sin ki ¸ − ¨ R ⋅ sin ki ¸ ¸ (2.43) ¨¨ h ¸ ¨ ¸¸ ¨¨ h ¸ ¨ ¸¸ 0 0 ¹ © ¹¹ ©© ¹ © ¹¹ ©© (ki siehe Gl. (2.15)) folgende inverse Jacobimatrix ergibt: ª h ⋅ R ⋅ sin k1 « q « h ⋅ R ⋅ sin k 2 J −1 = « « q « h ⋅ R ⋅ sin k 3 « q «¬

− h ⋅ R ⋅ cos k1 q − h ⋅ R ⋅ cos k 2 q − h ⋅ R ⋅ cos k3 q

hº q »» h» q» h» » q »¼

(2.44)

Um die Abtriebsparameter auf gleiche Dimensionen zurückführen zu können, wurde als Wichtungsmatrix W = diag (i,1,1) gewählt. Nach dem Einsetzen dieser Wichtungsmatrix in die Isotropiebedingung gemäß Gl. (2.41) erhält man zunächst ª3 2 2 1 « 2 ⋅ h ⋅ R ⋅ i2 1 « « q2 « « «¬

3 2 2 1 ⋅h ⋅R ⋅ 2 2 i

º » » » =σ 2 ⋅E , » 3 ⋅ h2 » »¼

(2.45)

und daraus schließlich

i=

R . 2

(2.46)

Abb. 2.21. veranschaulicht das Vorgehen bei der Suche nach den optimalen kinematischen Abmessungen des betrachteten Mechanismus. Als

64

2 Strukturkonzeption

Bezugsgröße für die Optimierung wurde h = 1 festgelegt; für den Wich1 tungsparameter i = wurde i = 0,2 gewählt. So konnten Meh2 + i 2 chanismen gefunden werden, bei denen der Arbeitsraum näher am Koordinatenursprung liegt und die sich somit auch durch einen kleineren Bewegungsraum auszeichnen. Im Folgenden werden solche Auswirkungen auf den Mechanismus kurz diskutiert, die sich aus bestimmten Anforderungen an den Arbeitsraum ergeben können: • Arbeitsplattformradius: Der Arbeitsplattformradius soll mit r = 0,2 LE angenommen werden, was aus konstruktiver Sicht plausibel ist. Daraus folgt z. B., dass sich die Übertragungsgüte der behandelten Struktur nur in geringem Maße ändert. • Arbeitsraumhöhe: Die Höhe des Arbeitsraums soll möglichst groß sein. Daraus folgt, dass die Abtriebskoordinate h stärker gewichtet werden muss. Aus dem Genannten ergeben sich bei i = 0,5 für den Mechanismus in isotroper Stellung folgende optimale Abmessungen für den Gestellradius R, den Arbeitsplattformradius r und die Arbeitsraumhöhe h: 1 2 LE 2

R=

h = 1 LE

r = 0 (praktisch: r = 0,2 LE)

a

0,55

0,35

1,2 0,65 0,85

0,8

0,7 0,8

0,9

0,4

0,5 0,4 0,6

0,75

0,45

0,95

0 0

30

60

90

120

Schwenkwinkel β0 in °

150

b

optimale Größe von R 1,6 1,15

1,2

1,2

1,25 1,3

0,8

1,35 1,4

0,4

1,45

0 0

30

60

90

120

Schwenkwinkel β0 in °

150

Arbeitsraumhöhe h in LE

maximale Übertragungsgüte 1,6

Arbeitsraumhöhe h in LE

Arbeitsraumhöhe h in LE

Diese in Abb. 2.22. schematisch dargestellten Abmessungen entsprechen weitgehend denen des hier bereits behandelten TRICEPT, Abb. 2.23. optimale Größe von r 1,6 1,2

0,25 0,2

0,8

0,15

0,1 0,05

0,4 0 0

30

60

90

120

150

Schwenkwinkel β0 in °

c

Abb. 2.21. Optimale kinematische Abmessungen einer räumlichen symmetrischen Parallelkinematik mit längenveränderlichen Streben (vgl. dazu auch S. 39-43) in Abhängigkeit von der Größe des Arbeitsraums a: beste Übertragungsgüte b: optimaler Gestellradius R für h = 1 c: optimaler Arbeitsplattformradius für h = 1

2.5 Optimierung r

65

Pi

h

R = 2 .h Qi

Abb. 2.22. Schema der Abmessungen der räumlichen symmetrischen Parallelkinematik mit längenveränderlichen Streben (vgl. dazu auch S. 39-43) in isotroper Konfiguration

Abb. 2.23. TRICEPT [99]

Lässt man die passive Führungskette unberücksichtigt, so entspricht der hier besprochene Mechanismus einer parallelkinematischen Grundstruktur, deren kinematisches Schema in Tabelle 2.3. dargestellt ist. Es handelt sich also um eine Grundstruktur mit F = 3 und FK = 4, wobei die Gelenke auf die vier Führungsketten nach dem Schema drei – sechs – sechs – sechs verteilt sind. Entsprechend des auf S. 19 vorgeschlagenen Bezeichnungsmodus für parallelkinematische Grundstrukturen ist die dargestellte Maschine eine „Räumliche Parallelkinematik mit dem Freiheitsgrad Drei, der Anzahl der Führungsketten Vier und der Struktur DDS, DDSD3“. Betrachtet man die Führungsketten – beim Gestell beginnend – näher, so hat die nicht angetriebene Führungskette ein Kardan- und ein Schubgelenk, die drei angetriebenen jeweils ein Kardan-, ein Schub- und ein Kugelgelenk, wobei das Schubgelenk den Antrieb mit dem Freiheitsgrad Eins darstellt.

66

2 Strukturkonzeption

2.5.4 Mehrkriterielle Optimierung

Basis für die Betrachtungen zur mehrkriteriellen Optimierung sind zwei wesentliche, insbesondere für Parallelkinematiken zutreffende Feststellungen: 1. Bereits das mathematische Modell zur Beschreibung der Kinematik enthält eine Vielzahl von Parametern (das kinematische Modell eines Hexapoden wird im Allgemeinen durch 42 Parameter beschrieben). 2. Für ein wirklich anwendungspezifisches Design ist eine große Anzahl von z. T. widersprüchlichen Kriterien (z. B. Arbeitsraum, Steifigkeit, Fehlerübertragung, Singularitäten...) maßgebend. Unter diesen Bedingungen sind der Lösungsraum kaum überschaubar und die Wirkung einzelner Parameter auf die Kriterien und deren evtl. Kopplung schwer zu quantifizieren. Diese sind damit auch nicht über eine a priori-Wichtung zu reduzieren. Eine unter diesen Bedingungen notwendige Kompromissfindung wird als mehrkriterielle oder Polyoptimierung bezeichnet [102, 103, 163, 147]. Das Ergebnis dieses Prozesses ist die Pareto-Front eines Lösungsraumes, auf der alle die Lösungen liegen, bei denen ein Kriterium nur auf Kosten eines anderen Kriteriums verbessert werden kann, s. Abb. 2.24. Zunächst müssen alle diese Lösungen als gleichwertig betrachtet werden, und die Aufgabe der Polyoptimierung ist beendet. Die weitere Bewertung entzieht sich einer mathematischen Beschreibung, so dass der Ingenieur mit seiner fachlichen Erfahrung und subjektiven Einschätzung eine Lösung auswählen muss. Eine Hilfestellung in diesem Auswahlprozess durch Wichtungsfaktoren führt bei stark widersprüchlichen Kriterien durch die überproportionale Berücksichtigung der Extremwerte einzelner Kriterien nicht zu einer ausgewogen Kompromissfindung.

Kriterium 2

Pareto-Front (Maximierung)

Lösungsraum

Kriterium 1

Abb. 2.24. Pareto-Front

2.5 Optimierung

67

Der Hauptnachteil einer Polyoptimierung von Parallelkinematiken liegt somit in einer großen Lösungsmenge. Der Vorteil liegt dagegen darin, dass das notwendige aktive Auseinandersetzen mit den Ergebnissen erfahrungsgemäß der Arbeitsweise des Ingenieurs entgegenkommt und teilweise auch ökonomischen Überlegungen, z. B. bei der Auswahl der Komponenten (Gelenke, Streben), Raum bietet. Für die Polyoptimierung an sich existiert eine Vielzahl von Algorithmen [u. a. 103, 147], die jedoch für den konkreten Anwendungsfall Parallelkinematik mehr oder weniger große Einschränkungen aufweisen. Üblicherweise agieren die Algorithmen derart, dass von einem Startwert ausgehend ein Kriterienpunkt berechnet wird. Dann erfolgt eine geringfügige Änderung der Eingangsparameter, und weitere Kriterienwerte werden berechnet. In Richtung der stärksten Verbesserung erfolgen eine größere Parameteränderung und nachfolgend eine Überprüfung der Umgebung. Diese Optimierungsroutinen werden als Gradientenverfahren bezeichnet, da in Richtung des stärksten Gradienten des Kriterienwertes vorangeschritten wird. Es sind deterministische Verfahren, da der nächste Schritt immer die Folge des vorhergehenden ist. Problematisch ist die Anwendung dieser Verfahren für Fragestellungen mit einer Vielzahl lokaler Extremstellen. Dort ist unklar, ob sich die Lösung in einem lokalen Extremwert gefangen hat. Die Sicherheit, einen globalen Extremwert zu finden, erhöht sich, wenn auch bei sehr unterschiedlichen Startwerten der gleiche Extremwert als Lösung entsteht. Sollen mit diesem Verfahren verschiedene Kriterien berücksichtigt werden, wird häufig eine Substitutionsfunktion genutzt. Man fasst die Kriterien über Wichtungsfaktoren zu einer Substitutionszahl zusammen. Allerdings wird dabei möglicherweise das Optimierungsergebnis vorweggenommen bzw. der Optimierung bereits ein eindeutiger Trend gegeben. Wenn das Optimierungsergebnis trotzdem nicht befriedigend erscheint, werden die Wichtungsfaktoren variiert und damit eine innere Optimierung angestoßen. Somit sind diese Verfahren mit einem erheblichen Risiko behaftet, da diese innere Optimierung der Wichtungsfaktoren nur der „Unzufriedenheit“ mit der eigentlichen Polyoptimierung folgt. Näheres zu diesen Verfahren ist in [102] und [147] zu finden. Außer dem Gradientenverfahren ist eine Vielzahl weiterer Verfahren zur Polyoptimierung bekannt. Eine Eignungsbewertung für Parallelkinematiken ist in [71] zu finden. Dort wird auch eine Lösung zur Anwendung eines genetischen Algorithmus für die Optimierung von Parallelkinematiken vorgeschlagen und an mehreren Beispielen demonstriert. Sie vermeidet den Nachteil konventioneller Optimierungsverfahren, nämlich dass für mehrkriterielle Probleme bereits während der Optimierung eine Bewertung der einzelnen Kriterien zueinander stattfindet. Die prinzipielle Idee, die

68

2 Strukturkonzeption

sich hinter den genetischen Algorithmen verbirgt, ist die Orientierung an den natürlichen Prozessen der Evolution. Durch die genetische Vererbung werden Eigenschaften zweier Elternindividuen in unterschiedlichem Maße an die Kinder weitergegeben. Entsprechend des Eigenschaftsprofils eines Individuums findet eine Selektion statt. Letztlich handelt es sich um einen Optimierungsprozess, der im Laufe der Evolution zu Individuen führt, die immer besser an ihren Lebensraum angepasst sind. Der Ablauf des in [89] verwendeten genetischen Algorithmus ist in Abb. 2.25. dargestellt. Der Optimierungsprozess beginnt mit der Initialisierung einer zufälligen Startpopulation. Danach wird eine bestimmte Anzahl von Individuen miteinander im Programmpunkt Crossover gekreuzt. Beim Crossover werden die Parameter zweier Elternindividuen (1) (1) (1) ( 2) ( 2) ( 2) E = (e1 ,..., en ) und E = (e1 ,..., en ) miteinander z. B. nach folgender Vorschrift verknüpft:

ki(1) = 0,5 ⋅ ei(1) + 0,5 ⋅ ei( 2 )

(2.47)

ki( 2) = 1,5 ⋅ ei(1) − 0,5 ⋅ ei( 2) ki(3) = −0,5 ⋅ ei(1) + 1,5 ⋅ ei( 2) Dabei entstehen drei Kinder K(1), K(2) und K(3), deren Parameter sowohl zwischen als auch neben denen der Elternindividuen liegen, s. Abb. 2.26. Damit wird erreicht, dass einerseits gute Lösungen weiterentwickelt werden und andererseits der Lösungsraum gründlich durchsucht wird. Im dritten Schritt wird eine bestimmt Anzahl von Individuen mutiert. Die Mutation erfolgt, indem ein zufällig gewählter Parameter durch einen beliebigen Wert aus dem Gültigkeitsbereich dieses Parameters ersetzt wird. Anschließend werden alle Individuen bewertet und die, die auf der Pareto-Front liegen, werden in einer Sekundärpopulation gespeichert. Diese Sekundärpopulation dient dem Erhalt des besten genetischen Materials während der Optimierung. Die Sekundärpopulation hat, wie die Primärpopulation auch, eine feste Anzahl von Individuen, die vor Beginn der Optimierung festgelegt wird. Mit Hilfe der Clusterung werden überzählige Individuen aus der Sekundärpopulation entfernt. Anschließend selektiert man aus der Primär- und der Sekundärpopulation in einem bestimmten Verhältnis Individuen für den nächsten Iterationsschritt. Mit dieser neuen Primärpopulation wird wieder eine neue Generation über Kreuzung und Mutation erzeugt. Die Ergebnisse der Anwendung dieses Verfahrens bei der Entwicklung einer technologieangepassten Hexapod-Struktur für das Freiformbiegen von Profilen werden im Kap. 7.1 dargestellt.

2.5 Optimierung

Start

Startpopulation generieren

Crossover

Mutation

nein

Bewertung

Speicherung pareto-optimaler Lösungen

Selektion

Clusterung

Abbruch? ja Auswertung

Stop

Abb. 2.25. Ablauf des genetischen Algorithmus ei

ei

(1)

(2)

2 Eltern

3 Kinder ki

(1)

Abb. 2.26. Crossover

ki

(2)

ki

(3)

69

3 Steuerungskonzeption

3.1 Anforderungen Parallelkinematische Strukturen stellen grundlegend erweiterte Anforderungen an die Steuerungstechnik, mit der wie gewöhnlich Sollwertfolgen für kartesische Relativbewegungen im Raum bzw. zwischen Werkzeug und Werkstück erzeugt werden sollen. Die Bewegungstrajektorien sind dabei auf Steuerungsseite weiterhin punktweise durch den allgemeinen Lagevektor

X = ( X , Y , Z , Į, ȕ , Ȗ) T

(3.1)

des Arbeitsplattformkoordinatensystems im räumlich festen Weltkoordinatensystem2 des Gestells beschrieben und gleichbedeutend mit den im vorhergehenden Kapitel betrachteten Abtriebskoordinaten. Hierbei stellen X, Y, Z in Gl. (3.1) die Position im rechtwinkligen Koordinatensystem dar, die Winkel Į, ȕ und Ȗ beschreiben die Schwenkwinkel. Die Interpretation der Winkelkoordinaten bedarf jedoch einer Konvention, auf die im nachfolgenden Abschnitt eingegangen wird. Die steuerungsseitige Besonderheit einer parallelkinematischen Maschine liegt darin, dass nicht mehr jeder der Bearbeitungsachsen im NCProgramm eine unabhängige Antriebsachse der Maschine zugeordnet werden kann, sondern prinzipiell an jeder programmierten Bewegung der Arbeitsplattform alle Achsen beteiligt sind. Dies ist jedoch keine spezifische Eigenschaft paralleler Kinematiken, sondern gilt ebenso auch für solche seriellen Kinematiken, die nicht mit einer entsprechenden Anordnung aktiver Schub- und Drehgelenke das Koordinatensystem des NC-Programms konventionsgerecht nachbilden (z. B. Gelenkarmroboter). Die Anforderungen an die Steuerungstechnik für den Umgang mit derartigen Strukturen umfassen die folgenden Aufgabenfelder:

2

Das Weltkoordinatensystem steht synonym für das System aus Maschinen- und Werkstückkoordinaten, deren Unterscheidung zur Standardfunktionalität einer CNC-Steuerung zählt.

72

3 Steuerungskonzeption

• Dem Bediener soll sich die parallelkinematische Maschine in der Programmierung und Einrichtung wie eine serielle Maschine darstellen, die in Weltkoordinaten, aber auch in den Antriebsachsen sicher eingerichtet werden kann. • Alle für den Betrieb der parallelkinematischen Maschine erforderlichen Zusatzfunktionen werden umgesetzt, implementiert und transparent bedienbar gemacht. • Die Potentiale des parallelkinematischen Bewegungssystems werden optimal ausgenutzt.

Die zentrale Rolle spielt die steuerungsseitige Abbildung einer Koordinatentransformation, welche die Beziehung zwischen den Abtriebskoordinaten im Weltkoordinatensystem und den Antriebskoordinaten der beliebig angeordneten aktiven Achsen repräsentiert. Der Vektor Q kann hierbei sowohl die Stellwege der Schubgelenke als auch die Stellwinkel der Drehgelenke enthalten. Bei Robotersteuerungen stellt die Koordinatentransformation eine zentrale und gut beherrschte Aufgabe dar, die sich an parallelkinematische Maschinen gut anpassen ließe. Da diese Steuerungen jedoch nicht über grundlegende CNC-Funktionen verfügen, stellen sie keine Alternative zu verfügbaren CNC-Steuerungen dar. Für die Integration der Transformationsfunktionen bieten sich in NCSteuerungen verschiedene Verarbeitungsebenen an, was in Abb. 3.1. verdeutlicht wird. Variante 1

Variante 2

Variante 3

Variante 4

3D-CAD/CAM

3D-CAD/CAM

3D-CAD/CAM

3D-CAD/CAM

CNC Satzaufbereitung

CNC Satzaufbereitung

Interpolation

CNC Satzaufbereitung Transformation Interpolation

Interpolation Transformation

Interpolation

Lageregelung

Lageregelung

Lageregelung

Transformation CNC Satzaufbereitung

Transformation Lageregelung

Abb. 3.1. Varianten der Transformationsintegration

Es lassen sich vier grundlegende Varianten unterscheiden: Variante 1: Dem CAM-System und der unmodifizierten Steuerung wird ein Verarbeitungsprogramm zwischengeschaltet, das die Weltkoordinaten der einzelnen NC-Sätze in entsprechende Antriebskoordinaten transfor-

3.1 Anforderungen

73

miert. Hierdurch kann eine parallelkinematische Maschine an einer unveränderten NC-Steuerung betrieben werden. Es fehlen jedoch die Möglichkeiten zur Kollisionsüberwachung, zur Werkzeug- und Werkstückeinrichtung sowie zum Handbetrieb innerhalb der Weltkoordinaten, was den bereits angesprochenen grundlegenden Anforderungen kaum gerecht wird. Außerdem ist die prinzipielle Einschränkung zu berücksichtigen, dass mit großen räumlichen Abständen programmierte Linearbewegungen nun in den Antriebskoordinaten linear interpoliert werden, wodurch zwangsläufig keine linearen Bewegungen im Arbeitsraum abgebildet werden. Varianten 2 und 3: Diese Varianten integrieren den Transformationsschritt in die Verarbeitungskette innerhalb der NC-Steuerung. Hierdurch ergibt sich die Möglichkeit, die Maschine in Antriebskoordinaten zu betreiben und gleichzeitig in gewohnter Weise in Weltkoordinaten zu programmieren und einzurichten. Die Koordinatentransformation ist hierbei als Element der Satzvorbereitung vor der Trajektorieninterpolation möglich, was aber die gleichen Einschränkungen wie bei einem Vorverarbeitungsprogramm beinhaltet. Nur eine Transformation entsprechend Variante 3 im Interpolatortakt erzeugt exakt die programmierten Bewegungen, jedoch u. U. mit leicht unharmonischen Schrittweiten. Variante 4: Bei dieser Variante wird die Transformation in miteinander gekoppelte Lageregelkreise verlagert und findet somit wiederum außerhalb der Steuerung statt. Dies realisiert das aus der Robotik stammende anspruchsvolle Konzept der Arbeitsraumregelung (operational space control), auf das in Kap. 3.3 nochmals eingegangen wird, da es nur unter bestimmten Voraussetzungen vorteilhaft einsetzbar ist. Prinzipiell liegen aber der NC-Steuerung in dieser Variante keine Daten bezüglich der tatsächlichen dynamischen Beanspruchung der Antriebe vor, wodurch sich wichtige Teile der CNC-Funktion, wie sie in Kap. 3.2. beschrieben werden, nicht zweckmäßig verwenden lassen. In Tabelle 3.1. werden anhand wichtiger CNC-Funktionen die verschiedenen Lösungsvarianten aus Abb. 3.1. nochmals vergleichend zusammengefasst. Wie dieser Vergleich zeigt, ist die Integration der Koordinatentransformation in die Steuerung in der Regel die zweckmäßigste Methode. Variante 1 ist nur für Sonderfälle mit stark eingeschränkten Anforderungen interessant, wobei ein Teil der NC-Funktion u. U. im Vorverarbeitungsprogramm extern realisiert werden kann. Variante 4 erscheint nur angebracht, wenn eine Arbeitsraumregelung unverzichtbar ist (z. B. Erzeugung definierter Kontaktkräfte). Es sollte somit eine Integration der Transformation in die NC-Steuerung angestrebt werden, wobei für diese z. T. erheblichen Eingriffe die Offenheit der Steuerungsarchitektur Voraussetzung ist.

74

3 Steuerungskonzeption

Tabelle 3.1. Vergleich der Realisierungsvarianten von Steuerungen parallelkinematischer Maschinen NC-Funktion Handbetrieb in Antriebskoordinaten Handbetrieb in Weltkoordinaten Kartesische Einrichtung, Tool Length Compensation (TLC), Rotation of Tool Center Point (RTCP) Exakte Abbildung von Linearbewegungen Kartesische Arbeitsraumüberwachung Antriebswegüberwachung Kollisions-, Erreichbarkeitsüberwachung Look-Ahead für Antriebsdynamik Einhaltung eines definierten Vorschubs Vermeidung unwirksamer Bewegungen Konstanter Punktabstand auf Trajektorie Einbindung eines kartesischen Messsystems Arbeitsraumregelung * Bei Rücktransformation in Antriebskoordinaten.

Variante 1 2 ja ja nein ja

3 ja ja

4 nein ja

nein

ja

ja

ja

nein extern ja extern nein nein ja ja nein nein

nein ja ja ja ja mögl. ja ja nein nein

ja ja ja ja ja ja ja nein ja* nein

ja ja nein nein nein ja nein nein ja ja

Auf die Koordinatentransformationen wird im Weiteren näher eingegangen. Die anzupassenden bzw. zu ergänzenden Funktionen können dabei lediglich umrissen werden; Aspekte der Programmierung und Implementierung würden den gegebenen Rahmen sprengen.

3.2 Basisfunktionen 3.2.1 Allgemeines

In Tabelle 3.1. wurden bereits zentrale CNC-Funktionen aufgelistet, die durch die Verwendung parallelkinematischer Strukturen beeinflusst werden. Hieraus lassen sich nachfolgend beschriebene Basisfunktionen ableiten, die für die Anpassung der NC-Steuerung erforderlich sind. Die Rückwärtstransformation wird während jeder durch die Steuerung erzeugten Bewegung zyklisch ausgeführt, um die steuerungsinterne Lagebeschreibung in entsprechende Antriebskoordinaten umzuwandeln. Die Ausführung der Vorwärtstransformationen ist nur vor Beginn einer (ersten) transformierten Bewegung notwendig, damit die steuerungsinterne kartesische Lagebeschreibung bei Bewegungsstart exakt mit der tatsächlichen Maschinenstellung korrespondiert. Während der Bewegung erfolgt ohnehin keine Überwachung der tatsächlichen Antriebspositionen durch die NC-Steuerung.

3.2 Basisfunktionen

75

Wie bei seriellen Kinematiken auch besteht die zentrale Aufgabe der NC-Bahnsteuerung in einer Trajektorienerzeugung, die der programmierten Bahngeschwindigkeit optimal folgt, ohne gegebene technische Grenzen der Maschine zu verletzen. Für parallelkinematische Maschinen ist nun sowohl bei kinematischen als auch bei dynamischen Beschränkungen zwischen Grenzen der Maschine mit kartesischem Bezug und den hinzukommenden Grenzen der Achsen zu unterscheiden. Mit einer Look-AheadAnfrage-Position prüft die Steuerung die Erreichbarkeit von Positionen, die im weiteren NC-Programmverlauf anzufahren sind. Hierbei ist auf Basis einer vorgezogenen Vorwärtstransformation die Erreichbarkeit bevorstehender Maschinenlagen hinsichtlich der Kriterien zu überprüfen, die sich nicht bzw. nur unvorteilhaft als kartesische Abhängigkeit beschreiben lassen. Dies betrifft vor allem • • • •

die Endlagen der Antriebe, die Endlagen der Gelenke, Kollisionen innerhalb der parallelkinematischen Struktur und Bereiche des kinematisch erreichbaren Arbeitsraums, die aufgrund von lokalen Unsteifigkeiten, Singularitäten o. ä. nicht zulässig sind.

Von besonderer Bedeutung ist die Look-Ahead-Anfrage-Geschwindigkeit, mit der sich in einer bestimmten Lage die Bahngeschwindigkeit des TCP über die entsprechende Jacobimatrix in zugehörige Antriebsgeschwindigkeiten sowie die daraus ableitbaren Antriebsbeschleunigungen umrechnen und mit den Achsbegrenzungen vergleichen lässt. Nur über die zweckmäßige Umsetzung dieser Funktion lassen sich parallelkinematische Maschinen technologiegerecht steuern und deren Dynamikpotenziale voll ausschöpfen. Tool-Length-Compensation- und Rotation-of-Tool-Center-Point-Funktionen sind bei der Anwendung parallelkinematischer Koordinatentransformationen grundsätzlich integriert, da ohnehin stets auch die Winkellage der Arbeitsplattform berücksichtigt werden muss, wobei die Werkzeuglänge einen einstellbaren Parameter des kinematischen Modells darstellt. Es ergibt sich somit eine Reihe von Basisfunktionen, die zweckmäßig zu realisieren und zu integrieren sind. Hierfür werden im Folgenden Lösungsansätze skizziert, die auf einer pragmatischen Herleitung der Kinematikbeziehungen basieren. Wird mit einfachen Mitteln keine analytische Lösung für die Vorwärts- oder Rückwärtstransformation gefunden, so ist das beschriebene Vorgehen nicht möglich. Für diese Fälle bietet sich das in Kap. 2.3.3 beschriebene Verfahren zur allgemeinen Berechnung von Kinematiken an. Hierin gibt es keine explizite Unterscheidung zwischen Vorwärts- und Rückwärtstransformation bzw. zwischen inversem und di-

76

3 Steuerungskonzeption

rektem kinematischen Problem. Man kann dieses allgemeine Verfahren somit für beide Richtungen der Koordinatentransformation verwenden, oder alternativ nur die im folgenden Abschnitt beschriebene analytische Rückwärtstransformation damit ersetzen und dann für eine numerische Invertierung nutzen. 3.2.2 Rückwärtstransformation: Inverses Kinematisches Problem

Wie bereits erläutert, stellt die Rückwärtstransformation die Lösung des inversen kinematischen Problems dar. Ausgehend von einer gewünschten Position des TCP bzw. der entsprechenden Lage der beweglichen Arbeitsplattform sind die dafür erforderlichen Positionen der angetriebenen Achsen zu berechnen:

Q = f RT ( X) .

(3.2)

Hierbei lassen sich für eine Reihe von parallelkinematischen Strukturen über geometrische Betrachtungen der einzelnen Führungsketten, wie z. B. den euklidischen Abstand oder den Bogenschlag, recht einfache analytische Lösungen finden. Für parallele Grundstrukturen mit dem Freiheitsgrad Sechs (Hexapoden) ergeben sich beispielsweise die erforderlichen Stellungen der längenveränderlichen Streben direkt aus den euklidischen Abständen zwischen dem paarweise zugehörigen festen Gelenkpunkt am Gestell Ri und dem beweglichen Gelenkpunkt an der Arbeitsplattform Pi. Für beide Gelenke, das Kardan- bzw. das Kugelgelenk, wird hierbei ideales Verhalten mit sich schneidenden Drehachsen unterstellt, so dass von einem fixen Drehpunkt ausgegangen werden kann, der jeweils bekannt ist. & & L i = R i − Pi (3.3) Zur Durchführung dieser Berechnung ist lediglich die räumliche Bestimmung der Arbeitsplattformgelenkpunkte im Weltkoordinatensystem erforderlich, indem sie aus ihrer bekannten Relativposition in einem zweiten Koordinatensystem in die geforderte Pose P0 um den TCP gedreht und verschoben werden. Pi = D ⋅ P i + P 0

i = 1,..., 3 (3.4)

Für die Beschreibung und Durchführung einer Rotation D muss stets eine Winkelkonvention zugrunde gelegt werden, da jede Orientierung eines Körpers prinzipiell durch drei aufeinander folgende Elementardrehungen erreicht wird, indem man jeweils die Drehachse ändert. Üblich ist die Be-

3.2 Basisfunktionen

77

schreibung einer Rotation mit festgelegter Reihenfolge durch die Kardanoder durch Euler-Winkel3. Für die Kardan-Winkel, nämlich Ȧ, ș und ij, gilt die Reihenfolge X − Y ′ − Z ′′ , d. h., nach einer Drehung um die X-Achse folgt die Drehung ș um die neue Y-Achse und schließlich die Drehung ij um die wiederum neue Z-Achse. Sinngemäß ist die Reihenfolge der EulerWinkel γ, α und β, mit Z − X ′ − Z ′′ definiert. Die Euler-Winkel sind deutlich anschaulicher als die Kardan-Winkel und werden deshalb bevorzugt zur Programmierung fünfachsiger Maschinen verwendet, die üblicherweise durch die Drehachsen (A, B, C) erfolgt. Hierbei kann dem Winkel Ȗ die C-Achse und dem Winkel Į je nach Nulllage von C die Achse A (Drehung um X) bzw. B (Drehung um Y) zugeordnet werden, s. Abb. 3.2. Bei parallelkinematischen Maschinen mit dem Freiheitsgrad Sechs kann man dagegen die Achse B auch dem Winkel ȕ zuordnen. Außerdem ist bei solchen Strukturen eine potentiell unbeschränkte Drehung des Winkels Ȗ nur dann möglich, wenn gleichzeitig eine Kompensation dieser Verdrehung im Euler-Winkel ȕ erfolgt. Dies lässt sich erreichen, indem man modifizierte Euler-Winkel (Ȗ, Į, ȕ-Ȗ) vereinbart, was in Abb. 3.2. c dargestellt ist. Leider haben die anschaulichen Euler-Winkel den großen Nachteil gegenüber Kardan-Winkeln, dass nur letztere im für parallelkinematische Maschinen zu betrachtenden Arbeitsraum eineindeutig sind. Demgegenüber beinhalten Euler-Winkel eine formale Singularität bei Į = 0, da hier Ȗ unbestimmt ist. Z' Z

Z'', Z''' ϕ

θ ω

Z'', Z'''

Z, Z' α

ϕ

β

Y'''

Z'', Z'''

γ γ,β

Y'''

Y', Y'' Y

X, X'

a

X''

α γ β

X'''

X

b

X', X''

C C, B-C

B-C

Y''

θ ω ϕ

Z, Z' A

Y'

A

Y

X'''

Y

X

c

Abb. 3.2. Winkelkonvention bei einer Koordinatensystemrotation a: Kardan-Winkel b: Euler-Winkel c: Modifizierte Euler-Winkel

3

im Unterschied zu anderen Euler-Winkeln auch als ZXZ-Eulerwinkel bezeichnet

78

3 Steuerungskonzeption

Für eine Elementardrehung D wird das nachfolgende Koordinatensystem durch eine 3 x 3-Matrix abgebildet, deren Hauptdiagonale an der Stelle eine Eins aufweist, um deren Achse die Drehung definiert wurde. D (XR )

D Y( R )

D (ZR )

0 §1 ¨ = ¨ 0 cos α ¨ 0 − sin α ©

0 · ¸ sin α ¸ cos α ¸¹

§ cos β 0 − sin β · ¨ ¸ =¨ 0 1 0 ¸ ¨ sin β 0 cos β ¸ © ¹ § cos γ sin γ 0 · ¨ ¸ = ¨ − sin γ cos γ 0 ¸ ¨ 0 0 1 ¸¹ ©

(3.5)

Da sowohl Kardan- als auch Euler-Winkel jeweils um die neuen WiAchsennkel definiert sind, ergeben sich beide Gesamtdrehungen aus dem absoluten in das relative Koordinatensystem jeweils als verkettete Multiplikation von links4: R) D(Kardan = D(ZR′′) ⋅ DY( R′ ) ⋅ D(XR ) R) D(Euler = D(ZR′′) ⋅ D(XR′) ⋅ D(ZR )

.

(3.6)

Die Drehmatrizen sind orthonormal. Damit ist die inverse Matrix gleich der transponierten, und die Drehungen aus dem relativen ins absolute Koordinatensystem ergeben sich zu

( ) = (D ) ⋅ (D ) ⋅ (D ) ) = (D ) ⋅ (D ) ⋅ (D ) = (D

R) DKardan = D(Kardan

DEuler

( R) T Euler

T

( R) T X

(R) T Z

( R) T Y′

(R) T X′

( R) T Z ′′

(R) T Z ′′

(3.7)

Aufbauend auf der Wahl einer Winkelkonvention und der damit verbundenen Drehmatrix liegt somit eine Beschreibung der Transformationen aus dem kartesischen Weltkoordinatensystem in das Koordinatensystem der Arbeitsplattform und zurück vor.

4

Beim Aufstellen und Verketten dieser Matrizen sollte man klar unterscheiden, ob es sich um die Drehung eines Koordinatensystems D(R) bzgl. eines anderen oder um die Drehung D eines Körpers (Punktes) im Raum handelt.

3.2 Basisfunktionen

79

3.2.3 Vorwärtstransformation: Direktes Kinematisches Problem

Die Vorwärtstransformation zur Berechnung von Weltkoordinaten aus den gegebenen Antriebspositionen – also das direkte kinematische Problem – ist nicht in jedem Interpolatortakt erforderlich, da die tatsächliche Antriebsposition während der Bewegung von der Steuerung nicht betrachtet wird. Es ist aber jeweils vor Beginn einer transformierten Bewegung eine Lagebeschreibung im Weltkoordinatensystem zu ermitteln, die exakt den Antriebskoordinaten entspricht, damit die berechnete Bewegungstrajektorie sprungfrei begonnen werden kann. Darüber hinaus spielt diese Transformation bei der Kalibrierung des kinematischen Modells eine entscheidende Rolle, was in Kap. 3.4 deutlich wird. Für Parallelkinematiken mit einem Freiheitsgrad größer Drei ist die Vorwärtstransformation X = f VT (Q)

(3.8)

in der Regel nicht mehr geschlossen analytisch lösbar. Auf Basis einer vorliegenden inversen Funktion Q = fRT(X) bietet sich jedoch hier eine numerische Lösung der entsprechenden Nullstellenaufgabe 0 = fRT(X) – Q = f(x) mittels Newton-Raphson-Verfahren an:

(

)

f ′( x) x ( k +1) − x ( k ) = − f (x)

(3.9)

Ausgehend von dem gegebenen Funktionswert Q = fRT(X*) für das gesuchte Argument X*wird hierbei für einen Startwert X(k) iterativ ein verbesserter Wert X(k+1) bestimmt. Das Newton-Raphson-Verfahren lautet hier in vektorieller Form

(

)

X ( k +1) = X ( k ) − J ( X ( k ) ) −1 ⋅ f ( X ( k ) ) − Q .

(3.10)

Der Wert fRT(X(k)) ergibt sich aus der Rückwärtstransformation am Startwert X(k). Anstelle der Division mit dem Gradienten f´(x) erscheint nun die inverse der Jacobimatrix JRT(X(k)), die alle partiellen Ableitungen der Sollwerttransformation, also der Antriebskoordinaten qi zu den Weltkoordinaten xj, am Startwert X(k) enthält: ­° ∂q ½° J RT ( X ( k ) ) = ® (ik ) ¾ . °¯ ∂x j °¿

(3.11)

Die Elemente dieser Matrix lassen sich gegebenenfalls analytisch bestimmen; ansonsten verwendet man auch hier zwei Rückwärtstransformationen zur Bildung eines Differenzenquotienten. Die erforderliche Matrixinvertie-

80

3 Steuerungskonzeption

rung macht es hierbei erforderlich, für die internen Berechnungen als Weltkoordinaten die stets eindeutigen Kardan-Winkel zu verwenden5. Dennoch ist im Gegensatz zur Rückwärtstransformation die Vorwärtstransformation nicht eindeutig, d. h. es existieren mehrere Stellungen mit gleichen Antriebskoordinaten. Demzufolge hängt die Konvergenz des Newton-Verfahrens zur gesuchten Lösung maßgeblich vom gewählten Startpunkt ab. In der Praxis ergibt sich aber hieraus nur für Einschaltvorgänge eine Problematik, da ein Startwert benötigt wird, der im gesamten erreichbaren Arbeitsraum zur richtigen Lösung konvergiert. Für alle anderen Fälle kann der jeweils letzte Vektor X als Startwert verwendet werden, da sich die Stellung der Maschine zwischen zwei Berechnungen nicht signifikant ändert. Dies gilt jedoch unter der Voraussetzung, dass stets ein ausreichender Abstand zu den u. U. vorliegenden Singularitäten einer Kinematik eingehalten wird. Durch einen solchen Abstand ist auch gewährleistet, dass sich der Fehler der berechneten Lösung mit jedem Iterationsschritt etwa auf ein Zehntel reduziert. Ein Abbruchkriterium mit der geforderten Endgenauigkeit begrenzt somit den Berechnungsaufwand je nach Startwert auf eine Dauer von etwa drei bis acht Zyklen. 3.2.4 Look-Ahead

Im Rahmen der Satzvorbereitung dient das zeitlich vor dem aktuell bearbeiteten NC-Satz laufende Look-Ahead als Standardfunktion jeder CNCSteuerung der Realisierung einer Bahnerzeugung, mit der die Forderungen des NC-Programms durch die Maschine statisch und dynamisch eingehalten werden können. Die statische Prüfung beinhaltet hierbei die Erreichbarkeit aller Maschinenpositionen, die auf der programmierten Trajektorie durchlaufen werden. Für parallelkinematische Mechanismen ist zunächst die programmierte Maschinenposition durch eine vorweggenommene Rückwärtstransformation in Antriebskoordinaten umzurechnen, damit sich die Endlagen der Antriebe überwachen lassen. Darüber hinaus erfordern auch einige der nicht angetriebenen Maschinenkomponenten eine Überwachung ihres Bewegungsbereichs, wie beispielsweise Grenzwinkel von Kardangelenken oder auch die Kollision von Streben untereinander. Zur maximalen Ausnutzung des verfügbaren Bewegungsumfangs ist es in der Regel zweckmäßig, die beschränkten Größen in jeder Look-Ahead-Anfrage individuell zu berechnen und mit den vorgegebenen Grenzen zu vergleichen. 5

Die Inverse dieser Matrix ist mit der Jacobimatrix in den vergangenen Kapiteln identisch.

3.2 Basisfunktionen

81

Für die dynamische Ausschöpfung des verfügbaren Achsvermögens im Rahmen des Look-Ahead ist es erforderlich, die sich aus dem Bearbeitungsprogramm ergebenden räumlichen Bahngeschwindigkeiten in entsprechende Achsgeschwindigkeiten umzusetzen. Dafür wird wiederum die inverse Jacobimatrix verwendet, da sich unmittelbar durch Einbeziehung der Zeit in deren Definition ∂Q ∂X = J −1 ∂t ∂t

(3.12)

eine Beziehung zwischen diesen Geschwindigkeiten ergibt. Hierbei ist man zunächst an die in der Satzprogrammierung angewendete Winkelkonvention (in der Regel Euler-Winkel) gebunden. Um die Verwendung der entsprechenden u. U. nicht invertierbaren Jacobimatrix zu vermeiden, wird jeweils eine interne Umrechnung aller Euler- in Kardan-Winkel erforderlich. Höhere Ableitungen der Antriebsbewegungen lassen sich prinzipiell auf Basis der Geschwindigkeiten numerisch bilden und führen bei Verwendung der transformierten Antriebsgeschwindigkeiten zu korrekten Ergebnissen, da die Jacobimatrix in erster Näherung zeitunabhängig ist ( J = ∂J / ∂t = 0 ). 3.2.5 Erweiterte Funktionen

Ergänzend zu den bereits beschriebenen Basisfunktionen lassen sich genauigkeitserhöhende Maßnahmen anwenden. Diese zielen in erster Linie auf die Kompensation von Verlagerungen aufgrund statischer und dynamischer Lasten. Hierbei bietet sich bei parallelkinematischen Strukturen neben den Standardfunktionen von NC-Steuerungen auf Basis einer gitterbasierten Fehlerkompensation auch die modellbasierte Bestimmung der Lasten in den kinematischen Ketten an, wobei man auf das Prinzip der virtuellen Arbeit zurückgreift. Da die einzelnen kinematischen Ketten nur wenige Freiheiten binden, kann ihre Belastungsreaktion deutlich einfacher abgeschätzt werden als dies bei seriellen Strukturen der Fall ist. Eine wirksame Kompensation bekannter Lasten, wie beispielsweise das Eigengewicht der bewegten Maschinenteile oder Prozesskräfte bis hin zu dynamischen Beschleunigungskräften, ist somit möglich, indem Nachgiebigkeiten relativ einfach berechenbar werden und sich deren Auswirkungen am TCP abschätzen und über die Antriebsachsen kompensieren lassen. Eine allgemeine Vorgehensweise besteht darin, das für die Koordinatentransformation verwendete Modell nachzuführen, indem dessen Parameter schritthaltend aktualisiert werden. Hieraus ergibt sich, dass auch thermi-

82

3 Steuerungskonzeption

sche Verlagerungen der Maschine, soweit sie sich auf eine Verschiebung in den kinematischen Modellparametern abbilden lassen, auf gleichartige Weise kompensierbar sind [36, 39]. Dieses steuerungsseitige Potenzial von parallelkinematischen Maschinen wurde jedoch erst in Ansätzen ausgeschöpft, so z. B. zur Kompensation der Längung bestimmter Getriebeglieder aufgrund des Spindelgewichts [126], und ist ein aktueller Forschungsgegenstand. Ein weiterer Aspekt der erforderlichen Steuerungsfunktion betrifft die Absicherung korrekter Maschinenbedienung in besonderen Situationen. Dies umfasst u. a. das Auslösen der Referenzierung von Achsen mit Relativmesssystemen in zulässigen Positionen oder auch eine Kollisionsfreifahrtunterstützung, die u. a. in [151] erwähnt wird. In diesen Situationen muss von einem nicht exakt zutreffenden kinematischen Modell ausgegangen werden. Eine geeignete Lösung besteht darin, dass die Steuerung dem Bediener die manuelle Bewegung in Welt- oder u. U. auch in Antriebskoordinaten innerhalb festzulegender Grenzen bzw. Richtungen gestattet. Hierfür müssen der Steuerung situationsunabhängig die erforderlichen Informationen zur Verfügung stehen. 3.2.6 Geeignete Steuerungsarchitekturen

Dem Trend der Werkzeugmaschinenentwicklung folgend, mit ihrer Kinematikstruktur von den Achskonventionen der NC-Programmierung in verschiedensten Lösungsvarianten abzuweichen, werden von einer zunehmenden Anzahl von Steuerungsfabrikaten Schnittstellen zur Koordinatentransformation bereitgestellt. Erste Lösungen bestanden hierbei in einer modularen Ergänzung mit Zusatzprozessoren, um auch dem erforderlichen Berechnungsaufwand gerecht zu werden [13, 42]. Unterstützt durch die Hinwendung zu PC-basierten, immer leistungsfähigeren Hardwarekomponenten sind mittlerweile auch reine Softwarelösungen problemlos zu realisieren. Hierfür müssen spezielle Schnittstellen vorgesehen sein [98]. Bezüglich nicht ausreichender parallelkinematikspezifischer Funktionen kann auch auf die bei vielen Fabrikaten verfügbaren offenen Programmierschnittstellen zurückgegriffen werden, wobei hierbei der Lizenz- und Einarbeitungsaufwand nicht zu unterschätzen ist. Konkrete Empfehlungen für spezifische Steuerungsfabrikate sollen an dieser Stelle nicht getroffen werden, da sich der technische Fortschritt hier derartig schnell vollzieht, dass ein gegebener Informationsstand bereits bei Drucklegung veraltet sein wird. Das folgende Kapitel beinhaltet jedoch eine Diskussion der allgemeinen Gerätestrukturierung.

3.3 Lagebestimmung und -regelung

83

3.3 Lagebestimmung und -regelung Im Rahmen der beschriebenen Funktionen zur Koordinatentransformation erfolgt die Lagebestimmung der Arbeitsplattform auf Basis der verfügbaren Positionsinformation aus den Antrieben. Die entsprechenden Messsysteme sind für die dezentrale Lageregelung der einzelnen Antriebe ohnehin erforderlich. Die Stellung längenveränderlicher Streben äußert sich hierbei im kinematischen Modell in geänderten Vektorlängen. Bei längenunveränderlichen Streben verschieben sich im kinematischen Modell die Vektorfußpunkte entlang der vorgegebenen Bewegungsrichtung der Antriebe. Die Berechnung der Vorwärtstransformation entsprechend Kap. 3.2. liefert die messtechnische Lagebestimmung der Arbeitsplattform in Weltkoordinaten. In den Antriebsachsen kommen die bekannten Messprinzipien und Messanordnungen zur Anwendung, die sich bereits in seriellen Maschinenstrukturen bewährt haben, wobei in Kap. 6.2 auf konstruktive Aspekte derartiger Lösungen gesondert eingegangen wird. Kennzeichnend ist dabei die kaskadierte Verwendung eines sehr antriebsnahen Positionssensors (Geber 1) für den unterlagerten hochdynamischen Geschwindigkeitsregler und eines möglichst lastnahen Positionssensors (Geber 2) für die hochgenaue überlagerte Lageregelung6. Die genannten Reglerstrukturen unterscheiden sich nicht von denen gewöhnlicher Einzelachs-Servoregler. Verdeutlicht wird dies in Abb. 3.3. Die geeignete Parametrierung der Regler unterscheidet sich jedoch von der serieller Kinematiken. Kennzeichnend ist, dass an parallelkinematischen Maschinen stets mehrere Achsen identisch gestaltet sind und auch vergleichbare Trägheiten bewegen. Entsprechend bietet sich eine identische Parametrierung an, die auch während der Inbetriebnahme und Achsoptimierung stets beibehalten werden sollte.

Vorsteuerung

-

Positionsregler (P)

Qsoll Antriebsbus

X)

δ/δt

qn ist

Geschwin- digkeitsregler (PI) • qn ist δ/δt

dezentraler Einzelachsregler (n mal)

momenten- Geber 2 geregelter Geber 1 Antrieb

Q

P

Maschine

Abb. 3.3. Konventionelle Einzelachsregelung 6

Der Lageregler besitzt stets die Einheit 1/s und überträgt somit Positionsfehler in Geschwindigkeiten.

84

3 Steuerungskonzeption

Aus einer dynamischen Betrachtung des geregelten Gesamtsystems ergeben sich zusätzliche Aspekte. Ursache hierfür ist die nicht orthogonale Anordnung der Antriebsachsen. Dies führt bei jeder Bewegung im Arbeitsraum zu einer gegenseitigen Störbeeinflussung aller Antriebe bzw. zu einer veränderlichen Regelstreckencharakteristik bezüglich einer einzelnen Antriebsachse. In Mehrgrößenregelungskonzepten können derartige Fehlereinflüsse modellbasiert minimiert werden. Es ist jedoch eine Abbildung aller regelungstechnischen Maßnahmen auf die Sollwertverläufe in den einzelnen Achsverläufen erforderlich, wenn weiterhin Einzelachsregler verwendet werden sollen [125]. Daneben kommt es im höherfrequenten Bereich zu Effekten, wie sie von Achsverbünden in Gantry-Anordnungen bekannt sind. Hierbei bildet der Massenschwerpunkt der Arbeitsplattform einen virtuellen Drehpunkt aus, über den die Antriebsachsen gegeneinander arbeiten, was einen erhöhten Energie- bzw. Leistungsbedarf bewirkt. Daneben kommt es möglicherweise zur gegenseitigen Anregung von Schwingungen, was zu den in Kap. 4.3.2 beschriebenen Problemen wie Eigenschwingungen und Instabilitäten führen kann. Weiterhin ist zu berücksichtigen, dass die typischen schlanken Konstruktionselemente parallelkinematischer Maschinen eine nicht zu vernachlässigende Masseverteilung besitzen und somit bei Bewegung der Arbeitsplattform zu lateralen Schwingungen angeregt werden. Beide Effekte äußern sich in Eigenfrequenzen, die von Reglereinstellungen, Konstruktionsmerkmalen und auch der momentanen Maschinenposition beeinflusst werden. Deren Berücksichtigung ergibt eine Beschränkung der tatsächlich erreichbaren Regelgüte in den Antrieben, die deutlich unter der theoretischen Leistungsfähigkeit einer einzelnen Antriebsachse bei vergleichbarer Last liegt. Wie eben erwähnt, existieren für die angesprochene Problematik zahlreiche Lösungsansätze zur Mehrgrößenregelung, die jedoch prinzipiell die Abkehr vom Konzept der Einzelachsregelung erfordern, so dass die Antriebe nur in Momenten- oder gegebenenfalls in Geschwindigkeitsregelung betrieben werden können. Die eigentliche Lagereglung erfolgt durch einen zentralisierten Mehrachsenregler, der innerhalb der CNC zu entwerfen und in diese zu implementieren ist. Neben diesem technischen Aufwand stehen auch die Latenzzeiten der derzeitig verwendbaren Kommunikationssysteme den potentiellen Vorteilen der Mehrgrößenregelung gegenüber. Eine in diesem Zusammenhang seit den Anfängen der Manipulatorrobotik existierende Vision ist die Nutzung von sog. Koordinatenmesstechnik, die eine direkte Messung der Relativposition der Arbeitsplattform in den Weltkoordinaten des Maschinenbetts erlaubt. Mittlerweile erreichen zwar derartige Messungen unter erheblichem Aufwand das erforderliche Niveau an Auflösung und Genauigkeit, s. [73, 74], die Abtast- und Verzögerungszeiten dieser Methoden sind jedoch noch weit von deren Nutzbarkeit un-

3.3 Lagebestimmung und -regelung

85

mittelbar im Lageregelkreis entfernt. Somit kommen diese Messverfahren, wenn überhaupt, im Rahmen der Kalibrierung und geometrischen Abnahme zur Anwendung. Für die regelungstechnische Verwendung der kartesischen Lagekoordinaten wurde in der Robotik der Begriff „operational space control“ geprägt. Auch dieses Konzept weicht mit seinem Mehrgrößencharakter von den bisherigen, auf Dezentralisierung ausgerichteten Verarbeitungsstrukturen zur Antriebsregelung ab. Dies zeigt sich bereits darin, dass aufgrund der positionsabhängigen Eigenschaften der Parallelkinematiken kein festes Übersetzungsverhältnis zwischen einer Maschinenbewegung in Weltkoordinaten und den entsprechenden Antriebsgeschwindigkeiten mehr festgelegt werden kann. Hierdurch können die einzelnen Kaskadenregler nicht mehr selbstständig ihre Vorschubgeschwindigkeit vorsteuern. Für alle den Antriebsweg nicht unmittelbar überbrückenden Messmethoden (z. B. auch zusätzliche lastfreie Streben für Messsysteme) ist somit über eine positionsabhängige Jacobimatrix die Umrechnung in Antriebsgeschwindigkeiten erforderlich. Dies führt auf eine Regelstruktur, deren Blockschaltbild Abb. 3.4. zeigt. In der Regel wird weiterhin die konventionelle Einzelachsregelung zur Anwendung kommen, die mit konventionellen Messsystemen nur die Antriebe überbrückt. In der vollständigen Führungskette vom Maschinenbett als Ursprung des Weltkoordinatensystems bis zur beweglichen Arbeitsplattform treten dann jedoch zusätzliche Fehler auf, z. B. Nachgiebigkeiten der Aufhängpunkte und lastführenden Bauteile, nichtideale Kreuzgelenke, Linearitätsfehler bzw. Drehpunktverlagerungen der Achsen, Messfehler usw. Derartige Fehlerquellen in jeder der Führungsketten überlagern sich bei parallelkinematischen Maschinen individuell und führen zu erhöhten, schwer modellierbaren Positionierfehlern. Um diesen Effekt zu vermeiden, ist für alle Baugruppen der Führungskette höchste Präzision und Steifigkeit erforderlich.

Q/ X

Positionsregler-

Q/ X

- matrix (P) Xist

X=f(Y)

Vorsteuerung Geschwindig-

Antriebsbus

Xsoll

δ/δt

CNC-Steuerung

Abb. 3.4. Mehrgrößenregelung

- keitsregler (PI) qn ist δ/δt

momentengeregelter Antrieb

Q

X PKM

Geber 1

dezentraler Einzelachsregler (n mal)

Y

Messkinematik

Maschine

86

3 Steuerungskonzeption

3.4 Kalibrierung und Kompensation Gegenstand dieses Kapitels ist die Gewährleistung der erforderlichen geometrischen Genauigkeit der gesteuerten Positionen und Bewegungen im Arbeitsraum. Hierbei kommen unterschiedliche Methoden zum Einsatz. Eine Kompensation von Störeinflüssen erfolgt, indem die vorgegebenen Antriebsstellungen durch Korrekturen modifiziert werden. Die entsprechenden Korrekturwerte lassen sich modellfrei (basierend auf tabellarischen Einträgen) oder aber modellbasiert (für jeweils spezifische Fehlerursachen) erzeugen. Die hierbei ebenso wie bei der Koordinatentransformation verwendeten statischen Modelle besitzen ihrerseits fehlerbehaftete Parameter, deren vorherige exakte Bestimmung Inhalt der Kalibrierung ist. Die Feststellung und darauf basierende Bewertung der geometrischen Genauigkeit einer Werkzeugmaschine erfolgt auch an parallelkinematischen (nichtorthogonalen) gegenüber seriellen (orthogonalen) Achsanordnungen mit unveränderter Methodik, nämlich durch den Nachweis des modellgerechten Verhaltens einzelner Bewegungsachsen bezüglich der kartesischen Weltkoordinaten sowie deren paarweise korrekter Überlagerung. Mit der Extrapolation in den gesamten Arbeitsraum durch Überlagerung dieser Ergebnisse erspart man sich sowohl den Aufwand für die messtechnische Erfassung von gleichzeitig mehr als zwei Freiheiten als auch die individuelle Vermessung aller erreichbaren Positionen der Maschine. Durch die bei PKM gleichzeitige Beteiligung aller Antriebsachsen an einer Achsbewegung in kartesischen Weltkoordinaten sind keine für diese einachsige Bewegung der Arbeitsplattform spezifischen Fehlerkomponenten der beteiligten Antriebsachsen separierbar. Dies äußert sich unter anderem darin, dass bei einer Parallelverschiebung der kartesischen Sollbahn im Arbeitsraum andere Fehlerkomponenten als zuvor gemessen werden, d. h. dass die Generalisierung der gemessenen Fehlerkomponenten und damit eine direkte Kompensation nicht möglich ist. Dennoch ist diese Herangehensweise momentan alternativlos, da weder Messmethoden zur gleichzeitigen Erfassung aller sechs Raumfreiheiten zu akzeptablen Konditionen verfügbar sind noch der Messaufwand im gesamten Arbeitsraum selbst bei durchgehender Automatisierung beherrschbar erscheint. Demzufolge ist derzeit nur eine Erweiterung der geometrischen Abnahme mit den üblichen Verfahren auf eine zusätzliche, im Arbeitsraum verteilte Anzahl an Messstichproben praktikabel. Fehler in den unveränderlichen Parametern des der Koordinatentransformation zugrunde liegenden Modells zu führen systematischen Positio-

3.4 Kalibrierung und Kompensation

87

nierfehlern. Deren Minimierung ist Aufgabe der Kalibrierung des kinematischen Modells, die für die hier diskutierten Maschinenstrukturen grundsätzlich unverzichtbar ist. Da es sich hierbei sowohl aus theoretischer Sicht als auch bezüglich der industriellen Etablierung von parallelkinematischen Maschinen um eine Grundproblematik handelt, existieren auf diesem Gebiet zahlreiche Veröffentlichungen, so u. a. [36, 44, 47, 160, 43, 156, 151, 153, 79, 11, 61, 97] Das im Folgenden vorgestellte Konzept gibt lediglich eine allgemeingültige Vorgehensweise wieder und ist nicht an spezifische Messverfahren gebunden [97], wobei von zwei grundsätzlichen Annahmen ausgegangen wird: 1. Für die Struktur des kinematischen Modells wird weitgehend von idealisierten Bedingungen ausgegangen (z. B. Kardangelenke mit sich exakt schneidenden Achsen). Dies erfolgt nicht nur mit dem Ziel einer vereinfachten Transformation aus dem Vektor der kartesischen Weltkoordinaten X in den Vektor Q der dazugehörigen Antriebspositionen, sondern vor allem, um die Anzahl der durch eine Kalibrierung festzustellenden Parameter U minimal zu halten. 2. Das vorgestellte Verfahren basiert auf Messmethoden, die nicht alle Freiheiten des Weltkoordinatensystems erfassen. Hierdurch kann das kinematische Modell nicht in seine einzelnen kinematischen Ketten zerlegt, sondern muss als Gesamtheit adaptiert werden [125]. Mit dem Parametervektor U ergeben sich die Transformationsgleichungen (3.2) und (3.8), in denen X und Q miteinander verknüpft sind, zu Q = f RT ( X, U)

(3.13)

X = f VT (Q, U) .

(3.14)

und

Die Kalibrierung basiert auf messbaren Fehlern zwischen dem geometrischen Verhalten der Maschine und deren steuerungsseitigen Vorgaben auf Basis des verwendeten kinematischen Modells. Es wird ein neues kinematisches Modell gesucht, mit dessen Abweichungen zum bisher verwendeten die messbaren Fehler möglichst exakt wiedergegeben werden. Somit soll das neue Modell ein um die festgestellten Fehler ǻXi abweichendes Verhalten aufweisen, indem Parameteränderungen ǻU vorgenommen werden. Diese Betrachtungsweise erlaubt eine inkrementelle Verbesserung des existierenden Modells auf Basis der nichtrekursiven Variante der Methode der kleinsten Quadrate. Unterstellt man das Modell

88

3 Steuerungskonzeption

ǻXi = JU ǻU

(3.15)

mit J U ( X) =

∂X , ∂U

so lautet die entsprechende Schätzgleichung ǻU = JU-1ǻXi ,

(3.16)

wobei J U-1 als sog. Pseudoinverse der asymmetrischen Jacobimatrix gebildet wird:

JU-1 = (JUT JU ) −1 JUT .

(3.17)

Dabei enthält die Jacobimatrix selbst immer an der Stelle Jij die partielle Ableitung der in der j-ten Messung ermittelten kartesischen Komponente aus X nach dem i-ten Parameter in U. Diese Gradienten werden anhand des momentanen Modells vorzugsweise numerisch durch Bildung eines Differenzenquotienten von Xi über Uj berechnet. Da das momentane Modell fehlerbehaftet ist, können in wiederholten, auf korrigierten Modellen basierenden Berechnungen, leichte Verbesserungen erreicht werden. Jede Zeile der Jacobimatrix beschreibt lediglich die Empfindlichkeit der in der Messung erfassten kartesischen Komponente Xi, aber unter Berücksichtigung der vollständigen Kinematikstellung X. Eine vollständige kartesische Vermessung der Arbeitsplattform bei gleichzeitiger Messung in allen sechs Freiheiten ist somit nicht erforderlich. Der Grund, weshalb eine möglichst kleine Anzahl der zu kalibrierenden Parameter angestrebt wird, liegt vor allem in deren starker Fehleranfälligkeit durch eine sich mit jedem weiteren Parameter zunehmend verschlechternde Konditionszahl des verwendeten Messdatensatzes. Bereits mit idealisierten Gelenken ergeben sich beispielsweise an einer parallelkinematischen Grundstruktur mit längenveränderlichen Streben und sechs Freiheiten aus den Weltkoordinaten (X, Y, Z) der zwölf Gelenke und den sechs Nullpunkten der Achsmesssysteme insgesamt 42 Parameter. Definitionsgemäß ergibt sich für das Modell (3.15) die Konditionszahl K des Schätzproblems als Quotient aus größtem und kleinstem Eigenwert Ȝ der Matrix ( J UT J U ) [61]:

K=

Ȝ max (JUT JU ) Ȝ min (JUT JU )

(3.18)

3.4 Kalibrierung und Kompensation

89

Diese Zahl besitzt ihr ideales Minimum bei Eins und sagt hier aus, inwieweit aus kleinen Fehlern in der Parameterschätzung auch auf kleine Fehler im realen System geschlossen werden kann. Erst mit mehr Messungen als zu kalibrierenden Modellparametern kann ( J UT J U ) nichtsingulär werden; mithin Ȝmin  0. Außerdem muss aus den vermessenen Maschinenpositionen ein eindeutiger Zusammenhang zu allen Modellparametern ableitbar sein. Vom erreichbaren Minimum ist man bei der Kalibrierung von Parallelkinematiken jedoch allgemein weit entfernt, da alle Messungen aus der mathematischen Sicht des Gleichungssystems sehr eng beieinander liegen. Somit besteht eine extreme Empfindlichkeit bezüglich Messfehlern. Für gute Ergebnisse der Kalibrierung ist größte Sorgfalt bei der Erfassung der Positionierfehler erforderlich. Außerdem kann mit einer Optimierung von Anzahl und Verteilung der vorzunehmenden Messungen bezüglich der Konditionszahl K das Ergebnis verbessert werden. In diesem Kontext stehen auch Überlegungen, ob zusätzliche Modellparameter, die beispielsweise ein nichtideales Kardangelenk beschreiben, tatsächlich zu verminderten Positionierfehlern führen, oder sich wegen einer schlechteren Konditionszahl und erhöhtem Messaufwand eher negativ auswirken. Mit dem beschriebenen Zusammenhang zeigt sich ein Dilemma, das die gegenwärtig intensiv betriebene Forschungstätigkeit motiviert: Einerseits verfügen parallelkinematische Maschinen über ein höchstmögliches Potential für geometrische Präzision, da sie sich nahezu vollständig durch parametrische Modelle beschreiben lassen. Andererseits sind der exakten Identifikation dieser Modellparameter bislang systematische Schranken auferlegt. Mit dieser Erkenntnis gewinnen gitterbasierte Lösungen zur Kompensation geometrischer Abweichungen an Bedeutung, wie sie sich auch an konventionellen Maschinenstrukturen im Einsatz befinden. Derartige Funktionsmodule gehören zunehmend zur Standardausstattung moderner CNC-Steuerungen. Zwei Aspekte sind bei deren Anwendung an Parallelkinematiken zu beachten: 1. Aus der unabhängigen Fehlervermessung zweier orthogonaler Freiheiten darf keinesfalls auf eine lineare Überlagerung in deren Schnittfläche geschlossen werden. Es ist stets der Aufwand der vollständigen räumlichen Abtastung zu betreiben, womit nur automatisierbare Messmethoden in Frage kommen. 2. Für die Kompensation von Winkelfehlern muss ein virtueller Drehpunkt festgelegt werden, aus dessen tatsächlicher Einhaltung sich ein weiterer Fehlereinfluss ergeben kann.

90

3 Steuerungskonzeption

Unabhängig von der Nutzung für die Kalibrierung oder die gitterbasierte Korrektur ist auch die eindimensionale Erfassung von Positionierfehlern nicht unproblematisch. Drei Prinzipien lassen sich unterscheiden: 1. Probebearbeitungen an später zu vermessenden Werkstücken sind gut automatisierbar, erfassen nicht nur die unbelastete Maschine und können Fehler mehrerer Freiheiten gleichzeitig liefern, sind aber bezüglich der verwertbaren Oberflächengüte u. U. fragwürdig. 2. Für die direkte Vermessung von Relativbewegungen stehen spezialisierte, hochgenaue Verfahren und Ausrüstungen zur Verfügung (z. B. Laserinterferometer, Kugelstab, Kreuzgittertisch, Neigungssensoren). Hierbei besteht die Problematik in der Schaffung eines exakten Relativbezugs zum Weltkoordinatensystem. Eine Möglichkeit bei der Kalibrierung besteht in der temporären Einführung eines zusätzlichen Offsetparameters, der in der Kalibrierrechnung mitgeschätzt wird. 3. Das Antasten einer speziellen Maßverkörperung im Arbeitsraum bietet den Vorteil, dass es mit dem Kugeltaster realisiert werden kann, der für Werkzeugmaschinen standardmäßig verfügbar ist. Das als Maßverkörperung verwendete Werkstück sollte an vielen Orten des Arbeitsraums Referenzflächen zur Vermessung einzelner Weltkoordinaten besitzen. Es definiert auf diese Weise die neue Lage des Weltkoordinatensystems. Auch für verschiedene Winkellagen müssen einige Referenzflächen zur Umschlagsmessung als Bezug für Neigungsmessungen vorliegen. Für die Gestaltung aller Messungen gilt, dass sie nicht durch die Einflüsse der nicht erfassten Freiheitsgrade verfälscht werden dürfen. Für Wegmessungen ist somit stets die Relativposition des Messpunktes zur Spindelnase zu berücksichtigen und gegebenenfalls zu variieren. Besonders schwierig ist auch die Ermittlung von Verdrehungen um die Spindelachse, die zwar in der Bearbeitung nicht fehlerwirksam werden, aber die Kalibrierrechnung nachhaltig beeinflussen. Weiterführende Informationen zur geometrischen Genauigkeit von Parallelkinematiken sind in [77] zu finden.

4 Theoretische Modellbildung

4.1 Übersicht „Simulation ist die Nachbildung eines dynamischen Prozesses in einem Modell, um zu Erkenntnissen zu gelangen, die auf die Wirklichkeit übertragbar sind.“ [144] Wie bereits in Abb. 2.17 dargestellt, ist der Systementwurf entsprechend [142] ein iterativer Prozess, der durch Bewertungsmodelle zwingend unterstützt wird. Wesentliches Element ist eine adäquate Modellbildung des Gesamtsystems entsprechend den einzuhaltenden Kriterien. Viel diskutiert wird in diesem Zusammenhang der Begriff „Virtuelle Produktion“. In [113] wird darunter die durchgängige, experimentierfähige Abbildung von Produktionsprozessen und -anlagen mit Hilfe digitaler Modelle verstanden. Dabei muss man immer zwischen Ziel, Gegenstand der Simulation und Gegenstand der Modellierung unterscheiden. Tabelle 4.1. zeigt den Stand der Technik anhand einer Übersicht zu Gegenständen und Simulationszielen. Parallelkinematische Systeme sind durch eine starke Verkopplung mechanischer, elektrischer und informationstechnischer Komponenten gekennzeichnet. In diesem Sinne sind Parallelkinematiken mechatronische Systeme. Ihre Eigenschaften werden durch die engen Wechselwirkungen zwischen Mechanik, Elektrik, Regelungstechnik und Informatik bestimmt. Ein erfolgreicher Entwurf setzt voraus, dass diese Wechselwirkungen von der ersten Entwurfsphase an berücksichtigt werden. In [141] wird eine solche Herangehensweise beschrieben. Das grundsätzliche Vorgehen beim modellbasierten Systementwurf gliedert sich in die in Abb. 4.1. dargestellten Schritte. Im Fokus der folgenden Ausführungen steht die theoretische Modellbildung, besonders unter dem Aspekt der maschinendynamischen Eigenschaften.

92

4 Theoretische Modellbildung

Tabelle 4.1. Ausgewählte Betrachtungsobjekte und Ziele der Virtuellen Produktion [112]

Fabrik

Anlage

Gegenstand der Modellierung • Gebäude • Einrichtungstechnik • Fördertechnik • Versorgungsleitungen • • •

Tech• nologie

Gegenstand der Simulation • Logistik und Kollisionen • Raumausnutzung • Material- und Menschenströme • Kommunikation

Ziel

• Optimiertes Hallen-Layout • Effiziente Abläufe • Abgestimmte Planungsstände der Entwicklungspartner Maschinen • Maschinenabläufe • Kollisionsvermeiund Materialfluss dung Roboter • Steuer- und Stör• Optimierung Sensoren/Aktoren strategien Platzbedarf • Zugänglichkeit und • Optimierung Kollisionen Systemkosten • Schwingungen • Optimierung Ergonomie Mechanisches, • Fügen • Prozessabsicherung strömungsmechani- • Urformen und Machbarkeit sches und thermo- • Umformen • Offlinedynamisches VerProgrammierung • Zerspanen halten von Werk• Verfahrenstechnik stück, Werkzeug und Maschine

Die zu erstellenden Modelle sind immer im Hinblick auf die zu beantwortende Fragestellung anzupassen. Die Modellierungstiefe kann beispielsweise von der Berücksichtigung von Punktmassen bis hin zu komplexen Finite-Elemente-Modellen reichen. Dementsprechend werden in diesem Kapitel Hinweise für die • Modellbildung der mechanischen Struktur, • Modellbildung der Antriebe und der Regelung und • die gekoppelte Modellbildung von mechanischer Struktur, Antrieben Regelung und Prozess gegeben. Der Anwender wählt die entsprechende Modelltiefe für seine ganz spezielle Fragestellung aus.

4.2 Modellbildung und Simulation der mechanischen Struktur Phasen/Meilensteine

Zielformulierung 1 Modellbildung 2

Modellanalyse

Tätigkeiten - Analyse der Anforderungen an die Modellbildung - Festlegung der Untersuchungsziele und -aufgaben - Ersatzmodelle für das Grundsystem erstellen - Mathematisches Modell ableiten (theoretisch, experimentell) - Parameteridentifikation - Verifikation u. Validierung des Modells - Aufbereitung der Ersatzmodelle für die Simulation - Untersuchung der Eigenschaften (z.B. Festigkeit) und des Verhaltens z.B. Dynamik) des Grundsystems

3

Systemsynthese

5

Resultate

Untersuchungsziele und -aufgaben

verifiziertes bzw. validiertes Modell

Systemeigenschaften/-verhalten

- Feindimensionierung, Auslegung bzw. Optimierung des Systems - Einstellung der Systemparameter

festgelegtes bzw. optimiertes System

4

Systemanalyse

93

- Analyse und Bewertung des Systems - ggf. Modifikationen (Rücksprünge zu vorhergehenden Phasen)

verifiziertes bzw. validiertes System

Abb. 4.1. Vorgehen beim modellbasierten Systementwurf [141]

4.2 Modellbildung und Simulation der mechanischen Struktur 4.2.1 Allgemeines Entsprechend der steigenden Komplexität des zu lösenden Problems werden in der Praxis häufig folgende Modelle verwendet: • Kinematische Modelle (in den vorherigen Kapiteln betrachtet), • Balkenmodelle, • Hybride Mehrkörpermodelle (HMKS), d. h. Mehrkörpermodelle mit elastischen Körpern • Finite-Elemente-Modelle (FEM), • Kombinationen aus FEM und MKS.

94

4 Theoretische Modellbildung

Um Singularitäten im Arbeitsraum zu finden oder für die Kollisionsbetrachtung, nutzt man nichtelastische kinematische Modelle. Für einen Entwurfsprozess unter Einbeziehung von Analyse, Synthese und Optimierung bestimmter physikalischer Systemeigenschaften ist es jedoch nicht mehr ausreichend, nur die Kinematik eines Systems allein zu betrachten. Wesentliche Kriterien bei der Auslegung von Fertigungsmaschinen sind beispielsweise das Verhalten unter Bewegungs- bzw. Prozesslasten und die statische bzw. dynamische Steifigkeit. Um diese Kriterien präventiv beurteilen zu können, ist es notwendig, die Bewegungsgleichungen des mechanischen Systems herzuleiten. Dazu wiederum ist die Nachbildung der Massen-, Dämpfungs- und Steifigkeitseigenschaften erforderlich. Die dynamischen Eigenschaften von Parallelkinematiken werden in entscheidendem Maße durch Wechselwirkungen zwischen strukturellem Aufbau und Eigenschaften der einzelnen Maschinenelemente bestimmt. Eine weitere Schwierigkeit besteht in der starken Abhängigkeit dieser Eigenschaften von der momentanen Position der Arbeitsplattform. Die Verwendung eines Simulationswerkzeugs, das sowohl elastische Verformungen als auch kinematische Eigenschaften reflektiert, ist also unerlässlich. Wesentliche Größen zur Beschreibung kinematischer und dynamischer Eigenschaften paralleler Bewegungsmechanismen sind – wie bereits in Kap. 2.5 dargestellt – z. B. Größe und Form des Arbeitsraums, Manipulierbarkeit, Struktursteifigkeit, die relevanten Eigenfrequenzen und die Antriebskräfte. Mit dem gewählten Simulationswerkzeug müssen diese Eigenschaften praktikabel bestimmbar sein. So können schon in der Konzeptions- und Konstruktionsphase sowohl einzelne Baugruppen als auch Gesamtsysteme optimiert werden. 4.2.2 Balkenmodell Bei Balkenmodellen wird die Maschinenstruktur durch Knoten und dazwischenliegende Biegebalken beschrieben. Für komplexe Bauteile sind bei diesem Modellierungsansatz starke Idealisierungen notwendig, die jedoch aufgrund der Struktur von Parallelkinematiken akzeptabel sind. Diese bei seriellen Werkzeugmaschinen nicht mehr übliche Herangehensweise ist geeignet, globale Aussagen zu Steifigkeitsverteilungen und Eigenfrequenzen bereits in einer sehr zeitigen Entwurfsphase zu liefern. Die Vorteile sind insbesondere: • geringer Aufwand für die Modellerstellung, • einfache Einbindung in Optimierungsverfahren, • wenige Elemente.

4.2 Modellbildung und Simulation der mechanischen Struktur

95

Dem stehen folgende Nachteile gegenüber: • Die Darstellung lokaler Effekte wie z. B. Spannungslokalisierung ist nicht möglich. • Das Verhalten großvolumiger bzw. großflächiger Bauteile ist schwierig abzubilden. Abb. 4.2. zeigt beispielhaft die Modellbildung für eine allgemeine Hexapod-Struktur. Die Streben werden durch jeweils acht Elemente, bestehend aus Rohrprofilen (Länge je 200 mm; Außendurchmesser 100 mm; Wandstärke 5 mm), das Gestell mit Randbedingungen (Festhaltungen) beschrieben. Die Herleitung der Bewegungsdifferentialgleichung kann auf unterschiedliche Weisen erfolgen: • analytische Ableitung des Gleichungssystems durch Berechnung der Verformungen der Elemente und Knoten, oder • Nutzung eines „einfachen“ Finite-Elemente-Systems. In beiden Fällen steht dem Anwender zur weiteren Nutzung ein allgemeines Differentialgleichungssystem mit Massen-, Steifigkeits- und ggf. Dämpfungsmatrix zur Verfügung.

[M ]{X }+ [C]{X }+ [K ]{X} = {F (t )}

Abb. 4.2. Modellbildung für eine allgemeine Hexapod-Struktur

(4.1)

96

4 Theoretische Modellbildung

Als Beispiel für die Nutzung eines solchen Systems zeigt Abb. 4.3. die Steifigkeitsverteilung in einer Ebene des Arbeitsraums der in Abb. 4.2. dargestellten Struktur.

Abb. 4.3. Steifigkeitsverteilung in einer Ebene des Arbeitsraums

4.2.3 Mehrkörpermodell Die folgenden auf [83] basierenden Hinweise zur Simulation mit Hilfe elastischer Mehrkörpermodelle beziehen sich auf Parallelkinematiken mit sechs Freiheiten, sind aber in analoger Weise auch für andere gültig. Um Mehrkörpermodelle im Rahmen des systematischen Entwurfs und für unterschiedliche Simulationsaufgaben nutzen zu können, sollten sie vollständig parametrisiert sein. Des Weiteren empfiehlt sich eine Entwicklung des Mehrkörpermodells über mehrere evolutionäre Stufen, die verschiedene Detaillierungsgrade repräsentieren. Als Ausgangsbasis dient dabei ein Mehrkörpermodell mit starren Körpern und idealen Gelenken. Darauf aufbauend wird das Modell um elastisch verformbare Bauteile und realitätsnäher modellierte Gelenke mit innerer Reibung und ggf. Spiel erweitert. Bei Parallelkinematiken wird die Position der Arbeitsplattform durch die Länge bzw. Lage der Glieder bestimmt. Um eine bestimmte Position der Arbeitsplattform zu erreichen, müssen die Glieder eine bestimmte Länge bzw. Lage annehmen, die aus der Lösung des inversen kinematischen Problems ermittelt werden kann. Berücksichtigt man neben der Kinematik noch die Trägheit der Körper sowie äußere Kräfte, lassen sich mit diesen Modellen Aussagen über Zwangskräfte in den Gelenken treffen.

4.2 Modellbildung und Simulation der mechanischen Struktur

97

Für eine betriebsfeste Auslegung der Maschine sind diese Informationen unabdingbar. Für eine detailliertere Modellierung sind die Baugruppen in sinnvolle Modelleinheiten zu zerlegen. Beispielsweise besteht eine mögliche Zerlegung von längenveränderlichen Streben darin, dass das Getriebe, der Zahnriemen, die Wälzschraubspindel, die zugehörige Mutter und das Führungsrohr die entsprechenden Modelleinheiten bilden, die durch lineare Zwangsbedingungen bzw. Modelle von Schubgelenken miteinander verbunden sind. Der Werkzeugträger kann modelltechnisch in einen Werkzeugrotor und ein Werkzeuggestell zerlegt werden, das frei im Raum bewegt werden kann und durch die Führungsketten geführt wird. Der Werkzeugrotor – im Modell durch ein Drehgelenk mit dem Werkzeuggestell verbunden – soll einen rotierenden Fräskopf, Bohrer oder eine Greifeinrichtung darstellen. In der nächsten Phase wird das Mehrkörpermodell nun um elastisch deformierbare Körper erweitert. Berücksichtigt wird dabei insbesondere die viskoelastische Nachgiebigkeit der Führungsketten und des Gestells. Bei einer solchen Modellierung lassen sich die folgenden Varianten der Modellbildung konstatieren:

• Das elastische Verhalten des Gestells wird durch kondensierte Steifigkeits- und Dämpfungsmatrizen berücksichtigt, die die dreidimensionale Kraftkopplung zwischen dem Fundament und den Führungsketten beschreiben und mit der Finite-Elemente-Methode berechnet werden. • Für die Modellierung des elastischen Verhaltens des Gestells wird auf die Superelemente-Technik für elastische Balken zurückgegriffen (Software ALASKA zur Simulation mechatronischer Systeme). Die sog. Superelemente benutzen für die Modellierung elastisch deformierbarer Balken und Kraftkopplungen von Körpern die Strukturmatrizen von Finite-Elemente-Modell-Berechnungen. Das Verformungsverhalten kann mit Ritz-Ansätzen beschrieben werden, womit fast alle Geometrien berücksichtigt werden können. • In einem Modell mit dreidimensionalen Kraftkoppelelementen werden die Ecken des Gestells als starr definiert, die so seine gesamte Trägheit im Ruhezustand repräsentieren. Die Balken werden virtuell durchtrennt und die Hälften jeweils den Ecken zugeschlagen. Zwischen den Ecken werden die elastischen Eigenschaften der Balken durch TimoshenkoBalken modelliert. Damit finden auch Schubsteifigkeiten Berücksichtigung. Für die einzelnen Baugruppen bzw. konstruktiven Elemente einer parallelkinematischen Struktur sollten folgende Überlegungen zur Modellierung berücksichtigt werden:

98

4 Theoretische Modellbildung

• Zahnradgetriebe: Bei der Modellierung von Zahnradgetrieben (z. B. Planetengetriebe) müssen das Spiel der Zahnflanken sowie die Zahnelastizität und -dämpfung durch nichtlineare Kraftgesetze zwischen den Rotoren der Motoren und den Antriebszahnrädern im Sinne des in [6] Vorgeschlagenen berücksichtigt werden. Dazu sind zunächst die Abweichungen der Ist- von den Sollzuständen zu berechnen. Darauf aufbauend werden die Kraftgesetze für An- und Abtriebsmomente der Getriebe aufgestellt. • Zahnriemen: Bei Zahnriemen beschreibt ein nichtlineares Kraftgesetz die Schnittkräfte bzw. Drehmomente an beiden Zahnrädern. Für die auf diesem Kraftgesetz beruhende Berechnung müssen Vorspannkräfte, Zahnriemensteifigkeiten und -dämpfung bekannt sein. Bekannt sind zunächst die Vorspannkräfte zwischen den Gelenkwellen. Aus deren Abstand und den Radien der Zahnräder kann die Vorspannkraft der Trums bestimmt werden. Aus dem Drehwinkel der Zahnräder, den Ableitungen dieser Winkel sowie der Zahnriemensteifigkeit und -dämpfung kann die resultierende Kraft in jedem Trum berechnet werden. Aus den Kräften in den Trums und den Radien der Zahnräder wiederum werden anschließend die An- und Abtriebsmomente ermittelt [111]. • Wälzschraubspindel: Im Modell der Wälzschraubspindel müssen die Längs- und Drehsteifigkeiten sowie die Dämpfung in der Spindel berücksichtig werden. Diese Eigenschaften sind nichtlinear, weil sie von der wirksamen Federlänge zwischen der Lagerung im Führungsgehäuse und dem Eingriff der Mutter abhängen. Optional können außerdem die elastischen Eigenschaften der Wälzschraubspindel Berücksichtigung finden [4]. • System Wälzschraubspindel/Wälzschraubmutter: Das Modell des Systems aus Wälzschraubspindel und Wälzschraubmutter kann durch Kräfte und Momente an den beiden beteiligten Starrkörpern modelliert werden. Damit werden elastische und dämpfende Eigenschaften der vorgespannten Kugelgewindespindel berücksichtigt. • Führungsrohr: Die elastischen Eigenschaften des Führungsrohrs betrachtet man im einfachen Fall nur in Längsrichtung. Die Einbeziehung aller sechs Bewegungsrichtungen ist aber ebenfalls möglich. Da die als reibungs- und fertigungsfehlerfrei angenommenen Streben ausschließlich auf Zug bzw. Druck beansprucht werden, genügt es, deren zwischen Mutter und Gelenkkopf wirkende Längselastizität zu untersuchen. Dazu wird zwischen beiden ein lineares Kraftkoppelelement modelliert. Durch Fertigungsfehler, Reibung in den Lagern der Streben oder Trägheitskräfte kann es zu Querkräften oder Momentenbeanspruchungen der Führungsrohre kommen. Diese Effekte kommen auch bei Parallelkine-

4.2 Modellbildung und Simulation der mechanischen Struktur

99

matiken mit weniger als sechs Führungsketten zum Tragen. In diesem Fall kann zusätzlich zur Längselastizität ein dreidimensionales Kraftkoppelgesetz zwischen dem äußeren Lager des Führungsrohrs und dem Gelenkkopf modelliert werden. Zu beachten ist dabei, dass sowohl die Steifigkeits- als auch die Dämpfungsmatrix von der Ausfahrlänge der Streben abhängt. Besonders in den Gelenken zwischen einer Strebe und dem Gestell sowie den Gelenken zwischen einer Strebe und der Arbeitsplattform kann Spiel auftreten. Dies macht sich besonders bei Umkehr des Kraftflusses bemerkbar. Reibung und Spiel sind in der Regel schwierig zu modellieren, weil die methodischen Grundlagen zur mathematischen Modellierung der physikalischen Phänomene in der Mehrkörperdynamik noch nicht in ausreichendem Maße zur Verfügung stehen. Sollen diese Einflüsse trotzdem Berücksichtigung finden, kann mit einem speziellen Kraftgesetz das Spiel definiert werden. Die Reibung zwischen den einzelnen Bauteilen kann ebenfalls berücksichtigt werden; benötigt jedoch im Allgemeinen lange Rechenzeiten. Deshalb kann hier vereinfachend auch eine geschwindigkeitsproportionale Dämpfung angesetzt werden. Eine Validierung der entwickelten Mehrkörpermodelle durch Vergleich der Simulationsergebnisse mit experimentell ermittelten Messdaten ist notwendig, um Modellierungsfehler und Grenzen der Einsetzbarkeit der Modelle feststellen zu können. Validierte und verifizierte Modelle bilden die Basis für praxisrelevante Computersimulationen. Die Validierung von Modellen ist deshalb im Prozess des virtuellen Prototypings von großer Bedeutung und stellt für spätere Projekte bessere Kennwerte zur Verfügung. Eine mögliche Vorgehensweise besteht aus folgenden Arbeitsschritten: 1. Definition von Kriterien zum Vergleich von Ergebnissen aus Experimenten mit realen parallelen Bewegungsmechanismen und der Simulation der entsprechenden Modelle. 2. Vergleich von Simulationsergebnissen mit Messdaten entsprechend den definierten Kriterien für die ausgewählten Repräsentanten und den durchgeführten Experimenten bzw. den entsprechenden Simulationen. 3. Bewertung der Ergebnisse und Schlussfolgerungen sowohl für die Durchführung weiterer Experimente als auch für eine Anpassung bzw. Veränderung der Mehrkörpermodelle.

100

4 Theoretische Modellbildung

Die Validierungsziele werden erreicht durch:

• Modellabgleich mittels Parametrisierung, z. B. anhand von Parameterstudien und • Veränderung der Modellhierarchie und der Modellierungstiefe, z. B. über die Veränderung der Topologie. 4.2.4 Finite-Elemente-Modell Die Methode der Finiten Elemente gehört in der Technik zu den Standardwerkzeugen der Ingenieure. Sie ermöglicht durch das Aufteilen eines Kontinuums in viele kleine (finite) Elemente die Lösung von Differentialgleichungssystemen auch für komplexe Geometrien. Die theoretischen Grundlagen werden u. a. in [166] und [5] beschrieben. Einsatzgebiete sind z. B. statische Festigkeitsberechnungen; die Methode ist aber auch geeignet, dynamische, elektrische und thermische Sachverhalte zu simulieren. Nachfolgend werden Beispiele zum effektiven Einsatz dieser Methode im Entwurfsprozess von PKM dargestellt. Die parallelkinematischen Strukturen sind aus statischer Sicht in der Regel Parallelschaltungen von Federn, wenn man die Führungsketten, das Gestell und die Arbeitsplattform jeweils als Ganzes und das System als aus diesen bestehend betrachtet. Die einzelne Führungskette entspricht dagegen in den meisten Fällen einer Reihenschaltung von Federn. Die Gesamtsteifigkeit einer Führungskette wird über die Summe der reziproken Steifigkeitswerte der Führungskettenkomponenten berechnet und von der Wirkung des Bauteils mit der geringsten Steifigkeit dominiert. Erfahrungen bei der Untersuchung verschiedener Strukturen zeigen, dass die folgenden Baugruppen einer Parallelkinematik für die Modellierung als nicht weiter zu untergliedernde Modelleinheit betrachtet werden sollten:

• • • • • • •

Spindel, Arbeitsplattform, Arbeitsplattformgelenk, Strebe, Gestellgelenk, Gestell, werkstückseitige Baugruppe.

Neben den Gestellbauteilen tragen Lager und Führungen zu den Hauptnachgiebigkeiten in der Steifigkeitskette bei. Daher werden hier Vorschläge für deren Berücksichtigung im Modell vorgestellt.

4.2 Modellbildung und Simulation der mechanischen Struktur

101

Lager und Führungen: Ein System von Lagern, bzw. auch einzelne Lager, haben die Aufgabe, relativ zueinander bewegliche Teile gegeneinander abzustützen oder zu führen und die dabei auftretenden Kräfte aufzunehmen und auf Fundamente, Gehäuse oder Bauteile zu übertragen. Soll das Lager als solches untersucht werden, sind alle relevanten Details zu modellieren, s. Abb. 4.4. Da für solch eine Modellierung sehr viele Elemente nötig sind, sollten Lager mit Blick auf die gesamte zu modellierende Werkzeugmaschine vereinfacht werden. Weiterhin sind je nach Modellierungszielstellung auch die dynamischen und thermischen Eigenschaften nicht unberücksichtigt zu lassen. Insbesondere bei der Modellierung einer gesamten Werkzeugmaschine sollte man bestrebt sein, das Modell für statische, dynamische und thermische Berechnungen gleichermaßen zu nutzen. Während Steifigkeitseigenschaften über Herstellerangaben relativ genau modellierbar sind, stellen die Dämpfungseigenschaften aufgrund fehlender Kennwerte ein Problem dar. Beispiel: Für die statische und dynamische Modellierung von Lagern und Führungen sind Feder- und ggf. Dämpferelemente geeignet, weil über diese die Herstellerangaben der Steifigkeit direkt in das Modell einfließen, wie Abb. 4.4. verdeutlicht. Dabei ergibt sich die Gesamtsteifigkeit in radialer Richtung aus der halben Summe der Federsteifigkeiten. Zur Berücksichtigung der thermischen Eigenschaften (Wärmeleitung, Reibwärme) wird das Lager bzw. die Führung mit einem Ersatzwerkstoff modelliert, der diese Eigenschaften hat. Dieser Ersatzwerkstoff bekommt einen gegen Null gehenden Elastizitätsmodul zugewiesen, so dass er keinen Einfluss auf das statische und dynamische Verhalten der Maschine hat. Sowohl Gleit- als auch Wälzführungen sind in analoger Weise wie die entsprechenden Lager zu behandeln, wie Abb. 4.5. zeigt. Mit Hilfe des Winkels ij kann das Verhältnis der vertikalen zur horizontalen Steifigkeit eingestellt werden. Gegenüber klassischen seriellen Maschinen stellen Gelenke und längenveränderliche Streben neue Maschinenelementen dar. Daher erfolgt für diese eine genauere Beschreibung. Der prinzipielle Aufbau von Gelenken besteht aus mechanischem Stützsystem, Lagern und Wellen, s. Abb. 4.6. Bei der Modellbildung muss darauf geachtet werden, dass die Gelenke ihre Beweglichkeit behalten, da sonst zusätzliche Randbedingungen in das System eingetragen werden.

102

4 Theoretische Modellbildung

a

b

c

Abb. 4.4. Zylinderrollenlager [155] a: realitätsnahes und detailreiches Finite-Elemente-Modell mit ca. 30000 Elementen b: vereinfachtes Finite-Elemente-Modell mit 264 Elementen c: vereinfachtes Modell für statische Berechnungen

Ersatzmaterial φ

a

b

c

Abb. 4.5. Wälzführung der Fa. INA-SCHAEFFLER KG [155] a: Schnittdarstellung b: vereinfachtes Modell für thermische Berechnungen c: vereinfachtes Modell für statische Berechnungen

Abb. 4.6. Gelenke

Für die Tragstruktur besteht bei der Auslegung das Ziel darin, einen Kompromiss hinsichtlich Steifigkeit und Bewegungsfreiheit zu finden. In Abb. 4.7. sind das Modell und die Deformationen an einem Gelenk der am FRAUNHOFER-INSTITUT FÜR WERKZEUGMASCHINEN UND UMFORMTECHNIK IWU entwickelten Biegemaschine dargestellt. Aufbauend auf der

4.2 Modellbildung und Simulation der mechanischen Struktur

103

Grundstruktur sind Modelle der Lager zu integrieren. Die Wellen sollten insbesondere mit ihrem Biegeverhalten berücksichtigt werden. Dazu bieten sich Balkenelemente an. Unter Berücksichtigung dieser Hinweise ergeben sich schnell sehr komplexe Modelle mit vielen Freiheitsgraden. Da in der Umsetzung von Parallelkinematik-Konzepten häufig auf ähnliche Bauformen der Gelenke orientiert wird, bietet es sich an, diese als parametrierbare Sub-Modelle abzulegen. In Abb. 4.8. sind die Modelle für die in Abb. 4.6. gezeigten Gelenkbauformen dargestellt. Analog ist die Vorgehensweise bei längenveränderlichen Streben. Auch hier ist im Zusammenspiel von mechanischer Tragstruktur und den Modellen für Lager und Führungen ein Gesamtmodell aufzubauen. Die Verfahrbewegung in Längsrichtung ist erst bei einer gekoppelten Simulation von Strukturmechanik und Regelung interessant. Teilweise ist jedoch eine passive Verdrehung um die Strebenlängsachse zu realisieren. Bei den Streben ist im Hinblick auf ihre Anfälligkeit bzgl. Biegeschwingungen auf eine möglichst genaue Modellbildung der Masseverteilung zu achten. Auch hierfür bieten sich parametrierbare Modelle an, um in der Entwurfsphase verschiedene Strebenlängen und Durchmesser zu untersuchen. Auf der Grundlage von Gelenk- und Strebenmodellen ist das Herzstück einer Parallelkinematik – die Strebeneinheit – modelliert, s. Abb. 4.9. Im Zusammenspiel von sechs solcher Strebeneinheiten hat man bereits das Modell eines Hexapoden aufgebaut. Für die anderen Baugruppen (Gestell, Arbeitsplattform, Spindel) sind detaillierte Hinweise zur Modellbildung in bekannten Standard-Werken wie z. B. [149] nachzulesen.

Abb. 4.7. FEM-Modell und Deformation am Gelenk

104

4 Theoretische Modellbildung

Abb. 4.8. FEM-Modelle der Gelenke

Abb. 4.9. FEM-Modell einer Strebeneinheit

Modellierung des Gesamtsystems: Um auf Basis der vorgestellten Modelle Strukturuntersuchungen durchzuführen, bietet sich eine zweistufige Herangehensweise an. Für erste Untersuchungen schafft man sich Entwurfsmodelle des Gesamtsystems. Hierbei berücksichtigt man mit einfachen Elementtypen, z. B. Balkenelementen, die Steifigkeit der Struktur und mit Massenpunktelementen die Trägheitseigenschaften. Mit diesem einfachen und vergleichsweise schnell zu berechnenden Modell wird der gesamte Arbeitsraum erfasst. So gewinnt man eine zwar nicht immer quantitativ hinreichend genaue, aber dafür komplexe Übersicht über das Steifigkeits-

4.3 Simulation des Gesamtverhaltens

105

verhalten der Struktur im gesamten Arbeitsraum. Eigenfrequenzen und Wärmedehnungen lassen sich in analoger Weise berechnen. Aus diesen umfangreichen Arbeitsraumuntersuchungen kann man sich gezielt kritische Positionen heraussuchen, an denen man eine detailliertere Analyse durchführt. (Prinzipiell sind die kritischen Positionen auch aus analytischen Modellen herleitbar.) Als weitere Berechnungsmöglichkeit ist eine einfache Sensitivitätsanalyse denkbar, bei der der Elastizitätsmodul für einzelne Teile als unendlich groß definiert wird. So kann der Einfluss eines Teils auf die Gesamtsteifigkeit ermittelt werden. Gezielte Verbesserungen der Steifigkeit an diesen kritischen Positionen führen i. A. zu einer Verbesserung des Gesamtverhaltens, da man ungünstige Positionen vermeidet.

a

b

Abb. 4.10. Vereinfachtes Finite-Elemente-Modell zur Berechnung der Eigenfrequenzen und -schwingformen a: Elementenetz b: Eigenschwingform der ersten Eigenfrequenz von ca. 15 Hz (Strebenschwingungen)

4.3 Simulation des Gesamtverhaltens 4.3.1 Struktur, Antriebe und Regelung Eine wesentliche Motivation für die Entwicklung von Werkzeugmaschinen mit Parallelkinematik ist deren geringe bewegte Masse und damit das Potential zur Realisierung einer hohen Dynamik im Sinne von Beschleunigung und Ruck. Allgemein bekannt sind die Zusammenhänge von Dynamik und Genauigkeit bei Werkzeugmaschinen [9]. So beeinflussen die

106

4 Theoretische Modellbildung

mechanischen Eigenschaften, insbesondere die niedrigste Eigenfrequenz des Systems, die erreichbaren Bewegungsparameter. Die neuen, parallelkinematischen Strukturkonzepte haben die Leistungsgrenzen verschoben, das Problem der dynamischen Steifigkeit jedoch nicht überwunden. Andererseits wird die Dynamik jedoch auch von der Sollwert-Aufbereitung und anschließenden Antriebsregelung beeinflusst [21]. Sollgrößen Eingänge

Antrieb/ Regelung

Antriebskräfte Messgrößen

Mechanisches System (M,C,K)

Istgrößen Ausgänge Störkräfte

Abb. 4.11. Prinzipskizze zur gekoppelten Simulation aus Struktur und Regelung [67]

Um bereits im Entwurfsstadium gesicherte Erkenntnisse über später realisierbare Prozessgrößen wie Stabilität und Bearbeitungszeiten zu gewinnen, muss eine gekoppelte Simulation von Strukturdynamik, Steuerung und Antrieb/Regelung angestrebt werden. Häufig wird diese Herangehensweise als mechatronische Simulation bezeichnet. In verschieden Veröffentlichungen, z. B. [67], wird dies insbesondere bei der Entwicklung hochdynamischer Anwendungen empfohlen. Als wesentliche Punkte, die eine solche Herangehensweise bedingen, werden genannt [66]:

• Die Produktivität von Maschinen kann nicht durch Angaben zu maximaler Geschwindigkeit und Beschleunigung beurteilt werden. • Dynamikbestimmende Größen (Regelungsparameter, Ruck, Vorsteuerung usw.) hängen von den mechanischen Eigenschaften ab bzw. sind untereinander abhängig, s. Tabelle 4.2. Nachfolgend werden prinzipielle Varianten dargestellt, diese Modellklassen zu koppeln. Betrachtet man zuerst das Teilsystem Antrieb und Regelung, so ist festzustellen, dass die Beschreibung des Verhaltens mit Hilfe von Proportional-Integral- bzw. Differential-Gliedern und auftretenden Totzeiten zu einem aussagefähigen Simulationsmodell führt. Als Werkzeug hat sich in der Praxis die Software MATLAB® und SIMULINK® (The MATHWORKS) durchgesetzt. Ein einfach zu realisierender Ansatz einer mechatronischen Simulation ist die Berücksichtigung der mechanischen Komponenten als Massen-, Feder- und Dämpfungselemente. Häufig werden die realen, verteilten Steifigkeiten zu Ersatzsteifigkeiten zusammengefasst. Vorteil dieser Beschreibung ist, dass der Beschreibungsansatz dem für die elektrischen Komponenten entspricht und damit dann auch eine Integration in das ver-

4.3 Simulation des Gesamtverhaltens

107

wendete Simulationssystem möglich ist. Nachteilig ist, dass meist nur die unteren Eigenfrequenzen exakt beschreibbar und räumliche Zusammenhänge nur vereinfacht modellierbar sind. Häufig wird diese Vorgehensweise für erste überschlägige Dimensionierungen angewendet bzw. auch dann, wenn man auf experimentelle Vorkenntnisse, z. B. gemessene Frequenzgänge, zurückgreifen kann. Solche Elemente sind in Spezial-Bibliotheken für MATLAB® und SIMULINK® vorhanden. Häufig sind die mit einem Einfach-Modell gewonnen Erkenntnisse nicht ausreichend, da genauere Informationen zum räumlichen dynamischen Verhalten benötigt werden. Wie in den vorangegangenen Kapiteln gezeigt, bieten sich für detailliertere Modelle Mehrkörpersimulation mit elastischen Körpern und Finite-Elemente-Modelle an. Ergänzend zu den Ausführungen zur Modellbildung mittels MKS und FEM soll insbesondere unter dem Aspekt der Kopplung mit der Antriebssimulation auf die Schwierigkeit hingewiesen werden, die kraftschlüssige Relativbewegung eines Körpers auf einem flexiblen Körper (z. B. Wälzführungen) [21] zu beschreiben. Hierfür gibt es in den Software-Paketen noch keine Standardelemente. So wird häufig darauf verzichtet, die Modelle auch im Sinne einer echten Mehrkörpersimulation mit großen Verschiebungen bewegen zu können. Tabelle 4.2. Klassifizierung regelungstechnisch relevanter Maschinenschwingungen [7] Schwingungsform Maschinenaufstellung Maschinengestell

Frequenz [Hz] ~...30

Achsbaugruppen

~20...200

~10...40

Schwingungsformen ~100...600 höherer Ordnung der Achsbaugruppen Lokale Schwingun- ~500...2 000 gen (Platten, Messsystemanbauteile, Resonanzen der Messsysteme

Ausprägung Positionierverhalten Lageregelkreis Positionierverhalten und Stabilität Lageregelkreis Positionierverhalten und Stabilität Lageregelkreis bzw. Geschwindigkeitsregelkreis Stabilität Geschwindigkeitsregelkreis laute Pfeifgeräusche und grenzstabile Schwingung des Antriebs

Begrenzung Ruckbegrenzung Ruckbegrenzung Kv-Begrenzung Ruckbegrenzung Kv-Begrenzung Kp-Begrenzung Kp-Begrenzung (ggf. über Stromsollwertfilter stabilisierbar) Kp-Begrenzung (meistens über Stromsollwertfilter stabilisierbar)

108

4 Theoretische Modellbildung

Nachfolgend werden einige Beispiele für eine gekoppelte Simulation von Mechanik und Regelung mit MKS bzw. FEM gezeigt. Sie sollen die prinzipiellen Methoden darstellen und damit ein Verständnis für die Vorgehensweise vermitteln. Die Modellbildung mit Hilfe von MKS-Systemen ist für Parallelkinematiken sehr verbreitet, da sich die Stabstrukturen relativ einfach beschreiben lassen. Am Beispiel des Software-Paketes MSC.ADAMS® werden die Möglichkeiten zusammengefasst. Für die konkrete Software gibt es folgende Varianten, eine Kopplung zu realisieren [21]:

• Regelkreise innerhalb der MKS-Software, • Nutzung der Schnittstelle zur Kopplung mit CACE-Software, • Verlinken kompilierter Regelungsbibliotheken. Als flexibelste Variante hat sich die Nutzung vordefinierter Schnittstellen zwischen MKS- und CACE-Software herausgestellt, da der gesamte Umfang beider Systeme nutzbar bleibt. In Abb. 4.12. ist der Aufbau eines gekoppelten Modells von MSC.ADAMS® und SIMULINK® abgebildet. Solche vordefinierten Schnittstellen sind in vielen Programmpaketen bereits integriert. Über die Schnittstellen werden Informationen hinsichtlich der Zeitachse und der Soll- und Istgrößen ausgetauscht. Die Nachteile der MKS bzgl. des abbildbaren Frequenzbereiches sind bekannt. Da für die Beurteilung des Regelungsverhaltens aber genaue Informationen auch im höheren Frequenzbereich benötigt werden, rücken Verfahren zur Kopplung von FEM und Antriebssimulation bei den Maschinenentwicklern immer mehr in den Vordergrund. Es gibt verschiedenste Ansätze, von denen hier drei aus dem universitären Umfeld beschrieben werden. In [165] wird folgende Vorgehensweise vorgeschlagen, die in Abb. 4.13. kurz erklärt ist:

• Mechanische Modellierung mittels FEM • Simulation des geregelten Verhaltens durch: - Umwandlung des FEM-Modells in eine Zustandsdarstellung - Einbau des Modells in ein Zeitbereichssimulationsmodell - Rechenzeitersparnis durch Ordnungsreduktion Bei der Ordnungsreduktion ist darauf zu achten, dass keine wesentlichen Informationen verloren gehen.

10

Abb. 4.12. Ansicht der gekoppelten Simulation in SIMULINK [21]

from 1

[DZL]

from 4

[TCP]

TCP Z [mm]

360

TCP Y [mm]

0

TCP X [mm]

TCP [mm] Z

Display 1

0

Drehzahl WNC0 1-3 [rad/s]

[mm]

Subsystem

WVN0 Nv1 Points

MATLAB Function Linapod Rücktrafo

TCP XY Actual

Torque [Nm]

Torque [Nm]

from 2

Display 2

0

TCP [mm] X-G, Y,M, Z,B

TCP XY Reference

[mm]

Terminator

Linapod Rücktrafo 1

MATLAB Function

Actual position [mm] Servo 3

Nv1 point [mm]

Reference position [mm]

Actual speed [rad/s]

Servo 2

Actual position [mm]

Nv1 point [mm]

[TCP]

[mm]

Torque [Nm]

Reference position [mm]

Actual speed [rad/s]

Servo 1

Actual position [mm]

Nv1 point [mm]

Reference position [mm]

Actual speed [rad/s]

TCP [mm]

TCP [mm]

from 3

[LMP]

[DZL]

Goto 3

[LMP]

LKWS [mm]

Goto

[TCP]

Goto 1

Display 3

0

Position WMC01-3 [mm]

Lambda Vortrafo

MATLAB Function

[mm]

[mm]

[mm]

[rad/s]

4.3 Simulation des Gesamtverhaltens 109

110

4 Theoretische Modellbildung Antriebsauslegung Einzelachse

M

Auslegung Gestell

x=Ax+Bu y=Cx

CACSD

Achse 1

FEM

FEM

Achse 2 Achse 3 Analyse der dynamischen Bahngenauigkeit des Maschinenentwurfs

Abb. 4.13. Modellintegration der Antriebs- und Gestellstruktur [164]

Ein anderer Ansatz zur Simulation des gekoppelten Verhaltens im Zeitbereich ist die Nutzung von Spezialelementen in der FEM. Ein Beispiel ist das CONTRL-Element, das in der Software PERMAS enthalten ist. Die Funktionsweise dieses Elementes wird in [6, 7] beschrieben. Prinzipiell können in das Element sowohl PERMAS-Funktionen als auch externe Algorithmen integriert werden. Eingangsgrößen sind Verschiebungen und Ausgangsgrößen sind Kräfte. Im Projekt EffeNDi – Effektive Nutzung des Leistungspotentials von Direktantrieben durch Impulsentkopplung, Beschleunigungsregelung, achsübergreifende Regelung und gekoppelte Simulation – wurden ein PID-Regler und ein Kaskadenregler mit PPIVerhalten realisiert. Ein weiterer Betrachtungsansatz geht von linearisierten Modellansätzen sowohl für die Mechanik als auch die Regelung (Zustandsgleichung) aus. Mit dieser Annahme ist es möglich, die Bewegungs-Differentialgleichung in der bekannten Form, bestehend aus Massenmatrix, Dämpfungsmatrix und Steifigkeitsmatrix sowie Verschiebungsgrößen bzw. Störkräften aufzustellen. Dabei wird die Steifigkeitsmatrix des mechanischen Grundsystems um die regelungstechnische Lagerückführung erweitert. Eine Geschwindigkeitsrückführung führt dementsprechend zu einer Erweiterung der Dämpfungsmatrix; eine evtl. Beschleunigungsrückführung zu einer Erweiterung der Massenmatrix, Abb. 4.15. Damit kann man eine Bewegungsdifferentialgleichung für das gekoppelte System aufstellen, s. Abb. 4.16.

4.3 Simulation des Gesamtverhaltens

111

x' P9 Schalter u0, u. 0, ü0

Anzahl z

P2

P10

x''

F(x)

u1 -u2 . u1 . -u2

fA

P4 P1

Reglerelement

ü2 -ü2

-fA

Messgrößen Zustandsmatrizen des Reglers

x''' P3

P6

Antriebskräfte

x'''' P5

A, B, C, D, E, F

P8 P7

Abb. 4.14. Reglerelement [6] Bewegungsgleichungen

Zustandsgleichungen der Regelung

.. . M r + CM r + K r = fA + fS

. I z - A z = - B u + E u0

Kraftgrößen

y = C z - D u + F u0

Verschiebungsgrößen

Abb. 4.15. Erweiterung der Bewegungsdifferentialgleichung [7]

Zur Bewertung des Gesamtsystems stehen damit die bekannten mathematischen Methoden zur Verfügung (Eigenwerte, Eigenfrequenzen usw.). Geht man davon aus, dass das mechanische System mit der FE-Methode modelliert wurde, können Modelle mit einer Anzahl von bis zu 107 Freiheitsgraden verwendet werden. Dem stehen regelungstechnisch drei bis fünf Parameter pro Vorschubachse gegenüber. Um den Berechnungsaufwand zu verringern, bieten sich Kondensationsverfahren an, durch die die Anzahl der Freiheitsgrade reduziert wird. In [6] wird das Verfahren der modalen Kondensation vorgeschlagen. Dabei wird das Maschinenmodell lediglich durch relevante Eigenmoden abgebildet [1]. Als Ergebnis kann man nach der Kondensation mit vollbesetzten Matrizen sehr niedriger Dimension weiter arbeiten.

112

4 Theoretische Modellbildung

M + St DA TA BA TA

CM +

0

r

0

z

=

+

St DV TV

0

r

I

z

BV TV

St FA

St FV

St FL

EA

EV

EL

K +

+

St DL TL BL TL

+

- StC

r

-A

z

fs 0

Abb. 4.16. Bewegungsdifferentialgleichung eines gekoppelten Systems [7]

Fazit/Zusammenfassung Die gekoppelte Simulation wird von Entwicklern zunehmend als Werkzeug für die präventive Eigenschaftsermittlung genutzt. Diesem Trend tragen die Software-Hersteller Rechnung, indem leistungsfähigere Pakete angeboten werden. Aufgrund der feineren Diskretisierung und der Möglichkeit, vorhandene Daten aus der 3D-Konstruktion zu nutzen, wird meist der Weg gewählt, Mechanikmodelle mittels FEM zu erstellen. Die Ankopplung von Regelelementen ist heutzutage möglich. Als Vorteile werden in [66] genannt:

• Die Gesamtsimulation fördert das Systemdenken. • Die Strukturoptimierung der Mechanik kann nur im Einklang mit Regeleigenschaften und Bewegungsvorgaben erfolgen. Durch gekoppelte Simulation sind Vorhersagen zur dynamischen Bahngenauigkeit möglich und damit auch eine Vorhersage des Prozessverhaltens. Dieses Vorgehen verlangt und fördert die Durchgängigkeit der Daten und deren Wiederverwendbarkeit. In Zukunft wird durch modellhafte Abbildung der Steuerung bzw. ihre Integration ein weiterer Schritt hin zur virtuellen Werkzeugmaschine ermöglicht werden. 4.3.2 Integration von Prozessmodellen Hohe Prozessqualität und -stabilität sind generelle Forderungen an Werkzeugmaschinen. Sie sind umso schwieriger zu erfüllen, je höher Maschi-

4.3 Simulation des Gesamtverhaltens

113

nen- und Prozessdynamik sind. Die besondere Herausforderung der Simulation des geschlossenen Systems Maschine und Prozess besteht für Parallelkinematiken darin, dass nichtlinear-dynamisches Prozessverhalten mit im Arbeitsraum lokal unterschiedlichem nichtlinear-dynamischen Maschinenverhalten zusammentrifft. Um die Prozesssicherheit an allen Positionen im Arbeitsraum bei produktiven Prozessparametern zu gewährleisten, ist eine Simulation der Wechselwirkungen von Maschine und Prozess bereits im Vorfeld wünschenswert. Die Besonderheiten dieses Zusammenwirkens bei Parallelkinematiken äußern sich z. B. in einem im Arbeitsraum unterschiedlichen und von der Fräsrichtung abhängigen Verschleiß der Werkzeuge [94] und in von der Anstellung der Arbeitsplattform abhängigen Oberflächenqualitäten. Die deutlichste Ausprägung der Wechselwirkung von Maschine und Prozess findet sich im so genannten Regenerativeffekt, der u. a. in [116] näher erläutert wird. Durch die Prozesskräfte oder die Beschleunigungskräfte der Vorschubachsen wird die Maschine zum Schwingen angeregt. Diese Schwingungen bilden sich auf der Oberfläche des bearbeiteten Werkstücks ab. Ein erneutes Einschneiden in diese Oberflächenbereiche bedeutet eine Anregung mit den jeweiligen Maschineneigenfrequenzen. Eine Reihe von Einflussfaktoren bewirkt entweder ein Aufschwingen oder Abklingen dieses Effektes. Wesentlich ist dabei das dynamische Nachgiebigkeitsverhalten zwischen Werkstück und Werkzeug inkl. der Antriebsregelung. Insgesamt kann der Gesamtzusammenhang durch eine mehrfache Rückkopplung beschrieben werden, was in Abb. 4.17. veranschaulicht wird. Die abstrahierte Darstellung der Vorgänge an der Wirkstelle einer Werkstückbearbeitung ist Gegenstand des Prozessmodells. Der Abstraktionsgrad und damit der Umfang eines solchen Modells kann sehr unterschiedlich sein. Generelles Ziel ist es, die Realität entsprechend der Problemstellung durch eine mathematische Beschreibung abzubilden. Hinsichtlich der Vorgehensweise kann man vier Modelltypen unterscheiden: 1. Empirische Modelle 2. Analytische Prozessmodelle 3. Nutzung numerischer Berechnungsverfahren zur Prozessmodellierung 4. Prozessbeschreibung mit Hilfe von neuronalen Netzen, Kennfeldmethoden oder Verfahren, die auf Fuzzy-Logik basieren.

Empirische Modelle: Diese Modelle dienen der Ermittlung der integralen Größen des Spanbildungsprozesses, also von Schnittkräften, Momenten, Drehzahlen und Leistung. In Kombination mit den dynamischen Kennwerten der Maschine ist mit diesen Größen bereits eine Beschreibung der Stabilität des Zerspanungsvorgangs möglich.

114

4 Theoretische Modellbildung

Analytische Prozessmodelle: Diese Modelle erlauben Schlussfolgerungen zur Gestaltung der Werkzeuggeometrie und zu Grenzen der Prozessparameter. Nutzung numerischer Berechnungsverfahren zur Prozessmodellierung: Diese zum Teil auch als mikromechanische – im Gegensatz zur empirisch und analytisch beschriebenen Makromechanik – bezeichneten Modelle erlauben die Berechnung der Verteilung der Spannungs- und Dehnungsgrößen sowie der Temperaturverteilung im Werkzeug und im Werkstück. Ausführliche Beschreibungen zur Theorie sind in [166, 5] zu finden. Prozessbeschreibung mit Hilfe von neuronalen Netzen, Kennfeldmethoden oder mittels Verfahren, die auf Fuzzy-Logik basieren: Diese Methoden bieten die Möglichkeit, automatisiert komplexe Zusammenhänge mit ausreichender Nährung zu klassifizieren, ohne dass eine physikalische Beschreibung des zu untersuchenden Phänomens vorliegt. Das ist besonders dann von Interesse, wenn der Prozess einer Vielzahl sich wechselseitig beeinflussender Vorgänge unterliegt. Zusammenfassend ist festzustellen, dass Prozessmodelle für die Entwicklung von Parallelkinematiken in dreierlei Hinsicht wesentliche Bedeutung haben: 1. Die Definition des Anforderungsbildes, insbesondere bei Technologieneuentwicklungen mit unzureichender experimenteller Basis, wird deutlich erleichtert. 2. Aussagen zum Gesamtbetriebsverhalten einer Maschine sind nur durch geschlossene Modellierung zu gewinnen, da dieses wesentlich durch die Wechselwirkungen des Systems Maschine – Prozess bestimmt wird. 3. Modellbasierte Steuerungs- und Regelungskonzepte können die Qualität des Bearbeitungsvorgangs wesentlich verbessern.

4.3 Simulation des Gesamtverhaltens

115

Lagesollwertgenerierung 3D-CAD/CAM CNC Satzaufbereitung Interpolation Transformation Lageregelung Lagesollwertgenerierung für jede Strebe

Xsoll Vorwärts-

Vorsteuerung

transformation

-

Strebe 6

Strebe 5

Strebe 4

Strebe 3

Strebe 2

Strebe 1

Qist

Prozesskräfte

Werkzeug

Bearbeitungsprozess

Prozesskräfte

Modale Beschreibung der Maschine

Abb. 4.17. Einflussgrößen auf den Zerspanungsprozess

Q

Moment- Geber 2 geregelter Antrieb Geber 1

Mehrgrößenregelung

Achsen: X, Y, Z, A, B, C

Werkstück

Geschwindigkeitsregler (PI)

Einzelachsregler (n mal)

CNC-Steuerung

Lage-Istwert Werkzeugmittelpunkt

Istposition Werkzeugmittelpunkt



Qist

Lageregelung für jede Achse

Positionsregler (P)

Parallelkinematik



Qsoll Qsoll

X

Maschine

116

4 Theoretische Modellbildung

Aussagen zum Gesamtbetriebsverhalten einer parallelkinematischen Maschine erfordern die geschlossene Modellierung von Maschine und Prozess. Da dies mittels der Finite-Elemente-Methode heute noch nicht möglich ist, müssen verschiedene Modellvereinfachungen getroffen werden. Zur Beschreibung des dynamischen Maschinenverhaltens ist neben der Methode der Finiten Elemente die schon vorgestellte Simulation mit elastischen Mehrkörpermodellen üblich, mit deren Hilfe die Kinetik des Systems berechnet werden kann. Bei Verwendung elastischer Elemente sind die Eigenfrequenzen bestimmbar. Im Unterschied zum Finite-ElementeModell wird die Maschine bzw. werden deren Komponenten nicht in möglichst kleine Elemente zerlegt, sondern in größere Blöcke, die durch Gelenke und Federn miteinander verbunden sind. Man spart im Vergleich zum FE-Modell erheblich Rechenzeit. Für die Simulation mit Hilfe elastischer Mehrkörpermodelle existiert eine Reihe leistungsfähiger Softwarepakete, deren Eignung für die gekoppelte Simulation von Maschine und Prozess im Wesentlichen durch die Offenheit ihrer Schnittstellen definiert wird. Zu nennen sind MSC.NASTRAN®, MSC.ADAMS® und ALASKA®. In Abb. 4.18. wird die Modellierung der MIKROMAT 6X HEXA mit dem Programm MSC.NASTRAN® gezeigt. In diese Simulation wurde ein einfaches empirisches Prozessmodell für das Walzenstirnfräsen mit folgenden Parametern integriert:

FX = 765 N – 5 400 N/mm · ǻX – 2 940 N/mm · ǻY FY = 1 297,8 N – 9 270 N/mm · ǻX + 1 560 N/mm · ǻY FZ = 1 000 N a = 1 mm Man erkennt, dass durch die Prozessanregung die Ausschwingzeit durch eine überlagerte Schwebung deutlich verlängert wird. Diese Schwebung ist ein Indikator dafür, dass die gewählten Prozessparameter an der Grenze zur Prozessstabilität liegen. Dieses stark vereinfachte Modell ist vielfältig erweiterbar. Um das dynamische Verhalten der Maschine vollständig zu beschreiben, ist die Integration der Antriebsregelung unumgänglich. Geeignete Werkzeuge sind hier vor allem MATLAB®/SIMULINK®, bei denen die Modelle der NCLageregelkreise hinterlegt werden, s. Kap. 4.3.1. Eine zusätzliche Erweiterung ist durch eine detailliertere Beschreibung signifikanter Maschinenkomponenten mit Hilfe linearer Finite-Elemente-Modelle möglich. Dieses Vorgehen bietet sich vor allem für das System Hauptspindel – Werkzeug an. Dessen modale Parameter können wiederum in ein elastisches Modell einfließen, welches aus den Fräskräften entsprechende Deformationen für die Berechnungen im Zeitbereich ableitet, wie es in Abb. 4.19. gezeigt wird. Prinzipiell wurde dieses Vorgehen auch in [40] beschrieben.

4.3 Simulation des Gesamtverhaltens

117

Auslenkung in mm

Z X

in Y-Richtung in X-Richtung

Y

0,08 0,04

0

0

01

02

03

04 05 Zeit in s

06

07

08

Abb. 4.18. Kopplung des elastischen Mehrkörpermodells einer parallelkinematischen Maschine mit einem empirischen Prozessmodell Simulationssoftware für elastisches Mehrkörpermodell

Schnittstelle elastisches Mehrkörpermodell – Matlab®/Simulink® Laufzeitvariablen

Last: Fräskräfte, Antriebe im Zeitbereich

Fräskräfte Antriebe

Ergebnis: Bewegungsgrößen

Messsystem Führungskette Werkzeugmittelpunkt

Abb. 4.19. Modellierungsansatz

Matlab®/Simulink® Nichtlineare Simulation

Modell Modell Lageregelkreis Fräskräfte

118

4 Theoretische Modellbildung

Dieser bereits sehr detaillierte Modellansatz ist aufgrund der langen Rechenzeiten nicht onlinefähig und bietet damit keine Basis für eine steuerungsintegrierte Prozessregelung. Die Güte der Simulation wird wesentlich durch die Qualität der Eingangswerte für die Modellierung bestimmt. Die entsprechenden Werte werden entweder aus den CAD-Modellen der Baugruppen entnommen (z. B. für Trägheiten oder Lagersteifigkeiten), oder experimentell auf speziellen Prüfständen bestimmt. Besondere Schwierigkeiten bereitet die Ermittlung realistischer Parameter für die lokale Dämpfung. Hier wird in der ersten Näherung auf Schätzwerte zurückgegriffen. Einen weiteren in Abb. 4.20. veranschaulichten Ansatz der gekoppelten Simulation von Maschine und Prozess, insbesondere zur Ermittlung der Stabilitätsgrenzen, beschreibt Altintas in [2]. Dieser Ansatz steht in der kommerziellen Software CUTPRO® zur Verfügung. Basis ist die Beschreibung des Zerspanungsprozesses mit Hilfe empirischer Modelle. Die entsprechenden Schnittkraftparameter wurden experimentell bestimmt und für eine Reihe von Werkstoffen in einer Datenbank hinterlegt; Gleiches gilt für die meisten gebräuchlichen Werkzeuggeometrien. Diese Datenbankinformationen werden genutzt, um in Kombination mit den spezifischen Technologieparametern wie Vorschub und Drehzahl alle Prozessparameter zu berechnen. Basis für die Beschreibung des Maschinenverhaltens ist eine experimentelle oder numerische Modalanalyse mit Bezug auf den TCP. Im Zusammenwirken beider Teilmodelle – der Fräskräfte, Momente und Leistungen einerseits und der Parameter zur Beschreibung der Stabilität andererseits – wird das Verhältnis von Schnitttiefe und Vorschub, bezogen auf die jeweilige Drehzahl, berechnet. In diesem Zusammenhang werden außerdem Vorhersagen zur voraussichtlichen Oberflächenrauheit getroffen, wie aus Abb. 4.21. hervorgeht. Aufbauend auf der Theorie der Entstehung von Ratterschwingungen sind kommerzielle Programme verfügbar, mit deren Hilfe auf Grundlage von Fräserdaten, Nachgiebigkeitsfrequenzgängen, Werkstoffdaten und Prozessbeschreibung die Vorhersage der Prozessstabilität möglich ist. Die Basis bilden die direkten Nachgiebigkeitsfrequenzgänge (gemessen oder berechnet) von Werkstück- bzw. Werkzeugseite der betrachteten Maschine. Diese Vorgehensweise ist für serielle Kinematiken im Allgemeinen richtig. Im Gegensatz dazu hat sich für Parallelkinematiken gezeigt, dass aufgrund ihres strukturellen Aufbaus die Kreuz-Nachgiebigkeitsfrequenzgänge nicht vernachlässigt werden können, da sich hier unter Umständen Werte in gleicher Größenordnung wie in der direkten Richtung ergeben können [94]. Für die Planung effektiver Bearbeitungsstrategien bei Parallelkinematiken ist ein Werkzeug zur Vorhersage der positionsabhängigen Grenzwerte wichtig, da diese um bis zu 30 Prozent variieren können.

4.3 Simulation des Gesamtverhaltens

kWY

DWY

119

DWX

Y Werkstück

kWX

Fräser

dynamische Spandicke

P(t0)

Schneidkante

kFX

P(t1)

X

n

DFX

kFY

DFY

Flugkreis- x mittelpunkt

Abb. 4.20. Modellierungsansatz der Software CUTPRO® P: Fräsbahnpunkt eines bestimmten Fräserdrehwinkels Indices: F: Fräser; W: Werkstück

Abb. 4.21. Ergebnisse der gekoppelten Simulation von Maschine und Prozess mit CUTPRO® a: Schnittkräfte b: Stabilitätsgrenzkurve

Mit Hilfe der sehr komfortablen Software CUTPRO® wurde die Wechselwirkung von Maschine und Prozess am Beispiel der parallelkinematischen Maschine P 800 der Fa. METROM MECHATRONISCHE MASCHINEN GMBH untersucht. Die Maschinendynamik wurde durch eine experimentelle Modalanalyse ermittelt.

120

4 Theoretische Modellbildung

Abb. 4.22. Statische und dynamische Systemanalyse am Beispiel einer Parallelkinematik mit dem Freiheitsgrad Fünf der Fa. METROM MECHATRONISCHE MASCHINEN GMBH (P 800)

Y 3

2

4

X

1

Abb. 4.23. Messung der Positions- und Richtungsabhängigkeit der Steifigkeit entspr. Tabelle 4.3.; Zerspanversuche

4.3 Simulation des Gesamtverhaltens

121

Tabelle 4.3. Positions- und Richtungsabhängigkeit der Steifigkeit; Beispiel: Parallelkinematik mit dem Freiheitsgrad Fünf der Fa. METROM MECHATRONISCHE MASCHINEN GMBH (P 800), s. Abb. 4.22. Die Positionsabhängigkeit steigt von oben nach unten, die Richtungsabhängigkeit von links nach rechts.

Pos. 1 Pos. 2 Pos. 3 Pos. 4

Steifigkeit [N/µm] CX

Pos.-Koord. [mm] X

Steifigkeit [N/µm] CY

Pos.-Koord. [mm] Y

Steifigkeit [N/µm] CZ

Pos.-Koord. [mm] Z

28,7 42,3 60,6 34,7

0 0 0 315

47,2 30,7 31,2 37,4

-315 0 315 0

65,5 62,9 35,0 61,3

200 200 200 200

Die Auswertung der Zerspanungsanalyse an den ausgewählten Punkten im Arbeitsraum, die durch starke Unterschiede in den statischen und dynamischen Eigenschaften gekennzeichnet sind, ergibt, dass beispielsweise durch entsprechende Wahl des Bearbeitungsortes die kritische Schnitttiefe hinsichtlich der Stabilität um 20 Prozent gesteigert werden kann. Ähnliche Effekte sind auch bei der Oberflächenqualität ermittelbar. Ausgehend von systematischen Untersuchungen können ideale Bearbeitungspositionen gefunden werden. Anschließend ist die Bewegungsaufteilung so zu generieren, dass sich die Parallelkinematik in einem möglichst kleinen Bereich um diesen Punkt bewegt. Für die adaptive Prozessführung sind echtzeitfähige Minimalmodelle gefordert. Die Simulationen mit elastischen Mehrkörpermodellen und Finite-Elemente-Modellen können diesem Anspruch nicht gerecht werden. Realistisch ist ein Offline-Optimierungsprozess, der in einem durchgängigen mechatronischen Entwurf unter Einbeziehung folgender Gesichtspunkte eine sichere Parameterwahl für das Betriebsverhalten der parallelkinematischen Maschinen ermöglicht; s. Abb. 4.24. :

• Führungsdefinition durch CAM-NC, • Führungsverhalten durch die Antriebsregelung, • modellbasierte Steuerungs- und Regelungsalgorithmen wie z. B. zur Kalibrierung, zur Berücksichtigung des thermischen Verhaltens und der Elastizität, • Maschinendynamik, • Anregung durch den Prozess.

122

4 Theoretische Modellbildung Prozesssimulation

Eingriffsbedingungen

Zerspankraft

NC-Daten

Maschinensimulation

Kompensation von Positionierungsfehlern und thermischen Verlagerungen

Vorschubgeschwindigkeit

Beschleunigungskräfte

Deformation

optimierte NC-Daten

Steifigkeit

Prozessparameteroptimierung

Abb. 4.24. Optimierung der Betriebsparameter mit Hilfe der durchgängigen Simulation nach [162]

5 Experimentelle Modellbildung

5.1 Vorbetrachtung Die Zielstellung der messtechnischen Bewertung von Maschineneigenschaften besteht im Wesentlichen in der Beantwortung zweier Fragen: 1. Entsprechen die Maschineneigenschaften den Erwartungen? 2. Was sind die Ursachen für eventuelle Abweichungen? Die Erwartungswerte resultieren aus projektierten und konstruktiv realisierten Parametern, die sich ihrerseits aus den Anforderungen an die zu entwickelnde Maschine ableiten. Nach Abschluss der Konstruktion liegen die Erwartungswerte beispielsweise als Ergebnisse von Rechnungen mit Finite-Elemente-Modellen vor. Ein wesentlicher Unsicherheitsfaktor bei solchen Simulationen ist die ungenaue Kenntnis des Steifigkeits- und Dämpfungsverhaltens von Koppelstellen. Bei Parallelkinematiken sind das insbesondere die Gelenke, die Führungen und die mechanischen Antriebskomponenten. Es ergeben sich somit auch weitere Zielstellungen, z. B., Ergebnisse aus den genannten Simulationsrechnungen zu verifizieren oder anhand von Messwerten abzugleichen. Eine messtechnische Bewertung setzt die Verfügbarkeit einer Maschine oder wichtiger Baugruppen voraus, und sie ist zeit- und kostenaufwändig. Experimentelle Eigenschaftsermittlungen werden deshalb zweckmäßig an Prototypen durchgeführt, mit der Möglichkeit, nicht tolerierbare Abweichungen konstruktiv zu beheben. Eine weitere wichtige Fragestellung zielt auf die zu erwartende dynamische Prozessstabilität. Diese wird sowohl von den Maschineneigenschaften als auch von technologischen Parametern sowie den Werkstück- und Werkzeugeigenschaften beeinflusst. Sie ist im Kontext mit konkreten Bearbeitungsaufgaben zu sehen und wird im Folgenden mit den dynamischen Maschineneigenschaften betrachtet. Anhand der globalen Eigenschaften Arbeitsgenauigkeit, Leistungsvermögen, Umweltverhalten und Zuverlässigkeit können sowohl serielle als auch parallelkinematische Maschinen ausreichend bewertet werden. Für die globalen Eigenschaften gelten die folgenden Zuordnungen [148]:

124

5 Experimentelle Modellbildung

• Die Arbeitsgenauigkeit wird durch das kinematische und geometrische Verhalten der Maschine beschrieben; relevante Einflussgrößen sind die konstruktive Auslegung, die Herstellungs- und Montagegenauigkeit sowie das elastische Last- und Verformungsverhalten hinsichtlich angreifender Gewichtskräfte, statischer und dynamischer Prozesskräfte, Massenkräfte und Wärmelasten. • Das Leistungsverhalten wird durch Drehzahlen, Momente, Achsvorschübe und -beschleunigungen sowie die Werkzeug- bzw. Werkstückwechselzeiten beschrieben. • Das Umweltverhalten umfasst die Geräusch- und Vibrationsemissionen, die Belastung mit Hilfsstoffen und Prozessabfällen, den Unfallschutz und die Ergonomie. • Die Zuverlässigkeit wird bestimmt von der Ausfallhäufigkeit, der Prozessstabilität und der Instandsetzbarkeit. Die Mess- und Bewertungsmethoden für die beiden letztgenannten globalen Eigenschaften unterscheiden sich nicht von denen seriellkinematischer Maschinen. Sie sind deshalb auch nicht Gegenstand weiterer Betrachtungen. Für die Beantwortung der Frage nach vorhandenen Abweichungen von Erwartungswerten hinsichtlich der Arbeitsgenauigkeit und des Leistungsverhaltens müssen die Eigenschaften entweder direkt an der Wirkstelle zwischen Werkzeug und Werkstück oder indirekt anhand von Musterwerkstücken messtechnisch ermittelt werden. Die Mess- und Bewertungsmethoden hierzu unterscheiden sich ebenfalls nicht grundsätzlich von denen an seriellen Kinematiken. Insbesondere das kinematische Verhalten einschließlich der Positionierunsicherheit kann gleichermaßen an seriell- und parallelkinematischen Maschinen auf Basis von Maschinenabnahmevorschriften entsprechend [25] für Bearbeitungszentren und [63] für Drehzentren geprüft werden. Ein deutlicher Unterschied in den anzuwendenden Mess- und Bewertungsmethoden besteht bei Parallelkinematiken in der Ursachenermittlung für Abweichungen. Die Messungen an der Wirkstelle liefern Summeninformationen aus allen relevanten Einflüssen. Bei der Ursachenermittlung sind aber die anteiligen Einflüsse auf die festgestellten Abweichungen zu ermitteln. Das ist bei seriell aufgebauten Kinematiken relativ einfach, weil die Fehleranteile der einzelnen Maschinenachsen in Bezug zum Werkzeugmittelpunkt als weitestgehend entkoppelt angesehen werden können. Die Ermittlung anteiliger Einflüsse bei parallelkinematischen Maschinen gestaltet sich wegen der gekoppelt wirkenden Komponenten schwieriger, weil einerseits gemessene Abweichungen in der Regel nicht mehr direkt einzelnen Maschinenkomponenten zuzuordnen sind und andererseits der

5.2 Messung statischer Eigenschaften

125

anteilige Einfluss zusammenwirkender Komponenten abhängig ist von den Posen und Positionen der Arbeitsplattform im Arbeitsraum. Neben dem kinematischen Verhalten bestimmt das geometrische Verhalten gegenüber angreifenden Kräften und thermischen Beeinflussungen die Arbeitsgenauigkeit wesentlich. Im Folgenden werden Methoden zur Messung und zur Bewertung des geometrischen Verhaltens von Parallelkinematiken vorgestellt und unter praktischen Gesichtspunkten diskutiert. Messmethoden und verfügbare Ausrüstungen zur Messwertermittlung für die Kalibrierung wurden bereits in den Kapiteln 3.3 und 3.4 genannt.

5.2 Messung statischer Eigenschaften 5.2.1 Allgemeines Die relative statische Maschinensteifigkeit zwischen Werkzeug und Werkstück beeinflusst die Werkstückgenauigkeit. Sie wird mit der linearen Steifigkeitsmatrix und der Matrix der Neigungssteifigkeit vollständig beschrieben. Während bei seriellkinematischen Maschinen mit vorwiegend symmetrischem Aufbau nur die in den Matrizen in Tabelle 5.1. blau markierten Messwerte relevant sind, liefern bei Parallelkinematiken sowohl weitere Messwerte als auch die Abhängigkeit der Messwerte von Position und Pose der Spindelplattform wichtige Informationen über die Struktureigenschaften. Bei der Vorbereitung einer Messung der relativen statischen Maschinensteifigkeit sind deshalb in Abhängigkeit von den Zielstellungen folgende Entscheidungen zu treffen: • Festlegung der zu messenden Steifigkeitsparameter, wobei die Auswahl anhand der Matrizen getroffen wird. In jedem Fall sind die direkten Steifigkeitswerte kXX, kYY und kZZ zu messen. • Festlegung von Positionen und Posen der Arbeitsplattform. Hierzu ist es vorteilhaft, eine Vorauswahl anhand von Simulationsergebnissen vorzunehmen. • Zwischen welchen Messpunkten ist zu messen? Dabei kann zwischen Spindelnase und Werkstück, an einem Ersatzwerkzeug oder an der Werkstückaufnahme bzw. am Maschinentisch gemessen werden. Hier ist zu beachten, dass bei Messung zwischen einem Werkzeug und einem Werkstück bzw. einer Werkstückaufnahme maschinenfremde Einflüsse mit gemessen werden.

126

5 Experimentelle Modellbildung

• Festlegung der maximalen Belastungen in Richtung der translatorischen Maschinenachsen, wobei 75 Prozent der höchstzulässigen Belastungskraft als Richtwert dient. Zur Beurteilung der statischen Steifigkeit parallelkinematischer Maschinen kann es abhängig von deren Struktur auch vorteilhaft sein, die Maschine mit diagonalen Kraftvektoren in Richtung symmetrischer und asymmetrischer Führungskettenbelastungen zu beaufschlagen. Tabelle 5.1. Steifigkeitsmatrizen von Werkzeugmaschinen nach [26] in kartesischen Koordinaten Lineare Steifigkeitsmatrix: § k XX ¨ K ij = ¨ k YX ¨k © ZX

k XX =

FX

X

Neigungssteifigkeitsmatrix:

k XY

k XZ ·

k YY

k YZ ¸ k ZZ ¸¹

; kYY =

k ZY

FY

Y

¸

; k ZZ =

§ k Xϕ X ¨

k Xϕ Y

k Xϕ Z ·

¨ © k Zϕ X

kYϕY

kYϕZ ¸

k Zϕ Y

k Zϕ Z ¹

K iϕj = ¨ kYϕX

FZ

Z

k XϕY =

FX ijY

; kYϕX =

FY ijX

¸ ¸

; k ZϕX =

FZ ijX

Die Vorgehensweisen zur Messung der relativen Steifigkeiten an parallelund seriellkinematischen Maschinen unterscheiden sich praktisch nicht. Die statische Kraft wird in der Regel in Richtung der translatorischen Maschinenachsen zwischen Maschinentisch und Spindelnase stufenweise oder kontinuierlich ansteigend und abfallend eingeleitet. Der dadurch erzeugte geschlossene Kraftfluss innerhalb der Maschine entspricht den Verhältnissen im Bearbeitungsprozess. Parallel dazu werden die translatorischen Verlagerungen in den Belastungsrichtungen und Kreuzrichtungen gemessen. Bei seriellen Kinematiken wird in der Praxis meist auf die Messung der Neigungssteifigkeit verzichtet. Die Entscheidung, ob an parallelen Kinematiken Neigungssteifigkeiten zu messen sind, ist abhängig von der konkreten Maschinenstruktur. Simulationsergebnisse sind dazu eine wichtige Entscheidungshilfe. Als Belastungseinrichtungen eignen sich von Hand oder mittels Hydraulik längenverstellbare Elemente in Kopplung mit einer piezoelektrischen oder Dehnmessstreifen-Kraftmesszelle. Hydraulikzylinder sind zu bevorzugen, da während der Kraftzustellung keine Momente in die Maschinenstruktur eingeleitet werden. Elektrohydraulische Erreger, die zur Einbringung dynamischer Kräfte in die Maschine häufig benutzt werden, sind auch zur Einbringung statischer Kräfte gut geeignet. Wenigstens auf der Spindelseite der Parallelkinematik ist die Belastungseinrichtung mittels einer kleinen Kugel biegekraftfrei an die Maschinenstruktur anzukoppeln.

5.2 Messung statischer Eigenschaften

127

Translatorische Verlagerungen und Neigungen lassen sich bei hoher Messgenauigkeit mit berührenden induktiven Wegsensoren oder mit optischen, kapazitiven und Wirbelstromsensoren messen, wobei für die Neigungsmessung stets zwei in einem bekannten Abstand parallel zueinander angeordnete Wegsensoren erforderlich sind. Gravimetrische Neigungssensoren mit Messgenauigkeiten von wenigen µm/m sind meist großvolumig und deshalb weniger geeignet. Die zur Anordnung der Wegsensoren erforderlichen Messständer müssen je nach Stellung der Arbeitsplattform teilweise große Abstände zwischen Maschinentisch und Spindelnase überbrücken. Tischneigungen können deshalb die translatorischen Messwerte wegen der großen Hebelübersetzungen erheblich verfälschen. Bei Einsatz zweier, in einem bekannten Abstand – wie bei den Neigungsmessungen – angeordneter Wegsensoren kann der Neigungseinfluss rechnerisch eliminiert werden. Die als Ergebnis dieser Messungen vorliegenden LastVerformungs-Kennlinien ermöglichen Aussagen zur Linearität und zur Hysterese zwischen steigender und fallender Belastung sowie die Berechnung der statischen Steifigkeiten für beliebige Arbeitspunkte. 5.2.2 Ursachenermittlung für statische Steifigkeitsabweichungen Die gemessenen relativen Steifigkeitswerte zwischen Maschinentisch und Spindelnase sagen nichts über die Ursachen unzulässiger Abweichungen aus. Zu ihrer Ermittlung müssen die an der Gesamtsteifigkeit verantwortlichen Anteile aller im Kraftfluss liegenden Komponenten und Fügestellen erfasst werden. Man kann dazu die Nachgiebigkeiten an einer Vielzahl relevanter Messpunkte gegenüber einem ortsfesten, mechanisch und thermisch stabilen Messgerüst messen. Quasistatische Messungen reduzieren den Aufwand bei guter Messgenauigkeit beträchtlich. Die parallelkinematische Struktur wird hierzu mit einer sinusförmigen Kraft, der eine statische Vorlast überlagert wird, angeregt. Die Erregerfrequenz muss dabei in einem Frequenzbereich unterhalb der ersten Maschineneigenfrequenz liegen, in dem noch keine Phasenverschiebungen zwischen Erregersignal und Antwortsignal feststellbar sind. Das ist bei parallelkinematischen Maschinen normalerweise unterhalb von acht Hertz der Fall. Der Vorteil der quasistatischen Messung ist, dass die Reaktion der parallelkinematischen Struktur an den Messpunkten mit absolut messenden Beschleunigungssensoren erfasst werden kann. Die quasistatische Anregung der Maschinenstruktur nacheinander in Richtung der Maschinenkoordinaten, äquivalent zu den Messungen der relativen statischen Eigenschaften, vereinfacht die Auswertung und liefert genauere Aussagen zu den Ursachen als bei raum-

128

5 Experimentelle Modellbildung

diagonaler Anregung. Bei einer formschlüssigen Ankopplung des Krafterregers kann auf eine statische Vorlast verzichtet werden. Die statische Vorlast bestimmt den Arbeitspunkt auf der Last-Verformungs-Kennlinie; die reale Prozessbelastung kann so gut simuliert werden. Messungen ohne Vorlast mit kleinen Wechsellastamplituden ermöglichen dagegen Aussagen über den Anteil von vorwiegend nur durch Gewichtskräfte belasteten Gelenken parallelkinematischer Maschinen. Ein Anzeichen für die Notwendigkeit solcher Messungen sind festgestellte deutlich geringere Gesamtsteifigkeiten im Anfangslastbereich. Ein weiterer Vorteil der quasistatischen Messung ist, dass Vorgehensweise, Messanordnung und Ausrüstung in nahezu gleicher Weise auch bei den Untersuchungen von dynamischen Eigenschaften genutzt werden können. Unter der Voraussetzung eines annähernd linearen Übertragungsverhaltens der Maschinenstruktur im Arbeitspunkt auf der Last-VerformungsKennlinie dürfen unterschiedliche Kraftanregungssignale, z. B. Sinussignale und bandbegrenztes Rauschen, überlagert werden. Das ermöglicht ein gleichzeitiges Messen der statischen und dynamischen Maschineneigenschaften entsprechend Abb. 5.1. Untersuchungsobjekt

Signalgenerator

Beschleunigung Z

Beschleunigung Y

Beschleunigung X

Kraft

Sinus-Sweep

Sinus-Sweep

bandbegrenztes Rauschen

Sinus < 10 Hz

Hydraulikaggregat

Summenbildung

Messwerterfassung

Maschinenkoordinaten

Erreger

Krafteinleitung

Messgerätebedienung

Messdaten

- Quasistatik - Modalanalyse

Abb. 5.1. Messanordnung zum gleichzeitigen Messen der statischen und dynamischen Maschineneigenschaften

5.2 Messung statischer Eigenschaften

129

5.2.3 Prinzipielle Vorgehensweise Die Struktur der parallelkinematischen Maschine ist durch eine genügend große Anzahl von Messpunkten zu approximieren. Ein im Messrechner auf Basis der Messpunktkoordinaten erzeugtes Drahtmodell muss die Struktur dabei in anschaulicher Weise darstellen. An allen im Kraftfluss liegenden Komponenten und Fügestellen sind Messpunkte so festzulegen, dass aus den gemessenen Messpunktverlagerungen die Komponentenverlagerungen und -verformungen in allen sechs Freiheiten berechnet werden können. Im Idealfall sind dazu die Komponenten an ihren Koppelstellen und bei größeren Komponenten an ausgewählten Querschnitten mit Flächen aus vorzugsweise vier Messpunkten abzubilden. Bei Parallelkinematiken ist dies in der Regel im Bereich der Streben und Gelenke aus Gründen des für die Anbringung der Sensoren fehlenden Platzes nicht möglich. Streben werden meist nur als aus mehreren (wenigstens drei) Messpunkten bestehenden Linienstrukturen und zwei- bzw. dreidimensionale Gelenke nur an ihren Anschlussstellen mit Messpunkten abgebildet. Für parallelkinematische Maschinen mit torsionsbelasteten Streben sind die strebenseitigen Gelenkkoppelstellen wenigstens mit zwei quer zur Strebenrichtung liegenden Messpunkten darzustellen. Bei größeren Strukturen, z. B. bei der MIKROMAT 6X HEXA, ergeben sich insgesamt mehr als 200 Messpunkte. Die durch die Erregerkraft verursachten absoluten Verlagerungen der Messpunkte in den drei Raumrichtungen werden mit kleinen triaxialen Beschleunigungssensoren nacheinander gemessen. Bei einer Anzahl von z. B. 200 Messpunkten und gleichzeitiger Nutzung von zwei triaxialen Beschleunigungssensoren bedeutet dies einhundert Einzelmessungen pro Anregungsrichtung; insgesamt also dreihundert Messdurchgänge. Trotz der großen Anzahl von Einzelmessungen ist der Aufwand an Zeit und Ausrüstung im Vergleich zu Messungen mit Messgerüst wesentlich geringer. Aus den durch doppelte Integration der Beschleunigungssignale vorliegenden Wegsignalen und dem Erregerkraftsignal lassen sich dann für jeden Messpunkt und für jede Koordinatenrichtung die statischen Nachgiebigkeiten berechnen. Anders als bei seriellkinematischen Maschinen ist bei Parallelkinematiken sowohl im Bereich der Streben und Gelenke als auch am Gestell die Ausrichtung der Sensorachsrichtungen parallel zu den Maschinenachsrichtungen meist nicht möglich. Die Messwerte der Sensoren müssen deshalb in maschinenachsparallele Verlagerungen umgerechnet werden. Dazu ist die Kenntnis der Winkellage der Sensorkoordinaten gegenüber den Maschinenkoordinaten erforderlich. Hier sind die bereits beschriebenen Methoden der Koordinatentransformation anwendbar.

130

5 Experimentelle Modellbildung

Sind von den Messpunkten die statischen Nachgiebigkeiten und die Ortskoordinaten bekannt, können die an der Gesamtverlagerung verantwortlichen Anteile berechnet werden. Bei seriellen Kinematiken ist das insofern relativ einfach, als die im Kraftfluss liegenden Baugruppen eben gerade seriell angeordnet sind. Um z. B. an einer Maschine solcher Struktur den anteiligen Einfluss einer Fügestelle zu berechnen, ist die Fügestelle durch zwei benachbarte Flächen mit Messpunkten abzubilden und die Einflüsse des vom TCP im Kraftfluss ferneren Flächenschwerpunktes sind von denen des näheren Flächenschwerpunktes zu subtrahieren. Die translatorischen Verlagerungen übertragen sich direkt auf den TCP, während sich die rotatorischen Verlagerungen über den Abstand der Flächenschwerpunkte zum TCP auf dessen Verlagerung auswirken. Die Verlagerungen der Schwerpunkte in den sechs Freiheiten berechnen sich hierbei aus den gemessenen translatorischen Verlagerungen der die Flächen abbildenden Messpunkte. Für diese Vorgehensweise an Maschinen mit serieller Kinematik gibt es Rechenprogramme, die die anteiligen Einflüsse auf Basis der Messwerte und der Messpunktkoordinaten berechnen. Im praktischen Einsatz an derartigen Maschinen hat sich das am FRAUNHOFER-INSTITUT FÜR WERKZEUGMASCHINEN UND UMFORMTECHNIK IWU entwickelte Programm S-MOD bewährt. Die serielle Anordnung im Kraftfluss liegender Baugruppen ist bei Maschinen parallelkinematischer Grundstrukturen naturgemäß nicht erfüllt. Die auf der Grundlage der beschriebenen Vorgehensweise für Maschinen seriellkinematischer Strukturen entwickelten Rechenprogramme sind deshalb nicht geeignet. Hier besteht für die Entwicklung praxisfreundlicher Programme gegenwärtig noch Handlungsbedarf. Für parallelkinematische Strukturen mit längenveränderlichen Streben ist es mit Hilfe der Transformationsgleichungen möglich, quasistatisch gemessene Längenveränderungen der Streben in TCP-Verlagerungen umzurechen. Eine bewährte Methode zur qualitativen Visualisierung anteiliger Verlagerungen ist, die quasistatisch gemessenen Verlagerungen der einzelnen Messpunkte zu animieren. Dazu werden die Knotenpunkte der Messpunktkoordinaten durch Linien so miteinander verbunden, dass sich die parallelkinematische Struktur als dreidimensionales Drahtmodell im Rechner anschaulich abbilden lässt. Da dies zur Animationsdarstellung von Maschineneigenschwingungen ohnehin erforderlich ist, bedeutet das für die Quasistatik keinen zusätzlichen Aufwand. Aus der quasistatischen Animation können in beschränktem Maße auch Verformungs- und Verlagerungsanteile quantitativ abgeschätzt werden; signifikante Einflüsse sind in jedem Fall erkennbar.

5.3 Messung dynamischer Eigenschaften

131

5.3 Messung dynamischer Eigenschaften 5.3.1 Allgemeines Die dynamischen Eigenschaften der gesamten Maschine beeinflussen das Arbeitsergebnis. So haben beispielsweise die dynamischen Eigenschaften der Werkzeugmaschine Einfluss auf die erzeugte Oberflächenqualität und den Werkzeugverschleiß. In Abhängigkeit von den technologischen Bearbeitungsparametern können große dynamische Nachgiebigkeiten zu dynamisch instabilen Prozessen, so u. a. zum so genannten „Rattern“ führen. In Abb. 5.2. ist in einem Überblick die Ermittlung der entsprechenden Schwachstellen dargestellt. Ausschlaggebend für die Werkstückqualität und den Prozess ist die relative dynamische Nachgiebigkeit zwischen Werkzeug und Werkstück. Sie wird im interessierenden Frequenzbereich beschrieben durch die komplexe dynamische Nachgiebigkeitsmatrix in Form von Gl. (5.1) § G XX ( j Ȧ ) G XY ( j Ȧ ) G XZ ( j Ȧ )· ¨ ¸ G ij ( j Ȧ ) = ¨ GYX ( j Ȧ ) GYY ( j Ȧ ) GYZ ( j Ȧ ) ¸ , ¨ G ( j Ȧ) G ( j Ȧ) G ( j Ȧ)¸ ZY ZZ © ZX ¹

(5.1)

Dynamisches Verhalten von Werkzeugmaschinen im Arbeitsraum

der gesamten Maschinenstruktur

Nachgiebigkeitsfrequenzmatrix (f > 0 Hz)

modale Parameter

Nachgiebigkeitsfrequenzgänge (z. B. in Ortskurvendarstellung)

Eigenschwing- Eigenfrequen- modale Dämpformen zen fungen Animationsdarstellung

selbsterregte Schwingungen (Ratterverhalten)

fremderregte Schwingungen

Ableitung von technologischen Grenzwerten

Eigenschwingformtabellen

Schwachstellenanalyse

Ableitung von Maßnahmen zur Verbesserung des dynamischen Verhaltens

Abb. 5.2. Schwachstellenanalyse der Maschinenstruktur zur Ursachenermittlung unerwünschter dynamischer Eigenschaften

132

5 Experimentelle Modellbildung

in der für die i-te Kraftrichtungen und die j-te Wegrichtung die Nachgiebigkeiten zwischen Maschinentisch und Spindelnase bei der Frequenz jω angegeben werden. Parallelkinematische Strukturen besitzen gegenüber seriellkinematischen eine deutlich größere Bandbreite der dynamischen Eigenschaften in Abhängigkeit von Position und Pose der Arbeitsplattform. Insbesondere verfügen sie über eine erhöhte Anzahl eng benachbarter Eigenfrequenzen. Ursachen dafür sind häufig Biegeschwingungen von Streben mit geringen Längenunterschieden. Bei der Vorbereitung dynamischer Messungen an Parallelkinematiken müssen deshalb sehr sorgfältig die Positionen mit den zu erwartenden größten Unterschieden im dynamischen Verhalten ausgewählt werden. Wichtige Anhaltspunkte sind dabei die Positionen mit der größten und der kleinsten gemessenen statischen Steifigkeit. In der Praxis hat es sich bewährt, dynamisch kritische Positionen durch Übersichtsmessungen mit diagonaler Impulshammeranregung der Arbeitsplattform zu ermitteln. 5.3.2 Messung der relativen dynamischen Nachgiebigkeit Messanordnung und Vorgehensweise zur Messung der relativen dynamischen Nachgiebigkeit sind ähnlich wie bei der Messung der relativen statischen Steifigkeit. Das statische Vorlastsignal des elektrohydraulischen Erregers, entsprechend dem Arbeitspunkt auf der Last-Verformungs-Kurve, wird hierbei zusätzlich mit einem dynamischen Kraftsignal in einem Frequenzbereich von nahe Null bis zu einer interessierenden oberen Frequenzgrenze von in der Regel 300 Hz bis 800 Hz überlagert. Weißes, bandbegrenztes Rauschen mit Amplituden, die den mittleren Werten des Prozesses entsprechen, hat sich hierbei bewährt. Für spezielle Fälle, insbesondere wenn genügend Zeit für die Messungen zur Verfügung steht, kann die Struktur auch mit einem Sinus-Sweep angeregt werden. Bei der Messung der relativen dynamischen Verlagerungen ist zu beachten, dass die verwendeten Wegaufnehmer eine ausreichend große Frequenzbandbreite besitzen und dass Eigenresonanzen der benutzten Messständer die Messung nicht verfälschen. Auf der Basis der gemessenen Wegsignale und der anregenden Kraftsignale werden im interessierenden Frequenzbereich die Nachgiebigkeitsfrequenzgänge mit Hilfe von Analysatoren berechnet. Eine Bewertung erfolgt auf Basis von Erwartungswerten und im Vergleich mit den gemessenen statischen Eigenschaften. In jedem Fall prozessrelevant sind Strukturresonanzen mit erheblich höheren dynamischen als statischen Nachgiebigkeiten. Abhängig von den Prozessparametern können aber be-

5.3 Messung dynamischer Eigenschaften

133

reits kleine dynamische Nachgiebigkeiten zwischen Werkzeug und Werkstück zu selbsterregten Schwingungen (Rattern) im Prozess führen. 5.3.3 Ursachenermittlung dynamischer Steifigkeitsabweichungen Die Gesamtheit der Einzelnachgiebigkeiten und die Massen aller parallel wirkenden Komponenten und Baugruppen sowie deren geometrische Anordnung und Dämpfungseigenschaften bestimmen die globalen dynamischen Maschineneigenschaften. Beschrieben werden diese mit den modalen Parametern der Struktur: den Eigenfrequenzen, den Eigenschwingformen und den zugehörigen Dämpfungen. Die bereits erwähnte große Bandbreite der dynamischen Eigenschaften von Maschinen parallelkinematischer Struktur steht im Zusammenhang mit einer größeren Anzahl signifikanter Eigenschwingformen, den Moden. Diese sind zur Ursachenermittlung experimentell zu erfassen. Bei seriellkinematischen Strukturen verändern auch größere Positionsänderungen der Spindelnase gegenüber dem Maschinentisch die Eigenschwingformen nicht signifikant, sondern es verschieben sich nur deren Eigenfrequenzen. Die experimentelle Ermittlung der modalen Parameter mit Hilfe der Modalanalyse ermöglicht eine gute Abschätzung der Ursachen für interessierende dynamische Eigenschaften. Insbesondere die Animationen der Eigenschwingformen erlauben auch die Abschätzung des Einflusses von lokalen und globalen Kipp- und Biegeschwingungen auf das dynamische Gesamtverhalten der Maschine. Die Modalanalyse von Werkzeugmaschinen mit parallelkinematischer Struktur sollte, wie bei der Ermittlung der relativen Nachgiebigkeitsfrequenzgänge, mit einer relativen Anregung zwischen Maschinentisch und Spindelnase durchgeführt werden, da diese Anregungsart den realen Prozessbedingungen sehr nahe kommt. Zur Erzeugung möglichst vieler Eigenschwingformen eignet sich eine Anregung der Maschine in raumdiagonaler Richtung. Werden die modalanalytischen Messungen mit den quasistatischen Messungen gekoppelt, ist eine Anregung nacheinander in den drei Maschinenkoordinatenrichtungen durchzuführen. Handhabungseinrichtungen mit parallelkinematischer Struktur sind absolut anzuregen. Dies geschieht entweder mit einem so genannten Absolutanreger (elektrohydraulisch, elektrodynamisch) bzw. dem Impulshammer oder gegen einen von der Maschine dynamisch ausreichend entkoppelten Festpunkt, z. B. den Hallenboden oder einen schweren Stahlwinkel. Die Reaktion der Maschine auf die dynamische Anregung wird, analog zu den quasistatischen Messungen, an allen festgelegten Messpunkten mit absolut

134

5 Experimentelle Modellbildung

messenden triaxialen Beschleunigungssensoren erfasst. Die Berechnung der Wegsignale aus den Beschleunigungssignalen erfolgt zweckmäßig im Frequenzbereich durch Division mit jω 2. Aus der Gesamtheit der dann vorliegenden Nachgiebigkeitsfrequenzgänge werden mittels Modalanalyseprogrammen die modalen Parameter berechnet. In Abb. 5.1. und Abb. 5.2. sowie Abb. 5.3. ist die prinzipielle Vorgehensweise bei der Durchführung einer Modalanalyse dargestellt. Voraussetzungen

Approximation der realen Struktur durch ein Messpunktmodell lineares und zeitinvariantes Übertragungsverhalten

Experiment

komplexe Nachgiebigkeitsfrequenzgänge {F}

Störsicherheitstest Kohärenzfunktion

{X}

[G(jω)]

Modalanalyse

Linearitätstest

Quasistatik

Nachgiebigkeitsmatrix für Frequenzen nahe 0 Hz

Kurvenanpassung

Methodenauswahl

Datenreduktion/Datenkompression

modal entkoppeltes System/ modal gekoppeltes System

Mathematisches Modell . .. M . {X}+C {X}+K . {X}={f}

M: Massenmatrix, C: Dämpfungsmatrix, K: Steifigkeitsmatrix

Eigenfrequenzen

Dämpfungen

Eigenschwingformen

Abb. 5.3. Voraussetzungen und Vorgehensweise zur experimentellen Ermittlung von dynamischen und quasistatischen Eigenschaften von seriell- und parallelkinematischen Strukturen

Die Bewertung der animierten Moden von Strukturen mit Parallelkinematik setzt einige Erfahrung voraus. Biegeschwingungen der Streben sind typisch für derartige Maschinen. Auch große dynamische Biegenachgiebigkeiten müssen nicht unbedingt zu großen dynamischen Nachgiebigkeiten an der Arbeitsplattform führen, da die infolge der Biegungen entstehenden Längenänderungen der Streben meist vernachlässigbar klein sind. Dynamische Nachgiebigkeiten im Bereich der Gelenke können aber in

5.4 Messung thermoelastischer Eigenschaften

135

Verbindung mit Biegeschwingungen der Streben zu unzulässigen dynamischen Nachgiebigkeiten am TCP führen. Am in Abb. 5.4. gezeigten Beispiel einer parallelkinematischen Grundstruktur ist dies deutlich zu erkennen. Durch das Zusammenwirken von Strebenbiegeschwingungen und Gelenknachgiebigkeiten entsteht bei der typischen Eigenschwingform an der Spindel eine relativ große dynamische Nachgiebigkeit in Z-Richtung [93].

Z

Y X

Abb. 5.4. Eigenschwingform einer parallelkinematischen Maschine mit dem Freiheitsgrad Sechs (MIKROMAT 6X HEXA, bei ca. 52 Hz)

5.4 Messung thermoelastischer Eigenschaften 5.4.1 Allgemeines Thermisch verursachte Verlagerungen zwischen Werkzeug und Werkstück wirken sich negativ auf die Fertigungsgenauigkeit aus. Hinsichtlich der wirkenden Wärmelasten und der Vorgehensweise zur Ermittlung der Einflüsse auf die Fertigungsgenauigkeit gibt es gegenüber seriellen Kinemati-

136

5 Experimentelle Modellbildung

ken keine grundsätzlichen Unterschiede. Die äußeren Wärmelasten resultieren aus den Umgebungsbedingungen am Aufstellort der Maschine, also Raumtemperatur, vertikale und horizontale Temperaturgradienten und deren zeitliche Änderungen sowie konvektive Wärmeübergänge. Wärmelasten durch Sonnen- bzw. Heizkörperstrahlungen sollten durch geeignete Standortwahl weitestgehend vermieden werden. Innere Wärmelasten entstehen durch den Prozess und durch Leistungsumsatz an peripheren Geräten, beispielsweise an Lüftern, Pumpen, Temperierungskreisläufen u. ä. Insbesondere Wärme aus nicht abgeführten Spänen und Reibungsverluste an Führungen und Lagern sowie Wärme aus den mechanischen und elektrischen Antriebskomponenten können deutliche Verlagerungen hervorrufen. Unter normalen Betriebsbedingungen ergeben sich die thermisch verursachten relativen Verlagerungen aus einer Überlagerung aller Wärmelasten der Maschinenstruktur und den wärmetechnischen Materialeigenschaften. Auch unter konstanten äußeren Temperaturbedingungen stellen sich bei diskontinuierlichen Prozessen keine völlig thermisch stationären Zustände ein. Parallelkinematische Maschinen unterscheiden sich hierbei nicht von seriellkinematischen. Lediglich der gegenüber dem Arbeitsraum deutlich größere Bauraum der Maschine kann sich in erhöhten Verlagerungen aufgrund instationärer Temperaturbedingungen äußern. Hinweise zur Versuchsdurchführung und Versuchsauswertung für die Ermittlung thermoelastischer Eigenschaften sind auch in den Normvorschlägen [26] und [62] zu finden. 5.4.2 Messung der relativen thermoelastischen Verlagerungen Die Messung der relativen temperaturbedingten Verlagerungen im Arbeitsraum einer Werkzeugmaschine mit parallelkinematischer Struktur wird an einem in die Werkzeugspindel gespannten geschliffenen Messdorn, möglichst aus INVAR®, mit berührungslosen Wegsensoren durchgeführt. Die Sensoren werden hierzu auf dem Maschinentisch fixiert. Berührungslose Sensoren, in der Regel kapazitive oder Wirbelstromsensoren, sind erforderlich, um Verlagerungen infolge Lagererwärmung bei drehender Spindel zu messen. Mit fünf Sensoren lassen sich am Messdorn die drei Verlagerungsanteile in den Maschinenkoordinaten X, Y und Z sowie die Neigungen um X und Y messen. Um selektiv die relativen Verlagerungen und Neigungen aus äußeren oder inneren Wärmelasten ermitteln zu können, ist es erforderlich, die nicht zu messenden Einflüsse während der Untersuchung möglichst definiert konstant zu halten und die zu messenden definiert zu verändern. Um exakte Messergebnisse zu erhalten, ist dazu die Realisierung definierter Umgebungsbedingungen zu gewährleisten; am

5.4 Messung thermoelastischer Eigenschaften

137

besten in einer ausreichend großen Thermozelle. Experimentelle thermische Untersuchungen sind zeitaufwändig. Parallelkinematische Strukturen, die in Abhängigkeit der Position und Pose sehr deutliche Änderungen der geometrischen Anordnung der Streben aufweisen, sind in Mittellage und einigen Extremlagen zu untersuchen. Dadurch erhöht sich der Untersuchungsaufwand gegenüber seriellkinematischen Maschinen beträchtlich. Für einen Erwärmungs-Abkühlungs-Zyklus muss man bei einer Parallelkinematik in der Größe eines Bearbeitungszentrums mit bis zu 20 Stunden rechnen. Gleichzeitig mit den relativen Verlagerungs- und Neigungsmessungen sind die Temperaturen an den Wärmequellen und an den wärmeleitenden Maschinenbaugruppen zu messen und gemeinsam mit wichtigen Kennwerten wie Drehzahlen, Vorschubgeschwindigkeiten oder Prozessparametern in einem Messrechner zu speichern. Als Temperatursensoren eignen sich sowohl Thermoelemente als auch PT 100-Messwiderstände. Grundsätzlich sind dabei der Erwärmungsvorgang, ausgehend vom thermisch ausgeglichenen Maschinenruhezustand bis zu einem quasistatischen thermischen Beharrungszustand, und der Abkühlvorgang bis zum Erreichen des Ausgangszustandes automatisch zu registrieren. Für den Erwärmungsvorgang reicht eine Messfrequenz von ca. einem Messwert pro Minute und für den Abkühlvorgang von ca. einem Messwert pro fünf Minuten aus. Die relative Messung gibt einen guten Überblick über zu erwartende thermische Verlagerungen am TCP in Abhängigkeit von einzelnen Wärmelasten. Aufgrund der u. a. in [12] beschriebenen thermischen Nichtlinearitäten von Komponenten und Fügestellen sowie der räumlichen Verteilung der Wärmequellen besitzt das Superpositionsprinzip für die Ermittlung der thermisch bedingten Gesamtverlagerung am TCP nur sehr eingeschränkt Gültigkeit. Aus den selektiven Messwerten kann somit nur verhältnismäßig ungenau auf die zu erwartenden relativen Verlagerungen bei gleichzeitigem Einwirken aller Wärmelasten geschlossen werden. Sehr gut sind die selektiven Messergebnisse aber als Basis für Kompensationen geeignet. 5.4.3 Ermittlung der Ursachen thermoelastischer Verlagerungen Die relativen selektiven Messungen geben keine Informationen zu den Ursachen, die letztendlich zu den gemessenen Verlagerungen und Neigungen führen. Simulationsrechnungen sind hilfreich, liefern aber wegen der unzureichend bekannten wärmetechnischen Kennwerte, insbesondere in den Bereichen der Füge- und Koppelstellen, nur ungenaue Ergebnisse. Zur ex-

138

5 Experimentelle Modellbildung

perimentellen Ermittlung der Ursachen haben sich einerseits die Ermittlung signifikanter Wärmeströme z. B. aus den Antriebsmotoren oder den Führungen mittels thermografischer Messungen und andererseits die Verlagerungsmessung an ausgewählten Strukturpunkten gegenüber einem ortsfesten, thermisch stabilen Messgerüst bewährt. Aus Sequenzen thermografischer Bilder sind z. B. Asymmetrien von Wärmeausbreitungen an Maschinen gut erkennbar. Auf Basis der Verlagerungsmesswerte an den Strukturpunkten kann eine thermoelastische Bilanzrechnung zu Ermittlung anteiliger Ursachen durchgeführt werden. Für parallelkinematische Maschinen ist aber aus den bereits auf zur Quasistatik dargelegten Gründen kein Rechenprogramm zur Bilanzberechnung verfügbar. Die Animation eines anschaulichen Drahtmodells der Struktur auf Grundlage der Messpunktkoordinaten und der in drei Raumrichtungen gemessenen thermoelastischen Messpunktverlagerungen ermöglicht jedoch eine gute Abschätzung der anteiligen Ursachen.

Teil II: Maschinengestaltung und Einsatzerfahrungen; Ausgewählte Beispiele

6 Komponenten

6.1 Übersicht Die Nutzung unkonventioneller Strukturen für Produktionsmaschinen seit Mitte der 90er-Jahre hat kurzfristig einen Bedarf an neuartigen Komponenten, insbesondere für die Übertragung hoher Kräfte zwischen Raumpunkten in variabler Position, erzeugt. Maschinenherstellern, die schnell auf diesen neuen Trend der Produktentwicklung reagieren wollten, blieb anfangs nur der Weg der Eigenentwicklung komplexer Antriebs- und Gelenkeinheiten. In der Regel war dies mit Einschränkungen und Kompromissen verbunden, denn auch dafür wurde auf ein Basissortiment an Lagerelementen, Führungen, Antrieben und Zubehör zurückgegriffen. Mehrere auf diese Art und Weise entstandene Maschinen beweisen, dass so durchaus geeignete Lösungen entstehen können. Bald darauf erkannten auch spezialisierte Komponenten-Hersteller diesen Trend und brachten neue Entwicklungen auf den Markt. Einige der speziell für Parallelkinematik-Strukturen konzipierten Produkte finden sich inzwischen in vielen Maschinen wieder. Trotz großer Fortschritte auf dem Angebotssektor besteht bei Maschinenentwicklern nach wie vor Bedarf an erprobten, kostengünstigen Komponenten unterschiedlicher Größen und Tragzahlen, insbesondere solchen, die hinsichtlich ihrer technischen Parameter den Anforderungen des Werkzeugmaschinenbaus genügen. Lösungsvielfalt und Komplexität der Problemstellungen sind Gründe dafür, dass über das Zusammenwirken der Baukomponenten in Parallelkinematiken gegenwärtig nur wenige quantifizierte Allgemeinaussagen vorliegen, s. Tabelle 6.1. Für weitere Forschungs- und Entwicklungstätigkeit ergibt sich daher ein weites Betätigungsfeld. Bisher gebaute Maschinen mit paralleler Kinematik weisen neben den in den vorangegangenen Kapiteln bereits genannten Vorteilen auch eine Reihe von Nachteilen auf. Die durchgeführten Untersuchungen dazu beziehen sich in der Regel auf einen speziellen Anwendungsfall, weshalb die Ergebnisse nur bedingt zu verallgemeinern sind. Mit den bisherigen Erkenntnissen wird deutlich, dass Parallelkinematiken bewährte Maschinenkonzepte serieller Bauart nicht in allen Einsatzgebieten verdrängen können, da sie in Standardtechnologien

142

6 Komponenten

deren Leistungsspektrum häufig nicht erreichen. Es zeichnen sich jedoch bevorzugte Anwendungsgebiete ab, für die Parallelmechanismen tatsächlichen Effektivitätsgewinn im Vergleich zu konventionell aufgebauten seriellen Maschinen bringen. Tabelle 6.1. Einfluss der Maschinenkomponenten auf die Realisierung der an die Maschine gestellten Anforderungen Anforderungen an die Maschine (Kriterien)

Beeinflussende Komponente Strebe/ Gelenk Gestell Antrieb

Arbeitsraum (Größe und Form) Singularitätsfreiheit Elementarbewegungen (Rotation, Translation) Freiheitsgrad Rekonfigurierbarkeit Maschinen mit F < 6 Positioniergenauigkeit Maschinen mit F = 6 Steifigkeit, statisch Eigenfrequenzen Systemdämpfung Antriebsdynamik Geschwindigkeits-/Beschleunigungsübertragung Antriebsleistung Antriebskraft Kraftübertragung Dynamik Bauraum „ starker Einfluss „ weniger starker Einfluss … kein Einfluss

„ … … „ „ „ „ „ „ „ „ … „ „ … „ „

„ … „ „ „ „ „ „ „ „ … … … … … … „

„ … … … „ „ … „ „ „ … … … … … … „

6.2 Strebe und Antrieb 6.2.1 Charakteristik von Strebeneinheiten Als Streben werden in parallelkinematischen Maschinen und Mechanismen mehr oder weniger komplex aufgebaute Koppelelemente bezeichnet, die den bewegten und den feststehenden Teil des Mechanismus – Arbeitsplattform und Gestell – direkt miteinander verbinden. Unterschiede im konstruktiven Aufbau ergeben sich in Abhängigkeit davon, ob die Antriebskraft in der Strebe selbst erzeugt wird und direkt auf die Arbeitsplatt-

6.2 Strebe und Antrieb

143

form wirkt, oder ob die Strebe die Schubkraft eines Antriebs weiterleitet, ohne ihre eigene Länge zu verändern. Die grundsätzlichen Varianten für Strebenantriebe sind in Abb. 6.1. dargestellt. Im Folgenden werden längenunveränderliche Streben mit dem dazugehörigen gestellfesten Antriebssystem als eine Einheit betrachtet, da längenveränderliche Streben ebenfalls als komplexe Einheit beschrieben werden. Laut Theorie treten in raumbeweglichen Streben nur Zug- und Druckbelastungen auf. In ersten Publikationen wurde gern auf die Einfachheit des Aufbaus von parallelkinematischen Mechanismen mit sechs Freiheiten durch Verwendung mehrerer gleichartiger, gelenkig gelagerter Streben verwiesen. Die Steuerung wurde als universelles Instrument der Einflussnahme angesehen, um alle Ungenauigkeiten des Systems zu kompensieren. Unter Berücksichtigung praktischer Aspekte der Realisierung muss man im Entwicklungsprozess vom Ideal ausschließlicher Zug- und Druckbelastungen in den Streben parallelkinematischer Grundstrukturen mehr oder weniger abrücken. Lediglich in starren Streben für räumliche Strukturen ist dieses Ideal erfüllt, wenn die Belastungssituation innerhalb der Gelenke unberücksichtigt bleibt. Komplizierter sind die Belastungsverhältnisse in komplexer aufgebauten längenveränderlichen Streben. Wenn auch überwiegend zug- und druckbelastet, treten hier im Zusammenwirken der einzelnen Strebenkomponenten zusätzlich Biege- und Torsionsbelastungen auf. Noch weiter entfernt man sich vom Idealfall bei Betrachtung der Strukturerweiterungen, in denen die Belastungen der strukturbestimmenden Bauteile denen seriell aufgebauter Mechanismen gleichen. Varianten für Strebenantriebe

Drehantriebe

Linearantriebe

DIREKT

INDIREKT

DIREKT

- Motor (elektrisch, hydraulisch)

- Wälzschraubtrieb - Ritzel/Zahnstange - Spreizbänder

- Linearmotor - Piezotechnik - Hydraulik

längenunveränderliche Streben

längenveränderliche Streben

längenunveränderliche Streben

Abb. 6.1. Grundsätzliche Varianten für Strebenantriebe nach [159]

144

6 Komponenten

Insbesondere für Anwendungen im Werkzeugmaschinenbereich spielt die Erzielung hoher Steifigkeitswerte eine entscheidende Rolle. Das Steifigkeitsverhalten bei gleichzeitigem Zusammenwirken mehrerer Achsen unterscheidet sich erheblich von dem in seriellkinematischen Strukturen. Für Strukturen mit Parallelkinematik charakteristisch ist der nichtlineare Verlauf der Struktursteifigkeit für jede Position des Bewegungsraums. Für den Arbeitsraum, der nur einen – möglichst großen – Teil des Bewegungsraums umfasst, sind aber bestimmte, häufig auf praktischen Erfahrungen beruhende Vorgabewerte als Anforderungen hinsichtlich Steifigkeit und anderer Parameter zu gewährleisten. Das heißt, dass schon im Stadium der Aufgabenstellung grobe Einschätzungen erfolgen sollten, welche parallelkinematische Struktur überhaupt Chancen hat, Maschinen seriellkinematischer Bauart in bestimmten Eigenschaften zu übertreffen. So sind z. B. seriellkinematische Strukturen kleinerer, kompakter Maschinen sehr steif ausführbar. Kurze Hebelverhältnisse führen hier zu kompakten konstruktiven Lösungen der Elemente mit geringer elastischer Beweglichkeit. Parallelkinematische Strukturen mit gleich großem Arbeitsraum erreichen diese Werte kaum. Der Grund dafür liegt in der Dominanz der Steifigkeit der Gelenke. Die Situation kehrt sich bei zunehmender Größe der Struktur um. Diese als „inverser Dinosauriereffekt“ [167, 135, 136] bezeichnete Erscheinung zeigt Vorteile größerer parallelkinematischer Strukturen, die jedoch nur dann wirklich zur Geltung kommen, wenn die in den Strebenkomponenten auftretenden Belastungen überwiegend Zug- und Druckanteile umfassen. Eine Möglichkeit, auch kleinere parallelkinematische Maschinen mit hoher Struktursteifigkeit zu realisieren, stellen die auch als Hybridbauweisen bezeichneten Erweiterungen der Grundstrukturen durch einfache Koppelkinematiken dar. In parallelkinematischen Mechanismen mit längenunveränderlichen Streben werden Linearantriebseinheiten mit auf den Schlitten gelenkig aufgesetzten Streben stationär in eine Gestellkonstruktion eingebaut. Dafür liegen aus einer Vielzahl von realisierten seriellkinematischen Maschinen umfangreiche Erfahrungen vor – bei der Einführung neuartiger Maschinenstrukturen ein wichtiger Gesichtspunkt, der wesentlich zu deren Akzeptanz beiträgt. Charakteristisch für den Aufbau einer längenveränderlichen Strebe sind die gestellfeste, aber gelenkige Lagerung des Schlittens und die Bewegung der schlittengeführten Komponente durch diesen hindurch. Einige der bekannten, standardmäßig stationär montierten Linearantriebsmöglichkeiten sind – entsprechend modifiziert – nach diesem Prinzip als raumbewegliche Kompakteinheit ausführbar. Eine Reihe von Störeinflüssen wirkt negativ auf die Qualität der Bewegung und damit das Bearbeitungsergebnis, die Lebensdauer einzelner Maschinenelemente sowie die Standzeit der durch die Struktur bewegten

6.2 Strebe und Antrieb

145

Werkzeuge. Abhängig von der Strebenausführung und der Lage der Aufhängepunkte ergeben sich in den Streben Biege- und Torsionsschwingungen. Diese Erscheinungen treten bei allen Streben mit Schwenkbewegung auf, jedoch an längenveränderlichen Streben mit ungünstigem Verhältnis von Querschnitt und Länge, mit Steifigkeitssprüngen und hoher Eigenmasse ungleich stärker. Spielbehaftete Führungen zwischen linear bewegter Strebenkomponente und Führungsrohr verstärken den Effekt noch. Wechselnde Geschwindigkeiten der angetriebenen Streben, variable Schwenkgeschwindigkeiten und veränderliche Masseschwerpunktlagen, bewirken einen unstetigen Verlauf der Schwingungserscheinungen, Abb. 6.2. Strebenschwingungen können nicht völlig ausgeschaltet, aber durch passiv und aktiv wirkende Maßnahmen reduziert werden. Bevor aktive Maßnahmen eingesetzt werden, sollten die Möglichkeiten passiver Einflussnahme ausgeschöpft sein. Dabei wird durch konzeptionelle Abänderungen und konstruktive Maßnahmen versucht, Massen, Steifigkeiten, Dämpfungen und Beschleunigungen im Sinne höherer Eigenfrequenzen bzw. niedrigerer Schwingungsamplituden zu beeinflussen. Von den prinzipiell aus dem Werkzeugmaschinenbau bekannten Möglichkeiten der Beeinflussung von Schwingungen können einige auch bei Parallelkinematiken Anwendung finden, z. B.: • Massereduzierung der bewegten Strebenkomponenten, • Masseerhöhung des Gestells, • Verbesserung der Dämpfungseigenschaften durch entsprechende konstruktive Gestaltung bzw. Werkstoffwahl, • Erhöhung der Biegesteifigkeit der Strebenprofile in den relevanten Ebenen, z. B. durch den Einsatz dünnwandiger, großer Profilquerschnitte unter Beachtung des Problems möglicher Kollisionen mit benachbarten Streben, • Einsatz spielfreier bzw. vorgespannter Führungselemente, • steuerungsseitig eingebrachte Überlagerungsschwingungen, wie z. B. aktive Dämpfer, • aktives Verspannen von Strukturelementen.

146

6 Komponenten ∆φ

Drehpunkt

S1

∆L ∆φ

S2

∆φ

Drehpunkt

∆L

∆L

S

a

S1

S2

b

c

Abb. 6.2. Ausbildungsformen von Biegeschwingungen an Streben (S: Schwerpunkt) a: längenunveränderliche Strebe b: längenveränderliche Strebe mit endständigen Gelenken c: längenveränderliche Strebe mit Gelenkdurchgang am Gestell

Längenänderungen aufgrund thermischer Verlagerungen sind ein weiterer Grund für Fehler im Bewegungssystem. Durch Einsatz von Materialien mit geringer thermischer Ausdehnung und/oder durch steuerungstechnische Kompensation lässt sich dieser Einfluss minimieren. Voraussetzung ist die Kenntnis des thermischen Verhaltens der Struktur. Aus Untersuchungen an realisierten Maschinen mit Hilfe einer Thermovisionskamera liegen Erkenntnisse zur Wirkung thermischer Einflüsse vor. Hauptwärmequelle ist in der Regel der Motor, während der Einfluss der Reibungswärme an Wälzkontaktpaarungen weniger signifikant bleibt. Die thermische Entkopplung von Hauptwärmequelle und Linearstrebe, z. B. durch eine Zahnriemenstufe, wirkt sich positiv auf den Temperaturverlauf in der Strebe und damit auf die Genauigkeit der Parallelkinematik aus. Für konstruktive Lösungen mit Motor im unmittelbaren Strebenbereich sind zusätzliche Kühlmaßnahmen am Motormantel sowie steuerungsseitige Kompensation erforderlich. Weitere Störeinflüsse ergeben sich durch fixe Längenabweichungen von den theoretischen Vorgaben, bedingt durch fertigungstechnische Fehler der Strebeneinzelteile und der Gestellkonstruktion sowie durch Positionsabweichungen der Gelenkpunkte. Hinzu kommen Positionierfehler der Antriebe und Spiel in den Komponenten der kinematischen Kette. Infolge von Messepräsentationen und Vorstellungen neuartiger Prototypen von Maschinen mit längenveränderlichen Streben wurden Möglichkeiten näher untersucht, ähnliche mehrachsige Bewegungspotentiale mit fest am Gestell befestigten Antriebsschlitten und einfachen stabförmigen Koppelgliedern zu erreichen. Es wurde erkannt, dass auch altbekannte und vielseitig eingesetzte Scherenkinematiken sich mit Hilfe leistungsfähiger Steuerungen für den Aufbau hochdynamischer Präzisionsmaschinen eig-

6.2 Strebe und Antrieb

147

nen. Seitdem wird die Entwicklung von parallelkinematischen Strukturen mit längenunveränderlichen stabförmigen oder rahmenförmigen Streben trotz ungünstiger kinematischer Bewegungsumlenkung kräftig forciert, zumal sich das gegenwärtige Marktangebot an Antrieben – verwiesen sei auf die zukunftsträchtigen Lineardirektantriebe – besser für dieses Aufbauprinzip eignet. Gemäß den jeweiligen Anforderungen an die zu entwerfende Maschine können Antriebe und Koppelglieder einfach variiert werden, wobei sich das Verhältnis der Maschinengröße zum nutzbaren Arbeitsraum bei Einsatz längenkonstanter Streben erfahrungsgemäß etwas günstiger gestaltet als in Maschinen mit längenveränderlichen Streben. In Parallelkinematiken mit längenunveränderlichen Streben werden komplette Linearantriebseinheiten in der Regel auf massiven Gestellteilen befestigt; die Verbindung zur Strebe mit zwei endständigen Gelenken wird über ein angepasstes Adapterteil hergestellt. Damit entspricht die Anwendung dem vorgesehenen Einsatzfall einbaufertiger Antriebsbaugruppen aus dem umfangreichen Katalogangebot entsprechender Hersteller. Insbesondere die Kombination von bewährten Kaufkomponenten mit wenigen Fertigungsbauteilen entspricht aufgrund besser kalkulierbarer Kosten und des damit verbundenen geringeren Entwicklungsrisikos eher üblichen Konstruktionspraktiken. Räumliche dreiachsige Bewegungssysteme, die sich aus ebener Parallelbewegung mit dazu senkrechter serieller Zusatzbewegung zusammensetzen, werden häufig als Erfolg versprechender Einstieg in die Welt der parallelkinematischen Maschinen gesehen. Die meist nach dem Scherenprinzip aufgebauten Kinematiken bringen zwar einerseits die Vorteile paralleler Strukturen nur sehr eingeschränkt in einer Ebene zur Wirkung, verfügen aber andererseits über Spielraum für z. B. steifigkeitserhöhende Maßnahmen oder für einen erweiterten Arbeitsraum in einer bevorzugten Bewegungsrichtung. Kurze Koppellängen bewirken höhere Steifigkeitswerte und schmal bauende Strukturen, sind aber mit ungünstiger Kraftübertragung verbunden. Ein ausgewogenes Verhältnis zwischen Bewegungsdynamik und Steifigkeit ist erfahrungsgemäß nur mit vergleichsweise einfach strukturierten Kinematiken wie z. B. der Einfach-, oder Doppelschere bzw. dem Ellipsenlenker erzielbar. Erweiterungen dieser Mechanismen oder komplexere ebene kinematische Grundstrukturen führen zu massereichen Koppelsystemen und beeinträchtigen die Dynamik. Neben den Kräften in der ebenen Grundstruktur treten meist noch Reaktionskräfte in Achsrichtung senkrecht zu ihr auf; in Werkzeugmaschinen häufig in Richtung der Hauptbelastung. Dies erfordert eine entsprechend steife Gestaltung der Koppelglieder als Kasten- oder Rahmenkonstruktion.

148

6 Komponenten

Im Gegensatz zum breiten Angebot einbaufertiger Antriebseinheiten für den stationären Einbau handelt es sich bei längenveränderlichen Streben räumlicher parallelkinematischer Maschinen um Spezialbauelemente mit sehr spezifischem Anwendungsbereich. Als ein offenbar schwer zu lösendes Problem stellt sich die Bereitstellung von Qualitäts- und Größenreihen längenveränderlicher Streben mit breitem Anwendungspotential dar. Aufgrund der großen Zahl variabler Größen ist es gegenwärtige Praxis, für jeden spezifischen Anwendungsfall eine Strebenlösung zu entwickeln. Demzufolge sind nur wenige Strebenausführungen als Kaufelemente im Angebot. Die geringen Stückzahlen schlagen sich in hohen Kosten nieder, so dass Preisvergleiche zwischen seriell und parallel aufgebauten Maschinen ein unrealistisches Bild ergeben müssen. 6.2.2 Konstruktive Gestaltungsmöglichkeiten Übersicht Die vielfältigen Möglichkeiten der Erzeugung einer Linearbewegung in seriellkinematisch aufgebauten Maschinen können prinzipiell auch für Antriebe parallelkinematischer Maschinen genutzt werden. Anwenderspezifische, sich aus der Arbeitsaufgabe ergebende Anforderungen an die zu entwickelnde parallelkinematische Maschine, z. B. hohe Antriebskraft und Dynamik oder hohe Positioniergenauigkeit, schränken die Auswahl jedoch stark ein. In Abb. 6.3. sind die wichtigsten Auslegungskriterien für Streben zusammengefasst. Wie bereits in Kap. 2.2.2 ausgeführt, wird aus dem Freiheitsgrad des Mechanismus der Freiheitsgrad einer Führungskette berechnet. Für die Aufteilung dieser Gelenkfreiheiten auf die einzelnen Führungsketten gibt es wiederum verschiedene Möglichkeiten, wie Abb. 6.4. am Beispiel von längenveränderlichen Streben mit F = 6 zeigt. Bei indirekt wirkenden Antriebssystemen wird aus der Drehbewegung eines Motors durch mechanische Wandlerelemente eine translatorische Bewegung erzeugt. Die in Lineardirektantrieben realisierte Abwicklung eines rotatorisch arbeitenden Motors macht die mechanische Wandlung überflüssig. Für bestimmte Sonderanwendungsfälle sind auch rotatorische Bewegungen direkt nutzbar, um eine Strebe anzutreiben. Die Entscheidung darüber, ob eine Struktur mit längenunveränderlichen Streben und bewegten Fußpunkten oder mit längenveränderlichen Streben zum Einsatz kommen sollte, ist jeweils durch Analyse der fallspezifischen, an die Maschine gestellten Anforderungen zu treffen. Aufgrund der umfassenden Auswirkungen auf die kinematische Struktur kommt dieser Grundsatzentscheidung besondere Bedeutung zu. Dieser Arbeitsschritt

6.2 Strebe und Antrieb

149

gestaltet sich insofern recht schwierig, da erheblicher Gestaltungsspielraum sowohl bei Wahl und Dimensionierung der Struktur als auch bei der konstruktiven Ausführung der Komponenten besteht. Die dazu beispielsweise in [133] und [159] enthaltenen allgemein gefassten Aussagen zu Vor- und Nachteilen, wie sie in Tabelle 6.2. wiedergegeben werden, helfen bedingt weiter, machen darüber hinaus aber konkrete eigene Untersuchungen erforderlich. Nachfolgend werden Strebenantriebe näher erläutert, die inzwischen für parallelkinematische Werkzeugmaschinen zum Stand der Technik gehören. statisch dynamisch

Genauigkeit

thermisch Belastung

Geschwindigkeit

Bauraum

Streben

Beschleunigung

Havarieverhalten

...

Messsysteme

Abb. 6.3. Auslegungskriterien für Streben [159] Gelenk (zum Endeffektor)

Antrieb

Gelenk (zum Gestell)

Variante 1 f=3

f=1

f=2

f=2

f = 1+1

f=2

f=2

f=1

f=3

Variante 2

Variante 3

Abb. 6.4. Aufteilung der Gelenkfreiheiten auf eine längenveränderliche Strebe mit F=6

150

6 Komponenten

Tabelle 6.2. Merkmale längenveränderlicher und längenkonstanter Streben in Anlehnung an [133] Strebentyp längenveränderlich

Merkmale − größere Arbeitsraumabmessungen möglich − Schwankungen der Eigenschaften im Arbeitsraum geringer − einfachere Realisierung der überlagerten Kraftregelung − geringere Belastung der Führungen − geringere Belastung der Streben − Kalibrierungsaufwand wird als geringer bewertet längenunveränderlich − höhere Steifigkeit durch Kraftverteilung auf Antrieb und Gestell − geringere Anforderungen an erforderlichen Schwenkwinkelbereich der Gelenke − thermisch günstige Anordnung der Motoren durch Trennung von Strebe und Antrieb möglich − Genauigkeitsminderung durch größere Entfernung der Lagemessung von der Wirkstelle

Eine Klassifizierung der Ausführungen linearer Antriebseinheiten in Tabelle 6.3. erfolgt nach Art • der Bewegungsumwandlung, • der angetriebenen Strebenkomponente, sowie • der Anbindung des Motors an die Lineareinheit. Tabelle 6.3. Werkzeugmaschinentypische Antriebssysteme zur Erzeugung linearer Bewegungen Bewegungsumwandlung rotatorisch – translatorisch

angetriebene Strebenkomponente angetriebene Wälzschraubspindel angetriebene Wälzschraubmutter

translatorisch – translatorisch

Anbindung des Motors direkt, Servomotor ohne Getriebe indirekt, Servomotor und Getriebe direkt, Hohlwellenmotor indirekt, Servomotor und Getriebe direkt, Linearmotor in Flach- bzw. Rundbauart

6.2 Strebe und Antrieb

151

Spindel-Mutter-Systeme Bei Spindel-Mutter-Systemen herrschen Ausführungen mit Kugelgewindetrieb vor. Dafür steht ein breites Sortiment zur Verfügung, dessen Eigenschaften als bekannt vorausgesetzt werden, so dass in diesem Rahmen darauf nicht näher eingegangen wird. Für hochbelastete Präzisionsbewegungen bei geringen Verfahrgeschwindigkeiten kommen auch Rollengewindetriebe zum Einsatz. Hier ist neben dem höherem Preis zu berücksichtigen, dass an den Rollenkontaktflächen größere Reibung auftritt, die im Dauerbetrieb zur Temperaturerhöhung im Gesamtsystem beiträgt. In elektromechanischen Antriebssystemen setzen die mechanischen Komponenten der Steigerung der Dynamik Grenzen. Für ein besseres dynamisches Verhalten bei hoher Präzision macht sich neben der Reduzierung bewegter Massen die Erhöhung der biegekritischen Drehzahl erforderlich. Durch Optimierungsmaßnahmen wurden die Leistungsgrenzen der bewährten Spindelantriebe weiter verschoben, was nicht zuletzt eine Folge der rasanten Entwicklung auf dem Sektor der Lineardirektantriebe war. So können gegenwärtig elektromechanische Antriebssysteme für bestimmte Anwendungsbereiche durchaus mit linearen Direktantrieben erfolgreich konkurrieren. Insbesondere bei größeren bewegten Massen gelten elektromechanische Antriebe nach wie vor als vorteilhaftere Lösung. Die damit erzielbaren Beschleunigungswerte kommen den Werten von Linearantrieben nahe. Spindel-Mutter-Systeme lassen sich nach den in Tabelle 6.3. dargestellten Varianten gestalten. Als physikalisch günstigste Lösung für längenveränderliche Streben auf elektromechanischer Basis gilt ein SpindelMutter-System mit angetriebener Wälzschraubmutter und Hohlwellenausführung des Motors entsprechend Abb. 6.5. Die Motormasse kann hier im Zentrum eines groß bauenden Gestellgelenks konzentriert werden. Dadurch reduziert sich der Einfluss auf das Schwingungsverhalten der Strebe. Im Vergleich zu Spindel-Mutter-Systemen mit rotierender Wälzschraubspindel fällt die biegekritische Drehzahl des Systems bedeutend höher aus. Vorrangig für Anwendungen in der Handhabungstechnik wurden Spindel-Mutter-Systeme, bestehend aus einer Wälzschraubspindel, bestückt mit zwei Wälzschraubmuttern entsprechend Abb. 6.6. entwickelt. Die spezielle Spindel enthält neben den Gewindenuten zur Umsetzung einer Drehbewegung in eine Längsbewegung zusätzliche Längsnuten, um definierte Verdrehbewegungen zu übertragen. Als Antriebe kommen parallel zur Spindelachse angeordnete Servoantriebe mit Zahnriemenstufe infrage; ebenso ist die Integration von Hohlwellenmotoren denkbar. Beide Bewegungen lassen sich beliebig miteinander kombinieren und gewährleisten die Umsetzung von zwei Freiheiten in einer kompakten, mit zwei Motoren ausges-

152

6 Komponenten

tatteten Antriebseinheit. Kräfte, Genauigkeiten und Dynamik der Antriebseinheit liegen nicht in den für Werkzeugmaschinen relevanten Bereichen, bieten aber für Einsatzfälle anderer Art interessante Lösungen.

Abb. 6.5. Beispiel: Spindel-Mutter-System mit angetriebener Wälzschraubmutter und Hohlwellenmotor [INA-SCHAEFFLER KG; 60]

Wälzschraubspindel Wälzschraubmutter

Kugel Kugelkäfig Nutwellenmutter

Abb. 6.6. Spindel-Mutter-System mit Kombination von Gewinde- und Längsnut in der Wälzschraubspindel nach [130]

Eine weitere Lösung mit Spindel-Mutter-Antrieb ist in Abb. 6.7. dargestellt. Hier kommt eine Kugelbuchse mit verdrehgesichertem Innenrohr als rotationssymmetrisches Führungssystem zum Einsatz. Das wälzgelagerte

6.2 Strebe und Antrieb

153

Innenrohr trägt die Wälzschraubmutter. Diese wird bei Rotation der Wälzschraubspindel ein- und ausgefahren. Eine zusätzliche Gleitlagerung stützt den Bereich der Wälzschraubmutter ab. Die Auslegung von Spindel-Mutter-Systemen erfolgt zunächst nach der Steifigkeit, die sich aus den entsprechenden Anforderungen an die zu entwerfende Maschine ergibt. Entsprechend wird der Wälzschraubspindeldurchmesser festgelegt. Prinzipbedingt verändert sich die Steifigkeit des Spindel-Mutter-Systems in Abhängigkeit von der Position der Wälzschraubmutter auf der Wälzschraubspindel. Große Verfahrlängen, die sich z. B. aus der Anforderung nach einem großen Arbeitsraum ergeben, erfordern daher auch große Durchmesser. Die Spindellänge resultiert aus dem Verfahrweg, verlängert durch die Stützweite der Führung. Die Vorgabe zu erreichender Beschleunigungswerte für eine definierte Masse führt zur Auswahl der Wälzschraubspindelsteigung sowie der Übersetzung zwischen Wälzschraubspindel bzw. -mutter und dem Servomotor. Schnitt A Abstützung für Nutwelle Wälzschraubspindel (bewegtes (optional) Führungsrohr)

Wälzschraubspindel

B

Gelenk

Messsystem

B

Wälzschraubmutter

äußeres Hüllrohr

rotationssymetrische Nutwellenführung (THK Co., Ltd.)

Adapterbuchse Gleitführung

Schnitt B Führungssystem (THK Co., Ltd.)

A Längsführung und Verdrehsicherung

Maßstab

A

Abb. 6.7. Beispiel: Konstruktionsvariante einer längenveränderlichen Strebe mit angetriebener Wälzschraubspindel

154

6 Komponenten

Systeme mit Lineardirektantrieben Für die effektive Nutzung des Potentials von Lineardirektantrieben sind parallelkinematische Mechanismen insofern besonders geeignet, da im Gegensatz zu Seriellkinematiken jeder Antrieb neben der Eigenmasse nur die in der Führungskette nachfolgenden Bauteile bewegen muss. Damit steht die gesamte Motorkraft zum Beschleunigen bzw. Bremsen der Komponenten einer Strebe zur Verfügung. Für die Anwendung spricht weiterhin, dass sich die Steifigkeit im Gegensatz zu elektromechanischen Antrieben hier positionsunabhängig verhält. Einschränkend wirken die für Hochlastanwendungen noch zu geringe Leistungsdichte der Motoren, die Magnetwirkungen zwischen den Motorteilen sowie das hohe Preisniveau. Die hohe Wärmeentwicklung in den Motorteilen erfordert zusätzliche Kühlung, was allerdings wiederum eine Verbesserung der Leistung zur Folge hat. Die Bestrebungen zur Maximierung der Leistungsausbeute sowie zur Reduzierung der prinzipbedingten Magnetkraftrückwirkungen auf die Umgebungskonstruktion haben zu speziellen Motorausführungen bzw. Motoranordnungen wie Doppelkamm- und Solenoidbauweise geführt, die in Abb. 6.8. und Abb. 6.10. gezeigt werden. Während der Einsatz von Lineardirektantrieben bei längenunveränderlichen Streben als gut beherrschter Standardfall angesehen werden kann, gestaltet sich die Konstruktion längenveränderlicher Streben mit solchen Antrieben schwieriger. Insbesondere bei größeren Verfahrwegen führen die in Reihe und meist auch doppelseitig auf ein eigensteifes Trägerteil aufgebrachten Motor-Sekundärteile zu beachtlichen bewegten Massen und reduzieren damit den Nutzkraftanteil. Im Vergleich zu elektromechanischen Antriebssystemen schwieriger zu realisieren ist bei linearmotorgetriebenen, längenveränderlichen Streben die Abdichtung gegen Kühlschmierstoffe und Späne. Da zwischen den kraftübertragenden Elementen kein Formschluss vorliegt, müssen Sicherheitsmaßnahmen für die Situation eines Stromausfalls vorgesehen werden. Dafür kommen federbelastete Bremselemente, die an den Schienenführungen angreifen, zum Einsatz. Ein anderes Aufbauprinz sind zylindrische Linearmotoren. Bei diesem Prinzip wird die magnetisch aktive Fläche auf die gesamte Magnetoberfläche vergrößert und die ständigen Anziehungskräfte heben sich in allen Richtungen auf [132]. Prinzipiell kann man diese Linearantriebe direkt als Streben für PKM einsetzen. Konstruktiv sind jedoch folgende Probleme zu lösen: • Lagerung des Läufers mit minimalen Spiel, • ggf. Realisierung einer Verdrehsicherung,

6.2 Strebe und Antrieb

155

• Integration von linearen Messsystemen. Die Realisierung einer solchen Strebe für einen Hexapod-Versuchsstand erfolgte am INSTITUT FÜR FERTIGUNGSTECHNIK UND WERKZEUGMASCHINEN IFW DER UNIVERSITÄT HANNOVER, Abb. 6.9. Gehäuse

Schwenklager

Primärteil

Sekundärteil

Abb. 6.8. Strebe mit Linear-Direktantrieb in Doppelkamm-Anordnung: Hub ca. 540 mm

Abb. 6.9. Prototyp eines lineardirektangetriebenen Aktors [INSTITUT FÜR FERTIGUNGSTECHNIK UND WERKZEUGMASCHINEN IFW DER UNIVERSITÄT HANNOVER]

Eine andere Realisierung ist in Abb. 6.10. zu sehen. Die innere Konstruktion erlaubt einen intensiven Wärmeübergang auf den luft- oder flüssigkeitsgekühlten Mantel, so dass hohe Leistungsdichten realisierbar sind, so z. B. 1 780 N Dauerkraft und 3 750 N Kurzzeitkraft bei einem Hub von 220 mm.

156

6 Komponenten

Abb. 6.10. Strebe mit Linearantrieb in Solenoidbauweise: DrehstromSynchronlinearmotoren der Serie LINS mit Luft- oder Wasserkühlung und maximalem Hub von 220 mm [OSWALD ELEKTROMOTOREN GMBH]

Weitere Antriebsvarianten Alle Antriebsarten bieten bauartspezifische Vor- und Nachteile. Primär entscheiden die Anforderungen an die jeweilige Bewegungsaufgabe über die Eignung des Antriebsprinzips. Handling, Mikrobearbeitung und Mikrohandhabung sowie die Holzbearbeitung sind bevorzugte Einsatzgebiete der folgenden Lösungsmöglichkeiten: • • • • • • •

Zahnstangen-Ritzel-Systeme, Zahnriemensysteme, Reibrad-Antriebe, hydraulische Systeme [95], Planarantriebe, rotatorische Direktantriebe, Spreizbandantriebe.

Für den Einsatz in Werkzeugmaschinen kommen Zahnstangen-RitzelKombinationen und hydraulische Antriebe als kraftintensive Antriebe mit hoher Genauigkeit in Betracht. Nachfolgend werden einige der genannten Antriebsvarianten kurz erläutert: Zahnstangen-Ritzel-Systeme: Für Vorschubwege > 4 m führt der Einsatz von Kugelgewindetrieben zu sehr großen Spindeldurchmessern, so dass nur ein Antrieb der Gewindemutter noch sinnvoll ist. Alternativ kommt dann für hochbelastete Präzisionsantriebe ein Ritzel-Zahnstangensystem infrage. Durch Vorspannung zweier Ritzel, z. B. mit Hilfe lastbegrenzender Federn oder elektronisch durch zwei Antriebe, lässt sich Spielfreiheit erreichen. Der Vorteil des Ritzel-Zahnstangen-Antriebs liegt in der konstanten Steifigkeit über den gesamten Verfahrweg. Der Ritzeldurchmesser und die Eingangsdrehzahl bestimmen die erreichbaren Lineargeschwindigkeiten. Beschleunigungsmaxima werden bei sehr kleinen Ritzeldurch-

6.2 Strebe und Antrieb

157

messern erzielt. Ein vorgeschaltetes Zwischengetriebe erhöht die mögliche Vorschubkraft. Planarantriebe sind als Sonderbauart direkt wirkender Antriebe anzusehen. Bisher ausschließlich gestellfest eingebaut, bieten sie die Möglichkeit, zweiachsige ebene Bewegungen über nur ein Motor-Schlittenelement zu erzeugen. Für handelsübliche Systeme werden Spitzenkräfte von ca. 270 N angegeben. Damit kommt eine Anwendung für Werkzeugmaschinen kaum infrage; für die Handhabung von Kleinteilen bieten sich aber interessante Lösungsansätze, um Parallelkinematiken mit starren Streben zu realisieren. Rotatorische Direktantriebe in Verbindung mit Gelenken und längenunveränderlichen Streben lassen sich für ebene oder räumliche Bewegungen einer parallelkinematischen Struktur als direkt (z. B. Torque-, bzw. Hydraulikmotoren) oder als indirekt wirkende Antriebe nutzen. So lassen sich einfach und raumsparend Bewegungen übertragen, was beispielhaft an der aus [31] oder [54] bekannten Struktur in Abb. 6.11. gezeigt wird. Die Lagerung des Antriebsgliedes im Gestell kann raumsparend und steif ausgeführt werden. Diesen Vorteilen steht jedoch eine Reihe von Nachteilen gegenüber. So müssen für eine definierte geradlinige Wegstrecke durch die Antriebsglieder längere Kreisbogenbewegungen ausgeführt werden. An den Antriebsgliedern treten hohe Biegebeanspruchungen auf, ihre Kreisschwenkbewegung erfordert zusätzliche unwuchtkompensierende Maßnahmen.

Biegung

Abb. 6.11. Räumliche parallelkinematische Grundstruktur mit F = 5, FK = 6 [30]

158

6 Komponenten

Spreizbandantriebe sind für hochdynamische, kompakt bauende Handhabungseinrichtungen mit geringeren Ansprüchen an Kraftwirkung und Genauigkeit geeignet. Die Wirkung beruht auf den elastischen Eigenschaften eines Stahlbandes, das in gestrecktem Zustand einen gewölbten Querschnitt aufweist und damit als knicksteifes Element wirkt. Durch Aufrollen auf eine angetriebene Speicherrolle wird die Profilwölbung elastisch flachgedrückt, was ein Wickeln des Bandes ermöglicht. Abb. 6.12. verdeutlicht das Wirkprinzip dieser u. a. in [55] und [115] ausführlich beschriebenen Antriebstechnik.



-β +α



B A E vo nt e

A +a

B

lv e

-b -a

lv Evo

en

te

ich

re

+b

e sb

it

be

Ar

Abb. 6.12. Ebene parallelkinematische Grundstruktur mit F = 2, FK = 2 [115]

Die im Bereich der Werkzeugmaschinen allgemein gültige Forderung nach Gewährleistung der Funktionssicherheit empfindlicher Antriebskomponenten (Messsystem, Führungssystem, Schaltelemente, Spindeln, Linearmotoren usw.) durch geeignete Schutzmaßnahmen trifft auch für parallelkinematische Komponenten zu. Für Parallelkinematiken mit stationären Abtriebsachsen und Starrstreben entsprechen Abdeckungen bzw. Abdichtungen denen in seriellen Maschinenstrukturen. Durch die meist hohen Dynamikanforderungen sind Teleskopabdeckungen aufgrund ihrer vergleichsweise großen Masse weniger geeignet; deshalb kommen Faltenbalgabdeckungen zum Einsatz, ggf. mit zusätzlichen Leichtmetallschuppen ausgestattet. Längenveränderliche Antriebsstreben werden mit geschlossenen (Rechteck-, Rund-, Vieleckquerschnitt) Schutzumhüllungen versehen. Auch hier wird ein dichtender Faltenbalg bei Bedarf ergänzt durch mechanischen Schutz (z. B. Federspirale) ergänzt. In ebenen Parallelkinematiken beschränkt sich der Schutz gegen das Eindringen von Schmutzpartikeln, metallischen Spänen, Kühlschmierstoffen sowie gegen mechanische Beschädigung nicht nur auf die Antriebsachsen, sondern umfasst den gesam-

6.2 Strebe und Antrieb

159

ten Bewegungsbereich der Starrkoppeln. Für größere abzuschirmende Flächen werden Faltenbälge mit zusätzlichem mechanischen Schutz oder in zwei Richtungen wirkende Rolloabdeckungen verwendet. Kleinere Bewegungsflächen können durch Blendenverschlüsse verdeckt werden. Antriebsachsen sind kostenintensive Bauelemente – elektrisch wirkende Sicherheitsmaßnahmen als Schutz vor Beschädigung sind deshalb obligatorisch. In käuflichen Fertigsystemen wie z. B. in stationären KomplettLinearantrieben, z. T. auch in längenveränderlichen Linearachsen, gehören hubwegbegrenzende, unbedingt wirkende elektrische Schaltelemente zur Standardausstattung. Im Zusammenwirken mit zusätzlichen Schaltern für die Begrenzung der Schwenkwinkel wird das Risiko von Schäden innerhalb der Achsantriebe und Kollisionen der Streben untereinander erheblich reduziert. Schwenkwinkelbegrenzungen gehören für käufliche Gelenke bislang nicht zum Ausstattungsstandard; die Nachrüstung der bekannten Ausführungen gestaltet sich schwierig. Bei Eigenentwicklung von Gelenken sind Schwenkwinkelbegrenzungen jedoch realisierbar, z. B. durch ebene Schaltnocken in den Achsen größerer bzw. durch sphärische Schaltkurven in kleineren Kardangelenken, s. Abb. 6.22. 6.2.3 Messsysteme Für die Definition der Position der Arbeitsplattform im Raum ist die genaue Messung des Abstands zwischen den Strebenaufhängepunkten entscheidend. Es stehen einige Messprinzipien zur Verfügung, die sich in Auflösung, Genauigkeit und maximalem Messbereich unterscheiden. Die Wahl zwischen direktem oder indirektem Messverfahren fällt in Präzisionsanwendungen meist zugunsten der direkt messenden Systeme, da sie eine wesentlich höhere Genauigkeit bieten. Die Maßverkörperung kann durch mechanische, optische oder elektrische Teilungen erfolgen. Optische Systeme liegen zwar in den Kosten weit höher, gewährleisten dafür aber höhere Genauigkeiten. In Werkzeugmaschinen mit Genauigkeitsansprüchen im Bereich von 0,1 µm bis 10 µm gelten nach [159] Maßstabsysteme als ausreichend. Stand der Technik ist gegenwärtig die Positionierung des Messsystems in der bzw. parallel zur Antriebsachse. Ideal wäre die Längenmessung auf der biegeneutralen Linie der Strebe bzw. radialsymmetrisch um diese herum. Bedingt durch den inneren Strebenaufbau kann z. B. der Freiraum für ein zentral messendes Lasermesssystem fehlen. Eine alternativ dazu mögliche Anordnung von drei Messachsen um das Strebenzentrum herum kommt aus Kostengründen kaum in Betracht. Die Anordnung des Messsystems in der Vorschubachse hängt vom Typ des Messsystems und von der konstruktiven Ausbildung der Strebe ab. Prinzi-

160

6 Komponenten

pielle Möglichkeiten der Anordnung von Messsystemen an Streben sind in Anlehnung an [159] in Abb. 6.13. dargestellt und werden in Tabelle 6.4. hinsichtlich ihres praktischen Einsatzes in Bezug auf die angestrebte Möglichkeit der Erfassung von Positionierfehlern aufgrund von Fertigungstoleranzen, Nachgiebigkeiten und thermisch bedingten Verlagerungen ebenso bewertet, wie hinsichtlich der Kosten, die durch die jeweilige Messsystemanordnung entstehen. Die Aussagen hinsichtlich der in Tabelle 6.4. angeführten Nachgiebigkeiten beziehen sich vorrangig auf das statische Verhalten der Maschine; die dynamische Nachgiebigkeit muss im Zusammenhang mit der Regelung bewertet werden (vgl. dazu Kap. 3.2).

a

b

c

d

e

f

Abb. 6.13. Anordnung von Messsystemachsen in Streben (Messsystem: Pfeil) a und b: längenunveränderliche Strebe c bis f: längenveränderliche Strebe b und c: Encoder am Motor

6.2 Strebe und Antrieb

161

Tabelle 6.4. Bewertungsübersicht der Messsystemanordnungen aus Abb. 6.13. Variante

Fertigungstoleranzen

a „ b … c … d „ e „ f „ „ vorteilhaft „ weniger vorteilhaft … nachteilig

Nachgiebigkeiten

„ … … „ „ „

thermisch bedingte Verlagerungen

„ … … „ „ „

Kosten

„ „ „ „ „ …

Die günstigste Anordnung aus technischer Sicht stellt Variante f dar, da hier nur noch die Gelenksteifigkeiten das Messergebnis beeinflussen. Bei Akzeptanz der dafür anfallenden hohen Kosten kann die praktische Umsetzung dieser Variante durch Einsatz eines Lasermesssystems erfolgen. Dazu sind im konstruktiven Aufbau der Strebe einige Besonderheiten zu beachten, so u. a. Gewährleistung einer Justierung für die Strahlführung oder Absicherung des Nichtüberschreitens einer Vorgabelänge für die Messstrecke. In der Mehrzahl der Fälle kommen Variante a für längenkonstante Streben und die Varianten d und e für längenveränderliche Streben zur Anwendung. Seit längerem diskutiert werden vom Bewegungssystem entkoppelte Messachsen, die dann nicht mehr den genauigkeitsmindernden Einflüssen der Vorschubachsen unterliegen. Für Anwendungen in Werkzeugmaschinen existiert dazu noch keine praxisreife Lösung. Im Rahmen des Förderprojektes ACCOMAT (ACcuracy COntrolled MAchine Tool) des Bundesministeriums für Bildung und Forschung wurde von CARL ZEISS ein hochgenaues optisches Messsystem für die kontaktlose Bestimmung von Position und Lage eines Objektes im Raum entwickelt, das auf der Grundidee der GPS-Systeme basiert. Anstelle von Radiowellen wird Infrarotlicht verwendet, statt aktiv sendender Satelliten kommen passive Retroreflektoren aus Glas zum Einsatz. Die optische Länge zwischen dem Ende einer Lichtleitfaser, d. h. der gesuchten Position, und den Retroreflektoren wird mit Hilfe von Breitband-Interferometrie bestimmt. Dadurch wird es möglich, Positionen innerhalb eines Volumens von bis zu einem Kubikmeter auf einige Mikrometer genau zu bestimmen. Die Ergebnisse dieses Projektes sind in [158] zusammengefasst.

162

6 Komponenten

6.3 Gelenke 6.3.1 Allgemeines In parallelkinematischen Maschinen beeinflussen Gelenke als direkt im Kraftfluss liegende Bauelemente maßgeblich die Eigenschaften der Gesamtstruktur. Von den bisher im Maschinenbau gebräuchlichen Gelenkausführungen zur beweglichen Verbindung von Getriebegliedern entsprechend [145, 146] und [29] sind je nach den an die zu entwickelnde Baugruppe gestellten Anforderungen einige auch für Maschinen mit Parallelkinematik einsetzbar. Dies gilt insbesondere für ebene Gelenke. Für die Übertragung räumlicher Bewegungen hingegen erfüllen marktübliche Standardkardangelenke oft nicht die für parallelkinematische Maschinen relevanten Anforderungen hinsichtlich Baugröße, Tragfähigkeit und Steifigkeitsverhalten. Auch eine Eigenentwicklung räumlicher Gelenke stößt aufgrund des Fehlens geeigneter Lagerausführungen im Standardsortiment auf Schwierigkeiten. Es ist nahe liegend, dass sich die Lagerindustrie der Problematik annimmt, da hier die besten Voraussetzungen für die Entwicklung und die Serienfertigung von Komplettgelenken vorliegen. Auf die wichtigsten der nicht angetriebenen Gelenke, die sich für den Einsatz an Maschinen mit parallelkinematischen Strukturen besonders eignen, soll im Folgenden näher eingegangen werden. 6.3.2 Drehgelenke mit dem Freiheitsgrad Eins Drehgelenke mit einer Freiheit (D) genügen im Allgemeinen den Erfordernissen ebener Mechanismen. Diese einfachste und im Maschinenbau am häufigsten angewandte Gelenkverbindung erlaubt Winkelbewegungen um eine Achse. Zur konstruktiven Umsetzung einer solchen Gelenkverbindung kann die umfangreiche Palette an Lagern genutzt werden. Dementsprechend groß ist auch die Vielfalt der Lösungen. Mit dem einfachen Gelenkaufbau eröffnen sich Möglichkeiten, größere, hoch vorgespannte Lagersysteme mit massiven Trägerbauteilen einzusetzen und damit Steifigkeitswerte bis zu 2 000 N/µm zu erreichen. Für Anwendungsfälle, bei denen komplexe räumliche Gelenke den Hauptschwachpunkt bei Steifigkeiten oder bei Eigenfrequenzen innerhalb des Gesamtmechanismus bilden, kommen zwei Möglichkeiten als Lösungsansatz in Frage:

6.3 Gelenke

163

1. die Zerlegung räumlicher Gelenke in mehrere ebene Gelenke, 2. die Verwendung einer erweiterten Struktur als Kombination aus parallel- und seriellkinematischen Strukturen mit ebenen Gelenkverbindungen. Unter der Voraussetzung ausreichenden Bauraums können räumliche Schwenkbewegungen durch mehrere ebene Drehgelenke mit jeweils dem Freiheitsgrad Eins ausgeführt werden. Durch Integration der Gelenke in die dann meist voluminöser und damit auch massereicher zu gestaltenden Anschlussbauteile ergeben sich günstige Voraussetzungen, größere, vorgespannte Lagerungen mit großen Stützabständen einzusetzen und damit steife Konstruktionen zu erreichen, wie beispielhaft in Abb. 6.14. gezeigt wird. In den o. g. erweiterten Strukturen ergibt sich die meist erforderliche Gesamtbewegung in drei, fünf oder sechs Achsen aus dem Zusammenwirken von getrennten Bewegungen in Werkzeug und Werkstück oder als Kombination von ebener parallel- und seriellkinematischer Struktur in einer bewegten Einheit. Damit sind ebenfalls Vorraussetzungen gegeben, ebene und damit steifer ausführbare Gelenke entsprechend Abb. 6.15. einzusetzen, was ausführlich u. a. in [128] beschrieben wird. Allerdings kommen mit dem Übergang von komplex aufgebauten Gelenkeinheiten zu seriellkinematisch strukturierten einfachen Teilgelenken wiederum die Nachteile seriellkinematischer Strukturen, wie z. B. Biegebelastungen, verstärkt zur Wirkung. Ungenauigkeiten der mechanischen Kopplung der Komponenten bilden sich in der Bewegung der Arbeitsplattform ab. Einige nach diesem Gestaltungsprinzip realisierte und in der Praxis erfolgreich eingeführte Maschinen beweisen jedoch die Beherrschbarkeit dieser Problematik.

Abb. 6.14. Beispiel: Zerlegung räumlicher Gelenkverbindungen in mehrere seriellkinematisch angeordnete ebene Gelenke

164

6 Komponenten

Abb. 6.15. Beispiel: Drehgelenke in einer erweiterten Struktur (ebene parallelkinematische Baugruppe einer prinzipiell seriellkinematischen Werkzeugmaschine [CROSS HÜLLER GMBH]

Festkörpergelenke

Antrieb

Arbeitsplattform

Hubachse

Mikrogreifer

Gestell

Abb. 6.16. Festkörpergelenke in einer Handhabungseinrichtung für die Mikromontage [57]

Als Sonderfall ebener Gelenke sind Festkörpergelenke zu nennen. Die Wirkung dieses Gelenktyps basiert auf den Elastizitätseigenschaften geeigneter Werkstoffe. Aufgrund der kleinen erzielbaren Drehwinkel, in der Regel im Bereich von höchstens zwei bis fünf Grad, bleibt die Anwendung auf Mikrostellbewegungen beschränkt. Für diesen Anwendungsbereich sind sie jedoch prädestiniert, denn Spiel und Verschleiß treten nicht auf. Durch die federnden Komponenten erzeugte neue Resonanzstellen im System sind dann akzeptabel, wenn sie in einem für den dynamischen Betrieb nicht relevanten Frequenzbereich liegen. Die konstruktive Umsetzung

6.3 Gelenke

165

kann durch gezielte Querschnittsverringerung im Gelenkbereich einer Koppel erfolgen. Dabei wird eine definierte Bewegung der Koppelteile möglich, Abb. 6.16. Das Federungsverhalten von Festkörpergelenken hat eine geringe Systemsteifigkeit zur Folge, so dass sie eher dann zum Einsatz kommen, wenn die durch die im Kraftfluss liegenden Gelenke zu übertragenden Kräfte gering sind, oder wenn die Gelenkbelastung durch eine hohe Kraftübersetzung nach den Gelenken verringert wird. Auch für räumliche Anordnungen sind Festkörpergelenke geeignet, allerdings ist die praktische Realisierung sehr komplex. 6.3.3 Drehgelenke mit den Freiheitsgraden Zwei und Drei Die Erzeugung der Bewegungen in räumlichen parallelkinematischen Maschinen erfordert Gelenke mit Beweglichkeit in zwei und drei Schwenkachsen zur Verbindung der Streben mit dem Gestell bzw. dem richtungsgebundenen Antriebselement einerseits sowie der Streben mit dem Abtriebselement andererseits. Verbreitet sind zwei Arten von Gelenken: das Kardangelenk und das Kugelgelenk. In beiden Ausführungen können die bewegten Elemente gleit- oder wälzgelagert, magnetisch oder hydrostatisch gelagert sein. Größer bauende Gelenke als Kardangelenkrahmenkonstruktionen ergeben sich, wenn lange Streben durch die gestellseitige Aufhängung hindurchgeführt werden. Einige technisch interessante und teilweise serienreif entwickelte zweibzw. dreiachsige Gelenktypen, konzipiert für anspruchsvolle Anwendungen in Werkzeugmaschinen, werden nachfolgend unter dem Blickwinkel der in vorliegendem Buch beschriebenen Mechanismen erläutert. Kardangelenke Kardangelenke (DD) – zwei hintereinander geschaltete Drehgelenke mit dem Freiheitsgrad Eins (D), deren Achsen sich kreuzen – dienen als Standardmaschinenelemente in erster Linie zur Übertragung von Drehmomenten und dem Ausgleich von Achsversatz. Eine Reihe von Herstellern bietet für diesen Zweck bewährte Produkte an, die aber in ihrer konstruktiven Ausführung weniger geeignet sind, hohe Zug- und Druckkräfte zu übertragen. Für Anwendungsfälle, in denen geringere Belastungen kombiniert mit hoher Winkelbeweglichkeit auftreten, hat der Einsatz von kostengünstigen Standardgelenken aber durchaus seine Berechtigung. Inzwischen sind speziell für den Einsatz in Parallelkinematiken konzipierte Gelenkeinheiten auf dem Markt. Sie vereinen große Schwenkwinkelbereiche mit hohen Steifigkeitswerten. Erreicht wird dies durch ent-

166

6 Komponenten

sprechende Gestaltung der Gelenkteile. Gelenkkreuz und Gelenkgabeln sind stärker dimensioniert. Der Achsenkreuzungspunkt liegt nahe der Auflageebene der Gelenke. Bei der Auswahl der Lagereinheiten für Kardangelenke wird der Tatsache Rechnung getragen, dass dicht gepackte kleinere Wälzkörper aufgrund vieler Kontaktflächen höhere Steifigkeit aufweisen als größere Wälzelemente. Nadelrollen sind daher als Wälzkörper bestens geeignet. Um Spielfreiheit bzw. Vorspannung zu erreichen, müssen von der Lagerung neben den dominierenden Radialbelastungen auch Kräfte in Axialrichtung aufgenommen werden. Diese Funktion erfüllen die im Katalogsortiment einiger Wälzlagerhersteller enthaltenen kombinierten Radial-Axial-Nadellager, wie sie z. B. in der in Abb. 6.17. gezeigten Einheit eingesetzt werden. Gegenwärtig noch nicht im Katalogbestand zu findende Schrägnadellager sind Speziallager, die mit schräg stehenden Wälzkörpern dem Aufbauprinzip von Kegelrollenlagern entsprechen. Eine Käfigführung reduziert zwar die Tragzahl gegenüber vollnadeliger Ausführung, beugt aber der Blockiergefahr durch Schrägstellen von Nadeln vor und schafft definierte Abrollbedingungen der Wälzkörper ohne gegenseitige Beeinflussung. Ein Einsatzbeispiel zeigt Abb. 6.18.

Abb. 6.17. Kardangelenkeinheit mit kombinierten Radial-Axiallagern [INASCHAEFFLER KG; 60]

6.3 Gelenke

167

Abb. 6.18. Kardangelenkeinheit mit Schrägnadellagern [INA-SCHAEFFLER KG]

Da große Schwenkwinkel mit großen Stützweiten der Lagerungen in der Gelenkgabel verbunden sind, muss zur Minderung des ungünstigen Kraftflusses zu einer Kompromisslösung gegriffen werden. Durch unterschiedliche Winkelbereiche in beiden Schwenkebenen wird erreicht, dass die innere Gabellagerung kleine Stützabstände aufweist, die äußere dagegen große. Die damit verbundenen höheren steifigkeitsmindernden Biegebelastungen der Außengabel werden entweder durch eine biegesteife Gabelform aufgenommen oder auf eine großflächige biegesteife Gelenkauflagefläche der Anschlusskonstruktion übertragen. In Abb. 6.19. sind mögliche Konstruktionslösungen mit großer Basisauflage der Gelenke dargestellt.

Abb. 6.19. Beispiel: Hauptspindelträgereinheiten mit großflächigen Auflageplatten für sechs Kardangelenke entsprechend Abb. 6.17. [FRAUNHOFER IWU]. Die Darstellung zeigt jeweils nur die Grundplatten der Kardangelenke.

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6 Komponenten

Kardangelenke mit Strebendurchgang werden meist als Rahmenkonstruktion mit je zwei Innen- und Außenzapfen ausgeführt. Die inneren Achszapfen ermöglichen die Schwenkbewegung der Strebe in einer Ebene; die äußeren Achszapfen sind in gestellseitigen Lagerböcken abgestützt und gewährleisten ein Schwenken des Rahmens mit der Strebe in der zweiten Ebene. Konstruktionsbedingt weisen die Lagerungen größere Stützabstände auf. Den Biegebeanspruchungen kann nur durch entsprechend steife Gestaltung der Rahmenkonstruktion entsprochen werden. Das Befestigen der Gelenklagerböcke am Gestell kann unterschiedlich gelöst werden. Die Integration der Lagerung direkt in die zumeist recht großen Gestellbauteile bringt aufgrund der geringeren Fügestellenanzahl Steifigkeitsvorteile. Eine weitere Möglichkeit besteht darin, den Gehäuseteil mit der Lagerung als separate ein- oder zweiteilige Montageblöcke auszuführen, wobei eine symmetrische Abstützung der in der Regel recht schweren Strebeneinheiten besonders günstig ist. In jedem Fall ist eine Nachjustierung der Gestellpunktposition, z. B. durch Stellelemente in der Lagerung, vorzusehen. Die Einhaltung des Gelenkkreuzungspunktes gestaltet sich schwieriger als in Kugelgelenken. Abweichungen von der Idealposition dieses Punktes sowie Hystereseeffekte spiegeln sich als Genauigkeitsabweichung an der Arbeitsplattform wider. Deshalb sollte die reale Position der Gelenkachsen der exakten geometrischen Gelenkmitte möglichst nahe kommen. Unter der Voraussetzung der Kenntnis der mathematischen Zusammenhänge lassen sich Abweichungen davon durch die in Kap. 3.4 beschriebenen Kompensationsalgorithmen in der Steuerung ausgleichen. Ziel bleibt jedoch eine maschinenangepasste Grundgenauigkeit, die derartige Korrekturmaßnahmen überflüssig macht. Hohe Genauigkeiten bei der Positionierung des Achskreuzungspunktes erzielbar, wenn sich dafür maßgebende Formelemente auf einem Fertigungsteil befinden und dadurch eine Kontrolle der zwei bzw. drei Achsenpositionen an einem Teil durch Messung bzw. durch Prüfdorne möglich wird. Darüber hinaus sind weitere Positionierhilfen, im einfachsten Fall z. B. in Form von Passstiften, vorzusehen, um eine exakte Montageposition am Einbauort einzuhalten. Hier handelt es sich um Kompromisslösungen, die keine exakte Drehpunktkontrolle gewährleisten. Für eine Überprüfung der Gelenkpunkte an der montierten Baugruppe, im Idealfall nach Einbau in das Maschinengestell, fehlen gegenwärtig noch geeignete Methoden. Kugelgelenke Der Aufbau eines Kugelgelenks (D3) bietet die besten Vorraussetzungen, auf kleinstem Raum räumliche Schwenkbewegungen zu realisieren. Durch verbesserte Fertigungsverfahren werden die Genauigkeiten der Einzelteile

6.3 Gelenke

169

Innenkugel und Kalotte so weit beherrscht, dass sowohl Gleitlagerungen als auch wälzkörpergestützte Lagerungen realisierbar sind. In wälzgelagerten Ausführungen lässt sich durch Vorspannung Spielfreiheit erreichen, was für Bewegungssysteme mit wechselnden Kraftrichtungen eine wichtige Voraussetzung zur Erzielung hoher Positioniergenauigkeiten darstellt. Die lückenlose Bestückung des Zwischenraums zwischen Innenkugel und Außenkalotte mit Lagerkugeln gewährleistet eine Lastverteilung auf viele Wälzkontaktflächen und damit zulässige Werte der Hertz'schen Pressung zwischen den Kontaktkörpern. Erhöhtem Verschleiß durch die sich gegenseitig berührenden Wälzkörper wird durch den Einsatz von Spezialschmierstoffen entgegengewirkt. Bedingt durch die geringere Zahl von Kontaktflächen in Zugrichtung fällt das Lastaufnahmevermögen gegenüber der Druckrichtung geringer aus. Da der Schwenkwinkelbereich des Gelenks frei von Wälzkörpern sein muss, bleibt bei vollkugeliger Bestückung entsprechend Abb. 6.20. b der Schwenkwinkel mit ca. 20° klein. Verbesserungen des Schwenkbereichs auf ca. 30° sind möglich, indem die Wälzkörper des bei Zugbeanspruchung belasteten Gelenkteils käfiggeführt werden. Zur Gewährleistung der sicheren Funktion kann bei dieser Ausführung keine Vorspannung erfolgen. Die mit der Käfigführung verbundene verringerte Dichte der Kugelpackung hat wiederum Auswirkungen auf die Tragfähigkeit. Im Rahmen der konzipierten Belastung von 3 000 N ergeben sich damit gemessene Steifigkeitswerte von 200 N/µm bei Zug und bis zu 400 N/µm bei Druck. Der offene Raum der Kalotte ist durch eine Elastomer-Manschette vor Verschmutzungen von außen geschützt. Alle Bauelemente des Kugelgelenks sind Rotationskörper und bieten deshalb gute fertigungstechnische Voraussetzungen dafür, dass geometrische Mitte und realer Mittelpunkt der Einzelteile exakt übereinstimmen.

a

b

Abb. 6.20. Wälzgelagertes Kugelgelenk mit Schwenkwinkel ± 30° [INASCHAEFFLER KG; 60] a: käfiggeführte Wälzkörper b: vollkugelige Wälzkörperbestückung

170

6 Komponenten

Mit gleitgelagerten Kugelgelenken lassen sich sehr raumsparende Gelenklösungen mit hoher Tragfähigkeit und guten Dämpfungseigenschaften umsetzen. Durch das prinzipbedingte Spiel zwischen den Gleitpartnern sind solche Lager jedoch für Maschinen hoher Positioniergenauigkeiten bei gleichzeitig auftretenden hohen Belastungen weniger geeignet. Dieses Spiel reduziert die Übertragungsgüte bei Bewegungsumkehr, wirkt sich negativ auf die Steifigkeit der Verbindung aus und fördert den Verschleiß. Ebenso wie im wälzgelagerten Kugelgelenk existiert in analog aufgebauten Gleitlagergelenken eine großflächig tragende Fläche zwischen Innenkugel und Außenkalotte nur in Druckrichtung. In Zugrichtung beschränkt sich die tragende Fläche auf einen schmalen Kalottenrand, der zudem unter ungünstigem Kraftangriffswinkel steht und spielbehaftet ist. Als Standardteile in Hydraulik und Pneumatik haben gleitgelagerte Kugelgelenke, die in ihrer konstruktiven Ausführung Abb. 6.21. entsprechen, weite Verbreitung gefunden. Sie weisen in den zwei möglichen Schwenkebenen stark unterschiedliche Schwenkwinkelbereiche auf. Während in einer Ebene umlaufende Drehbewegungen möglich sind, beträgt der Schwenkbereich der anderen Ebene nur bis zu ±15°. Diese Bewegungscharakteristik ist für Anwendungen an Maschinen mit Parallelkinematik eher untypisch; daher sind diese Standardelemente nur für Einsatzfälle mit entsprechender Bewegungsaufgabe geeignet. Fertigungstechnisch sehr aufwändig gestaltete Gleitlagergelenke wurden für parallelkinematische sechsachsige Maschinenprototypen entwickelt. Für den endständigen Anschluss an Streben stehen mehrere Gelenkausführungen zur Auswahl, darunter auch sehr raumsparende Lösungen, in denen zwei Koppelanschlüsse in einem Gelenk vereinigt sind. Neben der auf Gleitlagerung basierenden Ausführung entstanden magnetisch bzw. hydrostatisch gelagerte Gelenke, wie sie in Abb. 6.23. gezeigt werden. Wenngleich in ihrer konstruktiven Ausführung interessant, erscheinen diese Lösungen aufgrund der kostenintensiven Herstellung sowie der nicht optimalen technischen Eigenschaften für einen Serieneinsatz in hochbelasteten parallelkinematischen Maschinen weniger geeignet. Für eine am Gelenk durchgängige Strebe wurde die in Abb. 6.22. dargestellte Kugelgelenkgleitlagerung entwickelt. Die große Gelenkinnenkugel bietet ausreichend Raum für den kompletten Strebenantrieb. Ein großer Schwenkwinkelbereich erfordert viel Freiraum im zentralen Teil der Stützkalotte. Der für die Aufnahme der Strebenkräfte noch verbleibende periphere Bereich der Kalotte gewährleistet keine günstigen Tragverhältnisse; bei den funktionstypischen Wechselbelastungen ist die Gefahr von Bewegungsspiel im Gelenk groß.

6.3 Gelenke

171

Abb. 6.21. Gleitgelagertes Standardkugelgelenk

Hinsichtlich der konstruktiven Gestaltung von Drehgelenken mit dem Freiheitsgrad Drei (DDD) sei als Alternative zum Kugelgelenk darauf verwiesen, dass deren Kinematik auch realisiert werden kann, wenn drei Drehgelenke mit dem Freiheitsgrad Eins (D) entsprechend hintereinander angeordnet werden. Ein weniger kompakter Aufbau müsste dafür in Kauf genommen werden. Dieser Nachteil wird dennoch häufig akzeptiert, in der Ausführung z. B. analog zu denen mit Freiheitsgrad Zwei.

Abb. 6.22. Gestellseitiges Gleitlagerkugelgelenk mit integriertem Antrieb und durchgängiger Antriebsstrebe [33]

172

6 Komponenten

a

b

c

d Abb. 6.23. Kugelgelenke [33] a: gleitgelagert für zwei Strebenanschlüsse b: magnetgelagert für zwei Strebenanschlüsse c: hydrostatisch gelagert d: Aufbauprinzip für zwei Strebenanschlüsse

Auswahl Die Wahl geeigneter räumlicher Gelenkverbindungen erfolgt auf der Grundlage des in Kap. 2 gezeigten Zusammenhangs von verschieden stark ausgeprägten Anforderungen, die aus der Arbeitsaufgabe resultieren und sich letztlich im Pflichtenheft der zu entwickelnden parallelkinematischen Struktur widerspiegeln. Prinzipiell vereinfachende Bedingungen für die Ausführung der Gelenke ergeben sich, wenn die Entscheidung zugunsten einer Kinematik mit bewegten Fußpunkten fällt. In diesem Fall werden nur strebenendständige Gelenke benötigt. Die erforderliche Winkelbeweglichkeit der Gelenke kann bei gleich großem Arbeitsraum der parallelkinema-

6.3 Gelenke

173

tischen Struktur geringer sein als bei Systemen mit längenveränderlichen Streben. Bei der Festlegung der Art des auszuwählenden bzw. zu entwickelnden Gelenks können Konstruktionskataloge hilfreich sein, die eine Variantenvielfalt in systematisierter Form zur Auswahl stellen oder Anregungen für neue Lösungsansätze bieten [29]. Eine Eingrenzung der Variantenvielzahl erfolgt nach Umsetzungskriterien, deren Wichtung sich wiederum aus den o. g. Anforderungen an die Maschine ergibt. Zwischen den für den jeweiligen Anwendungsfall relevanten Anforderungen bestehen Korrelationen, die zum Teil voneinander unabhängig sind, die sich aber auch gegenseitig gleich- oder gegensinnig beeinflussen können. Im Regelfall macht sich eine Kompromissentscheidung erforderlich. In [46] wird als Entscheidungshilfe für eine Vorauswahl von räumlichen Gelenken eine Bewertungsmatrix angeboten, die in Tabelle 6.5. dargestellt ist. In jedem Fall sind die spezifischen Besonderheiten der Anwendung ausschlaggebend für die Wichtung der Auswahlkriterien, zu denen bei Werkzeugmaschinen neben den stets zu beachtenden Kostenaspekten auch Schwerpunktkriterien wie Schwenkwinkel, Steifigkeit, Spielfreiheit, Lebensdauer und Bauraum zählen. Für Handhabungsmaschinen gewinnen Kriterien wie Geschwindigkeit, Stick-slip-Verhalten und Gelenkeigenmasse an Bedeutung.

Lebensdauer

Kosten

Spielfreiheit

Reibung

Bauraum

Verschleiß

gleitgelagert wälzgelagert magnetgelagert hydrostatisch gelagert „ sehr günstig „ günstig „ weniger günstig … ungünstig

Steifigkeit

Typ DD DDD D3

Schwenkbereich

Merkmal

Tabelle 6.5. Bewertung unterschiedlicher Gelenktypen für räumliche Bewegungen nach [46]

„ „ „ „ „ „

„ „ „ „ „ „

„ „ „ „ „ „

„ „ „ „ „ …

„ „ „ „ „ „

„ „ „ „ „ „

„ „ „ „ „ „

„ „ „ „ „ „

174

6 Komponenten

Unter der Vorraussetzung bekannter Schwenkwinkel aller Strukturkomponenten wird in einem ersten Schritt nach Gelenkeinheiten gesucht, die alle Winkelbedingungen der parallelkinematischen Struktur erfüllen. Aufgrund der Zusammenhänge zwischen Schwenkwinkel und Steifigkeit ergeben sich hier schon Kompromisse. Wünschenswert sind Reserven im Schwenkwinkelbereich, die einen gewissen Spielraum bei der Positionierung der Gelenke an ihren Aufhängepunkten zulassen. Weitere funktionsbestimmende Auswahlkriterien für Gelenkeinheiten, insbesondere für deren Einsatz in Werkzeugmaschinen, sind die Steifigkeit und die Genauigkeit der Bewegungsübertragung. Als eine Entscheidungshilfe für die Gelenkauswahl kann beispielsweise das in [37, 38] Dargestellte dienen. Während ebene Gelenke in der Regel integraler Bestandteil einer Entwicklungsleistung sind, wird bei räumlichen Gelenken meist auf den Einsatz von Kaufkomponenten orientiert. Eine Erweiterung der Funktionalität von Gelenkbaugruppen, wie dies z. B. bei der in Abb. 6.22. gezeigten Integration einer Schwenkwinkelbegrenzung zutrifft, wirkt sich bei Zukaufteilen stark kostenerhöhend aus, so dass Maschinenhersteller in solchen Fällen auf eigene Entwicklungen zurückgreifen. 25°

Lagerung

räumliche Schaltkurve

Endschalter

Abb. 6.22. Kardangelenk mit Grenzwinkelüberwachung [FRAUNHOFER IWU]

6.4 Gestell Maschinengestelle definieren als Grundkörper mit stützender bzw. tragender Funktion wesentlich die Struktur einer Maschine. An Werkzeugmaschinen mit seriellkinematischer Struktur richten sich Ausdehnung und Gestalt nach Anordnung und Länge der Verfahrwege der einzelnen Ma-

6.4 Gestell

175

schinenachsen. Diese wiederum hängen von den Dimensionen der zu bearbeitenden Werkstücke sowie vom Fertigungsverfahren ab. Im Werkzeugmaschinenbau erfolgt nach diesen Gesichtspunkten entsprechend [150] und [149] eine Klassifizierung der Maschinen nach Gestellbauformen und Fertigungsverfahren. Die Gestellausführungen parallelkinematischer Maschinen lassen sich ebenfalls danach einordnen, sind aber darüber hinaus durch die in Kap. 2.2 dargestellten strukturellen Besonderheiten bestimmt. Gestellkonstruktionen erweiterter Strukturen bilden meist eine Kombination von üblichen seriellkinematischen Maschinenbauweisen mit Grundstrukturen von Parallelkinematiken. Aufgrund der vielen Variationsmöglichkeiten kann darauf in diesem Rahmen nicht näher eingegangen werden. Als Beispiel ist in Abb. 6.23. eine derartige Maschinenstruktur gezeigt, die durch einfachen Aufbau sowie sehr gute Nutzungseigenschaften große Akzeptanz bei Anwendern gefunden hat.

Abb. 6.23. Beispiel: Gestellaufbau in einer erweiterten Struktur [GENIUS 500; CROSS HÜLLER GMBH]

176

6 Komponenten

Kennzeichnend für parallelkinematische Maschinen ist eine mehr oder weniger stark ausgeprägte pyramidale Konfiguration bei räumlichen bzw. eine Dreieckskonfiguration bei ebenen Strukturen. Durch ein an die Struktur angepasstes Gestell mit Unterstützung der Krafteinleitungszonen wird einerseits angestrebt, unvermeidbare Biegebelastungen und damit Verformungen zu minimieren, andererseits die parallelkinematische Struktur in kompakte prismatische Maschinenkörper mit werkzeugmaschinentypischen Außenkonturen einzufügen. Kleinere Maschinen werden üblicherweise mit einem einteiligen Gestell ausgeführt; größere in mehrere Gestellbaugruppen aufgeteilt, die dann steif zu verbinden sind. Grundsätzlich gelten für parallelkinematische Maschinen die gleichen Konstruktions- und Optimierungsziele wie für Maschinen seriellkinematischer Bauart. Sie werden u. a. in [149] beschrieben und umfassen: • • • • •

günstige Eigenfrequenzen, maximale Steifigkeit, optimale Dämpfung, gleichmäßige Spannungsverteilung und minimale Kosten.

Insbesondere parallelkinematische Strukturen mit dem Freiheitsgrad Sechs weisen einen wichtigen Vorteil gegenüber seriellkinematischen auf: Fertigungsungenauigkeiten des Gestells lassen sich durch die im Kap. 3.4 dargestellten Möglichkeiten besser kompensieren. Dennoch ist auch bei der Fertigung des Gestells für Maschinen mit parallelkinematischer Struktur eine Grundgenauigkeit zu sichern, die wiederum die Voraussetzung für eine hohe Positioniergenauigkeit darstellt. Nachfolgend zeigen Beispiele realisierter Maschinen mögliche Gestellbauformen parallelkinematischer Grundstrukturen. In Maschinen mit längenunveränderlichen Streben und verfahrbaren Fußpunkten verändern die Krafteinleitungspunkte ihre Lage in Abhängigkeit von der Position der bewegten Schlitten der Antriebseinheit. Die Belastungen werden über das Führungssystem auf die Gestellabstützung übertragen. Das Maschinengestell ist so zu dimensionieren, dass Biege- und Torsionsbelastungen von den tragenden Querschnitten aufgenommen werden. Die Weiterleitung der Kräfte kann je nach Maschinengröße mit oder ohne Fundamentverankerung erfolgen. Diese Lastübertragung entspricht der Situation in seriellkinematischen Maschinen und wird technisch beherrscht. In parallelkinematischen Strukturen mit verfahrbaren Fußpunkten hat sich als Vorzugs-bauweise eine parallele, stehende oder liegende Anordnung der Antriebsachsen zueinander durchgesetzt, umschlossen durch ein kastenförmiges, ein- oder mehrteiliges Gestell. Dem Strukturaufbau nahe kommt eine Gestellgeometrie mit Dreieckgrundform,

6.4 Gestell

177

s. Abb. 6.24. , bei erweiterten Eckbereichen auch eine Sechseckform, s. Abb. 6.25. a. Beste Voraussetzungen für die Gewährleistung hoher Steifigkeiten durch geschlossene Gestellkästen bei gleichzeitig guter Zugänglichkeit des Werkstücktisches sind dann gegeben, wenn sich die bewegte Arbeitsplattform außerhalb der antriebstragenden Gestellaufbauten befindet. Anderenfalls ist der Zugang nur über größere Durchbrüche möglich.

Abb. 6.24. Beispiel: Dreisäulengestell mit Arbeitsplattform innerhalb des tragenden Gestells; Vertikal-Drehmaschine INDEX V 100 [INDEX-WERKE GMBH & CO. KG HAHN & TESSKY]

a

b

Abb. 6.25. Beispiel: Arbeitsplattform außerhalb des tragenden Gestells a: dreiteiliger Oberständer (PARALIX) [45] b: zweiteiliger Oberständer (Dreiachsige Waagerecht-Fräsmaschine QUICKSTEP) [121]

178

6 Komponenten

Abb. 6.26. Beispiel: Holzbearbeitungsfräsmaschine mit großer Verfahrlänge (PEREICHENBACHER HAMUEL GMBH) [22]

GASUS,

Mehrere horizontal und parallel zueinander angeordnete Achsen erlauben in Achsenrichtung sehr große Verfahrwege. Eine für hohe Systemsteifigkeiten günstige fundamentnahe Anordnung der Antriebsachsen lässt sich aufgrund der meist nach oben bzw. zur Seite offenen Tischfläche nicht konsequent umsetzen. Deshalb werden derartige Maschinenkonfigurationen gestellseitig durch kompakte, auf mehrere Säulen aufgesetzte Führungsbahnträger und einen langen Tisch, s. Abb. 6.26. , oder durch mehrfach gestützte brückenartige Tragkonstruktionen realisiert. Parallelkinematische Maschinen mit längenveränderlichen Streben erfordern die gestellseitige Abstützung der Aufhängepunkte der Streben und eine möglichst biegefreie Einleitung der Lasten in das Fundament. Eine Gestaltung der Gestelle, angepasst an die Strukturfixpunkte, kann zu recht unkonventionellen Geometrien führen. Deshalb nutzt man häufig radialsymmetrische Gestellgrundformen – wie z. B. die des Dreiecks, des Sechsecks und der Kreisform – als geeignete Regelgeometrien mit vielen Anschlussmöglichkeiten für die Strebenfixpunkte. Das Zusammenwirken mit vorherrschender seriellkinematischer Technik in bestehenden Fertigungsstrukturen sowie die optimale Ausnutzung der Produktionsfläche gestalten sich schwierig. Auskragende Bereiche der Streben sind in der Planung der Stellflächen als Nutzfläche zu berücksichtigen, was in einigen Fällen als erheblicher Nachteil gegenüber Maschinen seriellkinematischer Bauart gewertet wird. Um die Abmessungen der Gestellaufbauten parallelkinematischer Grundstrukturen in Grenzen zu halten, begrenzt man die radiale Ausdehnung auf die Abmessungen der lastübertragenden Gestellaufhängepunkte. Darüber hinaus auskragende Strebenenden werden, wenn sie sich im Zugangsbereich des Bedienpersonals befinden, mit arbeitsschutztechnischen Verkleidungen ausgestattet. Durch kurz bauende Strebenkonstruktionen mit besserem Verhältnis der Streben- zur Hublänge – etwa durch die

6.4 Gestell

179

Verwendung von Mehrfachteleskopstreben – kann dieser Nachteil gemindert werden, allerdings zum Preis verringerter Steifigkeit sowie höherer Strebenkosten. Gestellbauformen mit drei Säulen, die auf einer Seite über eine massive Tischplattform, auf der anderen Seite über einen Jochrahmen miteinander verbunden sind, werden insbesondere für größere parallelkinematische Grundstrukturen bevorzugt, s. Abb. 6.27. Die Säulen, in einigen Fällen auch der dem Maschinentisch gegenüberliegende Rahmen, bieten vielfältige Möglichkeiten der Platzierung von Strebeneinheiten. Großdimensionale, parallel zueinander stehende Säulen, die in größerer Höhe über dem Fundament durch Strebenkräfte belastet werden, weisen oft ein ungünstiges Schwingungsverhalten auf. Um durch Variation von Querschnitten, Materialstärken und Massekonzentrationen ein gestalterisches Optimum zu finden, sollte bereits in einer frühen Entwicklungsphase das Schwingungsverhalten der Gestellstruktur untersucht werden. Das Vorherrschen von Zug- und Druckbeanspruchungen stellt auch für die Gestellgestaltung ein anzustrebendes Ziel dar. Konsequent verwirklicht ist diese Zielsetzung in einer Oktaeder-Stabstruktur, wie sie in Abb. 6.28. wiedergegeben wird. Der Maschinenkörper basiert hier auf zwölf starren Gestellstreben, die acht Dreiecksflächen bilden. Über dem Werkstücktisch der ca. drei Meter hohen Maschine befindet sich die Arbeitsplattform. Die in den Streben auftretenden Druck- und Zugspannungen werden über groß dimensionierte Knotenpunkte in die Starrstreben des Gestells weitergeleitet. Trotz der Kraftleitung in den Dreieckstrukturen des Stabwerks ist nicht vollständig vermeidbar, dass es bei einseitiger Mehrbelastung in den Achsstreben zu Verformungen des Gestells kommt. Das eigensteife Gestell kann sowohl stehend, d. h. mit vertikaler Orientierung der Strukturmittelachse, als auch liegend eingesetzt werden.

Abb. 6.27. Beispiel: Dreisäulengestell [MIKROMAT 6X HEXA, FRAUNHOFER IWU]

180

a

6 Komponenten

b

Abb. 6.28. Beispiel: Oktaedergestell a: Vertikalausführung [152] b: Horizontalausführung [42]

a

b

Abb. 6.29. Module parallelkinematischer Grundstrukturen für beliebige Gestelle a: HEXAPODE CMW 300® [20] b: TriCenter [Deckel Maho Pfronten GmbH]

6.5 Adaptronische Komponenten

181

Abb. 6.30. Beispiel: Werkzeugmaschine mit Arbeitsplattform innerhalb des tragenden Gestells [VARIAX, GIDDINGS&LEWIS INC.]

Kleinere parallelkinematische Grundstrukturen werden auch als separates, funktionsbereites Modul entsprechend Abb. 6.29. ausgeführt. Die gestellfesten Strebenpunkte sind hier in einer modulinternen Trägerplattform zusammengefasst. Das gesamte Modul kann dann in beliebige Maschinengestelle mit ausreichender Tragfähigkeit eingesetzt werden und bildet zusammen mit der Basismaschine eine erweiterte Struktur. Gestellseitige Verformungen werden weitgehend vermieden, wenn sich die Strebenlagerungen in Nähe der Tischbasis bzw. in Fundamentnähe befinden. Dazu müssen die Streben aus dem unteren Teil der Maschine nach oben gerichtet sein. In diesem Fall reduziert sich das Gestell auf einen fundamentnahen Rahmen. Die im Hinblick auf die Gestellsteifigkeit vorteilhafte Anordnung in Abb. 6.30. widerspricht aber der insbesondere bei Werkzeugmaschinen bestehenden Forderung nach guter Zugänglichkeit des Arbeitsraums sowie der prinzipiell geforderten Kollisionsfreiheit zwischen Streben und Werkstück. Wie bereits erwähnt ergeben sich günstigere Bedingungen, wenn sich der Arbeitsraum nicht zwischen den sich kreuzenden Streben befindet, sondern außerhalb der Verbindung von Gestellbasis und Arbeitsplattform.

6.5 Adaptronische Komponenten Adaptronik ist die Bezeichnung einer Technologie für aktive Strukturen mit hohem Integrationsgrad. Verteilte sensorische und aktorische Funktionen werden zum integralen Bestandteil einer lasttragenden Struktur. Damit

182

6 Komponenten

erhalten diese Strukturen die Eigenschaft, sich optimal an sich ändernde äußere Bedingungen anzupassen bzw. einwirkende Störungen zu unterdrücken. Diese Subsysteme verhalten sich an den Systemgrenzen ideal und bieten somit neue Möglichkeiten zur Auslegung von Komponenten für den Maschinenbau, um so den Zielkonflikt zwischen hoher statischer Steife und Dynamik einer Maschinenstruktur zu lösen. Die kinematische und dynamische Optimierung einer parallelkinematischen Struktur zeigt nahezu immer, dass geringe Gelenkpunktabstände an der Arbeitsplattform sowohl den Arbeitsraum vergrößern als auch die Übertragung von Geschwindigkeiten, Beschleunigungen und Kräften von den Streben in den Arbeitsraum verbessern. Geringe Gelenkpunktabstände wiederum erfordern aus Kollisionsgründen kompakte Gelenke und geringe Strebendurchmesser. Die auch aus der Forderung nach geringer Masse resultierende Schlankheit der Streben weist naturgemäß eine wesentlich höhere Zug- und Drucksteifigkeit als Biege- und Torsionssteifigkeit auf. Statische Steifigkeitsprobleme treten somit z. B. dann auf, wenn bei dreiachsigen Kinematiken Freiheiten über die Streben gebunden werden. Für den Fall der Bewegung des TCP in X-, Y-, und Z-Richtung treten so Torsionsbelastungen auf. Werden diese passiv über eine zusätzliche Koppel gebunden – praktiziert u. a. an der in [122] gezeigten Maschine SKM 400 oder dem bereits beschriebenen TRICEPT –verschlechtert sich aufgrund der Zusatzmassen das dynamische Verhalten und es treten erhebliche Genauigkeitsprobleme auf. Diese erfordern eine aufwändige und kostenintensive Fertigung der mechanischen Baugruppen. Eine Alternative bieten adaptronische Komponenten, deren Entwicklungs- und Einsatzpotential am nachfolgenden Beispiel der Kompensation von statischen und dynamischen Torsionsbelastungen dargestellt wird. Beispiel: Ziel des Einsatzes einer aktiven Torsionskompensation ist es, durch einen Ausgleichsantrieb auf der Basis piezoelektrischer Aktoren eine hohe effektive Torsionssteifigkeit der gesamten Strebeneinheit zu erreichen [87, 89]. Der Ausgleichsantrieb arbeitet autonom; er misst und korrigiert die auftretende Torsionsdeformation in den passiven mechanischen Strebenteilen selbständig und unabhängig von den die Lage der Arbeitsplattform im Arbeitsraum einstellenden Vorschubeinheiten. Für die Kompensation der Torsionsverlagerung YT ist eine aktorische Gegenbewegung YA erforderlich. Diese ist über eine Steuereinrichtung so einzustellen, dass in Abhängigkeit vom jeweils wirkenden äußeren Torsionsmoment, der Störgröße Z, die resultierende Torsionsbewegung Y stets zu Null wird. Hierzu ist die sensorische Erfassung der Störgröße Z selbst oder der Torsionsverlagerung YT notwendig, was in Abb. 6.31. verdeutlicht wird.

6.5 Adaptronische Komponenten

183

Z Mess-/Sensorsignal

Strebennachgiebigkeit

YT Steuereinrichtung

-

Aktor

+

Y = 0!

YA

Abb. 6.31. Prinzip der aktorischen Kompensation einer Torsionsdeformation

Den Kern der Sensor-Aktor-Einheit bilden resistive sensorische Komponenten zur Erfassung der Torsionsdeformation und Niedervolt-Piezostacks zur Realisierung der aktorischen Funktion. Für die Auswahl des Sensortyps zur Aufnahme der externen Torsion sind die Integrierbarkeit in den mechanischen Aufbau, die robuste Funktion unter Produktionsbedingungen, eine hohe Auflösung und ein Frequenzbereich von 0 Hz bis zu einigen 100 Hz wesentliche Auswahlkriterien. Die Aktoren stellen die Verbindungsglieder zwischen der informationstechnischen Komponente eines Regelkreises und der eigentlichen Regelstrecke dar. Vorteilhafte Eigenschaften piezoelektrischer Aktoren sind: • hohe Präzision, da mit Auflösungen im nm-Bereich gearbeitet werden kann, • Energiedichte größer als 30 Nmm/cm3, • Kraftentfaltung größer als 30 N/mm2, • hohe Dynamik mit Reaktionszeiten im µs-Bereich, • Beschleunigungen größer als 5 000 g, • praktisch kein Energieverbrauch zum Halten der Position. Dem stehen als gravierende Nachteile gegenüber: • • • • •

sehr geringe Dehnung, < 1 % bis 2 %, sehr hohe notwendige elektrische Feldstärken von ca. 2 kV/mm, damit notwendige elektrische Spannungen von bis zu 1 000 V, geringe zulässige mechanische Zugspannungen, nichtlineares Verhalten (Hysterese, Drift).

Für die Anwendung in einem Torsionsausgleichsantrieb weist ein Multilayer-Stapelaktor in Niedervolttechnik das beste Eigenschaftsprofil auf. Für diese spezielle Aktorbauweise sind nur noch Betriebsspannungen bis zu 200 V erforderlich. Um das Eigenschaftsspektrum technisch nutzbar zu machen, sind Systemlösungen gesucht, die die primärantriebstechnische,

184

6 Komponenten

die elektronische und die mechanische Komponente des Aktors berücksichtigen. Bei der Auslegung des Ausgleichsantriebs sind folgende Forderungen zu erfüllen: • Konstruktion eines angepassten rotatorischen Ausgleichsantriebs, der gleichzeitig das Bindeglied zwischen der Strebe und dem plattformseitigen Gelenk mit dem Freiheitsgrad Zwei ist, • Wandlung des translatorischen Hubs des Piezoaktors in eine rotatorische Bewegung, • Entkopplung der Freiheitsgrade, • Übernahme von Führungseigenschaften, • Vorspannungserzeugung für den Aktor durch die Aktormechanik, • Berücksichtigung der thermischen Drift der Aktoren und evtl. Abführen von Verlustwärme, • Realisierung einer großen Steifigkeit der Konstruktion in Richtung der translatorischen Bewegung der Strebe, • Berücksichtigung des großen Unterschieds zwischen möglicher Druckund Zugbeanspruchung der Piezoaktoren, wobei die Zugkräfte von der Aktormechanik aufgenommen werden müssen und nicht an den Aktor weitergeleitet werden dürfen, • Realisierung eines möglichst geringen Bauvolumens mit einer so klein wie möglich zu haltenden, zusätzlichen bewegten Masse, • konstruktive Auslegung so, dass die maximale Baulänge – und damit maximale Auslenkung – der Piezoaktoren gewährleistet wird. In der Prinzipdarstellung entsprechend Abb. 6.32. sind vier Piezostapelaktoren in einem Grundkörper angeordnet. Die Ansteuerung hat so zu erfolgen, dass der linke obere und der rechte untere Aktor sowie der rechte obere und der linke untere jeweils gleichsinnig angesteuert werden. Das hat z. B. zur Folge, dass der in der Mitte geteilte Balken links nach oben und rechts nach unten bewegt wird. Eine Umkehr des Richtungssinns der Bewegung erfolgt bei Umkehrung der Ansteuerung. Die Auslenkung wird über Festkörpergelenke realisiert. Diese Gelenke erlauben eine Umwandlung (kleiner) translatorischer Aktorbewegungen in rotatorische Bewegungen im mrad-Bereich. Wird der Grundkörper in der dargestellten Weise zwischen Strebenantriebs- und -abtriebsseite befestigt, kann die lineare Strebenbewegung mit der Torsionskompensationsbewegung überlagert werden. Das optimale Betriebsverhalten von Sensor-Aktor-Einheiten ist nur durch das Zusammenspiel von konstruktiver und mechanischer Ausführung, geeigneter Gewinnung von Messsignalen sowie angepasster Aktoranordnung und -ansteuerung zu erreichen. Ein wesentlicher Aspekt ist die

6.5 Adaptronische Komponenten

185

Umsetzung der hardwareseitigen Voraussetzungen in einem geeigneten Regelungskonzept. Mit einer reinen Störgrößenaufschaltung, die hinsichtlich der hardwareseitigen Umsetzung den geringsten Aufwand bereitet und durch ihre einfache Struktur auch die höchsten dynamischen Reserven bietet, lassen sich die piezoaktorische Gegenbewegung und auch die im Aktormaterial begründeten piezoelektrischen Effekte wie Hysterese und Drift nicht kompensieren. Die Genauigkeit der Torsionsgegenbewegung ist daher begrenzt. Eine deutliche Verbesserung der Regelgüte kann durch die zusätzliche Erfassung der realen Aktordehnung durch einen auf dem Aktor platzierten Dehnmessstreifen und die Einbeziehung dieses Signals in die Reglerstruktur erreicht werden, s. Abb. 6.33. A A

Schnitt A

Piezoaktor

A A

Festkörpergelenk

Strebenabtriebsseite

Strebenantriebsseite

Abb. 6.32. Prinzipdarstellung der Sensor-Aktor-Einheit Y

Z

1/cStr

GMStr

+ -

GRegler

YT

Verst.

YA

Piezoaktor

GMP

Z YA

MStr

MP

YT

Y cStr cP

1/cP Z

G MStr MP

kompensierte Torsionsbewegung Belastung der Strebe Kompensationsbewegung resultierende Torsionsbewegung Torsionssteifigkeit der Strebe Steifigkeit des Piezoaktors Verstärkungsfaktor Messgeber Strebe Messgeber Piezoaktor

Abb. 6.33. Regelungskonzept zur Torsionskompensation

Experimentelle Ergebnisse weisen die prinzipielle Eignung des Konzeptes nach. Mit einer als Versuchsanordnung realisierten adaptiven Strebe konnten Torsionssteifigkeitserhöhungen gegenüber der herkömmlichen

186

6 Komponenten

Strebe um das Siebenfache bei einem einfachen Regelungskonzept mit Störgrößenaufschaltung und um das 40fache bei Berücksichtigung des Aktorzustands im Regelalgorithmus erreicht werden, wie aus Abb. 6.34. hervorgeht. Diese Verbesserung der effektiven Steifigkeit entspricht einer Veränderung der Strebengeometrie von 125 mm auf 450 mm Durchmesser und von 15 mm auf 45 mm Wanddicke, womit die Vorteile des Einsatzes adaptronischer Komponenten deutlich werden. Ein wesentliches Manko beim Einsatz von Piezoaktoren ist der geringe verfügbare Stellweg. Um diese Begrenzung aufzuheben, wurde für den Torsionsausgleichsantrieb ein modulares Konzept entwickelt: Werden mehrere der Sensor-Aktor-Einheiten in axialer Richtung gekoppelt, addieren sich die in der Einzelstufe erreichbaren Stellwege. Neben der Realisierung größerer Stellwege zum Ausgleich sehr torsionsweicher Strukturen können diese zusätzlichen Achsen auch Aufgaben im Bereich der Feinstpositionierung der Arbeitsplattform übernehmen. Damit wird eine aktive Kalibrierung von dreiachsigen Kinematiken ermöglicht. Abb. 6.35. zeigt die Ausführung des Prototypen einer Sensor-Aktor-Einheit mit drei Stellmodulen. Strebe ohne adaptronische Komponente

Wegänderung

einfaches Regelkonzept (Störgrößenaufschaltung) Positionsregler

Kraftänderung

Abb. 6.34. Ergebnisse der Torsionskompensation

6.5 Adaptronische Komponenten

187

Abb. 6.35. Beispiel: Prototyp einer Sensor-Aktor-Einheit [FRAUNHOFER IWU]

Das Prinzip des Ausgleichsantriebs kann in weiteren Anwendungsfällen auch als rein translatorisches Element eingesetzt werden. Generell kann zwischen folgenden Antriebsstrukturen unterschieden werden: • hybride Antriebe als Kombination von kurzhubigen hochfrequenten Antrieben für hohe Steifigkeit und hohe Genauigkeit mit langhubigen konventionellen Vorschubantrieben zur Grobpositionierung, s. obiges Konzept für einen Tripod mit längenveränderlichen Streben, • adaptronische Komponente als Strukturintegration in passive Komponenten. Ein Beispiel für die Anwendung der zweiten Variante ist eine Lösung für das hochdynamische Handling [15]. Hier wird in einer 5-GelenkParallelrobotor-Struktur mit Drehantrieben ein Ausgleich von dynamischen Positionsfehlern durch die in den Kohlerfaserverbundstäben integrierten Piezostapelaktoren vorgenommen. Dies erfolgt modellgestützt, da eine direkte Messung der Positionsabweichung im Betrieb nicht möglich ist. Ein weiteres Beispiel für die Integration von Piezostapelaktoren zur dynamischen Korrektur der Strebenlänge ist in [157] beschrieben. Durch Längenveränderung einer Strebe in der Struktur der Vertikaldrehmaschine V100 der INDEX-WERKE GMBH & CO. KG HAHN & TESSKY soll statisch und dynamisch die Neigung der Hauptspindel korrigiert werden. Eine dem Grundansatz der Werkstoffintegration aktiver Materialien nahe kommende Variante ist der Einsatz von Piezofaser- bzw. Piezofolienmodulen, s. Abb. 6.36. Sie sind besonders für eine Applikation von Aktoren und Sensoren ohne Beeinträchtigung des mechanischen Aufbaus geeignet. Abb. 6.37. zeigt einen Lösungsvorschlag des Instituts für Faserverbundleichtbau und Adaptronik des DLR (Deutsches Zentrum für Luftund Raumfahrt e. V.) mit der Applikation von Folienmodulen auf einem

188

6 Komponenten

hochdynamischen Bipod für Handhabung und Montage. Hiermit können vor allem dynamische Störungen durch angeregte Eigenformen kompensiert werden. Allerdings haben FEM-Simulationen am Fraunhofer-Institut für Werkzeugmaschinen und Umformtechnik IWU gezeigt [88], dass durch mehrlagige und großflächige Applikationen von Piezofasermodulen in der Ausführungsform Macro-Fibre-Composite [23], wie sie durch die SMART MATERIAL GMBH gefertigt werden, auch die Kompensation statischer Torsionsmomente in der Größenordnung von einigen 10 Nm erreicht werden kann.

Abb. 6.36. Piezofolienmodul [DLR]

Abb. 6.37. Beispiel: Simulation der möglichen Anordnung von Piezofolienmodulen [DLR]

Beim Einsatz von Piezofasermodulen ist durch die Möglichkeit der Faserorientierung im Modul ein weiterer Freiheitsgrad in der Anwendung gegeben. In [89] wird ein Konzept vorgestellt, bei dem durch wechselnde 45°-Orientierung von acht Segmenten eines die Strebe umschließenden Rings von Fasermodulen sowohl Biege- als auch Torsionsschwingungen

6.5 Adaptronische Komponenten

189

kompensiert werden können, s. Abb. 6.38. Das Prinzip der Ansteuerung ist in Abb. 6.39. dargestellt. Das Ergebnis der FEM-Simulation entsprechender Verformungsmoden ist in Abb. 6.40. gezeigt.

Abb. 6.38. Beispiel: Piezopatches auf einer PKM-Strebe [FRAUNHOFER IWU]

Aktor

1

2

+X

+X

3

4

5

6

–X

–X

7

8

–Y

–Y

+t

–t

Ausrichtung Biegung X Biegung Y Torsion Ȉ Reglerausgänge

+t

–t

+Y

+Y

+t

–t

+t

–t

+X+t +X–t +Y+t +Y–t –X+t –X–t –Y+t –Y–t a1

a2

a3

a4

-a2

-a1

-a4

-a3

Abb. 6.39. Prinzip und Ansteuerungssignale der multimodalen Schwingungskontrolle an Parallelkinematikstreben

a

b

Abb. 6.40. Verformungsmoden bei entsprechender Aktoransteuerung a: Biegung b: Torsion

190

6 Komponenten

Die Spezifik des Einsatzes von adaptronischen Komponenten in Parallelkinematiken liegt vor allem in den beschriebenen Baugruppen Strebe und Gelenk. Eine weiterer Ansatzpunkt ist bei der Verwendung von Lineardirektantrieben zur Bewegung des Fußpunktes längenkonstanter Streben der Einsatz aktiver Elemente zur Entkopplung der Antriebsanregung vom Maschinengestell. Entsprechende Auslegungsgrundlagen dafür sind in [8, 96] erarbeitet worden. Der Lösungsansatz ist die Lagerung des Sekundärteils über ein Feder-Dämpfer-Element zum Gestell, Abb. 6.41. Eine optimale Auslegung ist dann erreicht, wenn geringe Schwingungsamplituden des Gestells bei einer minimalen Auslenkung des Sekundärteils erreicht werden. Eine optimale Einstellung ermöglicht der Einsatz eines Dämpfers mit magnetorheologischen Fluiden. Hier wird die Viskosität des Fluids und damit die Dämpferwirkung durch ein Magnetfeld gesteuert. Primärteil Sekundärteil Gestell

Abb. 6.41. Prinzip der Entkopplung eines Lineardirektantriebs

7 Anwendung von Parallelkinematiken: Beispiele

7.1 Werkzeugmaschinen 7.1.1 Formen- und Werkzeugbau Umfeld und Anforderungen Analysiert man die spanende Bearbeitung im Formen- und Werkzeugbau, so lassen sich die Bearbeitungsoperationen prinzipiell in • Bearbeitung von Regelgeometrien, • Form- bzw. Umriss-Schruppen und • Form- bzw. Umriss-Schlichten einteilen. Konkretisiert man diese Klassifizierung hinsichtlich der Formelemente, sind • 2½D-Formelemente (Ebenen, Taschen, Nuten/Schlitze, Bohrungen), • Formen (3D-Konturen, schwach bis stark gekrümmt) und • Umrisse (einfach gekrümmte Flächen) als typisch zu nennen. Bezogen auf die verschiedenen Werkstückklassen variieren die prozentualen Anteile der Formelemente. Die eingesetzten Fräsverfahren unterteilt man in: • 3-Achs-Fräsen, • 3+2-Achs-Fräsen und • Simultan-5-Achs-Fräsen. Die zu fertigenden Umformwerkzeuge bestehen aus einer Vielzahl von Komponenten (Messer, Einsätze usw.). Um den daraus resultierenden unterschiedlichen Forderungen an die Technologie gerecht zu werden, sind im modernen Werkzeugbau Großmaschinen (Schruppen und HSC), Mittelmaschinen und Kleinmaschinen im Einsatz. Aufgrund der vorliegenden Einzelteilfertigung ist die Fertigungszeit bei der Grundbearbeitung durch die Maschinendynamik nicht wesentlich beeinflussbar. Die Formbearbeitung ist durch einen signifikant hohen Anteil der Hauptzeit gekennzeichnet, der bis zu 95 Prozent betragen kann. Dieser An-

192

7 Anwendung von Parallelkinematiken: Beispiele

teil ist direkt durch die Dynamik der Maschine beeinflussbar. Eine Erhöhung der Ruck- und Beschleunigungswerte führt zu einer spürbaren Erhöhung der realisierbaren Vorschubgeschwindigkeit und somit zu einer Reduzierung der Bearbeitungszeit. Gleichzeitig werden die Oberflächengüte verbessert und der Werkzeugverschleiß minimiert. Dieser Sachverhalt wird in Abb. 7.1. und Abb. 7.2. verdeutlicht. Bei der Bearbeitung der Formfläche wurde der Dynamikparameter Ruck variiert. Die dreiachsige Bearbeitung bestand aus 19 Fräsbahnen, die unidirektional mit einer Vorschubgeschwindigkeit von 5 000 mm/min gefräst wurden. Sichtbar wird die signifikante Reduzierung der Hauptzeit um bis zu 50 Prozent mit steigendem Ruck. Beim Vergleich der fünfachsigen Simultanbearbeitung weist die Parallelkinematik erhebliche Vorteile gegenüber seriellkinematischen Maschinen auf. Hochdynamische Maschinenkonzepte mit hohen Beschleunigungs- und Ruckwerten sind die Basis für Kostenreduzierungen sowie für die Senkung der Durchlaufzeiten im Formen- und Werkzeugbau. Für den Bereich des Formen- und Großwerkzeugbaus ist aufgrund des Verhältnisses von Bauraum zu Arbeitsraum eine Werkzeugmaschine mit parallelkinematischer Grundstruktur nicht vorstellbar. Hier gilt es, seriellkinematische Maschinenstrukturen mit speziellen Parallelkinematiken zu kombinieren.

Abb. 7.1. Formfläche nach [86]

7.1 Werkzeugmaschinen

193

3

Hauptzeit in min

2,5 2 1,5 1 0,5 0 0

8

128

32 Ruck in

256

m s3

Abb. 7.2. Einfluss der Maschinendynamik auf die Hauptzeit bei der Formflächenbearbeitung entsprechend Abb. 7.1.

Kennzeichnend für den heutigen Werkzeugbau ist, dass der Herstellungsprozess technisch und kapazitiv sehr stark von den vorhandenen Werkzeugmaschinen beeinflusst wird. So bewirken Eilganggeschwindigkeiten von 10 bis maximal 12 m/min z. B. im Großwerkzeugbau, wo Werkzeugunter- und -oberteile eine Aufspannfläche von ca. 6 m x 3 m haben, heute nicht mehr zu akzeptierende Nebenzeiten. Simultane fünfachsige HSC-Bearbeitung erfordert insbesondere bei Schwenkbewegungen hohe Dynamik nicht nur in den rotatorischen Achsen, sondern auch in den translatorischen, um die nicht unerheblichen Ausgleichsbewegungen zu realisieren. Gerade hier können parallelkinematische Maschinenstrukturen die Schwachstellen konventioneller Maschinentechniken ausgleichen. Einen nennenswerten Zeitanteil an der Gesamtzeit machen Liege-, Transport- und Spannzeiten aus. Insbesondere im Großwerkzeugbau, wo die zu bearbeitenden Werkstücke viele Tonnen wiegen können, lässt sich dieser Anteil durch Komplettbearbeitung in einer Aufspannung deutlich verringern. Daraus entsteht über eine fünfachsige Bearbeitung hinaus zusätzlich der Anspruch der Fünf-Seiten-Bearbeitung. Dementsprechend werden Strukturlösungen gesucht, bei denen Multifunktionalität und hohe Dynamik realisiert werden. In Tabelle 7.1. wird nur zwischen Klein- und Großmaschinen unterschieden.

194

7 Anwendung von Parallelkinematiken: Beispiele

Tabelle 7.1. Formen- und Werkzeugbau: Anforderungen an die Maschine Anforderungen Anwendungsbeispiele

Kleinmaschinen Gesenke, Elektroden, div. Aktivteile

Großmaschinen Karosserie- und IHUWerkzeuge, Spritzgussformen 3 500 x 2 500 x 1 500 mm3 Arbeitsraum: 630 x 630 x 630 mm3 notw. Schwenkwinkel ± 95° ± 95° Volumen bei notw. ca. 600 x 600 x 400 mm³ bis 4 500 x 2 500 x 1 500 Schwenkwinkel mm³ Form rechteckig rechteckig Singularitätsfreiheit zwingend erforderlich zwingend erforderlich Freiheitsgrad/ Formelemente: Formelemente: notwendige Elemenebene Flächen, Bohrungen, ebene Flächen, große doptarbewegungen tiefe Schmiedegravuren mit pelt gekrümmte Freiformkleinen Bodenradien, kleine flächen, hohe schmale Ste(oft sehr stark) doppelt ge- ge bzw. tiefe Schlitze, Bohrungen (teilw. sehr tief) krümmte Freiformflächen Æ 5 Achsen: X, Y, Z, A, C Æ 5 Achsen: X, Y, Z, A, C am Teil: 0,02-0,05 mm am Teil: 0,02-0,05 mm Allgemein sollten die niedrigste Eigenfrequenz möglichst hoch und das Verhältnis von dynamischer Nachgiebigkeit zu statischer Nachgiebigkeit entsprechend klein sein. Von diesen Parametern wesentlich beeinflusst werden: • Ratterneigung beim Schruppen, • Oberflächenqualität, • einstellbare Ruck-Werte. GeschwindigkeitsBeschleunigung: Beschleunigung: und Beschleunigungs- min. 10 m/s² 2 ...4 m/s² (HSC) übertragung, Geschwindigkeit: Geschwindigkeit: Achsdynamik 40 m/min (Eilgang) 40 m/min (Eilgang) Kraftübertragung, abgeleitet aus zu bearbeiabgeleitet aus zu bearbeiAntriebskräfte tenden Werkstoffen: tenden Werkstoffen: Graphit, Kupfer, KunstAluminium, Grauguss, stoff, Werkzeugstahl, Werkzeug- und VergüStellite tungsstahl Genauigkeit Eigenfrequenzen, Systemdämpfung

Lösungsansätze Gerade im Bereich der Kleinmaschinen wurde eine Vielzahl von Prototypen vorgestellt, von denen die wichtigsten in Tabelle 7.2. aufgeführt sind. Besonders hervorzuheben ist die Maschine METROM P800 der METROM MECHATRONISCHE MASCHINEN GMBH. Im Gegensatz zu den vollparallelen Strukturlösungen, bei denen die Vorteile in der Fünf-Achs-

7.1 Werkzeugmaschinen

195

Simultanbearbeitung liegen, ist mit dieser Strukturlösung erstmals bei Parallelkinematiken eine Fünf-Seiten-Komplettbearbeitung möglich [124], s. Abb. 7.3. und Abb. 7.4. Im Bereich der Mittel- und Großmaschinen für den Werkzeug- und Formenbau sind keine vollparallelen Lösungen bekannt. Der Grund dafür liegt in der Struktur reiner Parallelkinematiken, die einen relativ geringen Arbeitsraum durch geschlossene kinematische Ketten aufweisen.

Abb. 7.3. METROM P800 [METROM MECHATRONISCHE MASCHINEN GMBH]

Abb. 7.4. CAD-Konstruktion der Hauptspindel [METROM MECHATRONISCHE MASCHINEN GMBH]

MIKROMAT 6X HEXA

INGERSOLL HOH 600

ISW STUTTGART LINAPOD P800 M

METROM P2000

METROM

10 m/s²

3,5 m/s² 27,4 kW 10 000 min-1 6 µm 25 µm vollparallel

17 kW 24 000 min-1

k. A. 12 µm

vollparallel

Antrieb - Spindelleistung - max. Spindeldrehzahl

Genauigkeit - Wiederholgenauigkeit - Positioniergenauigkeit

Strukturtyp

vollparallel

k. A. 10 µm

16 kW 30 000 min-1

40 m/min

6

6

40 m/min

6

Freiheitsgrad/notwendige Elementarbewegungen

ja

ja

Geschwindigkeit und Beschleunigung/Achsdynamik 66 m/min - Geschwindigkeit lin. Achsen - Beschleunigung lin. Achsen 10 m/s²

ja

vollparallel

k. A. k. A.

27 kW 24 000 min-1

40 m/s²

120 m/min

6

ja

hybrid

3 µm k. A.

14/30 kW 24 000 min-1

12 m/s²

60 m/min

5+1

ja

hybrid

10 µm k. A.

14/30 kW 24 000 min-1

10 m/s²

60 m/min

5+1

ja

700x700x750 600x600x800 630x630x630 600x600x600 800x800x450 2 000x2 000x800 ± 30° / ± 15° ± 30° / ± 15° ± 20° / ± 15° > 90° > 90° ± 25° komplex komplex komplex komplex komplex komplex

Singularitätsfreiheit

Arbeitsraum - Volumen [mm³] - Orientierung - Form

GIDDING& LEWIS VARIAX

196 7 Anwendung von Parallelkinematiken: Beispiele

Tabelle 7.2. Maschinenübersicht

7.1 Werkzeugmaschinen

197

Ansätze für Parallelkinematik-Anwendungen bei Großmaschinen sind erweiterte Strukturen, insbesondere solche mit kinematischer Redundanz. Diese Anwendungen zielen auf den Teilaspekt der Freiformflächenbearbeitung, da hier Schwenkwinkel von ± 40° ausreichend sind. Sinnvoll sind diese Lösungen jedoch nur, wenn die Parallelkinematik-Teilketten wie andere Bearbeitungsköpfe einwechselbar sind. Das Prinzipbild einer solchen Lösung zeigt Abb. 7.5. Der DYNAPOD hat folgenden prinzipiellen Aufbau, s. Abb. 7.6. : Alle Vorschubachsen liegen im Werkzeug, d. h. das Werkstück ist feststehend. Der Querträger ist als Rahmen ausgeführt (dadurch geringere Torsionsbelastung) und aus Aluminiumschaum-SandwichPlatten aufgebaut (Leichtbau, Dämpfung). Als Antriebe kommen für die Xund Y-Achsen lineare Direktantriebe zum Einsatz. Die serielle Z-Achse wird mit konventionellen elektromechanischen Antrieben bewegt und trägt den Rahmen einer Hexapod- oder Tripod-Bearbeitungseinheit. Tabelle 7.3. gibt eine Übersicht über die technischen Daten des von der MIKROMAT GMBH und dem FRAUNHOFER-INSTITUT FÜR WERKZEUGMASCHINEN UND UMFORMTECHNIK IWU entwickelten Prototypen. Abb. 7.7. zeigt die Scherenkinematik, die – ähnlich wie die Tripod- oder die Hexapod-Einheit – bei Bedarf auf die vorhandenen Leichtbaubrücken aufgesetzt werden kann.

Abb. 7.5. Prinzipbild des Hexapodmoduls [FRAUNHOFER IWU]

198

7 Anwendung von Parallelkinematiken: Beispiele

Abb. 7.6. DYNAPOD: Prinzip; modulare Parallelkinematiksysteme pod/Hexapod); Querträger aus Metallschaum [FRAUNHOFER IWU]

(Tri-

Abb. 7.7. Scherenkinematik als zusätzliches Modul für den Dynapod [FRAUNHOFER IWU]

7.1 Werkzeugmaschinen

199

Tabelle 7.3. DYNAPOD: technische Daten Einsatzschwerpunkte

• hohe Bearbeitungsgenauigkeit in Verbindung mit großem Spanvolumen, • Schlichtmaschine, z. B. für: − Karosseriewerkzeuge − Gesenkwerkzeuge − Spritzgieß- und Druckgusswerkzeuge − IHU-Werkzeuge Werkstück (feststehend) Breite (y) 2 500 mm Länge (x) 3 000 mm Höhe (z) 1 250 mm Verfahrgeschwindigkeiten X-Achse Linearantrieb 30 m/min (serielle Achsen) Y-Achse Linearantrieb 30 m/min Z-Achse KGT 20 m/min Beschleunigung X-Achse Linearantrieb 3 m/s2 (serielle Achsen) Y-Achse Linearantrieb 3 m/s2 Z-Achse KGT 3 m/s2 Spindel Aufnahme HSK-E-40 Leistung 10 kW Max. Drehzahl 40 000 min-1 Nenndrehzahl 29 240 min-1 Moment 3,2 Nm

Zusammenfassend ist festzustellen, dass sich, resultierend aus höheren Anforderungen hinsichtlich Produktivität, Wirtschaftlichkeit und Flexibilität z. B. aus der Hochgeschwindigkeitsbearbeitung bzw. 5-Achs-Simultanbearbeitung, heutige serielle Kinematiken im Großwerkzeug- und Formenbau ihren Grenzen nähern. Ein Lösungsansatz ist im Einsatz von Parallelkinematiken zu sehen. Vollparallele Kinematiken sind dafür allerdings nicht realistisch. Hybridkinematiken, also die Kombination von seriellen und parallelen Maschinenkinematiken, sind denkbare neue Strukturlösungen, wobei die prinzipielle Struktur immer aus einer die Parallelkinematik tragenden seriellen Grundkinematik bestehen wird. Außerdem bieten Hybridkinematiken die Möglichkeit der Verbesserung der Leistungsparameter von Maschinen für den Großwerkzeug- und Formenbau. 7.1.2 Bearbeitung von Strukturbauteilen Umfeld und Anforderungen Im modernen Flugzeugbau wird vorzugsweise die Integralbauweise eingesetzt. Dabei werden die Strukturbauteile aus einem monolithischen Rohteil

200

7 Anwendung von Parallelkinematiken: Beispiele

herausgearbeitet. Als Vorteile sind die Verkürzung der Durchlaufzeiten und der Logistikkette sowie die Reduzierung der Bauteilgewichte (z. B. durch Wegfall von Verbindungselementen) zu nennen. Die Integralbauteile bestehen in der Regel aus hochfesten Aluminium-Knetlegierungen und sind entweder flächige Bauteile oder lange, schlanke Profile. Als Halbzeug kommen zu 90 Prozent Vollmaterial in Form von Platten (Plattendicke 60 mm bis max. 300 mm) und zu je 5 Prozent Guss- und Schmiedeteile bzw. Stangenmaterial in der Länge von einigen 100 mm bis zu 30 m zum Einsatz. Im Flugzeugbau werden, von wenigen Ausnahmen abgesehen, spezielle Legierungen eingesetzt. Den Hauptanteil der zu zerspanenden Werkstoffe stellen mit ca. 80 Prozent Aluminiumlegierungen; Titanlegierungen und Stahl nur je 10 Prozent. Die Forderung nach weiterer Reduzierung der Bauteilgewichte führt bezogen auf die Bauteile zu komplexen Bauteilgeometrien (z. B. Stege mit einem Breiten- zu Höhenverhältnis von 1:15 bis 1:35; gewinkelte Stege mit einem Eckenradius, der dem Werkzeugradius beim Schlichten entspricht) und hohen Zerspanungsgraden (z. B. bis zu 95 Prozent für den Militärflugzeugbau). Die Integralbauweise hat, wie oben erwähnt, dazu geführt, dass die Teilegeometrie komplexer wird. So werden auch größere Teile zunehmend fünfachsig bearbeitet. Das große Spanvolumen stellt insbesondere an eine effiziente Schruppbearbeitung hohe Anforderungen. Zusätzlich sind geringe Bearbeitungszeiten und große Zerspanleistungen erforderlich. Des Weiteren sind aufgrund der dynamischen Lasten und der Kerbempfindlichkeit der im Wesentlichen in der Flugzeugstruktur eingesetzten Bauteile für einen sicheren Einsatz relativ hohe Maß- und Formgenauigkeiten erforderlich. Als Maschinentechnik sind mehrspindelige bzw. fünfachsig arbeitende Bearbeitungszentren zur Erzeugung der Rohkontur sowie für die Fertigbearbeitung erforderlich. Sowohl in der zivilen als auch der militärischen Luftfahrtindustrie liegt der Anteil der Teile, die eine fünfachsige spanende Bearbeitung erfordern, sehr hoch. Für die Schruppbearbeitung von Aluminium müssen die Maschinen über eine möglichst hohe Spindelleistung verfügen. Die Titan- und Stahlzerspanung erfordert dagegen ein ausreichendes Drehmoment. Aufgrund der Teileabmessungen werden solche Maschinen eingesetzt, bei denen alle Achsbewegungen auf der Werkzeugseite liegen. Um den sehr hohen Zerspanungsraten gerecht zu werden, sind Lösungen für eine optimierte Späneentsorgung zu integrieren. Die wesentlichen Anforderungen sind in Tabelle 7.4. zusammengefasst.

7.1 Werkzeugmaschinen

201

Tabelle 7.4. Bearbeitung von Strukturbauteilen: Anforderungen an die Maschine Anforderungen

Arbeitsraum: notwendiger Schwenkwinkel Volumen (bei notw. Schwenkw.) Form Singularitätsfreiheit Freiheitsgrad/notwendige Elementarbewegungen Genauigkeit Eigenfrequenzen, Systemdämpfung

Geschwindigkeit und Beschleunigung; Achsdynamik Antrieb

Anwendungsbeispiele: • Integralbauteile, z. B. Stringer, Spars, Ribs • schwer zerspanbare Werkstoffe • hohe Prozesskräfte • 5-Achs-Bearbeitung ± 40° (A/B) bis 30 000 x 1 000 x 300 mm³ (X/Y/Z) rechteckig, komplex zwingend erforderlich Formelemente: ebene Flächen, Bohrungen, gewinkelte und schmale Stege, doppelt gekrümmte Flächen ĺ 5 Achsen (X, Y, Z, A, C) am Teil: 0,02 bis 0,05 mm Die allgemeinen Forderungen nach möglichst hohen niedrigsten Eigenfrequenzen und hoher Systemdämpfung sind insbesondere für die Umsetzung effektiver Schrupp-Strategien notwendig. Zunehmend spielen auch Forderungen hinsichtlich Oberfläche und einstellbarer Ruckwerte eine Rolle. Beschleunigung: mindestens 10 m/s² Geschwindigkeit: 50 m/min (Eilgang) abgeleitet aus zu bearbeitenden Werkstoffen: Aluminium, Titan, Stahl

Lösungsansätze Bei parallelkinematischen Maschinen werden die langsamen Drehachsen der seriellkinematischen Maschinentechnik durch dynamische Linearachsen ersetzt. Zeitliche Vorteile von 20 bis 30 Prozent wurden beispielsweise in [59] nachgewiesen. Dieses Potential der Parallelkinematik wird mit großem Erfolg bei der Bearbeitung von Integralbauteilen genutzt (vgl. [47] und [48]). Als maschinentechnische Lösungen für diese Fertigungsaufgabe haben sich Hybridkinematiken durchgesetzt. Der prinzipielle Aufbau besteht in der Regel aus einer parallelkinematischen Tripod-Einheit für die Freiheitsgrade A, C und Z, die mit seriellen Achsen für die Freiheitsgrade X und Y kombiniert wird. In der nachfolgenden Tabelle sind für zwei Beispiele die Parameter der Komplettlösungen zusammengefasst. Die Parameter der Parallelkinematik-Einheit sind farblich hervorgehoben.

202

7 Anwendung von Parallelkinematiken: Beispiele

Tabelle 7.5. Gegenüberstellung zweier realisierter Maschinen; fett: Parameter der Parallelkinematik-Einheit DÖRRIES SCHARMANN TECHNOLOGIE GMBH ECOSPEED, ECOSPEED F Arbeitsraum Volumen

X: 3 300 mm-18 800 mm Y: 2 500 mm x 300 mm Z: 350 mm mit A/B ± 45° 670 mm maximal Orientierung A/B: ± 45° Form nahezu rechteckig Singularitätsfreiheit ja Freiheitsgrad/notwendige 5 Elementarbewegungen Geschwindigkeit- und Beschleunigung/ Achsdynamik − Geschw. lin. Achsen X/Y/Z: 65/50/50 m/min − Geschw. rot. Achsen A/B: 15 min-1 X/Y/Z: 9,81/9,81/9,81 m/s² − Beschl. lin. Achsen A/B: 685 °/s² − Beschl. rot. Achsen Antrieb: Spindeln 80 kW: 46 Nm, 30 000 min-1 75 kW: 72 Nm, 24 000 min-1 70 kW: 60 Nm, 27 000 min-1 Strukturtyp hybrid

M.TORRES SPACE 5H X: 2 500 mm Y: 1 000 mm Z: 350 mm mit A/C ±30° 615 mm maximal A/C: ± 30° nahezu rechteckig ja 5

X/Y/Z: 60/60/80 m/min A/C: 25 min-1 X/Y/Z: 7/8/12 m/s² A/C: 1 500 °/s² 60 kW: 24 000 min-1

hybrid

Am Beispiel der Lösung der DÖRRIES SCHARMANN TECHNOLOGIE GMBH sollen die Vorteile dieses Konzeptes vorgestellt werden, in dessen Mittelpunkt Parallelkinematiken mit drei steuerbaren Freiheitsgraden (eine Translation zwei Rotationen; konkret: Z, A, B) stehen. Das Konzept wird wie folgt beschrieben [47]: „Zur Bewegungserzeugung sind in einem rohrförmigen Trägergehäuse drei Linearmodule untergebracht, auf denen sich Vorschubschlitten parallel zur Z-Achse bewegen. An jedem dieser Schlitten ist jeweils mittels eines Walzengelenkes (Freiheitsgrad Eins) ein Dreieckslenker angebracht. An der anderen Seite trägt jeder Dreieckslenker ein Universalgelenk (Freiheitsgrad Drei), das die Verbindung zur Trägerplattform (Spindelplattform) herstellt.“ Abb. 7.8. zeigt den mechanischen Aufbau des Kopfes unter Verwendung möglichst vieler Standardkomponenten.

7.1 Werkzeugmaschinen

203

Abb. 7.8. Beispiel: Tripod-Einheit SPRINT Z3 [DÖRRIES SCHARMANN TECHNOLOGIE GMBH]

Zusammenfassend können folgende Vorteile genannt werden (DÖRRIES SCHARMANN TECHNOLOGIE GMBH): • Robustheit und Zuverlässigkeit durch Wegfall von Schleifringen bzw. Drehdurchführungen, • Gewichtsreduzierung gegenüber konventionellen (seriellen) Gabelköpfen bzw. Schrägachsenköpfen um bis zu 50 Prozent (dadurch höhere Dynamik von X- und Y-Achse), • hohe Schwenkgeschwindigkeiten bei allen Winkelstellungen, ohne dass von Linearachsen unrealistisch hohe Geschwindigkeiten bzw. Beschleunigungen gefordert werden, • hohe statische Steifigkeit. Sowohl von Anwendern als auch Maschinenherstellern wurden, bezogen auf konkrete Bearbeitungsaufgaben, deutliche Produktivitätssteigerungen beim Einsatz des SPRINT Z3 ermittelt. In Abhängigkeit vom zu fertigenden Bauteil wurden Steigerungen um 30 Prozent bis zu 300 Prozent erreicht [49, 82]. Aus Anwendersicht werden vor allem folgende Vorteile genannt: • • • •

Reduktion der Prozesszeiten um ca. 42 Prozent, höhere Teilequalität durch bessere Oberfläche, verbesserte Rentabilität der Maschine, im Vergleich zu konventionellen Maschinen höhere Flexibilität.

204

7 Anwendung von Parallelkinematiken: Beispiele

Um die Vorteile dieses Konzeptes auch bei anderen Bauteilabmessungen zu erreichen, erweiterte die DÖRRIES SCHARMANN TECHNOLOGIE GMBH die Produktpalette basierend auf der Tripod-Einheit (SPRINT Z3) um weitere Maschinen. So wird der Schwenkfräskopf auf Tripod-Basis zur Zeit in drei Maschinen eingesetzt. Dabei handelt es sich zum einen um die in Tabelle 7.5. bereits vorgestellte ECOSPEED, die im Augenblick die effizienteste Lösung zur Herstellung von Flugzeug-Integralbauteilen darstellt, Abb. 7.10. Außerdem wird der Kopf SPRINT Z3 in die Maschinen ECOSPEED F, ECOSPEED F HT und ECOLINER eingebaut. Dabei bedient die ECOSPEED F vor allem die Bedürfnisse der Kunden nach kleineren Integralbauteilen im Flugzeugbau. Anders als bei der ECOSPEED ist hier der Maschinenständer stationär angeordnet. Die Palette verfährt in X-Richtung auf der vertikal angeordneten Tischgruppe. Auf der seitlich in X-Richtung angeordneten drehbaren Doppelpalettenstation kann die Palette horizontal beladen und dann in vertikaler Stellung direkt auf den Maschinentisch übergeben werden. So ist hauptzeitparalleles ergonomisches Rüsten möglich. Dagegen zielt die Ecoliner vor allem auf Großteile ab; sie ist für Stringer mit Längen von bis zu 35 m ausgelegt. Bis heute (2005) wurden über 30 Maschinen der Ecospeed-Baureihe an Kunden in Deutschland, England, Frankreich, Spanien und den USA verkauft.

Abb. 7.9. Bearbeitung von Integralbauteilen im Flugzeugbau mit ECOSPEED [DÖRRIES SCHARMANN TECHNOLOGIE GMBH]

7.1 Werkzeugmaschinen

a

b

c

d

205

Abb. 7.10. Hybridkinematiken der DÖRRIES SCHARMANN TECHNOLOGIE GMBH a ECOSPEED b ECOSPEED F c ECOSPEED F HT d ECOLINER

7.1.3 Gehäusebearbeitung im Antriebsstrang Umfeld und Anforderungen Die Produkttrends im Automobilbau bewirken eine Bandbreite des Angebots von kleinsten Stückzahlen bis zu Großserienprodukten, für deren Realisierung hochflexible Maschinenkonzepte nötig sind. Es muss eine Vielzahl von in Abmessung und Material stark variierenden Werkstücken bearbeitet werden. Werkstücke, die Verfahrwege von bis zu 1 000 mm je Linearachse erfordern, sind unter anderem Steuergehäuse, Getriebegehäuse, Zylinderkopf und Zylinderkurbelgehäuse, Pleuel sowie Kurbel- und Nockenwellen. Aus dem großen Spektrum der Fertigungsaufgaben in der Automobilindustrie soll hier der Bereich Powertrain, insbesondere die Bearbeitung gehäuseförmiger Teile, bezüglich des Einsatzes parallelkinematischer Werkzeugmaschinen betrachtet werden.

206

7 Anwendung von Parallelkinematiken: Beispiele

Heute wird ein Hauptantrieb benötigt, der in der Lage ist, mit relativ hohen Antriebsleistungen und Drehmomenten effektiv Stahl- und Gusswerkstoffe zu zerspanen, aber auch mit hohen Spindeldrehzahlen und Beschleunigungen den Aufgaben der Leichtmetallbearbeitung gerecht zu werden. Darüber hinaus können für die Fertigungsaufgabe folgende prinzipielle Aussagen festgehalten werden [50]: • relativ geringe Zerspanraten (Rohteile sind endkonturnah), • Anzahl der Fräs-Operationen relativ gering gegenüber Bohr-Operationen, • relativ hoher Nebenzeit-Anteil. Der letztgenannte Punkt soll nachfolgend genauer betrachtet werden: Allgemeingültig wurde in [110] festgestellt, dass durch innovative Technologien wie High Performance Cutting (HPC) und High Speed Cutting (HSC) die Zeit, in der ein Werkzeug im Eingriff ist, nur 40 Prozent beträgt. Die restliche (nicht-produktive) Zeit wird für Werkzeugwechsel, Positionierbewegungen, Beschleunigung der Hauptspindel, Werkzeugvermessung usw. benötigt. Zu ähnlichen Aussagen kommt auch [153]. Hier wurden folgende Zeit-Anteile ermittelt: • 40 Prozent für Bohren, Reiben, Gewindebohren, • 5 Prozent für Fräsen, • 55 Prozent für o.g. nicht-produktive Zeitanteile. Da sich die Komplexität der zu fertigenden Formelemente auch weiterhin erhöht, bedingt dies eine Erhöhung der notwendigen Anzahl von Werkzeugen und damit verbunden eine weitere Steigerung der Anzahl der Werkzeugwechsel. Eine wesentliche Forderung an die Maschinentechnik ist die Reduzierung der Span-zu-Span-Zeit. Eine Möglichkeit ist die Steigerung der Achsbeschleunigung und des Achs-Rucks. Darüber hinaus sind Genauigkeitsaspekte von besonderem Interesse. So ist wiederum die Genauigkeit des Fertigungsmittels Werkzeugmaschine von besonderer Bedeutung, wobei erst durch das Zusammenwirken der Komponenten Werkzeugmaschine, Werkzeug, Vorrichtung und technologischer Prozess eine gleichbleibend hohe Fertigungsqualität erzielt werden kann. Die Werkzeugmaschine muss gewährleisten, dass Toleranzen im Bereich weniger Mikrometer über einen Fertigungszeitraum von mehreren Jahren garantiert werden können. Die Forderungen hinsichtlich geometrischer bzw. kinematischer Genauigkeit, dynamischer Genauigkeit und Genauigkeit unter Prozessbedingungen werden in [50] zusammengefasst.

7.1 Werkzeugmaschinen

207

Tabelle 7.6. Gehäusebearbeitung: Anforderungen an die Maschine Anforderungen Arbeitsraum: notwendiger Schwenkwinkel Volumen (bei notw. Schwenkw.) Form Singularitätsfreiheit Freiheitsgrad/notwendige Elementarbewegungen Genauigkeit Eigenfrequenzen, Systemdämpfung

Geschwindigkeit und Beschleunigung/Achsdynamik Antrieb

Anwendungsbeispiele: Zylindergehäuse, Getriebegehäuse, Kurbelwellen Positionierachsen ± 95°/± 200° (A/C) ca. 600 x 400 x 400 mm³ (X/Y/Z) rechteckig, komplex zwingend erforderlich Formelemente: Bohrungen, ebene Flächen ĺ 3 Achsen (X, Y, Z) interpolierend ĺ 2 Achsen (A/C) positionierend am Teil: 0,005 bis 0,05 mm Die allgemeinen Forderungen nach möglichst hohen niedrigsten Eigenfrequenzen und hoher Systemdämpfung sind für diesen Einsatzfall unter dem Aspekt einer hohen Bahngenauigkeit auch bei hoher Dynamik zu bewerten. Ziel ist es, die Ruckbegrenzung auf einen möglichst hohen Wert einstellen zu können. Beschleunigung: mindestens 20 m/s² Geschwindigkeit: 100 m/min Hohe Ruckparameter haben entscheidenden Einfluss auf die Nebenzeiten. abgeleitet aus zu bearbeitenden Werkstoffen: Guss, Aluminium, Magnesium

Neben den genannten maschinentechnischen Anforderungen dürfen Fragen der Wirtschaftlichkeit nicht außer Acht gelassen werden. Dem Anwender muss ein Fertigungsmittel zu Verfügung gestellt werden, mit dem er durch geringe Investitions- und Betriebskosten, hohe Verfügbarkeit und geringen Wartungsaufwand einen Wettbewerbsvorsprung erzielen kann. Da die Fertigung von Fahrzeugteilen sehr unterschiedlich strukturiert sein kann, muss es möglich sein, die Bearbeitungseinrichtungen entsprechend anzupassen. So kann die Werkzeugmaschine als Einzelmaschine mit integriertem Werkstückhandling zum Einsatz kommen, sie kann als Bestandteil flexibler Fertigungssysteme genutzt, oder sie muss als Modul in komplexen Anlagen eingesetzt werden. Der Aufbau der Maschinen kann wie folgt charakterisiert werden:

208

7 Anwendung von Parallelkinematiken: Beispiele

• Maschinen sind im Allgemeinen mit drei linearen Achsen und einer rotatorischen Achse ausgerüstet. Diese Achsen können sowohl auf der Werkzeug- als auch der Werkstückseite angeordnet sein. • Der Anteil von Bearbeitungsoperationen, die eine zusätzliche zweite rotatorische Achse benötigen, liegt gewöhnlich unter 10 Prozent. • Die rotatorischen Achsen werden nur für Positionierbewegungen benötigt, d. h. nur die drei linearen Achsen verfahren bei der Bearbeitung simultan. Lösungsansätze Bei der Fertigung prismatischer Bauteile besteht Einsparungspotential besonders hinsichtlich der Reduzierung der Nebenzeiten. Die Hauptzeiten, die zwischen 50 und 60 Prozent der gesamten Bearbeitungszeit ausmachen, und im Wesentlichen unabhängig von der Maschinendynamik sind, werden durch die eingesetzten Werkzeuge sowie Prozessparameter bestimmt. Diese sind sowohl für serielle als auch parallelkinematische Maschinen gleich. Die Nebenzeit dagegen setzt sich hauptsächlich aus den Anteilen Positionierzeit (ca. 30 Prozent der Bearbeitungszeit) sowie Zeiten für Werkzeug- und Werkstückwechsel zusammen. Durch die Maschinendynamik beeinflussbar ist vor allem die Positionierzeit. Aus verschiedenen Analysen und Recherchen, z. B. [127], kann abgeleitet werden, dass mit dem Einsatz hochdynamischer Vorschubantriebe im Vergleich zu den üblichen Antriebswerten7 das Einsparungspotential bei maximal zehn Prozent der Bearbeitungszeit liegt. Hieraus muss man schlussfolgern, dass vorwiegend Anforderungen wie geringe Investitions- und Wartungskosten für den Einsatz von parallelkinematischen Maschinen sprechen. Voraussetzung ist jedoch die Einhaltung der geforderten Positioniergenauigkeit. Es kommen sowohl Lösungen zum Einsatz, die auf Kinematiken mit dem Freiheitsgrad Zwei in Kombination mit einer seriellen Achse (auf Werkzeug-Seite bzw. Werkstück-Seite) basieren, als auch Lösungen, die auf Kinematiken mit dem Freiheitsgrad Drei beruhen. Die weltweit erfolgreichste parallelkinematische Maschine ist momentan der weit über 200 mal verkaufte TRICEPT der schwedischen Firma SMT TRICEPT AB , s. Abb. 7.11. Dabei handelt es sich um einen Tripod, dessen Aufbau bereits beschrieben wurde. Diese Maschine verbindet die Bearbeitungsmöglichkeiten einer Werkzeugmaschine mit der Flexibilität und den relativ niedrigen Kosten eines Industrieroboters. Die Anwender finden sich vor allem in der Automobil- und Flugzeugindustrie.

7

Beschleunigung 3,5 g; Eilgang-Geschwindigkeit 120 m/min; Ruck: 1500 m/s3

k. A. < 15 µm

hybrid

Genauigkeit - Wiederholgenauigkeit - Positioniergenauigkeit

Strukturtyp

parallel

k. A. < 15 µm

31 kW 15 000 min-1

60 kW 20 000 min-1

Antrieb - Spindelleistung - max. Spindeldrehzahl

3

100 m/min 10 m/s2

3

ja

komplex

komplex ja

630 x 630 x 630

630 x 630 x 750

RENAULT AUTOMATION COMAU URANE SX

hybrid

20 µm 50 µm

bis zu 40 kW bis zu 30 000 min-1

90 m/min 10 m/s2

5

parallel

k. A.. k. A..

12 kW 40 000 min-1

100 m/min 35 m/s2

3

[mm] Ø 2 500; H=800 500 x 500 x 250 180/-10 komplex komplex ja ja

TRICEPT TR 805

SPECHT XPERIMENTAL SKM 400

Geschwindigkeit und Beschleunigung/Achsdynamik - Geschwindigkeit lin. Achsen 120 / 120 / 60 m/min - Beschleunigung lin. Achsen 15 / 15 / 10 m/s2

Freiheitsgrad/notwendige Elementarbewegungen

Arbeitsraum - Volumen [mm³] - Orientierung - Form Singularitätsfreiheit

SMT TRICEPT AB

CROSS HÜLLER GMBH STARAGHECKERT

7.1 Werkzeugmaschinen

Tabelle 7.7. Gegenüberstellung realisierter Maschinen

209

210

7 Anwendung von Parallelkinematiken: Beispiele

Abb. 7.11. Tricept-Bearbeitungszentrum Tripteor 8 [PCI/SMT Tricept AB]

Abb. 7.12. Beispiele für eine Parallelkinematik zur Fertigung von Bauteilen für den Powertrain: SKM 400 [STARRAGHECKERT AG]

7.1 Werkzeugmaschinen

211

Bearbeitungszeit

Werkzeugwechselzeiten Positionierzeiten produktive Zeiten

SKM 1

SKM 2

PKM 1

PKM 2

PKM 3

Abb. 7.13. Leistungsvergleich serieller und parallelkinematischer Maschinen bei der Bearbeitung von Zylinderköpfen (56 Operationen, 6 Werkzeuge) [50]

Bei einem Vergleich zweier konventioneller Werkzeugmaschinen mit drei parallelkinematischen [50] wird deutlich, dass die strukturellen Vorteile in praktischen Anwendungen nicht immer zum Tragen kommen, s. Abb. 7.13. Als Gründe werden genannt: • Nur durch eine optimal abgestimmte Gesamtkonzeption der Maschine kann die Nebenzeit gesenkt werden. Die dynamischen Parameter der Kinematik sind nur ein Bestandteil des Systems. Der wesentlichste Einfluss ist der Werkzeugwechsel. Aber auch Werkstückwechsel und die rotatorischen Positionierachsen haben einen Einfluss auf die Nebenzeit. Nur wenn diese peripheren Baugruppen den Möglichkeiten einer hochdynamischen Parallelkinematik angepasst sind, wird eine Leistungssteigerung erreicht. • Hohe Dynamik und hohe Bahngenauigkeit sind widersprüchliche Anforderungen, die an Werkzeugmaschinen gestellt werden. Insbesondere die Änderung der Beschleunigung (Ruck) führt zu Schwingungsanregungen der Struktur. Durch Ruckbegrenzung wird steuerungstechnisch diesen Anregungen entgegengewirkt. Bezogen auf die effektiv wirkende Beschleunigung (und damit die Positionierzeit) bedeutet das jedoch, dass die theoretisch zulässige Maximalbeschleunigung teilweise nicht erreicht wird.

212

7 Anwendung von Parallelkinematiken: Beispiele

Eine andere Möglichkeit, die nicht-produktive Zeit der Maschine zu verringern, stellt RENAULT AUTOMATION COMAU vor. Durch eine extrem hohe Dynamik der Maschine sollen Werkzeugwechsel eingespart werden, indem nur ein einzelnes Werkzeug verwendet wird, URANE SX, s. Abb. 7.14. Die Notwendigkeit von Werkzeugwechseln und Spindelstopps wird durch andere Bearbeitungsverfahren wie z. B. Bohrfräsen ersetzt. Dabei trägt die Leichtbauweise der Maschine dazu bei, dass Beschleunigungen von 35 m/s² möglich werden.

Abb. 7.14. Parallelkinematik URANE SX [RENAULT AUTOMATION COMAU]

In einer Studie wird für die Herstellung von Zylinderköpfen (1 600/Tag) eine Fertigungslinie, die mit 11 konventionellen Bearbeitungszentren ausgestattet ist, mit einer gemischten Fertigungslinie verglichen. Die gemischte Fertigungslinie besteht aus lediglich drei seriellen Maschinen, mit denen vor allem komplexere Operationen ausgeführt werden, sowie fünf Maschinen des Typs URANE SX, die konventionelle Operationen wie Drehen und Fräsen bis hin zum Gewindebohren übernehmen. Entscheidende Vorteile bietet die PKM/SKM-Variante hinsichtlich der Investitionskosten. Diese liegen bei lediglich 60 Prozent der reinen SKM-Variante. Außerdem wird lt. Hersteller eine geringere Aufstellfläche für die Maschinen benötigt. Aufgrund des wirtschaftlichen Erfolges der Lösung soll hier kurz auf eine weitere Anwendung aus dem Bereich des Automobilbaus eingegangen werden: Für den Bereich Futterdrehteile wurde von der Firma INDEXWERKE GMBH & CO. KG HAHN & TESSKY eine Lösung erarbeitet, bei der sowohl die Vorschubbewegung der Teile bei der Bearbeitung als auch das Teilehandling von der Parallelkinematik übernommen werden. Der Vorteil liegt darin, dass Bereiche mit hoher Steifigkeit für die Bearbeitungsoperationen und andere Bereiche des Arbeitsraumes zur Ablage genutzt werden.

7.1 Werkzeugmaschinen

213

Tabelle 7.8. Maschinenparameter INDEX V100 [INDEX-WERKE GMBH & CO. KG HAHN & TESSKY] Arbeitsraum Volumen [mm³] Orientierung Form Singularitätsfreiheit Freiheitsgrad/notwendige Elementarbewegungen Geschwindigkeit und Beschleunigung/ Achsdynamik Geschw. lin. Achsen Geschw. rot. Achsen Beschleun. lin. Achsen Beschleun. rot. Achsen Antrieb: Spindel Genauigkeit: Positioniergenauigkeit Strukturtyp

280 x 280 x 280 mm³ nicht notwendig nahezu rechteckig ja 3

X/Y/Z: 60 m/min entfällt X/Y/Z: 10 m/s² entfällt 14 kW, 10 000 min-1 4 bis 15 µm / 250 mm vollparallel

7.1.4 Dreidimensionales Biegen Umfeld und Anforderungen Die Herstellung dreidimensional freiformgebogener Rohre und Profile als Vorformen für die Innenhochdruck-Umformung oder die Herstellung von Space-Frame-Komponenten gewinnt zunehmend an Bedeutung. Für das dreidimensionale Biegen werden heute verschiedene Technologien wie z. B. das Rundbiegen, bei Profilen bevorzugt auch das Streckbiegen, angewendet. Diese Verfahren sind dadurch limitiert, dass die Biegegeometrie in einem Werkzeug abgebildet wird. Die notwendige Flexibilität der auszuführenden Biegeradien lässt sich besser durch ein Umformverfahren mit kinematischer Gestalterzeugung verwirklichen. So erlauben Verfahren, wie z. B. das Drei-Walzen-Biegen oder das direkt nach dem Strangpressen eingesetzte Runden eine große Vielfalt erzeugbarer Werkstückgeometrien. Die kinematische Gestalterzeugung durch Schieben eines Profils durch ein feststehendes und ein zu dieser Achse versetzt orientiertes Werkzeug wird z. B. durch die Maschine MULTIBENDER der MIIC (DEUTSCHLAND) GMBH & CO. bzw. die NISSIN Freiformbiegemaschine der NISSIN PRECISION MACHINES CO., LTD. umgesetzt. Dabei stellt sich bei der NISSIN-Freiformbiegemaschine die Orientierung des Werkzeugs aufgrund

214

7 Anwendung von Parallelkinematiken: Beispiele

des Kräftegleichgewichts selbständig ein, mit den damit verbundenen Risiken für die Maßgenauigkeit und Reproduzierbarkeit. Der MULTIBENDER realisiert die Werkzeugbewegung mit einer direkt getriebenen hydraulischen seriellen Fünf-Achs-Kinematik. Aufgrund des durch den konstruktiven Kinematikaufbau bedingten Verzichts auf axiale Einstellbarkeit des Abstands von feststehendem und beweglichem Werkzeug bestehen auch hier Restriktionen in der Prozessgestaltung. Diese Nachteile können durch den Einsatz einer sechsachsigen Parallelkinematik ausgeglichen werden. Gleichzeitig können hier Orientierungen des Werkzeugs ohne aufwändige hydraulische Drehachsen mit Linearantrieben realisiert werden, was eine höhere Positioniergenauigkeit des Werkzeugs unter Last ermöglicht. In Tabelle 7.9. sind neben typischen Anforderungen an Maschinen zum dreidimensionalen Biegen auch solche genannt, die an Maschinen für die Herstellung von Bauteilen durch inkrementelles Umformen gestellt werden. Da dreidimensionales Biegen prozesstechnisch betrachtet inkrementelles Umformen ist, können die Anforderungen an Taumelpressen zur Herstellung von Zahnrädern oder Getriebebauteilen als ähnlich betrachtet werden. Tabelle 7.9. Inkrementelles Umformen: Anforderungen an die Maschinen Freiformbiegen Arbeitsraum notw. Schwenkwinkel Volumen bei notwendigem Schwenkwinkel Singularitätsfreiheit Elementarbewegungen (Rotationen, Translationen) Freiheitsgrad Positioniergenauigkeit am TCP unter Last Eigenfrequenzen Beschleunigungsübertragung Antriebskraft, abhängig von Profilquerschnitt und Werkstoff

Verfahren Taumelpressen

minimal 30° abhängig vom Profilquerschnitt, ca. 1,5 x d0 zwingend erforderlich − Rohre: fünfachsig − Profile: sechsachsig

minimal 15° min: 5 x 5 x 5 mm3 max: 250 x 250 x 250 mm3 zwingend erforderlich Knetbewegung in fünf Freiheiten

sechs Achsen (X, Y, Z, A, B, C) fünf Achsen (X, Y, Z, A, C) 0,1 mm Kombinierte Kraft-WegRegelung: 0,1 mm Entscheidend sind möglichst geringe Schleppfehler in den hydraulischen Achsen. Schleppfehlerausgleich durch übergeordnete Prozessregelung ist möglich. 0,1 bis 0,3 g 0,1 bis 0,3 g Beispiel HEXABEND: maximal 600 kN

maximal 1 000 kN

7.1 Werkzeugmaschinen

215

Lösungsansätze Bei den hier gezeigten Lösungen handelt es sich um die am INSTITUT FÜR WERKZEUGMASCHINEN UND FERTIGUNGSTECHNIK DER TECHNISCHEN UNIVERSITÄT BRAUNSCHWEIG entwickelte parallelkinematische Taumelpresse entsprechend Abb. 7.15. bzw. die Freiformbiegemaschine HEXABEND des FRAUNHOFER-INSTITUTS FÜR WERKZEUGMASCHINEN UND UMFORMTECHNIK IWU entsprechend Abb. 7.16. Letztere wird im Folgenden ausführlich betrachtet. Bei dieser parallelkinematischen Maschine wird ein Profil mit einem Pusher durch ein feststehendes Werkzeug hindurch in ein bewegliches Werkzeug geschoben und durch eine zur Vorschubbewegung synchrone sechsachsige Bewegung des zweiten Werkzeugs gebogen. Zur Vermeidung von Falten und Ovalitäten bei engen Radien übernimmt ein Gliederdorn die Funktion eines inneren flexiblen Stützwerkzeugs. Zusätzlich zur reinen Biegeumformung können Einrichtungen zur Querschnittsänderung und Erwärmung integriert werden. Das Grundkonzept der HEXABEND wurde streng modular entwickelt. Somit ist es möglich, verschiedene Konfigurationen zusammenzustellen. Kenngrößen: • Schwenkwinkel: horizontal ± 30° vertikal ± 30° • singularitätsfrei • Freiheitsgrad: Sechs • Genauigkeit am TCP unter Last: Positioniergenauigkeit < 0,5 mm Wiederholgenauigkeit 0,7 mm • Geschwindigkeitsübertragung der translatorischen Achsen: 350 mm/s • Beschleunigungsübertragung der translatorischen Achsen: 0,5 g • Antriebskraft: XY: 5 kN Z: 50 kN

Abb.

7.15.

Parallelkinematische Taumelpresse [INSTITUT UND FERTIGUNGSTECHNIK, TECHNISCHE

ZEUGMASCHINEN BRAUNSCHWEIG]

FÜR WERKUNIVERSITÄT

216

7 Anwendung von Parallelkinematiken: Beispiele Kenngrößen: • Schwenkwinkel: horizontal ± 30° vertikal +10°/-25° • Volumen bei notw. Schwenkwinkel: 100 mm x 100 mm x 100 mm • singularitätsfrei • Freiheitsgrad: Sechs • Genauigkeit am Werkzeugmittelpunkt unter Last: Positioniergenauigkeit < 0,1 mm Wiederholgenauigkeit 0,03 mm • Geschwindigkeitsübertragung der translatorischen Achsen: 20 mm/min • Beschleunigungsübertragung der translatorischen Achsen: 0,3 g • Antriebskraft: pro Strebe 100 kN Profilvorschub 150 kN

Abb. 7.16. Freiformbiegemaschine HEXABEND [FRAUNHOFER IWU]

Abb. 7.16. zeigt die ausgeführte Maschine mit den Komponenten • flexibles Werkzeugmodul, • Steuerungsmodul, • passives Werkzeugmodul mit Profiliermodul, Induktionserwärmungsmodul und Schmierstoffmodul, • Vorschubmodul, • Dornmodul für seitliche Beladung, • Zuführmodul mit seitlichem Magazinmodul. Die gewünschte vollständig sechsachsige, hochdynamische Bewegung des Biegewerkzeugs ist mit einer Parallelkinematik vorteilhaft zu erreichen. Als Antriebe dienen längenveränderliche Streben. Aufgrund ihrer hohen Energiedichte werden bei großen Kräften bevorzugt hydraulische Aktoren eingesetzt. Der Kollisionsraum des Profils, die Relativbewegungen des aktiven Biegeelementes sowie die dabei zu realisierenden Kräfte bestimmen maßgeblich Auswahl, Anordnung und Dimensionierung der Elemente des aktiven Biegekopfes (Arbeitsplattform, Gelenke und Streben). Für die Auslegung der parallelkinematischen Struktur wurde der in Kap. 2.5.4 beschriebene genetische Algorithmus genutzt. Die effektive Nutzung und eine zweckmäßige Herangehensweise werden nachfolgend beschrieben. Es wird davon ausgegangen, dass in der oberen Halbkugel des Arbeitsberei-

7.1 Werkzeugmaschinen

217

ches keine Einschränkungen der Biegetechnologie vorliegen sollen, wobei das aktive Biegewerkzeug in einem Kubus von ± 50 mm je Achse horizontal um mindestens ± 30° und vertikal mindestens in einer Spanne von +50° bis −15° kippbar sein soll. Um eine optimale Ausnutzung des Potentials der Parallelkinematik im Arbeitsraum zu erreichen, muss die geometrische Anordnung der Gelenkpunkte optimiert werden. Bei uneingeschränkt freier Anordnung der Streben im Raum wären dazu 48 Parameter zu optimieren. Ziel muss daher sein, durch Angaben zur Symmetrie bzw. zu konstruktiv festliegenden Maßen die Anzahl der Parameter zu minimieren. Gleichzeitig ist durch eine sinnvolle Wahl der Randbedingungen das Parameterfenster, in dem die optimale Lösung gesucht wird, einzuschränken. Für die Festlegung der parallelkinematischen Grundstruktur konnte davon ausgegangen werden, dass die seitlichen Raumhälften keine unterschiedlichen Eigenschaften aufweisen sollen. Weitere Symmetrien der Eigenschaften bestehen nicht. Das sich aus dieser Betrachtung ergebende Modell und die für eine Optimierung variablen 17 Parameter sind in Abb. 7.17. dargestellt. Die Beschreibung der Gelenkpunktlage durch die Angabe von i Radien Ri und ri bzw. Höhenlagen Hi und hi mit i = 1 bis 3 sowie der Winkel δ, ε3, ε12, ζ3 und ζ12 zur Vorschubachse lehnt sich eng an die Konstruktionsparameter an. So wird die Kollision zwischen Strebe und Gestell vorrangig durch eine Schwenkbewegung verursacht, die durch die Winkelangabe δ zur Vorschubachse eindeutig repräsentiert wird. Höhenlagenangaben und Radien zeigen direkt den benötigten Bauraum der Struktur an. Die in Abb. 7.17. mit Großbuchstaben dargestellten Parameter repräsentieren die gestellseitigen Gelenkpunkte; die Kleinbuchstaben die arbeitsplattformseitigen in ihren jeweiligen Koordinatensystemen. Die Streben Vier, Fünf und Sechs müssen durch die Symmetrie um die Vorschubachse im Algorithmus nicht berücksichtigt werden. Die Randbedingungen für diese Parameter werden durch • die Festlänge der Streben, • die Baugröße und den erreichbaren Schwenkwinkel der Gelenke und • den durch das Gestell und das feststehende Werkzeug vorgegebenen Kollisionsraum bestimmt. Nach Klärung der konstruktiven Randbedingungen wurde eine Optimierung durchgeführt. Die Kriterien waren: • minimale Strebenkraft bei maximaler Krafteinleitung, • maximaler Schwenkwinkel im vorgegebenen kartesischen Arbeitsraum, • minimale Bauhöhe.

218

7 Anwendung von Parallelkinematiken: Beispiele Strebe 2 R 2 , H2 ε12

Strebe 3 R 3, H3

ε3

ε12

R 1 , H1

r2 , h2

r3 , h 3 ζ3

Profilvorschub

Strebe 1

ζ12 ζ12

r1 , h 1

TCP (0,0,0)

Y

X

Z

4

6 5

Abb. 7.17. Parametrisierte Beschreibung der Grundstruktur

Aufgrund der großen Anzahl von Eingangsparametern muss bei der Optimierung davon ausgegangen werden, dass die Lösungsmenge eine große Anzahl lokaler Extremwerte beinhaltet. Ein Nachteil einkriterieller Optimierungsverfahren besteht darin, dass für mehrkriterielle Probleme bereits während der Optimierung eine Bewertung der einzelnen Kriterien zueinander stattfindet. Im einfachsten Fall erfolgt dies mit Hilfe von Wichtungsfaktoren und einer Substitutionsfunktion. Weiterhin liefern viele Optimierungsverfahren lediglich eine einzige Lösung. Als Grundlage für die Kompromissfindung benötigt der Ingenieur aber keine einzelne Lösung, sondern eine Pareto-Front mit so genannten pareto-optimalen Lösungen. Die Pareto-Front ist in Abb. 2.24 für ein zweidimensionales Maximierungsproblem dargestellt. In der Mitte der Lösungsmenge können beide Kriterien gleichzeitig verbessert werden, indem ein Individuum ausgewählt wird, das rechts und oberhalb des ersten Individuums liegt. Bei allen Lösungen, die auf der Pareto-Front liegen, kann ein Kriterium nur verbessert werden, wenn gleichzeitig das andere Kriterium verschlechtert wird. Nach Ermittlung der Pareto-Front ist es Sache eines Fachmanns, die einzelnen Kriterien gegeneinander abzuwägen und einen für den speziellen

7.1 Werkzeugmaschinen

219

Zweck geeigneten Kompromiss auszuwählen. Dabei spielen Erfahrung und viele mathematisch nicht fassbare Überlegungen eine Rolle. Für die Lösung des vorliegenden Optimierungsproblems bot sich ein genetischer Algorithmus an, der ausführlich in [71] erläutert ist. Abb. 7.18. zeigt die im Ergebnis entstandene Lösung für das flexible parallelkinematische Werkzeugmodul. Die Gesamtkonzeption des Mess-, Steuer-, und Regelungssystems muss durch größtmögliche Offenheit dem Charakter der Anlage als modulares Maschinenkonzept Rechnung tragen. Abb. 7.19. zeigt die Umsetzung dieser Konzeption mit einer offenen NC-Steuerung. Die Transformationsgleichungen und die überlagerten Regelkreise aus Werkstückvorschub und Bewegung des flexiblen Werkzeugmoduls werden in die NC-Steuerung implementiert. Die Lageregelung der Achsen erfolgt derzeit direkt an diesen selbst über die Baugruppen Hydraulischer Linearantrieb (HLA-Modul) bzw. Vorschubantrieb (VSA-Modul). Überlagerte Regelkreise werden direkt in den Kern der Steuerung implementiert. Zusätzlich zum rein kinematischen Konzept der Lageregelung der acht NC-Achsen (Pusher, Dorn und sechs Achsen der Parallelkinematik) wurde ein übergeordnetes Konzept zur Prozessregelung implementiert. Dazu werden zum einen über die Auswertung der in den Hydraulikzylindern implementierten Druckgeber die Reaktionskräfte auf den Umformprozess mit einbezogen. Zum anderen kann eine lokale räumliche Krümmungsmessung am Profil über Lasertriangulationssensoren vorgenommen werden. Diese Informationen werden in den Lageregelkreis zurückgekoppelt, wo eine prozessabhängige Anpassung der Werkzeugposition vorgenommen wird. Zusatzoperationen wie das Erwärmen oder die Querschnittsverjüngung wurden entsprechend Abb. 7.20. in das passive Werkzeugmodul integriert. Abb. 7.21. zeigt die realisierte Maschine sowie ein gebogenes Teil, welches die vielfältigen Möglichkeiten der Formgebung verdeutlicht.

Abb. 7.18. Modul mit parallelkinematischer Grundstruktur [FRAUNHOFER IWU]

220

7 Anwendung von Parallelkinematiken: Beispiele

Koordinatentransformation

sechs Wegmesssysteme sechs Sollwerte (0 bis 10 V) drei zusätzliche Wegmesssysteme

E/R NCU HLA HLA HLA VSA VSA HSA

zwölf Druckgeber sechs Hydrozylinder

Antrieb Pusher Positionierung Dorn Werkstückvorschub

Hydraulische Streben

p

Postprozessor Biegen Generator NC-Programm

Mess-, SteuerRegelsystem

Druck- und Leistungsregler

Maschinensteuertafel und MMC Druckversorgung

Abb. 7.19. Steuerungs- und Regelungsstruktur HEXABEND

Schmierstoffsprühdüsen Lasersensor Profilführung

Profil 6-achsige bewegliche Werkzeugaufnahme flexibel positionierbarer Dorn starre Werkzeugaufnahme induktive Erwärmung

Abb. 7.20. Passives Werkzeugmodul mit Zusatzmodulen [FRAUNHOFER IWU] R2 = 50,0 d0

R1 = 5,0 d0

R4 = 75,0 d0

R3 = 5,0 d0

R5 = 75,0 d0

Abb. 7.21. Freiformbiegemaschine HEXABEND und gebogenes Werkstück [FRAUNHOFER IWU]

7.2 Handhabungseinrichtungen

221

7.2 Handhabungseinrichtungen 7.2.1 Handling großformatiger Bauteile Umfeld und Anforderungen Die Produktionsabläufe der Umformtechnik, insbesondere der Blechumformung, sind durch das optimale Zusammenwirken verschiedener Anlagenkomponenten gekennzeichnet und zielgerichtet auf die Erreichung hoher Mengenleistungen im Rahmen von Großserien- und Massenproduktion ausgelegt. Während in den vergangenen Jahren der Schwerpunkt auf der Automatisierung der Handhabungsprozesse innerhalb dieser Produktionsanlagen lag, gewinnen heute Optimierung, Flexibilität, Zuverlässigkeit, Sicherheit und vor allem die Steigerung der Leistungsfähigkeit der Handhabungseinrichtungen an Bedeutung. Den Forderungen nach immer produktiveren Fertigungsanlagen wurde in der Vergangenheit dadurch Rechnung getragen, dass neue Pressenkonzepte mit erheblichen Hubzahlsteigerungen entwickelt und in der Industrie eingesetzt wurden. Bezogen auf großflächige Ziehteile hat sich in den letzten Jahren ausgehend von automatisierten Pressenstraßen eine Entwicklung über kombinierte Anlagen mit separater, doppelt wirkender Ziehpresse und einfach wirkenden Zweifeldertransferpressen hin zu Großteiltransferpressen in Dreifelderausführung mit bis zu sieben Umformstufen und Saugertransferpressenanlagen vollzogen. Typische Verkettungseinrichtungen sind Zuführ-, Entnahme-, Verstell- sowie Transport- bzw. Orientierungseinrichtungen. Hinsichtlich einer weiteren Leistungssteigerung ergeben sich physikalische Beschränkungen zum einen durch die zu bewegenden Teile (Instabilität der Blechteile) und zum anderen durch die masseintensiven Getriebekomponenten und Tragwerke der Handhabungssysteme. Mit der Entwicklung des Sauger-Transfer-Prinzips und der damit verbundenen formangepassten Teileaufnahme treten die erstgenannten Beschränkungen teilweise in den Hintergrund. Damit wird die Dynamik der Handhabeeinrichtungen zum wesentlichen hemmenden Faktor für die Steigerung des Teileausstoßes in den Fertigungsanlagen der Umformtechnik. Nachfolgend werden einige Anwendungen näher betrachtet. Ablage- und Orientierungsstation: Das im Zusammenhang mit der Entwicklung des Sauger-Transfers entwickelte Pressenkonzept der Saugertransferpresse ist konstruktiv so aufgebaut, dass zwischen den einzelnen Pressenfeldern Leerstationen bzw. Aufnahmestationen angeordnet sind. Im Hinblick auf die Gestaltung der Umformwerkzeuge (Komplexität, Werkzeugkosten) ist es vorteilhaft, die Teile zwischen den Bearbeitungsstufen

222

7 Anwendung von Parallelkinematiken: Beispiele

neu zu orientieren. Dazu müssen die Ablage- und Orientierungsstationen folgende Bewegungen ausführen können: • • • • • •

Verschiebung in/entgegen der Teiletransportrichtung, Verschiebung quer zur Teiletransportrichtung, Kippen in/entgegen der Teiletransportrichtung, Kippen quer zur Teiletransportrichtung, Drehung horizontal um die Hebeachse, Heben/Senken.

Transferbewegungen: Der Trend bei Transfersystemen geht weg von mechanischen Lösungen (zentraler Antrieb) hin zu frei programmierbaren Systemen. Die notwendigen Bewegungen sind: • Transport Vorlauf/Rücklauf, • Heben/Senken, • Öffnen/Schließen. Tabelle 7.10. Handling großer Teile: Anforderungen an die Maschine Anforderungen Arbeitsraum notw. Schwenkwinkel Volumen (bei notw. Schwenkwinkel) Form

Ablage- und Orientierungsstation

A/B/C ± 30° 400 x 400 x 400 mm³ möglichst rechteckig Singularitätsfreiheit erforderlich Freiheitsgrad/notwendige 6 Elementarbewegungen Positioniergenauigkeit ± 1 mm Eigenfrequenzen, Systemdämpfung Endlagenschwingung < 2 mm Geschwindigkeit und Rast-in-RastBeschleunigung/ Bewegungen Achsdynamik vmax = 4 m/s amax = 15 m/s² Kraftübertragung, Platinenmasse Antriebskräfte ca. 100 kg

Transfersysteme

Feedersysteme

1 200 x 350 x 250 mm² möglichst rechteckig erforderlich 3

2 500 x 500 mm2 weite Wege in XRichtung erforderlich 2

± 0,5 mm

± 0,5 mm

< 1 mm

< 3 mm

vmax = 5 m/s amax = 15 m/s² Platinenmasse ca. 200 kg

vmax = 5 m/s amax = 20 m/s² Platinenmasse ca. 200 kg

7.2 Handhabungseinrichtungen

223

In einigen Sonderfällen sind zusätzlich Schwenkbewegungen erforderlich (z. B. für Saugertransfermodule). Feedersysteme: Als Feedersysteme werden Zuführ- und Entnahmeeinrichtungen für die Teile (Platinen) an Pressen verstanden. Diese Systeme müssen die Bewegungen • Transport Vorlauf/Rücklauf sowie • Heben/Senken realisieren. Darüber hinaus wird aufgrund der Gestaltung der Werkzeuge teilweise die Möglichkeit des Kippens der Teile verlangt. Weitere Forderungen an die Handhabungstechnik sind an die konkrete Umformanlage gekoppelt. So sind die Zykluszeiten für die Bewegung direkt aus der Hubzahl der Presse abzuleiten. Die Bewegungen sind immer als Rast-in-Rast-Bewegung zu programmieren. Hinsichtlich des Bauraums der Handhabung steht nicht das Volumen im Vordergrund, sondern die Kollisionsfreiheit mit der Presse. Lösungsansätze Nachfolgend werden Lösungen aus diesem Anwendungsgebiet vorgestellt. Von der Firma UMFORMTECHNIK ERFURT GMBH wurde eine Teileablageund Orientierungsstation auf Basis einer Parallelkinematik für den Einsatz zwischen den Pressenstufen einer Saugertransferpresse konzipiert und optimiert. Der obere Verbindungsrahmen (bewegliche Arbeitsplattform) stellt dabei die Aufnahme der Formmasken für das Pressteil dar. Die Ansteuerung ist so konzipiert, dass, bezogen auf den jeweiligen Kurbelwinkel der Presse, die zugehörige Position der Orientierungsstation auch im Havariefall eingehalten wird. Weitere Lösungen sind u. a. die Schwingarm-Transfersysteme für Saugertransferpressen der SCHULER AG, Abb. 7.22. und der MÜLLER WEINGARTEN AG.

224

7 Anwendung von Parallelkinematiken: Beispiele

Tabelle 7.11. Beispiel: TAS – Teileablage- und -orientierungsstation [UMFORMTECHNIK ERFURT GMBH] Maschinenparameter Arbeitsraum: Volumen Orientierung

Form Singularitätsfreiheit Freiheitsgrad/ notw. Elementarbewegungen Geschwindigkeit- und Beschleunigung/ Achsdynamik Strebengeschwindigkeit Strebenbeschleunigung Antrieb Werkstückmasse Strukturtyp

TAS 4 000 x 2 000 UT ERFURT 400 x 360 x 350 mm³ X/Y/Z [mm]: 300/300/375 (600) A/B/C ±12,5°/±15°/±10° komplex ja 6 bis zu 16 Zyklen/Minute 0,65 m/s 10 m/s² max.120 kg vollparallel

Abb. 7.22. Modulares [SCHULER AG]

Transfersystem

an

Crossbar-Transferpressen

Nachfolgend werden einige weitere Entwicklungen vorgestellt. Abb. 7.23. zeigt einen Lösungsansatz für einen 3D-Kurzgreifer-Transfer, der vorzugsweise zur Linienverkettung in Pressenstraßen eingesetzt wird. Wesentlich für dieses Konzept ist die Wahl einer hybriden Struktur, bestehend

7.2 Handhabungseinrichtungen

225

aus einer parallelkinematischen 2D-Getriebestruktur als so genannte Scherenkinematik, die mit einem Getriebefreiheitsgrad Zwei eine Hubbewegung (Z) und eine Schließbewegung (Y) erzeugt, und einer seriell aufgesetzten Getriebestruktur, die in klassischer Bauart den Werkstücktransport (X) ausführt. Reine 3D-Parallelkinematiken (z. B. Tripod) sind zur Erzeugung des erforderlichen Bewegungsspektrums (relativ lange Transportwege mit kurzen Hebe- und Schließwegen) aufgrund gegebener Störkonturen und begrenzter Einbauräume nicht effektiv einsetzbar. Für die konzipierte Scherenkinematik werden über Scharniergelenke verbundene, längenkonstante Streben eingesetzt, die durch Verschieben der Fußpunkte ihre Lage verändern. Diese Vorschubbewegungen leiten Schlitten ein, die entlang gestellfester Führungen geführt und über Zahnriementriebe angetrieben werden. Es sind auch Lineardirektantriebsmodule einsetzbar, die sich aufgrund ihres hohen Integrationsgrades (Führungs-, Mess- und Kühlsystem) und der daraus resultierenden hohen Steife ausgezeichnet dafür eignen. Durch die konstruktive Anordnung der Achsantriebe in den ortsfesten Gestellaufbau werden die Reaktionskräfte auf mehrere Stellen verteilt und unmittelbar von ruhenden, steifen Gestellkomponenten oder vom Fundament direkt aufgenommen. Dadurch kann eine weitere Steifeerhöhung erreicht werden. Die Voraussetzungen für eine Reduzierung der Trägheitskräfte durch den Einsatz von Leichtbaustrukturen sind damit geschaffen. Jeweils zwei Streben bilden ein Parallelogramm, das die Lageorientierung der Plattform zur Aufnahme der Tragschiene konstant hält. Die Plattform bewegt sich horizontal (Y), indem sich die Schlitten gemeinsam in die gleiche Richtung bewegen. Die Plattform bewegt sich vertikal (Z), indem die Schlitten eine Differenzbewegung ausführen.

Abb. 7.23. 3D-Kurzgreifer-Transfer zur Lininenverkettung in Pressenstraßen [FRAUNHOFER IWU] Hybridkinematik Transportbewegung: seriell Heben/Senken: parallel Öffnen/Schließen: parallel

226

7 Anwendung von Parallelkinematiken: Beispiele

Die Getriebestruktur zur Erzeugung der Transportbewegung (X) wird seriell auf der Plattform der Parallelstruktur aufgebaut, wobei die Tragschiene, angetrieben über Zahnstange-Ritzel, über Zahnriemen oder über einen Linearmotor die Werkstückplatinen durch den Arbeitsraum der Presse transportiert. Das parallelkinematische Konzept für den in Abb. 7.24. gezeigten Zuführ- und Entnahmefeeder baut auf drei längenkonstanten Streben auf, die ebenfalls eine 2D-Getriebestruktur als Scherenkinematik bilden. Zwei Streben als Parallelogramm halten die Lageorientierung der Plattform zur Aufnahme der Saugerspinne konstant. Der Antrieb der Streben ist im Wesentlichen mit dem Lösungsansatz zum Kurzgreifer-Transfer identisch.

Abb. 7.24. Zuführ- und Entnahmefeeder an einer Presse [FRAUNHOFER IWU] Transportbewegung: parallel Heben/Senken: parallel max. bewegte Masse: 120 kg max. Beschleunigung: 15 m/s² max. Geschwindigkeit: 4 m/s Positioniergenauigkeit: ± 1 mm

7.2 Handhabungseinrichtungen

227

Abb. 7.25. Transfereinrichtung in einer Transferpresse [FRAUNHOFER IWU; AUTOMATIC-SYSTEME ROLAND DREHER GMBH]

7.2.2 Handling leichter Bauteile Umfeld und Anforderungen Der Bereich der Handhabung leichter Bauteile ist bezogen auf Parallelkinematiken ein sehr interessantes Anwendungsgebiet. Die Vorteile der strukturbedingt geringen zu bewegenden Massen in Verbindung mit hohen Geschwindigkeiten/Beschleunigungen bilden eine ideale Kombination. Das spezifische Anforderungsbild kann in diesem Bereich sehr stark variieren. Beispielsweise wird in der Mikromontage in einem relativ kleinen Arbeitsraum hohe Präzision gefordert. Dagegen kommt es bei Teileentnahme (z. B. bei Spritzgussmaschinen) auf maximale Beschleunigung und Geschwindigkeit im Zusammenwirken mit dem Maschinenzyklus an. Nachfolgend wird versucht, ein gemeinsames Anforderungsbild zu entwickeln [90].

228

7 Anwendung von Parallelkinematiken: Beispiele

Tabelle 7.12. Handling leichter Teile: Anforderungen an die Handlingeinrichtung Anwendungen Arbeitsraum: notwendiger Schwenkwinkel Volumen (typisch) Form Singularitätsfreiheit Werkstückmasse Freiheitsgrad/notwendige Elementarbewegungen Genauigkeit Eigenfrequenzen, Systemdämpfung Geschwindigkeit Beschleunigung Achsdynamik Kraftübertragung, Antriebskräfte

Entnahme, Montage, Positionierung häufig bis zu 90° 600 x 400 x 400 mm³ möglichst rechteckig, hohe Diversifikation erforderlich bis zu 50 kg bis 6 0,1 ...0,002 mm (je nach Anwendung) in Übergabe- bzw. Montagepositon möglichst kein Überschwingen, damit Taktzeit minimiert wird vmax = 5 m/s amax = 40 m/s² richtungsabhängig und partiell unterschiedlich bei Montageoperationen hohe Kräfte in einer Richtung

Lösungsansätze Aus der sehr großen Anzahl von Anwendungen wird nachfolgend eine Lösung der RUHLAMAT AUTOMATISIERUNGSTECHNIK GMBH vorgestellt. Für die Zuführung empfindlicher Spritzgussteile an nachgeschaltete Bearbeitungsaufgaben bzw. zum Einlegen von zu umspritzenden Teilen in die Spritzgießform war ein schnelles Mehrachs-Handling-System zu entwickeln, das sich durch wesentlich kürzere Handlingzeiten im Werkzeugraum von bisherigen Lösungen unterscheidet. Weitere Entwicklungsziele waren: • • • • •

baukastenfähige Lösung, optimierte Kinematik, flexibler Arbeitsraum, minimaler Bauraum, günstige Kosten.

Gemeinsam mit der RUHLAMAT AUTOMATISIERUNGSTECHNIK GMBH entwickelte das FRAUNHOFER-INSTITUT FÜR WERKZEUGMASCHINEN UND UMFORMTECHNIK IWU ein parallel strukturiertes System zur Führung von Sauggreifern für Werkstückhandling und Magazinierung. Das Konzept gestellfest angebrachter Linearantriebe sowie die Verwendung von der Bewegungsaufgabe angepassten, längenkonstanten Zug-Druck-Streben er-

7.2 Handhabungseinrichtungen

229

möglichten die Minimierung reduzierter Massenträgheitsmomente. Dies wiederum bildete die Grundlage für eine effektive Antriebsauslegung. Gepaart mit dem Einsatz von Linearmotoren konnte so höchste Dynamik für kürzeste Bewegungszyklen realisiert werden. Mit dieser Lösung ist eine optimale Einbindung in das Konzept eines flexiblen Strukturbaukastens gewährleistet.

a

b

Abb. 7.26. Beispiel: Entnahmeeinrichtung für Spritzgussteile [RUHLAMAT AUTOMATISIERUNGSTECHNIK GMBH] a Entwurf b Versuchsstand

7.2.3 Mikromontage Umfeld und Anforderungen In der Mikrosystemtechnik existiert, bedingt durch niedrige Stückzahlen, großer Handlungsbedarf für eine wirtschaftliche und flexible Produktion in kleinen und mittleren Losgrößen. Die geringen Stückzahlen sowie Inkompatibilitäten zwischen den einzelnen Fertigungsschritten führen zu einem hybriden Aufbau von Produkten. Zur Integration der Bauteile sind Montagevorgänge notwendig, die insbesondere aus Gründen der Qualitätssicherung automatisiert werden sollten. Derzeit bauen Industrieroboter für die Mikromontage ausschließlich auf offenen kinematischen Ketten auf. Dies führt zu Massen und Abmessungen der Handhabungseinrichtungen, die in einem Missverhältnis zu den Massen und Abmessungen der zu handhabenden Bauteile stehen. Die Größen der zu handhabenden Teile liegen zumeist in Bereichen von 100 µm bis 10 mm; die Toleranzen zwischen 0,1 µm und 2 µm [107]. Diese Bauteilgrößen erfordern nur sehr kleine Arbeitsbereiche, in denen die Teile innerhalb des Montagevorgangs bewegt werden müssen. Die Bauteil-

230

7 Anwendung von Parallelkinematiken: Beispiele

toleranzen führen dabei zu extrem hohen Genauigkeitsanforderungen an den Handhabungsprozess. Das Bauteilspektrum in der Mikromontage ist gekennzeichnet durch eine große Vielfalt an Formen und Materialien, verursacht durch die unterschiedlichen vorgelagerten Fertigungsverfahren. Eine Umfrage des Instituts für Fertigungsautomatisierung und Handhabungstechnik hat ergeben, dass die Stückzahlen schwerpunktmäßig im Bereich von weniger als 100 Stück pro Tag liegen [56]. Diese Stückzahlen bedingen, dass Einrichtungen zur Montage solcher Produkte sehr flexibel ausgelegt sein müssen, um eine wirtschaftliche Montage durch die Verteilung von Investitionskosten auf die Stückkosten ganzer Produktgruppen gewährleisten zu können. Industrieroboter in der Mikromontage müssen folgende Eigenschaften aufweisen: • • • •

hohe Genauigkeit, wobei die Wiederholgenauigkeit entscheidend ist, Reinraumtauglichkeit, Flexibilität, vier und sechs Bewegungsfreiheiten

bei • kleinen Arbeitsräumen, • geringen Gesamtabmessungen und • geringen Kosten. Lösungsansätze Bisherige Ansätze für Handhabungsgeräte in der automatisierten Mikromontage nutzen im Wesentlichen konventionelle Komponenten, die mit einem hohen konstruktiven Aufwand an die Erfordernisse der Mikromontage angepasst werden müssen. Die Forderung nach Flexibilität in der automatisierten Montage führt vornehmlich zu Handhabungsgeräten mit frei programmierbarer Steuerung, also Industrierobotern, in Verbindung mit an das Baukastenspektrum angepassten Greifersystemen. Entscheidenden Einfluss auf den Aufbau der mechanischen Struktur sowie die konstruktive Ausführung der Komponenten von Industrierobotern haben die Masse der zu handhabenden Objekte, die Form und das Volumen der erforderlichen Arbeitsräume sowie die Geschwindigkeit und die Genauigkeit innerhalb der Handhabungsprozesse. Die Arbeits- und Bauräume sind unverhältnismäßig groß im Vergleich zu den Abmessungen der zu handhabenden Objekte [57]. In der Mikromontage sind hingegen nur sehr kleine Arbeitsräume von einigen Kubikzentimetern notwendig, in denen die hohe Genauigkeit gefordert ist. Die Industrieroboter sind ausgelegt

7.2 Handhabungseinrichtungen

231

für Objekte mit Massen von einigen Gramm bis hin zu einigen Kilogramm. Die Bauteilmassen in der Mikromontage bewegen sich jedoch im Bereich von wenigen Milligramm. Die Größenverhältnisse haben zur Folge, dass die Kräfte, die zur Bewegung des Handhabungsgerätes benötigt werden, viel größer sind als diejenigen, die für das zu handhabende Mikroteil benötigt werden. Dies führt zu einem ungünstigen Verhältnis von Energieverbrauch der Handhabungsgeräte zu tatsächlich für die Bewegung der Mikroteile notwendigem Energieaufwand. Außerdem erhöht der Platzbedarf dieser Industrieroboter den Investitionsaufwand beträchtlich, da die Reinraumumgebung entsprechend platzintensiv ausgelegt werden muss. Am Institut für Werkzeugmaschinen und Fertigungstechnik der Technischen Universität Braunschweig wurde beispielsweise der ebene Parallelroboter MICABO-F bzw. MICABO-F2 entwickelt, s. Abb. 7.27. Der Roboter verfügt über vier Freiheitsgrade für die Bauteilhandhabung sowie einen Freiheitsgrad für einen mitgeführten 3D-Bildsensor. Zwei parallele Linearachsen (Hauptantriebe) realisieren die Bewegung in der XY-Ebene und bilden die Grundstruktur. Diese wiederum besteht aus zwei gekoppelten Armen mit einer drehbaren Hohlachse, in die ein als Patrone ausgeführter Roboterkopf integriert ist. Darin befinden sich zwei hochgenaue Spindelantriebe, von denen einer den Greifer bewegt und ein zweiter die Nachführung des im Kopf integrierten 3D-Bildsensors ermöglicht [58, 16].

Abb. 7.27. Parallelroboter MICABO-F2 [INSTITUT FÜR WERKZEUGMASCHINEN UND FERTIGUNGSTECHNIK IWF DER TECHNISCHEN UNIVERSITÄT BRAUNSCHWEIG]

232

7 Anwendung von Parallelkinematiken: Beispiele

7.3 NC-Programmierung und Referenzbeispiel 7.3.1 Anforderungen an die Programmierung Wie bereits in vorhergehenden Kapiteln erwähnt, entsprechen die Werkstückkoordinaten bei Parallelkinematiken nicht den Koordinaten der Strebenantriebe, was einen signifikanten Unterschied zu seriell aufgebauten Werkzeugmaschinen darstellt. Der Anwender soll jedoch von einem dreidimensionalen Koordinatensystem mit den Linearachsen X, Y und Z sowie einem Zweiachsenschwenkkopf mit den Rotationsachsen C und A bzw. B ausgehen können. Die NC-Programmierung und somit die Vorgabe der Verfahrpositionen des Bearbeitungswerkzeugs erfolgt im Werkstückkoordinatensystem. Ein Unterschied zu seriellkinematischen Werkzeugmaschinen ist somit innerhalb der NC-Datenkette nicht feststellbar und würde vom Anwender auch nicht akzeptiert werden. Parallelkinematische Bearbeitungsmaschinen eröffnen besonders für den Formen- und Werkzeugbau neue Einsparungspotentiale bei der Herstellung komplexer Werkzeugformen. Die hohe Dynamik, die sich u. a. durch hohe Verfahrgeschwindigkeiten und Beschleunigungen ergibt, prädestiniert Parallelkinematiken für eine simultane fünfachsige Hochgeschwindigkeitsbearbeitung. Damit lassen sich Formelemente bearbeiten, die bei einer dreiachsigen Fräsbearbeitung nur mit großem Aufwand oder gar nicht herstellbar sind. Hierzu gehören vor allem tiefe Kavitäten mit kleinen Grundradien in Spritz- und Druckgusswerkzeugen sowie Schmiedegesenken, die ein Längen/Durchmesser-Verhältnis des Fräswerkzeugs von > 10 erfordern, Hinterschnitte sowie Integralbauteile der Luft- und Raumfahrt. Die Rotationsachsen serieller Kinematiken verfügen nur über einen begrenzten Winkelverfahrbereich (C-Achse 0° bis 360°, A-Achse 0° bis 95°), was für Fräsbahnen mit dynamischer Fräseranstellung die Berechnung von Rückdrehpunkten erfordert. Damit kann ein kollisionsfreies Aus- oder Rückdrehen der Rotationsachsen außerhalb der zu bearbeitenden Werkstückgeometrie sichergestellt werden. Dies führt jedoch zu einer wesentlichen Erhöhung der Bearbeitungszeit. Im Gegensatz dazu sind die virtuellen Rotationsachsen der Parallelkinematiken durchdrehende Achsen. Auch für die Bearbeitung von Werkstücken geringerer Komplexität bieten Parallelkinematiken entscheidende Vorteile. Eine Hauptspindelanstellung in einzelnen Fräsbahnbereichen kann die Eingriffsbedingungen beim Einsatz von Kugelkopfwerkzeugen wesentlich verbessern; die unerwünschte Schnittgeschwindigkeit Null kann vermieden werden. Der Einsatz von torischen Werkzeugen in der Finishbearbeitung bei flach gekrümmten Geometrien gestattet eine Reduzierung der Bearbeitungzeit um

7.3 NC-Programmierung und Referenzbeispiel

233

ca. 80 Prozent im Vergleich zum Abzeilen mit Kugelkopffräsern. Parallelkinematiken bieten für die Zerspanung folgende Vorteile: • • • •

Verbesserung der Oberflächenqualität, Erhöhung der Maß- und Formgenauigkeit, Einsatz superharter Schneidstoffe, Erhöhung der Werkzeugstandzeit, Reduzierung der Hauptzeit durch erhöhte Schnittparameter und verbesserte Maschinendynamik.

Um diese Vorteile nutzen zu können, muss der Anwender bei der NCProgrammierung effektiv unterstützt werden. Die Restriktionen und Besonderheiten von Parallelkinematiken müssen im CAM-System Berücksichtigung finden. Eine Abbildung des vorhandenen Arbeitsraums der Bearbeitungsmaschine ist unumgänglich. Eine Einschränkung des Schwenkbereichs auf den minimalen Wert im Arbeitsraum behindert den effektiven Einsatz der fünfachsigen Bearbeitung und verringert somit die Vorteile der Parallelkinematiken gegenüber seriellen Maschinen. Als Beispiel kann die MIKROMAT 6X HEXA genannt werden. Im Mittelpunkt des Arbeitraums ist die Arbeitsplattform und somit die Hauptspindel um knapp 30 Grad schwenkbar. Dieser Winkel reduziert sich auf ca. zehn Grad in den Ecken des Arbeitsraums. Erfolgte diese Einschränkung über den gesamten Arbeitsbereich, so würden sich die Vorteile gegenüber einer dreiachsigen Werkzeugmaschine auf ein Minimum reduzieren. Die fünfachsige Bearbeitung von tiefen Kavitäten, die eine seitliche Anstellung des Werkzeugs aufgrund der geometrischen Verhältnisse von Werkzeug mit Werkzeughalter in einer Größenordnung von fünf bis zehn Grad erfordert, wäre nicht realisierbar. Für die Programmierung einer reinen dreiachsigen Bewegung sind bei Parallelkinematiken im Allgemeinen keine Besonderheiten zu beachten. Die folgenden Forderungen an ein CAD/CAM-System beschränken sich deshalb auf die NC-Programmierung von mehr als drei Achsen. Die Forderungen sind: • einfache Bedienung des CAM-Systems und Programmierung der fünfachsigen Bewegung, • Ermittlung der optimalen Aufspannlage durch Abbildung der unterschiedlichen Schwenkwinkelbereiche im Arbeitsraum, • Bearbeitung von Hinterschnitten, • Kontinuierliche dynamische Schwenkbewegung des Fräswerkzeugs, • Kontrolle und Korrektur der maximalen Verfahrwege und zulässigen Hauptspindelanstellungen und • Kollisionskontrolle und Kollisionsvermeidungsstrategien durch Abbildung des Werkzeugs, des Werkzeughalters und der Spindelnase.

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7 Anwendung von Parallelkinematiken: Beispiele

7.3.2 Vorbereitung der Aufspannposition Zur grafisch-visuellen Kontrolle und Ermittlung der optimalen Aufspannposition ist eine CAM-Funktion zu implementieren, die dem Programmierer Analyse- und Kontrollmöglichkeiten bietet. Unter Berücksichtigung berechneter Werkzeuganstellungen und einer vorzugebenden Werkzeuglänge werden die resultierenden Anfahrpositionen im speziellen Arbeitsraum der Parallelkinematik analysiert. Hierzu sind die entsprechenden Transformationsalgorithmen im CAM-System zu implementieren. In Abb. 7.28. ist dies für die Bearbeitung einer Halbkugel dargestellt. Unzulässige Bereiche sind in verschiedenen Graustufen gekennzeichnet. Eine Auswertung, welche Strebe welchen zulässigen Bereich überschritten hat, sowie Maßnahmen zur Beseitigung dieser Verfahrbereichsüberschreitung müssen möglich sein. Solche Systemfunktionen wurden bisher nur prototypisch realisiert; marktreife Lösungen sind bisher nicht bekannt. Diese Anwenderunterstützung ist jedoch für die Erhöhung der Marktakzeptanz von Parallelkinematiken mit ungleichförmigem Arbeitsraum notwendig.

Abb. 7.28. Grafische Analyse der Anstellpositionen

7.3.3 Anwendung spezifischer Frässtrategien Wie bereits erwähnt, sind tiefe Kavitäten und komplexe Freiformflächen kennzeichnende Aufgaben aus dem Formen- und Werkzeugbau. Parallelkinematiken eignen sich aufgrund höherer dynamischer Maschinenkenn-

7.3 NC-Programmierung und Referenzbeispiel

235

werte gegenüber seriellkinematischen Maschinen besonders für diese Aufgabenstellung. Zur vollen Ausnutzung dieser Vorteile sind spezifische Frässtrategien anzuwenden. Resultierend aus der geschilderten Bearbeitungsaufgabe können verschiedene Varianten der Fräseranstellung an die zu bearbeitende Oberfläche zur Realisierung einer fünfachsigen Simultanbearbeitung definiert werden. Grundsätzlich unterscheidet man eine dynamische und eine quasistatische Anstellung. Bei der quasistatischen Anstellung wird letztendlich eine dreiachsige und eine zweiachsige Bearbeitung durchgeführt. Die Anstellung ist eine werkzeugorientierte Strategie, bei der durch Vorgabe einer konstanten Anstellrichtung für die Fräsbahn verhindert wird, dass ein Werkzeug über die Fräserspitze arbeitet. Diese Strategie ist besonders für ebene und schwach gekrümmte Bereiche geeignet. Zur Bearbeitung von tiefen Kavitäten ist eine dynamische Werkzeuganstellung und damit eine fünfachsige Simultanbearbeitung zwingend erforderlich. Zur Anwendung kommen Bearbeitungsstrategien, mit denen sich sowohl die Seiten- und Bodenflächen als auch das Restmaterial der Kavität prozesssicher bearbeiten lassen. Bei der Generierung der Fräsbahnen kann man grundsätzlich zwischen zwei Prinzipien unterscheiden: 1. Anstellung mit Hilfe des Voreil- und Kippwinkels, bezogen auf die Flächennormale, 2. Anstellung mit Hilfe eines definierten Elements, wie z. B. eines Punktes oder einer Linie. Mit Hilfe des in Abb. 7.29. dargestellten erstgenannten Prinzips können für beliebige Fräsbahnen Anstellungen im betrachteten Fräsbahnpunkt definiert werden. Die Definition eines maximalen Schwenkwinkels schränkt den Achsverfahrbereich in Bezug zur senkrechten Hauptspindelachse ein. Die Werkzeuganstellung mittels eines Elements ist bei der Seitenflächenbearbeitung von Kavitäten oft vorteilhafter. Die Anstellung kann hierbei anhand eines Punktes oder, wie in Abb. 7.30. dargestellt, einer Leitkurve vorgenommen werden. Das Werkzeug wird dabei in Richtung des Elements gekippt. Die Anstellung wird in jedem Bahnpunkt berechnet, in dem jeweils der kürzeste Abstand zum definierten Element ermittelt wird. Mit Hilfe dieser Strategie kann die Werkzeugschwenkbewegung an Ecken oder kleinen Radien gezielt beeinflusst werden. Dies führt zu harmonischeren Verläufen der virtuellen Rotationsachsen und letztendlich zur Reduzierung plötzlich auftretender Richtungsänderungen in den Antriebsachsen. Die erreichbare Oberflächengüte verbessert sich wesentlich. Der begrenzte Winkelverfahrbereich einer der Rotationsachsen ist eine typische Einschränkung serieller Maschinenkinematiken. Parallelkinematiken weisen diese Einschränkung nicht auf. Somit ist es nicht erforderlich

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7 Anwendung von Parallelkinematiken: Beispiele

nach jeder Z-Ebene eine Abhebebewegung von der Kontur zu generieren, die zu Oberflächenfehlern und höheren Bearbeitungszeiten führt. Eine spiralförmige Abarbeitung der Seitenflächen in Z-Richtung ist vorteilhaft; zumindest sind Zustellbewegungen ohne Kontaktverlust des Werkzeugs zum Werkstück zu generieren.

Abb. 7.29. Werkzeuganstellung mit Voreil- und Kippwinkel, bezogen auf die Flächennormale

definiertes Anstellelement

Abb. 7.30. Werkzeuganstellung mit Voreil- und Kippwinkel, bezogen auf das Anstellelement, hier eine Leitkurve

7.3 NC-Programmierung und Referenzbeispiel

237

7.3.4 Bearbeitungssimulation und Kollisionskontrolle Für die Analyse und Kontrolle mehrachsiger Bearbeitungsabläufe ist eine Bearbeitungssimulation zwingend erforderlich. Dies gilt auch für Werkzeugmaschinen mit Parallelkinematik, um die Kinematik der entsprechenden Maschine zu definieren. Die Analyse der benötigten Werkzeuglänge ist eine sinnvolle CAMFunktion. Die erforderliche Auskraglänge für die definierte Werkzeugadapterkombination bezüglich der Werkstückgeometrie ist für die ausgewählte Fünfachsfräsbahn zu ermitteln. Diese Funktion dient sowohl zur Definition des einzusetzenden Werkzeugs nach dessen Gesamtlänge und Hersteller als auch der erforderlichen Einspannlänge im Werkzeugadapter. Die berechneten Werkzeugschwenkwinkel im generierten Fräsprogramm müssen stets hinsichtlich eventueller Kollisionen geprüft werden. Hierbei müssen das Werkzeug, der Werkzeugadapter, die Hauptspindel, das zu bearbeitende Werkstück sowie der aktuelle Bearbeitungszustand einbezogen sein. Zusätzlich sind Algorithmen zu integrieren, die eine Kollisionsvermeidung gestatten. Hierzu werden die Werkzeuganstellungen gezielt variiert. Eine gleichzeitige Berücksichtigung des spezifischen Arbeitsraumes von Parallelkinematiken ist wünschenswert, jedoch bis zum heutigen Zeitpunkt in CAM-Systemen noch nicht realisiert. Die notwendigen Ausgleichsbewegungen der virtuellen Rotationsachsen sind vorausschauend und ohne größere Dynamikanforderungen an die Werkzeugmaschine zu generieren. Eventuelle Glättungsfunktionen für die Fräsbahn sind zu berücksichtigen. Richtungswechsel in diesen Rotationsachsen sind zu minimieren. In Abb. 7.31. ist der Werkzeugschwenkwinkel für die virtuelle Rotationsachse B bei Kollisionserkennung und Anwendung der CAM-Funktion Kollisionsvermeidung für zwei verschiedene CAM-Systeme dargestellt. Beide Systeme erkannten an dieser Bearbeitungsstelle eine Kollision des Werkzeughalters mit der Werkstückgeometrie. Es ist erkennbar, dass die Werkzeuganstellung von 18 Grad auf reduzierte Werte neu generiert wird. Die Änderung der virtuellen Rotationsachse entlang der Y-Verfahrachse ist jedoch unterschiedlich.

Winkel der Rotationsachse B

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7 Anwendung von Parallelkinematiken: Beispiele

A A

19 18 17 16 15

14 -35

-30

-25

-20

-15

-10

Y-Position in mm

Abb. 7.31. Anwendung der CAM-Funktion Kollisionsvermeidung

7.3.5 Referenzbeispiel Die Bearbeitung eines Schmiedegesenks kann als typisches Referenzbeispiel für die fünfachsige Simultanbearbeitung im Formen- und Werkzeugbau angeführt werden. Das gefertigte Gesenk in Abb. 7.32. besteht aus dem Werkstoff 1.2344 (X40CrMoV5-1), vergütet auf eine Zugfestigkeit von 1 700 N/mm2. Es wurde auf der MIKROMAT 6X HEXA komplett bearbeitet. Die Abmessungen des Schmiedegesenks betragen 580 mm x 690 mm x 365 mm mit einer Kavität von 124 mm Tiefe mit minimalen Konturradien von 4 mm. Eine dreiachsige Fräsbearbeitung scheidet aufgrund des erforderlichen Längen/Durchmesserverhältnisses des Werkzeugs aus. Diese Kavität wurde bisher durch Schruppfräsen mit anschließendem Erodieren hergestellt. Ziel des Einsatzes der Parallelkinematik ist es, den aufwändigen Erodiervorgang zu substituieren und hierbei Kosten- und Zeitvorteile nachzuweisen. Zur Schruppoperation – Ausräumen der Gravur – wurde ein Eckfräser mit einem Durchmesser von 32 mm eingesetzt. Zum Vor- und Fertigschlichten kamen Kugelkopffräser mit Durchmessern von 6 mm bis 10 mm zur Anwendung. In Verbindung mit der verwendeten Schrumpffutterverlängerung sowie des Schrumpffutters bzw. Dehnspannfutters als Werkzeugaufnahme konnte das Längen/Durchmesserverhältnis auf Werte < 10 reduziert werden. Damit ist eine prozesssichere Bearbeitung möglich. Die fünfachsige Simultanbearbeitung konzentrierte sich auf die Bearbeitung der tiefen Kavität. Die Anstellung der Bearbeitungswerkzeuge erfolgte über definierte Leitkurven. Die anderen Formelemente wurden durch eine dreiachsige Bearbeitung realisiert.

7.3 NC-Programmierung und Referenzbeispiel

239

Abb. 7.32. Schlichtbearbeitung der Kavität des Schmiedegesenks für einen Achsschenkel [FRAUNHOFER IWU]

Die dreiachsige Schruppoperation der tiefen Kavität wurde mit einer Vorschubgeschwindigkeit von 1 200 mm/min bei einer Schnitttiefe von 0,5 mm durchgeführt. Höhere Zustellungen konnten aufgrund der Leistungsparameter der vorhandenen Hauptspindel nicht verwirklicht werden. Die fünfachsige Schlichtoperation erfolgte mit Vorschubgeschwindigkeiten zwischen 2 400 mm/min und 3 600 mm/min bei einem Zeilenabstand von 0,5 mm bzw. 0,2 mm. Die Komplettbearbeitung wurde in einer Fertigungszeit von ca. 21,5 Stunden ausgeführt, wobei die Schlichtbearbeitung einen Anteil von ca. 60 Prozent aufwies. Demgegenüber steht ein Fertigungszeitaufwand von ca. 23,5 Stunden der Ausgangsvariante Schruppfräsen mit anschließendem Erodieren. Die manuelle Nacharbeit konnte um 60 Prozent auf eine Stunde reduziert werden. Betrachtet man die gesamte Prozesskette, so ist festzustellen, dass im geschilderten Beispiel durch den Einsatz der Parallelkinematik in Verbindung mit der fünfachsigen Simultanbearbeitung eine Reduzierung der Fertigungszeit um ca. 15 Prozent ausgewiesen werden konnte. Die Senkung der Durchlaufzeit ist deutlich höher, da die Bearbeitung auf einer Maschine erfolgte. Das Erodieren wurde vollständig substituiert. Des Weiteren

240

7 Anwendung von Parallelkinematiken: Beispiele

wurde die Prozesskette um die Bearbeitungsstufe Fräsen der Elektrode reduziert. Die Bearbeitungskosten wurden bei der Bearbeitung des Schmiedegesenks nur unwesentlich positiv beeinflusst, da der reduzierten Fertigungszeit beim Fräsen auf der parallelkinematischen Maschine ein höherer Maschinenstundensatz als beim Erodieren gegenübersteht [91].

Terminologie

Begriff Arbeitsraum

Arbeitsraum, antriebsbezogener Bewegungsraum

Führungskette

Gelenkfreiheitsgrad

Getriebefreiheitsgrad

Getriebe, ebenes

Erläuterung In der Robotertechnik wird der Arbeitsraum als Bereich im Raum definiert, in dem der Greifer mit dem Handhabeobjekt vom Führungsgetriebe des Manipulators in jede Lage geführt werden kann. Mathematisch lässt sich der Arbeitsraum als Menge X={x} der zulässigen Abtriebsvektoren beschreiben. Das ist der Teil des Arbeitsraums, der durch Endlagenbegrenzungen gegen das Erreichen von singulären Mechanismenstellungen absicherbar ist. Der Bewegungsraum einer Handhabeeinrichtung setzt sich aus dem festen und einem vom Einsatzfall abhängigen variablen Bewegungsraum zusammen. Er ist im sicherheitstechnischen Sinn identisch mit dem Gefahrenbereich. Die Verbindung des Gestells mit der Plattform über Getriebeglieder und Gelenke soll bei Mechanismen mit Parallelstruktur als Führungskette bezeichnet werden. Als Gelenkfreiheitsgrad wird die Anzahl der möglichen Einzelbewegungen, die zwei durch ein Gelenk verbundene Getriebeglieder relativ zueinander ausführen können, bezeichnet, wobei Einzelbewegungen voneinander unabhängige Drehungen und Schiebungen sind. Der Getriebefreiheitsgrad F stimmt mit der Anzahl der relativen Einzelbewegungen überein, die in einem Getriebe verhindert werden müssten, um alle Glieder dieses Getriebes bewegungsunfähig zu machen. Er ist im Allgemeinen von der Anzahl aller Getriebeglieder, der Anzahl der Gelenke und dem Freiheitsgrad der Gelenke abhängig. Die Drehachsen der Gelenke dieses Getriebes liegen parallel zueinander. Die Bewegungsbahnen liegen in parallelen Ebenen.

242

Terminologie

Getriebe, sphärisches Getriebe, räumliches Hexapod

Jacobimatrix

Kinematik Kinematische Kette

Kraftübertragungsgüte Manipulierbarkeit Parallelstruktur, geführte Plattform Singularität

Struktur, serielle

Die Drehachsen der Gelenke dieses Getriebes schneiden sich in einem Punkt. Die Bewegungsbahnen liegen auf konzentrischen Kugelschalen. Die Drehachsen der Glieder kreuzen sich. Die Bewegungsbahnen liegen auf allgemeinen räumlichen Flächen. Paralleler Mechanismus mit dem Freiheitsgrad Sechs, dessen Plattform über sechs Führungsketten mit dem Gestell verbunden ist. Das Wort stammt aus dem Griechischen und bedeutet dort Sechsfüßler bzw. Insekt. Strukturbeschreibende Matrix, deren Elemente die partiellen Ableitungen der Abtriebsparameter nach den Antriebsparametern sind. Die ebenfalls strukturbeschreibende inverse Jacobimatrix lässt sich für Parallelstrukturen im Allgemeinen leichter bestimmen. Elemente dieser Matrix sind die partiellen Ableitungen der Antriebsparameter nach den Abtriebsparametern. Sie untersucht die Bewegung von Punkten, Ebenen und Körpern, ohne ihre Masse und die Ursachen dieser Bewegungen zu berücksichtigen. Abstraktion eines Getriebes, die nur den strukturellen Zusammenhang der Glieder und Gelenke, ohne jeden Hinweis auf ihre Funktionen, Formen und Abmessungen, zeigt. Maß für die Gleichmäßigkeit der Übersetzung der Kräfte vom Antrieb zum Abtrieb Maß für die Gleichmäßigkeit der Übersetzung der Geschwindigkeiten vom Antrieb zum Abtrieb bzw. der Kräfte vom Abtrieb zum Antrieb Diese parallele Struktur ist dadurch gekennzeichnet, dass die Anzahl der Führungsketten größer ist als der Getriebefreiheitsgrad. Als Plattform soll das Abtriebsglied eines parallelen Mechanismus bezeichnet werden. Stellung eines Mechanismus, in der die Beweglichkeit des An- und/oder Abtriebs eingeschränkt wird. In dieser Stellung wird die Determinante der Jacobimatrix Null oder unendlich groß. Merkmal dieser Struktur ist, dass jeweils ein Antrieb zwei Getriebeglieder verbindet. Dadurch entsteht eine offene kinematische Kette.

Terminologie Struktur, parallele

Struktur, hybride Struktur, vollparallele Tripod

Übertragungsgüte

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Unter einer Parallelstruktur versteht man ein aus mindestens zwei angetriebenen Führungsketten bestehendes Getriebe zum gemeinsamen Führen des Abtriebsgliedes (Arbeitsplattform). Die Glieder dieses Führungsgetriebes bilden zusammen mit dem Gestell mindestens eine geschlossene kinematische Kette und bewegen sich auf allgemeinen räumlichen Bahnen. Gleichbedeutend sind die Begriffe Parallelstruktur, paralleler Mechanismus und Parallelkinematik. Struktur mit sowohl parallelen als auch seriellen Eigenschaften Merkmal dieser parallelen Struktur soll sein, dass jede Führungskette einen einzigen Antrieb enthält. Paralleler Mechanismus mit dem Freiheitsgrad Drei, dessen Plattform über drei Führungsketten mit dem Gestell verbunden ist. Das Wort stammt aus dem Griechischen und bedeutet dort Dreifuß. Maß für die Gleichmäßigkeit der Geschwindigkeitsund Kraftübertragung vom Antrieb zum Abtrieb. Sie errechnet sich aus dem Produkt von Manipulierbarkeit und Kraftübertragungsgüte.

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Sachverzeichnis

Analyse kinematisch 43 Analyse Prozessmodell 114 Anforderungen 9, 11 Antrieb 142 Anordnung 22 Antriebssystem 150 Ausgleichsantrieb 182 Koordinaten 36 Planarantrieb 157 Regelung 116 Rotationsantrieb 157 Spreizbandantrieb 158 Strebenantrieb 149 Zahnstangen-Ritzel-System 156 Arbeitsgenauigkeit 123 Arbeitsplattform Bewegungsfreiheit 26 Eckpunkte 38 Position 96, 159 Arbeitsraum 23, 51 Beschreibung 61 Ermittlung 24 Auslegung 56, 57, 94 Balkenmodell 94 Bearbeitungssimulation 237 Belastungseinrichtung 126 Bemessung 49 Bezeichnung 19 Biegen 213 Biegeschwingung 134 CNC-Funktionen 74 Dimensionierung 10

DKP, direktes kinematisches Problem 35, 79 DYNAPOD 198 ECOSPEED 204 Eigenfrequenzen 94, 132 Eigenschaften dynamisch 128, 131 thermoelastisch 135 Eigenschaftsermittlung statisch 125 Eigenschwingform 133, 135 Einzelachsregelung 83, 85 Elementarbewegungen 61 Euler-Winkel 77 Extremlagen 52 Fertigungsgenauigkeit 135 Finite-Elemente-Modell 100 Formen- und Werkzeugbau 191 Anforderungen 194 Frässtrategien 235 Freiheitsgrad Führungskette 16 Gelenk 16 Getriebe 17 Mechanismus 16 Fügestelle 130 Führungskette 16 Anzahl 20 Belastungscharakteristik 28 Gestaltung 21 konstruktive Ausführung 22 Konzeption 20 Modellierung 97 nicht-seriell 18

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Sachverzeichnis

nicht-zwangführend 22 seriell 18 zwangführend 22, 25 Gelenk 19, 162 Anordnung 22 Drehgelenk 162 eben 163 Kardangelenk 165 Kugelgelenk 168 Verteilung 22 Gelenke Auswahl 172 Gelenkfreiheitsgrad 16, 19 Verteilung 21 genetischer Algorithmus 67, 219 Gesamtbetriebsverhalten 116 Gesamtverlagerung 130 Gestell 174 Getriebeabmessungen 62 Getriebefreiheitsgrad 17 Getriebestellung 47 Gough 4 Gradientenverfahren 67 Grundstruktur 15 Erweiterung 30 nicht-zwangführend 24 räumlich 24 Systematik 18 Handhabungseinrichtung 133 Handling 221, 227 HEXABEND 215 Hexapod 24, 95 Hub 51 Hybridkinematik 199, 201 IKP, inverses kinematisches Problem 35, 76 Jacobimatrix 36 invers 37, 40 Kalibrierung 79, 86, 87 Kardangelenk 165

Kardan-Winkel 77 Klassifizierungsmerkmal 19 Kollision 80 Kollisionsbetrachtung 94 Kollisionskontrolle 237 Kompensation 86 Komponenten, adaptronisch 181 Koordinatenmesstechnik 84 Koordinatentransformation 35 Koppelkinematik 144 Kraftübertragungsgüte 57, 61 Kugelgelenk 168 Lagebestimmung 83 Lageregelung 83 Leistungsverhalten 124 Lineardirektantrieb 154 Entkopplung 190 Look-Ahead 75, 80 Manipulierbarkeit 57, 59 Maschineneigenschaften 123 Messen 128 Maschinensteifigkeit 125 Maschinenverhalten 118 Mehrgrößenregelung 84 Mehrkörpermodell 96 Messsystem, Positionierung 159 METROM 194 MIKROMAT 6X HEXA 233 Mikromontage 229 Modalanalyse 118, 119, 133 Modell empirisch 113 Modellbildung 92, 95 experimentell 123 Modellierung 97 Führungskette 100 Führungsrohr 98 gekoppelt 118 Reibung 99 Spiel 99 Wälzschraubspindel 98 Zahnradgetriebe 98 Zahnriemen 98

Sachverzeichnis Modellierungsansatz 117 Nachgiebigkeit 132 dynamisch 131 NC-Programmierung 232 Nichtlinearität, thermisch 137 Oberflächenqualität 131 Optimierung 49, 55, 121 einkriteriell 62 Kriterien 60 mehrkriteriell 55, 66 Strategien 56 Vorgehen 56 Ordnungskriterien 14 Pareto-Front 66, 218 Polyoptimierung 66 Positionierfehler 87, 90 Positionsabhängigkeit 121 Prinzip, kinematisches 15 Prozessmodellierung 114 Prozessstabilität 123 Prozessverhalten 113 Rattern 131, 133 Redundanz 33 Regenerativeffekt 113 Richtungsabhängigkeit 121 Rotation-of-Tool-Center-Point 75 Rückwärtstransformation 35, 74, 76 Schema, kinematisches 16 Scherenkinematik 146, 197, 225, 226 Schwachstellenanalyse 131 Schwenkwinkel 51 Begrenzung 159 Singularität 56, 94 Spindel-Mutter-System 151 Auslegung 153 Steifigkeit Abweichung 127, 133 Messung 125 statisch 53

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Verteilung 96 Steuerung 71 Stewart-Plattform 4 Strebe 142, 148 längenunveränderlich 38, 144, 148 längenveränderlich 39, 52, 144, 148 Strebenschwingung 145 Struktur erweitert 30 hybrid 31 redundant 31 Strukturauswahl 62 Struktursteifigkeit 144 Struktursystematik 14 Systementwurf 91 modellbasiert 91 Taumelpresse 215 TCP 76 Teilgetriebe 44 thermisches Verhalten 146 Tool-Length-Compensation 75 Torsionskompensation 182 Regelungskonzept 185 Trajektorieninterpolation 73 Tranformationsrichtung 36 Transformationsintegration 72 TRICEPT 25, 39, 63, 208 Überbestimmtheit 33 Übersetzung 36 Übertragungsgüte 50, 57, 61 Übertragungsverhalten 59 Umweltverhalten 124 Validierung 99 Verlagerung Kompensation 81 thermisch 135 thermoelastisch 136, 137 translatorisch 127 Verlagerungsmessung 138

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Sachverzeichnis

Virtuelle Produktion 91 vollparallel 19 Vorwärtstransformation 35, 74, 79

Werkzeuganstellung 235 Werkzeugverschleiß 131 Winkelkonvention 76

Wärmelasten 136 Weltkoordinaten 36, 71

Zuverlässigkeit 124 Zwangsführung 25